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Full text of "Therapeutische Rundschau. Wochenschrift Für Die Gesamte Therapie Des Praktischen Arztes 2.1908"

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Therapeutische Rundschau 

Wochenschrift für die gesamte Therapie des praktischen Arztes. 


3. Anton, A. Dührssen, C. A. Ewald, A. Hoffa, R. Robert, 

! Walle a. S Berlin. Berlin. Berlin. Rostock. 

H. Schmidt-Rimpler, H. Senator, 

I Halle a. S. Berlin. 

/---\ 

Redaktion: 

\i Berlin S. 14, Dresdenerstrasse 44. 

Dr. H Lungwitz. 


Herausgegeben von 



M. Koeppen, H. Rosin, H. Schlange, Ad. Schmidt, 

Berlin. Berlin. Hannover. Halle a. S. 

R. Sommer, H. Unverricht, 

Gießen. Magdeburg. 


Verlag u. Expedition: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung 
in Halle a. S., Reilstraße 80. 

Tel.-Adr.: Marhold Verlag Hallesaale. Fernsprecher 823. 


Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Yereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte der Ostsee und der 

Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 


I II. Jahrgang. Halle a. S., 5. Januar 1908. Nr. 1. 

f Die .Therapeutische Rundschau" erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2M., einzelne Nummer 20 Pf. Bestellungen nehmen jede Buchhandlung, 

[ ie Post, sowie die Geschäftsstelle: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung in Halle a.S. entgegen. Inserate werden für die 4gespaltene Petitzeile oder deren Raum 
„iit 50 Pf. berechnet. Beilagen nach Uebereinkunft. Reklamezeile 1,50 M. Bei größeren Aufträgen wird Rabatt gewährt. .. ^ „ . ... . 

Nachdruck der Original-Aufsätze ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. — Nachdruck der anderen Rubrike n ist nur mit Quellenangabe gestattet. 

aus, es erkranken die Handgelenke, die Fußgelenke und die 
Kniegelenke. Es entstehen selten Herzklappenfehler, und die 
Kranken reagieren nicht auf Salicylsäure. 

Bei einem ausgeprägten Fall findet man die Interphalan- 

\ _ gealgelenke spindelförmig geschwollen, in späteren Stadien in 

Flexions- oder Extensionsstellung subluxiert, die Grundgelenke 
Die Polyarthritis chronica progressiva primitiva der Finger sind ulnarwärts disloziert, die Finger dachziegel- 

destruens (fälschlich chronischer Gelenkrheumatis- förmig übereinandergeschoben. Die Handgelenke sind verdickt 
v D und subluxiert. Ebenso smd die Ellenbogengelenke geschwollen 

milS genannt) und ihre Behandlung: un( j teilweise versteift, seltener sind die Schultergelenke be- 

i-tLx/rjüxoirk a * uv fallen. Sehr schwer leiden meist die unteren Extremitäten. Die 

Von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. A. Hoffa .n Berlm. Füße stehen in fix i erter Pi attfu ß, t ellung. Die Fußgelenke sind 

In einer größeren Arbeit, die ich in den letzten Jahren verdickt und krepitieren bei Bewegungen. Die Kniegelenke 
gemeinsam mit meinem Assistenten, dem Privatdozenten Herrn sind stark verdickt, stehen in starker ßeugestellung, krepitieren 
Dr. Wollenberg, gemacht habe, haben wir versucht, den laut bei Bewegungen; die Hüften sind meist frei. Jeder Be¬ 
llten Wirrwarr, der auf dem Gebiete des chronischen Gelenk- wegungsversuch macht heftige Schmerzen. Die Patienten 
heumatismus herrscht, zu klären und sind zu dem Ergebnis gekom- verlieren daher bald jede Lust zum Gehen und werden schließ- 
nen, daß der sogen, chronische Gelenkrheumatismus eine Krankheit lieh an den Rollstuhl oder an das Bett gefesselt. Die Musku- 
ui generis ist, der scharf von der Arthritis deformans getrennt latur schwindet im Laufe der Erkrankung mehr und mehr, so 
'erden muß. Weiter sind wir dann dazu gekommen, den daß die Patienten oft zu Skeletten abgemagert sind. Reiche 

^ironischen Gelenkrheumatismus als primäre Erkrankung aus- Patienten können sich ihr Leben noch einigermaßen erträglich 

mscheiden und nur einen sekundären chronischen Gelenk- gestalten; arme Leute verfallen meist dem Siechenhaus. Diese 
iheumatismus gelten zu lassen, der sich im Anschluß an einen Siechenhäuser pflegen von derartigen armen Frauen überfüllt 
akuten Gelenkrheumatismus entwickelt. Das. was man bisher zu sein. Das krankheitsbild, das ich eben nur flüchtig ge- 
jewöhnlich chronischen Gelenkrheumatismus genannt hat, hat zeichnet habe, wird zur Zeit noch vielfach verkannt. Es wird 
Minächst mit Rheumatismus gar nichts zu tun, das haben schon entweder für einen chronischen Gelenkrheumatismus gehalten, 
Bäumler, Schuchard. Curschmann und His immer oder aber man sagt, die Patienten leiden an Arthritis deformans 
>etont. Es handelt sich vielmehr wahrscheinlich um eine In- oder an Gicht. 

ektionskrankheit und sind Bakterien als Infektionserreger von Ich habe nun schon eingangs ausgeführt, daß wir die Be- 

Schüller, Chauffart, Ranson, Blasall, Wohlmann. zeichnuDg ..chronischer Gelenkrheumatismus 1 ' fallen lassen 
Bannatyne, Spitzy u. a. beschrieben worden. Da die Er- müssen. Von einem Rheumatismus der Gelenke ist nicht die Rede, 

krankung nun auch klinisch nicht dem Begriff des Rheuma d. h. sondern von einer schleichenden, aber progressiven, wabrschein- 

dem des Fließens, des Wechselns oder Ueberspringens ent- lieh infektiösen Polyarthritis, die zu einer Zerstörung der Ge- 
spricht, die Veränderungen vielmehr an den einmal befallenen lenke führt. Diese chronische, primäre, progressive Polyarthritis 
Gelenken haften bleiben und die ergriffenen Gelenke langsam destruens muß in erster Linie von der Arthritis deformans, die 

aber sicher, wenn auch oft mit Remissionen und Exazerbatio- wiederum ein eigenes Krankheitsbild darstellt, geschieden 

nen fortschreitend, zerstören, so ist es nicht mehr als billig, werden. 

endlich einmal den Ausdruck ,,chronischer Gelenkrheumatismus * 4 Auch die Arthritis deformans beginnt schleichend, bie 

endgültig zu beseitigen. Die beste Bezeichnung, die wir der befällt in der Regel die größeren Gelenke: die Kniegelenke, 

Erkrankung geben können, ist die von Ch arco t und His her- die Hüftgelenke, die Schultergelenke: die kleineren Gelenke 
stammende: „ Poly a r thr i tis chronica progressiva pri- sind dagegen seltener affiziert. Die Krankheit hat gewiß einen 
rnitiva; ich füge dazu noch die Bezeichnung destruens. fortschreitenden Charakter, aber sie zeigt doch nicht die Pro- 
um den Gegensatz zu Arthritis deformans, der deformierenden gredienz, wie sie für die uns interessierende Polyarthritis chro- 
Gelenkentzündung hervorzuheben. Befallen werden von der nica progressiva bezeichnend ist. Hat einmal die Arthritis 
Erkrankung meist Frauen, die etwa Mitte der dreißiger und deformans ein gewisses Höhestadium erreicht, so bleibt der 
vierziger Jahre stehen. Das Leiden setzt fieberlos, ganz all- Zustand in der Regel stationär, ja, es können auch wieder 

mählich ein. Es ergreift m der Regel symmetrisch zunächst Besserungen eintreten. Niemals kommt es bei der Arthritis 

die Fingergelenke, die spindelförmig anschwellen, und die Ge- deformans zu einer wirklichen Ankylosenbildung, — so defor- 
lanke an den Zehen. Langsam, ohne Fieber, in Attacken, in miert die Gelenkenden auch sind, immer kommt es wieder zur 

Schüben, breitet sich dann die Erkrankung von hier aus weiter j Neubildung eines Gelenkes, so daß immer noch Bewegungen, 



Die Polyarthritis chronica progressiva primitiva 

destruens (fälschlich chronischer Gelenkrheumatis¬ 
mus genannt) und ihre Behandlung: 

Von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. A. Hoffa in Berlin. 

ln einer größeren Arbeit, die ich in den letzten Jahren 
gemeinsam mit meinem Assistenten, dem Privatdozenten Herrn 
Dr. Wollenberg, gemacht habe, haben wir versucht, den 
\lten Wirrwarr, der auf dem Gebiete des chronischen Gelenk¬ 
heumatismus herrscht, zu klären und sind zu dem Ergebnis gekom- 
nen, daß der sogen, chronische Gelenkrheumatismus eine Kran kheit 
ui generis ist, der scharf von der Arthritis deformans getrennt 
'orden muß. Weiter sind wir dann dazu gekommen, den 
^ironischen Gelenkrheumatismus als primäre Erkrankung aus- 
;uscheiden und nur einen sekundären chronischen Gelenk¬ 
rheumatismus gelten zu lassen, der sich im Anschluß an einen 
ukuten Gelenkrheumatismus entwickelt. Das, was man bisher 
gewöhnlich chronischen Gelenkrheumatismus genannt hat. hat 
zunächst mit Rheumatismus gar nichts zu tun, das haben schon 
Bäumler, Schuchard. Curschmann und His immer 
jetont. Es handelt sich vielmehr wahrscheinlich um eine In- 
ektionskrankheit und sind Bakterien als Infektionserreger von 
Schüller, Chauffart, Ranson, Blasall, Wohlmann. 
Bannatyne, Spitzy u. a. beschrieben worden. Da die Er¬ 
krankung nun auch klinisch nicht dem Begriff des Rheuma d. h. 
dem des Fließens, des Wechselns oder Ueberspringens ent¬ 
spricht, die Veränderungen vielmehr an den einmal befallenen 
Gelenken haften bleiben und die ergriffenen Gelenke langsam 
aber sicher, wenn auch oft mit Remissionen und Exazerbatio¬ 
nen fortschreitend, zerstören, so ist es nicht mehr als billig. 
Endlich einmal den Ausdruck „chronischer Gelenkrheumatismus 14 
endgültig zu beseitigen. Die beste Bezeichnung, die wir der 
Erkrankung geben können, ist die von Ch ar co t und His her¬ 
stammende: „Polyarthritis chronica progressiva pri¬ 
mitiva; ich füge dazu noch die Bezeichnung destruens. 
um den Gegensatz zu Arthritis deformans, der deformierenden 
Gelenkentzündung hervorzuheben. Befallen werden von der 
Erkrankung meist Frauen, die etwa Mitte der dreißiger und 
vierziger Jahre stehen. Das Leiden setzt fieberlos, ganz all¬ 
mählich ein. Es ergreift in der Regel symmetrisch zunächst 
die Fingergelenke, die spindelförmig anschwellen, und die Ge¬ 
lenke an den Zehen. Langsam, ohne Fieber, in Attacken, in 
Behüben, breitet sich dann die Erkrankung von hier aus weiter 


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THERAPEUTISCHE. RUNDSCHAU. 


wenn auch nach einer? falschen Richtung hin, stattfinden 
können. Nur selten werden Pseudoankylosen, die sogen. De¬ 
formationsankylosen, beobachtet, dadurch zustandekommend, 
daß sich die neugebildeten Knochenmassen gewissermaßen 
ineinander verhaken. 

Wenn wir uns nun von Fällen von Arthritis deformans 
Röntgenbilder anfertigen, so sind diese außerordentlich charak¬ 
teristisch. Während beim Beginn der Arthritis deformans die 
übrigen Gelenkteile ziemlich intakt erscheinen, sieht man als 
erste pathologische Veränderungen an den unteren und oberen 
Enden der Patella spornförmige Gebilde, welche später der 
Patella eine ganz rhombische Gestalt zu verleihen vermögen. 
Der Gelenkspalt ist zunächst noch völlig normal, und es be¬ 
steht keine erhebliche Atrophie der Knochen. Es ist dies 
letztere ein großer Gegensatz gegen unsere Polyarthritis chro¬ 
nica progressiva, bei der schon frühzeitig eine erhebliche 
Knochenatrophie vorhanden ist. Ist die Arthritis deformans 
etwas weiter fortgeschritten, so sehen Sie die rhombische Ge¬ 
stalt der Patella deutlich ausgeprägt. Jetzt sind auch schon 
Defekte an den Condylen, die sich abplatten, bemerkbar. 
Ebenso nähern sich auch schon die Gelenk enden einander, ein 
Beweis, daß die Gelenkknorpel zu Grunde gegangen sind. 
Weiterhin werden die Defektbildungen und Abflachungen der 
Condylen immer ausgesprochener. Jetzt sieht man aber auch 
schon deutlich spornförmige, lippenförmige Ausladungen an den 
Enden der Tibia und des Femur, welche den bekannten Rand¬ 
wucherungen an den Gelenkeoden entsprechen. Infolge des 
Knorpelschwundes erscheinen die Gelenkenden noch näher 
aneinander gerückt. Die Gelenkenden erscheinen dabei ungleich- 
mäß g, zackig, wellenförmig, v. Volkmann hat das ja so 
schön beschrieben, indem er die Unregelmäßigkeiten mit aus¬ 
gefahrenen Geleisen verglichen hat. 

Untersuchen wir die Gelenke in der Weise, daß wir 
Sauerstoff in dieselben einblasen und dann die Röntgenbilder 
machen, so wissen Sie — ich habe das im vergangenen Jahre 
in der Berliner klinischen Wochenschrift publiziert—, daß dann 
auch die Weichteile in den Gelenken sehr schön zum Vorschein 
kommen: hierbei haben wir nun ein ganz ausgezeichnetes dif¬ 
ferentialdiagnostisches Hilfsmittel herausgefunden, das uns die 
Diagnose Arthritis deformans oder Arthritis destruens ganz 
sicher stellen läßt. Sie sehen hier in einem solchen Sauerstoff¬ 
röntgenbild die schon geschilderten Veränderungen an den 
Knochen, die rhombische Gewalt der Patella, das Verloren¬ 
gehen der Gelenkspalten, das Aufeinandergepreßtsein der Gelenk¬ 
enden, die Veiänderungen in der Form der Condylen, die 
Randveranderungen und die breiten Ausladungen an den Gelenk¬ 
enden. Daneben aber sehen Sie, daß der obere Recessus des 
Gelenkes wohl erhalten ist. Niemals findet sich bei der 
Arthiitis deformans auch nur eine annähernd ähnliche Ver¬ 
ödung des Gelenkes, wie sie, wie wir gleich sehen werden, cha¬ 
rakteristisch ist lür die Polyarthritis chronica progressiva, bei 
welcher eine Obliteration der Gelenkhöhle die Regel ist. Ich 
mache Sie ferner aufmerksam anf das Vorhandensein freier 
Gelenkkörper in dem oberen und dem hinteren Recessus und 
darauf, daß wir auch in diesen Bildern eine irgendwie hoch¬ 
gradige Atrophie der Knochen nicht bemerken. Ebenso cha¬ 
rakteristisch wie am Knie sind unsere Röntgenbilder bei der 
Arthritis deformans des Hüftgelenkes. Sie sehen hier die be¬ 
kannte Veränderung am Femurkopf und der Pfanne, den Ver¬ 
lust des Schenkelhalses, die Coxa-vara-Bildung und sehen 
ebenso entsprechende Veränderungen bei Arthritis deformans 
des Ellbogengelenkes. 

Ueberblicken wir noch einmal das, was unsere Röntgen¬ 
bilder zeigen, so ist das Ergebnis absolut übereinstimmend mit 
den Befunden, wie sie schon v. Volkmann an seinen Prä¬ 
paraten erhoben hat. Das Charakteristikum für die Arthritis 
deformans ist: Knochen- und Knorpelschwund auf der einen 
Seite, Knochen- und Knorpelwucherung auf der anderen Seite. 

Ganz anders verhält es sich nun bei der Polyarthritis 
chronica progressiva, bei der Erkrankung, die wir charakteri¬ 
sieren wollen. 

Wenn wir von diesen Patienten Röntgenbilder machen, so 
weisen auch diese außerordentlich charakteristische Verände¬ 


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rungen auf. Vor allen Dingen fällt uns eine aüßergewd|:$üc 
hochgradige Atrophie der Knochen auf. Neben dieser ! Knbc|j|^ 
atrophie ist charakteristisch der Schwund des Knorpels. IBjg^ 
Gelenklinien verschwinden, die Knochenenden werden aufeih-. 
andergepreßt, und es bilden sich an den Gelenkenden, da; wo 
die Knochenenden aufeinander liegen, scheinbare Verbreite- r 
rungen. Diese Verbreiterungen hat man bisher meist für^ 
Zeichen einer Arthritis deformans gehalten, für Knochen-;] 
Wucherungen. Tatsächlich aber handelt es sich nicht 
solche, vielmehr einfach um eine plastische Verdrängung des ' 
Knochens. Der Knochen ist atrophisch, abnorm weich; die 
deformierenden Kräfte, die wir gleich kennen lernen werden* 
pressen die Gelenkenden aufeinander, und der plastische 
Knochen weicht nun einfach nach der druckfreien Seite hin 
aus. So entstehen die Verbreiterungen an den Gelenkenden. 

Dort aber, wo unter dem Einfluß kurzer, geschrumpfter Bänder ‘ 
die Knochen nicht seitlich ausweichen können, dort werden i 
sie, wie z. B. an den Handwurzelknochen, einfach ineinander-^ 
gepreßt, oder es, kommt zu Verschiebungen der Gelenk enden, J 
zu Subluxationen und Luxationen der verschiedenen Art. 

Ebenso charakteristisch wie die Röntgenbilder von der« 
Hand sind die von den übrigen Gelenken. Sehr interessant 
sind die Sauerstoffröntgenbilder vom Kniegelenk. Man sieht an' 
diesen Bildern, daß es zu einer starken Obliteration der Ge¬ 
lenkhöhle kommt. Der obere Recessus verschwindet fast völlig, 
und ebenso finden sich die übrigen Gelenkräume fehlend und 
die Knochen miteinander verwachsen. Es ist dies ein stets vor¬ 
handener Gegensatz zu der Arthritis deformans des Knies, bei 
der die Gelenkhöhle immer fast normal erhalten bleibt. 

Die Betrachtung der Röntgenbilder hat uns ergeben, daß 
wir es bei der Arthritis deformans und bei der chronischen 
progressiven Polyarthritis mit zwei vollständig verschiedenen - 
Erkrankungen zu tun haben. Aber auch die pathologische 
Anatomie beider Affektionen läßt sie außerordentlich gut von- , 
einander unterscheiden. Bei der Arthritis deformans haben j 
wir es mit einer primären Erkrankung der Skelettanteile des 
Gelenkes, bei der Polyarthritis progressiva dagegen mit einer j 
primären Erkrankung der Gelenk weich teile zu tun. Wir müssen. < 
nach diesen Feststellungen absolut darauf bestehen, daß dkse| 
beiden Erkrankungsformen nun endgültig ein für allemal von¬ 
einander getrennt werden. 

Aber auch mit der Gicht, der Arthritis urica, hat unser 
Erkrankung nicht das geringste zu tun. Trotzdem hört ma 
von sehr vielen Kollegen die Erkrankung immer wieder alsl 
Gelenkgicht bezeichnen. Gewiß gibt es eine echte Gelenkgicht.f 
Diese ist aber dadurch ausgezeichnet, daß sich harnsaure Salze* 
in den Gelenken ablagern. Die Harnsäure wirkt als Reiz und 
dadurch entsteht dann eine Entzündung der Gelenke, die den 
typischen Gichtanfall auslöst. Meist wird nur ein oder das 
andere Gelenk befallen, es kann aber gelegentlich auch die 
Gicht in einer größeren Anzahl von Gelenken auftreten. De^ 
akute Gichtanfall ist meist leicht zu diagnostizieren. Es ist! 
aber nicht selten, daß die akuten Gichtanfälle mit der Zeit .ihre 
Gleichmäßigkeit in Bezug auf Eintritt und Dauer verlieren und 
einen mehr schleppenden Charakter annehmen, oder es kann 
auch wohl die Gicht von Anfang an ohne ausgesprochene An¬ 
fälle verlaufen (chronische, atypische Gicht). Die Untersuchung 
des Harn ergibt aber dann immer das Vorhandensein ge¬ 
steigerter Harnsäure, man findet Harnsäure-Depots auch an 
anderen Körperstellen, und es läßt sich die Harnsäure auch im 
Blute, nachweisen (Garnodsche Fadenprobe oder noch besser 
chemischer Nachweis). 

Sekundär können nun in gichtischen Gelenken auch die 
typischen Merkmale der Arthritis deformans zur Entwicklung 1 
kommen. Die Gelenke sind verdickt, deformiert, subluxiert, ’ 
aukylosiert; sie zeigen die typischen Bilder der Arthritis de¬ 
formans ; aber daneben sind dann’ jedesmal auch andere Gicht¬ 
erscheinungen, Harnsäureablagen m den Sehnen und Schleim¬ 
beuteln, an den Ohrmuscheln esc. vorhanden und die Er¬ 
krankung reagiert ausgezeichnet auP die Gichtmittel, die bei der 
primären chronischen Polyarthritis Völlig versagen. 

Es muß diese letztere also als einle ganz andere Erkrankung .§. x ' 
auch absolut streng von der Gicht getrennt werden, ’ • 1 J/ 


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Therapeutische Rundschau. 


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' ; 5 " ^ Unsere Polyarthritis destruens ist eine exquisit progressive 
^■©fkraAkung. Die Patienten erkranken langsam, schleichend 
Erscheinungen, die anfangs lediglich in ziehenden Schmerzen, 
sowie in v allmählichen Verdickungen der Gelenke bestehen. 
; 1 Diese Erscheinungen betreffen in der Mehrzahl der Falle zu¬ 
nächst die kleinen peripheren Gelenke der Finger symmetrisch, 
um auch allmählich auf die größeren Gelenke überzugehen. 

Es wird, wie schon hervorgehoben, von den meisten 
Patienten ausdrücklich angegeben, daß die anfänglichen 
Schmerzen so unbedeutend waren, daß der Zeitpunkt des 
Krankheitsbegiones oft gar nicht mehr sicher zu eruieren ist. 
Zuweilen waren die Schwellungen anfangs auch nur sehr un¬ 
bedeutend. In diesem Zustande können die Gelenke jahrelang 
verharren. Nur in einem Falle sind die Schmerzen nach der 
Angabe der Patientin gleich anfangs ziemlich stark. Fieber 
besteht nicht. 

Der weitere Verlauf der Erkrankung gestaltet sich ziem¬ 
lich mannigfaltig; übereinstimmend werden von den Patienten 
geringe Besserungen und Verschlimmerungen im Verlaufe der 
Krankheit erwähnt, aber eine vollständige, dauernde Besserung 
kommt nur überaus selten vor. Im allgemeinen nimmt das 
Leiden allmählich zu, indem sich einmal der Prozeß auf bisher 
noch intakte Gelenke erstreckt, zweitens, indem die bisher be¬ 
fallenen Gelenke immer heftiger erkranken, immer schmerz¬ 
hafter werden, immer ausgesprochenere Veränderungen zeigen. 

Der Charakter der Krankheit ist also ein progredienter; 
aber diese Progredienz zeigt wieder recht bedeutende Va¬ 
riationsbreiten; so sehen wir bei einem Patienten rasche Zu¬ 
nahme der Krankheitserscheinungen, bei einem anderen jahre¬ 
lang kaum merkliche Steigerung der Beschwerden; ja es kann 
unter Umständen auch einmal scheinen, als sei der Prozeß 
stationär geworden. 

Die anfänglichen Schmerzen sind meist von einer Schwel¬ 
lung der betreffenden Gelenke begleitet, die auf eine fühlbare 
Verdickung der Gelenkkapsel und der umgebenden Weichteile 
zurückzuführen ist, zuweilen auch auf eine Exsudation in das 
Gelenk und seine Umgebung. Diese exsudativen Erscheinungen 
pflegen jedoch nicht allzulange anzudauern. 

Wirklich starke Ergüsse in den Gelenken haben wir an 
unserem Material nur in wenigen Fällen nachweisen können, 
bei denen es sich jedesmal um eine Erkrankung ziemlich jungen 
Datums handelte. 

Der Palpationsbefund der Gelenke ist in der Regel so, 
daß wir bei frühen Stadien eine stark verdickte, bald mehr 
derbe, bald weich-elastische Kapsel finden; häufig können wir 
unregelmäßige Wülste und Träubchen nachweisen, die ver¬ 
größerten Synovialiszotten entsprechen, und die daher natür¬ 
lich an den Orten besonders palpabel sind, wo schon normaler¬ 
weise eine reichliche Entwicklung von Gelenkzotten sich vor¬ 
findet, d. h. besonders an den Umschlagsfalten der Synovialis. 
In späteren Stadien verringert sich in der Regel die Kapsel¬ 
verdickung, und die Schrumpfung, die Retraktion des Gewebes 
tritt in deu Vordergrund. Wir haben jedoch häufig an ver¬ 
schiedenen Gelenken derselben Person zu derselben Zeit die 
beiden Prozesse, Kapselverdickung mit Zottenhyperplasie und 
Kapselschrumpfung nebeneinander vor uns. 

Die Krankheit geht nun so weiter, 'daß die Patienten durch 
ihre Beschwerden an den unteren Extremitäten veranlaßt werden, 
sich zuerst der Stöcke, dann der Krücken zu bedienen, um 
eine Fortbewegung zu ermöglichen. Schließlich werden sie 
dann an den Rollstuhl gefesselt oder gar dauernd bettlägerig, 
wie ich schon oben ausgeführt habe. 

Gibt es nun kein sicheres Mittel, das Fortschreiten der 
Erkrankung zu verhüten? Wir müssen leider antworten „Nein“, 
aber darum stehen wir der Erkrankung doch keineswegs macht¬ 
los gegenüber. Diese Zeilen sollen gerade den Zweck haben, 
auf die wirklich ganz außerordentlich günstigen Resultate hin¬ 
zuweisen, die wir bei unseren Patienten durch eine sachge¬ 
mäße orthopädische Behandlung zu erzielen vermögen. 

Die Zahl der inneren Mittel, die man gegen unsere Er¬ 
krankung erqpfohlen hat, ist außerordentlich groß. Ich erwähne 
, zunächst, däß Menzer ein * Streptokokkenserum hergestellt 
hat^ das auCn^ bei Fällen unserer Art Erfolge gehabt haben 



soll. Irgendwie ausgedehntere Erfahrungen existieren'über dieses 
Mittel bisher noch nicht. 

Uns hat sich von allen Mitteln immer wieder das Aspirin 
in größeren Dosen am besten bewährt. Ich gebe zwei bis drei 
Gramm pro Tag; eine ganze Reihe von meinen Patienten haben 
so durch Jahre hindurch, ich kann wohl sagen, tausende von 
Grammen Aspirin genommen, ohne jede schädliche Neben¬ 
wirkung auf den Magen oder die Nieren. Es ist geradezu 
wunderbar, wie das Aspirin auf die Patienten wirkt. Nehmen 
sie es nicht, so haben sie Schmerzen, sind steif und unbeweg¬ 
lich; nehmen sie es, so sind sie schmerzlos, beweglich und 
wieder voll Vertrauen. Ich lasse das Aspirin immer nehmen, 
wenn schmerzhafte Attacken vorhanden sind. Halten die Patienten 
es irgendwie ohne das Mittel aus. so ist es am be&ten, damit 
auszusetzen. Unwirksam sind meist kleinere Dosen Wie ge¬ 
sagt, schaden größere Dosen nichts. Es macht mir immer den 
Eindruck, als wenn das Aspirin ein im Blute kreisendes Toxin 
unschädlich macht, oder als wenn es die Ausscheidung dieses 
Toxins durch die Nieren bewirkt. Der Erfolg bei richtiger Medi¬ 
kation ist jedenfalls fast absolut sicher. 

Hier und da trifft man noch einen Patienten, der Aspirin 
nicht verträgt. Dann gibt man Salieyl säure, Jodpräparate oder 
Arsenpräparate. Ganz vergeblich versucht man Gichtmittel, 
denn von gesteigerter Harn&äurebildung ist bei unseren Patienten 
nicht die Rede. 

Außer dem Aspirin spielen die größte Rolle in der Therapie 
unserer Erkrankung die physikalischen Heilmittel. Es gibt 
wchl kein einziges physikalisches Heilmittel, welches nicht 
in irgend einer Form empfohlen worden wäre. 

Wir müssen unterscheiden zwischen lokalen und allge¬ 
mein en Maßnahmen. 

Die lokalen Maßnahmen sind meistens dazu bestimmt, 
die Schmerzen zu beseitigen und die Gelenke beweglicher zu 
machen. Es gehören hierher die Prießnitzschen Umschläge mit 
einfachem Wasser oder 2 l / 2 °/oiger essigsaurer Tonerde, die 
heißen Watte verbände nach Die hl, die lokalen heißen Hand- 
und Fußbäder, die lokalen heißen Sandbäder, die lokalen Fango- 
und Moorumschläge. 

Großer Beliebtheit erfreuen sich in der letzten Zeit die 
Bierschen lokalen Heißluftb ider, die vorzugsweise schmerz¬ 
stillend und resorptionsbefördernd wirken. Gelegentlich kommt 
auch eine lokale Lichtbesfrahlung mit Radium oder Röntgen¬ 
strahlen in Betracht. Ebenfalls lokal wirken die Heißluft- 
Douchen nach Frey, die zweckmäßig gleich mit Massage und 
Gelenkbewegungen verwandt werden. Dampfdouchen, schotti¬ 
sche Douchen, Douche-Massagen unter dem heißen Wasser¬ 
strahl. wie sie in Aachen und Aix-les bains in Gebrauch sind, 
vervollständigen das Arsenal der lokalen Applikationen, die 
man im gegebenen Fall zweckmäßig variieren muß. Bei der 
langen Dauer der Erkrankung muß man immer wieder ein 
neues Mittel versuchen, das dann auch immer auf eine kurze 
Zeit zu helfen fähig ist. (Schluß folgt.) 


Bossi und Kolpeurynter in der Hand des 
praktischen Arztes. 

Von Dr. E. RohLff, Potsdam. 

Professor Hof meiers Ausspruch: „Die Geburtshilfe muß 
chirurgischer werden“, kennzeichnet die Ziele der heutigen ge¬ 
burtshilflichen Bestrebungen. Von den neuen Operationen, 
z.B. Pubiotomie, vaginalem Kaiserschnitt, Henckels Methode 
der Blutstillung durch Abklemmung der aa. uterinae, schneller 
Cervix-Erweiterung durch Dehnung mittels Kolpeurynters oder 
metallenen Dilatators (Bossi) interessieren den Allgemeinprak¬ 
tiker sicher die Dehnungsmethoden am meisten. Er kennt die 
Gefahren, welche damit bekämpft werden sollen, leider schon 
aus bitteren Erlebnissen, und er sieht, daß er die neuen, 
rettenden Eingriffe ganz allein im Notfall auslühren könnte, 
wenn — ja, wenn aus der Fülle der Berichte in den medizini¬ 
schen Zeitungen er nur sicher herausfinden könnte, wie man 
nun am besten handelte. Seit Jahrzehnten sind die Kolpeu- 


Qriginal frn-m 

UMVER5ITY DF MICHIGAN 




4 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr 1. 


rynter empfohlen. Sieht man sie aber in der Hand erfahrener, 
in allgemeiner Praxis stehender Aerzte? Kaum je! Es kam 
eine kurze Glanzzeit der Bossi-Apparate, jäh verschwanden 
sie alsbald von der Bildfläche. Jetzt wird wieder der Kolpeu- 
rynter als allein seligmachendes Mittel angepriesen. Nun, 
armer Allgemeinpraktiker, wähle! Vielleicht ist es darum an¬ 
gebracht, "daß einmal ein älterer Allgemeinpraktiker — kein 
Spezialarzt — seine Erfahrungen, Gedanken und Kritiken über 
beide Operationsmethoden den Kollegen unterbreitet, in der 
Hoffnung, hier und da einem Arzte einen festen Stützpunkt in 
der Erscheinungen Flucht zu geben. Ausdrücklich bemerke 
ich, daß meine Auseinandersetzungen nur Geltung haben sollen 
für die Hauspraxis in der Stadt und auf dem Lande. Kliniken 
müssen und sollen experimentieren, um die Wissenschaft zu 
fördern. Ich will nur darlegen, wie zur Zeit der alleinstehende 
Arzt am geeignetsten zumWohle seiner Patientinnen meines Er¬ 
achtens handeln soll. 

Von vornherein nenne ich als meine Ansicht: 
Der Ko lpeu rynter kann für den Praktiker in mehre - 
ren Fällen hilfreich sein, jedoch unersetzlich ist 
er nur in einem einzigen Fall; der Bossi hingegen 
ist unentbehrlich für den auf sich allein ange¬ 
wiesenen Arzt. Ich werde diese der jetzigen Strömung ent¬ 
gegenstehende Ansicht im Nachfolgenden begründen. 

Der Kolpeurynter tritt teilweise in Konkurrenz mit dem 
Bossi; diese Fälle sollen zuletzt betrachtet werden. Zunächst 
mag eine Schilderung und Kritik derjenigen Verfahren statt¬ 
finden, wo die Balloneinführung eine Verwendung findet in 
Konkurrenz mit anderen Operationsniethoden. Bei den ersteren 
Anwendungsarten handelt es sich um Einlegen der Kolpeurynter 
in die Scheide zu verschiedenen Zwecken. 

I. Von der Königsberger Poliklinik wurde vor einigen 
Jahren der Kolpeurynter als wehenverstärkendes Mittel, nach¬ 
dem die Geburt schon begonnen hatte, die Wehen aber wieder 
erlahmt waren, den Praktikern empfohlen. Das Ergebnis dieser 
Versuchsreihe war, daß die Wehen wieder eintraten nach 4 bis 
30 Stunden. Den betreffenden Frauen war „das Ding“ sehr 
unangenehm, sie suchten es herauszupressen, und manchmal 
gelang ihnen dies auch. In anderen Fällen mußte nochWasser 
nachgefüllt werden. Wenn man nun noch bedenkt, daß ohne 
dringenden Grund der Sekretabfluß gehindert, also die In¬ 
fektionsgefahr gesteigert wurde, so ist im Gegenteil der einzig 
richtige Schluß, den der Praktiker aus jenen Versuchen ziehen 
kann, der: Nimmermehr! Denn auch ohne Kolpeuryse pflegen 
die Wehen innerhalb solcher Zeiträume wieder einzusetzen. 

II. Ferner wird bei Steißlagen Erstgebärender der Kol¬ 
peurynter als Dehninstrument empfohlen, um Dammrissen vor¬ 
zubeugen. So gefährdet sicher der Damm in solchen Fällen 
ist, doch verdient die Kolpeuryse schwerlich Empfehlung. Zeit¬ 
verlust und Schmerzen für die Frau sind damit verbunden. 
Brauchbar ist auch nur der harte, voll aufgespritzte Ballon 
Champetier unter Zuganwendung. Der weiche würde nicht 
mehr leisten, als der Kindesrumpf an Dehnung erzielt Ein 
rechtzeitiger seitlicher Einschnitt mit nachfolgender Naht ist 
nicht schmerzhafter, wirkt aber schneller und ist ungefährlich. 
Ja, in der Pratique medico-chirurgicale 1907, Band I, Seite 
619 spricht der bekannte Professor Pinard die Hoffnung aus, 
bei Erstgebärenden überhaupt werde hoffentlich in Zukunft 
der Dammriß vermieden werden durch Gebrauch von Kol- 
peuryntern. Wenn ein so großer Geburtshelfer, wie Pinard es 
tatsächlich ist, dergleichen äußert, so zeigt das ausgezeichnet, 
welche Ueberschätzung ein Ballonenthusiast seinem Lieblings¬ 
instrument zu teil werden läßt, offenbar auch sonst. Hoffen 
wir also, daß die Kopfgröße des Kindes, ein enger Scham¬ 
bogenwinkel, Rigidität der Weichteile, Mitpressen der Frau und 
andere Faktoren dem Ballon keine Unbequemlichkeiten machen ! 

in. Drittens findet der Kolpeurynter Verwendung bei Ein¬ 
klemmung des retroflektierten Uterus in den ersten Schwanger¬ 
schaftsmonaten. In meinen wenigen Fällen gelang es mir ohne 
besondere Mühe, die Einklemmung zu heben, aber Fritsch 
z. B. schildert schwierigere, in denen er nur Herr der Situation 
werden konnte durch ein Hinaufklettern mit Muzeux, Herum¬ 
legen der Portio und Ablassen des Fruchtwassers durch ein¬ 


geführten männlichen Katheter. Da wird empfohlen, der Frau 
bei Beckenhochlagerung auf ein bis zwei Stunden einen Kol¬ 
peurynter einzulegen und diesen mit Quecksilber oder Schrot zu 
füllen. Hierbei entstehen nun aber folgende Fragen: Woher 
nimmt der Praktiker sofort drei bis vier Kilo Quecksilber? 
So viel müßten es wohl sein, da dies Quantum einem Volumen 
von 250 bis 300 g Wasser entspricht. Nun gut, er begnüge 
sich mit Schrot, das leicht zu beschaffen ist. Es ist aber nur 
halb so schwer wie Quecksilber, also auch dementsprechend 
unsicherer in der Wirkung. Reicht dieses Verfahren nun für 
die ernsten Fälle aus, oder versagt es gerade da? Mir ist 
nichts bekannt darüber. Aber für unsere Betrachtungen kommt 
diese Frage erst in zweiter Linie, so lange nicht klar ist, welche 
Rolle der Ballon als solcher in diesen Fällen spielt. Es geht 
aus dem Verfahren: Beckenhochlagerung, Quecksilber, Blei — 
ganz deutlich hervor, daß nicht der pralle, elastische Druck 
eines gefüllten Kolpeurynters das Agens ist, sondern die 
Schwere der eingefüllten Stoffe. Wozu denn überhaupt der 
Kolpeurynter? Man schütte einfach Schrot ohne weiteres unter 
Hochlagerung in die Vagina oder nehme eine Tierblase als 
Umhüllung! Ich wenigstens kann keine andere Schlußfolgerung 
aus der angegebenen Technik ziehen. 

IV. Viertens gebraucht man den Kolpeurynter als Tam¬ 
ponadeinstrument für die Scheide bei Blutungen durch Placenta 
prävia. Er soll Besseres leisten als nasse Gaze oder Watte. 
In der Theorie ist das ganz schön, in der Praxis sieht die 
Sache immerhin etwas anders aus. Wenn die Blutung wirk¬ 
lich ernst ist, noch fortdauert, während der Arzt schon da ist, 
was dann? Dann braucht man ihn eben nicht! Denn das sind die 
Fälle, in denen man fast immer sofort entscheidend handeln 
muß. Bei Ankunft des Arztes hat die erste Wehenzerrung, 
welche ein teilweises Loslösen der Placenta verursachte, in der 
Mehrzahl der Fälle aber schon nachgelassen. Die Blutung 
ist nur noch unbedeutend oder gar nicht mehr vorhanden und 
nur der Sicherheit halber für die nächsten Stunden wird tam¬ 
poniert. Also auch zur einmaligen Blutstillung durch Einlegen 
in die Scheide kann der Praktiker den Kolpeurynter entbehren. 
Auf die Behandlung bei Placenta prävia mittels Metreuryse 
komme ich weiter unten zu sprechen. 

Die Benutzung des Kolpeurynters bei veralteter Inversio 
uteri gehört nicht mehr zum Gebiet der Geburtshilfe. 

Alles bisher Gesagte, werden die Verteidiger des Kol¬ 
peurynters einwenden, trifft nicht den Kern der Sache; das 
sind nur Lufthiebe. Der eigentliche Wert des Ballons liegt in 
seiner Fähigkeit, die Cervix in einigen Stunden gefahrlos zu 
entfalten.— Ganz richtig; dies bestreite ich gar nicht, nur be¬ 
haupte ich, der Bossi könne in der Beziehung viel Besseres 
dem Praktiker leisten. 

Indem ich hier die beiden Instrumente miteinander ver¬ 
gleiche, muß ich, was für den Kliniker trivial klingen mag, 
zunächst hervorheben, daß der Kolpeurynter schon darum 
etwas Bedenkliches hat, daß er im entscheidenden Augenblick 
entzweigehen kann, sei es beim Füllen, sei es in den ganz 
eiligen Fällen durch Einwirkung des angebrachten Gewichts¬ 
zuges! Was alsdann? Welcher Praktiker besitzt zwei Kol¬ 
peurynter? Ein gewissenhafter Geburtshelfer könnte sich aller¬ 
dings zwei Exemplare — ein großes und ein mittelgroßes — 
vorrätig halten und dadurch zu helfen suchen. Im Prinzip 
jedoch muß man einem stets zuverlässigen Instrument aus 
Metall den Vorzug einräumen vor einem hinfälligen aus Gummi. 
Daß dieser Einwurf nicht leicht zu nehmen ist, beweist z. B, 
die Angabe Tarniers, daß ihm wiederholt (!) bei Placenta 
prävia (!!) der Ballon geplatzt sei. Jeder Zusatz zu dieser 
Angabe ist für den Erfahrenen überflüssig. 

Die schnelle Cervix-Erweiterung wird angewendet 

1. bei Eklampsie, 

2. bei Querlage und frühzeitigem Fruchtwasserabfluß, 

3. sehr selten bei Herzleiden (Erstickungsgefahr), 

4. bei Fieber während sich lang hinschleppender Er¬ 
öffnungsperiode, 

5. bei vorzeitiger Lösung der richtig sitzenden Placenta, 

6. bei Placenta prävia mit schwerer oder andauernder 
Blutung. 



1008. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


5 


Ehe ich zum Vergleich der beiden Operationsmethoden 
komme, muß ich einiges aus der Geschichte des Bossi-Apparates 
erwähnen. Als Professor Leopold vor einigen Jahren über 
das von ihm Erfinder Gesehene berichtete, brach eine allge¬ 
meine Begeisterung aus. Kaum einer aber kümmerte sich 
um die von Bossi ausgearbeiteten Vorschriften. Bossi ver¬ 
langt : 

1. Sollte zur Dehnung eine Zeit von 50 bis 90 Minuten 
verwendet werden. 

2. Es dürfe nicht gewendet werden, weil sonst der Cervix- 
Ring, welcher nur seitlich gedehnt — nicht aber, wie beim 
natürlichen Geburtsvorgang auch in die Länge gezogen ist—, 
sich wieder zusammenziehe um den Hals des Kindes und nun, 
wenn das Kind gerettet werden soll, das erforderliche, schnelle 
Durchziehen des Kopfes einen Cervix-Riß geben könne. Es 
müsse die Zange oder der Cranioclast angelegt werden, um die 
erreichte Dehnung zu fixieren. 

3. Er beschränkte das eingreifende Verfahren mit Recht 
auf diejenigen Fälle, die wirklich einen solchen Eingriff er¬ 
forderten, um unberechenbaren Eventualitäten vorzubeugen. 
Nicht aber z. B. wendete er Gewalt an, um eine einfache 
Frühgeburt wegen Beckenenge einzuleiten. 

Was geschah nun aber? Rekords an Schnelligkeit wurden 
geschaffen : 25 Minuten, 20 Minuten genügten, um eine intakte 
Cervix auf 10 cm Durchmesser zu erweitern. 

Frühgeburten leitete man ohne dringenden Grund experi- 
menti causa ein durch Aufschrauben bis auf 7 cm. Da schien 
den Experimentierenden denn doch ihr Gewissen geschlagen 
zu haben. Gewendet wurde ebenso ohne Rücksicht auf alle 
Auseinandersetzungen B ossis. 

Und trotz alledem ergaben die Sektionen von bei oder 
nach der Geburt verstorbenen Frauen meines Wissens keinen 
einzigen Fall, daß der Tod eingetreten war infolge von Ver¬ 
letzungen, hervorgerufen durch den Dilatator. Ganz unver¬ 
ständlich bleibt mir, wie man aus alledem den Schluß ziehen 
kann, der jetzt überall verkündet wird: der Bossi ist nichts 
für den Praktiker, nur der Spezialist darf ihn an wenden! Vor 
20 Jahren hieß es: eine Auskratzung darf nur vom Spezialarzt 
gemacht werden und nicht vom Allgemeinpraktiker. Die älteren 
Aerzte werden sich gewiß noch des Prozesses erinnern, wo ein 
armer Kollege wegen fahrlässiger Tötung verurteilt wurde, 
weil er bei seiner 30. (!) Auskratzung zwei Uterusperforationen 
machte. Nur ein Spezialarzt dürfe auskratzen, entschieden ein 
hochgelahrtes Obermedizinalkollegium und Gericht — am grünen 
Tisch. Auf dem abgelegenen Dorf, in der Hütte des Armen, 
bei qualmender Lampe könnte der Bossi wohl von einem ein¬ 
zelnen Arzt ohne jede Assistenz verwendet werden, aber — 
es darf nicht sein, bestimmen die Gelehrten, die vom selben 
^unerfahrenen Praktiker kaltblütig z. B. die Dekapitation bei 
verschleppter Schulterlage fordern. Wenn der Bossi nichts 
taugt, dar! auch der Spezialist ihn nicht verwenden. Ist er 
aber brauchbar, nun, dann ist es die selbstverständliche Pflicht 
des Praktikers, ihn zu gebrauchen, wenn sonst die Kreißende 
verloren ist. Jeder Praktiker mpß die einfache Anwendung 
eines Instrumentes erlernen, das, trotz aller Torheiten, die mit 
ihm getrieben sind, kaum einer Frau das Leben geraubt, aber 
es gar mancher gerettet hat — was niemand bezweifelt. 

Es ist zugegeben, daß Risse vereinzelt Jahre hindurch Be¬ 
schwerden machen können, darum zum Teil sind Dührssens 
Einschnitte wieder verworfen. Aber müssen sie denn bei 
Anwendung des Bossi entstellen? Ich bezweifle das sehr und 
will gleich eine Frage zur Diskussion stellen, die — soviel ich 
weiß — noch keiner aufgeworfen hat, trotzdem sie nach meiner 
Ueberzeugung die Entscheidung gibt für oder wider Bossi. Was 
tut man, um den Damm zu schützen? Man läßt das Hinter¬ 
haupt möglichst langsam durch die Schamspalte passieren! 
Warum soll man das Kind bei Placenta praevia sterben lassen? 
Damit nicht, wenn die Cervix nicht absolut verschwunden ist, 
durch zu schnelles Durchziehen ein schwerer Riß entsteht! 
Also was ist das entscheidende Moment? Die runde Form 
oder die Schnelligkeit der Erweiterung? Hier steckt der 
springende Punkt. Der Ballon imponiert durch seine runde Form, 


während der Bossi vier oder acht Arme hat. Also drohen 
doch offenbar bei dessen Anwendung leichter eine Zerreißung 
als beim Ballon; das ist die herrschende Meinung. Aber die 
Cervix ist dehnbar. Und wenn man ihr nur Zeit läßt, sollte 
sie sich dann nicht anpassen, so oder so? Bossi selbst hat 
empirisch gefunden, 50 bis 90 Minuten seien dazu nötig. Auf 
andere Weise kann man zu demselben Zeitergebnis kommen. 
Man lege sich einmal theoretisch die Frage vor, wie schnell 
man überhaupt dehnen dürfe? Die Antwort kann nur lauten: 
jedenfalls nur so schnell, als eine rapid verlaufende Spontan¬ 
geburt kürzestens dauert. Sehen wir von „abnormen“ Sturz¬ 
geburten, die unter ausnahmsweise günstigen Verhältnissen zu¬ 
stande kommen können (event. mit Cervix - Rissen, auf die aber 
nicht gefahndet wird), ab, so hört man — der Praktiker beob¬ 
achtet sie ja nicht daß man zwei Stunden Gesamtdauer als 
recht kurz bezeichnen darf. Hiervon kommt wohl 2 / s bis :, / 4 
der Zeit auf die Eröffnungsperiode, also ca. 1 1 / 2 Stunden. 
Rechnet man nun, daß meistens, wenn der Bossi nötig wird, 
schon Wehen wenigstens ein wenig geringer vorgearbeitet 
haben, so kommt man auf dem Wege der theoretischen Be¬ 
trachtung zu derselben Zeit, die Bossi empirisch gefunden 
hatte: 50 bis 90 Minuten. Schneller darf nur gearbeitet werden 
bei verzweifeltster Sachlage. Aber hat man B ossis Stimme 
beachtet? Nein! 

Nun beachte man ferner den Sitz bei eintretenden Rissen. 
Bossi selbst verwirft Instrumente mit mehr als vier Armen, 
weil man sonst nicht mehr beim Aufschrauben nachfühlen 
könne, ob ein Riß entstehe. Also, wo wird der Sitz der Risse 
gesucht? An den Druckstellen der Arme oder zwischen den¬ 
selben, wo nur Spannung, aber kein direkter Druck herrscht? 
Meines Wissens ist auch nie von einem Gegner die Behauptung 
aufgestellt, die Risse säßen an den Druckstellen. Wenn dies 
nun aber nicht der Fall ist, so ist damit bewiesen, daß nicht 
die Form des Dehninstrumentes die Entscheidung über Ri߬ 
entstehung gibt, sondern die Schnelligkeit der Dehnung! Und 
die Schlußfolgerung aus diesen Betrachtungen ist: Man darf 
unbesorgt in dringenden Fällen ein metallenes Dehn¬ 
instrument benutzen, wenn man nur nicht unter den von der 
Natur uns als Mindestmaß gegebenen Zeitraum heruntergeht. 
Auf Dehnung in solcher Zeit sind die Gewebe gebaut. °Das 
halten sie aus ohne Risse oder wenigstens ohne gefährliche 
Risse. Es ist geradezu Unsinn, von den Geweben noch mehr 
verlangen zu wollen, als wozu die Natur sie bestimmt hat. 
Wie käme die Natur zu solchem Luxus? Das wäre zwecklos, 
also handelt sie auch nicht so, und wir haben uns den ge¬ 
gebenen Bedingungen anzupassen, nicht aber Unmögliches oder 
Ausnahmsweises zu verlangen! Gewiß spielen bei längerer 
Dauer eines Geburtsvorganges behufs Erweiterung auch 'noch 
chemische Quellungs- und Erweichungsvorgänge mit. Darüber 
wissen wir aber nichts Sicheres. Bei rapiden Geburten geht 
es auch ohne sie (und bei Anwendung des Ballons mit Ge¬ 
wichtszug fallen sie auch fort); demnach tritt in der Dehnung 
durch Bossi bisher gegen den natürlichen Verlauf noch kein 
absolut verschiedener Vorgang zu Tage. 

Nun wird durch Bossi die ganze Cervix auf einmal er¬ 
weitert, während durch Fruchtblase, Kopf oder Ballon die Er¬ 
öffnung schrittweis von oben nach unten vorschreitet Ein 
Nachteil ist darin nicht zu finden. Der Unterschied zwar ist 
da; er wird aber nur bedingt, indem im ersten Fall die 
dehnende Kraft gleichsam zwischen fast parallelen Stahlarmen 
sitzt, während sie in den andern Fällen von oben wirkt und 
daher selbstverständlich zunächst nur auf die von dem ein^e- 
triebenen „Keil“ berührten Cervix-Teile wirken kann. 

Ferner wird bei natürlicher Geburt die Cervix auch in 
die Länge gezerrt: sie „verstreicht“. Bei Bossi oder bei Zug¬ 
wirkung am Ballon wird sie nur seitlich auseinandergepreßl. 
Verwendet man die Zange, so schadet das nichts. Das In-die- 
Länge-ziehen geschieht ja nur, weil der Druck der Uteruskon¬ 
traktionen beim Tieferpressen des Kindes an der Cervix den 
unerläßlichen, festen Stützpunkt findet, um wirken zu können. 

Bei Zangenkraft von unten bedürfen wir aber dieses Vorganges 
—w Nur gewendet darf nicht werden, damit nicht de* Hals 
die Elastizität der Cervix fest eingeschnürt wird. 

Original from 



6 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 1. 


Unter Erwägung aller dieser Umstände kann ich nicht 
finden, daß die ßossi - Methode dem natürlichen Vorgänge ganz 
fernstehe; im Gegenteil erscheinen mir die Schnittmethoden 
unnatürlicher. Dührssens Einschnitte sind von der Bild¬ 
fläche verschwunden, und der vaginale Kaiserschnitt bei reilem 
Kinde scheint auch nicht mehr in voller Gunst zu stehen; 
auf entlegenem Dorf kann er jedenfalls nicht in Konkurrenz 
treten. 

Nachdem auch nur ein Fall von Druckbrand berichtet wurde 
an den Angriffspunkten der Stahlarme, bleibt übrig zu erwägen, 
wie man die Risse, die etwa doch bei langsamem Vorgehen 
auftreten, beizeiten erkennen kann. Naclilühlen, heißt die Vor¬ 
schrift! Ob es aber wirklich so leicht ist, einen Riß bei ge¬ 
zwungener Handhaltung zu fühlen? Ich glaube es nicht. 
Eigene Erfahrungen über Risse habe ich nicht gehabt bei sechs 
Bo'ssi-Anwendungen, wovon drei bei ganz intakter Cervix, und 
ferner arbeitete ich mit einem Walcherschen achtarmigen 
Instrument, wobei man überhaupt nicht nachfühlen kann. Ich 
würde mich nur auf ein anderes Symptom verlassen, das mir 
viel sicherer erscheint: auf einen etwaigen plötzlichen Span- 
nungsnachlaß. Man braucht eine ganz beträchtliche Kraft beim 
Aulschrauben einer intakten Cervix. Gerade so, wie man bei 
einer Zange sofort fühlt, wenn das Hindernis überwunden ist, 
würde man am leichteren Aufschrauben den Riß mit dem 
dadurch bedingten verminderten Widerstand erraten. Blutung 
braucht wegen Gefäßkompression nicht aufzutreten. Bossis 
Verwerfung der achtarmigen Instrumente, weil man nicht nach¬ 
fühlen könne, erscheint mir daher nicht berechtigt, und die letzte 
Aenderung an seinem Instrument, daß ein seitlicher Öchrauben- 
apparat das Aufschrauben spielend leicht machen soll, halte 
ich für eine Verschlechterung, da man nun das Gefühl des 
Widerstandes nicht mehr hat. 

Die einfache Technik ist also folgende: Zunächst hängt 
der Operierende seine Taschenuhr so auf, daß er bequem die 
Zeiger verfolgen kann. In Narkose mit Hille eines Kollegen 
oder auch — wie ich es in einem schweren Fall gezwungener¬ 
maßen tun mußte — nach Moiphiumein.-pritzung von 0,03 
mit gelegentlichem Vorhalten des Chlorolorms seitens der 
Hebamme, wird ohne Specula der Bossi unter Leitung der 
Hand mit oder ohne Anhaken der vorderen Lippe eingeführt 
und schnell soweit aufgeschraubt, bis der Muttermund ihn fest 
umklammert. Abnehmen des Muzenx, Entfernung der Hand. 
Und nun wird nach der Uhr aufgeschraubt. Auf jeden Zenti¬ 
meter muß man reichlich fünf Minuten rechnen. Bei den 
vierarmigen In>trumenten muß nach einiger Erweiterung das 
In-trument noch einmal entfeint und mit den „Füßchen“ ver¬ 
sehen wieder eingelegt werden. Zieht man es vor, nicht die 
Zange anzulegen sondern zu perforieren, so schraube man 
bei'reifem Kinde wenigstens bis 8 1 / 2 cm auf, falls die Cervix 
erhalten war, sonst bleibt ein zu großer Widerstand für die 
Schädelbasis. Andernfalls muß die Ziffer zehn eT reicht 
werden. Sollte bedeutend früher ein Riß und Blutung be¬ 
merkt werden, so stände die Wendung behufs Tamponade mit 
dem Kindeskörper zu Gebote. 

Wenden wir uns nunmehr zur allgemeinen Technik der 
Metreuryse. Ich muß hier vorweg bemerken, daß ich nie 
damit gearbeitet habe, obwohl ich stets einen Ballon im Besitz 
hatte und habe. Es ist mir nur einmal bei reichlich 1300 Ex¬ 
traktionen reifer Kinder und bei über 1000 Frühgeburten ein 
Fall vorgekommen, wo ich entscheidende Vorteile von seiner 
Anwendung hätte erblicken können, so daß dieser kein anderes 
Verfahren gleich kam. Fast immer kann man sich auch ohne 
Ballon helfen. Ueber das Wie folgt das Nähere im speziellen 
Teil. Die Schlußfolgerungen, die ich aus der Literatur für 
mich gezogen habe, sind folgende. 

Man muß unterscheiden zwischen weichen Ballons, Modell 
Braun, und harten, Modell Ghampet.ier. Die ersteren 
lassen sich durch eine engere Cervix einliihren; die Frucht- 
blase kann erhalten bleiben. Sie wirken überwiegend physio¬ 
logisch als Wehenerregungsmittel durch die bei Füllung ent¬ 
stehende Spannung. Die Dehnwirkung auf die Cervix ist 
wegen ihrer Elastizität, infolge deren sie bei Zugwirkung eine 
Bimenform annehmen, mäßig. Leider kommt nun noch hinzu, 


daß man nicht wissen kann, wie weit man aufspritzen soll. 
Die Schmerzensäußerungen der Frau müssen einen vorläufigen 
Anhalt geben; bei gesprengter Blase auch das eingespritzte 
Quantum, welches ungefähr dem Kopfinhalie des Kindes gleich 
sein soll. Aber ob dann auch Wehen eintreten, muß man ab- 
warten, auch zeitweilig nachspritzen oder Wasser ablassen. 
Ein sehr starkes Aufspritzen soll hingegen Tetanus uteri er¬ 
zeugen können, andererseits aber auch völlige Erlahmung der 
Wehen bisweilen herbeiführen. 

Aus alledem geht für den Praktiker hervor, daß er, der 
nicht seine ganze Zeit einem Fall widmen kann, vornehmlich 
nicht, wenn die Patientin entfernt wohnt, ein so unsicher wir¬ 
kendes Mittel bei einem dringenden Fall nicht anwenden darf, 
wenn ihm andere Mittel zu Gebote stehen. 

Die harten Ballons Cham petier erfordern zunächst eine 
etwas größere Weite der Cervix. (Dann ist bei reifer Frucht 
der Bo>si schon unbedenklicher!) Man muß bei ihrer An¬ 
wendung stets die Blase sprengen. Spritzt man den harten 
Ballon ganz auf, so wirkt er nur wie der weiche: rein Wehen 
erregend! Bei nicht völliger Füllung kann man ihn aber keil¬ 
förmig in die Cervix behufs mechanischer Erweiterung hinein¬ 
ziehen, entweder mit der Hand oder durch ein Gewicht von 
ca 500 bis 1000 g. Dann erweitert er aber nicht völlig, und 
wiederum muß der Bossi, wenn man nur eine gleiche Er¬ 
weiterung von ihm verlangt, recht ungefährlich sein, aber er 
wird schneller arbeiten, weil er die ganze Portio auf einmal in 
Angriff nimmt. Welches Instrument muß also der beschäftigte, 
womöglich alleinstehende Praktiker wählen? 

Wenden wir uns nun zu den einzelnen Fällen, in denen 

eine Schwangerschaftsbeendigung erforderlich ist. 

(Fortsetzung folgt.) 


Was die „Freie Vereinigung biologisch denkender 
Aerzte“ erstrebt. 

Von Kreisarzt Dr. F. Baclimann zu Harburg a. E. 

Einem im Februar 1905 vom Verfasser an etwa 60 deutsche 
Aerzte zugesandten gedruckten Aufruf zu einem Zusammenschluß 
modern-natur wissenschaftlich denkender Kollegen, zwecks Re¬ 
form der wissenschaftlichen Medizin auf biologischer Grundlage, 
hatten zunächst 28 Kollegen Folge geleistet. Durch weitere 
Werbearbeit in Form von Briefen, Zusendung früheier Zeit¬ 
schriftenartikel, vier gedruckter Berichte über die Fortschritte 
der Vereinigung und durch einige weitere Artikel in medizini¬ 
schen Zeitschriften sind jetzt im ganzen 93 Kollegen der 
Freien Vereinigung gewonnen worden. 

Wenn auch durch schriftliche und mündliche Auseinander¬ 
setzung unter den Kollegen die Verständigung über Zweck und 
Ziel der Fr. V. seitdem manche Fortschritte erlahren hat, so 
darf Verf. doch wohl immer noch auf die Hauptpunkte seines 
ersten Aufrufes zurückgreifen, wenn er in folgendem in Kürze 
die biologischen Reformbestrebungon kennzeichnen will: 

1. Entsprechend den veränderten Kenntnissen in den organi¬ 
schen Naturwissenschaften seit Lamarcks und Darwins Zeiten 
bedarf auch unsere wissenschaftliche Medizin einer Umformung 
ihres Wissensstoffes. 

2. Das Bedürfnis nach einer solchen Reform macht sich 
sowohl in der Therapie als in der Gesundheits|/flöge geltend, 
indem die ans den vorherrschenden Anschauungen theoretisch 
abgeleiteten Heil- und Vorbeugungsmittel vielfach als unzu¬ 
länglich empfunden werden ; eine Anzahl wirksanierer Mittel 
sind anderseits mit den hergebrachten pathologischen Vor¬ 
stellungen nicht vereinbar. 

3. Wenn auch noch teilweise die sogen, exakten Beweise 
dafür fehlen, so glauben wir biologisch-beobachtenden Aeizte 
doch schon jetzt genügende empirische und logische Gründe 
dafür zu erkennen, duß die seit Virchows Zeiten vorherrschenden 
Anschauungen vom Entstehen und Heilen von Krankheiten 
dahin abgeändert werden müssen, daß sie wieder mehr das 
Zusammenwirken aller Organe, also den gesamten Organismus 
berücksichtigen, insbesondere auch seine Einährungsflüssigkeiten 



1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


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samt deren Zellen; kurzum, sie müssen wieder mehrhumoral- 
pathologische werden, und zwar im Sinne eines modernisierten 
geläuterten H ippokratismus. Wenn auch die Zellen- 
Energetik neben der humoralen Auffassung gerechte Würdigung 
verdient, so ist doch zu bedenken, daß die richtige Ernährung 
der Zelle’stets das primäre Erfordernis bleibt, weshalb Bildung, 
Beschaffenheit und Bewegung des SälVstromes in Gefäß n, 
Lymph wegen und zwischen den Zellen von allergrößter 
Wichtigkeit sind. 

4 Weder Hie Zellularpathologie, noch die Bakteriologie, 
so sehr wir deren heuristische und praktische Bedeutung an¬ 
erkennen. können wir für geeignet halten, die hauptsächlichsten 
Grundlagen der Pathologie zu biblen. Auch haben die patho¬ 
logische Anatomie und die physikalische Diagnostik nicht völlig 
den auf sie gesetzten Hoffnungen entsprochen, indem sie uns 
hauptsächlich spätere Zustände des Krankheitsprozesses kennen 
lehrten und dadurch unsere Beobachtung von den primären, 
physiologischen Bedingungen des Krank Werdens ablenkten Ersr 
die Erkenntnis letzterer Vorgänge wird uns zu einer rich'iovren 
Therapie und Gesundheitspflege führen, nach dem Grundsätze: 
Principiis (morborum) obsta. Wir könnten unsere Richtung 
daher sehr wohl auch die wahrhaft physiologische nennen. 

5. Wir sehen das Wesen Her Erkrankung wieder mehr in 
den durch eine hochgradige Zweckmäßigkeit veranlaßten Ab¬ 
wehr- und Heilreaktionen des Organismus auf unhygienische 
oder mangelnde hygienische Reize, welche unseren Körper 
meist von der äußeren Haut oder den Schleimhäuten aus treffen 
bezw ihm vorenthalten werden; eine sehr wichtige Rolle spielen 
dabei auch Selbstgifte, welche sich im Darme bilden. Bakterien 
sind hingegen in Her Regel nicht imstande, einen vollwertig 
funktionierenden Körper krank zu machen, wenn sie auch als 
Krankheitserreger in einem schon gestörten Organismus oft 
eine bedeutende Rolle spielen. Fehleihafte Lebensbedingungen, 
besonders viele Schäden unserer Ueberkultur, sind in hohem 
Grade geeignet, solche Vorbedingungen für Infektion zu schaffen. 
Als praktisch wichtigste hygienische Maßregeln müssen daher 
vor allem vier gelten: 

Erstens eine physiologisch richtige Ernährnng durch Ver¬ 
meidung von Zellgilten, Verminderung der tierischen Eiwei߬ 
zufuhr auf ein ziemlich geringes, wenn anch individuell ver¬ 
schiedenes Maß und Zufuhr aller benötigten Mineralstoffe; 
letztere sind nicht nur als Organersatz, sondern auch als 
osmotische Betriebsreize vielfach vernachlässigt worden; 

zweitens die Ernährung unseres Blutes von den Lungen 
aus durch reichliche unverdorbene Atmungsluft; 

drittens die Regeneration unseres durch Luftabschluß in¬ 
folge unhygienischer Kleidung und Betten atrophisch gewordenen 
Hautorgans durch Luft, Lieht und Wasser; 

viertens eine genügende und harmonische Muskelbewegung. 

Außerdem ist ohne Mäßigkeit in allen Dingen keine Ge¬ 
sundheit möglich. Unsere Therapie ist daher°hauptsächlich 
eine liygieuische. Die heutige Bezeichnung „physikalisch¬ 
diätetische“ Therapie halten wir aber für einseitig und irre¬ 
führend, da sie mit Physik wenig zu tun hat; besser paßte 
der Ausdruck: hygienische oder physiologische Therapie. 

6. Außer dieser biologischen Hygiene als Lehre von den 
gesundheitlichen oder naturgemäßen Lebensbedingun^en und 
der Verhütung aller krankmachenden Reize sollte noch die 
naturwissenschaftliche Vererbungslehre, welche uns die ver¬ 
erbbaren Anlagen kennen lehrt, in Zukunft zu den Grundlagen 
der theoretischen Medizin gehören. Der wahre Hausarzt müßte 
auch in diesen Dingen ein Berater der Familien werden. Hier 
hängt die Medizin durch die Sozial-Biologie und Sozial-Hygiene 
mit den großen nationalen Aufgaben zusammen, durch welche 
der Arzt in Zukunft zum Führer des Volkes werden könnte. 

7. Die Geschichte der Medizin lehrt uns, daß die Heil¬ 
kunde aus früheren metaphysischen und allzu einseitig humo¬ 
ralen Anschauungen um die Mitre des vorigen Jahrhunderts 
in den Gegensatz einer reinmechanischen und lokaüstischen 
Krankheitslehre umgeschlagen ist. so daß ihr das philosophische 
Versrändnis für den Organismus-Begriff und damit auch für die 
wahren inneren Ursachen des Kiankheitsnrozesses verloren 
ging. Deshalb soll die Geschichte der Medizin uns auch 


vor allen Uebertreibumren nach der gegenseitigen Rich¬ 
tung bewahren, z. B. vor Unterschätzung jeder Bedeutung der 
Infektion und Hamit Her Desinfektion, des Wertes lokaler und 
chirurgischer Behandlung, jeder Arzneianwendung, der Heilsera 
und der Impfung, sowie vor den vielfachen Uebei treibungen 
der Natmheilfanatiker, damit bei einer erneuten Frontschwenkung 
der Medizin nicht, wie vor sechzig Jahren, wieder -das Kind 
mit dem Bade ausgeschüttet“ werde. Auch soll die Geschichte 
uns bei aller Wertschätzung einer modernen Naturphilosophie 
im Sinne eines verständigen Vitalismus doch vor jedem Mystizis¬ 
mus bewahren. 

Hoffentlich entspricht Verf. einem allseitigen Wunsche der 
bisherigen Mitglieder der Freien Vereinigung, indem er die 
letztere der Therapeutischen Rundschau zufüllrte und ihr in 
derselben ein Hausrecht sicherte, nachdem der Herr Schrift¬ 
leiter verbrochen hatte, unsere neue Richtung in seiner 
Zeitschrift zu Worte kommen zu lassen. Mit den Herren 
Kollegen von den Bädervereinen werden wir voraussichtlich 
gut harmonieren, denn die von ihnen bevoizngte Therapie führt 
sie fast notwendig zu physiologischen, ja humoralen Anschau¬ 
ungen in der Pathologie Aber au»h sonst ^eisprechen wir uns 
durch eine unter Ausschluß jeder heftigen Polemik geführte 
lebhafte Aussprache zwischen deu Vertretern der allen und 
n<*uen Rührung vielfache Klärung und Förderung unseres 
Wissens. 


Nach Redaktionsschluß läuft soeben die Trauerkunde ein, 
daß einer unserer Herren Herausgeber, der Geh. Med-Rat 
Herr Prof. Dr. A. Hoffa, am Sylvesterabend 10 Uhr in¬ 
folge Koronarsklerose aus dem Leben geschieden ist. Wir 
werden in der folgenden Nummer auf den erschütternden 
Todesfall zurückkommen und einem seiner Schüler das Wort 
über die außerordentliche Bedeutung des Entschlafenen für 
die ärztliche Wissenschaft und Praxis erteilen. 



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REFERATE. 

CZD 


Chirurgie. 

Referent: Spezialarzt Dr. J. Perl, Berlin. 

1. Ueber die Blinddarmentzündung der Kinder. Von Professor 
Riedel. Münchner med. Wochenschrift 1907, Nr. 48. 

2. Appendicitis chronica adhaesiva. Von Dr. v. Huberer. 
Mitteihmir«n aus Grenzgebieten der .Me lizin und Chirurgie. 

3. Dauernd steriles Fadenmaterial. Von Dr. Wederhake. 
Deutsche med. Wochenschrift I9ü7, Nr. 47. 

4. Ramiezwirn als chirurgischer Faden. Dr. M. Madlewer. 
Münchner med. Wochenschrift 1907, Nr. 50. 

5. Steril-Rohkatgut. Dr. Fr. Kuhn. Münchner med. Wochen¬ 
schrift 1907, Nr. 50. 

6. Ein Fall von Totalexstirpation einer Pankreaszyste. 
Dr. Walter Sch mid t. Münchuer med. Wochenschrift 1907, Nr. 50. 

7. Ueber die Wertlosigkeit des Zusatzes von Nebennieren¬ 
präparaten bei der Lumbalanästhesie. Dr. Friedr, Michelsson. 

1. In seiner Arbeit über die Blinddarmentzündung der Kinder, 
die auch in der Tagespresse großes Aufseheu erregte, erläutert 
Riedel an der Hand einer genauen Statistik aus seiner 
Klinik die große Kindersterblichkeit infolge von Appendizitis im 
Vergleich zu der Sterblichkeit der Erwachsenen an derselben Er¬ 
krankung. Von Erwachsenen starben früher in seiner Klinik 


Original frem 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAÜ. 


6,7%, von Kindern dagegen 16,4%; in den letzten 21 Monaten 
dagegen 2,9% Erwachsener, aber noch immer 13% Kinder, eine 
ganz entsetzliche Ziffer, wenn man bedenkt, daß diese Kinder fast 
sämtlich durch die rechtzeitige Operation hätten gerettet werden 
können. Als Gründe für diese traurige Erscheinung gibt R. fol¬ 
gendes an: 

1. Die Eltern sind unachtsam oder im Gegenteil zu zärtlich, 
sie wollen ihr geliebtes Kind nicht dem Messer übergeben. 

2. Die Diagnose ist bei Kindern schwerer zu stellen als bei 
Erwachsenen. 

3. Die Appendizitis der Kinder ist aus pathologisch-anato¬ 
mischen Ursachen überhaupt viel gefährlicher als die Appendizitis 
der Erwachsenen. 

4. Ganz kleine Kinder sind außerordentlich empfindlich gegen 
Infektion vom Wurmfortsätze aus. 

" R. ist Anhänger der Erühoperation bei Appendizitis; er hat 
alle seine Patienten sofort operiert, gleichgültig ob sie bei Tag 
oder bei Nacht der Klinik zugingen. In welchem Stadium der 
Krankheit Patient auch kommt, hält R. jedes Abwarten für schäd¬ 
lich und beweist, daß Kinder, wenn sie rechtzeitig operiert werden, 
ebenso wenig an Appendizitis zu sterben brauchen wie Erwachsene. 

Aber leider gibt es, wie R. sich ausdrückt, noch Aerzte genug, 
die kalt dem Jammer gegenüber stehen, die sich nicht entschließen 
können, das kranke Kind rasch dem Chirurgen zu überweisen. 

Möchten doch die Aerzte in erster Linie immer bedenken, 
welch namenloses Unheil sie anrichten, wenn sie bei der akut 
einsetzenden Appendizitis abwarten; der einmal gemachte Fehler 
läßt sich oft genug nicht wieder gut machen, man soll und darf 
nicht va banque spielen mit dem Leben des Kranken, um auszu¬ 
probieren, ob Heilung wohl auch ohne Operation glückt. Auf der 
einen Seite steht eine fast absolut ungefährliche Operation, auf der 
anderen Qual und Elend, oft genug der Tod. In keinem Falle 
können wir mit Sicherheit sagen, ob der Kranke ohne Opera¬ 
tion ausheilen wird oder nicht; an die Stelle der Unsicherheit setze 
man die Sicherheit, nur mit dieser ist dem Kranken gedient. Es 
schadet nicht, wenn gelegentlich ein Kind mit Oxyuren oder 
anderen harmlosen Fremdkörpern operiert wird, oder wenn sich 
herausstellt, daß lediglich Typhlitis vorliegt, d. h. also entweder 
wirkliche Infiltration des Zoekum oder Adhäsionen auf demselben 
bei intakter Appendix, wer alle retten will — und das ist doch 
unser Ziel — wird gelegentlich einen diagoostischen Fehler 
machen, aber dieser Fehler bringt weiter keinen Nachteil, als daß 
das Kind zwei bis drei Wochen im Bette liegt, während das Ab¬ 
warten, das Ausprobieren zahllose Kinder in schwerste Lebensge¬ 
fahr resp. ins Grab bringt. 

2. Im Gegensatz zu der häufigeren Form der Appendicitis chro¬ 
nica, die nach akuten Anfällen zurückbleibt, laßt sich klinisch 
wenigstens eine zweite Art der chronischen Blinddarmentzündung 
feststellen, welche dadurch charakterisiert ist, daß sie sich schleichend 
entwickelt und, ohne sich an eine akute Attacke anzuschließen, von 
vornherein chronisch auftritt. Aschoff hat auf Grund von anato¬ 
mischen Untersuchungen deren Vorkommen überhaupt bestritten 
oder wenigstens als überaus selten bezeichnet. Die Kliniker haben 
diese Form der chronischen Blinddarmerkrankung zum größten 
Teile anerkannt, der Ewald den Namen Appendicitis larvata ge¬ 
geben hat. v. Huberer teilt einige Fälle dieser Art aus der 
Eiseisberg sehen Klinik mit. Seiner Ansicht nach ist bisher 
zu wenig betont worden, daß eine Appendicitis, die nicht bloß an¬ 
fallsfrei, sondern vollständig symptomlos verläuft, zu Veränderungen 
in der Umgebung des Appendix und außerdem weitab davon im 
Peritoneum führen kann, wodurch das Bild einer Darmstenose mit 
schwerer Beeinträchtigung des Allgemeinzustandes und hochgradiger 
Abmagerung hervorgerufen wird. 

In der Ei se ls bergschen Klinik sind im Laufe der letzten 
Jahre mehrere solcher Falle mit bestem Erfolge durch Appendek¬ 
tomie und Abbindung strangförmiger Adhäsionen behandelt worden. 

3. Der Verfasser hat schon in früheren Veröffentlichungen auf 
die Vorzüge seiner Silber- und Silberkautschukseide hingewiesen. 
Das Silber ist eins unserer besten Dauei antiseptika, der Kautschuk 
macht das Fadenmaterial für Keime nicht imbibischer. Die Firma 
Dr. Degen & Kuth, Düren (Rheinland) macht die Silber- sowohl 
wie die Sdberkautschukseide fertig zum Gebrauch und bringt sie 
speziell für Aerzte, die keine Klinik zur Verfügung haben, in den 

Digitized by 

UMIVERSITY OF.MtCHIGAN.,,^^-. 



Handel. Die Durana-Triplex-Packung soll ein dauernd steriles 
dabei preiswertes Fadenmaterial liefern. ... 1 

4. Madlener empfiehlt den aus den Fasern einer tropischen.. 
Nutzpflanze hergestellten Ramiezwirn; er ist unresorbierbar, heilt ' 
gut ein und ist billiger als Seide, die er in nassem Zustande — J 
und er soll sublimatgetränkt verwendet werden — auch an Festig- - 
keit übertrifft. Der neue Faden wird wie Kochers Seide in Aether, 
Alkohol und Sublimat vorbereitet, zur Operation nochmals in Sub¬ 
limat ausgekocht oder fertig in sterilen Pappdosen bezogen (Stiefen- 
hofer, München). 

5. In die viel umstrittene Frage des „sterilen“ Katgut hat 
Kuhn einen neuen Gedanken gebracht durch seine durchaus ein¬ 
leuchtende Forderung, nicht den fertigen Faden zu sterilisieren, 
sondern den Rohstoff von vornherein sauber zu gewinnen und steril 
weiter zu verarbeiten. Als Frucht seiner Arbeiten liegt jetzt ein 
Verfahren vor, das am frisch getöteten gesunden Schlachttier ein¬ 
setzt und die vorbereiteten Därme vor dem Zusammendrehen zu 
Fäden mit Jod- und Silberlösungen desinfiziert. Diese Zusätze 
sollen die Aufsaugung nicht nur nicht verzögern, sondern ihren 
reizlosen Verlauf begünstigen. Die Firma Merck übernimmt die 
Herstellung der neuen Fäden, deren Keimfreiheit am Tier geprüft 
ist; bei ihrer allgemeinen Einführung wird freilich der bisher noch 
nicht mitgeteilte Preis eine Rolle spielen. 

6. Schmidt berichtet über eine faustgroße Blutzyste im Pan¬ 
kreasschwanz bei einem jungen Mädchen, die anscheinend ohne äußere 
Gewalteinwizkung entstanden war und uneröffnet samt einer Schicht 
Pankreasgewebe entfernt werden konnte. Bei der Nachbehand¬ 
lung machte Sch. mit Erfolg von der W oh lg e m uth sehen Pankreas¬ 
kost Gebrauch, bei der die Drüse sehr wenig Saft absonderte. 
(Ausschluß aller Kohlehydrate, viel .Eiweiß, noch mehr Fett: dazu 
reichlich Na. bicarb.) Es gelang in der Tat, die bei Pankreas¬ 
operationen sonst fast unvermeidliche Fistel zu verhüten. Be¬ 
achtenswert ist der Vorschlag des Verf., die Pankreaskost auch 
bei inneren Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse zu verwenden. 

7. Die von der Infiltrations-Anästhesie her bekannte Wirkung - 
des Adrenalins oder der Nebennierensäfte überhaupt, läßt si6h; 
nicht ohne weiteres auf die Rückenmarks-Anästhesie übertragen, 
wo nicht die Blutgefäße, sondern die Strömung eines großen 
Lymphsacks für Ausbreitung, Schmerzlosigkeit und Aufsaugung 
der Gifte in Betracht kommen. Michelsson bestreitet Dönitz 
die Tatsache einer Entgiftung des Kokains durch Nebennierensäfte 
und führt die höheren tödlichen Werte dieses Gemisches, die 
Dönitz im Gegensatz zu anderen Forschern gefunden hat, auf 
die Ungleichheit der Versuchstiere zurück. Auch die zweite Mög- - 
lichkeit der Wirkungsweise des Adrenalins, die Strömung nach 
unten, die im Duralsack durch die Adrenalinanämie der Rücken¬ 
marks! äute an der Einstichstelle hervorgerufen werden soll, kommt 
seit Einführung der Beckenhochlagerung nach dem Lumbalstich 
nicht mehr in Betracht; bergauf läuft der Liquor cerebrospinalis 
nicht. Schließlich spricht gegen das Adrenalin noch die Mög¬ 
lichkeit einer Zersetzung mit saurer Reaktion, gegen die Dura und 
Arachnoidea sehr empfindlich sind und der M. sogar manch üble 
Nebenwirkungen, namentlich die gefürchteten Rückenschmerzen, 
zuzuschreiben geneigt ist. — (In der Praxis sind Ms. Anschau¬ 
ungen, freilich mehr empirisch, insofern anerkannt, als das ge¬ 
bräuchlichste und beste Mittel zur Lumbalanästhesie, das Tropa¬ 
kokain, durchweg ohne Adrenalinzusatz gebraucht wird. Ref.) 


Physikalische Therapie. 

Referent: Dr. A. Laquenr, dirig. Arzt der hydrotherapeut. 

Anstalt des Rudolf Virchow-Krankenhauses, Berlin. 

Bei den großen und erfolgreichen Neuerungen, die die Licht¬ 
behandlung, die Röntgentherapie und in letzter Zeit auch wieder 
die Elektrotherapie (Elektrische Bäder, Hochfrequenzströme.) unserem 
therapeutischen Handeln gebracht haben, hat der älteste Zweig 
der physikalischen Therapie, die Hydrotherapie, in der Diskussion 
weiterer Kreise ein wenig an Interesse eingebüßt. Im folgenden 
seien jedoch'aus diesem Gebiete einige gerade auch für den prak¬ 
tischen Arzt beachtenswerte neuere Publikationen erwähnt. ^ v 





THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


^^^'Wälifend man die Wirkung hydrotherapeutischer Anwend- 
sjttngeninit Recht mit dem thermischen Reiz in Zusammenhang 
brachte, den das Wasser-je nach seinem Temperaturgrade auf den 
Körper ausübt, War der Effekt von Bädern indifferenter Tem¬ 
peratur (34—35° C) auf den Organismus bisher nicht völlig klar, 
denn auf Reizabhaltung und Beruhigung ließen sich die mit solchen 
, Bädern in der Praxis erzielten Heilerfolge allein nicht zurück¬ 
führen. Die Publikationen von Strasser und Blumenkranz 
über die Wirkung indifferenter Bäder bei Nephritis 
(Blätter für klin. Hydrotherapie 1907, Nr. 5 und Wiener med. 
Presse 1907, Nr. 33) haben nun in dieser Beziehung manche 
interessante Aufklärung gebracht. Diese Autoren fanden nämlich, 
daß gewöhnliche Voll-Bäder von 34° C Temperatur und einer 
Stunde Dauer die Ausscheidung von Stickstoff und vor allem 
von Kochsalz bei Nierenkranken erheblich befördern, bei gleich¬ 
zeitiger Steigerung der Diurese. In Anbetracht der großen 
Rolle, die nach neueren Forschungen gerade die Kochsalzretention 
bei der Aetiologie urämischer und sonstiger Störungen bei Nepbri- 
tikem spielt, liegt die Bedeutung dieser Beobachtung auf der 
Hand. Sie zeigt auch für die Praxis, daß zur Bekämpfung von 
Symptomen wie Oedemen, Uebelkeit, Kopfschmerzen durchaus 
nicht immer Schwitzprozeduren bei chronischen Nierenkranken er¬ 
forderlich sind, und geben der praktisch schon lange gebräuch¬ 
lichen Anwendung gewöhnlicher warmer Vollbäder von längerer 
Dauer, die das Herz so gut wie gar nicht alterieren, eine neue 
wissenschaftliche Grundlage. Straß er und Blumenkranz haben 
dann auch milde Schwitzbäder (elektrische Lichtbäder) in Be¬ 
zug auf ihren Einfluß auf die Ausscheidungen Nierenkranker ge¬ 
prüft und auch hiernach erhebliche Steigerung der Na Cl- 
Ausfuhr und relative Steigerung der Diurese, trotz reichlicher 
Schweißproduktion, gefunden. Sie beobachteten jedoch bei einem 
solchen Versuche auch einmal das Auftreten leichter urämischer 
Symptome, und warnen deshalb vor der Anwendung forzierter 
Schwitzprozeduren bei Nierenkranken, insbesondere da milde, die 
Körpertemperatur nicht wesentlich erhöhende Schwitzbäder oder 
aber indifferente Vollbäder dasselbe leisten. 

Auch über die Wirkung von heißen Bädern resp. von Schwitz¬ 
bädern bei Chlorose liegt wieder eine neue interessante Mit¬ 
teilung vor. Es sind diese Bäder wegen ihrer anregenden Wirk¬ 
ung auf die blutbildenden Organe zuerst von Dy es, in Deutsch¬ 
land zuerst von Senator und von Ros in zur Behandlung der 
Bleichsucht empfohlen worden. In einer Reihe von späteren Pub¬ 
likationen ist diese Empfehlung bestätigt worden; besonders er¬ 
wähnt sei eine sehr schöne Arbeit von Rae big er (Zeitschrift für 
physikalische und diätetische Therapie, Bd. VHI), der in verglei¬ 
chenden Untersuchungen nachgewiesen hat, daß an chlorotischen 
Patienten der Heilstätte Beelitz, die sich unter den gleichen 
äußeren Bedingungen befanden, eine hydrotherapeutische Behand¬ 
lung mindestens denselben Erfolg bezüglich Besserung des Allge¬ 
meinbefindens, Vermehrung des Hb-Gehaltes und der Zahl der 
roten Blutkörperchen hatte, als in Parallel-Fällen,- die mit Eisen¬ 
präparaten behandelt wurden. Die angewandte hydrotherapeu¬ 
tische Prozedur bestand dabei in kurzdauernden Dampfkastenbädern 
(5 Minuten) mit nachfolgenden kalten Duschen oder kalten Ab¬ 
klatschungen. Demgegenüber hat nun Wandel kürzlich die An¬ 
schauung vertreten (Deutsches Archiv für klin. Medizin, Bd. 1907), 
daß nur in den Fällen von Chlorose die Wärmebehandlung Erfolg 
bringe, wo vorher schon eine Eisenbehandlung scheinbar vergeb¬ 
lich versucht worden war; und daß daher die Wirkung der heißen 
Bäder vor allem darauf beruhe, daß durch diese Prozeduren das 
Eisen mehr in die Zirkulation gebracht werde und dadurch besser 
seinen anregenden Effekt auf das hämatopoetische System ent¬ 
falten könne. Es, besteht also ein scheinbarer Widerspruch 
zwischen den Arbeiten von Raebiger und Wandel, der 
um so weniger geklärt ist, als aus Raebigers Mitteilung nicht zu 
ersehen ist, ob in den von ihm ausschließlich hydrotherapeutisch 
behandelten Fällen nicht früher anderweitig einmal Eisenpräparate 
gegeben worden waren. Persönlich möchte ich dazu bemerken, 
daß ich allerdings die schönsten Erfolge der physikalischen Therapie 
„ (Heißluftbäder) der Chlorose bei Patientinnen gesehen habe, bei 
denen vorher eine Eisen- und Arseniktherapie lange Zeit erfolglos 
versucht worden wer (Zeitschrift f. physikal. und diätet, Therapie, 

IV) ^weiterhin möchte ich auch nicht versäumen hinzuzufügen, 



daß die Anwendung von heißen Bädern bei Chlorotischen sich für 
das Krankenhaus resp. die häusliche Behandlung besser eignet, 
als für die ambulante Behandlung, bei der die Erfolge meist viel 
weniger gute sind. Jedenfalls geht aus der ganzen Lage der 
Dinge das eine hervor, daß nämlich auch hier eine Einseitigkeit 
nicht am Platze ist und daß physikalische und medikamentöse 
Therapie sich nicht bekämpfen, sondern einander ergänzen und 
unterstützen sollen. 

Zur Behandlung der Bleichsucht sind neuerdings auch die 
Sonnenbäder empfohlen worden; Lenkei hat nach solchen 
Bädern eine erhebliche Zunahme der Erythrozyten im Blute ge¬ 
funden (Zeitschrift für physik. und diätet. Therapie 1907 Bd. VIII, 
pg. 397) und auch Marcuse schließt sich in seinem übrigens sehr 
lesenswerten Bache über Luft- und Sonnenbäder (Physikalische 
Therapie in Einzeldarstellungen, 3. Heft. Verlag von F. Enke) 
dieser Empfehlung an; er läßt es allerdings dahingestellt, ob da¬ 
bei die Sonnenbäder eine spezifische Lichtwirkung ausuben oder 
ob sie nur als Schwitzprozedur wie sonstige warme Bäder wirken. 
Möglich, daß beide Faktoren sich dabei summieren. Uebrigens 
üben auch die Luftbäder nach Lenk ei und anderen Autoren 
einen anregenden Effekt auf die Blutbildung aus; man muß sich 
jedoch hüten, nun für Luftbäder und Sonnenbäder die gleichen 
Indikationen aufzustellen. Davor hat mit Recht vor kurzem 
v. Hovorka auf dem Kongreß für physikalische Therapie ge¬ 
warnt. (Vergl. den Bericht in der Deutscheu medizinischen Wochen¬ 
schrift 1907, Nr. 46.) Denn während die Luftbäder den Puls gar 
nicht und den Blutdruck nur in geringem Maße alterieren, fand 
v. Hovorka nach Sonnenbädern meist eine erhebliche Zunahme 
der Pulsfrequenz und sekundäre Blutdrucksenkung. Der Autor ist 
daher der Ansicht, daß bei Herzkranken die Sonnenbäder nur mit 
großer Vorsicht anzuwenden sind. 

Um nach dieser Abschweifung wieder zur Hydrotherapie zu¬ 
rückzukommen, so sei erwähnt, daß Brieger auf der letzten 
Naturforseherversammlung in einem Vortrage über „Hydro¬ 
therapie und innere Medizin“ (vergl. Zeitschr. für pliysikal. 
und diätet. Therapie, Bd. XI, Heft 8) betonte, daß bei der großen 
Mehrzahl der internen Krankheit sich die Hydrotherapie mit \ or¬ 
teil anwenden läßt. Unter diesen Krankheiten sei das Asthma 
bronchiale besonders hervorgehoben, über dessen hydrothera¬ 
peutische Behandlung C. C.Fischer kürzlich aus dem Brieger sehen 
Institute detaillierter berichtet hat (Zeitschr. für pbysik. und diätet. 
Therapie, Bd. XI, Heft 3); von den bei Asthma erfolgreich an¬ 
gewandten Prozeduren sind außer allgemein-roboriereuden Ma߬ 
nahmen insbesondere Brustumschläge in Form von Kreuzbinden 
sowie heiße Vollbäder (36 bis 40 °C) mit kühlen Uebergießungen 
des Bauches zu nennen. Im Anfalle selbst kommen heiße Brust¬ 
umschläge neben den ableitenden heißen Hand- und Fußbädern in 
Betracht. 

In dem Brieger sehen Vortrage waren auch die guten Er¬ 
folge einer rein hydrotherapeutischen Behandlung der Tabes 
dorsalis erwähnt; es waren im Berliner hydrotherapeutischen Insti¬ 
tute nach einer vom Ref eren ten aufgestellten Statistik (Zur hydro¬ 
therapeutischen Behandlung der Tabes dorsalis; Berliner Klin. 
Wochenschr. 1906, Nr. 44) beieinempoliklinischen Krankenmate¬ 
rial in 69% der Fälle deutliche Besserungen erzielt worden, die sich 
nicht nur auf Linderung der subjektiven Beschwerden und Hebung des 
Allgemeinbefindens, sondern auch häufig auf Nachlassen der ataktischen 
Erscheinungen bezogen. Die Behandlung bestand dabei nur in Halb¬ 
bädern von nicht extremer Temperatur (34 bis 30°) oder in Kohlen¬ 
säurebädern. Daß übrigens eine hydrotherapeutische Kur, wofern 
sie nur roborierend wirkt, sich sehr wohl mit gleichzeitiger Uebungs- 
behandlung der Tabes vereinigen läßt, hat jüngst Winternitz 
auf Grund seiner reichen Erfahrung dargelegt (Blätter für klin, 
Hydrotherapie 1907, Nr. 11). 

Auch sonst ist der verdiente Altmeister der Hydrotherapie 
noch immer erfolgreich tätig; erst kürzlich hat er wieder in einer 
ausführlichen Abhandlung über die physikalisch-diätetische Be¬ 
handlung der Arteriosklerose'(Zeitschr. für pbysik. und diätet. 
Therapie, Bd. XI", Heft 9) eine neue Prozedur speziell bei dieser 
Krankheit empfohlen, die sogen, schottische Teilabreibung. Während 
man bisher die Teilabreibung, d. h. die sukzessive nasse Abreibung 
der einzelnen Körperpartien, nur mit kaltem Wasser ausführte, 
so empfiehlt nunmehr Winternitz, hei Patienten, die eine mangel- 




Original ffom 

UNIVERSITY OF MICHiGAN 




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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


hafte Hautreaktion zeigen und sich nach der kalten Abreibung 
nicht genügend erwärmen, der Kälteapplikation jedesmal eine Ab¬ 
reibung mit heißem Wasser vorausgehen zu lassen. Es wird 
vermittels der Kontrastwirkung dadurch der Endeffekt der Pro¬ 
zedur noch erhöht, und da somit die Iudikation»breite der an sich 
schon bei den meisten Kranken anwendbaren Teilabreibung noch 
erweitert wird, so kommt dieser scheinbar unwesentlichen Modifi¬ 
kation doch eine praktische Bedeutung zu. Denn die Teilabreibung, 
eine bei lichtiger Anwendung vollständig unschädliche 
Prozedur, spielt in der Therapie der Arteriosklerose, wo ein¬ 
greifendere Maßnahmen oft koutraindiziert sind, wegen ihrer er¬ 
weiternden und zirkulationsbefördernden Wirkung auf die peri¬ 
pheren Gefäße eine wichtige Rolle. 


3. Zur Vereinfachung der Tuberkulininjektionen gibt Karl 
Ger so n in Nr. 47, 1907 der Medizinischen Klinik eine Tabelle, die 
es dem Praktiker ermöglichen soll, schnell und sicher bestimmte 
Dosen Tuberkulin herzustellen. - J 


Augenheilkunde. 

Referent: Privatdozent Dr. G. Abelsdorff, Berlin.| 

1. Sehnervenerkrankung durch Atoxyl. Von F e h r. % Deutsche 
med. Wochenschrift, Kr. 49, S. 2032. 

2. Die Beziehungen der Ophthaimo Reaktion des Tuber¬ 
kulin-Test zu Tuberkulose und Trachom. Von A. Schiele. 
Wochenschrift für Therapie und Hygiene des Auges, XI, Nr. 10, 


Lungenkrankheiten. 

Referent: Dr. E. Meyer, Oberarzt an der Charite, Berlin. 

1. Erfahrungen mit dem künstlichen Pneumothorax bei 
Tuberkulose, Bronchiektasen und Aspirationskrankheiten. Von 
Adolf Schmidt. Münch, med. Woüj. 1907, Nr. 49. 

2. Zur Therapie der Tuberkulose. Von S. Weinberger. 
Wiener klin. Woch. 1907, Kr. 49. 

3. Zur Vereinfachung der Tuberkulininjektionen. Von 
Karl Gerson. Med. Klinik 1907, Kr. 47. 

1. In Nr. 49 der Munch, med. Wochenschrift 1907 berichtet 
Adolf Schmidt in Halle „über seine Erfahrungen mit dem 
künstlichen Pneumothorax bei Tuberkulose, Bronchiektaaen und 
Aöpirationskrankheiten“. Er machte seine Versuche ohne Kennt¬ 
nis des Forlanini’schen Verfahrens mit Stickstoff, Sauerstoff, Koch¬ 
salzlösung und Olivenöl und zwar bei 24 Fallen. Stößt man bei 
Anlegung des Pneumothorax auf Pleuraverwachsungen, so muß 
mau den Versuch immer noch einige Male wiederholen, da sie 
zuweilen doch noch zu erreichen ist; doch ist bei ca. 22% aller 
Fälle die Anlegung unmöglich. Eine doppelseitige Luugener- 
kraukung sieht Schmidt als strenge Kontraindikation an. Bei 
einseitigen Fallen ist selbst ein vorgeschrittener Piozeß keine 
Kontraindikation, jedoch muß man sich vor zu schneller Kompression 
der erkrankten Luuge hüten, da sonst evtl. Intektion der ge&unden 
Seite entstehen kann. Vorhergegangene Hämoptoe ist keineswegs 
Kontraindikation lür Lungenkompression. Ferner ist darauf zu 
achten, daß die Kompression lauge genug fortgesetzt wird. Die 
bei der Lösung der Pleuiablatter entstehenden Schmerzen sind 
durch Morphium zu lindern. Bei einigen Fällen war große Besserung 
voihandeu; aber trotzdem wird die Kompression niemals zu einem 
wesentlichen Faktor der Schwindsnchtstherapie werden. — Bei 
8 Fällen von Bronchiektasen waren 3 wegen Pleuraverwachsungen 
ungeeignet. Bei den übrigen Fällen waren niemals Erfolge zu 
veizeichnen, wahrend Brauer 2 Fälle von Bronchiektasen heilen 
konnte, die allerdings auch erst 2 / 2 resp. 4 Monate in Beob¬ 
achtung waren. Dagegen zeitigte die Kompressionstherapie bei 
Aspirationserkrankungen bei den drei so behandelten Patienten recht 
gute Eriolge. — Bezüglich der Technik bemerkt Verf., daß er 
einen stumpfen Troikart mit schaifer Geleitnadel benutzt, nachdem 
er die Einotichstelle voiher mit Lokalanästhesie unempfindlich ge¬ 
macht und den Pat. zur Linderung des Schmerzes bei Trennung 
der Adhäsionen Morphium injiziert hatte. Als Oit der Punktion 
wird am besten der IX. Intercostalraum in der hinteren Axillarlinie 
gewählt. — A's unangenehme Begleiterscheinung wurde zuweilen 
subkutanes Emphysem an der Punkrionsstelle, galten ei mal Kollaps 
beobachtet. — Anfangs benutzte Schmidt Sauerstoff, bei späteren 
Versuchen sterile Luft. Wichtig ist stete Kontrolle mit Röntgen¬ 
apparat. 

2. Wie S. Weinberger in Nummer 49 der Wiener klinischen 
Wochenschrift 1907 berichtet, wandte er mit gu’em Erfolge 
mit eiterigem Spututn zweiprozentige Karbolsäure an, indem er hier¬ 
mit einen V 2 <m dicken Wattebausch benetzte und hiermit beide 
Nasenlöcher von innen answischte. Er wandte es angeblich mit 
gutem Ei folg an bei Spitzenkatairlien, Hämoptoe und Pneumonie. 
(Nach meiner Ansicht dürfte diese Mitteilui g mit etwas Skepsis 
anfzunel men sein, besonders was die angebliche Heilung eines aus¬ 
gedehnten Infiltrates aubetrifft, Ref.) 




S. 73. 

3. Ist bei Hydrophthalmus die Iridektomie oder die Sklero- 
domie als Noimaloperation anzusehen? Von Stölting. von 
Graefes Aroli. 1. Ophthaim. LXVII, 1, S. 171. 

4. Die permanente Drainage der Tränenabfiußwege. Von 
W. Koster, von Graefes Arch. für Ophthaim. LXVH, 1, 

S. 87. 

1. Nach der jüngsten Koch sehen Veröffentlichung, in der über 
22 Fälle von Erblindung im Laufe der Atoxylbebandlung bei 
Schlatkrankheit berichtet wurde, verdienen zwei Fälle, die Fehr 
genau kliuisch beobachtete, besondere Beachtung. Im ersten Fall 
wurden 20 bis 25 g Atoxyl in sechs Monaten, im zweiten etwa 
10 g in zwei bis drei Monaten verbraucht, die Größe der Einzel- 
dosis überstieg wahrscheinlich nicht 0,2 g. Es stellte sich kon¬ 
zentrische, besonders nasale Gesichtsleidbeschränkung ohne zen¬ 
trales Skotom und Abblassung der ganzen Sehnervenscheibe mit 
hochgradiger Verenguug der Netzhautarterien ein. Durch Aussetzen 
des Mittels gelang es zwar, den Verfall des Sehvermögens aufzu¬ 
fallen, die Beobachtungen bilden aber eine Mahnung, bei jeder 
Atoxylkur, selbst wenn kleine Einzelgaben verabreicht werden und 
keine Allgemeiustöruugen auftreten, dem Sehorgan besondere Auf¬ 
merksamkeit zuzuweudeu. 

2. Schiele erkennt den diagnostischen Wert der Ophthalmo- 
Reaktion des Tuberkulins an, macht aber auf gewisse Schwierig¬ 
keiten und eventuelle Schädlichkeiten des Mittels aufmerksam. 

Um einen sicheren Schluß auf das Bestehen eines tuberkulösen 
Herdes ziehen zu können, muß das Vorhandensein einer follikulären 
Erkrankung der Konjunktiva, einschließlich des Trachoms, ausge¬ 
schlossen werden, da diese stets eine positive Reaktion ergeben. 

Nur bei den mit Jodsäure geheilten Fällen von Trachom fiel die 
Reaktion negativ aus. Bei der Konjunktivitis ekzeraatosa und 
rrcchomatosa kann die entzündliche Reaktion nach Tuberkulinein- 
träuleluug eine Aussaat der Ekzembläschen und Trachomfollikel 
über die gesamte Bindehaut des Auges zur Folge haben; vorge¬ 
schrittene Stadien des Trachoms bilden eine Kontraindikation gegen 
die Tuberkulmeinträufelung, da dieselbe hierbei Hornhautkömpli¬ 
kationen erzeugen kann. 

3. Während beim akuten Glaukom die Iridektomie die klassische 
Operation seit A. v. Graefes Entdeckung geblieben ist, sind 
beim Hydrophthalmus, dem Glaukom des Kindesalters, die Mein¬ 
ungen zwischen Iridektomie und Sklerotomie noch immer geteilt. 

Wenn die letztere dasselbe leistet, so ist sie als der kleinere und 
ungefährlichere Eingriff natürlich vorzuziehen. Stölting teilt tat¬ 
sächlich die guten Erfolge der Sklerotomie an 16 hydrophthal- 
mischen Augen mit, bei welchen die Operation ohne nachfolgende 
Komplikation gute Erfolge hatte. Das Ausbleiben von Kompli- 
kitionen schreibt St. zum Teil auch der Nachbehandlung zu, indem 
der erste und zweite Verbandwechsel in Narkose vorgenommen 
wurde. Die Iridektomie soll erst das letzte Zufluchfcsmittel bilden, 

wenn Sklerotomieen, die auf jeden Fall günstigere Verhältnisse ; 
schaffen, die Drucksteigerung nicht dauernd beseitigt haben. 

4. Da die Erfolge der Heilung von Krankheiten des Tränen- \ 

sackes recht mäßige sind, so ist neuerdings die Exstirpation des F 

ei krankten Tränensackes als einer stetigen Infektionsgefahr für 

die Hornhaut mehr und mehr in Aufnahme gekommen. Da durclr 
diese Operation die normale Träaenabfuhr nicht wieder hergestellt . 




Oriqinalifrim 




mmärn HÜ 


Digitized by 

UMIVERS1TY OF MICHIGAN 


1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


11 


wird, so wäre eine konservative Heilmethode mit Freuden zu be¬ 
grüßen. Kortes schlägt eine solche iu der permanenten Drainage 
vor; an Stelle der verschiedenen Dauersonden, die sich alle nicht 
bewährt haben, führt er einen Seiden faden durch den ganzen 
Abluhrweg hindurch Er benutzt hierzu eine Hohlsonde, an deren 
unterem Ende vorn eine Oeffuung sich befindet. In die Hohlsonde 
wird doppelter dünner Kupterdraht gesteckt, und so die Sonde 
vom Tränenkanälchen aus eingeführt. Mit einem Häkchen wird 
nun von der Nasenöffnung aus das Ende des Kupferdrahts gefaßt, 
durch die Oese desselben ein doppelter Seiden faden geführt und 
dieser mit dem Kupferdraht und der Hohlsonde nach oben zurück¬ 
gezogen. Die beiden Enden des Seideufadens werden außen neben 
der Nase geknüpft. Je nach der Schwere des Falles bleibt der 
Faden mehrere Wochen und sogar Monate liegen. Derselbe er¬ 
füllt wirklich die Drainage und kann durch Einreibung mit Höllen¬ 
stein oder anderen Arzneimitteln zur Einverleibung medikamentöser 
Substanzen in den Tränensack benutzt werden. Die Erfolge, über 
die im einzelnen berichtet wird, sind zum Teil als recht gute zu 
bezeichnen. Zunächst gesellt sich noch zu dem allerdings nicht 
schwer wiegenden Nachteil, daß der Faden äußerlich sichtbar ist, 
die Schwierigkeit der Technik der Methode, die sich nach der 
Schilderung besonders beim Fassen des Kupferdrahts von der 
Nasenhöhle aus geltend macht, so daß Yerf. wenigstens bei den 
ersten Fällen einen Rhinologen zu Hdie zog. 


Dermatologie und Syphilis. 

Referent: Spezialarzt Dr. Jul. Baum, Berlin. 

Esch le (Reichs-Med.-Anzeiger 1907, 25 und 26) spricht 
d">r Spirochaete pallida nicht die ätiologische Bedeutung zu, die 
sie nach Ansicht der meisten Syphilisforscher hat. Entgegen den 
geradezu erdrückenden Beweisgründen für die spezifische Bedeutung 
der Spirochaeta pallida und obgleich so ziemlich alle Einwände 
längst widerlegt sind und eigentlich nur der Schlußstein, die Rein¬ 
kultur fehlt, stellt sich Esciile auf den Standpunkt Rosenbachs. 
R. stellte die Hypothese auf, daß die Noxe der Lues ein ur¬ 
sprünglich septisches Gift darstellt, das durch vielhundertjahrige 
Kultur im menschlichen Körper, also durch eine Art von Domesti¬ 
kationsprozeß seine primitive Qualität äuderte und in gewissermaßen 
mitigierter Form den spezifischen Charakter annahm. Auch von 
der Wassermannseben Antigenreaktion hält Eschle nicht viel, 
obgleich gerade diese Reaktion für die Diagnose und vielleicht auch 
die Therapie der Lues und parasyphilitischen Erkrankungen eine 
große Rolle zu spielen berufen scheint. 

Landsteiner, Müller und Pötzl (Wiener Klin. Wochen¬ 
schrift Nr. 50) kommen zu dem Ergebnis, daß im Gegensatz zu 
der ziemlich allgemeinen Anerkennung des diagnostischen Wertes 
der Komplementbindungsreaktion bei Syphilis ihre theoretischen 
Grundlagen noch strittig sind. Es ist zweifelhaft, ob es sich bei 
dieser Reaktion um eine Verbindung zwischen Syphilisantigen und 
Antikörper handelt. Es zeigte sich, daß die mit Syphilisserum 
Komplement bindenden Substanzen durch Alkohol aus den Organen 
extrahierbar sind, daß es also keine proteinartige, sondern viel¬ 
leicht lipoide Stoffe sind. Die Komplementbindungsreaktion scheint 
bei einer Zahl von Protozoenerkrankungen vorzukomraen, so z. B. 
in dem Serum von Tieren, die mit Trypanosoma gambieux infiziert 
sind. 

Georg Meier, Assistent am Königl. Institut für Infektions¬ 
krankheiten, kommt in einer Arbeit über die Technik, Zuverlässig¬ 
keit und klinische Bedeutung der Wasserra annschen Reaktion 
auf Syphilis (Berl. Klin. Wooh. 1907, Nr. 51) zu folgendem Resul¬ 
tat * 

1. Die Wasser mann sehe Reaktion ist eine für Syphilis 
spezifische Reaktiou; 

N 2. wegen ihrer großen Zuverlässigkeit bildet sie eine wesent¬ 
liche Bereicherung der diagnostischen Hilfsmittel; 
f 3. die komplizierte Technik der Reaktion erfordert zur Er¬ 
zielung einwandsfreier Resultate einen durchaus geübten und er¬ 
fahret en Uutersucher. 

Schuster (Deutsche Med. Wochenschr. 1907, Nr. 50) kommt 
an der Hand einer Statistik von 90 Fällen von Tabes, 45 Fällen 
von Paralyse und 176 Fällen von Lues cerebrospinalis zu dem 


Ergebnis, daß sich ein günstiger Einfluß der Hg-Behandlung der 
Lues in dem Sinne, daß der Ausbruch einer metasyphilitiseben Er¬ 
krankung durch dieselbe hintangehalten oder verzögert werden 
könnte, sich nicht erweisen läßt. Man könnte nach seiner Stati¬ 
stik eher eine Beschleunigung annehmen. Auch die echten syphili¬ 
tischen nervösen Erkrankungen haben mit den metasyphilitischen 
Krankheiten gemeinsam, daß ihr Ausbruch unabhängig ist von der 
Behandlung der primären syphilitischen Erscheinungen. Sch u s t er 
setzt sich damit in einen Gegensatz zu Erb, Fournier und 
Neißer, welche glauben, daß eine gründliche Behandlung der 
Syphilis in den ersten Stadien die Möglichkeit des späteren Aus¬ 
bruches der Tabes etc. herabsetzt. Im übrigen decken sich an¬ 
scheinend die Anforderungen, die Neißer und Fournier an eine 
gute Behandlung der Lues in der Frühperiode stellen, nicht 
ganz mit den Anschauungen Schusters. — Aus der Tatsache 
ferner, daß bei den metasyphilitischen Erkrankungen besonders 
häufig Antikörper gefunden werden, möchte Schuster den Schluß 
ziehen, daß die nervösen Naehkrankheiten nicht durch die Syphilis, 
sondern durch die Antikörper der Syphilis hervorgerufen werden. 

Skiarek (Berl. Klin. Wochenschr. Nr. 49) empfiehlt zur 
Verhütung und Behandlung der merkuriellen Stomatitis Formamint- 
tabletten. 

Warschauer (Berl. Klin. Wochenschr. Nr. 49) beobachtete 
nach Jodkalitherapie zweimal bei einem Patienten eine kurze Zeit 
audauernde Schwellung der Thyreoidea mit einer an Myxödem er¬ 
innernden Schwellung des Gesichtes, allgemeiner Desquamation und 
Haarausfall. Außerdem zeigten sich Basedowartige Symptome: 
rapide Abmagerung, Herzerscheinungen, Zittern der Hände, Pig¬ 
mentbildung am Rumpf und an den Schleimhäuten, Anschwellung 
von Lymphdrüsen, starke Durchfälle und zeitweise Delirien. An¬ 
scheinend wurde diese Jodintoxikation durch Thyreoideatherapie 
mit Phosphor geheilt. 

Eine 20 % ige Caloniel-Yasogensalbe verwandte Spatz (Wiener 
Med. Wochenschr. Nr. 49) zur Behandlung der Syphilis mit gutem 
Erfolg. Obgleich eine Stomatitis aufgetreten ist, sah er insbesondere 
eine gute Wirkung auf die Drüsenschwellungen. 

Polano (Beil. Klin. Wochenschr. S. 1597) beschreibt einen 
Fall von Fieberreaktion im Anschluß an die erste Quecksilber¬ 
applikation im Frühstadium der Syphilis. 

Der in der Therapie der Hautkrankheiten so vielfach ver¬ 
wandte Schwefel wird meist in Form des sublimierten Schwefels 
verordnet. Der Schwefel ist bei dieser Verordnung in Form grober 
konglomerierter und sehr voluminöser Kristalle in dem Vehikel 
enthalten. Riecke (Deutsche Med. Wochenschr. Nr. 50) gelang 
es bei dem Versuch, eine gleichmäßigere und feinere Verteilung 
herbeizuführen, durch Verreibung des frisch gefällten noch feuchten 
Schwefels mit der Salbengrundlage eine 30 % ige Schwefelsalbe 
herzustellen (Pasta sulfuris pu 1 tiformis), welche den Schwefel 
in äußerst fein verteilter Form enthält. Das Präparat bat sich bei 
den verschiedensten Anwendungsgebieten des Schwefels wie bei 
Scabies, Acne, Seborrhoe eventuell in entsprechenden Verdünnungen 
gut bewährt. 

Chajes (Berl. Klin. Wochenschr. Nr. 49) beschreibt eine in 
Folge von Trauma auf dem rechten Scheitelbein entstandene 
Epithelkyste von Kirschkerngröße, die sich im wesentlichen von 
den gewöhnlichen traumatischen Epithelkysten dadurch unterschied, 
daß sie im Inneren keinen Detritus enthielt, sondern von horn- 
artiger Beschaffenheit war. Alle Zellen zeigten im wesentlichen 
nur verschiedene Stadien des Verhornuugsprozesses in abwechselnden 
lamellösen Schichten. 


Mitteilungen über Arzneimittel. 


Bromural. 

Sammelreferat von Privatdozent Dr. C. Bachem, Bonn. 

Seit der Einführung des Chloralliydrnts durch O. Lieb¬ 
reich (1869) ist die Zahl der modernen Hypnutika stetig, be¬ 
sonders iu den letzten zehn Jahren gewachsen, und bei jedem 





12 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 1. 


Zuwachs ließ sich eine Verbesserung erkennen. So bildete 
das Chloralformamid einen Fortschritt gegen Chloralhydrat; 
Amylenhydiat (1887) und Paraldehyd (1883) wurden ebenfalls an¬ 
fänglich sehr gepriesen, bis man, dank den Versuchen von Bau - 
mann und Käst, im Sulfonal und besonders im Trional ideale 
Schlafmittel zu finden geglaubt hatte. Aber obwohl diese Prä¬ 
parate ihre Schuldigkeit taten, zeigte sich doch bald, daß sie 
von Nebenwiikungen oft recht unangenehmer Art nicht ganz 
frei/.usprechen waren. Daher betrachteten es Chemiker und 
Therapeuten als eine gewinnbringende Aufgabe, ein Schlaf¬ 
mittel zu finden, welches bei hinlänglicher Wirkung auch als 
unschädlich galt. Fast jedes Jahr entstand ein Neuling auf 
diesem Gebiete: Dormiol, Hedonal, Isopral, Hypnal, Viferral, 
die sich jedoch im großen und ganzen in der Praxis auf die 
Dauer wenig zu halten vermochten, bis vor einigen Jahren 
E. Schulze das Neuronal und E. Fischer und v. Mer in g 
das Veronal (und bald nachher das Proponal) in die Therapie 
einführten. Zurzeit ist wohl das Veronal das am häufigsten 
verordnete Schlafmittel, da es, falls es nicht zu häufig oder in 
zu hoher Gabe gereicht und richtig angewandt wird, von den 
meisten gut vertragen wird. 

Doch seine vieltausendfache Anwendung ließ auch Schatten¬ 
seiten erkennen, die hier zu erörtern nicht der Platz ist. 
Nichts lag also näher, als in der Vervollkommnung der Hyp- 
notika fortzufahren und ein Mittel von genügender Wirksam¬ 
keit und Unschädlichkeit chemisch aufzubauen und am Kranken¬ 
bett zu erproben. Eine derartige Bereicherung des Arznei¬ 
schatzes ist schon aus dem Grunde wünschenswert, weil wir 
oft gezwungen sind, mit Schlafmitteln im Laufe einer längeren 
Erkrankung abzuwechseln, um emer Angewöhnung an das 
Präparat vorzubeugen. Auch auf die äußere Form eines Mittels 
müssen wir im Interesse der modernen Neurastheniker einen 
gewissen Wert legen. Während Neuronal, Veronal u. a. in 
genau dosierten Tabletten bequem auf Reisen usw. transportiert 
werden können, ist dies bei einigen älteren Mitteln — Paral¬ 
dehyd, Amylenhydrat — nicht der Fall, weil sie zu ihrer An¬ 
wendung stets in dickleibigen Flaschen als Solution oder Mixtur 
verschrieben werden, ihr Gebrauch, Verpackung und Transport 
also umständlicher ist. 

Das Schlafmittel, um welches uns das verflossene Jahr 
bereichert hat, ist das Bromural. Es wurde von Dr. Saarn 
dargestellt und wird von der Firma Knoll & Co. in Ludwigs¬ 
hafen in den Handel gebracht. Es stellt chemisch den 
«-Monobromisovalerianylharnstoff dar von der Formel: 

CH. CH Br . CO . NH ,^' C0 '-NH 3 . 

lh 3 

Diese Verbindung vereinigt in ihrer Wirkung den be¬ 
ruhigenden Einfluß des Broms mit der in der Baldriansäure 
enthaltenen Isopropylgruppe. 

Bromural bildet weiße, schwach bitter schmeckende Kristall¬ 
blättchen, die sich in heißem Wasser, Aether, Alkohol und 
Alkalien, d. h. auch im Darmsaft, lösen, in kaltem Wasser 
jedoch nur sehr schwer. Der Schmelzpunkt liegt bei etwa 
14.5 Grad. 

Versuche an Tieren, die v. d. Eeckhout im Heidelberger 
pharmakologischen Institut anstellte, ergaben, daß dieser Körper 
bei Kaninchen und Hunden prompt schlafmachend wirkt und 
in mäßigen Dosen keine schädlichen Nebenwirkungen besitzt. 
Bromural übt eine elektive Wirkung auf das Großhirn aus und 
läßt Medulla oblongata und Rückenmark intakt. Eine kumu¬ 
lative Wirkung scheint dem Mittel zu fehlen; Tiere, die 
14 Tage lang täglicli 0,1 oder 0,2 g erhielten, zeigten während 
der Versuchszeit und bei der Autopsie nichts Anormales. Reiz¬ 
erscheinungen seitens des Magens wurden ebenfalls vermißt. 
Während therapeutische Gaben die Atmung kaum beeinflussen, 
zeigen etwas höhere Dosen einen lähmenden Einfluß auf das 
Atmungszentrum: die in der Zeiteinheit ventilierte Luftmenge 
wurde geringer. Der Blutdruck zeigte keine Veränderung. In 
diesem Punkt unterscheidet sich das halogenhaltige Bromural 
von den übrigen Narkotika der Fettreihe (Chloroform, Chloral¬ 
hydrat), bei welchen bekanntlich eine ungünstige Beeinflussung 
des Vasomotorenzentrums besonders deutlich ist. 


Die ersten, die das Bromural mit gutem Erfolg am Men¬ 
schen erprobten, waren Krieger und v. d. Velden. Sie 
verabreichten in der Marburger Klinik neunzig Kranken das 
Mittel, meistens je drei- bis fünfmal, oft auch viele Wochen 
hindurch. Die genannten Autoren teilen ihre Resultate in drei 
Gruppen: 1. leichtere Fälle von Schlaflosigkeit, z. B. infolge 
von Leukämie, Phthise, Tabes incipions, Bronchitis, Herz¬ 
erkrankung, Neurasthenie u. a. reagierten prompt auf eine 
abendliche Gabe von meist 0,3 g Bromural. Alle Patienten 
schliefen bereits nach 8 bis 25 Minuten ein und durchschnitt¬ 
lich — ohne Erwachen — die ganze Nacht hindurch. Andern 
Tags wurde nie eine Klage über Ermattung, somnolenten Zu¬ 
stand, Magenbeschwerden etc. laut. Krieger und v. d. Velden 
konnten sich durch Selbstversuche ebenfalls von der Harm¬ 
losigkeit des Bromurals überzeugen; 2. zu den mittelschweren 
Fällen, in welchen 0,3 bis 0.6 g Bromural oft für einige Stunden 
Schlaf herbeiführte, dann aber Schmerzen und dergl. den Schlaf 
unterbrachen, waren zu rechnen: schwere Lungenphthise, Ischias 
und schwere Tabes (27 Fälle). Die Wirkung des Mittels be¬ 
ruhte hier nur auf dem Eiuleiten des Schlafes, der jedoch 
meist drei bis fünf Stunden dauerte; 3. solche Fälle, die gar 
nicht auf Bromural reagierten. Es waren dies (im ganzen 20) 
Fälle von Typhusdelirien, urämischen Zuständen, Angina pec¬ 
toris, schwere Unruhen bei Herzinsuffizienzen, neurasthenische 
Psychosen usw. Selbst nach höheren Gaben trat kein Schlaf 
ein. Wenn Bromural in diesen Fällen auch nichts nutzte, so 
schadete es aber andererseits auch nicht. Magendarmkanal, 
Zentralnervensystem und Kreislauf blieben stets intakt. Der 
Harn reduzierte nicht. 

Gleichfalls im günstigen Sinne spricht sich Th. Runck 
über Bromural aus. Er teilt seine Fälle ebenfalls in drei 
Gruppen ein. Bei den leichteren Formen der Agrypnie trat 
stets auf Darreichung von 0,3 bis 0,6 g Bromural voller Erfolg 
ein. Bei mittelschweren Formen der Schlafbehinderung erzielte 
er wenigstens vier- bis fünfstündigen Schlaf, hingegen bei 
Idiotismus, Uteruskarzinom, Myodegeneratio, Epilepsie, Ischias 
u. a. m, zeigte sich kein Erfolg, aber auch keine Nebenwirk¬ 
ungen. Daß in leichteren Fällen von Epilepsie entsprechend 
dosierte Gaben vielleicht von Nutzen sein werden, muß nach 
dem Bromgelialt (35 % Br) des Präparates angenommen werden. 
(Neuronal = 41 % Br, Kal. bromat. 67% Br.) 

Die gute, reine, beruhigende Wirkung des Bromurals sah 
Runck auch bei Kindern und Säuglingen mit verschiedensten 
Erkrankungen. Auffallend erscheint, daß das Mittel hier in 
relativ großen Gaben gut vertragen wurde. Vielleicht hängt 
dies mit der schnellen Ausscheidung oder dem leichten Abbau 
im Körper zusammen, ähnlich wie dies von dem harnstoff¬ 
haltigen Hedonal bekannt ist. Ueberraschend war oft die gute 
Wiikung bei schweren Unruhen, Krämpfen und Eklampsie der 
Kinder. * 

Im Anschluß hieran wären noch zwei Fälle von Linke 
zu erwähnen, wo 0,6 g Bromural epileptiforme Krämpfe prompt 
unterdrückte. 

E. v. Leyden hält Bromural ebenfalls für einen großen 
Gewinn im Arzneischatz. Nebenwirkungen fehlten bei den von 
ihm beobachteten Fällen. 

Buttersack betrachtet Bromural weniger als ein Nar¬ 
kotikum als vielmehr als ein geeignetes Schlafherbeiführungs- 
mittel. 

Erb ist der Ansicht, daß Bromural in Gaben von 0,3 g 
(wenn nötig, in der Nacht noch einmal wiederholt) dem idealen 
Ziele eines reinen Einschläferungsmittels nahe kommt, wobei 
hervorzuheben ist — was andere Autoren auch betonen —, 
daß es einen dem natürlichen Schlaf möglichst ähnlichen Schlaf¬ 
zustand erzeugt. 

Endlich hat Rabow das Mittel von der guten Seite kennen 
gelernt. Er sagt: „Nach eigener Erfahrung ist Bromural in 
Fällen leichter Schlaflosigkeit und bei erschwertem Einschlafen als 
ziemlich harmloses und zuverlässiges Mittel zu empfehlen“. 

Alle Untersucher heben also die gute Wiikung des Bro¬ 
murals bei Fällen einfacher Schlaflosigkeit hervor; diese Er¬ 
folge sollen andere Aerzte aufmuntern, auch Versuche mit 
Bromural anzustellen; viele Fragen bedürfen noch einer Be- 



1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


13 


antwortung, z. B. wäre auf die event. Angewöhnung weiter 
zu achten, ferner, ob das Mittel ebenso wie Veronal eiweiß- 
sparend wirkt und daher bei Erkrankungen mit starkem 
Eiweißzerfall besonders indiziert wäre, wie der Erfolg bei 
Keuchhusten ist usw. ö 

Zum Schluß noch einige Worte über die Dosierung : ßro- 
mural kommt außer als Pulver in Originalröhrchen mit zwanzig 
Tabletten a 0,3 g (Preis 2 M.) in den Handel. Es empfiehlt 
sich, eine (bei Bedarf auch zwei) Tabletten in Wasser zer- 
fallen und in dieser Form es schlucken zu lassen. Zweck- 
maß'g laßt man, um die Resorption zu beschleunigen, heiße 
Flüssigkeit nachtrinken. Säuglingen und kleinen Kindern reiche 
man je nach dem Alter l U—'l 2 Tablette. 

Die genannten Gaben sind nach Abklingen der Wirkung 
u. U. zu wiederholen. ° 

Literatur. 

F. Saarn; Udler Bromural (Phawnaceut Zentralhalle 1907, Nr 8) 

V ' d ' «?nrn hüUt: /l tu< J ie " über die •‘ypnotisrhe Wirkung der Valerian 
sauregruppe (Arch. t. expor. Patbol u. Pharmakol. 1907, Bd 57). 

H. Krieg er und lt. v. d. Velden: Zur Beruhigung*- u. Einschläferunos- 
tünrapie (Deutsche med. VVuchöTischr. 1907, Nr 6). 3 

lh 19ü7 k Nr Br r5) ,Ural ’ eiU lleUeä Kervi,,um (Münch, med. Wochenschr. 
Linke: Bromural (Therapeut. Neuheiten, Aug. 1907). 

souie 0 f the newer HypnStics (Fol. therap., Okt, 1907). 
U 19ü7^Nri>0) dör PraX,S fUr dl6 l>raxU ^ Deut - Miliuirärztl - Zeitschr. 
W - Er ^ l& der Neurasthenie (Therap. der Gcgenw, Juni 

Rabow: Rückblick auf neue Heilmittel (Therap. Monatshefte, Nov. 1907) 


Referate. 

Referent: Dr. W. F. Krüger, Magdeburg. 

1. Ueber Nitritvergiftung nach interner Darreichung von 
Bismuthum. subnitricum. Von A. Böhme. Archiv für experi¬ 
mentelle Pathologie und Pharmakologie, 1907, Bd. 57, Heft 5 und 6. 

2. Die Wirkung des Spermins auf die Adrenalin - Arterien¬ 

nekrose von Dr. Fr. Schrank. Aerztl. Central-Zeitung, 1907 
Nr. 47. * 

\xt i 3 '^ e ,^ e 5 ®P* rosa *- Von Dr. E. Garde min. Deutsche med. 
Wochenschr.ft, Nr. 49. 

4. Die Behandlung der Seborrhoen capillitii mit Thiopinollös- 

ungenMon San. ßatDr. Hullstein, Berlin. Therapie der Gegen- 
wart, Nov. 1907. & 

5. Quecksilbercyanidlösungen für chirurgische Zwecke Von 
Lr. Lemaire. Repert. de Pharm. 1907, pag. 439. 

1. Bei der internen Darreichung von Bismuthum subnitricum, die 
bei einem IV 2 jährigen Kinde zwecks radioskopischer Untersuchung 
des Dickdarmes vorgenommen war, wurde vom Verf in der Mar- 
burger Medizinischen Klinik ein plötzlicher Exitus beobachtet, der 
unter dem Bilde einer Intoxikation eintrat, die durch Bildung und 
Resorption von salpetriger Säure hervorgerufen war und unter den 
Erscheinungen der Methaemoglobinaemie verlief. Verf. konnte in 
vitro die Bildung von salpetriger Säure aus Bismuthum subnitri¬ 
cum durch Zusatz von Reinkulturen von Bakterium coli oder Kot¬ 
aulschwemmungen nachweisen, wobei sich zeigte, daß die Fäces 
von Kindern dabei besonders starke Nitritreaktionen gaben. 
Diese wurden ebenfalls bei Tierversuchen nachgewiesen. 

Im Hinblick auf wiederholt vorgekommeue, auch in Amerika 
beobachtete Falle von Nitritvergiftung bei Darreichung des Bis¬ 
mut, subnitnc. macht Prof. Heffter den Vorschlag, anstatt dieses 
aas Wismuthhydroxyd anzuwenden. Eine Nitritbildung scheint 
dann ausgeschlossen. 

2. Die Entstehung der Arterienuekrose nach Adrenalininjek- 
tionea wird teils durch die Hebung des Blutdrucks, teils durch 
die lokale Intoxikationswirkung des Adrenalins erklärt, während 
bpemnn den Blutdruck beeinflußt und auf Toxine entgiftend wirkt. 
Baum hat durch Tierversuche nacligewiesen, daß auf Schleimhäute 
aulgetropfte Sperminlösung (Sperminum-Poehl) eine Verlano-- 
samuDg der Blutzirkulation und eine Erweiterung von Arterien 
und Kapillaren hervorruft, also gerade entgegengesetzt wie Adre¬ 
nalin wirkt. 


. 1 ®4> ene Tierversuche hat min Verf. nachgewieaen daß 

nicht allein durch gleichzeitige Anwendung des Spermins die durch 
Adrenalin verursachte Adernschrumpfung aufgehoben, sondern daß 
auch die Entstehung der Adrenalin-Arteriennekrose in den meisten 
Fallen verhindert Wird. Verf. hält es für erwiesen, daß Spermin 
und Adrenalin sich antagonistisch verhalten. 

7 n n 3 ,', Verf ' b y !chtet üh er ein neues Antirheumatikum, das er bei ca. 
70 Fallen im Krankenhause Bethanien in Berlin angewendet hat Es 
ist dies ein von der Firma Bayer & Co. hergestelltes Präparat, 
ein Monoglykolsäureester der Salizylsäure. Dies Spirosal benannte 
neueste Erzeugnis des pharmazeutischen Marktes ist eine färb¬ 
end geruchlose Flüssigkeit, welche sich in Alkohol, Aether und 
Chloroform leicht, m Wasser schwer lost. In Olivenöl ist es im 
Verhältnis 1: 15 löslich. Das Spirosal wird entweder pur oder 
verdünnt mit gleichen Teilen Alkohols an den erkrankten Körper¬ 
stellen aufgepinselt und von der Haut ohne Beizwirkung gut resor¬ 
biert. Die schmerzstillende Wirkung stellte sich meist bald, die 
Salizylsaurereaktion im Ham nach I‘/ 2 —2 Stunden ein Bei Ge¬ 
lenkrheumatismus z. B. wurden die befallenen Gelenke einmal am 
Tagem seit, mit Oelpapier und Flanellbinde bedeckt, nach 
24 Standen abgewaschen und von neu, m eingepinselt. Fast in 
allen Fällen wurde schon nach 2-3 Einreibungen eine Besserung 
der Beschwerden erzielt. Nebenerscheinungen traten zweimal in 
Gestalt von Hautreizungen, einmal von Ohrensausen auf. Das 
Spirosal scheint dem Mesotan überlegen zu sein. 70% der F ille 
wurden durch ausschließliche Behandlung mit Spirosal geheilt. 
Die Heilwirkung konnte noch gehoben werden durch gleichzeitige 
innerliche Darreichung von Aspirin oder Novaspirin. einem 
gleichfalls von Bayer & Co fabrizierten Präparat, das eine Ver- 
bindung der Salizylsäure mit Methylenzitronensäure ist. 

4. Die Seborrboea capillitii, die Ursache der Kahlheit, ist nach 
Hebras Definition eine krankhafte Ausscheidung von Epidermis- 
massen, die mit Uauttalg imprägniert sind und sieh auf einer 
sonst normal aussebenden Hautfläche entweder als fettiger Ueber- 
zug oder als schuppige Auflagerung ansammeln. Hierbei handelt 
es sich neben der funktionellen Störung um einen chronischen 
Entzundungsprozeß der Haut, bei dem infektiöse Prozesse mit¬ 
spielen. Je nachdem das Resultat der Hypersekretion ein flüs¬ 
siges, fettiges Sekret oder ein mehr festes, aus eingetrockneten 
Horn zellen bestehendes ist, unterscheiden wir eine Seborrhoea oleosa 
oder S. sicca. Beide Formen fuhren, wenn nicht rechtzeitige Be¬ 
handlung eingeführt wird, zur dauernden Kahlheit. 

Von allen Behandlungsmethoden erfreute sich bisher die 
Lassarsche Haarkur der größten Beliebtheit. Da sie aber außer¬ 
ordentlich umständlich ist, sind von einer Reihe von Autoren an¬ 
dere Methoden angegeben worden, bei denen der Schwefel eine 
große Rolle spielt. Und dies mit Recht! Denn es ist nach*e- 
wiesen, daß er therapeutisch am wirksamsten ist. Da man nun 
bisLer den Schwefel nur in Salbenform applizieren konnte, eine 
Anwendungsform, die den meisten Patienten höchst unsympathisch 
ist, so ist die Verwendung eines brauchbaren, löslichen Schwefel¬ 
präparates durchaus erwünscht. 

Es ist nun geglückt, eine Schwefelalkaliverbindung herzu¬ 
stellen, welche Thiopinol (Thio = Schwefel; Pino = Nadelholzöl) ge- 
nanut wird und in Wasser löslich ist. Verf. hat sich Mühe gegeben 
dieses Mittel als Kopfwasser herstellen zu lassen, was nach vielen 
Schwierigkeiten gelungen ist. Dasselbe stellt eine krystallklare 
grüne Flüssigkeit dar von angenehmem, erfrischendem Nadelh' lz- 
geruch. Am zweckmäßigsten hat sich eine Lösung von 0,2254% 
Thiopinolschwefel erwiesen. Damit hat Verf. ungefähr *35 Pa¬ 
tienten mit gutem Erfolg behandelt. Ueber die Art und Weise 
der Anwendung muß das Original nachgelesen werden Die Me¬ 
thode ist gegenüber anderen Haarkuren wesentlich vereinfacht, so 
daß das Haarwasser auch zur dauernden Haarpflege benutzt 
werden kann. 

5. Quecksilbercyanidlösungen für chirurgische Zwecke empfiehlt 
Dr. Lemaire (Repert. de Pharm. 1907, pag. 439) zur Anti¬ 
septischen Wundbehandlung. Denn das Qoeeksilbercyamd ist 
weniger ätzend als Sublimat, ruft keine Reizerscheinungen hervor, 
wirkt nicht koagulierend und erhält die Haut geschmeidig. Es 
wird in Lösung von 1 :1000 verwendet. Durch Zusatz von 
Horax nach dem Vorschläge von Deniges und den Versuchen von 



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i4 


TaERÄPEüflSCHÜ RUNDSCHAU. 



Marechal soll die Desinfektionswirkung noch erhöht und ein schäd¬ 
licher Einfluß auf die chirurgischen Instrumente vermieden 
werden. Die Rezeptformel für die gefärbte Quecksilbercyanid- 
lösung ist: Rp. Hydrargyr. cyanat. 1,0 

Boracis 2,0 

Kal. chromic. 0,05—0,075 

Fluorescin. 0,001 

Aqu. dest. q. s. ad 1000,0. 


Neuere Arzneimittel. 

Odda M. R. (Fabrik: Deutsche Nährmittel werke Strehlen in 
Schlesien), d. h. Odda für Magenleidende und Rekonvaleszenten, 
zur Unterscheidung von Odda K. (Odda-Kindernahrung), ist nach 
den gleichen von v. Me ring aufgestellten Prinzipien hergestellt, 
wie dieses letztere zu großer Anerkennung gelangte Präparat, und 
weicht von ihm nur in quantitativer Hinsicht etwas ab, insofern 
Odda M. R. höheren Eiweiß- und Fettgehalt besitzt und auch im 
Geschmack den Anforderungen Erwachsener mehr angepaßt ist. 
Chemische Zusammensetzung (nach Analyse aus dem Zuntzschen 
Laboratorium): Wasser 4.4%, Eiweiß 16 56%, Fett 8,03%, Kohle¬ 
hydrate 68,14%, Mineralstoffe 2,87% (darin Kalk 0,44%, Phos¬ 
phorsäure 0,82%). Der Lezithingehalt ist mit 0,4% angegeben. 
Schlesinger (Med. Klinik, 1905, Juli) reiht die Oddanahrung 
den von Penzoldt aufgestellten Kostformen der ersten Kost an. 
Der Magen entleert in wenig mehr als zwei Stunden seinen Inhalt. 
Auch die Azidität des Mageninhalts bewegt sich in mäßigen 
Grenzen. Odda wird darum empfohlen bei Magengeschwür, Ver¬ 
dauungsstörungen aller Art, akutem und chronischem Magen- und 
Daimkatarrh und als Milchersatz. Insbesondere aber auch als 
salzarme Nahrung bei Nephritis. Durch seinen hohen Nährwert 
und seine leichte Assimilierbarkeit und den Lezithingehalt ist 
Odda M. R. auch geeignet als Kräftigungsmittel in der Rekon¬ 
valeszenz nach schweren Krankheiten, Blutungen, Blutarmut, bei 
Lungentuberkulose u. ä., wie vielfach erprobt wurde, z. B. in den 
Görbersdorfer Lungenheilanstalten. 

Odda stellt eben nicht einen einzelnen Nahrungsstoff dar, 
sondern eine komplette Nahrung*). Dr. Steiner (Herzogi. Landes¬ 
krankenhaus und Siechenhaus in Altenburg), der Odda vielfach 
an wandte, kommt zu dem Resüme: „Ich kann die Verwendung 
der Odda M. R. zur vorübergehenden und ausschließlichen Ernäh¬ 
rung, sowie als Stärkungsmittel bei darniederliegender Verdauung 
und zur Hebung des Kräftezustandes bestens empfehlen. Man er¬ 
reicht sehr bald eine eklatante und anhaltende Besserung des 
Allgemeinbefindens, und der Preis des Präparates ist überdies ein 
verhältnismäßig niedriger und gestattet die Anwendung auch bei 
den minder bemittelten Patienten.“ 

P. Höckendorf, Groß - Lichterfelde. 

Kefyr. Es finden sich in der Literatur mehrere Mitteilungen 
über den therapeutischen Wert des Kefyrs, die kurz zu referieren 
uns zweckmäßig erscheint. 

1. Ein Beitrag zur therapeutischen Bewertung 
des Kefyrs. Von Dr. med. Thyen in Kriescht (Neumark). 
Reichs-Medizinal-Anzeiger, Nr. 21, 1905. 

Der Name „Kefyr“ stammt aus dem Türkischen und wird von 
„Kef“ abgeleitet. „Kef“ heißt Wonne, Kefyr alsoder Wonnetrank. 

Die Gärungserreger, die im Kefyr enthalten sind, sind Spalt¬ 
pilze, die nach Bey erinck Saccharomyces-Kefyr benannt werden. 
Daneben finden sich nach v. Freudenreich Streptokokkus a, 
der die Milchsäurebildung einleitet, Streptokokkus b, der den 
Milchzucker spaltet, und der Bazillus kaukasikus, dessen Funktionen 
noch unbekannt sind. Durch die genannten Mikroben wird nach 
Kobert die Milch in der Weise verändert, daß zunächst ein 
Teil des Milchzuckers in Milchsäure gespalten und durch diese 
das Kasein in Form feiner Flöckchen ausgefällt wird. Gleich¬ 
zeitig wird ein Teil der Eiweißstoffe der Milch in Azidalbumin, 
Hemialbuminose und Propepton übergeführt. Ein zweiter Teil des 
Milchzuckers wird in Galaktose und Dextrose gespalten, die wiederum 
zu Kohlensäure und Alkohol vergoren werden. Durch das Zu- 

■*) Uau.it ist natürlich nicht gesagt, daß man nicht in vielen Fällen 
einzelnen, einseitig zusammengesetzten Nährpräparaten den Vorzug geben 
kann, (lief.) 


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UNIVERSUM OF MICHIGAN 


sammenwirken aller dieser Mikroben werden alle anderen Mikroben, 
die in der Milch Vorkommen, also auch Tuberkelbazillen,- ver¬ 
nichtet, wie Förster nachgewiesen hat. 

Aus diesem Grunde kann rohe Milch zur Herstellung des 
Kefyrs verwendet werden. 

Da die Kefyrbereitung aus Körnern äußerst umständlich ist, 
hat die Firma Osk. Mühlradt-Berlin Pastillen hergestellt, die 
es auch dem Unerfahrensten in wenigen Minuten ermöglichen, den 
Kefyr gebrauchsfertig zu machen. Die Pastillen werden aus 
frischen Kefyrkörnern zubereitet. 

Der Kefyr wird mit Erfolg angewendet in der Rekonvales¬ 
zenz, ferner bei Anämie, Neurasthenie, bei Leber- und'Magen¬ 
leiden, Darmerkrankungen, besonders auch bei Tuberkulose. Auch 
bei harnsaurer Diathese soll er mit Vorteil verwandt werden. 

Auf Veranlassung des Verfassers hat die Firma O. Mühl- 
radt zur Verstärkung des therapeutischen Effekts noch bestimmte 
Medikamente zugesetzt, wie Ferr. lactic. oder Acid. arsenicos. 
oder Ferr. lactic. und Acid. arseuicos., auch Guajacol. carbon. Bei 
Verwendung dieser mit verschiedenen Medikamenten versehenen 
Pastillen hat Verf. in vielen Fällen die Kefyrbehandlung mit Er¬ 
folg durchgeführt. Natürlich muß die Quantität des täglichen 
Kefyrs jedem Fall angepaßt werden. Bei Darmtuberkulose ist 
der „dreitägige“ Kefyr, der eine leicht stopfende Wirkung aus¬ 
übt, durchaus indiziert. Der Guajakolgeschmack soll bei drei¬ 
tägigem und älterem Kefyr fast ganz verschwunden sein. 

Da der Preis der Mühlradtschen Präparate (Dr. Trainers 
Kefyrpastillen) nur ein bescheidener ist, so glaubt Verf., daß sie 
sich auch in die Kassenpraxis ein führen werden. 

2. Ueber die Bedeutung des Kefyrs bei vervoll- 
kommneter Herstellungsweise. Von J. Löbel, Düssel¬ 
dorf. (Mediz. Klinik, Nr. 19, 1906.) 

Nach Beschreibung der Wirkungsweise des Kefyrfermentes 
rühmt Verf. den Wert des Kefyrs bei einer Reihe von Krank¬ 
heiten des Magens, Darms und der Nieren, besonders aber bei 
Lungenphthise, wozu er zwei Falle ausführlich beschreibt. Verf. 
lobt die Einfachheit des Verfahrens, vermittels der Dr. Train er¬ 
sehen Kefyrpastillen einen brauchbaren guten Kefyr herzustellen 
und hat gute Erfolge gesehen durch die Zusätze von Arsen, Eisen 
und Guajakol zu den Pastillen. Er empfiehlt deshalb den Kefyr 
auf das angelegentlichste. 

3. Die Bedeutung des Kefyrs in der modernen 
Therapie. Von Dr. O. Willke, Braunschweig. (Allgemeine 
Mediz. Zentral-Zeitung, April 1907.) 

Nach ausführlicher Besprechung der Geschichte des Kefyrs 
und des Chemismus der Kefyrgärung wendet sich der Verf. zu 
der physiologischen und therapeutischen Bedeutung des Mittels 
und lobt die vorzügliche Wirkung bei Magen- und Lungenkranken. 
Auch kann Kefyr überall da verwendet werden, wo auch sonst 
Milchdiät verordnet wird. Wegen der im Kefyr enthaltenen 
Kohlensäure wird er oft von Kranken gern genommen, die sonst 
Widerwillen oder Abneigung gegen Milch haben. 

Kontra indiziert ist seine Anwendung in Fällen von Adipositas, 
Arteriosklerose und Neigung zu Gehirnkongestionen, Phthisen mit 
profusen Hämoptysen und Irritabilität des vasomotorischen Nerven¬ 
systems. 

Bezüglich der Anwendungsweise des Kefyrs hebt Verf. hervor, 
daß ein- bis zweitägiger Kefyr laxierend, vier- bis fünftägiger ob- 
stipierend wirkt, daß man daher im allgemeinen am besten drei¬ 
tägigen anwenden läßt. 

Die Arbeit schließt mit einem Hinweis auf die Dr. Train er¬ 
sehen Kefyrpastillen und deren Zusätze. Krüger-Magdeburg. 


Technische Neuerscheinungen. 


Deutsche Drahtgipsbinde „Monachia“. 

Der große Nachteil der alten Gipsverbände ist und bleibt 
die starke Belastung des eingegipsten Gliedes durch den Ver¬ 
band, denn man beobachtet nur zu oft, daß ein Gips verband 
mehrere Pfund wiegt, dem abzuhelfen ohne die Festigkeit des 

Original fro-m 

UNIVERSiTf OF MICHIGAN 




1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


15 



Verbandes zu vermindern, hat man Schusterspähne und Blech- 
streilen zwischen die Gipsbindentouren gelebt, doch der Erfolo- 
war nur gering. Eine sehr brauchbare Neuerung ist durch die 
Drahtgipsbinde „Monaohia“ geschaffen worden. Diese Binde 
besteht aus einem Messingdrahtgeflecht, das von einer Stärke¬ 
binde umgeben ist und in dessen Maschen der Gips gebracht 
ist. Es ist also eine gewöhnliche Stärkegipsbinde mit einge¬ 
legtem Drahtgeflecht. Das letztere ist weitmaschig und an steh 
sehr leicht. Der Vorzug dieser Gipsbinde vor der bisherigen 
ist der, daß man nur eine Lage der Binde braucht, um einen 
einfachen fixierenden Verband herzustellen. Soll der Verband 
besonders fest sein, wie für Gebverbände bei Unterschenkel- 
frakturen oder für Beckengeh verbände bei Koxitis oder Luxatio 
koxae kongenita etc., so genügen zwei bis drei Lagen der Draht- 
biude, um einen ebenso festen Verband herzustellen, wie man 
ihn mit acht bis zehn Lagen der alten Gipsbinde erhält. Dieser 
Verband wiegt höchstens ein halbes Pfund. Wie<it man einen 
gewöhnlichen Beckengip>verband für ein neunjähriges Kind 
zum Beispiel, so ergibt sich eine Last von drei bis vier Pfund. 
Der Unterschied von einhalb Pfund zu drei bis vier Pfund ist 
ganz bedeutend. Man ersieht also, daß ein Drahtgipsbinden¬ 
verband entschieden einen Vorzug in seinem kleineren Gewicht 
besitzt, während er äußerst fest und haltbar ist. Da er nun 
bedeutend dünner als ein Gipsverband ist, so kann man ihn 
leicht mit einer Verbandschere oder Gipsschere aufschneiden, 
ebenso läßt sich sehr leicht ein Fenster in den Verband 
schneiden. Jeder Chirurg weiß, wie schwierig dies oft bei den 
alten Gipsverbänden zu machen ist und wie anstrengend es 
ist, einen großen Gipsverband aufzuschneiden. Auch zum Gips¬ 
korsett und Gipsbett eignen sich die Drahtbinden sehr gut, 
ebenso zur Herstellung von Schienen und Hülsen etc. Der 
Verband mit der Drahtgipsbinde ist aber trotzdem nicht teurer 
wie ein Gipsverband, sondern da man viel weniger Material 
für einen fixierenden Verband braucht, eher billiger als ein alter 
Gipsverband. Beim Anlegen des Drahtgipsverbandes muß man 
nur beachten, daß immer die eine Bindentour die vorhergehende 
zu ein Drittel ihrer Breite deckt. Die Drahtbinde hat den 
Vorzug, beim Wickeln breit zu bleiben und sich nicht zu einem 
Strick zu drehen, wie es leicht mit einer gewöhnlichen Gips¬ 
binde geschieht. Der Gips in den fertigen Drahtgipsbinden ist 
besonders gutes Material und wird steinhart; um ein rasches 
Hartwerden zu bewirken, soll man dem Wasser, in welches 
man die Binde einlegt, etwas Alaun zusetzen. Neben den 
fertigen Drahtgipsbinden liefert die Firma „Deutsche Draht¬ 
gipsbindenfabrik in München u auch sogen. Borten, 
welche aus dem Drahtgeflecht und der Binde bestehen, ohne 
Gips zu enthalten. Man kann sich diese selbst mit Gips füllen, 
oder sie zu Celluloid-, Wasserglas- und derartigen Verbänden 
verwenden. Sie leisten dazu an Stelle der einfachen Mullbinde 
hervorragende Dienste, denn durch das Drahtnetz wird der 
betr. Verband viel fester bei weniger Material als der Verband 
ohne Draht. Die Binden sind entschieden als ein Fortschritt 
in der Orthopädie zu betrachten. W. B. Müller, Berlin. 


er entweder einen Eßlöffel bis einen Teelöffel oder 15 bis 25 
Tropfen faßt. Die Flaschen, in welche Dekokta oder Mixturen 
a b& e o e ben werden, haben Stopfen, in denen ein Abschnitt der 
Exkavation einen Teelöffel, ein anderer einen Kinder- und ein 
dritter einen Eßlöffel faßt, Avährend die Flaschen für Tropfen 
einen Glasstopfen besitzen, welcher eine Exkavation zu 4, eine 
zu 8 und eine zu 15 ccm aufweist. So hat man immer ein 
zuverlässiges Maß für die Medizin und braucht nicht eine ver¬ 
schiedene Größe der Löffel zu fürchten. Bei kleinen Flaschen 



zu Lösungen für subkutane Injektionen bietet der exkavierte 
Stopfen den Vorteil, daß man mit der Pravazspritze leicht aus 
dem Stopfen die Lösung aufsaugen kann. Man braucht hierbei 
nicht zu fürchten, die Sterilität der Lösung dadurch zu ver¬ 
nichten, daß man mit der Pravazspritze aus der Flasche die 
Lösung ansaugen muß, sondern man gießt nur wenige Kubik¬ 



zentimeter in den Stopfen aus der Flasche und sangt mit der 
Spritze diese auf. Ferner kann man einen Pinsel leicht in dem 
Hohlraum des Korkes mit der Lösung befeuchten, oder man 
verwendet die Conicusflasche für Pulver und schüttet dann so 
viel Pulver, als nötig ist. in den exkavierten Stopfen und kann 
das so leicht dosierte Pulver verwenden. Jedenfalls sind die 
Conicusflaschen sehr brauchbare Medizinflaschen, und da sie 
nicht teuer sind, werden sie sich bald einführen. Sie bieten 
den Vorzug größerer Sauberkeit und sicherer Dosierung, da 
dem Patienten mit der Medizin gleich das Maß verabreicht 
wird, nach welchem er dieselbe einnimmt oder sonst verwendet. 

W. B. Müller, Berlin, 


Conicus-Flaschen. 

Ein neues Medizinglas ist von der Firma Bach & Riedel, 
Berlin, unter der Bezeichnung Conicus in den Handel ge¬ 
bracht worden. Die Flaschen haben eine konische Form, der 
Boden ist also sehr breit und die Flasche verjüngt sich nach 
dem Halse zu gleichmäßig und bildet so eine Pyramide, die 
einen runden oder sechseckigen Mantel besitzt, je nachdem ob 
man eine Medizinflasche für innerliche Medikation oder zu 
äußerer Applikation vor sich hat. Durch die konische Form 
erzielt man den Vorteil, daß der Mantel der Flasche direkt in 
den Hals übergeht, ohne daselbst eine Ecke zu bilden, die 
schwer zu reinigen wäre. Die konischen Flaschen lassen sich 
sehr leicht und sicher reinigen. Verschlossen werden alle 
Conicusflaschen durch einen breiten Glasstopfen, welcher 
an sich ausgehöhlt ist und gleich als Einnehmeglas dient. Der 
Stopfen ist je nach der Größe der Flasche so ausgehöhlt, daß 


Ein automatischer Sperrlidhalter*). 

Von Dr. med. Paul Greven, Aachen. 

Die bisher gebräuchlichen Sperrlidhalter, deren Zahl ge¬ 
wiß nicht klein ist, haben durchweg eine Reihe von Mängeln: 
sie sind alle von mehr oder weniger komplizierter Konstruk¬ 
tion. haben Schraubengewinde, Zahnstangen. Spiralfedern, Vor¬ 
sprünge, Scharniere und unzugängliche Winkel und Taschen, 
die eine gründliche Reinigung und Desinfektion erschweren, 
die aber auch die Hand des Operateurs manchmal behindern 
und ferner zu öfteren Reparaturen und Neuanschaffungen Ver¬ 
anlassung geben. Vor allem aber ist auch ein schnelles und 
sicheres An- und Ablegen des Lidhalters erschwert. 


*) Vergl. Deutsche Aerzte-Zeitung 1907, Nr. 2, Medizinische Klinik 
1006, Nr. 35, Wocheuschrilt für Therapie und Hygiene des Auges, IX. Jahr¬ 
gang, Nr. 45. 


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16 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 1. 


Diese Erwägungen führten zur Ausarbeitung des hier an¬ 
geführten automatischen Sperrlidhalters. Das Instrument ist 

lediglich ein einfacher, selbstfedernder, 
seitlich der Gesichtsform entsprechend 
^ abfallender Metallbügel, dessen freie 

Enden in die bekannten lidumfassenden 
Teile auslaufen. An den letzteren halten 
dünne Querstäbchen zugleich die Wiin- 
pern zurück. Das Instrument zeichnet 
^ sich aus durch größte Einfachheit. Es 
läßt sich leicht reinigen und desinfizieren und ist bequem für 
Arzt und Patient. Es ersetzt auch -vollständig die D e s m a r r e s- 
schen Halterund hat den weiteren Vorzug, daß es bei fehlender 
Assistenz beide Hände des Arztes freiläßt zu eventuellen 
therapeutischen Maßnahmen, vor allem in der Kinderpraxis. 

Herstellung und Vertrieb des Instrumentes (D. R. G. M. 
284174) hat die Aktiengesellschaft für Feinmechanik vormals 
Jetter & Scherer in Tuttlingen übernommen. Zu beziehen ist 
dasselbe durch alle namhaften Fachgeschäfte unter Hinweis auf 
die bekannte Aesculap-Garantiemarke. 


Ueber Kautschuk-Heftpflaster. 

Von Hofrat Dr. V. Boustedt, Berlin. 

(Russische medizinische Rundschau, Heft 10, 1907.) 

Nachdem Autor auf die Bedeutung der Heftpflaster für die 
Chirurgie im allgemeinen eingegangen ist, wobei er daran erinnerte, 
wie die Pflaster früher meistens schmierten und an einem Licht 
erwärmt werden mußten, damit sie wenigstens einigermaßen klebten, 
geht er auf die vorzüglichen Resultate über, die sich mit den 
modernen „Duranaplast-Verbänden“ erzielen lassen, die von der 
Firma Dr. Degen & Kuth, Düren im Rheilnand, in den Handel 
gebracht werden. 

Mittels „Duranaplast“ ist das Anlegen eines Heftpflasterver¬ 
bandes außerordentlich bequem. Die „Duranaplastverbände“ stellen 
nach dem Autor einen bedeutenden Fortschritt dar. Sie sind von 
großer Klebkraft, lassen sich leicht ablosen, sind dünn und schmieg¬ 
sam, reizen nicht und sind sehr lange haltbar. 

Er empfiehlt Duranaplast auch bei Furunkeln am Halse, wo¬ 
bei er bemerkt hat, daß der unangenehme Druck und die Schmerzen 
beim Reifen des Furunkels in dieser Behandlung sehr schnell ver¬ 
schwinden, und daß man durch frühzeitiges Auflegen eines Stückchens 
Durana-Heftpflaster das Reifwerden des Furunkels unterdrücken 
und eine vollständige Resorption des Entzündungsherdes herbei¬ 
führen kann. 

Eine sehr gute Anwendung hat das Heftpflaster bei den 
Nabelbrüchen der Kinder gefunden, und wir müssen zugeben, daß 
es dabei in verschiedener Hinsicht Ausgezeichnetes leistet. Das 
Kind kann damit gebadet werden, die Haut wird nicht gereizt, 
und kann solch ein Verband bis zu drei Wochen unbeschadet liegen 
bleiben. Wie quälte man sich früher mit den Nabelbrüchen und 
dem alten Heftpflaster ab, es hatte mehr Nachteile als Vorteile! 

Der Autor schließt mit den Worten, daß die von der Firma 
Dr. Degen & Kuth in den Handel gebrachten Heftpflaster und 
Pflastermulle und -batiste so vorzüglich sind, daß es nicht nötig 
ist, sich dabei weiter zu verbreiten. Jedenfalls sind es die besten 
Präparate, die uns bis jetzt bekannt sind. Es gibt ja noch viele 
ähnliche Präparate, denen aber doch der eine oder der andere 
Mangel anhaftet. 


Bücherbesprechungen. 


Der neue Hausarzt. Von Dr. Gottfried Reimer. 
Dresden 1908. Verlag von Richard Liucke. 176 S., groß Okt. 

Die Vorurteilslosigkeit, mit der Reimer seine Anschauungen 
gewonnen und die ihn besonders befähigt, ein Buch wie das vor¬ 
liegende, das in mehr als einer Richtung reformierend wirken 
soll and wird, zu schreiben, ist der mir sympathischste Zug in 


der geistigen Physiognomie des Autors. Ohne in den häufig 
wunderlichen Wandelgängen der Schulmedizin den Ariadnefaden 
verloren zu haben, ohne sich von den Fußangeln der Fraktionen 
der Praktiker und Wissenschaftler gefangen nehmen zu lassen, 
hat Reimer die Jahre der Praxis zu Jahren des Studiums gemacht 
und mit guter Kritikfähigkeit vom Baume der Erkenntnis des 
Guten und Bösen geschmaust. Es gehört eine rege Beweglichkeit, 
eine jugendliche Elastizität des Geistes dazu, alte Tafeln zu zer¬ 
brechen und aus den Trümmern die ewigen Werte an sich zu 
re iß en — statt in den Nihilismus zu verfallen oder sich seufzend 
ins Unvermeidliche zu fügen. 

Der Standpunkt Reimers ist der des Eklektizismus nach 
der Devise: Alles prüfen und das Beste behalten. Er verurteilt 
ebenso sehr das absichtliche Verzichten auf die Mithilfe des guten 
Engels, den die Natur an jedes Krankenbett entsendet, wie das 
fanatische Anhängertum an ein Signum, in dem der Sieg wahr¬ 
haftig nicht zu erringen ist, an den Kriegsruf: hie arzneilose 
Heilweise ! Ja er geht in seiner Vorurteilslosigkeit sogar so weit, 
die — sit venia verbo — Homöopathie zu prüfen, die sich sonst 
jeder — bis auf die Homöopathen — zehn Schritt vom Leibe 
hält, und hat den Mut zu gestehen, daß auch die H ah ne mann- 
sche „Wissenschaft“ ihm, wenn auch nicht vieles, so doch manches 
enthält, was mit der „richtigen“ Medizin übereinstimmt und daher 
brauchbar ist. 

Also er wählt aus den Strömungen und Gegenströmungen, 
über die sich die Medizin niemals hat zu beklagen brauchen, das 
Brauchbare und Gute aus und stellt es zu einem System zu¬ 
sammen, das — nicht etwa neu ist, was quoad Prognose ziemlich 
mißlich wäre, sondern das die ewigen Prinzipien der Heilkunst, 
sozusagen das Skelett Aeskulaps darstellt. Er fordert also: vom 
neuen Hausarzte Beobachtung und Ueberwachung der Heilkunst, die 
uns die Natur vorführt, und Unterstützung dieser Heilkunst, wo 
es not tut, durch physikalisch-diätetische Maßregeln sowie durch 
Anwendung von bewährten Medikamenten; er sagt mit Recht, daß 
diese Forderungen heute noch nicht erfüllt werden, da die physi¬ 
kalisch-diätetischen Methoden noch Dicht bekannt genug und, weil 
der deutsche Name dafür Naturheilmethoden lautet, nicht geachtet 
genug — was sage ich, verpönt sind, da ferner die Beobachtung 
der Natur, d. h. die biologische Auffassung in der Medizin den 
jungen Köpfen viel zu wenig ans Herz gelegt wird, jedenfalls 
nicht so, daß sie einsehen, daß diese Auffassung die Hauptsache 
bei der Gewinnung eines medizinischen Verständnisses vorstellt. 

Daß durch diesen Eklektizismus Reimers, den er an den 
landläufigen Krankheiten (Obstipation, Neurasthenie etc.) durch¬ 
führt, nicht nur den Patienten, sondern auch den Aerzten — 
durch eine natürliche Bekämpfung der Kurpfuscherei — gedient ist, 
sei noch hervorgehoben. Ich habe früher an anderer Stelle ge¬ 
sagt, daß die Kurpfuscherei am besten aufgelöst würde, wenn sich 
die Mediziner nicht genierten, das Brauchbare der Methoden der 
Kurpfuscher sich anzueignen und ihnen ihre Praktiken, denen sie 
Erfolge verdanken, abzusehen; auch Reimer weist mit vollem 
Rechte auf die Tatsache hin (pag. 129 f.), „daß wir die Wahr¬ 
heiten dieser Methoden erkennen und berücksichtigen müssen, 
wenn anders es uns gelingen soll, die Kurpfuscherei zu unter¬ 
drücken . 

Kurz, wir wünschen dem Buche Reimers eine möglichst 
große Verbreitung; ist es einmal dem Leser in die Hand gegeben, 
so wird es seinen Eindruck nicht verfehlen. Lungwitz, Berlin. 

Die Erkrankungen des Magens. Von F. Riegel. 
Zweite Aufl. Zweiter Teil: Spezielle Diagnostik und Therapie 
der Magenkrankheiten. Bearbeitet und herausgegeben von Privat¬ 
dozent Dr. D. von Tabora. Wien und Leipzig 1908. Alfred 
Hölders Verlag. 

Elf Jahre sind verflossen, seit Riegel den zweiten Teil der 
ersten Auflage seines großen Handbuchs der Magenkrankheiten 
erscheinen ließ und damit ein Werk vollendete, das in seiner 
Vollständigkeit des Inhalts und Klarheit der Darstellung seines¬ 
gleichen nicht hatte. Nach sechs Jahren konnte der erste Teil 
(Die allgemeine Diagnostik und Therapie) von neuem aufgelegt 
werden und arbeitete der unermüdliche Verfasser rastlos an der 
Neubearbeitung des zweiten Teils, bis der müden Hand die Feder 
entsank, bevor er sein Lieblingswerk abschließen konnte. Sein 
I jüngster Schüler Dr. D. von Tabora (jetzt Privatdozent in 




1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


17 


Straßburg), der durch langjähriges Zusammenarbeiten mit dem 
Meister,. sowie durch eigene Forschungen auf diesem Gebiet be¬ 
sonders für diese Aufgabe befähigt erschien, hat jetzt das Werk 
zu Ende geführt und „Die spezielle Diagnostik und Therapie der 
Magenkrankheiten“ nach Jangdauernder sorgfältiger Vorbereitung 
in zweiter Auflage erscheinen lassen. Wer selbst erfahren hat, 
welch schwierige Arbeit es ist, schon sein eigenes Werk völlig 
umzuarbeiten, wird die Größe der Aufgabe, die sich von Tabora 
gestellt hat, ermessen können, wird ihm aber zugeben müssen, 
daß er dieselbe mit ebensoviel Sachkenntnis und Geschick wie 
Pietät gelöst hat. Wenn die Neubearbeitung der ersten Kapitel 
wie „Hypersekretion und Hyperazidität“, „motorische Insuffizienz 
und Ektasie" fast ganz noch Riegels eigener Hand entstammen 
oder wenigstens nach gemeinsam besprochenem Plan behandelt 
werden konnten, so haben die Kapitel des Ulcus ventriculi, des 
Karzinom, der Achylie vom Herausgeber eine völlige Umarbeitung 
erfahren, wobei die überreiche Literatur kritisch gewürdigt und 
eigene Erfahrung verwertet wurde. Das Kapitel über Tuberkulose 
und Syphilis des Magens ist neu hinzugekommen, auch haben die In¬ 
dikationen und Aussichten der chirurgischen Therapie gemäß der im 
letzten Jahrzehnt gemachten Fortschritte eine ausführlichere Berück¬ 
sichtigung wie früher erfahren. So ist ein Werk der Vollendung 
zugefiihrfc worden, das auch in der neuen Form als Standard work 
deutscher Wissenschaft und Gründlichkeit gelten wird. Vermißt 
hat der Referent das in der früheren Auf lage vorhandene Autoren- 
und Sachregister. Weg eie, Bad Königsborn i. Westf. 



Emen Beitrag zur Prophylaxe übertragbarer Krankheiten 

veröffentlicht Dr. Edmund Saalfeld, Berlin, in Nr. 50 der Mediz. 
Klinik (1907), indem er auf eine ekelhafte Unmanier hinweist, 
die man sehr häufig in Zigarrenläden beobachten kann: viele 
Raucher haben nämlich die Gewohnheit, ihre Zigarren vor dem 
Abschneiden der Spitze mittels der für den allgemeinen Gebrauch 
bestimmten Guillotinen, die natürlich nie desinfiziert werden, ein¬ 
zuspeicheln, eine Unsitte, die die Uebertragung der Syphilis, der 
Tuberkulose etc. begünstigt, aber auch so ekelhaft ist, daß die 
Anregung Saalfelds zu ihrer Beseitigung sehr am Platze ist. Man 
kann entweder spitzenlose Zigarren herstellen oder durch Auf¬ 
klärung (Plakate in den Läden) das Publikum aufmerksam machen, 
wie unappetitlich und gefährlich die herrschende Unmanier ist. 

In der Pharmazeut. Zeitung 1907, Nr. 100, finden wir fol¬ 
gende Notiz, die die Unsicherheit der gesetzlichen Bestimmunpen 
über die Anpreisung von Heilmitteln illustriert, z. und H., welche 
m Berlin ein Handelsgeschäft betrieben, hatten ein Patent (138 988) 
betreffend ein Verfahren zur Ueberführung der in Süßwasserkalk 
enthaltenen organischen Bestandteile in eine leicht resorbierbare 
Form erworben ; man läßt auf Kalk Fette oder Fettsäuren in der 
Wärme einwirken. Die Erfindung wurde in der Weise verwertet, 
daß man den Kalk verseifte; hierdurch wurden die organischen I 
Bestandteile des Kalks frei. Die auf diese Art hergestellte Seife 
wurde dann in den Handel gebracht. In einer Broschüre wurden 
die angeblichen Vorzüge dieser Seife rühmlichst bekannt gegeben 
In der Presse erschienen Inserate mit der Ueberschrift: „Eine 
M enschen haut“. In den Inseraten war von Mitessern”, Ge¬ 
schwüren und Flechten die Rede. Die Leser wurden aufgefordert 
für eine gesunde, von allen krankhaften Ausscheidungen freie Haut 
zu sorgen. Wer diese erzielen wolle, orieutiere sich über das 
neim, durch Reichspatent geschützte, natürlich und wissenschaft¬ 
lich begründete Verfahren, in seiner Anwendungsform hervorragend 
begutachtet und von erprobter, oft geradezu verblüffender°und 
Aufsehen erregender Wirkung. Ausführliche ärztliche Broschüre 
gegen 20 Pf. usw. Die Strafkammer erkannte gegen die Ange¬ 
klagten auf eine Geldstrafe und führte u. a. aus, es werde ein 
Verfahren, eine Methode angekündigt, durch deren Anwendung 
allein schon eine gesunde Haut erzielt und damit alle die Krank” 
heiten und ihre Folgen beseitigt oder verhindert werden sollen, 
die in der Anzeige erwähnt werden. Die Broschüre soll noch I 


ausführlichere Auskunft über das fragliche Verfahren geben, 
welches in der Anwendung der erwähnten Seife besteht. Nach 
den Bekundungen der Sachverständigen habe die patentierte Seife 
nach ihrer Zusammensetzung keineswegs die Heilwirkung, wie sie 
die Angeklagten behaupten. Durch die Art der Anpreisung werde 
das Publikum irregeführt; es werden dem Verfahren der Ange¬ 
klagten Wirkungen beigelegt, welche über seinen wahren Wert 
hinausgehen. Die Angeklagten haben mithin entgegen den Vor¬ 
schriften der Polizeiverordnung vom 2. Oktober 1902 einem öffent¬ 
lich von ihnen angekündigten Mittel bezw. Methode zur Verhütung 
und Heilung von Menschenkrankheiten Wirkungen beigelegt, die 
über seinen wahren Wert hinausgehen, und auch das PiTblikum 
durch die Art der Anpreisung irregeführt. Das Kammergericht 
hob jedoch diese Entscheidung auf und wies die Sache zur ander¬ 
weiten Verhandlung und Entscheidung an die Strafkammer in 
Kassel zurück, da die Polizeiverordnung vom 2. Oktober 1902 nur 
für Kurpfuscher, nicht aber für Fabrikanten von Heilmitteln er¬ 
lassen sei. Die Gültigkeit der betreffenden Polizeiverordnung 
könne im Hinblick auf § 6 des Polizeiverwaltungsgesetzes nicht 
in Frage gestellt werden; sie sei im Interesse von Leben und Ge¬ 
sundheit von Menschen erlassen. (Entsch. v. 2. Dez. 1907.) 

Nachdem die angeordneten Untersuchungen ein Kresolseifen- 
präparat ergeben haben, welches dem Lysol nicht allein in den 
allgemeinen Eigenschaften gleichwertig, sondern in bezug auf seine 
desinfizierende Wirkung noch überlegen ist, bestimmt ein Ministerial- 
erlaß vom 19. Oktober 1907, daß an Stelle des Lysols von nun 
an die „Kresolseife“, deren Herstellungsweise vorgeschrieben ist, 
seitens der Hebammen zur Anwendung gelangt. Die Apotheken 
sind veranlaßt, einen genügend großen Vorrat des neuen Präparates 
vorrätig zu halten und es nur an Hebammen abzageben. Die 
1 % ige Lösung der „Kresolseife“ wird durch Eingießen von 10 g 
in 1 Liter lauwarmen Wassers unter Umrühren oder Umschütteln 
hergestellt. Niemals darf die Mischung der „Kresolseife“ mit 
Wasser in einer Spülkanne vorgenommen werden. 

Das Berliner Polizeipräsidium warnt vor zwei Geheim¬ 
mitteln. Das erste ist die von der Firma Poehlmann in München 
angepriesene „Plobners neuverbesserte Hörtrommel“ für Schwer¬ 
hörige usw., deren Preis (10 M.) als unverhältnismäßig teuer be¬ 
zeichnet, und deren von der Firma angegebene Wirkungen be- 
stritten werden. Das zweite sind die gegen Menstruationsstörangen 
und „Blutstockungen“ der Frauen empfohlenen „Menstruations¬ 
tropfen Regina“, die angeblich ein destillierter Auszug aus Zimt 
Baldrian, Nelken, Alkohol und Wasser sind und natürlich keines¬ 
wegs die ihnen beigelegte Wirkung haben. Die für 3,50 M. an¬ 
gebotene Flasche hat einen taxmäßigen Wert von höchstens 1 M. 

In Wien sind auf Anregung und unter Leitung von Professor 
Max Neuburger und Prof. Robert Ritter v. Töply die 
ersten Schritte zur Errichtung eines Instituts für Geschichte der 
Medizin getan worden, indem durch staatliche und private Unter¬ 
stützung eine — vorläufig noch bescheidene — Sammlung von 
Büchern, Instrumenten, Bildern etc. angelegt worden ist. 

Ein Ambulatorium für Sprachstörungen ist nach einer 
Mitteilung der Zeitschrift für ärztliche Fortbildung seit kurzem 
im Berliner poliklinischen Universitäts-Institut für innere Medizin 
eingerichtet worden. Damit ist vom preußischen Unterrichts¬ 
ministerium zum ersten Mal in einer Universitätsanstalt eine Ein¬ 
richtung geschaffen, welche zugleich als Behandlungs- und Lehr¬ 
stätte auf dem Gebiete der Sprachstörungen dienen soll. Ueber 
die große Verbreitung dieser Störungen und ihre soziale Bedeutung 
macht der Leiter des Ambulatoriums Priv.-Doz. Dr. H. Gutz” 
mann ia eiaem voa der genannten Zeitschrift publizierten Auf¬ 
satz folgeade iateressaate Aagabea: [Jäter der Schuljugead Deutsch- 
laads gibt es wenigstens 1 % Stotterer, d. b. es befiaden sich in 
den deutschen Schulen nicht weniger als 100000 stotternde Kinder 
im Alter vom 6. bis zum 14. Jahre. Unter Hinzurechnung der 
anderen Sprachstörungen (Stammeln, Lispeln, Näseln usw.) muß 
man ca. 200000 sprachgestörte Schulkinder annehmen. Bei dem 
Heere werden alljährlich ca. 1000 Mann wegen Stotterns nicht ein¬ 
gestellt. Gutzmann betont mit Recht, daß die Gleichgültigkeit 
von Litern und Erziehern gegen Sprachstörungen aufhören müsse, 
da die Berufswahl der sprachgestörten Kinder sowohl durch das 
oprachübel selbst, wie durch die hierauf beruhende minderwertige 



18 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Schulausbildung erheblich erschwert wird. Das Ambulatorium 
dient in gleicher Weise der Behandlung von Sprachstörungen, wie 
der Ausbildung und dem Unterrichte von Studierenden und Aerzten. 

Pressnotiz. Den Herren Aerzten wird hierdurch mitgeteilt, 
daß es dem Abteilungsvorsteher im Institut für Infektionskrank¬ 
heiten, Geheimem Medizinalrat Professor Dr. Wassermann ge¬ 
lungen ist, ein Heilserum gegen den Botulismus zu gewinnen, 
welches zwecks Anwendung bei Fällen von Botulismus in dem 
genannten Institut — hier N. 39 Nordufer Föhrerstraße — be¬ 
reitgehalten wird und von demselben erbeten werden kann. 

Das Heilserum ist jedoch nur in den Fällen anzuwenden und 
wirksam, in denen es sich um toxische Wirkungen des Bacillus 
botulus handelt. 

Berlin, den 28. November 1907. 

Der Polizei-Präsident, 
von Borries. 

Köln. Ein neuer Kohlensäuresprudel ist in dem unweit Bonn 
gelegenen Orte Niederbreisig entdeckt worden. Die dortselbst in 
dem Garten des Hotels Rheineck seit einiger Zeit vorgenommenen 
Bohrungen nach einer warmen Kohlensäurequelle, die bereits bis 
zu 700 Meter Tiefe gelangt sind, sollen bis zu einer Tiefe von 
1000 Meter fortgesetzt werden. Das zutage geförderte, reichlich 
mit Kohlensäure untermischte Wasser hat einen Wärmegehalt von 
19 1 /2 Grad Celsius. Krey, Köln. 

Zentralkomitee für das ärztliche Fortbildungswesen in 
Preussen, Berlin. Die Medizinische Reform hat in ihrer 
letzten Nummer (vom 26. Dezember) infolge eines redaktionellen 
Versehens das Progamm unserer Kurse vom Sommersemester 1907 
erneut zum Abdruck gebracht, mit dem Hinweis, daß die Kurse 
im Mai 1908 stattfinden. Wir stehen dieser Mitteilung gänzlich 
fern; eine Beschlußfassung über die im Sommersemester 1908 zu 
veranstaltenden Kurse hat noch nicht stattgefunden. 

Rütt-Stol Sieger im New-Yorker 6 Tage-Rennen. Das 

größte aller internationalen Rad-Dauerrennen wies ein Endresultat 
auf, wie es die Amerikaner schwerlich erwartet hatten. Zum 
ersten Male seit Bestehen des großen Wettkampfes ist der erste 
Preis nicht in Amerika geblieben, sondern nach Europa gefallen. 
Das Paar Rutt-Stol blieb vor den amerikanischen Favoriten Fogler- 
Moran siegreich und legte zusammen die gewaltige Strecke von 
3721 km 547 m zurück. Die Anforderungen sowohl an die 
Fahrer als auch an das benutzte Maschinenmafcerial waren natur¬ 
gemäß enorme. Stol benutzte zu seiner phänomenalen Leistung 
die berühmte Marke „Brennabor“, deren Stabilität sich bei den 
größten Dauerrenuen des In- und Auslandes glänzend bewährt. 
Der spielend leichte Lauf seines Brennabor-Rades ließ Stol über¬ 
legen siegen und die ungeheuren Strapazen eines so langen Rennens 
in guter Verfassung überstehen. Auch ein zweiter Brennaborfahrer, 
nämlich der zähe Belgier Vanderstuyft, konnte sich mit seinem 
Partner Krebs als 6. plazieren. 


30 h. Verfahren zur Herstellung vön- pulverförmigen Ge¬ 
mischen und Verbindungen des Phenyldimethylpyrazolans. Carl 
Eberth, Bremen, Nordstr. 89. 

30 h. Enthaarungsmittel. Dr. Emil Konoorowicz, Berlin, 
Kurfürstenstr. 144. * ' - 

30 h. Verfahren, Wasserstoffsuperoxyd in Mischung mit 
anderen Stoffen haltbar zu machen. M. Alfred Queißer, Hamburg, 
Eimsbüttel, Eppendorferweg 77. 

Patent-Erteilungen. 

30 f. Nach jeder Richtung fahrbares Gestell zur Erlernung 
und Uebung von Fuß- und Beinbewegungen. Friedrich Deinzer, 
Nürnberg, Würthstr. 9. 

30h. Verfahren zur Gewinnung einer fettartigen Substanz 
aus den Bakterienleibern der Streptothrix leproides. Kalle & Co., 
Akt.-Ges., Biebrich a. Rh. 

30 i. Apparat zum Vergasen aromatischer und desinfizierend 
wirkender Flüssigkeiten. Wilhelm CarlKoenig, Altona, Allee 296/271. 

30 k. Verfahren und Vorrichtung zur Bildung von beliebig 
starkem Nebel in Inhalationsräumen. Alfred Waßmuth, Moosach 
bei München. 

30 a. Schreibvorrichtung für den Orthoröntgenographen. Ver¬ 
einigte elektrische Institute Frankfurt, Aschaffenburg, m. b. H., 
Aschaffenburg. 

30f. Vorrichtung zum Verabreichen von Bädern, Brausen 
und dergl. mit in der Höhe verstellbarem Flüssigkeitsbehälter. 
Flora von Waldenburg, Dresden, Werderstr. 36. 

30 e. Auflager für verletzte % Beine mit mehreren einzeln 
nachspannbaren Quertüchern. Dr. Wendel Emge, Hohentengen, 
Württemberg. 

Gebrauchsmuster. 

30 a. Gebogenes Stahlband, in dieser Eigenschaft dienend als 
Zungenreiniger. Fa. Jos. Eichholz, Remscheid. 

30a. Trachealkanüle, welche beim Verbandwechsel ein An¬ 
husten seitens des Patienten verhindert. Fa. F, L. Fischer, Frei¬ 
burg i. B. 

30b. Hilfsinstrument für die Zahntechnik,' bestehend aus 
einem Metallgestell, dessen wagerechter Steg mit einer Libelle ver¬ 
sehen ist. Willy Stern, Allenstein. 

30 b. Säurefeste, unzerbrechliche,-, mit Ausgußtülle versehene 
Abkochschale aus einer Bleilegierung mit eingegossener Schraube, 
über welche ein Holzgriff gedreht ist, der als Handgriff dient. 
Alex Jacobsberg, Hannover, Limburgstr. 8. 

30 a. Innen und außen mit wasserdichtem lederartigen Stoff 
bezogenes, aseptisches Etui für ärztliche etc. Thermometer. Fa. 
Theodor Lenk, Charlottenburg. 

30 a. Verpackungsvorrichtung für Kanülennadeln von Injek¬ 
tionsspritzen mit zwischen Glimmerplatten liegender Gummiplatte 
und übergestreiften Gummiringen. PaulPhul, Berlin, Brunnenstr. 131. 


Fachliste geschützter Erfindungen. 

Herausgpgeben von der Firma Heinrich Brust, Verbands-Patent-Bureau, 
Kassel, Hohenzollernstr. 43. Fernruf 3186. Amerikanischer Patentanwalt. 
Den Abonnenten dieser Zeitschrift wird Rat und Auskunft in allen Patent¬ 
angelegenheiten kostenlos erteilt. 

Patentnachrichten. 

Patent-Anmeldungen. 

30 d. Elastischer Strumpf oder Schlauch für Behandlung von 
Krampfadern. Dr. Ludwig Stephan, Ilsenburg a. Harz. 

30 k. Grundplatte für durch einen Druckluftball zur Wirkung 
gebrachte Vorrichtung zur Abgabe medizinischer Flüssigkeit. 
Dr. Fritz Kleinsorgen, Elberfeld. 

30 k. Zusammenlegbarer, heizbarer Irrigator mit einem den 
Flüssigkeitsbehalter durchsetzenden Abzugskanal für die Feuer¬ 
gase. Theodor Wilhelm, Frankfurt a. M., Schlosserstr. 75. 

30 c. Kopfhalter für Versuchstiere. F. & M. Lautenschläger, 
Berlin. 

30 h. Verfahren zur Herstellung von tierischem Heilserum. 
Dr. R. H. Deutschmann, Hamburg, Alsterkamp 19. 


Aus (1er Praxis fiir die Praxis berichten unabhängig voneinander 
sechs Aerzte über die mit Fucol, einem aus Meeralgen hergestellten Nähr¬ 
fett, erzielten überaus günstigen Erfolge. Fucol ist nicht allein leichter zu 
nehmen, sondern wirkt auch schneller und energischer als Lebertran. Orig.- 
Flaschen ä l j 2 Liter kosten M. 2,—. Obenerwähnte Abhandlungen kosten¬ 
frei durch Karl Fr. Töllner, Bremen. 


Das Streben unserer Zeit ist darauf gerichtet, durch Aneignung 
praktischer Kenntnisse iur den Lebenskampf besser gewappnet zu sein. Es 
kann nicht verwundern, wenn in unserem Zeitalter vor allem naturwissen¬ 
schaftliche Kenntnisse mehr und mehr ein notwendiges Bedürfnis werden, 
beherrscht doch die gewaltige Tochter d»*r Naturwissenschaft, die Technik, 
völlig unser ganzes Tun und Leben. Unzähligen macht sich darum täglich 
der Mangel an genügender Kenntnis der Naturerscheinungen und ihrer Ge¬ 
setze fühlbar, den unsere rückständigen Lehrpläne verschulden. Kein 
Wunder, wenn eine Vereinigung wie der „Kosmos“, die bekannte Gesell¬ 
schaft von Naturfreunden, so beispiellose Ausdehnung nahm. Vor knapp 
4 Jahren mit dem Zweck gegründet, gediegene naturkundliche Kenntnisse 
in allen Volksschichten zu verbreiten, zählt der „Kosmos“ bereits 38000 
Mitglieder und hat eine Kulturmission ersten Ranges schon jetzt erfüllt. 
Seine Veröffentlichungen, 5 illustrierte Bücher und**feine Monatsschrift, er¬ 
halten die Mitglieder außer anderen Vorteilen für den geringen Jahresbei¬ 
trag von H. 4.80 unentgeltlich. Der Beitritt kann bei jeder Buchhandlung 
erfolgen oder auch direkt bei der Geschäftsstelle in Stuttgart, ein Prospekt 
ist unserer vorliegenden Nummer beigeheftet. 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. H. Lungwitz Berlin S. 14 — Verlag: Carl Marhold, Verlagsbuchhandlung, Halle a. S. 

Druck der Heynetaannschen Buchdruckerei, Gebr. Wolff, Halle a. S. 


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UMIVERS1TY OF MICHIGAN 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Wochenschrift für die gesamte Therapie des praktischen Arztes. 


G. Anton, A. Dührssen, C. A. Ewald, R. Robert, 

Halle a. S. Berlin. Berlin. Rostock. 

H. Schmidt-Rimpler, H. Senator, 
r Halle a. S. Berlin, 

' r - - n 

Redaktion; 

Berlin S. 14, Dresdenerstrasse 44. 

Dr. H. Lungwitz. 


Herausgegeben von 



M. Koeppen, H. Rosin, H. Schlange, Ad. Schmidt, 

Berlin. Berlin. Hannover. Halle a. S. 

R. Sommer, H. Unverricht, 

Gießen. Magdeburg. 


Verlag u. Expedition; Carl Marhold Verlagsbuchhandlung 
in Halle a. S., Reilstraße 80. 

Tel.-Adr.; Marhold Verlag Hallesaale. Fernsprecher 823. 


Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte der Ostsee und der 
x Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 


II. Jahrgang. Halle a. S., 12. Januar 1908. Nr. 2. 

Die „Therapeutische Rundschau“ erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2M., einzelne Nummer 20 Pf. Bestellungen nehmen jede Buchhandlung, 
die Post, sowie die Geschäftsstelle-. Carl Marhold Verlagsbuchhandlung in Halle a. S. entgegen. Inserate werden für die 4 gespaltene Petitzeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. berechnet. Beilagen nach Uebereinkunft. Reklamezeile 1,50 M. Bei größeren Aufträgen wird Rabatt gewährt. w 

Nachdruck der Original-Aufsätze ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. — Nachdruck der anderen Rubriken ist nur mit Quellenangabe gestattet. 


Albert Hoffa f. 

Von Dr. P. Zander, Berlin. 

Mitten aus seiner Laufbahn, auf der Hölie seines Sehnenplastiken. Bei den tuberkulösen Gelenkerkrankungen 
Ruhmes stehend ist Albert Hoffa durch den unerbitt- wies er stets auf die besseren Endresultate der konservativen 
liehen Tod abgemfen worden. Als es ihm nach kurzem Behandlung gegenüber der operativen hin und w r ar durch 
Krankenlager etwas besser ging, folgte er in den letzten Wort und Schrift bestrebt, zu Gunsten der ersteren ein- 
Tagen des verflossenen Jahres einem Ruf zu einer Konsul- zutreten. Seinen Weltruhm hat wohl seine operative 
tation nach Antwerpen, erkrankte aber auf der Fahrt Behandlung der Hüftluxation bedingt. Hiermit leitete er 
wiederum, so daß er in Antwerpen zunächst einige Tage die ganze Behandlung der Hüftluxationen ein, die bisher 
das Bett hüten mußte. Auf der Rückkehr bekam er aber- trotz aller Bemühungen fruchtlos gewesen war, und durch 
mals schwere Anfälle von Angina pectoris, so daß der ihn welche später die unblutige Behandlung voll gewürdigt 
begleitende Assistent die Fahrt in Cöln unterbrach. Hier werden konnte. Als diese weniger eingreifende unblutige 
verschied er trotz sofortiger sorgfältiger klinischer Be- Reposition der Hüftluxation von Lorenz angegeben war, 
handlung am Sylvesterabend im Augusta-Hospital. Eine nahm er sie mit einiger Modifikation sofort auf und wollte 
Sklerose der Coronararterien hatte ihn, noch nicht 49 seine operative Methode nur mehr für die Fälle reserviert 
Jahre alt, dahingerafft. wisseD, die trotz mehrfacher unblutiger Reposition immer 

Mit ihm verliert die Medizin, insbesondere aber die wieder Rezidive ergaben. Im weiteren Ausbau der Ortho- 
orthopädische Chirurgie eine Persönlichkeit, die, wenn pädie hat er viele neue Operationsmethoden angegeben 
überhaupt, nur sehr schwer zu ersetzen sein wird. (so die subtrochantere Osteotomie bei den verschiedenen 

Hoffa war am 31. März 1859 in Richmond in Süd- Hüftkontrakturen), die zu erproben und auszugestalten er 
afrika als Sohn eines deutschen Arztes geboren, studierte bei seinem großen Material stets Gelegenheit hatte, 
in Marburg und Freiburg, bis er im Jahre 1883 Assistent Neben diesem chirurgischen Teil der Orthopädie sind 

bei Maaß und später bei Schönborn im Juliusspital seine Verdienste um die reine orthopädische und Apparat- 
zu Würzburg wurde. Hier habilitierte er sich 1886 mit behandlung nicht zu unterschätzen. Er ist der erste ge- 
einer Arbeit über „die.Natur des Milzbrandgiftes“. In wesen, der technisch exakt, leicht und doch stabil ge- 
der ersten Zeit seiner Tätigkeit widmete er sich allgemein- arbeitete Apparate auf medizinisch wissenschaftlicher Basis 
chirurgischen und bakteriologisch-chemischen Arbeiten, herstellte. £>eine Behandlung der tuberkulösen Gelenk¬ 
vertrat auch längere Zeit Maaß in allen seinen Vorlesungen, affektionen, der Spondylitis mit portativen Apparaten und 
bis er 1886 seine chirurgisch-orthopädische Privatklinik Korsetten ist vorbildlich gewesen. Dazu kam die Be¬ 
gründete, die dank seiner unermüdlichen Tätigkeit auf handlung und Begutachtung von Unfallverletzten, die 
diesem Gebiete sich aus den bescheidensten Anfängen Nachbehandlung von Verletzungen und der Operierten 
(zuerst vier Betten) zu einer mit den modernsten Mitteln mit Massage und an mediko-mechanischen Apparaten, die 
ausgestatteten Klinik entwickelte. er von Anfang an voll würdigte, ja die Massage nur von 

Von jetzt ab gehörte auch seine ganze Wissenschaft- Aerzten ausgeübt haben wollte. In der Massage hat er 
liehe Arbeit der Orthopädie, und ihm ist es hauptsächlich nicht nur die ausgezeichnete Technik gelehrt, sondern 
zu danken, daß die orthopädische Chirurgie nicht mehr auch für die Behandlung jeder einzelnen Erkrankung eine 
nebenbei von einigen Chirurgen ausgeübt wird, sondern Reihe ganz exakter Handgriffe angegeben, 
daß sie heute gleichberechtigt neben der allgemeinen Die Bedeutung des Röntgenverfahrens hat er sofort 

Chirurgie steht. . erkannt, als erster ein Röntgeninstitut eingerichtet, die da- 

Ihn beschäftigten hauptsächlich die Aetiologie und mals neue Entdeckung in den Dienst der Orthopädie ge- 
Therapie der Skoliose, die tuberkulösen Gelenkaffektionen, stellt und sie zu immer weiterem Ausbau der Wissen- 
die kongenitale Hüftluxation, so wie Knochenoperationen und schaft, besonders bei den Gelenkerkrankungen, verwandt. 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 




Außer einer großen Anzahl kasuistischer Arbeiten 
haben seine größeren Werke über „Frakturen und Luxa¬ 
tionen“, „Technik der Massage“, „Verbandlehre“ und be¬ 
sonders das „Lehrbuch der orthopädischen Chirurgie“ weit 
über die Kreise seiner engeren Fachgenossen Beachtung 
gefunden. In den letzten Jahren hat er bedeutungsvolle 
Untersuchungen über Kniegelenkserkrankungen und über 
Arthritis deformans gemacht. Noch die letzte Nummer 
unserer Zeitschrift, zu deren Herausgebern Hoffa gehörte, 
brachte den Anfang einer Arbeit über die „Polyarthritis 
chronica progressiva primitiva destruens“. Seit 1892 hat 
er die Zeitschrift für orthopädische Chirurgie herausge¬ 
geben und war als Herausgeber mehrerer namhafter Zeit¬ 
schriften mit tätig. 

Hatte Hoffa schon in Würzburg eine überaus große, 
weit über den Rahmen der kleinen Universitätsstadt hin¬ 
ausgehende Tätigkeit ausgeübt, so hatte er in Berlin, wo¬ 
hin er nach dem Tode von Julius Wolff berufen wurde, 
noch mehr Gelegenheit dazu. Sein erstes Bestreben war, 
der orthopädischen Universitäts-Poliklinik auch einen ihr 
gebührenden Platz zu verschaffen. Dies erreichte er in 
allerletzter Zeit durch Unterbringung der Poliklinik auf 
dem Charite-Gelände, mit der Vereinigung mit der nach 
Zabludowskis Tode erledigten Massage - Anstalt und mit 
der Eröffnung der ersten orthopädischen Universitätswerk¬ 
stätte. Neben seiner großen operativen, wissenschaftlichen 
und konsultativen Tätigkeit fand er noch Zeit, sich in 
Berlin mit sozialen Fragt-n zu beschäftigen. Seinen un¬ 
ermüdlichen Bemühungen gelang es, das Caecilienheim 
in Hohenlychen für Kinder mit Knochen- und Gelenktuber¬ 
kulose zu gründen und in Berlin eine Krüppelanstalt ins 


Leben zu rufen, die jetzt schon imstande ist, 100 Betten 
zu belegen. 

Hoffa ist auch der Gründer der „Deutschen Gesell¬ 
schaft für orthopädische Chirurgie“, an deren erfolgreichen 
Arbeiten, wenn er auch nur einmal das Amt eines Vor¬ 
sitzenden bekleidete, er stets den größten Anteil hatte. 
Ueberhaupt war er immer bestrebt, die Grenzen der 
orthopädischen Chirurgie zu erweitern, wie er Unter ortho¬ 
pädischer Chirurgie die gesamte Chirurgie mit Ausnahme 
der Bauch- und Gehirnchirurgie verstand. 

Hoffa war ein unermüdlicher Arbeiter. Dieses, im 
Zusammenhang mit einem erstaunlichen Gedächtnis, einem 
eminent schaifen Blick für das Praktische und einer 
stets exakten Diagnosen- und Indikationsstellung lassen 
seine Erfolge verstehen. Nicht geringen Anteil hat daran 
aber seine Persönlichkeit gehabt, seine Liebenswürdigkeit, 
sein offenes Wesen und sein unerschütterlicher Optimismus. 
Als Chef und Lehrer war er befruchtend und regte zu 
immer weiteren Arbeiten und Forschungen an. Dabei 
war sein Verkehr mit seinen Assistenten, wie überhaupt 
mit Kollegen, stets freundschaftlich, nie kehrte er den 
Besserwissenden, Ueberlegenen heraus. 

Wie die ganze Wissenschaft, beklagen aber besonders 
seine Schüler mit seiner Frau, seinen Töchtern und seiner 

f reisen Mutter den Tod ihres Lehrers und fördernden 
reundes. Die Pflicht seiner Schüler, die in großer Zahl 
nach allen Richtungen verstreut sind, und zugleich ein 
Denkmal für den leider so früh Entschlafenen ist es, im 
Sinne desselben weiterzustreben zum Nutzen seiner von 
ihm so geliebten Wissenschaft! 



Die Polyarthritis chronica progressiva primitiva 
destruens (fälschlich chronischer Gelenkrheumatis¬ 
mus genannt) und ihre Behandlung. 

Von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. A. Hoffa in Berlin. 

(Schluß.) 

Von den allgemeinen Maßnahmen kommen zunächst 
warme Vollbäder in Betracht, die deshalb so zweckmäßig sind, 
weil es möglich ist, die Patienten im warmen Wasser selbst 
aktive Bewegungen der Gelenke ausführen zu lassen. Wie 
von Leyden gelehrt hat, sind solche Bewegungen im Bade 
viel weniger schmerzhaft wie außerhalb desselben und können 
deshalb vom Patienten leichter ausgeführt werden. Die Bäder 
werden 35 bis 38 0 Celsius warm dreimal wöchentlich in einer 
Dauer von einer Viertelstunde genommen. Nach dem Bade 
soll der Patient gut zugedeckt ausruhen, aber nicht stark nach¬ 
schwitzen. * ‘ 

Als Zusatz zu den Vollbädern gibt man zweckmäßig Staß- 
furter- oder Orber- oder Sodenthaler-Salz. Auch der Zusatz 
von Schwefel zu den Bädern wirkt vielfach recht günstig. 
In der neuern Zeit habe ich vielfach recht gute Erfolge gehabt 
mit einer Mischung von Schwefel und Fichtennadelextrakt, 
dem sogenannten Th iopin ol Matzka (Bezugsquelle Victoria- 
Apotheke Berlin SW., Friedrichstraße 19, Dr. La bo sc hin). 
Selbst bei weit vorgeschrittenen Fällen gaben die Patienten an, 
nach diesen Thiopinolbädern unter Nachlassen der Schmerzen 
eine freiere Beweglichkeit der Gelenke zu haben. 

Sehr beliebt und wirksam sind die heißen Sandbäder, wie 
sie bei uns namentlich in Köstritz gegeben werden, Ferner 


die verschiedenen Formen der Dampfkastenbäder und die Glüh¬ 
lichtbäder, die namentlich bei relativ frischen Fällen in An¬ 
wendung kommen. 

Eine Behandlung sui generis ist die Bi ersehe Stauungs¬ 
behandlung. Die Bi er sehe Stauung wirkt bekanntlich vor¬ 
zugsweise schmerzstillend und resorptionsbefördernd; meinen 
Erfahrungen nach .wirkt die Bi er sehe Stauung bei unserer 
Erkrankung vorzugsweise gegen die Schmerzen an den Hand- 
und Fingergelenken; weniger Erfolge habe ich bei der Stauung 
der Kniegelenke gesehen. Jedenfalls muß die Stauung längere 
Zeit hindurch fortgeführt werden, wenn man Erfolg haben 
will; die Stauungsbinde muß technisch richtig angelegt werden 
und muß am Tag durchschnittlich zehn Stunden lang Regen 
bleiben. 

Die Atrophie der Muskeln bekämpft man am zweckmäßigsten 
mit vorsichtiger Massage. Die Massage wird in der Weise 
ausgetührt, daß man die Gelenke selbst am besten ganz in 
Ruhe läßt und nur die peripheren und zentral vom Gelenk 
gelegenen Muskeln durchstreicht und durchknetet. Das viele 
Herummanipulieren an den Gelenken selbst wirkt meist nur 
schädlich. Im Anschluß an die Massage lasse ich leichte 
aktive Gymnastik vornehmen. Brüske Bewegungen sind 
unter allen Umständen zu verwerfen. Ganz zweckmäßig und 
schmerzlos für die Patienten läßt sich die Mobilisierung der 
Gelenke in den Klapp sehen Saugapparaten vornehmen. 

Die Elektrizität kommt in Form des faradischen Stroms 
j in Anwendung zur Bekämpfung der Muskelatrophie, in Form 
| des galvanischen Stromes zur Stillung der Schmerzen. Zur 
Abwechslung kann man auch zweckmäßig ein VierzeUenbad 
empfehlen. 

Von einer besonderen Diät habe ich keine Erfolge ge¬ 
sehen, im Gegenteil kommen die Patienten nach solchen Kuren 
in der Regel sehr herunter. Es kommt alles darauf an, durch 
eine kräftige Ernährung durch gemischte Kost den allgemeinen 


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190 & 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAtl. 


23 


Ernährungszustand auf die Dauer möglichst gut zu erhalten. 
Ganz unsinnig sind Antigicht-Kuren. 

. Trotz allen aufgezählten Mitteln ist man nun leider 
nicht imstande, das Fortschreiten der Erkrankung sicher zu 
verhüten, man kanD meistens mit denselben nur symptomatisch 
wirken. Trotz aller Bemühungen nehmen im Laufe der Jahre 
die Kontrakturen der Gelenke zu, und diese Kontrakturen an 
den unteren Extremitäten machen die Patienten dann nach und 
nach mehr und mehr hilflos. 

Hier setzt nun mit ganz außerordentlich günstigem Erfolo- 
die von mir in den letzten Jahren eingeführte orthopädische 
Behandlung ein. Ich entlaste die Gelenke der unteren Extre¬ 
mität durch gutsitzende Schienenhülsenapparate. Es 
handelt sich vorzugsweise um die Beseitigung der Kon¬ 
trakturen an den Fuß- und noch mehr an den Kniegelenken. 
Die öchienenhülsenapparate werden so gearbeitet, daß sie diese 
Gelenke vollständig fixieren und entlasten. Ich lasse diese 
rixation zunächst einmal Tag und Nacht mehrere Monate hin- 
durch bestehen. Erst wenn die Schmerzen ganz beseitigt sind 
wird die Fixation aufgehoben und die Apparate werden nun 
täglich einmal abgenommen, damit jetzt Gymnastik, Massage 
und Hautpflege zu ihrem Recht kommen können. Bestehende 
Kontrakturen werden mit besonderen, an den Schienenhülsen¬ 
apparaten angebrachten Vorrichtungen allmählich gerade ge- 

I lCJGLlGL, 

_ Unter dieser Behandlung erlebt man selbst in hochgradigen 
r allen stets eine ganz erhebliche Besserung. Vor allem'er¬ 
reichen wir aber, daß unsere Patienten herumgehen können 
was wieder für ihr Allgemeinbefinden von größtem Werte ist! 

Die allerbesten Erfolge habe ich erzielt, wenn ich die 
orthopädische Behandlung mit einer Bäder beh andlun g ver¬ 
binden konnte. Von den Bädern kommen die indifferenten 
1 her men, die Kochsalzthermen, die Schwefelbäder sowie die 
Moor- und Schlammbäder in Betracht. Die allerbesten Re¬ 
sultate habe ich von den Bädern in Karlsbad und Pistyan ge¬ 
sehen, doch sind gewiß auch die übrigen Bäder wirksam, wenn 
nur die Dauer der Kur nicht zu kurz bemessen wird. 

Können sich dann die Patienten den Winter über eines 
warmen trockenen Klimas — es kommt namentlich Helouan 
m Aegypten in Betracht — erfreuen, so kann man die 
Patienten wirklich jahrelang in einem recht erträglichen Zu¬ 
stand erhalten. & 

Wenig ermutigende Resultate habe ich im allgemeinen auf 
operativem Wege erzielt. Es eignen sich für die Operation 
nur halle, bei denen ein Gelenk vorzugsweise ergriffen und 
schmerzhaft ist. Als Operation kommt dann nur die Resektion 
in frage. Bei den Patienten, die ich operiert habe, hatten 
wir anfangs Besserung, es stellten sich aber bald die alten 
Schmerzen und Funktionsstörungen wieder ein. 

Ich möchte schließlich noch mitteilen, daß wir zu unserem 
bisherigen Heilverfahren noch ein neues hinzugefügt haben 
welches in frühen Fällen, d. h. in solchen, in denen die Obli- 
teration der Gelenke noch nicht zu weit vorgeschritten ist 
vielleicht einige Aussicht auf Erfolg bietet. Wie mein Assistent 
Ur. Kauenbusch bereits mitgeteilt hat, haben wir bei unseren 
zu rontgendiagnostischen Zwecken ausgeführten Sauerstoffein- 
blasungen beobachtet, daß die Patienten nach diesen Sauer- 
stoneinblasungen eine lebhafte subjektive Besserung ihrer Be¬ 
schwerden angaben, die tagelang anhielt. Wir haben dann 
systematisch bei derartigen Patienten alle acht bis vierzehn 
läge die Einblasungen ausgeführt und dadurch eine ganz un- 
zwenelhafte bedeutende Besserung des Gehvermögens erzielt 
Wir führen die Einblasung des Sauerstoffs mit dem Wollen-! 
7 e !i.f ‘U rägerschen Apparate aus und haben keinerlei üble 
/iulalle erlebt. 

Wir sind am Schluß unserer Ausführungen. Resümiere 
icIi so haben wir durch die Einführung der" orthopädischen 
Behandlung in die Therapie der chronischen Polyarthritis eine 
ganz wesentliche Bereicherung unseres Heilschatzes erlangt. 

Ich könnte^ eine große Anzahl von Krankengeschichten bei- 
tugen, welche erläutern würden, wie wir einige dieser hoffnungs¬ 
losen Patienten dem Leben wiedergegeben haben. Es würde 
dies aber den Rahmen dieser kleinen A/beit übe.schreiten. Ich 


will mich darauf beschränken, nur eine recht typische Kranken¬ 
geschichte anzuführen. Dieselbe betrifft die Frau eines Kol- 
legen, und ich gebe sie in der gütigen Ausführung dieses 
Herrn Kollegen hier wieder. 

„Frau Dr. A. C., 50 Jahr alt, seit einem halben Jahre un¬ 
regelmäßig menstruierend, klagte zuerst im September 1898 
über Schmerzen im linken Hacken, die so heftig wurden, daß 
sie nicht mehr gehen konnte. Der zur Konsultation hinzu¬ 
gezogene Arzt glaubte zuerst, daß es sich um eine Schleim¬ 
beutelentzündung handeln könnte und legte einen Gipsverband 
an. Nach acht Tagen stellten sich plötzlich in der Nacht 
schmerzhafte Schwellungen an den Fingergelenken der linken 
Hand ein, und nun stellte der konsultierte Arzt die Dia<rnose 
auf subakuten Gelenkrheumatismus. Im Laufe der nächsten 
V\ oche traten noch schmerzhafte Schwellungen am linken 
Knöchel und am linken Knie mit Exsudat auf, welche die 
Kranke vierzehn Tage ans Bett fesselten. Die Krankheit ver- 
lef völlig fieberfrei, wenn auch die Kranke häufig über Frösteln 
längs der Wirbelsäule zu klagen hatte. Die Therapie bestand 
in Umschlagen mit essigsaurer Tonerde, in Applikation von 
heißen Sandsäcken, in Kompressionsverbänden und heißen 
Bädern mit nachfolgender Einpackung. Im Mai 1899 gino- die 
Kranke nach Teplitz und gebrauchte dort sechs Wochen^an* 
Moorbäder mit so ausgezeichnetem Erfolge, daß die Funktions¬ 
störungen völlig gehoben wurden, aber der linke Fuß und das 
linke Knie deformiert blieben. 

Im folgenden Jahre unterzog sich die Kranke zur Yor- 
sicht einer sechswöchigen Kur im Solbad Salzungen und 
blieb nun bis zum Jahre 1903 von neuen Krankheitsattacken 
verschont, wenngleich sie bei Witterungswechsel manchmal 
über Schmerzen in den deformierten Gelenken zu klaren 
hatte. ° 

Im Winter 1903 traten Schmerzen und Schwellung des 
rechten Schulter- sowie des rechten Ellbogengelenks auf, und 
iono i ste ^ ten auc h wieder Schmerzen in den im Jahre 
18J8 erkrankten Gelenken ein. Auch diese Beschwerden girieren 
wieder nach einer Kur im Moorbad Muckow Sommer 1904 
zuruck, allerdings auch mit Deformität des rechten Ellboo-en- 
gelenks. Die Kranke hatte nun beinah zwei Jahre Ruhe °und 
konnte abgesehen von zeitweilig auftretenden Schmerzen in 
den erkrankten Gelenken und von leichter Ermüdung beim 
Gehen, ihren Pflichten als Hausfrau und Mutter völlig ge¬ 
nügen. ° ° 

a i, ^ ovem ber 1905 traten wieder heftige Schmerzen nnd 
Schwellungen im rechten Schulter-, rechten Ellbogen- und 
linken Kniegelenk auf, so daß die Kranke hinken mußte. Es 
wurden therapeutisch heiße Bäder mit nachfolgender Ein¬ 
packung, kohlensaure Formikabäder, Umschläge von essigsaurer 
lonerde, Ichthyol-, Jodvasogen-, Jodtinkturpinselungen und 
zuletzt Bi er sehe Stauung in Gebrauch gezogen, doch ohne 
jeden Nutzen. Kurz vor der Abreise nach Moorbad Schmiede¬ 
berg und Aufnahme in das Dr. Schuckeltsclie Sanatorium 
zeigte sich Muskelschwund im rechten Arm und linkenBein 
sowie Schwellungen in den rechten Fingergelenken. 

Leider hatte die sechswöchige Kur gar keinen Erfolo- 
es erkrankten vielmehr bis Weihnachten sämtliche Gelenke' 
nur die beiden Kiefergelenke blieben verschont. Die Kranke 
wurde immer schwächer, der Muskelschwund in beiden Armen 
m den Beinen und am Rumpf immer auffälliger. Herr Geheim¬ 
rat F., der Ende Dezember zur Konsultation hinzuo-ezoo-en 
wni ! de ’ T s T te . l iJ e ,. em ? se ^ r schlechte Prognose und verordnete zu¬ 
nächst Heißluftbäder mit dem Phenix ä air chaude und im 
Sommer eine Kur m Pistyan. Trotz 24 Heißluftbädern wurde 
der Zustand der Kranken immer elender. Es erkrankte auch 
noch das eme Kiefergelenk, die Gelenke an den Händen und 
ßuUen waren aufgetneben, die Hände nahmen Krallenstellun<r 
an, der Muskelschwund trat überall noch mehr in Erscheinung 
die ganze Wirbelsäule war steif, die Schultern nach vorn ee- 
beugt, die ganze Haltung der Kranken eine krumme. Die 
Patientin war beim Aus- und Anziehen ganz von ihrer Um¬ 
gebung abhängig, sie konnte sich nicht allein im Bett um¬ 
drehen, nicht allem vom Stuhl aufstehen, beim Sitzen rutschte 
sie oft herunter. Nur die große Energie der Kranken und die 


Original frern 






THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


dreimal tägliche Darreichung von 1 g Aspirin brachten es zu 
Wege, daß die Kranke immer noch täglich aufstand und trotz 
großer Schmerzen am Stock herumging. 

xlnfangs April 1907 machte es den Eindruck, als ob die 
Kranke völligem Siechtum verfallen würde, und nun entschloß sie 
sich, die Hilfe des Herrn Geheimrat Prof. Dr. Hoffa in Anspruch 
zu nehmen. Dieser verordnete für beide Beine orthopädische 
Stützapparate. (Siehe Abbildung. 1 ) Sobald sie diese angelegt 
hatte, hörten die Schmerzen in den Fuß- und Kniegelenken 


unbedeutenderen Eingriffen auskommen kann. Vielleicht treffen die 
jüngsten Veröffentlichungen von Professor Leopold das 
Richtige. Derselbe lockert erst durch den Bossi das Gefüge 
der Cervix, indem er einige Zentimeter weit aufschneidet, als¬ 
dann legt er den Kolpeurynter ein. Ob dazu Narkose erforder¬ 
lich ist, vermag ich leider nicht zu sagen, glaube es kaum. 
Bleiben also die einfacheren Methoden wirkungslos, kann man 
jedenfalls alsdann in kurzer Frist offenbar gefahrlos durch 
diese Kombination zum Ziel kommen. 

Dieser einzigen Indikation um des Kindes willen stehen 
gegenüber diejenigen, welche die Geburtsbeendigung fordern 
im Interesse der Mutter. Sie bedingen alle Eile, und diejenige 
Operationsweise, welche den geringsten Zeitaufwand bean¬ 
sprucht, ist — sobald sie nicht gefahrvoller ist — die beste. 

Die dringendste Anzeige zur schleunigen Entleerung der 
Gebärmutter ist vorhanden bei der vorzeitigen Lösung der 
normal sitzenden Placenta. 

Daß hier der Ballon unbrauchbar ist, darüber herrscht 
Einstimmigkeit. Nur gewaltsames Einbohren der Hand ist das 
richtige Verfahren. Ist der Widerstand aber zu stark oder die 
Faust des Arztes zu groß, so kann nur der Bossi in An¬ 
wendung kommen. Ich selbst habe zwei Frauen gerettet 
durch gewaltsames Einbohren mit der Faust, Wendung und 
rapide Extraktion. Im ersten Falle wäre selbst zum Bossi 
kaum Zeit gewesen, im zweiten eher. Ich besaß ihn aber 
noch nicht. 

Zweitens die Eklampsie. Ob Bossi oder Ballon hängt hier 
nicht ganz von der Krankheit ab, sondern von der Vorstellung 
des behandelnden Arztes über die Wirksamkeit der schnellen 
Uterusentleerung auf die Krämpfe; ob er überzeugt ist, daß 
die geschwinde Entleerung des Uterus eine etwaige Gefahr 
durch einen möglichen Cervix-Riß aufwiegt, ob ihm eine Zeit¬ 
ersparnis von etwa 3 bis 18 Stunden, je nach angewendetem 
Verfahren von fast lebensrettender Bedeutung wie bei vor¬ 
zeitiger Placentarlösung oder Fieber erscheint. Jedenfalls 
kann der Arzt mit dem Bossi den Fall in 3 / 4 Stunden oder 
noch schneller erledigen. Er muß es aber nicht, kann ja auch 
langsamer aufschrauben, ganz nach Wunsch. Der Ballon ver¬ 
sagt in den ganz dringenden Fällen bei intakter Cervix. Sollen 
wirklich diese Frauen sterben, weil „der Bossi nur in die Hand 
des Spezialisten gehört?“ Ungeheuerlich! In solchen Fällen 
kann man auch mit gutem Gewissen perforieren, um die Mutter 
sicherer vor Rissen zu bewahren. Das Kind ist in solchen 
Fällen doch meist verloren. 

Auf einen Trugschluß von Gegnern des Accouchement forcö 
ist hierbei aufmerksam zu machen. Dieselben stützen ihre ab¬ 
lehnende Haltung auf die Tatsache, daß die Krämpfe nach be¬ 
endeter Geburt fortdauern und dann noch töten können. 
Ganz richtig. Ob das geschehen wird in dem uns grade be¬ 
schäftigenden Fall, können wir nicht wissen. Aber eins wissen 
wir: vor Geburtsbeendigung hören die Krämpfe sicher nicht 
auf! Jeder neue Anfall führt die Kranke dem Tode näher; 
und jeder, den wir ihr ersparen, kann entscheidend sein über 
Leben und Tod. 

Aderlaß und Salzwasserinfusion sind das Modernste. Aderlaß 
wird in einigen Pariser Spitälern Schlag auf Schlag bis — 
2000 g gemacht. „Das schlechte, schwarze Blut“ wird alles 
fortgebracht. Ob die Widerstandsfähigkeit der Patientin, die 
man ihr so raubt, nicht auch etwas wert ist? Aber es wird 
doch das „schlechte“ Blut durch Salzwasserinfusion ersetzt! 
Wenn ich auch dem Aderlaß eine bessernde Wirkung zu¬ 
erkenne, so liegt bei einer Geburt die Sache doch schwieriger. 
Jeder verlorene Blutstropfen schwächt zugleich. Bei der nach¬ 
folgenden Geburt verliert die Patientin so wie so noch Blut, 
dessen Menge ist vielleicht unerwünscht groß. Daher halte ich 
dafür: zunächst ist die schädigende Ursache, der gesamte 
Gebärmutterinhalt zu entfernen, das allein ist die ideale, weil 
kausale Therapie. Dann kommen erst die Hilfsmittel zur 
Entgiftung, Klistiere, Infusionen, Getränke zur Anwendung. 

Vergegenwärtigen wir uns einmal, wie die Behandlung 
eines ernsten Falles von Eklampsie sich einem Arzt, der das 
Bossiverfahren für recht wenig gefährlich hält, darstellen muß. 
Ich nehme also an, der Arzt sei zur Stelle, nachdem ein oder 






1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


25 


zwei Krampfanfälle dagewesen seien: die Cervix sei völlig 
erhalten. 

Wenn man in den Lehrbüchern die Behandlungsmethoden 
der ausgebrochenen Eklampsie vergleicht, so erkennt man 
sofort, daß keiner der Verfasser ein besonderes Vertrauen zu 
irgend einer Behandlung hat. Er zählt die Methoden einfach 
auf; gibt an, was er tut und was andere tun. Entscheidend 
zu raten weiß er nicht. 

Die heißen Bäder scheinen zur Zeit nicht mehr besonders 
beliebt zu sein. Der Allgemeinpraktiker würde sie in der 
Häuslichkeit auch nur schwierig zur Anwendung bringen 
können. 

Die Bekämpfung eines einzigen Symptoms, einer Ver¬ 
giftung, der Krämpfe, durch neue Gifte Morphium, Chi oral, 
Chloroform ist wohl gänzlich Selbstbetrug und Sand in die 
Augen entsetzter Zuschauer. 

Die Annahme, daß der Aderlaß entgifte, ist auf den ersten 
Augenblick bestechend, jedoch bei weiterem Nachdenken kaum 
haltbar. Eine Entnahme von 300 g Blut entfernt nur auf kurze 
Zeit einen Teil des zirkulierenden Eklampsiegiftes, da aus den 
gleicherweise so durchtränkten Gewebssäften sofort Ersatz er¬ 
folgt. Daher denn auch — wir kehren damit ins Mittelalter 
zurück — bei Wiederkehr der Krämpfe Schlag auf Schlag 
neue Blutentziehungen und dadurch ungeheure Schwächung 
der Patientin. Wenn nun aber der Blutverlust etwa nur die 
Reizschwelle des Gehirns vorübergehend herabsetzt? Was nun? 
Paßt alsdann nicht auf die vier letzten Behandlungsmethoden 
das Wort Fausts: „Ich habe selbst den Gift an tausende ge¬ 
geben “ ? 

Auch von den Salzwasserinfusionen ist kein Einfluß fest¬ 
zustellen gewesen. 

Sehen wir allen diesen Tatsachen einmal mit Ruhe ins 
Gesicht, so müssen wir uns sagen, daß wir uns nur auf diejenige 
Therapie stützen dürfen, die wenigstens einen Teil einer kau¬ 
salen Behandlung bildet, auf schleunige Entleerung der Gebär¬ 
mutter. Alle die Selbsttröstungen: leichte Anfälle, Eintreten 
von Wehen, sind nicht stichhaltig; denn der nächste oder einer 
der nächsten Anfälle schon kann todbringend sein, mögen die 
vorgehenden kurzdauernd und nicht in schneller Folge aufge¬ 
treten sein. Dieses Zugeständnis macht ein jeder, der .nach 
einem einzigen Krampfanfall bei einer Erstgebärenden bei noch 
nicht verstrichenem Muttermund die Zange angelegt hat. Da 
wartete er nicht erst lange; sondern er war bereit, um eine 
schnelle Geburtsbeendigung zu erreichen, nötigenfalls eine Ri߬ 
blutung in den Kauf zu nehmen. Der Geburtstag einer an¬ 
erkannt gefahrlosen Methode zur Erzielung einer schnellen Er¬ 
weiterung einer unvorbereiteten Cervix wäre der Todestag 
sämtlicher bisherigen selbständigen Behandlungsarten, die sofoit 
zu Hilfsmaßnahmen nach vorgenommener Entbindung herab¬ 
gedrückt würden. Daran zweifelt keiner. Also der Einwurf, 
das Ende der Geburt bedeute noch nicht das Ende der Krämpfe, 
zei fließt in nichts. 

Wer diesen Gedankengängen beistimmt, muß nun weiter 
schließen, daß hier ein analoger Fall vorliegt, wie er zur End¬ 
entscheidung durchgefochten ist bei der Diskussion über die 
Behandlung schwerer Bauchquetschungen. Anhänger des Ab¬ 
wartens mit bewaffneter Hand, die erst sehen wollen, wie der 
Verlauf sich gestalten würde, und Parteigänger sofortigen 
Bauchschnittes standen sich lange gegenüber. Letztere haben 
gesiegt und das mit Recht; denn im Prinzip muß der gesunde 
Menschenverstand fordern, daß bei unberechenbaren Gefahren 
in ernsten Lagen eine, wenn auch mäßig gefährliche, aber 
durchschnittlich offenbar geringfügige Operation unternommen 
werde, die in der Mehrzahl der Fälle von entscheidendem Ein¬ 
fluß auf einen günstigen Ausgang ist. Natürlich imponieren 
die mit dem leiblichen Auge wahrgenommenen Blutstillungen 
oder Darmwundennähte mehr als die bloße Vorstellung, daß' 
die Krampfzeit abgekürzt und dadurch die Gefahr vermindert 
wird. In jedem Lehrbuch aber findet sich die Angabe, daß 
die Prognose von Krämpfen, die vor oder im Geburtsbeginn 
einsetzen, sehr bedenklich sei für Mutter uud Kind. Weiß einer 
dafür einen anderen Grund anzugeben als die lange Zeitdauer, 
die noch bis zum Ende der Geburt vetfließen muß, daß also 


dann erst die Akme der Gefahr ihr Ende erreicht? Nun, der 
Schluß, welcher daraus zu ziehen ist, lautet, daß man zur Ab¬ 
kürzung dieses Zeitraumes auch eine Operation unternehmen 
darf, die, wenn sie nur schnell wirkt, auch nicht ganz gefahrlos 
zu sein braucht — analog dem Bauchschnitt bei Unterleibs- 

r bei langer Geburtsdauer steigt wohl nicht nur 
in arithmetischer Reihe entsprechend der verfließenden Stunden¬ 
zahl, sondern eher noch schneller. Nicht aber darf man sich 
vorstellen, daß auch die Gefahr, welche die Bossianwendung 
bei unvorbereiteter Cervix mit sich bringen könnte, unverhält¬ 
nismäßig hoch sei im Verhältnis zu derjenigen sehr geringen, 
welche sein Gebrauch bei schon teilweise erweiterter Cervix 
bedingt. Denn zunächst steht es Ihnen frei, etwa nur bis 
8,5 cm aufzuschrauben und dann zu perforieren. Dazu sind 
Sie sogar bei sehr widerstandsleistender Cervix verpflichtet. 
Sie unternahmen die Operation, um die Mutter zu retten. Dieses 
Ziel haben Sie daher auch während der Operation unentwegt 
im Auge zu halten. Um des Kindes willen würden Sie nicht 
den Eingriff unternommen haben. Das Kind ist durch die 
Eklampsie gefährdet, seine lebende Herausbeförderung wäre 
zweifelhaft. Nun haben Sie noch nicht einmal die Frau in 
Sicherheit. Also greifen Sie nicht nach der Taube auf dem 
Dache! Durch eine freiwillige Vergrößerung der Gefahr für 
die Mutter würden Sie Ihrem Eingriff jede logische Berechti¬ 
gung nehmen. Sollte etwa vorzeitig ein Riß bemerkt werden, 
so könnten Sie mit Metreuryse oder Wendung die Blutung be¬ 
kämpfen und zugleich die Cervixerweiterung fortsetzen. Zwar 
erreichen Sie dann nicht Ihr ideales Ziel, aber Sie gewinnen 
wenigstens Stunden uud haben Ihre Pflicht nach Möglichkeit 
getan. 

Bei schon teilweise verstrichener Cervix wird der Bossi 
zwar nicht viel nützen, aber erst recht nicht schaden. Ein¬ 
greifen müssen Sie aber doch, denn schon der nächste Anfall 
kann töten. Die Perforation wird durch die Zange ersetzt/) 

Aehnlich liegen die Fälle, wo bei lang sich hinziehenden 
Entbindungen nach frühzeitig gesprungener Blase und erhaltener 
Cervix Fieber einsetzt. Hier sind die Minuten vielleicht noch 
kostbarer als bei Eklampsie, und ebenso ist das Kind durch 
die mütterliche Erkrankung mit septischer Infektion bedroht, 
meist verloren. Der Praktiker hat die Pflicht, die Entbindung 
möglichst schnell zu erledigen. 

Immer wieder bleibt es dieselbe Lage. Ist die Cervix 
schon so weit, daß der Champetier durchgeht, wird auch 
der Bossi nichts schaden. und bei enger Cervix er¬ 
weitert der Braun sehe Kolpeuryntor nicht schnell genug. 
Hilft der Arzt aber nicht schnell, so steigt die Gefahr rapid. 
Man hat einfach keine Wahl; wohl aber kann man sich ruhig 
zum Dehnen über eine Stunde Zeit nehmen und event. bei den 
geringen Chancen des Kindes perforieren. 

Bei einer mehrgebärenden, erstickenden Herzkranke n 
machte ich auch einmal das Accouchement force durch Einbohren 
der Hand. Die Frau konnte nicht mehr liegen wegen der Atem¬ 
not. Sie stand in der Stube aufrecht, von mehreren gehalten. 
Ich kniete vor ihr bei der Operation. Das Kind war tot. Die 
Mutter hatte Erleichterung, starb nach einer Stunde. Bei einer 
Ipara hätte der Bossi unter gleichen Umständen angewendet 
werden müssen; zum Ballon blieb keine Zeit. 

Als fünfte Indikation der Erweiterungsmethoden am nor¬ 
malen Schwangerschaftsende kommt der Zustand: Querlage, 
frühzeitiger Wasserabfluß, erhaltene Cervix in Betracht. Ein¬ 
gegriffen muß werden, um der verschleppten Schulterlage vor¬ 
zubeugen. Hier kommt es auf einige Stunden nicht an, also 
kann der Praktiker, denkt man, auch einen Ballon verwenden. 
Voraussetzung wäre aber, daß man sofort nach Wasserabfluß 
benachrichtigt würde. Darauf ist aber nicht zu rechnen; 

*) Anm. während des Druckes. Dr. Weber veröffentlicht aus der 
v. Winkel sehen Klinik die Resultate von 20 Ekkuupsiefällen, behandelt 
mit gewaltsamer Entbindung mittels Bossi. Er empfiehlt dringend ein 
derartiges Vorgehen. Die Erweiterungszeiten betrugen 5 bis GO Minuten 
Einzelheiten sind mir bisher noch nicht bekannt geworden. Biimrn in 
Berlin empfiehlt jetzt auch das gewaltsame Vorgehen, ebenfalls meldet die 
Klinik in Jena unerwartet gute Erfolge der Bossimethode. Der Verf. 


quetschung. 

Die Gefall 


Original from 

SITY OF MICHIGAN 



26 


THERAPEUTISCHE KDNlfeOHÄC : T A 'Vfc * 



wenigstens bin ich niemals zeitig benachrichtigt worden; Der 
Hauptgrund liegt wohl darin, daß wegen der verhältnismäßigen 
Seltenheit dieser Fälle die Hebammen der großen Bedeutung 
sich nicht immer bewußt sind (leider viele Aerzte aber auch 
nicht) und ferner Schulter- und Steißlagen verwechselt werden. 
So verschiebt praktisch die Lage sich zu Ungunsten des Ballons, 
bei dessen Gebrauch neue Stunden verloren gehen. Mit dem 
Bossi aber braucht nur gedehnt zu werden bis soweit, daß die 
Hand des Geburtshelfers durch kann, um einen Fuß zu 
ergreifen. Also Risse sind in diesem Falle nicht zu befürchten. 
Der Einwand, ein Kindesarm könne zwischen die Branchen 
des Bossi fallen, ist nicht stichhaltig, denn der Arm würde 
davon keinen Schaden erleiden. Ernster ist es, wenn man 
einen Nabelschnurvorfall vorfindet, der durch den Bossi die 
Gefahr der Quetschung erlitte. Ich würde in solchem Fall 
reponieren, eine ausgekochte Binde oder dergl. als Tampon 
hinterherstopfen und nun den Bossi anwenden. 

Als Ergebnis meiner Betrachtungen komme ich zu dem 
Resultat, daß in allen ganz ernsten Fällen der Praktiker sich 
nur auf den Bossi verlassen kann. (Fortsetzung folgt.) 


Die Seneszenz und die Immunität 

mit der Fragestellung: 

Gibt es eine Möglichkeit, um nach einer rationellen 
Therapie der Alterserscheinungen zu suchen?*) 

Von Dr. M. Tranjen, Divisionsarzt in Plewna (Bulgarien). 

Mittel, mit welchen wir die krankhaften Erscheinungen, 
die dem höheren Alter eigen sind, zu bekämpfen suchen, haben 
wir recht viele. Alle solche Mittel sind selbstverständlich aus- ! 
schließlich symptomatischer Natur, da es keinem wissenschaft¬ 
lich denkenden Arzte bis heute möglich war, anzunehmen, daß 
man gegen ein so allgemein gütiges biologisches Gesetz, wie 
es das Altwerden ist, kurativ oder vorbeugend Vorgehen kann, 
mit einem Worte: gegen die Ursachen derselben anzukämpfen. 
Was das Wesen der Ursachen betrifft, so konnte man es sich 
nicht anders vorstellen, als ein Etwas, was den mehrzelligen 
Organismen evolutionistisch angezüchtet worden ist und so tief 
im Wesen des Lebens steckt, daß unser Können hier Halt 
machen muß. 

Der Einblick aber in die Einrichtungen des tierischen 
Organismus, den uns die jüngste der Wissenschaften der 
medizinischen Forschung ermöglicht hat, scheint mir von weit¬ 
gehender Bedeutung auch für die hier uns interessierende Frage 
zu sein. Ich meine damit die wunderbaren Entdeckungen der 
Immunitätslehre. Dieser Wissenszweig der Medizin, der noch, 
was Alter anbetrifft, in den Kinderschuhen steckt, 'hat in 
kurzer Zeit uns verblüffende Tatsachen gezeigt, die uns auf¬ 
fordern, unser Wissen, unsere Ansichten in den anderen Dis¬ 
ziplinen der medizinischen Wissenschaft gründlich zu revidieren 
— etwa so wie die Entdeckungen des Radiums zur Ueber- 
prüfung der Unfehlbarkeit des Gesetzes von der Erhaltung der 
Kraft geführt hat. 

Ohne auf die Details dieser Entdeckungen einzugehen, sei 
hier nur angeführt, daß man, um sie einheitlich zu erklären, 
einer ganz neuen Theorie bedurfte, einer Theorie, die P. Ehrlich 
mit genialem Denkersinn erfunden und deren Ausarbeitung er 
mit unermüdlichem Fleiße gefördert hat. Es ist die sogen. 
Seitenkettentheorie. Nach dieser Theorie, die dem Charakter 
der entdeckten Tatsachen genau angepaßt ist, besitzen die 
Zellen des tierischen Organismus die Fähigkeit, der Tätigkeit 
derjenigen ihrer Molekülgruppen, die unter gewöhnlichen Ver¬ 
hältnissen für den normalen Ablauf der Chemismen der Zellen¬ 
ernährung zu sorgen haben, eben der sog. Seitenketten unter 
gewissen Umständen, z. B. beim Eindringen körperfremder und 
köi perfeindlicher Stoffe, eine ganz andere Richtung zu geben. 
Beim Eindringen eines solchen Stoffes nämlich übernehmen 
diese Seitenketten die Funktionen eines Schutzstoffes, eines 
Verteidigers der Zelle gegen die Angriffe des ungebetenen 

*) lieber seine Vorschläge zur experimentellen Lösung dieser Frage 
wird der Autor in Kürze an dieser Stelle ausführlich berichten. P. Red. 


Gastes. Zn diesem Zwecke unternimmt die Zelle eine regel¬ 
rechte Mobilmachung, indem sie die tauglichen Seitenketten 
ins Kriegsgebiet wirft und gleichzeitig dafür sorgt, daß aus 
ihrem Inneren ebensolche Ketten in ungeheurer Zahl ihnen 
nachgeschickt werden. Die Seitenketten verlassen die Zelle, 
um den Feind zu überfallen und unschädlich zu machen. Diese 
Seitenketten, die auf der Zelle sitzend, als Rezeptoren funktio¬ 
nieren, haben sich zu Antitoxinen herausgebildet I Trifft es sich 
aber, daß der eingedrungene Feind zu stark, zu groß, zu kom¬ 
pliziert, zellenähnlich ist, so wird eine andere Waffengattung, 
andere Rezeptoren ins Feld geschickt, nämlich die sogen. Ambo¬ 
zeptoren, die sich im Körperarsenal passende Waffen aussnchen, 
die sogen. Komplemente, mit denen sie selbst gigantische Feinde 
vernichten können. Es geschieht nun auch, daß die Tierzelle 
sehr lange Zeit hindurch keinen Frieden schließen will und 
fortwährend neue Verteidiger in den Krieg schickt, trotzdem die 
eingedrungenen Feinde längst verschwunden sind. Wenn dann, 
selbst nach Jahren, demselben Feinde gelüsten sollte, in den 
Körper einzudringen, so kommt er nicht einmal über die 
Schwelle. Es ist das der Zustand, den wir Immunität nennen, 
da der Körper dann für diesen Feind unzugänglich ist 

Bei aller Gescheitheit der Tierzellen, die sie hier be¬ 
kunden, sind sie doch sehr leicht zu überlisten, zu täuschen. 
Führt man nämlich wiederholt in den Tierkörper solche Feinde 
in sehr kleiner Zahl ein, so daß sie ihm * gar nicht schaden 
können, so treten doch die Körperzellen mit derselben Wut und 
Unerbittlichkeit in den Kampf ein, als ob dem Körper irgend¬ 
wie eine Gefahr gedroht hätte. Sie haben sich überlisten 
lassen! Durch diese List wird der#betr. Körper künstlich 
aktiv-immun gemacht und wird zum Wohltäter von schwachen 
Zellenstaaten, die dem Angriffe solcher Feinde zu unterliegen 
drohen, indem man einen Teil der Armee des so überlisteten 
Körpers dem kämpfenden Schwächling einverleibt, der dadurch 
passiv-immun wird und wenigstens eine Zeit lang Ruhe hat. 
Diese Form der Definition der Seitenkettentheorie habe ich nur 
deshalb gewählt, um in möglichst scharfem Relief das Wunder¬ 
same hervorzuheben, das den Tatsachen, die diese Theorie zu 
erklären hat, anhaftet. Denn nur durch diese Theorie kann 
man sich solche Tatsache erklären. Dabei ist die Theorie 
durch« viele Experimente, die die Richtigkeit des deduktiv von 
ihr Abgeleiteten bewiesen, erhärtet und befestigt worden. Diese 
Theorie, die ein weites Arbeitsgebiet eröffnet, wird zum Leit¬ 
gedanken bei den verschiedenen Versuchen der rationell¬ 
ätiologischen Therapie. Ohne die Begriffe, die diese Theorie 
präzisiert hat, könnten wir uns über die Ergebnisse der 
modernen Immunitätsforschung überhaupt gar nicht ver¬ 
ständigen. Die Arbeiten nun, die mit der Seitenkettentheorie 
als Leitgedanken unternommen worden sind, haben uns ge¬ 
lehrt, daß durch das Einverleiben von verschiedenartigsten 
Stoffen in den Tierorganismns in demselben Gegenkörper ent¬ 
stehen, die spezifisch vernichtend oder verändernd auf solche 
Stoffe innerhalb des Körpers und, was besonders staunenswert 
ist, auch außerhalb ' desselben im Reagenzglase wirken. Die 
Stoffe, die derartig Antikörperbildung anregen, können vom 
Tier, aber auch von der Pflanze stammen — von der Pflanze 
sind nun allerdings nur sehr wenige solcher Stoffe bekannt. — 
Bei den Tierstoffen ist die Hauptbedingung einer solchen 
Wirkung die, daß der Stoff einen gewissen Grad von Fremd¬ 
artigkeit und Verschiedenheit dem einzuverleibenden Tierkörper 
gegenüber besitzt. Dabei brauchen sie nicht giftig zu sein. 
Auf diesem Wege haben wir eine Reihe von Antikörpern kennen 
gelernt, die wir nach dem Charakter des Ablaufes ihrer Ein¬ 
wirkungen auf ihren Hervorrufer, die Reaktion, als Antitoxine, 
Zytotoxine, Lysine, Koagglntinine, Präzipitine, Eiweißpräzipi¬ 
tine usw. bezeichnen. Je näher der Stoff und der zu behandelnde 
Körper verwandt sind, desto schwieriger wird es, eine dies¬ 
bezügliche Einwirkung zu konstatieren und, um die Einwirk¬ 
ungen bei höheren Verwandtschaftsgraden und unbedeutenden 
Verschiedenheiten zu erkennen, mußten sehr sensible, feine 
Reaktionen erst ausfindig gemacht werden. Solche empfind¬ 
liche Reaktionen besitzen wir in der sogen, kreuzweisen Im¬ 
munisierung, der Komplementsbildungsmethode und der sogen. 
Absättigungsmethode. Mittels aller derartigen Reaktionen und 


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i908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


27 


sehr sinnreichen Versuchsordnungen gelingt es, auch schwache 
Grade von Fremdartigkeit nachzuweisen. Aus dem Verlauf der 
Reaktionen können selbst Beweise für die Darwinsche Desze- 
denztheorie mit dem Reagenzglase in der Hand geliefert, 
die Verwandtschaft von Hase und Kaninchen, Pferd und 
Esel, Mensch und Affe demonstriert werden. Das Empfind¬ 
lichste bei diesen Reaktionen ist das, daß sie spezifisch sind, 
denn die Spezifität zeigt uns, daß selbst die gleichen Bestand¬ 
teile verschiedener Organe eines und desselben Organismus 
noch von einanderzu unterscheiden sind. Wenn beispielsweise 
Zellen einer Niere des Kaninchens beim Hunde Cytotoxine gegen 
Kaninchenniere erzeugen können, die auf das Kaninchen hirn aber 
nicht einwirken, so beweist das doch unzweifelhaft, daß selbst 
die gemeinsamen chemischen Körper, sagen wir die Albumine 
der Kaninchenniere von denjenigen des Kaninchenhirns noch 
zu unterscheiden sind. Die Spezifität geht so weit, daß man 
das Bluteiweiß des Huhnes von demjenigen des Hühnereies noch 
zu unterscheiden vermag. 

In Anbetracht solcher Entdeckungen, die uns einen un¬ 
geahnten Einblick in das Wirken der tierischen Organismen, 
Organe und wohl hauptsächlich Zellen eröffnen, scheint es mir 
nicht unberechtigt, den Wunsch zu äußern, unsere Begriffe und 
Ansichten über das Wesen und die Ursache des Alterns der 
Revision zuzuführen, umsomehr, als wir ja in dem Zeitalter 
der „Umwertung aller Werte“ leben. 

Wenn ich nun zu unserer Frage übergehen soll, so möchte 
ich zuerst daran erinnern, daß die Erscheinungen, die das 
Altwerden ausmachen, insgesamt in das Gebiet der Pathologie 
gehören. Alle Involutions- und Seneszenz-Symptome, wie die 
verschiedenen Atrophien und das Ueberhandnehmen der un¬ 
edlen Körpergewebe auf Kosten der edlen, haben ihre Para¬ 
digmen in der Pathologie der jüngeren Lebensperioden. Nach 
unseren heutigen Begriffen vom Wesen und Ursachen der 
Krankheiten würde uns am besten das Auftreten und Zu¬ 
sammentreffen der Altersveränderungen verständlich gemacht 
werden, wenn wir die auslösende Ursache als eine Auto¬ 
intoxikation auffassen könnten, als eine Autointoxikation, 
die den normalen Stoffwechsel so alteriert, daß die Seneszenz 
auftreten muß. Die Autointoxikation wäre also eine chronisch 
schleichende, hervorgerufen durch die unvollkommenen regu¬ 
latorischen Einrichtungen des Tierkörpers, die selbst die physio¬ 
logischen Reize, die den Körper von Geburt an treffen, nicht 
vollständig ausgleichen. Es häuften sich daher feine und 
feinste Schädigungen an, die schließlich sich zu den verschieden¬ 
artigsten Stoffwechselanomalien verdichten, die die regenerativen 
Prozesse so weit verändern, daß das, was wir Seneszenz nennen, 
eintritt. Eine solche" Erklärung des Alters ist dem Prinzipe 
nach gar nicht neu. und es ist ihr oft genug auch wider¬ 
sprochen worden. Allein unserem heutigen toxikologischen 
Denken drängt sie sich förmlich auf. Wäre nun das, was wir 
hier annehmen, erwiesen, so könnte man, wollte man der 
Phantasie freien Lauf lassen, sich vorstellen, daß man es ver¬ 
suchen könnte, junge Individuen gegen diese Alterstoxine 
künstlich widerstandsfähiger zu machen, indem man sie mit 
dem Serum oder Gewebssäften greiser Individuen behandelt 
und das Serum der durch diese Behandlung aktiv altersimmun 
gewordenen jüngeren Individuen zum Hervorrufen von passiver 
Immunität bei schon alterskranken Organismen verwendet. — 
Das junge Tier wäre hier das Pferd, das alte der Diphtherie¬ 
kranke in der Lehre von dem Antidiphtherieserum. Vorläufig 
aber auf dem Boden der exakten Forschung fußend, schlage 
ich vor, durch Versuche zu beweisen, daß der senile Körper 
wirklich chemisch-biologisch anders reagiert als der junge. 
Man soll versuchen,' ob z. B. das Serum eines Kaninchens, das 
durch Behandlung mit dem Blute eines ganz jungen Hundes 
hundeblut-hämolytisch gemacht worden ist, auch dieselbe Wir-' 
kung auf das Blut greiser Hunde ausübt. Es ist bis jetzt 
leider, wie mir von kompetenten Seiten versichert worden ist, 
bei den serologischen Versuchen darauf nicht geachtet worden. 
Bedenkt man die Resultate Weichardts, dem es gelungen 
ist, durch eine von ihm entdeckte Methode der „ Absättionng“ 
das Serum eines Menschen A. von einem Menschen B. zu 
unterscheiden, und den neuesten staunenswerten Erfolg Wasser¬ 


manns, dem es geglückt ist, mittels der sogenannten Komple¬ 
ment-Bindungsmethode die syphilitischen Toxine noch da nach¬ 
zuweisen, wo sonst von Syphilis nichts mehr zu finden ist, 
und damit u. a. die syphilitische Natur der Tabes bei ca. 80% 
der Kranken objektiv zu beweisen, so scheint es einfach un¬ 
wissenschaftlich, a priori die Möglichkeit des positiven Er¬ 
folges bei den hier vorgescblasrenen Versuchen abzulehnen. 
Die Tatsache, daß Tiere durch Krankheiten, die manchmal nur 
einige Tage dauern, für lange Zeit hindurch in chemi>ch-biolo- 
gischer Beziehung sich verändern, müßte uns im Gegenteil 
einen negativen Ausfall dieser Versuche, was beweisen würde, 
daß jahrzehntelange Phasen des Lebens den Organismus in 
dieser Richtung ganz unbeeinflußt lassen, als etwas recht Un¬ 
wahrscheinliches erscheinen lassen. Diese Versuche, die ich 
hier vorschlage, verdienen m. E. nach gemacht zu werden, um¬ 
somehr, als sie gar keine besondere Mühe und Zeit kosten 
werden, da es vollkommen genügt, bei den serologischen Ver¬ 
suchen, die in den verschiedensten Absichten gemacht werden, 
nur noch eine Rubrik, noch eine Notiz über das Alter der in 
Frage kommenden Tiere zu machen. 

N achtrag. 

Nach Niederschreibung dieser Zeilen kam ich in die an¬ 
genehme Lage, diesbezügliche Versuche selbst anzustellen, 
d. h. auf Unterschiede in dem Verhalten von jungen und alten 
Körperelementen mittels der hier angegebenen Reaktionen zu 
fahnden. Wenn ich auch zur Zeit nicht wagen kann, das 
Resultat dieser Versuche als etwas schon Feststehendes zu 
proklamieren, so kann ich doch soviel sagen, daß der bisherige 
Erfolg nichts weniger als entmutigend zu deuten ist. 
Ich glaube, nun jetzt um so eindringlicher auf die Inangriff¬ 
nahme solcher Versuche seitens der Serologen dringen zu 
müssen. Denn, um die aufgeworfene Frage selbst nur teil¬ 
weise zu lösen, bedarf es der Mitarbeit vieler, sehr vieler. 


REFERATE. 


Massage. 

Sammelreferat von Dr. J. Eiger, 
leitendem Arzt des Berliner Ambulatoriums für Massage. 

Wetter wald kontra Ziegenspeek. — Tkure Brandt-Massage in Deutschland. 
— Laiemnassage. — Technik der Massage: Bum, Krnkenberg, Hulki — 
Massage bei Herzleiden, Nervenkrankheiten, akuter Muskelatrophie, bei 
Skoliose der Schulkinder, von den Müttern ausgeführtj Atemgymnastik und 
Kriechübungen Skoliotischer, HeLßluftbebandlung. — Luftmussage. 

In einer längeren Abhandlung über die Anwendung der 
Thure Bran dt-Methode in Deutschland kommt der Fianzose 
Wetter wald (1) zui> Ueberzeugung, daß diese Methode, nach 
der Art ihrer jetzigen Anwendung in Deutschland nach einigen 
Jahren der Vergessenheit anheimfallen wird. Seiner Beurteilung 
legt er vor allem das Werk Ziegenspecks „Massagebe° 
handlung bei Frauenleiden 41 zu Grunde, sowie die"Beob¬ 
achtungen, die er an de>sen Klinik zu machen Gelegenheit hatte. 
Bei aller Anerkennung der Verdienste Ziegenspecks wendet 
er sich gegen die sogenannte „Vereinfachung“ und „Vervoll¬ 
kommnung“, die die Methode in Deutschland erfahren lmt. mit 
Recht gegen die Weglassung der Gymnastik, gegen den Ersatz 
des forschenden Fingers durch Kautschukobturatoren. W. zieht 
leichte, von Pausen unterbrochene Vibrationsmassage der ener¬ 
gischen Massage, schmerzhaftem Strecken, vor. 

Wenn W. sich zu einem generalisierenden Urteil über die 
deutsche Massagetherapie hinreißen läßt und dieser zu energi¬ 
sches Zugreifen, also Mangel an feinerer Technik vorwirft, 
muß dem entgegnet werden, daß es stets der Grundsatz der 
Schule Zabludowskis gewesen ist, mit geringstem Kraft¬ 
aufwand die möglichst größte Wirkung zu erzielen" Nicht nur 
in Frankreich, auch in Deutschland 1 bemüht man sich, der 
wahren Tradition der Masseure aller Zeiten zu folgen, das 
zarte Anfassen zur Grundlage der Massage zu machen. 



28 


MeraMItische RÜNÖSÖflAÜ. 



In einer Polemik in Form von Fußnoten zur Uebersetzung 
von W.s obiger Abhandlung gibt Ziegenspeck (2) an, die 
Entbehrlichkeit der Heilgymnastik, gleichzeitig mit der Massage 
ausgeführt veranlasse ihn, sie nur für spezielle Fälle beizu¬ 
behalten und ihren Unterricht Berufeneren zu überlassen. Er 
lasse die Kranken die Uebungen zu Hause machen, wie es 
Brandt auch zuletzt tat. 

Während die Brandt sehe Massage immer mehr mit Vor¬ 
sicht und in ausgewählten, besonders angezeigten Fällen, also 
weniger als in früheren Jahren von den Frauenärzten ange¬ 
wandt wird, beschäftigen sich leider noch viel zu viel Laien 
damit, obwohl es ein Noli-me-tangere für sie sein sollte. 

M. Linder (3) hat jetzt ein Handbuch der Thure 
Brandt-Massage für Masseure als Laie für Laien ge¬ 
schrieben und damit an die dringende Notwendigkeit erinnert, 
den Laien die selbständige Behandlung der Kranken zu 
verbieten. — Dies wird auch in dem trefflichen Lehrbuch für 
Heilgehilfen und Masseure, Krankenpfleger und Bademeister 
vom Geh. Medizinalrat Dr. Granier (4) betont, das in neuer, 
vermehrter Auflage erschien. Wie in der vorigen nimmt Bade- 
und Krankenpflege breiteren Raum ein, Hand- und Fußpflege 
ist neu aufgenommen, Aderlaß, der nach neuerer Verfügung 
von den Aerzten selbst vorgenommen werden soll, fortgelassen 
worden. Ebenfalls für Laien, aber mehr für das große Publi¬ 
kum, ist Briegers gemeinverständliche Darstellung des Wesens 
der Massage in der von Koßmann herausgegebenen „Gesund¬ 
heit“ (5). 

Bum (6) bietet im vierten Hefte der Physikalischen Therapie: 
.,Physiologie und Technik der Massage“ ein reich¬ 
liches Literaturverzeichnis und behandelt darin die physiologi¬ 
schen Grundlagen der Massage eingehender als ihre Technik, 
mit der er sich in seinem in vierter vermehrter Auflage er¬ 
schienenen Handbuch der Massage und Heilgym¬ 
nastik um so ausführlicher beschäftigt (7). 

In dem großzügig angelegten und gut ausgestatteten, von 
Joachimsthal herausgegebenen Handbuch der ortho¬ 
pädischen Chirurgie bringt Krukenb er g(8) einen Bei¬ 
trag über mechanische Behandlung der Deformitäten mit 
Massage, Gymnastik und seinem engeren Spezialgebiete, 
Mechanotherapie. Die Wichtigkeit der Technik der Massage 
scheint er denn doch ein wenig zu unterschätzen, wenn er 
meint, daß es gleichgültig sei, ob Finger oder Hand so oder 
so gehalten werden. Es ist sowohl für die Patienten als auch 
für die Wirkung nicht gleichgültig, wenn z. B. das Handgelenk 
locker gehalten wird und, wie Wetterwald oben mit Recht 
verlangt, möglichst zart und rücksichtsvoll gearbeitet wird. 
Die Vervollkommnung der Technik und die Aneignung feinerer 
und zuweilen komplizierter Handgriffe werden den Arzt besser 
instandsetzen, den Krieg gegen die Kurpfuscherei erfolgreich 
zu führen, ihn eher veranlassen, Kranke nicht völlig den 
Händen von Laienmasseuren zu überlassen, wie es noch zu 
häufig geschieht. 

Es muß Kr. vorbehaltslos beigepflichtet werden, wenn er 
auf die Indikationsstellung im einzelnen Falle großen Wert legt. 

Einen xVbriß der Massage bringt auch Ho ff a (9) in der 
.Therapeutischen Technik für die ärztliche Praxis“ 
(von Schwalbe herausgegeben), es ist dies ein kurzer Aus¬ 
zug aus seiner „Technik der Massage“, die in vierter 
verbesserter Auflage erschien. 

Bei Herzinsuffizienz_ empfiehlt Sei ig-Franzensbad Herz¬ 
vibrationen, durch die er oft schon nach einer einzigen Sitzung 
bedeutende Herzverkleinerung herbeiführte, außerdem Besse¬ 
rung von Asthma cardiale und Angina pectoris; auch Franze- 
Nauheim wandte mit Erfolg in Verbindung mit elektrischen 
Zellenbädern zur Kräftigung des Herzmuskels Erschütterung 
des Brustkorbes an, besonders mittels Vibrationsmassage. Die 
Massage trägt zur Schonung des Herzens erheblich auch noch 
dadurch bei, daß sie durch Erweiterung der Haut- und Muskel¬ 
gefäße die Widerstände im Kreisläufe herabsetzt, so die Muskeln 
auswäscht, indem sie die Abbaustoffe mechanisch in die all¬ 
gemeine Zirkulation hineinbringt. 

Neben der Elektrotherapie behauptet die Massage in der 
Nervenheilkunde ihren ersten Platz, so wird bei Tabes 


schonende Massage von Tobias-Kindler (10) zur Beseitigung 
der Obesitas, Obstipation, zur Kräftigung der Muskulatur, zur 
Beruhigung und Anregung, Vibrationsmassage zur Erzielung 
suggestiver Erfolge, die unblutige Dehnung des N. Ischiadic. 
nach Zabludowski gegen hartnäckige lanzinierende Schmerzen 
mit Erfolg angewendet. 

E. S. Mc. Kee-Cincinnati(11) (Blätter f. klin. Hydrother. 
2, 07) findet, daß die Massage, besonders Vibration bei chroni¬ 
schen Fällen von Ischias mit beginnender Atrophie von 
großem Werte sei. Durch allerdings schmerzhafte Lösung der 
Adhäsionen längs der Nerven werde häufig die Ursache der 
Krankheit beseitigt. Tobias hält Massage bei nervöser 
Diarrhöe für kontraindiziert. 

Bei der infolge von Gelenks- und Knochenerkrankungen 
zugleich auftretenden Muskelatrophie, die hauptsächlich 
die Streckmuskeln ergreift, hat die Massage ihre dominierende 
Stellung behauptet. Bum (12) hält sie für eine Folge von In¬ 
aktivität und sucht es experimentell zu beweisen, während 
Hof f a(13) annimmt, daß es sich um eine reflektorische Atrophie 
handelt. 

Zur Behandlung der Skoliose der Schulkinder schlägt 
Bisalski(14) vor, den Müttern der Kinder, bei welchen man 
die Deformität im Anfangsstadium findet, die leicht zu hand¬ 
habenden Handgriffe der Rückenmassage, gymnastische Ueb¬ 
ungen und Kriechbewegungen beizubringen, damit die Behand¬ 
lung zu Hause durchgeführt werde. 

Die apparatlose Behandlung der Skoliose ist ein wert¬ 
volles Hilfsmittel für den praktischen Arzt auf dem Lande, 
fern von den großstädtischen orthopädischen Instituten und im 
Hause des Patienten, wenn das mit Schularbeiten in Anspruch 
genommene Kind keine Zeit zum Besuche der Turnstunden 
hat. Hierzu gehört die von Kirchberg in unserer Massage¬ 
anstalt eingeführte Atmungsgymnastik skoliotischer und lym¬ 
phatisch-anämischer Kinder, über deren Methode und Indikation 
er in nächster Zeit berichten wird. 

Daneben hat sich auch die von Klapp (15) angegebene 
Methode der Kriechbewegungen sehr bewährt, die über 
ein Jahr im Berliner Ambulatorium für Massage vom Referenten 
angewendet wird. Die Methodik der Kriechbewegungen be¬ 
steht 1. in schnellen Vorwärtsbewegungen mit seitlichen Be¬ 
wegungen der Wirbelsäule, 2. in langsamem Kriechen, die ein¬ 
zelnen Tempi werden in Absätzen ansgeführt, 3. Kriechen 
am Ort. 

Außerdem wendet Klapp bei Skoliose Heißluftbehand- 
lung des Rückens an. 

Ueber seine Erfahrungen mit Heißluftbehandlung 
berichtet Prof Schlatt er (16), der ca. 130 Patienten damit be? 
handelt hat und fand, daß der Heißlufteffekt den der Massage 
zu übertreffen schien, doch wurde wiederholt bei unbefriedi¬ 
gender Heißluft Wirkung zur altbewährten Massage zurückge¬ 
griffen. 

Durch einen Luftmassageapparat erzeugt Klapp(17) 
einen möglichst kräftigen Luftstrom, den er kalt oder warm 
statt der Handmassage in Anwendung bringt. Es handelt sich 
hierbei um Erzeugung eines Ueberdruckes mittels Luftpumpe, 
wie er auch von Zabludowski (18)mit dessen Universalmassage¬ 
apparat [angefertigt bei Reiniger, Gebbert & Schall, Erlangen] *) 
hervorgebracht und bei der kosmetischen Massage in Anwen¬ 
dung gebracht wurde. Durch den Dreiweghahn dieses Appa¬ 
rates kann sowohl Luftleere, als auch Ueberdruck und schlie߬ 
lich abwechselnd beides, ein sogenanntes fluktuierendes Vakuum, 
erzeugt werden und so die Ernährung und Sukkulenz der Haut 
durch diese von Z. „Pneumomassage“ genannte Behandlung 
erheblich gefördert werden. 

Literatur: 

1. Revue de Kinesie, Januar 1907, Tours. 

2. Monatsschrift für praktische Wasserheilkunde. München 1907. Nr. 4, 

5 und 6. 

3. Linder, Max: Thure-Brandtsche Massage und Gymnastik sowie Wasser¬ 

behandlung. Dresden 1907. E. Piersons Verlag. 

4. Granier, Dr. R., Geh. Med.-Rat und Kreisarzt in Berlin: Lehrbuch 

für Heilgehilfen und Masseure, Krankenpfleger und Bademeister. Im 

amtlichen Aufträge verfaßt. 5. Auflage. Berlin 1907. R. Schoetz. 

*) Vergl. diese Nummer „Technische Neuerscheinungen“, S. 36. 


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UNIVERSSTY OF MICHIGAN 






TIÄP^ÜTISCHI RUNDSCHAU. 


29 


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S ^Die Öesundheit“, herausgegeben von Kofi mann.. Stuttgart, Berlin, 
.• ulieipzig 1907. 

,- ö. 4 1Äafkuap-Straaf er: Physikalische Therapie in Einzeldarstellungen. 
4. Heft: Bum: Physiologie und Technik der Massage. Stuttgart. 
F. Enke. " 6 

7: Hum: Handbuch der Massage und Heilgymnastik. Urban und Schwarzen¬ 
berg. Berlin-Wien 1907. 

. 8. Krukenberg: Mechanische Behandlung der Deformitäten, im Hand¬ 
buch der orthopädischen Chirurgie, herausgegeben von Joachims¬ 
thal. Jeüa 1905 bis 1907. Bei Gustav Fischer. 

9. Hoffa: Technik der Massage. Stuttgart 1907. 

10. E. Tobias und E. Kindler: Die physikalische Behandlung der 

Tabes dorsalis. Berliner klinische Wochenschrift, 9, 10, 1907. 

11. E. S. Mc. Kee: Behandlung der Ischias. Blätter f. klin Hydrother. 

2, 1907 ' 

12. A. Bum: Ueber arthritische Muskelatrophie. Wiener mediziu. Presse, 

51, 1906. 

13. A. Hoffa: Uebung, Gymnastik und Massage bei der Behandlung von 

Knochen- und Gelenkserkrankungen. Zeitschrift für ärztliche Fort¬ 
bildung,.!, 1907. 

14. Bisalski: Was können die Schulärzte zur Behandlung skoliotischer 

Volksschulkinder tun? Zeitschrift für Schulgesundheitspflege, 8 und 
9, 1906. 

15. Klapp: Behandlung der Skoliose mit dem Kriech verfahren. Zeitschrift 

für ärztliche Fortbildung, 23, 1906. 

16. Schiatter, Carl: Ueber die Bi er sehe Hyperämiebehandlung. Korr.- 

BI. f. Schweizer. Aerzte, 13, 1907. 

17^ R. Klapp: Ueber Luftmassage. Münch, medizin. Wochensehr., 1,1907. 
18. Zabludowski: Zur physikalischen Therapie der habituellen Obsti¬ 
pation und der sexuellen Neurasthenie. Berlin 1906. 


1. Der Verf. spricht vielfach Ansichten aus, die sich so weit 
von den Gesichtspunkten entfernen, welche die heutige Kinder¬ 
heilkunde zu befolgen pflegt, daß der Praktiker, welcher sich den 
Ratschlägen des Heftchens anvertraut, jedenfalls nicht nach all¬ 
gemein akzeptierten Grundsätzen seine Patienten • beraten wird. 
So mutet es sehr ungewohnt an, zu lesen, daß für Kinder bis 
zu 18 Monaten aufgeschlossene Kindermehle notwendig seien, ja 
daß selbst von diesen dextrinirierten KiDdermehlen eine größere 
Zahl (z. B. Knorr, Rademann, Kufeke) wegen ihres Gehaltes an 
schwer löslicher Stärke nur für Kinder über 18 Monate geeignet 
seien. Auch Zwieback soll nach der Ansicht des Verf.s erst von 
Kindern, die über 18 Monate alt sind, vertragen werden. 

Gemüse, die wir mit gutem * Grund schon ' vor Ablauf des 
ersten Lebensjahrs in die Ernährung gesunder Kinder einzu¬ 
beziehen pflegen, werden von Monti erst gegen Ende des zweiten 
Jahrs gereicht; dagegen findet er den Zusatz von schwarzem 
Kaffee zur Milch im Alter von IV 2 Jahren nicht schädlich, sondern 
sogar günstig. — Daß Kinder unter 2 Jahren bei jeder Mahlzeit 
ein gewisses Quantum Wasser trinken sollen, und zwar mindestens 
150 bis 200 g, weil der Genuß guten Trinkwassers für die nor¬ 
male Verdauung wichtig sei, ferner daß man schon im zweiten 
Lebensjahr in der Ernährung für möglichste Abwechslung sorgen 
soll, sind Vorschriften, die nicht jeder Kinderarzt für zweckmäßig 
halten dürfte. 


. Orthopädie. 

Referent; Spezialarzt Dr. P. Zander, Berlin. 

1. Die praktische Anwendung der Lokalanästhesie hei Frak¬ 
turen. Von. Lerda-Turin. Zentralbl. f. Chir., 1907, Nr. 49. 

2. Zur Aetiologie der Madelnngschen Deformität. Von 
E wald - Heidelberg. Arch. f. klin. Chir., 1907, Bd. 14, Heft 4. 

1. Nachdem schon früher von Couway und Reclus der 
Versuch gemacht wurde, bei Frakturen Lokalanästhesie anzu¬ 
wenden und Braun in seinem Lehrbuch über die Lokalanästhesie 
darauf hinweist, daß ein kleiner Teil der komplizierten Frakturen 
mit Lokalanästhesie behandelt werden könnte, hat Ler da bei 
ca. 30 Fällen von Frakturen die Lokalanästhesie angewandt. Er 
injiziert eine V 2 %ige Kokain-Kochsalzlösung, der er einige Tropfen 
Adrenalin zusetzt, mit einer langen Nadel zwischen die Fragmente 
und tangential zu denselben. Nach sechs bis zehn Minuten ist 
die Anästhesie vollständig, die Muskelkontraktionen sind ge¬ 
schwunden, so daß man ohne weiteres die Reposition ausführen 
und den Verband anlegen kann. Notwendig ist eine genaue 
Diagnose der Frakturstelle. 

Der Eingriff ist ein so kleiner und mit den Mitteln, die dem 
praktischen Arzt zur Verfügung stehen, so leicht auszuführen, 
daß sich ein Versuch unbedingt lohnen dürfte, zumal man dabei 
so manche Allgemeinnarkose ersparen kann. 

2. Ewald bespricht unter Berücksichtigung der Literatur 
an der Hand eines Falles aus der Vulpiussch^n Klinik das 
Wesen und die Aetiologie der Madelungschen Deformität. In 
seinem Falle entwickelte sich diese im Anschluß an eine Kom¬ 
pressionsfraktur der unteren Radiusepiphyse. Eine vorgenommene 
schräge Osteotomie des Radius ergab keinen Erfolg. 


Kinderheilkunde. 

Referent: Privatdozent Dr. J. Ibrahim, München. 

1. Die Ernährung der Kinder vom ersten Lebensjahre bis 
zur Pubertät. Von A. Monti. Beiheft zur Medizin. Klinik, 
1907, Nr. 11. 

2. Das Problem der künstlichen Ernährung der Säuglinge. 
Von L. Langstein. Berl. klin. Woehenschr., 1907, S. 1539. 

3. Mosers Serum als Heilmittel bei Scharlach. Von B. A. 

Egis und N. J. Langorov. Jahrb. f. Kinderheilk., Bd. 66, 
Heft 5. ‘ 

4. Beobachtungen über die Behandlung des Scharlachs mit 
Mosers Serum. Von W, J, Moitschanoff, Ibidem. 


2. Dieser Vortrag und die anschließende Diskussion (S. 1621) 
geben einen sehr klaren Ueberblick über die Probleme, mit denen 
die heutige Forschung auf dem Gebiet der künstlichen Säuglings- 
emährung sich beschäftigt, und bergen manche praktische Aus¬ 
blicke , obschon sie sich im ganzen mehr auf wissenschaftlichem 
Boden bewegen. 

Langstein geht aus von der Berücksichtigung der chemi¬ 
schen Unterschiede zwischen Frauen- und Kuhmilch und stellt 
etwa folgende Betrachtungen an. Der mit so großer Hartnäckig¬ 
keit geführte Kampf um die Bedeutung des hohen Kaseingehalts 
der Kuhmilch als schädigendes Moment für den Säugling ist da¬ 
hin entschieden, daß ein solcher Eiweißnährschaden nicht existiert, 
wenigstens sich niemals erweisen ließ, wo mit exakten Methoden 
dieser Frage nachgegangen wurde. Dagegen hat sich in vielen 
Fällen das Fett der Kuhmilch als Ursache schwerster Stör un gen 
erwiesen und die jüngsten Forschungen lassen auch keinen Zweifel 
darüber, daß Kohlehydrate, Mehle wie Zucker, zu schweren chro¬ 
nischen wie akuten Schädigungen führen können. Ganz besondere 
Beachtung verdient ferner der Salzgehalt der künstlichen Nahrung. 
Die Erforschung des Salzstoffwechsels des Säuglings in Gesund¬ 
heit und Krankheit liegen zwar noch im Beginn, aber sie werden 
wohl in Zukunft den breitesten Raum in der Forschungsrichtung 
des Säuglingsstoffwechsels einnehmen müssen. Nicht die einzelnen 
Nährstoffe getrennt, sondern die Erkenntnis ihrer Wechselbezieh¬ 
ungen im Stoffwechsel werden uns zur schließlichen Erkenntnis 
führen. 

Die Denaturierung der Nahrung durch das Kochen oder 
Sterilisieren spielt für die artfremde Nahrung, wie sie die Kuh 
milch darstellt, wohl nicht die Rolle, die ihr vielfach auf Grund 
theoretischer Erwägungen zu geschrieben wird. Der Berücksichti¬ 
gung von Kalorienbedarf und Kalorienzufuhr kommt für die 
künstliche Ernährung die gleiche Bedeutung zu wie für die 
natürliche. 

Die vorstehend kurz skizzierte Betrachtungsweise unterscheidet 
sich wesentlich von der früher üblichen dadurch, daß nicht in 
abnorme Vorgänge der Verdauung, sondern in den Stoffwechsel 
jenseits der Darmwand der Schwerpunkt der Schädigungen ver¬ 
legt wird ; daher spricht die heutige Pädiatrie weniger von Ver- 
dauuDgs- als von Ernährungsstörungen der Säuglinge. Heubner, 
der in der Diskussion auch einige praktische Fragen berührt, 
weist auf die Bedeutung hin, welche einer genauen Beobachtung 
des Gewichts zukommt, warnt aber vor einer schematischen Be¬ 
rücksichtigung der sogenannten Normalkurve. Wichtiger ist die 
Beachtung der sonstigen Zeichen der Gesundheit: Beschaffenheit 
und Farbe der Haut, Derbheit des Unterhautzellgewebes, Kraft 
und Agilität der Muskulatur, gute Stimmung am Tage, fester 
Schlaf bei Nacht. 

Die weitere Diskussion, aus welcher Finkeisteins wertvolle 
Versuche über die Ernährung von neugeborenen Kindern unter 


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Original fru-m 

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30 


THERAPEUTISCHE Büffl)SGHi,0.: 



Berücksichtigung der einzelnen Nahrungsstoffe hervorgehoben seien, j 
beleuchtet die Probleme noch von den verschiedensten Seiten; 
namentlich kommen auch die von Langstein, Heubner, 
Finkelstein und anderen als unwesentlich betrachteten biologi¬ 
schen Gesichtspunkte zur Sprache, die nicht in chemischen Diffe¬ 
renzen, sondern in der „Artfremdheit“ der Nahrung den Haupt-' 
grund erblicken, warum die Kuhmilch sich zur Ernährung der 
Säuglinge oft als ungeeignet erweist. Es dürfte zu weit führen, 
auf diese, sich auf rein theoretischem Gebiet bewegenden Streit¬ 
fragen hier näher einzugehen. 

3. Das 1903 von Moser empfohlene Scharlachserum, welches 
bekanntlich ein Antistreptokokkenserum ist, durch Immunisierung 
von Pferden gegen Streptokokken, die von Scharlachfällen stammen, 
hat sich bisher noch keiner allgemeinen Anerkennung zu erfreuen. 
Namentlich die deutschen Autoren haben sich ablehnend aus¬ 
gesprochen. Die beiden unter 3 und 4 genannten Arbeiten stammen 
aus Moskau. Während die erste Mitteilung auf Grund der Erfah¬ 
rungen an 374 Fällen über ziemlich günstige Erfolge berichtet, 
spricht sich Molt sch an off (40 Fälle) sehr reserviert aus. 

Egis und Langoroy kommen zu folgenden Schlußfolge¬ 
rungen : 

a) Bei der Behandlung von schweren Scharlachfällen mit 
Mosers Serum fällt das Sterblichkeitsprozent von 47,1 bis 
zu 1 6,1. 

b) Das Serum besitzt vorwiegend eine antitoxische Wirkung. 

c) Sein Einfluß auf die Komplikationen des Scharlachs ist 
geringfügig. 

d) Das Serum ist im Verlauf der ersten drei Krankheits¬ 
tage und im äußersten Falle am vierten Tage zu injizieren. 

e) Die Temperatur fällt desto schroffer, je früher das Serum 
injiziert worden ist; in reinen Fallen fällt sie schneller wie in 
komplizierten. 

f) Solange es keine Methode gibt, das Serum zu dosieren, 
muß man auf einmal 200 ccm injizieren, mit Ausnahme des 
jüngsten Kindesalters, wo eine Injektion von 100 bis 150 ccm 
genügend sein kann. 

g) Die Individualität des Pferdes übt einen großen Einfluß 
auf den Wert des Serums, weshalb mehr oder weniger wirksame 
Serien Vorkommen. 

h) In Fällen von Mischinfektion — Scharlach und Diphtherie 
— konnte man bei gleichzeitiger Injektion des Moserseben und 
des Diphtberieheilserums seinen bedeutenden Effekt bemerken, 
wenngleich der Effekt weniger stark ist wie bei reinem Scharlach. 

i) Prophylaktische Injektionen — an beschränktem Material 
ausgeführt — bestätigen die Ergebnisse von Moser. 

k) Die Häufigkeit der Serumkomplikationen und ihre Gravität 
infolge des großen Serumquantums ist die negative Seite des 
Serums. 

4. Moltschanoff äußert sich folgendermaßen: 

Das Mos er sehe Serum ruft unstreitig in der Mehrzahl der 
Falle, wo es angewandt wird, einen beträchtlichen Temperatur- 
abfall hervor, welcher sehr oft von einer merklichen Besserung 
des Allgemeinbefindens (der nervösen Erscheinungen, Puls, Atmung) 
begleitet wird. Doch man kann nicht behaupten, daß das Serum 
einen tiefen Einfluß auf den ganzen Scharlachprozeß ausübt. 
Die Wirkung dem lokalen Rachenhöhlenprozeß gegenüber ist sehr 
schwach, vielmehr nichtig. Komplikationen beugt das Serum 
nicht vor und wirkt, wie es scheint, nicht auf den Charakter des 
Verlaufes derselben. Abhängig davon ist die Fieberperiode und 
die ganze Krankheitsdauer bei den mit Serum behandelten nicht 
kürzer, wie bei den mit dem Serum nicht behandelten Kranken 
gewesen. Die Wirkung des Moserschen Serums wird mit Recht 
für antitoxisch gehalten; auf die Symptome der Infektion übt es 
einen sehr schwachen Einfluß aus. Das Serum soll angewandt 
werden, doch nur in mehr oder weniger ernsten Fällen, besonders 
dort, wo die Erscheinungen von Intoxikationen bemerkbar hervor 
treten. Die Injektion muß früh ausgeführt werden, wenn möglich 
nicht spater als am vierten Tage, denn von diesem Tage an be¬ 
ginnen die Symptome der Infektion in dem Krankheitsbilde vor¬ 
zuherrschen. Zum Schluß beklagt der Autor, daß es bisher nicht 
möglich ist, die Wertigkeit des Serums im Laboratorium fest¬ 
zustellen. 


Lichttheräfdfe. ~ ‘ - 

Referent: Dr. H. E. Schmidt, Oberarzt an der Ch.ari.t6, Berlih. 

1. Röntgenbehandlung gewisser Formen venerischer Bubonen 
durch unmittelbare Drüsenbestrahlung. Von Beiner. Wiener 
klin. Wochenschr. 1907, Nr. 50, 

2. Erfahrungen mit der Quarzlampe. Von Heymann. 
Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 42. 

3. Die Behandlung des Lupus. Von Lang. Wiener med. 
Presse 1Ö07, 10. November. 

4. Zur Behandlung des Vitiligo mit Lichtbestrahlungen. 
Von Moser. Medizin. Klinik 1907, 10. November. 

1. Der Verfasser bespricht die in der E b er mann sehen dermato- 
syphilidologischen Abteilung des k. k. Krankenhauses Wiede in 
Wien geübte Methode der Röntgenisierung strumöser Bubonen und 
der in diese Gruppe gehörenden Mischformen. Bekanntlich ist die 
Röntgenbehandlung der Bubonen zuerst von Herxheimer und 
Hübner ausgeübt und empfohlen worden. An der Ebermann- 
schen Abteilung wird die Methode etwas modifiziert. -Es wird 
nämlich die Haut entsprechend der Configuration der Bubonen im 
ganzen Umkreis unter Lokalanästhesie absretrgaen, dann folgt ein 
leichter Verband und bald darauf die erste Bestrahlung der vom 
Verband befreiten Wunde bei genauer Abdeckung der Umgebung 
mit mittelweiehen Röhren von 20 bis 30 Minuten Dauer in 10 bis 
20 cm Distanz. Eine gleiche Bestrahlung wird in den nächsten 
vier Tagen täglich wiederholt. Dann folgt eine Bestrahlungs¬ 
pause von wenigen Tagen, in welcher die Rückbildung der Drüsen 
und die Epithelisierung der Wunde rasch fortschreitet, so daß der 
Patient ambulant weiter behandelt werden kann. In ca. drei 
Wochen ist der Gesamtheilungsverlauf meist vollständig beendet. 
Nur selten ist es 'nötig, nach der Bestrahlungspause von wenigen 
Tagen noch 2 bis 3 Sitzungen anzuschließen, da eben meist keine 
geschwellten Drüsen in der Wunde mehr nachzuweisen sind. 

Die Vorteile dieser Methode sieht Reines in folgenden 
Punkten: Ausschaltung von chirurgischen, oft wiederholt nötigen 
größeren Eingriffen, absolut auch relativ kurze Heilungsdauer, Ver¬ 
meidung von Komplikationen (Einschmelzung einzelner Drüsen, 
Bildung von Hohlgängen) und eventuell möglichen Röntgender- 
matitiden. 

Die theoretische Begründung dieses Vorgehens kann Referent 
jedenfalls nicht gelten lassen. Die Drüsen sollen durch Abtragung 
der Haut gleichsam röntgenempfindlicher gemacht werden. Ent¬ 
weder ein Gewebe ist röntgen empfindlich oder nicht. Daß es in 
dieser Empfindlichkeit gewisse Differenzen gibt, ist richtig. Aber 
wenn eine dicht unter der Haut gelegene Drüse so wenig röntgen¬ 
empfindlich ist, daß sie auf die Bestrahlung garnicht reagiert — 
genügend penetrationsfähige Strahlen vorausgesetzt! — so wird sie 
sich auch nach Abtragung der Haut nicht anders verhalten. Sehen 
wir doch auch bei den der Wirkung der X-Strahlen unmittelbar 
zugänglichen Canceriden meist rasche Rückbildung, mitunter aber 
auch gar keine Beeinflussung. 

Die Radiosensibilität des Gewebes ist doch die Hauptsache; 
und'wenn sich strumöse Bubonen nach Freilegung‘durch Abtragung 
der Haut zurückbilden, so tun sie es sicher auch nach Bestrahlung 
durch die Haut, vielleicht etwas langsamer. Die vom Verfasser 
empfohlene chirurgische Vorbehandlung dürfte also jedenfalls nicht 
notwendig sein und sich darum wohl kaum einbürgern; 

2. Der Verfasser berichtet über Besserungen, bezw. Heilungen 
von Lupus vulgaris, Angiom, Naevus vasoulosus, 
Naevus pigmentosus, Pigmentation nach syphilitischem 
Exanthem, Psoriasis, Ekzem, Akne vulgaris und. 
Ulkus cruris durch Bestrahlung mit der Kromayersehen 
Quarzlampe, die teils mit, teils ohne Kompression angewandt, wurde. 
Bemerkenswert ist die — auch trotz Verwendung der Methylen¬ 
blaulösung — recht kräftige, vielfach zur Nekrose führende Ober¬ 
flächen Wirkung, die entschieden äußerst unerwünscht ist da, wo es 
sich um längere Kompr'essionsbestrahlung zur Erzielung einer Tiefen¬ 
wirkung handelt. Die Verwendung der Methylenblaulösung als 
Filter für die besonders stark irritierenden äußeren Ultraviolettstrahlen 
ist unzuverlässig, weil es schwierig ist, die richtige Konzentration 
zu treffen. Die Reaktion fällt das eine Mal zu schwach, das andere 
Mal zu stark aus, Empfehlenswerter ist.als Filter eine von der 


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UNIVER5ITY OF MICHIGAN 


Original fro-m 

UNIVERSITf OF MICHIGAN 



1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


81 


Quarzlampengesellschaft neuerdings hergestellte „Ultraviolettscheibe“ 
aus einer besonderen blauen Glassorte, welche Referent jetzt aus¬ 
schließlich verwendet. Nekrosen lassen sich dadurch anscheinend 
mit Sicherheit vermeiden. 

Interessant ist der vom Verfasser mitgeteilte Pall von 
Tätowierung, in welchem die Quarzlampenbestrahlung zur 
Nekrose der nicht tätowierten Hautpartien führte. Die 
Tätowierung wurde garnicht beeinflußt; offenbar setzen also die 
Parbpartikel dem Eindringen des Lichtes einen sehr großen Wider¬ 
stand entgegen. 

3. Lang bespricht kurz die Lokalbehandlung des Lupus, 
welche bei weitem wichtiger ist als die allerdings nicht zu ver¬ 
nachlässigende Allgemeinbehand lung. 

Von älteren Mitteln sind besonders Pyrogallus- und Resorzin¬ 
präparate zu empfehlen, dagegen Aetzungen mit Lapis, Kali kaustikum, 
Sublimat und Arsen wegen ihrer Giftigkeit zu verwerfen, ebenso 
die Auskratzung mit dem scharfen Löffel, das Skarifizieren, Sticheln 
und die Anwendung des Paquelins. Dagegen ist der Holländer- 
sche Heißluftbrenner für manche suspekte Fälle, wenn er sach¬ 
gemäß angewandt wird, zu empfehlen, z. B. als Vorbehandlung 
für die Finsen-Therapie. Die Narbenbildung ist oberflächlich und 
glatt: allerdings ist das Verfahren sehr schmerzhaft und kaum 
ohne Narkose ausführbar. Röntgen- und bei kleinen zirkumskripten 
Herden auch Radiumstrahlen wirken günstig; mitunter ist sogar 
völlige Ausheilung zu erreichen. 

Die Röntgenstrahlen empfehlen sich besonders beim Lupus 
tumidus. 

Die bisher genannten Methoden sind aber — in der Regel_ 

nur Palliativ-Mittel. 

Eine wirkliche, radikale Heilung ist nur durch das von Lang 
ausgebaute operativ-plastische Verfahren und durch die 
Belichtung nach Finsen möglich — allerdings auch nur bei 
abgrenzbarem Lupus. Mit besondererWärme tritt Lang für das 
von ihm in ingeniöser Weise ausgebildete operativ-plastische Ver¬ 
fahren ein, das er vor allem beim Lupus des Lides, der Nase und 
des Ohres empfiehlt. Freilich ist eine entsprechende chirurgische 
Vorbildung Voraussetzung für erfolgreiche Anwendung dieser 
Methode. Von besonderer Bedeutung erscheint dem Referenten, 
daß gerade Lang, der die operative Technik der Lupusbehandlung 
in einer so künstlerischen Weise vervollkommnet und völlig neue 
Plastiken geschaffen hat, als einzige Konkurrenzmethode die Finsen- 
Behandlung rückhaltlos anerkennt. 

Von den neueren Lichtquellen verdient die Kromaversehe 
Quarzlampe die meiste Beachtung. Klinische Besserungen sind 
damit sicher zu erzielen. Ein definitives Urteil über den Wert 
der Lampe in der Lupustherapie ist zur Zeit nicht möglich. 

4. Der Verfasser hat einen bemerkenswerten Erfolg in einem 
Falle von Vitiligo durch Bestrahlungen mit einem gewöhnlichen 
Blaulicht-Scheinwerfer erzielt. 

Der Prozeß der fortschreitenden Leukopathie kam zum Still¬ 
stand, die Pigmentanhäufung am Rande der vitiliginösen Stelle 
rasch beseitigt und in den pigmentlosien Stellen selbst neues 
Pigment gebildet, teils flächenhaft, teils auch in Gestalt kleiner, 
brauner, umschriebener Herde. Die Besserung besteht noch nach 
sechs Wochen unverändert fort. Der Fall ermutigt jedenfalls zu 
weiteren Versuchen. 


Biologische Therapie. 

Referent: Dr W. Esch, Bendorf a. Rh. 

1. Biologisch-kausale Behandlung der Cholera asiatica und 
nostras. Literaturbericht. 

2. Neue Auffassung über die Aetiologie und Therapie der 

Pellagra. Ref. einer Arb. von Ceni aus dem Giorn. della R. S. 
d’Igiene in den Fortschr. d. Med. 1906. 

3. Ein Beitrag zur physikalisch-diätetischen Behandlung der 

Arteriosklerose. Von W. Winternitz, Wien-Kalten. Zeitschr. 
f. phys. u. diät. Ther., 1907, XI, 9. 

4. Zur Frage der Nährpräparate, v. d. Velden. Fortschr. 
d, Medizin 1905. 


1. Im Nachfolgenden wollen wir über zwei, einander ergänzende 
Behandlungsmethoden der Cholera asiatica und nostras berichten, 
die deshalb besonderes Interesse beanspruchen, weil sie (im Gegen¬ 
satz zu der z. Z. noch gütigen, faute de mieux mehr symptoma¬ 
tischen Therapie) in biologischer und kausaler Richtung Vorgehen. 
Es handelt sich um die von Sadger nach Vorgang von Prieß- 
nitz, Schindler, Lahmann, Winternitz etc. angewandten 
Kaltwasserfriktionen einer- und um Stumpfs Bolusbehandlung 
andererseits. Wenn die ersterwähnte Methode auch ursprünglich 
rein-empirisch laienhaft angewandt wurde, so darf uns das doch 
nicht von ihrer Würdigung abhalten, da wir das Gute nehmen 
sollen, wo wir es finden, um so mehr, wenn es, wie in diesem Falle 
nachträglich auch als theoretisch-wissenschaftlich wohl fundiert er¬ 
wiesen worden ist. 

a) Die Kaltwasserbehandlung der Cholera besteht in energischer, 
event. stundenlang von 3—4 Personen bis zur Erwärmung (hoch¬ 
roter Hautfärbung) fortgesetzter Abreibung des in ein nasses 
Tuch gehüllten Patienten, Dazu kommt nötigenfalls noch ein Sitz¬ 
bad von 8—9° R., in welchem die Abreibung fortgesetzt wird, 
bis Erbrechen und Durchfall aufhören (bei Vorherrschen der Krämpfe 
werden trockene xAbreibungen eingeschaltet). Sodann erhält der 
Kranke im Bett eine nasse Leibbinde, die trocken überbunden und 
so oft erneuert wird, als sie trocken zu werden beginnt. Außerdem 
soll er reichlich frisches Wasser trinken und öfters kleine kalte 
Klistiere erhalten. Lahmann läßt letztere nach jeder Entleerung 
geben und zwar behufs Aufsaugung, die der Darm bei der 
beschriebenen ableitenden Frottierbehandlung schnell wieder lernt. 
Die heute vielfach empfohlene Infusion physiologischer Kochsalz¬ 
lösung allein hat dagegen auf den Wasserverlust des Körpers 
nicht den geringsten Einfluß, da sie, solange der Blutzufluß zum 
Darm anhält, immer wieder in den Darm ausgeschieden wird. 
Die Diät besteht in kühl gereichten Schleimsuppen und (nach 
Lahmann) Fruchtsäften. 

Die günstige Wirkung dieser Methode (mit der Prießnitz 
und Schindler während der Choleraepidemien von 1831, 1839 
und 1845 im Gegensatz zu der anderweitig erzielten Mortalität 
von 66% eine solche von 0% erreichten) beruht nach Winter- 
nitz auf der durch den Kälte- und mechanischen Reiz hervorge¬ 
rufenen reaktiven arteriellen Fluxion zum Hautorgane. 
Dadurch wird die kopiöse Transsudation des Blutwassers aus den 
toxisch gelähmten Darmgefäßen und die so entstandene Wasser- 
verarmung des Körpers sistiert. Gleichzeitig wirkt die Tonisierung 
durch das kalte Wasser kräftigend auf die Herztätigkeit, die 
Zirkulation etc. 

badger betont noch besonders, daß bei Cholera nur die 
Kaltwasserbehandlung am Platze sei Warme und heiße Appli¬ 
kationen pflegen gewöhnlich zu schaden. Die von den Aerzten 
gehegte Furcht vor Wärmeentziehung sei grundlos, da die Kälte 
im Gegenteil gerade Wärme erzeuge. Aehnlicb drücken sich auch 
Lahmann und Winternitz aus. 

b) Erscheint die beschriebene Behandlung wohl geeignet, die 
Folgen der Toxinschädigung zu beseitigen, so wird sie in sehr 
günstiger Weise ergänzt durch die die Bakterien direkt unschäd¬ 
lich machende Bolusbehandlung Stumpfs. Dieser Autor, 
der ursprünglich mit We gele dieaustrocknende Wirkung des Bolus 
als das wesentliche angesehen hatte, kam im Verlauf seiner Be¬ 
obachtungen und Versuche zu' der Erkenntnis, daß vielmehr die 
außerordentlich leine Verteilbarkeit und Aufschwemmbarkeit des 
Bolus das bakterienhemmeude Prinzip darstelle, indem die Ton¬ 
körperchen, die mikroskopisch noch kleiner sind als die Mikroben 
wenn sie im Ueberschuß vorhanden sind, infolge der Einbettung 
in anorganisches Material die Bakterien von ihrem Nährboden 
trennen, sie einwickeln und so ihre Weitervermehrung verhindern 

Als logische Folgerung ergab sich daraus, daß das Boluspulver, 
auch im' Verdauungskanal die gleiche antibakterielle Wirkung aus- 
iiben müsse wie auf septischen und eiternden Wunden, und in der 
Tat gelang es Stump f zu seiner großen Freude, nicht nur schwere 
Brechdurchfälle, sondern auch 10 Cholerakranke, die er eigens zu 
diesem Zwecke gelegentlich der Grenzepidemie 1905 in Bromberg 
und Nokel aufsuchte, prompt zur Heilung zu bringen. 

Stumpf reicht 125,0 Boli albae offic. subtilissiine pulverisatae 
in einem zur Hälfte gefüllten Halbliterglase auf einmal oder 
wenigstens in möglichst kurzer Zeit. Kinder mittleren Alters er- 


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.UMIVERSLTY OF MICHIGAN 



32 


r:* 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 



halten 60 g auf 150 g Wasser und Säuglinge 30 g auf 70—100 g 
Wasser in der Saugflasche. Nach 3 Stunden ist das gleiche 
Quantum nochmals zu geben und damit wird das Verfahren in 
den meisten Pallen beendet sein. Die Aufnahme irgendwelcher 
Nahrung außer Wasser hat mindestens 18 Stunden lang vom ersten 
Einnahmen des Mittels an absolut zu unterbleiben, damit die Bak¬ 
terien keine organische Nahrung erhalten. 

Stumpf empfiehlt Versuche mit Bolus auch bei Metall-, 
Säure- und Konservenvergiftungen unter Hinweis auf die Geschichte 
der Perrasigillate im Mittelalter. 

Nach Vorgang Stumpfs hat neuerdings Gö rner-Dresden 
Versuche mit dieser Therapie angestellt und bei Gastroenteritiden, 
akuten Magenkatarrhen, ja sogar bei Darmtuberkulose und Meteo¬ 
rismus verschiedenen Ursprungs günstige Erfolge gesehen. 

Es dürfte daher empfehlenswert erscheinen, in geeigneten 
Pallen die Bolustherapie, nötigenfalls kombiniert mit der Wasser¬ 
behandlung, bei den Patienten zur Anwendung zu bringen. 

Literatur. 

1. Görner, Die Stumpf sehe Bolustherapie bei Diarrhöen 
und Meteorismus verschiedenen Ursprungs. Münch, med. Wochen¬ 
schrift 1907, Nr. 48. — 2. Lahmann, Koch und die Kochianer. 
Stuttgart 1890, S. 86. — 3. Sadger, Die Wasserbehandlung der 
Cholera asiatica und nostias. Zentralbl. f. d. gesamte Ther. 1905, 
Nr. 11. — 4. Stumpf, Ueber ein zuverlässiges Heilverfahren bei 
der as. Cholera, sowie bei schweren infektiösen Brechdurchfällen. 
— 5. Winternitz, zitiert von Sadger und Berl. klin. Wochen¬ 
schrift 1905, Nr. 15 (Mißgriffe bei Wasserkuren). 

2. In unserer Zeit der bakteriologischen Uebertreibungen, wo 
sogar Gicht und Rachitis als Infektionskrankheiten angesprochen 
werden, ist man wenig geneigt, auf einen Autor zu hören, der 
eine parasitäre Schädlichkeit da supponiert, wo man bisher fehler¬ 
hafte Ernährung als Ursache ansah. 

ln der Tat erscheint aber die Auffassung von Ceni theoretisch 
und praktisch so wohlfundiert, daß es von Interesse sein dürfte, 
von ihr Kenntnis zu nehmen. 

Nach Ablehnung der Theorien, die die Pellagra lediglich auf 
die Maisnahrung und zwar besonders auf den ungenügenden 
N-Gehalt derselben bezw. auf spezifische Gifte des normalen 
Maises oder auf Virulentwerden gewöhnlicher Darmkeime infolge 
der Maisernährung zurückführen, präzisiert Ceni seine Ansicht 
dahin, daß die Pellagra ein toxisch-parasitärer Prozeß sei. Lom- 
broso habe zwar in gewissem Sinne Recht, wenn er verdorbenen 
Mais beschuldige, jedoch seien Mais und andere Nahrungs¬ 
mittel nur als Vehikel für die Parasiten anzusehen, die in 
Wirklichkeit das Leiden hervorrufen. 

Dieselben gehören zur Gruppe der Hyphomyzeten und zwar 
namentlich zu den Aspergillus- und Penizillusarten, die zwar bis¬ 
her als unschädlich angesehen wurden, in der Tat aber, wie aus 
Cenis Tierversuchen hervorgeht, spezifische Gifte, sowohl exzi¬ 
tierender wie paralysierender Natur entwickeln. Da der größte 
Teil dieser pathogenen Keime zu seiner Entwicklung eine Tempe¬ 
ratur von 15—20° bedarf, so ist damit der jährliche biologische 
Zyklus des Auftretens der Pellagra erklärt. Jedoch kommen auch 
noch andere kosmo-tellurische Vorgänge in Betracht. 

Prophylaktisch und therapeutisch genügt die Enthaltung von 
Mais durchaus nicht, da die Parasiten auch mit anderer Nahrung 
in den Körper gelangen. Vielmehr kann hier nur Besserung 
der Lebenshaltung der Landbevölkerung helfen, die u. a. be¬ 
sonders auf Beschaffenheit und Aufbewahrungsart der 
Lebensmittel günstig ein wirken würde, Schimmel- und andere 
Pilze können bekanntlich nur in feuchten und dumpfen, nicht aber 
in sonnigen und durchlüfteten Räumen gedeihen (vgl. hierzu 
auch Lu eien-Grant, Tuberkulosis 1906, No. 5: nichts begüns¬ 
tigt die Verbreitung der Tuberkulose so sehr wie der Mangel an 
Sonne in den Wohnungen). 

Ein praktischer Erfolg'diesen Auffassung hat sich, wie Ceniseine 
Darlegungen beschließend anführt, bereits in Rivergaro gezeigt: Die 
früher dort herrschenden Pellagra- (Diphtherie-, Scharlach- und 
Typhus-jendemien sind seit Assanierung der Wohnungen beseitigt, 
trotzdem Mais nach wie vor die Hauptnahrung der Bevölkerung bildet. 

3. Aus der interessanten, leider ein wenig unübersichtlichen 
Arbeit, in der Winternitz manches von ihm erprobte Neue 
oder nicht genügend Beachtete mitteilt, sei folgendes angeführt: 


Zunächst zeigt Verf. an dem drastischen Beispiel eines über *• 
80 Jahre alten Patienten, daß man auch bei Arteriosklerose mit 
gutem Erfolge die physikalischen Heilmethoden und < namentlich 
die Wasserkur anwenden kann. Und zwar sind es hier gerade 
nicht, wie man glaubte, die „schonenden“ indifferenten, sondern 
im Gegenteil die erregenden, d. h. möglichst hohen und niedrigen 
Temperaturen, die am besten wirken.] 

Daß bei ihrer Anwendung keine irgendwie schädliche Blut¬ 
druckerhöhung eintritt, weist Winternitz experimentell und 
empirisch nach, indem er zeigt, daß die gewöhnlichsten, nicht zu 
vermeidenden Verrichtungen, wie Husten,, Nießen, Sichbücken, 
mäßige Anstrengung der Bauchpresse etc,, eine weit größere Blut¬ 
drucksteigerung hervorrufen als das kalte bezw. heiße Wasser. 

Weiterhin betont Verf., daß die Arteriosklerose nicht nur 
eine Alters- und Abnutzungskrankheit, sondern vielfach auch auf 
die bei Infektionskrankheiten entstehenden Gefäßverände¬ 
rungen zurückzuführen sei. 

Prophylaktisch und therapeutisch ist auf Vermeidung der 
vorwiegend toxischen Ursachen der Arteriosklerose zu achten: Ver¬ 
bot von Tabak, Alkohol, diätetischen Sünden in Ernährungs- und 
Lebensweise, insonderheit durch die moderne Fleischüber¬ 
schätzung und die infolge derselben entstehenden Darmfäulnis¬ 
produkte, ferner von psychischen und physischen Ueberanstreng- 
ungen etc. Speziell bei den Infektionskrankheiten ist 
frühester Beginn der Wasserkur zu empfehlen, damit 
der Organismus der Noxe Herr werde, ehe schwerere Intoxikation 
und Degeneration eintritt. 

Mit den prophylaktischen Maßnahmen sollte man schon früh 
beginnen, vor allem, wenn sich eine geringe Widerstands_- 
fähigkeit der Gefäße bemerkbar macht (leichte Ermüdung, 
hoher Blutdruck, anginöse Herzschmerzen, Parästhesien, Kopfdruck, 
Schwindel, lokale Hyperämien und neurasthenische Erscheinungen 
nach leichteren Anstrengungen und in beständigem Wechsel). 

Da die Berührung und Ernährung durch normales 
Blut die Gefäße elastisch, kontraktil, funktions¬ 
tüchtig erhält, so ist vor allem für normale Blut¬ 
beschaffenheit und Zirkulation zu sorgen. 

Die Stoffwechselstörungen und die so wichtigen peripheri¬ 
schen Zirkulationshindernisse werden neben der obenerwähnten 
hygienischen Diätetik am besten durch allgemeine und lokale 
chemische und mechanische Anwendungen beseitigt, welche die 
Zellen zu lebhafterer Funktion anregen und die als „akzessorische 
Herzen“ angesehenen Gefäße stärken und kräftigen. 

Gleichzeitig werden dadurch auch die medika¬ 
mentösen Maßnahmen bekömmlicher und wirksamer, 

Winternitz beginnt mit der „schottischen“ wechselwarmen 
Teilabreibung, bei empfindlichen oder gebrechlichen Personen 
zunächst mit heißen bis 40grädigen Waschungen, woran sich aber 
sehr bald die kalten anschließen können. 

Hat man einige"* Tage hindurch diese wechselwarme Teil¬ 
abreibung angewandt, hat man die Art der Reaktion genau beob¬ 
achtet, so fällt es nicht schwer, den vorliegenden Indikationen 
entsprechend wirksame Prozeduren in Anwendung zu bringen. 

Winternitz sah bei diesem Verfahren, das Erweiterung 
der peripheren Gefäße, bessere Organdurchblutung, Blutdruckver¬ 
minderung, Pulsregulierung, beträchtliche Perspirationserhöhung, 
Steigerung der Ausscheidungen, Huchards „Entgiftung“ be¬ 
wirkt, zahlreiche überaus günstige Erfolge bei schwerer und vor¬ 
geschrittener Arteriosklerose. 

4. Zu den vielen, leider auch in der Medizin herrschenden 
Modetorheiten gehört auch der mit den Nährpräparaten getriebene 
Mißbrauch.% Haute nouveaute sind neuerdings die „lezithinhaltigen“ 
Produkte der Nährmittelindustrie. 

Sehr mit Recht sagt hierzu v. d, Velden: „Je mehr 
chemische Verbindungen man aus dem Material des tierischen 
Körpers herausziehen lernt, desto mehr Gelegenheit wirdman 
haben,* denJMenschen [mit diesen isolierten Stoffen zu ernähren. 
Schließlich wird die Sache aber so kompliziert werden, daß man 
zur Vereinfachung wieder das Material, aus dem sie herausgezogen 
sind, gewöhnlich Fleisch genannt, als Nahrung verabreichen 
wird. “ 


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UMIVERSITY OF MICHIGAN 


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UNIVERSSTY OF MICHIGAN 






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“''Magen-, Darm* und Stoffwechselleideil. 

■ Referent: Spezialarzt Dr. M. Pickardt, Berlin. 

1. Zur Frage der Opiumbehandlung der Perityphlitis. Von 
Boas. - Therapie der Gegenwart 1907, Nr. 12, pag. 529. 

2. Chlorkalklösung statt Chlorkalziumlösung. Von Schloß. 
Therapie der Gegenwart 1907, Nr. 12, pag. 584. 

3. Die Hämorrhoiden und ihre Behandlung mit internen 
Mitteln. Von Piekadt. Ross. med. Rundschau 1907, Nr. 9. 

4. Vorläufige Mitteilung über Röntgenbestrahlung bei Dia¬ 
betes. Von Schwarz. Wien. med. Woch. 1907, Nr. 49, pag. 2364. 

1. Boas bricht erfreulicherweise eine Lanze für die interne 
Appendizitisbehandlung, die manchen Aerzten und sehr vielen Chi¬ 
rurgen bereits ein Anachronismus geworden war. Er greift das 
wichtigste Kapitel derselben heraus, die Opiumbehandlung und 
unterzieht dieselbe einer eingehenden Kritik; daß die Erfahrungen 

• auch hier auseinandergehen, ist «durch die so unendliche Verschie¬ 
denheit der Fälle, (weshalb wohl auch niemals auf dem Wege der 

* Statistik, wie z. B. der jetzt in Berlin inaugurierten, etwas Greif¬ 
bares für die Therapie herauskommen wird, Ref.), ihrer Schwere 
und Ausbreitung bedingt. 

Von allen, Gegnern und Freunden der Opiumbehandlung wird 
zugegeben, daß es schmerzlindernd und sedativ wirke, und zur 
Erreichung dieser Ziele wird Opium — und Morphium — stets 
seinen Platz behaupten. Eine andere Anschauung dagegen, die in 
den Erörterungen über die Opiumbehandlung quasi als Dogma immer 
weiter gegeben wurde, ist die, daß es „darmlähmend 4 * wirkte; das 
ist aber durch neuere Experimentaluntersuchungen (Pal, Magnus) 
entschieden widerlegt. Unbestritten natürlich ist die stopfende 
Wirkung des Opiums, und dieser ist nach B. nicht nur nicht ein 
Heilwert zuzumessen, sondern im Gegenteil eher eine Verschlech¬ 
terung der Situation zu verdanken, weil, da das einzige bewußte 
Ziel darin besteht, daß der Eiterherd der Appendix in das Cöcum 
entleert wird, nicht das Vollbleiben der Därme, sondern umgekehrt 
das totale Leersein das Optimum für diesen Vorgang darstellt, wie 
nach Beobachtungen anderer auch z. B. die Perforation eines 
Magenulcus überraschend schnell heilt, wenn der Magen zur Zeit 
leer war. 

Lediglich also in der Bekämpfung der Schmerzen liegt für B. 
eine Indikation für Opium; man soll es daher, wie aach schon 
Nothnagel wollte, nicht systematisch, sondern nur in kleinsten 
Dosen geben. 

Das Opium hat nun sogar direkt schädliche Nebenwirkungen: - 
die künstliche Narkose, wie sie von den Chirurgen so perhorresziert 
wird, weil sie den Zustand maskieren kann. Zur Frage, ob eine 
opiumlose Behandlung des appendizitischen Anfalls bessere Resultate 
zeitige als die Therapie mit Opium], führt B. aus seinen eigenen 
Erfahrungen an, daß er in den letzten 5 Jahren, in denen er Opium 
gar nicht oder nur," wie oben, in kleinsten Dosen zur Schmerzstillung 
anwandte, keinen einzigen Patienten im Anfall verloren und keinen 
im akuten Anfall zur Operation gebracht hat. Verf. ist der Meinung, 
daß, wenn der hier dargelegte Standpunkt, wie es den Anschein 
hat, allgemeiner akzeptiert wird, da sich bereits mehrere Inter¬ 
nisten im gleichen Sinne ausgesprochen haben, erstens eine leichtere 
Sonderung der operationsbedürftigen und der spontan in das 
Latenzstadium übergehenden Fälle vollziehen wird, und zweitens, 
daß statt der Frühoperation a tout prix mehr und mehr eine Ent¬ 
schließung von Fall zu Fall erfolgen wird. 

2. Eine sehr zeitgemäße Warnung spricht Schloß aus, indem 
er darauf aufmerksam macht, daß bei Anwendung der von Boas gegen 
Hämorrhoidalblutungen empfohlenen 10%igen Chlorkalziumlösung 
per Rektum sehr oft von den Apotheken statt dieser selbst bei 
genauester Rezeptierung eine Chlorkalklösung gegeben wird, die 
ungemein reizt. Er beschreibt einen Fall, in dem bei einem Arzt 
sich nach Anwendung ^der rite verschriebenen Lösung durch An¬ 
wendung der falschen eine Verätzung der Ampulla recti bis zum 
Analring herausbildete, deren Heilung mehrere Wochen in Anspruch 
nahm. Die dann nach Wiederherstellung inaugurierte Therapie 
mit wirklichem, reinem Salze brachte die Blutungen prompt zum 
Stehen. Verf. empfiehlt daher, wie folgt, zu verordnen: 

Calc. chloric. purissim, erystallisat. (cave Chlorkalk) 20,0 

Aqu. destillat. ad 200,0 

M. D, S. Zur Einspritzung in den Darm. 


Auch Ref. hat bereits mehrfach die Erfahrung gemacht, daß 
falsche Lösungen in den Apotheken gegeben werden und erfahren, 
daß durch diese die an sich sehr brauchbare Methode in Mißkredit 
kam; er hat deshalb stets die Formel: Ca Cl 2 dazugeschrieben. 

3. Wo aber nicht die genügende Garantie für präzise Anfertigung 
der Chlorkalziumlösungen gegeben ist, sowie ferner zur ambulanten 
Behandlung überhaupt empfahl Ref. in einem kleinen Aufsatz über 
„Die Hämorrhoiden und ihre Behandlung mit internen Mitteln“ die 
Applikation von Chlorcalcium enthaltenden Suppositorien mitdem nom 
de guerre „Noridalzäpfchen u . Sie enthalten außer Chlorkalzium 
Paranephrin (Merck), Kalz. jodat. und Perubalsam. Sie haben sich als 
Mittel zur Stillung nicht zu abundanter Hämorrhoidalblutungen sowie 
zur Linderung des Juckens und Brennens vielfach bewährt und sind 
leicht und bequem anwendbar. Bei Pruritus ani kann man sie er¬ 
weicht als Salbe anwenden. 

4. Die unbefriedigenden Resultate der Diabetestherapie lassen 
stets nach neuen Methoden der Behandlung ausschauen. Einen 
bisher unbetretenen Pfad wandelt G. Schwarz auf der Basis 
folgender Ueberlegung: Röntgenbestrahlung der Schilddrüse bei 
Basedow hat die gleichzeitige Glykosurie in von M. so behandelten 
Fällen zum Verschwinden gebracht. Zwischen Hyperthyreoidismus 
und Glykosurie besteht ein Zusammenhang, wie ja auch nach 
Thyreoidingebrauch Zucker auftreten kann. Da nun in einem Teil 
der Diabetesfälle das Pankreas affiziert ist, andererseits zwischen 
den Blutdrüsen Wechselbeziehungen bestehen, kann die Basedow- 
glykosurie eine Schädigung des Pankreas durch Hyperthyreoidismus 
sein (? Ref.). Es besteht also ein Antagonismus zwischen Thyre¬ 
oidea und Pankreas; man muß also den pathologischen Stoffwechsel 
verbessern, wenn man die Sekretion der Schilddrüse verringert. 
Und das gelingt durch Röntgenstrahlen. Auf Grund dieser etwas 
stark nach dem grünen Tisch schmeckenden üeberlegungen wurden 
drei schwere Diabetiker bestrahlt; zwei von diesen, die schon im 
terminalen Stadium eingeliefert wurden, kamen ad exitum; der 
dritte ist „geheilt“. 


Ohrenheilkunde, 

Referent: Spezialarzt Dr. M. Halle, Berlin. 

1. Heber die Behandlung der akuten Mastoiditis mit Stau- 
nngshyperämie nach Bier. Von A, Fröse, Hannover. Mediz. 
Klinik, 1907, Nr. 27. Autoreferat des Verfassers über eine 
Arbeit: Behandlung der Otitis mit Stauungshyperämie. 

2. Alsol in der Oto - Rhino - Laryngologie. Von Karl 
Theimer, Wien. Prager medizinische Wochenschrift, 1907, 
Nr. 49. 

3. Zur Frage des therapeutischen Wertes des Fibrolysins in 
der Ohrenheilkunde. Von Otto Vogeli, Basel Zeit,sehr, für 
Ohrenheilkunde, 1907, Bd. LIV. 

4. Entfernung eines Fremdkörpers aus dem Ohre mit dem 
Elektromagnet. Von G. Alexander, Wien. Zeitschr. t. Ohren¬ 
heilkunde, 1907, Bd. LIV. 

1. So groß die Verdienste Biers durch seine Einführung der 
Stauungshyperämie in die Chirurgie sein mögen, es kann nach 
allen Beobachtungen von obren ärztlicher Seite keinem Zweitel 
unterliegen, daß dieselbe für die Behandlung der Mastoiditis nur 
mit großer Reserve dem Praktiker empfohlen werden darf. Mit 
Recht weist Verfasser auf teilweise recht unerfreuliche Resultate 
hin und verweist auf die Notwendigkeit sorgfältiger klinischer 
Beobachtung zur Indikationsstellung. In allem ein sehr schätzens¬ 
werter Beitrag zur Entscheidung der Frage, ob die Stauungs¬ 
hyperämie überhaupt für die Behandlung der Mastoiditis nennens¬ 
werte Vorteile bietet, und eher eine Warnung für den Praktiker, 
sie einstweilen für diesen Zweck zu benutzen. 

2. Mit Wärme empfiehlt Verfasser die Alsollösung, bekannt¬ 
lich eine seit mehreren Jahren in den Handel gebrachte Verbin¬ 
dung der vielbeliebten essigsauren Tonerde mit acid. tartar. für 
die Oto - Rhino - Laryngologie. Ohrtropfen von x /s bis 2%iger 
Lösung, Aetzungen mit 5 bis I0%iger, Inhalation mit V 2 %iger 
Lösung haben ihm bei chronischer Mittelolireiterung, bei Pharyn- 


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THERAPEUTISCHE 


tßÜNÜ&CMf ' ' 


gitis und Lai*yngitis chronica und bei Ozaena wie bei Rhinitis 
hypertrophicans die besten Dienste geleistet. Referent kann so 
uneingeschränkt die universelle Wirksamkeit des Alsols nicht an¬ 
erkennen. Dennoch unterliegt es keinem Zweifel, daß es eins der 
angenehmsten mild antiseptischen Mittel ist, dessen Anwendungs¬ 
gebiet ein recht umfangreiches ist. Es wird kaum jemals schaden, 
und in vielen Fällen bewährt es sich ausgezeichnet. 

3. Von Sugar-Budapest zuerst in die Therapie der Mittel¬ 
ohraffektionen, speziell für die Behandlung der beginnenden Oto- 
sklerose eingeführt, wurde das Thiosinamin von einer größeren 
Anzahl von Autoren lebhaft empfohlen. Vögeli kommt 'an der 
Hand seiner Untersuchungen bei entsprechend gewählten Fällen 
der Baseler Klinik zu einem völlig negativen Ergebnis. Er sah 
nach längerer Injektionskur mit kombinierter Behandlung (bis 25 
Injektionen) keinerlei Beeinflussung des Status. Verf. ist daher 
günstigen Beobachtungen gegenüber sehr skeptisch. 

Referent kann sich dieser Skepsis nur anschließen. Vor 
mehreren Jahren schon hat er die Behandlung mit Thiosinamin 
aufgegeben, nachdem er in zehn Fällen nicht die geringste Besse¬ 
rung sah. Neuere Versuche mit Fibrolysin gaben ihm leider 
keinen Anlaß, sein Urteil zu modifizieren. 

4. Alexander berichtet über einen Fall von Fremdkörper 
(Eisenkugel aus dem Kugellager eines Fahrrades) im Obr, an dem 
von dem zuerst behandelnden Arzte vergebliche Extraktionsver¬ 
suche mittels einer Pinzette gemacht worden waren. Nach 
vielen vergeblichen Versuchen gelang es, die Kugel mittels des 
Hirschberg sehen Elektromagneten zu extrahieren. Dann konnte 
eine erhebliche Läsion des Trommelfells festgestellt werden. Das 
Mittelohr lag in 2 mm Ausdehnung bloß. 

Alexander weist mit Recht darauf hin, wie dringend es 
sich empfiehlt, daß nur sehr geübte Hände mittels Instrumenten 
am Ohr Extraktionsversuche machen. 


Mitteilungen über Arzneimittel. 


Neuere Arzneimittel. 

Das natürliche Friedrichshaller Bitterwasser 

wurde in den letzten zehn Jahren von Professor Fischer 
zweimal jährlich analysiert. Seine Kontrollbestimmungen haben 
dasselbe als von „durchaus konstanter Zusammensetzung“ er¬ 
wiesen. Die chemische Eigenart des Friedrichshaller Bitter¬ 
wassers ist dadurch gekennzeichnet, daß es neben den Bitter¬ 
salzen Chloride enthält. Dieser Eigenschaft wegen nannte es 
Liebig einen „Schatz der Natur von hohem Werte“, und 
F rerichs führte hierauf den besonderen Vorzug des Friedrichs¬ 
hallers zurück, „daß es noch so lange Zeit durchaus ohne 
Schaden getrunken werden könnte“. Dieser Vorzug des 
Friedrichshallers, welcher auf der glücklichen Mischung von 
Sulfaten und Chloriden beruht, wird sowohl in den guten bal- 
neologischen Lehrbüchern (Helft, Thilenius, Seegen, 
Nothnagel. Roßbach, Leichtenstern etc.), wie in der 
allgemeinen medizinischen Literatur (von Leyden, Gütt¬ 
in ann etc.) allgemein anerkannt.— Als Hauptbestandteile ent¬ 
hält das Friedrichshall er Bitterwasser in 1000 Teilen: 5,2 schwefel¬ 
saures Natron, 6,2 schwefelsaures Magnesium, 7,9 Chlor-Natrium, 
4.9 Chlor-Magnesium. — Den Herren Aerzten auf Verlangen 
Wasserproben gratis und franko durch die Brunnendirektion 
Friedrichshall Sachs.-Mein. (Berl. Aerzte-Korresp.) 

Coryfin. Fabrikant: Farbwerke vorm. Bayer & Co., 
Elberfeld. 

Pollak hat nach der Therapeut. Revue der Allgem. Wien, 
med. Zeitg. 1907, Nr. 51 das neue Mentholpräparat ausschlie߬ 
lich bei Neurasthenikern verwendet, die über Kopfschmerz in 
der Stirngegend oder Druckgefühl daselbst klagten, und zwar 
ließ er das Coryfin, eine färb- und fast geruchlose Flüssigkeit, 
mit einem feinen Pinsel auf den oberen Teil der Stirne auf¬ 
tragen, wobei darauf zu achten ist, daß das Mittel nicht den 
Augen zu nahe'oder gar in sie hinein kommt. Nach kurzer 


Zeit stellt sich unter Auftreten efi|es angenehmen 
ein Nachlassen der Beschwerden prompt ein. 

- Krüger -Magdeburg. > 

Borny val. Fabrikant: J.-p. Riedel, ehern. Fabrik, 

Berlin. Abraham-Berlin haf; mit Bornyval, wie er ,in der 1 
Therapie der Gegenwart, September 1907, berichtet, größere 
Versuche gemacht und fand die kongestive Dysmenorrhoe 
durch das Mittel sehr günstig beeinflußt. Diese unterscheidet 
sich dadurch von der mechanischen Dysmenorrhoe^ daß sie 
mehrere Tage ante menses mit heftigen Schmerzen im Unter-, 
leib einsetzt, die meist bei reichlichem Abfluß des Menstrual- 
blutes aufhören. Ein günstiges Indikationsfeld für Bornyval 
ist das Klimakterium, besonders das Klimakterium praecox 
nach Exstirpation der Ovarien. In fünf von neun Fällen hat 
A. auch das morgendliche Erbrechen der Schwangeren be- ■ , 
seitigt, indem er die Graviden morgens nüchtern im Bett eine 
Perle einnehmen und sie erst#nach einer halben Stunde auf¬ 
stehen ließ. Auch bei psychischen Alterationen in der Schwanger¬ 
schaft, Weinkrämpfen, Schlaflosigkeit, Angstgefühlen, wirkte 
das Borny val gut, das A. mit einem warmen Getränk schlucken 
ließ. Die Dosis war dreimal täglich eine Perle, bei den Dys¬ 
menorrhöen acht Tage vor Beginn der Menses bis zum dritten 
Tage vor ihrem Eintritt. Bei Amenorrhoe, Graviditäts- und 
klimakterischen Beschwerden wurde Bornyval monatelang ge¬ 
geben, immer 14 Tage lang mit ebenso langen Pausen. 

K r ü g e r-Magdeburg. 

Mergal. Fabrikant: J. D. Ri e d e 1, ehern. Fabrik, Berlin. 
Mergal, von Boß in Straßburg eingeführt, ist die Verbindung 
von Cholsäure mit Quecksilberoxyd.'Seine Erfahrungen an dreißig 
Syphilitikern faßt H o g g e - Lüttich zu folgenden Schlüssen zu¬ 
sammen (Deutsche Medizinalzeitg. 1907, Nr. 56): 

1. Das Mergal ist angezeigt bei allen Formen von Syphilis, 
seien sie sekundärer oder tertiärer Art. Nur da, wo sich die' 
Syphilis durch schwere oder direkt lebensgefährliche Symp¬ 
tome äußert, wie Gehirn- und Rückenmarksyphilis, Apoplexien, 
Syphilis der Angen usw., wird man mehr energisch wirkende 
Kuren vorziehen. 

2. Das Mergal eignet sich vorzüglich zur chronisch-inter¬ 
mittierenden Behandlung im Sinne Fournier-Neißer. Ohne 
Zweifel ist der beste Schutz gegen die schweren Späterschein¬ 
ungen eine häufige Behandlung der Syphilis. Am bequemsten 
erreicht man dieses Ziel mit Mergal. 

3. Das Mergal ist zu empfehlen bei den sogen, para¬ 
syphilitischen Erkrankungen, also bei der Tabes und der 
Paralyse. 

Die Ergebnisse zweijähriger Versuche lassen sich in folgende 
Sätze zusammenfassen: 

a) Das Mergal ist ein gutes innerliches Antiluetikum, das 
auf das syphilitische Virus in gleicher Weise einwirkt wie 
eine Inunktions- oder Injektionskur. 

b) Es wird vom Verdauungsapparat gut vertragen, erzengt 
keine Koliken oder Durchfälle und keine Nierenreizung. Es 
kann demgemäß monatelang genommen werden. 

c) Ans der spezifischen Mergalkur geht der Patient nicht 
geschwächt, sondern gekräftigt und frei von Erscheinungen 
hervor. 

4. Die Mergalkur ist von allen Behandlungsmethoden die 
einfachste, bequemste und angenehmste. Sie stört den Patienten 
nicht in seinem Beruf, verursacht ihm keine Belästigungen,, 
keine Schmerzen, und was sehr wichtig ist, sie läßt sich überall 
diskret durchführen. 

Auch Saalfeld, Keil, Leistikow und M. y. Zeißl 
sprechen sich lobend über Mergal aus. 

Es empfiehlt sich, bei der Mergalkur möglichst stopfende 
Speisen nehmen zu lassen, Mehlsuppen, Mehlspeisen, Kakao, 
Schokolade, Rotwein etc., daneben warme Bäder, Ruhe, viel 
Schlaf, Aufenthalt in freier Luft usw. Krüger-Magdeburg. 

Yoghurt. Unter dem türkischen Namen Yoghurt wird, 
wie Prof. Strzyzowski -Lausanne in den Therapeut. Monats¬ 
heften 1907, Nr. 10, berichtet, in Deutschland, Frankreich und 
anderen Ländern ein halb flüssiges, säuerlich schmeckende^ 
Milchpräparat empfohlen, das mittels eines Gerinnungsfermentes, 
„Maya u genannt, wie Kumys oder Kefir bereitet wird und als 


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---TT ~- 

^^ei^^^^SliriBttel dienen soll. Die Herstellung geschieht 
|Tri* |n der Weise, daß gewöhnliche Milch etwas eingeaampft und 
; in Topfe geschüttet wird. Sobald sie sich auf ca. 50 0 C. ab- 
'TT; gebuhlt hat, wird sie mit Maya versetzt und in kühler Jahres- 
. zeit an einem warmen Orte aufbewahrt. Nach acht bis zwölf 
- .Stünden ist die Masse reif, d h. es soll ein etwas dünnflüssiger 
~ . Pudding von säuerlichem Wohlgeschmack entstanden sein, der 
entweder pur oder mit ZuGker bestreut gegessen werden kann. 

; Der Vorzug des Yoghurt soll darin bestehen, daß es die schäd¬ 
lichen Wirkungen der den Darm bevölkernden Mikroben 
paralysiert und den Organismus vor Autointoxikationen schützt. 
Verf. kennt den Yoghurt von Jugend auf und hat ihn in Bul¬ 
garien oft genossen. Ihm sind aber die Vorzüge dieser Sauer¬ 
milch als Heilmittel und Prophylaktikum oder als lebensver- 
längemdes Mittel- ganz unbekannt. Die Wirkung eines 
frischen Yoghurt auf die Darmbakterien hält er nicht für un¬ 
möglich; ob sie bei dem mit Maya gewonnenen Yoghurt die 
gleiche ist, bezweifelt er auf Grund seiner Untersuchungen 
mit aus Bulgarien frisch zugesandter Maya und mit der „Maya- 
Dr. Trainer“ oder den „Yoghurt-Tabletten - Dr. Trainer“ der 
Firma 0. Mühlradt-Berlin. Wenn man nämlich einen E߬ 
löffel eines drei bis fünf Tage alten Yoghurt zu 1 I 2 1 fünf Minuten 
' lang gekochter und auf ca. 50 0 abgekühlter Milch sorgfältig 
zumischt und letztere an einem warmen Ort aufbewahrt, so 
tritt nach acht bis zwölf Stunden die erwünschte Gerinnung 
ein. Ganz andere Ergebnisse traten aber bei Verwendung der 
„Maya-Dr. Trainer“ zu Tage; denn es konnte niemals bei ge¬ 
nauem Einhalten der ZubereitungsVorschrift ein echter Yoghurt 
hergestellt werden. Meist war die Milch nach der vorge¬ 
schriebenen Zeit noch flüssig. Verf. warnt deshalb davor, 
minderwertige Fabrikerzeugnisse zu empfehlen. 

Ueber Yoghurt berichtete ferner Piorkowski in der 
Berliner Medizinischen Gesellschaft (Sitzungsbericht in der Berl. 
Klin. Wochenschr. 1907, Nr. 48). Nach einer geschichtlichen 
Uebersicht und Beschreibung der Herstellung des echten und 
des mit Präparaten hergestellten Yoghurt wendet sich Vortr. 
zu seinen Untersuchungen mit dem Laktobazillin (einem Pariser 
Präparat) und dem Hellersdorfer Präparat (d. i. trinkfertige 
Yoghurt-Milch) in bakteriologischer Hinsicht. Wie Metsch- 
nikoff ist auch ihm die Isolierung einer im Yoghurt besonders 
wirksamen Bazillenart neben einer Streptokokken- und einer 
Diplokokkenart gelungen. Alle drei Arten fand er sowohl im 
Laktobazillin wie in dem Hellersdorfer Präparat. Dann ver¬ 
breitete er sich über die bakteriologischen Eigenschaften der 
Yoghurt-Bazillen. Gegenüber dem Kefir lobt er beim Yoghurt 
den Mangel an Alkohol, was Patschkowski in der Dis¬ 
kussion bestreitet. Dieser hat an 90 bis 100 Fällen sowohl 
Yoghurt-Milch als auch die Mühlra dt sehen Yoghurttabletten 
angewendet und ist über die Wirkung befriedigt. Im Schlu߬ 
wort bemerkt Piorkowski noch, daß er „Satten“ hergestellt 
habe mit Hilfe der, Tabletten oder der dickflüssigen Milch, 
indem er frische Milch bis zur Hälfte eindickte, mit dem Prä¬ 
parat versetzte und bei 80 bis 45 0 C 12 bis 20 Stunden stehen 
ließ. Diese Satten seien infolge ihrer Konzentration nahrhafter 
als dickflüssige Milch, ihr Milchsäuregehalt sei ein höherer. 
Manchen Kraüken sei jedoch die dickflüssige Milch in Flaschen 
lieber. Er hat. von der Milch selbst Kindern bis zu */a 1, Er¬ 
wachsenen 1 1 und mehr gegeben, am besten früh nüchtern 
und mittags und abends nach den Mahlzeiten. 

< Krüger- Magdeburg. 

Referate. 

Referent: Dr. W. P. Krüger, Magdeburg. 

1. Die Anwendung von reinem Ichthyol bei Epididymitis 
gonorrhoiöa. Von Dr. Caesar Philip in Hamburg. Münch, 
med. Woch.j 1907, Nr. 41. 

2. Therapeutische Erfahrungen mit „Barta“ bei Neurasthenie, 
Hysterie, Impotenz. Von Dr. Schütte in Magdeburg. Monats¬ 
schrift f. Harnkrankheiten u. sexuelle Hygiene 1907, Heft 9. 

3. Soxhlets Eisen-Nährzucker und Eisen-Nährzucker-Kakao. 
Von v.Boltensteru in Berlin, Deutsche Aerzte-Zeitung 1907, 
Heft 22* 


RUNDSCHAU. 


X. Verf. verordnet in schweren Fällen des akuten Stadiums 
bei Epididymitis gonorrhoica Bettruhe, Hochlagerung der Testikel 
nnd kalte Umschläge und nur in ganz leichten Fällen ein Sus¬ 
pensorium , wenn Pat. sich nicht ganz seiner Beschäftigung ent¬ 
ziehen kann. Wenn nun die schweren Erscheinungen, Fieber, 
Schwellung und Schmerz bei der genannten Therapie geschwunden 
sind, wendet Verf. mit Erfolg Ichthyol in folgender Weise an: 
Die, erkrankte Skrotalhälfte nebst der Hautpartie über dem Sameu- 
strang bis über die Leistenpforte hinaus wird dick mit reinem 
Ichthyol eingepinselt und darüber .ein zusammenhängendes, mäßig 
dickes Stück Watte gelegt. Ueber das Ganze kommt ein gewöhn¬ 
liches, straffsitzendes Suspensorium. Die Watte verklebt mit dem 
Ichthyol und der Haut und bildet so nach kurzer Zeit einen 
festen Kompressivverband. Dadurch, daß die Haut über dem 
Samenstrang zusammen mit der Skrotalhaut in eine feste Schale 
gelegt ist, ist ein Zerren des Hodens und des erkrankten Neben¬ 
hodens am Samenstrang unmöglich gemacht und damit der ersten 
Forderung für einen gutsitzenden Verband bei Epididymitis Ge¬ 
nüge geleistet. Ein Rasieren des Skrotums ist nicht erforderlich; 
es genügt, die Haare kurz zu schneiden. Nach vier bis fünf 
Tagen wird der Verband in warmem Wasser aufgeweicht und er¬ 
neuert. 

Das Ichthyol bewährt sich hier wieder als Antiphlogistikum 
und Resorbens; das Infiltrat geht schnell zurück, die Schmerzen 
verschwinden prompt, trotzdem die Kranken umhergehen. Verf. 
verwendet das Ichthyolammonium der Ichthyolgesellschaft Cordes, 
Hermann & Co. 

2. Verf. beschreibt an sieben näher angeführten Krankenge - 
schichten seine Erfahrungen mit „Barta“, von dem er günstige 
Wirkungen bei den angeführten Krankheiten, besonders bei Im¬ 
potenz, gesehen haben will. Die wirksame Substanz des Barta 
soll das Aphrodisiakum „Extractum Damianae“ sein, dem noch 
„eine Verbindung von Phosphor“ beigefügt ist, „also eines Stoffes, 
der Bestandteil der Nervensubstanz ist nnd infolgedessen dazu 
beitragen muß, einen vorhandenen Mangel an solchem auszu¬ 
gleichen“. Verf. nennt dieses in seiner genauen chemischen Zu¬ 
sammensetzung nicht ausführlicher bezeichnete Präparat „eine Art 
von Nervennahrang“. Es existieren davon „drei Stärken“ in 
Tabletten form. Stärke „einfach stark“ wird bei zeitweiser Schwäche 
jüngerer Personen an gewendet, drei- bis viermal tägl. ein bis zwei 
Tabl.; „zweifach stark“ bei chronischer Schwäche, drei- bis vier¬ 
mal tägl. eine Tabl.; „dreifach stark“ wird „da angewandt, wo 
ein prompter Erfolg erwünscht ist“, aber nur wenige Tage zwei- 
bis dreimal tägl. eine Tabl. 

Ob die günstigen Erfolge, die Verf. gesehen hat, aul die 
Wirkung dieses Mittels oder auf eine Art Suggestion zurückzu¬ 
führen, oder den allgemeinen diätetischen und hygienischen Ma߬ 
nahmen, die gleichzeitig verordnet waren, zuzuschreiben sind, ist 
zweifelhaft. 

3. Wir entnehmen dem Aufsatz Folgendes: Der Eisen-Nähr¬ 
zucker ist ein weißgelbes, in Wasser leichtlösliches Pulver von 
angenehmem Malzgeruch und -geschmack. Seine Süßigkeit beträgt 
nur den vierten Teil des Milchzuckers. Maltose und Dextrin im 
Verhältnis 1:1 mit einem Gehalt von 0,7% Ferrum glycerin. 
phosphor. sind vorzugsweise an der Zusammensetzung des Präpa¬ 
rates beteiligt, das — weil ein Umwandlnngsprodukt der Stärke 
— leicht im Säuglingsdarm assimiliert nnd resorbiert wird und 
wegen seines geringen Maltosegehaltes den Darm nicht reizt. 

Der Eisen-Nahrzucker-Kakao ist ein bräunlich-gelbes Pulver, 
das aus sechs Teilen salzfreien Nährzuckers und einem Teil 
Kakaopulver mit einem Zusatz von 10% Ferrum ox} T dat. saccharat. 
solubil. besteht. Dieses Präparat ergibt, in Wasser verrührt, ein 
braunschwarzes Gemisch, das, der Milch hinzugesetzt, eine etwas 
dunklere Farbe als die des gewöhnlichen Milchkakao infolge des 
Eisengehaltes beibehält. 

Nach den Erfahrungen G r ü n f e 1 d s an zehn Kindern vom 
ersten Lebensmonat bis zu IV 2 Jahren stellt Soxhlets Eisen- 
Nährzucker ein sehr brauchbares Zusatzpräparat zur Milch dar, 
besonders bei Dyspepsie und Gastro-Enteritiden mit großem Ge¬ 
wichtsverlust. Es empfiehlt, sich, sobald die akuten Erscheinungen, 
gehäufte Entleerungen, Erbrechen, Temperatursteigerungen, ab¬ 
geklungen sind, erst mit kleinen Mengen (20 bis 30 g) zu be¬ 
ginnen und die Verdauung zu kontrollieren; denn schon bei 


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36 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr 2. 


größeren Mengen (50 bis 70 g) tritt öfters Obstipation auf, die 
durch Mikroklysmen oder Milchzucker leicht zu bekämpfen ist. 
Wegen der Schwierigkeiten, die die kindliche Anorexie macht, 
ist fortgesetzte Darreichung von mehrmals täglich 0,2 bis 0,5 
Ferrum glycerin. phosphor. zweifellos von Einfluß auf Appetit¬ 
losigkeit, wobei nach Grünfeld als Grundlage unseres thera¬ 
peutischen Handelns in der Kinderheilkunde die Einhaltung der 
Mahlzeiten in Zwischenräumen von 2 V 2 bis 3 Stunden zu be¬ 
trachten ist. 

Der Nährzucker-Kakao ist auch für Erwachsene ein Mast- 
mittel, sein Gehalt an Ferr. oxydat. saccharat. ist günstig für die 
Hebung des Appetits. Die Zubereitung ist die des gewöhnlichen 
Kakaos; davon zwei- bis dreimal täglich eiue Portion in Milch zu reichen. 

Klautsch (Deutsche med. Presse, 1907, Nr. 4) gab den 
Eisen-Nährzucker bei älteren Säuglingen kaffeelöffelweise aus¬ 
schließlich als Zusatz zur Milch; den Eisen-Nährzucker-Kakao ließ 
er bei Kindern, die über das erste Lebensjahr hinaus waren, teils 
mit Wasser, teils mit Milch, wie gewöhnlicher Kakao gekocht, 
zweimal täglich verabreichen. Auch dieser Autor sah nur günstige 
Erfolge von den beiden Präparaten. 


Mitteilungen aus der Praxis. 

Referent: Dr. W. F. Krüger, Magdeburg. 

Jodoformgaze. Folgende Vorschrift zur Herstellung von 
Jodoformgaze wurde auf dem V. pharmaz. Kongreß in Mailand 
(Sommer 1907) angegeben: 

Rp. Jodoform 3,33 g, 

Elemi 0,05 g, 

Ol, Ricini 0,1 g, 

Aceton (p. sp. 0,83) 52 g, 

Telae 1 m. 

(Apotheker-Zeitung, 1907, Nr. 100.) 

Tanaka, Nach einer japanischen Quelle wird als wirksam 
gegen Würmer Tanaka, ein Präparat aus Digenia Sim¬ 
plex angegeben. Das Mittel wird innerlich oder als Klystier 
angewandt: 

I. Rp. Decoct. Digeniae 20,0, 

Decoct. fol. Sennae 5,0, 

D. S. 3 mal tgl. auf 2 Tage. 

II. Rp. Decoct. Digeniae 50,0/500,0. 

D. S. lmal jed. Abend 1 Klystier. 

(Med. Klin., 1907, S. 1471.) 


Technische Neuerscheinungen. 


Verstellbare Krücke. 

Eine verstellbare Krücke ist von Rob. Schmidt, 
Berlin, angegeben worden. Dieselbe zeichnet sich vor den 
alten Modells dadurch aus, daß man beliebig durch einen Hand¬ 
griff den Schaft derselben verlängern oder verkürzen kann, also 
die Krücke sowohl für einen großen als auch für einen kleinen 
Menschen brauchen kann. Der Schaft besteht aus einer Zahn¬ 
stange. welche in einem entsprechenden Stahlrohr, das gespalten 
durch einen Spannring geschlossen und geöffnet werden kann, 
nach oben und unten gleitet. Will man die Krücke verlängern, 
so öffnet man das Spaltrohr durch den Spannring und zieht 
den inneren Teil des Schaftes so weit aus, bis die gewünschte 
Länge erreicht ist. Dann fixiert man das ganze wieder durch 
den Spannring. Ferner kann der Handgriff der Krücke ebenso 
verstellt werden, je nach der Länge des Armes oder dem 
Wunsche des Kranken. Diese Krücke ist entschieden ein Fort¬ 
schritt und vor allem für Krankenhäuser und Kliniken zu 
empfehlen, wo die vorhandenen Krücken zeitweise den Patienten 
verliehen werden, und wo man nicht so viel verschieden lange 
Krücken anschaffen will, daß sie für alle Kranke ausreichen. 

W. B. Müller, Berlin. 


Die Universal-Luftpumpe. 

Die Universal-Luftpumpe nach Prof. Zabludowski stellt 
ein äußerst vielseitiges Instrument dar. Die Pumpe selbst, 
deren Konstruktion aus der beistehenden Figur leicht zu er¬ 
sehen ist, wird mit einem Elektromotor verbunden. Man 
kann sie aber auch in Ermangelung der Elektrizität mit einem 
Handmotor, Schwungrad oder TretVorrichtung in Bewegung 
setzen. Von der Luftpumpe führt ein Schlauch C weg, an 
welchen die verschiedenen Ansätze angefügt werden können. 
Diese Ansätze werden durch Gas- oder Metallkonusse sehr 
rasch, leicht uud luftdicht angefügt und können ohne Mühe 
und rasch ausgewechselt oder umgetauscht werden. Am Ab¬ 
gänge des Schlauches ist ein Drehschieber E angebracht, welcher 
durch eine kurze Drehung die Funktion der Pumpe ändert 
und so den Apparat als Saug- oder Preßluftpumpe verwenden 
läßt. Durch rasches Wechseln dieses Drehschiebers kann man auch 
beide Arten in raschem Wechsel gebrauchen. Weiter ist ein 



Drehschieber F dicht vor dem Griff des Schlauches am Konus¬ 
stück für die Ansätze vorhanden, durch welchen man die In¬ 
tensität der Saug- oder Druckkraft ändern kann. Man kann 
durch denselben sehr genau dosieren. Es ist von besonderem 
Werte, daß dieser Dosierungsschieber dicht am Ansatz ange¬ 
bracht ist, weil man dabei durch die Glasansätze hindurch die 
behandelte Körperstelle beobachten kann, also das Auge nicht 
abzuwenden braucht, wenn man die Intensität der Einwirkung 
ändern will, denn der Grad der Intensität muß mit dem Auge 
festgestellt werden. Diese Pumpe wird von Ernst Utecht 
in Braunschweig fabriziert und kostet gebrauchsfertig ohne 
Motor mit Schlauch und Griff D, aber ohne die Ansätze 100 M. 
Die einzelnen Ansatzstücke sind billig zu haben und spielen im 
Preis keine Rolle. Die Verwendbarkeit des Apparates ist eine 
äußerst vielseitige, überall da, wo man Luftleere oder kom¬ 
primierte Luft braucht, ist derselbe am Platze, so z. B. zum 
Absaugen der Luft aus den großen Bier sehen Saugapparaten 
(Hand- und Fußsaugapparate) für Absaugung von Sekreten, zur 
Anwendung von Massage und dergleichen mehr. 

W. B. Müller, Berlin. 



Bücherbesprechungen. 



Das rumänische Bäderbuch. Von Aurel Scurtu. 

Zu den therapeutischen Hilfsmitteln gehören seit den ältesten 
Zeiten bis heute die Bäder und Kurorte. Die Verhältnisse haben 
sich nur insofern verschoben, als früher meist nur Badeorte der 
Umgegend ausgewählt wurden, heute aber bei den verbesserten 
Hilfsmitteln die Entfernungen keine Rolle mehr spielen. Auch 
in alter Zeit wurden zu Badereisen schon ziemlich große Ent¬ 
fernungen überwunden, so daß die alten Römer bis nach Aegypten 
wegen klimatischer Kuren gingen. Tm Mittelalter hören wir von 
zahlreichen Engländern, die nach Pyrmont zum Badeaufeuthalt 
kamen. Heute gehen Engländer nach Aegypten oder selbst Süd¬ 
afrika, um die verlorene Gesundheit wieder zu erlangeu. In 




iöö 8 . Therapeutische rundschaü. 37 


dieser Entwicklung rücken auch die Bäder Rumäniens in den Ge¬ 
sichtskreis von Westeuropa. Die schönen und hochinteressanten 
Bäder des Kaukasus haben ja in letzter Zeit durch die politischen 
Verhältnisse Rußlands vorläufig an Interesse verloren. Alle neu¬ 
erschlossenen bequemen Land Verbindungen weisen aber nach dem 
Osten und Südosten. Die Badeorte des türkischen Reiches können 
noch nicht in den Wettbewerb mit den Bädern des Westens ein- 
treten. Alle diese Verhältnisse liegen ungemein günstig für die 
rumänischen Bäder. Es ist darum wohl zu verstehen, daß sich 
die rumänischen Badeorte in jeder Weise bekannt machen wollen. 
Das zweckmäßigste Buch dafür ist die Calauza statiunilor balneare 
si climaterice din Romania, die von dem rührigen und bekannten 
Mitglied© des rumänischen Apotheker Vereins Aurel Scurtu in 
Giurgiu verfaßt und in Bukarest erschienen ist. 

Für eine Landreise nach dem Orient kommt vorläufig in erster 
Linie die Schnellzugslinie Wien-Konstantinopel in Betracht. Diese 
führt freilich durch Serbien und läßt Rumänien weit links liegen. 
Aber jene Routen, die über Szegedin an das Schwarze Meer führen, 
durchschneiden Rumänien. Im Süden wird Rumänien von dem 
reichen Donautieflande begrenzt. Hier fehlen natürlich erwähnens¬ 
werte Badeorte von einiger Bedeutung. Nach dem Nord westen 
wird aber Rumänien in einem großen konkaven Bogen gegen 
Siebenbürgen und Ungarn durch die Wasserscheide der trans- 
sylvanischen Alpen wenigstens politisch begrenzt. Der Volks¬ 
stamm der Rumänen überschreitet diese Grenze weit, so daß, ab¬ 
gesehen von den Siebenbürger Sachsen, dieses ganze Gebirgs- 
system als rumänisch betrachtet werden kann. Hier in den Ab¬ 
hängen nach Südosten, die von der Morgensonne bestrahlt werden, 
also im Königreich Rumänien selbst, liegt ein reicher Kranz von 
Badeorten, vielfach in wildromantischen, stark bewaldeten Tälern. 
Die Grenze des Landes nach Südosten bildet das Schwarze Meer, 
an dem auch noch einige Seebäder in der sogenannten Dobrudscha 
liegen. Was die Türkenherrschaft hier in Jahrhunderten verändert 
hat, suchen die Rumänen wieder der alten Westkultur zurückzu¬ 
gewinnen. Wir sehen es schon an den Namen. Auf rumänischem 
Gebiete kann vom Westen das Schwarze Meer in direkter Eisen¬ 
bahn verbindimg gewonnen werden, in einer Stadt, die bei den 
Türken den Namen Köstendsche erhalten hatte; von den Rumänen 
wurde sie wiederum in Constanza zurückbenannt. Hier liegen 
nicht allzuweit die Seebäder Mamaia, Tekir-Giol uud Mangalia, 
von denen Tekir-Giol das bedeutendste, die beiden anderen aber 
Seebäder in unserem Sinne sind. Auch Constanza und Sulina sind 
Seebäder. Die Reise bis dorthin ist ja allerdings weit. Aber die 
Fahrpreise auf den Österreichischen und ungarischen Bahnen sind 
sehr niedrig und auch das tägliche Leben in den rumänischen 
Bädern ist wesentlich niedriger als in den heimischen Bädern. 
Mancher auch nicht allzu Begüterte, der ein Seebad im Sommer 
aufzusuchen gewohnt ist, dürfte sehr befriedigt zurückkehren, wenn 
er einmal ein rumänisches Bad zur Abwechslung gewählt hat. 
Allerdings vor einem Gewimmel aller Nationen des Orients, ein¬ 
schließlich der Zigeuner, darf er keinen Abscheu haben. In der 
Auswahl wird der stets freundliche und für sein Vaterland be¬ 
geisterte Aurel Scurtu in Giurgiu, dem Dschurdschewo der 
Türken, gerne behilflich sein, der auf deutsche Anfragen fließendes 
Deutsch antwortet. Die hier gemachten Nebenbemerkungen gelten 
auch für die anderen Bäder von Rumänien. 

Warme Mineralquellen besitzt Rumänien nur wenige und 
durchweg nur in kleineren Badeorten, Warm ist Siriu, halbwarm 
eine Quelle in dem schon erwähnten Mangalia, dann Star-Kiojd 
(36° Cj, Tintea (sprich Zintea, 25 bis 30° C) und Bivolari (24° C). 
Kochsalzquellen sind: Balzazesti, Jitia, Ocnele-Mari, Oglinzi, 
Poiana-Marului, Sarata-Bacau, Slanic-Prahova, Taslau, Telega-Dof- 
tana. Einfach alkalinisch ist Caciulata, alkalinisch-muriatiscb: 
Borca, Cozia-Paussa, Hangu, Slanic-Moldova. Jod- und Jod-Koch- 
salzwässer: Govora, Meledic, Nastasachi, Olanesti, Predealu, Sarata 
Monteoru und Vulcana. Schwefelquellen: Basca Penteleu, Bradezu, 
Campina, Pucioasa, Strunga. Schwefeljodkochsalzquellen: Bobocii, 
Bughea, Calimanesti, Nearnzu (Bezirk Manastire), Olanesti, Sacelu, 
Vizantea, Zavoiu. Bitterwässer: Balzazesti, Breazu, Cozla P. 
Nearnzu, Mircea Iassi, Olanesti, Vailuza. Eisenwässer; Predeal, 
Slanic-Moldova, Strunga, Umbraresti. Arsenquelle: Dorna. 

Als Süßwasserbäder sind besucht: Balta-Alba, der See Agi- 
giol, See Amara, See Fundata, See Sarat, $ee Tekir-Giol und | 


Lazu, Dazu kommt noch eine ganze Reihe von klimatischen Kur¬ 
orten und Sommerfrischen. 

Ueber alle gewünschten Einzelheiten gibt auch schon das 
Buch von Scurtu in übersichtlicher Weise Auskunft. Es ist im 
Text reichlich von Abbildungen der Badeorte und ihrer Umgeb¬ 
ungen unterbrochen. v. 0 e f e 1 e, Neuenahr. 

Die Röntgentechnik. Von Davidsohn. Ein Hilfs¬ 
buch für Aerzte (74 Seiten, 13 Abbildungen im Text, 12 Tafeln). 
Preis 6 M. Verlag von S. Karger, Berlin. 

Das kleine Werk gibt eine kurze Darstellung der physikali¬ 
schen Grundlagen, des Instrumentariums und der Technik der 
Röntgenographie in klarer und leichtverständlicher Form. Die 
Therapie ist etwas stiefmütterlich behandelt. Im ganzen kann 
das Buch — besonders auch wegen seiner Kürze — dem em¬ 
pfohlen werden, der schnell über Röntgen-Instrumentarium und 
-Technik die notwendigsten Kenntnisse sich aneignen will. Mehr 
hat der Verf, nicht bieten wollen und in diesem Umfang auch 
kaum bieten können; recht gut sind die Tafeln, welche als „normale 
Vergleichsobjekte für die am häufigsten vorkommenden Aufnahme¬ 
stellungen 4 dienen sollen. Etwas zu hoch erscheint dem Referenten 
der Preis von 6 M. für das doch immerhin wenig umfangreiche 
Werk. H. E. Schmidt-Berlin. 


□ ALLGEMEINES. 


Präparat oder Zubereitung. Eine namentlich für den Drogen¬ 
handel wichtige Entscheidung fällte die Bonner Strafkammer in 
ihrer Sitzung vom 12. Oktober 1907. Der Kaufmann und Mineral- 
wasserfabrikant M. H. betreibt mit seiner Frau in Münstereifel 
(Rhld.) eine Drogerie, in der er u. a. auch; 1. Tinct. Cinnamomi, 
2. Tinct. Gentianae, 3. Tinct. aurant. 4. Tinct. absynt. 5. Tinct. 
aromatica, 6. Tinct. amara, 7. Acidum benzoicum, 8. Unguentum 
pedicoloruin als Heilmittel feilgehalten haben sollte, ohne die er¬ 
forderliche Konzession hierzu zu besitzen. Wegen Uebertretung 
des § 367, 3 des St. G. B. und der Kaiserl. Verordnung vom 
22. Februar 1906 unter Anklage gestellt, wurde H. vom Schöffen¬ 
gericht zu Rheinbach laut Urteil vom 18. Januar 1907 frei¬ 
gesprochen. Auf die vom Staatsanwalt eingelegte Berufung 
hin nahm die Bonner Strafkammer in ihrer Sitzung vom 18. April 
1907 die angeklagten Eheleute in eine Geldstrafe von je fünf 
Mark speziell wegen des Verkaufs von Unguentum pedicolorum, 
indem sie den Ausführungen der Sachverständigen beitrat, 
daß diese Quecksilbersalbe ein Gift im Sinne der Polizeiver¬ 
ordnung vom 22. Februar 1906 sei, mithin eine Uebertretung 
des § 367, 3 des St. G. B. als erwiesen gelte. Dieses Urteil wird 
von den Angeklagten durch Berufung an das Kammergericht 
Berlin angefochten unter folgender Begründung: Das Gericht habe 
irrtümlich angenommen, die Anwendung des § 367, 3 St. G. B. habe 
einen Dolus nicht zur Voraussetzung. Aus E. d. R. G. vom 3. XI. 
g. 1. Band 22, S. 197 und 198, erhellt, daß das Vorhandensein 
des Dolus unerläßliche Bedingung der Strafbarkeit aus § 367, 3 
sei. Aus dem Wortlaut des Urteils, in dem das Gericht zwischen 
dem „Gutachten“ des Sachverständigen und der „Auffassung“ des 
Angeklagten unterscheidet und aus dem Freispruche erster In¬ 
stanz, sowie aus zahlreichen freisprechenden Urteilen verschiedener 
Gerichte, auch des Kammergerichts, läßt sich wohl das Vorhanden¬ 
sein einer bona fides des Angeklagten schließen. In der Verhand¬ 
lung vom 6. September 1907 gab das Kammergericht der Revision 
des Angeklagten unter der Begründung statt, daß die Annahme der 
Vorinstanz, Unguentum pedicolorum falle auch dann unter die 
Quecksilberpräparate der Abteilung 1 des Giftverzeichnisses, wenn 
es nur die Zubereitung eines solchen Präparates sei, als 
Rechtsirrtum angesehen werden müsse, denn wo auch die Zu¬ 
bereitungen eines bestimmten Giftes als giftig gelten sollten, 
ist das bei zahlreichen Giften der Abteilungen 1 und 3 ausdrück¬ 
lich hervor gehoben worden. Da dies bei den Quecksilberpräparaten 
nicht der Fall ist, so sind Zubereitungen von Quecksilber¬ 
präparaten als giftig im Sinne des § 367, 3 des St. G. B. in 


Original frnm 



5 


66 


TflEEA^EÜTtsdNl-tttÄCl^V 


Preußen nicht anzusehen. (Vgl. Lebbin, Verkehr mit Heilmitteln 
und Giften, Berlin 1900, S ; 275 f.) Das Gericht hob das vor¬ 
instanzliche Urteil behufs Beststellung, ob das Unguentum pedi- 
colorum ein Quecksilberpräparat oder nur die Zuberei¬ 
tung eines solchen ist, auf und verwies die Sache an das 
Berufungsgericht zurück. Es erfolgte nun, wie eingangs gesagt, 
am 12. Oktober 1907 ein neuer Termin vor der Strafkammer zu 
Bonn, der mit der kostenlosen Freisprechung des Beklagten endete. 
Das Gericht führte dabei aus, daß eine Verurteilung des An¬ 
geklagten nur dann eintreten könne, wenn anderweitig festgestellt 
wird, daß Unguentum pedicolorum ein Quecksilber p r äp ara t und 
nicht bloß die Zubereitung eines solchen ist. Der in der Be¬ 
rufungsinstanz erneut vernommene Sachverständige Kreisarzt Dr, 
Meder, auf dessen Gutachten sich im wesentlichen das frühere 
Urteil der Berufsinstanz stützte, hat nunmehr selbst erklärt, daß 
er das frühere Gutachten nicht in vollem Umfange aufrecht er¬ 
halten könne. Es sei ihm zweifelhaft geworden, welcher Unter¬ 
schied zwischen Präparaten und Zubereitungen zu machen sei. 
Eine anderweitige Feststellung, daß die betr. Salbe* ein Queck¬ 
silberpräparat sei, könne er nicht treffen. Krey, Köln. 



10 tägigen Kursen , 96 Desinfektoren staatlich approbiert, 

2 für Böhmen. 5 Schüler haben nicht bestanden„ 10 vermochten^* 
'dem Unterricht nicht zu folgen und schieden daher vor dem - 
Examen freiwillig aus. Nahezu die Hälfte der Schüler gehörte > 
dem Schutzmannberufe an, die andere Hälfte setzte sich aus selb¬ 
ständigen Gewerbetreibenden, Arbeitern, Wegewärtern, Gemeinde¬ 
dienern, Krankenpflegern und subalternen Verwaltungsbeamten zu¬ 
sammen. Die günstigsten Zensuren erhielten die Schutzleute, die 
schlechteren die Wegewärter und Gemeindediener. Ausschlag¬ 
gebend dafür ist vor allem das Alter der Schüler, denn von den 
Schülern im Alter von 21 bis 30 Jahren erhielten 52 Proz., von 
denen im Alter von 31 bis 40 Jahren 45 Proz. und von den über 
40 Jahre alten nur 22 Proz. die ersten beiden Zensuren. Die¬ 
selben Erfahrungen hat man bekanntlich auch in Preußen gemacht. 
Seit Anfang dieses Jahres hat man daher dort die Altersgrenze 
auf 45 Jahre für die auszubildenden Desinfektoren 
(Münch. Med. Woch. 1907, Nr. 51.) 


Düsseldorf. Der Haushaltsplan der Allgemeinen Kranken¬ 
anstalten und der Akademie für praktische Medizin beruht auf 
der Voraussetzung, daß das Krankenhaus in diesem Jahre mit 
800 Betten voll ausgebaut ist. Für das vorige Jahr war mit 
einer Belegung von 500 Betten gerechnet, wahrend für dieses 
Jahr mit einer Belegung von 700 Betten gerechnet werden muß, 
Der Privatpavillon rechnet, wie im Vorjahre, mit 50 Betten. 
Gegenwärtig sind an den Krankenanstalten 30 Aerzte tätig. Für 
dieses Jahr wird sich diese Zahl voraussichtlich auf 36 erhöhen. 
Von den Aerzten sind etwa 30 für den eigentlichen Krankenhaus¬ 
betrieb notwendig, die übrigen für das pathologische Institut und 
das Institut für experimentelle Therapie. Im Etat findet eine 
getrennte Verrechnung statt zwischen den Einnahmen und Aus¬ 
gaben aus dem wirtschaftlichen Betrieb, sowie den Einnahmen 
und Ausgaben aus dem ärztlichen Betrieb. Außerdem ist für 
jede einzelne Klinik bezw. Abteilung eine besondere Rechnung 
aufgestellt. Der Etat schließt ab in Einnahme mit 910 000 M. 
und in Ausgabe mit 1 297 000 M. Das Bedürfnis stellt sich mit¬ 
hin auf 387 000 M., gegen 210000 M. im Jahre 1906. 

Krey, Köln. 

Münster (Westf.). Ein wie erträgliches Geschäft die Wunder¬ 
doktorei ist, zeigte eine Verhandlung vor der hiesigen Straf¬ 
kammer gegen den Heilkundigen Garthaus aus dem benachbarten 
Wolbeck wegen Steuerhinterziehung. G., der hier als „Wolbecker 
Doktor“ allgemein bekannt ist, war beschuldigt, in seiner Steuer¬ 
erklärung für das Jahr 1906 sein Einkommen aus seiner Tätig¬ 
keit als Heilkundiger, das auf 20 bis 25000 M. jährlich geschätzt 
wird, nicht angegeben zu haben, in der Absicht, dadurch seine 
Steuer zu verkürzen. G.s Vater war Landwirt, er selbst hat eine 
besondere Schulbildung oder gar akademische Bildung nicht ge¬ 
nossen. Seine Weisheit, die er seit beinahe 20 Jahren verzapft, 
hat er angeblich von einem früheren Lehrer oder aus Büchern. 
Sie besteht in der Hauptsache darin, daß er am U,rin sehen will, 
was seinen Patienten fehlt. Ueber seine Methode sowie seine 
Erfolge gehen die Meinungen sehr auseinander. An den Sprech¬ 
tagen, die er wöchentlich abhält, kommen Leute aus allen Gegenden 
herangepilgert. Er selbst schätzt seine Einnahme an jedem 
Sprechtag auf etwa 50 M. Stellenweise kommen 100, 200 und 
noch mehr Leute an einem Tage zu ihm. Außerdem hat er im 
letzten Jahie nicht weniger als 1835 Postsendungen abgefertigt. 
Soweit in der Verhandlung bekannt wurde, verfertigt er seine 
Medikamente (Pulver) aus Rizinus, Hirschtalg, Pfefferminz, Kümmel, 
Soda, Hollunder usw. Eine genaue Feststellung über die Höhe 
seines Einkommens aus dieser gewinnbringenden Beschäftigung 
ließ sich nicht treffen, da er Honorar nicht fordert und keine 
Bücher fuhrt. Das Gericht nahm, trotzdem er beinahe ein halbes 
Jahr krank war, ein Einkommen von 9000 M. an und erkannte 
auf eine Geldstrafe von 1812 M. Krey, Köln. 

Desinfektorenprüfungen. An der Landesdesinfektorenschule 
für das Königreich Sachsen' in Dresden wurden im Jahre 1907 in 


Fachliste geschützter Erfindungen. 

Herausgegeben von der Firma Heinrich Brust, Verbands-Patent-Bureau, 
Kassel, Hohenzollernstr. 43. Fernruf 3186. Amerikanischer Patentanwalt. 
Den Abonnenten dieser Zeitschrift wird Rat und Auskunft in allen Patent¬ 
angelegenheiten kostenlos erteilt. 

Patent - Anmeldungen. 

30 d. Uteruspessar mit hohlem Schaft und einer Verdickung 
am Schaftende. Friedrich Schneider, Berlin, Barnimstr. 40. 

Gebrauchsmuster. 

30a. Aus schrägstehenden, an Hebelarmen befestigten und 
durch Druck insgesamt nach einem Punkte radial beweglichen 
Nadeln bestehendes Instrument zur Entfernung von Warzen und 
anderen Hautauswüchsen auf elektrolytischem Wege. Werner Otto, 
Berlin, Friedrichstr. 131. 

30 a. Nähmaterialbehälter aus Glas mit sackähnlicher Ver¬ 
schlußnaht. Fa. Paul Hartmann, Heidenheim, Württemberg. 

30 a. Apparat zur Durchleuchtung der Stirn- und Kiefer¬ 
höhlen. Vereinigte Elektrotechnische Institute, Frankfurt, Asehaffen- 
burg, m. b. H., Frankfurt a, M. 

30 b. Reguliervorrichtung für zahntechnische Zwecke mit 
verschiebbar gelagerter Schutzhülse. Fa. Arnold Biber, Pforz¬ 
heim. 

30 g. Halter für Milchflaschen. Sanitaria, G. m. b. H. vorm. 
Gretsch & Co., Feuerbach, Württemberg. 

30 k. Inhalationsapparat mit Ozonisator. Julius Lieben, Berlin, 
Passauerstr. 37 a. 


Wiederum hat der Tod, der sich in letzter Zeit 
besonders zahlreiche Opfer unter den medizinischen 
Autoritäten ausgesucht hat, einen Mann von außer¬ 
ordentlicher Bedeutung hinweggerissen: Herrn Geh. 
Medizinalrat Prof. Dr. von Mering, der als innerer 
Mediziner wie als Schöpfer mehrerer nunmehr unent¬ 
behrlicher Arzneimittel einen Weltruf errungen. Wir 
werden dem Andenken dieses hervorragenden Forschers, 
zu dessen Füßen zu sitzen auch wir das Glück gehabt 
haben, in nächster Nummer einen besonderen Ab¬ 
schnitt widmen. 


Selbst Dr. Standke’s wohlschmeckender Lebertran, das an¬ 
genehmste Präparat seiner Art, wird nicht so gern genommen wie Fueol. 
Ueberdies wird er vielfach in unlauterer Weise nachgeahmt. Man gebe daher 
dem durch D. R. P. geschützten Fucol den Vorzug und verordne Orig.- 
Flaschen ä l / 2 Liter ä M. 2,—. General-Vertrieb: Karl Fr. Töllner, Bremen. 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. H. Lungwit*, Berlin S. 14. — Verlag: Carl Marhold, Verlagsbuchhandlung, Halle a S. 
Pruqk der Heynemannschen Buchdrucker ei, Gebr. Wolff, Halle a 5. 


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Therapeutische Rundschau 

Wochenschrift für die gesamte Therapie des praktischen Arztes. 


0. Anton, A. DBhrssen. C. A. Ewald, R. Robert, 
Ha,le a - $ Berlin. Berlin. Rostock. 

H. Schmidt-Rimpler, H. Senator, 

Halle a. S. Berlin. 


Redaktion: 

Berlin S. 14, Dresdenerstrasse 44. 

_Dr. H. Lungwitz. 



M. Koeppen, H. Rosin, 

Berlin. Berlin. 

R. Sommer, H. Unverricht, 

Gießen. Magdeburg. 


H. Schlange, 

Hannover. 


Ad. Schmidt, 

Halle a. S. 


Verlag u. Expedition: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung 
in Halle a. S., Reilstraße 80. 

Tel.-Adr.: Marhold Verlag Hallesaale. Fernsprecher 823. 


Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte der Ostsee und der 

freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 


11. Jahrgang. 


Halle a. S., 19. Januar 1908. 


Nr. 3. 


dl. Post, sowie & OfftssteUe? C a U VerUcs'bu ndl Nummer 23 Pf Bestellungeo nehmen jede Buchhandlung, 

mit 50 Pf. berechnet Beilagen . na oh Uebereinkunlt Reklamezelie U l#) Al” Bei 1 größeren Aufträgen “ÄbattTewährt“"“ 6 " '“ r d ‘ e 4gespal,ene Peti,zdlp deren R»„S’ 
Nachdruck der Öng.naUAufsä.ze is, ohne Genehmigung Redaktion nicht ges.a^t-Xhdruc“ Wanderen Rubriken ist nur mit Queilenangabe gestaltet 



Aus der Dührssensehen Privatanstalt für Geburtshilfe und 
Frauenkrankheiten. 


Die Aetiologie, die nichtoperative und die operative 
Therapie der Genitalprolapse. 

Von Prof. Dr. A. Dührssen, Berliu. 

Eine gichtige Frage für den praktischen Arzt ist die sach- 
emäße Behandlung der Genitalprolapse beim Weibe. Eine 
erartige Behandlung hängt aber zum großen Teil von einer 
richtigen Erkenntnis der Faktoren ab, welche das normale und 
abnormale topische Verhalten der Beckenorgane bedingen. Wäh¬ 
rend bisher sowohl für die Erklärung der Normal läge des 
Uterus als auch der mannigfachen Formen der Prolapse des 
Uterus und der Scheide die verschiedensten, sich oft diametral 
gegenüberstehenden Theorien aufgestellt wurden, ist es ein 
großes Verdienst von Hai bau und Tandler, in ihrem jüngst 
erschienenen Werk, „Anatomie und Aetiologie der Genitalpro¬ 
lapse beim Weibe , gestützt auf umfassende anatomische und 
experimentelle Untersuchungen, eineTheorie aufgestellt zu haben, 
welche in ungezwungener Weise alle hier in Betracht kom¬ 
menden Verhältnisse erklärt. 

Die genannten Autoren führen zunächst bezüglich der 
N o rm al läge des Uterus folgendes aus: Die Anteversio- 
flexio ist die onto- und phylogenetisch bedingte Normallage 
des Uterus, da schon die Al üll ersehen Fäden einen bogen¬ 
förmig nach vorn und unten gerichteten Verlauf zeigen und ähn¬ 
liche Verhältnisse des Uterus auch bei Säugetieren vorliegen. 

Alle mit dem Uterus verbundenen Gebilde adaptieren sich 
in ihrer Architektur der prädisponierten, phylo- und onto- 
^enetisch bestimmten Lage des Uterus, sie sind daher nicht 
die Uisache der Lage des Uterus, sondern ihre Anordnung ist 
eine Folge der Lage. Die Summe ihrer Widerstandsfähigkeit 
ist imstande, das Gewicht des normalen Uterus zu tragen und 
ihn in seiner Lage zu erhalten. Dagegen genügen die normalen 
Suspensionsmittel des Uterus nicht bei Steigerungen des intra¬ 
abdominellen Druckes. Hier sind es die Stützapparate, 
welche den Uterus in seiner Lage erhalten. Diese 
werden gebildet durch die Muskulatur des Becken¬ 
bodens, welche die Beckenhöhle nach unten abschließt. Sie 
besteht aus den beiden seitlichen Schenkeln des Levator ani, 
aus der hinter dem Rektum gelegenen unpaaren Levatorplatte 
und aus dem Diaphragma urogenitale. Letzteres, eine den 
Schambogen ausfüllende, dreieckige Muskelsehnenplatte, ver¬ 
schließt sekundär den zwischen den Levatorschenkeln gelegenen 
Levatorspalt. Der Verschluß des Beckenausgangs ist jedoch 


kein vollständiger, da Lücken für den Durchtritt von Harn¬ 
röhre, Scheide und Rektum vorhanden sind. 

Physiologisch ist die Beckenbodenmuskulatur 
als ein Teil der abdominellen Verschlußmuskulatur 
aufzufassen, die wir beide synchron und synergisch zu inner¬ 
eren gewöhnt sind. Durch die Kontraktion des Levator ani 
wird der Levatorspalt in frontaler und in sagittaler Richtung 
verengt. Bei plötzlichen Drucksteigerungen im Abdomen, z. B. 
beim Husten, wird hierdurch einem Hinauspressen resp. Vor¬ 
fall der Beckenorgane vorgebeugt. Dagegen kontrahiert sich 
bei allmählicher Drucksteigerung, wie sie z. B. bei der Defä- 
kation sich vollzieht, der Levator zwar auch, wird aber dann 
von der Bauchpresse überwunden. Infolgedessen erweitert sich 
der Levatorspalt beim Pressen, aber der Muskel gibt infolge 
seines erhaltenen Tonus immer nur so viel nach, als für die 
Defäkation notwendig ist. Die Kontraktion des Diaphragma 
I urogenitale ist geeignet, einem gesteigerten Druck Widerstand 
zu leisten und den vorderen Teil des Levatorspalts, den Hiatus 
genitalis, in wirksamer Weise abzuschließen. Letzteres ist be¬ 
sonders wertvoll beim Pressen, weil dabei der Hiatus genitalis 
erweitert ist Durch das Diaphragma bleibt der Urethra, der an¬ 
grenzenden^ Partie der Harnblase und dem unteren Teil der 
vorderen Scheidenwand auch bei gesteigertem abdominellen 
Druck die physiologische Stütze erhalten. 

Der normal gelagerte, antevertierte Uterus wird bei 
Steigerung des Bauchdruckes nach hinten und unten gedrängt, 
wodurch er direkt gegen den unpaaren hinteren Levator¬ 
abschnitt, die Levatorplatte, gepreßt und daselbst festgehalten 
wird. Auch die übrigen Beckeneingeweide liegen dem Levator 
in ihrem größten Anteil unmittelbar^ oder mittelbar auf. Durch 
den Levator werden das Rektum, der Uterus, der größte Teil 
der Vagina und der Blase unterstützt. Nur die Urethra, der an¬ 
grenzende Teil der Blase und der vorderen Vaginalwand, event. 
auch ein Teil des Korpus des antevertierten Uterus fallen in den 
Bereich des Hiatus genitalis, welcher nach hinten bis zur vor¬ 
deren Mastdarmwand reicht. Diese Partien werden aber vom 
Diaphragma urogenitale und dem Perinealkeil getragen. Indem 
der abdominelle Druck die Beck en einge w eid e an 
ihre Unterlage anpreßt, stellt er, der im allgemeinen die 
Tendenz hat, die Organe zu dislozieren, den Beckeneinge- 
weiden gegenüber ein fixatoris ch es Moment dar & 

Bei allen Prolapsen findet sich eine Erweite¬ 
rung des Hiatus genitalis und vielfach auch eine Be¬ 
schädigung des Diaphragma urogenitale, welche 
die Ursache der verschiedenen Arten von Vor¬ 
fällen sind. 

xAlle Prolapse sind — meistens durch Geburtstraumeu 
entstandene — Hernien des Hiatus genitalis. Die Seiten¬ 
ränder der Bruchpforte werden durch die beiden Levator¬ 
schenkel gebildet. Ist das Diaphragma urogenitale gleichfalls 



UT MILMMjAN 


Original ffom 

uralvtkiiTY ÖFMrCHfGÄW 










42 


durch das Geburtstrauma lädiert und vollständig defekt, so reicht 
die Bruchpforte von der Symphyse bis zur vorderen Rektalwand. 

Der gesteigerte Abdominaldruck preßt alle Or¬ 
gane oder Organteile, welche in den Druckbereich 
dieser Bruchpforte fallen, durch dieselbe hinaus. 

Kommt ein Organ ganz in den Bereich des Hiatus geni¬ 
talis, so hat es am Beckenboden gar keine Stütze mehr und wird 
vollkommen vorgepreßt. Fällt nur ein Teil des Organs in 
diesen Bereich, während ein anderer Teil außerhalb desselben 
liegt, so wird der erstere durch den gesteigerten Abdominal¬ 
druck vorgepreßt, der letztere aber durch denselben Druck gegen 
die Unterlage angepreßt und dadurch fixiert. Die vorgepreßten 
Partien werden unter dem Einfluß des kontinuier¬ 
lichen Drucks gedehnt. Hierdurch erklärt sich die bei 
Prolapsen so häufige Elongatio colli. Nach den Untersuchungen 
von Halb an und Tandler betrifft diese Elongation gelegent¬ 
lich auch den Uteruskörper und zwar dann, wenn auch der 
untere Teil des Uteruskörpers in den Bereich der Bruchpforte 
gelangt. Dies ist besonders leicht möglich bei Retroversio et 
Deszensus uteri (Abb.l). Die S ehr öder sehe Theorie von der durch 
den Zug der prolabierten Scheide bewirkten Elongatio colli ist 
daher unrichtig. Alle die verschiedenen partiellen oder totalen 
Vorfälle der Blase, der Scheide und des Uterus lassen sich 


Die untere Hälfte des 
retrovertierten Uterus wird 
durch den abdominellen 
Druck herausgepreßt, die 
obere fixiert. (Die dicken 
Linien stellen das Dia¬ 
phragma urogenitale und 
die Levatorplatte dar.) 



THERAPEUTISCHE RUNDSCMaÜ 



Scheiden- und Uterusvorfald entsteht. Verfassen 
möchte diese Tatsache in etwas präziserer Weise, als die ge¬ 
nannten Autoren es tun, dadurch erklären, daß die Zer- 


Der retrovertierte Uterus 
liegt ganz im Bereich des 
Hiatus genitalis und wird 
daher in toto herausgepreßt. 



Abb. 2. (Nach Halban und Tandler.) 

reißung des Septums rektovaginale bei der Geburt einer Zer¬ 
reißung oder Ueberdehnung des Levator ani und des Diaphragma 
urogenitale vorbeugt: sie beugt damit auch einer Hernie des 



Durch den Deszensus 
uteri retroversi sind beide 
Scheidengewölbe in den Be¬ 
reich des Hiatus genitalis ge¬ 
langt und werden mitsamt 
der angrenzenden Blase und 
der Zervix vorgepreßt. 


Abb. 3. (Modifiziert nach Halban und Tandler.) 


Abb. 1. (Nach Halban und Tandler.) 

dagegen durch die Theorie der genannten Autoren erklären. 
Ist z. B. der Uterus klein und der Hiatus genitalis sehr groß 
geworden, so kann der ganze Uterus herausgepreßt werden, 
wodurch dann ein kompletter Vorfall des retrovertierten (Abb. 2) 
oder auch anteflektierten Uterus entsteht. Von der Scheide wird 
alles hervorgepreßt, was oberhalb des Hiatus genitalis liegt. 

Hierdurch kommt es bei Retroversio et Deszensus uteri, bei 
der das vordere und manchmal auch das hintere Scheidengewölbe 
(Abb. 3) im Bereich des erweiterten Hiatus liegt, zu der häufigsten 
Prolapsform, nämlich zu dem Vorfall der vorderen Scheiden¬ 
wand mit Zystokele, Elongatio colli und ev. auch Inversion 
des hinteren Scheidengewölbes. Ist die ganze Scheide vorge¬ 
fallen, so beruht das einmal auf einer Hernie des Hiatus geni¬ 
talis, durch welche die oberhalb des Hiatus gelegenen Scheiden¬ 
partien hervorgepreßt werden — und weiter auf einer In¬ 
suffizienz des Diaphragma urogenitale und des Perinealkeils. 
Auf diesen Gebilden ruht der unterste Teil der vorderen 
Vaginal wand und muß daher vorfallen, wenn sie durch Zer¬ 
reißungen bei der Geburt defekt geworden sind. Ferner ent¬ 
steht durch Defekte im Perinealkeil einDarmwandbruch des 
Rektums, eine Rektokele, welche den untersten Teil der 
hinteren Vaginal wand vorpreßt. Die Vorfälle der ganzen 
Scheide mit den angrenzenden Partien der Harn¬ 
blase und des Mastdarmes beruhen also auf einer 
Kombination von Defekten des ganzen Beckenbodens, 
nämlich des Levator ani, des Diaphragma urogeni¬ 
tale und des Perinealkeils. 

Mit diesen großen Prolapsen kombiniert sich gelegentlich 
infolge von Atonie der gesamten Beckenbodenmuskulatur eine 
Senkung des Beckenbodens. 

Die Theorie von Halban und Tandler erklärt auch 
in völlig befriedigender Weise die viel erörterte Tatsache, 
daß gerade bei kompletten Dammrissen kein 


Hiatus genitalis vor und erhält dem vordersten Teil der Blase 
und der Vagina die eine ihrer normalen Stützen, nämlich das 
Diaphragma urogenitale, zum größten Teil. Dadurch, daß keine 
Hernie des Hiatus da ist, können Uterus und oberer Teil der 



i 

f 


Die Zervix liegt im 
Hiatus genitalis und wird 
mit dem hinteren Scheiden¬ 
gewölbe vorgepreßt. 


Abb. 4. (Nach Halban und Tandler.) 


Scheide nicht vorfallen und auch der untere Teil der Scheide 
braucht nicht vorzufallen, trotzdem er einer seiner Stützen, nämlich 
des Perinealkeils, beraubt ist, wenn die vordere Stütze, das 
Diaphragma urogenitale, in seinen vorderen Partien intakt ge¬ 
blieben ist. 

Die Antriebsrichtung des Abdominaldrucks wirkt gewöhn¬ 
lich von der Exkavatio vesiko-uterina aus — so entstehen die 
Prolapse durch vordere Druckwirkung. Prolapse 
durch hintere Druckwirkung entstehen bei primärer Ver¬ 
tiefung und Erweiterung der Exkavatio rekto-uterina und er¬ 
worbener Insuffizienz des Beckenbodens. Bei ihnen ist ge¬ 
wöhnlich der obere Teil der hinteren Vaginal wand vorgefallen 
und die Zervix des anteflektierten Uterus elongiert. Hier wird 
der Uteruskörper dadurch vor einem Vorfall bewahrt, daß er 
bei gesteigertem Bauchdruck gegen die Symphyse festgedrückt 


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1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


48 


wird, während die gegen den Beckenboden gedrängte hintere 
Vaginalwand und Zervix bei Insuffizienz desselben hervorge¬ 
preßt werden. (Fig. 4.) 

Unter den 120 Fällen von Prolaps, welche ich im letzten .Jahre in 
dieser und verschiedenen anderen Arbeiten besprochen habe, habe ich einen 
sehr ausgeprägten Fall dieser Aetiologie gesehen. 

24. 1. 07. Frl. J., 28 J. alt, gibt an, seit 5 Jahren an Vorfall zu 
leiden. Die elongierte Zervix ragt 4 cm weit aus der erweiterten Vulva 
hervor, die hintere Scheiden wand ist bis auf einen kleinen unteren Rest 
ganz vorgefallen, auch das vordere Scheidengewölbe ist sichtbar. Der Uterus 
ist anteflektiert, 11 1 /, cm lang (Zervix 6 cm lang), durch Verwachsungen 
mit den verdickten Adnexen fixiert. 

Nach ausgiebiger Portioamputation wurde K ol pokoel iutomia 
anterior gemacht und der Uteruskörper vor die Vulva ge¬ 
zogen. Es wurden hierdurch auch zwei Pyosalpingen und eine links¬ 
seitige apfelgroßo Ovariaizyste sichtbar gemacht und nach Lösung 
aus ihren Verwachsungen oxstirpiert. Der Uteruskörper wurde mit vier 
Catgutknopfnähten vaginifixiert. Es erschien dann weiter zur Verengerung 
der klaffenden Vulva genügend, von einem queren Dammbogcnschnitt aus 
die Mm. bulbokavernosi zu vernähen. 

Am 8. 2. wurde Pat. mit gutem Vulvaschluß und bedeutend verklei¬ 
nertem Uterus geheilt entlassen, aber schon am 11. 3. fand ich die Portio 
und das hintere Scheidengewölbe wieder im Introitus gelagert, obgleich die 
Pat., welche sich mittlerweile verheiratet batte, sich sehr wohl, wie neuge¬ 
boren , fühlte und auch angab, daß die Menstruation ohne die früheren 
Schmerzen verlaufen sei. 

Am 13. 4. 07 konnte ich feststellen, daß trotz des hohen und mus¬ 
kulösen Damms und einer gut schließenden Vulva beim Pressen die Zervix 
mit der oberen Hälfte der hinteren Vaginal wand, und zwar letztere blasen- 
förmig aus der Vulva ausgetrieben wurde. Trotz der vorausgegangenen 
Portioamputation war der Uterus schon wieder 10 cm lang geworden, lag 
dabei aber anteflektiert. Die Operation bestand in der Amputation der 
ganzen Zervix, in der Exstirpation der vorgetriebenen Scheiden- 
und Douglaspartie und in der Vernähung der Levatorränder 
Diese wurden dadurch freigelegt, daß der Damm und die ganze hintere 
Vaginalwand sagittal gespalten und von diesem Schnitt aus nach beiden 
Seiten die hintere Scheidenwand abgelöst wurde. Es gelang auf diese 
Woise, bis nahe an die vorderste Insertion der Mm. Levatores ani heranzu¬ 
kommen und eine Muskelplatte herzustellen, welche einen Finger breit 
unter der Symphyse von einem Schambeinast zum anderen zog. Nach 
Vernähung der Scheiden- und Dammwunde war ein langgestrecktes, knapp 
für zwei Finger durchgängiges Vaginalrohr gebildet, dessen Achse sich mit 
der des kleinen ante vertierten Uteruskörpers unter einem sehr spitzen 
Winkel kreuzte. 

Am 27. 4. wurde die Pat. geheilt entlassen. 

29. 7. 07. Wohlbefinden. Uterus klein, antevertiert. Vaginalrobr 
knapp für zwei Finger durchgängig, fester Beckenboden. 

In diesem Falle war also ein großer Prolaps bei einer Virgo ent¬ 
standen, die, wie ich annehmen darf, auch keinen geschlechtlichen Verkehr 
gehabt hatte. Der nachfolgende Fall zeigt, daß es auch noch eine andere 
Ursache für Prolapse bei Virgines intactae gibt, nämlich starke B.lut- 
ungon, welche zu einer mangelhaften Ernährung und Erschlaf¬ 
fung der Muskulatur des Beckenbodens und hierdurch weiter 
zu einer Hernie des Hiatus genitalis führen. 

An amnose: 14. 3. 07. Die 16jährige Lehrerstochter G. leidet seit 
3 / 4 Jahr an 8—14 tägigen Blutungen mit nur 8—l4tägigen Pausen zwischen 
den Blutungen und ist hierdurch sehr anämisch geworden. 

Status. Anämisches Mädchen mit schlaffer Muskulatur. Der Becken¬ 
boden ist sehr schlaff, auch ohne Narkose kann man trotz des intakten 
Hymens leicht mit zwei Fingern untersuchen. Der schlaffe, 9 cm lange 
Uterus ist retroflektiert und deszendiert. 

Operation. Portioamputation. Exstirpation einer rechtsseitigen, 
hübnereigroßen Ovariaizyste, Vaginifixur mit einem Silkwormfaden. Da¬ 
nach Exzision eines Dreiecks aus dem unteren Drittel der hinteren Vaginal¬ 
wand und Vernähung der Levatorränder durch drei Katgutknopfnähte. Dar¬ 
über werden durch zwei ebensolche Nähte die Mm. bulbokavernosi vereinigt 
und dann die Wundränder durch eine fortlaufende Katgutnaht vereinigt. 

30. 3. 07 geheilt entlassen. 14 5. Entfernung des Fixationsfadens. 

14. 9. Wegen erneuter Blutungen wird nach vergeblicher Aetzbe- 

handlung Abrasio gemacht, welche stark gewucherte Schleimhaut entfernt. 
Der sonstige Befund war normal: Die Levatores bilden eine fast den 
ganzen Beckenausgang verschließende strafte Muskelplatte, Vaginalrohr 
langgestreckt, knapp für oinoD Finger durchgängig. Uteius klein, ante- 
vortiert. (Fortsetzung folgt.) 


Ueber Warmluftbehandlung bei Mittelohreiterung, 
Nasenkatarrhen und Geschwüren. 

Von Dr. A. Heermann, Köln-Deutz. 

Ueber die Trockenbehandlung von Mittelohreiternligen hat 
in letzter Zeit D ahm er in Posen eine übersichtliche Ver¬ 
öffentlichung*) ergehen lassen. 

*) Die Trockenbebandlung der akuten und chronischen perforativen 
Mittelohrentzündung mit gestielten Ohrtampons Abdruck aus den Ver- 
andlungen der Deutschen otologischen Gesellschalt. Fischer-Jena. 


Wenn ich auf dieselbe nochmals hinweise, so geschieht 
es, weil in derselben seiner Ohrtampons Erwähnung getan 
wird, die nach meiner Meinung eine Konsequenz und in sehr 
vielen Fällen ein notwendiges Erfordernis dieser Trocken¬ 
behandlung sind. 

Von der Durchführung einer solchen kann nur die Rede 
sein, wenn die Sekrete dauernd abgesogen werden und dies 
kann schon bei mäßiger Menge nicht durch einmal täglich in 
der Sprechstunde vorgenommene Tamponade geschehen. 

Regelmäßig wird man beim Herausziehen des Tampons 
dann noch Sekret im Ohre finden als ein Zeichen der mangel¬ 
haften Absaugung und als eine Mahnung, daß die Tamponade 
öfter am Tage ausgeführt werden muß. Daß dies nur in An¬ 
stalten und auch dann noch mit Schwierigkeiten möglich, liegt 
auf der Hand. Es muß also ein Mittel geben, welches eine 
solche beliebige, wenn nötig stündliche Wiederholung leicht 
bewerkstelligt. Und hier tragen die D ahm er-Tampons in 
der Tat einem wirklichen Bedürfnisse Rechnung. Sie sind 
leicht, auch von dem Patienten, einzuführen und zu entfernen, 
außerdem sterilisiert und ohne Berührung der Gaze verwendbar. 
Nach eigener längerer Erfahrung kann ich die guten Eigen¬ 
schaften und Wirkungen derselben*) bestätigen. 

In weiterer Fortführung des oben erwähnten Gedanken¬ 
ganges bin ich jedoch noch zu einer anderen Maßnahme ge¬ 
kommen, nämlich der scharfen Austrocknung durch warme 
Luft nach der gewöhnlichen durch die Tamponade. 

Natürlich dürfen Verbrennungsgase in dieser Luft nicht 
vorhanden sein, wie es sonst beim Durchblasen von Luft'durch 
eine Flamme geschieht. 





Ich habe daher folgende einfache Einrichtung getroffen: 
Ueber einen Kasten aus Blech oder Holz (event. Zigarren¬ 
kasten), auf dessen Boden eine große Spirituslampe steht, oder 
am besten über einem mehrflammigen Brenner eines Sterili¬ 
sationsapparates wird ein bleistiftdickes Metallrohr befestigt, 
vorn mit einem Gummischlauch, welcher in ein Ansatzstück aus- 
laufen kann, hinten mit einem Doppelgebläse oder kleinem 
Blasebalg, an dessen Lufteingang ein Wattebausch die Luft 
filtriert.**) Durch langsameres oder schnelleres Blasen kann 
man die Wärme regulieren. Der vordere Ansatzschlauch darf 
nicht zu lang sein, wenn die Erwärmung schnell eintreten soll, 
außerdem keine zu enge Oeffnung haben, weil die Luft sonst 
eine starke Abkühlung erleidet. 

Mit einem solchen Apparate wird die warme Luft täglich 
oder jeden zweiten Tag ein- bis zweimal je eine bis zwei 
Minuten lang und so w r arm, wie sie vertragen wird, in das Ohr 
appliziert. Sie wirkt fast stets in deutlicherWeise sekretions¬ 
beschränkend und heilend. Davon, daß keine Sekretverhaltung 
durch Eintrocknen, sondern wirklich eine Verminderung der 
Sekretproduktion der Schleimhaut ein tritt, kann man sich leicht 
überzeugen. 

*) Zu erhalten in der Hofapotheke zu Posen. 

**) In der Abbildung liegt der Kasten auf der Seite, uni das Innere 
zu zeigen. 







44 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 



Nebenbei wird oftmals bei nicht zu großen Perforationen 
das Restitutionsbestreben des Trommelfells in erfreulicherweise 
gel ordert, so daß der Schluß der Oeffnungen schneller von 
statten geht. 

In ganz ähnlicherWeise wirkt die Anwendung auf Nasen¬ 
katarrhe und auf Geschwüre. Und hier sind es vor allem 
schlecht heilende, schlecht aussehende Geschwüre verschie¬ 
dener Art, besonders Schankergeschwüre, welche die Wirkung 
dadurch augenfällig erkennen lassen, daß sie ihre Beschaf¬ 
fenheit und ihren ungünstigen Charakter (oft schon nach 
ein bis zwei Tagen) ändern. 

Die Anwendung von antiseptischen Pulvern etc. ist dabei 
nicht ausgeschlossen. Vielmehr steht dem nichts im Wege, 
die warme Luft wirken zu lassen, während diese Pulver auf 
der Wunde unberührt verbleiben. Auch leichte, mit der 
Wunde etwa verklebte Verbandteile können an Ort und Stelle 
belassen werden. Nur wird man, um diese zu durchdringen, 
die Anwendung des Apparates um einige Minuten verlängern. 


Bossi und Kolpeurynter in der Hand des 
praktischen Arztes. 

Von Dr. E. Rohlff, Potsdam. 

(Fortsetzung.) 

** Nun bleiben noch einige Fälle übrig, wo zwar die Ballon¬ 
anwendung empfohlen wird, aber eine Konkurrenz nicht mit 
dem Bossi, sondern mit anderen Verfahren in Betracht kommt. 

Wenn eine Frühgeburt zwischen dem vierten bis siebenten 
Monat aus irgend einem Grunde schnell zu erledigen ist, muß 
man da den Kolpeurynter anwenden? Man kann es, ja, aber daß 
seine Anwendung einen besonderen Vorteil bietet, glaube ich nicht. 

Nehmen wir zunächst den einfachen Fall, daß man wegen 
einer Frühgeburt zwischen dem vierten bis siebenten Monat 
auf ein entferntes Dorf geholt wird. Der Muttermund ist 
schon etwas erweitert. Man hat nun die Wahl, entweder 
nachzuhelfen oder nach Stunden, während man noch anderes 
vor hat, wegen der Nachgeburtslösung noch einmal hinaus zu 
müssen. Der Anhänger des Kolpeurynters legt ihn mit Zug- 
anWendung ein und preist ihn, weil in kurzer Frist die volle 
Oeffnung erreicht ist. Ich führe einfach einen doppelten 
Muzeux oder die Sängersche Abortzange durch den Muttermund, 
schlage ihn in den vorliegenden Teil, ziehe diesen herab und er¬ 
weitere ebenso bequem den Muttermund ohne Kolpeurynter. Am 
einfachsten ersieht man das ganze Verfahren an einem kürzlich er¬ 
lebten Fall. Bei einer IX para tritt im achten Monat Wasserabfluß 
und Nabelschnurvorfall ein. Bei einem zufälligen Besuch in jenem 
Hause 48 Stunden nach besagtem Ereignis wurde ich befragt. 
Ich konnte nur einen Finger durch den sehr langen Mutter¬ 
halskanal pressen. Es schien mir eine Fußlage vorhanden zu 
sein. Da aber die Nabelschnur schon 48 Stunden vor die 
Vulva hing, mußte Fieber bald zu erwarten sein. Operation 
deshalb für den Nachmittag angesetzt. Als ich in Begleitung 
eines Kollegen ankam, meldete die inzwischen bestellte Heb¬ 
amme, daß Blutung, also beginnende Placentarlösung soeben 
eingetreten sei. Narkose, Aufschrauben mit Bossi. Nun hatte 
ich den Eindruck, die Portio sei so lang, daß die Endspitzen 
des Walch ersehen Apparates vielleicht den oberen Cervixteil 
nicht überragten, sondern sich in ihn einpressen und Ver¬ 
letzungen machen könnten. Bei Erweiterung auf 4,5 cm nahm 
ich deshalb den Bossi vorsichtshalber heraus und fühlte mit 
zwei Fingern nach. Die Angst war unnötig, der ganze Hals 
war weiter. Ich kam an einen Fuß, zog ihn herab und wollte, 
um die Narkose zu sparen, durch Zug am Kindeskörper die 
Erweiterung fortführen. Das ging auch ganz gut bis zum 
Kopf. Da fing beim Ziehen der Hals an nachzugeben. Nun 
wurden drei doppelkrallige Muzeux über der Stelle des be¬ 
ginnenden Risses eingesetzt. Zug an diesen und am Kindes¬ 
körper gemeinsam. Abreißen des Halses. Nachgeben und 
Ausreißen der Muzeux, wobei dann der unterste immer gelöst und 
über dem höchsten neu eingeschlagen wurde. So hochkletternd 
gelang es, den Kopf schnell zu entwickeln. Die Plazenta kam 
sofort. Reaktionsloser Verlauf, Wieder zeigt dieser Fall, daß 


bei ganz ernster Sachlage die Ballons /nicht ausreiohen, Da 
es sich um eine Mehrgebärende handelte,-wäre ein Accotiche- 
ment forcö wohl auch glatt verlaufen; roher bleibt das Ver¬ 
fahren dabei aber immer, weil der Druck ein ganz nngleicher 
ist, und wenn der Fall so schwer ist, daß beide Hände be¬ 
nutzt werden müssen zu gleicher Zeit, für den Arzt auch sehr 
ermüdend. Aus diesem Falle und aus einem Eklampsiefalle 
ohne Vorbereitung der Portio habe ich gesehen, daß es besser 
ist, weit aufzuschrauben ohne Besorgnis vor einem Riß, statt 
vorzeitig aufzuhören und nun bei der Kopfentwickelung selbst 
mit Perforation heftigem Widerstand zu begegnen. Ueber- 
wunden muß dieser doch werden, dann also entschlossen vor 
Entwickelung des Kindes! 

Zweimal habe ich den Gebrauch des doppelkralligen Muzeux 
als Greifinstrument bei toter Frucht erwähnt. Dies Hilfsmittel 
scheint weniger in Gebrauch zu sein, als es verdient. Ein 
Kollege veröffentlichte zwei Fälle, wo. er den abgerissenen 
Kopf nicht entwickeln konnte. Er packte ihn mit einem 
Muzeux, versah diesen mit einem Zugapparat und nach 
24 Stunden war der Kopf geboren. Vor diesem Verfahren 
möchte ich aber warnen. Wenn die Placenta sich einmal 
vorher löst, was dann? Gefäßthrombosen sind nicht immer 
vorhanden (s. o.). Der Arzt ist nicht da. Die Blutung kann auch 
erst bemerkt werden, wenn die Kranke Zeichen innerer Ver¬ 
blutung darbietet, weil nach außen ja des tamponierenden 
Kopfes wegen kein Blut abfließen kann. Und nun müßte der 
Arzt unter schwersten Begleitumständen die Sache forcieren. 
Sollte einmal die Entwickelung des abgerissenen Kopfes mit 
einem oder mehreren Muzeux nicht ohne weiteres gelingen, 
kann man ihn z. B. kombiniert sicher umdrehen event. mit 
Hilfe eines Muzeux. Dann Perforation. 

Anhangsweise möchte ich hier noch an ein anscheinend 
sehr wenig bekanntes Verfahren erinnern. Noch einfacher 
vielleicht ist es bei sieben- bis achtmonatigen Früchten; man 
schneide — sobald der Hals abzureißen droht — am Mutter¬ 
munde mit der Scheere zuerst quer ein bis auf die Wirbel, 
gehe unter der Haut an der Wirbelsäure bis ans Hinterhaupt 
hinauf, dringe mit der geschlossenen Scheere ins foramen 
magnum, spreize sie, rühre das Gehirn um und extrahiere. 
Der Kopf kann nun leichter dem Zuge folgen. 

Wie handelt man am besten, wenn man gerufen wird zu 
einer Gravida im vierten bis siebenten Monat, die nach Wasser¬ 
abfluß ohne Wehen und irgendwelche Erweiterung stunden- 
oder womöglich tagelang fiebert.- Ich habe nur zwei derartige 
Fälle erlebt. Beide sind bei der eingeschlagenen Behandlungs¬ 
methode zu Grunde gegangen, so daß ich nur zu sagen ver¬ 
mag, wie ich nicht wieder handeln würde, und welche Er¬ 
wägungen ich angestellt* habe, um in einem zukünftigen Falle^ 
womöglich zu einem besseren Ausgange zu gelangen. 

In beiden Fällen hatte ich mit Jodoformgaze Erweiterung 
zu erzielen gesucht. Es gelang dies im ersten Falle erst am 
vierten, im zweiten am dritten Tage. Selbstverständlich wurde 
inzwischen die Gaze gewechselt. Im zweiten Falle wurde 
auch Temperatur und Puls normal nach Gazeausstopfung; aber 
nach manueller Plazentarlösung war eine Stunde später wieder 
Fieber da. Daß ich nach dem traurigen Ausgang des ersten 
Falles nicht sofort das Fehlerhafte dieser Methode einsah, lag 
daran, daß die betreffende Frau schon mehrere Wochen 
gefiebert hatte, ehe sie ärztliche Hilfe nachsuchte. Ob man 
da so oder anders handelte, war offenbar von keinem 
entscheidenden Einfluß. Im zweiten Falle wurde aber einge¬ 
griffen, als am achten Tage nach Fruchtwasserabfluß bei einer 
Multipara im siebenten Monat die Temperatur auf 88, der Puls 
auf 96 stieg. Und doch!! 

Zunächst würde ich in solchem Fall raten, mit einem Ein- 

f riff nicht über den sechsten Tag zu zögern. Der erfahrene 
ritsch gibt an. daß es nicht mit Sicherheit gelinge, Frauen 
nach Fruchtwasserabfluß länger als bis zu diesem Termine 
fieberfrei zu halten. In diesem Fall war nur von mir am 
zweiten Tag untersucht; in den Cervixkanal konnte ich über¬ 
haupt nicht eindringen. Trotzdem tra,t am achten Tage Fieber 
auf, da mußte ich sogar, um Tamponator II einführen zu 
können, den Mutterhals noch dehnen. Mit dieser Bemerkung 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Therapeutische Rundschau. 


15 


I 


ioö«. 


ist eigentlich schon gesagt, warum die überwiegend physiologisch 
wirkende Tamponade und damit auch der weiche Ballon ohne 
Zug falsch sind. Der Wasserabfluß bewies, daß Wehen ein¬ 
setzten und die Blase zum Platzen brachten; nicht aber ver¬ 
mochten sie, die abnorm feste Portio zu dehnen. Nur der 
Ballon mit Zugbelastung wäre richtig, weil er mechanisch dehnt. 

Ob man nun vorbeugend eingreifen soll? Ich würde es 
wenigstens jetzt tun. Lieber in Muße und zarter, als später 
unter dem Drucke der Gefahr gewaltsamer. Ich selber riskiere 
schließlich lieber eine Blutung hervorzurufen, als Fieber auf- 
treten oder fortdauern zu sehen oder das Eklampsiegift weiter 
wüten zu lassen, ln meinen Fällen wäre ein harter Ballon 
überhaupt nicht sofort einführbar gewesen, Quellstifte, mehrere 
zugleich wären unerläßlich gewesen. Nach zwölf bis sechzehn 
Stunden konnte man dann je nach Geschmack handeln: ver¬ 
suchen mit den Fingern oder mit Muzeux den vorliegenden 
Teil anzuziehen und damit zu erweitern, oder mit Bossi noch 
etwas dehnen, oder auch — wem die vorzunehmende Operation 
so noch zu bedenklich erscheint — den harten Ballon ein¬ 
führen und Zugbelastung anbringen. Auf einige Stunden Zeit¬ 
verlust kommt es ja nicht an. Findet man aber den Mutter¬ 
hals schon etwas erweitert, so beweist dies, da schon sehr 
geringe Wehenkraft das Gefüge der Portio lockerte, daß eine 
mechanische Einwirkung seitens des Arztes auf ein leicht dehn¬ 
bares Gewebe ohne besondere Gefährdung stattfinden darf, und 
man kann sofort handeln wie bei engem Hals erst nach Quell¬ 
stifterweiterung. Ist Fieber aber schon eingetreten, so sind 
die Stunden kostbar. Lieber Narkose und Accouchement forc6 
als Zeitverlust mit Metreuryse. Immer wieder komme ich zum 
selben Resultat: In den wirklich dringenden Fällen leisten die 
Kolpeurynter nur Mäßiges, in den leichten braucht man sie 
nicht zu verwenden. 

Wir kommen endlich zum letzten Abschnitt, der Behand¬ 
lung der Plazenta praevia. 

Zur Zeit wird bei uns der Dilatator dabei überhaupt nicht 
verwendet, obwohl B ossis eigene Erfahrungen für Mutter und 
Kind sehr gute Resultate ergeben haben. Er schraubt auf bis 
4,5 odei 5 cm. In den meisten Fällen soll dann die Blutung 
durch Kompression der Gefäße stehen. In diesen Fällen 
erweitert er je nach Reife des Kindes, bis der Kopf passieren 
kann, und benutzt möglichst die Zange zur Extraktion des 
Kindes. Bei fortdauernder Blutung nach Aufschrauben bis 5 cm 
nimmt er das Instrument ab und wendet. 

Anklang hat dieses Verfahren in Deutschland nicht ge¬ 
funden. Mustere ich meine eigenen Fälle durch, so finde ich 
nur einen einzigen, wo ich dieses Verfahren oder den Ballon 
hätte brauchen müssen, in den sämtlichen übrigen — dreizehn 
plaz. pr. zentrales in der Stadt, acht auf dem Lande, die 
Zahl der laterales ist nicht erinnerlich — konnte ich sofort 
wenden. 

Die gefährlichsten Fälle, wenn auch zum Glück äußerst 
selten, sind jene, wo keine Oeffnung stattfindet, aber entweder 
anhaltend fortdauernde oder in kurzen Zwischenräumen be¬ 
deutendere Blutungen auftreten, so daß die Frau stetig hin¬ 
fälliger wird. 

Dieser Fall ist der einzige, wo ich empfehlen muß, den 
Ballon anzuwenden: er stillt sofort die Blutung und bewirkt 
die nötige Erweiterung. Solange also B ossis gute Ergebnisse 
nicht durch große anderweitige Statistiken bestätigt sind, wird 
der Praktiker sich der Metalldilatatoren am besten nur ganz 
ausnahmsweise bedienen. 

Vor kurzem hat Herr Kollege Mende aus Gottesberg 
ausführlich geschildert, wie er das Ballonverfahren in sechzehn 
Fällen angewendet hat und als Normal verfahren dem Praktiker 
empfiehlt. Die fleißige Arbeit ist erschienen in den Therap. 
Monatsheften 1906, Nr. 12. Es ist das Beste, was ich über 
Metreuryseanwendung in der Hauspraxis gelesen habe. In¬ 
folgedessen habe ich gerade diese Arbeit meiner Kritik zu 
Grunde gelegt. Er legt in jedem Falle auch bei der ersten 
Blutung ohne Rücksicht auf das Alter der Frucht einen weichen 
Kolpeurynter ein. Nach Anhaken der Portio mit doppel¬ 
kralligem Muzeux gleite der zusammengefaltete, weiche Ballon 
leicht durch den Mutterhals und suche sich selbst seinen Weg 


unter der zumj Teil gelösten Plazenta, ohne die Eihäute zu 
verletzen. Der Arzt hält ihn dann dort noch fest, während 
die Hebamme den Ball füllt mittels ihres Irrigators, bis die 
Blutung steht. Nun habe die Frau stundenlang Zeit, sich von 
der Blutung zu erholen. Der Arzt könne sogar ruhig fort- 
gehen nach Anweisung an die Hebamme, bei eintretendem 
Bluten leicht an dem Schlauch zu ziehen. Erst bei auftreten¬ 
den Wehen müsse der Arzt benachrichtigt werden. Dieser 
beende dann durch leichten Zug in längstens zwei bis drei 
Stunden den Durchtritt des Balles durch die Cervix. Dann 
bequeme Wendung. Resultate: einige Fieberfälle, eine Frau 
an Nachblutung tot, 63 % lebende Kinder, einmal habe die 
Hebamme auftretende Wehen nicht erkannt, der Ballon sei 
herausgeglitten, doch sei die Blutungsgefahr glücklich abge¬ 
wendet. Von den sechzehn Fällen betrafen neun Placenta 
centralis. Nach Herrn Kollegen Men des Meinung soll dies 
Verfahren die alten Wendungsmethoden völlig verdrängen. 
Bevor ich zur eigenen Kritik schreite, möchte ich das Urteil 
eine Mannes hersetzen, der selbst das Ballonverfahren be¬ 
günstigt und eigene Kolpeurynter konstruiert hat, des be¬ 
kannten Tarnier. Er sagt Bd. HI, Seite 648 seiner Geburts¬ 
hilfe: .und seine Einführung ist nicht immer leicht. Diese 

Schwierigkeit ist tatsächlich, aber sie kann überwunden werden 
mit Hilfe von Chloroform und wenn eine geschickte und er¬ 
fahrene Person den Ballon ein führt . . 

n • • • manchmal reißt der Ballon bei Aufspritzen, wir haben 
dies selbst erlebt . . .“ 

„. . . gewöhnlich steht die Blutung oder wenigstens wird 
sie vermindert (!i, und die Erweiterung des Halses findet im 
allgemeinen schnell statt: in vier bis sechs Stunden; nichts¬ 
destoweniger muß man sich nicht beunruhigen, wenn sie auch 
zwölf bis achtzehn Stunden dauern sollte, wie man es schon 
beobachtet hat. . .“ 

Diese Bemerkungen des berühmten Geburtshelfers klingen 
entschieden nicht so verlockend wie Herrn Kollegen Men des 
Darstellung, wenn sie sich zum Teil allerdings auf den Cham- 
I petier beziehen, den Mende nicht angewendet wissen will. 

Da Kollege Mende nur angibt, was er alles für Unheil 
von dem Champetier fürchtet, ohne aus eigener Erfahrung zu 
sprechen, so mögen hier lieber Pinards Ansichten, hervor¬ 
gehend aus gemachten Erfahrungen, angeführt werden. Er ist 
begeisterter Anhänger der Metreuryse und erklärt, daß der 
Praktiker mehrere Champetiers verschiedener Größe in seinem 
Koffer haben müsse; sie seien für ihn ebenso wichtig wie die 
Zauge. 

Als Nachteile des Champetier gibt er an: 1. schwierige 
Einführung, die jedoch bei Benutzung einer ad hoc kon¬ 
struierten Pinzette wegfalle; 2. mögliche Kompression der 
Nabelschnur. Durch fleißiges Auskultieren könne die dadurch 
hervorgerufene Verlangsamung der Herztöne bemerkt und durch 
Entleerung, Herausziehen, Neueinlegung des Kolpeurynters die 
Gefahr beseitigt werden. Nb., bei Plazenta praevia das Tam¬ 
ponadeinstrument wieder herauszuziehen! 

Die anderweitig behaupteten Nachteile, bestehend in 
Blasensprengung, Verdrängung des vorliegenden Kindesteils, 
teilweiser Ablösung der Plazenta (oder wie Mende meint, 
sogar gänzlicher Lösung), Uterusruptur lehnt Pinard als 
(1. und 2.) belanglos oder (3. und 4.) als unwahrscheinlich 
oder auf rohem Draufgehen beruhend, ab. Tarnier ließ 
es unentschieden, welcher Ballon, der harte oder der weiche, 
das bessere Instrument sei. Für Pinard und die Franzosen über¬ 
haupt existiert jetzt nur noch der harte Champetier, den Mende 
ganz verwirft. Also, ihr Praktiker, was ist nun das Richtige? 
Ich würde den harten Ballon wählen, denn jedenfalls erweist 
dieser, besonders mit Zugbelastung, schneller. Er macht den 
Arzt unabhängiger von Nebenumständen, und bei drincrender 
Gefahr für die Mutter liegt in dem Cito auch das Tutof 

Was ich nun gegen die Kolpeuryntermethode. besonders 
Men des Verfahren, ein wende, ist folgendes: 

Zunächst soll der Arzt die Kranke verlassen dürfen und 
in einem so ernsten Fall die Verantwortung der Hebamme 
wieder an vertrauen. Das ist nach meiner Ueberzeugung nicht 
gestattet. Der Arzt muß bei einer Blutuug so lange bleiben, 


Original frcm 

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46 



THERAPEUTISCHE RUNDSCfrAÜ. 


bis ein Wiederauftreten nicht zu besorgen isE Einmal habe, 
unbegreiflicherweise — sagt der Kollege — eine Hebamme 
Preßwehen nicht erkannt, der Kolpeurynter sei herausgedrängt, 
dadurch sei eine Blutung hervorgerufen. Zum Glück für die 
Frau war der Aizt bald da! Wie aber, wenn er gerade nicht 
anzutreffen war? Jeder Praktiker weiß davon zu sagen, wie 
furchtbar schnell die Blutung bei Placenta praevia tödlich 
werden kann. Die Hebamme kann genau aufpassen und beim 
Weheneintritt schicken; ist der Arzt anderweitig aufgehalten, 
— für uns Praktiker schreibt ja Mende — kann er sehr wohl 
eine Sterbende vorfinden. Ich hätte den Mut nicht, in einem 
ernsten Fall fortzugehen! Es ist ein Widerspruch, erst einen 
Eingriff zu machen, um eine Blutung zu stillen, und dann 
durch Fortgehen eine Möglichkeit zu schaffen, daß eine neue 
verheerende Blutung auftreten kann. Erinnern möchte ich an 
das Schicksal eines Kollegen. Derselbe war zu einem dringenden 
Fall gerufen. Bei der Durchfahrt durch ein Dorf wurde er 
zu einem Plazenta praevia-Fall hereingerufen. Ein anderer 
Arzt war schon zu dieser Frau bestellt, aber noch nicht ein¬ 
getroffen. Als unser Kollege dort ans Bett der Kreißenden 
trat, hatte die Blutung aufgehört, und die Kranke befand sich 
in leidlichem Zustande. Da entfernte er sich eingedenk des 
eigenen Eilfalles und in der Erwartung, bis zum Eintreffen 
des anderen Arztes werde hier nichts passieren. Jedoch nach 
seinem Fortgange führte eine jähe zweite Blutung den Tod der 
Kreißenden herbei 

Folge: Verurteilung zu zwei Monaten Gefängnis wegen 
fahrlässiger Tötung durch Vernachlässigung der nötigen Vor¬ 
sichtsmaßregeln. Er verteidigte sich, er sei eigentlich nicht 
bestellt, selbst gedrängt gewesen durch den eigenen dringenden 
Fall Antwort des Gerichts: Durch Eintritt in die Stube habe 
er für den Fall die Verantwortung bis zum Kommen des Haus- 
aiztes übernommen. Zweiter Einwand: Es hätte zur Zeit seines 
Fortgehens keine Gefahr bestanden. Antwort: Er hätte wissen 
müssen, daß bei Plazenta praevia jeden Augenblick eine Blutung 
neu auftreten könne. Dritter Einwand: Er habe steife Finger 
an derjenigen Hand, die für die Wendung in diesem Fall die 
richtige gewesen wäre. Antwort: Ein Arzt müsse ambidexter 
sein, er hätte mit der „falschen“ operieren müssen. 

(Fortsetzung folgt.) 


REFERATE. 


I I 


Pharmakologie. 

I>K' erregende Wirkung des Alkohols auf den Kreislauf. 

Sammelreferat von Priv.-Doz. Dr. C. Bacliem, Bonn. 

Ueber den agitatorischen Bestrebungen, den Alkohol als 
Genußmittel ganz zu verbannen oder auf ein Minimum einzu¬ 
schränken, scheint man vielerorts die therapeutischen und 
nützlichen Eigenschaften desselben vergessen zu haben. Und 
doch hat man von dem Weingeist, trotzdem er viel Schlimmes 
über die Menschheit seit Noahs Zeiten gebracht hat, auch 
manches Gute erlebt, so daß auf ihn auch die Worte Schillers 
zu treffen: 

„Von der Parteien Gunst und Haß verwirrt, 

Schwankt sein Charakterbild in der Geschichte.“ 

In der Hand des kundigen Arztes kann der Alkohol in der 
Tat zum Heilmittel für den kranken Organismus werden. Erst 
den letzten Dezennien, besonders den Untersuchungen im 
Binz sehen Laboratorium verdanken wir wichtige Aufschlüsse 
über die Wirkungsweise. Daß der Alkohol die Temperatur 
herabsetzt, darf ich wohl als bekannt voraussetzen. Außer 
antifebrilen Eigenschaften besitzt der Weingeist aber auch 
erregende. Abgesehen von einem mächtigen diuretischen Ein¬ 
fluß finden wir nach mäßigen Gaben einen starken Einfluß auf 
das Respirations- und Zirkulationssystem. 

Die erregende Wirkung auf das Atmungszentrum wurde 


von Binz und seinen Schülern (Wilmanns, Weißenfeld, 
Wendelstadt) eingehend studiert. Die eben Genannten fanden, 
daß mäßige Mengen Weingeist die Atemgröße von Menschen 
und Tieren hoben, Wendelstadt zeigte noch, daß es der 
ermüdete Organismus sei, der ganz besonders auf Alkohol mit 
erhöhter Atemgröße reagiere. Alle Zeichen eines erregenden 
Einflusses treten, wie gesagt, nur bei kleinen und mäßigen 
Alkoholmengen ein, d. h. nach etwa 50 bis 150 ccm gewöhn¬ 
lichen Weins oder 20 bis 60 ccm, Kognak usw. Auch die 
Riechstoffe des Weins, die Träger des sogen. „Bouquets“, 
wurden einer Prüfung unterzogen; sie erwiesen sich ebenfalls 
in kleinen Mengen erregend auf die Atemgröße. (Krautwig 
und V o g.e 1.) 

Im engen Anschluß an die Erregung des Atmungszentrums 
durch den Alkohol steht seine Wirkung auf das Herz und den 
Kreislauf. Besonders hier stehen sich die Ansichten der Forscher 
schroff gegenüber. Von älteren Autoren wurde vielfach dem 
Weingeist jede erregende Wirkung auf das Zirkulationssystem 
abgesprochen, erst die neueren Untersuchungen, die sich nicht 
nur auf den Tierversuch beschränkten, sondern auch am 
Menschen gewonnen wurden, sprechen deutlich für eine blut¬ 
drucksteigernde Wirkung. Zur bloßen Beobachtung gesellte 
sich eine genaue physiologische Analyse. Ich übergehe hier 
mit Absicht die meisten Versuche an Tieren und führe, weil 
sie wichtiger und beweisender sind, eine Reihe von am Menschen 
gewonnenen Ergebnissen an. 

Von neueren Autoren war Weißenfeld der erste, der 
im Binz sehen Laboratorium den Blutdruck in drei Fällen 
nach Alkoholaufnahme an sich selbst prüfte. Es zeigte sich, 
daß kleine Mengen (50 bis 75 ccm Sherry) den Blutdruck, ge¬ 
messen mit dem Sphygmomanometer von Basch, bis zu 
50 mm Hg (von 140 auf 190 mm) steigen ließen. Auch hervor¬ 
ragende Kliniker wissen Gutes von der erregenden Wirkung 
des Alkohols auf das Herz zu melden. So spricht z. B. 
v. Noorden auf Grund seiner klinischen Erfahrungen an 
Diabetikern dem Alkohol eine erregende Wirkung auf das Herz 
zu. Besonders seien Herzschwäche, dürftiger Ernährungs¬ 
zustand und Koma die Hauptindikationen für die Anwendung 
eines guten Weines. Für den Erwachsenen rechnet er 1 j 2 bis 
1 Flasche Tischwein pro Tag, bei drohendem Koma mehr. 

Andere Autoren (S wientocho wski, Schüleusw.) sahen 
beim Mensehen eine Blutdrucksenkuug, die bedingt war durch 
zu hohe Gaben Alkohol, und daß solche auch auf die Zirku¬ 
lation lähmend wirken, braucht nicht besonders betont zu 
werden. 

Eine Bestätigung der erregenden Wirkung des Alkohols 
in kleinen Gaben auf den Kreislauf bilden die Arbeiten von 
Kochmann und mir; gleichzeitig wurde in diesen Arbeiten 
eine genaue Analyse der Alkohol Wirkung formuliert. 

Anschließend an die Versuche Loebs, der an dem nach 
der Langendorffschen Methode durchbluteten Herzen durch 
sehr geringe Konzentrationen (0,18 bis 0,8 % Alkohol im Blut)' 
eine deutliche, wenn auch geringe erregende Wirkung in einigen 
Fällen sah, hat Kochmann Versuche an Tieren angestelit 
und fand, daß nach 5 ccm 20%igen Alkohols,-intravenös ein¬ 
gespritzt, der Blutdruck vorübergehend um durchschnittlich 
8 °/o stieg. Der günstige Einfluß des Alkohols auf den Blut¬ 
druck führte Kochmann dazu, kleine Gaben Alkohol auch 
systematisch am Menschen auf blutdrucksteigernde Wirkung, 
zu' prüfen. Er konnte feststellen, daß der Blutdruck, gemessen, 
mit dem Tonometer von Ga er tn er oder dem Apparat von 
Ri va-Ro cci nach kleinen Gaben, d. h. bis zu 50 ccm 30%igen 
Alkohols oder ähnlichen Mengen, bedeutend stieg. Hingegen 
brachten schon (absichtlich gewählte) etwas größere Dosen, 
z. B. 90 ccm 50%igen Alkohols einen Druckabfall hervor. Die 
Pulszahl unterlag nur geringen Schwankungen; dies stimmt 
auch mit den Beobachtungen von Wendelstadt, Bachem 
und anderen übereil. Die Dauer der Blutdrucksteigerung hielt 
meist eine halbe, höchstens eine Stunde an, um alsdann lang¬ 
sam wieder abzuklingen. Es gelang Kochmann, mit dem 
Bock-OerteIschen*) Stethoskop zu zeigen, daß das Herz 

*) Näheres über die Anwendung: Berlin. Klin. Wochenschrift 1900, 
S. 502. 


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^^Igelägen Gaben Alkohol mehr leistet als vorher; 
: ##fjgj?tens scheinen diese Versuche vergleichsweise verwertbar 


.sein. . 

Auch ich konnte dieselben günstigen Wirkungen des Al¬ 
kohols im Tierversuch und an mir selbst bestätigen. Kaninchen 
injizierte ich intravenös kleine Mengen, meist 0,2 bis 1,0 ccm 
absoluten Alkohol in 5- bis 50%iger Verdünnung. Es ergab 
sich, daß meist eine Drucksteigerung von 10 bis 20 mm Hg 
und zwei bis drei Minuten Dauer eintrat. 

Da man wohl sagen kann, jede Person reagiert quantitativ 
verschieden auf Alkohol, je nach Alter, Körperkonstitution, 
Nerven- und Gefäßsystem und besonders je nach Gewöhnung 
an geistige Getränke, so scheinen-vergleichende Resultate aus 
Versuchen, in denen mit verschiedenen Dosen etc. gearbeitet 
wurde, beweiskräftiger zu sein, wenn sie an ein und derselben 
Person gewonnen werden. Aus diesem Grunde stellte ich eine 
Reihe Blutdruckversuche an mir selbst an. Ich nahm kleine 
Dosen Alkohol zu mir, da man nur von diesen eine Blutdruck¬ 
steigerung erwarten darf. Die Einzelgabe schwankte zwischen 
10 und 25 ccm (auf absol. Alkohol umgerechnet). Außer ver¬ 
süßten alkoholisch-wässerigen Lösungen benutzte ich Münchener 
Bier (4,2%), Rheinwein (10,6%), Malton - Tokayer (18,5%), 
Madeira(18%), Kognak (23%) und deutschen Schaumwein(12%). 
Die Blutdrucksteigerung, gemessen mit dem Riva-Roccisehen 
Apparat, erreichte in einzelnen Fällen bis 18 % des Ausgangs¬ 
drucks, die Pulszahl unterlag nur geringen Schwankungen. 
Es zeigte sich, daß die Blutdrucksteigerung direkt proportional 
der Konzentration des Alkohols war. Besonders deutlich war 
dies beim Schaumwein. Letzterer hat daher u. a. einen Lob¬ 
redner an vonJürgensen gefunden, wenn er bei Herz¬ 
schwäche infolge von Pneumonie Alkoholika in höherer Kon¬ 
zentration (Südwein, Burgunder, Schaumwein) reichen läßt. 
Besonders günstig wirke im Schaumwein die Kohlensäure, 
wodurch der Alkohol rascher resorbiert wird, der das Herz 
alsdann in kurzer Zeit zu vermehrter Arbeit bringt. 

Das Ergebnis aller meiner Versuche läßt sich kurz dahin 
zusajnmenfassen: Kleine Mengen alkoholischer Getränke er¬ 
höhen in kurzer Zeit den Blutdruck. Die Steigerung erreicht 
nach etwa */ 2 Stunde ihr Maximum. Konzentrierte Lösungen 
bedingen eine stärkere Blutdrupksteigerung als verdünnte. Im 
nüchternen Zustand scheint die blutdrucksteigernde Wirkung 
ausgesprochener zu sein; deutlich tritt dies beim Schaumwein 
hervor. Als Ursache der Blutdrucksteigerung muß in erster 
Linie vermehrte und verstärkte Herztätigkeit gelten. 

Zum Schlüsse noch einige Worte über die Deutung der 
Ergebnisse. In Betracht kommen für eine blutdrucksteigernde 
Wirkung außer dem Herzen das Vasomotorenzentrum und 
allenfalls die peripheren Gefäße. Letztere können wohl in 
Versuchen, wobei der Alkohol in kleinen Mengen per os und 
nicht direkt intravenös gegeben wurde, ausscheiden, da in 
diesem Falle eine direkte oder reflektorische Wirkung von den 
peripheren Gefäßnerven aus so gut wie ausgeschlossen ist. Auch 
von der Magenwand her wirkt Alkohol nicht reflektorisch blut¬ 
drucksteigernd, wie ich mich durch Kontrollversuche mit Senföl- 
lösungen überzeugen konnte. Won anderer Seite wurde eine 
Verengerung der Splanchnikusgefäße als blutdrucksteigernder 
Faktor angenommen; dem ist aber, wie ich zeigen konnte, 
nicht so. Daß dem Vasomotorenzentrum der Hauptanteil an 
dem Effekt zukommt, scheint aus verschiedenen Gründen un¬ 
wahrscheinlich zu sein (vergl. die unten referierten Arbeiten 
des Verf.). 

In der Hauptsache ist verstärkte Herztätigkeit als Ursache 
der Blutdrucksteigerung anzusprechen. Dies ergibt sich außer 
aus den Pulskurven, die auf schnellere Ventrikelkontraktion 
schließen lassen, auch aus den Versuchen am isolierten Herzen 
von Loeb (nach der Lang endo rf f sehen) und mir (nach 
der Bock-H e ring sehen Methode). 

Literatur. 

Binz: Oeutralblatt f. innere Medizin, 1891, Nr. 1. 

Wilmanns: Pflügers Archiv Bd. 66, S. 167. 

Weißenfeld: Pflügers Archiv, Bd. 71, S. 60. 

Wendelstadt: Pflügers Archiv, Bd. 76, S. 223. 

Vogel: Pflügers Archiv, Bd. 67, S. 141. 

Krautwig: Inaugur.-Dissert. Bonn 1893. 


Bachem: Centralblatt f. innere Medizin, 1907, Nr. 34. 
von Noorden: Die Heilkunde, Bd. I, 1900. 
Swieutochowsk i: Zeitschr. f. klin. Medizin, Bd. 46, S. 284. 
Schüle: Berlin, klin. Wochenschrift, 1900, Nr. 33. 
Kochmann: Arch. internat. de pharmacodyn., Bd. 13, S. 329. 
Koch mann: Arch. internat. de pharmacodyn., Bd. 15, S. 443. 
Bachem: Arch. internat. de pharmacodyn., Bd. 14, S. 437. 
Bachem: Pflügers Archiv, Bd. 114, S. 508. 

Loeb: Archiv, f. exp. Path. u. Pharmak., Bd. 52, S. 459. 
von Jürgensen: in Penzoldt-Stintzing (1902), Bd. 3, S. 285. 


Unfallheilkunde. 

Aus der Unfall-Literatur des Jahres 1907. 

Uebersichtsreferat von 

Dr. iur. et med. Franz Kirehberg, Arzt, Berlin. 

Dem Vorwurf, daß die Unfallheilkunde der Wissenschaft¬ 
lichkeit entbehre, entgegnet Kaufmann (1) in der Neuauf¬ 
lage seines Handbuches der Unfallmedizin, das ich als die 
für den praktischen Arzt wichtigste Neuerscheinung des letzten 
Jahres auf dem Gebiet der Unfallliteratur hier zuerst erwähnen 
möchte, mit Recht, sie müsse wie jedes andere medizinische 
Spezialfach mit der Verarbeitung der Erfahrung beginnen, in¬ 
dem sie deren Ergebnisse genau feststellt, wissenschaftlich 
aufklärt und weiter ausbildet. In diesem Sinne der weiteren 
wissenschaftlichen Ausarbeitung sind auch wieder im letzten 
Jahre so viele wichtige Arbeiten erschienen, daß es hier natür¬ 
lich nur möglich ist, einige wenige prägnante Beispiele anzu¬ 
führen. — Der Vorwurf Kaufmanns: leider wird das Be¬ 
dürfnis nach wissenschaftlicher Vertiefung in unserem Gebiet 
noch viel zu wenig empfunden, das gewöhnliche Studium be¬ 
schränkt sich auf die gebräuchlichsten Schätzungen des er- 
werblichen Schadens“, wird einerseits bei der weiteren tätigen 
Mitarbeit des praktischen Arztes, dem auf diesem Gebiet im 
Sinne der ersten genauen Beobachtung der Symptome wie des 
Heil Vorganges eine nicht unerhebliche und unter Umständen 
recht erfreuliche wissenschaftliche Aufgabe zufällt, von Jahr 
zu Jahr mehr seine Berechtigung verlieren und ist ander¬ 
seits mehr in dem Fehlen des systematischen Unterricht»: auf 
diesem Gebiet als in dem Mangel am guten Willen begründet. 
— „Häufig trifft man bei Aerzten die Ansicht,“ meint Kauf¬ 
mann, „die Kenntnis dessen, was ein Unfall oder kein solcher 
sei, könne den Arzt nicht interessieren, darum hätten sich 
einzig die Organe der Versicherung zu kümmern, denen cs 
ja auch ausschließlich zukomme, den Unfall von der Krank¬ 
heit abzugrenzen. u Hiergegen ist aber festzustellen, daß die 
Abgrenzung von Unfall und Krankheit stets die 
Mitwirkung sachverständiger Aerzte verlangt. Die 
dazu nötigen versicherungsrechtlichen Kenntnisse kann der 
Arzt sich wohl gerade in dem Kaufman n sehen Handbuche 
am leichtesten und instruktivsten holen, wobei die Gegenüber¬ 
stellung der deutschen, österreichischen, schweizerischen und 
französischen Arbeiter und der privaten Unfallmedizin dem 
sozial denkenden Arzt vielerlei Anregung — u. a. auch in 
Bezug auf eine intensivere ärztlich-öffentliche Tätigkeit — geben 
wird. Der zweite Teil, „Der Unfallverletzungen“ gibt dem prak¬ 
tischen Arzt nicht nur bei der Beurteilung von Unfällen vor¬ 
zügliche Handhaben, auch für die Privatpraxis zur Beurteilung 
der Prognose und zum Vergleich seiner Erfolge wird es ihm 
von großem Interesse sein. 

Auf die Erfahrungstatsache, daß viele Aerzte aus Unkennt¬ 
nis der Gesetze inhuman handeln, zum Nachteil des Verletzten 
wie des Sachverständigen, macht Schott (2) zum Teil im An¬ 
schluß an das 1907 ebenfalls in neuer Auflage erschienene 
ausgezeichnete Lehrbuch der ärztlichen Sachverständigentätig¬ 
keit von L. Becker (3) aufmerksam. Daß die Unfallver¬ 
sicherungsgesetzgebung eine ausgesprochen humane Einrich¬ 
tung ist und der Gesetzgeber sich von den Gesichtspunkten 
der Gerechtigkeit und Fürsorge hat leiten lassen, belegt er 
durch eine Anzahl diesbezüglicher Rekursentscheidungen des 
Reichsversicherungsamts: z. B. daß Körperverletzung und Tod 
nicht die unmittelbare Folge des Unfalls zu sein brauchen, 
auch mittelbare sich entwickelnde Folgen dieser Art fallen den 


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4:8 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU, 



Trägern der Unfallversicherung zur Last; die Verletzung 
braucht nur eine von mehreren mitwirkenden Ursachen für 
die Erwerbsunfähigkeit oder den Tod zu sein; ferner daß die 
Verschlimmerung eines schon bestehenden Leidens durch einen 
Betriebsunfall für die Entschädigungspflieht der Berufsgenossen¬ 
schaften ganz dieselbe rechtliche Bedeutung, wie em durch 
den Unfall ganz neu entstandenes Leiden hat. Schott weist 
mit Recht darauf hin, daß die Kenntnis gerade dieses Rechts¬ 
grundsatzes von außerordentlicher Wichtigkeit für Arzt und 
Patienten ist. Er erinnert ferner an das Urteil, daß es eines 
zwingenden Beweises für den ursächlichen Zusammenhang nicht 
bedürfe, es genüge eine hohe Wahrscheinlichkeit. 

Für die Beurteilung der Vergiftungen im Betriebe von außer¬ 
ordentlicher Wichtigkeit wie für die Beurteilung der medikamen¬ 
tösen Therapie in dem Sinne der individuellen Idiosynkrasie 
gegen irgendwelche stark wirkenden Medikamente bei dem Arzt 
deswegen zur Last gelegter Verschlimmerung des Zustandes des 
Patienten bei sonst richtiger Dosierung von großem Wert ist 
Lewins (4) Vortrag: „Die Grundlagen für die medizinische 
und rechtliche Beurteilung des Zustandekommens und des Ver¬ 
laufes von Vergiftungs- und Infektionskrankheiten im Betrieb“, 
der im V. Kapitel über die Bedeutung der persönlichen Ver¬ 
anlagung für den Eintritt und die Verlaufsart von Vergiftungen 
sagt: „Für die Gestaltung einer Giftwirkung ist oft die per¬ 
sönliche Veranlagung des Leidenden ausschlaggebend. Die 
ärztlichen und richterlichen Beurteiler müssen mit ihr rech¬ 
nen und müssen sie zu ihrem Rechte kommen lassen. Sie 
wirkt und ist doch in allen ihren Teilen ein Mysterium. Sie 
unterschätzen, kann verhängnisvoll werden; ihre große Bedeu¬ 
tung leugnen, ist ein Zeichen medizinischer Unbildung, in ihrem 
Wesen sie zu erklären, wird nie einem Sterblichen gegeben sein.“ 
Er macht nach Vergiftungen auf die natürlichen regula¬ 
torischen Vorgänge im Körper aufmerksam und weist bei der 
Behandlung von Vergiftungsunfallkranken auf die frühzeitige 
Anregung der ausscheidenden Organe durch Trink- und Bade¬ 
kuren und als weiteres Mittel für die Regulierung eines körper¬ 
lichen Yergiftungsschadens hin eine möglichst gute Ernährung 
auf. Sein Satz: „Es gibt kein Organ des menschlichen Körpers 
und keine Gewebsart, die nicht durch bestimmte Gifte so er¬ 
kranken können wie durch Leidensursachen anderer Art. Eine 
Vergiftung ist deswegen eine örtliche oder allgemeine Krankheit, 
und eine Krankheit im landläufigen Sinne, unter Ausschluß 
der Verletzungen, ist eine örtliche oder allgemeine Vergiftung“, 
dürfte wohl schon manchem vielbeschäftigten Praktiker die 
Grundlage seines therapeutischen Handelns sein. — 

Thiem hatte in einem Aufsatz über den Einfluß der 
neueren deutschen Unfallgesetzgebung auf Heilbarkeit und Un- 
heilbarkeit chirurgischer Krankheiten (Monats, f. Unfallheil. und 
Inval, Nr. 9, 1906) darauf hingewiesen, daß der klinisch¬ 
chirurgische Unterricht sich durch die Unfallgesetzgebung 
wieder mphr der lebhaften Betätigung auf dem wichtigen Ge¬ 
biet der Verletzungschirurgie zugewandt habe und auf die ge¬ 
waltige Aenderung in den Statistiken über Heilungsdauer und 
Heilerfolg der Verletzungen, und hatte die spätere Gebrauchs¬ 
fähigkeit der Glieder als erste Aufgabe der Therapie im Sinne 
der Unfallgesetzgebung unter Eindämmung der sogen, konser¬ 
vativen Chirurgie bezeichnet; in therapeutischer Hinsicht warnte 
er vor einer Ueberschätzung der mediko-mechanischen Behand¬ 
lung und Institute, denen er die eigentliche Orthopädie mit 
Verbandapparaten, sorgfältige Massage, das „gute deutsche 
Turnen“, namentlich die Freiübungen und die Bäder u. v. a. 
gegenüberstellte. Eingehender beschäftigt er sich mit diesem 
Gebiet in einer neuen Arbeit (5): „Ueber die Bedeutung der 
physikalischen Mittel bei der Untersuchung und Behandlung 
Unfall verletzter N deren eingehendes Studium jedem praktischen 
Arzt vorteilhaft ist. Nach Besprechung der Beziehungen der 
Unfallheilkunde zur inneren Medizin und zur Nervenheilkunde 
betont er den Nutzen der Photographie in der Unfallheilkunde. 
(Die Photographie steht überhaupt noch viel zu wenig im 
Dienst der Medizin, gerade der praktische Arzt würde oft von 
der Photographie mancherlei Nutzen haben. K.) Bei der Be¬ 
handlung der Knochenbrüche fordert er die rücksichtsloseste 
Einrenkung unter Kontrolle des Röntgen Verfahrens und in der 


Narkose, die z. B. bei Speichenbrüehen genügt, so daß diese 
nachher nur noch mit Mitelia- und Mechanotherapie naehbe-' 
handelt werden. Die Gehgips verbände hat er fast ganz auf? 
gegeben, bei der Pseudarthrosenbildung empfiehlt er Einspritzung 
gleichartigen Blutes (aus der Armvene entnommen), in leichten 
Fällen einfache Blutstauung nach Helferich, die ohne 
Strecklähmung einhergehenden Kniescheibenbrüche werden, mas¬ 
siert, die anderen durch offene Naht behandelt. Alle größeren 
offenen Verletzungen mit der Gefahr schwerer Infektion 
werden durch prophylaktische Tetanusantitoxin-Einspritzungen 
behandelt, im übrigen alle sofort nach Bier gestaut. Gerade die 
prophylaktische Stauung empfiehlt Thiem eindringlichst. 

Vor der Anwendung portativer orthopädischer Apparate 
warnt er, empfiehlt statt der künstlichen schweren Beine mit 
beweglichen Gliedern einfache leichte Stelzbeine. 

Bei der Besprechung der Hydrotherapie empfiehlt er u. a. 
als nervenberuhigende Mittel wenig unter dem Differenzpunkt 
liegende Voll- und Halbbäder, er glaubt an die Herzkräftigung 
der kühlen Kohlensäurebäder durch Herzübung (Zusatz von 
Sole hat ihm keine besondere Wirkung gezeigte Die Dusche¬ 
anwendung wird genauer beschrieben. Die kinetotherapeutischen 
Bäder für Leute mit gelähmten und geschwächten Beinen (wobei 
sie ein in der Badewanne angebrachtes Velozipedrad treten), 
erscheinen mir außerordentlich praktisch. Bei der Thermo- 
therapie spricht Thiem den heißen Sandbädern sehr das Wort, 
namentlich bei traumatisch entzündlichen oder rheumatischen 
Erkrankungen großer Abschnitte der Wirbelsäule. Bei der 
Besprechung der Mechanotherapie (Massage und Heilgymnastik) 
weist er darauf hin, daß jede Muskelübung auch Nervenübung ist. 

Neben der Vibrationsmassage, der er eine gefühlherab¬ 
setzende und wie bei allen Massagemanipulationen hyperämisie- 
rende, sekretionsanregende und stoffwechselbefördernde Wirkung 
gibt, betont er vor allem die den Blutumlauf und die Lymph- 
zirkulation befördernde Wirkung der Palpationsmassagen, „zwei 
Eigenschaften zeichnen aber dieses Heilverfahren besonders aus. 
Nämlich abgesehen von den mechanischen Dehnungen der 
Nerven und anderer Gewebe und Zerreißungen von Verwach¬ 
sungen und der Fortschaffung von flüssigen krankhaften Stoffen, 
namentlich die grob mechanische Zerkleinerung von festen Ge¬ 
rinnseln oder entzündlichen Bindegewebsneubildungen und ihre 
Fortschaffung in den Lymphstrom. Wir wissen, daß auf 
diesen (den Lymphstrom) die Erzeugung von Hyperämie 
so gut wie gar keinen Einfluß hat. Diese Einwirkung 
auf die Lymphbahnen, welcher gerade die Aufgabe zufällt, die 
kleinen körperlichen Elemente aus chronisch entzündeten Teilen 
fortzuschaffen, ist die ureigenste Domäne der Massage.“ Die 
zweite ihr eigentümliche Wirkung sieht er darin, daß sie für 
den ermüdeten Muskel eine weit größere Erholung und damit 
erhöhte Leistungsfähigkeit bewirkt als die Ruhe, wahrschein¬ 
lich durch rasche Fortschaffung der Ermüdungsprodukte. (Beide 
Sätze, die mit den Forschungsergebnissen z. B. Zabludowskis 
völlig übereinstimmen, werden in der Therapie noch lange nicht 
genügend gewürdigt.) 

In Thiems Anstalt werden alle Patienten zweimal täglich 
massiert, wieder betont er, daß es richtig wäre, wenn die 
Aerzte selbst mehr die Ausübung der Massage übernähmen, 
als sie dem niederen, nicht immer genügend geschulten Heilpersonal 
überließen. — Die aufsaugende Massage Wirkung verstärkt er 
durch nachträgliche Bindeneinwickelung. Die Benutzung des 
elastischen Zuges (nach Krukenberg) sollte auch mehr vom 
praktischen Arzt gewürdigt werden. Er erwähnt, daß man 
manchmal durch elastische Bindeneinwickelungen in einer 
einzigen Sitzung steife Finger zum Geraderichten bringen kann. 

Uebungs- und Beschäftigungstherapie werden besprochen, 
ebenso die elektro diagnostischen und elektrotherapeutischen Proze¬ 
duren verschiedener Art. Thiem ist mit Frankenhäuser der 
Ansicht, daß von allen auf die Gewebe einwirkenden Reizen der 
elektrische Stoß den größten Reiz bewirkt; der Satz: „Die Elek¬ 
trizität ist in allen Erschöpfungszuständen ein Tonikum ersten 
Ranges und die Reize stellen keineswegs bloße Hautreize dar, 
sondern werden durch die sensiblen Nerven in den Reflexbahnen 
auch auf innere Organe übergeleitet“, ist, von einem Praktiker 


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1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


49 


wie Thiem wiederholt, durchaus zu beachten. Der Vortrag 
zeigt, wie die Unfallsheilkunde sich ebenso sehr der physika¬ 
lischen Heilmethoden bedient, wie sie vielfach neue Anregung 
zu weiterer Verwertung derselben gegeben hat. 

Besprochene Literatur: 

1. C. Kaufmann, Handbuch der Unfallmedizin mit Berücksichtigung der 

deutschen, österreichischen, schweizerischen und französischen Arbeiter 
und der privaten Unfallversicherung. Dritte Auflage des Handbuchs 
der Unfallverletzungen. 1. Hälfte, Allgemeiner Teil: Unfallverletzuno-en 
Stuttgart 1907. F. Enke. 5 

2. Schott, Aus der Unfallpraxis. Aerztl. Sachverst.-Zeit. 1907, Nr. 23. 

3. L. Becker, Lehrbuch der ärztlichen Sachverständigontätigkeit. 1907. 

4. L. Lew in, Die Grundlagen für die medizinische und rechtliche Be- 
i urteilung des Zustandekommens und des Verlaufs von Vergiftungs- und 

Infektionskrankheiten im Betrieb. Berlin 1907, Verlag G. Heymann. 

0. C. Thiem, Ueber die Bedeutung physikalischer Mittel bei der Unter¬ 
suchung und Behandlung Unfallverletzter. Monatsschrift f. Unf. und In¬ 
valid., 1907, Nr. 10. 


Chirurgie. 

Referent: Spezialarzt Dr. J. Perl, Berlin. 

1 . Ein Fall von Schweinrotlauf beim Menschen und dessen 
Heilung durch Schweinrotlaufserum. Dr. H. Welze 1 . Münchner 

med. Wochenschrift 1907, Nr. 50. 

2 . Appendizitis und Ulkus ventrikuli. Von Franz Mehnert. 
Mitteil. aus den Grenzgeb. der Med. und Chir., 1907, XVIII 

3. Heft. 

3. Praktische Winke zur Seifenspiritusdesinfektion. Von 
Linnartz. Zentralblatt für Chirurgie, 1907, 50, p. 1460. 

4. Serumbehandlung bei Tetanus. Von Max Hofmann. 
Aus der Chirurg. Klinik zu Graz. Beiträge zur klinischen Chirurgie 
1907, 55. Bd., 3. Heft. 

5. Zur ambulanten Extensionsbehandlung der Oberarmbrüche. 

Von Ed. Kreißler. Ibidem. 

6 . Behandlung des Pes equinovarus. Von Friedrich 
Dijeff enbach. Ibidem. 

1 . Bei der Impfung der Schweine gegen Rotlauf wird neben 
dem Immun-Serum auch ein Tropfen einer Reinkultur von Rotlauf¬ 
bazillen eingespritzt. Ansteckung von Tierärzten kommt daher 
nicht allzu selten vor, und wenn auch die Erkrankung (gewöhn¬ 
lich Finger oder Arm) im allgemeinen müde verläuft, so ist doch 
schon ein Todesfall bekannt. In Welzeis Fall blieb die un¬ 
zweifelhaft fortschreitende Rotlauf-Phlegmone des Daumens durch 
Stauung unbeeinflußt, ging aber nach Rotlaufserum-Einspritzung 
(Succerin-Höchst; 8 V 2 cm auf 10 kg Körpergewicht) binnen wenigen 
Stunden vollständig zurück , eine dringende Mahnung, solch spezi- 
flsche Ansteckung sofort mit dem Gegengift zu behandeln. 

2 . Mehnert bezeichnet es als Verdienst von Payr, zuerst 
auf den Zusammenhang zwischen Appendixerkrankungen und 
sekundären, oft direkt im \ erlaufe der VVurmfortsatzerkrankung 
auftretenden Magenveränderungen hingewiesen zu haben. Mehnerts 
Erfahrungen über das Zusammentreffen des Befundes Ulkus ven¬ 
trikuli und Appendizitis sind geradezu verblüffend. Bei einer 
Zahl von 36 einwandfreien Ulzera ventrikuli aus den letzten zwei 
Jahren hat er 23 ebenso einwandfreie Appendizitiden notiert, das 
gibt ein Prozentverhältnis von 64%. Er glaubt, daß der* von 
Payr experimentell nachgewiesene kausale Zusammenhang zwischen 
Thrombenbildung bezw. Emboli aus den primär erkrankten Ge¬ 
bieten mit den sekundär auftretenden ulzerösen Prozessen am 
Magen durch seine Beobachtungen eine weitere klinische Stütze 
erfährt, und daß der Zusammenhang zwischen Appendizitis und 
Ulkus ventrikuli in praktischer und theoretischer Hinsicht eine 
große Bedeutung erlangt hat. Er hält es für seine Pflicht, auf 
dieses wichtige Folgerungsglied in der Reihe der appendikulären 
Komplikationen aufmerksam zu machen, die Indikation zur Vor¬ 
nahme der Appendektomie nicht nur auf die akuten Formen der 
Appendizitis zu beschränken, sondern die Indikation auch auf die 
chronischen Formen zu erweitern. 

3. Linnartz weist mit Recht darauf hin, daß die Desinfek¬ 
tion mit Seifenspiritus von den praktischen Aerzten viel zu wenig 
angewandt wird, trotzdem sie sich gerade für deren Zwecke und 
Mittel eignet. Die Nachteile der Seifenspiritusdesinfektion hat er 
zum großen TeU durch Einführung eines Fünfminutenlaufbe¬ 


hälters beseitigt. Bei Selbstbereitung des Seifenspiritus sinkt 
der Herstellungspreis bis unter mehr als die Hälfte der offizineilen 
Taxe. Der verbrauchte Spiritus läßt sich durch Sterilisieren wieder 
verwenden. 

4. Dr. Max Hofmann bespricht die Erfolge der Serum¬ 
behandlung bei Tetanus. Bei subkutaner Einverleibung des Mittels 
starben von .13 Tetanuskranken 7 (53,8% Mortalität). Ueber endo- 
neurale Injektionen liegen zu geringe einwandsfreie Erfahrungen 
vor. Dagegen sind von den 16 mit Duralinfusionen behandelten 
Fällen, unter denen sich schwerste und prognostisch ungünstige 
Tetanusfälle, auch solche mit kurzer Inkubationszeit fanden, nur 
zwei Fälle gestorben, was einer Mortalität von 12 , 5 % entspricht. 
Dieses Resultat ermuntert zu weiteren Versuchen mit Duralinfusion 
des Serums. 

Nach Ablassen einer größeren Menge von Liquor zerebro- 
spinalis werden 20 ccm, bei Kindern 10 ccm alle zwei bis drei 
Tage in den Lumbalsack injiziert bis zum Eintritt einer manifesten 
Besserung; außerdem subkutane und lokale (am Orte der Wunde) 
Deponierung des Serums. 

5. Dr. Eduard Kreißler empfiehlt das von Hecker an¬ 
gegebene Triangel zur ambulanten Extensionsbehandlung der Ober¬ 
armbrüche. Eine starke Pappschiene wird so gebogen, daß ein 
Thoraxteil, ein Oberarmteil und ein Vorderarmteil entsteht. Be¬ 
sonderer Wert wird auf genaue Bemessung derselben (nach der 
gesunden Seite) gelegt. Nach der Reposition der Fraktur wird 
die Schiene an den Thorax anbandagiert, der Arm an die Schiene. 
Die Schiene wirkt zugleich als Extensions- und Lagerungsverband. 
Sie ist indiziert bei Frakturen der oberen Epiphyse mit Abduk¬ 
tionsmechanismus, Diaphysenfrakturen usw. und kann mit einer 
Extensionsschiene kombiniert werden. Besonders geeignet scheint 
sie zur Improvisation für den Landarzt. 

6 . Dr. Friedrich Dieffenbach empfiehlt die Behandlung 
des Pes equinovarus mit keüförmiger Exzision aus dem Tarsus. 
Dieselbe ist geeignet für die schweren Fälle Erwachsener, beson¬ 
ders dann, wenn die sozialen Verhältnisse eine schnelle Heilung 
erfordern; ferner kommt sie in Betracht, wenn die unblutigen 
Methoden zu keinem Resultat geführt haben. Um die Größe des 
Keüs dem Fall entsprechend wählen zu können, wird an einem 
aus etwas widerstandsfähiger Gelatine gefertigten Modell genau 
festgestellt, wieviel jedesmal fortzunehmen ist, um eine gute 
Korrektur zu erzielen. 

Dieses Verfahren hat sich in der Praxis außerordentlich be¬ 
währt. Die Nachbehandlung besteht darin, daß die Patienten 
nach der Operation drei bis vier Monate lang einen Gipsverband 
tragen und nach dessen Entfernung gewöhnliche Schnürschuhe 
mit am Außenrand etwas erhöhter Sohle. 


Urologie. 

Referent: Spezialarzt Dr. A. Schwenk, Berlin. 

1 . Ueber Albuminurie. Von Professor v. Noorden. Zeit¬ 
schrift für Urologie, Band I, 12 . Heft. 

2 . Hodenhautgangrän nach Gebrauch von Jodtinktur. Von 

Regimentsarzt Dr. Hanaiewicz. Münch, med. Wochenschrift 
Dez. 1907. 

1 . Der Besprechung der gutartigen Albuminurien schickt N. 
einige allgemeine Bemerkungen voraus. Ebensowenig wie das Auf¬ 
treten von Zylindern den Praktiker zum Pessimismus verleiten 
darf, ebensowenig darf er bei Albuminurien, die zyklisch inter¬ 
mittierend auftreten, allzu optimistisch sein. Denn Zylinder von 
verschiedener Art finden sich öfters bei harmlosen Albuminurien ; 
andrerseits ist eine regelmäßig in Unterbrechungen wiederkehrende 
Eiweißausscheidung oft der Vorbote für eine beginnende Schrumpf¬ 
niere. Wichtiger als Albumen und Zylinder für die Beurteilung 
ist das Verhalten des Gefäßsystems, des Herzens und der Blut- 
gefäße; lehrt doch die klinische Erfahrung, daß schon im ersten 
Anfang der Schrumpfniere sich eine Drucksteigemng im Gefä߬ 
system einstellt. Ebensowenig verläßlich sind die Proben auf die 
Eliminationskraft der Nieren für Stoffwechselprodukte und die funk¬ 
tionelle Diagnostik, deren ungünstiger Ausfall zum Pessimismus be¬ 
rechtigt, deren günstiges Resultat keinen Anlaß zum Optimismus 
gibt. 


Original from 

t V E R SITY O F MIC HI GA N 




THERAPEUTISCHE 




mmm 


N. zählt den gutartigen Alb. auch die zu, bei denen zwar 
anatomische Veränderungen der Nieren vorliegen, die aber nicht 
den Uebergang zur chronischen Nephritis befürchten lassen. Er 
unterscheidet: 

a) Die o r thos tatische und 

b) juvenile Albuminurie meist bei anaemischen Kindern; bei 
der ersteren Albumen hauptsächlich morgens beim Aufstehen, bei 
der letzteren mehr kontinuierlich. 

c) Dauernde Eiweißausscheidungen, die sich manchmal nach 
überstandener akuter Nephritis ohne sonstige Anzeichen einer fort¬ 
schreitenden Nierenkrankheit einstellen; Herz, Gefäße und Blut¬ 
druck hier immer normal. Diese Art kann Jahrzehntelang ohne 
Schädigung des Allgemeinbefindens bestehen. 

d) Formen von praetuherkulöser Albuminurie, häufig im aller¬ 
ersten Stadium der Tbc. pulm. mikroskopisch Zylinder und rote 
Blutkörperchen. Zeigen sich hierbei nach wenigen Wochen keine 
Zeichen von Nephritis, dann verschwindet das Eiweiß später wieder 
vollständig. 

e) Eiweißausscheidungen bei Diabetes mellitus, die oft monate¬ 
lang bestehen und dann unter Entziehung der Kohlehydrate ver¬ 
schwinden. 

f) Bei Altersnephritis kann Albuminurie jahrelang ohne 
Schaden bestehen, eine diätetische Therapie ist hier übrig, da dieNieren- 
erkrankung meist eine Teilerscheinung der allgemeinen normalen 
Abnützungsvorgänge im senilen Organismus ist. 

Zum Schluß wendet sich N. gegen die bisherige Therapie der 
chronischen Nierenkrankheiten. Er verwirft jeden Schematismus 
in der Behandlung bei allen Formen der juvenilen Albuminurie, 
wo nicht mit echter Nephritis zu rechnen ist, empfiehlt er anstatt 
der physikalischen und diätetischen Schonungsbehandlung systema¬ 
tische Muskelbetätigung, abhärtende Prozeduren und Badekuren, eine 
eiweißreiche gemischte und nicht mästende Kost. Bei der 
Altersalbuminurie kein Jod, da dies auf die Nieren nur 
reizend wirkt und obendrein dem alten Patienten den geringen 
Appetit noch völlig benimmt. 

Keine zu große Flüssigkeitszufuhr; hierdurch entsteht nur 
zu häufig bedrohliche Herzschwäche. Im Allgemeinen eine ge¬ 
mischte, 1* 1 eischreiche Kost; im wesentlichen keine ein¬ 
schneidende Veränderung in der Lebensweise und Ernährung. 

2. Je größer das Anwendungsgebiet eines Medikamentes ist, 
desto wichtiger ist es, mit den üblen Nebenwirkungen desselben 
stets vertraut zu sein. Und es ist für den Praktiker von großem 
Werte, wenn möglichst, oft über die unangenehmen Erfahrungen, 
die bei Anwendung von Medikamenten gemacht wurden, berichtet 
wird. Eine in dieser Beziehung interessante Bereicherung bietet 
der nachstehende Fall: 

Bei einem Pat., welcher sich auf Anraten des Arztes die 
Haut über dem geschwollenen Hoden mit Jodtinktur mehrere Male 
einpinselte, löste sich nach einigen Tagen die Skrotalhaut gangränös 
und in Fetzen ab: der Hoden mußte operativ freigelegt, und der 
Defekt mit Tiers chscher Transplantation vom Oberschenkel aus 
gedeckt werden. 

Im Anschluß an diesen Fall möchte ich nur kurz bemerken, 
daß man im Allgemeinen an der Regel festkalten muß, daß Hoden- 
entzundungen im akuten Stadium nur antiphlogistisch zu behandeln 
sind; sind die akuten und schmerzhaften Erscheinungen ver¬ 
schwunden, dann geht man allmählich zur Applikation von Wärme 
und reizenden Medikamenten über. Doch ist hierbei sehr genau 
auf das Verhalten der Haut zu achten; schält sich die Haut zu 
intensiv und wird sie schmerzhaft, dann muß diese Medikation aus¬ 
gesetzt werden und einer indifferenten Salbenbehandlung so lange 
Platz machen, bis die Haut sich wieder regeneriert hat. Will man 
das Jod als Heilmittel absolut nicht entbehren, dann macht man 
auch im akuten Stadium mit der internen Darreichung von Jod¬ 
kalium in Verbindung mit Natr. salic. mitunter recht gute Er¬ 
fahrungen. 

Lungenkrankheiten. 

Referent: Dr. E. Meyer, Assistent an der Universitätspoli¬ 
klinik für Lungenkranke, Berlin. 

1. Extraktionsversuche mittels Bronchoskopie. Von H. v. 
Sckrütter. Berlin. Klin. Wochenschrift 1907, Nr. öl. 


2. Bas Tuberkulin in,der Hand des praktischen Arztes^ 
Von Weicker, Görbersdorf. Wien. med. Woeh., 1907, Nr. 51. ! 

3. Kippenresektion bei Lungentuberkulose. Von W. Kausch. 
Deutsch, med. Wochenschr., 1907, Nr. &0. 

4. Meine Beobachtungen in der Tuberkulosetherapie bei 
der Anwendung von Marmorekserum. Von Dr. Schenker in 
Aarau. Münch, med. Woch. 1907, Nr. 43. 

5. Die verschiedenen Arten des Asthmas, seine Entstehung etc. 
Von Goldscheider. Zeitschr. f. ärztl. Fortbild., 1907, Nr. 26. 

6. Erfahrungen mit Alttuberkulin in der Privatpraxis. Von 
W. Hold heim. Med. Klinik, 1907, Nr. 50, 

7. Die Konjunktivalreaktion als Diagnostiknm bei Lungen¬ 
tuberkulose. Von Blümel und Clarus, Görbersdorf. Mediz. 
Klinik, 1907, Nr. 50. 

1. Hermann von Schrötter gelang es, bei einem 52jährigen 
Manne einen vor zwei Jahren verschluckten Schweinsknochen 
mittels Bronchoskopie im'linken Bronchus zu finden und direkt zu 
extrahieren. Er fordert deshalb, daß man auch noch bei alten 
Eällen Extraktionsversuche machen solle. 

2. Weicker gibt den Rat, bei der Tuberkulinbehandlung von 
Kassenkranken vorher die Genehmigung der Kassen einzuholen, 
da letztere nach dem Gesetz nicht verpflichtet sind, die Kosten 
einer solchen Behandlung zu tragen. Eventuell solle sich der Arzt 
an die Landes-Versicherungsanstalt wenden. Weicker warnt 
davor, Tuberkulin bei Unfallverletzten anzuwenden. 

3. W. Kausch teilt einen Fall mit, bei dem er nach W. A .F r e u n d s 
und Harts Vorschlag bei einer Patientin wegen beginnender 
Lungenspitzentuberkulose eine Resektion des ersten Rippenknorpels 
vorgenommen hatte. Der Fall verlief bisher günstig. Um jedoch 
über das Verfahren ein Urteil fällen zu können, ist es nötig, noch 
eine große Anzahl Fälle zu beobachten. 

4. Verf., der bisher neben einer rationellen Ernährung und 
Pflege Tuberkulöser in den letzten Jahren neben den verschiedenen 
Kreosotpräparaten und deren Derivaten hauptsächlich Hetol Länderer, 
Neutuberkulin Koch und Tuberkulin Beraneck anwendete, hat seit 
Oktober 1906 an 39 Patienten der medizinischen Abteilung der 
kantonalen Krankenanstalt in Aarau Versuche mit dem Antituber- 
kuloseserum Marmorek angestellt und faßt seine Beobachtungen 
zu folgenden Schlußsätzen zusammen: Das Serum wirkt bei Tuber¬ 
kulose antitoxisch auf den menschlichen Organismus, was aus der 
Abnahme bezw. dem Verschwinden der Tuberkelbazillen im Aus¬ 
wurf Lungensckwindsüohtiger und im Harnsediment bei Harnblase 
und Nierentuberkulose zu schließen ist. Seine Wirkung ist be¬ 
sonders günstig bei Lungentuberkulose ersten und zweiten Grades 
sowie bei Knochen- und Bauchfelltuberkulose. Bei Lungentuber¬ 
kulose dritten Grades wirkt es zwar nicht heilend, aber günstiger 
als die anderen Mittel. Je hartnäckiger die Krankheit, desto 
länger muß man es anwenden, und zwar am besten rektal, weil 
bei subkutaner und innerlicher Darreichung Nebenerscheinungen 
auftreten. 

5. In einem interessanten Vortrage spricht Goldscheider über 
die verschiedenen Arten des Asthmas, seine Entstehung etc. und 
gibt schließlich noch wertvolle therapeutische Winke. Außer 
Räuchermitteln kommen in erster * Reihe Narkotika. Morphium, 
Obioral, Atropin, Skopolaminum hydrobromikum in Betracht. — 
Atropin, welches zur Zeit immer mehr in Anwendung kommt, ist 
auch in dem bekannten Tuckerschen Heilmittel enthalten, neben 
Natrium nitrosum. Auch Brügelmann läßt Atropin inhalieren. 
Subkutan wird es während des Anfalles in Dosen bis 1 mg ge¬ 
geben, bei längerem Gebrauch wird es in Pillen gegeben bis 4 mg 
pro die. Auch Lobelia wird verwandt zur Erweiterung der kon¬ 
trahierten Bronchien, ebenso Chloroform, Urethan und Aether. — 
F. Kraus hat mit Koffein, natr. salicyl. 0,2 -J- Antipyrin 0,8 oft 
Attacken koupiert. Weiter werden empfohlen Heißluftbäder, Sauer¬ 
stoffinhalationen, Jod. — Bei dem sogen, nasalen Asthma ist ein 
Versuch mit in Kokain, Eukain oder Novokain getauchten Watte¬ 
pfropfen zu empfehlen; Polypen etc. sind abzutragen, doch ist 
vor verstümmelnden Operationen zu warnen. — Chronische Asthma¬ 
tiker sind wie Neurastheniker zu behandeln und machen als solche 
oft mit Vorteil Gebrauch von See- oder Gebirgsaufenthalt, be¬ 
sonders Aufenthalt im Hochgebirge soll günstig sein. — Von. vielen 
Autoren werden Apparate angewandt, besonders bei Emphysema- 
tikern z. B. der Waldenburgsche Apparat, pneumatische Kammer, 


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Original fru-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


5i 


ferner Atemgymnastik, Thoraxkompression zum Teil ohne, zum 
Teil mit Apparaten wie z. B. dem Roßbachschen und dem Bog- 
heanschen Atmungsstuhl. Besonders der letztere leistet nach 
Goldscheiders Angabe Hervorragendes. — Neben allen diesen 
Maßnahmen kommen immer noch die hydrotherapeutischen Ma߬ 
nahmen wie Halbbäder, Packungen, Abreibungen, Duschen in Be¬ 
tracht und in der anfallsfreien Zeit eine sorgfältige psychische 
Behandlung. 

6. W. Holdheim hält das Tuberkulin für das einzige spezifische 
Mittel im Kampfe gegen die Tuberkulose und hat bei der ambulanten 
Behandlung niemals Schädigungen gesehen. Allgemein anerkannt 
sei wohl die diagnostische Probeinjektion, bei der er steigend 
0,5 mg, 1 mg, 3 mg, 5 mg und evtl, noch 10 mg nimmt. 
Während man bei den probatorischen Injektionen möglichst eine 
Reaktion hervorrufen will, ist diese bei der Tuberkulintherapie 
zu vermeiden, — Wichtig für die Behandlung ist die Auswahl 
der Fälle, besonders geeignet sind die geschlossenen Tuberkulosen 
und alle anderen Patienten mit gutem Ernährungs- und 
Kräftezustand, mit nicht zu großen Zerstörungen in den Lungen. 

— Holdheim spritzt bei allen Patienten, wo er keine T. B. im 
Sputum nach weisen kann, vor Beginn der Kur erst probatoriscb. 

— H. benutzt eine Rekordspritze, mit Platiniridiumkanüle, spritzt 
im Interskapularraum und zwar jeden vierten Tag und läßt zwei¬ 
stündlich Temperatur messen. Tritt eine Reaktion ein, so wird die¬ 
selbe Dosis nochmals wiederholt. Die Dauer der Kur beträgt ca, 
6 Monate, in denen die Dosen bis 500 mg gesteigert werden. — 
H. verwendet stets Alttuberkulin in den von Hadra hergestellten 
Verdünnungen in sterilen Röhrchen. Nach 4—6 Monaten folgt 
dann noch eine Probekur bis 10 mg und bei Reaktion nochmals 
eine Behandlung mit Tuberkulin, die aber kürzer als die erste 
ist. Von 45 behandelten Fällen sind angeblich 21 völlig (?) ge¬ 
heilt, bei den anderen Fällen konnte die Kur teilweise aus äußeren 
Gründen nicht beendet werden. Auch für Tuberkulose anderer 
Organe ist Tuberkulin mit Erfolg benutzt. 

1. In der Weickerschen Heilanstalt versuchten Blümel und 
Glarus die sogen. Konjunktivalreaktion als Diagnostikum bei 
Lungentuberkulose und fanden hierbei, daß bei positivem Ausfall 
der Konjunktivalreaktion das betreffende Individuum tuberkulös sei, 
dagegen spreche das Fehlen der Konjunktivalreaktion nicht absolut 
sicher gegen Tuberkulose. Nach Ansicht der Autoren kann die 
probatorische Injektion nach Koch völlig durch die Konjunktival¬ 
reaktion ersetzt werden. Zu beachten ist, daß ca. 50% schwerer 
Phthisiker nicht ragieren, dagegen Typhuskranke besonders in der 
Rekonvaleszenz oft positiven Ausfall der Ophthalmoreaktion zeigten. 
Eine längere Zeit nach der Einträufelung gemachte subkutane 
Injektion ruft oft nochmaliges Aufflackern der Augenreaktion 
hervor. 

Dermatologie und Syphilidologie. 

Referent: Spezialarzt Dr. Jul. Baum, Berlin. 

Perls hat (Arch. f. Dermatologie, Bd. 88, Heft 1) aus dem 
Material der Breslauer Dermatol. Klinik und der Privatpraxis von 
Professor Neißer an der Hand von 6203 Syphilitikern, die in 
den letzten sechs Jahren zur Beobachtung kamen, festgestellt, daß 
sich darunter 605 Fälle von tertiärer Syphilis fanden,. von denen 
60,33% unbehandelt waren, 17,36% eine Kur durchgemacht hatten, 
21.42% symptomatisch und 0,66% chronisch intermittierend be¬ 
handelt waren. Er schließt daraus, daß die Hauptursache, des Auf¬ 
tretens tertiärer Erscheinungen in fehlender oder ungenügender 
Behandlung der primären und sekundären Syphilis zu suchen ist. 
Diese Statistik widerlegt die Einwände, die man oft gegen die 
chronisch-intermittierende Hg-Behandlung der Lues erhebt, nämlich 
daß durch dieselbe eine Gewöhnung an Hg eintrete, wodurch seine 
Wirkung auf die Symptome herabgesetzt werde. Die Statistik 
widerlegt auch den Einwand, daß eine dauernde Hg-Anwendung 
derartige Schädigungen des Organismus verursache, daß durch 
diese der Nutzen der Behandlung völlig aufgewogen werde. — 
(Anmerk. d, Referenten: Wenn in einem so hohen Prozentsatz von 
sicherer tertiärer Syphilis die Anamnese fehlt, ist es nicht zu ver¬ 
wundern , daß auch bei Tabes und Paralyse dieses anamnestische 
Moment so häufig vermißt wird.) 

Hermann Mayer hat (Monatsh. f. praktische Dermatologie 


Bd. 45, Nr. 12) mit Andolin als Lokalanästhetikum gute Er¬ 
fahrungen gemacht. Andolin besteht aus Eucain 0,5, Stovin 0,75, 
Suprarenin. hydrochlor. 0,008, Physiolog. Kochsalzlösung ad 100,0 
in stets gebrauchsfertigen Ampullen in sterilem Zustand. Es ist 
unbegrenzt haltbar, hat große Tiefenwirkung, lang dauernde 
anästhesierende Wirkung ohne Nachschmerz, und ist verhältnis¬ 
mäßig wenig toxisch. 

Ledermann teilt (Berl. Klin. Woch. 1907, Nr. 51) nach 
einem kritischen Referat über die Wirkung der Quarzlampe seine 
eigenen Erfahrungen mit, nach welchen diese Lampe vor allem bei 
Alopezia areata und Rosazea, weniger bei Lupus zu empfehlen ist. 

Auf Anregung von Mracek und Riehl hat die k. k. Ge¬ 
sellschaft der Aerzte in Wien in der Sitzung vom 9. November 
(Wiener Klin. Wochenschr. 1907, Nr. 51) eine Kommission zur Be¬ 
kämpfung der Geschlechtskrankheiten gewählt. Diese Kommission 
hat einen ausführlichen und inhaltreichen Bericht herausgegeben, 
der sehr bedeutsame Vorschläge bringt, die ira Einzelnen nicht 
aufgeführt werden können. 

Zieler hat (Archiv für Dermatologie, Bd. 88, Heft 1) an 
einem größeren Material in der Breslauer dermatologischen Klinik 
ein 40% graues Oel zur Behandlung der Syphilis verwendet. 
Das graue Oel wird meist ausgezeichnet vertragen, ist fast immer 
schmerzlos, bietet alle Vorteile der unlöslichen Salze, führt fast 
nie zu stärkerer entzündlicher Reaktion, macht höchstens kleine 
Knoten. Die Hg-Vergiftung ist nicht häufiger als nach jeder 
anderen Hg-Behandlung. Der besondere Wert des Mittels besteht 
in der langsam eintretenden Wirkung und seiner Nachhaltigkeit. 
Zieler hält ein gutes graues Oel für eine entschiedene Bereicherung 
unsres Arzneischatzes. Doch ist gerade bei diesem Mittel ganz be¬ 
sondere Vorsicht, exakte Technik und strenge Auswahl der Fälle nötig. 

Wassermann referiert in der Berl. Klin. Woch. 1907, Nr. 50, 
über die Entwicklung und den gegenwärtigen Stand der Serodiag- 
nostik gegenüber Syphilis. Die auf der Bordet-Gepgouschen 
Komplementbindungsmethode beruhende Reaktion, die von Wasser¬ 
mann, Bruck und Neißer zuerst am Affen, später vou 
Wassermann, Bruck und Plaut beim Menschen angegeben 
wurde, hat sich an der Hand-von jetzt über 1000 Untersuchungen 
als praktisch wichtig herausgestellt. In keinem Fall von Nicht- 
Lues war die Reaktion positiv, während bisher durchschnittlich 
in 74 bis 85% der Fälle von Syphilis und metasyphilitischen Er¬ 
krankungen (Tabes und Paralyse) die Probe positiv war. Die 
Reaktion ist daher als eine für Lues spezifische anzusehen; sie hat 
sich iu vielen Fällen mit unklarer Diagnose praktisch bewährt. — 
Das Wesen der Reaktion ist noch unklar. Zumal es sich ergeben 
hat, daß luetisches Serum, jedoch nicht normales Serum, mit 
größeren Extrakt men gen nicht syphilitischer Organe die Reaktion 
gibt, was den praktischen Wert der Methode nicht beeinträchtigt. 
Die Untersuchungen von Porges haben ergeben, daß die mit 
Alkohol extrahierbaren Substanzen, insbesondere Lecithin mit dem 
luetischen Serum die Reaktion geben. 

Ueber den Wert des Europhen berichten in zwei ver¬ 
schiedenen Arbeiten Richter und Bornemann (Dermat. Zentral¬ 
blatt 1907, Nr. 2). Ueberall wo sonst Jodoform angewandt wird, 
haben die Autoren mit diesem Mittel vorzügliche Erfolge erzielt, 
vor allem bei Ulkus molle: besonders in der Mischung von Euro¬ 
phen ein Teil mit drei Teilen Borsäure, welche das Zusammen¬ 
halten des Pulvers verhindert. Auch nach Ansicht des Referenten 
übertrifft Europhen alle Ersatzmitteides ominös riechenden Jodoforms. 

Ernst hat (Dermat. Zentralblatt 1907, Nr. 3) in einem Falle 
das Auftreten von Tuberkulosis verrukosa kutis au einer Tätowierung 
bei einem nicht tuberkulösen Menschen beobachtet Es handelt 
sich um eine luokulationstuberkulose. 


Mitteilungen über Arzneimittel. 


Neuere Arzneimittel. 

Dr. Zuckers Silvana-Essenzen für aromatische 
Kräuterbäder. (Fabrik: Max Elb, G. m. b. H., Dresden.) 
Die Silvana - Essenzen sind hochkonzentrierte, aromatische 


Original from 

UNiVERSITY OF MICHIGAN 




5ä 


ThmäpbütIscSe frtlfrbScMAff. 


Kräuter-Extrakte, welche nach einem besonderen Verfahren 
(D. R. P. angemeldet) die wirksamen Stoffe, insbesondere die 
ätherischen Oele in wasserlöslicher Form enthalten. Durch 
bloßes Mischen der Essenz mit dem Badewasser erhält man 
ohne den umständlichen Kochprozeß im Augenblick jedes be¬ 
liebige aromatische Kräuterbad (Layendel-, Waldkräuter-, Kiefer¬ 
nadel-, Kalmus- usw.). Die aromatischen Bäder sind nach Ge¬ 
heimrat Professor Dr. Goldscheider (Zeitschrift für physik. 
und diätet. Therapie 1906) ein stimmungserhöhendes, psycho¬ 
therapeutisches Hilfsmittel bei Neurasthenie, Herzneurosen, 
Herzkrankheiten, Arteriosklerose, Senium, Aortenatheromatose, 
Diabetes, harnsaurer Diathese, Neuralgie, Tabes, Lähmungs¬ 
zuständen, Anämie, Schlaflosigkeit, Obstipation, Leberanschop¬ 
pung, herabgesetzter Ernährung. Der Arzt verordnet 1 Karton 
Silvana (Lavendel-, Waldkräuter-, Kiefernadel-, Kalmus- usw.), 
reichend für sechs Silvanabäder. Preis 3 M. (in Oesterreich 
4 Kr.). Mit gutem Erfolge werden die Silvana - Essenzen mit 
Dr. Zuckers Kohlensäurebädern mit den Kissen kombiniert 
durch einfaches Zumischen der vorgeschriebenen Menge Silvana- 
Essenz zum Kohlensäurebad. — Ein Karton Silvana-Essenzen, 
reichend zu sechs bis zwölf aromatischen Kohlensäure-Kräuter¬ 
bädern kostet BM. P. Höckendorf, Groß-Lichterfelde. 

Dr. Zuckers Kohlensäure-Bäder mit den Kissen 

(Fabrik: Max Elb, G. m. b. H., Dresden). Vorzüge dieser 
Bäderform sind laut Prospekt: 

1. Einfache Handhabung ohne Apparat und ohne Beschä¬ 
digung der Wannen; das Manipulieren mit Säure im Bade fällt 
ganz weg. 

2. Vollständige Geruchlosigkeit des Bades. 

3. Gleichmäßige, langanhaltende Kohlensäure-Entwicklung, 
bei welcher die Kohlensäurebläschen ganz klein sind, wo¬ 
durch die Zahl der Reizpunkte auf der Hautfläche ganz erheb¬ 
lich vermehrt wird. 

4. Kristallklares Badewasser bis zum Verlassen des Bades 
(mit Ausnahme der Bäder 3—5). 

5. Die Entwicklung der Kohlensäure im Bade wasser ge¬ 
schieht allmählich in vom Willen des Badenden jeden Augen¬ 
blick regulierbarer Stärke mittels der beigegebenen, zum Patent 
angemeldeten Kissen. 

6. Durch Bestreichen leidender Körperteile im Bade mit 
den Entwicklungskissen erzielt man heilkräftige örtliche Ein¬ 
wirkungen, z. B. bei Ischias, die bei keinem anderen natür¬ 
lichen oder künstlichen Kohlensäurebad möglich sind. 

7. Die in Dr. Zuckers Bad sich bildenden ameisensauren 
Salze werden von der Haut leicht resorbiert und steigern die 
Muskeltätigkeit in hohem Grade. Bekanntlich ist Ameisensäure 
im Franzensbader und Marienbader Moor als wirksamer Be¬ 
standteil enthalten. 

8. Die Bäder sind dosiert, so daß man nach Belieben 
auch halbstarke und Kinderbäder daraus hersteilen kann. Sie 
sind gut verpackt und können deshalb überall mit hingenom¬ 
men und versendet werden. 

9. Die Atmosphäre über der Badewanne wird nicht von 
Kohlensäuredunst erfüllt, wie dies bei allen natürlichen und 
anderen künstlichen Kohlensäurebädern der Fall ist. Zufolge- 
dessen werden Dr. Zuckers Bäder auch von empfindlichen Per¬ 
sonen, die sonst beim Gebrauch kohlensaurer Bäder Kopfweh 
und Beklemmungszustände bekommen, gut vertragen. 

Man bereitet ein gewöhnliches Wasserbad, gießt die Ent¬ 
wicklungsflüssigkeit hinein und begibt sich alsdann mit den 
Kissen in das Bad. 

Nach dem System Dr. Zucker werden folgende Bäder von 
der Fabrik hergestellt: 

1. Einfache Kohlensäurebäder. 

2. Kohlensäure-Stahlbäder. 

3. Kohlensäurebäder mit Fichtennadelextrakt. 

4. Kohlensäurebäder mit Stahl und Fichtennadelextrakt- 

5. Kohlensäurebäder mit Heublumenextrakt. 

P. Höckendorf, Groß-Lichterfelde. 

Albukola. Von einer Berliner Firma „Rita Nelson“ 
wird unter dem Namen „Albukola“ ein Kräftigungsmittel für 
schwache Frauen mit prahlerischen Worten angepriesen und 



in den übersandten- Prospekten werden dem Mittel allerlei 
günstige Wirkungen auf die verschiedensten Krankheitszustände, 
auf Magerkeit, Korpulenz, Trunksucht usw, zugeschrieben'. Dieses 
zu unverhältnismäßig hohem Preise verkaufte Präparat besteht 
aus Stärke, Eiweiß, Eisenkarbonat, phosphorsaurem Kalk, Lezi¬ 
thin und Sennesblättern. 0. Krey, Köln. 


Referate, 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg: 

1. Die Pyozyanase als Prophyiaktikum und Heilmittel bei be¬ 
stimmten Infektionskrankheiten. Von Prof. Emmerich, München. 
Münch, med. Woch., 1907, Nr. 45/46. 

2. Heber Ennan, ein festes Kresolseifenpräparat in Tabletten¬ 
form. Ref. von v. Boltenstern, Berlin. Deutsche Aerzte-Zeitg. 
1907, Nr. 24. 

3. Heber Sanatogen-Wirkung. Von Dr. Frisch, Würzburg. 
Deutsche Aerzte-Zeitung, 1907, H. 24. 

4. Zur Behandlung des Morbus Basedowii. Von Dr. Helmke, 
Vohwinkel. Medizin. Klinik, 1907, Nr. 50. 

5. Neue Arzneimittel und pharmazeutische Spezialitäten. 
Pharmazeut. Zeitg., 1907, Nr. 95, 27. Nov. 

6. Geheimmittel, technische, kosmetische und andere Spe¬ 
zialitäten. Pharmaz. Zeitung, Berlin, 1907, Nr. 81. 

7. Desgleichen. Ibidem, Nr. 93. 

8. Desgleichen. Ibidem, Nr. 97. 

9. Sullacetin. Von Dr.Zer nik. Apotheker-Ztg., 1907, Nr. 97. 

1. Auf der Oberfläche von Flüssigkeitskulturen des Bacillus 

pyocyaneus — des Erregers des blauen Eiters — bildet sich im 
Verlauf weniger Tage eine dicke Bakterienhaut, die beim Schütteln 
zu Boden fällt, worauf wieder, eine neue Hautdecke entsteht. 
Dieses wiederholt sich sechs- bis achtmal, wenn man in Zwischen¬ 
räumen von drei bis vier Tagen durch kräftiges Schütteln die 
Haut zerstört hat. Die letzten Bakterienhäute sind aber schon 
dünner und viel weniger üppig entwickelt; nach drei bis vier 
Wochen hört dann die Bakterienentwicklung ganz auf. Die infolge 
des Schütteins zn Boden fallenden Häute bilden anfangs eine 
voluminöse, flockige Masse, die allmählich zäh und schleimig wird, 
bis nach Wochen kaum eine Messerspitze voll eines nur einige 
Milligramm schweren, weißlichen Bodensatzes übrig geblieben ist, 
der bei mikroskopischer Untersuchung aus leeren Bakterienmem¬ 
branen, Kernresten, Fetttröpfchen und Kristallen besteht. Die 
Auflösung der Bakterien erfolgt durch ein sehr wirksames, 
bakterienauflösendes Enzym, welches in den Zellen des Bac. pyo¬ 
cyaneus als unlösliches Zymogen enthalten ist. Dieses bakterio- 
lytische Enzym — die Pyozyanase — wird in bakterienfreier,- 
konzentrierter Lösung gewonnen, wenn man die abgelaufene, etwa 
drei Wochen alte Kultur durch Berkefeidfilter filtriert und das 
Filtrat im Vakuum auf ein Zehntel seines Volumens konzentriert. 
Gemeinschaftlich mit O. L ö w hat E. nun gefunden, daß die so 
gewonnene Pyozyanaselösung nicht nur die Zellen des Bac. pyo¬ 
cyaneus, sondern auch Diphtherie-, Typhus-, Cholera-, Pest- und 
Milzbrandbazillen, sowie Strepto-, Staphylo- und Gonokokken ab¬ 
tötet und auflöst, und zwar grpße Mengen in sehr kurzer Zeit. 
Tuberkelbazillen dagegen und viele Saprophyten, z. B. Heubazillen, 
werden durch Pyozyanase weder aufgelöst noch abgetötet. Doch 
werden die Bakterien der Säuglingsgrippe und die Meningokokken 
durch sie vernichtet. 

E. berichtet nach Darstellung seiner experimentellen Unter¬ 
suchungen über zahlreiche von ihm selbst und von Prof. Pfaundler 
in München behandelte Fälle von schwerer septischer Diphtherie 
und von Gonorrhöe, welche eine Gewähr dafür bieten, daß die 
Pyocyanaselösung bald eine hervorragende Rolle in der kausalen 
Therapie der oben genannten Hautkrankheiten spielen wird. 

Die Methode der Behandlung bei Diphtherie ist die folgender 
Die Mutter setzt das kranke Kind auf ihren Schoß und hält 
dessen Hände; eine andere Person hält den Kopf fest. Der Arzt 
setzt sich mit dem „Escherichzerstäuber“, in welchem er 3 bis 
4 ccm Pyozyanaselösung eingefüllt und im Wasserbade auf ca. 40° 
erwärmt hat, vor das Kind, führt mit der rechten Hand einen 
Löffelstiel oder einen Spatel tief in den Mund bis auf den ZungeDr 
grund, drückt auf diesen, worauf das Kind den Mund öffnen muß, 


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UNIVERSITY OF MICHIGAN 




THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


53 


; u& |>Iäst:4iuh rasch und ziemlich kräftig durch den Gummischlauch 
des in der linken Hand gehaltenen Zerstäubers, der dicht vor den 
-Zähnen des Kindes gehalten wird, in dessen Mund. Dieses wird 
'wiederholt, wenn das Kind den Mundinhalt ausgespuckt hat. Dann 
^wartet man 5 bis 10 Minuten, während deren die Pyozyanase 
ihre Wirkung entfaltet, und wiederholt die ganze Prozedur noch¬ 
mals. Auf diese Weise werden vier Pyozyanaseeinstäubungen in 
kurzer Zeit gemacht, und es genügt auch bei sehr schweren 
diphtheritischen Fällen, wenn bei dreimaligem Besuch am Tage 
bei jedem zweimal in Intervallen von 5 bis 10 Minuten vom 
Arzte eine Bestäubung vorgenommen wird, um den diphtherischen 
Prozeß zum Stillstand zu bringen. 

2. Ennan ist eine Verbindung des Kresöls mit stearin¬ 
saurem Natrium unter Zusatz von Alkohol und freiem Alkali. 
Jede Tablette wiegt 1 g und enthält 0,5 Kresol. Auf Grund 
seiner Versuche mit Ennan kommt Kreisassistenzarzt Dr. Wolf, 
Marburg (Zeitschr. f. Medizinalbeamte, 1907, 14) zu dem Schluß, 
daß die untersuchten festen Kresolseifentabletten in l%iger 
Lösung vegetative Formen nach wenigen Minuten abtöten und 
Milzbrandsporen in ihrer Entwicklung erheblich hemmen. Ihre 
Vorzüge sind: 

a) die abgewogene, handliche Form, 

b) die gefahrlose Transportfähigkeit, 

| |c) die verminderte Vergiftungsgefahr bei versehentlichem Ein¬ 
nehmen, 

d) die leichte Löslichkeit in warmem Wasser ohne spätere 
Ausscheidungen, 

e) der weniger aufdringliche Geruch (im Gegensatz zum Lysol 
und zur Kresolseifenlösung), 

f) der Umstand, daß Hände und Instrumente infolge des ge¬ 
ringen Seifengehaltes nicht so schlüpfrig werden. 

Die Ennantabletten sind von Dr. med. E. H u h s, erstem Assi¬ 
stenten an der Eisenbahnheilstätte Stadtwald bei Melsungen, und 
Apotheker F. Kümmel, Melsungen hergestellt und zum D. R. P. 
angemeldet. 


6. Capsulae geloduratae nach Dr. Rumpel sind durch 
Formaldehyd gehärtete Gelatinekapseln, welche den Magen unver¬ 
sehrt passieren, im Darminhalt aber leicht zur Lösung gelangen. 
Fabrikant: G. Pohl, Schönbaum-Danzig. (Münch, med. W., 1907, 
Nr. 34.) 

Eusanol werden Kohlensäurebäder der Chem. Fabrik für 
Bedarfsartikel in Berlin SW. 13 genannt. 

Mandelmilch in Pastillenform besteht aus 2 T. fein- 
geriebenen Mandeln und 1 T. Zucker. 12 Pastillen genügen zur 
Bereitung von 2 1 Mandelmilch. Fabrikant: Apotheker Dr. E. 
Andreae in München-Thalkirchen. 

Odol. Es scheint, als ob der wirksame antiseptische Be¬ 
standteil des Odols als gechlortes Salol anzusprechen ist. Nach 
der neuesten Odolanalyse von Beythien und Athenstädt enthält 
das Präparat in 100 ccm 0,1 g Saccharin, 0,077 g Salizylsäure, 
1,478 g Pfefferminzöl, 0,380 g Salizylsäurementholester und 2,444 g 
S alizylsäurekresolester. 

Ptyophagon nach Dr. Thom ist ein Sputumdesinfiziens, 
dessen wesentlichen Bestandteil Kresolnatrium ausmacbt. Das 
Präparat kommt in Tabletten in den Handel, die in Wasser auf¬ 
gelöst werden. Darin soll das Sputum gelöst imd desinfiziert 
werden. Fabrikant: Dr. Fr. Stricker in Köln-Braunsfeld. (D. med. 
Wsehr., 1907, Nr. 34.) 

In der Nummer vom 9, Okt. 1907 der Pharm .-Zeitung lesen 
wir folgende der Nr. 69 bis 74 der Apotheker-Zeitg. entnommenen 
Analysen von Lenz, Lucius und Zernik: 

Ambruns Wassersuchtsmittel aus der Adlerapotheke 
in Duisburg ist eine trübe Flüssigkeit, das Produkt der sauren 
Gärung kleberhaltiger Stoffe, von widerlichem Geruch und Ge¬ 
schmack. 

Boran - Sommersprossencreme enthält als wirksame 
Bestandteile etwa je 5% weißen Quecksilberpräzipitats und Wis¬ 
mutnitrats und Wassers neben 85°/o weicher Salbengrundlagen. 

Pohls Gesundheitsrheumatismustee besteht aus 
einem Teil Flor. Sambuoi und zwei Teilen Folia Sambuci. 


3. Verf. hat seit drei Jahren ausgedehnte Versuche mi t 
Sanatogen bei Kindern der Würzburger Marienanstalt gemacht 
und hat allen neuaufgenommenen Kranken täglich dreimal 3,0 bis 
10,0 Sanatogen in Wasser oder Milch während der ersten vier¬ 
zehn Tage bis vier Wochen verabreicht und zwar halbstündlich 
vor jeder Mahlzeit. Er hält die Anwendung des Nährmittels für 
angebracht bei Verdauungsstörungen, bei Blutarmut, Skrofulöse 
und Rachitis, bei allgemeinen Schwäche- und Erschöpfungszu¬ 
ständen sowie bei nervösen Erregungszuständen nach schwerer 
Erkrankung. Nach seinen Erfahrungen ist das Sanatogen gut 
bekömmlich, reizlos, leicht resorbierbar und steigert in her¬ 
vorragender Weise den Appetit. Es entfaltet eine eigenartige 
Fähigkeit, den Magendarmtraktus für die Aufnahme und 
Resorption anderer Nahrungsmittel günstig zu beeinflussen |und 
geradezu als Verdauungsmittel zu wirken. Das Sanatogen 
regelt den Stuhl auffallend gut; seine günstige Wirkung auf den 
Verdauungstraktus hält auch nach Aussetzen des Mittels noch außer¬ 
ordentlich lange an. Es soll auch beruhigend auf das Zentralnerven¬ 
system wirken. Diesen letzteren Schluß glaubt Verf. aus seinen 
Beobachtungen bei einer Bauchfellentzündung nach Choledochus- 
versohluß mit Erschöpfungsdelirien, die er selbst durchmachte, 
ziehen zu können — eine Auffassung, die Ref. nicht teilt. 

4. Verf. berichtet kurz über die erfolgreiche Behandlung 
eines Falles von Morbus Basedow bei einem 30jähr. Arbeiter mit 
Antithyreoidin - Möbius, nachdem zuvor alle Medikationen ohne 
dauernden Erfolg gewesen waren. Verf. gab dreimal 10 Tr. Anti¬ 
thyreoidin steigend bis dreimal 30 Tr. in Pausen. 

5. Ade-Biskuits sind Abführbiskuits, deren jedes 0,1 
Paraphthalein (vermutlich wohl Phenolphthalein?) enthält. Fabri¬ 
kant: Carl F. W. Becker in Dresden 21. 

Alophen werden mit Schokolade überzogene Pillen genannt, 
die j>ro dosi 0,015 Aloin, 0,03 Phenolphthalein, 0,005 Extr. Bella- 
donn., 0,004 Rad. Ipecac, und 0,0008 Strychnin enthalten. Fabri¬ 
kant: Parke, Davis & Co. in Detroit (Michigan). 

Egmol ist eine 4Ö% Olivenöl enthaltende, mit Eiweiß her¬ 
gestellte Emulsion der Firma Parke, Davis & Co. in Detroit 
(Michigan), 


Porasol, von A. Kirch in Wiesdorf a. Rh., zu zahnärzt¬ 
lichen Zwecken empfohlen, besteht im wesentlichen aus etwa 
gleichen Teilen Kresol und Formaldehydlösung. 

Toral, eine Füllmasse für zahnärztliche Zwecke, aus gleicher 
Firma, ist eine Mischung aus etwa einem Teil Kresol und zwei 
Teilen Tribrompkenolwismut. 

7. Aethrin ist die bisher als Rhisan bezeichnete Dericin- 
salbe, welche bei Schnupfen in die Nase eingestrichen werden soll, 
enthält 5% Menthol - Aethrol. Fabrikant: Dr. Noerdlinger in 
Flörsheim a. M. 

Jod-Benzinoform, das eine Losung von 1 % Jod in 
Benzinoform (Tetrachlorkohlenstoff) darstellt, wird an Stelle einer 
gleichen Lösung in Benzin zur Händedesinfektion empfohlen. 

Liquor sedans enthält die wirksamen Bestandteile von 
Hydrastis Kanadensis, Viburnum pranifolium und Piszidia piszi- 
pula und wird als Sedativum und Heilmittel bei verschiedenen 
Erkrankungen und Schwächezuständen des Uterus und der Ovarien 
empfohlen. In je 30 g sind neben aromatischen Stoffen die wirk¬ 
samen Bestandteile von je 4 g Hydrast. Kanad. und Viburnum 
prunifol. und von 2 g Piszid. piszip. enthalten. Dosis 1 /g bis 
1 Teelöffel mehrmals täglich. Fabrikant: Parke, Davis & Co. 
in Detroit. 

Neocithin ist ein als Kräftigungsmittel empfohlenes Lezi¬ 
thineisenpräparat. Fabrikant: Allgem. chem. Labor. Berlin SW. 61. 

Pessoid ist ein schwer schmelzbarer, nur teilweise löslicher 
Fettkörper, welcher von einer leichter schmelzbaren aseptischen 
Hülle umgeben ist, der man auch arzneiliche Zusätze einverleiben 
kann. Das Präparat ist ein Pessar-Suppositorium, das im Anus 
zum Schmelzen gelangt, während der Kern eine geschmeidige, auf 
die Darmwand reizlindernde Einlage bildet, die ca. 12 Stunden 
liegen kann. Fabrikant: Dr. Ed. Herzfeld, Berlin S. 42. 

Kyphi wird ein Mittel gegen Impotenz genannt, das aus 
verschiedenen Früchten und Fruchtsäften gewonnen werden soll. 
Näheres hierüber ist aus den Prospekten nicht zu ersehen. Fabri¬ 
kant: Chemisch-technisches Laborator, in Konstanz. 

Capri na nennt D. Konew ein für Schafe bestimmtes 
Schutzmittel gegen die Schafpocken. Es ist dies Lymphe von 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Ziegen, die mit dem Schafpockenvirus geimpft waren. (Zentralbl. 
f. Bakter., Bd. 40, Nr. 11/12.) 

8. Ueber Energa wird aus dem Chem. und bakter. Institut 
von Aufrecht berichtet. Dasselbe ist ein von Gebrüd. Josty in 
Charlotten bürg hergestelltes „elektrolytisches“ Eisen-Malzextrakt 
und wird als Mittel gegen Blutarmut empfohlen. Aus der Ana¬ 
lyse geht aber hervor, daß das Präparat ca. 5 g offizineile Salz¬ 
säure, ca. 5 g Eisenchloridlösung und 90 g Malzextrakt enthält. 

An gleicher Stelle stehen die Ergebnisse der Analyse der 
Virilis-Tabletten, eines von Eduard Baumann in Basel an¬ 
gepriesenen Mittels gegen Neurasthenie und Impotentia virilis. 
Gebrauchsanweisung: dreimal tägl. je ein Stück. Preis 3 Frcs. 
für 20 Stück. Diese enthalten laut chemischer und mikroskopi¬ 
scher Untersuchung ein Gemenge von Lezithin, Yohimbearinden- 
pulver und Weizenmehl. Der Gehalt an Lezithin kann nur ge¬ 
ring sein. 

Das unter dem Namen Minerva angepriesene Mittel gegen 
Menstruation besteht aus einem Gemenge von römischen und ge¬ 
wöhnlichen Kamillen. 

Regulationspillen für Damen nennt sich ein von Victor 
Gomeriez & Co., Chimists k Paris, hergestelltes Mittel. Nach 
den Angaben der Fabrikanten besteht das Mittel aus Wurmkraut, 
Flohkraut und der Wurzelrinde der Baumwollpflanze. Jede Pille 
zu 0,3 g besteht aus Aloe, Eisen und indifferenten Vegetabilien. 

9. Von Dr. Zernik wird die Analyse von Sullacetin an¬ 
gegeben, das die Chem. Fabrik von Dr. van Gember & Dr. Fehl¬ 
haber-Berlin-Weißensee als ein hervorragendes Mittel gegen Lungen¬ 
erkrankungen und Erkrankungen der Atmungsorgane sowie als 
Stomachikum bezeichnet. Das Präparat ist ein Gemisch aus gua- 
jakolsulfosaurem Kalium mit brenzkatechinmonoacetsaurem Natrium 
in etwa molekularen Mengen. 



Watte- und Gazekästchen für Sprechzimmer- 
gebrauch. 

Von Dr. Grünwald ist ein Kästchen aus Nickelblech 
konstruiert worden, welches eine quadratische Basis von 11 cm 
Seitenlange besitzt und 16 cm hoch ist. Es wird durch eine 
horizontale und vertikale Scheidewand in drei Fächer geteilt. 
Das unterste enthält eine ausziehbare Schublade, in welcher 
Raum für zwei vom Verf. seinerzeit beschriebene sterile Ver¬ 
bandschachteln vorhanden ist. In demselben sollen hauptsäch¬ 
lich eine mit Penghawar Yambi zur Blutstillung gefüllte und 
eine mit Vioformgazestreifen beschickte Schachtel untergebracht 
werden. Die beiden oberen Fächer münden vorn in je einen 
durch eine aufstellbare lange Klappe verschlossenen Schlitz. 
Im ersten Fache liegt eine mit randgewebten Gazestreifen von 
2,8 cm Breite und 10 m Länge belegte Papierrolle, im zweiten 
eine ebensolche mit je 5 cm breiten, kurzen Wattestreifen ver¬ 
sehene Rolle. Die einzelnen Streifen decken sich an ihren 
Rändern dachziegelförmig, so daß beim Herausziehen des Papier¬ 
streifens und Abnahme des vorliegenden Streifens stets das 
Ende des nächsten zum Vorschein kommt, aber nur so weit, 
daß er durch die überfallende Klappe vollkommen gedeckt 
wird. Der Kasten besitzt oben einen abnehmbaren Deckel, der 
aber nur zum Einführen neuer Rollen abgenommen wird. Das 
die Schublade deckende Querstück ist durchlöchert, so daß man 
immer nach Entfernen der Schublade den ganzen Kasten samt 
den ohnehin vorher schon sterilisierten Rollen in strömendem 
Dampf oder Formalin sterilisieren kann. Durch dieses Kästchen 
hat man den Vorteil, immer sterile Watte etc. zur Hand zu 
haben und auch nach Entfernen eines Teiles der Watte den 
Rest noch einwandfrei steril zu behalten. Das sehr praktische 
Kästchen wird von der Firma Hermann Katsch in München 
hergestellt und kostet ohne Füllung 18 M., mit Füllung 20 M. 
' W. B. Müller, Berlin. 



Sanitätskasten 


Unter Nr. 317606 der Gebrauchsmusterrolle wurde dem 
Apotheker Max Starke, Schedewitz i. Sa., ein Sanitäts¬ 
kasten geschützt, dessen Einrichtung manchem unserer Leser 
von Interesse sein dürfte. Dieser Sanitätskasten, zuerst nur 
zur ersten Hilfeleistung bei Feuerwehren eingerichtet, enthält 
alle für Unfälle aller Art nötigen Medikamente und Verband¬ 
mittel, als Leinen- und Mullbinden, Watte, Verbandstoff, Brand¬ 
binden, sterilen Verband, Seife und Handbürste, Wasserbad, 
ein Liter fassend, Sublimatpastillen, Meßglas, essigsaure Ton¬ 
erde, Lysol, Salmiakgeist, Benzin, Nähseide,, Wundnadeln in 
Karbolöl liegend, Desinfektionsschere, Pinzetten, Pinsel, Pflaster 
verschiedener Art, Fingerlinge, Dreiecktücher, Sicherheitsnadeln, 
Baldrian, Hoffmannstropfen mit Zucker und auch Finger- und 
Handschienen; sogar Nadeln und Zwirn für Kleidungsstücke 
fehlen nicht. Dieser Kasten ist aus Blech, schließt fast luft¬ 
dicht und ist mit einem Hand- bezw. Trageriemen versehen, 
auch mit Lederumhüllung wird er geliefert. Vermöge der 
sinnreichen Anbringung des Zwischendeckels ist der Inhalt des 
ganzen Kastens mit einem Griff vollständig ausgebreitet, jedes 
Stück liegt übersichtlich vor dem Beschauer und ist leicht 
herauszunehmen. Verschiedene Teile sind durch Gummiband 
festgehalten, jedoch ist das Gummiband so praktisch befestigt, 
daß es jeder Laie, zum Zwecke der Erneuerung, da Gummi 
ja nicht lange hält, auswechseln kann. Die Erfahrung hat ge¬ 
zeigt, daß ein mit so zahlreichen Mitteln ausgestatteter Sani¬ 
tätskasten nicht nur zur ersten Hilfe für Sanitäter, sondern 
auch bei schweren Unfällen den Ansprüchen der herbeigerufenen 
Aerzte in vollem Maße entspricht. 

Durch die Praxis aber zeigte die Erfindung, daß dieselbe 
nicht nur zur ersten Hilfe bei Feuerwehrunfällen dienen sollte, 
sondern der Sanitätskasten eignet sich mit entsprechender 
Füllung ganz besonders für Fabriken, Rittergüter, Stein- 
brüche, kleinere Schiffe und nicht zum wenigsten für 
Aerzte, welche über Land zu fahren haben. Durch Ein¬ 
fügung von Morphiumspritzen, Morphiumlösungen und anderes 
mehr dürfte der neue Sanitätskasten, dessen Füllung den je¬ 
weiligen Wünschen aller Interessenten angepaßt werden kann, 
als ein Universalmittel für alle sanitären Einrichtungen ange¬ 
sehen werden müssen. 

Bei Bestellung ist anzugeben, welchem Zwecke der Sani¬ 
tätskasten dienen, eventuell welche Füllung ihm gegeben 
werden soll. Apotheker Starke, Schedewitz. 



Schema des Rumpfes. Von W. Hildebrand. 

Ln Verlage von J. F. Lehmann erschien von W. Hildebrand 
in Freiburg herausgegeben ein Schema des Rumpfes in handlicher 
Form, dessen Anschaffung bei dem billigen Preis (1,20 M. für 20 
Blatt) empfohlen werden kann, da das Schema sehr übersichtlich 
ist und bei Anwendung der angegebenen Zeichen sehr leicht zu 
handhaben ist. E. Meyer, Berlin. 

Dermatologische Vorträge für Praktiker. Von 

Jessner. Stübers Verlag, Würzburg. 

Die Jessnerschen dermatologischen Vor träge, die 
sich über die gesamte Therapie der Hautkrankheiten erstrecken 
und sich mit Recht einer großen Beliebtheit gerade bei den prak¬ 
tischen Aerzten erfreuen, sind nunmehr in einer zweibändigen, die 
bisher erschienenen 18 Vorträge zusammenfassenden Gesamtausgabe 
mit Generalregister erschienen. Jul. Baum, Berlin. 

Grundzüge der Hygiene. Von Prausnitz. Achte 
erweiterte und vermehrte Auflage. Mit 253 Abbild. München 
1908. J. F. Lehmanns Verlag. 592 S. 

Ein Werk, wie die Grundzüge der Hygiene von Prausnitz, 
das sich in mehr Händen befindet wie irgend ein anderes Lehr¬ 
buch der Hygiene und das bereits in achter Auflage jetzt vor¬ 
liegt, bedarf keiner Besprechung, um seinen Weg weiter, zu gehen 


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4 f f^Aj^tjIlSÜHfi HtftfDSÖHAÜ. 


55 


, an. dieser Stella nur darauf hingewiesen, daß in der 
ÄllSgSkfen Auflage der Stoff völlig durchgearbeitet worden ist 
tflad alle neuen Errungenschaften der Hygiene eingereiht worden 
sind. „Kein Kapitel ist unverändert geblieben, mehrere wurden 
nicht unerheblich, erweitert und dem jetzigen Stande unserer 
Wissenschaft entsprechend umgearbeitet.“ 

Die Ausstattung ist selbstredend vortrefflich. 

Zweifellos wird auch die neue Auflage in allen interessierten 
Kreisen willkommen geheißen werden und sich zu den alten neue 
Freunde erwerben. Lungwitz. 



Einen neuen Katalog über Röntgenapparate gibt die Firma 
Reiniger, Gebbert & Schall, Aktiengesellschaft (vereinigte Firmen: 
W. A. Hirschmann und Reiniger, Gebbert & Schall), Berlin- 
Erlangen, New-York heraus. ' 

Der Katalog umfaßt alle Apparate, welche die moderne 
Röntgentechnik in ihren Dienst gezogen hat, in übersichtlicher 
Weise angeordnet. 

Besonders hervorzuheben ist eine reichhaltige Zusammen¬ 
stellung von Röntgenröhren, ein neuer selbstzentrierender Röhren¬ 
halter , welcher das Auswechseln von Röntgenröhren gestattet, 
ohne daß es notwendig wird, die Röhren zu zentrieren. Der Effekt 
wird erreicht durch Einspannen der Röhre in einen Halter, mit 
dem sie dauernd verbunden bleibt. In dem Halter wird die Röhre 
das erste Mal genau auszentriert und braucht dann nur jedesmal 
mit dem Halter in eine dazu gehörige, am Stativ und dergl. be¬ 
festigte Führungsleiste eingeschoben zu werden, bis zwei Marken 
aufeinander einspielen. Dadurch ist die Röhre gleich zentriert. 

Neu ist auch ein speziell für therapeutische Zwecke kon¬ 
struiertes Blendenstativ, das in jeder Weise ausbalanziert ist und 
leicht nach allen Richtungen verstellt werden kann. Durch die 
Ausbalanzierung bleibt die eingestellte Lage leicht erhalten; die¬ 
selbe kann aber auch durch Festziehen von Arretierungsschrauben 
fixiert werden. 

Weiterhin ist die Kompressionsblende nach Dr. Rosenthal 
als neu erwähnenswert, sie dürfte sich infolge ihrer Einfachheit 
und vielfachen Vorzüge — das Kompressionsorgan ist vollständig 
frei beweglich und ohne zwangsläufige Führung — gut einführen. 

Lagerungs- und Aufnahmetische und -Stühle sind auch in 
einer reichhaltigen Auswahl im Katalog aufgeführt. Be¬ 
sondere Hervorhebung verdient der kombinierbare Aufnahme- und 
Untersuchuugstisch, welcher von wohlfeilsten Aufnahme- und 
Durchleuchtungstischen zu 45 M. durch Hinzufügen von weiteren 
Ergänzungsteilen den Ausbau bis zum vollständigen Trochoskop 
gestattet. 

Der Untersuchungstisch nach Dr. Gilmer ist auch eine Neu¬ 
erscheinung und dürfte selbst den verwöhntesten Ansprüchen in 
Bezug auf freie Beweglichkeit und Zweckmäßigkeit des Ausbaues 
entsprechen. 

Der Präzisionsdrehstuhl nach Dr. Biesalski ist in Verbin¬ 
dung mit einer Durchleuchtungsblende eine Vorrichtung für die 
exaktesten Untersuchungen im Sitzen des Patienten. Er wurde 
auf dem letzten Röntgenkongreß zu Berlin von Dr. Biesalski 
vorgeführt. 

Besonders reichhaltig sind die Mittel zum Schutze gegen 
den schädigenden Einfluß der Röntgenstrahlen. Wir finden ganze 
Schutzhäuser, Schutzwände, Schutzstoffe, Schürzen, Handschuhe 
und dergleichen. 

Angenehm für den Arzt, der an und für sich bereits ein 
Augenglas trägt, isf ein solches, dessen Gläser aus Bleiglas ge¬ 
schliffen sind, er braucht sich dann nicht mit zwei übereinander¬ 
gesetzten Zwickern oder Brillen zu quälen. 

Der Orthodiagraph nach Dr. Le vy-Dorn ist in letzter Zeit 
von Dr. Groedel III, Bad Nauheim, zu höchster Vollkommen¬ 


heit ausgestaltet worden, über dessen Verwendungsweise wolle 
man an den in Betracht kommenden Stellen nachlesen*). 

Unter den Meßeinrichtungen fällt eine Testhand nach Dr. 
Schilling auf, bestehend aus einer Skeletthand, die in eine 
plastische Masse derart eingebettet ist, daß sie mit einem über¬ 
gezogenen Handschuh im Röntgenbild genau dem Durchleuchtungs¬ 
bild der natürlichen Hand entspricht. Durch eingebettete kleine 
Nadelspitzen und dergl. kann man z. B. auch die Eignung der 
Röhre prüfen, um kleine Fremdkörper zu suchen. 

Auch eine sehr einfache Härteskala, Wehnelteinheiten zeigend, 
die am Leuchtschirm befestigt wird und welche bequem durch 
einen Seitenblick des Untersuchers die jeweilige Röhrenhärte fest¬ 
stellen läßt, ist hervorzuheben. Der billige Preis dieser Härte¬ 
skala in Verbindung mit der überaus bequemen Benutzungsart 
und dem sicheren Resultat in exakten Einheiten dürfte dem kleinen 
Instrument eine große Verbreitung sichern. 

Einen größeren Raum nehmen die Apparate für das Quanti¬ 
meterverfahren nach Dozent Dr. Kienböck ein. Die endgültige 
einwandsfreie Durchbildung des ganzen Systems hat, wie wir er¬ 
fuhren, nicht unerhebliche Schwierigkeiten gemacht. Die Firma 
hat aber jetzt die Genugtuung, das exakteste Dosierungsmittel 
für die Röntgenstrahlen zu besitzen, welches gegenwärtig existiert. 

Recht reichhaltig ist das nebensächliche Zubehör in der Preis¬ 
liste enthalten. Hervorzuheben sind z. B. die Radiogrammschema- 
blocks nach Dozent Dr. Kienböck, die hauptsächlich bei größeren 
Kliniken dem untersuchenden Arzt große Zeitersparnis und Be¬ 
quemlichkeit gewährleisten. 

An eine sehr reichhaltige Auswahl aller möglichen photo¬ 
graphischen Utensilien schließt sich eine Reihe von Zusammen¬ 
stellungen von photographischen Einrichtungen, die nach Maßgabe 
des Verwendungszweckes mehr oder weniger reichhaltig zusammen¬ 
gestellt sind. 

Nach denselben Gesichtspunkten ist dann eine Anzahl von 
Röntgeneinrichtungen zusammengestellt, welche denjenigen, welcher 
sich eine Röntgeneinrichtung anschaffen will, ganz ein wandsfrei 
über das orientiert, was er für seine Verhältnisse benötigt. 

Im ganzen bietet der Katalog eine gute Uebersicht über das, 
was die moderne Röntgentechnik den Röntgenologen an Apparaten 
zur Verfügung stellt. 

Die Firma Gebr. Hoffsümmer, G. m. b. H., Düren (Rhid.) 
ersucht uns, bekannt zu geben, daß sie Herstellung und Vertrieb der 
in Nr. 50 des letzten Jahrganges besprochenen neuen Verb and- 
kissen übernommen hat. 

Berlin. „Vorübergehende Hilfe im Haushalt“, Abteilung des 
„Vereins Hauspflege“. Vorsitzende: Frau Oberbürgermeister 
Kirschner. 

Die „Vorübergehende Hilfe“ bezweckt die Beschaffung ge¬ 
eigneten Personals gegen mäßiges Honorar, wenn durch Erkrankung 
oder andere Behinderung der Hausfrau ein zeitweiliger Ersatz 
nötig ist, zur Pflege der Kinder und der Erkrankten, sowie zur 
Versorgung des Haushaltes. 

Meldestellen: 

Frau Rechtsanwalt Friedmann: Kronenstr. 4—5. Telephon Amt I, 
Nr. 7540. Sprechstunden: Wochentäglich, außer Sonnabend, 
3—4 Uhr. 

Frau Landgerichtsrat Loewy, Buckenstr. 3. Telephon x4mt VI, 
Nr. 1147. Sprechstunden: Dienstag und Freitag V 2 IO—V 2 II 
Uhr. 

Frau Dr. Mosler, Grunewaldstr. 106. Sprechstunden: Montag und 
Donnerstag 10—11 Uhr. 

Meldungen wegen Aushilfen jeder Zeit auch schriftlich. 

Es wäre sehr zu wünschen, daß in anderen Städten auch 
derartige Einrichtungen geschaffen würden. 

In der Apotheker-Zeitung, Berlin, 1907, Nr. 101 finden 
wir folgende bemerkenswerte Notiz: Als wir in der vorigen Nummer 

*) Literatur über Groedel-Orthodiagraph: 

Verhandlungen der Deutschen Röntgengesellschaft, Bd. II, 1906, S. 107. 
Verhandlungen des Kongresses für innere Medizin. XXIII. Kongreß. 
München 1906. 

Münchner mediz. Wochenschr. 07 (Die Verwendung der Röntgenstrahlen 
zur Diagnose der Magenkrankheiten und zum Studium der Morpho¬ 
logie und Physiologie des Magens). 

Zeitschrift für klin. Medizin, Bd. 58, Heft 5 und 6. 

„ * » » Bd. 59, Heft 1. 


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56 


TäMtA^feWisoai iäfftifeäÜt''-'* 'iüß. 



den im Dezemberlieft der „Therapie der Gegenwart“ enthaltenen 
Artikel von Dr. Otto Schloß-Wiesbaden über eine irrtümliche Ver¬ 
abreichung von Chlorkalk- statt Chlorkalzium-Lösung durch einen 
Apotheker besprachen, glaubten wir nicht, daß wir so schnell noch 
einmal auf den Gegenstand zurückkommen müßten. Wie jedoch 
die Nummer 49 der „Medizinischen Klinik“ beweist, scheint die 
Unklarheit über die Begriffe von Chlorkalk (Kalkaria chlorata), 
Chlorkalzium (Kalziumchlorid, Kalzium chloratum) und chlorsaurer 
Kalk (Kalziumcklorat, Kalzium chlorikum) in ärztlichen Kreisen weiter 
verbreitet zu sein, als man annehmen sollte. Es findet sich näm¬ 
lich in diesem Hefte eine Abhandlung von Privatdozent Dr. Gelpke, 
Chefarzt des Kantons-Spitals Liestal-Basel: „Hämorrhoiden, ihr 
Wesen und ihre Behandlung“. Darin heißt es an einer Stelle 
wörtlich: „Bei Blutungen scheinen außer den bekannten Styptizis 
(!), Hydrastis und Hamamelis, die von Boas empfohlenen Chlor- 
kalk-Klystiere (20,0 einer 10%igen Lösung) von gutem Erfolg 
zu sein.“ 

Auch hier hat die Schriftleitung der Zeitung den Fehler 
übersehen. 

Es dürfte sich dringend empfehlen, daß seitens der Redaktionen 
der medizinischen Zeitschriften die Aerzte auf diese Verwechselungen 
aufmerksam gemacht würden; auch werden die Apotheker an 
ihrem Teile sehr viel dazu beitragen können. 

Zu unserem in der vorigen Nummer gemachten Vorschläge, 
die lateinische Bezeichnung für Chlorkalk „Kalkaria chlorata“ im 
kommenden neuen Deutschen Arzneibuche durch „Kalzium hypo- 
ohlorosum krudum“ zu ersetzen, möchten wir noch bemerken, daß 
auch die neue österreichische Pharmakopoe den Chlorkalk mit 
Kalzium hypochlorosum, die neue spanische Pharmakopoe mit 
Hipochlorito cälcico clorurado, lateinisch Hypochloris calcicus 
chloruratus bezeichnet. Auch die englische und amerikanische 
Pharmakopoe haben die zu Verwechselungen veranlassende Be¬ 
zeichnung Kalkaria chlorata durch „Calx chlorinata“ ersetzt. 

Das Grossherzoglich-Hessische Polizeiamt Darmstadt erläßt 
unter dem 7. Dezember 1907 folgende Warnung: „Neuerdings 
werden wieder von München aus Drucksachen der H. H. Warner 
& Comp. Ltd. in London — diesmal mit der Aufschrift: „Was 
bringt die Post Neues?“ — massenhaft verbreitet, die eine An¬ 
preisung des von diesem geschäftlichen Unternehmen in Verkehr 
gebrachten Mittels „Warners Safe Cure“ als Heilmittel gegen 
„unzählige Krankheiten, die oft sogar als unheilbar erklärt worden 
sind“, enthalten. — Dieses Mittel ist längst als wert- und wirkungs¬ 
los erkannt und in die sogen. Geheimmittelliste des Bundesrates 
aufgenommen. Schon seit Jahren wird von den Behörden vor 
dessen Bezug und Anwendung öffentlich gewarnt. 

Wir sehen uns darum veranlaßt, diese Warnung zu wieder¬ 
holen. Wer sich vor Schaden bewahren will, lasse die Anpreisungen 
des Mittels unbeachtet.“ 


gm 


und Anlehnungsbedürfnis, Schutzbedürfnis, während tatsächlich '-fS 
nur die stürmische, starke Liebeskraft v der Frau nach Sättigung , 
schreit, nur des Weibes Seele an des Mannes Seele pocht 1 Und 
ängstlich, verstört flattert die arme Seele an dem dunklen Gemäuer 
auf und ab, bis die Flügel zerrieben und wund, dann stürzt sie 
ab in den grauenvollen Abgrund der Erkenntnis: der Mann hat 
ja keine Seele, nicht für dich. Manchmal ein Todessturz. Die - 
Mangelhaftigkeit der seelischen Geschlechtsempfindung des Mannes 
ist jedenfalls häufig der Grund, daß des Weibes Liebe vollständig 
vom Manne ab und auf das Kind oder ein anderes Objekt gelenkt 
wird, das auf ihre Liebeskraft mit lebendiger Liebe zu reagieren 
und ihr Sättigung zu geben vermag.“ 


Fachliste geschützter Erfindungen. 

Herausgegeben von der Firma Heinrich Brust, Verbands-Patent-Bureau 
Kassel, Hohenzollernstr. 43. Fernruf 3186. Amerikanischer Patentanwalt 
Den Abonnenten dieser Zeitschrift wird Rat und Auskunft in allen Patent¬ 
angelegenheiten kostenlos erteilt. 

Patentanmeldungen. 

30 a. Röhrenförmige Vorrichtung zur Besichtigung mensch¬ 
licher oder tierischer Körperhöhlen durch zwei Beobachter mit 
einem in einem Seitenansatz angeordneten Prisma oder Spiegel. 
Dr. Joseph Boronow, Breslau, Schweidnitzerstadtgraben 12. 

30 f. Verfahren und Vorrichtung zur Verminderung der 
Wärme Wirkung von Lichtstrahlen unter Verwendung einer strömen¬ 
den Kühlflüssigkeit. Dr. Ernst Kromayer, Berlin, Lützowstr, 89. 

Patenterteilungen. 

30 a. Augenelektromagnet. Bohumii Jiroika, Berlin, Urban¬ 
straße 28. 

Gebrauchsmuster. 

30 a. Durchleuchtungslampe in Verbindung mit einer in der 
Tasche tragbaren Batterie. Louis und H. Loewenstein, Berlin, 

30 a. Schneidwerkzeug für Rachenmandeloperation mit im 
Messerführungskopf angeordneter Gegenhaltzunge. Fa. Rudolf 
Detert, Berlin. 

30 b. Mechanischer Zahnnervextraktor mit verstellbarer rotie¬ 
render Nervnadel. Jean Rohrbach, Ludwigshafen a. Rh., Bismarck¬ 
straße 62. 

30 d. Ringförmiges Scheidenpessar aus Hartgummi mit um¬ 
legbarem bügelförmigem Stiel. Dr. Hermann Stenzei, Wittenberge. 

30 f. Vorrichtung zur Anrichtung kataphorischer Bäder, be¬ 
stehend aus einer Badewanne und einer Brücke mit kleiner 
Porzellanwanne und Aluminiumelektrode. Ernst Thiem, Bromberg, 
Bahnhofstr. 49. 


Im 12. Heft der Heilkunde 1907 ist ein Artikel von Johanna 
Elberskirchen in After bei Bonn, betitelt „Geschlechtsempfindung 
und Liebe“ publiziert, dem wir zur Bel—ehrung unserer Leser und 
ihrer Damen folgenden Passus entnehmen: „Die Liebeskraft des 
Mannes ist grundsätzlich sehr schwach entwickelt, und ihre 
Entwicklung wird durch seine brutale Erziehung häufig auch noch 
künstlich unterdrückt und tritt außerhalb der Zone der Begattungs¬ 
und Wollustkraft kaum in die Erscheinung. Seine Geschlechts¬ 
liebe und Geschlechtlichkeit ist überwiegend Begattungs- und 
Wollustliebe und deshalb auch grundsätzlich mit dem Akt der 
Begattung befriedigt, häufig erschöpft, während die Liebe des 
Weibes den Akt der Begattung grundsätzlich nicht nur kurze, 
sondern lange Zeit überdauert. Der Mann ist also grundsätz¬ 
lich nicht fähig, das Weib, also seine seelische Persönlichkeit, 
seelisch zu lieben und mit ihm in seelische Wechselbeziehungen 
zu treten, während des Weibes Seele dem Manne der Liebe 
jubelnd entgegensturmt, um sich der seinen innig zu vermählen. 
O grauenvolle Täuschung! Sie findet nichts als totales Miß- und 
Unverständnis. Ihre liebestrunkene, dürstende Seele prallt plötz¬ 
lich im seligen Liebesflug gegen das finstere undurchdringbare 
Gemäuer vollständigen Unverständnisses. Die selige Hingabe ihrer 
Seele ist verschrobene Sentimentalität oder sind hysterische Aeuße- 
rungen. Oder der Mann erblickt darin nur weibliche Schwäche 


Patentnachrichten. 

G ebrauchsmuster. 

30b. 312419. Satz von sechs doppelendigen Instrumenten 

verschiedener Formen zum Stopfen und Formen von plastischem 
Füllungsmaterial. Richter & Hoffmann The Harvard Dental Mfg. 
Co., Berlin. 14. 6. 07. R. 19 451. 

30 b. 312498. Aus Horn bestehende knopfartige Füllsonde 
für zahnärztliche Zwecke. Emil Scherf, Nürnberg, Kaiserstr. 38. 
30. 5. 07. Sch. 25 846. 

30 d. 312303. Damenverband aus dehnbarem Stoff mit 
Längsfalte. A. Kröll, Berlin, Johannisstr. 2. 4. 6. 07. K. 31247. 

30 i. 312 486. Räucherkerze in Pyramidenform aus Holzkohle. 
Hugo Banzhaf, Scheibenberg i. E. 23. 3. 07. B. *34289. 

30 k. 312 406. Spreiz barer Scheidenspülapparat. Richard 
Heise, Berlin, Dieffenbachstr. 73. 3. 6. 07. H. 33592. 

30 k. 312515. Flüssigkeits-Zerstäuber. Jakob Keßler, Jägers¬ 
freude, Kr. Saarbrücken. 17. 6. 07. K. 31365. 


Hie Fucol — hie Lebertran J Die Entscheidung, welches dieser beiden 
Nährfette den Vorzug verdient, wird keinem Praktiker schwer fallen. Fucol 
wirkt bei Skrofulosis und Rachitis schnell und energisch und schmeckt an¬ 
genehm. Der Lebertran besitzt diese Eigenschaften nur in bescheidenem 
Maße. Fucol kostet in Orig.-Flaschen h % Liter M. 2,—. General-Ver¬ 
trieb : Karl Fr. Töllner, Bremen. 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. H. Lungwitz Berlin S. 14. — Verlag: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle a. S. 
Druck der Heynemann sehen Buchdruckerei, Gehr. Wolff, Halle a. S, 


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Wochenschrift für die gesamte Therapie des praktischen Arztes. 

Herausgegeben von 


Q. Anton* A. Duhrssen, C. A. Ewald, R. Robert, 
Halle a. S. Berlin. Berlin. Rostock. 

H. Schmidt-Rimpler, H. Senator, 
Halle a. S. Berlin. 


M. Koeppen, 

Berlin. 

R. Sommer, 

Gießen. 


H. Rosin, 

Berlin. 

H. Unverricht, 

Magdeburg. 


H. Schlange, 
Hannover. 


Ad. Schmidt, 

Halle a. S. 


Reda tion: 

' Berlin S. 14, Dresdenerstrasse 44 

ÜÜ^KL« A4» \k 

r 

Verlag u. Expedition . Carl Marliold Verlagsbuchhandlung 
in Halle a. S., Reilstraße 80. 

Dr. H. Lungwitz. 


Tel.-Adr.: Marhold Verlag Hallesaale. Fernsprecher 823. 

»-- - a 


Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte der Ostsee nnd der 

Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 


II. Jahrgang. Halle a. S., 26. Januar 1908. Nr. 4. 


Die „Therapeutische Rundschau“ erscheint Jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2 NU, einzelne Nummer 20 Pf. Bestellungen nehmen jede Buchhandlung, 
die Post, sowie die Geschäftsstelle: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung in Halle a. S. entgegen. Inserate werden für die 4gespaltene Petitzeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. berechnet. Beilagen nach Uebereinkunft. Reklamezeile 1,50 M. Bei größeren Aufträgen wird Rabatt gewährt. 

' Nachdruck der Original-Aufsätze ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. — Nachdruck der anderen Rubriken ist nur mit Quellenangabe gestattet. 


Joseph v. Mering f. 

Von Dr. Richard Theilemann, Lauchsted t 


Am 5. Januar d. J. erlöste der Tod den Direktor 
der Med. Klinik zu Halle a. S., Gebt. Rat Prof. Dr. Frei- 
herm v. Mering im 59. Lebensjahre. Eine chronische 
Nierenentzündung mit allen Drangsalen einer hochgradigen 
Wassersucht setzte dem Leben eines genialen Mannes 
ein Ziel. 

v. Merings Entwicklungsgang als Kliniker weicht 
von dem gewöhnlichen in mancher Hinsicht ab. Nach 
mehrjähriger Tätigkeit bei Frerichs und Kußmaul habi¬ 
litierte er sich in Straßburg im Alter von 29 Jahren. 
Angeregt durch Hoppe-Seyler, beschäftigte er sich von 
vornherein viel mit chemischer Physiologie, und sein 
Name wurde bald, so bekannt, daß er, der innere Kliniker, 
im Alter von 82 Jahren einen Ruf als Professor der Phar¬ 
makologie nach Marburg erhielt. Er blieb jedoch in Stra߬ 
burg und übernahm die Funktion eines Gefängnisarztes, 
bis er im Jahre 1890 Direktor der Poliklinik in Halle a. S. 
wurde. Im Jahre 1900 übernahm er die Medizinische 
Klinik als Nachfolger Theodor Webers. 

v. Merings Hauptarbeiten liegen auf dem Gebiete der 
Stoffwechsel- und Magenkrankheiten. Sie sind Allgemein¬ 
gut des medizinischen Unterrichts geworden. Der Pankreas¬ 
diabetes, der Phloridzindiabetes, die ResorptionsfäJiigkeit 
des Magens und des Rektums — sie alle werden dem 
Namen v. Mering einen ewig dauernden Platz in der 
medizinischen Wissenschaft sichern. Er blieb jedoch auch 
seinen pharmakologischen Neigungen treu. Das Veronal 
und das Sajodin sind noch Zeugen aus den letzten 
Jahren. 


v. Mering hat nie klinische Arbeiten im eigentlichen 
Sinne veröffentlicht. Und trotzdem war er ein guter 
Kliniker sowohl am Krankenbett wie auch in den Vor¬ 
lesungen. Wir haben immer wieder bewundert, wie selten 
ihn sein diagnostischer Blick in schwierigen Fällen im 
Stiche ließ. 

v. Mering war ein selten edler Mensch. Hilfreich in 
Wort und Tat seinen Patienten und Schülern gegenüber 
setzte er stets seine eigenen Interessen selbstlos in den 
Hintergrund. Stundenlang erörterte er mit seinen Assi¬ 
stenten und Doktoranden die Aussichten nnd die Methoden 
einer wissenschaftlichen Arbeit, immer wieder ließ er sich 
Bericht erstatten nnd freute sich des Fortschritts der¬ 
selben, selbst dann noch, als er wußte, daß er nur noch 
Wochen zu leben hatte. Seinen Assistenten gegenüber 
kehrte er nie den Vorgesetzten hervor, er war nur der 
ältere immer wohlwollende Kollege. 

Viel zu früh ist er der Wissenschaft entrissen worden. 
Er selbst gönnte sich nie Ruhe, uud scherzend pflegte er 
zu sagen, er begriffe nicht, wie einer es zu etwas bringen 
könne, der sein Mittagsschläfchen haben müsse. In den 
letzten Jahren richtete er seine Hanpttätigkeit auf phar¬ 
makologische Studien und auf die Erforschung der Physi¬ 
ologie der Saftabsonderung im Magen. Unzählige Ver¬ 
suche sind von ihm darüber angestellt worden, sie harren 
nun vergeblich der Verwertung zu einem gemeinsamen 
abgeschlossenen Ganzen durch einen großen Geist. 


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58 


fHERAJPEU'fISCHE RÜÜDSCÖAtl 



CHI 


ORIQINALIEN. 


□ 


Aus der Dührssen sehen Privatanstalt für Geburtshilfe und 
Fra uenkrankh eiten. 

Die Aetiologie, die nichtoperative und die operative 
Therapie der Genitalprolapse. 

Von Prof. Dr. A. Dührssen, Berlin. 

(Schluß.) 

Nachdem wir gesehen haben, daß der Deszensus uteri 
retroversi eine große Rolle in der Aetiologie der Prolapse 
spielt, müssen wir auch die Aetiologie der Retroversio 
uteri kurz besprechen. Halban und Tandler beschäftigen 
sich nicht speziell mit dieser Frage.- Indessen kann man aus 
ihren Untersuchungen den Schluß ziehen, daß eine Erschlaffung 
der Uterusbänder keine Retro versio herbeizuführen vermag, da 
die normalkräftigen Uterusbänder nicht die Ursache der Normal¬ 
lage des Uterus sind. Wir müssen vielmehr als Ursache der 
Retroversion mit nachfolgendem Deszensus an eine habituelle 
Ueberfüllung der Blase denken, welche den Uterus ja in Re- 
troversionsstellung bringt. Indem nun der gesteigerte abdomi¬ 
nelle Druck in der Richtung der Uterusachse nach vorn und 
unten wirkt, treibt er den Uterus herab und bringt ihn in den Be¬ 
reich der Hernie des Hiatus genitalis. Eine andere häufige 
Ursache für die Entstehung einer Retroversion sind, wie 
Ziegen speck zuerst mit Recht hervorgehoben hat, die Ver¬ 
dichtungen resp. Narben im Beckenbindegewebe, welche als 
Parametritis anterior die Zervix nach vorne, als Parametritis 
superior den Fundus nach der Seite und hinten ziehen, ferner 
abnorme Kürze der vorderen Vaginalwand, hintere perime- 
tritische Fixationen des Uteruskörpers. Die Erschlaffung der 
Ligamenta sakro-uterina (B. S. Schultze) oder die der Lig. 
rotunda als Ursache der Retroversio und weiterhin. des Pro¬ 
lapses hat jedenfalls aus der Betrachtung auszuscheiden. Die 
bei Prolapsen beobachtete Verlängerung der Bänder ist ebenso 
wie die Elongatio kolli eine Folge des Prolapses. 

Wenn sich nunmehr auf Grund der verdienstvollen Unter¬ 
suchungen von Halban und Tandler ein klares Bild in der 
scheinbar so komplizierten Prolapsfrage ergibt, so möchte 
ich, um jeden Schatten aus diesem Bild fortzubringen, Vor¬ 
schlägen, die Bezeichnung Levatorplatte auch auf die vor dem 
Rektum zusammenfließenden Fasern der Levatores ani resp. 
ihrer innersten Abschnitte, der Mm. puborectales auszudehnen, 
zumal da Halban und Tandler den Hiatus genitalis nach 
hinten auch von den prärektalen Fasern der M. puborectales 
begrenzen lassen. Außerdem gewinnt man durch diese Er¬ 
weiterung des Begriffs ein leichteres Verständnis für die 
operative Therapie der Prolapse: 

Wenn eine Hernie des Hiatus genitalis besteht, so müssen 
die Ränder der Bruchpforte vernäht und hierdurch die Bruch¬ 
pforte verengt und die Levatorplatte nach vorne zu verlängert 
werden. Dies geschieht, indem man von dem vorderen, vor 
dem Rektum gelegenen Rand der Levatorplatte aus, der zu¬ 
gleich den hinteren Rand der Bruchpforte darstellt, die diver¬ 
gierenden, die seitlichen Ränder der Bruchpforte bildenden 
Levatorschenkel so weit zusammennäht, als sie sich ohne Span¬ 
nung aneinander bringen lassen. Für die operative Therapie ist 
es nun wichtig, sich zu vergegenwärtigen, daß man den 
vorderen Rand der Levatorplatte durch die ge¬ 
bräuchlichen Anfrischungen oder Lappenschnitte 
fr eilegen kann, welche man vor dem Anus an legt. 

Für die Diagnose eines Prolapses und auch für die 
Therapie genügt es nicht festzustellen, wie der Uterus liegt, 
ob sein Kollum verlängert, ob und in welcher Ausdehnung die 
Scheide vorgefallen, ob ein alter Dammriß vorhanden ist, 
sondern man muß sich auch über die Dicke und den Tonus 
der Levatormuskeln sowie über die Größe des Hiatus genitalis 
orientieren. Dies gelingt leicht, wenn man den Zeige- und 
event. auch den Mittelfinger in die Vagina einführt, den 


Daumen außen an die Gegend zwischen Anus und Tuber ischii 
andrückt und nun zwischen diesen Fingern den Muskel be¬ 
tastet. Man wird bei dieser Untersuchungsmethode auch bald 
die von Schatz beschriebenen Abreißungen des Levator ani 
und speziell seines innersten Teils, des M. puborectalis, vom 1 
Schambein erkennen lernen, welche Schatz als eine Ursache 
für die Schwächung des Beckenbodens und damit für die Ent¬ 
stehung von Vorfällen erkannt hat. Auch über das Diaphragma 
urogenitale muß man sich ein Bild machen. Daß dasselbe de¬ 
fekt sein muß, erkennt man leicht an dem Klaffen der Vulva. 
Bei der Betastung der seitlichen Partien der Vagina und Vulva 
wird man die schlaffe Beschaffenheit des hier vorhandenen Ge¬ 
webes feststellen. An dem verschmälerten Da mm und weiter 
durch die Betastung des Septum rektovaginale vom Damm und 
der Vagina aus erkennt man das Fehlen eines normal großen 
und resistenten Perinealkeils. Wölbt sich aus der Vulva der 
unterste Teil der hinteren Vaginalwand blasenförmig hervor, 
so ist eine Rektokele vorhanden, also ein Darmwandbruch, 
dessen Bruchpforte unterhalb des Hiatus genitalis gelegen ist. 

Was die Therapie anlangt, so bestärkt uns die von 
Halban und Tandler aufgestellte Theorie in der Ueber- 
zeugung, daß eine Ringbehandlung bei Rektokele 
gewöhnlich versagt. Man sieht hierbei gewöhnlich, daß 
die Rektokele sich unter dem Ring blasenförmig hervor wölbt, 
und das ist ja auch sehr begreiflich, wenn man bedenkt, daß die 
Bruchpforte bei der Rektokele im Septum rektovaginale ge¬ 
legen ist und Ringe diese Bruchpforte nur mangelhaft ver¬ 
schließen können. Der beste Verschluß wird bei der Rektokele, 
falls der Levatorspalt nicht auch gleichzeitig erweitert ist, 
vielleicht durch ein Eipessar erzielt werden können. 

Für die Therapie der Hernien des Hiatus geni¬ 
talis ist es zunächst wichtig, den Uterus und die angrenzenden 
Scheidenpartien aus dem Bereich der Bruehpforte und damit des 
abdominellen Druckes zu bringen. Dies geschieht durch die 
Reposition des retrovertierten Uterus, welche leider so vielfach 
in der Praxis überhaupt nicht versucht wird. Gelingt die Re¬ 
position, so kann man auch große Prolapse mit Ho dg eschen 
Zelluloidringen behandeln, nur muß man die Ringe so breit 
wählen, daß ihre Seitenränder die Ränder des v Hiatus so weit 
überragen, daß der Ring auch beim Pressen, wobei der Hiatus 
genitalis sich erweitert, noch auf den Levatorschenkeln ruht. 

Gelingt die Reposition des Uterus nicht, so wähle man 
ein Schatzsches Schalenpessar. Dieses ruht auf den Levator¬ 
schenkeln auf und stützt selbst, gewissermaßen ein Diaphragma 
urogenitale bildend, die Zystokele (Abb. 5). 



Ansicht des Beckens von 
oben. Schematische Dar¬ 
stellung der Lagerung eines 
Mayerschen Ringes auf dem 
Beckenboden. At. Arcus 
tendineus. H. Hiatus geni¬ 
talis. P. Ring. 


Abb. 5. (Nach Halban und Tandler.) 


Ist der Hiatus genitalis sehr weit, liegen die Mm. levatores 
ani als schlaffe Gebilde der Beckenwand dicht an, dann fallen 
die gewöhnlichen Pessare, auch in den größten Nummern, 
heraus, weil ihnen der schlaffe und schmale Muskelrand gar 
keine Stütze bietet. Hier kann, wie die genannten Autoren 
betonen, manchmal noch ein Mengesches Zapfenpessar helfen, 
weil der Zapfen sich event. noch an einer, wenn auch kleinen 
suffizienten Partie des Levator ani halten kann. Eipessare sind 
dagegen bei Hernien des Hiatus genitalis zu verwerfen, da sie 


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Original fru-m 

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1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


59 


sehr groß sein müssen, wenn sie seitlich die Ränder des Hiatus 
überragen sollen. Durch ihre Größe würden sie unter diesen 
Umständen sehr lästig werden. 

In Fällen, wo die Kranken keinen Ring tragen wollen, wo 
die Ringe nicht halten, oder wo die Kranken es nicht ver¬ 
stehen, den Ring sauber zu halten resp. unter diesen Um¬ 
ständen den Arzt zu selten aufsuchen, ist die operative 
Heilung des Prolapses angezeigt. Gerade die letzte 
Kategorie von Fällen ist auch heutzutage noch ziemlich 
frequent, und zwar nicht nur im weniger zivilisierten Osten, 
über dessen Pessarsünden uns F. Neugeb au er*) berichtet hat, 
sondern auch im Westen Deutschlands. So berichtet Franz 
Cohn**) aus der Gießener Frauenklinik, daß daselbst in den 
letzten Jahren außer zahlreichen Druckusuren acht Fälle von 
eingewachsenem Pessar zur Beobachtung kämen. Zweimal be¬ 
stand bloße Verhaltung des Ringes in der zu eng gewordenen 
Scheide. Die Pessare wurden mit Giglischer Draht¬ 
säge zerstückelt und entfernt. Einmal konnte ein Hartgummi¬ 
ring, der schon große Druckgeschwüre gesetzt hatte, noch un- 
zerstückelt entfernt werden. In einem Fall war ein Löh leinsches 
Pessar durch das Septum rektovaginale in den Mastdarm hin¬ 
durchgewachsen und wurde zerkleinert extrahiert. In zwei 
Fällen war die Scheidenschleimhaut in die Löcher einer 
Prochownikschen Siebschale mit zahlreichen, knopfförmigen 
Wucherungen eingedrungen. In einem weiteren Fall war eine 
Siebschale im Scheidengewölbe eingewachsen; in dem tiefen Deku- 
bitalgeschwür war ein Sarkom entstanden. Dieses wurde mit einem 
großen Stück Vaginalwand und der Portio exzidiert, doch ent¬ 
stand bald ein Rezidiv. Aus seinen Beobachtungen schließt 
Cohn, daß sich trotz richtiger Wahl der Pessare und guter 
Pflege derselben bei leicht verletzlicher Scheide Schädigungen 
nicht vermeiden lassen. Es ist deshalb, wenn irgend angängig, 
die operative Beseitigung des Prolapses der Pessartherapie vor¬ 
zuziehen. 

Zu den von Cohn erwähnten Schädigungen der Patienten 
bei nicht operativer Behandlung der Prolapse möchte ich auch 
die Möglichkeit einer septischen Infektion des Uterus und der 
Adnexe rechnen. Ich nehme die Möglichkeit an, daß in dem 
oben berichteten Fall von Prolaps, entstanden durch hintere 
Druckwirkung, die doppelseitige Pyosalpinx nicht durch Go¬ 
norrhoe, sondern durch Sepsis erzeugt war. Für das Eindringen 
von Spaltpilzen in den Uterus war ja die beste Gelegenheit 
gegeben, weil die Zervix 4 cm weit aus der Vulva heraus¬ 
ragte und somit allen möglichen Insulten ausgesetzt war. Tat¬ 
sächlich waren in diesem Fall die vorgefallenen Teile auch 
außerordentlich stark entzündet, und verschwand die Ent¬ 
zündung gänzlich nach definitiver Heilung durch die zweite 
Operation. 

Auch in einem zweiten Fall von völligem Uterusvorfall 
glaube ich an die Entstehung einer Salpingitis und Perimetritis 
acuta durch Infektion von großen Portiogeschwüren aus. 

19. 11. 07. Frau 0-, 37 J., II para, bat einen zweifaustgroßen 
Totalprolaps des 9 cm langen Uterus und der Scheide. Die Umgebung 
des weitklaffenden Muttermunds ist geschwürig verändert. Nach Ansicht 
mehrerer Aerzte ist Heilung nur durch Uterusexstirpation möglich. 

Operation: Portioamputatiou nach Verschorfung der Ulzera. Ab¬ 
lösung des Zystokelensaeks bis zu deu Ureteren. Wegen akuter Entzündung 
der stark geröteten, Ödematösen und in frische Verklebungen eingebetteten 
Tuben werden dieselben mitsamt dem linken zystischen Ovarium exstirpiert. 
Die Tuben enthielten bakterienfreien Eiter. Auch der ganze Uterus war 
äußerst hyperämisch. Kolporrhaphia anterior durch Resektion zweier 
Scheidenlappen, Vaginifixur mit fünf Katgutknopfnähten. Exzision eines 
Fünfecks an der hinteren Vaginalwand und Vernähung der Levatorränder 
durch sechs Katgutknopfnähte. 

5. 12. 07. Pat. wird mit antevertiertem Uterus, straffem Muskeldamm 
und nur für einen Finger durchgängigem, langgestreckten Vaginalrohr geheilt 
entlassen. 

Für die plastischen Operationen am Damm hatte ich***) be¬ 
reits vor Erscheinen des Werkes von Halb an und Tandler 
folgende Postulate aufgestellt: 

*) Zur Warnung beim Gebrauche von Scheidenpessarien. Bericht über 
die Kasuistik einiger deletären Nebenwirkungen unzweckmäßiger, vernach¬ 
lässigter und vergessener Scheidenpessarien auf Grund von 242 Fällen, 
Archiv für G.yn. Bd. 43, H. 3. 

**) Deutsche med. W. 1907, Nr. 46, S. 1924. 

***) Ueber operative Heilung von Prolapsen der Vagina und des Uterus, 
Gynäkologische Rundschau 1907, H. 2. 


Als eine Vorbedingung des| Erfolges bei Prolapsoperationen 
betrachte ich die Verengerung des Scheidenrohrs, die Schaffung 
eines resistenten Septum rektovaginale, die hierdurch bedingte 
Richtungsänderung der Scheidenachse und die Vereinigung 
der medialen Ränder der beiden Levatores ani. 
Alle diese Postulate erfüllt noch besser als die Exzision des 



Abb Ö. 


Retroversio et deszensus 
uteri, Z 3 r stokele, Rektokele, 
Hernia hiatus genitalis. 
Der Hautdamm ist intakt. 


Hegarschen Dreiecks die Exzision eines Fünfecks, wie 
ich sie seit vielen Jahren übe. Dieses Fünfeck wird so er¬ 
zeugt, daß man zunächst die drei Ecken des Hegarschen 
Dreiecks mit Kugel- oder Klemmzangen fixiert und mit noch 
zwei weiteren Klemmzangen das untere Ende der kleinen 
Labien faßt. Die Endpunkte der kleinen Labien liegen gewöhn¬ 
lich 3 cm über den Enden der Basis des Hegarschen Dreiecks. 
Reichen die kleinen Labien weiter nach abwärts, so führt man 
eben die der Basis des Hegarschen Dreiecks senkrecht auf¬ 
gesetzten Schnitte in die kleinen Labien selbst hinein. Etwa 
3 cm muß die Länge dieser Seitenschnitte betragen. Die be¬ 
schriebene Figur besteht aus einem oberen, in der Scheide 
liegenden Dreieck und einem unteren, dem Damm angehörigen 
Viereck. Sie unterscheidet sich von dem Simon sehen Fünfeck 
dadurch, daß das obere Dreieck länger ist und nach dem 
Scheidengewölbe zu mit einem spitzen Winkel endet. 

Das Dreieck wird durch eine fortlaufende, nicht versenkte 
Katgutnaht vereinigt. Sobald die Spannung größer wird, 
werden drei bis vier Katgutknopfnäkte quer unter der ganzen 
Wunde des Vierecks durchgelegt und die Faden enden nach 
der Mitte zu zusammengezogen. Hierdurch nähern sich die 
Scheiden wundränder und können ohne Spannung bis zu dem 
unteren Ende der Labia minora vereinigt werden. Es folgt die 
Knüpfung der tiefen Nähte. Der eigentliche Scheideneingang 
wird nunmehr durch den nach unten völlig geschlossenen Ring 
der kleinen Schamlippen und dahinter durch die Reste des 
Hymenalrings gebildet. Die Betastung des Beckenbodens von 
der Scheide und vom Damm aus ergibt, daß nicht ein ein¬ 
facher langer Hautdamm geschaffen ist, sondern daß beide 
Levatores ani infolge der Vereinigung ihrer Ränder einen 
muskulösen Beckenboden bilden. Nur Damm - Knopfnähte, 
welche aber seitlich tief unter der Wunde durch¬ 
greifen müssen, bringen die Muskelränder exakt aneinander. 
Daher konnte ich früher, als ich mich nur der fortlaufenden 
Naht in Etagen bediente, keinen so resistenten Beckenboden 
erzielen, der fortdauernd den späteren Schädigungen der Koha- 
bitation und Geburt standhielt. 

Die Exzision des Fünfecks habe ich beibehalten, dagegen 
bin ich *), auch bereits vor der Publikation des H a 1 b a n - 
Tandlerscken Werks vom März dieses Jahres ab zur iso¬ 
lierten Vernähung der Mm. levatores ani durch ver¬ 
senkte Katgutkn opfnähte übergegangen, wie Fritsch 

*) Ueber Perineoplastik nebst Bemerkungen über die extraperitoneale 
Interposition des Uterus bei Prolaps. Gyn. Rundschau 1907, H. 8 und 

H. 11. 


Original from 




THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU, 


sie zuerst empfohlen hat. Die Ränder dieser Muskeln 
lassen sich mit einer Hakenpinzette fassen, welche an der 
Umschlagstelle der hinteren in die seitliche Scheidenwand 
das Gewebe breit und tief faßt. (Abb. 7.) Sobald man 


Dann werden die Ränder dos Fünfecks von oben nach 
unten durch eine fortlaufende Katgutnaht vereinigt. 

Bei dieser Methode werden die Hernien des 
Hiatus genitalis, die Senkung des Beckenbodens 
und die Rektokele gleichzeitig beseitigt. Bei der 
Rektokele sieht man es besonders deutlich, wie der Bruch 
wie hinter einem Vorhang hinter der fortschreitenden Naht 
der Muskeln verschwindet. Hier liefert die Methode 
einen neuen muskulösen Perinealkeil. Bei der 
Hernie des Hiatus genitalis verlängert die Methode 
die unpaare Levator platte gewaltig nach vorn und 
schafft für den Uterus, die Scheide und die Blase die Unter¬ 
lage, gegen welche der abdominelle Druck die genannten 
Organe anpressen und dadurch fixieren kann. Bei der 
Senkung des Be'ckenbo dens strafft die Methode 
die beiden Mm. levatores ani und hebt dadurch den 
Beckenboden. 

Ja die Methode leistet noch mehr: Indem sie die Leva¬ 
tores zwischen Scheide und Mastdarm zur Vereinigung bringt, 
bringt sie auch die zusammengehörenden Fasern und Muskeln 
des Diaphragma urogenitale wieder im Zentrum tendineum zur 
Vereinigung. Die Levatores hängen nämlich innig mit dem 
Diaphragma zusammen, die seitlichen Partien des Diaphragma 
folgen daher dem Zug der Levatores und werden durch die 
zweite oberflächliche Naht zur Vereinigung gebracht. Will 
man anatomisch ganz korrekt operieren, so vereinigt man über 
den Levatores noch die Mm. bulbokavernosi durch einige ver¬ 
senkte Katgutknopfnähte. (Abb. 9.) Dann hat man auch 


a b c b g angefr.isehtes 
Fünfeck; 1 linker Le¬ 
vator bereits durchsto¬ 
chen, 1 rechte)- Levator 
mit der Pincetto gefaßt; 
d d Mm. bulbokavernosi; 
t tMm. transversiperinei 
superfiziales;eM.Sphink¬ 
ter ani. 


durch beide Ränder eine Katgutnaht durchgeführt hat und an 
dieser einen Zug ausübt, treten die Muskelränder plastisch 
aus dem umgebenden Gewebe heraus, auch fühlt man, wie 
sich bei dem Zug der ganze Muskel bis zu seinem Ansatz 
am Schambein anspannt. Man legt nun weitere Nähte nach 
abwärts durch die Muskelränder bis dahin, wo beide Muskeln 
mit dem Sphinkter ani, den Bulbokavernosi und Transversi 
perinei superfiziales zusammenfließen. (Abb. 8.) Erscheint 
die Verengerung des Scheidenrohrs noch nicht genügend, so 


Die Abb. 9 stammt 

t von einem anderen Fall 

einander in Verbindung 
gebracht: Die Straffung 

zessorium wieder ber- 

Abb. 9. 

noch das Diaphragma pelvis akzessorium wieder¬ 
hergestellt. So lassen sich, wie mein Material be¬ 
weist, tatsächlich ideale Erfolge erzielen (Abb. 10), während 
Halban und Tandler noch die Möglichkeit einer solchen 
ausgiebigen Naht der Levatores und ihre Erfolge bezweifeln, 
ein Beweis dafür, daß die Therapie oft der 1 Theorie vorauseilt. 

Neben der geschilderten Perineoplastik sind noch andere 
Operationen zur Heilung des Prolapses notwendig. 
Insbesondere ist es allgemein anerkannt und nach der oben 
entwickelten Theorie auch verständlich, daß der Uterus in 
Anteversion übergeführt werden muß und die hierzu sicherste 
Operation die vom Verf. angegebene Vaginifixur mittels 
Eröffnung des vorderen Scheidengewölbes und der Pirka vesiko- 
uterina darstellt. In meinen oben erwähnten Arbeiten habe 
ich darauf aufmerksam gemacht, daß ich die von Schauta 
1899 beschriebene Methode, welche auch Halban und Tandler 
als die Schau ta-Wert he im sehe Methode bezeichnen, be- 
roits 1894 veröffentlicht habe. Sie ist sowohl der Verkürzung 
der Lig. rotunda als auch der Ventrifixur deswegen überlegen, 
weil sie eine stärkere Anteversion erzeugt. Hierdurch wird 


Die Levatorränder sind 
durch fünf,'vorsenkte Kat- 
gutnäbte vereinigt. Hier¬ 
durch und durch die 
Abnahme der seitlichen 
Haltezangen hat die An¬ 
frischungsfigur iVb c b g 
sieb bereits verkleinert und 
haben sieb die Ränder der 
Mui. bulbokavernosi ein¬ 
ander genähert. 


UNIVERSiTY OF MICHIGAN 





THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


bl 


löoä 


dem gesteigerten abdominellen Druck die Möglichkeit gegeben, 
auf die hintere Fläche des Uterus zu wirken und ihn gegen 
die neugeschaffene Levatorplatte zu fixieren. Mit dieser Vagini- 
fixur habe ich aber seit 1898 auch eine ausgiebige Ablösung des 
Blasenbodens von der Scheide, der Zervix und den 
Parametrien verbunden, wodurch eine Retraktion der 
Zystozele ermöglicht wird.*) Es handelt sich hier um eine 
kausale Therapie der Zystozele, welche bedauerlicherweise 
trotz mehrerer Publikationen meinerseits noch nicht die ge¬ 
bührende Beachtung gefunden hat. Ich wende dieses Verfahren 
mit dem besten Erfolg auch bei der mit Zystozele verbundenen 
Anteflexio uteri an. Die Ablösung der Blase muß bei größeren 
Zystozelen so weit gemacht werden, daß man die Ureteren den 
Zuschauern sichtbar machen kann. 

Ferner vaginifixiere ich bei konzeptionsfähigen Frauen 
den Uterus dicht unter dem Fundus mit nur einer Silkworm- 



Abb. 10. 


Ansicht nach Vollendung 
der fortlaufenden Naht der 
Wundränder: Die Vulva 
klafft nicht mehr, der Damm 
ist verlängert. Das Becken 
ist nach unten durch eine 
Muskelplatte fast völlig ab¬ 
geschlossen, welche zwi¬ 
schen ihren vorderen Rand 
und der Symphyse nur einen 
Finger eindringen läßt. 


naht, die nach sechs Wochen entfernt wird, und nähe die 
Oeffnung im Peritoneum der Plika für sich wieder zusammen. 
Hierdurch wird einmal eine tadellose Anteversion erzeugt und 
zum anderen späteren Geburts störu ngen mit Sicher¬ 
heit vorgebeugt. Bei dieser Methode werden nämlich nur 
zarte peritoneale Adhäsionen zwischen Uterus und Blasen¬ 
peritoneum erzeugt, welche in der Schwangerschaft leicht ge¬ 
dehnt werden und andererseits den Uterus unter hauptsäch¬ 
licher Mitwirkung des abdominellen Druckes doch in Ante¬ 
version zu halten vermögen. Meine jetzige Methode der 
Vaginifixur bei Prolapsen unterscheidet sich also von der 
früheren, die fälschlich unter dem Namen der Schau ta- 
Wertheimsehen Methode geht, durch zwei bedeutende Fort¬ 
schritte: sie beseitigt zu gleicher Zeit die Zystozele, 
und sie ist auch bei noch konzeptionsfähigen 
Frauen**) ohne Gefahr und mit dem gleich sicheren 
Erfolg bezüglich der Lagekorrektur auszuführen. 

Alle diese Operationen genügen noch nicht für die völlige 
Heilung aller Abnormitäten bei Uterusprolaps. Bekannt ist ja, 
wie oft eine partielle oder völlige Absetzung der elongierten 
Zervix sich notwendig erweist, wie häufig außerdem noch der 

*) Zugleich mit dieser Methode habe ich in meinem Buche, Die Ein¬ 
schränkung des Bauchschnitts etc. 1898, die Keilresektion des Uteruskörpers 
bei Metritis beschrieben, welche F. Cohn jüngst (Arch. f. Gyn. Bd. 84, EL. 1) 
als neue Methode aus der Pfannens tiel'schon Klinik beschrieben hat und 
besonders filr die Kombination von chronischer Metritis und Prolaps em¬ 
pfiehlt. 

**) Anm. Bei älteren Frauen oder bei jüngeren Frauen, welche wegen 
Entfernung der kranken Tuben nicht mehr konzipieren können, vagini- 
. fixiere ich den Uteruskörper mit einigen Katgutknopfnähten, welche die 
Peritonealränder mitfassen. Hierdurch wird die Bauchhöhle ebenfalls exakt 
abgeschlossen, weil das Peritoneum seitlich mit der vorderen Uteruswand 
verwächst. Die Mitte der letzteren verwächst direkt mit der Vaginal wand: 
dies gibt eine sehr feste Verwachsung des Uterus, die ein Rezidiv der 
Retroversio schlechterdings unmöglich macht. 


Uterus aus Verwachsungen zu lösen ist, daß Myomenukleationen 
und außerdem die verschiedensten Operationen an den Adnexen 
gemacht werden müssen, falls man die neben dem Prolaps 
vorhandenen funktionellen und pathologisch-anatomischen Stör¬ 
ungen beseitigen will. Alle diese Nebenoperationen 
lassen sich mittels meiner Methode der Kolpokoe- 
liotomia anterior, der Eröffnung der Bauchhöhle 
vom vorderen Scheidengewölbe aus, ausführen, 
einer Methode, welche beiProlapsen zunächst nur dazu dient, um den 
Uterus zu vaginifixieren. Jedenfalls ist es nicht nötig, 
wegen eines noch so großen Prolapses den Uterus 
zu opfern, dies ist sogar insofern unrichtig, als nach den 
Untersuchungen von Halb an und Tandler nicht im Uterus, 
sondern in der Hernie des Hiatus genitalis die Ursache der 
Prolapse gelegen ist. Indessen können doch komplizierende 
Erkrankungen des Uterus oder der Adnexe die Exstirpation 
des Uterus notwendig machen. So habe ich bei klimakterischen 
Blutungen und bei größeren oder zahlreichen Myomen den 
Uterus, bei Ovarialgeschwülsten älterer Frauen den Uterus samt 
Adnexen exstirpiert. Ich habe aber auch dann besonderen 
Wert darauf gelegt, daß bei vorhandener Zystozele noch vor 
der Durchtrennung der Ligamenta lata der Zystozelensack aus 
allen seinen Verbindungen gelöst wurde, um durch eigene Re¬ 
traktion zu verschwinden, und daß nach Exstirpation des Uterus 
die Hernie des Hiatus genitalis durch Vernähung der Levator¬ 
ränder beseitigt wurde. 

Die Freilegung der letzteren ist nicht etwa an die oben 
beschriebene Exzision eines Fünfecks gebunden. Ist wenig 
überschüssiges Scheidengewebe vorhanden, so kann man ohne 
Fortnahme von solchem die Levatorränder von einem über die 
hintere Scheidenwand geführten medianen Längsschnitt aus 
freilegen. Von diesem Schnitt aus löst man die Scheide nach 
beiden Seiten von ihrer Unterlage ab. Diese Ablösung kann 
man auch von einem dicht unter der hinteren Kommissur an¬ 
gelegten queren Bogenschnitt aus vornehmen oder am bequemsten 
von einem umgekehrten T-Schnitt aus, welcher sich aus dem 
Quer- und dem Längsschnitt zusammensetzt. Nach Vernähung 
der Levatorränder kann man diese Schnitte als Längs- und als 
Querschnitt wieder vereinigen. 

Der Querschnitt gewährt die Möglichkeit, auch die Mm. 
bulbokavernosi freizulegen und durch einige versenkte Katgut- 
nähte zu vernähen. Hierdurch wird, wie ich schon erwähnt 
habe, auch das Diaphragma pelvis akzessorium wiederher¬ 
gestellt. 

Man hat für die älteren Prolapsoperationen, die sich im 
wesentlichen auf die Exzision von verschieden geformten 
Scheidenlappen und auf die Vernähung der gesetzten Wunden 
beschränkten, die Forderung mehrjähriger Beobachtung aufge- 
stellt, weil man auch nach Jahren noch Rezidive beobachtete. 
Diese Rezidive sind leicht erklärlich, weil es bei den meisten 
der beschriebenen Methoden dem Zufall überlassen blieb, ob die 
Levatorränder mit der Naht mitgefaßt wurden. Bei der systemati¬ 
schen Vernähung der Levatorschenkel braucht man eine solche 
Beobachtungszeit nicht, sondern kann überall dort eine Dauer¬ 
heilung annehmen, wo eine prima intentio eingetreten ist. Die 
Berechtigung dieser Annahme stützt sich auf die Erfahrungen 
der Chirurgie, auf die tadellose Heilung aller Brüche, bei denen 
es, wie bei den Leistenbrüchen, gelingt, die Bruchpforte durch 
Muskelplatten zu verschließen. Uebrigens habe ich auch solche 
Dauerheilungen in mehrjähriger Beobachtung stets konstatieren 
können, wo die Levatores nach meiner älteren Methode durch 
tiefgreifende, von der Haut aus angelegte Umstechungsnähte zur 
Vereinigung gebracht worden waren. 

Als Resultat der operativen Bestrebungen in der Prolaps¬ 
therapie ergibt sich also der Schluß, daß die beschriebe¬ 
nen Methoden im stände sind, die Beschwerden der 
Kranken zu beseitigen, die normale Syntopie der 
Beckenorgane dauernd wiederherzustellen und die 
Frau wieder kopulations- und konzeptionsfähig zu 
machen! 


Original fmm 

5ITV OF MICHIGAN 



THERAPElÜflSdÖE RÜNDSC0AÜ. 




Bossi und Kolpeurynter in der Hand des 
praktischen Arztes. 

Von Dr. E. RohlfF, Potsdam. 

(Fortsetzung.) 

Herr M e n d e sagt ferner, die Erweiterung läßt sich stets 
in Kürze mittels leichten Anziehens bewirken. Daraus geht 
ganz klar hervor, zumal er den weichen Ballon verwendet, 
daß in allen seinen Fällen auch sofortige Wendung möglich 
war. Ich berufe mich da auf meine eigenen Erfahrungen, wo 
von 22 pl. pr. zentrales 21 mal dies geschah. Herr Mende 
zählt unter seinen 16 Fällen nur 9 pl. pr. zentrales. 

Nach meiner Anschauung dürften überhaupt nur diese in 
Betracht gezogen werden. Bei den meisten anderen würde ja 
die einfache Zerreißung der Eihäute, damit Beendigung der 
Zerrung an der Plazenta und Tiefertreten des Kopfes auch 
genügt haben. Sobald auf diese einfache Weise die Blutung 
stand, fehlte jeder Grund zum aktiveren Vorgehen. Wir 
müssen auseinanderhalten Scheingefahren und wirkliche Ge¬ 
fahren. Zur Beruhigung von Patientin und Arzt mag in einem 
Fall von tiefsitzender Plazenta die Metreuryse erlaubt sein. 
Handelt es sich aber darum, den Wert einer Behandlungs¬ 
methode festzustellen, dann müssen alle diejenigen Fälle, aus- 
scheiden, die nur Schreckschüsse darstellen. Meine eigenen 
Fälle - von tiefsitzender Plazenta oder diejenigen, wo nur ein 
kleiner Lappen in den Muttermund hereinragte, habe ich weder 
gezählt, noch ihnen Bedeutung beigelegt, die Mütter sind alle 
gesund geworden. Ist die Metreuryse bei Plazenta praevia 
zentralis oder auch lateralis mit schwerer Blutung -- eher 
sieht der Praktiker die Fälle eben nicht— der Wendung über¬ 
legen oder nicht, das ist die Frage! Diese beantworte ich 
dahin: Die Wendung ist besser in der Stadt- und Dorfpraxis. 
Meine Gründe dafür sind nachstehende. 

Zunächst allgemeine Betrachtungen. 

Lassen wir in Gedanken einmal alle Komplikationen weg, 
und fassen wir nur die durch den verschiedenen Sitz der Pla¬ 
zenta allein entstehenden Möglichkeiten ins Auge. Nehmen 
wir zuerst den Fall einer pl. pr. zentralis. Es sei gelungen, 
den Braun einzuführen und aufzuspritzen. Nun sind zwei 
Möglichkeiten; entweder begnügt sich der Arzt mit einer 
Ballongröße, welche die Blutung stillt, oder er spritzt — um 
den Kopfdurchtritt des Kindes später schnell zu bewirken — 
bis Kindskopf große auf. In letzterem Falle wird die Plazenta 
fast im ganzen Umfang abgehoben, ein Umstand, der allein 
das Kind schon so gut wie sicher töten wird. Nach Aus¬ 
treibung des Ballons muß außerdem noch — wir nehmen eine 
ideale zentralis an — die Plazenta durchbohrt werden und 
durch ihre Fetzen das Kind herabgezogen werden. Wenn dies 
nun auch schnell geht, wer setzt viel Hoffnung darauf, daß, 
das Kind lebe! Spritzt man andererseits nur wenig auf, so 
steht zwar die Blutung, aber was nützt das dem Kinde? Die 
Plazenta muß durchbohrt werden, die Entwicklung langsam 
geschehen. Ein wirklicher Vorteil für das Kind ist nicht vor¬ 
handen, nur scheinbar für einen iVrzt, der wenig Geburtshilfe 
trieb, weil er dann stets mit ganzer Hand wenden kann und 
nicht in einem Teil der Fälle die unheimlich erscheinende 
kombinierte Wendung vorzunehmen braucht. Warum aber 
selbst dieser sich überwinden sollte, in einem nicht dringlichen 
Falle, wo die Mutter noch nicht besonders verblutet ist, die 
Gelegenheit wahrzunehmen, sich einzuüben auf die kombinierte 
Wendung, vornehmlich aber auf die Extraktionstechnik, wird 
weiter unten abgehandelt. Eine Weite der Zervix, um die 
ganze Hand sofort einzuführen, findet man außerdem häufig 
vor bei Mehrgebärenden. Dabei entstehen die Hisse nicht, 
sondern beim schnellen Durchziehen des umfangreicheren. 
Kopfes. 

Der Champetier hingegen soll nach Durchbohrung der 
Plazenta eingelegt und dann aufgespritzt zurückgetrieben oder 
gezogen werden. Demnach findet auch hier eine enorme Blut¬ 
umlaufstörung in der zerfetzten Plazenta mit entsprechend ver¬ 
nichtender Wirkung auf das Leben des Kindes statt. 

Zweitens, vergegenwärtigen wir uns den Fall einer rand¬ 


ständigen Plazenta, wo nur ein Lappen den Muttermund über¬ 
brückt. Der Arzt kann unbedenklich anfspritzen bis Bands - 
kopfgröße. Nun kommt es aber zum Teil darauf an, welchen 
Ballon er benutzt. Der Braun wird durch Wehen oder leichten 
Zug an der engsten Zervixstelle stets eingeschnürt — er ist 
ja elastisch und dehnbar —, so daß er seine Kugelform, die 
dem Kindskopfdurchmesser ursprünglich entsprach, nieht mehr 
bewahrt und in den seitlichen Durchmessern abnimmt. Dann 
erweitert er nicht mehr als bei Wendung auf einen Fuß, 
Steiß und Oberschenkel zusammen. Also, wo bleibt der ob¬ 
jektive Vorteil? 

Der ganz volle Champetier würde eine ideale Erweiterung 
ergeben. Aber in unserem angenommenen Fall würde bis zum 
Durchtritt unberechenbare Zeit verstreichen. Solchen Luxus 
gestattet dem Praktiker seine Tätigkeit nicht, wenn er sich 
nicht auf Men des Standpunkt stellen will, daß er nun fort- 
gehen dürfe. Also spritzt der Praktiker, welcher anwesend 
bleiben will, den Ballon nicht ganz auf, um durch Zug- 
anwehdung Zeit zu gewinnen, und — wir sind wieder auf dem 
alten Fleck. Bei nachheriger Wendung würde für das Kind 
bezüglich der anatomisch-physiologischen Verhältnisse nichts 
gewonnen sein. 

Aber nun tritt ein neues Moment in Erscheinung. Der 
Anhänger der sofortigen Wendung ist verpflichtet, den Kopf 
sehr vorsichtig zu entwickeln, „er soll den Mut haben, das 
Kind sterben zu lassen.“ Zwar wird auch derjenige Arzt, 
welcher die Metreuryse der Wendung vorausschickte, vorsichtig 
sein; aber immerhin wird er schneller arbeiten. „ Er habe doch 
schon mit dem Kolpeurynter erweitert“, tröstet er sich. Mag 
also immerhin die Metreuryse keinen objektiven Vorteil vor 
der Dilatation durch Rumpf und Oberschenkel des Kindes 
haben, sicherlich wirkt sie günstig ein auf die Erhaltung des 
Kindeslebens durch (wenn auch irrige) Autosuggestion des 
Operateurs. Eine halbe, ja eine viertel Minute Zeitersparnis 
bei Kopfentwicklung muß in manchem Fall des Kindes Leben 
erhalten. In einer Gesamtstatistik der Mortalität wird sich 
diese Tatsache immerhin nur durch einige Prozente bemerkbar 
machen, weil noch zu viele andere Dinge über Leben und Tod 
entscheiden. Während so dem Kinde günstigere Bedingungen 
geboten werden in einem Maße, daß dies in den Uebersichten 
deutlich hervortreten kann, darf man nicht erwarten, daß für 
die Mütter ein häufigerer, tödlicher Ausgang infolge solchen 
Handelus erkennbar wird. Theoretisch würde man das zwar 
erwarten müssen, jedoch die praktischen Verhältnisse geben es * 
nicht zu. Zunächst wissen wir gar nicht genau, wie langsam 
wir im einzelnen Fall entwickeln müssen. Prinzipiell muß 
nach sofortiger Wendung sehr langsam, also durchschnittlich 
zu langsam entwickelt werden. Schon deswegen wird eine 
halbe Minute schnelleren Arbeitens oft nicht schaden. Der 
Kindskopf ist meist noch kleiner und weicher als normal. Mehr¬ 
gebärende vertragen schon einen Puff. Bei Erstgebärenden 
hängt viel von der verschiedenen Dehnfähigkeit der Gewebe 
ab. Außerdem ist zum Glück nicht jeder Riß tödlich, besonders 
wenn ein Geübter schnell und sicher tamponiert, in den Sta¬ 
tistiken erscheinen diese Risse nicht. Schließlich veröffentlicht 
ein Einzelner nur kleine Zahlenreihen, wobei der Zufall sein 
Spiel treibt. Man vergleiche nur einmal, wie verschieden die 
Prozentsätze geretteter Kinder angegeben werden in Statistiken 
über Metreuryse. Da finden sich leicht Differenzen von 18%. 
Hingegen Beschädigungen der Mütter würden sich ziffermäßig 
nicht finden lassen, weil, wie gesagt, die Zahlenreihen zu klein 
sind, und in geübter Hand ein Zervix-Riß meist glücklich ver¬ 
laufen wird. Die Frauen aber, welche in gleicher Lage auf 
die Hilfe eines Ungeübten ohne genügende Assistenz eventuell 
hei schlechter Beleuchtung angewiesen sind, dürften den Riß 
nicht ganz selten mit dem Leben bezahlen. Solche Fälle 
kommen aber nicht in die Statistiken. Wer mit mir der An¬ 
sicht ist, daß die Metreuryse nicht mehr erweitert als Rumpf 
und Schenkel, der muß. auch den Schluß ziehen, daß sie der 
Mutter Gefahr bringen kann, weil sie dem Arzt - die Gefahr 
verschleiert und ihn dadurch zu falschem Handeln veranlassen 
kann, zumal der lockende Preis eines geretteten Kindeslebens 
greifbar nahe winkt. 


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Original fro-m 

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-- •— - "/ 

••*-^ -' fHERAPEÜTR 


Therapeutische Rundschau. 




soeben Ausgeführte sind Hypothesen, kann der 
f^ r&ghet- sagen, erst Tatsachen beweisen und die fehlen. Ganz 
: :frecht ! Den Wert dieser Erwägungen mag ein jeder selbst 
1 elnschätz.en,. ich will nur dazu die Anregung geben. Meine 
. Empfehlung- direkter Wendung will ich weiter unten auf Tat- 
Sachen stützen, trotzdem ich zugebe, daß die Metreuryse einige 
Kinder mehr rettet. Aber der Praktiker erkauft diesen Gewinn 
hier und da mit dem Tode einer Frau, was mir als ein zu 
- teurer Preis erscheint und sicher auch allen denjenigen Aerzten, 
die schon einmal bedrückt nach Hause gegangen sind, fort von 
dem Todenbette einer Frau, die nach stundenlangen Qualen 
in den Händen des Arztes verblutete. 

Endlich bei einer randständigen Plazenta liegen dieselben 
Verhältnisse vor, nur daß mitunter nach Metreuryse auch die 
Zange benutzt werden kann, wodurch bei genügend langsamem 
Vorgehen Kind wie Mutter Vorteile haben können. 

Das Gesamtergebnis unserer Betrachtungen ist demnach 
bisher, daß in der Theorie die Metreuryse für das Kind das 
bessere Verfahren sei. Statistisch bewiesen ist das aber bisher 
nicht. Das Lager der Kolpeurynter-Anhänger ist in zwei Par¬ 
teien gespalten, von denen jede das Instrument der anderen 
gering seiätzt. Wir müssen demnach sehen, ob vielleicht in 
der Prognose für die Mutter ein ausschlaggebendes Moment zu 
finden ist. 

Mende führt zwar zum Preise des Braun seine hohe 
Zahl lebender Kinder ins Gefecht; aber in einem gewissen 
Widerspruch dazu empfiehlt er bei jeder Blutung in der 
zweiten Hälfte der Schwangerschaft ohne Rücksicht auf den 
Termin, sofort die Frühgeburt einzuleiten. Auch er ist dem¬ 
nach bereit, die Kinder zu Gunsten der Mutter zu opfern. Im 
Prinzip schließe ich mich ihm völlig an. Zwar zeigte in meinen 
Fällen bei einer einzelnen nicht bedrohlichen Blutung der 
weitere Verlauf, daß es sich dann nur um randständige Pla¬ 
zenten gehandelt hatte. Bei der Geburt trat wieder eine Blutung 
auf, die bei meinem Eintreffen schon wieder stand. Die Geburt 
verlief ohne Eingriff, und diese Kinder, welche bei Frühgeburt 
nach Mende geopfert worden wären, wurden natürlich lebend 
und vor allem lebensfähig geboren. Bei den wirklich schweren 
Blutungen konnte ich auch stets, wie schon früher bemerkt, 
sofort wenden. Daß dies kein Zufall sein kann, ergibt die 
Ueberlegung, welche Folgen zentraler oder marginaler Sitz 
der Plazenta A und kräftige oder schwache Wehen in ihren 
wechselseitigen Beziehungen ausüben müssen. Da aber nicht umge¬ 
kehrt gefolgert werden darf, daß eine schwache Blutung stets 
nur tiefsitzende Plazenta beweise, und ferner überhaupt nicht 
die verschiedenen Anheftungen der Plazenta in erster Linie, 
sondern mehr noch das zeitige oder späte Eingreifen des 
Arztes und seiner Assistenz Leben oder Tod bedeuten, so soll 
man auch nicht sich auf die Geringfügigkeit einer Blutung 
allein verlassen, sondern lieber sicher gehen im Zweifelsfall, 
also durch ein Verfahren, welches gleichzeitig die Blutung 
stillt, die Frühgeburt einleiten. In diesen seltenen Fällen 
erscheint mir die Metreuryse daher das richtige Verfahren zu 
sein. Außerdem kann in solchem Fall der Arzt auch nach 
meiner Meinung ruhig einstweilen fortgehen, wenn eine Heb¬ 
amme als Wache zurückbleibt. Denn die Zervix ist lang, ein 
schnelles Verstreichen ist nicht zu befürchten. Da auf das 
Leben des unentwickelten Kindes keinerlei Rücksicht genommen 
werden darf — man wollte ja die Mutter retten —, 'so genügt 
eine mäßige Ballonauftreibung, die später das Durchführen der 
Hand gestattet. Sollte der Arzt nicht gleich bei beginnender 
Austreibung da sein, brauchte die Hebamme nur nachzufüllen, 
so würde weitere Zeit gewonnen. Wie eng ein jeder den 
Kreis dieser Fälle begrenzen will, muß er selbst entscheiden. 
Nach meiner Auffassung könnte man allgemein sagen: ganz oder 
fast ganz erhaltene Zervix und Undurchgängigkeit für zwei 
Finger gehören in diese Rubrik. Mancher wird vielleicht noch 
mit einem Finger die kombinierte Wendung unternehmen. 

Der Bossi wäre nicht erlaubt, da jeder dringende Anlaß 
zu sehr gewaltsamem Vorgehen fehlt. (Schluß folgt.) 



REFERATE. 


Bakteriologie. 

Die Serodiagnose bei Syphilis. 

Von Privatdozent Dr. E. Küster, Freiburg i. B. 

Wohl jedem Arzte ist ’ aus eigener Erfahrung bekannt, 
eine wie große praktische Bedeutung die erste serologische 
Krankheitsdiagnose, die von Dur harn, Widal. Gruber, 
Bordet u. a. ausgearbeitete Widalreaktion für die Erkennung 
unserer gefährlichsten Seuche, des Ileotypkus, gewonnen hat. 
Zwar hat diese Reaktion nicht in allen Fällen das gewünschte 
Ergebnis gebracht und der anfangs übertriebene Enthusiasmus 
mußte durch kritische Nachuntersuchungen in mancher Rich¬ 
tung gedämpft werden, dennoch hat die Widalreaktion in 
praktischer Beziehung vollauf ihren Wert behalten und gerade 
durch die vielen Anfeindungen und Versuche, ihre spezifische 
Bedeutung zu erschüttern, sind ihre Grenzen erst recht er¬ 
kannt und damit ihr Wert gesichert worden. 

Im Juni 1896 veröffentlichte Widal seine ersten exakten 
Beobachtungen über die spezifische Agglutination bei Tvphus- 
kranken und gab damit den Anstoß zu einem allgemeinen 
Studium der Agglutinationsphänomene, ein Aetmliches geschah, 
als im Mai 1906 Wassermann, Neißer und Bruck in der 
D. M. W. 19 über eine „Serodiagnostische Reaktion bei Syphilis“ 
berichteten. 

Die Erforschung der Syphilis ist ja bekanntlich durch die 
Entdeckung der Spirochaeta pallida durch Scliaudinn und 
Hoffmann in ein neues Stadium getreten; von allen Seiten 
wurde energischst gearbeitet und unser Wissen über das Wesen 
der Syphilis bedeutend gefördert; heute steht hei weitem die 
Mehrzahl der Autoren auf dem Standpunkt, daß die Syphilis 
durch die „Pallida 1- bedingt ward, wenngleich dabei noch 
manches dunkel und unaufgeklärt bleibt — aber wie dem auch 
sei, bei dem zur Zeit praktisch wichtigsten Ergebnis der 
Syphilisstudien — der serologischen Syphilisdiagnose — hat die 
S ch au di nn sehe Entdeckung nur den äußeren Anlaß gegeben, 
die Untersuchungen selbst sind ganz unabhängig von der ätio¬ 
logischen Bedeutung der Sp. pallida durchgeführt, ihr Wert 
oder Unwert bleibt auch' ohne dieselbe bestehen. 

Für das Verständnis der serologischen Syphilisdiagnose. wie 
sie heute geübt wird, ist folgendes zu beachten. Spritzt man einem 
Kaninchen unter den nötigen Kautelen wiederholt in be¬ 
stimmten Zeiträumen Hammelblutköiperehen in die Blutbahn, 
so bildet das Kaninchen in seinem Blutserum einen Stoff, Hämolysin 
genannt, der imstande ist, im Reagenzglas Hammelblutkörper¬ 
chen . welche in physiologischer Kochsalzlösung sich befinden, 
aufzulösen. Diese Blutauflösung kann man im Reagenzglas 
mir unbewaffnetem Auge erkennen, denn wenn in physio¬ 
logischer Kochsalzlösung aufgeschwemmte rote Hammelblut¬ 
körperchen durch ein Hämolysin aufgelöst werden, so geben 
die Blutkörperchen ihren roten Farbstoff ab, die Lösung 
wild lackfärben und bleibt dauernd rot, während nicht gelöste, 
in Kochsalzlösung aufgeschwemmte Blutkörperchen mit dem in 
ihnen festgehaltenen roten Farbstoff allmählich zu Boden sinken, 
wodurch die nur als Suspension rot erscheinende Lösung sich 
klärt und farblos ward. 

Die Blutauflösung im erwähnten Reagenzglas versuch tritt 
nur ein, wenn das wirksame Kaninchenserum frisch ist, denn 
für das Zustandekommen ist neben dem Hämolysin ein leicht 
vergänglicher Stoff des normalen Blutserums notwendig, der 
schon bei Erhitzen auf 56°, aber auch bei längerem Stehen¬ 
lassen zerfällt. Diesen empfindlichen Körper, den wir chemisch 
nicht kennen und den wir nur aus seinem biologischen Ver¬ 
halten diagnostizieren, nennen wir Komplement. .Jeder Vor¬ 
gang bei dem Versuch mit der Blutkörperchenaufschwemmung, 
welcher das Komplement vernichtet, hindert auch die Blutauf¬ 
lösung im Reagenzglas. 

Wassermann und seine Mitarbeiter fanden nun, daß 


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64 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr.' M. ; 


sich im Extrakt ans der Leber von syphilitischen Foeten ein 
Körper befindet, welcher mit Stoffen, die bis jetzt nur in den 
Körpersäften von syphiliskranken Menschen nachgewiesen 
werden konnten, eine Verbindung eingeht. Findet die Ver¬ 
bindung dieser beiden Stoffe in Gegenwart von Komplement 
statt, so wird dabei das Komplement verbraucht, und eine 
Blutauflösung unter Mithilfe desselben kann nicht mehr statt¬ 
finden. Komplement ist, wie erwähnt, ein Bestandteil des 
normalen Blutserums der verschiedensten Tiere, und, man kann 
ein durch Komplementvernichtung unwirksam gemachtes blut- 
auflösendes Kaninchenserum dadurch wieder wirksam machen, 
daß z. B. frisches Meerschweinchenserum zugesetzt wird. 

Zur serologischen Syphilisdiagnose bedarf man nun folgender 
Lösungen: 1. Kaninchenserum, welches die Eigenschaft hat, 
Hammelblutkörperchen aufzulösen; 2. Extrakt aus der Leber eines 
syphilitischen Foetus; 3. Hammelblutkörperchen in physiologi¬ 
scher Kochsalzlösung; 4. Serum des syphilisverdächtigen Men¬ 
schen. Aus diesen Lösungen wird vorher das vorhandene 
natürliche Komplement entfernt*), denn auf das Verhalten 
dieses Körpers kommt es bei der Reaktion besonders an, und 
er wird deshalb gesondert für sich durch Zusatz von frischem 
Meerschweinchenserum hinzugefügt. Man geht nun folgender¬ 
maßen vor: Bestimmte Mengen von a) Leberextrakt, b) Serum 
des syphilisverdächtigeD Menschen und c) frisches Meer¬ 
schweinchenserumwerden zusammengegossen und bleiben einige 
Zeit stehen. 

War das verdächtige Serum b) von einem Syphilitiker, so 
sind die obenerwähnten Stoffe vorhanden, welche mit Be¬ 
standteilen des Leberextraktes a) Verbindungen eingehen und 
dabei das Komplement des Meerschweinchenserums verbrauchen; 
bringe ich jetzt Hammelblutkörperchen und komplementfreies 
hämolytisches Kaninchenserum hinzu, so kann das Kaninchen¬ 
serum die Hammelblutkörperchen nicht auflösen, denn dazu 
ist ja Komplement notwendig: die Blutkörperchen bleiben un¬ 
aufgelöst, sinken zu Boden, die Lösung bleibt klar = Reaktion 
positiv. War das Serum b) von einem nichtsyphilitischen 
Menschen, so tritt keine Verbindung mit dem Leberextrakt a) 
ein; infolgedessen bleibt das Komplement des Meerschwein¬ 
chenserums erhalten, und bringt man jetzt Hammelblutkörper¬ 
chen und komplementfreies hämolysinhaltiges Kaninchenserum 
in die Lösung, so wirkt das Kaninchenserum in Gemeinschaft mit 
dem erhaltenen Komplement auflösend auf die Blutkörperchen, 
die ganze Lösung wird lackfarben, rot, klärt sich also nicht 
= Reaktion negativ. 

Die serologische Syphilisdiagnose ist demnach schon in 
ihrer einfachen Ausführung mit einwandsfreien Materialien 
außerordentlich kompliziert; dazu kommt noch, daß die ein¬ 
zelnen zur Reaktion nötigen Stoffe durchaus nicht leicht zu 
gewinnen sind und einer ständigen, sorgfältigen Kontrolle be¬ 
dürfen, damit keine Täuschungen unterlaufen. Die Untersuch¬ 
ung kann deswegen nur von Fachleuten in guteingerichteten 
Laboratorien ausgeführt werden. Bisher sind in einwandsfreier 
Weise eine große Reihe serologischer Syphilisdiagnosen (etwa 
1500) vorgenommen worden, mit dem gleichlautenden Resul¬ 
tate, daß es in ungefähr 85% gelingt, bei Syphilitikern der ver¬ 
schiedensten Stadien eine positive Reaktion zu erhalten, während 
bisher noch in keinem einzigen Falle von Nicht-Syphilis des 
Menschen eine positive Reaktion erzielt wurde. An kritischen, 
gegnerischen Nachuntersuchungen fehlt es natürlich auch nicht, 
aber diese haben bis jetzt, so weit sich überschauen läßt, nur 
zu Meinungsverschiedenheiten bez. der Deutung der Reaktion 
geführt, ohne den praktischen Wert derselben in Frage zu 
stellen. 

Der Umstand, daß die serologische Untersuchung nur an 
bestimmten Orten ausgeführt werden kann, hat, für uns in 
Deutschland wenigstens, glücklicherweise keine Bedeutung, 
denn fast überall stehen den Aerzten bei uns Untersuchungs¬ 
ämter zur Verfügung, in denen unentgeltlich derartige Unter¬ 
suchungen sachgemäß ausgeführt werden; es ist nur zu wün¬ 
schen, daß diese Aemter von den Aerzten immer mehr in 
Anspruch genommen werden, denn dort können die ver- 

*) Durch Frhitzen auf 56°, wobei alle übrigen in Betracht kommen¬ 
den »Stoffe erhalten bleiben. 


schiedenen Untersuchungen mit einer Genauigkeit und Sicher¬ 
heit ausgeführt werden, wie sie der einzelne Arzt doch nur 
ausnahmsweise und mit vieler Mühe erzielen kann, und je mehr 
der praktische Arzt durch die Tätigkeit der Untersuchungs¬ 
ämter von rein diagnostischen Arbeiten entlastet wird, desto 
mehr kann er seine Arbeitskraft den für ihn viel näher liegenden 
und wichtigeren therapeutischen Maßnahmen zu wenden 
Lite ratur. 

Wassermann, Neißer, Bruck: Deutsche med. Wochenschr, Nr. 19, 
1906. 

Wassermann und Plaut: Deutsche Med., Nr. 44, 1906. 

Neißer, Bruck, Schucht: Deutsche med. Wochenschr., Nr. 48, 1906. 
Wassermann und Mein: Deutsche med. Wochenschr., Nr. 32, 1907. ” 
Fischer und Mein: Deutsche med. Woche, Nr. 52, 1907. 

L. Michaelis: Berl. klin. Wochenschr., Nr. 35, 1907. 

J. Citron: Berlin, klin. Wochenschrift., Nr. 43, 1907. 

Wassermann: Berl. klin. Wochenschr., Nr. 51, 1907. 


Psychiatrie. 

Die Therapie bei Geisteskranken. 

Von Oberarzt Dr. Joh. Bresler, Lublinitz O.-S. 

Spezifische Heilmittel für Geisteskrankheiten sind bisher 
ein frommer Wunsch der Irrenärzte geblieben. Die Behandlung 
im engeren Sinne ist hier Symptombekämpfung, die Erregung 
dasjenige Symptom, welches am meisten zu schaffen macht; 
denn bei seiner künstlichen Niederhaltung beschleicht uns immer 
wieder Zweifel, ob wir nicht der Selbsthilfe des Organismus 
entgegenarbeiten, gerade wie unter Umständen bei Fieber, 
Schweiß, Hyperämie, Entzündung. Auch drängt sich ab und 
zu der Gedanke dazwischen, daß es neben der äußeren Er¬ 
regung, die dem kranken Organismus eine Notwendigkeit der 
Selbsthilfe sein kann und deren Beseitigung am Ende nur 
Schonung der Umgebung erreicht, noch eine innere gibt, näm¬ 
lich diejenige der Hemmungsmechanismen im Nervensystem, 
eine Erregung, die still, stumm und klaglos verläuft, aber 
stärker sein kann, als die Reizung der Bewegung und des 
Sprechapparats, denn sie vermag zur Selbstvernichtung, in 
anderen Fällen zu Atrophie und Kontraktur zu führen. Läge 
dies wenigstens im Einzelfalle klar, so brauchte man sich über die 
Beschränkung auf symptomatische Behandlung nicht zu beklagen; 
aber auch davon sind wir weit entfernt. Es ist also zum Kopfzer¬ 
brechen und genauen Beobachten reichlich Gelegenheit gegeben. 
Und zu Selbsttäuschungen und Enttäuschungen wie in der übrigen 
Medizin auch. Daß sich dabei leicht therapeutischer Pessimis¬ 
mus einschleicht, ist erklärlich, aber das Vorwärtsstreben be¬ 
hielt glücklicherweise noch immer die Oberhand. 

Ich will nun den Leser mit solchen allgemeinen Betracht¬ 
ungen nicht länger verweilen, sondern an den Gegenstand selbst 
herantreten. 

I. 

Die gegenwärtige Irrenanstaltsbehandlung steht im Zeichen 
der Hydrotherapie, und zwar beanspruchen die prolongierten 
warmen Bäder das Hauptinteresse. Sie sind nichts Neues. In 
französischen Irrenanstalten waren sie vor der Mitte des vorigen 
Jahrhunderts im Gebrauch. Warum sie damals nicht weitere 
Verbreitung, ja sogar wieder Einschränkung erfuhren, hat seine 
guten Gründe: 1. erfordert Einrichtung und Betrieb ziemlich 
viel Geld, 2. ist nichts schwieriger als eine richtige Indikations¬ 
stellung, und wer in diesen Bädern ein Allheilmittel für Psy¬ 
chosen sucht, wird bald davon wieder abkommen. Gleichwohl 
bedeutete ihre Einführung in Deutschland vor ca. 15 Jahren 
einen anzweifelhaften Fortschritt, und da heute der Irrenpflege 
mehr Mittel zur Verfügung stehen, auch die Kenntnis der für 
diese Bäderbehandlung geeigneten Zustände doch eine bessere 
ist, so wird diese für immer den wichtigsten Bestandteil der 
Irrenanstaltstherapie bilden. Man kann sich heute eine Irren¬ 
anstalt ohne Einrichtung für prolongierte Bäder ebenso wenig 
denken wie ein chirurgisches Krankenhaus ohne guten Ope¬ 
rationssaal. 

Lassen wir zunächst die mehr pflegemäßige Verwendung 
der prolongierten warmen Bäder b§i chronisch erregten, 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


05 


reißenden, unsauberen Geisteskranken beiseite, bei denen es 
nur auf Erzielung eines hygienischen Zustandes ankommt. Zur 
Herbeiführung von Beruhigung und Schlaf, zur Beseitigung 
oder Linderung von Spannung und Hemmung ist das pro¬ 
longierte waripe Bad bei den verschiedensten Zuständen nütz¬ 
lich. Schwierigkeiten bieten sich der Anwendung eigentlich 
nur, wenn wie bei vereinzelten Melancholischen und halluzina¬ 
torisch Verwirrten eine illusionäre, schreckhafte Deutung der 
Prozedur und des Wassers stattfindet, und bei sehr erregten 
Epileptikern, bei denen jede Berührung eine neue Explosion 
auslöst. Doch braucht erstmaliges Mißlingen nicht von späteren 
Versuchen abzuhalten. Zuweilen macht eine voraufgängige 
Hyoszin-Morphium-Injektion den Kranken für die Behandlung 
traktabler. 

Wie lange ein prolongiertes Bad währen soll, muß die 
Beobachtung der Wirkung im einzelnen Falle lehren; bei' dem 
einen Kranken wird ein 1 j 2 - bis einstündiges Bad den erwünschten 
Erfolg haben, bei anderen werden bis sechs Stunden erforder¬ 
lich sein. Die Temperatur soll 35 0 C betragen. Ob gegenüber 
der Wirkung eines auf sechs bis acht Stunden sich erstreckenden 
Bades bei funktionellen, d. h. ausgleichbaren Verhältnissen im 
Gehirn und in seiner Zirkulation, nicht schließlich der Krank¬ 
heitsprozeß sich das Uebergewicht zu verschaffen vermag, 
scheint der Erwägung wert, um so mehr, als das dem letzteren 
eigene natürliche Schwanken der Erregung in Rechnung zu 
ziehen ist. 

Die Wirkung des warmen Bades auf das Zentralnerven¬ 
system wird auf Grund physikalischer Untersuchungen, die ich 
als bekannt voraussetze, auf eine Verminderung der Gehirn¬ 
hyperämie zurückgeführt. Danach wird im Bade nach einiger 
Zeit auftretende Rötung des Kopfes und. Gesichts als Moment 
gelten müssen, wo das Bad abzgbrechen ist. Diese Hyperämie 
etwa durch Eisblase und kalte Kompressen zu beseitigen, 
erscheint nicht begründet; besonders bei Paralytikern und 
Senilen ist darauf zu achten. 

Es kommt sicherlich aber als nützlicher Effekt auch 
die durch Umspülung des -Körpers bewirkte Ablenkung bei 
vielen Kranken in Betracht. Jedenfalls ist die Einwirkung 
durch prolongierte Bäder auf Geisteskranke der Beruhigung 
durch Medikamente vorzuziehen. 

Die Veränderungen der einzelnen Nervenfunktionen unter 
dem Einfluß des warmen Bades waren Busch und Plaut an 
der psychiatrischen Klinik in München experimentell zu er¬ 
forschen bemüht. Sie untersuchten Blutdruck, Pulszahl, Tem¬ 
peratur, grobe Kraft und den Ablauf der psychischen Vor¬ 
gänge (Wahlreaktionen, Assoziationen, Addieren, Auffassung 
von Gesichtsreizen) bei normalen Personen unter der Ein¬ 
wirkung zweistündiger Bäder von 33 0 an. „Die Versuchs¬ 
personen badeten im ganzen in sechs Versuchsreihen von 
zwanzig und zehn Tagen jeden zweiten Tag zwei Stunden. 
Vor und nach dem Bade wurden die Versuche angestellt; der 
Blutdruck wurde einmal vor dem Bade, dann nach ^stündiger 
Einwirkung desselben und gegen Schluß im Bade gemessen. 
Auf den Badetag folgte ein Normaltag, an welchem eine zwei¬ 
stündige Ruhezeit das Bad vertrat, sonst wurde in ganz 
gleicher Weise gearbeitet. Eine Aenderung der Resultate nach 
dem Bade gegenüber dem Ergebnis vor demselben verglichen 
mit der Differenz vor und nach der Ruhezeit konnte also mit 
größter Wahrscheinlichkeit auf einen Einfluß des Bades bezogen 
werden. Während Puls und Temperatur außer einer unbe¬ 
deutenden Neigung zum Ansteigen keine Bade Wirkung erkennen 
ließen, sank der Blutdruck (gemessen mit dem Gärtnersehen 
Tonometer) beträchtlich. Nach zwei Stunden war er bei den 
drei Versuchspersonen um 27, 16 und 15 mm geringer als vor 
dem Bade, einen noch tieferen Stand aber nahm er nach 
1 U ständigem Bade ein und zwar um 2 bezw. 7 mm. Am Ergo- 
graphen stiegen die Leistungen einer Versuchsperson sowohl 
nach der Ruhe als nach dem Bade etwas an, bei der zweiten 
sanken sie im letzteren Falle, doch war auch hier der Ausfall 
an den verschiedenen Tagen wechselnd, bald wurde nach dem 
Bade mehr, bald weniger geleistet und die Abnahme der Zahl, 
nicht der Höhe der Einzelleistungen auch an den Tagen, die 
eine ungünstige Wirkung des Jßades andeuteten, sprach gegen 


das Bestehen einer Ermüdung des Muskels. Hier sei noch be¬ 
merkt, daß das Gewicht der Versuchspersonen keine Abnahme 
erfuhr, es blieb im Verlauf der Versuchsreihe unverändert oder 
zeigte eine Zunahme von 1 / 2 , 1 und 3 Pfund. Gering waren 
die Veränderungen der Assoziationen und nicht zu einem 
Schlüsse zu verwerten; nicht ungünstig, d. h. nicht im Sinne 
einer Ermüdung beeinflußt, zeigten sich die Wahlreaktionen. 
Die Gesamtarbeit des Addierens, es wurde zweimal fünf Minuten 
gerechnet, mit einer dazwischen liegenden Pause von fünf 
Minuten, nahm durch das Bad verglichen mit der Wirkung der 
Ruhe etwas zu, die Pausenwirkung dagegen beträchtlich ab. 
Da die in der Pausen Wirkung ausgedrückte Erholungsfähigkeit 
der Ermüdbarkeit parallel zu gehen pflegt, darf also eine 
Herabsetzung der letzteren durch das Bad gefolgert werden. 
Als Gesichtsreize für die Auffassungsversuche dienten Täfelchen 
mit neun Buchstaben, die durch einen vorbeipendelnden Spalt 
kurze Zeit sichtbar wurden. Es fand sich auch hier ähnliches 
wie bei den Additionsversuchen. Die Auffassung war nicht 
vermindert, sondern nach dem Bade meist etwas gebessert. 
Objektive Zeichen der Ermüdung ließen sich also auf keinem 
der untersuchten Gebiete nachweisen. Bei alledem war das 
Gefühl der Müdigkeit nach dem Bade durchweg ein beträcht¬ 
liches und hielt mehrere Stunden an. . . So weit vorläufige 
Resultate einen Schluß gestatten, ist es der, daß anscheinend 
das Bad nur Müdigkeit, nicht Ermüdung hervorruft“. . . Der 
Einfluß des warmen Bades beschränkt sich demnach auf die 
Gemeinempfindungen und Gefühle, während nach medikamen¬ 
tösen Schlaf- und Beruhigungsmitteln deutlich objektive Er¬ 
müdungserscheinungen und Herabsetzung der geistigen Leist¬ 
ungsfähigkeit, also eine schädigende Wirksamkeit konstatiert 
worden ist. 

Das Wasserbett, d. h. das über Tage und Wochen 
ausgedehnte, auch nachts nicht unterbrochene Bad (Dauerbad) 
zielt mehr auf Pflege, Hygiene und Entfernung der Möglich¬ 
keit zu Dekubitus und der Gelegenheit zu Schmieren, Zer¬ 
stören, Zerreißen ab. Praktisch ist die Frage des Wasserbettes 
in Irrenanstalten bereits gelöst, da es an den meisten eincre- 
fiihrt ist und mit Erfolg angewandt wird.' Gegenüber Bedenken 
über das Anpassungsvermögen des Körpers an diese Lebens¬ 
weise können wir uns auf die Analogie mit dem Wasserbett 
der Dermatologen berufen, wie es z. B. im Jahre 1883 in dem 
Wiener klinischen Jahrbuch beschrieben wurde. Kaposi hat 
Kranke mit Pemphigus foliazeus, Karies der Wirbelsäule bis 
drei Jahre Tag und Nacht, ohne Unterbrechung, mit Erfolg 
und ohne Störung der Ernährung und der Organfunktionen im 
Wasserbett behandelt. Bei Geisteskranken mit unversehrtei 
Hautdecke wird also noch weniger zu riskieren sein. Uebrigens 
kommen für das Wasserbett nur ganz schwierige Ausnahme¬ 
fälle in Betracht. 

Als neuester Fortschritt in der Anstaltshydrotherapie ist 
die Aufstellung der Badewannen für prolongierte Bäder im 
Freien zu verzeichnen. In der Leipziger städtischen Heil¬ 
anstalt Dösen und in der Prov.-Heil- und Pflegeanstalt in 
Göttin gen hat man im letzten Sommer angefangen, Kranke 
die Bäder im Garten nehmen zu lassen. 

Recht viele Kranke eignen sich zur Behandlung mit feucht- 
warmer Packung, und wo die Einrichtung der prolongierten 
Bäder nicht ausreicht, empfiehlt sich sehr deren Anwendung. 
Bei solchen Kranken, bei denen diese Prozedur nur unter Ge¬ 
walt und mit zwangsmäßiger Befestigung der Umwicklung 
möglich wäre, ist jedoch davon Abstand zu nehmen. Länget 
als zwei Stunden soll die Packung nicht ausgedehnt werden; 
Ueberwachung des Pulses, Verhütung von Kopfkongestion ist 
natürlich nötig. 

n. 

Die medikamentöse Behandlung der psychischen Er¬ 
regungszuständesoll zwar nach Möglichkeit eingeschränkt werden, 
sie ist aber ebenso wenig entbehrlich wie etwa die Narkose in der 
Chirurgie. Es gibt eben — das läßt sich nicht wegleugnen — 
Situationen, in denen es heißtI handeln, in denen man nicht 
die vielleicht beruhigende Wirkung des prolongierten Bades 
unter Festhaltung des Kranken durch kräftige Pflegerhände 
— wenn man über solche in genügender Zahl verfügt! — ab- 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 



warten kami, indem man eine Stunde lang oder noch länger 
zusieht, wie der Kranke mit dem Personal auf Tod und Leben 
ringt. Der Arzt ist auch für Verletzungen und Unfälle, die in 
solcher Situation passieren, mitverantwortlich. Da ist nun die 
Sfeopolamin-Morphin-Injektion am Platze; man gibt 0,001 
Skopolamin (0,01:10,0) und Morph, muriat. 0,025; manchmal 
genügt auch 0,0005 Skopolamin und Morph, muriat. 0,020. Der 
Kranke verfällt nach ca. zehn Minuten in einen drei- bis fünf¬ 
stündigen narkotischen Schlaf mit ruhigem Puls und ruhiger, 
gleichmäßiger Atmung. Die Beruhigung dauert nach dem Er¬ 
wachen gewöhnlich längere Zeit fort oder die Erregung ist 
geringer geworden. Man kann diese Injektion bis dreimal in 
24 Stunden wiederholen. Sie ist namentlich bei furibunden 
Erregungszuständen Epileptischer zu empfehlen, dann überhaupt 
bei allen Gelegenheiten, wo ein Abwarten — etwa bis zur 
Fertigstellung eines Bades, einer Packung etc. — Gefahr für 
die Umgebung bedingen würde. Für den praktischen Arzt, 
der zu einem furibunden Geisteskranken gerufen wird, ist die 
Skopolamin-Morphin-Narkose jedenfalls das sicherste und be¬ 
quemste Mittel, Rat zu schaffen. Es kann auch Vorkommen, 
daß eine Chloroformnarkose die einzige Rettung ist. 

Zum Gebrauch in der Praxis empfiehlt sich sehr die Ver¬ 
wendung der von der Firma Riedel unter dem gesetzlich ge¬ 
schützten Namen „Skopomorphin“ in den Handel ge¬ 
brachten Lösung von Skopolamin und Morphin in zuge¬ 
schmolzenen und sterilisierten Ampullen (Skopolamin, hydrobrom. 
„Riedel“ 0,0012, Morphin, hydrochlor. 0,08, Aquae dest. ad 
2 ccm). Eine Injektion von 3 / 4 des Inhalts einer Ampulle dürfte 
bei sonst kräftigen Patienten kaum je erfolglos sein. Herz und 
Gefäßsystem ist natürlich zu berücksichtigen; bei senilen Er¬ 
regten wird Vs bis V 2 Tube genügen. 

Die Zahl der per os einbringbaren Schlaf- und Beruhigungs¬ 
mittel ist eine beträchtliche und wächst von Jahr zu Jahr. Die 
Arzneimittelindustrie sucht immer Vollkommeneres zu bieten. 
Gar manches Schlafmittel ist bereits wieder in Vergessenheit 
geraten; andere wie Ohloralhydrat, Paraldehyd und Trional 
haben ihren Platz behauptet, namentlich Paraldehyd hat sich 
als ein auch bei länger fortgesetzter Darreichung harmloses 
Mittel immer mehr erwiesen. Trional sollte nur fallweise, nicht 
mehrere Tage hintereinander, gegeben werden, da recht schnell 
Vergiftungserscheinungen auftreten, dasselbe gilt vom Chloral- 
hydrat. Alkohol sollte man aus prinzipiellen sozialhygienischen 
Gründen nie als Schlafmittel ärztlich verordnen, obgleich 
er allabendlich von Millionen Menschen zur Herbeiführung oder 
bis zum Eintritt der nötigen „Bettschwere“ genossen wird. 

Das Veronal, welches sich einige Jahre trotz mehrfach 
beobachteter übler Neben- und Nachwirkungen und trotz seines 
hohen Preises im Gebrauch zu halten vermochte, wird seit 
einiger Zeit durch die nicht unerheblich billigere, dem Ve¬ 
ronal chemisch genau identische^ Diäthylbar bitursäure 
„Höchst“ *) in den Hintergrund gedrängt. Man gibt 0,5 bis 
1,5 Acid. diaethylbarbituric. in warmer Milch gelöst. Die 
Autoren, welche über Acid. diaethylbarbituric. berichten, haben 
unangenehme Nebenerscheinungen nicht beobachtet. Trotz 
wochenlanger unausgesetzter Darreichung traten in nur ganz 
vereinzelten Fällen Exantheme auf. (Fortsetzung - folgt.) 

') Diäthylbarbitursäure statt Veronal. Von Dr. H. Schmidt, Irren¬ 
anstalt Dalldorf Psychiatr.-Neurolog. Wochensehr. 1907, Nr. 29. Referat 
s. diese Nummer, pag. 70. 


Balneologie. 

Referent: Dr. Max Hirsch., Bad Kudowa. 

Der Schlesische Bädertag, der durch die Erörterung medizini¬ 
scher und verwaltungstechnischer Fragen eine große Bedeutung 
für die schlesischen Bäder gewonnen hat, tagte zum 36, Male am 
17. Dezember 1907 in Breslau. 

Die medizinischen Themata waren zumeist therapeutischen 
Inhalts. Der Vortrag von Beerwald-Altheide: „Zur Behand¬ 
lung der Chlorose“ gab neue eigenartige Gesichtspunkte zum Aus¬ 
druck, die zum größten Teil die Zustimmung der Zuhörer fanden, 


z. T. aber nicht unwidersprochen blieben. Unbestritten blieb die 
Angabe, Chlorotische nach Möglichkeit mit warmen Prozeduren 
zu behandeln, namentlich, mit warmen Waschungen, aber heiße 
Bäder als zu anstrengend zu unterlassen. Ebenso daß trotz der 
Anerkennung des therapeutischen Effekts von Eisen und Arsen 
doch die physikalischen und diätetischen Heilmethoden den medi¬ 
kamentösen überlegen seien. Die Angabe, kohlensaure Wässer 
kalt trinken zu lassen, wurde in der Diskussion von Hirsch- 
Kudowa bestritten, weil der Ueberschuß der Kohlensäure, die 
durch die Anwärmung zum großen Teil entfernt würde, sowie die 
Kälte den Magen belästigen könnten. Desgleichen wurde von 
demselben die Entziehung von Flüssigkeit nicht in allen Fällen 
empfohlen, sondern nur bei den pastösen, nicht aber bei den 
mageren Patienten. Determeyer-Salzbrunn betonte zu diesem 
Vortrag das häufige Zusammentreffen der Chlorose mit der habi¬ 
tuellen Obstipation, die vielleicht als Ursache der Blutarmut in 
vielen Fällen anzusehen sei. Aus diesem Grunde sollte auch mehr 
darauf gesehen werden, daß die weibliche Jugend dazu erzogen 
würde, sich an regelmäßige Stuhlentleerung zu gewöhnen. 

Jacob-Kudowa kam in seinem Vortrage: „Irrtümer und 
Grundlagen der physikalischen Behandlung Herzkranker“ auf alte 
Prioritätsfragen zurück und betonte noch einmal, was man ihm 
doch endlich zugestehen soll, daß er der erste gewesen sei, der 
mit dem Vorurteile, daß Herzkranke nicht baden dürften, ge¬ 
brochen habe, und daß Herzkranke zuerst in Kudowa auf seine 
Veranlassung kohlensaure Bäder genommen hätten. Dann unter¬ 
zog er die gymnastischen Uebnngen in der Herztherapie einer 
scharfen Kritik. Er hielt sie nicht für geeignete Behandlungs¬ 
methoden, da sie das Herz belasteten, das doch einer Schonung, 
einer Entlastung bedürfe, also des Einflusses, den man mit kohlen¬ 
sauren Bädern am besten erzielen könne. 

Ebenso scharf war die Kritik, die Jaeob-Kudowa in seinem 
zweiten Vor trage: „Was bedeutet das Wannenstrombad überhaupt 
und besonders für die schlesischen Bäder?“ Er spricht dem 
Wannenstrombad jede physiologische Wirkung ab und empfiehlt 
seine Einführung nicht. 

Die diätetische Therapie war nur durch den Vortrag von 
Hirsch-Kudowa vertreten, der „Die Ernährung der Herzkranken 
in den Bädern“ besprach. Zunächst gab er seinem Bedauern 
über die Tatsache Ausdruck, daß mau der Ernährung des Herz¬ 
kranken nicht genug Aufmerksamkeit schenkte, wiewohl man 
durch rationelle Diät dem Herzkranken viel nützen könnte. Von 
den Herzkranken, die in die Bäder reisen, sind die meisten mit 
chronischem Leiden behaftet. Vortragender zieht eine scharfe 
Grenze, soweit sie sich bei Innehaltung der Individualisierung 
ziehen läßt, zwischen Herzkranken mit erhaltener und mit ge¬ 
störter Kompensation. Bei den ersteren sollte man die Toleranz¬ 
grenze für Nahrung und Getränke festsetzen und sie danach er¬ 
nähren, ohne ihnen zuviel unnütze Beschränkungen aufzuerlegen, 
da sie durch ihre Krankheit schon genug Beschwerden hätten. 
Hinsichtlich der Genußmittel empfiehlt^,er nicht allzugroße Strenge 
Vor allem warnt er vor dem kritiklosen Verbot von Alkohol und 
seinem gewöhnlichen Ersatz durch kohlensaure Wässer, die im all¬ 
gemeinen schädlicher sind als der Alkohol, da sie den Magen 
auftreiben und dadurch auf das Herz drücken. An Stelle des ge¬ 
wöhnlichen Kaffees empfiehlt er den koffeinfreien Kaffee, der den 
Geschmack des gewöhnlichen Kaffees habe, aber frei von dem 
schädlichen Koffein sei. Bei den ^Herzkranken mit gestörter 
Kompensation ist die Ernährung sorgfältig auszuwählen und darauf 
zu achten, daß der Kranke genügend Nahrung erhält. Die Auf¬ 
forderung an die Aerzte, der Diät in der Behandlung der Herz¬ 
kranken eine größere Aufmerksamkeit zu schenken, wird hoffent¬ 
lich ebenso auf fruchtbaren Boden fallen, wie seine Bitte an die 
Badeverwaltungen, die Aerzte in diesem Bestreben, wo es geht, 
nach Kräften zu unterstützen. 

Witte-Kudowa schilderte „Warme, beruhigende und auf¬ 
regende Bäder“ und betonte vor allem den Hauptgrundsatz der 
Therapie, individuell vorzugehen, den Indifferenzpunkt für die 
Bäder in jedem einzelnen Falle festzusetzen und sich bei Schwer¬ 
kranken von diesem Punkt nicht zu sehr zu entfernen. Dann 
hält er es auch für wichtig, im Anfänge der Kur die Bäder nicht 
zu lange auszudehnen. 

SJiebel t-Flinsberg machte dep Unterschied zwischen ^Künsfr 


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KoWensäurebä^leni“ zum Gegenstand seiner 
Bespreoliung. Er liebt hervor, daß die natürlichen Bäder den 
feftzug hätten, ihre Kohlensäure langsam und regelmäßig abzu¬ 
geben. Das sei in den künstlichen Bädern bisher nicht gelungen. 
Die besten künstlichen Kohlensäurebäder sind' die, welche aus 
Wasser und Kohlensäure unter starkem Druck hergestellt würden; 
die, aus Chemikalien hergestellten enthielten Salze im Bade, deren 
Wert und Wirkung nicht immer festzustellen sei. 

9 Für Badeverwaltungen dürfte der Vortrag von Hirsch- 
Kudowa: „Die Luftbäder und ihre Bedeutung für die Kurorte“ 
Von großem Interesse sein, zumal ihre Anlage, wie Vortr. aus¬ 
führte, einfach und mit geringen Kosten verbunden sei, während 
sie sich einer großen Beliebtheit erfreuen und einen guten Heil¬ 
faktor in den Bädern bildeten. Ihren physiologischen und thera¬ 
peutischen Wirkungen sucht Vortr. gerecht zu werden, ohne sich 
jedoch auf den Standpunkt der Fanatiker zu stellen. 

Kl ose-Altheide sprach „Ueber Winterkurorte in den schlesi¬ 
schen Bädern“. Zunächst zeigt er, daß trotz der Widersprüche 
sich doch eine Reihe von schlesischen Badeorten mit Winterkuren 
befasse. Grundbedingung sei freilich das Vorhandensein gut ein¬ 
gerichteter Kurhäuser oder Sanatorien. Wo diese aber vorhanden 
wären, sollte man mit der Einführung „der Winterkuren nicht zu 
lange zögern, da das Klima Schlesiens Winterkuren ebenso ge¬ 
statte, wie das anderer Bezirke. 

Ein wichtiges Kapitel aus dem Gebiet der Wohnungshygiene, 
das nicht oft genug auf die Tagesordnung kommen kann, um¬ 
faßte der Vortrag von Beerwald-Altheide: „Ueber Betten im 
Badeorte“. Er rügte den Mißbrauch, der sich auch in Nord¬ 
deutschland immer mehr einbürgere, die Bettdecken nicht voll¬ 
ständig mit Wäsche einzuschlagen. Es sei doch nicht angenehm 
und hygienisch doch nicht unbedenklich, daß die Hände auf 
einer Decke lägen, die von Wäsche nur etwas bedeckt sei und 
aüf der den Tag vorher andere Hände gelegen hätten. Dann 
betont er, daß es ihm aufgefallen sei, daß in Badeorten die Betten 
oft zu kalt waren, namentlich unter dem Laken. Das würde 
von vielen Kranken unangenehm empfunden. In der Diskussion 
betont Jacob-Kudowa, daß die Kälte davon herrühre, daß die 
Bettwäsche nicht genug getrocknet zur Verwendung gelangte. 
D et er me y er -Salzbrunn verwirft bei dieser Gelegenheit die Un¬ 
sitte, eigene Betten in die Badeorte mitzuschleppen, weil dadurch 
Infektionskrankheiten eingeschleppt werden können. Betten ge¬ 
hörten zu jedem Zimmer und müßten in jedem Falle won den Logier¬ 
hausbesitzern geliefert werden. 

Die beiden Vorträge von Wagner (Chemiker in Salzbrunn) 
verdienen das Interesse der Kurorte. Zunächst sprach er „Ueber 
'selbstregistrierende meteorologische Apparate“ und betonte den 
Wert meteorologischer Beobachtungen für die Kurorte. Besser 
als die übliche dreimalige Ablesung seien die selbstregistrierenden 
Apparate, weil diese alle Zeitpunkte berücksichtigten und keine 
Intervalle ließen. Redner erklärte das Prinzip des Thermographen, 
Barographen, Hygrographen, Pluviographen und zeigte sodann 
einige Sonnenscheinautographen sowie Instrumente zur Aufzeich¬ 
nung von Windgeschwindigkeit, Windrichtung und Winddruck. 

In seinem zweiten Vortrag bespricht Redner den Wert der 
,,balneologischen Laboratorien“, die in erster Reihe dazu bestimmt 
sind, die Lebensäußerungen der Quellen zu beobachten, ihre Zu¬ 
sammensetzung zu kontrollieren und ihre Wirkung auf den 
menschlichen Organismus zu studieren. Daneben kommen noch 
andere Ziele in Betracht, wie hygienische Arbeiten etc. Er em¬ 
pfiehlt, balneologische Beobachtungen anzustellen, und gibt zu 
diesem Zwecke verschiedene Winke, wie sich auch in kleinen 
Badeorten eine exakte Quellenbeobachtung ermöglichen lasse. Das 
Interesse der Quellenbeobachtung sei nicht nur ein wissenschaft¬ 
liches, sondern auch ein praktisches, da man durch sie jederzeit 
über den Wert der Mineralquellen orientiert sei. Redner hofft, 
daß die Quellenbeobachtungen von selbst dazu führen würden, in 
allen Kurorten balneologische Laboratorien zu gründen. 

Siebelt-Flinsberg bespricht den „Wert und die Geschäfts¬ 
führung der Gesundheitskommissionen“, welche eine große Bedeu¬ 
tung für die Badeorte gewinnen können, da sie die hygienischen 
und sanitären Verhältnisse in den Badeorten zu regeln haben. 
Trotz mancher Widersprüche haben sich die Gesundheitskom¬ 
missionen gut eingeführt. Vor allem müsse die Geschäftsführung 


eine ruhige und sachliche sein, um auch die Bevölkerung sich an 
die Neuerung gewöhnen zu lassen. In der Diskussion wird der 
Wert der Gesundheitskommissionen allgemein anerkannt. Regie¬ 
rungsmedizinalrat Telke-Breslau empfiehlt, die Kommunen zu 
den Beratungen der Gesundheitskommissionen mehr heranzuziehen, 
damit ihre Bedeutung populärer werde. 

Einige andere Themata entbehren vollständig des medizini¬ 
schen Interesses. Zum Schluß erfolgt durch Nits che-Salzbrunn 
die Einladung der Balneologischen Gesellschaft an den Schlesischen 
Bädertag, an ihrem vom 5. bis 9. März 1908 in Breslau tagenden 
Kongreß teilzunehmen, besonders an der Enthüllung des Denk¬ 
mals von Hermann Brehmer, der lange Jahre dem schlesischen 
Bädertage angehört hatte. 


Kinderheilkunde. 

Referent: Privatdozent Dr. J. Ibrahim, München. 

1. Die Chorea minor, der Veitstanz (Sydenhamsche Chorea, 
Chorea infektiosa. Von F. Sieg er t. Würzburger Abhandlungen, 
1907, VIII, Heft 2. 

2. Ein Beitrag zur Frage der Bazillenträger bei Diphtherie. 

Von Hasenknopf und Rothe. Jahrb. f. Kinderheilk., 1907, 
Bd. 66, Heft 4. 

3. Dauerresultate bei operativer und konservativer Behand¬ 
lung der Peritonitis tuberkulosa im Kindesalter. Von H. Schmid. 
Ibidem. 

1. Siegert erblickt das Wesen der Chorea in einer Infektion 
mit toxischer Schädigung des Zentralnervensystems; eine einheit¬ 
liche bakteriologische Aetiologie könne es daher nicht geben, da 
alle septischen Infektionen zu toxischer Schädigung des Zentral¬ 
nervensystems führen können (Staphylokokken, Streptokokken, 
Diplokokken). Die im Anschluß an ein psychisches Trauma sich 
entwickelnden Fälle verweist er in das Gebiet der Pseudochorea 
hysterica. 

Die Therapie muß in erster Linie auf eine Stärkung des all¬ 
gemeinen Körperzustandes ausgehen, in zweiter Linie die be¬ 
stehenden Reizzustände zu mildern versuchen. Zur Erreichung 
dieser Ziele empfiehlt Verf. unter allen Umständen absolute Bett¬ 
ruhe von Anfang an, auch in leichtesten Fällen. Ferner neben 
Narkotizis besonders warme Bäder oder protrahierte Kohlensaure- 
bäder. Reizlose und reichliche Ernährung bei Einschränkung der 
Milch- und Eiweißmengen und in schweren Fällen die übliche 
Arsentherapie eventuell mit Brom kombiniert ergänzen den Be¬ 
handlungsplan. 

Salizylpräparate sind nur bei begleitender Arthritis rheumatika 
am Platz, Antipyrin ist in einigen Fällen von Wert, während die 
elektrische Behandlung wie auch suggestive Therapie bei der echten 
Chorea zwecklos ist. 

2. Daß man durch systematische Immunisierung mittels pro¬ 
phylaktischer Diphtherieheilseruminjektionen in geschlossenen An¬ 
stalten der schwersten Epidemien Herr zu werden vermag, ist 
eine vielfach praktisch erprobte Tatsache. Die interessante Mit¬ 
teilung der Verff. beweist, daß auch andere Wege zu diesem 
Ziele führen können, die man sonst vielfach ohne Erfolg be¬ 
schritten hatte, nämlich die frühzeitige, auf Grund der klinischen 
und bakteriologischen Diagnose erfolgte und bis zum Ver¬ 
schwinden der Diphtheriebazillen fortgesetzte Iso¬ 
lierung der bazillentragenden Kranken bezw. Genesenden, beson¬ 
ders da, wo Kinder der Ansteckung durch die Genesenden aus¬ 
gesetzt sind. Von besonderem Interesse ist auch die Tatsache, 
daß Diphtheriebazillen sich bei keinem der 177 gesund gebliebenen 
Kadetten nachweisen ließen. 

Die von den Verff. angewandte Methode dürfte nach des 
Ref. Ansicht speziell nur da möglich sein, wo die Epidemie mit 
einigen sporadischen Einzelfällen einsetzt, und wo man wirklich 
in der Lage ist, eine Isolierung der von der Erkrankung Ge¬ 
nesenen so lange streng durchzuführen, bis die Bazillen ge¬ 
schwunden sind. Im vorliegenden Falle war dieser Zeitpunkt erst 
nach mehr als drei Monaten erreicht; auch erhellt aus den Beob¬ 
achtungen der Verff., daß ein negativer Ausfall der Kultur nicht 
ohne weiteres verwertbar ist, da mehrmals die Kultur am nächst- 


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folgenden Tage, einmal sogar nach 14 Tagen wieder positiv aus¬ 
fiel. Es wird also im allgemeinen die prophylaktische Impfung 
aller gefährdeten Kinder mit Diphtherieheilserum die einfachere 
und sichrere Methode bleiben, namentlich überall da, wo die 
äußeren Verhältnisse eine bakteriologische Kontrolle in dem Um¬ 
fang, wie sie von den Verff. geübt wurde, nicht gestatten. Daß 
gesunde Bazillenträger von den Verff. nicht gefunden wurden, ist 
wohl durch die frühzeitigen Isolierungsmaßregeln zu erklären; 
daß solche aber Vorkommen und bei der Verbreitung von Epi¬ 
demien eine erhebliche Rolle spielen können, dürfte wohl nicht in 
Frage stehen. 

3. Die sorgfältige Studie berichtet über 42 Fälle. Die Mit¬ 
teilungen über die Heilungserfolge sind um so wertvoller, als die 
Heilungsdauer in 18 Fällen länger als vier Jahre betrug, 10 mal 
sogar 10 Jahre überschritt. 

Ueber die Frage der operativen oder konservativen Therapie 
spricht sich Verf. folgendermaßen aus: 

„Von den 19 Fällen, in denen die Laparotomie ausgeführt 
wurde, sind 11 Patienten drei Jahre und länger geheilt (57,8%), 
ein Fall weniger als zwei Jahre (5,3%); die Adresse eines Pa¬ 
tienten war nicht zu erlangen (5,3%), 6 Patienten sind gestorben 
(31,6%). — Von den 22 nicht operierten sind 12 Patienten 
dauernd (länger als drei Jahre) geheilt (54,6%), einer weniger 
als zwei Jahre (4,5%), einer mit unbekannter Adresse (4,5%), 
8 endeten letal (36,4%). Will man diese Zahlen vergleichen 
untereinander, so müssen noch folgende Punkte berücksichtigt werden. 
Unter den 11 geheilten Operierten gehören 8 dem leichtesten 
ersten Stadium der Krankheit an. Daß dieses für die Operation 
die günstigsten Chancen bietet, wird von allen Autoren anerkannt 
und darf nicht wundern, wenn man bedenkt, daß diese Fälle 
überhaupt prognostisch die günstigsten sind. Von den sechs ge¬ 
storbenen Laparotomierten gehören zwei zu dieser Form. Ferner 
muß betont werden, daß vier unter den sechs Gestorbenen an 
Komplikationen zu Grunde gingen (Miliartuberkulose, Meningitis, 
Ileus, perforiertes Ulkus). Andererseits ist beim Vergleich mit 
den Zahlen der konservativ behandelten Fälle zu berücksichtigen, 
daß unter diesen mehr schwere Fälle sind wie unter den operierten 
und besonders solche, die nicht operiert wurden, weil ihr Zustand 
es nicht mehr erlaubte.“ 

Die Resultate des Verf. lassen erkennen, daß eine allgemein 
gültige Indikationsstellung zur Operation zur Zeit sich nicht 
formulieren läßt, daß aber die Prognose der früher vielfach so 
ernst angesehenen Affektion heute als gar nicht so ungünstig gelten 
darf — selbst wenn man, wie Ref., für einige der internen 
Heilungsfälle die Diagnose als nicht ganz sicher festgestellt er¬ 
achten sollte. 


Orthopädische Chirurgie. 

Referent: Spezialarzt Dr. Paul Zander, Berlin. 

1. Die Transplantation betreffend. Von H. Lanz. Zentral¬ 
blatt f. Chirurgie, 1908, Nr. 1. 

2. Zur Faszien- und Hautnaht. Von Paul Sick. Ibidem, 
Nr. 2. 


stellbar ist, kleine seitliche Einschnitte gemacht werden können. 
Dadurch kann der Lappen nach Art einer Ziehharmonika ausge¬ 
zogen werden. Die eine Hälfte genügt alsdann zum Decken der 
zu transplantierenden Stelle, die andere zum Verschluß der Ab¬ 
rasionsstelle. 

2. Bei der Fasziennaht legt Sick die beiden Ränder über¬ 
einander, für die Hautnaht empfiehlt er die Mi che Ische Klammer¬ 
naht. 

3. Tietze hat bei Fußgelenkstuberkulose in ähnlicherWeise 
wie Brodnitz und Kausch in letzter Zeit es getan haben, die 
Wladimirow-Mikuliczsehe Operation modifiziert. - Er hat ein 
Viereck von Weichteilen und Knochenmassen entfernt, von letzteren 
den unteren Teil des Unterschenkels, vom Fuß den Talus, den 
oberen Teil des Kalkaneus und die obere Fläche der Fußwurzel¬ 
knochen. Der Fuß wurde in leichter Spitzfußstellung gestellt, so 
daß — nachdem eine knöcherne Vereinigung stattgefunden hatte 
— der Patient mit entsprechend erhöhtem Schuh auf der er¬ 
haltenen Fußsohle auftreten konnte. In einem Falle trat wegen 
Verletzung der Dorsalis pedis Gangrän ein, die zu einer Ampu¬ 
tation nötigte. 

4. Herz hat zur Entfernung des luxierten Kniegelenks¬ 
meniskus einen seitlichen, horizontalen Schnitt angewandt, der 
1 bis 1 1 ji cm distal von der Gelenklinie und parallel mit ihr 
geführt wird und 6 bis 8 cm lang ist. Der Schnitt ermöglicht 
eine leichte Exstirpation des Meniskus und gibt eine genaue Ueber- 
sicht ohne Verletzung der Bänder. Nach vier Tagen beginnt H. 
mit Bewegungen. 

5. Als Ursache für das „Skapularkraclien“ gibt Lotheißen 
abnorme Knochen Vorsprünge an dör Skapula und an den Rippen 
sowie Veränderungen an der Muskulatur und endlich subskapulare 
Schleimbeutelhygrome an. Manchmal ist auch kein bestimmter 
Grund nachzuweisen. L. hat einen Fall operiert, in dem der 
Grund im umgebogenen oberen Skapularrand zu finden war. 
Wichtig ist besonders für die Unfallbegutachtung, ob das Skapular- 
krachen einseitig oder auf beiden Seiten vorkommt. Hierbei 
können auch Röntgenuntersuchungen über abnorm geheilte Rippen¬ 
oder Skapularfraktnren Aufschluß geben. Therapeutisch kommt 
außer fester Bandagierung der Skapula an die Rippen bei Knochen¬ 
verdickungen und event. auch bei Hygromen die operative Ent¬ 
fernung in Betracht. 

6. Brassert beschreibt einen Fall von Spätläsion des Nervus 
ulnaris. Pat. hatte im Jahre 1.875 Scharlach durchgemacht, an 
den sich eine schwere 'eitrige Ellbogenentzündung anschloß, von 
welcher arthritische Veränderungen im Gelenk stammen. Infolge 
dieser Gelenkveränderung muß der Nervenstamm gedrückt oder 
sonstwie in seiner Lage beeinträchtigt sein. 

7. Müller hat in seinem Institut in Kolb erg eine Skoliosen¬ 
schule eingerichtet, in der neben der orthopädischen Behandlung 
auch Unterricht erteilt wird. Er plädiert für weitere Ausgestal¬ 
tung derartiger Internate, da nur dadurch die Skoliosenbehand¬ 
lung nutzbringend sein kann. Im Falle dies nicht durchzuführen 
ist, ist er für ambulante Skoliosensehulen, in denen die Kinder 
den Vormittag mit orthopädischer Behandlung und Unterricht, den 
Nachmittag mit Spielen und Sportübnngen verbringen. 


TfißRAPMfflSCME Rmtt)SCäAÜ. 


3. Zur Diskussion über die orthopädische Fußgelenksresek¬ 
tion, Von A. Tietze. Ibidem, Nr. 1. 

4. Zur Technik der Exstirpation von Kniegelenksmenisken, 
Von M. Herz. Ibidem, Nr. 2. 

5. Ueber Skapularkrachen. Von Lotheißen. Med. Klinik, 
1908, Nr. 2. 

6. Spätläsion des Ulnaris. Von Brassert. Münch, med. 
Wochenschr., 1907, Nr. 53. 

7. Skoliosen-Schulen. Von Müller. Therapie d. Gegen¬ 
wart, Dez. 1907. 

1. Um die Stellen, von denen bei der Thierschschen Trans¬ 
plantation die Läppchen genommen werden, zum rascheren Ver¬ 
heilen zu bringen, hat Lenz verschiedene Versuche gemacht 
(durch Ueberpflanzung von Bruchsäcken, durch Verheilung unter 
dem trockenen Schorf), die aber alle zu keinem Resultat führten. 
Die von ihm jetzt angegebene Methode der „Skarifikation“ beruht 
darauf, daß in einen langen Thierschschen Hautlappen durch einen 
mit vielen kleinen Messern versehenen Stempel, deren Distanz ver¬ 


Krankenpflege. 

Referent: Dr. W. B. Müller, Berlin. 

1. Die Pflichten der Aerzte für die Entwicklung der deutschen 
Krankenpflege. Von Agnes Karll. Zeitschr. für Krankenpfl., 
1907, Nr. 11. 

2. Der Beruf der Krankenpflege und seine ethischen An¬ 
forderungen. Von Max Berg. Zeitschr. f. Krankenpfl., 1907, 
Nr. 11. 

3. Krankenpflege des Roten Kreuzes in der Schweiz. Zeit- 
schr. f. Krankenpfl., 1907, Nr. 11. 

1. Verfasserin wendet sich in dem vorliegenden Artikel zu¬ 
nächst gegen die zu leichtsinnige Untersuchung der Aerzte, welche 
die Tauglichkeit von Kandidatinnen für berufliche Eirankenpflege 
begutachten müssen, indem sie behauptet, daß die Untersuchung 
bisher zu lax gehandhabt worden sei und dadurch unendlich vielen 


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1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


69 


Pflegerinnen, die sich aus körperlichen Gründen nicht eigneten, 
großes Leid widerfahren sei. Es sollen gedruckte Formulare aus¬ 
gestellt werden, deren Fragen der untersuchende Arzt beantworten 
soll. Dadurch hofft Verf. auf eine genauere Untersuchung und 
Zurückweisung der nicht ganz gesunden und kräftigen Frauen. 
Ferner erläutert sie, daß die Pflegerinnen sehr rasch verbraucht 
wurden infolge der Ueberlastung und zu starken Anstrengung. 
Ferner habe man die Berufskrankenpflegerinnen ihren Beruf zu 
jung, mit 18 Jahren schon, anfangen lassen. Es wird den Aerzten 
der Vorwurf gemacht, daß sie die Pflegerinnen zu wenig belehrt 
hätten aus Furcht, sie könnten zu viel lernen' und dem Arzt 
schaden. (Diese Behauptung erscheint mir doch recht naiv, denn 
welcher Arzt wird wohl die Konkurrenz einer Pflegerin fürchten! 
Ref.J Es wird weiter den Aerzten der Vorwurf gemacht, daß 
sie nicht genügend bei der Vorbereitung des Gesetzes der Prüfung 
der Krankenpflegerinnen für die Sache eingetreten sind, da die Zeit 
von einem Jahr zum Erlernen des Vorgeschriebenen zu kurz sei. 
Ferner sollen die Oberinnen einen größeren Einfluß erhalten, und 
ihre Stellung soll gebessert werden. Verf. ermahnt zum Schluß 
nochmals die Aerzte, mitzuwirken an einer Reform der Ausbildung 
beruflicher Krankenpflegerinnen. 

2. Es gibt ein Talent zur Krankenpflege, und zwar beruht 
dasselbe hauptsächlich auf einer meist unbewußten Beobachtungs¬ 
gabe für die Vorgänge, die sich an dem Kranken abspielen. Dies 
Talent kann von Natur aus vorhanden oder erworben und durch 
Uebung entwickelt sein. Die Pflegerin muß den Kranken genau 
beobachten und sich alles merken, was sich in der Zeit, wo der 
Arzt den Kranken nicht gesehen hat, im Befinden des Kranken 
geändert resp. gezeigt hat, um den Arzt bei seinem Besuche 
davon in Kenntnis zu setzen. Ferner muß sie sich Geistes¬ 
gegenwart aneignen, die durch ihre Beobachtungsgabe gebildet 
und entwickelt wird. Zu dem kommt die Selbstbeherrschung als 
nächste Tugend, welche namentlich bei chronisch unheilbaren 
Kranken in Betracht kommt. Ein ruhiges, sicheres und energisches 
Auftreten muß die Krankenpflegerin ebenso wie angeborenes 
Taktgefühl bei der Pflege chronisch Kranker, nervöser Personen 
an den Tag legen, und namentlich bei der Behandlung neura- 
sthenischer oder hysterischer Kranker kommt es viel darauf an, 
daß sie den richtigen Ton im Umgänge mit diesen Personen findet. 
Weiter muß sie nicht vergessen, daß es sich bei Nervenkranken 
nicht um eingebildete Leiden, sondern um wirkliche Krankheiten 
handelt, und sie muß vor allen Dingen Mitgefühl und Mitleid mit 
ihnen zeigen. Dies gilt auch für die Fälle, wo es sich um die 
Pflege von Geschlechtskranken handelt, denen das Publikum 
immer noch mit unverständlichen Vorurteilen begegnet, indem solche 
Kranke als entehrte, mit Schuld und Makel behaftete Personen 
angesehen werden. Dies darf eine Pflegerin nicht, sie muß immer 
nur den Kranken sehen, nicht erwägen, ob die Krankheit irgend 
welchen Rückschluß auf die Moral des betr, Patienten zuläßt. Sie 
muß durch objektiven Standpunkt mitwirken an dem Kampf gegen 
die Geschlechtskrankheiten und nicht durch ihr falsches moralisches 
Empfinden die Kranken abstoßen, was nur bewirken kann, daß 
dieselben den Arzt gar nicht oder zu spät aufsuchen, und doch 
liegt es im Interesse aller, daß der Geschlechtskranke so zeitig 
wie möglich in gute ärztliche Behandlung gelangt, da muß die 
Krankenpflegerin aufklärend im Publikum wirken und den Kranken 
die richtigen Wege weisen, die sie zu betreten haben. Die 
Krankenpflegerin muß stets in jeder Krankheit ein Unglück, das 
unser Mitleid erregen muß, und nicht eine Schande oder Unehre 
erblicken. Ferner soll die Krankenpflegerin nicht auf Dankbar¬ 
keit und Erkenntlichkeit von Seiten des Kranken rechnen, sondern 
ihren höchsten Lohn im Bewußtsein treuer Pflichterfüllung suchen 
und finden, dann würden ihr Enttäuschungen und Kränkungen 
erspart bleiben. Ferner soll die Pflegerin kein Urteil über den 
Verlauf und die Therapie des betr. Leidens fällen, da soll sie 
ungeheuer zurückhaltend und vorsichtig sein und bei den drängenden 
Fragen der Kranken und Angehörigen diese auf den Arzt ver¬ 
weisen. Aber dennoch kann sie über das Leiden sprechen, nur 
mit der nötigen V orsicht, denn die meisten Kranken sprechen sehr 
gern über sich und ihren Zustand. Vor allem soll sie dem Kranken 
nicht unnötig widersprechen. 

3. Es werden vom Roten Kreuz ununterbrochen Kurse zur 
Ausbildung von Hilfskräften für den Krankendienst abgehalten. 


Praktische Aerzte unterstützt von ausgebildeten Pflegerinnen 
halten diese Kurse ab, welche 40 Unterrichtsstunden umfassen. 
Ferner ist zum Zwecke der Ausbildung von Berufspflegerinnen 
eine Rote-Kreuz-Pflegerinnenschule in Bern errichtet, welche 
1899 begründet wurde. Sie ist in zwei großen Gebäuden unter¬ 
gebracht, in dem einen sind Wohnräume, Eß-, Schlaf- und Unter¬ 
richtszimmer, in dem anderen Hause ist eine mit allem modernen 
Komfort eingerichtete Privatklinik untergebracht. Diese Klinik 
liegt auf einer Anhöhe außerhalb der Stadt. Mehrere Aerzte 
wirken als Lehrer. Die Zöglinge werden eingeteilt in Ordentliche 
und Externe, die ersteren verpflichten sich, einen Kursus von zwei 
Jahren durchzumachen, nach Ablauf dessen sie das Diplom einer 
Rote-Kreuzpflegerin erhalten. Die Externen absolvieren nur einen 
halbjährigen Kurs, nach "Verlauf dessen ihnen ein Abgangszeugnis 
ausgestellt wird, das aber absolut nicht einem Diplom gleich¬ 
kommt. Die Ausbildung in der vorzüglich eingerichteten Anstalt 
hat schon eine große Menge von Pflegerinnen geliefert, und die 
Erfolge zeigen, daß alle Einrichtungen vollkommen und zweckent¬ 
sprechend getroffen sind. Eine nähere Erörterung des Ganges der 
Ausbildung wird in dem weiteren Abschnitt der interessanten Ab¬ 
handlung gegeben, die man im Original nachlesen muß, da sie für 
ein kurzes Referat nicht geeignet ist. Einige Abbildungen des 
Operationssaales der Klinik, eines Schulzimmers und des Hauses, 
in welchem die Klinik unter ge bracht ist, veranschaulichen die 
schöne und moderne, dem Zwecke genau angepaßte Einrichtung 
dieses an sich mustergültigen Unternehmens, das alljährlich einen 
sehr starken Zulauf an Schülerinnen wie Kranken aufzuweisen hat. 


Mitteilungen über Arzneimittel. 


Neuere Arzneimittel. 

Cellotropin, ein neueres Tuberkulose-Heilmittel. 

Fabrik: Chemisches Laboratorium Herpf, Sachsen-Meiningen. 
C. Vilmar. Originalpackung 10 g = 2,50 M.; 25 g = 5 M.; 
50 g = 9 M. 

Cellotropin — das Monobenzoylarbutin, ein weißes, kristal¬ 
linisches, leicht aromatisch-bitterlich schmeckendes Pulver, das 
in indifferenten Flüssigkeiten nicht löslich ist — ist ursprüng¬ 
lich als „verbesserter“ Arbutinersatz angewandt worden bei 
Blasen- und Nierenleiden, bei Diabetes etc. Zufällige Beob¬ 
achtungen an Kranken dieser Art, deren Leiden mit Tuber¬ 
kulose oder Skrophulose kompliziert war, haben dann dem 
Präparate die Bahn als Tuberkuloseheilmittel gewiesen, weil 
diese zufälligen Beobachtungen lehrten, daß bei tuberku¬ 
lösen Komplikationen sich das Allgemeinbefinden bei Cello- 
tropingebraucb in einem ganz unverkennbaren Grade zum 
Besseren wandte, weil tuberkulöse Anschwellungen plötzlich 
sich rückzubilden begannen, und weil schließlich gelegentliche 
wiederholte mikroskopische Untersuchungen eine ersichtliche 
Abnahme der Tuberkelbazillen erkennen ließen. 

Dr. med Kopp-Berlin, der in einer Abhandlung in der 
Medizinischen Rundschau Nr. 21, 1904, über elf Fälle von mit 
Cellotropin behandelter Tuberkulose berichtet, kommt zu fol¬ 
gender Schlußäußerung: 

1. Cellotropin hat in Dosen bis zu 5 g pro die keinerlei 
giftige Wirkung auf den gesunden oder kranken menschlichen 
Organismus. 

2. Es hat einen leicht bitteren Geschmack, der jedoch 
durchaus nicht unangenehm ist; das Mittel ist leicht zu 
nehmen. 

3. Die Verdauungsorgane erleiden keinerlei Schädigung 
durch wochenlang fortgesetzte Darreichung von Cellotropin. 

4. Das Mittel wirkt auf die Lungentuberkulose eine spe¬ 
zifische Heilwirkung aus, die sich vor allem in einer direkten 
Einwirkung auf die Tuberkelbazillen äußert, und zwar in der 
Weise, daß die Bazillen allmählich abnehmen an Zahl und 
schließlich ganz verschwinden. Wahrscheinlich beruht diese 
Wirkung darauf, daß das Cellotropin in den Drüsen die En¬ 
zyme und dadurch indirekt auch die Alexine vermehrt. 


Original from 

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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


5. Die spezifische Wirkung tritt meistens schon nach 
Verlauf von einigen Wochen, spätestens nach einem Viertel¬ 
jahr auf. 

6. Sie ist um so mehr zu erwarten, je widerstandsfähiger 
der Körper an sich und je weniger die Krankheit bereits fort¬ 
geschritten ist. 

Auf jeden Fall ist soviel gewiß, daß das Cellotropin eine 
interessante und wichtige Bereicherung unserer Therapie der 
Phthise darstellt; es sind recht zahlreiche Nachuntersuchungen 
dringend erwünscht. 

Als nicht ganz ohne Interesse möchte ich noch erwähnen, 
daß ich Cellotropin auch in einem Falle von Lupus erythema¬ 
tosus gegeben habe, jedoch ohne jeden sichtbaren Erfolg. 

Dr. Wilh. Meithner, der das Cellotropin über Jahres¬ 
frist anwandte, kommt noch zu folgenden ergänzenden An¬ 
gaben (Med. Woche Jahrg. 1906, Nr. 8 und 9): 

Die günstige Einwirkung des Cellotropin wird um so früher 
ersichtlich, je milder die die Erkrankung begleitenden Symp¬ 
tome sich darbieten. Afebrile Spitzenkatarrhe mit geringen 
Dämpfungsherden können in wenigen Monaten der Heilung zu¬ 
geführt werden. Fieberlos verlaufende Infektionen liegen der 
Einwirkung weit günstiger als solche, bei denen Fiebererschein- 
ungen schon bestehen. 

Aber auch schon mit Fiebererscheinungen komplizierte 
Tuberkulosen sind dem günstigen Einflüsse des Cellotropin 
unterworfen, wenngleich erst in längerer Frist. 

Akut verlaufende Infektionen, die rasch zu Gewebszerfall 
und Kavernenbildung führen, beeinflußt Cellotropin anscheinend 
nicht. 

Die Cellotropinwirkung beruht sicher nicht auf primärer 
Appetenzsteigerung und ebensowenig auf schleimlösender oder 
expektorierender Wirkung. 

Somit scheint die Cellotropinwirkung ausschließlich oder 
vorwiegend auf einem für die Tuberkelbazillen deletären Ein¬ 
flüsse zu beruhen, entsprechend auch den Ergebnissen des Tier¬ 
experimentes (Aufrecht - Berlin). 

P. Höckendorf, Großlichterfelde. 


Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. Natrium perboricum. Von Prof. Dr. Arthur Hartmann, 
Berlin. Deutsche med. W., 1907, Nr. 38. 

2. Veronal. Von Dr. Albrecht, Treptow a. R. Die Heil¬ 
kunde, XI. Jahrg., 10. Heft, Oktober 1907. 

3. Diaethylbarbitursäure statt Veronal. Von Dr. H. Schmidt, 
Irrenanstalt Dalldorf. Sonderabdruck aus „Psychiatrisch- Neuro¬ 
logische Wochenschr.“, IX. Jahrg., Nr. 29. 

4. Ueber Argyrol und seine Unverträglichkeit mit einigen 
anderen Mitteln. Von Dr. Demandre, Dijon. Repert. de Pharm., 
1907, p. 482. 

5. Alsol-Creme. Von Dr. Neu. Pester med.-chirurg. Presse, 
1907, Nr. 38. 

6. Maqui-Beeren. Von E. M. Holmes. Apotheker-Zeitung, 
1907, Nr. 95. 

7. Pharmazeutische Prüfungsergebnisse. Von O. Kuhn. 

Medizinische Klinik, 1907, Nr. 48. 

8. Levathin. Von Dr. Zernik. Apotheker - Zeitung, 1907, 
Nr. 97. 

9. Tee Purin. Von O. Kuhn. Ibidem. 

1. Natrium perboricum (Fabrik: E. Merck, Darmstadt) ist 
nach Prof. Dr. Arthur Hart mann, dirig. Arzt der Abteilung für 
Ohren-, Nasen- und Halskranke am Rudolf Virchow-Krankenhause 
in Berlin, ein hervorragendes Desinfektions- und Heilmittel bei 
katarrhalischen, eitrigen und ulzerösen Schleimhauterkrankungen, 
das die bisher zur Verfügung stehenden Mittel an Wirksamkeit 
über trifft. Hartmann hat das Präparat bei Mittelohreiterung, 
bei katarrhalischen und insbesondere ulzerösen Prozessen in der 
Nase, im Pharynx und im Kehlkopf zur Anwendung gebracht. 
„Natrium perboricum medizinale“ vereinigt die Wirkungen des 
Wasserstoffhyperoxydes mit derjenigen des Natriumborates. Bei 
der Erwärmung der wässerigen Lösung und bei der Berührung 


mit organischen Substanzen tritt Zersetzung em, aktiver Sauer¬ 
stoff wird frei, und Natrium borazikum bleibt übrig. Das Präparat 
ist nach Merckscher Angabe „vollständig haltbar“. Auch bei 
Schnupfen wurde durch die Perboratnasendusche oder durch Ein¬ 
blasen von Perboratnasenpulver schnell Heilung herbeigeführt. 
Ein sekundär syphilitisches Geschwür auf der hinteren Pharynx¬ 
wand und tertiär syphilitische Ulzerationen wurden schnell ge¬ 
reinigt. Bei Larynxkatarrhen wurde Perborat erfolgreich mit dem 
Pulverbläser eingeblasen, doch reizen größere Mengen bei Larynx- 
phthise zu sehr. Hartmann hat für die Anwendung des Per¬ 
borats einen zweckmäßigen Pulverbläser angegeben, der durch 
das Medizinische Warenhaus in Berlin, Karlstraße 31, zu beziehen 
ist. Durch diesen wird eine sehr feine Zerstäubung erreicht und 
die Einblasung kann mit einer Hand bewirkt werden, ohne daß 
die Ausströmungsöffhung wesentlich aus ihrer Lage gerät. 

2. Veronal (Fabrik.: Elberfelder Farbenfabriken und E. Merck) 
wird rein als Pulver, am besten in heißem Tee oder warmer 
Milch gelöst, oder in Tablettenform zu 0,5 gegeben. Dieses Schlaf¬ 
mittel wurde von Dr. Albrecht in der Provinzialheilanstalt 
Treptow a. Rega bei 200 Geisteskranken methodisch zu 0,5 bis 
1 g bei geeigneten Zuständen angewandt. Albrecht kommt zu 
folgenden Schlußsätzen: „Das Veronal hatj^ infolge mangelnder 
Kontraindikationen ein erheblich breiteres Anwendungsgebiet als 
das Chloralhydrat und bringt auch bei längerem Gebrauch nicht 
dieselben Gefahren gesundheitlicher Schädigungen mit sich wie 
das Chloralhydrat, das Sulfonal oder Trionäl. Vor dem Paral- 
dehyd zeichnet es sich durch relative Geschmacklosigkeit und 
auch durch die Sicherheit der Wirkung aus. — Zu wünschen 
wäre im Interesse einer umfangreichen Verwendung des Veronals, 
daß der im Verhältnis zu den genannten Mitteln erheblich höhere 
Preis sich bald ermäßigte. Ich glaube dasselbe nach meinen Er¬ 
fahrungen durchaus empfehlen zu"können, wenn es auch bei ihm 
wie bei allen narkotischen Mitteln Grundsatz bleiben muß, ihre 
Anwendung möglichst zu beschränken und mit den einzelnen Mitteln 
zu wechseln.“ 

3. Da das wortgeschützte Veronal wegen seines-hohen Preises 
sich nicht eingebürgert hat, haben andere Firmen dieselbe Sub¬ 
stanz unter ihrem wissenschaftlichen Namen in den Handel ge¬ 
bracht, z. B. die Höchster Farbwerke die „Diaethylbarbitursäure“, 
die Firma Sieber in Attisholz bei Soloturn das „Malonal“. Wäh¬ 
rend von Mering dieses Schlafmittel für nicht unbedenklich 
hält und die unangenehmen Nebenwirkungen auf Verunreinigungen 
schiebt — ein auch nur spurenweise verunreinigter^Diaethylmalon- 
harnstoff (dies ist Veronal!) wirke schon stärker bezw. giftiger —, 
behauptet Dobrschansky, daß er keine schädliche oder auch 
nur ungleichmäßige Wirkung gesehen habe. Auf Grund der zahl¬ 
reichen Berichte über unangenehme^Nebenwirkung ;des Original- 
Veronals, wofür Verf. eine Reihe von Autoren anführt, und auf 
Grund der Beobachtungen in Dalldorf selbst, glaubt er, daß an 
der „absoluten Reinheit“ des Veronals Zweifeltentstehen müssen. 
Jedenfalls werde in Dalldorf das Original-Veronal nicht mehr ver¬ 
wendet. Verf. hat nun Versuche mit Diaethylbarbitursäure ge¬ 
macht und spricht sich sehr anerkennend darüber aus. Nach 
einem Verbrauch von 3 kg auf seiner Station hat er bisher weder 
unangenehme Nebenerscheinungen noch ungleichmäßige Wirkungen 
gesehen. Nur bei einem Paralytiker, ä der fc 13 Tage lang allabend¬ 
lich 1,0 Diaethylbarbitursäure bekommen hatte, wurde ein schwach 
rosagefärbtes Exanthem beobachtet[das aber nach*Aussetzenfdes 
Schlafmittels sofort wieder verschwand. Demgegenüber haben 
aber viele Kranke die Diaethylbarbitursäure auch^beii längerer 
Anwendung gut vertragen, z. B. einige, die Ä 82,0 g in 106 Ä Tagen 
(bei gelegentlichem Aussetzen des Mittels) ohne irgendwelche Störung 
genommen haben. 

Jedoch ist die Diaethylbarbitursäure bei,'der Behandlung von 
Geistesstörungen kein unfehlbares Mittel, so t daß bei stärkeren Er¬ 
regungszuständen das Hyoszin in sein altes Recht treten muß. 
Doch soll die Verbindung v der Diaethylbarbitursäure mitJParal- 
dehyd gute Dienste leisten/ Die Höchstdosen, die Verf. anwandte, 
waren 1,5 des Mittels. 

Wegen der Preisdifferenz gegenüber dem Original-Veronal 
dürfte sich das neue Schlafmittel besser einführen als das Mering- 
sche Präparat. 

4. _Nach Versuchen Demandres zersetzen andere Salze wie 


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Original fro-m 

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1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Y1 


die Chlorhydrate des Morphiums, Heroiüs, ChiniDS, Cinchonius, 
Sparteiud u. a. rasch und vollständig das Argyrol. Dies hat zum 
Glück für die Praxis keine große Bedeutung, da Argyrol kaum 
mit den genannten Substanzen zusammen verordnet wird. 

5. Für die Behandlung von Hautkrankheiten wird von Dr. 
Neu die von der chemischen Fabrik Athenstaedt & Kedeker, 
Hemelingen, hergestellte Alsol-Creme empfohlen, die 1 h°/o Alumin. 
acetico-tartaric. in einer neutralen Salbenmasse enthält. Sie be¬ 
sitzt angenehmen Geruch, ist von weißer Farbe, erweicht bei 
Körpertemperatur, ist leicht von der Haut zu entfernen und be¬ 
schmutzt die Wäsche nicht. Sie soll sich bei akuten und chroni¬ 
schen Hautentzündungen gut bewährt haben. 

6. Unter dem Namen Maqui-Beeren werden, wie E. M. Holmes 
berichtet, in London die kleinen Früchte von Aristotelia 
Maqui angeboten, die seit ca. 20 Jahren von Chile nach Frank¬ 
reich eingeführt werden und dort zum Färben des Weines dienen. 
Sie gelten in Chile als eßbar und werden mit den Weintrauben 
bei der Weinbereitung, aber auch zum Färben von Konditorwaren, 
Eis etc. verwendet. Von den Indianern wird der aus den Früchten 
hergestellte Wein als Fiebermittel angewandt , während aus den 
Blättern der Pflanze ein Gurgelwasser hergestellt wird. Die ein¬ 
geführten Früchte sehen dem schwarzen Pfeffer ähnlich und geben, 
auf weißem Papier zerrieben, einen purpurroten, dem Farbstoffe 
des Burgunderweines ähnlichen Fleck. 

7. In der „Medizinischen Klinik“, 1907, Nr. 48, referiert 
0. Kuhn über „Pharmazeutische Prüfungsergebnisse“, die im 
pharmazeutischen Institut der Universität Berlin vorgenommen 
wurden und denen wir folgendes entnehmen: 

Die Chemische Fabrik Dr. R. Reiß, Berlin, führte im Jahre 
1905 unter dem Namen Lenicet ein schwerlösliches basisches 
Aluminiumazetat in fester Form ein, als dessen Vorzug eben 
dieser feste Aggregatzustand und der durch die Schwerlöslichkeit 
bedingte allmähliche Zerfall in die Komponenten hervorgehoben 
wurde. Durch die Untersuchungen von Zernik sind diese An¬ 
gaben bestätigt. Zu Beginn dieses Jahres haben nun die Chemi¬ 
schen Werke Fritz Friedländer, G. m. b. H., Berlin, ähnliche 
Präparate in den Handel gebracht: Eston, nach Angabe der 
Darsteller ein schwerlösliches Aluminium- 2 /3-Azetat, Subeston, 
Aluminium-Vs-Azetat und Form eston, schwerlösliches basisches 
Aluminiuraformiat-Azetat, die in gleicher Weise wie Lenicet an¬ 
gewandt werden sollen. Aus den Untersuchungen Ze r n i ks geht 
aber hervor, daß die drei Präparate nicht so fein sind und einen 
Gehalt von rund 11% Aluminiumsulfat haben. 

Unter dem Namen Formidin wurde von der Firma Parke, 
Davis & Co., Detroit, ein Jodoformersatzmittel in den Handel ge¬ 
bracht, das nach den Angaben der Darsteller ein „Methylendi- 
salizylsäurejodid“ darstellen und rund 47 % Jod enthalten sollte. 
Zernik fand jedoch nur ca. 36,5% Jod. Auch konnte von 
einer behaupteten Abspaltung von Formaldehyd nichts gefunden 
werden. 

Unter dem Namen Epileptol führte Dr. med. Rosen berg, 
Berlin, ein Mittel ein, dem er gegenüber anderen Präparaten, die 
gegen Epilepsie angewendet werden, erhebliche Vorzüge zuschreibt, 
und das Ausbleiben von Nebenerscheinungen nachrühmt. Die 
Dosis beträgt zwei- bis dreimal täglich 15 bis 55 Tropfen. 100 g 
des Epileptols kosten 7 M. Nach den Angaben des Erfinders ist 
das Mittel „wahrscheinlich ein Koudensationsprodukt der Amido- 
ameisensäure“. Ein solches ist aber in der chemischen Literatur 
nicht bekannt. Außerdem wies Zernik nach, daß das Epileptol 
ein geringe Mengen von Hexamethylentetramin enthaltendes Ge¬ 
misch von Formamid mit einer Verbindung von Formamid und 
Formaldehyd sei. 

Zu warnen ist ferner vor einem von J. Uten, Lüttich, ver¬ 
triebenen Epilepsiemittel, Antiepileptique Uten, das eine 
grün gefärbte, mit einer indifferenten bitteren Tinktur versetzte 
16%ige Bromkalilösung darstellt. Der Preis einer Flasche von 
475 g beträgt 3 Frcs.! 

Dasselbe gilt von den Epilepsiepilleu von Fr. Jeckel, 
Glarus. 

Ein in die neue Geheimmittelliste aufgenommenes Mittel ist 
das in Braunschweig hergestellte Fulgural, das „als ein be¬ 
währtes Mittel gegen sämtliche Unreinigkeiten des Blutes, Krank¬ 
heiten des Stoffwechsels, Vollblütigkeit, Fettsucht, sowie sämt¬ 


liche Beschwerden der Verdauungsorgane“ von seinen Verfertigern 
angepriesen wird. Preis pro Flasche 3,75 M. Nach Kochs be¬ 
steht die braune Flüssigkeit aus einem 10% Alkohol enthaltenden, 
mit Zucker versetzten, weinigen Auszug verschiedener pflanzlicher 
und anderer emodinhaltiger (also abführender) nicht stark wirken¬ 
der Drogen mit Zusatz von 10% Bittersalz. 

Großmanns Kraft- und Nähr-Emulsion, als ein be¬ 
liebtes Hausmittel von höchst konzentrierter Nährkraft angepriesen, 
enthält eine versüßte und mit Pfefferminzöl aromatisierte Leber¬ 
tran-Emulsion, der außerdem ca. 0,1% Kalziumhypophosphit zu¬ 
gesetzt ist. 

Vom Paracelsus-Laboratorium, Berlin, wird die Paracelsus- 
Schlaf binde als ein Mittel gegen Schlaflosigkeit vertrieben. 
Kochs schildert in der Apothekerzeitung dieses Präparat in 
folgender Weise: „Eine solche Binde ist aus Seidenstoff gefertigt 
und besitzt die ungefähre Form einer Bartbinde, an deren Enden 
sich zwei Seidenschnüre mit runden Quasten befinden. Das einzig 
Bemerkenswerte an dieser Binde ist ein angenehmer Geruch nach 
ätherischen Oelen, welcher von einer Imprägnierung mit geringen 
Mengen von Riechstoffen, wie Ol. pini pumil. und Kumarin her¬ 
rührt; narkotische Stoffe irgendwelcher Art waren nicht nach¬ 
weisbar. Laut Gebrauchsanweisung soll die vorher angefeuchtete 
Binde meist über die Augen oder um den Hals bezw. um die 
Genickgegend gelegt werden. Das eine Quästchen ist zur Ver¬ 
schließung des Gehörgangs in denselben einzuführen, während die 
Schnur mit dem anderen Quästchen hinter das Ohr gezogen wird. 
Kommentar überflüssig!“ 

8. In den Wissenschaftlichen Mitteilungen der Apotheker¬ 
zeitung 1907, Nr. 97 berichtet Dr. Zernik über ein von der Firma 
Dr. Arthur Erhard, G. m. b. H., Berlin W., als Entfettungsmittel 
in den Handel gebrachtes Präparat, das den Namen Levathin 
trägt. Nach den Untersuchungen im Pharmazeutischen Institut 
der Universität Berlin stellt das Levathin ein gelbgefärbtes Ge¬ 
misch aus rund 75% Tartarus depuratus mit 15% Tartarus natro- 
natus und 10% Rohrzucker dar. 

9. An gleicher Stelle wird von O. Kuhn über einen von 
Frau Dr. Bock, Berlin, in den Handel gebrachten Tee Purin be¬ 
richtet, dessen Anpreisung in folgender Form geschieht: „Tee 
Purin wirkt überaus blutreinigend, ohne den Magen zu schwächen 
und verleiht, täglich genossen, schlanke, graziöse Formen. 
Glänzend bewährt gegen Korpulenz und zur Erlangung 
einer eleganten Taille.“ Der Tee soll auch gegen gichtische 
und rheumatische Anfälle mit Erfolg verwendet werden. Er be¬ 
steht aus Fruct Juniperi, Kort. Frangul., Herb. Equiset., Fol. 
Jugland., Herb. Absinth., Herb, Violae tricol. und Herb. Mille fob 

Die aufdringliche Reklame, mit der beide Mittel in den 
Handel gebracht werden, spricht ebenso wie ihre Zusammensetzung 
für ihre Wertlosigkeit bezügl. der angepriesenen Heilwirkung. 


Technische Neuerscheinungen. 


Xeranatbolusgaze. 

Von Cohn und Aufrecht wurde vor zwei Jahren die 
Bolus als wirksames Wundantiseptikum angegeben, und man 
hat bisher gute Erfolge von ihrer Verwendung bei eiternden 
Wunden und dergleichen gesehen. Man hat nun auch ver¬ 
sucht, Gazen mit Bolus zu imprägnieren. Zu diesem Zwecke 
gab Cohn folgende Art der Imprägnierung an: Man glüht die 
feingepulverte weiße Bolus und mischt sie mit einer auf 
heißem Wege hergestellten ammoniakalischen Seife, welcher 
Mischung man 0,5 % Salizylsäure und 1 % Liquor Aluminii acetici 
zusetzt. Mit dieser Mischung tränkt man sterile hydrophile Gaze 
und trocknet sie. Aufrecht hat nun die Xeranatbolusgaze 
angegeben, welche eine äußerst günstige Wirkung entfaltet. 
Cohn stellte mit dieser ebenfalls eingehende Versuche an und 
erhielt sehr befriedigende Resultate. Er empfiehlt diese Gaze 
bei allen Wunden, welche irgendwie infiziert sind oder bei 
denen der Verdacht auf Infektion besteht, ferner bei den Ver- 


Qriginal from 

SITY OF MICHIGAN 





letzungen im Felde, bei Panaritien, Furunkeln, Carbunkeln, 
Abszessen, Fisteln und allen nicht per primam heilenden 
Wunden. Die Gaze wirkt stark antiseptisch, austrocknend, 
desodorisierend und aufsaugend. Auch bei Katarrhen der weib¬ 
lichen Genitalien, Zervikalkatarrh etc. wirkt Tamponade mit 
dieser Gaze äußerst günstig ein. Jede reizende Wirkung fehlt 
derselben, man braucht also keine Sorge vor etwaigen üblen 
Folgen wie Ekzemen und Entzündungen zu hegen. So hält 
Cohn denVerband mit Xeranatbolusgaze für den praktischen 
Arzt, besonders den Landarzt für äußerst wertvoll und empfiehlt 
denselben angelegentlichst. Die Gaze ist bei Wiskemann 
& Co. in Kassel zu erhalten und stellt ein billiges Verband¬ 
mittel dar. Diese vielen Vorzüge werden derselben sicher eine 
baldige allgemeine Einführung in die Praxis sichern. 

W. B. Müller, Berlin. 


Eine neue Vaginalspritze. 

D. R. G. M. 298 339. 

Dieser Apparat, von der Firma Franz Kubat, Eibau i.S. 
hergestellt, besteht aus einem Gummiball, welcher zur Aufnahme 
von Wasser dient, und einem Spülrohr, welches aus poliertem 
Hartgummi gearbeitet ist. Auf dem Rohre befinden sich sechs 
Rinnen, welche auf der Spitze zusammenlaufen. In der Mitte 
von diesen Rinnen befindet sich eine große Anzahl kleiner 
Löcher. Beim Gebrauch wird zuerst durch* Zusammendrücken 
des Balles die Luft ausgetrieben und das Spülrohr vollständig 
bis zum Ball ins Wasser getaucht. Beim Zusammendrücken 
des Balles strömt aus den vielen Löchern das Wasser brause¬ 


artig von allen Seiten heraus. Da die Löcher sich tief in ' 
den Rinnen des Spülrohres befinden, bleibt ein gewisser Raum 1 \ 

zwischen der Scheidenwand und den Löchern vorhanden. ~' 
Daraus ergibt sich, daß das Wasser von allen Seiten gleich¬ 
mäßig und brauseartig die Wände der Scheide bespülen kann. 

Da das Rohr aus poliertem Hartgummi gearbeitet ist, so sind • 
Verletzungen der Scheide vollständig ausgeschlossen. 


□ ALLGEMEINES. EZ1 


In Nr. 50 des vorigen Jahrganges brachten wir eine Mit¬ 
teilung über einen Fall VOn Odol Vergiftung. Da uns daraufhin 
mehrere Anfragen zugegangen sind, möchten wir betonen, daß es 
sich in diesem Falle um eine geisteskranke Dame handelte, die ihr 
Fläschchen Odol unverdünnt austrank und infolgedessen Schädi¬ 
gungen erlitt, und daß dieser Fall nur zu dem Zwecke mitgeteilt 
wurde, um den psychiatrischen Kollegen zu empfehlen, das Odol 
den Patienten nicht mehr unverdünnt zu überlassen. Selbstredend 
ist ein derartig vereinzelter Fall bei nicht ordnungsgemäßem Ge¬ 
brauche eines Präparates absolut nicht geeignet, Rückschlüsse auf 
die Qualität und Brauchbarkeit desselben zu ziehen. 


Einen wichtigen Fortschritt moderner Therapie bedeutet un¬ 
streitig die allgemeine Anwendung des Fucols und seiner Verbindungen 
anstelle der Lebertran - Präparate. Fucol ist nicht allein leichter zu nehmen 
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Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädem, des Vereins der Badeärzte der Ostsee und der 

Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 


II. Jahrgang. Halle a. S., 2. Februar 1908. Nr. 5. 


Die „Therapeutische Rundschau“ erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2M., einzelne Nummer 20 Pf. Bestellungen nehmen jede Buchhandlung, 
die Post, sowie die Geschäftsstelle: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung in Halle a. ; ‘S. entgegen. Inserate werden für die 4gespaltene Petitzeiie oder deren Raum 
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Nachdruck der Original-Aufsätze ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. — Nachdruck der anderen Rubriken ist nur mit Quellenangabe gestattet 


dl 0R10INALIEN. 


d 


Die Bedeutung der Diätetik in der Balneotherapie. 


der Reise und der neuen Umgebung spielen oft bei Badekuren 
eine ebenso wichtige Rolle als die auf das Essen und Trinken 
bezüglichen Vorschriften. Wir wissen, wie eine heitere, an¬ 
genehme Stimmung die Eßlust und den Stoffwechsel zu beein¬ 
flussen vermögen und daß selbst die Magensaftsekretion und 
die Diurese durch Kummer vermindert, durch freudige Erregung 
gesteigert werden. 


Von k. k. Reg.-Rat Prof. Dr. JulillS Glax, Abbazia. 

Mit der Sichtung der in diesem Jahre (1907) auf dem Ge¬ 
biete der Balneotherapie erschienenen Arbeiten beschäftigt, 
finde ich in der Zeitschrift für physikalische und diätetische 
Therapie einen Aufsatz von Max Hirsch über die Bedeutung 
der’ Diätetik in der Balneotherapie. Diese Arbeit, welche den 
Inhalt eines Vortrages wiedergibt, welchen der Autor auf dem 
85. schlesischen Bädertag zu Breslau am 12. Dezember 1906 
gehalten hat, bezweckt die eminente Bedeutung der Diätetik 
in der Balneotherapie hervorzuheben und Vorschläge zu 
machen für die Durchführung einer individuellen diätetischen 
Küche an den Kurorten. Diese Bestrebungen des Verfassers 
sind gewiß recht lobenswert und zeitgemäß, doch irrt M. Hirsch, 
wenn er glaubt, der Ausdruck „Baineodiätetik“ wäre insolange 
gänzlich zu vermeiden, als in den Lehrbüchern der Balneo¬ 
therapie nicht mit ,,Baineodiätetik“ ausschließlich die Diät 
während der Badekuren bezeichnet werde. Nachdem M. Hirsch 
speziell auch mein Lehrbuch der Balneotherapie anführt und 
behauptet, daß ich unter „Baineodiätetik“ die Lehre von der 
Anwendung der Bade- und Brunnenkuren, von der Behandlung 
krankhafter Zustände durch klimatische Einflüsse und schließlich 
die Lehre von dem hygienischen und psychischen Einfluß der 
durch den Besuch der Kurorte geänderten Lebens Verhältnisse 
verstehe, so sehe ich mich veranlaßt, dieser irrtümlichen An¬ 
sicht entgegenzutreten. Wäre M. Hi rsc hs Behauptung richtig, 
dann hätte er gewiß recht, wenn er vorschlägt, das Wort 
„Baineodiätetik“ durch „Balneotherapie u zu ersetzen. Tatsächlich 
steht aber in meinem Lohrbuche Bd. I, S. 409 zu lesen: „Die 
Baineodiätetik ist die Lehre von der therapeu¬ 
tischen Verwertung des Einflusses, welchen die ge¬ 
änderten Lebensverhältnisse im allgemeinen und 
jene der Diät im besonderen auf Kranke ausübt, 
die an einen Kurort verpflanzt werden.“ 

Der Begriff „Diätetik“ ist ein umfassenderer als der Begriff 
„Diät“ und es wäre meiner Ansicht nach ein Fehler, wollten 
wir mit „Baineodiätetik“ nur die Ernährung, also die Diät 
während der Badekuren, bezeichnen. Wir können auch von 
einer geistigen Diät, von einer Diätetik der Seele (v. Feuc ht e rs - 
leb en), sprechen, und gerade die psychische Diät, die Entlastung 
Y on Arbeit und häuslichen Sorgen, die angenehmen Eindrücke 


Zur Diätetik im engeren Sinne gehören allerdings auch 
die Trinkkuren und zwar hängt die Wirkung der Mineral¬ 
wässer nicht nur von ihrer chemischen Zusammensetzung, 
sondern auch von der Quantität und der Temperatur des ge¬ 
nossenen Wassers ab. Ich will auf dieses Thema hier nicht näher 
eingehen, nur das eine sei bemerkt, daß bis nun auf die physio¬ 
logische Wirkung der Temperatur und der Quantität des ge¬ 
trunkenen Wassers viel zu wenig Rücksicht genommen wurde. 
Die einseitige Beurteilung der Mineralwasserwirkung auf Grund¬ 
lage der chemischen Analyse hat zu einer Reihe von unhalt¬ 
baren diätetischen Vorschriften geführt, wie z. ß. zu dem Ver¬ 
bot, Früchte zu essen oder Tee zu trinken während des Ge¬ 
brauches einer Eisenquelle. Tatsächlich schließen die 
Brunnenkuren an und für sich gar kein Nahrungs¬ 
mittel aus, sondern nur der jeweilige Krankheits¬ 
prozeß kann die Veranlassung geben, bestimmte 
Speisen zu verbieten. Es ist deshalb auch ganz wider¬ 
sinnig, wenn an manchen Kurorten in den Restaurants eine 
sogenannte „kurgemäße“ Küche verabreicht wird, welche sich 
vorwiegend dadurch auszeichnet, daß sie durch ihre Einförmig¬ 
keit und Geschmacklosigkeit jede Eßlust im Keime erstickt. 
Dagegen scheint mir die Einführung einer individuellen diäte¬ 
tischen Küche nach ärztlichen Prinzipien in den Kurhäusern, 
d. h. in den Hotels und Pensionen eines Kurortes, wie M. Hirsch 
vorschlägt, aus technischen und finanziellen Gründen unmöglich. 
Viele Kranke können gewiß ihr Auskommen damit finden, daß 
sie sich nach den genauen Vorschriften ihres Arztes in einem 
guten Speisehause ihr Menu selbst zusammenstellen. Schwer¬ 
kranke bedürfen aber unbedingt eines Sanatoriums. Die Fort - 
schritte auf dem Gebiete der Baineodiätetik führen 
zu der unab w eisli eben Forderung, daß an jedem 
Kurorte Sanatorien entstehen müssen, in welchen 
eine streng individuelle Behandlung durchführbar 
ist, denn die Bedeutung der Kurorte liegt darin, 
daß sie es gestatten, unter Verwertung ihrer natür¬ 
lich en He ilmittel chronische Erkrankungen unter 
günstigeren Umständen als in der Heimat der Pa¬ 
tienten zu behandeln. 


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74 

Bossi und Kolpeurynter in der Hand des 
praktischen Arztes. 

Von Dr. E. Rohlff, Potsdam. 

(Schluß.) 

Sehen wir nun von dieser kleinen Minderzahl der Blutungen 
ab und analysieren die Verhältnisse der Fälle, wo bei dringen¬ 
der Lebensgefahr sofortige Wendung in irgend einer Form als 
Konkurrenzverfahren möglich ist. Zunächst ist bei zwei sonst 
gleichwertigen Operationsmethoden diejenige die bessere, welche 
kein Instrument — vornehmlich kein zerbrechliches — er¬ 
fordert 

Bezüglich der durch das Operationsverfahren selbst be¬ 
dingten Gefahren des Fiebers und der Blutung dürfte zum 
mindesten die Wagschale nicht zu Ungunsten der Wendung 
sinken. Sehen wir ab von denjenigen Fällen, die mehr vor¬ 
beugend mit Metreuryse behandelt werden — denn Abwarten 
mit Tamponade und spätere Wendung kann ich nicht mehr 
als ein berechtigtes Verfahren seit intrauteriner Ballonbenutzung 
anerkennen —, so ist der in Eilfällen (z. B. wenn kein kochendes 
Wasser vorhanden) notdürftig sterilisierte Ballon mit seinem 
Liegenbleiben durch Stunden mindestens bedenklicher, zumal 
wenn der außerhalb der Eihäute anzubringende Braun ver¬ 
wendet wird.*) Außerdem dauert überhaupt die Operation länger, 
was auch nicht gleichgültig ist. Bekanntlich steht heute^ die 
Frage des schnellen Operierens, um damit Sepsis zu vermeiden, 
wieder bei den Tagungen der Gynäkologen in erster Linie. 
Die Blutungsgefahren sind bei beiden Methoden gleich, wenn 
man die Folgen einer möglichen Selbsttäuschung über erreichte 
Dehnung durch Metreuryse mit ins Auge faßt, während ein 
Zervix-Riß bei direkter*Wendung, wenn der Arzt nur pflicht¬ 
gemäß (siehe unten) handelt, so leicht nicht zu besorgen ist. 

Nun kommt derjenige Punkt, welcher — wie ich glaube — 
am meisten dazu beiträgt, die Metreuryse zu empfehlen, näm¬ 
lich die Möglichkeit, die gefürchtete kombinierte Wendung zu 
vermeiden. 

Ist also die Technik der Wendung, bezugsweise der kom¬ 
binierten Wendung so schwer und umgekehrt die der Metreu¬ 
ryse so leicht, daß man erwarten darf, ungeübte Aerzte werden 
mit der letzteren bessere Erfolge erreichen? Ich glaube das 
nicht unter der Voraussetzung, daß die Verfasser von Lehr¬ 
büchern etwas mehr von der Art und Weise annehmen wollten, 
in welcher Lejars in seinen „Dringlichen Operationen“ dem 
Arzte Mut macht. 

Das Kapitel „Plazenta prävia“ ist reich an düsterer Tragik, 
davon weiß jeder erfahrene Praktiker zu sagen; um so mehr 
wäre es aber Pflicht, dem Anfänger klar zu machen, daß er 
fast immer die Mutter retten kann, wenn er sie noch in leid¬ 
lichem Zustande findet. Wenn er also meint, die Zervix sei 
nicht vorbereitet genug zur Durchführung der ganzen Hand, 
und er demnach zur kombinierten Wendung schreiten muß, so 
halte er fest, daß die Befolgung von vier einfachen Regeln ihm 
sicheren Erfolg schaffen müsse. 

Zunächst prüfe er genau den Zustand des Muttermundes, 
ist dieser nicht ganz scharfrandig, ist nur der geringste Teil 
der Zervix noch erhalten, so sei er später doppelt langsam bei 
der Kopfentwickelung. 

Ferner sei er überzeugt, daß die Scheu vor einer „kom¬ 
binierten Wendung“ ganz unberechtigt ist. Sie muß gelingen, 
sei unbesorgt, und wenn du noch so „kurze Finger“ hast. Die 
Blase stand ja noch, als du eindrangst, die Frucht ist daher 
leicht beweglich und oft noch klein; weshalb solltest du den 
Kopf nicht wegdrücken können? Ein Hindernis ist ja nicht da. 
Mit der anderen äußeren Hand drückst du den Steiß herum, 
bis dir ein Fuß zwischen die Finger gerät. Er folgt ohne 
Schwierigkeit durch die Zervix. Und selbst mit einem Finger 
gelingt es, den Fuß herabzuziehen, indem man die Symphyse 
als Gegenstütze benutzt. Ich habe allerdings nur in einem 

*) Prof. Zweifel empfiehlt die Ballons unter Glyzerin aufzubewahren, 
damit würden zugleich erreicht größere Haltbarkeit, Keimfreiheit und dem¬ 
nach stete Bereitschaft behufs Verwendung. 


Fall so zu wenden brauchen, war da aber überrascht von dör 
Leichtigkeit. Die Blutung wird durch den Gegendruck des 
nur langsam abfließenden Fruchtwassers sowie durch die 
öperierenden Finger in Schranken gehalten. Durch den in 
dieser kurzen Zeit stattfindenden Blutverlust stirbt die Frau 
nicht. Während des Einlegens eines Kolpeurynters würde 
ebenso viel Blut verloren gehen! Also dabei wäre gar kein 
Vorteil! Die Schwierigkeit der „kombinierten Wendung“ be¬ 
steht meist in der Einbildung. 

Die Hanptgefahr kann der Frau erwachsen, wenn die 
Wendung gelungen ist. Kaum ist der Operateur die - Angst 
vor der Wendung nun glücklich los geworden, da kommt schon 
der lockende Gedanke: wie schön wäre es, wenn nun auch 
noch das Kind gerettet würde! Wer noch nicht die Katastrophe 
einer Rißblutung erlebt hat, wird zu leicht der schmeichelnden 
Hoffnung Raum gehen: es wird schon gelingen! Und S ehr ö ders 
ernste Mahnung, das Kind ruhig sterben zu lassen, wird 
dann vernachlässigt. Wir Menschen können immer nur das 
nächste Dringende erfüllen! Göthe definiert sehr schön die 
Pflicht als die Forderung des Tages. Nun, hier ist der Arzt 
gerufen, um eine Frau zu retten. Er darf gar nicht ris¬ 
kieren, vielleicht noch ein Kindesleben zu erhalten, 
wenn er sich nicht gegen seine eigentliche Pflicht 
versündigen will. Gelingt die Rettung nebenbei, sehr 
schön! Wie aber, wenn er um eines zweifelhaften Gewinnes 
wegen die Mutter opfert? Hat er nicht pflichtvergessen ge¬ 
handelt? Solch ein unglücklicher Ausgang bleibt ihm zeit¬ 
lebens eine fatale Erinnerung. Mir passierte einmal nach 
langem Schwanken zwischen Wendung und Perforation bei 
einer Frau, die schon vier lebende Kinder hatte, eine Uterus¬ 
ruptur, nachdem ich mich endlich zur Wendung entschlossen 
hatte. Die Mutter kam zum Glück durch. Nach einem Viertel¬ 
jahr starb das Kind. Da hatte ich noch einmal einen Anlaß, 
darüber nachzudenken, wie falsch Sentimentalität in einem 
ernsten Falle ist. Im Falle solchen Schwankens soll man nicht 
riskieren, schon vorhandenen Kindern die Mutter zu rauben 
und ihnen eine Stiefmutter zu geben, oder um ein Kindesleben 
vielleicht zu retten, diejenige zu töten, auf deren Dasein das 
Neugeborene auf viele Jahre angewiesen sein sollte, während 
das Ehepaar vom Arzt bestimmt erwartete, daß er sein Mög¬ 
lichstes tun würde, um die Frau zu retten. Wie man bei der 
eigenen Frau handeln würde im gegebenen Falle, so handele 
man bei der fremden! Da weiß man immer sofort, was man 
tun soll. So pflege ich nun seit Jahren mir in zweifelhaften, 
schweren Lagen die Sache vorzustellen. 

Der vierte Rat ist folgender: Blutet es nach Extraktion 
und Plazentarlösung, so halte man sich nicht lange mit Reiben, 
gar nicht mit Heißwasserinjektion und Ergotineinspritzung auf, 
sondern führe sofort die Hand in die Gebärmutter, um Blut¬ 
gerinnsel zu entfernen und durch den Reiz eine, kräftige Zu¬ 
sammenziehung zu bewirken. Blutet es nun noch, so tampo¬ 
niere man alsbald, bedenkend, daß auch die Tampongaze noch 
durchtränkt werden muß, ehe die Blutung still steht, und die 
Frau so schon eine Menge Blut verloren hat! Lieber nehme 
man einen Riß an als Atonie. 

Nach diesen langen allgemeinen Auseinandersetzungen will 
ich die weiteren Differenzpunkte zwischen den beiden Opera¬ 
tionsmethoden erörtern im Anschluß an den Bericht, was ich 
in eigenen Fällen an tödlichen Ausgängen erlebt habe. Von 
acht Fällen von Plazenta zentralis auf dem Lande habe ich 
vier verloren, in der Stadt von dreizehn, wobei ich freie Hand 
hatte, keinen. Die Plazenta lateralis - Fälle sind sämtlich durch¬ 
gekommen. Der vierzehnte Fall wird wegen seiner Besonder¬ 
heit nachher für sich verhandelt. 

Fall 1. Die Frau starb aus unbekanntem Grunde plötz¬ 
lich während der Untersuchung. Nach festgestelltem Tode 
rücksichtslose Herausbeförderung des Kindes; dasselbe wurde 
zum Leben gebracht. 

Fall 2. Die Frau preßte nach gelungener Wendung trotz 
Anschreiens, nicht zu pressen, so heftig, daß mit einem Ruck 
das Kind hervorschoß. Ein Blutstrom folgte; Tod binnen 
Minuten. Ob die Frau den Kolpeurynter wohl nicht heraus¬ 
gepreßt hätte? Das Kind lebte. 


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1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


75 


Fall 3. Die betreffende Frau starb sieben Stunden nach 
der Entbindung. „Geblutet hatte es nicht mehr“, schrieb die 
Hebamme. Bei der Operation verlor die Frau auch kein Blut 
mehr, aber in einem einsam gelegenen Hause wohnend hatte 
sie fünf Stunden bereits geblutet, ehe der Arzt endlich eintraf. 
Kind tot. 

Hier möchte ich einen Punkt in Betracht ziehen, den 
Kollege Mende zur Empfehlung der Metreuryse hervorhebt. 
Er läßt sehr Verblutete nach Einlegen des Ballons sich erst 
einige Stunden erholen. Es wäre aber nichts im Wege, 

nach vollbrachter Wendung dies auch so zu machen. 

Ob es aber nötig ist? Man muß da zwischen zwei Blutungs¬ 
arten unterscheiden. Die eine besteht nur in einem einzigen 

gewaltigen Blutsturz. Kommt da alsbald der Arzt, so kann 

unbedenklich unter Beobachtung des nötigen Zeitaufwandes der 
Wendung die Extraktion folgen. Selbst wenn die Frau nur 
einen kaum fühlbaren Puls beim Eintreffen des Arztes hatte, 
wird sie meist durchkommen, weil der in den Geweben auf- 
gespeicherte Saft und das noch in den Gliedern vorhandene 
Blut einen Ersatz bieten werden, um das durch Getränke, 
Klystiere, Infusion in die Adern gebrachte Wasser genügend 
zu sättigen und es zu einem wirklich Leben unterhaltenden 
Mittel zu machen. Dazu dürfte doch längstens eine Stunde 
genügen. Ganz anders bei gleichen Puls Verhältnissen ist aber 
die Lage derjenigen Frau, welche nach dem ersten Anfall nicht 
baldige Hilfe erhält. Wird das zunächst herangezogene Re¬ 
serveblut durch neue Verluste ihr geraubt, so hilft ihr keine 
Ruhe, kein Salzwasser, Kaffee oder Aether; das ist alles kein Blut 
und wird auch keines mehr. Anscheinend war die Lage beider 
Frauen gleich, in Wirklichkeit ganz verschieden. Unter meinen 
übrigen Patientinnen waren zwei völlig pulslos, mehrere sehr 
schwach. Sie sind aber sämtlich gerettet, obwohl ich Hilfs¬ 
maßregeln erst nach beendeter Entbindung traf; sie waren 
eben nicht bis zum „Weißbluten“ ausgepumpt. 

Fall 4. Schwere, langdauernde Verblutung. Ohnmacht bei 
Einführung der Hand. Ließ die Frau wegen fortdauernder 
Ohnmacht aus dem Bett nehmen, senkrecht mit Kopf nach 
unten halten. Wendete so mit durchgedrängter Hand. Kind 
tot. Mutter starb nach acht Tagen am Kindbettfieber. Sie 
hatte in den letzten zwei Jahren zwei Entbindungen im Kranken¬ 
hause durchgemacht und jedesmal lange gefiebert. Restierende 
Keime flammten wohl auf und töteten die Geschwächte. Wie 
hätte man in diesem Fall die Metreuryse überhaupt ausführen 
können? Daß diese Frau zufällig später dem Kindbettfieber 
erlag, ist für unsere Betrachtungen jedenfalls belanglos. Nur 
die sofortige Wendung konnte lebenrettend sein.! Gerade in 
den dringendsten Fällen läßt die Metreuryse im Stich. Im 
Gegensatz zu den Fällen, wo man sofort entweder wenden 
oder den Ballon einlegen mußte, habe ich nun den einzigen 
Fall zu besprechen, wo die enge Zervix mir kein sofortiges 
Operieren gestattete, also entweder die frühere Methode des Ab¬ 
wartens mit oder ohne Tamponade Geltung hatte, oder die 
neuere Metreuryse. Es handelte sich um eine schwächliche 
39 jährige Primipara, welche lange in kinderloser Ehe gelebt 
hatte. Die Blutungen begannen in der 34. Schwangerschafts - 
woche, waren nur gering, dauerten aber an, und die Zervix 
blieb unverändert. Da die Frau brennende Sehnsucht nach 
einem Kinde hatte, so sollte Rücksicht auf die Erhaltung des 
Kindeslebens genommen werden. Schließlich nach vierzehn¬ 
tägigem Warten trat Fieber auf. Nun mußte unter ungünstigen 
Umständen eilig operiert werden, und die Frau starb, wobei 
man — wie Fritsch treffend bemerkt— kaum sagen konnte, 
was die entscheidende Todesursache war: Schwache Konstitution, 
die bisherigen Blutverluste, der neue bei der Operation, das 
Chloroform oder das Fieber. Der Fall ist ein Beispiel dafür, 
daß erstens jede Rücksichtnahme auf das Kind falsch ist, 
zweitens das frühere abwartende Verfahren mit oder ohne 
Tamponade unberechtigt ist. Zeitige, ganz gefahrlose Metreu¬ 
ryse unter Opferung des Kindes hätte die Frau gerettet. 

Betrachten wir zum Schluß einmal, welche Folgerungen 
sich ziehen lassen aus der Tatsache, daß der Arzt einzelne 
Kreißende pulslos, schon so gut wie verblutet, vorfindet. Wenn 
ich mir da die eilige, notdürftige Sterilisierung des Kolpeu- 


rynters, die Möglichkeit des Zerreißens des alten, abgelagerten 
Ballons, die Technik der Einführung, den Zeitverlust bei der Auf¬ 
spritzung vorstelle, außerdem noch den möglichen Mangel an 
jeglicher sachgemäßer Assistenz, wenn der Arzt eher zur Stelle 
ist als die Hebamme, in Betracht ziehe, so komme ich zum 
Ergebnis, daß nur die sofortige Wendung das Verfahren der 
Wahl sein kann. Wenn man, wie es meist in diesen Fällen 
möglich sein wird, die ganze Hand durchführt, so benutze man 
die behufs Untersuchung eingeführte auch gleich zur Operation. 
Die Lehrbuchvorschriften von richtiger Hand und richtigem 
Fuß haben in diesen Fällen gar keinen Wert. Die Wendung 
wird immer schnell gelingen, wenn man — sei es am Bauch, 
sei es am Rücken entlang — nur zum Fundus sich hinaufarbeitet, 
ohne sich mit Betasten der begegnenden Gliedmaßen in dem 
unteren Teil der Gebärmutter aufzuhalten. Dort oben ist man 
stets sicher, ein Bein, einen Schenkel oder Fuß zu packen, 
ganz gleichgültig, welchen Beines, und die Umdrehung leicht 
zu vollbringen. Dies ist das technisch richtige Vorgehen, 
manchmal nach Lage der Umstände das allein mögliche und 
sicher stets dasjenige, welches die Blutung im Handumdrehen 
stillt. Behufs kombinierter Wendung müßte man eventuell die 
falsche' Hand schnell mit der richtigen vertauschen. 

Ich sagte oben, daß ich mit Tatsachen beweisen werde, 
die Wendung sei besser für den Praktiker, nun hier sind sie 
— die sehr ernsten Fälle und deren Behandlung. 

Wer zugibt, daß in gerade ganz dringenden Fällen die 
Wendung vor der Metreuryse Vorteile hat, während sonst die 
Partie gleich steht, der muß daraus die Schlußfolgerung ziehen, 
daß der praktische Arzt auch in den m i 11 elschweren Fällen 
nur die direkte Wendung ausführen darf, um sich einzuüben 
auf die sehr schweren. Das ist seine Pflicht gegen die Mütter 
überhaupt, gerade so wie im Einzelfall das Sterbenlassen des 
Kindes zugunsten der Erhaltung der Frau. 

Welcher Anhänger der Metreuryse dies bezweifelt, den 
bitte ich, drei Dinge zu überlegen. Die Pflicht, einen ge¬ 
gebenen Fall zu benützen, um sich für den nächsten einzuüben, 
wird in den unserigen verschleiert durch die weiten, trennenden 
Zeiträume. Denken wir uns einmal auf die einander folgenden 
Wochentage verteilt erst sechs mittelschwere und dann einen 
sehr bösen Fall. Wer wird den letzten — in Wirklichkeit 
fast allein gefahrvollen — am besten operieren? Zweifellos 
der, welcher schon sechsmal die direkte Wendungsmethode ein¬ 
geübt hat. 

Ferner: Man denke sich beauftragt, für ein geliebtes Wesen 
in verzweifelter Lage einen Arzt zu holen und hätte die Wahl 
zwischen einem Arzte, der grundsätzlich wendet und einem, 
der sonst Metreuryse anwendet; wen würde man holen? 

Drittens: Sollte ein Verteidiger des Kolpeurynters sich 
Zutrauen, daß er — plötzlich zur Wendung gezwungen 
ebenso ruhig, geschickt, zur rechten Zeit schnell, dann wieder 
langsam, also gleichsam automatisch richtig handeln werde, 
weil er die Regeln genau im Kopfe habe und auch an 
Sohreckensszenen gewöhnt sei, dann bitte ich ihn, sieh zu 
erinnern, wie es ihm geht, wenn er irgend etwas Neues, io 
medizinischen Blättern Gelesenes probiert. Ist es scheinbai 
noch so einfach, merkwürdig bleibt es, welche Hindernisse sich 
das erste und zweite Mal in den Weg stellen, von denen in 
den Büchern nichts stand! 

Endlich muß betreffs der Statistiken noch ein Wort ge¬ 
sagt werden. Da Neues stets Begeisterung erzeugt (man braucht 
nur an die Zeitungsartikel vor zehn Jahren zu erinuern, worin * 
es hieß: „. . . ein Fall von Metreuryse — Mutter und Kind ge¬ 
rettet“), so ist nicht zu zweifeln, da die Statistiken diesen 
Zeitraum einbegreifen, daß gar manche Metreuryse gemacht ist, 
wo der Wendungsanhänger gar nichts getan' oder nur den 
Eihautstich vorgenommen hätte. Gerade bei der Lektüre von 
Men des Abhandlung ist mir dies gegensätzliche Verhalten 
klar geworden. Die Metreurysestatistik bereichert sich auf 
billige Weise mit manchem guten Fall. Damit soll natürlich 
den Aerzten, die nur auf einen Verdacht einer Gefahr hin den 
Kolpeurynter einlegen, kein Vorwurf gemacht werden. Selbst¬ 
verständlich handelten sie richtig, wenn sie unter allen Um¬ 
ständen die Frauen sichern wollten. Nur um die Bedeutung 


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UNIVERSUM QF MICHIGAN 



Piudpijil 


76 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 



beiderseitiger Statistiken zu kennzeichnen, muß ich darauf hin- 
weisen. Umgekehrt aber, und das ist schlimmer, weil mehr 
täuschend, geht es mit den tödlichen Ausgängen. Von diesen 
erscheint mancher nicht bei den Kolpeurynterstatistiken, wäh¬ 
rend er aufgenommen wird bei den Wendungsergebnissen. Das 
geht ohne jede böse Absicht zu, denn gerade in verzweifeltsten 
Fällen wird auch der Metreuryseanhänger" sofort wenden — 
weil schon Oeffnung war. Aber weil er sein Lieblings ver¬ 
fahren nicht anwendete, berichtet er später nicht darüber in 
seiner Uebersicht über Erfolge der Metreuryse bei Plazenta 
praevia. Der Anhänger direkter Wendung umgekehrt muß sie 
aufnehmen in seine Statistik. So erscheinen mir in dop¬ 
pelter Hinsicht die Ziffernreihen bedenklich zu Gunsten der 
Metreuryse beeinflußt zu sein. Zeigen sie trotzdem bisher kein 
ausschlaggebendes Uebergewicht, so hat der Praktiker die 
Pflicht, sich nach Möglichkeit auf diejenige Operations¬ 
methode einzuüben, welche auch den gefährlichen Fällen ge¬ 
wachsen ist. 

Also das Endergebnis meiner Betrachtungen ist: 

1. Ein abwartendes Verfahren bei nicht sich öffnender 
Zervix unter drohenden Umständen ist nicht mehr erlaubt. 
Die Tamponade darf nur zum einmaligen Notbehelf dienen. 
Solche Fälle sind alsbald mit Metreuryse zu behandeln. 

2. Sämtliche übrigen Fälle — von der randständigen 
Form abgesehen, — wo die Zervixweite die sofortige Wendung 
in irgend einer Form gestattet, sind derselben zu überweisen. 

3. Der Gebrauch des metallenen Dilatators ist zu ver¬ 
meiden; jedoch ist es gestattet, gestützt auf Bossis eigene, 
gute Ergebnisse, dies eingreifendere Verfahren zu verwenden 
als Mittel in der Not, z. B. bei reichlich enger Zervix und 
Platzen eines Ballons in großer Entfernung vom Wohnort des 
Arztes, oder um die Wendung statt mit einem mit zwei 
Fingern zu ermöglichen. 

Ich bin am Ende. Wenn es mir gelungen sein sollte, 
alleinstehenden Praktikern einige Winke zu geben, wie sie in 
dringenden Lagen, nur auf sich allein angewiesen, einer not- 
leidenden Frau noch Hilfe bringen können, würde ich mich 
freuen, klag der eine je nach Studiengang, Temperament, Bau 
der Hand, Geschicklichkeit, persönlichen Erfahrungen sich lieber 
dem Kolpeurynter anvertrauen, gut, wenn er nur überhaupt 
sich zur dringlichen Geburtshilfe entschließt. 

Will ein anderer sein Besteck außerdem noch mit einem 
Dilatator und zwei doppelten Muzeux bereichern, so kann er 
nach meiner Ueberzeugung noch ausgiebiger helfen. Die Haupt¬ 
sache ist auf jeden Fall, die Hände nicht in den Schoß zu 
legen, wenn der Tod über dem Bett einer Mutter schwebt, 
während die Wissenschaft nun schon Wege zur Rettung ge¬ 
funden hat. Denn: 

„Ein Muttergrab ist doppelt tief 
Und dreifach hart der Mutter Tod! w 


Die Arteriosklerose und ihre Behandlung mit 
Asklerosol *). 

Von Dr. P. Münz, Bad Kissingen. 

Während man noch bis vor kurzer Zeit die Gefäßverkal¬ 
kung als eine Alterserscheinung, als einen physiologischen Vor¬ 
gang ansah, der durch das höhere Alter und die um diese 
Zeit ein tretenden Involutionszustände bedingt sei, gilt es heute 
als feststehend, daß die Arteriosklerose als eine wirkliche Krank¬ 
heit, als eine Alterationserscheinung der Blutgefäße aufzufassen 
ist, die wir gar nicht so selten bereits in ganz jungen Jahren 
an treffen. Die Frage freilich, welche inneren Umstände bei 
dem Zustandekommen der sklerotischen Gefäß Veränderungen 
maßgebend sind, erscheint trotz ausgiebiger Forschungen noch 
nicht genügend geklärt. Von manchen Autoren werden als 
die eigentliche Ursache der Arteriosklerose toxische Einflüsse 
des Alkohols, des Tabaks und der Infektionskrankheiten geltend 


*) Vergf. auch meine jüngst erschienene Schrift: »Die Arterienver¬ 
kalkung, ihr Wesen und ihre Behandlung“. (Besprechung s. diese Nr. pag. 87.) 


gemacht, indem gewisse schädliche Stoffe, auch organischer 
Art, welche in der Blutbahn kreisen, die Arterienwand reizen 
und in einen entzündlichen Zustand versetzen, der zur Arterio¬ 
sklerose führt; andere denken auch an den deletären Einfluß 
chemischer Reize bei einer an Extraktivstoffen und Produkten 
der regressiven Metamorphose überreichen Nahrung. Es ist 
aber mehr als wahrscheinlich, daß toxische Einflüsse bei dem 
Zustandekommen der Arteriosklerose keine allzu große, un¬ 
mittelbare Rolle spielen. Die in letzter Zeit vertretene An¬ 
sicht, daß es sich bei der Gefäßverkalkung um eine Stoff- 
wechselerkranküng handele, eine Ansicht, die, nebenbei gesagt, 
nicht einmal den Reiz der Neuheit besitzt, ist noch weniger 
geeignet, jene mannigfach gestalteten und verwickelten Vor¬ 
gänge bei dem sklerotischen Krankheitsbilde auch nur annähernd 
zu erklären. Sicherlich ist es nicht der gestörte Stoffwechsel 
allein, der die Veränderungen in den Gefäßwänden hervorruft. 
Es müssen noch andere Momente in den Zirkulationsverhält¬ 
nissen selbst vorliegen, welche zu Läsionen der Gefäßwände 
und zur Ablagerung von Kalksalzen in denselben führen. Diese 
Lücke in der wissenschaftlichen Erklärung von dem Wesen 
der Arteriosklerose sucht die histomechanische Theorie von 
Thoma, welche teilweise in Rokitansky und Traube ihre 
Vorgänger fand und sich heute wohl der meisten Anerkennung 
erfreut, in einleuchtender Weise auszufüllen. Nach dieser 
Theorie hat die durch äußere Umstände erhöhte Arbeitsleistung 
des Herzens und der Gefäße eine größere Inanspruchnahme 
und Abnutzung der Gefäßwände zur Folge, eine Abnutzung, 
welche ihrereits zu einer Schwächung und ‘einem Elastizitäts¬ 
verluste der Media führt. Damit geht eine Erweiterung des 
Gefäßlumens und eine Stromverlangsamung Hand in Hand. 
Um das Mißverhältnis zwischen Blutmenge und Gefäß weite aus¬ 
zugleichen, tritt gewissermaßen als kompensatorischer Vorgang 
eine Hypertrophie der Muskularis und im weiteren Verlaufe 
eine Neubildung von Rundzellen und Bindegewebe in der In¬ 
tima auf, welche späterhin der Verfettung und anderen re¬ 
gressiven Prozessen verfällt. Freilich scheint uns hier die 
Thoma sehe Theorie in Stich zu lassen; sie sagt uns nicht, 
wodurch in den Gefäßwänden sich Kalksalze, die oft zu förm¬ 
lichen Kalkplatten auswachsen und dem Gefäßrohre die starre, 
oft knochenharte Beschaffenheit verleihen, ablagern. Um diesen 
Vorgang, der doch stets in einem späteren Stadium der Er¬ 
krankung auftritt, zu erklären, müssen wir uns denken, daß 
die Läsionen der Gefäßwände, vielleicht auch die Verlang¬ 
samung der Blutwelle die Vorbedingung für die Ausscheidung 
von Blutsalzen und ihre Ablagerung in den Gefäßen bildet. 

Ist nun die Arteriosklerose als eine wirkliche Krankheit 
aufzufassen, so liegt es uns auch ob, sie in jedem Falle einer 
aufmerksamen Behandlung zu unterziehen. Wenn es auch 
nicht gelingen dürfte, die einmal eingetretenen Gewebsver¬ 
änderungen der Gefäße zu beseitigen, so vermag eine rationelle 
Behandlung doch dem Fortschreiten des Krankheitsprozesses 
Einhalt zu gebieten und den Verlauf aufzuhalten; damit ist 
aber schon sehr viel, ja alles gewonnen. Es genügt nicht, daß 
wir die mit der Arteriosklerose auftretenden Beschwerden wie 
Schmerzen, Herzangst, Atemnot, Schwindelgefühl, Schlaflosig¬ 
keit symptomatisch bekämpfen, wir müssen vor allem, um die 
Behandlung wirksam zu gestalten, den Gesamtprozeß günstig 
zu beeinflussen suchen. Und da gibt uns die Thoma sehe 
Theorie, und die von mir angenommene Ergänzung eine Hand¬ 
habe für die Gesichtspunkte unserer Behandlung. Außer physi¬ 
kalisch-diätetischen Maßnahmen, auf die der Schwerpunkt der 
Behandlung zu legen ist, und der peinlichen Ausschaltung 
aller jener Momente, die als Ursachen der Arteriosklerose an¬ 
geschuldigt werden und eine erhöhte Arbeitsleistung des Herzens 
und der Gefäße nach sich ziehen, werden wir versuchen, die 
gestörten Blutverhältnisse selbst, in denen ja vorwiegend der 
Anlaß zu den folgeschweren Gefäßveränderungen, zu der Ab¬ 
lagerung von Kalksalzen gegeben ist, zum Angriffspunkte der 
Behandlung zu machen. 

Um nun die Blutverhältnisse zu korrigieren und so 
der Ausscheidung der Kalksalze entgegenzutreten, , be¬ 
dient man sich vielfach der zuerst von Trunecek im 
Jahre? 1901 angegebenen Methode, dem Blute bestimmte 


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THERAPEUTISCH!*; RUNDSCHAU. 


77 


i m. 


Blutsalze zuzuführen, welche als „anorganisches Serum“ sub¬ 
kutan zur Verwendung gelangten und jetzt der bequemeren 
und schmerzloseren Handhabung wegen in Form von Tabletten 
als Antiskierosin gereicht werden. Dieses Medikament enthält 
die wichtigsten der im Blute enthaltenen Salze, Natr. chlorat., 
Natr. carbon., Natr. sulf., Natr. phosphor., Magn. phosph. unter 
Weglassung der im Tr u nece ksehen Serum enthaltenen gif¬ 
tigen Kaliumsalze und unter Hinzufügung des dort fehlenden 
Kalz. glyzerin. phosph. Um die Berechtigung dieser Heil¬ 
methode einzusehen, müssen wir uns vor Augen halten, daß die 
normale Blutflüssigkeit eine Reihe von anorganischen Salzen, vor 
allem von Kochsalz, Natriumkarbonat und Alkaliphosphaten in 
bestimmten Mengenverhältnissen enthält, welche dem Blute 
einen bestimmten Grad von Alkaleszenz verleihen. Dank diesen 
alkalischen Eigenschaften vermag das Blut nicht nur die in 
ihm kreisenden Nährstoffe, welche zum Aufbau des Organismus 
dienen, sondern auch wertlose und überschüssige Umsatzpro¬ 
dukte, welche durch die Nieren ausgeschieden werden, in 
Lösung zu halten. Trunecek ging nun von der Ansicht 
aus, daß bei einer Verarmung der Blutflüssigkeit an den nor¬ 
malen Salzen, ein Vorkommnis, das bei den zur Arteriosklerose 
disponierten Individuen so häufig anzutreffen ist, und bei 
der damit einhergehenden Abnahme der Alkaleszenz die im 
Blute vorhandenen Kalkphosphate, die sich sonst in Lösung 
befinden, gefällt werden, sich in die Gefäßwände ablagern und 
hier die Entwicklung der Krankheit fördern. Durch Einfüh¬ 
rung der wichtigsten normalen Blutsalze in den Organismus 
soll dieser Fehler ausgeglichen werden. Freilich reicht diese 
Erklärung von Trunecek nicht aus, um den Heileffekt der 
von ihm empfohlenen Therapie in befriedigender Weise zu er¬ 
klären; denn der Prozeß der Verkalkung tritt erst im späteren 
Verlaufe der Erkrankung auf und ist gewissermaßen als das 
Endstadium derselben zu bezeichnen. Wir müssen uns viel¬ 
mehr denken, daß vorher andere Momente, wie sie nach der 
Thomaschen Theorie gegeben sind, die Gefäße in einen 
Reizzustand versetzen und daß dann erst auf Grundlage dieser 
Alteration der Gefäß Wandungen eine Ablagerung von aus¬ 
fallenden Kalksalzen in ihnen erfolgt; bei ganz gesunden glatt- 
wandigen Gefäßen und bei ganz normaler Blutgeschwindigkeit 
wird es selbst bei einer Abnahme der Blutalkaleszenz zu keiner 
Ablagerung von Kalksalzen kommen. Die medikamentöse An¬ 
wendung der Blutsalze kann darum dem Fortschritt des skle¬ 
rotischen Prozesses nur dann mit Erfolg entgegentreten, wenn 
gleichzeitig eine Ausschaltung aller jener Momente einhergeht, 
die zu einer Alteration der Gefäßwände führen; wir müssen 
den Gesamtorganismus kräftigen, die Herztätigkeit regulieren, 
vor allem den Blutdruck herabsetzen. L. Levy und Teissier. 
welche mit dem Mittel gute Erfahrungen gemacht haben, 
suchen deshalb die Wirkung der Mineralsalze auf eine Er¬ 
weiterung der Gefäße und eine Herabsetzung des Blutdruckes 
zurückzuführen; Merklen findet sie in einer Stärkung des 
Nervensystems, in einer Besserung der bei Arteriosklerose stets 
vorhandenen „Asthenie des Nervensystems“. Schefflet* macht 
ebenfalls als das wirksame Prinzip eine „Remineralisation“ des 
Organismus geltend, der bei Arteriosklerose einen großen Mangel 
an Mineralbestandteilen aufweist. 

Die Erfolge, die mit der Anwendung der Mineralsalze in 
allen Stadien der Erkrankung erzielt wurden, und über die 
uns außer den genannten Autoren Goldschmidt, v. Zgorski. 
Gordon, Zanoni, Hotys, M. Fränkel, Richardson und 
viele andere berichten, sind überaus günstige, und dieser 
Therapie kann, zumal da schädliche Nebenwirkungen aus der 
Verwendung derselben nicht resultieren, nua* das Wort geredet 
werden. Auch Senator gibt auf Grund seiner Erfahrungen 
zu, daß die vorsichtige Zufuhr von Antiskierosin bei Arterio¬ 
sklerose „nichts schaden und vielleicht nützen kann“. 

Wenn freilich die Gegner des Antislderosins demselben 
vorwerfen, daß es nicht der Zusammensetzung des Blutes völlig 
entspreche, so vergessen sie, daß einerseits die Mineralbestand¬ 
teile des Blutes recht schwankende sind und daß anderseits 
das Blut, selbst in krankhaften Zuständen, also auch bei der 
Arteriosklerose, nicht aller Salze bar ist; das Antiskierosin 
braucht darum nicht alle Blutsalze genau in ihrer Zusammen¬ 


setzung zu enthalten, da es ja nur durch Zufuhr der wichtigsten 
und vielleicht fehlenden Mineralsalze die Alkaleszenz des Blutes 
erhöhen will. 

Ich selbst habe, von der Tatsache ausgehend, daß der 
Rakoczy in Bad Kissingen, wo alljährlich viele hunderte Arterio- 
sklerotiker Heilung ihrer Beschwerden suchen, eine Reihe der 
im Antiskierosin wirksamen Minefalbestandteile in geeigneten 
Mischungen enthält, aus den Salzen dieses Brunnens unter 
Hinzufügung einiger wichtiger, noch fehlender Blutsalze ein 
Präparat hersteilen lassen, das ich Asklerosol benannte; seine 
Zusammensetzung stützt sich auf das anorganische Serum von 
Trunecek, ohne dessen Kaliumsulfat und das bei dem Anti- 
sklerosin vorhandene Kalz. glyzerin. phosphor. zu enthalten. 

Das Asklerosol. in Tabletten form von dem Besitzer der 
Boxbergerschen Apotheke in Bad Kissingen, Dr. Kraft, nach 
meinen Angaben angefertigt, faßt in jeder Tablette die Salze 
von 90 r g Rakoczy und besitzt außer seiner antisklerotischen 
Wirkung den Vorzug, daß es gleichzeitig als mildes Purgier¬ 
mittel ‘wirkt, ein Vorzug, der bei Arteriosklerose nicht zu 
unterschätzen ist. Das Asklerosol gelangt entweder in reiner 
Form zur Darstellung oder unter Zusatz des bei Arterio¬ 
sklerose so beliebten Jods, von Sajodin und neuerdings von 
Jodglidine, das sich als leicht resorbierbar erweist und Neben¬ 
erscheinungen nicht hervorruft. Asklerosol und Jod ergänzen 
sich in ihren Wirkungen. Wirkt das Jod blutdruckerniedrigend, 
vermindert es die Zähflüssigkeit des Blutes, so verhindert 
Asklerosol selbst eine Ablagerung von Kalksalzen in den Ge¬ 
fäßen. Drei Tabletten Asklerosol entsprechen etwa 20 g des 
Tr u n ecekschen Serums. Der Körper behält von den im 
Asklerosol in Ueberschiissen gebotenen Salzen diejenige Menge 
zurück, die er gerade benötigt, um den Mangel auszugleichen. 
Ich habe das Asklerosol bei einer großen Anzahl von Patienten 
— etwa 200 — sowohl in den Anfangsstadien wie bei vor¬ 
geschrittenen Prozessen, bei Asthma kardiale, Angina pektoris, 
Gehirn- und Nierensklerose, iu Anwendung gebracht und kann 
konstatieren, daß die Erfolge sehr befriedigende waren, jeden¬ 
falls befriedigender als bei dem Gebrauche eines anderen Medika¬ 
mentes; bei längerem Gebrauch läßt die Spannung und Härte 
des Pulses etwas nach, das Allgemeinbefinden wird besser und 
die gerade hervortretenden Beschwerden wie Schwindelgefühl, 
Ohrensausen, Schlaflosigkeit, Schmerzen, Atemnot, Beklem 
mungsgefühl werden gemildert. Dieser Erfolg muß deshalb 
einzig und allein auf das Konto des Asklerosols gesetzt werden, 
weil die Besserung erst von jener Zeit datierte, wo das Askle¬ 
rosol genommen wurde. Die Patienten empfanden so sehr die 
günstigen Wirkungen des Asklerosols, daß sie das Mittel gern 
nahmen und nach längerer Unterbrechung desselben, wenn 
Beschwerden sich wieder einstellten, wiederum zu ihm griffen. 
Asklerosol wird täglich in Gaben von zwei bis sieben Tabletten, 
am besten in lauwarmem Wasser gebraucht. Schädliche Neben¬ 
erscheinungen habe ich selbst bei Verabfolgung großer Dosen 
nie beobachten können. Es spricht also nichts gegen, wohl 
aber vieles für die therapeutische Verwendung des Asklerosols 
in der Behandlung der Arteriosklerose. 


REFERATE 



Augenheilkunde. 

Referent: Privatdozent Dr. G. AbelsdorfF, Berlin. 

1. Zur perkutanen Jodbehandlung. Von Zimmer mann. 
Oplrthalmol. Klinik, XI. Jahrg., Nr. 22, S. 073. 

2. Ueber das gegenseitige Verhältnis von Hemeralopie 
und Xeratomalazie. Von A. Schiele. Wochensehr. f. Therapie 
und Hygiene des Auges, XI, Nr. 18, S. 101. 

3. Ueber den Wert der subkonjunktivalen Injektionen und 
ihre Theorie. Von Th. Ballaban. Wien. klm. Wocheuschr., Nr. 51. 
S. 1603, 



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UNIVERSHY OF MICHIGAN 




18 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 



4. Eine Verletzung des Auges durch Essig. Von R. Krämer, 


Ebenda, Nr. 51, S. 1607. 

1. Zimmermann empfiehlt für Augenerkrankungen, welche 
eine Jodbehandlung erfordern und die interne Verabreichung 
von Jodpräparaten oder die subkutane von Jodipin nicht ge¬ 
statten, das Jothion als 25 %ige Salbe für Erwachsene, als 10 bis 
25%ige für Kinder mit einer Salbengrundlage von amerikanischem 
Vaselin oder Vaselin und Lanolin zu gleichen Teilen. Wenn 
diese Salbe in die Haut eingerieben wird, gelingt der Nachweis 
von Jod in den Ausscheidungen noch nach einer Woche. Beson¬ 
ders gute Erfahrungen wurden bei der Behandlung skrofulöser 
Augenleiden jugendlicher Individuen gewonnen, wo Jothion monate¬ 
lang gebraucht wurde, so daß Verf. in diesen Einreibungen auch 
einen Ersatz für Lebertran sieht. 

2. Da wir der Keratomalazie des Säuglings meistens machtlos 
gegenuberstehen, verdient der Vorschlag Schieies Beachtung, 
der von der Beobachtung ausgeht, daß in Rußland zur Zeit der 
großen Fasten sich Hemeralopie und Keratomalazie häufen und die 
erstere durch Lebertran rasch geheilt wird. Die Keratomalazie der 
Säuglinge konnte auf Fälle zurückgeführt werden, wo die Kinder 
während der großen Fasten gar keine Milch erhielten oder von an 
Hemeralopie leidenden Müttern gesäugt wurden. In solchen Fällen 
führte die Verabreichung von Lebertran an die Mutter zur Heilung 
der Kornealaffektion beim Säuglinge. 

3. Ball ab an hebt hervor, daß das Tierexperiment und die 
klinische Erfahrung übereinstimmend zu dem Schlüsse führen, daß 
subkonjunktivale Kochsalzinjektionen in allen Fällen, in welchen 
die entzündliche Reaktion im Auge stark genug ist, zwecklos, 
wenn nicht schädlich sind, daß sie aber alle schleichenden und 
chronischen Erkrankungen des Augeninnern (Iridozyklitis, Glas¬ 
körpertrübungen etc.) günstig beeinflussen. Die Frage der Wirk¬ 
samkeit der subkonjunktivalen Injektionen bei Netzhautablösung 
läßt sich noch nicht abschließend beantworten. 

4. Krämers Beobachtung bildet eine Mahnung, bei der 
Applikation von Essiglösungen in der Umgebung der Augen die 
größte Vorsicht walten zu lassen: 

Einem Patienten war wegen einer schweren Ohnmacht von 
seiner Frau das Gesicht mit Essig gewaschen worden (wahrschein¬ 
lich eine ca. 9%ige Essigsäurelösung); die Konjunktiva bulbi wurde 
leicht verätzt, und es bildete sich eine erst innerhalb fünf Monaten 
heilende Erosion der Kornea! 


Ohrenheilkunde, 

Referent: Spezialarzt Dr. M. Halle, Berlin. 

1. Ein Fall von Siebbeineiterung in Folge von Tamponade 
nach Bellocque. Von Rudolf Goldman, Komotau. 

2. Zur Tamponade der Nase und des Nasenrachenraums. 

Von Dr. G. Lennhoff in Berlin. Münch. Med. Wochenschr., 
Nr. 53. 

3. Die Gesundheitspflege des Mundes. Von Dr. Kenneth 
W. Goadby, Dozent für Bakteriologie an der National-Heilanstalt 
für Mundkrankheiten und an der Londoner Schule für tropische 
Medizin. Wiener med. Presse, Nr. 52. 

4. Die Korrektur der Schiefhase. Von Dr. Jacques Joseph 
in Berlin. Deutsche Med. Wochenschr., Nr. 49. 

5. Wann ist die Radikaloperation der Nebenhöhlen der 
Nase notwendig'? Von San.-Rat Dr. W. Lublinski in Berlin. 
Deutsche Med. Wochenschr., Nr. 49. 

G. lieber die Physiologie der Tonsillen und die Indikation 
zu ihrer Abtragung. Von Dr. E. Barth, in Berlin. Deutsche 
Med. Wochenschr., Nr. 49. 

1. Bei einer Patientin, die seit drei Tagen mit Intervallen 
Nasenblutungen hatte, die mit vorderer Tamponade vergeblich be¬ 
handelt war, machte Verf. die Bellocquesche Tamponade, die 
er bei der erschöpften Patientin 80 Stunden liegen ließ. Danach 
trat ein akutes Empyem des Siebbeins und eine Otit. med. auf, 
die glatt unter konservativer Therapie abheilten. Goldmann 
macht daher (mit Schmidt, Schech u. a.) darauf aufmerksam, 
daß man den Tampon nicht länger als 24 Stunden liegen lassen 
solle. 


Referent kann dem für die Bellocque sehe Tamponade im 
allgemeinen nur zustimmen, zumal hier meistens nicht antiseptische 
Watte od. dgl. genommen wird. Bei der vorderen Tamponade 
dürfte in einer großen Reihe von Fällen die frühzeitige Entfern¬ 
ung der Tamponade nicht zu empfehlen sein; 

Im übrigen haben in dem Fall des Verfassers so viele Ver¬ 
suche zur Stillung der Blutung stattgefunden, daß für die Sieb¬ 
beineiterung auch andere Ursachenais die Bellocquesche Tamponade 
möglich sind. Wie aber auch immer, bei lebenbedrohenden Blut¬ 
ungen wird man lieber eine Komplikation in den Kauf nehmen als 
das entmutigende Eintreten einer neuen Blutung. 

2. Lennhoff empfiehlt aufs neue zur Tamponade der Nase 
behufs Blutstillung seinen Zugstreifentampon. 

Die Methode Lennhoffs wird dem Praktiker in vielen 
Fällen gute Dienste leisten, da sie relativ einfach ist und eine 
Verstärkung des inneren Druckes besonders an den hinteren Ab¬ 
schnitten des Tampons auch nachträglich gestattet. Der spezial¬ 
ärztlich Erfahrene wird sich allerdings meist anders helfen können. 

3. Daß trotz unserer beständig fortschreitenden Hygiene auf 
dem Gebiete der Zahnpflege noch die unglaublichsten Mißstände 
herrschen, wird dem Verfasser jeder aufmerksame Arzt gern be¬ 
stätigen. Es ist aber trotzdem verdienstvoll, daß Verf. wiederum 
nachdrücklichst auf manche durch Karies, Gingivitis und Stomatitis 
verursachten Schädigungen des Organismus hinweist und Wege 
angibt, wie sich eine allgemeine zahnärztliche Versorgung etwa 
erreichen ließe. Scheinen diese Wege auch nicht alle gangbar, 
wenigstens nicht bei uns, so dürfte doch viel, noch viel mehr für 
die Mundpflege zu sorgen sein, als es bisher geschieht. 

4. Es ist ein unbestreitbares Verdienst von Joseph, die 
Kosmetik der Nase wieder in den Vordergrund des Interesses 
gerückt und Methoden angegeben zu haben, — anfangs durch 
äußere, später durch interne (subkutane) Operation — eine wesent¬ 
liche Formverbesserung der Nase zu erzielen. 

Ueber die Berechtigung zu solchen Operationen kann kein 
Zweifel herrschen. Einmal haben schon seit undenklichen Zeiten 
die Menschen alle möglichen Torturen ertragen, um ein vermeint¬ 
liches Schönheitsideal zu erreichen, anderseits kommen in der Tat, 
wie Joseph schon in seiner ersten diesbezüglichen Publikation 
betont, schwerste psychische Störungen vor, die durch solchen 
äußeren Defekt verursacht sind und nach dessen Beseitigung 
schwinden. 

Verf. gibt hier zwei neue Methoden an, die Schiefstellung 
des knorpeligen bezw. des knöchernen Nasenteils zu beseitigen. 
Theoretisch erscheinen dieselben sehr einleuchtend und, nach der 
Erfahrung des Referenten bei ähnlichen Eingriffen, unschwer durch¬ 
führbar. 

Doch scheint mir ganz allgemein, daß in einer nicht geringen 
Anzahl der Fälle eine einfache Injektion von Hartparaffin, die ja 
heute ganz gefahrlos gemacht werden kann, ausreichen würde, um 
ein kosmetisches Resultat zu erreichen, das manchem operativ er¬ 
reichten nicht nur nicht nachsteht, sondern es übertrifft. Nichts¬ 
destoweniger sind die von Joseph abgebildeten Erfolge sehr 
hübsche. In diesen Fällen wäre ohne Operation kein Erfolg 
möglich gewesen. 

5. Eine glatte Antwort auf diese aufgeworfene Frage gibt 
Verf. nicht — kann er auch nicht geben. Je nach der Ausbil¬ 
dung seiner Technik, seiner Selbstkritik, seinem Temperament 
stellt jeder Operateur eine verschiedene Indikation. Nur darin 
stimmen, wie Lublinski betont, alle Autoren überein, daß bei 
akuten Empyemen eine lokale Therapie neben der allgemeinen 
(Bettruhe, Schwitzbett, heiße Umschläge,'Aspirin) in den Hinter¬ 
grund zu treten hat. Aber auch sonst redet Verf. einer mehr 
konservativen Behandlung das Wort. Er begnügt sich gern mit 
kleineren Eingriffen, indem er dem Eiter Abfluß verschafft und 
durch endonasale Behandlung Heilung zu erzielen sucht. 

Lublinski vertritt hier einen Standpunkt, den Referent in 
verschiedenen Publikationen nachdrücklich betont hat. Es sind in 
der Tat in sehr vielen Fällen, die radikal operiert werden sollten, 
auch t durch endonasale Eingriffe Dauererfolge erzielt worden. 

Nur die Eröffnung des Antrum von der Alveole halte ich 
aus prinzipiellen Gründen für unzweckmäßig, wenn sie auch jahre- 


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‘ ', •ji'l.T “t/i" ‘ .'■ ■» *' .' v ' 

läng die bevorzugte Operation war. Nur eine Ausnahme scheint 
nur zulässig, wenn nämlich der kranke Zahn in die Kieferhöhle 
hineinragte. * 

Aber auch dann ist es nach meiner Erfahrung das ^zweck¬ 
mäßigste, nach wenigen Ausspülungen die Mundöffnung zugehen 
zu lassen und von der Nase aus weiter zu behandeln. In der 
Berl. klin. Wochenschr., 1907, Nr. 42 und 43, habe ich das aus¬ 
führlich begründet. 

Die Radikaloperationen hält Lublinski im Prinzip wohl 
nur bei lebenbedrohenden Komplikationen und bei dauerndem in¬ 
tensivem Schmerz für angezeigt. Stets versucht er mit weniger 
eingreifenden Methoden zum Ziel zu gelangen, und man kann nur 
wünschen, daß dieser Standpunkt, soweit nicht die Behandlung 
dadurch eine endlose wird, mehr beachtet würde, als es unter 
dem Eindruck der großen technischen Erfolge auf diesem Spezial¬ 
gebiete längere Zeit der Pall war. 

6. Verf. versucht ein gegenwärtig vielfach strittiges Gebiet 
der Lösung näher zu bringen. Während der eine jede Hyper¬ 
trophie der Tonsillen und des adenoiden Gewebes entfernen will, 
hält der andere jeden Eingriff für kontraindiziert. Das Richtige 
liegt hier wohl, wie so oft, in der Mitte. Barth sucht einen 
klaren Blick über die physiologische Bedeutung der Tonsillen zu 
gewinnen und hat- eine große Reihe von Tatsachen zu diesem 
Zwecke zusammengetragen. Einzelheiten müssen im Original ge¬ 
lesen werden. Im Prinzip erklärt Barth „die Tonsillen für 
Schutzapparate in demselben Sinne wie die Lymphdrüsen, ihre 
Zellenemigration befähigt sie noch zu besonderen Schutzleistungen“. 
Daß aber für die Abtragung hypertrophischer Tonsillen (Adenoiden) 
die durch sie bedingten örtlichen Störungen allein maßgebend 
sind, kann nicht zugegeben werden. Vielmehr kommt es daneben 
in erster Linie auf Allgemeinstörungen an, Entwicklungshemmungen, 
Beeinträchtigung des Gehörs und dergl. Dies meint wohl Verf. 
auch selber, da er es an anderer Stelle seiner interessanten Arbeit 
andeutet. 

Ebensowenig kann sich Referent mit einer radikalen Ent¬ 
fernung der Tonsillen befreunden. Barth widerspricht sich 
eigentlich selbst, wenn er einerseits Tonsillengewebe für sehr wichtig 
erklärt, anderseits es für einen Pehler hält, wenn man ,,nur den 
Teil fortnimmt, welcher gerade bequem gefaßt werden kann“. 
Mir erscheint es völlig ausreichend, wenn nur die stark über den 
Gaumenbogen prominierenden Teile abgetragen werden. Bleiben 
dann etwa noch Störungen zurück, so hilft dem ein kleines Schlitz¬ 
messerchen völlig ab. 

Wie man die Rachentonsille operiert, dürfte wohl gleich¬ 
gültig sein, wenn man nur Barths Forderung erfüllt, daß man 
die Schleimhaut sorgfältig erhält. Wenn man aber operiert, dann 
dürfte exakteste Entfernung des adenoiden Gewebes am Platze 
sein, da Reste sehr leicht - wieder zu erheblichen Störungen führen 
und die ganze Operation diskreditieren. Barth glaubt ferner, 
daß „manche der sogenannten Rezidive auf unvollständiger Opera¬ 
tion beruhen 1 2 3 4 . Dem ist voll und ganz beizupflichten. Referent 
konnte ein Rezidiv nach sicher sorgfältiger Operation fast nie 
oder nie feststellen. 


Lungenkrankheiten. 

Referent: Dr. Ernst Meyer, Assistent an der Universitäts¬ 
poliklinik für Lungenkranke, Berlin. 

1. Tuberkulinbehandlung, insbesondere Perlsuchttherapie 
nach Karl Spengler. Von Moriz Wolf. Wien. med. Woch., 
1907, Nr. 52. 

2. Behandlung der Tuberkulose mit Marmorekserum und 

Neutuberkulin. Von Max Elsässer. Deutsch, med. Woch., 
1907, Nr. 51. 

3. Zur Diagnose der Pleuritis diaphragmatika. Von Seh- 
wald. Deutsch, med. Woch., 1907, Nr. 52. 

1. Bei der Behandlung der Tuberkulose werden von den 
meisten Kliniken die verschiedenen Tuberkuline verwandt, wobei 
der eine diesem, der andere jenem den Vorzug gibt. 

Moriz Wolf spricht in seinem Artikel über die günstigen 


Erfolge, die er mit Perlsuchttuberkulin gehabt hat. Er injizierte 
nach Spenglers Angabe zuerst kleinste Mengen, später schnell 
steigend große Quantitäten, indem er gleichzeitig reichlich Jod¬ 
präparate gab. Verf. gibt an, daß er dieser Therapie vor jeder 
anderen, auch vor dem Aufenthalt im Hochgebirge bei weitem 
den Vorzug gebe. Haemoptöen seien kaum zu befürchten, auch 
bei Neurasthenikern und Hysterischen könne die Therapie ange¬ 
wandt werden. Bei Pseudoasthma sei Vorsicht am Platze. — 
Bei Tuberkulin-Jodbehandlung sah Verf. außerdem eine ganze 
Reihe subjektiver Beschwerden wie Herzklopfen, Kardialgien, Er¬ 
brechen etc. etc. verschwinden. — Bei Kindern wurden mit Er¬ 
folg perkutane Tuberkulineinreibungen gemacht. 

2. Max Elsässer hatte mit dem Marmorekserum bei 
Lungentuberkulose keine besonders günstigen Wirkungen gesehen, 
ebensowenig bei den meisten chirurgischen Fällen; daß es bei 
einigen chirurgischen dennoch günstig gewirkt hat, führt Verf. 
auf das im Marmorekserum enthaltene Streptokokkenantitoxin zu¬ 
rück. — Dagegen sah er viele günstige Erfolge durch Behandlung 
mit Neutuberkulin sowohl bei Lungen- wie Drüsen- und Knochen¬ 
tuberkulose, auch bei häuslicher Behandlung und guter Pflege 
außerhalb der Heilstätten. Gute Ausblicke gewährt die Neu¬ 
tuberkulinbehandlung auch dadurch, daß durch sie die Volksheil¬ 
stätten entlastet werden können, und bei kürzerer Behandlungs¬ 
dauer einer größeren Anzahl Patienten Aufnahme gewähren können; 
ferner dadurch, daß man in Kinderstationen durch Neutuberkulin- 
kuren dem Ausbruch späterer Lungentuberkulose Vorbeugen könne. 

3. Ueber einen interessanten Fall von Pleuritis diaphragmatika 
berichtet Sehwald. Er beobachtete Verminderung der Zwerch¬ 
fellsbewegungen, dadurch Dyspnoe, ja Orthopnoe, einseitigen Hoch¬ 
stand des Zwerchfells der kranken Seite, zuweilen Obstipation und 
Ikterus, heftige Schmerzen bei jeder Zwerchfellsbewegung, Schmerzen 
und Husten beim Durchtritt eines Bissens durch das Foramen 
oesophageum, ferner noch Reiben im Bereich des Zwerchfells und 
Peritonitis. 


Magen-, Darm- und Stoffwechselleiden. 

Referent: Spezialarzt Dr. M. Pickardt, Berlin. 

1. Arznei und Appetit. Von W. Sternberg. Therapie der 
Gegenwart, 1907, Nr. 12. 

2. Zur Fibrolysinbehandlung perigastritischer Verwachs¬ 
ungen. Von C. Michael. Berl. klin. Wochenschr., 1907, Nr. 50. 

3. Beiträge zur Oelbehandlung der IJlzera und Stenosen 
des Pylorus. Von Bloch. Arch. f. Verdauungskrankheiten, 1907, 
Band 13, Heft 6. 

4. Heilung von Peritonitis tuberkulosa durch Sonnenbestrah¬ 
lung. Von Scheimpflug. Wiener klin. Wochenschr., 1907, 
pag. 1645. 

5. Ein Beitrag zur Spontanruptur der steinhaltigen Gallen¬ 
blase in die Bauchhöhle. Von Fink. Prag. med. Wochenschr., 
1907, Nr. 50. 

6. Zur Frage der Magensaftsekretion bei Rektalernährung. 
Von C. Michael. Berl. klin. Wochenschr., 1907, Nr. 45. 

1. Verf. nimmt kritisch Stellung zu der in der Tat von 
vielen Aerzten geübten Unsitte, die Appetitlosigkeit, das unbe¬ 
quemste Symptom bei unseren Bestrebungen, den Kräftezustand 
unserer Kranken zu heben, die Rekonvaleszenz zu beschleunigen 
und sie zu heilen, ausschließlich auf arzneilichem Wege beheben 
zu wollen. Er ist der Meinung, daß, da jede Arznei einen ,,Un¬ 
geschmack“ habe — Beweis: kein Kind nascht an einer Medizin 
—, ein Medikament auch nicht den Appetit heben könne. Er 
führt zwei Patienten an, die — der eine in privatärztlicher Behand¬ 
lung, der andere in einem Krankenhaus — neben- und hinterein¬ 
ander mit einer großen Anzahl von Medikamenten versehen wurden 
und dabei ihren Appetit verloren bezw. nicht wiederbekamen. Die 
Sistierung der Mittel allein führte den Appetit herbei, imd e* 
komme lediglich auf die Zubereitung, den Komfort, die Schmack¬ 
haftigkeit der Nahrung an, um erfolgreich die Anorexie zu be¬ 
kämpfen; aus diesem Grunde sei für die Ausbildung von Stu¬ 
dierenden und Aerzten in der Diätetik, in der Krankenküche 
reichlich Sorge zu tragen. An einer anderen Stelle hat St. den 


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Gedanken vorgetragen, daß es an der Zeit sei, für diese Zwecke 
ein „diätetisches Institut“ zu begründen. 

Diesen Ideen liegt zweifellos erstens eine* große Menschen¬ 
freundlichkeit zu Grunde, zweitens auch eine gesunde Beurteilung 
bestehender Mißstände. Daß der praktische Arzt zu wenig von 
der Diätetik weiß und noch weniger kann, ist sicher richtig und 
sichert uns Spezialisten auf dem Gebiet der Verdauungskrank¬ 
heiten einen Teil unserer Erfolge, wenn — wir mehr wissen 
und können. Es heißt aber wohl das Kind mit dem Bade aus- 
schütten, wenn man erstens die — rein somatisch betrachtet — 
Wirksamkeit aller Medikamente leugnet, ferner aber wäre es 
dem Praktiker nicht anzuraten, wenn er auf Grund einer solchen 
Ueberzeugung, wie sie St. deduziert, seinen Patienten „Sto- 
machika tt vorenthalten wollte. Ob sie psychisch wirken, ob sie 
somatisch ihre Schuldigkeit tun, ist dem kranken Menschen absolut 
gleichgültig, und daß man Anorexie in ganz außerordentlich vielen 
Pallen mit Medikamenten — oder richtiger: auch mit Medika¬ 
menten — Hessen! und heilen kann, ist eine kaum wegzudispu¬ 
tierende Erfahrung der allertäglichsten Praxis. Zweierlei darf 
natürlich nicht Platz greifen: gedankenloses Rezeptverschreiben 
irgend eines Mittels, das einem gerade einfällt, und zweitens 
solche törichte Uebertreibungen, wie sie der Verf. mit Recht als 
an seinen Patienten von anderer Seite begangen geißelt. 

2. Bekanntlich hat seit mehreren Jahren Mendel in Essen 
für die Anwendung von Thiosinamin — oder des sogenannten 
Fibrotysin, d. h. Thiosinamin. natriosalizylikum — in subkutanen 
Injektionen Hei Narbensträngen nicht nur an der Oberfläche des 
Körpers, sondern auch im Innern des Organismus plädiert. Trotz 
doch nicht gerade seltener Gelegenheit, die durch Operationen an 
Magen und Darm mit nachfolgenden Adhäsionen, sowie im Gefolge 
spontaner Heilungsvorgänge, besonders nach ulzerativen Vorgängen, 
gegeben wurde, das Verfahren zu erproben, ist bisher noch wenig 
von Erfolgen mit diesem Verfahren in der Literatur die Rede 
gewesen. M. bereichert diese nun um zwei Fälle aus dem 
Berliner Augustahospital, bei denen perigastritische Verwachsungen, 
die in beiden Fällen als durch vorgehende Operationen erwiesen 
anzusehen sind, nach Ulkus ventrikuli bezw. eventuell duodeni, 
geheilt wurden, jedenfalls die Patienten beschwerdefrei entlassen 
werden konnten. Bei einem der beiden Kranken ist indes auf¬ 
fallend, da!3 bereits bei der dritten Injektion die Beschwerden auf¬ 
hörten. 

Die Einspritzungen wurden jeden zweiten Tag vorgenommen, 
intramuskulär, waren völlig schmerzfrei und störten das Allgemein¬ 
befinden gar nicht oder unbedeutend. ln einem dritten mit¬ 
geteilten Falle (Pylorusstenose auf organischer Basis) wurde kein 
Erfolg ei zielt, eine operativ gesetzte Bauchhernie sogar vergrößert, 
so daß nach der sechsten Injektion abgebrochen wurde. 

Die Erfahrungen bezüglich der Bewertung des Thiosinamin 
be/. Fibrolysin (Merck) — Dosis eine halbe bis eine ganze Am¬ 
pulle — gehen noch so weit auseinander — vor einigen Jahren 
z. B. berichtete Baumstark aus dem gleichen Hospital über 
durchaus negative Erfolge —, daß angesichts der Ungefährlich¬ 
keit des Mittels weitere sorgfältige, unparteiische Berichte mit 
Freuden zu begrüßen wären. 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Vitell. ov. un., 

Aqu. dest. ad 200,0, 

f. emulsio, 3 mal täglich 1 Eßlöffel. 

Die Resultate waren durchweg gute; insbesondere empfiehlt 
B. den Versuch der Oeltherapie vor eventueller Operation wegen 
Pylorusstenose — wegen der immer noch großen Todesziffer der¬ 
selben — und rät die Fortsetzung der Kur nach der Operation 
zur Vermeidung eines Ulkus jejunale, dessen Bildung der hyper- 
azide Magensaft dann nicht selten veranlaßt öder begünstigt. 

4. Sch. beschreibt ausführlich den Fall eines Herrn, welcher 
an Lungentuberkulose, einer alten Lues und wahrscheinlich auch 
Malaria litt, außerdem organische, verschieden diagnostizierte 
Magenstörungen hatte und zu alledem eine, wie sich "erst später 
herausstellte, Peritonitis tuberkulosa akquirierte. In einem Sana¬ 
torium machte Pat. im ganzen sieben, insgesamt über Jahre sich 
hinziehende Kuren diu’ch, deren Hauptfaktor eine intensive Sonnen¬ 
bestrahlung war. Ihr Effekt war eine vollkommene Heilung der 
Peritonitis mit allen subjektiven und objektiven (Ascites) Folge¬ 
erscheinungen. Verf. sieht diese Heilwirkung des Sonnenlichtes 
als eine „spezifische“ an. 

5. Bei einem Patienten, welcher schon viele Oholelithiasis- 
anfälle durchgemacht hatte, erfolgte bei einer brüsken Bewegung 
ein intensiver Schmerz in der Lebergegend, welcher aber — unter 
Erhöhung der Pulsfrequenz und mäßiger Temperatursteigerung — 
allmählich nach der Appendixgegend zu wanderte. Als peritoneale 
Reizerscheinungen hinzutraten: Operation. Leber sehr hochstehend; 
in der Gallenblasenwand eine große Perforationsöffhung, in der 
Vesika selbst ein Konkrement. Drainage der Gallenblase und 
Bauchhöhle; Heilung. 

6. M. hat an einigen Kranken mit Ulkus ventrikuli und 
Folgeerscheinungen die von Umber aufgeworfene und bejahte 
Frage, ob — bei Ausschluß psychischer Mitwirkung — nach Ein¬ 
verleibung von Rektalklysmen mit Nährstoffen eine bemerkens¬ 
werte Sekretion von wirksamem Magensaft eintrete, nachgeprüft. 
Diese Frage ist insofern für die Praxis von nicht zu unter¬ 
schätzender Bedeutung, als bekanntlich von der übergroßen Mehr¬ 
zahl der Aerzte bei schwerem Ulkus ventrikuli, besonders bei 
Blutungen ex ulzere, nach mehrtägiger absoluter Karenzzeit zu¬ 
nächst rein rektal ernährt wird, und natürlich eine dabei auf- 
tretende Produktion von freier Salzsäure aus der Magenschleim¬ 
haut die Tendenz zur Heilung des Ulkus erheblich beeinträchtigen 
muß. Im Gegensatz zu Umber — der an Magengesunden ex¬ 
perimentierte — hat Verf. nun — durchaus überzeugend — 
nachweisen können, daß eine eine halbe bis ganze Stunde nach 
Klysma vorgenommene Ausheberung des Magens keine praktisch 
bedeutsamen Mengen von Magensaft aufwies. Psychisch und 
somatisch bewährten sich die Einläufe stets gut. 


Säuglingsfürsorge. 

Referent: Di\ Gustav Tugendreich, Berlin, leitender Arzt 
der städt. Säuglingsfürsorgestelle 5. 


3. Die von Akimow-Peretz im Jahre 1898 eingeführte Be¬ 
handlung von Pylorusstenosen organischer wie spastischer Natur 
wurde durch Cohnheim modifiziert, indem er an Stelle der 
Mandelmich A.s reines Oel einführte, und zwar morgens nüchtern 
100 bis 150 ccm mittels Schlundsonde in den leeren Magen und 
abends per os 50 cem; in leichteren Fällen morgens Oel, mittags 
und abends Mandelmilch; in ganz leichten und in Besserung be¬ 
findlichen schwereren nur Blandeiölemulsion. 

Seit Cohnbeims Publikation sind nur wenige Veröffent¬ 
lichungen über diese Behandlungsmethode erschienen, so daß B. 
aus C.s Poliklinik 19 weitere Fälle beibringt, um den Effekt der 
Oeltherapie aufs neue zu illustrieren. 

B. wandte reines Oel nur in kleinen Dosen an; im übrigen 
Emulsion von süßen Mandeln nach folgendem Rezept: Ein Eßlöffel 
süße Mandeln wird mit einem viertel Liter heißen Wassers über¬ 
gossen. 

Oder: Tct. Belladonn. 5,0, 

Ol. Amygd. dulz. 30,0, 


1. Herstellung tadelloser Kindermilch. Von Weber. Zeit- 
schr. f. Säuglingsfürsorge, Bd. I, Nr. 12. 

2. Bericht über die Säuglingsfürsorgestellen der Schmidt- 
Gellisch-Stiftung. Im Aufträge der leitenden Aerzte erstattet von 
Tugend reich. Verwaltungsber. des Magistrats zu Berlin für 
das Etatsjahr 1906, Nr. 16, S. 27. 

3. Ueber den Zusammenhang zwischen Konzeptionsziffer 
und Kindersterblichkeit in (großstädtischen) Arbeiterkreisen. 
Zeitschr. f. soziale Medizin, Bd. 3, Heft 2. 

1. Weber will nur die Frage erörtern, welche Forderungen 
in Bezug auf Freisein von Krankheitskeimen an die Kuhmilch zu 
stellen sind. 

Auf zweierlei Weise können Krankheitskeime in die Milch 
gelangen, erstens solche von kranken Tieren selbst, zweitens Er¬ 
reger von spezifisch menschlichen Krankheiten, die.auf dem Wege 
vom Kuheuter bis zum Konsumenten auf irgendeine Weise in die 
Milch geraten. 


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: V * "jEbr Verhütung des letzteren Vorganges (z. B. können Typhus, 
Diphtherie, Scharlach so übertragen werden) gibt es polizeiliche 
Vorschriften, die Ausschluß aller erkrankter oder mit Erkrankten 
.in Berührung gekommener Personen vom Molkereibetrieb fordern. 

Von Krankheiten der Milchtiere selbst spielt für die Ueber- 
tragung auf den Menschen eigentlich nur die Tuberkulose eine 
bedeutsame Rolle. Es ist kein Zweifel, daß die Tuberkulose des. 
Rindes auf den Menschen übertragen werden kann. Dagegen 
kann nur die Abkochung der Milch schützen; die von Behring 
u. a. behauptete Schädlichkeit abgekochter Milch ist in keiner 
Weise erwiesen, wird vielmehr durch die tägliche Erfahrung wider¬ 
legt. Aber der Tuberkelbazillus findet sich auch in der Butter, 
und schon aus diesem Grunde ist zu fordern, daß die Milch, 
wenigstens di© Kindermilch, von tuberkulosefreien Tieren stamme. 

Für solche Anstalten, die „Kinder-, Säuglings- oder Vorzugs¬ 
milch“ liefern, verlangt Verf. eine fortlaufende Tuberkulinprüfung. 
Der Preis dieser Milch muß trotzdem so niedrig sein, daß sie 
auch wirklich der ganzen Bevölkerung zu gute kommen kann. 

(Diese Forderung berührt den wunden Punkt der ganzen 
Kindermilchfrage. Es erscheint wenigstens für Berlin unmöglich, 
vom Privatunternehmer eine allen hygienischen Anforderungen 
entsprechende Milch zu billigem Preise zu erhalten. Hier könnte 
nur helfen, wenn die Gemeinde selbst die Produktion übernähme. 
Ref.) 

2. In dem Berichte Tugendreichs sind zum ersten Male 
die Erfahrungen der Berliner städtischen Säuglingsfürsorgestellen 
nach zweijährigem Bestehen zusammengestellt. Es bestanden in 
den Berichtsjahren fünf Fürsorgestellen (jetzt sieben. Ref.). 
Die Institute gewähren in erster Linie bedürftigen stillenden 
Müttern Unterstützung in Geld oder Naturalien, zweitens aber 
auch bedürftigen Flaschenkindern gute Milch zu ermäßigtem oder 
erlassenem Preise. 

Die Bedürftigkeit wird in jedem einzelnen Falle durch eigene 
Recherche festgestellt. Außer der Bedürftigkeit gilt als Auf¬ 
nahmebedingung die Absicht der Mutter, ihr Kind in regelmäßigen 
Zwischenräumen dem Arzte vorzustellen. Ueber 12 000 Säuglinge, 
davon nahezu die Hälfte Brustkinder, wurden im Jahre insgesamt 
aufgenommen. 

Für die Flaschenkinder waren im letzten Berichtsjahre über 
310000 1 Vollmilch erforderlich. 

Die Erfolge sind befriedigend. Die Propagierung des Stillens, 
die hygienische Belehrung und Unterweisung ist nicht ohne guten 
Einfluß geblieben. - 

Als wünschenswert hat sich eine straffere Zentralisierung 
aller gleichgerichteter Faktoren, insbesondere engere Fühlung mit 
der Armendirektion herausgestellt; für die unehelichen Kinder ist 
erhebliche Beschleunigung bei der Erstellung eines Vormunds und 
damit zusammenhängend bei der Entscheidung der Alimentierung 
dringend nötig. Schließlich sind die Fürsorgeärzte einig in dem 
Wunsche nach Angliederung kleiner Stationen, in die eiliger Auf¬ 
nahme bedürftige Säuglinge untergebracht werden können. 

3. Während Weber und Tugendreich den Einfluß der 
Ernährung auf die Säuglingssterblichkeit sehr hoch bewerten, 
glaubt Hamburger vielmehr ein ausschlaggebendes Verhältnis 
zwischen Konzeptionsziffer und Kindersterblichkeit gefunden zu 
haben. 

Verf. fragt: Ein wie großer Teil des Nachwuchses erreicht 
das erwerbsfähige Alter? und wieviele sind dies von der Gesamt¬ 
summe nicht nur der' Geborenen, sondern der überhaupt Konzi¬ 
pierten? Zur Beantwortung dieser Frage stellte Verf. bei über 
1000 Arbeiterehefrauen, deren Ehe länger als zehn Jahre bestand, 
die Zahl der lebenden und toten Kinder und der Fehlgeburten 
fest. Ueber 7000 Konzeptionen dienten seiner statistischen Unter¬ 
suchung zur Grundlage. 

Verf. findet nun, daß die Sterblichkeit bis zum 16. Lebens¬ 
jahre nicht nur absolut, was ja selbstverständlich ist, sondern auch 
relativ mit der Zahl der Konzeptionen ansteigt. Während z. B. 
das einzige Kind in 75 % das 16. Lebensjahr vollendet, erreichten 
dies Ziel bei 10 Geschwistern nur 45%. 

Ganz logisch scheint — aber scheint auch nur — danach der 
Schluß des Verf., daß nur die Beschränkung der Konzeption die 
Säuglings- und Kindersterblichkeit wirksam bekämpfen könne. 


Während die durchschnittliche Konzeptionsziffer sieben ist, 
genügte, um in Deutschland die Zahl der Ueberlebenden konstant 
zu halten, eine dreimalige Konzeption. 

(Bei seinen Erhebungen hat Verf. die Frage des Stillens gar 
nicht berücksichtigt. Er glaubt mit einem Hinweis auf Boeckh 
den Einfluß des Stillens auf die Säuglings- und Kindersterblich¬ 
keit ablehnen zu können. Dieser Standpunkt widerspricht allen 
neueren Untersuchungen, und Ref. selbst hofft bald in der Lage 
zu sein, an seinem Material den entscheidenden Einfluß des Stillens 
auf die Kindersterblichkeit dartun zu können. Ref.) 


Lichttherapie. 

Referent: Dr. EL E. Schmidt, Oberarzt am Kgl. Universitäts- 
Institut für Lichtbehandlung, Berlin. 

1. Röntgenbehandlung der Ischias. Von Freund. Wiener 
klin. Wochenschr., 1907, Nr. 51. 

2. Das Problem der gleichmäßigen Röntgendurchstrahlung 
des Körpers zur Behandlung tiefliegender Prozesse. Von Holz¬ 
knecht. Wiener med. Wochenschr., 1907, Nr. 53. 

3. Die Dauerheilung der Schweißhände durch Röntgen. 
Von Kromayer. Berl. klin. Wochenschr.. 1907, Nr. 50. 

4. Ultraviolette Strahlen. Von Günther. r Die Umschau”, 
1907, Nr. 53. 

5. Technik der Röntgenologie in der Praxis. Von Lev \- 
Dorn Zeitschr. f. ärztl. Fortbildung, 190S, Nr. 1. 

1. Freund hat bisher in vier Fällen von Ischias rlieu- 
matika mit Erfolg die Röntgentherapie angewandt, und zwar in 
Fällen, in welchen die sonst üblichen Behandlungsmethoden — 
wie gewöhnlich — versagt hatten. Es wurde mit ziemlich harten 
Röhren teils die Gegend der Synchondrosis sakroiliaka, 
teils die Gegend des Foramen ischiadikum majus bestrahlt. 
Die Fokus-Haut-Distanz betrug 23 cm, die Expositionsdauer sechs 
Minuten. Auffallend war die rasche Wirkung, die schon einen 
bis zwei Tage nach zwei bis drei offenbar ganz schwachen Be¬ 
strahlungen eintrat. 

Die Resultate ermutigen jedenfalls zu weiteren Versuchen. 

2. Holzknecht empfiehlt im wesentlichen vier schon be¬ 
kannte Kunstgriffe zur Steigerung dei Tiefenwirkung: 1. Grolle 
Fokushautdistanz, 2. Filtration des Lichtes, 3. Erzeugung be¬ 
sonders stark penetrierenden Lichtes, 4. Bestrahlung von viel 
Seiten her. 

Er behauptet: „Homogene Durchstrahlung (gleicht 
Stärke der Lichtwirkung in der Tiefe wie an der Oberfläche) 
entsteht dann, v r enn man einen 20 cm im Durchmesser haltenden 
Körper vom spezifischen Gewicht der Weichteile von vier Seiten 
her mit Röhrenstarke Walter 7 aus 2 m Entfernung durch Glas¬ 
filter (wie dick? Ref.) bestrahlt. Geht man noch weiter in einem 
oder allen Punkten, so erhält man im Zentrum des Körpers noch 
mehr als an der Oberfläche (Zentralbestrahlung). 

Abgesehen davon, daß die Methode in praxi kaum duich- 
führbar ist wegen der dann erforderlichen langen Expositionszeit, 
vergißt Holzknecht eins: die Radiosensibilitat der Gewebe. 
Wir wissen, daß gewisse Organe (Hoden) und maligne Tumoren 
(Lymphome, Sarkome) besonders rönlgenempfindlich sind; bei 
diesen genügt die bisher übliche Bestrahlung mit mittelharten 
bis harten Röhren, möglichst von verschiedener Seite her. W T o 
aber diese besondere Radiosensibilität fehlt, werden wir auch 
durch die stärksten Röntgenbestrahlungen nichts erreichen Und 
höchstens Gefahr laufen, dabei gesunde innere Organe zu schädigen. 
Wissen wir doch, daß z. B. Kankroide der Haut, also der Strahlen¬ 
wirkung gewiß leicht zugängliche Neubildungen, das eine Mal 
nach schwachen Bestrahlungen heilen, während sie das andere 
Mal auch bei kräftigster Bestrahlung nicht heilen, ja in manchen 
Fällen sich sogar verschlimmern. 

3. Kromayer empfiehlt die Röntgentherapie bei Hypei- 
hidrosis, und zwar um einen Dauererfolg zu erzielen, Bestrahlungen, 
die zu einer Dermatitis ersten Grades führen. Referent erreicht 
dasselbe mit kleineren Röntgenstrahlenmengen. Merkwürdig muß 
es jeden einigermaßen orientierten Röntgenologen anmuten, wenn 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. ' '■'-" 



Kromayer die vom Referenten schon seit ca. drei Jahren ge¬ 
übte und u. a. schon im Juli 1905 publizierte Abschätzung der 
Oberflächenwirkung einer Röntgenröhre nach dem Produkt aus 
sekundärer Stromstärke und Spannung wie ein völliges Novum, 
als eine von ihm (Kromayer) angegebene physikali¬ 
sche Berechnung der Röntgenenergie bezeichnet. 

4. Besprechung der physikalischen und chemischen Wirkung 
der ultravioletten Strahlen, der zu ihrer Erzeugung dienenden 
Lichtquellen, ihrer Verwendung zu Heilzwecken und zur Photo¬ 
graphie. Gute Mikrophotogramme, sonst — nihil novi. 

5. Ganz kurze Besprechung der üblichen Unterbrecher, Röntgen¬ 
röhren, Blenden, Schutzmaßregeln und Verwendung der Strahlen 
zu diagnostischen Zwecken. Nichts neues. 


Röntgentherapie. 

Referenten: Dr. Karl Försterling, 1. Assistent bei 
Prof. Dr. Schlange, Hannover (Nr. 1 bis 4) 
und 

Spezialarzt Dr. Paul Zander, Berlin (Nr. 5 und 6). 

1. Behandlung der Nierentuberkulose mit Röntgenstrahlen. 
Von Dr. Bircher. Münch, med. Wochensehr., 1907, Nr. 51. 

2. Bolus alba und Bismutum subnitrikum, eine für die 
röntgenologische Untersuchung des Magendarmkanals brauch¬ 
bare Mischung. Von Dr. Kaestle. Fortschr. auf d. Geb. d. 
Röntgenstr., Bd. XI, S. 266. 

3. Ueber einen neuen Röntgentiefenmesser. Von Dr. Robert 
Fürstenau. Ibidem, S. 281. 

4. Beitrag zur Röntgendiagnose des Sanduhrmagens. Von 
Dr. Otto Jolasse. Ibidem, S. 312. 

5. Ein neuer grundlegender Fortschritt im Röntgen-In¬ 
strumentarium. Von Otto. Ztschr. f. physik. u. diätet. Therapie, 
1908, Januar. 

6 . Orthodiagraphische Beobachtungen über Herzlagerung 
bei pathologischen Zuständen. Von Di et len. Munch, med. 
Wochenschr., 1908, Nr. 1. 

1. Nach Erörterung der Prognose der Nierentuberkulose bei 
operativer und interner Therapie, wobei Verf. hervorhebt, daß ohne 
Operation eine Nieren tuberkulöse bei interner Medikation nur sehr 
selten zum Stillstand kommt, beschreibt er zwei Fälle dieser Er¬ 
krankung. — Im ersten, der beiderseitig war, wurde durch 
Röntgenbestrahlungen ein Verschwinden der Tuberkelbaziflen und 
Gewichtszunahme erzielt. Nach ca. drei Jahren wurde die Therapie 
wegen im Urin wieder aufgetretener Tuberkelbazillen mit gleichem 
Erfolge wiederholt. 

Im anderen Falle wurde bei einseitiger Nierentuberkulose die 
Nephrektomie abgelehnt und deshalb bestrahlt. Hier ist nach 
Bericht wohl eine an Heilung grenzende Besserung anzunehmen. 

Wie Verf. selbst angibt, sind diese Erfolge nicht beweisend; 
sic sind jedoch so beachtenswert, daß man bei jeder nicht operablen 
Nieren tuberkulöse stets eine Behandlung mit Röntgenstrahlen unter- 
m iimen sollte. Verf. bestrahlte vom Rücken her mit mittelharter 
Röhre. — Eine erhebliche Schädigung der Nieren ist hiervon 
ka m zu erwarten. Referent hat vor Jahren die freigelegte 
Ka*inchenniere intensiv bestrahlt und niemals trotz häufiger Ver¬ 
suche eine nennenswerte Schädigung danach gesehen. 

2. Wiederum eine Verbesserung in der Untersuchung des 
Trakt, intestinalis durch Röntgenstrahlen. Zur Entgiftung (? Ref.) 
resp. Suspension des Wismuts wird Bolus alba verwandt, und 
zwar im Verhältnis von 1 : 3 event. 1 : 5. Es sinkt dann das 
Wismut nicht so schnell zu Boden, gibt also mehr ein Schatten¬ 
bild des ganzen Hohlorgans, nicht nur der unteren Grenze. — 
Bei den anderenorts (Rtgfortschr., Bd. XI, Heft 2, Hildebrandt) 
mitgeteilten Fällen von Wismutvergiftung ist diese Verbesserung, 
die auch die Menge des erforderlichen Wismuts herabsetzt, nicht 
unwichtig. 

3. Vermittels einer Röntgenröhre mit zwei Antikathoden 
wird ein doppeltes Bild eines im Menschen befindlichen Fremd¬ 
körpers auf der Platte hervorgebracht. Aus der Entfernung der 


Schatten auf der Platte voneinander läßt sich die Entfernung 
des Fremdkörpers von der Platte berechnen, wenn man die 
Distanz der Antikathode von der Platte genau kennt; sie Soll bei 
diesem Instrument stets 60 cm betragen. Hat man außerdem sich 
einen Fixpunkt durch Auflegen eines Bleistücks auf die Körper¬ 
oberfläche gewählt und auf diesen den einen Zentralstrahl ein¬ 
gestellt, so kann man noch die seitliche Entfernung des Fremd¬ 
körpers von dem Fixpunkt bestimmen. Die ganze Berechnung 
geschieht durch den Tiefenmesser, ein tasterzirkelartiges In¬ 
strument mit zwei Skalen. — Es ist zweifellos ein brauchbares 
und relativ einfaches Instrument zur Lokalisation von Fremdkörpern, 
Fabrikanten sind Heinz Bauer & Co., Berlin W. 35. 

4. J. beschreibt vier Fälle, die er genau röntgenologisch 
untersucht hat. Bei den drei ersten, die auch operiert sind, fand 
sich die Diagnose bestätigt. — Schon klinisch war der Verdacht 
auf Sanduhrmagen vorhanden; als typisch hebt er bei der Röntgen¬ 
untersuchung hervor, daß bei einer Wismutbreimahlzeit der Pylorus 
zuerst links vom Nabel zu liegen scheint. Bald zeigt sich jedoch 
ein feiner Schatten, der weiter nach unten, resp, rechts hinüber¬ 
zieht und hier eine neue Ansammlung des schatten gebenden Wis¬ 
muts erkennen läßt. Gelegentlich dieser Untersuchungen fiel ihm 
auch eine abnorme Abweichung der Hg - Sondenspitze nach links 
auf (sie weicht normalerweise stets nach rechts ab), die seiner 
Ansicht nach meist bewirkt wird durch eine an der kleinen 
Kurvatur in der Nähe des Pylorus gelegene abnorme Resistenz 
(Ulkusnarbe oder Karzinom). — Als letzten führt er dann noch 
einen Fall an, bei dem die Wismutuntersuchung die beschriebenen 
Zeichen eines Sanduhrmagens zeigte, während die klinische Beob¬ 
achtung durchaus normale Verhältnisse ergab. Die Röntgenunter¬ 
suchung konnte wegen Schwäche des Pat. nur einmal ausgeführt 
werden. Die bald folgende Sektion zeigte normalen Magen. Es 
muß sich demnach um abnorme spastische Zustände des Magens 
gehandelt haben. Verf. empfiehlt deshalb stets mehrmalige Röntgen¬ 
untersuchung bei Magenerkrankungen; außerdem muß der klinische 
Befund mit dem röntgenographischen übereinstimmen, falls man 
daraufhin operieren will. 

5. Otto beschreibt einen neuen Unterbrecher, den die Sanitas- 
Gesellschaft baut, den Rotaxunterbrecher, der die Vorzüge des 
Wehnelt- sowie die des Quecksilber-Strahlunterbrechers haben 
soll, ohne ihre Nachteile zu besitzen. 

6. Dietlen gibt in einer Reihe von Fällen den orthodia- 
graphischen Befund an, der sich zum Referat nicht eignet, aber 
bei dem interessanten Material zum Nachlesen im Original sehr 
zu empfehlen ist. 


Mitteilungen über Arzneimittel. 


Sajodin. 

Sammelreferat von Priv.-Doz. Dr. C. Bachem, Bonn. 

Lange Zeit beherrschte das Jodkalium die Therapie der 
tertiären Lues, der Arteriosklerose, des Asthmas und anderer 
Erkrankungen. So souverän dieses Arzneimittel in den meisten 
Fällen wirkt, so häufig sind die unerwünschten Nebener¬ 
scheinungen, so daß man oft genötigt ist, die Kur dieserhalh 
abzubrechen. Zwar glaubte man, im Jodnatrium einen Ersatz 
für das Kalisalz gefunden zu haben, allein die Jod-Neben¬ 
wirkungen blieben auch bei diesem Präparat nicht aus; denn 
die Heilwirkung ist eben durch Jodabspaltung im Organismus 
bedingt. In der Not griff man zu anderen Jodalkalien und 
-erdalkalien, besonders waren es Jedstrontium und Jod¬ 
rubidium. Allein alle derartigen Jodsalze riefen Schnupfen, 
Akne, Verdauungsbeschwerden hervor, Symptome, die man 
kurz als Erscheinungen des „Jodismus u bezeichnet. Gefährlich 
werden derartige Zufälle selten, da sie meist mit Aüssetzen der 
Jodmedikation verschwinden, weil das Jod schnell aus dem 
Körper durch die Nieren entfernt wird. Ein anderer Uebel- 
stand, der gerade hinreicht, dem Kranken nicht selten die 


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Die Influenza und 
ihre Bekämpfung 


Von Dr. Leopold Wiener, em. Sekundärarzt 
des Wiener k. k. Allgem. Krankenhauses. 


V on allen uns bekannten Infektionskrankheiten schreitet 
keine in solcher Mächtigkeit über die Lande, in 
weiter Ausdehnung Mann, Weib, Kind und Greis 
unterschiedslos mit sich fortreißend, kein Alter, keine 
Rasse verschonend, in keiner Jahreszeit ruhend, wie die 
Influenza. Wenn sie auch erst im Jahre 1510 als Krank¬ 
heitskompfex sicher festgestellt, in neuerer Zeit studiert 
wurde und im Jahre 1892 erst Pfeiffer der Nachweis eines 
spezifischen Infektionserregers in Gestalt feinster an den 
Enden abgerundeter Stäbchen gelungen ist, reicht doch 
die Geschichte der Erkrankung tief ins Altertum zurück, 
und Hippokrates beschreibt ebenso klar eine Grippen¬ 
epidemie in der thessalischen Stadt Perinthos, wie Livius 
eine in Rom im Jahre 412 vor Christi Geburt. Seit 
altersher schreitet sie von Nordost gegen Südwest in 
großer „Gangbreite“ vorwärts in den Bevölkerungszentren 
längere Zeit verbleibend und von hier aus sich radial- 
wärts ausbreitend. In den letzten Dezennien beobachtet 
man ein stetiges Kürzerwerden der Epidemie-Intervalle 
und, wenn auch weitaus nicht alles Influenza ist, was für 
sie gehalten wird, so ist besonders in sporadischen Fällen 
die Grippe zweifellos in manchen Grosstädten ein ziem¬ 
lich regelmäßiger Gast zumal in den „Uebergangsjahres- 
zeiten“ geworden. 

Keine Infektionskrankheit setzt so plötzlich nach 
einem nur ein- bis zweitägigem oder oft ganz ohne Pro¬ 
dromalstadium mit hohem Fieber ein, keine Infektions¬ 
erkrankung ist in ihrem Symptomenkomplex so vielgestaltig 
und keine so unberechenbar und oft bedrohlich in ihren 
Nachkrankheiten und Komplikationen wie die Influenza. 
Kaum ein lebenswichtiges Organ des menschlichen Körpers 
bleibt von ihr unberührt und durch das Prävalieren der 
einen oder der anderen Erscheinungsgruppe entstehen die 
oft anscheinend grundverschiedenen Erkrankungsformen 
auf gleicher Grundlage, welche der herrschenden Epidemie 
ihren Charakter, ihr Gepräge aufdrücken. 

Das Fieber, das höchst selten fehlt und das Krank¬ 
heitsbild beherrscht, erreicht nicht selten die Höhe von 40 
und fällt nach vier bis höchstens sieben Tagen meist 
lytisch, seltener kritisch ab; oft aber sehen wir es schon 
nach ein bis zwei Tagen verschwinden, freilich, um zu¬ 
weilen nach ein bis zwei Tagen wiederzukehren. 


Die Gesamtdauer der Infektionskrankheit dürfte im 
Durchschnitt 1 bis IV 2 Wochen betragen. Unter lebhaften 
Kopf-, Kreuz- und disseminierten Muskelschmerzen, all¬ 
gemeiner Prostration setzt sie plötzlich ein, um sehr bald 
auf den Respirationstrakt überzugreifen. Nach einer nicht 
selten von Konjunktivitis und Lichtscheu, Halslymphdrüsen- 
schwellung und Stomatitis begleiteten vorbereitenden Coryza 
und einer Angina mit speckig grauem Beleg kann es 
zur Tracheitis, diffuser Bronchitis, bei Kindern sogar zu 
Bronchiolitis mit Dispnoe und suffukatorischen Zuständen 
kommen. Das Sputum ist zumeist anfangs zäh, glasig, 
später rein eitrig. 

Nicht weniger ist der Zirkulationsapparat in Mitleiden¬ 
schaft gezogen, und wiederholt ein Herabsinken des Pulses 
bis auf 40, Arythmie und Dikrotie desselben beobachtet 
worden. Diabetiker, Alkoholiker, Tuberkulöse, Fettleibige, 
Emphysematiker und mit Herzfehlern behaftete Individuen 
überraschen den Arzt unter Umständen bei Influenza mit 
bedrohlichen Herzschwächeerscheinungen und Präcordial- 
angst. 

Der Digestionstrakt reagiert mit Gastroenteritis, unter 
Umständen von kolikartigem, dissenterischem, typhösem 
Charakter auf die Schwere der Infektion. 

Die Haut erleidet häufig die wunderlichsten Ver¬ 
änderungen. Neben Herpes labialis und facialis sah man 
Exantheme vom Aussehen des Zoster, der Varizellen. 
Morbillen, des Erysipels, der Phlegmone und der an 
Hautblutungen reichen Peliosis rheumatika. 

Im Nervensystem machen sich zunächst neuritische und 
neuralgiforme Symptome mit oft sprunghaftem Charakter 
geltend, so Trigeminus-Neuralgien, Ischalgie, Mastodynie, 
Interkostalneuralgien etc. depressive und Angstzustände, 
Schlafsucht oder Schlaflosigkeit sind besonders bei neu- 
rasthenischen Kranken fast die Regel. 

Im Blute bemerkt man oft Abnahme des Haemo- 
globingehaltes, seltener eine Vermehrung der Leukozyten. 

Der Harn hat den Charakter eines ausgesprochenen 
Fieberharns, seltener findet sich darin Urobilin, vermehrter 
Indikangehalt, Blut, während die Diazo- und eine Eiwei߬ 
reaktion fest stets negativ ausfällt. 

Ebenso vielgestaltig wie das normale Krankheitsbild 
sind die Komplikationen und Nachkrankheiten der Influenza. 


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4. Gustav L., 38jähriger Kaufmann, hat im Anschluß j 
an eine vor 8 Tagen überstandene Influenza unter leb- I 
haften, sprunghaft auftretenden, im rechten Knie jedoch 
stationär bleibenden rheumatischen Schmerzen zu leiden 
und ist deshalb seit 2 Tagen bettlägerig. Acetylsalicylsäure 
und Natrium salicylicum sowie hydropathische Maßnahmen 
bleiben ohne Erfolg. Ich gab Pyrenol anfangs 4 mal 1 g, 
nach 2 Tagen 3 mal 1 g im Tage in Pulver, nach 6 Tagen 
hatte Patient seine Schmerzen verloren und konnte wieder 
seinem Berufe nachgehen. Das Herz war während seiner 
Erkrankung vollständig frei. Seit nunmehr 3 1 /, Monaten 
kein Rückfall. 

5. Zu einem 16jährigen Gymnasiasten Hans K., ge¬ 
rufen, konstatierte ich ein erythemartiges Exanthem, das 
sich vorwiegend über den Stamm ausbreitete. Patient, 
der seit 5 Tagen an angeblichen Folgen von Verkühlung 
unter Schnupfen, unter Eingenommensein des Kopfes leidet, 
bemerkte den Ausschlag auf der Brust erst gestern. 
Derselbe juckt sehr stark, so daß Patient angeblich des¬ 
wegen nicht schlafen konnte. Seit heute Morgens klagt 
er über Schmerzen im rechten Gesäß, die nach dem 
Hüftbein und Oberschenkel hin ausstrahlen. Temperatur 
38.1. Der Ischiadicus war fast in seinem ganzen Ver¬ 
laufe äußerst druckschmerzhaft, die Lungen frei, über dem 
Herzen nur ein fauchendes, systolisches, anämisches 
Geräusch. Das Exanthem erwies sich als Influenza¬ 
komplikation ähnlich wie die ziemlich plötzlich auf¬ 
getretene Ischias. Pyrenol (6 Tabletten im Tag) befreiten 
fast momentan den Patienten von seinen Schmerzen, doch 
stellten sich diese wieder ein, als er am dritten Tage 
vormittags das Mittel zu nehmen vergaß. Am vierten 
Tage war das Exanthem, das ich nur mit Betupfen von 
l%igen Salizylspiritus und Eeismehl behandelte, ganz ab¬ 
geblaßt. Gegen die noch bestehende Ischialgie war ich 
genötigt, noch durch 8 Tage 4 malig Pyrenol in Pulver 
zu geben, worauf dieselbe vollständig geheilt war und 
seit nunmehr 2 Monaten nicht mehr rezidivierte. 

6. Ella Z., 9jähriges Schulmädchen erkrankte unter 
den typischen Zeichen einer Influenza, die auf 2 tägige 
Pyrenolbehandlung zurückgingen. Trotzdem hielt die Ver¬ 
stimmung und Apathie der Patientin bei einer Temperatur 
von 36.9 an. Tags darauf erhob sich die letztere fast 
stündlich zunehmend bis auf 38.8 um 6 Uhr abends. 
Patientin klagte über Ohrenstechen rechterseits und 
Schläfekopfschmerzen, die in den Hinterkopf ausstrahlten. 
Ohrenspiegelbefund ergab leichte Rötung und Vorwölbung 
des Trommelfells und verwaschenen Reflex. Ich setzte 
neuerdings mit Pyrenolbehandlung ein und 3 Tage später 


war auch die Influenza-Otitis ebenso wie ein noch 2 Tage 
früher über dem Unterlappen hörbares Schnurren voll¬ 
ständig verschwunden. Das Kind verließ das Bett und 
konnte 3 Tage später die Schule wieder besuchen. 

7. Emmerich B., 28jähriger Handlanger, mußte wegen 
plötzlichen Schüttelfrostes und unerträglicher Rücken¬ 
schmerzen die Arbeit auf dem Baue abbrechen uiid sich 
zu Bette legen. Tags darauf stellte ich eine Temperatur 
von 40° und die typischen Symptome einer. Influenza fest 
bei der diejenigen des Respirationstraktes weitaus praeva- 
lierten. Patient war vorher nie lungenkrank, litt aber seit 

5 Jahren an einem chronischen Bronchialkatarrh und war 
ein starker Raucher und Trinker. Die Lungenränder 
waren nur um ein Geringes verschieblich, die Lungen-, 
spitzen frei. Die Stimme klang rauh, heiser und wurde 
am zweiten Tage fast aphonisch. Das Pyrenol regte in 
diesem Falle die Expektoration wohltuend an und bei 
gleichzeitiger Deferveszenz war am fünften Tage nur über 
den untersten Lungenpartien links stärker als rechts noch 
Schnurren zu hören und der bisher sehr reichliche Aus¬ 
wurf nur morgens in geringen Mengen vorhanden. Am 
sechsten Tage stieg die schon 2 1 / 2 Tage normale Temperatur 
morgens 8 Uhr auf 37.9, mittags 12 Uhr 38.6, abends 

6 Uhr 39.2, nachts 2 Uhr 39.5. Ueber einer bestimmten 
Stelle des linken Unterlappens hörte man Bronchialatmen 
und leises £ubcrepitierend8S Rasseln. Das Atmen auf 
dieser Seite war gegenüber der anderen abgeschwächt. 
Ich gab in der Erkenntnis, daß sich hier eine lobuläre 
Influenzapneumonie entwickle, sofort Pyrenol 3 stündlich 
eine Tablette. Tags darauf 8 Uhr früh Temperatur 39.4, 
12 Uhr 39.6, 6 Uhr 39.8. Der pneumonische Herd hat 
sich soweit vergrößert, daß sich über demselben perku¬ 
torische Dämpfung nachweisen läßt; gleichzeitig findet 
sich noch über anderen Stellen des linken Unterlappens 
Bronchialatmen lind Knisterrasseln. In den folgenden 3 
Tagen bewegte sich die Temperatur nur mehr zwischen 
38.5 und 39. Die Dämpfung. wurde intensiver, Patient 
klagte über Stechen in der linken Seite. Die Dämpfung 
war scharflinig nach oben abgegrenzt; die Grenze ver¬ 
rückte sich beim Aufsetzen und Niederlegen des Patienten 
(Pleuritis exsudativa bis zum fünften Brustwirbeldorn). Am 
folgenden Tage sank die Temperatur auf 37.8 und bewegte 
sich 3 Tage um 37.5. Gleichzeitig besserten sich die 
subjektiven Beschwerden des Patienten und die Dämpfung 
ging stetig zurück. Nach weiteren 5 Tagen war Patient 
beschwerdefrei und mit der Pyrenolbehandlung konnte 
ausgesetzt werden. Nach weiteren 14 Tagen, die der 
Patient auf dem Lande verbrachte, ging er seiner schweren 
Arbeit wieder nach. 




Die Krankengeschichten von Fall 2, 5 und 7 
sind besonders beachtenswert! 


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ÄÜNDSCÖAÜ. 


83 



unerträglich zu machen, ist der abscheuliche 
Geschmack des Präparates. 

F:Man suchte nun seine Zuflucht in der organischen Chemie 
und glaubte, ein ideales Jodpräpärat .im Jodipin gefunden zu 
habön, das Winternitz vor etwa zehn Jahren in den Heilmittel¬ 
schatz einführte; dieser Körper stellt das Additionsprodukt des 
Jods an Sesamöl dar. Obwohl dieses Mittel besonders unter 
den Sy philidologen manchen Lobredner gefunden hat, so haftet 
ihm das Unangenehme an, daß es ebenfalls von schlechtem 
Geschmack ist, will man es nicht subkutan injizieren; es sind 
nach seiner Aufnahme Uebelkeit, Erbrechen und auch Diar¬ 
rhöen beobachtet worden. Jodismus soll bei der subkutanen 
Applikation selten sein. 

Gleichzeitig mit dem Jodipin traten andere Präparate an 
Stelle des Kalium jodatum; so die Jodeiweißverbindungen 
Jodalbazid und Jodeigon, jedoch ohne sich so recht in den 
Arzneischatz dauernd einbürgern zu können. Etwas mehr 
scheint das neuerdings empfohlene Jodthion zu versprechen, 
obwohl dieser Stoff nur äußerlich angewandt werden soll. 

Es war als ein besonders glücklicher Griff in der Dar¬ 
stellung neuerer Arzneimittel zu bezeichnen, alsEmilFischer 
und (der jüngst verstorbene Kliniker) von Mering in dem 
Sa jodin ein Jodpräparat fanden, das allen Anforderungen der 
Therapie entspricht. Die genannten Forscher gingen bei der 
Darstellung des Sajodins von der Tatsache aus, daß die hoch¬ 
molekularen Monojodfettsäuren mit Erdalkalien in Wasser un¬ 
lösliche Salze bilden. Am leichtesten zu bereiten ist das 
Kalziumsalz der Monojodbehensäure, die man aus der Eruka- 
säure des Rüböls durch Anlagerung von Jodwasserstoff erhält. 
Die Zusammensetzung ergibt sich aus derFormel: (C 2 2H 42 0 2 J) 2 Ca. 
Diese Verbindung, die einen chemisch einheitlichen Stoff mit 
4,1 % Ca und ca. 26 % J darstellt, bildet ein farbloses, völlig 
geruch- und geschmackloses Pulver. Vor Licht geschützt, zer¬ 
setzt es sich nicht, andernfalls wird es oberflächlich gelb, ohne 
jedoch eine tiefergehende Zersetzung zu erfahren. In Wasser 
ist es absolut unlöslich. 

Bei starkem Erhitzen entwickeln sich die violetten Jod- 
dämpfe. Der Körper erhielt den Handelsnamen Sajodin, was 
auf seine Konstitution hin weist: sapo, weil das Präparat in der 
Zusammensetzung Aehnlichkeit mit der Seife hat. 

Tierversuche hatten ergeben, daß Sajodin an Hunde in 
relativ großen .Gaben längere Zeit verfüttert werden kann, 
ohne das Allgemeinbefinden derselben zu beeinträchtigen. Diese 
g üns tigen Erfolge ermunterten dazu, das Präparat auch am 
Menschen zu erproben. 

Zunächst wurde Sajodin in größerem Maßstabe von 
Roscher in der Berliner Universitäts - Hautklinik in vierzig 
Fällen (39 mal bei Lues, 1 Arteriosklerose) mit sehr gutem 
Erfolg angewandt. Es wurde meist gegen die tertiären und 
malignen Formen der Syphilis, sowie gegen die Kopfschmerzen 
und Pleurodynie etc. im SekundärstacEum gereicht. Nur in 
zwei Fällen hat es sich nicht bewährt, der eine davon reagierte auf 
Jodkali auch erst nach längerem Gebrauche. Sonst wurde das 
Mittel sogar bei bestehender Idiosynkrasie gegen Jod gut ver¬ 
tragen. Nebenerscheinungen (leichte Akne, Jodgeschmack 
mehrere Stunden nach der Einnahme, Schnupfen) traten nur 
in sehr wenigen Fällen ein und nur in geringem Maße. Die 
Heilerfolge waren den mit Jodkali erfahrungs¬ 
gemäß erzielten nicht nachstehend. Das Mittel wurde 
seiner Geschmacklosigkeit halber gern von den Kranken ge¬ 
nommen; im allgemeinen wurden Tagesdosen von 2 bis 3 g 
(zwei- bis dreimal täglich 1 g) gereicht, gelegentlich auch bis 
zu 6.g pro die. 

Auffallend ist die Erscheinung, daß man etwa dieselbe 
Menge, Sajodin wie auch Jodkali gebraucht, um den gleichen 
therapeutischen Effekt zu erzielen, obwohl ersteres dreimal 
weniger Jod enthält. » 

Ebenfalls gegen Lues wandte Th. Mayer das Sajodin 
an. Er gab das Mittel anfangs in der Tagesdosis von 2 g und 
stieg, je nach der Schwere des Falles, bis zu 6 g. 

Nach Ansicht dieses Autors wirkt das Sajodin auf die 
tertiären Formen der Lues so eindeutig und sicher, daß kein 
Zweifel mehr bestehen kann. Einige in aller Kürze ange¬ 


führte Krankengeschichten illustrieren dies auf das deutlichste? 
und Verfasser gelangt zu dem Schlüsse, daß es gelungen sei* 
im Sajodin für den ärztlichen Gebrauch ein ungiftiges, be¬ 
kömmliches, leicht zu nehmendes, portatives und vor allem ein 
uneinwendbar wirksames Jodpräparat gefunden zu haben. 

Eschbaum prüfte in der Bonner medizinischen Klinik 
das Sajodin mit dem Erfolge, daß in den meisten Fällen stets 
die erwünschte Wirkung eintrat. Resorptionsprüfungen ergaben, 
daß Jod meist nach acht Stunden im Ham und Speichel nach¬ 
zuweisen war. Doch verhehlt Eschbaum auch einen Fall 
nicht, in welchem längere Anwendung (drei Wochen) von 
Sajodin anfangs kleine erythematöse Jodausschläge auftraten, 
am 20. Tage aber 39 0 Fieber, Kopfschmerzen (ohne Schnupfen) 
und eine Reihe großer Infiltrate sich zeigten. Das Mittel, von 
welchem anfangs 0,5 g zweimal täglich, später zwei- bis drei¬ 
mal 1 g gereicht worden war, wurde ausgesetzt; die All¬ 
gemeinerscheinungen schwanden bald, doch blieb ein Infiltrat 
in der Glutäalgegend zurück, welches nach drei Tagen unter 
Entleerung von blutigem Eiter aufbrach und erst zwanzig Tage 
nach Aussetzen des Sajodins heilte. (Pat. reagierte auf K J 
in ähnlicher Weise.) 

In einem anderen Falle brachte 0,5 g einmal täglich einen, 
wenn auch wenig unangenehmen Geschmack hervor; er betraf 
eine Patientin, die aus diesem Grunde das Jodkalium hatte aus¬ 
setzen müssen. 

Beide Fälle mahnen also zur Vorsicht, das Sajodin bei 
Personen, die eine Idiosynkrasie dagegen haben, längere Zeit 
anzuwenden. 

Daß auch anderweitig Nebenwirkungen beobachtet wurden, 
bezeugt eine Veröffentlichung von Koch, welcher das Mittel 
bei Arteriosklerose, Bronchialasthma und tertiärer Lues zwar 
wirksam fand, aber Erytheme und Akne in den Kauf nehmen 
mußte. Andererseits konnte auch beobachtet werden, daß 
Sajodin vorzüglich (zu 3 g pro die) vertragen wurde, während 
2 g Jodkali die Sjunptome des Jodismus hervorrief. Verf. hält 
das Sajodin, als wasserunlösliches und geschmackloses Pulver 
in Oblaten oder Tabletten verordnet, für eine angenehmere 
Medikationsform als Jodkali, da es die Magenschleimhaut nicht 
angreift. Das letztere durch Sajodin zu ersetzen, sei wegen 
seines ungleich höheren Preises nicht angängig. 

Auch aus den Beobachtungen Lublinskis, der Sajodin 
bei verschiedenen inneren Erkrankungen reichte, ergibt sich, 
daß das Sajodin den übrigen Jodpräparaten trotz des geringen 
Jodgehalts an Wirksamkeit gleichkommt, dabei gut vertragen 
wird, den Magen nicht schädigt und von üblen Nebeneigen¬ 
schaften eigentlich frei ist. 

Hager betrachtet das Sajodin ebenfalls als einen ma߬ 
gebenden Fortschritt der Jodtherapie. Leichter Jodismus (Haut¬ 
ausschläge) sei zwar selbst von den gewöhnlichen Tagesdosen 
zu erwarten, stehe aber an Häufigkeit hinter dem durch Jod¬ 
alkalien bedingten zurück. In einem Falle beobachtete H. 
jedoch Furunkulose, die sogar zur Aussetzung der Sajodin- 
Therapie zwang. Nach 1 g Sajodin war schon nach bis 
1^2 Stunden Jod im Harn zu finden; es verschwand gewöhn¬ 
lich nach 30 bis 48 Stunden. Die Viskosität des Blutes scheint 
von Sajodin nicht beeinflußt zu werden. 

Cramer hat das Mittel ebenfalls in einigen Fällen 
erprobt und hebt besonders die fehlenden Erscheinungen des 
Jodismus hervor. 

Junker hat in der Heidelberger medizinischen Poliklinik 
das Sajodin an einigen 50 Kranken versucht, die an verschie¬ 
denen Erkrankungen litten, die sonst mit Jodkali behandelt zu 
werden pflegen. Der Erfolg war gut, d. h. es leistete dasselbe 
wie die Jodalkalien, ohne jedoch ernstere Vergiftungserschein¬ 
ungen hervorzurufen. Einzelne Fälle von Jodismus kamen 
zwar hier und da zur Beobachtung, jedoch nicht im entfern¬ 
testen in den Graden wie beim Jodkali. Patienten mit Idio¬ 
synkrasie gegen das letztere vertrugen Sajodin, in großen Dosen 
und längere Zeit gereicht, recht gut. In einem Falle schien 
es sogar den Jodipin-Injektionen weit überlegen. Die Dosierung 
war meist 1,5 bis 3 g, manchmal 5 g täglich. 

Ueber den Wert des Sajodins in der Syphilistherapie 
äußert sich Guszmann (Budapest) sehr lobend. Er hält das 


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TÜERAPfitr'flSÖttE RtfKBäcÜft 


13. Tauszk: Wiener medizin. Presse,' IÖ07, Nr. ß.- '* 

14. Abderhalden und Kautzsch: Zeitschr. £ experim. Pathol. u. Thereip,: 


Präparat für ein solches, welches allen Erwartungen im allge¬ 
meinen entspricht, die wir yon einem Ersatz der Jodalkalien 
verlangen können. Völlig ein wandsfrei sei es nicht, da es 
mitunter geringe Erscheinungen von Jodismus verursacht. Be¬ 
sonders sei die Art der Darreichung eine außerordentlich an¬ 
genehme. 

Ueber die therapeutische Anwendung des Sajodins und 
seine AusscheidungsVerhältnisse berichten G6rönne und Mar¬ 
cus e. In einigen fünfzig Fällen verschiedener innerer Er¬ 
krankungen trat niemals Jodismus ein. Dabei wurde sogar 
oft bis zu 6 g täglich gegeben. Im Harn und Speichel ließ 
sich Jod meist 5 bis 6 Stunden nach der Einnahme nach- 
weisen; bei schweren Nephritiden dauerte es etwas länger (12 
bis 14 Stunden). Nach Aussetzen des Sajodins war nach zwei 
bis drei Tagen Jod in den Ausscheidungen nachzuweisen. Kon- 
trollversuche mit Jodkali zeigten, daß dieses schon nach einer 
halben Stunde im Harn erscheint und nach D/ 2 bis 2 Tagen 
wieder ganz verschwunden ist. Verf. sieht in der langsameren 
Ausscheidung einen Vorteil des Sajodins. 

Speziell mit der Behandlung des Asthma bronchiale durch 
Jodpräparate beschäftigt sich eine Arbeit von Tauszk. Auch 
er hebt die völlige Unschädlichkeit des Sajodins hervor, nur 
bei zwei Kranken zeigte sich geringer Jodscbnupfen. „Die 
Wirkung der Jodpräparate auf Asthma, sagt T., ist zwar keine 
absolut sichere; doch kann sie erfolgreich gestaltet werden, wenn 
größere Mengen Jod längere Zeit gereicht werden. Diesen 
Forderungen entspricht das Sajodin vollständig. Die günstige 
Wirkung des Sajodins ist durch die glückliche Gestaltung der 
Kesorptions- und Ausscheidungsverhältnisse begründet und da¬ 
durch steht es derzeit über den anderen Jodpräparaten.“ 

Vergleichende Untersuchungen über die Jodausscheidung 
bei Jodkali und Sajodin stellten Abderhalden undKautzsch 
an. Sie fanden, daß das Mittel erst jenseits des Darms zer¬ 
legt und Jod abgespalten wird. Es zeigte sich, daß Sajodin 
stets vollständig resorbiert worden war: in den Faeces war 
keine Sput Jod nachweisbar. Die Jodausscheidung erfolgt bei 
dem Sajodin hauptsächlich durch den Harn, jedoch langsamer 
als beim Jodkali. Offenbar wird beim Eingeben von Sajodin 
per os ein großer Teil zunächst abgelagert und dann ganz 
allmählich verbrannt. Hunde, die 2 g KJ erhielten, hatten im 
Harn nach zwei bis drei Tagen 1,48 g ausgeschieden; nach 
5.8 g Sajodin (an J.-Gehalt 2 g KJ entsprechend) waren nach 
sechs Tagen nur 2,8 g Sajodin nachweisbar. Künstliche Ver- 
dauungsversuchc ergaben, daß Sajodin weder mit Steapsin- 
Lösung, noch mit Magensaft oder Pankreassaft, noch mit einem 
Gemisch von Magen-, Pankreas- und Darmsaft innerhalb etwa 
drei Wochen Jod abzuspalten vermochte. 

Auch die allerneueste Veröffentlichung über Sajodin von 
flartmann weiß von der Sicherheit der Wirkung und dem 
gefahrlosen Gebrauch des Mittels zu melden. Er bestätigt 
die Angabe Boecks, daß bei Personen, die gegen Jodkali 
intolerant sind, vorherige Darreichung von Sajodin nach einiger 
Zeit eine Toleranz selbst gegenüber größeren Dosen von Jodkali 
schafft. Um eine möglichst vollkommene Ausnutzung zu 
erzielen, soll das Sajodin etwa eine Stunde nach den Mahl¬ 
zeiten genommen werden. In renitenten Fällen kann täglich 
bis zu G g gegeben werden, doch reichen meist 1 bis 3 g aus. 
Man verordnet es in Tabletten, die in Röhrchen k 20 Stück 
käuflich sind; jede Tablette enthält 0,5 g Sajodin. (Röhrchen 
2 M.) Das Mittel wird von den Elberfelder- und Höchster- 
Farbwerken in den Handel gebracht. 

Literatur: 

1. Fischer und v. Me ring; Medizin. Klinik. 1906, Kr. 7. 

2. Rosclier: Medizin. Klinik, 1906, Nr. 7. 

3. Th. Mayer: Dermatologe Zeitschr., Bd. 13, März 1906 

4. Eschbaum: Medizin. Klinik, 1906, Nr. 18. 

5. Koch: Therapie d. Gegenwart, 1906, Nr. 6. 

0. Lublinski: Therapeut Monatshefte, 1906, Nr. G. 

7. Hager: Die Heilkunde, 1906, Nr. 8. 

8. Gramer: Zeitschr. f. Krankenpflege, 1906, Bd. 28. 

9. Junker: München, medizin. Wochensehr., 1906, Nr. 35. 

10. Boeck: Pharmacia, 1906, Nr. 11. 

11. Guszman: Die Heilkunde, 1906, Nr. 12. 

12. Gerönne und Marcuse: Therapie d. Gegenwart, 1906, Nr. 12. 


1907, Bd. 4, S. 616. 

15. Hart mann: Therapeut. Monatshefte, 1908, S. 84. 


Neuere Arzneimittel. 

Pyocyanase. Fabrikant: Chemisches Laboratorium 
Lin gn er, bakteriologische Abteilung, in Dresden.) E mm eri ch 
und L ö w zeigten, daß in den meisten Flüssigkeitskulturen von 
Bakterien allmählich eine Entwickelungshemmung zustande 
kommt, die auf Entstehung enzymartiger Stoffe in den Bakterien 
selbst beruht. Durch diese Stoffe werden die Bakterien schlie߬ 
lich aufgelöst. Einige solche Enzyme lösen nicht nur die 
eigenen Bakterien auf, sondern auch gewisse andere. Der 
Bazillus pyozyaneus z. B. bildet ein Enzym oder richtiger ein 
Enzymogen, das erst außerhalb des Bakterienleibes, vielleicht 
unter dem Einflüsse der Luft, zum Enzym wird, das Diphtherie¬ 
bazillen, Staphylokokken, Streptokokken und mehrere andere 
Bakterien in vitro teils im Wachstum hemmen, teils sogar 
aufzulösen vermag. Aber auch im Tierkörper wirkt dieses 
Enzym, das den Namen Pyocyanase erhalten hat, teilweise in 
gleichem Sinne und ist deshalb mit Erfolg therapeutisch ver¬ 
wandt worden. x . 

Theodor Esche rieh hat das Präparat in der Universitäts- 
Kinderklinik in Wien bei Gelegenheit einer Grippeepidemie auf 
der Säuglingsabteilung mit sehr gutem Erfolge angewandt - Die 
bakteriologische Untersuchung des Nasensekretes ergab bei den 
erkrankten Kindern den Pf ei ff er sehen Mikrokokkus katarrhalis. 
Nachdem die Einträufelung von je fünf Tropfen Pyocyanase in 
jedes Nasenloch vorgenommen worden war, hörten die vorher 
häufigen Rezidive auf, die weiteren Erkrankungen sistierten 
und in dem Nasensekret waren Kokken nicht mehr nach¬ 
weisbar. Es che rieh und Je hie fanden dann auch, daß der 
Meningokokkus ebenso wirksam durch Pyocyanase beein¬ 
flußt wird. Es gelang ihnen zwar nicht, durch intradurale 
Injektion der Pyocyanase in jedem Falle Besserung zu erzielen, 
und der tödliche Ausgang ließ sich nicht immer dadurch ver¬ 
hindern, so daß ihre Resultate in dieser Beziehung nicht gerade 
ermutigend sind, aber für die Prophylaxe der Meningitis cere¬ 
brospinalis bewährte sich nach ihnen die Pyocyanase glänzend. 
Da die Kokken im hinteren Nasen rachenraume wuchern, so 
leistet hier die Desinfektion mit Pyocyanase Bedeutendes. Es 
müssen an infizierten* Orten besonders auch die Erwachsenen, 
die meist nicht selbst erkranken, behandelt werden, weil durch 
sie die Infektionserreger auf die Kinder übertragen werden. 
Schädliche Nebenwirkungen wurden bei der Anwendung von 
0,5 bis 3 ccm nicht beobachtet. (Näheres s. Wiener Kl. Wochen¬ 
schrift 1906, Nr. 25, und 1907, Nr. 1; Münch, med. W. 1906, 
Nr. 29 und 52.) 

Ueber teilweise sehr günstige Erfolge’ der Pyocyanase- 
anwendung bei Diphtherie berichtet Dr. Karl Zucker aus der 
K. K. Universitätskinderklinik in Graz im Archiv für Kinder¬ 
heilkunde, Bd. 44, Heft 1/3. Er kommt zu folgender Schlu߬ 
äußerung: 

„I. Die Pyocyanase beeinflußt in manchenFällen von Rachen¬ 
diphtherie den lokalen Prozeß und indirekt den Allgemein¬ 
zustand in ausgesprochen günstigem Sinne. 

H. Von der spezifischen Behandlung mit Heilserum ist hei 
Anwendung der Pyocyanase in keinem Falle abznsehen. 

III. Als Adjuvans erscheint die Pyocyanase namentlich 
in jenen Fällen von Rachendiphtherie angezeigt, in welchen 
die Rückbildung der Membranen schleppend vor sich geht, 
und in solchen, wo von Anfang an sogen, „septische“ Zustände 
vorliegen. 

IV. Einige Vorsicht bei der Pyocyanasebehandlung ist not¬ 
wendig bei Kindern, die den Ueberschuß der versprayten Lösung 
nicht auszuspucken erlernen. 

Was die Technik der Behandlung mit Pyocyanase betrifft, 
so wurde uns zwei- bis dreimalige tägliche Besprayung 
des Rachens mit der Lösung empfohlen. Es dienten uns hierzu 


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recht handliche kleine Glasapparate, welche von dem Labora¬ 
torium Lingner geliefert wurden-und die nach dem Prinzipe 
eines älteren Modells von Escherich zur lokalen Rachen- 
‘behandlung konstruiert sind.“ 

P. Höckendorf, Groß-Liebterfelde. 


Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. Albukola. Von Dr. Zernik. Apotheker-Zeitung, 1907, 
Nr. 101. (Vergl. auch diese Zeitschr., 1908, Nr. 3.) 

2. Dr. Pfeifemanns Kohlensäure-Umschlag (Tibin-Kata¬ 
plasma). Von Dr. Zernik. Ibidem. 

3. Berichtigung über Pyrenol. Von Dr. Horowitz. Ibidem, 
Nr. 103. 

4. Paralysol. Von Dr. Zernik. Ibidein. 

5. Brr Erhards Visnervin. Von Dr. Zernik. Ibidem. 

6. Neue Versuche mit Purgen. Von Dr. L. Busscher. 
Wiener klin. Rundschau, 1907, Nr. 50. 

7. Der therapeutische Wert des Histosans. Von Dr. V. 
Klimek, Bad Darkau. Die Heilkunde, 1907, H. 12. 

8. Weitere klinische Untersuchungen über Theolaktin. Von 
Dr. W. Krüger, Magdeburg. Zentralblatt für innere Medizin, 
1908, Nr. 1. (Selbstbericht.) 

9. Autoreferat: Styptol bei Uterusblutungen. Von Cuthbert 
Lockyer, M. D. — F. R. O. S. — M. R. C. P. am Samaritan 
Free-Hospital for Women etc., London. Zentralblatt f. d. ges. 
Therapie, Dez. 1907, Heft 12. 

1. Unter dem Namen „Albukola“ empfiehlt Rita Nelson- 
Berlin W. 8 ein garantiert harmloses, speziell für Frauen be¬ 
stimmtes Nährpräparat. Von dem pulverförmigen Mittel .soll 
zweimal täglich ein halber Teelöffel voll genommen werden. Preis 
2,50 M. pro Schachtel, welche 140 g enthält. Das Pulver hatte 
eine grau-bräunliche Farbe, war teilweise zusammengebacken, 
schlecht gemischt und enthielt weiße Partikelchen, die mit bloßem 
Auge zu unterscheiden waren und sich als Kalziumphosphat er¬ 
wiesen. Der Geschmack des Pulvers war süßlich-fade. 

Außer Kalziumphosphat fanden sich noch Ferrum karbonicum 
saccharat., Stärke vom Charakter des Arrow-Root, z. T. wasser¬ 
lösliches Eiweiß und Lezithin. Der Gehalt an letzterem betrug 
ca. 8%. 

2. Ueber Dr. Pfeffermanns Kohlensäure-Umschlag, dargestellt 
von Dr. Pfeffermann, Fabrik chemischer und pharmazeutischer 
Präparate, Berlin O. 27, der als Spezifikum gegen nervöse Kopf¬ 
schmerzen und Migräne, ferner bei den verschiedensten Neuralgien 
und Neurosen empfohlen wird, berichtet Dr. Zernik folgendes 
Untersuchungsergebnis: 

In einem Pappkarton waren verpackt a) eine Tube, enthaltend 
ca. 20 g einer weichen, weißen Paste, b) 6 je 8 cm im Quadrat 
messende, steif imprägnierte Stücke weißes Lint, das eigentliche 
Kataplasma, c) ein Stück Billroth-Battist, 10,6 cm im Quadrat 
messend. Preis 2 M. Laut Gebrauchsanweisung soll das Kata¬ 
plasma zunächst auf den Billroth-Battist gelegt und dort mit zwei 
Teelöffeln warmen Wassers angefeuchtet werden. Sodann ist die 
schmerzende Stelle messerrückendick mit der Paste zu bestreichen 
und das Kataplasma so darauf zu legen, daß der Battist zu oberst 
liegt. Das Kataplasma soll nach je einer Minute ein wenig hin- 
und hergeschoben werden, „wodurch die Kohlensäurewirkung ver¬ 
stärkt wird“. 

Wie die von Dr. Zernik und O. Kuhn vorgenommene 
Untersuchung ergeben hat, bestand das Kataplasma selbst aus 
mit Weinsäurelösung imprägniertem Lint, während die Paste aus 
etwa 30 Teilen kohlensaurem Natrium, 15 Teilen kohlensaurer 
Magnesia, 10 Teilen Natronseife, 5 Teilen Menthol und 40 Teilen 
Wasser bestand. 

Die Wirkung des Kohlensäure-Umschlages beruht nicht allein 
auf der naszierenden Kohlensäure, sondern dürfte zum größten 
Teile auch durch die hautreizenden Eigenschaften des Menthol 
bezw. der Seife bedingt sein. 

3. In Nr. 103 der Apotheker-Ztg. lesen wir eine Berichti¬ 
gung über Pyrenol, die zu referieren uns wichtig erscheint. In 


Nr. 100 der Apotheker-Ztg. hatte Dr. Zernik die Untersuchungs¬ 
resultate des Pyrenol mitgeteilt. Dr. Horowitz, in dessen 
Laboratorium das Mittel hergestellt wird,, bemängelt zunächst bei 
den gefundenen Werten die ungenaue Angabe des freien Thymols 
und weist dann darauf hin, daß das Pyrenol kein mechanisches 
Gemenge, sondern ein nach einem durchaus originellen Verfahren 
dargestelltes einheitliches Präparat ist, welches die Benzoesäure 
z. T. als Siambenzoesäure enthält, worauf die expektorierende 
Wirkung des Präparates zurückzuführen ist, und worin Dr. Horo¬ 
witz den therapeutischen Wert desselben erblickt. 

4. Von der Lysolfabrik Schülke & Mayr-Hamburg wurde in 
diesem Jahre ein festes Kresolseifenpräparat in Tablettenform 
unter dem Namen Paralysol in den Handel gebracht. Die 1 g 
schweren Tabletten sollen zur ex-tempore-Bereitung von Kresol« 
seifenlösung dienen, und von der Firma wird vor dem Lysol der 
angenehme Geruch und die noch stärkere desinfektorische Wirkung 
des Paralysols gerühmt. Die Tabletten sind zu je 15 Stück in 
braune Glasröhren verpackt und besitzen ziemlich weiche Konsistenz; 
die einzelne Tablette wiegt durchschnittlich 1,05 g. Ihr Geruch 
ist der durchdringend fäkalartige des p-Kresols, besonders in der 
Verdünnung, den das Parfümierungsmittel (anscheinend Kumarin) 
nur unvollkommen zu verdecken vermag. Die Tabletten lösen sich 
in Wasser nur teilweise unter Hinterlassung eines Rückstandes, 
der aus Talkum und Bolus bestand; seine Menge betrug 10%. 
In der filtrierten Flüssigkeit waren Kresole neben Kalium, Natrium 
und Fettsäuren nachweisbar, und zwar fanden sich 75% einer 
Mischung^ von etwa gleichen Teilen m- und p-Kresol in Form 
ihrer festen Natrium- und Kalium Verbindung und 15% Natronseife. 

5. Seit dem Sommer des verflossenen Jahres wird von der 
Firma Dr. Artur Erhard, G. m. b. H., Berlin, Reklame für ein 
neues Nerventonikum „Visnervin“ gemacht. Interessenten erhalten 
eine Broschüre mit dem Titel: ,,So bekämpft man Nervosität, 
Neurasthenie, Nervenschwäche mit Erfolg“, der Dankschreiben und 
Gutachten beiliegen. Der Darsteller betont in einem Begleit¬ 
schreiben, daß „Visnervin wesentlich billiger und wirksamer ist 
als alle sonst empfohlenen Mittel“ und verpflichtet sich außerdem 
durch einen Garantieschein, „20 M. für jeden erfolglosen Fall“ 
zu zahlen. Unter Warnung vor anderen „gefährlichen Geheim¬ 
mitteln“ wird Visnervin als einzig wirksames Präparat empfohlen, 
„kein Nervenheilmittel, sondern ein Nervennähr mittel“. Das 
Präparat soll die Bestandteile enthalten, „aus denen sich Gehirn 
und Rückenmark zusammensetzen, in reinster, im Körper sofort 
assimilierbarer Form“. 

Eine Originaldose kostet 2 M., drei Dosen 5,75 M.; für eine 
Kur sind ,,in normalen Fällen“ ca. sechs Dosen erforderlich, bei 
deren Abnahme noch eine siebente gratis zugefügt wird. 

Die gemeinsam mit O. Kuhn vorgenommene Untersuchung 
Dr. Zerniks ergab, daß die 30 linsenförmigen, mit Schokolade 
überzogenen und charakteristisch nach Vanille riechenden Pastillen 
einer Schachtel von gelblich-weißer Grundfarbe und mit weißen 
Partikeln durchsetzt waren, die sich als Rohrzucker herausstellten. 
Außerdem waren Getreidemehlbestandteile mikroskopisch nachweis¬ 
bar, die wahrscheinlich als Weizenmehl anzusprechen waren; die 
Biuretreaktion läßt ferner auf Anwesenheit von Eiweiß neben 
dem Mehl schließen, dessen (Vorhandensein auch chemisch nach¬ 
gewiesen werden konnte. 

Unabhängig von diesen Befunden wurden auf Veranlassung 
des Ortsgesundheitsrates Karlsruhe Analysen des Visnervin vor¬ 
genommen, die die gleichen Resultate ergaben. Daraufhin wurde 
vom Ortsgesundheitsrat eine Warnung erlassen, in der das Vis¬ 
nervin als „absolut unwirksam“ gebrandmarkt wurde. 

6. Die ungarische Regierung bediente sich früher des Phenol¬ 
phthaleins, um Kunstwein zu kennzeichnen. Einige Tropfen eines 
Alkalis genügten, um in diesem Weine, der eine kleine Menge 
Phenolphthalein enthielt, Purpurfärbung hervorzurufen. Dabei 
machte man die überraschende Entdeckung, daß die Konsumenten 
von Diarrhöe befallen wurden, eine Erscheinung, die erst auf- 
hörte, als man das Getränk wieder einzog. Vamossy hat zu¬ 
erst die abführende Wirkung, selbst kleiner Dosen bewiesen. Das 
Phenolphthalein ist seiner Zusammensetzung nach ein Dihydroxy- 
phthalophenon und bildet farblose Kristalle, die sich in Alkohol 
sehr leicht, Aether wenig, Wasser gar nicht lösen. Es wird unter 
dem Namen £ „Purgen“ in Tabletten in den Handel gebracht. Es 


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gibt linsenförmige, die rosa gefärbt sind, ä 0,05 g (Baby-Purgen); 
andere, die gelb gefärbt sind, ä 0,1 g (Purgen für Erwachsene); 
schließlich polygonale, gelbe Tabletten ä 0,25 g (für Bettlägerige). 
Sie sind geschmacklos und mit Vanillin parfümiert, so daß sie 
von den ungeduldigsten Kranken, selbst von Kindern gern ge¬ 
nommen werden. Die Zuführung von 0,1 bis 0,2 g Purgen er¬ 
zeugt bei Erwachsenen nach durchschnittlich 10 Stunden einen 
oder mehrere Stühle; Dosen von 0,25 bis 0,5 g sind schon nach 
2 bis 5 Stunden wirksam. Die Stuhlentleerung erfolgt ohne 
Koliken. Das Purgen ist ungiftig und reizt nicht die Nieren; 
die Mund- und Magenschleimhaut wird nicht angegriffen. Es 
kann daher sowohl bei Magengeschwüren, wie bei Nierenentzün¬ 
dung als Abführmittel verordnet werden. 

Verf. erläutert an einer Reihe von Krankengeschichten die 
Wirkung des Purgens und empfiehlt seine Anwendung. 

7. Das Histosan ist von Dr. H. 0. Eehrlin hergestellt und 
ist eine Kombination von Guajakol mit Eiweiß. Es stellt ein 
hellbraunes bis hellgelbes, feinkörniges Pulver dar von deutlichem 
aromatischem Geruch und Geschmack und ist in verdünnten Alkalien 
leicht löslich. Außer der Pulverform finden wir das Histosan noch 
in Form von Tabletten, bei denen der unangenehme Geschmack 
des Pulvers mit Milchschokolade gedeckt wird (10% Histosan und 
90% Milchschokolade), und als Sirup, der eine klare, gelbliche, 
etwas dicke Flüssigkeit darstellt, welche mit Alkohol oder alkoholi¬ 
schen Flüssigkeiten oder mit Wasser sich mischen läßt. Nach 
den Untersuchungen des Verfassers erscheint das Histosan in 
saurem Magensaft unlöslich und ist vom Darm resorbierbar, so 
daß es die wichtigsten Anforderungen erfüllt, die man an ein 
gutes Guajakolpräparat stellen muß. 

Verf. hat das Mittel an 24 Kindern zumeist während vier 
Wochen geprüft und gute Resultate gesehen. Er verabreichte es 
in Dosen von 1,5 bis 2 g pro die in Oblaten. In allen Fällen 
war das Histosan auf das tuberkulöse Grundleiden von günstigem 
Einfluß, der sich auch in einer namhaften Gewichtszunahme der 
damit behandelten Kinder dokumentierte. Es wurde gut ver¬ 
tragen und gern genommen. Unangenehme Nebenwirkungen, wie 
Beschwerden von seiten des Digestionsapparates, Brechreiz etc. 
wurden von Verf. nicht beobachtet. Vielmehr fand sich in allen 
Fällen eine augenfällige Appetitssteigerung. Zu einer von einer 
Seite empfohlenen subkutanen oder intravenösen Medikation konnte 
sich Verf. nicht entschließen. 

8. Verf., der im Januarheft 1907 der Therapie der Gegen¬ 
wart über seine ersten Untersuchungen über das neue Diuretikum 
Theolaktin ausführlich berichtet und sich nicht gerade günstig aus¬ 
gesprochen hat, veröffentlicht jetzt seine weiteren Beobachtungen 
und Untersuchungen, die ihn zu weit besseren Resultaten geführt 
haben. Während nämlich bei seinen ersten Versuchen viele 
Kranke nach kürzerer oder längerer Zeit nach Einnahme des 
Theolaktins (d. i. eine Verbindung der Milchsäure mit Theobromin, 
und zwar Theobromin-Natrium — Natrium laktikum) unangenehme 
Symptome aufwiesen, als Appetitlosigkeit geringeren oder stärkeren 
Grades, Uebelkeit, Brechreiz, Erbrechen und sogar Durchfälle, 
Erscheinungen, die nach Aussetzen des Mittels alsbald zu ver¬ 
schwinden pflegten, und die Verf. auf eine chemische Verunreini¬ 
gung des Präparates zurückführen zu müssen glaubte, da die 
ersten Versuchsquanten im Laboratorium des Erfinders, des Herrn 
Dr. phil. R. Lüders, nur in kleinen Mengen hergestellt waren, hat 
er jetzt derartige unangenehme Nebenwirkungen bei Verwendung 
des von der Firma Vereinigte Ohininfabriken Zimmer 
& Co. in Frankfurt a. M. hergestellten Theolaktins nicht mehr 
beobachtet. Appetitlosigkeit trat zwar noch hier und da ein; das 
ist aber eine Erscheinung, der wir auch bei Verabreichung des 
Diuretins begegnen, und die wohl durch das Theobromin bei 
längerem Gebrauch verursacht wird. 

Das jetzt vorliegende Präparat ist ein ganz weißes, trockenes 
Pulver, das sich leicht in warmem Wasser löst. Sobald sich je¬ 
doch die Flüssigkeit abgekühlt hat, bildet sich ein feiner weißer 
Niederschlag, der um so stärker ist, je länger oder je kälter die 
Lösung gestanden hat — ein Umstand, der gegenüber dem Diuretin 
entschieden als ein Nachteil anzusehen ist. Der Zusatz von Alkohol 
scheint übrigens den Ausfall zu beschleunigen. Nach Annahme 
des Krankenhausapothekers dürfte der weiße Niederschlag aus¬ 


fallendes freies Theobromin sein. Dadas : Theolakfin sehr hy^rövc 
skopisch ist, empfiehlt' es sich am meisten, das Mittel in Lösung, 
und zwar zu gleichen Teilen mit Aqua 'menthae und Aq. destill. * 
zu ordinieren. Als Pulver muß es in Wachspapier verordnet' 
werden. Aus dem angeführten Grunde ist auch eine Darreichung 
in Suppositorien unzweckmäßig, da das Salz sich aus der Kakao¬ 
butter ausscheidet und an der Außenfläche der Stuhlzäpfchen ab¬ 
setzt, wobei diese brüchig und zum Gebrauch ungeeignet werden. 
Die Dosis und die Indikation gleichen denen des Diuretins; man 
gibt^ je nach der Wirkung, die man erzielen will, 3 bis 6 g 
pro die. Falls eine interne Anwendung des Theolaktins nicht 
durchzuführen ist, kann man dasselbe recht gut aufgelöst in 
Wasser als Klystier verabreichen. 

Verf. hat das Präparat wochen-, auch monatelang nehmen 
lassen, z. B. eine Frau 51 Tage lang, ohne dabei ungünstige 
Wirkungen von seiten des Herzens oder des Magendarmkanals zu 
beobachten. Die Wirkung war fast stets eine sehr günstige; rin¬ 
den Fällen, wo das Mittel nicht anschlug, versagten auch andere 
zum Vergleich herangezogene Diuretika, z. B. Diuretin oder. 
Thephorin. 

Nach..Aufzählung einiger Krankengeschichten kommt Verf. ' 
auf Grund seiner Beobachtungen zu folgenden Schlüssen: 

a) Das Theolaktin ist ein harntreibendes Mittel, das bezüg¬ 
lich seiner diuretischen Wirkung mit den bekannten Präparaten 
durchaus in Konkurrenz treten kann. 

b) Die anfänglich beobachtete zweifelhafte Bekömmlichkeit 
des Medikamentes ist nicht dem Theolaktin zuzuschreiben, sondern 
wahrscheinlich darauf zurückzuführen, daß das im Laboratorium 
des Erfinders hergestellte Präparat chemisch nicht so rein war, wie 
das von der Fabrik in den Handel gebrachte. 

c) Nachteilige Wirkungen auf das Herz wurden niemals be¬ 
merkt. * - 

d) Es scheint, als wenn die Wirksamkeit des Mittels noch 
gehoben werden kann durch gleichzeitige Darreichung von Ex- 
zitantien, besonders in solchen Fällen, wo die diuretische Kraft 
des Theolaktins nachzulassen beginnt, z. B. nach längerem Ge¬ 
brauche infolge Gewöhnung, oder wo es infolge Ueberlastung des 
Blutkreislaufes nur eine schwache Wirkung entfaltet. 

e) Eine nachhaltende Wirkung nach Aussetzen des Präparates 
wurde nicht beobachtet. 

Verf. empfiehlt auf Grund seiner neuen Untersuchungen das 
Theolaktin auf das Wärmste. (Selbstbericht.) 

9. Das Styptol erwies sich als gutes Mittel gegen Dysmenor¬ 
rhöe, von den beschriebenen neun Fällen wurden sieben Patienten 
von ihren menstruellen und ovariaien Schmerzen befreit, zwei 
nicht. Einer der Mißerfolge betraf einen infantilen Uterus, der 
andere eine Dysmenorrhoea membranazea. 

Bei Neubildungen wandte der Verf. das Styptol in sieben 
Fällen an; in fünf ließen die Schmerzen prompt nach und die 
Hämorrhagien hörten auf. Die zwei Mißerfolge in dieser Beob¬ 
achtungsreihe sind leicht begreiflich, da in dem einen Falle das 
Fibroid in sarkomatöser Umwandlung begriffen war, ‘in dem anderen 
verhinderte die schwere Herzaffektion den Erfolg. 

Nicht minder gut waren die Ergebnisse der Styptolanwendung 
bei kranken Adnexen. In den frühen und milderen Stadien der 
tubalen und ovariaien Entzündung übt Styptol eine günstige Wir¬ 
kung in der Bekämpfung der sekundären Menorrhagien aus. Diese 
beruht zweifellos darauf, daß solche Läsionen stets mit präexistenter 
Endometritis verbunden sind, und die letztere ist es, welche von 
dem Hämostatikum günstig beeinflußt wird. Es ist selbstver¬ 
ständlich, daß bei groben Veränderungen, wie z. B. Pyosalpinx 
und Ovarialabszeß, Styptol nicht indiziert ist und nichts außer 
operativem Vorgehen von irgend einem Werte ist. 

Ganz besonders wertvoll ist das Styptol bei entzündlichen 
und kongestiven Veränderungen des Uterus. Es hat sich auch 
bei der Menorrhagie junger Mädchen ohne nachweisbare Abnormität 
bewährt und auch bei drohendem Abortus der ersten Monate, vor 
der Dilatation des Os uteri. Dem Mittel kommen zweifellos 
neben seiner hämostatisehen Wirkung sedative Eigenschaften zu. 
Styptol hat sicherlich seinen Platz unter den wertvollsten uteripen 
Hämostatika und Sedativa errungen. (Autoreferat.) 




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r _, —"Äieflungen aus der Praxis. 

^ Verfahren zur Herstellung von Desinfektionsmitteln 

tir. Schneider-Hamburg patentiert worden: Man erhitzt 
' .‘kristallisierte Oxalsäure, bis sie ihr Kristallwasser ganz oder teil- 
■ weise abgegeben hat, und besprengt das trockene Pulver mit etwa 

y./' 25 % seines Gewichts Rohkresol oder reiner Karbolsäure oder 
1 wässeriger Formaldehydlösung. Man erhält sich feucht anfühlende 
Produkte, die nach mehrtägigem Stehen ein homogenes, trockenes 
Pulver'liefern und sich leicht zu Tabletten verarbeiten" lassen. In 
einer Verwendung von */4 bis V 2 %igen Lösungen sollen die Prä¬ 
parate Eitererreger und Typhusbazillen fast augenblicklich ab¬ 
töten. (Apotheker-Zeitung, 1907, Nr. 100.) 

OleUm gxiseum. Von L. Laf ay. Zur Zubereitung des grauen 
Oeles („huile grise u ) empfiehlt L. folgende Vorschrift: 

Ep. Hydrargyr. depurat. 40,0, 

Lanolin anhydrik. steril. 40,0, 

Ol. Vaselin, medicin. steril. 57,0. 

Quecksilber und Lanolin werden in einem erwärmten Mörser 
bis zur Extinktion des Quecksilbers zusammengerieben; dann wird 
das Vaselinöl zugesetzt. Das fertige Produkt wird in einer Stöpsel¬ 
flasche auf bewahrt. 1 ccm des Oels enthält 0,4 g metallisches 
Quecksilber. (Journ. de Pharm, et Chim., 1907, II.) 

Zur Zubereitung von Liquor picis wird folgendes Bezept 
angegeben: 

Ep. Picis liquid. 25,0, 

Natr. bikarbon. 25,0, 

Aq. dest. 1000,0, 

Spirit. 5,0, 

Vanillin 0,25. 

Das so erhaltene Präparat ist in seinen Eigenschaften dem 
Liquor picis Guyot gleichwertig. (Journ. d. Pharm, f. Elsaß-Lothr., 
1907, Nr. 9.) W. Krüger, Magdeburg. 



Fesselbandmaß für genaue Umfangmessungen. 

Dieses Fesselbandmaß von Wahl-München besteht 
darin, daß das freie Ende des Bandmaßes als Anfang der 
Zentimeter einen Metallbügel besitzt, durch welchen das Band¬ 
maß als Schleife gezogen ist. Es entsteht dadurch eine Art 
Fessel, durch welche man die zu messende Extremität steckt. 
Durch Zug an dem freien Ende des Bandmaßes legt sich die 
Fessel stets fest um die Extremität, deren Umfang man messen 
. will, und der Metallbügel zeigt gleichzeitig auf die Zahl, 
welche die Zahl des Umfanges in Zentimeter angibt. Dieses 
einfache Instrument ist für die Unfallbegutachtung von großem 
Werte, da durch dasselbe subjektive Irrtümer vei mieden werden. 
Die automatische Funktion gibt genauere Kesultate als das 
Messen mit dem bisherigen Bandmaß. Vor allen Dingen fällt 
hierbei der Einfluß der Kraft, mit welcher man das Bandmaß 
anzieht, weg, da immer bei diesem Fesselbandmaß eine an¬ 
nähernd gleiche Kraft beim Anziehen wirkt, während dieselbe 
beim gewöhnlichen: Bandmaß stets verschieden groß ist und 
dadurch zu falschen Eesultaten Veranlassung gibt. Man 
kann dieses einfache kleine Instrument jedem, der viel Unfall- 

f titachten abzugeben hat, empfehlen, er wird dabei immer 
en positiven Wert erhalten. Das Fesselbandmaß wird von 
E. Pr ei sing er in München, Sendlingerstr. 52, angefertigt und 
kostet 2,20 M» W. B. Müller, Berlin. 


Kompressen mit evakuiertem Wärmeschutzmantel 

werden von J. Ti mar, Berlin W. 15, fabriziert. Diese neue 
Kompresse bezweckt die Neuanwendung des Prinzips der eva¬ 
kuierten Doppelwände auf Wärme- und Kältekompressen aller 
Art. Bei den bisher ärztlicherseits verwendeten Kompressen 


besteht der Uebelstand, daß sie an dem dem Körper nicht zu¬ 
gewandten Teile die Wärme rascher ausstrahlen, wodurch Er¬ 
kältungen leicht hervorgerufen werden, wobei sie natürlich den 
beabsichtigten Zweck der intensiven Zufuhr von Wärme nicht 
erfüllen. Durch die neuen Kompressen wird diesem Uebelstande 
dadurch abgeholfen, daß die Kompressen in einem doppel¬ 
wandigen evakuierten Raume eingehängt sind. Es ist Tat¬ 
sache, daß luftleer gemachte Doppelwände nach dem System 
Dewar-Weinhold am zuverlässigsten die Ausstrahlung von 
Wärme verhindern. Somit hat diese neue Kompresse einen 
großen Vorzug vor dem alten System. Man kann dieselbe auf 
alle Körperteile leicht und gut applizieren, indem man die 
Form des an einem Isolierring befestigten Randes auswechselt. 
Diese den Körperteilen angepaßte Form des Außenringes er¬ 
möglicht ein dichtes Anliegen der Kompresse an der Haut. 

W. B. M ü 11er- Berlin. 



Die Arterienverkalkung (Arteriosklerose), ihr 
Wesen und ihre Behandlung. Mit Anhang: Ihre Be¬ 
handlung in Bad Kissingen. Von P. Münz. Preis 3 M. Verlag 
Hugo Steinitz-Berlin. 

Verfasser hat in einer verhältnismäßig kurzen Monographie 
das große Gebiet der Arterienverkalkung auf Grund seiner eigenen 
großen Erfahrung sowie unter Berücksichtigung einer umlassenden 
Literatur auf diesem Gebiete zur Darstellung gebracht. Vor allem 
ist rühmend hervorzuheben, daß es dem Verfasser gelungen ist, 
diese nicht immer leichte Materie klar und fließend darzustellen, 
wobei er aber das Wesen der Arteriosklerose gründlich erfaßt 
hat und ihre Theorien und physiologischen Studien so erörtert, 
daß jeder, der das Buch gelesen hat, es nicht ohne Vorteil ans 
der Hand legt. 

Der Verbreitung der Arteriosklerose und ihre Bedeutung als 
Kulturkrankheit und als Abnutzungskrankheit, die Verfasser be¬ 
sonders betont, ist ein interessantes einleitendes Kapitel gewidmet. 
Das pathologisch-anatomische Bild der x4rteriosklerose, ihre Ur¬ 
sachen und Folgezustände haben eine so eingehende Schilderung 
erfahren, daß wir schon deshalb das Buch auf ein höheres Niveau 
stellen können, als die gewöhnliche populäre Literatur. Die Be¬ 
schreibung des klinischen Krankheitsbildes zeigt die große Er¬ 
fahrung des Verfassers auf diesem Gebiete. Der Behandlung 
sind drei Kapitel gewidmet; eins beschäftigt sich mit hygienischen 
und diätetischen Maßnahmen, wobei namentlich gegen die Luxus- 
konsumption des Fleisches gesprochen und für die lakto - vege¬ 
tabilische Diät eine Lanze gebrochen wird. Die physikalischen 
Behandlungsmethoden sowie die Medikamente werden eingehend 
gewürdigt. Besonders ist der Wert der Jodpräparate, die durch 
Verminderung der Viskosität wirken, betont und des von Münz 
hergestelltenr Asklerosols, das in seinen Hauptprinzipien den Salzen 
der Kissinge Brunnen entnommen wird. In einem besonderen 
Anhänge weist Verfasser auf die Behandlung der Arteriosklerose 
in Bad Kissingen hin, dessen natürliche Heilfaktoren sich zur Be¬ 
handlung der Arteriosklerose recht gut eigneten. 

Dr. Max Hirsch-Bad Kudowa. 



— Wir erhielten am 18. Januar 1908 folgendes Schreiben: 

Königsberg i. Pr., d. 17. Januar 1908. 
„Sehr geehrter Herr Kollege! 

In Nr. 2 der „Therapeutischen Rundschau“, Seite 33, links 
unten, ist berichtet über eine „zeitgemäße Warnung 14 , welche 
Schloß in der Therap. d. Gegenwart, 1907, Nr. 12, p. 584, aus¬ 
spricht. Wenn Sie richtig zitiert haben, so hat Schloß in der 


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88 


TflSRAtSSUTISCHE äMtiSÖflitl 



von ihm empfohlenen Formel einen groben Fehler gemacht und 
kann sich nicht wundern, wenn er in der Apotheke die ge¬ 
wünschte Chlorkalziumlösung nicht erhält; denn Oalc. chloricum 
ist chlorsaurer Kalk (in der Photographie und Pyrotechnik an¬ 
gewandt) , während das von ihm gemeinte Chlorkalzium auf 
Lateinisch: .Cale. chloratum (allenfalls: hydrochloricum) 
heißt. Ich nenne dieses in der Tat herrliche Mittel am liebsten 
wie der alte Rademacher, nämlich salzsaure n Kalk, cal- 
carea muriatica. Hochachtungsvoll 

Dr. von Petzinger.“ 

Wir bemerken hierzu, daß inzwischen Herr Dr. Schloß 
seinen Lapsus kalami selbst bemerkt und eine Berichtigung im 
Januarheft der Therap. der Geg. im Sinne des Herrn Dr. von 
Petzinger publiziert hat. Uebrigens brachten wir in Nr. 3 
unserer Zeitschrift eine Notiz der Apotheker-Zeitung, Berlin, 1907, 
Nr. 101, in der die richtige Nomenklatur angegeben ist. 


□ ALLGEMEINES. 


Praktischer Ratgeber bei Steuereinschätzung und Steuer¬ 
reklamation nebst Preußischem Einkommensteuergesetz vom 

— — — — -— sowie Ausführungsbestimmungen und Formularen. 
18.6.07. (§23) 6 


Herrn l)r. N. IS. in IS. An stelle des Jodeisen-Lebertrans sollten Sie 
nunmehr Fucol mit Jodeisen verwenden. Die Komponenten letzterer Arznei- 
torrn ergänzen sich in geradezu idealer Weise, wodurch die beste Gewähr 
für exakte Heilerfolge geleistet wird. Orig.-Flaschen ä 1 / 2 Liter kosten in 
den Apotheken M. 2,50. General-Vertrieb: Karl Fr. Töllner, Bremen. 


Von einem Steuersekretär. 'Verlag: L. Schwarz & Comp., Berlin S, 
14, Dresdenerstraße 80. 128 Seiten. Preis 60 Pf. 

Das neue Einkommensteuergesetz von 1906 mit der Abände¬ 
rung von 1907 (§ 23 betr. Pflicht des Chefs zur Angabe des 
Einkommens der Angestellten) bietet eine solche Menge Neue¬ 
rungen, daß es für jeden Steuerpflichtigen unbedingt erforderlich 
ist, sich über die speziell für ihn in Betracht kommenden Punkte 
genau zu orientieren. Das Studium des nackten Gesetzes wird 
vielen schwer fallen. Der Verfasser hat es sich zur Aufgabe ge¬ 
macht, das zusammenzustellen, was jeder Steuerzahler wissen muß, 
um sich gesetzmäßig einschätzen und zu hohe Veranlagung erfolg¬ 
reich abwenden zu können.. Gleichzeitig sind Muster-Reklamationen, 
als da sind: Einspruch, Berufungen und Beschwerden vorgesehen 
und die amtlichen Ausführungs-Anweisungen wiedergegeben, welche 
für den Steuerzahler von Interesse sind. Am Schluß ist das neue 
Einkommensteuergesetz abgedruckt. 

Die Anschaffung des handlichen Werkchens ist jedem Steuer¬ 
zahler als nützlich zu empfehlen. 

Im Kaiserin Friedrich-Hause wird vom l. bis 8. Februar 
eine Ausstellung stattfinden, welche sämtliche von deutschen 
Firmen für die Medizinschule in Shanghai gestifteten 
Gegenstände veranschaulichen soll; letztere umfassen chirurgische 
Instrumente aller Art, Untersuchungs- und Heilapparate, Kranken¬ 
möbel , Verbandstoffe und Medikamente in reicher Fülle. Die 
Stiftungen, an denen 45 Firmen beteiligt sind, legen ein rühm¬ 
liches Zeugnis ab von der opferwilligen Teilnahme der einheimi¬ 
schen Industriellen an der deutschen Kulturarbeit im fernen Asien. 
Die Besichtigung der Ausstellung ist für jedermann unentgeltlich. 

F. A. Hoppen ii- R. Fischer 
Patentanwälte 

Berlin SW. 13. 9 Neuenburgerstraße 15 . 

Amt IV 7IS. 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. H. Lungwitz, Berlin S. — Verlag: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle a. S. 
Druck der Heynemannschen Buchdruckerei, Gebr. Wolff, Halle a. S. 


Hol rat Dr med. Th. Escherich, Professor der Kinderheilkunde a. d. 
Universität und Direktor des St. Arma-Kinder-Hospitals, Wien, schreibt: 
„Wir machten mit „Kufeke“ Kindermehl sowohl zur Unterstützung 
der Ernährung zurückgebliebener Kinder, als namentlich bei der Behandlung 
gewisser Darmerkrankungen mit sehr gutem Erfolge Gebrauch. 

Insbesondere fiel uns die gute Ausnutzung der dextrinähnlichen Bestand¬ 
teile des Mebles auf. 

Ich freue mich, Ihnen für Ihr Präparat meine Anerkennung aussprechen 
zu können, und hoffe, daß die weitere Verbreitung desselben Sie für die 
gebrachten Opfer entschädigen wird.“ 

Ferner: „Für die wesentlichen Fortschritte, welche Ihr Fabrikat in 
letzter Zeit gemacht hat, tadellos feine Pulverisierung, süßeren und an¬ 
genehmeren Geschmack und die wenigstens für klinische Zwecke mehr ge¬ 
eignete Verpackung in kleineren Dosen, freue ich mich, Ihnen meine An¬ 
erkennung aussprechen zu können. Auch hat sich dasselbe, soviel ich ur¬ 
teilen kann, sowohl in ärztlichen Kreisen als auch beim Publikum vielfach 
Verbreitung und Anerkennung erworben/ 1 

In seinem Vortrage „Beiträge zur antiseptis eben Bella ndlungs- 
methode der Magendarmerkrankungei) des Säuglings“, gehalten 
in der pädiatrischen Sektion der 60. Naturforsckerversammlung zu Wies¬ 
baden, sagte er: „Unter den gebräuchlichen Kindermehlen, die wegen ihrer 
Billigkeit, Haltbarkeit und Bequemlichkeit anderen Präparaten praktisch 
wohl stets den Rang ablaufen, hat mir das von „Kufeke“ in den Handel 
gebrachte die besten Dienste geleistet und sieb auch bei der chemischen 
Untersuchung als reich an höheren, in Wasser löslichen Dextrinen heraus¬ 
gestellt. 

Ich bin in der angenehmen Lage, als Bestätigung für diese im wesent¬ 
lichen theoretischen Erörterungen mich nicht nur auf meine eigenen klinischen 
Erfahrungen, sondern auf die Uebung und Empfehlung der hervorragendsten 
Praktiker, stützen zu können.“ 

Sodann berichtet er: „ . . . . daß es von den Kindern gerne und mit 
Rrtolg genommen wird.“ 

„ . . . . daß ich es auch bereits mit gutem Erfolge bei meinem, an 
einer leichten Verdauungsstörung erkrankten Kinde angewandt habe.“ 

* . . . Nachdem ich Ihr „Kufeke“ Mehl bei meinem Jungen gebraucht, 
habe ich mehrere mir übersandte Proben von anderen Kindermehlen versucht; 
keines derselben schien aber eine so günstige Wirkung auf das Körper¬ 
gewicht und die Beschaffenheit des Stuhles zu haben, wie das Ihrige.“ 

„Ihr Nährmittel hat bisher bei meinem Kinde ausgezeichnete Dienste 
geleistet.“ 

„Meinem Kleinen bekommt es ausgezeichnet'“ 

Ware zu Versuchszwecken und Literatur stehen den Herren Aerzten gratis 
und franko zur Verfügung. 

R. Kufeke, Bergedorf-Hamburg und Wien I. 


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mit der Konzession zum Betriebe einer Irrenanstalt 

versehenes Grundstück (geeignetes Anstaltsgebäude mit grös¬ 
serem Park) baldmöglichst unter günstigsten Bedingungen 
zu verkaufen. — Der für gen. Zweck bisher in Anspruch 
genommene Flächeninhalt (m)0 □- Ruthen) kann erforder¬ 
lichenfalls bis auf 2000 □-Ruthen erweitert werden (alles 
evtl, bestimmte Baustellen). 

Evtl, wäre hier einem kapitalkräftigen Herrn vortreffliche 
Gelegenheit zur Teilhaberschaft gegeben. 

Reflektanten wollen ihre Zuschriften gefl. unter Chiffre 
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für den praktischen Arzt. 

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Wochenschrift für die gesamte Therapie des praktischen Arztes. 



0. Anton, A. Dfihrssen, C. A. Ewald, R. Robert, 
Halle a. S. Berlin. Berlin. Rostock. 

H. Schmidt-Rimpler, H. Senator, 

Halle a. S. Berlin 


Redaktion: 

Berlin S. 14, Dresdenerstrasse 44 

Dr. H. Lungwitz. 


Herausgegeben v#n 



M. Koeppen, H. Rosin, H. Schlange, Ad. Schmidt, 
Berlin. Berlin. Hannover. Halle a. S. 

R. Sommer, H. Unverricbt, 

Gießen. Magdeburg. 


Verlag u. Expedition : Carl Marhold Verlagsbuchhandlung 
in Halle a. S., Reilstraße 80. 

Tel.-Adr. : Marhold Verlag Hallesaale. Fernsprecher 823. 


Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte der Ostsee and der 
Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 


II. Jahrgang. 


Halle a. S., 9. Februar 1908. 


Nr. 6. 


Die „Therapeutische Rundschau“ erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2 M., einzelne Nummer 20 Pf. Bestellungen nehmen jede Buchhandlung, 
die Post, sowie die Geschäftsstelle: Carl Marhold Verlagsbuchhandl ung in Halle a. S. entgegen. Inserate werden für die 4gespaltene Petitzeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. berechnet. Beilagen nach Uebereinkunft. Reklamezeile 1,50 M. Bei größeren Aufträgen wird Rabatt gewährt. 

Nachdruck der Original-Aufsätze ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. — Nachdruck der anderen Rubriken ist nur mit Quellenangabe gestattet. 



Eine neue Methode, die Funktionen des Verdauungs¬ 
apparates zn prüfen.*) 

Von Dr. Max Einhorn, Professor der Medizin an der N. Y. 

Postgraduate Medical School, New York. 

Eine Verfeinerung der Diagnostik ist gewöhnlich mit thera¬ 
peutischem Erfolg verknüpft. 

Die Funktionsprüfung des Magens hat die ganze Behandlung 
der Krankheiten dieses Organes umgestaltet. 

Auf dem Gebiet der Darmkrankheiten waren die Kliniker 
seit langem begierig, eine geeignete Methode zn haben, welche es 
erlauben würde, in die genauere Tätigkeit dieses Organs hinein 
zu blicken. Allein die meisten chemischen Analysen der Fäzes, 
welche nebenbei gesagt sehr kompliziert und zeitraubend sind, er¬ 
gaben zu schwankende Resultate, um für die Klinik von 
Wert zu sein. 

Schmidts Probediät für die Fäzesuntersuchung markiert 
einen entschiedenen Fortschritt, allein für den allgemeinen 
Gebrauch ist diese Untersuchungsmethode zu umständlich; 
dauert doch die Vorbereitung allein zwei bis drei Tage, bis 
man die Fäzes von der Probediät erhält. Ferner sind die Resul¬ 
tate (mikroskopische Untersuchung auf Stärke und Muskeln) 
dabei nicht scharf genug markiert. 

Seit einigen Jahren war ich mit der Ausarbeitung einer 
praktischen Methode für die Funktionsprüfung des Verdauungs- 
traktes beschäftigt, und ich möchte das Ergebnis dieser Unter¬ 
suchung Ihrer geschätzten Meinung zur Erwägung unterbreiten. 

Das Prinzip der Methode besteht darin, daß man, an¬ 
statt den gesamten Kot zu untersuchen, Patienten Probe¬ 
substanzen mit der Nahrung gibt und deren Schicksal verfolgt. 
Dieses läßt sich am besten so machen, daß man die Probe¬ 
substanzen an Glasperlen befestigt, Patienten verabreicht und 
dieselben nach Passierung des Verdauungstraktes wieder auf¬ 
sucht. Man sieht dann nach, ob die Perlen leer sind, oder ob 
die betreffenden Nährmaterialien noch an denselben haften. 
Die Untersuchungsmethode wird kurz als „Perlenprobe“ be¬ 
zeichnet. 

Praktisch wird die Probe folgendermaßen ausgeführt: Man 
gibt dem Patienten eine Gelatinekapsel, welche eine Perlenschnur 

*) Nach einem vor der Japanischen Gesellschaft für Verdauungskrank¬ 
heiten am 18. September 1907 zu Tokio gehaltenen Vortrage. 


mit folgenden Substanzen enthält: Katgut. Gräte, Fleisch, Thy¬ 
mus, Kartoffel, Hammelfett. — Nach Verabreichung der Kapsel 
wird jeder erfolgte Stuhlgang mit dem Stuhlsieb untersucht, 
bis die Perlenschnur wiedergefunden ist. Ist der Stuhl diar- 
rhoischer Natur, so kann oft das Sieben unterlassen werden, da 
man die Perlen ohne weiteres bei einer Besichtigung des Stuhls 
in einem Glasgefäß leicht entdecken kann. Gewöhnlich lassen 
sich dann die Perlen am Boden des Gefäßes, da sie schwerer 
als der Kot sind, beobachten. 

Unter normalen Verhältnissen erscheint die Perlenschnu 
in ein bis zwei Tagen im Stuhl. Hat man die Perlenschnur 
wieder gefunden, so wird dieselbe in kühlem Wasser einige 
Male durchgespült und nun auf einem Porzellanschälchen einer 
genaueren Betrachtung unterzogen. 

Ist die Verdauung normal, so findet man. daß Katgut. 
Fleisch, Kartoffel (außerSchale) stets ganz. Thymus undHammel- 
fett zum großen Teil verschwunden sind, während die Gräte 
für gewöhnlich zwar verschwindet, doch gelegentlich noch an¬ 
wesend sein kann. Im Thymusrest kann man stets ein Fehlen 
der Kerne feststellen. 

In pathologischen Zuständen beobachtet man Abweichungen 
von diesen Normen sowohl in Bezug auf den Zeitpunkt des 
Wiedererscheinens der Perlen (Störungen der Motilität) als 
auch auf den Gehalt derselben an Nährsubstanzen (Störungen 
der Verdauungsfunktion). 

Während man für die Beurteilung der Motilität des Ver¬ 
dauungsapparates klinisch ohne weiteres durch die periodische 
Entleerung des Stuhles gute Anhaltspunkte hat, läßt sich dieses 
für eine etwaige Abschätzung des Verdauungsprozesses im Darm 
nicht sagen, sondern es fehlt uns hier vielmehr jede Handhabe 
dazu. 

Aus diesem Grunde werde ich mir erlauben, meine fol¬ 
genden Bemerkungen lediglich auf die Prüfung der Verdauungs¬ 
funktion zn beschränken. 

Im ganzen habe ich die Perlenprobe bei etwa 200 Patienten 
angewandt und glaube, daß dieselbe wohl geeignet ist, einen 
Einblick in den Verdauungsprozeß zu gestatten. 

Im Gegensatz zur üblichen Mageninhaltsuntersuchung, 
welche sozusagen die Anfänge des Verdauungsprozesses an¬ 
zeigt, ermöglicht die Perlenprobe einen Einblick in den ganzen 
Verdauungsprozeß, d. h. sie veranschaulicht deutlich das End¬ 
resultat von dem, was der Digestionsapparat geleistet hat. 

Im großen und ganzen kann man das große Gebiet der 
Magen- und Darmdyspepsien (ohne schwere organische Läsi¬ 
onen) in zwei große Gruppen einteilen: 1. solche mit scheiu- 
bar normalen Verdauungsfunktionen (reine nervöse Dyspepsien); 
2. solche, in denen Funktionsstörungen zu entdecken sind 
(funktionelle Dyspepsien). 


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Für den Magen ist eine solche Einteilung seit längerer Zeit 
im Gebrauch, für den Darm ist eine derartige Klassifikation 
durch die Perlenprobe möglich geworden. 

Es dürfte zweckmäßig sein, hier lediglich auf die intesti¬ 
nalen Störungen einzugehen. 

Gruppe I. Rein nervöse Darmdyspepsien. Die Patienten 
klagen über mannigfache Symptome (Völle im Leibe, häufigen 
Flatus, unruhigen Schlaf, Unmöglichkeit die Gedanken zu kon¬ 
zentrieren , allgemeine Schwäche und Energielosigkeit). Die 
Untersuchung ergibt jedoch ein vollkommen negatives Resultat. 
Der Stuhl erfolgt normal, und die Perlenprobe zeigt gute Ver-" 
dauung. 

Gruppe II. Echte Darmdyspepsien. 

Neben mannigfachen subjektiven Klagen (Spannung im 
Leib, Borborygmen, unregelmäßiger Stuhl etc.) läßt die Perlen¬ 
probe deutliche Abweichungen von der Norm erkennen. Man 
kann diese Gruppe zweckmäßig in zwei Unterabteilungen zer¬ 
legen: 

a) in solche mit Verdauungsstörung für sämtliche drei Nähr¬ 
gruppen (Eiweiß, Fett, Kohlehydrat): Dyspepsia intestinalis uni- 
versalis seu kompleta. 

b) Solche mit Verdauungsstörung für eine oder zwei Nähr¬ 
gruppen: Dyspepsia intestinalis partialis. 

Obige Einteilung der funktionellen Darmkrankheiten dient 
nicht nur, um die Diagnostik zu verschärfen, sondern gibt uns 
zugleich eine Handhabe fijr die Behandlung. 

In der Gruppe 1, den rein nervösen Darmdyspepsien ohne 
Funktionsstörungen, wird man von einer speziellen Behandlung 
des Darms und der Verschreibung besonderer Diättormein ab- 
sehen müssen, dagegen werden wir unser Augenmerk auf eine 
Stärkung des nervösen Apparates des Organismus (Hydrotherapie, 
Massage, gute klimatische Verhältnisse, geeignete zweckmäßige 
Beschäftigung ohne Ueberanstrengung) richten müssen. 

GruppeTI, die der echten funktionellen Darmdyspepsien, wird 
zunächst eine geeignete Diät erheischen: so wird man bei der 
Dyspepsia intestinalis kompleta zunächst eine flüssige Diät, 
sodann Speisen in recht fein verteilter Form verschreiben 
müssen; bei der partiellen Darmdyspepsie wird man natürlich 
gerade jene Gruppe von Nährmaterialien einschränken, deren 
Verdauungsfunktion gestört ist. Auch medikamentös wird man 
sicherer und erfolgreicher Vorgehen können. 

Bei der Dyspepsia intestinalis universalis schienen mir die 
Pankreas-Präparate (besonders Pankreon) oft von Nutzen zu 
sein, so auch bei jenen Formen der Dyspepsia intestinalis par¬ 
tialis, wo es sich um Störungen der Eiweiß- oder Fettverdauung 
handelte. Dagegen hat sich in jener großen Klasse von Darm¬ 
dyspepsien, wo lediglich die Stärke Verdauung gestört ist, die 
Taka-Diastase (Takamine) besonders nützlich erwiesen. 

Lassen Sie mich hoffen, daß die Perlenprobe in unseren 
vereinten Händen ein Scherflein zur klinischen Bearbeitung 
dieses wichtigen Feldes der menschlichen Pathologie beitragen 
wird. 


Aus dem Elisabeth-Krankenhaus, Kassel. 

Rohkatgut, vom Schlachttier ab steril. 

Von Dr. Franz Kuhn, dirig. Arzt. 

Es ist in unserem paragraphenreichen Deutschland nicht 
gut begreiflich, daß, während jedes Präparat der Apotheke, 
mindestens aber jedes Serum und jeder Impfstoff, vor allem 
auch deren gewerbliche Herstellung einer staatlichen Kontrolle 
unterstehen, zur Zeit gerade der typischste tierische Impfstoff, das 
Katgut. jene auflösbare tierische Substanz, die gerade unter den 
empfindlichsten Voraussetzungen und subtilsten Bedingungen 
(bei aseptischen Operationen) angewandt und in die größten 
Tiefen des Körpers versenkt und dort befestigt wird, daß ge¬ 
rade dieses der staatlichen Aufsicht nicht untersteht. 

Und dabei wird gerade das Katgut, diese glatte, gläserne 
Darmsaite mit ihrem klaren, perlmutterglänzenden Aussehen 
und durchsichtigen Habitus von dem Arzte ahnungslos bezogen 


und im praktischen Leben mit Relativ viel Arglosigkeit 
wandt. ’ , ^ ' - *' 

Welches sind die Gründe, daß hie* der Staat 
noch nicht eingegriffen? 

Die Hauptursache kann nur in der ungenügenden Kenntnis 
des Präparates und vor allem seiner Fabrikation liegen. 

Ich habe in einer Reihe von Arbeiten: 

1. Kuhn: Katgut vom Schlachttier. 

Münchener med. Wochenschrift Nr. 41, 1906. 
Ferner: Steril-Rohkatgut. Ebenda 1907. Nr. 50. 

2. Kuhn und Rößler: • 

1 Katgut, steril vom Schlachttier ab, als frischer 
Darm vor dem Drehen mit Jod oder Silber behandelt- 

I. Teil, Bd. 86, 

II. Teil, Bd. 88, 1908 der Deutschen Zeitschrift 
für Chirurgie. 

8. Versammlung deutscher Naturforscher zu Dresden, 1907, 

4. Chirurgenkongreß zu Berlin, 1907 
hierüber Näheres gebracht. 

Aus diesen Arbeiten ergeben sich unzweifelhaft folgende 
Tatsachen: 

1. Die Herkunft des Präparates bezw. seine Gewinnung 
ist vom chirurgischen Standpunkt im allgemeinen recht ein¬ 
wurfsvoll. Die Därme kommen unter den gewagtesten Vor¬ 
aussetzungen aus allen Teilen der Erde (Australien, England, 
Rußland), passieren Schiffsräume und Lagerräume sehr unzu¬ 
verlässiger Qualität, sind häufig faul und feucht und verdorben, 
mindestens häufig stark riechend usw. 

2. Ist dieses alles nicht gerade immer in so schlimmer 
Weise der Fall, so ist die dann folgende Bearbeitung vom 
klinischen Standpunkt aus mit Hinsicht auf die spätere Verwen¬ 
dung doch meist recht einwurfsvoll. 

Diese Bearbeitung erfolgt in (meist kleineren) Fabriken 
oder Betrieben, die teils frische einheimische, teils getrocknete 
ausländische Därme verarbeiten, bis zur Stunde in erster Linie 
nach den Gesichtspunkten der Darmsaitenfabrikation für Musik¬ 
zwecke, mindestens nach denselben Regeln der Herstellung. 

Die Mangelhaftigkeit solcher Betriebe, 'soweit unsere 
chirurgisehen Ansprüche in Frage kommen, ergibt sich 
bei einem einfachen Besuche einschlägiger Fabriken. Entgegen 
den Wünschen, die wir in Anlehnung an unsere Operations¬ 
zimmer haben müssen, finden wir daselbst meist mehr wie 
ordinäre Arbeitsräume mit fraglichen Wänden und Böden, 
mehr wie vernachlässigte Arbeitsmaschinen, die nicht einmal 
die Sauberkeit der Schlachthäuser haben, die dem Anschein 
nach fast nie gereinigt werden; Laugen und Lösungen, die 
durch ihren Geruch sich verraten, und schmutzige Arbeiter, 
die nicht die leiseste Ahnung von dem haben, wozu ihr 
Fadenprodukt einmal dienen soll, und dementsprechend es 
auch behandeln. ' 

Ein auffallender Geruch kündet zumeist eine Katgutfabrik 
schon auf weite Entfernungen an, im Innern der Räume steigert 
er sich noch um ein Beträchtliches. 

Und erst der Faden selbst! Auf zweifelhaften 
Tischen und Rollen und Kämmen wird er von mehr als 
zweifelhaften Händen herumgeschmiert. Fällt er zu Boden, so 
tut dies der Sache keinen Schaden, er wird aufgenommen und 
weiter bearbeitet. Und dabei der Schmutz überall, entsprechend 
auch einer Hausindustrie kleinster Leute. 

Wenn wir wissen und sehen, mit welcher Sorgfalt ein 
moderner Chirurg sein Nahtmaterial ab ovo behandelt, wie er 
ängstlich auch auf die chemische Reinheit hält und jede 
unsaubere Berührung auch schon vor der Desinfektion zu ver¬ 
hüten sucht, um sich Wundheilung und Fadeneinheilung recht 
durchsichtig zu gestalten, dann müssen einem die Haare zu 
Berge stehen, wenn man solche Fäden in ihrem Werdegang 
sieht und sie vom Schlachthaus ab bis zum Trocknen und 
Abliefern zur Klinik oder an den Händler begleitet. 

Schon vom hygienisch-serologischen Standpunkt sind alle 
diese Verhältnisse unhaltbar, vom klinisch-chirurgischen Stand¬ 
punkt sind sie himmelschreiend und verbrecherisch. 

Um nicht mißverstanden zu werden, gebe ich natürlich 
gerne zu, daß es auch hier und da etwas bessere und sauberere 


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Original fro-m 

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' -jpb V ,äaß auch von einigen Fabriken, nur frische 

^jS^^.Sö&ria#beitet werden. 

'S^ .AErdtzdetn schützt uns dies alles nicht bis zur Stunde vor 
unliebsamen Ueberraschungen. 

' Denn auch diese besseren Betriebe arbeiten 
nicht nach aseptischen Grundsätzen und haben kein 
fach- und sachkundiges, der Tragweite der Frage auch nur 
ungefähr sich bewußtes und dementsprechend ausgebildetes Per¬ 
sonal. Sie sind auch nicht genügend eingerichtet. Falls sie ein¬ 
mal Desinfektionsmittel verwenden, so werden diese 
bei der Art der Weiterbearbeitung wieder illusorisch 
und unwirksam, da die aseptischen Grundsätze und Ein¬ 
richtungen in den Betrieben fehlen und das Personal keine 
Ahnung davon hat. 

3. Die Folge aller dieser Tatsachen ist leicht abzusehen; 
die Katgutfädep enthalten gelegentlich einen ungeheuren 
Schmutz, unbelebt wie belebt, chemisch wie bakteriologisch 
wirksam, der nur der Befreiung durch die Auflösung des 
Fadens in der Wunde harrt. Wenn man glaubt, durch nach¬ 
trägliche Sterilisation diese Fehler zu beseitigen, so irrt man. 
(Erfahrungen bei den fast unzähligen Methoden; chemische 
Reste.) In einer Zusammenstellung von Tetanusfällen nach 
Katgutgebrauch, die ich bis auf dreizehn sichere Fälle und 
ebenso viele wahrscheinliche vervollständigt, habe ich über 
einen Fall von Tetanus nach Gebrauch von Kat- 
gut-Krönig, das zur Zeit als das beste gilt, berichtet. 
Natürlich brauchen die Keime nicht immer Tetanuskeime zu 
sein. Die Gründe für die Schwierigkeit, Katgut nachträglich 
zu desinfizieren, liegen in der Besonderheit des Präparates 
(es kann nicht gekocht werden, ist gedreht, leimig, wasserun¬ 
durchgängig usw.). 

Ich muß, was diesen Punkt betrifft, auf meine Arbeiten, 
namentlich das, was ich mit Rößler (1. e.) in der Zeitschrift für 
Chirurgie auseinandergesetzt, hinweisen. 

Dort sind alle bis zur Stunde vorgeschlagenen Desinfek- 
tionsmethoden zusammengestellt; daneben deren Kritiken und 
Fehler. Gleichzeitig ist ebendort auf die Unsicherheit der seit¬ 
herigen Beurteilung der Fäden aufmerksam gemacht, deren 
Kontrolle doch nicht ohne, vollständige Auflösung des Fadens, 
so wie es auch in der Wunde erfolgt, beweisend sein kann. 

4. Aus allen diesen Gründen betrachte ich es als uner¬ 
läßliche Pflicht der staatlichen medizinischen Aufsichtsbehörden, 
hier Aenderungen zu schaffen. Ihre Aufgabe muß eine doppelte, 
eine verbietende und eine gebietende sein: 

a) sie müssen die Katgutfabrikation für medizinische Zwecke 
in der derzeitigen Form untersagen, und 

b) sie haben andererseits dafür zu sorgen, daß zweck¬ 
entsprechende Fabrikate aus zuverlässigen Betrieben auf 
den Markt kommen. 

Der erste Punkt ist relativ einfach; er ist gegebenenfalls 
einfach Sache der Polizei. 

Viel schwieriger steht es um den zweiten Punkt, ein 
zweckentsprechendes Katgutpräparat zu schaffen. 

5. Denn zweckentsprechend kann ein Katgutfab- 
rikat nur dann sein, wenn es zuerst hygienisch einwandsfrei her¬ 
gestellt wird, wenn es also zunächst wenigstens in der Art 
wie ein modernes tierisches Heilserum gewonnen und 
bearbeitet wird. Als erstes wären also die Gepflogen¬ 
heiten und Einrichtungen von Serumfabriken od.er 
Impfinstituten auf die Katgutfabrikation zu über¬ 
tragen. 

y Daneben ist aber zu sorgen, daß die spezifischen Errungen¬ 
schaften und Erfahrungen der modernen Chirurgie, sowohl was 
Nahtmaterial im allgemeinen als Katgut im besonderen, ferner 
was die Fragen der Desinfektion der Fäden und was jene der 
Einheilung und Transplantation von heteroplastischem Material 
als die der Resorption von totem organischen Material betrifft, 
daß diese an dem Katgutfaden in bestmöglicher Form zum 
Ausdruck kommen. Sofern nun diese in chemischer Be¬ 
arbeitung bestehen, müssen auch sie, um die besten Ergebnisse 
zu haben, an dem frischen Darm, vor dem Drehen des¬ 
selben und Trocknen, zur Anwendung kommen. Die Folge ist, 
daß also zweitens ein gut Teil der Gepflogenheiten 


und Maßnahmen der derzeitigen Katgutzuberei- 
tung, wie sie zur Zeit in dem OperationsVorzimmer 
(etwa mit Jod oder Silber oder sonst wie) ge¬ 
schieht, auf die Fabriken und die Bearbeitung 
des Katgut vor dem Drehen zu übertragen sind. 

Dabei bedarf insbesondere gerade die chemische Seite der 
Frage, die Frage des Fehlens oder Vorhandenseins besonderer 
chemischer Substanzen* (auch Kalilauge, Pottasche), welche 
event. die Chemotaxis, die Resorption, und somit die Wund- 
heiluug beeinflussen, der eingehendsten Beachtung. Auch sie 
ist nur am losen Darme ausgiebig genug zu lösen. 

6. Nach dem Gesagten hätte sich die verbietende Tätig¬ 
keit der Behörden auf jedes Katgut zu erstrecken, das die oben 
genannten Bedingungen nicht erfüllt; das wäre auf geradezu 
fast alles derzeitige Rohkatgut. 

Die Empfehlung andererseits hätte einem Präparate zu 
gelten, das von Anfang an, hier also vom Schlachttier ab, 
seiner Bestimmung entsprechend, in den menschlichen Körper 
eingeführt zu werden, d. i. gleich wie ein Serum, aufgefaßt 
und behandelt und geliefert wird. 

Solche Präparate gibt es bis jetzt noch nicht. Aber es 
dürfte sie alsbald geben. 

7. Denn die beiden angedeuteten Forderungen sind in 
einem Katgut erfüllt, das die Firma Merck in den Handel 
bringen wird. Seine Charakteristika sind: 

a) es entspringt einer von der Gewinnung des Rohmaterials 
bis zur Verpackung zuverlässigen, aseptischen Be¬ 
arbeitung; 

b) es erfährt eine spezifische Bearbeitung mit besonderen 
Chemikalien in der Art der Gepflogenheiten der modernen 
chirurgischen Kliniken, bereits am rohen, losen 
Faden, vor dem Drehen (deren Effekt durch 
die Weiterbearbeitung auch nicht mehr alte- 
rie rt wird). 

Diese beiden Punkte verdienen eine eingehendere Be¬ 
sprechung. " 

I. Um eine aseptische Bearbeitung von A bis Z, 
ä la Serum, Gelatina sterilisata, Impfstoff usw. zu ermöglichen, 
wurden besondere Maschinen gebaut (auf den seitherigen 
ist dies nicht möglich). Solcher Maschinen gibt es (vergl. 
Kuhn und Rößler, Zeitschrift für Chirurgie): 

1. eine zum Schlitzen der Därme (Fingerlinge für die 
Arbeiter), 

2. eine zum aseptischen Schleimen, 

8. eine zum keimfreien Drehen der Därme. 

In Dresden*) gab ich eine Demonstration der Maschinen 
und eine Erörterung ihrer Desinfektion und keimfreien Leistung 
und ihrer Bedienung. 

Die Maschinen machen mit Leichtigkeit eine absolut keim¬ 
freie Bearbeitung des Katgutfadens möglich, selbst einem An¬ 
fänger oder minder intelligenten Arbeiter. 

Eine eingehende definitive Desinfektion schiebt sich nach 
der gründlichen Schleimung der Fäden ein. 

Der Faden soll dann von der Desinfektion ab mit keiner 
menschlichen Hand mehr in Berührung kommen. 

Auch sonst ist die Bearbeitung so keimfrei als möglich. 

Ais Desinfizientien gehen Jod und Silberpräparate (siehe 
später). 

II. Um eine spezifische chemische Behandlung 
bezw. spezifische Präparierung der Därme zu ermöglichen, 
sind eine schier endlose Reihe von Studien nötig gewesen 
hinsichtlich der Wahl der Chemikalien und hinsichtlich der 
Art der Imprägnierung. 

Aus unseren Studien ergab sich: 

a) zunächst sind eine Reihe von Chemikalien (Formalin, 
Sublimat etc.) auszuschließen; dafür sind erfahrungs¬ 
gemäß andere Körper zu bevorzugen, die 

1. zunächst theoretisch Vorzüge zu erkennen geben 
(vergl. unsere Jod- und Silberstudien), 

2. die auch klinisch sich bereits Anerkennung ver¬ 
schafft haben (Jodkatgut, Silberseide), 

*) Yerhandl. der Naturf.-Vers. 1907 zu Dresden. 


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Solche Körper sind die Jod- und Silber salze. Sie 
bewährten sich sowohl theoretisch als klinisch, sowohl zur 
Desinfektion als Dauerimprägnierung. 

Ueber Einzelheiten dieser Fragen sind meine früheren 
Arbeiten in der Zeitschrift für Chirurgie nachzulesen. 

Dort ist die Jod- und Silberverwendung eingehend be¬ 
gründet. 

In einer weiteren Publikation in oben dieser Zeitschrift 
für Chirurgie*) werden zahlreiche Versuche mit unseren Prä¬ 
paraten an der Augenkammer des Kaninchens und anderen 
lebenden Testobjekten gebracht. Im Gegensatz hierzu auch 
Versuche mit Material, das in der früheren Weise bearbeitet 
ist. Es ergaben sich wesentliche Unterschiede. Denn 

b) um alle Anforderungen zu erfüllen und ihre spezifi¬ 
schen Vorzüge zur Geltung zu bringen, müssen 
die in Frage stehenden chemischen Körper auf den 
rohen ungedrehten Faden wirken und dort nach 
bestimmten Erfahrungen wirksam erhalten bleiben. Ge¬ 
schieht dies, dann sind die Möglichkeiten von noch zu 
erreichenden Idealfabrikaten vorerst gar nicht ab¬ 
zusehen. 

Dabei sind natürlich auch alle störenden Chemikalien der 
Bearbeitung z. B. Pottasche usw. vor dem Drehen zu ent¬ 
fernen. Ueberhaupt muß die Chemie der Bearbeitung eine 
fachmännische sein und nicht eine willkürliche, und von Anfang 
bis zu Ende einem einheitlichen chemischen Plane entsprechen 
(Sublimatkatgut kann z. B. nicht mit Jod oder Pottaschekatgut 
nicht mit Silber traktiert werden usw.). 


Um einen ungefähren Begriff zu geben, was wir auf dem 
beschrittenen Wege an Katgutfabrikaten bereits erreicht, sollen 
im folgenden in Kürze die Resultate zusammengestellt sein, 
die wir mit unseren Fäden bei Versuchen am Auge und 
Ohr des Kaninchens und der Haut des Menschen erhalten 
haben und zwar hinsichtlich 

Infektiosität, 

Reiz Wirkung und 
Re so rption. 

1. Bezüglich der Infektionsfrage ist unser Fabrikat 
absolut steril, während Fäden anderer Zubereitung nicht 
steril sind. Große Reihen von Augenversuchen zusammen 
mit Dr. Runte. (Ausgezeichnetes Verfolgen der Vor¬ 
gänge möglich; durchsichtiger Nährboden; Verfolgen 
der Resorption.) 

2. Bezüglich Reizung und Resorption können wir die Dinge 
in unseren Präparaten im gewissen Sinne nach Wunsch 
modifizieren. 

Eine gewisse Reizung gehört zur Einleitung und 
Abwicklung einer Resorption. Je schwerer ein Körper 
löslich, desto mehr ist er chemisch indifferent, desto 
geringer ist die Reizung. Daher unser Bestreben, lös¬ 
liche Körper tunlichst auszuwaschen und durch schwer 
lösliche zu ersetzen. 

Andererseits ist die Resorption, je länger sie von 
einem schwerer löslichen chemischen Körper günstig 
begleitet wird, um so vollendeter. Daher das Bestreben, 
schwer lösliche Körper (Jodoform, Silber) in die Fäden 
einzuführen. 

Auf Grund unserer Versuche an Haut und Auge legen 
wir ein Silberkatgut (steril, stark, leicht resorbierbar) und 
ein Jodkatgut, das alle Vorzüge hat, vor. 

*) Erscheint alsbald. Ist im Druck. 


Zwei Fälle von akutem Ekzem nach dem Gebrauch 
des Haarwassers „Javol“, 

Von Dr. A. Scharff, Calbe a. S. 

Es ist bereits mehrfach in ärztlichen Zeitschriften über 
Hautausschläge berichtet worden, die auf den Gebrauch von 


„Javol“ zurückzuführen waren. Trotzdem findet „Javol“ dank 
der großen und geschickten Reklame noch immer Verwendung. 
Es erscheint mir notwendig, immer wieder von neuem darauf 
aufmerksam zu machen, daß das „Javol“ (das übrigens unver¬ 
hältnismäßig teuer ist) durchaus kein harmloses Mittel ist, 
sondern leicht schwere Gesundheitsschädigungen hervorrufen 
kann. Ueber zwei solche Fälle möchte ich durch Veröffent¬ 
lichung der Krankengeschichten kurz berichten. 

Fall I. Herr v. S., 28 Jahre alt, konsultierte mich am 
12. Dezember 1906 wegen eines heftig juckenden Ausschlages 
auf dem Kopf, der auch auf die benachbarten Teile des Ge¬ 
sichtes Übergriff. Auf Befragen gab er an, er habe sich in 
der letzten Zeit öfter den Kopf mit „Javol“ waschen lassen. 
Es war zunächst wegen des ziemlich langen Haares nicht viel 
zu sehen. Ich ließ daher das Haar ganz kurz abschneiden 
(V 2 mm) und sah nun, daß die ganze Kopfhaut leicht gerötet 
und geschwollen und stellenweise mit. ganz kleinen Knötchen 
bedeckt war. Am nächsten Tage war der Erkrankungsprozeß 
noch- fortgeschritten, der Ausschlag begann zu nässen und zwar 
so, daß das Sekret dauernd vom Kopf förmlich herunterlief. 
Ich verordnete Lassarsche Paste, die ich täglich nach vor¬ 
heriger Reinigung mit in Olivenöl getauchten Wattebäusehchen 
frisch auftragen ließ. Nach sechs Tagen war völlige Heilung 
eingetreten, doch war Herr v. S. während dieser Zeit dienst¬ 
unfähig gewesen und mußte das Zimmer hüten. 

Fall II. Frl. S. kam am 15. November^ 1907 in meine 
Sprechstunde und gab an, sie habe seit einem Tage ein ge¬ 
schwollenes Gesicht bekommen. Bei der Untersuchung fand 
ich, daß das Gesicht, besonders die Augenlider, Stirn und Nase 
stark geschwollen und gerötet waren, Fieber bestand nicht, 
die entzündete Hautpartie war auf Berührung nicht schmerz¬ 
haft. Pat. gab an, sie habe vor Y 2 Jahre bereits einen ähn¬ 
lichen Ausschlag im Gesicht gehabt, den der damals be¬ 
handelnde Arzt auf den Genuß von Spargel zurückgeführt habe. 
Sie habe in der Zwischenzeit wiederholt Spargel gegessen, ohne 
jedoch wieder einen Hautausschlag bekommen zu haben. In 
der letzten Zeit habe sie auch Spargel gegessen. Es ist mir 
nicht bekannt, ob nach Genuß von Spargel Hauterkrankungen 
auftreten können; möglicherweise könnte ja einmal Urtikaria 
danach kommen. In diesem Falle handelte es sich aber 
offenbar um ein akutes Ekzem. Ich verordnete daher neben 
dem Verbot aller Hautreize durch Waschen, Kratzen usw. 
Heb rasche Salbe. Am 17. November wurde ich zu der Pat. 
gerufen und fand sie im Bette liegen. Das Oedem hatte so 
zugenommen, daß sie wegen der Lidschwellung kaum die Augen 
öffnen konnte, das Ekzem hatte sich bis auf den Hals und die 
oberen Partien der Brust ausgebreitet, hier besonders in Form 
von kleinen roten Knötchen. Als ich nun sah, wie der Aus¬ 
schlag im Gesicht stark näßte und von der Pat. körte, daß 
auch die Kopfhaut juckte und näßte, wurde ich an den vorher 
beschriebenen Fall erinnert und erkundigte mich, ob^sich Pat. 
den Kopf gewaschen habe. Die Antwort war: „Ja, mit 
„Javol!“ Als ich der Pat. nun sagte, das „Javol“ sei an dem 
Ausschlag schuld, erinnerte sie sich sofort, daß sie auch vor 
x / 2 Jahre, als sie einen ähnlichen Gesichtsausschlag hatte, 
„Javol“ gebraucht hatte. An dem ursächlichen Zusammenhang 
zwischen „Javol“gebrauch und Ekzem ist m. E. nicht zu 
zweifeln. Die Behandlung bestand in Anwendung von Las¬ 
sa** scher Paste für Gesicht, Hals und Brust, Borsalbe für den 
behaarten Kopf. Bereits nach zwei Tagen war eine wesentliche 
Besserung festzustellen, und am 24. November war-das Ekzem 
ganz abgeheilt. Erwähnen möchte ich noch, daß die Dame, 
bei der die Pat. angestellt war, gleichfalls „Javol“ gebrauchte 
und ebenfalls schon über Jucken auf dem Kopfe klagte. Auf 
meinen Rat unterließ sie die Waschungen mit „Javol“, und 
das Jucken verschwand. 11 

Nach diesen Erfahrungen ist jedenfalls vor dem Gebrauch 
von „Javol“ zu warnen. 



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Die Uviollampe in der Dermatologie. 

Sammelreferat von ,Dr. Friedrich Kalmus, Assistenzarzt 
der Universitäts-Hautklinik zu Freiburg i. Br. 

Einen recht erfreulichen Fortschritt in der Behandlung der 
Hautkrankheiten hat uns die Uviollampe gebracht. Die Uviol¬ 
lampe wurde im Jahre 1905 von dem Jenaer Glaswerk Schott 
und Genossen in den Handel gebracht und hat sich nach viel¬ 
seitiger Prüfung einen berechtigten Platz in der Therapie der 
Hautkrankheiten erworben. Mit der Uviollampe wurde das 
seit ca. zehn Jahren schwebende Problem der Quecksilber¬ 
dampflampe in einer für die ärztliche Praxis billigen und ein¬ 
fachen Weise gelöst. Vermöge einer neu geschaffenen ultraviolett¬ 
durchlässigen Glasart gelang es, mit Vermeidung des teuren 
geschmolzenen Bergkristalles der Heraeus-Lampe reichliche und 
intensive ultraviolette Strahlen auszusenden, deren Spektrum bis 
253 p/i reichend zwar nicht völlig dem Spektrum der Heraeus- 
Lampe von 220 fif.i gleichkommt, für therapeutische Zwecke 
aber hinlänglich genügt, da man auf die äußersten kurzwelligen 
Strahlen wegen ihrer geringen Durchdringungsfähigkeit ver¬ 
zichten kann. In seiner Originalarbeit „Ueber eine neue Ultra¬ 
violett-Quecksilberlampe (Uviollampe)“ beschreibtDr. 0. Schott 
deren Einrichtung'und Wirkungsweise und knüpft im Anschluß 
daran Betrachtungen über ihre praktische Anwendung auf dem 
Gebiete der Photographie, der rein wissenschaftlichen und 
technischen Chemie wie auch besonders in dem Bereich der 
Hautkrankheiten an. Als therapeutisch wirkender Faktor gilt 
ihm abgesehen von dem gesetzten Lichterythem auch die von 
ihm beobachtete tötende Wirkung auf kleine Insekten und 
Bakterien. Zur therapeutischen Anwendung auf die Haut em¬ 
pfiehlt er einmal direktes längeres Bestrahlen einzelner krank¬ 
hafter Hautstellen: Lupus, Flechten, Ekzeme, Rose etc., sodann 
allgemeine Reizung der Haut, wobei nacheinander größere 
Hautpartien kürzere Zeit zu bestrahlen sind, aber lange genug, 
um eine -geringe Rötung ohne stärkere Entzündung zu bewirken. 
Das auf der gesunden Haut bewirkte Lichterythem ging nach 
Schott in der Weise vor sich, daß nach einer Bestrahlung 
von 5 bis 15 Minuten in 1 bis 8 cm Entfernung von der Lampe 
zunächst gar keine Veränderung der bestrahlten Haut zu sehen 
war, und daß erst einige Stunden nach der Bestrahlung eine 
immer mehr zunehmende Rötung auftrat, die nach ca. 1 Tag ihr 
Maximum unter gleichzeitigem gelindem Brennen erreichte, bis 
nach einigen Tagen unter Jucken Schälung eintrat und die 
Rötung in zwei bis drei Wochen verschwand. Zum Schluß 
seiner Arbeit wirft Schott die Frage auf, wie weit die Uviol¬ 
lampe eventuell die Finsenlampe ersetzen oder doch ergänzen 
könne, überläßt aber eine Antwort darauf den zur Entscheidung 
nötigen weiteren Prüfungen. Die Vorzüge der Uviollampe sieht 
Schott in dem mäßigen Anschaffungspreis, dem billigen Be¬ 
triebe, der leichten handlichen Anwendbarkeit wie auch in der 
Möglichkeit, den ganzen menschlichen Körper mit nicht zuviel 
Zeitaufwand belichten zu können. 

Mit diesem Geleitwort verließ die Uviollampe die Schott- 
schen Werke, um draußen im Getriebe der Praxis auf ihren 
Wert erprobt zu werden. Die von Schott nur skizzierten 
therapeutischen Gesichtspunkte wurden eingehend geprüft, ge¬ 
sichtet und erweitert; eine ganze Reihe von Uviolpublikationen 
erschien, so daß heute nach zwei Jahren das Bild der Uviol- 
behandlung in seinen Grundzügen ziemlich gefestigt dasteht, 
während das letzte Wort darüber noch immer nicht gesprochen 
sein dürfte. 

Als einer der ersten und besonders eingehend widmete 
sich Ax mann -Erfurt dem Studium der Uviollampe; in ver¬ 
schiedenen Publikationen legte er seine Erfahrungen über diese 
neue Lichtbehandlung nieder. Axmann rühmt in seinen Ab¬ 
handlungen die schon von Schott betonten Vorzüge der Uviol¬ 
lampe gegenüber den anderen therapeutischen Lichtapparaten. 


Vor der Eisenelektroden-Lampe, welcher sie in ihrer Wirkungs¬ 
weise am meisten gleiche, habe sie den Vorteil der weit ge¬ 
ringeren Wärmeentwicklung, so daß man die Uviollampe mit 
ihrem meterlangen Lichtbogen ruhig in der Hand halten könne; 
vor der Finsenlampe habe sie die Möglichkeit einer ausgedehnten 
Flächenbelichtung voraus, so daß Hautgebiete bis zu 1400 qcm 
gleichzeitig ohne Wärmeentwicklung zu belichten seien, während 
umgekehrt durch die Finsenmethode eine zwar weniger ausge¬ 
dehnte Bestrahlung, dafür aber eine um so größere Tiefen¬ 
wirkung erzielt werde. Auf Grund theoretischer Erwägungen 
in Verbindung mit den Tatsachen der Praxis glaubt Axmann 
bereits im Juli 1905 der Uviollampe eine recht günstige Prog¬ 
nose stellen zu können, indem er die bewirkte Hautreizung 
für ausreichend hält, um die meisten hier in Frage kommenden 
Erkrankungen der Körperoberfläche, wie Flechten der ver¬ 
schiedensten Art, Lupus, Eiterpusteln, geschwürige Flächen 
sowie Kahlköpfigkeit erfolgreich behandeln zu können. Neben¬ 
bei betont Axmann noch die kräftige bakterizide Wirkung 
der Uviollampe. — In einer anderen Arbeit berichtet Axmann 
über einige praktische Erfahrungen mit der Uviollampe. Aus¬ 
gehend von den Haupteigenschaften ultravioletter Strahlen, der 
reizenden und bakteriziden Wirkung, versuchte Axmann die 
Uviollampe in Fällen, wo beide Faktoren in Betracht kommen: 
bei Ekzemen, Akne vulg., torpiden Fußgeschwüren und Alopezie. 
Die J / 4 —V 2 ständigen, in einer Entfernung von 1—10 cm vor¬ 
genommenen Bestrahlungen ergaben sehr befriedigende Resultate. 
So schuppten seit Jahren bestehende Ekzeme nach einigen 
Sitzungen ab und zwar mit einer die Behandlung überdauernden 
Heilungstendenz, ebenso trockneten Aknepusteln nach bereits 
zwei Sitzungen ein, jahrelang bestehende Fußgeschwüre hörten 
schon nach einer Sitzung auf zu schmerzen, um nach drei 
weiteren Sitzungen unter Abflachung mit Bildung eines frisch¬ 
roten Granulationswalles in ca. 3 Wochen abzuheilen. Ein 
Fall von totaler Alopezie, der den üblichen angewandten Mitteln 
bisher getrotzt hatte, wurde auffallend günstig durch Uviolbe- 
strahlung beeinflußt. Nach den ersten zwei Sitzungen trat 
unter starker Hyperämie eine kleienförmige Abschuppung der 
Kopfhaut ein, nach der dritten Bestrahlung zeigten sich kurze 
Lanugohärchen. und nach zehn Sitzungen hatte Patient bereits 
reichliche zentimeterlange Haare neben frischem Lanugo. Das 
Uviollieht erwies sich demnach als das beste der angewandten 
Reizmittel, wobei die Behandlung für den Patienten eine eben¬ 
so bequeme wie angenehme war. Die Wirkungsursache hier¬ 
bei sieht Axmann in der Beseitigung hindernder Ernährungs¬ 
störungen durch starke Gefäßerweiterung und vielleicht auch in 
bakteriziden, tiefer dringenden Einflüssen. Zum Schluß^ dieser 
Arbeit macht Axmann noch auf eine chemische Wirkung 
der Uviolstrahlen, auf die reichliche Entwicklung von Ozon, 
aufmerksam, der frische Wunden hellrot färbe, ähnlich wie 
wenn diese mit Wasserstoffsuperoxyd betupft werden. Diese 
ozonisierende Wirkung der Uviolstrahlen könne ev. bei kom¬ 
binierter medikamentöser Behandlung eine unterstützende Rolle 
spielen. — An einer anderen Stelle geht Axmann noch näher 
auf die ozonisierende Wirkung der Uviolstrahlen ein. Er er¬ 
wähnt eine physiologische Beobachtung, die er am Blut mit 
Uviolstrahlen gemacht habe. Diese reduzierten infolge — wie 
Axmann annimmt — ihres Gehaltes an Ozon in statu nascendi 
venöses Blut bald zu hellrotem; auch ließ sich unter der Be¬ 
strahlung eine beschleunigte Gerinnung des Blutes nachweisen. 
Ausgehend von dieser Beobachtung versuchte Axmann 
die Uviolbehandlung bei Beingeschwüren. Bei zehn Fußge¬ 
schwüren sah er nach längstens zehn Sitzungen unter den 
oben bereits erwähnten Veränderungen eine schnelle und 
völlige Heilung unter baldigem Aufhören der bestehenden 
Schmerzen eintreten. Günstige Heilerfolge sah Axmann 
ferner bei Psoriasis, Intertrigo, Lymphangitis, Furunkulosis. 
Herpes tonsurans und Sykosis. Auch eine jahrelang bestehend# 
chronische Konjunktivitis wurde bei vorsichtiger Bestrahlung 
geheilt, indem nach einer kurz dauernden Reaktion die verdickten 
Lider unter völligem Aufhören der Sekretion abscliwollen, und 
die Schleimhaut normale Färbung annahm. — Die Stellung der 
Uviollampe in der Lichtbehandlung überhaupt formuliert 
Axmann in seinem zu Meran gehaltenen Vortrage dahin, 


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§4 


' daß dieselbe da am Platze sei, wo eine geringe Tiefenwirkung 
genüge, daß sie indessen auch im eigentlichen Finsengebiete, 
dem Lupus, eine vorbereitende oder unterstützende Rolle ein- 
nehmen könne. Einmal nämlich könne bei kombinierter 
Methode die Wirkung der betreffenden Lupus-Aetzmittel durch 
gleichzeitige Uviolbestrahlung verstärkt werden, sodann ließe 
sich nach mechanischer Beseitigung der Lupusherde durch so¬ 
fortige Bestrahlung eine schnelle, rezidiverschwerende tleber- 
häutung mit glatter Narbenbildung erzielen. —* Die Vorzüge 
der Uviollampe gegenüber der Quarzlampe zeigen sich nach 
Axmann in folgenden Punkten: in der erheblichen Billigkeit 
der Anschaffung, des Betriebes wie der ev. nötigen Reparaturen, 
in ihrer Handlichkeit, die auch eine Benutzung in der horizon¬ 
talen Lage gestatte, in dem geringen Bedienungsaufwand wie 
endlich in der Möglichkeit, auf einmal eine große Hautfläche 
zu bestrahlen; der Nachteil der Uviollampe gegenüber der 
Quarz- und Finsenlampe beruhe darin, daß man sie nicht direkt 
als Kompressorium aufsetzen könne, sondern höchstens auf 
Kombinationen von Druckgläsern angewiesen sei und damit 
der stärkeren Tiefenwirkung verlustig gehe. Axmann sieht 
in der Uviolwirkung in gewisser Weise ein Analogon zu der 
BieFschen Stauung, nur daß sie diese noch durch eine monate¬ 
lang überdauernde, nachhaltige Heilungstendenz übertreffe. 

Axmann versuchte auch die Technik in der Uviolbehand¬ 
lung zu vervollkommnen, einmal indem er durch eine Kombi¬ 
nation von Uviollampen es ermöglichte, zwecks Anregung der 
gesamten Hauttätigkeit den ganzen menschlichen Körper auf 
einmal einem sogenannten „Uviolbade“ auszusetzen, sodann 
indem er einen Konzentrator aus Weißblech konstruierte, der 
das Licht durch wiederholte Reflexion um gut das Zehnfache 
verstärken und vermöge seiner Trichterform zur Einführung 
der Strahlen in Körperhöhlen, bes. in die Ohren dienen soll. 

Ein anderer Praktiker, der seine Erfahrungen über das 
Uviollicht in mehreren Abhandlungen mitteilte, ist Strauß - 
Barmen. In dem einen im August 1906 in der „Heilkunde“ 
erschienenen Artikel bespricht Strauß die wissenschaftliche 
Unterlage der Uvioltherapie. Er betont in ähnlicher Weise 
wie Axmann die Vorzüge der Uviollampe vor der Queck¬ 
silberlampe und hält besonders die von Kromayer angegebene 
Tiefenwirkung der Quarzlampe, die nach Kromayer die 
Finsenlampe um das Drei- bis Fünffache übertreffen soll, für 
zu hoch gegriffen. Ferner legt Strauß Wert darauf, noch¬ 
mals den Beweis zu erbringen, daß es sich bei dem Uviol- 
erythem um ein reines Lichterythem handle, das von den 
gleichzeitig gelieferten Wärmestrahlen völlig unabhängig sei. 
Bei mehr als 200 verschiedenen Fällen sah Strauß unter Be¬ 
strahlungsdauer bis zu einer halben Stunde keine Verbrennung, 
höchstens leichte Blasenbildung der Haut auftreten. Als der 
dominierende therapeutische Faktor des Uviollichts erscheint 
Strauß mit Berücksichtigung der bisherigen Versuchsresultate 
nicht die bakterizide Kraft des Uviollichtes, die an Bakterien¬ 
kulturen durch eine Reihe einwandsfreier Versuche nachge¬ 
wiesen wurde, sondern vielmehr die anregende Wirkung des 
Lichtes auf den Stoffwechsel der Zellen, die in ähnlicher 
Weise wie die Hyperämie Biers nicht nur zu einer Hebung 
der Ernährung führe, sondern auch bessere Abwehrbeding- 
ungen gegen die Bakterien und ihre Ptomaine schaffe. Wenn 
Strauß auch nicht der bakteriziden Kraft der Strahlen den 
therapeutischen Haupteffekt zuerkennt, so kann er sich doch 
nicht ganz den Schlußfolgerungen Klingmüllers und Halb er - 
städters anschließen, die auf Grund ihrer experimentellen 
Arbeiten eine bakterizide Wirkung der Lichtstrahlen in der 
Behandlung der Hauttuberkulose direkt verneinen. Mit einer 
gewissen Berechtigung erhebt Strauß gegen diese Auffassung 
den Einwand, daß das betreffende Experiment insofern nicht 
der Praxis entspräche, als es sich dort nicht um eine ein¬ 
malige, sondern um eine sehr häufig wiederholte Belichtung 
handle, die als solche doch schließlich eine die Bakterien 
tötende oder wenigstens ihr Wachstum hemmende Wirkung 
ausüben dürfte. Zuletzt gedenkt Strauß noch kurz der so¬ 
genannten „Sensibilisierung“ der Gewebe mit fluoreszierenden 
Mitteln (z. B. Eosin) und wirft die Frage auf, ob diese Stoffe, 
die nach den Untersuchungen von Straub, Jo dl bau er, 



TSEKAPHÜTlSCfiE RUNDSGfiitt. 


v. Tapp einer u. a. als Aufstäpler ' und Ueberträger 
aktiven Sauerstoffs dienen, unter -der Einwirkung des Uviol¬ 
lichtes durch verstärkte Oxydation die Heilung beschleunigen 
vermöchten; ferner, ob durch Anwendung von Lezithin, das 
bei der Bestrahlung im Gewebe wirksam werden soll, und 
durch hautreizende Mittel, ( wie Nukleinsäure, Ol. Terebinth., 
die Heilkraft des Lichtes verstärkt werden könne. 

In seinem auf der Naturforscher- und Äerzteversammlung 
in Stuttgart gehaltenen Vortrage berichtet Strauß über seine 
praktischen Erfahrungen mit der Uviollampe. Er nimmt hierin 
im wesentlichen den Standpunkt Axmanns ein und lobt die 
prompten Erfolge der Uviolbehandlung, Für die praktische 
Anwendung empfiehlt Strauß im Anfang eine recht energische, 
V 2— 8 /4 ständige, mehrere Tage hintereinander vorzunehmende 
Behandlung, worauf dann in längeren Pausen auch kürzere 
Belichtungen von fünf bis zehn Minuten meist genügen. Die 
Stärke der Reaktion nimmt dann mit der Häufigkeit der Be¬ 
lichtungen ab, worin Strauß einen Beweis für die sich stei¬ 
gernde Widerstandsfähigkeit der Haut unter der Wirkung des 
Lichtes erblickt. Die Indikation für die Anwendung der Uviol¬ 
lampe sieht Strauß da, wo es gilt, eine die Resorption för¬ 
dernde Hyperämie zu erzielen, hautreizende und oberflächliche 
bakterizide Wirkungen auszuüben, die Haut umzustimmen und 
den Zellenstoffwechsel durch gesteigerte Oxydation anzuregen. 
Von dieser Indikationsstellung ausgehend, erzielte Strauß gute 
und schnelle Heilerfolge bei entzündlichen Prozessen der Haut, 
so bei Follikulitis barbae, sowie bei Akne vulgär, und rosazea. 
Das Uviollicht erwies sich hier als ein hervorragendes Teint¬ 
verbesserungsmittel. Ein besonders dankbares Gebiet bildeten 
weiter die verschiedensten Arten des Ekzems im subakuten 
und chronischen Zustande, während die Behandlung des akuten 
Ekzems kontraindiziert erschien. Am zweckmäßigsten wurde 
bei den Ekzemen die Belichtung mit Bäder- und Salben¬ 
behandlung kombiniert. Außer der prompten Heilung impo¬ 
nierte auch die schnell eintretende juck- und schmerzlindernde 
Wirkung. Auch Psoriasis heilte unter Uviolbehandlung, 
jedoch waren die Erfolge nicht sicher. Von parasitären Er¬ 
krankungen reagierte besonders günstig die Pityriasis versikolor, 
während Trichophytien sich im allgemeinen als hartnäckig 
erwiesen. Bei den verschiedenen Formen der Alopezie sah 
Strauß gleichfalls eine günstige Beeinflussung, während sich 
die Alopezia praematura refraktär verhielt; unbeeinflußt blieben 
trotz mehrwöchiger Behandlung Erythema zentrifug., Chloasma 
und Naevus pigmentosus Bei den tieferen, in der Kutis sich 
abspielenden infektiösen Prozessen, wie bei Lupus und Ulkus 
rodens, ließen sich vorzügliche Erfolge glatter Vernarbung er¬ 
zielen, wenn man der Lichtbehandlung eine operative resp. 
ätzende vorausschickte. Denselben günstigen Einfluß auf die 
Vernarbung konstatierte Strauß auch bei Geschwüren, infi¬ 
zierten Wunden, phagedänischen Schankern und dergl., wobei 
das Uviollicht eine reinigende und desinfizierende Wirkung ent¬ 
faltete. Zur Verstärkung der Lichtwirkung versuchte Strauß 
ebenso wie Axmann gleichzeitige medikamentöse Behandlung 
und zwar in der Weise, daß vor der Sitzung die erkrankten 
Hautstellen mit den betreffenden Mitteln bedeckt wurden, so 
daß sie unter der ozonisierenden Kraft des Lichtes eine 
schnellere und intensivere Wirkung zu entfalten vermochten. 
Strauß hat im einzelnen eine große Reihe der üblichen 
dermatologischen Medikamente bezügl. ihrer Durchlässigkeit 
für Uviolstrahlen genauer studiert. Das Resultat seiner Er¬ 
fahrungen faßt Strauß dahin zusammen, daß die Uviollampe 
entschieden eine Bereicherung des dermatologischen Instrumen¬ 
tariums darstelle; zwar sei sie kein Allheilmittel, setze aber 
oft dort ein, wo die anderen Mittel versagten, und unterstütze 
in hohem Maße die bisher übliche Behandlung. 

Die Mitteilung von Assfalg-Frankfurt a. M. erwähne ich 
nur kurz, da dieser sich in ähnlichem Sinne wie Axmann und 
Strauß äußert. Auch er dobt die günstigen Erfolge, die er 
namentlich bei Alopezia areata, Akne vulgär, und rosazea 
Ekzemen und Fußgeschwüren erzielte. Die bewirkte Heilung der 
Psoriasis erwies sich nur als vorübergehend. Zur Behandlung 
von Lupus kommt nach seiner Meinung die Uviollampe 


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Ha ihr die Tiefenwirkußg der Finsenlampe 

^ibg^'e*' 'V / ■ ^ , ' 

% i-y Emen weiteren wichtigen Beitrag zur Uvioltherapie in der 
Dermatologie lieferte Me y er-Kiel. Während die bisher er¬ 
wähnten Autoren in erster Linie ihre praktisch-therapeutischen 
Erfahrungen über das Uviollicht behandelten, suchte Meyer 
auch experimentell sich ein Urteil über die Tiefenwirkung und 
die bakterizide Kraft der Uviollampe zu bilden, um dann eine 
seinen Versuchsresultaten entsprechende Indikation für die 
Uviolverwendung zu stellen. Aus seinen Versuchen glaubt 
Meyer den Schluß ziehen zu können, daß das Uviollicht sich 
ebenso wenig wie das Eisenlicht für tief in der Haut liegende 
Prozesse eigne und: nicht im entferntesten dem Lichte der 
Finsen-Reynlampe an Tiefenwirkung gleichkomme. Zwecks 
Feststellung der Tiefenwirkung experimentierte Meyer mit 
Epidermis aus der Vola manus (von Brandblasen und Derma¬ 
titis bullosa), indem er sich auf die Versuche Freunds stützte, 
der nachwies, daß die Absorptionsverhältnisse farbloser, toter, 
eingetrockneter Epidermis beinahe genau dieselben sind, wie 
die der lebenden Oberhaut, und daß es für die Permeabilität 
nur auf die Pigmentation ankomme. Als Reagenz für die 
Lichtwirkung benutzte Meyer Chlorsilberpapier. Sehr wichtig 
für die Schätzung der Tiefenwirkung des Uviollichtes ist ferner 
der Umstand, daß man von der Anwendung eines Druckglases 
Abstand nehmen muß und so nicht in der Lage ist, das Blut 
aus der Lichtpassage auszuschalten, welches nach den Arbeiten 
Freunds und Busks am anämisierten und blutgefüllten 
Kaninchenohre eine reichliche Absorption der chemischen 
Strahlen bewirkt. In der Beurteilung der bakteriziden Kraft 
des Uviollichtes stützt sich Meyer auf die Versuche Kellers- 
Zürich, der an Bakterienkulturen nachwies, daß allerdings dem 
Uviollicht eine gewisse bakterizide Kraft nicht abzusprechen sei, 
und zwar auf Bakt. koli und Streptokokken, daß ab er diese Wirkung 
nur eine oberflächliche und geringe sei. Schotts Beobachtung 
von der tötenden Wirkung des Uviollichtes auf Insekten wie 
Kellers positive Versuchsergebnisse an Mäusen und Kaninchen 
erklärt Meyer eher durch die Wirkung der Wärme- als der 
chemischen Strahlen, zu welcher Auffassung auch seine eignen 
und Möllers Versuchsresultate passen. Diesen Untersuchungs¬ 
ergebnissen ‘ entsprechen auch Meyers therapeutische Er¬ 
fahrungen, der sich von einer besonders günstigen Beeinflussung 
parasitärer Hautleiden nicht überzeugen konnte. Da Meyer 
selbst bei oberflächlichen Herden des Herpes tonsurans keine 
wesentliche Beeinflussung durch das Uviollicht konstatierte, so 
kommt nach ihm Trichophytia profunda oder gar Lupus erst 
recht nicht (auch nicht in vorbereitender Weise) für diese Be¬ 
handlung in Betracht. Nur bei der alleroberflächlichsten Pilz¬ 
erkrankung, der Pityriasis versikolor, sah Meyer gute Erfolge 
mit der Uviolbestrahlung. Es bleiben daher nach Meyer für 
die Uviolbehandlung nur solche Hauterkrankungen übrig, wo 
wir von einer oberflächlichen Hautreizung eine günstige Be¬ 
einflussung erwarten können. Daß die durch das Uviollicht 
bewirkte Dermatitis nur sehr oberflächlicher Art ist und sehr 
von dem Finsenerythem verschieden ist, zeige auch die geringe 
Infiltration der belichteten Hautstelle, so daß man im Gegensatz 
zum ödematösen Finsenerythem die durch Uviol belichtete Haut 
wie bei der normalen zwischen den Fingern falten könne, eine 
Tatsache, der auch der mikroskopisch-histologische Befund ent¬ 
spräche. Meyer sah trotz heftiger Reaktion nach einstündiger 
Belichtung in 3 bis 4 cm Entfernung die Entzündungserschein¬ 
ungen nur auf die der Epidermis zunächst liegenden Gefäße 
beschränkt, während die tiefen, im Korium liegenden kaum be¬ 
einflußt waren. Die durch das Uviollicht gesetzte Dermatitis 
scheint sich, .wie zahheiche Versuche und mikroskopische Unter¬ 
suchungen erwiesen, von der Sonnendermatitis nicht wesentlich 
zu unterscheiden, nur daß die Entzündung wohl noch eine ober¬ 
flächlichere ist. Aehnlich wie die oben genannten Autoren lobt 
Mey er die günstigen Erfolge der Uviolbehandlung bei Alopezia 
areata (allerdings konnte sie in einem Falle das Auftreten eines 
Rezidives im Bereich der Haarregeneration nicht verhindern), 
bei Akne vulgaris, ferner bei Ekzemen und zwar besonders, 
wie auch Gott stein beobachtete, bei oberflächlich schuppenden 
Gewerbeekzemen der Hände, wie endlich auch in überraschender 

9l ' 


Weise in einem Falle von Dermatitis herpetiformis Duhring. 
Bei Strophulus und Prurigo Hebrae imponierte namentlich die 
jucklindernde Wirkung des Uviollichtes, so daß Meyer hier 
diesem den Vorzug vor dem Röntgenlicht zubilligt. Einen großen 
Vorteil der Uvioltherapie sieht Meyer in der einfachen und 
bequemen Dosierung des Lichtes, das in dieser Beziehung der 
Salbenapplikation überlegen sei. Meyers Fazit über das Uviol¬ 
licht geht dahin, daß es bei oberflächlichen, namentlich stark 
juckenden Hauterkrankungen eine gute Wirkung hat, das sicher 
bei geeigneter Anwendung nicht schädlich wirkt, dessen An¬ 
wendung aber gegenüber allen in der Tiefe liegenden Prozessen, 
speziell Lupus, absolut ungeeignet ist, und das dem Eisenlicht, 
dem es sehr ähnelt, einmal deswegen in manchen Fällen vor¬ 
zuziehen ist, weil man damit viel ausgedehntere Hautstrecken 
bestrahlen kann, andererseits, weil die Wirkung dieses Lichtes 
besser abzustufen und zu dosieren ist. 

Zum Schluß meines Referates gehe ich noch ein auf die 
Mitteilungen von Stern und Hesse, Düsseldorf: „Ueber die 
Wirkung des Uviollichtes auf die Haut und deren therapeutische 
Verwendung in der Dermatologie“. Diese Publikation bean¬ 
sprucht deshalb ein besonderes Interesse, weil diese beiden 
Autoren die durch das Uviollicht gesetzten Veränderungen an 
der normalen Haut genau auf ihren histologischen Befund prüften. 
Das Ergebnis ihrer Untersuchungen war, daß das Uviollicht- 
erythem makroskopisch wie auch mikroskopisch große Aehn- 
lichkeit mit dem Erythema solare bietet, wie ja auch schon 
Meyer bereits hervorgehoben hatte. Sie fanden an 15 Minuten 
lang bestrahlter menschlicher Haut 3 Stunden nach der Be¬ 
lichtung gar keine deutlichen Veränderungen, nach 12 Stunden 
ein schwaches Oedem der Retezellen, nach 36 Stunden eine 
Zunahme des Oedems der Retezellen, das an einigen Stellen 
schon zur Bildung kleiner Hohlräume geführt hatte; am dritten 
Tage nach der Bestrahlung war die Epidermis in den mittleren 
Schichten von zahlreichen kleinen Hohlräumen durchsetzt, dio 
mit gequollenen Epithelien, Kernen und vereinzelten Leukozyten 
angehäuft waren, sonst außer vereinzelten im gelockerten Gewebe 
der Retezellen liegenden Leukozyten und hyperämischen ober¬ 
flächlichen Koriumgefäßen keine wesentlichen Veränderungen 
in der Epidermis. Von einer Tiefenwirkung wie bei dem Finsen- 
licht konnte nicht die Rede sein. Es kam also durch die Uviol¬ 
bestrahlung zu einer oberflächlichen Dermatitis, verbunden mit 
einer mehrere Tage andauernden Gefäßerweiternd, sowie zu 
einer konsekutiven Abschiebung der oberflächlichen Zellschichten. 
Diese beiden Faktoren, bessere Ernährung der Haut durch lang¬ 
dauernde Hyperämie und Abstoßung der oberen Schichten, spielen 
nach Stern die erste therapeutische Rolle des Uviollichtes, 
während dessen bakterizide Wirkung gering und oberflächlich sei. 
Der Erfolg des Uviollichtes bei parasitären Hautkrankheiten 
erkläre sich durch Abstoßung der oberen Zellschichten samt 
den daran haftenden Bakterien und Pilzen, während die berichteten 
Heilerfolge bei tiefer sitzenden Parasitosen (Trichophytie) nur 
durch die geschaffene Hyperämie zustande kämen. — Für die 
praktische Anwendung der Uviolbehandlung hält Stern die 
Erzielung eines lebhaften Erythems für erforderlich; die be¬ 
treffenden Hautstellen sind für die Belichtung durch Beseitigung 
etwaiger Schuppen und Borken vorzubereiten. In den behan¬ 
delten Fällen versagte das Uviollicht stellenweise gänzlich, so 
bei Favus und in einem Falle von Trichophytia non parasitaria, 
in welchen Fällen Röntgenbehandlung noch zum Ziele führte. 
Langwierig und nicht besser als die anderen üblichen Mittel 
wirkte das Uviollicht bei Psoriasis, Herpes tonsurans und torpiden 
Beingeschwüren, während ein fortgeschrittenes Ulkus phagedä- 
nikum, nach längerer erfolgloser Behandlung mit den üblichen 
Mitteln, erst unter Uviollicht zur Heilung kam. Das Beste 
leistete dieses bei subakuten und chronischen Ekzemen, besonders 
bei seborrhoischen Ekzemen des Kopfes, ferner bei Alopezia 
areata und Herpes tonsurans capillitii. Die Uviollampe sei somit 
kein Allheilmittel und dürfe nie den Anspruch erheben, ein 
Ersatz der Finsenlampe zu sein, denn gerade da versagte sie 
zurzeit noch vollkommen, verdiente jedoch als Unterstützung 
der sonstigen Lupusmittel Beachtung. Die Vorzüge der Uviol- 
behandlung liegen nach Stern also für den Arzt in der ein¬ 
fachen Handhabung, der guten Dosierbarkeit durch Ändern der 


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Entfernung und der Ungefährlichkeit des Verfahrens; für den 
Patienten in der Sauberkeit und der Schmerzlosigkeit der Be¬ 
handlung. 

Ein Ueberblick über die referierte Uviolliteratur zeigt, daß 
das Uviollicht in den zwei Jahren seines Bestehens ebenso 
sachgemäß experimentell, wie auch praktisch-therapeutisch er¬ 
probt wurde, und daß heute trotz dieser und jener Meinungs¬ 
verschiedenheit im wesentlichen das Bild der Uvioltherapie in 
festen Umrissen dasteht. Darin sind sich wohl alle Autoren 
einig, daß die Uviollampe in keiner Weise die Finsenmethode er¬ 
setzt, geschweige denn überholt hat. Jede dieser, beiden Licht¬ 
methoden hat ihr besonderes therapeutisches Anwendungsgebiet. 
Wenn auch Axmanns etwas optimistische Indikationsstellung 
für die Uviolbehandlung durch gewisse Enttäuschungen anderer 
Autoren eingeschränkt wurde, so muß doch offen anerkannt 
werden, daß die Uviollampe bei planvoller Anwendung, d. h. 
zur Erzielung einer nicht tief gehenden und flächenhaften Wir¬ 
kung Vorzügliches leistet und mit Recht als eine schätzens¬ 
werte Bereicherung des dermatologischen Instrumentariums an¬ 
gesehen werden darf. 

Literatur. 

0. Schott: Ueber eine neue Ultraviolett-Queeksilberlampe (Uviollampe). 

Mitteilungen aus d. Glaswerk Schott u. Gen., Jena. 

E Gott stein: Ueber therapeutische Erfahrungen mit einer neuen Queck¬ 
silberlampe „Uviollampe“ von Schott. Zeitschr. f. diätet. u. physikal. 
Therapie, Berlin, 1905/06, Bd. IX. 

Amende-Steglitz: Die Uviollampe. Dermatolog. Zentralblatt, 1905. 

H. Axmann: Die Uviol-Quecksilberlampe. Elektrotechn. Ztschr., Berlin, 

1905, 27. 

— Lichtbehandlung mittels bestimmter Strahlengruppen. Deutsche med. 

Wochenschr., Berlin, 1905, 22. 

— Wundbehandlung mittels ultravioletten Lichtes. Münch, med. Wochen¬ 

schrift, München, 1905, 36. 

— Die Uviol-Lampe und Behandlung mittels ultravioletter Strahlen. 

Vortrag, geh. auf der 77. Versammlg. deutsch. ISTaturforsch. u. Aerzte 
in Meran 1905; Verhandlungen der Gesellschaft u medizin. Klinik, 
Berlin, 1906, 1904. 

— Einiges zur Technik der Uviolbehandlung. Ztschr. f. physikal. u. diät. 

Therapie, Maiheft, 1906. 

— Die Uviol-Lampe. Bayer. Industrie- u. Gewerbebl, München, 1906, 4. 

— Quellen des Lichtes. Himmel u. Erde, Berlin, 1906, März. 

— Weitere Erfahrungen der Uviolbehandlung und ein zur Bestrahlung 

des ganzen Körpers geeigneter Apparat (Uviolbad). Deutsch, med 
Wochenschr., Nr. 15, 1906. 

— Aktinotherapeutische Betrachtungen über Kohlen- und Quecksilber¬ 

bogenlampen. Ztschr. f. ärztl. Fortbildg, 1907, 22. 

Buttersack (Arco): Eine neue Ultraviolett-Quecksilberlampe (Uviol). 

Fortschritte der Mediz., Nr. 36, 20./XII., 1905. 

As.sfalg: Die Behandlung mit Quecksilberlicht. Frankf. Ztg., 1906, 72. 

— Ueber Behandlung mit Quecksilberlicht. Münch, med. Wochenschrift, 

1906, 41. 

A. Strauß: Ueber die Wirkung der chemischen Lichtstrahlen auf die 
Haut, unter besonderer Berücksichtigung des Uviollichtes. Die Heil¬ 
kunde, 1906, 38 

— Resultate der Uviollicht-Behandlung bei Hautkrankheiten. Dermatolog. 

Zeitschr., Nov. 1906. 

— Ueber Uviollichtbehandlung bei Hautkrankheiten. Die Heilkunde, 

1907, III. 

H. Meyer: Einige Erfahrungen mit der Uviollampe. Medizinische Klinik, 
1906, 38. 

Stern und Hesse: Ueber die Wirkung des Uviollichtes auf die Haut und 
deren therapeutische Verwendung in der Dermatologie. Münchener 
med. Wochenschr., 1907, 7. 


Physikalische Therapie. 

Referent: Dr. A. Laqueur, dirig. Arzt der hydrotherapeut. 

Anstalt des Rudolf Virchow-Krankenhauses, Berlin. 

Der Einfluß unserer therapeutischen Maßnahmen auf die 
Entzündung. Von Jean Schäffer. Stuttgart 1907. Verlag 
von Ferdinand Enke. 237 Seiten. Mit 11 Tafeln. Preis 8 M. . 

Das vorliegende Buch bedeutet, das kann ohne Uebertrei- 
bung gesagt werden, einen wichtigen Fortschritt in der Kenntnis 
von der Wirkung der physikalischen Therapie, speziell von lokalen 
physikalischen Prozeduren. Denn so viel auch schon in physio¬ 
logischer Hinsicht die Wirkungsweise von heißen Umschlägen, 
Thermophoren, Heißluftbehandlung, Eisblase, Prießnitzumschlägen, 
Bier scher Stauung usw. studiert worden ist, man kam in vieler 
Beziehung nicht zu einheitlichen Resultaten, und die Schlüsse, die 
aus solchen physiologischen Versuchen gezogen wurden, beruhten 


•? A $ * ’’ V . AA p:' 

nicht immer nur auf direkter' Anschauung, sondern vielfach mußte,: 
man dabei auch bloßen Vermutungen Platz geben. Schäffer hat / ' 
nun die Frage: Wie wirken die oben genannten Maßnahmen auf 
den lokalen Entzündungsprozeß? vom pathologisch-anatomi¬ 
schen Standpunkte aus studiert und ist dabei zu höchst bedeut- , 
samen Resultaten gekommen, die durch gute, dem Buche bei¬ 
gefügte Tafeln anschaulich illustriert werden. 

Die Versuchsanordnung war bei sämtlichen Untersuch¬ 
ungen im wesentlichen dieselbe. Es wurden unter die Haut von 
Versuchstieren (meistens Kaninchen, seltener Meerschweinchen oder 
Schweine) an symmetrischen Körperstellen bis ins subkutane Ge¬ 
webe hinein sterilisierte Katgut- oder Seidenfäden eingeführt, die 
mit mehr oder minder .starker Argentum-nitrikum-Lösung oder ' 
abep mit einer bestimmten Bakterien-Aufschwemmung imprägniert 
worden waren; es läßt sich auf diese Weise ein genau definier-. 
barer Entzündungsreiz setzen. Während nun • die eine 
Seite unbehandelt blieb und als Kontrolle diente, wurden auf 
die Stelle, wo der andere Faden eingeführt worden war, die 
betreffenden Prozeduren appliziert. Nach einer gewissen Zeit 
wurden dann beiderseits die betreffenden Hautstücke samt dem 
subkutanen Gewebe exzidiert und nun mikroskopisch untersucht 
und verglichen. Die Exzision geschah entweder sofort nach Be¬ 
endigung der Applikation oder einige Zeit später, um die Nach¬ 
wirkung der betreffenden Prozedur beobachten zu können. Auch 
dadurch, daß die Umschläge, Stauungen und der gl. erst mehrere 
Stunden nach Einführung des entzündungserregenden Fadens auf 
die behandelte Stelle appliziert wurden, konnten die Versuche 
variiert werden. 

Die Ergebnisse der so angestellten Experimente sind' kurz 
die folgenden: 

1. a) Heiße Umschläge.sind in hervorragendem Maße 
imstande, die Bildung eines entzündlichen Infiltrates 
um den eingeführten Faden herum zu verhindern; es beruht 
dieser Vorgang zum Teil darauf, daß die emigrierten Leukozyten 
durch die starke Durchtränkung des Gewebes mit lymphati¬ 
scher Flüssigkeit fortgespült werden, zum Teil auch auf einem 
Zugrundegehen der Leukozyten, das sich durch den Be¬ 
fund zahlreicher Leukozyten-Schatten in der Umgebung des Fadens 
erkennen ließ. Außer der schon erwähnten lymphatischen Durch¬ 
tränkung zeigte sich eine starke arterielle Hyperämie auf 
der behandelten Seite, die sich auch in die tiefer liegenden 
Schichten hinein erstreckt (ebenso wie die Verhinderung der 
Infiltration). Das histologische Bild war im wesentlichen dasselbe, 
wenn die Fäden statt mit (5 bis 10%iger) Argentum-Lösung mit 
einer Staphylokokken-Äufschwemmung imprägniert worden 
waren; bemerkenswert ist, daß im letzteren Falle die Staphylo¬ 
kokken auf der behandelten Seite an Zahl spärlicher und fast gar 
nicht in die Umgebung verschleppt worden waren. EinePhago- 
z y t o s e ließ sich nicht nachweisen, während sie auf der Kontroll- 
seite deutlich vorhanden war. Offenbar hatte die starke Dureh- 
tränkung mit Lymphflüssigkeit und deren Gehalt an bakteriziden 
Stoffen (die vielleicht aus den untergegangenen Leukozyten stammen) 
den Hauptanteil an jener antibakteriellen Wirkung. 

Auch wenn die Exzision der behandelten Stelle erst längere 
Zeit (24 Stunden) nach Aussetzen des heißen'Umschlages 
erfolgte, ließ sich noch eine deutliche infiltrationshemmende Wir¬ 
kung nachweisen; ebenso konnte, wenn erst mehrere Stunden 
nach Einführung des Fadens die Behandlung begann, noch 
in deutlicher Weise die eitrige Infiltration gehemmt oder ver¬ 
hindert werden. Auf die Einzelheiten und graduellen Unter¬ 
schiede kann hier nicht näher eingegangen werden, im allgemeinen 
ließ sich die Infiltration um so sicherer verhüten, je früher und 
je länger andauernd die heißen Umschläge appliziert wurden. 
Sehr bemerkenswert ist, daß übermäßig heiße Umschläge 
(über 42° O) wenig oder keine infiltrationshemmende 
und entzündungswidrige Wirkung mehr haben, son¬ 
dern lediglich die Gewebe schädigen. 

b) Trockene heiße Umschläge (Thermophore) wirken 
ebenso wie die feuchten heißen Kompressen. Das Optimum ihrer 
Wirksamkeit liegt bei höchstens 46°. 

c) Auch die 1 okalen Heißluftbäder haben eine ähnliche 
infiltrationshemmende Wirkung, dieselbe ist jedoch ebenso wie die 
antibakterielle Wirkung nicht ganz so intensiv als bei den 


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1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


97 


feuchten oder trocknen heißen Umschlägen. Dagegen läßt sich 
hier eine sehr hochgradige arterielle Hyperämie beob¬ 
achten, und zwar ebenfalls wieder auch in den tieferen Schichten ; 
von einer „ableitenden“ Wirkung nach der Oberfläche ist also 
weder hier noch bei den sonstigen Applikationen die Rede. 

Die praktischen Schlußfolgerungen ergeben sich aus 
dem Gesagten; hervorgehoben sei nur, daß der Verfasser die 
lokale Hitzebehandlung wegen ihrer resorptionsbefördernden Wir¬ 
kung in den Fällen für kontraindiziert hält, wo eine vehemente 
Resorption angesammelter Toxine Gefahr bringen könnte. Ferner 
ist zu beachten, daß heiße Umschläge zwar im Beginne eine 
Abszeßbildung verhüten, einen bestehenden Abszeß dagegen 
leichter zu verflüssigen vermögen, und daher z. B. bei 
der Gefahr des Durchbrechens eines Abszesses in die Bauchhöhle 
(Perityphlitis!) nicht erlaubt sind. 

2. Die Einwirkung der Eisblase auf den lokalen Entzün¬ 
dungsprozeß besteht darin, daß bei sofortiger Anwendung die 
Infiltration völlig oder fast völlig verhindert wird. Wird da¬ 
gegen erst mehrere Stunden nach Einführung des entzündungs¬ 
erregenden Fadens die Eisblase appliziert, so übt sie keinen oder 
nur einen unwesentlichen entzündungshemmenden Einfluß aus (im 
Gegensätze zu den heißen Umschlägen); auch gelingt es nicht, 
wie bei den heißen Umschlägen, eine Nachwirkung der Eis¬ 
blasenbehandlung zu erzielen, vielmehr treten alsbald nach 
Aussetzen der Eisblase die Entzündungsvorgänge 
ebenso stark oder noch stärker als an der unbehan¬ 
delten Ko ntrollseite in Erscheinung. 

Im mikroskopischen Bilde sieht man an Präparaten, die un¬ 
mittelbar nach Aussetzen der Eisblasenbehandlung entnommen 
sind, eine starke Anhäufung von Leukozyten in den 
Venen der weiteren Umgebung des Fadens, während, wie ge¬ 
sagt, eine Leukozytose um den Faden herum fehlt. Offenbar 
werden die Leukozyten durch die Kälte in ihrer Wanderungs¬ 
fähigkeit behindert; zu Grunde gegangene Leukozyten, wie 
sie nach Wärmebehandlung sich zahlreich um den Faden herum 
finden, lassen sich hier nicht nachweisen. 

Die Eisblasenbehandlung ist also zwar imstande, entzündliche 
Infiltrate bei permanenter ununterbrochener Anwendung 
zu verhindern, zur Beseitigung schon bestehender Entzün¬ 
dungen eignet sie sich jedoch viel weniger als die heißen Appli¬ 
kationen. 

3. Was die Applikationen von feuchten Verbänden von 
kühler oder indifferenter Temperatur betrifft, so besteht ein prin¬ 
zipieller Unterschied darin, ob die feuchten Verbände (meist 1 % 
essigsaure Tonerde - Umschläge) mit impermeablem Stoff be¬ 
deckt sind oder nicht. Mit impermeablem Stoff bedeckte 
Verbände wirken, wenn sie längere Zeit liegen bleiben, infil- 
tr ations vorhin de rnd, ähnlich, aber schwächer, als die 
heißen Umschläge. Werden sie dagegen öfters gewechselt, 
so tritt eine Leukozytenvermehrung ein, um so deutlicher, 
je öfter der Wechsel erfolgt. In allen Schichten rufen die imper¬ 
meabel bedeckten Kompressen eine deutliche venöse Hyperämie 
hervor. Umschläge dagegen, die nicht mit impermeablem Stoff 
bedeckt sind, also die eigentlichen Prießnitz-Umschläge, 
verstärken die entzündliche Reaktion, auch ist die 
Hyperämie dabei nur unwesentlich. Am deutlichsten tritt bei den 
Prießnitz-Umschlägen die Verstärkung der entzündlichen Reaktion 
in den oberflächlichen Schichten zu tage. 

Für die Beeinflussung der Entzündungsvorgänge war es 
unwesentlich, ob die Kompressen mit l%iger essigsauerer Tonerde¬ 
lösung, mit reinem Wasser oder mit 5%iger wässriger Resorzin¬ 
lösung getränkt waren. Dagegen waren die Epithelschädi¬ 
gungen stärker nach Wasserumschlägen als nach essigsaurer 
Tonerde- oder Resorzinlösung-Umschlägen, welch letztere die Ge¬ 
webe am wenigsten zu schädigen scheinen. 

4. Nach Spiritus-Verbänden zeigten die Entzündungs¬ 
prozesse bei den Versuchstieren große individuelle Verschieden¬ 
heiten. Im allgemeinen wirkten jedoch die Spiritus-Verbände 
sehr ähnlich, wenn auch etwas schwächer als die lokale 
Hitzeb ehandlung, und sie haben somit ähnliche Indikationen 
und Kontraindikationen. Je höher konzentriert der Alkohol 
genommen wird, um so bessere Resultate ließen sich erzielen, man 
soll die Konzentration möglichst hoch wählen (95%), ein 95%iger 


Spiritus-Umschlag von IV 2 ständiger Dauer leistete mehr als ein 
70%iger von 10 Stunden Dauer. 

5. Die Wirkung der Jodtinktur und der sonstigen sogen* 
derivierenden Mittel äußert sich darin, daß zwar in den 
oberflächlichen Hautschichten eine mehr minder starke 
Hyperämie entsteht, daß dieselbe sich jedoch, selbst bei sehr 
forzierten Jodpinselungen, nicht in die Tiefe erstreckt 
wie bei den oben genannten Applikationen; andrerseits konnte 
aber n i e eine Anämie der tieferen Schichten, also eine „Ablei¬ 
tung“ nach der Oberfläche, nach diesen Mitteln beobachtet werden. 
Der Entzündungsprozeß selbst wurde nach den Jodpinse¬ 
lungen und den sonstigen versuchten Applikationen (Karbolqueck¬ 
silberpflaster, Salizyl-Seifenpflaster) ebenfalls nur in den oberfläch¬ 
lichen Schichten und meist nicht wesentlich beeinflußt, der Ein¬ 
fluß auf die Infiltrationsvorgänge in den tieferen Schichten fehlte. 

6. Der Einfluß der Bi ersehen Stauung auf den Entzündungs¬ 
prozeß ist auch früher vielfach studiert worden, trotzdem bringen 
auch hier Schäffers Untersuchungen vieles Neue. Sie zeigen, 
daß die Modifikation des Entzündungsprozesses durch die Stauung 
eine eigentümliche ist und sich von der durch sonstige Ma߬ 
nahmen bedingten durchaus unterscheidet. Es werden zwar eben¬ 
falls durch die Stauung die Infiltrationen um den Faden herum 
verhindert, dagegen zeigen sich starke Leukozytenansamm- 
lungen in den Venen wie bei der Eisblasenbehandlung; außerdem 
findet man, was bei der Kältewirkung fehlt, im Gewebe zahl¬ 
reiche zu Grunde gegangene Leukozyten, deren Degene¬ 
rationsformen sich aber wiederum prinzipiell von den nach Wärme¬ 
applikation gefundenen unterscheiden. Daß starke ödematöse 
Durchtränkung der Gewebe und venöse Hyperämie bei den 
Stauungsversuchen gefimden wurde, liegt auf der Hand. 

Die bakteriellen Entzündungsprozesse wurden in gleicher 
Weise wie die chemischen durch die Stauung günstig beeinflußt; 
theoretisch ist von Wichtigkeit, daß auch hier, ebenso wie bei 
der antibakteriellen Wirkung der heißen Umschläge und Spiritus¬ 
verbände, die Phagozytose keine erhebliche Rolle spielen 
konnte, vielmehr tritt die Aktion der Körper fl üssigkeit, 
vor allein des Oedems, bei allen diesen Vorgängen in den Vorder¬ 
grund. Wahrscheinlich ist, entsprechend der schon von B uebner 
aufgestellten Vermutung, daß durch das Zugrundegehen der Leuko¬ 
zyten und das dadurch bedingte Freiwerden gewisser Schutzstoffe 
diese Aktion wesentlich verstärkt wird. 

In praktischer Hinsicht wichtig ist, daß übermäßig 
starke Stauung ebenso wie die übermäßig heißen Umschläge, 
den entzündungshemmenden Einfluß nicht verstärkt, sondern 
schädigt. Im ganzen wirkt die Stauung zwar etwas langsamer 
entzündungshemmend und -verhindernd als die Hitzebehandlung 
und die Spiritusumschläge, übertrifft aber bei weitem an Wirk¬ 
samkeit die feuchten Verbände, Jodpinselungen"usw. 

Dies Referat gibt nur die wichtigsten Ergebnisse der Schaf for¬ 
schen Versuche wieder. Gewiß bedürfen dieselben noch hier und 
da der Ergänzung, speziell bleibt der Einfluß auf ältere, schon 
ein oder mehrere Tage bestehende Entzündungsprozesse noch zu 
untersuchen. Aber das ändert nichts au dem großen Werte des 
Buches; es bietet eine Fülle von auch praktisch wichtigen inter¬ 
essanten Einzelheiten und Anregungen und ist dazu in einer sehr 
verständlichen und übersichtlichen Form geschrieben, so daß seine 
Lektüre nur wärmstens empfohlen werden kann. 


Biologische Therapie. 

Referent: Dr. W. Esch, Bendorf a. Rh. 

1. Die hausärztliche Behandlung der Neurasthenie. Von 
Dr. A. Strasser, Wien. Bl. f. kl. Hydroth., 1907, Nr. 12. 

2. Die Pathogenese und die individualisierende Therapie 
der Fettsucht. Von F. C. R. E s c h 1 e - Sinsheim. Ther. Monatsh., 
1906, Nr. 1 und 4. 

3. lieber den Infektionsmodus mit dem Tuberkelbazillus 

Ein Wort zur Internationalen Tuberkulose-Konferenz in Wien 
18, bis 21. Septbr. 1907. Von Buttersack, Berlin. Fortschr 

d. Med., 1907, Nr. 34. 


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98 


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1. Prophylaktisch ist, besonders bei erblich belasteten Kindern, 
körperliche Abhärtung, Regulierung der Ernährung, Vermeidung 
von Alkohol, Tabak etc. und vorwiegend die Sorge für Schlaf von 
Wichtigkeit. Die letztere ist auch im Gegensatz zu der manch¬ 
mal beliebten „ablenkenden Zerstreuung“ empfehlenswert. Bei aus¬ 
gebildeter Krankheit ist u. a. auf folgendes zu achten: 

a) Was die Ernährung betrifft, so haben Bouchard, 
Huchard, Vigouroux und auch Haig, der trotz mancher Ueber- 
treibungen viel Wahres sagt, sehr mit Recht auf die nahen 
Beziehungen der Neurasthenie zu der uratischen Diathese als einer 
Form der Autointoxikation hingewiesen und die- einseitige 
Fdeischernährung energisch bekämpft. 

Gerade die Neurastheniker sind geneigt, auf diätetischem 
Wege ihre Stimmung zu reparieren, im Essen „Kraft“ zu suchen. 
Es ist in dieser Beziehung genau so wie mit den „Zerstreuungen“. 
Man will die Unlustgefühle übertönen, und sicher gelingt das oft 
im Augenblick, ebenso sicher aber sind solche Diätfehler oft an 
der Entwicklung schwerer kombinierter Stoffwechselerkrankungen 
und konsekutiver Erschwerung der nervösen Symptome schuld. 
(Mit Recht machte noch vor kurzem Bornstein auf die Schäd¬ 
lichkeit des in vielen Sanatorien üblichen „Karnismus“ auf¬ 
merksam. Ref.) 

Das Fleisch benötigt man weniger als Mast- sondern vielmehr 
als Stimmungs- und Reizmittel; es soll die zweite Rolle spielen 
neben den Vegetabilien. 

b) Bei den hydrotherapeutischen Maßnahmen ist zu 
beachten, daß der wohl in der Mehrzahl der Fälle vor¬ 
handenen erethischen Form der Neurasthenie (mit gesteigerter Er¬ 
regbarkeit) nicht ohne weiteres eine schematische Anwendung „beruhig¬ 
ender“, der deprimierten Form eine solche von „erregenden“ 
Prozeduren entspricht. Vielmehr können gerade bei erethischen Pati¬ 
enten erregende Kuren ableitend, ausgleichend, kompensierend wirken. 

(Wenn auch beruhigende und erregende Prozeduren in der 
Hydrotherapie nicht streng voneinander geschieden werden können, 
so kann man doch im allgemeinen sagen: Je kühler, kürzer eine 
„Anwendung“ ist und je mehr mechanische Manipulationen mit 
ihr verbunden sind, um so erregender wird sie wirken. Wärmere, 
längere, ohne oder mit wenig mechanischen Manipulationen kom¬ 
binierte wirken weniger erregend oder beruhigend. Natürlich üben 
sehr hohe Temperaturen dieselbe Reiz Wirkung aus wie sehr niedrere.) 

In der Praxis hat sich, wie Strasser ausführt, folgendes 
Vorgehen bewährt: Bei erethischen Patienten mit nicht zu exorbi¬ 
tant starken Erregungserscheinungen beginnen wir mit erregenden 
Prozeduren, also kühlen kurzen Bädern, Abreibungen etc. und 
beobachten genau den Effekt. Steigert sich die Erregbar¬ 
keit, die Schlaflosigkeit, oder tritt letztere erst ein, so gehen wir 
zu beruhigenden, milden Prozeduren über. Ist dagegen der Effekt 
gut, so bleiben wir bei den erregenden Kuren unter stetem Be¬ 
dachtnehmen darauf, daß der Moment der übermäßigen Erregung 
nicht ubersehen werde. Aber auch ohne diese Erregung machen 
wir von Zeit zu Zeit entweder Pausen, oder wir ändern die Form 
der Erregung. 

Für die hausärztliche Behandlung eignen sich die Abreibung 
und das kühle kurze Halbbad als mehr erregende, das lauere 
Halbbad und die feuchte Einpackung als mehr beruhigende Ma߬ 
nahmen. Beruhigend und doch tonisierend wirkt die wechselwarme 
(schottische) Dusche. 

c) Die mechanotherapeutische Behandlung der Neura¬ 
sthenie sollte viel mehr angewandt werden, als es bisher geschieht. 
Das Mißverhältnis zwischen geistiger und Muskelarbeit ist bei 
entsprechender Rücksichtnahme auf die muskulöse und die nervöse 
Leistungsfähigkeit sehr wohl auszugleichen. Die Muskelarbeit hat 
ja neben ihrem Einfluß auf Zirkulation und Stoffwechsel auch 
noch eine die psychoneurotische Erregung in andere Bahnen ab¬ 
leitende Wirkung. Neben den gymnastischen Uebungen,’ 
Zimmergymnastik etc. kommt auch die Massage in Betracht. 

d) Von geringerer Bedeutung sind die verschiedenen elektri¬ 
schen Maßnahmen, obschon auch sie wohltätig wirken können. 
Wichtiger ist 

e) das Luftbad kombiniert mit Zimmergymnastik, beginnend 
im Zimmer (5 bis 10 Minuten), event. auch im Freien fortgeführt. 
Hierhin gehört auch die Freiluftliegekur, mehr für Anstaltsbehand¬ 
lung passend. 


Medikamente wirken wohl nur Symptomatisch. Eine suggestiv# 
Therapie soll den Zweck haben, dem Kranken etwas zu geben, 
woran er die Idee seiner Genesung knüpfen kann, sie soll also 
die Wirkung wirksamer Mittel zu erhöhen suchen. « 

2. Aus der Flut der Veröffentlichungen über das Thema „Fett¬ 
sucht“ möchten wir die Arbeit Eschles hervorheben, weil sie 
auf dem Boden einer biologischen Anschauungsweise erwachsen ist 
und deshalb bleibenden Wert hat. 

Als Kern der leider ein wenig weitschweifigen Abhandlung 
finden wir folgende drei Ursachen der Fettbildung besprochen: 

a) die absolute Luxus konsumption. Hierher gehören 
die überernährten, vollblütigen, zu großen Leistungen befähigten 
und sich auch in starker Muskelarbeit betätigenden Individuen. 
So zeigt sich z. B. in der Korpulenz mancher Metzger, „Kraft¬ 
menschen“ etc. eine Betriebssteigerung, die zunächst zu Hyper¬ 
trophie führt, auf die Dauer aber auchjlnsuffizienz erzeugen kann. 
Solche Leute entsprechen dem Typus der Choleriker bezw. San¬ 
guiniker. Kongestive, hypertonische Plethora. 

b) Die relative Luxuskonsump tion. Sie findet sich 
bei Leuten, die aus Bequemlichkeit oder durch ihren Beruf ge¬ 
zwungen ihre Muskeln wenig brauchen, ohne einer direkten Ueber- 
ernährung zu huldigen. E s c h 1 e führt als Beispiele an die fetten 
Bäcker, Geistlichen, Kommerzienräte, Stubengelehrten, manche 
Gefangene, ferner .spät zu Wohlstand gelangte Personen. Typus der 
Phlegmatiker, Pleth.ora hypotonica^ e * funktione minore, 
Hypokinese. 

c) Eine konstitutionelle Insuffizienz der synthetischen 
und spaltenden Organe, speziell derjenigen der Respiration und Zirku¬ 
lation, bei der die aufgenommene Nahrung nur bis zur Fettstufe ver¬ 
arbeitet wird. Sie findet sich bei Chlorotischen, Anämischen, ge¬ 
wissen Alkoholikern. Hydrämische , pastöse, atonische Ple¬ 
thora, Typus der Melancholiker in Bezug auf die Schlaffheit 
der Leistung. 

Diesen verschiedenen Ursachen der Fettsucht gegenüber sind 
natürlich schematische Entziehungs-, Bewegungskuren etc. durch¬ 
aus nicht am Platze. 

Einschränkung der Nahrung kommt in Betracht bei 
der ersten Kategorie, den absolut Ueberernährten, die auch bei 
Verringerung der Nahrungszufuhr ihre Arbeit noch vollkommen 
leisten können. Jedoch ist auf eine rationelle gemischte Kost 
zu achten, da die von einigen Seiten empfohlene einseitige Ei¬ 
weißnahrung dem Körper die Fähigkeit erschwert, die erforder¬ 
liche Energie für die Muskeltätigkeit zu produzieren, vor allem 
aber zu einer Ueberschwemmung mit N-haltigen Produkten führt, 
die den Organismus eminent schädigt. Schädlich sind für diese 
Art der Fettleibigkeit auch energische Bewegungskuren (Muskel¬ 
arbeit mit Belastung), denn dabei wird das Herz doppelt ange¬ 
strengt und außerdem auch noch der Appetit künstlich gesteigert. 

Wohl aber ist stärkere körperliche Tätigkeit am 
Platze bei der relativen Luxuskonsumption, wo andererseits zu 
ausgedehnter Nahrungseinschränkung kein Grund vorliegt. 

Ist es schon zu ungenügender Oxydation gekommen, so muß 
bei beiden Kategorien besonderer Wert auf Verbesserung der 
Verdauung gelegt werden, aber nicht durch kritiklose „leichtver¬ 
dauliche“ Diät und Abführmittel, sondern durch relativ kräftige, die 
Verdauung anregende und übende „Hausmannskost“, ausgiebige 
Atmung, Gymnastik der Bauchpresse etc. 

Die größten Schwierigkeiten sind bei der dritten Form der 
Korpulenz zu überwinden. Entziehungs-, Bewegungs-, diaphoretische 
und Kaltwasserkuren sind hier kontraindiziert. Man muß ver¬ 
suchen, eine Erhöhung der Leistungsfähigkeit zu erreichen, durch 
eine andere zeitliche Verteilung von Krafteinnahme und -Veraus¬ 
gabung, von Bewegung und Ruhe, z. B. durch vorsichtige 
methodische Uebungen von Atmungs- und Bewegungsorganen, 
leichte Massage, Luftkuren etc. 

3. Wenn man einer leidlich gescheiten Hausfrau die Frage 
vorlegen würde: Wo dringt der Staub in Ihre Wohnung ein? 
Durch die Tür oder durch die Fenster? — so würde sie gewiß 
freundlich lächelnd antworten: Sowohl da, wie dort. Und wenn 
man einen gewöhnlichen Arzt fragte: Wo glauben Sie, daß der 
Tuberkelbazillus in den menschlichen Organismus einschleicht? — 
dann würde er wahrscheinlich sagen: Der böse Bazillus kann 
überall eindringen, wo er ein Loch findet. 


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Original fro-m 

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1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


99 


Nicht ho die Gelehrten; schon lange streiten sie sich herum, 
ob die Infektion mit dem Koch.sehen Stäbchen entweder durch 
die Lunge oder durch den Darm erfolge; und auch in Wien 
haben 21 Autoritäten sich zu dieser brennenden Frage geäußert. 
Zwar sind äußerlich die Ansichten etwas abgeschliffen worden. 
Die Mehrzahl der Anhänger der Inhalationsinfektion sagten: Nun 
ja, gelegentlich kann auch die Infektion durch den Darm erfolgen; 
und umgekehrt ließen sich die Darminfektionsleute herbei, zuzu¬ 
geben , daß gelegentlich auch durch die Respirationsorgane die 
Infektion erfolgen könne. Starrköpie gab es daneben natürlich 
auch noch aul beiden Seiten; aber immerhin scheint man einer 
mittleren Linie zuzusteuern. 

Der Kernpunkt der Frage liegt aber nicht in den Begriffen: 
Lunge oder Darm, sondern in jenem andern: Loch. Wo ein Loch 
ist, da dringen die Keime ein, sei es nun im Intestinal- oder 
im Respirationstraktus, mag es sich um runde oder längliche 
Keime handeln. Wer kein Loch, keine schadhafte Stelle, wer die 
nötige Widerstandsfähigkeit besitzt, wird 3ich mit den Tuberkel¬ 
bazillen, wie sie ihn in der Wirklichkeit attackieren, leidlich ab- 
finden. Die Ueb er sch w e m m un gen des Organismus mit 
Unmassen von Keimen, wie die Ex pe ri m en t al hyg i e- 
niker zu tun belieben, sind ja abnorme, unnatürliche 
Verhältnisse. 

Also nicht topographisch - anatomische Verhältnisse , sondern 
physiologisch-biologische Momente entscheiden schließlich über die 
Infektion. 

Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Referent: Spezialarzt Dr. S. Aschheim, Charlottenburg. 

1. lieber die Geburt bei engem Becken und ihre Behand¬ 
lung. Von R. Olshausen. Berl. klin. Woch., 1908, Nr. 1. 

2. Eine Methode zur Abkürzung normaler Entbindungen. 

Von Dr. Theodor Landau. Ibidem. 

3. Ueber Verhütung und Behandlung der Dammrisse. Von 

Ahlfeld. Deutsche med. W., 1907, Nr. 51. 

4. Die Nebennieren und die Osteomalazie. Von Prof, ßossi. 
Arch. f. Gyn. u. Geb., 83, 3. 

5. Zur Frage der instrumentellen Uterusperforation. Von 

Dr. Emil Weil, Assistenzarzt am Krkh. Moabit-Berlin. Ibidem. 

6. Zur instrumentellen Uterusperforation bei Abort. Von 
R. Orthmann. Berl. klin. Wochenschr., 1907, Nr. 48. 

< . Accouchement premetnre provoque au cours du septiöme 
mois. Von M. Regnaul t, Accidents gravido-cardiaques. Archiv, 
generales d. Med., 1907, XI. (Ref.: Pollak, Prag.) 

1. Olshausen schickt diesem klinischen Vortrag die Be¬ 
merkung voraus, daß ein tüchtiger Geburtshelfer nur auf dem 
Kreißsaal gebildet werden könne, nicht in der Privatpraxis oder 
einer geburtshilflichen Poliklinik. 

Olshausen bespricht kurz die verschiedenen Formen des 
engen Beckens, betont die Wichtigkeit der Größe des kindlichen 
Schädels für die Prognose der Geburt, der Kenntnis des Geburts¬ 
mechanismus und geht dann auf die Therapie ein. 

Die Beeinflussung der Wehentätigkeit ist unvollkommen. — 
Sekalepräparate dürfen nur daun gegeben werden, wenn die Ge¬ 
burt so weit vorgeschritten ist, daß wir die Beendigung in der 
Hand haben; dabei ist Vorsicht und fleißiges Auskultieren nötig, 
sonst ist noch Chinin, hydrochlor. 0,3 alle ein bis zwei Stunden 
evenfc. öfters anzuwenden, aber auch die Wirkung auf das kind 
liehe Herz zu kontrollieren. 

Nach Besprechung der Lagerung der Kreißenden wendet er 
sich zu den operativen Eingriffen. Die Zange bei engem Becken, 
d. i. die hohe Zange, empfiehlt O. nur mit größter Reserve; nur 
da,nn, wenn man wenigstens die Wahrscheinlichkeit hat, daß mau 
mit der Zangenoperation ohne zu großes Wagnis zu stände kommt. 
Diese Wahrscheinlichkeit ist aber nur dann vorhanden, wenn der 
Kopf nahezu mit seiner größten Peripherie in der oberen Becken¬ 
apertur steht; hierbei darf man sich nicht durch Kopfgeschwulst 
täuschen lassen. Einen Zangenversuch bei hochstehendem Kopf 
beschränke man auf sechs bis acht Traktionen; ist dann kein 


deutlicher Fortschritt vorhanden, so perforiere man das nunmehr 
doch schon geschädigte Kind. 

Der prophylaktischen Wendung ist O. nicht zugeneigt. Bei 
Kopflage werden nach seiner Erfahrung mehr Kinder gerettet; 
die prophylaktische Wendung ist in neuester Zeit durch die 
Beckenspaltung verdrängt. Die Perforation des lebenden Kindes 
ist unter Umständen auch heute noch das richtige Verfahren der 
Entbindung. 

Nach Besprechung des Kaiserschnittes erörtert 0. dann die 
Beckenspaltung, spez. die Pubotomie, deren Technik noch nicht 
festgelegt ist, deren Gefahren nicht gering sind und deren Indi¬ 
kationen und Abgrenzung gegen die Sectio caesarea noch nicht 
sicher ganz bestimmt sind, um die Operation außerhalb der ge¬ 
burtshilflichen Anstalten zu empfehlen. 

Dazu möchte Referent bemerken, daß diese Warnung um so 
angebrachter ist, als seit dem Dresdener Kongreß die Zahl schlecht 
verlaufener oder letal geendeter Pubotomien gestiegen ist. Wer 
in der Praxis draußen die Operation macht, der muß auch alle 
dabei entstehenden Neben Verletzungen, so die schweren Blasen- 
und Scheidenzerreißungen zu behandeln verstehen, und dazu genügt 
die bisherige Ausbildung des approbierten Arztes keineswegs; 
denn nur die wenigsten Aerzte können sich auf dem Kreißsaal 
ausbilden, wie es Olshausen für den tüchtigen Geburtshelfer 
verlangt. 

Es erscheint Ref. wünschenswert, daß in allen Universitäts¬ 
kliniken die Einrichtung getroffen würde, wie sie in Straßbnrg 
und Breslau besteht, daß jeder Student auf mindestens 14 Tage 
in der Klinik Wohnung erhält, um sich während dieser Zeit aus¬ 
schließlich mit der Geburtshilfe zu beschäftigen, alle Geburten zu 
beobachten. Jetzt ist es noch vielfach üblich, daß der Student bei 
vier Entbindungen dabei steht, das Protokoll schreibt, um, mit 
der praktischen Erfahrung an diesen vier Entbindungen ausge¬ 
rüstet, in der Praxis selbständig Geburtshilfe treiben zu dürfen 
und treiben zu müssen (siehe Orthmanns Bemerkungen über 
die Ausbildung junger Aerzte in der Abortbehandlung, Ref. 6). 

2. Landaus Methode besteht darin, daß der Geburtshelfer bei 
Frauen in der Geburt, also wenn schon Wehen eingesetzt haben 
und wenn der Kopf fest im Becken steht, mit ein bis zwei event. 
mit mehreren Fingern den Zervikalkanal ohne Narkose zu dehnen 
und dabei die Muttermundslippen während einer Wehe über den 
andrängenden Kopf hinüberzuschieben sucht. 

Hierdurch werden Wehen angeregt und die Geburt abge¬ 
kürzt, bes. bei Mehrgebärenden. Als Vorbedingung muß die Ge¬ 
burt schon im Gange, der Kopf fixiert sein und die absoluteste 
Asespsis gewährleistet sein ; letzteres ist nur zu erreichen, wenn 
mit Gummihandschuhen gearbeitet wird. 

Da die letzte Bedingung, absolute Asepsis, niemals zutrifft 
— auch die mit Gummihandschuh bekleidete Hand muß an der 
(auch nach stärkster Desinfektion) niemals sterilen Vulva vorbei 
und durch die ebenfalls stets noch keimhaltige Vagina hindurch —, 
so glaubt Ref., daß die Methode wohl wenig Anhänger finden dürfte 
und wie alle Manipulationen bei einer gesunden Kreißenden nicht 
empfohlen werden darf. „Hände weg! ; ‘ muß bei einer normalen 
Entbindung oberster Grundsatz bleiben. 

3. Ahlfeldt gibt eine Anleitung zum richtigen Danimscliutz. 
Er empfiehlt Rückenlage, den Gebrauch der seitlichen Damm- 
inzision und des Mastdarmgriffes, letzteren bes. auch bei Zangeu- 
entbindung. 

Bei Rissen empfiehlt er möglichst sofortige Naht, event. bei 
belegten oder nicht geheilten Wunden die Sekundärnaht am 
sechsten bis achten Tage. Erleichtert wird die Dammnalit durch 
-lokale Anästhesie. 

Unter 1084 genähten Dämmen heilten 10GS primär. 

Die zur Unzeit angewendete Zange steht in der Aetiologie 
der schweren Zerreißungen in erster Linie. 

4. Bossi hat in neuerer Zeit die Osteomalazie mit Injek¬ 

tionen von Nebennierenextrakt behandelt und dabei sehr beachtens¬ 
werte Erfolge und Heilungen erzielt. Mag auch die Dosierung 
noch strittig sein, im Prinzip scheiut das Mittel doch eine ossi¬ 
fizierende Wirkung bei der Osteomalazie zu haben. B. teilt zwei 
Fälle mit, die während der Schwangerschaft mit Adrenaliniujek- 
tionen erfolgreich behandelt wurden und bei denen die ossifizierende 
Wirkung durch das Röntgenbild konstatiert wurde, / ; 


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THERAPEUTISCHE ßuHbsciAtl 


Ebenso berichtet er die Heilung einer von ihm früher durch 
Kastration wegen Osteomalazie behandelten und dann rezidiv ge¬ 
wordenen Pat. durch Adrenalininjektionen und teilt noch zwei 
weitere Erfolge aus der Praxis eines anderen Arztes mit. 

Durch Tierversuche, bei denen er Schafen eine Nebenniere 
exstirpierte und dadurch fortschreitende Osteoporose und Ver¬ 
dünnung der Beckenknochen erzielte (Röntgenbilder und histo¬ 
logische Untersuchungen), bei denen ferner die Phosphorsäureaus- 
seheidung sich bis auf das dreifache erhöhte, gibt er seiner An¬ 
schauung, daß die 0. auf mangelhafter Funktion der Nebenniere 
beruhe, eine wissenschaftliche Grundlage. 

Mit einem Hinweis auf die eventuelle Bedeutung für die 
Rachitistherapie schließt B. seine Arbeit. 

Wenn auch der Praktiker einstweilen noch ab warten muß, 
was andere Kliniker über das Mittel, seine Nebenwirkungen und 
Dosierung, die noch sehr strittig ist, berichten, bevor er es in 
der Privatpraxis anwendet, so ist doch offenbar Aussicht vor¬ 
handen, diese schwere Affektion erfolgreich durch nicht operative 
Therapie zu bekämpfen. 

5. Von den fünf Fällen von Perforation, die unter 479 Aus¬ 
kratzungen im Krankenhaus Moabit beobachtet wurden, kamen 
zwei mit Perforation ins Krankenhaus. 

Es sei über die Fälle, die recht lehrreich sind, näher be¬ 
richtet. 

„Im Fall I wurde bei einer 18 jährigen 0-p. fünf Wochen 
nach Abort des dritten bis vierten Monats wegen Blutungen 
digital ausgeräumt, und bei vorsichtiger Ausräumung gelangt der 
Finger in die freie Bauchhöhle. Wegen starker Blutung und 
Infektionsgefahr sofortige Laparotomie. Bauchhöhle reichlich mit 
Blut gefüllt; hinter dem Uterus frei im Douglas ein wallnußgroßer 
Plazentarpolyp; in der 1. Tubenecke ein ca. 1 cm langer Riß; das 
Gewebe ist sehr morsch. Naht des Risses. Das Netz ist breit an 
der linken Uterusecke und den linken Adnexen verwachsen. Die 
Hinterfläche des Uterus zeigt frische Entzündung. Etagennaht 
der Bauchdecken. Normaler Wundverlauf. 

Der Uterus war hier jedenfalls trotz vorsichtiger digitaler 
Ausräumung mit dem Finger perforiert worden — wenn man 
nicht annehmen will, daß das adhärente Netz die schon vorher 
gesetzte Perforationsöffnung notdürftig bedeckte.“ 

Letztere Annahme dürfte nach Ref. Ansicht zutreffen. 

Der zweite Fall betrifft einen Uterus drei Wochen nach 
Abort im fünften Monat. Nach Einlegen von Laminaria wurde 
mit breiter Kürette ausgekratzt und perforiert. Nach Temperatur¬ 
steigerung am Abend auf 40 0 erfolgte unter Eis reaktionslose 
Heilung. 

In einem andern Falle wurde wegen mehrmonatiger Blu¬ 
tungen nach Dilatation mit Hegarstiften mit breiter Kürette reich¬ 
lich übelriechende Plazentarmenge herausbefördert. Nach acht 
Tagen blutete es noch, der Uterus war noch vergrößert, der 
Muttermund noch geöffnet; es wurde sondiert, wobei die Sonde 
20 cm in den Uterus glitt; Einlegen von Laminaria. Ausschabung 
am nächsten Tag bei 40°, die noch einige Plazentarstücke heraus¬ 
befördert. Hinterher Exsudat. 

Im nächsten Falle handelte es sich um eine Pat., die drei 
Wochen p. P. wegen Schmerzen in der 1. Seite ins Krankenhaus 
kam. Uterus vergrößert, Fundus empfindlich, Mm. wenig durch¬ 
gängig. Links ein großer beweglicher, schmerzhafter Tumor. 
R. Adnexe, Douglas frei. Die Sonde dringt 17 cm tief an einer 
Stelle ein. 

Unter Eis-Opium erfolgte glatte Heilung. Offenbar war hier, 
so schreibt Weil, durch eine Hebamme bei Vornahme irgend¬ 
eines Eingriffes eine Perforation gemacht worden, die bei dem 
aseptischen Verlaufe keine Erscheinungen gemacht hatte. Der 
Tumor war eine Pyosalpinx. 

Im letzten Falle war beim Kurettieren außerhalb des Kranken¬ 
hauses perforiert worden. Die Sonde drang an einer Stelle des 
Uterus in die Bauchhöhle, Laparotomie. Naht einer 6 bis 7 cm 
langen Perforation konnte den Exitus an Peritonitis nicht ver¬ 
hindern. 

Verf. kommt zu folgenden Schlußsätzen und Ermahnungen: 

Bei den zahlreichen Möglichkeiten zum Zustandekommen einer 
•Perforation ist als erste und wichtigste Prophylaxe Vorsicht und 

. • * 1 



möglichst gewaltloses Ausräumen oder überhaupt Vorgehen bei 
allen intrauterinen Eingriffen immer wieder zu betonen. Jedes 
scharfe schmale Instrument, Kornzange und scharfe,"sehr schmale 
Kürette sind tunlichst zu vermeiden und nur, wenn digitale Aus¬ 
räumung z. B. nicht zum Ziele führen sollte, breite Kürette an¬ 
zuwenden. 

Vorziehen der Portio mit Kugelzange soll das Gefühl für die 
Stärke der Ausschabung und die Größe des Widerstandes der 
Uterusmuskulatur gegen das Instrument verfeinern. 

Zu letztem Rate möchte Ref. nur bemerken, daß Olshausen 
und seine Schüler die Kugelzange abnehmen, bevor sie die Kürette 
in den Uterus führen, und nur Zeige- und Mittelfinger an die 
Portio während der Ausschabung legen und hierdurch besonders 
zart und sicher auszukratzen meinen. 

Warum bei W.s zweitem Falle, nachdem bereits Laminaria 
eingelegt war, nicht digital ausgetastet, sondern nur kurettiert 
wurde, ist nicht recht einzusehen. Wenn man durch Austastung 
festgestellt hat, an welcher Stelle Plazentarreste sitzen, und sie 
mit dem Finger nicht entfernen kann, dürfte eine Ausschabung 
mit breiter Kürette kaum eine Perforation zur Folge haben. 

Auch im nächsten Falle hätte der Dilatation mit Hegar¬ 
stiften die Austastung folgen müssen, wodurch in der ersten 
Sitzung der Uterus völlig entleert hätte werden können' und die 
später folgende Perforation mit der Sonde vermieden wäre. Die 
Sonde werde wohl nur zum Messen der Uterusgröße eingeführt; denn 
man bilde sich nur nicht ein, daß man mit der Uterussonde 
Plazentarreste sicher fühlen kann. . Wohl aber kann man starke 
Blutungen hervorrufen. Ref. hält die Uterussonde überhaupt für 
ein unbrauchbares Tastinstrument; weiche Gewebe fühlt man 
nicht, fühlt man bei suspekten Fällen Rauhigkeit, so ergibt die 
Austastung oft, daß es sich um Muskelleisten handelt, ist die 
Schleimhaut aber glatt und fühlt man bei suspekten Fällen keine 
Rauhigkeiten, so verläßt man sich nie auf die Sonde, sondern 
dilatiert, tastet aus und macht eine Probeausschabung. 

In einem puerperalen Uterus aber hat die Sonde 
absolut nichts zu suchen. Das sei hervorgehoben mit Rück¬ 
sicht auf den nächsten Fall, in dem nicht die Hebamme bei 
irgendeinem Eingriff während der Geburt perforierte (was hat 
denn eine Hebamme beim Partus für intrauterine Eingriffe zu 
machen?), sondern wo der Sondierende perforiert hat, indem er zwei 
Kontraindikationen des Sondengebrauchs außer Acht ließ, 1. den 
Puerperalzustand des Uterus, 2. die Adnexerkrankung. 

Die Folgen der Uterusperforation sind oft recht schlimme, 
wenn nicht, wie bei W.s Fällen, die Perforation sofort erkannt 
und dementsprechend gehandelt wird. Diese Folgen ersieht man 
aus den von Orthmann mitgeteilten Fällen. 

6. In seinen drei Fällen wären als Folge der Uterusperforation 
jedesmal schwere Darmverletzungen entstanden. Die Fälle sind 
kurz folgende: 

a) Abort mens. H/III. Ausräumung mit Rouxscher Kürette 
und Kornzange ohne Erweiterung, beim zweiten Eingehen mit der 
Kornzange wurde ein deziduaähnlicher Fetzen herausbefördert, 
der sich jedoch bei späterer genauerer Besichtigung bereits als 
ein Stück Darmwand herausstellt; schließlich wurde beim 
dritten Eingehen mit der Zange eine vom Mesenterium ab¬ 
gerissene und in ihrer Kontinuität durchtrennte Dünndarm¬ 
schlinge hervorgezogen; dieselbe wurde sofort reponiert und dann 
sogleich die Laparotomie angeschlossen, der Uterus supravaginal 
amputiert; beide Tuben und Ovarien entfernt; der Darm reseziert 
und genäht, worauf Heilung eintrat. 

b) Abort mens. II/III. Ausräumung mit [der Winter sehen 
Abortzange, es werden reichliche Plazentarstücke und Eihautfetzen 
entfernt; bei weiterem Eingehen dringt die Zange außergewöhn¬ 
lich tief ein und es werden unnachgiebige Teile gefaßt. Deshalb 
Abstehen von weiteren Maßnahmen. Bettruhe, Eis. Wegen peri- 
tonitischen Erscheinungen wird nach Ueberführung in die Klinik 
der Uterus vorsichtig mit schwacher antiseptischer Lösung aus¬ 
gespült (warum, ist nicht ersichtlich. Ref.), da keine Spülflüssig¬ 
keit zurückläuft, wird durch Sonde Perforation am Fundus uteri 
festgestellt. Laparotomie. Naht des Mesenterium der Flex, sigmoid. 
Resektion des Uterus; an den Perforationsstelle und der 1. Tube. 


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UNIVERSITY OF MICHIGAN 


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1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


101 


Jodoformdrainage des Douglas nach der Vagina. Darm-Bauch¬ 
decken- und Darm-Vaginalfistel. Schließlich Heilung. Nachfolgend 
Gravidität, die ad terminum zur Geburt führte. 

c) Abort mens HL/IV. Dilatation mit dem Finger, so daß 
zwei bis drei Finger sich ein f ühren lassen, es gelingt damit nicht, 
ohne Narkose Plazenta und Foetus zu entfernen; breite stumpfe 
Schleifenkurette befördert nur einzelne Teile der Frucht heraus 
und schließlich weiche Teile, die für Plazenta gehalten werden, 
sich bei genauer Besichtigung aber als losgerissener Darm und 
Netz erwies. Umfangreiche Dickdarm Verletzung. 

Laparotomia. Resectio et sutura coli ascend. et transver. 
Evacuatio foetus (19 cm lang!) et placentae ex ligament. lat. dextr. 
Exstirpatio uteri totalis cum adnexis dextr. Drainage per vagin. 
Exitus am vierten Tag post operationem an Peritonitis. 

Die Frage, wie derartige Verletzungen zu stände kommen, 
beantwortet 0. dahin, daß 1. pathol. Beschaffenheit der Uterus¬ 
wand vorhanden sein kann, 2. Anwendung ungeeigneter oder ge¬ 
fährlicher Instrumente, 3. fehlerhafte Technik, 4. Verkennen oder 
Nichterkennen des lokalen Befundes infolge mangelhafter Technik. 

Auch 0. verwirft jegliches scharfe oder spitze Instrument 
(Küretten und zangenähnliche Instrumente). Die Kornzauge (breite, 
nicht spitze) aber hält er für ein sehr brauchbares Instrument bei 
der Abortausräumung, vorausgesetzt, daß sie richtig angewandt 
wird, d. h. nur bei hinreichend erweitertem Zervikalkanal, bereits 
losgelöste Eiteile oder auch den Foetus unter Leitung des Fingers 
oder auch des Auges zu entfernen; keinesfalls soll sie dazu ver¬ 
wandt werden, um noch an der Uteruswand festsitzende Eiteile 
loszureißen. 

Was die Stellung der Diagnose betrifft, so weist 0. darauf 
hin, daß in einem seiner Fälle der Versuch gemacht wurde, einen 
Uterus grav. mens V mit der Kürette zu entleeren, wo nur digital 
hätte ausgeräumt werden dürfen. 

Bei dieser Gelegenheit weist 0. aus eigener Erfahrung darauf 
hin, wie schlecht die Mediziner in Geburtshilfe ausgebildet in 
die Praxis treten müssen. Von 400 Aerzten, die sich zur geburts¬ 
hilflichen Ausbildung bei O. meldeten, konnte er nur 120 berück¬ 
sichtigen, und von diesen 120 hatten 75% noch keinen Abort 
gesehen, während weit über 90% niemals eine Abortausräumung 
selbständig ausgeführt hatten. 

Als wichtigste Vorsichtsmaßregel für die Verhütung solcher 
unglücklichen Fälle empfiehlt 0. 1. sorgfältige Untersuchung des 
Uterus und der Adnexe event. in Narkose, 2. Bestimmung der 
Uteruslänge mit der Sonde, 3. Anwendung einer stumpfen gradu¬ 
ierten Kürette, 4. Gebrauch der Kornzange oder Aboi tzange nur 
zur Entfernung bereits gelöster Eiteile oder des Foetus, 5. .Dila¬ 
tation der Zervix vom dritten Monat an. 

Was die Dilatation anlangt, so rät Ref. dem Anfänger, mög¬ 
lichst bei jedem Abort zu dilatieren, sei es mit Hegarstiften, sei 
es mit Laminaria, und nur dann, wenn mit dem Finger sich nichts 
mehr lösen läßt, vorsichtig an den Stellen, an denen man noch 
Plazentarreste fühlte, mit breiter stumpfer Kürette zu schaben. 

7. Zu 20 Jahren erste Gravidität. Normal entbunden. Kind 
lebt. Zu 21 Jahren schwerer Rheumatis und Endokarditis. Zu 
22 Jahren zweite Gravidität sehr gestört, Entbindung schwer, 
spontan; Kind stirbt zwei Monate alt. 1905 (29 Jahre alt) dritte 
Gravidität. Insuffizient, valv. mitral., Stenosis ostii venös, sin. 
Januar 1906 (siebenter Graviditätsmonat) plötzlich Lungenembolie 
mit sehr schweren Erscheinungen, hochgradigste Dyspnoe. Sehr 
langwierige Einleitung der Frühgeburt mittels Bougies und Aus¬ 
spülungen. Lebendes Kind, das sich gut entwickelt. Bedeutende 
Besserung des Zustandes der Mutter. Pollak, Prag. 


Mitteilungen über Arzneimittel. 


Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. Ueber Omorol. Von Dr. Leuwer-Bonn. Reichs-Medizinal- 
Anzeiger, 1907, Nr. 26. 


2. Kufeke-Mehl in der diätetischen Therapie erwachsener 
Tuberkulöser. Von G. Heinrich, Anstaltsarzt in Sülzhayn. 
Ibidem. 

3. Neue Arzneimittel, Spezialitäten und Geheimmittel. Von 
Dr. Zernik. Deutsche med, Woch., 1907, Nr. 51. 

4. Ueber Asthmamittel. Pharmaz. Zeitung, 1908, Nr. 1. 

1. Auf Grund der Empfehlungen von Viett (Med. Klinik, 
1906, Nr. 17 und Aerztl. Rundschau, 1906, Nr. 47) hat L. Ver¬ 
suche mit Omorol vorgenommen. Das Präparat ist ein gelblich- 
weißes Pulver, eine Silber - Eiweißverbindung, welche von der 
Firma Heyden in den Handel gebracht wird. L. ließ die speziellen, 
etwas komplizierten Vorschriften Vietts außer Acht und begnügte 
sich damit, ein- bis zweimal täglich die erkrankten Stellen dick 
mit Omorol zu bepudern. Er hat seine Versuche bei 70 Fällen 
von Angina der verschiedenen Formen, etwa 10 Fällen von Stoma¬ 
titis, besonders aphthosa, einem Fall von Herpes veli palatini und 
einigen Fällen von Gingivitis angestellt und gute Erfolge ge¬ 
sehen. Gewöhnlich dauerte die Behandlung zwei Tage; in einem 
hartnäckigen Falle von Stomatitis aphthosa zog sie sich läugere 
Zeit hin. Auch bei infizierten Extraktions wunden schien das 
Omorol gut zu wirken. Dagegen hat Verf. bei Ohren- und Nasen¬ 
leiden jeglicher Art nur Mißerfolge gesehen. 

2. H. glaubt, daß das Haupt bestreben des Arztes bei der 
Behandlung Schwindsüchtiger trotz der Hochflut angeblich „spe¬ 
zifischer“ Mittel dahin gehen müsse, dem Phthisiker eine mög¬ 
lichst nahrhafte Kost zukommen zu lassen und eine Ueberernäh- 
rung zu erzielen. Seiner Ansicht nach ist dies aber mit der 
gewöhnlichen Nahrung nicht zu erreichen, besonders wenn 
Schwächezustände irgendwelcher Art den Organismus unterwühlt 
haben, wenn Fieber und Appetitlosigkeit die Nahrungszufuhr er¬ 
schweren. In solchen Fällen muß der Arzt zu künstlichen Nähr¬ 
mitteln greifen, von denen wiederum diejenigen die besten sind, 
die neben den N-haltigen auch N-freie Stoffe enthalten, und zwar 
letztere in möglichst aufgeschlossener, mechanisch und chemisch 
der Verdauung zugänglich gemachter Form. Diesen Anforde¬ 
rungen entspricht nach H.s Auffassung am meisten das Kufeke- 
Mehl, dessen geringer Zuckergehalt (ca. 9%), sein hoher Prozent¬ 
satz an löslichen Kohlehydraten (ca. 70%), sein angenehmer und 
milder, durch keinerlei Korrigentien kachierter Geschmack als be¬ 
sonders wertvolle Eigenschaften hervorzuheben sind. H. lobt die 
Wirkungen des Kuleke-Mehles bei Phthisikern, besonders bei 
Magen- und Darmaffektionen derselben, wo er dieses Präparat in 
Konkurrenz mit Hygiama zu beobachten Gelegenheit hatte. Daß 
das Kufeke-Mehl in solchen Fällen sich als überlegen erwies, 
glaubt H. darauf zurückführen zu müssen, daß die Kohlehydrate 
und das Pflauzeneiweiß in demselben der Zersetzung und Fäulnis 
nicht so leicht ausgesetzt sind, wie das tierische Eiweiß mancher 
anderen Nährmittel, wodurch abnorme Gärungsprozesse verhütet 
werden. Diese klinischen Erfahrungen decken sich mit den neuesten 
experimentellen Forschungen von H. L a b b e und G. V i t r y in 
Paris über den Umsatz der stickstoffhaltigen Nahrungsmittel bei 
Tuberkulösen. 

3. Anton Ambruns Wassersuchtsmittel, ein Kur¬ 
pfuschermittel , das der nördlichen Rheinprovinz entstammt, ist 
nichts weiter als das Produkt einer sauren Gärung kleberhaltiger 
Stoffe, wie die chemische Untersuchung ergab — vermutlich ein 
verdorbener Weizenmehlkleister. — Boran -Sommersprossen¬ 
cream enthält nicht, wie mau dem Namen nach vermuten 
sollte, harmlosen Borax bezw. Borsäure, vielmehr je 5% Hydrar- 
gyrum praezipitatum album und Bismutum subnitric., die mit 
einer parfümierten, etwas Wachs und Wasser enthaltenden Parafrin- 
salbe verrieben sind. Von dieser Creame kostet eine Tube zu 20 g 
eine Reichsmark! Von England werden wir mit einem neuen 
Asthmapräparat, — Professor Max Danas Mittel gegen 
Asthma, beglückt, das von den gewöhnlichen Räucherpulvern 
sich nur dadurch unterscheidet, daß es neben 50% Salpeter, Stra- 
moniurn und Lobelia auch noch Thea nigra enthält. Auch Italien 
versendet seine Gaben, nämlich das von Carlo Erba in Mailand 
vertriebene Fil öden toi, ein Zahnschmerzmittel ganz besonderer 
Art. Dasselbe wird nicht, wie andere derartige Mittel, mit dem 
erkrankten Zahn oder dessen Umgebung in Berührung gebracht, 
sondern es wird auf die flache Hand gegossen und in das dem 
schmerzenden Zahn nicht benachbart gelegene Nasenloch aufge- 


Qrigiraal ffom 

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102 


zogen, worauf die Schmerzen sofort verschwinden sollen. Ein 
kleines, 5 g enthaltendes Fläschchen mit einer rotgefärbten, 
schwachen Lösung von ätherischen Oelen (Pfefferminz und Zimmt) 
in verdünntem Weingeist kostet 1 M., ein mit Rücksicht auf die 
prompte Wirkung gewiß nicht zu hoher Preis! 

Die Hautpasta Pheun der chemischen Fabrik „Der 
Linden“ in Kirchberg-Wolfersgrün (Sachsen) soll bei einfachem 
Aufträgen auf die Haut nicht nur den Schmutz, sondern auch die 
in den untersten Höhlungen der Haut verborgenen Krankheits¬ 
keime vollkommen ab töten. „Lästige Hautflecke, Röte, Hautaus¬ 
schläge, aufgesprungene Hände, leichte Hautentzündungen ver¬ 
schwinden nach ganz kurzem Gebrauch.“ Der Preis von 1 M. für 
eine 25 g enthaltende Tube wäre nicht zu hoch — wenn nicht 
die chemische Untersuchung ergeben hätte, daß die weiße 4 parfü¬ 
mierte, salbenartige Masse neben rund 31% Weichparaffin und 
5% Wasser nur 10% eines schleimgebenden Trockenstoffes und 
2 % Seile enthielte. 

Nicht ungeschickt ist die Zusammensetzung von Dr. Kellers 
nerven- und blutstärkendem Kräutertee (Apotheker 
ßaessgen in Dortmund), der in Kartons zu 2,60 M. abgegeben 
wird. Ein Karton enthält sieben abgeteilte Portionen zu ca. 20 g; 
jede Portion, mit drei Tassen kochenden Wassers aufgebrüht, gilt 
als Tagesdosis. „Bei hartnäckigen Leiden muß der Tee beharr¬ 
lich weitergetrunken werden, bis vollständige Heilung eingetreten 
ist.“ Der Tee besteht aus 10 Teilen Rad. Valeriana, 8 T. Kal. 
bromat. krystall., 5 T. Kort. Chinae, 4 T. Frukt. Papav. matur. 
und je 1 Teil Rad. Liquirit., Fol. Sennae imd Fol. Menthae piperit. 

4. Im folgenden bieten wir unseren Lesern eine Reihe 
neuerer Asthmamittel zwecks Orientierung über Zusammensetzung 
und Brauchbarkeit. 

Aubreesches Asthmamittel (nach Trousseau): 

Rp. Rad. Polygalae 2,0, 

Ooque cum 5 aq. fervid. 125,0, 

Si fiat coctum, coloraturae adde 
Kal. jodat. 15,0, 

Sirup, opiat, 120,0, 

Spirit, vini gallic. 60,0. 

Tinct. coccionell. q. s. Filtra. 

Das sogenannte Elixir an tiasthmatique Aubree zeigt 
folgende Zusammensetzung: 

Rp. Decoct. Rad Senegae 10,0/250,0, 

Kal. jodat. 50,0, 

Extr. Opii 4,0, 

Spir. dilut. 200,0, 

Sir. spl. 500,0, 

Tinct. coccion. q. s. ad oolorationem. 

Das Greensche Asthmamittel besteht aus: 

Kal. jod. 8,0, 

Tct. Lobei., 

Tct. Opii benzoic. ana 25,0, 

Decoct. Polygal. 10,0/140,0. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 



Das Ge rr e t sensche Asthma mittel aus Haag (Holland) 
besteht ans Stechapfelblättern, die mit konz. Salpetersäure ge¬ 
tränkt und dann getrocknet sind, während das Asthmapulver von 
Clery sich aus je 30 Teilen Stramoniumblättern und Belladonna¬ 
blättern, 5 T. Salpeter und 2 T. Opium zusammensetzt. 

Plönes Holländisches Asthma kraut besteht aus: 

Fol. Strammon. 30,5, 

Salpeter 30,0, 

Zucker 20,0, 

wahrend das Asthmapulver von O. Fischer in Wolfenbüttel in 
folgender Weise zusammengestellt wird: Fol. Strammon. 250,0, Flor. 
Millefol. 25,0. Die Blätter werden getrocknet und pulverisiert. Das 
grobe Pulver wird dann mit einer Lösung von 50,0 Kalisalpeter in 
250,0 Wasser gleichmäßig durchfeuchtet und getrocknet. 

Die Espicschen Zigaretten nach Trousseau bestehen aus: 
Fol. Belladonna 0,36, 

Fol. Hyoscyami 0,18, 

Fol. Strammon. 0,18, 

Fol. Phellandrii aquat. 0,06, 


Extr. Opii 0,008, 

Aq. Laurocer. q. s. ad. sol. Opii; 

Neummeiers Zigarillos gegen'Asthma aus Herba et 
radix Brachycladii, Kannabis indika, Grindelia robusta, Fol. Euka- 
lypti glob., Fol. Stramon. nitr. 

und schließlich 5 

die Asthma-Zigare'tt en von Bier Fröres (Brüssel): 

Fol. Datur. Strammon. 0,5, 

Fol. Hyoscyam., 

Fol. Belladonn. ana 0,2, 

Fol. Lobei. 0,1, 

Menthol. 0,05. 

Ueber die Darreichung von Arzneimitteln in Rumpelschen 
Kapseln (Kapsulae geloduratae). Von Schlecht-Breslau. Münch, 
med. W., 1907, Nr. 34. 

Arzneimittel per os so einzuführen, daß sie nicht im Magen, 
sondern erst im Darm zur Resorption gelangen, ist erwünscht: 
einmal bei der Verabreichung solcher Arzneien, die durch ihren 
schlechten Geschmack ungern genommen werden und die auch' 
nach Einführung in den Magen vermittels der einfachen Gela¬ 
tinekapseln nach Lösung derselben durch Regurgitieren an¬ 
haltende Geschmacksbelästigungen verursachen; dann bei solchen, 
deren Wirkungsort der Darm sein soll und die man möglichst 
wirksam dorthin gelangen lassen will; schließlich vor allem bei 
den Medikamenten, die eine örtlich reizende Wirkung auf die 
Magenschleimhaut ausüben. Die meisten dahinzielenden Versuche 
giügen dahin, die Medikamente mit einer Kapsel zu umgeben, 
die eine gewisse Widerstandskraft gegen die verdauende Kraft 
des Magensaftes hat. Ein wesentlicher Fortschritt scheint hier 
mit den von Rumpel-Breslau hergestellten Kapsulae geloduratae 
gemacht, die mit den Sahli sehen Glutoidkapseln das Grundprinzip, 
nämlich die Verwendung von in Formahn gehärteter Gelatine, ge¬ 
meinsam haben, • deren Herstellungsart aber von der Sahlischen 
abweicht und verschiedene Vorteile voraus hat. Rumpel ver¬ 
wendet Lösung von Formaldehyd in Alkohol, Aether oder über¬ 
haupt in solchen Flüssigkeiten, welche in geeigneter Konzentration 
die Gelatine selbst kaum zum Quellen bringen. Es lassen sich 
mit dieser Methode auch die aus zwei ineinanderschiebbaren 
Hüllen bestehenden Kapsulae operkulatae härten; die Verschlie߬ 
stelle der nachträglich mit dem Arzneimittel gefüllten Kapseln 
wird mit Kollodium verschlossen. Es lassen sich hierdurch auch 
in Wasser leichter lösliche Substanzen in die Kapseln einfüllen. 
Reagenzglasversuche mit den von der Pohlschen Kapselfabrik in 
Schönbaum-Danzig hergestellten Kapseln zeigten, daß die Kapsulae 
geloduratae dem Magensaft genügend lange Zeit- Widerstand 
leisten, und daß ihre Lösung resp. Eröffnung und damit der 
Austritt der Arzneimittel in den Dünndarm in kürzester Zeit er¬ 
folgt. Von Arzneimitteln, die wegen des schlechten Geschmackes 
ungern genommen werden und nach Verabreichung in Gelatine¬ 
kapseln durch Regurgation Beschwerden verursachen, kommen vor 
allem in Betracht die Kreosotpräparate, das Terpentinöl, ferner 
Jodkalium, Chinin, die Balsamika. Alle diese wurden in Gelodurat- 
kapseln ohne Beschwerden genommen; dabei war eine Beeinträch¬ 
tigung der Wirksamkeit nicht festzustellen. Von Arzneimitteln, 
deren Wirkungsort der Dann sein soll, ist besonders das Extr. 
filiz. maris zu erwähnen. Bei diesem dürften die Geloduratkapseln 
eine große Rolle spielen, ebenso bei dem neuen Darmdesinfiziens 
Isoform. In die Gruppe der Medikamente, die bei längerem 
Aufenthalt im Magen eine örtlich reizende Wirkung auf die 
Magenschleimhaut ausüben, fallen vor allem die Salizylpräparate, 
das Chinin, die Diuretika und Digitalis. Natr. salizyl. und Azid, 
salizyl. wurden in den neuen Kapseln sehr gut vertragen. Bei 
Digitalis und Diuretizis erscheinen dieselben oft geradezu un¬ 
entbehrlich ; • das völlige Ausbleiben der lästigen und die 
Therapie oft hochgradig erschwerenden Magensymptome hat Ver¬ 
anlassung gegeben, daß an der Breslauer Klinik Digitalis und 
ebenso Diuretin und Koffein nur noch in Rumpelschen Kapseln 
gegeben werden; mit diesen wurden sie auch von Patienten gut 
vertragen, bei denen vorher bald nach Gebrauch der Mittel in 
Infus- oder Pulverform starke Magenbeschwerden aufgetreten 
waren. Die durch die vorzüglichen Erfolge bei zahlreichen thera¬ 
peutischem Versuchen erwiesene große Bedeutung der gehärteten 
Dünndarmkapseln in der Arzneiverordnung rechtfertigt den Wunsch, 


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1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


103 


daß sie eine ausgedehnte Anwendung in der Praxis finden möchten, 
umsomehr, als sie auch noch den Vorzug großer Billigkeit besitzen. 

M. Plien, Berlin. 


Neuere Arzneimittel 

Chinatrocin. Fabr.: Hirsch-Apotheke, Dr. Fresenius, 
Frankfurt a. M. Die Zusammensetzung dieses Asthmamittels ist 
folgende: 

Extr. e foL Cocae 50,0, 

Extr. Belladonn. 0,015, 

Kal. nitric., 

Aq. lauroc., 

Extr. Apocyn. ana 5,0, 

Extr. Grindeliae, 

Extr. Strammon., 

Extr. Euphorb. pilulifer. ana 20,0, 

Aq. dest., 

Glyzerin, ana 10,0, 

Acid. carbol. gtts. X, 

Ol. Gaultheriae gtt. I. 

Das Chinatrocin iBt eine dunkelbraune, ölige, eigentümlich 
narkotisch riechende Flüssigkeit. Es ist merkwürdig, daß bisher 
bei der Behandlung des Asthmas von der Anwendung des Kokains 
so wenig Gebrauch gemacht wurde. Inhalationen einer l°/oigen 
Lösung sind zwar empfohlen worden, haben sich aber nicht ein¬ 
gebürgert. Kokainismus dürfte sich in dieser Form und bei 
dauernder ärztlicher Kontrolle immer vermeiden. Von den anderen 
Bestandteilen des Chinatrocins verdient noch das Extr. Apocyni 
Erwähnung, dessen Wirkung eine zentrale sein und somit das 
subjektive Gefühl der Beklemmung beseitigen soll. Es wird auch 
bei anderen Lungenleideu (Emphysem und PhthiseJ verwendet. 
Die Einführung dieses Extraktes in die Asthmatherapie verdanken 
wir Pentzoldt. Das Extrakt. Grindeliae wird in Nordamerika 
schon lange gegen asthmatische Anfälle verwendet. Bei innerer 
Darreichung tritt nach anfänglicher Exzitation Schlaf mit ver¬ 
langsamter Respiration ein. Die Wirkung des Extr. Euphorb. 
pilulifer. ist teils stimulierend, teils narkotisch. Das Glyzerin soll 
der Flüssigkeit die für die Anwendung des Sprays notwendige 
Konsistenz geben. 

Zum Gebrauch des Chinatrocins ist ein eigener Zerstäubungs¬ 
apparat „Atomizer“ hergestellt worden, den der Patient immer 
bei sich tragen kann. Man gießt einige Kubikzentimeter des 
Mittels in das Fläschchen und drückt mehrmals den Gummiball 
zusammen. Die nebelartig zerstäubte Flüssigkeit wird durch 
einen Nasenansatz, eingeatmet. Am besten wird beim Herannahen 
eines Anfalles der Apparat angewendet, und zwar in Pausen von 
fünf bis zehn Minuten. 

Ein Fläschchen zu 40 g kostet 3,50 M. und soll sehr lange 
reichen. Der „Atomizer“ kostet 4,50 M., bedarf aber sorgfältiger 
Behandlung, d. h. Reinigung. Krüger, Magdeburg. 


Mitteilungen aus der Praxis. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

Folgende Rizinusöl »Emulsion wird von M. J. Wilbert em¬ 
pfohlen : 

Rp. Ol. Rizin. 50,0, 

Sapon, oleac. pulv. 1,5, 

Spirit, menth. pip. 3,0, 

Solut. Saccharin. N. F. 1,0, 

Aq. dest. q. s. ad 100,0. 

(Apoth.-Zeitg., 1907, Nr. 95.) 

Bei bronchialem Asthma, akuter und suhakuter Laryngitis, 
Tracheitis und Bronchitis empfiehlt sich: 

Rp. Apomorph. hydrochl. er ist. 0,05—0,07, 

Codein phosphor. 0,075—0,1 
Acid. hydrochlor. 0,5, 

Sirup, simpl. 20,0, 

Aq. dest. ad 200,0. 

S. 2—3stündlich 1 Eßlöffel voll (Rossbach). 


Rp. Apomorph. hydrochl. er ist. 0,2, 
Codein phosphor. 0,5, 

Acid. hydrochlor. gtt. I, 

Aq. dest. fervid. ad 20,0. 

S. D. S. zweistündlich 10 Tropfen. 


Technische Neuerscheinungen. 


Aseptische Wattetupfer 

zum Austupfen beim Kystoskopieren werden von der Firma 
C. G. Heine mann, Leipzig, Elsterstr. 13, angefertigt. Die¬ 
selben bestehen aus einem langen dünnen Stabe, an dessen 
einem Ende ein Wattebausch so befestigt ist, daß er das not¬ 
wendige Kaliber nicht übersteigt und doch fest am Stab 
haftet. Diese fertigen Stabtupfer sind steril verpackt. Ein 
Karton solcher Tupfer, welcher 100 Stück enthält, kostet 
1,25 M. Durch diese fertigen sterilen Tupfer wird beim Kysto¬ 
skopieren das lästige Anfertigen von gestielten Tupfern er¬ 
übrigt und die Asepsis besser gewahrt, denn beim Anfertigen 
der Tupfer währenddes Kystoskopierenskann man nie einwandfrei 
sterile Tupfer erlangen, da sie immer von mehr oder weniger 
sterilen Händen hergestellt werden müssen, was die sichere 
Sterilität sehr zweifelhaft macht. Diese fertigen sterilen Tupfer 
stellen also ein sehr brauchbares Objekt dar und werden 
jedem Urologen als praktische Bereicherung des Instrumentari¬ 
ums zur Kystoskopie bald unentbehrlich werden. 

W. B. Mülier-Berlin. 


Ein neuer Apparat zur Vibrationsmassage der 
Prostata 

wurde von Guns et t in Straßburg angegeben. Derselbe be¬ 
steht aus einem in leichter Keulenform endenden Katheter, in 
dessen Mitte etwa ein ringförmiger Ansatz angebracht ist. Im 
Endkolben des Rohres, also direkt auf der Prostata, ist ein 
kleines Schwunggewicht an einer Welle exzentrisch ange¬ 
bracht. Die Welle wird von außen durch einen Motor in Be¬ 
wegung gesetzt. Je schneller das Schwunggewicht rotiert, 
desto stärker oszilliert der Vibrator, welcher auf die Prostata 
aufgelegt, wird. Man muß also auf eine gute Regulierbarkeit 
des Motors in der Tourenzahl achten. Die Einfachheit der 
Konstruktion und die reichliche Dimensionierung der Lager 
machen den Apparat unverwüstlich und unzerbrechlich. Will 
man den Apparat sterilisieren, so nimmt man die Welle mit 
dem Schwunggewichtchen heraus und kann nun die Hülle aus¬ 
kochen. Die Vorzüge dieses Apparates liegen darin, daß ein 
absolutes Stillliegen des Apparates im After, so daß von einer 
Schmerzhaftigkeit der Applikation nicht die Rede sein kann, 
bei der Verwendung Eigenschaft des Apparates ist, daß die 
Einführung des Apparates nicht schmerzhaft ist, daß die vibrie¬ 
rende Partie des Apparates beim Verwenden jetzt direkt auf 
der Prostata aufliegt, wodurch man eine direkte Erschütterung 
der Prostata erreicht. Für die Verwendung des Apparates 
kommen alle Formen der chronischen Prostatitis, beginnende 
Hypertrophie und vor allem die durch Prostataerkrankungen 
bedingten Formen der Impotenz in Betracht. Den Apparat 
kann man noch sehr gut mit dem faradischen und galvanischen 
Strome kombinieren, man braucht nur den einen Draht in die 
Schraube an der Welle zu fixieren und die andere Elektrode 
auf den Rücken zu bringen. Der Apparat wird von Rei¬ 
niger, Gebbert & Schall fabriziert. Gunsett hat mit 
seiner Verwendung sehr gute Resultate erzielt, namentlich bei 
Impotenz. W. B. Mii 11 er-Berlin, 


Original fn>m 

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Wege zur körperlichen und geistigen Wieder¬ 
geburt. Alte und neue bewährte Methoden zur Wiedererlangung der 
Gesundheit. Von Dr. Siegfried Möller, Arzt in Dresden- 
Loschwitz. Dritte, verbesserte Auflage. Verlag Otto Salle in 
Berlin, 1908. 154 Seiten. Brosch. M. 2,—. 

Der Titel scheint uns nicht völlig dem Inhalte des Buches 
zu entsprechen, denn es bringt keinen Abriß der Sozialhygiene, 
wie man aus dem Haupttitel entnehmen könnte, ist auch mehr 
für den praktischen Arzt als für den Hygieniker geschrieben. 

Entsprechend der anerkannten Tatsache, daß keinem Reize 
ein größerer und nachhaltigerer Einfluß auf den tierischen Organis¬ 
mus zukomme als der Nahrung, finden wir von dem klar und 
objektiv dargestellten Lehrstoff fast 4 /s von dem therapeutischen 
Einflüsse der Ernährung handelnd. Außerdem werden in kurzen 
Kapiteln nur noch der kleine Aderlaß als konstitutions-verbesserndes, 
also generelles Mittel, die Sauerstoff kur, die Kräuterkuren und 
die sog. physikalischen Heilmethoden behandelt. Daß Verf. auch 
diese sonst noch wenig beachteten Mittel in seine Betrachtung 
hineinzieht, spricht für seine Vorurteilslosigkeit; der Zug zum 
Natürlichen, Einfachen, Ursprünglichen wird uns wohl auch noch 
weiterhin mehr die Kräuter und Mutterdrogen statt ihre chemisch 
extrahierten Produkte und Alkaloide bevorzugen lassen. 

Den größten Raum gewährt Verf. der Ernährungslehre nach 
H a i g, C e n t a in i, K e ith und D e w e y; deren Theorien werden 
sämtlich kritisch beleuchtet und das Beste davon nach praktischen 
Erfahrungen vom Verfasser übernommen. Auch die sog. Fasten¬ 
kuren, besonders nach dem Laien Schroth, werden ausführlicher 
behandelt und ihre Erfolge geschildert. Für denjenigen, welcher 
bisher keine Gelegenheit benutzt hat, die geradezu umwälzenden 
Ernährungs-Versuche der Professoren Chittenden, Lafayette, 
Men de und Irving Fisher in der Yale University in Nord¬ 
amerika kennen zu lernen, dürfen wir wohl einige Worte aus der 
Schritt Möller’s zitieren (Seite 126): „Da ferner von Professor 
Uhittenden zu verschiedenen Malen innerhalb der Versuchszeit 
lestgestellt wurde, daß auch bei der geringsten Eiweißaufnahme 
(gemeint sind 34 gr täglich) Stickstoffgleichgewicht bestand, so 
ist durch diese Experimente einwandsfrei bewiesen, daß bei einer 
täglichen Eiweißzufuhr, die nur 1 /s — 1 /2 derjenigen Voits ent¬ 
spricht, und deren Verbrennungswert etwa 25% geringer ist als 
der von demselben Forscher geforderte, der Durchschnittsmensch 
in den verschiedensten Altersstufen und bei sowohl geistiger als 
auch angestrengter körperlicher Tätigkeit vollkommen gesund und 
leistungsfähig bestehen kann, ja daß sogar seine Kraft und Aus¬ 
dauer in erstaunlichem Maße zunehmen. Hieraus ist wiederum zu 
schließen, daß eine größere Nahrungs- und besonders Eiwei߬ 
zufuhr, wie sie den üblichen Verhältnissen des Alltagslebens und 
den Forderungen der zurzeit noch herrschenden Wissenschaft ent¬ 
spricht, für das normale Funktionieren des menschlichen Körpers von 
Nachteil ist und zu Störungen verschiedenster Art Anlaß geben kann.“ 

Möchten doch diese enormen Wandlungen unserer Ernährungs- 
Physiologie, seit .Lie bigs und Voi t s Zeiten, den Herrn Kollegen 
Veranlassung geben, Bücher wie das Möller sehe eifrig zu lesen. 
Nächst unseren veränderten Auffassungen des Organismus als be¬ 
seelter Selbstregulator, statt als Maschine, ist keine Errungenschaft 
der Biologie in höherem Grade berechtigt, unsere Pathologie und 
Therapie zu beeinflussen, als gerade die neue Ernährungslehre. 

E. Bachmann, Harburg a. E. ■ 

Röntgen-Kalender. Von Ernst Sommer. Verlag von 
Nemnich, Leipzig. Preis 3,— M. 

Sommer hat einen Röntgen-Kalender herausgegeben, der 
außer einem einleitenden Ueberblick einen technisch-diagnostischen 
und einen therapeutischen Teil enthält. Es sind eine Reihe kurzer, 
aber erschöpfender Artikel enthalten, die die neuesten Apparate 
und Einrichtungen besprechen, sowie gute Anleitung für Diagnose 
und Therapie geben. Das Büchlein wird sich unter den Fach¬ 
genossen manchen Freund erwerben. Paul Zander, Berlin. 


Der 1908 er Hauptkatalog der Brennabor-Werke, Branden¬ 
burg a. H. Wieder erscheint der Brennabor-Katalog in dem be- 
kannten vornehmen Gewände. 

Dem Vorwort entnehmen wir, daß die Brennabor-Werke auf 
ein erfolgreiches Geschäftsjahr zurückblicken. Der Umsatz in 
Brennabor-Rädern' ist auch im letzten Jahre bedeutend gestiegen. 
Eine andere wie die gesetzlich geschützte Marke „Brennabor“ 
stellen die Werke bekanntlich nicht her, sie lehnen es auch ab, 
neben dieser Marke minderwertige Spezialmaschinen zu bauen, da 
die Maschinen und Arbeiter nur auf Präzisionsfabrikate eingerichtet 
sind. Wichtig ist ebenfalls der Umstand, daß zum Bau der 
Brennabor-Räder nur allerbestes Rohmaterial verwendet wird und 
sämtliche Bestandteile, wie Sättel, Lager, Naben, Pedale und Ketten 
in eigenen Werkstätten hergestellt werden. Als Bereifung kommt 
bei allen Rädern nur prima Gummi-Qualität zur Verwendung. 

Interessant ist im Katalog die Beschreibung der Bestandteile 
des Brennabor-Rades. Die bildlich wiedergegebenen Belastungs¬ 
proben veranschaulichen dessen große Stabilität. Die darauffolgen¬ 
den Brennabor-Naben sind als staubsicher und ölhaltend bekannt. 

Die abgebildeten Radmodelle zeigen Eleganz und Vollendung 
der Bauart, deren zweckmäßige und sinnreiche Herstellung sofort 
ins Auge fällt. Neben stabilen Straßenrädern sind wieder die 
glänzend bewährten Renntypen vertreten, außerdem die Saal¬ 
maschine, deren Konstruktion nach-den Bestimmungen des D. R. B. 
erfolgte. 

Hieran schließen sich die als vorzüglich bekannten Gepäck¬ 
modelle in den verschiedenen Ausführungen. 

Die Werke arbeiten heute mit fünf Dampfmaschinen von 
ca. 1500 Pferdekräften, 60 Elektromotoren und ca. 1100 Hilfs¬ 
maschinen; die Arbeiterzahl beträgt gegen 2500. 

Der Versand der Hauptpreisliste erfolgt an Interessenten voll¬ 
ständig kostenfrei. 

Ende jeden Jahres wird von vielen, denen das „Jahrbuch 
des Invalidendank für Inserenten“ als zuverlässiger, praktischer 
Ratgeber auf dem Gebiete der Publizistik wert geworden, das 
Erscheinen der neuen Ausgabe willkommen geheißen, da im Laufe 
eines Jahres stets Wiele Veränderungen bei zahlreichen Blättern 
Vorkommen. So bietet auch das „Jahrbuch“ für 1908 wiederum 
viele wichtige Revisionen und Ergänzungen, letztere besonders 
unter den Fachzeitschriften, welche in übersichtlicher Gruppierung 
für alle Berufe die hervorragendsten Insertionsorgane enthalten. 
Das handliche, gefällige Buch ist vom Bureau des Invalidendank 
in Berlin W. kostenfrei zu beziehen, sowie durch dessen Agenturen. 
Daß der Reinertrag der Annoncen-Expedition des Invalidendank 
den patriotischen humanitären Zwecken dieses Vereins zur Unter¬ 
stützung der Invaliden und deren Hinterbliebenen dient, möchten 
wir bei diesem Anlaß unseren Lesern wiederum in Erinnerung 
bringen. 

Schöneberg. Das dem Auguste Victoria-Krankenhause an¬ 
gegliederte städtische Untersuchungsamt für ansteckende Krank¬ 
heiten ist eröffnet worden. Zur kostenlosen bakteriologischen 
Untersuchung stehen Entnahmeapparate in den Apotheken für die 
Aerzte bereit. 

Im warmen Sommer Lebertran zu verordnen, widerspricht ärztlicher 
Gepflogenheit. Dagegen wird das Nährfett Fucol auch in den heißen 
Monaten gut vertragen, welcher Umstand besonders für die TuberkuLose- 
Behandlnng wichtig sein dürfte. Orig.-Flaschen ä 7 2 Liter kosten rein 
M. 2,—, mit Guajacol M. 2,50. Der General-Vertrieb: Karl Fr. Töllner, 
Bremen. 

F. A. Hoppen it. II. Fischer 
Patentanwälte 

Berlin SW, 13., Neuenburgerstraße 15 

Amt IV 71S 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. H. Lungwitz, Berlin S. — Verlag: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle a S. 


Druck der Iieyneraannschen Buchdruckerei, Gebr. Wolff, Halle a. S. 


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Therapeutische Rundschau 

Wochenschrift für die gesamte Therapie des praktischen Arztes. 


0. Anton, A. DBhrssen, C. A. Ewald, R. Robert, 

Halle a. S. Berlin. Berlin. Rnslock. 

H. Sclimidt-Runpler, H. Senator, 
Halle a. S. Berlin 


Redaktion: 

Berlin S. 14, Dresdenerstrasse 44 

Dr. H. Lungwitz. 


Herausgegebeo tm 



M. Koeppen, 

Berlin. 

R. Sommer, 

Oleßem 


H. Rosla, H. Schlange, 
Berlin. Kjuhmw. 

ü Unterricht* 

Magdeburg. 


Ad. Schmidt, 
Hatte a. S 


Varlag u. Expedition Carl Marhold Verlagsbuchhandlung 
in Halle a. S., Reilstraße 80. 

Td.-A4r. : Marhold Verlag Hallesaale. Fernsprecher 823. 

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Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte In Dentschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte der Ostsee and der 
_freien Vereinigang biologisch denkender Aerzte. 


II. Jahrgang. Halle a. S., 16. Februar 1908. Nr. 7. 


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HiP Pnct c^r 0 ”HL h rL^Pb-«ccV?, Ch ^ Ru , n a? sc J a } , !i erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2M„ einzelne Nummer 20 Pf. Bestellungen nehmen jede Buchhandlung, 
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CD 


ORIGINALIEN. 


□ 


Die Elektrolyse mit langen Nadeln zur Behandlung 
von Verschwellung des Naseninnern. 

Von Sanitätsrat Dr. Maximilian Bresgen, Wiesbaden. 

Als ich auf der Naturforscher-Versammlung zu Kassel 
(1903) in der Abteilung für Hals- und Nasen-Krankheiten über 
Elektrolyse in der Nasenhöhle sprach 1 ), war ich schon mit der 
Herstellung sehr langer Nadeln beschäftigt; ich hatte deshalb 
auch einen neuen und eingehenderen Aufsatz in baldige Aussicht 
gestellt. Zwischen meine damalige Absicht und meine heutige 
Ausführung schoben sich aber mancherlei Hindernisse, die aber 
sämtlich ohne Beziehung zum Gegenstand selbst waren. Was 
ich vor mehr als drei Jahren mitteilen wollte, ist seither durch 
vermehrte Erfahrung nur noch mehr gesichert worden. Ich 
habe nur zu bedauern, daß der Fortschritt, den ich durch die 
Einführung meiner langen Nadeln für die Ausübung der 
Elektrolyse in der Nasenhöhle erzielt habe, erst jetzt der All¬ 
gemeinheit zu Gute kommt. 

Der Elektrolyse habe ich, deu Anregungen von Kafe- 
mann 2 ) und A. Kuttner 3 ) folgend, in höherem Grade meine 
Aufmerksamkeit zugewendet, als ich in schwierigen Fällen von 
Lungen-Tuberkulose vor die Notwendigkeit mich versetzt sah, 
den stark verlegten Nasenluftweg zur Nasenatmung frei zu 
machen. Die Anwendung eingreifenderer Verfahren wie des 
elektrischen Brenners, des Meißels und selbst der chemischen 
Aetzmittel (in ausreichender Stärke) ist bekanntlich in Fällen 
von Lungen - Tuberkulose fast stets ausgeschlossen, wie es ja 
auch außerdem noch eine nicht geringe Zahl von Krankheits¬ 
fällen gibt, in denen ein etwas angreifendes Heilverfahren mög¬ 
lichst zu vermeiden ist. Da erwies sich mir denn die Elektro¬ 
lyse als ein möglichst schonendes und doch wirksames, wenn 
auch damals noch sehr langwieriges Verfahren in allen den 
Fällen, die aus irgend einem Grunde von schwächenden Ein¬ 
griffen befreit bleiben mußten. Zugleich aber erkannte ich 
auch, daß die Elektrolyse nicht im Stande sei, jene wirksameren 

') Eine neue Doppelnadel (nach Jänicke) zur Elektrolyse in der Nasen¬ 
höhle, nebst Erläuterungen zu ihrer Anwendung. Verhandlungen der Ge¬ 
sellschaft Deutscher Naturforscher und Aerzte. 75. Versammlung zu Kassel 
20.—26. September 1903. iS. 315 ff. 

a ) Ueber elektrolytische Operationen in den oberen Luftwegen. Wies¬ 
baden 1889. Bergmann. 

8 ) Die Elektrolyse, ihre Wirkungsweise und ihre Verwendbarkeit bei 
soliden Geweben. Berliner klin. Woch. 1889. Nr. 45, 46, 47, S.-A. 


Behandlungsweisen im allgemeinen zu verdrängen. Dieser Er¬ 
fahrung lieh ich auch im Anschlüsse an einen Vortrag von M. 
Schmidt 4 ) lebhaften Ausdruck 5 ), indem ich die einzelnen Be¬ 
handlungsweisen ihrem Werte nach abgrenzte. Die Erwartung 
von M. Schmidt, daß „derpraktische Arzt mit der Elektrolyse 
sicher operiert“, hat sich inzwischen, wie bekannt, durchaus 
nicht erfüllt; ja sogar der Nasenarzt ist ihr im allgemeinen 
nicht einmal so weit zugetan, wie sie es in Wirklichkeit ver¬ 
dient. Dazu weiter mein Scherflein beizutragen, will ich mir 
auch heute angelegen sein lassen. 

Durch alle meine Mitteilungen über Elektrolyse 6 ) zieht 
sich die scharfe Abgrenzung ihrer Anwendung. Was mir aber 
immer als das größte Hindernis ihrer ausgedehnteren Verwen¬ 
dung erschien, war neben der Kürze der Nadelspitzen der Griff, 
mit dem die Nadeln während der ganzen Dauer der Durch¬ 
leitung des elektrischen Stromes gehalten werden mußten. Ich 
hatte deshalb dieses Haupthindernis sehr bald dadurch beseitigt, 
daß ich den Griff ganz wegfallen ließ und dafür die in den 
letzteren passenden hinteren Nadelenden in kleine, mit ent¬ 
sprechenden Messingröhrchen durchbohrte Holzstückchen steckte, 
die sich durch einen überstreif baren Schieber zu einem ein¬ 
zigen Stücke fest verbinden ließen; mit den Messingröhrchen 
war ein dünnes Kabel verbunden, dessen freie Enden in die 
Klemmen der Stromquelle paßten. Waren die Nadeln an den 
Orten der Wahl in der Nase eingestochen, so wurden sie nach 
Verbindung mit der Stromquelle frei gelassen: sie hielten sich 
infolge des leichten Kabels selbst 7 ). 

Auf der Naturforscher-Versammlung in Kassel führte ich 
nun aus, daß Jänicke 8 ) uns mit einer außerordentlich zier¬ 
lichen Doppelnadel und einem ungemein leichten Kabel zur 

4 ) Behandlung der Verbiegungen und Auswüchse der Nasenscheide¬ 
wand durch Elektrolyse. Verhandlungen des Kongresses für innere Medizin 
12. Kongreß. 12.—15. April 1893 zu Wiesbaden. S. 176—179. 

G ) Ebenda S. 176—179. 

6 ) Der Kopfschmerz bei Nasen- und Rachen-Leiden und seine Heilung. 
Unter besonderer Berücksichtigung der angeborenen und erworbenen Un¬ 
regelmäßigkeiten der Nasenscheidewand. Leipzig, A. Langkammer. 1. und 

2. Auflage, 1894. S. 33 ff., 46ft., Ö0ff-; 3. Auflage, 1901, ebenso und S. 55 f. 

— Die Anwendung der Elektrolyse bei Verkrümmungen und Verdickungen 
der Nasenscheidewand sowie bei Schwellung der Nasensehleimbaut wfen. 
medizin Woch., 1894, Nr. 46; Verhandlungen der Gesellschaft Deutscher 
Naturforscher und Aerzte. 66. Versammlung zu Wien 24.-28. Sept. 1894 

— Krankheics- und Behandlungslehre der Nasen-, Mund- und Rm hrmh «Mp 

sowie des Kehlkopfes und der Luir.röhre. Ami \\ i, n i 'n. ; 

— Nasenscheidewand- Verkrümmn> gen K ileob* . . i. , K 

gesamten Heilkunde Enzyklupäd .lahrbü« lur, ,, ,o 

Nasenkrankheiten Eulenl»m-> Real-F.i y.ykloi ädb d r w>an,i, i II. 

3. Aufl., 1S!»8. XIV. Bd. 8. 141. de> s -A s. 

T ) Mitgeteilt auf der Natmf irse i< r Ver-a.n.iilu.. u m V\ i ; 

sebrieben in den unter 6 ) und ') verzeicbueten ücuruien. * ' “ 

8 ) Eine sich selbst haltende elektrolytische Doppelnadel mit sehr • ; 
leichtem Kabel. Deutsche med. Woch., 1901, Nr. 28. S. 4737. 


Original frorri 

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1Ö6 




TflERAMÜTISCHE RUlSfDSCHAt) 


Anwendung der Elektrolyse in der Nasenhöhle beschenkt habe. 
„Es ist dadurch möglich geworden, während der ganzen Dauer 
des elektrischen Stromes die Nadel sich selbst halten zu lassen. 
Freilich hatte ich bereits zehn Jahre früher den gleichen Ge¬ 
danken ausgeführt, allein Jänicke hat ihn doch noch besser 
verwirklicht; denn seine Nadel und sein Kabel sind noch er¬ 
heblich leichter als die meinigen, erreichen also den von mir 
gewollten Zweck auch leichter. Allerdings ist seine Doppel¬ 
nadel mit 7^2 cm Länge zu kurz, um auch im hinteren Teile 
der Nasenhöhle Verwendung finden zu können. Ich ließ mir 
deshalb seinerzeit die Doppelnadel auf 12 cm verlängern, ferner 
ließ ich die beiden Nadeln an dem einen Ende 3, am anderen 
5 mm auseinander stehen, so daß ihre Verwendungsfähigkeit 
erhöht ist; die einstechbaren Spitzen der Nadeln sind 10—12 mm 
lang; ich habe aber jetzt auch Nadeln mit 15 mm langer 
Spitze; ich glaube, daß ich auch solche mit 20 mm langer 
Spitze werde herstellen lassen können; damit will ich auch die 
Abstände der Nadeln voneinander vergrößern, so daß der jedes¬ 
mal elektrolytisch zu beeinflussende Raum nicht unwesentlich 
vergrößert wird. 14 

Seither nun habe ich folgende Nadeln in dauerndem Ge¬ 
brauche: 1. Doppelnadeln mit 3 und 5 mm Nadel-Abstand; die 
Längen der geraden Platin-Iridium-Spitzen betragen 1—2 cm. 
2. Einzelnadeln von 1, 2 und 3 cm Platin-Iridium-Spitzen. Die 
Schaftlänge beträgt bei allen Nadeln 12 cm. Es ist zweck¬ 
mäßig, bei den Doppelnadeln die beiden Schaftenden mit 
Platin-Iridium-Spitzen versehen und sie am einen Ende 3, am 
anderen 5 mm auseinander stehen zu lassen; die nicht im Ge¬ 
webe steckenden Enden werden dann mit dem Kabel-Steck¬ 
kontakt verbunden. In der gleichen Weise sind auch die Einzel¬ 
nadeln behandelt, indem an den Enden des gleichen Schaftes 
einerseits eine 1 cm lange, andererseits eine 2 cm lange Platin- 
Iridium-Spitze angebracht ist. Die Einzelnadeln von 3 cm 
Spitzenlänge haben am anderen Ende eine kurze Messingnadel 
zur Verbindung mit dem Steckkontakte des Kabels. Eine 
Doppelnadel von 3 cm Spitzenlänge läßt sich für die Nase 
kaum je verwenden, da es nur sehr selten eine genügend ge¬ 
rade 3 cm lange Fläche in der Nase gibt, so daß eine Doppel¬ 
nadel dieser Länge zweckentsprechend frei in die Schleimhaut 
eingestochen werden könnte. Ich komme auf dieses Erfordernis 
weiter unten noch näher zu sprechen. 

Früher habe ich auch Nadeln mit recht- und spitzwinkelig 
angesetzter Platinspitze, besonders zur Behandlung von Fort¬ 
sätzen der Nasenscheidewand oder anderer seitwärts gelegener 
Teile verwendet. Ich bin aber von deren Benutzung ganz ab¬ 
gekommen, weil sie zu große Anforderungen an die Geduld 
besonders der Kranken stellt. Immerhin kann gelegentlich ein 
Fall Vorkommen, in dem man sich zur Verwendung dieser 
hakenförmigen Nadeln entschließen wird. 

Kann man auch die Elektrolyse gegen jede Art tierischen 
Gewebes mit Erfolg verwenden, so bin ich im Ganzen doch 
dahin gekommen, sie nur in der Schleimhaut zur Wirkung ge¬ 
langen zu lassen. Auf die Anwendung im Knochen komme 
ich später noch zu sprechen. Gegen die knorpeligen Vor¬ 
sprünge an der Nasenscheidewand sollte man die Elektrolyse 
nie verwenden, da jene mit dem elektrischen Brenner ohne 
jeden Schmerz und ohne alle üble Nachwirkung in wenigen 
Sekunden vollständig beseitigt werden können. 

Das sehr dünne Kabel Jänickes habe ich in seinen beiden 
Drähten rot (— Pol) und grün (+ Pol) überspinnen und die 
mit der Kraftquelle zu verbindenden Endstücke als gleich¬ 
mäßig runde Stifte hersteilen lassen; diese letzteren bieten 
eine sicherere Verbindung als kegelförmige Stifte; und die 
verschieden gefärbten Leitungsschnüre gestatten jederzeit ohne 
Aufenthalt (durch Benutzung von Pol - Reagenzpapier) die Ka¬ 
thode (rot) von der Anode (grün) zu unterscheiden, was für die 
Anwendung der Elektrolyse in der Nase von besonderer Be¬ 
deutung ist. < 

Was nun die Verwendung meiner langen Elektrolyse- 
Nadeln betrifft, so möchte ich zunächst im allgemeinen darüber 
*.poeine Erfahrungen mitteilen. Sie hat sich mir in allen Fällen, 
in denen eine andere Art der Behandlung ausgeschlossen oder 
nicht Tätlich war, durchaus bewährt Ja, wenn es im einzelnen 


Falle gelang, ohne bemerkenswerte Schmerzhaftigkeit in wenigen 
Minuten auf 20—25 M.A. Stromstärke zu kommen, so war 
selbst bei starker Schleimhaut - Schwellung bezw. -Verdickung 
der Erfolg ein so rascher und guter, daß die Kranken geneigt 
waren, sich von jeder Nasen-Verschwellung befreit zu wähnen. 
Vor solcher Auffassung kann aber nicht genug gewarnt,werden; 
denn in sehr kurzer Zeit ist der erzielte Erfolg mindestens 
ebenso rasch wieder entschwunden wie bei unzweckmäßiger 
Anwendung des elektrischen Brenners 9 ). Wenn also die Elektro¬ 
lyse im vorderen Abschnitte der unteren Nasenmüschel einer¬ 
seits angewendet und die Heilung der gesetzten Zerstörung so 
weit vorgeschritten ist, daß alle zerstörten Ge websteile sich 
abgestoßen haben, so läßt man den gleichen Vorgang in der 
anderen Nasenhälfte sich wiederholen. Sobald auch diese ge¬ 
nügend weit vorgeschritten ist, kann man in der erstbehan¬ 
delten Nasenhälfte weiter vorgehen, und zwar soll dies in der 
Regel am hinteren Abschnitte der unteren Nasenmüschel ge¬ 
schehen usw. Ist aber im vorderen Teile der unteren Muschel 
nach oben und besonders nach dem mittleren Nasengange hin 
eine bedeutende Verschwellung vorhanden, so ist es meistens 
angezeigt, diese zunächst — also vor dem hinteren Abschnitte 
— in Angriff zu nehmen; doch werden hierzu immer nur 
1—2 cm lange und zwar gewöhnlich Doppelnadeln am vorteil¬ 
haftesten verwendet. 

Die erste Anwendung der Elektrolyse an der unteren 
Nasenmuschel nehme ich, wenn die letztere nicht ungünstig 
ekrümmt ist, mit den 3 cm langen Einzelnadeln vor;, lassen 
iese sich aber infolge ungünstiger Krümmungsverhältnisse der 
Muschel nicht anwenden, so benutze ich die kürzeren Doppel¬ 
nadeln je nach den vorliegenden Größenverhältnissen. Zum 
Gebrauche der verschiedenen Längen der Nadeln ist es unbe¬ 
dingt notwendig, sich vorher genau die Beschaffenheit der zu 
behandelnden Stelle abzuschätzen, damit eine möglichst günstige 
Einführung der Nadeln gewährleistet wird. Geringe Krümmungs¬ 
verhältnisse der Muschelknochen lassen sich durch eine ebenso 
geringfügige Biegung der Nadeln ausgleichen. Sowie solche 
aber übertrieben ist, gelingt es weder den richtigen Einstich¬ 
punkt innezuhalten, noch die Nadel frei im Schleimhautgewebe, 
d. h. ohne dicht an den Knochen oder an die freie Oberfläche 
der Schleimhaut zu kommen, einzuführen. Beides aber zu ver¬ 
meiden, ist zu einem möglichst großen Erfolge und zur Ver¬ 
meidung störender Schmerzen durchaus nötig. Wird die Nadel 
zu nahe an der Schleimhaut-Oberfläche geführt, so ist ihre 
Wirkung in die Tiefe zu mangelhaft; wird sie zu dicht am 
Knochen entlang geführt, so gelingt es wegen der bei der 
Durchleitung des elektrischen Stromes entstehenden lebhaften 
Schmerzen weder die nötige M.-A.-Zahl noch die erforderliche 
Dauer der Einwirkung zu erreichen; es gibt also einen unge¬ 
nügenden Erfolg, was gleichbedeutend mit einem erheblichen 
Zeitverluste ist. Dieser Umstand der Krümmungsverhältnisse 
der knöchernen Muschel hindert sowohl die Anwendung sehr 
langer Doppelnadeln, wie auch vorläufig noch diejenige von 
Einzelnadeln, welche länger als 3 cm sind. 

Der erste Einstichpunkt der Elektrolyse-Nadel wird am 
zweckmäßigsten etwa 3—5 mm vom inneren Nasenloche ent¬ 
fernt gewählt. Die Doppelnadel richte ich stets so, daß die 
untere Nadel nahe dem freien Rande der unteren Muschel, 
diesem entlang laufend, in der Schleimhaut ihren Weg findet. 
In den meisten Fällen konnte ich die 2 cm lange Doppelnadel 
benutzen. In jedem einzelnen Falle ist auch noch abzuschätzen, 
ob die Doppelnadel mit weitem oder mit engem Abstande der 
beiden Nadeln zu verwenden ist; vorteilhafter ist es natürlich, 
wenn der weite Abstand benutzt werden kann, da in diesem 
Falle ein größeres Gebiet beeinflußt wird. Die Wahl selbst 
hängt natürlich von der Beschaffenheit des Operationsgebietes 
ab: wesentlich ist eben, daß die Doppelnadel durch¬ 
aus frei und doch tief genug durch das Gewebe ge- 


9 ) Ich verweise auf meine Schriften: Die hauptsächlichen kindlichen 
Erkrankungen der Nasenhöhlen, der Rachenhöhle und der Ohren sowie ihre 
Bedeutung für Schule und Gesundheit nebst grundsätzlichen Erörterungen 
über Untersuchung und Behandlung solcher Kranken. Halle a. d. S. 1904, 
Marhold. S. 51 f. — Was muß der Arzt von Nasen- und Hals-Krankheiten 
wissen? Halle a. d. S. 1907. Marhold. S. 8. 


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Kann man wegen leidlich, geraden Verlaufes der 
Unseren Naseixmuscbel zwei 3 em lange Einzelnadeln einstechen, 
so vermag man natürlich auch die größtmögliche Wirkung 
zu erzielen. In manchen Fällen kann man nicht zwei gleich 
lange Nadeln benutzen; man muß dann die dem Operations- 
' gebiete entsprechenden Längen bestimmen. Die erste Nadel 
pflege ich entlang dem freien Rande der unteren Muschel ein¬ 
zustechen und die zweite Nadel etwa 5 mm höher in gleicher 
* oder auseinander laufender Richtung einzuführen. Einschaltend 
will ich hier noch bemerken, daß es manchmal möglich ist, 
eine Nadel in die im unteren Nasengange so häufig lagernde 
verdickte Muschelschleimhaut einzustechen und dadurch dort 
vortreffliche Wirkung- zu erzielen. Bei der Einführung der 
zweiten Einzelnadel ist die bereits liegende erste Nadel etwas 
hinderlich. Es gehört aber nur einige Geschicklichkeit dazu, 
sie gleichzeitig mit der den Nasentrichter haltenden linken 
Hand so zur Seite zu legen, daß man die zweite Nadel ebenso 
sicher und gut wie die erste einzuführen vermag: Uebung 
wirkt auch hier sichere Beherrschung handgeschicklichen Vor¬ 
gehens. 

Ist nun eine zweckmäßige Einführung der Elektrolyse- 
Nadeln eine Hauptbedingung zu gutem Erfolge, so ist doch 
mindestens ebenso wichtig eine sorgfältig und doch sparsam 
ausgeführte Kokainisierung der Nasenschleimhaut. Denn ohne 
diese kann es nie gelingen, genügend lange Zeit einen aus¬ 
reichend starken Strom einwirken zu lassen. Bei der Art 
meiner langen Nadeln hat sich mir ein Strom von 20—25 M.-A.- 
Stärke als vollkommen ausreichend erwiesen, sobald man ihn 
8—10 Minuten hindurchgehen und nach Stromwechsel 10 ) noch¬ 
mals die gleiche Zeit bei gleicher Stromstärke wirken läßt. 
Das letztere ist zu einer genügenden Wirkung durchaus not- 
- wendig. Gelingt es nicht, eine Stromstärke von 20—25 M.-A. in 
2—8 Minuten durch langsames Einschleichenlassen des Stromes 
zu erreichen, so muß die' Dauer der Einwirkung des Stromes 
entsprechend verlängert werden. Es gibt besonders empfind¬ 
liche Nasenschleimhäute, die selbst bei der besten Kokainisie¬ 
rung nicht gestatten, mehr als 10 M. A. Stromstärke zu ver¬ 
wenden; die Zeitdauer muß dann mit etwa 15 Minuten be¬ 
messen werden. Gelingt es bei sonst tadelloser Kokainisierung 
nicht, eine höhere M.-A.-Zahl zu erreichen, so kann man mit 
Bestimmtheit annehmen, daß die Nadel dicht an die Knochen¬ 
haut streift; in solchen Fällen ist man dann wegen oft heftiger 
Kopfschmerzen genötigt, die. Einwirkung des elektrischen Stromes 
abzukürzen; auch Zahnschmerzen können in empfindlicher 
Weise die Behandlung stören; doch sind sie meist leichter zu 
ertragen, als Kopfschmerzen, lassen nicht selten auch bald nach. 
Auch hier ist man zuweilen genötigt, dem einzelnen Falle ent¬ 
sprechend die Behandlung zu verändern. 

Die mittlere Nasenmuschel eignet sich für die Behandlung 
mit Elektrolyse im ganzen nicht; ihre Angriffsfläche ist un¬ 
günstig und die Schmerzhaftigkeit leicht zu groß. Zudem sind 
die Verdickungen der Schleimhaut an der mittleren Nasen¬ 


salzsaure Kokain (Merck) eignet. Alle anderen Mittel gewähren 
nicht im entferntesten die Sicherheit wie dieses. Zu warnen 
ist vor jeder Anwendung des Suprarenins oder ähnlicher Mittel. 
Denn gerade das, was diese Mittel so überaus wertvoll macht, 
die gänzliche Abschwellung der Schleimhaut, schließt sie bei 
der Elektrolyse aus. Sie verursachen eben eine so vollständige 
Abschwellung, daß es nicht mehr möglich ist, die Nadeln weit 
genug von der Knochenhaut dem Knochen entlang durch die 
Schleimhaut zu führen: die Behandlung mittels Elektrolyse wird 
dadurch trotz Unempfindlichkeit der Schleimhaut recht schmerz¬ 
haft 11 ). Um aber die Knochenhaut durch Einspritzung un¬ 
empfindlich zu machen, ist doch der Anlaß nicht entsprechend 
bedeutend genug. Denn wenn auch der Eingriff an sich keine 
Bedeutung hat, so gelangt doch von der angewendeten Flüssig¬ 
keit so viel in die Blutbahn, daß bei der langen Sitzungsdauer 
leicht ohnmachtähnliche Zustände auftreten. Um den letzteren 
bei der Elektrolyse, die dadurch ja wesentlich gestört werden 
würde, zu entgehen, lege ich auf die von mir seit vielen Jahren 
angegebene Verwendungsweise des Kokains in der Nasenhöhle 
ganz besonderen Wert 12 ). Ich habe alle Ersatzmittel des Ko¬ 
kains wiederholt und längere Zeit geprüft; von jedem Mittel 
bin ich in Bezug auf die Nasenschleimhaut stets zum Kokain 
zurückgekehrt; das gilt ganz besonders für die Elektrolyse. 
(Bezüglich Yohimbin Spiegel ist Fuß-Bemerkuog u ) naehzu- 
sehen.) Selbst die 20 %ige Novokain + Suprarenin-Lösung 
(Novokain 2,0, Aqu. dest. 10,0, Suprarenin. boric. [1,0 : 1000,0] 
gtt. 30) vermag die Nasenschleimhaut nicht so unempfindlich 
zu machen, wie meine Bestreichung dieser mit 20%iger Kokain¬ 
lösung. Dahingegen hat es sich mir beispielsweise bei der 
Anwendung des elektrischen Brenners in der Nase sehr be¬ 
währt, die 20 %ige Kokain-Lösung abwechselnd mit der 20bö¬ 
igen Novokain-Suprarenin-Lösung derart anzuwenden, daß zu¬ 
nächst die erstere 1—2 mal, dann die letztere und weiterhin 
beide abwechselnd aufgetragen werden; im höchsten Falle habe 
ich dreimal Kokain, zweimal Novokain-Suprarenin zu ver¬ 
wenden nötig gehabt. Auf die genauere Anwendungsweise 
komme ich nachher noch zurück. 

Sowohl zur Anwendung der Elektrolyse in der Nase wie 
auch zu sorgfältiger Kokainisierung der Nasenschleimhaut be¬ 
darf man vorab eines wirklich zweckentsprechenden Erweiterers 
des Naseneinganges. Zweckentsprechend ist ein solcher aber 
nur, wenn erden letzteren, seiner anatom ischen Beschaffen¬ 
heit folgend, in senkrechter Richtung zu erweitern geeignet ist. 
Aber nicht nur der Naseneingang, sondern auch der gesamte 
Aufbau des Naseninnern verlangt in der gleichen Richtung 
seine Freilegung zur Gewinnung einer wirklichen Uebersicht 
der Nasenhöhle. Dazu ist aber nur ein Nasen-Erweiterer ge¬ 
eignet, der im Naseneingange sich in senkrechter Richtung 
leicht einspannen läßt. Die allgemein übliche Ein¬ 
spannung der Nasenerweiterer in wa gerechter 
Richtung, besonders aber der von mir angegebenen, ledig¬ 
lich für senkrechte Einspannung gearbeiteten, ist vollkommen 


muschel nach Freilegung des unteren Nasenab¬ 
schnittes ohne besondere Störungen des Allgemeinbefindens 
auf langsamem Wege mittels Stichelung durch den elektrischen 
Brenner so weit zu beseitigen, daß sie zu Beschwerden keinen 
Anlaß mehr bieten. Außerdem ist es in geeigneten Fällen wohl 
möglich, auch mit der Schlinge helfend einzugreifen. 

Wie bereits hervorgehoben, gehört zu einer erfolgreichen 
Behandlung mittels Elektrolyse ein sehr sorgfältiges Verfahren, 
um die Nasenschleimhaut wirklich und für etwa eine halbe 
Stunde unempfindlich zu machen. Da habe ich nun vorab 
festzustellen, daß sich zu diesem Zwecke einzig und allein das 


10 ) Vor dem Strom Wechsel lasse man den Kranken, nachdem das Nasen¬ 
loch der nicht behandelten Seite durch leichten Fingerdruck geschlossen ist, 
die Luft durch die behandelte Seite stark zurückziehen, um den an den 
Stichstellen, besonders an der Kathode (— Pol), angesammelten Schaum zu 
entfernen. Man erliegt sonst leicht Täuschungen über die angezeigte Strom¬ 
stärke. Man vergl. hierzu meinen Aufsatz: Die Anwendung der Elektro¬ 
lyse bei Verkrümmungen und Verdickungen der Nasenscheidewand sowie 
bei Schwellung der Nasenscbleimhaut. Wiener med, Woch., 1894, Nr. 46. 
S. 3. d. S.-A.s. 


n ) Manche Ersatzmittel des Kokains haben ja die Eigenschaft, die 
Schleimhaut noch weniger als dieses abschwellen zu machen; allein ihre 
Wirkung ist in der Nase nicht ausreichend genug, um sie dort verwenden 
zu können. Neuestens habe ich in einer Sammel-Empfehlung des Yohimbin 
(Spiegel) die Mitteilung gelesen, daß dies die Wirkung des Kokains auf der 
Schleimhaut habe, ohne dessen gef aß verengernde Eigonschaft zu besitzen. 
W T enn es wirklich so gut unempfindlich machen sollte wie Kokain, so wäre 
es diesem bei der Elektrolyse jedenfalls vorzuzieheu. 

12 ) Vergiftungs-Erscheinungen nach Kokainisierung der Nase. Deutsche 
med. Woch., 1885, Nr. 46. — Entstehung, Bedeutung und Behandlung der 
Verkrümmungen und kallösen Verdickungen der Nasenscheidewand. Wien, 
med. Presse, 1887, Nr. 7, 8. S. 8 d. S.-A.s. — Nasenkrankheiten in Eulen- 
burgs Real-Enzyklopädie der gesamten Heilkunde. 2. Aufi., 188S. XIV Bd 
S. 3 d. S.-A.s; 3 Aufi. 1898. S. 4 d. S.-A.s. — Instrumente für Nase und 
Kehlkopf. Therapeut. Monatshefte, 1888, Nr. 3. — Krankheits- und Be¬ 
handlungslehre der Nasen-, Mund- und Rachenhöhle sowie des Kehlkopfes 
und der Luftröhre. 2. Aufi. 1891. S. 102 ff.; 3. Aufl. 1896. S. 12^ ff. — 
Ueber die Notwendigkeit örtlicher Behandlung des frischen Schnupfens. 
Leipzig 1900. Leineweber. S. 18 ff. — Die hauptsächlichen kindlichen Er¬ 
krankungen der Nasenhöhlen, der Rachenhöhle und der Ohren sowie ihre 
Bedeutung für Schule und Gesundheit nebst grundsätzlichen Erörterungen 
über Untersuchung und Behandlung solcher Kranken. Halle a. d. S. 1904- 
Marhold. S. 48ff. — In den beiden letztgenannten Schriften findet sich 
auch eine eingebende Beschreibung meiner Nasen-Erweiterer. die zu gutem 
Gelingen der Elektrolyse sehr wesentlich sind. 



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zweckwidrig 13 ). Denn sowohl der Naseneingang ist ana¬ 
tomisch nur in senkrechter Richtung wirkungsvoll 
ausdehnbar, wie auch der anatomische Aufbau des Nasen- 
innern, in dem die wichtigen Teile übereinander gelagert 
sind, nur dann übersichtlich zu erkennen ist, wenn der 
Naseneingang in senkrechter Richtung erweitert ist. Man 
sehe sich doch nur bei rückwärts gelegtem Kopfe (Unter¬ 
suchungslage) die senkrecht gerichteten Nasenlöcher an und 
vergleiche dazu an einem von Weichteilen befreiten Schädel 

' '»r en" v r^f^ung: da kann es nich f schwer fallen, zu 
g ri u.iß nian eim Lebenden die Nasenhöh’e sich nur 
■iut Im w e ternnu .u*s Nas tn in .m.es in senkrechter Rich- 
u.i iibersi -titneli zur Anschauung bringen kann. 

Hat nun neinen allein solchen Anforderungen ge¬ 

nügenden Nasen-Erweiterer u ), dessen beide Blätter so gearbeitet 
sind, daß sie nur in senkrechter Richtung im Naseneingange 
verwendet werden können, in dieser Weise in das Nasenloch, 
ohne Schmerzen zu verursachen, eingespannt, so überblickt 
man sofort überaus klar das ganze Naseninnere und kann sich 
die obersten und untersten Teile durch Senken und Heben des 
Instrumentes bequem einstellen. Das Instrument sitzt auch, 
richtig eingespannt, fest im Nasenloche, ohne seine Beweglich¬ 
keit einzubüßen, und hält sich in jeder Nase selbst, sobald 
nicht in ihr ganz vorne erhebliche Unregelmäßigkeiten sich 
finden. 

Die Kokainisierung selbst nehme ich nun folgendermaßen 
vor 15 ). Hervorheben will ich nur noch, daß ich nach meiner 
langjährigen Erfahrung weder die Anwendung des Spray noch 
gar die Einführung eines einfachen Wattebausches, der mit 
Kokainlösung getränkt ist, gutheißen kann. Denn bei dieser 
Art der Kokainisierung wird einesteils sehr viel Kokain ver¬ 
schluckt, während anderenteils die Unempfindlichkeit trotzdem 
nicht in genügender Weise sich erzielen läßt, was ja auch 
selbstverständlich ist, da die Kokainlösung auf solche Art in 
die engeren Wege nicht ausreichend einzudringen vermag 16 ). 
Zudem wirkt das Kokain im wesentlichen auch nur an der 
Stelle, auf die es aufgetragen wird. Eine volle Wirkung kann 
also nur erzielt werden, wenn es mit der bestimmten Stelle in 
innige Berührung gebracht wird, und zwar so oft, wie dies im 
einzelnen Falle die Untersuchung als notwendig ergibt. 

Um meine vorne fast nadelspitze, etwas rauh gefeilte, 15 
bis 20 cm lange dünne Nasensonde wird ein kleines Fläuschchen 
Watte zunächst an der Spitze dergestalt mit (sauberem) Finger¬ 
nagel fest angedreht, daß die Sondenspitze nicht mehr stechen 
kann; alsdann wird das fahnenartig angedrehte Wattefläuschchen 
locker um die Spitze gelegt und etwa einen halben Zentimeter 
unterhalb dieser fest angedreht; das Wattefläuschchen hat dann 
ungefähr die Größe einer Erbse und faßt etwa -einen Tropfen 
Flüssigkeit. Taucht man diese Sonde nun in eine 20 % ige 
Kokainlösung, die man am Flaschenhalse noch etwas abstreifen 
kann, falls die gefaßte Menge zu groß erscheinen sollte, so ist 
die Sonde zu zweckmäßiger Kokainisierung hergerichtet. Sie 
wird dann, nachdem, wie oben beschrieben, in einem Nasen¬ 
loche mein Nasenerweiterer vorsichtig eingespannt ist, durch 
diesen hindurch an das vordere Ende der unteren Nasenmuschel 



THERAPEUTISCHE. RUNDSCHAU. 


13 Ich muß hier wiederholt darauf verweisen, daß ich hierauf bereits 
1881 (Der chronische Nasen- und Rachen-Katarrh. 1. Aufl. 1881. S. 15) 
und seither immer wieder aufmerksam gemacht habe. Insbesondere verweise 
ich noch auf meine Schriften: Ueber die Notwendigkeit Örtlicher Behand¬ 
lung des frischen Schnupfens. Leipzig 1900. Leineweber. S. 16ff. — 
Fünfundzwanzig Jahre Nasen- und Hals-Arzt. Halle a. d. S. 1901. Mar- 
hold. S. 3f. — Die hauptsächlichen kindlichen Erkrankungen der Nasen¬ 
höhlen, der Rachenhöhle und der Ohren sowie ihre Bedeutung für Schule 
und Gesundheit nebst grundsätzlichen Erörterungen über Untersuchung und 
Behandlung solcher Kranken. Halle a. d. S. 1904. S. 48. 

14 ) Meine Nasen - Erweiterer (einen für Erwachsene, einen für Kinder) 
liefert in neuester vervollkommneter Form nur H. Pfau, Berlin NW., 
Dorotheenstraße 67. Von ihm müssen auch meine Elektrolyse-Nadeln nebst 
Kabel bezogen werden, weil sie Abänderungen der Jänickesehen Instru¬ 
mente sind. 

lß ) Man vergl. meine unter 13 ) angegebenen Schriften. 

16 j Man vergleiche meine Schrift: Die hauptsächlichen kindlichen Er¬ 
krankungen der Nasenhöhlen, der Bachenhöhle und der Ohren sowie ihre 
Bedeutung für Schule und Gesundheit nebst grundsätzlichen Erörterungen 
über Untersuchung und Behandlung solcher Kranken. Ralle a. d, S. 1904. 
Marhold. S. 49. 


geführt uncTauf dieser langsam nach hinten, dem freien Rande' ^ 

entlang, sowie nach oben gegen den mittleren Nasengang hin 
und je nach der'Sachlage aucli in diesen hinein, leicht reibend 
und gleitend, vorgeschoben. Diese erste Einbringung von Ko¬ 
kain muß ganz besonders bei Kindern und anderen ängstlichen 
Personen recht langsam geschehen, um gewissermaßen milli¬ 
meterweise die Empfindlichkeit der Schleimhaut außer Tätig¬ 
keit treten zu lassen und dadurch ein stetig weitergehendes 
Vorschreiten mit dem Kokain in der Nase zu ermöglichen. Der i 
Erfolg ist ein sehr erfreulicher: Die Aengstlichkeit schwindet 
immer mehr, und die Gewißheit, daß alles ohne Schmerz vor 
sich gehen werde, vergrößert sich zusehends, so daß die zu 
gutem Gelingen so notwendige Ruhe des Kranken gewähr¬ 
leistet wird. 

Nachdem die Sonde und der Nasenerweiterer wieder aus 
der Nase entfernt sind, läßt man den Kranken den Kopf rasch 
vornüber neigen, um die etwa auf dem nach hinten stark ab¬ 
schüssigen Nasenboden hinunterlaufende Kokainlösung wieder 
nach vorne zum Nasenloche fließen zu machen. Der Kopf 
bleibt dann etwa zwei Minuten in dieser Haltung, um dem 
Kokain genügende Einwirkung zu gestatten und weiteres Nach- 
hinten-fließen desselben zu verhindern. Sodann läßt man den 
Kranken bei leicht geschlossenem Nasenloche der anderen Seite 
die kokainisierte Nasenhälfte, die von jedem Drucke ganz frei¬ 
gelassen werden muß, in etwa sechs langen Zügen derartig 
ausblasen, daß jede heftige Schneuz Wirkung unterbleibt 17 ). Das 
andere Nasenloch darf nur leicht init dem Finger zngedrückt 
werden, damit nicht der Eingang zur kokainisierten Seite durch 
Hinüberdrängen der Nasenscheidewand verengt wird; und ein 
wiederholtes, leichtes Ausblasen, nicht gewöhnliches „Schneuzen“, 
ist erforderlich, damit jedes Eindringen von Luft und Nasen¬ 
rachen-Absonderung in die Ohrtrompeten sicher verhütet wird; 
außerdem lernt dabei der Kranke, wie er später in der Nach¬ 
behandlung sowohl wie in gesunden Tagen seine Nase geräusch¬ 
los, wirksam und gefahrlos zu reinigen hat. 

Nachdem nun die in Behandlung befindliche Nasenhälfte 
durch Ausblasen von Schleim- und Kokainlösung befreit worden 
ist, wird mit der Kokainisierung, wie begonnen, fortgefahren, 
und zwar so oft, bis eine vollkommene Empfindungslosigkeit 
in der Nase eingetreten ist. Ich bemerke ausdrücklich, daß es 
notwendig ist, auch die Nachbarschaft der zu behandelnden 
Stelle, insbesondere aber die mittlere Muschel in ihrem Rand¬ 
teile zu kokainisieren, da sonst ausstrahlende Schmerzen zu 
störend sich geltend machen können. Man darf im allgemeinen 
damit rechnen, daß wenigstens viermal die 20 % ige Kokain¬ 
lösung eingebracht werden muß; wenn nicht eine .ganz auf¬ 
fällige Minderempfindlichkeit von vorneherein sich zeigt, so 
halte ich eine fünf- bis sechsmalige Einbringung des Kokains 
für mindestens sehr empfehlenswert. In sehr engen Nasen¬ 
seiten, wo die Empfindlichkeit der Schleimhaut meist ebenso 
erhöht, wie in der weiten Nasenhälfte die Schleimhaut verdickt 
und weniger empfindlich ist, empfiehlt sich eine ganz besonders 
sorgfältige Kokainisiemng auch schon um deswillen, weil bei 
der an sich durch die räumliche Enge bedingten geringeren 
Schleimhaut-Schwellung die Elektrolyse-Nadeln ohnehin in nur 
sehr geringer Entfernung von der Knochenhaut werden einge¬ 
führt werden können, die Empfindlichkeit beim Ein wirken des 
elektrischen Stromes also auch eher und stärker sich geltend 
machen kann, als in einer weiten Nasenhälfte, in der die 
Nadeln durch die meist wulstig verdickte Schleimhaut gelegt 
werden können, ohne in allzu nahe Nachbarschaft der Knochen¬ 
haut zu gelangen. 


17 ) Ich verweise hier ganz besonders auf meine Aufsätze: Das Schneuzen 
der Nase, das Niesen und Husten in ihrer Bedeutung zur Entzündung des 
Mittelohres bei Kleinkindern, Schulkindern und Erwachsenen. Die ärztliche 
Praxis 1898. Nr. 19, 20. — Die Wirkungen des Schneuzens, Niesens und 
Hustens auf den: Körper sowie deren Regelung durch die Krankenpflege. 
Zeitschrift für Krankenpflege 1899. Heft 7. 

(Fortsetzung folgt.) 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


109 




Kinderheilkunde. 

Referent: Privatdozent Dr. J. Ibrahim, München. 

1. Adenoide im Säuglingsalter. Von J. Lovett Morse. 
The Journal of the American Medical Association, 1907, II, 
S. 1589. 

2. Keuchhusten; 550 Fälle mit Abdominalgürtel behandelt. 

Von Th. Wendell Kilmer. Ibidem, S. 1750. 

3. Ein Fall von „Hautdiphtherie“ von dreijähriger Dauer, 
mit Antitoxin behandelt. Von A. B. Slater. Lancet, 1908, 
I, S. 15. 

4. Neue Beiträge zur Aetiologie der orthotischen Albu¬ 
minurie im Kindesalter. Von L. Jehle. Münch, med. Wochen¬ 
schrift, 1908, S. 12. 

1. L, Morse betont die Notwendigkeit, Adenoide, wo solche 
bei Säuglingen sich finden, nicht erst im späteren Alter zu ent¬ 
fernen, wie es allgemein üblich sei; denn gerade im Säuglings¬ 
alter seien die Folgen der Wucherungen im Nasenrachenraum be¬ 
sonders ungünstige. Das Leiden sei viel häufiger als man im 
allgemeinen annehme; er hält sie für die häufigste Ursache des 
Schniefens und der Neigung zu katarrhalischen Erkrankungen. 
Die Behinderung der Nasenatmung bedinge auch eine Behinderung 
der Ernährung und wirke mit bei der Entwicklung der Rachitis, 
speziell des rachitischen Thorax. Die Entfernung der Adenoide 
im Säuglingsalter sei gänzlich gefahrlos und leichter als bei älteren 
Kindern und Rezidive selten. Einige kurze Krankengeschichten 
illustrieren die günstigen Wirkungen, die eine frühzeitige Exstir¬ 
pation haben kann. 

2. Kilmer berichtet über gute Erfolge einer neuen Be¬ 
handlungsmethode des Keuchhustens, die bei fast allen Kinder¬ 
ärzten in Nordamerika, die Versuche damit angestellt haben, An¬ 
klang gefunden hat. Es handelt sich um die Anlegung einer 
einfachen Leibbinde mit elastischen Einsätzen in Nabelhöhe, die 
auf dem Rücken mäßig fest geschnürt wird und einen gleich¬ 
mäßigen Druck auf das Abdomen ausübt. Die Breite beträgt für 
Säuglinge 4 bis 5 Zoll, für ältere Kinder 5 bis 8 Zoll. Dieser 
Gürtel bringt den Kindern nicht nur subjektive Erleichterung, 
sondern er soll namentlich das Erbrechen vermindern oder ganz 
zum Verschwinden bringen und besonders im Säuglingsalter sehr 
wohltätig sein, in dem man ohnehin mit Medikamenten nicht viel 
erreichen kann. Verf. glaubt auch an eine prophylaktische Wir¬ 
kung in Hinsicht auf Komplikationen (Bronchopneumonie und 
Hernien). — Die mitgeteilten Beobachtungen ermuntern sehr zur 
Anwendung des einfachen Verfahrens. 

3. Slater berichtet eine recht interessante Beobachtung. 
Bei einem 13jährigen Mädchen entwickelte sich im Anschluß an 
ein heftiges Augenleiden (Diphtherie?) ein eigenartiger Ausschlag 
am ganzen Körper, speziell an der Vulva, Brust, Nacken und im 
Gesicht; es handelte sich um gruppenweise angeordnete Bläschen 
in den obersten Hautschichten. Das Leiden trotzte mehrere Jahre 
allen äußerlich angewandten Mitteln und antiluetischen Kuren. 
Verf. gelang-es, aus dem Inhalt der Bläschen neben Staphylo¬ 
kokken Diphtheriebazillen zu isolieren. Die Affektion heilte in 
drei Wochen ohne Narbenbildung unter der Einwirkung großer 
Dosen von subkutan eingeführtem Diphtherieheilserum (15000 I. E. 
innerhalb 17 Tagen). 

4. Die sehr bemerkenswerten Untersuchungen Je hl es an 
sieben Kindern mit orthotischer Albuminurie haben ihn zur Er¬ 
kenntnis geführt, daß die eigentlich auslösende Ursache der Albu¬ 
minurie in diesen Fällen nicht die aufrechte Körperhaltung an 
und für sich ist, sondern die damit zusammenhängende Lordose 
der Lendenwirbelsäule. Bekanntlich befindet sich der Arzt dieser 
recht häufigen Erkrankung der späteren Kindheit gegenüber oft 
in einem schweren therapeutischen Dilemma, da man bis heute 
prinzipiell im Zweifel ist, ob es sich um eine larvierte Nephritis 
oder um einen ziemlich harmlosen Zustand handelt, der mit den 
Wachstumsverhältnissen der betreffenden Altersperiode zusammen¬ 


hängt. Die therapeutischen Gesichtspunkte, die J e h 1 e aus seinen 
Feststellungen ableitet, lauten: 

„Da wir eine Nephritis in einer großen Zahl von Fällen aus¬ 
schließen können, so ist eine Milchdiät gewiß kontraindiziert und 
auf eine allgemein kräftigende Ernährung zu sehen. Es bleibt 
noch die physikalische Behandlung dieser Erkrankung. Da Eiweiß, 
wie ich mich überzeugen konnte, nur im Stehen, nicht im Gehen 
und Laufen ausgeschieden wird, da die Lordose bei ersteren 
Bewegungen durch das Pendelbein, bei letzteren durch die Kyphose 
ausgeglichen wird, so wird man den Kindern Sport und Spiel, 
bei denen vieles Stehen ausgeschlossen ist (Skilaufen, Bergsteigen, 
Schlittschuhlaufen etc.) niemals verbieten. Das Stehen, wenn es 
unbedingt notwendig, kann durch einen entsprechenden Verband 
(Beckengürtel, Halskravatte und dazwischen gespanntes Band) 
unschädlich gemacht werden, letzterer wäre eventuell auch anzu¬ 
legen , wenn ein Kind an Anfällen von Kopfschmerz und Er¬ 
brechen leidet. Man könnte dadurch vielleicht die lästige Bett¬ 
ruhe vermeiden. Selbstverständlich wäre neben einer allgemeinen 
Kräftigung auch auf eine spezielle Kräftigung der Lendenmusku¬ 
latur Rücksicht zu nehmen.“ 

Ref. möchte mit Verf. glauben, daß seine Beobachtung’en — 
falls sie allgemeine Bestätigung finden — nicht nur in der Er¬ 
kenntnis des Wesens der Krankheit, sondern auch in der für 
Arzt und Patienten oft qualvollen Behandlung solcher Kinder uns 
einen erheblichen Schritt vorwärts gebracht haben. 


Lungenkrankheiteü. 

Referent: Dr. E. Meyer, Assistent an der Universitätspoli¬ 
klinik für Lungenkranke, Berlin. 

1. Kann, ja soll man an der Ostseeküste Volkslungenheil¬ 
stätten errichten? Von R. Kob er t. Vortrag, gehalten im 
Rostocker Aerzteverein am 12. Okt. 1907. 

2. Die Lungenheilstättenbewegung in Ungarn. Von Hein¬ 
rich Pach. Medizin. Reform, 1907, Nr. 52. 

3. Die Pathologie und Behandlung des Asthma bronchiale. 
Von Strümpell. Med. Klin., 1908, Nr. 1. 

4. Ueber die Gefahr des Morphiums bei der Behandlung 
Asthmatischer. Von Gold Schmidt. Vortrag auf dem Baineo¬ 
logenkongreß 1907. Therapeut. Zentralblatt, 1908, Nr. 1. 

1. R. Kobert wies zuerst alle Angriffe zurück, die von ver¬ 
schiedenen Seiten gegen die Heilstätten im allgemeinen gemacht 
sind, und sprach dann ferner die Ansicht aus, daß man zur er¬ 
folgreichen Kur keineswegs den Aufenthalt in Davos und anderen 
Hochgebirgsorten nötig habe, daß im Gegenteil der Aufenthalt in 
einer im Heimatsklima gelegenen Anstalt den Patienten für die 
spätere Zeit entschieden widerstandsfähiger mache als der Aufent¬ 
halt in einem von dem der Heimat so sehr verschiedenen Klima. 
Was nun die Einrichtung von Heilstätten speziell an der Ostsee¬ 
küste anbetrifft, so spricht er sich hierfür ganz entschieden aus, 
erstens in Hinblick auf die günstigen Temperatur-, Feuchtig- 
keits- und Luftverhältnisse und zweitens in Berücksichtigung der 
außerordentlich guten Erfolge, die man in Dänemark mit den an 
der Ostseeküste errichteten Sanatorien gehabt habe, sowie auf 
Grund der von Hennig im Ostseebade Cranz auch mit Winter¬ 
kuren erzielten außerordentlich guten Erfolge. 

2. Ueber die Lungenheilstättenbewegung in Ungarn berichtet 
Heinrich Pach. Nachdem in Ungarn Friedrich von Koranyi 
auf die Gefahren der Tuberkulose hingewiesen hatte, konnte 
dank seinen Bemühungen am 3. November 1901 die erste unga¬ 
rische Heilstätte, das Erzsebet-Sanatorium, eröffnet werden. In¬ 
folge der dort erzielten außerordentlich guten Erfolge wurde Ok¬ 
tober 1907 eine weitere Anstalt, das Jözsef-Sanatorium, unweit 
Bekes-Hyula, eröffnet. — Auch verschiedene Kassen und Be¬ 
hörden errichteten für ihre Kranken noch eigene Anstalten. — 
Aber nicht nur durch Erbauen von Sanatorien bekämpfen Koranyi 
und das ihm unterstellte Komitee die Tuberkulose, sondern auch 
noch durch Aufklärung der Bevölkerung durch Vorträge, Merk¬ 
blätter und eine Monatsschrift, 


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3. In einem Vortrage über die Pathologie und Behandlung 
des Asthma bronchiale bespricht Strümpell zuerst die Art und 
Entstehung des Asthmas und gibt dann einige beachtenswerte An¬ 
gaben über die Behandlung desselben. Nach seiner Angabe haben 
sich bei der Behandlung des Asthmas die elektrischen Glühlicht- 
bäder sehr gut bewährt, nachdem er vorher schon seit langer 
Zeit mit gutem Erfolg andere Arten Schwitzbäder angewandt 
hatte. Natürlich muß man streng individualisieren und darf mit 
den Glühlichtbädern nie während des akuten Asthmaanfalles be¬ 
ginnen, sondern erst dann, wenn die Anfälle durch die bekannten 
anderen Mittel im Abklingen begriffen sind. Im Anfänge sollen 
die Bäder 5 bis 6 Minuten dauern, und später bis auf 15 bis 
20 Minuten gesteigert werden. Nach den Glühlichtbädern müssen 
die Patienten ein warmes Wasserbad nehmen und dann zwei 
Stunden im Bette ruhen. Nach vier bis sechs Bädern tritt meist 
Besserung ein, während die ganze Behandlungsdauer meist vier 
bis sechs Wochen beträgt. Etwa eintretende Rezidive wurden 
gewöhnlich sehr schnell geheilt. Besonders gute Erfolge hatte 
Strümpell in allen den Fällen, wo er außer der Glühlicht¬ 
behandlung nebenbei Jodpräparate (meist Jodnatrium) anwandte. 

4. Die Furcht vor dem Eintreten des Morphinismus bei der 
Asthmabehandlung mit Morphium sucht Goldschmidt zu be¬ 
kämpfen. Wenn der Arzt nur gehörig aufpasse und stets nur 
kleinste Dosen an wende, könne man monatelang Morphium 
geben, ohne in Gefahr zu laufen, daß man den Patienten zum 
Morphinisten mache. In dem Moment, wo dem Patienten die 
Anfangsdosis nicht mehr genüge, sei der Beginn des Morphinismus, 
und dann müsse man sofort mit der weiteren Ordination des 
Mittels aufhören und dafür Chloralhydrat, das allerdings nicht so 
sicher wie Morphium wirke, geben. 


Chirurgie. 

Referent: Spezialarzt Dr. J. Perl, Berlin. 

1. Was lehrt uns der an Appendizitis erkrankte Arzt? Von 
Riedel. Wien. med. Wochenschr., 1908, Nr. 1. 

2. Zur Behandlung der Leberverletzungen. Von Alfred 
Neumann. Dtscb. med. Wochenschr., 1908, Nr. 3. 

3. Ueber penetrierende Verletzungen des Magendarmtraktus. 
Von W. Braun. Berl. klin. Wochenschr., 1908, Nr. 2. 

4 Granulationsbehandlung. Von Franz Kiedel. Wien, 
klin. Wochenschr., 1907, Nr. 51. 

5. 80 Lumbalanästhesien ohne Versager. Von Ernst 
Holzbach. Münch, med. Wochenschr., 1908, Nr. 3. 

6. Osteoplastik wegen Defekt nach Operation eines Stirn¬ 
höhlenempyems. Von Paul Clairmont. Wien. klin. Wochen¬ 
schr., 1908, Nr. 2. 

7. Ueber die Entwicklung der allgemeinen und lokalen 

Anästhesie. Von C. Schleich. Zeitschr. f. ärztl. Fortbildung, 
1908, Nr. 1. 

8. Zum Mechanismus der Strangulation des Penis und deren 
Beseitigung. Von Pels-Leusden. Berl. klin. Wochenschr., 
1908, Nr. 4. 

9. Ueber die Behandlung der flachen Hautkrebse. Von 
Erich Lexer. Therapie der Gegenwart, 1908, Januar. 

10. Ein Fall von Totalexstirpation der Zunge. Von Partsch. 
Allg. med. Zentralzeitung, 1908, Nr. 3. 

11. Klinische Beiträge zur Talmaschen Operation. Von 
Victor Lübleni. Prager med. Wochenschr., 1908, Nr. 2. 

12. Ueber Osteomyelitis kranii im Anschluß an Stirnhöhlen¬ 
eiterungen. Von Hins b er g. Allgem. med. Zentralzeitung, 
1908, Nr. 1. 

13. Zur Stauungsbehandlung der Eiterungen. Von Loth¬ 
eißen. Oesterr. Aerzte-Zeitung, 1908, Nr. 1. 

1. Drastische Beweisführung für die Frühoperation an Hand 
der Krankengeschichten operierter Mediziner. 

2. Die Prognose der Leb er Verletzungen hängt, abgesehen von 
den Nebenverletzungen, wie die der meisten Eingeweideverletz- 
ungen von der Zeit ab, die zwischen Trauma und Operation ver¬ 
geht. So erklärt sich die außerordentlich günstige Zahl von 


10 Heilungen auf 22 Verletzungen-, die Neumann seit 1903 M 
Eirankenhause Friedrichshein verzeichnet, z. T. durch die Organi¬ 
sation des Berliner Krankentransports bei Unglücksfallen. Es 
handelt sich meist um schwere Unfälle durch Fuhrwerke oder im 
Eisenbahndienst, seltener um Stich- und Schußverletzungen. Bei . 
den letzteren kann ein außerhalb der Bauchwaud sitzender Ein¬ 
schuß bei mangelndem Ausschuß über eine Leberverletzung im 
Unklaren lassen, bis später die bekannten Symptome auf treten, 
unter denen N. Schulterschmerz und Meteorismus weniger hoch 
anschlägt als die Zeichen der inneren Blutung und umschriebene 
Bauchfellreizung. Vollkommen gelöste Leberstücke werden ent¬ 
fernt; aber auch Stücke, deren Blutversorgung fraglich erscheint, 
z. B. der fast abgesprengte Leberlappen, sind besser zu ent¬ 
fernen, wie es N. mit Glück ausgeführt hat. Die Blutung an 
Leberrissen und -wunden wird nicht durch Naht, sondern grund¬ 
sätzlich mit Tamponade gestillt; freilich mit breiten Mullstreifen 
bis zu 11 cm Länge. 

3. Wo die Möglichkeit einer penetrierenden Bauchverletzung 
besteht, muß laparotomiert werden; es ist falsch, bestehenden 
Shoks halber sich vor der Operation zu scheuen; es ist aber ganz 
verkehrt, zu warten, weil keine alarmierenden Symptome bestehen. 
Die größte Gefahr der Darmverletzung, die Peritonitis durch Aus¬ 
tritt des Inhalts, wird in den ersten zwei Stunden durch spastische 
Zusammenziehung des verletzten Organs hintangehalten; eine Blu¬ 
tung kann binnen dieser Zeit noch gestillt werden, ehe sie töd¬ 
lich geworden ist. Sitz und Ort der Wunde, der Einschuß geben 
bei den penetrierenden Verletzungen wichtige Anhaltspunkte da¬ 
für, welche Eingeweide verletzt sein können. — Nach diesen 
Grundsätzen und unterstützt durch rascheste Beförderung der Ver¬ 
letzten nach dem Krankenhause, hat W. Braun in sechs Fällen 
bei mehrfacher Darmverletzung eingegriffen und nur eine Kranke 
verloren. Die vielfachen Darmlöcher — unter seinen Kranken 
sind auch die beiden Opfer des-, epileptischen Mädchenstechers — 
wurden meist doppelt übernäht; gespült nur bei gröberer Ver¬ 
unreinigung der Bauchhöhle. 

4. Empfehlung frischen Leinöls als Verbandmittel für große 
Granulationsflächen; die Ueberhäutung soll überraschend schnell 
erfolgen. 

5. Holzbach sieht in den guten Resultaten der Tübinger 
Frauenklinik die Folgen einer genauen Beobachtung gewisser 
kleiner Handgriffe; Skopolamin-Morphium (0,0003 -J- 0,01 vor der 
Operation; Einschaltung eines dünnen Schlauches zwischen Spritze 
und Nadel, der jede Verschiebung der Nadelspitze im Duralsack 
verhütet; Verwendung von reinem Stovain (Billon), dem erst vor 
jeder Einspritzung Suprarenin (Höchst) zugesetzt wird. Nach dem 
Stich bleibt die Frau kurze Zeit sitzen, wird dann hingelegt und 
langsam in Beckenhochlagerung gebracht, wie überhaupt jede jähe 
La ge Veränderung verpönt ist, weil sie Niveauschwankungen des 
Liquors und Eiuschwemmen des Giftes zu lebenswichtigen Zentren 
bewirken kann. 

Die Dauer der Anästhesie beträgt 60 Minuten; spätestens 
vier Tage nach der Operation (!) steht die Kranke auf. 

6. Deckung der entstellenden Knocheneinsenkung über den 
Augen durch einen gestielten und einen freien Ejiochenperiost- 
lappen aus dem Stirnbein. Das gute Resultat machte eine zu 
weiterer Verbesserung geplante Paraffineinspritzung überflüssig. 

7. Der Vortrag gibt in großen Zügen die aus Schleichs 
Buche bekannten Gedankengänge wieder und wendet sich zn der 
augenblicklichen Stellung der drei miteinander wetteifernden 
Narkoseverfahren: Einatmung, Rückenmarkseinspritzung, Infiltra¬ 
tion. Schleich hält noch immer gegenüber den neueren Ab¬ 
änderungen (endo- und perineuralen Einspritzung nach Braun usw.) 
seine ursprüngliche Iufiltrationsmethode für die beste; als einzige 
Aenderung versetzt er in seinen Lösungen das um die Hälfte 
verminderte Kokain mit der gleichen Menge Alypin und kann so 
ungestört doppelte Menge der Lösung gebrauchen. — Die Rücken¬ 
marksanästhesie, die Sch. rückhaltslos anerkennt, wird ihren vollen 
Siegeslauf erst dann nehmen können, wenn ein weniger chemisches, 
mehr physikalisches Mittel zur Leitungsunterbrechung im Dural¬ 
sack gefunden sein wird; heute muß bei genauer Wägung noch 
die Einatmungsnarkose, zumal mit Schleichs Gemischen, als 
weniger gefährlich gelten. 


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1008. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


111 


8. Ein zur Verhütung der Konzeption (!) über die Eichel 
geschobener Messingring wurde samt der sich retrahierenden Vor¬ 
baut durch die Schwellung des Gliedes bis zur Wurzel hinunter¬ 
geschoben Er mußte mit der Gigli-Säge durchtrennt werden, die, 
wie P. hervorhebt, nicht nur Kupfer, Messing und Gold, sondern 
auch Schmiedeeisen durchtrennt. 

9. Ein Krebsgeschwür ist keineswegs als geheilt anzusehen, 
wenn es mit flacher, unauffälliger Narbe überhäutet ist; denn 
darunter kann das Karzinom, wie mehrere Fälle zeigen, in die 
Tiefe gegangen sein; vor allem aber sind es die Drüsen, die 
häufig während der langen Behandlungszeit wachsen und schlie߬ 
lich, nach „geheiltem“ Hautkrebs, den Erfolg zu schänden machen. 

Neuere Untersuchungen haben auf der anderen Seite gezeigt, 
daß nur eine bestimmte Art von Hautkrebs, der sogenannte Basal¬ 
zellenkrebs, das Koriumkarzinom, sich zur Bestrahlung eignet. 
Diese Formen, früher für Endotheliome gehalten, sind bräunlich¬ 
rote, warzenartige Knötchen und Platten der Kutis, besonders an 
Kopf und Gesicht, leicht zu erkennen, solange sie nicht ulzerieren, 
da sie nur die harte Konsistenz und die der Oberfläche anhaftenden 
Hornmassen der Hornkrebse zeigen — Unterschiede, die nach er¬ 
folgter Ulzeration undeutlicher werden; dann ist Probeexzision zur 
Unterscheidung nötig. 

Röntgenbehandlung operabler flacher Hautkrebse hat sich 
durchaus auf diese verhältnismäßig ungefährlichen Basalzellenkrebse 
zu beschränken, soweit sie als solche sicher erkannt sind und Ver¬ 
härtungen der benachbarten Lymphdrüsen fehlen. Alle anderen 
Hautkrebse und auch die Basalzellenkrebse, sobald sie Drüsen¬ 
metastasen haben, sind zu operieren. Natürlich bleiben auch die 
wegen Größe der Neubildung oder Ausdehnung der Drüsenmeta¬ 
stasen, wegen Alter und Hinfälligkeit der Kranken durchaus in¬ 
operablen Fälle der Bestrahlung Vorbehalten. 

10. Die Zunge wurde (wegen Krebses) bis Dahe an den Kehl¬ 
deckel mit zwei nach hinten zusammenlaufenden Schnitten vom 
Munde aus entfernt, ohne daß Kiefer, Mundboden und Wangen 
irgendwie verletzt zu werden brauchten. Die ausgedehnt er¬ 
krankten Halsdrüsen wurden in einer Vor- und Nachoperation ent¬ 
fernt. Nach acht Wochen war der Kranke dank der erhaltenen 
Mundboden- und Wangenmuskulatur imstande, ziemlich deutlich zu 
sprechen; er ersetzt bei den Verschlußlauten die Zunge z. T. 
durch Lippen und Gaumen. 

11. Die Talmasche Operation, der Versuch, bei Leber¬ 
zirrhose dem gestauten Pfortaderblut neue Abflußwege nach den 
Hohlvenen zu schallen und so den Aszites zu beseitigen, hat sich 
noch keine allgemeine Geltung verschaffen können. Auch das 
Ergebnis der 15 Fälle, über die L. aus der Prager Klinik be¬ 
richtet, ist nicht gerade ermutigend; vier Todesfälle und nur drei 
Heilungen, also ca. 25%. Vielleicht liegt dem die Tatsache zu 
Grunde, daß der Aszites nicht immer nur eine Folge der Stauung, 
sondern ein Ergebnis toxischer Einflüsse sein kann. Bei Kompli¬ 
kationen von Herz und Nieren, bei schwerem Ikterus ist die 
Operation nicht angezeigt; auch den Mißerfolg bei drei luetischen 
Zirrhosen hebt L. besonders hervor. — Die Marachsche Aus¬ 
führung der Operation (Einpflanzung des vorgezogenen Netzes in 
eine Tasche unter der Bauchhaut) scheint sich am besten zu be¬ 
währen. 

12. Die Osteomyelitis des Schädeldaches, früher eine ge¬ 
fürchtete Folge von Schädelverletzungen, ist durch die Antisepsis 
außerordentlich selten geworden; sie kommt jetzt meist nur noch 
nach Stirnhöhleneiterung vor, wo sie eine schwere und durch 
häufiges Wiederaufflackern nach scheinbar radikaler Operation 
außerordentlich gefährliche Komplikation bedeutet. Von den 19 
Fällen in der Literatur gingen 10 durch dieses Weiterkriechen 
der Eiterung in der Diploe zu Grunde. 

H. stellt eine geheilte Kranke vor, bei der es erst nach 
einer zweiten ausgedehnten Knochenentfernung gelang, die Eite¬ 
rung zum Stehen zu bringen; es fehlten schließlich die ganze 
knöcherne Umgrenzung der linken Stirnhöhle, das Siebbein und 
ein großer Teil des Stirnbeins; die Dura liegt direkt unter 
der Haut. 

Auffällig ist das Ueberwiegen des weiblichen Geschlechtes; 

14 weibl., 5 männl. Fälle. 


13. Lotheißen bestätigt die neuere Erfahrung, daß das 
Biersche Verfahren, besonders die Stauung, bei allen Strepto- 
kokken-Eiterungen nicht günstig wirkt. Aus dem refraktären 
Verhalten gegen die Stauung kann man geradezu auf Strepto¬ 
kokkenaffektion schließen. Auch bei tiefen Eiterungen sind Biers 
kleine Einschnitte bedenklich. Bei oberflächlicherer Erkrankung 
und bei Staphylokokkeneiterung hat auch L. gute Erfolge gesehen. 


Ausländische Literatur. 
Referent: Dr. Alois Pollak ? Prag-Weinberge. 


1. Ueber Blasengeschwtilste. (0 nädorech mechyre moco- 
vöho.) Von Zahradnicky. Casopis lekarn Oeskych., 1907, 
Nr. 49. 

2. Tracheotomie oder Intubation? (Tracheotomovati ci in- 
tubovati?) Von Sindelar. Ibidem Nr. 48. 

3. The surgical treatment of appendicitis. Von W. Dow. 
American Medicine, 1907, XL 

4. Stasis Hyperemia or the Bier treatment of acute in- 
flammations and septic wounds of the Extremities. Von Mc. 

Intosh. Ibidem. 

5. Modern tendencies in the treatment of bone tubercu- 
losis. Von H. Aug. Wulson. Ibidem. 

6. Hernie etranglee chez un enfant de cinque mois. Kelo- 
tomie, Guerison. Von Nel. Archives generales de Medicine, 
1907, XI. 

1. Bei vorgeschrittenen Blasenkarzinomen soll die Totalexstir¬ 
pation der Blase (event. mit der Prostata zusammen) gemacht 
werden. Unter ausgiebiger Berücksichtigung der Literatur be¬ 
richtet Z. über drei eigene Operationen. 1. Fall. Ureterenver- 
sorgung in der Scheide. Heilung. Durch 1 */2 Jahre arbeitsfähig 
und ohne Beschwerden. Exitus an akuter Peritonitis nach kurzem 
Krankenlager (6 Tage). Keine Sektion. 2. Fall. Ureterenver- 
sorgung in der Wunde. Lebt mit Drüsenanschwellung. 3. Fall. 
Rechter Ureter im Zoecum, linker im S. Roman. Noch in Be¬ 
handlung. Zweite und dritte Operation Biersche Lumbalanästhesie, 
sämtliche in Beckenhochlagerung. 


2. Autor bespricht die unleugbaren Vorzüge der Intubation 
vor der Tracheotomie und empfiehlt dieselbe wärmstens auch für 
die Landpraxis. Er macht insbesondere darauf aufmerksam, daß 
die Intubation ohne jede geschulte Assistenz sofort vorgenommen 
und durchgeführt werden kann, während eine Tracheotomie ohne 
Assistenz und ohne Narkose am zyanotischen und dyspnoischeu 
Kinde eine furchtbare Operation sei, die im Falle einer schweren 
Durchführung oder eines Mißlingens einen schrecklichen Eindruck 
mache. Auch wo die Tracheotomie gemacht werden müsse, könne 
man das intubierte Kind so lange erhalten, bis genügende Assistenz 
versorgt sei. J. entfernt die Tube täglich für einige Zeit. Ganz 
einfach liegen jedoch die Verhältnisse doch nicht, denn unter den 
Krankengeschichten, welche mitgeteilt werden (es sind nur die 
schwersten Fälle ausgesucht), finden sich folgende zwei Fälle: 
1. Ein Kind hustet die Tube aus, der Arzt findet das Kind schon 
in höchster Zyanose; eine kurze Zeit später wäre es vielleicht 
gestorben, und dieser Vorfall kann ja in der Landpraxis leicht 
Vorkommen. 2. Ein Kind hustet die Tube aus, atmet vorläufig 
gut, die Eltern beruhigen sich und gehen schlafen. Früh wird 
das Kind erstickt im Bett gefunden. 

(Es wäre doch möglich, die intubierten Kinder — die ja 
transportaL \ sind — in ein Krankenhaus zu überführen. Ref.) 

3. D. empfiehlt bei der Operation von nicht ganz frischen 
Fällen von Appendizitis Drainage der Bauchhöhle mit Glasdrain, 
Man kann auch in sehr vorgeschrittenen Fällen in zwei Zeiten 
operieren. Zuerst nur drainieren und dann, wenn die schweren 
Erscheinungen geschwunden sind, die eigentliche Operation vor¬ 
nehmen. 


4. Der Inhalt entspricht nicht ganz dem Titel der Arbeit, 
da auch andere Krankheitszustände in ihren Beziehungen zur 
Bier sehen Behandlung besprochen werden, und bei den wirklich 
septischen Fällen eigentlich nur die Folgezustände mit Stauung 
behandelt wurden. 

Interessant ist folgender Fall. An eine Verletzung des kleinen 


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112 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Fingers schließt sich eine schwere Phlegmone an, welche nach 
verschiedenen Inzisionen ausheilt, jedoch werden Vorderarm, Hand 
und Finger vollkommen steif und unbrauchbar. Es wird wirklich 
alles Mögliche versucht, um den Zustand za bessern — ohne jeden 
Erfolg. Zuletzt kommt der Autor dazu, die Behandlung mit der 
Binde zu versuchen; schon nach der ersten — 30 Minuten währen¬ 
den — Applikation derselben sind die Finger etwas beweglich. 
Der Zustand bessert sich rapid, und nach neunwöchiger Behand¬ 
lung ist der Arm vollkommen brauchbar. 

Die anderen Fälle (Erfrierungen, Influenzaarthritis, gonor¬ 
rhoische Arthritis u. ähnl.) bieten nichts Besonderes; die Wirkung 
der Stauung war immer eklatant. Hervorzuheben ist die ein¬ 
gehende Würdigung der Literatur, insbesondere der deutschen. 

5. Nach einer bis auf Pott zurückgreifenden historischen 
Einleitung kommt Verfasser auf die Bi ersehe Stauungsbehand¬ 
lung und die Extension zu sprechen, erwähnt die Serumbehand¬ 
lung und hebt ganz besonders die Wichtigkeit der allgemeinen 
Gesundheitspflege der hier in Betracht kommenden Patienten 
hervor. 

6. Die Ueberschrift sagt eigentlich alles wichtige. Die In¬ 
karzeration dauerte zur Zeit der Operation schon 36 Stunden. 
Der Fall ist sicherlich als ein sehr seltener anzusehen. 


Krankenpflege. 

Referent: Dr. W. B. Müller, Berlin. 

1. Der Deutsche Frauen verein für Krankenpflege in den 
Kolonien 1887 bis 1907. Zeitschr. f. Krankenpfl., 1907, Nr. 12. 

2. Krankenpflege des Roten Kreuzes in der Schweiz. 

Ibidem. 

3. Ein Beitrag zur Frage der Bekämpfung der venerischen 
Krankheiten. Von A. J. Grünfeld, Odessa. Ibidem. 

4. Der moderne Krankehhausbau vom wirtschaftlich-tech¬ 
nischen Standpunkte. Von Ruppel. Ibidem. 

1. Im Jahre 1887 wurde zu dem Zwecke, die Krankenpflege 
in Ost-Afrika zu organisieren, der „Deutschnationale Frauenbund“, 
der seinen Sitz in Berlin hat, gegründet. Im ersten Jahre wurde 
schon ein Mitglied nach Zanzibar und Ost-Afrika gesandt und im 
August 1887 die erste Pflegestation in Dar-es-salam eröffnet. Im 
nächsten Jahre schloß sich der Verein unter dem Namen „Deut¬ 
scher Frauen verein für Krankenpflege in den Kolonien“ dem Vater¬ 
ländischen Frauenverein als Hilfsverein an, und die Kaiserin über¬ 
nahm das Protektorat. Mit großen Schwierigkeiten hatte der 
Verein zu kämpfen, und 1889 wurde die erste Station nach Baga- 
moyo nach dem ersten Siege Wißmanns überführt mit einem 
Lazarett von 18 Betten. Bald wurden noch mehrere Schwestern 
nach Afrika gesandt und die Zahl der Betten auf 24 vermehrt, 
1895 stattete der Verein das Krankenhaus in Tanga mit 8 Betten 
aus und sandte nach Dar-es-salam zwei bis drei Schwestern. In 
Dar-es-salam wurde, da viele weiße Frauen dort angesiedelt waren, 
es notwendig, daß einige Schwestern als Hebammen ausgebildet 
waren, und 1896 wurde die erste derartig ausgebildete Schwester 
dahin versetzt. Sehr bald mußte der Verein auch in andere 
Kolonien Schwestern senden, so nach New-Guinea 1891 und 1892 
nach Stephansort und Friedrich Wilhelmshafen, 1891 auch nach 
Kamerun, wo er in Duala ein Lazarett errichtete. 1894 wurden 
für das Nachtigall-Krankenhaus in Anecho (Togo) 6 Betten und 
die vollständige Ausrüstung beschafft. Seit 1901 ist der Verein 
auch nach Kiautschou gegangen und hat dort sieben Schwestern. 
Auch nach Südwestafrika hat er ein Lazarett mit sechs Betten 
und zwei Schwestern gesandt. So hat dieser Verein durch rege 
Arbeit und Tatkraft Großes geleistet und eine überaus segens¬ 
reiche Tätigkeit entwickelt, von der in dieser kleinen Abhandlung 
ein Bild entworfen wird. 

2. Fortsetzung des Art. aus Nr. 11, in welchem die Schule mit 
dem Krankenhaus beschrieben wurde. (Vgl. d. Zeitschr. Nr. 4 p. 69.) 
Getrennt von derselben wurde ein Pflegerinnenheim vom Roten 
Kreuz im Berichtsjahr errichtet, welches aus einer Vorsteherin und 
zehn Pflegerinnen bestehend in einem Privathaus, Predigerstr. 10, 
untergebracht ist. In diesem Heim werden stets eine Anzahl gut 
ausgebildeter Pflegerinnen zur Verfügung gehalten, welche ge¬ 
wöhnlich für Privatpflegen Verwendung finden, Außerdem^ be¬ 



steht eine Stellenvermittlung für Krankenpflegepersonal. Die 
Pflegerinnen erhalten vollständig freie Station, Wäsche und Klei¬ 
dung sowie einen Jahresgehalt von 600 bis 720 Fr., außerdem 
für jeden geleisteten Pflegetag 50 cts. Ein gleicher Zuschlag 
wird für jede ganze Nachtwache gezahlt. Dazu kommen pro Jahr 
drei Wochen Ferien, Krankenkasse, und zwar wird jede erkrankte 
Pflegerin drei Monate auf Kosten des Pflegerinnenheims behandelt. 
An Stelle des Gehalts bezieht eine erkrankte Pflegerin das 
Krankengeld der Klasse, bei der sie versichert ist. Wenn sich 
eine Pflegerin in ihrer Familie verpflegen lassen will, so hat sie 
nur Anspruch auf ihren festen Gehalt während der ersten zwei 
Krankheitsmonate. Die Kleidung bleibt Eigentum des Vereins 
und muß beim Austritt einer Pflegerin, wieder abgeliefert werden. 
Die Pflegerinnen übernehmen durch ihre Anstellung die Ver¬ 
pflichtung, alle zugewiesenen Pflegestellen treu und sorgfältig aus¬ 
zuüben und müssen sich ganz den Anordnungen der Vorsteherin 
fügen, dürfen auch ihren angewiesenen Platz nicht eigenmächtig 
verlassen. Die Anstellung geschieht durch die Aufsichtskommission 
auf Grund eines Leumundzeugnisses und eines Zeugnisses über die bis¬ 
herige Tätigkeit. Pflegerinnen, die der Kommission nicht ge¬ 
nügend bekannt sind, werden drei Monate auf Probe ange¬ 
stellt. Vor der definitiven Anstellung hat sich jede Pflegerin 
einer Untersuchung durch den Vertrauensarzt des Heims zu unter¬ 
ziehen. Das Stellenvermittelungsbureau vermittelt Stellen für 
männliches und weibliches Personal für Krankenpflege. Die Ver¬ 
mittlung geschieht unentgeltlich für Publikum und Pflegepersonal. 
Nach Ablauf einer Pflege zieht das Bureau über die durch seine 
Vermittlung plazierte Person Erkundigungen ein. Die Kommission 
kann unzuverlässige und sich den Bestimmungen nicht fügende, 
mit ungenügenden Leistungen qualifizierte Personen von der Ver¬ 
mittlung einer Stelle zeitweilig oder gänzlich ausschließen. 

3. Diese Abhandlung stellt eine kurze Geschichte der Ent¬ 
wicklung des Ambulatoriums (Männerabteilung) für die an Syphilis 
und venerischen Krankheiten Leidenden dar. Diese Einrichtung 
der Ambulanzärzte für Venerischkranke ist dem städtischen Spital 
in Odessa angegliedert. Auf 1 dem Kongreß der Dermatologischen 
und venereologischen Gesellschaft zu Odessa am 29. April 1905 
wurden die Mängel des gegenwärtigen Aufsichtssystems nach der 
Beurteilung der Maßregeln gegen Syphilis erörtert und deshalb 
hat die Versammlung nach eingehender Besprechung der Fragen 
des Aufsichtssystems eine Reihe der hierzu gehörigen Bestim¬ 
mungen ausgearbeitet. Die Kommission ist nun zu folgenden von 
Prof. Dr. G. W. Chlopin in drei Thesen formulierten Ergeb¬ 
nissen gekommen: 1. Die jetzt in Odessa bestehende Aufsicht 
über die Prostitution entspricht nicht dem Zwecke. 2. Nach den 
örtlichen Bedingungen und infolge des allgemeinen Charakters der 
Tätigkeit der öffentlichen und Semstwo-Anstalten in der Sache 
des Schutzes der Volksgesundheit ist die Annahme eines der vom 
Ministerium vorgeschriebenen Modi der Aufsicht über die Prosti¬ 
tution im Reiche für Odessa als unmöglich zu erklären. 3. Als 
zweckmäßig ist zu erklären: Die Aufsicht über die Prostitution 
soll uneingeschränkt in die Hände der Stadtverwaltung übergehen, 
die den geeigneten Aufsichtsmodus auszuarbeiten hat. Die Kom¬ 
mission hat nun neue Bestimmungen erlassen, die hier nicht genau 
angeführt werden können, sondern in der Abhandlung nachgelesen 
werden müssen. Verf. will aber noch schärfere Maßregeln, vor 
allem eingehendere ärztliche Behandlung der Kranken eingerichtet 
wissen. Die Aerzte müssen für alle diese Kranken zugänglich 
sein, da ist das Ambulatorium für venerisch und syphilitisch Kranke 
die beste Einrichtung, und es hat in der Zeit seines Be¬ 
stehens schon enorm viel Gutes geleistet. Weiter wird über die 
Tätigkeit dieser Anstalt berichtet. 

4. Bei dem Bau eines Krankenhauses muß man von vorn¬ 
herein bedenken, daß die Krankenräume von den Räumen für die 
Verwaltung, Wohnungen, die Wirtschaft, das Leichen wesen und 
die Desinfektion getrennt sein müssen. Ebenso müssen die 
Krankenräume für Frauen von denen für Männer geschieden sein. 
Man unterscheidet drei Hauptarten von Krankengebäuden: das 
Korridorsystem, Pavillonsystem und Korridor-Pavillonsystem. Den 
Kranken muß man möglichst' viel frische Luft zukommen lassen, 
weshalb man auf die Anlagen von offenen Hallen, Baikonen, 
Loggien Bedacht nimmt und das Erdgeschoß möglichst zu ebener 
Erde oder nur wenig über das Niveau des Gartens baut, damit 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


113 



„ „ v»>: ^ \ 

man die Betten etc, leicht in den Harten transportieren kann. 
Man bevorzugt jetzt für kleinere Krankenhäuser bis 200 Betten 
das kombinierte System und baut das Krankenhaus dann in Huf¬ 
eisenform. Die gemeinsamen Räume, wie Operationszimmer mit 
Nebenräumen, Baderäume etc. werden in der Mitte des Gebäudes 
zwischen Männer- und Frauenabteilung angelegt. Die Verwal¬ 
tungsräume kommen möglichst um den Haupteingang herum. Man 
strebt immer mehr danach, die gemeinsamen Krankensäle nicht 
so groß wie früher zu 50 bis 80 Betten, sondern höchstens zu 
12 bis 15 Betten zu bauen, aus Gründen der Humanität und in 
Rücksicht auf die Individualität der einzelnen Kranken. So werden 
die Kranken auf eine größere Zahl von Zimmern verteilt, was bei 
den Infektionskranken besonderen Wert besitzt. Für jede infek¬ 
tiöse Krankheitsform müßte nach streng hygienischen Grund¬ 
sätzen ein besonderes Gebäude vorhanden sein; wo man das aber 
aus zwingenden Gründen nicht durchführen kann, soll wenigstens 
ein durch feste Mauern vollständig abgeschlossener, gut isolierter 
Bauteil vorgesehen werden. Die Krankenräume müssen nach 
Süden zu gelegen sein. Eine wichtige Rolle spielen die Heiz- 
und Ventilationsanlagen. Die Warmwasser- und Niederdruck¬ 
dampfheizung haben sich am besten bewährt. Die Lüftung ge¬ 
schieht am besten durch Kippflügel im oberen Teil der Fenster, 
die zweckmäßig bis zur Decke hinaufreichen. Daneben sind 
künstliche Lüftungsanlagen dringend erforderlich, von denen die 
auf Ventilatorenbetrieb beruhenden am besten sind, da sie immer 
einen bestimmten Luftwechsel sicher erreichen lassen und eine 
gute Reinigung der zugeführten Frischluft durch Filter der mannig¬ 
fachsten Art gestatten. Für den Kochbetrieb kommt überall dort, 
wo eine Kesselanlage vorhanden ist, nur Dampf in Frage, außer¬ 
dem sind Gasbratöfen und Herde erforderlich. Auch auf die 
Bade-, Massage-, Elektrisier- etc. Räume mit den verschiedenen 
Apparaten ist Gewicht zu legen. Man hat bei dem Kosten¬ 
anschlag nach maßgebenden Krankenhäusern in Deutschland pro 
Bett 5000 bis 6000 M. nach dem vollständigen Ausbau der An¬ 
stalt berechnet. Natürlich schwankt diese Summe in Anbetracht 
der Anforderungen, die an die Eleganz und Ausstattung der An¬ 
stalt gestellt werden. 


dagegen ab. Auch hier ist das subjektive Empfinden ein äußerst 
angenehmes. In seiner Gesamtwirkung nähert sich das warme 
Luftbad dem Sonnenbade. 

Das Sonnenbad steigert Pulsfrequenz, Respiration, Tem¬ 
peratur sowie Blutdruck ziemlich erheblich und ist am ehesten 
einem Schwitzbade zu vergleichen, indem auch die Schweißabson¬ 
derung des Körpers zunimmt. Das subjektive Empfinden ist ab¬ 
weichend von jenem des Luftbades. Infolge der Temperatur¬ 
zunahme empfindet man es anfangs stets angenehm, doch kommt 
es mitunter zu unbehaglichen Sensationen, besonders bei zu langer 
Ausdehnung des Sonnenbades. Es können Kopfschmerzen, Herz¬ 
klopfen, Unwohlsein, Schlaflosigkeit,. Hauterythem etc., auch Hitz- 
schlag eintreten. Es sind daher bestimmte Vorsichtsmaßregeln 
geboten. 

Im ganzen ist die physiologische Wirkung des Luftbades auf 
den gesunden Organismus als äußerst günstig und am ehesten 
gleich der eines Wasserreinigungsbades anzusehen. Seine Eigen¬ 
schaft als Abhärtungsmittel ist auf den ersten Blick unver¬ 
kennbar. 

Die Wirkung auf den erkrankten Organismus ist noch 
nicht genügend beobachtet, um ein abschließendes Urteil abgeben 
zu können. Die Wirkung bei Neurasthenie war wechselnd, bei 
Basedow günstig. Bei Arteriosklerose, wo das Luftbad günstig 
wirkt, ist das Sonnenbad kontraindiziert. Bei Rheumatismus und 
Ischias war außer der von Hovorka nur auf Wärme Wirkung be¬ 
zogenen Schmerzlinderung kein deutlicher Einfluß nachweisbar. In 
einer Reihe von Fällen wurde Hämoglobinvermehrung festgestellt. 

Während der Unterschied zwischen dem Luftbade im Gebirge 
und dem in der Ebene nicht besonders groß schieu, wirkte das 
Gebirgs-Sonnenbad intensiver als das in der Ebene. — 

Die noch aus der mechanistischen Periode stammenden „ exakten “ 
Zählungen, Messungen etc. dürften für die Frage der Luftbad¬ 
wirkung wohl nur wenig brauchbare Aufschlüsse geben, um so 
mehr, als sie durch die, besonders bei kühleren Temperaturen 
einen integrierenden Bestandteil des Luftbades bildende Körper¬ 
bewegung illusorisch werden. Der günstige Effekt des Luftbades 
wird sich, wie so vieles andere, zahlenmäßig nie „nachweisen“ 
lassen und ist trotzdem vorhanden. (Ref.) 


Biologische Therapie. 

Referent: Dr. W. Esch, Bendorf a. Rh. 

1. Heber die Wirkung der Luft- und Sonnenbäder. Von 
Dr. O. v. Hovorka, Wien. Ibidem. 

2. Luft- und Sonnenbäder. Von Buttersack. F. d. M., 
1907, Nr. 34. 

3. lieber die Ziele und Grenzen der Balneotherapie in den 
Wohnorten der Patienten. Von Frankenhäuser. Berl. klin. 
Wochenschr., 1905, Nr. 15. 

4. Biologische Behandlung des akuten Magendarmkatarrhs. 
Nach Dr. med. R. Spohr, Krankheit und Heilung. 

5. Heber die physikalische Behandlung der sekretorischen 
und motorischen Störungen des Magendarmkanals. Von Kreis¬ 
arzt Dr. Disque, Potsdam. Archiv für phys.-diät. Ther., 1907, 
Nr. 12. 

6. Hämorrhoiden, ihr Wesen und ihre Bedeutung. Von Privat¬ 
dozent Dr. Gelpke, Liestal-Basel. Med. Klin., 1907, Nr. 49. 

1. Die physiologische Wirkung der^ Luftbäder ist je nach 
den Temperaturdifferenzen verschieden. Hovorka kommt zu 
folgenden Ergebnissen: 

Das kalte Luftbad (bis 14 0 G) setzt Temperatur und Puls¬ 
frequenz herab, steigert dagegen Respiration und Blutdruck. Das 
subjektive Empfinden ist durchaus kein unangenehmes. 

Im kühlen Luftbade (14 bis 20 0 G) nimmt Pulsfrequenz, 
Respiration, Temperatur bei manchen Personen ab, bei anderen zu; 
der Blutdruck hat zumeist steigende Tendenz. Das subjektive 
Gefühl ist durchschnittlich ein angenehmes. 

Im lauen Luftbade (20 bis 30 0 C) ist die Wirkung auf 
Pulsfrequenz und Respiration wechselnd, Temperatur und Blut¬ 
druck haben meist Neigung zu sinken. Das subjektive Gefühl ist 
daselbst am angenehmsten. 

Das warme Luftbad bewirkt eine Steigerung der Puls¬ 
frequenz und der Temperatur; Blutdruck und Respiration nehmen 


2. Aehnlich denkt auch Buttersack, wenn er in seinem 
Referat über Liebes sympathischen Artikel „Luft- und Sonnen¬ 
bäder für Lungenkranke“ (Ztschr. f. phys.-diät. Ther., Juli 1907) 
folgendes ausführt: 

„Es braucht nicht alles gelehrt zu klingen, um wertvoll zu 
sein. Für den gesunden Menschenverstand erscheinen langatmige 
Artikel über den Nutzen der Luft- und Sonnenbäder fast wie eine 
Beleidigung. — Der modernen Aerzteschule, die unter dem Ein¬ 
fluß der pathologischen Anatomie vorwiegend auf Lokaldiagnosen 
dressiert ist, ist leider der Begriff der Allgemeinerkrankung mehr 
oder weniger abhanden gekommen. Und gerade auf diese wirken 
Luftbäder ausgezeichnet; daß im Anschluß daran auch lokale 
Störungen günstig beeinflußt werden, liegt auf der Hand. — Es 
mag manchem fatal sein, in der Beurteilung biologischer Vor¬ 
gänge keine absoluten Maßstäbe an der Hand zu haben, sondern 
auf das eigene Denken angewiesen zu sein, aber das ist nun ein¬ 
mal nicht zu ändern.“ 

3. Wertvoller als derartige „exakte“ Beobachtungen sind Er¬ 
wägungen darüber, wie es möglich sei, die Vorteile des Luftbades 
auch der ärmeren Bevölkerung, die Kurorte und Sanatorien 
mit solchen Einrichtungen nicht aufsuchen kann, zugänglich zu 
machen. 

In dieser Hinsicht ist der Artikel von Frankenhäuser: 
„Ueber die Ziele und Grenzen der Balneotherapie in den Wohn¬ 
orten der Patienten“ von großer Wichtigkeit. Der Verfassen 
führt darin aus, daß es möglich sei, auch ohne Ortswechsel für 
die Patienten sehr Ersprießliches zu erreichen, und zwar dadurch, 
daß man im Freien vor der Stadt eine Art Sommerfrische 
einrichte, die nicht nur von den Schulkindern während der Ferien, 
sondern auch von Männern und Frauen nach der Arbeit auf¬ 
gesucht werden könne, von letzteren besonders dann, wenn während 
der^Kur für eine gewisse Arbeitsentlastung Sorge getragen werde. 

Verfasser hält diese Einrichtung für besonders wertvoll bei 
den Kinderkachexien, Anämie, Rachitis, Skrofulöse, bei Chlorose 
und denjj chronischen Unterleibsleiden der Frauen, bei den die 


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114 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 7. 


Arbeitsfähigkeit herabsetzenden Leiden der Muskeln, Sehnen¬ 
scheiden und Gelenke und endlich bei der Tuberkulose. 

In der „Sommerfrische“ könnten auch Mineral Wasserkuren er¬ 
möglicht werden durch Einrichtung entsprechender Ausschänke 
(Massenbezug der Salze, Herstellung billigerer Surrogate). 

Schon früher (Aerztl. Rdsch., 1905) haben wir darauf hin¬ 
gewiesen, daß die dankenswerten Anregungen Frankenhäusers 
mit ihren weitgehenden praktischen und sozialen Beziehungen 
unter gewissen Bedingungen nutzbar gemacht werden könnten für 
die weitere Ausgestaltung einer bereits in mehreren Städten vor¬ 
handenen Einrichtung, nämlich der Lichtluftbadeanstalten. 

Die zur Zeit noch der Verwirklichung dieses Vorschlags ent¬ 
gegenstehenden Bedenken haben wir seinerzeit (a. a. 0.) folgender¬ 
maßen präzisiert: 

„Die Lichtluftbehandlimg, deren hoher Wert neuerdings, 
besonders im Vergleich mit der früher mehr geschätzten und 
vielfach wohl überschätzten reinen Hydrotherapie, immer mehr 
anerkannt wird, ist ja allerdings, das kann nicht geleugnet werden, 
vor allem durch die Naturheilkunde zu Ehren gekommen, während, 
wie Hueppe, v. Leyden u. a. mit Recht betonen, „die Schul¬ 
medizin diesen wertvollen Hilfsmitteln bis vor kurzem nicht die 
ihnen gebührende Beachtung schenkte“ und erst durch die prak¬ 
tischen Erfolge der Naturheilbewegung dazu gezwungen werden mußte. 

Jedoch darf uns dieser Umstand, ebensowenig wie das oft 
unqualifizierbare Verhalten mancher Anhänger jener Volksbewegung 
den Aerzten und der Wissenschaft gegenüber, von der Beachtung, 
Wertung und Nützung des genannten Gegenstandes abschrecken, 
und zwar gerade jetzt um so weniger, als es den Bemühungen 
derjenigen approbierten Aerzte, die sich der Bewegung angenommen 
haben, um sie auf ein höheres, wissenschaftliches Niveau zu 
bringen, immer mehr gelingt, die einsichtigeren Anhänger der¬ 
selben von den genannten Uebertreibungen und Fehlern abzu¬ 
bringen und so die schöne Aufgabe der Vereinigung beider Rich¬ 
tungen unter dem Banner der biologischen Heillehre ihrer 
Lösung zu nähern.“ 

Wenn man nur einen Bruchteil der Zeit und Mühe, die jetzt 
vielfach bei a priori als unfruchtbar zu erkennenden Experimenten 
etc. verschwendet wird, in der letzterwähnten Richtung verwenden 
wollte, so würde man der Wissenschaft, den Patienten und dem 
ärztlichen Stande besser dienen, als mit der pseudowissenschaft¬ 
lichen „Exaktheit“. 

4. Innere Ursache des akuten Magendarmkatarrhs 
ist oft verkehrte Ernährung und dadurch gestörte Darmfunktion. 
Diese führt zu wesentlicher Erhöhung der Fäulnis f des Dannin¬ 
halts. Hierzu kommt in der Regel als äußere Ursache Aufnahme 
irgend eines leicht zersetzlichen oder gar schon verdorbenen Nahr¬ 
ungsmittels. So finden die im Darm schon massenhaft vorhan¬ 
denen Fäulnisbakterien einen sehr geeigneten Nährboden, und es 
entwickeln sich massenhaft Toxine, die Erbrechen, Leibschmerzen 
und Durchfall verursachen. 

Die biologische Behandlung eines akuten Magendarmkatarrhs 
kann nur die von der Natur angedenteten Wege wandeln. 

Es besteht Appetitlosigkeit, Uebelkeit, event. sogar Erbrechen; 
man lasse also den Kranken hungern, die Diarrhöe werde nicht 
bekämpft, sondern vielmehr gefördert durch Klystiere, milde Ab¬ 
führmittel, wie Rhabarber etc., denn nach Entfernung des Darm¬ 
inhalts nebst Bakterien und Toxinen hört die Diarrhöe von selbst 
auf. Das Leibschneiden mildere man durch wechselwarme Kom¬ 
pressen. In schlimmeren Fällen fördere man die Ausscheidung 
der Toxine durch die Haut mit Hilfe von Ganzpackungen, Hei߬ 
luftbädern und ähnlichen Schwitzprozeduren. 

Bei Besserung des Appetits gebe man Brei und dazu reifes 
frisches Obst, später leichtes Gemüse. Es ist ein völlig un¬ 
begründetes Vorurteil, daß # reifes Obst Diarrhöe ver¬ 
ursache. Es vermindert vielmehr die Darmfäulnis durch die in 
ihm enthaltenen Säuren. Es enthält von allen Nahrungsmitteln 
am wenigsten zersetzungsfähiges Material, was schon daraus her¬ 
vorgeht, daß viele Obstsorten sich monatelang aufheben lassen, 
ohne zu faulen. Bedenkt man dagegen, wie rasch Milch, Eier 
und Fleisch sich zersetzen, und welch gefährliche Toxine sich 
dabei aus dem tierischen Eiweiß entwickeln, so versteht es sich 
ganz von selbst, daß man diese leicht faulenden Materialien bei 
Magendarmkatarrh vermeiden muß. 


Trotzdem werden sie immer noch von „Autoritäten“ ver¬ 
ordnet, Obst und Gemüse dagegen streng verboten. Das Er¬ 
staunen der so behandelten und oft ungeheilten Patienten bei 
Anordnung der oben beschriebenen Diät wird nur übertroffen 
von dem noch größeren Erstaunen über den durch letztere er¬ 
zielten „wunderbaren“ Erfolg. 

5. Bei den sekretorischen Störungen kommt 

a) der akute Magen- und Darmkatarrh in Betracht, 
der am häufigsten durch Diätfehler, manchmal aber auch nach 
Erkältungen entsteht. Die Magen-Darmschleimhaut ist stark ge¬ 
reizt, mit Blut überfüllt. Die Hauptsache ist, eine strenge Diät 
einzuhalten, die reizenden Ingesta durch lauwarme (Magen- und) 
Darmspülungen unter geringem Druck herauszuschaffen, durch 
Dampfkompressen, Thermophore, 3 /4 Packung mit Wärmflaschen 
die Schmerzen zu beseitigen und den Körper in leichten Schweiß 
zu bringen, durch Leibumschläge, lauwarme Sitzbäder ableitend 
zu verfahren. Nach den Untersuchungen von Francois Franck 
sind wir durch Erweiterung der Hautgefäße imstande, die Gefäße 
innerer Organe zu verengern. 

b) Beim chron. Magen-Darmkatarrh, bei welchem es 
sich um chron. Störungen der Zirkulation und Sekretion der 
Magen-Darmschleimkaut, handelt, werden wir energischer vorgehen. 
Wir werden stärkere Hautreize ausüben, wir werden nicht nur 
die Hydrotherapie in kühleren, häufiger gewechselten Tempe¬ 
raturen , wir werden auch die Massage, die Heilgymnastik und 
Elektrotherapie anwenden, um durch diese stärkeren Reize die 
chron. gestörte Zirkulation und Sekretion der Magen-Darmschleim¬ 
haut wieder in das normale Geleise zu führen. 

Schon Prießnitz wußte dies. Er ließ seine Patienten mit 
Leibumschlägen (ein langes Handtuch, ein Teil in kaltes Wasser 
getaucht, der größere Teil trocken darüber gewickelt) herum¬ 
gehen. Noch besser wirken diese Prießnitz sehen Leib Umschläge, 
wenn sie öfter, sobald sie warm sind, gewechselt werden, weil 
durch häufigen Wechsel von Kälte und Wärme die Sensibilität 
und Zirkulation nach Winternitz bedeutend vermehrt wird 
(zwei Nadeln fühlt man nach häufig gewechselten Leibumschlägen 
auf Entfernungen, in welchen sie nur als einziger Schmerzpunkt 
gefühlt wurden, als zwei verschiedene Schmerzpunkte). 

Wechselbäder, Wechselsitzbäder, Wechselduschen (schott. 
Duschen), Heißluftduschen auf den Leib, 3 A Packungen, Licht¬ 
bäder, Heißluft- oder Dampfbäder mit folgenden kühleren An¬ 
wendungen , Bädern, Duschen, sind darum beim chron. Magen- 
Darmkatarrh besonders zu empfehlen. Magenspülungen mit 25° 
Wasser beseitigen den Schleim beim chron. Magenkatarrh. Noch 
besser wirken bei diesem Leiden Magenduschen auf die Magen¬ 
schleimhaut. Disque nimmt dazu einen Magenschlauch, welcher 
unten außer eines größeren Loches noch viele kleine Oeffnungen hat 
und spült damit unter stärkerem Druck (Trichter mindestens 1 bis 
l 1 / 2 m Höhe) die ganze Magenschleimhaut ab. Auch Magen¬ 
wechselspülungen hat er vorgenommen. Er gießt Wasser von 
10 und 32 0 R abwechselnd in den Magenschlauch oder verbindet 
denselben einfach mit einem Wechselhahn, welcher wieder mit 
zwei Irrigatoren verbunden ist. Durch diese Magenwechselspii- 
lungen wird die Zirkulation und Sekretion der Magenschleimhaut 
angeregt, auch die Produktion von Salzsäure vermehrt. 

In derselben Weise wirken die Massage mit der Hand, die 
Vibrationsmassage, die Heilgymnastik (Freiübungen, Gymnastik 
an Apparaten), besonders Rumpf- und Beinübungen, die faradische 
und galvanische Elektrizität (Kathode auf den Magen, Anode in 
breiter Platte auf den Rücken). 

c) Bei der nervösen Dyspepsie ist eine physikalische 
milde, tonisierende Allgemeinbehandlung die Hauptsache. Man 
wird durch Wasseranwendungen, allgemeine Massage, Luftbäder, 
durch elektrische imd psychische Behandlung die Eßfurcht be¬ 
seitigen , die Blutverteilung regeln, den Appetit bessern, die Er¬ 
nährung heben, die Nerven kräftigen. Eine Karlsbader Kur ist 
dabei kontraindiziert, weil das abführende Wasser und die Ent¬ 
ziehung der Fette einen schwächenden Einfluß hat. 

d) Bedeutende Zirkulationsstörungen in der Magenschleimhaut 
sind beim Ulkus ro tun dum vorhanden. Nur durch die ab¬ 
leitende, Blut verteilende Wirkung unserer Hydrotherapie können 
dieselben beseitigt werden. Ein Schlauch mit durchfließendem 
heißen Wasser auf den Leib (darunter ein warmer Leibumschlag), 





tHERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


115 


1908. 


heiße Leibaufschläge, Breiumschläge, Dampfkompressen wirken 
günstig. 

e) Auch beim Magenkarzinom wird man durch Magen¬ 
spülungen , Leibumschläge, Dampfkompressen, Thermophore, wenn 
auch nur mildernd, eingreifen können. 

f) Bei den motorischen Störungen des Magendarmkanals spielt 
zunächst die Atonie des Magens eine Rolle. Sie ist ein 
Schwächezustand und häufig angeboren. Sie kann aber zur musku¬ 
lären Stauungsinsuffizienz ersten Grades werden, wenn sechs bis 
sieben Stunden nach der L e u b e sehen Probemahlzeit, zur Insuffi¬ 
zienz zweiten Grades, wenn am nächsten Morgen sich noch Speise¬ 
reste im Magen vorfinden. 

g) Die Enteroptose, Gastroptose ist ebenfalls am 
häufigsten angeboren, der Magen ist dabei immer atonisch. Sie 
kann aber auch erworben sein durch unzweckmäßige Ernäh¬ 
rung und Kleidung und durch starke Abmagerung. Eine Schwäche 
der Bauchmuskeln ist gewöhnlich damit verbunden. 

Bei der Atonie des Magens, der Enteroptose und den damit 
verbundenen Schwächezuständen sind neben einer modifizierten 
Mastkur vor allem eine tonisierende Allgemeinbehandlung, milde 
Wasserbehandlung, allgemeine Massage, elektrotherapeutische An¬ 
wendungen und Luftbäder zu empfehlen, event. ist auch bei 
Enteroptose eine gute Leibbinde zu verwenden. 

h) Die Stuhl Verstopfung kann durch anatomische Ver¬ 
änderungen, chronische Darmkatarrhe, Karzinom, Narben, Ver¬ 
lagerungen der Gebärmutter entstanden, sie kann aber auch eine 
habituelle, durch Anpassung erworbene, sein. „Mangelhafte Er¬ 
ziehung des Darms zur pünktlichen Arbeit“, mangelhafte Körper¬ 
bewegung, unzweckmäßige Ernährung (übertriebener Fleischgenuß, 
Nahrung in Extraktform), allgemeine Körperschwäche, Anämie 
und Neurasthenie mit Erschlaffung der Bauchdecken sind eine 
häufige Ursache. 

Vom klinischen Standpunkte unterscheidet man 1. die spastische, 
2. die atonische Form der Obstipation. Es ist diese Unterschei¬ 
dung sehr wichtig, weil die physikalische Behandlung bei der 
ersteren eine gerade entgegengesetzte sein wird wie bei der 
letzteren. Bei der spastischen Form ist mehr die Wärme in An¬ 
wendung zu bringen, bei der atonischen Form mehr der thermische 
und mechanische Reiz (Massage, Duschen, kurze kalte hydrothera¬ 
peutische Anwendungen.) 

Bei der spastischen Form kommen besonders bei nervösen 
Leuten krankhafte Zusammenziehungen der Darmwand zu stände, 
ähnlich wie bei der Bleikolik und der Meningitis. Der Stuhl hat 
nicht die gewöhnliche wurstartige Form, sondern ist bleistiftähn¬ 
lich dünn, manchmal plattgedrückt. Die Behandlung wird vor 
allem eine beruhigende sein, durch warme Sitzbäder und Voll¬ 
bäder von 35 bis 40° C, Dampfkompressen und Leibumschläge 
mit darauffolgendem Schlauch, durch welchen Wasser von 45 bis 
50° C fließt. Auch warme Wasser- imd Oelklistiere von 45° C 
und der Atzb erg ersehe Mastdarmapparat, durch welchen warmes 
Wasser von 45° C fließt, sind hier angezeigt. Auch das Galvani¬ 
sieren des Leibes (die Anode in den After oder in breiter Platte 
auf den Leib) ist zu empfehlen. 

Bei der atonischen Form der Stuhlverstopfung kommen 
dieselben thermisch-mechanischen Reize zur Anwendung wie bei 
der Atonie des Magens. Häufig gewechselte kühle Leibumschläge, 
kalte kurze Sitzbäder mit Durchkneten des Leibes, Wechselsitz¬ 
bäder, schottische Duschen, kalte Schenkelgüsse regen reflektorisch 
die Magen-Darmtätigkeit an, Magenduschen, Magen wechselspü- 
lungen vermehren den Blutzufiuß zur Magenschleimhaut, Bewegung 
des Körpers (viel Gehen), Massage, Vibrationsmassage, Heilgym¬ 
nastik (besonders Rumpf- und Beinübungen, Rumpfbeugen, -kreisen, 
-aufheben beim Liegen, Axthaueu, Sägebewegungen), die faradische 
und galvanische Elektrizität [eine Elektrode (Kathode) in den 
Magen oder in den Mastdarm, eme breite Elektrode (Anode) auf 
den Leib, oder die elektrische Massierrolle (Kathode) auf den 
Leib, eine breite Anode auf die Lendenwirbel] regen den Blut¬ 
zufluß zu der Magen-Darmschleimhaut an, vermehren die Sekretion 
und Peristaltik und kräftigen die Muskulatur des Magen-Darm¬ 
kanals. Auch die erschlaffte Bauchmuskulatur, welche eine häufige 
Ursache der Stuhlverstopfuug ist, wird so gekräftigt und zur 
Tätigkeit angeregt. 


Durch Hypnose kann häufig die chron. Obstipation beseitigt 
werden, besonders dann, wenn durch schlechte Gewohnheit und 
unregelmäßige Lebensweise oder bei nervösen hysterischen Pa¬ 
tienten ein Widerstand gegen die Peristaltik geübt wird. 

Brunnenkuren, der häufige Gebrauch von Abführmitteln, auch 
häufig vorgenommene Darmeingießungen mit viel Wasser sind bei 
einer Atonie des Magens und bei chron. Stuhlverstopfung kontra¬ 
indiziert. Der Magen wird dadurch immer mehr aufgetrieben, 
die Magen- und Darmmuskulatur immer mehr erschlafft. 

i) Die Diarrhöe entsteht 1. infolge von anatomischer Ver¬ 
änderung der Darmschleimhaut (wie beim Katarrh, bei Darm 
geschwüren etc.), 2. durch unzweckmäßige Ernährung, 3. infolge 
von abnormer Erregbarkeit des Darmnervensystems, 4. infolge von 
Erkältung, psychischen Einwirkungen, veränderter Lebensweise etc. 

Im ersteren Falle ist der Darmkatarrh, wie angegeben, zu 
behandeln. 

Bei unzweckmäßiger Ernährung oder Ansammlung reizender 
Stoffe im Darm sind vor allem durch Durchspülungen von 1 bis 
2 1 Wasser von 35 0 C diese reizenden Stoffe zu entfernen. Kurze 
kühle Sitzbäder, häufig gewechselte Leibumschläge wirken dabei 
günstig. 

Bei Innervationsstörung des Darms kann die Peristaltik und 
die Sekretion vermehrt sein. Hier sind beruhigende Anwendungen, 
warme Bäder, Dampfkompressen, 3 A Packungen mit Wärmflaschen, 
Leibumschläge mit daraufliegendem Schlauch, durch welchen warmes 
Wasser fließt, von größter Wirkung. Alle diese Prozeduren wirken 
beruhigend und ableitend. Das Blut wird von der Darmschleim¬ 
haut abgelenkt. Die Sekretion und die Peristaltik werden da¬ 
durch vermindert. Auch lange dauernde kühle Sitzbäder 10 bis 
15 0 C 10 bis 15 Min. lang sind zu empfehlen, da sie die Refiex- 
erregbarkeit herabsetzen und die Peristaltik und Sekretion günstig 
beeinflussen resp. vermindern. Bei nervösen Patienten haben 
wir Diarrhöen häufig mit Hypnose beseitigt. 

Liegt eine Erkältung vor, so ist eine Trockenpackung mit 
heißen Flaschen, oder ein Lichtbad oder Dampfbad angezeigt. 

k) Schließlich werden noch kurz die Hämorrhoiden be¬ 
sprochen, welche besonders durch eineTrägheit desDarras, ungenügende 
körperliche Bewegung, schlechte Blutzirkulation, unzweckmäßige 
Lebensweise entstehen. Daß wir nur durch unsere physikalischen 
Anwendungsformen , Hydrotherapie, Massage, Heilgymnastik in 
Verbindung mit einer reizlosen, leichten Diät, Regelung des 
Stuhlgangs imstande sind, die Zirkulation zu bessern, venöse 
Stauungen zu verhindern und auch prophylaktisch zu wirken, 
wird noch nicht genügend gewürdigt. Ableitende Packungen, 
langdauernde kühle Sitzbäder 10 bis 15° C 10 bis 15 Minuten, 
Atzbergerscher Mastdarmkühler mit durchfließendem kalten 
Wasser von 8 bis 12° C wirken auch gegen Hämorrhoiden und 
die hämorrhoidalen Blutungen günstig. Eisbeutel sind möglichst 
zu meiden. Bei starken Blutungen läßt Disque den Stuhlgang durch 
Ruhigstellen des Darms und Breidiät anhalten, bis die blutende 
Stelle verheilt ist. Nur bei schweren Fällen, wenn die Blutungen 
gar nicht aufhören, läßt er operieren, da sonst der Körper event. 
zu sehr herunterkommt. Das allzuhäufige Operieren ist zu ver¬ 
werfen, da oft Narbenbildungen mit unangenehmen Folgen, be¬ 
sonders Verengerungen des Mastdarms zu stände kommen. 

6. Einen hygienischen Wink firn Neurastheniker, insonderheit 
für die vorwiegend kopfarbeitenden Kaufleute und Gelehrten gibt 
G e 1 p ke. Der mechanische Moment der Blutstauung, des Schadens, 
den das anhaltendeSitzen (und Stehen) mit sich bringt, wird, 
wie Verf. ausführt, noch immer viel zu wenig berücksichtigt. Er 
gelangt dabei zu der kulturgeschichtlich interessanten Feststellung, 
daß das Sitzen in der Ausdehnung, wie es der moderne Mensch 
übt, in gewissem Sinne eine Erfindung des Mittelalters, eine Folge 
des Lebens in engen Räumen sei. „Wohl kannten auch die alten 
Kulturvölker den Stuhl, aber dieses Gerät wurde nur ausnahmsweise 
benutzt, für gewöhnlich lag man beim Mahle, sowie in der Ruhe 
zu Hause. Auch die barbarischen Völker lagen, wenn sie nicht 
in körperlicher Tätigkeit waren: die Germanen, nach Tacitus, 
auf Tierfellen. Noch im frühen Mittelalter kamen Stühle zum 
Sitzen nur selten vor, hauptsächlich für das Familienoberhaupt 
und für hohe Besuche, die übrigen lagen auf Teppichen, Fellen etc.“ 

Die schädlichen Folgen des habituellen Sitzens (und Still¬ 
stehens) auf den Organismus und seine verschiedenen Organe sind 


Original fmm 

ITY OF MICHIGAN 



ii« 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


für die Pathologie gewisser Körperteile bekannt (Hämorrhoiden, 
Krampfadern etc.), nicht aber in genügendem Maße für die des 
Gehirns, trotz der glänzenden Erfolge der Bett- und Liege¬ 
kuren bei Geistes-, Nervenkranken etc. Es muß daher, so schließt 
Verf., verlangt werden, daß der Kaufmann, der Gelehrte, nach¬ 
dem er den ganzen Tag auf seinem Stuhl verbracht hat, nicht 
auch noch seinen ganzen Feierabend versitze, sondern sich (ent¬ 
weder Körperbewegung mache oder) lege, wie das die Amerikaner, 
die uns auch auf diesem Gebiete weit voraus sind, mit ihren Liege- 
und Schaukelstühlen tun. 

Es liegt auf der Hand, daß dabei auch für das Gehirn 
günstigere Zirkulationsverhältnisse geschaffen werden. 


erst zur Sünde gestempelt hat. Ein weiteres Problem ist die' 
sexuelle Erziehung. Je eher sie begonnen wird, um so besser 
ist es. W. B. Müller, Berlin. 



Mergal, ein neues internes Antisyphilitikum. 

Sammelreferat von Dr. Carl Grünbaum, Spezialarzt für 
Dermatologie und Syphilidologie, Berlin. 


Varia. 

1. Luftdtmger. Von J. Hun dh au s en. Umschau, XII. Jahrg., 
Nr. 2. 

2. Sexuelle Probleme. Von Dr. Neumann, Bromberg. 
Ibidem. 

1. Aus der neuerdings geglückten Herstellung von Stickoxyd 
und Salpeter aus der Luft auf elektrischem Wege schließt Hund¬ 
hausen, daß auf dem gleichen Wege, durch Gewitter und andere 
elektrische Vorgänge der Atmosphäre, aller jetzt organisch ge¬ 
bundene Stickstoff aus der Luft zur Erde gelangt sei, wo ihn 
dann zunächst die Pflanzen und die niederen Lebewesen des 
Planktons und späterhin die Tierwelt aufnahm. Zur Bestätigung 
dient ihm die durch den Ueberfluß an Wasser und Wärme allein 
nicht erklärbare Ueppigkeit der Flora der gewitterreichen Tropen 
und die bekannte, bis jetzt nicht verstandene günstige Einwirkung 
der Gewitter auf das Pflanzenwachstum. Neben diesem Stickoxyd¬ 
stoffwechsel würden die Salpeterablagerungen, an deren drohende 
Erschöpfung Befürchtungen angeknüpft werden, eine unbedeutende 
Rolle spielen. Die Welt lebt also, wenn H. recht hat, „vom Ge¬ 
witter und wird es fernerhin tun, solang es blitzt und donnert“. 
Er knüpft die Frage daran, ob nicht vielleicht auch das der 
Elektrizität verwandte Licht Stickoxyd liefert und somit nicht nur 
den Stoffwechsel fördert, sondern auch Material für ihn herstellt. 

F. von den Velden, Frankfurt a. M. 

2. Unter allen Rätseln des Daseins spielt das sexuelle Problem 
die größte Rolle. In der Neuzeit haben sich viele Autoren mit 
demselben befaßt, aber doch ist das Wissen über sexuelle Dinge 
noch recht gering, und doch ist da ein einwandfreies Wissen, 
wo uns alle ja das sexuelle Sein so sehr beherrscht, ungeheuer 
notwendig und wünschenswert. Der Mensch steht über den 
Tieren und hat daher für den lediglich tierischen Geschlechtstrieb 
das Wort Liebe gefunden. Zwischen der körperlichen und geistigen 
Liebe bestehen organische Zusammenhänge. Das ganze Gefühls¬ 
und Willenleben erhält durch die verschiedene Geschlechtsnatur 
seine charakteristische Färbung. In der Praxis sind die Ver¬ 
suche, die Geschlechtsdifferenz aufzuheben, immer wieder an der 
Verschiedenheit der Geschlechtsnatur gescheitert. Auf der Ge¬ 
schlechtsdifferenz beruht auch die Antipathie der Geschlechter; 
wahre Liebe ist daher Verständnis des gegenseitigen Wesens, 
Enträtselung. Zu den schwierigsten Sexualproblemen gehört die 
Natur der geschlechtlichen Sensibilität des Weibes: Man unter¬ 
scheidet zunächst einen erotisch-exzentrischen, altruistisch-senti¬ 
mentalen und einen egoistisch-frigiden Typ, aber damit ist die 
Reihe der Möglichkeiten noch lange nicht zu Ende. Es gilt als 
ausgemacht, daß die Einehe die beste und sittlichste Form der 
Vereinigung der Geschlechter bildet, sie ist der Kulturzustand 
der sexuellen Vereinigung als solcher. Die freie Liebe, die Gruppen¬ 
ehe, Vielmännerei, Vielweiberei, das Hetärenwesen etc. sind kultur¬ 
widrige Zustände. Nur in der Dauerehe kann die Frau sich eine 
ihrer würdige Stellung erringen. Was die Zunahme der durch 
den Geschlechtsakt bedingten nervösen Reizbarkeit anlangt, so be¬ 
steht kein Zweifel, daß totale Enthaltsamkeit von sexueller Be¬ 
tätigung keine Krankheiten erzeugen kann. Der sexuelle Trieb 
wird ausgelöscht durch körperliche Anstrengung (Holzhacken, 
Sport etc.). Nur in der Ehe findet der Geschlechtstrieb seine 
normale Befriedigung. Die Vernunft des Mannes ist des Weibes 
Gesundheit. Der normale Geschlechtstrieb ist eine natürliche 
reine, an sich durchaus ethische Naturerscheinung, die der Mensch 


Von der Erwägung ausgehend, daß den bisher geübten Behand¬ 
lungsmethoden der Lues, der Inunktions- und Injektionskur man¬ 
cherlei Mängel anhaften, daß man mittels der internen Darreich¬ 
ung am besten die für eine antisyphilitische Kur erforderliche, 
möglichst große Menge Quecksilbers ein verleiben kann, wenn 
es gelingt, ein Quecksilberpräparat herzustellen, das in großen 
Dosen gut vertragen wird, keine Darmläsionen hervorruft, 
genau dosierbar und konstant resorbierbar ist, hat Boß (1) das 
cholsaure Quecksilberoxyd aus der ehern. Fabrik von J. D. 
Riedel in Berlin in die dermatologische Therapie eingeführt. 
Da nach den Untersuchungen von Overbeck, Gorup* 
Besanez, Biederer die Leber die Hauptablagerungsstätte 
für das in den Organismus aufgenommene Quecksilber ist, 
wählte Boß das Produkt der Leberzellen, die Cholsäure zu 
einem Präparat: Quecksilberoxydcholat, das dem Endprodukte 
des im Organismus kreisenden Quecksilbers, dem Quecksilber- 
oxydalbummat, am nächsten steht. So entstand das chol¬ 
saure Quecksilberoxyd, ein gelblich-weißes, in Wasser unlös¬ 
liches Pulver von der Zusammensetzung (C 24 H 39 0 6 ) 2 Hg, das, 
mit Tanninalbuminat gemischt, unter dem Namen „Mergal“ 
in elastischen Gelatinekapseln in den Handel kommt. Jede 
Kapsel enthält 0,05 g cholsaures Quecksilberoxyd und 0,1 g 
Albuminum tannikum. Der Zusatz von Tanninalbuminat wurde 
gewählt, um von vornherein etwaige Darmläsionen zu ver¬ 
hindern. 

Boß hat das Präparat zwei Jahre lang bei 30 Patienten (davon 
hatten 20 frische Infektionen) gegeben, und zwar die ersten 
vier bis fünf Tage dreimal täglich eine Kapsel = 0,15. g 
cholsaures Quecksilberoxyd pro die, vom sechsten Tage ab 
dreimal täglich zwei Kapseln = 0,3 g pro die, ansteigend bis 
0,4 bis 0,5 g pro die. Hautsyphilide, Plaques, Kondylome 
schwanden unter Mergal ebenso schnell wie bei einer Inunk¬ 
tions- oder Injektiönskur, im Durchschnitt nach drei bis vier 
Wochen, nur in fünf Fällen nach fünf bis sieben Wochen. 
Bei den zehn Altinfizierten war die Wirkung in fünf Fällen 
prompt, in drei Fällen weniger schnell, in zwei Fällen gering, 
weil der Körper durch sechs resp. vier schnell hintereinander 
vorgenommene Kuren mit Quecksilber gesättigt war. Nur in 
drei von den 30 Fällen trat Stomatitis ein; vom Magen und 
Darm wurde das Mittel in 24 Fällen gut vertragen; in drei 
Fällen konnten nicht mehr als drei Kapseln täglich genommen 
werden, in drei Fällen bei acht Kapseln täglich trat weicher 
Stuhlgang ein. Das Durchschnittsquantum für einen Patienten 
dürfte 20 bis 25 g cholsaures Quecksilberoxyd sein. 

Auf Grund seiner Beobachtungen gibt Boß folgende 
Indikationen: 

„1. Das Mergal ist angezeigt bei allen Formen von 
Syphilis, seien sie sekundärer oder tertiärer Art. Nur da, wo 
sich die Syphilis durch schwere oder direkt lebensgefährliche 
Symptome äußert, wie Gehirn- oder Rückenmarkssyphilis, 
Apoplexien, Syphilis der Augen usw., wird man mehr energisch 
wirkende Kuren vorziehen. 

2. Das Mergal eignet sich vorzüglich zur chronisch-inter¬ 
mittierenden Behandlung im Sinne Fournier-Neißer. Ohne 
Zweifel ist der beste Schutz gegen die schweren Späterschei¬ 
nungen eine häufige Behandlung der Syphilis. Am bequemsten 
erreicht man dieses Ziel mit Mergal. 

3. Das Mergal ist zu empfehlen bei den sogenannten para¬ 
syphilitischen Erkrankungen bei der Tabes und der Paralyse.“ 


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1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


117 


Die Wirkung des Präparates: 

„1. Das Mergal ist ein gutes inneres Antiluetikum, das 
auf das syphilitische Virus in gleicher Weise einwirkt, wie 
eine Inunktions- oder Injektionskur. 

2. Es wird vom Verdauungsapparat gut vertragen, erzeugt 
keine Koliken bezw, Durchfälle und keine Nierenreizung. Es 
kann demgemäß monatelang ohne Nachteil genommen werden. 

3. Aus der spezifischen Mergalkur geht der Patient nicht 
geschwächt, sondern gekräftigt und frei von Erscheinungen 
hervor. 

4. Die Mergalkur ist von allen Behandlungsmethoden die 
einfachste, bequemste und angenehmste. Sie stört den Patienten 
nicht in seinem Berufe, verursacht ihm keine Belästigungen 
und keine Schmerzen und, was sehr wichtig ist, sie läßt sich 
überall diskret durchführen.“ 

Saalfeld (2) betont, daß die interne Behandlung der Lues 
in Deutschland wenig Anklang gefunden hat, weil das Queck¬ 
silber leicht Reizung des Darmkanals hervorrufe und die Auf¬ 
nahme desselben in den Organismus schwankend sei. In Frank¬ 
reich dagegen hält Mauriac die innere Quecksilberbehand¬ 
lung für „la möthode la plus commode et la plus g6neralement 
adoptäe“, in England verwirft Hutchinson die Schmierkur, 
weil sie von den Patienten selten befriedigend ausgeführt 
werde, die intramuskuläre Injektionskur, weil sie zu gefährlich 
sei. Da in der Tat Inunktionskur sowohl wie Injektionskur 
gewisse Schattenseiten aufweisen, hat Saal fei d mit Mergal 
im Zeiträume von 1 1 / 2 Jahren bei 100 Patienten Versuche an¬ 
gestellt. Weil nach der anfänglichen Verabreichung des reinen 
Präparates sich neben der eklatanten antisyphilitischen Wirkung 
unangenehme Darmerscheinungen einstellten, wurde, zumal 
Opiumzusatz nicht ausreichte, zu einem Teil cholsaurem Queck¬ 
silber zwei Teile Tanninalbuminat zugesetzt. Seitdem gibt 
Saalfeld die vorrätigen Mergalkapseln mit je 0,05 cholsaurem 
Quecksilber und 0,1 Tanninalbuminat und läßt im Anfänge der 
Kur bei Eintritt von Durchfällen jedesmal ein bis zwei Tropfen 
Opiumtinktur einnehmen. Er beginnt mit drei bis sechs Kapseln 
und steigt zu zehn bis zwölf bis fünfzehn Kapseln pro Tag 
und beobachtete bei dieser Art der Medikation bei seinen 
Patienten ein Schwinden sowohl sekundärer wie tertiärer Lues¬ 
erscheinungen. Das häufige Eintreten von Stomatitiden und 
Gingivitiden sieht Saal fei d im Gegensatz zu anderen Autoren 
nicht als Nachteil an, er glaubt nicht, daß die Güte eines 
Quecksilberpräparates danach zu beurteilen sei, daß dasselbe 
wenig Intoxikationserscheinungen hervorruft, vertritt vielmehr 
die Ansicht, daß eine Quecksilberverbindung, die bei Patienten 
mit dazu disponiertem Zahnfleisch keine Stomatitis oder Gingi¬ 
vitis bewirkt, auch keinen Einfluß auf die syphilitischen Er¬ 
scheinungen hat. In einer Anzahl von Fällen, wo die Schmier¬ 
kur vollkommen versagt hatte, bewirkte Mergal ein Schwinden 
der luetischen Symptome. Er empfiehlt die Mergalkur wegen 
ihrer Bequemlichkeit für Fälle von Lues mit normalem Ver¬ 
laufe, während bei schwerer Lues mit Affektion lebenswich¬ 
tiger Organe doch zu Injektionen unlöslicher Salze wie Kalomel 
geschritten werden muß. Saalfeld hält Mergal für ein brauch¬ 
bares und wirksames Quecksilberpräparat, das viel dazu bei¬ 
tragen dürfte, der intermittierenden Behandlung der Lues nach 
Fourni er-Neißer in immer weiteren Kreisen Eingang zu 
verschaffen. 

Ehrmann (3) betont aus praktischer Erfahrung, daß es 
wünschenswert ist, ein internes Quecksilberpräparat zu haben, 
für Fälle, wo die äußeren Bedingungen für eine Einreibungs¬ 
oder Injektionskur nicht erfüllt sind oder wo beide Kuren nicht 
vertragen werden, und hat, angeregt durch die günstigen Er¬ 
folge anderer Autoren, das Mergal in 20 Fällen von Lues ver¬ 
schiedener Perioden angewandt. Es wurden täglich drei bis 
sechs Kapseln mit je 0,05 cholsaurem Quecksilber gereicht. 
Frische makulo-papulöse Syphilide waren nach 100 Kapseln 
vollkommen geschwunden; bei einem 18jährigen phthisischen 
Dienstmädchen, welches auf Injektionen mit Fieber reagierte, 
schwand ein großmakulöses Exanthem, trotzdem eine Hämoptoe 
kurz vorangegangen war, gleichfalls nach 100 Kapseln, ohne 
daß es zu einer Temperatursteigerung gekommen wäre. Zwei 


Spätformen, ein Gumma des hinteren Nasenrachenraums war 
nach 100 Kapseln im Abbeilen begriffen, ein artikuläres, kinder¬ 
flachhandgroßes, ulzeröses Syphilid nach 150 Kapseln mit 
Hinterlassung von Pigment resorbiert und vernarbt. Von allen 
Patienten, selbst den poliklinischen, die es mit der Mundpflege 
nicht so genau nehmen, wurde das Präparat gut vertragen. 
Die Resorption des Mergals ist rasch, die Einwirkung auf die 
Erscheinungen der Syphilis in allen Stadien sicher, intensiv 
und nachhaltig. Wenn auch ein abschließendes Urteil über 
den Wert des Mergal noch nicht möglich ist, so sieht Ehr¬ 
mann doch in ihm ein brauchbares Quecksilberpräparat, weil 

„1. seine Heilwirkung der Inunktions- bezw. Injektionskur 
nicht nachsteht, 

2. man die Menge des zuzuführenden Quecksilbers exakt 
zu dosieren vermag, 

3. die Resorption keine schwankende, sondern eine gleich¬ 
mäßige ist, 

4. weil es vorzüglich vertragen wird.“ 

von Zeißl (4) hat, bevor er das Präparat seinen Patienten 
verabreichte, damit an sich selbst Versuche auf seine Wirksam¬ 
keit angestellt, indem er — ohne besondere Mundpflege — 
durch drei Tage nach den drei Hauptmahlzeiten je zwei 
Kapseln nahm. Er beobachtete bei der gleichen Diät nichts 
weiter, als daß statt einer einmaligen eine zweimalige Stuhl¬ 
entleerung eintrat. Unter den 40 von ihm bisher behandelten 
Fällen schwanden Gummata bei täglicher Verabreichung von 
sechs Kapseln sehr schnell, ein sehr intensives makulo-papu- 
löses Syphilid ebenso rasch, wie wenn graue Salbe eingerieben 
worden wäre. Allerdings trat in vielen von den 40 Fällen 
schon nach 48 Stunden — bei sechs Kapseln täglich — Gingi¬ 
vitis ein. Auf gewissenhafte Mundpflege ist daher besonders 
zu achten! Bei einem Manne, der freilich lange an Verdau- 
ungsbeschwerden litt, mußte die Mergalkur alle 14 Tage für 
2 bis 3 Tage unterbrochen werden, weil Pat. über Magendrücken 
klagte. Nach den bisherigen Erfahrungen von Zeißls ist 
Mergal ,,ein Merkurialpräparat, das die Erscheinungen der 
Lues rasch zum Schwinden bringt und sehr selten Magen¬ 
beschwerden hervorruft. Keines von den Präparaten, die bis¬ 
her zur innerlichen Darreichung verwendet wurden, wird so 
gut wie Mergal vertragen“. 

Auch Henryk Groß (5) hat 15 Fälle von Lues — fünf 
Frischinfizierte, 10 Altinfizierte — nach der von Boß ge¬ 
gebenen Anweisung mit Mergal behandelt. Seine Erfolge 
waren so günstige, daß er eine Mergalkur einer Inunktions- 
oder Injektionskur fast gleichwertig erachtet und als Anhänger 
der chronisch-intermittierenden Behandlung vorschlägt, jeden 
Syphilitiker drei bis vier Jahre lang in jedem Jahre in sechs¬ 
monatlichen Zwischenräumen je zwei Mergalkuren von zwei 
bis drei Monaten Dauer vornehmen zu lassen. 

E. Fröhlich (6) hat in acht Fällen von nervösen Er¬ 
krankungen nach voraufgegangener Syphilis mit Mergal über¬ 
raschende Erfolge erzielt. Er hält Mergal insbesondere an¬ 
gezeigt bei Frühstadien der Tabes, wenn eine voraufgegangene 
Syphilisinfektion sicher ist, bei Neuralgien spezifischen Cha¬ 
rakters, bei unbestimmten Beschwerden allgemein nervöser 
Art (Mattigkeit, Kopfschmerzen) nach vorhergegangener Syphilis. 
Apoplexien luetischen Ursprungs, Gehirnsyphilis, Gummata im 
Gehirn und Rückenmark erfordern eine eingreifendere Behand¬ 
lung in Gestalt einer Inunktions- oder Injektionskur, später ist 
event. eine Mergalkur am Platze. 

Da es von größter Wichtigkeit für die Beurteilung eines 
Quecksilberpräparates ist, wieviel davon durch Resorption in 
den Kreislauf gelangt, hat Korpsstabsapotheker Varges (7) 
bei einem 36 jährigen Syphilitiker, während und-nach der Be¬ 
handlung mit Mergal Untersuchungen von Harn und Fäzes 
vorgenommen und kommt zu folgendem Schlußergebnis: 

„1. Die Aufnahme des cholsauren Quecksilbers in das 
Blut und die Körpersäfte erfolgt schnell; bereits nach vier 
Stunden ist Quecksilber im Harn nachweisbar, in erheblichen 
und größeren Mengen als bei der Schmierkur, im proportionalen 
Verhältnis zu den gegebenen Mergalmengen. Die Quecksilber¬ 
ausscheidung erfolgt nach Mergalgaben regelmäßiger als bei 
der Einspritzungskur. 


T UP MICHIGAN 


Original ffom 






118 


2. Die Ausfuhr des Quecksilbers erfolgt unregelmäßiger an 
den Fäzes als im Harn, die Gesamtmenge ist in den Fäzes 
eine höhere. Die Quecksilberausscheidung ist nach beendeter 
Kur im Harn länger andauernd als in den Fäzes. 

3. Das cholsaure Quecksilberoxyd übt bei langem Gebrauche 
keinen ungünstigen Einfluß auf den Stoffwechsel aus und ist 
als wirksames unschädliches Antisyphilitikum zu bezeichnen, 
da es Organschädigungen des Magens, Darms und der Nieren 
usw. nicht bewirkt. 

4. Das cholsaure Quecksilberoxyd ist in chemisch-physio¬ 
logischer Hinsicht auf Grund der günstigen Zusammensetzung 
zum innerlichen Gebrauch zu empfehlen. 1,4 

Literatur. 

1 W. Boß, Straßburg i. E.: Die Behandlung der Syphilis mit Mergal, 
einem neuen Antisyphiliticum. Med. Klinik. 1906, Nr. 30. 

2. Edmund Saalfeld: Zur inneren Therapie der Syphilis. Therapeut. 
Monatsk., 1907, Januar. 

3. S. Ehr mann Die Behandlung der Syphilis mit Mergal. Dermatol. 
Centralbl., XI. Jahrg , Nr. 1. 

4. Maximilian vonZeißl: Ein Beitrag zur Syphilisbehandlung Oesterr. 
Aer/te-Ztg., 1907, Nr. 7. 

5. Henryk Groß: Ueber Mergalbehandlung bei Syphilis. Fortsckr. d. 
Med , 1907, Nr. 16. 

6. E. Fröhlich: Ueber die Verwendbarkeit des Mergals in der Nerven- 
prdxL. Therap. d. Gegenw., Oktober, 1907. 

7. Korpsstabsapotheker f Varges: Ueber Q.ueeksilberausscheidung aus 
Harn und Fäzes nach Mcrgalgaben. Fortschr. d. Med., 1907, Nr. 27. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Neuere Arzneimittel. 

Von der Brunnendirektion in Birresborn (H. Löhr & Eglert), 
Birresborn-Düsseldorf, wird die Birresborner Lindenquelle 
versandt, ein natürlicher Natron-Säuerling, gefüllt ohne jeden 
Zusatz und ohne Ausscheidung, wie das Wasser der Quelle ent¬ 
fließt. 

Die früher fiskalische „Lindenquelle“ tritt im Kyll-Tale 
(Eifel) als juvenile Quelle zu Tage, nahe dem durch seine 
Mineralquellen in aller Welt schon lange bekannten Flecken 
„Birresborn 44 , und wird in reiner Naturfüllung wie alle Medi¬ 
zinalwässer zum Versand gebracht. 

Ihr therapeutischer Wert ist begründet besonders durch 
ihren hohen Gehalt an doppeltkohlensaurem Natron, neben 
reichlicher Beimengung von doppeltkohlensaurer Magnesia, Chlor¬ 
natrium, etwas Lithium, und besonders an gebundener und 
halbgebundener Kohlensäure; eine genaue Analyse ist von dem 
chemischenLaboratoriumFresenius-Wiesbaden ausgeführt und 
zeigt den hervorragenden Platz, den die „Lindenquelle 44 unter 
der Gruppe der ähnlichen Mineralbrunnen einnimmt. 

Schon Masenius erwähnt die Quelle in seiner Ende des 
17. Jahrhunderts geschriebenen „Metropolis“ und sagt, daß sie 
gegen „Leber-, Milzleiden und Blasenstein als Heilmittel ge¬ 
braucht werde“; eingehend schildert Dr. Cohausen im Jahre 
1748 im Auftrag des Trierschen Curfuersten Franz Georg (Graf 
von Schönborn) die Eigenschaften und den therapeutischen 
Wert der Birresborner Quellen; Dr. Jacob Schneider — 
Trier 1843 — 5 Professor Dr. Nöggerath — Bonn 1877 —, 
in neuerer Zeit Hofrat Dr. Siegle-Stuttgart, Geh. Med.- und 
Regierungsrat Dr. Schwarz-Trier, Dr. Preyß-Düsseldorf, 
Dr. Bach-Prüm, Charles H. Piesse-London haben, sich in 
eingehender Weise mit den Birresborner Mineralbrunnen durch 
praktische Anwendung und klinische Untersuchungen befaßt 
und darüber geschrieben; sämtliche Urteile stimmen darin 
überein, dal) bei allen Erkrankungen der Schleimhäute, der 
Nieren, bei Gries- und Blasensteinbildungen, Diabetes, gichti¬ 
schen Erkrankungen etc. das Wasser der „Lindenquelle 44 mit 
gutem Erfolg' angewandt ist und sich als vorzügliches 
Prophylaktikum bei dauerndem Gebrauch besonders gegen 
gichtische Erscheinungen und alle Folgeerscheinungen von 
Ablagerungen harnsaurer Salze bestens und seit Jahrhunderten 
bewährt hat. 

Das Wasser hat einen angenehmen, prickelnden Geschmack 
und hält sich auch in angebrochener Flasche, dank seines 
reichen Gehaltes an gebundener Kohlensäure, längere Zeit; mit 
Fruchtsäften etc. gemischt, ist es ein wohlschmeckendes, 
diätetisches Erfrischungsgetränk. P. Höckendorf. 


Fucol, Ersatzmittel für Lebertran, Dem Leber¬ 
tran haften manche Nachteile an. Viele Kinder nehmen i}m 
nicht wegen seines tranartigen Geschmackes, oft wird er nicht 
gut vertragen, ruft Aufstoßen, Uebelkeiten nnd Erbrechen 
hervor. In der heißen Jahreszeit wird Lebertran, leicht ranzig 
und kann dann Darmstörungen hervorrufen. Die Dreisten Ersatz¬ 
mittel für Lebertran sind bedeutend teurer als dieser und ent¬ 
halten nicht so viele freie Fettsäuren, durch die gerade dw* 
Lebertran erhöhte Resorptionsfähigkeit und ausgiebige Ver¬ 
wertung im Organismus zukommt, da sie mit den Magen- und 
Darmsäften verseifen. 

Das Fucol, das aus jodhaltigen Meeralgen gewonnen wird, 
hat die unangenehmen Eigenschaften nicht und übertrifft den 
Lebertran noch in seiner Emulsionsfähigkeit. Es ist geruch- 
und geschmacklos und wurde unter 48 Fällen, über die Dr. 
J. Guttm ann-Wien in der Oesterreichischen Aerzte-Zeitung 
1906, Nr. 7, berichtet, nur von zweien nicht gern genommen. 
Sehr gut waren die Erfolge des genannten Arztes bei Rachitis, 
auch wenn sie mit Bronchitis verbunden war. Sehr günstige 
Wirkung sah er ferner bei anämischen und chlorotischen Kin¬ 
dern. Auch bei tuberkulösen Affektionen der Lunge hatte 
Guttmann mehrere günstige Erfolge bei Kindern. Ueber- 
haupt besitzt das Mittel dort hervorragenden Wert, wo es darauf 
ankommt, die Gesamternährung zu heben. 

Kindern unter drei Jahren gibt man zwei bis drei Kaffee¬ 
löffel, größeren drei Kinderlöffel bis zu drei Eßlöffel täglich* 
Bei empfindlichen Patienten kann als Geschmackskorrigens eine 
Tablette Saccharin auf 100 g oder können einige Tropfen Ol. 
menthae pip. hinzugefügt werden, das Fucol auch mit etwas 
Zitronensaft oder Zucker gegeben werden. Auch verschiedene 
wirksame Bestandteile können beigegeben werden, wie Ferrum 
jodat. (in Originalflasche 0,2%), Kreosot, Kreosotal (0,5%), Malz¬ 
extrakt usw. Das Fucol wird auch von Kindern in der Säug¬ 
lingsperiode gut vertragen. Es ist relativ billig. 

P. Höckendorf, Großlichterfelde. 


Referate. 


Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. Guajakose (flüssige Guajakol-Somatose), ein rationelles 
Guajakolpräparat. Von Dr. J. Doberer-Linz. Wiener med. 
Presse, 1907, Nr. 51. 

2. Ueber Decilan. Von Au fr echt-Berlin. Med. Klinik, 
1907, Nr. 52. 

3. Dolor post extraktionein. Von Zahnarzt L. Kar funkel- 
Berlin. Separat-Abdr. aus Zahnärztl. Rundsch., 1907, Nr. 46. 

4. Ueber Blutstillung. Von Dr. J. Weiß-Wien. Therapeut. 
Ratgeber, 1907, Nr. 25. 

5. Ueber die Zweckmäßigkeit verschiedener Pillenmassen. 

Von E. Rieben. Arch. f. Pharm., 1907, Nr. 7. Ref. Pharm. 
Ztg., 1907, Nr. 104. 

6. Wissenschaftliche Mitteilungen über Antirheumol und 
Stomagen. Von Dr. Zernik. Apotheker-Zeitung, Berlin, 1907, 
Nr. 104 und 1908, Nr. 1. 

1. Im Kampfe gegen die Tuberkulose pflegt man den Kreosot- 
bezw. Guajakol-Präparaten noch das meiste Vertrauen entgegen¬ 
zubringen. Denn wenn sie auch keine spezifischen Mittel sind, 
so beeinflussen sie doch in den meisten Fällen den Appetit und 
die Expektoration günstig. Von diesen Gesichtspunkten aus¬ 
gehend , hat D. einige Versuche mit „Guajakose“ , d. i. flüssige 
Guajakol-Somatose, gemacht und glaubt auf Grund von vier 
Krankengeschichten, die er kurz mitteilt, das Mittel empfehlen zu 
können. Die Guajakose enthält das wirksame Guajakol in Form 
des nicht ätzenden, ungiftigen, guajakolsulfosauren Kalziums. Ro߬ 
bach hat seinerzeit 30 g Guajakolsulfosäure Tieren verfüttert, 
ohne daß Reizerscheinungen auftraten. Eine schädliche Wirkung 
auf das Herz ist im Gegensatz zu dem nicht indifferenten Kalium 
nicht zu befürchten. Durch die Kombination mit der appetit¬ 
anregenden, roborierenden Somatose gewinnt das Mittel noch an 
Wert. Die Guajakose hat einen aromatisch-bitteren, durchaus 
nicht unangenehmen Geschmack und wurde von D.s Kranken 


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1&08. THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 119 


stets anstandslos genommen; sie regte den Appetit an und ver¬ 
ursachte niemals Verdauungsbesch werden. D. konnte in allen 
Fällen von Lungentuberkulose eine Zunahme des Gewichts und 
Rückgang der physikalischen Symptome konstatieren. 

2. Da von allen Desinfektionsmitteln, die in den letzten 
Jahren auf den Markt gebracht wurden, das Formaldehyd die 
meisten Vorzüge aufweist, so ist es begreiflich, daß dieses in den 
verschiedensten Kombinationen für Desinfektionszwecke verwendet 
und empfohlen wird, und es ist bekannt, daß man — wie Ver¬ 
suche ergeben haben — schon durch einen Zusatz von 5% Kali¬ 
seife die desinfizierende Kraft einer l%igen wässerigen Formal¬ 
dehydlösung um etwa 20% steigern kann. Leider haben aber 
diese Formaldehydseifenlösungen, die unter den verschiedensten 
Bezeichnungen im Handel sind, den Nachteil, daß sie bei längerer 
Aufbewahrung, namentlich in der wärmeren Jahreszeit, eine mehr 
oder weniger starke Veränderung erleiden, wobei sich das 
Formaldehyd z. T. verflüchtigt, z. T. zersetzt, wodurch die Wir¬ 
kung herabgesetzt wird. Anscheinend ist es nun der Firma 
Dr. Horowitz, Chemisches Institut, Berlin N., gelungen, eine be¬ 
ständigere Verbindung des Formaldehyds herzustellen, welche 
„Decilan“ genannt wird und nach Angaben des Herstellers eine 
Formaldehydkaliumoleinat-Lösung darstellt, in welcher ein Teil 
des Formaldehyds in Form von Trioxymethylen gebunden ist und 
erst in statu nascendi abgespalten wird. Mit diesem Mittel wurden 
im chemischen und bakteriologischen Institut von Dr. Aufrecht, 
Berlin, interessante Untersuchungen vorgenommen, deren Resultate 
wir hier mitteilen wollen. 

Das Decilan ist eine klare, gelbe Flüssigkeit von alkalischer 
Reaktion. Es ist mit Wasser, Alkohol und Glyzerin in jedem Ver¬ 
hältnis klar mischbar, bildet beim Stehen keinen oder nur einen 
geringen Bodensatz, ist in unverdünntem Zustande unbegrenzt 
haltbar, ist frei von Säuren imd ätzenden Alkalien und weist 
nicht den widerlichen Geruch der meisten Formaldehydseifen- 
lösungen auf. Vielmehr hat es einen angenehmen, erfrischenden 
Wohlgeruch infolge seines Gehaltes an ätherischen Oelen. Bei der 
chemischen Untersuchung fand A. im Destillat 6,4 g Formaldehyd 
in 100 ccm, bei der direkten Bestimmung 4,55%. Daraus ist zu 
entnehmen, daß annähernd 2% Formaldehyd im Decilan in ge¬ 
bundenem Zustande (in Form von Hexamethylentetramin) vor¬ 
handen sind. Somit würde die im Decilan vorhandene Gesamt¬ 
menge von Formaldehyd 11,25% der üblichen Formaldehydlösung 
entsprechen; mithin müßte theoretisch das Präparat die antisep¬ 
tische Wirkung einer ungefähr 11% Formalin enthaltenden Lösung 
besitzen. Dazu kommt noch die kumulierende Wirkung des Kalium- 
oleinats und der ätherischen Oele. 

A. hat weiter bakteriologische Versuche mit dem Mittel ge¬ 
macht, aus denen hervorgeht, daß das Decilan (ebenso wie das 
vergleichsweise herangezogene Lysoform) den bekanntlich sehr 
resistenten Streptokokkus pyogener, bereits in l%iger Lösung 
nach fünf Minuten langer Einwirkung abtötet, während Lysol bei 
gleicher Konzentration und Zeitdauer einen deutlich hemmenden, 
Karbolsäure unter den gleichen Bedingungen einen kaum merk¬ 
lichen Einfluß ausüben. Typhus- und Diphtheriebazillen tötet das 
Decilan bereits in l°/ooigen Lösungen nach 10 Minuten. Auch 
darin zeigt es sich somit den anderen Mitteln überlegen. 

In einer weiteren Versuchsreihe hat A. das Mittel auf seine 
desodorierende Wirkung, in einer andern auf seinen Wert als 
Händedesinfektionsmittel geprüft. 

Auf Grund seiner Ergebnisse bei den verschiedenen Unter¬ 
suchungen äußert sich A. dahin, daß „das Decilan ganz bedeutende 
antiseptische und desinfizierende Eigenschaften besitzt“. 

3. Seit Einführung der lokalen Anästhesie in die Zahnheil¬ 
kunde hat der Nachschmerz nach Zahnextraktionen, der früher 
nur bei wurzelkranken Zähnen sich einstellte, eine große Erweite¬ 
rung gefunden. Er ist umso unangenehmer, als die Operation selbst 
keine oder nur geringe Schmerzen verursacht. Gegen die Schmerzen 
bei der Extraktion und gegen den Nachschmerz in gleicher Weise 
wirksam scheint das vom Apotheker Hadra - Berlin hergestellte 
„Phenyphrin“ zu sein; wenigstens hat Zahnarzt L. Karfunkel- 
Berlin gute Erfolge damit gesehen. Das Präparat besteht aus 
Alypin, Kochsalz und einem phenylsauren Nebennierenextrakt. K. 
hat das Mittel in mehreren 100 Fällen mit stets gleichem Er¬ 
folge augewendet. 


4. W. berichtet über die bisherigen Erfahrungen mit Ergo- 
tinol. Dasselbe ist eine klare, braune Flüssigkeit, die in jedem 
Verhältnis in Wasser oder Alkohol löslich und klar mischbar ist. 
Seine Vorteile sind: 1. Es ist von verläßlicherer und stärkerer 
Wirkung als die bisher gebräuchlichen Ergotinpräparate; 2. seine 
toxische Grenze liegt nach den Versuchen von Gottschalk viel 
weiter als bei jedem anderen Sekale-Präparat; 3. es ist unbegrenzt 
haltbar; 4. seine subkutane Anwendung ist absolut schmerzfrei 
und verursacht 5. an der Injektionsstelle keine Abszedierungen; 
6. es ist absolut konstant zusammengesetzt und daher leicht zu 
dosieren; 7. es ist jederzeit chemisch rein; 8. in Form der Ergo- 
tinol-Dragees behauptet es seine styptische Wirkung allen mög¬ 
lichen , selbst hochgradigen Blutungen gegenüber und ist speziell 
bei Lungenblutungen von hervorragendem Werte; 9. dadurch, daß 
man unbenützte Reste jederzeit wieder mit gleichem Erfolge ver¬ 
wenden kann, ist die Ergotinoltherapie billiger als jede andere 
blutstillende Behandlung (das ist doch wohl fraglich! Ref.); an 
Wirkung kommt 1 ccm Ergotinol 0,5 Extr. secal. cornut. gleich ; 
10. schädliche Nebenwirkungen von seiten des Organismus, von 
der Toxizität des Mittels abgesehen, wurden uie beobachtet. 

In der gynäkologischen Praxis fand das Ergotinol hauptsäch¬ 
lich in Form von Injektionen, bei Blutungen anderer Natur in 
Form der Dragees, die leicht und angenehm zu schlucken sind, 
Anwendung. Sogar schwere Ulkus ventrikuli-Blutungen werden 
durch Darreichung von acht Dragees durch drei Tage und deren 
sodann täglich um ein Dragee reduzierte Menge meist prompt 
gestillt. Bei Hämoptoe genügen ein bis zwei wöchentliche Ein¬ 
nahmen von täglich dreimal zwei Dragees; daneben bekämpft 
man den Hustenreiz mit Kodein oder Morphium. Bei profusen 
Menstruationsblutungen anämischer Mädchen gibt man dreimal 
zwei Dragees täglich, um stärkere Blutverluste zu unterdrücken. 
Eklatant sind die Wirkungen der Injektionen bei großen Myomen, 
deren Operation aus irgendeinem Grunde hinausgeschoben werden 
mußte, ferner bei Blutungen im Klimakterium, bei Aborten nach 
Ausräumung des Uterus und zur Beschleunigung der Involution 
nach langdauernden oder instrumentellen Geburten. 

5. In der Pharmazeut. Zeitg., 1907, Nr. 104, lesen wir ein 
Referat über die Zweckmäßigkeit verschiedener Pillenmassen, das 
auch für Aerzte von Interesse sein dürfte. 

Um den Zerfall verschieden zusammengesetzter Pillen im Ver¬ 
dauungskanal zu studieren, hat E. Rieben Versuche in der 
Weise angestellt, daß er verschiedenen Personen unter ganz 
gleichen Versuchsbedingungen eine Reihe Pillen mit 0,02 Kal. 
jodat. gab und ihren Harn auf Jod untersuchte. Er stellte zu¬ 
nächst fest, daß eine wässerige Lösung von Jodkalium schneller 
resorbiert wird als eine Jodkaliumpille. Bei den verschiedenen 
Mischungen, die E. als Pillenkonstituens verwendete. tritt die 
Resorption des Jodkalis am spätesten auf, wenn man die Pillen 
aus Oel und Wachs herstellt. Sie ist gleichfalls beschränkt bei 
den aus Gummi arab. und Saccb. all), angefertigten Pillen, etwas 
günstiger bei solchen von Bolus alb., besonders wenn man Kombi¬ 
nationen von Sirup, simpl. und Lanolin anwendet. Weniger günstig 
scheint der von Boehm empfohlene Zusatz von Glyzerin zu sein. 
Die besten Resultate hinsichtlich der Resorption ergeben sich bei 
den Pillen, die au£ Radix Liquirit. und Radix Althaeae angefertigt 
werden. Hier steht an erster Stelle die Verbindung von Rad. 
Liquirit. und Sir. spl. Die aus Sapo medikat. bestehenden Pillen 
stehen jenen aus den erwähnten Pflanzenpulvern angefertigten 
nicht nach. Daß durch das Ueberziehen mit Silberfolie der Zer¬ 
fall der Pille im Magendarmkanal beeinträchtigt wird, leuchtet 
ohne weiteres ein. 

6. Unter den Wissenschaftlichen Mitteilungen veröffentlicht 
Dr. Zernik in der Apotheker-Zeitung, 1907, Nr. 104 und 1908, 
Nr. 1, die Ergebnisse einiger Untersuchungen über neuere Mittel, 
die im Pharmazeutischen Institut der Universität Berlin vorge¬ 
nommen wurden, und denen wir folgendes entnehmen: 

Unter dem Namen „Antirheumol“ brachte die Firma 
Dr. Sorger, Chem. Laboratorium, Frankfurt a. M., ein zur äußer¬ 
lichen Behandlung rheumatischer Affektionen etc. bestimmtes 
Präparat in den Handel, das chemisch als Salizylsäuregtyzerinester 
bezeichnet 'wurde. Ein solcher ist schon bekannt und wird zu 
therapeutischen Zwecken von E. Merck-Darmstadt als „Glykosal“ 
in den Handel gebracht. Dieses nach D. R. P. dargestellte 



CHIGAN 





120 


TitEtiApfiüf ische ßüNDscaiü. 


Präparat bildet ein. kristallinisolies Pulver von bitterlichem Ge¬ 
schmack, das sowohl innerlich wie äußerlich angewendet werden 
kann. Das im Handel befindliche „Antirheumol konzentratum“ ist 
dagegen eine sirupdicke Flüssigkeit, aus der sich in der Kälte 
reichlich nadelige Kristalle abscheiden. Hach dem Untersuchungs¬ 
befunde ist es kein chemisch reines Präparat, sondern stellt vermut¬ 
lich das nach dem Patent gewonnene rohe Reaktionsprodukt dar. 

„Stomagen“ ist ein neues Magenmittel, das von der Firma 
Apotheker A. Lincke, G. m. b. H. in Berlin-Steglitz in Zeitungs¬ 
inseraten, Broschüren und Flugblättern angepriesen wird. Als 
Bestandteile werden Papayotin, Pepsin, Bismut. subnitric., Milch¬ 
zucker und ein geringer Prozentsatz von Acid. citric., außerdem 
noch Cort. Condurango, Rhizom. Zingeribis, Oort. Angostur. und 
Ol. Menth, piperit. angegeben. Eine Schachtel kostet 2,75 M. 
Das Piäparat stellt ein hellbraunes Pulver dar von säuerlichem 
und zugleich bitterem Geschmack, das sich in verdünnter Salz¬ 
säure bis auf einen ganz kleinen Rest (= 3% Vegetabilien) auf¬ 
lüst. Die Untersuchung hat im übrigen ergeben, daß die Angaben 
des Darstellers im wesentlichen zutreffen. 




Fieberthermometer „Pneumomaxima“, 

welches von der Firma A. Küchler & Söhne, Ilmenau, an¬ 
gefertigt wird, stellt eine interessante Neuerung dar. Jedem 
Arzte werden die Schwierigkeiten schon lange und hinlänglich 
aufgefallen sein, welche man mit den bisher im Gebrauch be¬ 
findlichen Maximalthermometern immer und immer wieder, 
namentlich bei Behandlung im Privathaus, bekämpfen mußte, 
denn nur zu oft kam es vor, daß der Patient, die Angehörigen 
oder Pfleger und Pflegerinnen mit dem Maximalthermometer 
nicht richtig umzugehen verstanden, indem sie das Quecksilber 
nach dem Messen nicht wieder herunterschlagen konnten. 
Viele Personen brachten diese einfache Tätigkeit nicht fertig, 
andere vergaßen es immer wieder und so ist der Arzt nie 
sicher, ob richtig gemessen worden ist, wenn er Fieber ge¬ 
meldet bekommt bei einem Kranken. Viele Irrtümer kamen 
da zustande, und unendlich viele Thermometer gingen bei der 
Prozedur des Herabschlagens entzwei. Das neue Thermometer 
soll dem abhelfen. Es besteht in folgender Konstruktion. Die 
Kapillare mündet oben in einen birnenförmigen Hohlraum, 
welcher durch eine elastische Membran abgeschlossen ist. 
ln der Birne befindet sich ein sorgfältig getrocknetes Gas. Ein 
am oberen Ende des Thermometers hervorstehender Knopf ist 
mit der elastischen Membran in Verbindung, und wenn man 
auf diesen Knopf drückt, so komprimiert er das Gas in der 
Birne und über dem Quecksilber. Wenn nun das Quecksilber 
hochgestiegen ist, und man es wieder herunterbringen will, 
braucht man nur auf den Knopf zu drücken. Im übrigen ist 
das Instrument ein gewöhnliches Maximalthermometer und 
genau wie ein solches zu behandeln. Es scheint, als ob dieses 
nur drei Mark kostende Thermometer für die Familienpraxis 
geeignet ist; ob es sich auch für Hospitale eignet, muß die 
Erfahrung lehren. Die Konstruktion ist sinnreich, aber es bleibt 
abzuwarten, ob das Instrument auf die Dauer genau funktioniert 
und haltbar ist. Es wird vielleicht die Membran nicht zu 
lange halten. W. B. Müller, Berlin. 



Vergleichende Volksmedizin. Eine Darstellung volks- 
medizini.scher Sitten und Gebräuche, Anschauungen und Heilfak¬ 
toren, des Aberglaubens und der Zaubermedizin. Unter Mitwir¬ 
kung von Fachgelehrten herausgegeben von Dr. 0. v. Hovorka 


und Dr. A. Kronfeld. Mit einer Einleitung von Professor Dr; 
M. Neuburger. Verlag Strecker & Schröder,. Stuttgart. Mit 
28 Tafeln und etwa 500 Abbildungen im Text. Gesamtumfang 
84 Bogen — 1344 Seiten Lexikon-Oktav. Broch. 22,40 M., geb. 
28 M. 

„Unter Volksmedizin verstehen wir den Inbegriff der von 
alters her überkommenen Heilmethoden und Krankheitsvorstel¬ 
lungen des Volkes im Gegensatz zur Heilwissenschaft und zur 
Kunst der Aerzte.“ Diese Worte Prof. Neuburgers aus der 
Einleitung des Werkes, dessen erster Band Anfang April er¬ 
scheinen wird, orientieren über den Inhalt der beiden Bände, 
die uns zwei als Forscher auf dem Gebiete der Volksmedizin be¬ 
kannte Wiener Aerzte bescheren. Das großangelegte Werk, das 
ebensowohl für Aerzte als für alle, die sich für die volksmedizi¬ 
nischen Sitten und Gebräuche interessieren, ohne Jünger Aesku- 
laps zu sein, bestimmt ist, ist eine durchaus neue Erscheinung auf 
dem Büchermarkt. Es handelt sich um eine neue Zweigwissenschaft 
der Geschichte der Medizin, zu welcher anläßlich des Hamburger 
Orientalistenkongresses (1901) die Grundlagen gelegt wurden. Die 
„Vergleichende Volksmedizin“ verfolgt zwei Ziele; in erster Linie 
ist sie berufen, die vom ethnographischen und folkloristiscken 
Standpunkte wichtigen und interessanten Tatsachen der Vergessen¬ 
heit und dem sicheren Untergange zu entreißen. In den volks- 
medizinischen Sitten und Gebräuchen gibt es aber eine Fülle von 
Volks- und Hausmitteln, welche nicht nur auf dem Lande, sondern 
auch in der Stadt hoch in Ehren stehen und neben den Vor¬ 
schriften der wissenschaftlichen Medizin sehr beliebt sind. Gegen 
solche wertvolle Volks- und Heilmittel (Kamillentee, Leinsamen¬ 
umschläge , Kräuterbäder, Fenchel, Senffußbäder usw.) hat die 
Wissenschaft niemals etwas einznwenden gehabt, wohl ebenso¬ 
wenig gegen die indifferenten. Dagegen muß sie sich gegen 
direkt schädliche oder gegen sogenannte Zaubermittel verwahren 
(Spinnwebe auf blutende Wunden, Auflegen von Erde auf Wunden, 
Tierexkremente, Maulwurfspfote, Abbeißen eines Mäusekopfes usw.). 
Die „Vergleichende Volksmedizin“ wird über den Nutzen und 
den Schaden dieser Mittel vom ärztlichen Standpunkte aufklären. 

Die Tendenz des Werkes dürfte also alle Teile, befriedigen 
und ihm eine freundliche Aufnahme sichern, abgesehen von dem 
hohen wissenschaftlichen Werte, der uns sein Erscheinen mit be*> 
sonderer Freude begrüßen läßt. Der Inhalt ist, nach dem Ver¬ 
zeichnis zu urteilen, ein durchaus umfassender, die Einteilung des 
speziellen Teiles in medizinische Spezialfächer recht zweckmäßig. 

Das Werk erscheint übrigens auch in 28 Einzellieferungen 
oder in 4 Abteilungen. Lungwitz, Berlin. 



Berlin. Der Berliner Polizeipräsident erläßt eine Warnung 
vor dem von einem gewissen Lindekuh gegen Menstruations¬ 
störungen angepriesenen Mittel Mesembryantheum. „Das aus der 
gepulverten römischen und gemeinen Kamille bestehende, durch 
geringe Mengen von Grasbestandteilen und Samen verschiedener 
Art verunreinigte Mittel wird zu dem Preise von 10 M. verkauft, 
während sein wirklicher Wert etwa 30 bis 40 Pf. beträgt.“ 


Eine wirksame Phosplior-Tlicrapie ist in einfachster, zuverlässigster 
und billigster Weise durchführbar mittels Fucol mit Phosphor (0,001%). 
Selbst durch jahrelange Aufbewahrung und in jedem Klima bleibt der Phos¬ 
phorgehalt unverändert. Orig.-Flaschen k 125 Gramm kosten in den Apo¬ 
theken M. 1,20. General-Vertrieb: Karl Fr. Töllner, Bremen. 


F. A. Hoppen u. R. Fischer 
Patentanwälte 

Berlin SW, 13., Neuenbnrgerstraße 15 

Amt IV 718. 


Verantwortliche Redakteur: Dr. II. Lungwitz, Berlin S. — Verlag: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle a. S. 
Druck der Heynemannschen Buchdruckerei, Gebr. Wolff, Halle a. S. 


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Wochenschrift für die gesamte Therapie des praktischen Arztes. 


0. Äntoii, A. Dührssen, C. A. Ewald, R. Robert, 

Halle a. S. Berlin. Berlin. Rostock. 

H. Schmidt-Rimpler, H. Senator, 
Halle a. S. Berlin. 


Redaktion: 

Berlin S. 14, Dresdenerstrasse 44 

Dr. H. Lungwitz. 


Herausgegebea vm 



M. Koeppeb, 

Berlin. 

R. Sommer, 

Gießen. 


H. Roshi, H. Schlange, 

Berlin. H-nowr. 

H. Unterricht, 

Magdeburg. 


Ad. Schmidt, 
Halle a. S. 


Verlag n. Expedition : Carl Marhold Verlagsbuchhandlung 
in Halle a. S., Reilstraße 80. 

Tel.-Adr.: Marhokl Verlag Hallesaale. Fernsprecher 823 . 

V — - ., __ 


Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte der Ostsee and der 
_Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 


II. Jahrgang. 


Halle a. S., 23. Februar 1908. 


Nr. 8. 


Die „Th erapeu tische Rundschau 8 erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2;M, einzelne Nummer 20 Pf. Bestellungen nehmen jede Buchhandlung, 
die Post, sowie die Geschäftsstelle: Carl Marhold Verlagsbuchhandl ung in Halle a. S. entgegen. Inserate werden für die 4gespaltene Petitzeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. berechnet Beilagen nach Uebereinkunft Reklamezeile 1,50 M. Bei größeren Aufträgen wird Rabatt gewährt. 

Nachdruck der Original-Aufsätze ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. — Nachdruck der anderen Rubriken ist nur mit Quellenangabe gestattet 


CD 


ORIGINALEN. 


CD 


Die Elektrolyse mit langen Nadeln zur Behandlung 
von Verschwellung des Naseninnern. 

Von Sanitätsrat Dr. Maximilian Bresgen, Wiesbaden. 

(Schluß.) 

Ist nun die Kokainisierung beendet, so werden die als ge¬ 
eignet bereitgehaltenen Nadeln eingeführt, nachdem vorher 
der Nasen-Er weiterer in die richtige Stellung gebracht worden 
ist. Das Vorgehen dabei habe ich bereits weiter oben genauer 
beschrieben. Sitzen also die Nadeln, so wird der Nasener¬ 
weiterer vorsichtig entfernt; die aus dem Nasenloche heraus¬ 
hängenden Teile der Nadeln werden sodann mit dem Kabel, 
das vorher mit dem Schaltbrette auf + und — Pol verbunden 
worden ist, durch die Steckkontakte in Verbindung gebracht, 
so daß die Kathode (— Pol) an die zu oberst in der Nase 
liegende Nadel kommt. Es ist so am vorteilhaftesten, weil dabei 
der Strom zuerst in den oberen, meist empfindlicheren Teilen 
seine Hauptwirksamkeit entfaltet, in denen später infolge nach¬ 
lassender Kokainwirkung leicht größere Schmerzhaftigkeit auf- 
treten könnte. Nachdem man dann den Kranken sich hat be¬ 
quem im Stuhle zurecht setzen lassen, ihn auch darauf auf¬ 
merksam gemacht hat, daß nicht nur ruhiges Sitzen, sondern 
auch Liegenlassen der Hände auf dem Schoße notwendig ist, 
damit das Kabel nicht durch eine Bewegung gelöst werde, ihm 
auch gesagt hat, daß er wie gewöhnlich durch die Nase atmen 
soll, auch ohne Zwang sprechen könne, und nachdem man sich 
überzeugt hat, daß alle Verbindungen festsitzen, auch das Schalt¬ 
brett in Ordnung ist, so läßt man den elektrischen Strom in 
dieses eintreten. Sodann schaltet man, nachdem man den 
Stand der Uhr festgestellt hat, ganz allmählich den Widerstand 
aus, und zwar so, daß der Kranke niemals Schmerz empfindet. 
Der Kranke, der zu Aeußerungen über seine Empfindungen 
aufgefordert werden muß, hat dadurch die Bestimmung der 
Stromstärke selbst in der Hand, so daß man stets in der Lage 
ist, die für den einzelnen Fall mögliche Stärke des Stromes 
anzuwenden. So wichtig dies auch ist, so schlage ich doch 
einen anderen Umstand noch höher an: in den allermeisten 
Fällen, selbst bei Kindern, wird das Zutrauen zur eingeschla¬ 
genen Behandlung sehr rasch so groß, daß sie sehr gern eine 
stärkere Einwirkung des Stromes trotz geringen Brennens oder 
Ziehens in den Nerven gestatten, wenn man solche zur Er¬ 
reichung einer bestimmten Ampere-Zahl für wünschenswert er¬ 


klärt. Hat der elektrische Strom, entsprechend dem Grade der 
Erkrankung der eben in Behandlung befindlichen Stelle, ge¬ 
nügend lange eingewirkt, so läßt man durch sehr langsame 
Vermehrung des einschaltbaren Widerstandes den Strom fast 
unmerklich sich ausschleichen. Ist dies erreicht, so läßt man 
den Kranken zuerst, wie oben schon dargelegt, den an den 
Nadeln gebildeten Schaum durch stärkeres Einziehen der Luft 
durch das betreffende Nasenloch bei Schließung desjenigen der 
anderen Nasenseite nach hinten beseitigen, alsdann wendet man 
mittels des zuständigen Hebels die Stromrichtung und schaltet 
darauf ganz allmählich wie zuerst den Widerstand wieder so 
lange aus, bis der Kranke durch Aeußerung von Empfindlich¬ 
keit Halt gebietet. Hierzu ist noch im allgemeinen zu be¬ 
merken, daß meist nach wenigen Sekunden schon das langsame 
Ausschalten des Widerstandes fortgesetzt werden kann, immer 
wieder so lange, als des Kranken Empfinden es gestattet oder 
bis die gewünschte Ampere-Zahl erreicht ist. 

Muß man schon bei der ersten Einwirkung der Elektrolyse 
sein Auge stets dem Ampere-Meter zugewendet halten, so ist 
dies nach dem Stromwechsel nur um so notwendiger. Denn 
dem anfänglichen Ansteigen des Ampere-Meters beim langsamen 
Einscbleichen des Stromes folgt meist bald ein Stillstand, ja 
sogar Rückgang, so daß man wähnen könnte, es ginge gar kein 
Strom durch die Nadeln hindurch, zumal der Kranke meist auch 
nichts empfindet. Ja, man kann bisweilen sogar den ganzen 
Widerstand ausschalten, ohne daß ein Vorhandensein von Strom 
am Amp&re-Meter oder durch Schmerzempfindung beim Kranken 
angezeigt wird. Die Ursache für dieses Verhalten des Stromes 
muß im bereits elektrolysierten Gewebe liegen. Meist bleibt 
das Ampere-Meter auf 5 M.-A. stehen, wenn auch der ganze 
Widerstand ausgeschaltet ist; doch dauert es gewöhnlich nur 
etwa drei Minuten, bis daß am Ampere-Meter geringe Schwan¬ 
kungen der Nadel anzeigen, den Widerstand rascher einzu¬ 
schalten. Geschieht dies nicht, so tritt plötzlich eine große 
Schmerzhaftigkeit ein. Man muß also nach der Stromwendung, 
sobald der Widerstand über das gewöhnliche Maß ausgeschaltet 
ist, die Hand am Widerstandshebel haben, um sofort bei Auf¬ 
treten von Schwankungen der Ampere-Nadel den Widerstand 
nach und nach so zu vermehren, daß dem Kranken keinerlei 
Schmerzen erwachsen. Ist dabei das Ampere-Meter auf einen 
Punkt gesunken, der eine zu geringe Wirksamkeit befürchten 
lassen muß und ist die Zeitdauer noch nicht erreicht, so kann 
man langsam wieder eine Verminderung des Widerstandes ver¬ 
suchen, so weit es der Kranke zuläßt. Im allgemeinen lasse 
ich den Strom nach seiner Wendung ebenso lange durchgehen 
wie zuvor, vorausgesetzt, daß ich die erforderliche Ampere- 
Zahl erzielen konnte; im anderen Falle muß man die Zeitdauer 
entsprechend verlängern. Nachher läßt man dann wie auch 
zuerst durch Einschaltung des Widerstandes den Strom ganz 


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122 


'FÜERAPlEÜ'i'ISCME RtttTDSCfiAÜ. 


allmählich sich ausschleichen, löst dann nach Ausschaltung' des 
Stromes aus dem Schaltbrette die Steckkontakte von den 
Nadeln, bringt sodann das leicht verletzliche Kabel in Sicher¬ 
heit und zieht schließlich mit einem kurzen, aber doch zarten 
Ruck die Doppelnadel oder die beiden Einzelnadeln aus der 
Schleimhaut und der Nase heraus. Der Kranke bleibt dann 
noch mit gerade gehaltenem Kopfe ruhig sitzen, darf also den 
Kopf nicht vornüber neigen, auch die Nase nicht ausblasen, 
geschweige schneuzen. Da ich die^Kranken schon vorher dar¬ 
auf aufmerksam mache, daß aus den beiden Stichöffnungen 
meist geringe Blutmengen auszutreten pflegten, genügt zum 
Schlüsse ein Hinweis, daß sie nicht ausspucken, falls sie die 
Empfindung bekämen, als ob etwas Flüssiges im Halse hinab¬ 
laufe; Blut pflegt das ja ohnehin nicht zu sein, wohl aber 
etwas dünne, mehr wässerige Absonderung im Gefolge der 
Kokainisierung. Wird ausgespuckt, so neigt der Kranke den 
Kopf nach vorne und die wenigen in der Nase befindlichen 
Tropfen Blut zeigen sich im Nasenloche und beunruhigen den 
Kranken. Verhält sich der Kranke aber in der angegebenen 
Haltung einige Minuten ruhig, so läßt sich nachher leichter be¬ 
urteilen, ob ein wirkliches Nachbluten von einiger Bedeutung 
vorliegt. Ich benutze diese Ruhepause zur Reinigung der 
Nadeln mit Bürste und fließendem Wasser, worauf ich sie noch 
in einen mit Perhydrol-Lösung (Perhydrol Merck 10,0, Aqu. 
dest. 40,0) getränkten Wattebausch ein stecke und einige Minuten 
liegen lasse. Finde ich bei der Nasen-Untersuchung, daß die 
Blutung mehr als einige Tropfen beträgt, so betupfe ich den 
blutenden Stich — es ist gewöhnlich der der letzten Anode — 
mit Perhydrol, das ich mit wattebewickelter Sonde einige Se¬ 
kunden andrücke; früher habe ich mit befeuchteter Wattesonde 
etwas Ferripyrin-Pulver ebenso lange aufgedrückt. Selten ist 
es nötig, einen losen Wattebausch ins Nasenloch zu stecken, 
um unterwegs hervortretende Bluttropfen aufzufangen; am 
besten ist es, das Nasenloch frei zu lassen und nötigenfalls bei 
geschlossenem anderen Nasenloche etwaige Feuchtigkeit mit 
dem Luftzuge nach hinten in den Hals zu befördern. Zu 
Hause angekommen, ist Ruhe sehr zu empfehlen. Sodann hat 
der Kranke stündlich mit schwacher Kochsalz-Lösung (ein Tee¬ 
löffel Kochsalz auf eine Weinflasche Wasser) einige Male zu 
gurgeln; es ist dies sehr wichtig, um Reizzustände der Rachen¬ 
höhle fernzuhalten. Ferner hat der Kranke stündlich meine 



Schneuzen bezw. Ausblasen der Nase, auch der nichtbehan- 
delten Seite ist strengstens verboten und darf als „Ausblasen 
der Nase“ erst wieder erlaubt werden, wenn jede Schwellung 
der Nasenschleimhaut verschwunden ist 18 ). Alsdann aber hilft 
das stündliche sorgfältige, langsame „Ausblasen“ in langen 
Zügen, abwechselnd mit mehrmaligem starkem Zurückziehen 
der Luft durch die Nase, mit nachherigem Einbringen der Nasen-' 
salbe ganz vortrefflich lösend und reinigend gegen die in der 
Nasenhöhle sich leicht ansammelnde Absonderung. 

Sobald also der Kranke nach Hause gekommen ist, ent¬ 
fernt er zuerst einen etwa in die Nase gelegten Wattebausch. 
Er hat dabei darauf zu achten, daß der letztere vollständig 
entfernt wird, was am leichtesten so geschieht, daß er die ein¬ 
mal erfaßte Watte ruckweise, an dem hervorgezogenen Zipfel 
immer weiter nachgreifend, herauszieht; geschieht dies nicht, 
so bleibt leicht ein Teil der Watte in der Nase sitzen; davon, 
daß dies nicht der Fall ist, muß der Kranke sich im Spiegel, 
das Gesicht nach dem Fenster gekehrt, überzeugen. Bleibt 
Watte in der Nase sitzen oder wird solche oder dergl. für 
längere Zeit in die Nase gelegt, um die etwa einsetzende 
starke Absonderung aufzufangen, so tritt in der Nase erhöhte 
Schwellung der Schleimhaut infolge Luftabschlusses ein. Außer¬ 
dem kann der Kranke, der sich ja in den ersten Tagen wenig¬ 
stens recht ruhig verhalten soll, ohne zu große Mühe Herr der 
Absonderung werden, indem er sie mit einem weichen Taschen¬ 
tuche oder (noch besser) mit Gazestückchen ab tupft, nicht 
abwischt, und indem er öfter bei geschlossenem anderen Nasen¬ 
loche die Feuchtigkeit in der behandelten Nasenseite nach 
hinten zieht. Das Ab wischen der Nase ist sehr zu wider¬ 
raten, weil dadurch die Haut des Nasenloches und seiner Um¬ 
gebung wund wird, während das beiAbtupif en möglichst unter¬ 
bleibt; befördert wird dies noch dadurch,', daß man zwei- bis 
dreimal am Tage mit etwas Gaze und dauern Wasser den 
Naseneingang tupfend säubert und nachher trocken tupft; dar-, 
auf bestreicht man die Stelle mit einer Spur Menthol-Nasensalbe. 

Das Befinden des Kranken ist je nach der Nasenver- 
jchwellung 20 ) und je nach der Enge des knöchernen Gerüstes 
recht verschieden. In den ersten 24 Stunden tritt bei starker 
Schleimhaut-Verschwellung leicht Verschluß der behandelten 
Nasenseite besonders in der Nacht ein. Kopf druck bezw. Kopf¬ 


Menthol-Nasensalbe (Menthol 0,30, Paraffin, liqu. 5,0, Lanolin, 
anhydric. Liebreich ad 30,0 M. f. ter. ungt. D. in tuba S. Men¬ 
thol-Nasensalbe) in die behandelte Nasenseite einzuziehen. Zu 
diesem Zwecke reinigt der Kranke stündlich die letztere da¬ 
durch, daß er bei leicht geschlossenem Nasenloche der anderen 
Seite fünf bis sechs starke Luftzüge einwärts, also in den Hals 
macht. Sodann nimmt er durch Druck auf die Tube etwas 
Nasensalbe (etwa linsen- bis erbsengroß) auf die Kuppe des 
kleinen Fingers (am besten der andersseitigen Hand) und führt 
diesen in das Nasenloch derart ein, daß der Fingernagel an 
den Nasenflügel zu liegen kommt und dieser durch Druck des 
Fingers soweit abgehoben wird, daß zwischen Finger und 
Nasenscheidewand ein kleiner Spalt entsteht; schließt man nun 
gleichzeitig durch zarten Fingerdruck das Nasenloch der anderen 
Seite und zieht kräftig Luft durch den hergestellten Spalt, so 
fliegt mit dem Luftzuge das kleine Salbenstück weiter in die 
Nase hinein; ja manchmal, besonders wenn es zu groß, also 
zu schwer ist, fliegt es durch die Nase hindurch in die Rachen¬ 
höhle; in solchem Falle muß das Einbringen der Salbe natür¬ 
lich auf weniger heftige Weise erneuert werden 18 ). Das 


1S ) Versuche, die Salbe auf andere als die angegebene Weise in die 
Nase zu bringen, beispielsweise mittels Glas- oder Holzstäbchen, sind viel¬ 
fach gemacht worden, müssen aber als unzweckmäßig ausgeschlossen werden. 
Das tiefere Hineinschieben von Stäbchen — auch Wattestäbchen eignen sich 
meiner Erfahrung nach gar nicht — aus hartem Stoffe, selbst wenn sie mit 
Watte bewickelt sind, in die Nase ist jedenfalls zu verwerfen, nicht bloß 
weil immerhin Verletzungen gemacht werden können, sondern auch weil die 
Salbe von Laien durchaus nicht sicher an den richtigen Ort gebracht werden 
kann; zudem wird die Salbe vom Stäbchen zum größten Teile vorne an den 
Nasen haaren abgestreift, was beim richtigen Ein führen der Fingerkuppe 
sehr wohl zu vermeiden ist. Will man aber ein Stäbchen nur bis ganz 
vorne ins Nasenloch einführen, so bedarf man eines Spiegels, was die Sache 
sehr umständlich macht. Die von mir angegebene Einführungsweise kann 


selbst von Ungeschickten bei gutem Willen rasch erlernt werden. Wert¬ 
voll aber ist dabei noch, daß eine gewisse höhere Sauberkeit der Hände be¬ 
ansprucht und geleistet werden muß. 

19 ) Von welch’ unheilvoller Wirkung ein zu starkes oder überhaupt 
fehlerhaftes Schneuzen sein kann, habe ich schon in meinem Aufsatze „Wann 
treten nach Operationen in der Nase und im Nasenrachenraume leicht Ent¬ 
zündungen des Ohres und anderer benachbarter Teile auf?“ (Wien. med. 
Woch. 1892, Nr. 45—47) eingehend dargelegt. Uebrigens verweise ich 
noch auf folgende Schriften von mir: Nasenkrankheiten in Eulenburgs Real- 
Enzyklopädie der gesamten Heilkunde. 2. Auflage 1888. S, 3 d. S - As; 
3. Auflage 1898. S. 4 d. S.-A.s. — Krankheit«- und Behandlungslehre der 
Nasen-, Mund- und Rachenhöhle sowie des Kehlkopfes und der Luftröhre. 
2. Aufl. 1891. S. 182; 8. Aufl. 1896. S. 247. — Wann ist die Anwendung 
des elektrischen Brenners in der Nase von Nutzen? Leipzig 1891. S. 10. 
— Naseneiterung. Eulenburgs Real-Enzyklopädie der gesamten Heilkunde. 
2. Auflage. Enzyklopäd Jahrbücher V.. Bd. 1895. S. 2 d S.-A.s — Fort- 
bildungs-Vorlesungen. Halle a. d. S. 1903. -Mai-hold. S. 9f., 26, 45. — 
Die hauptsächlichen kindlichen Erkrankungen der Nasenhöhlen, der Rachen¬ 
höhle und der Ohren sowie ihre Bedeutung für Schule und Gesundheit nebst 
grundsätzlichen Erörterungen über Untersuchung und Behandlung solcher 
Kranken. Halle a. d. S. 1904. Marhold. S. 34. — Ferner die beiden unter 
17 ) angeführten Schriften. 

?0 ) Gegen die Verschwellung habe ich meiner Nasensalbe seit Jahren 
mit Vorteil das Menthol beigefügt. Da nach Eingriffen in einer Nasenseite 
auch die andere zeitweise anzuschwellen pflegt, so empfehle ich auch für 
diese das häufigere Einbringen der Mentholsalbe. Neuestens ist mir von 
der Chemischen Fabrik Flörsheim Dr. H. Nördlinger in Flörsheim am Main 
eine von ihm Aethrin benannte aromatisierte Menthol-Aethrol-Derizin-Salbe, 
bestehend aus 5% Menthol-Aethrol und 95% Derizin - Salbe zu Versuchen 
übersendet worden. Diese Salbe hat sich mir in Fällen, wo eine rasche und 
etwas länger dauernde Abschwellung der Nasenschleimhaut wünschenswert 
schien, im ganzen bewährt. Es genügt, eine sehr geringe Menge vorne in 
die Nase zu bringen, um rasch und meist auch für einige Stunden ziemlich 
gut Luft durch die Nase zu haben. Da das Einbringen meiner Nasensalbe 
noch den Zweck hat, die Wundflächen vor Krustenbildung zu schützen, so 
habe ich jene stets zuerst einziehen und nachher etwas Aethrin einbringen 
lassen. Dies hat sich bei den in Rede stehenden Fällen besonders auch in 
der Nacht bewährt. Man kann das Aethrin, so oft die Wirkung schwindet, 
erneut einführen, ' 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


128 


sqhmqfz.ist dabei im ganzen selten. Dieser kommt viel leichter 
vor bei knöcherner Enge, weil hier, wie bereits, weiter oben 
dargelegt wurde, die Elektrolyse - Nadel der Knochenhaut sehr 
nahe zu liegen kommt und diese dadurch in Reizzustand ver¬ 
setzt wird. Auch Zahnschmerzen treten manchmal auf, sind 
aber meist mehr vorübergehend. Wenn die Kranken die ge¬ 
gebenen Vorschriften, sich recht ruhig zu verhalten, nur sehr 
wenig*zu lesen, sich des Tabaks una der geistigen Getränke 
zu enthalten, ernstlich und ehrlich befolgen, so werden sie von 
Nachwehen der Elektrolyse kaum nennenswert oder gar nicht 
befallen, vorausgesetzt freilich, daß der geschilderte Reizzustand 
in besonderen Fällen nicht Platz gegriffen hat. 

Die Nachbehandlung ist bei der Elektrolyse sehr wichtig, 
weil sie die Heilung beschleunigt und das Befinden rascher 
bessert, wenn es gestört sein sollte. Auf den Stichwunden 
bildet sich eine Speckhaut und das von der Nadel beherrschte 
Gebiet stirbt ab; es stößt sich bei geringerer Einwirkung des 
Stromes aus der Stichöffnung im Laufe der nächsten zwei bis 
drei Wochen, oder bei kräftigerer Wirkung der Elektrolyse als 
zusammenhängender Schorf mit dem über dem Stichkanal ge¬ 
legenen Schleimhautstreifen ab; es dauert dies bei regelrechter 
Nachbehandlung etwa zwei Wochen; alsdann hat man eine 
saubere granulierende Wundfläche, die in wenigen Tagen zur 
Heilung zu bringen ist. Ist die Knochenhaut in Mitleidenschaft 
gezogen, so dauert es selbst bis in die vierte Woche; ebenso 
und noch länger kann sich die Heilung hinziehen, wenn man 
an einer sehr engen Stelle den Knochen absichtlich ange^ 
griffen hat. 

üDie Nachbehandlung selbst führe ich jetzt nur mit Perhydroi 
Merck (10 : 40) aus, indem ich eine mit Watte etwa 3 cm 
lang leicht bewickelte, von der Spitze und weiter hinten fest 
angedrehte spitze Nasensonde in das Perhydroi tauche und an 
die behandelte Stelle für einige Sekunden lege, während welcher 
der beim Aufbrausen frei werdende Sauerstoff seine Wirkung 
ausübt; diese besteht wesentlich auch darin, daß er die Schorfe 
lockert und dadurch rascher zum Abstreifen gelangen läßt. In 
der Regel bestelle ich den Kranken zuerst auf den folgenden 
Tag; an diesem sehe ich dann je nach dem Nasenbefunde, ob 
eine Nachbehandlung am anderen oder am zweiten Tage not¬ 
wendig ist. In der Regel ist das letztere der Fall. Schon 
nach vier bis fünf Tagen beginnen die zerstörten Teile der 
Schleimhaut vom Rande her unter der Wirkung des Perhydroi 
sich zu zerfetzen und abzustoßen. Ist die Knochenhaut in 
Reizzustand geraten, so bringe ich zuerst mit wattebewickelter 
Sonde einen Tropfen 20%iger Novokain -f- Suprarenin-Lösung 
(Novokain 2,0, Aq. dest. 10,0, Solut. Suprarenin. boric. [1 : 1000] 
gtt. 30) auf .die schmerzhafte Stelle und erst nach einigen 
Minuten das Perhydroi. Wurde die Elektrolyse gegen den 
Knochen selbst angewendet, so bleibt schließlich, nachdem die 
Schleimhautteile bereits wieder ziemlich in Ordnung sind, noch 
der tote Knochen zu entfernen. Das geschieht nach vorher¬ 
gegangener Kokainisierung am leichtesten und schnellsten unter 
Anwendung eines meiner Nasenmeißel 21 ), mit denen man in 
schonendster Weise die nur noch wenig festhaftenden Knochen¬ 
plättchen gewissermaßen abstreifen kann. Ist aller tote Knochen 
entfernt, so heilt die Wunde unter Behandlung mit Perhydroi 
in wenigen Tagen. 

Sobald nun in der behandelten Nasenseite eine saubere 
Wundfläche vorhanden ist, also besondere Nachbeschwerden 
nicht mehr vorhanden sind, kann man die Elektrolyse in der 
anderen Nasenseite an wenden; in manchen Fällen, in denen 
überhaupt keine besonderen Beschwerden nach der Elektrolyse 
auftreten, kann man auch schon nach etwa acht Tagen die 
Fortsetzung folgen lassen. Handelt es sich hier auch meist um 
besonders weite Nasenwege, in denen nennenswerte Störungen 
ja überhaupt nicht leicht auftreten, so soll man doch nicht vor 
anht Tagen die andere Nasenseite in Angriff nehmen, weil man 
nicht wissen kann, wie hier der Eingriff vertragen wird. Ist 
dann die zuerst behandelte Nasenseite noch nicht genügend 

2l ) Beschrieben in meiner Krankheits- und Behandlungslehre der Nasen-, 
Mund- und Rachenhöhle sowie des Kehlkopfes und der Luftröhre. 3. Aufl. 
1896. S. ;70. 


vorgeschritten, so kann im ungünstigen Falle der Gesundheits¬ 
zustand des Kranken doch etwas angegriffen werden, was 
immerhin von erheblicher Bedeutung ist, weil es sich ja meist 
um solche handelt, denen man eine andere, angreifendere Be¬ 
handlung gerade femhalten will. Ueberhaupt muß man vor 
jedem Weiterschreiten in der Behandlung genau über dessen 
voraussichtliche Folgeerscheinungen ins f Klare zu kommen 
trachten; es muß also immer auch das ganze Befinden des 
Kranken in Rechnung gestellt werden. So wenig im allge¬ 
meinen die Elektrolyse auch im Gegensätze zur Anwendung 
des elektrischen Brenners den Kranken „angreift“, so darf doch 
nie aus dem Auge verloren werden, daß mit jedem neuen Ein¬ 
griffe, und sei er an sich noch so bescheiden^ der Kranke doch 
an ursprünglicher „Frische“ verlieren muß. Es ist also gut, 
sich darauf vorher zu besinnen, um nicht eines Tages von 
wirklicher „Abgespanntheit“ des Kranken überrascht zu werden. 
Das kann sich aber unter Außerachtlassung der geschilderten 
Umstände sehr leicht ereignen, weil die Kranken, die doch im 
ganzen wenig durch die Behandlung beschwert werden, zu 
rascherer Wiederholung der Elektrolyse gern drängen — aus 
dem nur zu natürlichen Grunde, möglichst bald fertig zu sein. 
Ganz besonders aber müssen diese Umstände im Gedächtnisse 
behalten werden, wenn es sich um Kranke handelt, die sonst 
an irgend einem Organe schwach oder gar krank sind und ge¬ 
rade deswegen der Elektrolyse, nicht der Behandlung mit dem 
elektrischen Brenner unterworfen werden. 

Ueber die Reihenfolge der Eingriffe mittels Elektrolyse 
habe ich weiter oben das Nähere dargelegt. Es bleibt nur noch 
übrig zu sagen, wie man in manchen Fällen unter Zuhilfe¬ 
nahme anderer Verfahren schließlich rascher das gewünschte 
Ziel zu erreichen suchen darf, wenn auch solchen Eingriffen 
von vorneherein der Gesundheitszustand oder andere Gründe 
entgegenstehen würden. 

Wenn man durch die Elektrolyse die Nasen Verschwellung 
im ganzen gehoben hat, so daß nur noch einzelne, geringe 
Reste der letzteren übrig sind, so kann man bei sonst gutem 
Befinden kleinere Schleimhaut-Verdickungen, die da oder dort 
übrig blieben, oder knorpelige Vorsprünge an der Nasenscheide¬ 
wand mit dem elektrischen Brenner beseitigen. Dazu sind die 
gleichen Vorbereitungen wie bei Anwendung der Elektrolyse 
zu treffen, um vollkommene Unempfindlichkeit zu erzielen; hier 
treten dann auch meine Mitteilungen über Verwendung des 
Kokains wechselweise mit Novokain-Suprarenin, die ich weiter 
oben schon machte, in Wirksamkeit. Die knorpeligen Vor¬ 
sprünge im vordersten Teile der Nase werden mit dem Brenner 
ohne jede Schwierigkeit und ohne nachfolgende Beschwerden 
beseitigt; bei älteren Personen können gegen den Knochen hin 
unregelmäßige Knochenkerne sich finden. Verdickungen der 
Schleimhaut, wie sie leicht am Rande der unteren Nasenmuschel 
oder an dieser im unteren Gange oder am hinteren Muschel- 
ende nach Elektrolyse übrigbleiben, kann man, sobald sie um¬ 
schriebene kleine Stellen darstellen, mit dem Brenner zerstören, 
ohne nachfolgende Beschwerden zu verursachen; es ist aber 
nötig, solche Stellen bis gegen die Knochenhaut hin zu zer¬ 
stören. Bei zurückbleibenden Verdickungen des hinteren Muschel¬ 
endes ist es empfehlenswert, die kalte Stahldrahtschlinge zu 
verwenden, da sie sicher die endständige Verdickung beseitigt. 
Es entsteht in solchen Fällen auch keine besondere Blutung, 
weil vorher bereits die dazu gehörige „Interessensphäre“ im 
Muschelschwellgewebe verödet worden ist. Die gleiche Art 
des Vorgehens kann ich auch überhaupt bei starken, geschwulst¬ 
förmigen Verdickungen des hinteren Muschelendes empfehlen, 
d. h. also zuerst das Schwellgewebe in der übrigen Muschel¬ 
schleimhaut durch den Brenner zerstören und nachher mit der 
Schlinge die Geschwulst am hinteren Ende beseitigen. Während 
bei umgekehrtem Vorgehen fast regelmäßig eine starke Blutung 
stattfindet und auch hinterher noch Beunruhigung verursacht, 
bleibt dies bei meinem Vorgehen aus oder wird doch unschwer 
gestillt. 

Ueber die Behandlung der mittleren Nasenmuschel mit 
dem Brenner habe ich weiter oben schon das nötige gesagt. 
Sie kommt ja in den für die Verwendung der Elektrolyse be- 


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Original fro-m 

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thbrapedtischb" RUNDSCHA'O. •• ; 




sonders angezeigten Fällen nur dann in Frage, wenn wirklick 
störende Verdickungen an ihr sich geltend machen. 

Bei der Anwendung des Brenners ist eine ganz besonders 
sorgfältige Nachbehandlung erforderlich. Sie wird in gleicher 
Weise und in gleichem Sinne wie nach der Anwendung der 
Elektrolyse geführt. Die Heilung der gesetzten Brandwunden 
ist sorgfältig zu überwachen und durch vorsichtige Behand¬ 
lung mit Perhydrol möglichst zu fördern. Daneben hat der 
Kranke, der nie sich selbst überlassen werden darf, alle jene 
Verhaltungsmaßregeln, die ich oben besprochen habe, gewissen¬ 
haft zu beobachten. 

Das Schwellgewebe der Nasenschleimhaut ist niemals einem 
beliebigen anderen Körpergewebe gleich zu achten. Die Nei¬ 
gung, wieder anzuschwellen bezw. sich wieder zu verdicken, 
liegt in seiner Beschaffenheit an sich schon begründet. Unter¬ 
stützt wird sie aber stets durch ein gesundheits- und vernunft¬ 
widriges Verhalten. Wenn ich mir bewußt bin, daß die Nase 
zu jeder Tages- und Nachtzeit für die Atmung vollkommen 
frei sein und bleiben muß, und daß die Nasenschleimhaut auch 
befähigt sein muß, die Atmungsluft während ihres Durch¬ 
streichens durch die Nasenwege mit Wasserdampf nahezu zu 
sättigen, von Staub teilen zu säubern und entsprechend vorzu¬ 
wärmen, so muß ich bei Nasenkranken auch die Wege ein- 
schlagen, die sie zur Erfüllung beider Forderungen befähigen. 
Ich darf also bei Verschwellung der Nasenwege die hinderliche 
Schleimhaut nicht so beseitigen, daß sie der zweiten Forderung 
nicht mehr zu genügen vermag. Indem ich aber dadurch ge¬ 
nötigt bin, das übermächtige Schwellgewebe nicht mit einem 
Male gründlich zu zerstören, lasse ich zugleich einen Herd für 
Rückfälle zurück. Dieser Gefahr kann aber nur dadurch wirk¬ 
sam begegnet werden, daß man je nach der Schwere des Falles 
die Kranken nach einigen oder mehreren Monaten zu erneuter, 
wenn auch kürzerer Behandlung bestellt und ihnen nicht frei¬ 
gibt zu kommen, sobald sie wieder Beschwerden empfinden. 
Alsdann ist es in der Nase wieder zu so ausgedehntem Rück¬ 
falle gekommen, daß man in der Behandlung gewissermaßen 
wieder von vorne anfangen muß. Dadurch gelingt es nie, der 
übennächtigen Wachstums-Energie des Schwellgewebes Herr 
zu werden; es nützt dagegen kein noch so gutes Heilmittel, 
wenn es nicht richtig, sowohl in der Art wie in der Zeit, an¬ 
gewendet wird. Wie die Nasenpolypen immer wieder wachsen, 
wenn man nur sie entfernt, nicht aber ihren Mutterboden, die 
verdickte Nasenschleimhaut zerstört, wie die „radikal“ operierte 
Rachenmandel immer wieder Schwierigkeiten macht, wenn 
nicht gleichzeitig auch die nie fehlende Verschwellung des 
Naseninnern kunstgerecht beseitigt wird, so ist auch Schneiden, 
Brennen und Elektrolyse gegen die Nasenverschwellung ohne 
dauernden Erfolg, wenn das Mittel nicht so angewendet 
wird, wie die Eigenheit des zu Grunde liegenden Schwellge¬ 
webes es erheischt: in zwei bis drei Behandlungszeiten muß 
die Verschwellung der Nase in Angriff genommen werden und 
zwar so, daß jedesmal nur geringe Rückfälle, die dem Kranken 
noch keine Beschwerden verursacht haben dürfen, zu bekämpfen 
sind. Alsdann kann man mit aller Sicherheit auch auf einen 
Dauererfolg rechnen. Das gilt aber ganz besonders bei der 
Behandlung mittels Elektrolyse. 


Die Appendizitisfrage und die Obstipation. 

Von Dr. med. Georg Hünerfauth, Homburg v. d. Höhe. 

In Nr. 40 der Deutschen medizinischen Wochenschrift vom 
Jahre 1905 spricht sich der bekannte Pariser Chirurg des 
Hötel-Dieu Dr. Lucas Champoni&re in einem lehrreichen 
Artikel über die Aetiologie u n d B ehan dlung der Appen¬ 
dizitis folgendermaßen aus: 

Nach seiner großen Erfahrung spielt die Influenza eine 
wesentliche Rolle bei der Entstehung dieser Krankheit. „Ich 
schließe mich — so schreibt er — der Ansicht vieler franzö¬ 
sischer und ausländischer Aerzte an, welche dahin geht, daß 
die Influenzainfektion ein ätiologischer Faktor für die Ent¬ 
wicklung der Appendizitis gewesen ist. Wir sehen noch unter 


unseren Augen alle partiellen Epidemien von Influenza partiell# ; < 
Epidemien von Appendizitis im Gefolge haben.“ ,— Doch fühlt 
Lucas Champoni&re selbst, daß' er hiermit afiein noch 
nicht den Nagel auf den Kopf getroffen habe, er fährt — und 
nun komme ich auf den Kernpunkt meines Themas — sogleich 
weiter fort: 1 1 

„Allein in vielen Ländern hat die Influenza * geherrscht, 
und trotzdem hat man die Appendizitis dort entweder gar , 
nicht oder sehr selten beobachtet. Hier kommt meiner Meinung 
nach ein anderer ätiologischer Faktor in Betracht, dem ich eine 
große Wichtigkeit beimesse. Es scheint mir nämlich unzweifel¬ 
haft, daß die Länder, in denen die Fleischnahrung vor¬ 
wiegend ist, auch eine starke Verbreitung der Appendizitis 
aufweisen. In Amerika und in England z. B. hat sich die 
Krankheit, die dort zuerst beobachtet worden ist, mit einer 
exzeptionellen Häufigkeit und Schwere entwickelt. Noch gegen¬ 
wärtig, wo die Krankheit überall bekannt ist, findet man 
sie in diesen Ländern viel häufiger als bei uns in Frank¬ 
reich. Andererseits wird, nach einer von mir angestellten 
Statistik, in den Ländern, in denen die Fleischnahrung zurück¬ 
tritt — also z. B. in Algier, wo die Influenza sehr stark ge¬ 
wütet hatte — die Appendizitis nur ausnahmsweise gefunden. 
Weiter hat meine Sammelforschung lokale Anhäufungen der 
Krankheit nachgewiesen. Ich habe konstatiert, daß in den 
Klöstern, in welchen eine exklusiv vegetarische Ernährung 
üblich ist, die Appendizitis nicht vorkommt, und das, obwohl 
die Influenza dort geherrscht hat und die Tuberkulose die 
Empfänglichkeit der Insassen für andere Krankheiten beweist. 
Ein ähnliches Verhältnis habe ich für die Gefängnisse festge¬ 
stellt; in Paris in der Prison de la Roquette erkranken die 
jungen Leute, die ungefähr in dem Altei; der in den Pariser 
Lyzeen befindlichen Jünglinge stehen, an Appendizitis nicht, 
während die Appendizitis in unseren Lyzeen eine häufige Er¬ 
scheinung ist, und in den genannten Gefängnissen herrscht das 
vegetarische Regime. Endlich hat mir auch meine persönliche 
Erfahrung die Häufigkeit und Schwere der Appendizitiden bei 
solchen Leuten gezeigt, welche an eine übermäßige Fleisch- 
I nahrung gewöhnt waren. Ich glaube, daß, die sogen, familiäre 
Appendizitis viel mehr von einem individuellen Ernährungsregime 
als von einem besonderen Rassenverhältnis abhängt. 

Resümiere ich, so ist die größere Häufigkeit der Appen¬ 
dizitis durch die Influenza begünstigt, der Boden für deren 
Wirkung war vorbereitet durch die übermäßige Fleischnahrung, 
die seit einigen Jahren mehr und mehr überhand nimmt. 
Namentlich bei jugendlichen Leuten hat sie besonders vorteilhafte 
Bedingungen für die Infektion gefunden, weil man bei deren 
körperlicher Erziehung im allgemeinen von der periodischen 
Darmentleerung, welche früher die Nahrungsexzesse^ kom¬ 
pensiert hat, seit einiger Zeit absieht. Ich finde diese ätiologi¬ 
sche Auffassung um so besser begründet, als wir gegenwärtig 
eine starke Häufung aller Darminfektionen gegen früher wahr¬ 
nehmen, und die Appendizitis scheint mir lediglich eine der 
schweren Formen dieser Infektion darzustellen. 

Diese Betrachtungen scheinen mir um so wichtiger zu 
sein, als sie eine Prophylaxe der Appendizitis gestatten, die als 
Grundlage eine Verminderung der Fleischnahrung und eine 
periodische künstliche Entleerung des Darmes haben muß. 
Diese Ueberwachung des Darmes wird besonders sorgfältig 
sein müssen bei denjenigen, die Influenza durchgemacht 
haben.“ — 

Soweit der erfahrene Lucas Champoniere, dessen be¬ 
achtenswerte Ausführungen bei uns nicht auf den fruchtbaren 
Boden gefallen und die Würdigung gefunden zu haben scheinen, 
die sie doch eigentlich verdienen. 

Ich ziehe meine Schlüsse aus obigen Darlegungen etwas 
weiter und in etwas veränderter Form als unser Gewährs¬ 
mann: überwiegende Fleischkost schadet in zwei¬ 
facher W eise: 

1. sie scheint im Darme leichter wie fleischlose Ernährung, 
wohl infolge der Zerfallsprodukte des tierischen Eiweißes, schäd¬ 
liche Agentien zu bilden, welche wiederum 

2. Hand in Hand mit der bei ausgesprochener Fleisch¬ 
nahrung meistens vorhandenen Verstopfung (zähe Fibrin- 


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1908 THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 125 


massen), auf dem Nährboden der stagnierenden Kotmassen, eine 
lebensgefährliche infektiöse Darmerkrankung bervorrufen kann, 
die wir, infolge ihrer Lokalisation, Appendizitis nennen. 

Die therapeutischen Folgerungen ergeben sich hieraus von 
selbst: Verminderung des Fleischgenusses und mög¬ 
lichste Heilung einer jeden bestehenden Obsti¬ 
pation bei unseren Patienten. 

Gegen periodische künstliche Darmentleerungen, z. B. ein- 
bis zweimal im Monat, ist durchaus nichts einzuwenden; doch 
bedenke man wohl, daß diese Therapie mit der radikalen Be¬ 
seitigung einer vorhandenen chronischen Verstopfung nichts zu 
tun hat. 

Seien wir ehrlich und gestehen, daß wir mit der For¬ 
derung einer verminderten Fleischnahrung aus prophylaktischen 
Gründen beim Publikum wohl nur recht bescheidene Erfolge er¬ 
zielen werden: hier sprechen Gewohnheit, Indolenz und äußerer 
Zwang (z. B. auf Reisen, bei Angestellten, in Gesellschaft usw.) 
ein viel zu großes Wort mb daß unsere neuen und unbe¬ 
quemen Lehren bald /Vinde verhallen werden Anders 
verhält es sich, wenn der Patient zu uns kommt, der von 
einer lästigen und nicht ungefährlichen Obstipation geheilt 
sein will. Jetzt wird er, je schwerer der Fall liegt, desto 
gehorsamer unseren Verordnungen folgen und sich weit 
leichter unserem Vorschläge fügen, eine Zeitlang fleischlos zu 
leben, als in gesunden Tagen. Es geht nämlich ganz gut, 
ohne Fleisch zu leben, wie ich selbst, der Wissenschaft wegen, 
während eines halben Jahres bei tüchtiger körperlicher und 
geistiger Arbeit an mir erprobt habe. Einige Fingerzeige 
dürften den Kollegen, denen diese Art der Therapie neu ist, 
vielleicht willkommen sein: man beginne die fleischlose Er¬ 
nährung in der warmen Jahreszeit, wenn genügend frisches 
Gemüse und Salat zu haben ist; man fange nicht plötzlich an, 
sondern verringere allmählich die Quantitäten der einzelnen 
Fleischmahlzeiten und zwar dermaßen, daß man p zirka vier 
Wochen zur völlig fleischlosen Diät gelangt ist. Bei einigem 
guten Willen und entsprechenden Geldmitteln gelingt es leicht, 
einen derartig reichhaltigen und abwechselnden Speisezettel 
zusammenzustellen, daß der Patient stets genügend und 
schmackhaft zu essen bekommt. Am besten leben die Patienten 
mit fleischloser Diät in der eigenen Häuslichkeit, woselbst in 
der Zubereitung und Auswahl der Speisen die größte Rück¬ 
sicht genommen werden kann. Wer auf Restaurationsküche 
angewiesen ist, kann nur schwer in diesem Punkte befriedigt 
werden, es sei denn, daß in der betreffenden Stadt ein gutes 
vegetarisches Restaurant zu finden ist. Ferner ist zu be¬ 
merken, daß bei dieser Kost sich bei manchen Patienten 
anfänglich leichte Abstinenzerscheinungen, mitunter in Gestalt 
von Depressionen, Blässe, Frösteln, Unbehagen etc. einstellen; 
diese Symptome weichen am ehesten einem warmen Bade von 
30 ü R und darauffolgender Ruhe. Damit in einem Badeorte 
gelegentlich der Trinkkur sich diese Erscheinungen nicht mit 
der Kurkrise summieren und den Kranken allzusehr angreifen, 
schwächen und verstimmen, geht mein Rat dahin: die fleisch¬ 
lose Ernährung nicht während eines Badeaufenthaltes, sondern 
zu Hause zu beginnen. Auch bei älteren Leuten sei man bei 
der Einleitung und Durchführung dieser Kur recht vorsichtig. 
Es heißt bei dieser Diätänderung wie bei der gesamten Heil- 
kunst überhaupt: individualisieren! Ein Schema gibt es 
bei uns nicht, und es gilt immer der Satz: eines schickt sich 
nicht für alle! 

Hat man bei dem Patienten mit Hilfe dieser Diät wieder 
einen normalen, regelmäßigen und genügenden Stuhlgang er¬ 
zeugt, so kann er langsam wieder zur gemischten Kost 
zurückkehren, soll aber stets für alle Zukunft den Fleisch¬ 
genuß gegen früher bedeutend einschränken. Wer dauernd 
fleischlos leben will und sich kräftig und arbeitsfreudig dabei 
fühlt, kann dies unbesorgt tun; die meisten Leute werden aber 
wieder zur gemischten Ernährungsweise zurückkehren. 

Nunmehr gilt es aber, eine Reihe von Gründen namhaft 
zu machen, bei denen von der Anwendung einer fleischlosen 
Diät nicht die Rede sein kann. Hierher gehören in erster 
Linie die Fälle von Obstipation, bei denen es nicht gelingt, 
mit Hilfe der fleischlosen Kost einen vollen Dauererfolg zu 


erzielen, oder welche bei der Rückkehr zum gemischten Regime 
wieder Verstopfung zeigen. Ferner gibt es Patienten oder 
deren Familienangehörige, die das Ansinnen, fleischlos zu leben, 
einfach glatt zurückweisen, oder ihr Hausarzt oder ein anderer 
Kollege hat Bedenken und dergl. mehr. Außerdem gibt es 
tatsächlich Menschen, welche es nicht vertragen, gänzlich ohne 
Fleisch zu leben, und schließlich sollen es die Patienten nicht 
während einer Trink- und Badekur. 

Können wir in allen diesen Fällen auch nicht mit 
der völlig fleischlosen Diät arbeiten, so wird es uns doch 
meistens gelingen, den Speisezettel dermaßen mit schlacken¬ 
reicher vegetabilischer Kost auszustatten, daß immerhin einige 
Aussicht vorhanden ist: Hand in Hand mit den jetzt zu er¬ 
wähnenden physikalisch-hygienischen Heilmethoden 
schöne Dauererfolge zu erzielen. 

Betrachten wir uns einmal die Zahl der an habitueller 
Verstopfung leidenden Personen etwas näher (ich schließe jetzt 
alle Fälle mit anatomischen Ursachen der Obstipation sowie 
schwere destruktive Leiden etc. aus), so finden wir, daß hart¬ 
näckige Verstopfung häufig als Begleitsymptom der Neurasthenie 
gefunden wird. Ich mache hierbei besonders auf die nicht 
seltene Trias : nervöse Hypersekretion von Magensäure, Ver¬ 
stopfung und Hämorrhoiden bei vielen Patienten aufmerksam. 
Es ist natürlich schwer, in solchen Fällen zu entscheiden, was 
primär und was sekundär ist; doch brauchen wir uns gar 
nicht so sehr den Kopf mit solchen Spekulationen zu zer¬ 
brechen, sondern wir haben dem Patienten zu helfen, indem 
wir ihn von seiner Neurasthenie und seiner Obstipation heilen. 
Hier kommen in Betracht: Ruhe und Ausspannung für über¬ 
arbeitete Individuen, Luftveränderung, mäßige körperliche Be¬ 
wegung und ein ärztlich überwachter Sport für Stubenhocker, 
Bureamnenschen und für Faulenzer. Ferner leichte Hydro¬ 
therapie, kohlensaure Bäder, zentrale Galvanisation, allgemeine 
Faradisation, Wechselstrombäder oder — sehr wirksam — 
Franklinisation. Individualisieren! Es ist gut. wenn der Arzt 
über einen größeren, abwechslungsreichen therapeutischen 
Heilschatz verfügt. Aus diesem Grunde sieht man in den ge¬ 
eigneten Badeorten so schöne Erfolge in allen Fällen neurastheni- 
scher Obstipation, da hier alle heilbringenden Faktoren ver¬ 
einigt zu sein pflegen. 

Ich muß bei dieser Gelegenheit die Notwendigkeit von 
Trinkkuren bei chronischer Verstopfung mit einigen Worten 
streifen. Soll dem Patienten ein Dauererfolg gewährleistet und 
derselbe mit seinem Badeaufenthalt zufriedengestellt werden, 
so ist es absolut notwendig, seine Obstipation neben der Trink¬ 
kur und Allgemeinbehandlung auch noch mit einer kombinierten 
lokalen ärztlichen physikalischen Therapie energisch in Angriff 
zu nehmen. Dieser Satz sollte für alle schwierigeren Falle 
wohl beherzigt w r erden! Wenn wir uns klar machen, daß bei 
der Obstipation neben der oben erwähnten allgemeinen Nervo¬ 
sität gewöhnlich noch drei lokal auslösende Momente in Frage 
kommen, so müssen wir uns logischerweise auch sagen, daß 
wir gegen diese Ursachen gleichzeitig auch lokal vorgehen 
müssen. Diese drei wohlzubeachtenden Punkte sind: 1. Schwäche 
der Bauchmuskulatur, Fett- und Hängebauch, 2. ungenügende 
Innervation qnd Atonie des Magen-Darmsystems und 3. abge¬ 
stumpfte Sensibilität des Rektums. 

Wir finden also ein ganz respektables Arbeitsfeld vor uns 
und müssen gestehen, daß es nicht immer zu den leichtesten 
therapeutischen Aufgaben gehört, einem Verstopften wieder zu 
einem normalen Stuhlgänge zu verhelfen; desto größer die 
Freude, wenn es gelingt. Wie unerträglich eine hartnäckige 
Obstipation für ihren Träger sein kann, erhellt recht schön aus 
den Worten der gequälten Patienten, welche man oft in über¬ 
einstimmender Weise zu hören bekommt: sie seien nur noch 
halbe Menschen. 

Es muß also mit Recht für diese Fälle eine kombinierte 
physikalisch-diätetisch-hygienische Behandlung neben einer 
Trinkkur gefordert werden. 

Diese Forderungen auf diesem Gebiete als einer der ersten 
präzis aufgestellt, wissenschaftlich niedergelegt und praktisch 
bei einer großen Zahl von obstipierten Patienten seit Jahr¬ 
zehnten erprobt zu haben, ist das unbestreitbare Verdienst 



i26 


fftERAPEUTISCriE RÜNDf-SCÖAÜ. 





meines Vaters. Jeden, der sich hierfür interessiert, verweise 
ich auf seine Monographie über dieses Thema, welche sich 
hauptsächlich mit der kombinierten physikalischen Therapie 
der Obstipation befaßt. (Die habituelle Obstipation und 
deren Behandlung etc. von Dr. Georg Hünerfauth; II. Auf¬ 
lage, Wiesbaden, Verlag von Bergmann. Preis 1,80 M.), 

Wir lassen also unsern Patienten noch zuteil werden: eine 
sachgemäße ärztliche Massage; entsprechende Elektro¬ 
therapie, teils allgemein, teils lokal. Ferner werden ange¬ 
wandt: die Bauchmuskeln kräftigende Gymnastik, wobei man 
durchaus kein ganzes mediko - mechanisches Institut mobil zu 
machen braucht, sondern suchen muß, alles so einfach und 
leicht wie möglich zu gestalten, damit der Patient auch zu 
Hause und mit Lust und Liebe ohne große Apparate sich der 
verordneten Gymnastik unterzieht. Kniebeugen, Rumpfrollungen, 
Steigbewegungen usw. Dazu kommt neben den kohlensauren 
Bädern (speziell bei Neurasthenikern und Herzleidenden) noch 
eine möglichst einfache lokale Wasseranwendung: Prießnitzscher 
Leibumschlag, kalte Waschungen des Abdomens, Sitzbäder usw. 

Zum Schlüsse muß ich noch besonders nachdrücklich her¬ 
vorheben, daß eine geschickte psychische Behandlung auch 
bei der Obstipation, wie in der gesamten Heilkunst, eine be¬ 
deutende Rolle spielt. Die oft schwer deprimierten Patienten 
müssen suggestiv entschieden mit Energie und Verständnis an¬ 
gegangen und ärztlich erzogen werden. Ihre berechtigten 
Klagen dürfen nicht scherzend bei Seite geschoben, sondern es 
muß mit Geduld und unerschütterlicher Ruhe ihr Leiden unter¬ 
sucht und in Angriff genommen werden. Besonders gewinnt 
eine gründliche Untersuchung, innerlich und äußerlich, meistens 
von Anfang an mit einem Schlage das ganze Vertrauen, wo¬ 
durch man oft schon halb gewonnenes Spiel hat. 

Mit den auflösenden, leicht und angenehm eröffnenden 
Ko ch salz wässe rn zur Trinkkur habe ich bei Obstipation 
stets gute Erfahrungen gemacht und will dem Leser endlich 
noch eine kleine Tabelle aus meinem Büchlein: „Trink- und 
Badekuren zu Hause* 1 (Leipzig, bei Thieme, Preis 2,80 M.) 
zur Anschauung bringen, welche den Chlornatriumgehalt einiger 
bekannter Heilquellen zeigt. Diese Uebersicht ist der Bro¬ 
schüre von Prof. Dr. H. Fresenius-Wiesbaden entnommen: 
„Chemische und physikalisch-chemische Untersuchung des Land¬ 
grafenbrunnens in Bad Homburg v. d. Höhe“. 

Vergleichung des Gehaltes an Kochsalz: 

In tausend Gewichtsteilen Wasser sind enthalten Gewichts¬ 
teile Kochsalz: 

Homburg v. d. H., Landgrafenbrunnen . 9,878044 
„ „ „ „ Elisabethenbrunnen . 7,767 251 

Pyrmont, Salzquelle. 7,05 747 

Kissingen, Rakoczyquelle . .... 5,82205 

„ Pandurquelle . 5,52 071 

Fassen wir, der besseren Uebersicht wegen, nochmals alle 
wesentlichen Punkte unsrer Ausführungen zusammen: 

1. Bei der Entstehung der Appendizitis spielen eine große 
Rolle: einseitige Fleischkost und Obstipation. — Es erwächst 
hieraus für den Arzt die Aufgabe: 

2. Diese übermäßige Ernährung mit Fleisch einzudämmen 
und nach der vegetarischen Seite hin zu korrigieren, ohne in 
Extreme zu verfallen, da ihm alsdann die überwiegende Zahl 
seiner Patienten dauernd weder folgen kann noch will: goldener 
Mittelweg und individualisieren! 

3. Der Praktiker hat sich die Heilung jeder-ihm vor¬ 
kommenden Obstipation angelegen sein zu lassen, er soll nicht 
blos palliativ mit Abführungsmitteln und Klystieren arbeiten, 
sondern radikal! Wem hierfür Zeit, Kenntnisse oder Apparate 
fehlen, der hat die Pflicht, solche „langweiligen“ Fälle dem 
Spezialisten zu überweisen. 

4. Eine Trink- und Badekur ist bei der gründlichen Be¬ 
handlung der Obstipation nicht immer eine conditio sine qua 
non. Es gibt eine Reihe von einfachen Fällen, bei denen 
fleischlose Diät, leichte Hydrotherapie und sonstige Maßnahmen 
ihre Schuldigkeit tun. Dagegen bleiben 

5. eine Anzahl verstopfter Patienten übrig, bei welchen es 
nur mit Aufbietung aller Kräfte und Zuhilfenahme eingehender 


sachgemäßer Detailarbeit nebst einer Trinkkur gelingen kann, 
erfreuliche Erfolge zu erzielen. 

Nachschrift. 

Während der Drucklegung lese ich soeben in Nr. 2 der 
„Medizinischen Klinik“ von 1908 in einem Referate über 
„Verhütung von Appendizitis“ (Referent Dr. Gisler): 
W. J. Tyson m Folkestone schreibt unter anderem über dieses 
Thema im Brit. med. Journal, 26. Oktbr. 1907, Seite 1142. 

„Die wichtigste und wirksamste Ursache ist wohl die 
Konstipation, eine Ansammlung unverdauter Speisen oder 
Fäkalmassen im Darm. Sie kann bestehen trotz täglichem 
Stuhlgang, ja sogar trotz Diarrhöe/ 4 (Sterkoraldiarrhoe!) 

Tyson beobachtete bei sich selbst zwei Anfälle, 
beide Male nach mehrtägiger Verstopfung während 
einer Reis e. 

„Die früheren Aerzte hielten viel energischer auf die Durch¬ 
führung einer regelmäßigen Darmtätigkeit als wir. Ihre regel¬ 
mäßigen Verordnungen von Salzen haben jedenfalls viel zur 
Verhinderung infektiöser Darmzustände beigetragen. Sie waren 
gute Beobachter und wußten, daß freier Stuhl das Haupt klar 
und den Leib kühl hielt. Der Orientale hat eine wahre Ab¬ 
scheu vor Konstipation; er leidet selten an AppendizitisI 41 

Zur Konstipation kommen noch andre Ursachen, wie Münd¬ 
sepsis, unnatürliches und starkes Essen (wie in unsren modernen 
Hotels), unzweckmäßige Nahrung, Alkoholismus in seinen ver¬ 
schiedenen Formen, geschwächte Abdominalmuskeln, unregel¬ 
mäßige Defäkation ! 4 ‘ 

Nachdem noch weiterhin auf die verschiedensten Momente, 
wie schlechte Zähne, mangelhaftes Kauen und zu schnelles 
Essen usw. hingewiesen wird, schreibt er weiter: 

„Viel zu wenig Gewicht legt man auf die natürliche Er¬ 
nährung der Kinder und vergißt, daß die. heute so bevorzugten 
künstlichen Nährmittel eine schlechte Wirkung auf Magen- und 
Darmverdauung ausüben. 

Zu den häufigen Darmstörungen geben neben der Qualität 
auch die Quantität der Speisen und der Konsum von auf Eis 
gelegtem Fleisch, Fisch, Wildpret usw. Veranlassung. 

Der Ein wand, daß unsre Vorfahren ebensoviel aßen wie 
wir, wird hinfällig, wenn wir bedenken, daß sie mehr im Freien 
waren und mehr körperliche Bewegung hatten als wir. Wir 
essen zu viel und zu rasch und lassen dem Magen nach dem 
Essen nicht genügend Ruhe. 

Würde der Ernährungsfrage in allen Schichten der Be¬ 
völkerung mehr Aufmerksamkeit geschenkt, so würde die wohl¬ 
tätige Wirkung auf die Darmstörungen bald zu Tage treten. 

Im Zusammenhang damit steht auch die mangelhafte Re¬ 
gulierung der Defäkation und der unzureichende Gebrauch, den 
wir von unsrer Bauchmuskulatur zur Beförderung des Stuhl¬ 
ganges machen ! 44 

„Die periodischen Trink- und Badekuren, die auf 
dem Kontinent Mode sind, üben zweifellos einen wohltätigen 
Einfluß aus und verhüten manche Darmerkrankung.“-— 


Bei der Wichtigkeit unsres Themas konnte ich es mir 
nicht versagen, diese trefflichen Worte des englischen Kollegen 
als weitere Beweise und wertvolle Bausteine etwas eingehen¬ 
der zu zitieren, und überlasse es jedem Leser, die notwendigen 
Folgerungen selbst zu ziehen. 



Balneologie. 

Uebersichtsreferat von Dr. Max Hirsch, Bad Kudowa. 

Einen wunderschönen Abriß über die Entwicklung der Balneo¬ 
logie in den letzten Jahrzehnten gab Frankenhäuser (9) in 
einem Vortrage in der Hufelandschen Gesellschaft. Als wichtigste 
Merksteine in der' Entwicklung der Balneologie stellte er das von 
dem Deutschen Reichsgesundheitsamte herausgegebene Bäderbüch 


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hin ündf fernem ein im Anfänge des verflossenen Jahrhunderts von 
dem genialen Hufeland verfaßtes Büchlein, in dem 17 deutsche 
Bäder beschrieben werden. .Aber trotz der geringen Anzahl der 
Bäder hat das Buch doch einen sehr großen Wert, da Hufe- 
1 and.nur diejenigen Bäder beschrieben hat, die er aus eigener 
Anschauung kannte, und weil in dem Büchlein die Praxis eine 
größere Rolle spielt als die Theorie. Daran habe ja gerade die 
Entwicklung der Balneologie nach Hufeland gekrankt, daß man 
"immer nur theoretische Erwägungen in den Vordergrund rückte 
und die Praxis und Erfahrung beiseite drängte. Gerade in dem 
tiefsten Tiefstände der Balneologie wurde vor ca. 30 Jahren die 
Balneologisehe Gesellschaft gegründet. Trotz der großen Kluft, 
die zwischen den Männern der Praxis und denen der Wissenschaft 
bestand, hielten die Balneologen doch zusammen, und die Gesell¬ 
schaft entwickelte sich zu ihrer heutigen Höhe. Nach den Arbeiten 
von van t’Hoff, Arrhenius u. a. lenkte die physikalische 
Chemie die Balneologie in neue Bahnen. Nicht die Resorbierbar¬ 
keit der Mineralwässer, sondern die eigentümliche Konzentration 
der Flüssigkeiten traten bei den Bade- und Trinkkuren in den 
Vordergrund. Nicht die pharmakodynamische als vielmehr die 
osmotische Wirkung der Brunnen beherrschten das Interesse. 
Frankenhäuser führt die Wirkung der Bäder auf die Salze 
zurück, die hygroskopisch sind und auf der Haut eine besondere 
Schicht bilden, wodurch die Oberfläche der Haut einen anderen 
physikalischen Charakter bekommt. Die bekannte Senator- 
Frank enhausersehe Theorie von der Wirkung der kohlen¬ 
sauren Bäder wird kurz besprochen und die Frage der Radio¬ 
aktivität gestreift, auf die man jetzt so große Hoffnungen setzt. 

Was Brieger (4) in seinem Vortrage „Hydrotherapie und 
innere Medizin“ sagt, gilt auch von der Balneologie, die ja der 
Hydrotherapie so nahe verwandt ist. Es bestehen keine unüber¬ 
brückbaren Gegensätze zwischen diesen Disziplinen, sondern sie 
ergänzen einander. Ihre Indikationen und Kontraindikationen 
sind scharf abgegrenzt. Aber man soll sich davor hüten, in der 
Hydrotherapie ein Universalmittel zu suchen oder eine spezielle 
Behandlungsart, sondern sie soll ebenso wie die anderen thera¬ 
peutischen Mittel in gleicher Weise überall Anwendung finden, 
wo sie angebracht ist. 

Aus der Klimatologie verdient großes Interesse der Vortrag 
von Laqueur (13) über das Klima und die Heilanzeigen Aegyp¬ 
tens. Nach einigen Winken über die Reise empfiehlt er, Kairo 
nur als vorübergehende Station zu betrachten und nicht als 
längeren Aufenthaltsort zu wählen, da es zu sehr Weltstadt ist 
und demnach zu geräuschyoll. Heluan ist ein ruhiger Platz mit 
guten hygienischen Einrichtungen. Die Schwefelquellen von Heluan 
hätten keine andere Wirkung als die europäischen. Luxor und 
Assuan sind als Kurorte erst im Aufblühen, schwer zu erreichen 
und ohne hygienischen Komfort. Die Indikationen für den Aufent¬ 
halt in Aegypten sind Krankheiten der Nieren in nicht zu weit 
vorgerücktem Stadium, Rheumatismus mit ausgeglichenem Herz¬ 
fehler, Lungeiftrankheiten im ersten Stadium ohne Fieber und 
ohne Kavernen, Asthma, Emphysem, Diabetes, depressive Neur¬ 
asthenie. Die Wirkung besteht hauptsächlich darin, daß die 
Hautatmung im Wüstenklima eine intensivere ist, und daß es nicht 
zu Schweißabsonderungen kommt. Vor allem macht er auf die 
interessante Tatsache aufmerksam, daß man in Aegypten als 
Gegenstück zu unseren Erkältungskrankheiten sich vor Erwär¬ 
mungskrankheiten in acht nehmen müsse. Am besten empfiehlt 
es sich, im November in Kairo einzutreffen, Weihnachten in der 
Wüste zu sein und im März abzureisen. Der Aufenthalt in 
Aegypten soll sich nicht auf vier bis sechs Wochen, sondern auf 
einige Monate ausdehnen. 

Ni ko las (18) betont in seinem Aufsatz „Ueber die Stellung 
der Nordseebäder in der heutigen Balneologie“ darüber, daß der 
Fortschritt der Frequenz in den Seebädern ein gan£ enormer sei 
und daß auch die Literatur über die Seebäder stark zugenommen 
habe. Die, Eigenschaften des Seeklimas seien seine reine, staubfreie 
Luft, größere Luftbewegung, gleichmäßige Temperatur. Er hebt 
den therapeutischen Wert der Nordsee im Anschluß an die Vor¬ 
träge von Grawitz, Heubner, Posner, Koblank, Passow 
etc. hervor und gibt eine vielleicht etwas zu reichliche Aufzählung 
der Indikationen der Seebäder. 


„Nordseekuren im Winter“ (26) empfiehlt eine Reihe von 
Aerzten aus den Nördseebädern wie Nicolas, Kock, Gmelin 
und andere. 

Mit den Winterkuren beschäftigt sich auch der Artikel 
„Davos als Zentrum des Wintersports“ (23), wie denn überhaupt 
in neuerer Zeit die Frage der winterlichen Kuren schon aktuelles 
Interesse gewonnen hat. 

Pauli (19) hebt den Wert der therapeutischen Seereisen 
hervor und gibt zunächst an, daß die Wirkung der kalten See¬ 
bäder nichts anderes sei als die von Duschen, daß die erwärmten 
Seebäder einfach Kochsalzthermen entsprächen, daß die Sonnen¬ 
bestrahlung auf dem Meere sich durch das Luftbad ersetzen ließe. 
Spezifische Eigenschaften der Meeresluft wären ihr großer Gehalt 
an Ozon und Sauerstoff, ihr geringer Gehalt an Kohlensäure, ihre 
Feuchtigkeit, ihre Staub- und Keimfreiheit, ihr Gehalt an Koch¬ 
salz und Bromsalzen, ihre Bewegung und ihre größere Dichtigkeit. 
Demnach wären ihre Wirkungen nervenberuhigend, schlafmachend, 
expektorierend, stoffwechselbeschleunigend, tonisierend und blut- 
verbessemd. Die Seebadeorte müßten möglichst weit von der 
Küste entfernt sein. Am günstigsten wäre der Aufenthalt auf 
einem Schiffe, das je nach den Jahreszeiten seinen Standort 
ändern könnte. Verf. gibt einen Ueberblick über die Entwick¬ 
lung der therapeutischen Seereisen, die man erst seit 1 1 / 2 De¬ 
zennien kennt. Der Versuch, Seesanatorien zu gründen, wie sie 
Schweninger und die Hamburg-Amerika-Linie beabsichtigten, 
ist nicht zur Ausführung gekommen. Verf. beschäftigt sich so¬ 
dann damit, die Bedingungen der therapeutischen Seereisen fest¬ 
zustellen und die Bauart eines solchen Seesanatoriums des genaueren 
zu schildern. 

Von baineographischen Arbeiten ist „die Entwicklung der 
ungarischen Bäder in den letzten Jahren“, wie sie Preysz (20) 
beschreibt, sehr interessant. Von den ungarischen Bädern hätten 
sich einige schon in uralten Zeiten entwickelt, andere im vorigen 
Jahrhundert und in neuester Zeit die Plattenseebäder, auf die 
man dadurch aufmerksam wurde, daß die Weinstöcke infolge 
ihres Wassers zerstört wurden. Untersuchungen dieses Wassers 
ergaben sodann ihren therapeutischen Wert. 

Kuljabko(12) schildert die Aufgaben der russischen Bäder, 
die sich zum größten Teil in einem jämmerlichen Zustand befinden, 
wenn auch ihr baineologischer Wert nicht zu unterschätzen ist. 
Es liegt das an den unreifen kulturellen Verhältnissen in Ru߬ 
land, die erst gebessert werden müssen. 

In St. Moritz sind Quellenfassungen aus der Bronzezeit (27) 
gefunden worden, die Beweise für das ehrwürdige Alter des 
Bades sind, das nach diesen Funden auf 3000 Jahre anzu¬ 
schlagen ist. 

Ludwig (15) beschreibt die Thermen Karlsbads, deren Ent¬ 
deckung schon im 12. Jahrhundert stattgefunden haben soll. Ur¬ 
kundlich kommt Karlsbad zuerst im Jahre 1370 vor und 1376 
beherbergte es Kaiser Karl IV. als Kurgast. Die erste chemische 
Untersuchung wurde im Jahre 1770 von Dr. David Becher, 
Brunnenarzt in Karlsbad, vorgenommen und ist für ihre Zeit eine 
bewundernswürdige wissenschaftliche Leistung. Nach einer Lob¬ 
preisung Karlsbads betont Ludwig die Wichtigkeit des Quellen¬ 
schutzes, da ja die Quellen einen unersetzbaren Schatz iür die 
Nation bedeuten. 

Eine weitere Beschreibung Karlsbads gibt Drobny (6), wäh¬ 
rend Scher rer (21) seine Quellenarbeiten in Karlsbad eingehend 
beschreibt. 

Marcuse (17) schildert das Wesen und die Bedeutung des 
Salzbrunner Oberbrunnens. 

Eine treffliche Abhandlung von wissenschaftlichem Werte ist 
das Buch von Loebel (14) über „die Entwicklung des Bades 
Dorna“. Das Buch dürfte für alle Bäderbeschreibungen muster¬ 
gültig sein. Neben der ausführlichen Geschichte der Entwicklung 
des Bades wird sein Klima, seine meteorologische Beschaffenheit 
und der Charakter seiner Quellen eingehendst geschildert, die 
Kuranlagen und Bäder gut beschrieben und die Heilanzeigen in 
wissenschaftlich einwandfreier Weise unter Anführung der großen 
Literatur, die hauptsächlich Loebel selbst zu verdanken ist, zur 
Darstellung gebracht. 

Der Magistrat der Stadt Meran (25) gibt einen künstlerisch 
schön ausgestatteten Prospekt mit der Beschreibung des neu- 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 




erbauten Kurmittelhauses in Meran heraus, das als Muster einer 
modernen Anstalt geschildert ist. Rühmenswert ist die Anlage 
eines Volksbades in dem Seitenflügel des Kurmittelhauses. An 
Material und Raum ist in der neuen Anstalt nicht gespart und 
allen modernen Heilfaktoren Rechnung getragen worden. Merk¬ 
würdig berührt es, daß Meran durch die vielfache Anwendung 
künstlicher Bäder seine Indikation zu erweitern sucht und die 
Konkurrenz mit Bädern aufnehmen will, die sich natürlicher Heil¬ 
kräfte erfreuen. Bemerkungen, wie „Meran ist auf dem besten 
Wege, ein Herzheilbad ersten Ranges zu werden“ , weil es die 
Nauheimer Kohlensäurebäder nachahmt, oder die Angabe „radio¬ 
aktive (sogenannte künstliche Gasteiner) Bäder“ sollten in Pro¬ 
spekten, die Aerzten in die Hände gegeben werden, vermieden 
werden. 

Hintz und Grünhut (10) beschreiben die chemischen und 
physikalischen Eigenschaften der Martinusquelle zu Orb, welche 
als erdig-sulfatischer Kochsalzsäuerling angesprochen wird. 

Interessant ist die durch die ganze Presse geschickte Notiz 
über den Wiener Radiumschatz (33). 10 000 kg Uranpechblende 

haben 3 g Radium gegeben. 1 g Radium hat den Wert von 
180000 Kr., zumal seine Verarbeitung 44000 Kr. kostet. Mit 
diesen 3 g Radium werden im Wiener Laboratorium Versuche 
angestellt. Die österreichische Regierung, welche in Joachimsthal 
in Böhmen die größten Radiumgebiete besitzt, stellte dem großen 
Forscher auf dem Gebiete des Radiums Sir Ramsay den Bruch¬ 
teil eines Gramms Radium für Versuchszwecke zur Verfügung. 

Unter den baloeo-therapeutischen Aufsätzen und Arbeiten der 
letzten Zeit verdient die Arbeit von Benderski (2) über das 
Bergabsteigen besonderes Interesse. Nach einer günstigen Be¬ 
urteilung der Oertelschen Kur beschreibt Verf. den Unterschied 
zwischen dem Auf- und Absteigen. Beim Aufsteigen bleibt der 
Leib relativ ruhig, während er beim Abstieg erschüttert wird. 
Dadurch wird die Peristaltik erhöht, sodaß wir bei der balneologi- 
schen Behandlung der Obstipation von dieser Uebung ausführ¬ 
lichen Gebrauch machen sollen. Bei erlaubtem Steigen ist der 
Abstieg verboten, wenn Neigung zu Appendizitis besteht oder 
heftige Leibschmerzen, nach entzündlichen Prozessen im Leib, 
Wanderniere, Magen- und Darmgeschwüren, Hernien etc. In 
solchen Fällen soll man die Berge hinauf gehen und abwärts 
fahren, während in anderen Fällen der Bergaufstieg zu verbieten 
und der Abstieg indiziert ist. 

Klinische Untersuchungen über die Viskosität des Blutes nach 
dem Gebrauch von Mineralwässern verdanken wir Boveri (3), 
der mit dem Wasser von San Pellegrino mit Determanns 
Viskosimeter an Gesunden und Kranken Untersuchungen anstellte. 
Er fand in allen Fällen eine Abnahme der Viskosität, und zwar 
betrug die Differenz bei Gesunden 0,6 bis 0,8, bei Kranken 1,2 
bis 1,5. Die Verminderung der Viskosität erleichtert die Herz¬ 
arbeit. Bei Uratikern fand er stets Hyperviskosität. Da das 
Wasser von San Pellegrino die harnsaure Diathese günstig be¬ 
einflußt und auch die Viskosität herabsetzt, nimmt er an, daß die 
Herabsetzung der Viskosität in der Behandlung der harnsauren 
Diathese von Wichtigkeit ist. 

Die hygienische Seite der Balneologie ist in einem Auszug 
aus Mamlocks (19) Briefen Friedrichs d. Gr. an Aerzte durch 
ein^n wertvollen Beitrag bereichert worden. In diesem Aufsatz 
ist das Bestreben Friedrichs d. Gr. geschildert, die Hygiene in 
den schlesischen Bädern zu verbessern, denen von Landeck und 
Kudowa eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet ist. 

In der Abhandlung über den „Barackenbau* empfiehlt am 
Ende (7) eine möglichst große Verwendung der Docker sehen 
Baracken in Kurorten, da deren Einwohnerzahl fortwährend 
schwankt und Baracken schnell errichtet und schnell abgebrochen 
werden können. Baracken seien notwendig in Kurorten zur Unter¬ 
bringung von Infektionskranken, gegen deren Eindringen ein Bade¬ 
ort sich nicht schützen kann. 

Die wirtschaftliche Seite der Balneologie stand unter dem 
Einflüsse der Verhandlungen im preußischen und im böhmischen 
Landtag über das Quellenschutzgesetz. Die natürliche Folge da¬ 
von war eine recht stattliche Zahl von Abhandlungen in allen 
baineologischen Zeitungen, die sich mit dieser Frage beschäftigten 
(8, 28, 29, 30, 31, 32). 


Kisch (11) schildert in 'der Erörterung über gemeinsame 
Arbeiten der Quellenbesitzer und' Kurärzte die Zunahme der Fre^ 
quenz der Bäder und der therapeutischen Erkenntnis von dem 
Wert der Badeorte. An die Stelle der Empirie sei die klinische' 
Beobachtung und das wissenschaftliche Experiment getreten. Den 
Aerzten stände die Aufgabe zu, durch wissenschaftliche Arbeiten 
den Wert der Bäder zu heben, die Quellenbesitzer hätten die 
Pflicht, die Bäder in stand zu halten und für hygienische und 
sanitäre Maßregeln Sorge zu tragen. Nur das gemeinsame 
Arbeiten von Badebesitzer und Kurarzt kann zu segensreichen 
Folgen führen. 

Einige Arbeiten beschäftigen sich mit der Entstehung der 
Bäder. Sehr interessant ist die von Delkeskamp (5), der die 
Herkunft der natürlichen Kohlensäure schildert. Er unterscheidet 
zwischen vadoser und juveniler Kohlensäure. Erstere könne aus 
der atmosphärischen Luft stammen oder aus Braunkohlen-, Torf¬ 
und Moorlagem oder aus Kalkstein; letztere sei die letzte Phase 
vulkanischer Tätigkeit und unbedingt von größerer Bedeutung. 

Baur (1) gibt einen Beitrag zur Entstehungsgeschichte der 
Mineralquellen, der aber nicht genügend geprüft und unvoll¬ 
kommen ist und gelegentlich mineralquellentechnischer Arbeiten 
beobachtet wurde. 

Ueber künstliche Mineralwässer sind geschichtliche Beobach¬ 
tungen mitgeteilt, wonach 1688 Dr. Willis, Arzt in England, 
und in derselben Zeit ein Arzt in Lyon künstliche Mineralwässer 
herstellten. Letzterer machte das Emser, Aachener und Wies¬ 
badener Wasser so nach, daß sein Erfolg mit dem natürlichen 
gleich zu sein schien. 

Die unangenehmen Nebenerscheinungen der Mineralwässer 
werden in einer Arbeit über ihren Jodoformgeruch (24) beschrieben. 
Es scheint, daß Mikroorganismen die Schuld an der Bildung von 
Schwefelwasserstoff in den Mineralwässern trügen, die aber nur 
dann vorkämen, wenn in den Flaschen Verunreinigungen wären. 

Wagner (22) widerlegte die Angabe eines englischen Arztes, 
wonach tödliche Dosen von Antimon aus dem Gummiverschluß der 
Mineralwasserflaschen in die Mineralwässer selbst übergingen. 
Die sich hieran anschließende Preßpolemik konnte die Arbeiten 
| Wagners in ihrem Werte doch nicht herabsetzen und dürfte 
zum mindesten als überflüssig angesehen werden. 

Literatur: 

1. Baur: Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte der Mineralquellen. 

Intern. Mineralquellen-Zeitung, 1907, Nr. 174. 

2. Benderski: Ueber Bergabsteigen. Zeitschrift für physik. und diät. 

Therapie, Band 9, Heft 8. 

3. Boveri: Ueber Veränderungen der Viskosität des Blutes nach Ge¬ 

brauch von Mineralwässern. Blätter für klin. Hydrotherapie, 1907, 
Heft 11. 

4. Brieger: Hydrotherapie und innere Medizin. Zeitschrift für physik. 

und diät. Therapie, Band 11, Heft 8. 

5. Delkeskamp: Die Herkunft der natürlichen Kohlensäure. Int. Mineral¬ 

quellen-Zeitung 1907, Nr 172—174. 

6. Drobny: Brunnen, Kolonnaden und Badehäuser von Karlsbad in alter 

und neuer Zeit. Balneolog. Zeitung, 1907, Nr. 35—87. 

7. am Ende: Die Baracken bauten und ihre Bedeutung für die Kurorte. 

Balneolog. Zeitung, 1907, Nr. 28. 

8. Fleißchner: Die Gesetzgebung zum Schutz der Heilquellen in Europa. 

Balneolog. Zeitung 1907, Nr. 31—83. 

9. Frankenhäuser: Die Entwicklung der Balneologie in den letzten 

30 Jahren. 

10. Hintz und Grünhut: Chemische und physikal.-chemische Untersuchung 

der Martinusquelle in Orb. Balneolog. Zeitung 1907, Nr. 32. 

11. Kisch: Ueber gemeinschaftliche Arbeit der Quellenbesitzer und Kur¬ 

ärzte. Balneolog. Zeitung 1907, Nr. 29. 

12. Kuljabko: Die Aufgaben der russischen Bäder. Kuss. med. Rund¬ 

schau 1907, Heft 12. 

13. Laqueur: Bemerkungen über das Klima und die Heilanzeigen Aegyptens. 

Zeitschr. für physik. und diät. Therapie, Bd. 11, Heft 8. 

14. Loebel: Entwicklung, technische Einrichtung und therapeutische Be¬ 

deutung des Bades Dorna. Wien 1906. 

15. Ludwig: Die Thermen Karlsbads. Balneolog. Zeitung 1907, Nr. 29. 

16. Mamlock: Korrespondenz Friedrichs des Großen mit Aerzten. Stutt- ‘ 

gart 1907. 

17. Marcuse: Der Oberbrunnen in Bad Salzbrunn. Illustr. Badeblatt 

1907, Nr. 29. 

18. Nicolas: Ueber die Stellung der Nordseebäder in der heutigen Balneo¬ 

logie. Int. Mineralquellen-Zeitung 1907, Nr. 175—177. 

19. Pauli: Ueber therapeutische Seereisen mit besonderer Berücksichtigung 

der Nordlandfahrten der Hamburg-Amerika-Linie. Zeitschrift für 
physik. und diät. Therapie, Band 11, Heft 9. 

20. Preysz: Entwicklung der ungarischen Bäder in den letzten Jahren, 

Jpt. Mineralquellen-Zeitung 1907, Nr. 174, 




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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Die Scherrerschen Arbeiten in Karlsbad. Baineolog. Ztg. 

V mt Nr. 28. 

22/ Wagner: Untersuchung über den Antimongehalt und Antimonverlust 
der zu den Patentverschlttssen gehörigen Gummiringe. Balneolog. 
Zeitung 1907, Nr. 20. 

23. Davos als Zentrum des Wintersports. Illustr. Badeblatt 1907, Nr. 29. 

24. Der Jodoformgeruch bei Mineralwässern. Int. Mineralquellen-Zeitung 

1907, Nr. 178. 

25. Das neue Kurmittelhaus in Meran. 1907. 

26. Nordseekuren im Winter. Illustr. Badeblatt 1907, Nr. 29. 

27. Eine Quellenfassung aus der Bronzezeit. Illustr. Badebl. 1907, Nr. 29. 

28. Die Quellenschutzgesetzgebung. Illustr. Badeblatt 1907, Nr. 29. 

29. Das preußische Quellenschutzgesetz. Int. Mineralquellen-Zeitung 1907, 

Nr. 178. 

30. Preußisches Quellenschutzgesetz. Balneolog. Zeitung 1907, Nr. 34. 

31. Quellenschutzgesetz in Oesterreich. Balneolog. Zeitung 1907, Nr. 28. 

32. Ein Quellenschutzgesetz für Böhmen. Int. Mineralquellen-Zeitg. 1907, 

Nr. 175. 

33. Der Radiumschatz in Wien. Int. Mineralquellen-Zeitg. 1907, Nr. 178. 


129 


erkannt sind? Gr. ist der Ansicht, daß nur von Pall zu Pall 
entschieden werde könne, eine Ansicht, der man gewiß beipflichten 
muß, doch glaube ich, daß -man in solchen Fällen das Allgemein¬ 
wohl besonders hoch anschlagen muß, auch auf die Gefahr hin, 
daß dadurch die Zahl der in Anstalten verpflegten Geisteskranken 
etwas vergrößert würde, denn man hat schon bei durchaus geistes¬ 
gesunden Bazillenträgern häufig die Erfahrung gemacht, daß eine 
dauernde unschädliche Beseitigung der ausgeschiedenen Bazillen 
(Desinfektion der Päzes) auf große Schwierigkeiten stößt. Zum 
Schlüsse weist G. darauf hin, daß man bei geisteskranken Bazillen¬ 
trägern, welche Isolierung nicht vertragen, sich leichter zu einer 
chirurgischen Behandlung der Gallenblase (in der ja gewöhnlich 
das Weiterwachsen der Typhusbazillen stattfindet) entscheiden 
wird. 


Bakteriologie. 

Referent: Privatdozent Dr. B. Küster, Freiburg i. B. 

1. Heber die Beziehungen des Typhus und Paratyphus zu 
den Gallenwegen. Von Förster. Münch, med. Wochenschr., 
1908, Nr. 1. 

2. Ueber Typhnsbazillenträger in Irrenanstalten. Von 
Grimme. Ibidem. 

1. Die Tatsache, daß es gelingt, schon während der Inku¬ 
bationszeit bei Leuten, die nachträglich an Typhus erkranken, 
Typhusbazillen im Blut und Stoffwechselprodukte der Typhus¬ 
bazillen im Blutserum nachzuweisen, zwingt zu der Annahme, daß 
wir beim Typhus eine andere Art der Infektion annehmen müssen, 
als es bisher der Fall war. Die Typhusbazillen entwickeln sich 
primär nicht im Darmkanal, sondern dringen — vielleicht schon 
von dem Rachen aus — in den Säftestrom des Körpers, gelangen 
in Leber und Galle, vermehren sich dort intensiv — entzündlich 
veränderte Galle ist experimentell als guter Typhusnährboden be¬ 
wiesen — und gelangen mit der Galle in den Dünndarm; eine Ver¬ 
mehrung der Bazillen findet im Darm wahrscheinlich nicht oder 
nur in geringem Grade statt. Bei Paratyphus scheint auch eine 
lebhafte Vermehrung im Darm stattzufinden. Mit der Genesung 
verschwinden für gewöhnlich die Bazillen aus Galle und Darm, 
doch bleiben bei einem beträchtlichen Prozentsatz auch nach dem 
Verschwinden aller Krankheitserscheinungen Typhusbazillen in der 
Galle erhalten. Solche „Bazillenträger“ stellen eine ständige In¬ 
fektionsgefahr dar, und F. konnte von 386 Typhusfällen 20% als 
von Bazillenträgern ausgehend naehweisen. 79% der Bazillen¬ 
träger sind Frauen, und da etwa ein gleicher Prozentsatz von 
allen an Gallensteinen Leidenden Frauen sind, so deutet dies 
darauf hin, daß zwischen Bildung von Gallenstein und langdauem- 
der Vegetation von Typhusbaziflen Beziehungen bestehen müssen. 
Bis jetzt ist es noch mit keinem Mittel sicher gelungen, die 
Typhusbazillen in der Galle bei Bazillenträgern zum Verschwinden 
zu bringen, eine Aufgabe, die für die Typhusbekämpfung von der 
größten Wichtigkeit ist. Die Anschauungen F.s, die wissenschaft¬ 
lich durchaus gestützt erscheinen, mögen manchem überraschend 
sein, hoffentlich werden auf dieser Basis die Typhusbekämpfungen 
von besserem Erfolg gekrönt sein, als dies bisher der Fall war. 

2. Typhusbazillenträger wurden bisher besonders häufig unter 
den älteren und schwächlichen Insassen von Irrenanstalten ge¬ 
funden, und man hatte diese Tatsache so zu erklären versucht, 
daß Typhus für Psychosen disponiere und bei geschwächten psy¬ 
chisch Kranken Typhusbazillen besonders leicht im Organismus 
sich dauernd erhielten. Beide Annahmen weist G. mit Recht zu¬ 
rück, erkennt aber die besondere Bedeutung der Typhusbekämp¬ 
fung in den Irrenanstalten vollauf an. Die Gefahr, welche ein 
geisteskranker Bazillenträger für seine Umgebung darstellt, ist 
eine sehr große, aber die Isolierung, welche bei dem Fehlen einer 
spezifischen Behandlungsmethode gegenwärtig den größten Schutz 
gegen Infektion abgibt, wird von vielen psychisch Erkrankten 
schlecht vertragen und ist deshalb ein zweischneidiges Hilfsmittel. 
Eine erhebliche Schwierigkeit ergibt sich auch bei der Beant- 
wortung der Frage: darf man Geisteskranke, die der Anstalts¬ 
pflege nicht mehr bedürfen, entlassen, wenn sie als Bazillenträger 


Kinderheilkunde. 

Referent: Privatdozent Dr. J. Ibrahim, München. 

1. Kasuistischer Beitrag zur Frage der Prognose heim Ver¬ 
schlucken von Fremdkörpern mit ungünstiger Oberfläche. Von 
W. Fischer. Münchn. med. Wochenschr., 1907, S. 2642. 

2. Offene Sicherheitsnadel im Oesophagus eines fünfmonat¬ 
igen Mädchens. Von J. S. Manson. Lancet., 1908, I, S. 20. 

3. Ueber Lungenabszesse bei Säuglingen. Von L. Baron. 
Berl. klin. Wochenschr., 1908, S. 98. 

4. Zur Diätetik der Frühgeborenen. Von H. Gramer. 
Monatsschrift f. Kinderheilk., Bd. 6, Nr. 10, S. 489. 

5. Zur Kenntnis der Hirschsprungschen Krankheit. Von 
H. Koeppe. Ibidem, S. 496. 

6. Ueber den diagnostischen Wert tastbarer Kubitaldrüsen 
bei Säuglingen. Von A. Reiche. Ibidem, S. 511. 

1. Fischer teilt einen Fall von Verschlucken einer offenen 
Sicherheitsnadel durch einen zehn Monate alten Säugling mit. 
Die Gefahr, in der das Kind geschwebt hatte, wurde erst er¬ 
kannt, als die Nadel mit den Fäzes nach vier Wochen zu 
tage kam. 

2. Daß ein derartiger glücklicher Ausgang wie unter 1. mit¬ 
geteilt nicht vereinzelt ist, beweist die sehr ähnliche Beobachtung 
von Manson. Hier wurde der Verlust der Nadel bei einem 
fünf Monate alten Mädchen bemerkt, und eine Röntgendurchleuch¬ 
tung zeigte, daß sie offen, mit der Spitze kranialwärts im Oeso¬ 
phagus steckte. Da eine Extraktion unter diesen Verhältnissen 
aussichtslos schien, stieß Verf. die Nadel mittels Schlundsonde in 
den Magen hinab und sah sie nach sechs Tagen den Anus passieren, 
ohne daß sie weiteres Unheil angerichtet hätte. Die beiden Fälle 
beweisen zwar, daß man in einem derartigen UDglücksfall die 
Hoffnung auf eine Naturheilung nicht aufzugeben braucht, lassen 
aber Fischers Forderung gerechtfertigt erscheinen, daß Nadeln 
zum Befestigen von Wäschestücken niemals an einer für das Kind 
erreichbaren Stelle angebracht werden sollen. 

3. L. Baron gelang es, bei einem fünf Wochen alten, früh¬ 
geborenen Säugling auf Grund des Ergebnisses einer Probepunk¬ 
tion einen Lungenabszeß zu diagnostizieren und durch Thorakotomie 
und Rippenresektion zu heilen. Es ist dies der erste Heilungs¬ 
fall im Säuglingsalter. 

4. Im allgemeinen ist es üblich, bei der Nahrungszufuhr für 
Frühgeborene von der in der Kinderheilkunde sonst allgemein 
anerkannten Regel der vierstündigen Nab rungspausen abzugehen 
und diesen Kindern 10 bis 12 mal täglich oder noch öfter Nah¬ 
rung zu reichen; dabei pflegt man das Kalorienbedürfnis dieser 
Kinder, auf ihr Körpergewicht berechnet, höher in Anschlag zu 
bringen als bei gesunden Säuglingen. Nur Czerny und Keller 
sind bisher für die strikte Durchführung der vierstündigen Nah¬ 
rungspausen auch bei frühgeborenen und debilen Kindern einge¬ 
treten mit der Motivierung, daß alle die Gründe , welche uns be¬ 
stimmen , beim gesunden Kinde lange Nahrungspausen zu ver¬ 
langen, erst recht Geltung haben, wenn es sich um ein debiles 
handelt. 

Cr am er teilt drei genaue Beobachtungen mit, welche be¬ 
weisen, daß nicht nur der letztere Gesichtspunkt auf die Praxis 


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130 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 



der Frühgeborenenernährung sich mit bestem Erfolge anwenden 
läßt, sondern daß auch ein erhöhtes Kalorienbedürfnis für die 
ersten 13 Lebenstage nicht in Betracht gezogen werden darf. 
Die Mitteilungen beschränken sich auf diese erste Lebenszeit und 
speziell die Frage des Kalorienbedürfnisses darf auf die Folgezeit 
gewiß nicht ohne weiteres übertragen werden. Dagegen wird 
man wohl mit dem Yerf. den Schluß gerechtfertigt halten, daß es 
zweckmäßig ist, auch bei Frühgeborenen nur fünf- bis sechsmal 
im Verlauf von 24 Stunden die Brust oder abgepumpte Mutter¬ 
milch zu reichen, wozu noch eventuell eine Teemahlzeit käme. 
Ein Unterschied gegenüber dem ausgetragenen Kinde wäre nur 
insofern zu machen, als wir bei diesem ruhig auf das Erscheinen 
der Milch bei der Mutter warten können und sollen, während man 
genötigt ist, beim Lebensschwachen schon in den beiden ersten 
Lebenstagen vier bis fünf Mahlzeiten — allerdings in sehr kleinen 
Portionen — zu verabfolgen. 

Daß es exzeptionelle Fälle geben kann, in denen man ge¬ 
nötigt ist, wegen der Unmöglichkeit, irgend erheblichere Mengen 
zu schlucken oder zu behalten, kleinste Mengen viel häufiger zu¬ 
zuführen, wird vom Verf. selbst erwähnt. 

5. Die von Ko epp e mitgeteilte wertvolle klinische Beob¬ 
achtung an einem Säugling mit Hi rsch Sprung scher Krankheit 
(Megakolon kongenitum) ist geeignet, die Ansichten über die 
Pathogenese dieses in den letzten Jahren immer häufiger in seinen 
Anfängen diagnostizierten Leidens in einem neuen Lioht erscheinen 
zu lassen. Während man ursprünglich annahm, man hätte es mit 
einem angeborenen Leiden zu tun, haben sich in den letzten Jahren 
die Stimmen gehäuft, welche für die Mehrzahl der Fälle die 
kolossale Erweiterung des Dickdarms als Folgezustand eines mecha¬ 
nischen Hindernisses auffassen. Als solches Hindernis schien 
speziell die Abknickung einer übermäßig lang angelegten Flexura 
Sigmoidea bei ihrem Uebergang in das Rektum in Frage zu 
kommen, und es sind auch einige Heilungsfälle infolge regelmäßiger 
Sorge für Stuhlentleerung durch hohe Einführung eines Darm¬ 
rohrs über die Darmabknickung hinauf berichtet. Die Ko eppe- 
sche Beobachtung läßt die bisher nur von Fenwick verfochtene 
Ansicht, daß eine spastische Kontraktur des Sphinkter ani und 
der Rektalmuskulatur als primäre Grundlage des Leidens zu be¬ 
trachten sei, für seinen Fall als gesichert erscheinen. Koeppe 
konnte den elastischen Schnürring im oberen Rektum mit dem 
Finger deutlich feststellen. Auch Ref. möchte glauben, daß die 
von Koeppe nachgewiesene Aetiologie bei der Betrachtung des 
Krankheitsbikles große Beachtung verdient und für die Therapie 
wertvolle Fingerzeige gibt. Es wären in solchen Fällen Anti- 
spasmodika, Opium oder bei der Empfindlichkeit des Säuglingsalters 
geaen Opium Extraktum Belladonna oder Atropin in Anwendung zu 
ziehen. Sie dürften allerdings vielleicht nur wirken, wenn die Diagnose 
friih gestellt wird, da später der ausgebildete Folgezustand, das 
Megakolon durch sie wohl unbeeinflußt bleiben wird. Es sei an 
dieser Stelle daran erinnert, daß kürzlich Schreiber (Arcb. f. 
Verdauungskrankh., Bd. 12) bei einem 20 jährigen Mädchen rekto- 
-ükopisch einen Dauerspasmus der untersten Flexur als Ursache 
eines in Entwicklung begriffenen Megakolon erkannte und durch 
Opiumdarreickung einen glänzenden Heilerfolg erzielte. 

6. Die Diagnose der nicht floriden Lues hereditaria bei Säug¬ 
lingen ist bekanntlich sowohl in Hinblick auf Ammenfragen wie 
auf eine geeignete Ernährung und Therapie eine ebenso wichtige 
wie schwierige. Unter den klinischen Symptomen, die einen Lues¬ 
verdacht beim Säugling besonders zu stützen vermögen, genießen 
die fühlbaren Kubitaldrüsen eine große Wertschätzung. Hoch- 
singer und Heubner haben sich kürzlich für deren diagnosti¬ 
sche Bedeutung ausgesprochen. Reiche kommt auf Grund spe¬ 
zieller Untersuchungen dieser Verhältnisse zu folgenden Schlüssen: 

Tastbare Kubitaldrüsen kommen zwar sehr häufig bei Lues 
kongenita vor < ( .) von 13), sie beruhen aber nicht ausschlie߬ 
lich auf Lues, sondern können bei jeder Entzündung in ihrem 
Quellgebiet derart anschwellen, daß sie tastbar werden. Sie sind 
nur mit Vorsicht bei der Diagnosenstellung der Lues zu ver¬ 
werten und nur dann, wenn noch andere Symptome den Verdacht 
auf Lues unterstützen. Es ist daher nicht angängig, ihre Bedeu¬ 
tung für die Diagnose der Lues kongenita mit der Schärfe her¬ 
vorzuheben, wie es Hochsinger tut; das könnte einmal un¬ 


nötige Beunruhigung hervorrufen oder zu: Fehldiagnosen Anlaß 
geben. Auch die Tastbarkeit der seitlichen Thoraxlymphdrüsen 
ist nur mit Vorsicht zu verwerten. 


Säuglingsfürsorge. 

Referent: Dr. Gustav Tugendreich, Berlin, Leiter 
der Säuglingsfürsorgestelle 5. 

1. Hebung des Hebammenstandes durch Fortbildung in der 
Säuglingshygiene. Von Elsbeth Krukenberg. Zeitschrift f. 
Säuglingsfürsorge, 1908, Bd. II, H. 1. 

2. Heber den Einfluß der Säuglingsernährung auf die 
körperliche Rüstigkeit der Erwachsenen nebst Bemerkungen 
über die Stilldauer. Von F r i e d j u n g. Wien. Min. Wochenschr., 
1907, Nr. 20. 

3. Die Pflege des Kindes in den zwei ersten Lebensjahren: 

Von Schloß mann. Veröffentl. des' Vereins f. Volkshygiene, 
Heft XIII. München-Berlin, bei Oldenbourg. 40 Seiten. Preis 
30 Pf. 

1. Die Hebammenfrage ist zur Zeit akut. 

Elsbeth Krukenberg kommt in ihren Ausführungen zu 
folgenden brauchbaren Vorschlägen. 

Um die unzureichende Ausbildung der Hebammen auf dem 
Gebiet der Säuglingspflege zu verbessern, sollten die Wöchnerinnen 
mit ihren Kindern längere Zeit in den Lehranstalten bleiben, 
ferner sollten die Hebammen auch in den Säuglingsasylen aus¬ 
gebildet werden. 

Wiederholungs- und Fortbildungskurse müßten eingerichtet 
werden. ’ - 

Vor allem aber muß für" eine Besserung des Standes gesorgt 
werden. Durch bessere Besoldung und Altersversorgung muß 
versucht werden, gerade auch Frauen mit guter Schulbildung aus 
guten Kreisen zu diesem echt weiblichen Berufe heranzuziehen. 

Bedenkt man, daß die Hebammen meist die ersten und in 
den ersten Wochen nach der Entbindung oft die einzigen Berater 
der Mutter für die Säuglingsemährung sind, so leuchtet die 
Zweckmäßigkeit der Vorschläge des Verf. ohne weiteres ein. 

Von anderer Seite ist — wie Ref. hinzufügt — vorgeschlagen 
worden, daß die Hebammen ex officio in jedem Fall, wo nach 
ihrer Ansicht die natürliche Ernährung nicht durchzuführen geht, 
einen Arzt benachrichtigen sollen, daß es ihnen selbst also ver¬ 
boten sein soll, die künstliche Ernährung einzuleiten. 

2. Die große Bedeutung der Brusternährung für die Gesund¬ 
heit nicht nur des Säuglings sondern auch des Erwachsenen er¬ 
hellt aus der hübschen Untersuchung Friedjungs. Man weiß 
noch wenig darüber, wie sich das Schicksal der Brust- und 
Flaschenkinder später gestaltet. 

Eigentlich existiert nur eine Mitteilung Monots aus dem 
Jahre 1874, daß in einem Arrondissement, in dem wenig gestillt 
wird, 31% der jungen Leute militäruntauglich sind, während in 
einem anderen Bezirk, in dem das Stillen verbreitet ist, nur 18% 
dienstuntauglich sind. 

Verf. prüfte den Einfluß des Stillens auf das spätere Lebens¬ 
alter an Mitgliedern des Wiener Arbeiterturnvereins nach. ’Es 
stellte sich heraus, daß bei der gleichen Turnübung diejenigen, 
die Brustnahrung erhalten hatten, am besten abschnitten, und 
zwar ging die Güte der Leistung parallel der Dauer des Stillens 

3. Die Bedeutung, die die Sozialhygiene der Ernährung des 
Säuglings beimißt, kommt lebhaft zum Ausdruck in der mächtigen, 
jetzt in allen Kulturländern blühenden Propaganda für rationelle 
Ernährung und Pflege des Säuglings. 

Mit dem ihm eigenen schriftstellerischen Geschick hat nun 
auch Schloßmann, einer der Väter der deutschen Säuglings¬ 
fürsorge, ein Heftchen geschrieben, das in gemeinverständlicher 
Form die Mütter über die Grundsätze einer vernünftigen Säug¬ 
lingshygiene belehrt. Unnötig zu sagen, daß das kleine Heft für 
seinen Zweck außerordentlich geeignet ist. 

Die beabsichtigte Massenverbreitung wird hoffentlich nicht aus- 
bleiben. 


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Nervenkrankheiten. 

v Referent: Spezialarzt Dr. Toby Cohn, Berlin. 

1. Die Heilung der Neurasthenie, ein ärztlich-pädagogisches 
Problem. Von Wanke-Friedrichroda. Versamml. mitteldeutscher 
Psychiater u. Neurologen in Leipzig am 26. u. 27. Okt. 07. Nach 
d. Zentralbl. f. Nervenheilk. u. Psych., 1907, 15. Dez. 

2. Die Sanatorien für Nervenleidende und die Arbeits¬ 
therapie. Von G. Ohr. Schwarz. Psychiatr.-neurol. Wochenschr., 
1907/1908, 9. Jahrg., Nr. 39 bis 44. 

3. Umfrage über die Behandlung des Morbus Basedowii. 
Mediz. Klinik, 1908, Nr. 1 u. 2. 

4. Lues, Tabes und Paralyse in ihren ätiologischen und 
therapeutischen Beziehungen zum Lezithin. Von Gieorg Peritz. 
Berl. klin. Wochenschr., 1908, 13. Jan. 

5. Heber Luftinjektionen. Von Löwenthal-Braunschweig. 
Mediz. Klinik, 1908, Nr. 4. 

6. Heilung der Ischias. Von O. Ziemßen-Wiesbaden. 
Wiener med. Wochenschr., 1908, Nr. 2. 

7. Indikationen für Anwendung des Neuroroborin. Von 
Dr. J. Weiß. Aerztl. Zentralzeitg., 1908, Nr. 3. 

8. Die Erweiterung und Erläuterung der Dr. Rosenberg- 
schen antiepileptischen Therapie. Von Dr. Josef Rosenberg- 
Berlin. Ibidem, Nr. 1 bis 3. 

1. Das Wesen der Neurasthenie hat sich nach Wanke im 
Laufe der Zeit insoweit geändert, daß an Stelle der „reizbaren 
Schwäche“ andere Züge der psychischen Veränderung — Zank¬ 
sucht, Launenhaftigkeit, Rücksichtslosigkeit, Herrschsucht — ge¬ 
treten und paranoide Beeinträchtigungsideen zu beobachten sind. 
Dementsprechend muß sich auch die Therapie ändern; sie muß 
aus der physikalisch-diätetischen, schematischen Sanatoriumskur 
eine individualisierende pädagogische werden, die zum größten 
Teile dem ärztlichen Vertrauten, dem Hausarzte, zufällt: unter 
Mitwirkung des Patienten selbst muß ihm allmählich Geduld, 
Energie, Stetigkeit und Regelmäßigkeit in der Pflichterfüllung, 
Rücksicht und Selbstlosigkeit beigebracht werden. 

2. Die Artikelserie von Schwarz, dem technischen Leiter 
in Dr. Woringers Sanatorium Schirmeck i. Eis., ist annähernd 
eine monographische Darstellung der „Arbeitstherapie“ in ihren 
verschiedenen Variationen, die nach der Art der in Frage kommen¬ 
den Krankengruppen gesonderte Formen annehmen müssen. Es 
ist unmöglich, in einem Referate alle die aus der ausgedehnten 
Erfahrung des Verf.s hervorgegangenen, äußerst durchdachten und 
weitschauenden Ratschläge zur Ausgestaltung der öffentlichen 
Heilstätten im Sinne einer systematischen Erziehung der „funk¬ 
tionell“ Nervenkranken zu brauchbaren Arbeitern wiederzugeben. 
Es soll nur ausdrücklich betont werden, daß nach Meinung des 
Ref. der Verf. nicht zu viel sagt, wenn er die Arbeitstherapie 
als die Therapie für funktionelle Nervenleiden bezeichnet, weil 
sie diese Krankheiten an der Wurzel faßt, und es ist eine Freude, 
aus dieser für jeden Arzt lesenswerten Arbeit zu ersehen, welche 

. vortrefflichen Erfolge schon jetzt in den leider noch so spärlichen 
Instituten der in Rede stehenden Art (sie werden einzeln aufge¬ 
führt und genau in ihren Arbeitsplänen beschrieben) erzielt werden. 
Man kann nur hoffen, daß öffentliche und private Mittel recht 
bald eine Vermehrung und Ausgestaltung dieser Anstalten er¬ 
möglichen. 

3. Die Redaktion der „Medizinischen Klinik“ hat sich mit 
ihrer Umfrage an eine Reihe hervorragender Internisten und 
Chirurgen gewandt und publiziert einen Teil der erhaltenen Ant¬ 
worten. Von internen Medizinern kommen zu Worte Erb, 
v. Strümpell, Eulenburg, Eichhorst, von Chirurgen Bier 
und Kocher. Während die beiden letztgenannten einmütig da¬ 
für plädieren, jeden Basedow bis auf die vorgeschrittensten Fälle 
operativ zu. behandeln, stellen die Internisten immer noch die 
übrigen therapeutischen Methoden in den Vordergrund. Relativ 
am meisten der Operationsbehandlung geneigt erweist sich Erb, 
nach ihm Strümpell, aber auch sie beschränken die chirurgische 
Indikation auf die schweren, renitenten oder rasch sich ent¬ 
wickelnden Fälle; Eichhorst äußert sich noch vorsichtiger und 
Eulen bürg hält die Behandlung des Basedow vorerst noch für 
„innermedizinischen Besitz mit einem Nötausgang nach der chirur¬ 
gischen Seite“. 


Einmütig sprechen sich alle Befragten über die unsichere und 
oft versagende Wirkung des Antithyreoidin und Rodagen aus, 
günstig dagegen _ über die Erfahrungen der Behandlung mit Arsen- 
bezw. Eisen-Arsenpräparaten (Chinin, Brom, Baldrian, Ergotin, 
Digitalis, Lezithin kommen ebenfalls in Betracht). Eulenburg 
empfiehlt auch Spermin. Poehl. Das Wichtigste ist und bleibt 
nach der Meinung der Internisten die Allgemeinbehandlung und 
die physikalisch-diätetischen Verfahren, also Ruhe, Luft- und 
Liegekuren (nach Erb besonders Höhenluft), Ernährung, Hydro¬ 
therapie und namentlich Elektrotherapie. 

4. Stoffwechseluntersuchungen bei Tabes und Taboparalyse 
haben Peritz eine Erhöhung der Lezithinausscheidung im Kot 
gezeigt, die bei zwei Tabikern durch intramuskuläre Lezithin¬ 
injektionen erheblich vermindert wurde. Bei einem Tabiker 
schwanden durch die Injektionen die Antitoxine. P. nimmt hypo¬ 
thetisch an, daß bei den genannten Krankheiten durch die 
Affinität des Luestoxins zum Lezithin der Körper und namentlich 
das viel Lezithin enthaltende Zentralnervensystem eine Verarmung 
an dieser außerordentlich wichtigen Substanz erleidet: sie wird 
schon im Blute abgefangen und gelangt nicht zu den Organen. 
Das allein kann selbst bei Fortfall des Toxineinflusses das Fort¬ 
schreiten der Tabes erklären. In der Tat hat Verf. in 9 Fällen 
von 18 durch Injektionen großer Lezithindosen (Lezithin „Agfa“, 
Ampullen ä 2 g, ausgezeichnet sterilisiert) günstige therapeutische 
Erfolge erzielt: Wiederkehr der Sensibilität, der Lichtreaktion, 
Schwinden des Rombergschen Phänomens, der Schmerzen, der 
Obstipation. 

5. Löwenthal empfiehlt gegen chronisch entzündliche Ver¬ 
änderungen an Nervenstämmen, an Muskeln, Bändern und Knochen¬ 
vorsprüngen sowie gegen Neuralgien subkutane Luftinjektionen. 
Mittels einer Pravazspritze, deren Kanüle durch Gummischlauch 
luftdicht mit einem Gummigebläse verbunden ist, und Einschaltung 
eines kleinen, in einem Glasröhre untergebrachten Wattefilters 
(der Apparat ist bei C. M. Weiß in Braunschweig vorrätig) wird 
sterilisierte Luft in das über dem affizierten Nerven liegende Unter¬ 
hautzellgewebe injiziert und sammelt sich als Luftpolster an. Die 
Resorption geschieht in drei bis acht Tagen. Die Wirkung führt 
er auf Druckentlastung und auf eine durch Vordringen der Luft 
in die tieferen Gewebe erzeugte Aufschwemmung der kranken 
Gebilde zurück. Bei Ischias und Kokzygodjmie hatte er bisher 
die besten Erfolge. Auch Sauerstoff und Kohlensäure könnte 
man zu diesen Injektionen benutzen. Der Apparat wird dement¬ 
sprechend verändert. 

6. Um Ischias richtig zu behandeln, bedarf es zunächst einer 
Spezialisierung und exakten Kausaldiagnose des einzelnen Falles. 
In der Regel handelt es sich um Allgemeinkrankheiten und kon¬ 
stitutionelle Anlagen, zu denen eine Gelegenheitsursache tritt 
(z. B. harnsaure Diathese und Trauma oder Erkältung). Dagegen 
muß zuerst angekämpft werden , dann erst kommt die lokale Be¬ 
handlung in Betracht. O. Ziemßen meint nun, daß nach seinen 
Erfahrungen — im Gegensatz zu den blutigen Nervendehnungen 
und verschiedenen Injektionsmethoden, die zwar Anästhesie, aber 
auch Atrophie und Schwäche erzeugen — eine einzige Behand¬ 
lungsmethode imstande ist, die Hyperästhesie zu mildern und den 
Nerven zu entlasten, ohne ihn zu schädigen: die zuerst in Aix- 
les-Bains, jetzt auch von ihm in Wiesbaden angewandte gleich¬ 
zeitige Applikation von Massage und warmer Dusche auf den 
ganzen Verlauf des Ischiadikus, während der Patient im warmen 
Bade sitzt. Gleichzeitig soll man den Patienten zum Gebrauch 
des Gliedes, nicht zur Ruhe, anhalten. 

7. Nach J. Weiß ist bei Neurasthenie, Hysterie, Anämie, 
Chlorose und Schwächezuständen das Neuroroborin (von Apotheker 
Glück, Budapest) ein wertvolles Mittel, das auch bei längerer 
Darreichung keinen Ueberdruß und keine Schädigung anderer 
Organe erzeugt. Es regt den Appetit an, bessert Kopfschmerz, 
Ohnmacht, Schwindel, Schwäche, Herzklopfen, Brechreiz, Reizbar¬ 
keit, Angst, Schlaflosigkeit, Schmerzen etc. und ruft Zunahme 
des Hämoglobingehalts, Vermehrung der roten Blutkörperchen 
und Hebung des Körpergewichts hervor. (Etwas reichlich! ■ 1 er 
Referent.) 

8. Zur Behandlung der Epilepsie verwendet Josef Roten¬ 
berg das von ihm angegebene Epileptol in verschiedener Dosie- 


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132 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 




Urologie. : 

Referent: Spezialarzt Dr. A. Schwenk, Berlin. 


rung (30 bis 70 Tropfen dreimal täglich) je nach Alter, Stärke 
und Häufigkeit, Pulsfrequenz (darauf legt er besonderen Wert). 
Anfangs sollen kleinere Dosen angewendet werden. Daneben 
müssen trockene Einpackungen als Schwitzprozedur täglich 2 */2 bis 
3 V 2 Stunden gebraucht werden. Er erzielte so 35 bis 40 % Hei¬ 
lungen und 60 bis 65% Besserungen. 


Psychiatrie. 

Ausländische Literatur. 

Referent: Spezialarzt Dr. Elrnst Bloch, Kattowitz. 

1. Da choix des malades ä placer dans les colonies. Par 

Peeters. (Bulletin de la Societe medecine mentale de Belgique. 
Juin 1907.) 

2. Le travail dans la thörapeutique des maladies mentales. 

Par Cuylits. (Bulletin de la Societe medecine mentale de Bel¬ 
gique. Oktobre 1907.) 

1. Die folgende kleine Arbeit gibt die Aufnahmebedingungen 
für die familiäre Irrenkolonie in Gheel in Holland in Form 
eines Fragebogens wieder, der vom aufnehmenden Arzt nach 
bestem Wissen zu unterzeichnen ist. Ausgeschlossen von 
der Aufnahme sind aggressive und lärmende Kranke, solche mit 
Neigung zum Selbstmord, zur Yagabondage, zum Zerstören, Feuer¬ 
anlegen , zu unsittlichen Handlungen, ferner Kranke mit an¬ 
steckenden Krankheiten. Es ist gefragt, ob Heilungsaussichten 
oder andrerseits ob Symptome vorhanden sind, die den Kranken 
für die Familienpflege untauglich erscheinen lassen. Letzteres ist 
bejahendenfalls zu begründen. — Wie daraus hervorgeht, ist die 
Zahl der in Gheel aufzunehmenden Kranken ziemlich gering, denn 
Vorkommen können die Eigenschaften, die den Ausschluß bedingen, 
bei jedem Geisteskranken, der Arzt hat sich daher am Ende des 
Fragebogens auch über den Grad der Neigung etc. zu äußern. 
— Gheel enthält zur Zeit 119 arme Kranke und 125 Pensionäre. 

2. „Die Arbeit ist heilbringend für den geistesgesunden Menschen. 
Warum sollte sie nicht auch heilbringend sein für einen Menschen, 
der sich in der Rekonvaleszenz von Psychosen befindet?“ Um 
das Ungültige dieses Axioms — nach Verf.s Meinung — zu be¬ 
weisen, stellt er verschiedene psychologische Betrachtungen über 
die Pathogenese der Geisteskrankheiten, ferner über geistige Fähig¬ 
keiten, über Gefühle und Empfindungen im allgemeinen an. Er 
kommt zu folgendem Resultat: 

Es ist immer als eine Ausnahme zu betrachten, wenn Geistes¬ 
krankheiten überhaupt günstig beeinflußt werden können 
durch Arbeit, geistige oder körperliche. Man kann nicht be¬ 
haupten, daß die Arbeit ein Mittel zur Ablenkung oder zur Zer¬ 
streuung darstellt; ja vielleicht stellt sie von allen Zerstreuungs¬ 
mitteln das gefährlichste dar, weil sie die Tätigkeit von 
Organen, die durch die Krankheit an und für sich schon auf¬ 
geregt und geschwächt sind, noch mehr anregt. Für diese 
aufgeregten und geschwächten Organe stellt Ruhe das einzige 
Heilmittel dar. Der Geisteskranke, aus Instinkt oder aus Gehor¬ 
sam gegen seine Beängstigungen, uberläßt sich der Arbeit nur, 
wenn er bereits rekonvaleszent (und diejenigen, die den Haupt¬ 
anteil der Arbeiter stellen, die alten Veteranen der I.-A., die an 
Dementia praecox Leidenden? Der Ref.) oder sogar geheilt ist, 
d. h. also, wenn er überhaupt nicht mehr als geisteskrank zu be¬ 
zeichnen ist. Und zwar tut er dies aus dem einfachen Grunde, 
weil er nur abgelenkt werden kann von dem Augenblicke an, wo 
er über seine Aufmerksamkeit und über seinen „freien Willen“ 
disponiert. Von allen Ablenkungen ist diejenige die beste, welche 
am wenigsten Anspannung verlangt. Diejenige Arbeit, welche be¬ 
wußt eine geistige und körperliche Ueberanstrengung mit sich 
bringt, stellt sehr häufig eine gefährliche und „verbrecherische“ 
Ablenkung dar. — Der Schluß des Verf.s gipfelt in den auf den 
ersten Blick etwas paradox klingenden Worten: Die beste Be¬ 
wegung ist die Ruhe. 

In vielen Punkten wird man dem Verf. beistimmen, wenn 
man auch nicht alles aus der höchst lesenswerten Arbeit unter¬ 
schreiben wird. Er operiert etwas viel mit transszendentalen Be¬ 
griffen, wie moralisch, freier Wille, verbrecherisch etc. 


1. Die Behandlung der Nierentnberkulose mit Röntgen¬ 
strahlen. Von Dr. Eugen B i r c h e r - Aarau. Münch, med. Woch., 
1907, Nr. 51. 

. 2. lieber die operative Behandlung hartnäckiger Urethri¬ 
tiden heim Weibe. Von Prof. Dr. H. Fürth. Fol. Urol., 1907, 
Nr. 3. 

3. Die Endresultate meiner Nephrektomien wegen Tuber¬ 
kulose. Von Prof. Dr. James Israel. Ibidem, Nr. 1. 

1. Die Behandlung der Nierentuberkulose ist heute vor¬ 
wiegend eine chirurgische; die interne Behandlung ist so ziemlich 
aufgegeben, da die Heilungsresultate dabei sehr fragliche sind. 
In den vorgeschrittenen Fällen, bei welchen eine Nierenoperätion 
nicht mehr indiziert ist, und in denjenigen Fällen, in denen der 
Patient die Operation von vornherein verweigert, hat Verfasser 
eine konservative Behandlungsmethode in Form der Röntgen¬ 
bestrahlung empfohlen. Es wird hierbei die erkrankte Nierenseite 
täglich etwa 15 Minuten den Strahlen im Abstande von 20 bis 
25 cm ausgesetzt. Der Erfolg war der, daß die Tuberkelbazillen 
aus dem Urin verschwanden, der Körperzustand besser wurde 
und die Patienten mehrere Jahre frei von Beschwerden waren. 

2. Sehr häufig trotzen gonorrhoische Urethritiden beim Weibe 
wochen- und monatelang jeglicher Behandlung; das Sekret bleib.t 
andauernd stark eitrig gonokokkenhaltig. Verfasser glaubt die 
Ursache der Hartnäckigkeit dieses Leidens in dem behinderten 
Abfluß des Sekrets finden zu sollen. Er empfiehlt deshalb die 
Spaltung der Urethra etwas oberhalb der äußeren Urethralmün¬ 
dung, indem er mit dem eingeführten Katheter die Harnröhre 
nach der Scheide zu vorwölbt und auf diesen einschneidet. 

Ob - sich im Anschluß an diesen operativen Eingriff' Strik- 
turen der Harnröhre früher oder später einstellen, bleibt weiteren 
Beobachtungen überlassen. 

3. Israel konnte ca. 100 wegen Nierentuberkulose Nephrek- 
tomierte bis zu einem Zeitraum von 15 Jahren verfolgen und da¬ 
bei den günstigen Einfluß der Operation konstatieren. Bei den 
meisten Patienten hob sich der Kräftezustand bedeutend; Schmerzen 
und Häufigkeit der Urinentleerung ließen meist ganz nach oder ver¬ 
minderten ihre Intensität sehr erheblich und die Tuberkelbazillen 
verschwanden aus dem Harn. Die häufig mit einhergehende Blasen¬ 
tuberkulose bildete sich ebenfalls zurück, was für den deszen¬ 
dierenden Verlauf der Harnwegetuberkulose spricht. Erkrankt 
die zurückgelassene Niere später tuberkulös, dann waren wahr¬ 
scheinlich schon vor der Operation latente kranke Herde in der 
sogenannten gesunden Niere vorhanden, die dann mobil wurden. 

Die Aussichten für eine Radikalheilung sind natürlich die 
besten, wenn recht frühzeitig operiert wird; und daß dies ge¬ 
schieht, liegt häufig an dem prakt. Arzt, der diese Fälle in der 
Regel zuerst zu Gesicht bekommt. 

Der Praktiker soll sich durch das blühende Aussehen und 
das körperliche Wohlbefinden eines Patienten ja nicht verleiten 
lassen, eine Nierentuberkulose auszuschließen; hat es sich doch 
häufig gezeigt, daß Menschen mit scheinbar strotzender Gesund¬ 
heit und hohem Körpergewicht trotzdem Tuberkulose in den 
Nieren mit sich herumtrugen. Auf die Diagnose der Nieren¬ 
tuberkulose weisen hin: Subjektive Empfindungen des Patienten, 
wie Schmerzen in der Unterbauch- und Darmbeinkammgegend, 
Hüften und Lenden; ausstrahlende Schmerzen in der einen Blasen-, 
Harnröhren- bezw. Scheidenhälfte. Heftige Tenesmen der Blase 
mit fortwährendem schmerzhaften Harndrang und tropfenweiser 
Entleerung des Urins. Objektiv konstatiert man einen trüben 
Urin, dem sich häufig beim Schlüsse der Miktion Blutstropfen bei¬ 
mengen; Druckempfindlichkeit der Ureteren auf Palpation vom 
Rektum, Bauchdecken bezw. Vagina aus. Mikroskopisch fehlen 
Zylinder oft vollständig, der Eiweißgehalt ist häufig sehr minimal. 
Der positive Befund an Tuberkelbazillen im Urin ist der sichere 
Beweis für das Bestehen der Erkrankung, andrerseits schließt das 
Fehlen derselben eine solche nicht aus, sondern in letzterem Falle 
entscheidet nur die Tierimpfung. - 


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133 


Mitteilungen über Arzneimittel. 


Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. Vorscliriften für Handverkauf und Rezeptur. Pharmaz. 
Zeitung, Berlin 1907, Nr. 102. 

2. Heber Natrium perboricum. Von Dr. Heydenreich 
in Emden. Deutsche med. Woch., 1908, Nr. 3. 

3. Zur Verordnung von Veronal und Sajodin. Von E. W. 
Berl. klin. Woch., 1908, Nr. 2. 

4. Unverträglichkeit in einem Pulvergemisch. Von Apo¬ 
theker Oeroni. Bollettino Chimico Farmaeeutico, Pasc. 21, S. 794 
und Apoth.-Zeitg., Berlin 1907, Nr. 104. 

5. Ueber die Pettenkofersche Reaktion zum Nachweis der 
Gallensäuren. Von J. Ville. Bull, de la Soc. chim. de France 
(4), 1, 965 bis 968 und Apoth.-Zeitg., 1907, Nr. 104. 

6. Herstellung formaldehydhaltiger Gummilösungen. Apoth.- 
Zeitg., 1908, Nr. 3. 

7. Mittel gegen starken Fußschweiß. VonChandese. N. Y. 
Med. Journ. nach Deutsch- Amerik.Apoth.-Ztg., 1907, Dezbr., S. 38. 

8. Rubwel. Leipz, med. Monatsschr., 1907, Nr. 12. 

9. Pharmazeutische Prüfungsergebnisse. Von O. Kuhn. 
Med. Klinik, 1908, Nr. 1. 

10. Neue Arzneimittel, Spezialitäten und Geheimmittel. Von 
Dr. P. Zernik. Deutsche med. Woch., 1908, Nr. 2. 

11. Wissenschaftliche Mitteilungen über „Renaszm“. Von 
Dr. Zernik. Apotheker-Zeitg., 1908, Nr. 3. 

1. Da das Agurin mit den als Geschmackskorrigentien be¬ 
nutzten sauren Fruehtsäften sich zersetzt, empfiehlt A. Brun als 
haltbare Agurinmixtur: Agurin 5,0, Cognac, Sir. spl. ana 20,0, 
Aq. dest. ad 200,0. 

Als Ersatz für Blaudsche Pillen empfiehlt Wilbert: 

Perri sulfur. 3,2, Aq. 1,5, Kal. carbon. 1,6, Glycerin, q. s. 
ad 100,0. Man erhält eine dunkelgrüne Mischung, die sich in 
gut verschlossenen Flaschen längere Zeit hält. 5 ccm davon ent¬ 
sprechen einer B1 audsehen Pille. 

Ein in gut verschlossener Flasche monatelang haltbares Infus. 
Digital', erhält man nach v. Boltenstern durch Zusatz von 
25 Tropfen Chloroform zum frischen Aufguß. 

Zur Herstellung von Jodoformgaze dient folgende Vorschrift: 
Jodoform. 3,33, Resin. Elemi 0,05, Ol. Eicin. 0,1, Aceton. (0,83 
spez. Gew.) 52,0 auf 1 m Gaze. Zur Prüfung derselben auf 
Kurkumafarbstoff und Eosin soll sie mit Aether ausgezogen werden. 
Der Auszug darf nicht gefärbt erscheinen. 

Wilbert empfiehlt folgende Rizinusemulsion: 

Ol. Ricin. 50,0, Sapon. medicat. 1,5, Spirit, menth. pip. 3,0, 
Aq. q. s. ad 100,0. Das Ganze kann noch durch Saccharin ver¬ 
süßt werden. 

Bona in sehe Mixtur besteht aus gleichen Teilen kristallisiertem 
Menthol, salzsaurem Kokain und reiner Karbolsäure. Wenn man 
zu 5,0 g dieser Mischung 5 mg Adrenalin hinzusetzt, erhält man 
ein Präparat, das sofort eintretende Unempfindlichkeit und Blut¬ 
leere bewirkt. 

2. Dr. Heydenreich empfiehlt Natrium perboricum Merck- 
Darmstadt als Styptikum, Nach Septumoperationen, Eingriffen 
an Siebbein- oder Keilbeinhöhle bläst er das Pulver, solange noch 
die Schleimhaut unter dem Einfluß der Kokain-Adrenalinlösung 
steht, aus einem Pulverbläser auf die Wundflächen nach vorherigem 
Abtupfen. Es bildet sich ein grau-brauner Schaum, der stehen 
bleibt und die ganze Wunde dicht bedeckt. Auf diese Weise 
konnte er eine Tamponade gänzlich entbehren, ohne daß er Nach¬ 
blutungen erlebte. 

3. Veronaltabletten (und zwar sind die mit Amylum kompri¬ 
mierten besser als die schokoladehaltigen) müssen in reichlichen 
Mengen warmer Flüssigkeit dargereicht werden, weil so der 
Sohlaf schneller eintritt und länger dauert (nach Cohn und Topp, 
Therap. Monatshefte Nr. 3 und 5). Außerdem soll Veronal nicht 
um 11, 12 oder 1 Uhr genommen werden, sondern am besten 


eine Stunde nach der Abendmahlzeit, wo das Mittel zur schnellen 
Resorption die günstigsten Bedingungen vorfindet. Das letztere 
gilt auch für Sajodintabletten, die außerdem völlig zerkaut werden 
sollen. So findet die vorteilhafteste Ausnützung des Jods im 
Sajodin statt. 

4. Ueber die Unverträglichkeit der Mischung von Antipyrin 
Knoll, Phenacetin Bayer und Antifebrin berichtet der Apotheker 
Ceroni. Er machte beim Mischen dieser Ingredienzen die Wahr¬ 
nehmung, daß das Gemisch anfangs breiförmig, fast flüssig wurde 
und später völlig zusammentrocknete. Auf Grund seiner Versuche 
empfiehlt er, zwei der besagten Substanzen zu mischen, dann das 
dritte hinzuzufügen und in Wachspapier zu dispensieren. 

5. Nach J. Ville wird die Pettenkofersche Reaktion, 
d. i. die purpurviolette Färbung, welche die Gallensäuren auf Zu¬ 
satz von Schwefelsäure und etwas Rohrzucker geben, nicht, wie 
Mylius annimmt, durch das aus dem Zucker erzeugte Furfurol 
hervorgerufen, sondern ist auf die bei der Hydrolyse des Rohr¬ 
zuckers entstehende Fruktose zurückzuführen. Die Ausführung 
der Reaktion geschieht folgendermaßen: Man setzt 5 Tr. frischer 
Galle und 3 Tr. einer 20°/oigen Rohrzuckerlösung zu 10 ccm 
eines erkalteten Gemisches aus 2 Vol. konzentr. Schwefelsäure 
und 1 Vol. Wasser und rührt um. 

6. Ueber die Herstellung formaldehydhaltiger Gummilösungen, 
die zur Isolierung der Haut im Umkreise des Operationsfeldes 
dienen, wird in der Apffheker-Zeitung, 1908, Nr. 3 berichtet. 
Nach einem der Firma Zieger & Wiegand in Leipzig-Volkmars¬ 
dorf geschützten Verfahren gelingt der Zusatz von Formaldehj^d 
zu wässrigen Gummilösungen, ohne daß das gelöste Gummi aus¬ 
fällt, mit Hilfe von Aether. Ebenso können Chloroform, Schwefel¬ 
kohlenstoff oder Kohlenstofftetrachlorid zugesetzt werden. 

7. Als Mittel gegen starken Fußschweiß empfiehlt Chaudese 
eine Pinselung der Fußhaut mit einer 5%igen Lösung von Pikrin¬ 
säure in 90%igem Alkohol, anfangs täglich einmal, spater wöchent¬ 
lich einmal. Nach dem Eintrocknen der Flüssigkeit sollen die 
Füße mit folgendem Pulver bestreut werden: Thymol, jodat., 
Alumin. naphtosulfnric., Acid. picrinic. ana 2,5, Bismuth. subgall. 
15,0, Tale. 50,0. 

8. In der Leipz. Med. Monatsschr., 1907, Nr. 12, wird eine 
Hautsalbe gegen Wundreiten, Wundgehen (sogen. „Wolf“) emp¬ 
fohlen. Dieselbe heißt Rubwel und wird von einer englischen 
Firma gleichen Namens in Manchester in den Handel gebracht 
(in Zinntuben zu 25, 50 und 100 Pf. das Stück). 

9. Die Herniapräparate der Firma Dr. med. Bauhölzer 
& Hager haben ihren Namen daher, daß sie Zubereitungen dar¬ 
stellen von Herniaria glabra, einem heute ganz unbekannten „Harn“- 
oder „Bruchkraut“, das vom Volke zuweilen noch als Diuretikum 
benutzt wird. Die Herniatropfen (Herniol) sind ein wässrig¬ 
alkoholischer Pflanzenauszug, in dem Arbutin, die wirksame Sub¬ 
stanz der Fol. uvae ursi, enthalten ist. Herniaria glabra konnte 
mangels charakteristischer Reaktionen nicht nachgewiesen werden. 
Eine Flasche zu 20 ccm kostet 1,20 M. Die Tropfen, 20 bis 30 mehr¬ 
mals täglich genommen, sind nach Angabe des Darstellers „das 
bisher einzige Mittel, das bei akuten und chronischen Nierenleiden 
den Eiweißgehalt in kurzer Zeit mindert und bei längerem Ge¬ 
brauche vollständig zum Verschwinden bringt, die gräßlichen 
Schmerzen lindert und wirkliche Heilung erzielt“. Zur Erhöhung 
der Wirkung wird der Hernia-Tee empfohlen, ein Gemisch 
von gleichen Teilen Fol. uvae ursi und Herba Herniariae glabrae. 
65g davon kosten 50 Pf. Die Herniapillen sind gegen Gonorrhöe 
bestimmt und enthalten neben dem Herniariakraut noch minimale 
Mengen Sandelöl und Salol. 48 dragierte Pillen kosten 2 M. Es 
bedarf keines Kommentars, wie die erwähnten Mittel zu be¬ 
werten sind. 

Sie bilden ein würdiges Seitenstück zu dem in zahlreichen 
Zeitungen angepriesenen Orientalischen Kraftpulver 
(Hygienisches Institut Fr. Steiner, Berlin S.W.), einem Mittel, 
vor dem von behördlicher Seite als „übermäßig teuer und die 
Ausbeutung des Publikums bezweckend“ wiederholt gewarnt wurde. 
Es besteht aus Bohnen-, Erbsen-, Linsenmehl, Reismehl, Zucker, 
Kochsalz und Natron. 

Ebenso wurde behördlich gewarnt vor Smiths Gloria 
Tonic, einem von England vertriebenen, teuren Mittel gegen 


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134. 


Rheumatismus und Gicht, von verschiedener Zusammensetzung; 
die Tabletten enthalten zumeist Guajakharz und Jodkalium (andere 
fanden Jod und Eisen). 

10. Dr. med. H. Aßmann (Mainz) versendet sein „gesetzlich 
geschütztes Keuchhustenmittel“, das wegen der Schwierig¬ 
keit der Zubereitung nur von ihm selbst hergestellt wird! Chemisch 
ließ sich darin nur Milchzucker nachweisen — eine homöopathische 
Zubereitung in höherer Potenz. 

Eine Londoner Firma The Giant Oxie Company sucht ihre 
Oxienpräparate auch in Deutschland an den Mann zu bringen. 
Sie sollen Nerven- und Herzkrankheiten kurieren, auf Verdauung 
und Blut von günstigem Einfluß sein. Eine dreimonatige Kur 
ist aber notwendig! Der Preis für vier Schachteln Nervennahrung, 
drei Flaschen Pillen und drei elektrische poröse Oxienpfiaster be¬ 
trägt 25 M. Die untersuchten Pillen enthielten Podophyllin, 
Capsicum und kohlensaures Natrium, die Nervennahrung Rohr¬ 
und Milchzucker, Maisstärke, einen indifferenten Bitterstoff und 
geringe Mengen Sassafras- und G'aultheriaöl. — Gegen die Oxien¬ 
präparate ist behördlicherseits eine öffentliche Warnung erlassen 
worden. 

Als Panacee gegen alle möglichen Leiden wird der „echt 
ungarische Wachholderextrakt“ von 0. Reichel, Berlin S.O., 
in den Tageszeitungen mit großer Reklame angepriesen, ist aber 
dem Succus Juniperi inspissatus keineswegs gleichwertig und ent¬ 
hält infolge unsorgfältiger Herstellung auch geringe Mengen von 
Kupfer. 

11. Von der Firma Dr. med. H. Schröder, G. m. b. H., 
Berlin W.9, wird das Blutreinigungsmittel „Renaszin“ ver¬ 
trieben. Interessenten erhalten auch drei Broschüren, in denen 
die von dem englischen Arzte Haig ausgesprochene Theorie 
populär verbreitet wird, wonach bei Mangel an gewissen „Nähr¬ 
salzen“ die Harnsäure sich als leimartige Masse in den Blut¬ 
kapillaren festsetzt — Kollämie. Gegen diese soll das Renaszin 
wirken. Zu jeder Mahlzeit sollen eine bis zwei Tabletten ge¬ 
nommen werden. Eine Schachtel mit 40 Tabletten kostet 3 M. 
Der Geschmack der hellbraunen Tabletten ist süßlich, zuletzt etwas 
salzig und von Ingweraroma. Sie enthalten Eisen, Mangan, 
Kalzium, Magnesium, Kalium , Natrium, Chlor, Schwefelsäure, 
Phosphorsäure. 



Neuere Arzneimittel. 


Apfelmus, andere zogen' schleimige Suppen oder Kartoffelpüree - 
als Vehikel vor. Am besten ist'es wohl, das Regulin in kleinen 
Portionen möglichst zu allen Mahlzeiten zu reichen, da so erreicht 
werden kann, daß alle Teile des Stuhlganges mit Agar-Agar 
durchsetzt werden. Ueber Widerwillen beim Einnehmen wurde 
nur sehr selten geklagt; unangenehme Nebenerscheinungen, Uebel- 
keit, Völligkeitsgefühl, bekamen nur drei Patienten. Die Dauer 
der Darreichung richtete sich je nach der Wirkung. Bei einer 
größeren Anzahl der Fälle brachte der Genuß von Regulin während 
8 bis 14 Tage völlige Heilung, deren Dauer durch 1 1 j 2 - bis 
2jährige Beobachtung festgestellt ist; bei andern dauerte die 
Heilung Wochen bezw. Monate an, dann mußte wiederum mit 
der Darreichung begonnen werden. Wiederum andere können 
ohne Regulin nicht mehr existieren; auch bei dieser chronischen 
Darreichung sind bisher alle schädlichen Nebenwirkungen aus- , 
geblieben. Verf. glaubt nach seinen Erfahrungen das Regulin 
als das wertvollste interne Mittel zur erfolgreichen Behandlung 
der chronischen Obstipation bezeichnen zu sollen. In neuester 
Zeit wird das Regulin auch in Form von Tabletten von der ehern. 
Fabrik Helfenberg in den Handel gebracht. M. Plien, Berlin. 

Goldkorn. Fabr.: Pfister, Mayr & Co. in München. 
Goldkorn besteht nach einer im Laboratorium „Fresenius“ in ge¬ 
nauester Weise durchgeführten Analyse aus 11,17 Teilen Eiwei߬ 
körper und 77,44 Teilen Kohlehydrate, die sich folgendermaßen 
verteilen: 57,40 direkt reduzierender Zucker als Maltose berechnet, 
Rohrzucker 5,16 und als Dextrin berechneter Nichtzucker = 14,88; 
außerdem sind in 100 Teilen enthalten 1,40 Wasser, 1,10 Fett 
und 1,18 Teile Mineralstoffe. 

Speziell darauf muß großes Gewicht gelegt werden, daß sich 
im Goldkorn die Kohlehydrate in weitaus der größten Menge im 
aufgeschlossenen Zustande befinden, d. h. in löslicher, leicht 
resorbierbarer Form, ohne in Zucker übergeführt zu sein, da bei 
einer stärkeren Zuckerentwicklung abermals leicht Darmstörungen 
eintreten müßten.; 

So ist das Goldkorn ein für die Kinderpraxis sicher brauch¬ 
bares und wertvolles Nährmittel, das auch durch seinen angenehmen 
Geschmack (es wird hauptsächlich aus Gerste hergestellt) nach 
dem Zeugnis der das Präparat verwendenden Aerzte von den 
Kindern gern genommen wird. Auch bei Erwachsenen mit ge¬ 
störter Magen-Darmtätigkeit hat man es mit Erfolg angewandt. 
Der Preis des Goldkorns ist ein relativ niedriger. 

P. Höckendorf, Großlichterfelde. 


Sorisin. Von den die Widerstandskraft des Körpers stärken¬ 
den Guajakolpraparaten ist besonders das Kalium guajakolikum emp¬ 
fohlen worden, das in 6 % iger Lösung als Sorisin in den Handel kommt. 
Zur Behandlung von anämischen Zuständen wurde dieses Präparat 
in geeigneter Weise dahin modifiziert, daß eine Verbindung des 
Sulfoguajakols mit Eisen dem Kaliumsalz zu gleichen Teilen bei¬ 
gefugt wurde; in dieser Form kommt es als Eisen-Sorisin bezw. 
mit dem Zusatz von 15 Tr. Sol. Fowleri als Sorisin-Ferrarsenat in den 
Handel. Proskauer-Berlin (Berl. klin. W., 1907, Nr. 34) hat 
damit eine Reihe von Versuchen bei schwerer Chlorose, schweren 
primären und sekundären Anämien angestellt. Die Präparate 
wurden gern eingenommen; die subjektiven anämischen Beschwerden 
besserten sich durchgängig schnell; objektiv wurden Zunahme des 
Gewichtes, Vermehrung der Erythrozyten und zum Teil bedeutende 
Zunahme des Hämoglobingehaltes erzielt. M. Plien, Berlin. 

Regulin. Fabr.: Chem. Fabrik von Heyden, Radebeul 
bei Dresden. M e y e r - Dresden bat nach seinem Bericht in der 
Ther. d. Gegenwart, 1907, H. 5, 71 Fälle von Obstipation jeder 
Form mit Regulin behandelt; 51 Kranke sind durch Regulin allein 
wesentlich gebessert bezw. geheilt worden, bei 11 wurde ein 
gleicher Erfolg erzielt unter gleichzeitiger Anwendung von Massage 
und Elektrizität; 9 hatten keinen bezw. nur sehr vorübergehenden 
Nutzen von dem Regulin, 3 davon mußten wegen Magenbe¬ 

schwerden mit dem Regulingenusse nach kürzester Zeit aus- 
setzen. Unter den geheilten bezw. gebesserten Fällen befinden 
sich 8 schwere spastische Obstipationen, 9 z. T. sehr heftige 
Kolitiden. Die Dosierung des Regulin schwankte in weiten 
Grenzen; oft genügte die Darreichung von einem Teelöffel einmal 
täglich, in einzelnen Fällen mußte bis 18 g gleich drei Eßlöffel 
pro die gestiegen werden,^Die meisten nahmen das Mittel in 


Technische Neuerscheinungen. 


Ein Verbandtuch bei Erkrankungen der Brustdrüse 

nach Dr. Max. Samuel. 

Dieses Verbandtuch besteht aus einem Jäckchen, welches 
zwei die Brustdrüsen aufnehmende Einsätze trägt. Vorn an 
den inneren oberen Winkeln der Einsätze sind breite Leinwand- 
streifen befestigt, welche sich vorn und auf dem Rücken 
kreuzen, um vorn in der Gegend der Taille verknüpft zu 
werden. Die beiden inneren und unteren Winkel der Einsätze 
haben je ein Band, durch Verknüpfen derselben wird das 
Jäckchen unten geschlossen. Die Einsätze für die Brüste haben 
eine Klappe, die sog. Nährklappe, • welche man öffnen kann, 
wenn man das Kind an die Brust legen, oder Verbandstoffe 
auf eine Wunde der Brust etc. legen will. Durch die Einsätze 
werden die Mamae gestützt, und man kann in dieselben Salben¬ 
verbände oder sonstige Verbandstoffe zum Aufsaugen von ab¬ 
fließender Milch oder Eiter einlegen. So wird durch dies Ver¬ 
bandtuch der komplizierte Suspensionsverband, das Suspen¬ 
sorium mamae, ersetzt, und man kann vor allem das Verband- 
tüch rasch und leichter anlegen als einen Bindenverband, den 
anzulegen nicht jedermann erlernt Das Verbandtuch wird 
indiziert sein bei Frauen in der Laktation, welche sehr große 
Brustdrüsen haben, die gestützt werden müssen. Hierbei sind 
die Klappen zum Anlegen des Kindes sehr brauchbar. Ferner 


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THMAtEÜTISCte RUNDSCHAU. 


135 


verwendet man das Verbandtuch' bei Mastitis. Hierbei sind 
ebenfalls die Klappen sehr praktisch, denn dank derselben 
braucht" man nicht jedesmal, wenn man denVerband wechseln 
willy das ganze Tuch abzunehmen, sondern man entfernt die 
durch den aus den Inzisionswunden herausgeschossenen Eiter 
beschmutzten und getränkten Verbandstoffe durch die Klappe 
und ersetzt sie äurch neue trockene. Das Verbandtuch ist 
waschbar. Man kommt also mit zwei Exemplaren bei jeder 
Mastitis oder Laktation gut aus und wäscht das eine Tuch, 
während das andere in Verwendung ist. Dadurch wird der 
Verband gegenüber dem Bindenverband bedeutend verbilligt. 
Weiter besitzt das Verbandtuch den Vorteil, daß es als Gerade¬ 
halter wirkt, indem es die Schultern nach hinten zieht. Dies 
hat mit dazu geführt, daß die Verbandtücher in etwas anderer 
Ausführung als Brust- und Geradehalter bezw. als Ersatz für 
das Korsett verwandt werden. So vereinigt dieses Verbandtuch 
eine große Menge von Vorzügen und verdient wohl eine all¬ 
gemeinere Beachtung. Es ist nicht zu zweifeln, daß dieses 
Verbandtuch sehr bald eine allgemeine Einführung finden wird. 
Diese Verbandtücher und Büsten- resp. Geradehalter werden 
von der Korsettfabrik von W. & G. Neumann in Berlin an¬ 
gefertigt und in den Handel gebracht. 

W. B. Müller, Berlin. 


Eine Präzisionspipette für den Gower-Sahlischen 
Hämoglobinometer. 


der Verfasser außer den geschichtlichen Kenntnissen über die 
nötige Erfahrung in der praktischen Medizin verfügt. Als einen 
Vorläufer zu einer solchen genetischen Geschichte der Medizin 
muß man die Arbeit willkommen heißen. 

E. von den Velden, Frankfurt a. M. 

Diätetische Ketzereien. Die Eiweißtheorie mit ihren 
Folgen als Krankheitsursache und ihre wissenschaftlich begründete 
Verabschiedung. Allgemeinverständlich dargestellt von Richard 
Ungewitter. Stuttgart 1908, Verlag Richard Ungewitter. 
286 Seiten. Brosch. 2,40 M. 

Wenn man das geschickt und interessant geschriebene Büch¬ 
lein gelesen hat, so fragt man sich mit Staunen: warum wird 
denn dieses alles als Ketzerei bezeichnet? Ist es im Grunde doch 
nur die neue wissenschaftliche Ernährungslehre, welche der Ver¬ 
fasser, allerdings mit reichlichem philosophischen Rankenwerk ver¬ 
ziert, vorträgt. Die neue, biologische Ernährungslehre als Ketzerei 
zu bezeichnen, darin liegt aber gerade das Taschenspieler-Kunst¬ 
stückchen des bekannten, auf dem Boden der Naturheilkunde 
stehenden Verfassers. Die Aerztewelt von der neuen Diätetik ab¬ 
zudrängen, letztere aber allein für die Laien-Naturheilkunde mit 
Beschlag zu belegen, darauf geht die Schrift aus. Sie will dem 
Leser die Suggestion beibringen: Seht, die wissenschaftliche 
Medizin lehrt Euch, daß das Fleisch die Hauptquelle aller Kraft 
sei, Eiweiß das Maß aller Nahrung; daß Obst nur ein Genuß- und 
Erfrischungsmittel sei, ein Luxusartikel, keine eigentliche Nahrung 
von Wert: daß unsere gewöhnlichen Nährmittel stets genügende 
Mengen aller benötigten Mineralstoffe enthielten; daß die Nahrung 
der Kulturmenschheit möglichst konzentriert und ballastfrei sein 


Bei dem Gebrauch von Gower-Sahlis Hämoglobinometer 
wird es wohl jedem unangenehm auffallen, daß die Aufsaugung 
des Blutes genau bis zum oberen Teilstrich, welcher einen 
Raum von 1 / 2 o ccm abgrenzt, meist Schwierigkeiten bereitet, 
namentlich dann, wenn es sich um sehr dick- oder dünn¬ 
flüssiges Blut handelt. Es gehört zum genauen Abmessen des 
Quantums Blutes überhaupt eine gewisse Uebung. Es ist nun 
von Dr. Hans Hirschfeld ein Apparat konstruiert worden, 
welcher leicht gestattet, die gewünschte Quantität Blut aufzu¬ 
saugen, welchen er Präzisionspipette genannt hat. Dieselbe 
besitzt einem doppelt durchbohrten Hahn. Sie wird von der 
Firma Leitz in Berlin hergestellt. Man braucht beim Be¬ 
nutzen dieser Pipette nicht ängstlich zu achten, eine bestimmte 
Menge Blut aufzusaugen, sondern man sangt so viel Blut, bis 
dasselbe bis durch den Hahn gelangt. Dann dreht man den 
Hahn um 180 0 und bläst, nachdem man äußerlich die Pipette 
von anhaftendem Blut gereinigt hat, das in dem Rohr befind¬ 
liche Quantum Blut heraus, welches die gewünschte Menge, 
Van ccm, darstellt. Durch die doppelte Durchbohrung des 
Hahnes ist diese Konstruktion mit genauer Abmessung des 
Blutquantums möglich. W. B. Müller, Berlin. 


□ 


Bücherbesprechungen. 


□ 


Die Entwicklung der Heilkunde in ihren Haupt¬ 
zügen. Von Professor Hugo Magnus. Breslau 1907. i^erns 
Verlag. 120 Seiten. 

Die unvollendete, nach dem Tode des Verfassers von Pagel 
herausgegebene Schrift behandelt mit großer Gelehrsamkeit das 
Altertum; und frühere Mittelalter, bis zu späteren Zeiten gelangt 
sie leider nur stellenweise. Dies ist sehr zu bedauern, denn gerade 
diese späteren Zeiten eröffnen das Verständnis der heutigen 
Medizin. 

Zur Charakterisierung der Arbeit sei hervorgehoben, daß 
Magnus sich bemüht, die Geschichte der Medizin entwicklungs¬ 
geschichtlich zu betrachten und ihr dadurch den Mangel an Inter¬ 
esse zu benehmen, unter dem sie für die meisten leidet. Daß 
diese Behandlungsweise besondere Schwierigkeiten bietet, verhehlt 
er sich nicht; auch muß sie notwendig zu einem subjektiv ge¬ 
färbten Resultat führen, was indessen nicht schaden könnte, wenn 


müsse; kurz, daß die übliche Kost der großen Volksmassen keiner 
Abänderung bedürfe, wenn nicht einer Vermehrung an Eiwei߬ 
stoffen. 

Ja, wer glaubt denn dieses alles heutzutage noch? Kennt 
denn der Verfasser nicht die neue Bewegung in der Volksernäh¬ 
rung, die Reformsanatorien, die diätetische Krankheitsbehandlung 
immer mehr zunehmender Aerztekreise ? Zahlreiche Zitate in 
dem Buche selbst, nicht nur aus Dr. Haigs, Lahmann's und 
Bircher-Benners Schriften, sondern auch von Hygienikern wie 
Prof. v. Bunge und Rubner sollten doch schon genügen, um 
zu beweisen, daß hier zwar die modernste Richtung der Ernäh¬ 
rungslehre, aber keineswegs Ketzereien gelehrt werden. Aber 
dem großen Publikum soll eben glaubhaft gemacht werden, die 
heutige Wissenschaft und alle Aerzte wären rückständig, nur der 
Laie wäre der wahre Heilkünstler. 

Hiergegen müssen wir Aerzte, die wir den neuesten Wand¬ 
lungen der Ernährungslehre gegenüber meist blind gewesen sind, 
im Namen der Wissenschaft ganz energischen Widerspruch erheben! 
Wer anders hat denn schließlich alle die exakten imd induktiven 
Vorarbeiten der neuen, biologischen Medizin und Hygiene ge¬ 
schaffen als Botaniker und Zoologen? AUerdings sind alle ihre 
Wissensstoffe erst wahrhaft befruchtet worden, als man anfing, sie 
durch die Naturphilosophie im Sinne von Darwin und besonders 
Lamarck miteinander zu verknüpfen und zu einem Ganzen zu 
verweben, und hierin haben auch zahlreiche Laien, denen die 
Wissenschaft vom Leben in ihrer hohen Bedeutung oft früher 
klar wurde als uns formelgebildeten Akademikern, ein gut Teil 
beigetragen. Sicherlich haben die heutigen Aerzte in den Natur¬ 
wissenschaften viel nachzuholen; sie haben daher allen Grund, die 
neuen Lehren der Ernährungs-Physiologie in Fleisch und Blut 
aufzunehmen und sie, durch ihre Erfahrungen in der Praxis ge¬ 
läutert und erweitert, immer von neuem dem Volke zu lehren. 
Denn leider! durch unser allzulanges Festhalten am Hergebrachten, 
am scheinbar autoritativ Feststehenden, ist die große Masse des 
Publikums noch sehr unvollkommen über die ihm nächstliegenden 
Dinge unterrichtet. Es fehlt ja gerade an Schriften von Aerzten, 
welche die biologische Diätetik dem Volke lehren! Schließlich 
darf nicht geleugnet werden, daß immer noch eine ganz erheb¬ 
liche Anzahl von Aerzten sogar nahezu unbekannt ist mit der 
neuen Diätetik, ja daß sie eine ausgesprochene Abneigung gegen 
sie haben, oft einzig und allein, weil sie hier überall die ver¬ 
haßte Naturheilkunde wittern. Gerade solchen sei das Ungewitter» 
sehe Büchlein besonders empfohlen, denn von seinen Gegnern lernt 
man stets am meisten. E, Bachmann-Harburg a. E, 


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136 


THERAfJEÜTlSCÖE ßUMbSOHAU. 



~VMgiv- 



Der mediko-historischen Sammlung im Kaiserin Friedrich- 
Hause sind in letzter Zeit aus ärztlichen Kreisen u. a. folgende 
Zuwendungen gemacht worden: die Bronzegruppe zur Erinnerung 
an die erste Berliner Chloroform-Narkose, von welcher die Samm¬ 
lung bisher nur einen unzureichenden Gipsabguß besaß (von Dr. 
Eugen Lehfeldt), zwei Semmelweisplaketten (von Prof. Dr. W. 
A. Freund und Prof. Dr. Emil von Groß, Budapest), ein Ge¬ 
hirnabdruck von Helmholtz (von Geheimrat von Renvers), 
ein Porträt des Paracelsus (von Dr. Willy Hirschlaff), Litho¬ 
graphien und Photographien (von Dr. Richard Kohn, Breslau, 
Geheimrat Veit, Halle u. a.). Von dem Kustos Prof. Holländer 
überwiesen wurden u. a. Bronzekopien der Pompejanischen In¬ 
strumentenfunde, eine Sammlung römisch - etruskischer Original- 
Instrumente , darunter besonders ein paar reichverzierte Strigili- 
und Sichelmesser etruskischer Herkunft, ferner eine Reihe von 
Krankenpflegeartikeln aus dem 17. Jahrhundert (Fußwärmer, Bett¬ 
wärmer, Stundengläser etc.), ferner Instrumente, Flugblätter, 
Kupferstiche, Photographien und ein Münzenschrank. Weitere 
Zuwendungen von medizinisch-historischem Interesse (Abbildungen, 
Instrumente etc.) werden dankbar entgegengenommen. 

Berlin. Nachdem seitens des Ministers der etc. Medizinal- 
Angelegenheiten den Apothekern gestattet worden ist, die Sonn¬ 
tagsruhe auch über die Nacht bis 7 Uhr morgens des nächsten 
Werktages auszudehnen, haben in Berlin die vier im sogenannten 
schlesischen Viertel liegenden Apotheken, nämlich „Fürst Bismarck- 
Apotheke“ in der Oppelnerstraße, „Apotheke am Schlesischen Tor“ 
in der Skalitzerstraße, „Palmen-Apotheke“ in der Schlesischen- 
straße und „Görlitzer-Apotheke“ in der Görlitzerstraße von dieser 
Erlaubnis Gebrauch gemacht. Es sei daran erinnert, daß die' Be¬ 
sitzer der vier Apotheken schon einmal den Versuch gemacht 
hatten, die Sonntagsruhe bis zum nächsten Morgen auszudehnen, 
aber auf ihre gemeinsame Eingabe seitens des Polizeipräsidiums 
abschläglich beschieden worden waren. (Apotheker-Zeitung, 1908, 
Nr. 1.) 

— Wir erhalten folgende Zuschrift: 


in der nächsten Kürzest 1908; und zwar in den Monaten Mai und : 
September 70 Zimmer den Aerzten, welche zur Erholung oder 
zum Kurgebrauche in dieser Zeit nach Marienbad kommen wollen, 
zur Verfügung stellen zu können. 

Wir ersuchen Sie, in Ihren Kreisen bekannt geben zu wollen, 
daß die Institution schon in diesem Jahre benützt werden kann 
und daß Kollegen, die davon Gebrauch machen wollen, sich mög¬ 
lichst bald, längstens im Monate April anmelden sollen. 

In der sicheren Erwartung, keine Fehlbitte zu tun uüd bei 
Ihnen ein freundliches Entgegenkommen und Eingehen auf die 
genannten Bestrebungen und eine Unterstützung derselben zu 
finden, zeichnet 

mit kollegialer Hochachtung 
Das Komitee zur Errichtung eines ärztlichen 
Erholungsheimes in Marienbad 
Dr. Alois Grimm m. p., 

Dr. Adolf Stark m. p., Dr. Karl Zörkendörfer m. p. 

Die größte Menge Radium, die bisher irgendein wissen¬ 
schaftliches Institut erzielt hat, ist vom physikalischen Institut 
der Universität Wien gewonnen worden. Der österreichische Staat 
hatte dazu der Wiener Akademie der Wissenschaften 10000 kg 
Joachimsthaler Uranpechblende zur Verfügung gestellt und die 
unter Leitung von Dr. Ulrich vorgenommene Verarbeitung ergab 
nun eine Ausbeute von 3 g Radiumverbindungen und 1 g reines 
Radiumchlorid. Ein Gramm der erstem ist Sir William Ramsay 
überlassen worden. Die Anschaffungs- und Verarbeitungskosten 
der Gesamtmenge beliefen sich dabei auf 25 500 M., so daß also 
ein Gramm ziemlich reines Radium für die verhältnismäßig ge¬ 
ringe Summe von 8500 M. hergestellt werden konnte, während 
der fabriksmäßige Verkaufspreis auf 340000 M. zu veranschlagen 
ist. Die in Quarzgefäßen untergebrachten Präparate sollen nach 
der „Zeitschrift für angew. Chemie“ zunächst dazu verwendet 
werden, die grundlegenden physikalischen Konstanten zu be¬ 
stimmen, in erster Linie die spontane Wärmeentwicklung durch 
Radium. Späterhin sollen Arbeiten und Versuche für medizinische 
Zwecke durchgeführt werden. (Die Umschau, 1908, Nr. 1.) 

Berlin. Laut Bekanntmachung des Reichskanzlers werden 
vom' 1. März d. Js. ab die Präparate Azetylsalizylsäure (Aspirin) 
und Diäthylmalonylharnstoff (Veronal) dem freien Verkehr ent¬ 
zogen werden. 


■ xM 


Marienbad, im Januar 1908. 

Sehr geehrte Herren Kollegen 1 

Der Marienbader Aerzteverein hat in seiner Sitzung vom 
29. August v. J. beschlossen, in Marienbad ein Erholungsheim 
für Aerzte zu gründen, um erholungs- und kurbedürftigen, leiden¬ 
den, von der ärztlichen Praxis ermüdeten, überarbeiteten oder 
ruhebedürftigen Aerzten, die einige Zeit fern vom Orte ihrer 
Tätigkeit Erholung suchen, freie Unterkunft im eigenen Hause 
und manche andere Erleichterungen und Benefizien zu schaffen, 
sowie die Heil- und Kurbehelfe des Kurortes zur Verfügung zu 
stellen. Die Aufnahme soll vorerst nur auf Aerzte der österr.- 
ungarischen Monarchie und des Deutschen Reiches beschränkt sein. 

Da die Marienbader Aerzte — trotz aller Opfer Willigkeit für 
diese ihre Schöpfung — allein nicht in der Lage sind, die Mittel 
anfzubringen, um ein solches Haus zu gründen, der Würde des 
ärztlichen Standes entsprechend zu errichten und es mit allen 
Bequemlichkeiten auszustatten und zu erhalten, so sieht sich das 
gefertigte Komitee, dem vom Aerzteverein die Durchführung 
dieses Projektes anvertraut und übergeben worden ist, veranlaßt, 
an den Wohltätigkeitssinn der ärztlichen Korporationen, an die 
Aerztekammern und Vereine mit der Bitte heranzutreten, dieses 
ausschließlich im Interesse des ärztlichen Standes und ausschlie߬ 
lich aus dem Zusammenwirken der Aerzteschaft zu gründende, 
einem eminent wohltätigen Zwecke dienende Unternehmen mit 
einer größeren Spende unterstützen und damit der Ausführung 
näher bringen zu wollen. 

Durch die Opferwilligkeit der Marienbader Aerzte, welche 
Häuser besitzen, und anderer, dem Aerztestande nahestehender 
wohlwollender Hausbesitzer ist das Komitee in der Lage, schon 


Breslau. Der 29. Kongreß der deutschen balneologischen 
Gesellschaft wird vom 5. bis 9. März 1908 hier tagen. Bei dem 
lebhaften Interesse, das die Breslauer Behörden und Aerzte sowie 
die gesamte Bürgerschaft diesem Kongreß entgegenbringen, dürfte 
sich sein Verlauf recht günstig gestalten. Der diesjährige Kon¬ 
greß erhält seine besondere Weihe durch die Enthüllung eines 
würdigen, von der Balneologischen Gesellschaft gestifteten Denk¬ 
mals für Hermann B r ehmer, den großen Schöpfer der modernen 
Schwindsuchtsbehandlung. Die wissenschaftliche Seite des Kon¬ 
gresses verspricht recht viel Anregung, da bereits eine ganze 
Reihe von interessanten Vorträgen angemeldet ist. Weitere An¬ 
meldungen von Vorträgen sind zu richten an den Generalsekretär 
der Balneologischen Gesellschaft, Herrn Geheimrat Dr. Brock, 
Berlin NW., Thomasiusstraße 24. 

Durch Ministerialerlaß werden die Regierungen und Provin¬ 
zialschulkollegien auf die Kraepelin-Gruberschen Wandtafeln 
zur Alkoholfrage als geeignetes Belehrungsmittel über Alkohol¬ 
gefahr hingewiesen. 


Nochmals Herrn Dr. N. N. in N. Ihr Urteil über die mit Fucol 
erzielten Erfolge sind für meine Erfindung sehr schmeichelhaft und für mich 
ehrend. Ich veröffentliche, meinem Prinzipe getreu, derartige Gutachten 
niemals. Jeder Arzt ist in der Lage, sich durch eigene Versuche von der 
Wirksamkeit des Fucols zu überzeugen. Orig.-Flaschen k V, Liter kosten 
M. 2,—. Karl Fr. Töllner, Bremen. 

F. A. Hoppen u. R. Fischer 
Patentanwälte 


Berlin SW. 13., Nenenbnrgerstraße 15 

Amt IV 718 


Verantwortlicher Redakteur: Dr H. Lungwitz, Berlin S. — Verlag: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle a. S. 
Druck der Heynemannschen Burhdruckerei, Gebr. Wolf!, Halle a. S. 


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Therapeutische Rundschau 

Wochenschrift für die gesamte Therapie des praktischen Arztes. 


Herausgegeben von 


0. Anton, A. Dührssen, C. A. Ewald, R. Robert, 

Halle a. S. Berlin. Berlin. Rostock. 

H. Schmidt-Rimpler, H. Senator, 

Halle a. S. Berlin. 


•' Redaktion: 

Berlin S. 14, Dresdenerstr. 44. Tel. IV, 11773. 
Dr. H. Lungwitz. 


M. Koeppen, M. Mosse, H. Rosin, H. Schlange, Ad. Schmidt, 

Berlin. Berlin. Berlin.! Hannover. Halle a. S. 

R. Sommer, H. Unverricht, 

Gießen. Magdeburg. 

( -----N 

Verlag u. Expedition: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung 
in Halle a. S., Reilstraße 80. 

Tel.-Adr.: Marhold Verlag Hallesaale. Fernsprecher 823. 

—--1---y 



Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte der Ostsee und der 

Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 


n. Jahrgang. Halle a. S., 1. März 1908. Nr. 9. 


.. ~ Die »Therapeutische Rundschau“ erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2M. einzelne Nummer 20 Pf Bestellungen nphmpn IpHp RnrhHanHi..n«r 
di .e Post, sowie die Geschäftsstelle: Carl Marhold Verl agsbuchhandl ung in Halle a. S. entgegen. Inserate werden für die 4gespaU?ne Petitzeile oder deren RaSm 
mit 50 Pf. berechnet. Beilagen nach Uebereinkunft Reklamezeile 1,50 M. Bei größeren Aufträgen wini Kabatt gewährt 8 P eren Kauin 

Nachdruck der Original-Aufsätze ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet — Nachdruck der anderen Rubriken ist nur mit Quellenangabe gestattet 



ORIGINALIEN. 


CD 


Aus' der Medizinischen Klinik und Poliklinik der Universität 
Halle a. S. (Dir.: Professor Ad. Schmidt). 

Die Bedeutung der Fäzes-Untersuchungen für den 
praktischen Arzt. 

Von Dr. med. et polit. Stehr, Wiesbaden. 

Trotz der wertvollen Untersuchungen Nothnagels aus 
dem Jahre 1884 beschränkte sich bis vor wenigen Jahren das 
Interesse selbst desjenigen Praktikers, der auf der Höhe seiner 
Zeit sich zu halten bemüht war, in der Regel auf die makro¬ 
skopische Untersuchung der Fäzes. Die Resultate der mikro¬ 
skopischen Untersuchung galten als unbrauchbar für die Praxis. 
Chemische und bakteriologische Untersuchungen waren noch 
weniger zu verwerten, schon deshalb, weil sie zu zeitraubend 
waren. Naturgemäß konnten die Ergebnisse einer flüchtigen 
makroskopischen Betrachtung nur sehr dürftige sein und das 
Interesse nicht weiter anregen Es fehlte an einer in der 
Praxis durchführbaren Methode der Funktionsprüfung desDarmes, 
mittels welcher man im Erkennen und Heilen der Darmkrank¬ 
heiten in ähnlicher Weise hätte vorwärts kommen können, wie 
in der_ Magenpathologie mit der Untersuchung des Magenin¬ 
halts: es gebrach insonderheit an Maßstäben, die gestatteten, 
die Gesamtleistung bezw. die nach einzelnen Funktionen ge¬ 
trennte Arbeit der Organe und die physiologische Schwankungs¬ 
breite ihrer Arbeitsleistung zu prüfen. Mit dem glänzenden 
Ausbau der funktionellen Diagnostik der Magenkrankheiten 
durch v. Leube (Anwendung des Magenschlauchs zu diagnost. 
Zwecken), Ewald und Riegel (Einführung des Probefrühstücks 
und der Probemahlzeit) hatte die Ausgestaltung der funktio¬ 
neilen Diagnostik der Darmkrankheiten eben nicht gleichen 
Schritt gehalten. Das war lange das betrübliche Fazit. 

In dieser Beziehung ist erst seit Einführung einer Probe¬ 
diät auch für die Fäzes-Untersuchung durch Prof. Ad. Schmidt 
und durch die von ihm und Straßburger gewonnenen Nor¬ 
malwerte und Leitsätze ein erfreulicher Wandel angebahnt. 
Als Ziel stellte sich Schmidt eine für die Praxis verwertbare 
Methode vor, mittels deren Störungen in der physiologischen 
Leistung des Darmes auch dann schon zu erkennen sind, wenn 
andere objektive Zeichen derselben noch fehlen oder nur un¬ 
bestimmte subjektive Empfindungen vorhanden sind. Von dem 
Ideale, die Arbeit des Darmes bis in die feinsten Details hin¬ 


ein zu kontrollieren, wie es uns bezüglich der 3 Hauptfunktionen 
des Magens: Motilität, Sekretion und Resorption schon möglich 
ist, sind wir freilich noch weit entfernt. Die Schwierigkeiten 
sind deshalb erheblich größere als bei der klinischen Magen¬ 
untersuchung, weil uns der ganze Darm abgesehen von Anus 
und Rektum für die Inspektion und direkte Palpation nicht 
zugänglich ist und wir neben den allgemeinen Hilfsmitteln der 
physikalischen Diagnostik des Abdomens lediglich auf die Unter¬ 
suchung der Fäzes angewiesen bleiben. Nichtsdestoweniger ge¬ 
stattet der durch A d. S ch mi d t gewonnene Fortschritt der Metho¬ 
dik heute schon jedem Praktiker, ohne großen Apparat, ohne 
komplizierte Manipulationen und ohne bedeutenden Zeitaufwand 
erheblich größeren diagnostischen und therapeutischen Nutzen 
aus Fäzes-Untersuchungen zu ziehen, als es noch vor wenigen 
Jahren möglich war. 

Ad. Schmidt ging davon aus, daß die Ausnutzungsver¬ 
suche an sich der gegebene Maßstab für die Funktionsprüfung 
des Darmes und seiner Adnexe seien. Da aber der hierbei 
unentbehrliche komplizierte Apparat der chemischen Analyse 
ihre Anwendbarkeit für den Praktiker von vornherein aus¬ 
schließt, so lag der Gedanke nahe, unter Beibehaltung des an 
sich richtigen Prinzips des Ausnutzungsversuches eine einfachere, 
für die allgemeine Praxis verwertbare Technik zu suchen, die 
nach Möglichkeit die Fehlerquellen der chemischen Analyse 
vermeidet. 

Die gewonnene Methode schließt sich eng an das Vor¬ 
bild der Mageninhaltsuntersuchung an. Auch hier muß von 
einer einheitlichen Zusammensetzung des Kotes, von einem 
Normalkot ausgegangen werden. Denn die Erfahrung lehrte, 
daß Menge und Art der Nahrungsreste im Kot in erster Linie 
von Menge und Art der Nahrungsmittel abhängt und erst in 
zweiter Linie von dem Zustande der Verdauungsorgane. Das 
bedingte die Einführung einer Probekost. 

Ich will in folgendem kurz die Probekost und die Stuhl¬ 
untersuchungsmethoden, wie sie jetzt in der Ad. Schmidt- 
schen Poliklinik üblich sind, unter Hervorkehrung des für den 
Praktiker Wichtigen wiedergeben. 

Die fortschreitende Methodik der Kotuntersuchung führte 
zu einer für den Praktiker wertvollen Vereinfachung der ur¬ 
sprünglich von Schmidt eingeführten und in der ersten Auf¬ 
lage seiner „Funktionsprüfung des Darms“ veröffentlichten 
Prabekost. 

Die Vorschrift lautet jetzt wie folgt: 

Morgens: V 2 1 Milch, Tee oder Kakao mit möglichst 
viel Milch; dazu eine Semmel mit Butter und ein weiches Ei. 

Frühstück: 1 Teller Haferschleimsuppe, mit Milch ge¬ 
kocht, durchgeseiht (Salz- oder Zuckerzusatz erlaubt), ev. kann 
auch Mehlsuppe oder Porridge gereicht werden. 




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TftEkAPÜÜTlSCM) RÜMDSCfiAÜ. 




Mittags: V 4 Pfd. gut gehacktes, mageres Rindfleisch mit 
Butter leicht übergebraten (inwendig roh), dazu eine nicht zu 
Meine Portion Kartoffelbrei (fein durch gesiebt). 

Nachmittags: wie morgens, aber kein Ei. 

Abends: V 2 1 Milch oder ein Teller Suppe (wie zum 
Frühstück), dazu eine Semmel mit Butter und 1 bis 2 weiche 
Eier (oder Rührei). 

Es ist gestattet, die Mahlzeiten auch miteinander zu ver¬ 
tauschen oder zu kombinieren. Unter Umständen ist sogar 
etwas Wein, dünner Kaffee, Bouillon erlaubt. 

In dieser vereinfachten Form kann die Probekost überall 
auch in der ambulanten Praxis ohne Schwierigkeit durchge¬ 
führt werden. 

Frühestens der zweite Stuhlgang nach Beginn der Probe¬ 
kost liefert die zur Untersuchung geeigneten Fäzes. Die Unter¬ 
suchung soll an möglichst frischen Fäzes durchgeführt werden. 
Sie erfordert höchstens 10 Min. Zeit, kann also den gebräuch¬ 
lichen Urin- und MageninHaltsuntersuchungen gleichberechtigt 
an die Seite gestellt werden. 

Die makroskopische Untersuchung ist der 
wichtigste Teil des Ganzen. DerNormafkot soll gleichmäßig weiche 
Konsistenz und hellbraune Farbe bfiben. Mehr hellbraun ist 
die Farbe, wenn reichlich Milch genommen wurde, mehr röt¬ 
lichbraun nach Kakaogenuß. Krankhafte Abweichungen sind 
der Teerstuhl (Blut) und der t#ffarbene Stuhl (Fett). Der 
Geruch ist unter gewöhnlichen Verhältnissen schwach kotartig, 
unter pathologischen Bedingungen buttersäureartig oder stechend 
sauer (Essigsäure) oder aber stinkend (bei Fäulnis). Daß sich 
auf den ersten Blick auch grobe Schleimbeimengungen wie 
Blut. Eiter. Bandwurmglieder und andere Fremdkörper er¬ 
kennen lassen, ist ja bekannt. 

Man rührt nun den Kot mit einem Holzspatel gründlich 
durcheinander, nimmt davon ein etwa wallnußgroßes Quantum 
und verreibt es unter allmählichem Zusatz von destilliertem Wasser 
auf das feinste bis zur flüssigen Konsistenz. Dann breitet 
man die Kotprobe auf einen flachen, schwarzen Teller in 
dünnster Schicht aus 

Der normale Probediätstuhl ist völlig homogen. Er läßt 
nach dem Verreiben höchstens Spelzenreste oder Kakaohülsen 
sowie unter stecknadelknopfgroße braune oder rotbraune Punkte 
erkennen. 

Unter pathologischen Verhältnissen findet man: 

L Nahrungsreste, und zwar: 

1. Reste von Bindegewebe und Sehnen aus dem genossenen 
Fleisch Sofern sie zahlreicher und in größeren Fasern auf- 
treten, handelt es sich um eine Störung der Magenverdauung. 

2. Reste von Muskelgewebe in der Form von kleinen 
braunen Stäbchen. Sie deuten auf eine Störung der Darmver¬ 
dauung. 

3. Gelegentlich Bindegewebs- und Muskelreste miteinander 
\ erbunden als Fleischreste. In diesem Falle sind Magen und 
Darm zugleich betroffen, z. B. bei akuten Magen dar mkatarrhen. 
(Der Dickdarm ist nur ein Reservoir für die Nachverdauung, 
in welchem eine Lösung von Fleischstückchen nicht mehr statt- 
findet.) 

4. Karloffelreste in der Form von sagokornartigen, glasigen, 
durchscheinenden Körnern. 

5. Fettreste, außer im lehmartigen Kot auch, wenn auch 
selten, bei starken Durchfällen, als kleine, weißgelbe Klümpchen. 

II. Akzidentelle Bestandteile: 

6. Schleim in größeren oder kleineren Flocken. Größere 
Fetzen. Bänder und Röhren bei Enteritis membranazea und 
bei Schleimkoliken machen kaum Schwierigkeiten im Erkennen. 
Kleinere Beimengungen erkennt man am besten, wenn man sie 
auf eine Glasplatte bringt und gegen das Licht hält. Schleim 
im Stuhl deutet auf Schleimhautkatarrh, ausgenommen der 
lackartige Schleim auf harten Kotballen 

7. Manchmal große Kristalle von phosphorsaurem Ammo¬ 
niakmagnesia in faulenden, stinkenden Stühlen. 

Für die mikroskopische Untersuchung werden von 
dem ursprünglichen, durcheinandergerührten Kot drei Präparate 
angefertigt. Im ersten wird ein Partikelchen ohne Zusatz mit 
dem Deckglas zu einer ganz dünnen Schicht zerdrückt. Im 


zweiten wird es mit einem kleineü Tropfen 30proz. Essigsäure- 
zerrieben und über der Flamme kurz zum ‘Kochen erhitzt^ im 
dritten mit etwas Jodjodkalilösung verrieben. 

Bei normalem Kot sieht man im ersten Präparat ohne 
Zusatz eine detritusartige, aus kleinsten Körnern, Kügelchen, 
Bakterien usw. bestehende Grundmasse. Darin eingeb.ettet ver¬ 
einzelte Muskelfaserbruchstücke, gelbe Kalksalze, ungefärbte 
Seifen, vereinzelte Kartoffelzellen mit nicht mehr differenzier¬ 
barem Inhalt, spärliche Spelzen und Kakaoreste. Pathologisch 
sind ira nativen Präparat Muskelbruchstücke in größerer Zahl, 
reichlich Kartoffelzellen, event. Bindegewebe, Eiter, Parasiteneier, 

Das zweite Präparat soll einen Ueberblick über den Fett¬ 
gehalt geben. Normalerweise sind kleine Fettsäureschollen zu 
sehen. Pathologisch ist nur eine erhebliche Vermehrung des 
Fettgehaltes (denn schon " der Normalkot enthält 23 % der 
Trockensubstanz an Fett). Sie kann geschlossen werden, außer 
aus der lehmartigen Beschaffenheit, aus der starken Vermeh¬ 
rung der Fettsäureschollen im erhitzten Essigsäurepräparat, 
event. aus den Neutralfetttropfen, Fettsäure- und Seifennadeln 
im nativen Präparat und aus der sauren Reaktion. 

Das dritte Präparat darf nur Spuren durch Jod leicht 
violett gefärbter Kartoffelzellreste enthalten. Sieht man reich¬ 
lich blau gefärbte Kartoffelzellen und Pilzsporen, so handelt 
es sich um eine Störung der Kohlehydratverdauung, Als iso¬ 
lierte Störung kommt sie bei der intestinalen Gärungsdys¬ 
pepsie vor (hellbraunes, schaumiges Aussehen'des Stuhls, saure 
Reaktion). 

An die mikroskopische Untersuchung schließt sich die 
chemische. Für die Praxis kommen folgende Methoden in 
Betracht: 

1. Die Reaktionsprüfung. Die Lakmusstreifen werden auf 
den verriebenen Kot aufgelegt. Die Reaktion mnß amphoter sein. 

2. Die Sublimatprobe. Etwas von dem verriebenen Kot 
wird mit konzentrierter wässeriger HgCl 2 -Lösung in einem Glas¬ 
schälchen verrührt und bis zum nächsten Tage stehen gelassen. 
Der normale Kot wird dadurch rot gefärbt (Hydrobilirubin). 
Grüngefärbte Teilchen sind pathologisch: sie zeigen unver¬ 
änderten G allenfarbstoff an. Grünfärbung größerer Partien - 
erweist zumeist eine zu rasche Passage des Darminhalts, be¬ 
sonders hinter der Ileozökalklappe, wo der mit Fäulnis ver¬ 
bundene Reduktionsprozeß beginnt. Dann ist gewöhnlich der 
Dünndarm beteiligt. Tritt eine schmutzige Rotfärbung auf, so 
liegen meist abnorme Zersetzungsprozesse vor. Fehlt die Rot- 
und Grünfärbung bei der HgCl 2 -Probe völlig, so erweist das 
am einfachsten das Fehlen des Gallenfarbstoffs im Darm. 

3. Die Brütschrankprobe. 5 g des unverdünnten Kotes werden 
mit Wasser verrührt in ein Straßburgersches Gärungsröhrchen 
angesetzt und 24 Stunden bei 37 0 G. stehen gelassen. Füllt 
sich das Steigerohr mindestens zur Hälfte mit Wasser, so liegen 
pathologische Verhältnisse vor und zwar Kohlehydratgärung, 
wenn die Reaktion der Fäzes deutlich sauer, und Eiweißfäulnis, 
wenn sie deutlich alkalisch ist. Letztere läßt eine schwere 
anatomische Störung der Darmsehleimhaut vermuten. Das 
Steigeröhrchen riecht intensiv faulig, im ersteren Falle riecht 
es nach Buttersäure. Kohlehydratgärung kann man zuweilen 
schon makroskopisch feststellen. Die. Fäzes sind dann hell¬ 
braun, schaumig, riechen nach Buttersäure und reagieren sauer.' 
x\lle Proben zusammengenommen nehmen, wie gesagt, kaum 
mehr als zehn Minuten Zeit in Anspruch. Wer sich etwas 
mehr Zeit nehmen will, mag bei diarrhoischen Stühlen noch 
die Probe auf gelöstes Eiweiß anfügen. Sie entscheidet, ob die 
Störung rein funktioneller Natur ist oder ob organische Ver¬ 
änderungen zu Grunde liegen.*) 

War sehen, wir sind um ein Erkleckliches vorwärts ge¬ 
kommen v Aber wir wollen uns doch nicht verhehlen, daß wir 
von ekföm Analogon der Funktionsprüfung des Magens noch 
ziemlich weit entfernt sind. Erreicht haben wir in erster Linie 
eine schärfere Abgrenzung der auf organischen Veränderungen 

*) Die demnächst erscheinende II. Auflage des Schmidt sehen Buches 
„Die Funktionsprüfung des Darmes“ enthält eine größere Reihe dieses 
Thema illustrierender Abbildungen und eingehendere Ausführungen, auf die 
ich diejenigen verweisen möchte, welche sich mit dieser Matqrie näher be¬ 
fassen wollen. ' ' ' 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


189 


w-: : 


-1 




bWuh^den Erkrankungen des Dames^voa den rein funktio¬ 
nellen. Störungen seiner Tätigkeit, insoweit eine Trennung 
zwischen beiden überhaupt möglich ist. Für eine organische 
Erkrankung des Darmes spricht (abgesehen von Blut und Eiter) 
vor allem die Anwesenheit von Schleim, eine ausgesprochene 
Neigung zur Fäulnis (und der positive Ausfall der Eiweißprobe). 
Zweitens können wir die Frage beantworten, ob es sich im 
gegebenen Falle um eine Affektion des Dickdarms oder Dünn¬ 
darms handelt und inwieweit der Magen beteiligt ist, und 
drittens vermögen wir festzustellen, welche Nah rungsmittel - 
gruppen (Fleisch, Fett, Stärke) in ihrer Ausnutzung bei der 
Dünndarm Verdauung leiden. 

Am weitesten sind wir, dank der Probediät, mit der Er¬ 
kennung und Differenzierung der Sekretionsstörungen gekom¬ 
men. Magen und Pankreas (resp. Pankreas-Darm) können wir 
durch die Fleischprobe auseinanderhalten, Fettstühle von 
üallenmangel und von Pankreasinsulfizienz lassen sich verhält¬ 
nismäßig leicht unterscheiden, weil bei den letzteren regel¬ 
mäßig auch die Fleischverdauung leidet. Das W iedererscheinen 
von Stärkeresten deutet auf eine Störung der Dünndarm¬ 
sekretion. Zum direkten Nachweis einer Pankreasstörung haben 
wir, abgesehen von der zu umständlichen Cammidge sehen 
Urinprobe zwei Vorschläge, dio sich vom Praktiker ver¬ 
werten lassen: Die- Sahli sehe Glutoidprobe, mit weicher man 
imstande ist, eine Pankreaserkrankung auszuschließen, und die 
Schmidtsche Kernprobe, deren wiederholter positiver Ausfall 
beweisend ist für eine Pankreasinsuffizienz. Sie beruht aut 
seiner durch Versuche gestützten Beobachtung, daß, wo immer 
die Pankreassekretion vollständig aufgehoben war, auch die 
Verdauung der Gewebskerne fehlte. Man läßt einen kleinen 
Fleischwürfel in einem Gazebeutelchen schlucken und unter- 
; sucht den Fleischrest nach Passieren des Darmkanals auf Kerne. 
Sind die Kerne mindestens sechs Stunden nach Einnahme des 
Beutelchens noch nicht verdaut, so darf man aut eine voll¬ 
ständige Pankreasinsuffizienz schließen. Eine sichere Methode, 
welche imstande wäre, eine Pankreaserkrankung, die nicht mit 
Aufhebung der Drüsenfunktion verknüpft ist, nachzuweisen, 
fehlt uns leider noch. Das ist aber deshalb praktisch ohne 
große Bedeutung, weil Verdauungsstörungen bei Pankreasleiden 
überhaupt nicht vor völliger Einstellung der Darmfunktion 
klinisch in Erscheinung treten. 


Wandlungen in der Medizin. 

Von Kreisarzt Dr. Bachmann in Harburg a. E. 

Vor etwa dreißig Jahren behandelte ich als Praktikant an 
der Würzburger medizinischen Klinik, natürlich unter Aufeicht 
des Assistenzarztes, Stadtarme. Als einer meiner ersten Pa¬ 
tienten war mir ein alter Waldarbeiter zugeteilt, welcher mit 
seiner Frau ein ärmliches Quartier im sogen. „Krawattendörfle“ 
jenseits des Mains bewohnte. Die Diagnose „Bronchiektasie“ 
war ohne Schwierigkeit von mir gestellt worden. Jetzt kam 
es darauf an, ein schulgerechtes Rezept zu schreiben, was mit 
Hülfe des aus der Rocktasche geholten „Rabow“ gleichfalls 
glückte. Der Mann bekam zeitweilig Krankenkost mit Bouillon, 
Braten und Wein aus der Küche des Juliusspitals; dann lebte 
er aber wieder von Brot und einer geschmälzten Gemüsesuppe, 
welche ihm seine Baucis bereitete. Nun fiel mir auf, daß bei 
der „guten“ Krankenkost sehr reichlicher eitriger Schleim aus¬ 
gehustet wurde, die Menge aber sogleich geringer wurde, als 
Braten und Wein ausblieben. In meiner Einfalt erschien mir 
die geringe Sekretion günstiger, doch belehrte mich die Autorität 
des Assistenten, daß eine möglichst eiweißreiche und leichtver¬ 
dauliche Kost nebst herzstärkendem Weine benötigt sei. Der 
Mann sei ja „so schlecht genährt“, mager und schwach. Die 
stärkere Sekretion sei nur ein Zeichen, daß sich der Schleim 
besser löse. Mit dem Blute könne die Schleimabsonderung 
schon deshalb nicht Zusammenhängen, weil das Mikroskop keine 
anatomische Verbindung zwischen Blutgefäßen und Schleim- 
* (Irüsen erkennen lasse. Schleim sei einfach ein Produkt der 


Drüsenzelle. Natürlich st: ich ich darauf die Segel meines Ge¬ 
dankenfluges. 

Später bekam ich einen Gonorrhöe-Kranken. Zinc. sulf. 
1: 200 Aq. destill. v..r ja ein leichtes Rezept, dazu eine Tripper¬ 
spritze, zum zweislündlichen Gebrauch. Als Kost gabs wieder 
Braten und Wein, diesmal roten statt Weißwein. Der Tripper 
floß prachtvoll. Nun bekam der vollsaftige Mann auch einmal 
durch irgend einen Zufall einige Zeit schmale Kost und keinen 
Wem. Der Ausfluß versiegte fast. Erklären konnte ich mirs 
nicht, doch kam es mir in meinem naiven Gemüt so vor, als ob wir 
vorher den Tripper genährt hätten. Aber Unsinn! Die Kost 
war ja reich an leichtverdaulichem Eiweiß und zudem „bland“. 
Der Rotwein enthielt Gerbsäure, aufs Milligramm chemisch er¬ 
mittelt, und mußte daher mit „astringieren“ helfen (man merkte 
es nur nicht). 

Aehnliche Beobachtungen machte ich sodann in meiner 
mehrjährigen Paukarzt Praxis: immer vermehrte sich die Eite¬ 
rung der Schmisse bei „guter“ Kost, ließ nach bei schmaler. 
War das auch günstig? Zur Erzeugung bleibender Narben 
wurde es allerdings von den Patienten gewünscht. 

Nun sollte man meinen, daß diese frühen Beobachtungen 
bjld auf meine Behandlung Einfluß gehabt hätten. Nichts von 
dem, denn wenigstens noch auf lange Zeit hinaus ließ die 
Autoritäts-Gläubigkeit das zarte Pflänzchen Zweifel nicht auf- 
kommen. Wie die übrigen Aerzte hielt ich an der sogen, ge¬ 
mischten, d. h. in Wahrheit hauptsächlich aus Fleisch be¬ 
stehenden Kost bei allen Kranken fest. Neben dem tierischen 
Eiweiß hatten ja doch die Kartoffeln, Reis, Gemüse oder Obst 
kaum eine Bedeutung, da sie ja größtenteils aus Wasser be¬ 
standen. 

Nach abgelegtem Staatsexamen ging ich ins Ausland, 
nach Südafrika. Selbständiges Handeln weckte auch all¬ 
mählich selbständiges Denken, und Körper und Geist begannen 
sich zu recken, soweit sie ihre natürliche Fasson nicht bereits 
durch die spanischen Stiefeln des Gymnasiums und der Uni¬ 
versität dauernd eingebüßt hatten. So begann ich mich mehr 
auf meine Kräfte zu verlassen. Landkarten, Bücher und Glaubens¬ 
sätze der Wissenschaft verloren in dem Maße ihre bedingungs¬ 
lose Glaubwürdigkeit, als ich die Dinge selbst zu sehen und 
mit den Augen des Geistes zu schauen lernte. 

Als ich beobachtet hatte, welche kolossale Muskelarbeit 
der Neger ohne Fleisch und mit sehr geringem pflanzlichen Ei¬ 
weiß verrichten konnte, da wankten die Säulen der wissen¬ 
schaftlichen Ernährungslehre. Die Pflanzen-Extrakte, welche 
die Indier mit sich führen, um sie jeder ihrer Mahlzeiten zu¬ 
zusetzen, hatten zwar für die Nase des Europäers einen furcht¬ 
baren Gestank, ließen mich aber ihre Kraftquellen für den 
Organismus ahnen (Lahmanns Nährsalze kannte ich damals 
noch nicht). Diese dürren und anscheinend aus Fleischmangel 
abgezehrten Leiber lernte ich aber nicht nur als enorme Kraft¬ 
maschinen , sondern auch in ihrem Widerstand gegen Wund¬ 
infektion kennen: schwerste Wunden heilten ohne Antiseptik 
mit erstaunlicher Sicherheit, ohne Eiterung! Alle chirurgischen 
Operationen, die im Krankenhaus zu Ivimberley vorkamen, er¬ 
trugen die Kaffem ohne Betäubung; so gesund, also doch wohl 
richtig ernährt, war ihr Nervensystem. 

Als ich nach sechs Jahren wieder in der Heimat arztete, 
stand alles im Zeichen des unumschränkten Infektionismus. 
Die eigentliche Krankheitsursache schien nun im Bazillus ent¬ 
deckt! Auch ich mikroskopierte fleißig und ließ die extreme 
Richtung auf mich einwirken. Bald begann es mir aber doch 
zu bunt zu werden: sollte unser Körper diesen kleinen Feinden 
denn ganz wehrlos gegenüberstehen? "Warum war aber gerade 
der Körper des Kulturmenschen im hohen Grade gefährdet? 
Sollten die Klein wesen nicht vielleicht auch im Körper, wie 
außerhalb, bei einem unnatürlichen Betriebe der menschlichen 
Maschine besonders geeignete Nährstoffe finden? 

Nie in meinem Leben ist für mich ein einzelner Gedanke 
dermaßen folgenschwer gewesen wie dieser. Mit einem Schlage, 
wie durch Blitzlicht, übersah ich Gebiete, die mir vorher dunkel 
und ewig aussichtslos erschienen waren. Mir eröffnete sich 
nun eine Parallele mit den Krankheiten der Pflanzen und Tiere 
unter den abnormen Verhältnissen der Landwirtschaft und Vieh 


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zucht. Die Vorherrschaft der Bakteriologie begann zu weichen, 
allmählich auch Virchows mechanischer und lokalistischer 
Standpunkt dem hohen Werte des Organismusbegriffes Platz 
zu machen. 

Zu jener Zeit, vor etwa 12 Jahren, bot sich mir Gelegenheit, 
in das ärztliche Denken der Vor-Virchowsehen Zeit einen 
tiefen Einblick zu gewinnen, und zwar auf eine Art, wie es 
keinem Kollegen jetzt mehr geboten werden wird, nämlich 
durch die Seele eines lebenden Vertreters aus jener Zeit, des 
hochbetagten Oberstabsarztes Dr. Dyes (f 1899 zu Hannover), 
eines wahrhaft intuitiven Arztes. Trotz seiner vielen Irrtümer 
im Einzelnen und Kleinen war dieser Verächter des Mikroskops 
doch noch ein philosophischer Arzt, ein wahrer Jünger des 
Hippokrates und Galenus. Ich begann nun Hufeland, van 
Swieten, Bo er ha ave zu studieren, sowie einzelne Schriften 
des Hippokrates und Galenus. Namentlich bei letzterem fand 
ich äußerst fruchtbare Gesichtspunkte wie des temperamentum 

= Konstitution und der intemperies = Konstitutions-Verschlechte¬ 
rung, hauptsächlich durch verkehrte Ernährung, weshalb ich meiner 
späteren Krankheitslehre auch den Namen Neugalenismus bei¬ 
gelegt habe, nicht ISeu-Hippokratismus, obgleich Hippokrates 
sicherlich der bedeutendere und ursprünglichere der beiden 
großen Aerzte war. Doch erst nach vielen, vielen Stufen, 
welche ich in meinen Schriften fixiert habe, gelangte ich endlich 
zu einem wahrhaft biologischen Krankheitsbegriff, welcher der 
modernen Lehre vom Leben entspricht. Ich wurde dazu an¬ 
geregt einerseits von den Diätetikern Lahm an n, Haig, 
D e w e y und K e i th, anderseits wurde mir der neue Organismus¬ 
begriff erst wahrhaft klar aus Lamarcks: Philosophischer 
Zoologie, aus Paulys: Darwinismus und Lamarckismus, aus 
Her twigs Allgemeiner Biologie undFr anc 6s Leben der Pflanze. 
Diese Autoren halte ich für die naturwissenschaftlichen Propä- 
deutiker des modernen Arztes, durch welche er die entsetzlichen 
Lücken des humanistischen Gymnasiums ergänzen sollte. 

Nun kam mir wieder jener bronchiektatische Arbeiter in 
Würzburg in Erinnerung, jener Gonorrhöe-Kranke, die Studenten 
mit ihren „schön-eiternden“ Renommierschmissen und spätere 
ähnliche Erfahrungen. Was war die Bedeutung jener ver¬ 
mehrten Sekretion? Waren etwa die weißen Blutkörperchen 
durch verstärkte Eiweiß-Ernährung vermehrt? Ich zweifelte 
zuerst daran, glaubte vielmehr eine Zeit lang, durch Dyes 
und Prof. Mosso irregeleitet, an ein allmähliches Absterben der 
roten Blutkörperchen; diesen hypothetischen Vorgang habe- ich 
dann als Nekrozytose beschrieben, besonders in meinen Aderla߬ 
schriften. 

Nein, es handelte sich vielmehr um eine Leukozytose. 
A.ber solche ist doch stets ein wünschenswerter Vorgang, denn 
die weißen Blutkörperchen sind doch die eifrigsten Gegner 
der Bakterien? Wieder ein Hemmnis! Nun kamen mir aber 
die modernen Ernährungsforschungen zu Hilfe, sowie eine 
Schrift von Dr. Haedicke, welche — allerdings in übertriebener 
Darstellung — die Leukozyten als Parasiten ansieht. Die Er¬ 
nährungsphysiologie ist zwar gerade in Bezug auf die Ver¬ 
dauung des Eiweißes noch recht dunkel, doch wissen wir, daß 
gerade bei der Fleischverdauung die Zahl der weißen Blut¬ 
körperchen im Blute wächst (Bunge, Hofmeister). Auch 
ist nicht nur im adenoiden Gewebe, sondern auch im Eiter 
reichliches Pepton nachgewiesen worden. Bei der Verwertung 
des Fleisches spielen also wahrscheinlich die weißen Blut¬ 
körperchen eine große Rolle. Man muß annehmen, daß sie die 
Pepton-Moleküle mit ihren Enzymen erst völlig spalten 
müssen, wonach der Organismus, selbständiger, als man ihn sich 
früher vorgestellt hatte, aus den Atomen sich die Moleküle der 
von ihm gebrauchten Eiweißarten erst wieder selbst aufbaut. 
Was geschieht nun aber mit den Leukozyten? Der Moor hat 
seine Schuldigkeit getan, er kann gehen. Aber wohin? Aus¬ 
gequetschten Zitronen gleich haben sie nach einer reichlichen 
Fleischnahrung ihre Lebenskraft erschöpft. Sie können ver¬ 
fetten , und das tun sie auch oft. Bevor sie aber diesem 
Schicksal verfallen, haben sie oft noch zahlreiche Gelegenheiten, 
dem Körper zu schaden, in den Lymphräumen, in den Haar¬ 
gefäßen. Sie sind Fremdlinge geworden, und nach dem Hippo¬ 
kratischen Gesetz der Katharsis duldet sie der Organismus 


nicht undYrachtet, sich ihrer zü entledigen. Sie werden ab¬ 
gesondert. Auf wie vielfachem Wege dies geschehen kantt, 
lehrt uns die Tätigkeit der zahlreichen Körperdrüsen. Aber 
der Organismus, ein wahrer Oekonom, weiß auch aus dem Ab¬ 
fall noch allerlei Brauchbares zu gestalten; so dienen sie ihm 
nicht nur zur Herstellung der Exkrete wie des Urins oder gehen 
mit den Fäzes ab, nein, sie erfüllen wichtige Zwecke als Be¬ 
standteile des Speichels, des Schleims, der Galle, der Ver- 
dauungssäfte; im Schwein selbst dienen sie nicht nur der Ent¬ 
giftung, sondern auch zur Abkühlung durch Verdünstung det 
Oberhaut. Bevor sie aber solchen terminalen Zwecken 
dienen, sind sie in den Lymphwegen und im Blute eine stete 
Gefahr nicht nur als Bildner von Giftstoffen, sondern auch als 
begehrenswerte Beute aller jener Bakterien, die wir pathogen 
nennen, d. h. die sich aus den eigentlichen Fäulnisbakterieü 
der Umgebung des Menschen herangezüchtet haben zu seinem 
Schaden. 

Wenn nun dem Leser der Gedanke Unbi'ölogisch zü sein 
scheint, daß ein Bestandteil des menschlichen Körpers, die 
Leukozyten, selbst bei beschränktem Fleischgenuß, wie ihm. doch 
auch von den tierischen Verwandten des Menschen, den-Affen, 
gehuldigt wird, im Körper eine schädliche Bolle spielen, sö 
muß ich entgegnen, daß allerdings unter gösuüdheitsgemäßeü 
Lebensbedingungen für ihre Evakuation genügend gesorgt ist. 
Es gibt eine Reihe physiologischer Reize, welche in bedeutendem 
Grade für die kräftige Tätigkeit aller evakuierenden Organe 
sorgen: Luft, Licht, Wechsel von Wärme und Kältej Wind^ 
Bewegung sind die besten Freunde dös natürlich lebenden 
Menschen, indem sie die Funktion der Haut mit ihrem enormen 
Drüsensystem, der Verdauungsdrüsen, der Nieren, kurz aller 
blutreinigenden Organe regeln und damit beständig den Körper 
von seinen Schlacken rein halten. Unter natürlichen Ver¬ 
hältnissen können Stämme wie Eskimos, Indianer und Feuer¬ 
länder selbst bei reichlicher Fleischkost, wobei allerdings sehr 
viel Fett mitgenossen werden muß, gesund bleiben. Viel 
schlimmer ist es aber um uns europäische Kultui*meü8cheU be¬ 
stellt, wenn wir gleichzeitig mit unzweckmäßiger Nahrung die 
Vernachlässigung aller evakuierender Reize verbinden. Die 
daraus notwendig hervorgehenden Erscheinungen nennt man 
Degeneration, obgleich sie eher den Namen: Konstitutions-Ver¬ 
schlechterung verdienten. Auf ihrer Grundlage entstehen aber 
unsere meisten Krankheiten. 

Darin liegt eben der große Unterschied zwischen einer 
energetischen und zweckmäßig Material-ergänzenden Ernährung, 
die leicht zersetzungsfähige tierische Stoffe möglichst vermeidet und 
außer Mineralstoffen, Zucker, Fruchtsäuren, Kohlehydraten und 
Fetten nur eine mäßige Menge Pflanzeneiweiße und sparsamen 
Fleischgenuß zuläßt, und der heutzutage üblichen städtischen, 
an Fleisch-Eiweiß überreichen, an Mineralstoffen armen Nahrung. 
So wird der Organismus stets mit Harn- und sonstigen Säuren 
und anderen Produkten des retrograden Stoffwechsels über¬ 
schwemmt, ganz besonders auch mit Leukozyten-Leichen belastet. 
Harnsäure und ähnliche Stoffe wirken sogar als kumulative Gifte, 
indem sie sich im Gewebe massenhaft ablagern und unter ge¬ 
wöhnlichen Verhältnissen nicht ausgeschieden werden. Wenn 
dann aus Mangel an Kalk, Magnesia und Natron noch osmotische 
Kräfte fehlen, kommt es bei dem schon durch die vermehrte 
Fleischnahrung abnorm klebrigen Blute nun um so leichter zu 
Stockungen im kapillaren Blutkreislauf. Schließlich versagen dann 
auch die überreizten Nieren und das überanstrengte Herz, und 
mit 40 oder 50 Jahren ist das Schicksal besiegelt. Wenn so 
viele von uns Aerzten in diesem Alter bereits ihre Lebensbahn 
beenden, ist- dieses dann immer die notwendige Folge des an¬ 
strengenden Berufes, oder nicht vielmehr oft tatsächliche Un¬ 
kenntnis über eine gesundheitsgemäße Lebensweise? 

Jedes Zeitalter hat seine Konstitution. Die unsere hat 
man die anämisch-nervöse genannt. Ich möchte sie die dys¬ 
trophische nennen: Hypertrophien und Atrophien beherrschen 
das Bild. Aus Mangel an richtiger Ernährung fließt ein 
fehlerhaft zusammengesetztes Blut in unseren Adern, und 
Selbstgifte verschiedenster Art üben unheilvollen Einfluß auf 
unser Nervensystem. Auch der lymphatische Zustand der 
Kinder gehört hierher, zusammen poit Rhachitis, Skrofulöse un^ 


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Wenn auch alle diese Ernährungsstörungen aus dem 
oben angeführten Grunde durch hygienische Reize wohl be¬ 
einflußbar sind, wie es z. B. ein mehrwöchiger Aufenthalt 
ran der See beweist, so kann die Besserung doch meist keine 
dauernde sein, wenn kein zweckmäßiger Wechsel in der Diät 
stattfindet. Bevor wir nicht einmal gelernt haben, wenigstens 
unsere Jugend richtig zu ernähren, verdienen wir aber nicht 
den Namen hygienischer Aerztel 

Die Vorstufen zu allen oder doch fast allen Krankheiten 
lassen sich nur unter Zugrundelegung solcher allgemeinen Be¬ 
griffe verstehen. Ich will im folgenden diesen Zusammenhang 
an einigen Beispielen zu schildern versuchen. Leider sind wir 
Aerzte heutzutage allzusehr gewohnt, nur das zu suchen, was 
dieKrankheiten von einander unterscheidet (Differential-Diagnose): 
um so wertvoller für unseren biologischen Ueberblick ist es 
daher, auch einmal das Auge darauf zu richten, was den 
Krankheiten gemeinsam ist. 

Panaritium, Phlegmonen.*) Zu den Gebieten des 
menschlichen Körpers, welche der Ausscheidung von Blut- 
schlacken dienen, gehört außer dem Darmkanal, den Lungen, 
den Nieren, der Leber usw. vorzüglich die gesamte Oberhaut 
und von dieser ganz besonders die Hände und Füße, wie schon 
die reichlich entwickelten Schweißdrüsen der Fußsohlen und 
Handflächen zeigen. Durch mechanische Schädlichkeiten pflegen 
die Schweißdrüsen an Arbeiterhänden in größerer Anzahl zu 
veröden, woraus eine mangelhafte Evakuationskraft gerade der 
Hände von Arbeitsleuten entsteht. Ganz besonders geneigt zu 
Panaritien (und auch Karbunkeln) sind Schlächter. Auch 
Dienstboten, welche aus ländlicher Kost in städtische überge¬ 
gangen sind, neigen zu Eiterbildungen. Jede kleine Epidermis- 
wunde bietet daher eitererregenden Kleinwesen nicht nur die 
Eingangspforte, sondern auch bald Nährmaterial, nämlich in 
den Gewebsmaschen und Lymphräumen zwischen den Be¬ 
wegungsorganen der Hände. 

Diphtherie. Die bei Kindern stark entwickelten lym- 
phösen Rachenorgane haben offenbar auch ihre blutreinigenden 
Aufgaben zu erfüllen. Tritt durch den schädlichen Reiz kalter 
und trockener Winde eine Störung ihrer evakuierenden Tätig¬ 
keit ein, besonders nachdem durch längeren Aufenthalt in ver¬ 
dorbener Stubenluft und diätetische Schädlichkeiten die allge¬ 
meine Nekrozytose**) des Körpers schon Fortschritte gemacht 
hat, so häufen sich in den Mandeln und ihrer Umgebung 
Massen von Blutschlacken auf, welche den dortselbst lauernden 
oder erst durch Kontagium übertragenen Diphtherie-Bazillen, 
Streptokokken oder sonstigen Krankheitserregern einen will¬ 
kommenen Nährboden sowie Gelegenheit zur Vermehrung und 
damit Krankheitserregung abgeben. Oft kann man beobachten, 
wie die Mandeldiphtherie aus der Substanz der Drüsen, von 
innen heraus, sich entwickelt, offenbar nachdem eine Drüsen- 
lakune zuerst die Pforte für die Infektion geworden ist 
und das Innere der Drüse geeignetes Nährmaterial abgegeben 
hat. Zur rechten Zeit kann vielleicht noch eine allgemeine 
Schweißbildung oder eine hydropathische Packung des Halses 
die Gefahr durch angespornte Tätigkeit der Schweißdrüsen ab¬ 
wenden. Dann sterben die Diphtheriebazillen aus Mangel an 
Nährmaterial ab. Gurgelungen mit chlorsaurem Kali scheinen 
besonders durch vermehrte Schleimabsonderung der Mandeln 
zu wirken, ebenso Pinselungen mit Sozojodolsalzen, welche die 
Schleimbildung mächtig fördern. 

Untersch enkelges ch würe. Wer einmal meine Grund¬ 
anschauungen adoptiert hat, für den bietet es keine Ueber- 
raschung mehr, wenn die kleinste Hautabschürfung, der kleinste 
aufgekratzte „Pickel“ an den Unterschenkeln mancher altern 
Personen mit chronischer Blutverschlechterung zu immer größer 
werdenden Geschwüren führt, die aller antiseptischen und rein 
lokalen Heilkunst trotzen, 'sich durch Erleichterung des Blut¬ 
umlaufes (Hochlegen der Beine) zwar bessern, aber doch nicht 
völlig heilen lassen; er weiß, daß in den Lymphräumen dieser 

*) Mit einigen Veränderungen zitiere ich im folgenden aus meinem 
Aufsatze: JSTeo-Galenismus, „Deutsche Medizinal-Zeitung“ 1901, Nr. 9 u. 10. 

**) Wenn man weniger die Schlacken roter als weißer Blutkörperchen 
darunter verstehen will, so kann man dieses von mir gebildete Wort bei- 
, behalten. 


Haut reichliches Nährmaterial für Mikro bi eh aufgestapelt ist 
und daß dauernde Hilfe nur durch die wirksamsten Mittel der 
Blutreinigung, vor allem durch wiederholte kleine Aderlässe 
mit nachfolgender richtiger Ernährung zu erreichen ist. So er¬ 
zielt ja auch der Chirurg durch Auskratzung, Umschneidung 
und Venen-Resektion seine besten Resultate, was ich „Chirurgie 
des Unbewußten“ nennen möchte, denn daß durch einige kleine 
Aderlässe auch ohne Verstümmelungen dasselbe erreicht würde, 
kommt dem Chirurgen leider nicht zum Bewußtsein. 

Schnupfen und Erkältungskrankheiten. Eines 
der beständig tätigen Organe der Blutreinigung ist die Nasen¬ 
schleimhaut; eine trockene Nase ist krankhaft. Wenn auch 
das Reinigungsgebiet der Nasenschleimhaut für gewöhnlich 
wohl ein lokal begrenztes ist, so werden wir doch nicht fehl¬ 
gehen, diesem wichtigen Organ in Zeiten der Not, d. h. also 
bei einer allgemeinen Nekrozytose, eine wirksame Mithilfe bei 
der Blutreinigung zuzuschreiben. Besteht dieser Zustand, etwa 
durch Stubenluft oder durch unzweckmäßige Ernährung hervor¬ 
gerufen, so genügt oft die lokale Eindickung der Lymphe, um 
ein Versagen der Drüsentätigkeit der Nase und damit einen 
von Kribbeln und Trockenheit eingeleiteten Schnupfen auszu¬ 
lösen. Zuweilen hilft sich die Natur durch heftiges Niesen, 
indem sie durch den Vibrationsreiz die Sekretion anspornt und 
damit vielleicht noch einen Ausgleich erreicht. Ist aber der 
Schnupfen schon einmal manifest, so kann er nur äußerst selten 
rückgängig gemacht werden, ebenso wie andere Katarrhe, 
Rheumen oder Entzündungen seröser Häute. Gleichmäßige 
Temperatur und fleischlose Diät helfen bei jedem Katarrh am 
meisten. 

Katarrhe und Rheumen haben viel Verwandtes in ihrer Natur 
und unterscheiden sich wohl nur durch die Verschiedenheit der 
befallenen Gewebe. Sie haben auch die Eigenheit, sich in der 
Ausdehnung des gleichartigen Gewebes verbreiten zu können, 
wobei aus dem Schnupfen oder der Angina z. J3. ein Kehl¬ 
kopf-, Luftröhren- oder auch Magenkatarrh wird. Dieser Vor¬ 
gang ist vielleicht fermentartig. Man glaubt heutzutage das 
Fortschreiten des Prozesses durch mikrobiellen Einfluß erklären 
zu können, doch verbreiten sich wohl sicher auch remschleimige 
Katarrhe ohne Beteiligung von Mikrobien in der Flache. Wie 
bekannt, bedeutet jedoch die Infektion, d. h. die Ansiedelung 
von eitererregenden Kleinwesen aut dem für sie günstigen 
Nährboden der mit Abfallstoffen beladenen Schleimhäute eine 
sehr häufige sekundäre Verschlimmerung solcher katairhaliseh- 
rheumatischer Leiden. 

Gehirnapoplexie. Ein gedrungen gebauter Mann mit 
vorwiegend sitzender Lebensweise hat bis zu seinem 50. Lebens¬ 
jahre außer häufigen Katarrhen nicht selten an chromsch- 
gewordenen Rheumatismen und Ischias gelitten. An Hämorrhoiden 
leidet er auch ; dieselben kamen nie zur Blutung. Die häufigste 
Klage bildeten Kongestionen nach dem Kopfe und Stuhlver¬ 
stopfung. Die Ernährung ist eine reichliche, denn „der kräftige 
Organismus erfordert auch eine kräftige und nahrhafte Kost“. 
Inzwischen sind in dem Körper des wohlgenährten Mannes aber 
schon weitergehende Veränderungen vor sich gegangen, die er 
und sein Hausarzt nicht ahnten. Die niemals zur vollkommenen 
Oxydation oder Ausscheidung gelangenden rückläufigen Elemente 
des Stoffwechsels haben sozusagen lange geschwankt, ob sie 
sich in den Nieren, den Gelenken, an den Herzklappen oder 
im Hirn ansammeln sollten. Endlich hat die hereditäre Dis¬ 
position für das Gehirn entschieden, und sie haben sich m den 
Hirngefäßen niedergeschlagen und hier allmählich fettige Degene¬ 
rationen der Gefäßw'ände erzeugt. Eines Tages, nach einer be¬ 
sonders anstrengenden geistigen Tätigkeit, w r elche wohl schon 
durch die Gehirn-reizenden Vorboten der Katastrophe hervor¬ 
gerufen war, kam es nach einem reichlichen Diner zum 
größten Schrecken der Umgebung zu dem „ganz unerwarteten’* 
Schlaganfall. Auch jetzt noch würde ein "mittelstarker Ader¬ 
laß, möglichst bald nach der Apoplexie angewandt, zur Resti¬ 
tution des Gehirnprozesses wesentlich beitragen, sofern Sitz und 
Ausdehnung desselben nicht allzu ungünstig waren. Leider 
wird dieses Mittel aber von unserer heutigen medizinischen 
Richtung meistens verabsäumt oder doch zu lange hinausge- 
schoben. 


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14=2 


THERAPEUTISCHE RÜNDSCÖAÜ. 


An vorstehenden Beispielen wollte ich mir zeigen, daß sich 
die anscheinend heterogensten Krankheitsbilder auf humorale 
Vorgänge zurückführen lassen, wenn man das ihnen Gemeinsame 
ins Auge faßt. Ich glaube aber nicht fehl zu gehen, wenn ich 
in dieser Weise alle Katarrhe, Rheumen ( und Entzündungen 
akuter und chronischer Art auffasse, und von den Infektions¬ 
krankheiten behaupte, daß ähnliche Vorgänge zum mindesten 
dabei mitspielen, die Infektion selbst aber oft nur einen sekun¬ 
dären Prozeß darstellt, der allerdings stark ins Auge fallende 
Symptome der Erkrankung bedingt. Selbst bei bösartigen Neu¬ 
bildungen spielt die Blut- und Lymphbeschaffenheit eine be¬ 
deutende Rolle; von aufmerksamen Beobachtern ist ja stets 
eine gewisse „Sukkulenz“ der Gewebe als disponierend zu 
Krebs geltend gemacht worden, also doch wohl jene schlechte 
humorale Konstitution, wie sie auch bei Wochenbettfieber, 
Rheumatismen, Pneumonie, Typhus und zahlreichen anderen 
Infektionen erfahrungsmäßig eine ungünstige Prognose abgibt. 
Am wenigsten scheinen die von Plasmodien bedingten Krank¬ 
heiten mit der Blutbeschaffenheit zu tun zu haben, wenn auch 
z. B. für den Verlauf von Wechselfieber die Art der Diät von 
großer Bedeutung ist. 

Es ist der Zweck dieser flüchtigen Skizze, die Herrn Kol¬ 
legen zu einer der heutigen Pathologie, m. E. zu ihrem Schaden, 
abhanden gekommenen Betrachtungsweise anzuregen. Dabei 
gebe ich mich keineswegs der Hoffnung hin, sogleich zu be¬ 
kehren. Ich betrachte meine Aufgabe vorläufig sogar als ge¬ 
löst, wenn ich Widersprüche herausfordere und zu einer leb¬ 
haften Debatte Anregung gebe. 

Vor einiger Zeit sagte ein Freund und Kollege, dem ich 
meine Ansichten vorgetragen hatte: hören Sie auf, mir wird 
ganz schwindlig! Ich aber antwortete ihm: Als vor zwei 
Menschenaltern die erste Eisenbahn projektiert wurde, da gab 
es auch viele, welche behaupteten, allein das Schwindelgefühl 
bei der schnellen Fahrt werde die Einrichtung unmöglich 
machen. Aber die Eisenbahn ist doch gekommen! Wie die 
vervollkommnete Technik damals das verbesserte Verkehrsmittel 
notwendigzur Folge hatte, so scheint mir heute die fortgeschrittene 
Kenntnis vom Leben eine verbesserte Heilkunde zu erfordern. 


REFERATE. 


Augenheilkunde. 

Referent: Privatdozent Dr. G. Abelsdorff, Berlin. 

1. Die Beziehungen der entzündlichen Orbitalerkrankungen 
zu den Erkrankungen der Nebenhöhlen der Nase. Von ßirch- 
Hir^chfeld. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., XLVI. Jahrg., S. 1. 

2. Die neueren Anschauungen über Wesen und Behandlung 
des Schielens. Von Biel scho wsky. Beihefte z. Med. Klinik, 
Heft 12. 

3. Klinische Beobachtungen über den Frühjahrskatarrh. 
Von Lisch nig. Wien. med. Wochenschr., 1908, Nr. 2, S. 82. 

4. Ueber ölige Kollyrien, insbesondere Akoinöl. Von 
v. Pflugk. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., XLV. Jahrg., S. 505. 

1. Birch-Hirschfeld hat aus eigener Beobachtung und 
aus der Literatur 684 Fälle von orbitalen Entzündungen zusammen¬ 
gestellt, von denen nicht weniger als 409 (59,8%) auf Neben¬ 
höhlenentzündung beruhten; am häufigsten war die Stirnhöhle 
(29,8%) erkrankt, an zweiter Stelle steht die Kieferhöhle (21,8%); 
es folgen die Siebbeinhöhle (20,5%) und die Keilbeinhöhle (6,1%). 
In 14,7% waren mehrere Höhlen erkrankt. Die Sinusentzündung 
greift auf die Orbita durch Perforation oder Phlebitis über und 
erzeugt dann das Bild der Periostitis orbitae, des Orbitalabszesses 
und der Orbitalphlegmone. Jede Orbitalentzündung muß daher 
den Gedanken an ein Sinusempyem nahelegen. Durch Ueber- 
greifen der Entzündung auf den Optikus kann Sehstörung (zen¬ 
trales Farben,skotom!) und auch Erblindung eintreten. 

Abgesehen von der Behandlung der Nebenhöhlenerkrankung 
empfiehlt sich gegen die Orbitaleiterung statt der noch vielfach 



üblichen tiefen Inzisionen am Orbitalrande, durch einen größeren 
Schnitt am Orbitalrand das Periost der Orbita freizulegen, von 
der Orbitalwand abzulösen und einen breiten Zugang zur Perfo¬ 
rationsstelle und zum Abszeß bei sorgsamer Schonung des Orbital- 
Inhalts zu schaffen. 

2. Biels cfiowskys Abhandlung gibt eine allgemeinver¬ 
ständliche, sehr klar geschriebene Uebersicht über Genese und 
Behandlung des Schielens. Er betont die Wichtigkeit der Be¬ 
handlung des Strabismus konvergens schon in den ersten Lebens¬ 
jahren, im besonderen der Verordnung von Brillen bei Strabismus 
konvergens und gleichzeitiger Hypermetropie. Zur Herstellung 
bezw. Erhaltung eines brauchbaren Sehvermögens am Schielauge 
empfiehlt sich Atropinisieren des besseren Auges für längere Zeit, 
um das letztere für das Nahesehen nicht verwendbar zu machen 
und das Schielauge zum Naheseheu heranzuziehen. Erst wenn 
die monatelang fortgesetzte konservative Behandlung des Strabismus 
konvergens das Schielen nicht beseitigt hat, tritt die operative 
Therapie in ihre Rechte. Im Gegensatz hierzu steht beim Stra¬ 
bismus divergens die operative Therapie im Vordergrund, da Aus¬ 
gleichung der eventuell vorhandenen Anisometropie durch Gläser 
die Anomalie meist nicht dauernd beeinflußt. 

3. Elschnig hat bei der Behandlung des sog. Frühjahrs- 
katarrhs der Augenbindebaut die Verwendung trockener Kälte 
und die Einträufelung von 1 bis 2%iger Ichthyollösung ausge¬ 
zeichnete Dienste geleistet. Wenn das Mittel schon zu Beginn 
der Exazerbation regelmäßig verabreicht wird, so vermag es die¬ 
selbe überhaupt zu koupieren. Während der kühleren Jahreszeit 
soll die Iehthyoleinträufelung mit Unterbrechungen fortgesetzt 
werden. 

4. v. Pflugk befürwortet den Gebrauch der in Frankreich 
beliebten öligen Kollyrien, da sie steril sind und monatelang keim¬ 
frei bleiben, keine Verdünnung durch die Tränenflüssigkeit er- 
1 ähren und Kokainöl das Hornhautepithel nicht schädigt. Beson¬ 
ders empfiehlt er als vorzügliches Analgetikum, das im Gegensatz 
zu Kokain die Pupille nicht erweitert, l%iges Akoinöl (Präparat 
von Heyden), das am besten,' um eine Zersetzung im Lichte zu 
vermeiden, im Dunkeln aufzubewahren ist. 


Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 

Referent: Spezialarzt Dr. M. Halle, Berlin. 

1. Die Krikotomie zur Entfernung subglottischer Kehlkopf¬ 
papillome bei kleinen Kindern nnd die Verhütung der Papillom- 
rezidive durch innerliche Gaben von Arsenik. Von 0. Körner 
in Rostock. Zeitschr. f. Ohrenheilk., 1908, Bd. LV. 

2. Zur Behandlung der Fremdkörper in den tieferen Luft¬ 
wegen und der Speiseröhre. Von Gustav Killian in Frei¬ 
burg i. Br. Monatsschr. f. Ohrenheilk., 1908, Bd.LV, Heft 1 u. 2. 

3. Beitrag zur Lehre von den Trachealtumoren. Von Dr. 
Zondek in Berlin. Berl. klin. Wochenschr., 1908, Nr. 5. 

4. Ein Beitrag zur Korrektur der Sattelnase durch Paraffin¬ 
injektion nach Matsu. Von Dr. Rudolf Reiß, Spezialarzt für 
Ohren-, Nasen- und Halsleiden in Wien. Oösterreichische Aerzte- 
Zeitung, 1908, Nr. 2. 

1. Körner weist einleitend auf die Zusammenfassung von 
Paul Br uh ns hin, der seine und seines Vaters Erfahrung über 
die operativen Erfolge bei Kehlkopfpapillomen dahin zusammen¬ 
faßt, daß er der endolaryngealen Methode unter allen Umständen 
den Vorzug gibt vor der Spaltung des Kehlkopfes. Körner 
schließt sich, wohl mit der Mehrzahl aller Operateure, dieser An¬ 
sicht unbedingt an. Doch glaubt er nachdrücklich darauf hin- 
weisen zu müssen, daß einmal Papillome nach einer wegen Er¬ 
stickungsgefahr ausgeführten Tracheotomie häufig von selbst ver¬ 
schwunden sind, anderseits, daß man von der Tracheotomiewunde, 
besser noch, wenn man die Krikotomie macht, die sich zumal bei 
Kindern empfiehlt, subglottisch sitzende Tumoren bequem er¬ 
reichen, sorgfältig abtragen und sogar an Tumoren gelangen 
könne, die am Stimmband sitzen. Er beschreibt einen derartig 
behandelten Fall nnd empfiehlt die Krikotomie warm für Fälle, 
in denen wegen Erstickungsgefahr tracheotomiert werden müßte. 


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' Recht bemerkenswert ist, daß sein Fall unter mäßigen Arsen¬ 
gaben residlvfrei geblieben ist, wie aus seiner Klinik im ganzen 
sicher sieben .andere Patienten, Immer wieder ein interessanter 
Hinweis auf die so oft beobachtete Tatsache des Einflusses, den 
Arsen auf Tumoren verschiedenen Ursprungs ausübt. 

2. Durch die Broncho- und Oesophagoskopie sind, für die 
Behandlung der Fremdkörper in den oberen Luftwegen und dem 
Oesophagus ganz neue Gesichtspunkte maßgebend geworden. Die 
Anwendung der schrecklichen Instrumente, wie Münzenfänger und 
Grätenfänger, mit denen sich der Arzt früher, meist vergeblich, 
bemühte, die Fremdkörper zu entfernen, ist heute beinahe als 
Kunstfehler aufzufassen. 

Ueber die Leistungsfähigkeit der Bronchoskopie, die wir 
Killian verdanken, und die unserem therapeutischen Vorgehen 
ein Gebiet erschlossen hat, das selbst chirurgischem Eingreifen 
bisher fast unüberwindliche Schwierigkeiten bot, gibt uns einen 
Ueberblick die Zahl von 164 Fällen, die verschiedene Autoren 
beschrieben haben und die Killian zusammenstellt. Darauf ent' 
fallen 13% Todesfälle, von denen sicher noch der überwiegende 
Teil bei frühzeitiger Behandlung bezw. bei fortgeschrittener Technik 
vermeidbar sein dürfte. Ein um so glänzenderer Erfolg, wenn 
man überlegt, wie ungünstig die Aussichten für solche Patienten 
waren. 

Dazu kommt, daß die Technik der Bronchoskopie, wenn auch 
nicht einfach, so doch nicht übermäßig schwer, und von geübter 
Hand ausgeführt, fast völlig gefahrlos ist. 

Die Oesophagoskopie, die ja viel häufiger noch indiziert ist, 
bringt gleiche treffliche Resultate, solange nicht mit unzweck¬ 
mäßigen Instrumenten zuviel herummanipuliert ist. 

Jedenfalls bedeutet die Einführung der Bronchoskopie wohl 
Kijllians hervorragendstes Verdienst. 

3. In einer Arbeit, die zu Ehren des 60. Geburtstages von 
Professor James Israel geschrieben wurde, berichtet Zondek 
über einen Fall von Trachealtumor, den er durch Tracheotomie 
und Spaltung der Kartilago krikoidea entfernte. Er erwies sich 
als Papillom von Wallnußgröße, das die schwersten Erstickungs¬ 
erscheinungen gemacht hatte. Trotz sorgfältigster Entfernung des 
Tumors und Auskratzen des Geschwulstgrundes wurde schon fünf 
Monate später ein neuer bohnengroßer Tumor festgestellt, den 
Prof. Israel mittels Krikotracheotomie entfernte. Zondek hörte 
zehn Jahre später, daß auch nach der zweiten Radikaloperation 
ein Rezidiv aufgetreten war, das vier Jahre nach derselben von 
neuem operiert werden sollte, Patientin aber in der Narkose starb. 
Ein sicherlich interessanter Beitrag zur Kasuistik der seltenen 
benignen Trachealtumoren und besonders bemerkenswert im Ver¬ 
gleich mit oben mitgeteilten Erfolgen Körners in der Prophy¬ 
laxe solcher Geschwülste. 

4 . Reiß berichtet über einen guten Erfolg bei Behandlung 
von Sattelnasen durch Injektion von Hartparaffin. Er benutzte 
dazu die Spritze vonMatsu, die nach Erfahrung des Referenten 
in zahlreichen Fällen sehr gut verwendbar ist, weil sie gestattet, 
Paraffin von hohem Schmelzpunkt bei tieferer Temperatur in fest¬ 
flüssigem Zustand leicht, sicher und mit exaktester Dosierung zu 
injizieren, wodurch etwaige Gefahren, die man allerdings bei 
wirklichem Hartparaffin nie erlebt hat, vermieden werden. Die 
Spritze hat aber neben einem recht hohen Preis (80 M.) auch 
manche technische Mängel und ist nur für geringe Mengen von 
Paraffin verwendbar. Auffallend war, daß Reiß zwar Gersung, 
den Schöpfer dieser Behandlungsmethode, zitiert, aber den Namen 
Ecksteins gar nicht erwähnt, der durch Einführung des Hart¬ 
paraffins diese Methode erst gefahrlos machte. 


Lungenkrankheiten. 

Referent: Dr. Ernst Meyer, Charlottenburg, Assistent an 
der Universitätspoliklinik für Lungenkranke in Berlin. 

1. Zur Bekämpfung der Tuberkulose. Von F. Jessen. 
Münch, med. Wochenschr., 1908, Nr. 5, S. 236. 

2. Ueber Nachteile und Gefahren der konjunktivalen Tüber- 
kulinreaktion. Von Stabsarzt R, Collin, Mediz, Klinik, 1908, 
Nr. 5, S. 149. 


3. Die Aetiologie der Tuberkulose. Von 0. Flügge. Aerztl. 
Zentral-Zeitg., 1908, I/II, Nr. 5. 

4. Ein Antagonist des menschlichen Tuberkelbazillus. Von 

Edwin KJebs. Vortrag in der Berliner medizinischen Gesell¬ 
schaft am 29. Januar 1908. Berl. klin. Wochenschr., 1908, Nr. 6. 

1. Zur Bekämpfung der Tuberkulose hält es Jessen für 
außerordentlich wünschenswert, daß die praktischen Aerzte und 
Studenten in besonderen Kursen mit der Frühdiagnose der leider 
jetzt oft zu spät diagnostizierten Lungentuberkulose vertraut ge¬ 
macht werden (diese' Forderung ist hier in Berlin wenigstens schon 
erfüllt). Ferner fordert Verfasser, daß man nicht wie bisher die 
Diagnose Tuberkulose zu verheimlichen sucht, sondern den Patienten 
und ihren Angehörigen offen die Wahrheit sage und ihnen dann 
auch die nötigen Verhaltungsmaßregeln gebe. Unbedingt not¬ 
wendig sei auch die Anzeigepflicht aller Erkrankungen an Tuber¬ 
kulose, nicht nur der Todesfälle, und die obligatorische Desinfek¬ 
tion bei Wohnungswechsel Tuberkulöser eventuell auf öffentliche 
Kosten. 

2. Unter der großen Zahl der Arbeiten, welche sich mit der 
Anwendung der konjunktivalen Tuberkulinreaktion beschäftigen, 
sprachen sich die meisten für dieselbe aus. Erst in allerletzter 
Zeit sprachen sich einige Autoren gegen dieselbe aus, so findet 
Collin einen Nachteil darin, daß man niemals weiß, wie groß 
tatsächlich die ins Auge gelangte Tuberkulinmenge sei. Wenn 
der negative Ausfall der konjunktivalen Reaktion keine sicheren 
Schlüsse ziehen lasse, so sei auch der positive Ausfall keinefefregs 
beweisend, da wiederholt Fälle mit positivem Ausfall beobachtet 
seien, wo die Autopsie nichts von Tuberkulose gezeigt habe. — 
Direkt kontraindiziert sei die Ophthalmoreaktion bei allen den 
Fällen, wo sich follikuläre oder trachomatöse Bindehauterkran¬ 
kungen der Augen finden, sowie überall da, wo Residuen abge¬ 
laufener Phlyktänen oder tuberkulöse Erkrankungen des äußeren 
oder inneren Auges beständen. Auch bei Patienten, die nur 
über ein gutes Auge verfügten, sei es gefährlich, dieses 
für die Reaktion zu verwenden. Gegen die Verwendung der 
Methode spreche auch das jedesmalige Auf flackern der Reaktion 
nach einer später stattgehabten subkutanen Tuberkulininjektion. 
Auch die Ungefährlichkeit der Methode bestreitet Collin sehr 
energisch. Erstens entständen durch den Bindehautkatarrh un¬ 
angenehme Sensationen (Fremdkörpergefühl etc.j, ferner müsse 
man die kosmetische Entstellung durch die Schwellung und Rötung 
des Auges berücksichtigen. Man dürfe ferner nicht außer Acht 
lassen, daß eventuell schwere Hornhautgeschwure entstehen konnten. 
Unter 30 von Collin beobachteten Fällen waren fünf mit, so 
schwerem Bindehautkatarrh, daß Verf. dringend davor warnt, die 
Ophthalmoreaktion als ungefährlich zu bezeichnen, zumal das ..non 
nocere“ doch immer noch oberster und vornehmster Grundsatz de^ 
ärztlichen Handelns bleiben müsse. 

3. In einem auf dem Internationalen Kongreß für Hygiene und 
Demographie 1907 erstatteten Referat betont Flügge, daß die 
Hauptinfektion der Menschen mit Tuberkulose durch kleinste in 
der Luft enthaltene Sputumtröpfchen erfolge; für die Haustiere 
komme indes meist die intestinale Infektion in Betracht. 

4. Klebs stellte auf Grund von Tierversuchen fest, daß der 
Blindschleichen - Tuberkelbazillus gegenüber dem menschlichen 
Tuberkelbazillus gewisse immunisatorische Wirkungen hat. Klebs 
infizierte bei Kaninchen Augen mit menschlichen Tuberkelbazillen, 
worauf meist bald eitrige Panophthalmitis eintrat. Spritzte er 
dagegen gleichzeitig mit den menschlichen Tuberkelbazillen auch 
solche von der Blindschleiche stammenden ein, so entwickelten 
sich nur kleine Knötchen. — Auch ein anderer Versuch bestätigte 
die Annahme einer gewissen Immunisation. Klebs ließ auf ein 
hochinfektiöses Sputum Blindschleichentuberkelbazillen bei 28° 
wirken und sah dann nachher eine starke Abschwächung der 
Infektiosität. — Klebs injiziert die Blindschleichentuberkelbazillen 
wegen ihrer lokalen Wirkung in der Nähe der tuberkulösen 
Herde, gibt den Patienten aber nebenbei immer noch die von 
ihm hergestellten Präparate Tuberkel Selenin und bei .Fieberein¬ 
tritt und Nachlassen der Kräfte Tuberkel Sozin, 







therapeutische Rundschau. 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


weißen Fleisches in der Ernährung will v! N o o r d en nicht gelten 


Gefäßerkrankungen. 

Referent: Dr. P. Münz, Bad Kissingen. 

Ueber Arteriosklerose. Von Prof. C. v. No orden-Wien. 
Medizinische Klinik, IV. Jahrgang, Nr. 1. 

An einen ausgeprägten Fall von Arteriosklerose, welche sich 
vorzüglich hier in einer Aorteninsuffizienz und Angina pektoris 
manifestierte, knüpft der Verfasser eine Reihe von mehr kritischen 
Bemerkungen und Betrachtungen über dieses „aktuelle“ Thema, 
das erst in den letzten Jahren so sehr in den Vordergrund des 
ärztlichen Interesses getreten ist. Meist sind es bekannte Tatsachen, 
die hier wiedergegeben werden; aber die Art, wie sie zur Dar¬ 
stellung gelangen, ist recht belehrend und nicht ganz uninteressant. 
Neues wird freilich in dem Aufsatz wenig geboten, und selbst dieses 
wird man nicht so ohne weiteres hinnehmen dürfen. Auch 
v. Noorden betrachtet die Arteriosklerose als eine Abnutzungs¬ 
krankheit; sie ist, wenn ich so sagen darf, keine Alters-, sondern 
eine Alterationserscheinung der Gefäße. Ist dies nun der Fall, so 
duf man zwischeu der juvenilen und senilen Form nicht den 
Unterschied machen, wie es bei v. Noorden geschieht. In dem 
einen Falle findet eben durch irgendeine oder das Zusammen¬ 
wirken mehrerer Gelegenheitsursachen die Abnutzung schon recht 
frühzeitig statt, in dem anderen tritt sie erst später in die Er¬ 
scheinung: bei vielen ist ja auch ein labiles Gefäßsystem, das 
eher zur Arteriosklerose führt, wahrzunebmen. Freilich hat 
v. Noorden Recht, wenn er sagt, daß die im höheren Alter auf¬ 
tretende Arteriosklerose — eine Grenze gibt v. Noorden nicht 
an, wir können aber das 45. bis 50. Lebensjahr als solche auffassen 
— nicht zu so schweren Symptomen führt wie die juvenile. Unter 
den Gruppen, die angeführt werden, dürfte auch diejenige der Neigung 
zu Aneurysmen nicht fehlen, zu größeren an der Aorta, zu kleineren 
an den Hirngefäßen (Miliaraneurysmen), die ja oft so verhängnisvoll 
werden. Unter den disponierenden Momenten fehlt die Angabe 
des zu reichlichen Fleischgenusses, ferner nervöser Zustände und 
des Klimakteriums, unter den Giften disponiert auch Quecksilber 
zur Arteriosklerose. Dagegen wird von v. Noorden der schädliche 
Einfluß des Alkohols mit Recht anerkannt; ich betone dies gegen¬ 
über dem Versuche Burwinckels, den Alkohol als ätiologisches 
Moment der Arteriosklerose zu negieren. Wenn v. Noor den 
in dem eigentlichen Verkalkungsprozeß der Gefäße einen Heilungs¬ 
vorgang erblickt, so ist dies wohl nur cum grano salis zu ver¬ 
stehen. Wie off kann gerade die fortschreitende Verkalkung ver¬ 
derblich werden, indem es wegen der dadurch erzeugten Brüchig¬ 
keit der Gefäße zu Rupturen und Blutergüssen in lebenswichtige 
Organe kommt oder indem sich eine solche Verengerung peripherer 
Gefaßstämme herausbildet, daß sie die so gefürchtete Gangrän im 
Gefolge hat. 

Die x4ngina pektoris, welche im Gegensatz zu der auf nervöser 
Basis, auf dem Mißbrauch von Tabak und, fügen wir hinzu, dem 
Mißbrauch von Kaffee beruhenden als vera bezeichnet wird, setzt, 
wie bekannt, eine sklerotische Beteiligung der Koronararterien 
resp. der Aorta aszendens voraus. Oft steht, was ich bereits an 
anderer Stelle betonte, die Schwere des Krankheitsbildes zu der 
Ausbreitung des Krankheitsprozesses in einem gewissen Gegensatz. 
Sicherlich spielt hierbei die Individualität, die Erregbarkeit des 
Herzens eine gewisse Rolle. Ueber das Wesen der Schmerzanfälle 
selbst äußert sich v. Noorden nicht. Am ansprechendsten er¬ 
scheint die Ansicht, daß der Schmerz auf einer Herzneurose, einer 
Hyperästhesie des Plexus kardiakus beruht. 

In der Behandlung der Arteriosklerose weist v. Noorden mit 
Recht der Prophylaxe einen hervorragenden Platz an; freilich 
werden die meisten Menschen sich sehr schwer entschließen wollen, 
ihre liebgewordene Lebensweise zu ändern, bevor manifeste Er¬ 
scheinungen aufgetreten, und sind sie einmal aufgetreten, dann 
hat der sklerotische Prozeß meist begonnen. Die vorgeschlagenen 
therapeutischen Maßnahmen, welche hier keinen Anspruch auf 
Vollständigkeit machen wollen, decken sich mit der bisher üblichen 
Therapie. Ohne eine richtig gestaltete Diätetik keine Behandlung 
der Arteriosklerose. Als Grundsatz hat hierbei zu gelten, daß 
Arteriosklerose zwar „jegliche Unmäßigkeit verbietet, aber durch¬ 
aus keine Einseitigkeit der Kost notwendig macht“. Wie eine 
zu reichliche Fleischkost, so ist auch eine einseitige vegetarische 
Ernährung zu verwerfen, Die Bevorzugung des sogenannten 


lassen; damit wird er wohl vielfach auf Widerspruch stoßen. Die 
Erfahrung hat gelehrt, daß Arteriosklerotikera das schwarze Fleisch; 
vielleicht wegen seines größeren Gehaltes an Extraktivstoffen, 
die erst im Laufe der Zubereitung' ,so recht' hervortreten, 
wegen seiner geringeren Verdaulichkeit, vielleicht auch deshalb, 
weil es im allgemeinen gewürzreicher zubereitet wird, schlechter 
bekommt als das weiße Fleisch; freilich wird man, wenn der 
Ernährungszustand Not leidet, den Kranken von Zeit zu Zeit 
auch schwarzes Fleisch verordnen dürfen. Dagegen stimme ich 
v. Noorden bei, wenn er die Furcht vor kalkhaltigen Nahrungs¬ 
mitteln nicht ganz teilt; spielt doch gerade die Milch, das kalk¬ 
reichste Nährmittel, in der Ernährung der Arteriosklerose eine 
bedeutende Rolle. Eine zu große Zufuhr von Milch ist wegen 
allzugroßer Ueberschwemmuug des Körpers mit Flüssigkeit, aller¬ 
dings zu verwerfen. Unter den Arzneimitteln nimmt das Jod die 
erste Stelle ein; jedoch weisen schon Rosenbach, Hunhard, 
Senator u. a. darauf hin, daß die Anwendung eine methodische 
sei; nie darf der Appetit dabei allzusehr leiden; bewährt haben 
sich mir in dieser Beziehung Sajodin und neuerdings das Jod- 
glidin. Bei der Alterssklerose, die ohne Beschwerden verläuft, 
Jod zu verordnen, hat nicht viel Zweck. Das Jod wirkt, worauf 
schon früher hingewiesen wurde, wohl weniger heilend und resor¬ 
bierend, als dadurch, daß es die Viskosität des Blutes herabsetzt. 
Bei Strumösen ist bei der Verabfolgung von Jod Vorsicht ge¬ 
boten, da sich bei der Resorption der Struma ein Hyperthyreoi- 
dismus entwickeln kann. Unter den Arzneimitteln vermisse ich 
einen Hinweis auf das Antiskierosin resp. das Asklerosol und die 
zumal in der Behandlung der Angina pektoris - so sehr bewährten 
Nitropräparate. In den kohlensäurehaltigen Bädern, die freilich 
genau ‘dosiert werden müssen, erblickt auch v. Noorden eine 
ausgezeichnete, erfolgreiche Behandlungsmethode. Natürlich ist in 
ihrer Anwendung bei Herzinsuffizienz große Vorsicht geboten; 
ich möchte hinzufügen, daß dasselbe auch bei Sklerose der Koronar¬ 
arterien , der Gehirngefaße und bei vorgeschrittenen Aneurysmen 
der Fall sein muß. Um speziell die Stenokardie zu bekämpfen, 
empfiehlt v. Noorden außer der Anwendung von Jod das auch 
von anderer Seite empfohlene Diuretin, Theobromin und ähnliche 
Präparate in nicht allzugroßen Dosen. Um die Anfälle selbst zu 
lindern, muß man häufig zur Morphiumspritze seine Zuflucht 
nehmen. Ist auch die Furcht vor der Morphiumanwendung bei 
einem anginösen Anfall nicht ganz berechtigt, so wird man bei 
einer Schwäche des Patienten sowie Kleinheit und Frequenz des 
Pulses doch vom Morphium Abstand nehmen müssen. Die Bettruhe 
bildet sicherlich ein vorzügliches Mittel in der Behandlung der 
Stenokardie. 


Urologie. 

Referent: Spezialarzt Dr. A. Schwenk, Berlin. 

1. Die eitrigen Erkrankungen der Prostata. Von Vogel. 
Berl. klin. Wochenschr., 1908, Nr. 4. 

2. Die anästhetische Wirkung des Buccavacedrol hei akuter 
gonorrhoischer Urethritis. Von R i n g e 1 ha u p t. Oesterreichische 
Aerzte-Zeitung, 1908, Nr. 2. 

3. Diagnose und Behandlung des Blasenkatarrhs. Von 

R. Kutner. Zeitschr. f. ärztl. Fortbildung, 1908, Nr. 2. 

1. Verfasser bespricht die verschiedenen Arten der eitrigen 
Prostataerkrankungen und unterscheidet a) die Prostatitis, hervor¬ 
gerufen durch das Ueberwandern des gonorrhoischen Prozesses 
durch die hintere Harnröhre nach der Prostata; b) die Prostatitis 
im Anschluß an eitrige Prozesse im Rektum durch direkte Ueber- 
wanderung von Bakterium koli und Staphylo- und Streptokokken 
in das prostatische Gewebe; c) die eitrige Prostatitis im Verlaufe 
von septischen Allgemeinerkrankungen oder Infektionskrankheiten 
(Masern, Scharlach, Influenza, Typhus, Parotitis), wobei als Vehikel 
die Blutbahn dient; d) traumatische, bedingt durch unzweckmäßige 
instrumentelle Maßnahmen (Katheterismus oder Spülung) oder 
äußere Gewalteinwirkungen (Quetschung des Damms). 

Die Symptome der eitrigen Prostata erkrankung sind: a) B e i 
der akuten, heftige Schmerzen am Damm und im After das 
Gefühl einer heißen Nuß, In Verbindung damit Beschwerlichkeit 


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|fes des Stuhlgangs, die sich häufig bis zu beider- 

söitigör Reteutioii steigert. Objektiv konstatiert man mit dem 
ins, rBektum eingeführten Finger einen heißen, prall-elastischen, 
stark sich vorwölbenden Tumor, b) Bei der chronischen, 
Kitzel im After und Entleerung eines klebrigen Sekrets aus der 
Harnröhre beim Stuhlgang und Urinieren; gesichert wird die 
Diagnose durch die mikroskopische Untersuchung des exprimierten 
Sekretes. Die Behandlung bei der akuten eitrigen Entzündung 
beschränkt sich auf Bettruhe und antiphlogistische Maßnahmen, Ver¬ 
abreichung von Balsamika und schmerzstillenden Suppositorien. 
Entleert sich der Eiter hierbei nicht spontan nach der Harnröhre 
und zeigen sich große Schwankungen der Körpertemperatur, so 
empfiehlt Verfasser, wenn dazu noch komplette Urinretention tritt, 
die Operation. Die Eröffnung des Abszesses per rektum ist neben 
anderen operativen Eingriffen in Anbetracht ihrer Einfachheit und 
der kürzeren Heilungsdauer vorzuziehen. Eine Heilung der chroni¬ 
schen Prostatitis ist nur möglich durch eine intensive, wöchentlich 
mehrmals vorzunehmende Prostatamassage mit anschließender anti¬ 
septischer Spülung der ganzen Harnröhre. 

Referent glaubt nach seinen Erfahrungen bezüglich des ope¬ 
rativen Eingriffes bei Prostata-Abszessen ein expektativeres Ver¬ 
halten empfehlen zu können. Bei intensiver Verwendung von 
Wärme jeglicher Art (heiße Sitzbäder mehrere Male am Tage und 
heiße Kataplasmen auf den Damm) entleerte sich meist spontan 
der Eiter, selbst nach mehrtägiger kompletter Harnverhaltung 
und großen Temperaturschwankungen. Bezüglich der so beliebten 
Diagnosenstellung aus dem Urinbefund, wovon der Verfasser gar 
nicht spricht, möchte ich noch bemerken, daß eine Trübung der 
zweiten Hamportion meist auf Miterkrankung der Prostata hin¬ 
weist-, daß ein klarer zweiter Urin eine solche Erkrankung aber 
absolut nicht ausschließt. Es ist bei jeder länger bestehenden 
Gonorrhöe stets empfehlenswert, sich von der mikroskopischen 
Beschaffenheit des Prostatasekretes zu überzeugen. 

2. Verfasser empfiehlt ein auf der dermato - syphilidologischen 
Abteilung des Krankenhauses Wieden in Wien erprobtes Balsamikum 
Buccavacedrol für die innere Behandlung der akuten Gonorrhöe, 
und z war ~ fünfmal täglich zwei Kapseln. Das Präparat soll die 
guten Wirkungen (Beseitigung der Schmerzen, Hemmung der 
Erektion, Beschränkung der Sekretion) der bisher empfohlenen 
Medikamente haben, ohne die nachteiligen (Magen-Darmbeschwerden) 
im Gefolge zu haben. 

3. Die Diagnose des Blasenkatarrhs wird gestellt aus dem trüben 
Urin und dem Harndrang, wobei der Harndrang das wichtigere Symp¬ 
tom ist. Nach der Dauer des Bestehens des Dranges unterscheidet 
Verfasser a) akute Zystitis, b) chronische Zystitis. Die Ursachen 
für die akute Zystitis sind dieselben wie bei der chronischen: 
chemische, thermische (Erkältung), traumatische (Ausscheidung 
von Salzen) Reize; Gonorrhöe, unsauberer Katheterismus, Harn¬ 
stauung bei Striktur und Prostatahypertrophie. Die Diagnose, 
welche Form der Zystitis in jedem Falle vorliegt, ist für den 
Praktiker leicht zu stellen, wenn er sich nur die angeführten 
Aetiologien vor Augen führt. Bei der Differentialdiagnose der 
Zystitis infolge von Striktur oder Prostatahypertrophie ist zu 
merken, daß bis zum 45. bis 50. Lebensjahre Strikturen, jenseits 
dieser Altersgrenze Prostatahypertrophie die Regel sind. Die 
definitive Entscheidung hierüber bleibt natürlich der instrumen- 
tellen Untersuchung (Sonde resp. Zystoskopie) Vorbehalten. Der 
Hauptunterschied zwischen der Zystitis, hervorgerufen durch 
Steine oder Prostatahypertrophie, ist der, daß bei der ersteren 
der Patient größere Beschwerden (Harndrang und Schmerzen) bei 
Bewegungen als in Ruhelage empfindet. Die tuberkulöse Zystitis, 
die den chronischen noch anzureihen ist, ist gekennzeichnet durch 
das Schleichende des ganzen Prozesses. »Der Harndrang setzt ge¬ 
ring ein und steigert .sich unaufhaltsam zu größter Heftigkeit, 
wobei die Kapazität der Blase immer kleiner wird. Der Harn 
ist in der ersten Zeit fast nie getrübt und reagiert sauer; den 
Schlußstein der Diagnose bildet der Befund von Tuberkelbazillen 
im Harn und die kystoskopische Untersuchung. 

Die Diagnose nervöser Blasenerkrankungen wünscht der Ver¬ 
fasser sehr eingeschränkt zu sehen, da sehr häufig Nierenerkran¬ 
kungen, Diabetes oder bei Frauen gynäkologische Krankheiten mit 
dem einzigen Symptom des Harndrangs einhergehen. 


Röntgentherapie. 

Referent: Dr. Karl Försterling, 1. Assistent bei 
Prof. Dr. Schlange, Hannover. 

1. Ein Beitrag zur Kenntnis der Myositis ossifikans progres¬ 
siva. Von Prof. Paul Krause und Dr. Trappe. Fortschr. a. 
d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. XI, S. 229. 

2. Eine bisher nicht beschriebene Allgemeinerkrankung des 
Skelettes im Röntgenbilde. Von Prof. Albers-Schönberg. 
Ibidem, Bd. XI, S. 261. 

3. Die Einwirkung der Röntgenstrahlen auf die weißen 
Blutzellen etc. Von Dr. Schmidt und A. Gerönne. Ibidem, 
Bd. XI, S. 263. 

4. Ein neuer Härtemesser für Röntgenröhren. Von Ingenieur 
Carl Beez. Ibidem, Bd. XI, S. 285. 

5. Einige Neuerungen im Röntgeninstrumentarium. Von 

Max Levy-Dorn. Ibidem, Bd. XI, S. 303. 

6. lieber einige Veränderungen der Haare nach Röntgeni- 
sation. Von Dr. Bogrow. Ibidem, Bd. XI, S. 350. 

7. Ein Lokalisator aus Bleiglas. Von Priv.-Doz. Dr. Kien¬ 
böck. Ibidem, Bd. XI, S. 360. 

1. Zusammenstellung aller bisher beschriebenen Fälle mit 
Ausscheidung der fälschlich hierher gerechneten; sehr ausführliche, 
kritische Arbeit. — Es handelt sich bei den Verknöcherungen 
stets um echtes Knochengewebe, nicht nur um Verkalkungen. 
Es erkrankt zuerst das Bindegewebe im Muskel: die 
kontraktilen Elemente gehen dann sekundär durch Druck zu 
Grunde. Beteiligt am Krankheitsprozeß ist das ganze Binde- 
gewebssystem, nicht nur das des Bewegungsapparates; es 
beweisen das die Ablagerungen in der Subkutis. Die Verf. lenken 
die Aufmerksamkeit besonders auf eine eigentümliche Kalkablage¬ 
rung, die sie in einer Schwellung über dem Kreuzbein nach wiesen. 
Sie nehmen einen durch den Kalk auf die Bindegewebselemente 
ausgeübten Reiz an, der zur Proliferation anregt und zur Metaplasie 
in echten Knochen. Als Grundursache ist eine auf unbekannter 
Basis beruhende Entzündung zu supponieren. 

2. Beschreibung und Reproduktion eines sehr auffallenden 
Röntgenbefundes. Sämtliche Skeletteile geben einen marmor¬ 
artigen Schatten, in dem eine Differenzierung zwischen Kortikalis 
und Spongiosa nicht zu erkennen ist. An einzelnen Teilen er¬ 
scheinen wie mit einem Locheisen herausgestemmte strahlendurch¬ 
lässige Stellen, die das Bild noch unerklärlicher machen. Im 
ganzen hat man fast den Eindruck wie bei chronischer Ostitis 
mit erheblicher Knochenneubildung. Pat. litt an einer erhöhten 
Knochenbrüchigkeit. — Verf. warnt davor, diese Bilder für ein¬ 
fach nnterexponiert zu halten. 

3. Verf. haben stark leukozytenhaltiges Blut, dessen Ge¬ 
rinnung durch Hirudin verhindert war, in Petrischalen den Röntgen¬ 
strahlen exponiert. Bei Photographie der ungefärbten Präparate 
mit ultraviolettem Licht fanden sie starken Zerfall der poly¬ 
nukleären Leukozyten; ihr Protoplasma ist gequollen, grobkörnig, 
die Kerne verschwommen, die Zellwand häufig geplatzt. Dagegen 
sind die kleineren einkernigen Lymphozyten nur wenig beeinflußt. 
Vielleicht kommt daher die erhöhte Resistenz der lymphoiden 
Leukämie gegen Röntgentherapie. 

4. Von Beez wird sein neu eingeführter Härtemesser be¬ 
schrieben, der nach Analogie des Waltersehen gefertigt ist. Er 
enthält nur fünf Härtegrade, mithin weniger als der Walter sehe, 
ist dem praktischen Gebrauch angepaßt und vor allem billiger 
(7 M.). Er kann bequem in einer Ecke des Durchleuchtungs- 
schirmes untergebracht werden. 

5. Levy-Dorn beschreibt hier eine Anzahl Neuerungen am 
Röntgeninstrumentarium, die er bei Einrichtung des Virchow- 
Krankenhauses hat ansführen lassen. Für den praktischen Arzt 
sind sie z. T. zu teuer und zu groß. — Empfehlenswert dürfte 
eine Aenderung an den Kassetten sein. Bei den bisher üblichen 
Formen für mehrere Plattengrößen liegt die Platte stets in der 
Mitte; da dadurch störende, nach allen Seiten breit überstehende 
Ränder an der Kassette vorhanden sind, verlegt er die Platte stets 
in eine Ecke der Kassette, so daß wenigstens nach zwei Richtungen 
kein Rand vorspringt. Es läßt sich dadurch die Platte (z. B. bei 
seitlichen Halsaufnahmen) nahe heranschieben. 


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146 


6. Verf. beschreibt die Veränderungen, die er nach Röntgen¬ 
bestrahlungen an Haaren gefunden hat. Er unterscheidet drei 
Stufen: 1. Einmalige starke Bestrahlung, die den Haar¬ 
ausfall zur Folge hat: die ausgefallenen Haare besitzen keine 
Zwiebel, sondern statt dessen einen spitzigen oder abgerundeten 
Kegel; man hat den Eindruck, daß die Papillentätigkeit schnell 
und kräftig unterdrückt ist. 2. Geringere Dosis, aber mit 
Haarausfall: langsame Abnahme der Dicke des Haares, 
Schwund des Pigments und der Medullarsubstanz (ähnlich dem 
Lanugohaar). Die Länge der Verdünnung des zentralen Endes 
hängt von der Bestrahlungsdauer ab; je länger die Exposition, 
desto kürzer die Verdünnung und umgekehrt. 3. Bei einer Dosis, 
die nicht zur Epilation führt, zeigen die mechanisch ent¬ 
fernten Haare eine Einschnürung oberhalb des Bulbus und Ver¬ 
kleinerung der Zwiebel; oder aber sie brechen an der verdünnten 
Stelle ab und zeigen statt der unter 2, beschriebenen Spitze eine 
quere Bruchfläche. Es handelt sich also um eine qualitative und 
vor allem quantitative Veränderung der Papillenfunktion. 

7. Es ist ein halbkugeliger Bleiglasschutz für die Röntgen¬ 
röhre mit lochartigem Ausschnitt für das austretende Strahlen¬ 
bündel. — Sicherlich für therapeutische Bestrahlungen sehr ge¬ 
eignet. 


Oeffentliches Sanitätswesen. 

Referent: Dr. Peltzer. Generaloberarzt a. D. in Steglitz. 

1. Hygiene und Medizinalstatistik. Med. Reform, Wochen¬ 
schrift f. soz. Medizin, 1908, Nr. 3, S. 30. 

2. Das öffentliche Gesundheitswesen in Dänemark. Von 
Dr. Rapmund und Dr. Herr mann. Vierteljahrsschr. f. gerichtl. 
Medizin und öffentl. Sanitätswesen, 1907, 3. Folge, XXXIV. Bd., 
Suppl.-Heft. 

3. Ueber die Organisation des Medizinalwesens usw. in 
Oesterreich-Ungarn. Von Dr. Telke. Amtl. Reisebericht. Ibidem, 
S. 1 bis 151. 

1. Mit zu den wichtigsten internationalen sanitätspolizeilichen 
Aufgaben gehört bekanntlich die Bekämpfung der Syphilis und 
die Regelung der Prostitution. Es scheint, als ob in Bezug auf 
letztere gegenwärtig fast überall zu einem neuen milderen System 
ubergegangen werden soll, welches sich namentlich auf die Be¬ 
handlung Geschlechtskranker und aut' gewisse Erleichterungen 
gegenüber der nicht ausgesprochen gewerbsmäßigen Prostitution 
bezieht. So oidnet für Preußen ein Erlaß der Minister des Innern 
und der Medizinalangelegenheiten vom 11. Dezember 1907 über 
die Handhabung der Sittenpolizei an, daß überall, wo Prostituierte 
überwach t werden müssen und es an Gelegenheit zur unentgelt¬ 
lichen ärztlichen Behandlung Geschlechtskranker fehlt, durch Ver¬ 
einbarungen mit Aerzten und Krankenhäusern nach Möglichkeit 
für die Einrichtung öffentlicher Sprechstunden gesorgt werden 
soll. Erstmalig Sistierte sollen künftig unter Aushändigung eines 
Verzeichnisses solcher Sprechstunden mit dem Aufträge entlassen 
werden, sich dort vorzustellen und entweder sofort ein-Gesund¬ 
heitszeugnis vorzulegen oder nachzuweisen, daß sie ärztlich behan¬ 
delt werden. Polizeiärztliche Untersuchung und zwangsweise 
Krankenhausbehandlung findet fortan nur statt, wenn die Pa¬ 
tienten hinlänglich verdächtig sind, daß sie sich der freien ärzt¬ 
lichen Behandlung entziehen oder vor erfolgter Heilung wieder 
Unzucht treiben. Aehnliche Erleichterungen dürfen auch solchen 
unter Kontrolle stehenden Prostituierten zu teil werden, die Ge¬ 
währ dafür bieten, daß sie den ärztlichen xAnordnungen nach- 
kommen und sich während ihrer Krankheit von Gewerbsunzucht 
fernhalten. Die Stellung erwachsener Prostituierter unter poli¬ 
zeiliche Aufsicht wird in Zukunft nicht verfügt werden, wenn die 
Voraussetzung vorliegt, daß die Prostituierte aus dem Gesetz vom 
28. Aug. 1905 gerichtlich wegen strafbarer Gewerbsunzucht ver¬ 
urteilt werden kann, bleibt dagegen bestehen gegenüber Rück¬ 
fälligen. Von allen polizeilichen Maßnahmen, die die Rückkehr 
zu einem geordneten sittlichen Lebenswandel erschweren, soll ab¬ 
gesehen, unerhebliche Verstöße gegen polizeiliche Bestimmungen 
sollen nicht bestraft werden, wohl aber, und zwar nachdrücklich, 
Zuwiderhandlungen gegen ärztliche Vorschriften, möglichst durch 
Ueberweisung an das Arbeitshaus, 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


2. Von den Nachbarländern Preußens kommen hierbei haupt-& 
sächlich Dänemark und Oesterreich-Ungarnin Betracht. In Däne- ' 
mark sind die venerischen Kranken von -den behandelnden Aerzten 
in den wöchentlichen, dem Distriktsarzt einzureichenden Nach¬ 
weisungen über ansteckende Krankheiten ohne’ Namensnennung 
numerisch mit aufzuführen. Nach dem Strafgesetzbuch von 1866 
wurde bisher nicht nur gewerbsmäßige Unzucht, sondern auch der 
Beischlaf zwischen geschlechtskranken Personen bestraft, neuer¬ 
dings ist jedoch durch Gesetz vom 30. 3. 06 die bisherige polizeiliche 
Kontrolle durch Reglementierung der Prostitution vollständig auf¬ 
gehoben und wie bei uns an ihre Stelle eine ausgedehnte ärztliche 
Kontrolle sowie die weitgehendste Möglichkeit einer unentgelt¬ 
lichen poliklinischen oder Krankenhausbehandlung getreten, nur, 
der § 181 des Strafgesetzbuches von 1866 ist bestehen geblieben. 
(„Wenn jemand, der weiß oder vermutet, daß er mit einer an¬ 
steckenden venerischen Krankheit behaftet ist, mit einer anderen 
Person Unzucht übt, so ist auf Gefängnisstrafe oder unter er¬ 
schwerenden Umständen auf Besserungshausstrafe zu' erkennen.“) 
Dieser Paragraph wird sogar auf Ehegatten ausgedehnt, außerdem 
wird eine Verpflichtung zur Entschädigung des Infizierten aus¬ 
gesprochen. Jeder Venerische hat ohne Rücksicht auf seine Ver¬ 
mögensverhältnisse Anspruch auf freie ärztliche Behandlung und 
Verpflegung in einer Krankenanstalt, ohne daß dies als öffentliche 
Armenunterstützung angesehen wird. Wer nicht nachweisen kann, 
daß er privatim behandelt wird, ist verpflichtet, sich der Kranken¬ 
hausbehandlung zu unterwerfen. Syphilitische Kinder dürfen nur 
von der eigenen Mutter genährt werden, Venerische, die Ammen¬ 
dienste leisten, werden bestraft, Bordelle sind verboten. Um die 
noch nicht Inskribierten von den Inskribierten fernzuhalten und! 
ihnen den Rückweg zur Zucht und Sitte zu erleichtern, werden 
sie zunächst nicht dem besonderen Prostituierten-, sondern dem 
allgemeinen Krankenhaus zur Behandlung überwiesen, auch werden 
sie getrennt untersucht. Selbst in dem „ Vestre-Hospital u , das 
lediglich Venerische auf nimmt, sind zwei völlig getrennte Ab¬ 
teilungen für Inskribierte und Nichtinskribierte vorgesehen. Die 
Inskribierten dürfen sich mit besonderer Erlaubnis auch privat¬ 
ärztlich untersuchen lassen. Zu solchen Untersuchungen waren 
s. Z. neun Privatärzte in Kopenhagen autorisiert neben zwei 
Polizeiärzten. Von den ärztlicherseits gemeldeten Venerischen 
machten nur etwa 35% von der (auch schon früher) gewährten , 
freien ärztlichen Behandlung Gebrauch, während sich dies Ver¬ 
hältnis bei den übrigen ansteckenden Krankheiten auf etwa 60 bis 
75% stellt. Hiernach scheint die Venerie in Kopenhagen mehr 
unter der wohlhabenden als unter der ärmeren Bevölkerung ver¬ 
breitet zu sein. 

3. In Oesterreich herrscht bis jetzt noch ein ganz anderes 
System. Hier ist das Bordell wesen geduldet und die Prostitution 
bisher überhaupt noch nicht gesetzlich geregelt, die Regelung viel¬ 
mehr den Gemeinden überlassen, so daß hierfür meist nur in den 
größeren Städten besondere Vorschriften bestehen. In den Städten 
mit Polizeiverwaltung ist dieser die Durchführung überlassen. Die 
mit der Untersuchung der Prostituierten beauftragten Polizeiärzte 
sind bezüglich ihres gesamten Einkommens vielfach nur auf die 
taxmäßigen Gebühren für diese Untersuchungen angewiesen. 
Uebrigens hat das Bordellwesen innerhalb der letzten Jahre in 
den größeren österreichischen Städten, namentlich in Wien, Triest 
und Prag unter gleichzeitiger Zunahme der Einzel- und der Ge¬ 
heimprostitution stetig abgenommen, steht dagegen in den kleineren 
Städten, namentlich in den Industriebezirken, in voller Blüte. 
Die Spitalsaufnahme Venerischer muß unbedingt erfolgen. In 
Wien wird gegen die geheime Prostitution außerordentlich 
streng vorgegangen, um ihre Unterstellung unter Kontrolle zu 
erzwingen. Ihre Uebefwachung erfolgt durch Zivilbeamte (für 
jeden Bezirk einen bis zwei). Die noch nicht beanstandeten ge¬ 
heimen Prostituierten werden das erste Mal mit einer mehrtägigen 
Polizeistrafe belegt, fremde landesverwiesen. Wiederholte Be¬ 
anstandung hat unter Umständen drei bis sechs Monate Gefängnis 
zur Folge und außerdem die Ueberweisung an eine Zwangsarbeits¬ 
anstalt auf zwei bis drei Jahre. Bei den Kontrollierten wird die 
Uebertretung der Sittenvorschriften meist sehr milde bestraft. 
Die Mädchen sollen sich eben freiwillig der Kontrolle unterstellen. 
Die kontrollierte Prostituierte muß stets ein Gesundheitsbuch mit' 
eventuell auf Polizeikosten hergestelltem Photogramin bei sich 


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1ÖÖ8. 


tHERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


147 


führen. Sämtliche Prostituierte werden zweimal wöchentlich durch 
die Polizeiärzte untersucht. Nur notorisch zahlungsunfähige Einzel¬ 
prostituierte zahlen hierfür nichts, andere eine Krone. Die Unter¬ 
suchung einer Kontrollierten in der Wohnung oder im Bordell 
kostet zwei Kronen. Diese Beträge fließen unmittelbar dem 
Polizeiarzt zu. Die Krankenhausbehandlung kontrollierter Prosti¬ 
tuierter ist unentgeltlich, auf Kosten der Gemeinde. Das Zu¬ 
hälterwesen (Strizzi) ist in Wien nicht erheblich. Schon die 
bloße Anwesenheit eines Zuhälters in der Wohnung der Prosti¬ 
tuierten ist strafbar. Mit dem Anwachsen der geheimen Prosti¬ 
tution wird die Existenzfähigkeit der Bordelle immer mehr in 
Frage gestellt. In Triest mit seiner zahlreichen Matrosenbevölke¬ 
rung, die für die Verbreitung der Venerie eine Gefahr ist, be¬ 
ziehen, abgesehen von dem Polizeichefarzt, drei mit der Unter¬ 
suchung der Prostituierten beauftragte Polizeiärzte überhaupt 
kein Gehalt und müssen für ihr Einkommen aus den Untersuch¬ 
ungsgebühren (ein bis zwei Kronen) noch andere wichtige staat¬ 
liche Funktionen ausüben. 

In Prag liegen die Verhältnisse ähnlich wie in Wien. 

In Ungarn werden nach dem Sanitätsgesetz von 187G für 
den Fall, daß in einer Gegend die Syphilis derartig verbreitet ist, 
daß zu ihrer Unterdrückung die gewöhnlichen Maßregeln nicht 
ausreichen, auf Staatskosten Notspitäler errichtet! Für Mittellose 
zahlt der Staat. Im übrigen ist auch in Ungarn die Regelung 
der Prostitution Sache der Kommunen , nur in Pest obliegt sie 
der staatlichen Polizei; die Kommune trägt die Hälfte der Kosten. 
Als technischer Beirat steht dem Polizeihauptmann ein Polizei¬ 
oberarzt zur Seite, der zugleich der Chef der 24 Polizeiärzte ist. 
Diese haben die Sittenkontrolle auszuüben und werden ihrerseits 
von dem Oberarzt kontrolliert. Gehalt (1200 Kronen) beziehen 
jedoch nur 15 Polizeiärzte, die übrigen sind auf die Einnahmen 
aus der Sittenkontrolle angewiesen. Alle acht Wochen nimmt der 
Oberarzt eine Kontrolluntersuchung vor. Die Untersuchungen 
selbst finden entweder, jenachdem, in der Wohnung der Prosti¬ 
tuierten , im Amtslokal oder im Bordell statt. Der Oberarzt er¬ 
hält für jede Kontrolluntersuchung (im Amtslokal) zwei Kronen. 
Er muß ferner jede Person, die sich unter Sittenkontrolle zu 
stellen beabsichtigt, bei ihrer ersten Anmeldung untersuchen. 
Grundsatz ist, daß die zwangsweise Eintragung einer Person als 
Prostituierte nicht stattfindet. Wie in Oesterreich besteht die 
Einrichtung der Gesundheitsbüch er. Personen, welche sich durch 
geheime Prostitution nur einen gelegentlichen „Nebenverdienst 4 * 
verschaffen wollen, brauchen nicht direkt mit der Polizei in Ver¬ 
bindung zu treten, um nach außen hin nicht kompromittiert zu 
werden. Sie sind nur dem Polizeiarzt bekannt, bei dem sie die 
Ausstellung eines Gesundheitsblattes beantragen und der ihre 
regelmäßige Untersuchung vornimmt. Hierdurch soll der ge¬ 
heimen Prostitution entgegengearbeitet werden. Die Zahl der 
Bordelle nimmt von Jahr zu Jahr ab. Die Einzelwohnung 
Prostituierter muß von der Stadthauptmannschaft als geeignet 
befunden werden und der Hauseigentümer muß sich schriftlich 
mit der Vermietung einverstanden erklären, denn jeder Mieter 
kann den Auszug einer Prostituierten innerhalb 24 Stunden ver¬ 
langen oder aber ohne Kündigung auf Kosten des Eigentümers 
selbst ausziehen. Die Polizei setzt auch den Mietspreis für Prosti¬ 
tuierte fest. Vertrauenswürdige Prostituierte dürfen auch nicht 
genehmigte Wohnungen beziehen, sollen aber dann die Prostitution 
nicht hier ausüben, sondern sind auf die sogen. Rendezvousp!atze 
(Absteigequartiere, konzessionierte, hotelartige Häuser) angewiesen, 
in denen außer dem Besitzer und seinem Personal niemand wohnen 
darf. Hier finden sich zu bestimmten Stunden die sogen. Sitz¬ 
mädchen ein, oder es führen die Prostituierten die Männer von 
der Straße zu. Die Wirtin legt den Besuchern die Photographien 
der Mädchen zur Auswahl vor. Die Vermeidung der zwangs¬ 
weisen Einstellung einer Prostituierten unter die Kontrolle soll 
bereits ihre guten Früchte getragen und selbst rückfällige Prosti¬ 
tuierte durch die bloße polizeiliche Bestrafung wieder auf den 
rechten Weg gebracht haben. Eine Neuregelung des Prostitutions¬ 
wesens steht bevor. 


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Mitteilungen über Arzneimittel. 


Secacornin. 

Sammel-Referat von Privatdozent Dr. C. Bachem, Bonn. 

Die Wirkung des Mutterkorns ist klinisch vieltausendfach 
erprobt und die Droge ist sowohl dem praktischen Arzt als 
auch dem Gynäkologen von Fach unentbehrlich geworden. Die 
Anwendung des Secale cornutum wäre eine ideale, wenn uns 
stets ein Präparat von gleichem Wirkungswert zur Verfügung 
stände. Dieser leichten Zersetzlichkeit wegen fordert das 
deutsche Arzneibuch die alljährliche Erneuerung der vorrätigen 
Droge. Mehr als das Pflanzenpulver selbst erfreuen sich die 
daraus dargestellten Extrakte großer Beliebtheit. Doch hat es 
auch nicht an Versuchen gefehlt, die eigentlich wirksame Sub¬ 
stanz zu isolieren; so wurden im Laufe der Zeit einige Alka¬ 
loide und Säuren dargestellt, von denen die Ergotinsäure, die 
Sphazelinsäure, das Cornutin und das Ergotinin die bekanntesten 
sind. Dazu gesellt sich das (1905) von Vahlen dargestellte 
Clavin. Aber alle diese Substanzen, die im Tierversuch sich 
mehr oder weniger wirksam erwiesen, zeigten dennoch nicht 
die typischen Gesamteigenscbaften, die wir von einem gale- 
nischen Mutterkornpräparat zu erwarten gewohnt sind. Seit 
langer Zeit bemühte sich die pharmazeutische Technik, Extrakte 
(Ergotine) darzustellen, die jedoch nicht alle von gleich gün¬ 
stiger Wirksamkeit waren. Am bekanntesten ist wohl flie 
Tinctura haemostyptica Fritsch-Denzel. 

Ein anderes Präparat, welches den Vorzug hat, die auf 
die Kontraktion des Uterus wirkenden Stoffe des Mutterkorns 
zu enthalten ohne die schädlichen, ist das bereits früher unter 
dem Namen Ergotin Keller in der Schweiz viel benutzte Seca¬ 
cornin. Es ist Sphacelinsäure-frei und vermag daher keinen 
Brand zu erzeugen. Kobert behauptet in seiner Pharmako¬ 
therapie (1897), daß das Ergotin Keller (jetzt Secacornin 
genannt) das weitaus rationellste aller Mutterkornpräparate ist. 
da bei der Herstellung desselben zielbewußt die Alkaloide mög¬ 
lichst vollständig und unzersetzt erhalten seien, alle übrigen 
Stoffe aber nacli Möglichkeit abgeschieden sind. So ist vor 
allem die Sphacelinsäure, das Gangrän erregende Prinzip, eli¬ 
miniert. Secacornin gibt die gleichen Farbreaktionen wie das 
Cornutin (mit Eisessig, Eisenchlorid, Schwefelsäure n. Keller). 

H. Walther 1 ) empfiehlt das Secacornin für geburtshilf¬ 
liche Zwecke: 1. prophylaktisch in der Nachgeburtszeit, um 
Blutungen vorzubeugen; 2. zur Bekämpfung bereits einge¬ 

tretener Atonie in der Nachgeburtsperiode wie post partum; 3. 
prophylaktisch zur Beförderung der Involution im Wochenbett, 
nach "Aborten sowie bei krankhaften Blutungen im Wochen¬ 
bett. In der Gynäkologie fand es Verwendung bei Menor¬ 
rhagien und Metrorrhagien sowie prophylaktisch nach Ausscha¬ 
bungen oder Entfernung submuköser Myome. Bei der prophy¬ 
laktischen Anwendung im Wochenbett hat W. nie irgend einen 
Nachteil, wohl aber stets eine sehr prompte Involution des 
Uterus gesehen. Ueber unangenehme Empfindungen wurde nie 
geklagt, nur einigemale über etwas Hitzegefühl. Die Art der 
Anwendung war die, daß innerlich 10 Tropfen (= 2 g Secale) 
Secacornin" gereicht wurden; u. U. kann diese Gabe wiederholt 
werden. Bei starker Menstruation wurden ebenfalls nach Be¬ 
darf 10 Tropfen ein- bis zweimal täglich, oder zwei- bis drei¬ 
mal ft Tropfen verordnet, in Wasser, mit verdünntem Wein oder 
auf Zucker. Zur subkutanen oder besser zur intramuskulären 
Injektion ist Secacornin ebenfalls geeignet. Man injiziere in 
die Nates eine halbe Spritze = 2 g Secale. Abszesse oder 
nachherige Schmerzen wurden nicht beobachtet. Verf. ist der 
Ansicht, daß das Secacornin ein wirklich brauchbares, prompt 
wirkendes und haltbares Mutterkornpräparat ist und glaubt, 
daß es sich bald einen dauernden Platz im Arzneischatz er¬ 
obern wird. 

Schubert 2 ), Assistent an der Breslauer Frauenklinik, hat 
ebenfalls die Wirkung des Secacornins erprobt. Die Indikationen 
sind dieselben wie beim Mutterkorn, kontraindiziert ist es bei 


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Blutungen in dbr Schwangerschaft sowie intra partum. Das 
Gesamtresultat der mit Sfecacornin behandelten Falle war auch 
hier ein zweifellos günstiges. 

Recht zu Gunsten des Secacornins ist auch die Ansicht 
Mterkels 3 ) in Nürnberg. In seiner 18 jährigen Praxis bei fast 
2000 Geburten ist er keinem besseren Mutterkornpräparat be¬ 
gegnet als dem Secacornin. Er pfeist die Handlichkeit und 
genaue Dosierbarkeit des Mittels, das nach seiner Erfahrung 
große Haltbarkeit besitzt. Merkel benutzte es in etwa 60 
meist geburtshilflichen Fällen. Schmerzen oder Knoten traten bei 
subkutaner oder intramuskulärer Injektion nie auf; stets war die 
Wirkung eine absolut zuverlässige. Die Indikationen waren 
die gleichen wie oben bei Walther angegeben. Zwischen 
der Injektion und der Wirkung verstreicht nur eine Zeit von 
fünf bis zehn Minuten. Auch in der Gynäkologie hat Verfasser 
das Secacornin einigemale mit gutem Erfolg angewandt: bei 
einem Falle von Myom und verschiedentlich bei schlaffen Uteris 
mit starken menstruellen Blutungen bei anämischen Frauen. 

Alles in allem kann man wohl sagen, daß das Secacornin 
zur Zeit das beste Mutterkornersatzmittel ist, eine häufigere 
Anwendung seitens der Aerzte wäre daher am Platze. 

Preis einer Originalflasche zu 20 ccm 3,20 M. Fabrikanten: 
Hoffmann-La Poche & Co., Basel und Grenzach. 

Literatur: 

1. Walther: Mediz. Klinik, 1906, Kr. 43. 

2. Schubert: Münchener mediz. Wochenschrift, 1907, Nr. 26. 

3. Merkel: Münchener mediz. Wochenschrift, 1907, Nr. 27. 



Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. Kritische Bemerkungen zur Methodik der intravenösen 
Injektionen. Von Dr. E. Fr anck, Berlin. Med. Klinik, 1907, 
Nr. 11. 

2. Die Einspritzung von Heilmitteln in die Blutbahn (intra¬ 
venöse Injektion) und ihre gegenwärtige Bedeutung für die 
allgemeine ärztliche Praxis. Von Dr. E. Franck. Ibidem, 
1908, Nr. 1. 

3. Zur Kenntnis der Anilinölvergiftung. Von Prof. Dr. 
Krause, Jena. Ibidem. 

1 lind 2. In beiden Arbeiten redet F. der intravenösen 
Injektion von Medikamenten das Wort. Nach seinen Erfahrungen, 
die sich auf eine fast zehnjährige diesbezügliche Tätigkeit stützen, 
hält er die intravenöse Einspritzung für viel gefahrloser als die 
subkutane. Er bespricht in der ersten Arbeit hauptsächlich die 
Technik des Verfahrens und wendet sich in seinen Ausführungen 
zumeist gegen die von H. Strauß empfohlene Methode der intra¬ 
venösen Injektion. F. empfiehlt, statt der von diesem Autor nach 
Art der Riva-Roccischen Armmanchette angegebenen Abschnü¬ 
rungsbinde eine gewöhnliche Gummibinde zur Stauung anzulegen, 
die vor jener den Vorzug hat, abgesehen von ihrer größeren 
Billigkeit, daß man sie nach der Einspritzung sehr leicht ent¬ 
fernen kann. Dann bemängelt F., worin man seinen Ausführungen 
beipflichten muß, die von Strauß angegebene Injektionsspritze, 
und zwar die winklige Abbiegung der Kanüle und ihr starkes 
Lumen. Zum Schluß empfiehlt er, die sterilisierbaren Metall¬ 
spritzen lieber mit Hartgummikanülen zu armieren, weil sie besser 
schließen und so das Herausfließen des Medikamentes zwischen 
Spritze und Kanüle vermieden wird, und ferner die Kanülen nach 
Durchspritzen mit warmem Wasser mit einem kleinen Gummi¬ 
ballon durchzublasen, damit sie sich nicht verstopfen, von der 
Einführung eines Drahtfadens aber abzusehen, weil dieser ein 
Rosten der Kanüle hervorruft. 

In der zweiten Arbeit bespricht der Verfasser die Arznei¬ 
mittel, die sich zur intravenösen Injektion eignen: He toi, Atoxyl, 
Ferr. Kakodyl., Kollargol, Strophantin Boehringer, 
D igalen- Cloetta und Digitalone (Parke Davis & Co.), 
Attritin, Kolchikum, Fibrolysin, Sublimat, Chinin 
und Jodkali. Ueber die Indikationen sowie über die an¬ 
zuwendenden Mengen muß das Original nachgelesen werden. 
F. hofft, daß die intravenöse Injektion, trotzdem eine gewisse 
Umständlichkeit der Methode ihr anhaftet, sich bald ihren Platz 


neben der subkutanen erringen möge, weil sie f bei vitalen Indi-’ 
kationen, wenn der Weg der subkutanen Applikation infolge der 
Eigenart des Medikaments aus Gründen der damit verbundenen 
Schmerzhaftigkeit nicht zu beschreiten ist, und dann in .jenen 
Fällen von großer Wichtigkeit erscheint, wo es sich darum han¬ 
delt, die Verdauungsorgane zu schonen oder -eine Zersetzung der 
Medikamente durch die Verdauungssäfte zu vermeiden. 

3. K. berichtet über zwei Fälle von Anilinvergiftung, die 
dadurch hervorgerufen worden war, daß die beiden Arbeiter etwa 
zwei Stunden beim Prüfen von 'Quarzkristallen, die mit Anilin 
bestrichen waren, die Dämpfe desselben eingeatmet hatten. Die 
immerhin seltene Intoxikation dokumentiert sich in einer auffälligen 
Blaufärbung der Haut und der sichtbaren Schleimhäute, wie sie 
auch bei Vergiftung mit Nitrobenzol und Blausäure sich einzu¬ 
stellen pflegt. Sie unterscheidet sich aber streng von der als 
Zyanose bezeichneten Veränderung der Hautfarbe, was schon daraus 
hervorgeht, daß bei K.s Fällen bei künstlicher Blutleere die Farbe 
der Haut keine normal blasse, sondern eine blau-blasse war. Die 
Blutuntersuchung hat die Abwesenheit von Methämoglobin nicht 
ergeben. Dagegen fanden sich nach Färben mit dem May-Grün- 
waldsehen Farbengemisch in den roten Blutkörperchen kleine 
punktförmige Klümpchen, die in Kontrollpräparaten von normalem 
Blut fehlten. Die chemische Blutuntersuchung ließ bei beiden 
Kranken die Anwesenheit von Anilin ausschließen. Die sonst 
noch beobachteten Symptome (Kopfschmerzen, Uebelkeit, Brech¬ 
reiz) beobachtete K. nicht; auch konnte er irgendwelche Zirku¬ 
lationsstörungen als Ursache der Zyanose völlig ausschließen. Im 
Harn fand K. gleichfalls kein Anilin, dagegen Paraamidophenol- 
schwe felsäure. 

Gegen akute Anilinvergiftung kommt therapeutisch haupt¬ 
sächlich das Ueberführen des Kranken in frische, reine Luft in 
Betracht. Die Einatmung von Sauerstoff erwies sich ebenfalls als 
sehr wirksam. In schwereren Fällen dürfte ein tüchtiger Ader¬ 
laß mit eventuell sich anschließender Kochsalzinfusion von Er¬ 
folg sein. 


Neuere Arzneimittel. 

Aus dem Chemischen Laboratorium Dr. Leb bin, Berlin. 

„Barta“, ein neues Damianapräparat. 

Von Dr. Leb bin. 

Seitens der Aachener Firma Johann G. W. Opfer mann 
wird neuerdings ein in England hergestelltes Aphrodisiakum in 
den Handel gebracht, in -welchem ich eine Reihe wirksamer Stoffe 
festgestellt habe. 

Das mittlere Gewicht der Pastille war 0,32287 g, welche 
sich außer den erforderlichen Bindemitteln und Konstituentien 
aus 0,13 g Damianaextrakt, 0,01 Phosphorzink und 0,0082 Nux 
vomica zusammensetzen soll. 

So weit wie nach dem jetzigen Stande der Wissenschaft eine 
Nachprüfung der Richtigkeit derartiger Angaben ausgeführt werden 
kann, habe ich diese Untersuchung vorgenommen und tatsächlich 
festgestellt, daß die der angegebenen Zusammensetzung ent¬ 
sprechende Phosphormenge sich vorfindet, daß eine Strychninmenge 
darin ist, die der angegebenen Menge Nux vomica entspricht, und 
daß auch die angegebenen sonstigen Verhältnisse den Angaben 
recht wohl entsprechen können. 

Dagegen gelang es nicht, andere scharf wirkende Stoffe, ins¬ 
besondere Kantharidin, nachzuweisen. 

Aus dem zugesetzten 1 Phosphorzink gelang es ferner, eine 
kleine Menge freien Phosphor zu isolieren, nämlich 0,024 mg pro 
Pastille. 

Zu den einzelnen Bestandteilen ist noch das folgende zu be¬ 
merken. Die Nux vomica-Präparate sind seit langer Zeit in der 
Literatur als Nervenheilmittel bekannt und bilden den wirksamen 
Bestandteil zahlreicher im Handel befindlicher oder befindlich ge¬ 
wesener Spezialitäten, welche zur Behandlung von nervösen Stö¬ 
rungen mannigfaltigster Art empfohlen wurden. 

Was das Damianaextrakt anbetrifft, welches aus der Turnera 
diffusa erhalten wird, so finden sich in der Literatur viele An - 
gaben, wonach die Eingeborenen Mexikos die Blätter der Turnera 


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tffiEkAi’EUtlSCHE ßÜNDSCHAÜ. 


l4§ 


bereits seit Jahrhunderten als Stärkungsmittel bei nervösen Stö¬ 
rungen verwenden. 

Der Phosphorzink wurde seinerzeit von Vigier und G uni er 
än Stelle des freien Phosphor enipfohlen, und zwar in Dosen von 
5 bis 10 mg zwei- bis dreimal täglich. Als Höchstgabe sind in 
dem Hag ersehen bekannten Handbuch 0,1 g pro dosi, 0,4 g 
prö- die angegeben; Ebendort findet sich auch eine Formel für 
-Phosphorzinkpillen nach Vigier und Cunieir, welche 0,8 g 
der Phosphor Verbindung in 100 Pillen enthalten. 

Nach alledem scheinen die Barta-Pästillen so-zusammengesetzt 
Ätl sein j daß sie lauter Stoffe enthalten, von denen bereits jeder 
einzelne für den Zweck in der Literatur empfohlen ist, dem das 
Gesamtprodukt dietLen soll; Es bleibt zu erwarten, ob von Aerzten 
anzustellende Versuche auch praktisch die Zweckmäßigkeit des 
Präparates erweisen werden. 

Biösoii; Biosonwerk Bensheim. Bioson ist ein zwar nicht 
mehr neues; aber' der Anführung hier immer noch sehr wertes 
Nähr- Und Kräftigungsmittel. Es ist eine Verbindung des Kaseins 
iüit Eisen und Lezithin, schmackhaft, bekömmlich und billig. Dem 
Lezithin schreibt man bekanntlich einen günstigen Einfluß auf 
die Vermehrung der roten Blutkörperchen, der Salzsäuresekretion 
dös Magens, auf das Wachstum und die Ernährung des Gehirns 
in. Das Eisen ist im Bioson zu 0,24% organisch gebunden. Man 
hat nach Biosönveräbreichung bedeutende Gewichtszunahmen unter 
den verschiedensten ungünstigen Umständen beobachtet und ent¬ 
sprechend günstige Wirkungen auf die Gesamtkonstitution. 

P. Höckendorf -Großlichterfelde. 

Estoral, ein neues Schnupfenmittel. Vereinigte Chinin- 
fabriken Zimmer & Co., Frankfurt a. M. Estoral ist ein Borsäure• 
Mentholester, ein weißes, geschmackloses, kristallinisches Pulver, 
spaltet sich in Berührung mit den Schleimhäuten ziemlich rasch 
in seine Komponenten, die in statu naszendi auf die Applikations¬ 
stellen wirken* Da es bei entzündetem Naseneingang manchmal 
Brennen verursacht, wendet man es mit gleichen Peilen Milch¬ 
zucker an oder läßt es mittels eines Glasröhrchens in die Nase 
einziehen. Bei den leichteren Formen der akuten Rhinitis soll es bei 
zwei- bis dreimaliger Anwendung täglich auffallend erleichternd, 
manchmal kupierend wirken, bei schwereren Fällen nur vorüber¬ 
gehend. Außerordentlich günstig wirkt es nach Prof. Seifert- 
Würzburg bei Rhinitis sicca und bei Rhinitis atrophica Simplex. 

. P. Höckendorf-Großlichterfelde. 



Mitteilungen aus der Praxis. 


Knorrs keimdiehte Packung 

mit über den Bund gestreiften! Wattebausch. 

Die Präparate der Firma Knorr werden, bevor sie in den 
Handel gebracht werden, einer Sterilisation unterworfen. Zu 
diesem Zwecke werden die Präparate, wie Kin dermehl u. dergl., 
in Pergamentdärme, deren Naht auf chemischem Wege luftdicht 
verschlossen ist, gebracht. Die Pergamentdärme werden, wie es bei 
einer Wurst auch getan wird, nach dem Füllen oben und unten 
abgebunden, die Bundstellen werden mit einem Wattebausch 
Überbunden und nun wird das Ganze sterilisiert. Nach der 
Sterilisation werden die Pakete sofort in passende Blech-* 
buchsen gebracht, und diese werden mit Heftpflasterband 
zugeklebt. Diese Verpackung ist eine sehr zweckentsprechende 
und besonders für die Buttermilchpräparate, die eine gute 
Kindernahrung darstellen, von Bedeutung. Die Sterilisierung 
ist eine vollkommene, und nach Beendigung derselben ist 
es unmöglich, daß irgend eine Verunreinigung noch von 
außen in die Füllung der Pergamentdärme gelangen kann. 
Das Publikum erhält damit eine große Sicherheit, daß 
das Kindermehl oder Nährmittel, welches zur Kräftigung 
schwacher und kranker Kinder angeschafft wird, unverändert 
und unzersetzt, sowie frei von allen nicht dahin gehörenden 
Stoffen in die Hand der Mutter gelangt, welche nun eine für 
ihr Kind äußerst heilsame Nahrung aus dem Mehle bereiten 
kann. Weiter ist es der Firma Knorr gelungen, eine Methode 
zu finden, nach welcher sie Maccaroni in hygienischer und 
einwandfreier Weise herstellt. Die Fabrikation dieses überaus 
wichtigen Volksnährmittels war bisher eine ’jm^höchsfcen^Maße 
unhygienische zu nennen, da die Maccaroni in Italien, dem 
Mutterlande dieses Nährmittels, mit der Hand kergestellt, auf 
Papptafeln acht Tage lang in ungelüfteten Räumen getrocknet 
wurden, in Räumen, in denen noch ganze_Familien wohnten 
und schliefen. Bei der neuen Herstellungsmethode ist die Hand 
des Arbeiters von der Berührung mit demjMaccaronibrei voll¬ 
kommen ausgeschaltet und die Trocknung wird unter fort¬ 
währender Zufuhr frischer Luft in sinnreich konstruierten 
Trockenschränken bewirkt. So werden viel bessere und wohl¬ 
schmeckendere Maccaroni hergestellt, welche jedermann mit 
Appetit essen kann, ohne zu fürchten, irgendwie hygienisch 
nicht einwandfreie Ware zu verwenden. W. B. Müller, Berlin. 


Bei Typhus abdominalis und allen Darmaffektionen auf in¬ 
fektiöser Basis emfiehlt Beldau (Münch, med. Wochenschr., 1907, 
Nr. 8) folgendes Abortiv verfahren, das auch bei vorgeschrittenem 
Typhus nicht aussichtslos ist, vorausgesetzt, daß der Kranke über¬ 
haupt noch fähig ist, Medikamente per os zu sich zu nehmen. 

Rp. Camphorae tritae 1 

Chinini hydrochlorici > ana 0,15, 

Naphthalini purissimi J 
Ichthalbini 0,55. 

M. f. pulv. D. tal. Dos. Nr. X ad capsul. amyl. 

S. Dreistündlich eine Oblate; tagsüber, je nach 
der Schwere, ebenfalls vier bis sechs Oblaten. 

Gleichzeitig verordnet man: 

Rp. Decoct. Salep. 200,0, 

Bismut.-salicyl. 6,0. 

(Bei profuser Diarrhöe und Blutungen 'Plumbi 
acetici 0,6.) 

D. S. Dreistündlich ein Eßlöffel voll; tagsüber, 
je nach der Schwere des Falles, vier bis 
sechs Eßlöffel voll. 

Beide Mittel werden wechselweise verabfolgt, so daß die ver¬ 
schiedenen Gaben 1 */? Stunden auseinander liegen, die gleichen 
3 Stunden, W, Krüger, Magdeburg. 


] Bücherbesprechungen. 


□ 


Bismarck im Lichte der Naturwissenschaft. Von' 

Dr. Georg Lomer. Carl Marliold Verlagsbuchhandlung, Halle a. S. 
1907. 159 S. Preis 3 — M. 

Wie Lomer selbst sagt, hat er hier zum ersten Mal den 
Versuch gemacht, die Persönlichkeit des Heros Bismarck vom 
Standpunkte moderner Naturwissenschaft, insbesondere der Anthro¬ 
pologie, Psychologie und Medizin zu erfassen und uns auf diese 
Weise die individuelle Erscheinung dieses Uebermenschen mensch¬ 
lich näher zu bringen. Was er uns damit bietet, ist sonach ge¬ 
wissermaßen eine Anamnese, die, glänzend und zugleich mit Ehr¬ 
furcht vor dem Genius sowie Liebe zu dem Menschen und unter 
Benutzung der umfangreichen Literatur geschrieben, dem Leser vor 
Augen führt, wie Bismarck vermöge seiner ganzen Keiinanlage und 
der in ihm wirksamen Erbschaftsmasse seiner Vorfahren das werden 
mußte, was er geworden ist: das prädestinierte Werkzeug und 
die in erster Linie treibende Kraft zur Einigung Deutschlands. 
In diesem Sinne ist es ein Genuß, das Buch zu lesen, und so 
sehr sein Inhalt dazu verlockt, wenigstens auf den Gedankengang 
des Verfassers näher einzugehen, müssen wir uns dies bei der 
Fülle des Gebotenen an dieser Stelle versagen. Der Stoff über¬ 
wältigt einen. Der Inhalt gliedert sich in folgende Abschnitte: 
I. Die Wurzeln von B.s Wesen, seine Herkunft, die Mischung 


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150 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


der elterlichen Keime. II. B.s Wesen, sein äußeres, sein geistiges 
Wesen, Entwickelungsalter, der „tolle Bismarck“, Heirat. III. Die 
psychologischen Grundlagen seiner Politik. IV. B. als Künstler 
und Nervenmensch. Wer einigermaßen Interesse für derartige 
Studien hat, lese das Buch selbst! „Dem Psychologen einer der 
feinsten Künstlerköpfe seiner Zeit, dem Anthropologen ein präch¬ 
tiges Bild schaffensfreudiger Nordlandsrasse, dem Arzte aber ein 
Mensch, der unter seiner genialen Anlage körperlich und geistig 
litt, wie noch jeder unter ihr gelitten hat, der einen Funken des 
göttlichen Feuers in sich trug“ -— das war Bismarck! Der erste, 
der überhaupt ein ähnliches Buch, und zwar über Goethe, ge¬ 
schrieben hat, war, wenn wir nicht irren, der verstorbene P. J, 
Moebius, derselbe freilich, dessen letztes Werk die „Hoffnungs¬ 
losigkeit aller Psychologie“ war. Er nennt seinen „Goethe“ eine 
medizinische Pathographie. Peltzer, Steglitz. 

Populäre Aufsätze und Vorträge. Von Ernst von 
Leyden. Deutsche Bücherei, Bd. 69 und 70. Verlag der Deut¬ 
schen Bücherei in Berlin. 

Die der volkstümlichen Unterhaltung und Belehrung gewidmete 
„Deutsche Bücherei“ bringt in den vorliegenden Bauden 69 und 
70 eine Reihe von dem früheren Botschaftsarzt Hans Leyden 
herausgegebener Aufsätze und Vorträge Ernst von Leydens, 
darunter mehrere, die für ein weiteres Publikum nur von Nutzen 
sein können. Dahin gehören in Bd. 69 der 1882 in der National¬ 
zeitung erschienene Aufsatz: „Die häusliche Krankenpflege der 
Armen“, ferner der Aufsatz: „Der Komfort der Kranken als 
Heilfaktor“ (erschienen im Aprilheft der Zeitschrift für Kranken¬ 
pflege, 1898) und der am 31. März 1890 in der Deutschen Ge¬ 
sellschaft für öffentliche Gesundheitspflege gehaltene Vortrag über 
Spezialkrankenhäuser (nebst Bemerkungen über Kost und Komfort 
der Kranken), — in Bd. 70 die „Bemerkungen über Ernährungs¬ 
therapie“, „Einige Worte über Krankenküchen“, „Die Kranken¬ 
pflege bei der Lungenentzündung“, „Die Ernährung der Kranken 



bei der Lungenentzündung“ und ' „Grundsätze der Ernährung, für 
Gesunde und Kranke“. Mehr ' spezifisches Interesse für die, 
welche sie noch nicht kennen, haben die Aufsätze und Vorträge; 
,-van Swieten und die moderne Klinik“, „Zur Hundertjahrfeier 
der Schutzpockenimpfung“, „Jlon Martin Charcot“ (Bd.- 69), „Be : 
Strebungen und Endziele der ärztlichen Studienreisen“ und „Die 
Heilquellen Rumäniens“ (Bd. 70). Interessant ist die leider etwas 
kurz gehaltene Schilderung einer zusammen mit Nothnagel 
unternommenen Kaukasusreise in Band 70. Die Aufsätze über 
Krankenpflege und den Komfort der Kranken müßten vorkommen- 
denfalls jedem, der mit einem Kranken zu tun hat, in die Hand 
gegeben werden oder noch besser überhaupt in jedem Hause vor¬ 
handen sein. Jeder Band kostet nur 30 Pfg. Peltzer-Steglitz. 


Allgemeines. 

Am 9. Februar d. J. hat sich in Rapollo ein ,, Verein Deutscher 
Aerzte der Riviera Levante“ gebildet zur Förderung der Inter- • 
essen der Aerzteschaft der italienischen Riviera. Sitz des Vereins 
ist Rapollo; zum Vorsitzenden wurde Dr. Bruck, zum Schrift¬ 
führer Dr. Braun gewählt. Der Vereins Vorstand ist gerne bereit, 
Kollegen Auskünfte über die einschlägigen Verhältnisse zu geben. 

Sechs Aerzte veröffentlichen unabhängig voneinander ihre in der 
Praxis mit Fucol gemachten Erlahrungen. Fucol bewährte sich nicht 
allein als vollwertiger Ersatz des Lebertrans, Sondern wurde durchweg 
lieber genominen und wirkte energischer" und schneller. Die Orig.-Flasche 
ä J / 2 Liter kostet M. 2,—. Oben erwähnte Abhandlungen kostenfrei durch 
den General-Vertrieb: Karl Fr. Töllner, Bremen. 

F. A. Hoppen n. R. Fischer 
Patentanwälte 

Berlin SW. 13., Keiienburgerstraße 15 
Amt IV-718 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. H. Lungwitz, Berlin S — Verlag: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle a S 
Druck der Heynemannschen Bin hdrurkerei. Gehr. Wolff» Halle a. S. 


Dott. Giovanni Grassi, vom Provinzial-Findelhospiz, 

Mailand; 

„Ich habe „Kufeke Kinder mehl“ bei einigen Kindern 
dieses Spitals angewandt und habe damit wahrhaft glänzende 
Resultate erzielt.“ 

Pott. Pio Blasi, Chefarzt und Direktor der Kinderbewahr¬ 
anstalt Rom: 

„Mit „Kufeke“ Kindermehl habe ich ausgiebige Ver¬ 
suche angestellt. Ich brachte dasselbe hauptsächlich bei Neu¬ 
geborenen in Anwendung, welche infolge erblicher Syphilis 
künstlich ernährt werden mußten, und konnte ich beobachten, 
daß es gerne genommen und leicht verdaut wurde, so daß ich 
es für ein ausgezeichnetes Ersatzmittel in den nicht seltenen 
Fällen halte, wo eine mit Milch gemischte Nahrung oder auch 
eine künstliche angebracht ist.“ 

Ware zu Versuchszwecken und Literatur stehen den Herren 
xVerzten gratis und franko zur Verfügung. 

I Kufeke, Bergedorf-Hamborg und Wien I. 


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Kliniken und praktischen Aerzten. 

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Ischias, Migräne, In¬ 
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Pityriasis, Psoriasis, Pru¬ 
rigo u. Scabies. Kl. Tube 
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Therapeutische Rundschau 

Wochenschrift für die gesamte Therapie des praktischen Arztes. 


G. Anton, A. Dührssen, C. A. Ewald, R. Robert, 

Halle a. S. Berlin. Berlin. Rostock. 

H. Schmidt-Rimpler, H. Senator, 

Halle a. S. Berlin. 


Redaktion: 

Berlin S. 14, Dresdenerstr. 44, Tel. IV, 11773. 
Dr. H. Lungwitz. 


Herausgegeben'von, 



M. Koeppen, M. Mosse, H. Rosin, H. Schlange, Ad. Schmidt, 

Berlin. Berlin. Berlin. Hannover. Halle a. S. 

R. Sommer, H. Unverricht, 0. Vulpius, 

Gießen. Magdeburg. Heidelberg. 

r “ - -—> 

Verlag u. Expedition.- Carl Marhold Verlagsbuchhandlung 
in Halle a. S., Reilstraße 80. 

Tel.-Adr.: Marhold Verlag Hallesaale. Fernsprecher 823. 


Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte der Ostsee und der 

Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 


D. Jahrgang. Halle a. S., 8. März 1908. Nr. 10. 


.. d * Die „T h e r a peu t i scheR u nd s c h a u“ erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2’M., einzelne Nummer 20 Pf. Bestellungen nehmen jede Buchhandlung 
dl £ Post, sowie die Geschäftsstelle; Carl Marhold Verlagsbuchhandl ung in Halle a. S. entgegen. Inserate werden für die 4 gespaltene Petitzeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. berechnet. Beilagen nach Uebereinkunft Reklamezeile 1,50 M. Bei größeren Aufträgen wird Rabatt gewährt. 

Nachdruck der Original-Aufsätze ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. — Nachdruck der anderen Rubriken ist nur mit Quellenangabe gestattet 


□ 


ORIGINALIEN. 


CZI 


durch den hindurchgezogenen Kindskörper selbst zu dehnen 
oder —. zu zerreißen. So schrieb ich denn in dem Kapitel 
„Künstliche Erweiterung des Muttermundes und der Scheide“ 
folgendes: 


Aus der Dührssen sehen Privatklinik für Geburtshilfe 
und Frauenkrankheiten. 

Die geburtshilfliche Dilatation in der Hand des 
praktischen Arztes. 

Von Prof. Dr. A. Dührssen, Berlin. 

Das in den ersten Nummern dieser Wochenschrift von 
Rohlff behandelte Thema der geburtshilflichen Dilatation des 
mangelhaft erweiterten Muttermundes ist für jeden Geburtshelfer 
von der größten Wichtigkeit, und besonders wichtig ist es auf 
diesem Gebiet, daß dem Praktiker nicht Methoden empfohlen 
werden, welche die Mutter das Leben kosten, dem Arzt manche 
bittere Stunde bereiten und ihn außerdem noch der Gefahr der straf - 
und zivilrechtlichen Verantwortung aussetzen können. Eine 
solche unheilvolle Methode ist die Bossische Me¬ 
thode, ihre Anwendung seitens des praktischen Arztes ein 
Kunstfehler, weil er ohne die Hilfsmittel der Klinik nicht im 
stände ist, die möglichen Folgeznstände der Methode, die un¬ 
berechenbaren und lebensgefährlichen Rißblutungen erfolgreich 
zu bekämpfen. Nachdem ich hiermit schon ganz kurz meinen 
Standpunkt präzisiert habe, der demjenigen von Rohlff gerade 
entgegengesetzt ist, mögen mir zunächst an der Hand des Ar¬ 
tikels von Rohlff einige historische Bemerkungen gestattet 
sein: Der Ausspruch, „Die Geburtshilfe muß chirurgischer werden“, 
ist nicht von Hofmeier getan, wie Rohlff zitiert. Hof¬ 
meier polemisiert gerade in seinem Artikel*) gegen die chi¬ 
rurgische Aera in der Geburtshilfe, wie ich sie zuerst in der 
Berl. klin. Wochenschrift 1889, Nr. 44 und dann in dem Vor¬ 
wort der ersten Auflage meines geburtshilflichen Vademekum 
(1890) proklamiert habe. Bei der Prägung dieses viel ange¬ 
feindeten Wortes, welches für die Geburtshilfe, das scheinbar 
abgeschlossene Fach, ein neues Programm bedeutete, hatte ich 
die künstliche Erweiterung des Muttermundes ganz besonders 
im Sinn. So wie die moderne Chirurgie sich bemühte, Operations¬ 
gebiete in Körperhöhlen ordentlich freizulegen, so schien es 
mir in Uebertragung dieses chirurgischen Prinzips auf die Ge¬ 
burtshilfe geboten, vor einer Entbindung den Widerstand der 
Weichteile zu beseitigen und den Geburtsschlauch nicht j erst 


*)> Der vaginale Kaiserschnitt und die chirurgische Aera in der Ge¬ 
burtshilfe. Deutsche med. Woeh. 1906, Nr. 5. Siehe auch Dührssen, 
Erwiderung auf den Artikel von Hofmeior etc. 1. c. 1906, Nr. 11. 


A. Künstliche Erweiterung des Muttermundes. 

Dieselbe ist mit Ausnahme der Konglutinatio nur dann 
indiziert, wenn Gefahr für Mutter oder Kind die Vornahme 
der Entbindung erheischt. 

1. Die blutige Erweiterung. 

Sie ist nur dann vorzunehmen, wenn der ganze snpravaginale 
Teil der Zervix bereits völlig erweitert ist, wenn also die 
mangelhafte Eröffnung sich auf die Portio vaginalis beschränkt. 
Die Portio stellt unter diesen Umständen einen mehr oder 
minder dicken und breiten Saum des äußeren Muttermunds 
dar, welcher rings von den Scheidenwänden seinen Ursprung 
nimmt. Nur selten trägt dieser Saum noch einen kleinen Vor¬ 
sprung, den noch nicht verstrichenen Teil der Portio. Diese 
Art der Eröffnung, findet sich in der Regel nur bei Ip., bei Mp. 
liegt meistens bei mangelhafter Eröffnung des Muttermundes 
die engste Stelle oberhalb des Scheidenansatzes. 

In allen .Fällen, wo die mangelhafte Eröffnung 
nur die Portio vaginalis betrifft, und wo eine ernste 
Gefahr für Mutter oder Kind vorhanden ist, ist es 
nach Verf. Ansicht heutzutage Pflicht des geübten, 
antiseptischen und mit dem oben genannten Instru¬ 
mentarium versehenen Geburtshelfers, durch zwei 
bis sechs tiefe, d. h. bis zum Ansatz an die Scheide 
reichende Einschnitte den Muttermund völlig zu er¬ 
weitern und die Kreißende zn entbinden. 

Mit Hilfe dieses Verfahrens kann man die Entbindung be¬ 
reits bei noch völlig geschlossenem Muttermund und ev. schon 
(z. B. bei schwerer Eklampsie) in den letzten Wochen der 
Schwangerschaft vornehmen. 

Wie Verf. gezeigt hat, kommen bei diesem Verfahren er¬ 
hebliche Blutungen nicht vor, eine nachträgliche Vernäh ung 
der Schnittwunden ist daher überflüssig. Die früher beobachteten 
starken Blutungen rührten daher, daß man nur oberflächliche 
Inzisionen machte und diese dann über den Ansatz der Scheide 
hinaus weiterrissen Auch die früher mit Recht gefürchtete 
primäre septische Infektion der tiefen Schnitte läßt sich durch 
strenge Antisepsis vermeiden. Eine Infektion derselben ist bei 
antiseptischem Vorgehen nur als sekundäre durch zersetztes 
Uterussekret denkbar. Diese Gefahr läßt sich durch gründliche 
antiseptische Ausspülung des Uteruskavums resp. durch die 
Tamponade des Uterovaginalkanals mit 20% iger Jodoformgaze 
bedeutend herabmindern. Entbindet man übrigens bei zer¬ 
setztem Uterusinhalt und mangelhafter Eröffnung des Mutter- 


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154 


THERAPEüTlSCBE RUNDSCHAU. 



Nr. 1Ö. 


mundes ohne Inzisionen, so entstehen ebenfalls und zwar ge-, 
wohnlich größere Einrisse. 

Technik: Man fixiert den Saum an der Stelle der betr. 
Inzision bis zum Scheidenansatz zwischen Zeige- und Mittel¬ 
finger der linken Hand oder bei nachgiebigem Saum außerdem 
noch durch zwei Kugelzangen, zwischen denen man einschneidet, 
führt die Blätter einer Sieb old sehen Schere auf den beiden 
Fingern bis zum Scheidenaussatz vor und schneidet, gewöhnlich 
in zwei Zügen, den Saum durch. 

Hat man den Widerstand seitens des Muttermundes be¬ 
seitigt, so muß man häufig genug auch noch den seitens des 
unteren Scheidendrittels aus dem Wege räumen. Die Kombi¬ 
nation dieser beiden Operationen resp. jede für sich ist haupt¬ 
sächlich indiziert bei Eklampsie, bei Verzögerung der Geburt 
durch artifiziellen Blasensprung und bei den Geburten alter Ip. 
Bei letzteren ist die Mortalität für Mutter und Kind doppelt so 
hoch als sonst. Diese höhere Mortalität erklärt sich dadurch, 
daß die bei alten Ip. vorhandene Rigidität der Weichteile so¬ 
wohl der spontanen als auch der künstlichen Beendigung der 
Geburt größere Schwierigkeiten entgegensetzt. Beseitigt man 
aber jeden Widerstand seitens der Weichteile durch ein paar 
glatte Schnitte, so hat man eine leichte Zangenextraktion, 
während bisher sowohl das Abwarten als auch die Entbindung 
bei den drei genannten Affektionen häufig für Mutter und Kind, 
noch häufiger für das Kind allein gleich verderblich waren. 

Fig. 20 stellt von unten betrachtet, die Portio einer Ip. 
mit für einen Finger durchgängigem Muttermund, sowie die 
Zahl und Richtung der Inzisionen dar. welche Verfasser der 
Zangenextraktion vorausschickte. Die Indikation zu derselben 
gab schwere Eklampsie. Die Zange war leicht, das Kind wurde 
lebend geboren, und die Mutter machte ein normales Wochen¬ 
bett durch. 

2. Die mechanische Erweiterung. 

Auf sie sind wir bei Mp. angewiesen. Sie gelingt in der 
Regel durch Einführung mehrerer Finger, der halben oder der 
ganzen Hand. Gewöhnlich wird man an sie die kombinierte 
oder innere Wendung auf den Fuß anschließen. Nach vollen¬ 
deter Wendung erweitert sich häufig der Muttermund voll¬ 
ständig innerhalb weniger Minuten, so daß man rasch die Ex¬ 
traktion machen kann. Nur selten dürfte das Einlegen eines 
durch längeres Verweilen im Sublimat 1 :1000 gut desinfizierten 
Kolpeurynters in den Uterus indiziert sein. Mäurer empfiehlt, 
nach Anfüllung des Kolpeurynters mit Wasser mäßig aber an¬ 
dauernd an dem Schlauch desselben nach abwärts zu ziehen. 

B. Die künstliche Erweiterung des unteren Scheidendrittels. 

Die normale wenn auch enge Scheide von Ip. setzt dem 
vorliegenden Teil nur in ihrem unteren Drittel einen Wider¬ 
stand entgegen. Hier ist das Scheidenrohr selbst enger und 
wird dicht von dem Muskelring des Levator ani und weiter 
nach abwärts von dem Konstriktor kunni umschlossen. Bei 
spontaner Geburt wird dieser Widerstand allmählich dadurch 
überwunden, daß der Kopf langsam tiefer tritt und die Scheide 
sowie den Ring des Levator erweitert, den Damm dehnt. Wird 
aber der hochstehende Kopf oder Steiß bei einer notwendig 
gewordenen Entbindung verhältnismäßig rasch tiefer gezogen, 
so ist diese allmähliche Dehnung nicht möglich. Infolgedessen 
gelingt die Extraktion überhaupt nicht oder nur auf Kosten 
multipler und ausgedehnter Zerreißungen und Quetschungen 
von Scheide und Damm. Häufig kommt infolge der lang 
dauernden Extraktion das Kind tot zur Welt. 

Der Widerstand von Scheide und Damm läßt sich nun in 
ungefährlicher Weise durch einen oder zwei vom Verfasser mit 
dem Namen Scheidendamminzision bezeichneteEinschnitte 
beseitigen, Einschnitte, bei welchen nicht nur der Konstriktor 
kunni durch-, sondern auch noch der Levator ani eingeschnitten 
wird. — Diese Einschnitte sind in den Fällen indiziert, wo 
bei Ip. die Extraktion des im Beckeneiugang stehenden Kopfes 
mit der Zange oder des hochstehenden Steißes bei Fußlage 
infolge des Widerstandes der Weichteile keine Fortschritte 
macht. — Die Inzisionen sind, sobald der Saum des Introitus 
stärker angespannt wird und der vorliegende Teil dem Zuge 

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nicht folgt, am besten mit einem Messer gleich in der Länge 
von etwa 4 cm durch die Scheide hindurchzulegen und ca. 
3 cm tief zu machen. Das Maß der Tiefe der Wunde wird 
durch die Länge des Hautschnittes am Damm gegeben. Be¬ 
gnügt man sich, was vorteilhafter, zunächst nur mit einer In¬ 
zision, so muß dieselbe, falls die Extraktion noch Schwierig¬ 
keiten macht, noch mehr vertieft werden, so daß die genähte 
Wunde am Damm eine Länge von 5 bis 6 cm erreichen kann. 
Die Richtung des Schnittes hält die Mitte zwischen Anus ,und 
Tuber ischii. 

Fig. 21 stellt an einem anatomischen Präparat die Länge 
und Richtung der doppelseitigen Scheidendamminzision dar. 
Die punktierte Linie rechts deutet die bei der einseitigen In¬ 
zision notwendige Verlängerung des Schnittes an. Die ellip¬ 
tische Linie zeigt den Weichteilsaum an, wie er nach den In¬ 
zisionen dem tiefergezogenen Kindesteil anliegt. Man sieht 
daran, wie durch die Inzisionen fast der ganze Beckenausgang 
für den Durchtritt des vorliegenden Teiles disponibel wird. 

Die oft recht starke Blutung wird zunächst durch Druck 
seitens des tiefergezogenen Kindsteils nach der Geburt durch 
Tamponade bezw. durch provisorisch angelegte Klemmpinzetten, 
nach Gehurt der,Plazenta durch die Naht gestillt. 

Was die Naht anbelangt, so ist zu beachten, daß durch 
die nach oben viel stärkere Retraktion des Konstriktor kunni 
bei der einseitigen Scheidendamminzision wie auch bei der 
doppelseitigen eine ganz unregelmäßige Wundfigur entsteht 
(Fig. 22 und 28). Eine rationelle Wiedervereinigung ist nur so 
möglich, daß man zunächst eine große mit einem starken 
Seidenfaden armierte Nadel unter der ganzen Wunde von cnach 
b durchführt. Zieht man dann die Enden des Seidenfadens an, 
so entsteht Fig. 24, deren obere in der Scheide liegende Hälfte 
man mit fortlaufenden Katgutnähten, deren untere Hälfte man 
dagegen bei stärkerer Spannung mit Seidenknopfnähten schließt. 

Als Lagerung bei der Naht paßt nur das Querbett. Sach¬ 
verständiger Beistand ist angenehm, aber nicht notwendig. Vor 
Anlegung der Naht, eventuell schon vor Anlegung der Zange 
werden die Haare wegrasiert. Während des Nähens läßt man 
die Wundfläche mit einer Sublimatlösung 1: 5000 überrieseln. 
Im Wochenbett läßt man mehrstündig Sublimatumschläge 
1 : 2000 auf die Vulva applizieren. 

Bei antiseptischem Vorgehen ist eine septische Infek¬ 
tion dieser Inzisionen ausgeschlossen. 

Heilen die Inzisionen nicht p. primam, so ist vom achten 
Tage ab die sekundäre Seidenknopfnabt der granulierenden 
Wunde am Damm angezeigt, die Verfasser dreimal mit Erfolg 
ausgefübrt hat. Mißlingt dann die Vereinigung, so ist später 
die Lawson-Taitsche Lappendammspaltung zu machen. 

C. Die künstliche Erweiterung der Schamspaite. 

- Sie kommt als selbständige Operation nur dann in Betracht, 
wenn bei spontaner Geburt oder bei der künstlichen Entwicklung 
des bereits im Beckenansgang stehenden Kopfes oder Steißes 
der Damm der Extraktion einen Widerstand entgegensetzt 
bezw. zu reißen droht. Hier nimmt man Damminzisionen 
vor. Seitlich von der hinteren Kommissur schneidet man mit 
einem Kuopfmesser oder Cowper scher Schere den ange¬ 
spannten Hautsaum in einer Richtung durch, welche der leich¬ 
teren Vernähung halber sich medianwärts vom Tuber ischii 
hält. Die Wundränder retrahieren sich stark, und nach hinten 
zu markiert sich die Faszie als gespannter Saum, den man 
mit einem zweiten Schnitt durchtrennt. Macht die Extraktion 
noch Schwierigkeit, so inzidiert man tiefer und muß auf diese 
Weise ev. den ganzen Konstriktor kunni dnrchschneiden, was 
viel besser ist, als daß infolge zu oberflächlicher Inzision noch 
ein Dammriß entsteht. Auch ist eine tiefe Damminzision vor¬ 
teilhafter. Die Naht zweier Inzisionen dauert länger, und der 
zusammengeschrumpfte Zipfel zwischen beiden heilt schlechter. 

Wird der Konstriktor kunni ganz durchschnitten, so ent¬ 
steht wieder die Fig. 22, nur mit dem Unterschied, daß der 
Schnitt nicht so weit in die Scheide hineinreicht. Wird nur 
die Haut oder die Faszie mit den oberflächlichen Fasern des 
Konstriktor kunni durchtrennt, so entsteht Fig. 25, bei welcher 

Original fro-m 

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*1»A' 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


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ebenfalls die Punkte b und c zuerst durch eine Knopfnaht ver¬ 
einigt werden. — 

■ - Schon in der in demselben Jahr erschienenen zweiten 
Auflage des Vademekums erfuhr das Kapitel der mechanischen 
Erweiterung folgende Fassung: 

Die mechanische Erweiterung. 

Auf sie sind wir in der Kegel bei Multiparen angewiesen. 
Sie gelingt gewöhnlich durch Einführung mehrerer Finger, der 
halben oder der ganzen Hand. An sie schließt sich die kom¬ 
binierte oder innere Wendung auf den Fuß und die Extraktion. 
Infolge des Widerstandes des mangelhaft erweiterten Mutter¬ 
mundes stirbt indessen das Kind bei der (zu langsamen) Ex¬ 
traktion häufig ab. Deswegen bedeutet das Verfahren von 
Mäurer, welches Verfasser mehrmals mit Erfolg angewandt 
hat, einen entschiedenen Fortschritt. Mäurer bringt einen 
durch längeres Verweilen in Sublimat 1:1000 gut desinfizierten 
dünnwandigen Kolpeurynter in den Uterus (lange Pinzette; 
Verf.l), füllt ihn mit Wasser und zieht an seinem Schlauch 
dauernd nach abwärts. Wenn hierdurch nach den Beobach¬ 
tungen des Verfassers der Muttermund auch nicht völlig er¬ 
weitert - wird, so wird sein Saum doch so auf gelockert, 
daß er der Extraktion absolut keinen Widerstand mehr ent¬ 
gegensetzt. — 

In der 1892 erschienenen vierten Auflage beschrieb ich 
zuerst die Methode in der Kombination mit, selbsttätigem Zug 
bei der Behandlung der Plazenta prävia: 

„In Fällen, wo das Kind ausgetragen ist, dürfte im Interesse 
des Kindes vielleicht folgende Methode, die Verfasser einmal 
mit Erfolg ausführte, den Vorzug vor der kombinierten Wen¬ 
dung verdienen: Blutet es nach Sprengung der Blase weiter, 
so wird ein dünnwandiger Kolpeurynter in den Uterus einge- 
fühtt, bis zu Kindskopfgröße mit Wasser gefüllt und sein 
Schlauch so am Bettrande befestigt, daß am Kolpeurynter ein 
permanenter, wenn auch schwacher Zug ' ausgeübt wird. In 
dem Falle des Verfassers stand die vorher profuse Blutung 
vollständig, nach drei Stunden wurde der Kolpeurynter spontan 
ausgestoßen, und es konnte nun, da die Blutung wieder anfing, 
bei völlig erweitertem Muttermund die Extraktion vorgenommen 
werden.“ 

Durch meinen Vortrag auf dem Kongreß der Deutschen 
Gesellschaft für Gynäkologie zu Breslau 1893, „Ueber die Be¬ 
deutung der mechanischen Dilatation des Muttermundes in der 
Geburtshilfe“, und einen weiteren Artikel*), „Ueber die Be¬ 
handlung der. Plazenta prävia mittels intrauteriner Kolpeuryse“, 
bürgerte ich die Methode in Deutschland ein und bereicherte 
sie durch die Angabe des konstanten selbsttätigen Zuges, dessen 
Anwendung seitens des Praktikers ich für besonders wich¬ 
tig halte. 

Gegenüber den Zweifeln von Rohlff an der 
Wirksamkeit der Metreuryse überhaupt bemerke ich, 
daß ich schon in der ersten Veröffentlichung über 22 Fälle 
berichten konnte, in denen die Metreuryse zur künstlichen 
Frühgeburt, bei Plazenta prävia, zwecks Ermöglichung der 
Wendung und Extraktion bei engem Becken oder bei Quer¬ 
lagen, bei Wehenschwäche nach vorzeitigem Blasensprung und 
bei anderweitiger Gefährdung des mütterlichen oder kindlichen 
Lebens, speziell bei Eklampsie, gute Erfolge erzielt hatte, ob¬ 
gleich ich mich damals nur des Braun sehen Kolpeurynters 
bediente. Bei Anwendung des Champetierschen Ballons 
sind die Erfolge noch bessere, wie eine seitdem entstandene 
große Literatur über diesen Gegenstand beweist. 

Was den von mir angegebenen selbsttätigen Zug an¬ 
langt, so führe ich denselben auch heute noch in folgender 
einfachster Weise aus: Um das Bettende und zwar im Niveau 
der Matratze, wird eine lose Bindfadenschlinge herumgelegt. 
Nachdem die Patientin sich bequem ins Bett gelegt hat, wird 
der Metreurynterschlauch oder ein an seinem Ende befestigter 
Bindfaden so fest um die Schlinge herumgezogen und mit ihr 
verknotet, daß Patientin den ausgeübten Zug nicht allzu 
schmerzhaft empfindet. Damit die Patientin nicht unwillkür¬ 
lich weiter herunterrutscht und hierdurch den Zug aufhebt, 

*) Deutsche med. Wochenschrift, 1894, Nr. 19. 


muß event. zwischeil Bettende und Füße der Patientin noch 
ein Polster geschoben werden. 

Man hat später den Gewichtszug eingeführt, indessen ist 
derselbe umständlicher und die Zugrichtung bei ihm zu sehr 
gegen die Symphyse gerichtet, statt in der Beckenachse zu 
wirken. Dies rührt daher, daß dieser Zug meistens von der 
oberen Kante des Bettendes her wirkt. In dieser Weise 
bildet z. B. De Lee*) die Methode ab, von der er sagt, 
daß Dührssen sie allgemein bekanntgemacht und einge¬ 
führt hat. 

Zu den in den genannten Auflagen des Vademekum be¬ 
schriebenen Methoden ist dann später noch der vaginale 
Kaiserschnitt**) hinzugekommen. 


*) The treatment of placenta praevia, based upon a study of thirty 
cases. American Gynecology, August 1902. 

**) Siehe 9. Auflage, 1908. (Fortsetzung folgt.) 


Aus der Königl. Universitäts - Poliklinik für Hals- und Nasen¬ 
kranke zu Königsberg. Direktor: Prof. Gerber. 

Die neuen Methoden in der Behandlung der chron. 
Kieferhöhlenempyeme. 

Von Dr. Georg Cohn, I. Assistenzarzt. 

Die therapeutischen Maßnahmen in der Behandlung der 
chronischen Kieferhöhlenempyeme haben im Laufe der Jahre 
mannigfache Wandlungen erfahren. Daß sie noch immer zu 
keinem allseitig befriedigenden Abschluß gekommen sind, be¬ 
weisen die stets neu empfohlenen Methoden und Modifikationen. 
Im großen und ganzen können wir diese verschiedenen, jetzt 
schon so zahlreichen „radikalen“ Methoden in zwei große 
Gruppen teilen, in 

1. solche mit offener ),, r ,, 

2.geschlossener / Mundkommunikation. 

Es ist ja hinreichend bekannt, daß man früher fast allge¬ 
mein die erste Methode, nach welcher die eröffnete und aus¬ 
geräumte Höhle offengehalten wurde, anwandte, bis von Luc- 
Caldwell und von Gerber der Versuch gemacht wurde, 
die eröffnete Höhle zu schließen und die Nachbehandlung 
durch eine erweiterte Kommunikation mit der Nasenhöhle von 
dieser aus zu leiten. Diese in ihrer Tendenz gleichen Methoden 
unterscheiden sich aber wesentlich in der Art und Weise ihres 
Vorgehens. Lnc-Caldwell eröffnet den unteren Nasengang 
und reseziert die untere Muschel, Gerber sucht letztere gerade 
zu schonen und behandelt vom mittleren Nasengang aus. 

Beide haben sich im Laufe der Jahre mehr und mehr An¬ 
hänger erworben, zunächst besonders die Luc-Caldwellsche, 
während die Ger bersche im Anfang wenig Beachtung fand, 
jetzt aber auch häufiger angewandt wird. Es muß uns jetzt, 
wenn wir all die Unzuträglichkeiten in Betracht ziehen, die 
eine längere Zeit andauernde Kommunikation einer sezernieren- 
den Wundfläche mit der Mundhöhle notwendigerweise im Ge¬ 
folge haben muß, wunderbar erscheinen, daß vor zirka zw r ei 
Jahren wiederum Kollreuter*) in Rostock warm für die 
offene Behandlung eintrat und sie all den anderen Methoden 
vorgezogen wissen will. In einer anderen Arbeit aus der 
Juraczschen**) Klinik wird wiederum die Operation und 
Nachbehandlung von der erweiterten Alveole, die durch eine 
Prothese gegen die Mundhöhle geschlossen wird, empfohlen, 
und endlich rät in jüngster Zeit Kretschmann***) von dem 
primären Verschluß der oralen Oeffnung ab und zwar nur, um 
die pathologisch veränderte Schleimhaut der operierten Kiefer¬ 
höhle bequem und sicher nachbehandeln zu können. Wir 
scheinen also wieder auf alte verlassene Bahnen zurückkehren 
zn sollen. 

Zugegeben, daß die Uebersiehtlichkeit der offen vom Mund 
aus behandelten Höhle eine unübertroffene ist, so ist zunächst 

*) Kollreuter: Müncli. med. Wochenschr. 1905. 

**) Juracz: Monatsschr. f. Ohrenheilk. 1906, Nr. 1. 

***) Kretschmann; Münch, med. Wochenschr. 26, 1907. 


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150 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 10. 


zn erwägen, ob eine solche überhaupt nötig ist; sodann macht 
aber die tägliche Tamponade, die tJeberwachnng der Granu¬ 
lation sbildung, ihre sich nötig machende Beizung und event. 
Curettage, ferner die Länge der Nachbehandlung und das 
Tragen eines Obturators dem Patienten so viel Schwierigkeiten, 
daß jeder gewiß gern auf den Vorteil der Uebersichtlichkeit ver¬ 
zichtet, wenn sich ein Modus findet, der die hier kurz ange¬ 
deuteten Nachteile verringert. Durch die Einwürfe von Kretsch- 
mann wird dann die alte Frage aufgerollt: welches ist der physio¬ 
logische Zweck der Nebenhöhlenschleimhaut, welche Funktion 
hat sie? Auch dieser Punkt ist oft genug erörtert worden, so 
daß ich unseren Standpunkt hier ebenfalls nur kurz anzu¬ 
deuten brauche. Wenn die Schleimhaut irgendeine Aufgabe 
zu erfüllen hätte, wenn sie für die Erwärmung, für den Feuch¬ 
tigkeitsgehalt der Atmungsluft etwas leistete, den Luftstrom 
selbst maßgebend beeinflußte, so wäre ihre Erhaltung natürlich 
unerläßlich. Wenn wir aber, worauf neuerdings wieder Boen¬ 
ninghau s *) hingewiesen hat, auf dem Standpunkt stehen, 
daß die Schleimhaut lediglich einen toten Raum auskleidet, 
der nur zur Erleichterung des Gesichtsschädels dient, daß es 
für Atmung, Geruch und sonstige physiologische Funktionen 
völlig belanglos ist, ob sie vorhanden oder entfernt ist, so darf 
ihre Erhaltung kein Grund sein, uns mannigfacher Vorteile bei 
der Nachbehandlung zu begeben, uns letztere zu erschweren, 
sie gar zu verlängern. Selbst wenn wir eine Rückkehr der 
erkrankten Schleimhaut durch geeignete Nachbehandlung zur 
Norm zugeben, so hat man doch mit der Tatsache zu rechnen, 
daß diese Wochen, ja Monate dauert, wie auch Nager**) be¬ 
tont: „Als wesentlichen Vorteil.betrachten wir die pri¬ 

märe Naht der Schleimhaut, wodurch wir eine Sekundärinfektion 
vom Mund aus verhindern und die Heilung bedeutend be¬ 
schleunigen.“ Schaden wir also durch die Entfernung der 
Schleimhaut dem Patienten in keiner Weise, macht uns ihre 
Erhaltung aber mannigfache Schwierigkeiten, welcher triftige 
Grund wäre da vorhanden, daß wir nicht den bequemeren und 
sicheren Weg der völligen Entfernung einschlügen. 

Wir haben jedoch, wie schon mitgeteilt***), die Nach¬ 
behandlung der offenen mit dem Munde kommunizierenden 
Höhle nochmals nachgoprüft, indem wir gleichzeitig einen 
Schleimhautlappen vom Proz. Alveolaris bildeten und diesen 
auf die Basis der Höhle auftamponierten, eine Modifikation der 
Jansenschen Methode, ähnlich dem Par tsch-Gerb ersehen 
Verfahren bei Zystenoperationen. Unsere Ergebnisse waren 
indessen der gewöhnlichen D es ault-Kü st ersehen Methode 
nicht so überlegen, daß wir sie empfehlen könnten, sondern 
wir reservieren dieses Verfahren nur für die Gruppe von Em¬ 
pyemen, die mit hochgradiger Nasenstenose und Erkrankungen 
des Knochens selbst verbunden sind; in allen anderen Fällen 
bedachten wir den primären Verschluß der oralen 
Ooffnung als das einzig richtige Prinzip. Die Nach¬ 
behandlung von der Nase und zwar vom mittleren Nasengang 
aus hat für uns im allgemeinen ein recht günstiges Ergebnis 
gehabt, so daß wir in den letzten Jahren bei den nach 
G e rberscher Methode operierten Fällen mindestens 80 Prozent 
Heilungserfolge hatten. Immerhin hat uns bei der Nachbehand¬ 
lung die oft nicht genügende Uebersicht gestört, ferner haben 
wir bisweilen erlebt, daß die Kommunikation zwischen Kiefer¬ 
höhle und Nase viel kleiner ausfiel, als man bei der Operation 
annahm. Deshalb haben wir im Laufe der letzten Jahre ver¬ 
schiedene Methoden mit ihren Modifikationen einer Nachprüfung 
unterzogen, ob sie uns bessere Ergebnisse in bezug auf Ueber¬ 
sicht und Ausheilung boten. Zu einem Eingehen von außen 
her, durch einen den Nasenflügel umgreifenden Schnitt, wie es 
Friedrich vorschlägt, konnten wir uns nicht entschließen, 
da submukös sich dasselbe Resultat unserer Auffassung nach 
erzielen läßt und wir nicht Gefahr laufen wollen, dem Patienten 
eine sichtbare Narbe zu setzen. Dagegen haben uns die Be¬ 
schreibung und die günstigen Berichte über das Verfahren 
nach Denker zu eingehenden Versuchen im Laufe der letzten 


*) Boenninghaus: Arch. f. Laryngol. Bd. 6. 

**) Nager: Arch. f. Laryngol. Bd. 19, H. 1. 

***) Cohn: Therapeut. Monatshefte 1906, H. 2, 


Jahre veranlaßt, deren Ergebnisse ich zunächst durch einige 
Krankengeschichten wiedergeben will. 

I. A. R., weiblich, 21 J. 

29./XII. Pat. sucht das Ambulatorium auf, weil sie seit ca. 1 Jahr 
schlecht Luft durch die Nase bekommt; keine - Schmerzen, keine Eiterab¬ 
sonderung. 

Befund: Beide Nasenseiten vollgestopft mit Polypen, rechts im 
unteren Nasengang Eiter; nach Extraktion der Polypen beiderseits im 
mittleren Nasengang Eiter. Diaphanoskopisch erscheint die linke Kiefer¬ 
höhle dunkler als rechte. 

Punktion beider Kieferhöhlen ergibt Eiter; trotz täglicher Ausspülung 
bleibt rechts die Absonderung stinkend und unvermindert; sie wird deshalb 
eröffnet, nachdem am Tage vorher der vordere Teil der unteren Muschel 
mit der kalten Schlinge gekappt wurde. 

3./II. Operationsbericht: Freilegung der Fazies fazialis der 
Kieferhöhle durch einen vom 2. Molaren bis zum Frenulum labiorum 
reichenden Schnitt und durch Zurückschieben der Weiohteile; Eröffnung der 
Höhle in der Fossa kanina und Erweiterung der Oeffnung mit Meißel und 
Zange; die Höhle ist ausgefüllt mit Eiter und Polypen, die Schleimhaut 
gewulstet, aufgelockert, an einzelnen Stellen polypös entartet; sie wird 
völlig ausgeräumt und die Schleimhaut überall abgekratzt; sodann wird die 
Apertura pyritormis festgelegt und mit dem Elevatorium die Schleimhaut 
des unteren Nasenganges von der knöchernen Unterlage gelöst und zwischen 
beide ein Gazestreiten geschoben; Wegnahme der gesamten knöchernen 
lateralen Wand vom Boden bis zum Ansatz der unteren Muschel mit Meißel 
und Zange und Durchtrennung der Schleimhaut mit geknöpftem Messer; 
der so gebildete Lappen ist ca. 1 1 / 2 cm hoch, 4 bis 5 cm lang und hängt 
an seiner Basis mit der Schleimhaut des Nasenbodens zusammen; er wird 
in die Höhle eingeklappt und locker dem Boden auf tamponiert. Schleim¬ 
hautnaht durch 6 Seidennähte. Dauer 1 Stunde. 

8./II. Orale Wunde per primam geheilt; Entfernung der Tamponade. 
Insufflation von Borjodoform in die Höhle. 

10. /II. Spülung der Höhle, kein Sekret, Entfernung der Nähte. Der 
Rest der unteren Muschel hängt leicht beweglich in die Nase hinein, stört 
die Uebersicht und wird mit Ausnahme einer kleinen Linse entfernt. 

I. /IIl. Jeden zweiten Tag Spülung der Höhle; die Spülflüssigkeit 
ist völlig klar; Entlassung auf 3 Wochen. 

1 /IV. Pat. stellt sich vor; Kieferhöhle weit offen, Spülung ergibt 
klare Flüssigkeit; Borkenbildnng im unteren Teil der Nase; kleine Polypen 
in der Gegend des Siebbeins; Ausräumung desselben. 

15./V. Rechte Nasenseite atrophisch, Klagen über Trockenheit und 
Borkenbildung. Kieferhöhle und Siebbein o. ß. 

1 /IV. 07. Pat. fühlt sich im allgemeinen wohl; Borkenbildung ist 
vorhanden, jedoch nicht stark. Kieferhöhle und Siebbein o. B. 

11. L. L., weiblich, 22 J. 

Pat. hat seit langer Zeit schlecht Luft durch die linke Nasenseite, 
schnaubt Eiter aus und hat seit 2 Jahren heftigen Druckschmerz über dem 
rechten Auge. 

5./I, Befund: Rechts im mittleren Nasengange reichlich Polypen, 
die von Eiter uraspült sind. Diaphanoskopisch: Verdunklung rechts infra¬ 
orbital. 

Nach Entfernung der Polypen wird die rechte Kieferhöhle angebohrt, 
sie enthält reichlich Eiter; seine Menge läßt trotz täglicher Spülung 
während 2 Monaten nicht nach, deshalb 

II. /11I. Operation: Durch einen Schleimhautschnitt vom 2. Molaren 
bis zum Frenulum labiorum und Abschieben der Weichteile wird die Fazies 
fazialis der Kieferhöhle und die Apertura pyriformis freigelegt; die Schleim¬ 
haut des unteren Nasenganges wird losgelöst und durch Gazestreifen von 
ihrer knöchernen Grundlage ferngehalten ; mit Meißel und Zange wird von der 
Apertura aus die knöcherne laterale Wand und weiter ein großer Teil der 
Fazies fazialis entfernt und die so freigelegte Höhle, die mit Polypen und 
Eiter gefüllt ist, ausgekratzt; Bildung eines Lappens aus der Schleimhaut 
des unteren Nasenganges; seine Spitze wird zur besseren Fixierung an die 
Schleimhautfläche der Fazies fazialis geheftet und sodann noch an tamponiert; 
Resektion des vorderen Teiles der unteren Muschel; Naht der oralen Wunde. 
Dauer 1 Stunde. 

15/III. Schwellung von Wange und unterem Augenlid. — Gutes 
Allgemeinbefinden. — Entfernung der reichlich eitrig durchtränkten Tampons. 

18./III. Spülung der Höhle ergibt klare Flüssigkeit, primäre Ver¬ 
heilung der Naht; Entfernung der letzteren. 

22./III. Schwellung noch immer vorhanden, Kieferhöhle gut über¬ 
sichtlich, Nase und Höhle frei von Eiter und Borken. 

27./III. Entlassung als geheilt. 

15./IV. Kieferhöhle hat sich diaphanoskopisch aufgehellt, Nase o. B. 

l./VIII. Kontrolluntersucbung: Pat. hat keine Beschwerden: Nase 
ist frei, Kieferhöhlenspülung ergibt klare Flüssigkeit, gute Uebersichtlichkeit. 

III. C. S., weiblich, 22 J, leidet seit 2 Jahren Ständig an Schnupfen 
und Kopfschmerzen. 

Befund: Links: Nase weit, untre Muschel atrophisch. Rechts: 
Himbeerartige Hyperplasie der unteren Muschel; bei Wegdrängung mit der 
Sonde zeigt sich im mittleren Nasengang flüssiger und eingedickter Eiter; 
diaphanoskopisch: Verdunklung rechts infraorbital. — Probeausspülung der 
rechten Kieferhöhle ergibt reichlich rahmigen Eiter. 

Therapie: Kappung eines Teiles der rechten mittleren Muschel, 
tägliche Spülung vom mittleren Nasengang; da die Eiterung stets diesolbe 
bleibt, wird die Operation vorgeschlagen. 

12./1I. 06. Operationsbericht: Die einzelnen Phasen gleichen völlig 
der Operation im, Fall H. Während der Operation wird der vordere Teil 
der unteren Muschel, der die Uebersicht stört, mit Schlinge und Zange 
entfernt- 


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16./IL Wund verlauf völlig normal, keine Schwellung, Mundwunde 
per prünam geheilt. 

. 1{ ?./II. Das mittlere Dritteil der unteren Muschel erscheint stark 

luxiert, ist beweglich und wird mit der Schlinge gekappt. 

■, 257 II. Spülflüssigkeit stets völlig klar; Höhle sehr gut übersicht¬ 

lich; das hintere Drittel der unteren Muschel ist erhalten. 

l./HI. Ohne jede Beschwerden — Als geheilt entlassen. 

l./VI. Kontrollantersuchung: Hase frei, ohne Borken, Spülung der 
gut übersichtlichen Kieferhöhle ergibt klare Flüssigkeit. 

IV. W. P., weiblich, 18 J. 

Patient klagt seit Jahren über verlegte Hase, über Eiterausfluß und 
über Stirnkopfschmerz beiderseits. 

13./V. Hase beiderseits vollgestopft mit Polypen, die von Eiter um¬ 
spült sind; Hasenrachenraum und Pharynx mit eingetrocknetem Eiter be¬ 
deckt. Supraorbital, beiderseits an typischer Stelle Druckschmerz. Diapha- 
noskopisch: infraorbital beiderseits Verdunklung, supraorbital kein sicherer 
Befund. 

Therapie: Extraktion der Polypen; bei Anbohrung der Kieferhöhlen 
entleert sich aus beiden reichlich Eiter; auch das Siebbein ist beiderseits 
erkrankt, wird deshalb ausgeräumt; rechts wird ferner der Duktus naso- 
frontalis freigelegt, sondiert; eine Ausspülung der rechten Stirnhöhle er¬ 
gibt klare Flüssigkeit; die Eiterung beider Kieferhöhlen bleibt bei täglicher 
Spülung vom mittleren Hasengang aus unvermindert, deshalb wird zunächst 
rechts Operation beschlossen. 

16./VI. Operationsbericht: Die zunächst vorgenommene Probe- 
Eröffnung- der rechten Stirnhöhle ergibt einen normalen Befund. 

Durch einen cä. 5 cm langen, von dem 2. Molaren bis zum Frenulum 
labiorum reichenden Schleimhautperiostschnitt und durch Zurückschieben 
des durchtrennten Gewebes wird die "Fazies fazialis der Höhle freigelegt; 
sie wird sodann in der Fossa kanina weit eröffnet und, da sie mit Polypen - 
Granulationen und Eiter gefüllt ist, völlig ausgekratzt. Die Abhebelung 
der nasalen Schleimhaut von dem knöchernen unteren Hasengang und die 
Wegnahme des letzteren gelingt leicht. Die erhaltene untere Muschel ist 
leicht beweglich, hindert den Ueberblick über das Siebbein und wird ebenso 
wie die erreichbaren Siebbeinzellen entfernt; die Keilbeinhöhlenöffnung lieo-t 
jetzt frei; sie wird, da aus ihr Eiter hervorquillt, erweitert, die Höhle aus¬ 
gelöffelt und locker tamponiert. — Der Schleimhautlappen des unteren 
Hasenganges wird dem Boden der Kieferhöhle auftamponiert die orale 
Oeffnung geschlossen. — Dauer 1 1 / 4 Stunde. 

20./VI. Reaktionsloser glatter Wund verlauf. — Hase rechts sehr 
weit, Kieferhöhle sehr gut zu übersehen, ebenso Keilbein weit offen; Wechsel 
der Tamponade. — Kleine Polypenreste werden abgetragen, 
v ^ Ia der weiten Hase reichlich Borkenbildung,’ aus der Kiefer¬ 

höhle ist die Spülflüssigkeit klar, dagegen ist in der Keilbeinhöhle noch 
etwas Sekret; dasselbe wird nochmals ausgelöffelt und tamponiert. 

29./VI. Rechts nirgends flüssiger Eiter, dagegen sehr starke Borken- 
hj&’-j ?- nd ^ leicht . e Blutungen. - Links bleibt die Eiterung profus 
und fötid; die Polypen im mittleren Hasengang sind nachgewuchert, des¬ 
halb wird auch diese Seite eröffnet. 

W t Operationsbericht: Die Eröffnung links wird nach 

denselben Prinzipien vorgenommen wie rechts; die Höhle ist ebenfalls mit 
Eiter und Polypen gefüllt und wird ausgekratzt; auch hier muß die untere 
Muschel, um einen bequemen Zugang zum Siebbein zu erlangen, in ihrer 
lotalität entfernt werden; die darauf einsetzende Blutung und dadurch be¬ 
dingte schlechte Harkose machen eine totale Ausräumung der Siebbeinzellen 
unmöglich. Hach Tamponade des Schleimhautlappens wird die orale Wunde 
geschlossen. — Dauer 1 Stunde. 

5/VII. R* starke Borkenbildung, Mentholtamponade, Spray und 
Pinselungen von Lugolscher Lösung. 

. L. Kieferhöhle frei, gut übersichtlich; im mittleren Hasengang und 
m der Riechspalte flüssiger Eiter. — Keilbeinhöhle sondierbar, enthält 
keinen Eiter. ’ 

10./Vir. Borkenbildung rechts noch immer stark. Links: Status idem. 

20./VH. Da sich stets in der Riechspalte links Eiter findet,' wird 
zunächst die Stirnhöhle probatorisch eröffnet, sie ist frei, sodann werden von 
außen her, nach Resektion eines Teiles des linken Hasenbeines, die Sieb- 
bemzellen ausgeräumt und die Keilbeinhöhle ausgelöffelt. 

25./VII. Hase beiderseits sehr weit, bildet eigentlich zwei große 
Hohlräume, rechts starke Borkenbildung, links anscheinend nirgends Eiter. 

R/V PH * Beiderseits starke Borkenbildung, Heigung zu Nasenbluten. 

157VIII. Die Borkenbildung und Trockenheit besteht noch, keine 
Kopfschmerzen, kein Eiter. 

20./VHI. Pat. wird mit Spray und Mentholtamponade entlassen. 

10./XI. Patientin stellt sich wieder vor: Kiefer- und Keilbeinhöhlen 
beiderseits frei — starke, die Pat. belästigende Borkenbildung, sie muß tät¬ 
lich sprayen. 0 0 

VI. H. B., männlich, 32 J. 

oi.. 1 Patient leidet seit vielen Jahren an Schnupfen links, an linksseitigem 
otirnkopfschmerz und Eiterausfluß aus der linken Seite. 

. Rechte Hasenseite normal. Links im mittleren Hasengang 

orbital und Eiter; diaphanoskopisch: Verdunkelung links infra- 

Therapie: Ausräumung der Polypen und der Siebbeinzellen; Anboh¬ 
rung der Kieferhöhle und Erweiterung der Oeffnung mit Onodi; tägliche 
Spülung vom mittleren Hasengang; die Eiterung bleibt stinkend, deshalb 
, . v • Operation: Die probatorisch eröffnete Stirnhöhle ist ge¬ 

sund, wird sofort geschlossen. Aus der nach demselben Modus wie IV und 
V eröffneten Kieferhöhle quillt unter hohem Druck Eiter hervor; die untere 
Muschel wird - mit Ausnahme eines ganz kleinen hinteren Restes gekappt, 
und die noch vorhandenen Siebbeinzellen werden mit Zange und Löffel ent¬ 


fernt. Hach Auftamponierung des Lappens wird die Schleimhaut genäht. 
Dauer 1 Stunde. 

30./V. Glatter normaler Verlauf, Kieferhöhle von der Hase gut über¬ 
sichtlich; Spülung ergibt klare Flüssigkeit. 

5./VI. Der stehengebliebene Rest der unteren Muschel ist stark 
luxiert, beweglich, verlegt das Lumen und wird gekappt, Kieferhöhle 0 . B. 

15./VI. Borkenbildung im unteren Hasengang, Spülflüssigkeit klar 
— Mentholtamponade. 

l./VH. Außer Klagen über Borkenbildung und Trockenheit in der 
Hase keine Beschwerden — Entlassung. 

l./X. Status idem, diaphanoskopisch: Kieferhöhle hell. 

Unser Verfahren war in den einzelnen Phasen der Operation 
ab und an etwas abweichend von der Reihenfolge, wie sie 
Denker angab, doch war der Endeffekt stets der gleiche! vor 
allem versuchten wir stets von der unteren Muschel so viel wie 
möglich zu erhalten und kappten nur die Teile, die uns bei 
der Operation direkt hinderlich waren. 

Wenn wir die Resultate dieser Methode in Betracht ziehen, 
so trat in allen von uns operierten Fällen innerhalb kurzer 
Zeit völlige Heilung des Empyems ein. Wir müssen also den 
Modus selbst als einen recht zuverlässigen und für die Be¬ 
seitigung der Eiterung sicheren ansehen; zu betonen ist dabei, 
daß in keinem Falle eine Schädigung der Tränenwege bemerkt 
wurde oder irgend eine Entstellung, sei es Einziehung, Schwel¬ 
lung oder Verziehung des Gesichts eintrat; ebenso verheilte 
auch stets die orale Schleimhautwunde in ganz kurzer Zeit 
per primam. Da die Höhle ebenfalls fast sofort nach der Ope¬ 
ration frei von jeder Sekretion war, konnte in gleicher Weise 
wie bei allen nach der Hase zu weit eröffneten operierten Em¬ 
pyemen von einer eigentlichen Nachbehandlung kaum die Rede 
sein, und wir beschränkten uns auf Kontrolle der oralen Naht, 
Ruhigstellung der operierten Seite in den ersten Tagen, später 
nach Entfernung der Nähte und der Tamponade ab und zu 
eine vorsichtige Ausspülung der Höhle mit nachfolgender In- 
sufflation. Als Hauptvorzug fanden wir die bequeme und 
große Uebersichtlichkeit der Höhle von der Nase aus zu jeder 
Zeit, ein Vorteil, der die Denk ersehe Methode vor allen 
übrigen auszeichnet. 

Wenden wir uns nun dem Gesichtspunkte zu, ob die Ver¬ 
änderungen, die durch diese Operation das Naseninnere selbst 
erleidet, für das Wohlbefinden des Patienten belanglos sind, 
so ist zunächst festzustellen, inwieweit die einzelnen Teile 
durch den Eingriff in Mitleidenschaft gezogen werden; durch 
Resektion der gesamten unteren Muschel nebst dem knöchernen 
lateralen Teil des unteren Nasenganges wird das Nasenlumen 
in erheblichem Maße verändert; der vorher enge Kanal, be¬ 
grenzt vom Septum und knöcherner lateraler Nasenwand, der 
durch die eingelagerte untere Muschel eine große Schleimhaut¬ 
oberfläche hatte, ist einem Hohlraume gewichen, dessen Be¬ 
grenzung medial das Septum, lateral die laterale Kieferhöhlen¬ 
wand bildet. Diese gewaltige Höhle ist nirgends durch eine 
Kulisse oder Wand unterbrochen, sie geht am Boden der 
Nasenhöhle glatt auf den der Kieferhöhle über und hat als 
Dach teils die mittlere Muschel, teils die orbitale Wand der 
Kieferhöhle. Eine derartige Veränderung des Nasenlumens 
wird natürlich für die Funktionen nicht ohne Bedeutung sein; 
experimentelle Untersuchungen haben zwar ergeben, daß der 
Atmungsstrom zum größten Teil durch den mittleren Nasen¬ 
gang und den Raum zwischen mittlerer Muschel und Septum 
geht und daß die unter diesen Teilen gelegenen Abschnitte 
keinen oder nur geringen Anteil an dem normalen Luftwechsel 
haben sollen, doch lassen sich diese Feststellungen nicht ohne 
weiteres auf die Praxis übertragen. Jedenfalls stehen die 
meisten Praktiker mit ihren Erfahrungen und Resultaten auf 
einem anderen Standpunkt. Ich erinnere hier nur an die Er¬ 
gebnisse der Untersuchungen von B. Fränkel*): Der ein¬ 
tretende Luftstrom dringt vornehmlich durch den” unteren 
Nasengang und den Raum zwischen der mittleren Muschel und 
dem Septum gegen die Pars nasalis des Pharynx vor“ und an 
die Schlüsse, die Fein**) jüngst gezogen hat: „Die untere 
Muschel nimmt als ganzes Organ betrachtet einen großen Ein¬ 
fluß auf den Weg und auf das Quantum def Atmungsstromes, 

*) Fränkel: Ziemßens Handbuch. 

**) Fein: Monatsschr. f. Ohfenheilk. 1906, H. 1. 


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158 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 10. 


der die Nase passiert“, Schlüsse, die auch mit den Fest¬ 
stellungen Bure har dt s*) in Einklang stehen: „Wird die 
untere Muschel entfernt, während die mittlere erhalten bleibt, 
so tritt der Staubniederschlag am stärksten im unteren Nasen¬ 
gang auf“ . . . und „diese Beobachtung gewinnt für die Praxis 
insofern erhöhte Bedeutung, als nach der Entfernung einer 
oder beider Muscheln fast ausnahmslos eine mit Verminderung 
der Sekretion verbundene Schrumpfung der benachbarten 
Schleimhaut auftritt. Die Schädigung, welche durch die Ver¬ 
kleinerung der staubfangenden Oberfläche bedingt wird, ist 
somit bei diesem oft als geringfügig bezeiehneten Eingriff un¬ 
verhältnismäßig groß“. 

In einer durch völlige Entfernung der unteren Muschel 
artifiziell weit und atrophisch gemachten Nase werden wir also 
mit Sicherheit für später Schädigungen hervorrufen, als da 
sind: ungenügende Durchfeuchtung und Vorwärmung des ein¬ 
streichenden Inspirationsstromes, gar keine oder nicht genügende 
Reinigung des Luftstromes von den mitgeführten Bakterien 
und Staubpartikeln und endlich ist, da ja die die Blutzirku¬ 
lation regelnden Druckschwankungen des In- und Exspirations¬ 
stromes fehlen, eine solche Nasenschleimhaut Erkrankungen 
und Schädigungen in erhöhtem Maße ausgesetzt. Welche 
Folgen diese Schädigungen bedingen, wissen wir ja aus der 
täglichen Praxis zur Genüge, besonders wie sehr die Borken¬ 
bildung und das Trockenheitsgefühl in der Nase jeden Patienten 
belästigt. 

Diesen Gesichtspunkten folgend und um die Vorteile der 
Denkerschen Methode mit unseren Prinzipien zu vereinen, haben 
wir in zwei Fällen versucht, die untere Muschel resp die wich¬ 
tigen Abschnitte derselben möglichst zu erhalten (Fall 2, 3), 
was besonders in der hinteren Hälfte meist ganz gut gelingt. 

Wir hatten den Eindruck, daß diese Fälle mit bedeutend 
geringerer Borkenbildung zur Ausheilung kamen, als die 
anderen, und vielleicht läßt sich auf diese Weise für die Zu¬ 
kunft die Methode noch brauchbarer gestalten. 

Andererseits haben wir bei der Gerb er sehen Methode 
durch noch breitere Fortnahme der Knochenwand im mittleren 
Nasengang event. inklusive des oberen mittleren Teiles der 
unteren Muschel noch mehr Raum und Uebersicht zu gewinnen 
versucht, wie es auch Nager aus der Siebenmannschen 
Klinik empfohlen hat: „Bei der Gerberschen Methode 
kann -io (die Resektion der unteren Muschel) in 
vielen Fällen ganz umgangen werden oder es muß 
nur das mittlere Dritteil geopfert werden, ein 
Faktor, der für die ohnehin zur Austrocknung 
neigenden Nasenhöhlen von großer Wichtigkeit 
ist“, außerdem hat, wie er weiter mit Recht be¬ 
tont, die Oeffnung nach dem mittleren Nasengang 
vor der nach dem unteren Nas engang noch einen 
weiteren Vorzug: „Im mittleren Nasengang bleiben die 
Oeffnungen viel sicherer persistent, die Kommunikation im 
unteren Nasengang läuft vielleicht eher Gefahr, durch kallöse 
Wucherungen des Umfanges verlegt zu werden“. Gegenüber 
den Ausstellungen Uf fe norde s**), daß die nasale Oeffnung 
im mittleren Nasengang entschiedene Nachteile hinsichtlich der 
Reinigung der Wundhöhle biete, braucht wohl nur auf die, mit 
unseren Erfahrungen übereinstimmenden Ausführungen Nagers 
hingewiesen zu werden. Durch die vorher betonten Modifika¬ 
tionen der Gerberschen Methode ist es uns ebenfalls fast 
stets gelungen, eine genügende, ja gute Uebersiehtlichkeit über 
die operierte Höhle zu erlangen, so daß wir jetzt, nachdem wir 
eine Zeitlang das D enke rsche Verfahren bevorzugt hatten, 
jetzt beide Methoden üben. 

Als Resultat meiner Ausführungen komme ich zu folgendem 
Resume: 

I. Die chronischen Kieferhöhlenempyeme, die einfachen 
Spülungen von der Nase oder der Alveole aus nicht weichen, 
sind von der Fossa kanina aus zu operieren, aber mit primärem 
Verschluß und Nachbehandlung von der Nase aus. 


*) Burchardt: Arck. f. Laryngol. Bd. XVII. 
**) Uffenorde: Arch. f. Laryngol. Bd. XX, 2. 

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II. Von den hierfür in Frage kommenden Methoden ge¬ 
währt die weiteste Uebersicht sowohl während der Operation 
wie auch besonders in der Nachbehandlung die Denke rsche 
Methode. 

III. Durch Opferung der unteren Muschel setzt sie aber, 
ebenso wie die Lucsche, schwere Nachteile für die Nasen¬ 
höhle. 

IV. Wo man diese vermeiden will, bleibt die Ger bersche 
Methode die rationellste. (Die Ansicht von der Eröffnung am 
„tiefsten Punkte“ ist wohl als überlebt zu betrachten, vergl. 
auch Nager, Kümmel etc.) 

V. Die Denker sehe Methode würde noch gewinnen, 
wenn es gelingt, bei ihr wenigstens einen größeren Teil der 
unteren Muschel zu erhalten. 

Während der Korrektur ersehe ich aus dem Aufsatze von 
Uffenorde (Arch. f. Laryngol. XX, 2) daß auch Corder 
bei Anwendung der Denkerschen Methode auf die Resektion 
der unteren Muschel verzichtet, ferner aus einem Vortrag von 
Denker in der 14. Versammlung des Vereins süddeutscher 
Laryngologen (Zeitschr. f. Ohrenheilk. LIV, 3), daß von ihm 
„bei den letzten Operationen jiur etwa das vordere Drittel der 
unteren Muschel entfernt wurde“. 


Operationslose Behandlung der chronischen 
Kieferhöhlenempyeme.*) 

Von Dr. G. Krebs, Spezialarzt für Hals-, Ohren- und Nasen- 
Krankheiten, Hildesheim. 

M. H.! Es ist ein altes Verfahren, über welches ich mir 
nur deshalb vor Ihnen zu sprechen erlauben darf, weil es beit 
vielen Fachgenossen noch immer nicht die gebührendeWürdigung 
gefunden hat. Nachdem im Jahre 1765 Jour dain die Sondier- 
barkeit der Kieferhöhle gelehrt hatte, empfahl Arthur Hart¬ 
mann im Jahre 1887 die Behandlung der eiternden Kiefer¬ 
höhle mittels Spülungen von den natürlichen Mündungen aus. 
Allein wie Jourdain die ganze gelehrte Welt seinerzeit 
gegen sich hatte, so wurden auch die Hartmannschen Spül¬ 
ungen von weiten Kreisen glatt abgelehnt. Ganz charak¬ 
teristisch ist es, daß auf der vorjährigen Tagung der 
British Medical Association, soweit ich aus den mir zugäng¬ 
lichen Berichten sehen kann, in einer langen Diskussion über 
die Behandlung der eitrigen Nebenhöhlenerkrankungen das ge¬ 
nannte Verfahren überhaupt nicht erwähnt wurde. 

Auch ich habe früher infolge schlechter Erfahrungen, 
welche ich mit der Behandlung der Empyeme vom unteren 
Nasengange aus gemacht hatte, über jede nasale Therapie 
dieser Erkrankung recht geringschätzig geurteilt. Diese Vor¬ 
eingenommenheit fand noch eine Stütze an dem häufigen Be¬ 
fund starker pathologischer Veränderungen in breit aufge¬ 
meißelten Kieferhöhlen — Veränderungen, deren Unheilbarkeit 
ohne radikale Operation in die Augen sprang. Ich übe daher 
die Spülungen der Kieferhöhle von den natürlichen Mündungen 
erst seit sechs Jahren und habe die für mich überraschende 
Erfahrung gemacht, daß dadurch etwa die Hälfte aller chroni¬ 
schen Empyeme in kurzer Zeit geheilt wird.**) Um genauere 
Ziffern geben zu können, habe ich die Fälle des letzten Jahres 
aus meiner Privatpraxis zusammengestellt. Es ist dies ja nur 
eine ziemlich kleine Statistik; allein da ich die Aufforderung 
zu meinem Vortrage erst in letzter Stunde erhielt, war es 
mir nicht möglich, mein ganzes Material durchzuarbeiten. 

Vom 1. Juli 1906 bis 1. Juli 1907 hatte ich einen Zugang 
von 22 Patienten mit chronischem Kieferhöhlenempyem, dar¬ 
unter vier mit doppelseitigem, also im ganzen von 26 Em¬ 
pyemen; davon scheiden drei aus, bei welchen die Patienten 
nach Entfernung von Nasenpolypen vor der Behandlung der 
Kieferhöhle aus der Sprechstunde wegblieben. Von den übrigen 

*) Nachstehender Aufsatz wurde als Vortrag für die II. Versammlung 
der Deutschen laryrigologischen Gesellschaft (Dresden, 15. bis 17 Sent) 
angekündigt, aber infolge der allzu reichhaltigen Tagesordnung zurück 
gezogen. •* ° 

**) Boi akuten Empyemen sind die Spülungen meist überflüssig. ■ „ 

" 1 ' ' s OritpiAal ftom ‘ * * * 

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tf^SfirVC* =.. > • 

^Kabfe Ick elftes, Welches mit schwerer Eiterung 
_ höhle und des Siebbeins kompliziert war, sofort von 
? Fössa .kanüia aus operiert. Fünf Patienten (mit sechs 

S terhfleli Höhlen) würden von der Alveole aus opertetft; 

urcb Spülungen ton den figürlichen Mündungen wurden be¬ 
handelt 14 Patienten mit lö Höhlen?. Vier Patienten (fünf 
Höhlen) wurden dadurch nicht geheilt uää nachträglich 
ppeHeri. ^ehn Patienten (mit elf Empyemen) Wurden in 
imritet* Zeit geheilt. . 

Sei def Feststellung der Heilung glaube ich die erforder¬ 
liche Vorsicht und Kritik nicht aüß’er ächt gelassen zu haben. 
Alle Fälle wurden 14 Tage, nachdem die Spülungen keinen 
Eiter mehr herausbefördert hatten, rhinoskopiert, durchleuchtet 
und nochmals gespült. Nach weiteren vier Wochen erfolgte 
eine abermalige Untersuchung ohne Spülung. Wer alsdann 
als geheilt angesprochen wurde, blieb es auch, wie die Er- 
fähfütigeü der früheren «Jahrgänge bewiesen. 

Die Sp'ülfingß'fi WuMöfi meistens n einmal täglich mit vier¬ 
prozentiger, körperwarmer ßorsäurelösuüg ififftöte des .Hart¬ 
mann sehen Röhrchens vorgenommen. Die Zahl dür Zur 
Heilung nötigen Spülungen schwankte von eins bis fünfzehn. 
Wenn n»ch acht bis zehn Spülungen mehr als eine kleine 
Eiterflocke täglich entleert wurde, wurde die Behandlung als 
aussichtslos abgebrochen und zur Operation geschritten, des- 
SibichÖn; weüti diese letzte Eiterflocke nach etwa 25 Spülungen 
lieht VeWö£#Äfla. fiel größerer Geduld wäre vielleicht auch 
hoch der eine oder andere operierte Fall auf konservativem Wege 

jIü lipA, ejn Nap^pil des Verfahrens, daß maSr 
^on Vornherein nie wissen kannte)?' man,.damit zum Ziele ge¬ 
langt, daß.,man den Patienten täglich m sieh bestellen muß 
und schließlich.in einem Teil der Fälle einsieht, (lau Mühe und 
Zeit Vöriprep war* Fm zweiter Nachteil besteht manchmal in 
(fff Schwierigkeit* die , natürlichen Ostien der Kieferhöhle zu 
finden. Diese Schwierigkeit söhwmdet immer mehr, je länger 
und —, sozusagen — liebevoller man sich fhit der Methode 
beschäftigt. Oft muß man trotz Kokain und Adrenalin fffrd' ey. 
Killiarischer Rhinoskopia media freilich lange suchen, bis die 
Kanüle in eine etei* Mündungen hineingleitet. Hat man sie erst 
einmal gefunden, Sö ilt cfiöä an den folgenden Tagen nicht 
mehr schwer. Resektionen an der mittleren Mjusehei habe ich 
zu diesem Zwecke nie angewendet. Daß ich ahi das Ver¬ 
fahren ganz verzichten mußte, weil ich die Ostien überhaupt 
nicht fand, ist mir im letzten Jahre bei eiternden Kieferhöhlen 
nicht begegnet. Hingegen habe ich bei einigen Kieferhöhlen, 
die mir empyemverdächtig erschienen waren, sich aber schlie߬ 
lich als gesund erwiesen, die Ostien vergeblich gesucht und 
punktieren müssen. Es kann dies ein Zufall sein, kann abei 
auch so zu erklären sein, daß eiternde Kieferhöhlen weitere und 
Zügänglichete Mündungen haben — oder ätiologisch richtiger 
äüSgearüektt Kieferhöhlen mit weiten und zugänglichen Mün- 
duügeii scheinen leichter an chronischer Eiterung erkranken zu 
können. 

Es läge theoretisch noch die Möglichkeit vor, daß zwar 
däö Einführen der Kanüle in eines der Ostien gelingt, daß aber 
ein Ausspiilen der Hohle nicht erzielt wird, weil die Kanüle 
das Ostium verlegt und daher das Wasser nicht abfließen kann. 
Die praktische Erfahrung lehrt, daß dieser Einwand unbe¬ 
gründet ist. Im Gegenteil ist zu betonen, daß auch dicke, 
käsige Massen durch diese Spülungen entleert werden können. 
Das & Krankheitsbild, welches Avellis**) unter dem Namen 
Verkäsung des Kieferhöhlenempyems“ beschrieben hat und 
üper dessen Existenzberechtigung ich früher***) einige Skepsis 
gpäußejrt habe, wird dem, der die Spülungen übt, gar nicht so 

Bellen begegnen. _ 

: So viel über die wirklichen und vermeintlichen Nachteile 

des Verfahrens! Seine Vorteile sind, ganz abgesehen davon, daß 
eine Operation vermieden wird, folgende: erstens die Schnellig- 
vf TT-n- t- — r>—U4-- a;* Methode allen 


kelt dbr Heilung. In diesem Punkte ist die 

*) Ob man vom eigentlichen Qstium maxillare oder von einem 
jnaxillare accessoriiiin Üpült, ist gleichgültig. 

**) Archiv f. Larydgologie X. 

Versammlung süddeutscher Laryngologen. 


Ostium 


15£ 


afidören weit überlegen/ Zur Trockenlegung der elf geheilten 
Fälle wat' folgende Anzahl von Spülungen nötig (die Kontroll- 
spülungen nicM mitgerechnet )' I, 2, 4 (dreimal), 5, 6, 10, 12, 
15 (zweimal). Alstf die Mehrzahl wurde innerhalb einer Woche 
geheilt. Ein weiterer Vorteil liegt darin, daß man die natür¬ 
licher! Verhältnisse der Kieferhöhle wenig stört. Man braucht 
weder, wie hei den Operationen von Luc, Gerber u. a., eine 
dauernde, große, näsale Oeffnung anzulegen, noch den Patienten 
mit Prothesen oder Dilatationsstiften zu behelligen. 

Wann soll man nun die' Methode anw enden? Je länger 
ich sie ausiübe,< um so mehr dehnt sich mir ihre Indikations¬ 
stellung aus. Voö vornherein kann man es freilich fast keinem 
Fall von chronischem: Kieferhöhlenempyem ansehen, ob er 
durch die Spülungen geheilt werden kann oder nicht. Nicht 
die Menge oder die Beschaffenheit der Sekrete, nicht das Er¬ 
gebnis der Durchleuchtung, nicht Polypen- und Granulations¬ 
bildung, nicht Jas Alter des Patienten, nicht die Dauer der 
Eiterung, nicht die Äetiologie des Leidens, nicht die Kom¬ 
bination mit anderen Nebenhöhlenerkrankungen gewähren 
einen sicheren Anhaltspunkt dafür, ob der einzelne Fall 
sich für die Spülungen von der natürlichen Mündung eignet 
oder nieftfs Insbesondere möchte ich betonen, daß ein dentaler Ur¬ 
sprung der Eiterung keine Kontraindikation abgibt; nur darf 
man dabei nicht die Extraktion des kranken Zahnes verabsäumen. 
In einem Fall aus früheren Jahrgängen, wo ich dies unter¬ 
lassen hatte, gelang es zwar, die Kieferhöhle trockenzulegen, 
aber nach l 1 /* Jahren verursachte der kranke Zahn eine neue 
Eiterung der Kieferhöhle. 

S n kann also die Methode in allen Fällen versuchen 
bilden Ausnahmen: erstens natürlich dann, wenn die 
Ostien sich it'dtt' sorgfältigen und geduldigen Suchens nicht 
finden lassen. Zweitens dann, wenn Fisteln oder andere 
schwere Komplikationen ein energischeres Verfahren erfordern. 
Als söfche Komplikationen kommen namentlich entzündliche 
Erkrankungen innerhalb der Orbita in Frage. Auch diese 
heilen zwar gelegentlich ohne größeren Eingriff aus, wemy sie 
aber mit großer Heftigkeit auftreten und nicht rasch zurück- 
o-ehelr, ist eine breite Aufmeißelung doch wohl ratsamer. 
Drittens habe ich die Spülungen unterlassen, wenn bei dem 
Patienten aus anderen Gründen eine Narkose notwendig war, 
z. B. zum Zwecke def Operation eines schweren Stirnhöhlen¬ 
empyems oder zahlreicher Zahnextraktionen. In solchen Fällen 
habe ich die Narkose dazu benutzt, um auch noch die Kiefer¬ 
höhle zu operieren. Viertens endlich können äußere Umstande 
veranlassen, Von den Spülungen Abstand zu nehmen. Wenn 
z. B. ein Patient sehr wenig Zeit hat oder weit entfernt wohnt, 
so wird man lieber eine Behandlungsweise wählen, die ihn vom 
Arzte unabhängiger macht. 

Die aufgezählten Ausnahmen umfassen die Minderheit aller 
Fälle. Die Mehrzahl wird von vornherein für den geschilderten 
therapeutischen Versuch geeignet erscheinen. Und wenn er 
wie meistens — zum Ziele führt, empfindet man stets eine Be¬ 
friedigung darüber, auf so einfache Weise ein Leiden geheut 
zu haben, dessen Beseitigung sonst mehr oder minder große 
und nicht immer erfolgreiche Operationen verlangt. Ls ist 
schwer zu begreifen, warum noch immer so viele Fachgenossen 
sich ablehnend dazu verhalten. 



Bakteriologie. 

Referent: Privatdozent Dr. E. Küster, Freiburg i. B. 

1. Heber Marpmans Scharlachserum und seine Anwendung. 
Von Monti. Allg. Wiener med. Ztg., 1908, Nr. 2. 

2. Heber eine bakteriologisch interessante Eigenschaft des 
Lezithins. Von Bassen^ e. Deutsche ined. W oc henschr., 1908, 
Seite 2$, 




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Original fro*m 

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~' W T 4 ' ’ 


160 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU, 



3. Erfahrungen mit Kolle-Wassermannschem Meningokokken- 

heilserum. Von Levy. Ibidem, S. 123. 

4. Therapeutische Erfahrungen bei der Behandlung der 
epidemischen Zerehrospinahneningitis mittels Jochmannschem 
Serum. Von Raczynski. Wiener klin. Wochenschr., 1907, 
Seite 1641. 

5. Zum Ausbau der Gruber-Widalschen Reaktion. Von 

Hilgermann. Klin. Jahrbuch, 1908, 18. 

6. Heber Meningokokkengifte und Gegengifte. Von Kraus 
und Doerr. Wiener klin. Wochenschr., 1908, Nr. 1, S. 12. 

1. Die Ansicht, daß der Scharlach durch Streptokokken be¬ 
dingt werde, verliert heute immer mehr an Anhängern und auch das 
Moser sehe Heilserum, welches als polyvalentes Antistreptokokken¬ 
serum eine spezifische Therapie des Scharlachs ermöglichen sollte, 
hat den Erwartungen durchaus nicht entsprochen. Marpman 
versuchte deshalb dadurch zu einem spezifischen Heilserum gegen 
Scharlach zu gelangen, daß er Tiere mit SGharlachgift — welches 
er in Blut, Harn und Hautschuppen des Desquamationsstadiums 
Kranker durch Tierversuch nachweisen konnte — vorsichtig im¬ 
munisierte und ein Blutextrakt derselben therapeutisch anwandte. 
Das Marp man sehe Scharlachserum, welches in zwei Sorten: 
Nr. 1 als Prophylaktikum, Nr. 2 als Heilmittel bei schon aus- 
gebrochenem Scharlach Anwendung finden soll, wird mehrmals 
täglich tropfenweise in Wasser innerlich gegeben. Schädigungen 
sind bis jetzt noch keine beobachtet, dagegen scheint es eine be¬ 
trächtliche Heil- und Schutzwirkung zu entfalten. M. wandte das 
Serum in neun leichten, zwei mittelschweren und einem schweren 
Scharlachfall an: alle Fälle besserten sich rasch und genasen. 
Camper behandelte ebenso 67 Fälle, davon 13 sehr schwere: 
62 genasen, 5 starben; bei diesen 5 fand erst nach dem dritten 
Tage Heilserumbehandlung statt. Von 200 prophylaktisch be¬ 
handelten Personen erkrankten zwei an schwerem Scharlach, aber 
beide genasen. 

Die bisherigen günstigen Resultate fordern zur Nachprüfung 
an großem Krankenmaterial auf. Sollten sich die Resultate be¬ 
stätigen, so wäre in spezifischer Krankheitsbehandlung ein großer 
Schritt vorwärts getan. 

2. B. untersuchte die Einwirkung von Lezithin auf Typhus¬ 
bazillen und fand, daß diese Bazillen von Lezithinemulsion stark 
beeinflußt werden, insofern als 1% Lezithinemulsion diese sofort 
auf löst; 1 °/oo Lezithin emulsion hat eine weit schwächere Wirkung, 
1 %oo läßt nur noch Spulen einer bakteriolytischen Eigenschaft 
erkennen. Im Tierkörper vermag Lezithinemulsion gegen gleich¬ 
zeitige oder nachträgliche Typhusinfektion nicht zu schützen, doch 
lassen sich Tiere leicht durch Typhusbazillen, welche mit Lezithin 
vorbehandelt sind, gegen Typhus immunisieren, so daß vielleicht 
auf dieser Basis eine Typhusschutzimpfung ausgebaut werden 
könnte. 

3. Die Genickstarreepidemie in Überschlesien im Jahre 1905 
ergab eine Mortalität von 67,2%, und es ist deswegen nicht zu 
verwundern, daß von den verschiedensten Seiten energischst nach 
einem Heilmittel für infektiöse Genickstarre gesucht wurde. Im 
speziellen wurden bisher in Deutschland drei Heilsera (Ruppel, 
Höchst; Jochmann, Merck; Kolle- Wassermann, Institut 
für Infektionskrankheiten, Berlin) ausgearbeitet. Mit dem Kolle - 
Wass ermann sehen Serum hat L. in den Essener Städtischen 
Baracken 23 Fälle behandelt. Nachdem erst ohne Erfolg einige 
Fälle mit subkutaner Seruminjektion behandelt, gelang es L., durch 
intralumbale Injektion von großen Serummengen (bis 40 ccm) die 
Mortalität bis auf 6,25% herabzusetzen. Vor der Injektion gibt 
L. Morphium und läßt nachher für mehrere Stunden Beckenhoch¬ 
lagerung durchführen. Neben der Serumbehandlung wurde Aspirin 
angewandt und bei Drüsenanschwellungen 25%iges Jodthionöl 
zweckmäßig gefunden. Schädigende Nebenwirkungen dauernder 
Art kamen nicht zur Beobachtung. Die Erfahrungen mit dem 
Meningokokkenserum von Kolle-Wassermann, welche Schultz, 
(Berl. klin. Wochenschr., 1907, S. 1671) veröffentlichte, waren 
sehr ungünstige. Von 23 mit Serum subkutan behandelten Fällen 
starben 13 = 56,5%; von 41 ohne Serum behandelten starben 
53,7%. Sch. schließt daraus, daß wir heute noch nicht in der 
Lage sind, die epidemische Genickstarre mit Kolle-Wasser¬ 
mann schem Serum genügend nachhaltig zu bekämpfen. 


Erst Nachprüfungen an einem großen Material werden über 
den Heilwert des Meningokokkenserums entscheiden können, jeden¬ 
falls ermutigen die günstigen Resultate Levys zur intralumbalen 
Serumanwendung. 

4. Während Joohmann selbst mit dem von ihm angegebenen 
und von Merck hergestellten Serum bei Meningitisepidemie gün¬ 
stige Resultate erzielte und auch Schöne im Ratiborer Kranken¬ 
haus mit diesem Serum die Mortalität der Genickstarre auf 22%, 
gegenüber 53 % bei unbehandelten Fällen, erniedrigen konnte, wurde 
bei R.s Versuchen, die genau nach der Joch mann sehen Vorschrift 
ausgeführt wurden, weder der Krankheitsverlauf noch die Sterb¬ 
lichkeitsziffer günstig beeinflußt. 

5. Bekanntlich ist die Agglutinierbarkeit verschiedener echter 
Typhusstämme durch das gleiche Serum eines Typhuskranken 
weitgehend verschieden; H. verwandte deshalb eine Typhusmisch¬ 
bouillon (aus verschiedenen Typhusstämmen hergestellt) zur An . 
Stellung der Widalreaktion und konnte so in vielen Fällen, be¬ 
sonders in den ersten Krankheitstagen, eine positive Widalreaktion 
feststellen, in denen die bisherige Methode kein Resultat ergab. 
Zur Anstellung der Reaktion fand H. im übrigen die Verfahren 
nach Pröscher-Neißer (Blockschälchenmethode) und nach 
Pfeiffer - Kolle (Reagenzglasmethode) am vorteilhaftesten., 
Sollte die Agglutininprüfung nach Hilgermann sich bewähren, 
so wäre damit für eine leichte, sichere und frühzeitige Typhus¬ 
diagnose viel gewonnen. 

6. Den Autoren gelang es, durch Extraktion von Meningo-- 
kokkenagarkulturen mit Vio Normalsodalösung giftige Stoffe zu 
gewinnen, die in Mengen von 0,5 bis 3 ccm Meerschweinchen 
bei peritonealer Injektion regelmäßig töteten. Mit den Meningo¬ 
kokkengiften wurden Ziegen und Pferde immunisiert und dadurch. 
wirksame Antitoxine gegen die verwandten Gifte gewonnen. Zur 
Bestimmung des Schutzrestes des antitoxischen Meningokokken¬ 
serums wurde mit gutem Erfolg die „präventive Versuchsanord¬ 
nung“ gewählt, d. h. den Versuchsmeerschweinchen wurde zunächst 
eine bestimmte Menge antitoxisches Serum und dann nach sechs bis 
acht Stunden das giftige Meningokokkenextrakt eingespritzt. Prak¬ 
tisch therapeutische Erfahrungen sind bisher noch in zu geringer 
Anzahl gemacht, um ein endgültiges Urteil fällen zu können. 


Säuglingsiürsorge. 

Referent: Dr. Gustav Tugendreich, Berlin, Leiter 
der Säuglingsfürsorgestelle 5. 

1. Zur Diätetik der Frühgeborenen, Von H. Cr am er. 
Monatsschr. f. Kinderheilk., Bd. 6, Nr. 10. 

2. Wie hat sich die stillende Mutter hinsichtlich ihrer 
Lebensweise zu verhalten 1 ? Von Net er. Zeitschr. f. Kinderpfl., 
1907, Heft 1 u. 2. 

1. Die moderne Kinderheilkunde hat für die Ernährung der 
Säuglinge wohl ausnahmslos das Prinzip der Minimalernäh¬ 
rung angenommen (d. h. fünf bis sechs Mahlzeiten in 24 Stunden 
mit großen Trinkpausen und völliger Nachtruhe und knappen 
Trinkmengen). 

Auf die Frühgeborenen wenden aber einige Pädiater 
dies Regime nicht an. Hier gewähren sie vielmehr häufigere 
(10 bis 20) Mahlzeiten pro die und geben relativ reichlichere 
Mengen. 

Verf. hat demgegenüber die Minimalernährung auch bei drei 
frühgeborenen Kindern und zwar mit gutem Erfolge durchgeführt. 

Alle drei Kinder wurden in den ersten fünf bis sechs Tagen 
in Wattepackung gehalten und mit heißen Steinkrügen im gut 
geheizten Zimmer bei reichlichem Feuchtigkeitsgehalt der Luft 
aufbewahrt. 

Zwei erhielten in den ersten Tagen abgespritzte Brustmilch, 
das dritte zunächst künstliche Nahrung. Alle drei erhielten fünf 
bis sechs Mahlzeiten täglich, die Menge jeder Mahlzeit schwankte 
in den ersten sieben Tagen zwischen 10 und 35 g. 

Verf. legt überhaupt Wert darauf, daß auch bis zum zehnten 
Tage jede Mahlzeit nicht mehr als 40 bis 50 g betrage. 

2. Entgegen veralteten Anschauungen kann man es jetzt als 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


161 


eine feststehende Tatsache betrachten, daß fast alle Frauen (sicher 
90%) imstande sind, wenigstens einige Zeit, selbst zu stillen. 

' Unter den vielen Scheingründen, die die Frauen zur Ent¬ 
schuldigung des Nichtstillens angeben, nimmt die Furcht vor der 
(früher verordneten) strengen monotonen Lebensweise einen großen 
Platz ein. 

Demgegenüber weist Verf. darauf hin, daß heute der stillenden 
Frau alles zu essen erlaubt ist, was ihr behagt. Es ist geradezu 
notwendig, möglichst wenig an der bisherigen Diät zu ändern, 
um die stillende Mutter bei möglichst kräftigem Appetit zu er¬ 
halten. Weder sind saure Speisen verboten, noch schadet ein 
Glas Bier oder Wein. (Alkohol im Uebermaß ist selbstverständ¬ 
lich verboten.) 

Auch sonst soll die Stillende möglichst in gewohntem Geleise 
bleiben. ^ Eine mäßige Beschäftigung ist durchaus anzuraten. 

Gegen einen maßvollen Geschlechtsverkehr ist nichts zu sagen. 


Dermatologie und Sypbilidologie. 

Referent: Spezialarzt Dr. Jul. Baum, Berlin. 

1. Die bisherigen Erfahrungen mit der Quarzlampe. Von 
Kromayer. Monatshefte f. prakt. Dermatologie, Bd. 46, Nr. 1. 

2. lieber die Heilung der Mykosis fungoides mit Röntgen¬ 
strahlen. Von Hübner. Fortschritte d. Medizin, 1908, Nr. 7. 

3. Die Behandlung der Mikrosporie, Trichophytie und des 
Favus mit Röntgenstrahlen. Von Berger. Archiv, f. Dermato¬ 
logie, Bd. 88. 

4. Öonorrhöetherapie und Gonokokkennachweis. Von Hob. 
Stein. Wiener klin. Wochenschr., 1908, Nr. 3. 

5. Die Wichtigkeit des Mikroskopierens auch bei akuter 
Gonorrhöe. Von Hadlich. Reichsmedizinalanzeiger, 1908, Nr. 2. 

6. Heber die Behandlung des Trippers mit Gonosan. Von 
Geißler. Ibidem. 

7. Die Behandlung des Ulkus molle und des Bubo. Von 
Ereibich. Deutsche med. Wochenschr., 1908, Nr. 1. 

8. Zur Frage der Behandlung der Syphilis mit Atoxyl. 
Von Welander. Archiv f. Dermatologie. Bd. 89. 

9. Die Behandlung der Syphilis mit Arsenik. Von 0. Rosen - 
thal. Berl. klin. Wochenschr., 1908, Nr. 3. 

10. Die neuesten Errungenschaften auf dem Gebiet der 
Syphilidologie. Von Finger. Wiener klin. Wochenschr., 1908, 
Nr. 1. 

11. Levurinose bei Hautkrankheiten. Von Winnenberger. 
Leipz. med. Monatsschr., 1907, Nr. 11. 

12. Ueber Phosphaturie, ein Beitrag zur Prophylaxe der 
Nierensteine. Von G. Klemperer. Therapie der Gegenwart, 
1908, Nr. 1. 

1. Die große Oberflächen Wirkung der Quarzlampe, die 
allen anderen Lichtarten überlegen ist bei verhältnismäßig leichter 
Vermeidung von Nekrosen, ist allgemein anerkannt. Betreffs der 
Tiefenwirkung glaubt Kromayer, daß die therapeutisch aus¬ 
genutzte Lichtenergie der Quarzlampe die der Finsenapparate um 
das Doppelte bis Dreifache übertrifft, was von anderen Autoren 
bestritten wird. Ganz besonders indiziert ist dieselbe bei Lupus, 
Teleangiektasien der verschiedensten Art, allen Alopezien, bei 
Pruritus; auch bei Psoriasis linguae. 

2. Bei Mykosis fungoides, die sonst gewöhnlich letal endigt, 
sah Hübner in vier Fällen glänzenden Erfolg durch eine kombi¬ 
nierte Arsen - Röntgenkur. Er bestrahlte wöchentlich einmal 20 
bis 30 Minuten mit harten Röhren. 

3. Favus und Trichophytie der behaarten Haut bilden eine 
der vornehmsten Indikationen für die Röntgentherapie. Nach 
Bergers Erfahrung führt hier die Röntgentherapie bei richtiger 
Technik ausnahmslos ohne den geringsten Schaden in zirka vier 
Wochen zu rezidivfreier Heilung. Keine andere Behandlung ist 
in ökonomischer Hinsicht so praktisch, da sie verhältnismäßig 
billig ist und s die Arbeitsfähigkeit nicht beeinträchtigt wird. Die 
besten Resultate erzielte Berger, wenn er drei Bestrahlungen 
in Pausen von vier bis sechs Tagen mit mittelweichen Röhren 
vomahm. Die Haare fielen dann nach 19 bis 22 Tagen aus. 
Die Reaktion war stets nur ersten Grades, d. h. Haarausfall ohne 
Oberflächliche Hautentzündung. 


4. Stein präzisiert den Finger sehen Standpunkt in der 
Gonorrhöefrage, der ungefähr den Ne iß ersehen Anschauungen 
entspricht: 

Die bloße interne Therapie der akuten Gonorrhöe führt nur 
in den seltensten Fällen zum Ziel. Es muß bei jeder akuten 
Gonorrhöe möglichst bald mit der lokalen Behandlung begonnen 
werden. Die Anwendung rein adstringierender Medikamente bei 
einer akuten Gonorrhöe ist ein Kunstfehler. Es müssen sofort 
Silberpräparate verordnet werden, und zwar, solange noch Eite¬ 
rung vorhanden ist und Gonokokken nachgewiesen werden können, 
Protargol oder Argonin; wird die Sekretion milchig und sind die 
Gonokokken geschwunden, Ichthargan, Albargin oder Argentamin. 
— Das Auftreten von Urethritis posterior scheint durch die 
Medikation nicht beeinflußbar, vielmehr von äußeren Schädlich¬ 
keiten bedingt zu sein; sie bildet nur selten eine Kontraindikation 
für die lokale Therapie des vorderen Abschnittes. 

Was den Gonokokkennachweis betrifft, so hat Stein sie 
kulturell nachweisen können, wenn die mikroskopische Unter¬ 
suchung im Stich ließ. Die Untersuchung der Fäden auf Gono¬ 
kokken hat nur einen Wert, wenn sehr bald nach dem Urinieren 
untersucht wird. 

5. Reizurethritis kann gelegentlich für Gonorrhöe gehalten 
werden. Deshalb muß bei jeder ersten Untersuchung einer Ure¬ 
thritis nach Gonokokken gesucht werden. 

6. Von allen für die innere Behandlung der Gonorrhoe in 
Betracht kommenden Mitteln verdient nach Geißler Gonosan 
den Vorzug, da es die Krankheitsdauer abkürzt, die Schmerzen 
lindert, den eitrigen Ausfluß bald in einen schleimigen verwandelt, 
die Gonokokken schnell verschwinden läßt, Komplikationen seltener 
macht und meist gut vertragen wird. Eine gleichzeitige Lokal¬ 
behandlung ist nötig. 

7. Zur Aetzung des Ulkus molle empfiehlt Kreibich be¬ 
sonders Cuprum sulfuricum in Substanz, danach Umschläge mit 
Cupr. sulfur. 1 : 1000. Die Aetzung soll jedoch nur vorgenommen 
werden, wenn keine Symptome des Fortschreitens auf die Lymph- 
bahnen vorhanden sind, da sonst um so leichter Bubo entsteht. 

Ist bei einem Bubo nur eine einzelne Drüse vereitert und 
die bedeckende Haut noch intakt, so spritzt er nach vorheriger 
kleiner Inzision 10%ige, vorher leicht erwärmte Jodoform Vaseline 
in die Höhle. Bi er sehe Stauung — täglich eine Stunde — ist 
nach kleiner Inzision von gutem Erfolg. — Den völligen Zerfall 
langsam zerfallender Drüsen beschleunigt Kreibich nach dem 
Vorgang von Welander durch Injektion von l%igem Hydrargyr. 
benzoic. — Die Röntgenbehandlung des Bubo zeitigte keine 
Erfolge. 

8. Welander sah von der Atoxylbehandlung der Syphilis, 
insbesondere im tertiären Stadium, manchmal gute Erfolge, glaubt 
jedoch, daß er mit den alten Mitteln, Hg und Jod, während des¬ 
selben Zeitraumes vollkommen gleiche Resultate, wenn nicht 
bessere erhalten hatte. Was die Wirkungsweise des Atoxyls be¬ 
trifft, so nimmt der Verf. an, daß hierbei nicht das Arsen wirkt, 
sondern das unzersetzte Atoxyl: denn es verläßt den Körper auch 
nach wochenlangem Aufenthalt in demselben zum allergrößten 
Teil unzersetzt als Atoxyl. Die unangenehmen Zufälligkeiten 
sind vielleicht auf die Zersetzung zurückzuführen. Am ersten 
Tag nach der Einspritzung wird über die Hälfte des Atoxyls 
wieder ausgeschieden, einige Tage nachher nur noch wenig, nicht 
einmal 1 °/oo der eingespritzten Menge. Von dem retinierten Atoxyl 
ist ungefähr 2 /3 im Blut, Vs im Gewebe enthalten. — Arsenige 
Säure wird bedeutend langsamer ausgeschieden. Die Wirkung 
des Atoxyls tritt schneller ein, die der arsenigen Säure ist jedoch 
nachhaltiger. 

9. Wenn auch das Arsenik in keinem Stadium der Syphilis 
imstande ist, das Hg zu verdrängen oder voll zu ersetzen, schon 
mit Rücksicht auf die mangelnde Wirkung im Sekundärstadium 
und die schnellen Rezidive, so scheint es doch am Platze bei 
Idiosynkrasie und Intoleranz gegenüber Hg oder bei Wirkungs¬ 
losigkeit von JK; ferner bei Rezidiven kurz nach Beendigung 
einer Hg-Kur; weiterhin bei hartnäckigen lichenartigen, tuberösen 
und ulzerösen Formen und bei schweren Hautformen der Lues 
maligna; besonders auch bei der Kombination von Lues mit ander¬ 
weitigen nicht spezifischen Dermatosen, wie Psoriasis und Lichen 
ruber ; bei Kombination von Lues und Tuberkulose; bei anämischen ? 


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i«2 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 





äbgemagerten und neurasthenischen Individuen; schließlich in allen 
Fällen, in denen, man aus äußeren Gründen eine Hg-Kur zu ver¬ 
meiden sucht. Rosenthal verendet ’teiüe 2ty>ige Lösung: Aeid-* 
arsenicos 0,8, Acoin 0,12, Ag. dest. 40,0, Thymol 'q. s. B. 'eifl'e 
halbe Stunde kochen lassem Von dieseir Lösung gibt man am 
ersten Tag einen Teilstrich der Praväzspfcitze, jeden dritten Tag 
einen Teilstrich mehr bis zu acht Teilstrichen = 0,016 Arsen. 

Rosenthal gibt dem Arsen den Vorzug vor dem Atoxyl, 
da das letztere schwere dauernde Intoxikationserscheinungen her- 
vorruft Und die Toleranz außerordentlich verschieden ist. 

10. Durch die Untersuchungen der letzten Jahre hat die 
Dehne von der Syphilis große Fortschritte gemacht, insbesondere 
'durch die Möglichkeit der UebeTtragung auf Tiere, durch die 
Entdeckung der Spirochaeta pallida Und die Serodiagnose der 
Syphilis. 

Durch die Inokulätionsfliöglichkeit, die nicht nur bei Affen* 
'sondern auch bei Kaninchen, Hunden und Schafen in der vorderen 
'Augenkammer Vorhanden ist, hat man festgestellt, daß das Blut 
von Syphilitischen schon in der sechsten Woche nach der Infek¬ 
tion, a^so mehrere Wochen vor dem Auftreten der Sekundär- 
'erseh'einungen, auf Affen überimpft, Syphilis erzeugt, also Syphilis¬ 
virus führt. Es ist durch Inokulation die Infektiosität des Gummi 
nachgewiesen und damit die Tatsache, daß auch die tertiären Er¬ 
scheinungen durch das Syphilisvirus bedingt sind. Auch die 
fakultative Infektiosität des Spdrmä wurde durch Impfung nach¬ 
gewiesen. Die Inmmnitätsfrag'e wurde revidiert. Denn es wurde 
festgestellt, daß nicht fitir längere Zeit nach der ersten Impfung, 
■sondern auch noch längere Zeit nach dem Ausbruch des ersten 
Frimäraffektes eine Inokulation möglich <L h. noch keine ^Ug^mCine 
-Immunität eingetreten ist» | 

Das Dogma vq^ der absoluten Immunität des Syp’hilifi^dhen j 
ist unhaltbar. Die Immunität ^reicht ihren HÖhflpünkt, wenn | 
die Rezidive aufhören, und nimmt danlü laügSäm Meder ab. j 

Durch die Tierpässage ist dirie Veränderung des Virus nicht j 
aufge/cretem betreffs Schützh’.mpfung ist noch nichts ‘erreicht. 

Betreffs der individuellen Prophylaxe fest sich gezeigt, daß 
3'0'% ige Kalömelsalbe, 1 bis 20 Stunden nach der Impfung ein¬ 
gerieben-, nieist Erfolg hatte-. Die Exzisionsversuche waren Ün- 
:gefäkr in der Hälfte der Fälle positiv, gleichgültig ob frühzeitig oder 
später exzidiert wurde. Konzentrierte Karbolsäure, 3°/oo Sublimat 
\md Kalomel machten die Inökülätion unwirksam, nicht jedoch 
1 °/oo Sublimat und Kalomeisalbe. 

Durch die Entdeckung der Spirochaeta pallida ist die Mög¬ 
lichkeit der frühzeitigen Diagnose des Primäraffektes Vör Eintritt 
'der Induktion gegeben. Die Züchtung der Sp-. pallida ist noch 
nicht gelungen. 

11. Bei Hautaffektionen, die direkt an gastrointestinale Stö- 
i ungen gebunden sind oder durch infektiöse Agentien hervor- 
gerufen werden, fern'ör bei Folgeerscheinungen des Diabetes 
empfiehlt Winnenberger die Hefe, besonders in Form der 
Levurinose. 

y 12. Man muß nach G. Klemperer die Phosphaturie in zwei 
Haup'tgruppen teilen. Die erste Hauptgruppe ist bedingt durch 

ammoniakalische Zersetzung des Urins infolge von Bakterien¬ 
wirkung. Ammoniak wird frei und fällt die Phosphate aus. In 
diesen Fällen sind Medikamente indiziert, welche dem Urin 
bakterienfeindliche Eigenschaften verleihen, besonders Urotropin. 
Dieser Gruppe steht als zweite Hauptgruppe die aseptische Phos¬ 
phaturie gegenüber, bei welcher der Urin durch die ausgefällten 
Phosphate getrübt wird, ohne daß Ammoniak freigeworden ist. 
Bei dieser Gruppe sind zwei Unterabteilungen zu unterscheiden. 
Die erste Unterabteilung ist bedingt durch die Aenderung der 
Reaktion des Urins infolge von gastrischen Störungen, und zwar 
durch abnorm lange Retention der Salzsäure im Magen: gastro- 
gene Phosphaturie. Sie ist nervösen Ursprungs. —- Bei der zweiten 
Unterabteilung handelt es sich um Kalkavidität der Niere. Durch 
verminderte^Kalkzufuhr in der Nahrung läßt sich diese Kalkari- 
urie beeinflussen, was sich jedoch praktisch nicht verwerten läßt. 
Praktisch^hat sich jedoch die Darreichung von Oxalsäure bewährt 
(dreimal täglich je 0,3 mit 3,0 Natr. bicarbon. in 200 Wasser 
gelöst), welche die Kalkavidität der Niere schon in geringen 
Mengen beeinflußt. 


Referent: Dr. W. Eschj Bendorf a; Rkt 

1. Grundzlige dei: Ernätrungsfiiterafcie äuf Öriind der fihetgie- 
apännung der Nahrung. Von Dr. M. Bircher-Benner, Zürich. 

2» umgi Aufl. Berlin 1906 0. Salle. 218 S; , 

2. Fleischkost, fleischloste find Vegetärisbhe Biäfc Von Prof, 

Bornstein, Leipzig. Münch', med. Wbcheflsehri 1908, Nr s 14 
'(Sitzungsbericht)'. ,. ^ ^ . 

3. Veherfilttbruhg. Von Dr. M. Lungwitz. Med. Woche 

1907, Nr. 33 und 34. _ C1A .„ . 

4. Zur Ernährungslehre. Von San.-Rat Dr. Stille, Stade. 

Aerztl, Rundsch. 1908, Nr. 1 und 2. t . . 

1. Nach der z. Z. noch herrschenden, von Liebig inaugu¬ 
rierten Ernährungstheorie wird, so führt Bircher-Benner aus, 
der Eiweißgehalt der Nahrung als Maßstab ihres Nährwertes, die Aus¬ 
nutzbarkeit im Darm als ihr Hauptvorzug ^trachtet und man 
glaubt, dureh übermäßige Nahrungszufülff deii Ernährungszustand 
verbegerp 2p ^ÖflheA 

Hierbei J&k inan aber, wie aus den Forschungen von Bungöj 
Förel, Gaule, Ostwald, Rubner hervorgeht, den Stoffansaiz 
oder -ersatz zu ungunsten des Energieverbrauchs viel zu sehr über¬ 
schätzt. Mit Ausnahme eines kleinen Teils* etwa 4%* der Nahrung 
(= 30—40 g Eiweiß pro Tag), der zur Erkaltung der. lebenden 
Substanz dient* rechnet der t&gafiis'hi'us ’flüir ntil dem Ehbrsdb- 
inhalt der ^‘Ü^ef’ökrtbh Stpffe, Die gibßtafle 
nemmeben Eiweißes Wird nicht zh ö^äfieiw'eiß, sondern .es werden 
die äus 'dein Däifh äb^e'nö'ihnfeneh Eiiweißtrun^mer, im Blute, noch 
^eitbf ges^älfefl find £wkr ifi einen wertlosen N-haltigen,Rest hpä 
ifl ein Kohlehydrat. Durch Vermehrte Eiweißzufuht wim der Eb- 
nährufigszustäfld flieht VeirbeSSeH?* ^blih^hf, reagiert der Organismus 
mit Öxydatiöh^Steigerüng gegen die Nährunffsüberschüsse. ( , Sie 
stellen also eine - unnötige Belastung, -seiger fißgulatgren dar, es 
kommt u. a. zu „Notregulationen“, z. Ä Fett^blägekun'^i • p 

Bei der Lehre Vop .der. Energie der Nahrung gelten nach.B. 
die Fünda^entäfiätze, daß jede 'Zu s t an d sänder ung eines.Stoffes 
auchbine Aen derung seines Energie-Inhaltes darstellt und 
daß die lebendige Kraft des Geschehens proportional., der, Stär^öj 1 
oder Potentialdifferenz ist. Aufspeicherung veh EübrgiÖ nüdei 
aber wesentlich nur im Pflanzenreiche statt, indem die Pflanzen 
unter dem Einflüsse des Sonnenlichtes, das eine strahlende Energie 
Von Sehr hohem Potential, d. h. von einer starken, leicht in Kraft sich 
Ümsetzenden Spannfähigkeit ist, die organischen Moleküle aufbauen. 
Der Weg dieser Moleküle durch den Tier- und Menschenleib, der 
seinerseits Sonnenenergie etc. nicht in dem Maße anfspeichert, ist 
daher mit einem Sinken der Spannkraftunterschiede verbunden, und 
so wird die Fähigkeit, biologische Arbeit zu leisten, bei jeder 
neuen Phase des Umwandlungsprozesses auf diesem Wege geringer. 
Dazu kommt noch die Schädigung durch den Absterbe-* Koch-* 
Backprozeß etc. 

Aus diesen Gründen unterscheidet B. bei den Nahrüngsinitielfi 
verschiedenwertige Akkutüülatoreh der chemischen Enfergib je fläch 
der Potentialstärke, üämlich Akkumulator eil erster, zWteitei? 
und dritter Ordnung. Zur ersten Kategorie Zählt er die ifl 
natürlichem Züstande genießbaren Nahrungsmittel (Baümfrächte, 
Nüsse, Beeren, Wurzeln, Salate, rohe Milch, Eier), zur zweiten 
solche mit mäßigen Zustandsveränderungen durch Äbsterben und 
Erhitzen (Brot, gekochte Pflanzennahrung, gekochte Milch, frischer 
Käse, gekochte Eier), zur dritten solche, bei denen es zu stärkeren 
Umwandlungsprozessen gekommen ist. Hierhin gehört vor allem 
das Fleisch. (Auch die Pilze, die sich aus vorhandener Energie 
auf bauen, selbst aber keine Sonnenenergie auf speichern, sind bis-» 
her stark überschätzt worden.) 

Die „kräftigende“ Wirkung der Fleischnahrung wb4 z - T. 
durch die in ihr enthaltenen Reizstoffe vorgetäuscht. In Wirk¬ 
lichkeit hat die einseitige Ernährung mit den niedrig gespannten,; 
energetisch mehrfach geschwächten animalischen Stoffen zur Folge, 
daß „der Energiestrom sich in trägen Fluten dahinwälzt, daß sein 
Bett verschlammt, seine Leistungen zu .wünschen «übrig lassen“. 
Das zeigt sich zuerst in Allgemeingefühlen,' Müdigkeit, Erschwerung 
des Denkens.etc. |Dann in funktionellen Störungen der Organe, 
des Kreislaufs, der Nieren, der Haut, des Atmungs-, Verdauungs-. 
und Nervensystems. 


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1 Bei längerer Datier dieser Störungen wird auch die Beschaffen¬ 

heit der Organe geschädigt, namentlich die der inneren Drüsen, 
der Regulatoren des Energiestroms. Der Körper bedient sich der 
Notregulation, es entstehen Fettablagerung, chronischer 
Rheumatismus, Gicht, Diabetes mit ihrer Nichtverwertung energe¬ 
tischen Materials, dessen Reste teils im Körper zurückbehalten, teils 
unverbraucht ausgeschieden werden. Hieran schließen sich [die 
Stadien des Organzerfalls. Gleichzeitig sinkt natürlich auch die 
Widerstandskraft des Organismus gegen toxische und bakterielle 
Einflüsse. 

Aus diesen Grundanschauungen baut B. eine wohldurchdachte 
energetische Pathologie und Therapie auf, deren Studium wegen 
der enormen Wichtigkeit des Gegenstandes nur empfohlen werden 
kann. 1 

2. Bornstein betont, daß die lakto-vegetarische Kost bei 
geeigneter Zubereitung der gemischten gleichwertig sei. Während 
eine vernunftgemäß gestaltete gemischte Kost keinerlei Schädlich¬ 
keiten berge, sei die einseitige Deckung des oft allzu hoch ge¬ 
steckten und überschätzten Eiweißbedarfs durch große 
Mengen Fleisch (das wegen seines Wohlgeschmacks und seiner 
Variationsmöglichkeit so beliebt ist) überflüssig und schädlich. Vor 
allem müssen die im Fleisch vorhandenen Reizstoffe und Harn¬ 
säurebildner in kranken Tagen, wo die Darmfäulnis und die Auto¬ 
intoxikationsgefahr besonders zu berücksichtigen sind, vermieden 
bezw. vermindert werden. Besonders bei Hysterie, Neura¬ 
sthenie, Neuralgien, Gicht, Diabetes werden die Patienten leider 
immernoch, und zwar namentlich in den Sanatorien, zu Fleisch¬ 
fressern erzogen. Fleischlose aber milcheiweiß- und milchfett¬ 
reiche Kost empfiehlt Bornstein bei Hyperazidität, Ulkus 
ventrikuli, chronischen Diarrhöen, verschiedenen Hautkrankheiten 
und Anämien. 

Er plädiert endlich für ärztliche Aufklärung des Volkes darüber, 
daß im Fleisch weniger der Nährwert alsder Wohlgeschmack und die 
Abwechselungsmöglichkeit bezahlt werde und daß man auch ohne 
Fleisch' sehr gut existieren könne, während anderseits Gewöhnung 
an zu große Fleischmengen, ebenso wie Alkoholismus und Koffei¬ 
nismus, den Menschen zum Sklaven mache, ihn zum „Kamismus“ 
führe. 

3. Lungwitz geißelt in trefflicher Weise die leider immer 
noch übliche, von der Wiege bis zur Bahre andauernde Ueber- 
fütterungssucht, durch die unsere Nahrungsmittel zu Giften für den 
Organismus werden. Namentlich aus der viel zu sehr überschätzten 
Fleischkost bilden sich Toxine, Produkte gesteigerter Darmfäulnis 
und verringerter Oxydationsvorgänge im intermediären Stoffwechsel 
mit ihren vielfachen nachteiligen Folgen für den Körper. „Und 
wie einfach und logisch ist doch der Schluß: Vermag der Säug¬ 
ling, der innerhalb eines Jahres sein Gewicht verdreifacht, mit 
einer einprozentigen Eiweißlösung seinen Bedarf zu decken, wie 
viel eher reicht der Prozentsatz Eiweiß aus, um den Bedürfnissen 
des heranwachsenden Körpers, der weniger rasch zunimmt und 

. eine kleinere Oberfläche hat, zu genügen!“ 

Nachdem eine immer größere Anzahl Autoren (es seien noch 
erwähnt Bachmann, Bälz, Bohn, Ohittenden, Czerny, 
Esser, Finkeistein, Feer, Hauser und Langstein, 
Meyer-Bemstadt etc.) die „Eiweißnährschäden“ betont haben, ist 
es nunmehr an der Zeit, sich von der durch Liebig, Voit etc. 
inaugurierten Eiweißüberschätzung freizumachen und überhaupt in 
der Emährungsfrage den Ergebnissen der neueren biologischen 
Forschungen gerecht zu werden. 

4. Zu ähnlichen Ergebnissen wie die vorgenannten Autoren 
kommt auch Stille. Er resümiert folgendermaßen: 

Es treten mehr Gesundheitsschädigungen ein durch Ueber- 
emährung als durch die nach Vorgang von Moleschott so sehr 
gefürchtete Unterernährung. Die Reform unserer Ernährungs¬ 
lehre ist eine der wichtigsten Aufgaben der physiologischen und 
hygienischen Wissenschaft. 

Die Kalorienlehre ist ungenügend zur Beantwortung der Fragen 
nach Art und Menge der nötigen Nahrungsmittel. 

Im Gegensatz zu Rubner ist zu betonen, daß die Ueber- 
- ernährung nicht gesundheitlich irrelevant ist, sondern vielmehr 
eine sehr häufige Eirankheitsursache darstellt. Die Frage nach 
.dem Nahrungsmittelbedarf muß durch experimentelle Untersu- 

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chungen, wie (Bälz und) Ohittenden sie angestellt haben, ge¬ 
löst werden, da die Richtigkeit der von Voit aufgestellten 
Zahlen völlig unbewiesen ist. Es steht vielmehr nach Chittendens 
Untersuchungen fest, daß namentlich der Eiweißverbrauch ohne 
Schädigung der Leistungsfähigkeit und Gesundheit bedeutend nie¬ 
driger sein darf. 


Militärsanitätswesen. 

Referent: Dr. Th. Peltzer, Generaloberarzt a. D. in Steglitz. 

1. Das Erkältungsproblem. Von Stabsarzt Priv.-Doz. Dr. 
Menzer. Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1908, Heft 1. 

2. Die Neugestaltung des zahnärztlichen Dienstes im Kriege. 
Von Stabsarzt Dr. Georg Schmidt. Ibidem, Nr. 2. 

1. Nicht nur im militärischen, sondern auch im zivilen Leben 
spielt die Frage, ob eine Krankheit bezw. die sich an sie an¬ 
schließende Invalidität durch „Erkältung“ entstanden ist oder 
überhaupt entstanden sein könne, von jeher eine große Rolle. 
Naturgemäß tritt diese Frage, so schwierig zu entscheiden und so 
bedeutungsvoll sie oft ist, am häufigsten an den Militärarzt heran ; 
ist doch der Soldat wie kein anderer durch den Dienst gezwungen, 
sich rücksichtslos „Erkältungen“ auszusetzen. Trotzdem ist sie 
als ätiologisches Moment für die Erzeugung von Eirankheiten von 
Hippokrates bis zu dem heutigen Stande der Bakteriologie Problem 
geblieben. Im Lichte dieser galt es seinerzeit als unwissenschaft¬ 
lich, überhaupt von „Erkältung“ zu sprechen, es war alles „In¬ 
fektion“. Magelssen wurde sogar wegen seiner Meinungen 
über die Bedeutung des Wetters als Krankheitsursache, die er 
1894 in seinem Buche „Wetter und Eirankheit“ vortrug, von der 
Universität Christiania auf Veranlassung der Professoren der Bak¬ 
teriologie und Hygiene des Doktortitels für unwürdig erklärt und 
sah sich infolgedessen genötigt, von der Leitung eines Bades zu¬ 
rückzutreten. Und doch erscheint es ausgeschlossen, das Problem 
allein vom Infektionsstandpunkt aus zu lösen. Wenn im Manöver 
eine Anzahl Leute an Husten und Schnupfen, andere an schwerer 
Angina, Gelenkrheumatismus, Lungenentzündung usw. erkranken, 
so müßte vom Infektionsstandpunkte aus jede Gruppe einen be¬ 
sonderen Krankheitserreger in sich aufgenommen oder der Einfluß 
der Witterung die vielleicht schon bei jeder vorhandenen ver¬ 
schiedenen Erreger virulent gemacht haben. In diesem Gedanken¬ 
gang weitergehend, gelangt M. kurz zu folgender theoretischer 
Erklärung der Erkältung als Krankheitsursache: Die von den 
oberen Luftwegen ausgehenden Erkältungskrankheiten entstehen 
vorwiegend durch Invasion parasitärer Bakterien auf dem Boden 
einer Konstitutionsschädigung. Letztere entsteht dadurch, daß 
Kälte und stark bewegte Luft wärmeentziehend und anämisierend 
auf die Schleimhaut der oberen Luftwege wirkt, dadurch die 
Schutzvorrichtungen gegen das Eindringen der Bakterien schädigt 
und somit die Bedingungen für deren Invasion schafft. Die dann 
folgende Krankheit (Schnupfen usw.) ist Ausdruck der Heilreaktion 
je nach der Widerstandsfähigkeit des Organismus. Die Prophy¬ 
laxe besteht in Uebung der Haut und allgemeiner hygienischer 
Lebensweise. Dienstbeschädigung wird nur anzunehmen sein, 
wenn die Krankheit bald auf die Erkältung folgt und diese einen 
gesundheitschädlichen Einfluß auch wahrscheinlich macht. 

2. Wie die oberen Luftwege, bilden auch kranke Zähne eine 
nicht seltene Eingangspforte für pathogene Keime. Nachdem 
schon nach dem Kriege von 1870/71 eine Reihe von Kiefer¬ 
verletzungen zahnärztliche Mitwirkung nötig gemacht hatte, war 
zum ersten Mal 1900 dem Expeditionskorps nach Ostasien ein 
Zahnarzt beigegeben, der in einer zahnärztlichen Werkstatt eines 
Lazaretts in Tientsin ein umfangreiches Arbeitsfeld fand (vom 
10. Juni 01 bis 30. Sept. 05 2730 zahnärztliche Verrichtungen, 
darunter 962 Füllungen). Ferner war von Mitte 1904 den 
deutsch-südwestafrikanischen Truppen ein Zahnarzt beigegeben, 
auch waren von den zugehörigen Sanitätsoffizieren zwei zahnärzt¬ 
lich ausgebildet. Nunmehr ist der zahnärztliche Dienst beim 
deutschen Heere auch für Kriegszeiten innerhalb Europas geregelt 
(Kriegssanitätsordnung vom 27. Januar 07). Bei den Kriegs- 
lazarettabteilungen (eine für jedes mobile Armeekorps) im Bereiche 
der Etappeninspektionen befindet sich je ein zum Sanitätspersonal 
und zu den oberen Beamten gehörender Zahnarzt, der auch die 

Original ffom 

UNIVERSSTf OF MICHIGAN 





i64 


tfffeitAPEÜTISCHE RUNDSClAÜ. t}r. iö. 


Neutralitätsbinde trägt und dessen unmittelbarer Vorgesetzter der 
rangälteste Sanitätsoffizier der Kriegslazarettabteilung ist. Von 
hier wird er nach Bedarf in ein Feld-, Orts-, Kriegs-, Etappen¬ 
oder Seuchenlazarett abkommandiert. Im Garnisonlazarett des 
Standortes, in welchem die Kriegslazarettabteilung aufgestellt 
wird, befindet sich schon im Frieden ein zahnärztlicher Kasten, 
mit dessen Inhalt sich schon im Frieden bekannt zu machen den 
für den Mobilmachungsfall in Aussicht genommenen Zahnärzten 
Gelegenheit gegeben wird. Diese ergänzen sich aus dem Be¬ 
urlaubtenstande oder auch aus nicht dienstpflichtigen, vertraglich 
verpflichteten Zahnärzten. Ihre Uniform ist noch nicht bestimmt, 
wahrscheinlich wird es mit Abänderungen die der Oberapotheker. 
Das Mobilmachungsgeld beträgt 250, die monatliche Kriegsbesol¬ 
dung 300 M. Uebrigens werden seit einer Reihe von Jahren 
auch die Studierenden der Kaiser-Wilhelms-Akademie in einfachen 
Hilfsleistungen bei Zahnleiden und in ihrer Erkennung unter¬ 
richtet. 


Mitteilungen über Arzneimittel. 


Enesol (salizylarsensaures Quecksilber). 

Von Dr. W. Krüger. Magdeburg. 

Bei der Behandlung der Syphilis spielt jetzt das Arsen 
eine große Rolle, und es ist bekannt, eine wie große Bedeutung 
das Atoxyl in letzter Zeit erlangt und welche Erfolge die An¬ 
wendung dieses Präparates erzielt hat. Die Arsenmedikation 
in der Behandlung der Lues ist ja schon alt, aber sie wurde 
doch nur in den Intervallen zwischen den einzelnen Queck¬ 
silberkuren mehr zur Stärkung und Kräftigung des Organismus 
als zur eigentlichen Bekämpfung der Seuche, also als spezifi¬ 
sches Mittel angewendet. Nun wurde vor einigen Jahren ein 
neues Mittel in den Handel gebracht, das eine innige Ver¬ 
bindung von Arsen und Quecksilber darstellt und somit schon 
an sich zur Behandlung der Lues eine rationelle Erfindung und 
eine Bereicherung unseres Arzneischatzes in der Bekämpfung 
dieser Krankheit zu sein scheint. Dieses Präparat ist „Enesol“, 
salizylarsensaures Quecksilber. 


Schmerzen an den Injektionsstellen, währen^ solche nach Ein¬ 
spritzungen mit Hydrarg. thymol. sich stets eingestellt hatten. 
Diese Eigenschaft würde natürlich bei gleicher therapeutischer 
Wirksamkeit sehr zu Gunsten des Enesol in die Wagschale 
fallen. 

Die günstige Verbindung des Quecksilbers mit Arsen im 
Enesol wurde schon oben betont; sie wird von Bloch und 
Kamprath besonders hervorgehoben. Letzterer konnte bei 
Blutuntersuchungen das Emporschnellen der Zahl der roten 
Blutkörperchen, das Absinken der weißen und Zunahme des 
Hämoglobingehaltes feststellen. Er schreibt dieses dem Arsen 
zu, da er in Fällen von Syphilis gravis Hebung des Allgemein¬ 
befindens und Körpergewichts, besseres Aussehen und größere 
Heilungstendenz beobachtete. Kamprath glaubt auch, daß 
die Begleiterscheinungen der Eruptionsperiode bei Enesolbehand- 
lung schneller zum Schwinden gebracht werden. 

Das Enesol hat zwar einen etwas geringeren Quecksilber¬ 
gehalt als die meisten der gebräuchlichen Quecksilberprä¬ 
parate; er ist dem des Bijodids annähernd gleich. Da aber 
das Enesol eine viel geringere Toxizität besitzt als die anderen 
Hg-Salze, so kann man viel größere Mengen verabfolgen, als 
es bei jenen möglich wäre. Versuche haben ergeben, daß das 
Enesol in täglichen Dosen von 0,03 bis 0,18 g verwendet 
werden kann. Am zweckmäßigsten ist eine Dosis von 0,06 g 
pro die. Man wendet das Mittel in intramuskulären Injektionen 
nach gehöriger Reinigung der Applikationsstelle an, und zwar 
in Serien von 10 bis 20 Tagen, die durch Pausen getrennt sind, 
jeden Tag eine Spritze (1 bis 6 ccm). Als Injektionsstelle 
eignet sich am meisten die Glutäalgegend. Das Enesol wird 
in Ampullen zu 2 ccm (ä 0,06 Enesol) abgegeben, was die 
Verabreichung sehr erleichtert. Trotz der geringeren Toxizität 
sollten aber die nötigen Vorsichtsmaßregeln, wie auch bei jeder 
anderen antiluetischen Kur mit einem Quecksilberpräparat, nicht 
außer acht gelassen werden. 

Wenn auch eine Allgemeinanwendung des neuen Mittels 
wegen des hohen Preises desselben (ein Karton mit 10 Ampullen 
zu 2 ccm kostet 4 M.) noch nicht möglich ist, scheint es doch 
angebracht, die Aufmerksamkeit der Aerzte auf dieses Präparat 
zu lenken, da es in der Privatpraxis wegen seiner Handlich¬ 
keit, großen Wirksamkeit, wegen des Mangels an Schmerzen 
nach den Einspritzungen sehr wohl Verwendung finden kann. 


Die Versuche mit diesem neuen Mittel, über das zuerst 
Coignet 1904 in der Sitzung der Sociöte de Mödecine natio¬ 
nale in Lyon berichtete, haben zahlreiche weitere Arbeiten 
über dasselbe hauptsächlich von französischen, aber auch deut¬ 
schen und italienischen Autoren hervorgerufen, die zu weiteren 
Versuchen entschieden ermutigen. 

Das Enesol. ist ein weißes Pulver, das in Wasser und 
Alkohol löslich ist. Die Lösungen sind farblos, bringen Eiweiß 
nicht zur Gerinnung und geben mit den üblichen Reagentien 
des Arsens und Quecksilbers keinen Niederschlag. Der Hg- 
Gehalt beträgt 38,46 % metallisches Quecksilber, der des Arsens 
14,4 %. Bei. diesen hohen Zahlen sollte man glauben, daß 
das Enesol eine starke Giftwirkung besitze; dem ist aber nicht 
so. Denn Coignet hat einem 2,6kg schweren Kaninchen 
X U g des gelösten Salzes auf einmal eingespritzt, ohne die ge¬ 
ringsten Störungen bei dem Tiere zu bemerken. Erst dreimal 
täglich die gleich große Dosis war imstande, das Kaninchen zu 
töten, also 0,3 g des Salzes (= 0,114 g Quecksilber) pro Kilo 
des Tieres. Bei Anwendung des Quecksilberbijodids würden 
dagegen schon 0,0045 g genügen, um die Vergiftung eines 
gleich schweren Kaninchens zu bewirken. Die Ausscheidung 
des Enesol findet durch den Harn statt, und zwar fand Gold¬ 
stein, daß schon zwei Stunden nach der ersten Injektion des 
Mittels Quecksilber im Urin zu finden war; nach 24 Stunden 
war es kaum noch nachzuweisen. 

Die Injektionen werden, wie die Autoren ziemlich über¬ 
einstimmend angeben, gut vertragen und rufen in den meisten 
Fällen nur wenig oder gar keine Schmerzen hervor. Diese 
Berichte stimmen mit den Erfahrungen des Referenten überein. 
Auch er beobachtete bei einem Kranken, der mitEnesolinjektionen 
behandelt wurde, niemals Infiltrate, selten das Auftreten von 


Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. Beitrag zur Kenntnis der Resorption der Quecksilber¬ 
salze mit besonderer Berücksichtigung des Mergals. Von Dr. 
Fürth. Oesterreich. Aerzte-Zeitg., 1908, Nr. 1. 

2. Ueber eine neue, Arsen und Phosphor enthaltende Eisen¬ 
verbindung. Von Prof. Salkowski; Geh. Med.-Rat, Berlin. 
Berl. klin. Wochenschr., 1908, Nr. 4. 

3. Wissenschaftliche Mitteilungen über Rino-Heilsalbe. Von 
Dr. Zernik. Apotheker-Zeitg., 1908, Nr. 7. 

4. Ueber Kakao. Von Dr. F. Müller-Basel. Pharmaz. 
Zeitg., 1908, Nr. 6. 

5. Neue Arzneimittel. Von Dr. Zikel. Zeitschr. f. neuere 
physikal. Mediz., 1908, Nr. 8. 

6. Oeffentliche Warnungen vor Arzneimitteln. 

1. F. hat bei 17 Fällen von Syphilis in verschiedenen Stadien 
der Erkrankung Mergal angewendet und befürwortet auf Grund 
seiner Erfahrungen die Verwendung dieses Mittels, das der Inunk- 
tions- und der Injektionskur nicht nachsteht. F. hat die ausge¬ 
schiedenen Hg-Mengen bei der Mergaldarreichung untersucht und 
gefunden, daß bei Verabreichung kleiner Dosen die Menge des 
ausgeschiedenen Quecksilbers verhältnismäßig größer ist als bei 
großen Mergaldosen — vermutlich, weil im letzteren Falle leichter 
Diarrhöe eingetreten ist und dadurch ein großer -Teil des ein¬ 
geführten Quecksilbers gar nicht oder nur zum geringen Teile 
resorbiert werden konnte. F. hat aber gefunden, daß bei geringen 
Dosen das Mergal. wochenlang gegeben werden kann, ohne daß % 
Intoxikationserscheinungen auftreten. Es scheint daher zu längerer 
Darreichung recht geeignet. Mehr als seohs Kapseln täglich 


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1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


165 


dürfen aber nicht verabreicht werden. Sollten dann schon Darm¬ 
störungen sich zeigen, ’ kann man kleine Dosen von Opium oder 
Tannalbin anwenden. F. führt mehrere Krankengeschichten an, 
aus denen ersichtlich ist, daß drei Kranke in 74, 80 und 107 
Behandlungstagen je 234 Mergalkapseln genommen haben. 

2. Von der Anschauung ausgehend, daß das in den mensch¬ 
lichen Körper eingeführte Arsen sich daselbst in Verbindungen 
ablagert, die den phosphorhaltigen Nukleoproteiden ähnlich sind, 
da es selbst bei Einverleibung großer Dosen nur zu einem kleinen 
Bruchteile im Harn und Kot gefunden werden kann, hat es S. 
unternommen, zu versuchen, ob nicht die Herstellung ähnlicher 
Verbindungen außerhalb des Organismus möglich sei. Denn wenn 
dies gelänge, könnten eventuell neue therapeutische Mittel zum 
Vorschein kommen. In der Tat ist es nun S. gelungen, eine 
Phosphor und Arsen enthaltende Eisen Verbindung herzustellen, in 
welcher das Arsen locker gebunden und in großen Mengen ent¬ 
halten ist. Bezüglich der Giftigkeit dieser Verbindung, der die 
Firma Knoll & Oo. den Namen Arsenogen gegeben hat, kann S. 
ein bestimmtes Urteil noch nicht abgeben. Kaninchen erhielten das 
Mittel ,in alkalischer Lösung per os, ohne die geringsten Symptome 
zu zeigen. Nach den Untersuchungen zu urteilen, die Prof. Mosse 
mit der Mischung dieses Mittels mit Triferrin (paranukleinsaurem 
Eisen) in schwach alkalischer, durch aromatische Zusätze vor dem 
Verderben geschützter Lösung („Arsentriferrol u ) gemacht hat, 
scheint das Mittel von guter Wirkung zu sein. Denn es zeigte 
sich nach längerem Gebrauch Besserung des Allgemeinbefindens 
und des objektiven Befundes. Dabei wurde das Mittel gern ge¬ 
nommen und gut vertragen. 

3. Als vorzügliches Hausmittel gegen Hautleiden, Flechten, 
Geschwüre, Beinschäden wird von der Firma Rieh. Schubert & Co. 
in Weinböhla i. S. in Inseraten und Prospekten ein Mittel an¬ 
gepriesen, das als Rino-Heilsalbe bezeichnet wird. Davon werden 
Dosen zu 1 bezw. 2 M. verkauft. Auf der Umhüllung steht, 
daß die „von Gift und Säure freie“ Salbe bestehen soll aus: 
Bienenwachs, Naphthalan je 15, Walrat 20, Benzoefett, Ven. Terp., 
Kampferpflaster, Perubalsam je 5, Eigelb 30, Chrysarobin 0,5. 
Die Untersuchung einer Dose zu 1 M. hat aber ergeben, daß 
diese Angaben in wesentlichen Punkten unzutreffend sind. Denn 
Z. fand, daß die weiche, hellbraune, nach Wacholderteer riechende 
Salbe im wesentlichen ein Gemisch aus Terpentin und Oleum 
Cadinum darstellte mit etwa 1 % Borsäure, 6 bis 7 % Eigelb und 
einer indifferenten Salbengrundlage. 

Es mag nicht unerwähnt bleiben, daß nach einer Notiz in 
der „Süddeutsch. Apothek.-Zeitg., 1907, S. 676, in einer Schachtel 
Rino-Heilsalbe x /2 bis 1 qcm große, scharfe kantige Stücke Eier¬ 
schalen enthalten waren, durch welche sich ein Käufer beim Ein¬ 
reiben Verletzungen zugezogen hatte. 

4. Die Frage, ob fettreicher oder fettarmer Kakao dem 
menschlichen Organismus besser bekomme, hat zu scharfer Polemik 
geführt, an der sich Mediziner ebenso wie Nahrungsmittelchemiker 
beteiligt haben. Obwohl zwar diese Frage bis heute noch nicht 
definitiv beantwortet ist, geht es aus den eingehenden Unter¬ 
suchungen hervor, daß die Gründe, die man gegen den fettarmen 
Kakao vorgebracht hat, nicht stichhaltig genug waren, um ihn 
dem Verkehr zu entziehen. Denn der nach besonderem Ver¬ 
fahren stark entfettete Kakao (ca. 15% Fettgehalt) hat ebenso 
seine Existenzberechtigung wie der auf 25 bis 30% entfettete. 
Es ist also Geschmacksache des kaufenden Publikums, ob es diesem 
oder jenem Kakao den Vorzug geben.will; denn nicht in dem 
Kakaofett, sondern in der fettfreien Kakaomasse sind diejenigen 
Stoffe zu suchen, die das Aroma und die anregende Wirkung auf 
den menschlichen Organismus ausüben, höchstens daß sie in dem 
stark entfetteten Kakao angereichert Vorkommen. Das Fett 
wirkt nur als Verdünnungsmittel. 

5. Dr. Zikel empfiehlt das Wasserstoffsuperoxyd als 
hervorragendes Desinfiziens in der Krankenpflege und zur Reini¬ 
gung des Mundes. Zu letzterem Zwecke soll der Kranke das 
Mittel unverdünnt in den Mund nehmen, kräftig gurgeln und so¬ 
gleich wieder ausspeien. Dann erst wird mit Wasser nachgespült. 
Z. berichtet, daß im mikroskopischen Bilde an Stelle einestwüsten 
Durcheinander von Mundbakterien ein nahezu keimfreies Gesichts¬ 
feld aufträte. Der Effekt zeigt sich auch dadurch, daß der Foetor 

ex ore bald verschwindet. Doch ist darauf aufmerksam zu machen, 


daß sich durchaus nicht jedes H 2 O 2 für diesen Zweck eignet, daß 
sogar das offizinelle Präparat schädlich ist. Z. hält nach seinen 
Erfahrungen das von A r n d t s - Paderborn gelieferte Wasserstoff¬ 
superoxyd für das geeignetste und preiswerteste. 

Ferner wird dem St. Raphael-Wein unter den Medizinal¬ 
weinen am meisten der Vorzug gegeben, weil er die wirksamen 
Substanzen (Eisen etc.) trefflich verdeckt, so daß anämische Frauen, 
chlorotische Kinder und Mädchen ihn außerordentlich gern nehmen. 
Auch Wöchnerinnen haben ihn mit Erfolg genommen zwei Tage 
post partum. 

Vor dem Gebrauch des bekannten Haarwassers „Javol“ 
warnt Klose auf Grund eines beobachteten Kopfekzems mit 
fürchterlicher Ausbreitung und ödematöser Schwellung und Ent¬ 
zündung des Gesichts. 

Nach seinen Versuchen im Laboratorium Lommt Dr. Zikel zu 
dem Ergebnis, daß der Yoghurt nicht so sehr ein Prophylaktikum, 
sondern weit mehr ein direktes Heilmittel bei akuten Verdauungs¬ 
störungen ist, die mit Entzündungserscheinungen und abnormer 
Gasbildung einhergehen. Z. hat mit überraschendem Erfolge bei 
Diarrhöen Yoghurt viertelliterweise gegeben. Bei Obstipation hat 
er sich besser bewährt als die einfachen Gärungsprodukte der 
Milch. Die Anwendung des Yoghurt ersc 1 eint besonders erfolg¬ 
reich 1. als gern genommenes Nährpräparat anstatt Milch, die 
von Kranken oft verweigert wird, 2. bei übermäßiger Gasbildung 
im Magendarmkanal, 3. bei entzündlichen Prozessen im Verdau- 
ungstraktus. Z. stellte den Yoghurt in der Weise her, daß er in 
V 2 1 frischer Milch Vs Paket Trockenmilch stark und wiederholt 
auf kochte und dann in einem Tongefäß auf 50° abkühlte. Nun¬ 
mehr wurde in diese Milch l U des Röhrcheninhaltes gebracht, der 
sich als eine Mischung von Langstäbchen, Diplokokken und Strepto¬ 
kokken erwies. Dabei wurde dauernd umgerührt. Das Tongefaß 
wurde dann in einen improvisierten Brutschrank mit 40 bis 45° C 
gesetzt und 12 Stunden darin belassen. Es resultierte ein dicker, 
puddingartiger Brei von weißer Farbe und erfrischendem, aromati¬ 
schem Geschmack. 

6. Wir finden in der Pharmaz. Zeitg., 1908, Nr. 7 und 8, 
mehrere Warnungen vor Heilmitteln, deren Wiedergabe uns an¬ 
gebracht erscheint. So erläßt der Berliner Polizeipräsident unter 
dem 14. Dezember 1907 eine Warnung vor dem von dem „Ver¬ 
sandhaus Georheta“ (Inhaber Georg Pohl) in Schöneberg ange¬ 
priesenen Menstruationspulver Pohli. Das Mittel besteht 
aus römischen Kamillen, von denen eine gleiche Menge wie die 
angepriesene für 30 Pf. in jeder Apotheke zu haben ist. 

Das Polizeiamt Darmstadt erläßt zwei Warnungen vor Heil¬ 
mitteln. Die eine betrifft „Köhlers Emulsion, ein ideales 
Nähr- und Kräftigungsmittel für Kinder und Erwachsene“, das 
durchaus kein ideales Kräftigungsmittel ist. Es ist in jeder Apo¬ 
theke für den Rezepturwert von 2,35 M. zu haben, der Preis von 
6 M., mit Nachnahme 6,90 M., ist also um das Dreifache teurer. 

Ferner wird gewarnt vor den „Yalda-Pastillen“, die von 
Oanonne in Paris als einzig wirksames Mittel gegen Krankheiten 
der Atmungsorgane (Schwindsucht, „Lungengewächse“ und Asthma) 
angepriesen werden. Sie enthalten Eukalyptol und Menthol und 
unterscheiden sich nicht wesentlich von anderen derartigen Pastillen. 
Die beigelegte Wirkung besitzen sie nicht. 


Neuere Arzneimittel. 

Arhovin. Fabr.: Dr. Horowitz, Berlin. 

Ein Urteil Weinbergs über Arhovin, das er in der Wiener 
med. Presse 1907, Nr. 44 veröffentlicht hat, hat erhöhten W T ert, 
weil W. schon vor nahezu drei Jahren mit Brings zusammen 
seine Erfahrungen publiziert hat und von da ab dauernd Arhovin 
auf seine Wirksamkeit geprüft hat. Die gleichzeitige genaue 
Beobachtung der inzwischen stattlich gewordenen Literatur über 
Arhovin macht W. zu einem der berufensten Kritiker über das 
Mittel. Es ist darum um so erfreulicher, daß W. in der Lage 
ist, sich äußerst günstig über Arhovin auszusprechen. — |5 Nur so¬ 
viel möchte ich erwähnen, daß aus allen praktischen Versuchen 
einstimmig hervorgeht, daß das Arhovin zu sicherer Behandlung 
der Gonorrhöe verwendbar sei und daß es daneben als besonderen 
Vorteil keinerlei Reizerscheinungen von Seite irgendeines Organs 


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166 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. lö. 


veranlaßt, was man von den sonst zur Beliandlung vielfach emp¬ 
fohlenen Balsamizis nicht behaupten kanr. Selbst die in den 
letzten Jahren mit großer Präzision hergesteilton Präparate dieser 
Art, die ja unstreitig bedeutende Vorteile gegenüber ihren Vor¬ 
gängern aufzuweisen haben, sind nach den gesammelten Erfah¬ 
rungen doch nicht ganz frei von unangenehmen Nebenwirkungen 
auf Magen, Darm und Nieren. Suchen wir dagegen bei allen 
bisherigen Publikationen über Arhovin nach eiuor solchen Erfah¬ 
rung , so finden wir auch nicht einen einzigen Pall, trotzdem die 
Zahl der mit dem Mittel behandelten und bekannt gewordenen 
Patienten bereits eine ziemlich große ist. Deshalb ist dieser ein¬ 
wandsfreie Vorteil und diese Ueberlegenheit anderen Mitteln gegen¬ 
über so sehr ins Gewicht fallend ,~^daß bei sonst gleicher anti¬ 
gonorrhoischer Wirkung schon dies allein ^ine^ ausschlaggebende 
Empfehlung für das Arhovin sein müßte.“ 

Beachtenswert ist noch folgender Satz: „Daraus, d. h. aus der 
schnellen Resorption des Arhovin, glaube ich auch die Erscheinung 
erklären zu können, die mir bei der Behandlung immer wieder 
ganz besonders auffiel, daß selbst heftige Schmerzen sofort am 
zweiten Tage, oft noch am gleichen Tage, nachdem die Arhovin- 
therapie begonnen hatte, mit einer staunensweiten Regelmäßigkeit 
verschwanden, was sich nur dadurch erklären läßt, daß das rasch 
eliminierte Arhovin anästhesierend auf Harn- and Geschlechts¬ 
organe einwirkt und die EntzündungserscheinungeD zum Stillstände 
bringen^muß. 

In der Dosierung geht W. etwas über die Durchschnittsdosis 
hinaus und gibt gern bei schweren Zuständen bis zu zehn Kapseln 
a 0,25 tägl.f er schreibt dieser verschärften Medikation — die 
gleichfalls in keinem einzigen Falle irgendeine unerwünschte 
Nebenwirkung hatte — zum Teil seine ausgezeichneten Erfolge zu. 

M. Plien, Berlin. 

Hämatopan. Fabr.: Dr. Wolff, Bielefeld. 

Clemm, Ballenstedt, teilt über Hämatopan in der Berl. klin. 
Woch. 1907, Nr. 33 folgendes mit: Das Präparat wird in der Weise 
gewonnen, daß Blut und Malz zu gleichen Teilen gemischt und 
im luftleeren Raum eingedickt werden; dabei geht das Hämo¬ 
globin und Serumalbumin leichtlösliche Verbindungen mit dem 
Zucker ein, indem die Bluteiweiße in Saccharate übergeführt 
werden. Das so entstandene blutfarbene, trocken - kristallinische 
und damit bakterienfreie Präparat „Hämatopan“ enthält in leichtest 
assimilierbarer Form das animalische Bluteisen neben Eiweißen, 
Blutsalzen, Malzzucker, Lezithin. Verf. betrachtet das Hämatopan 
als ein vollkommen einwandfreies Bluteisen-Erneuerungsmittel, das 
gleichzeitig ein den besten unserer künstlichen Nährmittel gleich¬ 
wertiges Erzeugnis ist. Zur Zellmast infolge Störungen auf dem 
Gebiete des Nervenstoffwechsels dürfte es sich den meisten anderen 
derartigen Präparaten überlegen erweisen. M. Plien, Berlin. 

„Sozojodol“-Salze. Chemische Fabrik H. Tromms¬ 
dorf, Aachen. Seit einigen Jahren sind die Salze der Dijod- 
karbolsulfosäure vielfach im Gebrauche. Es mögen einige Hin¬ 
weise bezüglich der Anwendung hier genügen. 

Das „Sozojodol“- Azidum, die Dijodparaphcnolsulfosäure 
selbst, die in Wasser, Kollodium, Glyzerin löslich ist, wurde bei 
Myringitis chronika sikka (sklerosis myringis) mit Erfolg ange¬ 
wendet in der Lösung von 0,25 mit Alkohol absol. 1,0 und Ol. 
rizini 10,0 zur Einträufelung. 

„Sozojodol“-Hy drargyrum wirkt konzenfriert sehr 
heftig, soll aber an Giftigkeit hinter anderen Quecksilberverbin¬ 
dungen, wie Sublimat etc., bedeutend Zurückbleiben. 

Es wird als Pulver, Salbe oder Lösung, 1 — 200 bis pure 
angewandt bei Syphilis, Polypen, Ozäna, fungösen Gelenkentzün¬ 
dungen, Fisteln (auch tuberkulösen). 

„Sozojodol“-Kalium wird als Substitut für Jodoform ver¬ 
wandt, ist ungiftig, geruchlos und löslich. In Substanz ange¬ 
wandt übt es keinen Reiz auf die Haut aus. In der Regel wird 
es in 10 bis 25%iger Verreibung mit Talkum, Milchzucker, Bor¬ 
säure, Stärke, Zinkoxyd, Vaseline, Lanolin etc. verwandt. Es ist 
auch in billiger Originalpackung als „Sozojodol“-Wunds.treupulver 
und „Sozojodol “-Wundsalbe in den Handel gebracht. Anwendung 
findet es in allen Fällen, wo auch Jodoform angewendet wird. 

„Sozojodol“-Natrium ist, wie das Kaliumsalz, ungiftig 
und geruchlos, doch leichter löslich als dieses, man wendet es 


deshalb häufig als antiseptisch© Lösung an, 1:12—50, aber auch 
in Pulverform in einer Konzentration von 1:10 oder pure. 

Prof. Adolf Baginsky-Berlin empfahl es in der von 
Schwarz angegebenen Mischung mit Flores Sulfuris aä (bei 
Kindern unter zwei Jahren 1:2), event. mit etwas Sacöharin- 
zusatz, bei skarlatinöser Angina. Es wurde mittels einfachen 
Pulverbläsers mehrmals täglich in Anwendung gebracht,, Und nur 
wo die Pulvereinblasung Erbrechen erregte, wurde von „Sozojodol“- 
Lösungen in innerlicher Anwendung Gebrauch gemacht in Gaben 
von V 2 Teelöffel dreimal täglich. S. Schwarz selbst hat es mit 
sehr befriedigendem Erfolge bei Diphtherie angewandt (W. kl. 
Wochenschr., 1895, Nr. 43). Ferner wurde es erfolgreich beson¬ 
ders bei weichem Schanker und bei Gonorrhöe benutzt. Dann 
findet es eine ausgedehnte Anwendung bei Nasen- und Halskrank¬ 
heiten sowie in der Augenheilkunde. Das Salz übt eine aus¬ 
trocknende Wirkung aus. 

„Sozojodol“-Zinkum ist gleichfalls geruchlos und leicht- 
löslich. Es ruft eine vermehrte Sekretion hervor und wird in- 
Pulverform in einer Konzentration von 1:5 bis 100, als Lösung 
oder als Salbe verwendet. Ein „Sozojodol“-Schnupfenpulver, das 
in Originalpackung geliefert wird, ist eine 7 % ige Verreibung 
dieses Salzes mit Milchzucker. Sonst wird das Zinksalz bei 
Nasen- und Halsleiden und bei Ohrerkrankungen, bei Gonorrhöe, 
in der Dermatologie, der Syphilidologie und der Gynäkologie, 
bei Ozäna und Frostbeulen angewandt. In zu starker Konzentra¬ 
tion kann es eine nicht gewollte starke Schorfbildung hervor- 
rufen, weshalb etwas Vorsicht geboten ist. 

P. Höckendorf, GroßHehterfelde. 


Technische Neuerscheinungen. 


Verbrennöfen für Abfallstoffe. 

Die Abfallstoffe kann man in zwei Gruppen teilen, in die 
spezifisch leichten und die spezifisch schweren Stoffe. Zur 
ersten Gruppe gehört Papier, Laub, Lumpen, Bandagen, 
Charpie, Wolle, Müll und dergl. Wo diese Stoffe massenhaft 
abfallen oder infiziert sind, ist deren Vernichtung durch Feuer 
einmal rentabler als Abfuhr und dann für infizierte Stoffe ein 
dringend gebotenes hygienisches Erfordernis. 



Abb. 1. Abb. 2. 


Abb. 1 stellt einen derartigen Ofen für Gasbetrieb dar, wie 
er sich für chirurgische Abfälle eignet und in Privatkliniken 
und Hospitälern im Betriebe ist. Die Einrichtung ist einfach 
die, daß in einem etwa ein Meter hohen Blechkasten über dem 
Aschenbehälter A ein ringförmig gebogenes Gasrohr mit kon¬ 
zentrisch gebohrten Flammlöchern angeordnet ist, über welchem 
ein Trichter mit Rostabschluß nach unten hängt, der den Ver¬ 
brennraum bildet. E ist die Einwurftür. Sollen in solchem 
Ofen auch wasserreichere Stoffe mit verbrannt werden,' so wird 
über dem Verbrennraume noch ein Trockenraum angeordnet, 
dessen Inhalt naefi erfolgter Trocknung durch eine hinten im 


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■* '■*"*&& r THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 




167 


Trockenraume befindliche Oeffnung in den unteren Verbrenn- 
raum gestoßen wird. Auf diese Weise können u. a. auch 
kleinere Tiere zur Verbrennung gelangen. 

Wo viele wasserhaltige Stoffe zur Verbrennung kommen 
sollen, empfiehlt es sich, einen gemauerten Verbrennofen für 
Kohlenbetrieb aufzustellen, etwa nach Abb. 2. Hinter dem 
Einwurfe E befindet sich eine Blutpfanne; die Materialien ge¬ 
langen über die beiden erhitzten schrägen Flächen hinweg zur 
Verbrennung. Ferner ist eine besondere, selbsttätige Fettver¬ 
brenn Vorrichtung vorgesehen, welche darin .besteht, daß in 
einem Kanäle L atmosphärische Luft stark erhitzt wird. Bei F 
wird der aus dem Verbrennraume V entweichende Bauch auf 
den Querschnitt des Schornsteines zusammengeschnürt, und die 
erhitzte Luft dem oberen Teile des Rauchkanales zugeführt. 
Da die Fettgase spezifisch leichter sind als die Rauchgase, so 
werden demnach die ersteren getrennt von den letzteren ver¬ 
brannt. 

Für Veterinärzwecke werden fahrbare Apparate hergestellt, 
in welchen die Verbrennung gefallener Tiere an Ort und Stelle 
erfolgen kann. 

Zur ein wandsfreien Vernichtung von Konfiskaden auf 
Schlachthöfen dienen ebenfalls gemauerte Oefen von erheb¬ 
lichen Abmessungen, da hier die Verbrennung ganzer Rinder, 
Pferde etc. in Frage kommt. 

Die Anregung zu diesem eigenartigen Zweige der Hygiene 
hat s.Z. Exzellenz Robert Koch im hygienischen Institut in 
Berlin gegeben, wo 1890 der erste Verbrennofen für infizierten 
Mist und Tiere von der Firma J. Keidel & Co., Potsdam, 
aufgestellt wurde, welche auch die anderen hier erwähnten 
Apparate baut. 

Auf Veranlassung des preußischen Kultusministeriums 
wurden in der Kgl. Charite, Berlin, eingehende Versuche mit 
dem Brennofen Nr. 2 angestellt, die zu dem Ergebnis führten, 
daß in drei Stunden bei 8 cbm Gasverbrauch 55 kg klinische 
Abfallstoffe verbrannt wurden. (Selbstbericht.) 


lein manche wichtigen and neuen Punkten finden, die für die ratio¬ 
nelle Anwendung dieses vielgebräuchlichen Arzneimittels von 
Wichtigkeit sind. Bachem-Bonn. 

Toxikologie oder die Lehre von den Giften. Von 

F. A. Roßmäßler. Hartlebens Verlag. Wien und Leipzig. 

Gute toxikologische Werke für den Mediziner von Fach be¬ 
sitzen wir genug, aber für einen Laien sind sie meist zu „gelehrt“. 
Um so freudiger ist es zu begrüßen, daß in vorliegendem Büch¬ 
lein dem Geschmack des Nichtmediziners Rechnung getragen wird. 
Jeder gebildete Laie wird daraus Nutzen ziehen, wenn er sich 
über die Giftigkeit eie es Arzneimittels, einer Pflanze oder eines 
chemischen Körpers in Kürze orientieren will. Aus dem kurz¬ 
gedrängten und doch reichhaltigen Inhalt sei folgendes hervor¬ 
gehoben: Nach kurzen Erläuterungen einiger chemischer Begriffe 
folgt eine allgemeine Besprechung und Erklärung der Namen 
Gift, Gegengift, Dosis letalis, Kumulation, Ursachen der Vergif¬ 
tungen usw. Ferner die Kapitel anorganische und organische 
Gifte; in einem besonderen Abschnitte wird auf die tierischen 
Gifte, Fäulnisgifte sowie auf zahlreiche Pflanzengifte eingegangen. 
Unsere heimischen Giftpflanzen haben besonders eingehende 
Berücksichtigung gefunden. Dem chemischen Nachweis zahlreicher 
Gifte ist ebenfalls ein kurzes Kapitel gewidmet. Auch finden 
wir schätzenswerte Angaben über die chemische Konstitution der 
wichtigsten Giftstoffe. Dabei kommt die Besprechung der Sympto¬ 
matologie und Therapie der einzelnen Intoxikationen keineswegs 
zu kurz. Das Buch ist m. E. sehr geeignet für solche, die der 
Giftlehre nicht gauz fremd gegenüberstehen sollten, z. B. für 
Lehramtskandidaten, Gewerbe-Inspektoren, Personal der Sanitäts¬ 
wachen , Chemiker etc. Außer seinem empfehlenswerten Inhalt 
wird wohl auch der mäßige Preis (3 M.) für Verbreitung sorgen. 

Bachem-Bonn. 



□ 


Bücherbesprechungen. 


□ 


Die Salzsäuretherapie auf theoretischer und 
praktischer Grundlage. Von H. Leo. Verlag A. Hirsch¬ 
wald. Berlin 1908. 

* 

Leo hat es unternommen, in dieser Monographie gewisser¬ 
maßen eine Pharmakologie der Salzsäure zu schreiben. In ein¬ 
zelnen größeren Kapiteln werden behandelt: die Sekretion der 
Salzsäure, die Wirkung der Salzsäure auf die Nahrung, die Wir¬ 
kung der sezernierten Säure innerhalb des Organismus, die Wir¬ 
kung der eingenommenen Salzsäure und die Praxis der Salzsäure¬ 
therapie. Außer den zahlreichen Versuchen, die der Verfasser 
im Lauf der Zeit auf diesem Gebiet angestellt hat, ist die übrige 
Literatur erschöpfend behandelt. Aus den reichhaltigen Kapiteln, 
deren Inhalt hier nicht eingehend besprochen werden kann, sei 
besonders das für den praktischen Arzt wichtige Thema: Die 
Praxis der Salzsäuretherapie, hervorgehoben. Eingehende Be¬ 
sprechung findet z. B. die Arzneiform, in welcher Salzsäure ver¬ 
ordnet werden kann. Unter den Ersatzpräparaten ist besonders 
das Azidol gewürdigt; Verf. ist der Ansicht, daß es im Lauf der 
Zeit die Salzsäure des Arzneibuchs fast verdrängen wird. Die 
gleichzeitige Verabreichung von Pepsin hält Leo für den wichtig¬ 
sten Punkt in der ganzen Salzsäurebehandlung. Sodann wird die 
Menge der zu verabreichenden Säure resp. des Azidols sowie die 
Zeit des Einnehmens eingehend besprochen. Im speziellen Teil 
dieses Kapitels werden die Indikationen (zum Teil an der Hand 
von Krankengeschichten) der Salzsäuretherapie behandelt. Das 
Gebiet, auf dem die Salzsäurebehandlung zur Geltung kommt, ist 
ein recht umfangreiches und nicht allein auf Magenerkrankungen 
beschränkt. Auch die Toxikologie der Salzsäure kommt in einem 
besonderen Kapitel zu ihrem Recht. Ein ausführliches Namen- 
und Sachregister läßt auf den ersten Blick die Vielseitigkeit dieser 
Ikonographie erkennen. Der praktische Arzt wird in diesem Büch- 


Bekanntmachung. An Stelle des am 20. Dezember d. J. 
verstorbenen Vorsitzenden der Aerztekarmner, Herrn Geheimen 
Sanitätsrat Dr. Julius Becher, werden bis auf weiteres die 
laufenden Geschäfte der Aerztekammer durch den zweiten stell¬ 
vertretenden Vorsitzenden und ersten Schriftführer Herrn Geheimen 
Sanitätsrat Dr. S. Marcuse, Berlin C, 25, Kaiserstraße 41, die 
laufenden Geschäfte für das Ehrengericht durch den stellver¬ 
tretenden Vorsitzenden des Ehrengerichts, Herrn Sanitätsrat Dr. 
Kaekler, Charlottenburg, Berlinerstraße 147, erledigt werden. 

Berlin, den 31. Dezember 1907. 

Der Polizei-Präsident 
I. A.: Lewald. 

Aachen. Eine Warnung für alle Kranke erläßt die hiesige 
Polizeibehörde. Unter der Bezeichnung „Institute of Radiopathie 
und Internationales Sanatorium“ preist ein sogenannter Professor 
Mann, der sich als „Präsident dieses Instituts“ und Vizepräsident 
der amerikanischen Aerzte und Chmurgen nennt, seine Heilmethode 
durch Radiopathie an. Er verspricht Heilung für alle Krank¬ 
heiten, die durch die Kunst dev Aerzte nicht beseitigt werden 
konnten. Sobald sich ein Kranker an ihn wendet, erhält er eine 
Anzahl Drucksachen, in denen die Erfolge der Heilmethode in 
den schönsten Worten geschildert werden, zugleich aber die 
Aufforderung um Einsendung von 40 M. Vor Eingang dieses 
Betrages wird die „Kur“ nicht begonnen. Es ist nun festgestellt, 
daß der sogenannte Professor Mann niemals Medizin studiert hat 
und ihm sein Handwerk schon in Kanada gelegt war. 

O. Krey-Cöln. 

Rezeptversehen eines Arztes. Ein verhängnisvoller Irrtum 
eines Arztes bildete den Anlaß zu einer Verhandlung, die am 
28. Dezember v. J. vor der Strafkammer in Aschaffenburg statt¬ 
fand. Wir entnehmen bayorischen Blättern über die Angelegen¬ 
heit folgendes: 

Der prakt. Arzt Dr. B. von Rothonfels hatte ein an Masern 
und Blutflecken erkranktes Kind in Behandlung. Als die Krank- 




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Original from 

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heit sieh verschlimmerte, wurde auf Verlangen des Vaters des 
Kindes der Bezirksarzt Dr. K. von Marktheidenfeld hinzugezogen. 
Auf dessen Anraten verordnete Dr. B. für das Kind 150 g Mix- 
tura sulfurica acida. Obwohl nun Dr. B. von der Zusammen¬ 
setzung dieses Medikamentes keine Kenntnis hatte, welche nur 
tropfenweise oder verdünnt verabreicht werden soll, schrieb er auf 
das B-ezept die Bemerkung: „Stündlich einen Kaffeelöffel voll zu 
nehmen“. Sofort nach der ersten Verabreichung des Mittels trat 
bei dem Kinde starkes Erbrechen ein, und nach gräßlichen 
Schmerzen verstarb es anderen Tages. Gegen Dr. B. wurde des¬ 
halb ein Strafverfahren eingeleitet. In der Verhandlung gab er 
zu seiner Verteidigung an, daß er die Zusammensetzung des 
Mittels nicht gekannt und auch kein Buch zur Hand gehabt habe, 
um diese daraus zu ersehen; er habe Dr. K. das Rezept gezeigt 
und, da dieser nichts geäußert, weiter keine Bedenken gehabt. 
Bezirksarzt Dr. K. behauptete indessen, das Rezept nicht gelesen 
und auch davon, daß sein Kollege keine Kenntnis von der Zu¬ 
sammensetzung der Mixtur gehabt, nichts gewußt zu haben. Die 
Sachverständigen betonten u. a., daß Dr. B. dadurch einen Fehler 
begangen habe, daß er sich nicht bei Dr. K., der das Mittel 
angeraten habe, über dessen Beschaffenheit Informationen geholt 
habe. Der Staatsanwalt beantragte 100 M. Geldstrafe, eventuell 
10 Tage Gefängnis. Das Urteil lautete auf '50 M. Geldstrafe, 
eventuell 5 Tage Gefängnis. In der Begründung des Urteils 
wurde hervorgehoben, daß durch die Arznei nur eine Gesundheits¬ 
schädigung herbeigeführt worden sei. (Pharmaz. Ztg., 1908, 4.) 

Bekanntmachung. Die am 1. Januar 1908 in Kraft ge¬ 
tretene deutsche Arzneitaxe für das Jahr 1908 ist in der Weid- 

Im Institut für Meereskunde in Berlin nimmt das aus Meeralgen 
o-ewonnene Nährfett Fucol einen Ehrenplatz ein. Es wird genau wie 
Lebertran verordnet, ist aber leichter zu nehmen und wirkt energischer und 
schneller. Orig.-Flaschen ä */ 2 Eiter kosten M. 2,—. General-Vertrieb: 
Karl Fr. Töllner, Bremen. 


mannschen Buchhandlung, hier S. W<JL2, Zibrmerstraße 94,' er¬ 
schienen und daselbst käuflich zu haben. 

Berlin, den 8. Januar 1908. , 

Der Polizei-Präsident 
I. A.: Lewald. 

Bekanntmachung. Das Diphtherie - Heilserum mit der Kon- 
trollnummer 894 aus den Höchster Farbwerken und den ifontroll- 
nummern 129, 13i, 132, 134, 136, aus der Merckschen Fabrik 
in Darmstadt ist wegen Abschwächung zur Einziehung bestimmt. 

Die Diphtherie-Heilsera mit den Kontrollnummern 1 bis 841 
aus den Höchster Farbwerken, 1 bis 100 aus der Merckschen 
Fabrik in Darmstadt, 1 bis 208 aus der Fabrik vorm. E. Schering 
in Berlin, 1 bis 99 aus dem Serumlaboratorium von Ruete Enoch 
in Hamburg sind, soweit sie nicht bereits früher wegen Ab¬ 
schwächung eingezogen sind, wegen Ablaufs der staatlichen Ge¬ 
währdauer zur Einziehung bestimmt. 

Flaschen mit diesen Kontrollnummern dürfen hinfort nicht 
mehr in den Apotheken abgegeben werden und können nach der 
Vereinbarung mit dem betreffenden Laboratorium bei kostenfreier 
Einsendung kostenlos gegen einwandfreies Serum eingetauscht 
werden. 

Berlin, den 10. Januar 1908. 

Der Polizei-Präsident. 

I. A.: Lewald. 

JJ\ A. Hoppen u. R. Fischer 
Patentanwälte 


Berlin SW. 13., Neuenburgerstraße 15 

Amt IV 718. 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. H. Lungwitz, Berlin S. — Verlag: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle a. S. 
Druck der Heynemannschen Buchdruckerei, Gebr. Wolff, Halle a. S. 


Dott. Giovanni Grassi, vom Provinzial-Findelhospiz, 
Mailand: 

„Ich habe „Kufeke Kinder mehl“ bei einigen Kindern 
dieses Spitals angewandt und habe damit wahrhaft glänzende 
Resultate erzielt.“ 

Dott. Pio Blasi, Chefarzt und Direktor der Kinderbewahr¬ 
anstalt Rom: 

„Mit „Kufeke“ Kindermehl habe ich ausgiebige Ver¬ 
suche angestellt. Ich brachte dasselbe hauptsächlich bei Neu¬ 
geborenen in Anwendung, welche infolge erblicher Syphilis 
künstlich ernährt werden mußten, und konnte ich beobachten, 
daß es gerne genommen und leicht verdaut wurde, so daß ich 
es für ein ausgezeichnetes Ersatzmittel in den nicht seltenen 
Fällen halte, wo eine mit Milch gemischte Nahrung oder auch 
eine künstliche angebracht ist.“ 

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Aerzten gratis und franko zur Verfügung. 

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Original frn-m 

UNIVER3ITY OF MICHIGAN 






Therapeutische Rundschau 

Wochenschrift für die gesamte Therapie des praktischen Arztes. 


0. Anton, A. Dührssen, C. A. Ewald, P. Gerber, R. Robert, 

Halle a. S, Berlin. Berlin. ' Königsberg. Rostock. 

H. Schmidt-Rimpler, H. Senator, 

Halle a. S. Berlin. 


Redaktion: 

Berlin S. 14, Dresdenerstr. 44. Tel. IV, 11773. 
Dr. med. et phil. H. Lungwitz. 


Herausgegeben von 



M. Koeppen, M. Mosse, H. Rosin, H. Schlange, Ad. Schmidt, 

Berlin. Berlin. Berlin. - Hannover. Halle a. S. 

R. Sommer, H. Unverricht, 0. Vulpius, 

Gießen. Magdeburg. Heidelberg. 

( --- 

Verlag u. Expedition; Carl Marhold Verlagsbuchhandlung 

in Halle a. S., Reilstraße 80. 

Tel.-Adr.: Marhold Verlag Hallesaale. Fernsprecher 823. 


Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte der Ostsee und der 
_, Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 


n. Jahrgang. Halle a. S., 15. März 1908. Nr. 11. 


„ Die „Therapeutische Rundschau“ erscheint 
die Post, sowie die Geschäftsstelle: Carl Marhold Verlags... 
mit 50 Pf. berechnet Beilagen nach Uebereinkunft Reklamezeile .... 

Nachdruck der Original-Aufsätze ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet 


Nachdruck der anderen Rubriken ist nur mit Quellenangabe gestattet 


Cn ORIQINALIEN. 


cn 


Aus der Dührssen sehen Privatklinik für Geburtshilfe 
und Frauenkrankheiten. 

Die geburtshilfliche Dilatation in der Hand des 
praktischen Arztes. 


Von Prof. Dr. A. Dührssen, Berlin. 


mer besprochen, in denen der Tod infolge der durch den Dila¬ 
tator erzeugten Verletzungen eingetreten war. Ich bin daher 
der Ansicht, daß auch der Spezialist die Bossische 
Methode nicht mehr anwenden sollte, da ihm viel 
wirksamere und ungefährlichere Methoden zwecks 
Erweiterung der Zervix zu Gebote stehen. Trotzdem 
ist der Schluß von Rohlff falsch, daß, wenn der Spezialist 
den Bossi gebrauche, auch der Praktiker ihn gebrauchen dürfe. 
Der Spezialist hat in seiner Klinik oder durch die ihm zur 
Verfügung stehende Assistenz die Möglichkeit, durch die Dila¬ 
tationsinstrumente entstandene Rißblutungen zu stillen, eine 
Möglichkeit, die der auf sich allein angewiesene Praktiker nicht 
immer hat. 


(Fortsetzung.) 

Ich wende mich nunmehr zu einer kritischen Betrachtung 
der speziellen Behauptungen des Rohlff sehen Artikels. 

Wenn Rohlff der Einführung eines Kolpeurynters 
in die Scheide zwecks Wehenanregung oder zur Dilatation 
der Scheide geringen Wert beimißt, so stimme ich dem bei, 
dagegen betone ich im Gegensatz zu Rohlff, daß die Kolpeu- 
ryse für die langsame und schonende Reposition des retro- 
flektierten schwangeren Uterus eine beachtenswerte Methode*) 
darstellt, auch wenn man den Kolpeurvnter nur mit Wasser 
füllt. J 

Bezüglich einiger weiterer Einwände Rohlffs gegen die 
Kolpeuryse bemerke ich folgendes: Die von Müller verbesserten 
Champetier de Ribes - Ballons sind sehr haltbar, wenn man sie 
von anhaftendem Lysol durch gründliche Reinigung mit warmem 
Wasser befreit. Nach Zweifel lassen sie sich besonders lange 
in Glyzerin oder Oel konservieren. Zweifel empfiehlt ferner 
gerade bei Plazenta prävia-Blutung in der Schwangerschaft 
die prophylaktische Scheidentamponade mittels eines Kolpeu- 
rynters, um die Schwangere vor einer zweiten, unter Um¬ 
ständen letalen Blutung zu bewahren. Sie soll mindestens eine 
Woohe hindurch fortgesetzt werden. 

Der allgemeinen Begeisterung für die Bossi¬ 
sche Methode habe ich mich nicht angeschlossen, 
sondern an der Hand der Leopo 1 dsehen Fälle an der Methode 
eine strenge Kritik**) geübt und weiter Fälle der Bossi-Schwär- 


Wenn Rohlff meint, daß Dührssens Einschnitte 
zum Teil deswegen wieder verworfen sind, weil 
Risse Jahre hindurch Beschwerden machen können, 
so irrt er sich mit dieser Behauptung nach verschiedenen Rich¬ 
tungen. 

Daß die Einschnitte späterhin regelmäßig oder nur häufig 
Beschwerden machen, ist nicht richtig. Man beugt zudem 
etwaigen Beschwerden mit Sicherheit dadurch vor, °daß man 
die Einschnitte nach der Geburt vernäht, was allerdings in der 
Praxis auf Schwierigkeiten stoßen kann. Die Beschwerden, 
die nach Einschnitten entstehen können, sind dieselben Be¬ 
schwerden. welche ein nach spontaner Geburt entstandener 
Zervixriß machen kann. Bei spontanen Geburten entstehen 
gelegentlich viel größere Risse, als sie nach Zervixeinschnitten 
Zurückbleiben. Die Risse der ersteren Kategorie reichen 
manchmal hoch hinauf bis in den supravaginalen Zervix- 
absclmitt und in das Parametrium hinein, während die 
Schnitte nur die Portio vaginalis durchsetzen. Wollte man 
sich die Argumentation von Rohlff zu eigen machen, so 
müßte man das Gebären überhaupt verbieten! Sind nun über¬ 
haupt die Beschwerden von Zervixrissen oder nicht vernähten 
Zervixschnitten so groß oder vielleicht unheilbar? Beides ist 
nicht der Fall. Wir können die Defekte durch eine kleine 
Operation, nämlich die Emmetsche, leicht und sicher zur 
Heilung bringen. Wird eine Erstgebärende nicht gerne diese 
Eventualität auf sich nehmen, wenn ihr dafür der geburtshilf¬ 
liche Eingriff ein lebendes Kind schenkt? 


*) Siehe Dührssen, Ueber Aussackungen, Rückwärtsneigungen und 
Knickungen der schwangeren Gebärmutter. Areh f. Gyn. Bd. 57. H. 1 
S. 93 der Arbeit. 

**) Dührssen, Ist die Bossische Methode wirklich als ein Fort¬ 
schritt m der operativen Geburtshilfe zu bezeichnen 1903. Archiv für Gvn 
Bd. 68, H. 2. J ' 

Nochmals die Bossische Methode. 1. c. Bd. 69, H. 1. 

Darf die Bossische Methode dem praktischen Arzt empfohlen werden? 
(jNebst Mitteilung zweier weiterer Fälle von vaginalem Kaiserschnitt und 


kritischer Betrachtung seiner Konkurrenzmethoden ) 

TT O ■' 


1905. Bd. 75, 


Nochmals Bossi und vaginaler Kaiserschnitt. 1. c. Bd. 77, H. 1. 
Concerning obstetrical Dilatation of the cervix. Sursrerv, Gvnecoloer 
and Obstetries 1906. March. & 


War in den von Bossi mitgoteilten Fällen (s. Centralblatt Nr. 10) 
eine Schnellentbindung überhaupt notwendig? Nebst Mitteilung eines 
Falles von paterner Leukämie als Ursache des Fruchttodes. Centralblatt 
jür Gyn. 1906, Nr 15. 


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Original frorn 

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Die Dührssenschen Einschnitte sind aber über¬ 
haupt nicht verworfen worden, sondern sie bilden 
einen integrierenden Bestandteil der geburtshilf¬ 
lichen Operationslehre. Die Beweise hierfür sind in den 
geburtshilflichen Lehrbüchern leicht zu finden. Yon diesen 
nenne ich nur das Lehrbuch von Zweifel, von Bumm, das 
Win ekel sehe Handbuch und die soeben erschienene geburts¬ 
hilfliche Operationslehre von Fehling. Aus diesen Werken 
kann ferner Rohlff ersehen, daß der vaginale Kaiserschnitt 
auch bei reifem Kind immer mehr an Gunst gewinnt. Auch 
auf dem Gynäkologenkongreß zu Kiel im Jahre 1905 ist die 
TJeberlegenheit der von Dührssen angegebenen blutigen 
Dilatationsmethoden (tiefe Zervixinzisionen und vaginaler Kaiser¬ 
schnitt) über die mechanischen Dilatationsmethoden selbst von 
Leopold, dem Anhänger der Bo ssisehen Methode, zuge¬ 
geben worden. Endlich hat unser Altmeister He gar*) jüngst 
den vaginalen Kaiserschnitt den vier klassischen geburtshilf¬ 
lichen Operationen zugezählt. Als solche nennt er die Wendung, 
die Zange, den klassischen und den vaginalen Kaiserschnitt, 
während er die Beckenspaltung noch nicht als gesicherten 
Besitz der geburtshilflichen Operationslehre ansprechen kann. 

Yon der Bedeutung der tiefen Zervixinzisionen kann ich' 
aber vielleicht Rohlff noch besser überzeugen, wenn ich ihm 
mitteile, daß viele praktische Aerzte nach ihren mir 
gemachten Mitteilungen die Inzisionen mit den 
besten Erfolgen angewandt haben und große Freunde 
der Methode sind. So berichtet auch der von Rohlff zitierte 
Kollege Men de über einen Fall von Eklampsie, den er mit der 
von Dührssen empfohlenen Kombination der Metreuryse und 
der tiefen Portioinzisionen erfolgreich behandelt hat. Es wäre 
überhaupt zu wünschen, daß die Artikel von Rohlff 
und mir Yeranlassung gäben, daß recht viele Prak¬ 
tiker ihre Erfahrungen über die von ihnen ange¬ 
wandten Dilatationsmethoden in dieser Wochen¬ 
schrift mitteilten. Ich bin besonders neugierig auf die 
Beantwortung der Fragen, wieviel Praktiker das Bossische 
oder ein ähnliches Instrument besitzen, ob und mit welchen 
Erfolgen sie es angewandt haben. 

Die theoretischen Ueberlegungen, welche Rohlff 
bezüglich der zulässigen Schnelligkeit der Bossi- 
Dilatation anstellt, sind falsch. Wenn auch in seltenen 
Fällen die spontane Erweiterung der Zervix in l 1 / 2 Stunden 
vor sich gehen kann, so ist daraus nicht der Schluß gerecht¬ 
fertigt, daß man ohne Gefahr in dieser Zeit die Zervix auch 
mit dem Bossischen Instrument völlig diktieren könne. Bei 
Mehrgebärenden mit nachgiebiger Zervix ist dies allerdings 
möglich — obgleich auch hier Narben früherer Zervixrisse einen 
Lokus minoris resistentiae bilden, welcher zu höchst unange¬ 
nehmen Rissen bei Anwendung der Bossischen Methode dis¬ 
poniert — bei Erstgebärenden aber in der Regel nicht. Bilden 
doch gerade die jungen und die alten Erstgebärenden mit 
rigider Zervix ein großes Kontingent der Fälle, in welchen 
wegen zu langsamer spontaner Erweiterung eine Indikation zur 
künstlichen Dilatation der Zervix auftritt. 

Nach den Untersuchungen des Yerfassers beruht aber 
diese Rigidität auf einem Mangel bezw. einer Degeneration der 
elastischen Fasern der Zervix. Ein derartiges Kollum ist über¬ 
haupt nicht oder nur bis zu einem gewissen Grade dilatabel. 
Diktiert man trotzdem weiter, so gibt’s einen Riß. 

Rohlff sagt: „Die schnelle Zervixerweiterung wird ange¬ 
wendet bei Plazenta prävia.“ Sollte er mit diesen Worten 
auch die Bossische Methode bei Plazenta prävia empfehlen 
wollen, so möchte ich ihn darauf aufmerksam machen, daß ich 
an der Hand der Leopoldschen Fälle selbst die Gefahr 
der Bossischen Methode bei Plazenta prävia dar¬ 
getan habe: Die Dilatation der Zervix erzeugt hier eine weitere 
Ablösung der Plazenta und eine Verstärkung der Blutung. Es 
kommt überhaupt bei Plazenta prävia gar nicht 
auf die Erweiterung der Zervix und die schnelle 
Entbindung, sondern auf die sichere Blutstill ung 

*) Die operative Aera der Geburtshilfe. Beiträge zur Geburtshilfe und 
Gynäkologie. 1907. Bd. 12, H. 2. 


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an. Diese erreicht man in sicherer und, schonender Weise 
durch die Blasensprengung und intrauterine Ballon-Einführung, 
worauf an dem Ballon ein mäßiger, selbsttätiger Zug ange¬ 
bracht wird. Die Blasensprengung verhindert eine weitere Ab¬ 
lösung der Plazenta und der Ballon drückt den abgelösten 
Plazentarlappen gegen seine frühere, blutende Haftstelle und 
stillt hierdurch die Blutung. Die weitere Dilatation überläßt 
man nun den auf den Reiz des Ballons alsbald kräftig ein¬ 
setzenden Wehen, die schließlich den kindskopfgroßen Ballon in 
die Scheide austreiben. Ihm folgt in manchen Fällen direkt 
das Kind. Ist das nicht der Fall, und fängt es nun wieder an 
zu bluten, so macht man die innere Wendung und Extraktion. 
Allerdings ,darf der Arzt einen Fall von Plazenta prävia, bei 
welchem er einen Ballon in den Uterus gelegt hat, nicht 'ver¬ 
lassen. Das darf er aber auch bei den anderen Methoden 
nicht, bevor die Geburt völlig beendet ist. Bei der Metreuryse 
dürfte also der Zeitaufwand noch am geringsten sein, zumal 
da bei ihr infolge der kräftigen Anregung der Wehentätigkeit 
Komplikationen der Nachgeburtsperiode zu fehlen pflegen. 

Ueber die Metreuryse hat Rohlff überhaupt keine zu¬ 
treffenden Anschauungen. Es ist ja richtig, daß der Braun- 
sche Kolpeurynter nicht so sicher wirkt wie der Champetier¬ 
sehe Ballon, aber man hat ja seine Anwendung überhaupt 
nicht nötig, sondern man versehe sich mit einem kleineren und 
einem größeren Charn^p etiersehen Ballon. Den ersteren kann 
man auch bei enger Zervix einführen, die man vorher event. 
durch Einführung eines doppelläufigen Katheters oder einer 
Kornzange oder des Fingers gedehnt hat. Man füllt dann den 
Ballon mit der Menge Wasser, welche, wie man bereits vorher 
festgestellt haben muß, nötig ist, um ihn zur prallen Entfaltung 
zu bringen. 

Da bei der Frage der Metreuryse die Art des 
einzuführenden Ballons eine große Rolle spielt, so 
will ich darauf noch mit einigen Worten eingehen. Ich habe 
mir gegenwärtig zwei Ballons von Champetier deRibes, 
verbessert nach A. Müller, direkt von dem Fabrikanten 
Stiefenhofer in München schicken lassen. Den größeren kann 
man, wenn man ihn mit einem Irrigatorschlauch verbindet, mit 
590 ccm Wasser füllen. Er gewinnt dann an seiner gegen den 
Uterusfundus gerichteten Basis einen Umfang von 31 cm. Der 
kleinere faßt ca. 340 ccm und gewinnt einen größten Umfang von 
28 cm. Außerdem lieferte mir das Medizinische Warenhaus 
Berlin, Karlstr., einen sehr handlichen Ballon nach Champetier 
de Ribes, der sich ganz dünn Zusammenlegen läßt und bei 
einer Füllung von 300 ccm einen größten Umfang von 28 cm 
gewinnt. Er endet in einen einfachen dünnen Schlauch, 
welcher durch einen Hahn oder durch ein Glasrohr mit dem 
Irrigatorschlauch verbunden werden kann. 

Dieser Ballon scheint mir für den Praktiker 
der empfehlenswerteste zu sein. Er läßt sich so dünn 
Zusammenlegen, daß das in den Uterus einzuführende Ende 
nur einen Umfang von 4 cm hat — nach dem anderen Ende zu 
vergrößert sich der Umfang allmählich bis auf 6 cm. Bindet 
man den zusammengelegten Ballon nahe dem dünneren Ende- 
mit einem Seiden- oder Zelluloid zwirn- oder Katgutfaden zu¬ 
sammen, so erhält man ein festes Gebilde, welches man ohne- 
Instrument in den Uterus einschieben kann, indem man es 
nahe dem Schlauchende mit zwei Fingern faßt. Steht die 
Zervix hoch, so daß man ohne Instrument nicht auskommt, so 
kann man die Partie nahe dem Schlauchende mit einer Tam¬ 
ponadepinzette fassen und den Ballon durch den Zervikal¬ 
kanal schieben, ohne daß man auch das Platz wegnehmende 
Instrument in ihn einzuführen braucht. Bei der Füllung des 
Ballons gleitet der Faden von dem Ballon ab. 

Dieser Ballon läßt sich einerseits durch die engste Zervix 
einführen und erweitert andererseits, da er ebenso sicher, wie 
die anderen, Wehen erzeugt, den Zervikalkanal so vollständig, 
daß nach seiner Ausstoßung die Wendung und Extraktion keine 
Schwierigkeiten mehr bieten wird. Zum Ueberfluß kann sich 
der Arzt noch einen zweiten größeren Ballon zulegen. Dieser 
und der eben beschriebene, die einen Durchmesser von 10 l /a 
resp. 9 x /2 cm haben, kosten zusammen ca, 15 M., sind also lange 
nicht so teuer wie ein Bossi-Instrument, 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 




Die Art der Anwendung des Ballons ist im spe¬ 
ziellen folgende: Der Geburtshelfer kocht seine Hand¬ 
schuhe und den Ballon fünf Minuten. Die Handschuhe kommen 
in 2%ige Lysoformlösung und werden dann angezogen. Auf 
dem Querbett werden die Pubes rasiert, die Vulva und die 
Vagina mit 2 % iger Lysoformlösung desinfiziert, die Harnblase 
entleert. Die Portio wird mit Spiegeln eingestellt und die 
vordere Lippe mit einer bis zwei Äugelzangen gefaßt. Die 
Hebamme hält dann die Zange und den hinteren Spiegel. Der 
Geburtshelfer nimmt den Ballon aus dem heißen Wasser, legt 
und bindet ihn zusammen, taucht sein vorangehendes Ende in 
2%ige Lysoformlösung und führt ihn mit den rechten Fingern 
oder der Tamponadepinzette ein. Ist der Zervikalkanal sehr 
eng, so faßt der Geburtshelfer auch noch die hintere Lippe 
mit einer Kugelzange, die er mit seiner linken Hand anzieht. 
Sobald der Ballon den Zervikalkanal passiert hat, nimmt die 
Hebamme ihre Kugelzange ab, der Operateur führt seinen 
linken Zeigefinger in den Zervikalkanal, um ein Herausgleiten 
des Ballons zu verhüten, die Hebamme nimmt auch den 
Spiegel heraus. Sodann verbindet sie das Schlauchende mit 
dem Irrigatorrohr und läßt 300 ccm 2%ige Lysoformlösung in 
den Ballon einlaufen, worauf sie das Schlauchende zubindet 
oder zuklemmt. Der Operateur faßt jetzt mit der Tamponade¬ 
pinzette einen Streifen sterilisierter Jodoformgaze aus der 
Büchse 2 und tamponiert unter Leitung des linken Zeige¬ 
fingers die Scheide, einmal um die Blutung aus den Zangen¬ 
bissen zu stillen und andererseits um einer aufsteigenden Zer¬ 
setzung, die durch das aus den Genitalien heraushängende 
Schlauchende entstehen könnte, vorzubeugen. 

Patientin wird dann bequem gelagert und der konstante 
selbsttätige Zug angebracht. 

Die Blase vorher zu sprengen, ist nur bei Plazenta prävia 
oder tiefem Sitz der'Plazenta nötig. Bringt man den selbst¬ 
tätigen Zug ah, so sieht man ausnahmslos alsbald kräftige 
Wehen auftreten, welche in Verein mit der dilatierenden 
Wirkung des straffen und kegelförmigen Ballons den Zervikal¬ 
kanal in einigen Stunden zum Verstreichen und den Mutter¬ 
mund zur völligen Erweiterung bringen. 

Den oben beschriebenen 9 V 2 era-Ballon habe ich in folgendem Fall bereits 
mit Erfolg angewandt: Am 17. 2. 08 wurde ich von Herrn Kollegen Beese 
wegen Nephritis gravidarum, die erst vor einer Woche begonnen hatte, zu 
der 28jährigen Igravida Frau D. gerufen. Die Urinmenge hatte in den 
letzten 21 Stunden nur 900 g betragen und sank unter Zunahme der 
Oedeme vom 18.—19. d. M., wo ich die Schwangere in meiner Klinik 
beobachtete, auf 500 g. Wegen Gefahr der Eklampsie beschloß ich daher 
am 19. mittags, 4 Wochen ante terminum, die Einleitung der künst¬ 
lichen Fr ühgeburt. Der Umfang des Leibes betrug 111 cm, die Diagnose 
wurde wegen des Fuhlens dreier großer Teile auf Zwillinge (1. in Schädel¬ 
lage, 2. in Querlage) gestellt. Der Finger drang durch den erhaltenen 
Zervikalkanal und zerstörte eine Verklebung des inneren Muttermundes. 
Die Blase wurde mit einer Stricknadel gesprengt. Darauf ließ sich der 
Ballon in der beschriebenen Weise entführen, aber trotz hochgehaltenen 
Irrigators wegen des feststehenden Kopfes nur mit 250 g Flüssigkeit füllen. 
Trotz der kolossalen Ueberdehnung des Uterus traten Wehen auf, welche 
nach 5 Stunden den Ballon in die Scheide befördert hatten. Am 20. morgens 
ein eklamptiseher Anfall. Sofortige tiefe Chloroformnarkose. Mutter¬ 
mund völlig erweitert. Zange beim ersten Zwilling, Wendung und Ex¬ 
traktion beim zweiten. Manuelle Lösung der Plazenta. Uterustamponade. 
Kinder lebend, 5020 u. 5200 g. Weiterer Verlauf normal. 

Ist der Fall sebr eilig, so ersetzt man den 
selbsttätigen Zug durch Handzug. Hat man den 
kleinen Ballon durchgezogen, so führt man noch den größeren 
ein, falls der Zervikalkanal noch nicht bequem die ganze Faust 
passieren läßt. Zieht man mit einem der Ballons das ganze 
untere Uterinsegment herab, ohne daß sich der Zervikalkanal 
erweitert, so soll man eine weitere Extraktion nicht forzieren, 
sonst zerreißt entweder die Zervix oder der Ballon. Dies sind 
die Fälle von rigider Zervix, wo keine Dilatationsmethode 
ohne gefährliche Einrisse anzuwenden ist; diese Fälle müssen 
der blutigen Dilatation unterzogen werden und zwar mittels 
des vaginalen Kaiserschnitts bei erhaltener und mittels tiefer 
Portioinzisionen*) bei verstrichener Zervix. Hierzu muß der 


*) Diese Inzisionen gehen in der Literatur unter dem Namen der 
tiefen Zervixinzisionen, und Fehling sagt z. B. (1. c.), ich hätte bei ihnen 
die ganze Zervix durchtrennt. Da sie jedoch nur für die Spaltung des 
vaginalen Teils der Zervix von mir empfohlen sind (siehe oben), so nennt 


Praktiker event. einen Spezialisten zu ziehen oder muß in 

diesen Fällen sich auf den selbsttätigen Zug beschränken, bis 
nach vorausgegangener Wehentätigkeit die manuelle Extraktion 
später gelingt. Vielleicht bietet aber in diesen Fäl¬ 
len die Metreuryse dem erfahrenen Praktiker ein 
Hilfsmittel, um selbst den vaginalen Kaiserschnitt 
in der einfachsten Weise vorzunehmen. Zieht näm¬ 
lich die Hebamme an dem Metreurynterschlauch so stark, 
daß die Zervix sichtbar wird, so' ist es eine Kleinig¬ 

keit, mit einer Schere zunächst die hintere Lippe und in Fort¬ 
setzung dieses Schnittes das hintere Scheidengewölbe ca. 3 cm 
weit sagittal zu spalten. Man geht nun mit dem behand¬ 
schuhten Finger an der hinteren Zervixwand in die Höhe, 

schiebt hierdurch das Douglasperitoneum von ihr ab, kann sie 
in Verlängerung des Portioschnittes weiter spalten und am 
Ende des Schnittes einen Fadenzügel durchlegen. Darauf 
spaltet man die vordere Lippe, in der Verlängerung des Schnittes 
das vordere Scheidengewölbe, schiebt die Blase stumpf ab, 
spaltet die vordere Zervixwand weiter und führt durch das 
obere Ende des Schnittes einen Fadenzügel. Der mit der 
fortschreitenden Erweiterung der Zervix tiefer rückende Ballon 
bringt sukzessive die noch zu durchtrennenden höheren Partien 
der Zervixwände in das Gesichtsfeld und ermöglicht hierdurch 
ein bequemes und — durch den auf die höheren Partien der 
Uteruswände ausgeübten Druck — auch ein ziemlich blutleeres 
Operieren. Schließlich tritt der Ballon ganz aus dem Uterus 
heraus, und nunmehr kann das Kund durch Wendung und Ex¬ 
traktion entwickelt werden. 

Nach Entfernung der Plazenta wird der Uterus von den 
Fadenzügeln bis in die Vulva gezogen und nach Knotung der 
Zügel durch einige weitere Nähte erst die hintere und dann 
die vordere Zervixwand vereinigt. Die beiden Wunden in den 
Scheidengewölben ziehen sich so zusammen, daß sie nicht ver¬ 
einigt zu werden brauchen. Man führt durch sie einen kleinen 
Jodoformgazestreifen gegen die vordere und hintere Vaginal- 
wand. 

In analoger Weise wird man gelegentlich auch einem Kind 
das Leben retten können, bei welchem die mangelhaft er¬ 
weiterte Zervix den nachfolgenden Kopf zurückhält. Der 
Schnelligkeit halber wird man hier nur die vordere Lippe, das 
vordere Scheidengewölbe und weiter die vordere Zervixwand 
bis über den einschnürenden Ring hinauf spalten. Das von 
der Hebamme nach unten gezogene Kind vertritt hier die Stelle 
des Ballons. 

Einen ähnlichen, sozusagen rudimentären vaginalen Kaiser¬ 
schnitt habe ich kürzlich in der Praxis, nur unter Assistenz der 
Hebamme, ausgeführt: 

Es handelte sieh um eine 18jährige Ipara mit Krampfwehen und 
drohender Herzlähmung (140 Pulse bei subnormaler Temperatur), die Portio 
war verstrichen, der Muttermund aber nur markstückgroß. Wegen des tief 
im Beckeneingang stehenden Kopfes konnte ich die hintere Lippe nicht bis 
zum Scheidenansatz durehschneiden. Nunmehr legte ich an die vordere 
Lippe zwei Klemmen an, ließ diese von der Hebamme anziehen und schnitt 
die vordere Lippe durch. Diesen Sehiiitt verlängerte ich zuerst ca. 1 cm 
weit in das Scheidengewölbe und sodann, ohne daß die Blase fühlbar war, 
ebensoweit in die supravaginale Zervixpartie hinein Mit der Zange ließ 
sich nunmehr, nachdem noch eine Damminzision gemacht war, ein lebendes 
Kind leicht entwickeln. Auch die Mutter gelang es nach einigen schweren 
Tagen über die Herzschwäche hinwegzubringen. Genäht wurde nur die 
Damminzision. 

leb glaube daher, daß die von mir bei verstrichenem 
Kollum empfohlenen vier Portioinzisionen durch zwei Inzisionen 
ersetzt werden können, von denen die hintere die hintere Lippe, 
die vordere dagegen in der beschriebenen Weise die vordere 
Lippe, das vordere Scheidengewölbe und noch ein Stück der 
supravaginalen Zervixpartie durchtrennt. Es blutete in meinem 
Fall gar nicht — ich hatte vor der Entbindung eine tüchtige 
Dosis Ergotin injiziert —, und ich hielt mich wegen des lebens¬ 
gefährlichen Zustandes der Mutter auch weiter nicht mit der 
Zervixnaht auf. Allerdings resultierte daraus ein Spalt der 
vorderen Lippe, welcher sich mit einer Narbe in das vordere 
Scheidengewölbe hinein fortsetzte. 

man sie besser tiefe Portioinzisionen. Auf diöse Weise werden Ver¬ 
wechselungen mit den Schnitten des vaginalen Kaiserschnitts vermieden, bei 
welchen die ganze Zervix durcktrennt wird. 


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Die schon in dem dritten Schwangerschaftsraonat von mir behandelte 
Retroflexio wurde durch diese Karbe fixiert. Zwei Monate nach der Ge¬ 
burt, am 30. Januar 1908, beseitigte ich den Defekt durch, eine Emmetsohe 
Operation und die Retroflexio durch eine Vagiuifixur der Ligamenta rotunda. 
Es trat völlige Heilung ein. 

Zwei Inzisionen sind einfacher zu machen als vier, sie 
liegen zudem in einem gefäßärmeren Gebiet als die seitlichen 
Inzisionen, und außerdem trennt man durch die Fortsetzung 
des vorderen Schnittes in das Scheidengewölbe und die supra¬ 
vaginale Zervixpartie den Uterus von der Scheide und beugt 
hierdurch einem gefährlichen Weiterreißen der Schnitte vor. — 
Doch kehren wir zur Bossischen Methode zurück! 
Rohlff moniert den Umstand, daß manche Geburtshelfer sich 
nicht an die Bossische Vorschrift gekehrt und statt der 
Zange sich der Wendung bedient haben, worauf die zusammen¬ 
schnappende Zervix den nachfolgenden Kopf nicht passieren 
ließ. Gerade diese Tatsache beweist die Unvoll¬ 
kommenheit der Bossischen Methode. Von einer 
guten Dilatationsmethode muß man eben eine so vollkommene 
Dilatation verlangen, daß auch der nachfolgende Kopf durch 
die Zervix in keiner Weise zurückgehalten wird. Wenn bei 
Bossis Methode die Zange nötig ist, so heißt das nichts weiter, 
als daß der Kopf des Kindes die weitere Dilatation über¬ 
nehmen muß — und zwar natürlich zum Schaden des Kindes, 
wie ich das an mehreren der Leopoldschen Fälle nachge¬ 
wiesen habe. Außerdem widerspricht eine derartige Zange 
durchaus den Schulregeln, weil es sich bei der Dilatation einer 
erhaltenen Zervix stets um einen über dem Becken stehenden 
Kopf handelt. Mit der „hohen Zange“ allein ist in der Praxis 
schon gerade genug Unheil angerichtet worden. 

(Schluß folgt.) 

Der Massageunterricht im Berliner Ambulatorium 
für Massage. 

Yon Dr. P Kirchberg und Dr. J. Eiger. 

Einer dringenden Notwendigkeit folgend, errichtete 1900 
die preußische Unterrichtsverwaltung auf Initiative des Herrn 
Ministerialdirektors Alt ho ff die Massagelehranstalt an der 
Berliner Universität und gab dadurch Aerzten und Medizinern 
zum erstenmal Gelegenheit, die Massage an einer nur diesem 
Spezialgebiete gewidmeten Lehrstelle systematisch zu erlernen. 
Die Leitung dieser Anstalt wurde Professor Zabludowski 
übertragen, der fast zwei Dezennien hindurch in der Berliner 
chirurgischen Universitätsklinik unter v. Bergmanns Aegide 
reichliche Gelegenheit gehabt hatte, seine Massagetechnik anzu¬ 
wenden und weiter auszubilden. 

Den Zweck der neu errichteten Anstalt sah er in der Er¬ 
füllung folgender Aufgaben*): 

a) Ausbildung von Aerzten und Studierenden der Medizin 
in der Massagetherapie; 

b) wissenschaftliche Beobachtungen auf dem Gebiete der 
Massage; 

c) Ausbildung von ärztlichem Hilfspersonal in der Massage 
als einem wichtigen Faktor der Krankenpflege; 

d) der Möglichkeit einer systematischen Massagekur von 
fachmännischer Hand für Kranke, die einer solchen 
bedürfen. 


Diese sich gesteckten Ziele hat Zabludowski, wie 
folgende Zahlen beweisen, voll erreicht: 

Die Summe der gegebenen einzelnen Massagesitzungen betrug: 



1901 

1902 

1903 

1904 

1905 

1906 

Am Unterricht nahmen 

11848 
teil: 

17352 

19179 

22409 

20857 

24191 

Aerzte und Studierende . . 

. 125 

114 

142 

131 

104 

51 

Masseure und Masseurinnen 

24 

24 

39 

59 

98 

114 


Nach dem Ende November 1906 plötzlich erfolgten Tode 
Zabludowskis wurde Dr. Kirchberg mit der Leitung der 


*) Zabludowski', Die neue Massageanstalt der Universität Berlin. 
Berlin, klin. Wochenschrift, 1901, Nr. 15 

Derselbe, Der Massageunterricht an der Universität Berlin, Zeitschrift 
f. diät. u. phys. Therap. Bd. IX. 


Anstalt von der preußischen Unterrichtsverwaltung betraut, und 
der Unterricht von ihm und Dr. Eiger in bisheriger Form 
fortgeführt. Am 1. April 1906 wurde die Universitäts--Massage¬ 
anstalt auf ministerielle Verfügung aufgelöst und die Räume 
anderweitig verwendet. 

Um das Lebenswerk unseres verehrten Lehrers zu erhalten 
und seine Methode nicht der Vergessenheit anheimfallen zu 
lassen, sie vielmehr weiter zu entwickeln und auszubauen, 
errichteten wir nach Uebernahme des dem Professor Zablu¬ 
dowski gehörigen Inventars und unter Beibehaltung des bis¬ 
herigen Personals das Berliner Ambulatorium für 
Massage. 

In Anlehnung an die von Zabludowski aufgestellten 
Ziele werden in unserem Institute - 

a) praktische Monatskurse der Massage und Heilgym¬ 
nastik für Aerzte und Studierende abgehalten, 

b) im Anschlüsse an diese Kurse praktische Uebungs- 
kurse in der Poliklinik für Aerzte, 

c) Kurse für ärztliches Hilfspersonal. 

Mit Rücksicht auf die nicht zu unterschätzende Bedeutung, 
die darin liegt, daß den Aerzten jederzeit technisch gut aus¬ 
gebildetes und durch längere Uebung an einem vielseitigen 
Krankenmaterial unter ärztlicher Aufsicht geschultes Hilfs¬ 
personal zur Verfügung steht, sei es uns erlaubt, den Bildungs¬ 
gang der Laienschüler etwas ausführlicher darzulegen. 'Im 
Gegensatz zu einzelnen Autoren, die die Massage nur von 
Aerzten ausgeführt sehen wollen (Hoffa, Schreiber u. v. a.), 
stehen wir auf dem Standpunkt, daß für viele unter Umständen 
lange Zeit fortzuführende Massagekuren die Laienmassage nicht 
zu entbehren ist. 

In dem Lehrkursus, der je nach Vorbildung, bisheriger 
Betätigung auf dem Gebiete der Krankenpflege usw. zwei bis 
drei Monate dauert, werden ebenso wie in den Aerztekursen 
zunächst an gesunden Personen, welche zu diesem Zwecke vom 
Institut dauernd verwendet werden, die einzelnen Handgriffe 
demonstriert und eingeübt; es sind dies die einfachen Hand¬ 
griffe*), einerseits die stoßenden: intermittierende Drük- 
kungen, Klopfungen, Klatschungen, Hackungen, Erschütte¬ 
rungen, Zupfungen, Schüttelungen, Schleuderungen, Haut- 
und Knochenverschiebungen, andererseits die reibenden Ma¬ 
nipulationen: Reibungen, Drückungen, Knetungen, Streichungen, 
Hobeln, Muskelrollungen, Punktierungen. Sodann folgen die 
kombinierten Handgriffe, z. B. streichende Knetungen, die 
gleichzeitig ausgeführten Manipulationen aus verschiedenen 
Gruppen, die Einschaltung von aktiven, passiven oder Wider¬ 
standsbewegungen in die eigentlichen Massagemanipulationen. 
Nachdem die Schüler durch die Uebungen am „Modell“ eine 
gewisse Sicherheit in der Technik erworben haben, haben sie 
in der mit der Lehranstalt verbundenen, stark frequentierten 
Poliklinik, in der 60 bis 70 Massagesitzungen täglich gegeben 
werden, reichlich Gelegenheit, in für Männer und Frauen ge¬ 
trennten Arbeitsräumen unter ärztlicher Anleitung und Auf¬ 
sicht Kranke zu behandeln, die erforderliche Sicherheit zu er¬ 
werben und Erfahrung im Umgang mit den Kranken zu sam¬ 
meln. Doch werden die Schüler stets darauf hingewiesen, bei 
der Ausübung ihres Berufs keineswegs Kranke selbständig und 
ohne ärztliche Kontrolle mit Massage zu behandeln. Gerade 
die Ausbildung in einer speziell für Massagebehand¬ 
lung eingerichteten Poliklinik, die weder einer inneren noch 
einer chirurgischen Klinik mit einseitigem gleichartigem 
Krankenmaterial angegliedert ist, sondern wie das Berliner 
Ambulatorium für Massage alle der Massage zugänglichen Fälle 
umfaßt, gewährleistet sowohl Medizinern (Aerzten und Stu¬ 
dierenden) als auch ärztlichem Hilfspersonal die Er¬ 
langung einer sicheren, vielseitigen, allgemeinen wie speziellen 
Technik. 

Unser Institut, das analog der Zabludowskischen An¬ 
stalt mit den verschiedensten Berliner Polikliniken in lebhaftem 
Wechselverkehr steht, verfügt daher über eine große Reich- 

*) Zabludowski, Technik der Massage, 2. Aufl. Leipzig 1903, 


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Original fro-m 

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1908. 


therapeutische Rundschau. 


173 


haltiekeit und Verschiedenartigkeit des zur Behandlung kom- 
menden Krankenmaterials*) 

Auch bietet die Reichhaltigkeit des Materials gerade häufio- 
genug Gelegenheit, den Schülern zu zeigen, mit wie großer 
Vorsicht die Massage Kranker (Heilmassage) vorgenommen 
werden muß, um Patienten vor Schaden und sich selbst event. 
vor Unannehmlichkeiten zu bewahren (Verlust von Patienten 
Vorwurf wegen Kunstfehler usw.). 

Zweimal wöchentlich werden systematische Vorlesungen 
in der Lehre vom Bau und den Funktionen des Körpers ge¬ 
halten, auch findet theoretischer Unterricht über die Grund¬ 
züge der Heilgymnastik statt. Ebenso wird kosmetische und 
hygienische Massage, Schreiber- und Musikerkrampfbebandlung 
und Uebungstherapie im Lehrplan berücksichtigt. 

Die täglichen Unterrichtsstunden liegen I bis 117 . Uhr 
vormittags, am Nachmittag nehmen die Schüler vier- bis fünf¬ 
mal wöchentlich von 3 bis i'/ 2 Uhr am Heilturnen für Kinder 
(mit Kuckgratsverkrümmung, schlechter Haltung. Blutarmut, 
allgemeiner Schwäche u. dergl.) teil. 

Die Turnübungeu werden in unserer Anstalt in folgender 
Anordnung ausgeführt. 

I. Freiübungen. 

1 Rumpfbeuge vor- und rückwärts (Hüften fest), 4 mal. 

Rumpfbeuge seitwärts rechts und links, 4 mal 

3. Rumpfkreisen rechts und links, 3 mal 

4. Armheben und -senken seitwärts-aufwärts und seitwärts abwärts, 4 mal. 

5. Armtätigkeit in acht Zeiten: Abwechselndes Beugen und Strecken der 
Arme: vor-, seit-, auf- und abwärts, 3 mal. 

6. Armkreisen vor- und rückwärts, je 3 mal. 

7. Schultern heben und senken, 4 mal. 

8. Schultern abwechselnd heben und senken, 4 mal. 

9. Schultern rollen, vorwärts und rückwärts, je 4 mal. 

10 Rumpfheuge vor- und rückwärts mit aufwärtsgestreckten Armen, 4 mal 
11. Rumpfbeuge seitwärts reehts und links, mit 1 Arm über den Kopf, 4 mal. 
!.f ^ um Pfdrehen links und rechts mit aufwärtsschwingen der Arme, 4 mal 

13. fersen heben, Kniee beugen in 4 ZeiteD, 4 mal 

14. Fersen heben und senken mit Seithebeu der Arme, 4 mal 

15. Bemtatigkeit in 4 Zeiten rechts und links: Knieheben, Vorstoßen, Seit¬ 
schwingen, Grundstellung, je 3 mal. 

16. Gleichzeitiges Rückwärtskreisen von linkem Arm und rechtem Bein 
,_ dasselbe umgekehrt (rechter Arm und linkes Bein) je 4 mal. 

17. Ausfa ste ung schräg vorwärts rechts und links, je 4 mal. 

18 ftrecken t6 3 U mfl VOrwärts rechts Uüd liuks > Arme beugen und seitwärts- 
19. Schlußsprung auf der Stelle in 3 Zeiten, 4 mal. 

II. Uebungen au Geräten, 
a) Stuhlübungen: 

1. Rumpfbeuge rückwärts, 3 mal. 

2. Rumpfbeuge seitwärts, 3 mal. 

3. Rumpfkreisen rechts und links, je 3 mal. 

4. Armstoßen mit Widerstand: vorwärts, seitwärts, aufwärts, abwärts, rück¬ 
wärts, je 3 mal. ’ ’ 

5. Brustweiten. 

b) am W o 1 m : 

I. Hüfthoch : Rumpfbeuge rückwärts mit aufwärtsgestreckten Armen, 4 mal 
2 ’ ima^’' Rumpfbeu * e -twärts rechts und links, 1 Arm über den Kopf, 

3. Oberschenkelhoch: Rumpfbeuge halbvorwärts mit Hände im Nacken fest 
4 mal. 

c) auf dem Bett- 

I. Rückenlage: 

J. Rumpfaufrichten zum Sitz, 4 mal. 

•2. Beinbeben und -senken links, rechts, beide Beine zusammen, je 4 mal. 

II. Bauchlage: a) aktive Bewegungen. 

1. Rumpfaufrichten, 3 mal. 

2. Rumpfkreisen rechts und links, je 3 mal. 

3. Schwimmübung, 4 mal. 

4. Beinheben und -senken links, rechts, beide Beine zusammen, je 3 mal 

5. Armstrecken zum Liegestütz, je 3 mal. 

b) Passive Bewegungen: 

1. Oberkörperneigen seitwärts. 

2. Oberkörperdrehen. 

*) U. a. kamen zur Behandlung: chirurgische Leiden: Nach¬ 
behandlung nach Operationen, Fußverstauchung, Plattfuß, Knocbenbrucb, 
folgen von Zellenge websentzündungen, L'eberbein, Hautnarben usw. Nerven- 
1 ei den: Ischias, Neurasthenie, Tabes, Kontrakturen, Chorea,’ Krämpfe 
Harnblasen- Kinderlähmung, Schreiber- und Klavierspielerkrampf, Druck¬ 
lähmungen, Hemiplegie, Migräne, Neuralgie usw.; innere Krankheiten- 
Obstipation, Muskelrheumatismus, Asthma. Lungenemphysem, trockene 
Brustfellentzündung, Gelenkentzündungen, Herzleiden, Basedowsche Krank¬ 
heit usw., Ko n s titu t i o n san oma li en: Zuckerkrankheit, Fettsucht 
Blutarmut, allgemeine Schwäche, Rückgrats Verkrümmungen, Rhachitis Skro¬ 
fulöse usw. 


d) am feststehenden Reck: 

1. Schalterhoch: Im Hangstand vorlings: Arme beugen u. strecken, 4mal. 
o U" P u u : r Hangstand rücklings: Arme beugen und strecken 4mal. 

3. hLuithoch: Im Hangstand Liegestütz vorlings: Arme beugen u. strecken, 
4 mal. 

4. Hüfthoch: Im Liegestütz seitlings: Beugen und Strecken des freien 
Armes, je 4mal. 

e) am Schwebe reck- 

1. Im Streckhang: Vor- und Rückschwingen an Ort. 

2. Jm Beugehang: Kopfdrehen. 

3. Im Beugehang: Vor- und Rückschwingen an Ort, 

4. Im Beugehang: Beinheben rückwärts. 

i t) an den Ringen: 

1. Kopfboch: Wechsel von Hangstand vorlings und rücklings, 4 mal. 

2. Kopfboch: Rumpfkreisen rechts und links, je 4 mal. 

3. Im Oberarmhang: Beinkreisen rechts und links. 

4. Im Beugehang: Beinschwingen vor- und rückwärts, 
o. Im Streckhang: Schwingen ohne Abstoßen 

. ... .. g) an der Kopfschlinge: 

Aufziehen bis zum Zehenstand. 

III. Atmungsübungen.*) 

1. Arme seitwärtsstrecken mit Tiefatmen, 3—5 mal. 

2. Arme aufwärts-seitwärtsheben mit Tiefatmen, 3-5mal. 

a n? 4 ? 0 fe !U Ellenbogen üa ch hinten drücken und tiefatmen, 3-6mal. 
4. Hände auf dem Rücken schließen, tiefatmen mit Aufwärtsziehen der 
Hände, 3—0 mal. 

*•’ Ungleichseitiges Tiefatmen mit Rumpfbeugen rechts und links, je 3mal. 
b. Hände hinter dem Kopf schließen. Tiefatmen mit Zurückdrücken der 

Ellenbogen. 

7. Hüften fest, ein- und ausatmen in je drei Zeiten. 

I- — 2. — 3. — Pause — 1. — 2. — 3. 

Q ts D“atmen (5—10 Sek.) Ansatme«. 

o. Dasselbe mit tönendem Ausatmen a. — a. a. 

9. Dasselbe mit wechselnden Vokalen a. — o. i. 

10. Einatmen langsam mit Vokal a an- und abschwellen — ausatmen. 

I* ____IL_ 

i. ?, s w i rd jnit offenem Munde ein- und ausgeatmet, die Einatmung ge¬ 
schieht schnell, die Ausatmung langsam gedehnt. 

Fußstellung Hacken zusammen. Fußspitzen auseinander. 

IV. Krieehübungen. **) 

1. Im Wechselgang. Arm und Bein der einen Körperhälfte sind gebeugt, 

die der anderen gestreckt. 6 ° ’ 

2. Im Paßgang. Linker Arm ira Ellenbogengelenk und rechtes Bein im 
Kniegelenk gebeugt, rechter Arm und linkes Bein gestreckt und umgekehrt. 

ln diesen beiden Gangarten werden jo vier Hebungen, also acht zu¬ 
sammen gemacht. ° * 

a) Gewöhnliches Kriechen. 

b) Kriechen mit beweglichem Oberkörper. 

c) In zwei Zeiten. Verharren einige Zeit in jeder Phase. 

d) In drei Zeiten. Ebenso wie c mit Seitwärtsstrecken des Beines, so 
daß dieses das andere Bein kreuzt, Seitwärtsstrecken des gleichseitigen 

o o» , r . me: ! und , des Kopfes nach derselben .Seite wie das Bein 
3 Ruckwartskriechen. 

4. Kriechen am Ort. 

Nach den Turnübungen wird der Rücken der Kinder massiert. 
Die Behandlung wird sehr gut vertragen, der Appetit bessert 
Sieh, die Kinder werden kräftiger, bekommen bessere Farbe und 
beteiligen sich stets mit Lust und Vergnügtheit am Heilturnen. 

Der Turnunterricht findet in dem ca. t>5 qm großen Turn¬ 
saal statt, die Atemgymnastik und die Freiübungen werden bei 
günstiger V\ i Gerung im Anstaltsgarten vorgenommen. 

Die für Männer und Frauen getrennten Arbeitsräume sind 
wie die der Zablud o wskischen Anstalt mit den von ihm an¬ 
gegebenen Massagebetten von 77 cm Höbe, 195 cm Länge und 
6o cm Breite ausgerüstet***). Vor den Massagebetten befinden 
sich Wandschirme, außerdem sind Böcke zur Unterstützung des 
Vorderarms bei Schultermassage und Drehstühle zur Fuß- & und 
Handbehandlung vorhanden. 

Entsprechend den Prinzipien Zabludowskis sehen wir 
vollständig von der Verwendung komplizierter medikomecha- 
n iS eher Apparate ab und ersetzen diese durch Uebungen 
aktive und passive Bewegungen während und nach der MassW 
Wir suchen unseren Schülern die Möglichkeit zu cr e ben daß 
sie durch Beherrschung der Massagetechnik Zabludowskis 
bei Durchführung der Uebungskuren in der Lage sind, durch 


*) Von Kirchberg in die Skoliosenbehandlung eingeführt und mit 
gutem Erfolge seit zwei Jahren angewendet. 

"‘j Diese von Klapp eingeführte Methode wird bei uus seit zwei 
Jahren mit sehr zufriedenstellendem Erfolge angewendet in obiger von 
Eiger modifizierter Anordnung. 

***') Zabludows ki, Technik der Massage. 2. And., p. 37. Leipzig 1903. 




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174 




THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Handgriffe und überall leicht zu beschaffende Hilfsmittel jene 
komplizierten und kostspieligen Apparate ausreichend zu er¬ 
setzen. Auch kann die manuelle Behandlung leicht in. der 
Wohnung und unter eingehenderer Berücksichtigung der Eigen¬ 
heit jedes einzelnen Patienten durchgeführt werden. 

Zu Unterrichtszwecken in der Vibrationsmassage bedienen 
wir uns eines elektrischen Vibrationsapparates (Bihlmaier), 
als Unterstützung der Massagetherapie dient uns mit gutem 
Erfolg Linde man ns Elektrotherm (Heißluftapparat mit elek¬ 
trischer Heizung). 

Die Schüler tragen bei der Arbeit einen weißen, kurzen 
Roch;, die Schülerinnen hochgehende weiße Schürze und weiße 
Arbeitsärmel, dazu möglichst Waschblusen. (Die Schwestern 
tragen meist die waschbaren Schwesternkleider.) Für die Er¬ 
holung, Erfrischung und Ablegung der Kleider dienen besondere 
dazu angewiesene und für Schüler und Schülerinnen getrennte 
Räume. 

Als Massagesalbe verwenden wir die von Zablu- 
dowski empfohlene Virginia vaselina alba Helfrisch.*) 

Bei Fällen mit empfindlicher Haut (Diabetes, Nephritis), 
frisch geheilten Wunden mit zarter, leicht verletzbarer Epithel¬ 
decke gestattet uns die Verwendung der Lenicetsalbe (poly¬ 
merisierte essigsaure Tonerde mit Vaselin) vermöge ihrer zu¬ 
gleich desinfizierenden und die Haut schlüpfrig machenden 
Wirkung die Anwendung der Massage, ohne unerwünschte 
Nebenwirkungen befürchten zu müssen. 

Zum Schlüsse möchten wir noch darauf hinweisen, daß 
eine Spezialmassageanstalt, in der die Aerzte Gelegenheit 
haben, die Anwendung der Massage bei allen dieser 
Therapie zugänglichen Krankheitsfallen kennen zu 
lernen und die Technik sich gründlich anzueignen, auch aus 
dem Grunde eine überaus wichtige Rolle im Kampfe gegen 
die Kurpfuscherei spielt, weil sie es den Aerzten ermöglicht, 
ebensowohl dankbare Massagefälle nicht aus der Hand geben 
zu müssen, wie anderseits die Arbeit ihres massierenden Hilfs¬ 
personals jederzeit konti ollieren zu können. — Daß unsere 
Laienschüler nicht das Heer der Kurpfuscher vermehren, geht 
aus dem oben über unseren Unterricht Gesagten genügend hervor. 

Und schließlich ist in dieser Hinsicht auch der Gesichts¬ 
punkt der Beachtung wert, daß bei der heutigen Beliebtheit 
der physikalischen Heilmethoden zahlreiche Kranke gerade die 
Aerzte aufsuchen, bei denen sie hoffen, mit den Faktoren der 
physikalischen Therapie behandelt zu werden. 

Werden die Patienten in Instituten wie dem unsrigen, falls 
sich ihr Leiden nicht lür diese Methode eignet, ärztlich darüber 
aufgeklärt und anderen Aerzten überwiesen, so werden sie 
davor bewahrt, Kurpfuschern in die Hände zu fallen. Selten 
haben wir es wenigstens erlebt, daß die von uns anderen 
Aerzten resp. Polikliniken zugewiesenen Kranken nicht darnach 
gehandelt hätten. 

*) Vergl. Schn irer und Vierordt: Encyklopädie der prakt. 
Medizin. Wien 1906. „Massage.“ 


Mißverstandene und wahre kausale Therapie. 

Von Kreisarzt Dr. F. BachniarLn, Harburg a. E. 

Unser gesamtes ärztliches Denken ist in hohem Grade 
durch die Bakteriologie beeinflußt worden. Das Vorhandensein 
von Kleinwesen bei fast allen entzündlichen “Prozessen akuter 
und chronischer Form hat aus Mangel an anderen erkennbaren 
Ursachen zur Folgerung geführt, sie als die direkten, wahren 
Ursachen fast aller Krankheiten zu betrachten. Schließlich 
kam es so weit, daß man unter einer kausalen .Therapie ganz 
allgemein eine antiseptische verstand. Dem Organismus als selbst¬ 
regulierendem Faktor wurde dabei jede Bedeutung aberkannt. 

Die erste Nutzanwendung der Bakterienforschung zog be¬ 
kanntlich die Wundbehandlung. Deren Anschauungen wurden 
dann auch auf die therapeutischen Maßnahmen bei inneren 
Krankheiten übertragen. 

Lassen Sie uns in großen Zügen die Anfänge der anti¬ 
septischen Chirurgie betrachten. Nachdem das Mikroskop sowohl 


in der Luft als in jeder entzündeten und eiternden Wunde ger 
wisse Arten von Mikrobien entdeckt hatte, deren Lebensweise 
und kontagiöse Eigenschaften durch Kulturen und Versuche 
erkannt, wurden, galt es, die zur Wunde gelangende Luft vor¬ 
her zu desinfizieren. Als Antiseptika wurden zu diesem Zwecke 
von List er besonders Kresole verwandt. Wie bei einem 
Laboratorium-Experiment schien die Anwendung derselben 'die 
Richtigkeit der Theorie zu beweisen: sublata causa eessat effectus. 
Die causa sufficiens der Wundeiterung war also entdeckt! 

Leider jedoch war das Experiment nicht rein und daher 
nicht beweiskräftig. Der List er sehe Verband enthielt außer 
dem antiseptischen Agens noch' andere wesentliche Bestand¬ 
teile, welche rein biologisch wirkten: die achtfache feuchte 
Gazelage und das undurchlässige sogen. Protectif silk. Diese 
erzeugten als regelrechter Prießnitz-Umschlag feuchte Wärme, 
was damals aber mangels hydrotherapeutischer Kenntnis über¬ 
sehen wurde. 

Feuchte Wärme wirkt nun, das lehrten ja alle Kultur¬ 
versuche, fördernd auf jedes Bakterien-Wachstum. Wenn es 
aber, nach der Theorie der antiseptischen Wundbehandlung, 
darauf ankam, das Wachstum von Kleinwesen zu verhindern, 
mußte man dann nicht in erster Linie alle Brutschrank- 
Bedingungen vermeiden? 

Setzte man sie aber und erzielte trotzdem prompte Wund¬ 
heilung, so war dieses doch der beste Beweis dafür, daß nicht 
die Kleinwesen, sondern gewisse vitale Reaktionen des Organis¬ 
mus, welche durch die feuchte Wärme hervorgerufen oder doch 
befördert wurden, die Hauptsache bei der Wundheilung waren. 

Heute sollten wir doch in diesen Dingen klar sehen! Wir 
wissen, daß die durch feuchte Wärme so mächtig angeregte 
Heilung auf der Ausscheidung giftiger Stoffwechsel-Produkte 
beruht, welche durch osmotische Vorgänge erklärbar ist. Es 
treten in den osmotischen Strömen Salz- und Säureteilchen 
aus dem Blute und den sonstigen Körperflüssigkeiten durch 
die Epidermis hindurch. Diese Entgiftung entzieht der Wunde 
und ihrer Umgebung jene Stoffe, welche offenbar das Wachs¬ 
tum der Eiterbakterien unterhalten und fördern. Es wird ihnen 
also der Nährboden entzogen und, indem sie absterben, heilt 
die Wunde. 

Wir können ja das Experiment jeder Zeit anstellen. Jede 
kleine, mit dem Traubenkokkus verunreinigte Hautwunde kann 
uns als Objekt dienen. Versuchen wir es einmal, sie lediglich 
durch Antiseptika zur Heilung zu bringen, unter Verzicht auf 
alle körper-biologischen Einwirkungen. Wir tupfen und waschen 
die glattrandige Wunde mit steriler Watte und antiseptischer 
Lösung sorgfältig aus, schonend, um die Gewebe nicht zu ver¬ 
letzen, noch zu reizen (wenn die absolute Infektionstheorie 
richtig wäre, so dürfte ja eigentlich selbst eine mechanische 
Läsion der Gewebe nicht schaden). Alsdann streuen wir anti¬ 
septische Pulver auf, wie deren ja vor einiger Zeit zahlreiche 
in Gebrauch waren, Xeroform, Aürol und wie sie alle hießen. 
Wenn wir deren antiseptischer Wirkung nicht völlig trauen, 
so können wir ja die „Desinfektion“ mit zuverlässigeren Mit¬ 
teln, etwa mit einer 1 pro mille Sublimatlösung zeitweilig wieder¬ 
holen. Ich brauche wohl dem Praktiker nicht erst zu sagen, 
daß diese rein infektions-theoretische Methode uns schnöde im 
Stich lassen würde. Deshalb ist diese antiseptisch-offene Art 
der Wundbehandlung schon fast allgemein aufgegeben worden 
und dafür, mehr oder weniger unbewußt, wieder die Behand¬ 
lung mit feuchter Wärme in Gebrauch genommen. Mag man 
dabei auf die Wunde selbst feuchte Gaze oder Watte legen 
oder trockene, mag man einen undurchlässigen Stoff einschalten 
oder nicht, all dieses ist von geringerer Wichtigkeit. Wenn 
auch feuchtes Verbandsmaterial vorzuziehen ist, so garantiert 
uns doch schon jede Gaze- oder Wattelage auf der Wunde in 
Verbindung mit der nie ausbleibenden Perspiration der Haut 
die Erzeugung von feuchterWärme, und indem hierbei osmoti¬ 
sche Kräfte in Erscheinung treten, verlieren alle antiseptischen 
Stoffe ihre Bedeutung oder behalten solche doch bestenfalls 
nur in sekundärem Maße. Ob wir starke - oder schwache x\nti- 
septika, oder ob wir gar keine anwenden und nur destilliertes . 
oder gekochtes Wasser, ja überhaupt nur Leitungswasser mit 
hundert oder gar Brunnenwasser mit einigen tausend der ge- 


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;wö|®l^n W^säerbakterien im cem, das ist alles Nebensache 
ixa '^'eijgleicb 'zur Wirksamkeit der osmotischen Kräfte der 
leliSlxten Wärme. Die Erzeugung eines Flüssigkeitsstromes von 
innen nach außen ist der springende Punkt! Die Wunde heilt 
unter Bedeckung tatsächlich am besten, und zwar nicht nach 
den Theorien der Bakteriologen, sondern nach denen der Bio¬ 
logen. Letzteren hatte aber — glücklicherweise — auch 
, Li s ter, wenn auch unbewußt, Rechnung getragen. 

Wer sich einbildet, allein oder auch nur hauptsächlich 
durch Antisepsis Wunden zu heilen, für den bleiben zudem 
zahlreiche Rätsel ungelöst Warum heilen Wunden an ver¬ 
schiedenen Körperstellen so ungleich? Ist die Haut des Unter¬ 
armes denn so verschieden von der des Unterschenkels, oder 
etwa so viel reiner, daß sie in der Regel so viel schneller 
heilt? Nein, die Beschaffenheit der Lymphe unter der Haut 
der Unterschenkel, besonders älterer Leute, ist wahrscheinlich 
eine „unreine“, an Stoffweehselprodukten reiche, so daß hier 
den sog. Eitererregern reichlichere Nahrung geboten wird. 
Warum heilen bei Kindern, zumal wenn sie sehr eiweißreich 
oder fett ernährt werden, alle Wunden schlechter, insbesondere 
in der Nähe von Mund, Nase, Ohren, und warum kommt es 
hier so leicht zu Ekzemen? Weil jede solche Wunde leicht 
zum Ausscheidüngsort, ich möchte fast sagen: Ausscheidungs¬ 
organ für verbrauchte Lymphe wird, welche wieder einen 
günstigen Nährboden für allerhand Mikrobien abgibt. 

• Ich kann nicht umhin, so sehr ich auch auf Widerspruch 
bei den Herren Kollegen stoßen werde, hier an zahlreiche Vor¬ 
stellungen älterer Aerzte zu erinnern. In Gestalt von Fontanelle, 
Haarseil und Moxe wurden früher solche Blutreinigungsorgane 
künstlich gesetzt, und ich halte sie.zum mindesten für theoretisch 
richtig; praktische Erfahrungen mit ihnen kann ich freilich 
nicht ins Feld führen. 

Das Wort „Blutverunreinigung“ ist allerdings insofern an¬ 
fechtbar, als abgestorbene weiße Blutkörperchen und sonstige 
Gewebszellen in erster Linie in den Lymphwegen Vor¬ 
kommen, während der Organismus sein Blutgefäßsystem — im 
engeren Sinne — bekanntlich von ihnen möglichst rein zu 
halten trachtet. Aber humorale Vorgänge sind es auf alle 
Fälle, welche hier maßgebend sind. Der Kern der Frage liegt 
eben darin, daß sich unter gewissen unhygienischen Bedingungen 
ein Mißverhältnis zwischen Bildung ■ und Ausscheidung von 
Abfallstoffen herausbildet, welches zu allerhand Reaktionen 
des Organismus Veranlassung gibt, die als Krankheiten in Er¬ 
scheinung treten. Auch jede Wunde benutzt der Organismus 
als ein willkommenes Tor, um Fremdstoffe zu eliminieren, 
und je reicher er gerade an solchen Stoffen ist bezw. je reicher 
die betreffende Körperregion ist, um so schwerer heilt eben 
die Wunde. 

Betrachten Sie einen Favus oder ein Ekzem eines lym¬ 
phatischen oder skrofulösen Kindes oder ein veraltetes Unter¬ 
schenkelgeschwür einer älteren Person, welche seit längerer 
Zeit unter unhygienischen Verhältnissen lebte. Es hat sich 
der Volksglaube gebildet, solche lokale Leiden dürften nicht 
schnell zur Heilung gebracht werden. Ein Körnchen Wahrheit 
steckt darin. Wenn sie auf einmal geheilt wären, ohne daß 
gleichzeitig die humoralen Verhältnisse wirkliche Besserung er¬ 
führen, so würde sich die schlechte Konstitution wahrschein¬ 
lich in einer anderen Weise äußern. Aber dieses ist eben 
deshalb so gut wie ausgeschlossen, weil der Körper, nachdem 
ihm solche nässende Geschwürsflächen zu Ausscheidungsorganen 
geworden sind, ihre Schließung kaum zuläßt, wenigstens nicht 
durch rein lokale Maßnahmen. Wohl aber duldet er ihre 
Schließung auf konstitutionellem Wege, d. h. durch Mittel, 
welche gleichzeitig die humorale Störung bessern, sei es durch 
Verhinderung der Bildung weiterer schädlicher Stoffe, sei es 
durch Vermehrung ihrer Ausscheidung auf dem Wege der 
drüsigen Organe. Solche Maßnahmen bestehen, einerseits in 
richtiger Diät, andererseits in hygienischen bezw. physiologi¬ 
schen Reizen, im Aderlaß, in Stoffwechselkuren, in Medika¬ 
menten wie Jod und Schwefel; dabei hilft sicherlich eine 
leicht-antiseptische Wundbehandlung oder lokal-hydrothera¬ 
peutische Behandlung mit zur Heilung; Antisepsis allein ist 
aber völlig unwirksam. Ich meine, jeder Arzt würde unter 


Leitung solcher den Gesamtorganismus berücksichtigender An¬ 
schauungen erst ein wahrer Diener der Natur werden, während 
er von seinem bakteriologischen, lokalistischen und mecha¬ 
nistischen Standpunkte aus beständigen Täuschungen ausge¬ 
setzt ist. 

Alle solche Vorgänge an der Oberfläche des Körpers geben 
uns aber auch bedeutsame Fingerzeige für die Pathologie und 
Behandlung der inneren Krankheiten. 

Beginnen wir mit der Behandlung einer Gonorrhöe oder 
eines Blasenkatarrhs. Ganz abgesehen von den direkten Schä¬ 
digungen der zarten Schleimhäute sind wir doch im Laufe der 
Jahre von dem Gedanken der rein antiseptischen Behandlung 
durch schlechte Erfahrungen mehr und mehr abgekommen. Die 
innere Behandlung des Trippers, also durch Einwirkung auf die 
Humores hat mehr und mehr die zur Höhezeit des Infektions¬ 
gedankens allein giltig gewesene lokale abgelöst; die diätetische 
wird sicherlich folgen. Die Wichtigkeit der fleischlosen Diät ist 
wenigstens bei Nierenleiden schon anerkannt, obgleich leider 
die reine Milchdiät noch vorherrscht, die m. E. nur den nega¬ 
tiven Wert der Fleischausschaltung hat und am besten durch 
Obst-, Nuß- und Mandeldiät ersetzt werden sollte. Ganz be¬ 
sonders bei akuten Kinderkrankheiten verdient Milch auch nicht 
die Wertschätzung, die ihr zurzeit zuteil wird, w T enn sie auch 
hier natürlich schon besser als Fleisch und Bouillon ist; bei 
Diphtherie halte ich reichliches Milchtrinken geradezu für 
schädlich; Obst sollte hier die hauptsächlichste Nahrung bilden. 
Doch dieses nur nebenbei. 

Bei Darmkatarrhen und Ruhr hat die theoretische Wert¬ 
schätzung der Antiseptika wohl gleichfalls schon bedeutend 
nachgelassen, und bei Typhus, wo sich ja der Bazillus mit Vor¬ 
liebe das adenoide Gewebe der Pey ersehen Plaques als Nähr¬ 
boden aussucht, dürfte die antiseptische Methode auch wohl nur 
noch wenige Anhänger haben. Auch bei diesen Darmkrank¬ 
heiten wird die Schädlichkeit der eiweißreichen Ernährung 
ohne Zweifel bald anerkannt werden. 

Am meisten erwartet man heutzutage wohl noch im Mittel¬ 
ohr sowie an den Nasen- und Rachenschleimhäuten von der 
Antisepsis, wenn auch allerdings Mittel, den Schnupfen durch 
Antisepsis zu kupieren, wohl nur noch auf die nachwirkende 
Bakteriengläubigkeit der Masse spekulieren, w r eiche wohl nicht 
so leicht davon zu überzeugen sein wird, daß nicht auf jede 
Wunde Jodoformgaze und Karbollösung gehört, wie der Haken 
in die Oese, sowie daß eine „Antisepsis der Mundhöhle“ ein 
Unding ist, nur gewinnbringend für die chemische Industrie. 

Der Gedanke der inneren Antisepsis sowohl als auch der 
ebenso verkehrte der direkten Herabsetzung der Temperatur hat 
übrigens eine ganze Anzahl von Medikamenten eingeführt, welche 
sich nichtsdestoweniger in gewissem Grade bewährt haben. Ich 
nenne Chinin, die Salizyl-Präparate, viele Benzolderivate und 
verwandte Stoffe, die in unendlicher Reihe als innere Antisep¬ 
tika, Antifebrilia oder Nervina den chemischen Fabriken ent¬ 
sprossen sind und tagtäglich noch entsprießen: Antipyrin, Anti- 
febrin, Phenazetin, Laktophenin, Saiipyrin, Aspirin etc. etc. 
Sie alle sind Beispiele für die bekannte Erscheinung, daß Heil¬ 
mittel oft, trotz völlig verkehrter theoretischer Begründung, 
sich in gewissem Grade wirksam erwiesen. Viele, wenn nicht 
alle diese Mittel, halte ich für nützlich durch ihre evakuierende 
Wirkung und daher gleichzeitig für — ex juvantibus — Beweise 
meiner humoralen Krankheitstheorie. Sie wirken nämlich meistens 
befördernd auf Drüsentätigkeiten, wie auf die Schleimdrüsen des 
Rachens, der Bronchien, auf die Niere, die Schweißdrüsen der 
Haut usw. Oft erfolgt vermehrte Schweiß- oder Urin-Sekretion, 
wie nach salizylsaurem Natron, Antifebrin, Phenazetin, Urotropin 
und anderen solchen Mitteln; so betrachte ich sie in passender 
Kombination, so daß von keinem Stoffe zum Schaden des 
Herzens zu viel gegeben wird, oft für wirksame Unterstützungs¬ 
mittel hydriatischer Prozeduren, besonders wo es auf schnelle 
und wirksame Evakuation ankommt, wie z. B. bei Wochenbett¬ 
fiebern. Auch hier ist wieder der nach außen gerichtete Flüssig¬ 
keitsstrom das verhütende und heilende Moment. ’ 

Ich könnte noch zahlreiche Mittel vorführen, an deren 
Beispiel der reine Infektionsgedanke Schiffbruch leiden 
muß, der biologische aber sich bewährt, insbesondere das 


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humorale Prinzip der Katharsis. Ich möchte die Herren 
Kollegen aber nicht der Freude berauben, selbst diese Gesichts¬ 
punkte bei vielen anderen wirksamen Mitteln und Methoden 
herauszufinden, welche bisher, bei Zugrundelegung des Infek¬ 
tionsstandpunktes, völlig unverständlich blieben. 

Lassen Sie mich heute mit dem Bilde schließen, daß der 
naturwissenschaftlich vorgebildete Landwirt, der eine Sumpf¬ 
wiese verbessern will, sicherlich zur Vertreibung von Moos, 
sauren Gräsern und sonstigen Unkräutern nicht alle diese 
Pflanzen einzeln ausroden, sondern zur Dränage sowie zur 
Kalk- und Kalidüngung greifen wird, um so durch Verbesserung 
des Grund und Bodens mit einem Schlage die lästigen Pflanzen 
los zu werden. Hin und wieder wird er allerdings einzelne 
Disteln ausjäten, die Zwiebeln der Herbstzeitlose ausstechen usw., 
und auch der Arzt soll gewiß nicht auf alle Desinfektionsmittel 
außerhalb des Körpers verzichten. Ebenso wie der rationelle 
Landwirt denkt und handelt der konstitutionell behandelnde 
Arzt. Wenn wir statt Kali „Natron“ setzen und beim Drä¬ 
nieren an Förderung der Evakuation der verbrauchten Lymphe 
denken, so stimmt das angeführte Bild überraschenderweise 
sogar wörtlich. 

Hiebt die Antisepsis, sondern die Konstitutions-Pathologie 
und -Therapie ist die Medizin der Zukunft! Der bakterio¬ 
logische Arzt aber wird dem biologisch-denkenden weichen 
müssen! 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 



Kinderheilkunde. 

Referent: Privatdozent Dr. J. Ibrahim, München. 

1. Beitrag zur Keuchhustenbehandlung. Von W. R. Schottin. 
Med, Klinik, 1908, Nr. 7, S. 230. 

2 . Eine Malariaendemie in Peine (bei Hannover), haupt¬ 
sächlich bei Kindern beobachtet. Von G. Freudenthal. Arch. 
f. Kinderheilk., 1907. Bd. 47, S. 95. 

3. Primäre Nasendiphtherie mit Membranbildung im ersten 
Lebensmonat. Von Pb. Kuhn. Ibidem, S. 116. 

4. Akute hämorrhagische Nephritis nach Parotitis epidemica 
hei einem sieben Monate alten Kinde. Von Jelski. Ibidem 
Seite 164. 

5. Zur Diagnose und Behandlung der sporadischen und 
epidemischen Zerebrospinalmeningitis. Von W. E. Tschernow. 
Jahrbuch f. Kinderheilk., 1908, Bd. 67, S. 161. 

1. Schottin empfiehlt zur Behandlung des Keuchhustens 
die Inhalation von Bromdämpfen bei Tag und Nacht. Ref. scheint 
die Anwendung eines derart differenten Mittels bei Kindern doch 
äußerst bedenklich zu sein, zumal die Dosierung sich offenbar 
ganz nach subjektiven Eindrücken der Angehörigen des Kindes 
richten muß. Ob das vom Verfasser hergestellte Mittel Bromo- 
tussiu eine genauere Dosierung zulaßt und die Gefahr einer 
Schädigung durch das Mittel geringer ist wie bei der Anwendung 
von remem Brom, ist aus der Mitteilung nicht ersichtlich. Die 
drei angeführten Krankengeschichten sind zudem wenig beweisend, 
so daß Verf. selbst zum Schluß kommt, daß er durchaus nicht 
glaube, seine Leser von der Wirksamkeit seiner Behandlung über¬ 
zeugt zu haben. 

2. Die Mitteilung von Freudenthal über eine Malaria¬ 
endemie verdient in mehrfacher Hinsicht Beachtung. Von thera¬ 
peutischem I iteres.se sind die guten mit Arisfcochin gemachten 
Erfahrungen des Verfassers. 

3. Der von Kuhn beobachtete Fall von membranöser Nasen¬ 
diphtherie bei einem Säugling im ersten Lebensmonat gehört zu 
den seltenen Erscheinungen. Wir wissen zwar, daß Nasendiphtherie 
beim Säugling nicht selten ist, viel häufiger als die Rachenerkran¬ 
kung, aber sie verläuft meist in der Form eines starken Schnupfens 
mit eitrigem, event. blutig-eitrigem Sekret, und durch Ball in 
und Schaps wissen wir sogar, daß sehr viele ganz harmlos ver¬ 


laufende Rhinitiden der Säuglinge bei bakteriologischer Analyse 
Diphtheriebazillen erkennen lassen. Ref. möchte im Hinblick auf 
die doch sehr sicher wirksame Serumtherapie, die auch im vor- 1 
liegenden Fall (3000 J. E.) von Nutzen war, und auf die stets 
vorhandene Gefahr des Uebergangs auf den Larynx bei jedem 
ätiologisch nicht rasch sich klärenden Schnupfen der Säuglinge 
eine bakteriologische Untersuchung und eventuelle spezifische 
Therapie für angezeigt erachten. 

4. Der von Jelski mitgeteilte Fall von Mumps bei einem 
sieben Monate alten Kinde nahm einen tödlichen Ausgang infolge 
einer am elften Krankheitstag binzugetretenen hämorrhagischen . 
Nephritis (Mischinfektion ?). Solche Fälle sind doch äußerst selten 
und die davon abgeleitete Forderung des Verfassers, selbst in. 
den leichtesten Fällen die Patienten acht bis zehn Tage im Bett 
zu halten, ist in ihrer Verallgemeinerung vielleicht etwas zu weit 
gehend. Von Interesse ist die Feststellung, daß von den vier 
Geschwistern der zuerst erkrankte Knabe die leichtesten Erschei¬ 
nungen zeigte, die sich bei den folgenden Erkrankungen in der 
Familie progressiv steigerten und bei dem zuletzt befallenen Säug¬ 
ling den Tod herb eiführten. 

5. Während vielfach häufiger wiederholte Lumbalpunktion 
als ein gutes therapeutisches Hilfsmittel in der Behandlung der 
eitrigen Meningitiden, speziell der epidemischen, gelten, ist 
Tschernow geneigt, der Lumbalpunktion lediglich diagnostische 
Bedeutung zuzuschreiben und will nicht einmal die vielfach (auch 
vom Ref.) konstatierte palliative Einwirkung auf die Kopfschmerzen 
und -das subjektive Befinden gelten lassen. — Aus den viele wert¬ 
volle Einzelbeobachtungen enthaltenden Ausführungen des Verf.s, 
denen 24 eigene Fälle zu Grunde liegen, seien einige therapeu¬ 
tische Gesichtspunkte speziell erwähnt. Für die allerwirksamste 
Maßnahme zur Erleichterung der Patienten hält er die Bäder von 
30 bis 32° R, die täglich und zuweilen auch zweimal täglich 
verabfolgt werden; sie bewirken Beruhigung und Schlaf, besonders 
in den ersten Krankheitswochen, -r- Als ein gutes beruhigendes 
Mittel erwies sich Morphium subkutan (0,002 bis 0,005 pro Dosi 
und 0,01 bis 0,02 pro die); auf das Erbrechen wirkten außer 
Eispillen, kalten alkalischen Wässern, und Champagner, teelöffel¬ 
weise verabfolgt, auch Einatmungen von Sauerstoff. - Chloralhydrat 
mit Morphium kombiniert, innerlich verabreicht, beruhigt die 
Kranken schneller und ruft eher Schlaf hervor, als es Brom¬ 
präparate tun. — Von Interesse ist ferner die Mitteilung, daß die 
Meningitiskranken mit anderen Kranken zusammen untergebracht 
waren und daß keine Ansteckungen vorgekommen sind, obwohl 
besondere Vorsichtsmaßregeln seitens des Pflegepersonals und der 
Aerzte nicht eingehalten wurden. 


Radiotherapie. 

Referent: Dr. H. E. Schmidt, Oberarzt am Kgl. Universitäts- 
Institut für Lichtbehandlung, Berlin. 

1. Zur Behandlung der Schuppenflechte mit Ultraviolett¬ 
strahlern Von Davidsohn. Deutsche med. Wochenschr., 1908, 
Nr. 2 (Bemerkungen zum Artikel von Dr. Becker in Nr. 51 
dieser Wochenschrift, 1907). 

2. Ueber die Einwirkung der Radiumemanation auf Neu¬ 
bildungen. Von Loewenthal. Berl. klin. Wochenschr., 1908, 
Nr. 3. 

4. Praktische Schutzvorrichtungen im Röntgenzimmer. Von 
Davidsohn. Deutsche med. Wochenschr., 1907, Nr. 7. 

4. Ueber Einrichtungen zur Behandlung mit Ultraviolett¬ 
strahlen. Von Davidsohn. Deutsche med. Presse, 1907, Nr. 5. 

5. Ueber die Heilung der Mykosis fungoides mit Röntgen¬ 
strahlen, Von Hübner. (Nach einer Demonstration im ärzt¬ 
lichen Verein zu Frankfurt a. M.) Fortschr. d. Medizin, 1908, 
Nr. 1. 

6. Zur Therapie des Lupus. Von Jungmann. Oesterreich. 
Aerztezeitung, 1908, Nr. 3. 

7. Fortschritte der Röntgenologie und Radiumtherapie, 
Von Lassar. Zeitschr. f. neuere physikal. Medizin, 1908, Nr. 1. 

8. Wirkung der Röntgen- und der Radiumstrahlen auf die 
Pflanzenzellen. Von Guilleminot. Ibidem, Nr. 1, 


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' 9. Beiträge zur Kiototherapie. Von Freund. Ibidem, FäUe sind besonders geeignet. Neben der Finsentherapie kommt 

■^ r *' • als Radikalbehandlung nur das von Lang ausgebildete operativ- 

10, Eme neue Methode, die Dauer der radiotherapeutischen plastische Verfahren in Frage. 

Behandlung der tiefliegenden Organe durch Ausschaltung der 7. Der berühmte Dermatologe weist in dieser seiner letzten 

RöUtgenstrahlen von schwacher Penetrationskraft abzukürzen. Arbeit auf die Bedeutung der Röntgenstrahlen für die verschie- 
Von Fleig. Ibidem, Nr. 3. denen Gebiete der Medizin in diagnostischer und therapeutischer 

1. Becker hatte die Ultraviolettbestrahlung der Psoriasis als Beziehung hin, auf die seit dem Bestehen der Methode erzielten 
der Röntgenbehandlung gleichwertig empfohlen. Der Verfasser Fortschritte, auf die Notwendigkeit einer röntgenologischen Aus- 
rnemt jedoch, daß die Bestrahlung der Psoriasis mit „chemischen bildung der Studierenden und Aerzte; als „nächstliegende Ver- 
Strahlen«, z. B. mittels der „Uviollampe“ wegen der langen Sit- vollkommnung“ der Röntgentherapie betrachtet er ihre „Kombi¬ 
zungsdauer und des Versagens dieser Methode bei starkinfiltrierten nation mit den Problemen der Fluoreszenz, der Sensibilisation und 
Herden der Röntgenbehandlung nicht gleichwertig sei. Referent der künstlich erzeugten Anämie und Hyperämie 1u . Zum Schlüsse 
möchte nocli auf einen weiteren Vorzug der Röntgenstrahlen hin- erwähnt er die Anwendung des Radiums als eine „unersetzbare 
weisen: mit ihnen gelingt die Beseitigung der Psoriasisplaques Ergänzung des Röntgenverfahrens“. 

ohne jedes Erythem, während das mit der Uviollampe nicht mög- 8. Als Schlußfolgerung seiner durch Abbildungen erläuterten 

lieh ist; aus diesem Grunde zieht Referent auch beim Ekzem die Experimente stellt der Verfasser folgende Sätze auf: 

Röntgenstrahlen den Ultraviolettstrahlen vor. Als unterstützende a) Die X- und die Radiumstrahlen, wenn sie auf die Samen- 

Therapie verabfolgt der Verfasser neben der Röntgenbestrahlung körnchen im latenten Lebensstadium wirken verzögern ihr 
alle drei Tage ein Glühlichtbad. Wachstum. ’ b 

, 2. Bei innerlicher Darreichung von emanationshaltigem Wasser b) Die Dosis der in M. - Einheiten gemessenen X - Strahlen, 

beobachtete der Verfasser an Kranken mit inoperablen malignen welche erforderlich ist, einen schädigenden Einfluß zu erzielen, 
Tumoren eine ausgesprochene Neigung zu fieberhafter Reaktion muß stärker sein als die Dosis der Radiumstrahlen, 

gegen diese Einverleibung der Radiumemanation. Der' Verfasser c) Der der Zelle im verborgenen Lebensstadium durch der- 

ventiliert die Möglichkeit, diese Reaktion zur frühzeitigen Diag- artige Bestrahlung eingedrückte Makel scheint unauslöschlich zu 
nosenstellung zu verwerten. Soviel Referent weiß, treten der- sein und führt entweder den Tod herbei oder das Verkümmern 
artige Temperatursteigerungen nach Verabreichung von ema- der Embryonen oder der Pflänzchen. 

nationshaltigem Wasser auch bei Gichtikern auf, ob auch bei ge- d) Die beschleunigende Wirkung der in der latenten Periode 

Sunden Menschen, ist dem Referenten unbekannt. angewandten schwachen Dosen ist wenigstens anzuzweifeln. 

3. Zum Schutze des Arztes empfiehlt der Verfasser zwei e ) IR© während des Keimens gegebenen Radiumstrahlen ver¬ 
fahrbare mit Bleiblech beschlagene Holzwände, die winklig zu ein- zögern oder halten die Keimung auf, und ihre Wirkung ist um 

ander stehen und den in einer Zimmerecke befindlichen Bestrah- so weniger einflußreich, je mehr die Pflanze sich von ihren ersten 
lungsraum abschließen. Die Beobachtung der Röhre und des Pa- Entwicklungsstadien entfernt. 

tienten geschieht entweder durch die Bleiglasfenster oder mittels I) Hi© X-Strahlen in schwacher Dosierung scheinen eine Be- 

einer Spiegel Vorrichtung. schleunigung der Keimung zu bewirken. 

Zum Schutze des Patienten benutzt der Verfasser Bleiblech- g) Weder die X-Strahlen noch die Radiumstrahlen bewirken 

platten mit entsprechenden Ausschnitten, die er in Wachstuch- die Erscheinung des Radiotropismus; sie sind auch nicht imstande, 
taschen einnähen läßt und den um die Röhre geschnallten Blenden die Sonnenstrahlen zu ersetzen. 

vorzieht, da letztere, wie auch Referent bestätigen kann, sämt- 9. Das Bemerkenswerteste aus der auch sonst interessanten 

lieh zu schwer sind, das Hantieren mit der Röhre unbequem Arbeit des bekannten Radiotherapeuten sind seine Versuche, die 

machen und meist auch die Beobachtung der Röhre während des Haut durch flüssige Luft zu „sensibilisieren“. Ob es sich 
Betriebes erschweren oder unmöglich machen. hier wirklich um „Sensibilisation“ handelt, oder ob nicht die Er- 

4. Der Verfasser bespricht kurz die Quecksilberdampflampen, frierung der Haut allein genügt, um die stärkere Reaktion nach 
welche für therapeutische Bestrahlungen in Frage kommen, die der nachfolgenden Belichtung zu erklären, erscheint dem Refe- 
„medizinische Quarzlampe“ und die „Uviollampe“. Erstere kann renten zweifelhaft. Im übrigen dürfte sich das Verfahren, ab- 
auch als Kompressionslampe benutzt werden; doch scheint sie sich gesehen davon, daß noch keine einwandsfreien therapeutischen 
nach den Erfahrungen des Referenten beim Lupus vulgaris wegen Resultate vorliegen, auch wegen seiner Kostspieligkeit kaum ein- 
der zu geringen Tiefenwirkung nicht zu bewähren. Der vom Ver- bürgern. 

fasser Angestellte Versuch zur Prüfung der Tiefenwirkung des 10. Eine Reihe von Versuchen, welche in dem der Leitung 

Quecksilberlichtes ist nicht beweisend. Schwärzung des photo- Sabourands unterstellten radiologischen Laboratorium angestellt 
graphischen Papiers wird nicht nur durch blaue, violette und wurden, haben den Verfasser dazu geführt, bei Röntgenbestrah- 
ultraviolette, sondern auch durch gelbe und rote Strahlen her- lungen tiefliegender Organe eine Silberplatte von Vio mm 
vorgerufen. Dicke zwischen Haut und Röhre zu schalten, um die schwach 

5. Demonstration eines mit sieben Jahren anMykosis fun- penetrierenden Strahlen zu absorbieren. Die Silberplatte wird 

goides leidenden Kranken; die Diagnose war durch mikroskopische nicht unmittelbar auf die Haut gelegt, da dann die auf ihr ent- 
Untersuchung bestätigt. Nach vierwöchiger Röntgenbehand- stehenden sehr leicht absorbierbaren sekundären 
lung Heilung bis auf die Stellen, zu denen keine Röntgenstrahlen Röntgenstrahlen die Haut schädigen könnten, während sie, 
gelangt waren, die Innenflächen der Finger und die — bei den wenn die Platte in einer gewissen Entfernung von der Haut an- 
Bestrahlungen abgedeckten — Augenlider. gebracht wird, von der zwischen Platte und Haut befindlichen 

Gleich günstig wurden drei andere Fälle beeinflußt, während Luftschicht absorbiert werden. Der Verfasser hat die Methode 
sieben vor Einführung der Röntgentherapie vom Verfasser beob- bisher in sieben Fällen angewandt, ohne daß sich Referent nach 
achtete Fälle sämtlich ad exitum gekommen waren. In den drei der kurzen Schilderung dieser Fälle davon überzeugen kann daß 
andern Fällen wurde die Röntgenbehandlung mit der Arsen-Medi- die Methode wesentlich mehr leistet als die sonst übliche Bestrah- 
kation kombiniert, während der demonstrierte Kranke das Arsen lungsart. 

nicht vertragen konnte und darum nur mit Röntgenstrahlen be- Haben wir ein tiefliegendes „radiosensibles“ Gewebe, z. B. 

handelt wurde. Trotz der eklatanten Wirkung der X-Strahlen ein Lymphosarkom, vor uns, so können wir das auch ohne Zwischen - 
auf die Tumoren der Mykosis fungoides muß man nach Ansicht Schaltung einer Silberplatte zum Schrumpfen bringen, und zwar 
des Referenten doch bezüglich der Prognose vorsichtig sein, da auch wie der Verfasser ohne oder jedenfalls ohne nennenswerte 
sicher ein Teil der Kranken später doch an Metastasen in inneren Hautreaktion. Fehlt aber die „Radiosensibilität“, so werden 
Organen zu Grunde geht. wir auch trotz der Silberplatte nichts erreichen, ebensowenig wie 

6. Der Verfasser demonstriert 15 Fälle von Lupus vulgaris mit allen anderen zur Steigerung der Tiefenwirkung empfohlenen 
und einen Fall von Lupus erythematodes, die durch Finsenbehahd- Maßnahmen (harte Röhre, Bestrahlung von mehreren Seiten, große 
lung geheilt und z. T. seit Jahren rezidivfrei sind. Er betont Fokus-Hautdistanz). 

die Wichtigkeit der frühzeitigen Diagnose, denn*gerade die kleinen . -- 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Orthopädische Chirurgie. 

Referent: Spezialarzt Dr. Paul Zander, Berlin. 

1. Die Orthopädie als Spezialität und ihre Begrenzung. 

Von Vulpius. Münch, med. Woehenschr., 1908, Nr. 5. 

2. Ueber den Wert der Arthrodese. Von Vulpius. Ibidem, 
Nr. 7. 

3. Das orthopädische Stützkorsett. Von Georg Müller- 
Berlin. Med. Klinik, 1908, Nr. 6. 

4. Zur Diagnose und Therapie der entzündlichen Erkran¬ 
kung der Wirbelsäule. Von Haudek-Wien. Oesterreich. 
Aerzte-Zeitg., 1907, Nr. 19 bis 24 und 1908, Nr. 1. 

5. Beitrag zur primären akuten Osteomyelitis der Rippen. 
Von Fiedler. Münch, med. Woehenschr., 1908, Nr. 5. 

6. Neuer Zinkleimverband. Von Betz. Ibidem, Nr. 8. 

7. Ein neuer Wandarm für Röntgenröhren. Von Pflug rad. 
Ibidem. 

8 . Neue Ausblicke auf die weitere Entwicklung der Röntgen¬ 
diagnostik. Von Rieder und Kästle. Ibidem. 

1. Vulpius setzt sich bei der Begrenzung der Orthopädie 
als Spezialität in Gegensatz zu Lorenz in seinem kürzlich bei 
der Eröffnung der Gesellschaft für physikalische Therapie in Wien 
gehaltenen Vortrag. Er will wohl eine spezielle Stelle für die 
Orthopädie im klinischen Unterricht haben, wenngleich der Chirurgie 
selbstverständlich Vorbehalten bleibt, auch orthopädische Fälle ge¬ 
legentlich zu lehren. Zur genaueren Einführung in das Fach sind 
aber für die Studierenden Detailkenntnisse doch nur vom Spezia¬ 
listen zu erlangen. Dagegen steht Vulpius in der Begrenzung 
der Spezialität auf einem weit engeren Standpunkt wie Lorenz. 
Bei den Frakturen, in der Kinderheilkunde (Rachitis), in der 
Neurologie (Lähraungstherapie) soll sich der Orthopäde zusammen 
mit den Chirurgen und den anderen in Betracht kommenden 
Disziplinen in die Arbeit teilen, die Unfallheilkunde, Schul- und 
Schülerhygiene und vor allem die Krüppelfürsorge sind mit sein 
eigenstes Gebiet. Nach Ansicht des Referenten sind vom Verf. 
die Grenzen doch wohl etwas zu eng gezogen. 

2. In Fällen, bei denen wegen vollständiger Lähmung aller 
beteiligten Muskeln eine Sehnenplastik unmöglich ist, verlangt 
Vulpius die Arthrodese des betreffenden Gelenks. Am Fu߬ 
gelenk vereinigt er Talus und die Malleolengabel durch Anfrischen, 
verstärkt die Vereinigung noch durch die Fasziodese der drei 
vorderen Unterschenkelmuskel. Beim Kniegelenk führt er die 
Arthrodese vom unteren Bogenschnitt aus und zwar nur bei Schlotter¬ 
gelenk mit genu rekurvatum oder bei hochgradiger Kontraktur. Bei 
der Arthrodese des Schultergelenks hat er nach Anfrischung und 
Naht der Gelenkenden gute Endresultate gehabt. Im Hüftgelenk 
operiert er bei doppelseitiger Glutäalmuskellähmung auf der einen 
Seite und macht so die Patienten wieder gehfähig. Hierbei macht 
er die Phenarthrodese (Betupfen der ausgebohrten Pfanne mit 
reiner Karbolsäure). 

3 und 4. Müller und Haudek geben eine Uebersicht der 
Falle, in denen das orthopädische Stützkorsett angewandt wird. 
Beide verwenden mit einigen geringfügigen Abänderungen das 
Hessing sehe Stoff-Stahlkorsett. 

5. Fiedler beschreibt einen Fall von akuter Osteomyelitis einer 
Rippe nach Trauma, bei der jedes äußere Zeichen einer Knochen¬ 
eiterung fehlte. Das klinische Bild hatte im Anfang große Aehn- 
lichkeit mit Typhus. 

6. Betz hat eine praktische Modifikation des Zinkleimver¬ 
bandes veröffentlicht. Schlechte Mullbinden werden in heißem 
Zinkleim (Zinkoxyd, Gelatine, Glyzerin und Wasser) getränkt und 
getrocknet, bei Gebrauch nur in kochendem Wasser erweicht. 

7. Einen scheinbar praktischen Wandarm für Röntgenröhren 
hat Pflugrad aus der v. Bramannsehen Klinik beschrieben. 
Der Röhrenhalter befindet sich an einer Nürnberger Schere und 
kann so leicht und bequem in jede Lage gebracht werden. 

8. Rieder und Kästle haben Versuche mit dem vor kurzem 
von Rosenthal beschriebenen, von der Polyphos-Gesellschaft 
hergestellten Röntgenapparat gemacht. Dieselben sind außerordent¬ 
lich gut gelungen und lassen in dem Bau von Induktoren einen 
weiteren Fortschritt erkennen. 

ln der Arbeit wird auch die Teleröntgographie besprochen, 


die leicht ausgeführt werden kann und exakte Resultate gibt. 
Die Fernaufnahmen können bei den überaus kurzen Expositions¬ 
zeiten den orthodiagraphischen Aufnahmen vollständig an die Seite 
gesetzt werden. 


Oeffentliches Sanitätswesen. 

Referent: Dr. Th. Peltzer, Generaloberarzt a. D. in Steglitz. 

1. Reform des Hebammenwesens. Med. Reform, Woehenschr. 
f. soziale Medizin, 1908, Nr. 6, S. 69.- 

2. Schul-Zahnklinik in Zürich. Ibidem. 

3. Kurpfuschergesetz-Entwurf. Ibidem, Nr. 7, S. 73. 

1. Von allgemeinem Interesse für das öffentliche Sanitäts¬ 
wesen dürfte sein, daß am 21. Januar d. Js. im Kultusministerium 
eine gemischte Kommission zur Beratung der Frage getagt hat, 
ob es möglich ist, durch eine Reform und Hebung 'des Hebammen¬ 
wesens unter Zuhilfenahme von Staatsbeihilfen die besonders auf 
der dürftigen Lage der Hebammen selbst und dem Hebammen¬ 
mangel beruhenden Mißstände in der Geburts- und Wochenbett¬ 
hygiene zu beseitigen. Man will versuchen, unter Erhöhung der 
Gebührenordnungen, die Kreise durch Gewährung von Staats¬ 
mitteln zur Sicherstellung der Hebammen zu befähigen. Sodann 
soll die Berufstätigkeit und Fortbildung der Hebammen durch 
häufigere Revisionen und Nachprüfungen durch die Kreisärzte 
sowie durch Wiederholungskurse sichergestellt, der Kursus in den 
Hebammenlehranstalten auf neun Monate verlängert und die prak¬ 
tische Säuglingspflege in den Unterricht eingefügt werden. Durch 
die Aufbesserung der materiellen Lage und die Vertiefung der 
Ausbildung hofft man, bessere Elemente zu gewinnen. 

2. In Zürich, wo sich ergeben hatte, daß 96% aller Schüler 
schlechte Gebisse besitzen und 30% der Zähne krank sind, hat 
der Stadtrat beschlossen, eine Schul-Zahnklinik zu errichten. Sie 
steht allen Schülern der städtischen Volksschulen zur unentgelt¬ 
lichen Untersuchung und Behandlung offen. Der Einwand, daß 
hiernach die öffentliche Fürsorge auch auf die Wöchnerinnenpflege 
und weiter ausgedehnt werden müßte, wurde ebenso wie die 
Befürchtung einer Schädigung der Zahnärzte durch diese Klinik 
nicht berücksichtigt. Die Zahnärzte erhoffen im Gegenteil da¬ 
durch eine Hebung des Sinnes für Zahn- und Mundpflege im all¬ 
gemeinen. Als Leiter der Schul-Zahnklinik ist ein Zahnarzt mit 
5 bis 7000 Frcs. Gehalt in Aussicht genommen. 

3. Das Reichsamt des Innern hat jetzt einen vorläufigen Ent¬ 
wurf eines Gesetzes betr. die Ausübung der Heilkunde durch 
nichtapprobierte Personen und den Geheimmittelverkehr veröffent¬ 
licht. Von einem allgemeinen Verbot der Kurpfuscherei, wie es 
vielfach erwartet wurde, sieht er ab, weil es, nach der Begrün¬ 
dung des Entwurfs, angesichts der Unmöglichkeit, das Uebel 
ganz auszurotten, nutzlos sei und das heimliche Fortwuchern die 
größten Gefahren in sich berge. Hierbei wird auch auf die Er¬ 
fahrungen in Ländern mit Kurpfüschereiverbot Bezug genommen. 
In diesem Sinne verpflichtet der Entwurf Personen, welche sich, 
ohne approbiert zu sein, mit der Behandlung von Krankheiten an 
Menschen und Tieren befassen, zur Anzeige ihres Gewerbetriebes 
bei der Polizei mit Angabe der Wohnung und der Geschäftsräume 
sowie zur Führung von Geschäftsbüchern. Verboten wird die 
Fernbehandlung, die Behandlung der Venerie, sowie die Behand¬ 
lung mittels Hypnose, mittels mystischer Verfahrung und mit all¬ 
gemeinen (nicht lokalen) Betäubungsmitteln. Geregelt wird auch' 
der Verkehr mit Geheimmitteln. Wir behalten uns vor, auf die 
Sache zurückzukommen, wenn das Gesetz vorliegt, und schließen 
uns vorläufig der Ansicht der med. Ref. an, die sagt, es sei 
besser, mit dem tatsächlichen Stand der Dinge zu rechnen, als 
daß ein Gesetz einen Schlag ins Wasser bedeutet, wasj mög¬ 
licherweise bei einem allgemeinen Verbot der Fall sei. 


Militärsanitätswesen. 

Referent: Dr. Th. Peltzer, Generaloberarzt a. D. in Steglitz. 

1. Zahnärztliche Behandlung im Pariser Militärlazarett 
Val de Grace. Deutsche militärärztl. Zeitschrift, 1908, Heft 3, 
S. 141 (Referat). 


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• TBJIRAPEtMSCHE ÄUNDSÖflAU. 


1 19 


t 2. Desinfektion der Uniformen in Frankreich. Ibidem 
(Referat). 

3. Zusammenklappbare Feldtrage für Kavalleiie und Infan¬ 
terie im G-ebirgskriege. Von Regimentsarzt Dr. H. Fracht¬ 
mann. Der Militärarzt, Wien, 1908, Nr. 3. 

4. Erwärmung von Konserven ohne Feuer. Von Dr. Sar- 
thou. Ibidem, S. 45 (Referat nach Le Caducee v. 22. 7. 1907). 

1. Im Pariser Militärlazarett Val de Grace sind vom Militär¬ 
gouverneur bestimmte Stunden für die zahnärztliche Behandlung 
der Mannschaften, der Lazarettkranken und der Offiziere fest¬ 
gesetzt worden. 

2. Nach einer Verfügung des Unterstaatssekretärs vom 11. De¬ 
zember 1907 werden in Frankreich alle getragenen Kleidungs¬ 
stücke, bevor sie auf die Kammer kommen oder an einen anderen 
Mahn weitergegeben werden, desinfiziert. Bei Umhängen, Mänteln, 
Dolmans, Waffenröcken, Hosen mit und ohne Lederbesatz, Kopf¬ 
bedeckungen jeder Art, Stiefeln und Gamaschen ist die Anwen¬ 
dung von Formaldehyddämpfen zulässig. 

3. „Was ich als Kavallerist im Felde nicht bei mir habe, 
das habe ich nicht.“ Dieses Wort eines erfahrenen Kavalleristen 
trifft auch für das Sanitätsmaterial bei der berittenen Truppe zu. 
Von ihm ausgehend, hat F. eine Trage konstruiert, die sowohl 
auf ein Pferd gebracht als auch vom Reiter getragen werden 
kann. Sie wiegt ca. 8 kg. Dem Einwand der Mehrbelastung des 
Pferdes durch diese Trage wird entgegengehalten, daß bei den Mann¬ 
schaften sowieso Differenzen an Körpergewicht von 15—20 kg Vor¬ 
kommen und die Pferde der Telegraphen- und Pioniertruppen mit mehr 
als 16 kg über das normale Gewicht von 130 kg belastet sind. 
Zur Bedienung der Tragen müßte dem betreffenden Kavallerie¬ 
truppenteil allerdings eine besondere Blessierten - (Krankenträger-) 
Abteilung (auf 6 Tragen 12 Mann) mitgegeben werden, denn 
wenn es auch vorkommt, daß, wie bei der preußischen Kavallerie¬ 
brigade Bredow am 16. Aug. 1870, mehr Pferde als Leute fallen 
(am 16. Aug. 1870 7 Offiziere, 189 Mann und 209 Pferde), weil 
erstere das größere Zielobjekt darstellen, so daß alsdann die Leute 
für den Krankenträgerdienst Verwendung finden könnten, so ist 
doch, von änderen Gründen abgesehen, auf diese nicht zu rechnen. 

4. Der Apparat besteht aus einer Büchse mit zwei seitlichen 
Abteilungen für ungelöschten Kalk und, von diesen getrennt, am 
Boden einem Raum für Wasser. Der innere Hohlraum ist zur 
Aufnahme der Konserve bestimmt. Wird die Verbindung zwischen 
Kalk und Wasser durchstoßen, so soll die Konserve nach 20 Min. 
im Mittel auf 71 0 erwärmt werden. (Ref. erinnert hierbei an 

, die Verbindung fertiger Konservenbüchsen mit Hartspiritus.) 



Radium und Radiumtherapie. 

Von Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

Im Jahre 1898 wurde von dem Ehepaar Curie in Gemein¬ 
schaft mit B6mont ein neues Metall entdeckt, das zur Gruppe 
der Erdalkalimetalle gehört, und das „Radium“ genannt 
wurde. Dieses besitzt die wunderbare Eigenschaft, zu leuchten 
und Strahlen auszusenden, die außer ihrer Lichtwirkung eine 
fluoreszierende, elektrische, chemische und thermische Wirkung 
sowie noch spezifische Eigenschaften entfalten. Man nennt 
diese Strahlen nach ihrem Entdecker; denn Becquerel fand 
sie zuerst an uranhaltigen Mineralien. Sie kommen aber auch 
bei Aktinium und Polonium, zwei gleifchfalls erst seit kurzem 
bekannten Metallen, und bei Thorium vor. Die Substanzen, 
welche die genannten Eigentümlichkeiten auf weisen, nennt man 
„radioaktive“. Das Radium wird bekanntlich aus der Pech¬ 
blende gewonnen, einer schweren, schwarzen Masse, aus der 
es sich nach Abscheidung des Urans in den Rückständen 
sammelt. Wie gering die Menge des gewonnenen Radium ist, 
geht daraus hervor, daß 1000 kg der Rückstände, die meist 
aus Joachimsthal gezogen werden, nur 0,8 g Radiumsalz liefern. 


Die Darstellung ist außerdem schwierig und zeitraubend. Das 
Radium ist bisher nur in Form seiner Salze bekannt, von 
denen das Bromid und Chlorid benutzt werden. 

Man unterscheidet nach Rutherford drei Arten von 
Radiumstrahlen. Die größte Menge (ca. 64%) bilden die a- 
Strahlen, sie sind aber nur wenig durchdringend. Die /^-Strahlen 
(ca. 24%) gleichen am meisten den Kathodenstrahlen; sie sind 
von sehr großer oder geringer Durchdringungskraft. Die y- 
Strahlen endlich besitzen eine so starke Durchdringungskraft, 
daß sie noch Bleiplatten von 5 cm Dicke durchstrahlen. Sie 
gleichen am meisten den Röntgenstrahlen von sehr hohem 
Härtegrade. Die vielseitigen Wirkungen der Radiumstrahlen 
wurden schon erwähnt. Abgesehen von ihrer Fluoreszenz ist 
besonders ihre selbständige Leuchtkraft bemerkenswert. Diese 
bisher einzig dastehende Energiequelle ist so widerstandsfähig, 
daß sie selbst durch Weißglut oder große Kälte oder durch 
Auflösen ihr Strahlungsvermögen nicht einbüßt. Dasselbe ist 
in der Finsternis am deutlichsten, aber auch bei Gaslicht noch 
erkennbar und genügt, um Gedrucktes lesen zu können. Ferner 
besitzen die Radiumstrahlen eine radiographische Wirkung, in¬ 
dem sie Eindrücke auf der photographischen Platte hinter¬ 
lassen. Da sie aber Knochen ebenso wenig wie Fleisch durch¬ 
dringen, kann man sie nicht zu diagnostischen Zwecken be¬ 
nutzen wie die Röntgenstrahlen. Nach Curie und Labor de 
wird von den Radiumsalzen fortwährend Wärme entwickelt, 
die die umgebende Luft um 1,5° erhöht. Auch elektrische 
und chemische Wirkungen werden von den Radiumstrahlen 
entfaltet. Die ersteren, die von Curie genau gemessen wurden, 
äußern sich auch darin, daß die das Radium umgebende Luft 
leitend und ionisiert wird. Die chemische Leistung zeigt sich 
darin, daß der Sauerstoff, der sich in der Nähe der Radium¬ 
strahlen befindet, ozonisiert wird, daß Radiumsalzlösungen 
Wasserstoff entwickeln. Die frisch hergestellten Salze sehen 
weiß aus, werden allmählich gelb, dann violett, schließlich 
rosa. Es ist möglich, daß diese Farbenverändeiungen auf der 
Beimischung von Natrium, das schwer zu entfernen ist, be¬ 
ruhen. 

Weiterhin beobachtete Curie, daß alle Substanzen, die 
sich in der Nähe von Radium finden, selbst radioaktiv werden 
und diese Eigenschaften längere oder kürzere Zeit behalten. 
Man nennt diese Erscheinung „induzierte Radioaktivität u . 
Dieselbe nimmt nach Entfernung des Radium in den ersten 
Minuten sehr stark ab, später langsamer, um endlich ganz zu 
verschwinden. Die induzierte Radioaktivität ist in freier Luft 
unregelmäßig, in geschlossenen Gefäßen viel regelmäßiger und 
besonders intensiv und regelmäßig, wenn sie durch Lösung 
eines Salzes hervorgerufen wird. Dabei ist der Energie Verlust 
des Radium bei dieser Aktivierung so gering, daß er nicht ge¬ 
messen werden kann. 

Ueber die Ursachen dieser sonderbaren Erscheinungen hat 
man die verschiedensten Hypothesen aufgestellt: Die einen 
(Rutherford und Huggins) glauben, daß die Emanationen 
Helium, ein Element von niedrigem Atomgewicht, sind, und 
die anderen (Ramsay und Söddy) sind der Ansicht, daß die 
Emanation ein instabiles Gas ist, das sich spontan unter Bil¬ 
dung von Helium zerstört. Da Regen und frischgefallener 
Schnee radioaktiv sind, hat man der Sonne den Ursprung der 
Aktivität des Radium zugeschrieben. 

Die Radioaktivität ist sehr verbreitet; außer in anderen 
Mineralien findet man auch in zahlreichen Moorerden und 
Thermen, wie Baden-Baden, Nauheim, Franzensbad, diese 
Eigenschaft. Infolge des begrenzten Umfanges des Rohmate¬ 
rials und der Schwieiigkeit der Darstellung ist die Ausbeute 
an Radium nur minimal, und es ist verständlich, daß die reinen 
Radiumsalze ein äußerst kostbarer Stoff sind, wodurch eine 
häufigere Anwendung naturgemäß sehr in Frage gestellt wird. 

Was die Wirkung der Radiumstrahlen betrifft, so ist eine 
zweifellose Einwirkung auf den menschlichen Organismus bis 
zu einer Tiefe von 1 cm durch Scholtz nachgewiesen. Nach 
Durchdringung einer Gewebsschicht von der Dicke eines Kanin¬ 
chenohres vermögen die Strahlen noch bakterizid zu wirken. 
Die Veränderungen der Haut sind von Walk hoff, Becquerel, 
Curie zuerst beobachtet, später von Exner und Holzknecht, 


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THERAPEUTISCHE KüNDSCBAtL 




von Scholtz, Oudin, Kienböck, Werner, Thies', 
Perthes u. a. eingehend studiert worden. So fand Thies in 
bestrahlter gesunder Haut eine staffelförmig in die Tiefe 
dringende Zerstörung Yor, wobei zuerst die Epithelzellen zer¬ 
stört werden, bevor das Bindegewebe der Umgebung angegriffen 
ist, während Perthes bei pflanzlichen und tierischen Zellen 
eine deutliche Hemmung tind Zerstörung der Zellteilung beob¬ 
achtete. London wies nach, daß Mäuse und Meerschweinchen, 
die in einem mit den Emanationen von .Radium durchsetzten 
geschlossenen Raum sich befinden, trotz Erneuerung der Luft 
Atembeschwerden bekamen. Allmählich trat Sopor ein, der 
zum Tode führte. Wie eine Kontrollprüfung mit Ozon lehrte, 
waren diese Wirkungen durch Ozonbildung nicht zu erklären. 

Alle diese experimentellen Erfahrungen weisen uns den 
Weg, wo die Radiumtherapie einzusetzen hat: einmal da, wo 
einer abnormen Zelltätigkeit Einhalt getan werden soll, ferner 
bei pathologischen Veränderungen der Gewebe. So wurden 
die Radiumstrahlen mit Erfolg in der Dermatologie angewendet, 
nämlich bei den verschiedenen Formen und Stadien des Lupus, 
bei Psoriasis, bei großen Feuermälern und bei Hypertrichosis, 
bei Akne rosazea, Narbenkeloiden, Skieromen, Warzen, bei 
Ulkus rodens und gutartigen Epitheliomen. Auch bei ober- . 
flächlichen Kankroiden und innerlichen inoperablen Karzinomen 
hat man sehr günstige Erfolge gesehen, z. T. Heilungen, z. T. 
günstige Beeinflussung der Krebse. Aehnlich günstig lauten 
die Berichte der Ophthalmologen über die Anwendung des 
Radium bei Trachom, Epithelioma superfiziale, Frühjahrskatarrh, 
intraokularen Blutungen, bei malignen Neubildungen. Inter¬ 
essant ist die Beobachtung von Javal und Curie, daß bei 
zwei an Sehnervenatrophie bezw. Glaukom erblindeten Kranken 
eine Lichtempfindung vermittels des Radium nicht hervor¬ 
gerufen werden konnte, daß sich jedoch bei einem Knaben, 
der eine Netzhautablösung hatte, auch beim Bedecken beider 
Augen das Gesichtsfeld erhellte. Darauf baut London auf, 
der für solche Zöglinge in Blindenschulen, die auf dieses Licht 
reagieren, eine Silhouettenlehrmethode schaffen will. Nach 
Belot, Possi und Zimmerer kann das Radium auch in der 
Rhino- und Otologie Verwendung finden. Eine große Anzahl 
von Fällen sind auch in der inneren Medizin für die Behand¬ 
lung mit Radium geeignet; so Neuralgien, Gelenkaffektionen, 
Tabes. In der neuesten Zeit wurden auch in den natürlichen 
Wässern, die zu Trink- und Badekuren benutzt werden, 
Radiumemanationen nachgewiesen, die nach den Versuchen 
von Berg eil und Bickel und nach den Erfahrungen von 
Laqueur u. a für die therapeutische Wirksamkeit der Wässer 
in hohem Grade verantwortlich zu machen sind. 

Wie schon erwähnt, ist die Ausbeute des Radium nur eine 
äußerst geringe und die Radiumsalze daher außerordentlich 
teuer. Seitdem man aber weiß, daß es nicht nötig ist, diese 
selbst zur Anwendung zu bringen, sondern daß die induzierte 
Radioaktivität die gleichen therapeutischen Einflüsse hat wie 
das Radium selbst, wie aus den Versuchen von Braunstein 
zu schließen ist, so ist es als ein Fortschritt zu begrüßen, daß 
chemische Fabriken Präparate in den Handel bringen, die den 
Anforderungen auf Wirksamkeit und Billigkeit zu entsprechen 
scheinen. So wird von der Fabrik pharmazeutischer Präpa¬ 
rate 0. Braemer, Berlin S. W. 11, Bismut. subnitrik. radioaktiv, 
in den Handel gebracht, ein Pulver also, das radioaktiv ge¬ 
macht ist. Eine Originalpackung zu 15 Pulvern ä 0,8 kostet 
5 M. Diese Pulver sind zur externen und internen Behandlung 
geeignet. Dieselbe Firma bringt auch sterilisierte physiologische 
Kochsalzlösung in Ampullen auf den Markt zur Injektion in 
Tumoren (nach dem Vorgang von Braunstein). Ferner ist 
von der gleichen Firma ein Apparat zur gleichmäßigen Er¬ 
zeugung von Radium strahlen für protahierte Extern behandlung 
oder zur Herstellung radioaktiver Bäder und zur Radioaktivie¬ 
rung von Mineralwässern, die durch Lagerung oder Transport 
wirkungslos geworden sind, unter dem Namen „Radiovis“ zu 
beziehen. Radio vis wird in Kapseln abgegeben, die garantiert 
reines Radiumbromid enthalten (Preis 20 M.). 

Auch die Höchster Farbwerke bringen ein Radiumpräparat 
in den Handel, das den Namen „Emanosal tt trägt und zu 
Badekuren bei rheumatischen und gichtischen Gelenkerkran¬ 


kungen Verwendung finden soll. Bie> Erfahrungen,,' die Laq-t'ef^l 
im Virchow-Krankenhaus mit diesem Präparat gemacht' hat, ? - 
ermutigen entschieden zu weiteren Versuchen. Das Emanosal 
wird in Tafeln zu 30 g in den Handel gebracht. Eine Tafel 
reicht für ein Bad. 


Referate. 

Referent 7 Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. Ueber die Behandlung der Lysolvergiftungen. Von H. 
Feldmann. Münch, med. Woehenschr., 1908, Nr. 1. 

2. Ueber die Wirkung der subkutanen Injektion von Pyo- 
zyanase. Von Dr. Bermbach. Ibidem, Nr. 3. 

3. Erfahrungen mit Sajodin. Von stud. W. Kuttelwascher. 
Sond.-Abdr. d. Prag. med. Woehenschr., 1907, Nr. 42. 

4. Energin bei Blutarmut und Unterernährung. Von Dr. 
Färber. Therap. Ratgeb., 1908, 11. Jan. 

5. Beitrag zur Eisentherapie. Ibidem. 

1. F. berichtet über drei Fälle von Lysolvergiftung; bei zwei 
von diesen fiel es F. auf, wie schnell sich die Kranken (es waren 
puellae publicae) erholten, trotzdem sie beträchtliche Mengen des 
Giftes, nämlich 50 und 100 g Lysol, verschluckt hatten, während 
die dritte — trotz gleicher therapeutischer Maßnahmen — schon 
nach zwölf Stunden starb. F. stellte nun fest, daß jene beiden 
Mädchen, bevor sie Lysol nahmen, große Mengen von Alkohol bis 
zur Berauschtheit zu sich genommen hatten, und glaubt, daß 
derselbe an dem günstigen Resultat beteiligt sei. Er schlägt 
deshalb vor, bei Lysol Vergiftung wie früher zuerst eine schleunige 
Magenspülung vorzunehmen, vorher aber große Mengen Alkohol 
einzuflößen, weil die Resorptionsbedingungen der Kresole resp. 
des Lysols, die ja an sich schon langsam aufgesogen werden, 
durch die adstringierende Wirkung des Alkohols auf die Magen¬ 
schleimhaut noch verschlechtert werden. Da nun besonders Selbst¬ 
mordkandidaten meist erst in bewußtlosem Zustande, lange nach 
Einnahme des Lysols aufgefunden werden, so dürfte es sich emp¬ 
fehlen, nach der Spülung kleine Alkoholmengen, ,z. B. ein bis 
zwei Gläschen Kognak zu reichen, um auch in diesen Fällen die 
adstringierende Wirkung desselben zwecks Verhinderung oder Ver¬ 
zögerung der Resorption zu benutzen. 

2. Bei fünf Patienten machte B. subkutane Einspritzungen 
von Pyozyanase, um die Wirkung derselben zu studieren. Er 
fand, daß bei sämtlichen Kranken nach jeder Injektion — diese 
schwankten zwischen 0,05 bis 0,3 ccm — eine wohlausgeprägte 
Reaktion lokaler und allgemeiner Art auftrat. Die lokalen Symp¬ 
tome bestanden in Rötung, Schwellung und Schmerz, die Allgemein¬ 
erscheinungen in einer charakteristischen Veränderung der Körper¬ 
wärme, in Kopfschmerzen, Schwindel, Uebelkeit und ein- bis 
mehrmaligem Erbrechen. Das Fieber begann mit Schüttelfrost 
und stieg auf 39,5 und 40°. Nach Ablauf der Reaktion war 
aber keine Schädigung des Wohlbefindens oder eines Organes zu 
bemerken. Die Reaktion konnte durch 0,3 g Pyramidon meist 
wesentlich gemildert werden. 

3. K. hat bei 56 Fällen Sajodin mit großem Erfolge an¬ 
gewandt. Nur sechsmal wurden Nebenerscheinungen beobachtet 
(davon dreimal Jodismus). Wegen der bequemen Dosierung und 
Darreichung bei guter therapeutischer Wirksamkeit empfiehlt K. 
das Mittel sehr. 

4. Obschon der Lebertran sich durch vorteilhafte Verdaulich¬ 
keit, durch seine günstige Resorptionsfähigkeit und seinen großen 
Nährwert aufs beste empfiehlt, wird er wegen seines ekelhaften 
Geschmackes bei Blutarmut nur selten verordnet. „Energin“ ist 
nun ein angeblich wohlschmeckendes Lebertranpräparat und wird 
in Tabletten abgegeben. Davon gab F. 32 Kindern acht Wochen 
lang, und zwar solchen unter zwei Jahren täglich zwei, älteren 
Kindern drei Tabletten. F. war erstaunt, wie gern die Kinder 
„die Zuckerl“ nahmen; sie empfanden den leicht öligen Geschmack 
offenbar nicht unangenehm. Das Aussehen der Kinder besserte 
sich zusehends; sie nahmen an Gewicht zu. Die Eßlust und der 
Appetit steigerten sich; rhachitische Kinder lernten schnell gehen. 
F. empfiehlt das „Energin“ auf Grund seiner Erfahrungen bei 

! Rhachitis, Skrofulöse, Blutarmut und Unterernährung. 


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5, Da ’dasEisen in Form von Medikamenten häufig nicht ver¬ 
tagen wird, so ist die Erfindung des Eisenkraftbrotes „Ferronia“ 
und der anderen eisenhaltigen Backwaren (Kakes, Zwiebäcke, 
Bisquits etc.) sehr zu begrüßen, da wir so ein Mittel haben, das 
Eisen auch solchen Kranken zu geben, die es als Medikament in 
Pillen., Tropfen, Likör etc. nicht vertragen. Da das Eisen lang¬ 
sam und „in Kohlehydratverbindungen“, demnach in „leicht verdau¬ 
lichem Zustande“ dem Kranken zugeführt wird, so dürften es 
auch solche mit schwachem Magen vertragen. Da ferner das Brot 
und der Zwieback wie gewöhnliche Backware schmecken, außer¬ 
dem leicht verdaulich sind, so ist diese Art der Eisentherapie bei 
Kindern angebracht, wenn das „Einnehmen“ auf Widerstand stößt. 


Neuere Arzneimittel. 

.Visvit. Fabr.: Dr. A. Horowitz, Berlin. In der siebenten 
Auflage seines Buches: „Die Neurasthenie beim Manne“ und in 
seinem Buche: „Die Ursachen und Heilung der Epilepsie“ hat 
Dr. M. Deutsch, Nervenarzt in Wien, ausführlich über die aus¬ 
gezeichnete Wirkung des „Visvit“ bei zahlreichen Fällen von 
Neurasthenie und Epilepsie gesprochen und darauf hingewiesen, 
daß dieses Nährpräparat im Gegensatz zu den andern den Vorzug 
hat, alle zum Ausbau des Organismus nötigen Substanzen in glück¬ 
licher Zusammensetzung zu vereinen. 

Besonderen Wert mißt D. dem Lezithin und Hämoglobin bei, 
dem ersteren für die Regeneration der Nervensubstanz, dem letz¬ 
teren für die Auffrischung des Blutes. Dadurch, daß das Hämo¬ 
globin unmittelbar die Anämie beseitigt, kräftigt es mittelbar die 
ganze Konstitution des in seinem Nervensystem erkrankten Indi¬ 
viduums und schafft damit günstigere Bedingungen für die Be¬ 
handlung der Epilepsie und Heilung der Neurasthenie. 

Die reizbare Schwäche des Gehirns und seiner Nerven, das 
Hauptsymptom psychischer, sensibler und vasomotorischer Funk¬ 
tionsstörung, ständige Begleiterscheinungen der Neurasthenie, wird 
direkt durch das im Visvit reichlich enthaltene Lezithin bekämpft 
und damit die Leistungsfähigkeit des ganzen Nervensystems ge¬ 
hoben. Aus diesen Gründen empfiehlt D. (vergl. Therapeut. 
Zentralbl., 1907, 13), zur Therapie der Neurasthenie und Epilepsie 
das Visvit stets heranzuziehen. 

Bezüglich der Hebung des Allgemeinbefindens, der Körper¬ 
gewichtszunahme und Steigerung des Hämoglobingehaltes unter 
methodischem Gebrauch von Visvit decken sich die Erfahrungen 
D.s mit denen, welche in der von Leyden sehen Klinik mit 
Visvit gemacht worden und in Nr. 28 der „Medizinischen Klinik“ 
des Jahres 1906 niedergelegt sind. - M. Plien-Berlin. 

Thephorin. Fabr.: Hoffmann-La Roche, Grenznach. 
Thephorin ist ein Doppelsalz des Theobrominnatrium mit Natrium 
formizikum, ein Analogon des Diuretin, in dem die Salizylsäure 
durch Ameisensäure ersetzt ist. Das Präparat kommt als Pulver 
oder als Tabletten ä 0,5 g in den Handel. Cohn-Posen hat 
eine Reihe von Versuchen damit angestellt; als beste Dosis ergab 
sich: zwei Tabletten pro die. In geeigneten Fällen, insbesondere 
solchen von kardialem Hydrops, erwies es sich als nachhaltig 
wirksames Diuretikum; die verhältnismäßig kleinen Dosen sowie 
das Fehlen von Nebenwirkungen auf den Magen lassen es be¬ 
sonders da empfehlen, wo wegen Stauungskatarrhs andere Mittel 
nicht vertragen werden. Vorsicht erscheint bei chronischen Nephri¬ 
tiden angebracht, da mehrere Male unter Einwirkung von The¬ 
phorin ei weiß frei gewordene Urine wieder eiweißhaltig wurden. 
(Deutsche med. Woch., 1907, 35.) M. Plien-Berlin. 


Einwirkung von Formaldehyd auf Kreosot erhalten und als ein 
Gemenge der Methylenverbindungen der im Buchenholzteer sich 
vorfindenden Phenole und deren Aether zu betrachten ist. Zuerst 
von J. Jacobson im pharmakologischen Institut zu Berlin phar¬ 
makologisch geprüft, ist es später von verschiedenen Seiten als 
Medikament empfohlen worden, ohne, wie es scheint, bisher in 
weiteren Kreisen bekanntgeworden zu sein. Wir selbst haben 
es in den letzten zwei Jahren in der Königlichen medizinischen 
Universitäts-Poliklinik an nahezu 200 Tuberkulöse gegeben und 
sind auf Grund unserer Erfahrungen zu dem Schlüsse berechtigt, 
daß man es mit Recht den obenerwähnten Präparaten an die 
Seite stellen kann, da es die von mir oben geforderten Bedingungen 
eines brauchbaren Kreosotpräparates in vollkommener Weise er¬ 
füllt. Eine ganze Anzahl von Kranken hat das Mittel wochen- 
und monatelang genommen, ohne daß sich Magenbeschwerden ein¬ 
gestellt haben. Das Pneumin ist von geringem Geruch — ganz 
geruchfrei kann ich es nicht finden — drittens ist es billig.“ 

Pneumin wird verordnet in der Tagesdosis von 1,5 bis 2,5 
als Pulver oder bequemer in Tablettenform, jede Tablette zu 0,5 
(Pneumintabletten, Originalpackung, Dr. Laboschin). 

SpirOS&l. Firma Friedrich Bayer & Co., Elberfeld. 
Spirosal, der Monosalizylsäureester des Aethylenglykols, ist ein für 
den äußeren Gebrauch bestimmtes Salizylpräparat, das vor dem be¬ 
kannten Mesotan Vorzüge besitzt, da Hautreizung mit Rötung und 
Schmerzhaftigkeit sich nach seinem Gebrauche nur sehr selten 
einstellen sollen und Magenstörungen nicht beobachtet wurden. 
Das Präparat wurde im Krankenhause Bethanien in Berlin er¬ 
probt, worüber eine Veröffentlichung über einige 70 Fälle von 
Dr. E. Gardemin vorliegt (D. med. Wochenschr., 1907, Nr. 49). 
Es wird mit Spirit, rectifikatiss. aä verordnet zu ein- oder mehr¬ 
maligem Bepinseln täglich. Die behandelten Stellen werden vor¬ 
teilhaft mit Oelpapier und Flanellbinde bedeckt. Die Resorption 
soll dann eine gute sein, was durch die Reaktion des Urins leicht 
nachweisbar ist, die ungefähr nach zwei Stunden eintritt. Die 
schmerzstillende Wirkung stellte sich schon meist nach kurzer Zeit 
ein. Behandelt wurden Muskelrheumatismen, akute und chronische 
Formen des Gelenkrheumatismus. Sehr gute Erfolge hatte man 
in Bethanien namentlich in hartnäckigen, mit starken und dauern¬ 
den Schmerzen verbundenen Fällen mit der gleichzeitigen Dar¬ 
reichung von kleinen Dosen Aspirin und Novaspirin. 

P. Höckendorf, Großlichterfelde. 


Mitteilungen aus der Praxis. 

Bei Psoriasis, besonders veralteten hartnäckigen Plaques: 

Eugallol 10,0. 

S. Zum Einpinseln. 

Die erkrankten Hautstellen werden mit dem reinen oder ver¬ 
dünnten Präparat eingepinselt unter Schonung der gesunden Um¬ 
gebung. Die eingepinselten Partien bleiben zunächst unbedeckt, 
bis nach etwa l U Stunde die Aufpinselung firnisartig eingetrocknet 
ist. Erst dann bedeckt man die Stellen mit Zinkpaste oder be- 
pudert sie mit Zinkoxyd. 



Wassmuths Inhalationsverfahren. 


Pneumin. Chemische Fabrik Dr. Speier & v. Karger, 
Berlin S. W. Dr. Wilhelm Oroner (Senators Universitäts¬ 
poliklinik) kommt in einer Abhandlung „CJeber den gegenwärtigen 
Stand der Kreosottherapie bei Lungenschwindsucht“ in Nr. 49 
der Berl. klin. therap. Wochenschrift, 1904, nach Besprechung 
der allgemeinen Grundsätze für die Anwendung von Kreosot¬ 
präparaten’und nach Anführung von empfehlenswerten Präparaten 
zu der folgenden, das Pneumin betreffenden Schlußbemerkung: 

„Ich möchte hier jedoch noch auf ein anderes Kreosotpräparat 
— das Pneumin der Firma Dr. Speier & v. Karger — hin- 
yreisen, ein nur wenig riechendes, gelbliches Pulver, das durch 


Die Behandlung mittels Inhalation von zerstäubten Flüssig¬ 
keiten, welche der Luft beigemengt werden, ist für die ver¬ 
schiedensten Leiden empfohlen worden, namentlich für Er¬ 
krankungen des Atmungstraktus lag es nahe, die Einwirkung 
solcher mit verschiedenen Mitteln gemischten feinsten Tröpfchen 
heranzuziehen. VonWassmuth sind besondere Apparate an¬ 
gegeben worden, welche eine besonders feine Verteilung des 
Iuhalationsstromes bewirken, wodurch es ermöglicht wird, daß 
die Tröpfchen nicht nur auf die Halsorgane, wie die Tonsillen, 
Nasen-, Rachen- und Kehlkopfschleimhaut, einwirken, sondern 
bis in die feinsten Verzweigungen der Bronchien gelangen, wo 


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182 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 



sie auf die Schleimhäute der Broncheoli und Alveolen der Lungen 
ein wirken können, wie dies durch eingehende Tierversuche 
bewiesen ist. Weiter besitzt das System eine ausgezeichnete Ven¬ 
tilation, welche für ausgiebigste Erneuerung der Luft sorgt* 
und durch die ganze Konstruktion und Anlage es dem Pa¬ 
tienten ermöglicht, stundenlang ohne jede Anstrengung in dem¬ 
selben zu verweilen und die Vorzüge der Inhalationen ge¬ 
nießen zu können. Die Patienten können sich in den In¬ 
halationsräumen unterhalten, sitzen, liegen oder umhergehen 
und sich durch Lesen von Büchern oder Zeitschriften, durch 
Schreiben oder Spielen die Zeit vertreiben. Man findet die 
Wassmuthschen Inhalationseinrichtungen in Ems im Wilhelms- 
Inhalatorium, in Baden-Baden im großherzoglichen Inhalato¬ 
rium, in Plombiöres-les-Bains und vielen anderen Bädern 
eingerichtet, und zahlreiche Kranke verdanken dem Gebrauch 
dieser Inhalationen Heilung und Besserung. Wassmuth hat 
ferner kleinere transportable Apparate konstruiert, welche in 
vielen Kliniken, Krankenhäusern, Sanatorien funktionieren und 
in jedem ärztlichen Sprechzimmer verwandt werden können. 
Dieselben bewirken eine ebenso feine Zerteilung der Flüssig¬ 
keit in der Luft, so daß die Flüssigkeitströpfchen in der 
Luft ca. 1 U so groß sind wie ein rotes Blutkörperchen. 

W. B. Müller, Berlin. 


Glashülse zur Verhütung der Uebertragung an¬ 
steckender Krankheiten beim Gebrauch des Fieber¬ 
thermometers. 

Von Dr. med. S. Fackenheim, Kassel. 

Jedes Instrument, das bei einem Kranken benutzt worden 
ist, wird vor seinem weiteren Gebrauch desinfiziert. Dasjenige 
Instrument aber, das weitaus am meisten vom Arzt und 
Patienten am Krankenbett angewendet wird — der _ Fieber¬ 
thermometer — wird gewöhnlich nicht desinfiziert, weil er in 
der sonst üblichen Weise durch Auskochen oder Ausglühen 
nicht sterilisiert werden kann und weil jede andere Desinfektion 
zu viel Zeit erfordert, als daß sie für den Thermometer in 
Betracht käme. 



Die Salmiak-Inhalationspfeife. 

Von Dr. med. Julius Rudolph, München. 

In England wird seit Jahren zur Behandlung chronischer 
Luftröhrenkatarrhe etc. ein aus drei durch Glasröhren miteinander 
in Verbindung gesetzten Flaschen bestehender Apparat, der ein 
Inhalieren in statu naszendi entstehender Salmiaknebel gestattet» 
angewandt. Ich habe den Apparat, der bei jedem einzelnen 
Patienten durch Zeichnung, ja selbst durch zeitraubende Gänge 
seitens des Arztes zum Instrumentenmacher zu beschaffen war 
und der dabei viel teurer zu stehen kam, aus einem schwer zu 
handhabenden und plumpen Nebeneinander in ein zierliches, hand¬ 
liches Uebereinander umgeformt, so daß er ein Inhalieren beim 
Spazierengehen gestattet und noch andere wesentliche, unten zu 
erwähnende Vorzüge bietet. 

Die beistehende Zeichnung zeigt das Bild einer Pfeife. Statt 
„eines“ Pfeifenkopfes erblicken wir zwei solcher in Form von 
Kölbchen. Das eine derselben wird bis zu 1 /3 bis V 2 110116 



Und doch besteht bei dem allgemeinen Gebrauch des 
Thermometers die Gefahr der Uebertragung ansteckender Krank¬ 
heiten. Man braucht nur daran zu denken, daß nach Einführung 
der Aftermessung der Thermometer mit dem Kot in engste 
Berührung kommt, dem Stoff, der am leichtesten die schwersten 
Krankheiten überträgt. Auch durch jede andere Anwendungs¬ 
weise, beim Messen im Mund und in der Achselhöhle können 
ansteckende Krankheiten durch den Thermometer übertragen 


Ammoniak (Salmiakgeist), das andere in gleicher Weise mit ge¬ 
reinigter Salzsäure beschickt. Nun werden beide Kölbchen mit 
einem Korke, der von einem an beiden Enden offenen Glasröhr¬ 
chen durchbohrt wird, geschlossen, wobei das untere Röhrchen¬ 
ende fast bis zum Boden des Kölbchens reicht. Der „Wasser¬ 
sack“ unserer Pfeife wird bis zu halber Höhe mit destilliertem 
Wasser, dem einige Tropfen Salzsäure zugesetzt sind, gefüllt und 
mit einem Korke geschlossen, der von den beiden Röhren, in 
welche die beiden Kölbchen auslaufen, durchbohrt, wird. Die 
unteren Enden dieser Röhren reichen ebenfalls fast bis zum Boden 
des Wassersackes. Letzterer geht in das Pfeifenrohr mit Mund¬ 
stück über. Wird an letzterem gesogen, wie beim gewöhnlichen 
Tabakrauchen, so streicht die Luft durch die Röhrchen der Kölb¬ 
chen ein, sättigt sich getrennt mit Ammoniak- und Salzsäure¬ 
dämpfen, die durch die Kolbenröhren in den „Wassersack“ ge¬ 
langen, wo sie im angesäuerten Wasser „gereinigt“ werden und 
dann zu Salmiak sich verbindend in dem Luftraum über dem 
Wasserspiegel als weißlicher Nebel sich ansammeln, der seiner¬ 
seits vom Patienten nun geraucht wird. Setzen wir die oberen 
Röhrchenenden der Kölbchen mit einem Gebläse in Verbindung, 
so läßt sich der Salmiaknebel am Mundstück, das nun als Aus¬ 
strömungsrohr funktioniert, zum Ausströmen bringen. Das Ge¬ 
bläse läßt sich dadurch ersetzen, daß eine Person in die gabel¬ 
förmige Glasröhre, die durch zwei Gummischläuche mit den oberen 
Röhrenenden der Kölbchen verbunden ist, hineinbläst. Die Armie¬ 
rung mit Gebläse-Vorrichtung muß eigens vom Arzt verlangt 
werden, da der Apparat nur als solcher zum Inhalieren geliefert 
wird. 


werden. 

Da man nun wegeiUder ihm eigentümlichen Konstruktion 
den Thermometer nicht durch Anwendung von Hitze sterilisieren 
kann, konstruierte ich eine Glashülse, die dem Thermometer 
genau 5 "angepaßt ist. Die Fiebermessung geschieht in der ge¬ 
wöhnlichen Weise durch Versenken des mit der Glashülse ver¬ 
sehenen Thermometers in den After. Nach drei Minuten wird 
der Thermometer mit der Glashülse herausgenommen, die Hülse 
abgezogen und ausgekocht oder ausgeglüht und kann sofort 
nach genügender Abkühlung wieder benutzt werden. Die Ge¬ 
nauigkeit der Messung leidet nicht im geringsten. 

Die Glashülse zur Verhütung ansteckender Krankheiten 
beim Gebrauch des Fieberthermometers ist durch D. R. G. M. 
Nr. 316234 geschützt und wird von der Firma J. u. H. Lieberg, 
Kassel, hergestellt. 


Der Gebläseapparat findet Anwendung in der Kinder-, Nasen- 
und Ohrenheilkunde. Das Ausströmungsrohr läßt sich leicht mittels 
Gummischlauches mit den Ansatzstücken wie Tubenkatheter, Nasen¬ 
röhren etc. verbinden. Die Rhinitis z. B. Erwachsener läßt sich 
leicht dadurch behandeln, daß man dieselben auffordert, nach Art 
der Zigaretteninhalierraucher den Rauch mit dem Munde tief ein¬ 
zusaugen und durch die Nase ausströmen zu lassen. 

Der Apparat wird geliefert von der Firma Beck & Heß, 
München, Sonnenstraße Nr. 9. 


Bruchband „Multiform“ 

nach Dr. Paul Bernstein, Berlin. 

Das neue Bruchband „Multiform“ hat l vorJ denkenderen 
den Vorzug, daß es leicht auseinanderzunehmen geht und 


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tfiMAtBÜTISCHE RUNDSCHAU. 


18S 


man,die einzelnen Teile in verschiedene, beliebig modifizierbare 
Stellungen zueinander bringen kann, je nachdem es von der Art 
des Bruches erfordert wird. Die Pelotte besteht aus einem 
aus Zelluloid hergestellten Deckel mit gekröpftem Band, in 
dessen Höhlung das aus gummiartiger Masse hergestellte Kissen 
paßt, und leicht geklemmt werden kann. Ist das Kissen 
schmutzig oder sonst ersatzbedürftig geworden, so kann man 
es' sehr leicht aus dem Deckel herausnehmen und durch ein 
anderes ersetzen, ohne deshalb den Bandagisten zwecks Re¬ 
paratur, wie bei den alten Bruchbändern, angehen zu müssen. 
Die Pelotte in toto ist an der Feder durch eine Vorrichtung 
befestigt, welche ein Verstellen der Pelotte leicht ermöglicht. 
Durch eine Schraube kann man die Pelotte lockern und dann 
in allen Richtungen, je nachdem wie es von dem Bruche und 
dessen Konfiguration erfordert wird, verstellen, man kann die 
Pelotte nach oben und unten und längs in ihrer Richtung 
vor- und rückwärts verstellen. Diese Verstellungsmöglichkeit 
ist ein großer Vorzug des Bruchbandes „Multiform“ gegenüber 
den alten Bändern, bei denen man nur durch Verbiegen des 
Stahles 'Modifikationen der Stellung der Pelotte ermöglichen 
konnte. Die Feder kann man leicht aus dem Ueberzug des 
Bandes herausziehen und so den Ueberzug, wenn er defekt 
oder schmutzig ist, leicht ersetzen. Nach allen diesen Neuerungen 
muß man sagen, daß das Bruchband „Multiform“ wohl ge¬ 
eignet erscheint, einen guten Ersatz für die alten Bruch¬ 
bänder zu geben. Zu beziehen von E. Kraus, Fahr. chir. 
Instr., Berlin, Kommandantenstr. 55. W. B. Müller, Berlin. 


□ 


Bücherbesprechungen. 



. Die geschlechtliche Frage. Aufklärungen über ein 
dunkles Gebiet für jedermann, insbes. für unsere reifere Jugend. 
Von Dr. Dam mann, Spezialarzt für Nerven- und Seelenerkran¬ 
kungen in'Berlin-Schöneberg. Leipzig 1908. Teutonia-Verlag. 
2 Mark. 

Verfasser nennt sein Büchlein (im Anklang an Forel) „Die 
geschlechtliche Frage“. Ja welche meint er? Es gibt tausende 
von geschlechtlichen Fragen. Es gibt Entwicklungsgeschichtliches 
über die Fortpflanzung; Die Fortpflanzung des Menschen; der Ge¬ 
schlechtstrieb; Mißbildungen der Genitalien; die Geschlechtskrank¬ 
heiten; Verirrungen des Geschlechtstriebes; andere krankhafte Er¬ 
scheinungen ; die Enthaltsamkeit; die Arten des Verkehrs; die 
öffegtliche Sittlichkeit; Ratschläge für Liebe und Ehe. Die meisten 
dieser Themata haben Unterabteilungen. Alles zusammen auf 
knapp 185 weitgedruckten Seiten. Das Werk ist ganz populär 
geschrieben und behandelt die Themata im großen und ganzen 
korrekt dem Stande der Wissenschaft entsprechend, wenn auch 
vieles, selbst für ein derart populäres Werkchen, mangelhaft ist 
(vide Verirrungen des Geschlechtstriebes!), anderes wieder heutigen 
physiologisch begründeten wissenschaftlichen Anschauungen nicht 
stand halten kann (vide Empfehlungen der Schwämmchen, Sicher¬ 
heitsovale, Spermathamatontabletten u. v. a.!). 

Doch die Hauptsache. Der Zweck des Buches ist mir völlig 
unverständlich. Verf. kennt nach Angabe in seinem Vorwort 
„noch kein volkstümliches Werk, das von einem wirklichen Fach¬ 
mann, einem Seelenarzt oder Psychiater verfaßt ist, der die Er¬ 
forschung und Behandlung des menschlichen Geschlechtslebens zu 
seinem Sonderfach gemacht hat“, und das bei der jetzigen 
XJeb e r schwemm ung uns er er Literatur mit Sexual¬ 
werken I! N. B. Was sollen Aufklärungen über z. B. die sexu¬ 
ellen Perversitäten „für unsere reifere Jugend“? 

Sehr abstoßend wirkt das Titelblatt für ein Sexualwerk. 
Eine völlig nackte Donna, mit aufgelöstem Haare, die Fackel in 
der Rechten. Wozu dies? Dr. Rohleder-Leipzig. 

Technik der Message. Von Ä. Hoffa. 5. Auflage. 
Stuttgart 1907. Ferd. Enke. 

.Die Tatsache, daß die meisten Aerzte keinen rechten Begriff 
von der wirklichen Massage haben, veranlaßt mich, vorliegende 
Technik der Massage erscheinen zu lassen“, schreibt H. in der 


Vorrede zur ersten Auflage in den neunziger Jahren des vorigen 
Jahrhunderts, und ferner: „Ich behaupte, daß jeder Laienmasseur, 
der selbständig die Massage ausübt, ein Pfuscher ist und bleibt, 
und strebe demgemäß das völlige Verbot der Laienmassage an.“ 
Es wäre sehr erfreulich gewesen, wenn H. in der Vorrede zur 
fünften Auflage, die im Juli 1907 erschien, die Erfüllung seiner 
in die angeführten Sätze eingekleideten Wünsche hätte prokla¬ 
mieren können. Zwar ist das Interesse der Aerzte an der Massage 
erheblich gewachsen, ebenso das Ansehen der Massage als eines 
vollberechtigten und bedeutenden Zweiges der Therapie, aber im 
allgemeinen spricht doch auch hier das Trägheitsgesetz ein ge¬ 
wichtiges Wort, und es werden wohl nochmals zehn Jahre ver¬ 
gehen, ehe jeder Arzt die Kenntnis der Massagetechnik als con¬ 
ditio sine qua non erachtet, und in noch grauer Ferne liegt die 
Zeit, da man den Laienmasseur als ein „fossiles Ungeheuer“ be¬ 
trachten wird. Ich kenne Professoren der Medizin, die sich von 
Laien massieren lassen, und ein Professor der Anatomie erzählte 
mir lachend von den eifrigen Bemühungen seines Masseurs, den 
Dornfortsatz des siebenten Halswirbels fortzumassieren. Möge das 
kurz, aber umfassend und sehr übersichtlich geschriebene Buch 
des Meisters der Massage der Masse „lebendige Kraft“ induzieren, 
damit eine vermehrte Geschwindigkeit sie zum Ziele führe! 

Lungwitz, Berlin. 

Dr. Bierbachs Schreibtischkalender für Aerzte, 

1908 . Verlag von Fischers medizinischer Buchhandlung (H. Korn¬ 
feld), Berlin. 

Es hieße Eulen nach Athen tragen, wollte man das bekannte 
und beliebte Nachschlagebuch für die täglichen Bedürfnisse in der 
Praxis noch empfehlen. Es wird sich weiter bewähren, wie es 
sich bisher bewährt hat, und zahlreichen praktischen Aerzten un¬ 
entbehrlich sein. 

Reichs-Medizinal-Kalender. Begründet von Dr. Paul 
Börner. Leipzig 1908. Verlag von Georg Thieme. 

Ein Nachschlagewerk ersten "Ranges, das „Wer ists?“ des 
ärztlichen Standes. Dabei sehr billig (5 M.). Einige Mängel ver¬ 
schwinden unter der Fülle der Vorzüge. Lungwitz, Berlin. 


□ ALLGEMEINES. □ 


Wir erhalten folgende Zuschrift: Die Internationale Gesell¬ 
schaft für Chirurgie beschloß in ihrer am 22. September 1905 
in Brüssel stattgehabten Generalversammlung, im September 1908 
anläßlich des H. Internationalen Chirurgenkongresses in Brüssel 
eine Krebsausstellung zu veranstalten. Die Ausstellungsobjekte 
sollen zwischen dem 20. bis 31. August 1908 an die Adresse des 
Generalsekretärs der Gesellschaft, Herrn Prof. Dr. Depage, Brüssel, 
75 Avenue Louise, eingesendet werden. Das Sekretariat über¬ 
nimmt die Ausstellungsobjekte, sorgt für deren Aufstellung und 
sendet dieselben nach Schluß des Kongresses an die Adresse der 
Herren Aussteller zurück. Es wird in dem Kongreßprogramme 
dafür gesorgt werden, daß die Herren Aussteller während der 
Zeit des Kongresses ihre Ausstellungsobjekte den Kongreßmit¬ 
gliedern demonstrieren können. 

Zur Ausstellung können sämtliche auf die Krebskrankheit be¬ 
züglichen Objekte angemeldet werden. Namentlich : 1. Vom chirur¬ 
gischen oder vom pathologischen Standpunkte aus in irgendeiner 
Richtung instruktive makroskopische oder mikroskopische Krebs- 
präparate, unter anderem solche, die entweder durch ihre Lokali¬ 
sation oder wegen der Verbreitungswege des Krebses von beson¬ 
derem Interesse sind. 2. Auf einzelne Krebsoperationen bezügliche 
topographisch-anatomische Präparate oder Abbildungen. 3. Topo¬ 
graphisch-anatomische Präparate über die Lymphwege und Lymph¬ 
knoten einzelner Regionen. 4. Statistische Wandtafeln über die 
mit der Behandlung der Krebskrankheit erreichten Dauererfolge. 
5. Statistische Wandtafeln über die Häufigkeit des primären 
Krebses und seiner Metastasen in den einzelnen Organen auf 
Grund von klinischen oder von pathologisch-anatomischen Er¬ 
fahrungen. 6. Statistische Wandtafeln über die Verbreitung der 
Krebskrankheit in den einzelnen Ländern. Genauere Pläne über 


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184 


THERAPltmSCHE BüNBSCMAÖ: 



sogenannte Krebsnester. Stammbäume von Familien, in denen der 
Krebs bei mehreren Generationen vorkam. 7. Pläne von Krebs¬ 
instituten, von Krebsspitälern, ihre Programme, Arbeitsausweise, 
Budgete. 8. Agitation zur frühzeitigen Behandlung der Krebs¬ 
krankheit. Aufrufe an das Publikum. Vorschläge dazu, in welcher 
Weise dem Publikum die Kenntnisse zur Frühdiagnose beigebracht 
werden sollen, ohne damit Panik zu erregen. 

Berlin. Das Internationale Komitee für ärztliche Studien¬ 
reisen ersucht uns anläßlich mehrerer Anfragen um nachstehende 
Mitteilung: An die medizinische und Tagespresse ist eine Notiz 
gelangt, welche besagt, daß durch die Administration de l’Oeuvre 
d ? Enseigneinent medical Complementaire, 8 rue Francois Millet, 
eine „internationale ärztliche Studienreise“ vom 12. bis 28. April 
nach Italien veranstaltet wird. Es handelt sich hier um eine der 
von dem Reise-Unternehmer Herrn Bazot (NicLt-Arzt) auch schon 
früher veranstalteten Reisen französischer Aerzte, an welchen einige 
nichtfranzösische Aerzte teilzunehmen pflegen. Mit dem Internatio¬ 
nalen Komitee für ärztliche Studienreisen hat das Unternehmen 
nichts zu tun. Die erste von diesem Komitee angeregte Fahrt, 
zu welcher die Aerzte aller in dem Komitee vertretenen Länder 
Einladungen erhalten werden, wird voraussichtlich erst im nächsten 
Jahre stattfinden, und zwar im Anschluß an den Internationalen 
Aerzte-Kongreß in Budapest. 

Neuenahr. Bei Mutungen auf Bleierz sind hier Fangolager 
zu tage getreten. Die vorläufigen chemischen Untersuchungen 
dieses Eifelfango Neuenahr haben ergeben, daß er bei staubartiger 
Trockenheit noch bis zu 29,60% Feuchtigkeit enthält, und schon 
in diesem Zahlenergebnisse wie auch in seinen Bestandteilen und 
Eigenschaften dem Fango di Battaglia sehr nahe steht. In seiner 
Zusammensetzung ergibt sich der Eifelfango Neuenahr als eine 
teils chemische, teils mechanische Verbindung von sauren Silikaten. 
Für das Bad Neuenahr ist bei den bekannten medizinischen Eigen¬ 
schaften des Fango diese Entdeckung von nicht zu unterschätzender 
weittragender Bedeutung. 0. Krey. 

Das sächsische Landesmedizinalkollegium hat in seiner 

25. Plenarversammlung folgenden Antrag Haenel-Dresden ange¬ 
nommen: „Das Königl. Ministerium des Kultus und öffentlichen 
Unterrichts zu ersuchen, in geeigneter Weise Fürsorge zu treffen, 
daß durch Aerzte Aufklärung der Abiturienten der höheren Schulen 
über sexuelle Hygiene (Wert der Keuschheit und Gefahren der 
Geschlechtskrankheiten) bewirkt werde.“ Der Vertreter des Kgl. 
Ministeriums, Geh. Schulrat Dr. Saliger erklärte, daß voraus¬ 
sichtlich von Michaelis 1908 ab an den staatlichen höheren Schulen 
Sachsens Schulärzte angestellt werden würden, die am besten Ge¬ 
legenheit haben dürften, sich der beregten Belehrung zu unterziehen. 

Die Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Ge¬ 
schlechtskrankheiten erläßt ein Preisausschreiben zur Abfassung 
einer volkstümlichen Flugschrift, welche die Gefahren der veneri¬ 
schen Krankheiten unter besonderer Berücksichtigung des Soldaten- 
und Matrosenlebens behandeln soll. Es sind drei Preise zu- 300, 
200 und 100 M. vorgesehen. Die näheren Bedingungen des 
Preisausschreibens sind von der Geschäftsstelle der Gesellschaft, 
Berlin S. 14, Inselstraße 13 a, zu beziehen. 

Leipzig. Für die Einführung des biologischen Unterrichts 
in den Oberklassen der höheren Lehranstalten hat sich der Verein 
für Schulgesundheitspflege und der Deutsche Verein für Volks¬ 
hygiene in einer Eingabe an die Landstände ausgesprochen. 

— Mit der Bitte um Aufnahme geht uns folgende Mit¬ 
teilung zu: 

Der Arzt als ständiges Mitglied des Schulvorstands, 
eine pädagogische und hygienische Forderung. 

Ein Mann vergessen! so darf man ausrufen, wenn man die über 
die Zusammensetzung der neugebildeten Schulvorstände jetzt von 
allen Seiten einlaufenden Nachrichten durchsieht. Die Gemeinde, 


Familie, Kirche und Schule sind jetzt in, der Schulpflege vertreten,* 
der Arzt als berufener Vertreter der Volkagesundheit fehlt in den 
meisten Fällen. In vielen Städten hat iüän durch Anstellung von 
Schulärzten einen Schritt vorwärts getan, doch Haben diese nur 
eine beratende, also eine halbe Stimme. In unserer Volks - 
erziehung hat man sich anscheinend selbst in unserm modernen 
Zeitalter noch nicht den Spruch der Alten von der Beziehung 
zwischen leiblicher und geistiger Gesundheit zu eigen gemacht, 
obwohl nach mehrfachen Beobachtungen selbst die Gesunderhaltung 
unserer ländlichen Jugend nicht mehr wie früher einwandfrei ist. 
Unverständlich ist, warum nicht von seiten der Aerztevertretungen 
Schritte unternommen worden sind, damit der Arzt von Amtswegen 
Sitz und Stimme im Schulvorstand erhält. Sowohl bei Erziehung 
wie Unterricht ist heutzutage der Arzt unentbehrlich, im besonderen 
beim Schulanfang. Man vergegenwärtige sich nur folgendes: Beim 
Eintritt in eine staatliche Anstalt, in einen Beruf usw. wird ärzt¬ 
liche Untersuchung verlangt, beim sechsjährigen Kinde, das beim 
Schulanfang einem Lebenswechsel unterworfen ist, wie wohl nicht 
zum zweiten Mal im Leben, hält man dies nicht für nötig. Neben 
den Seelsorger im Schulvorstand der Vertreter für des Leibes 
Gesundheit: das ist eine Forderung pädagogisch-hygienischer Kreise. 

Behrens - Elmschenhagen. 


Patent-Nachrichten. 

Patenterteilungen. 

30 i. 190487. Verfahren zur Herstellung eines desinfizierend 
wirkenden Schleifmittels für Rasiermesser. Dr. Friedrich Papst, 
Halle a. S., und Dr. Fritz Meyer, Hildesheim. 5. 10. 06. P. 18999. 

30 d. 191446. Verstellbare federnde Stütze für Plattfüße 
mit an ihrer inneren Längsseite vorspringendem Lappen. Frank¬ 
furter Vertriebsgesellschaft Hermann Wronker & Co. m. b. H., 
Frankfurt a. M. 5. 8. 06. W. 26 134. 

30 d. 191487. Verbandsstoff. Fa. Paul Hartmann, Berlin. 

26. 2. 05. H.-34 804. 

30 f. 191209. Biegsame Decke zum Schutz » des Körpers 
gegen die schädlichen Einwirkungen der Röntgenstrahlen. Dr. 
Wilhelm Baiser, Köppelsdorf b. Sonneberg i. Thür. 21. 1. 05. 
B. 39019. 

30 h. 191210. Verfahren zur Herstellung eines aus Calcium¬ 
superoxyd und Calciumkarbonat bestehenden Zahn- und Mund¬ 
pflegemittels. Ludwig Sensburg, München, Herzog Rudolfstr. 11. 
24.2.06. S. 22 370. 

30 h. 191406. Verfahren, zur Herstellung im Verdauungs¬ 
kanal leicht löslicher Gelatinekapseln, Gelatineüberzüge u. dgl. 
Dr. Oskar Gros, Leipzig, Liebigstr. 10. 10. 6. 05. G. 21453. 

30h. 191407. Verfahren zur Herstellung im Verdauungs¬ 

kanal leicht löslicher Gelatinekapseln, Gelatineüberzüge u. dergl.; 
Zus. z. Pat. 191406. Dr. Oskar Gros, Leipzig, Liebigstr. 10». 

27. 2. 07. G. 24 445. 

30 k. 191360. Vorrichtung zur Erzeugung eines von groben 
Flüssigkeitsteilchen freien Wassernebels für Inhalationszwecke. 
Dr. Otto Prelle, Schleswig, Stadtweg 43. 8, 7. 05. P. 17 416. 

30 a. 190703. Vorrichtung zur Untersuchung des Magen- 
innern auf optischem Wege. William Gustav Eckstein, New York; 
Vertr.: C. Fehlert, G. Loubier, Fr. Harmsen und A. Büttner, 
Pat.-Anwälte, Berlin SW. 61. 28. 4. 06. E. 11664. 

30 d. 190704. Binde aus einer gestrickten, mit aufsaugendem 
Stoff gefüllten Hülle und nicht dehnbarer Einlage. Edward Savage 
Dix, New York, Vertr.: C. Fehlert, G. Loubier, Fr. Harmsen und 
A. Büttner, Pat.-Anwälte, Berlin SW. 61. 21. 1. 06. D. 16 646. 

30 d. 191080. Nierengürtel. Dr. Siegfried Fackenheim, 
Cassel, Bahnhofstr. 10. 30. 11. 06. F. 22620. 


Vertrauensvoll sei die Beurteilung des aus Meeralgen gewonnenen 
Nährfettes Fueol jedem deutschen Arzte anheimgestellt. Eine markt¬ 
schreierische Reklame dafür in den Tagesblättern usw. wird grundsätzlich 
vermieden. Die Erfolge eigener Versuche mögen überall für Fuco 1 sprechen. 

Man verordne Orig.-Flaschen ä y a Liter ä M. 2,—. General-Vertrieb: Karl 
Fr. Töllner, Bremen 

~~~ Verantwortlicher Redakteur: Dr. H. Lungwitz, Berlin S. — Verlag: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle a. S. 

Druck der Heynemannschen Buchdruckerei, Gebr. Wolff, Halle a. S. 


IT. A. Hoppen u. R. Fischer 
Patentanwälte 

Berlin SW. 13., Neuenburgerstraße 15 

Amt IY 718. 


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Wochenschrift für die gesamte Therapie des praktischen Arztes. 


ü. Anton, A. Dfihrssen, C. A. Ewald, P. Gerber, R. Robert, 
Halle a. S. Berlin. Berlin. Königsberg. Rostock. 

H. Schmidt-Rimpler, ü. Senator, 
Halle a. S. Berlin. 


Redaktion: 

Berlin S. 14, Dresdenerstr. 44. Tel. IV, 11773. 
_Df. med. et phil. H. Lungwitz. 


Herausgegeben von 



M. Koeppen, M. Mosse, H. Rosin, H. Schlange, Ad. Schmidt, 

Berlin. Berlin. Berlin. Hannover. Halle a. S. 

R. Sommer, H. ünverricht, 0. Vulpius, 

Gießen. Magdeburg. Heidelberg. 

-----N 

Verlag u. Expedition: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung 
in Halle a. S., Reilstraße 80. 

Tel.-Adr.: Marhold Verlag Hallesaale. Fernsprecher 823. 


Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte der Ostsee und der 
__- _Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 


II. Jahrgang. 


Halle a. S., 22. März 



Nachdruck der anderen Rubriken ist nur mit Quellenangabe gestattet 


ORIGINALIEN. 


Aus der Dührssenschen Privatklinik für Geburtshilfe 
und Frauenkrankheiten. 

Die geburtshilfliche Dilatation in der Hand des 
praktischen Arztes. 

Von Prof. Dr. A. Dührssen, Berlin. 

(Schluß.) 

Ich komme nunmehr zu einer kritischen Betrachtung der 
Fortsetzung des Rohlff sehen Artikels in Nr. 2 dieser Wochen¬ 
schrift. 

Was die Metreuryse zwecks Einleitung der 
künstlichen Frühgeburt anlangt, so ist dieselbe — mit¬ 
tels des Cham peti er sehen Ballons durchgeführt — eine 
Methode, die an Sicherheit und Schnelligkeit des Erfolges alle 
die übrigen von Rohlff aufgezählten Methoden bei weitem 
übertrifft. Daß sie allerdings durch die Hebosteotomie eine 
Einschränkung erleiden wird, gebe ich Rohlff gerne zu. Es 
ist aber nicht nötig, sich für die künstliche Frühgeburt zum 
Zwecke der Dilatation vor Einlegung des Metreurynters einen 
Bossischen Dilatator anzuschaffen. Hierzu genügen verschie¬ 
dene, oben schon genannte harmlosere und billigere Instrumente, 
die der Arzt sowieso schon besitzt, resp. da man ja bei engem 
Becken Zeit hat, die zwölfstiindige Einlegung eines Lami- 
nariastifts. In 2 mittlerweile behandelten Fällen von künstlicher 
Frühgeburt bei einer I- und Ilgravida konnte ich den oben 
empfohlenen 9 V 2 cm Ballon sofort einführen. Bei selbsttätigem 
Zug und sofort einsetzenden Wehen entwickelte sich die 
Zervix binnen 5 Stunden vollständig. — 

Für die vorzeit ige Lösung der normal sitzen¬ 
den Plazenta empfiehlt Rohlff das Accouchement 
f o r c & Es ist dies ein gefährlicher Rat. Daß hier der Ballon 
unbrauchbar ist, darüber herrscht durchaus keine Einstimmigkeit, 
wohl aber herrscht Einstimmigkeit darüber, daß das gewalt¬ 
same Einbohren mit der Hand ein unrichtiges Verfahren ist. 
Man muß zunächst bei dem erwähnten Ereignis verschiedene 
Möglichkeiten unterscheiden: 

1. Es handelt sich um eine Mehrgebärende mit totem 
Kind. Hier ist die Perforation — event. nach vorausgeschickter 
rapider Ballondilatation der Zervix auf Zweifingerweite — zu 
machen. 


2. Es handelt sich um eine Mehrgebärende mit lebendem 
Kind. Hier ist die rapide BallondilatatioD, wie oben be¬ 
schrieben, vorzunehmen. Gelingt sie nicht so rasch, wie es 
das Befinden der Mutter erfordert, so ist der vaginale Kaiser¬ 
schnitt bei angezogenem Ballon zu machen. 

8. Es handelt sich um eine Erstgebärende mit totem Kind. 
Ist die Zervix erhalten, so diktiert man sie mit einem kleineren 
Champetier bis auf Zweifingerweite und perforiert. Ist die 
Zervix verstrichen, so inzidiert man die vordere und hintere 
Lippe und perforiert. 

4. Es handelt sich um eine Erstgebärende mit lebendem 
Kind ; Ist die Zervix erhalten, so handelt man wie sub 2, 
ist die Zervix verstrichen, so nehme man vier tiefe Inzisionen 
oder, den oben beschriebenen rudimentären vaginalen Kaiser¬ 
schnitt vor. 

5. Gelingen bei lebendem Kind die beschriebenen Ent¬ 
bindungsmethoden nicht oder sind sie aus äußeren Gründen 
nicht anzuwenden, so perforiere man, falls die Mutter sich in 
ernster Lebensgefahr befindet, das lebende Kind, nachdem man 
die Zervix — und zwar die erhaltene durch den Ballon, die 
verstrichene durch einen oder zwei Einschnitte — auf Zwei¬ 
fingerweite dilatiert hat. — 

_ Was Rohlff über den Wert und die Notwendig¬ 
keit.der schleunigen Entbindung bei Eklampsie 
sagt, ist unzweifelhaft richtig. Er kann das alles in meinen 
seit 1889 über Eklampsie publizierten zahlreichen Arbeiten*) 
wiederfinden, durch welche ich im Gegensatz zu der ge¬ 
bräuchlichen medikamentösen Behandlung der Eklampsie die 
Behandlung der Eklampsie durch sofortige Entleemng des 
Uterus inauguriert habe. Auch „der Geburtstag einer aner¬ 
kannt gefahrlosen Methode zur Eizielnng einer schnellen 
Erweiterung einer unvorbereiteten Zervix u ist schon lange ge¬ 
wesen: es ist dies der 1. April 1895, wo ich den vaginalen 
Kaiserschnitt — und zwar in der Form der Kolpohy^teiotomia 
anterior — wie Bumm diese Art der Ausführung* des vagi¬ 
nalen Kaiserschnittes nennt, zuerst publiziert und speziell bei 
Eklampsie empfohlen habe. 

Für die Behandlung der Eklampsie in der Praxis 
empfehle ich die oben für die vorzeitige Plazentarlösung be¬ 
schriebenen Methoden — zu ihnen kommt noch als 'Vor- 
bereitung die Einleitung einer tiefen, aber nur kurzen Narkose, 
um die Reizwirkung des operativen Eingriffs auszuschalten, 
die Blasensprengung, um den seitens des Uterus auf die Ge- 


*) Dieselben beginnen mit dem Vortrag in der Berliner medizinischen 
Gesellschaft „Ueber die Bedeutung der Zervix- und Scheidendamm- 
inzisionen in der Geburtshilfe“, Berliner klinische Wochenschrift, löS9, 
Nr. 44, S. 964 — und schließen mit den Aufsätzen „Eklampsie“ und 
„Vaginaler Kaiserschnitt“ in dem von Winckelschen Handbuch der 
Geburtshilfe. 


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186 


THERAPmmSGHEJ RUNDSCHAU. 


fäße und eventuell die Ureteren ausgeübten Druck herabzu¬ 
setzen, und eine prophylaktische Ergotininjektion zur Ver¬ 
meidung von Nachgeburtsblutungen. Aderlaß und Infusion sind 
durch meine Methoden der Schnellentbindung bei Eklampsie 
schon längst zu Hilfsmaßnahmen herabgedrückt und als solche 
allerdings modern. Die Infusion ist ferner nicht nur modern, 
sondern auch nützlich. Einen besonderen Aderlaß vorzu¬ 
nehmen, halte ich bei Anwendung des vaginalen Kaiserschnitts 
für unnötig. Der hierbei erfolgende Blutverlust ist Aderlaß 
genug. 

Für die Bossische Methode ist also auch bei 
Eklampsie nach meiner Erfahrung nie eine zu 
rechtfertigende Indikation vorhanden. Auch Bumm 
macht bei Eklampsie seit fünf Jahren nur noch den vaginalen 
Kaiserschnitt (in der Form der Kolpohysterotomia anterior)^ 
nachdem er bei der Bossi sehen Methode gefährliche Zer¬ 
reißungen beobachtet hatte. Die gegenteilige Behauptung be¬ 
züglich Bumms, die Rohlff aufstellt, ist unrichtig. 

Wie man heutzutage in Deutschland über die Bossische 
Methode denkt, spricht ein Sammelreferat von Orgler in der 
Gynäkologischen Rundschau 1908, Nr. 1, S. 85, treffend aus: 
„Die puerperalen Verletzungen der Zervix haben neuerdings 
lebhafteres Interesse auf sich gezogen, nachdem die letzten 
Jahre gelehrt hatten, daß die diktierende Methode nach Bossi 
in erheblichem Bruchteil der Fälle (nach Hammer sch lag, 
Zeitschrift für Geb., LVI, pag. 851 [1905] in 33 1 / 3 °/<o) Zervixrisse 
im Gefolge habe. Schröder warnt aus diesem Grunde 
dringend vor der Anwendung des Bossi sehen Instruments bei 
nicht eröffnetem Muttermund und erhaltener Zervix; aber auch 
bei verstrichener Portio will die Bonner Frauenklinik das In¬ 
strument nicht mehr an wenden. Wo schon so viele Einrisse 
und Verletzungen gewandten Geburtshelfern begegnet sind, 
könne man nicht das Instrument dem praktischen Arzt 
empfehlen.“ 

Beide Autoren empfehlen dagegen die Metreuryse und den 
vaginalen Kaiserschnitt. Ich mache ferner noch Rohlff auf 
das Kapitel „Erweiterung der weichen Geburtswege durch Kol- 
peuryse, Dilatatorien und durch Sectio caesarea vaginalis 
(Dührssen)“ in Frommeis Jahresbericht für 1906 aufmerk¬ 
sam. Er wird aus diesem Kapitel ersehen, eine wie geringe 
Rolle die Bossische Methode gegenüber der Metreuryse und 
dem vaginalen Kaiserschnitt heutzutage nur noch spielt. — 

Als fünfte Indikation für die Anwendung der 
Bossischen Methode nennt Rohlff Querlage mit vor¬ 
zeitigem Wasserabfluß und erhaltener Zervix. Hier 
geht Rohlff von der falschen Voraussetzung aus, daß sich 
eine verschleppte Querlage sofort nach dem Wasserabfluß aus¬ 
bildet. Dies ist nach den Untersuchungen von Winter nicht 
der Fall: Die Ausziehung des unteren Uterinsegments tritt erst 
nach völliger Erweiterung des Muttermundes ein. Wenn man 
also auch erst mehrere Stunden nach dem Wasserabfluß zu 
einer Querlage gerufen wird und die Zervix mangelhaft er¬ 
weitert findet, so kann man ruhig einen Champetier-Ballon 
einführen und nach dessen Extraktion oder spontaner Aus¬ 
stoßung die Wendung und Extraktion machen. Schon in meiner 
ersten Publikation habe ich über sechs Fälle von Metreuryse 
bei fehlerhaften Lagen berichtet, in denen sämtliche Mütter 
und Kinder durch nachfolgende Wendung und Extraktion ge¬ 
rettet wurden. In einem dieser Fälle, gerade bei einer Quer¬ 
lage, „blieb der Metreurynter unter mäßigem selbsttätigen Zug 
(Befestigung des angespannten Kolpeurynterschlauchs am Bett¬ 
ende) 4 V 2 Stunden liegen, nach welcher Zeit die kräftig ein¬ 
setzenden Wehen den Muttermund völlig erweitert hatten.“ 

Bei Fehlgeburten vom vierten bis zum siebenten 
Monat braucht man in der Tat, wie Rohlff sagt, den Kol- 
peurynter nicht, sondern kann bei einiger Erweiterung die 
Dilatation durch die Frucht selbst bewirken. Mit Rücksicht 
auf die durch Instrumente erzeugten Perforationen^ des Uterus 
kann ich indessen das Fassen von Kindesteilen mit Muzeux oder 
Klemmzangen nur gutheißen, wenn es unter Leitung des Fingers 
geschehen kann. Ist erst ein Teil der Frucht aus dem Uterus 
herausgezogen, so wird man mit den Faßinstrumenten, die man 
gerade zur Verfügung hat — noch besser wie die von 



Rohlff empfohlenen Muzeux sind die Doyen sehen Hälfen^ 
zangen — immer höhere Partien der Frucht -unter Leitung des 
Auges fassen können. - 

Ist bei Fehlgeburten vom vierten bis zum siebenten Monat 
der Zervikalkanal noch geschlossen, das Wasser aber abge¬ 
flossen oder nur die Frucht ausgestoßen, so stopfe man, wie 
ich das seit 1887 empfohlen habe, den Uteruskörper, und nicht 
etwa, wie fehlerhafterweise vielfach empfohlen wird, nur den 
Zervikalkanal fest mit Jodoformgaze aus. Man verbraucht 
hierzu einen der 5 m langen Jodoformgazestreifen, wie sie sich 
in der von mir angegebenen Büchse Nr. 2 befinden. Die 
Scheide muß dann noch mit der gleichfalls in der Büchse be¬ 
findlichen Salizylwatte fest ausgestopft werden. Eine .etwa 
vorhandene Blutung wird hierdurch mit Sicherheit gestillt. 
Alsbald treten denn auch Wehen auf, welche in der großen 
Mehrzahl aller Fälle binnen 24 Stunden den gpzen Uterus¬ 
inhalt austreiben oder den Zervikalkanal so erweitern,' daß der 
Uterus bequem entleert werden kann. Erscheint wegen Fiebers 
eine raschere Entleerung des Uterus angezeigt, so lege man 
nach vollendeter Uterustamponade noch einen Laminariastift 
in die Zervix und entleere dann den Uterus bereits nach zwölf 
Stunden. -Ist hierzu die Zervix noch nicht genügend diktiert, 
so kommt in dringenden Fällen, bei stattgehabter septischer 
Infektion, der vaginale Kaiserschnitt in Betracht. In ganz 
dringenden Fällen wird man diesen sofort, ohne erst eine ander¬ 
weitige, zeitraubendere Dilatation zu versuchen, ausführen. — 
Was die Behandlung der Plazenta prävia mit 
Metreuryse anbelangt, so hat Mä ur e r in seinem einen F all 
den Kolpeurynter nur zur Dilatation der' Zervix und zum 
Zweck der raschen Entbindung gebraucht — ich dagegen 
empfahl die Metreuryse in erster Linie zum 
Zweck der Blutstillung. Infolgedessen mußte 
ich auch die Technik anders gestalten und die 
von Maurer und neuerdings von Men de empfohlene Ein¬ 
legung des Ballons zwischen Plazenta und Uteruswand ver¬ 
werfen. Der in dieser Weise eingeführte Ballon stillt zwar 
die Blutung aus der früheren Haftstelle des abgelösten Pla¬ 
zentarlappens, er verhindert jedoch nicht die weitere Ablösung 
der Plazenta, ja begünstigt sie vielleicht sogar durch den von 
ihm ausgeübten Druck, der die. Plazenta nach innen, die Pla¬ 
zentarstelle nach außen drängt. Die weitere Ablösung der 
Plazenta mit ihren Gefahren, nämlich der Eröffnung neuer Ge¬ 
fäße und der weiteren Beschränkung der Sauerstoffzufuhr zum 
Kinde, kann man nur durch die Blasensprengung verhüten und 
dann die Blutstillung aus der früheren Haftstelle des abge¬ 
lösten Plazentarlappens nur dadurch erzielen, daß man den 
Ballon über die Plazenta in die Höhe führt, ihn füllt und an 
seinen Schlauch einen mäßigen selbsttätigen Zug anbringt. 
Hierdurch wird der abgelöste Plazentarlappen fest gegen seine 
frühere Haftstelle gepreßt und stillt hierdurch jede weitere 
Blutung. Der Ballon wirkt hier genau so wie der durch 
Wendung auf den Fuß in das untere Uterinsegment hinein- 
gezogene Steiß. Küstner*) bemerkt hierüber folgendes: 

„Die durch die kombinierte Wendung erzielten Fortschritte 
sind dem richtigen Prinzipe zu danken, bei Plpenta prävia 
nicht von unten, sondern von oben zu tamponieren. Folge 
der Beobachtung dieses Prinzips: Aufhören der Blutung und 
Beginn der Wehentätigkeit. Eine vollendetere technologische 
Ausgestaltung hat dieses Prinzip in der Maurer-Dührssen - 
sehen Tamponade erfahren. Diese findet in den noch besseren 
Resultaten ihren Ausdruck.“ 

Mit der M äu rer-Dü hrss en sehen Tamponade meint 
Küstner die Druckwirkung des Ballons gegen die Innen¬ 
fläche der Plazenta. Diese hat Mäurer jedoch in seinem ein¬ 
zigen Fall nicht geübt, sondern sie ist von mir zuerst unter 
Hervorhebung ihrer prinzipiellen Verschiedenheit und Bedeu¬ 
tung ausgeführt und empfohlen worden. 

Hält man sich an meine Vorschriften, so sind die Re¬ 
sultate, wie das zahlreiche Berichte beweisen, sehr gute. Die 
Blutstillung läßt sich gleich gut mit dem Braun sehen Ballon 
wie mit dem Champetier erzielen, für eine raschere und voll- 


*) Verhandlungen der Deutsehen Gea. f. Gyn. zu Leipzig, 1897. 


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Tfflli£PEüTISCHE RUNDSCHAU. 


ständigere Dilatation ist jedoch letzterer mehr zu empfehlen. 
Daß der Ballon beim Aufspritzen reißt, ist bei dem von 
Müller verbesserten Champetier ausgeschlossen, daß seine 
richtige Benutzung die Blasensprengung voraussetzt, ist gerade 
ein vorteil, weil hierdurch die weitere Ablösung der Plazenta 
aufhört — daß er den Kopf beiseite drängt, erleichtert ja sogar 
die spätere Wendung, daß er Uterusruptur macht, ist wegen 
der vorausgeschiekten Blasensprengung unmöglich. So bleibt 
nur der schädliche Druck des Ballons auf die Nabelschnur 
oder auf die Plazenta selbst. Es ist ja möglich, daß ein 
solcher gelegentlich einmal stattfindet, dann muß man eben in 
Gottes Namen das Kind absterben lassen, wenn eine schonende 
Extraktion des Ballons und nachfolgende Wendung und Extrak¬ 
tion noch nicht möglich ist. Immerhin ist es statistisch 
nachgewiesen, daß die Metreuryse von allen 
Methoden die geringste Kindermortalität aufweist. 
Diesen Nachweis hatte ich bereits auf Grund meiner ersten 
Fälle führen können. 

Rohlff übersieht bei seiner Kritik der Metreuryse, spe¬ 
ziell bei Plazenta prävia, ganz, daß über die Wirksamkeit 
der Metreuryse bereits eine große Literatur 
existiert. So sagt Schatz*) in seinem Referat über Pla¬ 
zenta prävia: „Die intrauterine Kolpeuryse nach Sprengung 
der Blase mit leichtem elastischen Zug am Kolpeurynter- 
schlauch nach Dührssen scheint, wenn auch in etwas anderer 
Form, den Kolpeurynter seiner ursprünglichen Bestimmung mit 
Erfolg wiederzugeben. Sie ahmt den zweckmäßigen Teil des 
Braxton-Hickssehen Verfahrens durch Blasensprengen, An¬ 
ziehen eines größeren konischen oder kugeligen Körpers auf 
das Os int. zur allmählichen Erweiterung desselben und zur 
dauernden Kompression der geöffneten Uterusgefäße in glück¬ 
licher Weise nach und vermeidet die schädlichen Wirkungen 
solcher langsamen Erweiterung durch den Körper des Kindes, 
welche dieses so oft mit dem Leben bezahlen muß. ... Die 
Gefahren der Behandlung treffen nur das Kind, sind geringer 
als bei dem Braxton-Hicks sehen Yerfahren, während die 
Mutter wenigstens ebensogute Berücksichtigung findet "wie bei 
diesem. Jedenfalls darf, wie Dührssen ganz richtig hervor- 
hebt, der Zug am Schlauch nicht fehlen, aber auch nicht 
größer sein, als daß er die Blutung nur eben stillt und Wehen 
anregt. Die Erweiterung des Kollum wird bei gleicher Füllung 
des Ballons um so vollkommener werden, je geringer der 
Zug ist.“ 

Küstn er sagt in der Diskussion des Referats noch folgendes: 
„Es braucht nicht bewiesen zu werden, daß für die Mutter 
diese Methode nicht gefährlicher ist, als die Braxton- 
Hicks sehe Wendung. Weder besteht größere Infektions¬ 
gefahr noch größere Yerletzungsmöglichkeit. Für das Kind 
ist diese Methode ungleich gefahrloser als die Braxton- 
Hicks sehe Wendung, was Sie daraus entnehmen können, daß 
von 17 noch zur Zeit der Hystereuryse lebenden Kindern 
11 lebend und lebensfrisch geboren sind, also 65%. Es ist 
zweifellos, daß von den 6 gestorbenen Kindern auch noch ein 
Bruchteil hätte gerettet werden können, wenn die ^Hystereuryse 
hätte früher in Anwendung gezogen werden können, in einer 
Zeit, als noch nicht eine umfängliche Plazentatrennung statt¬ 
gefunden hatte.“ 

Während Zweifel die vom Yerf. angegebenen Methoden 
der blutigen und mechanischen Dilatation bei Eklampsie warm 
empfiehlt, will er bei Plazenta prävia weder von dem vaginalen 
Kaiserschnitt noch von der Metreuryse etwas wissen. Bezüg¬ 
lich letzterer sagt er folgendes: „Von dem Einlegen der Metreu¬ 
rynterblasen haben wir weder in bezug auf sichere Blutstillung 
noch auf rasche Erweiterung des Muttermundes einen Nutzen 
gesehen, und möchte ich statt weiterer Ausführungen auf die 
einzelnen von Beckmann**) (S. 18) geschilderten Mißerfolge 
hinweisen. Sicher sind die Gummiblasen ganz untauglich bei 
der Plazenta prävia zentralis.“ 

Prüfen wir nun aber die von Beckmann mitgeteilten 
drei Fälle von erfolgloser Metreuryse, so ergibt sich, daß in 

*) Verh. d. D. Ges. f. Gyn. zu Leipzig-, 1897. 

**) Diss. Leipzig, 1902. 


denselben nicht nach meinen Yorschriften verfahren ist. In 
zwei der Fälle ist nämlich eine Tarniersche Blase eingelegt, 
welche bekanntlich nur 50 g Wasser faßt und daher zur Kom¬ 
pression einer größeren Fläche ganz untauglich ist, ferner ist 
in beiden Fällen die Blase nicht gesprengt, die Blase also 
fehlerhafterweise zwischen den abgelösten Plazentarlappen und 
der früheren Haftstelle eingelegt worden. In dem dritten Fall 
wurde zwar ein Kolpeurynter verwandt, aber auch die Blase 
nicht gesprengt, was auch bei Plazenta prävia zentralis 
schlimmstenfalls unter Durchbohrung der Plazenta — gemacht 
werden muß. 

Beckmann berichtet über 38 Fälle von Metreuryse bei 
Plazenta prävia aus der Z weife Ischen Klinik und rühmt ihre 
prompt und rasch wehenerregende Wirkung, doch moniert er, 
daß in 6 Fällen nach der Einführung die Blutung zwar zu¬ 
nächst stand, dann aber wieder auftrat. Trotzdem hält er sie 
von ganz unschätzbarem Wert als vorbereitende Methode für 
die kombinierte Wendung: „Vermag sie auch die Blutung in 
nicht gerade idealer Weise zu beherrschen, so vermag sie 
doch in der Regel dieselbe so einzuschränken, daß die momentane 
Gefahr beseitigt ist.“ 

Nun, die Metreuryse vermag auch in idealer Weise die 
Blutung zu beherrschen, falls man sie nur nach meinen Yor¬ 
schriften mit mäßigem selbsttätigen Zug verbindet. Auch nach 
der kombinierten Wendung tritt bekanntlich manchmal noch 
eine Blutung auf, die aber steht, sobald man den Fuß etwas 
anzieht, so daß der Steiß besser tamponiert. Dieselbe Ver¬ 
stärkung der tamponierenden Wirkung des Ballons erhält man, 
wenn man an ihm einen geringen Zug ausübt. 

Beckmann moniert ferner die nach spontaner Ausstoßung 
des Ballons auftretende starke Blutung. Nun, auch diese läßt 
sich vermeiden, wenn man die Kreißende genau beobachtet, 
bei Eintritt von Preßwehen sich für die innere Wendung vor¬ 
bereitet und nun durch Zug am Ballon feststellt, ob er dem 
Zuge folgt. Ist dies der Fall, so extrahiert man ihn — wobei 
man ihn zur schnelleren Durchführung durch die Scheide ent¬ 
leeren kann — und macht sofort die innere Wendung, falls 
nicht etwa schon der Kopf fest ins Becken getreten ist. In 
diesem Fall wartet man ruhig ab. 

Ausgezeichnete Resultate mit dem Champetiersehen 
Ballon bei schweren Fällen berichtet R. Freund*) aus der 
Hallenser Klinik und Poliklinik. Die Metreuryse ergab in acht 
Fällen mit nachfolgender spontaner Geburt 77,8 %, in fünfzehn 
Fällen mit nachfolgender innerer Wendung 80 % lebende Kinder. 
Dabei starb nur eine Mutter dieser letzten Kategorie (Zervix- 
riß), während unter 32 Fällen von kombinierter Wendung 70% 
der Kinder und fünf Mütter starben, zwei mit Zervixriß. 

Was den einen Todesfall nach Metreuryse und Wendung 
anlangt, bei dem sich ein Zervixriß fand, so ist hierzu zu be¬ 
merken^ daß bei der Metreuryse ein Zervixriß mit Sicherheit 
vermieden werden kann, wenn man den Ballon nicht mit Ge¬ 
walt extrahiert. Ist derselbe nach vier Stunden nicht leicht 
zu extrahieren, so entleere und extrahiere man ihn,, mache die 
kombinierte oder innere Wendung und warte ruhig ab, falls 
der Muttermund nicht völlig erweitert ist. 

In dem erwähnten Artikel beschäftigt sich Freund auch 
mit dem Aufsatz von Zweifel und empfiehlt im Gegensatz zu 
Zweifel den vaginalen Kaiserschnitt als prophylaktische Ope¬ 
ration bei beginnender Blutung und rigider Zervix, wie Dührssen 
sie zuerst ausgeführt hat. Dagegen verwirft er die Zweifelsche 
Dauertamponade. . _ , 

Da Zweifel für die Scheidentamponade mit dem Kol¬ 
peurynter Anstaltsbehandlung fordert, so. fällt diese Methode 
für den praktischen Arzt von vornherein weg. Für diesen 
bleib t bei Uterusblutung in der S chwanger s chaft 
und geschlossener und rigider Zervix die Schei¬ 
dentamponade die souveräne Methode. Nur ist 
hierbei ein keimfreies und antiseptisches Ma¬ 
terial von nöten. Die Kliniker klagen einstimmig darüber, 
daß ihnen infolge Tamponade mit keimhaltigen Verbandstoffen 

*) Ueber Plazenta prävia. Deutsche med. W. 1908, Nr. 4. Referat 
diese Nummer, S. 194. 


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188 therapeutische Rundschau. 



die Fälle von Plazenta prävia so häufig infiziert zugehen. 
Dabei ist eine tadellose Tamponade doch so einfach zu machen, 
wenn der Arzt eine D ührssen - Büchse Nr. 1 und eine Büchse 
Nr. 2 mit sich führt, wie sie sogar in ausländischen Lehrbüchern 
als notwendiges Inventarstück der geburtshilflichen Tasche ver¬ 
langt werden! 

Um zu resümieren, so ist es erwiesen, daß die von 
dem Verf. empfohlene Art der Metreuryse — mit 
vorausgeschickter Blasensprengung, Einführung 
des Ballons in die eröfinete Eihöhle und nach¬ 
folgendem selbsttätigen Zug — die Blutung bei 
Plazenta prävia sicher stillt, prompt Wehen er¬ 
zeugt, die eventuell n ötige We ndung und Extrak¬ 
tion zu einer leichten und- gefahrlosen Operation 
macht, welche die Entstehung von Zervixrissen 
ausschließt, und einen normalen Ablauf der Nach¬ 
geburtsperiode begünstigt. Demgemäß ist bei ihrer 
Anwendung die Mortalität der Mutter ebenso gering oder noch 
geringer als bei der kombinierten Wendung, und die Mor¬ 
talität der Kinder halb so groß wie bei der kombinierten 
AV endung. 

Dabei hat die Methode noch den Vorteil, daß 
sie das mildere Verfahren der Blasensprengung 
nicht ausschließt. Sie beginnt ja mit der Blasen- 
spren.gung: hört danach die Blutung auf, so ist 
die Metreuryse nicht nötig. 

Die von Rohlff empfohlene Wendung ohne vorausge¬ 
schickte Metreuryse, und zwar sowohl die kombinierte als 
auch die innere Wendung, geben also schlechtere Resultate 
als die Metreuryse. Gegen die kombinierte Wendung ist 
ferner der Einwand zu erheben, daß der Praktiker mit 
ihr vielfach nicht fertig wird, und gegen die innere Wen¬ 
dung, daß auch sie schon (und nicht ausschließlich die nach¬ 
folgende Extraktion) bei mangelhaft erweiterter Zervix einen 
letalen Zervixriß erzeugen kann! — 

Zu den Schlußbemerkungen von Rohlff in Nr. 5 dieser 
Wochenschrift habe ich nur wenig hinzuzufügen bezw. nur 
einige Punkte noch einmal zu wiederholen. Rohlff macht 
hier selbst auf die Zweifelsche Kons er vierung des 
Ballons in Glyzerin aufmerksam. In einem kleinen Prä¬ 
paratenglas kann man zwei der oben beschriebenen Ballons 
unterbringen und dieses Glas seiner geburtshilflichen Tasche 
einverleiben. Es wiegt bedeutend weniger und nimmt weniger 
Platz fort als das Bossische Instrument. Nimmt man ferner 
Sublimatglyzerin, so ist der Ballon sofort gebrauchs¬ 
fertig, seine Einführung und Füllung — auch ohne 
Assistenz der Hebamme — schneller zu bewirken als 
eine Wendung. In solchen Fällen muß man den Ballon, 
eventuell ohne Anhaken der Portio, unter Leitung von Zeige- 
und Mittelfinger der linken Hand, mit meiner Tamponade¬ 
pinzette durch die Zervix durchführen und nun irgendeine 
Person beauftragen, das Schlauchende des Ballons über das 
Glasrohr des gefüllten Irrigators zu ziehen. Diese Person wird 
auch, wenn man ohne Fixation der Zervix nicht fertig wird, 
die Zange halten können, die der Operateur selbst nach be¬ 
endeter Füllung abnimmt. 

Sieht man sich in der geschilderten Weise vor, so fallen 
eine Reihe von Einwänden fort, welche Rohlff gegen die 
Metreuryse erhebt, und kein sowohl in der Handhabung der 
Metreuryse wie der kombinierten Wendung bewanderter Arzt 
wird sich der Einsicht verschließen, daß die Metreuryse den 
Vorzug vor der kombinierten Wendung oder einer forzierten 
mneien Wendung verdient. Eine Schwierigkeit der kombinierten 
Wendung, die „nicht in der Einbildung“ besteht, liegt darin, 
daß man bei manchen empfindlichen oder ängstlichen 
Kreißenden den äußeren Druck ohne Zuhilfenahme der Nar¬ 
kose nicht so ausgiebig verwenden kann, wie es zum Gelingen 
der kombinierten Wendung nötig ist. Zur Metreuryse braucht 
man jedoch keine Narkose. 

Wenn Rohlff die Verfasser von Lehrbüchern tadelt, daß 
sie dem Anfänger über die kombinierte Wendung keine ge¬ 
nügenden Vorschriften geben, so bemerke ich, daß ich in allen 
Auflagen meines geburtshilfliche?! Vademecum die drei Regeln 


von Rohlff vorgetragen habe. Sie lauten: 

1. Keine nachfolgende Extraktion, bevor der 
Muttermund völlig erweitert ist. 

2. Zweckentsprechender Gebrauch der beiden 
Hände. Ich glaube, daß ich sogar zuerst die, Benutzung der 
Symphyse als Gegenstütze empfohlen habe und zwar schon 1890, 
in der ersten Auflage meines Vademecum, wo ich S. 142 sage: 
„Um mit einem Finger den Fuß durch den Muttermund hin¬ 
durchzuziehen, drücke man den Fuß mitsamt dem unteren 
Uterinsegment gegen die Symphyse an. An dieser gewinnt man 
so einen Stützpunkt, welcher einem den zweiten Finger ersetzt. 
Versteht man es nur, die äußere Hand ausgiebig zu gebrauchen, 
so gelingt einem die kombinierte Wendung auch noch lange 
Zeit nach dem Blasensprung.“ 

3. Frühe Anwendung der von mir angegebenen 
Uterustamponade in dringlichen Fällen. 

Zu den von Rohlff berichteten Fällen erlaube ich mir 
folgende Bemerkungen: 

Zu Fall 1. Da die Frau bei der Untersuchung starb, so 
konnte ihr natürlich keine Therapie, einerlei ob Wendung oder 
Metreuryse, mehr helfen. Dieser Fall scheidet also für die Be¬ 
urteilung der konkurrierenden Methoden aus. 

Zu Fall 2. Hier vermisse ich die Angabe, bei welcher 
Weite des Muttermundes gewendet ist. Sollte hier nicht viel¬ 
leicht durch eine innere Wendung bei nicht völlig erweitertem 
Muttermund ein Zervixriß entstanden sein? 

Fall 8 ist anscheinend ein solcher, wo jede Therapie zu 
spät kam, weil die Kreißende eben schon zu viel Blut ver¬ 
loren hatte. 

In Fall 4 konnte die eingeschlagene Therapie, Wendung 
in Beckenhochlage, zum sofortigen Tod an Luftembolie führen. 
Die Ohnmacht der Frau schloß doch die schnelle Anwendung 
der Metreuryse nicht aus. Vielmehr war diese mehr zu 
empfehlen, als eine etwa an die Wendung sofort angeschlossene 
Extraktion. Denn das ist sicher, daß es bei Plazenta prävia 
besser ist, wenn nach dem ersten blutstillenden Eingriff des 
Arztes — mag derselbe nun in Metreuryse oder Wendung 
bestehen — einige Stunden bis zur Entleerung des Uterus ver¬ 
streichen, in denen man durch Analeptika und Salzwasser¬ 
infusion die Herztätigkeit so heben kann, daß die Pat. den 
unvermeidlichen Blutverlust der Nachgeburtszeit glücklich über¬ 
windet. 

Der Fall mit fortdauernder geringer Blutung in der 34. 
Schwangerschaftswoche, in welchem die Mutter ein lebendes 
Kind wünschte, hätte sich gut für eine klinische Behandlung 
geeignet — und zwar für eine Dauertamponade nach Zweifel 
und eventuell für die spätere Vornahme des vaginalen Kaiser¬ 
schnitts. 

Die von Rohlff mitgeteilten Fälle beweisen nichts für 
die Vorzüge der von ihm empfohlenen Methoden, da sie zu 
unvollständig berichtet sind. Es fehlen z. B. die Angaben, bei 
welcher Weite des Muttermundes und wie gewendet, und ob 
und wie oft an die Wendung die Extraktion sofort angeschlossen 
ist. Auch das Schicksal der Kinder darf in einer solchen Sta¬ 
tistik nicht unberücksichtigt bleiben. Jedenfalls ist eine Sta¬ 
tistik mit 5 mütterlichen Todesfällen unter 14 Fällen von Pla¬ 
zenta prävia (35%) nicht sehr ermutigend, wenngleich natür¬ 
lich die späte Möglichkeit der ärztlichen Hilfe bei den Fällen 
der Landpraxis eine Rolle spielt. Die Einwände von Rohlff 
egen eine zu Gunsten der Metreuryse schönfärberisch gehaltene 
tatistik treffen nicht alle Statistiken, z. B. nicht die oben 
zitierte, von Freund gegebene Statistik. Auch der Verf. hat 
in seinem Vademecum stets die Erfolge angegeben, die er mit 
den verschiedenen Methoden gehabt hat. 

Die drei Schlußsätze von Rohlff über die Behandlung der 
Plazenta prävia würde ich nach meinen Anschauungen folgender¬ 
maßen umgestalten: 3 

1. Bei mäßiger Blutung in der Schwangerschaft 
und geschlossener Zervix ist unter klinischen 
Verhältnissen die Erreichung des normalen 
Schwangerschaftsendes mittels anti- und asepti¬ 
scher Tamponade der Scheide änzustreben. 


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Original fro-m 

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täEfeAPiltJtiSCäE ründscMaü. 


189 


„daß der günstige Einfluß der Eisenmedikation auf 
die Chlorose so über allen Zweifel kÜDischgesichert 


2» Bei starker Blutung in der Schwangerschaft 
und geschlossener Zervix ist die Metreuryse 
(nach, varausgeschickter mäßiger Dilatation und 
Blasensprengung) und unter klinischen Verhält¬ 
nissen event. der vaginale Kaiserschnitt indiziert. 

3. Unter der Geburt ist die innere Wendung, 
der sich bei leidlichem Puls die Extraktion 
gleich anschließen kann, nur bei völlig erweiter¬ 
tem Muttermund zu machen. In allen anderen 
Fällen ist der leichteren Ausführb arkeit und der 
besseren Prognose für das Kind halber die Me* 
treuryse der kombinierten Wendung vorzuziehen. 
Steht die Blutung schon nach der der Metreuryse 
stets vorauszuschickenden Blasen Sprengung, so 
ist nur eine Beobachtung des weiteren Geburts¬ 
verlaufs und die Hebung der Kräfte der Kreißen¬ 
den notwendig. 


Beitrag zur Nukleogenbehandlung. 

Von Dr. med. et phil. A. Kaufmann, Bad Wildungen. 

Die drei hervorragendsten Tonika Eisen, Phosphor, 
Arsen haben bis heute ihren Platz gegenüber denhydro thera¬ 
peutischen Verfahren in allen den Fällen bewahrt, in welchen 
man eine Verbesserung der Blutbeschaffenheit anstrebt. Wie man 
es sich auch vorstellt, auf welche Weise die unter dem Gebrauch 
der genannten Medikamente beobachtete Hämoglobin Steigerung 
und Vermehrung der Erythrozytenzahl zustande kommt, ob die¬ 
selben einen Reiz auf die hämatopoetisehen Zellen des Knochen¬ 
marks ausüben, ob das mangelnde Bluteisen direkt durch das 
medikamentöse Eisen ersetzt wird, für .die Praxis interessiert 
zumeist der mit jenen Medikamenten durch die tägliche Erfahrung 
über allen Zweifel gestellte Erfolg bei den mit einer Anomalie 
der Blutbeschaffenheit einhergehenden Krankheiten. Zweifellos 
aber ist es, daß auch die hydriatischen Prozeduren, speziell 
Schwitzbäder, in Fällen primärer oder einfach sekundärer 
Anämie erregend auf das krankhaft daniederliegende Keimungs¬ 
vermögen der blutbildenden Organe einwirken. Winternitz 
hat an Menschen, Rovighi an Tieren den Beweis erbracht, 
daß kurze kräftige mechan. und thermische Reize, 
wenn diese von einer entsprechenden Reaktion gefolgt sind, eine 
bedeutende V ermehrung der roten Blutkörperchenund 
des spez. Gewichtes des Blutes bewirken. (Bux* 
bäum, Lehrb. d. Hydroth. Leipzig 1903, p. 240.) Scholz*), 
S chubert**), Kö nne***), Traugottf) haben mit Nutzen 
Schwitzkuren, auch Aderlässe zur Behandlung der Chlorose an¬ 
gewendet. 

Doch sprechen sich manche Autoren mehr skeptisch diesem 
Verfahren gegenüber aus. So gibt Glaxff) an, daß er mit 
v. Noorden fff) einer Ansicht sei, der die günstigen Erfolge 
der Wasserprozeduren bei Anämie mehr in einer Entwässerung 
der Gewebe sucht. Krebs und M ey er*f) kommen auf Grund 
ihrer Erfahrungen zu der Ansicht, daß die therapeutischen Er¬ 
folge der Schwitzkuren jedenfalls nicht auf Rechnung irgend¬ 
welcher qualitativen und quantitativen Veränderungen des Blutes 
zu setzen seien, sondern vielmehr auf einer Beeinflussung der 
Gewebe selbst bezw. der Zirkulationsverhältnisse beruhen. 
Schmidt**f)gelangt zu dem Schlüsse, daß der Blutbefund bei 
derartig behandelten Kranken nicht we s entli ch ge¬ 
bessert worden sei, und Matthes***f) faßt sein Urteil über 
hydriatische Prozeduren und Eisenmedikation dahin zusammen, 


*) Behandlung der Bleichsucht mit Aderlässen und Schwitzbädern. 
Leipzig 1889. 

**) 14. Versammlung der balneolog. Gesellsch. Berlin 1892. 

***) Therap. Monatshefte 1895, Nr. 1. 
f) Rev. int. de Ther. et Pharm. 25. Nov. 1893. 
ff) Lehrb. d. Balneotherapie. Stuttg. 1900, p. 70. 
fff) Nothnagel: Spez. Path. u. Ther. VIII, II. Teil 1897. 

*f) Zeitschr. f. diät.-phys. Ther. 0. Bd. 1908, p. 371 (aus der hydro- 
therap. Anstalt Berlin). 

**+) Kieler: Inaug.-Diss. Hamburg 1896. 

***f) Lehrb. d. klin. Hydroth. (Jena 1900), p. 261. 


sei, daß er es unter allen Umständen für einen 
Fehler halten müßte, einer Bleichsüchtigen das 
Eisen vor zu ent halten“. Fälle, die sich gegen Eisen re¬ 
fraktärverhalten, sind, wie Ro mb erg (Berl. klin. Wochenschr. 
1897, Nr. 25) mit Recht angibt, bei richtiger Medikation 
äußerst selten. Wendel*) negiert ebenfalls den Wert 
der Schwitzprozeduren. Dieselben erwiesen sich nur in 
Fällen, die schon vorher mit Eisen behandelt waren, 
insofern als nützlich, als sie die vorhandenen Eisendepots 
mobilisierten und so zur Um Wandlung von Reserve* 
eisen in zirkulierendes Eisen und weiterhin in 
Organeisen beitrügen. 

Man wird, so lange nicht weitere Erfahrungen gesammelt 
sind, nach alledem wohl die altbe währte medikam entÖ se 
Therapie beibehalten müssen. Einzig und allein die 
Frage, ob unorganische oder organische Eisenprä¬ 
parate vorzuziehen seien, wird den Praktiker 
beschäftigen. Die Stellung, welche Bunge einnahm, der 
nur die Resorption des organischen Eisens zugab, diejenige 
des anorganischen leugnete, die späteren Untersuchungen von 
Hochhaus und Quincke, die den direkten Nachweis der 
Resorbierbarkeit auch des anorganischen Eisens durch das Tier¬ 
experiment erbrachten, die positive Stellung, welche Cloetta**), 
Müller und späterhin auch Abderhalden***) zu derFrage 
der Resorption auch des anorganischen Eisens einnehmen, sind 
bekannt (cf. darüber Cloetta: Ueber die Eisentherapie 
aus: „Die Therapie“, St. Petersburg, Nr. 8, August 
1904). Wenn bei der Auswahl der Eisenmedikation trotzdem ein 
Unterschied zumeist zu Gunsten der organischen Ver¬ 
bindungen gemacht wird, so hat das zumeist seinen Grund 
in der besseren Resorbierbarkeit und Assimilier¬ 
barkeit derselben, die um so größer ist, je höher¬ 
wertig das Eiweiß mo lekul alsTrägerdesFe. zusammen¬ 
gesetztist und ferner in dem Umstand, daß dieselben geringere 
Reizerscheinungen in der Magendarmschleimhaut verursachen. 
Bemerkenswert ist das Resultat, zu welchem Oerumf) auf 
Grund seiner experimentellen Untersuchungen gelangt, wonach 
nur organisches Eisen zur Hämoglobinbildung beitrüge, anor¬ 
ganisches die Blutbildung zwar stimuliere, aber nicht direkt 
Hämoglobin schaffe. 

Während die Eisenzufuhr mehr der Kausaltherapie 
bei der Anämie entspricht, wirkt der Phosphor vielleicht 
mehr als ein Reizmittel für das krankhaft da- 
niederliegen de Keimungs vermögen der blutbil¬ 
denden Organe. Wohl möglich, daß der Phosphor, der 
ja in besonderem Maße an dem Protoplasmastoffwechsel be¬ 
teiligt ist, die Regenerationsvorgänge im Blute beschleunigt. 
Es ist zwar nicht sicher, ob anorganische oder organische 
Phosphorverbindungen mehr am Aufbau der Zelle beteiligt 
sind. Von einer komplizierten arganischen Phosphorverbin¬ 
dung, den Nukleinsäuren, steht es jedoch nach Kosselff) 
fest, daß sie „als typis che Bestandteile des Zellkerns 
in enger Beziehung zu den synthetischen Prozessen 
des Tierkörpers stehen. Und zwar verhält es sich nach 
Schitten heim fff) so, daß die mit der Nahrung zugeführten 
Nukleine vom Magensafte in keiner Weise ver¬ 
ändert werden; erst im Darme wird die Nukleinsäure 
resorbiert. Ein Teil der Nahrungsnuklemsäure wird 
schon in der Darmwand bis zu niederen Stoff¬ 
wechselprodukten (Harnstoff, Harnsäure etc) abge¬ 
baut, ein Teil wird, wie Abderhalden *f) betonte, vom Körper 
zum Aufbau ihrer eigenen Zellnukleine soweit wie 
möglich benutzt. 


*) Deutsch. Arch. f. klin. Medizin. 90, 107, p. 52. 

**) Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 38, S. 170. 

***) Zeitschr. f. Biologie. Bd. 39, 1900. 

f) Zeitschr. f. exper. Pathol. u. Ther. HI. Bd. 
ff) Berichte der deutschen chem. Gesellschaft. Bd. II, Berlin 1894' 
p. 2215 ff. 

tff) Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 89. Bd. XIV,p. 270. Leipzig 1907. 
*f) Lehrb. d. physiol. Chemie. Berlin 1906. 


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190 




Daß die in der Zelle vorhandenen Eiweißkörper mit ab¬ 
gelagerten Atomkomplexen, Proteide (Hoppe-Seyler) gen annt, 
in denselben wirksame Stoffe für die Lebensfunktion enthalten, 
war seit lange bekannt; und eben ein Hauptvertreter 
dieser Gruppe sind die Nukleine, welche am Ei¬ 
weißkörper Nukleinsäuren (phosphor- und stick¬ 
stoffhaltige Atomkomplexe) angelagert enthalten. 
Bunge bediente sich zuerst der Nukleine zur Herstellung seines 
Hämatogen. Durch Einwirkung von Magensaft gewann er 
aus dem Nukleoalbumin des Hühnereidotters ein 
eisenhaltiges Nuklein (Hämatogen), dessen Resor¬ 
bierbarkeit und Assimilierbarkeit von So ein außer Frage ge¬ 
stellt ist. Auf ähnlichen Prinzipien beruht die Herstellung des 
Ferratogen, eines Eisennuklein, welches in der Weise her¬ 
gestellt wird, daß man Hefe auf eisenhaltigen Nährböden kul¬ 
tiviert, und von dem Cloetta durch Verdauungsversuche nach¬ 
gewiesen hat, daß es im Magen unlöslich "ist, eine 
Eigenschaft, die sich schon aus der Art und der 
Herstellung ergibt. Die Eigentümlichkeit dieser und ähn¬ 
licher Präparate, daß sie den Magen unverändert passieren, 
räumt ihnen eine bemerkenswerte Sonderstellung gegenüber 
anderen Eisenpräparaten ein und erhöht zweifellos ihren 
W ert. 

Zu dieser Gruppe gehört auch das von dem ehern. Laborat. 
Rosenberg in Berlin in den Handel gebrachte Nukleogen, 
welches ein hochwertiges nukleinsaures Eisensalz 
darstellt, das über 9% organisch gebundenen Phos¬ 
phor und bis zu 15% Eisen enthält, während das von 
Bunge zuerst dargestellte nukleinsaure Eisen, Hämatogen, 
nur 5% Phosphor und 0,8% Eisen aufwies. Das Prä¬ 
parat enthält ferner Arsen, welches mittels neuerer chemischer 
Prozeduren bis zu 5% in das Nukleinsäuremolekül 
eingeführt sein soll. A priori läßt sich von einem derartigen 
Präparat, das diese geschätzten Roborantien Eisen, Phos¬ 
phor, Arsen in organischer Bindung enthält, das den 
Magen, wie das für die Nukleinsäuren überhaupt von Schitten- 
helm (1. c.) nachgewiesen, unverändert passieren wird 
und erst der Darmverdauung anheimfällt, das ferner 
seiner Art und Darstellung nach leicht resorbier- und 
assimilierbar sein muß, sagen, daß es voraussichtlich gute 
Dienste bei allen den Zuständen leisten wird, bei denen 
Phosphor, Eisen und Arsen überhaupt therapeu¬ 
tisch in Frage kommen. Ein bevorzugter Platz 
müßte dem Nukleogen aber unter ähnlichen Präparaten eben 
durch den Umstand zukommen, daß es Arsen*) in orga¬ 
nischer Bildung enthält. 

Diese theoretische Voraussetzung wird durch die Erfahrung 
bestätigt. Die zur Zeit vorliegende Literatur über Nukleogen**) 
berichtet über bemerkenswerte Erfolge (Steigerung des Hb.- 
Gehalts, Vermehrung der roten Blutkörperchen, 
Besserung des Appetits, des Allgemeinbefindens 
und des Kräftezustands) bei primärer Anämie und se¬ 
kundären Erschöpfungszuständen, bei Chlorose, Skrofulöse usf. 

Ich habe im Verlaufe eines Jahres das Präparat in 20 
Fällen verordnet und zwar als rob orierendes Adjuvans 
zur Ergänzung der Bade- und Trinkkur und der lokalen 
urologischen Behandlung. Es handelte sich in 8 Fällen 
um sexuelle Neurasthenie mit mehr weniger ausgesprochenen 
Cerebrospinal-Symptomen, in 9 Fällen um Prostatahypertrophie 
im primären prämonitorischen Stadium ohne Residualharn, in 2 
Fällen um Enuresis nocturna bei einem jungen 18jährigen 
anämischen und neurasthenischenManne und bei einem 6jährigen 
skrofulösen Knaben und um einen Fall von Blasentuberkulose 


*j Nach Litten (Handb. d. Therap., Penzoldt und Stintzing 
1902, II, pag. 199) hat man sich die Wirkung des Arsen so vorzu- 
stellen, daß dasselbe einen Leukozytenreiz darstellt, und daß durch 
dasselbe die myelogenen Funktionen gesteigert werden, indem das 
Knochenmark in seiner Eigenschaft als blutbereitendes Organ in kompensa¬ 
torisch erhöhte Tätigkeit tritt. 

**) Arneth, Wiirzburg. Dtscb. Med. Woch., 1906, Nr. 17. Wei߬ 
mann, Dtsch. Aerzte-Ztg., 1907, Nr. 2. Hoppe, Ther. d. Gegenwart, 
1907, Nr. 11. Dam mann, Dtsch. Med. Ztg., 1907, Nr. 71. Voigt, 
Der Frauenarzt, Jahrg. XXII, Nr. 8. Schlesinger, Med. Klinik, 1907, 
Nr. 42. Steiner, Reichs-Med.-Anz., 1907, Nr. 22. 


bei einem 82jährigen Kaufmann, bei dem attch eine fövtge- 
sebrittene Affektion beider Lungenspitzen und des rechten 
oberen Pulmonallappens festzustellen war. ^ ^ 

Von Blutuntersuchungen konnte ich absehen, da bei einer 
konstatierten Aufbesserung des Blutes es nicht zu eruieren ge- “< 

wesen wäre, inwieweit man dieselbe auf Rechnung des Bade- 
aufenthaltes, der lokalen Behandlung oder des eingeführten 
Medikamentes zu setzen gehabt hätte. Im übrigen ergibt sich 
die von den oben angeführten Autoren nachgewiesene Ver¬ 
mehrung der roten Blutkörperchen und des Hämoglobingehalts 
fast als eine klinische Notwendigkeit aus der Zu¬ 
sammensetzung des Präparates. Für mich kam es in 
erster Linie darauf an, ob das vorliegende Präparat gern ge¬ 
nommen und gut vertragen wird, ob es keinerlei 
gastrointestinale Reiz- und sonstige Nebener¬ 
scheinungen machte. % 

Elsner(Ther. d. Gegenw. Juni 1905) hatte über die Indi¬ 
kation und Kontraindikation bei der Anwendung von Eisen¬ 
präparaten angegeben, daß zwar dyspeptische Erscheinungen 
an sich keine Kontraindikation gegen die Anwendung von Eisen¬ 
präparaten bildeten, daß aber bei Steigerung der dyspeptischen 
Beschwerden nach Eisengebrauch dasselbe kontraindiziert sei. 

Es ist nun bemerkenswert, daß in 4 Fällen bei der sexuellen 
Neurasthenie und in 2 Fällen bei der Prostatahypertrophie tatsäch¬ 
lich Appetitlosigkeit und starke dyspeptische Be¬ 
schwerden bestanden, die sich jedoch bei Gebrauch 
des Nukleogen nicht allein nicht verschlimmerten, 
sondern in wenigen Tagen vollständig hoben. In 
allen mit Nucleogen behandelten Fällen trat eine auffallend 
rasche Appetitsteigerung wie nur bei Gebrauch der - 
besten Stomachika auf, die nach 4—6wöchigem Verlauf 
der Badekur auch zu einer dementsprechenden Vermehrung 
des Körpergewichts führte. Bei den nicht mit Nukleogen 
behandelten Fällen trat eine derartige auffallende Appetit¬ 
steigerung nicht in die Erscheinung. Mit dieser Appetitsteige¬ 
rung nahm auch das subjektive Kräftegefühl und das 
Wohlbefinden zu, wenn auch am den lokalen Symptomen 
durch Nukleogengebrauch an sich keine Aenderung eintreten 
mochte. Der in allen Fällen regelmäßig 1—2 mal wöchentlich 
kontrollierte Urin zeigte keinerlei Abweichungen von 
der Norm, insbesondere nie Albuminreaktiö n. Es 
ist daher das Nukleogen, und damit stimme ich mit den 
früheren Untersuchern überein, ein besonders geeignetes, 
weil leicht resorbierbares und assimilierbares 
Tonikum zu nennen, das in allen den Fällen vortreff¬ 
liche Dienste leisten wird, wo wir eine schnelle Aufbesse¬ 
rung des Blutes und eine Regeneration der Kör¬ 
perkräfte wünschen. Die Dosierung ist 3mal täglich je 
2 Tabletten für Erwachsene, für Kinder 3mal täglich 1 Tab¬ 
lette. 


Die Diphtherie und ihre Heilserumbehandlung. 

Bemerkungen zu: Ohleyer, Behandlung der Diphtherie. 

Soll man einspritzen oder nicht? 

Von Privatdozent Dr. E* Küster, Freiburg i. B. 

In Nr. 52 der Aerztlichen Rundschau berichtet O. über seine 
Erfahrungen und Anschauungen über Diagnose und Behandlung 
der Diphtherie und nimmt dabei einen so speziellen Standpunkt 
ein, daß man im Interesse einer der größten. Errungenschaften 
der Neuzeit in spezifischer Therapie, i. e.: Heilserumbehandlung 
der Diphtherie dazu Stellung nehmen muß. 

Gleich zu Anfang bei der Aufzählung von Mißerfolgen bei 
der Serumbehandlung sagt O.: „nichtsdestoweniger aber be¬ 
weist solches, daß das Serum keine unbedingte, sieb immer in 
allen Fällen betätigende Wirkung besitzt . . . •. usw.“; das 
ist von sachverständiger Seite wohl niemals behandelt worden. 
Die Heilserumbehandlung ist auf wissenschaftlichen Grundlagen 
ausgearbeitet, das Serum enthält einen spezifischen Stoff, der 
imstande ist, das Gift von Diphtheriebazillen und nur von diesen 
zu neutralisieren. Wir nennen diesen Stoff „Antitoxin -= Gegen- 


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r-t#M«>:%^i^DTaSOKE RUNDSCHAU. 


insofern praktisch, unglückliche Bezeich- 

' ' nungV ^alS 'dadurch bei vielen der Glauben erweckt wird, daß 
dieses „Gegengift“ für sich auch ein Giftstoff sei und giftig 

- auf den Organismus wirke*/ daß dieses nicht der Fall ist, be- 

- Reisen die häufig vorgenommenen Einspritzungen bei Nicht- 
diphtheriekranken und außerdem das Tierexperiment. Gelangt 
Diphtheiieheilserum in einen nicht diphtheriekranken Körper, 
in dem also kein Diphtherietoxin vorhanden, so findet das spezi¬ 
fische Antitoxin keinen Stoff, mit dem es leicht eine Verbin¬ 
dung eingehen kann, es kreist unbenützt im Säftestrom und 
wird allmählich auf natürlichem Wege ausgeschieden. Solange 

. noch Antitoxin im Säftestrom vorhanden, ist der Körper gegen 
eindringendes Diphtheriegift geschützt, denn dieses wird durch 
Antitoxin unschädlich gebunden, der Körper ist „passiv immun“, 
d. h. ohne daß seine eignen Zellen dabei aktiv etwas geleistet haben, 
ist ihm durch die Serumeinspritzung = „passiv“: ein Schutz ver¬ 
liehen worden. Etwas ganz anderes ist es mit dem Impfschutz gegen 
Pocken, von dem 0. annimmf, daß eine Neigung bestände, ihn 
mit der Diphtherieschutzimpfung zu identifizieren. Bei der 
Pockenimpfung spritzen wir nicht wie bei Diphtherie eine be¬ 
stimmte Menge eines nicht vermehrungsfähigen, also, allgemein 
gesagt, leblosen Stoffes ein, sondern wir impfen mit lebendem 
(Kuh-) Pockenkrankheitsstoff; wir bewirken absichtlich, daß der 
Organismus eine leichte Form der Pockenerkrankung durch¬ 
macht und Schutzstoffe = Antitoxine gegen Pockengift selbst 
bildet, also „aktiv“ durch eigene Zelltätigkeit „immun“ wird. 
So ist es leicht erklärlich, daß Diphtherieheilserum sofort bei 
der Einspritzung wirkt: wir spritzen ja den fertig gebildeten 
Schutzstoff ein, während bei der Pockenschutzimpfung erst 
einige Zeit vergehen muß, bis die Körperzellen, gereizt durch 
das schwach wirksame Pockenimpfgift, die Schutzstoffe gebildet 
haben. Ebenso ergibt sich, daß die Diphtherieschutzstoffe, da 
sie keine Ergänzung erfahren, verhältnismäßig rasch verschwin¬ 
den, während im zweiten Fall die Bildung von Immunkörpern 
gegen Pocken lange Zeit fortbesteht. 

Was die Diagnose der Diphtherie anbelangt, so legt 0. auf 
Aussehen des Belages, Verhalten der Lymphdrüsen und Vor¬ 
handensein von Fieber besonderen Wert, mit Recht, denn der 
Erfahrene wird in vielen Fällen auf diese Weise eine sichere 
Diagnose stellen können, aber auch die erfahrensten Kliniker 
geben heute zu, daß man bei der rein klinischen Diphtherie¬ 
diagnose ohne mikroskopische und eventuell kulturelle Unter¬ 
suchung leicht Täuschungen ausgesetzt ist; deswegen dürfte 
heute die bakteriologische Untersuchung mehr in den Vorder¬ 
grund zu stellen sein. Gerade bei der spezifischen Therapie 
der Diphtherie, bei dem Umstand, daß das Heilserum nur gegen 
Toxin der Diphtheriebazillen wirken kann, ist eine Sicherung 
der Diagnose wünschenswert. Sicherlich ist ein beträchtlicher 
Teil der Mißerfolge bei Seruminjektion darauf zurückzuführen, 
daß es sich im gegebenen Falle überhaupt um keine echte 
bazilläre Diphtherie oder um Krankheitserscheinungen handelte, 
die nicht lediglich durch die Toxinwirkung von Diphtherie¬ 
bazillen, sondern vielmehr durch Komplikationen septischer 
Natur bedingt waren. 

0. wendet Präventivimpfungen bei Gefahr der Diphtherie¬ 
infektion grundsätzlich nicht an, weil er diese für eine unnötige 
Belastung des Organismus mit einem differenten Stoff hält und 
außerdem der Schutz ja doch von Tag zu Tag schwächer würde 
und danach noch. Diphtherie auftreten könne. 

Dazu möchte ich bemerken, daß im allgemeinen nur dann 
eine Schutzimpfung gesunder Kinder befürwortet wird, wenn 
in ihrer unmittelbaren Umgebung Fälle von Diphtherie vor¬ 
handen sind. Hier wird sicherlich die etwa vorhandene Be¬ 
lastung des Organismus (siehe unten) durch den Vorteil, den 
die Schutzwirkung bietet, bei weitem überwogen. Daher lädt 
nach dem heutigen Stand der Wissenschaft derjenige Arzt, 
welcher auch bei kulturell festgestellter Diphtherie keine Heil¬ 
serumeinspritzung vornimmt, solange ihre klinischen Erschei¬ 
nungen nicht dazu drängen, eine schwere Verantwortung auf 
sich, denn es läßt sich auch bei primär leichten Fällen der 
Verlauf niemals mit Sicherheit Voraussagen. 

Die Statistik des kaiserlichen Gesundheitsamtes beweist, 
.daß zweifellos die Diphtheriemortalität mit dem Einsetzen der 


Heilserumbehandlung beträchtlich gesunken und dauernd gering 
geblieben ist. Die Statistik großer Kliniken beweist ferner, 
daß die Wirkung des Heilserums um so sicherer ist, je früh¬ 
zeitiger eingespritzt wird, eine Erfahrung, die schon in der Art 
des Heilserums begründet und durch das Tierexperiment schon 
lange festgelegt war. Nimmt man hinzu, daß schwere Schädi¬ 
gungen, die einwandsfrei auf Wirkung des Heilserums zurück¬ 
geführt werden können, bei der großen Menge der ausgeführten 
Injektion sehr selten zur Beobachtung kommen, so dürfte wohl 
die folgende Anschauung die begründetere sein: Man unter¬ 
suche jede verdächtige Angina mikroskopisch auf das Vor¬ 
handensein von Diphtheriebazillen und lasse bei negativem Be¬ 
fund auf der nächsten bakteriologischen Untersuchungsstelle 
eine kulturelle Untersuchung vornehmen. Sind Diphtherie¬ 
bazillen als ursächliches Moment der verdächtigen Angina ge¬ 
funden, so ist man berechtigt, Heilserum einzuspritzen, man 
ist auch verpflichtet dazu. Ist das einfache Ausstrichpräparat 
negativ, die kulturelle Untersuchung noch nicht erledigt, so 
darf man in klinisch drängenden Fällen ebenfalls sofort injizieren, 
denn die Gefahr der Einspritzung selbst ist eine sehr geringe. 

Worin besteht die Gefahr der Heilseruminjektion? Bis 
jetzt hat noch niemand den Beweis erbracht, daß das in dem 
Serum vorhandene Antitoxin als solches schädigende Wirkungen 
entfalten könne, er wird auch nicht zu erbringen sein, solange 
das Antitoxin nicht rein darstellbar ist, aber alle Nebenwir¬ 
kungen = Schädigungen des Heilserums erklären sich zwang¬ 
los aus seinem Gehalt an körperfremdem (Pferde-) Eiweiß; die 
Serum-Exantheme und -Albuminurie sind zwar häufig recht 
unangenehm, aber niemals gefährlich geworden und stehen in 
keinem Verhältnis zur Heilwirkung des Serums. Von größerer 
Wichtigkeit ist folgender Umstand: 

Jede Einführung von körperfremdem Eiweiß in den Säfte¬ 
strom bedingt eine Reaktion des Organismus, die sich in 
Bildung von Eiweißantistoffen äußert. Bei wiederholten Ein¬ 
spritzungen tritt keine Gewöhnung, sondern eine steigende Emp¬ 
findlichkeit gegen das betreffende Serum ein und unter Um¬ 
ständen können dadurch lebenbedrohende Zustände des Orga¬ 
nismus (Pulsbeschleunigung, Dyspnoe, Temperatursteigerung, 
Kollaps) hervorgerufen werden. Man vermeide daher nach 
Möglichkeit wiederholte Injektionen, besonders solche, die etwa 
in einem Intervall von 8—10 Tagen aufeinander folgen (weil 
dann die Empfindlichkeit gegen die folgende Einspritzung am 
größten ist), sondern gebe auf einmal die nötige Antitoxin men ge 
und zwar in Gestalt von hochwertigem Heilserum, hier haben 
wir bei geringer Masse von heterologem Eiweiß eine große 
Heilwirkung. Wiederholte Einspritzungen von nicht hoch¬ 
wertigem Serum bieten bei relativ geringer Heilwirkung die 
größte Gefahr einer heftigen Serumreaktion. 

Die lokale und Allgemeinbehandlung der Diphtherie werden 
durch eine Heilserumbehandlung nicht betroffen, sie behalten 
nach wie vor ihren Wert. 


REFERATE. 


Kinderheilkunde. 

Referent: Privatdozent Dr. J. Ibrahim, München. 

1. Heber die interne Anwendung von Salzlösungen bei Be¬ 
handlung der akuten Ernährungsstörungen im Säuglingsalter. 

Von P. Heim und K. John. Monatsschr. f. Kinderheilkunde, 1908, 
Febr., Bd. 6, S. 561. 

2. Stauungshyperämie als ein die Milchsekretion befördern¬ 
des Mittel. Von R. Th. Jaschke. Med. Klinik, 1908, S. 257. 

3. Orthostatische Symptome bei Purpura mit Tuberkulose 
hereditär belasteter Kinder. Von M. Wolf. Arch. f. Kinder- 
heilk., Bd. 47, S. 241. 

4. Zur Frage der Serumtherapie bei Scharlach. Von L. 
B. Bilik. Ibidem, S. 344. 



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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU; s 5 


mm 


5. Heber die Behandlung des kindlichen Mastdarmprolapses 
durch Längsversteifung des Rektum. Von N. A. Kephallinös. 
Jahrbuch f. Kinderheilk., 1908, S. 325. 

1. Heim und John beginnen die Behandlung akuter Er¬ 
nährungsstörungen nicht mit der üblichen Teediät oder Wasser¬ 
diät, sondern mit der Darreichung von 1 1 physiologischer Salz¬ 
lösung innerhalb von 24 Stunden (auf 1 1 Wasser 5 g Kochsalz 
und 5 g Natr. bicarbonicum). An Stelle der unerwünschten auf 
die einfache Hungerdiät sonst fast gesetzmäßig erfolgenden starken 
Gewichtsabnahmen sahen sie regelmäßig Gewichtszunahmen treten, 
sogar oft von unerwarteter Größe. Beim Weglassen der Salz¬ 
lösung nach ein- oder zweimal 24 Stunden sinkt das Gewicht in 
der Regel unter Einsetzen starker Diurese wieder bis dahin, wo 
es am ersten Beobachtungstage war, oder verschiebt sich etwas 
nach oben. Die bedrohlichen (toxischen) Symptome, speziell das 
Fieber, sind in der Regel bis dahin geschwunden und man kann 
mit der Zufahr von Nahrung in der üblichen Weise wieder be¬ 
ginnen. Die Autoren denken an eine Verdünnung der Stoff¬ 
wechselgifte durch das unter dem Einfluß der Salz-(Chlor-)Zufuhr 
im Körper zurückgehaltene Wasser und an eine Ausschwemmung 
dieser Gifte bei der nachfolgenden Diurese. Auch in der nach¬ 
träglichen Reparation zeigte sich ein günstiger Einfluß der vor¬ 
angegangenen Diät. Die Säuglinge tranken die physiologische 
Salzlösung ohne Ausnahme anstandslos. Wenn auch die ersten 
Portionen zurdckgewiesen wurden, verlangten sie es später, wahr¬ 
scheinlich durch das Salz zum Durste getrieben, gierig. — Bei 
hartnäckigem Erbrechen kam es vor, daß die ersten Schlucke er¬ 
brochen wurden, doch dies dauerte nicht lange und dem weiteren 
Einnehmen bot sich kein Hindernis. Magenspülungen waren auch 
in schweren Fällen entbehrlich. Durch subkutane Injektionen 
von physiologischen Salzlösungen ließen sich nicht entfernt die 
gleichen Resultate, speziell bezüglich des Gewichtes erzielen. 

Ref. möchte glauben, daß die von den Verff. angewandte 
Methode außerordentlich zu empfehlen ist, da er auf Grund eigener, 
unabhängig davon angestellter ähnlicher Beobachtungen auch gute 
Resultate gesehen hat. Daß die günstige Wirkung der von 
Mery empfohlenen Gemüsesuppe im wesentlichen in dem Salz¬ 
gehalt ihren Grund hat, wird von vielen Pädiatern angenommen. 
Die Darreichung physiologischer Salzlösung an Stelle der reinen 
Wasser- oder Saccharin teediät dürfte übrigens auch an mehreren 
anderen Säuglingsabteilungen schon im Gebrauch sein, wenngleich 
Publikationen bisher nicht vorliegen. 

2. Jaschke berichtet aus der Heidelberger Frauenklinik 
über einige günstige Erfolge von Saugbehandlung der Brüste zur 
Steigerung der Milchsekretion. Es ist ja sicher, daß alle in den 
ersten Tagen des Puerperiums in Anwendung kommenden Mittel, 
von denen man eine Steigerung der Milchmenge gesehen haben 
will, eine objektive Beurteilung nicht zulassen, da eben physiologi¬ 
scher Weise die Milchmenge in diesen Tagen eine rasche Zunahme 
unter dem Einfluß des saugenden Kindes zu erfahren pflegt. 
Immerhin verdienen die Vorschläge des Verf. Beachtung und An¬ 
wendung in geeigneten Fällen, schon weil die psychische Beein¬ 
flussung durch das Verfahren nicht zu unterschätzen ist. —Ueber 
die Technik äußert sich Verf. folgendermaßen: „Instrumentarium 
und Anlegen der Saugglocken wie bei der Mastitisbehandlung. 
Die Dauer der Ansaugung muß ganz individualisiert werden; je 
schwerer der Fall, desto länger. Ganz im allgemeinen rate ich, 
die erste Stauung immer als Orientierungsversuch aufzufassen und 
nicht zu lang, nicht über 15 Minuten auszudehnen. In den 
folgenden Sitzungen staue ich dann, je nach der Art des Falles, 
länger, 15 bis 25, selbst 30 Minuten. Die Zahl der Stauungen 
muß auch individuell ganz verschieden gewählt werden. Zweck¬ 
mäßig soll man aber über drei Sitzungen pro die nicht hinaus¬ 
gehen. Die Stärke der Stauung ist am schwierigsten zu be¬ 
messen, wenigstens bei den ersten Sitzungen. Später habe ich 
als Maßstab das Hervorspritzen der Milch in mehreren feinen 
Strahlen genommen.“ 

3. Wolf kommt auf Grund klinischer Beobachtungen zu 
folgenden Thesen: 

a) Die Purpura ist keine ätiologische Einheit und kein selb¬ 
ständiges Krankheitsbild. — Sie entsteht durch ein Mißverhältnis 
zwischen Blutdruck und Gefäßfestigkeit. 


b) Die bei tuberkulös Belasteten auf treten de Purpura ist 
exquisit orthostatisch. Möglicherweise kommt ihr eine prämoni- 
torische Bedeutung zu. 

c) Streng zu trennen ist von den anderen Purpur aerscheh 

nu'ngen die in der agonalen Kachexie auftretende Purpura der 
Tuberkulösen. „ - 

d) Die medikamentöse Therapie der Purpura ist 'zwecklos. 
Verf. empfiehlt, mit Unterstützung von Eisen- und Arsenpräparaten 
den Allgemeinzustand durch reichliche, blande Ernährung zu heben. 
Um die bekannte Schwierigkeit, die lebhaften und sich gesund 
fühlenden Patienten über die Dauer der Erkrankung zu Bett zu 
halten, zu umgehen, empfiehlt er, die Kinder, sobald die Blu¬ 
tungen ohne neuen Schub verblaßt sind, mit fest bis zur Hüfte 
gewickelten Beinen außer Bett zu lassen. „Wird die Binde fest 
und sorgfältig angelegt, so treten kaum Blutungen auf. Ein ge¬ 
ringes Auseinanderweichen der Binden oder ungeschicktes Anlegen 
derselben — so daß statt der gelinden Kompression Stauung ent¬ 
steht — hat freilich Blutungen zur Folge, ein Mißstand, der sich 
durch Gummistrümpfe vielleicht ganz ausgleichen läßt. Freilich 
ist' auch diese Therapie nur eine symptomatische, doch hat sie 
den zweifellosen Erfolg, daß sie erlaubt, die Patienten nach den 
ersten Tagen schon außer Bett zu halten.“ 

4. Der Behandlung des Scharlachs mit Antistreptokokkenserum 
wird in Rußland besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Ueber 
zwei einschlägige Arbeiten, die sich zum Teil in günstigem Sinne 
äußerten, konnte kürzlich an dieser Stelle berichtet werden. 
Bilik in Odessa, dem allerdings keine sehr ausgedehnten Er¬ 
fahrungen (10 Fälle) zu Gebote stehen, hat von dem Serum 
gar keinen Nutzen gesehen, dagegen reichlich schwere Erschei¬ 
nungen der Serumkrankheit. 

5. Kephallinös empfiehlt zur Behandlung schwerer kind¬ 
licher Darmprolapse die von Spitzy erfundene und nunmehr in 
32 Fällen erfolgreich angewandte Längsversteifung des Rekt um . 
Diese Versteifung wird erreicht durch einen oder zwei in dem 
pararektalen Bindegewebe plazierte Paraffinstäbe (Einführen der 
Kanüle parallel dem Rektum im pararektalen Bindegewebe unter 
Führung des in das Rektum eingeschobenen Zeigefingers und 
Schonung der Schleimhaut. Gleichmäßige Injektion der Masse, 
während man die Spritze langsam herauszieht. Knieellenbogen¬ 
lage). Die Vorteile des Verfahrens sind große gegenüber ein¬ 
greifenderen Operationen (kurze Dauer, Wundbehandlung an dieser 
unangenehmen Stelle gleich Null, nach drei Tagen kann das Kind 
wieder herumlaufen und hat weiter keine Schädigung, keine Narbe). 
Details mögen im Original eingesehen werden. Die Gefahr der 
Embolie soll kaum bestehen, wenn hartes Paraffin verwendet und 
die Stäbe rechts und links vom Rektum angelegt werden. 


Physikalische Therapie. 

Referent: Dr. A. Laqueur, leitend. Arzt des hydrotherapeut.- 
medikomechanischen Instituts am Rudolf Virchow-Krankenhaus, 
Berlin. 

1. Zur Pathologie und Behandlung des Asthma bronchiale. 
Von A. v. Strümpell. Med. Klinik, 1908, Nr. 1. 

2. Kohlensäure Hand- und Fußbäder. Von Dr. Carl 
Pototzky. Münch, med. Wochenschr., 1908, Nr. 7. 

3. Modifikation des hydroelektrischen Vierzellenbads nach 
Dr. Sehnde. Von D. Sarason. Zeitschr. f. neuere physikalische 
Medizin, 1908, Nr. 3. 

4. Die Anregung der Diaphorese bei Niereninsuffizienz. 

Von M. Georgopulos. Deutsche med. Wochenschr., 1908, 
Nr. 9. 

1. Strümpell wendet seit mehreren Jahren elektrische 
Glühlichtbäder bei Asthma bronchiale an und hat damit 
auch bei schweren Fällen recht günstige Erfolge erzielt. Die 
Behandlung geschieht zwar nicht im Anfalle selbst, kann aber 
nach Abklingen der schlimmsten Dyspnoe bald begonnen werden. 
Strenge Individualisierung und sehr sorgfältige Ueberwachung ist 
dabei notwendig; bei sehr schwächlichen und ängstlichen Kranken 
wurde mit örtlicher Bestrahlung der Brust bei ruhiger Bett- 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


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lag© begönnen, in der Regel können jedoch die Bäder von vorn¬ 
herein in dem gewöhnlichen Glühlichischwitzkasten gegeben werden. 
Danen der ersten Bäder 5 bis 6 Minuten, allmählich ansteigend 
bis zu höchstens 20 Minuten; nach der Bestrahlung kommt der 
Patient in ein gewöhnliches warmes Wasserbad und muß dann 
ca. zwei Stunden lang im Bette zur weiteren Abkühlung ruhen. 
Am ^deutlichsten zeigte sich der Erfolg dieser Therapie bei lange 
bestehender asthmatischer Bronchitis; die katarrhalischen Ge¬ 
räusche nahmen schon nach den ersten Bädern ab, der objektive 
Lungenbefund wurde allmählich wieder normal und damit parallel 
ging die subjektive Besserung (Nachlassen der Dyspnoe, Besserung 
des Schlafes etc.). Die Dauer der Gesamtbehandlung betrug im 
Durchschnitt vier bis sechs Wochen, doch war bei einigen Kran¬ 
ken schon nach 14 Tagen das Befinden wieder völlig normal. Die 
Möglichkeit von Rezidiven ist natürlich auch bei dieser Behand¬ 
lungsweise vorhanden. 

Strümpell ging dabei von der ja schon älteren Erfahrung 
aus, daß heiße Bäder und Schwitzbäder bei chronischer Bronchitis 
günstig einwirkten. Es sei hier auch auf die in Heft 1 dieses 
Jahrgangs erwähnten Mitteilungen von Brieger und von C. C. 
Fischer verwiesen, die das Asthma bronchiale mit Erfolg 
mit heißen Wasserbädern behandelt habeh; ferner hat schon 
Cohn-Kindborg in schweren Fällen von Asthma bronchiale 
und chronischer Bronchitis von lokalen Heißluftbädern des 
Thorax (Berl. klin. Wochenschr., 1906, Nr. 41) günstige Resul¬ 
tate gesehen, und auf Grund der Mitteilung von Goldschmidt 
(Reichenhall), der zuerst gegeo den Anfall selbst Heißluft- oder 
Dampfbäder empfahl, hat auch Goldscheider kürzlich auf dies 
Verfahren an der Hand einer günstigen eigenen Erfahrung auf¬ 
merksam gemacht (Zeitschr. f. ärztl, Fortb., 1907, Nr. 23). Immer¬ 
hin ist die Strümp e 11 sehe Mitteilung um so beachtenswerter, 
weil ja die Lichtbäder die mildeste und am wenigsten angreifende 
Schwitzprozedur sind, die wir kennen, und weil Strümpell aus¬ 
drücklich betont, daß die Lichtbäder auch in solchen Fällen Er¬ 
folg hatten, wo sonstige schweißtreibende Maßnahmen nicht zum 
Ziele führten. 

2. Um die eigentümliche Reizwirkung der Kohlensäurebäder 
auch lokal applizieren zu können, empfiehlt Po tot zky bei lokalen 
Zirkulationsstörungen an Händen und Füßen (habituelle kalte Hände 
oder Füße, Frostbeulen, Hyperkidrosis) sowie als Ableitungsmittel 
kohlen saure Hand- resp. Fußbäder; dieselben werden in 
der Weise verabfolgt, daß der Patient die Hände oder Füße in 
ein Gefäß mit Wasser von nicht über 32° 0 Temperatur steckt, 
in dem auf eine* der üblichen chemischen Methoden freie Kohlen¬ 
säure entwickelt wird; die Dauer des Bades ist individuell ver¬ 
schieden, es muß jedenfalls der Eintritt einer deutlichen Reaktion 
abgewartet werden. Die Wirkung läßt sich am ehesten mit der 
von wechselwarmen Hand- oder Fußbädern vergleichen, die aber 
in der häuslichen Praxis nicht immer in richtiger Weise anwend¬ 
bar sind. Außer bei den schon erwähnten Störungen hat Verf. 
auch bei tabischenParästhesienin den Extremitäten sowie bei 
kongestiven Kephalalgien günstige Erfolge von diesen lokalen 
kohlensauren Bädern gesehen. 

3. Das Schnee sehe Vierzellenbad, das die vollkommenste 
Art der elektrischen Stromzuführung darstellt, hat zwei Nachteile, 
die seine Einführung in die allgemeine Praxis erschweren, den 
hohen Preis und den Umstand, daß verhältnismäßig sehr viel 
Wasser (etwa 60 1) für ein Bad benötigt wird. Den neuerdings 
als Ersatz empfohlenen Elektroden tisch hält Verfasser mit Recht 
nicht für gleichwertig dem Vierzellenbade, es fehlt hier die gleich¬ 
mäßige Umspülung der Extremitäten mit Wasser, welche eine 
Zuführung hoher Stromdosen bei Konstanz des Uebergangswider- 
standes erlaubt. Sarason hat nun das Vierzellenbad unter Bei¬ 
behaltung des Grundprinzips in der Weise vereinfacht, daß er 
statt der üblichen Arm wannen leicht winklig gebogene röhren¬ 
förmige Armwannen aus emailliertem Blech konstruierte, die 
nur einen geringen Fassungsraum haben, aber doch eine gleich¬ 
mäßige Umspülung des Armes gestatten; die Wannen sind trag¬ 
bar und können mit einem Gurt am Oberkörper befestigt werden, 
die Stromzuführung erfolgt durch eine Kohlenelektrode. Die 
Beinwannen haben die übliche Form, ihr Fassungsraum wird 
jedoch durch einen pneumatisch aufblasbaren Füllkörper nach 
Möglichkeit reduziert, Ein solches Bad, für das ein besonderer 


Stuhl nicht nötig ist, erfordert für alle vier Wannen nur ca. 10 
bis 12 1 Wasser, der Preis des ganzen Apparates beträgt nur 
etwa ein Fünftel des Preises des bisherigen Vierzellenbades 
(Reiniger, Gebbert & Schall, Berlin). 

4. Georgopulos hat an Kaninchen, bei denen er durch 
Urannitrat künstlich Nephritis erzeugte, eine Erhöhung der mole¬ 
kularen Konzentration des Blutserums nach Schwitzprozeduren, 
also eine Eindickung und stärkere Konzentration der festen 
Bestandteile beobachtet. Dieser Effekt trat nicht ein, wenn un¬ 
mittelbar vor dem Schwitzen eine reichliche Flüssigkeits¬ 
zufuhr erfolgte; im Gegenteil, es wurde dann der Gefrierpunkt 
des Blutes höher als vorher gefunden, d. h. die Eindickung wurde 
verhütet. Verf. schließt daraus, daß auch beim nierenkranken 
Menschen durch starkes Schwitzen eine Konzentration der reti- 
nierten harnfähigen Bestandteile hervorgerufen und damit die Ge¬ 
fahr einer Urämie vermehrt werden kann, falls nicht gleichzeitige 
Flüssigkeitszufuhr erfolgt. Die Arbeit würdigt all die kompli¬ 
zierten Verhältnisse, die in der Frage der Wirkung der Diaphorese 
bei der Nephritis obwalten, und gibt einen guten Ueberblick über 
die hierher gehörige Literatur, Zu bedauern ist nur, daß der 
Einfluß der Schwitzprozeduren auf die Ausscheidung der Reten¬ 
tionsprodukte durch den Urin und die darauf bezüglichen 
Arbeiten von Strasser und Blumenkranz (vgl. das Referat 
in Nr. 1 dieses Jahrganges) unberücksichtigt geblieben sind. 


Geburtshilfe und Gynäkologie. 

Referent: Spezialarzt Dr. S. Aschheim, Charlottenburg-Berlin. 

1. Zur Bettruhe im Wochenbett, Von Eduard Martin 
(Charite-Frauenklinik). Monatsschr. £ Geb., 27, 2. 

2. Spätblutungen im Wochenbett. Von Th. Vogelsauger- 
Basel. Hegars Beiträge, Bd. 12, Heft 3. 

3. Heber die Bedeutung der Eihautretention und die 
passende Methode zur vollständigen Entfernung derselben. Von 
Dr. C. Louros-Athen. Ztbl. f. Gyn., 1908, Nr. 7. 

4. Heber Plazenta praevia. Von Dr. R. Freund. Deutsche 
med. Wochenschr., 1908, Nr. 4. 

5. Die Behandlung der puerperalen Mastitis mit Saugappa¬ 
raten. Von Dr. Zangemeister. Ibidem, Nr. 6. 

6 . Stauungstherapie in der Gynäkologie und Geburtshilfe. 
Von Dr. Runge (Charite). Berl. klin. Wochenschr., 1907, Nr. 51. 

7. Heber die Erfolge mit Lumbalanästhesie bei gynäkolo¬ 
gischer Operation. Von Dr. Brunner. Sonderabdruck aus der 
Monatsschr. f. Geb. u. Gynäk., Bd. 26, H. 5. (Refi: W. Krüger- 
Magdeburg.) 

1. In der Charite wurden nachteilige Folgen des frühzeitigen 
Aufstehens p. p. innerhalb der Beobachtungszeit von acht Tagen 
nicht festgestellt. Unter Aufstehen ist nur eine Veränderung der 
Körperhaltung außer Bett zu verstehen, ein ruhiges Aufsitzen mit 
einer festen Binde um den Leib. Die Frauen dürfen weder viel 
herumgehen noch irgendwelche Handreichungen verrichten. Zum 
ersten Male verließen sie etwa 15 bis 24 Stunden p. p. das Bett. 
In den folgenden sieben Tagen waren sie vor- und nachmittags 
je zwei Stunden außer Bett. Es handelte sich nur um gesunde 
normale Wöchnerinnen, an denen kein operativer Eingriff gemacht 
war. Bei Pulsbeschleunigung trat wieder Bettruhe ein. Martin 
empfiehlt große Vorsicht in dieser Art der Wochenpflege; er rät 
sie nur da, wo eine stattgefundene Infektion während der Geburt 
mit möglichster Sicherheit ausgeschlossen werden kann und ge¬ 
sunden jungen Müttern bei ständiger ärztlicher Kontrolle nur eine 
kurze Zeit für die Erholung zur Verfügung steht. Für die wohl¬ 
habende Bevölkerung folgert er aus seinen Beobachtungen, daß 
es nicht notwendig ist, die Frauen so lange wie bisher im Wochen¬ 
bett liegen zu lassen, man sie vielmehr sich in eine andere Lage 
bringen lassen kann, wenn sie sich wohl genug fühlen. 

Dem letzten Schluß wird man wohl zustimmen können; was 
die Arbeiterfrauen betrifft, bleibt das alte Regime zu Recht be¬ 
stehen, denn diesen gilt die Erlaubnis zum Aufstehen gleichbedeu¬ 
tend mit der zum Arbeiten. 

2. Plazentarretention, SubInvolution, Lähmung der Plazentar¬ 
stelle, die bei Fortschreiten zur Inversio uteri führen kann, ferner 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Thrombenlösung, wohl auch Retroflexio uteri puerperälis können 
zu Spätblutungen im Wochenbett führen, Hämorrhagien, die Vogel¬ 
sau ger als aus den bei der Geburt physiologischen Wunden her¬ 
rührend nur kurz berührt, während er die aus irgendeinem 
pathologischen Zustande oder Vorgänge entstehenden Blutungen 
eingehend bespricht. 

Er beschäftigt sich zunächst mit den Erkrankungen der 
Arterien. Die Uteringefäße zeigen sehr häufig schon in den 
vierziger Jahren arteriosklerotische Veränderungen, während die 
anderen Gefäße der Frau noch frei sind. 

Aneurysmen der Uteringefäße sind selten beobachtet; in 
einem Falle von Hewitt, in dem sich die Frau am 37. Tage 
des Wochenbetts nach vorangegangenem Trauma (Druck aufs 
Abdomen am vierten Wochenbettage) verblutete, handelte es sich 
um Aneurysma spurium eines Uterinastes. Einen analogen Fall 
beobachtete V. Bei der Patientin traten im Wochenbett viermal 
schwere Blutungen (vom 8. bis 24. Tage) auf, Austastung ergab 
keine Prominenzen an der Plazentarstelle. Tamponade, Ausscha¬ 
bung, Atmokausis ohne Erfolg, schließlich Totalexstirpation, nach 
welcher der Tod jedoch eintritt. Die Sektion ergab außer den 
Zeichen schwerster Anämie ein Aneurysma spurium, aus welchem 
die Blutung erfolgt war. 

Dann bespricht Verf. die Hämophilie als Ursache der Blu¬ 
tungen , von denen nur wenige Fälle in der Literatur bekannt 
sind, und führt weiter aus der Literatur einige interessierende 
Fälle von Spätblutungen aus Rissen an; so z. B. eine tödliche 
Blutung aus einer Uterusruptur, die im Verlaufe einer normalen 
Entbindung, ohne zunächst Erscheinungen zu machen, entstanden 
war, erfolgte am 11. Tage beim Auf stehen. Einige weitere Fälle, 
bei denen im Laufe normaler oder operativ beendeter Geburten 
eine Uterusruptur entstanden war und in denen Spätblutung in 
der zweiten Woche zum Exitus führte, waren durch Infektion 
kompliziert. 

Diesen Fällen fügt er einen weiteren aus der Baseler Klinik 
hinzu, bei dem bei einer V-p. mit engem Becken nach schwieriger 
Wendung am 18. Tage des Wochenbetts eine starke Blutung er¬ 
folgte, wie sich zeigte, aus einem Zervixriß, der durch Laparotomie 
mit Umstechung und Tamponade erfolgreich behandelt wurde, 
nachdem bloße Tamponade von der Scheide aus versagt hatte. 
In diesem Falle war nach dem Befunde offenbar schon früher 
eine Uterusruptur an der neuerdings rupturierten Stelle voraus¬ 
gegangen. 

Auch Scheidenrisse können noch im Spätwochenbette zu 
schweren Blutungen führen. 

Auch kann, wie aus einem in der Literatur beschriebenen 
Falle hervorgeht, es zu Spätblutungen aus einem Hämatom kommen, 
das während der Geburt innerhalb der Uterusmuskulatur entstanden 
ist und später ins Kavum uteri durchbricht. 

Thromben der Zervix, Vulva und Vagina können ebenfalls 
Spätblutungen verursachen. Ferner können Drucknekrosen, z. B. 
nach schweren Zangen, wenn es zur Abstoßung der nekrotischen 
Partien kommt, die Ursache schwerer Blutungen sein; die in der 
Literatur beschriebenen Fälle waren durch Infektion kompliziert. 

Dann zitiert Vogelsauger einige Fälle, in denen Varizen¬ 
bildung und Teleangiektasien im Uterus zu tödlichen Blutungen 
im Spätwochenbette geführt hatten. 

Alle die erwähnten Blutungen traten meist ohne Vorzeichen 
vom 4. bis 22. Tage des Wochenbetts auf, waren manchmal so 
heftig, daß sie sogleich, oft auch nach mehrfacher Wiederholung 
zum Tode führten; ihre Prognose ist daher sehr ernst. V. teilt 
im ganzen 15 Fälle mit, von denen 12 tödlich endeten. 

Die Therapie, die die Aufgabe hat, das blutende Gefäß zum 
Verschluß zu bringen, kann dies erreichen entweder durch direkte 
Unterbindung, oder durch Unterbindung der Arteria uterina oder 
durch Uterasexstirpation. Vorübergehend muß man sich mit fester 
Tamponade des Uterus und der Scheide behelfen. 

Die Kenntnis der von V. mitgeteilten Fälle erscheint außer¬ 
ordentlich wichtig, besonders in forensischer Beziehung. Für Blu¬ 
tungen im Wochenbett wird ja meist die die Geburt leitende 
Person verantwortlich gemacht. Die Besichtigung der Plazenta, 
die nie unterlassen werden darf, wird das Fehlen großer Plazentar¬ 
stücke gewiß erkennen lassen; die Stärke der Blutung ist aber 
unabhängig von der Größe des Plazentarrestes, der im Uterus 



zurückblieb, und das Fehlen eines-kirschgroßen Plazentarstück 1 
chens, das eine tödliche Blutung hervorrufen kann, dürfte tfft - 
trotz sorgfältiger Kontrolle der Plazenta nicht erkannt werden. 
Die von V. beschriebenen Veränderungen im Uterus (Aneürysmen, 
Hämatome, Varizen) entziehen sich aber völlig unseren diagnosti¬ 
schen Methoden, bis sie zur Katastrophe führen. 

3. Louros bekämpft die allgemein herrschende Ansicht, daß 
das Zurückbleiben der Eihäute ein Eingehen in,den Uterus nicht 
rechtfertige. 

Aus einigen Fällen von Eihautretention, die fieberten und 
die er durch Entfernen der Eihäute digital oder mittels Kürette 
zur Heilung brachte, zieht er den allgemeinen Schluß, daß reti- 
nierte Eihautteile genau so wie es bei der Retention von Plazehtar- 
teilen geschieht, durch Einfuhren der ganzen Hand oder der 
Finger in die Uterushöhle unter- allen aseptischen und antisepti¬ 
schen Kautelen entfernt werden müssen, mit Ausnahme ganz kleiner 
Eihautteile. Auch wenn man beim Entfernen der Plazenta sehe, 
daß die Eihäute abreißen wollen, solle man sie mit den Fingern 
lösen. 

Dieser Ansicht muß auf das allerenergischste widersprochen 
werden, da das Eingehen mit der Hand in den Uterus unmittel¬ 
bar post partum trotz aller Asepsis noch heute zu den gefähr¬ 
lichsten Maßnahmen gehört, da die Erfahrung tausendfach gezeigt 
hat, daß die Eihautretention keine große Bedeutung hat, eine Er¬ 
fahrung, die durch die von L. mitgeteilten Fälle in keiner Weise 
erschüttert wird. Denn durch nichts ist bewiesen, daß die Eihaut¬ 
retention die Ursache der Infektion gewesen sei. Fieber im 
Wochenbette ist heute in den modernsten Anstalten noch in etwa 
10 bis 15% der Entbindungen vorhanden, ist in der Mehrzahl der 
Fälle meiäfc harmloser Natur. Die Zahl der schweren Sepsisfälle 
aber würde in die Höhe schnellen, sobald man dem Rate von L. 
folgen wollte. Man achte beim Betrachten der Plazenta darauf, 
ob die Eihäute vollständig sind, notiere es sich, wenn^dies nicht 
der Fall ist, lasse aber ja die Finger aus dem Uterus; Sekale- 
event. Scheidenspülungen bei übelriechenden Lochien werden zu¬ 
meist im Wochenbett genügen. Der Segen der Asepsis darf 
aber nie und nimmer durch Polypragmasie illusorisch gemacht 
werden. 

4. Als Therapie Hbei Plazenta praevia empfiehlt F. folgende 
Maßnahmen. 

Bei mäßigen Schwangerschaftsblutungen: Bettruhe und strenge, 
möglichst klinische Beobachtung. Scheidentamponade ist tun¬ 
lichst zu vermeiden und nur als Notbehelf zu betrachten für den 
Transport in eine Anstalt. 

In seltenen Fällen abundanter ' Blutung bei geschlossener 
Zervix: Feste Tamponade der ganzen Scheide mit steriler, feuchter 
(feuchter? Ref.) Gaze nach den Vorschriften von Fritsch auf 
wenige Stunden. 

Da bei stärkeren Blutungen aber so gut wie immer die 
Zervix passierbar ist: keine Tamponade, sondern Blasensprengung 
und Abwaschen bei leicht erreichbarer Fruchtblase (PI. praevia 
marginalis und partialis); bei nicht erreichbarer Fruchtblase, 
lebensfähigem Kinde und gutem Zustande der Mutter: Metreuryse 
mit dem Ballon von Champetier de Ribes. Nach völliger Erweite¬ 
rung des Muttermundes durch den Metreurynter entweder Ab¬ 
warten der spontanen Geburt oder Wendung je nach Kindes¬ 
lage, Wehentätigkeit und etwaiger erneuter Blutung. 

Bei Erfolglosigkeit der Metreuryse, die im allgemeinen nicht 
länger als vier Stunden belassen werden soll, ferner bei unreifen 
Kindern sowie schließlich in allen Fällen, in denen es sich um 
bedrohliche Zustände der Mutter handelt: Wendung nach Braxton 
Hicks und danach Abwarten. 

Bei Blutung trotz herabgeschlagenen Beines: Extension durch 
mäßigen permanenten Zug, der bei Einsetzen der Wehen und 
Durchschneiden des Steißes sofort aufzuhören hat. ■ Extraktion nur 
bei völlig erweitertem Muttermunde. Erscheint der Muttermund 
für die Kopfentwicklung doch noch zu eng: Vorsicht und Anwen¬ 
dung des Handgriffes, der dem Kind Luft zuführt und gleichzeitig 
den Muttermundssaum langsam dehnt und ihn über das Gesicht 
streifen soll. 

Die Hysterotomia anterior kommt nur für die Klinik, in erster 
Linie als prophylaktische Operation in Frage. 


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ter hat für die frischen Fälle puerperaler 
der Saugbehändlung nach Bier keine Erfolge ge- 
Mflenb Er hält hier das alte Verfahren, mechanische und funk¬ 
tionelle Ruhestellung der Brust (völliges Absetzen), für das rich¬ 
tige; Auch“ bei Fällen mit eitriger Einschmelzung, die noch nicht 
züm Stillstand gekommen ist. hat er von dem Bi ersehen Ver¬ 
fahren (Saugen mit Stichinzisionen) keinen Vorteil gesehen. Das 
Saugvorfahren begünstigt hier die eitrige Einschmelznng und auch 
das Weiterkriechen des Prozesses. Mehrfach mußten noch große 
Inzisionen gemacht werden. 

In denjenigen Fällen aber, in denen die Entzündung nicht 
mehr fortschreitet, gestattet die Saugbehandlung, sich auf kleine 
Stichinzisionen zu beschränken. 

6 . Runge hat hingegen bei der Mastitisbehandlung an der 
Oharitö-Frauenklinik mit dem Bi ersehen Verfahren sehr gute 
Erfolge gehabt; war noch keine Fluktuation vorhanden, so kam 
er ohne jede Inzision zum Ziele, bei Abszessen durch Hinzufügung 
kleiner Inzisionen. 

- Auch bei Endometritis hat er die Suktionsmethode angewandt, 
die Resultate waren jedoch nicht besser, und Heilungen wurden 
nicht eher erreicht, als mit anderen Behandlungsweisen. 

Ref. möchte dem hinzufügen, daß er auf Versuche mit dieser 
Methode bei Endometritis verzichtet hat, nachdem in einigen 
Fällen die Menses hinterher übermäßig stark und langdauernd 
wurden. 

Der Rat, die Saugbehandlung am puerperalen Uterus (septische 
Endometritis, mangelhafte Rückbildung) anzuwenden, ist auch ge¬ 
geben worden. Ref. möchte aber auch davor warnen, da einfache 
Ueberlegung einem sagen muß, daß man hier böse Blutungen 
durch diese Methode hervorrufen kann und wir doch von jedem 
Heilverfahren verlangen müssen, daß es, menschlicher Voraussicht 
nach, nicht schaden kann. 

7. Verf. berichtet aus der Amannsehen Klinik in München 
über seine Erfahrungen mit der Lumbalanästhesie, die bei dreißig 
kleineren und größeren gynäkologischen Eingriffen vorgenommen 

- wurde. Als Höhe des Einstichpunktes wurde der dritte bis fünfte 
oder erste bis dritte Zwischenwirbelraum gewählt, je nachdem eine 
vaginale Operation oder eine Laparotomie vorgenommen werden 
sollte. An der Klinik wurde die von den Höchster Farbwerken 
hergestellte 5%ige Novokain-Suprareninlösung in zugeschmolzenen 
Ampullen verwendet. Die Zusammensetzung ist: Novokain 0,15, 
Sol. Suprarenin. boric. 1 :1000, 5 Tropfen auf 3 ccm Wasser. 
Davon wurden meist 2 bis 2,5 ccm injiziert; bei intensiver Becken¬ 
hochlagerung kleinere Dosen. Die Dauer der Anästhesie schwankte 
zwischen 50 bis 60 Minuten; sie trat nach 2 bis 15 Minuten ein. 
Viermal war ein Mißerfolg zu verzeichnen, trotzdem die Injektion 
lega artis gemacht war. Einen Mißerfolg kann man natürlich 
nicht annehmen, wenn die Operation vom Zeitpunkte der Ein¬ 
spritzung länger als eine Stunde dauerte; in solchen Fällen mußte 
auch von Amann Allgemeinnarkose eingeleitet werden. Während 
andere Autoren beobachteten, daß das Ziehen am Peritoneum 
Schmerzen verursacht, berichtet Verf., daß er bei zwei Fällen, 
bei denen 2 bis 3 cm oberhalb des Nabels operiert wurde, 
Schmerzen bei Manipulationen am Bauchfell nicht beobachtet hat. 
In dem einen Fall handelte es sich sogar um eine Bauchhernie, wo 
starke peritoneale Verwachsungen Vorlagen und gelöst werden 
mußten. Verf. hat schwerere Nebenwirkungen nie gesehen. Da¬ 
gegen glaubt er, daß die Nachwirkungen der Lumbalanästhesie 
nicht ohne Belang sind. Denn von seinen 30 Fällen waren nur 
8 gänzlich frei von Nachwirkungen. Die übrigen Kranken litten 
an Kopfschmerzen von wechselnder Stärke, häufig auch in Ver- 
bindung mit Erbrechen. Zwei Kranke litten eine ganze Woche 
lang an Erbrechen. 

Zum Schluß gibt Verf. seiner Ueberzeugung dahin Ausdruck, 
daß die Lumbalanästhesie wenigstens zur Zeit noch nicht ein¬ 
wandsfrei und die Narkose ihr aus einer Reihe von Gründen 
überlegen ist, besonders deshalb — was für den Gynäkologen 
gewiß von großer Bedeutung ist —, daß die völlige Erschlaffung 
der Bauchdecken bei der Rückenmarksanästhesie nicht zu erzielen 
ist. Verf. will sie nur auf Fälle beschränkt wissen, wo eine all¬ 
gemeine Narkose wirklich als sehr gefährlich erscheint. 

(W. Krüger, Magdeburg.) 


Chirurgie. 

Referent: Spezialarzt Dr. Heinrich Landau, Berlin. 

1. Heber die Blitzbehandlung (Fulguration) der Krebse. Von 
Czerny. Münch, med. Wochenschrift, 1908, Nr. 6. 

2. Zur Behandlung des Durchbruchs von Magen- und Duo¬ 
denalgeschwüren. Von M. Jaffe. Berl. klin. Wochenschrift, 
1908, Nr. 7* 

3. Tetanus nach subkutaner Gelatine-Injektion nebst Be¬ 
merkungen über die Anwendung der Gelatine bei Blutungen. 
Von A. Heddaeus. Münch, med. Wochenschrift, 1908, Nr. 5. 

4. Die Anwendung der Stauung bei Verbrennungen. Von 
Richter. Deutsch, med. Wochenschrift, 1908, Nr. 6. 

5. Wann bedarf die akute und die chronische Mittelohr¬ 
eiterung des chirurgischen Eingriffs? Von Eschweiler. Zeit¬ 
schrift für ärztl. Fortbildung, 1908, Nr. 4. 

1. Keating Hart in Marseille hat 1906 auf dem Mailänder 
Kongreß eine neue Behandlung der Krebse mit hochgespannten 
und hochfrequenten Strömen, die Sideration, mitgeteilt. Er 
läßt, während der Kranke in tiefer Narkose liegt, denn das Ver¬ 
fahren ist schmerzhaft, möglichst kräftige Blitzfunkenbüschel von 
einer Metall-Elektrode längere Zeit, 5 bis 10, ja 40 Minuten lang, 
in 2 bis 4 cm Distanz von allen Seiten her auf die Krebse ein- 
schlagen. Dann wird die bestrahlte Krebspartie herausgeschnitten, 
ausgelöffelt oder abgeschabt und die W^undfläche abermals 10 bis 
15 Minuten „fulguriert“, um etwa zurückgebliebene Krebszellen 
zu vernichten. Keating Harts Apparat zur Fulguration, wie Pozzi 
das Verfahren statt Sideration nennt, kann mit Hilfe eines Wechsel¬ 
stromtransformators direkt an Wechselstrom oder an den Röntgen- 
Apparat angeschlossen werden; dann benutzt man den 50 cm Induktor 
mit Wehnelt-Unterbrecher. Von diesen wird die Elektrizität an 
Stelle der Leidener Flaschen einem Petroleumkondensator mit 
Funkenunterbrecher und Solenoid zugeführt. Dieser stellt in Ver¬ 
bindung mit dem Oudinschen Resonator, einer ca. Im hohen 
Kupferspirale von mehr als hundert Wendungen, die durch einen 
Schieber mit dem Solenoid so abgestimmt werden kann, daß sie 
Funkenbüschel von 10 bis 20 cm Länge aus den Metallelektroden 
entsendet. Diese Funkenbüschel wirken durch ihre Hitze, dann 
„aktinisch durch Lichtwirkung“ und chemisch durch molekulare 
Zertrümmerung von chemischen \ erbindungen. Während Keating 
Hart die Hitzewirkung seiner Blitzbüschel als überflüssige Neben¬ 
wirkung dxxrch einen Kohlensäurestrom zu beseitigen sucht, halten 
andere ^Forscher (Doyen) die Hitze für wertvoll; auch Czerny läßt 
sie sich wegen der gleichzeitigen besseren Blutstillung gern ge¬ 
fallen. Die Wirkung der Funken ist um so stärker, je länger man 
sie an wendet; die Wirkung auf den Krebs setzt sich aus ver¬ 
schiedenen Vorgängen zusammen: das Krebsgewebe wird durch die 
Funkenschläge in seiner Architektur erschüttert, „wie wenn ein 
Erdbeben ein Gebäude durcheinander rüttelt“. Die Zellen quellen, 
werden unter Eiweißgerinnung vakuolisiert. Blut tritt zwischen 
Zellen und Bindegewebsgerüst. Mikroskopische Bilder eines Mast¬ 
darm-Zylinderzellenkrebses vor und nach der Fulguration zeigen 
diese Veränderungen sehr deutlich; sie zeigen außerdem eine elektive 
Wirkung auf die Zellen allein, denn das Bindegewebsgerüst bleibt 
gut färbbar und antwortet auf den Reiz der Fulguration mit 
kräftiger, zur Vernarbung führender Granulation, nachdem in den 
ersten der Behandlung folgenden Tagen ein starker Lymphstrom 
die Trümmer der Krebszellen fortgesekwenimt hat. Die Tiefen¬ 
wirkung der Funkenblitze reicht nicht viel über einen Zentimeter 
hinaus. 

Czerny, dessen klarer und anschaulicher Beschreibung Ref. 
größtenteils wörtlich gefolgt ist, vergleicht die Wirkung des Ver¬ 
fahrens mit einer Aetzwirkung, dosierbar wie diese, aber mit dem 
Vorteil, elektiv zu sein. Das Verfahren scheint vorläufig nur für 
die leicht zugänglichen Krebsformen geeignet, wenn auch Keating 
Heat Behandlung der tiefsitzenden Karzinome nach Freilegung 
durch den Chirurgen in derselben Sitzung unternimmt. Czerny 
hat eine dem alten Elektropunkturverfahren nachgebildete Elektrode 
mit drei Nadeln für tiefsitzende Tumoren angegeben, verspricht 
sich aber wegen der geringen Stromstärke selber nicht viel Erfolg 
von der bipolaren Anwendung. 


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196 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


■' teMf-? 


Der unzweifelhafte Fortschritt, den die Fulguration darstellt, 
liegt in ihrer Anwendbarkeit bei Krebsen und Rezidiven, die für 
chirurgisches Eingreifen allein zu weit fortgeschritten sind, und in 
der Möglichkeit, mit Hilfe der Narkose die gesamte Strahlenenergie, 
die das Röntgenverfahren z. B. auf eine lange Zeit verteilen muß, 
in einer Sitzung auf den freigelegten Tumor wirken zu lassen. 
Schädigungen des Kranken sind bei guter Isolierung (G-lasmaske 
zur Narkose; Holztuch oder Wolldecken) ausgeschlossen. Von 
Dauerresultaten kann man bei der Fulguration, die ihr Erfinder 
selbst erst seit 3 Jahren anwendet, nur mit Vorbehalt sprechen; 
aber man muß dabei immer in Betracht ziehen, daß es sich um 
chirurgisch nicht mehr operable oder rezidivierte Krebse handelt. 
\ on 22 fulgurierten Kranken Keating Harts sind 6 Kankroide ge¬ 
heilt, von den 16 anderen, schweren Karzinomen sind ein Brust¬ 
krebs und 2 Gesichtskrebse, zum Teil in wiederholten Sitzungen 
wegen Rezidivs, geheilt. Czernys Statistik umfaßt 35 Kranke; 
drei Hautkarzinome, die allerdings noch radikal operabel waren, 
sind geheilt, alle anderen Fälle, deren außerordentliche Schwere 
Keating Hart seinem eigenen Material gegenüber anerkannte, sind 
sämtlich günstig beeinflußt; aber die Rückkehr von Schmerz und 
Blutung zeigte, daß völlige Zerstörung des Krebsgewebes nicht 
gelungen ist. Bei weit vorgeschrittener Kachexie kann die Fulgu¬ 
ration durch unvollkommene Zerstörung Wucherung und Schmerz 
an den Wundrändern her vorrufen selbst durch Resorption des zer¬ 
fallenden Krebsgewebes den Tod beschleunigen; sonst gibt es 
eigentlich keine Gegenanzeige für dieses letzte Kampfmittel gegen 
den Krebs. Keating Hart legt wenig Gewicht auf Drüsenmeta¬ 
stasen ; er entfernt sie, wenn möglich, mit folgender Fulguration, 
aber er hofft sonst auf ihr spontanes Zurückgehen nach Entfernung 
(les Haupttumors. 

Czerny faßt seine eigenen Beobachtungen dahin zusammen, 
daß die Blitzbehandlung oberflächliche, besonders ulzerierte Krebse 
durch ihre elektive Wirkung schonender beseitigt als das Messer, 
und Rezidive mit ihrer Hilfe, wenn sie frühzeitig angegriffen 
werden, leichter bekämpft werden können. Auch wirkt die Fulgu¬ 
ration sicherer und schneller als Röntgenstrahlen und Radium. 
Der Erfolg bei tiefersitzenden Krebsen jedoch ist ungewiß; zweifel¬ 
haft auch, ob die Verbindung von Freileguug, Fulguration, Enu¬ 
kleation und abermaliger Fulguration vor der bisherigen Exstir¬ 
pation im Gesunden den Vorzug verdient. Keating Harts Ver¬ 
fahren verlängert freilich Eingriff und Narkose ganz erheblich und 
kann wahrscheinlich durch Anhäufung von Zelltrümmern die glatte 
Heilung stören; doch hat der Gedanke etwas Bestechendes, die 
vielleicht zurückgebliebenen Krebskeime gleich bei der Operation 
über die Grenzen hinaus zu vernichten, vor denen das Messer 
Halt machen muß. 

2 . Die Entscheidung über das Schicksal durchgebrochener 
Magen- und Zwölffingerdarm-Geschwüre liegt in der Hand des 
praktischen Arztes. Bei keiner anderen Eingeweide-Erkrankung 
hängt soviel von der Schnelligkeit der Diagnose ab, bringt eine 
Verzögerung auch nur um Stunden so viel Gefahr wie bei diesen 
Perforationen, denen sich in neuerer Zeit die Aufmerksamkeit in 
steigendem Maße zuwendet. Jaffe läßt die Zuverlässigkeit 
neuerer Statistiken, nach denen mehr als 1 / 2 % der Bevölkerung 
am durchgebrochenen Magengeschwür stirbt, dahingestellt, aber 
er wendet sich mit Recht gegen Boas’ Behauptung, daß die Per¬ 
forationsperitonitis nach Ulkus in Deutschland selten sei. Auf 
Ja ff es Abteilung im Stadtkrankenhause zu Posen sind im letzten 
Jahr allein fünf solcher Fälle behandelt worden. Einer, mit aus¬ 
geprägter Bauchfellentzündung eingeliefert, wurde nicht mehr 
operiert; ein zweiter starb, nach 16 Stunden operiert, an allge¬ 
meiner schwerer septischer Bauchfellentzündung vom Zwerchfell 
bis zum Douglas. Er war gleich nach dem charakteristischen, 
ganz plötzlich mit heftigsten Leibschmerzen erfolgten Zusammen¬ 
brechen ins Krankenhaus gebracht worden; die brettharte Spannung 
der oberen rechten Rektuspartie wies deutlich auf Duodenalulkus. 
J. konnte sich trotzdem nicht zur Operation entschließen, was er 
angesichts des traurigen Verlaufs von nun an stets tun wird: 
„wir sollen nicht Peritonitiden nach durchgebrochenen Geschwüren 
operieren, sondern das Loch verschließen, ehe es Peritonitis ge¬ 
macht hat“. Die drei anderen Fälle sind durch die Operation 
geheilt worden; zwei sind ebenfalls typisch: ungeheurer, plötz¬ 
licher Schmerz beim Bücken, Spannung des rechten oberen resp. 


beim Magenulkus des linken oberen Rektus, Dämpfung in den 
hinteren ^unteren Teilen der entsprechenden Brustkorbseite; dazu 
Fieber und beim Magenulkus der Traubesche Raum gedämpft tympa- 
nitisch, beim Duodenalgeschwür Luftschall an Stelle der Leber¬ 
dämpfung. Der dritte Fall zeigte den vorangegangenen lokal-peri- 
tonitischen Erscheinungen entsprechend den Durchbruch des mark¬ 
stückgroßen Geschwürs in Adhäsionen hinein, die einen Abszeß 
nur schlecht abschlossen. Was' die Technik der Operation angeht, 
so näht Jaffe die Geschwüre, ohne sie auszuschneiden, mit 
Lembertnaht; er schließt keine Gastroenterostomie an und spült 
bei den den ganzen Bauch mit Eiter, Galle, Speiseresten'über¬ 
flutenden Perforationen ausgiebig, aber nie bei umschriebener 
Peritonitis, wo die Infektion durch Spülung verschleppt werden 
kann. Die Geschwüre saßen alle an der Vorderwand des Magens, 
wie denn 80%. aller Durchbrüche sich hier abspielen sollen. Da 
aber nur 20% der Magengeschwüre vorn sitzen, erhält man eine 
außerordentlich hohe Wahrscheinlichkeit für den Durchbruch des 
Geschwürs der Vorderwand. Damit ergibt sich nicht nur die un¬ 
bedingte Notwendigkeit eines möglichst frühen Eingriffs, sondern 
auch bei geöffnetem Bauch der Weg zur Stelle der Perforation, 
der gewöhnlich auch durch die schwersten Veränderungen des 
Bauchfells gekennzeichnet ist. 

3. Heddaeus erzählt die Geschichte eines jener tragischen 
Fälle von tödlicher Tetanus-Erkrankung nach Einspritzung von Ge¬ 
latine. Sein Fall ist der zwölfte in der Literatur; die Gelatine¬ 
lösung war vom Apotheker sterilisiert worden. Man braucht je¬ 
doch von der Anwendung der Gelatine, die für hartnäckige Blu¬ 
tungen mit schwer erreichbarer Quelle ein unersetzliches Mittel 
ist, deswegen nicht abzusehen; nur darf zur subkutanen Einsprit¬ 
zung ausschließlich die sterilisierte und in Glasröhren versandte 
10 %ige Gelatina sterilisata Merck gebraucht werden. Zur 
inneren Darreichung und zum Klistier genügt hingegen die ge¬ 
wöhnliche käufliche Gelatine. — Gelatine kann sowohl bei allen 
hämorrhagischen Diathesen wie bei Organblutungen, besonders bei 
Melaena neonatorum, angewendet werden, nur bei hämorrhagischer 
Nephritis nicht, wo nach der Injektion Verschlimmerung aller Er¬ 
scheinungen beobachtet wurde. Eine Eigentümlichkeit des Mittels 
ist nach Gebele, daß seine Wirkung erst nach vorausgegangenem 
stärkerem Blutverlust eintritt; es empfiehlt sich dann, Kochsalz¬ 
lösung und Gelatine zu verbinden und die 2%ige Gelatinelösung 
körperwarm einzuspritzen. Auch die Überrieselung blutender 
Flächen mit flüssiger Gelatine (Merck!) und fortgesetzte Beigabe 
zu den Mahlzeiten „als Kompott“ (Ref.) hat gute Erfolge. Immer¬ 
hin rät Heddaeus nur dann zur Gelatine zu greifen, wenn ein 
Weiterbluten oder eine Nachblutung zu erwarten ist. 

4. Gegenüber der Empfehlung der Stauungsbehandlung bei 
Verbrennungen (Stein) mahnt Ritter zur Vorsicht. Die schmerz¬ 
stillende Wirkung ist zwar unverkennbar, aber man bekommt 
häufig unerwünscht blutstrotzende Narben. Bei allgemeinen oder 
sehr ausgedehnten Verbrennungen entzieht die Stauung außerdem 
dem schon bedrohten Herzen viel Blut und vermehrt die Herz¬ 
schwäche. Ref. hält auch den sehr bedeutenden Säfte Verlust bei 
Stauung ausgedehnter Brandwunden für nicht unbedenklich. Die 
Stauung darf bei umschriebenen Verbrennungen nur ganz kurz 
angewendet werden, bei allgemeinen wird sie am besten unter¬ 
lassen. 

5. Bei der akuten Mittelohreiterung ist der operative Eingriff 
angezeigt, wenn nach Durchbruch oder Parazentese Schmerz und 
Eiterung nicht oder nur vorübergehend abnehmen. Letzteres ist 
besonders der Fall, wenn die Perforation nicht in der unteren 
Hälfte, sondern in den oberen Partien des Trommelfells saß; im 
hinteren oberen Quadranten wird das Trommelfell, bei langer Eite- 
rung auch die hintere Gehörgangswand vorgetrieben und dadurch 
der knöcherne Gehörgang schlitzförmig verengt. Dabei braucht 
das Allgemeinbefinden nicht gestört zu sein; und von so übler Be¬ 
deutung auch hohes Fieber ist, das meist schon auf Beteiligung 
von Sinus und Meningen weist, so wenig darf man sich bei 
normaler oder subfebriler Temperatur in Sicherheit wiegen. Regel¬ 
mäßiger sind die Lokalsymptome am Warzen fortsatz selber, 
der Druckschmerz, der wenigstens im Beginne der Erkrankung 
selten fehlt, und die Infiltration der Weichteile, die freilich beim 
Gehörgangsfurunkel sich ebenfalls einstellt. Aber wiederum kann 
es verhängnisvoll werden, aus dem Fehlen aller dieser Zeichen 


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zu schließen, die Ohreiterung sei nicht weitergegangen: unter 
unveränderten Weichteilen und unempfindlichem Warzenfortsatz 
kann die’ Zerstörung bis an die Schädelhöhle fortgeschritten sein. 
Eine Sonderstellung nehmen die Pneumokokken - Otitiden ein: 
sie führen wegen geringer Beteiligung oder rascher Ausheilung 
des Mittelohrs nicht zur Perforation, während langandauernder 
Ohren- und Schläfenschmerz und eine mit dem geringen Trommel¬ 
fellbefund nicht vereinbare starke Gehörstörung anzeigen, daß der 
Warzenfortsatz erkrankt ist. 

Die chronische Mittelohreiterung ist dann einer „chirurgischen“ 
Komplikation verdächtig, wenn die stinkende Absonderung trotz 
längerer Behandlung nicht aufhört. Zeigt das Trommelfell dabei 
multiple oder randständige Perforationen, namentlich im oberen 
hintern Abschnitt, so verstärkt das den Verdacht, und es handelt 
sich um die Feststellung, ob Knochenkaries oder Cholesteatombildung 
vorliegt. Karies, nur selten unmittelbar durch die Sondierung nach¬ 
zuweisen, verrät sich durch Knochengries oder kleine Sequester 
in der ablaufenden Spülflüssigkeit und das Aufschießen von Gra¬ 
nulationen. Das Cholesteatom, eine entzündliche Geschwulst, ganz 
verschieden von dem, was Virchow unter der gleichen Bezeich¬ 
nung verstand, verdankt seine Entstehung einem Einbruch der 
Gehörgangsepidermis durch ein Loch im Trommelfell ins Mittelohr'; 
die neue Epidermisdecke schilfert hier fortwährend ihre Zellen ab, 
die sich mit der Zeit zu Kugeln zusammenballen, bei Gelegenheit 
einer akuten oder chronischen Otitis media vereitern und dann 
als Fremdkörper wirken. Häufiger freilich entleeren sich andauernd 
Epidermisschuppen aus der Trommelfellöffnung, und die Erschei¬ 
nungen sind nicht so stürmisch. 

Es gibt auch bei der chronischen Otitis wieder Fälle, wo so¬ 
wohl Trommelfellbefund wie Sekret zu keiner Besorgnis Anlaß 
geben und nur allgemeine Symptome vorliegen, die manchmal sehr 
harmlos zu sein scheinen: halbseitiger, besonders Schläfenkopf¬ 
schmerz, gelegentlicher Schwindel, Erbrechen. Dann beginnen die 
Schwierigkeiten der „prophylaktischen“ Indikation (Schwartze); 
es gilt einzugreifen, bevor Erscheinungen^ von seiten des Gehirns 
und seiner Häute auftreten. Die -Lage hat hier meist Aehnlich- 
keit mit dem Eingreifen bei drohenden peritonealen Perforationen; 
auch hier wird nach Ansicht des Ref. die Frühoperation sich immer 
mehr Anhänger erwerben. 

Zum Schluß geht E. kurz auf die Labyrintherkrankung ein, 
die eine Anzeige zur sofortigen Aufmeißelung bedeutet, wenn sie 
sich durch plötzlich eintretende Schwerhörigkeit, Ohrensausen, 
Schwindel, Erbrechen und Fazialiserseheinungen als frischen Durch¬ 
bruch des Eiters ins Labyrinth offenbart, während man einer 
länger bestehenden Labyrinthschädigung gegenüber zu kaltblüti¬ 
gerem Verhalten berechtigt ist. Ueberspringen der vorher im 
kranken Ohr vorhandenen Tonempfindung einer auf den Scheitel 
gesetzten Stimmgabel auf das gesunde Ohr (nach Webers Versuch) 
beweist dagegen bei bestehender Eiterung fast sicher einen Durch¬ 
bruch ins Labyrinth und zwingt zum Eingriff. 


Mitteilungen über Arzneimittel. 


Thymol bei Keuchhusten. 

Von Kreisarzt Dr. H, F. Berger in Crefeld. 

Es hieße Eulen nach Athen tragen, wenn ich über das 
Niederziehende sprechen wollte, das der berufsfreudige Arzt 
empfindet, wenn er gerufen ist, um Keuchhusten zu heilen. Die 
Zahl der Mittel steht im direkten Verhältnis zu ihrer Erfolg¬ 
losigkeit. Ein neues wird deshalb erst Skeptizismus zu über¬ 
winden haben. Ich habe bei Keuchhusten 0,l%ige Thymol¬ 
lösung zum Inhalieren verwendet, ein Mittel, das bereits gegen 
Diphtherie erfolgreich ins Feld geführt worden ist von S troll 
in München (Münch, medizin. Wochenschr. 1908, Nr. 3). 

Die Lösung 

Thymol 0,5 

Alkoh. absol. 5,0 
Aq, destill. ad 500,0, 


in der das Thymol nur gelöst bleibt, wenn sie über 20 0 O 
warm ist, muß vor dem Gebrauche entsprechend angewärmt 
werden durch Stellen in warmes Wasser. 

Ich habe eine derartige Wirkung bei Keuchhusten durch 
3stündliche Einatmungen dieser Lösung gesehen, daß ich er¬ 
staunt bin; die Keuchhustenanfälle mit dem Erbrechen waren 
nach einer Woche verschwunden. 

Ich möchte mit meiner Erfahrung nicht zurückhalten und 
um Verwendung in größerem Umfange bitten. 


Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. Praktische Erfahrungen mit Fibrolysin. Von San.-Rat 
Dr. Kob-Stolp 1 P. Med. Klinik, 1908, Nr. 3. 

2/ Zur Frage über die Zersetzung des Atoxyls. Von W. 
L. Yakimoff. Deutsche Med. Wochenschr., 1908, Nr. 5. 

3. Koffeinfreier Kaffee. Von Dr. v. B oltenstern-Berlin. 
Deutsche Aerzte-Zeitg., 1908, Heft 3. 

4. Zwei Ausnntzungsversuche mit Odda M. R. Von Dr. 
Bornstein-Leipzig. Fortscbr. d. Med., 1908, Nr. 2. 

5. Wissenschaftliche Mitteilungen über die Untersuchungen 
einiger Spezialitäten. Von O. Kuhn. Apotheker-Zeitg., 1908, 
Nr. 10. 

6. Neue Arzneimittel und pharmazeutische Spezialitäten. 
Pharmazeut. Zeitg., 1908, Nr. 5, 9 und 10. 

7. Ueber Urtikaria symptomatika infantilis und ihre Be¬ 
handlung mit Ichthyol. Von Dr. Scharff-Stettin. Therapeut. 
Monatshefte, 1907, Heft 10. 

8. Wissenschaftliche Mitteilungen über den Wassergehalt 
des Atoxyls. Von Dr. Zernik. Apotheker-Ztg., 1908, Nr. 8. 

1. K. teilt die Krankengeschichten zweier Fälle ausführlich 
mit, bei denen es ihm gelungen, gute Erfolge mit Fibrolysin zu 
erringen. Der eine Fall behandelt einen Mann, der durch ein Trauma 
eine Quetschung der rechten großen Zehe erlitten hatte, woran 
sich infolge Verwachsung der Nervenfasern des Femoralis mit dem 
narbig veränderten Zellgewebe des Gliedes eine Neuralgie des 
N. femoralis angeschlossen hatte, und wo nach sieben Einsprit¬ 
zungen von je 2,3 ccm Fibrolysin ein Nachlassen der Beschwerden 
ein getreten war. Bei dem anderen Fall handelte es sich um eine 
chronische Peritonitis mit Schwartenbildung, die nach 36 Ein¬ 
spritzungen als geheilt angesehen werden konnte. 

2. Durch experimentelle Untersuchungen hat Y. festgestellt, 
daß schwache Atoxyllösungen (1 bis 2%) sich im Dunkeln ziem¬ 
lich lange Zeit unverändert erhalten können. Stärkere Lösungen 
(10%) können gleichfalls ziemlich lange im Dunkeln unverändert 
aufbewahrt werden; doch verlangen sie häufigere Erneuerung. 
Frische Lösungen sind vorzuziehen. Es ist besser, die Vorrats¬ 
lösungen unsterilisiert, mit kaltem, gekochtem oder ungekochtem 
Wasser bereitet, aufzubewahreD. Vor der Injektion muß man 
dann die nötige Quantität der Vorratslösung in einem Probier¬ 
glas© 1 bis 2 Minuten kochen. Daß in der kurzen Zeit zwischen 
dem Kochen und der Injektion eine Zersetzung in giftige Stoffe 
eintritt, ist nicht zu befürchten. Bei den geringsten Anzeichen 
von Gelbfärbung ist die Lösung durch eine neue zu ersetzen. 
Ans diesem Grunde ist auch eine Alkalisierung der Lösungen zu 
vermeiden. Verf. weist zum Schlüsse noch darauf hin, daß das 
französische Präparat weniger giftig ist als das deutsche; das 
erster© konnte in Mengen von 0,75 bis 1,0 g pro die gegeben 
werden, während bei dem deutschen Präparat ein Uebersteigen 
einer Dosis von 0,4 g schon gefährlich ist. 

3. Alle Kaffeesurrogate sind kein Ersatz für Kaffee, da ihnen 
das Aroma, der Geschmack und die anderen Eigenschaften des 
Genußmittels fehlen, wenn sie vielleicht auch Nährwert besitzen. 
Da nun im Kaffee das Koffein jenes für nervenschwache, reizbare 
Personen, für Herzkranke, Magenleidende, Blutarme und Bleich - 
süchtige schädliche Agens ist, so lag es nahe, diese Substanz aus 
dem Kaffee zu eliminieren. Dieser Vorschlag, der auch von Aerzten 
gemacht worden ist, war aber praktisch nicht so leicht durchführ¬ 
bar , weil man aus feingepulvertem Kaffee durch Extraktion do 4 
Koffein entfernen wollte. Denn roher Kaffee kann nur schwi i 


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198 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


pulverisiert werden; der Röstung des Pulvers stehen Schwierig¬ 
keiten entgegen — ganz abgesehen von dem Mißtrauen, welches 
das Publikum dem verkäuflichen, gemahlenen Kaffee entgegen¬ 
bringt. Da die Lösungsmittel für Koffein nicht in das Innere 
der dickwandigen, harten Kaffeebohnen eindringen können, so 
handelte es sich darum, durch eine entsprechende Vorbehandlung 
die Zellen dem Lösungsmittel zugänglicher zu machen, ohne je¬ 
doch Form und Aussehen der Bohne zu schädigen oder dem Roh¬ 
kaffee Stoffe zu entziehen, welche für das Rösten des Kaffees, 
für die Entwicklung des Aromas hierbei, für Farbe und Geschmack 
des Kaffeeaufgusses erforderlich sind. Ein solches Verfahren ist 
der Kaffee-Handels-Aktiengesellschaft in Bremen patentiert worden, 
das darin besteht, daß durch einen Aufschließungsprozeß die Zellen 
der rohen Bohnen geöffnet und die Koffeinsalze zerlegt werden. 
Durch Aether, Benzol, Chloroform konnte das Koffein bis auf ge¬ 
ringe Spuren den Bohnen entzogen werden, während durch eine 
Damplbehandlung eine Entfernung des Lösungsmittels -gelang. 
Hierdurch ist es möglich geworden, Kaffee zu gewinnen, der je 
nach der Sorte einen sehr verschiedenen Koffeingehalt aufweist 
(ca. 0,1 bis 0,2%). Der in den Handel gebrachte, sogen. „Koffein¬ 
freie Kaffee“ enthält also noch Spuren von Koffein, die aber 
praktisch ohne Belang sind. Die bei der Extraktion resultierende 
braune, übelriechende Masse enthält die harz-, wachs- und fett¬ 
artigen Körper, die z. T. das schnelle Ranzigwerden des ge¬ 
rösteten Kaffees bedingen, also durch ihren Wegfall einen Vorteil 
bedeuten. Eine Prüfung von koffeinhaltigem und koffeinfreiem 
Kaffee hat fast den gleichen Gehalt an Extraktivstoffen ergeben. 
Auch bezüglich Geschmacks und Aromas ist kaum ein Unterschied 
zu finden. Der Aufguß liefert ein Getränk, das von koffeinhaltigem 
Kaffee nicht zu unterscheiden ist. Die experimentellen Versuche 
an Kranken haben die denkbar günstigsten Resultate ergeben. 
Mit Recht betont Verf., daß der „Koffeinfreie Kaffee“ als ein 
Fortschritt anzusehen sei. 

4. Aus den Stoffwechselversuchen, die B. mit dem nach den 
v. Me ring sehen Prinzipien hergestellten Odda M. R. (d. h. für 
Magenleidende und Rekonvaleszenten im Gegensatz zu dem Kinder¬ 
nährpräparate Odda) gemacht hat, geht hervor, daß das Präparat 
sehr gut vom Körper ausgenutzt wird. Daher kommt es, daß 
von allen Seiten über sehr gute Erfolge berichtet wird. Der 
Preis des Odda M. R. ist nicht höher als der eines guten Kakao, 
das Präparat schmeckt infolge des Kakaozusatzes ähnlich wie 
dieser, kann in Milch und Suppen verabreicht werden, wird gern 
genommen und sehr gut vertragen. B. hat gleichfalls die besten 
Erfolge gesehen. 

5. Die nachfolgenden Mitteilungen über einige Spezialitäten 
dürften auch für unsere Leser von Wichtigkeit sein: 

Dr. Baetckes Asthmapulver besteht aus einem grob 
gepulverten Speziesgemisch, das — nach der Untersuchung 
aus einem mit rund 30% Kaliumnitrat imprägnierten Gemisch 
von zerkleinerten Herb. Lobei. und Fol. Stramon. besteht. 180 g 
kosten 1 M. 

Bronchisan ist eine braune, etwas trübe Flüssigkeit von 
dem Geschmack und Geruch des Elixir e Succo Liquirit., die aus 
Pyrenol, Anisöl, Ammoniak und Succ. Liquirit besteht. Preis einer 
Flasche zu 140 ccm 2 M. 

Danosanum, ein Blutreinigungspulver, wird gegen alle Er¬ 
krankungen der Respirationsorgane empfohlen, und zwar soll eine 
Abkochung von zwei Eßlöffeln des Pulvers in zwei Portionen 
täglich genossen werden. 

6. Antirheumol, eine Rheumatismuseinreibung, ist eine 
neutrale Lösung von 20%iger Salizylsäure-Glyzerinester in Glyzerin 
und verd. Weingeist. 

Unter dem Namen Aphrodine wird das Yohimbin nach 
Dr. Spiegel in England vertrieben. 

Als neue Teerpräparate werden empfohlen: Carboterpin, 
Oarboneol, Succinol. Carpoterpin nennt Herxheimer eine 
Lösung von Steinkohlenteer in dem sogenannten Terpinol, das 
durch Destillation von Terpinhydrat mit verdünnter Schwefelsäure 
dargestellt wird. Es ist eine tiefbraunrote Flüssigkeit von nicht 
unangenehmem Geruch, die beim Verdampfen einen Teerrückstand 
von ca. 20% hinterläßt. Das Präparat ist bei der Behandlung 
der Psoriasis mit gutem Erfolge angewendet worden. Das Carbo- 
neol wird durch Auflösen von Steinkohlenteer in Tetrachlorkohlen¬ 


stoff und Verdampfen des letzteren gewonnen und bildet eine' 
tiefschwarze, dünne Flüssigkeit von nicht unangenehmem Geruch, 
Sie kann konzentriert, in Spiritus gelöst oder mit Pasten, Salben 
etc. vermischt, angewendet werden und hat sich als wirksames, 
reizloses Mittel bei der Ekzemtherapie bewährt. Succinol endlich 
ist ein gereinigtes Bernsteinteeröl, das gegen den Juckreiz hei 
Pruritus, Psoriasis und Ekzemen erfolgreich angewendet wurde. 
Fabrikant ist die Hirschapotheke in Frankfurt a. M. (Berl. klin. 
Wochensehr., 1908, Nr. 3.) 

Unter dem Namen Acoin öl (Solutio oleosa Acoini basici) ge¬ 
langt die bisher im Handel nicht befindliche Acoinbase auf den 
Markt, deren salzsaures Salz das Acoin des Handels ist. Setzt 
man zu einer wässrigen Lösung dieses Acoins Alkali, so fällt die 
Acoinbase als harzige Substanz aus. Das Acoinöl enthält 1% 
Acoinbase. Nach v. Pflugk ist es das beste Analgetikum bei 
schmerzenden Augenerkrankungen und Reizzuständen des Auges. 
Das Acoinöl wirkt schnell, ist reizlos und ungiftig. 

Al 1 e r g in. Unter dem Namen Tuberkulosediagnostikum und 
Tuberkulintest sind bereits von zwei Seiten gebrauchsfertige Rea- 
gentien zur Anstellung der Ophthalmoreaktion in den Handel ge¬ 
langt. Jetzt wird von der Adlerapotheke in Wien ein ähnliches 
Präparat in Verkehr gebracht, das aus Alttuberkulin von be¬ 
stimmtem Wirkungswert besteht und in Röhrchen steril abgefüllt, 
gebrauchsfertig und haltbar in verschiedenen Konzentrationen ge¬ 
liefert wird, je nachdem, ob es zur Ophthalmoreaktion oder zur 
kutanen Reaktion (v. Pirquet) gebraucht werden soll. 

7. Mit großem Erfolge hat Sch. das Ichthyolammonium bei 
der Urtikaria des Kindes (Urticaria symptomatica infantilis od. 
Strophulus) angewendet und während 17 Jahren noch niemals 
Mißerfolge gesehen. Das Ichthyol kann natürlich nicht allen 
therapeutischen Anforderungen genügen; die Folgen einer schlechten 
Lebensführung, der Armut, einer fehlerhaften Ernährung müssen 
nach allgemeinen Regeln beseitigt werden. Aber zur Stillung des 
unerträglichen Juckreizes trägt das Ichthyol in hervorragendem 
Maße bei. Bäder hält Sch. für kontraindiziert; es müßte denn 
nachher eine Ichthyolapplikation in irgendeiner Form angeschlossen 
werden. Alle inneren Mittel zur Beseitigung des Juckreizes, als 
Aspirin, Antipyrin u. a. hält Sch. für überflüssig. Die einfachste 
Anwendungsform des Mittels ist die in Wasser, als 5- bis 10%ige 
wässrige Lösung, mit einem Zusatz von 5 % Glyzerin, um das 
Spannungsgefühl der Haut beim Eintrocknen zu mildern. Damit 
wird der Körper des Kindes zweimal täglich abgerieben Und 
Kartoffelmehl darüber gepudert. Man kann auch eine Salbe ver¬ 
schreiben: Rp. Ichthyol. Ammon. 10,0, Adip. lan. 20,0, Vaselin, 
flav. 40,0, Aq. dest. ad 100,0. Innerlich wird das Mittel bei 
rein reflektorischen Formen, z. B. bei der Dentition, oder bei 
Autointoxikation angewandt. Man kann einem Säugling, wenn 
einfache diätetische Maßnahmen nichts fruchten, von einer lO°/oigen 
wässrigen Lösung ohne Bedenken dreimal täglich 10 Tr. geben, 
einem dreijährigen Kinde von einer 30%igen Lösung dreimal 
täglich 10 Tr., dem sechsjährigen von Ichthyol und Aq. dest. ana 
dreimal täglich 5 Tropfen. Man kann folgende Mixtur verschreiben: 
Rp. Ichthyol. Ammon. 10,0, Aq. Menth, pip. 80,0, Sir. simpl. 20,0. 
S. 10 Tropfen bis einen Kaffeelöffel voll in einem Glas Wasser. 
Nach Unna wirkt das Ichthyol auf das peripherische Blutgefä߬ 
system, auf den Verdauungstraktus und in beruhigender Weise 
auf das periphere Nervensystem. 

8. Je nachdem das Atoxyl in gut oder schlecht verschlossenen 
Flaschen auf bewahrt wird, schwankt sein Wassergehalt. Da schon 
eine Reihe von schweren Vergiftungen beobachtet ist, ist es 
einerseits notwendig, daß das Präparat mit einem konstanten 
Wassergehalt in den Handel gebracht wird, andrerseits, daß es 
vom Apotheker in fest verschlossenen Flaschen aufbewahrt wird. 
Z. hat diesen verschiedenen Wassergehalt bei mehreren Proben 
festgestellt. 


Neuere Arzneimittel. 

Husinol. Fabr.: B. Braun, Melsungen. 

Unter dem gesetzlich geschützten Namen Husinol bringt die 
Firma B. Braun, Fabrik pharmazeut. Präparate und Rosenapo¬ 
theke in Melsungen, Hessen-Nassau, ein festes Kxesolseifenpräparat 


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199 


in Tablettenform in den Handel. Dasselbe bat einen Gehalt von 
50 % wasserlöslichem Kresol und bildet ein durchaus zuverlässiges 
Desinfektionsmittel sowohl zur Wundbehandlung, Hände- und In¬ 
strumentendesinfektion als auch zu Toilettezwecken, zur Desinfektion 
der Basiermesser, Bürsten, Kämme usw. Es wird verwendet, in¬ 
dem man eine Tablette zu 1,0 g in Vio 1 warmem Wasser auf¬ 
löst. Das Husinol wurde früher Ennan genannt; ein Referat 
über das letztere wurde bereits erstattet. Die Husinoltabletten 
werden in Glasröhren zu 15 Tabletten zum Preise von 50 Pf. 


Erst wenn alle übrigen Geburtsgeschäfte erledigt sind* 
wird zum Schlüsse die Dauerschleife umgelegt und die Klemme 
abgenommen. 

Dieses kleine Werkzeug sei zunächst für das Etui des 
prakt. Geburtshelfers empfohlen; ob dasselbe von da auch in 
die Hand der Hebamme wandern darf, wird von der Beurteilung 
der Praktiker zunächst abhängen. 

Zu beziehen sind die Klemmen (R. G. M.) durch den In¬ 
strumentenmacher W. Pfeiffer, Freiburg i. Br., Ecke Kaiser- 
Salzstraße 89. 


Metajkresolanytol. Fabr.: Ichthyol-Gesellschaft, Hamburg. 

Metakresolanytol ist eine tiefschwarze, sirupdicke, in Wasser 
in jedem Verhältnis mit braunschwarzer Farbe leicht lösliche 
Flüssigkeit; weder verdünnt noch pur übt es.eine ätzende Wirkung 
auf die äußere Haut aus; die damit bepinselte Haut wird hart 
und stößt sich nach wenigen Tagen in Krusten oder Schüppchen 
ab; irgendwelche schädigenden Wirkungen auf den Gesamtorganis¬ 
mus sind nicht beobachtet. Neumann in Potsdam, dessen Aus¬ 
führungen in der Berl. klin. Woch. 1907, Nr. 29 wir unsere Notiz 
entnehmen, hat bei 12 Fällen von Gesichts- resp. Kopfrose und 
bei 11 Fällen von Wundrose an den Extremitäten das Mittel 
erprobt. Mit einem Wattepinsel wird das Metakresolanytolum 
purum aufgetragen, zuerst auf die gesunde Haut 10 bis 12 cm 
vom Krankheitsherde in der Richtung zu diesem, dann erst 
ganz dick durch mehrmaliges Ueb erstreichen auf der kranken 
Haut selbst; die Pinselflüssigkeit trocknet dann zu einem Firnis 
ein; das Gesicht bleibt unbedeckt, sonstige erkrankte Hautpartien 
werden mit Leinewand bedeckt. Diese Pinselungen hatten zu¬ 
weilen schon am ersten Tage Erfolg, indem die Temperatur ab¬ 
fiel und normal blieb; vorsichtiger ist es, besonders suspekte 
Stellen weiter täglich zu bepinseln, bis eine subnormale Tem¬ 
peratur erreicht ist, dann kann man vor Rezidiven sicher sein. 
Die lokale Wirkung des Metakresolanytol äußert sich darin, daß 
die Spannung der erysipelatösen Haut sehr bald nachläßt und der 
Schmerz völlig schwindet; der nach einigen Tagen einsetzende 
und ohne jede Eiterung verlaufende Abhäutungsprozeß kann durch 
Applikation von Oel oder Borvaselin beschleunigt, der schwarze 
Farbstoff jederzeit mit lauwarmem Wasser abgewaschen werden. 
Wenn die Temperatur nach einigen Pinselungen nicht abfällt, die 
Pulsfrequenz hoch bleibt, kann man auf das Vorhandensein einer 
sehr ernsten Komplikation gefaßt sein; insofern kommt der Wirk- 
—- samkeit oder Unwirksamkeit des Metakresolanytols eine wichtige 
prognostische Bedeutung zu. M. Plien, Berlin. 


Technische Neuerscheinungen. 


Eine Nabelschnurklemme. 

Von Med.-Rat Jul. Müller, Kenzingen. 

Unsauberkeit, Umständlichkeit, sehr oft Ungeschicklichkeit 
seitens der Hebamme und dadurch bedingte unverhältnismäßig 
lange Dauer und was Alles noch von Mißstand mit dem kleinen 
geburtshilflichen Geschäft des „Nabelabbindens“ mittels der 
von alters her gebräuchlichen zwei Bandschleifen verbunden 
ist, haben mich zur Herstellung eines Instrumentes geführt, das 
dem Geburtshelfer als praktisch und zeitgemäß erscheinen und 
namentlich dort Vorteil bringen wird, wo gefahrdrohende 
Zwischenfälle (Blutungen, Scheintod) Eile fordern. 

Dieses Instrument besteht aus zwei kleinen, zweckdienlich 
und handlich konstruierten Klemmen, deren Verwendungsweise 
sofort erkenntlich ist. Nebst der Nabelschnurschere in einem 
mit Karbollösung, Alkohol oder dergl. gefüllten Gefäße oder 
auch in der Tasche der Operationsschürze bereitgehalten, 
werden zur entsprechenden Zeit diebeiden Klemmen in passendem 
Abstande von dem Nabelansatze und unter sich etwa 10 cm 
voneinander entfernt angelegt; ein Scherenschlag trennt sofort 
danach die Schnur, so daß die ganze Arbeit sich in wenigen 
Sekunden abwickelt, ungemein glatt und sauber. 



Bücherbesprechungen. 



Zur Psychologie des Falles Moltke. Von Dr. med. 
Georg Merzbach-Berlin. Leipzig und Wien 1907/08. Alfred 
Holder, k. und k. Hof- und Universitätsbuchhändler, Buchhändler 
der Kaiserl. Akademie der Wissenschaften. 

Der bekannte und geschätzte Forscher auf dem Sexual gebiete, 
Merzbach-Berlin, der im ersten Hardenprozeß als Sachverständiger 
neben Hirschfeld funktionierte und als solcher ein von Hirsch¬ 
feld abweichendes Urteil über die Sexualität des Grafen Moltke 
fällte, nämlich daß letzterer nicht homosexuell sei, gibt in vor¬ 
liegender Broschüre eine Begründung dieses seines Sachverständigen¬ 
urteils und Unterbreitung an ärztlich-juristische Sachverständigeu- 
kreise. 

Zuerst weist er darauf hin, daß er berechtigt war, seinem 
Urteil sein außerhalb des Gerichtssaales gesammeltes Material zu 
Grunde zu legen. 

Dann geht er über auf Graf Moltkes persönliche Verhältnis^, 
dessen künstlerisches Seelenleben, die Psyche seiner Gattin, die 
daraus resultierende Disharmonie zwischen beiden und das Ehe¬ 
leben beider. Es handelte sich nicht um Homosexualität Moltkes, 
sondern um psychische Impotenz desselben. Er erklärt dieselbe 
sexualpathologisch als Angstaffekte, „nachdem wohl einige Bei¬ 
schlafversuche mißlungen waren, zu jenem autosuggestiven Zu¬ 
stande, den man als psychische Impotenz nicht selten bei Neur¬ 
asthenikern findet, wie auch bei völlig gesunden Personen“. 

Hierzu möchte ich nur bemerken, daß ich nach diesem 
ersten Prozeß im „Korrespondenzblatt des ärztl. Bezirksvereins 
im Königreich Sachsen“ am 1. Dez. 1907, wohl noch vor Er¬ 
scheinen der Merzbachschen Broschüre, vor den Aerzten derart 
den Widerspruch in dem Gutachten der beiden Kollegen zu er¬ 
klären versuchte, daß ich in dem betr. Artikel („Der Prozeß 
Moltke-Harden und der § 175 in ärztlicher Beleuchtung“) an¬ 
nahm, daß die unglückliche Ehe die Folge der psychi¬ 
schen Impotenz, durch homosexuelle Veranlagung hervor¬ 
gerufen, sei. (Diese falsche Annahme der letzteren hat ja der 
zweite Prozeß inzwischen bewiesen.) 

Merzbach geht nun auf das Wesen der psychischen Impo¬ 
tenz näher ein und speziell auf die des Grafen Moltke gegenüber 
seiner Gattin und ihre Ursachen, die er bei der letzteren (Hysterie 
etc.) findet. 

Ein sachliches Eingehen auf das Gemälde, das M. von der 
Psyche der Frau von Elbe entwirft, ist natürlich für einen Fern¬ 
stehenden unmöglich. Nnr auf das eine möchte ich hier eingehen, 
das für uns Aerzte Interesse hat, die Verschiedenheit der beiden 
Sachverständigenurteile. 

Merz b ach stützte sein Gutachten auf Material, das ei 
außerhalb des Gerichtssaales — das Gericht erkannte das 
nicht an — bei glaubwürdigen Personen gesammelt hatte, und 
hielt infolge desselben Graf Moltke — wie sich später heraus¬ 
stellte mit Recht — für nicht homosexuell. Hirsch fei d hin¬ 
gegen hielt sich sachlich allein an das im Gerichtssaal Gehörte 
und kam, ja mußte, auf diesem Material fußend, zu anderem 
Resultat kommen. 

Im zweiten Prozeß war das für Hirschfeld im Ge¬ 
richtssaal vorgebrachte Material ein ganz anderes, bis¬ 
weilen entgegengesetztes als im ersten Prozeß (die veränderten 
Aussagen der Frau von Elbe), und da Hirschfeld als Begut- 


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achter sich nur an diese Aussagen halten konnte, mußte er 
logischer- und konsequenterweise auch zu einer Aenderung dieses 
seines Gutachtens' kommen. Ich will hier nur noch darauf hin- 
weisen, daß Hirschfeld selbst in der Zeitschrift für Sexual¬ 
wissenschaft, 1908, Heft 2, seine Gutachten im ersten und zweiten 
Hardenprozeß zur Evidenz korrekt entwickelt hat und gezeigt 
hat, daß beide Male dasselbe wissenschaftlich begründet war. Ein 
näheres Eingehen darauf würde hier zu weit führen. Nur sei 
noch darauf hingewiesen, daß Hirschfeld in Nr. 3 dieser Zeit¬ 
schrift (Märznummer) eine Schlußbegründung geben wird. Inter¬ 
essenten kann ich hier nur darauf verweisen. 

Dr. Rohleder-Leipzig. 


CD KORRESPONDENZ. CD 


— Herr Geh. Sanitätsrat Dr. Wattenberg in Harburg a. E. 
schreibt uns; 

„Der Artikel über Appendizitis frage und 0 bstipa tion 
von Dr. med. Georg Hünerfauth in Nr. 8 der „Therapeuti¬ 
schen Rundschau“ vom 23. Febr. 1908 enthält soviel Beherzigens¬ 
wertes, daß ich ihn mit wahrem Vergnügen las. — Die Frage ist 
indes so wichtig, daß ich mir erlaube, einige Ergänzungen aus 
meiner Erfahrung beizufügen. Zunächst wird als Hauptbegünsti¬ 
gungsmittel der Appendizitis und Obstipation die zu reichliche 
Fleischnahrung mit Recht angeführt. Ich möchte dies dahin er¬ 
weitern, daß auch der zu reichliche Genuß von unvermischter 
Milch denselben schädlichen Einfluß haben kann. Diese ist ge¬ 
wissermaßen flüssiges Fleisch. Die Milch wird dadurch be¬ 
sonders leicht unverdaulich, daß sie im Magen zu dicken Käse¬ 
stücken gerinnt, wenn sie unvermischt hineingelangt. Ich spreche 
hier von der Milch der Zweihufer, die solch großen Prozent¬ 
satz von Käsestoff enthält. Man findet nicht selten, daß Kinder, 
welche drei bis vier Tage keine Milch genossen haben, große 
Stücke von fast lederhartem Käse erbrechen. Entgegenge¬ 
setzt der Meinung von vielen Aerzten, die den Müttern raten 
„je mehr Milch, desto besser“ , verordne ich Milch immer nur in 
verdünntem beziehungsweise mit vegetabilischen Stoffen gemischtem 
Zustande mit einem Zusatz von etwas Kochsalz. Ich habe nicht 
selten Kinder in Behandlung nehmen müssen, die infolge aus¬ 
schließlicher Milchnahrung zwar reichlichen Fettansatz, aber eine 
schlechte Ernährung des Muskel- und Nervensystems zeigten und 
— neben unregelmäßiger Darmfunktion und Hautausschlägen — einen 
solchen Grad von Unlust und Verdrießlichkeit, daß die Eltern den 
Arzt zuzogen. Durch eine einfache Aenderung der Diät, Weglassen 
von Milch, namentlich durch Zufuhr von Vegetabilien bei genügender 
Bewegung war dieser Zustand in kurzer Zeit beseitigt, ich sage 
Eltern bei jeder Diätverordnung, die Kinder sollen Milch mehr 
essen wie trinken. — Mit Recht weist der Verfasser des betr. 
Artikels darauf hin, daß die Fleischnahrung viel mehr zu fauliger 
Zersetzung im Darme neigt als Pflanzenkost. Dies trifft auf die 
Milch in erhöhtem Maße zu. 

Was die Heilung der Obstipation anbetrifft, so kann man 
nicht genug Gewicht darauf legen, daß die Leibesöffnung täglich 
zur regelmäßigen Zeit eintreten muß und zwar sofort nach dem 
ersten Frühstück. Ich habe in meiner langjährigen Praxis fast 
immer diesen Erfolg gesehen durch ein einfaches Mittel. Der an 
Verstopfung Leidende mußte jeden Abend vor dem Schlafengehen 
eine kleine Quantität von einer Abkochung der Faulbaumrinde 
oder von dem wässrigen Fluidextrakt derselben zu sich nehmen. 
Es tritt dann am andern Morgen fast regelmäßig ein normaler 
Stuhlgang ein, etwaige Abweichungen davon kann man leicht 
durch wechselnde Dosierung beeinflussen. Hat das Mittel die 


Ich bin dankbar für gefl. Aufgabe von Apotheken, welche das aus 
Meeralgen hergestellte Nährfett Fucol noch nicht führen. Da es nicht 
allein den Lebertran vollständig ersetzt, sondern durchweg schneller und 
energischer wirkt, sollte Fucol überall leicht erhältlich sein. Es empfiehlt 
sich, Orig.-Flaschen k 1 / i Liter ä M. 2,— zu verordnen. General-Vertrieb: 
Karl Fr. Töllner, Bremen. 


regelmäßige Wirkung erreicht, so kann man durch ganz allmähliche" 
Verringerung der Gabe zum normalen Zustand zurückkehren; 
Wohltätig ist bei hartnäckigen Fällen auch der regelmäßige Genuß 
von irgendeiner Obstspeise — am besten Zwetschenmus — zum 
ersten Frühstück. Uebrigens lasse ich solche zu Obstipation 
neigende Personen, namentlich auch Kinder, statt Kaffee und Tee 
regelmäßig Schafgarbentee (achillea millefol.) mit Milch und Zucker 
trinken. Etwas ausführlicher über die Ernährung der Kinder 
habe ich mich in meiner Arbeit*) geäußert. 

Um jeder Mißdeutung vorzubeugen, erkläre ich, daß ich mit 
meinen obigen Ausführungen die Unentbehrlichkeit der Milch, 
namentlich bei Kindern, ebensowenig bestreite wie die Notwendig¬ 
keit eines gewissen Prozentsatzes animalischer Kost.“ 


*) «Wie verschaffen wir unsern Kindern gesunde Knochen und er¬ 
höhen dadurch die Widerstandskraft des Körpers gegen Krankheit.“ Dr. 
med. H. Wattenberg, Geh Samt.-Rat, Harburg a.E. Verlag der ärztl. 
Rundschau (0. Gmelin), München. 


ALLGEMEINES. CD 


Unter dem Titel „Bad Ems 1908“ hat die Königliche Bade- 
und Brunnenverwaltung zu Ems ein geschmackvoll ausgestattetes 
Werkchen herausgegeben, das über alles Wissenswerte unter¬ 
richtet, das gleichzeitig aber auch einen Führer durch Ems und 
dessen prachtvolle Umgebung darstellt. Außer einem Ortsplan 
und einer Lahn talkarte enthält das Werkchen u. a. wichtige 
meteorologische Aufzeichnungen, die jedem, der sich vor einem 
Besuch des Bades über dessen klimatische Vorzüge-orientieren 
will, willkommen sein werden. Der altberühmte Badeort mit 
seinen waldbewachsenen Bergen ringsum, mit seinen natürlichen 
Schönheiten, ist in den letzten Jahren mit an die erste Stelle der 
deutschen Badeorte gerückt; betrug doch die Frequenz der letzten 
Saison rund 26000 Personen. 

Dieser Aufschwung, der sich seit dem regelmäßigen Besuch 
Kaiser Wilhelms in den Jahren 1867 bis 1887 langsam, aber 
stetig vollzog, ist vor allem der immer mehr anerkannten Heil¬ 
wirkung der Emser Thermalquellen zu danken, deren Produkte — 
Emser Pastillen, Emser Salz usw. — Weltberühmtheit erlangt 
haben. In den letzten Jahren hat die Königliche Brunnenverwal¬ 
tung namhafte Neueinrichtungen und Verbesserungen geschaffen,- 
die ebenfalls in der Broschüre besprochen sind. 


Patent-Nachrichten. 

Patenterteilungen. 

30 f. 190 705. Gerät für Klopfmassage mit einem durch 
Druckluft in einem Zylinder hin und her bewegten Kolben. Boston 
Vibrator Company, Boston, V. St. A.; Vertr.: E. W. Hopkins und 
K. Osius, Pat.-Anwälte, Berlin SW. 11. 29. 3. 05. B. 39 591. 

30 f. 190 706. Uebungsapparat für die verschiedenen Be¬ 
wegungen der schwedischen Heilgymnastik. Dr. Alessandro Mari, 
Paris; Vertr.: 0. Gronert und W. Zimmermann, Pat.-Anwälte, 
Berlin SW. 61. 23. 5. 06. M. 29816. 

30g. 190 707. Trinkbecher für zu erwärmende Brunnen¬ 
oder andere Flüssigkeiten, Dr. Hugo Gloeckner, Berlin, Bülow- 
straße 105. 10. 5. 06. G. 23 032. 

30 k. 190708. Verschlußkästchen für Scheidenspritzen mit 
Spülkanne. Johann Friedrich Marx, Oöln, Richard Wagnerstr. 38. 
20. 1. 06. M. 28 987. 


F. A. IXoppeu ul. R. Fischer 


Patentanwälte 

Berlin SW. 13., Nenenburgerstraße 15 

Amt IY 718. 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. H. Lungwitz, Berlin S. — Verlag: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle a. S. 
Druck der Heynemannschen Buchdruckerei, Gebr. Wolff, Halle a. S. 


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Wochenschrift für die gesamte Therapie des praktischen Arztes. 


. 0. Anton, A. Dührssen, C. A. Ewald, P. Gerber, R. Robert, 
Halle a. S. Berlin. Berlin. Königsberg. Rostock. 

H. Schmidt-Rimpler, H, Senator, 


Herausgegeben von 


M. Koeppen, M. Mosse, H. Rosin, H. Schlange, Ad. Schmidt, 
Berlin. Berlin. Berlin.' Hannover. Halle a. S. 

R. Sommer, H. Unverricht, 0. Vulpius, 


naue a. a. ueriin. i^p ^ hu 

uieocn. magaeourg. tieiaeioerg. 

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Redaktion: 

Berlin S. 14, Dresdenerstr. 44. Tel. IV, 11773. 

Dr. med. et phil. H. Lungwitz. j 


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Verlag u. Expedition: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung 
in Halle a. S M Reilstraße 80. 

Tel.-Adr.: Marhold Verlag Hallesaale. Fernsprecher 823. 

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Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte der Ostsee und der 

Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 


n. Jahrgang. Halle a. S., 29. März 1908. Nr. 13. 


Die „Therapeu tische Rundschau“ erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2;M., einzelne Nummer 20 Pf. Bestellungen nehmen jede Buchhandlung, 
die Post, sowie die Geschäftsstelle: Carl Marhold Verlagsbuchhandl ung in Halle a. S. entgegen. Inserate werden für die 4 gespaltene Petitzeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. berechnet. Beilagen nach Uebereinkunft Reklamezeile 1,50 M. Bei größeren Aufträgen wird Rabatt gewahrt. 

Nachdruck der Original-Aufsätze ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet — Nachdruck der anderen Rubriken ist nur mit Quellenangabe gestattet 


CD 


ORIQINALIEN. CD 


Ueber die Behandlung der Syphilis. 

Erfahrungen und Ansichten eines Praktikers. 

Von Axel Winckler, Dl’, med. et phil., Sanitätsrat, 
Kgl. dirigierendem Brunnenarzt am Bade Nenndorf. 

„Nur in der Erfahrung ist Wahrheit.“ 
Kant. 

Niemand hat die Schrecken der Syphilis so drastisch ge¬ 
schildert wie Voltaire im dritten und vierten Kapitel seines 
berühmten philosophischen Romans „Candide oder der Opti¬ 
mismus“, der bekanntlich gegen die Leibnitzsche Theodicee 
gerichtet ist. In der Tat ist die Existenz dieser gräßlichen 
Krankheit ein starkes Argument gegen die optimistische Welt¬ 
anschauung; auch Schopenhauer hat sich dieses Arguments 
wiederholt bedient. Voltaire entwirft ein Porträt des syphi¬ 
litischen Doktors Pangloss, als eines Unglücklichen „voller 
Eiterbeulen, mit erloschenen Augen, zerfressener Nasenspitze, 
schief gezogenem Munde und schwarzen Zähnen, der durch den 
Rachen sprach, von einem heftigen Husten geplagt wurde und 
bei jedem Hustenstoß einen Zahn ausspie“. Der Patient wird 
geheilt, „verliert aber hei der Kur nur ein Auge und ein Ohr“. 
Am meisten Entsetzen äußert Voltaire über die Häufigkeit 
dieser Krankheit. „Sie hat“ — meint er — „wunderbare Fort¬ 
schritte unter uns gemacht, und zwar vor allem in jenen großen 
Heeren ehrenwerter, wohlerzogener Söldlinge, von denen das 
Schicksal der Staaten abhängt; nj.an kann sicher sein, daß, 
wenn dreißigtausend Mann in Schlachtordnung einer gleichen 
Anzahl von Truppen gegenüber stehen, auf jeder Seite un¬ 
gefähr zwanzigtausend Syphilitiker stehen“. Das ist romanhaft 
übertrieben, aber die heutigen Schätzungen lauten kaum minder 
schrecklich. Professor Fournier berechnet, daß 20 Prozent 
der Ehefrauen von ihren Männern angesteckt sind, ferner, daß 
bei syphilitischer Erkrankung des Vaters 28 Prozent, der Mutter 
60 Prozent, beider Eltern 68 Prozent der Kinder an Syphilis sterben! 
Endlich zählte er unter 5749 mit dieser Krankheit behafteten 
Patienten 83 mit allgemeiner fortschreitender Gehirnlähmung, 
631 mit Rückenmarksdarre und 758 mit Gehirnsyphilis, also 
auffallend viele Fälle von Spätsyphilis und Nachkrankheiten. 
(Prof. Dr. Alfred Fournier, Die Syphilis eine soziale Gefahr. 
Deutsch von Dr. Vorberg, Leipzig 1905.) Die Flugschrift 
der französischen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechts¬ 


krankheiten, der ich diese Angaben entnehme, gibt eine höchst 
ausführliche Statistik dieses KrankheitseJends. 

Immerhin ist die Syphilis nicht ganz so schlimm, wie sie 
den Pessimisten erscheint, denn durch rechtzeitige und sorg¬ 
fältige ärztliche Behandlung ist sie radikal heilbar, wodurch sie 
sich doch von vielen andern Uebeln vorteilhaft unterscheidet. 
Ein sicherer Beweis ihrer Heilbarkeit ist, daß mancher Mensch 
zum zweiten Mal im Leben den Primäraffekt erleidet, denn 
hieraus wird ersichtlich, daß er von seiner ersten Ansteckung 
so gründlich geheilt war, daß er sich eben zum zweiten Mal 
infizieren konnte. 

Freilich zeitigt nicht jede ärztliche Behandlung völlige 
Heilung, da es neben zuverlässigen und wirksamen auch schwache 
und unwirksame Mittel gibt und gute Mittel bei ungeschickter 
Anwendung versagen können. Die medizinische Mode bringt 
mancherlei unzweckmäßige neue Methoden auf, die zum Nach¬ 
teil der Kranken lange Zeit gebräuchlich, bleiben. Gewisse 
Neuerungen sind geradezu Rückschritte in der Kunst des Heilens. 
Daß diese Kunst bisweilen auf Irrwege gerät, ist leider un¬ 
vermeidlich. Die führenden Forscher können, wie alle Sterb¬ 
lichen, irren, und jeder ex cathedra verkündete Irrtum findet 
lautesten Widerhall und weiteste Verbreitung. Jener Kliniker, 
der den weichen Schanker für eine syphilitische Affektion er¬ 
klärte und demgemäß behandeln lehrte, hat viel Uoheil ge¬ 
stiftet, bis der Irrtum endlich erkannt wurde; ein anderer 
Professor, der die schwächlichen Spritzkuren in Mode brachte, 
hat nicht weniger Schaden angerichtet, und jener, der die 
chronisch-intermittierende Behandlung einführte, wobei der 
Patient — ad analogiam des Hundes, dem der Schwanz stück¬ 
weise abgeschnitten wurde — jahrelang nicht aus der Queck¬ 
silberintoxikation herauskommt, hat die Syphilistherapie aber¬ 
mals auf ein falsches Geleise gebracht. Die Menge der Schüler 
propagiert jede solche Irrlehre auf lange Zeit. Die Unselbständigen 
müssen ja stets einen wissenschaftlichen Papst haben, dem sie 
nachbeten können; sie vermeineu dann, auf der Höhe der 
Wissenschaft zu stehen, gestatten keine Diskussion, hören auf 
keine Gegengründe und verlangen, daß man die Dinge nur 
durch die Brille ihres Professors betrachte. Alle Vorgänger, 
alle Gegner ihres hochverehrten Lehrers sind Ignoranten und 
Ignorant ist jeder, der die Meinung des großen Mannes nicht 
für der Weisheit letzten Schluß hält. Erkennt aber die ärztliche 
Welt nach Jahren, daß die Autorität sich geirrt hatte, so geht 
man zur Tagesordnung über und jubelt einer andern Autorität 
zu, die ein anderes medizinisches Evangelium verkündet; die 
Lehre des Vorgängers sinkt dann klanglos in den Orkus dei 
Vergessenheit^ So ziehen Theorien und Systeme der Heilkunst 
vorüber wie die Kleidermoden. Bleibenden Wert hat nur die 
aus langer Erfahrung gezogene Erkenntnis, sofern sie von keiner 
Modetheorie beeinflußt ist. 


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202 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nt. 13: '• 


Dies glaubte ich vorausschicken zu müssen, um meinen 
rein empirischen Standpunkt zu rechtfertigen. Ich habe außer¬ 
ordentlich viele Syphilisfälle gesehen und beobachtet, denn ich 
habe dreißig Jahre lang praktiziert, davon die letzten zehn Jahre 
in einem von zahlreichen Syphilitikern besuchten Schwefelbade. 
Was diese lange Praxis mich gelehrt hat, möchte ich in dieser 
Abhandlung vortragen, in der Hoffnung, daß Viele Nutzen 
daraus ziehen werden. 

Das erste Stadium der Syphilis muß exspektativ behandelt 
werden; vorschnelle Eingriffe sind hier nicht ratsam. Der 
Primäraffekt, gleichviel ob er als Ulkus durum oder als bloße 
Sklerose ohne Substanzverlust erscheint, darf nicht ausgeschnitten 
werden; eine solche Operation bleibt erfolglos, vermutlich weil 
das Virus inzwischen längst die Lymphbahnen ergriffen hat. 
Ich habe bei fünf sorgfältig operierten Fällen gesehen, daß die 
sekundären Erscheinungen trotz der Operation eintraten. Ein 
Ulcus ist dünn mit Xeroform zu bestäuben; weiter ist nichts 
erforderlich. Indolente Bubonen erheischen Ruhe und kalte 
Umschläge. Eine Quecksilberbehandlung sogleich beim Auf¬ 
treten des Primäraffektes einzuleiten, ist unzweckmäßig, meines 
Erachtens sogar ein Kunstfehler, da der Ausbruch der sekun¬ 
dären Symptome dadurch nur verzögert, nicht verhindert wird 
und dann, nachdem es zum Ausbruch gekommen ist, das 
Quecksilber nichts mehr nützt, indem der Körper bereits 
merkurialisiert ist; man steht dann ratlos da und hat kein wirk¬ 
sames Mittel in der Hand. Theoretiker finden freilich das Ab¬ 
warten „unlogisch“, aber die Theorie führt hier, wie so oft, 
irre. Meine Erfahrungen sprechen gegen jede „Präventiv-All¬ 
gemeinbehandlung“ . 

Erst wenn die Roseola auftritt oder noch später, wenn 
papulöse Hautsyphilide, breite Kondylome, spezifische Angina, 
Mund- oder Rachengeschwüre, kurz, sekundäre Symptome er¬ 
scheinen, ist der richtige Zeitpunkt gekommen, das Quecksilber 
anzuwenden, und zwar in Form einer Schmierkur. 

Die neuerdings gebräuchlichen Spritzkuren, das heißt Kuren 
mit subkutanen, intramuskulären oder intravenösen Injektionen 
von allerhand Quecksilberverbindungen sind unzuverlässig, teil¬ 
weise auch gefährlich. Am wenigsten habe ich gegen die zehn¬ 
prozentige Suspension vonHydrargyrum salicylicum inParaffinum 
liquidum einzuwenden, wovon je eine Pravazspritze voll intra¬ 
muskulär injiziert wird. Aber wieviel davon resorbiert wird und 
wieviel im Muskel liegen bleibt, weiß niemand! Das Dosieren 
wird bei solchen Kuren zur Illusion; man hofft und meint und 
glaubt nur, „daß das an der betreffenden Stelle entstehende Queck¬ 
silberdepot im Laufe von fünf bis sieben Tagen aufgesogen 
werde“. Ich bin von dieser unsicheren Therapie längst zurück¬ 
gekommen. Viele Patienten suchen Nenndorf oder Aachen auf, 
um daselbst eine Schmierkur zu gebrauchen, weil sie kurz nach 
einer daheim gebrauchten Spritzkur, manchmal schon nach 
vierzehn Tagen, syphilitische Rezidive erlitten haben. Derartige 
Fälle sind mir so oft vorgekommen, daß ich von der Minder¬ 
wertigkeit der Spritzkuren überzeugt worden bin. Und wenn 
mich nicht alles täuscht, ist die zunehmende Verbreitung der 
syphilitischen Spätaffektionen und Nachkrankheiten teilweise 
dem Umstande zuzuschreiben, daß die Syphilis heutzutage 
weniger mit Schmierkuren, mehr mit Spritzkuren behandelt 
wird, wodurch keine sicheren Heilungen bewirkt werden können. 

Von den Quecksilbersäckchen, den Merkolintschürzen, den 
Merkuriolbeuteln und analogen therapeutischen Spielereien ist 
noch weniger Nutzen zu erwarten als von den Spritzkuren. 
Einige meiner Patienten hatten sich mit solchen Sachen be¬ 
hängt; kein einziger hatte Erfolg davon gehabt. 

Aber auch die Schmierkur versagt, wenn sie nicht mit 
dem richtigen Präparat und nicht in kunstgerechter Weise vor¬ 
genommen wird. 

Das beste Präparat ist die graue Salbe nach Vorschrift 
der Pharmakopoe. Sie übertrifft bei weitem die angepriesenen 
Ersatzmittel Quecksilbervasogen, Quecksilberresorbin — lucus a 
non lucendo 1 — Quecksilbermollin, Quecksilberseife, Quecksilber¬ 
seifensalbe, Merkurkolloid, Quecksilberdermosapol und dergleichen 
Erfindungen strebsamer Aerzte und industrieller Apotheker. 
Wird bei sensibeln Personen, zum Beispiel bei Damen, eine 
unauffällige, „farblose“ Schmierkur wünschenswert, so verordne 


ich das vom weiland Hofapotheker Görner in Berlin erfundene 
Sapolentum Hydrargyri, eine angeblich mit Mollin bereitete, 
um 17 Prozent überfettete Quecksilbersalbenseife, die ich als 
das beste Surrogat der grauen Salbe ansehe; falls es sich aber 
um einen schweren Fall handelt, bestehe ich unbedingt auf der 
/Anwendung der offizinellen Salbe, da es alsdann auf absolute 
Sicherheit der Kur mehr ankommt als auf deren Annehmlichkeit. 

Einige historische Notizen mögen zeigen, daß die Sdhmier- 
i kur schon sehr bald nach dem ersten Auftreten der Syphilis 
eingeführt wurde und seitdem die verschiedensten Heilmethoden 
überdauert hat, woraus erhellt, daß eine wirklich gute Kur¬ 
methode nicht leicht verdrängt werden kann. 

Die Syphilis trat zum ersten Mal im Jahre 1493 in Frank¬ 
reich, Deutschland und Italien mit furchtbarer Heftigkeit auf. 
Da aber im März desselben Jahres Columbus von der Ent¬ 
deckung Amerikas nach Spanien zurückgekehrt war, ist es 
höchst wahrscheinlich, daß seine Matrosen die Seuche von 
drüben nach Europa eingeschleppt haben; 

„Neuste Entdeckungen im Reich der Venus, 

„Die Celsus nicht gekannt und nicht Galenus, 

„Die Morgengabe, die der edle Held 
„Colon empfing von seiner neuen Welt.“ 

(Vgl. v. No tth aft, Die Legende von der Altertums-Syphilis. 
Leipzig 1907.) 

Mit rasender Schnelligkeit und elementarer Wucht, wie nur 
neue Seuchen bisher unberührte Völker ergreifen, verbreitete sich 
damals die Syphilis über Europa, allgemeines Entsetzen er¬ 
regend. Jedes Volk beschuldigte seine Nachbarn oder das¬ 
jenige Volk, womit*es in Handelsverkehr stand, das Uebel ge¬ 
bracht zu haben; deshalb nannten die Deutschen es „die Fran¬ 
zosen“, die Franzosen aber mal de Naples, die Britten French 
pox, die Skandinavier das deutsche Uebel, die Türken das 
christliche Uebel und die Ostindier die Portugiesenseuche. 

Soviel steht fest, daß die Syphilis in jenem Jahre zum 
ersten Mal in auffälliger Weise Europa heimsuchte. Aber 
| schon vier Jahre später war das spezifische Heilmittel dagegen 
gefunden: im Jahre 1497 veröffentlichte der Arzt Widmann 
einen Traktat über die äußerliche Anwendung des Quecksilbers 
bei dieser Krankheit. Fernei und Paulmier nehmen an, 
die Schmierkur sei schon etwas früher, aber nur von Kur¬ 
pfuschern bei der Syphilis gebraucht worden. Wahrscheinlich 
hat man die graue Salbe, die von den arabischen Aerzten gegen 
die Lepra verordnet worden war, in der Meinung angewendet, 
die neue Krankheit sei eine Art von Lepra. Zu Beginn des 
16. Jahrhunderts war die Schmierkur schon von der ganzen 
A.erztewelt angenommen. Andere Quecksilberkuren kamen da¬ 
neben auf; Johann de Vigo empfahl Zinnoberräucherungen 
und das von ihm erfundene und nach ihm benannte Queck¬ 
silberpflaster. Vidus Vidius zog die Räucherungen den Ein¬ 
reibungen vor; Fracastor lehrte das Gegenteil; er ließ die 
Extremitäten der. Kranken mit grauer Salbe einreiben und ver¬ 
warf die Räucherungen. BerengarvonCarpi gewann durch 
erfolgreiche Schmierkuren großen Ruf und ein ungeheures Ver¬ 
mögen. Auch Nicolaus Massa lehrte, die Schmierkur sei 
das beste Heilmittel der Syphilis. Der Botaniker Mattioli, 
ein Kommentator des Dioscorides, wagte zuerst eine innerliche 
Anwendung des Quecksilbers. Dem Seeräuber Barbarossa aus 
Algier verdankte König Franz I. von Frankreich ein Rezept zu 
Pillen, die metallisches Quecksilber enthielten; der König ließ 
später das Rezept bekannt machen, da ihm die Pillen genützt 
hatten. Paracelsus meinte, die innerliche Anwendung des 
Quecksilbers sei der Schmierkur vorzuziehen, aber seine Autorität 
konnte diese Kur nicht verdrängen. Von den Uebertreibungen, 
die sie eine Zeitlang in Verruf brachten,'kam man allmählich 
zurück; man erkannte, daß der Speichelfluß, den man für not¬ 
wendig zur Heilung gehalten hatte, nur eine üble, sehr ent¬ 
behrliche Nebenerscheinung sei. Endlich lehrte v. Siegmund 
brauchbare Vorsichtsmaßregeln zur Verhütung des Speichel¬ 
flusses, wodurch die Schmierkur ihre Schrecken verlor. 

Im Jahre 1864 erfand Scarenzio, Kliniker in Pavia, die 
erste Quecksilber-Spritzkur; er injizierte acht syphilitischen 
Kranken eine Calomel-Suspension, wodurch sieben gebessert 
wurden; alle aber bekamen Phlegmonen und Abszesse. Hunter 


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\ ''iHÄBÄEBtmSCHl! RUNDSCHAU. 


203 


und Hebra ahmten die neue Methode sogleich nach, nahmen 
jedoch Sublimatlösungen; diese Kur wurde dann von Lewin 
in Deutschland emgeiührt. Seitdem werden alljährlich andere 
Spritzkuren mit imm er neuen Quecksilberpräparaten ersonnen 
und empföhlen. Diese therapeutische Mode hat die alterprobte 
Schmierkur etwas in den Hintergrund gedrängt, aber keines¬ 
wegs ersetzen können. Treffend sagt Professor L e s s e r in 
seinem Lehrbuch der Haut- und Geschlechtskrankheiten (2. Teil, 
9. Auflage, Seite 307) von der Schmierkur: „Die Mehrzahl der 
Aerzte s tim mt darin überein, daß diese Kur die zuverlässigste 
ist. Wir sehen, daß selbst diejenigen Aerzte, welche im all- 

f emeinen eine andere Applikationsmethode empfehlen, zur 
chmierkur rekurrieren, wenn es sieh um die möglichst schnelle 
Beseitigung ernster gefahrdrohender Symptome handelt, und 
hierin liegt doch das Zugeständnis, daß, von der Schmierkur 
mit größerer Sicherheit eine energische Wirksamkeit erwartet 
werden kann als von den anderen Applikationsweisen. u 

(Fortsetzung folgt.) 


Der gegenwärtige Stand der Heilbehandlung 
der Tuberkulose. 

Von Dr. med. R. Weissmann, Lindenfels. 

' Auf der vierten Versammlung der Tuberkulose-Aerzte in 
Berlin 1907 hat die geniale Methode Länderers abermals keine 
Gnade gefunden. Imm erhin ist aber doch insofern ein Fort¬ 
schritt zu verzeichnen, als das Hetol doch erwähnt wurde, 
während es auf der dritten Versammlung meiner Fachkollegen 
keines Wortes gewürdigt wurde. 

Auf der letzten Versammlung hat Bandelier bei der 
Besprechung des jetzigen Standes der spezifischen Tuberkulose¬ 
behandlung Länderers Hetoltherapie als nicht spezifisch ab- 

f elehnt. Ob Bandelier die Wirksamkeit des Hetols über- 
aupt bestreitet, geht aus seinen Aeußerungen nicht hervor. 
Für mich ist es übrigens völlig gleichgültig, ob man das Hetol 
als-ein Spezifikum bezeichnen will oder nicht, die Hauptsache 
ist, daß es ein Mittel ist, das bei der Tuberkulose größere Er¬ 
folge zeitigt als jede andere Behandlungsmethode. 

Ich habe schon im Augustheft 1904 von Schmidts Jahr¬ 
büchern der in- und ausländischen gesamten Medizin in 
meiner Zusammenstellung der Literatur über die Heilbehand¬ 
lung der Tuberkulose von 1901 bis 1904 darauf hingewiesen, 
daß die Zahl der Freunde dieser Behandlung mehr und mehr 
zunimmt. Wenn ich auf die seit dem Erscheinen meiner Zu¬ 
sammenstellung verstrichenen 8 1 /2 Jahre zurückblicke, kann 
ich mit Befriedigung feststellen, daß die Zahl der Anhänger 
der Landererschen Methode in dieser Zeit wiederum gewachsen 
ist und daß unser Kampf um die Anerkennung des Hetols kein 
vergeblicher war. 

Mir selbst, der ich stolz bin, in diesem Kampfe um das 
Hetol in vorderster Linie zu stehen, sind von einer großen Zahl 
praktischer Aerzte Mitteilungen zugegangen, in denen sie über 
ihre günstigen Erfolge mit Hetol berichten. Ich habe das in 
dieser Zeitschrift*) schon erwähnt. Aber auch die Veröffent¬ 
lichungen der letzten Jahre zeigen, daß das Hetol keineswegs, 
wie Klemperer**) gemeint hatte, als ein Mittel von irgend¬ 
welchem besonderen Werte gegen die Tuberkulose endgültig 
gestrichen werden dürfe. Ich erwähne da zunächst Blum***), 
der an acht Krankengeschichten zeigt, daß das Hetol nicht 
nur eine Besserung des Allgemeinbefindens, sondern auch eine 
beträchtliche Besserung des Lungenbefundes bewirke. 

Der Verfasser bedauert aufs lebhafteste, daß die Methode 
Länderers sich bisher so wenig Anhänger unter den Aerzten 


*) Die wissenschaftliche Deputation für das Medizinalwesen in Berlin 
nd die Wissenschaft. Randglossen zu dem Thema: „Die Hetolbehand- 
im°- der Tuberkulose und ihre Gegner.“ Yon Dr. Weiß mann-Lindenfels, 
^herap. Rundschau 1907, Nr. 27 bis 28. . 

**) Diskussion im Verein für innere Medizin zu Berlin am 17. Juni 
901. Deutsche med. Wochenschrift, XXVH, 28, 1901. 

***)Blum, Erfolge der Zimtsäurebehandlung der Lungenschwind- 
ucht in der Sprechstunde des Landarztes. Therap. Monatshefte, Juni 

' ■ r 


erworben habe. Die Methode verdiene eine viel regere Aus¬ 
übung. Es sei nicht Aufgabe des praktischen Arztes, nachzu- 
prüfen, wie die Erfolge zustande kämen, die Hauptsache bleibe 
für den praktischen Arzt, daß die Erfolge des Hetols in ge¬ 
eigneten Fällen nach des Autors Erfahrungen mit fast absoluter 
Sicherheit eintreten. „Die Besserung war in einigen Fällen 
„eine so beträchtliche, daß es den betr. Patienten am Ende der 
„Kur sicher, wenn es auf den Status allein ankäme, ge¬ 
klungen wäre, die Aufnahme in eine Lebensversicherung zu 
erreichen.“ 

Tovölgyi*) nennt das Hetol ein der Nachprüfung unbe¬ 
dingt würdiges Mittel. Nach seinen Erfahrungen wirken die 
Hetolinjektionen bei leichten Fällen heilend, selbst dann, wenn 
die Lungentuberkulose mit einem Kehlkopfleiden kombiniert 
ist. Bel vorgeschrittenen Fällen sei völlige Heilung nicht aus¬ 
geschlossen, jedenfalls werde das Leben der Kranken ver¬ 
längert. Bei schwersten Fällen werde das Allgemeinbefinden 
bis zum letzten Augenblicke bedeutend verbessert. 

Schräge**) findet es geradezu. auffällig, daß Länderers 
Verfahren gegenwärtig noch so wenig allgemein geübt wird, 
trotzdem das Verfahren seinem Werte nach nicht zu ver¬ 
gleichen sei mit jenen Dutzendmitteln, die auftauchen, um 
sofort wieder zu verschwinden. Es sei vielmehr das Resultat 
langjähriger, ernster, wissenschaftlicher Arbeit, mühevoller 
Studien und Forschungen. Die abfälligen Urteile seien schwer 
verständlich. Wenn man die in zahlreichen Arbeiten nieder¬ 
gelegten günstigen Beobachtungen und Erfahrungen irgend 
etwas anderem als der Wirkung des Hetols zuschreiben wolle, 
sei das ein mehr als gewöhnlicher, um nicht zu sagen, mehr 
als zulässiger Grad von Skepsis. Es handle sich bei der Hetol- 
behandlung um eine wirkliche „Therapie“, um direkte Ein¬ 
wirkung auf die krankhaften Veränderungen an der Lunge. 

Auf Grund seiner Erfahrungen hält Verfasser das Hetol 
für ein Mittel, das unbedingt die weiteste Würdigung verdient, 
in erster Linie in den Kreisen der praktischen Aerzte. Er 
wünscht, daß zum Segen zahlloser Kranker das Verfahren 
Länderers znm Gemeingut aller Aerzte werde. 

Derselbe Verfasser***) empfiehlt in einem im Ost- 
friesischen Aerzteveiein gehaltenen Vortrage die Hetolbehand- 
lung warm, namentlich für beginnende Fälle. Sie . sei nach 
seiner Ueberzeugung das Beste, worüber wir bis jetzt ver¬ 
fügen. 

Prymj) berichtet über Beobachtungen an der Greifswalder 
medizinischen Universitätsklinik an 22 Fällen. Eine potentielle 
Wirkung des Hetols auf tuberkulöse Prozesse sei zweifellos, doch 
sei diese Wirkung keineswegs ausschließlich eine günstige. Ver- 
fasser gibt aber selbst zu, daß das Material von Kranken¬ 
häusern wenig geeignet sei zu abschließenden Beobachtungen 
über Behandlungsmethoden wie die mit Hetol. 

Heggsff) konstatierte bei sieben Fällen, die alle Tuberkel¬ 
bazillen im Auswurf aufwiesen, durchweg Besserung. Alle Fälle 
zeigten die von Länderer angegebene Leukozytose. Hetol 
sei ein sehr nützliches Hilfsmittel bei der Behandlung der 
Tuberkulose. 

Fehdefft) heilte einen Fall von Sehnenscheidentuber¬ 
kulose durch lokale Hetolinj ektionen. 

Franck**j~) beschreibt nochmals die Technik der Heil¬ 
behandlung. Er wünscht dieser so leistungsfähigen Methode 
zahlreiche neue Freunde, um das Andenken an den leider zu 

*) Tdvölgyi, Ueber den Wert der Hetolinjektionen bei Fällen von 
Lungentuberkulose. Pester med.-chirurg. Presse, 1904, Nr. 30 u. 31. 

**) Schräge, Zur Behandlung der Lungentuberkulose nach Länderer. 
Münchener med° Wochenschrift, 1904, Nr. 44. 

***) Schräge, Ueber Heilbehandlung der Lungentuberkulose. Vor¬ 
trag, gehalten im Ostfriesischen Aerzteverein am 8. November 1905. Aerzt- 
liche Rundschau, 1905, Nr. 50. 

f) Prym, Zur Heilbehandlung der Tuberkulose. Münchener med. 
Wochenschr., 1904, Nr. 44. 

-ff) Heggs, The value of Hetol in pulmonary tuberculosis. Ihe 
Lancet, 1904, S. 1136. 

fff) Fehde, Ein Fall von Sehnenseheidentuberkulose, geheilt durch 
Landerersche Hetolinjektionen. Deutsche med. Wochenschr., 1905, Nr. 26. 

*f) Franck, Die Indikation und die Technik der Heilbehandlung 
für den prakt. Arzt. Med. Woche, 1906, Nr. 4. 


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204 


THERAPEUTISCHE itü^DSÖHAIJ. 



früh dahingeschiedenen Begründer der Methode in Dankbarkeit 
zu erhalten. 

Bekanntlich starb Länderer am 21. August 1904. Dem 
genialen Forscher widmeten Franck*) und Grosse**) warm 
empfundene Nachrufe, in denen beide schildern, wie leider die 
sogen, leitenden ärztlichen Kreise sich dauernd ablehnend ver¬ 
hielten trotz immer tieferer Ausarbeitung seiner Zimtsäure¬ 
lehre. Beide geben noch der Hoffnung Ausdruck, daß Län¬ 
derer bei der Nachwelt die reinere Anerkennung finden 
werde, um die er bei Lebzeiten vergebens stritt. Auch ich 
hoffe, daß zum Segen der Menschheit die Landerersche Methode 
immer mehr und mehr sich einbürgere. Aber es dürfte noch 
manch harten Kampf kosten, zumal die Gegner der Methode 
vielfach in souveräner Mißachtung aller wissenschaftlichen 
Grundsätze ihr Urteil fällen und die Methode kurzer Hand 
abtun. 

So erklärt de la Camp***), Länderers Methode habe 
sich in größerem Umfange nicht bewährt. Eigene Versuche 
hat de la Camp nicht angestellt, er muß also sein Urteil sich 
aus der Hetolliteratur gebildet haben. Ich entnehme aber aus 
der Literatur über das Hetol, daß es sich wohl bewährt habe. Es 
ist bedauerlich, daß trotz aller festgelegten Erfolge gerade die 
Heilstättenärzte sich nicht bereit finden, die Methode an ihrem 
großen Material nachzuprüfen, zumal die Unschädlichkeit doch 
auch von den Gegnern anerkannt ist. Ich habe die Nach¬ 
prüfung bei den Heilstätten der Landesversicherungsanstalt für 
das Großherzogtum Hessen angeregt, bin aber abschlägig be- 
schieden worden. Habeat sibi. Das Hetol wird doch seinen 
Weg machen. 

Aehnlich wie de la Camp scheint Röpkef) das Hetol 
zu beurteilen. Nach ihm haben bisher nur zwei Heilmethoden 
der Kritik standgehalten, nämlich die „geschlossene Anstalts¬ 
behandlung“ (sic!) nach den Grundsätzen von Brehmer und 
Dettweiler, und die spezifische Behandlung mit den mannig¬ 
fachen Produkten des Tuberkelbazillus auf dem Wege der 
aktiven und passiven Immunisierung. Röpke scheint die 
Literatur über Hetol nicht zu kennen, sonst könnte er dieses 
Mittel nicht so ganz mit Stillschweigen übergehen. 

Und wenn Röpke meint, daß die Heilstättenärzte den 
hygienisch-diätetischen Heilplan ausbauen müßten durch Zu¬ 
hilfenahme der spezifischen Therapie, wenn sie die zweiten 
und selbst die prognostisch günstigen dritten Stadien der 
Lungentuberkulose erfolgreicher als bisher behandeln wollen, 
so verweise ich auf eine Aeußerung Francksff), der in der 
Kombination der Hetolbehandlung mit der Ruhe- und Frei¬ 
luftkur das Ideal sieht. Ich ziehe allerdings die Grenzen der 
Anwendung des Hetols auf Grund meiner nunmehr vierzehn¬ 
jährigen Erfahrungen weiter als Franck. Ich habe des öfteren 
auch noch bei Fällen mit höherem Fieber Erfolge gesehen. 
Wertvoll ist jedenfalls die Aeußerung Francks, der doch 
auch schon seit Jahren Erfahrungen mit Hetol gesammelt hat, 
daß er entschieden den Eindruck hat, daß durch die Hetol¬ 
behandlung „die Kranken doch eine größere Resistenz gegen¬ 
über ihrem Leiden erhielten und jahrelanger, an Heilung 
„grenzender Stillstand der Krankheit häufiger als bei jeder 
„anderen Kur auch unter oft ungünstigen äußeren Verhält- 
„nissen beobachtet wurde.“ 

Solche Aeußerungen eines Arztes, der jahrelang mit Hetol 
gearbeitet hat, sind doch ganz anders zu bewerten als das 
Verdikt einer sogen. Autorität, die niemals objektiv mit Ausdauer 
und genau nach den Vorschriften Länderers Versuche mit der 
Methode gemacht hat. 

Darum verdienen denn auch ganz besondere Beachtung die 


j Franck, Albert Länderer f. Med. Woche, 1904, Nr. 41. 

Grosse, Albert Länderer f. Med. Correspondenz-Blatt d. Würt¬ 
temberg. Aerztl. Landesvereins vom 31. Dez. 1904. 

***) de la Camp, Praktische Ergebnisse aus dem Gebiete der inneren 
Medizin. Tuberkulosetherapie. Berl. klinische Wochenschrift, 1905, Nr. 44. 

f) Puöpke, Fortschritte auf dem Gebiete der Tuberkulosebekämpfung. 
Aerztl. Rundschau, 1908, Nr. 1. 

ff) Franck, Die Einspritzung von Heilmitteln in dieBlutbahn (intra¬ 
venöse Injektion) und ihre gegenwärtige Bedeutung für die allgemeine 
Praxis. Med. Klinik, 1908, Nr. 1. 


Erfahrungen, welchp Goldschmitt und Knobel*) mit,Het61 
gemacht haben, die vor allen Dingen zugeben, daß keine 
zweite gegen die Tuberkulose gerichtete'Behandlungsweise st> 
Schritt für Schritt durchforscht ist, wie die Methode Länderers. 
Trotz dieser Erkenntnis haben die Verfasser noch mehrere Jahre 
verstreichen lassen, ehe sie sich entschließen konnten, die an¬ 
gelernte Furcht vor intravenösen Injektionen abzulegen. Diese 
den Aerzten in Fleisch und Blut übergegangene Furcht ist ja 
bekanntlich ein Hauptgrund gewesen, weshalb die Methode 
sich nicht schneller ausbreitete. Die Verfasser üben die Methode 
konsequent und systematisch seit fünf Jahren. Sie haben in 
den fünf Jahren etwa 100 Einzelfälle behandelt und weit über 
2000 intravenöse Injektionen gemacht, ohne je einen unan¬ 
genehmen Zwischenfall zu erleben. Ich kann von über 11000 
Injektionen ein gleiches berichten. Goldschmitt und Knobel 
halten es für geboten, jetzt, wo die Methode noch nicht populär 
ist, wo sie von selbst anerkannten Aerzten (Klemperer) als 
völlig unwirksam hingestellt wird, Beiträge zu liefern, die das 
Gegenteil beweisen. Bei ihnen haben sich von Jahr zu Jahr 
die Fälle und die günstigen Erfolge gemehrt. Die Verfasser 
sind gleichfalls der von mir seit Jahren verfochtenen Meinung, 
daß das Hetol eine Zukunft habe. Wenn auch die Kliniken 
im großen Ganzen stolz und abweisend sich verhielten, wäh¬ 
rend sie der gewiß keineswegs besser begründeten Methode 
der Darreichung innerer antituberkulöser Medikamente eine 
breite und gangbare, aber doch selten zum Ziele führende 
Bahn eröffnet hätten, hätten einige Praktiker den Mut gehabt, 
Hetolinjektionen zu versuchen. Schon die nächste Zeit würde 
hierfür Belege bringen. 

Meine erste Veröffentlichung**) über das Hetol stammt 
aus dem Jahre 1900. Ich bin seitdem unbeirrt durch man¬ 
cherlei absprechende Urteile sogen. Autoritäten durch Wort 
und Schrift für die Hetolbehandlung eingetreten*); ich brauche 
daher wohl nicht zu versichern, daß mich gerade die jüngste 
Veröffentlichung von Goldschmitt und Knobel mit ganz 
besonderer Genugtuung erfüllt. 

Es dürfte sich erübrigen, an dieser Stelle nochmals auf 
die Technik der Methode einzugehen. Jedem, der die Be¬ 
handlung versuchen will, sei dringend angeraten, das große 
Werk Länderers: „Behandlung der Tuberkulose mit Zimt¬ 
säure“, erschienen in Leipzig 1898 bei F. C. W. Vogel, ein¬ 
gehend zu studieren. Eine von Länderer ausgearbeitete 
„Anweisung zur Behandlung der Tuberkulose mit Zimtsäure“ 
können die Kollegen jederzeit von mir erhalten. Auch die 
Firma Kalle & Co., Aktiengesellschaft in Biebrich a. Rh., die 


*) Goldschmitt und Knobel, Beiträge zur intravenösen Hetol¬ 
behandlung der Tuberkulose. Beiträge zur Klinik der Tuberkulose, heraus¬ 
gegeben von Ludolph Brauer, Bd. VlII, Heft 2. 

**) Weiß mann, Zur Behandlung der Tuberkulose mit Zimt-säure 
nach Länderer. Aerztl. Rundschau, 1900, Nr. 40. 

***) Weiß mann, _ Hetolbehandlung der Tuberkulose und Heilstätten¬ 
bewegung und ihr Einfluß auf die wirtschaftliche Lage der Aerzte. Aerztl. 
Rundschau, 1902, Nr. 40. 

Derselbe, Die Hetolbehandlung der Tuberkulose von 1901 bis 1904. 
Schmidts Jahrbücher. Augustheft 1904. 

Derselbe, Die Hetolbehandlung der Tuberkulose nach Länderer. Die 
ärztl. Praxis, 1904, Nr. 23. 

Derselbe, Ueber intravenöse Hetolinjektionen. Therap. Monatsh., 1905, 
Januar. 

Derselbe, Zu* intravenösen Hetolinjektion. Therap. Monatshefte, 1905. 
März. ’ 

Derselbe, Die Hetolbehandlung der Lungenschwindsucht, ihre Be¬ 
gründung durch Prof. Dr. Länderer und ihre bisherigen Erfolge. Verlag 
der Aerztl. Rundschau, München, 1905. 

Derselbe, Styrakol und Hetol. Aerztl. Rundschau, 1905, Nr. 15. 

Derselbe, Die Bedeutung der HetolbehandluDg der Tuberkulose für die 
ärztl. Praxis. Reichs-Medizinal-Anz., 1905, Nr. 17. 

Derselbe, Neues über Hetolbehandlung der Tuberkulose nach Länderer 
Aerztl. Rundschau, 1906, Nr. 24. 

Derselbe, Ueber die Wirkung der Zimtsäure. Therap. Monatshefte 
1906, November. ’ 

Derselbe, Die Hetolbehandlung der Lungentuberkulose. Neue Therapie, 
1906, Nr. 11. r ' 

Derselbe, Dio wissenschaftliche Deputation für das Medizinalwesen in 
Berlin und die Wissenschaft. Randglossen zu dem Thema: „Die Hetol¬ 
behandlung der Tuberkulose und ihre Gegner“. Therap. Rundschau, 1907, 
Nr 97 lind 28. p r ’ • 1 


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. fHERAHEUTlSCHE RUNDSCHAU. 


205 


Hetols, gibt bereitwilligst Literaturzusammen¬ 
stellungen. über Hetol ab. 

lieh ,möchte jeden Arzt bitten, sieb der Mühe des Stadiums 
‘der Hetolliteratur za unterziehen, er wird großen Gewinn davon 
haben und wird zu der Ueberzeugung kommen, die ich mir 
längst gebildet habe, daß es keine Heilmethode gibt, welche 
.so wissenschaftlich begründet ist, welche- so nach jeder Rich¬ 
tung hin durchgearbeitet ist, wie die Heilbehandlung. Jeder, 
der die Hetolliteratur studiert, wird aber auch mit Bedauern 
inne, daß wir von wahrer, objektiver und unparteiischer Wür¬ 
digung wissenschaftlicher Arbeiten noch recht weit entfernt 
sind. Das zeigt zur Evidenz das, Verhalten der Tagesgrößen 
gegenüber dem Hetol, das zeigt vor allen Dingen die leidige 
Gepflogenheit, über Heilmethoden und Heilmittel kurzer Hand 
den Stab zu brechen, ohne durch eingehende Prüfung sich 
hierzu das Recht erworben zu haben. Wir haben aus der Ge¬ 
schichte der Medizin noch immer nicht gelernt, daß in unserer 
Welt von Schreiern und Strebern von manchen tüchtigen 
Männern die Wahrheit verkündet wird, sie aber nicht beachtet 
werden. Ich kann nicht umhin, im Hinblick auf das Schicksal 
des Hetols immer und immer wieder auf das Geschick eines 
Semmelweis hinzuweisen, der ja auch lange Zeit nicht ver¬ 
standen, bekämpft, geschmäht und verkleinert, negiert und 
ignoriert wurde und dessen Lehren sich doch siegreich Bahn 
gebrochen haben. 

Mögen die Aerzte im Gedenken an die Rolle, welche die 
Misokainia in der Medizin leider schon gespielt hat, sich 
bereit finden zu einer objektiven Prüfung der Lehren Albert 
Länderers. 

Ich aber schließe diese Betrachtung in Anlehnung an jene 
Mahnung des zielbewußten Cato mit den Worten: Ceterum 
censeo, curationem Hetoli omnium medicorum communem fa- 
ciendam esse. 


Ueber Rexotan bei schweren Dannerkrankungen. 

Von Dr. C. Peters, Eisenach. 

„Stolz will ich den Spanier!“ — Rex-o-tan — König der 
Tanninpräparate! — Man muß sagen, diese überaus selbst¬ 
bewußte Bezeichnung eines neuen Präparates wirkt imponierend 
— aber sie fordert auch heraus zu einer doppelt strengen 
Prüfung seiner Wirksamkeit, zur scharfen Beurteilung, ob und 
wie weit dieses stolze Selbstbewußtsein gerechtfertigt ist oder 
nicht. Hält es dann solch doppelt strenger Prüfung stand und 
bewährt sich als das, was es zu sein behauptet, so wird es 
auch doppelt treue Freunde an seinen vorherigen Examinatoren 
finden. 

So erging es mir mit dem Rexotan. Will es, so sagte ich 
'mir, diesen Namen mit Recht tragen, so muß es auch Vorzüge 
und Eigenschaften aufweisen, die unsere bisher gebräuchlichen 
Tanninpräparate nicht besitzen; es muß sich bei allen Fällen, 
in denen eine Tanninanwendung indiziert ist, als ein absolut 
sicheres Heilmittel bewähren, also besonders bei den schweren 
und bei den chronischen Darmerkrankungen. Daraufhin habe 
ich über drei Jahre lang das Rexotan geprüft und konnte dabei 
Beobachtungen machen, die zur Mitteilung der Ergebnisse be¬ 
rechtigen und zu weiteren Studien auffordern. 

Die Behandlung der akuten und chronischen Darmkatarrhe 
mit intern verabreichten adstringierenden und antiseptisch wir¬ 
kenden Arzneimitteln ist, so erfolgreich und daher unentbehr¬ 
lich sie ist, immer ein Schmerzenskind der internen Therapie 
gewesen, weil die Einbringung der Medikamente in den Körper 
bis zu den erkrankten Partien, an denen sie ihre Wirkung ent¬ 
falten sollen, ungemein schwierig ist. Denn bei Sitz der Er¬ 
krankung im Dünndarm ist die Applikation per Klysma un¬ 
möglich, bei tieferem Sitz die Einführung per os sehr fraglich 
in ihrem Erfolg, abgesehen davon, daß letztere meist mit einer 
Reihe sehr unangenehmer Nebenwirkungen auf die oberen Ver¬ 
dauungsorgane, die erst passiert werden müssen, verbunden ist. 
So ruft das früher empfohlene Azidum tannikum durch An- 
ätzüng (Gerben) der Magenschleimhaut Appetitlosigkeit, Ver- 


Erbrechen hervor und wird selbst durch Ein¬ 
gehen schwer löslicher Eiweißverbindungen im Magen bereits 
unwirksam, also lange ehe es an die Stelle kommt, an der es 
seine spezifische Eigenschaft betätigen soll. Aehnliche die 
Magenschleimhaut anätzende Wirkung haben größere Mengen 
des noch heute stellenweise sehr beliebten Bismutum subni- 
trikum, das übrigens von der Darmschleimhaut gar nicht resor¬ 
biert wird, hier also höchstens eine örtliche Wirkung entfalten 
kann, bei geschwüriger Veränderung derselben jedoch durch 
Bildung und Ausfällung von Schwefelwismut ausgedehnte 
Schleimhautnekrosen hervorrufen kann. 

Die bei Enteritiden empfohlenen vielen Antiseptika sind 
meist nur von sehr fraglicher Wirkung; selbst das bei frischen 
Fällen als solches viel empfohlene und angewandte Kalomel 
wirkt mehr mechanisch durch seine stark abführende Eigen¬ 
schaft, die die entstandenen Fäulnisprodukte schneller aus 
dem Darm hinausbefördert, als antiseptisch, also fäulnisver¬ 
hindernd. 

Demgegenüber muß das Auftreten des Präparats, das beide 
Eigenschaften — die an der erkrankten Stelle entfaltete kräftig- 
adstringierende Wirkung ohne unangenehme Nebenerschei¬ 
nungen und eine antiseptische Wirkung — in sich vereinigt, 
allseits mit großer Freude begrüßt werden. Ein solches ist in 
der Tat das Rexotan. 

Das Rexotan, ein gelblich - graues, geschmack- und ge¬ 
ruchloses Pulver, ist ein Tanninderivat, das in sauren Flüssig¬ 
keiten nahezu unlöslich ist, also auch den Magen ungelöst und 
unzersetzt passiert, in alkalischer Flüssigkeit dagegen sich 
leicht lost, also im alkalischen Darmsaft sich auflöst und dabei 
Tannin abspaltet, das nun an rechter Stelle seine Wirkung ent¬ 
falten kann. Diese Eigenschaften besitzen freilich auch die 
schon bekannten und bisher gebräuchlichen Tanninpräparate 
Tannigen und Tannalbin, die ebenfalls unzersetzt den Magen 
passieren und erst im Darm freies Tannin abspalten. Was das 
Rexotan aber vor diesen beiden Präparaten auszeichnet und uns 
veranlassen muß, ihm bei weitem den Vorzug zu geben, ist 
die gleichzeitige Entwicklung von Formaldehyd, dessen hervor¬ 
ragend bakterizide Wirkung ja bekannt ist. Dadurch wirkt es 
in hohem Grade hemmend auf die bei Darmerkrankungen stets 
vorhandenen, nicht nur unangenehmen, sondern oft direkt ge¬ 
fährlichen Fäulnisprozesse im Darm ein. Es erfüllt also die 
Ansprüche, die man an ein brauchbares innerliches Mittel bei 
schweren Darmerkrankungen stellen muß — adstringierende 
Wirkung ohne schädliche Nebenerscheinungen und antiseptische 
Wirkung — in vollstem Maße. Die Vorteile dieser Verbindung 
beider Eigenschaften zeigen sich bei Anwendung in der Praxis 
in hervorragender Weise; meine Erfahrungen darüber stützen 
sich auf Beobachtungen in den letzten drei Jahren. 

Bei den leichteren Magen-Darmkatarrhen der Kinder zur 
Sommerzeit wie bei den in derselben Jahreszeit ebenfalls häu¬ 
figen Darmkatarrhen Erwachsener habe ich das Rexotan in 
hunderten von Fällen leichter und schwerer Art bewährt ge¬ 
funden. Bei allen derartigen Krankheitsfällen war nach Rexotan- 
Verabreichung ein schnelles Nachlassen der profusen Diarrhöen 
und der Fäulnisgärungen im Leibe zu beobachten. Ich habe 
es selbst Kindern von wenigen Monaten in Mengen von 0,1 g 
drei- bis viermal täglich gegeben; die vorher wässerigen, 
schleimigen, grünen Stühle zeigten danach bald, meist schon 
am zweiten und dritten Tag, wieder eine festere, salbige 1” 
sistenz und gelbliche bis bräunliche Farbe, auch verminte.: 
sieb der oft penetrante üble Geruch der Ausleerungen meist 
schnell. 

Hier möchte ich jedoch die ganz besonders günstige 
Wirkung des Rexotans bei schweren und chronischen Fällen 
von Darmerkrankungen hervorbeben, deren ich eine große An¬ 
zahl mit Rexotan erfolgreich — oft überraschend erfolgreich — 
behandelt habe. Einige der eklatantesten Fälle seien hier 
näher beschrieben. 

1. Der erste Fall dieser Art betraf einen 36jährigen Herrn 
(Gymnasiallehrer), der im August 1905 in meine Behandlung 
kam. Seit sechs Tagen bestand Appetitlosigkeit, üebelkeit, 
etwas Erbrechen, starke wässerige Diarrhöen, Durstgefühl, 
Mattigkeit, kolikartige Schmerzen etc., die Temperatur war 


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206 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


37,6; der Leib war leicbt aulgetrieben und tympanitisch, Epi- 
gastrium druckempfindlich, Leber nicht vergrößert, nicht pal- 
pabel. Ich verordnete Bettruhe, heiße Leibumschläge, schlei¬ 
mige Kost, Tee mit Rotwein; innerlich Kalomel mit ßismut. 
subnitr., später Tinkt. thebaik. in refrakta dosi gegen die 
Schmerzen. Erbrechen und Uebelkeit verlor sich, die Schmerzen 
ließen nach, die Durchfälle wurden mäßiger, aber bestanden 
fort und waren äußerst übelriechend; auch Klysmen von 
Kamillendekokt mit Tannin und Opium hatten wenig Einfluß; 
Am sechsten Tage leichter Ikterus, mit dessen Zunahme auch 
die Fäulnisvorgänge im Darm sich mehrten, was sich durch 
erhöhte Flatulenz, stärker übelriechende Fäzes und vermehrte 
Auftreibung des Abdomens dokumentierte. Diese stärkeren 
Fäulnisprozesse waren offenbar die Folge der Verminderung 
oder des Aufhörens der Gallenausscheidung in den Darm, da 
ja die Galle ausgesprochen antiseptische Eigenschaften besitzt 
und die Fäulnis des Darminhalts aufzuhalten imstande ist. Ich 
ließ in der Folge etwas Karlsb. Mühlbrunnen, weinglasweise, 
warm trinken und gab innerlich nur Rexotan, täglich viermal 
ein halbes Gramm in lauer Schöpsbrühe, etwa eine halbe Stunde 
nach den üblichen Mahlzeiten. Schon vom zweiten Tage an 
zeigte sich ein Nachlassen der Gasentwicklung, der Leib wurde 
weicher, weniger gespannt, der üble Geruch der Fäzes und 
Flatus verminderte sich; am vierten Tage Nachlassen der 
schleimigen, wässerigen Diarrhöen, Ausleerung etwa dreimal 
täglich, Fäzes etwas breiiger; am fünften und sechsten Tage 
je zwei Ausleerungen, sehr weich geformt, hell; am siebenten 
Tage zwei geringe Ausleerungen, etwas fester, wenig Schleim¬ 
beimengung. Abnahme des Ikterus. Am achten Tage normaler 
Stuhlgang, hellbräunlich gefärbt, Rückkehr des Appetits; Aus¬ 
setzen des Rexotans. Von da ab schnelle Besserung des All¬ 
gemeinbefindens, allmähliche Rückkehr zur normalen Kost. — 
Ganz klar erwiesen war hier die fäulniswidrige Wirkung des 
Rexotans, da — trotz der fehlenden Gallenabsonderung — die 
Fäulnisvorgänge im Darm nach Rexotan-Darreichung sich 
schnell verminderten, dann aber auch die prompte anti¬ 
katarrhalische Wirkung, die sich in der schnellen und stetig 
fortschreitenden Besserung der enteritischen Erscheinungen 
zeigte. 

2. R. H., 15 Jahre alt, Lehrling, kam am 31. August 1906 
in meine Behandlung. Er lag seit sechs Wochen an einem 
schweren Darmkatarrh zu Bett, war bis dahin anderweitig 
ärztlich behandelt worden „mit Medizin und Pillen“, ohne jede 
Besserung. Patient war äußerst schwach, hochgradig abge¬ 
magert. anämisch; Nahrungsaufnahme sehr gering, Leib sehr 
aufgetrieben, schmerzhaft; täglich acht bis neun übelriechende, 
schleimig-wässerige Ausleerungen, zum Teil etwas Blutbei¬ 
mengung enthaltend. Der bisher behandelnde Arzt hatte 
Diagnose auf Darmtuberkulose gestellt und die Eltern auf den 
fraglos letalen Exitus gefaßt gemacht. Auch hier wurden neben 
heißen Leibumschlägen Opium-Tanninklysmen morgens und 
abends versucht; sie brachten für kurze Zeit Linderung und 
Ruhe, aber keine dauernde Besserung; ebenso blieb Tannalbin 
innerlich ohne Erfolg. Die Ernährung wurde mit Schöps¬ 
bouillon, Haferkakao und Malztropon bewirkt. Am 7. Sep¬ 
tember begann ich mit innerlicher Verabreichung von Rexotan, 
viermal täglich 0,5 g; ganz auffällig war hier die antifermen¬ 
tative und antiseptische Wirkung des Mittels, da sich die Auf¬ 
treibung des Leibes und der üble Geruch der Fäzes schon am 
9. September, also nach zwei Tagen ganz erheblich ver¬ 
minderten. Die profusen Durchfälle ließen in den folgenden 
Tagen nach, der Stuhl wurde konsistenter, auch die vorher 
reichlichen Schleimbeimengungen nahmen fortschreitend ab. 
Dabei steigerte sich die Eßlust schnell, so daß die Körper¬ 
kräfte sich sichtlich erholten. Am 17. September konnte Patient 
zuerst aufstehen. Da die Durchfälle und übrigen Darmerschei¬ 
nungen völlig geschwunden waren, wurde das schon vorher 
verkürzte Rexotan ausgesetzt. Am 24. September war Patient 
in meiner Sprechstunde und wurde nach abermaliger gründ¬ 
licher Untersuchung, die keinerlei Krankheitserscheinungen 
mehr zutage förderte, am 1. Oktober geheilt aus der Be¬ 
handlung entlassen. Er ist heute ein völlig gesunder, kräftiger 
Mensch. 


Dieser überraschende Erfolg ist ganz offensichtlich nur dem 
Rexotan zuzuschreiben. 

8. Frau Rechnungsrat B., 62 Jahre alt, litt seit Jahren 
an einem regelmäßig im Spätsommer auftretenden, monatelang 
anhaltenden Darmkatarrh mit heftigen Diarrhöen, gegen welche 
alle angewandten Jdittel wirkungslos waren, und die sie 
jedesmal außerordentlich schwächten. Im September 1905 
kam sie, als der Katarrh bereits über zwei Wochen .bestanden 
hatte, in meine Behandlung. Die sönst von ihr gegen, die Be¬ 
schwerden genommenen Opiumtropfen brachten zwar Linderung 
der Schmerzen, beeinflußten aber die Durchfälle so gut wie gar 
nicht und verursachten bei längerem Gebrauch sehr üble Neben¬ 
erscheinungen, Kopfschmerz, Schwindel, Blutandrang zürn Kopf, 
Mattigkeit. Heiße Leibaufschläge, heiße Sitzbäder und Tannin- 
Darmspülungen hatten wenig Erfolg. Ich ließ dann Rexotan 
zunächst fünfmal, später dreimal täglich ein halbes Gramm 
nehmen. Die Wirkung machte sich schon am vierten Tage in 
einem auffälligen Nachlassen der Diarrhöen und der Iflätulenz 
bemerkbar; unter andauernder, vierzehn Tage, lang fortgesetzter 
Rexotan-Darreichung von 1*4 bis 1 g täglich kehrte der ^Stuhl¬ 
gang bald zur Norm zurück, blieb auch dauernd gut na$h Aus¬ 
setzen des Mittels. — Ende August . 1906 traten wieder ähn¬ 
liche Erscheinungen wie in den Vorjahren auf. Es wurdb nun 
sofort Rexotan gegeben, worauf die Darmsymptome und Be¬ 
schwerden sofort nachließen, so daß es zu solchen Kranknpits- 
zuständen wie früher überhaupt -nicht kam. Der gleiche 
prompte, günstige Erfolg wurde bei der Patientin im September 
1907, als sich wieder Anzeichen eines Darmkatarrhs zeigthü, 
nach Rexotan-Anwendung beobachtet. Die Dame ist andauernd 
gesund und rüstig und rühmt selbst das Rexotan als dasjenige 
Mittel, dem sie ihre Gesundheit und ihren guten Kräftezustand 
verdankt. 

4. E. Sch, 17 Jahre, Fabrikarbeiterin, kam im April 1907 
in meine Behandlung. Sie lag seit acht Wochen an einem 
schweren Darmkatarrh mit profusen, oft blutigen Stühlen zu 
Bett. Das an sich mittelkräftig gebaute Mädchen war völlig 
zum Skelett abgemagert, kraftlos elend; Leib tympanitisch 
aufgetrieben, alle ein bis zwei Stunden Ausleerungen von. 
Schleim und wässerigem, zum Teil blutig gefärbtem Darm¬ 
inhalt. Nahrungsaufnahme sehr schlecht. Sie war von dem 
„Kassenarzt“ als an „Darmschwindsucht“ leidend aufgegeben. 
Die sofort eingeleitete Rexotanbehandlung — täglich viermal 
0,5 g Rexotan -— brachte nach einigen Tagen Nachlassen der 
häufigen Ausleerungen, der Stuhl wurde breiiger, dunkler, 
Blutbeimengungen verschwanden, Auftreibung und Schmerz¬ 
haftigkeit des Leibes besserten sich schnell. Nach zehn Tagen 
wurde auf dreimal, später auf zweimal ein halbes Gramm 
Rexotan täglich zurückgegangen. Die' allmähliche Besserung 
des Appetits machte eine kräftigere Ernährung möglich, so daß 
Patientin nach drei Wochen aufstehen konnte. Nach im ganzen 
vierwöchiger Rexotanbehandlung war das Mädchen soweit 
wiederhergestellt, daß sie kleinere Strecken ausgehen konnte. 
Anfang Juli hat sie ihre gewohnte Arbeit wieder aufgenommen 
und ist jetzt ein kräftiges, gesundes Mädchen. 

5. O. G., Landwirt aus L., 28 Jahre alt, litt, als er im 
Februar 1907 in meine Behandlung kam, seit nahezu zwei 
Jahren an chronischem Darmkatarrh, ( der abwechselnd mit 
Obstipation und Durchfällen einherging, wobei sich reichliche 
Schleimbeimengungen oder Ueberzüge von Schleim auf der 
Oberfläche des Kotes zeigten. Patient war äußerst kachektisch 
und anämisch; Leib sehr aufgetrieben, tympanitisch, druck¬ 
empfindlich; reichlicher Abgang übelriechender Flatus, übles 
Aufstoßen. Er war innerlich abwechselnd mit Opium, Tannigen, 
Wismut, Kreosot etc. behandelt, hatte -auch eine „Kur“ in Kis- 
singen gebraucht, alles ohne Erfolg. Durch eine im ganzen 
— mit Unterbrechungen — sechswöchige Rexotan-Behandlung, 
während welcher die Zersetzungsvorgänge im Darm bald nach¬ 
ließen, die häufigen dünnflüssigen Ausleerungen sich allmählich 
in solche von normaler Häufigkeit und Konsistenz verwandelten, 
wurde vollständige Heilung erzielt. Patient ist seitdem völlig 
gesund und kräftig, konnte sich im August schon an den 
Emtearbeiten beteiligen. 


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C Außer diesen füuf ausführlicher beschriebenen Fällen habe 
ich noeh eine ganze Anzahl ähnlicher schwerer oder chronischer 
Fälle von Darmerkränkungen mit Rexotan behandelt, alle mit 
ähnlichem Yerlauf und gleich gutem Erfolg, wie ihn die ange¬ 
führten Fälle aufweisen, darunter besonders bemerkenswert 
eine 84jährige, hochgradig hysterische Dame mit einer Enteritis 
membranazea, an der sie seit Jahren vergeblich ärztlich be¬ 
handelt war- — Bei allen diesen Fällen trat die exquisit anti¬ 
septische, antifermentative und adstringierende (antikatarrhali¬ 
sche) Eigenschaft des Rexotans mit Evidenz zutage. 

Erwähnen möchte ich noch zum Schluß die vorzüglichen 
Dienste, die mir Rexotan bei einem Fall von Abdominaltyphus 
bei einem zwölfjährigen Knaben geleistet hat. Nach anfäng¬ 
licher Kalomel-Darreichung traten reichliche, gelblich-wässerige 
Ausleerungen und in ihrem Gefolge eine Darmblutung auf; 
statt des sonst üblichen Opiums wurde Rexotan von mir ver¬ 
abreicht, und ich erzielte nicht nur ein schnelles Aufhören der 
' Blutung, sondern auch ein Nachlassen und Breiigerwerden der 
Ausleerungen. Die ganzen Erscheinungen von seiten des 
Darms waren im weiteren Verlauf der Krankheit viel gelinder 
als sonst gewöhnlich, und die Rekonvaleszenz ging in auf¬ 
fallend rascher Weise vor sich. 

Wenn endlich der Vollständigkeit halber noch festgestellt 
wird, daß Rexotan niemals — auch bei länger fortgesetztem 
Gebrauch nicht — üble Nebenerscheinungen, Störungen des 
Appetits oder Reizerscheinungen auf Magen- und Darmschleim¬ 
häute verursacht, daß es auch im praktischen Gebrauch das 
billigste derartige Präparat ist, so kann man nach allem Ge¬ 
sagten dem Rexotan nur das Zeugnis ausstellen, daß es seinen 
stolzen Namen mit Recht trägt. Denn wir haben in ihm ein 
vielfach erprobtes und bei einer Reihe der schwersten, unan¬ 
genehmsten und gefährlichsten Krankheiten bewährtes, darum 
in der Praxis — bei der Häufigkeit solcher Fälle — unent¬ 
behrliches Heilmittel, das allen an ein solches zu stellenden 
Anforderungen in vollkommener Weise gerecht wird. 

Man kann daher dem Rex-o-tan nur die ausgiebigste Ver¬ 
wendung und weiteste Verbreitung in der Praxis wünschen *) 

*) Fabrikant: Dr. Arnold Voswinkel, Apotheke und chem. Labo¬ 
ratorium, Berlin W. 57. 



Bakteriologie. 

Referent: Privatdozent Dr. E. Küster, Freiburg i. B. 


züchtetes Stäbchen als Krankheitserreger feststellen, während die 
Agglutination8prüfong versagte. Auch für Feststellung von Typhus-», 
Paratyphus- und Kofi-Erkrankungen war die Opsoninuntersuchung 
sehr wertvoll und endlich konnte die schon früher von Schott¬ 
müller vertretene Ansicht, daß der Jäger sehe Kokkus für die 
Meningitis zerebrospinalis infektiosa keine ätiologische Bedeutung 
habe, dadurch gestützt werden, daß bei Meningitis sich der opsoni¬ 
sche Index für Meningokokkus Weichselbaum (dem allgemein an¬ 
erkannten Erreger der Genickstarre) in positivem Sinne verändert 
zeigte, während der Typus Jäger von dem Serum des Meningitis- 
kranken wie von jedem normalen Serum beeinflußt wurde. 

2. In einer vorläufigen Mitteilung berichtet Pretti, daß es 
ihm gelungen, au3 Anchylostonum eine alkohol- und ätherlösfiche, 
gegen Kochen unempfindliche Substanz zu isolieren, welche die 
Eigenschaft hat, rote Blutkörperchen im Reagenzglas aufzulösen. 
Vielleicht erklärt z. T. diese Substanz die hochgradigen Anämien, 
welche bei Anchylostomiasis auftreten; nähere Angaben darüber 
liegen noch nicht vor. 

3. Die Autoren beobachteten zwei Fälle von fibrinös-eitriger 
Meningitis bei Kindern, welche durch Bakt. paratyph. B. Schott¬ 
müller bedingt waren. Die Fälle wurden sowohl bakteriologisch¬ 
serologisch als auch pathologisch-histologisch eingehend untersucht. 
Die Krankheitserreger der beiden Fälle waren in Agglutinier- 
barkeit graduell verschieden, sonst identisch. Eine ausführliche 
Literaturan gäbe und Literaturwürdigung zeichnet die Arbeit be¬ 
sonders aus. 

4. K. berichtet über außerordentlich günstige Erfolge, welche 
er bei schweren Fällen von Schlangenbiß (von denen einer erst 
45 Stunden nach der Verletzung in Behandlung kam) durch In¬ 
jektion von Calmetteschem „Serum antiverminense“ erzielte. Das 
Serum wurde in Dosen von 10 ccm an der linken Brustseite in¬ 
jiziert; bei einjähriger Ablagerung hatte das gelbe Serum seine 
antitoxische Kraft nicht eingebüßt. In einem Falle von Schlangen¬ 
biß war es zu einer ausgedehnten Verwachsung des Herzens mit 
der Brustwand gekommen; da die Erscheinungen von seiten 
des Herzens sich bei fünfwöchiger interner Behandlung nicht 
besserten, wurde von K. die Kardiolyse (Resektion von Knorpel 
und Kn ochen an der linken vierten bis sechsten Rippe) ausgeführt, 
worauf rasche Heilung eintrat. In keinem Falle wurden ungün¬ 
stige Nebenerscheinungen (etwa Erytheme oder Albuminurie etc.) 
beobachtet, so daß man auch bei solchen Fällen, in denen die 
Giftigkeit der beißenden Schlange nicht mit Sicherheit festgestellt 
werden konnte, prophylaktisch das Serum anwenden darf. 

Das Calmette - Serum wird durch Vorbehandlung von Pferden 
mit indischem Schlangengift gewonnen und gegenwärtig von dem 
Pasteur-Institut in Lille in kristallinischer Form „Serum desseche“ 
in den Handel gebracht, wodurch die Dauerhaftigkeit aller Vor¬ 
aussicht nach noch gesteigert wird. 


1. Die Opsonine als Differenzierungs- und Identifizierungs¬ 
mittel pathogener Bakterienarten. Von SchottinüIler und 
Much. Münch, med. Wochensehr.,gl908, Nr. 9. 

2. Hämolytische Wirkung von Anchylostoma duodenale. Von 
Pretti. Ibidem. 

3. lieber Paratyphusmeningitis im Säuglingsalter. Von 
Arzt und Boese. Wien. klin. Wochenschr., 1908, S. 217. 

4. Zur Kasuistik der Serumbehandlung der Schlangenbisse. 
Von Körbel. Wien. med. Wochenschr., 1908, S. 400. 

1. Opsonine sind Stoffe, welche im Blutserum unter gewissen 
Bedingungen ähnlich wie andere Immunstoffe auftreten und da¬ 
durch charakterisiert sind, daß sie Spaltpilze für die Aufnahme 
durch Leukozyten günstig beeinflussen. 

Nach den Untersuchungen der Autoren haben die Opsonine 
eine weitgehende spezifische Eigenschaft insofern, als sie Reaktions¬ 
produkte auf bestimmte krankmachende, in den Körper einge¬ 
drungene Spaltpilze darstellen und nur gegen diese in dem oben¬ 
genannten Sinne wirken. Analog der Agglutinationsprüfung kann 
man daher auch eine Opsoninprüfung dazu verwenden, gegebenen¬ 
falls einen Mikroorganismus als Krankheitserreger zu erkennen, 
und zwar ist die letztere Untersuchung dabei das empfindlichere 
Reagens. Die Verf. konnten durch Opsoninuntersuchung in Fällen 
von Gastroenteritis ein koliartiges, aus den Fäzes der Pat. ge¬ 


Augenheilkunde. 

Referent: Privatdozent Dr. G. Abelsdorff, Berlin. 

1. Sophol als Vorbeugungsmittel bei Ophthalmoblennorrhoea 
neonatorum. Von Gallatia. Wiener med. Wochenschr., 1908, 
Nr. 6. 

2. Ueber Fibrolysineinträufelungen in den Bindehautsack. 
Von Windmüller. Med. Klinik, 1908, Nr. 8. 

3. Ueber Ophthalmoreaktion. Von Brons. Klin. Monatsbl. 
f. Augenheilk., XLVI. Jahrg., S. 60. 

4. Die Gefahren der Ophthalmoreaktion. Von A. Trousseau. 
Ophthalmol. Klinik, XII. Jahrg., S. 38. 

5. Augenärztliche Bemerkungen zur Ophthalmoreaktion mit 
Tuberkulin. Von E. Wald st ein. Prager med. Wochenschr., 
1908, Nr. 9. 

1. Sophol ist die Silberverbindung der Formaldehydnuklein¬ 
säure (Bayer) und wurde in 5%iger und 10%iger Lösung auf 
der geburtshilflichen Abteilung des Landesspitals in Laibach 280 
Neugeborenen in die Augen geträufelt, ohne daß eine Frühan¬ 
steckung zur Beobachtung kam; es befanden sich hierunter auch 
die Kinder zweier schwer tripperkranker Mütter. 


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208 


Da Sophol keine Reizerscheinungen auslöst und lange haltbar 
ist, empfiehlt Gr. das Präparat für die Hebammenpraxis, wo es 
vor der zersetzlichen und leicht reizenden 2%igen Höllenstein¬ 
lösung den Vorzug verdiene. 

2. Windmüller hat von der narbenerweichenden Wirkung 
des Fibrolysins (Merck) in der Weise Gebrauch gemacht, daß er 
2 bis 10°/oige Lösungen in den Bindehautsack bei Hornhauttrü¬ 
bungen einträufelte. Die Trübungen blaßten ab und wurden 
durchsichtiger. — Da viele Hornhauttrübungen von selbst mit 
der Zeh durchsichtiger werden und keine Krankengeschichten ver¬ 
öffentlicht sind, ist aus der kurzen Mitteilung, die zur Nachprü¬ 
fung auffordert, kein abschließendes Urteil zu gewinnen. 

3. Die aus der Freiburger Universitätsaugenklinik stammende 
Veröffentlichung von Brons teilt die Resultate mit, die mit 
der Ophthalmoreaktion (1 bis 2% Alttuberkulin) bei 36 Augen¬ 
kranken erhalten wurden, von welchen 24 der Tuberkulose ver¬ 
dächtige Augenaffektionen hatten. Von diesen letzteren zeigten 

’ 9 eine positive Reaktion, während die subkutane Injektion 

14 Fällen ein positives Ergebnis hatte. 

Für die Diagnose der Augentuberkulose hat die Ophthalmo¬ 
reaktion einen sehr problematischen Wert, da ihr Ausfall keinen 
Schluß auf die tuberkulöse Natur des Augenleidens gestattet, 
während man bei der subkutanen Injektion außer der allgemeinen 
eine lokale Reaktion erhält. 

Auch hier wurde, wie bereits mehrfach beobachtet, das Augen¬ 
leiden in einigen Fällen durch die Einträufelung entschieden ver¬ 
schlimmert, so daß vor der kritiklosen Einträufelung des Tuber¬ 
kulins in kranke Augen dringend gewarnt werden muß. 

4. Trousseau weist ebenfalls auf die Gefahren der Tuber¬ 
kulino mträufelung hin; er berichtet über Beobachtungen bei Irido- 
chorioiditis, syphilitischer Keratitis, tuberkulöser Konjunktivitis, 
bei welchen die Tuberkulineinträufelung eine sichtliche Verschlimme¬ 
rung zur Folge hatte. 

5. In demselben Sinne lauten Waldsteins Beobachtungen 
aus der Prager Universitätsaugenklinik. Er „warnt vor der 
allgemeinen Anwendung der Ophthalmoreaktion als diagnostischem 
Hilfsmittel“. Einerseits blieb bei einigen Fällen von tuberkulösen 
Augenaffektionen die Reaktion aus, andrerseits zeigte ein Fall von 
Tuberkulose der Kornea eine so heftige Reaktion, daß eine Zeit¬ 
lang die Einschmelzung der ganzen Kornea befürchtet werden 
mußte. Bei entzündeter Bindehaut, besonders follikulären und 
trachomatösen Erkrankungen sowie Keratokonjunktivitis ekzematosa 
kann die Reaktion „die ihr zugedachten Grenzen weit über¬ 
schreiten“ und dauernde Schädigungen zurücklassen. 


Magen-, Darm- und Stoffwechselleiden. 

Referent: Spezialarzt Dr. M. Pickardt, Berlin. 

1. Die Behandlung des akuten Magengeschwürs. Von C. 

A. Ewald. Deutsche med. Wochenschr., 1908, Nr. 9. 

2. Ueber Mastdarmneuralgien. Von Pickardt. Berl. klin. 
Wochenschr., 1908, Nr. 3. 

3. Tannismut. Von Linke. Therapeut. Neuheiten, 1908, 
Seite 25. 

4. Zur Behandlung des Typhus. Von Moritz. Straßburger 
med. Zeitung, 1908, Heft 1, S. 1. 

5. Beiträge zur Lehre von der Hyperazidität. Von Baläs. 
Deutsche med. Wochenschr., 1908, Nr. 1. 

6 . Ueber einige Hilfsmittel zur Stellung der Frühdiagnose 
bei Appendizitis. Von Sonnenburg. Therapie d. Gegenwart, 
1908, S. 49. 

7. Zur Frage der Rizinusdarreichung im akuten Anfalle 
von Perityphlitis. Von Körte. Ibidem, S. 51. 

8. Wie wirkt Rizinusöl bei der akuten Perityphlitis. Von 

Rotter. Ibidem, S. 53. 

9. Zur Rizinusbehandlung der Appendizitis. VonKarewski. 
Ibidem, S. 56. 

1. Die rationellste Behandlung eines akuten Magengeschwürs, 
d. h. natürlich einer akut einsetzenden Attacke eines chronischen 
Magengeschwürs, beginnt mit einer Ruhigstellung des Magens, 
wie sie am geeignetsten durch Benutzung anderer Organe zur 


Nahrungsaufnahme sich darstellt. Nahrungsenthaltung an sich“ 
kann schon ziemlich lange ausgehalten werden, besonders wenn 
einige Wasserresorption garantiert wird. Sie wird aber gemildert 
— somatisch und psychisch — durch die sogenannten Nährklystiere, 
selbst wenn man annimmt, daß die aus ihnen dem Körper zu 
gute kommende Menge an Nährstoffen — Kalorienzahl — eine 
nur relativ geringe, ist. Schaden richten sie bestimmt nicht an, 
da die von einigen Autoren erhobene Behauptung; daß durch 
Applikation solcher Olysmata die Magensaftsekretion angeregt wird, 
durch im Augustahospital Berlin ausgeführte Untersuchungen von 
Michael, wie an dieser Stelle kürzlich referiert wurde, wider¬ 
legt werden konnte. Die subkutane Ernährung ist schmerzhaft 
und leistet nichts. Man braucht eine gefährliche Unterernährung 
kaum zu fürchten, da sich erfahrungsgemäß Ulkuskranke, wenn 
sie schmerzfrei sind und wieder anfangen dürfen zu essen, sehr 
schnell erholen und das Verlorene wieder ein bringen. Ihnen schon in 
den allerersten Tagen der Behandlung, wie das z. B. in der be¬ 
rühmt und vorbildlich gewordenen Vorschrift von Leube vor¬ 
gesehen ist, Milch per os zu geben, hält E. für inopportun, da 
diese, selbst wenn durch Pegninzusatz die Gerinnung bereits vor¬ 
weggenommen wird, eine Saftsekretion im Magen ausgelöst wird. 
Die Rektalernährung wird durchgeführt, bis der Kra nk e bei 
anderweitiger Nahrungszufuhr keine Schmerzen mehr empfindet, 
gewöhnlich drei bis vier Tage; dann erst kommt gekühlte Milch an 
die Reihe, löffelweise, im Anfang etwa V* 1 pro Tag, bald bis auf 
I bis 1V 2 1 steigend und mit Sahnezusatz. Vom etwa fünften 
Tage ab erst ein Ei, dann mehrere, vom Ende der ersten Woche 
ab Schleimsuppen, Schabefleisch, Breie; Zwieback und Semmel 
werden erst vom zehnten oder zwölften Tage ab verabreicht, weil 
sie mechanisch reizen. Wenn von diesem Schema — das sich 
dann naturgemäß nach der Toleranz des Kranken von selbst fort¬ 
setzt — aus individuellen Gründen gelegentlich abgewichen werden 
kann, ist nach E. an der prinzipiellen Karenz des Magens in den 
ersten Tagen der Behandlung absolut streng festzuhalten — im 
Gegensatz zuLenhartz, der bekanntlich vor einigen Jahren schon 
für den ersten Tag, selbst bei unmittelbar vorhergegangener Blu¬ 
tung, Ei und Milch gibt. Dieses Verfahren führt gewiß auch zum 
Ziel, bewirkt selbstverständlich schneller Gewichtszunahme etc., 
indes spricht doch sehr gegen das L.sche Regime der Umstand, 
daß E. sich wiederholt davon überzeugen konnte, daß Blutungen 
nicht sistierten bezw. wieder auf traten, wenn von den Nähr¬ 
klistieren zur Ernährung per os übergegangen wurde, und wieder 
verschwanden, wenn die Nährklysmata wieder aufgenommen wurden. 

Dem Nährklysma gehe stets — eine Stunde — eine Reini¬ 
gung des Darms durch Wassereinlauf vorher; es bestehe aus 
einem Viertelliter Milch, einem Gelbei, einer Messerspitze Koch¬ 
salz , einem Eßlöffel mit Wasser gekochtem Weizenmehl, 5 g 
Roborat, drei Eßlöffeln einer 20%igen Traubenzuckerlösung und 
eventuell einem Eßlöffel Rotwein. Diese Mischung ist mit weichem 
Darmrohr, das nicht hoch hinaufzuschieben ist, dreimal pro die 
zu applizieren. 

Außer dieser diätetischen Behandlung, die in der Privat- 
praxis natürlich reicher ausgebaut werden kann, kommen, wie ja 
allgemein anerkannt und üblich, in Betracht bei Blutungen Mor¬ 
phium, Ergotin per injektionem, Gelatine in Lösung per klysma 
oder per os, Eiswasserspülungen des Magens. Bei einiger Uebung 
in der Hantierung ist letzterer Eingriff an sich nicht gefährlich; Ref. 
ist in der Lage, den II Fällen Ewalds einen eigenen — vor 
acht Jahren erlebten — anzufügen, in dem nach einer von ihm 
selbst gesehenen Blutung von 3 /± 1 die Blutung im Moment stand, 
so daß die Patientin sich erholte und nach fünf Monaten mit 
einem Plus von 55 Pfund entlassen werden konnte, ohne bis 
heute ein Rezidiv zu haben! 

Morphium ist nur bei starken Schmerzen zu geben, subkutan. 

Bei drohender Perforation — deren Anzeichen allerdings 
leider sehr vage sind — sowie bei vollzogener sind nur operative 
Maßnahmen indiziert. 

Ist eine Ruhekur aus irgendwelchen Gründen nicht durch¬ 
zuführen, beschränke man sich auf eine den oben angegebenen 
Prinzipien entnommene Diät mit Vermeidung von Alkohol, scharfen 
Gewürzen etc., lasse mehrfach am Tage wenigstens einige Zeit 
liegen und gebe große Dosen von Bismut, z. B, Bismut. subnitr. 
15,0, Chloroform 1,0, Aq, ad 200,0 als Schüttelmixtur dreimal 


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am Tage. Einige Autoren. empfehlen aneh Argentum in Lösung, 
erst 0,15, dann 0,2, nach Schluß wieder die 0,15 zu 200 eßlöffel¬ 
weise. Nebenbei Karlsbader, später Kur in Karlsbad selbst. 

2. Verf. teilt die Krankengeschichten zweier Fälle mit, in 
denen einige Zeit nach Ablauf einer Rektalgonorrhöe — in einem 
Fall akquiriert durch Darmspülungen mit einem Irrigator, den 
das gonorrhoische Dienstmädchen der Dame zu Vaginalspülungen 
benutzt hatte, im anderen mittels coitus per anum — Beschwerden 
sich etablierten, welche mangels jeglichen objektiven Befundes im 
Darm. — Rektoskopie — und Genitalien als Neuralgien angesehen 
wurden: zeitweise, nicht im Anschluß an Funktionen auftretende 
Schmerzen vom Rektum nach den Schenkeln, Gesäß und Genitalien. 
Die Therapie bestand in beiden Fällen in Faradisation per Rektum 
und hatte Erfolg, in einem der beiden Fälle schon volle zwei 
Jahre. Verf. sieht diese Therapie als eine ausschließlich psychisch 
wirkende an. Diese Erkrankung ist äußerst selten. (Autoref.) 

3. L. plädiert auf Grund von Erfahrungen in eigener Praxis 
für die von Pickardt (Med. Klinik, 1907, Nr. 33) zuerst emp¬ 
fohlene Tannin-Wismutverbindung mit zwei dem Bi. angegliederten 
Gerbsäuregruppen, von denen die eine im Magen sehr wenig, die 
andere gar nicht löslich ist, sondern erst allmählich im Darm zer¬ 
fällt und zur Wirkung gelangt. Wie P. empfiehlt auch L. 
das Präparat, das inzwischen den Namen „Tannismut“ erhalten 
hat und in Originalschachteln zu 10 g (Preis 50 Pf.) zu haben 
ist, bei Enteritis, Durchfällen, Meteorismus etc. 

4. M. hat in der letzten Zeit eine Reihe von Typhen syste¬ 
matisch mit Pyramidon behandelt und ist mit den Resultaten 
sehr zufrieden gewesen. Zunächst setzt es prompt die Temperatur 
herab und beseitigt, was wichtiger ist, die Folgen des „Status 
typhosus“: Jaktationen, Sopor, Delirien etc. Es ist aber zur Er¬ 
zielung dieser Wirkung durchaus notwendig, nach dem Vorgänge 
von Valentini, das Pyramidon sehr oft wiederholt in kleinen 
Dosen zu geben, am besten in 24 Stunden zehnmal, bei Frauen 
0,1 g, bei Männern 0,15 g pro dosi. Die Unruhe der Kranken 
läßt auffallend schnell nach, die Nächte werden besser und damit 
die Pflege viel leichter. Ist der Pols nicht ganz einwandsfrei, 
müssen neben dem Pyramidon Kampfer, Koffein, Digitalis ge¬ 
geben, bei stärkerer Bronchitis kalte Waschungen des Rückens 
gemacht werden. Von Zeit zu Zeit lasse man das Pyramidon für 
einen halben oder ganzen Tag beiseite, um sich vom Zustande 
der Temperatur zu überzeugen. Eine deutliche Abkürzung der 
Dauer des Typhus wurde unter der Pyramidondarreichung nicht 
bemerkt. 

5. Im-Jahre 1907 hatte Katzenstein auf Grund von 
Experimenten an Hunden die Theorie aufgestellt, daß eine wegen 
Hyperazidität oder Ulkus ventrikuli gemachte Gastroenterostomie 
ihre Heilwirkung dadurch ausübe, daß die bei jeder Magenver¬ 
dauung reflektorisch ausgeschiedene Galle und Pankreasflüssigkeit 
durch die Gastroenterostomieöflhung in den Magen regurgitiere 
und so teils den Magensaft chemisch neutralisiere, teils die Aus¬ 
scheidung der Magensäure reflektorisch verhindere. Auf dieser 
Basis hat Verf. drei Patienten mit Hyperazidität — ohne Stau¬ 
ungen —, einen nach einem Ulkus ventrikuli, operiert, nachdem 
alle — allerdings nicht näher aufgeführten — Versuche, mit 
interner Behandlung die Beschwerden zu beseitigen, fehlgeschlagen 
waren. Wie post operationem nach einem von Katzenstein 
angegebenen Probefrühstück — außer dem konventionellen Wei߬ 
brot und einer Tasse Tee noch Wasser und Milch, da Fette und 
Wasser die Pankreassekretion anregen — ausgeführte chemische 
Analysen des Magensaftes erwiesen, gingen Gallenbestandteile und 
Pankreasfermente in den Magensaft über und fehlte freie Salz¬ 
säure. Und, was die Hauptsache ist: der Zustand der Kranken 
besserte sich frappant. 

Hierzu ist zu bemerken, daß es. allerdings Fälle gibt, in 
denen früher schon aus gleichem Grunde operiert und dasselbe 
klinische Resultat erzielt wurde; das ist aber nicht die Regel: 
Ref. verfügt über zwei Fälle, in denen absolut keine Besserung 
sich einstellte. Immerhin ist in verzweifelten Fällen die an und 
für sich relativ harmlose Gastroenterostomie vorzuschlagen. Wohl 
zu beachten aber ist die Erfahrung, daß Fälle beschrieben worden 
sind, in denen die Beschwerden des Magens zwar behoben wurden, 
dafür aber infolge des schnellen Abflusses des exquisit sauren 


Saftes in das Duodenum sich in diesem nun ein Ulkus peptikum 
etablierte. 

6. Mit einem Vorschlag, der hoffentlich — nicht befolgt 
werden wird, trat in einem vor der Freien Vereinigung Berliner 
Chirurgen in allerjüngster Zeit gehaltenen Vortrag Sonnenburg 
vor das Aerzteforum. Gelegentlich einer Besprechung von Me¬ 
thoden zwecks Verbesserung der Diagnose und Differentialdiagnose 
der Appendizitis, besonders im Anfangsstadium, das die moderne 
Chirurgie bekanntlich unbedingt operativ behandelt, teilte er mit, 
daß er die Rizinusbehandlung des akuten Anfalls wieder einge¬ 
führt habe, die doch endlich so schön zum alten Rüstzeug ge¬ 
worfen schien. Behandelt wurden auf diese Weise diejenigen 
Fälle, welche in bezug auf Puls, Temperatur und Leuko¬ 
zytose von den Durchschnittszahlen (92 bez. 37,5 bez. 15000) 
nicht wesentlich abwichen, also anscheinend eine sogenannte 
Appendizitis Simplex — im Gegensatz zur Appendizitis perfora- 
tiva. Ref. — darstellten. Von 51 in den ersten Tagen einge¬ 
lieferten Fällen heilten so 49 glatt aus, während zwei am folgenden 
Tage operiert wurden und ausheilten. Von 60 nach dem zweiten 
Tage eingelieferten Kranken heilten bis auf zwei, die sich erst 
einer Operation unterziehen mußten, ebenfalls die übrigen ohne 
weiteres. S. betont selbst, daß nur eine ausgiebige Beobachtung 
im Sanatorium oder Krankenhaus dafür garantieren könne, daß 
die Methode unschädlich gehandhabt werde. 

Die diesen Mitteilungen folgende Diskussion führte zu Mei¬ 
nungsäußerungen einiger der erfahrensten Appendizitischirurgen, 
die eine durchaus ablehnende und negierende Stellung einnahmen. 

7. Körte begründete dieselbe mit dem Hinweis, daß die 
Fälle von Appendizitis simplex auch ohne jede Medikation und 
ohne jede Operation heilten, daß aber gerade von den 
ihm mit Perforation zugeführten Fällen die mit Laxantien 
vorbehandelten die schlimmsten waren. Eine Unterscheidung der 
leichten und schweren Fälle ist Sache einer ausgedehnten Erfah¬ 
rung, und wenn Sonnenburg keinen Schaden von seiner Rizinus- 
behandlung sah, so lag das eben daran, daß ihn seine große Er¬ 
fahrung diese Unterscheidung gelehrt hat. In der Hand der 
Mehrzahl der Aerzte aber ist diese Therapie etwas durchaus Ge¬ 
fährliches. 

8. R otter glaubt, daß Rizinusöl weder auf die Entzündung 
in der Wand der Appendix noch auf den Inhalt — einige ganz 
leichte Fälle vielleicht ausgenommen — günstig einwirken könne. 
Dagegen kann es auf das intraperitoneale Exsudat — nach all¬ 
gemeiner Annahme — durch die vermehrte Peristaltik ungünstig 
wirken. Die Möglichkeit, einen diagnostischen Irrtum bezüglich 
der Schwere und des Stadiums eines Krankheitsfalles zu begehen, 
ist, wie seine Operationsresultate ergeben, so groß, daß man nicht 
ohne Gefahr positive Ratschläge geben kann, wann generell Rizinus 
zu verwenden wäre. 

9. Karewski betonte, daß, wenn auch Sonnenb ur g selbst 
ausdrücklich erklärt hätte, daß die Rizinusmethode nur in An¬ 
stalten zu verwenden sei, doch die Gefahr nahe liege, daß sie, unter 
Berufung auf S.s Autorität, in anscheinend ..leichten“ Fällen auch 
von praktischen Aerzten angewandt werde und führte aus eigener 
Tätigkeit drei solcher Fälle an, in denen bei „Blinddarmreizung“ 
durch Rizinus „kupiert" werden sollte und eine Perforationsperi¬ 
tonitis resultierte. 


Lungenkrankheiten. 

Referent: Di\ Ernst Meyer, Charlottenburg, Assistent an 
der Kgl. Universitätspoliklinik für Lungenleidende in Berlin. 

1. Die Bekämpfung der Tuberkulose als Volkskrankheit. 

Von Albert Haller-Reval. St. Petersburger med. Wochenschr 
1908, Nr. 3. 

2. Die Technik des künstlichen Pneumothorax und seine 
Erfolge bei der Behandlung der Lungentuberkulose und anderer 
Lungenkrankheiten. Von Hans Lohrisch-Halle. Zeitschr. f. 
neuere physikal. Medizin, 1908, Nr. 3. 

3. Die Dosierung des Alt-Tuberkulins zu diagnostischen 
Zwecken, Von Löwenstein-Beelitz, Deutsche Aerzte-Zeite 
1908, Heft 4, S. 75. 


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1. Haller stellt als erstes Erfordernis zur Bekämpfung der 
Tuberkulose bin, daß der Staat die Bekämpfung zentralisiert 
und selbst in die Hand nimmt. Er fordert Anzeigepflicbt aller 
Tuberkulosefälle, unentgeltliche gesetzliche Desinfektion der Woh¬ 
nungen bei Umzug oder Tod Tuberkulöser, kostenlose Auswurf¬ 
untersuchung aller Personen, die länger als zwei bis drei Wochen 
Husten und Auswurf haben, sowie Einrichtung von Spezialanstalten 
zur Diagnosenstellung, wo neben den physikalischen Untersuchungs¬ 
methoden auch Röntgenuntersuchungen und probatorische Tuber¬ 
kulineinspritzungen vorgenommen werden. Ferner seien notwendig 
Tuberkulosekrankenhäuser für progressive Fälle, Sanatorien für 
Initialfälle, Rekonvaleszentenkolonien und Polikliniken für ambu¬ 
lante Fälle. Wichtig sei eine genaue Nahrungsmittelkontrolle 
sowie Fernhaltung tuberkulöser Personen von Orten, wo sie mit 
vielen anderen Leuten in Berührung kommen können. Es müssen 
ferner noch Merkblätter und Vorträge zur Belehrung des 
Publikums mitwirken, außerdem ist die Hilfe privater Vereini¬ 
gungen zur Unterstützung Tuberkulöser nicht zu entbehren. — 
Die Verstaatlichung der Tuberkulosefürsorge ist in Norwegen 
durchgeführt, das durch die Pflegeheime zur Isolierung progressiver 
Tuberkulöser vorbildlich geworden ist. Auch in Brasilien ist die 
Tuberkulosebekämpfung in mustergültiger Weise verstaatlicht 
worden. In Deutschland erzielte man große Erfolge durch die 
Heilstätten, neben denen die Walderholungsstätten, Arbeiter gärten, 
Dispensaires mit großem Nutzen wirken. Auch 10 Pflegeheime mit 
300 Betten sorgen für Unheilbare, und es ist zu hoffen, daß 
weitere derartige Heime nach norwegischem Muster in Zukunft 
noch in Deutschland errichtet werden, ebenso wie zu wünschen 
ist, daß die Anzeigepflicht aller Tuberkulose fälle obligatorisch wird 
und daß in den allgemeinen Krankenhäusern Spezialabteilungen 
für Tuberkulöse eingerichtet werden. 

2. Gegenüber den Verfahren von Forlanini und von 
Brauer verwendet Autor nach der Angabe Schmidts einen 
stumpfen Troikart, durch den Luft aus einem unter drei Atino- 
,Sphären Druck stehenden Kupferkessel langsam in die Pleura in¬ 
fundiert wird. Es können unbedenklich bis 750 ccm Luft in den 
Pleuraraum gebracht werden , wobei am besten als Punktionsort 
der neunte Interkostalraum in der hinteren Axillarlinie gewählt 
wird. Ein Nachfüllen von Luft ist etwa allmonatlich nötig und 
kann jahrelang fortgesetzt werden. Zu vermeiden ist nach Mög¬ 
lichkeit ein Ueberdruck in der Pleura. Ganz unerläßlich ist eine 
ständige Kontrolle des Pneumothorax mit Röntgenuntersuchungen. 
— Beim Bestehen von Adhäsionen kann man versuchen, multiple 
abgekapselte Pneumothoraces herzustellen, die nach Forlanini 
schließlich das gleiche Resultat wie bei unkomplizierten Fällen 
gebeü. — Die beim Zerreißen der Adhäsionen auftretenden 
Schmerzen müssen mit Morphium gelindert werden. — Im all¬ 
gemeinen wird der künstliche Pneumothorax gut vertragen und 
gilt das Verfahren für ziemlich gefahrlos, doch ist es nicht aus¬ 
geschlossen, daß durch zu rasches Einströmen des Gases Ver¬ 
drängung des Mediastinums und hierdurch Kollaps eintritt. Durch 
die gleichen Ursachen kann es zu stürmischer Entleerung massen¬ 
haften Sputums und hierdurch zu Aspirationspneumonien kommen. 
Etwa eintretende Lungen Verletzungen sind kaum von Belang. — 
Hämoptoen wurden nach Infusionen nicht beobachtet. Wodurch 
die Besserung der Lungenkrankheit nach Infusion eintrat, kann 
noch nicht mit Sicherheit angegeben werden. — Streng kontra- 
indiziert ist der künstliche Pneumothorax nach Ansicht von 
Schmidt bei doppelseitiger Lungenerkrankung. — Auch andere 
nicht tuberkulöse Lungenerkrankungen wurden mit künstlichem 
Pneumothorax behandelt, darunter mit günstigem Erfolg drei 
Aspirationspneumonien, so daß hier vielleicht noch bessere Erfolge 
als bei Tuberkulose zu erwarten sind. 

3. Nach Ansicht Löwensteins kann bei wiederholten Tuber¬ 
kulineinspritzungen nicht von einer kumulativen Wirkung des 
Tuberkulins die Rede sein, vielmehr seien die als kumulative 
Wirkung des Tuberkulins gedeuteten Erscheinungen nicht auf 
eine Anhäufung und Zurückhaltung des Tuberkulins zurückzuführen, 
sondern auf eine Aenderung des Organismus in seinem Verhalten 
gegenüber dem Tuberkulin. — Löwenstein injizierte nun mehr¬ 
mals die gleiche Dosis von 2 /io mg imd sah unter 300 Fällen 
bei 17% noch nach der vierten Injektion von 0,2 mg eine Reak¬ 


tion, Er empfiehlt diese Art der Injektion, da hierdurch der 
qualitative Charakter der Reaktion viel besser zum Ausdruck 
komme. Auch der diagnostische Wert sei nach einigen Autoren 
um so höher anzuschlagen, je kleiner die Dosis ist, durch welche 
sie hervorgerufen wird. 


Biologische Therapie. 

Referent: Dr. W. Esch, Bendorf a. Rh. 

1. Die Behandlung der Gallensteine. Von A, Albu-Berlin. 
Zeitschr. f, ärztl. Fortbild., 1908, Nr. 3. 

2. Gibt es therapeutisch brauchbare schleimlösende Mittel? 
Von F. Schilling-Leipzig. Zentralbl. f. innere Med., 1906, 
Nr. 35. 

3. Ueber Veränderungen der Blutviskosität nach Gebrauch 
von Mineralwässern. Von Boveri-Pavia. Bl. f. kl. Hydroth., 
1907, Nr. 9. 

4. Heber naturgemäße Therapie. Von Prof. Goldscheider- 
Berlin. Deutsche med. Wochenschr., 1906, Nr. 10. 

5. Die Stellung des Arztes zur Naturheilkunde, eine objek¬ 

tive Kritik von Naturheilkunde und Schulmedizin nebst Beitr. zu 
einer biolog. Heillehre. Von W. Esch-Bendorf. 2. Aufl. Mün¬ 
chen 1906. 40 Pf. (Eigenbericht.) 

6. Die physikalisch - diätetische Behandlung der Knochen- 
und Gelenktuberkulose. Von R. Spohr-Frankfurt. Arch. f. 
phys.-diät. Ther., 1905, Nr. 11. 

Wir möchten die obigen Arbeiten hier im Zusammenhang 
besprechen, um an einigen Beispielen die mechanistische Patho¬ 
logie und Therapie einer- und die biologische Auffassung andrer¬ 
seits zu demonstrieren. 

1. Im Gegensatz zu dem „radikalen“ Vorgehen von Langen- 
buch, Riedel, Körte, Kehr etc. sieht Albu die Gallenstein¬ 
krankheit nicht als ein rein chirurgisches Leiden an, weil auch 
nach der operativen Entfernung der Steine die ursächliche Cholan¬ 
gitis immer noch besteht. Vielmehr nimmt er eine gemäßigte 
Stellung ein und läßt für die chirurgische Behandlung nur 
drei Indikationen gelten: den chronischen Choledochusverschluß, 
das Gallenblasenempyem und die keiner internen Therapie zu¬ 
gänglichen Fälle mit andauernden Anfällen oder Beschwerden. 

Die übrigen mannigfaltigen Erscheinungsformen der Cholangitis 
behandelt Albu vor allem mit Ruhe und Wärme. Betreffs der 
medikamentösen Behandlung betont er den problematischen Wert 
der sogen, gallensteinlösenden Mittel wie Aether und Terpentinöl 
(Dur an de), Olivenöl, Eunatrol, Fel tauri, Cholelysin, Chologen, 
Ovogal, Lithosanol, deren Wirksamkeit, soweit eine solche über¬ 
haupt vorhanden sei, er z. T. auf die Beimischung chemischer 
oder vegetabilischer Laxantien zurückführt. 

Auch den den Mineralwasserkuren vielfach zugeschriebenen 
fast spezifischen Einfluß auf die Gallensteine, der u. a. damit be¬ 
gründet wird, daß letztere in alkalischen Flüssigkeiten sich lösen, 
läßt Albu nicht gelten, da das z. B. bei den kalkhaltigen Kon¬ 
krementen „nicht einmal in vitro“ der Fall sei. 

Bis hierhin kann man ihm im großen und ganzen wohl bei¬ 
stimmen. Das ist aber nicht mehr möglich, wenn er behauptet: 
„Alle Mineralbrunnen, ob alkalische, Glauber- oder Kochsalzquellen, 
wirken sämtlich nur durch die Anregung der Darmperistaltik, die 
auch den Gallenfluß beschleunigt, und durch die Durchspülung der 
Gallenwege.“ 

2. Noch skeptischer als Albu steht Schilling der Wirkung 
unserer Mineralwässer gegenüber. Er sagt: „Die gebräuchlichen 
Mittel, Alkalien, Kochsalzlösung, Karlsbader Salz etc., erfüllen 
ihren Zweck ebensowenig wie die bekannten Mineralwässer, alka- 
lisch-muriatischen Quellen usw. Zahlreiche Versuche mit warmen und 
kalten Lösungen der genannten Mittel in allen möglichen Varia¬ 
tionen ergaben stets dasselbe Resultat: die darin auf bewahr¬ 
ten Schleimfetzen blieben nach Stunden noch unver¬ 
ändert.“ (! !) 

Daß es fruchtbringendere Wege für derartige Untersuchungen 
gibt, zeigt 

3. die Arbeit von Boveri. Bei einer Anzahl von Patienten, 
die au den verschiedensten Krankheitserscheinungen litten, dabei 


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meist starke BÄer und Trinker mit Neigung zu Fettleibigkeit 
waren, fand er eibe Erhöhung der normalen Blutviskosität 
von 5,5 bis 6 # auf 6,8 bis 7,3. Durch entsprechende Diät und 
Behandlung unter Zuhilfenahme der jodhaltigen Kochsalzquellen 
von San Pellegrino konnte er sowohl normale Blutverhältnisse 
herstellen als auch die entstandenen Stoffwechselschädigungen, 
Herzstörungen etc* beseitigen. 

Während also Albu und Schilling und mit ihnen leider 
wohl eine große Zahl „modernwissenschaftlicher“ Aerzte der er¬ 
wähnten grobmechanischen Auffassung huldigen, hat Boveri 
bereits die Einsicht gewonnen, daß die Wirkung der Mineral¬ 
wässer ebensowenig wie die meisten anderen Vorgänge des Orga¬ 
nismus „in vitro“ studiert, „beobachtet“ werden kann, sondern 
daß sie auf biologischem Wege zustande kommt. 

4. Goldscheider schildert in seinem Vortrag über natur- 
, gemäße Therapie, wie der durch die großen naturwissenschaft¬ 
lichen Entdeckungen berauschte Zeitgeist der „Ueberexaktheit“ 
es ganz übersieht, daß der Arzt, der es täglich mit den Problemen 
des Lebensprozesses zu tun hat, sich mit der „reinen Beob¬ 
achtung“ allein nicht begnügen kann, sondern vielmehr die patho¬ 
logischen Geschehnisse biologisch zu verstehen, sie 
auf biologische Gesetze zurückzuführen bestrebt 
sein muß. (Deshalb ist auch die heutzutage allein geschätzte 
Detailforschung, die zunehmende Spezialisierung der Wissenschaft 
so lange vom Uebel, als ihr das geistige Band fehlt, das die 
zahllosen Einzelheiten innerlich verknüpft und zu einer einheit¬ 
lichen Auffassung vom Wesen und von der Behand¬ 
lung der Krankheiten führen kann. — Esch, F. d. M., 
1904, Nr. 8.) 

Das vornehmste biologische Gesetz sieht Goldscheider in 
Uebereinstimmung mit Bier (Hyperämie als Heilmittel) in dem 
alle Einrichtungen des Organismus beherrschenden Prinzip der 
Sicherung der Existenz des Individuums und der 
Gattung, in der Selbsterhaltungstätigkeit des Körpers. 

Demzufolge sind die Krankheitserscheinungen in viel größerem 
Umfange, als in der gegenwärtig noch vorherrschenden Anschauung 
.zum Ausdruck kommt, als Heilbestrebungen des Organismus an¬ 
zusehen, die nicht bekämpft werden dürfen, sondern unterstützt 
bezw. reguliert werden müssen. Aus diesem Grunde sind thera¬ 
peutische Bestrebungen, wie sie z. B. in der Antipyrese, der Anti- 
phlogose, der spezialistischen Lokalpolypragmasie zum Ausdruck 
gelangten, unhaltbar geworden. 

5. Wurde die Selbsterhaltungstätigkeit des Organismus von 
der modernen offiziellen Medizin zu wenig gewürdigt, so fand 
andrerseits, wie Esch ausführfc, die Lehre von der Lokalisation 
der Krankheit infolge der exklusiv anatomischen Betrachtungs¬ 
weise eine gewaltige Ueberschätzung. Ueber dem Suchen nach 
dem „Sitz der Krankheit“ vergaß man ihren Werdeprozeß 
und die Einheitlichkeit des Organismus, man vergaß vor 
allem den entscheidenden Einfluß zu würdigen, den die Be¬ 
schaffenheit des Blutes auf den Verlauf des Krankheits¬ 
vorganges hat; hängt doch die Beschaffenheit der Zellen und des 
von ihnen gebildeten Körpers, dessen Konstitution und ge¬ 
regelte Tätigkeit neben anderen mehr oder weniger wichtigen 
-Faktoren vor allem von der Blutzusammensetzung ab, und können 
wir .doch die kranken Zellen in der Hauptsache nur durch Ver¬ 
mittlung ihrer Nährflüssigkeit beeinflussen. 

Ein ähnlicher Vorwurf ist auch der Bakteriologie zu 
machen, deren Adepten vielfach in kritikloser Uebertreibung der 
Bedeutung ihrer Laboratoriumsfunde das Heil der Menschheit vor¬ 
zugsweise in Desinfektion und antibakterieller Behandlung sehen 
(„So und so viel Antitoxineinheiten retten so und so viel Kilo¬ 
gramm Versuchstier oder Mensch“). Die Konstitution war ihr bis 
vor kurzem Nebensache, trotzdem die eminente Wichtig¬ 
keit der individuellen Körper- und insbesondere Blut¬ 
beschaffenheit gerade der Bakteriologie am ehesten 
hätte klar werden müssen*). 

*) Die Ansicht, daß es gegen jede Krankheit ein Spezifikum geben 
müsse, ist ein Rest des naiven Wunderglaubens alter Zeiten, den wir sonst 
so gern bespötteln (Meissen, Ztschr. f. Tbk. XII). „Das Resultat des 
bakteriologischen Tierexperiments ist meist der Ausdruck einer Katastrophe 
im Organismus, nicht der Ausdruck des Vorgangs, den wir Krankheit nennen, 
dem Tier' wird der angebliche Krankheitserreger unter Umgehung der na- 


Die skizzierte einseitige lokalistische und antibakterielle Be¬ 
handlung hatte naturgemäß nur sehr mangelhafte Heilerfolge auf¬ 
zuweisen, und so war es denn kein Wunder, daß gegen den Zeit¬ 
geist der Ueberexaktheit eine Reaktion eintrat. Dies geschah 
zunächst in Gestalt der volkstümlichen Bewegung der Natur¬ 
heilkunde. 

i Sie lehrt die konstitutionsverbessernde Lebensreform, indem 
sie, mehr als die offizielle Hygiene, eine persönliche Gesund¬ 
heitspflege betont, und sie erstrebt im Zusammenhänge damit 
eine Heilreform, die die alten konstitutionellen, der Natur, dem 
Leben am meisten adäquaten physikalisch-diätetischen Heilfaktoren 
höher wertet als die bisher vorherrschenden medikamentösen und 
operativen Maßnahmen. 

Daß der Naturheilkunde dabei andrerseits auch all die wider¬ 
wärtigen Uebertreibungen, Auswüchse und Fehler einer Volks¬ 
bewegung anhaften, wird von Esch sodann des näheren ausgeführt. 

Nachdem nun aber auch eine immer größere Zahl selbständig 
denkender Aerzte die besprochenen Einseitigkeiten und Irrtümer 
der offiziellen Heilkunde erkannt und sich z. T. schon in dem 
Bestreben vereinigt haben, sowohl aus der Naturheilkunde wie aus 
der Schulmedizin das Gute und Berechtigte zu entnehmen, die 
Fehler beider aber so viel wie möglich zu vermeiden, ist Hoffnung 
vorhanden, daß es allmählich auch zu einer wissenschaftlichen 
Reform der Heilkunde auf biologischer Grundlage 
kommen wird*). 

6. Die „offizielle“ Behandlung der tuberkulösen Knochen- und 
Gelenkentzündung war bis vor kurzem im wesentlichen eine lokale 
mit Ruhigstellung, event. Extension, Jodoforminjektion, Auskrat¬ 
zung, Resektion, Amputation etc. Die Allgemeinbehandlung be¬ 
stand in „kräftiger“ Ernährung mit Fleisch, Milch, Eiern; medika¬ 
mentös wurde u. a. Jodeisen verabreicht. Sol- und Seebäder 
kamen meist nur für Bessersituierte in Betracht, und Heilung mit 
verkrüppelten Gliedmaßen mußte noch zu den günstigeren Resul¬ 
taten gerechnet werden. 

Ein Fortschritt auf diesem Gebiet wurde neuerdings erreicht 
durch Biers Hyperämiebehandlung, die ohne die Fixierung mit 
ihren unangenehmen Folgen und vielfach auch ohne operativen 
Eingriff bessere Resultate erzielte wie die frühere Methode. Mit 
Recht sagt Bachmann (1. Ber. ü. d. Freie Vereinigung biolog. 
denkender Aerzte), daß Bier nun auf dem besten Wege sei, die 
brennende Frage zu beantworten: Da nicht jedes Blut gleich 
geeignet zur Heilung mittels der Hyperäm iebehand- 
lung erscheint, wie erzielen wir die nötige Blut- 
und damit die Konstitutionsverbesserung, die zur 
Heilung des Lokalleidens nötig ist? 

Die Antwort auf diese Frage gibt Spohr, indem er auf 
Grund zahlreicher Heilerfolge mit Erhaltung normaler Gliedmaßen 
den Aerzten empfiehlt, für Erhöhung des Stoffwechsels, 
Anregung der Ausscheidung, Förderung der Zir¬ 
kulation und Blutneubildung Sorge zu tragen. Das 
erreicht man durch hydrotherapeutische Maßnahmen (heiße Bäder 
mit kühlen Uebergießungen und Frottierung, Schwitzpackungen, 
wechselwarme Umschläge, durch reichliche Luftzufuhr, Luft- und 
Sonnenbäder, körperliche Betätigung und durch geeignete Diät 
mit genügender Berücksichtigung der so wichtigen Vegetabil ien 
an Stelle der von der Schule stark überschätzten Eiweißkost 
(Esch, Aerztl. Rundsch., 1906). 


türlichen Schutzwekren beigebracht. Es ist eine gewaltsam erzwungene 
Vergiftung. (Rosenbaeh, Arzt c./a. Bakteriologe.) — Neuerdings er¬ 
scheint es ziemlich gleichgültig, was man einspritzt, wofern man nur 
einsprifczt: Serum von immunisierten und nicht immunisierten Tiereu, 
Sapropbyten, abgeschwächte Kulturen oder Serum der gleichen oder solche 
einer anderen Krankheit (Diphtherieserum bei Masern, Ozaena, Erysipel, 
Bacill. pyozyaneus bei Typhus, Diphtherie etc.). 

*) Wir können nicht umhin, auch an dieser Stelle unserem Bedauern 
darüber Ausdruck zu geben, daß unsere Bestrebungen, die mit der heutigen 
Naturheilbewegung außer der Anerkennung ihrer berechtigten Seite 
auch nicht den geringsten Konnex haben, von sonst verdienstvollen Männern 
wie Neuman n-Bromberg so völlig verkannt werden. Stellt er uns doch 
als „der Naturheilkunde dienstbar“ hin, weil einige Fanatiker unsere 
Worte für ihre unlautere und gehässige Bekämpfung der Wissenschaft „aus¬ 
zunutzen“ pflegen. Selbstverständlich kann eine objektive Kritik, der die 
fortschreitende Reform unserer Heilkunde im Sinne von Bach mann, Bier, 
Q old scheid er, Hueppe, Verworn etc. am Herzen liegt, sich durch 
derartige Aengstlichkeiten nicht beeinflussen lassen. Ref. 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 




Mitteilungen über Arzneimittel. 


Novokain. 

Von Privatdozent Dr. C. Bachem, Bonn. 

Fuester, Novokain als Lumbalanästhetikum (Deutsche 
Zeitschr. f. Chirurgie, Bd. 90) und 

Beck, Erfahrungen aus der ärztlichen Praxis mit Novo¬ 
kain-Lokalanästhesie (aus dem Spital Rothenburg a. d. Tauber). 

Fuester hat das Novokain bei den verschiedensten chi¬ 
rurgischen Operationen als Lumbalanästhetikum in Anwendung 
gebracht. Die Schlußfolgerungen, die er aus seinen Erfahrungen 
zieht, sind diese: 

Das Novokain übertrifft in der Dosis von 0,1 g in Form 
von Tabletten angewandt, das Tropakokain um ein ganz Be¬ 
deutendes in der analgetischen Kraft, bei gleichzeitiger ge¬ 
ringerer Giftigkeit und daraus resultierenden weniger üblen 
Nach- und Nebenwirkungen. Versager kommen bei beiden 
Präparaten ungefähr in gleichem Maße vor, dürften sich aber 
bei noch exakterer Indikationsstellung, vor allem bei Rück¬ 
sichtnahme auf das Alter der Patienten, auf einen noch kleineren 
Prozentsatz herabdrücken lassen, als dies bisher der Fall ist. 
Vollkommen ist die Methode bisher allerdings auch bei Ver¬ 
wendung des Novokains noch nicht, aber die Erfolge sind so, 
daß es weit mehr als das Tropakokain mit der Inhalationsnar¬ 
kose zu konkurrieren imstande ist. Bei sorgfältiger Auswahl 
der Fälle und strikter Beobachtung der Kontraindikationen 
— Alter unter 15 Jahren, eitrige Prozesse und höehstgradige 
allgemeine Kachexie — besitzen wir im Novokain ein quoad 
vitam ungefährliches Präparat. Bei der Anwendung sind aus¬ 
schließlich die Tabletten zu gebrauchen, keinesfalls die Lösung. 

Nicht minder günstig lauten die Erfahrungen Becks, der 
das Novokain als Infiltrationsanästhetikum bei den mannig¬ 
fachsten chirurgischen Eingriffen zu seiner größten Zufrieden¬ 
heit benutzt hat. Auch hier gelangten stets Novokain-Tabletten 
(zu 0,1 und 0,125 g) zur Anwendung. Die Lösung wurde immer 
unmittelbar vor dem Gebrauch hergestellt und zwar in der 
Weise, daß in einem Kölbchen die physiologische Kochsalz¬ 
lösung aufgekocht und darin die entsprechende Anzahl Tab¬ 
letten aufgelöst wurde. Die allgemein angenommene Maximal¬ 
dosis von 0,5 g Novokain brauchte in keinem Falle über¬ 
schritten zu werden. Infolgedessen blieben auch alle Neben¬ 
wirkungen und üblen Begleiterscheinungen, die man der In¬ 
jektionsflüssigkeit hätte zur Last legen können, vollkommen 
aus. Verfasser hält das Novokain für ein vollständig unschäd¬ 
liches Mittel zur lokalen Anästhesierung, das allen Anforde¬ 
rungen, die man an ein solches stellen kann und muß, vollauf 
genügt Die Verwendung von Novokain in der von Braun 
jm Anschluß an Schleich und Hackenbruch zur Methode 
ausgearbeiteten Weise zur Lokalanästhesierung vermag in sehr 
vielen Fällen eine Allgemeinnarkose nicht nur zu ersetzen, 
sondern ist wegen ihrer absoluten Gefahrlosigkeit in allen dazu 
geeigneten Fällen statt der Narkose in Anwendung zu bringen. 
Dem oft sehr fühlbaren Mangel in der „kleinen“ Chirurgie an 
geeigneter Assistenz (Narkotiseur) hilft die Lokalanästhesie am 
einfachsten und sichersten ab. Da die erforderliche Technik 
eine sehr einfache ist, sollte die Novokain anäs thesie auch Ge¬ 
meingut der Aerzte werden. 


Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. Die desinfizierende und antiseptische Wirkung des 
Parisols. Von Dr. Niemann. Allg. med. Zentral-Zeitg., 1908, 
Nr. 7. 

2. Lysol und Kresolseife. Von Prof. Schott elius. Münch, 
med. Wochenschr., 1908, Nr. 6. 

3. Erfahrungen mit Bromural. Von Dr. Veesey. Wiener 
klin. Wochenschr., 1908, Nr. 7. 


4. Warnung vor Geheimmitteln. : / ^ 

5. lieber Laxin-Konfekt. Von H» Zikel, Zeitschr. für 
neuere physikal. Therap., 1908, Nr. 3; 

6. Camphosal. Von v.-Boltenstern. Deutsche Aerzte- 

Zeitg., 1908, Nr. 3. t 

7. Die moderne Arzneibehandlung der Tuberkulose. Von 
N. Raw, M. D., M. R. G. P M London, F. R. S. Ed. Fol. therap., 
Jan. 1908. 

8. Eine nötige Meta-Kritik. Von Dr. Langfeldt. . Aerztl. 
Rundschau, 1908, Nr. 4. 

9. Vergiftung einer dreigliedrigen Familie durch ein irr¬ 
tümlich genommenes Belladonna-Infuä. Von Dr. Kalmus. Wien, 
med. Wochenschr., 1908, Nr. 5. 

10. Ueber Pyozyanasebehandlung der Diphtherie. Von Dr. 
Mühsam. Deutsche med. Wochenschr., 1908, Nr. 6. 

11. Heber das Yohimbin „Riedel“ und dessen Wirkung. 
Von Dr. Dragendorff. Allgem^ med. Zentral-Zeitg., 1908, 
Nr. 5. 

12. Ein besonderer Fall von Salipyrin-Idiosynkrasie. Von 
Dr. Ritter. ’Berl. klin. Wochenschr., 1908, Nr. 6. 

13. Die Verwendung von Kufekemehl in der Kinderpraxis. 
Von Dr. Grünfeld. Oesterreich. Äerzte-Zeitg., 1908, Nr. 3. 

14. Heber das Tuberkulose-Diagnostikum „Höchst“. Leipz. 
med. Monatsschr., 1907, Nr. 11. 

15. Heber Bromverbindungen mit besonderer Berücksichti¬ 
gung des Strontiumbromids. Von W. J. Robinson-New York. 
Apotb.-Zeitg., 1908, Nr. 12. 

16. Wissenschaftliche Mitteilungen über Pastor Felkes Honig¬ 
lebertran. Von Dr. Zernik. Ibidem, Nr. 11. {:> . 0 

1. Aus den vergleichenden Desinfektionsversuchen, die N. 
mit Lysol, Lysoform und Pari so 1 bei Typhus-, Tuberkelbazillen 
und Streptokokken vorgenommen hat, erwies sich das letztere 
Präparat in den angewandten Konzentrationen in seiner desinfek- 
torischen und antiseptischen Wirkung dem Lysol und Lysoform 
bedeutend überlegen. Außerdem wirkt Parisol schon in Lösung 
von 1 / 2 bis 1% desodorierend, was bei den anderen Antiseptizis 
nicht der Fall ist. Ferner ist das neue Mittel, ein Formaldehyd¬ 
präparat, das eine klare, farblose Flüssigkeit darstellt und sich in 
jedem Verhältnis in Wasser löst, relativ • ungiftig, so daß es sich 
vielleicht auch zu Spülungen des Uterus eignen würde. 

2. Anknüpfend an den neuen Erlaß des preußischen Kultus¬ 
ministers betr. die Einführung einer neuen Kresolseife anstatt des 
Lysols für die Hebammen, stellt Sch. Betrachtungen über Lysol 
und Kresolseifen an. Um eine Verbesserung des Lysols durch 
eine neue Kresolseife — der offizmelle Liquor Kresoli saponatus 
scheidet aus wegen der Inkonstanz seiner Herstellung und Wirk¬ 
samkeit — zu erreichen, kommen — meint Sch. —- drei Faktoren 
in Betracht: Das neue Mittel müßte kräftiger wirksam, für den 
Menschen weniger giftig und billiger sein als das Lysol. 
Sch. weist nach, daß diese drei Möglichkeiten nicht zutreffen, und 
glaubt, daß das Lysol nach wie vor das zuverlässigste und wirk¬ 
samste Kresolseifenpräparat ist. 

3. Der Verf. versuchte das Bromural in einer ziemlich großen 
Anzahl von Fällen, jedoch kamen, wie dies im Wesen der Anstalts¬ 
behandlung begründet ist, nebenbei die verschiedensten physikalisch¬ 
diätetischen therapeutischen Maßnahmen zur Geltung. 

Die reine Bromuralwirkung ließ sich jedoch an verschiedenen 
Fällen beobachten, in denen aus naheliegenden Gründen die son¬ 
stige Therapie zurücktrat. 

Das Bromural kam u. a. zur Verordnung bei Morb. Basedowii - 
mit Tachykardie und Arhythmie, bei Agrypnia nervosa nach vor¬ 
aufgegangenen starken psychischen Alterationen und Abusus in 
hypnoticis,_ bei postklimakterischer Hysterie und bei Sklerodermie 
mit Bradykardie, in letzterem Falle wurde gegen die Schmerzen 
jeden zweiten Tag abwechselnd Morphium injiziert. Endlich kam 
das Mittel noch bei Schlaflosigkeit infolge Anämie, Dysmenorrhöe 
usw. mit gutem Erfolge zur Verwendung. 

Während nach Gebrauch anderer Schlafmittel die Patienten 
jedesmal morgens höchst irritabel waren, kamen derartige Nach¬ 
erscheinungen bei der Bromuraltherapie niemals zur Beobachtung; 
auch wurde niemals Bromismus festgestellt, obgleich einige Pa¬ 
tienten mit starker Bromakne infolge Gebrauchs von Bromalkälien 




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RtJNDSCHAU. 


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in die Anstalt eintraten. Ddr Verf. empfiehlt, die Bromural therapie 
nach folgendem Schema zu leiten: 

1. Tag 0,3 g Bromural 

2. * „ 0,6 g „ 

3 * » 0,6 g „ 

4. „ Pause 

5. „ 0,3 g Bromural usw. 

Die bisherigen Erfahrungen des Verf. veranlassen ihn, das 
Bromural auch weiterhin unbedenklich zu verwenden. 

. 4. Das Polizejamt in Darmstadt warnt neuerdings wieder vor 
zwei Geheimmitteln, dem Trunksuchtsmittel „Alkolin“ und dem 
„Fulgural“. Die Warnungen haben folgenden Wortlaut (Allgem. 
med. Zentral-Zeitg., 1908, Nr. 6): 

„Durch Zeitungsanzeigen mit der TJebersehrift: „Heile die 
Trunksucht;, ehe der Trunksüchtige das Gesetz verletzt! Rette 
ihn, ehe der Alkohol seine Gesundheit, Arbeitslust und Vermögen 
zerstört hat oder der Tod die Rettung unmöglich gemacht hat!“, 
wurde auch in einer hier gelesenen auswärtigen Zeitung von dem 
„Alkolin-Institut“ zu Kopenhagen für sein angebliches Trunk¬ 
suchtsheilmittel „Alkolin“ Reklame gemacht. 

Es heißt da u. a.: „Alkolin ist ein Surrogat für Alkohol und 
bewirkt, daß der Trunksüchtige geistige Getränke verabscheuen 
wird.“ — „Alkolin ist vollkommen unschädlich und wirkt so 
intensiv, daß auch stark trunksüchtige Personen einen Rückfall 
niemals bekommen.“ — „Alkolin sollte jeder Vater seinem Sohne, 
dem Studenten geben, ehe er beim Examen durchfällt, wenn er 
dem Trünke auch nicht besonders ergeben ist, so schwächt der 
Alkohol dennoch sein Gehirn!“ usw. 

Das Alkolinpräparat, welches „5 Gulden“ (8,50 M.) kostet, 
besteht nach der auf den Feststellungen des dortigen Amtsarztes 
beruhenden amtlichen Auskunft des zuständigen Amtsvogts aus 
einem Auszug von Erbsenblüten (!), Milchzucker, Lakritzenextrakt 
und Wasser und ist ganz wirkungslos. Der Vertrieb des Mi ttels 
ist in Dänemark verboten und findet daher nur nach dem Aus¬ 
lande statt. 

Vor dem Bezüge dieses Mittels, dessen Preis überdies unver¬ 
hältnismäßig hoch ist, sei hiermit dringend gewarnt. 

Das von „Dr. Ä. Sjteiner & Schulze, Fabrik chemisch 
pharmazeutischer Präparate“ in Braunschweig als „vollständig un¬ 
schädliches“ und „vorzüglich bewährtes“ Mittel zur Heilung und 
Verhütung von „Magenleiden, Verdauungsstörungen, Hautleiden, 
Flechten, Nieren-, Leber- wie Blasenleiden, Hämorrhoiden, Ge¬ 
schwüren, skrofulösen Erscheinungen etc., Fettleibigkeit“ in Ver¬ 
kehr gebrachte „Fulgural“ ist nach dem Gutachten des pharma¬ 
zeutischen Instituts der Universität Berlin „ein etwa 10% Alkohol 
enthaltender, mit etwas Zucker versetzter weiniger Auszug ver¬ 
schiedener pflanzlicher, nicht starkwirkender Drogen, der etwa 
. 10% Bittersalz gelöst enthält“. 

Das Mittel ist also in der Hauptsache weiter nichts als ein 
einfaches Abführ- und leicht harntreibendes Mittel, dem die gegen 
die mancherlei angeführten Krankheiten an gepriesene vorzügliche 
Heilwirkung nicht innewohnt.“ 

In die Geheimmittelliste vom 27. Juni 1907 wurden neu auf¬ 
genommen Dr. Rays Nervol und Dr. Rays Darm- und 
Leberpillen, beide dargestellt von Dr. Rays Remedy Co., 
London, in Deutschland vertrieben durch die Engelapotheke in 
Frankfurt a. M. Nervol wird in den beiliegenden Broschüren 
empfohlen als Universalheilmittel gegen Nervenleiden, die Darm¬ 
und Leberpillen ebenso gegen Magen- und Darmleiden, Gallen¬ 
steine, Rheumatismus. Eine Flasche Nervol (= V 2 1) kostet 4 M., 
eine Dose Pillen 2,50 M. Das Nervol ist ein mit je 3% Alkohol 
und Glyzerin versetzter, wässriger Auszug indifferenter vegetabili¬ 
scher Stoffe, insbesondere von Baldrian, welcher rund 6% Brom¬ 
kalium gelöst enthält. In den Pillen war hauptsächlich Aloe und 
Natronseife. Vor den Nervolpräparaten ist behördlicherseits ge¬ 
warnt worden. 

5. Nach Dr. Zikel ist das neue Laxans der Pharmakon- 
Gesellschaft, Berlin, „Laxin-Konfekt“ ein harmloses, unschäd¬ 
liches Mittel, das wegen seines angenehmen, erfrischenden, an 
Konfitüren erinnernden Geschmackes besonders in der Frauen- 
und Kinderpraxis angewendet, und das auch Kindern vom zweiten 
Lebensjahre ab unbedenklich verabreicht werden kann. Z. gab Kindern 
. vom zweiten bis zum vollendeten sechsten Jahre ^2 bis 8 /i Tablette, 


bis zum 16. 1 bis 1 1 fz , von da ab höchstens 2 Tabletten täglich 
und pro dosi. Das Mittel ist übrigens chemisch mit Dihydrooxy- 
phthalophenon identisch, spaltet aber nicht, wie man denken sollte, 
Phenol im Verdauungstraktus ab. 

6. Unter dem Namen Oamphosal bringt die Firma Riedel, 
Akt.-Ges., Berlin, den neutralen Kampfersäureester des Santalöls 
in den Handel. Dasselbe bildet ein bräunlich-gelbes Oel, das 
durch alkoholische Kalilauge nur langsam verseift wird. Es ist 
in Aether, Alkohol, Petroläther, Benzol und Chloroform nicht 
löslich, dagegen in 70%igem Spiritus, hat schwach aromatischen 
Geruch und leicht bitterlichen Geschmack. Nach v. Bolten¬ 
stern ist das Oamphosal absolut zuverlässig bei allen Prostata¬ 
erkrankungen, beseitigt das Urethralfieber und die Katarrhe der 
Blase, besonders bei alten Prostatikern, die sich selbst nicht mehr 
kathetrisieren können und die Bakteriurie ständig von neuem 
hervorrufen. Das Präparat wird in Kapseln zu 0,25 g Oamphosal 
verkauft; davon gibt man täglich drei- bis viermal zwei bis drei 
Stück. 

7. Als Allgemeinbehandlung zur Hebung des Appetits gegen 
fieberhafte Zustände und vorgeschrittene Kachexie habe ich folgende 
Mixtur mit Vorteil verwendet: 

Rp.: Chinin, hydrochl. 0,12, 

Oalc. hypophosph. 0,25, 

T. nuc. vom. gtt. X, 

T. aurant. 2,0, 

Glyzerin. 4,0, 

Aq. dest. ad 30,0. 

M. f. dosis. S. 3 mal tägl. V 2 Stunde 
vor der Mahlzeit zu nehmen. 

Eines der besten Heilmittel für die Behandlung der Phthhis 
ist Kreosot. Sogar bei vorgeschrittener Tuberkelbildung scheint 
es einen allgemeinen wohltuenden Einfluß auszuüben, der sich im 
Nachlassen des Nachtschweißes, der Diarrhöe und des Hustens 
und Zunahme des Appetits und der Verdauungstätigkeit äußert. 

Mit reinem Buchenholz-Kreosot erzielt man sehr gute Er¬ 
folge; Keferstein empfiehlt ein Gemisch von Kreosot mit Zimt¬ 
tinktur. H u d e 0 d und andere schlagen die rektale Anwendung 
des Kreosots vor. 

Zurzeit sind eine ganze Menge Kreosotpräparate im Ge¬ 
brauch. Benzosol hat einen ausgezeichneten Ruf. Auch Kreosot¬ 
karbonat ist sehr beliebt und wird von vielen Patienten bevorzugt. 
Es ist eine flüssige sirupartige Masse und wird bei Husten und 
erschwerter Expektoration angewandt. 

Ein neues Mittel, Sirolin, das viel im Ausland benutzt wird, 
kommt jetzt auch in England immer mehr in Aufnahme. Es ent¬ 
hält Thiocol (guajakolsulfosaures Kalium) und ist besonders für 
Kinder geeignet, da es den Husten und die D}^spnoe vermindert 
und den Schleimauswurf fördert. 

Das Mittel jedoch, welches die ermutigendsten Resultate bei 
der Behandlung der Phthisis, vor allem auch bei Darmtuberkulose 
ergeben hat, ist das Styrakol. Es ist der Zimtsäureester des 
Guajakols mit der Formel C 6 H 5 — CH : CHCOOC 6 H 4 OCH-, und 
stellt ein weißes kristallinisches Pulver dar, das in kaltem Wasser 
unlöslich ist, sich jedoch in Alkohol, Chloroform und Olivenöl 
löst. Styrakol scheint reichliche Mengen Guajakol abzuspalten 
und macht gleichfalls die antiseptische Zimtsäure frei. Die Vor¬ 
teile des Styrakols in der Behandlung der Lungenphthise und 
der Darmtuberkulose sind folgende: 

a) Es ist nicht giftig, wenn es in therapeutischen Dosen 
gegeben wird. Es passiert den Magen unverändert und ubt 
keinen Reiz auf die Schleimhaut aus. 

b) Es ist geruchlos und vollkommen frei von irgendwelchem 
Geschmack nach Guajakol und ist angenehm zu nehmen. 

c) Im Darm spaltet es Guajakol ab und hält den Körper 
längere Zeit unter Guajakolwirkung. 

d) Es macht die Zimtsäure frei, die im Darmtraktus als 
kräftiges Antiseptikum wirkt. 

Ich habe Styrakol vielfach bei Tb. benutzt und glaube 
sicherlich, daß es die beste Methode der Guajakolmedikation ist: 
bei gleichzeitiger Darmtuberkulose mit anhaltender Diarrhöe ist 
die Wirkung ausgezeichnet; in vielen Fällen hört die Diarrhoe 
sofort auf und der lästige Geruch verschwindet bald. 


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214 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU 


In verschiedenen Pallen von Hämoptoe hatten wir oft gute 
Resultate mit Adrenalinchlorid. Auch Inhalationen von, Amylnitrit 
zeigten sich erfolgreich. 

Auf das Tuberkulin näher einzugehen, halte ich hier nicht 
für angebracht, da dieses ein spezifisches Mittel darstellt. 

(Autoreferat.) 

8. In einer Metakritik, die L. der Kritik der Allgem. med. 
Zentral-Zeitg. über seine Broschüre: „Ein zuverlässiges Mittel 
gegen Scharlach“ zu teil werden läßt, rechtfertigt er dieses neue 
Mittel, das er schon bei vielen Scharlachkranken mit Erfolg an¬ 
gewendet hat. Dasselbe besteht aus folgender Lösung: Phenol, 
paramonochlorat. 4,0, Spiritus 250,0, Aether. sulf. ad 800,0. Da¬ 
mit sind dreistündlich Einreibungen vorzunehmen; denn L. geht 
von der Vorstellung aus, daß durch das Parachlorphenol die 
Scharlachmikroben in der Haut vernichtet werden. Solche Ein¬ 
reibungen hat L. erfolgreich bei sechs Fällen angewendet, später 
ist er zu Begießungen übergegangen; und zwar hat er, wie aus 
der mitgeteilten Kranken geschieht e hervorgeht, bei einem ein¬ 
jährigen Kinde, das besonders schwer krank war, alle drei Stunden 
eine Begießung vorgenommen, bei zwei anderen Kindern weniger. 
Am nächsten Tage wiesen alle drei Kinder keinen Scharlach mehr 
auf. Das jüngste, rhachitische und schwächliche Kind hatte nach 
zwei Tagen sein Spielzeug wieder in der Hand. L. berichtet, eine 
Reihe ärztlicher Danksagungen für die erprobte Bewährung des 
Mittels empfangen zu haben. 

9. K. berichtet über die Vergiftung einer dreigliedrigen 
Familie durch ein irrtümlich genommenes Belladonnainfus. Er 
wurde zu einem schreienden, sich unruhig hin- und herwerfenden 
Kinde nachts gerufen und stellte fest, daß auch die Eltern sich 
unwohl fühlten, die Mutter große Mattigkeit, der Vater direkt 
Verwirrtheit zeigte. Schließlich stellte sich heraus, daß die Frau 
von einem Tee, den ihr Mann unter dem Namen Hirschzungen¬ 
kraut (Folia Scolopendrii) kaufte, eine Abkochung bereitet hatte, 
wovon alle drei genossen hatten. Der Mann zeigte ad maximum 
erweiterte, lichtstarre Pupillen, an dem Kinde war nur enorme 
Pulsbeschleunigung festzustellen. Die Vergiftung gestaltete sich 
zu einem günstigen Verlauf insofern, als Vater und Kind nach 
wenigen Tagen aus dem Krankenhaus entlassen wurden, während 
die Frau, die im sechsten Monat gravid war, etwa sieben Wochen 
nach der Vergiftung ein 1 V 2 kg schweres Kind tot gebar, nach¬ 
dem sie Kindesbewegungen immer schwächer gefühlt hatte. Ob 
der Tod des Fötus durch die Belladonnavergiftung hervorgerufen 
wurde, kann K. nicht entscheiden. Er warnt Drogisten und Apo¬ 
theker vor den unter dem Namen Fol. Scolopendrii verkauften 
Drogen. 

10. Aus Versuchen mit Pyozyanase bei Diphtherie, die Verf. 
in Gemeinschaft mit Dr. Weil am Krankenhause Moabit in vitro, 
an Tieren und am Menschen vorgenommen hat, geht hervor, daß 
die Pyozyanase im Reagenzglasversuch das Wachstum von Diph¬ 
theriebazillen hemmt und in verhältnismäßig kleinen Dosen große 
Mengen derselben abtötet. Bei der menschlichen Diphtherie scheint 
das Mittel die Auflösung der Beläge zu befördern und günstig auf 
den Allgemeinzustand des Kranken zu wirken. Es beseitigt schnell 
den Foetor ex ore. Nach M.s Meinung soll PyozyanaSe nur in Ge¬ 
meinschaft mit der Serumtherapie angewendet werden. Obwohl er 
gerade in den schweren und schwersten Fällen von Diphtherie keine 
günstigen Erfolge gesehen hat — im Gegensatz zu den Erfah¬ 
rungen Emmerichs und Zuckers —, glaubt er doch, daß die 
bisherigen klinischen Erfahrungen zu weiteren Versuchen mit dem 
Mittel berechtigen. 

11. Obwohl der suggestiven Wirkung eines Aphrodisiakum, 
wie dies in der Natur der Sache liegt, ein gewisser Grad der 
Wahrscheinlichkeit nicht abgesprochen werden kann, muß man 
doch bei dem Yohimbin - Riedel auf Grund der pharmakologischen 
Tierexperimente, des psychologischen Experiments am Menschen 
und des therapeutischen Tierexperiments anerkennen, daß bei 
diesem Präparat die Eventualität einer suggestiven Wirkung nicht 
vorliegt. Versuche von Siedler und Winzheimer haben näm¬ 
lich ergeben, daß bei Kaninchen nach Injektion von Yohimbin 
stets eine Hyperämie der Genitalien erfolgte. Aus den Beob¬ 
achtungen von Kronfeld, Hellmar, Steiner, Topp, Kohn, 
Dam mann geht hervor, daß bei Männern, die das Mittel als 




„blutreinigendes“ Präparat oder zwecks allgemeiner Kräftigung 
oder zur Stärkung ihrer Nerven erhielten, wo also eine Suggestion 
ausgeschlossen war, wieder Erektionen erzeugt wurden, während 
es bei Frauen, die es unter den gleichen Bedingungen nahmen, 
die fehlende Libido anregte. Auch bei Tieren wurden, wie aus 
den Versuchen von Kogau und Ullmann an Pferden und Kühen 
hervorgeht, durch das Yohimbin wieder Brunsterscheinungen an¬ 
geregt. Daraus geht hervor, daß wir in dem Yohimbin - Riedel 
tatsächlich ein Aphrodisiakum besitzen, dessen Wirksamkeit nicht 
auf Suggestion beruht, sondern in ihm selbst liegt. 

12. R. veröffentlicht einen Fall von schwerer Salipyrin-Idio- 
synkrasie bei einer Dame, die nach Einnahme von 2,0 g unter 
Jucken der Haut einen Schüttelfrost am Tage nach der Einver¬ 
leibung des Mittels bekam. Der Körper war von einem dunkel¬ 
roten Ausschlage bedeckt, und Gesicht, Arme, Beine und Brust 
waren dick geschwollen. Der Ausschlag hatte frappante Aehn- 
lichkeit mit Skarlatina. Die Rötung war an den Gelenken am 
intensivsten. Nach vier Tagen setzte speziell an diesen Körper¬ 
teilen eine hochgradige Blasenbildung ein, die mit dem Erblassen 
des Exanthems zunahm und manche Stellen in Größe von Fünf¬ 
markstücken bedeckte. Schließlich platzten die Blasen, entleerten 
trüb-seröse Flüssigkeit und trockneten ein. Danach trat völlige 
Heilung ein. 

13. Bei drei Kindern mit Dyspepsieerscheinungen des Magens 
und Darmes konnte G. die die Verdauung regelnde Wirkung des 
Kufekemehles und den hohen Nährwert desselben feststellen. Er 
hält das Kufekemehl für die Entwöhnung der Brustkinder ganz 
besonders geeignet; aber auch bei Kindern mit Fettdiarrhöe ist 
es am Platze. G. hat auch gute Erfolge mit dem Nährpräparat 
in der Therapie des Säuglingsekzems gesehen, ebenso bei älteren 
Kindern bei postskarlatinöser Nephritis, wo es ein angenehmes 
Gesckmackskorrigenb der Milch darstellt, ferner bei Typhus abdo¬ 
minalis, Dysenterie, Enteritis follikularis. Für ältere Kinder kann 
man die verschiedensten Modifikationen eintreten lassen, indem 
man Kufeke mit und ( ohne Milch gibt, oder Kufekebrei, mehr 
oder weniger gesüßt, Kufekesuppe und -getränke etc. Wegen 
seines billigen Preises und der leichten Herstellungsweise findet 
das Nährpräparat leicht überall Eingang. 

14. Das Tuberkulose-Diagnostikum „Höchst“ ist ein aus Alt¬ 
tuberkulin hergestelltes, glyzerinfreies Trockentuberkulin, das zur 
Anstellung der Ophthalmoreaktion nach Oalmette verwendet 
wird. Es tritt nämlich nach Einträufelung dieser l°/oigen Lösung 
in den Konjunktivalsack bei tuberkulösen Personen eine Hyperämie 
und entzündliche Reizung der Schleimhaut auf, eine -Reaktion, die 
sich in folgender Weise vollzieht: Man bringt auf die Konjunk- 
tiva des zu untersuchenden Menschen ein bis zwei Tropfen einer 
l%igen Lösung des Alttuberkulins, und zwar am besten in die 
Nähe des inneren Augenwinkels. Dann tritt bei tuberkulösen 
Individuen nach etwa drei Stunden eine Rötung der konjunkti- 
valen Schleimhaut auf, die nach weiteren drei Stunden noch er¬ 
heblich zu genommen hat; gleichzeitig tritt jetzt Tränensekretion 
auf, das Auge bedeckt sich mit einem dünnen fibrinösen Belag, 
während das nicht behandelte Auge normal bleibt. Das Maximum 
der Reaktion ist in sechs bis vierzehn Stunden erreicht; die 
Tränenabsonderung bleibt oft zwei bis drei Tage bestehen. Die 
Körpertemperatur und das Allgemeinbefinden wird bei dieser 
Reaktion nicht verändert; letztere bleibt bei gesunden Individuen 
aus. Die Höchster Farbwerke bringen das Diagnostikum in Pulver¬ 
form und in l%iger Lösung in den Handel, seit kurzem auch in 
0,l%igen Lösungen, um die z. B. in der Charite beobachteten, 
unnötig starken Reaktionen zu vermeiden^ 

15. In einer „Klinischen Studie“ über die Wirkung der ver¬ 
schiedenen Bromverbindungen kommt der Verfasser zu folgenden 
Schlüssen: 

Kaliumbromid ist das minderwertigste aller Bromverbindungen 
wegen seiner Nebenwirkungen. Bei langem Gebrauch ist es für 
den menschlichen Körper ein langsam wirkendes Gift. Das 
Natriumbromid wirkt viel milder; noch besser und von den 
anorganischen Bromverbindungen das beste ist das Strontium¬ 
bromid. Es wirkt beruhigend auf das Nervensystem und die 
Genitalsphäre, belästigt den Magen nicht und bewirkt keinen oder 
nur einen sehr geringen Hautausschlag. Außerdem ist es ein 


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/?/* ' ' THERAPEÜTISGHE RUNDSCHAU. 


2(5 


mildes Da'rmantiseptikiim, das die Nieren nicht angreift, das viel¬ 
mehr die Mengen an Eiweiß und Glykose in Fällen von Albumi¬ 
nurie und Glykosurie' herabsetzt. Strontiumbromid wird in Dosen 
von 0,6 bis 3,6 drei- bis viermal täglich in wässriger Lösung ge¬ 
geben. Doch darf man es nicht in Verbindung mit Zitraten, 
Sulfaten und Alkaloiden zusammen verordnen. Es muß frei von 
Kalium und Baryum seinj 

16. Nach Z.s Untersuchungen ist Pastor Felkes Honigleber- 
_trän eine sirupöse, schwach getrübte rote Flüssigkeit, die ein 
Gemisch von Hirabeersirup mit Spuren von Lebertran und Pfeffer¬ 
minzöl darstellt. 


Technische Neuerscheinungen. 


Mundhöhlen - Spiegel. 

Von Dentist Erich Bormann, Stettin. 

Dieser Mundhöhlen-Spiegel bezw. Wangenhalter bietet be¬ 
sonders bei Zahnuntersuchungen, Behandlungen und Operationen 
den großen Vorteil, daß die Wange bequem, ohne dieselbe zu 
belästigen, vom Operationsfelde abgehalten werden kann und 
gleichzeitig eine genaue Uebersicht gestattet. Es wird sich 
derselbe seiner Vorzüge wegen, wie mir von Herrn Dr. Ehrlich 
hier versichert wurde, nicht bloß bei den Herren Zahnärzten 
einführen, sondern zum großen Teil von den Herren Spezial¬ 
ärzten und Chirurgen begehrt werden. Das größte Gewicht 
habe ich hierbei auch auf vollständige Antiseptik gelegt. Es 
läßt sich der Apparat bequem und leicht in seine einzelnen 
Teile zerlegen und sind die Teile gut und stark vernickelt 
Zu jedem Apparat wird ein Reservespiegel geliefert. Der 
Mundhöhlen-Spiegel ist nur durch mich zu beziehen. Prospekt 
auf Wunsch kostenlos. 


Schlitzdose nach Dr. Hecht. 

Durch D. R.-Gebrauchsmuster ist der Firma Max Arnold, 
Fabrik medizinischer Verbandstoffe in Chemnitz i. S. ein 
festkantiger Mullstreifen in Schlitzdose mit Stift und Glas¬ 
spule für Ohren- und Nasenkranke geschützt worden. 

Die aus Weißblech gefertigte Dose hat im Mittelpunkt 
ihres festsitzenden Bodens einen festgelöteten Metallstift, über 
welchen eine Glasspule locker gesteckt wird. Auf diese ist 
der Mullstreifen fest aufgewickelt und sein äußerstes Ende 
durch eine Schlitzöffnung an einer Seite der Dose gezogen. 
Es findet durch Verwendung der Glasspule ein leichtes Ab¬ 
wickeln des Mullstreifens statt, und dieser braucht nur so weit 
hervorgezogen zu werden, als zum jedesmaligen Gebrauch ab¬ 
geschnitten werden soll. An der Austrittsstelle des Mull¬ 
streifens ist dieser durch einen abziehbaren Streifen vor Ver¬ 
unreinigung geschützt, und die ganze Dose ist von einem 
Deckel ebenfalls aus Weißblech bedeckt. Die ganze Anord¬ 
nung ist derartig konstruiert, daß sich der Inhalt leicht sterili¬ 
sieren läßt und auch beim Gebrauch steril bleibt resp. steril 
dem Behälter entnommen wird. Außer mit reinem sterilem 
Mull werden die Dosen je nach Bedarf mit Jodoform, Isoform, 
Nosophen, Silber (Collargol), Vioform, Xeroform, Dermatol usw. 
von der Fabrik fertig zum Gebrauch geliefert. Die handliche 
Form der Verpackung und die ständige Sterilität des Verband¬ 
stoffes eignet sich daher sowohl für das ärztliche Sprechzimmer 
wie für die Mitnahme auf die Praxis in hervorragenderWeise. 
Die Firma Max Arnold hat der Verpackung die Bezeich¬ 
nung „Schlitzdose nach Dr. Hecht“ oder abgekürzt „Hecht- 
dose“ gegeben. 



— Betrifft die Freie Vereinigung ! Da seit Ende des Jahres 
1905 kein Mitglieder-Verzeichnis mehr herausgegeben wurde, dürfte 
ein neues Verzeichnis willkommen sein. Es wird daher gebeten, 
alle beabsichtigten Neuanmeldungen möglichst bald auszuführen. 

Da die Fr. V. noch der Satzungen und des endgültigen Pro¬ 
grammes entbehrt, so wird vorläufig als Mitglied jeder Arzt will¬ 
kommen geheißen, der das Bedürfnis nach einer medizini¬ 
schen Reform auf biologischer Grün d läge fühlt. Keinerlei 
Interessen, weder materielle noch ideelle, sind heutzutage mehr 
ohne energische Willensbetätigung in Form von Zusammenschluß 
und gemeinsamer Arbeit aller Gleichstrebenden zu erreichen. 

Unseren Mitgliedern gewährt der Verlag der Th. R. ein er¬ 
mäßigtes Jahres-Abonnement für nur fünf Mark. 

Vorschläge für Ort, Zeit und Gegenstände einer Versamm¬ 
lung im laufenden Jahre werden von Unterzeichnetem gern ent¬ 
gegengenommen. Nach den Wohnsitzen der bisherigen Mitglieder 
zu schließen, würde ein Ort in Thüringen oder Südwestdeutsch¬ 
land sich am geeignetsten für die Versammlung erweisen. 

Harburg a. E., 20. März 1908. Dr. Bachmann. 

— In Nr. 23 bis 26 des Jahrganges 1907 brachten wir 
einen Artikel von Dr. med. Dam mann-Berlin-Schöneberg über 
„Moderne Kneiferkonstruktionen“, in dem der „orthozentrische 
Kneifer nach dem System des amerikanischen Augenarztes Dr. 
Brinkhaus“ infolge seiner eigenartigen Konstruktion als der¬ 
jenige Klemmer bezeichnet wurde, der die Vorzüge der Brillen¬ 
konstruktion erreicht, soweit dies überhaupt bei einem Kneifer 
möglich ist. 

Mit Beziehung auf diese Arbeit ersucht uns die Orthozentrische 
Kneifergesellschaft um Aufnahme folgender Mitteilung: 

„In der von ihm redigierten „Rundschau für Optikervom 

1. Februar 1908 sagt Dr. E. H. Oppenheimer am Schluß der 
wörtlichen Wiedergabe des Artikels „Ueber Orthozentrische Kneifer“ 
aus Nr. 2 der „Med. Reform“ : 

„Obigen Artikel entnehme ich einer der neuesten Nummern 
der „Medizinischen Reform“ , einem angesehenen Berliner Fach¬ 
blatte der Aerzte, in dem besonders wirtschaftliche Fragen zur 
Erörterung kommen. Da ich glaube, daß mancher von unseren 
Lesern für diese Angelegenheit ein gewisses Interesse hat, bringe 
ich den Artikel in seiner ganzen Länge. Ganz schuldlos an seiner 
Entstehung bin ich freilich nicht. Denn vor etwa vier Monaten 
wurde ich vom Verband der Augenärzte aufgefordert, ein Referat 
über orthozentrische Kneifer zu halten. Die Kollegen hielten es 
für richtig, meinen Vortrag in abgekürzter Form an ein medizini¬ 
sches Fachblatt zur Veröffentlichung zu schicken, was vom Vor¬ 
stand aus geschah und wogegen ich natürlich nichts hatte.“ 

Hierzu stellen wir fest, daß Herr Dr. Oppenheimer be¬ 
reits vor Jahresfrist durch uns folgende Aufklärungen er¬ 
halten hat: 

1. daß die Feder unseres Kneifers in Amerika, England und 
Oesterreich patentiert ist, 

2. daß ein amerikanisches, englisches und österreichisches 
Patent einem deutschen Patent gleichwertig ist, da in allen vier 
Ländern eine anerkannt gleichwertige staatliche Prüfungskon¬ 
trolle besteht, 

3. daß seine sowie eines anderen Augenarztes abfällige Kritik 
über „orthozentrische Kneifer“ sich nicht auf unseren Kneifer, 
sondern auf eine Nachahmung bezw. eine alte von uns wegen 
verschiedener Mängel seit Jahren fallen gelassene, von anderen 
Optikern auf gegriffene, nicht mehrpatentierte Entwicklungs¬ 
form unseres Kneifers bezieht. Trotzdem spricht Herr Dr. Oppen¬ 
heimer nach wie vor von der Feder unseres Kneifers als von 
einer Nachahmung amerikanischer und englischer Federn (vergl. 
Nr. 37 der Wochenschrift für Therapie und Hygiene des Auges 
vom 30. Juni 1907). Trotzdem bezeichnet Herr Dr. Oppen¬ 
heimer die nicht auf unseren Kneifer Bezug habenden ab¬ 
fälligen Kritiken nach wie vor als auf unseren Klemmer (D. R. P. 
angem., Feder und Steg aus einem Stück) sich beziehend, 


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Original fro-rn 

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216 



THERAPEUTISCHE ründscMaü. 


4. daß wir keinerlei auf Refraktionsbestimmungen bezügliche 
Reklame machen und keinen Augenarzt oder Arzt für Refraktions¬ 
bestimmungen beschäftigen, 

5. daß Herr Dr. Oppenheimer allein sechs (sachlich un¬ 
richtige, weil nicht unseren .Klemmer betreffende) Veröffentlichungen 
wider „orthozentrische Kneifer“ hat erscheinen oder abdrucken 
lassen, teils in medizinischen Zeitschriften, teils in einer optischen 
Fachzeitung (Med. Reform vom 9. Jan. 1908, Zentralzeitung für 
Optik und Mechanik vom 15. Jan. 1907, vom 15. Febr. 1907 
und vom 1. Febr. 1908, Wochenschrift für Therapie und Hy¬ 
giene des Auges vom 13. Juni 1907, sowie Deutsche med. 
Wochenschrift vom 7. Febr. 1907), 

6. ist es unrichtig, daß die Gesamtheit der Augenärzte 
dem „Wirtschaftlichen Verband der Augenärzte Groß-Berlins“ an¬ 
gehört bezw. auch nur der in der betr. Veröffentlichung darge¬ 
legten Ansicht über unseren Kneifer ist; im Gegenteil, sogar 
dem „Wirtschaftlichen Verbände der Augenärzte“ angehörende 
Augenärzte sind anderer Ansicht und verteidigen unseren 
Klemmer, 

7. ist es unrichtig, daß die beiden nicht augenärztlichen Ver¬ 
fasser jener Publikationen mangelhafte Anschauungen über Optik 
haben. Beides sind frühere Militärärzte, von denen der eine als 
Stabsarzt längere Zeit als Augenspezialist tätig war. 

Wir müssen dagegen protestieren, daß Herr Dr. Oppen¬ 
heimer, der übrigens Redakteur bezw. Mitredakteur des Vereins¬ 
blattes des „Verbandes der Inhaber optischer Geschäfte“ — dieser 
Verband ist aus erklärlichen Gründen unser geschworener Feind 
— ist und gleichzeitig ein Konkurrenzfabrikat unseres Kneifers 
warm empfiehlt, alle jene vielen mißbräuchlich als „orthozentrische“ 
benannten und mit Recht als mangelhaft bezeichneten Kneifer uns 
zuschreibt und dadurch unseren wirklich orthozentrischen 
Kneifer diskreditiert, umsomehr als wir bereits vor Jahresfrist 
Herrn Dr. Oppenheimer auf das Unzutreffende seiner Be¬ 
hauptungen in bezug auf unseren Kneifer aufmerksam gemacht haben. 

Schließlich möchten wir noch erwähnen, daß uns verschiedene 
Augenärzte mitgeteilt haben, sie hätten gegen unseren Kneifer 
nicht nur nichts einzuwenden, sondern müßten ihn sogar für 
schwierige Korrekturen verordnen, wenn der Patient keine Brille, 
sondern durchaus einen Kneifer tragen wolle. Ferner stellen wir 
fest, daß wir nicht nur keine Reklame für Refraktionsbestimmung 
machen, daß wir auch keinen Arzt oder Augenarzt hierzu be¬ 
schäftigen, ja daß sich nicht einmal die sonst bei den meisten 
Optikern gebrauchte Ankündigung „fachmännisch wissenschaftliche 
Augenuntersuchung kostenlos** an unserem Geschäftslokal auch nur 
andeutungsweise vorfindet. Der Umstand, daß der Erfinder 
unserer Kneiferkonstruktion und Gründer unserer Gesellschaften 
ein ausländischer Mediziner und Ophthalmologe ist und vor Jahren 
auch gelegentlich Refraktionsbestimmungen vorgenommen hat, wird 
leider öfters unrichtigerweise so hingestellt, als sei derselbe in 
unserem Institut als Augenarzt für Refraktionsbestimmung tätig. 

Das durch den Vortrag des Herrn Dr. Oppenheimer ver- 
aulaßte Vorgehen des „Wirtschaftlichen Verbandes der Augenärzte 
Groß-Berlins“ beruht nach diesen Ausführungen auf irrigen Vor¬ 
aussetzungen und unrichtigen Informationen. 


□ 


Bücherbesprechungen. 


□ 


Körperkultur des Weibes. Von Frau Dr. Bess M. 
Mensen di eck. 2. Aufl. München 1907. Verlagsanstalt F. Bruck¬ 
mann, A.-G. 3,80 M. 

Das Buch ist warm zu empfehlen — nicht zur Lektüre, son¬ 
dern als Vademekum für den täglichen Gebrauch. Die Verfasserin 
dokumentiert eine für eine Frau auffällig vernünftige Auffassungs- 

Ohne Vorurteil betrachtet erscheint das aus Meeralgen hergestellte 
Nährfett Fucol geeignet, stets an Stelle des wenig appetitlichen Leber¬ 
trans angewandt zu werden, Fucol schmeckt angenehm nußartig und wirkt 
bei gleicher Dosierung durchweg energischer und schneller. Orig.-Flaschen 
ä y 2 Liter kosten M. 2,—. General-Vertrieb: Karl Fr. Töllner, Bremen. 


weise, gepaart mit einem guten Blick für das, was’der Frauen¬ 
welt not ist. Was; nicht auch uns Herren der Schöpfung ? Aber 
natürlich! Leben wir doch in einer Zeit, wo der Kopf alles und 
der sonstige Organismus nichts bedeutet, wenigstens solange er 
„mitmacht“. Wie viele Männer verfügen über einen verweich¬ 
lichten, „ verweiblichten“ Körper, trotzdem sie recht gute Vertreter 
ihres Geschlechtes sind! Das Streben nach natürlichen Verhält¬ 
nissen ist das Zeichen der Zeit. 1 Möchten noch recht viele ebenso 
ruhige, sachgemäße, eindringliche Stimmen wie die der Verfasserin 
laut werden — und der kommende Mensch wird sagen dürfen: 
„Wohl mir, daß ich ein Enkel bin!“ Lungwitz, Berlin. 

Populäre Aufsätze und Vorträge. Von Dr. E. 

v. Leyden. Berlin. Verlag „Deutsche Bücherei“. Band 67 
und 68. Preis: jeder Band 30 Pf. 

Der vorliegende 67. Band der „Deutschen Bücherei“ ist in 
hervorragendem Maße geeignet, das Interesse weiterer Volkskreise 
für die so wichtige Frage der Tuberkulose wachzurufen und 
wachzuhalten. Der Inhalt dieses handlichen Heftes bringt die 
verschiedenen Vorträge und Aufsätze, welche Leyden im Laufe 
der letzten Jahre über die Heilstättenfrage publiziert hat. Es ist 
ein nicht zu unterschätzendes Verdienst, daß der Kaiserliche Bot¬ 
schaftsarzt Dr. H. Leyden diese in der Literatur zerstreuten 
Publikationen zu einem Buche zusammengestellt und so einem 
weiteren Leserkreis zugänglich gemacht hat. 

Der 68. Band bringt gleichfalls eine Reihe von Vorträgen, 
welche der geniale Berliner Kliniker bei verschiedenen Anlässen 
gehalten hat. Ich möchte den Kollegen nachdrücklichst die An¬ 
schaffung und die Lektüre dieses nützlichen Buches empfehlen, 
Themata, wie „Das Denken in der heutigen Medizin“, „Ueber die 
Methoden der internen Therapie“, „Ueber die Ziele der modernen 
Klinik“ usw. werden in dieser Darstellung dauernden Wert be¬ 
halten. Burwinekel-Bad Nauheim, 



Die neunte Auflage des geburtshilflichen Vademekum von 

Prof. Dührssen ist soeben erschienen. Wie Prof. Wieting, der 
Direktor des Kaiserlich Osmanischen Lehrkrankenhauses Güldane, 
dem Verf. mitteilte, ist dieses Buch von einem Schüler der Anstalt, 
Refik Bey, aus eigenem Antriebe in das Türkische übersetzt 
worden. Allerdings nicht aus den krausen Schriftzeichen, wohl 
aber aus den Abbildungen ist zu ersehen, daß die von Dührss en 
empfohlenen Dilatationsmethoden damit sogar schon in der Türkei 
bekannt geworden sind. 

Das preussische Gewerbesteuergesetz, amtliche jetzt gültige 

Fassung. Verlag: L. Schwarz & 'Comp., Berlin S. 14, Dresdener¬ 
straße 80. Preis 60 Pf. 

In dem gleichen Verlage und zu gleichem Preise wie 1. „Der 
Praktische Ratgeber bei Steuer - Reklamation nebst Preuß. Ein¬ 
kommensteuergesetz“ , 2. „Das Neue Preuß. Ergänzungssteuer¬ 

gesetz“ ist obiges für jeden gewerblich tätigen Steuerzahler überaus 
wichtige Gesetz erschienen. 

Gerade auf dem Gebiete der Gewerbesteuer herrschen bei 
den Steuerzahlern die meisten Unklarheiten. Jeder Hand¬ 
werks-, Geschäfts- und Fabrikbetrieb, jeder zur Gewerbesteuer 
veranlagte Bürger sollte im Besitze eines Gewerbesteuergesetzes 
sein, denn nur wer die gesetzlichen Bestimmungen genau kennt, 
wird imstande sein, zu hohe Veranlagung erfolgreich abzuwenden. 
Die Anschaffung des Gewerbesteuergesetzes ist ebenso wie der 
„Ratgeber bei Steuerreklamation“ und das „Preuß. Ergänzungs¬ 
steuergesetz“ als nützlich zu empfehlen. 


F. A 


Hoppen ii. R. Fischer 
Patentanwälte 

Berlin SW« 13., Neuenbnrgerstraße 15 

Amt IV 718. 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. H. Lungwitz, Berlin S. — Verlag: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle a. S. 

Druck der Heynemannschen Buchdruckerei, Gebr. Wolff, Halle a. S. ’ *”* 


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Wochenschrift für die gesamte Therapie des praktischen Arztes. 


0. Anton, A. 'ßultrssen, C. A. Ewald, P. Gerber, R. Kobert, 
Halle .a. S. .Berlin. Berlin. Königsberg. .Rostock. 

H.SchmidLRimpler, H. Senator, 
iHalle a- S. Berlin. 


Redaktion: 

'Berlin S. 44, Dresdener ßtr. 44. Tel. iv, 11773. 
Dr. ,med. et phil. H. Lungwitz. 


Herausgegeben von 



M. Koeppen, M. Messe, H. Rosin, H. Schlange, Ad. Schmidt« 

Berlin. Berlin. Berlin.! Hannover. Halle a. S. 


R. Sommer, 

Gießen. 


<H. sUnverricht, 

Magdeburg. 


0. Valpius, 


Verlag u. Expedition: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung 
in Halle a. S., Reilstraße 80. 

Tel.-Adr.: Marhold Verlag Hallesaale. Fernsprecher 823. 


Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte der Ostsee und der 

freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 


Ha;He a. S., 5. April 1908. 


Nr. 14. 


.. „ Die fl T«hera Deutische Rundschau* erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2;M., einzelne Nummer 20 Pf. Bestellungen nehmen jede Buchhandlung. 
di & sowie die OeschähssteUe: Carl Marhold Verla^sbuchhandl ung in Halle a. S. entgegen. Inserate werden fQr die 4gespaltene Petitzeile oder deren Raum 

mit,50<Pt. berechnet -Beilagen nach Uebereinkunft Reklamezeile 1,50 M. Bei größeren Aufträgen wird Rabatt gewährt 

;Nac^druck .der Qriginal-Aufsätze ist <»bne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet — Nachdruck der anderen Rubriken ist nur mit Quellenangabe gestattet 



Die Frühdiagnose der Tabes dorsalis, der wichtigste 
Faktor einer rationellen Therapie derselben. 

Ein klinischer Vortrag von Privatdozent Dr. L. Jacobsohn, 
Berlin. 

Meine Herren! Mao sollte wohl glauben, daß es dem 
praktischen Arzte keine Schwierigkeit mehr bietet, ein s,o 
häufiges und bekanntes Leiden des Nervensystems wie die 
Tabes dorsalis zu erkennen. Und doch geschieht es noch zu 
oft, daß die Tabes zu viel und zu wenig diagnostiziert 
wird, d. h. daß in vielen Fällen, wo sie nicht vorhanden ist, 
die Diagnose auf Rückenmarksschwindsucht gestellt wird, und 
andererseits, wo deutliche Zeichen dieses Leidens vorliegen, 
diese übersehen und das Leiden des Patienten für harmlos an¬ 
gesehen wird. Wenn freilich die Krankheit ihren Höhepunkt 
erreicht fiat, wenn die klassischen Symptome des ataktischen 
Ganges, des breitbeinigen Stehens, des Hin- und Herschwankens 
des Körpers, der lanzinierenden Schmerzen, der Gefühllosigkeit 
an den Beinen und am Rumpfe, der Inkontinentia urinae, weiche 
oft schon durch den Geruch sich bemerkbar macht, wenn diese 
und noch andere Zeichen die Krankheit schon so sinnfällig 
machen, daß sich eine besondere Untersuchung fast erübrigt, 
dann dürfte wohl jeder Arzt, der überhaupt einmal dieses 
Kraukheitsbild in voller Ausbildung gesehen hat, keinen Zweifel 
mehr haben, welches Leiden vorliegt. Indessen, bevor sich die 
Krankheit zu dieser Höhe entwickelt, vergehen viele Jahre; 
sie \yird sich um so schneller entwickeln, je unsinniger der 
Patiept seine Körperkräfte abnutzt, und um so langsamer, je 
frühzeitiger Maßregeln ergriffen werden, die den Zweck ver¬ 
folgen, einmal gegen die Krankheit in ihren ersten Anfängen 
vorzugehen und zweitens prophylaktisch die Widerstandskräfte 
des Patienten zu erhöhen, um ihn damit gegen den Ansturm 
des Krankheitsgiftes gewappneter zu machen. Um dies zu 
konnep, ist es aber notwendig, daß der Arzt gerade mit den 
ersten Zeichen, durch welche sich die Krankheit äußert, be¬ 
kannt i§t, und daß er auch über die Ursache der Tabes, und 
wie letztere auf das Nervensystem wirkt, genau unterrichtet ist. 

Die Tabes dorsalis wird, wie jetzt wohl außer jedem 
Zweifel steht; durch Lues verursacht, so daß man sagen kann, 
ohne voraufgegangene Lues keine Tabes. Aber nicht der Sy¬ 
philiserreger verursacht direkt die Tabes, sondern er schafft 
wahrscheinlich ein spezielles Stoffwechselprodukt, und dieses 


noch unbekannte Agens, wenn es in einer großen Quantität 
sich im Blute angesammelt hat, greift das Nervensystem in 
jener eigenartigen Weise an, die für die Tabes charakteristisch 
ist. Der Giftstoff kommt aus dem Blute wahrscheinlich in die 
Zerebrospinalflüssigkeit, diese umspült die aus dem Gehirn 
resp. aus dem Rückenmark austretenden Nervenfasern, und 
hier ist der erste Punkt, wo das tabische Gift ansetzt und 
seine verheerende Wirkung ausübt. Die Tabes ist also im 
Beginn keine Rückenmarkskrankheit, sie entsteht außerhalb 
desselben und pflanzt sich erst nachträglich auf letzteres fort. 
Die Annahme, daß das Gift von der Zerebrospinalflüssigkeit 
aus wirkt, macht es verständlich, warum bei der Tabes sowohl 
im Beginn wie auch später Hirn- und Rückenmarksnerven ange¬ 
griffen werden, und daß der Angriff regellos bald hier bald 
dort geschieht, wobei allerdings die Rückenmarks wurzeln und 
hier wieder die tiefer gelegenen (dorso-lumbo-sakralen) früher 
und intensiver ergriffen werden als die höher befindlichen 
(zervikalen). Wie bestimmte Gifte eine spezielle Af fini tät zu 
bestimmten Nerven haben, z. B. das Blei zum N. radialis, so 
hat auch das tabische Gift die Eigenschaft, vorwiegend die 
sensiblen Nervenfasern, also die hinteren Wurzeln-, oder den 
Trigeminus oder Optikus etc. anzugreifen, wenn es auch mo¬ 
torische Fasern, vor allem den N. oculomotorius nicht ganz 
verschont. Durch Lähmung der Pupillarfasern des Optikus 
entsteht so die bekannte Pupillenstarre, durch Ergriffen werden 
des ganzen Optikus die zunehmende und oft bis zu völliger 
Blindheit gehende Sehschwache, durch Betroffenwerden des 
Trigeminus die Hyp- resp. Anästhesie der Haut- und Schleim¬ 
häute des Gesichtes, der Ausfall der Zähne, durch Reizung 
der hinteren Wurzeln werden die charakteristischen lanzinie¬ 
renden Schmerzen oder die Magen-, Blasenkrisen etc. hervor¬ 
gerufen, durch Lähmung der sensiblen Wurzelfäden der Mus¬ 
kelsehnen werden die bekannten Phänomene des Fehlens des 
Patellarreflexes und des Achillessehnenreflexes erzeugt, durch 
Lähmung der sensiblen Blasennerven wird die Kontrolle über 
die Blasentätigkeit gestört und dergl. mehr. Indem, wie er¬ 
wähnt, der erste Angriff des Giftes bald an dieser, bald an 
jener Stelle in der Umgebung des Zentralnervensystems er¬ 
folgen kann, werden die ersten Erscheinungen des Krankheits- 
bildes verschieden sein. Da es gerade au-s vorher genannten 
Gründen wichtig ist, diese ersten Erscheinungen in ihrer 
mannigfaltigen Konstellation zu kennen, möchte ich hier einige 
Beispiele zur Illustration anführen. 

Fall I. 35 jähriger Mann, vor 12 Jahren Lues, 8 Jahr 
verheiratet, keine Kinder; Klagen über häufigen Urindrang. 
Objektiver Befund: Reflektorische Pupillenstarre, Fehlen der 
Achillessehnenphänomene, während die Patellarreflexe lebhaft 
sind. Diagnose: Beginnende Tabes. 

Fall Ö. 41jährige Frau, 15 Jahr verheiratet, 2 gesunde 


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Original fru-m 

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218 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Kinder, später 4 Aborte. Vor 5 Jahren drei Monate hindurch 
krampfartiges Erbrechen fast aller Speisen. Danach völlige 
Gesundheit. Jetzt wiederum seit zwei Monaten unablässiges 
krampfartiges Erbrechen. Objektiver Befund: Körperlich ab¬ 
gemagerte Frau. Pupillenträgheit, Fehlen der Patellarsehnen- 
und Achillessehnenphänomene. Diagnose: Tabes. 

Fall DI. Patient, 89 Jahr alt; vor 20 Jahren Schanker, 
Schmierkur, bis vor zwei Monaten gesund. Seit dieser Zeit 
eintretende und rapid zunehmende Sehschwäche, zuerst auf 
dem linken und dann auch auf dem rechten Auge. Objektiver Be¬ 
fund: Atrophia nervi optici beiderseits, Pupillen reagieren 
minimal, leichte Abstumpfung des Gefühls für Berührung in 
der linken Hypoehondriumgegend, Fehlen der Patellarsehnen- 
und Achillessehnenphänomene. Diagnose: Tabes. 

Fall IV. Patient, 45 Jahr alt, klagt über sehr heftige, 
ruckartige Schmerzen in den Beinen, an diesen „rheumatischen 
Beschwerden“ leide er schon l */2 Jahre, bei kalter Witterung 
seien die Schmerzen heftiger. Lues negiert; zum zweiten Male 
verheiratet; mit der ersten Frau zwei gesunde Kinder, dann 
drei Jahre Witwer, mit der zweiten Frau 10 Jahre verheiratet, 
keine Kinder, aber in dieser Ehe eine Frühgeburt von 7 Monaten 
und’zwei Aborte. Objektiver Befund: Reflektorische Pupillen¬ 
starre, Patellarreflex links nicht auslösbar, rechts nur noch mit 
Kunstgriff nachweisbar, Achillessehnenphänomene fehlen, leichte 
Abstumpfung des Schmerzgefühls an den Unterschenkeln. 
Diagnose: Tabes. 

Fall Y. Patient, 60 Jahr alt; vor 10 Jahren Lues; klagt 
über zeitweise eintretende krampfartige Schmerzen in der 
Kehlkopfgegend und über Abstumpfung des Gefühls in den 
Fingern, besonders der rechten Hand. Wenn er mit dem rechten 
kleinen Finger in die Ohröffnung faßt, so fühlt er nicht die 
Höhlung der Ohrmuschel, während er dies links wahrnimmt. 
Objektiver Befund: Leichte Abstumpfung des Gefühls im rechten 
Ulnarisgebiet, reflektorische Pupillenstarre, Fehlen der Patellar- 
reflexe und der Achillessehnenphänomene. Diagnose: Tabes. 

Fall VI. Patientin, 48 Jahr alt, 22 Jahr verheiratet, keine 
Kinder. Vor 8 Jahren plötzliches Eintreten von Doppelsehen 
und Augenschi eien; langsame, aber nicht vollständige Besse¬ 
rung , seit einiger Zeit sehr heftige, ziemlich andauernde 
Schmerzen am linken Fuß, besonders an der großen Zehe. 
Objektiver Befund: Leichte Ptosis links, Strabismus konvergens, 
das linke Auge kann nur wenig nach außen bewegt werden; 
linke Pupille weiter als die rechte. Pupillenstarre, Fehlen der 
Achillessehnenphänomene, während die Patellarreflexe noch 
schwach auslösbar sind. Diagnose: Tabes. 

Diese Fälle ließen sich noch in großer Zahl vermehren, 
doch dürften sie wohl genügen, da sie die Hauptsymptome der 
beginnenden Tabes prägnant vor Augen führen. Zu diesen 
Haupterscheinungen gehört auf der einen Seite die Gewißheit 
oder wenigstens hohe Wahrscheinlichkeit, daß vor Jahren Lu.es 
bestanden hat. Ist hierfür ein direkter Nachweis nicht zu er¬ 
bringen, so ist die Angabe, die nur zu oft in der Anamnese 
wiederkehrt, von großer Bedeutung, daß die Ehe steril ge¬ 
blieben ist, oder daß totgeborene Kinder oder eine Anzahl 
Aborte vorhanden waren. Ist man auch trotzdem noch im 
Zweifel darüber, so entscheidet event. der Ausfall der von 
Wassermann angegebenen Seroreaktion. Diese Momente im 
Verein mit dem objektiven Befund der reflektorischen Pupillen¬ 
starre und dem Fehlen der Achillessehnenphänomene oder der 
Patellarreflexe oder dem Fehlen beider macht die Diagnose 
auf Tabes fast unzweifelhaft. Voraussetzung bei der Unter¬ 
suchung ist, daß dieselbe exakt ausgeführt wird und nicht 
z. B. Pupillenstarre oder Fehlen der Patellarreflexe resp. der 
Achillessehnenphänomene angenommen wird, wo diese Reflexe 
vorhanden sind und umgekehrt. Hierzu einige Winke I Bei 
Prüfung des Pupillenreflexes muß der Patient das Auge voll¬ 
kommen still halten, er darf es nicht bewegen, weil bei Be¬ 
wegungen schon an sich oft eine Zusarhmenziehung der Pupille 
erfolgt Man prüfe also am besten bei offenen ins Dunkle ge¬ 
richteten Augen mit vorgehaltenem intensiven Lichte. Wenn 
die Patellarreflexe bei der gewöhnlichen Prüfung mit überein¬ 
andergeschlagenen Beinen und Beklopfen der Patellarsehne 
nicht auslösbar sind, selbst mit Kunstgriff nicht, so gebe man 


Nr 


sich damit nicht zufrieden, sondern wende noch folgendes Ver¬ 
fahren an: Der Patient setze sich möglichst vorn auf einen 
Stuhl, er halte die Unterschenkel in stumpfem Winkel gegen 
die Oberschenkel und stütze die Fußsohlen vollkommen, aber 
leicht auf den Fußboden auf; der Untersucher legt alsdann 
seine flache linke Hand auf die rechte Kniescheibe des Patienten 
und berührt mit den Fingerkuppen die Patellarsehne desselben 
Beines; drückt nun der Arzt die Patella des Patienten mit dem 
aufliegenden Handteller gut nach abwärts und führt mit der 
freien rechten Hand, die leicht zur Faust geballt ist, einen 
leichten Schlag auf die auf liegende Hand, so springt ihm bei 
Vorhandensein des Reflexes die Patellarsehne deutlich gegen 
die Fingerkuppen an. Dieser von Walbaum .(Deutsche 
Medizin. Wochenschrift 1900) angegebene Kunstgriff bewährt 
sich vielfach in sonst zweifelhaften Fällen und ist fast unent¬ 
behrlich bei korpulenten Personen, welche nicht imstande sind, 
ein Knie über das andere zu legen. Schließlich ist anzuführen,, 
daß der Achillessehnenreflex am besten so geprüft wird, daß 
der Patient auf einen Stuhl kniet, die Füße über die Stuhl¬ 
kante herausragen läßt und voneinander getrennt hält. Schlägt 
man in dieser Fußstellung mit einem festen Stiel auf die 
Achillessehne, so macht der Fuß bei Vorhandensein des Re¬ 
flexes eine leichte Plantarflexion. Dieser Reflex ist nach neueren 
Untersuchungen bei der Tabes oft noch frühzeitiger erloschen 
als der Patellarreflex. 

Die soeben angegebene Untersuchung der Pupillenreaktion 
und der Patellar- und Achillessehnenphänomene erfordert wohl 
kaum mehr als 3 Minuten Zeit, sie ermöglicht die Diagnose 
auf Tabes mit Bestimmtheit so früh wie nur möglich zu 
stellen und danach dem Patienten Verhaltungsmaßregeln zu er¬ 
teilen, die die Krankheit event. zum Stillstand bringen oder 
wenigstens ein schnelles Fortschreiten derselben verhindern. 
Daß die Krankheit zum Stillstand kommen kann, ist durch 
eine Reihe kompetenter Beobachtungen erwiesen; es gibt Fälle, 
die vor ca. 10 Jahren nichts weiter als Pupillenstarre und 
Fehlen der Kniephänomene darboten, und die nach 10 Jahren 
bei abermaliger Untersuchung denselben Befund darbieten. 
Man kann sie die abortiven Tabesfälle nennen. In anderen 
Fällen können sich weitere Symptome so langsam und in ver¬ 
hältnismäßig milder Form hinzugesellen, daß der betreffende 
Patient nur geringe Beschwerden hat und viele Jahre arbeits¬ 
fähig bleibt. Gestaltet sich die Krankheit in dieser Weise, so 
verliert sie selbstverständlich den Charakter des Schreckens, 
der ihr im Volksmunde anhaftet. > 

Hat man also die Tabes in ihren ersten Anfängen festge¬ 
stellt und ist erst verhältnismäßig kurze Zeit vergangen, seit 
der Patient seine Lues akquiriert hat, so kann man zunächst 
eine vorsichtige, genau zu kontrollierende Schmierkur ver-' 
suchen. Diese Kur wird noch mehr angezeigt sein, wenn bei 
Ausbruch der Lues eine antisyphilitische Kur entweder gar 
nicht oder in ungenügender Form gemacht worden ist. Nur 
in solchen unglücklichen Fällen, die als erstes Symptom eine 
Atrophia nervi optici zeigen, ist von einer solchen Kur dringend 
abzuraten, wie sie auch bei vollem Ausbruch der Krankheit 
keinen Nutzen mehr stiftet. In diesem wie auch in jedem 
anderen Falle von Tabes dürfte es aber angebracht sein, dem 
Patienten in regelmäßigen Abständen, etwa jedes Jahr mehrere 
Wochen lang eine Jodkalikur oder eine Arsenkur, event. beide 
kombiniert, zu verordnen. Neben diesen Maßnahmen, welche 
gegen die Noxe gerichtet sind und diese paralysieren sollen, 
stehen mit in erster Reihe die Verhaltungsmaßregeln zur 
Kräftigung der Körperkonstitution. Man sage einem solchen 
Patienten, daß sich infolge der vor Jahren erworbenen Lues 
eine leichte Schädigung seiner Nerven eingestellt habe, die bis 
jetzt ganz harmlos sei und von welcher man hoffen könne, daß 
sie weiter harmlos bleibe, wenn er seine Kräfte so viel wie 
möglich schone. Tue er es nicht, so setze er sich der Gefahr 
aus, daß die Krankheit auch das Rückenmark ergreife; er 
müsse demgemäß sein Leben zu einem recht ruhigen gestalten, 
er müsse vor allem jede Überanstrengung vermeiden, nicht 
stundenlang laufen oder stehen, keine Gebirgstouren machen etc. 
Solchen Patienten, die bisher einen Beruf hatten, der sie körper¬ 
lich sehr anstrengte, ist dringend zu raten, diesen Beruf mit 


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1908V 


. THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


219 


einem andern zu vertauschen, der so viel wie möglich körper¬ 
liche Ruhe gewährt. Die zweite Maßnahme besteht in der 
kräftigen Ernährung. Es ist unzweifelhaft, daß das Krankheits¬ 
gift zersetzend auf die Körperkräfte wirkt; man hört nicht 
selten, daß die Krankheit dem Patienten zuerst durch die auf¬ 
fällige Gewichtsabnahme von 30—40 Pfund so recht zum Be¬ 
wußtsein kam. Diesen aufzehrenden Faktoren ist durch eine 
reichliche Zufuhr von einfacher, gut zubereiteter, leicht ver¬ 
daulicher Kost vorzubeugen. Als letzte Maßnahmen kommen 
diejenigen hygienischer Natur in Betracht, welche eine inner¬ 
liche und äußerliche Körperreinigung bewirken. Sehr wesent¬ 
lich ist die Sorge für eine peinlichst genaue Regulierung der 
Harn- und Stuhlentleerung. Man findet namentlich die letztere 
bei vielen Tabikern oft schon jm Anfang der Krankheit er¬ 
schwert. Dagegen ist einmal durch Modifikation der Ernährung 
—■ Vermeidung von Nahrung, die viel unverdauliche Substanzen 
enthält, und Darreichung von recht viel guten, reifen, rohen 
oder gekochten Früchten — oder durch direkte milde Abführ¬ 
mittel anzukämpfen. Je besser und pünktlicher der Körper 
die Abfallsstoffe eliminiert, um so eher werden auch Ansamm¬ 
lungen von toxischen Substanzen, die schädlich auf den Körper 
wirken, entfernt werden. Die äußerliche Körperreinigung wird er¬ 
reicht durch eine sorgfältige Reinhaltung des Körpers durch laue 
Bäder und Waschungen. Ferner ist auf eine sorgfältige Kleidung 
zu achten. Letztere ist der Jahreszeit entsprechend einzurichten * 
und wird besonders sorgfältig und warm für den Winter aus¬ 
zuwählen sein, da erfahrungsgemäß Kälteeinwirkungen von 
längerer Dauer sehr schädlich den Zustand beeinflussen können. 
Ist der Patient in der glücklichen Lage, jedes Jahr im Sommer 
längere Zeit auf dem Lande zuzubringen oder eine Badekur 
in einer indifferenten Therme durchzumachen, wo frische Luft, 
gute Ernährung, Bäder, Ruhe und Sorglosigkeit ihn aufs 
günstigste beeinflussen, dann kann ihm der Arzt die Hoffnung 
geben, daß sein Leben voraussichtlich noch recht lange er¬ 
halten bleiben und auch ein leidlich erträgliches sein wird. 


Ueber die Behandlung der Syphilis. 

Erfahrungen und Ansichten eines Praktikers. 

Von Axel Winckler, Dr. med. et phil., Sanitätsrat, 
Kgl. dirigierendem Brunnenarzt am Bade Nenndorf. 

(Fortsetzung.) 

Die graue Salbe muß von beiden Händen einer kräftigen 
Hülfsperson eingerieben werden, mit einiger Energie, nicht bloß 
streichend oder wischend. Statt von Schmierkuren sollte man 
also eigentlich von Einreibungskuren sprechen. Um drei Gramm 
graue Salbe einzureiben, braucht ein geübter Heilgehülfe un¬ 
gefähr acht Minuten, zu vier Gramm reichlich zehn Minuten 
und zu fünf Gramm etwa eine Viertelstunde. Wenn der Ge- 
hülfe seine Handflächen vor dem Einreiben mit einem nassen 
Stück Seife bestreicht und nach dem Einreiben abseift, leidet 
er keinen Schaden an seiner Gesundheit. Es ist unzulässig, 
die Einreibungen mittels Lederhandschuhen, Leinwandbäuschchen 
oder Glasreiber zu applizieren; das ist ein Unfug allzu ängst¬ 
licher Gehülfen, wodurch die Kur vereitelt wird. Der Wärter, 
der die Inunktionen mit Handschuhen oder Bäuschchen aus¬ 
führt, reibt nämlich — was man mittels der Wage beweisen 
kann — fast alle Salbe ins Leder oder ins Bäuschchen, etwas 
auf und garnichts in die Haut hinein, und auch mit Glasreibern 
läßt sich das Einreiben nur höchst mangelhaft bewerkstelligen. 
Ich könnte aus berühmten Krankenhäusern Beispiele solcher 
Pseudo-Schmierkuren anführen, deren Heileffekte Null waren; 
dieselben Fälle wurden später in Nenndorf, wo man die Schmier¬ 
kuren kunstgerecht vornimmt, prompt geheilt. Daß ich die 
Klatschmethode nach Herxh eimer und das bloße Aufschmieren 
der grauen Salbe nach W e 1 a n d e r nicht empfehle, brauche 
ich hiernach kaum zu begründen; derartige Kuren dienen mehr 
* der Bequemlichkeit der Wärter als dem Nutzen der Kranken. 

Jeden Tag müssen andere Hautstellen eingerieben werden, 
die man bei fetten Patienten durch vorherige Abseifung — 


Seifenfriktionen wie in Bad Tölz — vom Hauttalg befreien und 
aufnahmefähiger machen kann. Die Reihenfolge der Einrei¬ 
bungen ist gleichgültig. Ich lasse gewöhnlich am ersten Tage 
die Innenseite des rechten Beins einreiben, am zweiten die des 
linken Beins, am dritten die Innenseite des rechten Arms, am 
vierten die des linken Arms und am fünften die beiden Seiten 
des Rumpfes. Am sechsten Tage nimmt der Patient zwecks 
völliger Reinigung von der Salbe ein Dampfbad von nur 40° C., 
da es auf übermäßiges Schwitzen dabei nicht abgesehen ist; in 
diesem Dampfbade wird die Haut mittels Seife und Luffah ge¬ 
säubert ; eingerieben wird an diesem Tage nicht. Am folgenden 
Tage beginnt der Turnus der Einreibungen von neuem. Die 
Außenseiten der Extremitäten werden nicht eingerieben, weil 
sie stärker behaart sind und sich die Haarbälge durch das Ein¬ 
reiben leicht entzünden. Personen, die am ganzen Körper stark 
behaart sind, soll man keiner Schmierkur unterziehen; für sie 
eignet sich besser die innerliche Anwendung von Quecksilber¬ 
präparaten, wovon ich später sprechen werde. 

Es ist ratsam, vor der Schmierkur die Zähne von einem 
Zahnarzt sorgfältig reinigen und etwaige hohle Zähne wenigstens 
provisorisch füllen zu lassen; dadurch beugt man einer Stomatitis 
vor. Das Rauchen ist möglichst einzuschränken, namentlich 
das Zigarettenrauchen, das die - Mundschleimhaut am meisten 
reizt. Fleißiger Gebrauch von Mundspülwässern und von Zahn¬ 
pulver ist anzuraten. 

Die von mir angegebenen Einzeldosen der grauen Salbe 
genügen in allen Fällen; größere Dosen anzuwenden ist zweck¬ 
los, ja gefährlich. Viele genau kontrollierte Versuche haben 
mir gezeigt, daß sich mit größeren Quecksilbermengen weder 
bessere noch schnellere Heilerfolge erzwingen lassen. Größere 
Dosen können Leibschmerzen und blutige Durchfälle, ja Ge¬ 
schwüre im Darm verursachen, eine sogenannte Merkurial- 
dysenterie, welche sofortige Unterbrechung der Kur, Abseifung 
aller eingeriebenen Hautpartien und Darreichung großer Opium¬ 
dosen nötig macht. Die Kur kann alsdann erst nach langer 
Unterbrechung fortgesetzt werden. 

Wenn jemals größere Gaben, zum Beispiel 6 bis 8 Gramm 
grauer Salbe, mehrere Wochen lang gut vertragen worden sind, 
so sind die Einreibungen sicherlich nachlässig gemacht worden. 
Wurde die Haut nur beschmiert, so daß sie nachher fettig wie 
ein Butterbrot anzufühlen war, so ist die Quecksilberwirkung 
freilich gering. Jede Einreibung muß bis zur Trockenheit der 
Haut fortgesetzt werden; die Haut darf nach der Prozedur 
schwärzlich grau, aber nicht eingefettet erscheinen; das Um¬ 
wickeln mit Binden nach der Einreibung zur Schonung der 
Leibwäsche ist deshalb überflüssig; etwas Einpudern genügt. — 
Ich stimme einem alten, erfahrenen Spezialkollegen Dr. Bern¬ 
hard Brandis in Aachen bei, der in seinen „Grundsätzen 
bei Behandlung der Syphilis“ (Berlin 1886, Seite 13) schrieb: 
„In dringenden Fällen habe ich oft größere Dosen als fünf 
Gramm versucht, habe auch hin und wieder zweimal täglich 
eine Einreibung von je fünf Gramm machen lassen, doch habe 
ich keinen günstigen Eindruck von diesen Versuchen erhalten 
und darf sie nicht empfehlen.“ — Angaben, daß Schwerkranken 
zehn Gramm und mehr eingerieben werden sollen oder worden 
seien, sind lächerlich, denn so viel Salbe kann man garnickt in 
die Haut einer Extremität hineinreiben; man könnte sie höchstens 
wie gesagt aufschmieren. 

Andererseits ist auch die manchmal angeratene Dosis von 
zwei Gramm unzulässig, denn dieses geringe Quantum hat zu 
wenig Substanz, als daß man eine ordentliche Einreibung damit 
vornehmen könnte; man müßte denn Oel oder Schweinefett bei¬ 
mischen, wodurch die Salbe verschlechtert wird. Kurz: nur 
Dosen von drei bis fünf Gramm sind brauchbar. 

Sehr zweckmäßig ist es, die Schmierkur mit einer Schwefel¬ 
kur zu kombinieren. Patienten, die während der Inunktionskur 
ein starkes Schwefelwasser trinken, bekommen keinen Speichel¬ 
fluß. Diese Tatsache, wovon die Kliniker leider noch zu wenig 
Notiz genommen haben, ist zuerst im 18. Jahrhundert von dem 
englischen Arzte Weigh an im Schwefelbade Bareges konstatiert 
worden. Ich habe bei meinen Patienten in Bad Nenndorf nie¬ 
mals einen Speichelfluß beobachtet! Getrunken werden hier 
täglich 200 bis 600 Gramm Schwefelwasser, auf die Morgen- 


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und Nachmittagsstunden verteilt. In der Regel lasse ich den 
Brunnen kalt trinken,, ausnahmsweise etwas erwärmt oder mit 
Zusatz von heißer Milch. Die Patienten müssen langsam und 
in großen Pausen trinken und dabei etwas promenieren;, an 
den Geschmack des Brunnens gewöhnen sie sich bald. Da sich 
versandtes Schwefelwasser genügend lange hält, empfehle ich 
allen Aerzten in Stadt und Land dringend, daß sie ihre Patienten 
bei Schmierkuren versandtes Schwefel wasser irgendeiner starken 
Schwefelquelle trinken lassen. Die Verhütung des Speichel¬ 
flusses ist ja ein enormer Vorteil; dadurch wird manche Kur 
ermöglicht, die andernfalls ein vorzeitiges Ende finden würde. 
Schwellung des Zahnfleisches kann und' soll bei der kombinierten 
Kur eintreten, Speichelfluß nicht. 

Noch besser verläuft die Kur, wenn sie außerdem mit 
Schwefelbädern kombiniert wird. Alsdann verfährt man folgender¬ 
maßen: Täglich um dieselbe Stunde wird ein Schwefelbad von 
34 oder 35 0 C. und zehn bis fünfzehn Minuten Dauer gegeben, 
sodann ruht der Kranke eine Stunde im Bette und dann wird 
er mit der grauen Salbe eingerieben. Die Salbe bleibt also 
23 Stunden lang in der Haut, eigentlich noch länger, denn im 
Schwefelbade am nächsten Tage gehen die Salbenreste nicht 
völlig herunter, da das Bad ohne Seife genommen wird. Erst 1 
im Dampfbade am sechsten Tage, dem sogenannten Ruhetage, 
wird die Haut gründlich von den Salbenresten befreit. 

Die auffallend günstigen Wirkungen der mit dem äußer¬ 
lichen und innerlichen Gebrauch eines starken Schwefelwassers 
kombinierten Schmierkur erklärte ich folgendermaßen: 

Das durch die Schwefelkur im Körper entstehende be¬ 
ziehungsweise durch die Trinkkur direkt eingeführte, auch 
sekundär aus dem Schwefelwasserstoff im alkalischen Darmsaft 
gebildete Schwefelalkali wird im Organismus teilweise zu unter¬ 
schwefligsaurem Alkali oxydiert. Dieses Salz wird mit den 
Quecksilberverbindungen im Körper ein lösliches unterschweflig- 
saures Quecksilberalkali bilden, ein komplexes Salz, worin das 
Quecksilber, weil unmittelbar an Schwefelatome gebunden, zeit¬ 
weilig festgelegt erscheint, bis Zersetzung dieses Doppelsalzes 
allmählich unter langsamer und deshalb unmerklicher Aus¬ 
scheidung von Schwefelquecksilber erfolgt. (Eine ausführliche 
chemische Darstellung dieser Vorgänge habe ich in einer be¬ 
sonderen Abhandlung gegeben: „Ueber den Nutzen der Kom¬ 
bination von Schmierkur und Schwefelkur bei Behandlung der 
Syphilis“, Berlin 1902. Veröffentlichungen der Hufelandschen 
Gesellschaft in Berlin, Seite 88—92). Auf Grund der Ionen¬ 
theorie dürfen wir annehmen, daß in den Lösungen derartiger 
Doppelsalze das Quecksilber größtenteils nicht als freies Kation 
Hg, sondern als komplexes Anion Hg S 4 0 6 vorhanden ist. 
Daher wird es rühren, daß die Lösungen solcher Quecksilber¬ 
verbindungen den Körper nicht schädigen. 

Jetzt begreifen wir, weshalb die kombinierte Kur besser 
vertragen wird als eine einseitige Merkurialkur. Sie über¬ 
schwemmt den Körper nicht ruckweise mit giftigen Quecksilber¬ 
verbindungen , sondern imprägniert ihn mit einem verhältnis¬ 
mäßig unschädlichen, löslichen, leicht zirkulierenden, alle Ge¬ 
webe durchdringenden, schließlich langsam zerfallenden kom¬ 
plexen Doppelsalze, wodurch es möglich wird, große Mengen 
Quecksilber viele Wochen lang mit gleichmäßiger Kraft auf 
das syphilitische Virus wirken zu lassen. Dieser Vorzug ist 
noch höher zu schätzen als das Ausbleiben des Speichelflusses. 

Kurz gesagt: die kombinierte Kur löst die scheinbar un¬ 
lösliche Aufgabe, erhebliche Quecksilbermengen durch den 
Körper hindurchzutreiben und so das Virus zu vernichten, ohne 
den Körper zu vergiften. Es ist wahrlich kein Zufall, daß die 
Schwefelquellen der verschiedensten Länder, Deutschland, 
Frankreich, Italien, Spanien, Rußland seit vielen Jahrhunderten 
von Syphilitikern mit Vorliebe aufgesucht werden! Die Er¬ 
fahrungen vieler Jahrhunderte haben eben bewiesen, daß solche 
Patienten dort leichter, bequemer und sicherer Genesung finden 
als daheim. 

Dr. Dresch in Aix und Dr. Engel in Heluan, die sich die 
chemischen Wirkungen dieser kombinierten Kuren nicht recht 
klar gemacht haben, empfehlen, Schmierkur und Schwefelkur 
nicht gleichzeitig, sondern abwechselnd gebrauchen zu lassen; 
dadurch wird aber der Hauptzweck verfehlt. 


Fern sei es von mir, allen Syphilitikern zu empfehlen^ daß 
| sie ihre Schmierkuren an, den Schwefelquellen' absolvieren 5 . 

1 Aber ich rate, alle Fälle von Syphilis maligna, alle-Fälle vom 
Syphilis bei skrofulösen,, tüberkuloseny kacheltischen Individuen, 
und endlich alle Syphilitiker, welbhe die. einfache Schmierkur 
[ schlecht oder gar nicht vertragen, ohne Zeitverlust- in ein 
, Schwefelbad zu schicken, damit sie- dort einm kombinierte' Kur 
1 dürchmachen. Für gewöhnliche Fälle reichem die? Schmier- 
1 kuren d'aheim aus. 

Jeder Syphilitiker sollte drei ordentliche Schmierkuren 
1 innerhalb der ersten drei Jahre nach der Infektion' gebrauchen, 
j einerlei ob er während dieses Zeitraums Rezidive erleidet oder, 
nicht. Die Syphilis heilt in der Regel nur unter Rezidivem; 

’ das muß’ dem Patienten zum Tröste gereichen». Sehr leichte' 
Fälle lassen sich anscheinend’ durch eine einzige ScÜmierkur 
i heilen, aber nicht so sicher, dkß es nicht ein Gebot der V’or- 
i sicht bliebe, die Kur zweimal zu wiederholen. Man sagt,, daß 
! die scheinbar leicht einsetzenden Fälle meistens die schweren 
f Spätformen zur Folge haben; der Grund liegt offenbar dann, 
i daß solche Fälle anfangs meist nicht energisch genug behandelt 
i wurdbn. 

Befragt man diejenigen, die an Spätsyphilis oder, einer 
; Nachkrankheit leiden,, so erfahrt man: daß keine drei Schmier- 
; kuren in den ersten Jahren nach der Infektion ausgeführt oder 
daß sie unordentlich und nachlässig, ausgeführt wordem sihd^ 
oder daß nur eine einzige Schmierkur und. sonst bloß Spritz¬ 
kuren oder ausschließlich. Spritzkuren gebraucht- worden sind, 
oder daß’ der Patient ohne Quecksilber, nur mit Jodinitteln T ,oden 
von Naturheilkundigen mit Schwitzbädern, Sonnenbädern, 
Schrothscher Semmelkur und dergleichen behandelt worden ist. 

Ad vocem Sonnenbäder: einem aus. einer Naturheilanstalb 
ungeheilt entlassenen, nach Bad Nenndorf gekommenen Patienten 
konnte ich keine Schmierkur angedeihen lassen, weil seine 
Haut durch viele Sonnenbäder so lederähnlicK zähe- geworden 
war, daß der Einreiber die graue Salbe schlechterdings nicht* 
hineinbringen konnte. Es blieb nichts anderes übrig, als innerlich 
Quecksilberpräparate zu verordnen. Von dieser Medikation 
rede ich später. 

Keinerlei Patienten werden durch das sogenannte‘Naturheil¬ 
verfahren so sicher zugrunde gerichtet wie die Syphilitiker. Die 
Unterlassung der Quecksilberkur wird' ihnen zum Verhängnis; 
ich könnte Dutzende von Beispielen anführen. Am. meisten 
habe ich einen jungen Buchhändler bedauert, der an rechts¬ 
seitiger syphilitischer Iritis leidend nach erfolgloser naturärzt¬ 
licher Behandlung Bad Nenndorf aufsuchte, um hier bloß zu 
trinken und zu baden, aber beileibe kein Quecksilber zu ge¬ 
brauchen! Dem Kollegen, den er befragte, gelangtes ebenso¬ 
wenig wie mir, der ich zur Konsultation hinzugezogen wurde; 
den Eigensinnigen eines Bessern zu belehren. Das Auge ver¬ 
schlimmerte sich rapide und nach achttägiger Trink- und'Bade¬ 
kur reiste der Kranke ab. Wie wir später erfuhren, erblindete 
er auf dem rechten Auge vollständig, und erst* als auch das* 
linke schwer erkrankte, gelang es einem sehr energischen'Ber¬ 
liner Augenarzt, eine Schmierkür dürchzuf Uhren, wodurch dem Un¬ 
glücklichen wenigstens ein Rest des Sehvermögens erhalten blieb; 

Alljährlich kommen mir einige Patienten vor, die, durch 
das Geschwätz der Kurpfuscher und die Lektüre populärer 
Sehundbücker geängstigt, das Quecksilber abergläubisch-fürchten, 
in ihrer tiefsten Not die Schmierkur zulassen, dann aber die 
Kur zögernd und unordentlich gebrauchen, mir mit*beständigen 
Skrupeln in den Ohren liegen und .nach dem Verschwinden der 
ärgsten Krankheitserscheinungen die Kur sofort' abbrechen; 

Also nicht genug, daß die Schmierkur heutzutage oft durch 
die minder wirksamen Spritzkuren ersetzt wird* — aus Angst' 
vor dem Quecksilber läßt mancher" die Kür nicht einmal gehörig' 
zu Ende führen. Andere nehmen höchstens Jödmittel, wieder- 
andere lehnen jedes „Medizingift“ ab, eingeschüchtert durch 
das Geschrei der Naturärzte. Kein Wunder, däß die Spätför- 
men und Nachkrankheiten überhand nehmen. Arme Menschheit! 

Ich kehre zur Besprechung der Therapie der sekundären; 
Syphilis zurück. 

Wenn eine Schmierkur aus sozialen oder andern Gründen 
nicht angebracht ist oder abgelehnt wird, kann map innerlich 


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MlfeA^BÜTISÖHE küNDSCHAÜ. 


221 


Quecksilbeimittel geben, am besten Sublimat. Bei Plithisis und 
Magenleiden ist che Sublimatkur kontramdiziert; sonst ist sie 
nicht gefährlicher als andere Merkurialkuren. Vor zweihundert 
Jahren wurde Sublimat zum ersten Male als Antisypbilitikum 
in Mixturen von einem gewissen Richard Wiesemann ver¬ 
ordnet. David Turo er gab das Mittel im Jahre 1717 in 
Branntwein aufgelöst. Weltruf erhielt es erst durch Gerhard 
van Swieten, Schüler Boerhaaves und Leibarzt der 
Kaiserin Maria Theresia; auf seine Empfehlung hin wurde eine 
Lösung von Sublimat in Spiritus und Wasser zur innerlichen 
Behandlung der Syphilis bei den kaiserlichen Armeen eingeführt. 
Nach Brambilla hätten freilich die Militärärzte in den Feld¬ 
lazaretten heimlich noch Calomel daneben gegeben, da sie dem 
Liquor van Swieten nicht getraut hätten. Sehr mit Un¬ 
recht, denn das Mittel wirkt vorzüglich. Ich habe diesen Liquor 
oft mit glänzenden Erfolgen verordnet, nach der Formel: Rp. 
Hydrarg. bichlor. 0,2, solve in Spir. Vini rektif. 20,0, adde Aq. 
dest. 180,0 M. D. S. ein- bis zweimal täglich (eine Viertelstunde 
nach dem Frühstück und dem Abendessen) 1 Teelöffel bis 1 E߬ 
löffel voll in einem Glase Haferschleim, Milch oder Zucker¬ 
wasser zu nehmen. Ein Eßlöffel enthält 0,015 Sublimat. Etwas 
bequemer sind die Hu fei a nd sehen Billen, da mancher Patient 
Haferschleim oder Milch nicht immer zur Hand hat; doch sind 
sie, wie alle Pillen, nicht ganz zuverlässig, da sie hart und da¬ 
durch unwirksam werden können. Ihre Formel lautet: Rp. Hy¬ 
drarg. bichlor. 0,25, solve in Aq. ferv. q. s., adde Opii pulv. 
0,25, Mellis 1,25, Micae Panis alb. q. s. ut fiant 1. a. Pil. No. 80. 
Consp. Pulv. Rad. Liqu. D. S. Früh und abends je sechs Stück 
nach dem Essen zu nehmen. Sechs Pillen enthalten 0,019 Gramm 
Sublimat, also annähernd die Maximaldosis; man darf diese 
Menge höchstens dreimal täglich geben, also 18 Pillen pro Tag. 
Hufe 1 and gab aber manchmal noch mehr, nämlich zweimal 
12 Pillen, also 24 täglich. Mit diesen Huf el and sehen Pillen 
habe ich fast ebenso gute Kuren gemacht wie mit dem van 
Swieten sehen Liquor. Eine syphilitische Opernsängerin war 
von der prompten und gründlichen Wirkung dieser Pillen so 
entzückt, daß sie auch die Wiederholungs- und die Vorsichts¬ 
kur durchaus nur mit den Pillen zuließ; die Schmierkur war 
ihr zu unästhetisch und die Spritzkur zu „unanständig“. Solchen 
empfindsamen Damen ist die Sublimatpillenkur wirklich zu 
empfehlen. 

Die Dup uytrensehen Pillen sind den Huf elandsehen 
ähnlich zusammengesetzt; sie enthalten noch eine unwirksame 
Menge Guajakextrakt. 

Von vielen andern innerlich angewandten Quecksilbermitteln 
schweige ich, da sie keinen Vorzug vor dem Sublimat besitzen. 
Vor dem Calomel, das in Gestalt der Law sehen Pillen auf kam, 
warne ich; es verursacht bald schreckliche Mundfäule und 
massenhaften Speichelfluß. Hingegen die Jod Verbindungen des 
Quecksilbers sind allenfalls zulässig; hiervon wird weiter unten 
die Rede sein, wo ich das Jod als Antisyphilitikum kritisieren 
werde. 

Der innerliche Gebrauch irgendwelcher Quecksilbermittel 
ist mit einer Schwefelwassertrinkkur aus chemischen Gründen 
unverträglich, aber Schwefelbäder können mit großem Nutzen 
dabei gebraucht werden. 

Jede Quecksilberbehandlung der Syphilis soll ungefähr vier 
Wochen dauern. Eine Schmierkur umfaßt 15 bis 25 Inunktionen, 
je nach der Schwere des Falles. 

Wie oft die Kur zu wiederholen sei, darüber sind die Ge¬ 
lehrten immer noch nicht einig. Man kann zwei Richtungen 
unterscheiden, die sich unter verschiedenen Namen bis auf den 
heutigen Tag geltend gemacht haben. Nach der Saturations¬ 
methode werden dem Körper erhebliche Quecksilbermengen bis 
zur Sättigung einverleibt; der große Boerhaave trieb diese 
Behandlung sogar bis zur Uebersättigung, bis zum Speichelfluß, 
ja er suchte sogar nach dem Verschwinden der Krankheits- 
erscheinungen noch 86 Tage lang einen leichten Speichelfluß 
zu unterhalten. Ich betrachte eine lange andauernde Schwellung 
des Zahnfleisches als ein Zeichen der Sättigung und als eine 
Garantie des Kurerfolges. Solche energische Kur hält lange 
vor und braucht nicht bald und nicht oft wiederholt zu werden; I 
drei Kuren in zwei oder drei Jahren vorgenommen genügen j 


meistens zur radikalen Heilung. Hingegen die Extinktions¬ 
methode, früher M o ntp e 11 i e rsche Methode, heutzutage Methode 
der chronisch-intermittierenden Quecksilberkuren genannt, ar¬ 
beitet mit kleineren Quecksilbermengen, die aber mit Unter¬ 
brechungen von einigen Monaten jahrelang angewendet werden. 
Mindestens drei- bis viermal jährlich soll die Quecksilberkur 
mehrere Jahre hindurch wiederholt werden; so oft der Körper 
wieder empfänglich für das Mittel geworden ist, soll es ihm 
wieder zu ge führt werden. 

Auf Grund meiner ärztlichen Erfahrungen mißbillige ich 
diese Methode. Das Virus durch eine chronische Quecksilber¬ 
vergiftung ersticken zu wollen, ist ein verfehltes Beginnen, das 
den Körper allzusehr schädigt. Ich finde, daß der menschliche 
Organismus wenige sehr energische, durch halbjährige oder ein¬ 
jährige Pausen gehörig unterbrochene Quecksilberkuren besser 
erträgt und — was doch die Hauptsache ist — daß die Syphilis 
durch diese Saturationsmethode sicherer geheilt wird. Es ver¬ 
hält sich damit ähnlich wie mit dem Wechselfieber, welches 
durch große Chiningaben geheilt werden kann, durch kleinere 
verzettelte Gaben nicht. 

Trousseau, der doch gewiß ein scharfblickender Kliniker 
war, schrieb: „In der großen Welt hat die Methode von Mont¬ 
pellier die Oberhand behalten, weil sie leichter zu befolgen 
ist, bequemer ist, keine sehr strenge Diät und keine Ver¬ 
änderung der Lebensordnung erheischt, welche Verdacht bei 
der Umgebung erregen könnte. Man mildert unwillkürlich jene 
strengere Methode, die man doch für besser hält, und durch 
diese bedauerliche Nachgiebigkeit verschuldet man die so 
schweren und häufigen Folgezustände, die wir alle Tage zu be¬ 
klagen haben.“ Das ist auch meine Meinung. 

Bei Ausführung einer Merkurialkur ist die Wahl der Jahres¬ 
zeit wuchtig; wenigstens Schmierkuren gelingen in der warmen 
Jahreszeit besser als in der kalten. Falls Gefahr im Verzüge 
ist, darf die Kur zw^ar nicht aufgeschoben werden, doch sollte 
der Kranke wenigstens bei strenger Winterkälte seine Kurzeit 
in w r olil geheizten Zimmern verbringen. Leider wfird diese den 
Unerfahrenen unbekannte Vorsichtsmaßregel häufig außer acht 
gelassen. Zweifler verweise ich auf Bretonneaus Abhandlung 
über die Diphtheritis, worin geschildert ist. wie übel Queck¬ 
silberkuren während der strengen Kälte im Januar 1S26 wirkten : 
,,Die Salivation, die Kachexie, die Hämorrhagien entstanden 
damals unter dem Einfluß von Quecksilbergaben, die während 
des Sommers kaum einen Menschen beeinflußt hätten.“ 

^Fortsetzung folgt) 


REFERATE. 


Bakteriologie. 

Referent: Privatdozent Dr. E. Küster, Freiburg i. B. 

1. Serumuntersuchungen bei Thyreoidosen. Vorläufige Mit¬ 
teilung von R. Ho ff mann. München, med. We chens ehr., 1908 
Nr. 6. 

2. Zur Methodik der Komplementbindung. Von Lode uni 
Ballun. Ibidem, S. 503. 

3. Kutanreaktion hei Impfung mit Diphtherietoxin. Von 
Schick. Ibidem, S. 504. 

4. Die Bedeutung der experimentellen Lungenanthrakose 
für die Frage nach der Entstehung der Lungentuberkulose. Von 

Heller und Wolkenstein. Zeitschr. f. Tub., Bd. XI, H. 3. 

1. H. geht von der Ansicht aus, daß Thyreoidea und Neben¬ 
nieren Antagonisten im tierischen Organismus darstellen, daß aber 
auch die Funktion der übrigen Körperdrüsen mit interner Sekretion 
für die Entstehung gewisser Krankheitsbilder, von denen das 
Myxödem und Morbus Basedowii die typischsten sind, mit in Be¬ 
tracht kommen. Jede Störung der Normalsekretion einer Drüse 
muß durch entsprechende Steigerung oder Verminderung der 
Funktion der antagonistisch wirkenden Drüse ausgeglichen werden, 
sonst entstehen Kranklieitsznstände, die gleichzeitig durch Hyper- 


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222 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU 


Nr. 14. 


funktion der einen und Insuffizienz der antagonistischen Drüse 
bedingt sind. Morbus Basedowii besteht demnach in Hyper- 
thyreoidismus mit relativer Insuffizienz der Nebennieren, zuweilen 
kompliziert mit Hyperfunktion der weiblichen Keimdrüsen (Osteo¬ 
malazie); Myxödem in einer Hyperfunktion der Nebennieren oder 
Aplasie der Thyreoidea mit relativer Hyperfunktion der Neben¬ 
nieren, zuweilen kompliziert mit Aplasie der Keimdrüsen (Mongo¬ 
lismus). 

Nach dem Ehrmannschen Verfahren konnte H. bei Myxödem 
einen hohen Adrenalingehalt des Blutes, bei Morbus Basedowii 
ein reichlich „Tliyreoidin“-Substanzen nachweisen. 

2. Das Komplement (Alexin) des normalen Serums (cf. Syphilis¬ 
reaktion) ist nicht nur für das Zustandekommen einer spezifischen 
Hämolyse, sondern auch für den Vorgang einer spezifischen 
Bakteriolyse unbedingt notwendig. Impft man ein Tier wieder¬ 
holt mit Bakterien, so bildet es in seinem Blutserum neben anderen 
Immunkörpern auch Bakteriolysine, welche imstande sind, die 
gleiche Bakterienart, wie zur Impfung verwandt wurde, in vitro 
aufzulösen, vorausgesetzt, daß frisches komplementhaltiges Serum 
zugegen ist; wird nun in dem notwendigen Komplementserum das 
Komplement ganz oder teilweise durch irgendeinen Vorgang, 
z. B. Reaktion eines Antigens mit einem Antikörper, verbraucht, 
so kann das Serum ein zweites bakteriolytisches Serum in seiner 
auflösenden Wirkung auf Bakterien nicht mehr ergänzen; es 
werden wenige oder überhaupt keine Bakterien aufgelöst. Die 
Menge der ungelösten Bakterien läßt sich durch Kultur verfahren 
ermitteln, und die Autoreu glauben, hieraus einen Schluß auf die 
Größe des Komplementverbrauches und Wirksamkeit des dabei in 
Reaktion tretenden Antiserums machen zu können. 

3. Sch. konnte mit einem auf ein Zehntel eingeengten Diph¬ 
therietoxin (einfach tödliche Dosis für Meerschweinchen 0,03 bis 
0,04) Kutanreaktion beim Menschen erzielen: die Impfstelle zeigte 
nach 24 Stunden ein 8 mm breites, dunkelrotes, quaddelartiges 
Zentrum mit 20 mm breitem zarteD, roten Hof. Die Veränderung 
bildet sich im Verlauf der nächsten zweimal 24 Stunden zurück, 
doch tritt häufig dabei in der Mitte ein rasch trocknendes Eiter¬ 
bläschen auf. 

Die geschilderte Reaktion ist durch das Diphtherietoxin be¬ 
dingt, denn durch Paralysierung mit Antitoxin wird das Impf¬ 
material unwirksam und außerdem kann man durch vorherige 
Impfung mit Antitoxin (= passiver Immunisierung) oder gleich¬ 
zeitig mit der Impfung vorgenommene subkutaue Antitoxineinsprit- 
zung die Kutanreaktion auf Diphtherietoxin unterdrücken. Tritt 
trotz Antitoxin eine Reaktion nicht ein, so ist die Intensität ge¬ 
ringer, die Heilung rascher. Von 22 ohne Serum behandelten 
leichten Diphtheriefällen reagierten 18 positiv. Von 21 gesunden 
Säuglingen war nur bei einem die Reaktion positiv, die Anzahl 
der Reaktionen wurde größer, als stärkere Toxinlösungen zur An¬ 
wendung kamen. Die Reaktion wäre demnach eine primär toxische, 
wobei allerdings die wechselnde Intensität durch den Grad des 
Antitoxingehaltes im Blute der Geimpften und starke positive 
Reaktion als Fehlen antitoxischer Substanzen aufgefaßt werden 
könnten; positive Reaktion spräche für eine individuelle Disposition 
für Diphtherie. Ein diagnostischer Wert scheint vorläufig der 
Diphtherietoxinreaktion nicht zuzukommen, doch gibt sie vielleicht 
in Diphtherie fällen einen Anhalt für die Menge des notwendigen 
Heilserums. 

4. Nach ausführlicher Würdigung der einschlägigen Literatur 
und auf Grund ausgedehnter Tierversuche kommen die Autoren 
zu folgenden Schlüssen: 

Eine allgemeine und starke Lungenanthrakose kann experi¬ 
mentell nur durch Inhalation erzeugt werden. Bei sämtlichen anderen 
Verfahren der Einverleibung der Pigmente in den Tierkörper 
können aber unter Umständen Kohle-, Ruß- oder Tuscheteilchen 
in der Lunge gefunden werden. Die Mesenterialdrüsen ausge¬ 
wachsener und junger Individuen verhalten sich, soweit die Reten¬ 
tion von Pigment in Frage kommt, nicht prinzipiell verschieden. 
Für die intestinale Entstehung einer allgemeinen Lungenanthra¬ 
kose fehlt bisher jeder Beweis. Die experimentelle Lungenanthra¬ 
kose erlaubt deshalb nicht den geringsten Analogieschluß auf 
pine intestinale Entstehung der Lungentuberkulose und kann als 
Stütze für die bisher unbewiesene Theorie von v. Behring über 


intestinale Entstehung der Lungentuberkulose beim Menschen 
keinesfalls verwendet werden. 

Letztere Deduktion scheint Ref. zu weitgehend , denn wenn 
vom Darm aus Lungenanthrakose auch nur lokalisiert entstehen 
kann, so kann auch ebensogut eine partielle Tuberkelbazillen¬ 
invasion der Lungen vom Darm aus stattfinden. Durch Lydia 
Rabinowitsch ist überdies (Berk Klin., 08) durch Tierversuch 
am Schwein direkt bewiesen, daß vom Darm aus Tuberkelbazillen 
auf dem Blut- und Lymphweg in die Lungen gelangen können und 
für die Entstehung einer Lungentuberkulose vom Darm ans ist 
eine allgemeine Tuberkelbazilleninvasion der Lunge wohl nicht 
nötig. 

Lichttherapie. 

Referent: Dr. H. E. Schmidt, Oberarzt am Kgl. Universitäts- 
Institut für Lichtbehandlung, Berlin. 

1. Neuere Beiträge zur Lichtbestrahlung. Von Foveau de 
Courraeiles. Zeitschr. f. neuere physikal. Medizin, 1907, Nr. 4 
und 5. (Forts, folgt) 

2. Neue Hochfrequenz-Apparate nach Dr. Keating-Hart. 

Von De ss an er. Ibidem. 

3. Ueber die Blitzbehandlung (Fulguration) der Krebse. 

Von Görl. Deutsche med. Wochensehr., 1907, Nr. 8. 

4. Bemerkungen zur Blitzbehandlung (Fulguration). Von 

Nagelschmidt. Ibidem. 

5. Ein radiotherapeutischer Versuch bei einem Falle von 
Arthritis deformans. Von Wetter er. Archiv f. physikal. Med. 
u. med. Technik, 1907, Bd. II, Heft 3 u. 4. 

6. Eine neue Anordnung zur Röntgenbestrahlung. Von 

Dessauer. Ibidem. 

7. Ueber einige Erfahrungen mit der Kromayerschen Quarz¬ 
lampe. Von Wetterer. Ibidem. 

1. Rückblick auf die Entwicklung der Lichttherapie mit An¬ 
gabe der wichtigsten Daten, Beschreibung einer vom Verfasser 
konstruierten Lampe zur therapeutischen Bestrahlung, der von 
Bang und Kjeld sen angegebenen Eisenelektroden - Lampe. 
Nil novi. 

2. Bericht über die von Keating-Hart in Marseille bei 
inoperablen Karzinomen angewandten kräftigen Hochfrequenz¬ 
ströme, die — meist nach operativer Entfernung der Hauptmasse 
des Tumors — wegen der Schmerzhaftigkeit fast nur in Narkose 
appliziert werden können. Schilderung der zur Erzeugung dieser 
Ströme nötigen Apparate. 

3 und 4. Bei der von Keating-Hart angegebenen Be¬ 
handlung mit Hochfrequenzströmen schlagen Funkenbänder von 
recht erheblicher Länge auf den Körper, die Applikation ist wegen 
der großen Schmerzhaftigkeit nur in Narkose möglich, die Narben- 
bildung ist oft sehr häßlich, keloidartig. Beide Autoren stehen 
aber der neuen Methode, die ja auch schon von Czerny in 
Heidelberg in einigen Fällen versucht worden ist, mit großer 
Skepsis gegenüber. Was die Czernyschen Fälle anbetrifft, so 
sind ein epitheliales Karzinom, ein Epitheliom und drei kleine 
Ulzera rodentia durch eine Sitzung von 10 bis 15 Minuten langer 
Fulguration und Ausschabung geheilt worden. Mit Recht 
bemerkt Nagelschmidt, daß man dasselbe „schneller, angenehmer 
für den Patienten und mindestens eben so sicher“ durch Röntgen¬ 
oder Radiumbestrahlung erreicht hätte. In den anderen inope¬ 
rablen Fällen sind, wie Czerny selbst sagt, „noch keine Hei¬ 
lungen zu verzeichnen, vielleicht in wenigen Fällen zu erhoffen 44 . 
Andererseits hat Nagelschmidt wiederum recht, wenn er be¬ 
hauptet, daß man die durch die „Fulguration“ erzielte Reini¬ 
gung der Geschwüre, Beseitigung der Schmerzen ebensogut durch 
geeignete Röntgenbehandlung erzielen kann u. zw. ohne mechanische 
Verschorfung und ohne langdauernde Narkose. Auch Görl gibt 
der Röntgenbehandlung bei Epitheliom unbedingt den Vorzug vor 
der „Fulguration“, die höchstens für bösartige Geschwülste in 
Frage kommen könnte, und dann auch nur bei oberflächlich ge¬ 
legenen. Referent kann den skeptischen Standpunkt der beiden 
Verfasser gegenüber einer so eingreifenden und nicht ungefähr¬ 
lichen Methode nur teilen. 


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u m v c n. j i 







ÄRiFBÜTISCHE RUNDSCHAU. 


5, Rückbildung von Gelenkschwellungen, Nachlassen der 
Schmerzen in einem Falle von-Arthritis deformans nach Röntgen¬ 
bestrahlung. . 

'ö. Der bekannte Röntgen-Ingenieur schlägt vor, zur Bestrah¬ 
lung innerer Organe und tiefliegender Tumoren zwei abnorm 
harte Röntgenröhren an der Deeke eines Zimmers anzubringen. 
Es soll mittels Wechselstrom der Betrieb viele hundert Stunden 
aufrecht erhalten werden können. Bezüglich der speziellen Details 
dieser Anordnung ist das Original nachzulesen. Der ganze Raum 
ist dann von sehr stark penetrierenden Strahlen erfüllt, die Pa¬ 
tienten liegen auf niedrigen Bettstellen. 

Theoretisch ist diese Anordnung sehr gut begründet, insofern 
als das Bestrahlungsobjekt in einer so großen Entfernung von 
der Strahlungsquelle sich befindet, daß die Dicke des Objektes 
im Vergleich zu der Gesamtent'fernung ziemlich außer Be¬ 
tracht kommt, die Wirkung auf die Haut also kaum 'erheblich 
stärker als auf die einige Zentimeter unter der Haut liegenden 
Organe, die Durchstrahlung des ganzen Körpers demnach nahezu 
„homogen“ sein dürfte. 

Unter den geschilderten Verhältnissen ist nach Dessauer 
eine fast kundertstündige Bestrahlung erforderlich, um 1 Holz¬ 
knechteinheit zu erreichen. 3—5 Holzknechteinheiten sind be¬ 
kanntlich nötig, um auf der Haut ein leichtes Erythem hervor¬ 
zurufen. 

Praktisch kann sich Referent von dieser Bestrahlungsmethode 
vorläufig keine erheblichen Vorteile gegenüber dem bisher üblichen 
Modus versprechen. Abgesehen von gewissen Bedenken betreffs 
der Schädigung des Gesamtorganismus käme diese Anwendungs¬ 
weise nur bei Leukämie und bei inoperablen Sarkomen und Karzi¬ 
nomen in Frage; und da kommen wir eigentlich in der üblichen 
Art bei Verwendung mittelweicher bis harter Röhren überall zum 
Ziele, wo die- nötige, besondere „Radiosensibilität“ 
des zu beeinflussenden Gewebes vorhanden ist, und wo diese 
spezielle Empfindlichkeit, die eine „conditio sine qua non“ für 
jede erfolgreiche Röntgentherapie ist, fehlt, da wird auch die 
homogene Durchstrahlung des gesamten Körpers schwerlich Erfolge 
zeitigen können. 

7. Berioht über fünf Fälle von Lupus vulgaris, zwei 
Fälle von Naevus vaskulosus, drei Fälle von Alopezia 
areata und zwei Fälle von Ekzem, die durch die Behandlung 
mit der Quarzlampe günstig beeinflußt wurden, während diese 
Therapie in einem Falle von Tätowierung versagte. 

Die fünf mitgeteilten Lupusfälle lassen kein Urteil darüber 
zu, ob die Tiefenwirkung der Quarzlampe derjenigen der Finsen- 
lampe gleichkommt; 


Kinderheilkunde. 

Keferent: Privatdozent Dr. J. Ibrahim, München. 

1. Sklerem eines Neugeborenen mit Ausgang in Heilung. 
Von A. Bauer. Deutsche med. Wochenschr., 1908, S. 421. 

2. Zur Statistik der Scharlachheilserumtherapie. Von W. 
Pulawski. Ibidem, S. 203. 

3. Ueber Pyozyanasebehandlung der Diphtherie. Von Müh¬ 
sam. Ibidem, S. 231. 

4. Untersuchungen über die Fettresorption des Säuglings. 

Von Schelble. Münch, med. Wochenschr., 1908, S. 492. 

l.'*Bauer kommt zu folgenden Schlußfolgerungen: Das 
Sklerem der Neugeborenen kann sich akut entwickeln. Die Diag¬ 
nose ist bei der raschen und scharfen Ausprägung aller Symp¬ 
tome dann leicht und einwandfrei zu stellen. Die Prognose hängt 
davon : ab, auf welcher Höhe die Eigenwärme des Kindes erhalten 
bezw. wie- rasch sie nach dem Absinken wieder hochgebracht 
wird. Leitende Gesichtspunkte für die Therapie: 1. Verminde¬ 
rung der Wärmeabgabe, 2. Steigerung der Wärmezufuhr, 3. Ver¬ 
meidung. von Komplikationen, besonders von Schluckpneumonien. 
-— Den beiden letzteren Indikationen wurde durch Schlundsonden¬ 
fütterung auf dem Wege durch die Nase vom ersten Krankheits¬ 
tage an genügt, der ersteren durch warme Bäder (38 bis 39 0 C, 
zwei- bis dreimal täglich 20 bis 30 Minuten), Wattepackung und 
Wärmflaschen. 


Ref. möchte sich der Ansicht des Verf. anschließen, daß die 
ausreichende Ernährung, wie sie bei den somnolenten Sklerem- 
kindern vielfach nur durch die Sondenfütterung zu bewerkstelligen 
ist, bei der Heilung eine wesentliche Rolle spielen dürfte; der 
vom Verf. gerühmte Zusatz von Kognak (4 bis 6 g täglich) ist 
wohLäls entbehrlich zu bezeichnen. 

2. Pulawski weiß günstige Erfolge von der Serumtherapie 
bei Scharlach . zu berichten; er erhielt dreimal bessere Resultate 
als bei der gewöhnlichen Therapie. Letztere waren aber mit 71 % 
Mortalität offenbar ganz besonders ungünstig. — Aus der kurzen 
Mitteilung läßt sich ein objektives Bild über den Wert der Serum¬ 
behandlung in seinen Fällen nicht gewinnen. 

3. Die Pyozyanase, ein von Emmerich aus Pyozyaneus- 
kulturen dargestelltes bakteriolytisches Enzym ist als Heilmittel 
in der menschlichen Pathologie zuerst von Esckericli und Jehle 
eingeführt worden und zwar als Prophylaktikum, eventuell als 
Heilmittel gegen die epidemische Zerebrospinalmeningitis. Mittels 
Sprayapparates in den Nasenrachenraum eingeblasen, bewirkt es 
ein rasches Verschwinden dort vorhandener Meningokokken. Die 
gleiche Applikationsmethode lieferten Escherisch und Jehle 
auch bei einer durch den Pfeifferschen Mikrokokkus katarrhalis 
bedingten Grippeepidemie sehr günstige Resultate. 

Als Heilmittel bei Diphtherie, speziell bei „septischen“ Fällen 
wurde das Mittel von Emmerich und Zucker (neben der Serum¬ 
behandlung) warm empfohlen. Die Behandlung besteht darin, 
daß den Kranken dreimal täglich, anfangs auch öfter, je etwa 
2 ccm auf 40° erwärmter Pyozyanase mittels eines Zerstäubers 
eingeblasen werden. Man muß den Kranken die Zunge mit einem 
Spatel nach unten drücken, damit die Flüssigkeit die erkrankten 
Teile ordentlich trifft. Den Ueberschuß der etwa den Rachen 
herablaufenden Flüssigkeit spuckt der Kranke wieder aus. Diese 
Bestäubung wird mit Pausen von 5 bis 10 Minuten noch zwei- 
bis dreimal bei jedem ärztlichen Besuch wiederholt. In Fällen 
von Nasendiphtherie werden Einstäubungen in die Nase, bei 
Tracheotomierten event. in die Kanüle gemacht. 

Mühsam teilt mit, daß im allgemeinen sich die Patienten 
die Behandlung gern gefallen ließen. Er wünscht die Pyozyanase 
nur in Gemeinschaft mit der Serumtherapie angewandt zu sehen, 
hält aber die bisherigen klinischen Erfahrungen für ermutigend. 
Der Hauptunterschied, den er gegenüber der reinen Serumtherapie 
beobachtete, war das Verhalten der Beläge. „Während bei den 
nur mit Serum Behandelten sich die Beläge meist stückweise, 
bisweilen in ganzen Membranen abstoßen, so daß dann eine leicht 
wunde Fläche zu sehen ist, schmelzen die Beläge bei der Pyo- 
zyauasebehandlung förmlich vom Rande her zusammen. Die Ton¬ 
sille und die Uvula sowie auch die Beläge bekommen ein suk¬ 
kulentes, fast glasiges Aussehen, die Beläge verflachen immer 
mehr vom Rande her, verkleinern sich und entsprechend überzieht 
sich — wenigstens in einigen Fällen — die freiwerdende Tonsille 
mit eiuem grau-weißen Schleier, der noch einige Tage bestehen 
zu bleiben pflegt. Mit dem Einschmelzen des Belages verschwindet 
auch gewöhnlich der Foetor ex ore, oft ist er schon nach ein 
oder zwei Einblasungen fort.“ 

Mit Recht hebt Verf. hervor, daß die. Entscheidung, ob einem 
Mittel, welches zur Behandlung der Diphtherie neben dem Serum 
angewendet werden soll, eine Heilwirkung zukommt, schwer ist 
und nur auf Grund vielhundertfacher Erfahrung und einer auf 
zahlreichen Mitteilungen aufgebauten Statistik getroffen werden 
kann. 

Ref. glaubt, daß das Mittel besonders geeignet wäre zur Be¬ 
handlung von sogenannten Bazillenträgern, d. b. von Menschen, 
die eine leichtere oder schwerere Diphtherie überstanden haben, 
aber dauernd virulente Diphtheriebazillen auf ihren Schleimhäuten 
beherbergen und dadurch eine stete Infektionsquelle für ihre Um¬ 
gebung darstellen, wenn man sie nicht wochen- und monatelang 
isoliert, was in der Regel praktisch undurchführbar ist. 

Die Pyozyanase wird von Lingner in Dresden hergestellt; 
es wäre sehr zu wünschen, daß sie dem allgemeinen Apotheken¬ 
verkauf bald zugänglich würde, was bis jetzt leider noch nicht 
der Fall ist. 

4. Schelble hat die von Neißer-Br aeunin g angewandte 
Methode' zur Erkennung des resorbierten Fettes im Blut klinisch 
an Säuglingen in Anwendung gezogen. Die Arbeit hat nicht nur 


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Original from 

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theoretisches, sondern auch erhebliches therapeutisches Interesse. 
Falls die Methode sich als brauchbar erweist, so sind wir in die 
Lage gesetzt, zu erkennen, wann wir es wagen dürfen, einem 
Säugling, der auf fettfreie bezw. fettarme Nahrung gesetzt ist, 
wieder Fett zuzuführen; bisher bedeutet der erste Versuch nach 
dieser Richtung mitunter ein lebensgefährliches Experiment-, das 
man unterlassen wird, wenn die Blutprobe ergibt, daß schon 
kleine Mengen Nahrungsfett nicht zur Resorption gelangen. Der 
Höhepunkt der Fettresorption bei Säuglingen liegt nach Schelble 
zwischen der zweiten und dritten Stunde. Um diese Zeit muß 
also untersucht werden. Die Methodik schildeit Verf. wie folgt: 

„Ich ließ wie zur gewöhnlichen Blutuntersuchung nach Ein¬ 
stich in die große Zehe einige Tropfen hervorquellen, saugte diese 
mit einer Kapillare an und brachte sie vorsichtig in ein ca. 3 cm 
langes, oben 3 mm weites Spitzgläschen. Sofort wurde zentri¬ 
fugiert. Im Serum zeigten sich bald Schleier und Flocken, die 
die Flüssigkeitssäule stark ungleich trübten und gelegentlich 
immer dichter und trüber wurden. Es trat zuweilen auch völlig 
homogen erscheinende satte speckige Trübung (durch Fibrinbil¬ 
dung) ein. Eine Beurteilung, ob da§ Serum etwa Hämokonien 
(= Fettkügelchen) enthielte, schien in diesem Medium ausge¬ 
schlossen. Ich ging mit der Platinnadel ein, machte das Fibrin 
von der Glaswand los und zentrifugierte weiter. Einmal gelang 
es sofort, das andere Mal erst nach mehrfacher Wiederholung 
dieser Prozedur, von Fibrin völlig freies Serum zu bekommen. 
Dessen Trübungsintensität durch Hämokonien war vor einem 
schwarzen Hintergrund bei starker Beleuchtung wunderbar scharf 
zu erkennen. Man muß sich hüten, Trübung uud Hämokonien- 
gehalt in Beziehung bringen zu wollen, bevor das Serum fibrin¬ 
frei ist. Dies ist der Fall, wenn die Trübung völlig homogen 
ist, und wenn sich durch eine eingeführte herumbewegte Nadel 
nichts mehr mitbewegen läßt. Quetschung roter Blutkörper ist 
zu vermeiden, da der austretende Blutfarbstoff beim Vergleich 
der Trübungsunterschiede sehr stört.“ In der Regel wurden 
zwei oder drei Untersuchungen bei einem Kind in verschiedenen 
Abständen von der Nahrungsaufnahme ausgeführt. Exakte Me¬ 
thoden zur gleichmäßigen Beurteilung der gefundenen Trübungs- 
intensitat werden vom Verf. in Aussicht gestellt. 


Säuglingsfürsorge. 

Referent: Dr. Gustav Tugendreieh, Leiter der städt. 

Säuglingsfürsorgestelle 5 in Berlin. 

1. Amtsarzt und Säuglingssterblichkeit. VonGrotb. Münch, 
med. Wochenschr., 1908, Nr. 2. 

2. lieber die Beziehungen zwischen Säuglingssterblichkeit, 
Säuglingsnahrung und Militärtauglichkeit. Von Hahn. Ibidem, 
Nr. 11. 

3. Sind besondere Heime für syphilitische Kinder notwendig 
oder wünschenswert? Von Schloßmann. Mediz. Reform, 1908, 
Nr. 12. 

1. Je größere Ausdehnung und Vertiefung die Säuglings¬ 
fürsorge gewinnt, um so mehr wächst auch das Bedürfnis nach 
dem statistischen Beweis ihrer Erfolge. 

Um die Einwirkung der Säuglingsfiirsorge studieren zu können, 
müssen wir aber zuvor genau orientiert sein über die verschiedene 
Wertigkeit der die Säuglingssterblichkeit beeinflussenden Faktoren. 

Es ist aber außerordentlich schwierig, teilweise unmöglich, 
den Einfluß jedes Faktors (Ernährungsart, Geburtsziffer, klimatische 
Verhältnisse, Wohnungsverhältnisse, ökonomische Lage usf.) isoliert 
zur statistischen Anschauung zu bringen. 

Um den Einfluß der Ernährungsart auf die Säuglingssterb¬ 
lichkeit festzustellen, hat nun Groth den bemerkenswerten Vor¬ 
schlag gemacht, auf sämtlichen Impfterminen Bayerns durch die 
Impfärzte Anamnesen über die Säuglingsernährung (ob natürlich, 
ob künstlich) der Impflinge erheben zu lassen. 

Da auch Angaben der Amtsärzte über die ökonomischen Ver¬ 
hältnisse, ferner über den Kinderreichtum ihrer Bezirke Vorlagen, 
so ließ sich nicht nur der Einfluß der Ernährung auf die Sterb¬ 
lichkeit feststellen, sondern auch die Bedeutung der Ernährung, 
des Kinderreichtums, der Armut untereinander vergleichen. 


Es stellte sich heraus, daß die Ernährungsart 
von großem Einfluß auf die Sterblichkeit ist und 
daß sie die anderen Faktoren paralysiert.. 

Der Verf. schließt mit einem Appell an Aerzte und Geist¬ 
liche, mit allen Kräften in die Propaganda des Stillens einzu¬ 
treten. 

2, Hahn tritt der früher verbreiteten Auffassung entgegen, 
daß die große Säuglingssterblichkeit der natürlichen Auslese im 
Darwinschen Sinne diene, daß also da, wo die Säuglingssterb¬ 
lichkeit groß sei, die späteren Lebensalter eine desto geringere 
Mortalität aufweisen und umgekehrt. Nach Hahns Unter¬ 
suchungen trifft das nicht zu. Auf dem Lande wenigstens geht 
geringe Säuglingssterblichkeit und größere Diensttauglichkeit 
Hand in Hand; und wo das Stillen verbreitet ist, ist der Prozent¬ 
satz der Militärtauglichen am größten. 

3. Steht somit auch die Stillpropaganda im Vordergründe 
bei den Maßnahmen der öffentlichen Säuglingsfürsorge, so er¬ 
innert doch Schloßmanns Aufsatz daran, daß ihr auch andere 
Aufgaben zufallen. 

In Berlin sind Bestrebungen im Gange, ein Heim für hereditär¬ 
luetische Kinder zu gründen. Diesem Bemühen tritt nun Schloß- 
mann entgegen, schon weil durch solche isolierten Maßnahmen 
die Säuglingsfürsorge immer mehr zersplittert wird. 

Gerade aber eine straffe Zentralisation der „von weitherzigen 
und sozialen Gesichtspunkten durchgeführten Säuglingsfürsorge“ 
tut bitter not. 

Für die hereditär-luetischen Säuglinge ist unbedingt Frauen¬ 
milch erforderlich; wenn die Mutter nicht stillt und eine syphi¬ 
litische Amme nicht zufällig zur Stelle ist, so muß abgespritzte 
Frauenmilch gereicht werden. 

Alle diese Maßnahmen lassen sich am besten im Rahmen 
eines allgemeinen Asyls durchführen. Eine Gefahr für seine Um¬ 
gebung bildet der Luetiker nur dann, wenn seine Krankheit nicht 
diagnostiziert ist, also latent ist. 

Hier kann oft die Entbindungsanstalt diagnostische Winke 
erteilen. Für die rechtzeitige Feststellung der Lues ist aber die 
Beaufsichtigung der unehelichen Kinder von größter Wichtigkeit. 

Auch diese Maßregel gehört zur allgemeinen Säuglings¬ 
fürsorge. 

Also: Zur frühzeitigen Ermittlung -der hereditären Lues ist 
die allgemeine Säuglingsfürsorge zuständig und geeignet. 

Die Behandlung der Luetischen läßt sich zu Hause oder in 
allgemeinen Asylen durchführen. 

Einer besonderen Veranstaltung bedarf es dazu nicht. 


Balneologie. 

Referent: Dr. Max Hirsch, Arzt in Bad Kudowa. 

Der 29. Baineologische Kongreß. Der Balneologen-Kongreß 
tagte zum 29. Male vom 5. bis 9. März, und zwar dieses Mal in 
Breslau, weil mit dem Kongreß die Enthüllung des von der Balneo- 
logischen Gesellschaft gestifteten Denkmals für Hermann Brehmer 
verbunden war. Das Denkmal, welches in Ueberiebensgröße aus 
Muschelkalk auf einem hohen Sockel aus gleichem Material von 
Herrn Bildhauer Becher in Berlin, dem Sohne des unlängst ver¬ 
schiedenen Vorsitzenden der Berliner Aerztekammer, Geheimrat 
Dr. Becher, hergestellt würde und ven dem neugewählten ersten 
Vorsitzenden der Balneologisclien Gesellschaft, Herrn Geheimrat 
Prof. Dr. B rie ger-Berlin, der Stadt Breslau übergeben wurde, 
fand seinen Platz vor dem Wenzel-Hanckeschen Krankenhaus in 
Breslau, das auch in Zukunft vornehmlich der Behandlung der 
Lungenkrankheiten dienen soll. 

Der wissenschaftliche Teil des Kongresses umfaßte das große 
Programm von 32 Vorträgen mit daran anschließenden, oft regen 
Diskussionen. 

v. Strümpell -Breslau sprach über Anwendung der Glük- 
lichtbäder bei Bronchialerkrankungen und hob besonders ihren 
Wert bei der chronischen Bronchitis sowie bei dem Asthma bron¬ 
chiale hervor. Als besonderes Charakteristikum der Glühlicht¬ 
bäder rühmte er ihre schweißtreibende Wirkung, die 'aber den 
Organismus nicht so belästige wie die anderen schweißerregenden 


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Original fro-m 

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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


225 


Prozeduren. Trotzdem empfiehlt Vortragender die größte Vorsicht 
in der -Anwendung der Glühlichtbäder bei Herz- nnd Gefäßerkran¬ 
kungen besonders älterer Leute, zumal sich hinter dem Bilde 
einer frischen Bronchitis nicht zu selten Aneurysmen der Aorta und 
Koronarsklerosen versteckten. Während der Behandlung mit Glüh¬ 
lichtbädern empfiehlt Vortragender möglichste Ruhe und günstige 
hygienische Verhältnisse, so daß die Kur am besten in Sanatorien 
oder Badeorten vorgenommen werden soll. In der Diskussion 
empfiehlt Winternitz-Wien zu dem Glühlichtbade erregende 
Prozeduren hinzuzufügen und Ro thschild-Soden die Schilling- 
sche Röntgenbehandlung, vor der jedoch Kraft-Göimersdorf direkt 
warnt. Br i eg er- Berlin betont die Wichtigkeit der Kombination 
des Kältereizes mit dem Wärmereiz, wie bei jeder therapeutischen 
Prozedur, besonders beim Asthma. 

Determann-St. Blasien bespricht die Beeinflussung der 
menschlichen Blutviskosität durch das Höhenklima. Er unter¬ 
suchte dieselben Personen in Preiburg (280 m) und in St. Moritz 
(1840 m) und fand eine durchschnittliche Erhöhung der Viskosität 
um 17,4% innerhalb drei bis elf Tagen. Bei zwei Personen 
konnte er durch sehr häufig vorgenommene Untersuchungen den 
Verlauf der Kurve, das An- und Absteigen der Viskosität ver¬ 
folgen. Diese Resultate entsprechen auch den Forschungen über 
die Blutveränderungen im Hochgebirge, wonach die Zahl der roten 
Blutkörperchen zunimmt. Die Eiweißuntersuchungen, die Vor¬ 
tragender im Blut vornahm, sind noch nicht abgeschlossen. Es 
scheint aber, daß die Globuline für die Viskosität von größter 
Bedeutung seien. 

Ziegler-Breslau sprach zur Behandlung der Anämie. Er 
betont, daß die Prinzipien jeder Therapie nach krankheitsätiologi¬ 
schen Gesichtspunkten für die verschiedenen Formen der Anämie 
nur in beschränktem Maße durchführbar seien, d. h. soweit sie 
eben durch bekannte Schädigungen herbeigeführt sind. Sie sind 
nicht möglich bei den sogenannten primären Anämien, besonders 
der Chlorose und der progressiven perniziösen Anämie. Die 
Wirkung der symptomatischen Mittel zur Verbesserung der Blut¬ 
bildung ist eine indirekte, bedingt durch die reparatorischen Wachs¬ 
tumsäußerungen auf vorhergehende Schädigungen. Dies gilt für 
das Eisen und das Arsen, wohl auch für die Bluttransfusion. Die 
Vermehrung der roten Blutkörperchen in der Höhenluft scheint, 
nach Vortragendem zu urteilen, eine scheinbare zu sein durch 
Wasserverlust des Blutes, zum Teil vielleicht auch durch raschere 
Reifung der roten Blutkörperchen bedingt. Röntgenbestrahlung 
hält er zur Behandlung für ungeeignet. Zur Kontrolle der thera¬ 
peutischen Beeinflussung ist nicht nur die quantitative, sondern 
auch die qualitative funktionelle Untersuchung des Blutes nötig. 
Diagnostisch wichtig und prognostisch günstig ist das Auftreten 
der Normoblasten und polychromatophilen Erythrozyten. An diesen 
Vortrag schloß sich eine sehr große Diskussion an , in der beson¬ 
ders die Bemerkung von Kraft-Görbersdorf hervorgehoben sei, 
daß Arsen in kleinen Dosen eine gute Wirkung hätte, in großen 
Dosen dagegen eine schlechte. Ziegler hält dagegen die Wir¬ 
kung des Arsens für ähnlich derjenigen kleinster Aderlässe, in¬ 
dem es die Blutkörperchen zerstört beziehungsweise vermindert 
und dann zur Neubildung energischer^ anregt, wobei aber mehr 
Blutkörperchen neu gebildet werden als zerstört wurden. 

Küstner - Breslau behandelte Grenzgebiete der orthopädi¬ 
schen und operativen Therapie in der Gynäkologie. Bei den 
Retroflektionen des Uterus müsse man recht früh die orthopädische 
Behandlung in Anwendung bringen, und zwar die Aufrichtung und 
Festhaltung mit dem Pessar, solange der Uterus noch beweglich 
ist. Sowie er fixiert ist, kommen stumpfe Trennung der Adhäsionen 
sowie Massage in Frage. Von operativen Fixationen empfiehlt er 
diejenigen, welche nach der Laparotomie gemacht sind, da nach 
vaginalen Operationen sich zuviel Komplikationen einstellen. Diese 
Behandlungsmethoden sind aber nur dann anzuwenden, wenn 
keine akuten Entzündungsprozesse mehr bestehen. Zum Schluß 
betont Vortragender den Wert des Turnens und Sports bei Frauen 
und Mädchen, die Notwendigkeit einer Reformierung der weib¬ 
lichen Kleidung sowie eine sorgfältige Wochenbettsdiätetik, die 
darin gipfelt, die Wöchnerinnen nicht zu lange im Bett liegen zu 
lassen. 

F. Kisch jun.-Marienbad bespricht die spastische Obstipation. 
Nach eingehender Schilderung der Literatur über diesen Gegen¬ 


stand teilt er, seine eigenen Erfahrungen mit und empfiehlt Ruhe¬ 
kuren mit systematischer Darreichung von Atropin und Belladonna, 
daneben Wärmeanwendung und geeignete Ernährung. Von diesen 
Prozeduren hat er Dauererfolge beobachten können. In der Dis¬ 
kussion hebt v. Ohlapowski-Kissingen den Wort der Magen¬ 
ausspülung in solchen Fällen hervor, deren Wirkung zwar nicht 
erklärt ist, aber doch nicht abgeleugnet werden darf. Jacob- 
Kudowa empfiehlt in solchen Fällen große Eingießungen, weil die 
spastische Obstipation oft ihre Ursache in inneren Darmeinklem¬ 
mungen hat. Determann-St. Blasien empfiehlt seitliche warme 
Duschen. 

Rosenfe 1 d-Breslau sprach zur Behandlung der Uratstein- 
diathese und empfiehlt, die Darreichung der Fleischmengen zu 
vermindern. Er betont, daß auch das Fischfleisch sorgfältig dosiert 
werden müsse. Zucker und Alkohol sind ebenfalls zu vermeiden. 
Zur Behandlung empfiehlt er die innere Darreichung von Harn¬ 
stoff, welches die Harnsäure löst, sowie Glyzerin in größeren 
Mengen gegen die Schmerzen. 

Hahn-Nauheim sprach über das Thema Aderlaß und Kreis¬ 
laufstörungen. Er ist der Ansicht, daß der Aderlaß sich sehr 
gut dazu eigne, das Gefäßsystem zu entlasten, besonders wenn 
der Lungenkreislauf überlastet ist. Dabei findet auch eine Ab¬ 
nahme der Viskosität des Blutes statt und eine Verminderung 
des Widerstandes in den Gefäßbahnen. In der Diskussion emp¬ 
fiehlt Selig-Franzensbad den Aderlaß bei Arteriosklerose sowie 
Jacob-Kudowa bei Lungenödem. 

Gmelin-Wyk erörterte die Indikationen des Nordseeklimas, 
das vom Höhenklima sehr verschieden ist und für die Prophy¬ 
laxe der Tuberkulose eine große Bedeutung hat. Auch bei Skrofu¬ 
löse, manchen Formen von Anämie und vielen Nervösen ist das 
Seeklima zu empfehlen. 

Uhthoff-Breslau demonstrierte einen 15jährigen Patienten 
mit abnormer Fettentwicklung und temporaler Hemianopsie, die 
ihre Ursache in einer Vergrößerung der Hypophysis haben. 

Partsch-Breslau bespricht die Schwellung der Halslymph- 
drüsen, die auf dem Wege der Lymphbahnen Infektionskeime in 
sich aufnehmen. Die Zahnkaries ist schon bald nach dem Schwund 
des Schmelzes imstande, Tuberkelbazillen in die Ljunphdrüsen 
hineinwandern zu lassen. Die einzelnen Zähne stehen mit ganz 
bestimmten Drüsen, namentlich mit den submaxillaren und sub¬ 
mentalen in Verbindung. Für die Therapie der Drüsenschwellung 
empfiehlt er die Anwendung von Wärme. 

Ja co b-Kudowa sprach über nervöse Herzkrankheiten, bei 
denen er drei Arten unterscheidet, je nachdem die Ernährung 
des Herzens maugelhaft ist, oder chronische Entzündungen be¬ 
stehen oder der Nervus vagus gereizt war. Therapeutisch emp¬ 
fiehlt er Morphium und Brom in den akuten Anfällen, für die 
chronischen Stadien Wasserkuren, koklensanre Bäder und rationelle 
Gymnastik. 

Fisch-Franzensbad erörterte die Balneotherapie der durch 
Stoffwechselstörungen bedingten Herz- und Gefäßerkrankungen, 
unter denen Diabetes, Gicht, Fettsucht und Unterernährung eine 
große Rolle spielen. Die Balneotherapie, im Verein mit physikali¬ 
schen und diätetischen Behandlungsmethoden, kann, wie Vor¬ 
tragender an einer Reihe von Fällen nachweist, gute Erfolge 
herbeiführen. 

S elig-Franzensbad sprach über Sport und Herz. So sehr 
auch vom ärztlichen Standpunkte aus die unbedingten Vorzüge 
des vernünftig betriebenen Sportes anerkannt werden müssen, 
ebenso kann nicht eindringlich genug vor Rekordleistungen ge¬ 
warnt werden, welche ein Attentat gegen die Gesundheit, speziell 
gegen das Herz bedeuten. xAn erster Stelle steht da das Rad¬ 
fahren, dessen Uebertreibung in den letzten Jahren der deutschen 
Armee eine Viertelmillion Wehrpflichtiger entzogen hat. Die 
Schädigungen des Herzens bestehen in Myokarditis, Dilatation, 
Hypertrophie und nervösem Herzklopfen. Letzteres zeigt sich 
besonders nach Tennisspiel bei blassen Mädchen in der Entwick¬ 
lungsperiode, die zu Herzklopfen besonders disponiert sind. 

Nenadovics-Franzensbad besprach die Trinkkur bei Herz¬ 
kranken. In der Diskussion über die vier das Herz angehenden 
Vorträge war das Hauptinteresse dem Seligschen Vortrage zu¬ 
gewandt. Besonders betonte Partsch-Breslau die Schäden der 
Einseitigkeit im Sport und empfiehlt, das Turnen mehr in den 


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226 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU.. " 


Vordergrund zu stellen. Ihm schließen sich Determann- 
St. Blasien sowie K r a f t - Görbersdorf an. 

Siebelt -Plinsberg teilt seine Erfahrungen mit Vibrations¬ 
massage mit, • die er in den letzten zehn Jahren bei zahlreichen 
Kranken zur Anwendung gebracht hat. Er sah namentlich gute 
Erfolge bei Herzkranken. Die von anderen Beobachtern mitge¬ 
teilten Verkleinerungen der linken Kammern, an dem durch einen 
wirklichen Herzfehler vergrößerten Herzen konnte er zwar nicht 
bestätigen ; jedoch stimmte er mit anderen darin überein, daß die 
Beschwerden, soweit sie in Pulsbescbleuniguug, Kurzatmigkeit 
usw. bestehen, außerordentlich günstig beeinflußt werden. Das 
gleiche ist von dem Heere der nervösen Herzbeschwerden zu be¬ 
richten. Gutes leistete die Methode auch bei manchen Neurosen 
wie Migräne, indem namentlich die Kopfschmerzen zum Schwinden 
gebracht werden, 

Die sing-Berlin bespricht die Indikationen des Thiopinol- 
bades. Xach kurzen Angaben über die Geschichte der Verwen¬ 
dung des Schwefels als Heilmittel gibt Diesing eine neue 
Theorie der Schwefelwirkung auf Grund seiner Untersuchuugen 
über schwefelhaltige Hautpigmente, Serumfarbstoff und Hämoglobin. 
Er plädiert für die Bildung des Blutfarbstoffes aus den Haut¬ 
pigmenten. Praktische Versuche haben die Wirksamkeit des 
Thiopinols, einer eigenartigen Schwefel-Terpen-Verbindung, bei 
Syphilis, Gicht, Rheumatismus, Gonorrhöe und Frauenkrankheiten 
ergeben. In der Diskussion betont Laqueur-Berlin, daß Schwefel¬ 
säure im Tkiopinolbade resorbiert würde, wobei aber Brieger- 
Berlin hervorhebt, daß es sich nur um ganz geringe Mengen da¬ 
bei handeln könne. 

F u e r s t e n b e r g - Berlin spricht zur hydriatisehen Behandlung 
der rheumatischen Erkrankungen und empfiehlt den Winternitz- 
schen Longuettenverband, den Brieger modifiziert hat und der 
eine wertvolle Bereicherung des physikalischen Heilschatzes be¬ 
deutet. An einer Reihe von Krankengeschichten gibt Vortragender 
einen klaren Ueberblick über den Wert der Longuetten und 
anderen hydriatischen Behandlungsmethoden, welche die Salizyl- 
therapie oft überflüssig machen. 

Cf o e b e i - Breslau sprach über Rektumstrikturen und ihre Be¬ 
handlung. 

To bi as - Berlin teilt seine Erfahrungen mit dem Vierzellen¬ 
bad mit und warnt ver übertriebenen Hoffnungen. Dagegen hat 
er mit dem Vierzellenbad doch bei richtiger Anwendung gute 
Erfahrungen gemacht. Von Wichtigkeit ist eine präzise Indikations- 
stellung, ferner die Anwendung nicht zu starker Ströme. Endlich 
ist es unbedingt erforderlich, daß der Arzt selbst und nicht etwa 
das Wärterpersonal die Applikation leitet. Zu empfehlen ist das 
Verfahren für Nervenleidende (chronische Neuralgien, allgemein 
nervöse Zustande. Lähmungen usw.) und für Herzkranke, aber 
nur solche, welche an Herzmuskelstörungen, rechtsseitiger Dilatation 
und nervösen Herzleiden erkrankt sind. Dem Einwurf der aus¬ 
schließlich suggestiven Beeinflussung tritt Vortr. entschieden ent¬ 
gegen. 

Zi kel- Berlin bespricht eine Reihe wirksamer Badekuren. 

M ulIer- Berlin teilte die ersten Brehmersehen Prinzipien 
in der Behandlung der Lungentuberkulose mit und wies auf die 
große Bedeufung hin, die Brehm er in der Behandlung der 
Lungentuberkulose hat. Brehmer war der erste, der den Satz 
aussprach, daß die Lungentuberkulose heilbar sei, wenn nur die 
hygienischen Bedingungen gut wären, unter denen der Kranke 
leben müsse. Aus diesem Grunde empfahl er den Aufenthalt in 
der guten Gebirgsluft, gute Ernährung, eine Reihe von hydro¬ 
therapeutischen Maßnahmen und schließlich eine geeignete bezüg¬ 
liche Behandlung. 

Tietze-Breslau, der die letzten Lebensstunden Brehmers 
als sein behandelnder Arzt zu beobachten Gelegenheit hatte und 
eine ergreifende Schilderung des Lebensabschlusses dieses großen 
Wohltäters der Menschheit brachte, erörterte die chirurgische Be¬ 
handlung der Tuberkulose im Kindesalter, die durch die Arbeiten 
von Brehmer sowie durch Mikuliczs Jodoforminjektionen 
-‘inen konservativen Charakter annahm. Aus dem Vortrage ergab 
sich die Notwendigkeit, besondere Kinderheilstätten für Tuberkulöse 
zu errichten. 

Kr a ft-Görbersdorf behandelte die Röntgendiagnostik bei 
Lungenerkrankungen und wies auf die großen Schwierigkeiten 


hin sowie auf die’ Fehlerquellen, die der'llaa^ 
hafteten. Besonders wichtig erschien Vortragendem die Röntgen¬ 
diagnostik in der Beurteilung der Tuberkulose der. •Bronchial¬ 
drüsen. 

Stabsarzt Ri edel-Berlin machte das aktuelle Thema von 
der künstlichen Radiumemanation zum Gegenstand seines Vor¬ 
trages. Er geht in kritischer Weise auf die verschiedenen Fehler-' 
quellen ein, die den Meßmethoden anhafteten und die sich dadurch, 
daß man dabei noch viel umrechnen müßte, wesentlich verviel¬ 
fachten. Von den einzelnen Präparaten gibt er .dem Radiogen 
den Vorzug vor Emanosal. Besonders wichtig war in dem Vor¬ 
trag die_ scharfe Kritik der vorhergehenden Arbeiten auf diesem 
Gebiete, bei denen mitunter die Voreingenommenheit oft ein 
anderes Bild ergab. Vortragender konnte die von vielen Seiten an¬ 
gegebene Ausscheidung von Emanation im Harn nicht bestätigen 
und auch in der Behandlung nicht die von -.verschiedenen Seiten 
angegebenen Erfolge bestätigt, trotzdem er an über 100 Patienten 
sehr sorgfältige Beobachtungen machte. In der Diskussion be¬ 
tonte Wiek-Gastein die Radioaktivität der Gasteiner Quellen. 
Laqueur-Berlin verteidigte das Emanosal, während Winter¬ 
nitz-Wien vor den übereilten Schlüssen bei dieser diffizilen 
Materie streng warnte. 

Loewenthal -Braunschweig sprach über den sogenannten 
Brunneorausch, der in der älteren balneologischen Literatur eine 
große Rolle spielte, jetzt aber weniger bekannt sei. Er hält den 
Brunnenrausch für eine nervöse Störung, die durch die Kohlen¬ 
säure und anderen gasartigen Stoffe veranlaßt werde, zumal die 
Kohlensäure Vergiftung ein ähnliches Bild gebe wie der Brunnen- 
rausch. Die Aufforderung des Vortragenden, an den geeigneten 
Plätzen die Frage des Brunnenrausches eingehender zu studieren, 
dürfte wohl auf fruchtbaren Boden fallen, zumal die dazu not¬ 
wendigen Apparate nicht gerade kompliziert genannt werden 
können. 

Hinsberg -Breslau berichtete über Fälle von Kehlkopftuber- 
knlose, bei denen eine Heilung dadurch eintrat, daß der Kehl¬ 
kopf durch Tracheotomie vollständig ruhiggestellt wurde. Er 
betont aber, daß man durch diesen Eingriff nicht in jedem Falle 
bestimmt auf Erfolg rechnen dürfe, sondern daß man die Fälle 
sorgfältig auswählen müsse. In der Diskussion sprachen Roth¬ 
schild-Soden sowie Joel-Görbersdorf über den Wert der All- 
gemeinbehandlung der Tuberkulose, auch wenn sie den Kehlkopf 
nur lokal befallen hat. 

Brieger-Breslau behandelte das Thema .von dem Verhältnis 
der Balneologie zur Ohrenheilkunde und hob hervor, daß bei den 
Ohrenkrankheiten die lokale Behandlung die baineotherapeutische 
in den Hintergrund drängte. Jedoch empfiehlt er, die rezidivie¬ 
renden akuten Mittelohrentzündungen des Kindesalters durch 
klimatische Kuren an der See oder im Hochgebirge zu behandeln, 
dagegen weniger in den Solbädern. Die Wirkung aber wird da¬ 
durch sicherer, daß vorher die prädisponierenden Zustände im 
Nasenrachenraum beseitigt werden. Besonders erfolgreich sind 
solche Kuren bei der latenten Tuberkulose des Mittelohrs. Jod¬ 
haltige Solbäder zeigten einen besonderen Erfolg bei Kranken, 
bei denen die Mittedohreiterungen sich an atrophierende Prozesse 
in den oberen Luftwegen entwickeln. 

Guhr-Tatra-Szeplak teilt seine Erfahrungen über die Base¬ 
dowsche Krankheit im Hochgebirge mit, auf die Stiller im Jahre 
1888 hingewiesen hat. Interessant ist die Beobachtung, daß die 
Größe der Schilddrüse den Beschwerden nicht parallel geht. Vor¬ 
tragender warnt vor Entfettungskuren, wenn sich bei Basedow¬ 
scher Krankheit Fettsucht als Komplikation einstellt, und emp¬ 
fiehlt außer der Höhenluft Ruhe, Liegekuren u,nd Diätkuren, 
Lanzische Milch, kohlensaure Bäder Galvanisation Massage und 
Vibration. In der Diskussion spricht Jacob-Kudowa für Arsen, 
während Hirs ch -Kudowa darauf aufmerksam macht, daß man 
doch mit verschiedenen Formen von Basedowscher Krankheit 
rechnen müsse, von denen die eine auf Höhenluft, die andere auf 
Arsen, wieder andere auf Jod reagierten. ■ Für die letzteren 
Formen empfiehlt er die Frankenhäuser sehe ’Jontophorese mit 
den von demselben Autor eingeführten, improvisierten lokalen 
Elektroden. 

Znm Schlüsse teilte Hirsch-Kudowa die Erfahrungen mit, 
welche in der hydrotherapeutischen Anstalt der - Berliner Uni- 


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1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU 


2ä7 


versität mit der diätetischen und physikalischen Behandlung der 
Gicht gemacht wurden. In der Ernährung empfiehlt er, nicht so 
rigoros vorzugehen, wie es mitunter geübt wird, wenn man auch 
Fleisch, Alkohol und Zucker bei Gichtikern einschränken soll. 
Zur Entfernung der Harnsäure aus dem Körper empfiehlt er eine 
reichliche Flüssigkeitsaufnahrae, um eine vermehrte Harnabsonde¬ 
rung zu erzielen. Für die Beseitigung der gichtischen Disposition 
empfehlen sich Scbwitzprozeduren, Bewegung und namentlich 
Sport. Gegen den akuten Gichtanfall bewähren sich am besten 
erregende Umschläge und Longuettenverbände, besonders in der 
B r i e g e rschen Modifikation. Die chronischen Gelenkveränderungen 
sind am besten mit Massage, Gymnastik und warmen Prozeduren 
wie Moorbädern, Heißluftbädern und vor allem dem Dampfstrahl 
zu behandeln. 

Von den Demonstrationen, die gelegentlich des Kongresses 
stattfanden, erfreuten sich eines großen Beifalls vor allem die 
zahlreichen interessanten Fälle, die durch Herrn Geheimrat Prof, 
v. Strümpell in seiner Klinik vorgestellt wurden und die mit¬ 
unter durch ihre scharfsinnige Diagnose und glücklich gewählte 
Therapie frappierten. Viel Interesse erregte auch das Städtische 
Wasserwerk, das mit großen Naturschwierigkeiten zu kämpfen 
hatte, und schließlich die Milchküche, die vorbildlich wirken 
dürfte. Den Schluß des Kongresses bildete ein Ausflug nach 
Görbersdorf, wo des genialen Brehmer wunderbare Schöpfung 
durch die sachkundige Führung von Herrn Prof. Kraft, dem 
Chefarzt der Brehmerschen Heilanstalten, das Interesse des Restes 
der Kongreßteilnehmer aufs höchste fesselte. Die Aufnahme in 
Breslau war eine außerordentlich entgegenkommende, so daß auch 
dieser Kongreß seinen Teilnehmern in steter angenehmer Erinne¬ 
rung bleiben dürfte. 

Infolge der schweren Erkrankung ihres bisherigen ersten 
Vorsitzenden, des Herrn Geheimrat Prof. Dr. Liebreich, der 
zum Ehrenvorsitzenden ernannt wurde, trat durch fast einstimmige 
Wahl an seine Stelle Herr Geheimrat Prof. Dr. Brieger, Leiter 
der Hydrotherapeutischen Anstalt der Universität Berlin. Stell¬ 
vertretende Vorsitzende wurden die Herren Hofrat Prof. Dr. 
Winternitz-Wien, Geheimrat Dr. Sch 1 iep-Baden-Baden, Ge¬ 
heimrat Dr. Thilenius-Soden , Geheimrat Dr. Weizsäcker- 
Wildbad und Prof. Dr. Ki sch-Marienbad. Zum Generalsekretär 
wurde Herr Geheimrat Dr. Br ock - Berlin, einer der wenigen 
noch lebenden Mitbegründer der Balneologischen Gesellschaft 
wieder gewählt, zu dessen Unterstützung Herr Dr. Hirsch- 
Kudowa zum Sekretär ernannt wurde. 


Innere Medizin. 

Ausländische Literatur. 

Referent: Dr. med. Alois Pollak, Prag-Weinberge. 

1. Aetiologie der Tuberkulose. Americ. Medic., 1908, I. 

2. Allgemeine Therapie der Tuberkulose. Ibidem, 1907, XI. 

3. Behandlung der Tuberkulose mit Phosphotal. Ibidem. 

4. Behandlung der Arteriosklerose und der sklerotischen 
Kardiopathie. Von Huchard. (Internat. Kongreß f. physikal. 
Therapie.) Annali di Eletricita medica e terapia fisica, 1907 , X. 

5. Inhalationstherapie und Pneumatotherapie. Von Lazarus. 
(Internat. Kongreß f. physikal. Therapie.) Annali di Eletricita 
medica e terapia fisica, 1907, XI. 

6. Radioaktivität der Mineralquellen. Von Strauß. Ibid. 

7. Dietetica e eure fisiche. Von As coli. Ibidem, X. 

1. Der Streit über die Wege, welche der Bazillus der Tuber¬ 
kulose am häufigsten benutzt, um in das Innere des Menschen 
einzudringen und sein unheilvolles Werk zu beginnen, wird auch 
in Amerika lebhaft geführt; die beiden entgegengesetzten Mei¬ 
nungen (Inhalationstuberkulose und Nahrungstuberkulose) finden 
auch hier ihre Vertreter. Theobald Smith (Boston Med. and 
Surg. Journ., 1907, Sept.) sagt: Keineswegs ist der Verdauungs¬ 
kanal der einzige oder der wichtigste Weg, auf welchem die In¬ 
fektion stattfindet.. Sehr viele Fälle verdanken ihre Entstehung 
der Inhalation oder Aspiration. J. V. White (N. York med. 
Journ., 1907, XI) hebt die Häufigkeit der Infektion durch die 


Nahrung hervor. Smith hebt auch die Wichtigkeit der Bekämp¬ 
fung der Riudertuberkulose hervor. 

2. Im Gegensätze zu der bei uns viel angewendeten Licht¬ 
behandlung der Tuberkulose und auch zu der Behandlung der 
Tuberkulose in warmen Gegenden macht sich in Amerika vielfach 
das Bestreben geltend, Tuberkulöse in rauhe, kalte und wolkige 
Gegenden zu schicken und dort zu behandeln. Auch Höhenkur¬ 
orte werden so gewählt, daß sie nicht oberhalb sondern unterhalb 
der Wolken liegen. Die Hauptverfreter dieser Richtung (Knopf, 
New York med. Journ., 1907, May, White Arcb. of Physiolog. 
Journ., 1906, Oktob) verlangen geradezu Schutz vor Wärme 
und vor Sonnenlicht, Aufenthalt im Freien bei Tag und 
hei Nacht, auch im Winter, indem sie darauf aufmerksam 
machen, daß die Kälte — augenscheinlich als Reaktion — alle 
Lebensfunktionen steigere und kräftige. Für den Sommer wird 
dunkle Kleidung verlangt. Die herbstliche Flucht der Patienten 
in südliche Gegenden wird als ein Unglück bezeichnet (the mor- 
tality among these migrants is a scandal. Die Sterblichkeit unter 
diese# Reisenden ist ein Skandal); sie sollen lieber in die schattigen 
wolkigen Berge des Nordens geschickt werden. Dabei wird aller¬ 
dings von einer Seite bemerkt, daß sich eine solche Behandlungs¬ 
methode vielleicht nur für Weiße, an rauhes Klima gewöhnte, 
eigne, für Schwarze aber (und für im Süden wohnende Weiße ? Ref.) 
nicht. 

(Ref. möchte natürlich vor jeder Uebertragung dieser „ameri¬ 
kanischen“, für ausgesuchte Fälle vielleicht passenden Methode iu 
unsere Verhältnisse warnen.) 

Nicht nur an Lungentuberkulose leidende Patienten, sondern 
auch solche, die mit Tuberkulose der Knochen und Geleuke be¬ 
haftet sind, werden sogar fiebernd und bettlägerig nach diesen 
Grundsätzen behandelt (Carling, New York med. Journ., 1907, 
June). Höchstens finden noch die an der See gelegenen alten 
Sanatorien Gnade vor den Augen der Reformatoren. 

3. Unter dem Namen Phosphotal wird von Clin ein Medika¬ 
ment eingeführt, welches als Gemisch von kohlenphosphorigsauren 
Estern des Kreosots bezeichnet wird; es ist eine rötlichgelbe zähe 
Flüssigkeit von abgeschwächtem Kreosotgeruch und enthält angeb¬ 
lich 9,5% phosphorige Säure und 90% Kreosot. 

Nachgerühmt werden ihm folgende Eigenschaften: Es soll 
sehr gut vertragen werden, sehr wenig giftig sein und an¬ 
geblich keine kumulierende Wirkung haben. Insbesondere wird 
seine ausgezeichnete Wirkung bei Mischinfektion her vor geh oben. 

Die mitgeteilten Krankengeschichten (Beobachtungen von 
Ballard, Vedel, Fonzes-Diacon, Lorot, Gorgou, Lau¬ 
ra onni er und Bernstein) lauten sehr günstig. Die Tempera¬ 
turen beweisen eine ausgesprochene, aber nicht nachwirkende Herab¬ 
setzung der Fiebertemperaturen; die tabellarische Zusammenstellung 
von 97 Fällen, in welche auch die schlecht verlaufenen aufge¬ 
nommen erscheinen, macht einen sehr günstigen Eindruck. 

Dosierung: Ansteigen von 0,4 bis 2 g pro die in Kapseln 
ä 0,2 oder in Emulsion, welche zu 0,5: 5 (10%) fertig zu haben 
ist (auch als Klysma), mit Milch gegeben wird, oder subkutan in 
sterilisierten Tuben, 0,1:10, drei Spritzen pro die. Literatur¬ 
verzeichnis von neun franz. Publikationen (Autoren wie oben). 

4. H. verwirft in Konsequenz seiner Ansicht-, daß die Arterio¬ 
sklerose auf Intoxikation zurückzuführen sei, den Mißbrauch von 
Medikamenten (ganz besonders die allgemeine Verwendung von 
Jod) und verlangt strenge Regelung der Diät (Pflanzenkost und 
Anwendung der physikal. Agentien). 

5. L. unterscheidet aktive und passive Pneumatotherapie. 
Erster© wird unter aktiver Beteiligung des Patienten am Apparat, 
vorgenommen, letztere besteht im Aufenthalt in der pneumatischen 
Kammer. Die erstere (Druckdifferenz in maximo V 40 Atmospb.) 
erscheint augezeigt bei Volumen pulmon. auctum, Asthma bron¬ 
chiale, chron. Luftröhrenkatarrh,*pleuritischen Verwachsungen und 
bei paralytischem Thorax, Gegenanzeigen insbesondere Herzleiden. 

6. Es ist nachgewiesen, daß sich radioaktive Substanzen in 
den meisten Mineralwässern vorfinden, allerdings in verschiedenen 
Mengen; ebenso ist nachgewieseu, daß weder in der Exspira¬ 
tionsluft von Personen, die sich in Räumen, welche Radiumeraana- 
tion enthalten, auf hielten, noch im Urin von Personen, welche Gasteiner 
Wasser getrunken haben, Radiumemanation vorkommt. Als Wir- 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


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kung der radioaktiven Substanzen ergeben sich: Beeinflussung der 
Bakterien, der Gewebe und fermentativer Prozesse. In derselben 
Weise äußert sich mit Hervorhebung italienischer Quellen (S. 
Giuliano-Pisa) Bar du zzi- Siena. 

7. Ascoli hebt die Notwendigkeit hervor, bei der Behand¬ 
lung aller Stoffwechselkrankheiten und aller Krankheiten, welche 
mit Ernährungsanomalien irgendwelcher Art verbunden sind, die 
entsprechende Regelung der Diät zu kombinieren mit der zweck¬ 
mäßigen und dem Einzelfalle angemessenen Anwendung der physi¬ 
kalischen Therapie, da es sich sonst nur nm einseitige und daher 
minderwertige Maßnahmen handle. 


Bechhold ist der Ansicht,, daß es mit dem Ultramikroskop 
gelinge, die gröberen Moleküle direkt zu sehen, a fortiori also auch 
durch die Ultrafiltration ihre Anwesenheit zu konstatieren. Hier" 
möchte Ref. ein Fragezeichen setzen: Die Moleküle sind eine 
Hypothese für den praktischen Gebrauch, eine Art Rechenpfennige, 
nur haben wir durch den alltäglichen Gebrauch diese ihre Aktionäre 
Natur vergessen. Gegen L ihre tatsächliche Existenz ist schon so 
viel vorgebracht worden wie für sie. Und selbst wenn sie 
existieren, so ist nicht gerade wahrscheinlich, daß unsere für das 
Grobsichtbare geschaffenen Augen je imstande sein werden, das 
kleinste Existierende zu erblicken. F. von den Velden. 


Varia. 

1. Ertrinkungsgefahr und Schwimmkunst. Von Dr. Revens- 
torf. Umschau, 1908, Nr. 5. 

2. Die Muttersubstanz des Radiums. Von Dr. Otto Hahn. 
Umschau, 1908, Nr. 5. 

3. Ultrafiltration. Von Dr. Bechhold. Umschau, 1908, 
Nr. 3. 

4. Nahrung, Kleidung, Liebe und die Rechte der Natur. 

Von Fr. Erhard. „März“, 1908, Heft 4. 

5. Eine Methode zur Abkürzung normaler Eotbindungen. Von 
Dr. Tb. Landau. Berl. klin. Woch., 1908, Nr. 1. 

1. Revenstorf, der im Hamburger Hafenkrankenhause 
reichliche Gelegenheit zu Erfahrungen gehabt hat, erklärt die be¬ 
kannte Gefahr des Schwimmens bei vollem Magen durch die 
Hinaufdrängung des Zwerchfells, die der Druck des Wassers auf 
die gasgefüllten Därme und den unnachgiebigen Magen bewirkt. 
Da die Atmung beim Schwimmen ohnehin bis zur Grenze der 
Leistungsfähigkeit angestrengt und die Zirkulation des Blutes 
durch Kälte und Wasserdruck erschwert ist, genügt ein weiteres 
Atmungshindernis, um Ohnmacht und die rätselhaften Todesfälle 
selbst guter Schwimmer zu erklären. Die erleichterte Atmung 
beim Rückenschwimmen erklärt sich dadurch, daß hier die Auf- 
wärtsdrängung der Gedärme nach dem Zwerchfell zu -wegfällt. 

F. von den Velden. 

2. Als Ursubstanz des Radiums wird das Uran angesehen, doch 
müssen ein oder mehrere Zwischenglieder zwischen beiden ange¬ 
nommen werden. Ein solches ist das von Boltwood benannte 
Jonium, welches Hahn selbständig auf anderem Wege gefunden 
hat. Es befindet sich in Begleitung des Aktinium und zeigt die 
chemischen Eigenschaften des Thoriums, entsteht jedoch nicht aus 
diesem. 

Diese interessante Entdeckung ist zwar ohne direktes medi¬ 
zinisches , aber von um so größerem allgemeinen Interesse, weil 
sie eine Bestätigung für die lange geleugnete Veränderlichkeit der 
Elemente bringt. F. von den Velden. 

3. Bechhold ist es gelungen, durch Imprägnierung von 
Papier und Geweben mit Gallerten Filter herzustellen, deren 
Poren viel kleiner sind als die der Berkefeidfilter und Chamber¬ 
landkerzen. Seine Filter mittlerer Dichte haben Poren von etwa 
Vsoooo mm und halten Blutfarbstoff und Serumalbumin aus Lösungen 
zuruck. Da sich aus dem Druck, der nötig ist, um Lösungen 
durch die Filter zu pressen, deren Dichtigkeit bestimmen läßt, 
so ist dadurch ein Mittel gegeben, um die Größe der korpusku¬ 
laren Elemente, die im Ultramikroskop nicht deutlich zu erkennen 
sind, zu bestimmen. Die dichtesten Ultrafilter haben Poren, die 
feiner sind als die kleinsten ultramikroskopisch sichtbaren Körper. 
Bechhold glaubt deshalb, daß es mit ihrer Hilfe gelingen werde, 
Krankheitserreger zu konstatieren, die jenseits der Grenze der 
Sichtbarkeit sind. (Nur wird da stets der Zweifel übrig bleiben, 
ob diese Krankheitserreger wirklich körperlicher Natur sind, und 
die krankmachende Beschaffenheit der Lösung nicht vielmehr 
chemischen oder anderen Eigenschaften, die durch die Filtration 
modifiziert werden, zu verdanken ist. Ref.) 

Eine für die Medizin interessante Anwendung der Ultra¬ 
filtration ist bereits geglückt. Manche in wässriger Lösung wirk¬ 
same Desinfizientia sind im Körper unwirksam und ebenso in 
Serumlösungen. Beim Filtrieren nun ergab sich, daß das Serum 
zusammen mit dem Desinfiziens zurückgehalten wurde. 


4. Der unter dem Pseudonym Erhard schreibende Kollege 
hat bereits in mehreren Arbeiten, unter denen vor allem die 
„Ketzerischen Betrachtungen eines Arztes“ (München 1906, Gmelin) 
zu nennen sind, Autoritätsglauben, Modetorheiten und ähnliche 
Menschlichkeiten, die leider auch in der Medizin ausschlaggebend 
sind, in treffender, humoristischer Weise gegeißelt. 

Aus seinem obigen, mehr populär gehaltenen Aufsatz sei hier 
einiges angeführt, was imsern biologisch denkenden Lesern aus 
der Seele gesprochen sein wird. 

„. . . . Als das Getreide anfing, die vorherrschende Nahrung 
zu werden, hatte man den ersten bedeutungsvollen Schritt zur 
Abweichung von der angestammten Nahrung getan. Von Gemüsen 
und Früchten bekommt niemand die Fettleibigkeit, die auch schon 
Krankheit ist, wohl aber von Brei und Brot. 

Die Not der nördlichen Gegenden zwang die Menschen, sich 
fast lediglich von Jagd und Fischfang zu ernähren, und nun zeigte 
sich, daß man dort fast ausschließlich von Fleisch und tierischem 
Fett leben kann, ohne die Gesundheit zu schädigen, voraus¬ 
gesetzt, daß durch Kälte, harte Arbeit und den 
Mangel, der öfters ungebeten eintritt, der Stoff¬ 
wechsel auf einem hohen Grad der Lebhaftigkeit 
unterhalten wird. Die vorherrschende Fleischdiät (zu der 
später der Alkohol hinzutrat) wurde aber denen, die sie befolgten, 
zu dauernder Gewohnheit und auch beibehalten, als an die 
Stelle von Krieg und Jagd eine ruhigere Lebensweise trat; daher 
stammen die Gallen- und Leberbeschwerden, die ewigen Magen¬ 
katarrhe und Gemütsverstimmungen, die besonders den Angel¬ 
sachsen das Leben schwer machen. 

Als durch Viehzucht die Möglichkeit geschaffen war, sich 
vorwiegend von Eiern und Milch, d. h. von Stoffen zu ernähren, 
die für Embryonen und junge Tiere mit schwachen Verdauungs¬ 
organen bestimmt sind, wurde den Eingeweiden ihre Arbeit mehr 
und mehr abgenommen. Sie schränkten daher ihre Leistungs¬ 
fähigkeit auf das notdürftigste ein. Waren sie früher nur im¬ 
stande, ihre Funktionen zu erfüllen, wenn ihnen kräftige Arbeit 
und reichliche frische Luft zu Hilfe kam, so konnten sie jetzt mit 
Hilfe der neuen Nahrungsmittel allerdings auch einen Stubenhocker 
vor Abmagerung schützen, aber auf Kosten der Gesundheit 
und Widerstandsfähigkeit, des Behagens und der guten 
Stimmung. War in früheren Zeiten die Hungersnot die haupt¬ 
sächliche Krankheit, so nahmen jetzt die Krankheiten an Häufig¬ 
keit und Verschiedenheit rasch zu. 

Ganz neuerdings ist man nun mit raschen Schritten auf dem¬ 
selben Wege weiter gegangen und glaubt, dem Körper Gutes zu 
tun, wenn man ihm die Nahrung möglichst in an verdautem 
Zustande reicht. Das Pepton ist vorverdautes Eiweiß, das Mehl 
führt man in Malz über, man zerlegt die Nährmittel in 
ihre Bestandteile und leimt sie fiach einem neuen 
Plane wieder zusammen, wobei man bald diesen, bald 
jenen für den wichtigsten erklärt. So kommen die schönen 
Nahrungs- und Stärkungsmittel, die „nervenstärkenden“ Ernäh¬ 
rungen usw. mit ihren phantastischen Namen zustande, die die 
Annoncenblätter füllen und viel Geld in Bewegung halten. 

Je mehr man aber den Verdauungsorganen ihre 
Arbeit abnimmt, desto schwächer und einseitiger werden 
sie, und da man auf diesem Wege nicht unbegrenzt weitergehen 
kann, so hilft nichts als Umkehr. Nicht etwa bis zum Anfang, 
wie die meinen, die sich nun, bloß noch von rohen Wurzeln, 
Kräutern etc. ernähren wollen, sondern nur eine gewisse Strecke. 
Wir brauchen noch lange keine Vegetarianer zu werden, wir brauchen 
aber auch keine ausgeklügelten Speisezettel, keine Berechnung 
der Nahrung auf Kalorien, denn wir sind keine Oefen. . . , u - 


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THERAPEUTISCHE- RUNDSCHAU. 


„Wie die ursprüngliche Nahrung, den Menschen schwer zu 
verdauen war, so waren ilinen auch Nitfce imd-Kälte, Wind, 
Re^en und’ körperliche Anstrengungen zu viel, und sie suchten 
sioh ihnen mehr und. mehr zu entziehen. Sie wußten- nicht, daß 
die Luft- und Temperatureinflüsse zur Gesundheit nötig, sind und 
daß- man sie nicht ohne Schaden über ein gewisses Maß hinaus 
beseitigt. Ratlos standen sie später vor ihrer Empfind¬ 
lichkeit, ihrer geringen Körper- und Verdauungs¬ 
kraft und ihren neuen Krankheiten und begriffen 
nicht, woher sie kämen, da sie doch wohlgenährt und 
gegen Hitze und Kälte geschützt wären. 

findige Leute kamen allmählich dahinter, daß man dieser 
Krschlaflung bis zu einem gewissen Grade dadurch abhelfen kann, 
daß man sich massieren läßt, sich von allerlei Seiten mit kaltem 
Wasser begießt, sich in Salz- und anderen ungewöhnlichen Wassern 
badet, „Luftbäder“ nimmt etc. Sie machten aus dieser Erfindung 
ein gutes Geschäft' und protestierten laut gegen die Behauptung, 
daß-das alles nur teuere und mangelhafte Surrogate 
seien für die Einflüsse von Luft und Licht, Kälte, 
Wärme- und körperlicher Arbeit, die den, der sich 
nicht gegen sie verschließt, ganz von selbst gesund 
und leistungsfähig halten. 

Auch in diesen Dingen können und brauchen wir nicht auf 
die ersten Zeiten der Menschen zurückzugehen, brauchen uns nicht 
der Kleidung zeitweise ganz zu entledigen und verwickelte Regeln 
auf zustellen, wie und womit man sich kleiden solle. Da uns der 
Haarpelz verloren gegangen ist, so müssen wir ihn durch Klei¬ 
dung, ersetzen und im Winter das Feuer als Wärmequelle ge¬ 
brauchen; das beste Erwärmungsmittel aber bleibt immer die Be¬ 
wegung. und der durch sie in lebhaftem Gang erhaltene Stoff¬ 
wechsel! Auch der Sommerhitze brauchen wir uns so wenig 
schutzlos auszusetzen, wie die frei lebenden Tiere es tun, aber je 
mehr Sonne und Licht wir auf uns einwirken lassen innerhalb 
der Grenzen, die unsere Organisation uns setzt, desto besser ist 
es für Gesundheit und Wohlbefinden. Es bleibt ein Not¬ 
behelf, 0 wenn wir elf Monate ungesund leben und von 
einem Absolution für unsere Sünden erwarten. 

Da ist noch ein anderes Gebiet, in dem das Suchen von Be¬ 
quemlichkeit und Genuß über das von der Natur gegebene Maß 
hinaus sich bitter rächt. Der primitive Mensch ist in sexueller 
Beziehung im allgemeinen so kühl, daß er besondere Veranstal¬ 
tungen braucht, um sich- zeitweise aus dieser Kälte herauszureißen. 
Je mehr er zu einer körperlich mühelosen Tätigkeit und zu reich¬ 
licher, besonders Fleischemährung übergeht, desto regsamer wird 
er in besagter Hinsicht, aber auf Kosten seiner Kraft und Ge¬ 
sundheit. Daß hier ein enger Zusammenhang besteht, erhellt aus 
der Enthaltsamkeit, die von alters her mit Recht denen vorge- 
sekrieben Wurde, die sich für starke körperliche Leistungen vor¬ 
bereiten. u 

„Ueberall sehen wir dasselbe Bild: wir möchten mit unserem 
Körper verfahren, wie es uns beliebt und Vergnügen macht und 
glauben; ihn au alles gewöhnen zu können. Die Natur aber sagt: 
Ihr 1 sollt bei der Lebensweise bleiben, unter der ihr zu Menschen 
geworden seid.’ 

Wohl'paßt sich der Körper für den Augenblick an und bricht 
nicht gleich' zusammen; aber allmählich verliert er an Widerstands¬ 
kraft", Leistungsfähigkeit und Behagen. Dann müssen wir froh 
sein'; wenn'wir noch den Weg zurückfinden, wenn er nicht ver¬ 
loren' gegangen ist durch generationenlanges Fortschreiten in der 
fälschen Richtung. Können wir dann nicht auf das Natürliche 
zttrückgehen, so müssen wir uns mit“ Surrogaten behelfen, aber 
danach streben, daß wir der Natur nicht mehr abdringen, als sie 
uns' allenfalls zugibt: sonst rächt sie sich schwer an uns und 
den Na&hkommeüden für die Beeinträchtigung ihrer Rechte.“ Esch. 

5! Im Gegensatz zu den in der^ Zeit der „chirurgischen“ Ge¬ 
burtshilfe allzusehr beliebten und zu oft angewandten Inzisions¬ 
verfahren und sehr differenten Betäubungsmethoden wie die Skopo- 
lamin-Morphiumnarkose empfiehlt Landau das alte, aber ver¬ 
gessene Verfahren' der digitalen Dehnung des Zervix- 
kanals-, nicht nur bei Eklampsie, Plazenta praevia etc., sondern 
auch zur Abkürzung normaler Geburten, event: auGh zur Förde¬ 
rung^ der Bedingung zur Zingenapplikatioq ^vollkommenes Ver- 
Strichensein des Muttermundes). ‘ 


Der Versuch Söll nur bei im Becken fixiertem Kopf 
während einer Wehe und nur mit aller Vorsicht, ohne brüske 
Gewaltanwendung: gemacht werden. Zur Vermeidung von Infek¬ 
tion empfiehlt Landau Gummihandschuhe. 

Die so herbeigeführten Wehen führt Verf. auf Reizung 
der in der Zervikalwand gelegenen automatischen Nervenzentren 
zurück. " E so h. 


Mitteilungen über Arzneimittel. 


Referate. 

Referent: Dr. W. Kröger, Magdeburg. 

1. Zur Salipyrintherapie. Von Dr. Berliner. 

2. Kresolseife. Von Apotheker Bruhn, und 
Kresolseife. Von Dr. Linke. Therapeutische Neuheiten, 

Januar 1908. 

3. Mesotan. Von Apotheker Bruhn. Ibidem. 

4. Orudon. Von Dr. Linke. Ibidem. 

5. Thigenol. Von Dr. Boshouwers. Ibidem. 

6. Die Gefahren der Skopolaminanwendung und deren Ver¬ 
hütung. Von Prof. Kionka. Therapie d. Gegenw., Jan. 1908. 

7. Heber Thiosinamin. Von Dr. Pollak. Wiener med. 
Wochenschr., 1908, Nr. 7. 

8. Zur Kenntnis der bakteriziden Eigenschaft der Pyo- 
zyanase. Von Dr. Raubitsehek und Dr. Ruß. Wien. klm. 
Wochenschr., 1908, Nr. 8. 

9. Heber die Wirkung subkutaner Pyozyanase-Injektionen. 

Von Dr. Kren. Ibidem. 

10» Ein Fall van tödlicher Phenazetinvergiftung. Von K. 

E. Russow. Petersburger med. Wochenschr., 1908, Nr. 4. 

1 . B. berichtet über eine eigentümliche Nebenwirkung des 
Salipyrins, die sich bei einer 42jähr. Patientin nach Einnahme 
von 1,0 Pyrazol. phenyldimethyl. salizyl. einstellte und sich in 
beängstigenden Träumen, Somnambulie, Tobsuchtsanfällen, völliger 
Verwirrtheit und großer Schlafsucht äußerte. Nur mit Mühe 
konnte die Patientin erweckt und bei Bewußtsein erhalten werden; 
nachher fühlte sie sich sehr elend. Die Kranke hat früher nie¬ 
mals solche Anfälle gehabt und sie auch später nicht bekommen. 
Auch das untersuchte Pulver war das nach Vorschrift des Deut¬ 
schen Arzneibuches hergestellte Pyrazolon. phenyldimethyl. salizyl. 
Trotzdem ist B. geneigt, jenen Zustand auf Rechnung des Präpa¬ 
rates zu setzen. 

2 . Kresolseife soll jetzt laut Verfügung des Ministers von 
den preußischen Apothekern nach bestimmter Vorschrift haupt¬ 
sächlich zum Gebrauch der Hebammen hergestellt werden, und 
zwar sollen 60 T. Leinöl im Wasserbade in einem geräumigen, 
lose verschlossenen Glaskolben erwärmt und dann unter Umschütteln 
mit einer Lösung von 12 T. Kaliumhydroxyd in 30 T. Wasser 
und 6 T. Weingeist versetzt werden. Die erhaltene Mischung 
wird bis zur vollständigen Verseifung weiter erwärmt, »vorauf 
100 T. eines Kresols vom Siedepunkt 199 bis 204° hinzugefügt 
werden. Dadurch erhält man eine klare, gelbbraune Flüssigkeit 
von bekanntem Lysolgeruch, die mit Wasser eine stark schäumende 
gelblich-trübe Flüssigkeit ergibt. Bruhn glaubt, daß diese neue 
Kresolseife dem Liquor Cresoli saponat. und dem Lysol wesentlich 
überlegen sei, weil der Gehalt an Kaliseife ein größerer und ein 
bestimmtes Kresol vorgeschrieben ist. Der Preis würde der des 
Liquor- Cresoli saponat. sein. Es fragt sich nun, welchen Namen 
man zum Unterschied vom Liquor der neuen Kresolseife geben 
soll. Bruhn schlägt vor: „Lysolersatz“ oder „Hebammen-Kresol- 
seife 4 , Linke dagegen, der am gleichen Ort dasselbe Thema be¬ 
handelt, „Neolysolum“. Uebrigcns kommt die Lysolfirma dem 
allgemeinen Bedürfnis entgegen und liefert „Kresolseife Schülke 
& Mayr 4 , genau den ministeriellen Vorschriften entsprechend, in 
Blechkannen zu 4 und 10 kg Inhalt, zum Preise von 1,25 M. 
pro kg ab Hamburg. Das amtlich erforderte Material kann kaum 
billiger geliefert werden. 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


3. Das Mesotan der Firma Bayer & Co. in Elberfeld stellt 
eine klare, ölartige, aromatische Flüssigkeit dar, die in Wasser 
unlöslich ist, dagegen fette und ätherische Oele in jedem Ver¬ 
hältnis löst und mit Aether, Chloroform und Alkohol mischbar 
ist. Beim Erhitzen über 100° zerfällt es in Salizylsäure, Formal¬ 
dehyd, Methylalkohol und Salizylsäuremethylester. In seiner leichten 
Spaltbarkeit unter Abgabe von Salizylsäure und in seiner schnellen 
Resorptionsfähigkeit liegt der Wert des Mesotaus, das daher bei 
allen rheumatischen Affektionen akuten und chronischen Charakters 
angewendet wird; ferner bei schmerzenden Affektionen der Ge¬ 
lenke , Sehnen und Bänder, auch bei Pleuritis sicca und chroni¬ 
scher Gicht. K r o p i 1 hat Erfolge bei Nachtschweißen der Phthisiker 
und bei Fußschweiß gesehen. Unangenehme Nachwirkungen (Derma¬ 
titis) können auftreten, wenn Mesotan eingerieben wird. Daher 
empfehlen sich Gemische mit Ol. Olivar. oder Ol. Ricini. zu 
gleichen Teilen, die nur aufgepinselt werden. Rezeptformeln für 
Mesotan nach Meißner sind: 

Rp. Mesotan, 

Ol. Olivar. ana 15,0. 

S. Aeußerlich. Dreimal tägl. ein Tee¬ 
löffel voll aufzustreichen. 

Rp. Mesotan 10,0, 

Vaselin, flav. 20,0. 

Mf. unguent. S. Zum Einreiben. 

* Rp. Mesotan 15,0, Rp. Mesotan 15,0 

Ichthyol. 5,0, Vasogen. 25,0. 

Chloroform 10,0, S. Aeußerlich. 

Ol. Olivar. 20,0. 

S. Einreibung. 

Als Geruchskorrigens empfiehlt sich der Zusatz einiger Tropfen 
Ol. Lavendulae. 

4. L. hat Versuche mit zwei neuen Gichtmitteln gemacht, 
von denen er sagt, daß sie „die Bestimmung haben, die vielen, 
Deutschland jährlich um hunderttausende von Mark anzapfenden 
ausländischen Gicht- und Rheumatismusmedizinen zu verdrängen“. 
Es sind dies zwei von der Firma: Königl. Hofapotheke Elbing, 
Bes. Otto Witt, appr. Apotheker, in den Handel gebrachte Medi¬ 
kamente, eine Essenz und ein Salz, die beide den Namen Orudon 
tragen. Die Essenz besteht aus Ammonium jodat. salicyl. sol. 
50%, Diaethylendiamin 5%, Extr. aromat.. 5%, Spirit, e vino 40%; 
das Balz aus Urea, citric. bas., Diuretin 10%, dazu Natr., Magnes., 
Lith. carbon , gesättigt mit Acid. citric. 55%, Natr. sulfur. 15% 
und Extr. amar. 2%. Daraus ist leicht zu erkennen, daß die 
beiden Zusammenstellungen auf Grund der bisherigen wissenschaft¬ 
lichen Anschauungen über Gelenkrheumatismus und Gicht auf¬ 
gebaut sind. Bei Anwendung des „Orudon“ hat L. keine physio¬ 
logischen oder pathologischen Nebenwirkungen gesehen. Die 
Taschensalzflasche, die man bequem in der Rocktasche bei sich 
tragen kann, kostet 5,50 M. In dem Schraubenverschlußdeckel 
befindet sich ein Maß; man nimmt drei- bis viermal täglich ein 
solches Maß Salz, in Wasser gelöst. Die Essenzflasche kostet 
6 M. — Ueber die Essenz wagt L. noch kein persönliches Urteil; 
das Salz dagegen, das er schon viel an sich selbst ausprobiert 
hat, empfiehlt er auf das angelegentlichste. 

5. Das Thigenol empfiehlt B. neuerdings gegen alte Drüsen¬ 
schwellungen. Es ist ein Ersatzmittel des Ichthyol, das nicht 
desser unangenehmen Geruch besitzt. Es wird auch gegen Pelveo- 
perit^'fitis und parametritische Exsudate angewendet; Scheiden- 
tamp'x.^ getränkt mit Thigenolglyzerin. Die alten Drüsenschwel¬ 
lung« ii werden derart behandelt, daß sie jeden Abend mit einer 
20%' - 2 u Thigenolvaselinsalbe eingerieben werden. Darüber kommt 
ein Ts ;hverband. 

G. Die Skopolamin-Morphium-Narkose ist zur Zeit aktuelles 
Them . Die Ansichten über ihren therapeutischen Wert sind 
recht geteilte, und die mit der Methode erzielten Resultate sind 
recht ungleiche. Daran mögen z. T. Mängel in der Technik 
schuld sein; z. T. gewinnt man aber den Eindruck, als läge die 
Schuld an dem benutzten Skopolaminpräparat. Um nun zu prüfen, 
ob die Verschiedenheit der Wirkung auf Unreinheit oder Ver¬ 
änderlichkeit der Präparate oder auf eine verschiedene chemische 
oder physikalische Beschaffenheit der verwandten Skopolamine zu¬ 
rückzuführen sei, hat es K. unternommen, Versuche an Fröschen, 
Kaninchen und Hunden anzustellen, aus denen hervorgeht, daß 


Verschiedenheit im physikalischen Verhalten von Skopolamin nicht 
verschiedene Wirksamkeit bedingt, und daß andererseits diesem 
Alkaloid gegenüber eine sehr große Verschiedenheit der Reaktion 
bei den einzelnen Individuen besteht. Es handelt sich beim 
Skopolamin um Wirkungen auf das Zentralnervensystem, und je 
höher entwickelt das Tier ist, um so mehr treten Verschieden¬ 
heiten im individuellen Verhalten ein. Da nun die chemische und 
physikalische Verschiedenheit der Präparate die verschiedene Wir¬ 
kung nicht hervorruft, so müssen wir annehmen, daß die Art und 
Weise, wie das Mittel im Körper festgelegt wird, die Wirkung 
bedingt. Die Ursachen für die Unterschiede in der Wirkung der 
Skopolaminpräparate sind also nicht in diesen selbst, sondern in 
den mit diesem behandelten Individuen zu suchen, und da die 
Verschiedenheit der Wirkung je nach der Entwicklung des Zentral¬ 
nervensystems der betreffenden Tierspezies verschieden ist, so wird 
die individuelle Empfindlichkeit dem Mittel gegenüber beim Men¬ 
schen besonders different sein.. K. hält das Skopolamin für ein 
verhältnismäßig wenig gefährliches Gift; jedenfalls ist es kein 
Herzgift. Es erscheint aber empfehlenswert, ein Präparat zu 
wählen, das sich nicht verändern kann: Das ist das. optisch 
inaktive Skopolamin. Nun aber kann in diesem Präparat Apo- 
atropin, ein schweres Krampfgift, Vorkommen. Um dessen Ab¬ 
wesenheit jedoch nachzuweisen, bedarf es nur eines einfachen 
Reagenzglasversuchs: Setzt man nämlich einer dünnen Skopolamin¬ 
lösung einen Tropfen Kaliumpermanganatlösang zu, so tritt keine 
Veränderung ein. Die Lösung wird aber braun bei Anwesenheit 
von Apoatropin (noch in Verdünnung von 1—20000). Es ist 
selbstverständlich, daß zur Injektion keine Lösungen mit Boden¬ 
satz oder Trübung verwandt werden. Uebrigens tritt bei An¬ 
wesenheit von Morphin und Kodein die obige Reaktion mit Kalium¬ 
permanganat auch auf. Schon aus diesem Grunde ist die Anwen¬ 
dung der neuerdings in gemeinsamer Lösung in den Handel 
gebrachten Skopolamin-Morphinpräparate zu widerraten. Außerdem 
hat sich herausgestellt, daß man Skopolamin in viel größerer Dosis 
anwenden kann, als in der jedesmaligen Einzeldosis dieser Präpa¬ 
rate vorgesehen ist. 

7. Da in letzter Zeit als Ersatzmittel für Thiosinamin wegen 
der Schmerzhaftigkeit der Injektionen mit diesem Mittel das Fibro- 
lysin in den Arzneischatz eingeführt wurde, weist P. darauf hin, 
daß man auch Thiosinamin schmerzlos oder nahezu schmerzlos 
einspritzen kann, wenn man folgendes Rezept anwendet: Thio- 
sinamin. 1,0, Glyzerin., Aq. dest. ana 5,0. Diese Einspritzungen 
werden nicht schmerzhafter als eine Morphiuminjektion empfunden. 
Man spritzt zwar kleinere Mengen des Mittels ein, kann dafür 
aber die Einspritzungen ohne jeden Uebelstand fünf- bis sechsmal 
in der Woche machen. 

8. Durch entsprechende Behandlung gelingt es, aus tierischen 
Organen Flüssigkeiten zu gewinnen, die eine hohe bakterizide 
Wirkung entfalten, die auf das Vorhandensein von Lipoiden 
zurückzuführen ist. Diese stellen fettartige Körper dar. Nun 
konnten Landsteiner und Raubitschek zeigen, daß aus den 
Kulturfiltraten des Bazillus pyozyan. durch Alkohol und Aether 
ein Blutkörperchen lösendes Lipoid gewonnen werden kann, das 
die Ursache des koktostabilen Hämolysins des genannten Bazillus 
ist. Es lag daher der Gedanke nahe, ob nicht dieses Pyozyaneus- 
lipoid das Wesen der bakteriziden Eigenschaft der Pyozyanase in 
befriedigenderer Weise lösen könne, als die Erklärungsversuche 
von Emmerich und Loew, welche das Vorhandensein eines 
Enzyms annehmen. Die beiden Verfasser haben nun Unter¬ 
suchungen mit Pyozyanase angestellt, aus denen hervorgeht, daß 
nach entsprechender Behandlung der Pyozyanase ein Lipoid zu 
gewinnen ist, das sich durch hohe bakterizide Kraft auszeichnet. 
Die Verfasser halten es für sicher, daß auf der Anwesenheit dieses 
Lipoids die bakterientötende Wirkung der Pyozyanase zurückzu¬ 
führen sei. Ueber die Versuchsanordnung muß das Original nach¬ 
gelesen werden. 

9. K. berichtet über Versuche mit Pyozyanase an der Riehl- 
schen Hautklinik in Wien; und zwar wurde das Mittel injiziert, 
teils pur, teils in Verdünnungen mit physiologischer Kochsalzlösung. 
Dabei wurden • Allgemeinerscheinungen nie beobachtet;“ dagegen 
trat Schmerzhaftigkeit an den Injektionsstellen auf, hier und da 
auch leichte Temperaturerscheinungen. Die Reaktionen verliefen 
stets gleichmäßig in Form einer progredienten, erysipelartigen 


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permatitis, die regelmäßig über weite Hautstrecken sich aus¬ 
breitete, während das Zentrum in den meisten Fällen abblaßte 
und die teigige Schwellung nach einigen Tagen verschwand. Diese 
Pyozyanase-Dermatitis erinnert an ähnliche, nicht durch Bakterien, 
sondern durch chemisch-toxischwirkende "Körper hervörgerufene, 
progrediente Entzündungsprozesse, z. B. Xeroform- oder Queck¬ 
silber-Erytheme. 

10. Ueber einen Fall von Phenazetinvergiftung mit tödlichem 
Ausgange berichtet R. Die klinische Untersuchung ergab die 
Zeichen einer schweren Hämoglobinurie und parenchymatöser 
Nephritis. Die Diagnose wurde durch die Sektion bestätigt. Gleich¬ 
zeitig erwähnt R. als Toxikationserscheinung bei verschiedenen 
Antipyretizis den Symptomenkomplex: Herzklopfen, Atemnot, 
Schwindel, Zyanose oder Rötung des Gesichts. Nach Erfahrungen 
an sich glaubt R., daß diese Erscheinungen am leichtesten auf- 
treten, wenn vor dem Einnehmen des Antipyretikums Alkohol 
genossen wurde. 


Technische Neuerscheinungen. 


Eine zu Infusionen gebrauchsfertige Glasbombe mit 
physiologischer Kochsalzlösung für die Praxis. 

Von Dr. M. Brenner in Heidelberg. 

Die aseptische Ausführung von Kochsalzinfusionen kann 
in der Praxis, namentlich in Notfällen und wie so oft unter 
ungünstigen äußeren Verhältnissen, mit geradezu unüberwind¬ 
lichen Schwierigkeiten verbunden sein. Diese liegen einmal 
schon in der Herstellung der erforderlichen Lösung, zum 
anderen in der nicht immer einwandfreien Sterilisierbarkeit der 
nötigen Hilfsapparate. 

Ist auch durch den Gebrauch der dosierten Kochsalz- 
tabletten in ersterer Hinsicht ein Fortschritt erzielt worden, 
so verlangt doch das Kochen des nötigen Wassers und sein 
Abkühlen auf Körpertemperatur viel Zeit, die man nicht immer 
zur Verfügung hat und deren Verlust verhängnisvoll werden 
kann, wenn weder Kochgas noch Spiritusbrenner vorhanden 
ist oder gar erst im Ofen oder Herd Feuer angefacht werden muß. 

Um diese Unzuträglichkeiten aufs Minimum zu beschränken, 
habe ich (vergl. Münch. Med. Wochenschr. 1908, Nr. 9) eine 
größere Glasbombe hersteilen lassen, die mit 350—400 ccm 
physiolog. Kochsalzlösung gefüllt und zugeschmolzen ist. 

Das zylindrische Gefäß ist beiderseits in eine Spitze aus¬ 
gezogen, deren eine eine olivenförmige Auftreibung zeigt. 

Bei Ausführung der Infusion hat man nur die Bombe in 
warmem Wasser auf Körpertemperatur zu erwärmen, dann 
wird die Spitze mit der Auftreibung nach oben gekehrt, jen¬ 
seits dieser angefeilt und abgebrochen und der mit den Nadeln 
armierte Schlauch darübergezogen. Hierauf wird die andere 
Spitze nach oben gekehrt, geritzt und abgebrochen, die Nadeln 
appliziert und die Infusion begonnen, indem man die Bombe 
wie einen Irrigator hochhält. 

Mit dieser Bombe ist vor allem erreicht, daß dem Arzt 
jederzeit eine fertige, dauernd sterile Kochsalzlösung zur Ver¬ 
fügung steht, ferner ist die Anwendung von Hilfsapparaten aufs 
äußerste beschränkt, da die Aufbewahrungsflasche gleichzeitig 
als Infusionsinstrument verwendet wird. 

Der Zeitverbrauch für die Vorbereitung einer Infusion ist 
ebenfalls erheblich eingeschränkt, da die Erwärmung der Bombe 
und das Auskochen von Schlauch und Nadeln in wenig Wasser 
in kürzester Zeit zu bewerkstelligen ist. 

Die Temperatur der Lösung kann durch ein eigens dazu 
konstruiertes Thermometer gemessen werden^ das mit Alkohol 
abgerieben und durch die obere Oefinung in die Bombe ein¬ 
gelassen wird. 

Die Größe des Glasgefäßes ist derart festgesetzt, daß sie 
in einem Mantel von Wellpappe im Irrigator der Opitzschen 
Tasche gerade Platz und Schutz. findet. Die Spitzen, die nicht 
angeritzt sind, um sie vor unfreiwilligem Abbrechen zu schützen, 


sind in Holzwolle eingepackt. Eine Glasfeile wird mitgeliefert, 
da die Ritzung erst unmittelbar vor Gebrauch der Bombe an¬ 
gebracht werden soll. 

Die Herstellung der Kochsalzbombe hat Herr H. Paravi- 
cini, Apotheker in Staufen i. B., übernommen. Der Preis 
beträgt 2 M., ohne Thermometer. 


Dampfbademantel von Schlichting. 

Der Dampfbademantel ist ähnlich den gewöhnlichen Dampf¬ 
bademänteln, nur besitzt er einige Abänderungen, die ihn brauch¬ 
barer machen sollen. Die Oberdecke schließt dampfdicht ab, 
mit dem oberen Ringe verbunden sind zwei auf die Schultern 
zu legende gepolsterte Tragstäbe nebst Führung, wodurch er¬ 
möglicht wird, daß man den Mantel nicht am Stuhl oder sonstwo 
befestigen muß, man braucht den Mantel nur über die Schultern 
zu werfen und die Tragstäbe einzustellen, dann setzt man die 
Oberdecke dicht auf. Dieselbe besitzt einen Schlitz und -links 
von diesem eine kleine Tasche. Man kann mit der Hand durch 
den Schlitz fassen, um den Schweiß vom Gesicht zu wischen 
oder ein Glas Wasser zu nehmen und zu trinken. In die 
Tasche kann man ein Taschentuch stecken. Der Schlitz kann 
fest geschlossen werden. Man kann denselben Mantel zu Dampf¬ 
bädern für den ganzen Körper oder für einzelne Teile ver¬ 
wenden, so kann man Dampfbäder für die Füße, den Unter¬ 
leib, Arm oder Schulter, und den Kopf etc. damit leicht ein¬ 
richten. Der Erfinder gibt auch den Mantel zur Sterilisation 
von Kleidern an. Man soll dann den Mantel durch seine 
Stützen passend aufhängen und in denselben die Kleider hängen 
oder Betten auf einen Stuhl legen und dann Dampf oder Karbol - 
wasserdämpfe aus einem Topf unter den Mantel leiten. Daß 
damit eine Sterilisation erreicht werden kann von Kleidern, 
Betten etc., ist ausgeschlossen, denn um Bakterien zu töten, 
braucht man Dampf von mindestens 102 °, welcher dann eine 
Stunde einwirken muß. So heißen Dampf kann aber unter dem 
Mantel der Kochtopf nicht liefern und die Karboldämpfe nützen 
da auch nichts. Man könnte da nur Formalin verwenden, 
doch auch dies kann da nicht sicher sterilisieren. Man kann 
eben diesen Mantel nur zu Dampfbädern verwenden, aber nicht 
zur Dampfsterilisation, denn zu letzterer ist er ganz unbrauchbar. 
Für Dampfbäder ist dieser Mantel aber recht praktisch und 
kann wohl empfohlen werden. Der Mantel ist von W. Schlichting, 
Schwerin i. M., Rostockerstr. 24, angegeben. 

W. B. Müller, Berlin. 



Bücherbesprechungen. 


□ 


Ueber die bisher vorliegenden Ergebnisse der 
therapeutischen Anwendung der Röntgenstrahlen. 

Von H. E. Schmidt. Berliner Klinik, Heft 229. Verlag Fischers 
medizinische Buchhandlung (H. Kornfeld), Berlin. 

Die kleine zusammenfassende Darstellung von Schmidt gibt 
eine kurze Uebersicht über die Indikationen der Röntgenbehand¬ 
lung bei den einzelnen Hautkrankheiten, bei Drüsentuberkulose, 
malignen Tumoren, Struma, venerischen Bubonen, Prostatahyper¬ 
trophie, Leukämie, Basedow und einigen anderen Affektionen. 
Die günstigen Erfolge, die besonders in der Dermatologie und 
bei Kankroiden erzielt wurden, sowie der mindestens palliative 
Erfolg bei Leukämie, lassen die Röntgenbehandlung als eine un¬ 
entbehrliche Bereicherung der Therapie erscheinen. Die kurze 
Zusammenfassung, die natürlich über die speziellen Indikationen 
und die Dosierung sich nicht verbreiten konnte, gibt für den 
praktischen Arzt eine gute Anleitung für die Auswahl der Fälle, 
die der Röntgenbehandlung in der Hand eines Röntgo- 
therapeuten zugänglich zu sein versprechen. 

F. Nagelschmidt-Berlm. 


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TEERA^fitMSOHE RUNB8GHAD 



Bernstadt Sa., den 23. März 1908. 

Sehr geehrter Herr Kollege! 

Nachdem Sie unter „Korrespondenz“ eine Zuschrift des Herrn 
Geheimen Sanitätsrat Dr. Wattenberg abgedruqkt hatten, wäre 
es mir lieb, wenn Sie auch von mir zu diesem Thema eine kurze 
Mitteilung unter gleicher Rubrik bringen würden. 

Biese lautet: 

„Die bakteriologische Anschauung läßt bei der Prophylaxe 
und Therapie der Appendizitis völlig im Stich. Ueber die'Schädi¬ 
gungen einer vorwiegenden Fleischkost, ja der Fleischnahrang 
überhaupt, habe ich in meinen Schriften: „Die Gesundheits¬ 
störungen vom Darm aus“, Verlag Ö. Gmelin, München, und 
„Blinddarmentzündung“, gl. Verlag, ausführlich in den Jahren 
1904 und 1907 geschrieben, wobei ich bezüglich der Appendizitis 
auf die besonders prädisponierenden Verhältnisse der anatomischen 
Struktur der Drüsen sowie des Endothels hinwies. 

Zur Verhütung der Obstipation r.ede ich weniger peristaltik¬ 
erregenden Mitteln, als wässrigen Salzlösungen, besonders in der 
Fortii des wohlschmeckenden Sanosals, das Wort und habe ge¬ 
funden, daß hierbei nicht nur eine subjektiv wohltätige, völlig un¬ 
schädliche Darmauswaschung eintritt, sondern daß auch eine rück¬ 
läufige Lymphströmung zu beobachten ist, die sich von besonders 
günstiger Einwirkung auch auf andere Zustände — namentlich 
kollämische Zustände im Gehirn — zeigt.“ 

Mit kollegialischer Empfehlung Ihr ergebener 

^ M. Meyer. 


An die Redaktion der „Therapeutischen Rundschau“. 

Unter Dank für die Zusendung von Nr. 11 Ihrer Zeitschrift, 
die das „Referat“ des Herrn Privatdozent Dr. J. Ibrahim, 
München, über meinen Beitrag zur Keuchhustenbehandlung ent¬ 
hält, übersende ich Ihnen mit der Bitte um Aufnahme die Ent¬ 
gegnung auf die Bemänglung und die sich als nötig erweisenden 
Jtichtigstellungen, wenn meine Äußerungen über die heraus¬ 
gegriffenen Punkte wiedergegeben werden sollen. 

Nach einem einleitenden ersten Satz schreibt der Herr Refe¬ 
rent im zweiten Satz: „Referent scheint die Apwepdung eines 
derart differenten Mittels bei Kindern doch äußerst bedenklich zu 
sein, zumal die Dosierung sich offenbar ganz nach subjektiven 
Eindrücken der Angehörigen des Kindes richten muß.“ 

Meines Wissens ist die Differenz eines Mittels kein Hindernis 
für die Anwendung, zumal wenn ein anderes sicher wirkendes Mittel 
nicht vorhanden ist. — Bezüglich der Dosierung habe ich gesagt: 

Ich ließ nur so viel Dampf aus der Flasche austreten, als 
ich ohne jede Beschwerde vertrug. 

Da ich für Aerzte geschrieben habe, so habe ich im Streben 
nach Kürze jede Wiederholung vermieden, auch nicht beabsichtigt, 
eine ausführliche Gebrauchsanweisung zu geben, wie sie der Laie 
bedarf. Zuviel Bromdampf zu verwenden, ist einfach unmöglich, 
die Reizung der Schleimhäute verhindert sofort den Aufenthalt darin. 

Dritter Satz: „Ob das vom Verfasser hergestellte Mittel 
Bromotussin eine genauere Dosierung riuläßt, upd die Gefahr einer 
Schädigung durch das Mittel geringer ist wie bei Anwendung von 
reinem Brom, ist aus der Mitteilung nicht ersichtlich.“ 

Davon ist gar nicht die Rede. Ich habe gesagt: 

Das Streben dabei war gerichtet auf schnelle Verdunstung 
bezüglich möglichst gleichmäßiger Verteilung des Bromdampfes und 
Ungefährlichkeit in der Handhabung, auch beim Transport. 

Vierter und letzter Satz: „Die drei angeführten Kranken¬ 
geschichten sind zudem wenig beweisend: so daß Verf. selbst zum 

In einer Sitzung des „Klubs der Wiener Kinderärzte“ am 6. März 1906 
berichtete Dr. J. Guttmann eingehend über seine in der Kinderabteilung 
der Wiener Allgemeinen Poliklinik (Vorstand' Professor Dr. Monti) mit 
Fu col erzielten günstigen Resultate. Die sehr wertvolle Abhandlung steht 
allen Interessenten gern zur Verfügung. Der General-Vertrieb: Karl Fr. 
Töllner, Bremen. 


Schluß kommt, daß er durchaus nicht glaube, -seine Deser yqn der 
Wirksamkeit seiner Behandlung überzeugt zu haben.* 

Hierin kann ich weder ejne Widerlegung meiner Worte: Die 
zwei ersten 'Fälle werden Sie hoffentlich alp im Stadium incremepti 
bei Eintritt in die Behandlung befindlich anerkennen, finden, noch 
eine Wiedergabe des Schlusses: 

Daß ich Sie mit meiner Mitteilung yop der Wirksamkeit der 
bis jetzt meines Wissens noch picht von anderer Seite angewen- 
deten Behandlung überzeugt habe, glaube ich durchaus nicht. 
Dafür sind viel zu viel Mittel empfohlen worden, die sich schlie߬ 
lich doch nicht bewährt haben. Ich hoffe aber, daß spch ein oder 
der andere von Ihnen dazu entschließt, den angegebenen W^g 
mangels eines besseren einzuschlagen. Ich kann Ihnen nur -ver¬ 
sichern , daß mir jetzt die Keuohhustenbehandlung ebenso viel 
Freude macht, als früher Qual. 

Dresden, den 20. März 1908. 

Hochachtungsvoll 

Dr. Schottin. 


HZ! II ALLGEMEINES, 



Der Ze/itralverband zur Bekämpfung des AMpHspus 

zu Berlin veranstaltet auch in diesem Jahre wissenschaftliche 
Vorlesungen zum Studium des Alkoholismus. Dieselben werden 
vom 21. bis 25. April im Landeshause, Berlin W., Matthäildrch- 
straße 20, stattfinden. Dje mpderne Alkoholfrage ist ja weit 
hinausgegangen über die alte Trunksuchtsfrage; es handelt sich 
heute nicht allein darum, wie behandeln wir den Trinker, sondern 
wie beugen wir dem Alkoholismus als individuellem und sozialem 
Uebel vor. Die Alkoholfrage im piodemen Sinne ist ungemein 
reich verzweigt und aufs engste mit allen brennenden Fragen d,er 
Gegenwart verbunden. Die Alkoholfrage ist eine medizinisch¬ 
hygienische, sie ist aber auch untrennbar yon den nationalökonomj- 
schen Fragen, wie sie auf das innigste auch mit den sittlichen 
Problemen zusammenhängt. Die wissenschaftlichen Vorlesungen 
des Zentralverbandes werden die verschiedenen -Seiten der Alköhol- 
frage zur Erörterung bringen. Für den Arzt sind aber diesmal 
zwei Themata von ganz besonderer Bedeutung. Professor Ka^so- 
witz wird über den theoretischen Nährwert des Alkohols und 
Dr. Wolf über „Alkohol und Geschlechtskrankheiten^ sprechen. 
Während wir alle darin einig sind, daß der Alkohol in praktischer, 
also in volkswirtschaftlicher Hinsicht als Nahrungsmittel völlig 
außer Betracht kommt, gehen die Meinungen noch auseinander, ob 
er in rein theoretischer Hinsicht noch ein Nahrungsstoff genannt 
werden darf. Es wird daher sehr interessant sein, gerade 3£asso- 
witz zu hören, der auf Grund seiner Studien dem Alkohol auch 
jede theoretische Bedeutung als Nahrungsmittel bestreitet. Audi 
auf die Vorlesungen von Gr über-München über Volkswirtschaft 
und Alkohol machen wir noch besonders aufmerksam. 

Die Eintrittskarte für den 18 stündigen Kursus wird nur 5 1)1. 
kosten, für die Einzelstunde 50 Pf., für die Doppelstunde 75 Pf. 
Anfragen, Bestellungen etc. sind an die Geschäftsstelle des Zentral¬ 
verbandes zur Bekämpfung des Alkoholismus (Berlin) z. H. von 
Frau Gerken-Leitgebel, Friedenau bei Berlin, Rubensstr. 37 
zu richten. 

Robert Koeh-(Medaille. Die für die mediko-historische Ab¬ 
teilung der Staatlichen Sammlung ärztlicher Lehrmittel hergestellte 
Medaille kann von dem Hofmedailleur Max von Kawaczynski, 
Berlin S.W., Belle-Alliancestr. 58, bezögen werden. Da der ge¬ 
nannte Künstler, der die Medaille geschaffen hat, die Herstellung 
aller weiteren Exemplare selbst überwacht, so ist die Gewähr für 
ihre vollkommene Uebereinstimmung mit dem Original und für 
eine sorgfältige Ausführung gegeben. 

‘ ■' J, I. --L. 1.J UX JLUÜ 1 UÜUH 

F. A. Hoppen u. B. Fisohpp 
Patentanwälte 

Berlin SW* 13, Neuenhurgerstraße 15 
Amt iv US? ~ 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. H. Lungwitt, Berlin S. — Verlag; jCajrl Sdafhold y^r)^stju|:Uhan4lun^, Hpflc 4- S. ■ 
Druck der Heynemannschen Buchdruckerei, Gehr. Wolff, Halle a. S. 


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Therapeutische Rundschau 

Wochenschrift für die gesamte Therapie des praktischen Arztes. 


0. Anton, A. Dührssen, C. A. Ewald, P. Gerber, R. Robert, 
Halle a. S. «Berlin. Berlin. Königsberg. Rostock. 

H. Schmidt-Rimpler, H. Senator, 

Halle a. S. Berlin. 


Redaktion: 

Berlin S. 14, Dresdenerstr. 44. Tel. IV, 11773. 
Dr. med. et phil. H. Lungwitz._ 


Herausgegeben von 



M. Koeppen, M. Mosse, H. Rosin, H. Schlange, Ad. Schmidt, 
Berlin. Berlin. Berlin. Hannover. Halle a. S. 

R. Sommer, H. Unverricht, 0. Vulpius, 

Gießen. Magdeburg. Heidelberg. 


Verlag u. Expedition: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung 
in Halle *a. S., Reilstraße 80. 

Tel.-Adr.: Marhold Verlag Hallesaale. Fernsprecher 823. 


Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte der Ostsee und der 

Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. _ 


II. Jahrgang. 


Halle a. S., 12. April 1908. 


Nr. 15. 


Die Therapeutische Rundschau“ erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2 M., einzelne Nummer 20 Pf. Bestellungen nehmen jede Buchhandlung, 
die Post, sowie'die Geschäftsstelle-Carl Marhold Verlagsbuchhand! ung in Halle a. S. entgegen Inserate werden für die 4gespaltene Petitzeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. berechnet Beilagen nach Uebereinkunft Reklamezeile 1,50 M. Bei größeren Aufträgen wird Rabatt gewählt 
Nachdruck der Original-Aufsätze ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. — N fl rhHr..rir rt P r ander 


■ Nachdruck der anderen Rubriken ist nur mit Quellenangabe gestattet 


□ 


ORIGINALIEN. ÜU 


Aus dem Institut für Pharmakologie und physiolog. Chemie der 
Universität Rostock (Direktor: Prof. D r. K o b e r t). 

Betrachtungen und Versuche über das frühere und 
das heutige Griserin. 

Yon Karl Kober t, Assistent am*Institut. 

I. Loretinhaltiges Griserin. 

Yon Prof. A. Claus in Freiburg ist 1898 die m-Jod-o-oxy- 
Chinolin-ana-sulfosäure, gleich 7- Jod-8-oxy-chinolin-5-sulfosäure, 

S0 3 H 



oh'IT 


dargestellt und mit dem Namen Lo retin bezeichnet worden*). 
Das Deutsche^Reichs-Patent 72 924 zur Darstellung desselben, 
das anfangs die Höchster Farbwerke in den Händen hatten, 
ist später in die Hände der Firma Theodor Schuchardt in 
Görlitz übergegangen. Das durch Patent geschützte Verfahren 
besteht'in folgendem: Aus ^äquivalenten Mengen o-Oxychinolin- 
sulfosäure, Kaliumkarbonat* und Jodkalium wird durch Kochen 
mit Wasser und Chlorkalk ein Gemenge hergestellt und dieses 
mit HCl versetzt. Das aus dieser Umsetzung hervorgehende 
Ca-salz der J odoxychinolinsulf osäur e bildet ein orange¬ 
rotes Pulver, das durch Zersetzung mit HCl die freie Säure 
liefert. Die so erhaltene Säure bildet nach der Reinigung 
gelbliche Säulen oder*Blättchen. Die Löslichkeit der Säure in 
kaltem.Wasser ist gering, etwa 1 : 500, in kochendem 3 : 500. 
Auch in Alkohol löst sie sich nur wenig, noch weniger in 
Aether und fetten Oelen, dagegen leicht in Alkalien. Die 
wässrige Lösung ist gelb gefärbt und reagiert sauer. Auf Zu¬ 
satz von NaOH wird sie blaßgelb, fast farblos; Säuren stellen 
alsdann die gesättigte Färbung nicht wieder her. Das Präparat 
zeigtkeinen.* scharfen Schmelzpunkt; gegen 260—270° C zer¬ 
setzt es Ä sich unter Yerkohlung und Aufblähen, während zu¬ 
gleich Joddämpfe entweichen; gegen 280° schmilzt^es unter 
totaler ^ Zersetzung. Durch Eisenchlorid wird die wässrige 


*) Archiv der Pharmazie, Band 231, 1893, Seite 704—715. 


Lösung intensiv grün gefärbt (eine- Reaktion auf 'Eisenoxyd, 
die noch schärfer ist als mit Rhodanverbindungen). Durch Zu¬ 
satz von Silbernitrat *) entsteht ein gelbes Ag-salz, durch Zu¬ 
satz von Pb-acetat**) ein gelbes Pb-salz. In konz. warmer 
Schwefelsäure löst sich das Loretin zu einer gelben Flüssig¬ 
keit auf; gießt man diese Lösung in Wasser, so scheidet sich 
die Substanz in Kristallen wieder aus. Beim Behandeln mit 
koDZ. Salpetersäure erfolgt Rotfärbung, Entwicklung von Jod¬ 
dämpfen und schließlich Abscheidung von Jodkristallen. Zu¬ 
gleich wird auch die Sulfogruppe aus dem Molekül verdrängt, 
und es entsteht m-ana-Dinitro-o-oxychinolin, das heim Einträgen 
der Reaktionsmasse in kaltes Wasser als schön gelbe kristalli¬ 
nische Substanz vom Schmelzpunkt 276 ü ansfällt, während in 
der wässrigen Flüssigkeit Schwefelsäure nachweisbar ist. Das 
Loretin enthält 36,2% Jod und ist 1893 vonProfessorSchin- 
zinger***) als Jodoformersatz in die Therapie eingeführt 
worden, hat jedoch bei den Chirurgen keinen Anklang gefunden. 
Auch die Salze des Loretins, die in Wasser leicht löslich sind, 
konnten sich nicht einbürgern. Ich nenne von denselben als 
damals zu ärztlichen Zwecken empfohlen das Natrium- und 
Wismutsalz. 

Im Herbst 1904 tauchte das Loretin mit einem Male von 
neuem unter dem Namen Gr is er in wieder auf, und zwar an¬ 
fangs als freie Säure, dann mit einem Zusatz von 6% NaHCOy 5 "). 
Das Griserin ist, wie Zernikf) im pharmazeutischen Institut 
der Universität Berlin unter Thoms nach wies, ein mechanisches 
Gemenge dieser beiden Körper. Eine 1906 von Geh. Sanit.-Rat 
Dr. Konrad Küster geschriebene Schrift äußert sich darüber 
folgendermaßen ft) % 

„Angeregt durch vergleichende Tabellen, die an der Uni¬ 
versität Freiburg ausgearbeitet waren und die ergaben, daß 
eine 2 % ige Loretinlösung von bakterientötender Kraft einer 
3 % igen Karbollösung gleichwertig sei, entschloß sich Herr 
Rieh. Griese in Berlin, an sich selbst festzustellen, ob das 
Loretin, innerlich genommen, giftfrei sei. Derselbe'nahm bis 
zu 5 Gramm auf einmal und kam zu folgenden Ergebnissen: 

Das Loretin ist für den menschlichen Organismus durch¬ 
aus giftfrei. In Dosen von 3-5 Gramm hat es nach etwa 
20 Minuten eine ziemlich heftig abführende Wirkung mit dar¬ 
auf kräftig sich steigerndem Hungergefühl. In etwa zwölf 
Stunden ist dasselbe im Harn nachweisbar. Für die Kranken- 


*) Hägers Handbuch, der pharmazeutischen Praxis, 2. Band, 1905. 

**) Vortrag auf der Naturforscher-Versammlung zu Nürnberg 1893 
(auch als Separatabdruck erschienen). 

***) Real-Enzyklopädie der ges. Pharmazie, Bd. 8, 1907, Seite 325. 
f) Apothekerzeitung, 1904, Nr. 92, S. 908. 
u ' f ff) Das Griserin und seine Widersacher. Berlin 1906, Hugo Steinitz 
Verlag, Seite 44 ff. 


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234 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 




behandlung erscheinen Dosen yon 0,2—0,8—0,5 als die ge¬ 
eignetsten. 

Da das Loretin rein genommen werden kann und 2%ige 
Lösungen schon bakterientötend sind, da sein Erscheinen im 
Urin nach zwölf Stunden beweist, daß es den Körper unzer- 
setzt durchläuft, so lag die Annahme nahe, daß es auf diesem 
Wege die schädlichen Bazillen im Körper abzutöten imstande 
sei. Herr Rieh. Griese veranlaßte daher zunächst schwind¬ 
süchtige Bekannte, die trotz sorgsamster ärztlicher Behandlung, 
trotz Aufenthalt in den Heilstätten ohne Besserung geblieben 
waren, das Mittel wochen- und monatelang zu nehmen. Nach¬ 
dem bei diesen eine auffallende Besserung eingetreten, stellten 
sie sich wieder ihren Aerzten vor und ließen den Lungenbefund 
feststellen. Die Aerzte waren stets über die auffallende Besserung 
erstaunt. Eine Reihe solcher Feststellungen und andere ähnliche 
Erfolge bei Scharlach und Diphtherie veranlaßten Herrn Rieh. 
Griese, diese Heilwirkungen in einer Broschüre: „Die absolute 
Heilung der Tuberkulose auf dem internen Desinfektionswege“ 
(Mediz. Verlag Max Richter, Berlin SO.) der Oeffentlichkeit zu 
übergeben. Weil von einem Laien stammend, blieb dieselbe, 
wie zu erwarten war, ohne jede Berücksichtigung. Nunmehr 
betrat Herr Rieh. Griese den allein richtigen Weg: er suchte 
Aerzte für die Prüfung des Mittels zu gewinnen, das inzwischen 
durch Zusatz von Alkalien, ohne daß es den Charakter der 
Säure verlor, leichter löslich und für den inneren Gebrauch 
geeigneter gemacht und unter dem Namen Griserin geschützt 
worden war. Herr Rieh. Griese klopfte vielfach vergeblich 
an. Herr Oberstabsarzt a. D. Dr. Mahner-Mons in Fmneck 
bei Rastenberg i. Th., Herr Sanitätsrat und Hofarzt Dr. Dör- 
schlag in Berlin und ich selbst (also Küster) waren dagegen 
sofort bereit, das Mittel zu prüfen. Das beigebrachte Material 
war ein so bedeutendes und überraschendes, daß wir es für 
ein Verbrechen gehalten hätten, diese Prüfung von der Hand 
zu weisen. Auch daß ein Laie diese Forschungen angestellt 
hatte, berechtigte nicht, wie es einige Professoren getan, ohne 
Prüfung die Sache als Schwindel zu bezeichnen. Der forschende 
Arzt soll alles prüfen, was zur Heilung der menschlichen 
Krankheiten und Gebrechen irgendwie beitragen kann, möge es 
kommen, woher es will.“ 

„Die Wirkung des Griserins ist eine sehr gleichmäßige und 
nie ausbleibende. Das Mittel wird ohne Widerwillen und leicht 
genommen. Bei einer Dosis von 0,5 stellt sich, besonders wenn 
es morgens nüchtern genommen wird, für gewöhnlich eine ab¬ 
führende Wirkung ein. die bei empfindlichen Personen sogar 
heftig werden kann, ohne daß aber eine auffallende Schwäche 
eintiitt. Es ist daher ratsam, anfänglich mit kleineren Gaben 
zu beginnen. Eine Dosis von 0,3, morgens und abends ge¬ 
geben. befördert meist den Stuhlgang in angenehmer Weise, 
während noch kleinere Dosen von 0,2 zuweilen eher Verstopfung 
hei beiführen. Dementsprechend sind die Gaben zu regeln. Der 
Appetit beginnt sehr bald rege zu werden. Abnorme Gärungen 
des Magens und des Darms werden in vorteilhaftester Weise 
beeinflußt Der Urin nimmt meist sehr bald eine schwach 
rötlich gelbe Färbung an. Ein Apotheker, der den Urin eines 
mit Griserin behandelten Kranken zu untersuchen hatte, er¬ 
klärte. der Kranke müsse nach der Farbe des Urins leberkrank 
sein. Die Stuhlgänge sind schwach rotlich-gelb gefärbt. Das 
Griserin nimmt in alkalischen Flüssigkeiten, wie z. B. im 
Speichel, eine schwach rötliche Färbung an. Ein Kranker 
machte mich darauf aufmerksam, daß beim Abreiben seines 
Körpers am Morgen das Laken einen gelblichen Schimmer an¬ 
nehme. Es ist sicher, daß das Griserin nicht nur durch den 
Urin, sondern auch durch die Haut ausgeschieden wird. 
Letzterer Umstand ist sehr wichtig und wird uns 
später als Erklärung für die überraschende Wirkung bei 
einer Reihe Hautkrankheiten dienen. Unangenehme Neben¬ 
wirkungen sind bei normalen Präparaten bis auf die zuweilen 
heftigen Durchfälle, die aber leicht mit einer Gabe Tannalbin 
von 0,50—0,75, im Notfälle zusammen mit etwas Do versehen 
Pulver, beseitigt werden können, in keinerlei Weise vorhanden, 
so daß Griserin nach dieser Richtung hin geradezu als Ideal¬ 
mittel angesehen werden kann, was eben daher zu erklären, 
daß es vollständig giftfrei ist. Nach Feststellung dieser Eigen¬ 


schaften konnten wir ohne Bedenken an die Behandlung 
Schwerkranker herantreten.“ 

Von Krankheiten, welche mit dem Mittel erfolgreich be¬ 
handelt worden sind, nennt Küster vor allem die Schwind¬ 
sucht in vorgerückten Stadien, allerdings nur, wenn gleich¬ 
zeitig die übliche HeilstättenbehandluDg hinzukommt. Die 
zweite Krankheit, bei der das Mittel versucht worden ist, ist der 
Krebs. Nach Küster wurden von mehreren Aerzten damit 
Fälle behandelt und günstig beeinflußt. Weiter will er über¬ 
raschende Erfolge bei Diphtherie und Scharlach erzielt haben, 
sowie bei einer Reihe anderer Krankheiten, deren Aufzählung man 
im Original nachlesen mag. Unter diesen finden sich auch viele 
Fälle von Hautkrankheiten und zwar namentlich Ekzem, Pso¬ 
riasis und Furunkulose. Als Gesamtresultat schließt Küster: 
„Es kann nicht zweifelhaft sein, daß wir im Griserin ein stark 
bazillentötendes Mittel besitzen, das ungiftig ist und bei seinen 
unzersetzten Ausscheidungen durch Darm, Nieren, Lungen, 
Schleimhäute die vielseitigsten günstigsten Wirkungen ausubt, 
sobald Bazillen die Ursache der Erkrankungen sind.“ 

Durch monatelanges, dauerndes Einwirken des Griserins 
auf Bakterien soll nach Küster ein allmähliches Abtöten der 
Bakterien im Körper zu erzielen sein. 

Außer dem optimistischen Urteil von Küster möchte 
ich noch eine der vielen ungünstigen Kritiken über den 
Wert des Griserins als Heilmittel anführen. Sie stammt 
aus dem Allgemeinen Krankenhause St. Georg, Hamburg, 
von Direktor Dr. Th. Deneke*). Seine Versuche bezogen 
sich auf 13 Fälle von Lungentuberkulose. Durch die Beob¬ 
achtungen an diesen Kranken kam Deneke zu dem Resultat, 
daß das angebliche innere Desinfektionsmittel Griserin bei 
den 13 Patienten, die das Mittel bis zu 45 Tagen ge¬ 
brauchten, keinerlei erkennbare Wirkung auf den tuber¬ 
kulösen Prozeß ausgeübt hat. Abgesehen von der ungünstigen 
Beeinflussung des Auswurfs war die einzige Wirkung des Gri¬ 
serins die eines Abführmittels, und zwar eines sehr unzuver¬ 
lässigen.“ Lewin**) hat dann auf die einer inneren Des¬ 
infektion entgegenstehenden prinzipiellen Schwierigkeiten noch¬ 
mals hingewiesen, und Petruschky***) hat an Tierexperi¬ 
menten gezeigt, daß eine Verhütung des Milzbrandes bei 
Mäusen nicht gelingt, selbst wenn man den Tieren vor der 
Impfung Mengen von Griserin einspritzt, die der tödlichen 
Dosis nahekommen. 

Die Wirkung des Griserins auf Reinkulturen von 
Bakterien ist ebenfalls von Prof. Dr. Petr uschky in der 
hygienischen Untersuchungsanstalt der Stadt Danzig untersucht 
worden. Die Resultate Petruschkys***) sind folgende: Griserin 


wirkt 

auf wachstumhemmend abtötend 

Diphtherie-B. 1:10400 1: 4000 

Streptokokken. 1:10400 1:4000 

Milzbrand. 1 : 10000—8000 — 

Fäc. alkaligenes. 1 : 10400 — 

Pneumokokken. — 1:10400 

Diplok. katarrh. — 1: 104'00 

Soor. 1:10400 1:4000 

Typhus. 1:1000—800 stärkere Lösung als 

1 : 800 ist nötig. 


Petruschky prüfte auch die bakterienhemmende Wirkung 
des Loretins; das Griserin fand er 5 mal so wirksam als das 
Loretin. Er verneint aber die Frage, ob durch Griserin eine 
innere Desinfektion des lebenden Körpers erreicht werden 
könne, während nach Küsters Beobachtungen eine solche statt¬ 
findet. Darauf gründet sich die Bezeichnung des Griserins als 
inneres Desinfektionsmittel. Infolge mancher unangenehmen 
Eigenschaften und besonders infolge ungeschickter Empfehlung 
geriet das Griserin stark in Mißkredit. 

Von dem alten Griserin ist das heutige Griserin 
zu unterscheiden. ° 


) lieber das angebliche „innere Desinfektionsmittel Griserin 
Münchener mediz. Wochenschrift, Nr. 8, 1905. 

**) Lewin: D. med. Wochenschrift, 1904, Nr. 44, S. 1601 
***) Petruschky: Berl. klin, Wochenschrift, 1904, Nr., 50, S. 1296. 


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Original fro-m 

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tfiMfcAPßüflSCttE ßüNOSCÖAÜ. 


2 te 


r II. Bas heutige Briserin. 

, Bas Griseriir, auf das sich die sämtlichen vorhergehenden 
Angaben beziehen, ist also eine Substanz, die zum größten 
Teile aus Loretin neben einigen Prozenten NaHCO s bestand. 

Dies alte Loretin-haltige Briserin wird nach 
den Angaben der Griserin-Werke heute nicht mehr 
dargestell t. 

An seiner Stelle wird von denselben Griserin-Werken jetzt 
unter dem gleichen Namen ein Produkt in den Handel ge¬ 
bracht, das kein Loretin enthalten soll, das leichter löslich sein 
soll als das frühere Griserin und, leicht Jod abspalten soll. 
Bas neue Präparat soll ein Produkt sein, das die unangenehmen 
Eigenschaften des alten Griserins nicht besitzt, wohl aber den¬ 
selben Wert als Heilmittel haben soll wie das frühere Griserin. 
An das neue Griserin werden als Heilmittel auch von Herrn 
Griese nicht die übertriebenen Erwartungen geknüpft wie an 
das frühere Präparat, was sich schon darin ausspricht, daß von 
den Griserin-Werken selbst das Griserin nicht mehr als inneres 
Besinfektionsmittel bezeichnet wird, sondern nur behauptet 
wird, es töte gewisse pathogene Bakterien und sei dabei für 
den Organismus ebenso wie das frühere Griserin ungiftig. 
Ob diese Behauptungen auf Richtigkeit beruhen, soll im folgenden 
nachgewiesen werden. . 

I. Chemisches. 

Bie Darstellung des heutigen Griserins ist Geschäftsge¬ 
heimnis. Es ist wissenschaftlich nicht nachgewiesen, ob die 
zur Barstellung verwendete Jodoxychinolinsulfosäure wirklich 
ein Isomeres des Loretins ist oder ob bei deren Darstellung 
Loretin selbst entsteht. Die Fabrikanten nehmen heute jeden¬ 
falls keine Identität zwischen dem Loretin und der jetzt 
zum Griserin verwendeten Jodoxychinolinsulfosäure an. Nach 
ihren Angaben soll das Jod eine andere, unbekannte Stellung 
im Ringsystem der 8-Oxychinolin-5-sulfosäure haben; demnach 
wäre diese Säure keine in der 7-Stellung, sondern eine in 2-, 
8-, 4- oder 6-Stellung jodierte. Das heutige Griserin soll 29% 
Jod enthalten. Eine sichere Entscheidung der Frage über die 
Konstitution der zur Griserindarstellung verwendeten Jod¬ 
oxychinolinsulfosäure wird erst dann möglich sein, wenn man 
Einblick gewonnen hat in die bisher geheimgehaltene Dar¬ 
stellungsmethode derselben. Allerdings gibt auch ein Vergleich 
zwischen den Eigenschaften des heutigen Griserins und des 
Loretins einen Aufschluß, ob die beiden Substanzen identisch 
sein können oder nicht. 

Das Griserin ist jetzt ein Gemisch der in Rede 
stehenden Jodoxychinolinsulfosäure mit 20% NaHC0 3 . 
Das Natriumbikarbonat wird deshalb zugesetzt, um die Löslich¬ 
keit der freien Säure zu erhöhen. Die von Griese darge- 
stellte freie Jodoxychinolinsulfosäure bildet schöne gelbe Kri¬ 
stalle und macht einen einheitlichen Eindruck; sie reagiert sauer. 

Das als Griserin bezeichnete Präparat ist ebenfalls ein 
gelbes Produkt und ist im Gegensatz zu dem früheren hell¬ 
grauen amorphen Griserin ein kristallinisches Pulver. Es ist 
aber ebenso wie das frühere Griserin kein einheitlicher Körper, 
sondern ein mechanisches Gemenge von Säure-Kristallen 
mit Kristallen von NaHC0 3 , wie ich mikroskopisch unzweifel¬ 
haft feststellte. Das heutige Griserin besitzt ebenso wie das 
frühere keinen festen Schmelzpunkt, ebenso auch nicht die 
verwendete reine Jodsubstanz und das reine Loretin. Für 
die freie Jodoxychinolinsulfosäure gibt Herr Griese den 
Schmelzpunkt 289 0 an. Für frisch dargestellte Substanz 
fand ich bei langsamem Erhitzen denselben Schmelzpunkt. Bei 
längerer Aufbewahrung scheint jedoch die Säure eine Ver¬ 
änderung zu erfahren. Denn mit älterem Präparat bekam ich 
ganz andere Zahlen: Bei 250° trat Zersetzung ein, zwischen 
260° und 270° entwickelten sich Joddämpfe, bei 267° war der 
Schmelzpunkt erreicht. Der Schmelzpunkt der heute ver¬ 
wandten Jodoxychinolinsulfosäure und des Loretins .liegt also 
um etwa 40° auseinander. Aus den verschiedenen Schmelz¬ 
punkten kann man schließen, daß in dem heutigen Griserin 
kein Loretin, sondern ein Isomeres enthalten ist. 

Das heutige Griserin löst sich wie das frühere in H 2 0 
und verd. Alkohol mit gelber bis gelbroter Farbe. Es ist un¬ 


löslich in Alkohol absolutus, desgl. in Aether und in Chloro¬ 
form. Beim Erhitzen mit konz. H 2 S0 4 erhält man eine rote 
Lösung; dabei entweichen Joddämpfe. Das Verhalten gegen 
verdünnte Säuren und Alkalien ist das gleiche, wie für das 
alte Griserin angegeben ist. Beim schwachen Erwärmen mit 
konz. Salpetersäure verhält sich die verwendete Jod¬ 
oxychinolinsulfosäure entsprechend dem Loretin. Zuerst färbt 
sich die Flüssigkeit rot, dann entweichen Joddämpfe, schlie߬ 
lich scheidet sich das ganze Jod in kristallinischer Form aus. 
Nach der Entfernung des Jods schied sich beim Eingießen der 
Flüssigkeit in H 2 0 ein gelbrotes Pulver ab; dies wurde abfiltriert 
und getrocknet; sein Schmelzpunkt stimmte mit dem des bei 
der gleichen Behandlungsweise aus dem Loretin entstehenden 
5-7-Dinitro-8-oxyehinolins nicht überein; er war bei 240°; in 
dem Filtrat konnte mit BaCl 2 Schwefelsäure nachgewiesen 
werden. Hieraus ergibt sich, daß die beiden Säuren wohl nicht 
identisch sein werden. Das Löslichkeitsverhältnis des früheren 
Präparates soll 1 :500, das des jetzigen 1:10 in siedendem 
H 2 0 sein; nach dem Erkalten kristallisiert es teilweise wieder 
aus. Ich fand es löslich etwa 1 :20 in kaltem H 2 0 und be¬ 
nutzte für meine Versuche diese 5%ige oder eine l%ige wässrige 
Lösung des Griserins; die in ihm enthaltene freie Säure ist 
viel weniger löslich, sicher nicht über 1 :200. 

Die für das Loretin angegebenen Reaktionen mit Eisen¬ 
chlorid, Silbernitrat und Bleiazetat gelten auch für das Griserin. 
Die empfindlichste Reaktion ist die mit Eisenchlorid; es 
gibt eine intensiv grüne Färbung, die bei genügender Konzen¬ 
tration ein Absorptionsspektrum zeigt; dies ist allerdings wenig 
charakteristisch, da nur das Ende des Violett und des Rot aus- 
gelöscht sind. Silbernitrat und Bleiazetat geben gelblichen 
Niederschlag, der mit Silbernitrat wird allmählich dunkler. 
Außerdem machte ich mit dem Griserin folgende Reaktionen: 
Mil CuS0 4 bekam ich einen grünen Niederschlag, Millonsches 
Reagens gab gelben Niederschlag, der dunkler wird. Beim Er¬ 
hitzen mit Bromwasser wird Jod frei; ein Stärkepapier wird 
gebläut. Beim Erhitzen der trocknen Substanz für sich ent¬ 
weicht ebenfalls Jod. Aus der Jodabspaltung nach Zusatz 
von Bromwasser, von konz. H 2 S0 4 , von konz. HN0 3 oder beim 
Erwärmen der Substanz für sich darf natürlich nicht geschlossen 
werden, daß das Griserin auch im Organismus leicht Jod abspaltet. 

2. Physiologisch-Chemisches. 

Für das frühere Griserin gibt Küster an, daß es nach 
innerlichem Einnehmen unzersetzt ausgeschieden wird. Für 
das jetzige Griserin habe ich die Ausscheidung nur durch 
die Niere geprüft. Ich konnte diese bei jedem Versuche be¬ 
stätigen und zwar sowohl für Frösche als für Warmblüter. 
Die Ausscheidung erfolgt sehr rasch. Der Harn kann so reich 
daran sein, daß jeder Tropfen mit Eisenchlorid die Grünfärbung 
gibt. Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, daß der Löwen¬ 
anteil des Mittels auf diesem Wege den Körper verläßt, wenig¬ 
stens falls dasselbe unter die Haut eingespritzt worden war. 
Die Ausscheidung geht sehr rasch zu Ende; denn ich konnte 
20 Stunden nach Einspritzung einer sehr bedeutenden Menge 
in dem geschlachteten Kaninchen weder im Blut, noch in der 
Leber, noch in der Niere, noch im Darmkanal etwas vom Mittel 
nachweisen, während ich beim Frosch im Darmlumen auf der 
Höhe der Ausscheidung das Mittel nach subkutaner Einspritzung 
fand. Eine Verankerung des Griserins im Sinne Ehrlichs 
findet also iin Organismus nicht statt; man kann schon daraus 
schließen, daß eine Hauptwirkung sich nur auf die Applikations¬ 
stelle und die Ausscheidungsorgane erstrecken wird. In keinem 
der Versuche gelang es mir, abgespaltenes Jod nachzu- 
weisen, und zwar weder im Harn noch in den Organen der 
oben genannten, mit großen Dosen behandelten Tiere. Da das 
Griserin eine im Kern jodierte aromatische Substanz ist, durfte 
nach einer Regel über die antiseptische Wirkung organischer 
Jodverbindungen durch die Sekrete des tierischen Organismus 
gar kein Jod abgespalten werden. Diese Regel*) lautet: 
Aliphatische Jod Verbindungen sowie aromatische mit Jod in 
der Seitenkette können vermöge ihres Jodgehaltes bakterizid 


*) Vergl.: Jo bau n Feigl, Beiträge zur Kenntnis der sekretionsbe¬ 
fördernden Wirkung des Jods. Biochemische Zeitschrift, Bd. 8, S. 1G7. 1908 


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236 



therapeutische Rundschau. 


wirken, da aus ihnen durch die alkalischen Sekrete Jod ab¬ 
gespalten werden kann. Dies ist aber nicht der Fall für 
aromatische Verbindungen, die im Kern jodiert sind, das Jod 
also fest gebunden enthalten. Diese verdanken ihre antisep¬ 
tische Eigenschaft nicht dem Jod, sondern ihrer Konstitution. 

3. Bakteriologisches. 

Nach dieser Regel muß man also annehmen, daß das 
Griserin, falls es antiseptisch wirkt, die antiseptische Wirkung 
seiner Konstitution und nicht abgespaltenem Jod verdankt. 
Eine Methode, die erlaubt, nach Feststellung der antiseptischen 
Wirkung auch auf Jodabspaltung zu prüfen, ist die aus unserem 
Laboratorium stammende Milch-Schwefelmethode*). Diese 
diente wiederholt zum Vergleiche der antiseptischen Wirkung 
von chemischen Substanzen. Sie gründet sich auf folgende 
Tatsache: 

Wie manche anderen Bakterien sind auch die sogenannten 
normalen Milchbakterien, die sich in jeder käuflichen 
Milch finden, imstande, fein verteilten, der Milch zugesetzten 
Schwefel in Schwefelwasserstoff umzuwandeln, der mittels Blei¬ 
papier nachweisbar ist. Durch Zusatz eines Antiseptikums wird 
die Schwefelwasserstoffbildung gehemmt, weil dadurch die Aus¬ 
übung dieser Funktion der Bakterien gleich Null wird. Bei 
Zusatz der genügenden Menge des Antiseptikums können die 
Bakterien auch abgetötet werden. Das Pb-papier wird in 
diesen beiden Fällen dann nicht geschwärzt. Benutzt man nun 
immer dieselbe Menge Milch, etwa 10 ccm, und setzt dazu 
immer die gleiche Menge Schwefel, etwa 0,2—0,3 g, so sind 
von den einzelnen Antiseptizis bei der gleichen Temperatur je 
nach der Stärke ihrer Wirkung verschiedene Mengen oder 
Tropfen nötig, um die Bakterien in ihrer Funktion gerade auf 
etwa 24 Stunden zu hemmen, d. h. die H 2 S-bildung zu x ver- 
hindern. Aus der Menge der Milch und des Antiseptikums er¬ 
gibt sich dann dessen Konzentration. Beim Sublimat z. B. er¬ 
gibt sich so eine hemmende Wirkung auf die Bakterien bei 
einer Verdünnung noch von 1 : 20000, beim Senföl 1 : 2 300, 
beim Menthol 1 : 220. So bestimmte ich für das Griserin das 
Verhältnis 1 : 600. 

Die Versuchsanordnung war wie immer bei dieser 
Methode die folgende: 

Reagensgläser mit je 10 ccm frischer Kuhmilch und einer 
Messerspitze voll Sulfur praezipitatum wurden mit steigenden 
Mengen der 1 % igen wässerigen Griserinlösung versetzt, nämlich 
mit je 1, 2, 4, 8, 16 Tropfen oder mit 1 oder 2 ccm. In die 
Oeffnung der Reagensgläser wurde mittels Wattepfropfens ein 
Bleizuckerpapier geklemmt. Dann wurden sämtliche Gläser in 
ein Wasserbad von 36 — 40° C gestellt und sich überlassen. 
Nach 24 Stunden ergab sich, daß nur das Bleipapier in dem 
Glase mit 2 ccm der Griserinlösung nicht geschwärzt war. In 
allen anderen Gläsern, sowiein einem Kontrollglase ohne Griserin¬ 
lösung hatte der entwickelte H 2 S das Bleipapier geschwärzt 
durch Bildung von PbS. Durch Umrechnung ergab sich für 
das Griserin eine bakterienhemmende Wirkung bei einer Ver¬ 
dünnung von 1 : 600. 

Nach 24 Stunden wurden dann die sämtlichen Gläschen 
mit etwas verdünnter Essigsäure versetzt und bis zur voll¬ 
ständigen Koagulation des Eiweißes erhitzt. Im Filtrat war mittels 
Stärke kein abgespaltenes Jod nachweisbar. Die Reaktion 
war bei Zusatz von 2 ccm nach 24 Stunden neutral, bis 1 
Tropfen abwärts nahm die saure Reaktion (durch Milchsäure¬ 
bildung) immer mehr zu. Die Gerinnung der Milch war nach 
24 Stunden bei Zusatz von 1 Tropfen nur etwas, bei 2 ccm 
vollkommen eingetreten. 

Die Wirkung des heutigen Griserins auf Rein¬ 
kulturen von Bakterien ist ebenfalls schon untersucht 
worden, und zwar von Dr. Aufrecht, Berlin**), und von Dr. 
Hu eck, Charlottenburg**)- Aufrecht stellte seine Versuche 
in folgender Weise an: 

„Als Testobjekte dienten folgende Reinkulturen: 1. Strepto- 

'■■) Brüning, Ueber das Verhalten des Schwefels zu Milch (und Milch¬ 
präparaten) sowie zur Schleimhaut des Magendannkanales. Zeitsehr. für 
experiment. Pathologie und Therapie. 3. Band. 1906. 

*+) Briefliche Mitteilung. 


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kokkus pyogenes, 2. Staphylokokkus aureus, 3. Diphtherie¬ 
bazillen, 4. Tuberkelbazillen. Das Anlegen der Kulturen wurde 
stets in Petrischalen vorgenommen, welche vor jedesmaligem 
Gebrauch bei 180° C sterilisiert worden waren. Die Auf¬ 
schwemmungen wurden in der Weise 'bereitet, daß die ganze 
Oberflächenkultur mittels eines Platinspatels abgeschabt und 
mit Bouillon zu einer gleichmäßigen Suspension innig verrührt 
wurde. Die auf diese Weise hergestellten Aufschwemmungen 
wurden behufs Beseitigung gröberer Partikelchen durch steriles 
Filterpapier filtriert. Von diesen Aufschwemmungen wurden 
je 5 ccm in sterile Reagensgläser abgefüllt und dazu die gleiche 
Menge der auf eine bestimmte Konzentration gebrachten Lö¬ 
sungen der betreffenden Präparate abgegossen. In bestimmten 
Zwischenräumen wurde den Flüssigkeiten ein Tropfen ent¬ 
nommen, in verflüssigte Nährgelatine bezw. Näbragar gebracht 
und durch längeres Schütteln gleichmäßig verteilt,- worauf die 
desinfizierten Nährmedien in Petrischalen gegossen wurden. 
An dem Sterilbleiben der Platten bezw. an den ausgewachsenen 
Bakterienkolonien wurde festgestellt, ob die Bakterien noch 
lebensfähig oder abgetötet waren.“ Das Ergebnis der Versuche 
steht in nachfolgender Tabelle: Aufrecht hatte 2 Präparate er¬ 
halten: Griserin ß und Präparat «. Das Griserin ß ist zum 
innerlichen, das Griserin « zum äußerlichen Gebrauche 
bestimmt. 


Griserin ß. 




W 

o 

o 

o 

onzentration c 

1:500 

Ics Griserins / 
1:100 

3 

3:100 

Strepto¬ 

kokkus 

pyog. 

hemmend 

abtütend 

- 

nach 30 Min. 

nach 20 Min. 

nach 1 Min. 

- 

- 

- 

nach 20 Min. 

Staphylo¬ 

kokkus 

aureus 

hemmend 

abtötend 

- 

nach 30 Min. 

nach 20 Min. j 

-nach 1 Min. 


- 

_ 

nach 20 Min. 

Diph¬ 

therie- 

Bazillen 

hemmend 

abtütend 

nach 10 Min. 

nach 1 Min. 

nach 1 Min. 

nach 1 Min. 

- 

nach 20 Min. 

nach 10 Min. 

i 

nach 1 Min. 

Tuber¬ 

kel- 

Bazillen 

hemmend 

abtütend 

nach 10 Min. 

nach 1 Min. 

, nach 1 Min. 

nach 1 Min. 

- 

nach 5 Min. 

nach 5 Min. 

nach 3 Min. 


Präparat a. 




| Konzentration des Präparates 

a. 



o 

o 

o 

. 1: 500 

1:100 

3:100 

Strepto¬ 

kokkus 

hemmend 

- 

nach 30 Min. 

nach 15 Min. 

I 

nach 1 Min. 

pyog. 

abtölend 

- 

- 

- 

nach 20 Min. 

Staphylo- 

hemmend 

- 

nach 30 Min. 

nach 10 Min. 

nach 1 Min. 

aureus 

abtütend 

- 

- 

- ' 

nach 15 Min. 

Diph¬ 

therie- 

hemmend 

nach 5 Min. 

nach 1 Min. 

nacbT Min. 

- 

Bazillen 

abtütend 

- 

nach 15 Min. 

nach 5 Min. 

nach 1 Min. 

Tuber¬ 

kel- 

hemmend 

nach 5 Min. 

nach 1 Min. 

1 nach 1 Min. 

- 

Bazillen 

abtütend 

- 

nach 10 Min. 

nach 3 Min. 

nach 1 Min. 


Ans der Untersuchung Aufrechts ergibt sich, daß 
das mit •« bezeichnete Präparat Diphtheriebazillen in 0,5 % 
Lösung nach 15 Minuten, Tuberkelbazillen nach 10 Minuten 
langer Einwirkung abtötet. Das mit ß bezeichnete Griserin 
übt bei gleicher Konzentration die gleiche Wirkung erst" nach 
20 bezw. 15 Minuten aus, ist somit etwas schwächer wie das 
mit A bezeichnete Präparat; - in l°/o Lösung von Präparat ct 


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287 



RUNDSCHAU. 


mpwmm^ : .. . . ; , 

wexillfÄlpÄÄ^ie«?Bazillen nach 5,- Tüberkelbazillen bereits 
nadh B'lMiixtÄeii, sicher abgetötet, während das mit Griserin ß 
bezeichnet©, Präparat erst nach 10 Minuten' bezw. 5 Minuten 
dieselbe Wirkung äußert. Die als äußerst widerstandsfähig be¬ 
kanntem Eiterkokken (Streptokokken, und Staphylokokken) 
.werden erst in stärkerer Konzentration vernichtet, und zwar 
verhalten sich die beiden Präparate gegenüber Reinkulturen 
von Streptokokken vollkommen gleich, während sich den 
Staphylokokken gegenüber wiederum das mit a bezeichnete 
Präparat ein wenig wirksamer zeigt. 

Dr. Hu eck, Charlottenburg, stellte auf Veranlassung von 
Prof. Kobert mit dem heutigen Griserin ebenfalls Versuche mit 
Reinkulturen an. . 

Hueckstellte drei etwas modifizierte Versuch sreihenan. 

I. Es wurden abgemessene Mengen einer Griserin-Lösung 
zu einer bestimmten Anzahl ccm Bouillon gesetzt, so daß die 
bestimmten Verdünnungen entstanden. Diese Reagensgläser 
wurden 1 j 2 Stunde durch Erhitzen auf 100° sterilisiert, sodann 


Verdünnungen versetzt und dann nach drei und 24 Stunden 
Ausstriche auf Agar vorgenommen wurden. 

Die Ergebnisse der Hue ckschen Versuche stehen in obiger 
Tabelle. Das Resultat der Versuchsreihe von Aufrecht 
wie von Hueck spricht zugunsten des Griserins. 
Ein Vergleich der beiden Versuchsreihen kann infolge nicht 
übereinstimmender Anordnung nicht streng gezogen werden. 
Immerhin ergibt sich eine annähernde Gleichheit für die von 
beiden Herren untersuchten Diphtheriebazillen und Staphylo¬ 
kokken, wie folgende Tabelle zeigt. 

Die bakteriologischeüntersuchungdesheutigen 
Griserins ergibt, daß es nicht die starke bakterienhemmende 
Wirkung besitzt, wie Petruschky für das alte Griserin ge¬ 
funden hat. Eine gewisse Bakterien Wirkung kommt dem 
heutigen Griserin indessen unzweifelhaft zu. Auf Grund der 
gefundenen Intensität der Wirkung des Griserins muß betont 
werden, daß die Griserin-Werke nicht berechtigt sind, für das 
heutige Griserin dieselben Wirkungszahlen anzugeben wie für 



Versuchs¬ 

anordnung 

Beob.-Zeit 

1:100 

1 : 200 

1:300 

Kontrolle 

ohne 

Griserin 

Typhus. 

(Stamm „I“ — seit 14 Tagen aus 
einer Typhus-Leiche gezüchtet). 

I 

nach 8 Std. 
nach24Std. 

c 1600 Keime 

1 c 5000 

1 Keime 

> übersät 

übersät 

II 

nach 3 Std. 
nach 2 4 Std. 

cöOOOKeime 
50 Keime 

J übersät 

Paratyphus B. 

Stamm „G. K.“ — im September 
1907 aus Paratyphus B. Blut 
gezüchtet. 

Bakt. Coli. 

I 

nach 3 Std. 
nach 24 Std. 

c 3000 Keime 
c 150 Keime 

übersät 
5-6000 K. 

> übersät 

II 

nach 8 Std. 
nach 2 4 Std. 

5000 Keime 
100 

| üb er sät 

Staphylokokken. 

Stamm „B. t“. — sehr emp¬ 
findlicher Stamm. 

I 

nach 3 Std. 
nach 24 Std. 

2 Keime 

65 Keime 
280 Keime 

140 

15 

übersät 

II 

nach 3 Std. 
nach 24 Std. 

i i 

III 

nach 3 Std. 
nach 2 4 Std. 

560 

4 

c 600 
i 50 

Diphtherie. 

Stamm „Gc“ — frisch gezüchtet, 
sehr empfindlich. 

I 

II 

nach 3 Std. 
nach 24 Std 

— 

) geringes 
| Wachst. 

übersät 

nach 3 Std. 
nach 24 Std. 

— 

1 Wachst. 

) gering 


mit einer Oese einer 24stündigen Agar-Kultur von Typhus, 
Paratyphus B, Coli, Staphylokokken geimpft. Die Röhrchen 
kamen sodann in den Brutschrank, nach drei bis vier Stunden 
wurde aus jedem Röhrchen eine Normalöse Bouillon entnommen 
und auf einer Agarplatte ausgestrichen. Dasselbe geschah 
nach 24 Stunden. Die Agarplatten kamen ebenfalls 24 Stunden 
in den Brutschrank, dann wurde die Keimzahl besti m mt. — 
Die Einwirkung auf Diphtheriebazillen wurde in der Weise 
angestellt, daß abgemessene Mengen der gleichen Griserin- 
Lösungen mit bestimmten Mengen von Hammelblutserum ver¬ 
setzt wurden und dieses dann bei 70° erstarrte. Diese Platten 
wurden mit einer Reinkultur von Diphtheriebazillen bestrichen; 
nach drei bis vier Stunden und nach 24 Stunden wurde das 
Wachstum beobachtet. 

H unterscheidet sich dadurch von I, daß von vornherein 
nur mit sterilen Lösungen gearbeitet wurde (nur beim Abwägen 
des Griserins mußte auf völlige Sterilität verzichtet werden; 
die Kulturen bewiesen aber, daß keine Keime künstlich einge¬ 
schleppt waren); das Griserin wurde also in dieser Versuchs¬ 
reihe nicht erhitzt. Im übrigen war die Anordnung genau 
dieselbe wie bei I. 

III. Mit dem sehr empfindlichen Staphylokokken-Stamm 
wurde der Versuch dann noch in der Weise modifiziert, daß 
24 ständige Bouillonkulturen dieses Stammes mit den Griserin- 


das früher von ihnen gelieferte Präparat. Da die Bakterien¬ 
wirkung des Griserins stärker ist als z. B. des Menthols, da 
das Griserin außerdem geschmacklos ist, ließe es sich z. B. statt 
des Menthols zu Zahnpulvern und Zahnseifen verwenden. Wie 



Aufrecht 

Hueck 


hemmend 1 :1000 nach 10 Min. 

hemmend 1; 200 nach 3 

Diphtherie- 

1: 200 nach 1 Min 

u. 24 Stunden 

Bazillen 

abtötend 1 : 200 nach 20 Min. 

abtotend 1 :100 nach 8 


1 :100 nach 10 Min. 

u. 24 Stunden 


hemmend 1: 200 nach 30 Min. 

hemmend 1:200 nach 3 

Staphylo¬ 

1:100 nach 20 Min. 

u. 24 Stunden 

kokken 

ab tötend 3 :100 nach 20 Min. 

abtötend 1 : 100 nach 24 
Stunden. 


weit die Bakterienwirkung bei Krankheiten verwertbar ist, 
vermag ich natürlich nicht zu sagen, vielmehr muß dies durch 
Versuche am Krankenbett festgestellt werden. 

4. Physiologisches. 

Küster hat für das frühere Griserin in seinem Buche 
mehrfach angegeben, daß es so gut wie keine toxischen Wir- 


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238 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU 


kungen bedingt. Festzustellen, ob diese Angabe auch für das 
heutige Griserin gilt, ist für die Verwertung desselben am 
Krankenbett von erheblicher Wichtigkeit. Meine Versuche er¬ 
gaben, daß Frösche und Kaninchen Dosen von 0,3 g pro Kilo 
selbst bei Einspritzung unter die Haut vertrugen, ohne zu er¬ 
kranken. Man kann daraus berechnen, daß ein erwachsener 
Mensch mehrere Gramm, sogar unter die Haut gespritzt, ver¬ 
tragen würde. Die von Küster für das frühere Griserin 
vorgeschlagenen Dosen sind viel kleiner; sie betragen nur 0,2 
bis 0,5 g für den innerlichen Gebrauch. Man kann diese Zahlen 
auch für das heutige Griserin unter allen Umständen als auch 
für schwache Kranke ungefährlich bezeichnen. 

II1. Ergebnisse. 

1. Man hat zu unterscheiden zwischen dem früheren, 
Loretin-haltigen Griserin und dem heutigen Griserin. 

2. Im h eutigenGriserin ist eine j odierte 8-oxy-chi- 
nolin-5-sulfosäure enthalten. Die Stellung des Jods im 
Ring ist unbekannt; die Frage über die Identität dieser Säure 
mit dem Loretin ist nicht entschieden. Um die Löslichkeit der 
freien Säure zu erhöhen, enthält das heutige Griserin 20 % 
Na HC0 3 mechanisch beigemischt. 

3. Die grüne Reaktion mitFe Cl 3 ist die empfindlichste; 
man kann die Jod-8-oxychinolin-5-sulfosäuren als empfindliches 
Reagens auf Ferriionen benutzen. 

4. Das Mittel besitzt gewisse bakterienhemmende 
Eigenschaften. 

5. Da eine viel stärkere bakterienhemmende Wirkung durch 
Griserin als durch Menthol von uns nachgewiesen worden ist, 
ist die Möglichkeit vorhanden, daß das Mittel im Or¬ 
ganismus antiseptisch wirkt. Da es geschmacklos ist, 
könnte es z. ß. zu Zahnpulvern und Zahnseifen statt des Men¬ 
thols benutzt werden. Da wir weiter nachgewiesen haben, daß 
eine Verankerung im Organismus nicht stattfindet, wird 
eine antisep tische Wirkung am ehesten an den Appli¬ 
kationsstellen und an der Hauptausscheidungsstelle, 
d. h. in der Niere und in den Harn wegen eintreten können. 

ß. Eine Abspaltung von Jod durch die Sekrete des 
tierischen Organismus ist von mir nicht nachgewiesen worden. 
Das Griserin verdankt also seine bakterienhemmende Eigen¬ 
schaft wahrscheinlich nicht dem Jod, sondern seiner Konsti- 
tuti on. 

7. Die von Küster für das frühere Griserin bei innerlicher 
Darreichung angegebenen D o sen von 0,2 bis 0,5 g gelten auch 
für das heutige Griserin; sie sind sicher ungiftige. 

8. Das frühere Griserin war infolge zu hoch gesetzter 
Erwartungen und daran geknüpfter ungeschickter Empfehlung 
stark in Mißkredit geraten. Da das heutige Griserin ein 
anderes Mittel ist als dies alte, glaubten wir verpflichtet zu 
sein, es zu prüfen und auf das neue Präparat Griserin hinzu¬ 
weisen. Mögen diese Zeilen zu weiteren wissenschaftlichen 
Arbeiten und zu umfassenden klinischen Untersuchungen an¬ 
regen, damit endlich entschied en wird, ob das Griserin 
ein brauchbares Heilmittel ist oder nicht! 


Ueber die Behandlung der Syphilis. 

Erfahrungen und Ansichten eines Praktikers. 

Von Axel Winckler, Dr. med. et phil., Sanitätsrat, 
Kgl. dirigierendem Brunnenarzt am Bade Nenndorf. 

(Schluß.) 

Das Jod, erst 1812 entdeckt, ist um 1830 von einem 
Dubliner Arzte namens Wal lace in die Syphilistherapie einge¬ 
führt worden. W allace gab eine Mixtura Hydrojodatis Potassae, 
eine Lösung von 8 g Jodkalium in 250 g Wasser, wovon Er¬ 
wachsene viermal täglich einen Eßlöffel voll nehmen mußten, 
also ungefähr 2 g pro die. Trousseau stellte im Jahre 1835 
Versuche damit an, aber erst Ri cord fand Spezial-Indikationen 
dieses Mittels; er lehrte, daß es weniger im sekundären, mehr 


im tertiären Stadium der Krankheit, beim Gumma, bei Perio* 
stitis, Karies, Exostosen, nächtlichen Knochenschmerzen nütz¬ 
lich sei. Er gab höhere Dosen als W allace, begann zwar 
mit 1 g, stieg aber bis 4 g Jodkalium pro die. 

‘Leider ist das Jod nebst seinen Verbindungen kein eigent¬ 
liches Heilmittel der Syphilis, kann daher das Quecksilber nicht 
ersetzen. Es leistet als Hülfsmittel neben dem Quecksilber 
oder nach dem Quecksilber gebraucht ausgezeichnete Dienste 
sowohl bei sekundären als auch namentlich bei tertiären Fällen, 
aber allein gebraucht wirkt es nur symptomatisch. Es unter¬ 
drückt und verwischt die Symptome der Krankheit auf einige 
Zeit, ist aber an und für sich außer Stande, eine Heilung zu 
bewirken. Die Einführung der Jodpräparate hat die bedauer¬ 
liche Folge gehabt, daß quecksilberscheue Patienten die Rezi¬ 
dive ihrer Syphilis jahrelang nur damit behandeln lassen, bis 
die Krankheit unheilbar geworden ist. 

Kombiniert mit der Schmierkur leistet das Jod immense 
Dienste. Diese Erkenntnis hat dazu geführt, da nun einmal 
die Schmierkur als unbequem gilt, chemische Verbindungen 
von Jod und Quecksilber innerlich zu geben. Man gibt das 
Quecksilber] odür (HgJ, Hydrargyrum jodatum flavum) und 
das Quecksilber]odid (Hg J 2 , Hydrargyrum bijodatum rubrum). 
Jenes ist in den Ricordschen, dieses in den Magendieschen 
Pillen enthalten. Modernere Rezeptformeln habe ich in meinem 
„Therapeutischen Lexikon“ gegeben (Leipzig 1884, Verlag von 
F. C. W. Vogel, Seite 301). Ich bin aber kein Freund dieser 
Jodquecksilbermittel, obgleich sie z. B. in Frankreich sehr ge¬ 
bräuchlich sind. Meines Erachtens ist diese Medikation bei 
weitem nicht so wirksam wie eine Kombination der Schmier¬ 
kur mit dem gleichzeitigen innerlichen Gebrauch von Jodkalium 
oder Jodnatrium. 

Die neueste pathologische Theorie, der ich einstweilen 
noch etwas skeptisch gegenüberstehe, kann die eminente Wirk¬ 
samkeit der mit Jod kombinierten Quecksilberkuren erklären. 
Nach dieser Theorie sterben im Verlaufe der Krankheit deren 
Erreger, die Spirochäten, sukzessive ab, wobei die an ihren 
Leibern haftenden Gifte, die sogenannten Syphilisendotoxine, frei 
werden und die Hyperämie, Rundzelleninfiltration, Gewebs- 
hypertrophie und Gewebsneubildung erzeugen. Man nimmt nun 
an, daß das Jod die entzündlichen Produkte der Syphilis und 
die Syphilisgifte zur Resorption und die Gifte zur Ausscheidung 
bringe. Mit der Vermehrung der Spirochäten gehe aber ein 
Zerfall einher, und es entstehen immer neue Endotoxine; deren 
Resorption allein nütze daher nichts, sondern es müssen auch 
die Spirochäten, wogegen Jod allein machtlos ist, abgetötet 
werden, und dies geschehe durch Quecksilber. Deshalb müssen 
Jod und Quecksilber gleichzeitig gebraucht werden. (Vergl. 
Münchener med. Wochenschr. 1907, Nr. 13, Seite 603.) Theorie 
und Praxis stimmen also trefflich überein. 

Am wirksamsten fand ich die dreifach kombinierten Kuren, 
das heißt Schmierkur, Jodkur und Schwefelkur gleichzeitig 
angewendet, wobei man aber dafür sorgen muß, daß das 
Schwefelwasser nicht gleichzeitig mit der Jodmixtur in den 
Magen komme. Durch solche dreifache Kur habe ich überaus 
schwere tertiäre Fälle geheilt, unter anderen ein Gumma des 
Fersenbeins einer alten Russin, einen Fall, den v. Bergmann 
schon zur Operation bestimmt hatte. 

Von Jodpräparaten wende ich nur das Jodnatrium an, so¬ 
wohl zu kombinierten Kuren als auch zu Nachkuren. Ich 
verordne: Rp. Natrii jodati 10,0, Aq. destill. 150,0, Aq. Lau- 
rocerasi 1,0. M. D. S. 3 mal tägl. 1 bis 2 Teelöffel voll in 
V 2 Glas Milch oder Wasser 1 Stunde vor dem Essen zu nehmen. 
Das bißchen Kirschlorbeerwasser ist ein gutes Geschmacks- 
korrigens. Ist Jodismus zu befürchten, so gibt man die Medizin 
nur nach dem Essen, wodurch die Wirkung freilich geschwächt 
wird. Bei schwerer tertiärer Syphilis gibt man dreimal täg¬ 
lich einen ganzen Eßlöffel voll. Man kann das Jodnatrium 
auch in Pillen mit Extr. Gentianae und Pulv. Rad. Gentianae 
verordnen, doch wird die Mixtur besser resorbiert. Tritt Jod¬ 
schnupfen, übermäßige Akne oder heftiger Kopfschmerz ein, 
so läßt man das Mittel aussetzen. Zu Nachkuren gibt man 
die Mixtur auf fünf Monate, aber in jedem Monat nur zehn 
Tage lang in steigenden Gaben, beispielsweise vom ersten bis 


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fHMtAPfeuMSCfiE RUNDSCHAU. 


239 


% vierten Tage des. Monats dreimal täglich einen Teelöffel voll, 
datin bis zum siebenten jedesmal einen halben Eßlöffel und 
sodann bis zum zehnten des Monats dreimal täglich einen E߬ 
löffel voll; hierauf pausiert man drei Wochen lang und beginnt 
am ersten Tage des nächsten Monats die Medikation von neuem. 
Während dieser fünf Monate umfassenden Nachkur sollte der 
Patient })ehufs Anregung des Stoffwechsels zweimal wöchent¬ 
lich ein gewöhnliches. warmes Wannenbad und zweimal monat¬ 
lich ein zwanzig Minuten dauerndes Kastendampfbad von 
höchstens 44 Grad C. nehmen. Bei der angegebenen Art, das 
Jodnatrium zu reichen, entsteht keine Gewöhnung an das Mittel; 
nach jeder Unterbrechung entfaltet es immer wieder seine 
volle Kraft. Ich habe diese probate Methode von meinem alten 
Lehrer v. ßinonker übernommen und die Wahl des Jod¬ 
mittels von meinem Freunde Höfler in Tölz. Jodkalium 
schmeckt schlechter als Jodnatrium und macht leichter Jod¬ 
schnupfen, Jodipin wird bald ranzig, Jodalbaeid enthält sehr 
wenig Jod, und Sajodin und Jodglicfine entfalten wenig Jod¬ 
wirkung. Die chemischen Fabriken bringen immer neue Jod¬ 
mittel auf den Markt, deren niemand bedarf, da das Jodnatrium 
seine Aufgabe in jeder Hinsicht erfüllt. Wer durchaus Ab¬ 
wechslung haben will, ersetze dieses Jodsalz durch die offizineile 
Jodtinktur, in maximalen Dosen in Zuckerwasser zu nehmen. 
Dieses Mittel fand ich oft wirksam. 

Soviel über die Allgemeinbehandlung der Syphilis mit 
Quecksilber und Jod. Von den Ersatzmitteln, beziehungsweise 
von den Kuten ohne Quecksilber wird später die Rede sein. 
Zunächst will ich die Behandlung der örtlichen Krankheitser¬ 
scheinungen kurz besprechen. 

Die beste Behandlung des Primäraffekts habe ich schon 
angegeben. Breite Kondylome bepinsele man zweimal täglich 
mit Kochsalzlösung (1:4) und streue dann Kalomel darauf; 
darüber wird eine dünne Schicht Watte gelegt. Sekundäre 
Ulzerationen verbinde ich mit Watte, die mit Kampferwein 
getränkt ist, dem zehn Prozent Opiumtinktur zugesetzt sind, 
oder bestreue sie mit Kalium sozojodolikum. Gegen Ulzera¬ 
tionen am After nützen Jodoformsuppositorien. Angina und 
Rachengeschwüre kann man mit schwacher Sublimatlösung 
pinseln, der etwas Glyzerin zugesetzt ist. Papeln im Munde 
werden mit adstringierenden Mundwässern behandelt. Erosionen 
der Wangenschleimhaut und der Zunge werden von Zeit zu 
Zeit sanft mit Höllenstein betupft und gleich darauf mit Jod¬ 
tinktur bepinselt; dieses Verfahren ist auch gegen Plaques im 
Munde wirksam. Gummata kann man mit Jodtinktur bepinseln, 
exulzerierte Gummaknoten mit Jodlösungen verbinden. Infiltrate, 
Knoten, Onychien und Orchitis syphilitika behandelt man 
zweckmäßig mit Quecksilberpflaster, dem Seifenpflastermasse zu¬ 
gesetzt werden kann. Dolores osteokopi werden durch Ein¬ 
reibungen mit grauer Salbe und durch warme Bäder gelindert; 
ebenso kann man bei Periostitis verfahren und auch Narko¬ 
tika anwenden. Wuchernde Papeln ätzt man mit 'einer spiri- 
tuösen Sublimatlösung. Rhagaden am After kann man mit 
Jodoformsalbe oder mit Zinksalbe verbinden. Bei Ozäna läßt 
man desinfizierende Spülungen vornehmen. Bei spezifischer 
Iritis sind rechtzeitige Atropineinträufelungen vonnöten. 

Rezeptformeln zu diesen verschiedenen Arten örtlicher Be¬ 
handlung der Symptome findet man in meinem schon erwähnten 
therapeutischen Lexikon ausführlich angegeben. Ich mache 
jedoch darauf aufmerksam, daß es ratsam ist, die* örtliche 
Therapie möglichst einzuschränken und desto energischer mit 
der Allgemeintherapie, also mit der Schmierkur und gleich¬ 
zeitigem Jodgebrauch, vorzugehen, wodurch die örtlichen Ein¬ 
riffe meistens rasch überflüssig werden. Eine Vielgeschäftig- 
eit, die jedes Symptom der Syphilis unverzüglich lokal 
behandeln möchte, ist vom Uebel. Denn durch bloße Unter¬ 
drückung der Symptome verliert man den Maßstab für die 
Intensität der Krankheit und für die Wirksamkeit der Allge¬ 
meinbehandlung. Ungeduldige Patienten verlangen freilich, 
daß man die Erscheinungen der Krankheit sogleich be¬ 
seitige; sie mögen nicht warten, bis infolge der Allgemeinbe¬ 
handlung die Symptome mit der Krankheit verschwinden. Tut 
man aber nach ihrem Willen, so läuft man Gefahr, daß die von 
den Krankheitserscheinungen befreiten Patienten die eigentliche 


Kur nicht mehr mit der nötigen Ausdauer zu Ende führen. 
Uebrigens leistet die Lokaltherapie an und für sich wenig, ja 
manchmal wird eine örtliche Affektion durch den wiederholten 
Reiz des Eingreifens noch verschlimmert! Ein Schauspieler, 
der Bad Nenndorf aufsuchte, nachdem er wegen syphilitischer 
Zungengeschwüre jahrelang in Amerika von vielen Aerzten 
mit Aetzungen, Brennen, Mundwässern, Pinselungen, kurz mit 
allen erdenklichen örtlichen Mitteln erfolglos behandelt worden 
war, genas unter meiner Behandlung in .Nenndorf durch eine 
einzige energische kombinierte Allgemeinkur binnen 4 Wochen, 
wobei ich zum Erstaunen des Kranken die Zunge völlig in 
Ruhe ließ. 

Gegen die Syphilis der Neugeborenen — sowohl gegen 
die kongenitale als auch gegen die kurz nach der Geburt auf- 
| tretende — verordne ich 20 g van Swietenschen Liquor mit 
| 50 g Mixtura gummosa verdünnt, hiervon täglich einen Tee¬ 
löffel voll, vier Wochen lang, und außerdem Sublimatbäder: 
je 1 g Sublimat in 40 g Spiritus aufgelöst als Zusatz zu einem 
Kinderbade, in einer Holzwanne. Die zarte Haut des Kindes 
resorbiert reichlich aus der Badeflüssigkeit, das Bad ist deshalb 
nur zweimal wöchentlich zu geben und darf jedesmal nur zehn 
Minuten dauern. Vorsicht ist nötig, daß nichts von dem Bade¬ 
wasser in die Augen des Kindes komme. Aeltere Kinder 
können allenfalls Einreibungen mit grauer Salbe bekommen, 
die mit Fett oder Oel verdünnt ist, aber eine innerliche Kur 
mit van Swietenschem Liquor ist vorzuziehen. 

Ob die schweren Nachkrankheiten der Syphilis mit Queck¬ 
silber und Jod zu behandeln seien, ist fraglich. Wenigstens 
Arteriosklerose und Dementia paralytika sind keine geeigneten 
Objekte für solche Therapie. Anders die Rückenmarksdarre. 
Da uns jetzt viele Tabiker zwecks Behandlung mit der kom¬ 
binierten Kur oder einfachen Schmierkur zugeschickt werden, 
will ich meine bisherigen Erfahrungen mit solchen Patienten 
zusammenfassen. 

Frische spezifische Tabes wird durch eine energische Queck- 
sjlberkur mit oder ohne Schwefelkur günstig beeinflußt; merk¬ 
liche Besserung, jahrelange Remission, ja scheinbare Heilung 
kann das Resultat sein; nur Pupillendifferenz und Pupillenstarre 
sah ich niemals völlig verschwinden. Bei ausgeprägter Ataxie 
gibt die Quecksilberbehandlung unsichere Resultate; manchmal 
verschlimmert sie die motorischen Störungen rapid; in andern 
Fällen sind zwar die momentanen Ergebnisse ungünstig, aber 
die Nachwirkungen ausgezeichnet. Die Schwefelbäder allein 
wirken im allgemeinen günstiger; sie lindern die lanzinierenden 
Schmerzen und verbessern etwas die Koordination; jedenfalls 
beseitigt die Badekur die Störungen der Sensibilität leichter 
als die motorischen Störungen. Bei alten Tabesfällen leisten 
die bisher erwähnten Kuren nichts; hier ist nur von der 
Fränkelschen Uebungstherapie etwas Besserung zu hoffen. 

Nach diesem Exkurs über die Behandlung der Tabes 
wende ich mich zurück zur Kur der sekundären und tertiären 
Syphilis, und zwar nun zu deren Behandlung ohne Quecksilber 
und Jod, zuerst zur Würdigung anderer Arzneimittel und so¬ 
dann zur Kritik der arzneilosen, rein diätetischen Behandlung. 

Wenn Quecksilber und Jod nicht mehr oder nicht mehr 
genügend wirken oder der Patient sie nicht mehr verträgt, sieht 
sich der Arzt genötigt, nach Ersatzmitteln umzuschauen. Als 
solche nenne ich zuerst die Holztränke, Avovon ich manchmal 
deutlich Nutzen gesehen habe. Ich verordne: Rp. Spez. 
Lignor. 100,0, Rad. Sassaparill. 50,0. C. M. f. Spez. D. S. 2 E߬ 
löffel voll mit 1 Liter Wasser auf d / i Liter eingekocht an 
einem Tage zu trinken. Man kann die Abkochung mit Honig 
versüßen und die eine Hälfte warm des Morgens, die andere 
kalt im Laufe des Tages trinken lassen. Die Kur dauert vier 
Wochen. Der wirksamste Bestandteil dieser Spezies ist das 
Guajakholz. Zwar verdient es nicht das übeitriebene Lob, 
das ihm Ulrich von Hutten in seiner Schrift „De Guajaei 
medicina et morbo gallico“ (Mogunt. 1519) gespendet hat, doch 
ist ihm eine gewisse Heilkraft nicht abzusprechen. Um die 
Mitte des 16. Jahrhunderts stand es auf der Höhe seines Rufes. 
Auch andere Bestandteile der Holztränke, die Sassaparillwurzel, 
das Sassafrasholz und andere Wurzeln und Hölzer sind nicht 
zu verachten. Die Abkochungen hieraus bewirken veimutlich 


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240 


fHEfeAPEtJTISCHE RtM)SCÖAÜ. 


r* 


durch Diapkorese und Diurese eine gewisse Reinigung des 
Blutes, wiewohl ihre antisyphilitische Kraft nicht erwiesen ist. 
Als Aushilfsmittel sind die Holztränke jedenfalls brauchbar. 
Ich habe gefunden, daß sie namentlich bei jenen galoppierenden 
Formen der Syphilis, die schon nach wenigen Jahren in das 
tertiäre Stadium übergehen, nützen. 

Unbrauchbar ist das zuerst von Azzastia empfohlene doppelt¬ 
chromsaure Kalium (Kaliumdichromat, K 2 Cr 2 0 7 ). Sorgfältige 
Nachprüfungen haben ergeben, daß die Chromsäure und ihre 
Salze nicht die mindeste antisyphilitische Kraft besitzen. 

Vom neuesten Surrogat des Quecksilbers, dem Atoxyl, das 
im vorigen Jahre von Dr. Salmon in Paris zu Injektionen 
bei der Syphilis empfohlen worden ist, kann ich wenig Gutes 
sagen. Ich habe es mehrmals genau in den von Salmon vor¬ 
geschriebenen Dosen angewendet und jedesmal ziemlich bedenk¬ 
liche Vergiftungserscheinungen und keine sehr deutliche anti¬ 
syphilitische Wirkung gesehen. 

Daß Jod allein das Quecksilber nicht zu ersetzen vermag, 
sondern nur im Bunde mit ihm spezifisch wirkt, habe ich schon 
oben auseinandergesetzt. Wer da meint, durch Jodmittel die 
Quecksilberkuren entbehrlich machen zu können, irrt sich. 
Jedoch scheint die Kombination einer Jodkur mit der Schwefel¬ 
kur wirksamer zu sein; damit hat ein Militärarzt namens 
Baizeau Versuche gemacht. (Baizeau, Influence des eaux 
minerales sulfureuses sur la syphilis, 1855.) Er behandelte zur 
Zeit der Besetzung deslKirchonstaats durch die Franzosen viele 
syphilitische Offiziere und Soldaten an den Schwefelthermen 
von Viterbo. Von diesem starken Schwefelwasser ließ er die 
Patienten täglich 2 bis 5 Gläser trinken, gab ihnen täglich 
ein Schwefelbad und außerdem täglich 1 bis 2, selten 3 g Jod¬ 
kalium in Mixtur. Zehn Heilerfolge hat er veröffentlicht. Ich 
führe das an, ohne mir eine Kritik zu erlauben, doch scheint 
mir, daß Baizeau die betreffenden Patienten nicht lange ge¬ 
nug im Auge behalten hat, um über die Dauerwirkungen seiner 
Kur urteilen zu können. 

Daß man mit Schwefelwasser allein die Syphilis heilen 
könne, ist ein überwundener Irrtum, der nur noch in den Bade¬ 
prospekten von Carratraca in Spanien paradiert. 

Die größten Enttäuschungen harren derer, die die Syphilis 
arzneilos ° zum Beispiel mit bloßen Diätkuren, behandeln wollen. 

Einen Uebergang hierzu bildete die Methode vonDespres, 
der eine „physiologische Behandlung der Syphilis durch 
Stärkungsmittel und örtliche Mittel“ lehrte. (Bouchut et Despres, 
Dictionnaire de medecine et de therapeutique, 6. ödition, Paris 
1895, p. 1391—2.) Als Stärkungsmittel soll der Kranke redu¬ 
ziertes Eisen, pulverisierte Chinarinde und viel gebratenes 
Fleisch genießen, sowie Lebertran; auch soll er Solbäder, See¬ 
bäder oder Schwefelbäder gebrauchen; als örtliche Mittel sollen 
harmlose Verbandmittel, Waschungen und dergleichen dienen. 

Radikaler gehen unsere Naturheilkundigen zu Werke. Sie 
behandeln die Syphilitiker, die sich ihnen anvertrauen, tatsächlich 
arzneilos, mit Luftbädern, Sonnenbädern, Trockendiät und ähn¬ 
lichen Prozeduren. Damit werden die Kranken hingehalten, 
bis die Zeit zur Heilung unwiederbringlich versäumt ist und 
die Entwicklung grausiger Spätformen die Unglücklichen be¬ 
lehrt, daß sich die Syphilis durch solche Mätzchen^ nicht ku¬ 
rieren läßt. Einige Näturheilkundige sind gerichtlich bestraft 
worden, weil sie Krebskranke so lange hingehalten haben, bis 
die Zeit zur Operation versäumt war. Diejenigen, die Syphi¬ 
litikern vorspiegeln, sie durch Licht, Luft, Schwitzen und Diät 
heilen zu können, und sie vom Quecksilbergebrauche abhalten, 
erscheinen mir noch weit strafwürdiger! Leider gibt es ge¬ 
lehrte Querköpfe, die durch Deklamationen gegen das Queck¬ 
silber und das Jod den Naturärzten Wasser auf ihre Mühlen 
liefern, so der emeritierte Wiener Primararzt Dr. Hermann, 
Verfasser des Buches: „Die Quecksilberkur, ein Verbrechen an 
der Menschheit“, und der Berliner Professor Rosenbach, 
Verfasser der Broschüre „Das Problem der Syphilis und die 
Legende von der spezifischen Wirkung des Quecksilbers und 

des Jods“. . _ _ 

Ein Sektierer war auch der Dr. Payan, der lur die 
,arabische Kur“ schwärmte, die durch Tradition fortgepflanzt, 


noch in Marseille gebräuchlich sein soll. Sie besteht angeblich 
in der Hauptsache in einer vegetarischen Trockendiät, nämlich 
in der ausschließlichen Ernährung mit Brotkuchen, Nüssen, ge¬ 
dörrten Mandeln, Feigen und Rosinen! Aber daneben erhalten 
die Patienten das sogenannte „arabische Opiat“, bestehend aus 
Honig mit Sassaparill, Chinawurzel, ein wenig Gewürznelken 
und gedörrten Haselnußschalen; außerdem bekommen sie eine 
schweißtreibende Abkochung von Sassaparill und Chinawurzel 
— als einziges Getränk — und, — das scheint mir die Haupt¬ 
sache bei dieser famosen Kur: — „arabische Pillen, die Sublimat 
und metallisches Quecksilber enthalten“. Darf man die Heil¬ 
wirkungen einer solchen Kur der vegetarischen Trockendiät zu¬ 
schreiben ? Gewiß nicht! 

Diese Betrachtung leitet uns zur Erörterung der Frage: 
Welche Diät sollen wir den Patienten während einer kunst¬ 
gerechten Kur vorschreiben? 

Obenan stehe das Verbot der alkoholhaltigen Getränke. 
Abstinenz verbessert die Prognose außerordentlich und ist für 
alle schweren Fälle die conditio sine qua non der Heilung. 
Der Patient soll fleißig Milch trinken, womöglich 1 bis 1 1 / 2 Liter 
täglich, wenn er irgend dazu imstande ist, sonst Kaffee mit 
Milch, Tee mit Milch, Obstsuppen, Limonaden, Wasser, aber 
den Genuß von Bier und Wein soll er aufs äußerste ein¬ 
schränken und stärkeren Spirituosen völlig entsagen. Wer 
diesen guten Rat mißachtet, möge ein klein wenig über folgende 
Erfahrung des Afrikareisenden Georg Kolb nachdenken. 
Dieser, der festgestellt hat, daß manche Negervölker gegen die 
Syphilis merkwürdig widerstandsfähig sind, schreibt in seinen 
„Beiträgen zu einer geographischen Pathologie Britisch-Ost- 
afrikas“ (Gießen 1897): „Der äquatoriale Neger aequiriert fast 
nur die primäre Lues; ist das primäre Geschwür verheilt, so 
tritt bei den allermeisten nie eine weitere Erscheinung auf. 
Sieht man aber sekundäre oder tertiäre Symptome, so kann 
man sicher sein, daß der Patient ein Säufer ist, und man 
braucht nur den Alkohol zu entziehen, um baldige Heilung zu 
erzielen.“ Es ist sonnenklar, daß der Alkohol als Zellengift 
den menschlichen Organismus so schwächt, daß dieser mit dem 
Syphilisgift schwerer fertig wird. Meine schönsten Kurerfolge 
erzielte ich bei denjenigen Patienten, die während der ganzen 
Dauer der Kur auf den Alkoholgenuß vollständig verzichteten. 
Andererseits fand ich die schlimmsten Formen der Syphilis, 
namentlich Ekthyma, Lebersyphilis, Lungensyphilis, Gehira- 
syphilis und zerfallende Gummata regelmäßig bei Alkoholisierten, 
so daß ich zu der Ueberzeugung gekommen bin, daß Alkohol¬ 
genuß die Syphilis bösartig macht und ihre Heilung erschwert. 
Bei trunksüchtigen Syphilitikern folgt ungeachtet der sorg¬ 
fältigsten ärztlichen Behandlung ein Nachschub dem andern. 
Die Neurologen lehren, daß durch den Alkohol insbesondere 
den syphilitischen Erkrankungen des Nervensystems der Boden 
vorbereitet werde. Tatsächlich sah ich bei Trinkern schon im 
zweiten Jähre nach der Infektion Gehirnsyphilis eintreten. 
Ceterum censeo: der Alkohol ist den Syphilitikern zu untersagen. 

Was die Ernährung anbetrifft, so muß sie eine gute und 
reichliche sein. Der Patient soll von gemischter Kost gehörig 
essen und dabei körperlich und geistig ruhen, damit er in 
möglichst gutem Ernährungszustand bleibe. Ein gut ernährter 
Organismus überwindet das Syphilisgift wie andere Gifte leichter 
als ein durch Entbehrungen entkräfteter. Hungerkuren, Durst¬ 
kuren , Entziehungskuren irgendwelcher Art erschweren und 
verzögern die Heilung, sind daher unbedingt verwerflich. Ich 
betone das, weil die Antimerkurialisten von Zeit zu Zeit immer 
wieder die „cura famis“ anpreisen. Schon zu Huttens Zeit 
gestattete mancher Arzt den Syphilitikern bloß Brot, Wein¬ 
trauben und etwas Hühnerbrühe und vermehrte ihre Schwäche 
noch durch schweißtreibende Mittel. Astruc ließ seine Kranken 
erbarmungslos hungern. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts 
veröffentlichte ein Altonaer Arzt, dessen Name mir entfallen 
ist, eine lange Abhandlung über den Nutzen der Hungerkur 
bei der Syphilis, und ungefähr um dieselbe Zeit (1811) be¬ 
handelte Osbeck im St. Seraphinen-Spital in Stockholm hart¬ 
näckige veraltete Syphilis auf dieselbe Weise. Die jetzt von 
Kurpfuschern oft gegen Syphilis verordnete Schrothsche Kur 
ist eine Hungerkur und Durstkur zugleich/ verbunden mit 


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v ‘i®Äf ^ äbjäa'pirttische Rundschau. 


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einer Schwitzkur. • S chroth, der Erfinder dieser Roßkur, war 
ein Bauer und Fuhrmann zu Lindewiese in Schlesien. Er ließ 
die Patienten ganze Nächte hindurch in einer Ganzpackung 
schwitzen und ernährte sie dürftig mit trockenen Semmeln. 
Von Zeit zu Zeit gewährte er ihnen einen Trinktag; dann 
durften sie massenhaft Wein trinken. Diese Kur hat zahllose 
Kranke zu Grunde gerichtet, aber da sie von einem Kurpfuscher 
erfunden worden ist, wird sie von Kurpfuschern noch ange¬ 
wendet. Ich habe mehrere Syphilitiker gesehen, die einer 
solchen Kur entronnen waren und nicht den mindesten Erfolg 
davongetragen hatten. Ungenügende Ernährung, tagelange 
V erstopfung, periodische Alkoholexzesse, obendrein schwächende 
Schwitzprozeduren — eine unsinnigere Kurordnung ließe sich 
schwerlich ersinnen! 

Diese Rundschau über die verschiedenen Kurmethoden 
wird meine Leser hoffentlich davon überzeugt haben, daß nur 
die kombinierten Quecksilber- und Jod-Kuren, rechtzeitig 
und einige Male wiederholt gebraucht, Vertrauen verdienen, 
und daß Jod zu den Nachkuren verwendet werden muß. 

Wenn ein Patient durch solche kunstgerechte Behandlung 
bei guter und reichlicher Ernährung auskuriert worden ist, 
stellt er manchmal die Frage an den Arzt, ob er noch an¬ 
steckend sei und ob er heiraten dürfe? 

Die Antwort muß lauten: Wenn ein Patient im Verlaufe 
von zwei oder drei Jahren drei reguläre Schmierkuren durch¬ 
gemacht hat, und drei Jahre lang nach dem letzten Symptome 
der Krankheit kein neues Symptom aufgetreten ist, so ist der 
Betreffende nicht mehr ansteckend, darf sich für dauernd ge¬ 
heilt halten und unbedenklich eine Ehe eingehen, ohne besorgen 
zu müssen, daß er Frau und Kinder unglücklich machen oder 
selbst durch eine Nachkrankheit invalide werden könne. Zwar 
der AntimerkurialistProfessor Rosenbach schätzt (auf Seite 71 
seiner schon erwähnten Broschüre) den Zeitraum der Ansteckungs¬ 
gefahr nach dem Ausbruch der Roseola auf ein Jahr und ge¬ 
stattet (auf Seite 72) die Verehelichung nach zwei Jahren. Ich 
hoffe aber, daß dieser in Paradoxen große Autor in praxi 
rößere Vorsicht habe walten lassen. Denn ein Syphilitiker, 
er nach seinem Rat ohne Quecksilber behandelt wird und 
dann zwei Jahre nach der Roseola heiratet, infiziert die Frau 
unfehlbar, ganz abgesehen von dem Risiko der Spätsyphilis 
und der Nachkrankheiten. Jeder erfahrene Praktiker, der den 
durch zu früh geschlossene Ehen der Syphilitiker verursachten 
herzzerreißenden Familienjammer kennen gelernt hat, wird 
über Rosenbachs Lehren ebenso entrüstet sein wie ich. 

Zum Schlüsse gestatte ich mir einige Worte über die 
Prophylaxe der Syphilis. Allerhand Schutzmittel sind angepriesen 
worden, sind aber samt und sonders unsicher. Auch das Aller¬ 
neueste auf diesem Gebiete, die von Metschnikoff em¬ 
pfohlene örtliche Einsalbung mit einer Calomeisalbe (aus 33 
Teilen Calomel mit 67 Lanolin und 10 Vaselin) gewährt wohl 
keinen Schutz. Das Merkblatt der deutschen Gesellschaft 
zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten nennt den Gebrauch 
solcher Mittel zweckmäßig, fügt aber richtig hinzu: „Wirklich 
sicher wirkende Schutzmittel gegen die Ansteckung mit vene¬ 
rischen Krankheiten gibt es nicht“. — Der alte Hufeland 
schrieb in seiner „Kunst, das menschliche Leben zu verlängern“ 
(Jena 1797, Seite 445): „daß das einzige Präservativ bleibt, 
den außerehelichen Umgang mit dem andern Geschlecht ganz 
zu vermeiden“. Die Ehelosigkeit ist ein prädisponierendes 
Moment; es ist statistisch ermittelt worden, daß diejenigen 
Gesellschaftsklassen, worin am spätesten geheiratet wird — 
dazu gehören z. B. Offiziere und Studierende — von der Krank¬ 
heit besonders heimgesucht werden. Aber die Ehe bietet keinen 
absoluten Schutz, denn Manche treten krank in die Ehe, und 
mancher ungetreue Gatte holt sich draußen die Syphilis; in 
beiden Fällen wird die tugendhafte Ehehälfte infiziert. 

Viel kann eine strenge Gesundheitspolizei nützen, wenn 
sie die Dirnen kontrolliert und womöglich kaserniert. Nach 
der Statistik von Mauriac waren unter 1633 syphilitischen 
Männern 1414 von geheimen Prostituierten und nur 219 von 
kontrollierten Dirnen — darunter 189 von einzeln lebenden 
und 80 von Bordell-Dirnen — angesteckt worden. Derb, aber 
treffend sagt Formier: „Wollte man syphilitische Dirnen auf 


der Straße frei umherlaufen und anlocken lassen, so wäre 
das gleichbedeutend, wie wenn man einen tollen Hund frei 
umherlaufen ließe“. 

Die Gesellschaft hat das Recht und sogar die Pflicht, sich 
durch vorbeugende Maßregeln vor der Verbreitung der Seuche 
möglichst zu schützen. Zwar Polizeimaßregeln und ärztliche 
Belehrungen reichen dazu nicht aus; Moral und Religion müssen 
mithelfen. Nur wenn Behörden, Aerzte, Moralisten und Priester 
sich gemeinsam an dem sozialen Werke beteiligen, wird es ge¬ 
lingen , diese Flut entsetzlichen Krankheitselends wirksam 
einzudämmen. 


Die Therapie der Metrorrhagien. 

Von Dr. Otfried O. Fellner, Wien. 

Das Wichtigste bei der Behandlung der Metrorrhagien ist 
die genaueste Aufnahme der Anamnese und des Status. Ganz 
abgesehen davon, daß durch das einfache Verordnen von Styp- 
tizis oder physikalischen Behandlungsmethoden der Zweck oft 
nicht erreicht wird, ja die Anwendung sogar gefährlich ist, wie 
die der Styptika bei Herzkrankheiten oder bei Arteriosklerose, 
oder die heißen Spülungen bei Herz- und LuDgenkrankheiten, 
der kalten Spülungen bei Chlorose etc., so kann es sich um 
eine Gravidität, Klitoris-Hymenalblutung, schließlich um einen 
Polypen oder ein Karzinom handeln, und der Arzt, welcher 
einfach verschreibt, begeht in solchen Fällen geradezu ein 
Verbrechen. Niemals verordnen ohne genaue Anamnese oder 
Untersuchung! Folgender Fall möge zur Illustration dienen: 
Ein junges Mädchen kommt mit der Klage, daß sie dieses Mal 
sehr stark blute, und daß die Blutung nicht aufhören wolle. 
Die Anamnese ergibt nichts Besonderes, die Untersuchung wird 
zunächst verwehrt und erst auf eindringliches Zureden ge¬ 
stattet. Mir war schon aufgefallen, daß die Periode, die sonst 
von normaler Stärke war, nunmehr plötzlich so stark wurde. 
Bei der Untersuchung finde ich eine ganz junge Gravidität. 
Bei der Spiegeluntersuchung zeigt es sich, daß die Blutung 
aus einem Riß am Orifizium externum uteri stammt. Auf ein¬ 
dringliches Befragen erklärt die Patientin, daß ihr Bräutigam 
ihr mit dem Finger diese Verletzung gesetzt habe. (Wahr¬ 
scheinlich in krimineller Absicht und mit einem Instrument.) 
Die Blutung war eine so starke, daß ich umstechen mußte; die 
Schwangerschaft ging ungestört weiter. Hätte man in diesem 
Fall die Zervix tamponiert oder ein Styptikum gegeben, hätte 
nicht allein die Blutung wahrscheinlich nicht gestanden, sondern 
es wäre vielleicht zum Abortus gekommen. 

Anamnestisch ist zu erheben, wie die früheren Blutungen 
waren, ob nicht eine schwächer war oder ganz ausgeblipben 
ist, ob nicht außerhalb der Zeit auch Blutungen oder fleisch- 
wasseravtiger Ausfluß aufgetreten sind. Alter der Patientin. 
Sonstige Krankheitsymptome. Bei der Untersuchung bestimme 
man zunächst den Ort der Blutung. Ein nicht zu seltener Fall 
ist folgender: Junge Frau, seit 14 Tagen verheiratet,, klagt 
über sehr starke Periode, die verfrüht eingetreten ist. Sie ver¬ 
weigert aus Schamgefühl die Untersuchung, und auch der Mann 
meint, ich solle nur etwas aufschreiben. Ich beharre auf der 
Untersuchung und finde einen tiefen Hymenairiß, der bis in 
die Vulva reicht. Auf Naht steht die Blutung. Man besichtige 
daher die Klitorisgegend, das Hymen und den .Muttermund. 
Bei Verdacht auf Karzinom Ausschabung oder Exzision eines 
Stückchens der Muttermundslippe. 

I. Allgemeinerkrankungen: Herz-, Lungen-, Leber-, Nieren-, 
Blutgefäßkrankheiten und Fettsucht können die Ursache sein 
und sind entsprechend zu behandeln. Bei Herzkrankheiten 
kann eine Digitalislösung die Blutung rasch zum Stehen 
bringen. Besteht Lungentuberkulose, so ist vor allem der All¬ 
gemeinzustand zu heben und ein Guajakol- oder Kreosotprä¬ 
parat zu verabreichen. Hier umgehe man, wenn nur irgend 
möglich, jede Lokalbehandlung, vor allem die Auskratzung. 
Arteriosklerose ist nicht selten die Ursache der Blutung. Auch 
hier leistet die Auskratzung sehr wenig, und kommt^ es < vor 
allem darauf an, der Arteriosklerose entgegenzuarbeiten; durch 


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Darreichung von Antisklerosintabletten oder Diabeteserin. Die 
Blutstillung für den Moment versuche man hier durch die 
unten angegebenen Spülungen (nur lau) und Tamponade zu er« 
reichen. VonStyptizis kommt hier nur Hydrastis in schwachen 
Dosen (dreimal täglich 10 Tropfen), niemals Ergotin, am besten 
Hämostan (dreimal täglich zwei Tabletten) in Betracht. Selbst¬ 
verständlich strenges Regime. Anämie und Chlorose. sind zu¬ 
meist nicht die Ursachen, sondern die Folgezustände, die letztere 
vor allem der Begleitzustand einer Veränderung der Ovarial- 
sekretion. Es hat daher die Eisenbehandlung nur einen ge¬ 
ringen Wert. Man hebe den Allgemeinzustand. Ein Schul¬ 
beispiel wäre folgender Fall: 22jährige Virgo klagt über 
rechtsseitigen Kopfschmerz, häufiges Erbrechen, etwas ge¬ 
minderte Gedächtniskrait. Die Periode setzte mit zwölf Jahren 
ein, ist sehr stark und dauert durch acht Tage. Zeichen einer 
mäßigen Hysterie. Der Uterus erweist sich eher etwas kleiner 
als normal. Starke Anämie. Styptizin war hin und wieder 
ohne Erfolg verwandt worden. Blaudsche Pillen in großer 
Menge vertilgt. Diagnose: Hypersekretion der Ovarien mit 
Metrorrhagien, konsekutive Anämie. Ich ließ bereits acht Tage 
vor Beginn der Menstruation Hydrastis nehmen, das aber er¬ 
brochen wurde. Hämostan wurde gut vertragen, dreimal täg¬ 
lich eine Tablette, drei Tage vor der Periode dreimal täglich 
zwei Tabletten, ab dritten Tag drei Tabletten täglich. Gleich¬ 
zeitig wurde Eisensomatose genommen. Kräftige Ernährung. 
Die Dauer der Blutungen wurde kürzer, die nervösen Er¬ 
scheinungen verloren sich völlig. 

II. Chronische Vergütungen mit Kaffee, Tee, Alkohol etc. 
Verbot dieser Genußmittel. 

III. Sportliche Uebertreibungen, Koitus interruptus, Onanie, 
Verkehr mit impotentem Manne sind weitere Ursachen, denen 
nach Möglichkeit entgegengearbeitet werden muß. 

IV. Ursachen am Genitale: Erkrankungen der Ovarien 
bezw. Alteration der ovariellen Sekretion. Hier ist unter Um¬ 
ständen, welche auch sonst die Exstirpation der Ovarien recht- 
fertigen, diese vorzunehmen, oder man verordne Schilddrüsen¬ 
tabletten. Bei vielen dieser Patienten ist die Veränderung der 
Ovarien keine solche, daß die Heiausnahme derselben notwendig 
wäre. Man wird es also zunächst mit Schilddrüsentherapie, 
lokaler Therapie entsprechend der Erkrankung der Adnexe, 
und mit symptomatischer Therapie, also Hämostan oder Ergotin 
per Klysma (je nach der Schwere der Blutung) versuchen. Die 
Exstirpation ist das Ultimum refugium. Chronische Entzün¬ 
dungen der Ovarien gehen oft mit stärkerer Blutung einher. 
Styptika, insbesondere die oben erwähnte prophylaktische 
Darreichung von Hämostan hilft dann so lange, bis durch 
lokale Therapie: Heißluft-Tampontherapie und Massage, event. 
auch Balneotherapie, die Erscheinungen der chronischen Ent¬ 
zündung behoben sind. Myome sind bei stärkeren Blutungen 
zu onukleieren. Nahe dem Klimakterium sucht man durch Spü¬ 
lungen, Styptika, also wieder Hydrastis, Hämostan oder Ergotin 
per Klysma, über den Wechsel hinwegzukommen. Hier wird viel¬ 
leicht die Röntgentherapie an den Ovarien Erfolge einheimsen. 

Besteht Hyperplasia Endometrii, die freilich erst durch die 
Untersuchung der ausgekratzten Massen zu diagnostizieren 
und an und für sich viel seltener ist, als man derzeit annimmt, 
so hilft nur die Auskratzung mit entsprechender Nachbehand¬ 
lung. Bei Blutungen unregelmäßiger Natur, insbesondere nahe, 
kurz vor und nach dem Klimakterium, bei fleischwasser¬ 
artigem Ausfluß, Abmagerung denke man stets an Karzinom 
und nehme eine Auskratzung vor, um sich diesbezüglich Sicher¬ 
heit zu verschaffen. Liegt ein Polyp vor, so ist dieser abzu¬ 
tragen und behufs Vermeidung der Bildung weiterer Polypen 
eine Auskratzung vorzunehmen. Differentialdiagnostisch achte 
man auf Gravidität. 

Symptomatische Behandlung: innerlich gebe man Ergotin 
in Pulver oder Lösungen. 

Rp. Ergotini 5,0, 

Glyzerini 10,0, 

Aquae dest. 85,0, 

Azidi sah 0,1, 

S. 1 Eßlöffel mit 2 Löffel lauen Wassers mittels Ballons in 
den Mastdarm. 


oder: 

Tabl. Hämostani unam fiolam'. 

S. dreimal täglich zwei bis drei Tabletten. 

Ergotin bringt die Blutung rasch zum Stillstand, hat aber ' 
den Nachteil, daß oft eine stärkere Blutung nachfolgt, daß 
daher die Einspritzung wiederholt werden muß, was auf die 
Dauer nicht geht. Von den innerlichen Styptizis bin ich immer 
wieder wie viele Gynäkologen reuig zur Hydrastis zurück¬ 
gekehrt. Vor den anderen Mitteln hat es den Vorteil, daß es 
nicht zu oft sehr schmerzhaften Uteruskontraktionen führt. Auf 
diese Kontraktion folgt dann eine längere Erschlaffungspause, 
die mitunter zu stärkeren Blutungen Anlaß gibt. Ich mußte 
daher oft von diesen Mitteln zu Hydrastis bezw. Hämostan 
übergehen. Hydrastis hat den Nachteil des unangenehmen Ge¬ 
schmackes und daß es leicht schimmelt. Ich verordne' daher 
in den letzten Jahren fast ausschließlich Hämostan mit recht 
gutem Erfolge. Es enthält nebst Hydrastis, Extr. gossypii 
spissi, das eine mäßig kontrahierende, aber nachhaltige Wirkung 
(Levin) hat, ferner Extr. Hamamel virg., das nach Trovati den 
Blutstrom in gleichem Maße verlangsamt wie Ergotin, schlie߬ 
lich Chinin, dessen wehenerregende Wirkung wir aus der Ge¬ 
burtshilfe kennen. Die Zusammensetzung muß daher als eine 
recht glückliche angesehen werden, und die Patienten klagten 
über keinerlei unangenehme Nachwirkungen. Besonders in 
der oben angegebenen Form der prophylaktischen Einnahme 
hat es mir bei allen Formen von Metrorrhagie güte Dienste 
geleistet, da es keine schmerzhaften Krämpfe erzeugte. Als 
Kontraindikation sehe ich nur Herzkrankheiten und Arterio¬ 
sklerose an. Das gilt für alle Styptika. Nur bei letzterer kann 
man um die Styptika oft nicht herumkommen; doch würde ich 
auch hier die kaum wehenerregende Hydrastis resp. das Hä¬ 
mostan empfehlen. 

Auch heiße Scheidenspülungen und rektale. Eingießungen 
mit 1 / 2 bis 1 1 Milch (mehrmals in kurzer Zeit wiederholt) oder 
Eingießungen von 48 0 C heißen Wassers mit 2 g Chlorkalzium 
bringen die Blutung oft zum Stehen. Lagerung auf heiße Sand¬ 
säcke leistet auch Gutes. Wiederholt sich die Blutung oder 
kann die Blutung so nicht zum Stehen gebracht werden, dann 
lege man entweder einen sterilisierten Laminariastift ein und 
tamponiere hierauf mit 0,6proz. Adrenalingaze, die man nach 
drei Minuten entfernt, oder schreite gleich zur Auskratzung. 
Die Anwendung innerer und lokaler Mittel oder die Aus¬ 
kratzung ist vorzuziehen, je> nachdem eine Hyperplasie des 
Endometriums vermutet wird oder nicht. Hilft auch die Aus¬ 
kratzung nicht, dann empfehlen manche Autoren die Vapori¬ 
sation, insbesondere die Kombination von Vaporisation nach 
einer einige Tage vorangegangenen Auskratzung, doch hat diese 
Methode viele Gegner. In solchen Fällen bleibt mitunter 
nichts anderes als die Exstirpation der Ovarien oder des Uterus 
übrig. Hier dürfte sich in kurzer Zeit die Röntgenbestrahlung 
der Ovarien einen hervorragenden Platz in der Therapie sichern. 
Ja sie dürfte sogar die Auskratzung verdrängen. 

Beachtenswert ist die Metrorrhagie bei Retroflexio uteri. 
Wird man zur Blutung geholt, so sind vorerst heiße Spülungen, 
eventuelle Tamponade, Hämostan oder Ergotin angezeigt. Nach 
Beendigung der Blutung richte man den Uterus auf und lege 
ein Pessar ein. Oft ist aber noch eine Auskratzung notwendig, 
der man zweckentsprechenderweise die Vaginaefixation an¬ 
schließt. Aber nicht jede Blutung bei Retroflexio ist durch 
diese bedingt, wie folgender Fall lehrt. Bei einer 21jährigen 
Virgo bestanden starke Metrorrhagien, weshalb bereits alle 
möglichen Styptika nutzlos verwandt wurden. Ich verordnete 
zunächst Hämostan und Milcheinläufe, worauf die Blutung zum 
Stehen kam. Zur von mir empfohlenen Operation konnte sich 
die Patientin wegen ihrer Virginität nicht entschließen. Sie 
gebrauchte fernerhin prophylaktisch Hämostan und nach einem 
halben Jahr konnte sie auch dieses entbehren. Ob es nicht 
auch atonische Uteri gibt, die erst durch methodischen Ge¬ 
brauch von Styptika sich kontrahieren lernen, wie Darmparesen 
durch methodisch durchgeführte Einläufe dauernd beseitigt 
werden ? 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


243 


REFERATE. 



Chirurgie. 

Referent: Spezialarzt Dr. Heinrich Landau, Berlin. 

1. Chirurgische Syphilis. Eine poliklinische Studie aus dem 
jüdischen Krankenhaus in Berlin. Von F. Karewski. Berl. klin. 
Wochenschr., 1908, Nr. 5. 

2. Experimentelle Beiträge zur Erklärung der Wirkungs¬ 
weise der Bierschen Stauung. «Von Erwin v. Graff. Münch, 
nied. Wochenschr., 1908, Nr. 6. 

3. Heber die Bedeutung der Wassermannschen Syphilis¬ 
reaktion für die chirurgische Differentialdiagnose. Von P. 
Karewski. Berl. klin. Wochenschr., 1908, Nr. 1. 

4. Einwirkung der Tropakokain-Lumbalanästhesie auf die 
Nieren. VonJIartleib. Münch, med. Wochenschr., 1908, Nr. 5. 

i 

5. Bakterienbefund und klinisches Bild bei der akuten 
Wurmfortsatzentzündung. Von M. Cohn. Arch. f. klin. Chir., 
Bd. 85, H. 3. 

6. Heber den Einfluß der Saugbehandlung auf lokale Ent¬ 
zündungsherde. Von P. P r a n g e n h e im. Ibidem. 

7. Die Kadikaloperation der Heberhernien mit Hilfe syste¬ 
matischer Dehnung der Bauchdecken. Von Johannes Hahn. 
Ibidem. 

8. Zur operativen Behandlung des perforierten Magen¬ 
geschwürs. Von v. Khautz jun. Ibidem. 

9. Heber die experimentelle Pankreasnekrose und die 
Todesursache bei akuten Pankreaserkrankungen. Von N. Guleke. 
Arch. f. klin. Chir., Bd. 85, H. 3. 

10. Die Behandlung von Knochenbrüchen. Von A. Tietze. 
Zeitschr. f. ärztl. Fortbildung, 1908, Nr. 4. 

11. Ueber die Behandlung der chronischen Dnterschenkel- 
geschwüre. Von H. Hecker. Straßburger med. Zeitg., 1908, 
Heft 2. 

12. Anhaltender Schmerz als Indikation zur Freundschen 
Rippenknorpelresektion. Von CarlBayer. Prager med. Wochen¬ 
schrift, 1908, Nr. 7. 

13. Heber operative Behandlung der Ankylosis mandibulae 
vera. Von M. Fabrikant. Russ. med. Rundschau, 1908, Nr. 1. 

1. Syphilis liegt chirurgischen Erkrankungen viel häufiger zu¬ 
grunde, als gewöhnlich angenommen und erkannt wird. Vor¬ 
geschichte und Heredität lassen sehr häufig im Stiche; mehr An¬ 
haltspunkte gibt oft unerwarteter Weise die genaue Untersuchung 
des entkleideten Körpers; sie deckt vereinzelte Papeln („Pickel“), 
Rupiaflecke („Kratzwunden“), zerfallene Gummata(„Blutgeschwüre“), 
Tophi, vor allem aber Narben von typischer Form, Farbe und 
typischem Sitz auf und erhebt damit den Verdacht zur Gewißheit. 
Ein wertvolles Hilfsmittel bei ganz zweifelhaften Fällen stellt 
die Wasser mann sehe Serodiagnostik der Lues dar, die bei 
positivem Ausfall für vorhandene oder überstandene Syphilis, nicht 
aber für Namen und Art des gerade vorliegenden Krankheits¬ 
bildes beweisend ist. 

Häufig verkannt wird das luetische Ulkus kruris, das durch 
livide, unterminierte Ränder und speckigen Grund ausgezeichnet 
ist, sich aber besonders durch seine Multiplizität und seinen Sitz 
an der H inter fläche des Unterschenkels, namentlich an der Wade, 
verrät. Eine spezifische Behandlung wirkt hier nach langen 
vergeblichen Heilversuchen oft Wunder. Neben den^ luetischen 
Affektionen des zweiten und dritten Stadiums an den Körper- 
öffhungen, After, Scheide, Mund, an der Zunge und in der Mund¬ 


höhle sind es ganz besonders die Gummata in Muskeln und Knochen, 
die zu folgenschweren Verwechslungen Anlaß geben können, 
Wenn auch der Sitz, der frühe Durchbruch, die eigentümliche 
Infiltration und last not least das sehr oft entscheidende Röntgen¬ 
bild sie bei sorgfältiger Beobachtung gut charakterisieren, wie K. 
an Hand einschlägiger Fälle und vorzüglich wiedergegebener 
Röntgenbilder ausführt, so bleiben genug Fälle übrig, wo die 
Aehnlichkeit mit Knochentumoren, mit Osteomyelitis, mit tuber¬ 
kulöser Karies und Arthritis eine sehr große ist. Die chirur¬ 
gische Syphilis hat aber nicht nur diagnostische Bedeutung; alle 
diese Leiden erfordern neben der Allgemeinbehandlung eine ratio¬ 
nelle chirurgische Versorgung; wenn das von den Geschwüren, 
von den Gummen, besonders denen an Hoden und Nebenhoden gilt, 
die, wenn verkäst, exstirpiert werden müssen, so hat es die aller¬ 
größte Bedeutung bei der Knochen- und Gelenksyphilis, wo neben 
den entsprechenden Kuren alle Hilfsmittel chirurgischer Technik 
herangezogen werden müssen, um auch einen funktionell günstigen 
Erfolg zu erreichen. Das. luetisch erkrankte Gelenk muß zur Ver¬ 
hütung paraartikulären Durchbruchs ruhiggestellt,^ der durch Gummi 
frakturierte Knochen in Gips gelegt, Sequester operativ entfernt 
werden. Denn zujsolchen^EinocheneiterungenJ können sich sonst 
septische Vorgänge gesellen, neben deren Schwere die ursprüng¬ 
liche Erkrankung Jganz^zurücktritt._^K. (sah zwei ^Kranke an Py- 
aemie nach Oberkiefernekrose sterben. Handelt es sich um Tumor¬ 
verdacht, so ist zunächst die Luesdiagnose ev. mit Hilfe der Kom¬ 
plementbindung sicherzustellen; bei / der Kur darf nicht ver¬ 
gessen werden, daß Jod und Quecksilber manchmal versagen, wo 
Schwitzkuren helfen, und daß in anderen Fällen wieder Arsen am 
Platze ist; kann aber der lokale Prozeß durch eine nicht allzu 
verstümmelnde Operation beherrscht werden, so soll man den gleich¬ 
zeitigen Eingriff nicht scheuen. 

Der reiche Inhalt der in der Festschrift für J. Israel er¬ 
schienenen glänzend geschriebenen Studie kann hier nur ange¬ 
deutet werden; a sie sei gerade dem praktischen Arzt, dem sie 
sein tägliches Material z. T. in neuer Beleuchtung zeigt, angelegent¬ 
lich empfohlen! 

2. Graffs Versuche zeigen, daß die Wirkung der Bierschen 
Stauung weder eine rein humoralbakterizide noch, wie Bier 
selbst annimmt,‘ eine direkt • entgiftende ist. Den bekannten 
Strychninversuch (eine sonst tödliche Dosis wird, in ein gestautes 
Glied eingespritzt, vertragen) hat Graff mit Tetanus- und Diph¬ 
therietoxin wiederholt; die Erscheinungen wurden durch die Stau¬ 
ung etwas hinausgeschoben, aber der Tod in keinem Falle ver¬ 
hindert. Die Stauung wirkt also hier lediglich als resorptions¬ 
hemmendes'Moment. Hingegen zeigte das „aktive Oedem“ in 
ganz hervorragendem Maße die Eigenschaft, die Phagozytose zu 
befördern. — Sehr bemerkenswert ist-es, daß auch in^ G.s Ver¬ 
suchen die Streptokokken der Stauungswirkung gegenüber viel wider¬ 
standsfähiger waren als Staphylokokken. Diese zuerst von Lexer 
her vor gehobene Tatsache ist jetzt von so vielen Seiten bestätigt 
worden, daß eine Behandlung nach Bier bei nachgewiesener 
Streptokokken - Erkrankung von vornherein nicht angezeigt er¬ 
scheint. 

3. In 28 chirurgischen Fällen mit teils sicherer, teils ver¬ 
muteter Syphilis hat Karewski die Wassermannsche Reaktion 
zur Klärung der Diagnose herangezogen. Sie hat sich gerade bei 
schwerwiegenden Entscheidungen (Tumor oder Gummi und dergl.) 
in dem Sinne vollständigUoewährt, als ihr positiver Ausfall schnell 
und unbedingt zuverlässig anzeigt, ob Syphilis vorhanden oder 
überstanden ist; negativer Ausfall ist zwar an sich nicht beweis¬ 
kräftig, fordert *aber bei zweifelhafter Entscheidung immer dazu 
auf, die verdächtige Erkrankung anders als mit Lues zu erklären. 
Es muß immer wieder betont werden, daß eine positive Reaktion 
nicht notwendig durch das gerade vorliegende Krankheitsbild be¬ 
dingt zu sein braucht; sie zeigt eben nur an, daß Lues, vielleicht 
angeboren oder vor Jahrzehuten erworben, überhaupt ein m al vor¬ 
handen war. 

Von den 28 untersuchten Fällen waren 18 positiv; dieser 
Ausfall entschied bei Zungen- und Kreuzbeintumoren, bei allge¬ 
meinen imd umschriebenen Knocheneiterungen, bei Knochenge- 


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244 


schwülsten, die alle zweifelhaft waren, die Diagnose nnd ermög¬ 
lichte rasches Heilen durch Jod- oder Quecksilberbehandlung. 
Man wird in der Tat in derartigen Fällen nicht mehr auf den 
Erfolg einer „diagnostischen 14 Kur warten, sondern 5 fc sofort zur 
Wasser mann sehen Reaktionäreme Zuflucht nehmenj; eine Me¬ 
thode, die bis heute freilich, wie K. angesichts der Versuche zur 
Vereinfachung der Methode nicht ohne Ursache hervorhebt, einwand¬ 
frei nur in Instituten mit_ allen Hilfsmitteln moderner Biologie 
an gewendet werden kann. 

4. Während laut einer Arbeit aus dem Moabiter Krankenhaus 
Berlin, die s. Z. viel Aufsehen erregte, nach Rückenmarks-An¬ 
ästhesie mit Stovain-Adrenalin 78% der vorher ganz nierengesunden 
Operierten Nephritis bekamen, konnte H. bei einer Reihe von 20 
Fallen mit Tropakokain nur einmal Erscheinungen von Nierener¬ 
krankung feststellen, die 18 Tage nach dem Lumbalstich auf traten, 
um bald wieder zu verschwinden. Das Tropakokain, das allmäh¬ 
lich die übrigen Mittel zu verdrängen scheint, ist also auch in 
dieser Hinsicht vorzuziehen. Man kann im Sinne neuerer For¬ 
schungen daran denken, daß das Fehlen von Adrenalin (die üblichen 
Phiolen enthalten nur Tropakokain) die unerwünschte Neben¬ 
wirkung fernhält. 

5. Im Gegensatz zu früheren Arbeiten kommt Cohns Studie 
aus der Abteilung von Körte-Berlin zu dem Ergebnis, daß den 
einzelnen Bakterien als Erreger der Appendizitis durchaus keine 
verschiedenen klinisch bestimmbaren Krankheitsbilder entsprechen; 
besonders zeigt sich die sehr häufige Koli-Appendizitis gerade 
klinisch außerordentlich mannigfaltig. Ihre Prognose ist bei dif¬ 
fuser Peritonitis ungünstiger, als wenn es sich unter gleichen 
Umständen um Mischinfektion mit Koli-Bazillen und Streptokokken 
handelt. Reine Streptokokkenerkrankung scheint bei uns seiten 
zu sein. 

6. Frangenheim beobachtete bei einer Reihe von experi¬ 
mentell hervorgerufenen geschlossenen Abszessen bei Kaninchen, 
von denen je zwei entsprechende oder symmetrische mit und ohne 
Saugung behandelt wurden, eine im klinischen Sinne entschieden 
ungünstige Wirkung dieser Behandlung. „Auf der gesaugten 
Seite wuchsen die Abszesse fast ins Ungemessene, auf der unge¬ 
nausten verkleinerten sie sich sichtlich mit jedem Tage.“ In den 
gesaugten Abszessen waren die Bakterien der eingespritzten Kultur 
immer nachzuweisen, selbst in einem Falle, wo sechs Wochen ge¬ 
saugt worden war: sie waren lebenskräftig und vollgiftig geblieben. 
— Die geschlossene Saugung, bei der keine mechanische Weg¬ 
spülung von Eiter und Toxinen möglich ist, bewirkt nur ausge¬ 
dehntere Gewebseinschmelzung; sie kann also bei beginnenden 
Entzündungen eine örtliche Verschlimmerung herbeiführen, die bei 
früher Inzision, gleichgiltig ob man dann Saugung anschließt 
oder nach B er gm an n_ von vornherein breit spaltet, nicht zu 
furchten ist. 

7. Große irreponible Hernien haben auch nach operativ ge¬ 
lungener Reposition und sonst glattem Verlaufe eine sehr hohe 
Mortalität, die durch das Mißverhältnis der zurückgeschobenen 
Eingeweide zum Rauminhalt der Bauchhöhle bedingt ist; neben 
Darmlähmung und Herztod spielt dabei Atmungsbehinderung 
durch Hochdrängen des Zwerchfells die Hauptrolle. Hahn kommt 
dieser Gefahr dadurch zuvor, daß er der Radikaloperation solcher 
„Ueberhernien 44 eine Vorbereitungszeit voranschickt, während deren 
durch planmäßige, zunächst teilweise, dann immer weiter getriebene 
Reposition den Eingeweiden „ihr verlorenes Heimatrecht in der 
Bauchhöhle wieder erobert wird“. Jede gewonnene Etappe wird 
durch feste Verbände, oft mit eingelegter Pelotte, für einige Tage 
festgelegt, während deren die Bauchhöhle, gegen allmähliche Er¬ 
weiterung (Aszites!) sehr tolerant, sich dem neuen Inhalt anpaßt. 
Manchmal^' nötigt das zuerst eintretende Gefühl von Beengung und 
Atemnot 'dazu, den Verband zu fenstern oder früher zu entfernen, 
doch gelangt H. in der Regel zu dem Ziel, den ganzen Bruch 
ohne Beschwerden dauernd in"der Bauchhöhle zurückzuhalten und 
so durch ^ langsame systematische Dehnung die Bauchhöhle ihrem 
natürlichen Inhalt wieder anzupassen. Gelingt aber die Reposition 
von vornherein gar nicht, so legt H. folgerichtig den Bruchring 
frei ? erweitert ihn durch Einschnitt, spaltet sogar, wenn nötig, 


selbst den verwachsenen Bruchsackhals, um ihn dann, nach Lösung 
der Verwachsungen vorläufig wieder zu schließen. Genaue Haut¬ 
naht beendet diese kleine Voroperation, nach der die systematische 
Dehnung der Bauchdecken wieder aufgenommen wird und nun 
keinem Hindernis mehr begegnet. — Es unterliegt keinem Zweifel, 
wi© auch die von H. mitgeteilten Fälle beweisen, daß diese Vor¬ 
behandlung die große Gefahr der postoperativen Atmungsbehinde¬ 
rung mit ihren verhängnisvollen Folgen auf einfachem Wege be¬ 
seitigt. 

8. Die elf Fälle von durchgebrochenem und operiertem Magen¬ 
geschwür reden eine eindringliche Sprache zugunsten der Früh¬ 
operation : von den fünf in ersten zwölf Stunden Operierten starben 
drei (und zwar unter dem Einfluß von Lungenkomplikationen), ge¬ 
heilt wurden zwei. Auch ein nach 18 Stunden Operierter wurde 
geheilt; von fünf nach zwei Tagen Operierten starbendagegen 
alle. Der Versorgung des Geschwürs kann zur sofortigen besseren 
Ernährung die Jejunostomie angeschlossen werden, die kürzer und 
weniger eingreifend ist als die Gastroenterostomie. Am einfachsten 
ist es, nach Hochenegg, bei geeignetem Sitz des Geschwürs ein 
entsprechend dickes Drainrohr durch das Loch in den Magen und 
durch den Pylorus bis ins Duodenum zu schieben; das Drain tam¬ 
poniert die Perforation und dient zugleich der Ernährung. — von 
Khautzens Ergebnisse sind um so beachtenswerter, als seine 
Kranken in der Mehrzahl über 50 Jahre, z. T. sehr gebrechlich 
waren und vor allem spät 'eingeliefert wurden; „verbessernd auf 
die Resultate einzuwirken, sind in erster Linie die praktischen 
Aerzte berufen. 44 

9. Bei der akuten Pankreaserkrankung mit ausgedehnter 
Nekrose ist es die massenhafte Toxinresorption, die den Tod her¬ 
beiführt und die auch durch breite Spaltung und Drainage der 
Drüse nicht verhindert werden kann. In den leichteren Fällen 
vermag der Organismus mit der geringen Menge von Toxinen 
fertig zu werden; aber auch bei ihnen kann Ableitung der toxin¬ 
haltigen Sekrete durch Spaltung und Tamponade angezeigt sein. 
Die Tamponade muß das Pankreas möglichst genau gegen die 
Bauchhöhle abschließen; bloße Inzision der Bauchhöhle und Ab¬ 
lassen des Exsudats ist meist zwecklos. Schwere und leichte Fälle 
sind klinisch nicht zu unterscheiden, der Kollaps ist eine Wirkung 
der Toxine; die Anzeige zur Operation ist also meist gegeben, und 
die Anzahl glücklich operierter Fälle wächst andauernd. 

10. Die operative Behandlung von Knochenbrüchen hat sieh 
über die Brüche von Patella, Olekranon und schwerere Ge¬ 
lenkbrüche im Ellbogen gelenk hinaus noch keine weiteren Gebiete 
zu erobern vermocht. Auch die Behandlung mit Massage hat die 
früheren Verfahren nicht verdrängt; ihr Nachteil ist die allzu 
starke Kallusbildung, die namentlich in der Nähe von Gelenken 
stören kann. Für die Unterschenkelbrüche ist der alte Gipsver- 
band noch immer das Beste; sonst gibt die Extensionsbehandlung 
die besten Ergebnisse. Sie macht freilich sehr oft, wenn auch 
nicht so häufig, wie Bardenheuer es will, Narkose, stete Röntgen¬ 
kontrolle und damit Krankenhausaufenthalt erforderlich, leistet aber 
auch dem Praktiker, der sich in ihren Geist eingelebt hat, Vor¬ 
zügliches. Die Bardenheuersche Bruchschiene kann, wie T. mit 
Recht hervorhebt, durch Improvisationen ersetzt werden, für den 
gebrochenen Humerus durch den Middeldorpfsehen Triangel, 
für Unterarm-, Finger- und Handbrüche durch Heftpflaster-Schienen- 
Verbindungen, deren Erfindung sich dem einzelnen Fall anpassen 
muß. So wichtig die Röntgenaufnahme des Knochenbruchs vor 
und nach der Behandlung nicht nur für den Kranken, sondern in 
verschiedener Hinsicht auch für den Arzt ist, so muß doch betont 
werden, daß anatomische Heilung durchaus nicht gute Funktion 
garantiert und umgekehrt; eine bekannte Tatsache, die von der 
allergrößten praktischen Wichtigkeit ist und durch die neueren 
Untersuchungen (Fritz König) über spätere Veränderungen de¬ 
form geheilter Brüche, namentlich bei Kindern, von neuem be¬ 
stätigt wird. — Brüche an den Gesichtsknochen (Nase, Kiefer) 
erfordern manchmal besondere Apparate, um die zurechtgerückten 
Bruchstücke (Narkose bei schweren Fällen!) in ihrer Lage zu er¬ 
halten; die Hilfe eines geschickten Zahnarztes kann hier will¬ 
kommen sein. 


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TÖSRAPEDTlSCHE rünbscöaü. 


245 


11 / Hecker empfiehlt zur Behandlung aller Unterschenkelge- 
schwüre den von den. Zehen bis zum Knie reichenden Zinkleim- 
verband .mit Bedeckung des Geschwürs selber mit Airolpulver. 
Bef. möchte unter Bestätigung der guten Ergebnisse des Ver¬ 
fahrens noch hevvorheben, daß die umständliche Herstellung des 
Zinkleims (Glyzerini, Aquae ana 40,0, Gelatinae diss. 10, adde 
coquendo Zinc. oxyd. 10,0) durch Bezug des fertigen Materials in 

' praktischen Blechdosen (Beiersdorf-Altona) wegfällt, und daß man 
die Stärkegazebinden, statt sie naß auf den zinkleimbepinselten 
Unterschenkel zu bringen, in der heißen Zinkleimdose selber sich 
voll Zinkleim saugen läßt und dann auf das trockene, an Zehen¬ 
wurzel, Fußgelenk und unterer Kniegrenze mit Wattekranz ge¬ 
schützte Bein wickelt. "Vorher muß das Bein abgeschwollen und 
gut gereinigt sein; der Verband wird im Liegen angelegt. Genaue 
Anlegung,— H. verwendet zur Vermeidung von Falten doppelköpfige 
Binden — ist Voraussetzung des Gelingens; der Verband kann 
dann drei Wochen, nach Heilung des Geschwürs zur Schonung 
des Beins bis sechs Wochen liegen bleiben und wird vorzüglich 
vertragen. 

12. Der erste Fall, in dem die Freund’sche Operation — 
Entfernung der Knorpel der ersten (hier 2.—4.) Hippen — nicht 
zur Mobilisation der Thorax bei Lungenerkrankung, sondern wegen 
Schmerzen in Arm- und Brustmuskeln vorgenommen wurde, die 
zugleich mit einer deutlichen Vorwölbung der rechten oberen 
vorderen Thoraxpartie bei einem sonst ganz gesunden jungen Mädchen 
auftraten. Schon bei der Operation erwies sich der Knorpel ver¬ 
ändert, trüb, stellenweise zystisch, die mikroskopische Unter¬ 
suchung zeigte überall zentrale Erweichung der Grundsubstanz 
bis zur Verflüssigung, gequollene Knorpelkapseln, Zellver¬ 
mehrung. Der Eingriff hatte vollen Erfolg; Verbildung des 
Brustkorbes und Schmerzen waren beseitigt. 

13. Die ideale Operation der wahren — knöchernen — Kiefer- 
Klemme, die ßesektion des Gelenkköpfchens, ist oft mit unüber¬ 
windlichen Schwierigkeiten verbunden. Von den vielen vorge¬ 
schlagenen Verfahren ist das beste das Bo che t-Schmidt sehe: 
aus dem aufsteigenden Aste des Unterkiefers, möglichst nahe dem 
Gelenkköpfchen, wird ein zentimeterbreites Stück weggemeißelt und 
ein Muskellappen, gewöhnlich der Masseter, in die neugebildete 
Gelenkspalte hineingeschlagen, um ihre Verwachsung zu verhüten. 

• Man opfert dabei von der Kaumuskulatur nur die Funktion des 
Pterygoideus externus und des Temporalis; den Masseter konnte 
Fabrikant in eineuTeigenen, sehr erfolgreich operierten^Falle da¬ 
durch erhalten, daß er diesen Muskel in eine äußere und eine innere 
Platte teilte, von denen die innere zur Plastik verwandt wurde, 
während die äußere nach wie vor arbeiten konnte. 


Kinderheilkunde. 

Referent: Privatdozent Dr. J. Ibrahim, München. 

1. Die Behandlung der Rachitis. Von F. Sieg ert. Deutsche 
ined. Wochenschr., 1908, S. 449. 

2. Untersuchungen über die Pepsinsekretion des gesunden 
und kranken Säuglings. Von J. Bosenstern. Berl. kliu. Wochen¬ 
schrift, 1908, S. 542. 

3. Zur Frage der Beurteilung und Therapie der chroni¬ 
schen Albuminurien im Kindesalter. Von L. Langstein. Therap. 
Monatshefte, 1908, März. 

1 . Siegert stellt| bekanntlich hereditäre Veranlagung als 
Ursache der Bachitis in den Vordergrund; als weitere ätiologische 
Faktoren betrachtet er nicht nur, wie kürzlich von Esser be¬ 
hauptet wurde,{ Ueberfütterung,“sondern alle Erkrankungen, die 
wim Verlust der normalen Blutbildung, des normalen Hämoglobin¬ 
gehaltes, des normalen Gewebsdruckes führen, vor allem länger¬ 
dauernde Störungen der Atmungsorgane, ferner ohne wesentliche 
Ernährungsstörung einhergehende Infektionen, sowie Tuberkulose 
und Syphilis. — Er unterscheidet eine hyperplastische leukozyto- 
tische Form mit mächtigem Bosenkranz und dicken Epiphysen¬ 
auftreibungen (meist im Zusammenhang mit Ueberfütterung) und 
eine osteoporotische oft von Leukopenie begleitete Form, die ohne 
Auftreibung der Epiphysen, fast ohne Bosenkranz, dagegen mit 
Kraniotabes verläuft, bei Unterernährung und Atrophie vorkommt 


und oft nicht richtig gewürdigt wird. — Schlechte, an Sonne 
und Wärme, Luft und Licht arme Wohnungen erleichtern den 
genannten Ursachen ihre Wirkung. 

Die Prophylaxe ist bei der Bachitis von besonderer Bedeu¬ 
tung, besonders wenn hereditäre Veranlagung bekannt ist. Luft, 
Licht, natürliche Ernährung, Vermeidung der Ueberfütterung bei 
der natürlichen wie bei der künstlichen Ernährung, frühzeitiger 
Uebergang zu gemischter Kost und Einschränkung der animalen 
Kost zugunsten der vegetabilischen, das sind die Leitlinien, 
nach denen zu verfahren ist. Wie das Begime im einzelnen ge¬ 
staltet werden soll, wird in dem lehrreichen und vielseitigen Auf¬ 
satz des näheren erörtert. Es sei einiges genauer mitgeteilt. Bei 
der Ueberfütterung scheint speziell der Fettgehalt der Nahrung 
die Causa peccans zu sein. Es ist also neben der knappen Be¬ 
messung der künstlichen Nahrung, wo solche unvermeidlich ist 
(Energiequotient von 80 bis 90 Kal.), eventuell Abrahmung der 
Milch oder besser Verdünnung unter Zusatz nicht zu reichlichen 
Kohlehydrats (speziell Beis- oder Weizenmehls) anzuraten. Obsti¬ 
pation ist stets zu bekämpfen und zwar lediglich durch Diät und 
Bauchmassage. — Schon im achten Monat, auch gelegentlich 
früher, kann dünne Suppe gereicht und der Uebergang zur ge¬ 
mischten Kost bewerkstelligt werden (etwas Brei aus Kartoffel 
und Gemüse oder Kompott, Saft aus rohen Früchten: Aepfel, 
Birnen, Kirschen, Orangen, Trauben). 

Die Behandlung der bestehenden Bachitis richtet sich nach 
den gleichen Grundsätzen. Besonders wichtig ist auch die Diätetik 
des zweiten Lebensjahres. Es muß unter allen Umständen die 
Milchflasche durch Becher oder Tasse ersetzt werden, damit die 
Mahlzeiten langsamer aufgenommen werden. Oft lehnen die 
Bachitiker jede feste, selbst breiige Nahrung ab. Siegert 
glaubt den Grund hierfür allein in der Hypertrophie der Tonsillen 
zu finden, die in solchen Fällen entfernt werden müssen. Ist 
dann die Ernährung mit gemischter Kost gewährleistet, so gilt 
beim älteren Bachitiker das Prinzip: Milch nicht über 3 A 1, Eier 
nur, soweit sie zur Herstellung der Nahrung unentbehrlich sind, 
kein oder fast kein Fleisch, reichliches Gemüse in jeder Form 
(speziell Salat, in der Suppe gekocht oder als Gemüse, Spargel, 
Spinat), viel Obst in jeder Gestalt, aber ohne viel Zucker, mehr 
grob geschrotetes Brot als Weißbrot oder Brötchen, mehr Mar¬ 
melade als Butter. Licht und Luft, Warme und Sonnenschein 
unterstützen die diätetische Behandlung. Die Kleidung soll ja 
nicht zu warm sein, als Unterkleidung am besten ein weitmaschiges 
Netzjäckchen, das Lager muß hart sein, das Kopfkissen flach. 
Störungen der Atmungsorgane muß vorgebeugt werden, da sie 
beim Bachitiker oft verhängnisvoll werden. Der Hautpflege dienen 
aromatische oder Salzbäder. Eine besondere Beachtung verdient 
die Spasmophilie. Die Heilung liegt im Uebergang auf Brust¬ 
nahrung event. in Beschränkung der Kuhmilch. Wo bereits 
Krämpfe aufgetreten sind, muß sofort eine Darment]eerung mit 
Kalomel oder Rizinusöl herbeigeführt werden, gefolgt von 24 Stunden 
Enthaltungsdiät (Tee, physiologischer Kochsalzlösung). Erst dann 
wird milchfreie Nahrung, Suppen aus Hafermehl. Gries, milchfreie 
Kindermehle, Mondamin verordnet, bei älteren Rachitikern Gemüse¬ 
suppen und Obstsäfte, etwa vier bis fünf Tage. Aber .sofort am 
ersten Tage muß gleichzeitig mit dem Phosphorlebertran (0,01 : 100) 
begonnen werden. Die Rückkehr zur milchhaltigen Nahrung er¬ 
folgt teelöffelweise sehr vorsichtig. Im akuten Anfall kann man 
Chloralhydrat (0,5 als Klistier) oder Brom (0,2 bis 0,3), anfangs 
stündlich, etwa drei Dosen, dann zwei- bis dreistündlich, bei 
heftigen Glottiskrämpfen kalte Uebergießung des Nackens, event. 
künstliche Atmung nicht entbehren. 

In der medikamentösen Behandlung der Rachitis behauptet 
nach wie vor der Phosphorlebertran (0,01:100, zweimal täglich 
5 g) den ersten Bang. Besonderen Wert legt Siegert daneben 
auf die Verabreichung von Hämoglobinpräparaten, während Kalk¬ 
salze in der Milch und der vegetabilischen Nahrung in durchaus 
genügenden Quantitäten vorhanden sind. 

2. Rosenstern hat mit der Jakob y sehen Methode quanti¬ 
tative Pepsinbestimmungen an Säuglingen ausgeführt. Als Probe- 
mahlzeit dienten 50 ccm mit Saccharin versüßten Tees nach vor¬ 
hergehender neunstündiger Nahrungspause. Er kam zu folgenden 
Ergebnissen: 




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246 



THERAPEUTISCHE RtJNDSCHAÜ. 


a) Die Pepsininenge des gesunden, künstlich ernährten Säug¬ 
lings steigt mit zunehmendem Alter etwa bis zum Ablauf des 
ersten Vierteljahres, um von da an eine etwa konstante Größe zu 
bilden. 


wirken. Es sei im übrigen in Ergänzung der Langstein- 
sehen Ausführungen auf die kürzlich ah gleicher Stelle referierten 
Beobachtungen von Je hie über die Pathogenese der orthostati- 
schen Albuminurien verwiesen. 


b) Gesunde Brustkinder scheinen weniger Pepsin zu produ¬ 
zieren als gesunde gleichaltrige, künstlich genährte Säuglinge. 

c) Die älteren untergewichtigen Säuglinge sondern die ihrem 
Alter entsprechende Pepsinmenge ab. 

d) Ernährungsstörungen beeinflussen die Pepsinsekretion nicht 
wesentlich. Nur bei der Dekomposition scheint eine Verminde¬ 
rung der Pepsinmenge vorzukommen. Auf Grund unserer Unter¬ 
suchungen können wir der Anschauung derjenigen Autoren, welche 
dem Fermentmangel eine erhebliche symptomatische Bedeutung 
oder gar eine ätiologische Rolle bei den Verdauungsstörungen zu¬ 
schreiben, wenigstens bezüglich der Pepsinsekretion nicht bei¬ 
pflichten. 

Aus diesen Untersuchungen würde für den Therapeuten die 
Konsequenz zu ziehen sein, daß eine medikamentöse Pepsinzufuhr 
bei Säuglingen überflüssig ist. In der Tat hat Ref. von einer 
solchen nur bei gleichzeitiger Salzsäuredarreichung Nutzen ge¬ 
sehen (z. B. mitunter von der salzsäurehaltigen Grüb 1 ersehen 
Pepsinlösung). 

3. Die Darlegungen Langsteins, der sich wiederholt 
intensiv mit dem Studium der Albuminurien der Kinder be¬ 
schäftigt hat, verdienen in besonderem Maße das Interesse der 
Praktiker. 

Weniger vom therapeutischen als vom prognostischen Stand¬ 
punkt aus ist die wichtigste Frage, wenn man bei Kindern eine 
Albuminurie entdeckt, die, ob chronische Nephritis oder eine 
harmlose orthostatische Albuminurie vorliegt, Zylinder, besonders 
granulierte und Epithelzylinder, die konsequent auch in den eiwei߬ 
freien Urinportionen gesucht werden sollen, müssen stets den 
Verdacht auf Nephritis rege erhalten. Als harmlos dagegen 
kann eine Albuminurie dann gelten, wenn die über ein Jahr 
fortgesetzte Beobachtung folgendes Verhalten erkennen läßt: 

a) Der Nachturin muß beständig eiweißfrei sein. 

b) Der Eiweißgehalt des Tagurins muß Schwankungen auf¬ 
weisen; die absolute Größe der Eiweißausscheidung ist ohne Be¬ 
deutung. 

c) Das Eiweiß muß in seinem überwiegenden Anteil dadurch 
charakterisiert sein, daß es durch Essigsäure in der Kälte ausfäll¬ 
bar ist. Man stellt die Probe in der Weise an, daß man zwei 
Reagenzgläser bis zur gleichen Höhe mit Ham füllt, zu jeder 
Probe einige Tropfen nicht zu stark verdünnter Essigsäure hinzu¬ 
fügt, einige Minuten durchschüttelt und beide Proben mit destillier¬ 
tem Wasser auffüllt. Zu einer derselben werden dann wenige 
Tropfen einer verdünnten Ferrozyankaliumlösung hinzugefügt. Je 
geringer der Unterschied der Trübung in den beiden Gläsern, um 
so wahrscheinlicher ist das Vorliegen einer echten orthotischen 
Albuminurie. 

Um die Diagnose sicher zu stellen, ist es notwendig, den 
Blutdruck zu messen und den Augenhintergrund zu untersuchen. 
Bei der harmlosen Albuminurie findet sich weder Blutdrucksteige¬ 
rung noch Hypertrophie des linken Ventrikels noch Akzentuation 
des zweiten Aortentons. 

Die Prognose der einfachen orthostatischen Albuminurie ist 
absolut günstig, die der chronischen Nephritis im Kindesalter da¬ 
gegen höchst zweifelhaft. 

Die orthotische Albuminurie weist aber oft einen Zusammen¬ 
hang mit latenter Tuberkulose auf; um so wichtiger ist es, die 
Kinder nicht durch eine zwecklose eiweißarme Ernährung, Milch¬ 
überfütterung und langdauernde Bettruhe zu schädigen. Die 
letzteren beiden Gesichtspunkte kommen übrigens auch für die 
chronische Nephritis der Kin der in Betracht. „Kinder mit chroni¬ 
schen Albuminurien sollen nicht anders behandelt und ernährt 
werden wie gesunde Kinder derselben Altersstufen. Lediglich 
vor Erkältungen und Ueberanstrengungen müssen sie geschützt 
werden. Eine mäßige Gymnastik ist jedoch ebenso am Platze 
wie gemischte Ernährung. Medikamentöse Behandlung soll ver¬ 
mieden werden. Auch von einer Kur im heißen trockenen Klima 
wie in Aegypten darf man sich nicht zu viel versprechen.“ 

Nach des Ref. Erfahrungen können klimatische Kuren in 
Aegypten auf chronische Nephritiden der Kinder sehr günstig 


Dermatologie und Syphilidologie. 

Referent: Spezialarzt Dr. Jul. Baum, Berlin. 

1 . Albuminurie bei Krätzekranken. Von Nicolas et Jambom 
Annales de Dermatologie, 1908, Februar. 

2. Bemerkungen über den verschiedenen Einfluß der Eltern 
bei der hereditären Syphilis. Von Carle. Ibidem. 

3. Leichte und schnelle Methode des mikroskopischen Nach¬ 
weises von Quecksilber im Urin. Von Lombardei. Journal of 
cutaneous deseases, 1908, Januar. 

4. Die Heilung der Lepra. Von K. Sakurane. Medizin. 
Klinik, 1908, Nr. 8. 

5. Beitrag zur Abortivbehandlung der Blennorrhoea urethrae. 
Von R egenspur ge r. Ibidem. 

6. Erfolgreiche Abortivbehandlung der Gonorrhöe. Von 
Polland. Wiener klin. Wochenschr., 1908, Nr. 6. 

7. Arhovin als internes Antigonorrhoikum bei der Gonor¬ 
rhöe des Mannes. Von Dreysel. Fortschr. d. Medizin, 1k 1908, 
Nr. 6. 

8 . Ueber eine neue Quecksilberinhalationskur bei Syphilis. 
Von Kromayer. Berl. klin. Wochenschr., 1908, Nr. 8. 

9. Atoxyl bei Syphilis. Von Spiethoff. Deutsche med. 
Wochenschr., 1908, Nr. 6. 

10. Injektion Dr. Hirsch. Von Hirsch. Therap. Neuheiten, 
1908, Januar. 

11. Zur Therapie juckender Dermatosen. Von Weiß. 
Therap. Ratgeber, Beilage z. ärztl. Zentralzeitg., 1908, 8. Febr. 

12. Zur Pyrogallolbehandlung des Lupus vulgaris. Von F. 
Veiel. Berl. klin. Wochenschr., 1908, Nr. 6. 

1. Bei Krätzekranken kommt unabhängig von etwa vor ge¬ 
nommenen therapeutischen Eingriffen eine echte Albuminurie vor, 
die anscheinend mit den Hautläsionen in Zusammenhang steht. 
Sie macht weiter keine Symptome und verschwindet gewöhnlich 
mit dem Verschwinden der Effloreszenzen. Manchmal kommt es 
allerdings zu einer wirklichen Nephritis, welche die Skabies über¬ 
dauert. Ob es sich hierbei um toxische Ursachen oder um reflek¬ 
torische Zirkulationsstörungen der Niere handelt, läßt sich nicht 
entscheiden. 

2. Carle referiert über drei Fälle, in denen Männer mit 
frischer Syphilis geheiratet und die Frauen nicht infiziert haben. 
Sie haben 13, 18 und 9 Monate nach dem Auftreten des Schankers 
gesunde Kinder bekommen. Diese Beobachtungen sprechen für 
die Tatsache, daß bei der Vererbung der Syphilis der mütterliche 
Einfluß üb er wiegt. 

3. Um leicht und schnell Quecksilber im Urin nachzuweisen, 
gießt man 5 ccm vorher filtrierten Urin in ein Zentrifugenglas; 
gibt dazu einen Tropfen Eiereiweiß, rührt um, fügt dazu 3 ccm 
12%iges Zinnchlorid, filtriert und übersäuert mit 25%iger Salz¬ 
säure. Der Urin wird zuerst trüb, dann klar, schließlich opales¬ 
zierend durch die nachträgliche Eiweißgerinnung. Dann zentri¬ 
fugiert man einige Minuten. Den Bodensatz untersucht man auf 
dem Objektträger mit 600 fach er Vergrößerung. Wenn Hg im 
Urin ist, dann finden sich kleine schwarze Kügelchen von metalli¬ 
schem Hg. Die Methode basiert darauf, daß Zinnchlorid Hg zu 
metallischem Hg reduziert. 

4. Sakurane berichtet über einen geheilten Fall von Lepra. 
Der Patient bekam zwei Jahre lang täglich 1,5 bis 8,0 Chaul- 
moograöl. Nach zwei Jahren Heilung, die durch eine sieben¬ 
jährige Beobachtung bestätigt wurde. Die Wirkung des Chaul- 
moograöls besonders auf die Knotenform der Lepra ist manchmal 
frappant, wenn auch die Dauerwirkung im allgemeinen sschwer zu 
beurteilen ist. 

5. Regenspurger bevorzugt zur Abortivbehandlung der 
Gonorrhöe Novargan, und zwar in Form der täglichen Einsprit¬ 
zung der 5- bis 15% igen Lösung in Glyzerin. In 52% der Fälle 
Heilung in 8 bis 20 Tagen. 


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HE RUNDSCHAU. 


,' Jberlctatet über zwei Fälle von abortiver Gonor- 

Injektion von 5%iger Protargollösung, die kalt 
und' Jriscb zubereltet sein muß. Für die Abortivbehandlung ge¬ 
eignet Mit P. Fälle, die erstmalig -infiziert sind oder lange Zeit 
keine Gonorrhöe, gehabt haben. Es sollen höchstens vier Tage 
nach der Infektion verstrichen sein. * Die Injektion wird mit der 
gewöhnlichen Tripperspritze gemacht, am besten vom Arzt selbst, 
eventuell zur Sicherheit mehrere Tage hintereinander. Die Rei¬ 
zung ist hierbei sehr gering. Die Methode ist der Jan et sehen 
vorzuziehen. 

7. Wenn Arhovin auch nicht als Spezifikum gegen die 
Gonokokken zu betrachten ist, sowenig wie die anderen internen 
Antigonorrhoika, und man mit Arhovin allein im allgemeinen 
keine Gonorrhöe heilen kann, so ist es doch ein gutes Adiuvans, 
das gut vertragen wird und neben' der Lokalbehandlung frühzeitig 
angewandt Beschwerden lindert und das Auftreten von Komplika¬ 
tionen erschwert. Besonders günstig wirkt es bei Erkrankung 
der hinteren Harnwege. 

8. Eine neue Quecksilberinhalationskur wird wieder von 
Kromayer inauguriert, mittels der Merkalatormaske, einer aus 
einem einfachen Drahtgestell bestehenden Gesichtsmaske, welche 
von einer doppelten Lage Mull überzogen ist, der mit Queck¬ 
silber in feinster Verdünnung imprägniert ist. Urinuntersuchungen 
ergaben eine starke Resorption. Auch die klinische Beobachtung 
ergab eine mindestens ebenso schnelle und starke Wirkung wie 
die gewöhnlichen Injektions- und Inunktionskuren. Die Kur hat 
den Vorteil der Sauberkeit; ferner wird bei eintretender Intoxi¬ 
kation durch Wegnahme der Maske die Hg-Resorption sofort 
unterbrochen. Nachteil der Methode ist mangelnde Dosierungs- 
möglichkeit, da die Maske während des Gebrauchs an Hg-Gehalt ab- 
nimmt. Man läßt die Maske im allgemeinen sieben bis acht Stunden, 
d. h. während der Nacht, tragen und wechselt dieselbe alle zehn 
Tage. 

9. Atoxyl wirkt nach Spiethoff in größeren Dosen spezifisch 
auf den Lueserreger. Die von Lesser als Gesamtdosis für eine 
Kur angegebene Menge von 6,2 soll man nicht überschreiten. 
Indiziert ist Atoxyl 1. in Fällen, die sich nach reichlichem Hg- 
Gebrauch gegen weitere Hg-Anwendung refraktär erweisen; 2. bei 
Lues maligna, bei welcher unter Hg häufig Verschlimmerung auf- 
tritt, 3. bei Intoleranz gegen Hg, 4. bei Hg-Stomatitis, wenn 
noch bestehende Erscheinungen die Fortsetzung einer spezifischen 
Kur erfordern. Als unerfreuliche Nebenerscheinungen beobachtete 
Spiethoff unter anderen in zwei Fällen Albuminurie, einmal er¬ 
hebliche Temperatursteigerungen, die als Intoxikationserscheinungen 
anzusehen waren, und einmal Hämatemesis. 

10. Hirsch behauptet die Ueberlegenheit seiner nach einem 
besonderen Verfahren hergestellten, zur Injektionsbehandlung der 
Lues dienenden Lösung bezüglich der Schmerzlosigkeit gegenüber 
allen anderen Lösungen. Die Injektion Dr. Hirsch enthält Hg. 
oxycyanat 1,0, Acoin (Heyden) 0,4, Aq. dest. 100,0. 

11. Zur Behandlung juckender Dermatosen empfiehlt Weiß 
Bromotan, ein bräunlich-gelbes, geruch- und geschmackloses, in 
Wasser leicht lösliches Pulver, welches Brom enthält. Es ist voll¬ 
kommen reizlos und eignet sich zu allen möglichen Arten von Salben, 
Pudern und Lösungen, besonders indiziert ist es bei lokalem Pru¬ 
ritus. Wegen seiner Reizlosigkeit läßt es sich auch beim nässen¬ 
den Ekzem in Form von Umschlägen verwenden. 

12. Veiel behandelt den Lupus mit sehr gutem Erfolg — 
wovon sich Ref. selbst überzeugen konnte — mit Pyrogallussalbe. 
Zunächst verwendet er 10%ige Salbe zur Zerstörung des lupösen 
Gewebes, behandelt dann mit 2%iger Salbe nach, bis alles auf 
Lupus Verdächtige abgestoßen ist; schließlich immer schwächere 
Pyrogallussalben, so daß die Wunde unter Pyrogallusbehandlung 
abheilt. Es ist dies eine besonders für den praktischen Arzt sehr 
empfehlenswerte Methode.j 


Biologische Therapie. 

Referent: Dr. W. Esch, Bendorf a. Rh. 

1. Aphorismen zur Therapie der Chlorose. Von Sanitätsrat 
Dr. Beerwald-Altheide und Berlin. Zeitschr, f. phys. u, diät. 
Therapie, März 1908. 


247 


2. Praktische Vorschläge zur Hygiene der Frauenkleidung. 

Von Dr. Gri sson-Hamburg. Zeitschr. f. Krankenpfl., 1907, Nr. 11, 
nach Münch, med. Wochenschr., 1906, Nr. 43. 

3. Heber Reaktions- und Provokationserscheinungen bei 
hydriatischen Kuren. Von Dr. C. Kraus-Wien-Edlach. Med. 
Klinik, 1908, Nr. 11. 

4. Höhenklima und Seeklima. Von Dr. W. Francken- 
Mentone. Zeitschr. f. phys. u. diät. Therapie, März 1908. 

1. „Das Experiment und die Laboratoriumsarbeit“, so führt 
Be er wald aus, „sind für uns so überwiegend maßgebend ge¬ 
worden, daß die Erfahrung kaum an zweiter Stelle Berücksichti¬ 
gung findet.“ Da er aber die letztere mit Recht für ebenso 
wichtig hält wie die experimentelle Forschung, so bringt er im 
vorliegenden Aufsatz einiges von seinen Erfahrungen und Beob¬ 
achtungen bei dem wichtigen Krankheitsbild der Chlorose zur 
allgemeinen Kenntnis. 

Hinsichtlich der noch sehr unklaren Aetiologie des „Morbus 
virgineus“ betont er, daß die verschiedenen pathologischen Befunde, 
besonders auch die Hämoglobinverarmung, die „plastische Adynamie 
der blutbildenden Organe“ keine ausreichende Erklärung geben 
können. Da jedoch die „Energielosigkeit“ des gesamten Körpers 
das Fundamentalsymptom der Chlorose darstelle, so müssen wir in 
den Körper Anregung, Energie hinein tragen. 

Als Hauptmittel in dieser Hinsicht empfiehlt B e e r w a 1 d täg¬ 
liche heiße Waschungen von 33 bis 35° R mit nachfolgender 
Frottierung, wochenlang fortgesetzt, ferner Massage, aktive körper¬ 
liche Leistungen, letztere nach genauer Feststellung der individu¬ 
ellen Leistungsfähigkeit, Turnen, Gebirgstouren, vernunftgemäß 
betriebenen Sport. (B.s Empfehlung des Radfahrens kann Ref. 
nach eigenen Erfahrungen nicht beitreten, da es nicht in der 
nötigen Weise dosierbar ist.) 

Neben Haut- und Muskeltätigkeit ist sodann die Verdauungs¬ 
energie zu heben, vor allem durch schmackhafte Kost. Das Ver¬ 
bot von sauren Speisen und Obst bei der Eisentherapie hält B. 
mit Recht für überflüssig und schädlich. Die letztere kann zeit¬ 
lich genügend von der Nahrungsaufnahme getrennt werden. Speziell 
Gemüse und Obst haben einen eminenten Wert bei danieder¬ 
liegender Verdauungstätigkeit, die, wie u. a. Nothnagel hervor¬ 
hob, ihrerseits durch Zurückhaitung ungünstiger Stoffe 
zu Blutverschlechterung führt. Aus demselben Grunde möchte B. 
auch das Fleisch bei Chlorose nicht zu sehr empfehlen. 

Vorsicht sollte auch bei der so beliebten Verordnung von 
Milch walten, die doch immer über 90% Wasser enthält. Hin¬ 
sichtlich des Alkohols ist zu bedenken, daß jedes Zuviel eine Er¬ 
schlaffung zur Folge hat. 

Sehr mit Recht betont B. sodann den problematischen, mehr 
suggestiven Wert der modernen Nährpräparate. 

Heiße Bäder zum Zweck künstlicher Schweißerregung (Dyes, 
Rosin) hält er für einen nicht unbedenklichen Eingriff bei 
geschwächten Individuen, betrachtet dagegen als sehr wertvoll 
einen Luftwechsel, speziell Land- und Gebirgsluft. Die See 
eignet sich nur für die leichteren Fälle. Wertvoll sind auch die 
Kohlensäurebäder. Bei Trinkkuren ist Vorsicht am Platze. 

Hinsichtlich der Eisentherapie schließt B. sich aufiPallender- 
weise der modernen Skepsis an, spricht von Suggestivwirkung 
und läßt höchstens das Levicowasser gelten. Die neuerdings in 
den Vordergrund des Interesses getretenen katalytischen Wir¬ 
kungen der Metallotherapie erwähnt er nicht. 

2. Daß das Korsett einen Hohn auf die Gesundheit und 
Schönheit der Frau darstellt, darüber sind die Aerzte sich wohl 
mit wenigen Ausnahmen klar geworden. Der Reformtracht aber, 
die die bisherige Frauenkleidung ablösen sollte, haften mancherlei 
Nachteile an. An ihrer Stelle schlägt Grisson folgende von ihm 
erprobte Modifikation der jetzigen Tracht vor: 

a) das gewöhnliche Hemd, 

b) ein Trikotleibchen*), das bis über die Hüftbreite 
reicht und sich den Körperformen fest anschmiegt. Es besitzt 
Laschen für die Strumpfhalter und zweimal vier Knöpfe für Hose, 
kurzen (Flanell)-Unterrock und langen oberen Unterrock, 

* Hartmann, Hamburg, Gr. Bleichen 56/58, liefert ein Leibchen 
„Juno“ mit entfernbaren weichen Stangen für die Uebergangszeit. Bei 
sehr vollen Brüsten nehme man einen Brusthalter nach Art von Langes 
Münchener Leibchen. 


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248 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 15, 1 


c) die gewöhnliche weiße Hose, die an das Leibchen ge¬ 
knöpft wird, aber nicht in der Taillen-, sondern in der Hüft- 
gegend, 

d) die zwei Unter rocke, ebenfalls zum Anknöplen, 

e) der Klei der rock j er ist mit einer Untertaille ans leichtem 
Futterstoff verbunden, 

f) die Bluse mit losem Gürtel. 

Die Vorzüge dieser, an instruktiven Abbildungen demonstrierten 
Tracht bestehen im Vermeiden großer Aenderungen der bisher 
gebrauchten Kleidungsstücke, im Wegfall der sackartigen, auf¬ 
fallenden Reformtracht, Ermöglichung jeglicher Machart und besserer 
Auswechselbarkeit der verschiedenen Kleidungsstücke. 

3. Da die älteren Hydropathen gar nicht selten von „Krisen“ 
wahrend der Wasserbehandlung sprechen, so schien es Kraus 
der Mühe wert, auf alle jene Momente zu achten, die im Verlauf 
einer hydriatischcn Kur unter diesem Gesichtswinkel angesehen 
zu werden verdienen. 

So beobachtete er recht häufig während einer hydriatischen 
Behandlung malariaartige Fieberanfälle. (Die Provenienz des Pa¬ 
tienten aus verseuchten Gegenden und die Milzvergrößerung ließen 
zum mindesten vermuten, daß die oft mannigfaltigen Krankheits¬ 
erseheinungen, die den Kranken in die Anstalt geführt hatten, 
auf der Basis einer latenten Malaria entstanden seien.) Kraus er¬ 
klärt diese provokatorische Wirkung der Wasserkur, dem Ideen¬ 
gange von Winternitz folgend, damit, daß ebenso wie in ver¬ 
schiedenen Kapillar gebieten stagnierende Erythro- und Leukozyten, 
auch ruhende pathogene Keime durch die erhöhte Fluxion aus 
versteckten Depots herausgeschwemmt und in die allgemeine Blut¬ 
balm geworfen werden können. 

Aehnlich sind auch die Temperatursteigerungen fieberfreier 
Phthisiker nach Anstrengungen, hydriatischen Prozeduren etc. 
durch erhöhte Resorption fiebererregender Substanzen aus einem 
scheinbar ruhenden Krankheitsherde zu erklären. Das Auftreten 
von Schmerzen in kariösen Zähnen, das Aufflammen ruhender 
perimetritischer Erkrankungen, gonorrhoischer Adnexschwellungen, 
Blasenreiz, Gelenkerkrankungen etc. während der Wasserkur sind 
ebenfalls als Provokationserscheinungen infolge der Fluxion 
aufzufassen. 

Im Gegensatz dazu begreift Kraus unter dem Ausdruck 
Reaktionserscheinungen sensu stricto gewisse nervöse 
Storungen im Verlauf der Wasserkur, die sich durch Ausbleiben 
sowohl der gewohnten subjektiven Euphorie als auch der objektiven 
Normalreaktion charakterisieren (schlechtes Aussehen, Kältegefühl, 
Mattigkeit, Kopfschmerz, Verstimmung oder Erregung, Schlaflosig¬ 
keit, kühle Extremitäten, frequenter Puls). Es handelt sich dabei um 
eine Dissoziation von Nervenreiz und vasomotorischem Effekt infolge 
von Störung (Ermüdung) des Regulationsmechanismus, wie sie 
u a. besonders bei Arteriosklerose vorkommt. 

Kraus hält es für die Aufgabe des erfahrenen Hydrothera- 
peubm, alle diese Erscheinungen durch geeignete Wahl der physi¬ 
kalischen Agentien zu vermeiden bezw. zu beseitigen. Besonders 
gilt das für die Paralyse, wo jede aktive Therapie auszuschließen 
M, während im allgemeinen diese Provokations- und Reaktions- 
örscheinimgen keine unangenehmen Folgen zu haben pflegen. Eine 
Erwägung darüber, ob und inwiefern sie als günstig e Vorgänge 
im Organismus — vgl. das „künstliche Fieber“ — aufzufassen 
und zu benutzen seien, stellt Verf. leider nicht an. 

Sehr zu bedauern ist auch seine gänzlich negative Stellung 
zu den „Hautkrisen“. Alle unter diesem Begriff figurierenden 
Ekzeme und Furunkeleruptionen im Verlauf einer Wasserkur faßt 
er als „Hausinfektion“ durch schlecht gereinigte Wäsche oder als 
Folge einer mechanischen Hautirritation auf. Als Ausnahme läßt 
er nur das luetische Exanthem gelten und empfiehlt dessen künst¬ 
liche Hervorrufung zu diagnostisch-therapeutischen Zwecken. 

J. Die außerordentlich klar und übersichtlich geschriebene 
Arbeit von Francken betont zunächst, daß Sonnenscheindauer, 
Temperatur und relative Feuchtigkeit der Luft die wichtigsten 
Faktoren der Klimabeurteilung darstellen. Er führt dann im 
einzelnen aus. daß das trockene und sonnige Höhenklima Hyper- 
zythämie, Erhöhung des Stoffwechsels etc. bewirke und deshalb 
besonders bei Blutarmut jeder Art (mit Ausschluß von malignen 
Tumoren). Chlorose, Prätuberkulose, Rekonvaleszenz ,. chronischen 
Hautleiden, chronischer Bronchitis und Emphysem, Neurasthenie, 


Gicht, Rheumatismus und Diabetes indiziert sei. Bei Arterio¬ 
sklerose, Herz- und Nierenleiden sollen nicht mehr als 1300 m 
erreicht nnd stete Kontrolle nebst anfänglicher absoluter Ruhe 
eingehalten werden. 

Beim Seeklima ist zu unterscheiden: . 

a) das trockene, milde Küstenldima (die Mehrzahl der Mittel¬ 
meerstrande), 

b) das feuchtwarme Küsten- und Inselklima (Madeira, Azoren, 
Kanarien, Bermudas, Wight und Englands Südwestküste; dann 
Biarritz, Arcachou, Royan, Venedig), 

c) das feuchte, mehr oder weniger kalte Küsten- und Insel¬ 
klima (Nordfrankreich, Großbritannien, Nord- und Ostsee). 

a und b .eignen sich mehr für den Winter, c für den Sommer. 
Seeklima kommt namentlich in Betracht für schwache und skrofu¬ 
löse Kinder, Rekonvaleszenz mit'Neigung zu Erkältungen, Frauen¬ 
leiden. Stark nervöse Personen fühlen sich oft besser in einem 
feuchten milden Seeklima wie an der Riviera, nervöse Asthmatiker 
gehören in die Berge, katarrhalische ans Meer. 

Gichtiker, Brightiker, Herz-, Zucker-, Gelenkrheumatismus- 
und chronisch Darmkranke eignen sich nicht für feuchtes Küsten¬ 
klima, sondern im Winter für sonnige, trockne Küsten; im Sommer 
verweilen sie am besten auf halber Höhe, wo es trocken ist 
(Waadtland, Wallis, Auvergne, Pyrenäen), im Frühling und Herbst 
Lido, Abbazia, Biarritz. 

Für die Prätuberkulose und die latente oder geheilte Tuber¬ 
kulose ist das Ideal einer klimatischen Behandlung, abwechselnd 
in sonnigem, mildem, trockenem Küsten- und in einem Höhenklima 
zu leben. 

Bei sonst Gesundem ist im Sommer Höhenluft am besten für 
geistig ermüdete Erwachsene und für die Pubertätszeit, kurz für die, 
die Muskelarbeit brauchen, weil das Gehen in dünnerer Luft 
leichter ist. Eine Seekur dagegen mit ihrer Neigung zu Trägheit 
paßt mehr für geschwächte Personen nnd Kinder. 


Oeffentliches Sanitätswesen und soziale Medizin. 

Referent: Dr. M. Peltzer, Generaloberarzt a. D. in Steglitz. 

1. Die Organisation einer systematischen Bekämpfung des 
Lupus — eine soziale Notwendigkeit. Von Dr. Paul Wich- 
mann-Hamburg. Nach einem für die erste Lupuskommission des 
Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose am 
30. Jan. 1908 zu Berlin bestimmten Referat. Deutsche - med. 
Wochenschr., 1908, 12. März, S. 467. 

2. Das Berliner Städtische Untersuchungsamt für hygieni- 
nische und gewerbliche Zwecke. Von J. Schw v albe. Ibidem, 
Seite 465. 

1. Obwohl keine tödliche Erkrankung wie die Lungentuber¬ 
kulose, erscheint der Lupus, der noch dazu vorzugsweise eine 
Krankheit der weniger bemittelten Bevölkerungsklassen ist, doch 
als eine der abschreckendsten Formen, die die Infektion mit dem 
Tuberkelbazillus hervorbringt, und fällt daher in sozialer Hinsicht 
um so mehr ins Gewicht, als einerseits die damit Behafteten (nach 
den allein vorhandenen Angaben Finsens 1 / 2 °/oo der Bevölke¬ 
rung, für Berlin also mindestens 1000) von der Gesellschaft und 
dem Arbeitsmarkt ausgeschlossen, andererseits die Aussichten auf 
Heilung gegenwärtig infolge der Fortschritte der Radiologie wesent¬ 
lich besser sind als früher. Eine wirksame Bekämpfung dieser 
Volkskrankheit ist jedoch ohne Organisation nicht möglich. Diese 
hätte, abgesehen von sachgemäßer Behandlung, besonders der 
Initialformen, hauptsächlich iu der frühzeitigen Ermittelung der 
Erkrankten und ihrer Verbringung in besondere Lupusheilstätten 
zu bestehen, welche letztere jede chirurgische Station eines Kranken¬ 
hauses abgeben könnte. Das Gesagte bezieht sich hauptsächlich 
auf Lupuskranke in noch nicht erwerbsfähigem Alter, während 
für solche des erwerbsfähigen die Landesversicherungsanstalten 
ein treten können und eintreten. Die erste systematische Lupus¬ 
bekämpfung hat Dänemark durch Gesetz vom 30. März 1901 ein¬ 
geführt, indem sie sie den Kommunen anempfahl und gleichzeitig 
bestimmte, daß die Unkosten, welche von der Oeffentlichkeit zur 
Kur und Pflege für Lupuskranke entrichtet werden, nicht als 
Armenunterstützung zu betrachten sind, insofern die Kranken f in 


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1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


249 


Staatsanstalten oder staatlich, anerkannten Anstalten untergebracht 
werden. 1902 bewilligte der dänische Reichstag 25 000, 1905 
30000 Kronen Zuschuß. Die Behandlung ist im Kopenhagener 
Finseninstitut zentralisiert, die Kranken selbst werden entweder 
in einer vom Institut errichteten Unterkunftsstätte untergebracht 
oder unter Aufsicht des Instituts in Privatpflege gegeben. In 
ersterer sind für solche Kranke, die gleichzeitig an Lungentuber¬ 
kulose leiden, Isolierabteilungen eingerichtet. — In Oesterreich 
besteht eine Stiftung „Heilstätte für Lupuskranke“, in der nicht 
nur solche, sondern auch andere Hautkranke Aufnahme finden. 
Hier wie in Dänemark soll bereits eine große Zahl von Dauer¬ 
heilungen vorliegen. W. empfiehlt daher auch den Lupus, als 
einer Form der Tuberkulose, der sozialen Fürsorge des Deutschen 
Reichs, es fragt sich nur, ob wir auf diesem Wege nicht allmäh¬ 
lich zu lauter Spezialkrankenhäusern gelangen, wie es bereits 
zahlreiche Spezialärzte gibt. 

2. Seit einigen Monaten ist nunmehr auch das neueste Berliner 
Städtische Untersuchungsamt für hygienische und gewerbliche 
Zwecke am Kölnischen Fischmarkt in Betrieb genommen und da¬ 
mit die Reihe der Berliner kommunalen Sanitätseinrichtungen um 
ein wichtiges Institut vermehrt worden. Ursprünglich sollte es 
nur ein Untersuchungsamt für Nahrungsmittel und gewerbliche 
Zwecke werden, der Plan, es auch hygienischen Zwecken dienst¬ 
bar zu machen, fand erst Annahme, als die Grundanlage fast voll¬ 
endet war, was nicht ohne Einfluß auf die Gestaltung des Baues 
(nach den Plänen des Stadtbaurats Hoffmann) war. Es besteht 
aus einer chemischen Abteilung (Vorsteher Dr. G. Fendi er) mit 
der Unterabteilung für Nahrungsmibtelchemie, einer ebensolchen 
für landwirtschaftliche und gewerbliche Zwecke und einer dritten 
für Wasseruntersuchung, in welche das frühere hydrologische 
Institut aufgegangen ist, und einer bakteriologisch-hygienischen 
Abteilung (Vorsteher Prof. Dr. Sobernheim). Nach Bedarf 
werden noch mehrere Unterabteilungen geschaffen werden. Neben 
den beiden staatlichen Instituten, dem hygienischen Institut der 
Universität und dem Institut für Infektionskrankheiten, werden 
dem Amt auch die Untersuchungen auf ansteckende Krankheiten, 
die bisher nicht genügende Ausbildung städtischer Desinfektoren, 
die Milchkontrolle, die Säuglingsfürsorge, die Schul- und Straßen¬ 
hygiene, sowie private Untersuchungen übertragen werden. Zur 
bakteriologisch-hygienischen Abteilung gehören vorläufig außer dem 
Vorsteher drei Assistenten und zwei Hilfsassistentinnen. Direktor 
des Amtes ist Geheimrat Pro skalier, die Gesamtbaukosten, ein¬ 
schließlich der (bis jetzt noch nicht vollendeten) inneren Einrich¬ 
tung, betragen 780 000 M. 


Militärsanitätswesen. 

•Referent: Dr. M. Peltzer, Generaloberarzt a. D. in Steglitz. 

1. Das Kommando über Lazarettschiffe der Marine. Deutsche 
militärärztl. Zeitschr., 1908, 5. März, S. 229, Mitteilungen. 

1. Die Frage, ob Lazarettschiffe auch im Frieden unter das 
Kommando von See- oder von Sanitätsoffizieren zu stellen seien, 
hat in den Vereinigten Staaten von Amerika bei Gelegenheit der 
Indienststellung des „Relief“, des Lazarettschiffs der nach dem 
stillen Ozean beorderten Flotte, zu Meinungsverschiedenheiten 
zwischen der Medizinalabteilung der Marine und dem Marineamt 
geführt und ist, wie es in der Natur der Sache liegt, vom Präsi¬ 
denten Roosevelt namentlich auch mit Rücksicht auf die Neutralität 
der Schiffe dahin entschieden worden, daß diese jederzeit unter 
den gleichen Bedingungen gehalten werden sollen wie im Kriege, 
und allein der Sanitätsoffizier das geeignete Haupt eines Schiffes 
sei, das zu leiten ihn seine Ausbildung besonders befähige; er 
allein sei geeignet, die Neutralität des Schiffes zu gewährleisten, 
kein Frontoffizier solle an Bord sein. Die Navigation freilich muß 
einem Zivil-Schiffsführer überlassen bleiben. Das Marineamt hatte 
Bedenken wegen der Aufrechterhaltung der Disziplin erhoben und 
geltend gemacht, daß Zahlmeister nicht Sanitätsoffizieren unter¬ 
stellt werden könnten. Roosevelt hebt in seiner diesbezüglichen 
Verfügung ausdrücklich das „Widersinnige“ hervor, das Kommando 
über ein Lazarettschiff einem Frontoffizier zu übertragen — stünden 
doch auch Regimenter oder Kriegsschiffe nicht unter dem Kommando 
von Aerzten — und führt Beispiele aus dem letzten Kriege gegen 
Spanien an, aus denen dieser „Widersinn“ hervorgeht. 


Mitteilungen über Arzneimittel. 


Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. Zur Jod- und Sajodin-Therapie. Von O. Hart mann. 
Therap. Monatshefte, 1908, Januar. 

2. lieber die interne Anwendungsweise des Protargol in 
der Kinderpraxis. Von Dr. Hesky. 

3. Alsol. Von Dr. Linke. Therap. Neuheiten, 1908, Febr. 

4. Anasthesin. Von Apotheker Bruhn. Ibidem. 

5. Cerolin. Von Apotheker Bruhn. Ibidem. 

6. Jodofan. Von Dr. Linke. Ibidem. 

7. Ein Fall von Heroin-Vergiftung. Von Dr. Glasow. 
Deutsche Aerzte-Zeitg., 1908, Heft 5. 

8. Wissenschaftliche Mitteilungen über Diskohol. Von Dr. 
Zernik. Apoth.-Zeitg., 1908, Nr. 18. 

9. Heber praktisch - therapeutische Verwendbarkeit des 
Aristols (Aristolöl und Aristolpaste). Von Dr. Franz Daxen¬ 
berg e r - Regensburg. Die Heilkunde, 1908, Nr. 3. 

1. Im Laufe der letzten zwei Jahre hat H. in der Medizin. 
Klinik und in der Poliklinik für Hautkrankheiten in Halle reich¬ 
lich Gelegenheit gehabt, die Wirkung des Sajodins zu prüfen, 
die an Sicherheit und Promptheit dem Jodkalium mindestens 
gleichkommt. Es wird in den gleichen Gaben wie Jodkali ge¬ 
geben; da es aber nur den dritten Teil an Jod enthalt wie dieses, 
so wird dem Organismus bei gleichem therapeutischen Effekt viel 
weniger Jod zugeführt, ein Grund, weshalb beim Sajodin nur sehr 
selten Jodismus auftritt. Es hat sich übrigens gezeigt, daß Leute 
mit ausgesprochener Idiosynkrasie gegen Jodkali das Sajodin gut 
vertrugen, ja sogar nach einiger Zeit auch größere Mengen Jod¬ 
kali unbeschadet nehmen konnten. Sajodin wird in Dosen von 
1 bis 3 g pro die genommen und hauptsächlich bei tertiärer, 
aber auch in späteren Formen sekundärer Dues, namentlich in 
Fällen mit Kopfschmerzen, sodann bei Arteriosklerose, Asthma und 
chronischer Bronchitis verabreicht. 

2. H. hat bei 15 Fällen mit Erfolg Protargol innerlich ge¬ 
geben, und zwar zu 0,01 bis 0,05 auf 50,0, dreistündlich einen 
Teelöffel voll, 10 bis 15 Min. vor jeder Mahlzeit, bei Kindern 
in den ersten acht Lebenswochen; bei größeren Kindern in der 
Dosis bis 0,1 : 50,0 steigend. Das Protargol wurde gegeben bei 
Magendarmdyspepsie der Brust- und Flaschenkinder, ferner bei 
hartnäckigem Magendarmkatarrh der Säuglinge. Daneben ent¬ 
sprechende Diät. 

3. Im Februarheft der „Therapeut. Neuheiten- 4 empfiehlt 
Dr. Linke neuerdings wieder das „Alsol“, ein früher „Aluminium 
acetico-tartarieum“ genanntes und von der Firma Athenstaedt 
& Redecker in Hemelingen bei Bremen hergestelltes Präparat, 
das aus farblosen, glänzenden, gummiartigen Stucken besteht, 
völlig arsenfrei — im Gegensatz zu ähnlichen Präparaten — und 
völlig in kaltem Wasser löslich ist. Nach Aufrecht ist das 
Alsol der Karbolsäure an bakterizider Kraft überlegen. In der 
opktkalmologiscken Praxis bewährte sich eine 5%ige Lösung (ein 
Teelöffel auf eine Tasse Wasser) bei Blennorrhoea neonatorum, 
Konjunktivitis. Zu Nasen Spülungen genügt schon eine V 2 bis 
l%ige, als Mundwasser dient eine l%ige Lösung. Fritsch be¬ 
richtet über vorzügliche Erfolge in der gynäkologischen und 
geburtshilflichen Praxis: Bei Abortus eine 1 / 2 °/oige Alsollösung zu 
intrauteriner Spülung; bei Fluor verflüssigt Alsol den Schleim 
und schränkt die Sekretion ein. Für die Scheide kann man den 
Gehalt bis zu 5% steigern. Linke benutzte die Wirkung des 
Mittels auf Gonokokken zu deren Abtötung, indem er bei weib¬ 
licher Gonorrhöe keinen Scheidenspiegel mehr einführte, ohne ihn 
mit Alsolcreme bestrichen zu haben. Bei Kombination mit Arlioviu 
intern und extern mit dieser Methode hat L. glänzende Resultate 
gesehen. In der chirurgischen Praxis wird Alsol genau wie Liquor 
alum. acet. angewendet. Instrumente werden ebenso wie Schläuche 
mit 0,75%iger Lösung gereinigt; dabei werden erstere nicht 
stumpf, letztere nicht brüchig. Die Preise sind: Trockensubstanz 
10 g 20 Pf., 100 g 1,55 M, Liquor Alsoli, 50%ig, für Kliniken 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 



und Krankenhäuser, ist direkt von der Firma in */2 kg-Flaschen zu 
2,50 M. zu beziehen. Für das Publikum liefert die Firma grüne 
Flaschen mit einer Skala von 10 zu 10 versehen, die 80 g ent¬ 
halten und 80 Pf. kosten. Von Alsolcreme gibt es Originaltuben 
zu 50 und 90 Pf. 

4. Bei der internen Verabreichung von Anästhesin macht B. 
auf einen Umstand aufmerksam, der gewöhnlich zu wenig berück¬ 
sichtigt wird und so leicht ein Versagen des Mittels zur Folge 
hat. Es ist nämlich unbedingt notwendig, daß Anästhesin auf 
einen möglichst leeren Magen gegeben wird. Denn es wirkt be¬ 
kanntlich auf die sensiblen Nerven nur, wenn es auf die erkrankte 
Stelle kommt. Daher bleiben Graben, die vom Speisebrei um¬ 
schlossen werden, wirkungslos, wenn Anästhesin, das unlöslich in 
Wasser ist, nicht in Form der Lösung den Speisebrei durch- 
dringen und so an die Magenwand gelangen kann. Die Wirkung 
auf nüchternen Magen tritt prompt ein und hält stundenlang an: 
selbst bei Karzinomkranken kann man mit Anästhesin unter Zu¬ 
hilfenahme von Dionin die Schmerzen bis zum Exitus beseitigen. 
Allerdings sind Dosen bis 5 bis 6 g pro die notwendig. B. gibt 
der Schüttelmixtur vor dem Pulver den Vorzug. Zum Schluß gibt 
er einige Rezeptformeln, die wir des Interesses halber aufführen 
wollen • 

Rp. Anästhesin 3,0 — 5,0, 

Mucilag. Gummi Arab. 10,0, 

Sir. spl. 20,0, 

Aq. dest. ad 150,0. 

S. Umschütteln. 3 mal tägl. 1 Eßlöffel 
vor der Mahlzeit. 

Rp. Anästhesin 3,0, 

Bismutb. subnitr. 2,0, 

Mucilag. Gummi Arab. 10,0, 

Sir. spl. 20,0, 

Aq. dest. ad 150,0. 

S. Umschütteln. 3 mal tägl. 1 Eßlöffel 
vor der Mahlzeit. 

Rp. Anästhesin 3,0, 

Bismuth. subnitr. 2,0, 

Dionin. 0,1 — 0,2, 

Extr. Oondurang. fluid. 10,0, 

Sir. spl. 20,0, 

Mucilag. Gummi Arab. 10,0, 

Aq. dest. ad 150,0. 

S. 3 mal tägl. 1 Eßl. v. d. Mahlzeit. 

5. In einem kurzen Bericht weist B. darauf hin, daß das 
Indikationsgebiet für das Cerolin, das sich bisher auf Furunkulose, 
Akne und Obstipation erstreckte, sich auch auf die gynäkologische 
Praxis ausgedehnt hat. Oerolin wird in Form von Gelatinebougies 
und Vaginalkugeln mit gutem Erfolge bei Endometritis katarrhalis 
und blennorrhoica, ferner bei zervikaler und vaginaler Leukorrhoe 
angewendet. Es erfolgte nach To ff Abnahme der Sekretion, 
Rückgang von Dermatitis, Pruritis, Ekzemen und Follikulitis. 
Man kann zum innerlichen Gebrauch besonders anzufertigende 
Cerolinpillen ordinieren (50 Pillen ca. 1,30 M.) oder die Cerolin- 
pillen „Boehringer“ 100 Stück 2,50 M., 50 Stück 1,50 M. Von 
beiden drei bis fünf Stück pro die. Zur Behandlung der Leukorrhoe 
werden von der Firma Noffke, Berlin, Vaginalstäbchen und -kugeln 
mit 5% Oerolin in den Handel gebracht. 

6. L. berichtet über ein neues Jodoformersatzmittel, das von 
der Firma Dr. Horowitz, Berlin, unter dem Namen Jodofan in 
den Handel gebracht wird und ein kristallinisches, rötlich-gelbes, 
tur den ärztlichen Gebrauch feingepulvertes Präparat darstellt. 
Während nun bekanntlich Jodoform kein Desinfektionsmittel im 
Sinne der bakteriziden Medikamente ist, machte man mit Jodofan 
an Agarkulturen die überraschende Entdeckung, daß an den nicht 
mit Jodofan bestreuten Stellen die Staphylo- und Streptokokken¬ 
saat mächtig wucherte, während an den bestreuten Stellen keinerlei 
Wachstum zu sehen war. Bei einer Kontrollschale mit Jodoform- 
bestreuung ergab sich keine Wachstumshemmung. Wie die Wir¬ 
kung des Jodofans zu erklären ist, wissen wir noch nicht. Doch 
steht fest, daß bei stinkigen, putriden Fällen schon nach wenigen 
Minuten der ekelhafte Geruch verschwand. Dick mit Jodofan be¬ 
streute, aseptisch genähte Wunden zeigten niemals Komplikationen; 
dabei traten nie Intoxikationserscheinungen, nie Ekzeme auf. Das 


ärztliche Interesse wurde noch erweckt durch die Mitteilung von, 
Dr. Gerotle in der Med. Klinik über die Behandlung des 
Furunkels und die Verhütung der Furunkulose durch Jodofan. 
G. inzidierte bis ins Gesunde und legte mit Jodofan Trocken¬ 
verband an, bei oberflächlicher Inzision jedoch Feuchtverband 
(diese prolongierte Behandlung ist in der Kassenpraxis nicht durch¬ 
zuführen). Um Tochterinfektionen zu vermeiden, empfahl G., mit 
irgendeinem nassen Desinfiziens die weitere Umgebung zu be¬ 
feuchten und nunmehr auf die nicht^ abgetrocknete Fläche Jodofan 
dick aufzutragen. Der Verfasser glaubt, daß man nach der vor¬ 
liegenden Literatur die Berechtigung des Prospekts der Firma, 
daß Jodofan in der Chirurgie, Gynäkologie und Dermatologie, also 
bei Ulkus molle, bei Ulkus kruris, Inzisionswunden, Panaritien, 
nässenden Ekzemen, Portioerosionen und -ulzerationen, Dammrissen 
etc. Anwendung finden könne*, rückhaltslos zustimmen müsse. Man 
kann es pur oder als Salbe oder als Streupulver ordinieren. Der 
•Preis beträgt für 1,0 g 15 Pf., für 10,0 g 1,20 M. Der Artikel 
schließt mit dem Hinweis auf die Untersuchungen Dr. Zerniks 
und Dr. Lucius, wonach der Jodgehalt wesentlich geringer ist, 
als von der Firma angegeben wurde. Die günstigen Erfolge 
schreibt Z. der Phenolkomponente zu. Doch sind diese Unter¬ 
suchungen von Z. für den praktischen Arzt nur von akademischem 
Wert, da ja die günstige Wirkung des Mittels unangefochten be¬ 
stehen bleibt. 

7. G. berichtet über einen Fall von Heroinintoxikation, die 
unter dem Bilde der akuten Morphiumvergiftung verlief. Es han¬ 
delte sich um eine Patientin, die versehentlich 0,05 g Heroin, 
muriat. genommen hatte, worauf hochgradige Erregung mit 
Delirien, Pulsbeschleunigung, Verengerung der Pupülen und 
Polyurie (wohl infolge des reichlichen Wassergenusses? Ref.) sich 
einstellten. Nach zweistündiger Unruhe trat endlich Beruhigung 
und Schlaf ein. 

8. Unter den in die Geheimmittelliste vom 27. Juni 1907 
aufgenommenen Mitteln befindet sich auch Diskohol, ein Präparat 
zur Bekämpfung der Trunksucht, das in fester und flüssiger Form 
in den Handel gelangt. Das Mittel soll dem Trinker in unauf¬ 
fälliger Weise in Speisen oder Getränken beigebracht werden und 
allmählich Widerwillen gegen Alkohol .erzeugen. Z. untersuchte 
das Diskoholpulver. Das gelbliche Pulver löste sich nur teilweise 
in Wasser; es ließen sich darin nach weisen Kohlensäure, Wein¬ 
säure, Natrium und Spuren Kalium. Der ungelöste Rückstand, 
bestand aus Schwefel und einem vegetabilischen Pulver (wahr¬ 
scheinlich Radix Paeoniae). Das Diskoholpulver dürfte somit aus 
einem Gemisch von Schwefel, gepulverter Paeonienwurzel, kohlen¬ 
saurem Natrium und Weinsteinsäure oder Weinstein bestehen. 
Der untersuchten Probe Diskoholpulver lag eine Sendung Reklame¬ 
schriften über die Trunksucht und ihre Folgen bei. 

9. Zu den vielen Ersatzmitteln für das stark riechende und 
oft toxisch wirkende Jodoform zählt auch das Aristol (Dithymol- 
dijodid), ein ziegelrotes, fast geruchloses Pulver mit ca. 45% Jod, 
das sich leicht abspaltet. Es ist in Wasser und Glyzerin unlös¬ 
lich; dagegen löslich in Alkohol, leicht löslich in Aether, Chloro¬ 
form und fetten Oelen. Aristol gilt zurzeit als das beste Ver¬ 
narbungsmittel , zeichnet sich besonders durch seine Ungiftigkeit 
und Reizlosigkeit sowie durch seine schmerzlindernden Eigen¬ 
schaften aus und kommt hauptsächlich als Streupulver, als Salbe 
und in öliger Lösung zur Anwendung. Als Wundpulver ist es 
wegen seiner schlechten Löslichkeit in alkalischen Sekreten den 
vielen anderen Jodoformersatzmitteln, wie dem Airol, Europhen, 
Vioform, Xeroform etc., im allgemeinen nicht nur nicht überlegen, 
sondern steht an antiseptischer Kraft den genannten Präparaten viel¬ 
leicht nach. Seiner Anwendbarkeit in Salbenform steht die Um¬ 
ständlichkeit und Schwierigkeit der Salbenbereitung im Wege, da 
oft trotz peinlichster Herstellung die Verteilung des Aristols in 
der Salbengrundlage zu wünschen übrig läßt; außerdem ist sie 
nicht. haltbar und die Resorption des Aristol in dieser Form frag¬ 
lich oder wenigstens minimal. Deshalb macht Dr. Daxenberger 
in der Heilkunde, 1908, Nr. 3, auf eine vielfach unbekannte und 
wenig gebräuchliche Anwendungsform aufmerksam, auf die Lösung 
des Aristol in Oel, kurz Aristolöl genannt. Dasselbe wird jetzt 
steril von der Firma Bayer in Elberfeld hergestellt und in 
dunkelbraunen Gläsern zu 25 und 50 g, mit eingeschliffenen 
Stöpseln und gut versiegelt, als rotbraune, klare Lösung in den 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


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Handel gebracht. Dieselbe ist nach D. jahrelang absolut steril 
und haftbar, 

Nachden Erfahrungen zahlreicher Autoren (Daxenberger, 
Siebei, Kliegl, Walton, Haas, Rölig, De Cerenville, 
Eiohhoff, Seiffert, Kinnier, Swiecicki, van Baelen, 
Cutter, Filbry, Binder, Fischer u. a.) läßt das Aristolöl 
auf allen Gebieten der Medizin den ausgedehntesten Gebrauch zu. 
Es findet Anwendung: 

a) Zu Verbänden mit fünf- bis sechsschichtigem Mull bei Ver¬ 
brennungen, Verätzungen, ulzerierenden und granulierenden Wund¬ 
flächen, bei gewissen Formen von Ekzem, bei Psoriasis, nach 
Augenopetationen, Plastiken. Die Verbände bleiben 24 bis 
48 Stunden liegen und bieten den Vorteil, daß sie nicht kleben. 

b) Zur Tamponade von Höhlen, speziell Schleimhauthöhlen, 
also für Nase, Ohr, Scheide, Rektum. Die Tamponade wird so 
ausgeführt, daß sterile Gaze mit dem Oel getränkt und locker in 
die Höhle gestopft wird, und hat vor der Jodoformgaze den Vor¬ 
zug der Geruchlosigkeit, Ungiftigkeit und leichter Entfembarkeit. 

c) Zur Pinselung bei Haut- und Schleimhautrissen, an Brust¬ 
warze, After, in Nase, Rachen und Kehlkopf, im Ohr und am 
Auge. 

d) Zu Einträufelungen ins Auge, in Nase und Ohr. 

e) Zu Injektionen, da es steril und schmerzlos ist, und zwar 
bei kalten Abszessen, Gelenk- und Drüsentuberkulose, bei Dakryo¬ 
zystitis, Endometritis, gonorrhoischer Urethritis, bei Hämorrhoiden 
etc. etc. 

f) Zur Massage: besonders bei Keloidnarben. 

g) Zum Einölen von Instrumenten (Katheter) und Finger zur 
vaginalen und rektalen Untersuchung. 

Statt der Mikuliczschen Zink- und Brun sschen Airolpaste 
ist zweckmäßig die Verarbeitung des Aristols zu einer Paste, 
Aristolpasta, die der Hautfarbe sehr ähnlich ist und daher un¬ 
auffällig auf getragen werden kann. Th r e Zusammensetzung ist 
folgende: 

Aristol 5,0, 

Mucilag. gummi arab., 

Glyzerin ana 10,0. 

Bol. alb. q..s. ut fiat past. mollis. 

Da Aristol als Jodverbindung bei Berührung mit Metall 
leicht Zersetzungen ausgesetzt ist, darf die Paste nur in Porzellan¬ 
tiegeln und mit Hornspateln hergestellt und in entsprechenden 
Gefäßen abgegeben werden. Durch Zusatz von Bolus alba oder 
Glyzerin kann sie härter oder weicher gehalten werden. Die 
Paste dient zur Bedeckung kleiner, nicht klaffender Riß- und 
Schnittwunden, von Hautrissen und Schrunden, von Hautabschür¬ 
fungen, zum Schutze der Haut nach Entfernung der Nähte, zum 
Verschluß von Punktionsöffnungen. Bei der Auftragung mit einem 
sterilen Glasspatel (z. B. auch auf Operationswunden) kann die 
Schicht durch einige Wattefasern verstärkt werden; doch ist 
darauf zu achten, daß die Wunde nicht mehr blutet und die Um¬ 
gebung derselben völlig trocken ist. Da die Paste langsam 
trocknet, kann man zur Beschleunigung des Erstarrens etwas Puder 
aufstreuen. 



Ein einfacher Gärungssaccharometer für den 
praktischen Arzt, 

von Dr. A. Basler konstruiert, wird zum Nachweis und Be¬ 
stimmen der Zuckermengen im Harn warm empfohlen. Der 
Apparat hat den Vorteil, daß er einfach und leicht zu hand¬ 
haben . ist, genaue quantitative Bestimmung des Zuckers 
ermöglicht und sich nach dem Gebrauch vollkommen ausein¬ 
andernehmen und deicht in allen seinen Teilen reinigen läßt. 
Die Flüssigkeit, deren abgeschiedene Kohlensäuremenge be¬ 
nutzt wird, bleibt während der Gärung in ihrer Menge voll¬ 
kommen die gleiche, und die nachträgliche. Absorption der 
Kohlensäure ist möglichst eingeschränkt. Der Apparat besteht 


aus einem zylindrischen Gefäß, in welches 5 ccm mit Hefe ver¬ 
setzter Ham gegossen wird, und welches durch einen Glasstopfen 
verschlossen werden kann; der Kopf des Gefäßes ist, in eine 
mit Blei beschwerte Holzplatte eingelassen, welche den Fuß 
des Apparates darstellt. An der dem Stopfen gegenüber¬ 
gelegenen Seite geht das Gefäß in einen Helm und dieser 
wieder in eine ca. 8 cm lange und 2 mm weite Glasröhre über. 
Diese Glasröhre mündet ihrerseits in ein zugeschmolzenes, 
etwa 1 cm weites Glasrohr, von welchem in der Nähe des 
Helmes ein nach oben gekrümmtes und dann mit dem ersteren 
parallel verlaufendes zweites Glasrohr abzweigt, das von der 
gleichen Weite und Länge, aber oben offen ist. Der Inhalt 
des Gefäßes ist so groß, daß über den 5 ccm Harn eine kleine 
Luftblase bestehen bleibt. Wenn man nun das Gefäß mit 
5 ccm Harn und das Glasrohr mit gesättigter Kochsalzlösung 
beschickt, so kann die Kochsalzlösung nicht in das offene 
angefügte Rohr fließen, da keine Luft nachdringen kann, 
ebensowenig kann sie in das Rohr des Helmes fließen. Die 
bei der Gärung entstehenden Kohlensäurebläschen steigen 
durch den Helm in das oben zugeschmolzene Glasrohr, 
wo sie sich oben am zugeschmolzenen Ende ansammeln 
und die Salzlösung aus dem Rohr verdrängen, welche in 
das angefügte, nach oben gebogene offene Rohr entweichen 
kaDn. An einer dem Apparat angefügten Skala kann man für 
Temperaturen von 37 0 C und 20 0 C die Kohlensäuremengen 
ablesen, aus deren Volumen sich der Zuckergehalt berechnen 
läßt. Für konzentriertere Harne hat Basler noch einen 
anderen Apparat konstruiert, welcher dem beschriebenen im 
Prinzip vollkommen gleicht, dessen Gefäß zur Aufnahme des 
Harnes nur bedeutend kleiner ist und nur 0,5 ccm faßt. Man 
füllt diesen Apparat mit einer Pipette. Natürlich bedeuten bei 
diesem Apparat die Zahlen ganze Prozente. Auch dieser 
Apparat besitzt zwei Skalen, eine für 37 ü C, eine für 20 0 C. 
Mit. dem ersteren Apparat bestimmt man Zuckermengen von 
0,1 bis 1 % und mit dem anderen solche von 1 bis 10 % Zucker¬ 
gehalt. W. B. Müller, Berlin. 



Precis de Therapeutique et de Fharmacologie. 

Von A. Rieh and. Paris 1908. Masson V Cie. 938 S, Preis 
12 Fr. 

Im allgemeinen kann man sagen, daß wir Deutschen genug 
gute Lehr- und Handbücher der Pharmakologie und Pharmako¬ 
therapie besitzen, dennoch müssen wir dieses französische Werk 
als eine wertvolle Bereicherung für die Lehre von der Materia 
medica betrachten. In dem Abriß ist auf alles das Rücksicht 
genommen, was der praktische Arzt auf diesem wichtigen Gebiete 
seiner Tätigkeit nötig hat. So ist bei den meisten Mitteln nicht 
nur auf die Angabe der botanischen oder chemischen Abstammung 
Wert gelegt, auch die pharmakodynamische Wirkung und be¬ 
sonders die Dosierung und Anwendungsform ist zum Teil recht 
ausführlich besprochen. Wir begegnen keineswegs nur den offizi- 
nellen Arzneimitteln, sondern auch Veronal, Theophyllin, Dionin, 
Heroin, Stovain und vielen anderen, die neueren Datums sind. 
Physiologische und toxikologische Notizen sind ebenfalls da, wo 
es nötig erschien, aufgenommen. Recht vorteilhaft unterscheidet 
sich das Buch von vielen anderen der Art, daß dem speziellen 
Teil eine allgemeine Pharmakologie voransgeschickt ist, d. h. eine 
Reihe von Kapiteln, in denen die Resorptions- und Ausscheidungs¬ 
verhältnisse , Gewöhnung an Arzneimittel, Beziehung zwischen 
Konstitution und Wirkung usw. behandelt werden. In einem be¬ 
sonderen längeren Abschnitt werden die Wirkungsarten der 
mannigfachsten Arzneigruppen präzisiert, so die Antiseptika, Anti- 
parasitika, Topika, Revulsiva, Kardiaka, Diuretika, Diaphoretika, 
Expektorantia, Antipyretika, Hypnotika,’^Purgativa r usw. ^.Kurzum, 
jedem Arzte, der mit dem Französischen einigermaßen vertraut ist, 
ist das Richaudsche Buch zu empfehlen, Bachem-Bonn. 


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Die Liebe des Plato. Novelle von Leopold von 
Sacher-Masoch. Illustriert von Marquis Franz von Bayros. 
Leipzig. Georg U. Wigands Verlag. Preis 4 M. 

Wohl jedem Arzte ist der Name Sacher-Masochs be¬ 
kannt, und auch die psychosexueile Richtung, die dieser Schrift¬ 
steller in seinen Romanen einschlug. Ich erinnere nur an einen 
seiner bekanntesten, „Venus im Pelz“. Mußte er es sich ja auch ge¬ 
fallen lassen, daß von Krafft-Ebing einer ganz bestimmten 
Gruppe perverser Sexualerscheinungen nach ihm den Namen 
„Masochismus“ beilegte. Die vorliegende Novelle: „Die Liebe des 
Plato“ erschien zuerst vor ca. 30 Jahren. Sie besitzt ebenfalls 
einen perversen Anstrich. Stellen wie „Eine schöne Frau ist mir 
wie ein Kunstwerk, z. B. ein Gemälde, das man nie berühren, ja, 
dem man nicht einmal zu nahe kommen darf, wenn man den 
Zauber nicht schwinden sehen will“ auf der einen Seite und 
Stellen wie: „Wohin mein Verhältnis zu Anatol führen soll. Ich 
weiß es selbst noch nicht. Enttäuscht bin ich vollständig — ich 
meine in geistiger Beziehung, aber ich sehe, daß — daß er mich 
liebt und fühle Mitleid mit ihm,“ oder „ich habe mir ja über die 

Liebe nie Illusionen gemacht, aber., was bleibt uns also 

als die Freundschaft, die echte, männliche Freundschaft. So 
verstehe ich das Gastmahl des Plato“ u. a t zeigen denselben zur 
Genüge. 

Illustriert ist das Buch von Marquis Franz von Bayros. Wer 
ist dies? Den Kennern der erotischen Literatur ist derselbe kein 
Neuling. Ich erinnere nur an seine Illustrationen zu Cleland: 
„Memoiren der Fanny Hill“ und de la Gail: „Hundert neue 
Novellen“, „Geschichten aus Aretino“ u. a. 

Er ist einer der hervorragendsten Zeichner der Erotik, und 
zwar nur Frauenzeichner. Seine langen, schmalen, aristokratischen, 
dabei im Ausdruck und Haltung so vornehm sinnlichen Weiber¬ 
typen mit ihren sich reckenden, dünnen, ach, nur allzu dünnen, 
unnatürlich harten Gliedmaßen, Frauen, aus deren Augen die 
ganze sinnliche Glut uns entgegentritt, ohne — gemein zu 
sein, sie begegnen uns auch in den fünf Illustrationen zu vor¬ 
liegender Novelle und geben dem Ganzen einen künstlerisch-ätheri¬ 
schen Hauch. Die Ausstattung der kleinen Novelle seitens des 
Verlags ist glänzend. Rohleder-Leipzig. 

„Gesundheitsregeln ‘. Von Dippe. Leipzig 1908. Ver¬ 
lag S. Hirzel. Preis 1,50 M. 

Die individuelle Hygiene ist für die Mehrzahl aller Erkran¬ 
kungen mindestens ebenso prophylaktisch zu berücksichtigen wie 
die öffentliche Hygiene. Es ist mit Freuden zu begrüßen, wenn 
die wichtigsten Gesundheitsregeln für das tägliche Leben in einer 
so klaren und dabei doch anziehenden Form gelehrt werden wie 
in dem vorliegenden Buche. Was der Verfasser über Wohnung, 
Essen und Trinken, Kleidung und Körperpflege, Arbeit und Er¬ 
holung sagt, das sollte nicht’nur jeder Mensch wissen, sondern 
auch beherzigen. Die Lektüre dieses nützlichen Buches sei 
Aerzten und Laien nachdrücklichst empfohlen. 

Burwinkel-Bad Nauheim. 


Stillstand ist Rückschritt. Sollen wir unsere Patienten durch Ver¬ 
ordnung von Lebertran belästigen, wo wir im Fucol nicht nur ein leichter 
einzunehmendes, sondern obendrein energischer und schneller wirkendes Nähr¬ 
fett besitzen? Man verordne Fucol in Orig.-Flaschen ä 1 f 2 Liter ä M. 2,—. 
General-Vertrieb: Karl Fr. Töllner, Bremen. 



Schmackhafte Krankenkost 


MAGGI* Würze 

mit dem Kreuzstern 
Wenige Tropfen geben schwachen 
Suppen, Bouillon, Eierspeisen, Ge¬ 
müsen usw einen kräftigen, den Appetit 
anregenden Wohlgeschmack. 

Man achte auf den Namen .MAGGI und Kreuzstern. 

Wissenschaftliche Literatur und Proben auf Wunsch von der 

JIaggri-<Äesells©liaft, Berlin W. 57. 


I—I ALLGEMEINES. CD 


Wie wir in Nr. 14 mitteilten', veranstaltet der ZentraWer- 
band zur Bekämpfung des Alkoholismus zu Berlin auch in 
diesem Jahre wissenschaftliche Vorlesungen zum Studium des 
Alkoholismus. Wir teilen heute das Programm der Vor¬ 
lesungen mit. 

Dienstag, den 21. April. 9 1 /ä : Eröffnungsansprache: Geh. 
Med.-Rat Prof. Dr. Rnbner-Berlin. 10—11: Physiologische 
Wirkungen des Alkohols. Reg.-Rat Dr. Rost, vom Kaiserl. Ge¬ 
sundheitsamte, Berlin. 11—12: Die katholische Kirche im Kampfe 
gegen den Alkoholismus. Monsignore Dr. Werthmann, Geistl. 
Rat, Freiburg im Br. Abends 8—10: Wehrkraft und Alkohol. 
Oberstabsarzt Dr. Brunzlow-Posen. — Mittwoch, den 22. April. 
10 —12: Gasthausreform auf dem Lande. Pastor Reetz-Sied- 
kow. Abendi 8 — 10: Alkohol und Geschlechtskrankheiten. Dr. 
med. W o 1 f - Schöneberg. — Donnerstag, den 23. April. 10—12: 
Das Trinken in der deutschen Geschichte. Pastor Dr. Stubbe- 
Kiel. Abends 8—9: Alkoholismns und Deutschtum in den Verein. 
Staaten von N. A. Professor D. Dr. Rade-Marburg. 9—30: 
Die Bedeutung der Alkoholfrage für die Arbeiterschaft. Gewerbe¬ 
inspektor Dr. Bender- Berlin. — Freitag, den 24. April. 10 —11: 
Die evangelische Kirche im Kampfe gegen den Alkoholismus. 
Konsistorialrat Pfarrer Mahling -Frankfurt a. M. 10—12: Krimi¬ 
nalität und Alkohol. Generalsekretär J. Gons er-Berlin. Abends 
8 —10: Der theoretische Nährwert des Alkohols. Professor Dr. 
Kassowitz- Wien. — Sonnabend, den 25. April. 10 —12: 
Volkswohlfahrt und Alkoholismus. Ob. Med.-Rat Professor Dr. 
Gruber-München. Schlußansprache: Senatspräsident Dr. von 
Strauß und Torney, Wirkl. Geh. Oberreg.-Rat, Berlin. 

An den Nachmittagen finden Besichtigungen sozial-hygieni¬ 
scher Einrichtungen wie der Berliner Arbeiterkolonie, der Blinden¬ 
anstalt Steglitz, des Erziehungsheims am Urban, des Hygienischen 
Instituts der Universität usw. nsw. statt. 

Alle Anfragen sind an die Geschäftsstelle des Zentralver¬ 
bandes zur Bekämpfung des Alkoholismus (Berlin), z. H. der Frau 
Gerken-Leitgebel, Friedenau bei Berlin, Rubensstr. 37 zu 
j richten. 


Patent-Nachrichten. 

Patenterteilungen. 

30 k. 190709. Mutterrohr mit abspreizbarem Kopfgestell. 
Joseph Jacob Brin, Chikago; Vertr.: A. Wiele, Pat.-Auw., Nürn¬ 
berg. 29. 6. 06. B. 43504. 

Für diese Anmeldung ist bei der Prüfung gemäß dem Unions¬ 


vertrage vom 


20. 3. 83 
14.12.00 


die Priorität auf Grund der Anmeldung in 


den Vereinigten Staaten von Amerika vom 20. 7. 05 anerkannt. 

30 k. 190 804. Harnröhrenspritze mit Gummiball und Rück¬ 
schlagventilen. James Henry Hoseason, Manchester, Engl.; Vertr.: 
Pat -xVnwälte Dr. R. Wirth, C. Weihe, und Dr. H. Weil, Frank¬ 
furt a. M. 1, und W. Dame, Berlin SW. 13. 9. 10. 06. H. 38916. 

30 a. 316 234. Thermometerhülse aus Glas znm Schutze 
gegen Uebertragung ansteckender Krankheiten. Dr. Siegfried 
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IT 1 . A. Hoppen u. R. Fischer 
Patentanwälte 

Berlin SW. 13» Neuenburgerstraße 15 

Amt IV 718. 




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Druck der Heynemannschen Buchdruckerei, Gebr. Wolff, Halle a. S. 


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Wochenschrift für die gesamte Therapie des praktischen Arztes. 


0. Anton, A. Dfihrssen, C. A. Ewald, P. Gerber, R. Robert, 

Halle a. S. Berlin. Berlin. . Königsberg. Rostock. 

Ad. Schmidt, H. Schmidt-Rimpler, H. Senator, 

Halle a. S. ^Halle a. S. Berlin. 


Redaktion: 

Berlin S. 14, Dresdenerstr. 44. Tel. IV, 11773. 
Dr. med. et phil. H. Lungwitz. 


Herausgegeben von 



M. Koeppen, M. Mosse, K. Partsch, H. Rosin, H. Schlange, 

Berlin. Berlin. Breslau. Berlin. Hannover. 

R. Sommer, H. ünverricht, 0. Vulpius, 

Gießen. Magdeburg. Heidelberg. 


Verlag u. Expedition: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung 
in Halle a. S., Reilstraße 80. 

Tel.-Adr.: Marhold Verlag Hallesaale. Fernsprecher 823. 


Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte der Ostsee und der 

Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 


n. Jahrgang. 


Halle a. S., 19. April 1908. 


Nr. 16. 


Die „Therapeutische Rundschau* erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2M., einzelne Nummer 20 Pf. Bestellungen nehmen jede Buchhandlung 
die Post, sowie die Geschäftsstelle: Carl Marhold Verlagsbuchhan-dl ung in Halle a. S. entgegen. Inserate werden für die 4gespaltene Petitzeile oder deren Raum 
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Nachdruck der Original-Aufsätze ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. — Nachdruck der anderen Rubriken ist nur mit Quellenangabe gestattet 



Kann die Ursache des nervösen Asthmas in einer 
Störung des Organgeffihls für das respiratorische 
Gleichgewicht gefunden werden? 

Von Dr. med. Georg Avellis in Frankfurt a. M. 

Die letzten Jahre haben uns eine merkwürdige Fülle von 
neuen Zusammenhängen gebracht, die die Abhängigkeit körper¬ 
licher Vorgänge von seelischen Prozessen illustrieren. Vor 20 
Jahren hätte niemand geahnt, daß diese erstaunlichen Dinge 
sich experimentell erweisen lassen und daß der Rayon der Ein¬ 
flußsphäre zerebraler Veränderungen funktioneller Art auf den 
Ablauf körperlicher, motorischer und sekretorischer Vorgänge 
bedeutend erweitert werden muß. 

Der Zweck dieser Zeilen ist zunächst der, zu untersuchen, 
ob die schon längst bekannte, aber nicht richtig gedeutete 
Nervenstimmung bei den Attacken des Asthmas nicht über¬ 
haupt zu einer anderen Aetiologie und ärztlichen Auffassung 
des Asthmas führen kann und so der Therapie neue Wege zu 
weisen wären. 

- Wir wollen vom Bekannten zu dem Neuen fortschreiten 
und deshalb mit der Betrachtung der sekretorischen Vorgänge 
bei der Verdauung beginnen, um nachher die sekretorische Ver¬ 
änderung der Respirationsprozesse zu analysieren. 

Noch vor wenigen Jahren war die Vorstellung von der 
Verdauung der aufgenommenen Nahrung eine im wesentlichen 
mechanische; der mechanische Reiz der Speisen auf die 
Magenschleimhaut rege die Verdauungsdrüsen an, so dachte 
man früher, so daß ihre verschiedenartigen Säfte sich auf die 
Bestandteile der verkleinerten Nahrung ergießen und nach 
chemischen Gesetzen den Speisebrei dissoziieren. Pawlows 
Versuche haben nun merkwürdige Tatsachen festgestellt, von 
denen ich nur die folgenden als Illustration für meinen Ideen¬ 
gang anführe. Er hat gezeigt, daß es bereits genügt, bei einem 
Hund die Vorstellung von Fleisch zu erwecken, indem man 
ihm solches von weitem zeigt oder auch nur den Geruch 
von Fleisch an anderen Gegenständen übermittelt, um reich¬ 
liche Mengen von Magensaft zur Ausscheidung zu bringen. Er 
hat ferner gezeigt, daß die Menge des abgeschiedenen Magen¬ 
saftes sehr verschieden ist, je nachdem dem Tier die gezeigte 
Nahrung angenehm ist oder nicht Beim Anblick von Fleisch 
sieht man viel' Magensaft, beim Vorhalten von Brot, auf das' 


die meisten Hunde wenig Appetit haben, nur wenig Magen¬ 
saft fließen. Es gibt also einen Appetitsaft, der auf psy¬ 
chische Vorstellung hin reichlich fließt, lange, ehe die Speise 
wirklich aufgenommen wird, und den Speisemagensaft. der 
durch unmittelbare Reizung der Magenschleimhaut hervorge¬ 
rufen wird. Beide Säfte richtig gemischt geben erst die nor¬ 
male Leistungsfähigkeit der Verdauung. Aehnlick ist es mit 
der Speichelabsonderung; bei trockener, fester Nahrung gibt es 
eine reichliche Menge von Speichel, die zum Schlüpfrigmachen des 
Bissens notwendig ist, bei flüssiger Nahrung wenig, da er hier 
entbehrlich ist. Gibt man einem Hund einige kleine glatte 
Steine in das Maul, so läßt er dieselben nach einiger Zeit ohne 
wesentliche Speichelabsonderung wieder herausfallen ; gibt man 
ihm Sand, so scheidet er massenhaft Speichel ab. Das ist 
keine mechanische Reizung der Mundschleimhaut, denn hat 
man das Experiment mit dem Hund öfters gemacht, so sondert 
er den reichlichen Speichel schon ab, wenn man ihm den Sand 
nur zeigt, während ein anderer Hund, mit dem man noch nicht 
experimentiert hat und der mit dem Anblick von Sand noch 
keine feste Vorstellung verbindet, beim Yorzeigen desselben 
keinen Speichel fließen läßt. Dasselbe Experiment ist auch 
auf folgende Weise ausgeführt worden: Betupft man die 
Schleimhaut mit rot oder schwarz gefärbtem Essig, so tritt 
reichliche Speichelabsonderung auf, macht man das einige mal 
und zeigt dann dem Hund rotes oder schwarzes Wasser, so 
läßt er sofort reichlich Speichel fließen, während ein uneinge- 
übter Hund, der keine Vorstellungen mit der gefärbten Flüssig¬ 
keit verbindet, keinen Speichel absondert. Das diene nur als 
Beispiel (ich lasse die viel komplizierteren Versuche über 
Pankreassaftabsonderung beiseite und betone nur, daß bei 
Menschen mit Magenfisteln ähnliche Experimente zu gleichen 
Resultaten geführt haben), um den Zusammenhang zwischen 
seelischen Vorgängen und sekretorischen Vorgängen, die nicht 
dem Willen unterliegen, zu zeigen. Mehr darf man eigentlich 
nicht sagen, man darf nicht sagen, die Verschiedenheit der 
Saftabsonderung stehe in einem direkten ursächlichen Verhält¬ 
nis zwischen seelischem Vorgang und körperlicher Funktion; 
das ist wohl möglich, wahrscheinlich aber doch nur eine 
menschliche Meinung, keine Tatsache. Für uns Aerzte genügt 
ja auch zunächst die Wissenschaft von der regelmäßigen Koin¬ 
zidenz und Kongruenz bestimmter köperlicher Vorgänge und 
seelischer Vorstellungen, und es ist unerheblich, ob wir diese 
Aneinandergebundenheit als Ursache und Wirkung in direkter 
Weise ansehen oder ob wir eine Spekulation darüber ganz bei¬ 
seite lassen und uns begnügen mit der Feststellung dieses 
Abhängigkeits Verhältnisses. 

Erinnern wir uns jetzt, daß beim Menschen die Herrschaft 
des Zentralorgans, zu dem wir einmal einfach das Bewußtsein 
die Abstraktion, das Sprachvermögen usw. rechnen wollen 


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^ y** 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


mehr wie beim Tier her vortritt, so ist sofort verständlich, daß 
man beim Menschen nicht mehr den Gegenstand (sagen wir 
einmal Fleisch oder Brot, oder Fleisch oder Kot) vorzuhalten 
braucht, um die Magensekretion zu beeinflussen, sondern daß 
es schon genügt, wenn wir durch die Sprache oder durch Ge¬ 
fühlsübertragung die Vorstellung von genießbarem Fleisch 
oder ungenießbarem Kot bei ihm hervorrufen, um Hunger und 
Saftsekretion oder Ekel und Ausfall der Sekretion zu erzeugen. 
Ich erinnere hierbei an die Ihnen allen bekannten Experimente, 
in denen man durch Wach- oder Schlafsuggestion suggestible 
Leute rohe Kartoffeln, Papier etc. mit Appetit essen ließ. 
Gehen wir einen Schritt weiter und denken nun nicht an nor¬ 
male, sondern an nervöse Menschen, bei denen eine Reihe von 
Hemmungen fehlen und bei denen für den Normalen unzu¬ 
reichende Reize übergroße Hemmungen und Effekte hervor¬ 
bringen, so bekommen wir eine Vorstellung, wie ein (sagen 
wir) Angstgefühl sekretorische und motorische Veränderungen 
hervorbringen kann. Gehen wir mit raschem Schritt auf unser 
Spezialgebiet über und denken wir einen Fall, der praktisch 
oft beobachtet ist, daß jemand durch ein unbewußtes Gefühl, 
oder durch die Vorstellung, • keine Luft mehr zu bekommen 
(sagen wir ein Kind nach Keuchhustenattacken, nach Masern¬ 
bronchitis, oder ein Erwachsener infolge eines psychischen 
Traumas, verbunden mit irgend einem Atemhindernis, z. B. 
Bronchialkatarrh), eine Asthmaattacke erleidet, so dürfen wir 
den Ablauf der Erscheinungen derart verstehen, daß psy¬ 
chische Vorstellungen einer Störung des respiratorischen 
Gleichgewichtes den natürlichen unbewußten Atemtypus 
in einen der krankhaften Lage angepaßten bewußt anomalen 
Atemtypus verwandelt (Uebertreibung der Inspirationsgröße) 
und zu gleicher Zeit oder bald nachher auch die sekre¬ 
torischen Veränderungen im Vagusgebiet (Rhonchi und Rasseln) 
hervorbringt. Es ist nicht nötig, daß dieses Gefühl jedesmal 
oder überhaupt je in den Bereich des Bewußten tritt, es ge¬ 
nügt dafür das unterbewußte Gefühl einer Atemnot. Zum Be¬ 
weise, daß das keine graue Theorie, sondern durch Beobachtung 
gewonnen und befestigt ist, will ich eben nur eine einzige Be¬ 
obachtung am Krankenbett hier anführen, die gewiß auch schon 
von anderer Seite festgestellt worden ist. Eine Dame, die seit 
drei Jahren so gut wie beständig an einem chronischen asth¬ 
matischen Zustand litt, mit einer ganzen Gruppe von pfeifenden 
und giemenden Geräuschen auf der Brust, wurde zum Zweck 
einer Operation chloroformiert. Noch auf dem Operationstisch 
konnte man die bekannten Geräusche auskultatorisch feststellen. 
Während der Chloroformnarkose waren sie wie durch Zauber 
verschwunden. Also Ausschaltung eines gewissen psychischen 
Anteils; Aufhören der krankhaften Geräusche in den Bronchien. 
Nach der Narkose war wieder das alte Giemen zu hören. In 
Brügelmanns Buch über das Asthma, in dem sich höchst 
lehrreiche Krankengeschichten, wo mit ebenso eklatanter 
Wirkung wie durch eine Morphiuminjektion durch suggestiven 
Einfluß die Asthmaattacke und deren objektiv wahrnehmbare Er¬ 
scheinungen zum Verschwinden gebracht wurden. Im Verfolg 
dieser Ideen, die ich an anderen Orten ausführlicher belegen 
will, ist es mir zusammen mit Dr. Mannheimer sogar ge¬ 
lungen, bei einer hypnotisch gut veranlagten Person, die nie 
an Asthma gelitten hat, einen Teil des asthmatischen Atem¬ 
typus willkürlich hervorzurufen. Bei der Suggestion: die 
Luft wird schlecht und knapp, machte die Hypnotisierte ohne 
vorherige Instruktion tiefe, frequente, inspiratorische Atemzüge 
mit solcher Hebung der unteren Thoraxenden, daß beim In¬ 
spirieren sich der Bauch einzog. Es trat ein quälender, 
trockener Husten auf, gerade wie sich der Asthmatikus quält, 
Schweißausbruch, ängstlicher Gesichtsausdruck, Spiel der Nasen¬ 
flügel. Nur das Giemen in den Bronchien kam nicht sofort 
zustande. 

Beim Asthma handelt es sich aber nicht bloß um sekre¬ 
torische Vorgänge, sondern auch um eine Aenderung des Atem¬ 
typus mit Aufblähung der Lunge und erschwerter Ausatmung. 
Können solche Dinge auch auf rein nervöse Ursachen, also als 
Reflexerscheinungen, aufgefaßt werden ? Und kann man solche 
Auffassung begründen? Ja! Christian Bohr, Kopenhagen, 
hat experimentell erwiesen, wie er auf der diesjährigen Natur¬ 


forscherversammlung in Dresden an demselben Tage vor trug, 
als ich in der Laryngologischen Sektion meine Anschauung des 
Asthmas als eine Störung im Gefühl des respiratorischen 
Gleichgewichts Vorbrachte, daß bei bestimmten Untersuchungen 
über die Vitalkapazität sich unter anderem folgendes Gesetz 
ergeben hat. Wenn man eine Person, deren Vital- und Total¬ 
kapazität der Lunge man gemessen hat, anstrengend arbeiten 
läßt und dann wieder den Ruhestand abwartet und nun mißt, 
so verkleinert sich die Vitalkapazität durch Vergrößerung der 
Residualluft um ^ 2 ' Liter. Es tritt eine zwangsmäßige 
Reflexhemmung derart ein, daß die sich selbst regulierende 
Atembewegung nicht erträgt, wenn die Lunge sich ganz ent¬ 
leert, sondern schon vor dem richtigen Schluß der Ausatmung 
eine Einatmungsbewegung beginnt, ohne daß Dyspnoe vor¬ 
handen ist. Bohr führt das auf eine gefühlte und unbewußt 
gewollte Erleichterung des Kreislaufs und der Herzarbeit zurück. 
Er fand ferner, daß die Mittelkapazität der Lunge (also die 
Lungengröße) stets reflektorisch nach den Ansprüchen an die 
Funktion sich einstellt. Geht Arbeit voraus, so vergrößert 
sich die Residualluft, es bleibt auch nach der Arbeit eine 
Zeitlang beim Normalmenschen einVolumen pulm. auctum 
zurück. Also ein physiologisches Emphysem! Durig 
(Centrb. f. Phys. 1903) fand nach längeren Anstrengungen 
(Gebirgsmarsch) eine Lungenvergrößerung von mehreren Tagen. 
Hier kann es sich nicht um Erschlaffung der Lungenelastizität 
handeln, das geht nicht in Stunden vor sich und verschwindet 
nicht wieder nach kurzer Zeit, sondern hier handelt es sich 
um eine reflektorische Einstellung des Atemtypus, der eine 
Vergrößerung der Atemoberfläche erzielen will und kann. Der 
Typus entspricht dem Asthmätypus: Blähung und verminderte 
Ausatmungsfähigkeit. 

Wir lernen also hier einen kompensatorischen Re¬ 
flex beim Gesunden kennen, der mir den Weg bestätigt, 
den ich, ohne diese neuesten Dinge zu kennen, im Auge hatte, 
wenn ich den Asthmatypus als eine nervöse Störung im respi¬ 
ratorischen Gleichgewicht angesehen wissen will. Auch die 
Pathologie gibt Beispiele an die Hand, die unsere Ansicht be¬ 
stätigen. Ziert mann (Münch, med. Woch. 1894) hat akute 
Lungenlähmung bei Angstzuständen Geisteskranker be¬ 
schrieben. 

Wir wissen also, daß Vorstellung oder Erregung, wahr¬ 
scheinlich auf dem Umwege übers Herz, den Atemtypus dem 
Träger unbewußt so ändert, daß eine Lungenblähung nicht 
organischer Natur auf tritt und die Ausatmungsmöglich¬ 
keit durch einen selbsttätigen zwangsmäßigen Re¬ 
flex gehemmt wird. Diese beim Normalmenschen auftretende 
Regel wird nun beim Nervösen oder nach einem Chok oder 
nach einer Affektion der Atemwege so gesteigert, daß der 
Typus eines Asthmatikus sich entwickeln kann. 

Es scheint vielleicht manchen, daß meine Erörterungen 
nicht genügend begründete Spekulationen sind, deshalb will ich 
auf einen Gewährsmann nicht verzichten, gegen dessen Be¬ 
obachtungsgabe niemand etwas einwenden kann: Helmholtz. 

Dieser spricht bei der Erwähnung „innerer Empfindungen“ 
von einem „Gefühl des Atembedürfnisses“. 

Das Luftbedürfnis wird analog den fühlbaren Aenderungen 
des Herzschlags und der Durstempfindung gesetzt. Helm¬ 
holtz spricht bei den unbestimmt wahrnehmbaren inneren 
Empfindungen von einem Gefühl für Atmungshemmnisse und 
bezieht das Gefühl für den Lufthunger auf eine Organ¬ 
empfindung des Atmungsapparates (der Lungen ?) und erwähnt, 
daß der Lufthunger durch Atmungsbewegungen gemindert und 
„lokalisiert“ wird. 

Ich habe zufällig erst nach der Konzeption des Gedankens, 
daß das Asthma nur ein Ausdruck eines ins labile Gleichge¬ 
wicht geratenen Organgefühls für das respiratorische Bedürfnis 
ist, diese Ideen Helmholtz’s gefunden und mich gefreut, bei 
dieser Autorität auch schon die Gebundenheit des Gefühls für 
das Atemgleichgewicht an das Organ der Lungen genannt zu 
finden. 

Es ist also wiederum alles Gescheite schon einmal gedacht 
worden und muß nun noch einmal gedacht werden. 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


255 


! s Gesichtspunkt dürfen auch die unbestimmten 

Örganempfihdüngen, die den lustlosen Empfindungen an gehören 
und in die Brust lokalisiert werden, bei solchen Asthmatikern 
zurückgeführt werden, die vor dem Anfall eine deutliche Vor¬ 
empfindung haben. 

Wie normale Menschen das kommende Erröten und Er¬ 
blassen vorempfinden, so haben Asthmatiker manchmal eine 
Aura vor der Attacke, die auch zu dem Organgefühl für das 
respiratorische Gleichgewicht gehört. 

Brügelmann, früher schon Sig. Goldschmidt, be¬ 
tonen den Einfluß des Zentralorgans. 

B. schreibt: „Ich sage absichtlich stets Zentralorgan und 
lasse mich auf speziellere Defmierung nicht ein, weil die Neuro¬ 
logen und Physiologen bis jetzt den Sitz der Atemzentren 
nicht mit absoluter Sicherheit nachgewiesen haben. Der 
Akzessorio-Vagus sowie die Medulla oblongata sind allerdings 
die wahrscheinlichsten Ursprungsstätten der Atmung.“ 

Brügelmann verzichtet auf die nähere Defmierung, was 
er mit dem Reiz des Zentralorgans meint, weil der Sitz des 
AtmungsZentrums noch nicht genügend erforscht sei, und 
hält Vagus und Medulla wahrscheinlich für die „Ursprungs¬ 
stätten der Atmung“. Auf dieser Basis wird man schwerlich 
als Arzt zu einem Verständnis einer Respirationsstörung kommen, 
wie sie z. B. als Asthmaattacke in Erscheinung tritt. Wir 
brauchen aber auch zunächst zum Verständnis gar keine ana¬ 
tomische Lokalisation, sondern nur ein physiologisches Be¬ 
greifen. 

Um auf diesem Wege vorwärts zu kommen, möchte ich 
noch ein paar triviale Tatsachen als Beispiel anführen. 

Sie alle wissen, daß psychische Vorgänge, z. B. Reise¬ 
fieber, Examenserregung, Aenderungen im Gefäßsystem („der 
rote Kopf der Examinierten“) und Aenderungen im sekre¬ 
torischen System („nervöse Darmstörungen“) hervorbringen. 
Die Jäger unter Ihnen wissen, daß Jagdhunde am Anfang der 
Jagd vor Erregung Durchfall bekommen. Schreck oder Freude 
kann sekretorisch die Absonderung des Appetitsaftes hemmen 
oder motorisch die Extremitätenmuskulatur lähmen. Ein Be¬ 
kannter von mir bekommt bei schräg abfallenden Gebirgs¬ 
wegen, wo jede Gefahr des Absturzes ausgeschlossen ist, plötz¬ 
lich gegen seinen festen Willen einen solchen Chok, daß sekre¬ 
torische Veränderungen (profuser Schweißausbruch) und mo¬ 
torische Störungen (Versagen der Beine, Zittern der Knien) 
ohne Drehschwindel auftreten. Er sitzt dann unerwartet an 
einer Wegstelle fest und muß nach einiger Zeit in großer 
innerer Empörung umkehren. 

Genug der Beispiele! Sie lassen sich ja vielfach ver¬ 
mehren und beweisen im allgemeinen nur die Abhängigkeit 
körperlicher Vorgänge von seelischen Prozessen. Prozessen, 
nicht Vorstellungen! 

Hier kommen wir an etwas Neues, das ich vor Ihnen 
ausbreiten möchte, den springenden Punkt des heutigen Vor¬ 
trages. 

Bleiben wir zunächst einmal bei dem zuerst gewählten 
klinischen Beispiel eines psychogenen sekreto-motorischen Vor¬ 
ganges, wie wir ihn beim Asthma kennen. 

Es dürfte nur in den seltensten Fällen der Beweis zu 
führen sein, daß eine bewußte Vorstellung von Atemnot den 
ersten Asthmaanfall auslöst. Ich meine, das unbewußte Ge¬ 
fühl einer Respirationsbeschränkung bringt die Auslösung re¬ 
flektorisch zustande, natürlich nur, nachdem eine Anhäufung 
von Reizen das sichere Organgefühl für die selbsttätige Atem¬ 
regulierung in uns erschüttert hat. 

Der normale und gesunde Mensch „empfindet“ seine 
inneren Organe beständig, wenn auch schwach. Hunger und 
Durst nehmen wir innerlich wahr, Sattsein und Uebersättigung 
verlegen wir in den Magen. Auch unsere Gefäße können wir 
fühlen. Drückt man eine oberflächliche Vene längere Zeit zu, 
so spürt man allmählich in ihr eine ansteigende, fast schmerz¬ 
haft werdende Druckempfindung. 

Wir fühlen, wenn es Zeit ist, die Blase und Mastdarm zu 
entleeren, wir fühlen, wenn wir genug gegessen haben, wenn 
wir den Körper oder wenn wir den Geist genügend angestrengt 
haben. Wir fühlen die Stärkung durch einen Schlaf des 


Morgens und den Zeitpunkt des abendlichen Ruhebedürfnisses. 
Ja, wir fühlen auch in uns den Ablauf der Zeit; auch ohne 
Uhr fühlen wir, ob es morgens oder mittags ist, ob wir unge¬ 
nügend oder ausgeschlafen haben. Wir fühlen die Muskeln, 
ob sie Spannkraft oder Lahmheit besitzen, wir sind stets orien¬ 
tiert über die Lage unserer Glieder und unserer Eingeweide. 

Interessant wird nun also dieses Gebiet erst, wenn eines 
oder viele dieser Organgefühle aufgehoben sind. Es gibt 
Kranke, die ihre Eingeweide nicht mehr fühlen, die nicht 
fühlen, ob sie satt sind und nur mit dem Auge das Essen¬ 
quantum abschätzen können Sie fühlen sich weder morgens 
frisch noch abends müde, sie merken nicht, wenn es Zeit ist, 
ihre Exkremente zu entleeren, sie überanstrengen sich körper¬ 
lich, weil kein Ermüdungsgefühl auftritt.. Auch der Verfluß 
der Zeit wird nicht mehr selbsttätig gefühlt. Eine Patientin 
von d’Alonnes, eines französischen Klinikers, wies z. B. 
solche Symptome auf, die durch eine vollkommene Unempfind¬ 
lichkeit der Verdauungsorgane erzeugt wurden. 

So gut wir nun fühlen, ob wir satt oder hungrig sind, so 
fühlen wir auch, ob wir Luft genug oder zu wenig zum Atmen 
haben. Je nach den Anforderungen vermehrt sich und ver¬ 
tieft sich die Atmung, verflacht oder steht still. Laufen wir 
einen Berg hinauf, so fühlen wir rechtzeitig, daß wir atemlos 
werden können. Wir sind bedrückt und krank in schlechter, 
dicker Luft, gehoben und leistungsfähig in reiner und dünnei 
Luft. Ich brauche diese Dinge nicht auszuführen, sie sind 
selbstverständlich bekannt, aber noch nicht in dem von mir 
gewollten medizinischen Zusammenhang gedeutet und ausge¬ 
sprochen. Es steht also fest: jeder Mensch hat, solange er 
lebt, eine innere Kontrolle über sein respiratorisches 
Gleichgewicht, ein Organgefühl für die Funktion seiner 
Respirationsapparate. 

Ist es nicht naheliegend, daß dieses Organgefühl, diese 
Kontrolleinrichtung gestört werden kann? 

Durch eine sensible Störung in den oberen Luftwegen 
(Bronchitis, Katarrh, sowie Polyp, Reizung des Trigeminus oder 
Olfaktorius durch bestimmte flüchtige Stoffe etc.) oder durch 
eine sensible Störung in Organen, die einen Zusammenhang mit 
den oberen Luftwegen haben (Uterus, Zwerchfellhochstand, Herz 
etc.), entsteht dauernd oder plötzlich ein abnormes Gefühl für 
die Durchlüftungsgröße und auf diese Weise eine Reihe 
von Krankheiten, zu denen ich auch das Asthma rechne. Ich 
kenne dauerndes Asthma ohne alle Attacken und das häufigere 
Bild des Asthmaanfalles mit freien Intervallen. 

Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet können wir etwas 
Licht in die Entstehung und die Heilung des Asthmas bringen. 
Das Asthma ist keine Brustkrankheit, und alles Mikroskopieren 
des Brustschleims auf Spiralen und Kristalle kann so wenig 
Zur Erklärung beitragen, als wenn wir den Schweiß eines 
Kranken oder Sterbenden chemisch oder mikroskopisch unter¬ 
suchen wollten, um so seine Krankheit zu eruieren. Alle 
somatischen Erscheinungen beim Asthmaanfall sind Vorläufer 
oder Resultate, keine Ursachen, wenn auch Blähung, Giemen, 
exspiratorische Erschwerung als Folgezustände der Behand¬ 
lung zugänglich sind. Halten wir das fest, so können wir 
verstehen, daß erstens kein Asthmafall völlig dem andern 
gleicht und daß die Heilungswege so ganz verschieden sein 
und doch zum Resultat führen können. Der Weg zur Heilung 
richte sich zuerst auf die Eruierung der Reize, die eine Stö¬ 
rung des Organgefühls für das respiratorische Gleichgewicht 
hervorbringen können oder hervorgebracht haben, auf die Ver¬ 
meidung neuer Erschütterungen, d. h. Attacken, Ablenkung 
des Organgefühls vor und während des Anfalls durch ärzt¬ 
lichen Beistand, Atemkorrektur, Ablenken, wozu auch das 
Zählenlassen von Sänger gehört und event. Arzneien, die die 
Ueberreizung des Atemgefühls legen, also Morphium 
und Belladonna. Nun verstehen wir auch, warum die legalen 
wie die Geheimmittel stets in erneuter Verkleidung dieselben 
Bestandteile enthalten müssen. Nur diese Mittel wirken auf 
das Atemgefühl, sei es, daß sie unter die Haut eingespritzt 
oder in die Luftwege auf rauchigem oder flüssigem Wege 
inhaliert werden. Bei den durch Inhalation einzu verleib enden 
Asthma-Mitteln muß ich einen Augenblick verweilen, weil ich 


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256 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. ; ktYtfr 


mich seit Jahren speziell damit beschäftige. Bezüglich der 
alten Räucherpulver und ihrer neuen Anwendupgsformen kann 
ich auf meine früheren Publikationen (Münch, med. Wochen¬ 
schrift 1904, Nr. 43) verweisen. Die letzten Jahre haben den 
Siegeslauf des Tucker’schen Geheimmittels Onaway stetig 
vergrößert, so daß Nachahmer und ärztliche Prüfer immer von 
neuem ihre Aufmerksamkeit darauf richteten. Als praktisches 
Ergebnis kann ich persönlich feststellen: Tuckers Mittel 
wirkt bei einzelnen Personen jahrelang gut, dann plötzlich 
nicht mehr. Von Brügelmanns Nachahmung habe ich von 
Patienten nicht viel gehört, die Frankfurter Nachahmung, das 
Chinatrocin, hat sich vereinzelt gut bewährt, konnte aber 
den Tuck er nicht aus dem Felde drängen, die Münchener 
Nachbildung nach Einhorns Analysen soll nach Schäfers 
neuester Publikation die Konkurrenz gut bestehen, ich habe 
keine genügenden eigenen Erfahrungen. Endlich ist von Rit- 
s e r t und mir in Frankfurt eine neue Anordnung zur Inhalations¬ 
kur gefunden worden, die nach meinen Prüfungen ganz vorzüg¬ 
lich und überraschend wirkt. In Ritserts Mittel, Eupneuma 
heißt es, sind neben dem Anästhetikum (Anästhesin), dem Spe¬ 
zifikum Atropin durch ein Destillationsverfahien die bei der 
Räucherung entstehenden Produkte aus Salpetei, Strammonium 
und Belladonna, alles zusammen in eine ölige Inhalations¬ 
flüssigkeit zusammeDgebracht, die sich äußerst fein zerstäuben 
läßt und von der allergeringste Quantitäten (Biuchteile eines 
Milligramms Atropin) infolge der Vergrößerung der Flächen- 
resoiption auf dem Inhalationswege schon wirksam sind. Das 
Mittel wirkt auch bei Heuasthma. Ich kann nicht näher auf 
die medikamentöse Therapie hier eingehen, da solche Details 
vom Thema ablenken. 

Ich resümiere nur: Die Hauptsache bei allen diesen In¬ 
halationsmitteln sind nicht Mittel gegen Bronchialkatarrh etc., 
sondern Lähmungsmittel, die das Atembedürfnis zentral 
beeinflussen. 

Auch das rätselvolle Reden über das heilende Klima (wie 
ich in einer früheren Publikation sagte, hat jeder Asthmatiker 
ein optimales Privatklima), die klimatische Einwirkung, 
die wir niemals voraus wissen, und die beim einzelnen auch 
dann mal versagt, wo sie früher half, hat nichts mit der Luft¬ 
reinheit oder gar der lokalen Immunität zu tun; sie bewirkt auf 
das gestörte Atemgefühl eine Korrektur: wenn es glückt, zum 
Normalgefühl — und dann ist das Privatklima gefunden — 
und wenn es nicht glückt, zur Verschlechterung. 

Wie wenig das ordinierte Klima und wieviel die Verände¬ 
rung des organischen Atemgefühls ausmacht, sieht man schon 
aus der oft erlebten Tatsache, daß es den Kranken im Eisen¬ 
bahnwagen schon besser geht und bald nach dem Beginn der 
Bahnfahrt zu seinem eigenen Erstaunen, trotz Staub und Hitze, 
ein behagliches Wohlsein eintritt. Einem Asthmatiker Brügel¬ 
manns wurde es schon besser, wenn er in die Nähe von 
Paderborn kam. 

Turbans statistische Zusammenstellung über die große 
Zahl der im Hochgebirge sich wohlfühlenden Asthmatiker ist 
sehr wertvoll, schafft aber doch die Tatsache nicht aus der 
Welt, daß nach monatelangem Wohlsein schon bei der ersten 
Uebergangsstation in Thusis die schönste Asthmaattacke in der 
Nacht den erstaunten Patienten überrascht. Das Organge¬ 
fühl für das respiratorische Gleichgewicht ist eben bei solchen 
Menschen ein derart labiles, daß es schon durch die aller¬ 
feinsten und unbedeutendsten Dinge außer Ordnung gerät. 
Man denke an das Märchen von der Prinzessin mit der Erbse! 

Ein Normalmensch kann auch bei geschlossenen Fenstern 
und schlechter Luft schlafen, ein Allgemein-Nervöser glaubt 
schon ersticken zu müssen, wenn das Fenster nicht aufgeht, 
und der Asthmaprädisponierte bekommt im Schlaf Engigkeit, 
die ihn weckt und sich zum Anfall steigern kann. Nun pumpt 
er sich willkürlich inspiratorisch voll Luft, bis er die unwill¬ 
kürlichen exspiratorischen Kräfte nicht mehr richtig ausnützen 
kann. Dann nimmt er die charakteristische kopfgeneigte, nach 
vorn gebeugte Stellung an, um die willkürlich zu brauchenden 
Exspirationskräfte auszunutzen. Je öfter sich das wiederholt, 
desto leichter tritt das anomale Beklemmungsgefühl auf, schon 
die Furcht vor einem Anfall, ein kleiner Aerger, ein hastiges 


Suchen nach dem Hut, eine kleine Verspätung: die Atem* 
Störung ist fertig. 

Schlußbemerkung. 

Der Zweck dieser wenigen Worte kann dahin züsammen- 
gefaßt werden, daß ich ein an die Atmungsorgane gebundenes 
Organgefühl für die jeweilig nötigen Lüftungsgrößen des Indi¬ 
viduums annehme, wobei ich mich auf die Ausführungen 
Helmholtz’s und Bohrs nachträglich stützen kann. (Siehe 
die Beilagen zu dein Vortrage:- „Die Tatsachen in der Wahr T 
nehmung“.) 

Dieses Gefühl für das respiratorische Gleichgewicht ist 
beim Asthmatiker allzu labil geworden, so daß Dinge be¬ 
lästigend und antirespiratorisch wirken, die beim Normal¬ 
menschen nicht oder wenigstens als quantitativ unzureichend 
noch nicht in dieser Art gefühlt werden,. Auf diesem Wege 
ist der Einfluß der Psyche beim Zustandekommen des Asthmas 
und bei der therapeutischen Einwirkung durch Hypnose und 
ärztliche Erziehung durch Atemgewfihnung uüd bewußte Ab-' 
lenkung vom Atem Vorgang zu verstehen. 

Alle wirksamen Mittel, die irreguläre Atmungsart bekämpfen 
wollen, wirken alle via Nervensystem und nicht auf die 
Bronchien lokal. (Auf letztere nur Expektorationsmittel, wie Jod.) 

Als bester Ersatz für das Tuckersche Geheimmittel hat 
sich eine Lösung von Atropin und Anästhesin ergeben in 
einer salpetrigsauren Glyzerinlösung, die die durch Räucherung 
entstandenen Destillationsprodukte von Salpeter, Strammonium 
und Belladonna aufgenommen hat. Der Kürze halber hat von 
dem Hersteller des Mittels, das also kein Geheimmittel ist, das 
Präparat den Namen „Eupneuma“ erhalten. Es kann inhaliert 
oder einfach auf einem Wattepropf, der damit imprägniert 
wird, in die Nase gesteckt werden. 

Eine Heilung des Asthmatikers ist aber nur auf erzieh¬ 
lichem ärztlichen Wege, am besten in Spezialanstalten, die in 
diesem Sinne wirken wollen, zu erreichen. 

Ein erster Asthmaanfall soll für das therapeutische Handeln 
so alarmierend wirken wie eine Hämoptoe. Sind die falschen 
Bahnen erst ausgeschliffen, so ist die Kur-mühsamer und un¬ 
sicherer. 

Es gelingt mir oft mit Leichtigkeit, durch persönliche 
Gegenwart und mechanische Regulierung der Atemtypen in 
wenigen Minuten alles Giemen aus den Bronchien wegzuschaffen, 
die mühselige Atmung mit Residualüberluft in eine flache 
Mittelatmung zu verwandeln, vielfach auch einen beginnenden 
Anfall ganz zu kupieren. 

Die Folgezustände treten erst in später Zeit ein (Herz¬ 
dilatation, Herzmuskelschwäche, Stauung, chron. Bronchitis). 
Diese bedürfen der medizinisch-physikalischen Behandlung. 


Bossi und Kolpeurynter in der Hand des 
praktischen Arztes. 

Replik auf Dührssens Artikel in Nr. 10—12 d. W. 

. von Dr. E. Rohlff, Potsdam. 

Um den Raum der Zeitschrift nicht zu mißbrauchen, muß ich 
summarisch meine Antworten zusammendrängen. Dührssen hat 
das Wesentliche meiner Arbeit nicht erfaßt. Ich schrieb klar 
und unzweideutig nur für den .alleinstehenden Arzt, wie der mit 
seinen durchschnittlichen chirurgischen Fähigkeiten, gedrängt von 
noch anderen Pflichten, entweder sogar ganz allein oder mit einer 
Hebamme, höchstens mit noch einem Kollegen (nieht etwa Spezial¬ 
chirurgen), vielleicht außerdem noch bei schlechter Beleuchtung 
in dringenden Fällen neuere Errungenschaften zur Hilfeleistung 
benutzen könne. Dührssen zieht diese Umstände meist überhaupt 
nicht in Betracht, versetzt sich nicht in die von mir geschilderte 
Lage, sondern arbeitet stets bei guter Beleuchtung, mit der Technik 
des Spezialisten und viel Zeit (Metreuryse). Schon darum ist 
seine Entgegnung ein Muster, wie sie nicht sein soll! Er hätte 
streng sich in die Situation vertiefen und dann sagen müssen, 
was er jenem Praktiker gemäß dessen Fähigkeiten, Zeitbedrängnis 
usw. als Bestes rate. 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


257 


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Ferner hat D. meine Arbeit so flüchtig gelesen, daß er mir 
direkt nicht Gesagtes unterschiebt. Behufs Frühgeburtseinleitung 
betrachte ich die Kolpeuryntereinlegung nicht als unwirksam, nein, 
nur nicht als den anderen Methoden überlegen. Bei Plaz. praevia 
habe ich dem Praktiker den Bossi nicht empfohlen, was Dührssen 
■als Möglichkeit hinstellt. Ich habe nur theoretisch einen Fall 
konstruiert, wo er vielleicht ein Auskunftsmittel im Falle äußerster 
Not sein könnte. 

Drittens halte ich den schroffen Sprachgebrauch Dührssens 
für unrichtige „Rohlff hat kein Verständnis“, „ganz falsch ist 
seine Ansicht“ usw. Ich würde nie gewagt haben, als einfacher 
Arzt in solchen Fragen, wie „vaginaler Kaiserschnitt und Bossi“, 
„Wendung oder Metreuryse“ , über die der Entscheidungskampf 
noch lange toben wird, Partei öffentlich zu ergreifen, nur auf 
Grund einer reichen geburtshilflichen Praxis. Ich bin Self¬ 
mademan, habe strenge Kritik an meinen Handlungen geübt, 
verglich unaufhörlich in mindestens acht deutschen, vier französi¬ 
schen Werken und den Artikeln der Zeitschriften, was wohl von 
dem Dargebotenen das Beste für die Verhältnisse des Praktikers 
wäre. Das ist etwas anderes, als was man überhaupt tun kann. Be¬ 
ziehen sich Dührssens Worte auf ein Operationsverfahren, so 
bedeutet sein „falsch“ weiter nichts als: nach D.s Meinung müßte 
dieses Verfahren angewendet werden, während Geburtshelfer 
ersten Ranges jenes von mir vorgezogene als besser empfehlen. 
Alles übrige trifft mich selbst; doch kann ich das ruhig ver¬ 
tragen, denn meine Arbeit ist weder aus dem Handgelenk ge¬ 
schüttelt, noch zusammengestohlen, sondern sie ist die Fracht 
vieljährigen Vergleiehens und eigenen Denkens am Gebärbett so¬ 
wohl wie an der Hand bester Lehrbücher. 

Unangenehm aber werden solche Schroffheiten für den Schreiber, 
wenn der angegriffene Gegner in Selbstverteidigung zur gleichen 
Waffe greifen kann, weil der erstere sich die Blöße gegeben 
hat, zu flüchtig zu lesen (s. o.), um überhaupt das Wesentliche 
der kritisierten Arbeit zu erfassen, was ich beweisen werde. 

Bezüglich Plaz. praevia gibt Dührssen der Metreuryse den 
Vorzug. Soeben hat Zweifel die Wendung als besser empfohlen. 
Ein gleiches Resultat ergab eine kürzlich stattgefundene Diskussion 
Königsberger Gynäkologen. Ja, wem soll man denn nun glauben? 
Dührssen hat den springenden Punkt, obwohl ich ihn klar 
zeichnete, nicht gefunden. Nicht auf kleine Statistikdifferenzen 
kommt es für den beschäftigten Praktiker an, sondern es können 
nur die beiden Fragen in Betracht kommen, welche Operations¬ 
methode paßt in den schweren Fällen immer und welche dauert 
nicht viele Stunden. Beides trifft nur auf die Wendung zu. Die 
Metreuryse kann nur für denjenigen in Betracht kommen, den 
sonst nichts drängt oder der es für erlaubt hält, fortzugehen. 
Wenn D. sagt: „ja, der Arzt darf fortgehen“, dann kann er die 
Metreuryse empfehlen, sonst nicht. Aber er berührte diese 
Kardinalfrage nicht. 

Meine Operationsergebnisse findet er mäßig. Ich erwähnte, 
daß ich im Gegensatz zu Men de die leichten Fälle nie gerechnet 
hätte. Addierte ich die, schnell wäre meine Statistik enorm auf¬ 
gebessert! D. übersieht wiederum, worauf es ankommt. Wenn 
ein und derselbe Operateur unter 14 ernsten Fällen in der Stadt 
eine Tote, unter 8 auf dem Lande aber 4 Tote hat, dabei aber 
stets dieselbe Operationsmethode anwandte, so beweist dies 
schlagend, daß die Zeiten, wann der Helfer erscheint, viel wichtiger 
sind als die der ein oder anderen Methode zugeschriebenen Vor¬ 
teile. Der Praktiker braucht sich den Kopf wirklich nicht über 
sich widersprechende Statistiken zu zerbrechen. 

Bei vorzeitiger Plazentarlösung, behauptet Dührssen, sei 
das von mir für Mehrgebärende empfohlene Accouchement force 
allgemein verworfen. Er will schnell ganz wenig mit Kolpeurynter 
erweitern und dann mittels Kranioklast den Kopf herabziehen. 
Ich rate keinem, dies zu versuchen, der Kranioklast würde wieder 
und wieder ausreißen. Nein, Bossi ist, wenn der Zustand noch 
irgendwie Zeit dazu läßt, das Beste, bei Mehrgebärenden sonst 
noch das Accouchement force! Zum Ballon ist nur in leichten 
Fällen Zeih Diese Meinung wird sogar im neuesten großen 
französischen Sammelwerk von Bar, Brindeau usw. ausge¬ 
sprochen, obwohl der Bossi in Frankreich wenig benutzt wird. 
D. empfiehlt selbst hier einen Kaiserschnitt! So wenig denkt er 
an die wirkliche Situation, wo der Arzt entweder ganz allein, 


vielleicht eine Hebamme und sehr, sehr selten einen Kollegen 
zur Seite hat! 

Betreffs verschleppter Schulterlage sehe ich zu meinem Be¬ 
dauern, daß D. meine Worte so auslegen konnte, wie er es getan 
hat. Gemeint war es nicht so. Den Ballon muß man verwenden, 
wenn die Zeit reicht, weil er das weniger eingreifende Verfahren 
ist. In der Praxis aber werden immerhin Fälle Vorkommen, wo 
vielstündiger Wasserabfluß ein schneller wirkendes Verfahren er¬ 
heischt. Für diese reserviere ich den Bossi. 

Ueber dringliche Frühgeburtsbehandlung sind wir einer Mei¬ 
nung; doch macht Dührssen den richtigen Zusatz, daß, wenn 
andere Mittel zur schnellen Eröffnung versagen, unbedingt zu 
seinen Schnittmethoden gegriffen werden müsse. Selbst der allein¬ 
stehende Praktiker hat nach meiner Ueberzeugung diese Pflicht, 
weil sonst die Frau sicher verloren ist. Die von D. angegebenen 
Einschnitte über dem eingeführten Ballon sind wohl eine dankens¬ 
werte Bereicherung der Technik. 

Auch der wassergefüllte Ballon also reponiert die einge¬ 
klemmte schwangere Gebärmutter. Hilft er aber in den schweren 
Fällen? Die Frage bleibt offen, oder vielmehr ist eigentlich doch 
klar: bei jauchiger Zystitis darf man keine Zeit verlieren, muß 
also manuell reponieren. 

Nun zur Abwägung der Gefahren der Bossimethoden einer¬ 
seits und Dührssens Schnittmethoden. 

Dührssen nennt meine Darlegung, daß die Bossierweiterung 
dem natürlichen Vorgang gar nicht so fern stehe, wie es aut den 
ersten BÜck erscheint, ganz falsch. Er hält sich mit seiner 
Kritik an das von mir geforderte Zeitminimum. Jedoch ubersieht 
er ganz, daß dieser Punkt unzweideutig nur dazu dienen sollte, 
die Schnelligkeitsrekords als unsinnig klar zu stellen! Ich nenne 
ja das Bossiverfahren eine „mäßig gefährliche Operation“ und 
verlange, daß es nur unter dem Druck großer Gefahren an¬ 
gewendet werden solle! Daß also alle Kreißenden ohne Gefahr 
in 1 Stunden mit dem Bossi entbunden werden könnten, der 
Gedanke kam mir nie. Nur zeigen wollte ich, daß man die 8 Stahl¬ 
arme nicht als so etwas ganz Bedenkliches ansehen dürfe, wie es 
im ersten Augenblick den Anschein hat. 

Was kann nun der größte Bossifeind dem Instrument vor¬ 
werfen? Erstens Einrisse in 37% der Fälle. Ja aber mit 
welchen Folgen an Blutung, Schmerzen, Braud. Fieber und vor 
allem Tod ? D. sagt nichts davon; vor allem erwähnt er keinen 
Todesfall. Ich will daher ergänzend hersetzen, was jenes neueste 
französische Werk angibt, entlehnt deutschen Statistiken: ein Fall 
von Brand, drei, sage nur drei Fälle von tiefen Einrissen, keinen 
Todesfall, demnach , worauf es am meisten ankommt: Mortalität 
des Bossiverfahrens 0. 

Der Bossi bedinge weiter die hohe Zange, und davon habe 
man gerade genug, sagt Dührssen. Scheineinwand! Die hohe 
Zange ist berüchtigt wegen der sie sonst bedingenden räumlichen 
Mißverhältnisse. Ein derartiges Zusammentreffen mit der Bossi- 
indikation kann nur so selten sein, wie überhaupt eine hohe Zange 
unter Geburten vorkommt, also sehr selten. Die weiteren Ge¬ 
fahren einer hohen Zange fallen entweder zur Last einer unver¬ 
ständigen hartnäckigen Gewaltanwendung oder dem traurigen 
Umstand, daß der deutsche Arzt selten die Achsenzugzange be¬ 
nutzt. Kann auch diese den Kopf nicht modellieren, so gestattet 
sie doch automatisch die richtigen Drehungen. In unseren Fällen, 
wo knöcherne Hindernisse meist fehlen oder unbedeutend sind, 
ist die Drehungsmöglichkeit allein aber äußerst wesentlich. Schlie߬ 
lich habe ich energisch die Perforation als Auskunftsmittel ver¬ 
langt, wenn irgend die Mutter in Gefahr komme. 

Drittens, sagt Dührssen, dürfe der Praktiker den Bossi 
nicht anwenden, weil bei etwaigen Rissen dem Praktiker nicht 
die Blutstillungsmittel der Klinik zu Gebote ständen. Ist denn 
schon eine Frau am Bossi verblutet? Und wieviel Frauen werden 
wohl in der Klinik noch gerettet durch Uterusexstirpation, nach¬ 
dem Tamponade oder Fritschs Zusammenpressen oder Hen- 
ckels Abklemmen versagten, was alles der Praktiker machen 
kann? 

Also, das Endergebnis ist: 

1. Mortalität beim Bossi ist 0%. 

2. Er ist in jeder Lage vom Praktiker zu verwenden. 


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Demgegenüber die Dührssensehen Methoden. Verletzungen 
100%. Todesfälle reichlich. Falsche Technik darf Dührssen 
nicht als Entschuldigungsgrund rechnen. Er muß mit ihr rechnen, 
denn der Praktiker ist kein Spezialarzt, und für den schreibe ich. 
Außerdem sind von ihm dem Bossi auch keine derartigen mildern¬ 
den Umstände zugebilligt. 

Damit die Praktiker sehen, was große Geburtshelfer über 
Dülirssens Operationen denken, ziehe ich es vor, einfach das 
neue große französische Sammelwerk reden zu lassen: 

Bar, Brindeau etc., Bd. II, S. 6Ö1: „Les incisions pro- 
fondes de Dührssen . . . . on doit les considerer comme con- 
stituand une methode risquee, dangereuse, qui ne doit etre 
mise en pratique que par des gynecologues exerces.“ 

Der vaginale Kaiserschnitt findet Anerkennung, aber dann 
steht Seite 694 folgendes: „Dans la recente statistique qu’il 
(Dührssen) a publiee et qui porte sur 201 cas . . . la mor- 
talite maternelle a ete de 28, soit 14 pour 100.“ Und solche ge¬ 
fahrvolle Methode bezeichnet Dührssen als die Erfüllung meines 
Wunsches einer „anerkannt gefahrlosen Operation“!! 

Also in Spezialistenhänden, nach Dührssens eigenen An¬ 
gaben 14% Tote. Wieviel Prozent würde da wohl der Praktiker 
liefern? Außerdem machen die Verhältnisse auch dem Mutigsten 
und Geschicktesten die Ausführung oft unmöglich. 

Wer von den Praktikern noch zweifelt, was er tun soll, der 
warte ein Jahr, wo er die ersten Berichte über den neuen Sieges¬ 
zug des Bossi wird lesen können. 

Ich selbst bin Dührssen schließlich trotz seiner Befehdung 
noch dankbar, daß ich nun mit größter Buhe an meinen nächsten 
Bossifall gehen kann, seitdem ich bestimmt weiß: Mortalität 0. 


Bemerkungen zu dem zweiten Artikel von Rohlff 
„Bossi und Kolpeurynter in der Hand des 
praktischen Arztes“. *) 

Von A. Dührssen. 

Rohlff befindet sich in völligem Irrtum, wenn er meinen 
Artikel „Die geburtshilfliche Dilatation in der Hand des prakti¬ 
schen Arztes“ als eine Entgegnung auf seinen Artikel bezeichnet. 
Ich halte die von Rohlff dem praktischen Arzt bezüglich der 
Dilatation gegebenen Ratschläge in vieler Beziehung für gefähr¬ 
lich und bin daher als Verehrer des wissenschaftlichen Fort¬ 
schritts. als Herausgeber der Therapeutischen Rundschau und end¬ 
lich deswegen berechtigt, dem praktischen Arzt meine entgegen¬ 
gesetzten Ansichten vorzutragen, weil ich seit 20 Jahren an der 
Vervollkommnung der Dilatationsmethoden der weichen Geburts¬ 
wege gearbeitet habe. Selbstverständlich brauche ich in einem 
solchen Artikel, der gar keine Entgegnung ist, mich nicht an die 
Ausführungen eines Autors zu halten, der vor mir über das gleiche 
Thema geschrieben hat, sondern kann, z. B. auch über Scheiden¬ 
damminzisionen, schreiben, was mir paßt. Auch ist es ganz gleich¬ 
gültig, ob ich etwa R o h 1 f f mißverstanden habe, und nur wichtig, 
daß meine Leser mich recht verstehen. Rohlff muß mir daher 
schon giftigst verzeihen, wenn ich mich von seinem Gedankengang, 
welcher gelegentlich ein etwas krauser ist und auf Irrwegen 
wandelt, emanzipiere. 

Ich soll nun nicht erfaßt haben, daß Rohlff für den prakti¬ 
schen Arzt geschrieben hat, und soll auch selbst nicht für den 
praktischen Arzt geschrieben haben. Das ist ein merkwürdiger 
Vorwurf, wenn man erwägt, daß sowohl Rohlffs wie mein 
Artikel sich schon in der Ueberschrift an den praktischen Arzt 
wenden. Daß der Arzt auf dem Lande manchen Fall von 
Eklampsie nicht in ein Krankenhaus schicken kann, weiß ich sehr 
wohl, daß es aber sehr oft möglich ist, zumal in der Stadt — 
und für den Praktiker in der Stadt schreibt Rohlff doch auch —, 
dafür liegen schon Erfahrungen genug vor. Auch sind schon 
eine Reihe von vaginalen Kaiserschnitten in der Bauernhütte mit 


*) Rohlff hatte seine Replik zunächst in anderer Fassung eingesandt; 
nachdem Dührssens Bemerkungen dazu eingegangen waren, änderte 
Rohlff seine Replik in der Weise ab, wie wir sie vorstehend gebracht 
haben; ihr Inhalt ist im wesentlichen gleich geblieben. D. Red. 


Erfolg von dem Spezialisten ausgeführt worden, den d et Praktiker 
zu dem betreffenden Fall trotz aller Verkehrsschwierigkeiten ge¬ 
rufen hatte. Freilich einige Stunden muß der Praktiker trotz 
aller sonstigen Pflichten einem Fall von Eklampsie oder Plazenta 
praevia schon opfern: Er erspart sich hierdurch oft Tage oder 
Wochen voll banger Sorgen und Arbeit, die ihm zuteil werden, 
wenn durch eine unzweckmäßige Methode der Schnellentbindung 
Mutter oder Kind oder beide geschädigt worden sind'. 

Für den Praktiker bleibt also die Empfehlung zu 
Recht bestehen, einen Fall von Eklampsie womög¬ 
lich in eine Klinik zu schicken, die das Prinzip der 
sofortigen Entleerung des Uterus bei Eklampsie für 
das richtige hält. Durch ein solches verständnisvolles Zu¬ 
sammenwirken mit den praktischen Aerzten gelang es z. B. Veit 
in Halle, 33 Fälle von vaginalem Kaiserschnitt bei Eklampsie mit 
nnr einem Todesfall auszuführen — und dieser eine Fall war 
bereits septisch ■eingeliefert. Für den Praktiker ist es also doch 
wohl von Wert, ihn über die Bedeutung' des vaginalen Kaiser¬ 
schnitts aufzuklären! 

Wo es dem Praktiker aus irgendeinem Grunde 
nicht möglich wäre, eine in Lebensgefahr befind¬ 
liche Kreißende mit geschlossenem und erhaltenem 
Kollum einer Klinik zuzuschicken oder einen Spe¬ 
zialisten zuzuziehen, da empfahl ich ihm, anstatt 
des Accouchement force oder der Bossischen Me¬ 
thode die Metreuryse nach der von mir erprobten 
Methode mit einem festen Champetier-Ballon und je 
nach der Dringlichkeit mit Handzug oder selbst¬ 
tätigem Zug auszuführen. Dieser Empfehlung haben sich 
heutzutage die meisten Geburtshelfer angeschlossen, weil selbst 
warme Verehrer der Bossi-Methode mit ihr zu unangenehme Er¬ 
fahrungen gemacht haben. Die Bossi-Methode steht immer einer 
unbekannten Größe gegenüber, nämlich der verschiedenen Dehn¬ 
barkeit des Kollum: Und wenn Rohlff dreimal das erhaltene 
Kollum ohne Schwierigkeit gedehnt hat, so kann es ihm beim 
vierten Mal passieren — wie es erfahrenen Spezialisten passiert 
ist —, daß das ganze Kollum bis in die Parametrien und in den 
Uteruskörper hinauf zerreißt und die Frau sich verblutet. Denn 
diese Blutungen lassen sich nicht durch Uterustamponade und 
Abklemmung, sondern nur durch die Naht stillen — ihre Aus¬ 
führung ist' aber bei der häufigen Multiplizität dieser Risse im 
Privathaus so gut wie unmöglich. Hat man einen solchen Riß 
bemerkt, dann nützt das „Aufhören“ häufig nichts mehr, das Un¬ 
glück ist dann schon geschehen. Man fange daher lieber 
mit dem Bossi überhaupt gar nicht an, zumal wenn es 
sich um ein erhaltenes Kollum handelt. Bei verstrichenem Kollum 
scheint ja die Bossische Methode den Muttermund in ungefähr¬ 
licher Weise zu erweitern, allein hier kommt man mit der Metreu¬ 
ryse und den Portioinzisionen einfacher und schneller zu dem¬ 
selben Ziel. 

Rohlff hat einmal die tiefen Portioinzisionen gemacht: „Die 
Frau klagte so stark viele Wochen“, daß er sie kein zweites Mal 
probierte. Ja, hat Rohlff der Frau nicht klar gemacht, daß er 
sie oder das Kind durch diese sie eine Zeitlang belästigenden 
Schnitte aus einer lebensgefährlichen Situation befreit hat? Soll 
der Praktiker wegen dieser Klagen auf den lebensrettenden Ein¬ 
griff verzichten? Oder glaubt Rohlff, daß die nach der Bossi¬ 
schen Methode in 33% der Fälle zurückbleibenden Risse keine 
Beschwerden machen? 

Daß Rohlff die Wirksamkeit der Metreuryse nicht hoch 
einschätzt, geht auch aus seinen jetzigen Worten hervor. Wenn 
er aus seiner Lektüre den Schluß zieht, daß die Metreuryse zwecks 
künstlicher Frühgeburt dem Eihautstich oder der Bougierung nicht 
überlegen ist, so hat er eben etwas Falsches gelesen: Es kann 
nach der heutigen aseptischen Bougierung oft Wochen, 
nach dem Eihautstich oft Tage dauern, bis Wehen 
auftreten. Führt man dagegen die Metreuryse nach 
der von mir beschriebenen Methode aus, so treten 
sofort Wehen ein, die vereint mit dem Druck des 
Ballons den Muttermund in vier bis fünf Stunden 
völlig erweitern. 

Einen solchen, mit dem von mir dem Arzt empfohlenen Ballon 
behandelten Fall habe ich in meiner Arbeit als Paradigma an- 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


1908. 


259 


geführt. In einem zweiten Fall von Frühgeburt bei engem Becken 
bei einer Ilgravida konnte die Wendung und Extraktion bei 
stehender Blase fünf Stunden nach Einführung des Ballons 
gemacht werden. (Bei dieser Gelegenheit möchte ich das Gewicht 
der Zwillinge des ersten Falls auf 2020 resp. 2200 g richtig 
stellen.) Dieser 9 V 2 cm-Ballon hat also die gleiche prompte 
wehenerregende und dilatierende Wirkung wie die früher von 
mir benutzten Müller sehen Modelle und ist billiger wie diese. 

Möge Rohlff seinen zur Hilfe erhobenen Arm, den ich nur 
in bezug auf das Bossische Instrument lähmen möchte, in Zu¬ 
kunft mit dem Metreurynter bewaffnen. Metreuryse mit 
Handzug erweitert in der Mehrzahl der Fälle die er¬ 
haltene Zervix ebenso schnell wie das Bossische In¬ 
strument. Wo sich aber der gefüllte Ballon nicht 
durchziehen läßt, wo der Zug nur die Zervix in den 
Introitus bringt, da liegt ein Fall vor, der sich über¬ 
haupt für keinerlei mechanische Dilatation eignet. 
Wendet man hier, wo der Ballon versagt, den Bossi 
an, so gibt es eben die lebensgefährlichen Einrisse. 
Ip diesen Fällen bleibt, falls man ein lebendes Kind erzielen will, 
nur der vaginale Kaiserschnitt übrig. Ueber dessen Frequenz 
richtig zu urteilen, dazu fehlt Rohlff doch die Uebersicht über 
die Weltliteratur, wie sie mir schon allein durch die Ueber- 
sendung einschlägiger Artikel seitens der betreffenden Autoren 
möglich ist. 

Uebrigens wird von München aus die Bossische Methode 
sicher keinen Siegeszug antreten, da ihr neuer Leiter Döderlein*) 
in seiner Antrittsvorlesung, „Die neue Bewegung in der Geburts¬ 
hilfe“, sehr warm für den vaginalen Kaiserschnitt eingetreten ist 
und in der Diskussion**) über die von ihm in der Münchener 
gynäkologischen Gesellschaft vorgestellten Fälle von vaginalem 
Kaiserschnitt folgendes erklärte: „Mit der Bossischen Methode 
setzt man unkontrollierbare Zerreißungen der Zervix, denen gegen¬ 
über ein glatter Einschnitt vorzuziehen ist.“ 

Aus der Jenenser Klinik ist mir eine neuerliche Empfehlung 
der Bossischen Methode nicht bekannt. Ich mag dieselbe über¬ 
sehen haben und rate Herrn Rohlff, zur Ermöglichung einer 
wissenschaftlichen Diskussion die Publikationen, auf die er sich 
stützt, anzuführen und die Publikationen des Gegners, auf die 
dieser sich bezogen hatte, zu lesen. 

Auch von Bumm sind mir nur Publikationen zu Ungunsten 
der Bossischen Methode und zu Gunsten des vaginalen Kaiser¬ 
schnitts bekannt. Die letzte diesbezügliche mir zugegangene Publi¬ 
kation ist vom 19. Dezember 1907 datiert, von Hermann Weis¬ 
bein als Inaugural-Dissertation verfaßt und heißt: „Beiträge zur 
Behandlung der Plazenta praevia mittels vaginalen Kaiserschnittes“. 
Sie beginnt folgendermaßen: 

„I. Einleitung. Vaginaler Kaiserschnitt und 
Hysterotomia anterior. 

Mit Genehmigung meines hochverehrten Lehrers, des Herrn 
Geh. Rat Professor Dr. Bumm, veröffentliche ich hiermit zwölf 
Fälle von Plazenta praevia, welche in der geburtshilflichen Klinik 
der Kgl. Charite zu Berlin während eines Zeitraumes von zwei 
Jahren (vom 6. April 1905 bis 19. Februar 1907) mittels vagi¬ 
nalen Kaiserschnittes behandelt wurden. Die Operation wurde in 
den meisten Fällen von dem Leiter der Klinik, Herrn Geh. Rat 
Bumm, selbst und nur dreimal von einem seiner Assistenten 
ausgefübrt. Seit Diihrssen vor mehr als zehn Jahren die von 
ihm ersonnene Methode der Sectio caesarea vaginalis in einer 
größeren Monographie ***) veröffentlichte, ist sie unausgesetzt 
Gegenstand so vieler Erörterungen und Kontroversen gewesen, 
daß wohl auch heute noch „jeder einzelne Fall der Publikation 
würdig u f) sein dürfte. Freilich über die von Beard hervor¬ 
gehobenen und von Dührssenff) zitierten drei Stadien der Gleich- 

*) Therapie der Gegenwart, 1908, Nr. 1. 

**) Zentralblatt f. Gyn., 1908, Nr. 11, S. 370. 

***) „Der vaginale Kaiserschnitt“. Von A. Dührssen. Berlin 1896. 
Verlag von Karger. 

-J-) Dührssen, Ein zweiter Fall von vaginalem Kaiserschnitt bei 
Eklampsia graviditatis. Zcntralblatt für Gynäkologie. XXVII. Jahrgang. 
1903, 8. 490. 

ff) v. Volk mann, Sammlung klinischer Vorträge, Xr. 232: „Ueber 
vaginalen Kaiserschnitt“. Von A. Dührssen. Leipzig, Verlag von Breit¬ 
kopf & Härtel. 1898, S. 1378. 


gültigkeit, der Negation und der Prioritätsstreitigkeiten ist der 
vaginale Kaiserschnitt, der sich heute wohl auf fast allen deut¬ 
schen Kliniken das Bürgerrecht erworben hat, wohl schon hinaus. 
Dafür aber ist seine Diskussion in ein neues Stadium getreten, 
in dessen Vordergrund die Fragen nach der technischen Ausfüh¬ 
rung und nach der Indikationsstellung stehen. 

Daß die Anzeigen zum vaginalen Kaiserschnitt sich in dem¬ 
selben Maße erweitert haben, wie die Operation sich Eingang 
verschaffte, bedarf keiner weiteren Erörterung. Seit einigen Jahren 
ist die Indikation auch auf gewisse Fälle von Plazenta praevia 
ausgedehnt worden, nachdem sie im Jahre 1902 von Bumm 
durch folgende Ausführungen inauguriert worden war.“ 

Für die Fälle von schwer dilatablem Kollum soll ich deü 
Praktiker nach Rohlff nun ohne Direktiven lassen. Auch diese 
Behauptung ist nicht richtig. Gerade an dem Schulbei¬ 
spiel der vorzeitigen Lösung der Plazenta habe ich 
die verschiedenen Situationen erörtert und sub 5 
dem Praktiker die Perforation empfohlen. Das soll 
nun wieder nach Rohlff theoretisch ausgeklügelt sein, obgleich 
ich selbst schon die Perforation des abgestorbenen Kindes unter 
solchen Umständen gemacht habe — und zwar auch im Privat¬ 
haus, in welchem ich seit 23 Jahren in tausenden von Fällen 
unter denselben ungünstigen Umständen operieren mußte, wie 
Rohlff, so daß ich bezüglich dieser Verhältnisse nicht etwa wde 
der Blinde von der Farbe spreche oder — wie Rohlff vom 
vaginalen Kaiserschnitt und der Metreuryse! Es ist eine bedauer¬ 
liche Tatsache, die auch wieder aus den diesbezüglichen Bemerkungen 
von Rohlff hervorleuchtet, daß der Praktiker bei abgestorbenem 
Kind die zerstückelnden Operationen zu wenig ausführt und trotz 
mangelhaft erweiterter weicher Geburtswege resp. Ausziehung des 
unteren Uterinsegments lieber zu forzierten Zangenextraktionen 
resp. Wendungen und Extraktionen des unzerstückelten Kindes 
greift. 

Ausreißen darf der Kranioklast überhaupt nicht — wo er 
auszureißen droht, muß man ihn noch einmal an einer anderen Stelle 
anlegen. Auch kann man, wenn man das Kollum vorher auf 
mindestens Zweifingerweite gedehnt hat, die Extraktion des per¬ 
forierten und gut ausgespülten Kopfes so rasch durchführen, daß 
durch diesen geringen Zeitverlust die Frau in keine wesentlich 
größere Lebensgefahr gerät. Dagegen bringt man sie in eine 
neue Lebensgefahr, wenn man durch die von Rohlff empfohlenen 
Methoden des Accouchement force bezw. der Bossi - Dilatation un- 
kontrollierbare Einrisse erzeugt. Diese Einrisse sind sowohl in 
ihrer unmittelbaren Gefahr als auch in ihren späteren Folgezu¬ 
ständen von ganz anderer Bedeutung als die höchstens bis in das 
Scheidengewölbe reichenden tiefen Portio-Inzisionen. Mit den 
glatten Schnittwunden des vaginalen Kaiserschnitts sind sie nun 
erst recht nicht zu vergleichen, da diese nach ihrer Vernähung 
nur eine kaum sichtbare Narbe hiuterlassen. 

Notabene kapriziere ich mich durchaus nicht 
darauf, daß ein jeder Arzt meine tiefen Portio-In¬ 
zisionen ausführen müsse. Ich habe diese stets nur für 
den geübten und allerdings mit dem „Apparatus magnus“ *) 
ausgerüsteten Geburtshelfer empfohlen und auch in meiner vor¬ 
liegenden Arbeit folgendes gesagt: „Hierzu muß der Praktiker 
eventuell (d. h. wenn er es nicht machen kann oder will) einen 
Spezialisten zuziehen, oder er muß in diesen Fällen sich auf den 
selbsttätigen Zug beschränken, bis nach vorausgegangener Wehen¬ 
tätigkeit die manuelle Extraktion später gelingt.“ 

Uebrigens braucht für uns Deutsche ein französisches Hand¬ 
buch der Geburtshilfe nicht maßgebend zu sein, wo wir das 
Winckelsche Handbuch der Geburtshilfe besitzen, mit dem sich 
kein anderes geburtshilfliches Handbuch der ganzen Welt messen 
kann. Auch ist mit einer Empfehlung, daß man entweder mit 

*) Meiu geburtshilfliches Instrumentarium nehme ich allerdings sogar 
in der Stadt zu jedem Geburtsfall gleich mit, weil hierdurch allein schon 
viel Zeit gespart wird. Tut Rohlff das etwa nicht, wenn er aufs Land 
gerufen wird ? Daß übrigens gelegentlich ein Spezialist den vaginalen 
Kaiserschnitt auch unter alleiniger Assistenz der Hebamme im Privathaus 
ausführen kann, habe ich durch einen mitgeteilten Fall bewiesen. Es ist 
daher auch hier wieder ein unrichtiger Schluß aus meiner Arbeit gezogen, 
wenn Rohlff meint, daß ich stets nur die klinische Geburtshilfe berück¬ 
sichtige. 


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260 



therapeutische Rundschau 


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Ballons oder den Händen oder einem Dilatator dilatieren solle, 
nicht viel anzufangen. Endlich ist das genannte Buch 
keine Autorität für mich auf diesem Gebiet, sondern 
ichbin es fürdasBuch, da dasselbe meine Beschreibung 
des vaginalen Kaiserschnitts aus dem Winckelschen 
Handbuch wiedergibt und Brindeau mitteilt, daß er 
zwei Fälle von Eklampsie mittels vaginalen Kaiser¬ 
schnitts operiert hätte, und die Methode der französi- 
schen Geburtshilfe zum Studium empfiehlt. 

Ferner ist das, was man heutzutage im Ausland unter 
manueller Dilatation des Kollum versteht und mit verschiedenen 
Namen, z. B. mit dem von Bonnaire oder in Amerika mit dem 
von Harris verknüpft, etwas anderes als das, was man in 
Deutschland mit Accouchement force bezeichnet. Unter letzterem 
versteht man das gewaltsame Durchzwängen der ganzen Hand 
durch den Halskanal und die nachfolgende Wendung und Extrak¬ 
tion. Dieses Verfahren ist allgemein als zu gefährlich verlassen. 
Die manuelle Dilatation nach Bonnaire und Harris Resteht in 
gelegentlich stundenlangem Ausweiten des Halskanals mit den 
Fingern. In Deutschland hat diese Methode wenig Anklang ge¬ 
funden. Sie ist jedenfalls für die Kreißende höchst unangenehm, 
erinnert an alte Hebammenpraktiken*) und ist, nachdem man die 
Schwierigkeit einer wirklichen Sterilisierung der Hände erkannt 
hat, meiner Ansicht nur erlaubt, wenn sie mit behandschuhter 
Hand ausgeführt wird. Uebrigens hat mir Harris selbst zu¬ 
gestanden, daß der vaginale Kaiserschnitt seiner Methode über¬ 
legen sei. Es war dies 1906 auf dem Kongreß der amerikani¬ 
schen Gesellschaft für Gynäkologie zu Hot Springs (Virginia), 
wo ich auf Einladung der Gesellschaft einen Vortrag über vagi¬ 
nalen Kaiserschnitt hielt. Es wurden übrigens auch dort Fälle 
gefährlicher Zerreißungen — analog denen nach der Bossi-Dilata- 
tion — nach der manuellen Dilatation mitgeteilt. Daß nach solchen 
Zerreißungen auch Frauen sterben können, ist doch selbstver¬ 
ständlich. 

Rohlff moniert, daß ich diese Todesfälle nach Bossi- 
Dilatation nicht angeführt hätte. Hier hat er nicht genau 
gelesen: Ich habe sie erwähnt (Nr. 11, S. 169) — und zwar unter 
Hinweis auf meine verschiedenen Arbeiten, in welchen diese Todes¬ 
fälle aus der Literatur gesammelt sind. 

Meine Empfehlungen für die Behandlung derPlazenta 
praevia gefallen Rohlff nicht — nun die seinigen scheinen 
mir ebenfalls bestimmte Einschränkungen zu erfordern. Rohlff 
formuliert hier die Fragestellung falsch. Diese muß lauten: 
Welche Methode gibt mir die meisten Chancen für die Erhaltung 
des mütterlichen und des kindlichen Lebens? Der Zeitverlust 
der verschiedenen Methoden kommt dann erst in zweiter Linie. 
Uebrigens schweige ich mich über das Verhalten des Praktikers 
nach gelungener Blutstillung bei Plazenta praevia durchaus nicht 
aus — auch hier hat Rohlff flüchtig gelesen —, sondern sage 
klar und deutlich (Nr. 11, S. 170): „ Allerdings darf der Arzt 
einen Fall von Plazenta praevia, bei welchem er einen Ballon in 
den Uterus gelegt hat, nicht verlassen. Das darf er aber 
auch bei den anderen Methoden nicht, bevor die Ge¬ 
burt völlig beendet ist. Bei der Metreuryse dürfte also 
der Zeitaufwand noch am geringsten sein, zumal bei ihr infolge 
der kräftigen Anregung der Wehentätigkeit Komplikationen der 
Nachgeburtsperiode zu fehlen pflegen.“ 

Nach der oben präzisierten Fragestellung emp¬ 
fehle ich die Metreuryse an Stelle der kombinierten 
Wendung — und zwar eventuell mit angeschlossener innerer 
Wendung —, weil diese Methode für Mutter und Kind 
günstigere Resultate gibt als die kombinierte Wen¬ 
dung, leichter für den Praktiker auszuführen ist als 
die kombinierte Wendung, und ihn auch nicht mehr 
Zeit kostet als die kombinierte Wendung mit dem 
nachfolgenden Abwarten des weiteren Geburtsver¬ 
laufs. Eine innere Wendung bei mangelhaft erweitertem Mutter¬ 
mund mit sofortiger Extraktion verwerfe ich als gefährlich für 
die Mutter, wenn es auch das Verfahren ist welches den viel- 


*) Anm. bei der Korr.: — zumal wenn sie sogar zur Abkürzung nor¬ 
maler Geburten empfohlen wird, siehe Th. Landau, Berl. klin. W., 1908, 
N . 1, Ref. in Nr. 14 der Ther. Rundschau. 


beschäftigten Praktiker für den gegebenen Fall als das sym¬ 
pathischste erscheinen mag, weil es ihn am wenigsten Zeit kostet. 
Vielfach ist diese Rechnung aber doch unrichtig, weil der raschen 
Entbindung folgende atonische oder Zervixrißbliltungen den* nötigen 
Aufenthalt des Arztes bei der Entbundenen recht unliebsam ver¬ 
längern können.' 

Was die Kolpeuryse bei Retroflexio uteri gravidi 
anlangt, so ist dieselbe natürlich nur in bestimmten seltenen Fällen 
indiziert. Sie ist, ebenso wie die Reposition, in den Fällen 
kontraindiziert, wo eine schwere Läsion der Blasen wand nach der 
allgemein akzeptierten Empfehlung von mir die Einleitung der 
Fehlgeburt erfordert. 

Nachdem ich mit genügender Ausführlichkeit die Methoden 
besprochen zu haben glaube, welche mir für die Dilatation der 
weichen Geburtswege # unter den verschiedensten Situationen, also 
auch für den alleinstehenden Praktiker, empfehlenswert scheinen, 
schließe ich für meine Person eine weitere Diskussion mit Herrn 
Rohlff, dem ich übrigens seine temperamentvollen Ausführungen 
gar nicht übel nehme: Kampf ist die Würze des Lebens und der 
Wissenschaft! Für die Leser dieser Zeitschrift würde sich das 
angeschlagene wichtige Thema dadurch weiter fruchtbar erweisen, 
wenn möglichst viele Kollegen ihre Erfahrungen über die ver¬ 
schiedenen Methoden der geburtshilflichen Dilatation hier mitteilen 
wollten. 



Physikalische Therapie. 

Referent: Dr. A. Laqueur, leitend. Arzt des hydrotherapeut.- 
medikomechanischen Instituts am Rudolf Virchow-Krankenhause 
zu Berlin. 

1. Ueber Reaktions- und Provokationserscheinungen bei 
hydriatischen Kuren. Von Dr. Carl Kraus. Mediz. Klinik, 
1908, Nr. 11.*) 

2 . Zur hydriatischen Behandlung der rheumatischen Er¬ 
krankungen. Von Dr. A. Fuerstenberg. Ibidem, Nr. 13. 

3. Bemerkungen zur Mechanotherapie bei Gelenkerkran¬ 
kungen. Von Dr. A. Laqueur. Zeitschr. f. physikal. u. diätet. 
Therap., Bd. XII, Nr. 1. 

4. Erfolge der Duschemassage bei Beschäftigungsneurosen 
und Neuritiden. Von Dr. A. Strasser und M. Berliner. 
Blätter f. klin. Hydrotherap., 1908, Nr. 3. 

5. Die Nierenentzündung im Verlauf von Scharlach. Von. 
Dr. W. Schönaich. Ibidem. 

1. Verf. unterscheidet bei den Reaktionserscheinungen, die 
nach einer Wasserkur, namentlich im Beginne derselben, auftreten 
können, zwei Hauptformen: 1. Die Erscheinungen, die in Form 
einer spezifischen Reaktion des Erkrankungsherdes auf¬ 
treten, wohl ^infolge einer vermehrten Fluxion dorthin, und die er 
deshalb auch als Provokationserscheinungen bezeichnet, 
weil sie eben ein Aufflackern des Erkrankungsprozesses anzeigen, 
und 2. die h e t e r o g e n e n Reaktionserscheinungen, die sich haupt¬ 
sächlich in Symptomen von seiten des Nervensystems, Stö¬ 
rungen auf dem Gebiete der Allgemeingefühle u. dgl. äußern.) 

Als Beispiel für die Provokationserscheinungen wird 
ein Fall angeführt, wo bei einem Patienten, der die Symptome 
einer alten chronischen Urethritis und Prostatavergrößerung bot, 
nach Einleitung einer hydriatischen Behandlung (schottische Duschen 
auf das Perineum), Temperaturerhöhung und Trübung des Urines 
auftraten, welche Symptome bald in dem Durchbruch eines kleinen 
Prostataabszesses in die Urethra ihre Aufklärung fanden; bekannt 
ist auch die Provokation eines Fieberanfalles bei chronischer 
Malaria durch eine hydriatische Kur (Duschen auf die Milz); 
man nimmt an, daß dadurch die bis dahin in verschiedenen 


*) Wir bringen dieses Referat der Kr aus sehen Arbeit, obwohl sie i 
Nr. 15 von Dr. Esch referiert worden ist, weil die beiden Referate qi 
persönliches Gepräge zeigen. 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


261 


J ebieten, vor allem in der Milz, stagnierenden Plasmodien 
gemeine Zirkulation gebracht werden, denen man dann 
• mit Ohinin erfolgreich zu Leibe gehen kann. Auf dieser Beob¬ 
achtung beruht die von Winternitz empfohlene Kombination 
von kalten Milzduschen und Chinintherapie bei der Malaria. Ver¬ 
fasse? vergleicht diese Provokations- oder Fluxiönserscheinungen 
mit den Temperatursteigerungen, wie sie bei an sich nicht fiebern¬ 
den Phthisikern nach leichteren körperlichen Anstrengungen 
beobachtet werden, und die zweifellos auf einen erhöhten Blut¬ 
zufluß zu dem kranken Organ zu beziehen sind; er bemerkt je¬ 
doch ausdrücklich, daß vorsichtig dosierte hydriatische Proze¬ 
duren bei Tuberkulösen solche Reaktionen nicht auslösen. Ja 
selbst Hämoptoe hat er nur in einem Palle bei einem hydrothera¬ 
peutisch behandelten Phthisiker beobachtet, und hier war die Lungen¬ 
blutung offenbar nicht auf die Wasserbehandlung, sondern auf 
eine Magenüberladung zu beziehen. Referent möchte jedoch auf 
Grund seiner Erfahrungen zur größten Vorsicht, wenigstens in der 
Anwendung von Duschen, bei tuberkulösen Individuen raten, die 
zu Hämoptoe neigen. 

Zu den Provokationserscheinungen sind auch Schmerzen zu 
rechnen, die an kariösen Zähnen zuweilen im Beginne einer 
Wasserkur sich einstellen. Die Schmerzen dagegen, die bei entzünd¬ 
lichen Adnexerkrankungen, bei chronischem Rheumatismus und bei 
Ischias .zuweilen infolge der hydriatischen Behandlung auftreten, 
und die gleichfalls als Provokationserscheinungen zu bezeichnen 
sind, sollten sich ganz oder teilweise durch vorsichtige Dosierung 
der Applikatiorfen vermeiden lassen. Namentlich hüte man sich bei 
starken, Reizerscheinungen vor extremen hohen und niedrigen Tem¬ 
peraturen im Beginne der Behandlung; die schmerzstillende Wirkung 
der Hyperämie, wie sie namentlich bei der Heißluft- und Stau¬ 
ungsbehandlung zum Ausdruck kommt, wobei ja stärkere trauma¬ 
tische Schädigungen vermieden werden, ist darum bei Prozessen mit 
starker entzündlicher Reizung besonders wirksam und beliebt. 

Die heterogenen Reaktionserscheinungen, von 
denen eben die Rede war und die hauptsächlich in nervösen 
Symptomen bestehen, kommen namentlich bei neurasthenischen 
und anämischen Individuen vor; sie *sind ein Zeichen dafür, daß 
zunächst infolge des hydriatischen Eingriffs die Dissimilationsvor¬ 
gänge die assimilatorischen überwiegen. Ein paar Tage Pausieren 
schafft hier in der Regel Abhilfe, dann stellt sich bei Fortsetzung 
der Kur die richtige Reaktion verbunden mit der normalen reak¬ 
tiven Euphorie ein. Durch richtige Dosierung kann man 
auch hier Schädigungen vermeiden; ebenfalls läßt sich durch 
genaue Dosierung auch bei den an sich oft schlecht reagierenden 
Arteriosklerotikern der gewünschte Erfolg erzielen. Bei 
progressiver Paralyse muß man dagegen jede zu aktive Hydro¬ 
therapie vermeiden, da hier sonst leicht bösartige Reaktions- 
erscheinungen provoziert werden können. 

Die sogen. Hautkrisen, die bei den alten Hydrotherapeuten 
eine so große Rolle spielten, beruhen wohl stets auf Infektion 
durch schlecht gereinigte Wäsche oder auf Mazerationserschei¬ 
nungen; nur bei der Syphilis läßt sich nach Kraus durch eine 
hydriatische Kur (feuchte Einpackungen, Dampfkastenbäder) eine 
spezifische Hautreaktion in Form eines frühzeitig auf tretenden 
Hautexanthems zuweilen provozieren; Verfasser will diese 
Tatsache auch zu diagnostischen Zwecken, zum Nachweise 
einer latenten, aber noch nicht erloschenen Lues, verwertet wissen; 
denn bei genügend behandelten Patienten ruft eine solche hydria¬ 
tische Behandlung keine weiteren Haut- oder Schleimhautexantheme 
< mehr hervor. 

2. Im Gegensätze zu der sonst vielfach üblichen Hitzebehand¬ 
lung empfiehlt Fuerstenberg bei akutem und subakutem 
Gelenkrheumatismus sowie bei Arthritis gonorrhoica 
in frischeren Fällen die lokale Kälteapplikation in Form 
der von-Winternitz eingeführten sogen. Longuettenver- 
bände. Dieselben werden derart appliziert, daß auf das er¬ 
krankte Gelenk dachziegelförmig Leinwandstreifen locker gelegt 
werden, die in kaltes Wasser (6 bis 9° C) getaucht und nur 
wenig ausgewunden sind, und die durch beständiges- Auf träufeln 
von ebenso kaltem Wasser kühl gehalten werden; das Auf träufeln 
geschieht am besten dadurch, daß aus einem hoch aufgestellten, 
mit Eiswasser gefüllten Eimer durch einen mit einer verstellbaren 
Klemme versehenen Gummischlauch das Wasser auf den Verband 


geleitet wird; ein untergelegtes Gummituch schützt das Bett und 
sorgt für den Abfluß. Die jedesmalige Applikation, die eventuell 
mehrmals am Tage wiederholt werden kann, dauert etwa zwei 
Stunden lang. Es wird dabei das erkrankte Gelenk gar nicht 
berührt, auch ist bei dem Arrangement mit Eimer und Gummi¬ 
schlauch eine Hilfsperson während der Behandlung nicht nötig. 
Teils mit, teils ohne gleichzeitige Salizylbehandlung wurden auf 
diese Weise namentlich bei verschlepptem akutem Gelenkrheuma¬ 
tismus gute Errolge erzielt. 

3. Daß man bei derartigen Residuen von akutem Gelenk¬ 
rheumatismus nicht zu früh mit der Mechanotherapie be¬ 
ginnen soll, hat Referent kürzlich in dem oben genannten Artikel 
ausgeführt. Es soll überhaupt bei Gelenkerkrankungen, akuten wie 
chronischen, die Regel gelten, daß stets erst durch die üblichen 
hydrotherapeutischen und thermotherapeutischen Maßnahmen der 
Reizzustand der Gelenke gemildert oder beseitigt werden muß, 
bevor Massage und medikomechanische Uebungen in Anwendung 
kommen; sonst kann durch die Mechanotherapie mehr geschadet 
als genützt werden. Besonders schwierig liegen die Verhältnisse 
bei der gonorrhoischen Arthritis, wo einerseits frühzeitige 
Versteifung droht, während andrerseits zu vorzeitige Mobilisations¬ 
versuche neue Rezidive herauf beschwören können; aber auch hier 
darf im allgemeinen von obiger Regel nicht abgewichen werden. 
Am ehesten sind noch vorsichtige Bewegungen im heißen 
Vollbade in den ersten Stadien dieser Krankheit erlaubt. Sehr 
gut hat sich mir die Mobilisation versteifter Gelenke in verdünnter 
Luft nach dem B ier-Klap pschen Saug verfahren bewährt, 
sowohl bei rheumatischen wie bei gonorrhoischen oder traumati¬ 
schen Versteifungen; das Verfahren erlaubt wegen der schmerz¬ 
stillenden Wirkung der dabei auftretenden Saug- und Stauungs¬ 
hyperämie auch in solchen Fällen passive Beugungen oder 
Streckungen vorzunehmen, wo solche Mobilisationsversuche sonst 
an der Schmerzempfindlichkeit scheitern. Jedoch ist auch hier 
Bedingung, daß das Reizstadium des Gelenkes vorüber sein muß, 
was sich in geringer oder fehlender Druckempfindlichkeit sowie 
durch die Erträglichkeit leichter Massage-Applikationen zu er¬ 
kennen gibt. 

4. Die Verfasser haben in hartnäckigen Fällen von Schreib-, 
Klavierspieler- und sonstigem Beschäftigungs-Krampf 
sowie bei Neuralgien in den Händen und Fingern, die auf Ueber- 
anstrengung zurückzuführen waren, mit sehr gutem Erfolge die 
Duschemassage angewandt; dieselbe bestand hier in der 
Applikation einer 35 bis 40 0 C warmen Regendusche, unter der 
während 5 bis 10 Minuten die Massage gleichzeitig appliziert 
wird; der Wasserdruck darf dabei kein starker sein. Auch bei 
Kranken, wo sonstige Methoden, einschließlich Heißluftbehandlung, 
Massage u. dgl. vorher schon vergeblich versucht worden waren, 
führte die derart vorgenommene Duschemassage noch zum Ziele. 

5. Verfasser wandte in einer Scharlachepidemie in Lodz bei 
Scharlachnephritis die von Strasser und Blumenkranz emp¬ 
fohlenen, an dieser Stelle schon mehrfach erwähnten protra¬ 
hierten warmen Vollbäder (28° R eine Stunde Dauer) an, 
und konnte die von obigen Autoren gemachten Angaben voll 
bestätigen. Eine unmittelbare diuretische Wirkung dieser Bäder 
ließ sich fast stets beobachten, auch waren die Resultate bezüg¬ 
lich des Verschwindens der Albuminurie günstiger als bei Vergleichs¬ 
personen, die mit gewöhnlichen warmen Bädern oder Schwitz¬ 
packungen behandelt worden waren; nur bei starker hämorrha - 
gisch er Nephritis sind die protrahierten Bäder wie überhaupt 
jede Badebehandlung kontraindiziert. 


Biologische Therapie. 

Referent: Dr. W. Esch, Bendorf a. Rh. 

1. Beiträge zur Konstitutionstherapie. Von Dr. Klein- 
Berlin. Arch. f. phys.-diat. Therapie, 1908, Nr. 1. 

2. Die Biologie im Reichstag. 

1. Beiträge zur Konstitutionstherapie finden sich in des Verf.s 
Arbeit über die Lokal- und Allgemeinbehandlung Augenkranker. 
Soll eine Krankenbehandlung ersprießliche Ergebnisse zeitigen, so 
führt er aus, dann dürfen, ja müssen die angewandten Mittel und 


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Hilfen ausschließlich an Stellen angesetzt und in Richtungen ge¬ 
leitet werden, aus denen ihre Wirkung erkennbar ist. 

Nicht die versteckten Vorgänge in und zwischen den letzten 
Einheiten der Gewebe — den Zellen oder gar den Atomen — 
können von der praktischen Arbeit des Arztes berücksichtigt 
werden. Vielmehr sind es ausschließlich die in ihren Wirkungen 
nach außen hin sinnlich wahrnehmbaren Vorgang©? die den 
Wertmesser abgeben für das Notwendige, das Mögliche und das 
Erreichbare beim ärztlichen Handeln. 9 

Was darüber hinausgeht, das sind wissenschaftliche Lieb¬ 
habereien, deren Zwecke in dem Verlangen erschöpft sind, solche 
Vorgänge und Beschaffenheiten zu sinnenfälliger Darstellbarkeit zu 
bringen, die ihrer Natur nach der grobsinnlichen Wahrnehmung 
entzogen sind. (Das sind goldene Worte, die vor allem für unsere 
homöopathischen Kollegen von Interesse sein dürften. Ref.) 

Für den Arzt — nicht für den Chemiker oder experimen¬ 
tellen Therapeuten — findet die Zufuhr in den Organismus statt 
in der Aufnahme von Luft, Wasser, Nahrungsmitteln und Wärme; 
der Verbrau-ch gibt sich als Bewegung, Arbeit, Organfunktion, 
Umsetzung von Eindrücken aus der Außenwelt; die Ausfuhr 
geht vor sich auf dem Wege über die Lunge, die Haut, die 
Nieren, den Darm und die Drüsenorgane. 

Anomalien und Mißverhältnisse im Ablauf dieser Funktionen, 
die sich bei Untersuchung und Beobachtung der Patienten er¬ 
geben , sollen — von gewissen Ausnahmen abgesehen — im all¬ 
gemeinen nicht mit pharmakologischen, sondern mit „adäquaten“, 
„natürlichen“ Hilfsmitteln korrigiert werden. 

Klein demonstriert das an folgendem Beispiel: Wenn der 
Mensch infolge mangelhafter Uebung, infolge Ansammlung von. 
Gas und Stuhlmassen im Darm, infolge örtlicher Fettansamm¬ 
lungen, infolge „Verwässerung“ seiner Gewebe oder infolge eines 
durch unzweckmäßige Arbeitstiberbürdung vergrößerten Herzens 
unzulängliche Atemarbeit leistet, dann ist es „unnatürlich“, ihn, 
etwa mit Thyreoidin, zu „entfetten“, mittels Pilokarpin oder 
Salizyl zum Schwitzen zu bringen, mit Digitalis sein Herz an¬ 
zutreiben , durch Diuretika die Harnabsonderung erhöhen oder 
durch Laxantien den Darm entleeren zu wollen. 

Die „natürliche“ Allgemeinbehandlung, die in Regelung von 
Zufuhr, Verbrauch und Abfuhr besteht, hat sich angesichts des 
Mißbrauchs, der heute fast allgemein mit Essen und Trinken ge¬ 
trieben wird, in der Mehrzahl der Vorkommnisse wohl vor allem 
im Sinne einer Entziehung zu betätigen. Die Abfuhr über 
Haut, Nieren, Darm wird Steigerung erfahren müssen durch 
Hautpflege, Beeinflussung der gesamten Zirkulation mit Hilfe von 
Hitze, Wasser, Licht und Luft, durch Ersatz mangelnder Leibes¬ 
bewegung in Form von Muskelübungen und Massage, durch Er¬ 
zielung einer regelmäßigen, s e 1 b s 11 ä t i g e n Stuhlentleerung. Ja, 
auch die Art der Bekleidung, die oft notwendige Aenderung täg¬ 
licher Gewohnheiten wird mit in den Bereich der ärztlichen Vor¬ 
schriften einzubeziehen sein. 

Die Therapie wird dadurch oft eine gewisse Eintönigkeit er¬ 
halten, aber man vergesse eins nicht: Unsere herrschende klini¬ 
sche Terminologie, die sich aus anatomisch lokalistischen 
Einteilungsgrundsätzen herleitet, hat es zum großen Teil verschuldet, 
daß die Krankenbehandlung sich allmählich in zahllose Teilma߬ 
nahmen auflösen mußte. Diese Zersplitterung täuscht aber ein 
„individualisierendes“ Verfahren nur vor, als Gegensatz zu ein¬ 
tönig erscheinenden aber vielseitig wirkenden Ma߬ 
nahmen. 

Als gutes Lehrbeispiel ist hier besonders das „ekzematöse“ Kind 
zu nennen: Je nach der Oertlichkeit, an der die „Ekzematöse“ 
auf so einem Organismus zutage tritt — um ein Bild zu ge¬ 
brauchen: je nach der Ecke, aus der das Feuer nach außen schlägt — 
wird dessen Träger zum Objekt der unterschiedlichsten Bezeich¬ 
nungen und Behandlungsmethoden. Ex potiori fit denominatio, e 
denominatione fit therapia. Es ist kein Kind mehr, dessen ge¬ 
störte allgemeine Konstitution und Funktion durch allgemeine 
konstitutionelle Maßnahmen wieder ins Geleise gebracht 
werden müßte. Vielmehr ist es ein „komplizierter Fall“ geworden, 
dem man bald als Ekzem des Gesichts unter dermatologischer 
Salbenbehandlung, bald als Ekzem des behaarten Kopfes im 
Puöntgenlab Oratorium begegnet, die Konjunktivitis und 
Keratitis ekzematosa wird vom Augen-, die Otitis vom Ohren¬ 


arzt behandelt. Dasselbe Kind wird vom Internisten mit 
einer — je nach der Erfindungsgabe der zeitgenössischen Chemiker 
wechselnden — internen Behandlung vom Lebertran bis zur Jod- 
glidine bedacht, und hatte in der Zwischenzeit wohl auch eine 
oder mehrere verändert erscheinende Lymphdrüsen dem Chirurgen, 
einige Nasenpolypen, die Mandeln in Rachen und Hals dem 
Rhino-Laryngologen lassen müssen. 

* 2. Am 28. Mälz hielt der Abgeordnete Dr. Faß.bender*) 
beim Etat des Reichs-Gesundheitsamtes eine Rede, die für unsere 
Leser von Interesse ist, weil sie, im Einvernehmen mit Kreisarzt 
Bach mann abgefaßt, jener Behörde eine mehr biologische Aus¬ 
gestaltung ihrer Tätigkeit ans Herz legen wollte. 

Faßbender betonte, daß neben der z. Z. im Vordergrund 
stehenden bakteriologischen Tätigkeit, die sich hauptsächlich mit 
der Bekämpfung pathogener Mikroorganismen beschäftigt, andere, 
mindestens ebenso wichtige Aufgaben im Dienste der Volksgesund¬ 
heit eine weit höhere Beachtung verdienen, als ihnen bisher zu 
teil wurde. 

Da nämlich die Bakterien einerseits ubiquitär sind, anderer¬ 
seits aber nur auf dem Boden einer schlechten Beschaffenheit 
oder Konstitution des Körpers gedeihen können, so ist der Kern 
der Gesundheitspflege nicht in der Bakterienvernichtung, sondern 
in der Kräftigung des Organismus zum Kampf gegen seine Feinde 
zu suchen. 

Das wird erreicht durch eine rationelle Lebensweise, 
die beste Prophylaxe gegen Krankheiten, und zwar nicht nur 
gegen solche bakterieller Natur, sondern vor all«m auch gegen 
die immer mehr zunehmenden Nerven- und Stoffwechselkrank¬ 
heiten. 

Auf diesem Gebiet (der rationellen Lebensweise) sind noch 
mancherlei Aufgaben zu lösen. Namentlich gilt das von der Er¬ 
nährungsfrage. An dem Beispiel einer Provinzial-Irrenanstalt, 
die jährlich 50000 kg Fleisch (und 13000 1 Bier), dagegen un¬ 
verhältnismäßig wenig vegetabilische Nahrungsmittel verbraucht, 
demonstrierte F. die nach verschiedenen Richtungen hin sehr be¬ 
klagenswerte Tatsache, daß die Bedeutung des Fleischeiweißes zu 
ungunsten der so wichtigen pflanzlichen Stoffe vielfach noch immer 
ganz gewaltig überschätzt wird. Er führte die einschlägigen For¬ 
schungen von Külz und Ohittenden an, aus denen hervorgeht, 
daß die so gefürchtete „Unterernährung“ weit weniger gefährlich 
ist als die fehlerhafte und die Ueberernährung. 

In diesem Zusammenhang wären auch eingehende Unter¬ 
suchungen über ein Aenderungsbedürfnis unserer bisherigen Koch¬ 
weise (vgl. Sternberg etc.) und unserer Brotbereitungsart 
wünschenswert. An Stelle der weichlichen Weiß- und F.einmehl- 
gebäcke sollte Vollbrot treten. 

Auch über die mannigfachen Schädigungen, die sich aus dem 
Alkohol- und Tabakmißbrauch ergeben, wünscht F. umfassende 
Aufklärungsarbeit von seiten des Reichs-Gesundheitsamtes. 

Die so außerordentlich segensreiche hydrotherapeutische Be¬ 
handlung und die mit ihr verbundenen Licht-Luftbadeeinrichtungen 
kommen, wie F. des weiteren anführte, z. Z. hauptsächlich nur 
demjenigen Teil des Publikums zugute, der die teuren Sana¬ 
toriumskuren bezahlen kann. Eine wichtige Frage des Volks¬ 
wohls ist daher: wie können die Ergebnisse der Sanatorien für 
die Unbemittelten nutzbar gemacht werden? (vgl. hierzu Franken- 
häusers Vorschlag, Therap. Rundsch., S. 113, Ref.) 

Im Anschluß daran sprach F. zum Schluß den Wunsch aus, 
daß die Leitung des Reichs - Gesundheitsamtes ihr Augenmerk 
darauf lenken möge, daß das Gute, was sich in dem heutigen 
„Naturheilverfahren“ findet, für die Wissenschaft verwertet, und 
daß diese, in der freien Praxis z. T. etwas verwilderte Methode 
durch erprobte Männer ausgebaut und wissenschaftlich gestaltet 
werde (vgl. Therap. Rundsch., S. 211, Ref.). 


Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 

Referent: Spezialarzt Dr. M. Halle, Berlin. 

1. Heber die Indikation zur. Radikaloperation bei entzünd¬ 
lichen Erkrankungen der Nebenhöhlen der Nase. Von Prof. Dr. 
A. Kuttner-Berlin. Berl. klin. Wochenschr., 1908, Nr. 11. 

*) Verfasser der Schrift: Die Ernährung des Menschen in ihrer Bedeu¬ 
tung für Wohlfahrt und Kultur. Berlin. C. Heymann. 


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1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


263 


2. Der Wert des negativen Druckes (Saugens) in der Oto- 

Rhinologie. Von Dr. Heinrich Hai äs z, Spezialarzt in Miskoliz. 
Monatsschr. f. Ohrenheilk., XLI. Jahrg., Heft 12. 

3. Ueber Lupus der oberen Luftwege mit besonderer Be¬ 
rücksichtigung der Komplikation von seiten des Gehörorgans. 

Aus der oto-laryngolog. Universitätsklinik und Poliklinik Basel, 
Direktor Prof. Sieben mann. Von Prosper Lewy, ehern. 
Assistent der Klinik und Poliklinik. Arch. f. Ohrenheilk., Bd. 75. 

4. Bronchoskopie und bronchoskopische Behandlung von 
Bronchialasthma. Aus der laryngologischen Klinik des Prof. 
Pieniqfcek in Krakau. Von Dr. Franz Nowotny, Privat¬ 
dozent und Assistent der Klinik. Monatsschr. f. Ohrenheilk., 
XLI., Heft 12. 

1. Die Radikaloperation kann in der Mehrzahl der Fälle 
durch interne Eingriffe ersetzt werden. Das ist die Quintessenz 
der Ausführungen Kuttners, eine Anschauung, die Lublinski 
kurz vorher, andere schon oft vertreten haben. Vielleicht 
werden diese mahnenden Stimmen doch allmählich mehr gewürdigt 
gegenüber denen, die sofort zu der Radikaloperation schreiten, oft 
ohne bessere und sicherere Heilungen erzielen zu können. 

2. Verfasser erklärt sich als enragierter Freund der Saug¬ 
behandlung, speziell wie sie mittels der So nd ermann sehen 
Maske ausgeübt wird. Allerdings stützt er sich nur auf ein 
relativ geringes Material, doch erklärt er, daß kein sorgfältig 
mittels des Apparates behandelter Fall (Ansaugen von ca. zwei 
Minuten Dauer, drei- bis vierstündlich) zur Mastoidoperation ge¬ 
kommen wäre. Auch für die Diagnostik der Nebenhöhlenempyeme, 
für trockene Katarrhe, für Ozäna etc. sei er außerordentlich 
wertvoll. 

Es kann nach den zahlreichen Publikationen der Stauung 
bezw. dem Saugen wohl kaum erheblicher therapeutischer Wert 
abgesprochen werden. Doch mahnen viele Publikationen zur Vor¬ 
sicht. Auch wir haben nicht immer günstige Resultate gesehen 
und möchten doch zur vorsichtigen individuellen Anwendung raten. 

3. In längeren einleitenden Ausführungen bespricht Verf. die 
Schwierigkeit der Differentialdiagnose zwischen Lupus und Tuber¬ 
kulose, die auch von vielen anderen zitierten Autoren anerkannt 
wird. Mit Raulin unterscheidet er drei Formen des Schleim¬ 
hautlupus: Forme hypertroph, ou vegetante, forme ulcereuse, 
forme sklereuse. Das Vorkommen des Lupus bespricht er an der 
Hand von 63 Fällen der Baseler Klinik aus mehr denn einem 
Jahrzehnt. Er fand, daß dreimal soviel Frauen wie Männer er¬ 
kranken, daß im allgemeinen das dritte Jahrzehnt die größte 
Krankenzahl liefere, daß der Lupus vorzugsweise eine Krankheit 
der armen Leute ist. Aetiologisch kommen in Betracht Skrofu¬ 
löse, Tuberkulose, Infektionskrankheiten, trockene Katarrhe der 
Nasen- und Rachenschleimhaut. Die Haut ist in der Hälfte der 
Fälle mitbeteiligt. 

Die Lokalisation betrifft in erster Linie die Nase, die fast 
immer beteiligt ist, seltener ist der Mund (zwei Fälle), Rachen 
(sieben Fälle), Kehlkopf (fünf Fälle) beteiligt. Charakteristisch 
ist u. a. die absolute Schmerzlosigkeit. 

Das Ohr ist in 51% der Fälle mitbeteiligt, eine recht hohe 
Zahl! Verf. nimmt wohl mit Recht an, daß durch forciertes 
Schneuzen ein vorhandener Tuben Verschluß auf katarrhalischer 
Basis gesprengt und Sekret ins Mittelohr geschleudert wird, wo¬ 
durch die Infektion zustande kommt. Der Prozeß betrifft Mittel¬ 
aber auch Innenohr und ebenso den Prozessus mastoideus. 

Prophylaktisch empfiehlt Verf. dringend die sorgfältige Be¬ 
handlung von Rhinit. sicc. chron., Ozäna, Pharyngit. sicc. Da¬ 
neben Berücksichtigung der Konstitution, allgemeine Behandlung 
von Anämie, Skrofulöse etc. 

Lokal kommt Kreosotalsalizyl, Jod-Kalomelkur, Kurettement, 
Galvanokaustik und Heißluftbehandlung in Frage. Von Röntgen-, 
Radium-, Finsenbehandlung hat er keine Dauererfolge gesehen, 

4. Es ist von großem Interesse zu beobachten, wie die auf 
direktem Sehen aufgebauten Untersuchungsmethoden immer neue 
Erfolge zeitigen, immer neue Ausblicke gewähren. So hat es den 
Anschein, als würde die so außerordentlich wertvolle Broncho¬ 
skopie, die uns schon manches Krankheitsproblem intra vitam 
lösen ließ, möglicherweise auch den langjährigen Streit über die 
Ursache des Bronchialasthmas lösen helfen. 


Pieniqiek hat als erster einen Asthmatiker im Anfall 
bronchoskopiert. Verf. untersuchte drei weitere Fälle im Anfall. 
Sie fanden in allen Fällen starke Rötung und Schwellung der 
Mukosa an der Bifurkation oder an tiefer gelegenen Stellen in 
den Bronchien erster und zweiter Ordnung oder an beiden Stellen. 
In dreien der Fälle wurden sehr reichliche Massen von zähem, 
festhaftendem Schleim gefunden, die während des Bronchoskopierens 
großenteils zur Expektoration kamen, angeregt einmal durch das 
Bronchoskop selbst, anderseits durch das benötigte Kokain- 
Adrenalin, wodurch eine starke Abschwellung der Mukosa bewirkt 
und das Lumen des Bronchus oder Broncbiolus erweitert wurde, 
so daß der Schleim bequemer durchtreten konnte. 

Der therapeutische Effekt wird von dem Autor als sehr guter 
beschrieben, und *an der Hand desselben versucht er, das Wesen 
des Asthmas näher zu erklären. Gilt auch heute nicht mehr der 
Ruf: Hier Krampf der Bronchialmuskulatur — hier akute Schwel¬ 
lung der Mukosa des Brouchiolus, kommt man sich auch heute 
auf diesem Gebiet entgegen, so ist man doch zu einer klaren 
Vorstellung über das Wesen des Asthmas nicht gekommen. 
Nowotny beschreibt, daß ganze Abschnitte der Lunge, wie er 
im Bronchoskop feststellen konnte, von der Atmung ausgeschaltet 
waren, und zwar durch den klebrigen Schleim, der sich erst unter 
Kokain-Adrenalin löste. Er nimmt daher an, daß dieser Schleim 
in Verbindung mit dauernder Schwellung der Mukosa ätiologisch 
außerordentlich bedeutungsvoll für das chronische Asthma ist. 

Inwieweit die von Nowotny angenommene therapeutische 
Beeinflussung sich bestätigen wird, bleibt abzuwarten. 


Chirurgie. 

Referent: Spezialarzt Dr. Heinrich Landau, Berlin. 

1. Beiträge zur Hirnchirurgie. Von Josef Gobiet. 
Wiener klin. Wochenschr., 1908. 

2. Zwei mit Antitoxin Höchst“ behandelte Fälle von 
Tetanus nach gynäkologischer Operation. Von P. Zacharias. 
Münch, med. Wochenschr., 1908, Nr. 5. 

3. Die hysterische Skoliose. Von Max Strauß. Die Heil¬ 
kunde, 1908, H. 2, Febr. 

4. Zur Behandlung der akut lebensgefährlichen Blutungen 

bei IJlkus ventrikuli. Von W. Braun. Deutsche med. Wochen¬ 
schrift, 1908, Nr. 8. 

5. Ueber Epiploitis. Von Oskar Lederer. Zentralbl. f. 
d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., 1908, Nr. 1. 

6. Operation eines perforierten Magengeschwürs. Von 
Pernitza. Wiener med. Wochenschr., 1908, Nr. 9. 

7. Ueber einen durch Operation geheilten Fall von groß- 
knotiger Lebertuberkulose. Von Victor Bunzl. Münch, med. 
Wochenschr., 1908, Nr. 9. 

1. Die lehrreichen Krankengeschichten geben Proben aus den 
meisten Gebieten der heutigen Hirnchirurgie; auf ihre Einzelheiten 
einzugehen, ist hier nicht der Platz. Es finden sich darunter Bei¬ 
spiele für den bis heute nicht geklärten Widerspruch, daß eine 
Jacksonsche Epilepsie nach knöchernem Verschluß der Schädellücke 
heilt, und daß in einem andern Fall gerade der entgegengesetzte 
Eingriff, die Kraniektomie und Duraresektion es ist, der langjäh¬ 
rigen Anfällen ein Ende setzt. Eine neuerdings besonders bei 
Haematomen der Dura häufiger beschriebene Erscheinung, die auch 
Gobiet, u. zw. in einem der selteneren Fälle von wahrem Chole¬ 
steatom der Dura mater beobachtete, ist die kollaterale Hemiplegie: 
Verlust der Sprache und Krämpfe im rechten Arm und Bein, die 
von Lähmung dieser Gliedmaßen gefolgt waren, weisen auf die 
linke motorische und Sprachregion hin, die bei der Operation auch 
abgeflacht gefunden werden, ohne daß man die Ursache davon 
entdeckt. Erst die Leichenschau zeigt den Tumor über der 
rechten Großhirn-Hemisphäre sitzend, von wo er durch eigen¬ 
tümliche Beeinflussung des Schädelhöhlendrucks jene Fernwirklingen 
hervorgerufen hatte. Es kommt in solchen Fällen die Trepanation 
auf der Seite der Erscheinungen in Frage, wenn die Schädel¬ 
öffnung auf der anderen Seite ergebnislos geblieben ist. Be¬ 
merkenswert ist auch eine durch dreiwöchige Tamponade nach 
Trepanation geheilte Knochensplitterverletzung des Sinus lougitu- 


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* Original from 

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264 


dinalis und ein ebenfalls mit Glück angegriffener otitiscber 
Scbläfenlappenabszeß: Aufmeißelung des Warzenfortsatzes,' Er¬ 
öffnung der Schädelgrube und Entleerung eines subduralen Ab¬ 
szesses, dann eines großen Abszesses im Schläfenlappen selber, zu 
dem die schwer entzündeten weichen Hirnhäute den Weg ge¬ 
wiesen hatten. 

2. In der Erlanger Frauenklinik ereigneten sich kurz hinter¬ 
einander zwei Tetanusfälle nach gynäkologischen Eingriffen. Die 
Asepsis des Personals und Materials war einwandsfrei; die Er¬ 
klärung geben vielleicht ausgedehnte Erdarbeiten, die damals auf 
dem Grundstück der Klinik vorgenommen wurden. Die Vor¬ 
stellung, daß dabei Tetanus-Sporen aufgewirbelt und durch Luft¬ 
infektion an die Kranken im Operationsraum geraten sind, gewinnt 
dadurch an Wahrscheinlichkeit, daß Sehroedfcr im Jahre 1875 
die beiden ersten Ovariotomien in einer an gleicher Stelle frisch er¬ 
richteten Baracke an Tetanus verlor. Untersuchung von Boden¬ 
proben blieb ohne Ergebnis. 

Im Anschluß an die beiden Fälle — der erste, schwerere, 
mit kürzerer Inkubationszeit, starb, der andere genas unter fort¬ 
gesetzter Serumbehandlung, unterstützt durch große wiederholte 
Kochsalz-Einspritzungen — gibt Zacharias genauere An¬ 
weisungen über die Serumbehandlung des Starrkrampfes, die 
man in allen einschlägigen Werken, aber auch auf den Gebrauchs¬ 
anweisungen der Fläschchen selber vergeblich sucht. Die Maxi¬ 
maldosis des Serums (d. h. des Höchster Serums, auf das sich 
alles Folgende allein bezieht) wird nur durch den Zusatz von 
Carbolsäure bestimmt, ; es folgt daraus, daß das hochwertige Serum 
(10 fach normal = 100 x4ntitoxin-Einheiten, A-E, im 10 ccm- 
FJäschchen) dem 5 fach normalen (100 A.-E. in 20 ccm) vorzu¬ 
ziehen ist. Von dem hochwertigen Serum kann man pro dosi 
20,0, pro die 60,0 ccm = 600 A-E. einspritzen, ohne die Maxi¬ 
maldosis der beigefügten Carbolsäure zu überschreiten. Nach Ver¬ 
suchen an Meerschweinchen sind als Heildosis auf 1 kg Körper¬ 
gewicht 8 A.-E. notwendig; man wird also beim Menschen das 
hochwertige Serum nehmen müssen, um nach Behrings 
Forderung innerhalb der ersten 30 Stunden nach Ausbruch des 
Starrkrampfes die volle Heildosis zu erreichen, z. B. für eine 
60 kg schwere Frau 60 X 6 = 480 A.-E. = 48 ccm Serum. 

In dem erwähnten glücklich verlaufenen Falle gab Zacharias 
in sieben aufeinanderfolgenden Tagen 1300 A.-E., drei Tage 
später noch einmal 100 A.-E.; der Erfolg zeigt, daß das Anti¬ 
toxin sehr häufig in viel zu geringer und nicht konsequent genug 
wiederholter Gabe verabfolgt wird. Freilich kann das Antitoxin 
die bereits im Nervensystem verankerten Toxine nicht mehr lösen, 
sondern lediglich die frisch gebildeten vor ihrer Bindung abfangen. 
Die Seruminjektion geschieht deswegen am besten in häufigeren klei¬ 
nen Dosen, ohne lange Pausen. Neben der Flüssigkeitszufuhr durch 
Kochsalzeinspritzung und Anregung des Herzens (Z. gab bis 3 g 
Digalen pro dosi!) muß man natürlich für genügende Ernährung 
sorgen und braucht die gleichzeitige Anwendung der Narkotika 
nicht zu scheuen. 

3. Die hysterische Skoliose ist eine Haltungsanomalie der 
Wirbelsäule, entstanden durch Muskel Wirkung, vom Central¬ 
nervensystem aus verursacht: eine rein seitliche Abbiegung der 
Wirbelsäule ohne Drehung der Wirbelkörper, ohne Keilwirbel¬ 
bildung, Abknickung der Rippen und Rippenbuckel, wie sie die 
wirkliche Skoliose kennzeichnen. Das weibliche Geschlecht über¬ 
wiegt bedeutend (26 : 19 bei Straußens Fällen); sehr häufig 
liegt der Erkrankung ein Trauma zugrunde, das Wochen und 
Monate, aber auch Jahre zurückdatieren kann. Rücken- und 
seitliche Bauchmuskeln, manchmal auch Hals- und Schultermuskeln 
der befallenen Seite sind kontrakt, die Wirbelsäule scheint umge¬ 
bogen „wie ein Stab“. Anatomische Veränderungen im Röntgen¬ 
bilde fehlen ebenso wie der Rippenbuckel. Charakteristisch ist 
das Verschwinden der Verbiegung beim Rumpfbeugen, beim Liegen, 
schlimmstenfalls in Narkose. Dazu kommen, aber durchaus nicht 
immer, andere hysterische Kennzeichen und die Anamnese; selbst¬ 
verständlich wird die Diagnose häufig durch Aggravation erschwert. 
Die Behandlung soll das Schwergewicht auf seelischen Einfluß 
legen; Medikomechanik nur bei gut ausgleichbarer Kontraktur. 
Orthopädische Apparate werden mit Recht verworfen, sie verstärken 
das Krankheitsbewußtsein und sind dem Muskelkrampf gegenüber 
nutzlos. Auch dem Vorschlag einer niedrigen Rente für hysteri¬ 



-- , ' ' • ^ : 

THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


sehe Skoliose (nach Strümpell) ist- beizustimmen; sie veranlaßt 
zur Wiederaufnahme der Arbeit, während hohe Rente depravie- 
rend wirkt. 

4. Braun gelang es in einem Falle wiederholter lebensge¬ 

fährlicher Magenblutuügj die Stelle des Geschwürs am freigelegten 
Magen von außen durchzufühlen. Er umstach die zuführenden 
Gefäße ohne Eröffnung des Magens und schloß eine Jejunostomie 
an; die Kranke kam durch. Der Fall beweist, daß die unbedingte 
Ablehnung der Laparotomie bei akuter Magenblutung, weil das Auf¬ 
finden des Geschwürs unsicher, der Eingriff zu groß für den aus¬ 
gebluteten Kranken und die Aussichten bei innerer Behandlung 
nicht schlechter seien, wenigstens bei verzweifelten Fällen nicht 
berechtigt ist; allerdings wird sich die Operation dann auf die 
Umstechung beschränken, der sich die Jejunostomie oder, falls der 
Zustand des Kranken es erlaubt, die Gastroenterostomie anzu¬ 
schließen hat. Am günstigsten für die Umstechung liegen die 
Gefäß Verhältnisse an der kleinen Kurvatur; übrigens hat Braun 
im Tierversuch nachgewiesen, daß beim Hunde Unterbindung der 
meisten zuführenden Gefäße die Lebensfähigkeit des Magens 
nicht stört. 11 

5. Die Perforation erfolgte auf) der inneren Abteilung des 
Garnisonsspitals Wien nach längerer scheinbar!* erfolgreicher Ul- 
cuskur. Sechs Stunden nach dem im Schlaf erfolgten Durch¬ 
bruche — der charakteristische Schmerz hatte den Kranken geweckt 
— wurde laparotofniert, das linsengroße Geschwür an der Vorder¬ 
wand der pars pylorica übernäht und die Gastroenterostomie ange¬ 
schlossen. Die bei der Frühoperation zu erwartende Heilung er¬ 
folgte ohne Zwischenfall. 

6. Der Lebertumor erwies sich histologisch trotz mißlungenen 
Bazillennachweises durch unverkennbare Epitheloidtuberkel als 
Tuberkulom; er war über mannsfaustgroß und hatte nach einer vor 
einem Jahr vorgenommenen Laparotomie dem Kranken unerträg¬ 
liche Schmerzen bereitet. Seine Entfernung gelang stumpf; die 
starke Blutung aus dem Lebergewebe wurde durch Tamponade 
mit Adrenalinlösung beherrscht. Die Heilung hat bis jetzt ein 
Jahr lang vorgehalten. Häufiger noch als Tuberkulose bringt Lues 
derartige solitäre entzündliche Tumoren in der Leber hervor; ihre 
gewöhnlich an eine Probelaparotomie angeschlossene Entfernung 
liefert im ganzen gute Ergebnisse. 

7. Die selbständige Entzündung des großen Netzes wird 
meistens nach Operationen, ganz besonders nach Bruchoperationen 
beobachtet. Der entzündliche Netztumor birgt in seinem Inneren 
häufig Ligaturen und kleine Abszesse; seine Symptome sind ent¬ 
sprechend der großen Beweglichkeit des Netzes verschieden; Ver¬ 
wechselungen mit Ovarialzysten, mit Milztumoren, mit malignen 
Neubildungen sind vorgekommen. Die Tatsache der vorherge¬ 
gangenen Bruchoperation gibt immer den wichtigsten Fingerzeig; 
die Zwischenzeit beträgt gewöhnlich nur wenige Monate, doch ist 
in einem Falle ein Intervall von drei Jahren vorgekommen. Die 
Behandlung muß durchaus nicht immer operativ sein, zumal der 
Eingriff, an sich nicht gleichgiltig, durch Komplikation mit Peritonitis 
in der beschränkten Statistik eine sehr hohe Mortalität aufweist. 
Durch Bettruhe und Umschläge gehen auch ausgedehnte Netzin¬ 
filtrationen zurück; in einem Falle, den Ref. Gelegenheit hatte zu 
beobachten, und der ohne Eingriff heilte, war die günstige Wirkung 
lange fortgesetzter Bier scher Saugung mit großer Glocke unver¬ 
kennbar. 



Califig, 

ein mildes und zuverlässig wirkendes Abführmittel in der 
Kinder- und Frauenpraxis. 

Von Dr. C. Peters, Arzt, Eisenach. 

Es sei mir an dieser Stelle ein Hinweis auf ein Präparat 
gestattet, das entschieden berufen ist, bei der oft so schwierigen 
und undankbaren Behandlung der habituellen Obstipation, sowie 


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Original fro-m 

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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU 


265 


bei def 3iit- besonderen körperlichen Verhältnissen (Kranken¬ 
lager j Gravidität; Wochenbett, KEmakterium usw.) komplizierten 
Verdaunngs-- und Entleerungsträgheit eine hervorragende Rolle 
zu’spielen, und das entschieden eine größere und allgemeinere 
Würdigung von seiten der Aerzte verdient, als es bisher der 
fall war, nämHch auf den „Califig“ genannten, von der Cali¬ 
fornia'Fig Syrup Co. in San Francisco hergestellten Feigen- 
Syrup. Ich selbst habe — in Verbindung mit -einem anderen 
Kollegen, dessen Beobachtungen und Erfahrungen völlig mit 
den ineinigen übereinstimmen — dieses Präparat seit nahezu 
drei Jahren in meiner Praxis erprobt und in allen Fällen 
ohne Ausnahme, bei Kindern und Erwachsenen, gute Erfolge 
erzielt. 

Das Präparat ist, wie der Name schon andeutet, aus kali¬ 
fornischem Feigensaft — in Verbindung mit den abführend 
wirkenden Stoffen der Fol. Sennae und einigen- Aromatizis — 
hergestellt. Es ist somit eigentlich mehr ein diätetisches als 
-ein bloßes Arzneimittel, da man ja auch sonst bei Fällen von 
chronischer Obstipation den Genuß von Obst, Südfrüchten, usw. 
verordnet. Dasselbe Prinzip liegt hier vor, nur daß die im 
Obst — hier den Feigen — wirkenden Stoffe in einer kon¬ 
zentrierten, bequemen und angenehmen Form dargeboten 
werden. 

Die Hauptvorzüge des Präparates sind: 

1. seine prompte, nie versagende milde Anregung auf 
die erschlaffte Darmtätigkeit und die dadurch erzielte regel¬ 
mäßige, breiige Stuhlentleerung; 

2. die Möglichkeit, die dargereichten Gaben allmählich zu 
verringern, ohne daß sich ein Nachlassen der Wirkung zeigt, 
während man doch bei allen anderen Laxantien allmähEch die 
Dosis steigern muß, um eine gleichmäßige Wirkung zu erzielen. 
Diese direkt therapeutische Eigenschaft des „ Califig“ bringt 
sogar derartige Fälle zu dauernder Besserung, indem nach 
längerer regelmäßiger, allmählich verringerter Darreichung ganz 
mit dem Mittel ausgesetzt werden kann, ohne daß eine Ver- 
schHmmerung sich wieder einstellt; 

3. die absolute Reizlosigkeit, das völlige Ausbleiben jeder 
Leibschmerzen oder sonstiger störender Darmerscheinungen, wie 
sie sonst nach anderen Purgantien sich häufig einstellen; 

4. sein Wohlgeschmack und die angenehme Darreichungs¬ 
form, die seine Verwendung selbst bei den empfindlichsten 
Patienten, bei Kindern und Schwerkranken, gestatten. 

Ich habe hartnäckige, veraltete Fälle von habitueller 
Obstipation, bei denen schon alle nur denkbaren Laxantien 
ohne dauernden Erfolg angewandt waren, nach Gebrauch von 
„Califig“ — natürlich in Verbindung mit geregelter Lebens¬ 
weise — zu dauernder Heilung kommen sehen, habe auch be¬ 
sonders während der Gravidität, bei der es teils durch Darm¬ 
kompression, teils durch Darmerschlaffung oder venöse Stau¬ 
ungen zu stärkeren Obstipationsbeschwerden kommt, wie im 
Wochenbett, wo regelmäßige Verdauung und Stuhlentleerung 
- von größter Wichtigkeit sind, stets bedeutende Erleichterung, 
erhöhtes Wohlbefinden und Appetitsteigerung bei den Frauen 
wahrgenommen. 

In gleich guter Weise hat „Califig“ sich mir bei 
den so häufigen Fällen von habitueller Obstipation des Pubertäts¬ 
alters bei Mädchen bewährt, indem die oft auf dieser beruhenden 
oder durch sie verschlimmerten Beschwerden bei der Menstruation 
nach dauernder Beseitigung der Obstipation durch „CaHfig“ be¬ 
deutend erleichtert wurden, zuweilen sogar einem dauernden 
Wohlbefinden Platz machten. 

Endlich habe ich gute Erfolge von „Califig“ bei der 
Behandlung der Hartleibigkeit des SäugHngsalters gesehen, bei 
der gelegentlich die Veränderung der Nahrung nicht zur Be¬ 
seitigung ausreicht; auch hier führt es, wenn eine Zeitlang täg¬ 
lich ein- bis zweimal wenige Tropfen der Nahrung zugesetzt 
werden, stets ohne störende Nebenerscheinungen-einen bedeutend 
besseren, regelmäßigen Stuhl herbei. 

Ich möchte die Kollegen, die „CaEfig“ bisher noch nicht 
in ihren Arzneischatz aufgenommen haben, namentlich die¬ 
jenigen mit Frauen-Spezialpraxis, zu reger Prüfung und Ver¬ 
ordnung des „Califig“ anregen. 


Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. Ueber die Konsistenz der für künstliche Prothesen emp¬ 
fohlenen Paraffine. Von Privatdoz. Dr. Spiegel. Berl. klin. 
Wochensehr., 1908, Nr. 9. 

2. Heber organische Adstringentien und deren chemische 
Verwandtschaft mit den Phenolen. Von Dr. phil. Osborne, 
Chemiker. Therap. d. Gegenwart, 1908, Februar. 

8. Heber Anwendungsweise und Nutzen der Kreosottberapie 
als eines medikamentösen Adjuvans der modernen Lungenheil¬ 
stätten. Von Dr. Daus. Beitr. z. Klinik d. Tuberkul., Separat¬ 
abdruck. 

4. Therapeutische Versuche mit Tinctura Ferri Athen- 
staedt. Von Dr. Krone. Aerztl. Rundschau, 1908, Nr. 9. 

5. Ein Ersatzmittel des Phosphorlehertrans in der Therapie 
der Rhachitis. Von Dr. Lungwitz. Therap. d. Gegenwart, 
März 1908. 

6. Heber das Biocitin. Von A. Altmaun. Apotheker- 
Zeitg., 1908, Nr. 17. 

7. Heber Puro. Von Hofrat Dr. von Boustedt. Russische 
med. Rundschau, 1908, Nr. 1. 

8. Neue Arzneimittel und pharmazeutische Spezialitäten. 
Pharmazeut. Zeitg., 1908, Nr. 19. 

1. Da es erwünscht ist, daß eine zu plastischen Zwecken in 
den menschlichen Körper einverleibte Masse möglichst lange an 
dem dafür ansersehenen Orte unverändert bleibt, dies jedoch bei 
den verschiedenen Präparaten — die Verschiedenheit der Paraffine 
richtet sich nach ihrem Schmelzpunkte — nicht gleichmäßig der 
Fall ist, so hat S. Untersuchungen mit einer Reihe von Paraffinen, 
die zu genanntem Zweck injiziert werden, angestellt und Tempe¬ 
ratur und Druck miteinander verglichen. Denn da das Paraffin 
im Organismus von diesem und von außen her dem Druck aus¬ 
gesetzt ist, so ist die Bestimmung desselben neben der des 
Schmelzpunktes zur Lösung der Frage notwendig. S. hat nun 
gefunden, daß nur die reinen Hartparaffine (Schmelzpunkt 75 bis 
56' ) den geforderten Ansprüchen genügen. Bei weicheren Paraf¬ 
finen besteht die Gefahr, daß beträchtliche Mengen derselben in 
die umgebenden Gewebe gedrückt werden, wodurch die Gefahr 
von Embolien und Entzündungen einzelner Organe gegeben ist. 

2. Die in der Medizin verwendeten organischen Adstringentien 
gehören fast alle zur Klasse der Gerbstoffe, die ihrem chemischen 
Charakter nach Phenolderivate und in letzter Linie Abkömmlinge 
des einwertigen Phenols, der Karbolsäure, sind. Ihre Wirkung 
beruht darauf, daß sie nicht wie die stets giftigen Antiseptika die 
Bakterien unmittelbar abtöten, sondern indirekt durch Kontraktioji der 
Gewebe eine Einschränkung und gänzliche Verhinderung der Keim¬ 
entwicklung im lebenden Organismus herbeiführen. Darin sind sie 
also den Antiseptizis überlegen, daß sie bei längerer Einwirkung 
nicht das organische Gewebe schädigen wie diese, und die chemische 
Wissenschaft und Industrie war deshalb stetig bemüht, diese Zwei- 
schueidigkeit des antiseptischen Schwertes nach der unerwünschten 
Seite hin möglichst abzustumpfen. Da z. B. das einfachste Phenol, 
Karbolsäure, wegen seiner großen Giftigkeit zu internem Gebrauch 
ganz ungeeignet ist, fand man Wege, um an den Benzolkern — 
Karbolsäure ist Monooxybenzol — nicht eine, sondern mehrere 
Hydroxylgruppen anzuschließen, wodurch die Giftigkeit des Phenol¬ 
charakters erheblich abgeschwächt wird. Die freien Hydroxyl¬ 
gruppen können hinwiederum durch esterartige Bindungen un¬ 
schädlich gemacht werden, so daß sie erst im Magen oder Darm 
oder auf ihrem weiteren Wege im Organismus nach erfolgter 
Spaltung der betreffenden Verbindung ihre volle Wirkung ent¬ 
falten. Von den zweiwertigen Phenolen hat das Resorzin und 
Brenzkatechin therapeutischen Wert, letzteres namentlich in Form 
des Guajakols. Seine milde Wirkung beruht auf der Verdoppelung 
der Hydroxyle und Veresterung derselben. Daraus resultieren 
eine Reihe bekannter Präparate: Duotal, Guakamphol, Gujasanol, 
Histosan. Eine ähnliche Umbildung beim einfachen Phenol be¬ 
wirkt Verbindungen wie Phenetol (als Bestandteil des Phenazetins) 
und Salol. Die Salizylsäure ist der wichtigste Vertreter der 
Phenolsäuren. Wird in ihr das noch freie Phenolbydroxyl durch 
Essigsäure gebunden, so haben wir die Azetylsalizylsäure oder 
Aspirin. — Eine weitere Auseinandersetzung würde über den 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 16 


Rahmen eines Referates hinausgehen. Das obige möge eine Probe 
der interessanten Erörterungen sein, welche vielleicht bei manchem 
erneutes Interesse für diese Körperklasse erwecken. 

3. Als medikamentöses Adjuvans der Lungenheilstätteubehand- 
lung wird von D. sehr das Pneumin empfohlen, eine Verbindung 
von Kreosot und Formaldehyd. Dasselbe stellt ein gelblich-weißes 
Pulver dar, das, völlig geruch- und geschmacklos, ungiftig ist, 
auf die Enteritiden der Phthisiker sowie auf Auswurf und Appetit 
günstig wirkt. Es kann als Schachtelpulver ordiniert werden und 
ist so außerordentlich billig. 1 g kostet 8 Pf.5 die Tagesdosis 
(dreimal 0,5 g) würde also 12 Pf. kosten. Daher scheint das 
Mittel auch in der Armen- und Kassenpraxis verwendbar zu sein. 

1 g Pneumin enthält fast 99% Kreosot, ist diesem also fast 
gleichwertig. 

4. Bei 24 Kranken mit Chlorose, Anämie, Neurasthenie hat 
K. Versuche mit Tinctura Ferri Athenstaedt und der alkoholfreien 
Athensa gemacht und faßt seine Erfahrungen dahin zusammen: 
Beide Präparate sind von zuverlässiger Wirkung und großer 
Schmackhaftigkeit. Selbst bei subtilem Geschmack und empfind¬ 
lichem Magen werden sie gern und ohne Beschwerden genommen. 
Sie entwickeln eine appetitanregende, verdauungsbefördernde Wir¬ 
kung und üben eine energische Anregung zur Blutbildung aus. 
Ihre Wirkung ist prompt, verläßlich und nachhaltend. 

5. Ersatzmittel für den Lebertran besitzen wir eine ganze 

Reihe. Nach den Untersuchungen von Shttler (Münch, med. 
Wochenschr., 1907, Nr. 29) ist aber ihr therapeutischer Effekt un¬ 
genügend. Auch L. hat sich mit der Frage nach einem brauch¬ 
baren Lebertranpräparat beschäftigt, wobei er von folgenden 
Betrachtungen ansging: An ein Ersatzmittel des Phosphorleber¬ 
trans soll man folgende Forderungen stellen können: 1. Geruch 

und Geschmack sollten möglichst angenehm sein. 2. \ erdaulich- 
keit und Resorbierbarkeit des Lebertrans sollten die größtmög¬ 
lichen Werte erreichen. 3. Das Präparat sollte auch im Sommer 
haltbar und verwendbar sein. 4. Der Phosphor sollte in einer 
nicht flüchtigen, unveränderlichen, also genau dosierbaren und in 
ungiftiger Form gegeben werden, d. h. in organischer, als Lezi¬ 
thin und Nuklein. 5. Man sollte versuchen, durch Eisen die 
Anämie und durch Jod die Schwäche des lymphatischen Apparates 
bei dem Rhachitiker zu beeinflussen. — Schon von Mering 
wandte zur Erhöhung der Verdaulichkeit und Resorbierbarkeit 
von Neutralfett freie Fettsäuren an (das Präparat Lipanin). Da man I 
annahm, daß dem Rhachitiker Kalk fehle, gab man ihm solchen. 
Aber der rhachitische Organismus leidet gar nicht Mangel an 
Kalk; die Zufuhr desselben ruft nur eine Belastung des Darmes 
hervor. Ebenso bleiben auch die Hypophosphite ganz wirkungs¬ 
los. Auf Grund solcher Ueberlegungen hat nun L. ein Präparat her¬ 
gestellt, das den Namen Rhachisan bekommen hat und folgendermaßen 
zusammengesetzt ist: 

Lebertran 30%; freie Fettsäuren, durch Verseifung aus Leber¬ 
tran hergestellt, 1%; Jod, an freie Fettsäuren gebunden, 0,1%; 
Lezithin 0,8%, Nukleine 1,75%; Eisen, organisch an Ovovitellin 
gebunden. 0,3%; Mannit, der die Verbindung des Eisens mit dem 
Vitellin vermittelt, 12%; Glyzerin und Alkohol je 5%; destill. 
Wasser ad 100,0. Der Phosphorgehalt des Mittels beträgt 0,05%. 
Das Ganze ist eine haltbare Emulsion; die Dosis beträgt dreimal 
täglich 10 g. Die bisherigen Versuche, die fortgesetzt werden, 
lauten günstig. 

G. Um Lezithin in schmackhafter Form zu verabreichen, 
wurde kürzlich von Prof. Habermann und Dr. Ehrenfeld ein 
neues Präparat namens Biocitin hergestellt. Es ist dies ein 
feines, gelblich-weißes Pulver von sehr schwachem, biskuitartigem 
Geruch und Geschmack, das in Wasser durch Schütteln alsbald 
zu einer Emulsion wird. Dieses Lezithin wird aus Eidotter nach 
einem neuen Verfahren in physiologisch reinem und chemisch un¬ 
verändertem Zustande gewonnen. Die Wertstoffe im Biocitin sind 
somit vor allem Lezithin, ferner die Eiweißstoffe des Eidotters 
und der Milch, sowie der Milchzucker und das Milchfett. Nach 
den Analysen A.s besitzt das Präparat einen außerordentlich hohen 
Prozentsatz an physiologisch reinem Lezithin neben überaus leichter 
Verdaulichkeit, so daß es den im Handel befindlichen Protein- 
und Proteosenpräparaten als überlegen erscheint. 

7. ß, hat in der Kinderpraxis viel das Fleischsaftpräparat 


Puro“ augewendet und gefunden, daß es ohne Nebenwirkung 
gut vertragen wurde, daß danach meist Gewicht und Ernährungs¬ 
zustand günstig beeinflußt wurden, daß subjektives Befinden und 
der Appetit gehoben wurde. Bei Ulkus ventrikuli empfiehlt B. 
Puro als reizloses Nährmittel, das gut vertragen wurde und mit 
Milch und Schleim genügend nährte; ebenso bei Atonie des Magens 
und bei Dyspepsie. Auch per Klysma kann Puro gegeben werden. 
Innerlich reicht man den Fleischsaft in warmer Suppe oder Bouillon, 
oder mit Wein und Wasser verrührt. 

8. In der Pharmazeutischen Zeitung lesen wir Berichte über 
neue Arzneimittel, denen wir folgendes entnehmen: 

Andolin ist ein in der Zahnheilkunde angewendetes Lokal¬ 
anästhetikum, bestehend aus Eukain. 0,5, Stovain. 0,75, Suprarenin. 
hydrochlor. 0,008, physiol. Kochsalzlösung ad 100,0 (Deutsche 
med. Wochenschr., 1908, Nr. 9). 

Chimaphila umbellata, eine Erikazee Nordamerikas, Ru߬ 
lands und Sibiriens, deren Blätter in Amerika offizineil sind, soll 
nach Soules als Antidiabetikum vorzügliche Dienste leisten. Ver¬ 
fasser bediente sich eines mit 50% Weingeist hergestellten Fluid¬ 
extraktes, von dem täglich 8 g eine Zeitlang genommen wurden. 

Jodameisensäure, die nach S t e r n bei der Behandlung der 
chronisch-ulzerativen Phthise gute Dienste leistet, wird in folgender 
Form angewendet: Eine sogenannte Stammlösung (10%) besteht 
aus 40% Ameisensäure 25 ccm, Jod q. s., Glyzerin ad 100,0. 
Die Behandlung geschieht mit einer l%igen Lösung, von der 
täglich 10 bis 30 Tropfen intramuskulär injiziert werden. Weniger 
wirksam ist die Behandlung per os. 

Xerosin wird eine abwaschbare, antiseptisch wirkende, haut¬ 
farbene Trockenpaste genannt, welche neben dem als Gelanthum 
bekannten Hautfirnis Ichthyol, Borsäure, Zinkoxyd und Talkum 
enthält. 


Technische Neuerscheinungen. 


.i 


Schnellverbandkasten 

nach Blume. 

Mit den Utermöhlenschen Schnellverbänden hat Dr. Blume 
in Baden einen Verbandkasten gefüllt, welcher entschieden eine 
sehr empfehlenswerte Einrichtung zeigt, welche ihn für Fabriken, 
EisenbahndirektioDen und Unfallstationen sehr geeignet macht. 
Dieser Verbandkasten enthält neben einer Reihe von Schnell¬ 
verbänden aller Größen ein Kuvert mit Heftpflaster, mehrere 
Mullbinden, hydrophilen Mull, Verbandwatte, Bardelebens Brand¬ 
binden, einige Instrumente und eine Büchse Dermatol. Es ist 
alles Notwendige, was man zur ersten Hilfeleistung bei Un¬ 
fällen braucht, in dem Kasten zu finden. Es ist als großer 
Fortschritt zu betrachten, daß man aseptische fertige Verbände 
vorfindet, durch welche ermöglicht wird, daß die Wunden sofort 
aseptisch bedeckt und verbunden werden. Es ist also nicht 
notwendig, daß der Arzt beim Verbinden die frischen Wunden 
mit Dermatol oder Jodoform etc. bedeckt. Es wird am besten 
nur die aseptische Kompresse auf die Wunde gelegt, wodurch 
man die Infektion der Wunde verhütet, soweit dieselbe nicht 
schon bei dem Trauma verunreinigt wurde. Die Verbandkästen 
werden von Kühne, Sievers & Neumann in Köln-Nippes ange- 
fertigt und in den Handel gebracht. 

W. B. Müller, Berlin. 


□ 


Bücherbesprechungen. 


□ 


Der Arzt der großen und der kleinen Welt. 

Aerztliche Skizzen. Von Dr. M. Nassauer. München 1908. 
Ginelin. 81 Seiten. 


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267 


„>,</ dfe Verlag der Äerztlichen Rundschau, der der Aerztewelt 
schon öo viele anregende und wertvolle Schriften bescherte, die über 
den .heutzutage fast allein geltenden Detailkram hinaus von 
höheren Gesichtspunkten ausgeht, hat auch diesmal wieder einen 
• glücklichen Griff getan. 

Ein erfahrener, gemütvoller Arzt von abgeklärter Weltanschau¬ 
ung schildert hier in flott und anziehend geschriebenen Skizzen 
einen Teil der Leiden und Freuden des Arztes, die idealen so¬ 
wohl wie die Schattenseiten seines Berufes. Auch von dem feinen 
und groben Schwindel, der sich — leider — auch in unserem 
Stande findet, entwirft Verf. treffende Schilderungen. 

Die Skizze „Die Fronarbeiten“ und namentlich die zu Herzen 
gehende Erzählung „Kurierfreiheit“ verdienen weiteste Verbrei¬ 
tung durch die Presse, da sie sehr geeignet sind, den Kassen¬ 
gewaltigen, den Behörden und dem Publikum überhaupt die Augen 
zu öffnen über Mißstände, die noch immer nicht genügende Be¬ 
achtung finden. Esch. 

Ueber den Kohlehydratstoffwechsel. Physiologische 
Vorträge von F. W. Pavy. Autorisierte deutsche Ausgabe von 
Dr. K. Moeckel in Bonn. Leipzig 1907. Verlag von W. Engel¬ 
mann. 

P. legt in etwas weitschweifiger Form seine Auffassung vom 
Schicksal der Kohlehydrate im Organismus dar und zieht daraus 
Schlüsse auf das Wesen der diabetischen Störung. Die verdauten 
Kohlehydrate werden nicht als solche ins Blut aufgenommen, 
sondern chemisch an die Lymphozyten gebunden; denn Kohle¬ 
hydrate, die frei im Blute enthalten sind (z. B. ins Blut ein¬ 
gespritzte Zuckerlösung), werden durch die Nieren sicher aus¬ 
geschieden. Das gleiche gilt für Peptone. Die Lymphozyten 
halten die Kohlehydrat- und Peptonmoleküle chemisch fest, so daß 
eine Ausscheidung im Urin bei normalen Verhältnissen nicht statt¬ 
finden kann, und transportieren sie an den Ort ihres Verbrauches 
bezw. ihres Aufbaues zu Körpersubstanz; denn auch aus Kohle¬ 
hydraten kann Eiweiß gebildet werden. Beim Diabetes sind die 
Lymphozyten nicht oder in geringerem Grade zur chemischen 
Bindung des Kohlehydratmoleküls befähigt, ergo zirkuliert dieses 
frei im Blute und wird durch die Nieren ausgeschieden, eine Tat¬ 
sache, die als Selbstschutz des Organismus gegen die giftige 
Wirkung der im Blute enthaltenen Zuckermoleküle anzusehen ist. 
Analog erklärt sieh der Vorgang der Albuminurie. — Diese Sätze 
enthalten im wesentlichen das Neue der Auffassung Pavys. Was 
über die Behandlung des Diabetes gesagt wird, enttäuscht: 
v. Noordens Monographie bietet mehr und besseres. 

Lungwitz, Berlin. 

Neuere Arzneimittel, Beziehungen zwischen 
deren chemischer Konstitution und pharmakolo¬ 
gischer Wirkung. Von H. Hildebrandt. Leipzig 1907. 
Akadem. Verlagsanstalt m. b. H. 

Es ist nicht jedermanns Sache, sich in eine Lektüre, welche 
die chemische .Konstitution in Beziehung zur pharmakologischen 
Wirkung zum Gegenstand hat, so hinein zu lesen, daß er dem 
Inhalt Geschmack abgewinnt. Wir besitzen zwar ein recht um¬ 
fangreiches Werk auf diesem Gebiete von S. Fraenkel-Wien, 
doch wirkt die Fülle des dort angehäuften Materials auf viele — 
besonders die medizinischen Leser — erdrückend, ohne damit den 
Wert dieses für uns Pharmakologen fast unentbehrlichen Buches 
schmälern zu wollen. Hildebrandt hat es verstanden, den für 
den Mediziner und Pharmazeuten in Betracht kommenden Stoff so 
darzustellen, daß einem die Lektüre dieser immerhin spröden 
Materie bedeutend erleichtert wird. Verfasser selbst hat im 
Lauf der Jahre auf diesem Gebiete reichliche Erfahrungen ge¬ 
sammelt, welche ihm bei der Abfassung des Buches recht zu 
statten kamen. In gedrängter Form finden wir alle jene Punkte 
berücksichtigt, die das Verhältnis des chemischen Aufbaues zur 
pharmakologischen Wirkung bei den modernen Arzneimitteln be¬ 
handeln. Auf einzelne Kapitel kann hier nicht eingegangen werden, 
doch sei nicht unerwähnt gelassen, daß das Verzeichnis der be¬ 
sprochenen Arzneikörper bis auf die neueste Zeit durchgeführt ist; 
so finden wir das Sajodin, Isoform, Jothion usw. bereits behandelt. 
Endlich SBi noch darauf hingewiesen, daß die zahlreichen Literatur¬ 
angaben ein weiteres Studium dieser Spezialwissenschaft erleichtern. 

Bachem-Bonn. 


Erfahrungen und Erkenntnisse eines praktischen 
Arztes während einer fünfzigjährigen Praxis. Ein 

kurzer praktischer Ratgeber für wichtige Fragen der Gesundheits¬ 
pflege und zur Verhütung von Magen- und Darmkrankheiten (Blind¬ 
darmentzündung usw.). Von Dr. Valentin Rigauer, König! 
Hofrat und praktischer Arzt in München. Verlag von J. F. Leh¬ 
mann in München. Preis 50 Pf. 

Obigen Titel lesen und mir diese Broschüre bestellen, war 
gewissermaßen eine Reflexhandlung bei mir, denn noch nie hatte 
ich es zu bereuen, wenn ich mir aus den Werken älterer er¬ 
fahrener Kollegen Wissen zu holen suchte: stets ging ich nach 
dem Studium mit neu6n guten Gedanken von dannen (Kußmaul, 
Sonderegger, Billroth, Scholz und viele andere sind mir 
treue Freunde und Berater auf dem Gebiete ärztlicher Ethik und 
positiver medizinischer Literatur geworden). 

Auch bei Rigauer gestehe ich offen, daß ich glaube, es 
müsse dem biologisch denkenden Arzte eine wahre Freude be¬ 
reiten, seine Ansichten ugd Erfahrungen von einem solch würdigen 
Kollegen bestärkt und bestätigt zu sehen und noch Neues und 
Eigenartiges hinzuzulernen. 

Um die Tendenz vorliegender Broschüre zu kennzeichnen, 
scheint es mir zu genügen, Rigauers grundlegende Leitsätze 
hier zu zitieren und das weitere dem Studium der Kollegen an¬ 
heimzustellen. 

„I. Das Wohlbefinden eines Menschen hängt ab von dem 
normalen Blutdruck in sämtlichen Organen des Körpers. 

H. Der Unterleib (Bauch) beeinflußt den Blutdruck im ganzen 
Körper, abgesehen von rein mechanischen Störungen der Zirkulation. 

III. Die mehr oder weniger intensiven pathologischen Span¬ 
nungszustände des Bauches verursachen entsprechende Steigerung 
des arteriellen Blutdruckes in der oberen Körperhälfte. 

IV. Die Erzielung regelmäßiger entsprechender Darmentlee¬ 
rungen bei gelegentlicher oder habitueller Stuhl Verstopfung ver¬ 
hütet eine Menge mehr oder weniger schwerer, selbst lebensgefähr¬ 
licher Krankheiten und erleichtert in hohem Grade die Beschwerden 
bei Krankheiten aller Art.“ 

Der äußerst niedrige Preis von 50 Pfennigen für die hoch¬ 
interessante Broschüre wird hoffentlich dazu führen, daß das Büch¬ 
lein recht lebhaft gekauft wird, zumal der Reinertrag der Schritt 
dem Pensionsverein für Witwen und Waisen bayerischer Aerzte 
überwiesen wird. Hünerfauth-Homburg v. d. Höhe. 



! Internationaler Laryngo-Rhinologen-Kongress. — Türck- 

Ozermak - Gedenkfeier. — Laryngo-rhinologische Ausstellung. — 
Unter dem Protektorate Sr. kaiserl. u. könig! Hoheit des durch¬ 
lauchtigsten Herrn Erzherzog Franz Ferdinand. Wien, vom 21. 
bis 25. April 1908. 

Nach dem bisher festgestellten Programm wird am 20. April 
um 8 Uhr abends eine gesellige Zusammenkunft an einem später 
zu bestimmenden Orte, am 21. April die feierliche Eröffnung des 
Kongresses stattfinden. Am 22. werden die Referate erstattet, 
am 23. beginnen die Vorträge. Die weiteren Einzelheiten des 
Programms werden seinerzeit bekannt gegeben werden. — Für 
Damen werden Teilnehmerkarten gegen Erlegung von 15 Kr. 
ausgegeben. 

I. Referate. 

1. Sir Felix Semon-London, Referent: Die Allgemein¬ 
behandlung lokaler Leiden der oberen Luftwege. — 2. B. Franke 1- 
Berlin, Referent, Lermoye z-Paris, Korreferent: Die Laryngologie 
und Rhinologie vom allgemein medizinischen Standpunkt. Unter¬ 
richt u. Prüfung in diesen Fächern in den verschiedenen Staaten. — 

3. Gleitsm ann-New York, Referent, Her zog - Warschau, Kor¬ 
referent: Behandlung der Tuberkulose der oberen Luftwege. — 

4. Burger-Amsterdam, Referent, Gradenigo-Turin, Korrefe¬ 
rent : Die diagnostische und therapeutische Bedeutung der Röntgen- 
strahlen und des Radiums in der Laryngologie und Rhinologie. — 

5. Onodi-Budapest, Referent, Kuhnt- Königsberg, Korreferent: 


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268 


THERAPßÜTISCttE ftÜNÖSCHAtJ. 


Zusammenhang zwischen Erkrankungen der Nase und des Nasen¬ 
rachenraums mit denen des Aüges. — 6. Jurasz-Heidelberg, Re¬ 
ferent: Internationale Laryngo-Rhinologen-Kongresse. 

II. Vorträge. 

1. Gluck-Berlin: Die Chirurgie im Dienst der Laryngologie 
(mit Demonstration von Patienten). — 2. Hey mann-Berlin: Das 
Listen-Garciasche Prinzip.*— 3. Heryng-Warschau: Ueber In¬ 
halationstherapie. — 4. Flat au-Berlin: Neuere Erfahrungen 

über die Phonasthenie.— 5. Großmann-Wien: Ueber die intra- 
bulbären Verbindungen des Trigeminus zum Vagus. — 6. Baum¬ 
garten-Budapest: Kehlkopf- und Oesophagus-Stenose und ihr 
Einfluß auf die Geschlechtsorgane. — 7. Imh o fer-Prag : Die 
Kenntnis der Kehlkopftuberkulose im griechischen und römischen 
Altertum. — 8. Massei-Neapel: Riesengeschwülste im Larynx. 

_ 9. D enk er- Erlangen : Die operative Behandlung der malignen 

Tumoren der Nase. — 10. J. Oller Rabasa-Barcelona: Trois cas 
de tuberculose larynga, traites par la cauterisation galvanique pro¬ 
funde (Methode de Grünwald). — 11. Killian-Freiburg i. Br.: 
Die Röntgenphotographie im Dienste der Rhinologie (und eine 
Demonstration). — 12. v. Eicken-Freiburg i. Br.: Unsere Er¬ 
fahrungen mit der Killianschen Stirnhöhlenoperation (und eine 
Demonstration). — 13. Brünings, Fröiburg i. Br.: Ueber tech¬ 
nische und klinische Fortschritte auf dem Gebiete der Broncho¬ 
skopie (und eine Demonstration). — 14. Nägeli-Aekerblom- 
Genf: Therapie bei Rachen- und Halskrankheiten in Genf um 

1700. _ 15. Dr. Emil Glas-Wien: Zur Kritik der Masseisehen 

Gesetze. — 16. Dr. Emil Glas und Dr. Emil Kraus-Wien: 
Kehlkopftuberkulose und Gravidität. — 17. Doz. U1 lmann-Wien: 
Beiträge zum Verhältnis zwischen Exanthemen und Exanthemen 
bei typischen Dermatosen. — 18. Katzen stein-Berlin: Ueber 
Versuche am Gyrus praerucialis Owen. — 19. Dr. Sedziak- 
Warschau: Die Frage der Radikalbehandlung des Kehlkopfkrebses 
in den letzten 50 Jahren (1858 bis 1908). — 20. Dr. Alb. Blau- 
Görlitz: Ueber Sensibilität und Reflexbahnen des Larynx. — 
21. Doz. Rethi-Wien: a) Indikationen der Operationen an der 
Nasenscheidewand; b) Einiges über die Pendelzuckung. — 22. 

O n o d i - Budapest: Ueber den diagnostischen Wert der Stirn¬ 
höhlendurchleuchtung. — 23. Prof. Marquis-Chicago: Enucleatio 
tonsillae (Demonstration). — 24. B r ie ge r-Breslau : Ueber die 
Bedeutung der Befunde von Rachenmandeltuberkulose. — 25. 

J ör g e n M öl 1 er - Kopenhagen: Beiträge zur Kenntnis des Mecha¬ 
nismus der Brust- und Falsettstimme. — 26. Struycken-I 

Breda: Die optische Beobachtung von Luftschwingungen (Vokal- | 
klänge, Galtontöne usw.) und deren photographische Aufnahme 
(mit Demonstration). — 27. Dr. Otto Mayer-Graz: Demonstra¬ 
tion mikroskopischer Präparate. — 28 Doz. Hajek-Wien: Meine 
Erfahrungen über meine endonasale Radikaloperation der Keilbein- 
hohle. — 29. Kanasugi-Tokio: Ueber die Kehlkopfstörungen bei 
Beri-Beri. — 30. Voh s en-Frankfurt a. M.: a) Neue Behand¬ 
lungsmethode des Nasenrachenkatarrhs und der Rhinititis vaso- 
motorica; b) Operation der bösartigen Mandelgeschwülste; c) Me¬ 
thodik der Stirnhöhlen- und Kieferhöhlendurchleuchtung (mit De¬ 
monstration eines neuen Instrumentes. — 31. Moure-Bordeaux: 
Consideration sur la Tracheotomie-Thyrotomie. — 32. Doz. Fein- 
Wien: Zur Fensterresektion der Nasenscheidewand. — 33. Dr. 
Hugo Stern-Wien: Thema Vorbehalten. — 34. Doz. Koschier- 
Wien: Die operative Behandlung des Larynxkarzinoms. — 35. 
Schiffers-Siege: Trophödeme des Larynx. — 36. Hennig- 
Königsberg: Der Einfluß der deutschen Meere (Nord- und Ostsee) 
auf die Tuberkulose der oberen Luftwege. — 37. Dr. Mahu- 
Paris: Emploi de l’Abaisse-langue autostatique en Rhino-Laryngo¬ 
logie. — 38. Tapi a-Madrid: a) Observations personelles de corps 
etrangers des premiers voies respiratoires et digestives, enleves 
au moyen de Tesophagoscopie et de la tracheo - bronchoskopie 
directes; b) Collection des moulages en cire representant des 

Wohl war ’s gewagt, dem seit Urväter Zeiten gepriesenen Lebertran, 
einem jedem Bauer bekannten Volksheilmittel, etwas anderes entgegenzu- 
stellen. Aber das andere, in diesem Falle das Fucol, erwies sich als 
schneller und energischer wirkend und war obendrein leichter einzunehmen. 
Hierin liegt das Geheimnis seines Erfolges. Orig.-Flasehen ä J / 2 Liter kosten 
M. 2,—. General-Vertrieb: Karl Fr. Töllner, Bremen. 


diverses leuons esophagiques öbserves- dans ma cliniqüe. •— 39*' 
V edora-Mailand: „Su di aleuni punfci relativ* allo sbiluppo dellä 
ecrita nasal! nelP nomo“. — 40. Vedora und Cierc-Mailand: 
„Considerazioni cliniche e ricerche utopatolögische nelle riniti iper- 
trofiche' 1 . — 41. Weil-Wien: Ueber die konservative Behand¬ 
lung der Nebenhöhleneiterungen. — 42. Harm er-Wien: Ueber 
Lähmungen der Stimmlippen nach Strumaoperationen. — 43. 
Oauzard-Paris: a) De l’esthetique dans le traitement chirurgical 
des sinuoites frontales; b) Osteo-fibrome du Maxillaire Superieur 
ayant comble la cavite du sinus; c) Extraction de deux aretes et 
d’une vertebre de poisson munie de 2 aretes, de la trachee et du 
larynx d J un enfant de 18 mois par la methode de Killian. — 
44. Kahler-Wien: Ueber die Erfolge der radikalen Behandlung 
der Nebenhöhleneiterungen. — 45. Löwe-Berlin: a) Ueber,die 
Freilegung des Naseninneren vom Munde aus; b) Ueber die Auf¬ 
deckung der Hypophysis. — 46. L. Clerc-Mailand: Rilievi isto- 
patologici sopra alcune neoplasie della laringe. — 47. Pardi- 
Mailand: Caratteristiche istologiche di aleuni tum'ori nasali e del 
rinofaringe. — 47. Sch ei er-Berlin: Die Bedeutung der Röntgen¬ 
strahlen für die Rhinologie. 

Wien, im Januar 1908. 

Der Präsident: 

Hofrat Prof. Dr. O. Chiari m. p., Wien, I, Bellariastr. 12. 

Der Sekretär: 

Prof. Dr. M. Groß mann m. p., Wien, IX, Garnisongasse 10. 

Der Kassierer: 

Dr. G. Sehe ff m. p., Wien, I, Hoher Markt 4. 
Aerztliche Studienreise 1908. Das „Komitee zur Ver¬ 
anstaltung ärztlicher Studienreisen“ beabsichtigt in diesem Jahre 
eine längere Seereise zu unternehmen. Es ist in Aussicht ge¬ 
nommen (Aenderungen Vorbehalten) der Besuch der Insel Wight, 
St. Hdier auf Jersey (lies Britanhiques), Funchal auf Madeira, 
Orotava oder Santa Cruz auf Teneriffa, Tanger (Marokko), Lissa¬ 
bon, event. Ostende oder Scheveningen und Helgoland. Die Fahrt 
wird in Hamburg beginnen und daselbst enden. Die Reise findet 
im September statt und wird ca. 21 bis 24 Tage dauern. Der 
Preis für diese Reise, der sich z. Zt. noch nicht genau feststellen 
läßt, wird sich auf ca. 425 bis 525 M., je nach Lage der Kabine, 
belaufen. In diesem Preise sind alle Ausflüge auf dem Lande 
etc. ein geschlossen, ebenso die Gepäckbeförderung sowie das Ein- 
und Ausbooten. Getränke und Trinkgelder exkl. 

Diese Reise wird nur unternommen, wenn umgehend eine 
genügende Anzahl fester Anmeldungen eingehen. Vormerkgebühr, 
welche jeder Anmeldung beizufügen ist, beträgt 5 M. Dieselbe 
wird auf den Gesamtpreis verrechnet, verfällt jedoch bei Nicht¬ 
teilnahme oder Nichtzustandekommen der Reise. Damen und 
Nichtärzte können nicht teilnehmen. Alles Weitere wird binnen 
kurzem bekannt gegeben. Anfragen sind zu richten an den 
Generalsekretär des Komitees zur Veranstaltung ärztlicher Studien¬ 
reisen, Dr. A. Oliven, Berlin NW., Luisenplatz 2/4. Umgehende 
feste Anmeldung dringend geboten, Anmeldungen ohne Beifügung 
der Vormerkgebühr von 5 M. haben keine Gültigkeit. 


Patent-Nachrichten. 

1 Patenterteilungen. 

30 b. 315 828. Auswechselbare Greifbackenbefestigung an 
den Handschenkeln von Zangen zum Ziehen von Zähnen. Carl 
Kocher, Remscheid, Lobornerstr. 19. 9. 8. 07. K. 31907. 

30 b. 316 269. Vorrichtung zur Herstellung nahtloser Zahn- 
kappen, aus einem von einem Gehäuse getragenen Stempelpaar. 
Otto Schwahn, Rixdorf bei Berlin, Reuterstr. 50. 13. 8. 07. 

Sch. 26 395. 

30 b. 316270. Presse zur Herstellung nahtloser Zahnkappen, 
mit zentrisch einspannbaren, auswechselbaren Stempelu. Otto 
Schwahn, Rixdorf bei Berlin, Reuterstr. 50. 13. 8. 07. Sch. 26 396. 


F. A. f loppen ul. R. JF'fssolier 
Patentanwälte 

Berlin SW. 13, Neuenbnrgerstraße 15 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. H. Lungwitz, Berlin S. — Verlag: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle a S. 
Druck der Heynemannschen Buchdruckerei, Gebr. Wolff, Halle a. S, 


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Therapeutische Rundschau 

Wochenschrift für die gesamte Therapie des praktischen Arztes. 


0. Anton, A. Duhrssen, C. A. Ewald, P. Gerber, R. Robert, 

Halle a. S. Berlin. Berlin. Königsberg. Rostock. 

Ad. Schmidt, H. Schmidt-Rimpier, H. Senator, 

Halte a. S. Halle a. S. Berlin. 


Redaktion: 

Berlin S. 14, Dresdenerstr. 44. Tel. IV, 11773. 
Dr. med. et phil. H Lungwitz. 


Herausgegeben von 



M. Koeppen, M. Masse, K. Partsch, H. Rosin, H. Schlange, 
Berlin. Berlin. Breslau. Berlin. Hannover. 

R. Sommer, H. Unverricht, 0. Vulpius, 

Gießen. Magdeburg. Heidelberg. 


Verlag u. Expedition: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung 
in Halle a. S., Reilstraße 80. 

Tel.-Adr.: Marhold Verlag Hallesaale. Fernsprecher 823. 


Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte der Ostsee und der 

Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 

II. Jahrgang. Halle a. S., 26. April 1908. Nr. 17. 

Die „Therapeutische Rundschau“ erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2M, einzelne Nummer 20 Pf. Bestellungen nehmen jede Buchhandlung, 
die Post, sowie die-Geschäftsstelle: Carl Marhold Verlagsbuchhandl ung in Halle a. S. entgegen. Inserate werden für die 4gespaltene Petitzeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. berechnet. Beilagen nach Uebereinkunft. Reklaraezeile 1,50 M. Bei größeren Aufträgen wird Rabatt gewährt. 

Nachdruck der Original-Aufsätze ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. — Nachdruck der anderen Rubriken ist nur mit Quellenangabe gestattet 



Die Hydriatik der Malaria 

Von Dr. J. Sadger, Wien-Grafenberg. 

Es könnte scheinen, daß bei der Behandlung des Wechsel¬ 
fiebers die Hydrotherapie ganz überflüssig, daß da ihrer Dienste 
völlig zu entraten sei. Besitzen wir doch in der Chinarinde, 
wie wir schon auf der Schulbank vernahmen, seit dritthalb 
Jahrhunderten ein absolutes Spezifikum. Aber leider deckt 
sich die offizielle Lehre nicht ganz mit der Praxis und Wirk¬ 
lichkeit. Denn abgesehen von der bekannten Resistenz der 
halbmondförmigen Plasmodien, daß ferner Chinin vor Rezidiven 
so wenig schützt als vor Kachexien, wofern der Patient die 
Malariagegend nicht dauernd meidet, so stehen seiner exklusiven 
Verwendung noch außerdem arge Folgen im Wege. Zunächst 
die so häufige Chinintaubheit und andere Intoxikationssymp¬ 
tome, mit denen der Praktiker rechnen muß. Zum zweiten 
hat die genannte Drogue die leidige Macht, Hämoglobin zu 
zerstören und schwächend auf das Herz zu wirken. Was dies 
bedeutet, mag daraus erhellen, daß der Tod bei perniziöser 
Malaria in den meisten Fällen durch Herzschwäche eintritt. 
Endlich wird bei den üblichen großen Chinindosen, wenn sie 
länger fortgesetzt werden müssen, die Malariakachexie durch 
eine Chininkachexie verstärkt. Ans allen diesen Gründen 
muß man sich wohl nach einem Mittel nmsehen, das auch 
dort noch hilft, wo Chinin schon versagt, ohne dessen leidige 
Fehler zu besitzen. Ein solches ist nun nicht das Arsen oder 
andere Droguen, sondern eine entsprechende Hydriatik. 

Die Wasserbehandlung des Wechselfiebers ist eigentlich 
ein Kind des 19. Jahrhunderts. Denn wenn auch schon früher, 
wie Winternitz erzählt*), sich manche bei Intermittens 
hydriatisch versucht hatten, so sind doch Giannini und bald 
darauf Currie die ersten, die genauere Angaben machten. 
Giannini tauchte im Hitzestadium die Kranken für 5 bis 
15 Minuten in kaltes Wasser, das ihm symptomatisch gegen 
das Fieber nützlich erschien, Chinin hingegen, das er gleich¬ 
zeitig brauchte, sollte dann kausal die Krankheit kurieren. 
James Currie, der anfangs auch erst im Hitzestadium ein- 
griff, vermochte dasselbe durch seine Uebergießungen schnell 

*) „Die Hydrotherapie im Wechselfieber“. Wiener Medizinische Presse, 
1865. Diesem Artikel sowie einem Aufsatz von Julius F o do r, „Die 
Wasserbehandlung des Wechselfiebers“, Blätter für klinische Hydrotherapie, 
1892, sind meine obigen historischen Angaben zum größten Teile entlehnt. 


zu beenden. Doch konnte auch er das Chinin nicht entbehren, 
sonst stellte sich das Fieber rasch wieder ein. Aber diesem 
so überaus glücklichen Arzte gelang in der Folge noch eine 
andere hochwichtige Entdeckung. Er fand nämlich bald, was 
für alle Zukunft Gewinn bedeutet, daß die Wiederkehr der 
Anfälle aufznhalten sei, wenn man eine Stunde vor Beginn 
derselben Uebergießungen mache. Vier bis fünf von solchen 
genügten auch ohne Chinin, das Fieber dauernd zu beseitigen. 
Man kann es heute ruhig aussprechen, daß die wirksame 
Hydriatik des Wechselfiebers erst mit diesem entscheidenden 
Funde anhebt. 

Wie Prießnitz das Wechselfieber kurierte, darüber wurde 
just in der wissenschaftlichen Literatur soviel Unrichtiges kol¬ 
portiert, daß ich die Beschreibung seines Verfahrens und 
dessen Würdigung nach jeder Richtung mir bis zum Schlüsse 
verspare. 

Der nächste Fortschritt kam dann aus Frankreich von 
Seite Fleurvs und seiner Schule. Auf Cnrries bedeutsamer 
Entdeckung fußend, hatFleury 117 Malariakranke hydriatisch 
behandelt, darunter eine größere Anzahl solcher, bei denen 
Chinin erfolglos gewesen, sowie auch schwere Malariakachexieu, 
und hat sie sämtlich dauernd kuriert Seine Methode bestand 
ausschließlich in kalten Duschen (12 bis 14° C), die eine viertel 
bis eine halbe Stunde vor dem Anfall gegeben wurden. Er 
ließ zuerst eine allgemeine Regendusche und hierauf eine 3 cm 
starke Strahldusche auf die Milz applizieren und beide zu¬ 
sammen etwa 15 bis 20 Sekunden dauern. Höchst interessant 
und noch heute zutreffend sind einige weitere Erfahrungen 
Fleurys. So hat er beobachtet, daß, wenn man die hydria- 
tische Behandlung nur früh, gleich im Beginne der Krankheit 
einleite, der Entwicklung der Kachexie meist vorgebeugt werde. 
Es gelinge häufig, das Fieber selbst in veralteten Fällen durch 
eine einzige Dusche zu kupieren, in anderen Fällen hinaus¬ 
zuschieben, den Anfall zu mildern und abznkürzen, den All¬ 
gemeinzustand wesentlich zu bessern. Selbst in schweren 
Fällen genügten im Maximum fünf solcher Duschen, das Fieber 
zu banneu. Damit sei der Kranke jedoch nicht geheilt, die 
Behandlung müsse fortgesetzt werden, bis auch die hyperämi- 
sehe Schwellung der Milz, eventuell auch der Leber behoben 
sei. Dies erreiche man erstens durch die horizontale mobile 
Lokal dusche auf jene Organe, zum zweiten durch die allgemeine 
Regendusche, die als Revulsivum wirke. 

Fleury hat zahlreiche Nachahmer gefunden, in Frankreich 
nicht minder wie in anderen Ländern. So hat Becquerel 
mehr als 40 Fälle von Wechselfieber hydriatisch geheilt und 
zwar meist solche, bei welchen trotz reichlichen Chinin¬ 
gebrauchs stets wieder Rückfälle eingetreten waren. Er schreibt 
der Wasserbehandlung nicht bloß eine antiperiodische Wirkung 


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zu, sondern rühmt ihr auch nach, daß sie zwei Anzeigen be¬ 
sonders entspräche: der Beseitigung des Milztumors und der 
prompten Bekämpfung der Malariakachexie. Erwähnenswert 
dünkt mich, daß Dauvergne in Mauosque ans Mangel ge¬ 
eigneterer Apparate sich einer — Klistierspritze zur Milzdusche 
bediente und trotzdem in allen behandelten Fällen die gleichen 
schönen Erfolge erzielte. 

In Ungarn behandelte Dr. Fischhof nach anderer Me¬ 
thode, nicht mehr mit Duschen, sondern einzig und allein mit 
kalten Sitzbädern. Auch er ließ stets vor deni Froste baden, 
und bei Fiebern mit tertianem und quartanem Typus auch an 
den anfallsfreien Tagen zur nämlichen Stunde. Er hat aber 
noch ein Neues betont: die Wichtigkeit des gleichzeitigen 
kräftigen Reibens, die Bedeutung des mechanischen Faktors 
also. °In seinen Sitzbädern mußte der Kranke nicht bloß aktiv 
sich selber frottieren, sondern außerdem wuido sein Rücken 
gerieben von der öfters befeuchteten Hand eines andern. Und 
zwar geschah das Frottieren stets so lange und kräftig, bis die 
Haut des Patienten sich deutlich gerötet hatte. So appliziert 
erwies sich das Sitzbad dem Chinin überlegen und hat Dl. 
Fischhof in 34 hartnäckigen, verjährten, mitunter sogar 
perniziösen Fällen auch nicht ein einzig Mal im Stiche gelassen. 
Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, daß Frankel in 
Berlin mit kräftigen Abreibungen und Eduard Proiß mit Hinter¬ 
hauptsduschen Malaria kurierten. 

Aus dem vorstehenden kurzen geschichtlichen Abriß geht 
zweierlei hervor, was noch heute gültig: 

1. Soll die Wasserbehandlung des Wechselfiebers sich 
wirksam erweisen, dann muß sie vor Beginn des Frostes ein¬ 
geleitet werden, und zwar nicht allzulang vor demselben. 

2. Die Form der Wasserbehandlung ist im großen^ und 
ganzen irrelevant, da mit den verschiedensten Applikationen 
Heilung gebracht wird. 

Ich will diese beiden historischen Leitsätze schärfer prä¬ 
zisieren und auch ergänzen. Wir wissen seit Currie, daß 
der wirksame hydriatischc Eingriff erfolgen muß, kurz ehe der 
Frost sich einzustellen pflegt. Wie lange zuvor soll nun ein¬ 
gegriffen werden, welches sind die äußersten Grenzen der Wirk¬ 
samkeit? Als längster Teimin sind wohl zwei Stunden vor 
dem Anfall zu setzen, als kürzester etwa eine viertel Stunde. 
Wann innerhalb dieser beiden Extreme das kalte Wasser appli¬ 
ziert werden soll, scheint ziemlich gleichgültig, wenn ich auch 
persönlich die kürzere Frist von .einer viertel bis einer halben 
Stunde vorziehe. Immerhin aber kann man auch eine, andert- 
halbe, ja zwei Stunden früher die Prozedur ansetzen, ohne 
deshalb die Chancen des Erfolges zu mindern. 

Ganz ebenso gleichgültig ist auch die Form der Applika¬ 
tion. Nur ist es geradezu unerläßlich, eine wahre conditio 
sine qua non, daß die denkbar stärkste Reaktion erfolgt. Wir 
können demnach die verschiedensten Prozeduren verwenden, 
applizieren dieselben jedoch nur ganz kurz, eine viertel bis 
höchstens drei Minuten, und verbinden den mächtigen Kälte¬ 
reiz stets mit einem nicht weniger starken mechanischen. Also 
außer der Kälte noch kräftige Friktion von eigener oder von 
fremder Hand, bis Rötung der Haut in jedem Falle erzwungen 
ist. Erzwungen aber muß sie stets werden, ja mich dünkt der 
Vorschlag Strassers zu beherzigen, die äußerste Dilatation 
der Gefäße selbst bis zur Schweißabsonderung zu treiben, was 
seinerzeit schon eine Lehre von der Deekens gewesen. Zu 
diesem Behufe empfiehlt es sich stets, wenn der Patient nicht 
ganz heruntergekommen ist, der Wasserprozedur ganz unmittel¬ 
bar einen tüchtigen Marsch anschließen zu lassen, womöglich 
einen Berg oder Hügel hinauf. Nur völlig dekrepide Personen, 
die zu solch einem Marsche unfähig sind, mag man zu Zwecken 
der Wiedererwärmung ins Bett legen lassen. 

Ich sagte oben, die Wahl der hydriatischen Einzelprozedur 
sei irrelevant, sofern nur die stärkste Reaktion erfolgt. Und 
wirklich standen im geschichtlichen Abriß als solche erwähnt: 
kalte Uebergießungen, Regenduschen nebst lokalen Strahl¬ 
duschen, die letzteren von eigenen Apparaten gesandt, aber 
auch im Notfall aus einer Klistierspritze, dann ferner Sitzbäder, 
Hinterhauptsduschen und Ganzabreibungen, welchen Applika¬ 
tionen noch Julius F o d o r ganz kurze Halbbäder mit kräftigem 


Frottieren angereiht hat. Man sieht, es gibt nicht viele Pro¬ 
zeduren, die bei der Malaria nicht angewendet wurden. Welche 
soll nun der Praktiker in jedem konkreten Falle auswählen? 
Ich glaube, das richtet sich wesentlich nach- den äußeren.'Um¬ 
ständen. Hat man den Kranken in eiper wohleingerichteten 
Anstalt, dann ist’s am bequemsten, demselben einen kurzen 
Allgemeinregen mit nachfolgender Fächerdusche auf die Milz 
zu verordnen, bei Lebertumor auch auf diesen, eine jede Pro¬ 
zedur zu 10° etwa und 20 bis 30 Sekunden ‘Dauer. Was tut 
man jedoch in praxi privata, wo D.uscheapparate nicht vor¬ 
rätig sind? Ist unter dem Hausrat ein Sitzschaff zu finden, s:o 
füllt man dasselbe mit Wasser von 8 bis 10°*) und setzt deh 
Patienten für zwei bis drei Minuten hinein. Doch muß ihm 
strenge aufgetragen werden, sich Bauch und Brust mit dem 
kalten Wasser kräftigst zu reiben, während gleichzeitig eine 
zweite Person, nach Fisch ho fs Vorschlag, den Rücken frot¬ 
tiert. Fehlt aber dem Kranken auch noch das Sitzschaff, dann 
hat er doch sicher ein Leintuch zu Hause, das mau in kaltes 
Wasser eintaucht von 8 bis 10° R. Mit dem triefenden Lein¬ 
tuch wird dann eine kräftige Ganzabreibung des Körpers voll¬ 
zogen (etwa drei Minuten). Im äußersten Falle kann man 
nach Fischers Vorschlag endlich Vollbäder von 12° eine 
Minute lang geben, sogar im Bassin einer ganz gewöhn¬ 
lichen Badeanstalt oder ebendaselbst in einer Wanne. Für 
Kinder unter zehn Jahren empfiehlt der nämliche Autor ein 
Halb- oder Vollbad von 15° und eine halbe bis eine Minute 
Dauer. 

So ist die Behandlung des einzelnen Anfalls. Es erübrigt 
nur noch, eine Reihe technischer Details m berühren. Ehe 
man zur hydriatischen Behandlung schreitet, ist auf das ge¬ 
naueste zu erheben, wann der nächste Anfall mutmaßlich be¬ 
ginnen wird. Nur wenn der Patient ganz zuverlässige Angaben 
macht und seine Intelligenz dieselben glaubwürdig erscheinen 
läßt, kann man sofort hydriatisch Vorgehen. Sonst empfiehlt 
es sich stets, unter irgendeiner exspektativen Behandlung, zum 
mindesten einen, wohl auch noeh zwei Anfälle abzuwarten, um 
den Typus des Fiebers exakt zu bestimmen. Dann geht man 
wio oben beschrieben vor. Ein Schaden erwächst dem Patienten 
nie, und man vermeidet oft Mißerfolge. Ist aber das Fieber 
völlig atypisch, der Frosteintritt nicht vorauszusehen, dann 
kann man noch immer Wirkung erzielen, wenn man sofort, 
wie der Kranke das Herannahen des Anfalls verspürt, mit 
einer der genannten Prozeduren eingreift. Auch ist es nach 
Fodor in diesen Fällen recht vorteilhaft, je eine der obigen 
Applikationen in der Frühe und am Nachmittag anzuwenden. 

Die vorhin bezeichneten Prozeduren zur Bekämpfung des 
einzelnen Malariaanfalls sind ohne weiteren Zusatz erschöpfend, 
solange uns nur ein quotidianer Typus vorliegt. Was machen 
wir aber bei einem tertianen und quartanen Fieber an jenen 
Tagen, die anfallsfrei sind? Die lassen wir durchaus nicht 
ungenützt, zumal ja erwiesen, daß die Hydrotherapie der Malaria 
stets eine roborierende Wirkung ausübt. Auch an den Zwischen¬ 
tagen demnach applizieren wir Duschen, Abreibungen und 
Sitzbäder, wie oben beschrieben, oder wählen als treffliche 
Prozedur die kurze Einpackung (15 bis 30 Minuten) mit 
nachfolgendem Halbbad oder auch Vollbad. Hingegen ist jede 
lange Einpackung, in welcher der Kranke dunstet oder schwitzt, 
sowie auch jegliche Schwitzkur sonst anfs strengste verpönt. 
Hat man den Patienten in einer Anstalt, oder Mnd die Behelfe 
sonst zu beschaffen, so ist es jedenfalls angezeigt, ihm zwei 
bis drei energische Prozeduren im Laufe des Tages zu appli¬ 
zieren, also etwa des Morgens kräftige Abreibung, zu Mittag 
ein Sitzbad, nachmittags Duschen, und auch die Leibbinde 
vier- bis fünfmal pro die zu wechseln. 

Wie stellt sich nun aber der weitere Verlauf der Inter- 
mittens? Mitunter gelingt es, durch eine einzige Applikation 
den ganzen Malariaprozeß zu beheben, so daß überhaupt kein 
Anfall mehr kommt, nicht einmal in rudimentärster Weise. 
Doch ist dies keineswegs allzuhäufig und wohl nur denkbar, 
wenn erstens der Patient den Malariaherd schon dauernd ver- 

*) Die Grade sind hier, wio im ganzen Artikel, wo nicht ausdrück¬ 
lich C angegeben, in Reaumur gemeint. 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


271 


ließ tmd zweitens das Vitus bereits erheblich abgeschwächt 
ist.' Viel Häufiger stellt sich bei rechtzeitiger Applikation des 
Wasöets ztir Zeit des Anfalls und statt desselben nur ein ge¬ 
wisses Unbehagen ein, gelindes Frösteln oder leichter Schauer 
als Rudiment eines Schüttelfrostes, Ein kurzes Fortsetzen der 
■Wasserbehandlung führt sicher ZU einer dauernden Heilung. 
Ein dritter Ausgang ist dann auch der, daß die Anfälle zwar 
nicht mehr zur gewohnten Stunde eintreten, wohl aber ein 
Wenig später Und schwächer. Ich will einmal sagen der täg¬ 
liche Anfall wurde um 8 Uhr morgens erwartet. Die Appli¬ 
kation Um d /i 8 schiebt ihn um einige Stunden hinaus, bis 
11 Uhr etwa, auch leidet der Kranke diesmal minder. Be¬ 
handelt man nun am nächsten Tage Um a A 11, so kommt der neuer¬ 
liche Anfall wieder drei Stunden später und ist noch geringer 
äls das Vorige Mal. Wir haben also künstlich durch Wasser- 
aüWehdüng einen positionierenden Typus geschaffen und auch 
noch die Stärke eines jeden Anfalls beständig vermindert. Die 
fortgesetzte Behandlung bringt auch hier in der Regel baldige 
Heilung. Als Grundsatz für sämtliche Fälle gilt, die Behand¬ 
lung so lange fortzusetzen, bis jegliche Spur von Kachexie voll¬ 
ständig beseitigt, das Blut zur Norm zurückgebildet und nach 
Tunlichkeit auch der Milz- und Lebertumor verkleinert ist, am 
besten durch Anwendung von Fächerdusche. 

Nun gibt es jedoch, wenn auch in sehr bescheidener Zahl, 
unzweifelhafte Malariafälle, bei welchen das Wasser scheinbar 
versagt, in den ersten Tagen und selbst auch Wochen nur 
wenig oder gar keinen Nutzen bringt. Das betrifft allerdings 
vornehmlich Personen von ganz besonders schlechter Reaktion, 
Skrofulöse, Dekrepide oder endlich schwer kachektische Leute. 
Mitunter nützt dann noch Chinin, das in solchen Fällen selbst 
Wilhelm Winternitz nicht mehr verschmähte. Ist solches 
nun nötig, muß wirklich das Wasser die Segel streichen vor 
dem pharmazeutischen Spezifikum ? Ich glaube mit nichten. 
Vorerst ifit hier nachdrlicklichst zu betonen, daß unser Chinin 
doch höchstens die Fieberanfälle vertreibt, hingegen durchaus 
nicht die Dyskrasie, ja daß es die letztere eher noch steigert. 
Ist dann der Kranke die Malaria auch los, so muß er jene 
erst recht beseitigen, und dazu benötigt er — wieder das Wasser. 
Erscheint es da nicht weitaus vernünftiger, von vornherein 
beim Wasser zu bleiben, wenn es nur die mindeste Aussicht 
gewährt? Denn das müssen selbst verbohrte und skeptische 
Gegner einräumen, daß unsere Malariahydrotherapie den Kräfte¬ 
zustand des Kranken hebt, weit mächtiger als irgendein anderes 
Verfahren, und daß ihr schädliche Nebenwirkungen absolut 
fehlen. (Schluß folgt.) 


Die Darmreinigung als Heilfaktor. 

Von Dr. M. Meyer, Bernstadt-Sa. 

Die Erkenntnis, daß der lokale oder allgemeine krankhafte 
Zustand des Körpers häufiger das Endergebnis fortgesetzter 
Schädlichkeiten ist als die Folge eines einmaligen Insults, be¬ 
ginnt in letzter Zeit immer mehr Anhänger zu gewinnen. Das, 
was man bisher als auslösende Ursache ansah, die vermutete 
bakterielle Infektion, kann in vielen Fällen nicht mehr als aus¬ 
reichende Ursache gelten. Selbst wenn man lokale Läsionen 
der Körperoberfläche als Eingangspforte des supponierten und 
schließlich demonstrierten Virus annahm, blieb doch immerhin 
noch die Frage offen, weshalb dann nicht bei der überaus 
häufigen Möglichkeit, mit bakteriellen „Erregern“ in Berührung 
zu kommen, die „Infektionen“ nicht häufiger erfolgten und 
immer epidemischen Charakter annahmen. Man nahm bei 
diesem Dilemma schließlich an, daß gewisse „Dispositionen“ 
den Boden für die Infektion bereiten müßten. Die nächste Folge 
dieses Gedankenganges mußte nun die sein, daß es. gelingen 
müsse, den Körper in einen Zustand zn versetzen, der ihn gegen 
Infektion durch Mikroben schütze. Bestimmend für diese An¬ 
schauung war vor allem der Umstand, daß das einmalige Ueber- 
stehen einer „Infektion“, z. B. Scharlach, Masern, Pocken, 
Varizellen, Diphtherie etc. dem Betroffenen einen beinahe 
sicheren Schutz vor einem nochmaligen ßefallenwerden zu ver¬ 


schaffen schien. Diese Ansicht hielt nun aber einer nüchternen 
Kritik nicht Stand, denn abgesehen von den nicht ganz seltenen 
Fällen, wo die erwähnten Krankheiten, Scharlach, Pocken etc. 
ein und dasselbe Individuum wiederholt befielen, scheint das 
einmalige Ueberstehen einer Krankheit, z. B. des Gelenk¬ 
rheumatismus, der Pneumonie, des Erysipels, die Disposition für 
weitere und häufige Erkrankungen geradezu zu erhöhen. 
Immerhin suchte man dem einmal gefaßten Gedankengange 
folgend nach „Schutzmitteln“, die dem Körper einverleibt ihn 
„immun“ gegen weitere krankmachende Infektionen machen 
sollten. Dies führte zu der Lehre und Ausübung der .Serum¬ 
behandlung, bezüglich deren Wertes oder Unwertes die Mei¬ 
nungen bekanntlich noch recht differieren. 

Manche weisen aber auf den Rückgang der Sterblichkeitsziffer 
im allgemeinen hin (1880:28 v.Tausend, 1900:22 v.T.) und nehmen 
an, daß hieran nicht sowohl bessere hygienische Verhältnisse 
in Wohnung, Kost, Kleidung, Hautpflege, Sport, Leibesübungen 
etc., sondern auch vielleicht vorerst unbekannte klimatische 
oder tellurische Verhältnisse beteiligt seien und daß vielleicht 
eine ausreichendere ärztliche Beratung gegen früher vorbeugend 
wirke. In der Tat scheint es, als ob die akuten Infektions¬ 
krankheiten absolut und relativ genommen einen deutlichen 
Rückgang erfahren hätten. Für das Heer der sogen, konsti¬ 
tutionellen Krankheiten hat sich ein derartiger Rückgang nicht 
mit irgendwelcher Sicherheit feststellen lassen, ja es scheint 
fast, als habe hier eine Zunahme stattgefunden, wenigstens 
wird eine größere Häufigkeit der krebsigen Erkrankungen, der 
Geisteskrankheiten, der Nervenleiden, der Herz- und Gefä߬ 
erkrankungen, gewisser Entartungserscheinungen etc. allgemein 
angegeben. 

Einiges Licht in die unter solchen Verhältnissen obwaltende 
Unklarheit brachten nun die Untersuchungen und Veröffent¬ 
lichungen ärztlicher Forscher, die z. T. auf empirischem Wege 
zu der Erkenntnis gelangten, daß gewisse körperfremde oder bei 
dem Abbau dos Körpers gebildete Stoffe die Eigenschaft be¬ 
saßen, protoplasmafeindlich i. e. giftig zu wirken oder daß das 
Fehlen einiger früher unbeachteter Substanzen eine gewisse 
Unterbilanz des Körperhaushaltes zeitigte. Ls sind dies die 
bekannten Veröffentlichungen Bunges über Stoffwechsel des 
Körperhaushaltes speziell der Körpersalze, Haigs über die 
schädigende Wirkung der eingeführten und im Körper gebildeten 
Harnsäure, Hu epp es hygienische Arbeiten, Bouchards über 
Darmgiftbildung und Lahm an n s über Kohlensäurebildung and 
-Stauung im menschlichen Körper. Diese Veröffentlichungen als 
bekannt vorausgesetzt, möchte ich darauf hinweisen, daß keine der 
genannten Schädlichkeiten allein die eigentliche Krankheitsursache 
bildet. Der gewissenhafte Beobachter wird bei jedem Fall eine 
ganze Reihe verschiedener Schädlichkeiten vorhanden finden, die 
dann wiederum in Form eines förmlichen circulus vitiosus einander 
in die Hände arbeiten. Dem Unkundigen mußten freilich 
häufig die unter dem Bilde blühender und robuster Gesundheit 
verlaufenden Antezedentien der Krankheit mit ihrem jähen 
Wechsel zur Krankheit rätselhaft erscheinen um so mehr, als 
ein anscheinend nur geringer Anlaß (Erkältung, Verletzung, 
Gemütsbewegung etc.) das Gebäude dor scheinbar gefestigten 
Gesundheit ins Wanken zu bringen vermochte. 

Die tägliche Erfahrung bringt hierfür zahlreiche Beispiele: 
Ein vollsaftiger, robust aussehender Fleischer, mäßiger Potator, 
zieht sich eine unbedeutende Verletzung zu; der Arm 
schwillt alsbald an, verfärbt sich, es stellt sich hohes Fieber 
und schließlich Kollaps ein. Die Tageszeitungen bringen fast 
täglich derartige Fälle. Man nimmt in solchen.Fällen eine 
Infektion an und behandelt antiseptisch und antiphlogistisch, 
und doch läßt sich vielfach der tödliche Ausgang nicht ab- 

W6I1< Ein Beamter, sogen. Staatshämorrhoidarius, mit geringer 
Körperbewegung, gutem Appetit und durch warme Kleidung 
verzärtelter Haut erleidet eine Erkältung der Füße; es stellt 
sich alsbald Schüttelfrost und Lungenentzündung ein. Man 
nimmt im Verfolg bakteriologischer Anschauungen ein Ein¬ 
atmen von Pneumoniekokken an. 

Ein mit unregelmäßiger Verdauung behafteter Mensch im 
jugendlichen Alter erleidet eine Gemütsbewegung; es zeigen 


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272 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 17 


sich Erscheinungen von Appetitlosigkeit, Kopfschmerz, Fieber 
— Diagnose: Typhus. Man fahndet nach Typhusbazillen, 
findet sie aber oft nicht trotz des ausgesprochenen klinischen 
Typhusbildes. 

Ein chronisch Obstipierter, Fleisch- und Alkohollieb¬ 
haber, oder eine Frauensperson mit sitzender Lebensweise zieht 
sich einen Diätfehler zu oder auch eine Erkältung; die 
starke Schmerzhaftigkeit des Leibes deuten auf eine Blinddarm¬ 
entzündung. Ist eine „Infektion“ nachzuweisen? 

Ganz besonders verwirrend hat vielfach das Sammelwort 
für so vielfache akut oder schleichend einsetzende Erkrankungs¬ 
formen, das Wort „Influenza“ gewirkt, um so mehr irreführend, 
als man in diesen allgemeinen Sammeltopf eine ganze Menge 
klinisch differenter Dinge zusammenwarf, die höchstens das ge¬ 
meinsam hatten, daß sie einen ähnlichen Beginn zeigten und 
zu Zeiten in gehäufter Menge auftraten. Die örtlich ver¬ 
schiedensten Erkrankungen wurden nun mit dem Kollektiv¬ 
namen „Influenza“ bedacht, wobei man von der Vorstellung 
ausging, daß eingedrungene Kleinlebewesen sich bald hier bald 
dort im Körper ein Gebiet zur Besiedelung suchten. 

Betrachtet man aber ohne bakteriologische Voreingenommen¬ 
heit die einzelnen Fälle genauer, so wird man sehr bald bei 
jedem einzelnen eine Reihe von Schädlichkeiten nach weisen 
können, die vorher eingewirkt hatten und die ihre Anwesenheit 
bereits vorher durch Symptome, die nur dem Kundigen deutlich 
wurden, verrieten. E? sind dies die eingangs erwähnten Stö¬ 
rungen im Körperhaushalt hinsichtlich Ein- und Ausfuhr (Zu¬ 
fuhr von Giftbild mn und Mangel an Ausscheidung, Unterbilanz 
in der Zufuhr von Erden und Salzen und als Folge davon 
Säureüberschuß und Gefäßstauung im Körper etc.), sowie Mangel 
an ausreichender Inanspruchnahme der einzelnen Organe, die 
nur bei regelmäßiger Tätigkeit gesund bleiben können. Alle 
diese und ähnliche Schädlichkeiten bereiten non im stillen, oft 
in monate- und jahrelanger Vorarbeit, das Terrain für das Auf¬ 
treten einer mehr oder weniger schnellen Erschütterung des 
gesamten Körpergleichgewichts, wie wir sie unter dem Bilde 
einer akuten bezw. chronischen Erkrankung kennen. Schon 
zu Zeiten der Hochsaison der Bakteriologie erkannten fran¬ 
zösische Forscher derartige Verhältnisse sehr treffend und klar 
und daher ihr Wort: la microbe n’est rien, le terrain c’est tout. 
Statt der „Mikrobe“ aber, die man früher als die alleinige aus¬ 
lösende Ursache bei den sogenannten Infektionskrankheiten an¬ 
sah, kann man an der Hand neuerer biologischer Forschungs¬ 
ergebnisse getrost ein bisher unbekanntes Etwas setzen, das je 
nach Mächtigkeit und Schnelligkeit der Einwirkung die Sach¬ 
lage entschied. 

Ich habe nun in meinen bisherigen Schriften *) darauf hin¬ 
gewiesen, daß der auslösende Faktor in akuten (und auch chro¬ 
nischen) Erkrankungsfällen sich bei näherer Untersuchung sehr 
oft als eine intensive Vergiftung vom Darm aus herausstellte 
Ich habe das an der Hand meines Krankenmaterials bei der 
Entstehung der Diphtherie, der Pneumonie, der Hautausschläge, 
des Gelenkrheumatismus und zahlreicher anderer Erkrankungen 
nachweisen können und beschrieben und verweise auf die be¬ 
züglichen Krankengeschichten. Wenn nun auch bei den er¬ 
wähnten Krankheiten der Erfolg der eingeschlagenen Therapie 
der Annahme der supponierten auslösenden Ursache Recht gab, 
so war doch im einzelnen Falle die Entstehung des lokalen 
Krankheitsherdes nicht mit aller Sicherheit und Genauigkeit zu 
beobachten und zu demonstrieren. Noch schwieriger war 
häufig der Nachweis der Darmstörung und Giftbildung über¬ 
haupt, einmal wegen der Unsicherheit anamnestischer Angaben 
und zum anderen, weil die eine der verschiedenen Typen der 
Verdauungstätigkeit**) oftmals geradezu den Eindruck einer 
regelrechten und geradezu beschleunigten Darmpassage er¬ 
weckt, trotzdem sich gerade hier eine besonders intensive Gift¬ 
bildung zeigen kann. Es ist dies die bei Fleischgenuß sich 
häufig einstellende zähklebrige Beschaffenheit der Ingesta, die 

*) Die Gesundheitsstörungen vom Darm aus; München. Der Zusam¬ 
menhang zwischen Störungen der Darmtätigkeit und Erkrankung. Zentral¬ 
blatt f. innere Medizin. Unklare Krankheitsbilder. Wien. med. Wochen¬ 
schrift 1907. 

**) Vergl. die erste der zitierten Schriften. 


wegen der Beimengung des zähen Fibrins der Darmwand ipnig 
anhängen und nur langsam weiterwandern, wobei dann bis¬ 
weilen, jedenfalls durch den Reiz zersetzter Massen, sich Rei¬ 
zungen einzelner Bezirke der Darmwand mit wiederholten Ent¬ 
leerungen stark fäkulenter Massen einstellen. Die oftmals 
häufigen Entleerungen können dann geradezu das Bild einer 
normalen, ja beschleunigten Verdauung Vortäuschen, bis erst 
der weitere Verlauf den wahren Sachverhalt zeigt. Gewöhnlich 
stellt eine reflektorisch auf die Darmganglien und -Muskulatur 
einwirkende Erkältung die Darmpassage mehr oder weniger 
plötzlich still*) und der schon vorher durch die oben erwähnte 
Stoffwechselunterbilanz vorbereitete Körper erfährt dann zu 
seiner bereits vorhandenen Blutentmischung eine massenhafte 
Ueberschwemmung durch Darmgifte. Das Gebiet der eigent¬ 
lichen lokalen Erkrankung erweist' sich dann hei näherer Be¬ 
trachtung zumeist als eine vererbte oder erworbene pars minoris 
resistentiae, deren Vorhandensein sich auch sonst zeitweise be¬ 
merkbar macht. 

Die geschilderten Verhältnisse habe ich s. Zt. durch ver¬ 
schiedene Krankengeschichten**) näher illustriert. 

In letzter Zeit habe ich einen Fall beobachten können, 
der sich für die prompte. Einwirkung einer darmreinigenden 
Behandlung geradezu als ein Schulfall demonstrieren ließ, und 
der noch dazu gestattete, das gleichzeitige Eintreten des krank¬ 
haften Vorganges zugleich mit dem Eintritt der Darmstörung 
bezw. als unmittelbare Folge dieser genauest zu studieren. 

Ein 55 jähriger Landmann A. hatte im Juli 1906 beim Häckselschneiden 
durch ein Stückchen Stroh eine Verletzung des rechten Auges erlitten. 
Der Verletzte begab sich, da sein bisheriger Arzt verreist war, einige Tage 
nach der Verletzung in eine Augenklinik, wo grüner Star diagnostiziert 
und eine Operation (jedenfalls lridektomie) vorgenommen wurde. Alsbald 
war die Sehkraft des betreffenden Auges erloschen und ist bis beute er¬ 
loschen geblieben 

Ende November 1907 war A., nachdem er bis auf das Fehlen der 
Sehkraft nur geringe Beschwerden von seiten des verletzten Auges gehabt 
und sich körperlich wohlgefühlt hatte, bei naßkalter Witterung auf dem 
Felde beschäftigt gewesen, hatte dort ^iuch ausgoruht und war durchnäßt, 
ermüdet und ohne warme Kleidung auf einem offenen Feld wagen nach 
Hause gefahren. Am nächsten Tage hatte er, ohne daß ihm ein Fremd¬ 
körper in das Auge gekommen war, ein zunehmendes Drücken im äußeren 
Augenwinkel des blinden Auges bemerkt. Gleichzeitig war ihm aufgefallen, 
daß er, ohne sich sonst krank zu fühlen, weniger Appetit und eine belegte 
Zunge hatte. Die Stuhlentleerung scheint schon damals keine regelmäßige 
gewesen zu sein. 

Anfang Dezember bemerkte A., daß das Auge ansehwoll und daß sich 
das „Weiße“ im Auge stark rötete, etwa vom 4. Dezember ab begannen 
sich die Lider zu verdicken und zwischen der Lidspalte quoll eine rötliche 
Wulst (verdickte und aufgequollene Bindehaut) hervor. Die Hornhaut 
wurde trüb und glanzlos. Das Gefühl von Drücken steigerte sich und es 
stellten sich Schmerzen an der rechten Schläfe, am Jochbein und am Stirn¬ 
beinrand ein. 

Der Kranke hatte bis dahin verabsäumt, sich an einen Arzt zu wenden 
und hatte von Tag zu Tag gehofft, daß sich das Auge, in das sich nach 
seiner Meinung eine „Erkältung hineingelegt hatte“, bessern würde. 

Der Zustand blieb der gleiche bis zum 6- Dezember, wo der Kranke 
den Arzt aufzusuchen beabsichtigte. An diesem Tage trat nun eine ganz 
unerwartete Wendung ein. Der Kranke war beschäftigt, sich die Stiefeln 
anzuziehen, und bückte sich bei dieser Gelegenheit stark, wobei ihm das 
Blut zu Kopfe stieg. Er bemerkte hierbei einen plötzlichen Druck und 
Schmerz im kranken Auge und mit einem Male das Hervorquellen von 
Blut aus dem Auge. Die Ehefrau des Kranken teilte später mit, daß das 
Blut förmlich in einem Strahle minutenlang ausgespritzt wäre und daß die 
Blutung durch kein Mittel, weder durch kalte Umschläge noch durch Ver¬ 
binden zu stillen gewesen sei. Nun eilte die Frau zu dem 3 km entfernt 
wohnenden Arzt, der rasch berbeikam. 

Die Untersuchung des Auges ergab zunächst eine hochgradige, bei¬ 
nahe phlegmonöse Konjunktivitis palpebrae et orbitae, eine gelbgraue Ver¬ 
färbung der Kornea (Keratitis purulenta) und eine etwa weizenkorngroße 
Oeffnung in der Mitte der Kornea, aus der geronnenes Blut und ein haut¬ 
ähnliches Gebilde — jedenfalls ein Teil der Iris — hervorquoll. Die Blutung 
war kurz vor Ankunft des Arztes zum Stehen gekommen; es mußte aber 
eine erhebliche Menge Blut geflossen sein, denn der Fußboden zeigte eine 
große Blutlache, und Kopfkissen und Bettbezüge wiesen starke Blutspuren 
auf Die Blutung aus dem Inneren des Auges rührte jedenfalls aus der 
Chorioidea her, ließ sich aber bezüglich ihrer Herkunft nicht genau fest¬ 
stellen. 

Der Kranke selbst machte einen pastösen, fettleibigen Eindruck. Die 
Zunge war dick belegt, mäßiger foetor ex ore. Einige Tage lang hatte 
keine Stuhlentleerung bestanden. Der Kranke war appetitlos. 

Die Behandlung bestand in kühlen Kompressen mit etwas Chinosol- 
lösung und drei Blutegeln am Schläfenrand. Intern wurde eine starke 


*) Vergl. 1. c. S. 39. 

**) Vergl. Unklare Krankbeitsbilder. 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Lösung von Natr. sulfuric. u. Magpes. sulfarie. in Wasser verordnet mit 
dem Bedeuten, die Lösung am selben Tage, abends noch ein zweites Mal 
zu geben, falls keine ausgiebige Stuhlentleerung stattgefunden hätte. Am 
folgenden Morgen war eine geringe Entleerung aashaft riechender Massen 
eingetreten, die Salzlösung wurde deshalb an diesem Tage noch zweimal 
gegeben mit dem Erfolge, daß am dritten Tage einige stärkere breiige 
Entleerungen mit starkem Yerwesungsgeruch eintraten. Dem Kranken war 
gleich beim Eintritt in die Behandlung bedeutet worden, unter keinen Um¬ 
ständen feste oder flüssige Nahrung zu sich zu nehmen und nur Wasser 
zu trinken. Die Salzlösung wurde täglich fortgegeben mit dem Erfolge, 
daß weiterhin reichliche Entleerungen in flüssiger Form folgten. Die 
Zunge blieb während der ersten Tage dick belegt, die Appetitlosigkeit 
bestand fort. 

Etwa vom 5. Tage seit Eintritt in die Behandlung an begann die 
Zunge sich am Rande zu röten und feucht zu werden. Die Entleerungen 
blieben stark fäkulent bis zum achten Tage und begannen von da ab 
geruchloser zu werden. 

Auffälligorweise zeigte das kranke Auge fast genau dasselbe Yerhalten 
wie die belegte Zunge, denn mit dem allmählichen Yerschwinden des Belages 
ging zunächst die starke Anschwellung der geröteten Schleimhaut zurück 
und die gelbliche Verfärbung der Hornhaut begann sich zurückzubilden. 

Allmählich begann auch unter Yerschwinden des Zungenbelages die 
Rötung der Konjunktive abzublasseu und gegen den 20. Dezember zeigte 
das Auge zwar noch eine mäßige Rötung, aber keine Anschwellung mehr 
und konnte aktiv, was vorher nicht möglich war, geöffnet werden. Die 
Hornhaut zeigte bis auf die Wunde keine eitrige Verfärbung mehr und 
der vorgefallene Teil der Iris hatte sich zurückgebildet. Das Auge ist 
seitdem frei von entzündlichen Erscheinungen geblieben und der Zungen¬ 
belag verschwunden. Der Kranke begann über starken Hunger zu klagen 
und erhielt geringe Mengen von Yegetabilien mit strengem Ausschluß von 
Fleischspeisen oder Fleischbrühen. Die interne Behandlung mit darm¬ 
reinigenden Salzen wurde späterhin durch das wohlschmeckendere Sanosal 
ersetzt (täglich einen Kaffeelöffel voll auf ein Glas Wasser) und der Kranke 
auf streng vegetarische Diät angewiesen. Das kranke Auge ist seitdem 
in seinem Volumen etwas zurückgegangen, zeigt aber weder Schmerzen, 
noch Druck noch erhebliche Rötung mehr. Der Kranke befindet sich sub¬ 
jektiv wohl und verlangt selbst nach der morgendlichen Darmreinigung 
mit Sanosal. Das gesunde Auge, für welches während der ganzen Krank¬ 
heit die Gefahr einer sympathischen Entzündung bestand, war frei von 
irgendwelchen Störungen geblieben. 

Epikrise: Das zeitlich.© Zusammentreffen der schweren 
Augenentzündung mit der hartnäckigen Darmstörung war sicher 
kein zufälliges. Der pastöse, fettleibige Mann hatte jedenfalls 
seit längerer Zeit bei mangelhafter Hautpflege seinen Körper 
einseitig ernährt und durch Bevorzugung von Fleischnahrung 
— auf dem Lande ganz besonders in Form des Pökelfleisches 
von selbsteufgezogenen Schweinen beliebt — Harnsäure im 
Körper angehäuft, durch geringe Zufuhr natronhaltiger Speisen 
(Gemüse, Obst etc.) die sich im Körperhaushalt bildenden 
Säuren, namentlich Kohlensäure und Harnsäure nicht binden 
können, dadurch lokale Gefäßkonstriktionen erlitten, durch 
wollene Unterkleidung die Haut verzärtelt und dadurch gegen 
Witterungseinflüsse äußerst empfindlich gemacht. Es genügte 
dann eine heftige Abkühlung, um den Geiäßkrampf namentlich 
in dem Unterleibsplexus stationär zu machen, hierdurch eine 
Reizung der tonischen Darmnerven mit aktiver Mittelstellung 
der Darmmuskulatur, konsekutiver Verlangsamung der Darm¬ 
passage und Stagnation der Ingesta mit unausbleiblicher Toxin¬ 
bildung herbeizuführen und schließlich den Körper und ganz 
besonders die pars minoris resistentiae (das früher erkrankte 
Auge) mit massenhaften Toxinen zu überschwemmen. Am Auge 
selbst trat unter solchen Verhältnissen eine ausgedehnte Ent¬ 
zündung mit Auswanderung weißer Blutkörperchen (Keratitis) 
und durch die Lockerung der Weichteile in den gefäßreichen 
Bezirken (Chorioidea) undderdünnwandigenKapillaren schließlich 
die starke Blutung ein. Der ganze entzündliche Vorgang stellte 
den Beginn einer Panophthalmie dar und wäre mit hoher Wahr¬ 
scheinlichkeit auch auf das andere Auge übergegangen, dieses 
zur völligen Erblindung führend, wenn es nicht gelungen wäre, 
der Toxinbildung und -Zufuhr durch die energische Darm¬ 
reinigung mit Mittelsalzen Einhalt zu tun. 

Angesichts solcher Erwägungen und Erfolge einer zielbe¬ 
wußten Beeinflussung ist man wohl berechtigt, die Darmaus¬ 
waschung als einen Heilfaktor ersten Ranges anzusehen und sie 
überall da in erster Linie zu bevorzugen, wo die Verhältnisse 
für das Vorhandensein der geschilderten Störungen des Körper¬ 
haushaltes sprechen. Es sind dies nicht nur lokale Entzün- 
duDgen and en verschiedensten Körperstellen (Pneumonie, An¬ 
gina, Gelenkrheumatismus, Erysipel, Augen- und Ohrenerkran¬ 
kungen, Nierenleiden, Meningitis etc.), sondern auch die ver¬ 


278 


schiedenen Allgemeindyskrasien (Diabetes, Gicht etc.). Es dürfte 
namentlich im Hinblick auf letztere außer allem Zweifel stehen, 
daß die anerkannte Wirkungsweise der einzelnen Heilquellen 
einihal in ihrer aus waschenden Einwirkung auf den Verdauungs- 
traktus (Bitterwässer, Kochsalzquellen, Schwefelwässer) und 
zum anderen in ihrer regulierenden Einwirkung auf die Stoff¬ 
wechselbilanz beruht. In letzterer Hinsicht dürfte bekannt sein, 
daß die einfachen Säuerlinge die Nierentätigkeit und das Durch¬ 
waschen des Körpers befördern, während die Kochsalzquellen 
außer der darmanregenden Wirkung eine Anregung und Regu¬ 
lierung der Magen- und Darmfunktionen — möglicherweise 
durch gesteigerte Quellungsvorgänge in den Geweben — bewirken 
und die Harnstoffausscheidung befördern. Die alkalischen 
Quellen schaffen durch ihren Gehalt an kohlensauren und 
schwefelsauren Salzen sowie Lithion eine Einschmelzung von 
Eiweiß, Fett und krankhaften Ansammlungen nebst Abführung 
dieser Stoffe der regressiven Metamorphose durch Nieren und 
Darm, die alkalisch-erdigen Quellen wirken vermöge ihres Ge¬ 
haltes an Kalksalzen ableitend und reinigend durch erhöhte 
Nierentätigkeit, die Eisen wässer versorgen die Eisenreservoire 
des Organismus (Leber, Milz, Knochenmark) mit Eisen, während 
die Schwefel wässer desinfizierend auf Magen und Darm, ein¬ 
schmelzend und verflüssigend auf Stoffwechselschlacken und 
anregend auf die Ausscheidungsorgane wirken. Allen den ver¬ 
schiedenen salz- und erd-haltigen Quellen ist mehr oder minder 
die Eigenschaft gegeben, dem Organismus die zum Aufbau des 
Zellmaterials benötigte, aber bei dem Ueberwiegen ammoniaka- 
lischer Substanzen in der Nahrung (Fleisch, Eier, erdarme 
Vegetabilien) in ungenügender Menge zugeführten Erdsalze zu 
ersetzen. — Wenn schon die Wirkung der verständnisvoll an¬ 
gewandten Quellen trotz hygienischer Sünden und falscher Er¬ 
nährung bei vorübergehendem Gebrauch oftmals eine frappante 
ist, wie viel mehr würde nicht erreicht werden, 
wennHand in Hand mit ihr e in eplanmäßige Selbst¬ 
zucht des Körpers in hygienischer Hinsicht ginge! 
Ueberall da aber, wo eine derartige zeitweise Mauserung des 
Körpers nicht tunlich ist oder wo der charakterschwache 
Patient — und das sind die meisten, besonders unter dem Ein¬ 
flüsse der chronischen Gehirnkollämie — nicht das Aufraffungs¬ 
vermögen besitzt, hygienisch günstig zu leben, tritt in Krank¬ 
heitsfällen als wesentlicher Heilfaktor die Darmreinigung in 
erster Linie in Betracht. Zuweilen ist die durch Darmreinigung 
gestärkte Energie des Kranken sogar hinreichend, um unter 
dem Einflüsse hygienischer Belehrungen eine Lebensweise 
durchzusetzen, welche den Kranken dauernd vor der großen 
Menge vermeidbarer Krankheiten bewahrt, als welche 
wir nicht nur die meisten Infektionskrankheiten, sondern 
auch alle Konstitutionsleiden bei unseren verbesserten Ursachen¬ 
kenntnissen ansehen müssen. 


REFERATE. 


Syphilidologie. 

Die Behandlung der Syphilis mit Atoxyl. 

Sammelreferat von Dr. M. Lewitt, Abteilungsarzt am Ost¬ 
krankenhause in Berlin (dirig. Aerzte: Prof. Kromayer, 
v. Chrismar). 

Die Anwendung merkurielier Präparate gegen die Syphilis 
ist nicht nur alt, sondern auch zuverlässig, da man die schäd¬ 
lichen Einflüsse in geeigneter Weise durch rechtzeitige An¬ 
ordnung entsprechender Vorsichtsmaßregeln vermeiden kann. 

So konnte das Quecksilber bis zum heutigen Tage aus 
dem Arzneischatz nicht verdrängt werden. Es ist aber nicht 
zu leugnen, daß es zuweilen dem Arzte wünschenswert er¬ 
scheint, ein anderes antisyphilitisches Mittel zu besitzen — sei 
es, daß der Laie aus unbegründeter Furcht vor dem Queck¬ 
silber zurückschreckt oder daß bei Ansteckung durch den 
Ehegatten die wahre Natur des Leidens verheimlicht werden 


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” "274 ^ THERÄPfiOHSCÖE RültoSCHÄÜ- - : - - ^m i7r 


soll oder daß gelegentlich ein Individuum gegen Quecksilber 
eine Idiosynkrasie an den Tag legt. 

So konnte es nicht Wunder nehmen, daß Versuche mit 
einem -neuen Mittel bereitwilligst in weitem Umfange von zahl¬ 
reichen Klinikern aufgenommen wurden, als aus Frankreich 
und zwar aus dem Institut Pasteur höchst bemerkenswerte und 
überraschende Nachrichten über die Anwendung des Atoxyls 
bei Syphilis bekannt wurden. 

Das Atoxyl, ein färb- und geruchloser Körper von schwach 
salzigem Geschmack, ist nach Untersuchungen von Lemaire (1) 
durch eine Reihe von Reaktionen ausgezeichnet, welche seine 
Unterscheidung von anderen organischen und anorganischen 
Arsenverbindungen gestatten. 

Die wichtigsten pharmakologischen Versuche über Atoxyl 
rühren von F. Blumenthal (2) her, der eine relative Un¬ 
giftigkeit des Präparates feststellte und neuerdings (3) ein 
Resümee seiner Erfahrungen gibt. Dagegen sindCroner und 
Seligmann (4) zu anderen Resultaten gekommen, die mit 
denen Blumenthals in Widerspruch stehen, sich aber viel¬ 
leicht aus der Verschiedenheit der Versuchstiere erklären 
lassen. Blumenthal experimentierte nämlich an Kaninchen, 
während Cron er und Seligmann ihre Versuche an Menschen 
und Hunden ausführten. 

Die Anregung, das Atoxyl zur Behandlung der Syphilis zu 
versuchen, gab Uhlenhuth (5) auf Grund seiner günstigen 
Erfahrungen bei Hühnerspirillose. Die Frage, ob dem Atoxyl 
überhaupt ein nachweisbarer Einfluß auf den syphilitischen 
Krankheitsprozeß zukommt, winde von Uhlenhuth (6) und 
seinen Mitarbeitern zuerst im Tierversuch entschieden, und als 
der Erfolg der ersten Experimente ermutigend gewesen war, 
wurde von Hoffmann(6) und Roscher (6) unter steter Auf¬ 
sicht von Geheimrat Lesser die Wirkung des Atoxyls auch 
am Menschen erprobt. Es wurden zunächst zwei Syphilis¬ 
kranke kurz vor Ausbruch der Allgemeinerscheinungen mit 
einer 20%igen Lösung behandelt; der eine erhielt in sieben 
Einspritzungen 1,0, der zweite in fünf Injektionen 0,64 Atoxyl. 
In beiden Fällen kam bald nach der ersten Spritze ein spezifi¬ 
sches Exanthem zum Vorschein, welches trotz weiterer Injek¬ 
tionen bestehen blieb, während es nach Uebergang zur Sublimat¬ 
spritzkur prompt verschwand. 

Nach diesen Erfahrungen wollten die Verfasser die thera¬ 
peutischen Versuche beim Menschen einstellen, als die Aufsehen 
erregenden Mitteilungen von P. Salmon(7) erschienen. Letz¬ 
terer gelangte zu äußerst ermutigenden Resultaten, die ihn 
von einer spezifischen Wirkung auf die Syphilis sprechen lassen. 
Es wurde nicht ein Fall von Intoleranz bei 8,0 Atoxyl in einer 
Woche beobachtet. Lokal verursachten die Injektionen weder 
Schmerz, noch Verhärtung, noch Abszesse. Gerühmt wird die 
Beständigkeit der Resultate — die günstige Heilwirkung zeigte 
sich in allen Stadien der Syphilis — sowie die schnelle Wir¬ 
kung des Medikaments und die schnelle Heilung der Krank¬ 
heitsformen. Salm on empfiehlt eine 10- oder 15%ige Lösung, 
welche zwei Minuten lang bei 100° sterilisiert ist, und Dosen 
von 0,5, welche zwei bis drei Wochen lang alle zwei Tage 
wiederholt werden. 

Diese Angaben veranlaßten Hoff mann (6) und Roscher (6), 
die vorläufig unterbrochenen Versuche wieder aufzunehmen. 
Die Erfahrungen ließen nun auch schließen, daß Atoxyl in ge¬ 
nügend großen Dosen auf syphilitische Krankheitserscheinungen 
eine unverkennbare Wirkung besitzt, welche bei den malignen 
Formen besonders eklatant hervortrat. Aber von den be¬ 
handelten elf Fällen waren, obwohl im allgemeinen geringere 
Gaben als von Salmon verwandt wurden, nur fünf ganz frei 
von Nebenerscheinungen. Vier litten an kolikartigen,-■ heftigen, 
mit Appetit- und Schlaflosigkeit einhergehenden Schmerzen, 
.einer an Durchfällen, einer an Albuminurie mit Zylindern und 
roten und weißen Blutkörperchen im Sediment. 

Auch Lassar (8) wurde durch die oben erwähnten 
Arbeiten von Salmon zur Nachprüfung angeregt. Es wurden 
nur Fälle ausgesucht, die vorher überhaupt nicht, am aller¬ 
wenigsten mit Quecksilber oder Jod behandelt waren. Auf 
0,5 in 10°/oiger, steriler Lösung dreimal wöchentlich gingen 

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die Erscheinungen der Syphilis prompt zurück, einerlei ob es 
sich um frische oder ältere Fälle handelte. 

Der französische Dermatologe .Hall opeau (9) bestätigt 
vollkommen die günstigen Resultate, welche Salmon erzielte. 
Nur in vier Fällen konnte er eine Intoleranz konstatieren. 

Lesser (10) hat 28 Fälle von Syphilis mit Atoxyl be¬ 
handelt. Die Injektionen wurden fast immer mit einer 10%igen 
Lösung intramuskulär gemacht, pro dosi nur wenige Male 0,6, 
sonst 0,5 und bei Frauen meist 0,4 gegeben. Ueber 6,2 als 
Gesamtdosis wurde nicht hinausgegangen. Die Injektionen 
wurden gewöhnlich jeden zweiten Tag gegeben, gegen das 
Ende der Kur meist nur jeden dritten Tag. Der Erfolg be¬ 
züglich des Verschwindens der Erscheinungen war in allen 
Fällen ein ganz unverkennbarer. Auch Lesser hat das Auf¬ 
treten zum Teil erheblicher Nebenwirkungen beobachtet, wie 
recht heftige Magenschmerzen, Kolik, Uebelkeit, manchmal 
Erbrechen, Durchfall und Schwindelgefühl: in einem Falle trat 
nach 1,7 Atoxyl Nephritis auf, vereinzelt auch Blasenreizung, 
Harndrang und geringe Dysurie. 

In der Medizinisch-naturwissenschaftlichen Gesellschaft zu 
Jena (Sitzung am 20. Juni 1907) berichtet Spiethaff (11) 
über seine Versuche mit Atoxyl bei sekundärer, tertiärer Lues 
und einigen parasyphilitischen Erkrankungen. Von einer 
15%igen Atoxyllösung wurden jeden zweiten Tag 0,5 g intra¬ 
muskulär injiziert. Unter dieser Behandlung bildeten sich die 
sekundären Haut- und Schleimhauterscheinungen manchmal 
sehr schnell zurück. Ein günstiger Einfluß war auch bei 
gummösen Prozessen zu verzeichnen, doch empfiehlt Spiet- 
hoff, neben dem Atoxyl auch noch Jod zu geben, da nach 
6 g Atoxyl Hautgummata noch nicht abgeheilt waren. 

Günstige Resultate sahen Kreibich (12) und Kraus (12), 
denen Atoxyl im dritten Stadium der Syphilis sich als beson¬ 
ders wirksam bewährte. Rezidive traten aber manchmal bald 
nach der Behandlung auf. Scher b er (18) hat mit verhältnis¬ 
mäßig sehr kleinen Dosen — zweimal wöchentlich 0,1 bis 
0,2 g — eine ganz zweifellose Beeinflussung der Syphilis in 
allen Stadien beobachtet. 

Die Erfahrungen am Menschen scheinen durch das Tier¬ 
experiment eine Stütze zu erhalten. 

Neißer (14) kann nach Tierversuchen bestätigen, daß 
eine energische, am besten in großen Einzeldosen durchgeführte 
Atoxylkur einen sehr starken Einfluß auf die Syphilis hat. 

Durch die Untersuchungen von Uhlenhuth (15), Hoff- 
mann (15) und Weidanz (15) wird der Nachweis erbracht, 
daß das Atoxyl bei der Syphilis auch im Tierexperiment eine 
recht gute Wirkung entfaltet, und nicht nur eine heilende, 
sondern auch eine präventive. 

Metschnikoff (16) ist es gelungen, beim Affen nach 
erfolgter Injektion mit dem syphilitischen Virus das Amsbrechen 
der syphilitischen Symptome zu verhindern, wenn innerhalb 
einer gewissen Zeit (8 bis 14 Tage) Atoxyl angewendet wird. 
Es bleibt abzuwarten, ob diese Präventiv Wirkung sich auch 
beim Menschen bestätigt. 

Auf dem Kongreß der französischen Internisten, Oktober 
1907, ist die Atoxyltherapie der Syphilis Gegenstand der Dis¬ 
kussion gewesen. In Frankreich scheinen ernste Schädigungen 
mit dem Mittel nicht beobachtet worden zu sein, undHallopeau 
ist geneigt, die Nebenwirkungen auf schlechte Zubereitung des 
Medikaments zurückzuführen. Vedel dagegen schreibt dem 
Mittel gar keine spezifische Wirkung zu. 

Ueber den gegenwärtigen Stand der Syphilisbehandlung 
mit Atoxyl in Frankreich berichtet v. Holstein (17). 

Von verschiedenen Seiten sind Versuche gemacht worden, 
metasyphilitische Erkrankungen durch Atoxyl zu beeinflussen* 
Die Erfahrungen sind aber nicht günstig. 

Wat er man (18) unterwarf zehn Fälle von zerebraler 
Lues und tabisoher Atrophie einer Kur. „Wir begannen mit 
Hoffnung und schließen mit völliger Enttäuschung.“ Als Dosis 
benutzte W. die von Lassar angegebenen 5 g einer 10%igen - 
sterilisierten Lösung, die jeden zweiten Tag intramuskulär ein¬ 
gespritzt wurde. 

Verfasser gelangt zu der Schlußfolgerung, daß Atoxyl in 
der Behandlung zentraler Sehnervenerkrankungen auf luetischer 

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Grundlage keine günstigen Erfolge gezeigt hat und daß wir 
berechtigt'sind, vor der Anwendung des Atoxyls zu warnen. 

Spielmeyer-Freiburg i. B. (19) versuchte das Atoxyl 
bei Paralyse. 

Ein Einfluß der Atoxylbehandlung auf den zentralen Er- 
kraukuügsprozeß konnte nicht festgestellt werden. Allerdings 
wurde die Höhe einer Tagesdosis von 0,36 nicht überschritten. 
Spielm-eyer hält es jedoch für möglich, daß die Atoxyl- 
bebandlung zusammen mit den bislang üblichen therapeuti¬ 
schen Maßnahmen prophylaktisch gegen die nervösen meta¬ 
syphilitischen Erscheinungen aussichtsreich ist. 

Es fehlt aber auch nicht an Stimmen, die dem Atoxyl 
entweder jede spezifische Wirkung absprechen oder wegen der 
großen Gefahren von seiner Anwendung abraten. 

Nach Zeißl (20) und Volk (21) wirkt Atoxyl mehr als 
Roborans denn als spezifisches Antisyphilitikum. 

Curschmann (22) verabfolgte 0,1 g Atoxyl jeden Zweiten 
Tag mehrere Wochen hindurch, ohne daß die schweren syphi¬ 
litischen Erscheinungen zum Schwinden gebracht wurden, 
während sie dann unter Quecksilberbehandlung schnell ab¬ 
heilten. 

Bruhns (23) hat zwar mehrmals schnelles Schwinden der 
Exantheme gesehen und eine Rezidivfreiheit von ca. 4 Wochen 
bisher erhalten, »verwendet aber das Mittel nicht mehr w r egen 
seiner Gefährlichkeit. 

Perls (24) bespricht die Erfahrungen in der Breslauer 
Universitätsklinik. Die Syphilis blieb in ihrem Verlauf vom 
Atoxyl nicht unbeeinflußt, doch waren die Erfolge noch zu 
gering und die Gefahren der Anwendung zu groß. In der 
Neißersehen Klinik wird daher in neuester Zeit erst Jod und 
einige Salizylquecksilberspritzen gegeben und dann folgt die 
Atoxylbehandlung» Das Resultat dieser Versuche wird später 
veröffentlicht werden. 

Wenig ermunternd lautet auch der Bericht von Eelix 
Moses (25). Verfasser hat 19 Kranke mit Atoxyl behandelt, 
Os würde pto dosi 0,8 bis 0,5, im ganzen im Maximum 4,9 
gegeben. Von den 19 Fällen waren 14 frisch sekundär bezw. 
noch mit Primäraffekt behaftet, vier spät sekundäre, ein Fall 
von tertiärem Ulkus. Von diesen wurden fünf allein durch 
Atoxyl geheilt (1,9 g bis 4,7 g). Sieben wurden gebessert. 
In vier Fällen mußte die Kur wegen Nebenerscheinungen ab¬ 
gebrochen Werden nach 0,8 bis 2,7 g» 

Von den Nebenwirkungen ist besonders hervorzu¬ 
heben das Exanthem, vorwiegend urtikariellen Charakters, das 
nach Aussetzen des Mittels verschwand und nach einer neuen 
Atoxylinjektion stärker wieder auftrat. Außerdem wurden 
Durchfälle beobachtet sowie Albumen mit und ohne Zylinder. 
Ganz ohne Nebenerscheinungen blieben von den 19 Fällen 
nur 7. Bei den übrigen traten sie 10 bis 12 Stunden nach 
den Injektionen auf. 

Daß Atoxyl keineswegs unschädlich ist und man bei seiner 
Anwendung recht vorsichtig sein muß, war bereits bekannt, 
das beweisen die in der Literatur beschriebenen Fälle von 
Intoxikation. 

So berichtet Bornemann (26) über den traurigen Aus¬ 
gang in Erblindung nach Atoxylinjektionen bei Lichen ruber 
planus. Einen zweiten Fall von Erblindung veröffentlicht 
v. Krüdener (27). Auch Brenning (28) und Waelsch(29) 
haben Intoxikationserscheinungen beobachtet; der erstere schon 
nach verhältnismäßig geringen Dosen. Als nun die Atoxyl¬ 
behandlung der Syphilis in den Vordergrund trat, mehrten 
sich die üblen Zufälle, wie oben geschildert. Ueber zwei Fälle 
von Sehstörung nach Atoxyl berichten Lesser und Greef f (30). 
Sehnervenerkrankung durch Atoxyl beobachtete Fe h r (31); durch 
rechtzeitiges Aussetzen des Mittels konnte jedoch der Verfall 
des Sehvermögens aufgehalten werden. 

In seinem Schlußbericht über die Tätigkeit der deutschen 
Expedition zur Erforschung der Schlafkrankheit erwähnt 
Kpch (32) dauernde Erblindung durch die Atoxylbehandlung. 

Ein Mittel, das solche Gefahren in sich birgt und seinen 
tarnen mit Unrecht trägt, ist weit davon entfernt, als Heil¬ 
mittel zu gelten, und dem Publikum gegenüber, das durch 
yerfrühte Zeitungsberichte allzu hoffnungsfreudig gestimmt 


wurde, dürfte einstweilen die größte Vorsicht am Platze sein. 
Gehen doch auch die Ansichten der Forscher (33) über den 
Wirkungsmodus bei der Atoxylbehandlung noch weit Aus¬ 
einander. 

Bereits vor der Entdeckung der Spirochaeta pallida und 
mehrere Jahre früher als die französischen und deutschen 
Autoren hat Iwan Bloch-Charlottenburg (84) das Arsenik 
als ein Spezifikum gegen Syphilis empfohlen, da er nach Ana¬ 
logie anderer Tropenkrankheiten einen protozoischen Erreger 
dieser Krankheit vermutete und Arsenik als spezifisches Pro¬ 
tozoengift sich bewährt hatte. Uebrigens weist Bloch (35) 
darauf hin, daß der Gebrauch dieses Mittels bei der Syphilis 
ein sehr alter ist und daß erst die neueren Forschungen über 
Ursprung und Ursäche der Syphilis die älteren Erfahrungen 
über die Arsenbehandlung der Krankheit auf die exakte, wissen¬ 
schaftliche Basis gestellt haben. 

In neuerer Zeit hat Rosenthal (36) die Arsenbehandlung 
der Syphilis wieder aufgenommen. Nach seiner Ueberzeugung 
beruht die Wirksamkeit des Atoxyls darauf, daß große Quanti¬ 
täten Arsenik sich im Organismus abspalten, während die 
Anilinkomponente gar nicht in Betracht zu ziehen sei. Hier¬ 
für sprechen auch die Tierexperimente Blumenthals (37). 
Rosenthal hat, zumal in Anbetracht der zahlreichen, oft 
schweren und nicht allein von der Höhe der Dosis abhängigen 
Intoxikationserscheinungen beim Atoxyl, in einer Anzahl von 
Fällen arsenige Säure in schnellsteigender Dosis subkutan mit 
Erfolg angewendet. 

& der Diskussion zu Rosenthals Vortrag macht 
Lassar (38) darauf aufmerksam, welch unberechenbare 
Zwischenfälle uns selbst bei sorgfältiger Behandlung eventualiter 
mit dem Atoxyl begegnen können. Das mahnt gewiß zu recht 
großer Vorsicht in der heute doch immer noch mehr oder 
weniger kritiklosen Anwendung des neu aufgetauchten Mittels. 

Wir dürfen auch betonen, daß die Pariser Mitteilungen 
— wir wollen nicht gerade sagen schön gefärbt sind, aber 
von diesen Schwierigkeiten mehr schweigen, als das in unseren 
Kreisen laut geworden ist“. 

Literatur. 

1. Repertoire de Pharmacologie, 3 Ser., 19, 337. 

2 . Medizinische Woche, 1902, Nr. 15. 

3. Medizinische Klinik, 1907, Nr. 12; Dtsch. med Wocheuschr, 1907, 

Nr. 26, S. 1065. 

4. Deutsche med. Wochenschrift, 1907, Nr. 25 

5. Uhlenhuth, Groß und Bickel, Untersuchungen über die Wirkung 

des Atoxyls auf Trypanosomen und Spirochäten. Deutsche med. 
Woehenschr., 1907, Nr. 4, S 129. 

6. Uhlenhuth, Hoffmann und Roscher, Untersuchungen über die 

Wirkung des Atoxyls auf die Syphilis. Deutsche med. Woehenschr., 
1907, Nr. 22. 

7. Comptes rendues hebdomadaires de la Societe de Biologie, 22. März und 

19. April 1907. 

S. Berliner klin. Woehenschr., 1907, Nr. 16 und 22. 

9. Bulletin general de Therapeutique, 23. Juni, 1907. 

10. Deutsche med. Woehenschr., 1907, Nr. 27. 

11 Münchener med. Woehenschr., 23. Juli, 1907; Deutsche med. Woehenschr., 
1907, Nr. 45, S. 1884. 

12. Prager med. Woehenschr., 1907, Nr. 40. 

13. Wiener klin. Woehenschr., 1907, 26. Sept. 

14. Deutsche med. Wochenschrift, 1907, Nr. 3S. 

15. Deutsche med. Woehenschr., 1907, Nr. 39. 

16. Vortrag auf dem Hygiene-Kongreß in Berlin, September, 1907; vergl. 

auch Hallopeau. 

17. Medizinische Klinik, Bd. III, Nr. 40. 

IS. Berl. klin Woehenschr., 1907, Nr. 35. 

19. Berliner klin. Woehenschr., 1907, Nr. 26. 

20. Wien. med. Presse, 1907, Nr. 24 und 33. 

21. Wiener med. Woehenschr., 1907, Nr. 26. 

22. Therapeutische Monatshefte, Dezember, 1907. 

23. Sitzung der Berliner Dermatologischen Gesellschaft, 9. Juli, 1907. 

24 :. Schlesische Gesellschaft für vaterländische Kultur zu Breslau. Klinischer 
Abend am 25. Oktober 1907. 

25. Berliner klin. Woehenschr., 1907, Nr. 29. 

26. Münchener med. Woehenschr., 1905, Nr. 22. 

27. Festschrift für Kuhnt, 1906. 

28. Dermatologisches Zentralblatt, X, Nr. 5. 

29. Münchener med. Woehenschr., 1907, Nr. 19. 

30. Verein für innere Medizin, Sitzung am 1, Juli, 1907. 

31. Deutsche med. Woehenschr., 1907, Nr. 49. 

32. Deutsche med. Woehenschr., 1907, Nr. 46. ,, 

33. Möller, Wien. med.Presse, 1907, Nr. 48; Blumenthal, 1. c.; Schild, 

Berl. klin. Woehenschr., 1902, Nr. 13, 


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UMIVERSITY OF MICHIGAN 


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276 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. "f5- ^ ^ v 


34. Medizbische Klinik, 1905, Nr. 4. 

35. Berk klin. Wochensehr., 1907, Nr. 33. 

36 Berliner medizinische Gesellschaft, 3. Juli, 1907; Berl. klin. Wochonsclir., 
1908, Nr. 3. 

37. Medizinische Woche, 1902, Nr. 15; Therapeutische Monatshefte, Juli, 

1907; Deutsche med. Wochensehr., 1907, Nr. 26. 

38. Berl. klin. Wochensehr., 1907, Nr. 28. 

39. Darier, La clinique ophthalmologique, 1907, Nr. 11. 

40. Heuck, Berl. klin. Wochensehr., 1907, Nr. 35. 

41. Meißner, Medizinische Woche, 1907, Nr. 21. 


Thalasso-Therapie. 

Referent: Professor Dr. Julius Glax, Abbazia. 

1. Schwimmende Sanatorien, Eine klimato - therapeutische 
Studie. Von Karl Diem, unter technischer Mitarbeit von Ernst 
Kagerbauer. Mit zwei Schiffsplänen. Leipzig und Wien 1907. 
Verlag Franz Deuticke. 

2. lieber therapeutische Seereisen, mit besonderer Berück¬ 
sichtigung der Nordlandfahrten der Hamburg-Amerika-Linie. Von 
H. Pauli. Zeitschr. f. physik. u. diätet. Therap., Bd. XI, H. 9. 

3. Kalte Seebäder, mit besonderer Berücksichtigung der Ost- 
und Nordseebäder. Von A. Hennig. Leipzig. Verlag Alfred 


~4. Winterkuren an der Nordsee. Vortrag, gehalten im 
Aerztlichen Verein zu Hamburg am 12. Novbr. 1907. Von Dr. 
Nicolas-W esterland-Sylt. 

5. Ueber den Einfluß der offenen See und des Schaukeln» 
auf einige Psychosen. Von Wladytschko. Dissertation, 
Moskau 1907. 


züglich verschiedener Nebenauslagen, die täglichen Reise- und 
Verpflegskosten für eine Person wenigstens 100 M. betragen, so 
daß eine auf mehrere Monate ausgedehnte Fahrt dem Patienten 
Kosten auf erlegen würde, welche wohl nur für wenige erschwing¬ 
lich sein dürften. Das ist die Klippe, an welcher ebenso wie alle 
früheren Gesundheitsschiffe auch jenes des Dr. Diem scheitern 
dürfte. 

2. H. Pauli, welcher schon im verflossenen Jahre den thera¬ 
peutischen Wert der von der Hamburg-Amerika-Linie veranstalteten 
Winterfahrten im Mittelmehr gebührend gewürdigt hat, tritt nun 
mit gleicher Begeisterung für die sommerlichen Nordlandfahrten 
derselben Gesellschaft ein. Die Nordlandfahrten der Hamburg- 
Amerika-Linie bewegen sich zwischen der deutschen und britischen 
Küste, den Orkneyinseln, Färöern, Island, Spitzbergen, der norwegi¬ 
schen, jütischen und schleswig-holsteinschen Küste. Verf. ist zu¬ 
nächst bemüht, an Hand meteorologischer Aufzeichnungen zu zeigen, 
daß die Temperaturverminderung auf den Nordlandfahrten nicht 
größer ist als diejenige, welche der Mitteleuropäerbei seinen 
bisherigen Sommerreisen gewohnt ist. Die relative Feuchtigkeit 
der Luft ist eine hohe und von einer Gleichmäßigkeit, wie sie am 
Festlande nie gefunden wird, dagegen sind die Regenverhältnisse 
im Gebiete der Nordlandfahrten während der Monate Juli und 
August günstiger als in Mitteldeutschland. Nebel, Gewitter- und 
Sturmtage gehören zu den größten Seltenheiten. Durchweg 
herrschen auf der ganzen Reise die Seewinde, welche keim- und 
staubfreie Luft zuführen, vor, und selbst die Landwinde an der 
norwegischen Küste bringen absolut reine Luft, da sie über das 
Hochgebirge streichen. P. hat bei Nervosität, Neurasthenie, all¬ 
gemeiner Erholungsbedürftigkeit, Blutarmut, Schwächezuständen 
und Katarrhen der oberen Luftwege sehr ermutigende Erfolge 


1. Nach einer längeren Einleitung, in welcher die Vorzüge 
des Seeklimas hervorgehoben werden, erörtert D. eingehend die 
Frage der therapeutischen Seereisen im allgemeinen und der 
schwimmenden Sanatorien im besonderen. Der Verf. weist darauf 
hin, daß derartige Kurschiffe ein dringendes Bedürfnis seien und 
daß die bisher bestehenden Mittelmeerfahrten und Nordlands fahr ten 
der Hamburg-Amerika-Linie, für welche besonders Pauli mit 
großer Wärme eingetreten ist, nicht die Bedeutung von Kur¬ 
fahrten für Kranke, sondern höchstens als Erholungsfahrten für 
reiche Leute haben. Ref., welcher alljährlich mehrmals Gelegen¬ 
heit hat, den „Meteor“ der Hamburg-Amerika-Linie in Abbazia zu 
sehen, muß der Ansicht D.s in vieler Beziehung beistimmen, denn 
wenn auch diese Schiffe bezüglich ihrer Größe und des gebotenen 
Komforts geeignet sind zu einer Erholungsreise für Menschen, 
deren Nerven erschöpft sind, oder für Rekonvaleszenten, so haben 
sie doch nicht jene Einrichtungen, welche ein Kurschiff haben 
müßte. D. kommt deshalb auf das schon mehrmals — zuletzt 
von Maurer und Michael — angeregte Projekt der Erbauung 
schwimmender Sanatorien zurück und gibt im Vereine mindern 
Schiffsbauoberingenieur E. Kagerbauer eine Planskizze eines 
derartigen mit allen erforderlichen Einrichtungen ausgestatteten 
Kurschiffes. Als Kreuzungsgebiet dieses Kurschiffes schlägt D. 
die Adria vor, und zwar für Winter und Sommer, mit dem Aus¬ 
gangspunkte Abbazia. Der Verf. tritt mit großer Begeisterung 
für sein Projekt ein, dessen Durchführung gewiß für viele Kranke 
eine unermeßliche Wohltat wäre, aber — er vergißt den Kosten¬ 
punkt. Die langsame Fahrt des Schiffes und der hierdurch be¬ 
dingte geringere Kohlen verbrauch genügen noch lange nicht, um 
den Preis soweit herabzumindern, daß die Benutzung eines solchen 
schwimmenden Sanatoriums den breiteren Schichten der Gesell¬ 
schaft möglich würde. Ein Schiff mit einem Deplacement von 
5000 Tonnen, mit einem Stab von 18 Personen und 147 Personen 
Mannschaften bei einer Anzahl von 211 Passagieren muß Preise 
fordern, welche jedenfalls jene der Seereisen auf erstklassigen 
Dampfern überschreiten. Das von Diem geplante Schiff verfügt 
nicht nur wie jeder erstklassige Dampfer über eine entsprechende 
Zahl von Gesellschaftsräumen, sondern es besitzt auch zwei ärzt¬ 
liche Untersuchungszimmer, einen Operationssaal, ein Verband¬ 
zimmer, ein Laboratorium, je einen großen Saal für hydropathische 
Prozeduren und für Zanderapparate, einen kleinen Saal für Elektro¬ 
therapie und Massage und 34 Einzelbadekabinen. Hierzu kommen 
noch zwei vollkommen eingerichtete Lazarettzimmer, ein Inhalato¬ 
rium und eine Apotheke. Unserer Berechnung nach dürften, ab¬ 


3. Ohne Zweifel wurde bisher der therapeutische Wert der 
Ostseebäder häufig unterschätzt, und es ist daher dankenswert, 
daß A. Hennig abermals eine Lanze für die Ostseebäder bricht, 
nur schießt er über das Ziel hinaus, wenn er das Ostseebad nicht 
nur einen dem Nordseebad in vielen Beziehungen gleichwertigen 
Heilfaktor nennt, sondern auch behauptet, daß manche Ostseebäder 
allen Nordseebädern in mancher Hinsicht überlegen sind. Es 
kann nicht oft genug betont werden, daß es sich hier nicht um 
absolute Werte handelt und daß es ein völlig nutzloses Beginnen 
ist, feststellen zu wollen, ob die Bäder der Nordsee, der Ostsee 
oder der südlichen Meere wirksamer sind, denn jedes Bad hat 
seine bestimmten Indikationen. Hervorzuheben ist, daß die Ost¬ 
seebäder mit ihren herrlichen Laub- und Nadelholzwäldem die Mög¬ 
lichkeit gewähren, Patienten bald mehr bald weniger dem direkten 
Einflüsse der Seeluft auszusetzen, wodurch sie für schwächlichere 
Konstitutionen besonders wertvoll werden. Ein weiterer Vorzug 
der Ostseebäder ist, daß die Badezeit nicht auf bestimmte und 
überdies mit dem Auftreten der Flut wechselnde Tagesstunden 
beschränkt ist, wie dies an der Nordsee der Fall ist. An der 
Ostsee steigt die Wassertemperatur von morgens früh bis gegen 
5 Uhr nachmittags, so daß es möglich ist, die Kälteeinwirkung 
zu dosieren, indem man robustere Individuen am Morgen, schwäch¬ 
lichere in den frühen Nachmittagstunden baden läßt. 

4. An der Hand meteorologischer Beobachtungen führt 
Nicolas den Beweis, daß die" Nordseebäder das mildeste Winter¬ 
klima von ganz Deutschland besitzen und daß, abgesehen von der 
Temperatur, Sommer und Winter sich klimatisch kaum unter¬ 
scheiden. Die Nordseebäder sollten in weit ausgedehnterem Maße, 
als es bisher geschehen, für Winterkuren verwendet werden. Ob, 
wie N. behauptet, die hygienischen Anlagen, Wasserversorgung, 
Kanalisation usf., in den deutschen Badeorten mehr Vertrauen 
verdienen als in den ausländischen, möchte ich, insoweit die 
Bäder der Nord- und Ostsee in Frage kommen, bezweifeln. Trink¬ 
wasserversorgung durch Brunnen und Beseitigung der Abfallstoffe 
durch Abfuhr bilden mit wenigen Ausnahmen in den Nordsee¬ 
bädern die Regel, und an der Ostsee entbehrt selbst der Weltkur¬ 
ort Heringsdorf einer Kanalisation. Daß N. bei einer Frequenz 
von 500 Personen keine Infektionskrankheiten beobachtete, hat 
nicht viel zu.bedeuten. 

5. Wladytschko begleitete einen Transport von geistes¬ 
kranken Offizieren und Soldaten von Port Arthur nach Odessa 
(70 Tage Ueberfahrt), wobei er die Beobachtung machte, daß 


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pfay fthfa rffi. ^ zur Seekrankheit neigen, unter diesen am 

wenigsten Maniakalische und Alkoholpsychosen. Rollen des Schiffes 
Wird schlechter vertragen als Stampfen. Die Seekrankheit beein¬ 
flußt Geisteskranke ungünstig, Seefahrt bei ruhiger See dagegen 
günstig, Seefahrten auf offener See, welche mit Schaukeln ver¬ 
bunden sind; können Geistesgesunde geisteskrank machen. 


Bakteriologie. 

Referent: Privatdozent Dr. E. Küster, Freiburg i. B. 

1. Heber die immunisierende Kraft der normalen Nerven- 
substanz, verglichen mit der Wutnervensubstanz der Wut gegen¬ 
über. Von Fermi. Zentralbl. f. Bakt., Bd. XLVI, H. 1. 

2. lieber das Verhalten der menschlichen Haut gegen ver¬ 
schiedene bakterielle Giftstoffe. Von R. Erty. Wien. klin. 
Wochenschr., 1908, Nr. 12. 

1. Alle Versuche, mit normaler Nervensubstanz gegen Wut 
zu immunisieren, waren bisher fehlgeschlagen, nur Babes gelang 
es in zwei Fällen, Hunde, welche mit'Wutgift (Virus fix) sub¬ 
dural geimpft waren, durch Einspritzung von normaler Nervensub¬ 
stanz (Hammelhim) zu retten. 

Trotzdem unternahm es Fermi, in großen Versuchsreihen 
die wutimmunisierende Wirkung normaler Nervensubstanz nach¬ 
zuprüfen, weil er aus folgenden Gründen die Wirkung des Pasteur¬ 
schen Wutschutzimpfstoffes (Medulla von Kaninchen, die an Wut 
verendet waren) im wesentlichen als reine Nervensubstanzwirkung 
auffaßte: es sind sehr verschiedene Methoden der Wutschutz¬ 
impfung im Gebrauch: nach Pasteur wird die Nervensubstanz 
der wutverendeten Tiere getrocknet, Ferrans benutzt frische 
Substanz, desgleichen Högyes, nur daß er stark verdünnt; 
Puscarin erwärmt die Nervensubstanz von Wuttieren in be¬ 
stimmter Weise, während Valli und Centanni sie mit Magen¬ 
saft vorbehandeln. Alle diese verschiedenen Wutschutzimpfstoffe 
haben praktisch ungefähr dieselben Resultate bei der Wutschutz¬ 
impfung ergeben. Weiterhin hat sich herausgestellt, daß Wut¬ 
nervensubstanz ungefähr die gleiche Giftigkeit wie normale Nerven¬ 
substanz besitzt. Die Versuchsergebnisse Fermis sind sehr 
interessant; er fand, daß zwischen der immunisierenden Wirkung 
von normaler und Wutnervensubstanz kaum ein Unterschied be¬ 
steht, auch dann nicht, wenn man beide Impfstoffe in gleicher 
Weise verdünnte, erwärmte, der Wirkung des Magensaftes oder 
verdünnter Salzsäure aussetzte; nur bei dem Austrocknungsver¬ 
fahren nach Pasteur erwies sich einmal in einer Versuchsserie die 
Wutnervensubstanz der normalen anWirkung überlegen. Die Nerven¬ 
substanz der verschiedenen Tiere wirkt durchaus nicht gleichwertig, 
und F. konnte folgende Reihenfolge der Wertigkeit aufstellen: 
am besten wirkt Nervensubstanz von Ratte, dann folgt Kaninchen, 
Lamm, Ochse, Hund, Truthahn, Frosch, Huhn. Je empfänglicher 
ein Tier gegen Wutinfektion, desto wirksamer scheint seine normale 
Nervensubstanz als Impfstoff gegen Wut zu wirken. 

Sollten die Nachuntersuchungen der Fermi sehen Experimente 
die gleichen Resultate ergeben, so wären wir in der Bekämpfung 
der Wutkrankheit mit einem Schlage soweit gediehen, daß jeder 
Arzt ohne irgendwelche besonderen Hilfsmittel die Behandlung von 
Wutkranken durchführen könnte. Normale Nervensubstanz läßt 
sich fast überall leicht beschaffen und die teueren Wutschutzimpf¬ 
institute, die heute der Pat. zwecks Schutzimpfung aufsuchen muß, 
wären nicht mehr nötig. Zunächst heißt es freilich, die Nach¬ 
untersuchungen abwarten. 

2. Ausgehend von der Tatsache, daß der einmal mit art¬ 
fremdem Serum geimpfte Mensch auf eine zweite gleiche Impfung 
heftiger reagiert (cf. Diphtherieserumbehandlung, diese Z.), glaubt 
v. Pirquet, daß auch der durch eine Invasion von Tuberkel- 
bazillen früher oder gegenwärtig gereizte und zur Reaktion ge¬ 
zwungene menschliche Organismus auf eine neue Reizung mit den 
Stoffwechselprodukten des Tuberkelbazillus, welche wir künstlich 
durch kutane Einverleibung (Impfung) von Alt-Tuberkulin setzen, 
spezifisch reagiere. In dieser Reaktion (Rötung und Pustelbildung) 
sieht v. Pirquet und mit ihm eine Reihe von Klinikern, welche 
bisher Nachprüfungen Vornahmen, ein Diagnostikum für die Tuber¬ 
kulose des Menschen; freilich nur bei Säuglingen und Kindern, 
r fonn Erwachsene reagieren bis ca, 90%, 


277 


Es haben demnach von Erwachsenen 90% schon einmal im 
Leben auf Infektion von Tuberkelbazillen irgendwelche spezifischen 
Antistoffe ‘ gebildet, und diese dokumentieren sich bei der Tuber¬ 
kulinkutanreaktion, einerlei ob die ursprüngliche Tbc.-Infektion 
schon ausgeheilt ist oder zur Zeit noch besteht. 

In einigen Fällen versagt die Kutanreaktion vollständig (bei 
weit vorgeschrittener und allgemeiner Tuberkulose) oder tritt erst 
bei wiederholter Impfung' auf. In solchen zweifelhaften Fällen emp- 
pfiehlt Hamburger (ibidem: Ueber den Wert der Stichreaktion 
nach Tuberkulininjektion) 0,01 bis 0,1, in Ausnahmefällen 1mg 
Tuberkulin subkutan einzuspritzen, worauf an der Einstichstelle 
eine spezifische Reaktion eintrete. Diese Stichreaktion soll der 
Pirque t sehen* Kutanreaktion^ überlegen sein, weih sie einmal in 
allen nach Pirquet positiven Fällen auf tritt, aber auch bei 
negativer oder zweifelhafter Kutanreaktion häufig positiv ausfällt 
— solche Fälle sind dann bei einer zweiten Pirquetschen 
Impfung stets positiv —; ist die Stichreaktion negativ, so gibt 
auch wiederholte Kutanimpfung kein Resultat. H. erklärt die 
Ueberlegenheit der Stichreaktion gegenüber der Kutanreaktion 
durch quantitative Verhältnisse. Bei der Stichprobe werden je¬ 
weils viel größere Mengen Tuberkuli neingebracht, und es reagieren 
deshalb auch Personen, die weniger empfindlich sind, auf die 
erste Impfung: eine Steigerung der Empfindlichkeit durch wieder¬ 
holte Impfung, wie sie bei der Kutanmethode zur Erzielung eines 
positiven Resultates häufig angewandt werden muß, ist nicht nötig. 
Wie weit die Kutan- und die Stichmethode der Tuberkulinimpfung 
einwandfreie Resultate lieferte, kann natürlich mit Sicherheit erst 
an einer großen Anzahl von Sektionen bei Personen, die intra 
yitam geimpft waren, sichergestellt [werden. Einstweilen stützt 
man sich meist nur auf die klinische Bestätigung der Tuberkulose¬ 
infektion oder nimmt eine abgelaufene, klinisch nicht mehr nach¬ 
weisbare Tb.-Infektion an, deren Reaktionsprodukte im Körper 
(Tuberkulinempfindlichkeit) noch erhalten^geblieben sind. Andrer¬ 
seits mehren sich die Stimmen^ welche der Hautreaktion gegen 
bakterielle Giftstoffe jede Spezifität absprechen. Nachdem schon 1907 
(Wien. klin. Wochenschr., Nr. 47) Kraus, Sensenberger und 
Ruß den Beweis erbrachten, daß die Hautreaktion gegen Koli-, 
Typhus- und Paratyphusreaktion nicht spezifisch ist, hat jetzt Enz 
auch für Cholera-, Pyozyaneus-, Rauschbrand- und andere Bakterien¬ 
gifte eine nicht spezifische Hautreaktion nachgewiesen: „Die Efflo- 
reszenzen stellen einen rein lokalen Prozeß in der Haut dar, der 
in keiner Weise mit Immunitätsvorgängen im Organismus in Zu¬ 
sammenhang steht. Es ist vielleicht auch die durch Tuberkulin 
erzeugte Kutanreaktion bei Menschen, ausgenommen vielleicht 
Neugeborene, nichts anderes als der Ausdruck eines rein örtlichen 
reaktiven Vorgangs der Haut gegen das eingebrachte Gift, ein 
Vorgang, dem man eine Spezifität im Sinne v. Pirquets nicht 
zuzuerkennen braucht.“ 

Wenngleich Zweifel [an der Spezifität der~ Hautreaktionen 
bisher nur vereinzelt laut geworden, so mahnen sie doch zur Vor¬ 
sicht; bei der großen Zahl der gegenwärtigen wissen¬ 
schaftlichen Veröffentlichungen, bei der Schwierig¬ 
keit, dieselben kritisch zu beurteilen und nachzu¬ 
prüfen, sollte der praktische Arzt eine neue Methode, 
sei es zu diagnostischen . ' oder therapeutischen 
Zwecken, nur dann in Anwendung bringen, wenn die¬ 
selbe an großem^klinischem Material unter Berück¬ 
sichtigung der event. jSektionserge bnisse kritisch 
nachgeprüft und ihre praktische Verwendbarkeit ein¬ 
wandsfrei bewiesen ist. 


Chirurgie. 

Referent: Spezialarzt Dr. Heinrich Landau, Berlin. 

1. Impftuberkulose der Sehnenscheiden beim Pflegepersonal. 
Von Richard Mühsam. Therapie d. Gegenwart, 1908, März. 

2. Rheumatismus tuberkulosus Poncet. Von P. Esau. Münch, 
med. Wochenschr., 1908, Nr. 8. 

3. Ein Fall von habitueller Torsion des linken Testis. Von 
Quüdflieg. Deutsche med. Wochenschr., 1907, Nr. 52. 


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278 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU, 




4. Ueber das Kriechverfahren bei Skoliose. Von Rudolf 
Kuh. Prager med. Wochenschr., 1907, Nr. 52. 

5. Beiträge zur Milzchirurgie (Abszesse und Exstirpationen). 
Von Riese. Deutsche med. Wochenschr., 1908, Nr. 8. 

6. Sind Todesfällej in^der Narkose vermeidbar? Von 
Strauch. Med. Klinik, 1908, Nr. 10. 

7. Stichverletzung des Bauches. Laparotomie nach 73 Stun¬ 
den, Heilung. Von Hart leib. 

8 . Beitrag zur Chirurgie des unteren Oesophagusabschnitts. 
Von 0. Hildebrand. Berl. klin. Wochenschr., 1908, Nr. 12. 

9. Die Myositis ossifikans im M. brachialis nach Ellbogen¬ 
luxationen, ihre Diagnose und Behandlung, Von Paul Frangen¬ 
heim. Deutsche med. Wochenschr., 1908, Nr. 12. 


beweglich gemacht und in den Bereich des, Buckels gezogen werden. 
Auch bei bestehender Gegenkrümmung ist vom Kriechen eher 
eine Verschlimmerung der Skoliose zu erwarten (Lange); noch 
mehr bei den ganz schweren Skoliosen, deren geschwundene 
Muskulatur nicht imstande ist, der starken Dehnung der Zwischen¬ 
wirbelscheiben durch das Kriechen Widerpart zu halten. Da daq 
neue Verfahren ferner sehr anstrengend ist, kann es bei schwachen 
Kindern mit weichen Knochen in der „berufsmäßigen“ Form, wie 
Klapp sie fordert, nicht durchgeführt werden. Das Kriechen 
leistet bei ganz bestimmten Formen und in bestimmten Zeit¬ 
abschnitten der Skoliose Gutes; falsch ist es, in der. Methode ein 
Allheilmittel zu sehen, mit dem allein der praktische Arzt zu 
Hause jede beliebige Skoliose behandeln könnte (Vulpius). 


1. Zwei gesunde Pfleger schnitten sich an den Scherben 
eines Phthisiker-Speiglases und erkrankten nach Heilung der ober¬ 
flächlichen FingerwundeJ^an schwerer Sehnenscheidentuberkulose 
von der schwammigen Art, die bei dem einen wiederholte, aus¬ 
gedehnte Spaltungen bis zum Ellbogengelenk hinauf nötig machte, 
wahrend der andere unter Stauung und Schienenbehandlung heilte. 
Eine etwas leichtere Sehnenscheiden-Erkrankung über dem Hand¬ 
gelenk trug eine Schwester davon, die, selbst schwindsuchtsver¬ 
dächtig, sich nach Morphiuminjektion bei einer Phthisika mit der 
Nadel der Spritze in den kleinen Finger gestochen hatte. Die 
Fälle fordern dazu auf, die Umgebung Tuberkulöser zur größten 
Vorsicht auch in dieser Beziehung anzuhalten. — Marmoreks 
Serum wurde bei beiden Pflegern angewendet, und zwar ohne 
sichtlichen Erfolg; deutlicher war der gute Einfluß der Sonnen¬ 
strahlen , denen der operierte Kranke seinen fistulösen Unterarm 
täglich stundenlang aussetzte. Ref. kann diese von Bernhard 
in Samaden zuerst planmäßig angewandte Wirkung des Sonnen¬ 
lichts gerade auf tuberkulöse Wunden und Geschwüre aller Art 
bestätigen; die Bestrahlung ist der medikamentösen Behandlung 
überlegen. 

2. Ein in Deutschland noch wenig bekanntes Krankbeitsbild, 
multiple ankylosierende Entzündungen in den Gelenken mit ver¬ 
schiedenem, manchmal subakutem, manchmal stürmisch fieberhaftem 
Beginn, von Polyarthritis durch den Verlauf, die Nichtbeteiligung 
des Herzens, die Ohnmacht der üblichen Behandlung unterschieden, 
andererseits ohne Fungusbildung und ohne Abszesse, wie man sie 
bei der gewöhnlichen Gelenktuberkulose sieht. Das Leiden kann 
mit völliger Beweglichkeit ausheilen, führt aber mit Vorliebe zu 
Versteifungen, zur Beugekontraktion, zur fibrösen' oder nach 
schwerer fc Knorpelzerstörung, wie bei Trippergelenken, zur kn öchernen 
Ankylose. Sonstige Tuberkulose, auch in der Familie und in der 
Vorgeschichte, fehlt; die Impfung mit Gelenkflüssigkeit und die 
Koch sehe Tuberkulinreaktion, die andere zur Feststellung der 
Krankheit fordern, sind in Es aus Fall nicht ausgeführt worden; 
doch läßt der ganze Verlauf kaum eine andere Deutung zu. 
Esau erreichte bei dem an beiden Knien und Fußgelenken, der 
rechten Hüfte und der Halswirbelsäule erkrankten Kinde mit der 
künstlichen Hyperämie im Bier sehen großen Saugglas gute 
Erfolge. 

3. Die Drehung des Hodens war das^‘erste Mal durch einen 
Fall rittlings auf Hölzer entstanden, wiederholte sich in den 
nächsten Jahren ohne besondere Veranlassung noch zweimal, und 
machte das letzte Mal die Entfernung des nach zehntägiger Torsion 
nekrotischen Hodens samt Nebenhoden notwendig. Die Torsion 
scheint häufiger zu sein, als angenommen wird, da man sie oft 
trotz aller Beteuerungen der Kranken mit einer akut entzünd¬ 
lichen Orchitis und Epididymitis (Gonorrhoe!) verwechselt; sie 
kommt nach verhältnismäßig geringen Traumen oder auch an¬ 
scheinend spontan vor, besonders bei jungen Leuten, wenn der 
Hode „gestielt“ ist, d. h. kein Mesorchium besitzt und frei am 
Samenstrang hängt. Es ist sehr wichtig, eine Torsion früh zu er¬ 
kennen, um durch Einschnitt und Zurückdrehen den Hoden zu 
retten, der bei länger bestehender Torsion sicher dem Gewebstode 
verfällt. Für die Diagnose können frühere ähnliche, von selber 
zurückgegangene Anfälle von Hodenschwellung entscheidend sein. 

4. Das Klapp sehe Kriechverfahren biegt die Wirbelsäule 
stärker als die bisherigen Uebungen im Stand oder im Liegen. 
Es gelingt aber nicht, den Abbiegungspunkt genau zu bestimmen: 
daher können die Nachbarwirbel der Verkrümmungsstelle übermäßig 


ö. An neun Fällen wird u. a. die Erfahrung bestätigt, daß die 
Milzexstirpation bei Stauungsmilz dringend zu widerraten,' bei 
Leukämie weder von großem noch besonders von dauerndem Nutzen 
ist. — Erregt eine Wandermilz stärkere Beschwerden, zumal An¬ 
fälle , die auf Stieldrehung schließen lassen, so soll sie entfernt 
werden, schon um der Gefahr der Abszeßbildung auf dem Boden 
thrombotischer Infarkte zuvorzukommen. Aus infektiösen emboli- 
schen oder thrombotischen Infarkten, als deren Ursache gynäko¬ 
logische und puerperale Erkrankungen neben Typhus usw. die 
Hauptrolle spielen, gehen die sequestrierenden Abszesse hervor, 
mit deren Eiter sich nekrotische Milzfetzen entleeren. Diese 
Sequester im braunen Eiter der subphrenischen Abszesse sichern 
die Diagnose; die Aussichten der lebensrettenden Operation sind 
nicht schlecht. 

6. Um eine ruhige Narkose zu erzielen, gibt Strauch am 
Vorabend der Operation 1,0 Veronal, eine Stunde vor der Operation 
IV 2 bis 2 cg Morphium als Einspritzung und zur Kräftigung des 
Herzens Alkohol als Klistier (je 50,0 bis 75,0 Kognak, Rotwein 
und Tee mit 5 bis 10 Tropfen Opiumtinktur), Die Narkose wird 
als Aethertropfnarkose durchgeführt. — Die Beigabe des Veronals, 
das der Nacht vor der Operation die Unruhe nimmt, scheint neben 
der Witzelschen Morphium-Aethernarkose gerechtfertigt; der Er¬ 
satz der üblichen Strophanthus- oder Digalengabe durch das Alkohol¬ 
klistier ist umständlich und dürfte auf dem Operationstisch zum 
unerwünschten Abgang des Klistiers führen. 

7. Ein siebenjähriger Knabe erhält einen Taschenmesserstich 
in den Bauch; nach anfänglichem Erbrechen, das der Khok des 
Stoßes erklären konnte, schien der Verlauf gegen- eine Darmver¬ 
letzung zu sprechen, bis 70 Stunden nach der Verletzung steigender 
Puls und beginnende Auftreibung des Leibes die Laparotomie 
veranlaßten. Man fand zwei verklebte Darmlöcher mit umschrie¬ 
bener Bauchfellentzündung. Heilung. 

Der Fall zeigt, daß bei Bauchwunden die Möglichkeit einer 
Eingeweideverletzung nach gutem Verlauf der ersten 24 Stunden 
keineswegs ausgeschlossen ist, selbst wenn die regelmäßigsten 
Zeichen dafür, besonders die Bauchdeckenspannung, fehlen. Ist 
nach Sitz und Aussehen der Wunde und Art des verletzenden 
Werkzeuges auch nur entfernt an eine Eingeweideverletzung zu 
denken, so ist rasche Laparotomie angezeigt; nicht jede Spät¬ 
operation verläuft so glücklich, wie im vorliegenden Fall, und die 
Gefahr der Blutung und Bauchfellentzündung wächst mit jeder 
Stunde. 

8. Die Behandlung der Erkrankungen und Fremdkörper im 

unteren Oesophagusabschnitt hat aus den Fortschritten der Röntgen¬ 
technik und der Oesophagoskopie bei weitem nicht den gleichen 
Vorteil ziehen können wie die Diagnostik dieser Fälle. Fremd¬ 
körper werden noch immer von einem Schnitt hoch oben an der 
Vor der wand des Magens aus mit Zange oder Finger gefaßt; Ver¬ 
hakung oder Sitz in einem Divertikel kann, wie in einem Fall 
von Hildebrandt, die gleichzeitige Oesophagotomie notwendig 
machen. Die Resektion im Bereich des unteren Oesophagusdrittels 
wegen Karzinom hält Hildebrandt für aussichtslos, wenn auch 
das Sauerbruch sehe Verfahren die Komplikationen von seiten 
der Pleura beseitigt. Die Schwierigkeit der Operation in der Tiefe 
zwischen lauter lebenswichtigen Organen ist ungeheuer groß • 
größer noch, selbst bei gelungener Naht, die Gefahr der Phleg¬ 
mone und der weitergreifenden Infektion. Für diese Kranken 
bedeutet eine einfache Gastrostomie auch heute noch die beste 
Hilfe, . 


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19Ö8. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 




279 


-9. In nicht allzu seltenen Fällen kommt es nach Ellbogen- 
hixationen, aber auch nach einfachen Traumen des Ellbogens und 
Oberarms (Stoß mit dem Bajonettiergewehr) zu einer vom intra¬ 
muskulären Bindegewebe, seltener auch von der Vorderfläche der 
Gelenkkapsel ausgehenden Knochenneubildung im Musk. brachialis 
internus, die im Gegensatz zu anderen Lokalisationen der Myositis 
ossifxkans traumatika ganz erhebliche Schmerzen und Störungen 
verursacht, selbst zur Versteifung des Gelenkes führen kann.. Das 
Röntgenbild, das überhaupt bei Diagnose und' Behandlung des 
Leidens die größte Rolle spielt, läßt den Muskelknoehen leicht 
von etwa abgesprengten Knochenstücken unterscheiden. Die 
Knochenbildung wurde frühestens am fünften Tage, spätestens 
vier Monate nach der Verletzung erkannt; im Durchschnitt konnte 
man sie drei bis vier Wochen nachher feststellen. Man hat 
keinen Anhaltspunkt dafür, daß in der Methode oder in der 
früheren oder späteren Einrenkung des Unterarms eine Ursache 
für die Knochenbildung zu suchen wäre; immerhin wird man zur 
Reposition der Verrenkung nach hinten den einfachen Zug am 
Vorderarm der gewaltsamen Ueberstreckung vorziehen, um un¬ 
nötige Zerrung] des Muskels zu vermeiden. Auch von der früh¬ 
zeitigen Massage und Bewegung, die als begünstigendes Moment 
für die Ossifikation angesehen wurde, hat Frangenheim in einem 
frischen Fall keine Verschlimmerung gesehen, eher den Eindruck 
gehabt, daß die drohende Versteifung dadurch verhütet wurde. 
Bei der Behandlung dieser Muskelknochen muß man daran denken, 
daß sie manchmal von selber verschwinden und daß andererseits 
nach einer Operation Rückfälle auftreten können. Unbedingt an¬ 
gezeigt ist der Eingriff, wenn der Muskelknochen auf Gefäße und 
Nerven drückt und die entsprechenden Störungen in Kreislauf 
und nervöser Versorgung hervorruft, ebenso bei alten Fällen mit 
starker Bewegungsstörung oder gar Versteifung, wo selbst Resek¬ 
tion in Frage kommen kann. Um den richtigen Zeitpunkt zur 
Operation zu treffen, empfiehlt Frangenheim, den Arm in 
regelmäßigen Zwischenräumen zu durchleuchten, am besten seit¬ 
lich, die Platte auf den medialen Epikondylus gelegt; man kann 
dann an den einzelnen Bildern verfolgen, wie der Knochenschatten, 
manchmal von mehreren Zentren aus, sich vergrößert und vertieft, 
um je nach Lage des Falles sich wieder zu verkleinern, zu ver¬ 
schwinden oder unverändert zu bleiben. Ist letzteres eine Zeit¬ 
lang der Fall gewesen, so kann mit guter Aussicht auf vollen 
Erfolg von einem oder zwei Längsschnitten aus der Knochen 
herausgeholt werden; man braucht dann nicht zu fürchten, daß noch 
Verknöcheruogszentren im intramuskulären Bindegewebe zurückge¬ 
blieben sind. Im Stadium des wachsenden Knochenschattens da¬ 
gegen müßte man die verknöcherte Partie wie einen Tumor im 
Gesunden entfernen, um Rezidive zu verhüten. 


Chirurgie. 

Ausländische Literatur. 

Referent: Dr. med. Alois Pollak, Prag-Weinberge. 

1. Behandlung des Karzinoms mit Trypsin. Americ. Med., 
1908, Feber. 

2. Le Compresse di Etere nella cura delle ernie strozzate. 
(Aetherkompressen bei inkarzerierten Hernien.) Von E. Ta sei- 
otti. Annali di Eletricita medica e terapia fisica, 1907, XII, 
pag. 433. 

3. Contribution ä l’etude d’une variete particuliere d’adenites 
inguinales. Von Pigeon et Tanton. Archives gener. de Medic., 
1908, pag. 76. 

4. Skoliose. Von Kirmisson. Annali di Eletricita medica 
e terapia fisica, 1907, Nov. 

5. Malum Pottii. Von Chip au 11. Congr. intern, di fisiotera- 
pia. Ibidem. 

1. Für die Behandlung inoperabler Krebspatienten wird wieder 
die von Bear-d inaugurierte Trypsinbehandlung empfohlen. Al ein- 
dor (Brit. med. Journ., 1908, 11. Jan.) macht auf Verschlimme¬ 
rungen und einen unerwarteten Todesfall aufmerksam; er führt 
sie darauf zurück, daß bei unvorsichtigem Vorgehen (Injektionen 
in die Umgebung des Tumors) die unter dem Einflüsse des 
Trypsins entstehenden Verdauungsprodukte des Eiweißes in die 


Zirkulation übergehen und dann natürlich ihre deletären Wir¬ 
kungen äußern müssen. Es sollen also nur oberflächlich gelegene 
Karzinome mit Trypsin behandelt werden. 

2. T. beschreibt drei Fälle von eingeklemmten Leisten¬ 
brüchen (Alter: 2 Jahre, 60 Jahre , 6 ä 70 Jahre), welche nach ver¬ 
geblichen Taxisversuchen mit Aetherkompressen behandelt 
wurden und dann nach kurzer Zeit (eine Stunde) teils spontan 
zurückgingen, teils leicht reponierfc wurden. Der Antor empfiehlt 
die Methode, macht aber mit Recht darauf aufmerksam, daß man 
sich bei diesen Versuchen nicht etwa so lange aufhalten solle, 
daß dabei kostbare Zeit verloren ginge und der Pat. zu spät zur 
Operation käme. Dagegen führt er die Methode mit Unrecht auf 
Fiessinger (1906) zurück; sie ist viel älter. Schon Gussen- 
baner hat wiederholt auf sie aufmerksam gemacht (aber auch 
nicht als neu) und Ref. hat selbst sie vor Jahren schon in zwei für 
die Operation ungeeigneten Fällen mit Erfolg angewendet. 

3. P. und T. beschreiben eine eigentümliche Affektion der 
inguinalen Lymphdrüsen; es handelt sich um eine meist sehr 
rasch, seltener etwas langsamer, zn Eiterung führende Entzündung 
der oberflächlichen Inguinaldrüsen, welche sich regelmäßig auf die 
benachbarten oberflächlichen und tiefen Gruppen von Drüsen aus¬ 
breitet. Es entwickelt sich eine ausgedehnte Periadenitis, die 
Drüsen selbst vereitern dabei aber nicht vollständig, so daß keine 
einheitliche Eiterhöhle entsteht. Die Eintrittspforte des Erregers 
liegt immer in den äußeren Genitalorganen, es handelt sich aber 
nicht immer um venerische Affektionen (auch Balanitis u. ähnl., 
oft wurde gar nichts nachgewiesen). In einer großen Reihe 
von Fällen wurde der Bazillus fluoreszens (putridus und litjue- 
faerens) nachgewiesen. Therapie: Radikale Exstirpation der 
ganzen befallenen Drüsengruppe in Narkose. Inzisionen und Aus¬ 
kratzungen sind ganz nutzlos. 

4. Die Skoliose der Jugendlichen ist nicht so sehr eine lokale 
Affektion, als der Ausdruck einer allgemeinen Ernährungsstörung 
des Knochengewebes; sie soll auch dementsprechend behandelt 
werden: Regelung (Besserung) der Ernährung, Aufenthalt in freier 
Luft, Seebäder, Hydrotherapie in zweckentsprechender Kombi¬ 
nation und Abwechslung. Dazu kommt als lokale Behandlung 
aktive Gymnastik mit genügenden Ruhepausen. Als Unterstüt¬ 
zungsmittel kommen nur ganz leichte Mieder (keine schweren 
Redressionsmieder) in Betracht; keine Gipsmieder. 

5. Die Behandlung jugendlicher Patienten wird folgender¬ 
maßen geschildert: Wo eine Deformation besteht, wird sie in 
Narkose nach Möglichkeit durch Extension und mäßigen Druck 
reponiert; in der guten oder gebesserten Lage ein Gipsmieder an¬ 
gelegt. Solche Mieder müssen zwei bis drei Jahre lang getragen, 
in dieser Zeit fünf- bis sechsmal gewechselt werden. Der Mieder¬ 
wechsel wird anfangs häufiger, später seltener vorgenommen, 
wenn nötig unter Narkose mit neuerlicher Verbesserung der Lage. 
Unter Umständen Gipsbett und andere Verbände. 


Röntgentherapie. 

Referent: Dr. Karl För sterling, I. Assistent bei 
Prof. Dr. Schlange, Hannover. 

1. Die Elfenbeinstifte bei der Behandlung von Frakturen 
und Pseudarthrosen und als osteoplastischer Ersatz. Von Dr. 
Eugen Bircher. Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr., Bd. XI, 
S. 321. 

2. Plastische Röntgenogramme. Von Dr. Eduard Gott- 
schalb. Ibidem, S. 353. 

3. Die Bedeutung der Enterolithen des Prozessus vermi¬ 
formis im Röntgenogramm. Von Dr. Otto Fittig. Ibidem, 
S. 356. 

4. Die Radiotherapie der Leukämien. Von Dr. A. v. De- 
castello und Doz. Dr. R. Kienböck. Ibidem, S. 377. 

5. Ein Röntgenfrühsymptom bei Pes planovalgus. Von Dr. 
Stein und Dr. Preiser. Ibidem, S. 452. 

6. Beitrag zur Röntgendiagnostik der Knochensyphilis. Von 
Dr. G. F. Haenisch. Ibidem, S. 449. 

1. Verf. tritt in dieser ausführlichen Arbeit sehr für die 
Einführung von Elfenbeinstiften in die Markhöhle bei gebrochenen 


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280 


'vXA 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 



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Knochen ein. Er führt neun mit solchen Maßnahmen behandelte 
Fälle an. Als Vorzüge rühmt er die vorzügliche Adaption und 
Fixierung in dieser Stellung, den Reiz zur Knochenneubildung 
und dadurch Beschleunigung der Heilung. In bezug auf diese 
Vorzüge wirken die angeführten Fälle nicht gerade überzeugend. 
Ob die Resultate z. B. mit einfacher Drahtnaht schlechter ge¬ 
wesen wären, lasse ich dahingestellt. Ferner lassen sich auch bei 
komplizierten Frakturen durch einen event. in Narkose angelegten 
exakten Gipsverband gute Resultate bei schneller Heilung erzielen. 
Kleinere Dislokationen in der Diaphyse sind ja für die spätere 
Funktion erwiesenermaßen völlig unerheblich, gleichen sich bei 
jugendlichen Personen auch gut wieder aus. Beim Ersatz aus¬ 
gedehnter Knochendefekte scheinen die Resultate mit den Elfeh- 
beinstiften gut gewesen zu sein. 

2. Angabe eines Verfahrens, das die Geheimtuerei von 
Alexander lüften soll. 

Das Negativ (I) und Diapositiv (II) werden exakt aufeinander 
gelegt und unter Schräghalten kopiert; dies gibt Nr. III. Kopiert 
man nun Nr. III und II unter Schräghalten, so bekommt man 
Platte Nr. IV, die völlige Plastik bei guter Strukturzeichnung 
bieten soll. 

3. Bringt ein Röntgenbild mit einem im Prozess, vermif. ge¬ 
legenen Kotstein. Verf. weist die Möglichkeit, auf Grund eines 
Röntgenbildes nun etwa die Diagnose Perityphlitis stellen zu 
wollen, zurück. Es kann dadurch höchstens einmal bei Unter¬ 
suchung der Harnwege auf Konkremente Veranlassung zu einer 
Fehldiagnose gegeben werden. 

4. Unter ausführlicher Beschreibung von 18 eigenen Fällen 
und Berücksichtigung der gesamten einschlägigen Literatur geben 
die Verf. eine kritische Abhandlung nach Resultat, Wirkungsweise 
und Methodik der Behandlung. — Bei myelogener Leukämie 
ist in ca. 90%, bei lymphatischer in 70% eine Besserung er¬ 
zielt. Ob jedoch eine Lebensverlängerung bewirkt wurde, 
muß als noch sehr zweifelhaft gelten, während wohl sicher der 
Rest des Lebens durch die Bestrahlungen verbessert und erträg¬ 
licher gemacht ist. — Die Wirkung der Strahlen erfolgt 
hauptsächlich auf die hämatopoetischen und lymphatischen Organe 
direkt; Fernwirkung ist nur unbedeutend. 

Bei myelogener Leukämie wird ausschließlich die Milz be¬ 
strahlt, bei lymphatischer Milz und sämtliche Drüsenpakete; da¬ 
neben natürlich auch Leberschwellungen und Hautinfiltrate leukä¬ 
mischer Natur. Jede Hautstelle soll gleich die größtmögliche 
Dosis bekommen, d. h. bis zur Hervorrufung einer leichten Rötung. 
Daneben ist natürlich Regelung der Lebensweise, Ernährung etc. 
nicht außer Betracht zu lassen. 

5. Verf. weisen darauf hin, daß Rötung, Schwellung und 
Schmerzhaftigkeit über dem proximalen Teile der Grundphalangen 
der zweiten bis fünften Zehe, besonders nach längeren Märschen, 
meist Symptome des Plattfußes und zwar oft des beginnenden 
sind. Das Röntgenbild zeigt dann häufig eine Periostitis an der 
medialen Seite der Grundphalanx zwei bis vier, hervorgerufen 
durch abnorme Anspannung der medialen Interossei. 

6. Neben anderen besonders Beschreibung eines Falles, der 
aus dem Röntgenbilde die Diagnose Lues nicht erkennen ließ, 
sondern eher auf Sarkom hinwies. Der Verlauf (und Erfolg der 
Kur) entschieden für Lues. Es war eine kongenitale Spätlues, 
die wahrscheinlich das entzündliche Höhestadium bereits über¬ 
standen hatte und deshalb atypische Bilder bot. 


Oeffentliches Sanitätswesen und soziale Medizin. 

Referent: Dr. M. Peltzer, Generaloberarzt a. D. in Steglitz. 

1. Künstliche Befruchtung und eheliche Abstammung. Von 
Dr. Th. Olshausen, Gerichtsassessor in Berlin., Deutsche med. 
Wochenschr., 1908, 19. März, S. 515. 

2. Bemerkungen dazu. Von J. Schwalbe. Ibidem, S. 516. 

3. Säuglingsfürsorge und Mutterschutz in Bayern. Med. 
Reform, 1908, Nr. 11, 12. März, S. 124. 

1 u. 2. Die theoretisch interessante Frage, ob das Kind einer 
Frau, die mit dem Samen ihres Ehemannes künstlich, also ohne 


Kohabitation, befruchtet wurde, als eheliches anzusehen ist, hat 
einen Juristen und einen Mediziner zur Darlegung ihrer Ansichten 
veranlaßt. 

Der Jurist Olshausen (Hilfsarbeiter im Reichsjustizamt) 
meint, daß ein Kind als vom Manne empfangen im Sinne des 
Bürgerlichen Gesetzbuches dann nicht angesehen werden kann, 
wenn eine Beiwohnung nicht stattgefunden hat. Der Mediziner 
Schwalbe ist der Ansicht, daß O. den Begriff der Beiwohnung 
doch wohl zu wörtlich gefaßt und ausgelegt hat, daß es vom 
naturwissenschaftlichen Standpunkte aus für die Abstammung des 
Kindes völlig gleichgültig sei, ob es mit oder ohne Beiwohnung 
des Mannes erzeugt worden ist, und daß somit für die Ehelich¬ 
keit -des Kindes die Beiwohnung des Gatten keine conditio sine 
qua non sei, wofern nur der Mann und die Frau die Produkte 
dazu geliefert haben. Auch die Beiwohnung des Gatten gewähr¬ 
leiste ja nicht unbedingt die Ehelichkeit des später geborenen 
Kindes. Wir schließen uns als Mediziner der Ansicht Schwalb es 
an, es fragt sich jedoch, ob gegebenenfalls vor Gericht die 
wörtliche Auslegung der Beiwohnung juristisch nicht doch obsiegen 
würde. Zur Sache selbst entnehmen wir dem interessanten Mei¬ 
nungsaustausch, daß bisher nur Marion Sims einmal auf künst¬ 
liche Weise Konzeption herbeigeführt hat. Dementsprechend hat 
die künstliche Befruchtung vor Gericht auch noch keine häufige 
Rolle gespielt. In Frankreich klagte einmal 1884 ein Arzt in 
Bordeaux ein Honorar von 1500 Frcs. für eine von ihm ohne 
Erfolg vorgenommene künstliche Befruchtung ein, wurde jedoch 
vom Gericht abgewiesen. Es trete hier zwischen Mann und Frau 
etwas Widernatürliches, das bei Mißbrauch zu einer sozialen Gefahr 
führen könne. Neuerdings hat sich ein deutsches Oberlandes¬ 
gericht (Düsseldorf am 1. Juni 1907) mit der Behauptung einer 
ohne Beischlafsvollziehung erfolgten Konzeption mit nachfolgender 
Entbindung zu befassen gehabt. Ein Ehemann, der mit seiner 
Frau in der Empfängniszeit nicht kohabitiert hatte, wollte ein 
während der Ehe geborenes Kind für unehelich erklären lassen, 
doch wurde eingewendet, daß sich die Ehefrau mit dem Sperma 
des Mannes ohne sein Wissen selbst befruchtet habe. Der Kläger 
wurde abgewiesen, weil zwar die Darstellung der Frau unwahr¬ 
scheinlich, es aber nicht unmöglich sei, daß sie das Kind auf die von 
ihr angegebene Weise ohne Vollziehung des Beischlafs von ihrem 
Manne empfangen habe. Schwalbe hat zweimal unter günstigen 
Bedingungen künstliche Befruchtung ohne Erfolg herzustellen 
versucht. Das eine Mal handelte es sich um impotentia coeundi 
eines älteren, das zweite Mal um impotentia generandi eines 
sterilen Mannes, in letzterem Falle, in welchem übrigens später 
eine Befruchtung auf natürlichem Wege zustande kam, mit dem 
Sperma eines anderen Mannes. 

3. Die, Säuglingssterblichkeit in Bayern ist, wenngleich von 
1862 bis 1901 stetig zurückgegangen, mit 24% doch noch höher, 
als die durchschnittliche im Reich (1902/03 = 19,3%) und anderen 
Staaten (Italien 1903 = 11,5, England 1904 = 14,5, Norwegen 
= 10, Schweden = 7 bis 8%). Die Hauptursache liegt natür¬ 
lich auch hier, wie überall, in mangelhafter, namentlich künst¬ 
licher Ernährung und Pflege. Staatliche Säuglingsfürsorge ist 
daher um so mehr geboten, als sich die Geburtshäufigkeit in 
Deutschland nicht mehr auf der früheren Höhe zu halten scheint. 
Von diesem Gesichtspunkt aus hat die Bayerische Regierung eine 
Zusammenstellung der Mittel und Wege zur Bekämpfung der 
Säuglingssterblichkeit herausgegeben und diese allen Kreisregie¬ 
rungen usw. zur Richtschnur mitgeteilt. Es gehören dahin: 1. Be¬ 
ratungsstellen für stillende Mütter (Mutterschulen, Säuglingsfür¬ 
sorgestellen) zur unentgeltlichen ärztlichen Beratung der Mutter 
möglichst schon vor der Entbindung. 2. Stillprämien zum teil¬ 
weisen Ersatz für verloren gegangenen Arbeitsverdienst der Mutter 
bis auf drei Monate. 3. Auskunftsstellen, möglichst in Verbindung 
mit Nr. 1; über alle zur Unterstützung von Wöchnerinnen bestehen¬ 
den Vereine, gute Kostplätze usw. 4. Kindermilchanstalten. 5. 
Aufsicht der Kostkinder. 6. Die reichsgesetzlichen Maßnahmen 
zur Unterstützung von Wöchnerinnen und Schwangeren sowie zum 
Schutz von Wöchnerinnen. 7. Sonstige Maßnahmen (Verbreitung 
von Flugblättern des Bayr. Frauenvereins). 


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1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


281 


Militärsanitätswesen. 

Referent: Dr. M. Peltzer, Generaloberarzt a. D. in Steglitz. 

Der erste Kriegsverband. Von Regimentsarzt Dr. H. Freund- 
Reichenberg. Der Militärarzt, 1908, Nr. 5, S. 68. 

Gegenwärtig haben fast alle Armeen für den ersten 
Kriegsverband Verbandpäckchen von ähnlicher Beschaffenheit, doch 
entsprechen die meisten den Anforderungen eines gutsitzenden 
antiseptischen Verbandes deshalb nicht, weil die Fixation mittels 
Binden eine Verschiebung des Verbandes während des Transports 
namentlich am Stamm nicht ausschließt. Aus diesem Grunde 
haben besonders Port und A. Köhler Klebeverbände vorge¬ 
schlagen : eine zentral durchlochte Wundbedeckungshülle, an deren 
Innenseite sehr aufsaugungsfähige Verbandstücke befestigt sind, 
die entweder durch Kollodium (Port) oder durch Heftpflaster be¬ 
festigt werden, v. Oettingen gebrauchte im letzten russisch¬ 
japanischen Kriege zur Fixation eine Mastixlösung, doch eignet 
sich auch dieser Verband wie die anderen nur zur Anlegung durch 
den Arzt, nicht durch den Verwundeten selbst. Heusner 
stäubt auf die Umgebung der Wunde einen Spray einer rasch 
fixierenden Harzlösung (Kolophon 50, Benzin 50, venet. Terpentin 1) 
und klebt darauf ein Stück Filz oder Preßwatte. Auf dem 
Schlachtfeld wird immer nur ein einfacher Fixationsverband mög¬ 
lich sein. Freund hat daher nach Analogie des von Dr. 
Bernario als „Vulnoplast“ in den Handel gebrachten Wundver¬ 
bandes einen ersten Kriegsverband konstruiert, der aus einem 
aseptischen oder antiseptischen, mit Aktollösung durchtränkten, 
vielfach zusammengelegten Gazestreifen besteht. Dieser birgt im 
Inneren eine Schicht Zellstoffwatte. Die Gazekompresse liegt auf 
einem dichteren, luftdurchlässigen Verbandstreifen auf, an welchem 
sie angeheftet ist. Die überragenden Seitenteile des letzteren 
sind mit Heftpflasterstreifen (Leukoplast) versehen, mittels deren 
der ganze Verband dann auf die Umgebung der Wunde geklebt 
wird. Zur Verhütung des Zusammenklebens der Heftpflaster¬ 
streifen dienen Organtinstreifen, die sich beim Oeffnen des Ver¬ 
bandpäckchens selbsttätig ablösen, so daß die Mullkompresse nicht 
mit der Hand berührt zu werden braucht. Der Verband erscheint 
recht zweckmäßig, hat jedoch den Nachteil aller Pflasterverbände. 
Die Pflastermasse behält ihre Klebekraft etwa nur ein Jahr. 


Varia. 

1. Zum Problem der Hautelektrizität. Von Erich Harnack. 
Münch, med. Wochenschr., 1908, Nr. 11. 

2. Bericht über die Blatternepidemie in Wien im Jahre 
1907. Von Dr. E. Mairinger. Wien. klin. Wochenschr., 1908, 
Nr. 11. 

3. , Trunkenheitsdelikte und Strafrecht. Von Prof. Heil- 
bronner-Utrecht. Münch, med. Wochenschr., 1908, Nr. 13. 

4. Der mikroskopische Nachweis von Blutspuren an un¬ 
durchsichtigen Objekten. Von E. Ealmus. Prager med. Wochen¬ 
schrift, 1908, Nr. 12. 

5. Hyperämie inj der Therapie innerer Krankheiten. Von 
A. Lewandowski. Berl. klin. Wochenschr., 1908, Nr. 10. 

6. Was ist Todesursache? Von Joh. Orth. Berl. klin. 
Wochenschr., 1908, Nr. 10. 

1. Sehr mit Unrecht hat man über Harnacks Studien und 
Publikationen über (seine) Hautelektrizität den Kopf geschüttelt; 
die neueste Veröffentlichung, die in der Münchener medizini¬ 
schen^ Wochenschrift abgedruckt ist, belehrt uns, daß wir 
dank der Hautelektrizität wahrscheinlich unmittelbar vor dem 
Anbruch einer neuen Aera in der Therapie stehen, denn wir lesen 
darin einen Brief, den ein Elektrotechniker und Stadtbaurat an 
Harnack geschrieben hat und den wir in der Tat'sehr gern in 
extenso wiedergeben würden, wenn uns mehr Raum zur Ver¬ 
fügung stände. .Dieser Herr „behandelte“ eine Dame, die an 
Kopfschmerzen litt, derart, daß er ihr durch seinen Bureau¬ 
diener gewöhnliche Backoblaten übersandte, nachdem er sie 
einigemale mit den Fingerspitzen seiner rechten Hand bestrichen 
hatte. „Diese Oblaten haben nun, auf die schmerzende Stelle 
gelegt oder gegessen, den Einfluß, daß die Kopfschmerzen ver¬ 


schwinden. “ Wenn solche „ Heilerfolge “, von Harnack gewisser¬ 
maßen beglaubigt, nicht überzeugen, so muß allerdings die „Wissen¬ 
schaft“ schweigen! Auch sonst sind die Ausführungen Harnacks 
so interessant, daß wir ihre Lektüre dringend empfehlen. 

Lun g witz-Berlin. 

2. Der Bericht umfaßt 162 von den 163 vorgekommenen 
Blatternfällen, auf Grund ihrer Beobachtung im Franz Joseph¬ 
spital. Begreiflicherweise drängte sich alles zur Notimpfung, und 
es ist von allgemeinem Interesse, daß dieselbe auch schon bei ein¬ 
getretener Blatterninfektion den Erfolg hatte, die Erkrankung zu 
einer leichten zu machen, ja Mairinger glaubt behaupten zu 
dürfen, „daß die Vakzination die Variolaerkrankung selbst dann 
noch vollständig unterdrücken kann, wenn sie ein bis zwei Tage 
nach erfolgter Infektion mit Erfolg vorgenommen wird“. Auch 
schafft die Vakzination, nur einmal in der Jugend vorgenommen, 
eine gewisse Anwartschaft auf leichteren Verlauf der Variola, wie 
aus den beigefügten Tabellen hervorgeht. 

Sämtliche 33 Todesfälle erfolgten unter schwerer Herzinsuffi¬ 
zienz. und auch die Genesenen, soweit sie schwerer erkrankt 
waren, zeigten meist als schwerstes Symptom akute Herzschwäche. 

F. von den Velden. 

3. Die großenteils polemische Arbeit zeichnet sich durch die 
vorsichtige Zurückhaltung aus, mit der die Leistungen der Aerzte in 
der Beimteilung und Behandlung der Trinker eingeschätzt werden. 
Es ist für den Arzt schwer und oft unmöglich, zu entscheiden, 
ob sinnlose Trunkenheit Vorgelegen hat; die meisten Trinker be¬ 
dürfen keiner Behandlung, und es ist fraglich, ob die Resultate 
der Trinkerheilanstalten viel besser sind als die der Gefängnisse; 
jedenfalls kann man auf einigermaßen dauernde Erfolge nicht 
rechnen, wenn die Entlassung unbedingt und ohne Kautelen für 
die Zukunft erfolgt; die Bekämpfung der Trunksucht und der 
Trinkgewohnheiten wird mehr erreichen als die das einzelne 
Individuum betreffende Alkoholentziehung. Dies sind etwa die 
Grundgedanken des lesenswerten und inhaltsreichen Aufsatzes. 

F. von den Velden. 

4. Die Arbeit bringt ein mit auffallendem Licht auf genommenes 
Mikrophotogramm eines blutigen Messers, an dem, obgleich seine 
Verwendung drei Jahre zurückliegt, wohlerhaltene Blutkörper zu 
bemerken sind. Zur Aufnahme hat der Leitzsche Opakilluminator 
gedient, der die auffallende Beleuchtung des Objektes in der Blick¬ 
richtung durch eine seitlich oberhalb des Objektivs angebrachte 
Linse nebst durchsichtigem Glasspiegel ermöglicht. Die Einfach¬ 
heit des neuen Verfahrens sowie der Vorteil, daß die Blutspur 
durch die Untersuchung nicht zerstört wird, leuchtet ein. 

Mit Recht hebt K. hervor, daß die Möglichkeit, im auffallen¬ 
den Licht zu mikroskopieren, für die Mikroskopie überhaupt neue 
Aussichten eröffnet. F. von den Velden. 

5. Lewandowski betrachtet die von jeher üblichen heißen 
Applikationen bei inneren Krankheiten vom Standpunkt der Bier- 
schen Stauung und sucht sie dadurch auch demjenigen, dem die 
bloße Empirie widerstrebt, näher zu bringen. Er bevorzugt die 
wiederholte akute Hyperämie und bringt sie durch heiße 
Teilbäder (bis 50°) und heiße Kompressen oder Kataplasmen, 
event. auch durch Heißluftbäder, hervor. Mit Uebergehung der 
allgemein' mit diesen Hilfsmitteln behandelten Affektionen seien 
nur einige weniger bekannte Anwendungen, die er empfiehlt, hier 
erwähnt. 

Bei Herzkranken wendet er heiße Fuß- und Handbäder in 
jedem Stadium an, besonders bei Angina pectoris. 

Um bei Lungentuberkulose Hyperämie der Lungen hervor¬ 
zubringen, bevorzugt er die Atemgymnastik. (Man kann diese 
auch als verstärkten Gebrauch des erkrankten Organs betrachten 
und wird dadurch aufmerksam darauf, daß das beste Heilmittel 
starker Gebrauch ist, der nur, wo er nicht möglich, durch seine 
Begleiterscheinung, die Hyperämie, ersetzt werden muß.) In 
gleichem Sinne behandelt L. die offene Knochentuberkulose mit 
heißen Kamillenbädern. 

Ekzeme behandelt er mit heißen lokalen Bädern und ver¬ 
mutet, daß auch die Wirkung des Teers u. a. auf der Hyperämie 
beruht. 

Kalte Hände und Füße, das weitverbreitete Uebel der stuben¬ 
sitzenden Kulturmenschheit 1 vertreibt er durch häufige und kon- 


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282 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU; 


sequent durchgeführte lokale Bäder; ebenso Schweißfüße und 
-bände. 

Heiße lokale Bäder verwendet er auch bei Anämie , Gicht 
und Diabetes. F. von den Velden. 

6. Es ist ein großer Unterschied, oh die Todesursache für 
den Arzt und Statistiker, den Richter, die Versicherungsgesell¬ 
schaft oder für den Laien formuliert wird. Der Arzt sollte des¬ 
halb häufiger, als es nach Orths Erfahrung der Fall ist, be¬ 
denken, für wen er die Todesursache feststellt, und dabei alle 
Schablone vermeiden. Einige interessante Beispiele mangelhafter 
und irreleitender Bezeichnungen der Todesursache illustrieren das 
Gesagte. 

Bemerkenswert im Munde eines pathologischen Anatomen ist 
das Geständnis, daß dieser, wenn ihm die klinische Beobachtung 
nicht bekannt sei, in der Regel ein vollständiges Urteil über die 
Todesursache nicht abgeben könne, ja zuweilen überhaupt keines» 
Auch hierfür wird ein lehrreiches Beispiel gebracht. 

F. von den Velden. 


Mitteilungen über Arzneimittel. 


Referate. 

Referent; Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. Solurol. Von Dr. Linke. Therapeut. Neuheiten, 1908, 
März. 

2. Zum Verbote des Verkaufs von Aspirin (und Veronal) 

durch Drogisten. Von G. Zeitschr. f. neuere physik. Medizin 
1908, Nr. 5. ’ 

3. TJeber Jodglidine und praktische Erfahrungen mit dem¬ 

selben. Von Dr. Steins b erg. Allgem. möd. Zentral-Zeitn, 
1908, Nr. 12. ö '’ 

4. Untersuchungen über die Desinfektionswirkung des 

Autans, Von Dr. Krombholz. Wien. klin. Wochenschr., 1908 
Nr. 12. * 

5. Die Behandlung der schweren Ankylosen der Gelenke 
mit Fibrolysin. Von Dr. Gara. Ibidem. 

6. Neuere Arzneimittel: Sublamin und Lezithol-Riedel. Von 

Dr. Zikel. Zeitschr. f. Neuere physik. Medizin, 1908, Nr. 6. 

7. Versuche mit Pädotheon. Von Dr. Lehre ck’e. 

1. Auf der alten Grundlage, daß die im menschlichen Körper 
kreisenden oder daselbst abgelagerten Harnsänrepartikelehen, die 
Mononatriumurate, durch die Gichtmittel ebenso aufgelöst werden 
wie in vitro — entgegen neueren Theorien, die diese An¬ 
nahme in Abrede stellen und im Gegenteil Zufuhr von reinem 
Wasser oder von Salzsäure für indiziert halten — ist auch ein 
neues Antiarthritikum aufgebaut, nämlich das Solurol. Dasselbe 
besteht aus Nukleotinphospkorsäure und ist ein braungelbes, nur 
in Wasser, nicht in Alkohol und Aetker lösliches, schwach saures, 
geschmackloses Pulver. Ln Reagenzglase löst es bei Lufttempe¬ 
ratur die gleiche Menge Harnsäure. Von Fenn er und Blut 
wurden beim Menschen Nachlassen der Gichtschmerzen und Ver¬ 
mehrung der Harnsäureausscheidung beobachtet. Schittenhelm 
und Bend ix berichten Mißerfolge. Der Verfasser hat seit 1905 
bei vielen Patienten treffliche Erfolge erlebt. Die Firma Max 
Elb, G. m. b. H., in Dresden liefert die bekannten kleinen Original¬ 
glasröhrchen zu je 21 Tabletten (ä 0,25 g Solurol) für den leider 
sehr hohen Preis von 5 M. Allerdings braucht man täglich nur 
dreimal eine Tablette zu nehmen und nur in schweren Fällen 
das doppelte. Alkohol soll während der Kur vermieden werden, 
da sonst der Spaltungsprozeß in die Komponenten zu früh eintritt. 
L. empfiehlt das Mittel zum Versuch. 

2. Im Dezember vorigen Jahres wurde vom Reichskanzler 
eine Verordnung erlassen, nach welcher vom 1. März d. J. ab 
Aspirin (bzw. Azetylsalizylsäure) und Veronal (bzw. Diaethylbarbitur- 
säure) zum „Feilhalten und Verkaufe außerhalb der Apotheken“ 
ausgeschlossen sind. Da von den Drogisten dagegen die Harm¬ 
losigkeit des Aspirins in den Vordergrund gestellt wurde, dürfte 
eine Zusammenstellung über die unangenehmen Nebenwirkungen 
des Aspirins, wie sie auf Grund der Literatur in der Zeitschrift 



für neüefe physikalisöhe Medizin Veröffentlicht wird) :auöh für 
Unsere Leser von Interesse sein. _ 

Zunächst beobachteten Rospil utd Gazßrt (nach eifleiü 
Berichte von Wielsch in der Wiener med.' Presse, 1902, Nr-. 5) 
in mehreren Fällen kurz nach der Darreichung von Aspirin Kollapse 
mit bedrohlichen Erscheinungen. Eiü eigenartiges Krankheitsbild 
nach Einnahme von 1 g Aspirin bemerkte der Harzburgör Arzt 
Dr» Franke (Münch, med. Wocheüschn, 1903j Nr. 3Ö) an sich 
selbst. Etwa eine Viertelstunde, nachdem er das Medikament, 
welches er sonst gut Verträgen, genossen hatte, traten bei,ihm 
Schwellungen im Gesicht und heftige Schluckböschwerden auf, 
während die Atmung beschleunigt Wurde Und „ der Puls auf 
160 Schläge in der Minute stieg. Nach 20 Minuten schwanden 
diese beängstigenden Erscheinungen, gleichzeitig aber entstand 
plötzlich auf dem ganzen Körper ein quaddelartigbr, juckender 
Ausschlag, welcher ungefähr eine Stünde anhielt Und durch eine 
starke Transpiration abgelöst wurde. Mit ihr war die heftig ein 1 
setzende Erkrankung erloschen. Im Harn fanden sich große 
Mengen Phenol. Franke nimmt ‘ als Ursache des den sonst 
beobachteten Aspirinvergiftungen nicht gleichenden Krankheits¬ 
bildes an, daß das Aspirin mit den kurz vor seinem Gebrauche 
genossenen Nahrungsmitteln eine Zersetzung im Magen, ein- 
gegangen sei, aus welcher eine Phenolverbindung gebildet und 
sofort resorbiert worden wäre. 

Im vergangenen Jahre wurden mehrere Aspirinvergiftungen 
publiziert, so von Thesen, Otto, Meyer, Winkelmann, 
Franke und Hirschberg. In den publizierten Fällen dauerten 
die Intoxikationserscheinungen einen Tag und waren die Folgen 
von 1 g Aspirin*. Thonisen beschreibt in den Theräp s Monats¬ 
heften, 1904, Nr ; öl, öineii Fäll, wo nach Einnahme von zehnmal 
0,3 Aspirin in drei Tagen ödömatöse Schwellung des Gesichts mit 
nachfolgender Blasenbildung auf trat. Ebenso berichtet Eberson 
an gleichem Orte eine Intoxikation nach Verabreichung von nur 
einmal 0,3 Aspirin, die sich in Auftreten eines Erythema oedeiüä- 
tosum äußerte. Ob der gleichzeitige Genüß von Gießhübler 
Brunnen für die Entstehung des Ausschlages etwa verantwortlich 
zu machen ist, konnte nicht festgestellt werden, 

3. Bekanntlich führen die bei der Jodtherapie zur Anwendung 
kommenden Jodsalze, Kalium, Natrium, Rubidium jodatum infolge 
der überaus raschen Resorbierbarkeit häufig zu Vergiftungserschei¬ 
nungen. Man suchte deshalb durch eine feste Bindung des Jod 
an organische Substanzen, tierisches Eiweiß und Fette, eine Ver* 
langsamung der Jodresorption herbeizüführeD» Aber auch bei dem 
Sajodin ist dies noch nicht völlig gelungen. Nun hat A. Klopfer 
in Leubnitz bei Dresden es unternommen, Jod an das von ihm 
hergestellte Pflanzeneiweiß Glidine zu binden* Dieser Gedanke 
scheint glücklich, wenn man erwägt, daß in dem Tempo, als das Eh 
weiß verdaut wird, dem Organismus Jod zugeführt wird, eine Ueber* 
schwemmung mit Jod also ausgeschlossen erscheint. Im Jod¬ 
glidine ist Jod an ganz nukleinfreies und reizloses Pflanzeneiweiß 
gebunden, wobei der Eiweißcharakter keine Veränderung erfahren 
hat; die Jodverbindung ist aber eine so feste, daß bei Auf kochen 
mit Säuren, bei Behandlung mit Alkalien oder Pepsin kaum freies 
Jod abgespalten wird. Das Präparat ist ein dunkelgelbes, geruch¬ 
loses und fast geschmackloses Pulver, das in Tabletten zu 0,5 
Gewicht, 10% Jod enthaltend, abgegeben wird. Es ist unbegrenzt 
haltbar, in Wasser unlöslich. Prof. Boruttan hat mit dem 
Jodglidine umfangreiche physiologische und Stoffwechselversuche 
an Tieren und Menschen angestellt. Auch Prof. Bickel und 
Geheimrat v. Leyden berichten über sehr günstige Erfolge mit 
Jodglidine, was Prof. Minkowski bestätigt. Auf Grund dieser 
Empfehlungen hat St. das Präparat bei 73 Kranken mit bestem 
Erfolge angewendet. Alle vertrugen es ausgezeichnet und ohne 
jede Nebenwirkung. Es wurden zwei bis sechs Tabletten täglich 
verabreicht,, eine halbe bis eine Stunde nach den Hauptmahlzeiten, 
ohne Rücksicht auf die Diät; (Neuerdings wird auch von Dr! 
Zikel in der Zeitschr. f. neuere physikal. Medizin das Jodglidine 
gelobt. Z. wandte es in drei Fällen an und hat bei sechswöchiger 
Verabreichung von sechs Tabletten pro die Erscheinungen von 
Jodismus nicht beobachtet. Ref.) 

4. K.. berichtet über die im Hygienischen Institut der^Um- 
versität Wien vorgenommenen Untersuchungen mit 'dem von der 
Firma. Bayer & Co. in Elberfeld hergestellten Desinfektionsmittel 


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Original fro-m 

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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Kompresse und Binde sind 
Somit hat man in dem 
Der Vorteil in diesen 


verschiedene Größen aufweist. Die J 
sterilisiert und aseptisch verpackt. 
Päckchen aseptische Verbandmittel. 


Autan. Danach steht das Verfahren mit dem früher gelieferten 
Autan hinter den älteren Methoden der Formaldehyddesinfektion 
entschieden zurück, während das jetzige Präparat, Packung B, 
eindeutige und günstige Resultate lieferte. Ueber die Versuchs¬ 
anordnung und über den Gang des Verfahrens muß der Original- 
nrtikel nachgelesen werden. 

5. Bei sieben Fällen mit Ankylosen bei chronischer Arthritis 
hat G. unter Anwendung von Fibrolysin überraschende V/ir- 
kungen gesehen. So gelang es ihm, nach 17 Injektionen 
hei einem jungen Manne die in Streckstellung völlig ver¬ 
steiften Knie — der Kranke war schon fast zwei Jahre ohne 
Erfolg behandelt worden — um 90° einzubiegen und bei der 
Ellenbogengelenk Versteifung einer Frau, die schon seit einem 
Jahre bestand, nach 17 Injektionen eine Exkursion von mehr als 
60° zu machen. Auch bei den anderen Patienten bestand die 
Versteifung jahrelang; auch hier wurde durch die Fibrolysin- 
behandlung das verdickte Bindegewebe derartig verändert, daß da¬ 
durch die Gelenke für die weitere Behandlung (Balneo-, mediko- 
mechanischo Therapie) zugänglich wurden. Die Technik der Injek¬ 
tionen wurde folgendermaßen gehandhabt: Mit einer 2 g fassenden 
Pravazspritzo wurde der Inhalt einer Phiole (2,3 g) injiziert; und 
zwar war die intramuskuläre Einspritzung der subkutanen völlig 
gleichwertig. Doch warnt G. vor den Injektionen am Arm, da er 
noch nach Monateu schmerzhafte Infiltrate beobachtete. Dagegen 
wurden die subkutanen Einspritzungen an der Rückenhaut sowie 
die intramuskulären an den Glutäi gut vertragen. Nach G.s Mei¬ 
nung sollen die Mobilisierungsversucbe nicht vor der 20. Ein¬ 
spritzung vorgenommen werden. Durch tägliche Injektion kommt 
es zu einer Kumulierung der Wirkung, welche nur günstig er¬ 
scheint. G. hat bei dieser Behandlung Nachteile nie bemerkt. 


fertigen Verbänden liegt darin, daß man nicht 
Schere die nötigen Verbandstoffe abschneiden 


natürlich die Sterilität des Mulls etc. leiden müßte, da man ja 
bei einem Unfall nicht erst seine Hände und die Scheren steri- 


Technische Neuerscheinungen 


lisieren kann, ehe man den'"ersten Verband einem Verletzten 
anlegt. Man braucht jetzt nur einen passenden SchDellverband 
zu nehmen und vorsichtig, ohne mit den Händen die innere 
Kompresse zu berühren, die Hülle zu lösen und den Verband 
aufzurollen, die Kompresse auf die Wunde zu legen und sie 
mit der Binde zu fixieren. Aus der Abbildung ist die Technik 






des Verbandes ersichtlich. Das Fixieren ist äußerst leicht 
mit den beiden Binden möglich. So kann man rasch 
an Armen, Beinen oder am Kopfe, wie aus den Ab¬ 
bildungen ersichtlich, einen Verband anlegen, der allen An¬ 
forderungen, die man an eine „erste Hilfe“ stellen muß, voll¬ 
kommen entspricht. Ein sehr praktischer Verband ist nach 
demselben Prinzip für die Finger von Blume angegeben worden. 
Er besteht aus einem Trikotfingerling mit angesetzter Kambrik¬ 
binde, an deren Ende eine Sicherheitsnadel sich befindet. Der 
Fingerling weist im Inneren eine mehrfache Lage von Ver¬ 
bandstoffen auf, welche wie der ganze Verband einwandsfrei 
sterilisiert sind. Man braucht bei einer Wunde an einem 
Finger nur den Fingerling über den Finger zu stülpen, die 
Binden um das Handgelenk gekreuzt zu führen und zurück 
zum Finger zu wickeln, wo sie sich mit der Sicherheitsnadel 
am Fingerlinge leicht fixieren lassen. Diese fertigen sterilen 
Verbände sind sehr zu empfehlen für alle Verbandkästen, wie 
sie auf der Eisenbahn, in Fabriken, in Unfallstationen und 
Sanitätskolonnen verwendet werden, man kann sie in den 
Kasten mit einer kurzen Gebrauchsanweisung legen und gibt 
damit dem, welcher bei einem Unfall die erste Hilfe leisten' 
will, Gelegenheit, einen wirklich aseptischen Verband anzu¬ 
legen. Diese Verbände werden von der Verbandstofffabrik 
Utermöhlen u. Co. in Cöln a. Rh. fabriziert und in den Handel 
gebracht. W. B. Müller, Berlin. 



Handbuch der physikalisch-diätetischen Therapie 
in der ärztlichen Praxis. Von Dr. Ziegelroth-Zehlen¬ 
dorf. Berlin W 30. Richter. Gr. 8°. 842 S. Preis 16 M. 

„Aus dem Prinzip der Erhaltung der Kraft folgt das Prinzip 
der Erhaltung der Art“, das ist nach des Verf. Anschauung die 
Basis, auf der die „natürliche“, die einheitliche Therapie erwächst. 
Im Gegensatz zu der jetzt noch herrschenden Betrachtungsweise, 
die „gegen die 1000 verschiedenen Krankheiten“ 1000 Spezifika 
sucht, will die von Ziegelroth und seinen Gesinnungsfreunden 
vertretene Lehre die Selbsterhalt.ungstätigkeit des Orga¬ 
nismus studieren und sie durch die ihr adäquaten Mittel zu unter¬ 
stützen und zu regeln suchen. 

Nach einer in diesem Sinne gehaltenen Einleitung werden 
die erwähnten Mittel der Reihe nach besprochen: Die Wasser¬ 
anwendungen (Packungen, Bäderformen etc.), die Sand-, Moor-, 
Lichtbäder, das Luft- und Sonnenbad, weiterhin die Massage, 
die elektrische und Radiotherapie, die Gymnastik, die Hygiene 
der Kleidung und vor allem die Ernährungstherapie. Namentlich 
die letztere schließt sich, ebenso wie Z.s ärztliche Anschauungs¬ 
weise überhaupt, weitgehend an die Lehren von L ah mann, die 
ja durch die neuere Forschung immer mehr Bestätigung finden, an. 

Im zweiten Teile werden in Form von lose aneinander ge¬ 
reihten Abhandlungen einige ausgewählte Kapitel für die ärztliche 
Praxis besprochen. Zunächst in sehr eingehender historisch-kriti¬ 
scher Weise die physikalisch - diätetische antimerkurialistische 
Therapie der Syphilis und die der Gonorrhöe, sodann die Be¬ 
handlung der Cholera, der Malaria, des Krebses, der Fettleibig¬ 
keit, Gicht und Zuckerkrankheit. Zwischendurch sind Artikel 
über Enteroptose, über die Bedeutung der Typhusbazillen, die 
Impffrage, die Hygiene der Schwanger- und • Mutterschaft und 
über die Schäden der rein medikamentösen und chirurgischen 
Therapie eingestreut. Zahlreiche Abbildungen veranschaulichen 
das Gesagte. 

Die Sprache ist anregend und flüssig und zeugt von großer 


Aus der Schatzkammer des Weltmeers stammt nicht allein der 
Lebertran, sondern auch das leichter einzunehmende und ihn in der Wirkung 
übertreffende Fucol. Für die Therapie der Skrofulosis und Rhachitis be¬ 
deutet die Einführung des Fucols entschieden einen Fortschritt. Man 
verordne Orig.-Flaschen ä J / 2 Liter ä M. 2,—. General-Vertrieb: Karl Fr. 
Tüllner, Bremen. 


persönlicher Erfahrung, Selbständigkeit im Urteil und Belesenheit 
des Verfassers, 

Wenn das Buch auch nicht sehr systematisch ab gefaßt ist, 
so ist die biologische Therapie darin doch ausführlich und an¬ 
schaulich beschrieben. Manche Einseitigkeiten laufen mit unter, 
so z. B. eine, im Gegensatz zu seinem Lehrer L ah mann über¬ 
triebene Pharmakophobie des Verfassers (Z.s Kritik der chemisti- 
schen Auswüchse ist übrigens völlig berechtigt). Trotzdem 
kann aber die Lektüre des Buches wegen seiner mannigfachen 
Vorzüge und Anregungen jedem Arzte nur empfohlen werden. 

Esch, Bendorf a. Rh. 

Die Bedeutung der Alkoholfrage für unsere 
Kolonien. Von Dr. Fiebig, Oberstleutnant des Sanitäts¬ 
dienstes a. D. Berlin 1908. Wilh. Süßerott. Heft 13 u. 14 der 
kolonialen Abhandlungen. 55 S. 0,80 M. 

Das Buch ist die erweiterte Wiedergabe eines Vortrages, 
den F. auf Veranlassung der Deutschen Kolonialgesellschaft am 
25. Juli 1907 auf dem fünften deutschen Abstinententag in-Flens¬ 
burg gehalten hat, und kaun, auch im Hinblick auf die Reichstags¬ 
verhandlungen , allen denen, welche sich überhaupt für Kolonien 
und besonders für die Erhaltung ihrer Eingeborenen, ihres nach 
Dernburg wichtigsten Aktivums, interessieren, nur angelegentlich 
empfohlen werden, dies um so mehr, als F. auf Grund seiner 
reichen Erfahrung eine gewisse Autorität auf diesem Gebiete 
nicht abgesprochen werden kann. Zwar kennt er die deutschen 
Kolonien aus eigener Anschauung nicht, da er aber 1879 bis 
1D00, sodann noch einmal 1902/03 als holländischer Militärarzt 
auf Java, Sumatra und Borneo gedient hat, und die holländi¬ 
schen Kolonien ebenso wie Togo, Kamerun, Ostafrika, Neuguinea, 
Mikronesien und der nördliche Teil von Südwestafrika in den 
Tropen liegen, so können seine Beobachtungen, die er in jenen 
gemacht hat, auch als für diese zutreffend betrachtet werden. 

Wir erfahren, daß hauptsächlich infolge der Trinksitten die 
Krankheitsziffer der Nichtabstinenten bei den meisten lebenswich¬ 
tigen Krankheiten um beinahe die Hälfte höher ist als die der 
Abstinenten. Für unsere Kolonien ist diese Tatsache um so wich¬ 
tiger, als die Völkerstämme des malayischen Archipels überwiegend 
Mohammedaner, wenn auch nicht strenge, sind und daher durch das 
Korangesetz vor dem Alkohol bewahrt bleiben^ die der deutschen 
Kolonien als Heiden dagegen eines solchen Schutzes entbehren, 
sich vielmehr selbst alkoholische Getränke bereiten und gegen 
den importierten Alkohol wehrlos sind. Eine in allen Einzelheiten 
genügende Erklärung des Akklimatisationsprozesses, dem der 
Europäer in den Tropen unterliegt, ist bis jetzt noch nicht ge¬ 
geben , F. versucht eine solche, und wir können nur sagen, daß 
seine Ausführungen überzeugend wirken. Nachdem er diesen be¬ 
sprochen, betrachtet er die Einwirkung des Alkohols auf denselben, 
die Hindernisse für das Sicheinleben des Europäers in den Kolonien, 
den sogen. Tropenkoller, das Tropenklima, die Morbidität * und 
Mortalität unter dem Einfluß des Alkohols in den Tropen und so¬ 
dann die einzelnen Krankheiten (Malaria, Beri-Beri, Cholera, 
Typhus usw.), sowie schließlich die ursprünglichen Trinksitten 
unserer Kolonialvölker (Palmwein und Maisbier) und die Schnaps¬ 
einfuhr. Der gesunde, alkoholfrei lebende, akklimatisierte Euro¬ 
päer ist durchaus imstande, sich in unseren Kolonien körperlich 
und geistig wohlzufühlen und sich in normaler Weise zu betätigen. 
Ein besonderes Schlußkapitel ist dem im ganzen in der ge¬ 
mäßigten Zone liegenden Südwest-Afrika gewidmet. 

Peltzer-8 


Die Anwendung leicht verdaulicher und assimilierbarer Kalkpräparate 
zur prophylaktischen und kurativen Behandlung der Tuberkulose bricht 
sich Bahn. 

Als erprobte Anwendungsform empfiehlt 

Geh. Sanitätsrat Dr. Wattenberg seine „Phosphorkalkmilch". 

Abhandlungen, Prospekte durch 

Dr. Hoffiinaim & Köhler, Harburg, 


F. A. Hoppen ul. R. Fischer 
Patentanwälte 

Berlin SW. 13, Neuenburgerstraße 15 

Amt IV 718. 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. H. Lungwitz, Berlin S. — Verlag: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle a. S. 
Druck der Heynemannschen Buchdruckerei, Gehr. Wolfl^ Halle a. S. 


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Wochenschrift für die gesamte Therapie des praktischen Arztes. 


0. Anton, A. Dührssen, C. A. Ewald, P. Gerber, R. Robert, 
Halle a. S. Berlin, Berlin. Königsberg. Rostock. 

Ad. Schmidt, H. Schmidt-Rimpler, H. Senator, 
Halle a. S. Halle a. S. Berlin. 

" Redaktion: ” ^ 

Berlin S. 14, Dresdenerstr. 44. Tel. IV, 11773. 

Dr. med. et phil. H. Lungwitz. 


Herausgegeben von 



M. Koeppen, M. Messe, K. Partsch, H. Rosin, H. Schlange, 

Berlin. Berlin. Breslau. Berlin. Hannover. 

R. Sommer, H. Unverricht, 0. Vulpius, 

Gießen. Magdeburg. Heidelberg. 


I Verlag u. Expedition. Carl Marhold Verlagsbuchhandlung 
in Halle a. S., Reilstraße 80. 

Tel.-Adr.: Marhold Verlag Hallesaale. Fernsprecher 823. 

V--—_ 


Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte der Ostsee und der 

Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 


II. Jahrgang. Halle a. S., 3. Mai 1908. 


Nr. 18. 


Die „Therape u tische Rundschau“ erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2'M., einzelne Nummer 20 Pf. Bestellungen nehmen jede Buchhandlung, 
die Post, sowie die Geschäftsstelle: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung in Halle a. S. entgegen. Inserate werden für die 4gespaltene Petitzeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. berechnet Beilagen nach Uebereinkunft. Reklamezeile 1,50 M. Bei größeren Aufträgen wird Rabatt gewährt. 

Nachdruck der Original-Aufsätze ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet — Nachdruck der anderen Rubriken ist nur mit Quellenangabe gestattet. 



CU 

ORIGINALIEN. 

CU 


Die Hydriatik der Malaria. 

Von Dr. J. Sadger, Wien-Gräfenberg. 

(Schluß.) 

Ist es nun möglich, auch jene seltenen Malariaformen, 
die dem Wasser zu widerstehen scheinen, wirklich und dauernd 
auszukurieren, und zwar durch dieses Medium allein? Mich 
dünkt diese Frage in einem bejahenden Sinne erledigt seit 
mehr als einem halben Jahrhundert. 

Es hat nämlich Prießnitz, der Medikamente gar niemals 
gab, trotzdem eine jede Malaria kuriert, wenn nur die Kranken 
Ausdauer besaßen. Nach allen mir vorgelegenen Berichten 
hat er in dem wohl schwersten Falle nicht weniger als 
20 Monate gebraucht zu völliger Heilung. Gewöhnlich ge¬ 
nügten zum gleichen Resultate schon einige Wochen, in 
schwereren Fällen drei bis vier Monate. Nun wird man mir 
freilich die Erfolge Fleurys und unserer modernen Hydriater 
Vorhalten, die als wahre Schnellkünstler Malaria kurieren, oft 
mit einer einzigen Prozedur. Ich will die Verdienste all dieser 
Männer durchaus nicht verkleinern, nur sei -betont, daß Prie߬ 
nitz fast immer nur schwere Malariafälle bekam, die allem 
Chinin oft durch Monate und Jahre widerstanden hatten, in 
der Regel Fälle mit vorgeschrittener Kachexie und häufig be¬ 
denklichen Komplikationen. In jener scheinbar so langen Kur 
behob er dann nicht nur die Intermittens — das können wir 
heute ja wesentlich rascher —, sondern alles, was sonst noch 
krankhaft war an jedem Patienten. Daß letztere Leistung 
weit schwerer wiegt und selbst auch heute nicht schneller er¬ 
reichbar ist, wird jeder Leser der Krankengeschichte am 
Ende des Kapitels zugeben müssen. 

Das von Prießnitz in seiner reifsten Zeit geübte Ver¬ 
fahren war folgendes (notariell beglaubigte Aussage der Pauline 
König, ehemals Kindermädchen, von 1843 ab Badedienerin bei 
Vinzenz Prießnitz): „Wechselfieberkranke wurden jedesmal 
vor Eintritt des Frostes, eigentlich schon damals, wenn sich 
die ersten Anzeichen desselben meldeten, dreimal nacheinander 
naß abgerieben. Verging, der Frost nach der ersten Abreibung, 
so unterblieb natürlich die weitere. War Patient sehr schwach, 
so konnte er sich mit dem umgelegten Leintuch während der 
Abreibung auf einen Stuhl setzen, welchen man in der Regel 
zun?, geöffneten Fenster postierte. (Also Andeutung des Luft¬ 
wasserbades.) Während der Abreibung mußte ich auf Geheiß 


des Herrn Prießnitz dem Kranken öfters unter den Arm 
respektive in die Achselhöhle greifen und fühlen, ob die Hitze 
sich einzustellen begann. Trat dieselbe ein, so wurde die Ab¬ 
reibung sistiert und der Kranke ein- bis zweimal kurz, bis 
zur Erwärmung des Leinwandtuchs naß eingepackt, was das 
erstemal 8, das zweitemal 15 Minuten währte, zum Schlüsse 
bekam er ein Halbbad von 16 bis 18°. An den fieberfreien 
Tagen hatte Patient eine nasse Abreibung mit darauffolgendem 
Luftbad, und die Leibbinde mußte kontinuierlich getragen 
werden.“ Dem Festungskommandanten von Olmiitz, der "ihn 
im Jahre 1850 um ein Malariarezept ersuchte, ließ er wört¬ 
lich schreiben (eigenes Diktat): „Beim Wechselfieber werden 
die Kranken an den fieberfreien Tagen früh, wenn sie 
aufstehen, und nachmittag 5 Uhr eine viertel Stunde lang naß 
eingepackt, und wenn sie sehr heiß sind, abgeschreckt ge¬ 
badet, wenn sie weniger warm sind, bloß 5 Minuten lang naß 
abgerieben. Zwischen 11 und 12 Uhr mittags bekommen sie 
eine nasse Abreibung 5 Minuten lang und darauf ein kaltes 
Sitzbad von 20 Minuten; immer eine Leibbinde bei Tag und 
Nacht, viel Wasser trinken und kalte Mil c h, Mehlspeisen 
aber wenig Fleisch genießen. Sehr zweckmäßig 
ist es, wenn man solche Kranke alle Tage mehrere 
Stunden auf einem Wagen fahren läßt," der recht 
stößt. — Wenn das- Fieber ei nt ritt, so bekommen sie 
bei der Kälte mehrere nasse Abreibungen. Zwischen jeder 
nassen Abreibung bekommen sie einen Umschlag auf den Kopf 
und um den Leib, dann werden sie auf das Bett gelegt, bleiben 
6 bis 8 Minuten liegen, dann werden sie wieder abgerieben, 
solange die Kälte dauert. Ist der Kranke nicht zu schwach, 
so bekommt er ein Sitzbad von einer Stunde, wird frottiert 
und das Leintuch mit kaltem Wasser benetzt, wo der Körper 
heiß ist*). Bei der Hitze wird er recht naß eingepackt, wenig- 
bedeckt und einigemal kurz hintereinander gewechselt und in 
abgeschrecktem Wasser gebadet und gewaschen, solange bis 
die kritischen Ausschläge wieder abgeheilt sind und der Kranke 
gut und kräftig aussieht.“ Aus der notariell beglaubigten 
Aussage von Prießnitz’ bestem Badediener sei folgendes 
angeführt: „Als in den Jahren 1849 und 1850 häufig Offiziere 
mit den so hartnäckigen und bösartigen Lagunen- und Thei߬ 
fiebern nach Gräfenberg kamen, kurierte sie Prießnitz alle 
mit dem Luftwasserbade. Da sich die Kälte bei diesen Kranken 
stets regelmäßig um dieselbe Stunde am Fiebertage einfindet, 
so begann man schon 10 bis 15 Minuten vor diesem 
Zeitpunkt mit dem Luftwasserbade und setzte dann so laugt 

*) Dieser Zusatz vom Sitzbad ist etwas unklar. Wie man aus der 
Krankengeschichte dos Baron Uslar-Gleichen am Schlüsse dieses Artikels 
ersieht, befahl Prießnitz öfters, den Kranken nach den Abreibungen oder 
dem Luftwasserbad samt dem umhabenden Leintuch in das Sitzbad zu 
setzen, worin er weiter abgeklatscht, frottiert und übergossen wurde. 


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286 


THERAPE ÜTISCHE RUNDSCHAU. 


' Nr. iS. 


unter beständigem Begießen mit Wasser um den Hals, auf die 
Brust, Achsel und Rücken fort, bis sich beim Patienten die 
Hitze einzustellen begann. Trat dieses Stadium ein, so setzte 
man das Luftwasserbad aus, und der Kranke wurde sodann 
zwei- bis dreimal, je nachdem die Hitze stark war, kurz naß 
eingepackt und danach in Wasser von 15 bis 16° gebadet. 
Da die Fieberkranken während des Luftwasserbades kontinuier¬ 
lich mit Wasser begossen wurden, so mußten sie zu dieser 
Prozedur sich in ein beim offenen Fenster stehendes, ungefähr 
1 m im Durchmesser breites, 20 bis 25 cm hohes, mit Wasser 
von 15 bis 16° gefülltes Schaffel stellen oder auf einen hinein- 
gestellten Stuhl setzeü, damit das von ihnen ablaufende Wasser 
sich nicht auf den Fußboden ergießen konnte. Das zum Be¬ 
gießen des Patienten nötige Wasser schöpfte man gewöhn¬ 
lich aus dem Schaffel selbst.“ Endlich ergänze ich aus gleich¬ 
falls notariell beglaubigten Aussagen zweier anderer von Prieß- 
nitz geschulter Badediener: „Das Luftwasserbad muß solange 
fortgesetzt werden, bis die Hitze kommt (was gewöhnlich eine 
halbe bis eine Stunde dauert), die aber bei diesem Verfahren 
nie sehr heftig auftritt. Während desselben müssen namentlich 
die Füße sehr frottiert werden“ .... „Die Wirkung war eine 
ganz wunderbare, denn die Kranken fühlten sich nach so 
einer Kur respektive Fieberanfall gar nicht ermattet. Be¬ 
merkt sei noch, daß der Kranke bei Anwendung des Luft¬ 
wasserbades nach überstandenem Fieberanfall einen ganz 
ungewöhnlichen Appetit entwickelte und das Ge¬ 
nossene auch gut verdaute. Unterblieb aber einmal die 
für den Kranken besonders im Anfall während der Kälte nicht 
angenehme Kur, so war derselbe müde, schwächer geworden 
und blieb einige Tage ohne Appetit.“ 

Fassen wir nochmals all diese Vorschriften und Berichte 
zusammen, so ergibt sich als Kern nachfolgende Methode der 
Malariabehandlung, wie sie Prießnitz übte: 

a) Im Fieberanfall. Bei den ersten Anzeichen des 
Frostes, besser noch 10 bis 15 Minuten früher, zwei bis drei 
Abreibungen, in schwereren Fällen Luftwasserbad, beide event, 
mit Sitzbad verbunden; bei Eintritt der Hitze gewechselte 
Einpackungen mit nachfolgendem Halbbad. 

b) An den fieberfreien Tagen. Roborierende Be¬ 
handlung, also Abreibung und Leibbinden allein oder kompli¬ 
zierter: Früh und Nachmittag kurze Einpackung mit nach¬ 
folgender Abreibung oder auch Halbbad, Mittag Abreibung 
und Sitzbad, endlich noch Leibbinde, sowie eine Reihe be¬ 
sonderer Vorschriften, auf die ich später noch eingehen werde, 
wie fleischlose Diät, vieles Wassertrinken und im Notfälle 
Fahren im stoßenden Wagen. 

So ist das authentische Verfahren von Prießnitz, wie 
es aus mindestens zwanzig Berichten von Leuten hervorgeht, 
die entweder passiv die Kur durchmachten oder aber aktiv sie 
als Badediener bei vielen Patienten zur Anwendung brachten. 
Ich führe das echte Verfahren von Prießnitz darum so sehr 
umständlich an, weil mich bedünkt, daß selbst noch heute, zu¬ 
mal in ganz refraktären Fällen, die jeder andern Behandlung 
spotten, sowie bei schwerer Kachexie auf seine Lehren zurück¬ 
zugehen sei. und dann weil über jene Methode so viel an Mär¬ 
chen vorgebracht wurde. Mehr weniger entstellt, mehr weniger 
uno-enau und unvollständig ist so ziemlich alles, was über die¬ 
selbe geschrieben wurde. Die modernen Geschichtsschreiber 
der Hydrotherapie begnügen sich beinahe ausnahmslos, das ab¬ 
zuschreiben, was Winternitz 1865 nach mangelhaften Quellen 
in der „Wiener Medizinischen Presse“ angab*). 

" ) Die Hydrotherapie im Wechselfieber“, Wr. Med. Pr. 1865, Nr. 5, 
S. 111. Hier heißt es wörtlich: „Die ursprüngliche Prießnitzsche Methode 
bestand in allmorgendlicher kürzer oder länger dauernder Schweißerregung 
in der Einpackung und der darauffolgenden Abkühlung im kalten Vollbade, 
dem reichlichen Wassertrinken, einer mittäglichen und abendlichen Wasser¬ 
prozedur und tüchtiger Bewegung im Freien. Erst später scheint Prießnitz 
bei seiner Behandlung auch auf die Anfälle Rücksicht genommen zu haben, 
und danach wurde eine Kur gegen die einzelnen Anfälle und eine solche 
o-egen die ganze Krankheit unterschieden.“ Ueber diese spätere Behand- 
funp-sweise sagt Winternitz folgendes: „Zunächst stellte sich die hier in 
Rede stehende Methode die Aufgabe, allenfallsige gastrische Komplikationen 
zu beseitigen. Es wurde dies angestrebt durch die Anordnung sehr reich¬ 
lichen Trinkens von frischem Wasser. Wurde dadurch kein Erbrechen oder 
wenigstens bitteres oder saures Aufstoßen erzielt, in welchem Falle der 


Zwei Punkte bedürfen noch, näherer Ausführung: die 
Malariakachexie mit den Komplikationen, sowie dann endlich 
die Prophylaxe. Die erstere wurde schon mehrfach besprochen. 
Ich will nur betonen, daß in Fällen von schwerer Kachexie 
mir zweckmäßig scheint, im allgemeinen das anzuwenden, was 
Prießnitz dem Festungskommandanten von Olmütz für fieber¬ 
freie Tage als Behandlung nannte. Also früh und nachmittags 
kurze Einpackung bis zur Erwärmung des Leintuchs (15 bis 
20 Minuten) mit nachfolgendem Halbbad (18 bis 16 °, 5 Minuten) 
oder Ganzabreibung (etwa 10 °, 8 bis 5 Minuten), später auch Voll¬ 
bad (naturkalt 5 Sekunden); vormittags die nämliche Abreibung 
mit einem ganz unmittelbar anschließenden Sitzbad von 14 bis 16° 
und 5 Minuten Dauer. Auch Duschen sind später mit Nutzen 
zu brauchen, und zwar in ebenderselben Weise, wie oben im 
einzelnen Anfall beschrieben. Hingegen scheint mir wenig 
geeignet, was Ziegel roth. für die Kachexie empfahl: . den 
Kranken periodisch schwitzen zu lassen*). Neben dieser 
hydriatischen Therapie ist natürlich auch stets Gebirgs- oder 
La,ndluft anzuraten und vorwaltend wenigstens fleischlose Kost 
(süße, noch besser saure Milch, Milch- und Mehlspeisen, Schrot¬ 
brot mit Butter und Honig, Gemüse, Obst, später eventuell 
auch Eier und Pilze). Den Nutzen einer solchen auf Fleisch 
verzichtenden, blanden Diät vermögen wir jetzt noch wenig 
zu deuten, doch hat die Erfahrung sie sanktioniert**). Und 


reichliche Wassergenuß noch* einige Zeit fortgesetzt werden mußte, so wurde 
zu Klysmen von 15—16° Wasser geschritten, bis reichliche Stuhlentleerungen 
eintraten, die sodann durch Wiederholung der Klistiere und fortgesetzten 
Wassergenuß durch 1—2 Tage erhalten wurden. Charakteristisch ist 
das Verfahren, wie Stühle oder Erbrechen bei etwas obstinateren Kranken, 
deren Darm oder Magen den obigen Prozeduren nicht parieren wollten, er¬ 
zwungen wurden. Der Kranke wurde auf zwei bis drei Stunden in 
ein Halbbad von 12—15° R gebracht, und während der ganzen Zeit mußte 
er sich den Unterleib kräftig frottieren, während zwei Badediener dieses 
Geschäft an den übrigen Körperteilen besorgten. Eine anstrengende Be¬ 
wegung im Freien nach dieser Prozedur, höchstens eine Wiederholung der¬ 
selben an dem nächsten Tage, soll die gewünschten Entleerungen fast 
immer herbeigeführt und in manchen Fällen auch die Fieberanfälle beseitigt 
haben“. Für diese kuriosen Anordnungen habe ich in der verläßlichen 
Wasserliteratur (die von Winternitz zitierten Autoren Weiß, Rötel, 
Plitt und Schmitz sind wenig verläßlich!) keine Belege finden können, 
ebensowenig in den Aussagen der Badediener aus der Prießnitzzeit. Schon 
in den 30er Jahren hat Prießnitz nach zeitgenössischen Büchern sich 
jener Gewaltmaßregeln, inklusive des fiebererzeugenden Halbbads, gewiß 
nicht bedient, sondern nur der oben im Texte angegebenen Kurmethoden, 
die Winternitz schließlich, wenn auch nicht erschöpfend, doch im großen 
und ganzen richtig zitiert. Dies bestätigen endlich noch Prießnitzens Origi¬ 
nalvorschriften auf Krankenbriefe, die er in seinen letzten Lebensjahren 
empfing und beantwortete. Kein einziger Kranker, der um Rat anfragte 
— und es sind nicht wenige, die Hilfe gegen Malaria suchten —, erhielt 
eine Vorschrift, die jene von Winternitz erzählten Dinge nur von ferne 
streift. Vielmehr variieren sie ohne Ausnahme jene Verordnungen, die ich 
oben im Text anführen konnte. 

*) Hier will ich den alten Erfahrungssatz einschieben, daß jede hydria- 
tische Allgemeinprozedur, die man aus anderen Gründen verordnete, auf 
latente Malaria geradezu provozierend wirkt, wahrscheinlich dadurch, daß 
direkt oder reflektorisch die Milz zu energischen Kontraktionen angeregt 
und die in ihr deponierten Parasiten in die Blutbahn geschleudert werden, 
worauf sie ihren üblichen Entwicklungsgang durchmachen und so das Wechsel¬ 
fieber produzieren. Daraus erklärt sich die weitere Beobachtung, daß die 
erste Wirkung der Hydriatik bei Malariakachexie nicht selten eine Häufung 
der Anfälle ist, also eine scheinbare Verschlimmerung. Zu beachten ist 
auch, daß viele solcher Kachektiker gegen Kälte äußerst empfindlich sind 
und oft auf geringfügige Kälteprozeduren Fieberanfälle bekommen ähnlichen 
jenen der Intermittens, doch durch den atypischen Verlauf und den steten 
Mangel an Plasmodien von ihnen unterschieden. Wie Straß er meint, 
kommt der Malaria- und Ohininkachexie eine Störung der Wärmeregulation 
zu, so daß die Patienten eine derartige Labilität besitzen und auf Kälte in 
der angegebenen Weise reagieren. Diese Empfindlichkeit verlieren die 
Kachektischen erst langsam während einer Wasserkur. 

**) Dasselbe gilt auch vom Fahren in einem recht stoßenden Wagen 
(Wao-en ohne Federn, Bauern wagen), also einer Art von natürlicher Vibra¬ 
tions-Massage. Darüber erzählte Josef S chindler mündlich noch folgendes: 
„Kamen Wechselfieberkranke nach Gräfenberg und konnte Prießnitz die 
Krankheit mit den üblichen Prozeduren nicht bezwingen, so ließ er die 
Patienten, mit Kreuzbinden versehen, einmal des Tages ein bis zwei Stunden 
im stoßenden Wagen spazierenfahren. Das half meistens. Einen Fall er¬ 
lebte ich selbst. Frau Hauptmann Luxardo hatte schon längere Zeit das 
zweitägige Fieber und kam ganz herabgekommen nach Gräfenberg. Als 
nach einiger Zeit die verordneten Mittel keine Erfolge brachten, erinnerte 
ich mich, wie Prießnitz derartige Kranke ausnahmsweise behandelte, und 
beschloß,’ den Versuch mit Frau Luxardo am nächsten Fiebertage zu machen. 
Der Frostanfall stellte sich stets um 9 Uhr Vormittags ein. Sphon um 
5 Uhr früh ließ ich die Kranke aus der Bettwärme gut naß abreiben, und 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


zwar gilt dies nicht bloß für die Tropen, sondern auch in 
unseren Breitegraden. 

Pur die Komplikationen hat seinerzeit Fleury eine Reihe 
von Vorschriften aufgestellt von Indikationen und Gegen¬ 
anzeigen, die heute so ziemlich alle überholt sind. Bei ein¬ 
zelnen dieser Komplikationen, z. B. Bronchitis und hysterischen 
Begleitsymptomen, sehen wir oft, daß sie mit der Heilung des 
Fiebers verschwinden, ohne daß man sie irgend zu behandeln 
brauchte. Die anderen sind nach den gewöhnlichen Regeln zu 
kurieren. Hervorzuheben ist bloß das eine, daß kaum je 
Gegenanzeigen bestehen für die Hydrotherapie auch der Kom¬ 
plikationen. 

Was die Prophylaxe in Malariagegenden anbelangt, so ist 
dieselbe ziemlich identisch mit dem abhärtenden Verfahren 
überhaupt: also etwa Abreibung mit Wasser von 10 bis 12° 
(8 bis 5 Minuten), kräftiger Allgemeinregen (15 bis 80 Sekunden), 
Tauchbad von 10° (5 bis 10 Sekunden), event. auch Halbbäder 
von 18 bis 16° und 8 bis 5 Minuten Dauer, daneben die drei- 
bis vierstündlich gewechselte feuchte Leibbinde. In praxi emp¬ 
fiehlt sich am meisten die triefende Ganzabreibung, weil diese 
das wenigste Wasser benötigt und auch die Wanne oder 
Duschevorrichtungen unnötig macht. 

In der vorstehend angegebenen Art wird man einer 
jeden Malaria Herr, und zwar bloß auf physikalischem Wege. 
Wenn Mannaberg jüngst zu dem Schlüsse kam: „Heute 
kann man die Bestrebungen, das Chinin durch Wasserbehand¬ 
lung zu ersetzen, als abgetan bezeichnen“, und sie nur als 
Hilfsmittel gelten lassen will, muß ich nochmals betonen, daß 
erstens schon heute die Wasserbehandlung für eine Reihe von 
Intermittensfällen ganz unumgänglich geworden ist und es 
zweitens in Zukunft, unterstützend wie als Alleinbehandlung, 
noch' mehr sein wird, so sie die Aerzte nur einmal allgemein 
kennen. 

So w r äre die Malariawasserbehandlung bis in das kleinste 
Detail erschöpft. Doch halt, uns fehlt ja das Wichtigste noch, 
was wertvoller ist denn alles Kurieren! Wo bleibt die er¬ 
lösende Theorie, welche erst die echte Wissenschaft. macht? 
Was ist denn die ganze Heilung wert, wenn wir sie nicht 
ordentlich ausdeuten können! Ein jedermann weiß, ein Ei, 
das nicht richtig begackert wird, ist im Grunde genommen 
überhaupt kein Ei. Zwar wissen wir nicht das Geringste 
darüber, wie sich die Dinge in Wahrheit verhalten, doch kann 
man sich dazu verschiedenes — denken. So dachte z. B. 
Julius Fodor an reflektorische Wirkungen des Wassers von 
der Haut auf die wärmeregulierenden Zentren, in weiterer 
Linie an Phagozytose und hydriatisch gesteigerte Toxinaus¬ 
scheidung. Dann kam wieder Strasser und baute eine andere 
hübsche Theorie. Er will uns beide Momente erklären, die 
Kupierung des einzelnen Anfalls für sich und die Heilung der 
Malaria im allgemeinen. Im Anfall bestehe, wie beim Fieber 
überhaupt, eine starke Wärme- und Wasserretention, der 
Schüttelfrost selbst sei nur ein ideales Zurückhaltungsfieber. 
All dies hydriatisch gründlichst zu beheben, sei uns ein 
Leichtes. Die dauernde Wirkung erklärt er dann so: Es 
würden durch kräftige Wasserprozeduren die stark geschwächten, 
dem Untergang geweihten, plasmodienhaltigen Erythrozyten 
vorzeitig zum Verfall gebracht, ehe noch das Fieber ausgelöst 
' worden. Die Plasmodien nun, herausgeschleudert aus ihren 
Wirtszellen, müßten notwendig zugrunde gehen durch Phago¬ 
zytose oder auch durch stark gesteigerte Oxydation in der 
Blutbahn allein. Nun falle der Beginn der Sporulation mit 
dem des Schüttelfrostes meistens zusammen, und andernteils 
sei die Entstehung der supponierten Toxine an die Sporulation 
unleugbar gebunden. Bringe man jedoch die roten Blutkörper¬ 
chen zum Zerfall, ehe es zur letzteren noch gekommen, so 
wäre damit ein doppelter Gewinn erzielt: die Kupierung des 
Anfalls, da außerhalb der Zelle eine Sporulation nicht statt¬ 
fahr sie, versehen mit einer Kreuzbinde, im offenen Wagen nach Walden¬ 
burg. Nach ihrer Rückkehr erzählte sie mir, freudig erregt, daß sich das 
Fieber nicht eingestellt habe und sie sich ganz wohl befinde. Wir wieder¬ 
holten diese Kur und Spazierfahrt, die ihr sehr gut anschlug, so daß sie 
nach einiger Zeit geheilt war und Gräfenberg verlassen konnte. Seit jener 
Zeit sind Jahre verflossen, ohne daß ein Rückfall gekommen wäre.“ 


finden kann, und zweitens gehe durch diesen Ausfall eine 
ganze Generation von Miasmen zugrunde. Nicht ganz so 
kompliziert und „wissenschaftlich“ denkt endlich noch Ziegel- 
roth. Das kalte Wasser sporne aufs höchste die natürliche, 
parasitentötende Kraft des Serums, der Gewebe, der Zellen, 
kurz des ganzen Organismus an. „Das kalte Wasser wirkt 
wie ein Peitschenhieb, der den Organismus zur höchsten An¬ 
spannung seiner Reaktionskraft treibt.“ Dazu noch die Meh¬ 
rung der Leukozyten sowie der Alkaleszenz des Blutes — mein 
teures Herz, was begehrst du noch mehr? „Nun muß sich 
alles, alles wenden!“ Im Ernste gesprochen, wissen wir von 
all diesen Dingen nichts. Wir sehen die Wirkung, kennen 
die Bedingungen, an die sie gebunden; wieso und warum das 
Wasser aber wirkt, davon ist schlechterdings gar nichts bekannt. 
Auch daß die Heilung durch jede energische Wasserprozedur 
in nä mli cher Weise erzielt werden kann, macht ihr Verständnis 
wahrhaftig nicht leichter. Das einzige, wirklich ganz sicher 
Gestellte ist die konstante Verkleinerung der Milz durch auf 
sie gerichtete Kältereize. Das ist unser ganzes tatsächliches 
Wissen. 

An paradigmatischen Krankengeschichten besitzen wir eine 
erkleckliche Auswahl. Die meisten hat Fodor bisher publi¬ 
ziert, gesammelte Fälle und eigne Beobachtung (Blätter für 
klinische Hydrotherapie, 1892, Nr. 8 und 9). Man mag die¬ 
selben am angegebenen Orte nachlesen. Hingegen sei hier 
noch am Schlüsse ein schwerer Fall, den Prießnitz kurierte, 
in voller Breite wiedergegeben, wie er in notariell beglaubigtem 
Text mir Vorgelegen hat., 

..Ich, Otto Freiherr von Uslar-Gleichen, k. k. Hauptmann 
und Gutsbesitzer in Demethe, Saroser Komitat. bin am 29. No¬ 
vember 1822 in New-York geboren. Im Alter von 16 Jahren 
kam ich in das Land meiner Väter nach Hannover und trat 
nach Verlauf etlicher Monate in die österreichische Armee als 
Kadett ein. Gegen Ende des Jahres 1848 bekam ich als 
Leutnant in Mantua infolge von Verkühlung das. Mantuaner 
Sumpffieber in hohem Grade. Dasselbe stellte sich unregel¬ 
mäßig ein. Bei jedesmaligem Fieberanfall gaben mir die 
Militärärzte 18 Gran Chinin und einmal, als ich von einer 
heftigen Aufregung verbunden mit Kopfkongestionen befallen 
wurde, ließ man mir auf Anraten eines italienischen Arztes zur 
Ader. Nach mehrmonatlichem nutzlosen Medizinieren, und 
nachdem ich bereits entsetzlich herabgekommen und geschwollen 
(wassersüchtig) war, keinen Appetit hatte, mit einem Mort, 
sterbenskrank darniederlag, rieten mir die Aerzte im Sommer 
1849 als letztes Mittel Luftveränderung an. Das war bei 
meinem Zustand leichter gesagt als ausgeführt. Unter vielen 
Beschwerden gelangte ich bei meinem Verwandten, dem Baron 
Münchhausen in Schwedelsdorf (Grafschaft Glatz in Preußen) 
an. Da ich aber die Fieberanfälle auch während meines 
dortigen Aufenthaltes in reiner, gesunder Gebirgsluft bekam, 
so fing mich der Hausarzt wieder mit Chinin zu behandeln an. 
Es war aber alles vergebens; das Fieber wollte trotz Chinin 
und Luftveränderung nicht ausbleiben. Wie ich nun schon 
ganz verfallen war und selbst der Hausarzt an meiner Genesung 
zu zweifeln begann, riet mir die eben zu Besuch anwesende 
Gräfin Magnis (eine Schwester des damaligen österreichischen 
Ministers Grafen Stadion, der eben um diese Zeit zur Kur in 
Gräfenberg weilte), die Prießnitzsehe Wasserkur zu ge¬ 
brauchen. Ich folgte ihrem Rate und trat meine Reise nach 
Gräfenberg am 29. März 1850 an. Als ich den Weg von 
Freiwaldau nach Gräfenberg im Schlitten hinauffuhr, traf ich 
am sogenannten Hamburger-Steig mehrere Kurgäste, darunter 
auch meinen späteren Schwager Albert von Ujhazy, welcher, 
als er mein elendes Aussehen sah, zu den übrigen Herren der 
promenierenden Gesellschaft sagte: „Da kommt wieder ein 
Halbtoter an.“ — Auf dem Gräfenberge angekommen, wurde 
mir ein Zimmer im Steinernen Haus an- und der noch lebende 
Badediener Anton Kliffe zugewiesen. Bei der Konsultation 
mit Herrn Prießnitz sagte dieser schließlich zu mir: „Morgen 
in der Frühe bekommen Sie ein Bad. Ich werde bei diesem 
ersten Bade anwesend sein, um zu sehen, ob und welche Haut¬ 
tätigkeit bei Ihnen vorhanden ist, denn von selber hängt haupt¬ 
sächlich das Gelingen der Kur ab.“ Am nächsten Tag früh er- 


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288 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr? ÜÜ 


schien um die bestimmte Stunde Prießni tz, und icb wurde so¬ 
dann gleich in die Badekammer geführt, wo zwei Badewannen 
bereit standen. In der einen befand sich Wasser von 15 bis 
16° B., in der anderen Wanne aber ganz kaltes Naturwasser, 
wie es vermittels Röhren von den Waldquellen zugeleitet wird. 
Ich mußte nun zuerst in das abgeschreckte Bad und' hierauf 
in das kalte, dann wieder in das abgeschreckte. Während 
dieser Prozedur wurde ich vom Badediener am Leibe frottiert. 
Prießnitz befühlte mehrmals meine Haut und erklärte schlie߬ 
lich, daß ich gesund werde. Er verordnete mir sodann folgende 
Kur: Täglich zeitlich in der Frühe nasse Einpackung, 30 bis 
40 Minuten andauernd resp. so langes Verweilen in derselben, 
bis man sich vollständig erwärmt hat. Hierauf Vollbad (Natur¬ 
wasser). ^ In die Badekammer, wo sich das Vollbad, auch 
große Manne genannt, befand, mußte man in der Einpackung 
geführt werden. Dies wurde dadurch ermöglicht, daß der 
Badediener dem Eingepackten die Decke und das nasse Lein¬ 
tuch bei den Füßen öffnete und zurückschlug. Bei der großen 
Wanne angelangt und von der Einhüllung befreit, sprang ich 
rasch in das Vollbad, tauchte nur unter und stieg sofort 
wieder heraus. Den Schluß bildete das Luftbad, welches ich 
durch Zulächeln mit dem Leintuch und unter Mitwirkung des 
Badedieners bewerkstelligte. Beim Luftbad mußte stets das 
Fenster geöffnet werden. — Mittags: ein Sitzbad mit Natur¬ 
wasser und von Vs ständiger Dauer. Im selben mußte ich mir 
beständig den Unterleib tüchtig frottieren. Nachmittags: die¬ 
selbe. Kur wie früh. — Diät: alles was auf den gewöhnlichen 
Kurtisch kam. Auf Befragen, ob auch Schweinefleisch mir zu 
genießen gestattet sei, bejahte dies Prießnitz mit dem Be¬ 
merken: „Wenn Sie einen besonderen Appetit darauf haben 
und es Ihnen gut bekommt und keine üblen Folgen hat, so 
können Sie es essen, aber in der Regel verbiete ich den Fieber¬ 
kranken den Fleischgenuß.“ Zum Frühstück und Nachtessen 
bekam ich nach Belieben süße oder saure Milch und Schrot¬ 
brot. Die Leibbinde mußte ich bei Tag und während der 
Nacht tragen. Mit der Zeit stellte sich ein sehr kritischer 
Ausschlag um den Leib ein. Er bestand aus großen rund¬ 
lichen Flecken von ungefähr einem Zoll Durchmesser mit 
erbsengroßen Eiterpünktchen in der Mitte. Die Ausscheidung 
ans selbem war eine bedeutende und übelriechende. Vor Be¬ 
ginn der Wasserkur hatte ich täglich einen leidlichen Stuhl, 
seit Gebrauch derselben aber hatte ich täglich mehrere, mit¬ 
unter vier Oeffnungen, was auf mein Befinden einen sehr gün¬ 
stigen Einfluß ausübte. Wie schon früher erwähnt, so bekam 
ich die Fieberanfälle nie um eine bestimmte Zeit. Stellte sich 
aber ein leichtes Frostgefühl ein und fingen die Nägel an 
blau zu werden, so wußte ich, daß der Ausbruch des Fiebers 
nicht hinge mehr auf sich warten lassen werde. In diesem 
Vorstadium des Ausbruchs mußte ich nun sogleich auf mein 
Zimmer und nachstehend beschriebene Kur machen. Prie߬ 
nitz ließ mich vollständig entkleiden und wie zu einer Ab¬ 
reibung in ein triefend nasses Leintuch einschlagen. Da ich 
vor Schwäche nicht stehen konnte, so setzte man mich auf 
einen Stuhl zum Fenster, öffnete dasselbe und ließ mich, von 
der frischen Luft angehen (ein Ausdruck des sei. Prießnitz). 
In dieser Stellung wurde ich vom Badediener abgeklatscht und 
zeitweilig mit frischem Wasser um den Hals, auf Schultern, 
Brust und Rücken begossen (Luftwasserbad). Oefter befahl 
Prießnitz dem Badediener, mich samt dem anhabenden Lein¬ 
tuch in das bereitstehende Sitzbad zu setzen, worin ich eben¬ 
falls weiter abgeklatscht und begossen wurde. Nachdem ich 
einige Zeit im Sitzbad zugebracht hatte, wurde ich abermals 
auf den Stuhl gesetzt und diese Wasserprozedur so lange fort¬ 
gesetzt., bis sich die Hitze einstellte, was ungefähr in einer 
Stunde der Fall war. Wenn auch die eben geschilderte 
Wasseranwendung die wohltätigsten Folgen für mich jedesmal 
hatte, so war sie doch für einen so Schwerkranken recht 
deprimierend und der Hang, sich derselben manchmal zu ent¬ 
ziehen, erklärlich. Ließ ich nun zeitweise die Abklatschung 
bei offenem Fenster (Luftwasserbad genannt) aus Bequemlich¬ 
keit oder Leichtsinn aus, so war ich nach dem Fieberanfall 
stets für zwei bis drei Tage recht abgemattet und gegen früher 
schwächer geworden- Machte ich aber die mir für den Fieber* 


anfall vorgeschriebene Kur, so war ich nach demselben un¬ 
geschwächt und der beste'Appetit stellte sich ein. Einmal 
traten während der Mittagstafel die Anzeichen des vorhandenen 
Fieberausbruches ein. Ich entfernte mich aus. dem Kursaal in 
der Absicht, auf mein Zimmer zu gehen und dort den Fieber- 
anfall im Bette zu überstehen. Prießnitz, der seine Kur¬ 
gäste stets im Auge hatte * bemerkte mein Verschwinden, 
schöpfte Verdacht und kam mir sogleich in mein Zimmer 
nach. Natürlich mußte ich sofort aus dem Bette heraus und 
die Kur machen. Nachdem dieselbe vorüber .war,, dankte ich 
ihm wohl herzlichst für seine Gewissenhaftigkeit; denn ver¬ 
säumte ich die Kur nicht, so war mir immer so wohl danach, 
als hätte ich keinen Anfall gehabt. Bei Eintritt der Hitze 
endete das Luftwasserbad und ich wurde dann gewöhnlich 
zweimal nacheinander kurz naß eingepackt. Nach der letzten 
Einpackung folgte unmittelbar eine kürzere oder längere Ab¬ 
klatschung. Den Schluß machte das gewöhnliche Luftbad. 
Ungefähr nach zweimonatiger Kur fühlte ich mich bedeutend 
stärker. Der Unterschied war wirklich ein auffallender, denn 
bei meiner Ankunft in Gräfenberg war ich so elend, schwach 
und geschwollen, daß mir der Schweiß von der Stirn zu rinnen 
begann, als die Kurmusikkapelle, wie damals üblich, einmal 
in der Woche, und zwar am Sonntag bei der Mittagstafel, 
zum erstenmal während meines Aufenthaltes in Gräfenberg zu 
spielen anfing. — Ich mußte mich auf Wunsch des Prießnitz 
viel in frischer Luft aufhalten, doch riet er mir, solange als 
meine Schwäche anhalte, nicht viel Bewegung zu machen. — 
Prießnitz sah auch darauf, daß jeder Kurgast vor und nach 
der Kur Bewegung mache. Zum Behufe der Erwärmung emp¬ 
fahl er solchen Kranken, die nicht viel herumgehen konnten 
oder durften, sich kleine Holzsägegestelle, anzuschaffen, welche 
im Zimmer aufgestellt wurden und zu dem anzustrebenden 
Zwecke dienten. Ich sah solche Holzsägen auch bei Damen 
in Verwendung. Auch das Holzspalten wurde in den ver¬ 
schiedenen Hofräumen und Holzkammern Gräfenbergs und Um¬ 
gebung namentlich von dem stärkeren Geschlecht, der Kur¬ 
gesellschaft sehr betrieben; ebenso das Schneeschaufeln. Er¬ 
wähnen muß ich noch, daß Prießnitz zu mir folgende Worte 
sagte: „Trinken Sie so viel Wasser als Ihnen schmeckt, aber 
nicht mehr, und fahren Sie zeitweise auf einem Wagen ohne 
Federn.“ — So im dritten Monat bekam ich statt des mit¬ 
tägigen Sitzbades die Walddusche von einer halben Minute 
Dauer. — Die Früh- und Nachmittagskur sowie das Luft¬ 
wasserbad bei Eintritt des Fiebers blieb unverändert. Die 
Fieberanfälle fingen aber von dieser Zeit an immer seltener 
zu kommen und blieben schließlich ganz aus, so zwar, daß 
ich Mitte Oktober 1850 nach beinahe siebenmonatlicher Kur 
als geheilt die Anstalt verlassen konnte. Nie mehr bis zum 
heutigen Tage (2. Febr. 1885) hatte ich eine Mahnung an 
mein einst so gefährliches Leiden und befand mich immer 
leiblich wohl. Zu meiner Kurgeschichte habe ich noch nach¬ 
zutragen, daß ich jedesmal nach dem Luftwasserbad einen 
Riesenappetit bekam, viel essen . konnte und mich so stark 
wie vor dem Fieberanfalle fühlte; versäumte ich aber, dasselbe 
aus was immer für einer Ursache beim Fieberanfall zu machen, 
so war ich nach demselben matt, schwächer als früher und 
hatte gar keinen Appetit.“ 


Pflanzliche und menschliche Krankheiten. 

Von Dr. Pr. von den Velden, Frankfurt a. M. 

Die Pflanzenkrankheiten bieten viele Analogien mit den 
menschlichen, die das Verständnis beider befördern, besonders 
im Gebiete der parasitären Erkrankungen. 

Es ist bei den Pflanzen deutlicher als beim Menschen 
daß — von der Wundinfektion abgesehen, die bei den der¬ 
selben verhältnismäßig sehr schutzlos, gegenüberstehenden 
Pflanzen eine gesonderte Stelle einnimmt — die Parasiten nicht 
die ersten Ursachen der Krankheiten sind, sondern gewisser¬ 
maßen die Exekutoren, die ihr Werk beginnen, nachdem das 
Urteil gesprochen, nachdem Gewebs- oder Stoffwechsel- 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


289 


schädigung&u durch atmosphärische oder Ernährungseinflüsse 
gesch.aS.en sind. Und zwar gilt dies nicht mir fiir die para¬ 
sitären Pilze (die bei den Pflanzen etwa die Rolle spielen, wie 
beim Menschen die Bakterien, während diese als Krankheits¬ 
faktoren bei den Pflanzen zurücktreten), sondern auch für die 
größeren tierischen Parasiten, Käfer und Raupen. „Eine sehr 
merkwürdige Disposition für Angriffe von Insekten und para- 
sitärenPilzen zeigen die Bäume, welche aus irgendwelchen äußeren 
Ursachen in der Erzeugung organischer Bildungsstoffe so sehr 
geschwächt worden sind, daß der Zuwachs, d. h. die Jahr¬ 
ringbildung, wenn auch nur vorübergehend, auf den oberen 
Baumteil beschränkt ist. Nach starken, aber nicht vollstän¬ 
digen Entnadelungen der Bäume tritt eine außerordentlich 
große Prädisposition des unteren Stammteils für Angriffe von 
Borkenkäfern, Bockkäfern, den Hallimasch (Agaricus melleus) 
ein, auch die durch Steinkohlenrauch geschädigten Nadelbäume 
erliegen massenhaft dem Agaricus melleus und den Käfern, 
obgleich ihre Kronen noch schön benadelt sind,, und zwar 
deshalb, weil der Zuwachs solcher Bäume in den Wurzeln und 
unteren Stamm teilen infolge der Blatt Vergiftung am ersten 
auf hört.*) „Der lange trockene Winter 1890/91 hat vielfach 
in Deutschland Vertrocknungserscheinungen in Kiefernbeständen 
zur Folge gehabt, bei denen sich nachträglich auch be¬ 
stimmte Pilze ansiedelten“ (ebenda S. 212). „Es ist überdies 
bemerkenswert, daß im Jahre nach der Entnadelung auch die 
sich wieder begrünenden Bäume fast völlig zuwachslos bleiben 
und dadurch der Käfergefahr in hohem Grade anheimfallen“ 
(ebenda S. 282). 

Diese Beispiele lassen sich leicht vermehren, die beweisen, 
daß das primum movens nicht die mit einer petitio principii 
Krankheitserreger genannten Parasiten sind. Dagegen haben 
sie Einfluß auf die weitere Entwickelung der Krankheit, deren 
Form davon abhängt, welcher Parasit sich in die Bresche ein¬ 
drängt — in der Regel werden verschiedene darin ihre Lebens¬ 
bedingungen finden, und es wird von der Natur der Umgebung 
und von Zufälligkeiten abhängen, welcher zuerst zur Stelle ist 
und sich die günstige Gelegenheit zu nutze macht. 

Es ist nicht uninteressant, die Maßregeln, die man gegen 
die Pflanzen-Krankheiten trifft, bei denen Parasiten eine mehr 
oder weniger bedeutende Rolle spielen, mit den entsprechenden 
Maßnahmen gegen menschliche Krankheiten zu vergleichen. 
Dabei sei wiederum das Buch von Hartig (S. 39) zugrunde 
gelegt. 

1. „Erziehung gemischter Bestände, da sowohl die unter¬ 
irdische als auch die oberirdische Ansteckung durch Isolierung 
jedes Individuums derselben Pflanzenart am besten verhindert 
wird.“ 

Diese Maßregel ist nur deshalb nötig, weil alle Kultur¬ 
pflanzen, zu denen bei uns auch die Waldbäume gehören, eine 
abnorme Krankheitsempfänglichkeit zeigen, ebenso wie die 
Kulturpflanze Mensch. Ins Menschliche übersetzt, lautet die 
Maßregel: man dränge die Menschen nicht so sehr zusammen, 
daß die Atemluft und andere Ausscheidungen des einen dem 
anderen schaden, besonders aber sorge man für ausreichend 
große und gesunde Wohnräume der Kranken. 

2. „Wechsel der Pflanzenart auf solchen Böden, in denen 
sich Dauersporen eines Parasiten angesammelt oder Dauer¬ 
myzelien verbreitet haben.“ 

Man reiße verseuchte Wohnungen nieder, in denen epi¬ 
demische Meningitis, Diphtherie usw. sich eingenistet haben. 
Gründlich durch Desinfektion beseitigen kann man sie so wenig, 
wie man einen Boden durch Chlorkalk usw. vor Verseuchung 
retten kann, ohne ihn zugleich für Pflanzenwachstum un¬ 
brauchbar zu machen. 

3. „Vermeidung disponierender Oertlichkeiten, Frostlagen 
usw.“ Diese entsprechen ungesunden, z. B. mit Malaria ver¬ 
seuchten Gegenden; ja man kann zu den disponierenden Oert¬ 
lichkeiten mit Recht auch die Großstädte und die Wirtshäuser 
rechnen. 

4. „Vermeidung der Nachbarschaft von Pflanzen, auf denen 


*; R. Hartig, Lehrbuch der Pflanzenkrankheiten, 8. Aufl., S. 9. 


die Parasiten ihre Zwischenformen zeigen, z. B. Espen und 
Kiefern, Getreide und Berberitze.“ 

Im genauen Wortsinne bedeutet das für den Menschen 
Vermeidung der Intimität mit den Hunden, die die Echino¬ 
kokken, und Vorsicht mit dem Fleisch der Tiere, die Finnen 
beherbergen, in weiterem Sinne Vermeiden des Umgangs mit 
ansteckenden Kranken. Hier ist schon ein Punkt, in dem wir 
weniger günstig gestellt sind als die Pflanzen, denn abgesehen 
davon, daß das praktische Leben uns zur Berührung mit An¬ 
steckungen zwingt, widerspricht die An steck ungsfurcht auch 
unseren Pflichten. Hier ist es gut, sich zu erinnern, daß zur 
Ansteckung zweie gehören, auch ein der Ansteckung Fähiger, 
und daß niemand angesteckt wird, der ihr nicht schon durch 
innere Disposition entgegenkommt. 

5. „Vermeidung aller Verwundungen, welche infektiöse 
Wundkrankheiten veranlassen, z. B. von Aestungen ohne anti¬ 
septischen Verband im Frühjahr und Sommer.“ 

Gegen Verletzungen besonders empfindlich sind nämlich 
die Pflanzen zu Zeiten, wo sie von Saft durchströmt sind, und 
wenn sie an Stellen stehen, die die Austrocknung der Wunden 
verhindern — gerade wie menschliche Wunden sich verschlim¬ 
mern, wenn sie nicht durch Lufttrocknung oder austrocknende 
Verbände begünstigt sind, sondern sich unter durchtränkten, 
nicht rechtzeitig erneuerten Verbänden befinden. Absatz 5 
läßt sich also unverändert in die menschliche Therapie hinüber¬ 
nehmen. 

6. bis 8. „Beseitigung aller pilzkranken Pflanzen und 
Pflanzenteile. Beseitigung solcher Pflanzen, auf denen ein 
heterözischer Pilz wohnt. Ziehung von Isoliergräben bei unter¬ 
irdisch wachsenden Pflanzen.“ 

Wollten wir diese Paragraphen wörtlich hinübernehmen, 
so müßten wir alle die zahllosen infektiösen Kranken isolieren 
oder noch besser begraben, wir sind also auch hier wieder 
weniger gut gestellt als die Pflanzen. Nur haben wir den 
Vorteil, daß unser Kontakt mit Kranken nicht so innig und 
dauernd ist als bei den bewegungslosen Pflanzen, die überdies, 
wenn örtlich vereint, unter den gleichen ungünstigen Be¬ 
dingungen stehen, die der Pilzerkrankung vorgearbeitet haben. 
Wir müssen das Ausrotten der Kranken dadurch ersetzen, daß 
wir unseren Stoffwechsel so lebhaft und gesund erhalten, daß 
uns die Ansteckung nichts anhaben kann. 

9. „Vernichtung aller sporenerzeugender Pilzfrüchte, z. B. 
der Polyporeen und Agarizinen, der Nektriafrüchte usw.“ 

Ist schon bei den Pilzsporen nur ein sehr teilweiser Erfolg 
möglich, so wird er noch geringer bei den Bakterien, an deren 
Ausrottung nicht zu denken ist. Wir sind ja trotz aller An¬ 
strengung nicht einmal imstande, das kleine Operationsfeld 
ganz von Eiterbakterien zu befreien. 

10. „Sterilisierung der dem Saatgut anhaftenden Pilz¬ 
sporen durch heißes Wasser oder Kupferlösungen.“ 

Das wäre schön, wenn wir z. B. die dem menschlichen 
Saatgut anhaftende Syphilis durch Sterilisierung hinwegbringen 
könnten! 

11. „Reinigung des Saatguts von Unkrautsamen.“ 

Ins Menschliche übersetzt: Ausschließung der mit erb¬ 
lichen Krankheiten Belasteten von der Fortpflanzung; oftmals 
vorgeschlagen, aber einstweilen, von schwachen Anfängen ab¬ 
gesehen (dauernd definierte Geisteskranke und Verbrecher), 
völlig utopisch. 

In den Punkten 10 und 11 sind wir wieder erheblich 
schlechter gestellt als die Pflanzen. 

12. „Bestäuben und Bespritzen der Pflanzen mit Schwefel 
oder Kupfermitteln. Weinstock, Kartoffeln, Kiefernschütte.“ 

Hier kommen wir ganz zuletzt auch zur medikamentösen 
Therapie, entsprechend sowohl der äußeren als inneren beim 
Menschen (da es eine innere medikamentöse Therapie bei 
Pflanzen nicht gibt). Sie ist nur bei intensiver Kultur 
unterworfenen Pflanzen (besonders Reben, Obstbäumen, Kar- • 
toffeln), die auf der Grenze der Degeneration stehen, not¬ 
wendig, und nur ein Palliativum, das dazu oft im Stich läßt, 
gerade wie beim Menschen. 

13. „Auswahl zur Kultur von Varietäten unserer Kultur- 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


29Ö 


pflanzen, die gegen gewisse parasitäre Pilze geschützt sind. 
Kartoffelsorten, Weinstockhybride.“ 

Was hier der Züchter tut, müssen wir der Natur über¬ 
lassen, die dafür sorgt, daß die „gegen gewisse parasitäre Pilze 
geschützten“, d. h. noch nicht durch generationenlange Kultur 
degenerierten Individuen (wie es der erst seit kurzem in Kultur 
genommene amerikanische Weinstock ist) sich stärker fort¬ 
pflanzen und eine haltbarere Nachkommenschaft erzeugen. 

Der Grundton dieser Vorschriften zur Unterdrückung der 
parasitären Pflanzenkrankheiten, der freilich nicht hinreichend 
zu Gehör kommt, ist dieser: bringt die Pflanzen unter 
die Bedingungen, # unter denen sie erfahrungsgemäß gedeihen, 
so werden ihnen # die Parasiten nichts anhaben können. Sorgt 
für passenden Boden, für das richtige Maß von Feuchtigkeit, 
haltet, allzu grobe Verunreinigungen der Luft fern und wollt 
nicht Pflanzen, die im Hochgebirge zu Hause sind, auf Meeres¬ 
höhe ziehen, wo sie nach kurzer Zeit degenerieren und den 
Parasiten zum Opfer fallen (wie z. B. die Lärchen, die im Tief¬ 
land anfangs gedeihen, aber bald von zahlreichen ihnen im 
Gebirge fremden Krankheiten befallen werden). . Sind die 
Parasiten erst über eine Pflanze hergefallen, so ist die Therapie 
Flickwerk und die Resultate der Bekämpfung partiell und 
mangelhaft. e 

Die vernünftige Therapie der menschlichen Krankheiten 
dürfte mutatis mutandis dieselbe sein. 


REFERATE. 


Die Quarzlampe in der Dermatologie. 

Sammelreferat von Dr. Friedrich Kalmus, Assistenzarzt 
der Universitäts-Hautklinik zu Freiburg i. Br. 

In der zehnten Nummer des Jahrgangs 1906 der „Deutschen 
med. Wochenschr.“ machte Kromayer die ersten Mitteilungen 
über die von ihm in die Therapie der Dermatologie eingeführte 
und nach ihm benannte „Kromayersche Quarzlampe“. Nach einem 
einleitenden geschichtlichen Ueberblick über die Art und Ver¬ 
wendung des Quecksilberdampflichtes, das 1892 von Leo Arons 
entdeckt wurde und in der Heraeuslampe zur technischen Aus¬ 
führung gelangte, geht Kromayer auf die von ihm unter Mit¬ 
wirkung von Dr. Ktich-Hanau konstruierte Quarzlampe des 
näheren ein. Zunächst gibt er unter Hinweis auf beigefügte 
Abbildungen eine ausführliche Beschreibung dieser Lampe, die mit 
einem Strom von ca. 120 bis 150 Volt und 3 bis 4 Amp. am 
besten brenne, und deren Quarzkörper nach zwei Prinzipien kon¬ 
struiert sei: entweder als „Kipp- oder Hochdrucklampe“, die bei 
Beanspruchung von hohem Volt und niedrigem Amp. sehr sparsam 
brenne, oder als Vorheizlampe“, die bei Bedarf von höherem 
Volt zwar nicht so ökonomisch brenne, dafür aber den Vorteil 
einer größeren Veränderungsfähigkeit des Quarzrohrs biete, wie 
eine solche bei der von ihm konstruierten „Haarlampe“ und 
„Harnröhrenlampe“ von Bedeutung sei. Was die Handhabung 
der Quarzlampe betreffe, so sei sie sehr bequem, als Hand- oder 
Standlampe verwendbar und bedürfe nur eines geringen Auf¬ 
wandes an Wartepersonal, während sie in ihrer praktischen An¬ 
wendung sowohl eine Distanzbelichtung wie auch mittels des vor 
der Lichtquelle angebrachten, ständig gekühlten Quarzfensters eine 
Kompressionsbestrahlung gestatte. Zur Beurteilung des von der 
Quarzlampe ausgesandten Lichtes verglich Kromayer dieses mit 
dem Lichte der Eisen- und Finsenlampe in ihrer reduzierenden 
Wirksamkeit auf Chlorsilberpapier und spricht nach seinen Ver¬ 
suchsresultaten dem Quarzlampenlicht einen außerordentlichen 
Reichtum sowohl an lang- wie kurzwelligen ultravioletten Strahlen 
zu welcher derartig sei, daß dieses das Eisenlicht an Oberflächen¬ 
wirkung um das Doppelte, das Finsenlicht an Tiefenwirkung um 
das Drei- bis Fünffache übertreffe. Als therapeutischen Beweis 
der überlegenen Tiefenwirkung seiner Quarzlampe führt Kromayer 
einen Fall von Lupus squamosus an, der nach zwölfmaliger vergeblicher 
Finsen- und nach zweimaliger vergeblicher Finsen - Reynsitzung 


durch drei Bestrahlungen mit der Quarzlampe zum völligen 
'Schwinden gebracht wurde. Die Verteile der Quarzlampe gegen¬ 
über der Eisen- und Finsenlampe faßt Kromayer in folgenden 
Punkten zusammen: 1. kürzere Belichtungsdauer (die Hälfte der 
Eisen-, ein Drittel bis Fünftel der Finsenlampe), 2. Behandlung 
größerer Flächen, 3. event. mögliche Schleimhautbehandlung, 4. Be¬ 
quemlichkeit für Arzt, Wärter und Patient, 5. Billigkeit des Be¬ 
triebes und der Anschaffung. Als Indikationen für die Quarz¬ 
lampe nennt Kr om ayer mittels Kompressionsbestrahlung: Lupus, 
oberflächl. Kankroid, Naevus vaskulosus und Akne rosazea, pro 
Sitzung 1 / 2 Stunde; mittels Distanzbelichtung: Alopezia areata, 
Ekzeme, hartnäckige luetische Affektionen und Geschwüre, pro 
Sitzung 1 bis 6 Minuten, je nach dem Abstand; zur Schleimhaut¬ 
behandlung: Gonorrhöe, pro Sitzung 5 bis 10 Sekunden bei einem 
Strom von 2 V 2 Amp. Zum Schluß seiner Mitteilungen betont 
Autor, daß diese lediglich die Bekanntgabe der neuen Lichtquelle 
bezweckten, von der er nach ausgedehnterer Anwendung einen 
„siegreichen Einzug“ in unsere Therapie erwarte. 

Man muß sich wundern, daß diese iür die Dermatologie so 
wichtige Publikation relativ geringen Widerhall 'in der Fachwelt 
fand, so daß im Laufe des gleichen Jahres nur einige kurz ge¬ 
faßte Bemerkungen zu Kromayers Artikel erschienen. Obwohl 
dieser seine Mitteilungen nur als vorbereitend, nur als einführend 
in den neuen Gegenstand angesehen wissen will, mußte es doch 
auffallen, daß Autor allein auf Grund chemisch-physikalischer Ver¬ 
suche und daran angestellter theoretischer Erwägungen bereits 
im einzelnen Indikationen für die neue Behandlungsmethode gab, 
an praktisch therapeutisch ausgeprobtem Material aber nur einen 
einzigen Fall erwähnte. 

In diesem Sinne äußerte sich Wich mann-Hamburg zu 
Kromayers Aufsatz, und zwar will er das neue Verfahren nicht 
kritisieren, sondern nur den vom Verfasser auf gestellten unbe¬ 
wiesenen Behauptungen entgegen treten. Wichmann ist der 
Meinung, daß Kromayer den Beweis für seine vielsagenden 
Behauptungen bisher völlig schuldig geblieben sei. Der Tiefen¬ 
wirkung am reduzierten Silberpapier entspräche absolut nicht eine 
analoge im tierischen Gewebe, sondern sie beweise in diesem 
speziellen Falle nur, daß Quarzlichtstrahlen nach Durchsetzung 
von Papierschichten Silberpapier intensiver schwärzten als Finsen¬ 
licht. Weiter bemängelte" er, daß Kromayer als Beweis für 
seine Behauptungen nur einen einzigen therapeutischen Fall er¬ 
wähne, von dem man nichts über event. Dauerheiluhg erfahre, 
und der gegenüber den hunderten von Lupusheilungen durch 
Finsenstrahlen gar nichts beweise. 

In der gleichen Zeitschriftnummer, in der sich Wichmann 
gegen Kromayer wendet, äußert sich auch Schüler-Charlotten¬ 
burg „Zur Frage der Wirkung von Quecksilberdampflampen“. 
Schüler hat ein auf einer Berliner Ausstellung gekauftes Lampen¬ 
gehäuse der Firma Heraeus-Hanau für medizinische Zwecke mit 
Kippzündung und Wasserspülung weiter ausgebildet, sei aber auf 
seine Verhandlungen mit dieser Firma abschlägig beschieden 
worden, da die von ihm zur Konstruktion in Aussicht ge¬ 
nommene Quarzlampe der bereits auf Kromayers „Namen 
patentierten sehr ähnle. Nach dieser einleitenden Bemerkung 
urteilt Schüler über den therapeutischen Wert der Quarzlampe 
im Vergleich zu den übrigen Lichtapparaten. Ohne irgendeine 
nähere Angabe spezieller Krankheitsfälle gibt Autor bei Lupus 
und parasitärer Bartflechte der Finsenbehandlung den Vorzug, 
während bei Naevus vaskulos. und Alopezia areata die Quarzlampe 
gute Dienste leiste, bei Ekzemen und Psoriasis dagegen ohne Er¬ 
folg sei und bei Akne rosazea vom Röntgenlicht an Wirksamkeit 
übertroffen werde. Die besten Erfolge aber erziele die Quarz¬ 
lampe bei der Behandlung der Schleimhäute, da man mit ihr zum 
ersten Male eine Lichtquelle der Schleimhaut direkt applizieren 
könne; jedoch sei die Anwendung bei frischer Gonorrhöe wegen 
eventueller Reizung der Schleimhaut bedenklich. Zum Schlüsse 
dieser sehr allgemein gehaltenen Ausführungen bemerkt Verf. 
noch, daß es ihm gelungen sei, mit Vermeidung der umständ¬ 
lichen Wasserspülung eine Quarzlampe ohne solche zu konstruieren, 
die sofort bei Einstellung des elektrischen Stromes mit einer Licht¬ 
stärke von 2500 Kerzen brenne. Autor will später über diese 
Lampe noch genauer berichten. 


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Wop. den im Jahre 1906 gemachten Veröffentlichungen über 
die Quarzlampe erwähne ich noch die von Schreiber und 
Germ an - Magdeburg: „lieber die Wirkung der Quecksilber- 
quarzglaslampe“. Mit Berücksichtigung der bereits Von anderen 
, Autoren (Kröhne* Diss., Leipzig 1904, und Feldmann, Diss., 
Göttingen 1905) experimentell erwiesenen bakteriziden Wirkung 
der Heraeuslampe suchten die beiden Verfasser dieser Arbeit 
experimentell an Bakterienkulturen die Frage zu lösen, ob die 
bakterizide Kraft der Quarzlampe einzig und allein durch die 
Lichtwirkung der ultravioletten Strahlen zustande käme, oder 
ob bei diesem Vorgang auch die gleichzeitig auftretende, nicht 
unbeträchtliche Wärmeentwicklung sowie der ziemlich starke Ge¬ 
halt an Ozon in statu nascendi von Bedeutung seien. Durch ihre 
Versuche, in denen sie einmal diese beiden Faktoren, Wärmestrali^ 
lung und Ozonwirkung, durch besondere absaugende Vorrichtungen 
auszuschalten suchten, sodann aber auch die Wirkung des Ozons 
für sich auf Bakterienkulturen prüften, glauben sich die beiden 
Autoren zu dem Schlüsse berechtigt, daß die bakterizide Wirkung 
der Quarzglaslampe ihren Grund in einer spezifisch bakteriziden 
Lichtwirkuhg der ultravioletten Strahlen habe. Bezüglich der 
Indikationsstellung für die Quarzlampe schließen sich Schreiber 
und German den Angaben Kromayers an und heben als in 
erster Linie in Betracht kommend hervor: oberflächliche Lupus¬ 
formen und Kankroide, Ekzeme, besonders chronische, Akne, ver¬ 
schiedene Formen von Naevi, Sykosis, Alopezia areata, aber auch 
Haarausfall aus anderen Ursachen; auch bei der Psoriasis des be¬ 
haarten Kopfes und des Gesichtes hätten sie mit der Quarzlampe 
gute Resultate erzielt. Die Belichtungsdauer schwanke je nach 
den betreffenden Prozessen zwischen wenigen Sekunden bis 20 Mi¬ 
nuten. An eine Beeinflussung des Blutes in den Kapillaren der 
Haut sei nicht zu denken, da das Quarzlampenlicht „zu arm an 
tiefer gehenden Strahlen“ sei. Die von Kromayer auf Grund 
seiner Versuche an geschwärztem Silberpapier behauptete, dem 
Finsenlicht überlegene Tiefenwirkung der Quarzlampe erkläre sich 
nach ihrer Annahme aus der oxydierenden Wirkung des reichlich 
entstehenden Ozons. Da das Quarzlampenlicht, wie Kröhners 
Versuche gezeigt hätten, nicht tiefer als höchstens 1 mm in die 
menschliche Haut eindringe, so sei eine therapeutische Wirkung 
bei tiefer liegenden Lupusfällen auch unter Anwendung der 
Drucklinse sehr fraglich. Zum Schluß ihrer Ausführungen venti¬ 
lieren beide Autoren die Frage, in welchem Moment der thera¬ 
peutische Effekt des Quarzlampenlichtes auf Hauterkrankungen zn 
suchen sei. Die bakterizide Wirkung des Lichtes käme schou 
deshalb nicht in Betracht, weil die Belichtungsdauer bei Haut¬ 
krankheiten höchstens 5 Minuten betrage (weshalb? und wie ver 
einbar mit der oben angegebenen Zahl? Der Referent.), eine Zeit 
die zur Abtötung der Bakterien nicht genüge. Doch seien auch 
durch eine längere Belichtungsdauer, wie Versuche anderer er¬ 
wiesen, Tuberkelbazillen nicht abtötbar. Schreiber und German 
glauben daher an Hand der angestellten Erwägungen den thera¬ 
peutischen Effekt der Quarzlampe auf rein chemische Wirkungen 
setzen zu müssen. 

Während die Fachkollegen, wie schon gesagt, zur ersten 
Kromay ersehen Publikation über die Quarzlampe eine mehr ab¬ 
wartende Stellung einnahmen, gaben dessen Anfang 1907 im 
3., 4. und 5. Heft der BerL klin. Wochenschr. niedergelegten 
Darlegungen die Veranlassung zu einer allgemeinen lebhaften 
Behandlung dieses Themas. Kromayer versuchte nämlich 
in diesem zweiten Aufsatze an der Hand eines ausgedehnteren 
Materiales aus seiner Praxis den Beweis für den behaupteten 
therapeutischen Wert der Quarzlampe zu erbringen. Nach einem 
einleitenden zusammenfassenden Vorwort über das Lichtheilver¬ 
fahren im allgemeinen wie über den Finsenapparat und die Quarz¬ 
lampe im besonderen glaubt Verfasser, dieser den Vorzug vor 
jenem geben zu müssen, die eine ebenso bequem anzuwendende 
wie billige Lichtquelle darstelle, bei zur Verfügung stehendem 
Gleichstrom im Sprechzimmer keines großen Nebenapparates, ja 
nicht einmal eines Wärters bedürfe, Kompressionsbehandlung ge¬ 
statte und außerdem das Finsenlicht an Tiefenwirkung übertreffe. 
Zur Illustration der therapeutischen Wirksamkeit der Quarzlampe 
berichtet Kromayer alsdann über seine Erfahrungen aus der 
Praxis, die nur auf solche Krankheitsfälle Bezug nehmen, bei 
denen durch die Quarzlampe Erfolge erzielt wurden, die auf andere 


Weise nicht erreicht werden könnten. In seiner Indikationsstel- 
lnug für die Quarzlampe unterscheidet Kromayer im ganzen sieben 
Krankheitsgruppen: l.Rote Muttermale, 2. Lupus vulgaris, 3. Lupus 
erythematosus, 4. Alopezia areata und pityrodes, 5. Ekzem, 6. Akne 
vulgaris, Furunkel, Sykosis, 7. Teleangiektasien, Akne rosazea, 
Rhinophyma. Bei den roten Muttermalen, die mit den bisherigen 
Behandlungsmethoden nicht oder nur in ganz beschränktem Maße 
mit Hinterlassung von mehr oder weniger entstellenden Narben 
geheilt wurden, dürfe auch die Quarzlampe nicht in allen Fällen 
regel- und kritiklos angewandt werden, sondern die Indikations¬ 
stellung sei hier ganz besonders von den jeweilig vorliegenden 
anatomischen Verhältnissen abhängig. Kromayer will zu diesem 
Zweck folgende drei Gruppen von Naevi unterschieden haben: 
1. große, glatte, unter Glasdruck verschwindende Male von blau¬ 
roter Farbe, deren Hyperämie nur durch die Erweiterung des 
oberflächlichen -kapillaren Gefäßnetzes bedingt wird, 2. mehr 
zirkumskripte, nicht völlig glatte, nur bei sehr starkem Glasdruck 
verschwindende Male von hellroter Farbe, an deren Hyperämie 
besonders die zuführenden Arterien beteiligt sind, und 3. gleich¬ 
falls mehr zirkumskripte, auch bei starkem Glasdruck nicht ganz 
verschwindende Male von blauroter Farbe, bei deren Hyperämie 
Erweiterung und Vermehrung der Kutis-Venen das Vorherr¬ 
schende ist. Wenn auch diese Scheidung in der Praxis durch 
alle möglichen Uebergänge und Kombinationen verwischt werde, 
o sei sie doch deshalb von Wichtigkeit, weil ja eine durch Licht 
bewirkte Heilung der Naevi, d. h. eine bindegewebige Verödung 
der betr. Gefäßwände, bloß bei Verdrängung des Blutes mittels 
Kompressoriums zu erwarten sei, eine Aussicht auf Erfolg daher 
auch nur die erste und zweite Gruppe biete, während die dritte 
Gruppe als refraktär ausscheide. Von den sechs Naevusfällen, 
die Kromayer mit der Quarzlampe behandelte, zeigten vier der 
ersten und zweiten Gruppe angehörende Fälle gute Resultate: 
nach zwei bis drei einhalb- bis einstündigen Belichtungen war die 
Haut fast zur Norm zurückgebildet, jedoch stellte sich in dem 
einen Falle zwei Monate nach der Behandlung ein leichtes Rezidiv 
ein, wie ein solches infolge Nachwucherns von den tiefer ge¬ 
legenen Arterien her auch durch die energischste Belichtung nicht 
verhindert werden könne. Im Gegensatz dazu konnten die zwei 
Fälle der dritten Gruppe nur gering und vorübergehend beeinflußt 
werden. Für die meisten Naevusformen hält Kromayer eine 
einstündige Belichtungsdauer, der eine Finsensitzung von zweiund- 
I einhalb bis drei Stunden entspreche, für nötig. — Auch bei Lupus 
vulgaris, der gewissermaßen als Prüfstein für die Güte und Wirk¬ 
samkeit einer Lichtquelle gilt, will Kromayer mit Quarzlampen¬ 
licht ebenso gute, wenn nicht bessere Resultate als mit Fin^en- 
licht erzielt haben, und zwar blieb es dabei gleichgültig, ob 
Weiß- oder Blaulicht benutzt wurde, da durch letzteres ja die 
Tiefenwirkung nicht beeinträchtigt werde. Um die „hervorragen¬ 
den Resultate“ der Lupusbehandlung mit Quarzlampenlicht be¬ 
sonders zu markieren, führt Kromayer vier Fälle an, deren 
seder etwas Charakteristisches biete. Der eine, zuvor noch mit 
jkeiner anderen Methode behandelte Fall heilte nach einer ein¬ 
maligen einhalbstündigen Sitzung und erwies sich auch neun 
Monate danach noch als rezidivfrei; in einem zweiten, bereits 
zweimal vergeblich mit Finsen-Reyn belichteten Falle bewirkten 
drei weitere einhalbstündige Belichtungen mit der Quarzlampe 
Beseitigung der lupösen Lifiltrate; desgleichen gelangte auch der 
dritte, der Behandlung noch weniger zugängliche Fall, ein Rezidiv 
in und an der Grenze einer Lupusnarbe nach Heißluftbehandlung, 
nach fünfmaliger Durchbelichtung innerhalb zweier Monate zur 
Heilung, wie endlich auch der letzte und therapeutisch schwierigste 
Fall, Rezidiv in einer tiefgehenden Narbe nach Exstirpation, in 
elativ kurzer Zeit ausheilte. Daß das Quarzlampenlicht trotzdem 
keine Panacee für Lupus sei, zeigt K r omay e r an zwei weiteren 
Lupusfällen, von denen der eine mit lang andauernder Entzün¬ 
dung und Ekzembildung, der andere mit solchen Gesichtsschwel¬ 
ungen reagierte, daß die Behandlung nicht fortgeführt werdenr 
konnte. Bei Lupus erythematosus sei das Quarzlampenlicht nut 
mit Vorsicht zu benutzen, da neben guten Erfolgen auch nicht 
selten Verschlimmerung des Leidens auftrete. Von der Tatsache 
ausgehend, daß das Licht auf die Proliferation und Pigmentation 
der Epithelien einen direkt anregenden Einfluß ausübe, versuche 
Kromayer das Quarzlampenlicht zwecks Haarfärbung wie auch 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


■m 


bei Alopezia pityrodes ohne wesentlichen Erfolg: das Licht sei 
nicht imstande, die atrophischen Haarwurzeln zum Hervorbringen 
eines kräftigen Haares anzuregen; dagegen erwies sich das Quarz¬ 
lampenlicht als das sicherste Mittel, um das Wiederwachsen der 
Haare bei Alopezia areata anzustreben. Wenn auch bei Ekzem, 
besonders bei chronisch konstitutionellem und seborrhoischem, die 
Quarzlampe ebenso wie bei Akne vulgär., Furunkel und Sykosis 
oft gute Erfolge erziele, so seien doch die anderen Methoden hier 
meist bequemer, und speziell für Ekzem und Sykosis verdiene oft 
das Röntgenlicht den Vorzug. Dagegen fielen Teleangiektasien, 
Akne rosazea und Rhinophyma wieder ins eigentliche Lichtgebiet, 
da ja hier wie bei Naevus eine gefäß veröden de Wirkung bezweckt 
werde. Die akuten Formen von Akne rosazea hält Eromayer 
nicht immer für Lichtbehandlung geeignet, da durch die gesetzte 
Reizwirkung auch Verschlimmerung ein treten könne. Im ganzen aber 
hat er zufriedenstellende Resultate bei diesen Leiden erzielt und 
spricht im Anschluß daran die Hoffnung aus, daß das Indikations¬ 
gebiet der Quarzlampe bei verbesserter Technik noch erheblich 
wachsen werde. 

Ich habe absichtlich diese zweite Arbeit Kromayers aus¬ 
führlicher behandelt, weil sie erst das Signal zu einer eingehenden 
Prüfung der neuen Lichtmethode gab. In der stattlichen Reihe 
der bisher über diesen Gegenstand erschienenen Publikationen be¬ 
wegt sich das Hauptinteresse immer wieder um den einen Punkt, 
ob die Kromayersche Behauptung zu Recht bestehe, daß das 
Quarzlampenlicht das Finsenlicht an therapeutischer Wirksamkeit 
erreiche oder gar noch übertreffe. 

Diese Stimmungslage machte sich auch in den vorjährigen 
Februar- und Märzsitzungen der Berliner dermatologischen Gesell¬ 
schaft geltend. Nachdem Kromayer dort das neue Modell seiner 
Quarzlampe demonstriert und auch die Modifikation kleiner ab¬ 
nehmbarer Quarzfenster zur Belichtung schwer zugänglicher Körper¬ 
stellen erwähnt hatte, machte Schultz in der anschließenden 
Debatte auf den Uebelstand der so intensiven und schmerzhaften 
Lichtreaktion aufmerksam, die eine Behandlung erschwere und 
nach Ansicht der Finsenschule auf dem Reichtum an äußeren 
ultravioletten Strahlen beruhe; es frage sich nun, ob nach deren 
event. Ausschaltung die noch übrigen Ultraviolettstrahlen für die 
gewünschte Tiefenwirkung ausreichten. Kromayer glaubt, daß 
die Tiefenwirkung durch die Blauspülung nicht beeinträchtigt 
werde,, wie die Prüfung mit Silberpapier ergäbe. Nachdem in der 
Märzsitzung Schüler zunächst einige Modifikationen zur Quarz¬ 
lampe , auf die ich weiter unten noch genauer eingehen will, 
demonstriert hatte, äußert sich Schultz nochmals „Zur Frage 
der Tiefenwirkung des ultravioletten Lichtes 1 *. Schultz konnte 
experimentell nachweisen, daß die Silberpapier schwärzenden und 
die therapeutisch wirkenden Strahlen nicht identisch seien, indem 
Finsenlicht nach Passage von 5%igem Kalimonochromat trotz zwei¬ 
stündiger Anwendung keine Hautreaktion hervorzurufen vermochte, 
ohne dagegen seine Reaktion auf Silberpapier irgendwie einzu¬ 
büßen. Diese Papierreaktion sei daher nicht verwertbar zur Prü¬ 
fung der Tiefenwirkung, sondern nur die Reaktionen auf lebende 
Gewebe. Auch diese physiologische Prüfung der Tiefenwirkung ergab 
für Schultz ein von Kromayer abweichendes Resultat. Schultz 
belichtete die beiden aneinandergelegten Ohren je eines Kaninchens 
fünf Viertelstunden mit der Finsenlampe und eine halbe Stunde 
mit der Uviollampe und stellte in dem ersten Falle eine Reaktion 
in allen vier Epithelschichten, in dem letzten nur in der ober¬ 
flächlichsten Schicht fest. Trotz der Schultz sehen Versuchs¬ 
resultate beharrt Kromayer bei seiner Ansicht von der über¬ 
legenen Tiefenwirkung der Quarzlampe, die den Finsenapparat in 
ihrer therapeutischen Leistung bei Lupus und Naevus um das 
Zwei- bis Dreifache übertreffe. 

Seine vor der Berliner dermatologischen Gesellschaft demon¬ 
strierten Modifikationen zur Quarzlampe beschreibt Schüler an 
anderer Stelle genauer: Autor hat, wie er schon 1906 publizierte, 
mittels geeigneter Bergkristallansätze, die in Verbindung mit der 
Lichtquelle (Quarz- oder Finsen-Reynlampe) lichtleitend werden, 
die verschiedenen Schleimhauthöhlen der Lichtbehandlung zugäng¬ 
lich gemacht. Versuche an Gonokokkenkulturen seien befriedigend 
ausgefallen, die kranke Schleimhautstelle sei drei bis vier Minuten 
zu belichten. Irgendein näherer und sicherer therapeutischer 


Wink zur Lichtbehandlung der Schleimhaut fehlt auch diesen 
sehr allgemein gehaltenen Ausführungen. 

Die Behauptung Kromayers, nach welcher der Quarzlampe 
eine zwei- bis dreimal größere Tiefenwirkung vor der Finsenlampe 
zuerkannt wurde, gab den Ausgangspunkt zu einer weiteren ein¬ 
gehenden Prüfung dieser für die Dermatologie so wichtigen Frage. 
Und zwar wurde eine Lösung dieser Frage, die bald zu einer 
rechten Streitfrage ausartete, von den verschiedensten Gesichts¬ 
punkten aus versucht. Neben rein experimentellen Untersuchungen 
und daran angeknüpften theoretischen Erwägungen stehen die aus 
der Praxis mitgeteilten therapeutischen Ergebnisse. Zur Beurtei¬ 
lung der Tiefenwirkung war es von prinzipieller Wichtigkeit, ein¬ 
mal die von Kromayer mit Chlorsilberpapier erhaltenen Ver¬ 
suchsresultate nachzuprüfen, sodann zu entscheiden, ob und wieweit 
diese Untersuchungsmethode einen Schluß auf die therapeutische 
Tiefenwirkung im lebenden Gewebe zulasse. In dieser Beziehung 
sind zwei Arbeiten aus dem Kopenhagener Finseninstitute von 
Bedeutung. 

So suchte Johannsen nachzuweisen, daß es von vornherein 
unstatthaft sei, aus der Schwärzungsfähigkeit von Silberpapier 
zweier Lichtquellen vergleichende Schlüsse auf deren absolute 
Lichtintensität zu ziehen, und daß durch diese Methode nur die 
relative Intensität jeder einzelnen Lichtquelle für < sich bestimmt 
werde, da die Empfindlichkeit des Silberpapiers so stark mit der 
Längenwelle variiere, daß durch dieselbe Intensität von sogar 
recht nahe beieinander liegenden Wellenbreiten in derselben Zeit 
höchst verschiedene Schwärzungen hervorgerufen würden. Zur an¬ 
nähernden Prüfung der absoluten Intensität einer Lichtquelle müsse 
also bei Bekanntsein der Intensität des gesamten Spektrums jeder 
einzelne Teil des Spektrums auf seine Intensität geprüft werden. 
Die diesbezüglichen Versuche ergaben nun, daß die Quarzlampe 
in ihren äußersten ultravioletten Strahlen der Finsen-Reynlampe 
ungemein überlegen sei, daß aber die Finsenlampe die Quarzlampe 
sowohl in ihrem sichtbaren Spektrum wie auch in ihren inneren 
ultravioletten Strahlen übertreffe. 

Der andere Däne, Gunni Busk, prüfte die von Kromayer 
mit Chlorsilberpapier angestellten Versuche nach und konnte nach 
seinen mit Papier und Kaninchenohren vorgenommenen Unter¬ 
suchungen Kromayers Ergebnisse nicht bestätigen, sondern 
fand im Gegenteil, daß die Tiefenwirkung der Quarzlampe ca. drei¬ 
mal schwächer als die der Finsenlampe sei, und zwar trat die 
Ueberlegenheit der letzteren um so mehr hervor, je dicker das 
Lichtfilter war. Daher hält es Autor für einen Rückschritt, wenn 
die Quarzlampe zur Behandlung von Lupus vulgaris eingeführt 
werde, dessen Heilung oft genug schon schwer durch Finsenlicht 
erreicht werde. Weiter hebt Busk hervor, daß es sich bei dem 
Quecksilberlicht besonders um Strahlen mit einer Längenwelle von 
366 /li/li handle, daß man aber gar nicht wisse, ob der Schwer¬ 
punkt der therapeutischen Leistungsfähigkeit gerade mit dieser 
Linie im Spektrum Zusammenfalle. 

Weitere wertvolle exakt-experimentelle Forschungen zur Frage 
von der Tiefenwirkung der Quarzlampe liegen in den Unter¬ 
suchungen von Bering-Kiel, W i chm an n-Hamburg, Mulzer- 
Berlin und Pürckhauer-Breslau vor. 

Bering kommt nach einem ausführlichen einleitenden Ueber- 
blick über die herrschenden Ansichten von der Wirkung des 
Lichts auf den tierischen Organismus auf Grund seiner aus¬ 
gedehnten und sehr gründlichen Untersuchungen zu dem Schlüsse, 
daß der Hauptheilfaktor der Lichtstrahlen in einer Steigerung des 
Stoffwechsels zu suchen ist, speziell in einer Steigerung der 
reduzierenden und oxydierenden Prozesse im Gewebe, in einer 
Vermehrung der roten Blutkörperchen, in einer Steigerung des 
Hämoglobingehaltes, in einer Erhöhung des Trockenrückstandes 
und in einer Steigerung der Hauttemperatur bei gleichzeitigem 
Abfall der Innentemperatur. Vor dieser den Stoffwechsel steigern¬ 
den Kraft tritt nach seiner Ansicht die bakterizide wie auch die 
zellschädigende Wirkung als Heilfaktor zurück. Aus Berings 
Versuchen, in denen er die Uviol-, Finsen-Reyn- und Quarzlampe 
bezüglich ihrer Lichtintensität wie ihrer reduzierenden und oxy¬ 
dierenden Fähigkeiten im lebenden Gewebe miteinander verglich, 
ergab sich für die Quarzlampe, daß diese mindestens dreimal so 
stark wie die Finsen-Reynlampe reduziere und auch in * ihrer 
Penetrationsfähigkeit dieser weit überlegen sei. Beide Faktoren 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


293 


erlitt©ndüreh. das Blaufilter, das nur die ganz reclits liegenden 
Strahlen' absorbiere, keine Einbuße. Die Quarzlampe sei somit 
allen anderen therapeutischen Lichtapparaten, auch der Finsen- 
Reynlampe, in ihrer chemischen Wirksamkeit überlegen. 

Wich mann hält die Prüfung der Tiefenwirkung, wie sie 
Kromayer anwandte, für unzulässig und benutzte als Indikator für 
die Tiefenwirkung den makroskopischen Effekt, den das Licht nach 
Passage eines Kaninchenohres auf der menschlichen Haut hervorrief. 
Aus seinen Versuchen, in denen er zuerst das Finsenlicht mit dem 
weißen Quarzlicht verglich, ergab sich für ihn als zweifellos, daß die 
biologische spezifische Wirkung des Lichtes der Finsen-Reynlampe 
stärker als das der Quarzlampe war; mit AnwenduDg des Blau¬ 
filters aber, d. h. bei Ausschaltung der kurzwelligen, oberflächlich 
stark wirkenden Strahlen, zeigte es sich, daß das Quarzlampen¬ 
licht in derselben Tiefe eine stärkere photochemische Liöhtentzün- 
dung als die Finsenlampe herbeiführte. Diese auf das Epithel 
der Oberhaut sich beziehende Wirkung müsse nach den bisher 
bekannten Erfahrungen auch für die tieferen Hautschichten gelten. 
Den Grund dafür, daß die Quarzlampe ohne Bläufilter schwächer 
wirke, sucht Autor darin, daß eine zu starke Beeinflussung der 
oberflächlichen Hautschichten durch kurzwelliges Ultraviolettlicht 
den Durchgang der für die Tiefe maßgebenden Strahlen (blau, 
violett) hindere. Wichmann glaubt, daß das Quarzlampenlicht 
auch bei tiefgelegenen Hautaffektionen das Finsenlicht bei weitem 
an Wirkung übertreffe, und zieht die Quarzlampe der Finsenlampe 
in jeder Beziehung vor wegen der Möglichkeit, größere Flächen 
in einer Sitzung zu bestrahlen, wegen der Einfachheit der Appli¬ 
kation und Bedienung wie auch wegen des sehr geringen Strom¬ 
verbrauchs. 

Mulzer prüfte an der Hand sehr genauer und möglichst 
der Praxis angepaßter Versuche vergleichend an der Finsenlampe 
und der Quarzlampe folgende drei Eigenschaften: Die Tiefen¬ 
wirkung, die Bakterizidität und die Wärmewirkung. Seine Ver¬ 
suche über die Tiefenwirkung dieser Lichtquellen am lichtempfind¬ 
lichen Celloidinpapier nach erfolgter Passage von Papier wie auch 
von lebender Haut ergaben im Gegensatz zu Kromayers An¬ 
gaben, daß bei dünner Passage (Papier von 0,2 mm Dicke) die 
Quarz- und Finsenlampe eine völlig gleiche Tiefenwirkung ent¬ 
falteten, während bei Passage von 0,3 bis 0,5 mm dickem Papier 
die Quarzlampe von der Finsen-Reynlampe weit übertroffen wurde, 
und zwar war es ganz gleichgültig, ob die Quarzlampe direkt 
oder mittels Blauspülung angewandt wurde. Ganz entsprechende 
Versuchsresultate ergaben sieb, wenn das Licht anämisierte lebende 
Kaninchenhaut passierte. Im Anschluß an diese Versuche geht 
Mulzer auf die von Schultz und Busk erhobenen Einwände 
ein, die es für irrig halten, allein aus der Fähigkeit einer Licht¬ 
quelle, Silberpapier chemisch zu verändern, auf ihre therapeutische 
Wirksamkeit zu schließen, da diese Eigenschaft hauptsächlich auf 
Rechnung der langwelligen (gelben und roten) Strahlen zu setzen 
sei, also gerade der Strahlen, die sich durch die geringste 
chemische Wirkung auszeichneten. Mulzer meint nun, da das 
Quecksilberlicht besonders reich an ultravioletten Strahlen sei, 
daß es auch nach dieser Richtung hin eine stärkere Wirkung 
entfalte. Die Versuche über die Bakterizidität der Quarzlampe, 
die Autor an Kulturen des Bazillus prodig. anstellte, ergaben sehr 
interessante Resultate. Aus ihnen ging deutlich die enorm hohe 
bakterizide Kraft der Quarzlampe bei Oberflächenbestrahlung der 
Bakterien hervor: Bereits nach vier Sekunden langer Belichtung 
erwies sich achtundvierzig Stunden danach die Kultur als absolut 
steril, während dies bei der Finsen-Reynlampe erst nach fünf 
Minuten langer Belichtung der Fall war. Gänzlich anders lauteten 
die Resultate bei Passage des Lichtes durch lebende Haut: Wäh¬ 
rend die elektrische Bogenlampe nach Passage einer 0,4 bis 0,5 mm 
dicken anämisierten Hautschicht die Bakterienkultur bei einstün- 
diger Belichtung in keiner Weise zu beeinflussen vermochte, 
wirkte die Quarzlampe unter den gleichen Bedingungen nach drei- 
viertelstündiger Belichtung wachstumhemmend, nach einstündiger 
Belichtung absolut tötend. Mußten die Lichtstrahlen aber Gewebs- 
schichten von 1 mm Dicke und darüber passieren, so war selbst 
nach einstündiger Belichtung nicht die geringste Einwirkung auf 
die Kultur zu konstatieren. Mit diesen Versuchsresultaten hält 
Mulzer die Behauptung Droßbachs, es sei ausgeschlossen, daß 
die Bakterien schon bei einem Sitz von 0,1 mm unter der Haut¬ 


oberfläche durch die ultravioletten Strahlen beeinflußt würden, 
für widerlegt. Desgleichen entsprächen die von Janßen durch 
Versuche an totem Material gefundenen Tötungszahlen nicht den 
Verhältnissen in der lebenden Haut. Zum Schluß seiner Abhand¬ 
lung begegnet Mulzer dem von Scholz erhobenen Einwande, 
es handle sieh bei der FinsenbelichtuDg um eine reine Wärme¬ 
wirkung, indem er durch seine Versuche mit leicht schmelzbaren 
Objekten wie Paraffin und Wachs nachwies, daß bei dem Finsen¬ 
licht im Brennpunkt eine Temperatur von nicht über 50 0 herrsche, 
während bei Lichtpassage bis zu 2,5 mm die höchste beobachtete 
Temperatur 38° betrug, die Temperatur der Quarzlampe vollends 
nie über die Eigenwärme der Versuchstiere hinausstieg. 

(Schluß folgt.) 

Urologie, 

Referent: Spezialarzt Dr. Arthur Schwenk, Berlin. 

1. Intraperitoneale Ruptur der Harnblase. Von Nord- 
mann. Deutsche med. Wochensehr., 1908, Nr. 1. 

2. Die diagnostische Verwertbarkeit der Konjunktival- 
reaktion in der Urologie. Von Friedrich Neck er und Ru¬ 
dolf Paschkis. WieD. med. Wochensehr.. 1908. Nr. 12, 

3. Experimentelle Untersuchungen über formaldehydhaltige 
interne Harndesinfektionsmittel (Urotropin, Hippol, Helmitol. 
Hetralin, Borovertin). Von Forcart-Basel. Med. Klinik, 190*, 
Nr. 10. 

4. Ueber die Behandlung der Blasentuberkulose nach Rov¬ 
sing. Von Paul Rosenstein. Berl. klin. Wochensehr., 190s, 
Nr. 5. 

5. Das dritte Stadium der Hypertrophia prostatae. Von 
Arthur Götzl. Prager med. Wochenbl.. 1908, Nr. 11. 

6. Klinische Untersuchungen über die Wirkungen modifi¬ 
zierter Salizylsäure auf die Harnorgane. Von Gm einer-Gießen. 
Fol. Urol., 1908, März. 

1. Verf. bespricht die Gesichtspunkte, welche für eine früh¬ 
zeitige Diagnose dieser Erkrankung wichtig find. — Erfahrt der 
Arzt, daß jemand einen Stoß vor den Bauch erhalten hat, und 
sich nachdem heftige Leibsehmerzen mit starkem Urindrang ohne 
oder mit Blutabgang einstellen, dann hat er die Möglichkeit einer 
Blasen Verletzung immer im Auge zu behalten. — Merkwüidiger- 
weise scheint hierbei häufig die Trunkenheit eine Rolle zu spielen, 
indem dieselbe eine Erschlaffung der Bauchdecken bewirkt und 
die durch die Flüssigkeit stark ausgedehnte Blase einem äußeren 
Insult weniger Widerstand leisten kann. — Für die Diagnose ist 
außerdem von Wichtigkeit, daß durch den eingeführten Katheter 
nur wenig oder gar kein Urin abläuft. Das wichtigste Symptom 
endlich ist die reflektorische Bauchdeckenspannung. Differential* 
diagnostisch kommen in Betracht die extraperitonealen Rupturen, 
die aber gewöhnlich mit einer Beckeufraktur einhergelien und 
wobei die Symptome der peritonealen Reizimg (Puls- und Tempe¬ 
raturerhöhung, Erbrechen, Singultus) fehlen. Von der geplatzten 
Extrauteringravidität und Ulkus ventrikuli unterscheiden sich die 
Blasenrupturen durch die oben angeführten Urin Störungen. 

Die Prognose der Erkrankung hängt davon ab, daß sobald 
wie möglich der Patient einem chirurgischen Eingriff unterworfen 
wird. Palliative Maßnahmen, wie Verabreichung von Morphium, 
verschleiern nur das Krankheitsbild und verschlechtern die Pro¬ 
gnose. Am Schluß der Arbeit geht Verf. auf die verschiedenen 
Operationsverfahren ein, die näher auszuführen für den Praktiker 
wohl ohne Interesse sein dürfte. 

2. Der Umstand, daß bei der Diagnose der Tuberkulose der 
Harnwege die bisher gebräuchlichen Untersuchungsmethoden häufig 
versagen, ließen die Forscher neue Wege suchen, um rechtzeitig 
eine Tuberkulose erkennen und die baldige Operation anschließen 
zu können. Eine derartige neuere Untersuchungsart stellt die 
konjunktivale Reaktion (Einträufelung von Koch-Tuberkulin in 
den Bindehautsack) dar. Und wenn in letzter Zeit sich viele ge¬ 
wichtige Stimmen gegen die Brauchbarkeit dieser Methode er¬ 
heben, weil auch bei anderen Erkrankungen diese Reaktion öfter 
positiv ausfällt und außerdem die Reizerscheiuuugen von seiten 
des Auges und seine Schädigungen nicht unerheblich sind, so 
sind doch die Beobachtungen der beiden Autoren sehr bemerkens- 


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294 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


wert. Nach ihrer Ansicht bedeutet diese Reaktion dort, wo der 
Bazillennachweis aus dem Sediment negativ ausfällt und die Tier¬ 
impfung mißlingt, eine wichtige Unterstützung für die frühzeitige 
Diagnose. Ist auch der Tierversuch ein viel exakterer und sicherer, 
so muß doch andrerseits in Betracht gezogen werden, daß das 
Resultat der Tierimpfung wochenlang auf sich warten läßt und 
dadurch die beste Zeit für einen rechtzeitigen chirurgischen Ein¬ 
griff verloren geht. Zur Schnelldiagnose stellt die Konjunktival- 
Reaktion unleugbar eine Bereicherung der medizinischen Wissen¬ 
schaft dar. 

3. Die desinfizierende Wirksamkeit der genannten Medika¬ 
mente besteht darin, daß unter dem Einfluß des sauren Harns das 
bakterientötende Formaldehyd abgespalten wird. Die Versuche 
prüften nicht den direkten Einfluß der Medikamente auf die 
Bakterien, sondern die bakterizide Eigenschaft der Urine von 
Menschen, die diese Medikamente eingenommen hatten. Die besten 
Erfahrungen wurden mit Hetralin, Urotropin und Borovertin ge¬ 
macht, in ihrer Wirkung scheinen diese Medikamente gleichwertig 
zu sein. Von den Bakterienarten war am widerstandsfähigsten 
Bakterium Koli, eine Beobachtung, die auch die Praxis oft be¬ 
stätigt, wenn man bedenkt, wie schwer es oft ist, Herr einer 
Kolizystitis zu werden. Verf. versuchte ein neueres Präparat, 
Formamint, das bisher vorwiegend als Mund- und Halsdesinfiziens 
empfohlen war; er sah jedoch von diesem Mittel keinen Erfolg, 
Formaldehyd war in keinem Urin nachzuweisen. 

Die klinischen Erfahrungen des Referenten decken sich voll¬ 
ständig mit den Beobachtungen des Verfassers. Das souveränste 
und wirksamste Mittel bleibt nach wie vor Urotropin, das Boro¬ 
vertin scheint ihm in der Wirkung am nächsten zu kommen, 
Helmitol versagte in den meisten Fällen ganz. Bei dem Forma¬ 
mint, das in einzelnen Fällen von Pyelozystitis angewandt wurde, 
waren die Erfahrungen recht schlechte; die Wirkung blieb 
völlig aus. 

4. Die Blasentuberkulose ist meist von der Nierentuberkulose 
fortgeleitet und mit der Beseitigung des primären Leidens heilt 
auch meist diese aus. Doch es gibt auch hierbei Ausnahmen, bei 
denen die Blasentuberkulose mit ihren quälenden Symptomen 
weiter tortbesteht. Für diese Fälle empfiehlt Verf. die von 
Rovsing angegebene Behandlung mit Karbolsäure: Ein Quantum 
warmer frischer Karbolsäurelösung (5%ig) wird in die Blase 
injiziert, nachdem dieselbe vorher durch Borsäurespülungen von 
etwaigem Eiter gereinigt ist. Das Karbolwasser wird drei bis 
vier Minuten in der Blase gelassen und läuft dann als milchige 
Flüssigkeit durch den Katheter ab. Diese Prozedur wird mehrere 
Male wiederholt, bis die Flüssigkeit einigermaßen klar zurück¬ 
kommt ; Borsäure wird nicht nachgespült! Die häufig sich hier¬ 
nach einstellenden schneidenden Blasenschmerzen und das öftere 
Miktionsbedürfnis werden durch Morphiumsuppositorien gelindert. 
Treten Zeichen von Karbolintoxikation auf, dann wäscht Rosen¬ 
stein das in der Blase gebliebene Karbol mit Boi'säure aus. — 
Zwei beigefügte Krankheitsberichte illustrieren die prompte Wir¬ 
kung dieser Behandlungsmethode. 

5. Das Stadium der Prostatahypertrophie ist charakterisiert 
durch die Ischuria paradoxa (Blaseninkontinenz hauptsächlich bei 
Nacht), Polydipsie, Polyurie, Störungen des Digestionstraktus 
(Appetitlosigkeit und Auf stoßen), das Fehlen von Blasenkrampf 
trotz gewaltiger Ausdehnung der Blase. Die Therapie muß darauf 
bedacht sein, den Appetit und die Kräfte zu heben. Wegen des 
Widerwillens gegen feste Speisen verabreiche man in der ersten 
Zeit nur flüssige Nahrung, dabei auch geringe Quanten Alkohol. 
Die lokale Therapie beachte vor allem zweierlei: 1. Strengste 
Asepsis bei dem Katheter!sieren wegen der großen Gefahr der 
Infektion und 2. langsames und in Pausen vorzunehmendes Ent¬ 
leeren der Blase. Wird die Blase rapide entleert, dann füllen 
sich durch Verminderung des intravesikalen Druckes die Gefäße 
stärker, bersten in Anbetracht ihrer brüchigen Beschaffenheit 
leicht, und es kommt dann häufig zu starken Blutungen. Verf. 
entleert beim ersten Male nur 200 ccm Urin, darauf immer 100 ccm 
mehr und wiederholt diese Prozedur zwei- bis dreimal im Tage. 
Treten bei ganz leerer Blase Schmerzen oder Blutungen auf, dann 
spritzt er 100 bis 200 ccm Borsäure ein, die darin belassen werden. 
Sehr häufig erholt sich unter dieser Behandlung die Blase und 
das Leiden tritt aus dem dritten in das zweite Stadium zurück. 


6. Verf. warnt davor, alRu lange hintereinander Salizyl- 
präparate in größeren Dosen zu verabreichen, wegen der schäd- 
liehen Einwirkungen auf den Harnapparat, vorwiegend auf die 
Nieren. Er beobachtete danach Ausscheidungen von Albumen, 
weißen und roten Blutkörperchen und Zylindern jeglicher Art. 
Von allen therapeutisch zur Zeit gebräuchlichen Salizylpräparaten 
kann er das Novaspirin nach seinen Untersuchungen an Tieren 
am meisten empfehlen, weil es nachweislich die geringsten Schädi¬ 
gungen hervorruft. 


Kinderheilkunde. 

Referent: Privatdozent Dr. J. Ibrahim, München. 1 

1. Heber Lokalisation und klinische Symptome intrakrani¬ 
eller Blutergüsse Neugeborener. Von L. Seitz. Münch, med. 
Wochenschr., 1908, S. 608. 

2 . Zur Behandlung der Diphtherie mit Pyozyanase und 
über die Persistenz der Diphtheriebazillen. Von P. L. Schlippe. 
Deutsche med. Wochenschr., 1908, S. 588. 

3. Ueber Scharlachrezidiv und -Pseudorezidiv. Von E. 
Ferraris-Wyß, Jahrb. f. Kinderheilk., Bd. 67, S. 413. 

4. Zur Euchininbehandlung des Keuchhustens. Von L. 

Sior. Ibidem, S. 452. 

1. Die intrakraniellen Blutergüsse Neugeborener infolge von 
Geburtstraumen sind uns in ihren klinischen Erscheinungen noch 
wenig bekannt, während die Folgeerscheinungen, die bleibenden 
Lähmungen, die sich meist als zerebrale Diplegien (Littlösche 
Krankheit) geltend machen, schon lange besondere Beachtung ge¬ 
funden haben. Die höchst interessanten Mitteilungen von L. Seitz 
führen uns zwei klinische Krankheitstypen aus den ersten Lebens¬ 
tagen vor Angen. Den infratentorialen Blutungen, die auch bei 
geringer Größe des Blutergusses durch Druck auf die Medulla 
oblongata und das Atemzentrum zum Tode führen, stehen die 
weniger gefährlichen und auch eventuell chirurgischer Therapie 
zugänglichen supratentorialen Blutergüsse gegenüber. Diese sind 
fast stets einseitig, zwischen Dura und Pia gelegen, schalenartig 
über der Konvexität einer Großhirnhemisphäre gelagert. Es han¬ 
delt sich nur in einem Teil der Fälle um Zangengeburten, zum 
Teil um leichte Spontangeburten. 

Am ersten Tage wird oft noch gar nichts bemerkt, am zweiten 
Tag fällt große Unruhe, heftiges Schreien, Nahrungsverweigerung 
auf. Nun machen sich Hirndruckerscheinungen bemerkbar: Fonta¬ 
nellenspannung, Atemstörungen, inspiratorische Krampfanfälle, Be¬ 
wußtlosigkeit, kreidebleiches Aussehen, Dermographismus, manch¬ 
mal auch Pulsverlangsamung. Dazu kommen ferner die wichtigen 
Lokalsymptome: kontralaterale Fazialisparese, kontralaterale Spasmen 
in Arm und Bein, halbseitige Reflexsteigerung. Meist unterstützt 
ein stärkeres Klaffen desjenigen Lambdaschenkels, unter dem die 
Blutung sitzt, die Diagnose. Später kommt es infolge zunehmender 
Stauung und Oedembildung auch zu Reizerscheinung auf der 
anderen Seite und in diesem Stadium ist die Diagnose nach dem 
ursprünglichen Sitz des Hämatoms nicht mehr möglich. Die Fälle 
mit progressiven Hirndrucksymptomen können durch operativen 
Eingriff eventuell gerettet werden, wie zwei Fälle von Cushing 
beweisen. 

Therapeutisch empfiehlt Seitz vor allem Vermeidung aller 
äußeren Reize: Abschluß von der Außenwelt im Wärmeschrank, 
kleine Dosen von Bromkali und Chloralhydrat (0,2), kühle Um¬ 
schläge auf den Kopf. Nahrung soll, um eine Schluokpneumonie 
zu vermeiden, nur mit der Sonde zugeführfc werden; wenn die 
Nahrungszufuhr Krämpfe auslöst, soll sie eine Zeitlang sistiert 
werden. — Solange nur scharfumschriebene Herdaffektionen be¬ 
stehen, ist eine Inzision kontraindiziert; wenn dagegen allgemeine 
progrediente Hirndruckerscheinungen sich geltend machen, ist bei 
supratentorialen Blutungen ein,e Inzision der Dura nach Zurück- 
klappung des Scheitelbeins gerechtfertigt. Bei infratentorialen 
Blutungen ist jeder operative Eingriff aussichtslos, die Lumbal¬ 
punktion bringt, wenn überhaupt, nur rasch vorübergehende Er¬ 
leichterung. 

2. Schlippe kommt im Gegensatz zu früher berichteten Er¬ 
folgen zu einem etwas weniger günstigen Urteil über den Wert 


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der Pyozyanasefin der Behandlung der .Diphtherie und leider auch 
der sogenannten Bazillenträger. Seine Schlüsse lauten: Die Pyo¬ 
zyanase ' darf zur Behandlung der Diphtherie nie allein, sondern 
immer nur zusammen mit Serum verwendet werden. In manchen 
Pällen scheint die Pyozyanase die Lösung der diphtherischen Mem¬ 
branen zu beschleunigen, den Foetor ex ore rasch zu beseitigen 
und subjektive Erleichterung zu bringen. Sie verdient deshalb 
in Fällen mit hochgradiger Membranbildung und verlangsamter 
Lösung der Beläge weiter geprüft zu werden. Bei den ganz 
schweren Fällen septischer Diphtherie scheint auch die Pyozyanase 
keine Wirkung zu entfalten. Es gelingt nicht, durch Pyozyanase 
die Persistenz der Diphtheriebazillen zu verhüten und in Fällen 
von ausgesprochener Persistenz und chronischer Diphtherie die 
Bazillen abzutöten. 

3. Ferraris-WyJß berichtet über fünf Fälle von erneutem 
Exanthem bei Scharlachkranken und kommt zu folgenden Schlu߬ 
folgerungen : 

a) Die Scharlachrezidive sind eine seltene, aber unbestreit¬ 
bare Erscheinung: sie sind eine Wiederholung des Scharlachs mit 
seinem ganzen Krankheitsbild bei Kranken, die sich schon in vor¬ 
geschrittener Konvaleszenz befinden. 

b) Die Pseudorezidive sind eine noch seltenere Erscheinung 
als die Rezidive. Sie unterscheiden sich von letzteren durch die 
Zeit, in der sie Vorkommen — bevor der Kranke in die Konvales¬ 
zenz eingetreten ist —, und durch die Art des Exanthems, das 
zu Masernart hinneigt, sowie durch die häufige Konjunktivitis, wie 
.sie eben den Masern eigen ist. 

c) Es besteht nicht immer ein klarer Unterschied zwischen 
Rezidiven und Pseudorezidiven, sondern es gibt manchmal atypische, 
gemischte Formen. 

d) Alter und Geschlecht haben keinen Einfluß auf das Vor¬ 
kommen von Rezidiven. 

e) Die Ursache der Rezidive ist nicht genau bekannt: ob 
eine Infektion von außen oder eine Autoinfektion. 

f) Es ist eine familiäre Prädisposition zu Scharlachrezidiven 
zu vermuten, wie man solche auch bei Scharlachnephritis hat. 

g) Die Rezidive scheinen die Prognose des Scharlachs nicht 
zu erschweren. 

h) Bis der Krankheitserreger nicht genau bestimmt ist, und 
bis die Aetiologie dieser Rezidive nicht sicher aufgeklärt ist, wird 
es ratsam sein, die neuen Fälle von den schon abgelaufenen, die¬ 
jenigen mit Komplikationen (Otitis etc.) von denen ohne Kompli¬ 
kationen nach Möglichkeit zu trennen. 

Letzterer Vorschlag dürfte nach des Ref. Ansicht bei der 
Seltenheit und Gutartigkeit der Rezidive doch wohl viel zu weit 
gehen. 

4. Sior ist ein überzeugter Anhänger der Ohinintherapie 
des Keuchhustens. Bei ausgedehnten Versuchen mit Euchinin hat 
er die Erfahrung gemacht, daß Euchinin die gleiche Wirkung 
entfaltet wie die Salze des Chinins, daß es vor diesen aber den 
großen Vorzug hat, daß es Kindern leicht beigebracht werden 
kann. Dagegen ist es nicht frei von den. Nebenwirkungen des 
Chinins; ob dieselben schwächer und seltener zutage treten wie 
beim Gebrauch der Chininsalze, ist noch eine offene Frage, die 
sich erst bei ausgedehnterer Verwendung des Mittels mit einiger 
Sicherheit beantworten läßt. 


Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Referent: Spezialarzt Dr. S. Aschheim, Charlottenburg-Berlin. 

1. Der extraperitoneale Uterusschnitt. Von Hugo Seil¬ 
heim. Zentralbl. f. Gynäkol., 1908, Nr. 5. 

2. Weiteres vom extraperitonealen Uterusschnitt. Von 
Hugo Sellheim. Ibidem, Nr. 10. 

3. Zur Indikation und Technik des zervikalen Kaiserschnitts. 
Von J. Pfannenstiel. Ibidem. 

4. Ueber Sellheims extraperitonealen zervikalen Kaiser¬ 
schnitt. Von Otto Küstner. Ibidem, Nr. 16. 

1. und 2. Die Anwendung des klassischen Kaiserschnitts ist bei 
Fällen, die als infiziert angesehen werden müssen, kontraindiziert. 

Frank-Köln hat für diese Fälle, um die Perforation zu 
-vermeiden^ einen extraperitonealen Kaiserschnitt angegeben und in 


einer Reihe von Fällen mit gutem Erfolg für Mutter und Kind 
ausgeführt. Seine Methode bestand in der queren Durchtrennung 
der ganzen Bauchdecke oberhalb der Symphyse, quere Durch¬ 
trennung des Peritoneum parietale und Aufnähen des oberen 
Peritoneumrandes auf das uterine Peritoneum. 

Dann wurde der Uterus in seinem zervikalen Abschnitt, der 
nunmehr aus der Bauchhöhle ausgeschaltet war, quer eröffnet und 
das Kind entfernt. Entfernung der Plazenta. Naht des Schnittes 
mit event. ohne Drainage. 

Die Mitteilung dieses Frank sehen Schnittes fiel in die 
Hochflut der Begeisterung für die Pubotomie, und erst nachdem 
diese etwas nachgelassen hatte, wurde der Frank sehe Schnitt, 
mehr oder weniger modifiziert, von anderen Klinikern nach¬ 
geprüft. 

Eine willkommene Verbesserung hat Sellheim angegeben. 

Er macht den Pfannen stiel sehen Faszienquerschnitt, geht 
dann in der Längsrichtung durch die Linea alba und arbeitet sich 
z. T. stumpf, z. T. scharf, die Blase vom Peritoneum abschiebend, 
an die Zervix. 

Es wird die Zervix durch Abschieben des Peritoneums frei¬ 
gelegt und dann durch Längsschnitt eröffnet, der Kopf event. mit 
Hilfe eines Zangenblattes herausgehebelt, worauf die Plazenta 
exprimiert wird und die Naht der durchtrennten Gewebe event. 
auch mit Drainage folgt. 

Bei Schwierigkeit, das Peritoneum abzulösen, hat auch 
er es quer durchtrennt und auf das Bauchfell der vorderen Uterm- 
fläche aufgenäht. 

Einen bereits infizierten Fall, den er nach letzterer Methode 
operierte, hat er an Peritonitis verloren, die vier anderen Falle 
sind glatt genesen und Sellheim kommt zu der Empfehlung 
des extraperitonealen zervikalen Kaiserschnitts an Stelle des klassi¬ 
schen Kaiserschnitts überhaupt. Ob er für die infizierten Fälle 
die Porrösche Operation unter Zuhilfenahme der offenen Wund¬ 
behandlung ersetzen kann, muß ausprobiert werden. Die beson¬ 
deren Vorteile gegenüber dem klassischen Kaiserschnitt bestehen 
in der Ausschaltung resp. Vermeidung des Peritonealraums, der 
geringen Blutung aus der längsgespaltenen Zervix und dem Bei¬ 
behalten eines relativ natürlichen Geburtsvorganges und Nach¬ 
geburtsperiode. 

3. Pfannenstiel hält die Perforation des Kindes für die 
richtige Indikation bei infektiösem Fieber sub partu und hoch¬ 
gradig verengtem Becken, erkennt aber die Vorzüge des zervi¬ 
kalen Kaiserschnittes, den er selbst einmal ausgeführt hat, weil 
bei diesem die Blutung außerordentlich gering ist, weil die Lösung 
der Plazenta sich beim zervikalen Kaiserschnitt in einer geradezu 
physiologischen Weise vollzieht, vor allem aber, weil er die An¬ 
wendung seines Faszienquerschnittes gestattet und damit voll¬ 
ständig die Gefahr der Bauchhernie beseitigt; er empfiehlt die 
Sektio caesarea zervikalis nicht extraperitoneal, sondern trans¬ 
peritoneal, ihm ist es in dem von ihm operierten Falle nicht ge¬ 
lungen, extraperitoneal zu arbeiten, da sich die Blase in der Mitte 
nicht lösen ließ. 

Ob die Operation die Pubotomie und den vaginalen Kaiser¬ 
schnitt, die Pf. beide bisher mit bestem Erfolg ausgeführt hat, 
verdrängen wird, wagt Pf. nicht zu entscheiden, dagegen scheint 
ihm der zervikale Kaiserschnitt den Vorzug zu verdienen vor dem 
korporealen, da, wo wegen Beckenenge, Striktur der Vagina usw. 
überhaupt die Sektio caesarea indiziert ist. Außerdem würde die 
Sektio zervikalis geeignet sein bei drohender Uterusruptur und 
lebendem Kinde, also vor allem bei verschleppter Querlage eine 
Rettung für Mutter und Kind zu ermöglichen. Nicht dagegen 
würde er die Operation bei infektiösem Fieber sub partu emp¬ 
fehlen. 

4. Auch Küstner operierte zwei Fälle erfolgreich nach 
Seilheims Modifikation und sieht in ihm eine Methode, infek¬ 
tionsverdächtige Fälle, bei welchen durch die natürlichen Wege 
das Kind nicht extrahiert werden kann, zu behandeln. 

Neuerdings ist auch Bum in in der gynäkologischen Gesell¬ 
schaft in Berlin für diese Operation eingetreten, die er in vier 
Fällen erfolgreich ausführte, ebenso Veit und Fromme. 

Auch Baum hat sie mehrfach erfolgreich gemacht: in einem 
infizierten Falle trat jedoch der Exitus ein. 



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• 1'-. ”yws ' 



Aus den bisherigen Mitteilungen geht jedenfalls hervor, daß 
die Methode eine Zukunft hat; technische Einzelheiten werden 
wohl noch geändert werden, das Prinzip, wenn möglich, extra¬ 
peritoneal, jedenfalls aber zervikal den Uterus zu eröffnen, steht 
fest. Die Indikationen, besonders die Indikation bei infektiösen 
oder infektionsverdächtigen Fällen, müssen und werden wohl auch 
in kurzer Zeit scharf präzisiert werden. 



Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 


Geburtshilfe. 

Ausländische Literatur. 

Referent: Dr. Alois Pollak, Prag-Weinberge. 

1. La revision de la loi de Peter. Von Pouliot. Archives 
gener. de Medecine, 1908, I, pag. 66. 

2. Laceration of the cervix as a cause of post partum 
hexnorrhage. W. Wertenbaker. American Medicine, 1908, 
Felier. 

3. The treatment of post partum hemorrhage. Ibidem. 

1. Pouliot beschreibt folgende zwei Fälle: a) Leichte an¬ 
geborene Mitralstenose. Influenza. Hemiplegie. Gravidität. Dys¬ 
pnoe. Oedeme. Spontane Entbindung 14 Tage vor Termin. 
Exitus einige Tage p. partum, b) Insuffizient, valv. mitralis; die 
genaueste Beobachtung ergibt vorzügliche Kompensation, gesundes 
Myokard. Gestutzt auf diese genaue Beobachtung widerrät P. 
nicht das Herbeiluhren einer neuen Gravidität (erstes Kind war 
gestorben). Die Frau macht eine leichte Gravidität durch und 
eine spontane Entbindung — ohne alle Folgeerscheinungen seitens 
des Herzens, kann ohne Schädigung selbst nähren. Anschließend 
an diese zwei Krankengeschichten bespricht P. ausführlich die 
Pathologie und Therapie der Schwangerschaft bei Herzfehler. Be¬ 
züglich Morbidität kommt er nach sorgfältiger Untersuchung 
einer großen Reihe von Schwangeren auf Herzfehler zum Ergeb¬ 
nisse, daß von mit Herzfehlern behafteten Schwangeren nur 8,62% 
an Storungen, welche mit dem Herzfehler Zusammenhängen (wäh¬ 
rend der Gravidität oder bald nach der Entbindung), erkranken. 
Dabei aber schließt P. (ob mit Recht? Ref.) die Embolien, die 
Gehirnblutungen und ähnl. aus und berücksichtigt als Schwanger- 
schafts^törungen nur schwere Kompensationsstörungen und die 
Anfälle von Lungenödem. Die Mortalität allerdings ergibt sich 
auf etwas über 50% der Morbidität. Er gibt die Symptomatologie 
dieser Zustände, macht darauf aufmerksam, daß nicht die Art des 
Herzfehlers, sondern der Zustand des Myokards maßgebend sei für 
das Zustandekommen derselben, sowie auch event. vorhandene 
Thoraxdeformitäten, und beschreibt dann die Therapie: Aderlaß, 
starke Kartiaka (Strophantin, Digitaxin, Expektorantia). 

Bezüglich der Schwangerschaft selbst kommt Autor zu folgen¬ 
der Modifikation des Petersehen Gesetzes, welches lautet: Bei 
Fraueft, welche an Herzfehler leiden, keine Heirat, keine Gravidität, 
kein Stillen. Bei vorzüglichem Zustande des Myokards, sehr guter 
Kompensation und guter Form des Thorax kann eine Gravidität 
zugelassen werden. Gegen das Stillen besteht kein ernstes Be¬ 
denken. Die prophylaktische Einleitung des künstlichen Abortus 
kann nur zugelassen werden bei schwerem Herzfehler kompl. mit 
Skoliose, Tuberkulose oder mit Albuminurie. Der künstliche 
kurative kann eingeleitet werden, wenn die Frau in Lebensgefahr 
kommt. In den letzten Wochen der Gravidität kann die Früh¬ 
geburt eingeleitet werden, jedoch soll man bei den leisesten An¬ 
zeichen von Lungenödem sich vor jedem Eingreifen hüten. 

2. Nach Beschreibung der verschiedenen Blutungen post 
partum und Schilderung der Anat. der Zervix und des Zustande¬ 
kommens der Risse kommt W. zum Schlüsse, daß für Risse der 
unteren Zervixteile die Tamponade genüge, obere Zervixrisse aber 
genäht werden müssen. Nach der Naht Uterusausspülung und 
Tamponade. Vier Krankengeschichten. 

3. Brock (The Practitioner, 1908, Jan.) empfiehlt zur Stil¬ 
lung von post partum-Blutungen: a) Lokale Kompression (eine 
Hand eingebihrt, zweite Hand drückt auf den Fundus) und b) Kom¬ 
pression der Kava aszendens von außen zur Verhütung des Rück¬ 
flusses des Blutes. 


1. Hageen, ein neues Quecksilberseifenpräparat zur Inunk- 
tionskur. Von Dr. Aßmy und Dr. Rave. Med. Klinik, 1908, 
Nr. 9. 

2. Eine neue Behandlungsmethode der Blennorrhoea adul¬ 
torum mittels Bleno-Leuizetsalbe. Von Dr. Adam. Separat¬ 
abdruck a. .Münch. med. Wochenschr., 1907, Nr. 43. 

3. Ueber die Behandlung der Augenblennorrhöe bei Er¬ 
wachsenen und Kindern mittels der Bleno-Lenizetsalbe. Von 
Dr. Adam. Therap. Monatshefte, 1908, März. 

4. Die Behandlung der Malaria mit Atoxyl. Von Dr. 
Georgopulos. Münch, med. Wochenschr., 1908, Nr. 12. 

5. lieber die Wirksamkeit des Atoxyls und der Blaud- 
Atoxylkapseln bei innerlicher Verabreichung. Von Dr. Arens- 
berg. Berl. klin. Wochenschr., 1908, Nr. 14. 

6. Beitrag zur Behandlung mit Jodglidine. Von Dr. Hirsch. 
Med. Klinik, 1908, Nr. 13. 

7. Ueber kombinierte Theobromin- und Jodbehandlung. 
Von Dr. Jagie. Ibidem, Nr. 14. 

8. Ein Fall von Gangrän der Mamillae im Puerperium nach 
Anwendung von Orthoform. Von Dr. Wakart. Wien. klin. 

Rundschau, 1908, Nr. 12. 

1. Die Verfasser berichten über ihre an 100 Fällen im Ost¬ 
krankenhause für Haut- und Geschlechtskrankheiten in Berlin 
(Prof. Kromayer) angestellten Versuche mit Hageen, einem neuen 
von der Firma Werner & Co., Berlin N.W. 5, in den Handel ge¬ 
brachten Quecksilberseifenpräparat. Dasselbe ist eine 33 1 /3%ige 
überfettete Seifencreme, welche in Glastuben zu 30,0 g verkauft 
wird, grauschwarz aussieht und' leicht parfümiert riecht. Eine 
Ausscheidung von Hg in der Seifencreme findet weder bei längerem 
Auf bewahren statt, noch wenn das Präparat unter kräftigem Druck 
eingeschlämmt wird. Der Preis beträgt 75 Pf. pro Röhrchen. 
Auf Grund ihrer Untersuchungen kommen die Verfasser zu folgen- » 
den Resultaten: 

a) Das Hageen scheint, rein theoretisch seiner chemischen 
Zusammensetzung nach, dem Unguentum cinereum, wenn nicht 
überlegen, so doch bezüglich seiner Einwirkungsmöglichkeit auf 
den Körper mindestens gleichwertig zu sein. Dieses wird durch 
die mikroskopische Untersuchung und die Harnanalysen offenbar 
bestätigt. 

b) Die klinische Beobachtung zeigt ebenfalls, soweit- eine ein¬ 
jährige Erfahrung bei dem chronischen Charakter der Lues dazu 
berechtigt, daß das Hageen bezüglich seiner Wirksamkeit mit dem 
Unguentum cinereum auf einer Stufe steht. 

c) Aus rein äußerlichen Gründen ist es dem letzteren über¬ 
legen: Es schmutzt nicht und wird daher dem Patienten nicht 
lästig. Die Ausführung der Schmierkur mit Hageen erfordert ein 
geringes' Maß von Technik und kann' infolgedessen von dem 
weniger geübten Laien mit erhöhter Aussicht auf Erfolg ange¬ 
wendet werden, als dies bei dem Unguentum cinereum der 
Fall sein würde. 

Die Technik der Einreibung ist folgende: Die aus der Glas¬ 
tube herausgedrückte Menge des Hageen wird auf den einzu¬ 
reibenden Körperteil verteilt und ein bis zwei Minuten mit der 
leicht angefeuchteten Hand verrieben. Dann wird durch spar¬ 
sames Hinzuträufeln von (am besten lauwarmem) Wasser ein 
Schlamm gebildet, den man gleichmäßig verreibt und durch Nach¬ 
träufeln von wenigen Tropfen Wasser weiter verdünnt. Durch 
das Hin- und Herreiben reibt man das Hageen völlig in die 
Haut ein, und zwar so lange, bis diese sich nicht mehr klebrig, 
sondern nur noch feucht anfühlt. Beim Aufträufeln hat man sich 
vorzusehen, daß kein Material verschüttet wird.' Ein geschickter 
Masseur braucht 10 bis 15 Minuten, um 3 bis 5 g völlig zu ver¬ 
reiben, während die Kranken bei Selbsteinreibuug 20 bis 25 Mi¬ 
nuten benötigen, um den gewünschten Erfolg zu erzielen. Die 
I Haut sieht dann grauschwarz aus und trocknet nach vollendeter 


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.EWeiibi^ig sehr schnell. Einwickeln mit Binden oder Einpudern 
|T ' - ' ist. unnötig. 

. ^ und 3. In beiden Arbeiten berichtet A. über- seine Er¬ 

folge mit Bleno-Lenizetsalbe bei der Blennorrhoea adultorum, die 
, er wegen der Einfachheit der Handhabung für den praktischen 
' ‘ \ Arzt auch bei der Blennorrhoe der Neugeborenen angewendet 
.■, wissen will. Das Lenizet ist nach Angaben des Verfertigers die 

: polymere Trockenform des ToDerdeazetats und stellt ein sehr feines 

>weißes, schwer lösliches Pulver dar, das im Kontakt mit den Ge- 
- weben wirksame essigsaure Tonerde abspaltet. Verf. ist durch 
Zufall dazu gekommen, die 10%ige Lenizetsalbe bei Blennorrhoe 
zu verwenden. Der Fabrikant (Dr. Rud. Reiß, chemische 
Fabrik in Berlin) hatte ihn nämlich ersucht, das Mittel 
statt Borvaseline, weü erheblich billiger (20 g 25 Pf.), zu 
verwenden. Da die Salbe für normale Bindehaut als zu scharf 
nicht verwendet werden konnte, benutzte er sie gelegentlich bei 
Blennorrhoe und war über den Erfolg erstaunt. In einer Reihe 
von Versuchen stellte er fest, daß die Salbe weniger bakterizid, 
als vielmehr sekretionsbeschränkend wirkt. Jedoch wirkt sie 
nicht in die Tiefe, so daß man nicht in allen Fällen des Argentum 
wird entraten können. Doch braucht dieses nicht in dem Um¬ 
fange angewendet zu werden wie bei der klassischen Methode. 
A. fand aber, daß nicht zu lange die 10%ige Bleno-Lenizetsalbe 
angewendet werden darf, sondern daß man, um eine unregelmäßige 
Heilung der Epithel defekte zu vermeiden, zu einer geringeren 
Konzentration der Salbe übergehen muß. Uebrigens ist die Bleno- 
Lenizetsalbe eine Kombination des Lenizets mit Euvaseline. Letztere 
ist besonders reine, weiße, amerikanische Vaseline, die eine vor¬ 
zügliche, lange anhaltende Schutzdecke für die Hornhaut bieten 
soll. A. hat folgende Methode erprobt: 1. Einstreichen der 
10%igen Bleno-Lenizetsalbe zweistündlich bis zur deutlichen Ab¬ 
nahme der Sekretion. 2. Hat die Sekretion beträchtlich abge¬ 
nommen, so benutzt man die 5%ige Salbe drei- bis fünfmal täg¬ 
lich. 3. Hat nach etwa 14 Tagen die eitrige Sekretion völlig 
sistiert ,* so nimmt man die reine Euvaseline zum Schutz für die 
Hornhaut und instilliert einmal täglich einen Tropfen V 2 %iger 
Argentumlösung zur Bekämpfung der anschließenden Bindehaut¬ 
entzündung. A. meint, daß die Bleno-Lenizetbehandlung die Pro¬ 
gnose der Blennorrhoea adultorum erheblich bessert und, wie ge¬ 
sagt, wegen der Einfachheit der Anwendung auch bei der Blen¬ 
norrhoe der Neugeborenen angewendet werden kann. Ueber die 
Technik und einige zu beobachtende Vorsichtsmaßregeln lese man 
besonders den zweiten Artikel im Original nach. 

4. G. hat bei 14 Malariakranken Atoxyl angewendet, und 
zwar bekamen die Patienten im ganzen in einem Zeitraum von 
18 Tagen 4,5 g Atoxyl. Aus den mitgeteilten Krankengeschichten 
ist zu ersehen, daß nach mehr oder weniger kurzer Zeit nach 
der Einleitung der Atoxylkur die Fieberanfälle aufhörten, die 
Milzschwellung verschwand oder sich verkleinerte, die Malaria¬ 
parasiten nicht mehr im Blute zu finden waren, und das Allgemein¬ 
befinden der Kranken sich gebessert hatte. Nennenswerte Neben¬ 
erscheinungen hat die von G. verabreichte Dosis nicht hervor¬ 
gerufen, Bei manchen Patienten traten nur Magen- und Kolik¬ 
schmerzen, Durchfall und ein unangenehmes Kratzgefükl im Halse 
auf. G. wagt nicht, ein schlüssiges Urteil über die Güte des 
Mittels abzugeben. Seine Erfolge ermuntern aber zu weiteren 
Nachuntersuchungen. 

5. In der Literatur über Atoxyl ist bisher fast nur die sub¬ 
kutane oder intramuskuläre Anwendungsweise des Mittels besprochen 
worden; über die Verabreichung desselben per os sind erst wenige 
Veröffentlichungen erschienen. Es erscheint daher ein Artikel von 
Arensbörg in der Berl. klin. Wochenschr. von Interesse, in 
welchem der internen Anwendung des Atoxyls, und zwar in Ge¬ 
stalt der Blaua-Atoxylkapseln, das Wort geredet wird. A. hat 
bei 57 Fällen von Anämie bezw. Chlorose, die sämtlich ambulant 
behandelt wurden, die genannten Kapseln gebrauchen lassen. Jede 
Kapsel, welche luftdicht durch eine Gelatinehülle vor der oxydie¬ 
renden Luft geschützt ist, enthielt 0,05 g Atoxyl und 0,03 g 
Blaudscbe Pillenmasse. In einigen wenigen Fällen wurden an 
Stelle dieser Kapseln Tabletten gegeben, die neben 0,05 Atoxyl 
0,3 Ferrum laktikum enthielten. Ein Unterschied in der Wirkung 
war nicht zu konstatieren. Beide Präparate wurden in der Art 
gegeben, daß die Kranken im ganzen etwa 50 bis 75 Kapseln 


einnahmen, und zwar zweimal täglich eine Kapsel (= 0,1 g Atoxyl 
pro die) je nach dem Mittag- und dem Abendessen. Wurde die 
Dosis um das Doppelte erhöht, so traten manchmal unangenehme 
Nebenwirkungen, Klagen über Magen sch merzen, Durchfälle u. dgl. 
auf, so daß von einer höheren Dosierung Abstand genommen 
werden mußte. Nach Aussetzen des Mittels gingen die Neben¬ 
erscheinungen prompt zurück. Die therapeutische Wirksamkeit 
wurde durch die Hämoglobinuntersuchung mittels des Sahli - 
Gowersschen Hämoglobinometers von acht zu acht Tagen kon¬ 
trolliert. Der Verfasser weist darauf hin, daß der Stuhlgang, der 
ja bei Chlorose meist verstopft ist, durch die Blaudschen Atoxyl¬ 
kapseln günstig beeinflußt wurde. In einigen Fallen, in denen 
die nervösen Erscheinungen im Vordergründe standen, erschien 
eine Kombination der blutbildenden Stoffe mit reinen Tonizis in 
dem von Erb bereits angegebenen Sinne wünschenswert. Hier 
haben sich in erster Linie Chinin und Strychninum nitrikum bei 
chronischem Gebrauch bewährt, so daß deren Kombination mit 
Atoxyl erfolgreich zu sein scheint. 

6. Auch H. berichtet über seine Erfahrungen mit dem 
Klopferschen Jodglidine, das er in 47 Fällen (Arteriosklerose, 
Struma, Skrofulöse, Lues) anwandte. Bekanntlich ist im Jod¬ 
glidine das Jod so mit Eiweiß kombiniert, daß dasselbe nicht zer¬ 
stört ist, und wird das Jod in dem Maße resorbiert, als das 
nukleinfreie Pflanzeneiweiß-Glidme aufgelöst wird. Das Jodglidine 
enthält 0,05 g Jod, gebunden an 0,5 g Glidine, und wird in 
Tablettenform verabreicht. Regelmäßige Harnuntersuchungen er¬ 
gaben , daß schon nach einer Tablette Jod im Urin nachweisbar 
war, daß aber bei längerer Darreichung des Jodglidines die Jod¬ 
menge im Harn sich nicht auffällig vermehrte. H. hat auch die 
Haltbarkeit des Präparates geprüft und gefunden, daß die Tabletten 
nach vier Monate langer Lagerung keine Aenderung ihres Aus¬ 
sehens erlitten hatten; ihre Wirkung und die chemische Unter¬ 
suchung zeigte, daß sie dem frischen Praparat gleickkamen. 
Nebenwirkungen stellten sich nicht ein. 

7. Aus der v. Noordenscken Klinik in Wien ist ein 
Artikel von Dr. Jagie über kombinierte Theobromin- und Jod¬ 
behandlung bei xArteriosklerose und Angina pektoris sowie bei 
chronischer Nephritis erschienen, in welchem auf ein neues Präparat, 
das Theobrominnatrium - Jodnatrium, aufmerksam gemacht wird. 
Dasselbe wurde auf v. Noordens Veranlassung von den Ver¬ 
einigten Chininfabriken Zimmer & Co. in Frankfurt a. M. her- 
gestellt und hat den Namen „Eustenin“ erhalteu. Dasselbe kommt 
sowohl als Pulver als auch als fertige Lösung (mit Saccharin und 
Orangeblütenwasser) in den Handel. Von letzterer Lösung — es 
darf kein Zucker zu Theobromin zugesetzt werden, da die Haltbar¬ 
keit dadurch noch mehr herabgesetzt wird 1 — wurden bei Arterio¬ 
sklerose fünf Kaffeelöffel täglich mit gutem Erfolge verabreicht, 
gern genommen und gut vertragen; von dem Pulver wurden an¬ 
fangs 5,0 g pro die gegeben. Zwar trat danach prompte Diure.se 
ein; in einzelnen Fällen machte sich aber schon nach kurzer Zeit 
starker Jodismus unangenehm bemerkbar. Nach Dosen von’2,5 g 
pro die wurden recht gute Wirkungen bei Arteriosklerose mit 
und ohne Blutdrucksteigerung und bei Angina pectoris sowie auch 
bei Aortenaneurysmen bemerkt. Meist trat Blutdruckerniedrigung 
und Nachlassen der Schmerzen und der übrigen subjektiven Be¬ 
schwerden ein. Wegen des bitteren Geschmacks wurden die 
Pulver in Oblaten gereicht. 

8. W. berichtet über einen eigenartigen Fall von Gangran 
der Mamillen, die bei einer Ilpara im Puerperium nach Anwen¬ 
dung einer gesättigten, alkoholischen Lösung von Orthoform aul¬ 
trat. Dasselbe war zum Heilen auf Schrunden an den Brust¬ 
warzen und zur Linderung der Schmerzen angewendet worden, 
batte auch eine Heilung hervorgerufen, jedoch nur eine vorüber¬ 
gehende. Denn alsbald machte sich eine Gangrän bemerkbar, die 
auch einen Teil des Warzenhofes angriff. Sekale war nicht ge¬ 
reicht worden; Störungen von seiten des Herzens oder eine 
puerperale Infektion lagen nicht vor. Doch war die Kranke hoch¬ 
gradig nervös und sehr anämisch. Ob dem Orthoform die Schuld 
an der Gangrän beizumessen ist, oder ob etwa eine andere Ur¬ 
sache Vorgelegen bat, läßt sieb nicht entscheiden. 


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Neuere Arzneimittel. 

Le ein. 

Unter dem Namen Leein wird seit etwa Jahresfrist ein Eisen¬ 
eiweißpräparat als Lösung, als Pulver und in Form von Tabletten 
verkauft, das aus Hühnereiweiß und Eisendialysat von Dr. E. 
Laves, Oberapotheker am städt. Krankenhause Hannover, nach 
einem ihm patentierten Verfahren hergestellt wird. Es ist in 
Wasser klar und neutral löslich; durch seine neutrale Reaktion 
unterscheidet sich Lecin von anderen Eiseneiweißlösungen. Auch 
soll es eisenhaltiger als diese sein. Aus bestem Hühnereiweiß 
hergestellt, ist es haltbar, ohne zu gelatinieren. Lecin reizt die 
Schleimhäute nicht, schmeckt angenehm, wird gern genommen und 
gut vertragen und regt den Appetit sofort an. Eisenpeptonate 
und andere Eisen Salzlösungen werden weniger gut vertragen, da 
sie im Magen schnell zu ätzendem Eisenchlorid amgesetzt werden; 
Eiseneiweiß dagegen wird, wie bei Lecin sicher nachgewiesen ist, 
mit der fortschreitenden Verdauung des Eiweißes langsam resor¬ 
biert, ohne die Magenwandungen zu reizen. Das Präparat in 
Losung ist eine klare, goldbraune Flüssigkeit von neutraler Reak¬ 
tion und von sehr angenehmem aromatischem Geschmack; sie soll 
20% frisches Hühnereiweiß, gebunden an Eisen — 0,6% — ent¬ 
halten. Für Erwachsene beträgt die Einzeldosis 5 bis 10 g drei¬ 
mal täglich. Lecin wird verordnet gegen Blutarmut und Bleich¬ 
sucht, bei Rekonvaleszenten und Wöchnerinnen, bei Phthisikern. 
Bleichsüchtige nehmen es am besten nach dem Essen; daneben 
kann Arsen, Brom, Jod verabreicht werden. Getrocknet und mit 
gtyzerin-phosphorsaurem Kalk nebst Kakao als wohlschmeckende 
Tabletten verabreicht, ist Lecin für nervöse Blutarme, für kleinere 
Kinder und für die Nachkur berechnet. iWßerdem kommt es — 
nach Angabe des Erfinders als billigste Form — als Pulver in 
hermetisch verschlossenen Blechdosen in den Handel. Die Preise 
der Lecinpräparate sind ungefähr gleich denen des Liq. ferri 
albuminati und Liq. ferri Drees. Nach meinen Erfahrungen ist 
das Mittel als ein recht gutes Eisenpräparat anzusehen. Bezeich¬ 
nend war es, daß eine Krankenschwester, der ich das zu Versuchs¬ 
zwecken mir übergebene Lecin während ihrer Rekonvaleszenz 
nach schwerer fieberhafter Bronchitis verordnete, wiederholt äußerte, 
daß sie seit Gebrauch des Mittels immerzu essen könnte, oft 
geradezu Heißhunger hätte. W. Krüger-Magdeburg. 

Cholauxan , ein Mittel gegen Erkrankungen der Gallenwege, 
besonders gegen Gallensteine, besteht nach B. Schürmayer 
aus: Extraktum fluidum (sine alkohol. recent. parat.) Rhei, Cheli- 
donii, Taraxaci, Hepaticae ana 15,0, Ol. Amygdalar. dulc. 70,0, 
Natr. oleinic. 1,0, Validol 0,5, Methylsalicylat 0,25, Glyzerin, Spirit, 
vini ana 25,0, Essentia Cacao, El. carm. (? Ref.) ana 10,0, Gummi 
arab., Trag., Aqu. dest. ana q. s. u. f. Emulsio 275,0. Nach 
gutem Durchschütteln des Inhalts werden die vorgeschriebenen 
Guantcn in den entsprechenden Zwischenräumen bezw. an den 
vorgeschriebenen Tagesstunden oder Tagen warm genommen, ver¬ 
mischt mit gleichen Teilen eines heißen Aufgusses von schwarzem 
Tee. Bezugsquelle: Löwen-Apotheke in Stuttgart. (D. Bled.-Ztg., 
1008, Nr. 26.) 

Jodchloroform, d. h. eine 5 bis 6%ige Lösung von Jod in 
Chloroform, empfiehlt Gomoiu als vorzügliches Hämostatikum 
für äußerliche Zwecke. (Münch, med. Wochenschr., 1908, Nr. 10.) 

Perulm, eine Wund- und Heilsalbe, besteht nach Angabe 
des Darstellers aus 10 T. Zinkoxyd, 25 T. flüssigem Paraffin, 5 T. 
japanischem Wachs, 5 T. Myroxylinbalsam (wohl Perubalsam. Ref.), 

5 T. Bleiazetat, 5 T. Karbolsäure und 75 T. Wollfett. Fabrikant: 
Apotheker G. Pflug in Zittau. (Pharm. Zentralhalle.) 

Solvacid, Pas tili Natrii citri comp., sollen bei harn¬ 
saurer Diatliese in Wasser gelöst genommen werden. Fabrikant: 
G. Hell & Cie. in Troppau. 

Timothein ist ein durch Alkohol gefälltes Paratuberkulin, 
gewonnen aus den Kulturen von Timotheusbazillen, welches zur 
Anwendung der sogen. Ophthalmoreaktion zur Tuberkulosediagnose 
empfohlen wird. (Münch, med. Wochenschr., 1908, Nr. 10.) 

Tussiculin , ein bei Keuchhusten äußerlich anzuwendendes 
Präparat, soll hergestellt werden aus je 3,5 g der ätherischen 
Oele von Melaleuea, Leucodendron, Serpyllum, Persxca vulgaris 
und 45 g Alcanna tinctoria. Bezugsquelle: Dr. Wasserzug & Cie. 
in Frankfurt a. M. (Pharm. Zeitg., 1908, Nr. 28.) 


Technische Neuerscheinungen. 


Verbandschrank „Sanitas“ 

zur dauernden Steril-Erhaltung von Notverbänden. 

In den bisher gebräuchlichen Verbandkästen, welche in 
Unfallstationen und gewerblichen Getrieben zum Aufbewahren 
der bei Unfällen sofort zu brauchenden Verbandstoffe und In¬ 
strumente benutzt wurden, waren die darin untergebrachten 
Gegenstände absolut nicht in idealer Weise aufbewahrt und 
man beobachtete eine große Anzahl gewichtiger Mängel und 
Nachteile an diesen Verbandkästen und -Schränken. Um diesen 
Uebelständen abzuhelfen, ist von E. Kraus, Berlin SW., 
Kommandantenstr. 55 ein neuer Verbandschrank konstruiert 
worden, welcher mit dem Namen „Sanitas“ belegt wurde. Aus 
beistehender Abbildung dieses Schrankes ersieht man dessen 
Konstruktion. Er besitzt entgegen den gebräuchlichen Schränken 



zu diesem Zwecke eine Falltür, welche, in Nuten und auf Federn 
laufend, durch ihr eigenes Gewicht sich schließt, so daß der 
Schrank immer automatisch geschlossen wird. Durch die Ein- 
führungsfuge der Falltür wird das Eindringen selbst feinster 
Staubpartikelchen verhindert, was deshalb besonders wichtig 
ist, da solche Schränke meist an Orten, die sehr staubreiche 
Luft aufweisen, wie Fabrikräume, Turnhallen, Eisenbahnwagen 
etc., aufgestellt werden. Zur Kontrolle darüber, ob der Inhalt 
von unbefugten Personen berührt, resp. der Schrank geöffnet 
worden ist, ist am unteren Rande des Schrankes eine kreisrunde 
Vertiefung angebracht, welche halb in der Tür, halb in der 
unteren Leiste des Schrankes gelegen ist, und dazu dient, von_ 
einer Marke beklebt zu werden, wenn die Tür geschlossen ist. 
Es stellt dies eine Art Plombe dar. Durch eine geringfügige 
Veränderung des Schrankes kann ~ man eine Desinfektionsvor¬ 
richtung für die Scheringsche Formalinlampe anbringen, 
durch deren Dämpfe der Inhalt des Schrankes sterilisiert wird. 
Zwei Formalinpastillen genügen in der Scher ingschen 
Formalinlampe „Hygiea“ für Sterilisation des Inhalts des 
Schrankes in ca. 10 Minuten. Nach dieser Zeit verlischt die 
Lampe von selbst. Der Inhalt des Schrankes, der aus Glas, 
ist, ist leicht übersehbar, und die einzelnen Gegenstände lassen 
sich leicht, ohne daß man andere berühren muß, aus dem 
Schranke herausnehmen. Der Verbandschrank „Sanitas tt wird 
in drei Größen angefertigt, je nach der Größe des Getriebes, 
für welchen er bestimmt ist. 


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'''*■** 

: ' , f aikAPEUTISCHE RüNDSCMaÜ. 


299 


.□ 


Bücherbesprechungen. 


□ 


düng behandelt er nicht mit Eis, sondern mit hyperämisierenden 
und den „Abbau“ der Entzündungsprodukte fördernden Alkohol- 
Stammumschlägen und rät außerdem zu einem Versuch mit den 
katalytisch wirkenden kolloidalen Silberpräparaten (Ung. Crede. 


Die Blinddarmentzündung, ihre Entstehung, Ver¬ 
hütung und Behandlung nach neueren Gesichts¬ 
punkten. Von Dr. M. Meyerl-Bernsfcadt. München 1906. 
0. G-melin. 28 S. Preis 1,20 M. 

Verf. betont, daß es müßig sei, über den Wert der ver¬ 
schiedenen Behandlungsarten der Blinddarmentzündung zu streiten, 
solange man sich nicht darüber klar geworden sei, wie das Leiden 
zustande komme. 

Nach seiner Anschauung ist sie in letzter Linie auf den 
schädlichen Einfluß abnormer Zersetzungsprodukte im Verdauungs¬ 
trakt zurückzuführen, deren Hauptursache wieder in einer Insuffi¬ 
zienz der Darmtätigkeit zu suchen sei. 

Letztere kann verschiedene Gründe haben. Jedenfalls treten 
durch sie bedingte Stockungen am häufigsten und hartnäckigsten 
an Stellen schwierigerer Passage auf, zu denen vor allem 
die Blinddarmgegend gehört. Hier ist also die Gefahr der Resorp¬ 
tion von Giftstoffen besonders groß. Ob das hier, ähnlich wie am 
Isthmus faucium, massenhaft befindliche adenoide Gewebe als 
Schutzwall wirkt, läßt Verf. dahingestellt. 

Eine Hauptquelle toxischer Stoffe ist die heutzutage viel zu 
sehr überschätzte Fleischkost*). Die aus ihr entstehenden 
Extraktivstoffe und Eiweißfäulnisprodukte können um so leichter 
und länger einwirken, als die Fleischingeste infolge ihres Fibrin¬ 
gehaltes zu 'einer zähen, klebrigen, der Darmwand anhaftenden 
Masse werden, und im Gegensatz zu der vegetabilienreichen Nah¬ 
rung diesen Charakter bis weit in den Dickdarm hinein beibe¬ 
halten. (Der übliche gärungerregende Alkoholgenuß wirkt dabei noch 
fäkulenzverstärkend ein.) 

Die protoplasmafeindlichen Eigenschaften der erwähnten Stoffe 
dokumentieren sich in zweifacher Weise, erstens durch direkte 
entzündliche Einwirkung am Ort ihres Entstehens, zweitens nach 
geschehener Aufnahme in die Zirkulation als „vis a tergo“. 
Nehmen wir dazu noch die mechanische Wirkung der Kotstauung 
und diejenige von „virulent gewordenen“ Bakterien, so ergibt sich, 
daß die Blinddarmgegend mehrfachen Angriffen standzuhalten hat, 
die für das Zustandekommen einer Entzündung völlig ausreichen 
und das Suchen weiterer Entstehungsursachen (Emaillepartikelchen, 
Obstkerne) überflüssig erscheinen lassen. 

Die je nach der individuellen Konstitution, Lebensweise etc. 
verschiedene allgemeine und Lokalreaktion gegen die genannten 
Schädlichkeiten ergibt dann die verschiedensten Formen und Stufen 
von Erkrankung und dementsprechende individuelle Behand¬ 
lung im Gegensatz zu der vor kurzem von einigen chirurgischen 
Heißspornen empfohlenen automatischen Operation jeder Blind¬ 
darmentzündung. 

Prophylaktisch empfiehlt Meyer Einschränkung der Fleisch¬ 
kost zugunsten der vegetabilischen, Körperbewegung und nötigen¬ 
falls tägliche Darmauswaschungen durch Einfuhr von Mittelsalzen 
(Bitterwässer, Sanosal), wobei er — wohl ein wenig zu optimistisch 
— die Angewöhnung nicht höher anschlägt als diejenige an die 
tägliche Haut- und Mundpflege. 

Bei ausgebrochener Krankheit ist 1. für Aufhebung von Kot¬ 
stauung und Darmgiftbildung, 2. für „Eindämmung“ der Entzün¬ 
dung und 3. nötigenfalls für die Beseitigung unerträglicher Schmerzen 
Sorge zu trägen. 

In letzterer Hinsicht ist Opium per os oder in Suppositorien 
nach M.s Ansicht oft nicht zu umgehen. (Ref. möchte hier wiederholt 
auf die Ausführungen von Rosen hach und Spies, Münch, med. 
Wochenschr., 1906, betr. die entzündungswidrige Wirkung der 
Anästhesierung, hinweisen.) 

Der ersterwähnten Indikation empfiehlt M., der auf Grund 
seiner oben erwähnten Anschauung die „Ruhigstellung des Darmes“ 
perhorresziert, durch Darreiehung^von^Mittelsalzen, event. eine 
dreiste Kalomelgabe (0,5 + 1,0 Jalappe) zu genügen, die Entzün- 


*) Vgl. die einschlägige Notiz von All wig-Flesch, Münch, med. 
Wochenschr., 1907, über das Fehlen der Blinddarmentzündung bei vege¬ 
tarisch lebenden Völkern, desgl. Champoniere, Bünerfautli etc. 


Kollargol per os). 

Betreffs der Operation teilt er den Standpunkt der nicht 
„automatischen“ Autoren (Czerny, Garhammer, Herz, 
Kreeke, Pfister, v. Renvers, Sonnenburg etc.), indem 
er dieselbe nur bei bedrohlichen Symptomen empfiehlt. 

Zu dem letzterwähnten Punkt möchte Ref. noch bemerken, 
daß es theoretisch ja allerdings sehr verführerisch erscheint, die 
Unmöglichkeit einer sicheren Prognose durch einheitliches Operieren 
jedes Epityphlitisfalles zu kompensieren (Riedel, Bern dt etc.). 

Da die Krankheit aber, bis auf wenige Prozent (5 bis 8%, 
Sahli), eine gutartige Aflfektion ist, so kann man, seitdem 
die Chirurgen uns bei gewissen Formen ihre Hilfe leisten, auch 
ohne durchgängige Operation die Mortalität auf ein Minimum 
herabd rücken. 

Allerdings aber werden hier, ebenso wie bei anderen Affek¬ 
tionen, einzelne latente, undiagnostizierbare oder direkt hochgradige 
infektiöse Fälle (letztere auch trotz Operation) stets zugrunde 
gehen (Herz, Sonnenburg), so daß der Ausspruch „es braucht 
heutzutage niemand mehr an Epityphlitis zu sterben“ als ebenso 
falsch wie töricht bezeichnet werden muß. Esch. 

Friedrichs des Großen Korrespondenz mit Aerzten. 

Herausgegeben von Dr. G. L. Mamlock, Arzt in Berlin. \ erlag 
von F. Enke. Stuttgart 1907. 159 S. 

Mit Friedrich d. Gr. haben sich wiederholt Mediziner be¬ 
schäftigt, so sein behandelnder Arzt Seile, der nach dem Tode 
des Königs seine Krankheitsgeschichte herausgab, und sein Kon¬ 
siliarius Zimmermann, von neueren besonders du Bois-Rey- 
mond und Waldeyer, am eingehendsten aber wohl Mamlock 
selbst, der bekannte medizinische Geschichtsforscher, der mit be¬ 
wunderungswürdigem Fleiß und kritischem Scharfblick in einer 
stattlichen Reihe von Veröffentlichungen alles zusammengetragen 
und gesichtet hat, was überhaupt geeignet ist, die Stellung des 
großen Königs zur Medizin zu beleuchten und Idarzustellen. Was 
seine diesmalige Veröffentlichung von allen bis jetzt von anderer 
Seite erschienenen unterscheidet und für uns Aerzte besonders 
interessant und wertvoll macht, ist der Umstand, daß wir Friedrich 
hier als einen Förderer der Medizin und seine Stellung zur Heil¬ 
kunde als Landesherr kennen lernen, während alles früher Ver¬ 
öffentlichte sich mehr oder weniger ausschließlich auf den König 
als Person, auf seine Krankheiten, seine Kenntnis von medizini¬ 
schen Dingen, seinen Verkehr mit Aerzten usw. bezieht. Dazu 
kommt, daß die von M. zum ersten Male herausgegebene Korre¬ 
spondenz bisher zum größten Teil unbekannt gewesen ist. Seine 
Quellen sind die besten, die man sich denken kann, nämlich das 
Geh. Staatsarchiv in Berlin und Breslau, das Kgl. Hausarchiv in 
Charlottenburg, die Generalregistratur der Charite und eine private 
Mitteilung. Zum Abdruck gelangt sind alle Briefe (174 an der 
Zahl), die lur den Zweck dienlich erschienen, ohne daß dabei 
auf Vollständigkeit Anspruch gemacht wird. Wer aber etwa eine 
trockene Wiedergabe dieser ohne Kommentar erwartet, ist auf 
das Angenehmste durch die von M. geschriebene Einleitung ent¬ 
täuscht, in welcher, und zwar auf Grund der nachfolgenden 
Korrespondenz selbst, eine Schilderung der Zeit und der Zustände 
gegeben wird, aus der heraus letztere überhaupt erst mit Genuß 
gelesen und richtig verstanden werden kann. Und mit Bewunde¬ 
rung und Staunen sehen wir dann, daß der alte Fritz nicht mü¬ 
der große Staatsmann und Feldherr war, als den wir ihn alle 
bereits kennen, sondern, wie gesagt, auch ein Förderer der Medizin, 
ein Geist, der mit einer Vielseitigkeit ohne gleichen alles selbst 
geprüft und sich in Dinge hineingearbeitet hat, die heute vollauf 
eine Reihe von Behörden beschäftigen, in das gesamte Heeres- 
sanitätswesen, die wissenschaftliche Forschung, den medizinischen 
Unterricht, die ärztliche Praxis, Hygiene usw. Was ihm beson¬ 
ders am Herzen lag, war, entsprechend seiner ganzen Zeit, natur¬ 
gemäß die Ausgestaltung des Militärsanitätswesens und, damit 
zusammenhängend, die Beschaffung eines ausreichend geschulten 
Aerztematerials, sowie die Ausarbeitung eines zweckentsprechenden 
Lazarettreglements. Erst von diesem aus konnte sich da^ heutige 



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300 


Militärsanitätswesen bis zu seinem gegenwärtigen Stande ent¬ 
wickeln. Nächst der Militärsanität ist es die öffentliche Hygiene, 
die besonders aus Anlaß der damals herrschenden Pest gelegent¬ 
lich ein persönliches Eingreifen des Königs erforderte (es solle 
„nicht ohne Noth das Commercium gestöhret“ werden). Ihm ver¬ 
danken wir ferner das Projekt der späteren Tierarzneischule, die 
Einführung der Impfung, zu deren Ausführung und Lehre er 1768 
den in Dresden ansässigen englischen Arzt Dr. Baylies nach 
Berlin kommen läßt, ferner Maßnahmen zur Bekämpfung der Toll¬ 
wut, zur Hebung der Bäder, besonders der schlesischen, der Stahl¬ 
bereitung, die Einführung des Hebammenunterrichts, die Erweite¬ 
rung der Charite usw. usw. Ohne Kenntnis der historischen Tat¬ 
sachen kein Fortschritt. Wer sich für diesen interessiert, muß 
es auch für jene tun, und in diesem Sinne ist es, wie gesagt, ein 
Genuß, vor allem auch für Militärärzte, sich in die Korrespondenz, 
die der große Friedrich mit Aerzten gehabt hat, und die Erläute¬ 
rungen , die M. dazu gibt, zu vertiefen. Die Briefe des Königs 
selbst sind genau nach den in den Kabinetskanzleien enthaltenen 
Konzepten wieder gegeben und atmen seinen und seiner Zeit Geist 
in oft erfrischender Deutlichkeit. Wo nötig, sind Kommentare 
beigegeben. Peltzer- Steglitz. 

Lehrbuch der Pharmakotherapie. Von R. Kob ert. 

Zweite durchweg neubearbeitete Auflage. Stuttgart 1908. Verlag 
von F. Enke. Erste Hälfte. 

Man muß die Medizin vor dem Treibhaus bewahren, man 
darf sie nicht zu sehr verkünsteln, sonst hält sie dem praktischen 
Leben nicht stand. Gerade die Pflegestätten der Wissenschaft 
dürfen, da sie die Aerzte erziehen, Verständnis und Fühlung mit 
den Bedürfnissen der Praxis nicht verlieren; sonst würde das 
Hissche Wort: „Es muß zugegeben werden, daß die experimen¬ 
telle Pharmakologie sich allzu weit von der Klinik entfernt hat“ 
nicht bloß zur Charakterisierung der jetzt herrschenden Richtung 
der pharmak ologischen Forschung und des pliarmakologi- 
scli en Unterrichts gelten, sondern müßte verallgemeinert werden. 
In dieser Erkenntnis und Forderung wissen wir uns eins mit 
Kob er t, der in seiner Pharmakotherapie eine Brücke von der 
theoretischen Wissenschaft zur Praxis schlägt und dessen Buch 
eben deshalb in der Hand jedes Mediziners zu finden sein sollte. 

Es ist unmöglich, daß ein nur halbwegs beschäftigter 
Arzt die gesamte Literatur liest, die ihm heutzutage angeboten 
wird; es ist auch nicht nötig; denn ganz abgesehen davon, daß 
in vielen Fachzeitschriften nur allzu viel Theorie und — aus 
naheliegenden Gründen — zu wenig Praxis zu finden ist, es wird 
der Arzt auch von chemischen und technischen Fabriken und 
Laboratorien mit Literatur geradezu bombardiert, ohne daß er immer 
imstande ist, Spreu vom Weizen zu sondern. Dabei läßt die 
Fülle von Neuheiten die guten alten Mittel allzu sehr in Ver¬ 
gessenheit geraten. Kobert gibt nun dem Arzte und dem 
alteren Kandidaten der Medizin ein Buch in die Hand, das die 
für ihn in Betracht kommenden realen Gesichtspunkte scharf her- 
\ erhebt, d. h. welches die Mittel nach den klinischen Indikationen 
sichtet und bei jeder Gruppe angibt, welche Anforderungen bei 
der Untersuchung eines Mittels erfüllt sein müssen, ehe man ein 
Recht hat, dieses Mittel klinisch als Diuretikum, Diaphoretikum 
etc. zu bezeichnen. Dem entspricht die Einteilung. Dem ersten 
Teil, in dessen 15 Kapiteln die „allgemeine“ Pharmakotherapie 
abgebandelt wird, folgt der spezielle Teil, dessen erste Abteilung 
die pharmakotherapeutischen Mittel ohne eigentliche pharmakolo¬ 
gische Wirkung, dessen zweite diejenigen, deren Wirkung nicht 
an ein bestimmtes Organ gebunden ist, dessen dritte diejenigen, 
deren Wirkung an ein bestimmtes Organ oder Organsystem 
gebunden ist, enthält. Es ist das therapeutische Einteilungs¬ 
prinzip gewählt, von dem auch Harnack in seiner Pharma¬ 
kologie (pag. 103) zugibt, daß es dem Arzte am Kranken¬ 
bett die meiste Bequemlichkeit bietet, wenn er es auch an¬ 
schuldigt, „nicht bloß der Pharmakologie als Wissenschaft, son¬ 
dern auch der Therapie am verderblichsten“ geworden zu sein, 
ein Standpunkt, der freilich von einer geringen Hochachtung vor 
dem praktischen Arzte und von einem Mangel an Verständnis für 
seine Tätigkeit zeugt. 



TflEKAPfiÜfflSCfife: ßÜNDSdHAtl 


Es ist klar, daß das therapeutische Einteilungsprinzip auf 
Schwierigkeiten bei der Durchführung stößt, z. B. wegen der 
wiederholten Anführung einzelner Mittel in verschiedenen Kapiteln. 
Kobert hat sich aber dadurch nicht abschrecken lassen, und es 
ist ihm, da er den praktischen Gesichtspunkt immer im Auge be¬ 
hielt, einwandsfrei geglückt, die Bequemlichkeit und Annehmlich¬ 
keit seines Einteilungsprinzips auch auf die Handlichkeit des Textes 
zu übertragen. L u n g wi t z - Berlin. 



Der Bund für Mutterschutz verhandelte auf seiner Tagung 
am 16. Februar über die Reform des Hebammenwesens und stellte 
folgende Forderungen auf: 1. Die Hebammenfrage kann nur durch 
Erlaß eines Gesetzes in befriedigender Weise gelöst werden. 2. Für 
die Zulassung zur Hebammenlehranstalt ist eine durch Prüfung 
zu erweisende, ausreichende Bildung, mindestens die einer Mädchen- 
Mittelschule zu fordern. 3. Die Ausbildungszeit beträgt IV 2 Jahre 
und umfaßt Geburtshilfe, Wochenbetthygiene, Säuglingspflege. 
4. Die staatlich geprüften Hebammen werden nach Bedarf in den 
einzelnen Bezirken angestellt. Die Bevölkerung hat jedoch freie 
Hebammen wähl. 5. Sie erhalten ein Mindestgehalt von jährlich 
1200 M. 6. Die Hebammen unterstehen dem Pensionsgesetz für 
Staatsbeamte in Preußen. 7. Zum Schutz gegen Ansteckung und 
Unfälle im Beruf sind die Hebammen der Unfallversicherung zu 
unterstellen. 8. Die heute praktizierenden Hebammen sind, soweit 
sie den gesteigerten Anforderungen und der Nachprüfung im 
Wiederholungslehrgang genügen, staatlich anzustellen. Durch Ein¬ 
richtung besonderer Fortbildungskurse ist ihnen der Uebergang in 
die neue gesetzliche Ordnung zu erleichtern. 9. Hebammen, die 
infolge ungenügender Bildung die Prüfung nicht bestehen können, 
werden durch eine einmalige Abfindungssumme entschädigt und 
ihres Amtes enthoben. Hebammen, die infolge vorgerückten Alters 
zu staatlichen Anstellungen untauglich sind, werden pensioniert. 
10. Wochenpflegerinnen dürfen weder vom Arzt beauftragt noch 
aus eigener Initiative Hebammendienste bei der Geburt ver¬ 
richten. — xAußerdem wurde ein Antrag von Dr. Falk ange¬ 
nommen: Der Bund für Mutterschutz ersucht die städtischen Be¬ 
hörden, bei der Neuregelung des Rettungswesens die notwendigen 
Einrichtungen zu treffen, damit bei Entbindungen von den Rettungs¬ 
wachen Kisten mit sterilisierter Wäsche und Verbandsachen leih¬ 
weise abgegeben werden können. (Deutsche med. Wochenschr,, 
1908, Nr. 10.) 

Bekanntmachung. Im Verlage von Julius Springer zu 
Berlin N. 24, Monbijouplatz 3, ist ein Nachtrag zu dem Ver¬ 
zeichnis der zur*Annahme von Praktikanten ermächtigten Kranken¬ 
häuser und medizinisch - wissenschaftlichen Institute im Deutschen 
Reiche erschienen. 

In dem Nachtrage sind alle Krankenhäuser und Institute, die 
seit der ersten Herausgabe des Verzeichnisses neu ermächtigt 
worden sind, sowie die selbständigen pathologisch-anatomischen 
usw. Abteilungen von Krankenhäusern, die bisher schon zur An¬ 
nahme von Praktikanten ermächtigt waren, berücksichtigt worden. 
Von der Aufnahme sonstiger Aenderungen (z. B. der Zahl der 
Praktikanten u. a.) ist abgesehen worden, um den Nachtrag nicht 
unübersichtlich zu gestalten. 


Berlin, den 4. März 1908. 


Der Polizei-Präsident. 
I. V.: Friedheim. 


F. A. Hoppen tjtm R. Fischer 
Patentanwälte 

Berlin SW. 13, NeuenbnrgerstraJße 15 

Amt IV 718. 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. H. Lungwitz, Berlin S. — Verlag: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle a. S. 
Druck der Heynemannschen Buchdruckerei, Gebr. Wolflj Halle a. S- 


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Wochenschrift für die gesamte Therapie des praktischen Arztes. 


0. Anton, A. Dührssen, C. A. Ewald, P. Gerber, R. Kobert, 
Halle a. S. Berlin. Berlin. Königsberg. Rostock. 

Ad. Schmidt, H. Schmidt-Rimpler, H. Senator, 
Halle a. S. Halle a. S. Berlin. 

f —‘- 1 -\ 

Redaktion: 

Berlin S. 14, Dresdenerstr. 44. Tel. IV, 11773. 

Dr. med. et phil. H. Lungwitz. 


Herausgegeben von 



M. Koeppen, M. Mosse, K. Partsch, H. Rosin, H. Schlange, 

Berlin. Berlin. Breslau. Berlin. Hannover. 

R. Sommer, H. Unverricht, 0. Vulpius, 

Gießen. Magdeburg. Heidelberg. 


Verlag u. Expedition: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung 
in Halle a. S., Reilstraße 80. 

Tel.-Adr.: Marhold Verlag Hallesaale. Fernsprecher 823. 


Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte der Ostsee und der 

Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 


II. Jahrgang. Halle a. S., 10. Mai 1908. Nr. 19. 


Die „Therapeutische Rundschau“ erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2M, einzelne Nummer 20 Pf. Bestellungen nehmen jede Buchhandlung, 
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Nachdruck der uriginal-Aufsätze ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. — Nachdruck der anderen Rubriken ist nur mit Quellenangabe gestattet. 



L 1 

ORIGINALIEN. 

□ 


Reisekrankheiten. 

Von Dr. Max Hirsch, Arzt in Bad Kndowa. 

Der enorme Fortschritt der Technik, der die langsam dahin¬ 
rollende Postkutsche der von Dampf und Elektrizität getriebenen 
Lokomotive weichen ließ und an Stelle des Segelschiffes dem 
Dampfer das weite Feld des Ozeans übergab, und der jetzt schon 
den schüchternen Versuch macht, in das Reich der Lüfte den 
Verkehr zu lenken, dieser riesenhafte Fortschritt der Technik 
hat es zuwege gebracht, daß das Reisen eine Ausdehnung ge¬ 
wonnen hat, wie es sich wohl der geniale Schöpfer der Dampf¬ 
lokomotive nicht hat träumen lassen. Aber der Vervollkomm¬ 
nung der Reisemittel schlossen sich auch bald Nebenerscheinungen 
unerwünschter Natur an. Denn wenn auch das Gutachten jener 
medizinischen Fakultät in den 30er Jahren des vergangenen 
Jahrhunderts nicht zutreffend war, daß die schnelle Fahrt — 
schnell nannte man schon die Geschwindigkeit von ca. 30 km 
in der Stunde, welche die Eisenbahn Nürnberg-Fürth zurück- 
legte —, wenn also das Gutachten unrichtig war, daß durch 
die Eisenbahnfahrt die Nerven zerrüttet würden, die Gehirn¬ 
tätigkeit leiden sollte und noch andere Erscheinungen eintreten 
müßten, die alle dazu angetan wären, der Menschheit gefährlich 
zu werden, so hat das schnelle Reisen doch eine Reihe von 
Krankheiten in seinem Gefolge, die recht unangenehm werden 
und das Reisen gar leicht verleiden können. Ich will hier nicht 
von den Gefahren sprechen, die dem Reisenden durch Eisenbahn- 
und Schiffsunfälle drohen, da doch Unfälle bei diesen Verkehrs¬ 
wegen im Verhältnis zu der Zahl der Reisenden sicherlich nicht 
mehr Opfer fordern als das Scheuen der Pferde und andere Ge¬ 
fährdungen der Postkutsche. Die Aufregungen, welche die Vor¬ 
bereitungen zu einer Reise für eine Reihe von Menschen mit 
sich bringen, der Gedanke, sich von den Angehörigen eine Zeit- 
lang trennen zu müssen, die Erwartung, Neues zu sehen u. a. m. 
wirken auf manches labile Nervensystem in ungünstigem Sinne 
ein und machen das Individuum empfänglich für die Schäden, 
welche die Reise selbst mit sich bringt. Das Schaukeln und 
Schütteln der schnell dahinsausenden Fahrwerkzeuge, der Eisen¬ 
bahnen bei schlechtem Oberbau der Schienen und falschem 
Bettungsmaterial, der Dampfschiffe in noch höherem Maße be¬ 
sonders bei starkem Seegang und zwar wegen des schwankenden 
Elementes, auf dem sie sich bewegen, rufen jenes Bild hervor, 
das jeder, der eine auch noch so kleine Seefahrt gemacht hat, 


als das nicht gerade appetitlich wirkende und auch sonst recht 
unangenehme Gespenst der Seekrankheit kennt, die aber nicht 
nur auf dem Schiff vorkommt, sondern auch bei Eisenbalmfahrten 
beobachtet wird, besonders wenn die Schienen starke Kurven 
bilden. Der eigentlichen Seekrankheit entgehen nur wenig Men¬ 
schen. Es ist sicher anzunehmen, daß bei häufigen oder längeren 
Fahrten allmählich eine Gewöhnung an das Schaukeln des Fahr¬ 
zeuges eintritt; indessen sehen wir recht oft, daß die Seekrank¬ 
heit auch bei alten Seefahrern sich immer wieder einstellt, auch 
bei nicht gerade besonders hohem Seegang. Und auch manch 
alter Seemann, der sich gegen die Gefahr der Seekrankheit für 
gefeit hielt, mußte bei besonders ungünstiger Fahrt dem Meeres¬ 
gott sein Opfer bringen. 

Bevor noch das starke Schaukeln des Schiffes eintritt, zeigt 
schon das eine oder andere Individuum einer Schiffsbesatzung 
die ersten Zeichen der Seekrankheit. Das sind gewöhnlich die¬ 
selben Individuen, die auch auf der Eisenbahn das Reisen nicht 
vertragen können und auch hier „seekrank“ werden. Das In¬ 
dividuum fühlt sich unbehaglich, wird blaß, zittert, und fröstelt 
unter gleichzeitigem Schweißausbruch. Zugleich erscheinen 
Schwindelanfälle, Augenflimmern und Unsicherheit in allen Be¬ 
wegungen. Es tritt sodann eine gewisse Apathie ein, ferner 
nervöse Reizbarkeit, Interesselosigkeit für alles; die Unter¬ 
haltung stockt; Mattigkeit und Schläfrigkeit beherrschen das 
Bild — aber der Schlaf tritt nicht ein. Im Gegenteil, den 
Kranken befällt Unruhe, Angst, die sich bis zur Todesangst 
steigern kann. Der Puls jagt, wird unregelmäßig, setzt aus, 
nimmt überhaupt einen ganz elenden Charakter an, wie wir ihn 
beim Kollaps kennen; das Gefühl der Hilflosigkeit und Willens¬ 
schwäche tritt ein, Widerwille gegen jede Nahrungsaufnahme, 
Würgbewegungen, Drang zu Stuhl- und Harnentleerung bei 
bestellender oft hartnäckiger Verstopfung und schließlich mehr 
oder minder heftiges Erbrechen, dessen Folgen dem Schiffsdeck 
bei stürmischen Ueberfahrten sein nicht gerade ästhetisches, 
dafür aber charakteristisches Gepräge geben. Allmählich erholt 
sich der Kranke, namentlich w r enn die See ruhiger wird, wenn 
die Schaukelbewegungen nachlassen. Zunächst bekommt er 
nach der gründlichen Entleerung des Magens etwas Appetit auf 
saure und gesalzene Speisen und Getränke, aufkohlensäurehaltige 
Wässer, seltener auf Alkohol, wohl nie auf Fleisch. Das Unbe¬ 
hagen schwindet allmählich, die Katzenjammerstimmung läßt 
nach, bis wieder ein neuer starker Seegang oder auch noch 
dieselbe Unruhe der Wogen nach mehr oder minder langem 
Intervall das grausame Schauspiel sich wiederholen läßt. 
Rosenbach 1 ) 2 ; unterscheidet vier Intensitätsgrade der See¬ 
krankheit, von dem unangenehmen Gefühl, das manche Indivi¬ 
duen namentlich Frauen auch bei der Fahrt bei ruhiger See 
erkennen lassen, bis zu den schwersten oben geschilderten Er¬ 
scheinungen der Seekrankheit. 


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302 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 19. 


Wie hat man sich die Entstehung aller dieser Symptome 
zu denken? Diese Frage ist oft und viel erörtert worden; aber 
nur wenig Erklärungsversuche geben eine auch nur annähernd 
genügende Begründung. Rosenbach hält sie für eine Gleich¬ 
gewichtsstörung, die nicht durch die Verrückung der Gleich¬ 
gewichtslage, sondern durch den plötzlichen Uebergang einer 
energischen und anhaltenden Bewegungsrichtung in die entgegen¬ 
gesetzte hervorgerufen wird. Dabei spielt nacli Rosenbach ein 
im Epigastrium" liegender Gleichgewichtsmechanismus eine be¬ 
sondere 5 Rolle. Nach diesem Autor ist die Seekrankheit das 
typische Bild einer Kinetose, d. h. einer durch abnorme Be¬ 
wegung des menschlichen Körpers hervorgerufenen Krankheit, 
dio & in ihrer schwersten Form den traumatischen Chok darstellt. 
Rosenbach hat auch eingehend die einzelnen Schiffsbewegungen 
untersucht, welche den hauptsächlichsten Einfluß auf die Ent¬ 
stehung der Seekrankheit haben. Er unterscheidet zwei Arten 
von Seekrankheit: die somatische und die psychische Form. Erstere 
besteht darin, daß die fortwährenden Bewegungen das Gehirn 
beeinflussen, letztere, daß psychische Einflüsse einen Reiz auf 
das Nervensystem ausüben, wie ja auch Ekel, Schreck und 
Furcht imstande sind, Schwindelanfälle und andere der See¬ 
krankheit eigentümliche Symptome hervorzurufen. 

Daß nicht die psychische Beeinflussung allein die See' 
krankheit hervorruft, wie mitunter angenommen wird, dafür 
spricht die Tatsache, daß die Seekrankheit auch im festesten 
Schlafe eintreten kann und daß Säuglinge und Tiere auch in 
gleichem Maße von der Seekrankheit befallen werden wie er¬ 
wachsene Menschen, daß sie also auch da eintritt, wo jede Be¬ 
einflussung von seiten der Psyche ausgeschaltet werden muß. 
Dieser Erklärung schließt sich auch Wechsler 3 ) an sowie 
Mixius 4 ), der die Seekrankheil, für eine Gleichgewichtsstörung 
hält, hervorgerufen durch Reizung des Gleichgewichtszentrums 
im Kleinhirn. Er sieht in ihr eine Störung unserer Fähigkeit, 
unsere Beziehungen zum Raume zu erkennen und zu erhalten. 
Ihre Ursache hat diese Störung in den schwankenden Schiffs- 
bowegungen. Binz 5 ), dessen Ansicht auch Koepke 6 ) teilt, 
gibt eine ganz andere Erklärung für das Entstehen der See¬ 
krankheit. Er ist der Ansicht, daß das Schaukeln der Schiffe 
eine Verengerung der Arterien im Gehirn hervorruft und damit 
eine akute° Gehirnanämie schafft. Diese akute örtliche Blut¬ 
armut bringt dann, wie auch bei anderen Anlässen, Uebolkeit, 
Schwindelanfälle und Erbrechen mit sich. Infolge des Brech¬ 
aktes tritt die Bauchpresse in starke Aktion und treibt das Blut 
aus dem Pfortaderkreislauf in das Gehirn; die Gehirnanämie 
wird dadurch beseitigt, und der Zustand der Seekrankheit löst 
sich. Bei dieser Erklärung ist die Tatsache wichtig, daß der 
Magen vom Zentralnervensystem ans zum Erbrechen angeregt 
wird, ganz gleichgültig, ob er gefüllt ist oder nicht. Hagen- 
Tom 7 ), der die Deutung der Seekrankheit von Binz als Ge¬ 
hirnanämie für die zutreffendste hält, nimmt als Ursache des 
Zustandekommens der Arterienverengerung eine reflektorisch 
hervorgerufene Koordinationsstörung an, die durch die Un¬ 
möglichkeit der Anpassung an die sich stets verändernden Be¬ 
ziehungen des Körpers zur Umgebung eintritt. Partsch 8 ) hält 
auch die Anämie des Gehirns für die typische Veranlassung 
der Seekrankheit, führt aber ihre Entstehung auf eine Erschlaf¬ 
fung der peripherischen Gefäße besonders im Splanchnikusgebiete 
zurück. Board 9 ) glaubt, daß die Erschütterung und Erregung 
der Nervenzentren die Seekrankheit veranlaßt. Bardet 10 ) hält 
sie für eine paroxysmenartig auftretende Magenneurose, wie auch 
Stintzing 11 ) ihr den Charakter einer vorübergehenden funk¬ 
tioneilen Neurose zuschreibt. Ha v e 1 b u rg 12 ) ist auch der Ansicht, 
daß die Seekrankheit eine subakute Magenneurose ist, die sich 
in Magenbeschwerden äußert, welche zum Erbrechen führen. 
Nach seinen Untersuchungen findet sich nach einem Probe¬ 
frühstück eine Hyperazidität im Magen. Die freie Salzsäure 
sowie die Gesamtazidität sind gesteigert. 

Die Prognose der Seekrankheit ist zwar an sich günstig, 
da eine direkte Gefahr für das Leben des von der Seekrankheit 
Befallenen nicht besteht Aber andererseits soll man sie in 
ihrer Bedeutung nicht unterschätzen. Es gibt doch eine große 
Reihe von Menschen, die von der Seefahrt und auch schon von 
einer kurzen Eisenbahnfahrt so angegriffen werden, daß die 


Reise für sie verhängnisvoll werden kann. So z. B. werden 
Neurastheniker durch die ununterbrochenen Ansprüche, welche 
die Seekrankheit an ihr Nervensystem stellt, und durch die un¬ 
genügende Ernährung sowie durch die Obstipation in ihrem 
Allgemeinbefinden so wesentlich gestört, daß es nach der Reise 
einer langwierigen Kur bedarf, um sie wieder auf ihren alten 
Status zu bringen. Desgleichen werden Patienten, die an Anä¬ 
mie und anderen Krankheiten, die ihren Ernährungszustand her¬ 
absetzen, leiden, durch das dauernde Erbrechen so geschwächt, 
daß schon eine kurze Reise genügt, um sie in einen elenden 
Zustand zu versetzen. Bei graviden Frauen wird man durch 
das Erbrechen leicht Abortierung hervorrufen; bei Arterio¬ 
sklerose, Tuberkulose der Lunge und anderen Krankheiten kann 
es durch die Ueberanstrengung der Bauchpresse zu Blutungen 
kommen, die das Leben direkt gefährden. Aber auch auf Ge¬ 
sunde wird die Unannehmlichkeit der Seekrankheit ungünstig 
einwirken. In letzter Zeit, in der von den verschiedensten 
Autoren — ich nenne nur Klein 13 ), Weber 14 ), Pauli 15 ), 
Seereisen zu therapeutischen Zwecken, und wie es scheint, bei 
einer großen Reihe von Krankheiten mit gutem Recht empfohlen 
werden, stößt diese therapeutische Maßnahme auf großen Wider¬ 
stand bei den Patienten, gerade durch die Furcht vor den 
Unannehmlichkeiten der Seekrankheit. Und in der Tat wird 
sich jeder Arzt wohl in acht nehmen, Tuberkulöse den Gefahren 
der Seekrankheit auszusetzen, da der wiederholte Brechreiz 
Lungenblutungen herbeiführen kann und infolgedessen Schäden 
zu befürchten sind, gegen welche die Vorteile, die eine Seereise 
bieten kann, unvergleichlich gering sind. Auch können schon 
die Seekrankheitserscheinungen in Eisenbahnfahrten unangenehm 
werden, besonders bei Anämischen, bei Tuberkulösen, bei Arte- 
riosklerotikern, bei Graviden etc. Es muß als Aufgabe des 
Arztes im Badeorte angesehen werden, dafür Sorge zu tragen, 
daß die Heimreise der Kranken aus dem Kurorte ohne Unan¬ 
nehmlichkeiten verläuft, daß also die Patienten , die sich in 
einer kostspieligen und anstrengenden Kur eben erst gebessert 
haben und das Reisen schlecht vertragen können, durch pro¬ 
phylaktische Maßnahmen vor den Gefahren der Reisekrankheit 
geschützt werden, um nicht dadurch den Erfolg der ganzen Bade¬ 
kur illusorisch werden zu lassen. 

Die therapeutischen Maßnahmen gegen die Seekrankheit 
sind recht zahlreich. Spricht man doch scherzend von den 28 
Arzneimitteln, die zur Bekämpfung dieser Krankheit Anwendung 
finden. Ich glaube, wenn man auf alle Empfehlungen Rück¬ 
sicht nimmt, dürfte sich auch diese Zahl als zu niedrig heraus¬ 
steilen. Viel Erfolg verspricht man sich von der psychischen 
Therapie, an der gewiß viel Gutes ist. Sieht man die See¬ 
krankheit als Neurose an, dann kann die Beherrschung der 
Willenskraft gewiß möglich und von großem Werte sein; mehr 
noch wenn man mit Rosenbach 1 ) eine psychische Form der 
Seekrankheit annimmt. Bei der Binz sehen Auffassung 5 ) da¬ 
gegen kann man sich einen Erfolg der psychischen Behandlung 
nur schwer vorstellen. Indessen wird wohl in den meisten 
Fällen die Willenskraft nicht lange den Anstürmungen der 
Symptome der Seekrankheit Trotz bieten. 

Was das Verhältnis des Mageninhalts zur Seekrankheit an¬ 
geht, so wird von einer Gruppe angegeben, daß ein.voller 
Magen die Seekrankheit verhindert, während andererseits be¬ 
hauptet wird, daß bei leerem Magen die Erscheinungen nicht 
auftreten. Indessen liegt die Wahrheit auch liier wie gewöhnlich 
in der Mitte. Man wird einer Seekrankheit am besten ent¬ 
gegentreten, wenn man die Reise nicht mit ganz leerem Magen 
antreten läßt; denn das Würgen bei leerem Magen schafft 
größere Beschwerden als bei vollem, bei dem die Entleerung 
rascher und müheloser vor sich geht. Aber auch nicht mit 
vollem Magen, da der Mageninhalt durch das Schaukeln des 
Fahrzeuges die Magennerven schneller reizen wird. Besonders 
zeigen sich die Störungen bei Eisenbahnfahrten, vor denen ge¬ 
wöhnlich in aller Hast eine große Mahlzeit zu sich genommen 
wird. Kein Wunder, daß diese Ueberfüllung, gewöhnlich ver¬ 
bunden mit der Hast und Erregung vor der Abreise, bei den 
ersten Schüttelbewegungen der Eisenbahn eine Revolutions¬ 
bewegung im Magen auslöst. Ich rate gewöhnlich, wenigstens 
zwei Stunden vor der Abreise die Mahlzeit zu nehmen und 


I IM'Vcqc 












THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Aaiin etwas zii ruhen, bevor die Fahrt abgetreten wird, damit 
wenigstens der größte Teil des Verdauungsaktes in Ruhe vor- 
{Ebenso wird man auch, bei Seereisen verfahren 
XibüBsen. Auf die Auswahl der Speisen wird man wohl nur in¬ 
sofern Rücksicht nehmen müssen, als man stark gewürzte oder 
geäälzene. Speisen lieber vermeidet, um den Durst nicht zu 
stark anzuregen, da eine übermäßige Füllung des Magens mit 
Getränken an seine Verdauungstätigkeit nicht geringe Ansprüche 
stellt. Dann aber wird man nun. leicht verdauliche und keine 
blähenden Speisen zu sich nehmen und ferner dafür sorgen, 
daß man durch das diätetische Regime einer Verstopfung ent¬ 
gegenarbeitet, die ja bei der Seekrankheit gewöhnlich auftritt. 
Kleine und häufige Mahlzeiten sind sowohl auf der Seefahrt 
wie auf der Eisenbahnreise kopiösen Mengen von Speisen und 
Getränken vorzuziehen. In jedem Falle wird man bei längeren 
Fahrten darauf Bedacht nehmen müssen, den durch häufige 
Anfälle von Seekrankheit heimgesuchten Individuen eine ge¬ 
nügende Nahrungsmenge zuzuführen, und man wird wohl nicht 
selten zu den konzentrierten Nährpräparaten, in schweren Fällen 
auch zur rektalen und subkutanen Ernährung seine Zuflucht 
nehmen müssen, da eine ungenügende Nahrungszufuhr leicht 
Blutarmut hervorruft, die den Ausbruch der Seekrankheit 
wesentlich begünstigt. Mit Genußmitteln zur Anreizung des 
Appetites soll man nicht sparen; besonders bei Kollapszuständen 
reichlich Kaffee und Champagner geben. Die Empfehlung großer 
Dosen Alkohols gegen die Seekrankheit dürfte wohl vielfach 
auf Widerstand stoßen und nur in vereinzelten Fällen wünschens¬ 
wert erscheinen. Eis, Kognak in Kaffee, in Selterswasser etc. 
kommen auch vielfach in Anwendung. Besonders beliebt ist 
nach Koepke 6 ) Sherry mit Eigelb, das sowohl als Nahrungs¬ 
ais auch als Genußmittel in Frage kommt. 

Daß die Zuführung frischer Luft dem Seekranken gut tut, 
dürfte keinem Zweifel unterliegen; daher soll man auf Schiffen 
die Seekranken recht schnell auf Deck bringen und Personen 
mit starker Neigung zu Seekrankheit auch prophylaktisch den 
Aufenthalt auf Deck anempfehlen; in der Eisenbahn hat man 
durch möglichst ausgiebige Oeffnung der Fenster ohne Rück¬ 
sicht auf Zug, der in solchen Fällen nicht lästig fällt, für 
frische Luftzufuhr zu sorgen. Kurz erwähnen möchte ich nur 
die Empfehlung, die Kleider möglichst zu lockern, namentlich 
das Korsett. Die allgemeine Ruhestellung des ganzen Körpers 
wird von dem' Seekranken nicht nur sehr angenehm empfunden, 
sondern wirkt auch auf den Brechreiz günstig ein. Diese Ma߬ 
nahme entspricht jeder Auffassung von dem Wesen der See¬ 
krankheit. Hält man sie für eine Kinetose oder Neurose, dann 
ist die Ruhigstellung am Platze. Bei der Annahme einer Ge¬ 
hirnanämie wird durch das Hinlegen des Patienten möglichst 
- viel Blut in die Gehirngefäße getrieben und den Nachteilen der 
Blutleere im Gehirn entgegengearbeitet. Auf der See wählt 
man am liebsten die Liegestühle mit leicht erhöhtem Kopfteile. 
Wiedmann 16 ) empfiehlt, beim Auftreten von Uebelkeit und 
Brechreizen die horizontale Lage aufzusuchen, die Beine aus¬ 
einander zu spreizen und gegen einen festen Widerstand zu 
stemmen, auch die Schultern möglichst zu fixieren und sodann 
eine Reihe von Massagebewegungen des Unterleibes vorzunehmen, 
die er mit denen des Bauchtanzes vergleicht. Es ergibt sich 
von selbst, daß man die Kranken an die ruhigsten Stellen des 
Schiffes, also in die Nähe der Kommandobrücke bringt. 

Eine feste Kompression des Magens mit Gummi- oder Trikot¬ 
binden wird vielfach empfohlen. Jedenfalls erleichtert dieses 
Verfahren den Brechakt wesentlich, wie man ja schon mit An¬ 
pressen der Hände an die Magengegend die Würgbewegungen 
sich weniger empfindlich gestalten läßt. 

Von weiteren physikalischen Behandlungsmethoden ist die 
Stauung des Kopfes nach Bier empfohlen worden. Jedoch 
sind die Erfahrungen über dieses Mittel noch nicht groß genug, 
um darüber ein Urteil fällen zu können. Auch der elektrische 
Vibrationsstuhl ist in letzter Zeit viel genannt worden. Nach 
Peters 18 ) hält die Wirkung dieses Apparates während der 
Dauer der Vibrationsbehandlung an, die freilich nach Belieben 
ausgedehnt werden kann. Seine Wirkung beruht auf einer Be¬ 
sänftigung 4er nervösen Erregungen. 


Eine wichtige Rolle spielt die medikamentöse Therapie der 
Seekrankheit, die man meist auch bei den Störungen auf der 
Eisenbahnfahrt finden kann. Schon die ersten Medikamente, 
die man gegen die Seekrankheit empfohlen hat, gehörten zur 
Gruppe der Nervina, da man stets den nervösen Charakter der 
Seekrankheit in den Vordergrund rückte, wenn auch die Blut¬ 
leere des Gehirns als direkte Ursache angesehen wurde. Man 
suchte durch Darreichung von Kokain die Nervenendigungen 
des Magens zu beruhigen und würde ja damit auch bei kurzen 
Seefahrten einen Erfolg erreichen. Indessen hält seine Wirkung 
nach Rosenbach ^ nicht länger als vier bis fünf Stunden an, 
so daß man bei einer größeren Reise schon eine zu reichliche 
Menge des immerhin doch nicht gleichgültigen Mittels geben 
müßte, was die Gefahr eines chronischen Kokainismus nicht 
ausschließt. Dieselbe Vorsicht in der Anwendung würde auch 
bei Morphium bezw. dessen Ersatzpräparaten am Platze sein. 
Aehnlich wie Kokain soll nach Schliep 17 ) Anästhesin die 
Magennerven beruhigen. Aber auch hier ist die Wirkung nicht 
ganz sicher, besonders versagt es bei der vollentwickelten See¬ 
krankheit gewöhnlich vollständig. Atropin, Pikrotoxin, Bismuth 
sind ebenfalls nicht als genügend wirksam anzusehen. Brom wdrkt 
nur in so großen Dosen, daß man auf seine Nebenwirkungen 
keine Rücksicht nehmen darf. Es wirkt eigentlich nur dann, 
wenn man schon vor der Reise den Organismus mit Brom 
derart überschwemmt hat, daß eine große Intoxikation^einge- 
treten ist, die sich in einer allgemeinen Schläfrigkeit und Schlaf¬ 
sucht dokumentiert. Es bedarf wohl keiner weiteren Besprechung, 
daß man unter solchen Umständen lieber von diesem Arznei¬ 
mittel absieht. Das vielgerühmte Chloralhydrat. auf das man 
für die Behandlung der Seekrankheit so große Hoffnungen ge¬ 
setzt hat, wirkt nach Metcalfe Sharpe 19 ) nur in sehr 
großen Dosen (20 bis 30 Gramm), also in Dosen, die man sich 
doch im allgemeinen scheut, einem Patienten darzureichen, 
zumal sie eine so wesentliche Ueberschreitung der Maximal - 
dose bedeuten, daß man auf das Mittel durchaus verzichten 
muß. Dazu kommt noch, daß bei vielen Menschen nach 
Chloralhydrat eine allgemeine Depression eintritt, auch wenn 
sie nicht so wahnsinnige Dosen zu sich nehmen. Gewöhnlich 
wird es auch, in größeren Dosen gegeben, ausgebrochen, ehe 
es noch seine Wirkung im Körper entfalten kann, so daß man 
es per rectum darreichen muß. Das von englischer Seite emp¬ 
fohlene Geheimmittel Yanatas ist nach den Untersuchungen 
von Binz 6 ) weiter nichts als eine l%ige rot gefärbte (. hloral- 
hydratlösung und wirkt wie diese nur in sehr großen Dosen. 
Die ganze Reihe der sonst gegen habituelles Erbrechen ange¬ 
wandten Mittel, die man auch bei Seekrankheit empfohlen hat, 
möchte ich hier übergehen, da sie ja doch nur gegen das eine 
Symptom sich richten und auf die Therapie der Krankheit 
selbst nicht eingehen. Eine große Bedeutung iiy der Reihe der 
nervenberuhigenden Mittel spielt das Baldrian mit seinen Prä¬ 
paraten, dessen Hauptwert darin liegt, daß es beruhigend und 
krampfstillend wirkt und dabei das unschuldigste, von Neben¬ 
wirkungen freie Beruhigungsmittel darstellt. Demnach würden 
diese Präparate jeder Auffassung von der Seekrankheit gerecht 
werden, der neurotischen und der gehirnanämisierenden, indem 
es die erregten Nerven beruhigt und die Konstriktion der Ge¬ 
hirnarterien aufhebt. 'Demzufolge hat man auch sowohl die 
einfache Baldriantinktur als auch eine ganze Reihe von Baldrian¬ 
präparaten für die Therapie der Seekrankheit empfohlen, die 
sich auch bei den Unannehmlichkeiten der Eisenbahnfahrten 
bewährt haben. Die meisten Baldrianpräparate haben den 
unangenehmen widerlichen- Geschmack und Geruch, der bei 
den dazu disponierten Personen leicht einen Brechakt auslöst, 
und werden daher den gewünschten Zweck meist verfehlen. 
Wieder andere Baldrianpräparate sind schwer löslich, und es 
bedarf daher einer zu langen Zeit, um sie in das Blut überzu¬ 
führen und zur Wirkung gelangen zu lassen; ein Nachteil, der 
gerade bei der Seekrankheit um so mehr ins Gewicht fällt, als 
•hier schnelle Hilfe not tut. Diesem Uebel ist in dem 
Antinausin abgeholfen, das einen angenehmen Geschmack hat 
und geruchlos ist, und aus diesem Grunde leicht genommen 
werden kann, ohne die unangenehmen Erscheinungen der 
Baldrianpräparate zu zeigen. Die Hauptbestandteile des Anti- 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


304 


nausins sind der Baldrian und zwar im Gegensatz zu den 
meisten anderen Präparaten in gelöster Form, so daß es seine 
Wirkung sofort nach Eintritt in den Magen entfalten kann. 
Ferner Menthol, ein Pfefferminzkampfer, der eine Pierabsetzung 
der Empfindlichkeit der Schleimhäute, also auch der Magen¬ 
schleimhaut hervorruft und auch auf das Herz belebend wirkt. 
Diesen beiden Stoffen, deren Kombination in der Behandlung 
der Reisekrankheiten sehr wertvoll ist, gesellt sich noch Carvon 
hinzu, das die Darmtätigkeit beruhigt, sowie Stomachika 
,und alter spanischer Wein, die auf Magen und Herz belebend 
einwirken. Das Antinausin enthält also nur Stoffe, welche die 
Nervenendigungen des Magens und Darmes beruhigen, der 
Gehirnanämie entgegen wirken und das Herz beleben, also allen 
Symptomen der Seekrankheit gerecht werden. Man gibt es am 
besten in Gaben von 20 ccm alle drei bis vier Stunden. Es 

würde sich daher empfehlen, vor einer Seereise oder einer 

Eisenbahnfahrt die Mahlzeit etwa zwei Stunden vor der Ab¬ 
fahrt einnehmen zu lassen. Darauf gibt man 20 ccm Anti¬ 
nausin und läßt den Patienten eine halbe Stunde ruhen, um 

die Speisen in Ruhe aus dem Magen in den Darmkanal hin¬ 

übergelangen zu lassen. Darauf gibt man zu Beginn der Reise 
wieder 20 ccm Antinausin und läßt bei Eisenbahnfahrten und 
bei ruhiger Seefahrt alle ein bis zwei Stunden Antinausin 
nehmen, bei stürmischer Seefahrt noch öfter. Bei längeren 
Reisen soll man die Diät regeln, nach der Mahlzeit ruhen lassen 
und regelmäßig Antinausin darreichen. Man erreicht damit, 
daß die Patienten, die sonst sehr schlecht reisen, ihre Fahrt 
ohne Beschwerden, namentlich ohne Erbrechen und Schwindel¬ 
anfälle zurücklegen. Man wird es also allen Patienten geben 
müssen, deren Anämie, Tuberkulose, Arteriosklerose, Gravidität 
etc. es notwendig erscheinen läßt, den Brechakt zu verhüten. 
Aber auch jeder, der eine größere Eisenbahnfahrt oder eine 
Seereise vor hat, muß damit rechnen, ein Opfer der Seekrank¬ 
heit zu werden und soll deshalb dem Antinausin einen wichtigen 
Platz in seiner Reisetasche einräumen, wodurch er sich selbst 
vor den Unannehmlichkeiten der Reisekrankheit schützen kann 
und seinen weniger vorsorglichen Mitreisenden hilfreiche Dienste 
zu leisten vermag. 

Literatur: 

1. Hosenbach: Die Seekrankheit, in Eulonburgs Realenzyklopädie der 
gesamten Heilkunde. 

- Hosenbach: Die Seekrankheit als Typus der Kinetosen. Wien 1896. 

3. Wechsler. Zur Therapie der Seekrankheit. Wienor Klin Rundsch 
1905. Nr. 0. 



4. Mix ins Beitrag zur Erklärung der Seekrankheit. Militärärztl. Zeit- 
schiifr 1906, Nr. 2. 

5 Binz- Feber die Seekrankheit. Zentralbl. f. hin. Mediz. 1903, Nr. 9 
G Koepke: Validol und Seekrankheit. Therap. Monatshefte 1904, Heft 6 . 

7 Hagen-Torn: lieber die Seekrankheit. Zentralbl. f. innere Mediz 

1903, Nr. 29. 

8 Bartsch: Seekrankheit und was dagegen zu tun. Med. Record, 1900, 

Juni. ' 4 5 * * * 9 * 11 12 * * * * 17 18 19 

9. Beard: Zitiert nach Stintzing. 

10 Bardet: Die Seekrankheit. Wien mediz Wochenschr. 1906, Nr. 41. 

11. Stintzing Behandlung der Seekrankheit, in Pen tzold t-Stintzings 

Handbuch der Therapie innerer Krankheiten. 

12. Havelburg- Hyperazidität und Seekraukheit. Festschrift für Sal- 

kow&ki, Berlin. 

13 Klein: Die Seereise als Heilmittel. Münch. Mediz. Wochenschr. 1898. 

Nr. 30. 

14 Weber Zur therapeutischen Verwertung von Seereisen. Zeitsehr. f. 

phys. und diät. Therap., Band III, Heft 1. 

15 Pauli: Ueber therapeutische Seereisen mit besonderer Berücksichtigung 

der Nordlandfahrten der Hamburg-Amerika-Linie. Zeitschr. f. phys. 
und diät. Therap. Band XI, Heft 9. 

IG. Wiedmann: Un moyen de faire avorter le mal de mer. Le Caducee 
pagina 227. 

17. Schliep: Anästhesin gegen Seekrankheit. Dtsch. mediz. Wochenschr. 

1904, Nr. 10. 

18. Peters: Eine neue physikalische Behandlungsmethode der Seekrankheit. 

Dtsch. mediz. Wochenschrift. 

19. Metcalfe Sharpe: Treatment of soa-sickness. Brit. Med. Journ. 

1905, vol. I, Page 1089. 


Die Quarzlampe in der Dermatologie. 

Sammelreferat von Dr. Friedrich Kalmus, Assistenzarzt 
der Universitäts-Hautklinik zu Freiburg i. Br. 

(Schluß.) 

Pürckhauers Arbeit beansprucht schon deshalb ein ganz 
besonderes Interesse, weil diese die histologisch-anatomische Grund¬ 
lage für die Quarzlampentherapie gab, indem Autor zum ersten 
Male die mikroskopischen Gewebsveränderungen, die durch die 
Quarzlampe in der lebenden normalen Haut gesetzt werden, genau 
studierte. Die bisher angewandte Methode zur Prüfung der Tiefen¬ 
wirkung einer Lichtquelle mittels lichtempfindlicher Substanzen 
hält Pürckhauer schon deshalb nicht für einwandfrei, weil sie 
keinen Schluß auf eine nachhaltige Wirkung des Lichts im 
lebenden Organismus zulasse. Autor hielt sich in der Versuchs¬ 
anordnung an die von Vereß, Zieler und Janßen ausgeführten 
entsprechenden Untersuchungen über das Finsenlicht, um auf diese 
Weise die dort gefundenen Resultate für eine vergleichende Be¬ 
urteilung beider Lichtquellen verwerten zu können. Das End¬ 
ergebnis seiner sehr exakten und umfassenden Versuche, in denen 
er die Wirkung der Quarzlampe am lebenden anämisierten 
Kaninchenohr beobachtete, faßt Pürckhauer dahin zusammen, 
daß bei der Bestrahlung ohne Blaufilter mehr die destruktiven, 
bei der mit Blaufilter mehr die reaktiv-entzündlichen Vorgänge in 
den Vordergrund treten. Das Quarzlampenlicht ohne Blaufilter 
kommt daher nach seiner Meinung für eine aussichtsreiche Kom¬ 
pressions-Lichttherapie nicht in Betracht, da es eine Nekrose 
liervorrufe, die über das Maß dessen hinausgehe, was man von 
einer therapeutischen Lichtquelle verlange, während die regenera¬ 
tiven Prozesse sich erst sehr spät einstellten und unter Umständen den 
Gewebsdefekt der Lichtnekrose nicht zu ersetzen vermöchten. Da¬ 
gegen erzeuge das Quarzlampenlicht mit Blaufilter eine der Finseh- 
wirkung gleiche, oberflächliche, allerdings später ein tretende 
Nekrose, weil infolge der Absorption der ganz oberflächlich 
wirkenden Strahlen der schädigende Einfluß der Belichtung an 
der Oberfläche sich auch erst später, gleichzeitig mit der Wirkung 
in die Tiefe oder nachher, zeigen könne. Die destruktiven und 
reaktiv-entzündlichen Vorgänge in der Tiefe dagegen ständen den 
vom Finsenlicht gesetzten nicht wesentlich nach, abgesehen davon, 
daß die regenerativen Prozesse später auf treten, der schädigende 
Einfluß somit stärker sei als der die Heilung anregende. Für 
die bedeutende Tiefenwirkung des Quarzlampenlicktes spricht ferner 
der Umstand, daß Pürckhauer in seinen Versuchen eine enorme 
Wucherung des Ohrknorpels konstatieren konnte, die in den Ver¬ 
suchen von Zieler und Janßen durchaus vermißt wurde. 
Pürckhauer erblickt in dieser lebhaften Knorpelneubildung die 
Reaktion auf die im Vergleich zum Finsenlicht stärkere Gewebs¬ 
schädigung durch die Quarzlampe. Zum Schluß seiner Arbeit 
geht Pürckhauer noch auf die von Stern und Hesse aus¬ 
geführten experimentellen Untersuchungen über die Tiefenwirkung 
der Quarzlampe ein, nach denen diese Autoren der Quarzlampe 
eine dem Finsenlicht gleich günstige Wirkung auf Lupus vulgaris 
und andere tiefer gehende Erkrankungen absprechen, da sie bei 
der Quarzlampenbelichtung mit und ohne Blaufilter einerseits eine 
starke Epithelnekrose beobachteten, andererseits ein dem Finsen¬ 
licht entsprechendes Oedem vermißten. Pürckhauer kann nach 
seinen Versuchen diese Resultate nicht bestätigen; er sah in allen 
einwandfreien Belichtungen mit Blaufilter ein deutliches Oedem 
und setzt die von Stern und Hesse beobachtete starke Epithel¬ 
nekrose auf Konto einer mangelhaft ausgeführten Kompression der 
betreffenden Hautstelle. 

Die von Pürckhauer erwähnte Publikation von Stern 
und H e s s e - Düsseldorf fübrt aus dem Rahmen der rein experimen¬ 
tellen Arbeiten über die Quarzlampe hinüber zu den verschieden- 
seitig mitgeteilten praktisch-therapeutischen Erfahrungen mit dieser 
Lichtquelle. 

Hesse weist in seiner Notiz auf die spätor gemeinsam mit 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


305 


Stern zu publizierende Arbeit bin'und tritt an dieser Stelle nur 
kurz dein Ausführungen Wi chm anns entgegen. Er hält dessen 
Annahme, daß die starke Oberflächenwirkung der Quarzlampe viel¬ 
leicht die Passage der tiefer gehenden Strahlen hindere, für 
-theoretisch ebenso anfechtbar wie praktisch nicht erwiesen. Die 
starke Oberflächenreizung durch das Quarzlicht, die auch bei An¬ 
wendung eines Blaufilters noch viel stärker als die des Finsen- 
lichtes ausfalle, sowie die Schmerzhaftigkeit der Lichtreaktion 
schwächen nach seiner Meinung den therapeutischen Wert der 
Quarzlampe erheblich ab. 

Die von Stern und Hesse gemeinsam mitgeteilten Unter¬ 
suchungen, in denen sie die Lichtwirkung der Quarz- und Finsen- 
lampe nach erfolgter Passage eines Kaninchenohres einmal auf 
photographisches Papier, in dem anderen Falle auf die lebende 
Haut des Menschen prüften, fielen zuungunsten der Quarzlampe 
aus. Das Finsenlicht erwies sich von doppelt so starker papier¬ 
schwärzender Wirkung, während in dem anderen Versuche weder 
Finsen- noch Quarzlampe eine nachweisbare Wirkung auf die 
menschliche Haut, am Kaninchenohr jedoch erstere ein Oedem, 
letzteres nur einen oberflächlichen braun-roten Schorf hervorrief. 
Die beiden Autoren stehen daher sehr skeptisch der praktischen 
Verwendung des Quarzlampenlichtes in der Lichttherapie gegen¬ 
über, das nach ihren Untersuchungen durch das Fehlen eines 
Lichtödems, durch eine starke, auch bei Benutzung eines Blau- 
filters auftretende Oberflächen Wirkung mit Tendenz zu derber 
Narbenbildung wie endlich durch die Schmerzhaftigkeit der Be¬ 
lichtungen gekennzeichnet sei. ' 

Als einer der ersten veröffentlichte Wetterer -Mannheim seine 
mit der Quarzlampe gesammelten Erfahrungen aus der Praxis. Ein¬ 
leitend beschreibt er den neuen Lichtapparat, schildert dessen elek- 
tive und daher mit kosmetisch schönen Narben heilende Wirkung wie 
den Verlauf der Lichtreaktion im speziellen, die trotz ihrer Heftigkeit 
harmlos sei, und deren relativ langsame Heilung sich sehr gut 
zur ambulanten Behandlung eigne, und geht dann weiter auf die 
praktische Ausführung der Belichtung ein, die den Schutz der 
Augen durch Bleiglasbrillen wie auch der nicht zu belichtenden 
Hautstelle durch Ohininsalbe oder Staniol nötig mache. Wetter er s 
praktisch-therapeutische Erfahrungen ergaben im ganzen recht be¬ 
friedigende Resultate, und zwar wurde in allen Fällen die Be¬ 
strahlung ohne Blaufilter vorgenommen. Die fünf Fälle von Lupus 
vulgaris reagierten mit gutem Erfolg, nach zwei- bis sechsmaliger 
ein viertel- bis dreiviertelstündiger Belichtung trat unter meist 
heftiger und schmerzhafter Reaktion Heilung oder beträchtliche 
Besserung ein, in einem Falle auch da, wo längere Finsenbehand¬ 
lung versagt hatte. Verf. sieht nach diesen Erfahrungen den 
Nachteil der Quarzlampe gegenüber der Finsenlampe für die 
Lupustherapie in der bedeutend größeren Schmerzhaftigkeit und 
der längeren Dauer der Reaktion, den Vorteil vor jener aber 
weniger in der absoluten Abkürzung der Gesamtdauer als in der 
bedeutenden Vereinfachung und erheblichen Verbilligung des Ver¬ 
fahrens. Auch bei Naevus wurden günstige Resultate erzielt, je¬ 
doch erwies sich hier das Finsenlicht wie das Radium als ungefähr 
gleichwertig; in den drei Fällen von Alopecia areata stellte sich 
nach einer Distanzbelichtung von 12 cm innerhalb von drei bis vier 
Wochen nach Abklingen der Reaktionen junger Haarwuchs ein. Ein 
Fall von Tätowierung erwies sich trotz viermaliger Kompressions- 
behandlung als völlig refraktär, und auch bei Ekzema chron. war 
kein sicherer Erfolg zu konstatieren. 

Nach L o h d e - Berlin stellt die Quarzlampe die für die Haut- und 
Schleimhautbehandlung vollkommenste Lichtquelle dar, da sie die 
übrigen Lichtapparate sowohl an Oberflächen- wie Tiefenwirkung 
übertreffe. Da durch das Blaufilter die Wärmestrahlung und die 
stark reizenden kurzwelligen Strahlen absorbiert würden, so daß 
nur die für die Tiefenwirkung in Betracht kommenden Strahlen 
allein zur Anwendung gebracht werden könnten, so werde die 
Indikationsstellung für die Quarzlampe auch auf weitere Erkran¬ 
kungen ausgedehnt, die früher als nicht geeignet für die Licht¬ 
behandlung galten. 

' Sehr günstig äußern sich auchKozewski und Gorkiewicz- 
Warschau über die Quarzlampe, der sie die besten Resultate in der 
Lichttherapie zuerkennen: In 37 Lupusfällen bildeten sich alte hart¬ 
näckige Herde zurück, desgleichen auch in einein Fall von Lupus 
erythematosus. Unter 16 Fällen von Alopecia areata trotzten nur 


die Fälle, die mit schweren zentralen Störungen verbünden waren; 
auch ein Fall von Lichen Vidai heilte, während Vitiligo, Psoriasis 
und Ekzema orbicularis oris nicht beeinflußt wurden. 

Weiter berichtet Müller-Berlin an der Hand eines reichhaltigen 
Materials über seine Erfahrungen mit der Lichtbehandlung. In 
der Quarzlampe sieht er nicht einen Ersatz der Finsenlampe, son¬ 
dern mehr deren Ergänzung; ihr Nachteil gegenüber letzterer be¬ 
steht nach ihm nicht so sehr in deren größerem Reichtum an 
stärker penetrierenden Strahlen als in der bisherigen Unmöglich¬ 
keit, das Quecksilberlicht zu konzentrieren. .Seine Erfahrungen 
mit der Quarzlampe bei Lupus waren günstige: Ulzerationen ver¬ 
narbten sehr bald, flache Formen des Lupus exioliativus reagierten 
sehr gut, in zwei Fällen noch mit Erfolg, wo Röntgenlicht versagt 
hatte, Lupus sclerosus verhielt sich ziemlich refraktär, während 
Verf. wieder besonders günstige Resultate bei Lupus an der 
Nasenöffnung beobachtete. Seines Erachtens bewirkt die Quarz¬ 
lampe eine wesentliche Abkürzung in der Lupustherapie. Auch 
bei Lupus erythematosus erzielte das Quarzlampenlicht günstige 
Erfolge; inveterierte und refraktäre Fälle besserten sich bei aller¬ 
dings starker Belichtung, während eine solche bei akuten und 
reizbaren Fällen als kontraindiziert erschien. In Anbetracht der 
gefäßverödenden Wirkung des Lichtes versuchte Verf. die Quarz¬ 
lampe bei Teleangiektasien, von denen die auf Grund einer 
Röntgendermatitis entstandenen zu schwinden schienen; bei aus¬ 
gedehnten Formen von flachem Naevus eignet sich nach seiner 
Meinung im Interesse einer gleichmäßig glatten und zarten Narben¬ 
bildung besser das Quarzlicht, bei kleinen punktförmigen , beson¬ 
ders arteriellen Naevi noch mehr das Finsenlicht: über tiefer 
gehende Naevi hat Autor keine Erfahrungen. In der Behandlung 
der Akne rosacea setzt er das Quarzlicht an erste Stelle, das 
schöne, rasche und anscheinend auch dauernde Erfolge erzielte; 
dagegen erachtet er bei starker Bindegewebshypertrophie eine 
Vorbehandlung mit Röntgenlicht für nötig. Bei Akne und Furunku¬ 
lose erscheint ihm trotz einer sichtbaren Einwirkung diese Methode 
nicht praktisch; bei Alopecia areata sah er außer einem der Be¬ 
handlung sich entziehenden Fall keinen Mißerfolg, und selbst ein 
Fall von totaler Alopecie wurde wesentlich gebessert. Bei dem 
seborrhoischen Kopfekzem erblickt er in der Quarzlichtbehandlung 
keinen besonderen Vorteil vor der Salben- und Seifentkerapie: bei 
Trichorkexis endlich hält er einen Versuch mit Quarzlampenlicht 
für empfehlenswert. 

Ein anderer Autor, der seine praktischen Erfahrungen mit 
der Quarzlampe mitteilt, ist Hey mann-Dresden. Von drei Lupus¬ 
fällen heilten zwei in relativ kurzer Zeit; Verl, hält danach die Quarz¬ 
lampe für ein wesentliches Unterstützungsmittel zur Behandlung 
des Lupus vulgaris und für besonders indiziert bei großem flachen¬ 
haften Lupus, bei dem die bleibenden Lupusreste noch mit Finsen¬ 
licht behandelt werden sollen. Bei zwei kleinen Angiomen be¬ 
wirkte zwar das Quarzlampenlicht nach einer Kompressionsbelichtung 
Heilung, aber die Dauer der Reaktion sowie das hinterbleibende 
Pigment schwächten das Resultat erheblich ab. Bei Naevus flarn- 
meus ohne Gewebshypertrophie wurden gute Erfolge erzielt, ein 
Fall von Tätowierung verhielt sich völlig refraktär; bei Pigment¬ 
flecken nach Lues, Psoriasis und Ekzema seborrkoic. wurde teil¬ 
weise eine elektive Reaktion der Plaques beobachtet, jedoch wurde 
der Erfolg durch eintretende Rezidive gestört, so daß hier bei 
ausgedehnterem Prozesse die Quarzlampe nicht in Betracht käme. 
In der Behandlung der chronischen Ekzeme entfaltete die Quarz¬ 
lampe durch ihre sedative und eintrocknende Wirkung eine unter¬ 
stützende Rolle, bei Akne vulgär, konnte durch eine viertelstündige 
Distanzbelichtung von 30 cm eine Schälung der Gesichtshaut be¬ 
wirkt werden, während bei Ulcus cruris die Quarzlampe im 
Gegensatz zur Uviollampe erfolglos blieb. Die Vorteile der Quarz¬ 
lampe vor der Finsenlampe sieht Hey mann in ihrer Handlich¬ 
keit, in dem geringen Anschaffungspreis sowie in dem gerinnen 
Stromverbrauch, die Nachteile gegenüber dieser in der tiefen und 
langsamer heilenden Nekrosenbildung. Im Anschluß an seine 
praktischen Erfahrungen mit der Quarzlampe berichtet Verf. noch 
über einen Versuch, den er zwecks Prüfung ihrer Tiefenwirkung 
anstellte. Hey mann belichtete eine Stelle seines Armes, auf der 
er ein lebendes Kaninchenokr fixierte, 45 Minuten mit Finsenlicht, 
eine andere unter denselben Bedingungen 35 Minuten mit Quarz- 
Blaulicht und konstatierte an der ersten Stelle gar keine nach- 


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306 


THERAPEUtlSCflE RUNDSCflAÜ 


Nr. 1§. 


weisbare Wirkung, während au der letzteren 12 Stunden nach 
der Belichtung ein Erythem auftrat, das erst nach fünf Tagen 

abgeblaßt war. 

Eine kritische Beleuchtung der herrschenden Ansichten über 
die Quarzlampe liegt in Leder man ns (Berlin) Aufsatz vor. Das 
Resümee der Angestellten Erwägungen lautet dahin, daß man nach den 
Resultaten der experimentellen Forschung der Quarzlampe infolge 
ihres Reichtums an chemisch wirksamen Strahlen eine oberfläch¬ 
liche, stark entzündliche, bis zur Nekrose sich steigernde Wirkung 
sowie eine oberflächlich bakterizide Wirkung zuerkennen müsse, 
daß aber ihre Tiefenwirkung, experimentell wenigstens, noch nicht 
einwandfrei bewiesen sei. Xu Uebereinstimmung mit dieser Auf¬ 
fassung seien auch die von ihm erzielten therapeutischen Resultate 
ausgefallen. Die besten Resultate erhielt Leder mann bei Alo¬ 
pecia areata, wo durchschnittlich vier bis sechs Belichtungen von 
zwei bis zehn Minuten Dauer bei einer Entfernung von 10 bis 
15 cm genügten, um iu vier bis acht Wochen das Haar Wachstum 
anzuregen. Vortreffliche Erfolge erzielte Autor weiter bei Akne 
rosacea mit und ohne Kompressionsbehandlung, und zwar genügten 
bei ersterer Anwendung zwei Minuten zum Hervorrufen einer 
mittelstarken Reaktion, während die Distanzbelichtung bei einem 
Abstand von 5 bis 20 cm durchschnittlich ein bis fünf Minuten 
währte; tiefer gelegene Knoten von Sykosis parasitaria gingen 
uuter öfterer langdaueroder Kompressionsbehandluug zurück, ohne 
daß der parasitäre Prozeß selbst abheilte. Die übrigen therapeuti¬ 
schen Erfahrungen seien Bisher fast sämtlich mehr oder weniger 
zweifelhafter Natur. So waren die Erfolge bei Lupus vulgaris 
nur unsicher, während ein Fall von Tuberkulosis cutis verrucosa 
trotz mehrfacher Bestrahlung überhaupt nicht reagierte; auch bei 
zwei kleinen Kankroiden trat trotz einer energischen Kompressions¬ 
bestrahlung von 40 Minuten keine vollkommene Heilung ein, wie 
auch bei Ekzem, Akne und Psoriasis kein wirklicher Heilerfolg 
erzielt werden konnte. Zwar sieht Leder mann in der Quarz¬ 
lampe, besonders bei Anwendung der kürzlich eingeführten kleinen 
Ansätze, ein äußerst wertvolles Unterstützungsmittel in der Be¬ 
handlung zahlreicher Dermatosen, hegt aber die Befürchtung, daß 
die Quarzlampe nicht alle an sie geknüpften Erwartungen er¬ 
füllen werde. 

Während die bisher mitgeteilten praktischen Erfahrungen 
über die Quarzlampe auf das ganze Gebiet der in Betracht 
kommenden Dermatosen Bezug nehmen, behaudeln die drei folgen¬ 
den Arbeiten von Becker-Frankfurt, a. M., Buschke-Berlin 
und Weik-Breslau die therapeutischen Resultate, die sich in der 
Behandlung einer speziellen Krankheit ergaben. 

So berichtete Becker über seine Erfahrungen mit der Quarz¬ 
lampe bei Psoriasis. Er hält im Gegensatz zu Hey mann, der 
bei dieser Erkrankung die Quarzlampe direkt auf die betreffende 
Hautstelle setzte, also den Hauptwert auf Tiefenwirkung legte, 
diese Anwendung nur bei sehr dicken Infiltraten für nötig und 
benutzte im übrigen Distanzbelichtung, für die er Bläulichtkom- 
pn ssorien zur Vermeidung einer etwaigen intensiveren Oberflächen¬ 
wirkung empfiehlt. Einfache Hyperämie ohne Blasenbildung er¬ 
scheint ihm als das Ideal der zur Heilung der Psoriasis nötigen 
Reaktion, eine stärkere Blasenbildung sei unbedingt zu vermeiden. 
V on den fünf behandelten Fällen heilte der eine unter zwanzig, 
bei einem Abstaude von 12 bis 15 cm, acht bis zehu Minuten 
währenden Bestrahlungen, bei dem zweiten Fall trat unter acht 
Bestrahlungen Heilung ein bis auf die Handrücken, die trotz er¬ 
zielter starker bullöser Dermatitis sich refraktär verhielten, ein 
Fall reagierte auch nach dreimaliger Bestrahlung gar nicht, und 
hei zwei Fällen konnte die Behandlung nicht zu Ende geführt 
werden. Diese Erfolge bei Psoriasis seien mit Freude zu be¬ 
grüßen, da mancher Patient froh sei, die ihm nur zu wohl bekannte 
Salbenkur mit der sauberen Lichtbehandlung vertauschen zu können. 

Buschke behandelte vier Fälle von Vitiligo mit Quarzlampen¬ 
licht. Er konnte nach weisen, daß es gelinge, mit der Quarz¬ 
lampe nach der kurzen Belichtungszeit von ein bis zwei Minuten 
mittels Kompression oder mit einer Distanzbelichtung von 10 cm 
im vitiliginösen Gebiet Pigment zu erzielen, das ca. 14 Tage nach der 
Belichtung auftrete, im Verlauf von mehreren Wochen aber wieder 
allmählich verschwinde. Und zwar ordne sich das Pigment fast 
ausschließlich in follikulären, kleinsten bis stecknadelkopfgroßen, 
gelbbraunen Pigmentflecken an, die sich allmählich vergrößerten, 


konfluierten und so unregelmäßige Inseln bildeten, während die 
Randzone, dem Rande des aufgesetzten Quarzglases entsprechend, 
eine dunklere, scharfe, iinienartige Pigmentierung zeige. Bei blonden 
Personen entwickelte sich das Pigment schwächer und war auch 
von kürzerem Bestand als bei brünetten. Die histologische 
Untersuchung des fünf Wochen nach der Bestrahlung exzi- 
dierten Stückes ergab, daß das graubraune bis graugrüne, 
iatra- und interzellulär vorhandene Pigment sich fast ausschlie߬ 
lich in den Keimschichten des Epithels lokalisierte und im Binde¬ 
gewebe fast ganz fehlte. Der Ausgang des Pigmentes von den 
Follikeln lasse darauf schließen, daß die Follikelregion auch bei 
Pigmentverlust der Haut ein Retinakulum für Pigmentregenera¬ 
toren bilde und gewissermaßen ein Pigmentkeimzentrum darstelle. 
Die praktische Bedeutung seiner Beobachtungen schlägt Buschke 
schon deshalb geriug an, weil das gebildete Pigment sich später 
wieder verliere; er hält es aber für möglich, daß durch häufige 
und zweckmäßige Belichtungen vielleicht doch wieder die „Pigment¬ 
maschine“ in Gang gebracht werde. 

Weiks Arbeit, in der er die Einwirkung des Finsen-, Uviol- 
und Quarzlampenlichtes auf zwei Fälle von Xeroderma pigmen¬ 
tosum experimentell untersuchte, ergab, daß die Hautverände¬ 
rungen bei dieser Krankheit auf der Einwirkung aktinischer 
Lichtstrahlen beruhe, und zwar beweise die bei Xeroderma im 
Vergleich zur normalen Haut beobachtete stärkere Lichtreaktion 
lediglich einen Intensitätsunterschied zwischen beiden Lichtreak¬ 
tionen. Das verschiedene Verhalten der pigmentierten und nicht 
pigmentierten Xerodermhaut gegen Belichtung bernhe darauf, daß 
das in sämtlichen Epithelschichten angeordnete Pigment einen Schutz 
gegen aktinisches Licht darstelle. Es gelang Weik mittels Quarz- 
und Finsenbelichtung bei Vitiligo charakteristische Pigmentflecke 
und eine dem Sitz dieser entsprechende geringe Hyperkeratose, 
die Symptome des Xeroderma pigmentosum, experimentell hervor¬ 
zurufen. Durch die Anwendung eines Methylenblaufilters wurden 
die ganz kurzwelligen ultravioletten Strahlen absorbiert, so daß 
die Lichtwirkung sich mehr auf die tieferen Gewebspartien er¬ 
streckte. Zwischen den angewandten drei Lichtquellen bestehe 
kein prinzipieller, sondern nur ein quantitativer Unterschied, und 
zwar sei das Quarzlampenlicht an chemisch wirksamen Strahlen 
am reichsten. 

Sehr interessant ist es nun, zu sehen, wie sich Kromayer 
zu der so vielseitig erfolgten Prüfung und Kritik der Quarzlampe 
verhält, und wie weit etwa diese sein anfänglich abgegebenes 
Urteil zu modifizieren vermochten. 

In seiner letzten im Dezember vorigen Jahres erschienenen 
Publikation nimmt Kromayer unter Berücksichtigung der herr¬ 
schenden Ansichten nochmals Stellung zu dem Thema der Quarz¬ 
lampe. Im wesentlichen hat sich seine Meinung darüber nicht 
geändert. Zunächst sei die überlegene Oberflächenwirkung des 
Quarzlampenlichtes allgemein anerkannt worden, deren eventuell 
zu stark werdende Intensität durch Blaufilter passend abgeschwächt 
werde. Auch bezüglich der Tiefenwirkung hält Kromayer trotz 
des erhobenen Widerspruches mehrerer Autoren an seiner alten 
Ansicht fest, nach der die Quarzlampe die Finsenlampe um eine 
zwei- bis dreifache Tiefenwirkung übertreffe. Gegen die von 
seineu eigenen Resultaten abweichenden Ergebnisse von Johannsen 
und Mulzer erhebt Kromayer den nicht unberechtigten Ein¬ 
wand, daß die von diesen beiden Autoren für das Finsenlicht ge¬ 
fundenen Versuchszahlen auf die Praxis deshalb nicht anwendbar 
seien, weil sie nur die im Brennpunkt der Lampe wirkende Lichfc- 
energie ausdrückten, während in der Praxis wegen der Unmög¬ 
lichkeit einer absoluten Brennpunktbelichtung die therapeutisch 
ausgenutzte Lichtenergie sich gleichmäßig auf die gesamte Druck- 
liuse von einer ca. dreifachen Brennpunktfläche verteile. Be¬ 
weisend für die überlegene Tiefenwirkung der Quarzlampe gilt 
für Kromayer außer den bestätigenden Resultaten anderer auch 
die von Pürckhauer erwähnte Tatsache, daß die Quarzlampe 
im Gegensatz zur Finsenlampe deutlich den Ohrknorpel beein¬ 
flußte, wie ferner die von Mulzer beobachtete bakterizide Wir¬ 
kung dieser nach einer bei Passage von l h mm dicker Haut er¬ 
folgten einstündigen Belichtung, wie sie bei dem Finsenlicht völlig 
vermißt wurde. Im Anschluß an diese Kritik gedenkt Kromaye r 
der schon von Schüler erwähnten technischen Vervollkommnung 
in der Quarzlampenbehandlung durch zweckmäßige Kompressorien 








THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


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für schwer zugängliche Hautstellen wie durch lichtleitende Quarz- 
ansätze, die : eine Behandlung, der Schleimhäute ermöglichten. 
Kromayer schließt seine Ausführungen mit der Aufzählung der 
bisher für die Quarzlampe erprobten Indikationen, die er für 
Lupus vulgaris, Naevus vaskulosus und Alopecia areata für mehr oder 
weniger absolut erachtet, während sie bei den betreffenden übrigen 
Erkrankungen mehr,relativer Natur seien, da bei ihnen in vielen 
Fällen andere Behandlungsmethoden bequemer zum Ziele führten. 

Zum Schluß meines Referates erwähne ich noch die jüngst 
erschienene Ehr mann sehe Abhandlung über die „Anwendung 
der Elektrizität in der Dermatologie“ , die als ein „Leitfaden für 
praktische Aerzte und Studierende“ gedacht ist, und von der 
man als solchem, abgesehen von einer gewissen subjektiven 
Färbung, feststehende und allgemein anerkannte Ergebnisse über 
das' behandelte Thema erwarten darf. Verfasser räumt der Quarz¬ 
lampe in der Behandlung der Hautkrankheiten einen hervorragenden 
Platz ein. Er empfiehlt sie in ihrer Anwendung der lokalisierten 
Bestrahlung besonders bei Lupus vulgaris (event. nach Vorbehand¬ 
lung mit Resorzin) und Lupus erythematosus, bei Epitheliom sowie 
bei inveterierten Psoriasis- und chronischen Ekzemplaques; für 
Lupus vulgaris und Epitheliom stehe die Quarzlampe in ihrer 
Wirkung der Finsenlampe kaum nach. Bei Epitheliomen hätten 
nur jene Lichtquellen Aussicht auf Erfolg, die eine größere Tiefen¬ 
wirkung entfalteten (Finsen- und Quarzlampe), was nach seiner 
Meinung nur dadurch zu erklären sei, daß die am tiefsten vor¬ 
gedrungenen Krebszellenhaufen in ihrer heterogenen Wirksamkeit 
zerstört, und der Widerstand der übrigen Gewebe gegen ihr 
Vordringen erhöht werde. In einem Falle von Epitheliom, bei dem 
längerdauernde Röntgenbehandlung die letzte Spur der Neubildung 
nicht zerstören konnte, sah Ehrmann nach der dritten Bestrah¬ 
lung mit der Quarzlampe Heilung eintreten. Bei Lupus erythema¬ 
tosus, wo es ebenfalls auf Tiefenwirkung ankomme, genügten auf 
je eine Plaque zwei lokale Quarzlampenbestrahlungen von drei bis 
fünf Minuten Dauer; bei Akne und Furunkulose, wo es auf 
Wärmewirkung ankomme, sei die Lichttherapie entbehrlich, und 
bei Naevus wirke Elektrolyse viel sicherer, während für Ekzeme 
in ihren chronischen Formen, wo es auf Tiefenwirkung weniger 
ankomme, die Uviollampe vorzuziehen sei. Doch könne die ober¬ 
flächliche Wirkung der Uviollampe auch mit der Quarzlampe-bei 
entsprechender Distanzbelichtung erzielt werden. Wie weit das 
durch ultraviolette Strahlen erzeugte Ozon an den Heilwirkungen 
teilnehme, sei noch nicht -festgestellt. 

Ein Ueberblick über die referierte Literatur des Quarzlampen- 
li'chtes zeigt uns, daß trotz eingehender experimenteller Forschung 
und trotz einer reichhaltigen klinischen Erfahrung die Frage nach 
dem therapeutischen Wert der Quarzlampe bisher zu keinem ein¬ 
deutigen und allgemein gültigen Resultat führte, sondern immer 
noch der Endlösung harrt. Was zunächst die experimentellen 
Untersuchungsergebnisse anlangt, so muß die außerordentliche 
Oberflächenwirkung wie eine beträchtliche Tiefenwirkung als sicher 
bewiesen geltep. Die experimentelle Streitfrage bezieht sich einzig 
auf den Intensitätsgrad der Tiefenwirkung, nämlich ob dieser dem 
des Finsenlichtes gleichkommt resp. ihm zwei- bis dreifach über¬ 
legen ist. Relativ gleichgültig bleibt es für diese Entscheidung, 
ob, wie die betreffenden Untersuchungen zu ergeben scheinen, die 
Methode zur Prüfung der Tiefenwirkung mittels lichtempfindlicher 
Substanzen unzulässig ist; wichtiger ist, daß auch die rein physio¬ 
logische Prüfungsmethode mit dem lebenden Organismus zu viel¬ 
fach widersprechenden Resultaten führte. Wünschenswert wäre 
es\ in der von Pürckhauer geübten Weise auch vergleichend 
die Lichtwirkung an der lupösen Haut zu studieren, wobei natür¬ 
lich für jede der beiden Lichtquellen zwei möglichst gleichartige 
Hautstellen gewählt werden müßten. Die therapeutischen Resul¬ 
tate mit der Quarzlampe haben gezeigt, daß diese so kraftvolle 
Lichtquelle einen ganz wesentlichen Fortschritt in der Therapie 
der Hautkrankheiten bedeutet; aus der Möglichkeit einer Kom¬ 
pressions- und Distanzbelichtung ergibt sich eine Vielseitigkeit 
in der Indikationsstellung, wie sie bisher keiner der therapeuti¬ 
schen Lichtapparate aufzuweisen hatte. Ob die Quarzlampe die 
Finsenlampe wirklich ersetzen kann, bleibt zunächst noch fraglich 
und kann erst durch eine jahrelange therapeutische Erfahrung ent¬ 
schieden werden. Ein sicheres Urteil über den Wert der Distanz¬ 
belichtung vermag z. Z. auch noch nicht gefällt zu werden, da 


einerseits die Indikationsstellung wie andererseits die nötig werdende 
Dosierung eine mit der subjektiven Ansicht des Ausführenden 
schwankende und unsichere war. Die Schleimhautbehandlung mit 
Quarzlampenlicht hat bisher noch keine positiven Resultate ge¬ 
zeitigt, ein Umstand, der seinen Hauptgrund wohl in den be¬ 
stehenden technischen Schwierigkeiten findet. Da somit ein ab¬ 
schließendes Urteil über die Quarzlampe noch nicht vorliegt, so 
wäre es bedauerlich, wenn das Interesse, das dieser Frage in so 
reichem Maße zu teil wurde, erlahmte, und die Dermatologie da¬ 
mit der vollen Ausnutzung einer so wirksamen Heilmethode ver¬ 
lustig ginge. 

Literatur. 

Kromayer: Quecksilber*Wasserlampen zur Behandlung von Haut und 
Schleimhaut. Deutsch, med. Wochensehr. 1900. 10. 

Wichmann: Bemerkungen zu Kromayers Publikation „Quecksilber- 
Wasserlampen zur Behandlung von Haut und Schleimhaut“. Deutsch, 
med. Wochensehr. 1906, 17. 

Schüler: Zur Frage der Wirkung von Quecksilberdampflampen. Deutsch 
med. Wochensehr. 1906, 17 

Schreiber u. German: Ueber die Wirkung der Quecksilberquarzglas¬ 
lampe. Münch, med. Wochensehr. 1906, 30. 

Kromayer: Die Anwendung des Lichtes in der Dermatologie. Berliner 
klin. Wochensehr. 1907, 3 — 5. 

— Das neuste Modell der Quarzlampe mit Nebenapparaten. Dermatol. 

Ztschr. 1907, S. 235. 

Schultz: Zur Frage der Tiefenwirkung des ultravioletten Lichtes. Dermatol. 
Ztschr. 1907, S. 369. 

Schüler: Demonstrationen einiger Modifikationen zur Quecksilber-Quarz¬ 
lampe. Dermatol. Ztschr. 1907, S. 367. 

— Neue Bergkristallansätze für die Lichtbehandlung von Schleimhäuten 

Deutsch, med Wochensehr. 1907, 12. 

— Zur Schleimhaut-Behandlung mit den Strebei-Sch liier'sehen Quarz¬ 

ansätzen. Zeitschr. f. med. Elektrol u Röntgenkunde, 

E. S. Johannsen: Unteisuchung über die Wirkung der Kr omayer’scbon 
Lampe und der Fi ns en -Reynlampe auf Chlorsilberpapier. ^ (Aus 
Finsens mediz. Lichtinstitut, Kopenhagen.) Berl. klin. Wochen¬ 
schrift 1907, 31. 

Gunni Busk: Bemerkungen über die Kromayer’sche Quecksilberlampe. 
(Aus Finsens mediz. Lichtinstitut, Kopenhagen.) Berl. klin. Wochen¬ 
schrift 1907, 28. 

Bering: Ueber die Wirkung violetter und ultravioletter Lichtstrahlen. 
(Aus der Kgl. Universitäts-Klinik für Hautkrankh., Kiel.) Mediz. 
naturwissenschaftl. Archiv, Berlin 1907, 1. 

Wichmann: Experimentelle Untersuchungen über die biologische Tiefen¬ 
wirkung des Lichtes der medizinischen Quarzlampe und des Finsen- 
apparates. (Aus der Lupusheilanstalt der Landesversicherungsanstalt 
zu Hamburg.) Münch, med. Wochensehr. 1907, 28. 

Mulzer: Vergleichende experimentelle Untersuchungen über die Wirkung 
des Finsen’schen Kohlenlichtes und der medizinischen Quarzlampe. 
(Aus der dermat. Abt. d. Stadt. Rudolf-Virchow -Krkh.) Mediz. 
Klinik 1907, 29 und Archiv f. Dermat. u. Syph. Bd. SS, 1. 
Pürckhauer: Experimentelle Untersuchungen über dio Tiefenwirkung der 
Kromayer’schen Quarzlampe an normaler Haut. (Aus der dermatol 
Universitätsklinik zu Breslau) Archiv f. Dermat. u. Syphilis Bd. 87, 
Heft 2 u. 8. 

Hesse: Zur Tiefenwirkuug des Quarzlampenlichtes Münch med. Wochen¬ 
schrift 1907,735. 

Stern u. Hesse: Experimentelle und klinische Untersuchungen des ultra¬ 
violetten Lichtes (Quarzlampenlicht). Dermatol Ztschr 1907, S. 469. 
Wetterer: Ueber einige Erfahrungen mit der K romay er sehen Qu irz- 
lampe. Aefztliche Mitteil, aus und für Baden 1907, 7 und Archiv 
f. physikal. Medizin u. med. Technik. Leipzig 1907, Bd. II, 3—4. 
Loh de: K romay er 'sehe Quarzlampe. Deutsch, med. Wochensohr 1907,31. 
A. Ivozewski u S. Gorkiewicz: Aus eignen Beobachtungen im Be¬ 
reiche der Phototherapie. Poln. Ztschr. f. Dermatol, und Yenerolog .1907, 
7—9. (Referat der Monatsh. f. prakt Dermatol. 1907, 12.) 

C. J. Müller: Ueber den derzeitigen Stand und die Aussichten der Aktino- 
therapie. Deutsch, med. Wochensehr. 1907, 33. 

Heymann: Erfahrungen mit der Quarzlampe. (Aus der dermatol. Abt 
des Stadtkrh. Friedrichstadt in Dresden.) Deutsch, med. Wochen¬ 
schrift 1907, 42. 

Ledermaun: Kritische und therapeutische Beitläge zur Kenntnis der 
Quarzlampe. Berl. klin. Wochensehr. 1907, 51. 

Ferdin. Becker: Zur Behandlung der Schuppenfiechte mit Ultraviolett¬ 
strahlen. Deutsch, med. Wochensehr. 1907, 51. 

B uschke : Notiz zur Behandlung der Yitiligo mit Licht. (Aus der dermatol. 
Abt des Städt. Rudolf Virchow-Krkh., leitender Arzt: Dr. 
Buschke.) Mediz. Klinik 1907, 33. 

Hahn u. Weik: Zwei Fälle von Xeroderma pigmentosum mit experimen¬ 
tellen Untersuchungen über die Einwirkung verschiedener Lichtarten 
(Aus der dermatol. Universitätsklinik zu Breslau.) Areh. f. Deimutol 
u. Syph. Bd. 87, 2-3. 

Kromayer: Die bisherigen Erfahrungen mit der med. Quarzlampe. Monatsh 
f. prakt. Dermatol., Hamburg, Bd. 46, 1. 

Ehrmann: Die Anwendung der Elektrizität in der Dermatologie Leit¬ 
faden für praktische Aerzte und Studieiende, Wien 190S. 


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Nervenkrankheiten. 

Referent: Dr. Toby Cohn, Berlin. 

1. Enuresis nokturna infantum. Von F ü r s t e n li e i m-Berlin- 
Karlshorst. Therap. Monatshefte, 1908, Januar. 

2. Die Epilepsiebehandlung seitens des praktischen Arztes. 
Von Dr. Georg Flatau. Therapie d. Ggw. Februar, p. 71. 

3. Die Therapie der Epilepsie. Von Dr. Paul Leubuscher- 
Hoppegarten. Med. Klinik, 1908, Nr. 11. 

4. Neuere Behandlungsmethoden der Basedowschen Krank¬ 
heit. Von Dr. G. Soleil - Paris. Aerztl, Zentralzeitg., Wien, 
1908, Nr. 2 bis 4 (nach Zeitschr. f. neuere physikal. Therap., 
1907, Nr. 5). 

5. Zur Therapie der Basedowschen Krankheit. Von M. 
Oklemann-Wiesbaden. Deutsche Aerzte-Zeitg., 1908, Heft 4. 

G. Höhenluft hei Morbus Basedowii. Von Prof. Dr. Stil ler- 
Budapest. Med. Klinik, 1908, Nr. 9. 

7. Die heutige Therapie der Neuralgien. Von E. Fröh- 
1 ich-Berlin. Deutsche Aerzte-Zeitg., 1908, 1. Febr. 

8. Vorstellung erfolgreich mit Injektionen behandelter Fälle 
von Isehalgie. Von Doz. Dr. A. Bum-Wien. Aerztl. Zentral- 
Zeitg., 1908, Nr. 6. 

9. Zur Injektionstherapie der Neuralgien. Von T)r. Erich 
Scjhlesin ger-Berlin. Deutsche med. Wochenschr., 1908, Nr. 6. 

10. Der Kopfschmerz und seine Massagebehandlung nach 
Cornelius. Von Oberarzt Dr. Worbs. Ibidem, 1908, 19. März. 

11. Einiges über Schlaflosigkeit und ihre Behandlung. Von 
Priv.-Doz. Dr. A. Fuchs. Wiener klin. Rundschau, 1907, Nr. 45 
und 46. 

12. Schlaflosigkeit und Hypnose. Von Dr. Ludwig v. Szöl- 
1 o sy. Ibidem, 1908, Nr. 6, 9. Febr. 

13. Die periphere Fazialislähmung und ihre Behandlung. 
Von Priv -Doz. Dr. A. Fuchs, Wiener med. Presse, 1907, Nr. 6 
und 7. 

1. Die Mehrzahl der Fälle von nächtlichem Bettnässen ist 
nach Fürstenkeim die Folge von Erziehungsfehlern. Recht¬ 
zeitige pädagogische Behandlung kann das Uebel beseitigen. Ge¬ 
meinsam ist den Fällen eine abnorme Schlaftiefe. Dadurch wird 
die „halbwillkürliche“ Reflexbahn gestört, und bei stärkerer Füllung 
läuft der Blaseninhalt ab. Bei Tage sind in der Regel hemmende 
Vorstellungen im Sinne mangelnden Selbstvertrauens Ursache der 
Inkontinenz. Geuaue somatische und psychische Analyse des 
Einzelfalles ist immer erforderlich. Auch lokale Erkrankungen 
(Phimose, Adenoide des Nasenrachenraums) sind auszuschließen 
bezw. zu beseitigen; auf Vorhandensein von Debilität ist zu achten 
und Polyurie zu bekämpfen. — Therapeutisch ist die erste Auf¬ 
gabe „Rhythmisicrung“ der Harnfunktion, d. h. etwa dreistünd¬ 
liches Urinieren, nachts regelmäßige Weckzeiten (die dadurch 
entstehende Flachheit des Schlafes ist nach F. nicht unerwünscht; 
— nach der Meinung des Ref. ist es durchaus nicht unbedenklich, 
bei neuropathischen Kindern die Schlaftiefe zu vermindern). Am 
Tage soll Ruhighaltung und Nachmittagsschlaf den nächtlichen 
Ruheausfall ersetzen. Vorwiegend vegetabilische Diät, Hochstellen 
des Bettendes oder „Aufhängen“ (kurz vor dem Einschlafen Kopf 
nach unten), Massage des Blasenhalses vom Rektum aus und 
Elektrotherapie können die vor allem wichtige psychische Behand¬ 
lung unterstützen. Diese besteht je nach der Eigenart des Kindes 
in Wechsel der Umgebung, individueller Erziehung (Medikopäda- 
gogik), Sorge für sofortiges Trockenlegen, energischen Vorhal¬ 
tungen, aber möglichst Vermeiden von Bestrafung, Wachsuggestion 
(Persuasion), nicht Hypnose. Im Notfälle wird tags ein vier¬ 
eckiger Lappen aus Holzwolle, nachts eine sackartige Hülle aus 
Sackleinwand benutzt. Am besten ist die Ueberführung in ein 
pädagogisch geleitetes Institut. 

2. Zur rationellen Epilepsiebehandlung ist außer sorgfältiger 
Diagnose, möglichst unter eigener Beobachtung des Anfalls, nach 
Flatau zwischen dem Einzelanfall und den Anfallserien zu unter¬ 
scheiden. In den Serien, die mitten in der Brombehandlung ein- 
treten können, ist neben Bettruhe, Ganzpackungen von 28 bis 
30° G und hohen Eingießungen, Chloral (auch bei Kindern), 
Sulfonal, Dormiol und besonders Veronal zu empfehlen: 0,2 pro 
dosi dreistündlich vom dritten bis zehnten Lebensjahr, zwei- bis 
dreistündlich 0,25 bei älteren Kindern, dreistündlich 0 ? 3 bis 0,5 


bei Erwachsenen wird ohne Schaden lange Zeit vertragen. Bei 
Einzelanfällen vor allem Regelung der Ernährung: verminderte 
Nahrungszufuhr, lakto - vegetabilische Diät, Verbot von Fleisch¬ 
brühe, Alkohol, Kaffee; Kombination von Bromzufuhr mit Herab¬ 
setzung des Kochsalzgehaltes (Richet-Toulouse) oder Bälints 
Verfahren: reine lakto-vegetabile Diät, nur 40 bis 50 g ungesalzene 
Butter, drei Eier und bromhaltiges Brot (täglich ca. 10 Spasmosit- 
zwiebäcke). Daneben Ganzpackungen und Darreichung von Brom 
bezw. Bromipin oder Veronal, auch wohl Atropin oder Belladonna. 
Die Flechsig sehe Brom-Opiumkur ist nur in einer Anstalt durch¬ 
zuführen. 

3. Die Arbeit Leubuschers ist im wesentlichen ein Referat 
über den jetzigen Stand der Epilepsiebehandlung. Sie deckt sich 
daher inhaltlich in der Hauptsache mit dem vorher besprochenen 
Aufsatze. Von der Kochsalzentziehung hält L. nicht viel, wenn 
er auch eine kochsalzarme Diät empfiehlt. Auch ist nach seinen 
Erfahrungen die Opiumkur Flechsigs nicht sehr aussichtsreich. 

4. Soleil referiert über eine Abhandlung von Ballet und 
Dolherm, die besonders die physikalische Therapie der Basedow¬ 
schen Krankheit berücksichtigt. Bei der Unzugänglichkeit der 
Originalschrift empfiehlt sich eine kurze Inhaltsangabe an dieser 
Stelle. Nach den Autoren scheint die Radiotherapie ein sehr 
wirksames Heilmittel zu sein, aber noch nicht einheitlich genug 
in der Technik. Dominici hat mit Radium einen sehr günstigen 
Erfolg gezeitigt, der zu weiteren Untersuchungen ermutigt. Die 
elektrotherapeutischen Verfahren sind sehr zahlreich: 1. Allgemein¬ 
behandlung mit statischen Bädern, Hochfrequenzstrom, allgemeiner 
Faradisation, galvanischen oder sinusoidalen hydroelektrischen 
Bädern. 2. Lokale Behandlung: Kopffaradisation, Faradisation 
der Augäpfel, des Kropfes und der Herzgegend; Behandlung mit 
sinusoidalem Wechsel- oder Gleichstrom; Kondensatorentladungen; 
ganz besonders Galvanisation durch die Struma (langdauernde 
Ströme bis 60 Volt), auch wohl Jodelektrolyse oder Galvanofaradi- 
sation. — In bezug auf die Hydrotherapie bevorzugen die Autoren 
die beruhigenden Methoden, besonders die schottische Dusche, lau¬ 
warme Packungen und temperierte Bäder gegenüber den Kalt- 
wasserduschen und Bespritzungen, die von anderer Seite empfohlen 
werden, die aber nach ihrer Meinung nur bei kräftigen Personen 
Verwendung finden sollten. Seeaufenthalt und Höhenklima er¬ 
scheinen ihnen weniger brauchbar als niedriggelegene windstille 
Orte. Brom- oder arsenhaltige Quellen kommen gleichfalls in Be¬ 
tracht. Schließlich erwähnen sie die Massagekuren (allgemeine 
Massage, Bauch-, Hals-, Schilddrüsen- und Nervenmassage). 

5. Ohlemann tritt aus Erfahrung, die er an seiner eigenen 
Person gemacht hat, warm für die Jodbehandlung des Basedow 
ein. Die Jodtinktur zieht er dem Jodkali noch vor. — Er macht 
ferner auf die Wichtigkeit der Röntgenuntersuchung aufmerksam, 
die subldavikulare und substernale Strumen enthüllt. Die günstige 
Wirkung des Antithyreoidin scheint den genuinen Formen der 
Basedowschen Krankheit anzugehören. 

6. Stiller ist der Meinung, daß die Wirkung der Höhen¬ 
luft in der Behandlung des Morbus Basedowii noch immer nicht 
genügend geschätzt wird. Er führt zwei Fälle ,an, in denen trotz 
schwerster Symptome ein Höhenaufenthalt (das eine Mal sogar im 
Winter) geradezu glänzenden Erfolg gezeitigt hat. Bei schweren 
Fällen scheinen die Resultate noch günstiger zu sein als bei 
initialen. — Wer weiß, meint St., ob wir die Höhen von 1000 
bis 1500 m nicht auch einmal bei Herzkrankheiten mit Erfolg 
verwenden werden! 

7. Ueber die Behandlungsmethoden der Ischias und der Trige¬ 
minusneuralgie berichtet Fröhlich. Es ist im wesentlichen eine 
Zusammenstellung des schon Bekannten. Für die Ischias spielt 
die Injektionstherapie, für die Trigeminusneuralgie daneben die 
operativen Verfahren (Neurektomie, Weichteilverlagerung nach 
Bar den he u er, Exzision des oberen Sympathikus-Ganglions nach 
D e 1 b e t und die in allen Fällen völliger Entfernung des Ganglion 
Gasseri regelmäßig erfolgreiche Radikaloperation) eine Hauptrolle. 
Im übrigen werden die bekannten physikalischen und medikamen¬ 
tösen Verfahren auf geführt. 

8. In 63% der Fälle unter 81 Erkrankungen von nicht 
akuter „Isehalgie“ hat Bum-Wien durch Injektion einer 8°/ooigen 
Chlornatriumlösung in die Scheide des Nerven am unteren Rande 
des Gluteus mayimus Heilung, in 21% erhebliche Besserung er? 


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1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


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zielt. Meist genügte eine Spritze, seltener waren drei bis vier 
erforderlich. 

9. Die Methode, die E. Schlesinger zur Ischiasbehandluug 
amvendet, unterscheidet sich von den bisher bekannten Verfahren 
der Kochsalzinjektionen rnn* dadurch, daß er eine in einem Kälte¬ 
gemisch auf 0° abgekühlte Lösung anwendet. Intraneurale Injek¬ 
tion wendet er nicht an; er bezweifelt überhaupt ihre regelmäßige 
Ausführbarkeit. In 42 Fällen, meistens chronischen, batte er 
60% Heilungen. — In der Diskussion zu Sch.s Vortrag werden 
Zweifel an der besonderen Wirksamkeit des Kälteverfabrens laut, 
vereinzelt werden die Erfolge des Injektionsverfahrens überhaupt 
auf Suggestion zurückgeführt. 

10. Nach den Untersuchungen von Worbs an etwa 40 Per¬ 
sonen haben Kopfschmerzen in sehr zahlreichen Fällen ihre Ursache 
in oft lange bestehenden entzündlichen Prozessen, die sich meist 
an prädisponierten Stellen sowohl in der Kopf- und Nackenmusku¬ 
latur wie im Verlauf der Kopfnerven durch ihre abnorme Druck¬ 
schmerzhaftigkeit zu erkennen geben. Sie stellen sich meistens 
dar als kontinuierlicher Druck im ganzen Kopf oder nur in der 
Hiuterhauptsgegend, als Benommenheit mit Beeinträchtigung des 
Allgemeinbefindens, so daß sie vielfach als neurastheoiscber Kopf¬ 
schmerz imponieren, oder sie zeigen einen mehr paroxysmalen, auf 
bestimmte Nervengebiete lokalisierten Typus, so daß sie einen 
neuralgischen, in anderen Fällen einen migräneartigen Charakter 
annehmen. Die Corneliussche Massagemethode (15 bis 20 Mi¬ 
nuten lang ausgeübte Friktionen der einzelnen Schmerzpunkte) 
ist ein wirksames Mittel, die Beschwerden anscheinend dauernd 
fortzuschaffen. Die Massage ist oft schmerzhaft und erzeugt bei 
empfindlichen Personen vielfach heftige lokale Reaktion. 

11. Die Ausführungen von Fuchs über die Ursachen und 
Behandlungsmethoden der Schlaflosigkeit enthalten eine Zusammen¬ 
stellung des bereits Bekannten. Er unterscheidet psychisch wirkende 
Schlafmittel (Suggestion in jeder Form, Hypnose), physikalische 
Verfahren (Hydrotherapie, Elektrotherapie) und die medikamen¬ 
tösen Methoden. Er führt dann im einzelnen die in Betracht 
kommenden Medikamente, in Gruppen geteilt, an und gibt bei 
jedem die Dosierung, die spezifische Wirkung und eventuelle 
schädliche Nebenwirkungen aD. 

12. v. Szöllösy sieht in der Hypnose das souveräne Mittel 
gegen primäre, genuine Insomnie. Man soll sie nicht als ultimum 
refugium, sondern möglichst frühzeitig anwenden, anfangs täglich, 
später in größeren Zwischenräumen. Leichte Grade der Hypnose 
genügen vollkommen. Nur in schweren Fällen hört der Schlaf 
nach Anssetzen der Hypnose auf. Dann sind die physikalischen 
Methoden, die Sz. neben der Hypnose regelmäßig anwendet, iu 
den Vordergrund zu stellen. Medikamente hält der Verf. für 
schädlich. 

13. Fuchs bespricht die Pathologie und Therapie der peri¬ 
pherischen Fazialislähmungen. Inhaltlich Neues bietet die Arbeit 
nicht, bis auf eine Zusammenstellung der Fälle, die F. selbst 
beobachtet hat (309 Männer und 285 Frauen), vom Gesichtspunkte 
der Aetiologie aus. Es fand sich nämlich, daß die Erkältungs¬ 
gefahr im Berufe keine größere Häufigkeit der Gesichtslähmung be¬ 
dingt. Andererseits war auffallend, daß sowohl bei Männern als 
bei Frauen die größte Frequenz der Fazialislähmung (ebenso wie 
bei Tetanie) in die Monate April, Mai und September fällt. — Die 
Erfolge der Nervenpfropfung sind nach F. nicht sehr ermutigend. 


Gefäßerkrankungen. 

Referent: Badearzt Dr. P. Münz, Bad Kissingen. 

1. Ueber die sogenannte Periarteriitis nodosa. Von C. 
Ben da. Berl. klin. Woehenschr., 1908, 17. Febr. 

2. Heber Arteriosklerose. Von Colombo. Riv. internaz. 
di Tlierap. fisica, 1907, Juli. 

3. Physikalisch-diätetische Behandlung der Arteriosklerose. 

Von Winternitz. Zeitschr. f. diät. u. physikal. Therap., 1907, 
Dezember. 

4. Ueber Arteriosklerose. Von Burwinke]. Aerztl. Rund¬ 
schau, 1908, Nr. 12. 


1. C. Benda, welcher selbst zwei Fälle von Periarteriitis 
nodosa zu beobachten Gelegenheit hatte, gibt uns über diese seltene 
Erkrankung, über welche in der ganzen Literatur nur 20 Publi¬ 
kationen vorliegen, einen kritisch interessanten und eingehenden 
Bericht. Die Seltenheit der Beobachtungen macht es wohl er¬ 
klärlich, daß sowohl über das pathologisch-anatomische wie klinische 
Bild ein Dunkel herrscht, in das B. hineinzuleuchten sucht. 
Rokitansky — und nicht Kuß maul, wie es Benda an¬ 
nimmt — war der erste, der im Jahre 1857 die Aufmerksamkeit 
auf diese Erkrankung lenkte. Die von Kußmaul und R. Maier 
gewählte Bezeichnung Periarteriitis nodosa gibt das eigentliche 
Wesen der Krankheit nicht richtig wieder; schon näher tritt ihm 
die Bezeichnung Rokitanskys als multiples Aneurysma der 
kleinen Arterien. Eppinger, welcher an eine angeborene 
Schwäche der Elastika der kleinen Gefäße denkt, nennt die Krank¬ 
heit kongenitales Aneurysma, Benda will das Bild als Mesarteriitis 
oder noch besser als akutes multiples Aneurysma der kleinen 
Arterien bezeichnet wissen. Es handelt sich also, wie der Name 
schon sagt, um eine Erkrankung der Arterien und zwar, was be¬ 
tont werden muß, der kleinen, ja der kleinsten Gefäße, und zwar 
vor allem der Gefäße des Herzens, der Nieren, des Mesenteriums, 
der Milz und der Extremitäten. Es zeigen sich an diesen Gefäß- 
chen zahlreiche knötchenförmige Verdickungen, die makroskopisch 
oft das Aussehen von Bläschen haben, in der Tat aber Aneurysmen 
darstellen; die Aneurysmen neigen zu Thromben, und durch die 
Thrombeabildung entstehen in den dadurch von der Blutzufuhr 
abgeschnittenen Körpergeweben anatomische Veränderungen. Ueber 
das Wesen der Erkrankung gehen die Ansichten weit auseinander. 
Während Kuß maul und Maier die Entstehung in entzündlichen 
Veränderungen der äußeren Schichten erblicken und die Aneurysmen 
als etwas Sekundäres ansehen, legen andere wie Chvostek, 
Weichselbaum den Hauptwert auf eine zellenreiche Wuche¬ 
rung der Intima und wieder andere wie Veszpremy, Janczö, 
Mönkeberg und Ferrari auf Veränderungen der Media. Fast 
alle diese Autoren nehmen mit Kuß maul an, daß es sich um 
entzündliche Vorgänge primärer Art in den Gefäßen handelt. 
Paul Meier und Eppinger erblicken das Charakteristische in 
primären Zerreißungen der Media resp. der Elastika interna. Gauz 
dieselbe Verschiedenheit der Auffassung besteht auch über die 
Aetiologie der Krankheit. Es rangieren als ätiologische Momente 
Syphilis, Infektionskrankheiten, mykotische Entzimdungsvorgäuge, 
ausschweifendes Leben, eine angeborene Schwäche der Gefäße. 
Aus den klinischen Symptomen, die nur sehr wenig ausgesprochen 
sind, ist intra vitam eine Diagnose kaum zu stellen; erst durch 
die mikroskopische Untersuchung kann sie gesichert werden. Die 
Krankheit kommt in jedem Alter vor; der jüngste Patient ist 
2 1 j 2 Monate, die ältesten — das sind die beiden Fälle von Benda 
— 51 resp. 57 Jahre alt. 

Zur Aufklärung dieser in ihrem Wesen noch so wenig er¬ 
kannten und viel umstrittenen Krankheit trägt Benda auf Grund 
der gesammelten Literatur und der genauen Untersuchung der 
beiden von ihm beobachteten Fälle nicht wenig hei. Handelt es 
sich auch in beiden Fällen um ein nur beschränktes Auftreten 
von Aneurysmen der abdominalen Gefäße, so läßt der mikro¬ 
skopische Befund doch die Diagnose Periarteriitis nodosa unzwei¬ 
deutig erkennen. Im allgemeinen deckt sich dieser Befund mit 
den Beobachtungen älterer Autoren. Iu früheren Stadien der Er¬ 
krankung konnte B. Zerreißungen der Media und Elastika interna 
nachweisen, während Adventitia und Interna sich noch unverändert 
zeigen. Erst in dem späteren Verlauf, wo der Höhepunkt der 
Erkrankung vorausgesetzt werden kann, finden sich ausgedehnte 
leukozytäre Infiltrate der Adventitia, schwere Zerstörungen der 
Media, der Elastika externa und interna und der Intima, welche 
teilweise in Kontinuitätstrennungen dieser Häute bestehen. B. 
neigt zu der Ansicht, daß die Kontinuitätstrennungen das Primäre 
und die Exsudate und Blutungen das Sekundäre sind, wie es auch 
Paul Meyer und Eppinger annehmen. Die Gründe für die 
Einrisse erblickt B. iu Blutdruckmißverhältnissen, in einer abnormen 
Steigerung des Blutdruckes und einer abnormen Widerstandsherab- 
setzung der Gefäße, und zwar ist da eine große Plötzlichkeit 
dieses Momentes vorauszusetzen. Diese Annahme, welche sich mit 
der histomechanischen Theorie Thomas bezüglich der Entstehung 
der Arteriosklerose deckt, ist in der Tat imstande, viele Wider- 


UIM 


r ur miL.mijRnj 


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Sprüche im histologischen Bilde der Periarteriitis nodosa aufzu¬ 
klären. In den Fällen von Ben da wird wohl am ehesten die 
parenchymatöse Nephritis zu der Blutdrucksteigerung geführt haben. 

2. Colombo erblickt die Ursache der Arteriosklerose in 
Toxinen, welche auf der Grundlage abundanter Fleischkost, des 
Mißbrauchs von Alkohol, großer Strapazen im Blute sich anhäufen 
und eine Schädigung der Gewebe, besonders der Blutgefäße in 
Form der Arteriosklerose erzeugen. Die Blutdrucksteigerung 
erkennt C. als ätiologisches Moment wohl an, aber nicht in dem 
Maße, wie es andere Autoren, z. B. Huchard, Thoma, tun. 
Und da ist die Plötzlichkeit der Blutdruckschwankung und ihre 
öftere Wiederholung am ehesten geeignet, Arteriosklerose hervor¬ 
zurufen. Prophylaktisch und therapeutisch empfiehlt C. lakto- 
vegetabile Diät, Abstinenz, Sorge für Stuhl; besonders weist er 
den Schwitzprozeduren, die eine Eliminierung der Blutgifte durch 
die Haut befördern sollen, eine große Bolle zu. Um den Stuhl 
zu regulieren, läßt er regelmäßig salinische Mittel gebrauchen. 
Ebenso erkennt er den Wert leichter Muskelübungen an. Da¬ 
gegen hält er nichts von der in der letzten Zeit empfohlenen An¬ 
wendung hochfrequenter Ströme. Wenn man auch Colombos Ansicht 
über die Entstehung der Arteriosklerose nicht ganz beistimmen 
kann, so finden anderseits seine Angaben über Therapie und 
Prophylaxe unsere Billigung. Wir werden freilich bei vorge¬ 
schrittener Arteriosklerose und bei geschwächten Personen durch 
Schwitzprozeduren mehr schaden als nützen. 

3. In dieser Abhandlung empfiehlt Winternitz entgegen 
der herrschenden Ansicht, daß kaltes Wasser den Blutdruck er¬ 
höhe und darum seine Anwendung für Arteriosklerotiker schädlich 
sei, gerade hydriatische Maßnahmen mit kaltem Wasser für Arterio¬ 
sklerose. Er weist zunächst nach, daß kaltes Wasser den Blut¬ 
druck weniger erhöhe, als die gewöhnlichen im Leben nötigen Ver¬ 
richtungen wie Niesen, Husten, Sichbücken usw. Nach ihm liegen nun 
die Zirkulationswiderstände hauptsächlich in der Peripherie, ge¬ 
lingt es nun, durch Kräftigung der Haut- und Gefäßmuskeln das 
peripherische Pumpwerk zu stärken, so wird sich dies zunächst in 
einer Erniedrigung des Blutdruckes zeigen. Aus diesen Er¬ 
wägungen heraus hält Winternitz neben den anderen thera¬ 
peutischen Maßnahmen, wie Vermeidung zu reicher Fleischkost, 
zu großer Mahlzeiten, auch die Anwendung von kalten oder heißen 
Teilabreibungen bei Arteriosklerose für angezeigt. Gewiß läßt 
sich bei Leuten, die an kaltes Wasser gewöhnt sind, gegen dessen 
Gel^rauch nichts einwenden. Im allgemeinen aber ist bei Arterio¬ 
sklerose , zumal bei einer Erkrankung der Koronararterien und 
der Nieren, bei der Anwendung kalten Wassers Vorsicht geboten, 
da die hierdurch erzeugte Blutdrucksteigerung recht unliebsame 
Folgen haben kann. 

4. In zwei Aufsätzen führt B. in klarer, mehr populärer 
Form alles das vor, was bereits über Arteriosklerose geschrieben 
wurde. Wenn er auch die Arbeiten vieler Autoren außer Acht 
laßt, so sagt er doch das Wesentlichste über Entstehung und 
Therapie dieser jetzt so sehr in den Vordergrund des ärztlichen 
Interesses getretenen Krankheit. Es ist B. auch nicht zu ver¬ 
argen , daß er bei der Erwähnung der Therapie pro domo, d. h. 
für Nauheim Propaganda macht. Es ist jedenfalls erfreulich, daß 
B. neben seinen eigenen Theorien und Hypothesen auch die An¬ 
sichten anderer Autoren mehr zur Geltung bringt und dadurch 
seine beiden Aufsätze inhaltsreicher und gedankenvoller gestaltet. 


Chirurgie. 

Referent: Spezialarzt Dr. Heinrich Landau, Berlin. 

1. Die Exstirpation der kalten Abszesse. Von Alexander 
Tietze. Allgem. med. Centralzeitung, 1907, Nr. 50. 

2 . Zur Diagnose und Therapie der Diplokokkenperitonitis. 
Von Hans Salzer. Wiener med. Wochenschr., 1908, Nr. 13. 

3. Die Behandlung der Peritonitis. Von Ernst Siegel. 
Wiener klin. Rundschau, 1907, Nr. 52. 

4. Inwieweit entspricht die Behandlung der Blutung nach 
Zahnextraktionen mittelst Wasserspülung den Anforderungen der 
heutigen Chirurgie? Von Brandt. Berl. Zahnärztl, Halbmonats¬ 
schrift, 1908, Nr. 7. 


5. Die Leukozytenzählnng zur Unterscheidung von Blutungen 
und Eiterung. Von Wietnig. Deutsche med. Wochenschr., 1908, 
Nr. 1. 

6. Zur Operation der akuten Pankreashämorrhagie. Von 
Friedrich Brewitt. Berl. klin. Wochenschr., 1908, Nr. 11. 

7. Die Entwicklung der Kriegschirurgie in den letzten De¬ 
zennien. Von Hermann Küttner. Zeitschr. für ärztl. Fort¬ 
bildung, 1908, Nr. 7. 

8. Zur Differentialdiagnose der gedrehten zystischen Tumoren 
der weiblichen Genitalorgane gegenüber Appendizitis. Von Egon 
Banzi. Berl. klin. Wochenschr., Nr. 1. 

9. Wesentliche Vereinfachung der Technik der Ausfüllung 
kleinerer Knochenhöhlen. (Mosetigs Knochenplombe.) Von B. 
Mayrhofer. Wiener klin. Wochenschr., 1908, Nr. 10. 

10. Einige Bemerkungen über die Behandlung der Glieder¬ 
stümpfe. Von Hugo Hieronymus Hirsch. Deutsche med. 
Wochenschr., 1908, Nr. 11. 

11. Ueber die Behandlung der narbigen Speiseröhrenver- 
engernngen mittels der Sondierung ohne Ende. Von Viktor 
Lieb lein. Beitr. zur klin. Chir., Bd. 56, Heft 3. 

1. Die Eigenart des kalten Abszesses — dicke gefäßreiche 
Wandung mit tuberkulösen Granulationen — macht es verständ¬ 
lich, daß die geschlossene Behandlung mit’ Jodoformglyzerin-Em- 
spritzungen der breiten Spaltung und Auskratzung im allgemeinen 
vorzuziehen ist; oft ist es unmöglich, die ganze Wand zu entfernen, 
und im Hintergründe droht die Mischinfektion. Eine Tuberkulose 
„anzuoperieren“ ist aber, wie Tietze ebenso richtig wie treffend 
sagt, ein grober Fehler. Ganz anders steht es mit der Exstir¬ 
pation solcher Abszesse, die mit einem Schlage den ganzen Herd 
wegschafft und die Krankheitsdauer ganz beträchtlich verkürzen 
kann, was bei Arbeiterkranken erheblich ins Gewicht fällt. Vor¬ 
bedingung für den Erfolg ist die richtige Auswahl der Abszesse, 
die Möglichkeit, sie ohne allzu große Schwierigkeit außen freilegen 
und den Knochenherd, von dem sie ausgehen, mit entfernen zu 
können. Neben oberflächlichen Eitersäcken, Skrophulodermen usw., 
die herausgeschnitten und deren Bett wie bei einer Geschwulst 
einfach vernäht wird, eignen sich besonders die derbwandigen 
Bippensenkungsabszesse der hinteren Thoraxwand trotz ihrer Größe 
zur Exstirpation. So bildet T. eine über zweifaustgroße Absze߬ 
geschwulst ab, die samt dem zugehörigen erkrankten Rippenstück 
als Ganzes vom Bücken eines Mannes entfernt wurde, der 4 Wochen 
später geheilt war; andere glatt geheilte Fälle sind ein Abszeß, 
der bimförmig der Radius-Sequesterhöhle eines Kindes aufsaß; ein 
Abszeß bei Trochanter tuberkulöse; bei retroperitonealer Drüsentuber¬ 
kulose (Schnitt längs dem linken Darmbeinkamm), u. a. m. 

2. Es gibt bei Kindern und zwar meistens bei Mädchen eine 
Pneumokokken-Infektion des Körpers, die zuerst und manchmal 
ausschließlich das Bauchfell befällt; eine primäre idiopathische 
Pneumokokkenperitonitis. Sie ist durch neuere Arbeiten, nament¬ 
lich französischer Verfasser, genauer beschrieben worden: die 
Kinder erkranken ohne Vorboten unter heftigsten Bauchschmerzen 
unbestimmten Sitzes, mit Erbrechen und Durchfall, der zwar nicht 
immer vorhanden ist, aber als eine bei sonstigen Bauchfellent¬ 
zündungen nicht gerade gewöhnliche Erscheinung große Bedeutung 
hat; ebenso der häufige Herpes labialis, den Salzer in allen-seinen 
Fällen verzeichnete. Dabei besteht neben hohem Fieber, bis 40°, 
kleiner schneller Puls, starke Zyanose und Atemnot; Bewußtlosigkeit 
und verfallenes Aussehen vervollständigen das schwere Krankheitsbild. 
Der Bauch ist dabei etwas aufgetrieben und druckempfindlich, doch 
fehlt seine ausgesprochene, abwehrende Muskelspannung, die defense 
musculaire, durchweg, und darauf ist zur Unterscheidung von der 
Wurmfortsatzentzündung großer Wert zu legen. Dieses Anfangs¬ 
stadium nun geht entweder als allgemeine Peritonitis weiter, um sehr 
bald durch den Tod an Herzschwäche ein Ende zu finden, oder es ent¬ 
wickelt sich unter allmählicher Besserung — Erbrechen, Fieber, 
Puls bessern sich, während die Durchfälle noch längere Zeit, bis 
zu 4 Wochen, anhalten — eine abgesackte Peritonitis mit mäch¬ 
tigem, bis zu 8 Litern betragenden, eitrig-fibrinösen Pneumokokken- 
Exsudat, das schließlich von selber nach außen durchbricht, meist 
durch den Nabel, seltener durch Mastdarm, Blase, Scheide. Auch 
in der Behandlung scheint die Pneumokokkenperitonitis eine Sonder¬ 
stellung einzunehmen; die früh Operierten, die zugleich kein oder 
nur wenig Exsudat hatten, gaben ein weit schlechteres Ergebnis 


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THfißÄPEÜttSCEtE ttÜNÖSCSAÜ. 


als die Fälle, bei denen man mit dem Eingriff bis zum deutlichen 
Nachweis des Exsudats gewartet hatte; auch wurden letztere rascher 
entfiöbert. Doch sind nach des Ref. Meinung die Beobachtungen 
noch zu wenig zahlreich, um für den Eingriff bei dieser Art Bauch¬ 
fellentzündung etwa ein Abwarten zu fordern, das bei ähnlicher 
Erkrankung aus anderer Ursache wohl allgemein aufgegeben ist. 
Dazu kommt, daß die Verwechslung der Pneumokokkenperitonitis 
mit der Wurmfortsatzentzündung — Skolikoiditis nach Salzers 
richtiger, aber papierener Bezeichnung — sehr nahe liegt. 

Der Weg der Ansteckung Hegt noch im Dunkeln. Zwar gibt 
es Pneumokokken-Appendizitiden, die wie jede andere Wurmfort¬ 
satzentzündung auch ausgedehnte Bauchfellerkrankung verschulden 
können; aber mit den primären Pneumokokkenperitonitiden, bei 
denen der Wurm gesund ist, wie mehrfache, auch mikroskopische 
Untersuchung herausgeholter Appendizes beweist, haben diese 
Fälle nichts zu tun. Ob der Pneumokokkus auf dem Blutwege, 
vom Darm aus oder, worauf die auffallende Ueberzahl der er¬ 
krankten Mädchen hinweist, durch den Geschlechtsschlauch in das 
Bauchfell eindringt, steht heute noch dahin. 

3. So sehr sich auch unsere Erfolge bei ausgebreiteter Peri¬ 
tonitis in den letzten Jahren gebessert haben, so besteht dooh die 
beste Behandl un g im Eingreifen, solange die Bauchfellentzündung 
noch umschrieben ist. Aber gerade auf dieser Stufe, wo die Er¬ 
scheinungen meist, wenn auch ausgesprochen, so doch nicht schwer 
sind, wird die Krankheit nicht erkannt; man gesteht höchstens 
unter einer oft verhängnisvollen Selbsttäuschung mit Worten eine 
Bauchfellreizung zu und wartet förmlich auf die schweren Zeichen 
der ausgesprochenen Erkrankung, Dämpfung, Auftreibung des Leibes, 
Verfall der Gesichtszüge. »Ein Krankheitsbild, das mit heftigen 
Leibschmerzen, vielleicht auch mit Erbrechen begonnen, das geringe 
Temperatursteigerungen aufweist, bei dem eine lokale Druckschmerz¬ 
haftigkeit in abdomine mit Kontraktion und Spannung der Bauch¬ 
decken an der betreffenden Stelle vorhanden ist, muß als Perito¬ 
nitis aufgefaßt und behandelt werden.“ Daß diese Behandlung in 
Entfernung der Eiterquelle (Wurmfortsatz, Gallenblase, Magen¬ 
darmgeschwür) und Dränage der Bauchhöhle bestehen muß, ver¬ 
steht sich von selber; für ein Eingehen auf die Technik der Ein¬ 
griffe und der Nachbehandlung, bei der Siegel den Wert der 
Infusionen und Nährklistiere zu niedrig einschätzt, ist hier nicht 
der Ort. 

4. Brandt verwirft die „unchirurgische“ Wasserspülung als 
Mittel zur Blutstillung nach dem Zahnziehen und empfiehlt Ein¬ 
legen eines mit einem Antiseptikum (Chinosol) getränkten kleinen 
Wattebausches, • eventuell nach Alveolen-Tamponade. Dem völligen 
Verzicht auf die Spülung wird man sich kaum anschließen; sie ist, 
wenn auch nicht gerade für die Blutstillung, so doch für die Rei- 
nigung der Mundhöhle nach dem Eingriff nicht zu entbehren; 
auch fallen die Bedenken wegen des Wasserkeimgehaltes bei dem 
üblichen Zusatz von Wasserstoffsuperoxyd nicht ins Gewicht. 

5. Solange die Leukozytenzahl 8—10 000 nicht übersteigt, ist, 
bei entsprechendem Verhalten aller anderen Krank¬ 
heitszeichen, eine Eiteransammlung im Körper oder Vereiterung 
eines vorhandenen Blutergusses gewöhnlich auszuschließen. 

6. Bei der akuten hämorrhagischen -wie bei der infektiösen 
Pankreatitis handelt es sich darum, die außerordentlich giftige 
Absonderung der kranken Drüse zu entleeren und abzuleiten, ehe 
allgemeine Fettnekrose und Peritonitis eingetreten ist. Wie bei 
so vielen peritonealen Erkrankungen tritt auch hier die Frühope¬ 
ration in ihre Rechte, die insofern eine radikale sein soll, als man 
sich nicht mit bloßer Oeffnung und Dränage des Bauches zu be¬ 
gnügen, sondern die Quelle der Infektion am Pankreas selbst blo߬ 
zulegen, zu entleeren und zu tamponieren hat, um das nachfließende 
Sekret sicher von der Bauchhöhle fernzuhalten. B. hat nach diesen 
Grundsätzen einen Kranken mit schwersten Verfallerscheinungen 
durchgebracht, der unter der Annahme einer Durchbruchs-Peritonitis 
zwei Tage nach Erkrankungsbeginn operiert wurde. Daß die auf 
Kört es Abteilung üblichen Massenspülungen mit Kochsalz grade bei 
solchen Fällen einer allgemeinen Ueberschwemmung der Bauchhöhle 
mit toxischem Material günstig wirken, muß auch der Gegner 
der grundsätzlichen Spülung zugeben. 

7. In den letzten Kriegen haben sich die Grundlagen moderner 
Kriegschirurgie, wie sie Ernst von Bergmann geschaffen hat, 
glänzend bewährt: Der einheitliche, „obligatorische“ aseptische 


311 


Verschlußverband], die Ruhigstellung gebrochener Glieder in Gips, 
vor allem die äußerste Zurückhaltung von Eingriffen bei schweren 
Knochen- und Gelenkschüssen, bei durchschlagenden Rumpf- und 
Schädelschüssen. „Im Felde hat die Freiheit der Schablone zu 
weichen“ (Bergmann). 

8. Es ist außerordentlich schwer, die Stieldrehung eines Ovarien¬ 
tumors oder einer Hydrosalpinx von einem akuten Anfall von 
Wurmfortsatzentzündung zu unterscheiden; der Tastbefund, auch 
von Rektum und Scheide aus, Druckschmerz, abwehrende Muskel¬ 
spannung, Erbrechen, Fieber, Leukozytose können als Zeichen der 
Bauchfellreizung bei beiden Erkrankungen genau in gleicher Weise 
auf treten. Höchstens spricht ein ganz plötzliches Einsetzen heftig¬ 
ster Schmerzen, wenn auch nicht unbedingt, eher für Stieldrehung. 
Bei der Operation solcher Fälle soll man nicht versäumen, sich die 
Adnexe anzusehen, auch wenn der Wurmfortsatz mehr oder weniger 
krank scheint, er kann erst später in Mitleidenschaft gezogen, ad- 
härent und entzündet geworden sein, und die eigentliche Krank¬ 
heitsursache sitzt als stielgedrehter Tumor im kleinen Becken. 

9. Mayrhofer hat sich die Jodoformplombierung bei den 
kleinen Knochenhöhlen nach Zahnwurzelresektion durch ein paar 
Handgriffe erleichtert, die wohl auch bei den nicht allzu großen 
Knochenhöhlen, wie sie der praktische Arzt nach Spina ventosa usw. 
behandelt, gute Dienste tun werden. Die Masse (Jodoform. 10—40, 
Ol. Sesami 10—20, Cetac. 20—40; sie ist recht teuer!) wird kalt 
im Tiegel bereitgehalten und mit erhitzten Metallstäbchen und 
Spateln jedesmal eine kleine Menge Plombe, die durch das heihe 
Metall die richtige Konsistenz bekommt, in die Höhle eingetragen, 
verstrichen und festgedrückt, bis die ganze Höhle ausgefiillt ist. 
Darüber Hautnaht. — Die Tatsache, daß Knochenhöhlen nach Karies 
jeder Art, besonders aber tuberkulöse, unter der Plombe rascher, 
schöner und für den Kranken durch Wegfall der schmerzhatten, 
stets wiederholten Tamponade viel angenehmer heilen, braucht 
nicht noch einmal betont zu werden. 

10. Die Tragfähigkeit des Amputationsstumpfs hängt nicht 
davon ab, ob er bei der Absetzung tendo- oder osteoplastisch ge¬ 
deckt, ob seine Markhöhle ausgekratzt worden ist usw., sondern 
nur von der funktionellen Nachbehandlung, wie sie Hirsch durch 
frühzeitige planmäßige Tret-, Steh- und Gehübungen mit dem 
Stumpf, verbunden mit Massage und Klopfen, angegeben hat. 

11. Zwei 7 Jahre lang bestehende Dauer-Erfolge geben L. 
Veranlassung, die Vorzüge der bekannten Sondierung ohne Ende 
bei schweren Speiseröhren-Verengerungen noch einmal hervorzu¬ 
heben. (Es wird ein dünner Faden vom Munde aus durch die 
Striktur geführt, aus einer angelegten Magenfistel herausgeleitet 
und mit seinem eigenen Ende verbunden; an diesem Leitseil 
werden wie bei einem Fahrstuhl-Paternosterwerk Drains oder Hohl- 
bougies in wachsender Stärke durch die verengte Stelle gezogen.) 


Oeffentliches Sanitätswesen und soziale Medizin, 

Referent: Dr. M. Peltzer, Generaloberarzt a. D. in Steglitz. 

1. Neue Stadieneinteilung der Lungentuberkulose. Med. 
Reform, 1908, Nr. 14, 2. April, S. 168, Heilstättennachrichten. 

2. Gewerbliche Bleivergiftungsfälle mit seltener Entstehungs* 
Ursache. Von Dr. Ludwig Telek}^. Ibidem, S. 163, Gewerbe¬ 
hygiene. 

1. Laut Erlaß des pr^uß. Kultusministeriums vom 9. Januar 
d. Js. soll nunmehr die von der vierten internationalen Tuberku¬ 
losekonferenz angenommene Stadien einteilung der Lungentuber¬ 
kulose allen statistischen Erhebungen, insbesondere der Versiche¬ 
rungsanstalten und deren Heilstätten zugrunde gelegt werden. 
Die Einteilung lautet kurz: I. Leichte, auf kleine Bezirke eines 
Lappens beschränkte Erkrankung, bei doppelseitiger Spitzenaffektion 
nicht über die Schulterblattgräte und das Schlüsselbein, bei 
Einseitigkeit vorn nicht über die zweite Rippe hinausgehend. 
H. Leichte, weiter als I, aber höchstens auf das Volumen eines 
Lappens, oder schwere, höchstens auf ein halbes Lappenvolumen 
ausgedehnte Erkrankung. III. Alle über n hinausgehenden und 
alle mit erheblicher Höhlenbildung verbundenen Erkrankungen. 
Leichte Erkrankungen sind disseminierte Herde (leichte Dampfung, 
unreines, rauhes, abgeschwächt vesikuläres, vesikulo - bronchiales 


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bis broncho -vesikuläres Atmen und feinblasiges bis mittelblasiges 
Rasseln), schwere sind Infiltrate mit starker Dämpfung, stark ab¬ 
geschwächtem („unbestimmtem“) broncho-vesikulärem bis bron¬ 
chialem Atmen mit und ohne Rasseln, erhebliche Höhlenbildungen, 
solche mit tympanitischem Höhlenschall, amphorischem Atmen und 
ausgebreitetem, gröberem, klingendem Rasseln. Diese fallen unter 
Stadium III. Pleuritische Dämpfungen von nur einigen Zenti¬ 
metern Höhe bleiben außer Betracht, erhebliche sind unter Kom¬ 
plikationen besonders zu nennen. Das Stadium ist für jede Seite' 
gesondert anzugeben, der Gesamtfall wird nach dem Stadium der 
stärker erkrankten Seite klassifiziert, z. B. R. II, L. I = Gesamt¬ 
stadium II. 

2. In der Wiener klinischen Wochenschrift, 1907, Nr. 45, 
hatte Dr. E. Gronmann aus der Abteilung des Prof. H. Stern- 
ber.g „über einige neue Quellen gewerblicher Bleivergiftung“ in 
Wien berichtet. Die Fälle betrafen einen Edelsteinschleifer 
(Schleifen mit Bleischeiben), einen Hu t m ach er (Einreiben weißer 
Damen hüte mit Bleiweiß) und eine Arbeiterin in einer Glas¬ 
fabrik (Sortieren und Sieben von in alten Miniumfässern ge¬ 
sammelten Glasscherben), Außerdem berichtete L. Verkauf 
(„die Arbeiter und die Bleierkrankungen“ in „Volksschriften über 
Gesundheitswesen und Sozialpolitik“) über Saturnismus bei Hand¬ 
schuhmachern (Einreiben weißer Handschuhe mit Kremser- 
wei ß) und Stock dreckslern (W eißpolieren von Sonnenschirm- 
und Spazierstöcken). Diese Mitteilungen, die nicht nur statisti¬ 
sches Interesse haben, sondern auch dartun, wie wichtig es ist, 
daß der praktische, namentlich aber der Kassenarzt auf weniger 
bekannte Quellen des Saturnismus aufmerksam wird, haben Teleky 
veranlaßt, aus seinem reichen Beobachtungsmaterial (er ist Spezial¬ 
arzt für Gewerbekrankheiten beim Verbände der Wiener Genossen¬ 
schaftskrankenkassen) weiteres mitzuteilen. Nach ihm kommen 
Bleivergiftungen auch vor bei Schlossern, die Eisenteile zum 
Schutz gegen Rost emaillieren (mit Miniumanstrich versehen) oder 
emaillierte Eisenteile weiter verarbeiten, besonders beim Nieten 
und Feilen. Ein Schuhmachergehilfe (Schuhbügler) hatte 
durchschnittlich wöchentlich vier bis fünf Dutzend weiße Schuhe 
zu bügeln und dann mit Kremserweiß' einzureiben. Er bekam 
Bleisaum, paretiseken Gang und Streckerlähmung an den Händen. 
Bei Töpfern und Hafnern kommen Bleivergiftungen vor bei 
Verwendung bleihaltiger Glasuren. In einer Wiener Fabrik werden 
die Schilder der Ap o thek er fl asch en mit einer in Terpentin 
verriebenen, fein pulverisierten, bleihaltigen Masse hergestellt. T. 
sah drei Arbeiter infolge der Beschäftigung damit an Saturnismus 
erkranken, desgleichen einen Xylographen, der den Holzklotz, 
auf dem die Zeichnung eingeschnitten wird, mit Kremserweiß ein- 
zareiben hatte, was häufig mit der Hand geschieht. Nägel mit 
Mesöin gköpfen werden so hergestellt, daß beide Teile durch 
geschmolzenes Blei miteinander verlötet werden. Ein Arbeiter, der 
diese Arbeit 21 Jahre lang verrichtet hatte, bekam Bleisaum, 
Anämie und Kolik. Ein Elek trotechniker hatte Bogenlampen 
zu kontrollieren und bei schadhaft gewordenen Sicherungen den 
Bleidraht zu erneuern. Nach einem halben Jahre — er trug 
allerdings den Bleidraht und sein Frühstück in der Rocktasche — 
hatte er Bleisaum, Kolik und Obstipation. Endlich kommen Blei- 
vergi 1 tun gen vor bei Stockdrechslern durch den Gebrauch 
von Bleiweiß beim Lackieren, bei Ziseleuren (Tulaarbeitern), 
Plattiereru von Pferdegeschirr- und Wagenbeschlägen und 
Klempnern (T. sah einen Fall von Bleivergiftung bei einem 
Klempner, der ein Kirchendach mit Bleiplatten gedeckt hatte). 
Ein Tischler hatte viele alte Holzkasten für Akkumulatoren zu 
reparieren, ein anderer in einer Werkstatt für moderne Wohnungs¬ 
einrichtungen eine polierte Fläche mit Oel-Bleiweiß einzureiben, 
ein diitter in einer Kunstbutterfabrik die Kisten mit dem vor- 
geschrlebeiien roten Streifen zu bemalen, wozu er Minium benutzte. 
Alle drei erkrankten an Bleivergiftung, ebenso wie ein Maurer, 
der in einem Betriebe regelmäßig Reparaturen an Bleischmelzöfen 
auszuführen hatte. Die Diagnosen konnten nicht immer sofort 
gestellt worden. — Bleihaltige Farben sollten hiernach gesetzlich 
nur mit Angabe ihres Bleigehalts gehandelt und an Arbeiter ab¬ 
gegeben werden düifen. 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU, ' 


Militärsanitätswesen: ' 

Referent: Dr. M« Peltzer, Generaloberarzt a. D. in Steglitz. 

1. Deutsche militärärztliche Zeitschrift, 1908, Heft 6 , 
20. März. 

2. Aus der Literatur des Militärsanitätswesens 1907., Von 
Dr. Georg Körting, Generalarzt a. D. in Charlöttenburg. Berlin 
und Wien. Urban & Schwarzenberg. 

3. Die sanitären Formationen zu bakteriologischen Unter¬ 
suchungen und zur Desinfektion. Von Dr* Folienfant, med. 
princip. Der Militärarzt, 1908, Nr. 6, 27. März,'S. 94 (Referat 
nach Le Caducee, 1907, 15. Sept.). ' . 

4. Aus dem Kriege in der Mandschurei. Von Hauptmann 
Daniel Brun. Ibidem, S. 95 (Referat nach Militärläger, 1907, 
XIII). 

1. Das neueste Heft der Deutschen militärärztlichen Zeitschrift 
bringt eine kurze Erläuterung der Dienstanweisung für die Dele¬ 
gierten der freiwilligen Krankenpflege vom 22. Okt. 1907 durch 
Stabsarzt Dr. Georg Schmidt, die Beschreibung einer neuen 
Verbandtasche von Oberstabsarzt Dr. Heermann, eine anschau¬ 
liche Beschreibung des truppenärztlichen Dienstes im 'Feldzuge 
gegen die Hottentotten von Oberarzt Dr. Rückert, sowie schlie߬ 
lich einen Beitrag zu den Fortschritten in der Kenntnis der 
Uebertragungsart des Mittelmeerfiebers von Marinestabsarzt Dr. 
zur Verth. — Die Kenntnis der Dienstanweisung ist nicht nur 
für alle aktiven Sanitätsoffiziere, sondern auch für diejenigen des 
Beurlaubtenstandes, welche bei der Ausbildung .freiwilliger Sani¬ 
tätskolonnen mitwirken, insofern'von Wichtigkeit, als die Ziele 
des Sanitätsdienstes im Kriege nur erreicht werden können durch 
verständnisvolles Zusammenwirken der amtlichen und der frei¬ 
willigen Krankenpflege. Dieses wiederum ist aber nur möglich 
bei genauer Kenntnis der den Wirkungskreis dieser und jener 
regelnden Bestimmungen. — Die Verbandtasche von jHeermann 
ermöglicht als wichtige Neuerung, die Instrumente stets desinfiziert 
und gebrauchsbereit mit sich zu führen, ohne daß sie an Schärfe 
oder sonstwie leiden. Zu diesem Zweck steckt möglichst jedes 
einzelne in einer wasserdichten, mit Alkohol oder Seifenspiritus 
gefüllten Metallhülse. — Ref. hat die Feldzüge .von 1866 und 
1870/.71 mitgemacht. Er muß sagen: Die Schwierigkeiten, An¬ 
strengungen und Entbehrungen, unter denen sich damals der ärzt¬ 
liche Dienst vollzog, verschwinden im Vergleich zu denen, wie 
sie R. für den Feldzug gegen die Hottentotten schildert. Man 
lese z. B. folgendes von der Orange-Expedition im Oktober 1905: 
„Schlimm stand es mit dem Verbandmaterial, jeder war fast nur 
auf das so hoch geschätzte Verbandpäckchen angewiesen. Dazu 
kam, daß auch die beiden ältesten Sanitätsoffiziere gleich zu An¬ 
fang außer Gefecht gesetzt wurden. Stabsarzt Althaus brach 
sofort bei den ersten Salven zu Tode getroffen nieder. Oberarzt 
Hamann erhielt bei dem Versuche, einen Verwundeten zurück¬ 
zuziehen, einen Schuß durch beide Beine und konnte sich nur mit 
knapper Not hinter einer Düne in Sicherheit bringen. Von beiden 
gingen Instrumente und Verbandstoffe verloren. . . . Auch Assist. - 
Arzt Wolf und ich büßten, was wir an Verbandstoffen auf unsern 
Mauleseln hatten, ein. Das Reittier von Wolf riß sich bei der 
ersten Salve los und lief davon, das meine brach, nachdem ich 
kaum abgestiegen war, tödlich getroffen zusammen. . . . Ueberall 
erschollen Hilferufe nach einem Arzt. Bald durch Dornengestrüpp, 
das Hände, Gesicht und Kleider zerriß, bald über freie Flächen 
laufend oder flach in den Sand gedrückt kriechend, suchten wir 
an die Verwundeten, die zum Teil flehentlich um einen Gnaden¬ 
schuß baten, heranzukommen, um sie, ziehend oder auf dem Rücken 
tragend, unter dem Schutze des Maschinengewehrfeuers in Sicher¬ 
heit zu bringen.“ Achtung vor solchen Aerzten! Erwähnt sei 
noch, daß der Führer der Hottentotten Morenga dem Schreiber 
dieses Berichts bei Pella sein verloren gegangenes Verbandzeug 
mit dem Bemerken wieder zustellen ließ, die Deutschen hätten es 
für die vielen Verwundeten wohl nötig. — Das ziemlich plötzliche 
Verschwinden des gefürchteten Mittelmeerfiebers aus dem eng¬ 
lischen Mittelmeergeschwader (in den 12 Monaten 1905 gingen 
dem Marinehospital in Malta 16, 9, 14, 30, 32, 44, 32, 16., 4, 
11, 27, 10, in denen des Jahres 1906 22, 21, 27, 25, 20, 8, t>, 
6, 2, 4, 1, 0 Fälle zu) scheint auf. das Verbot des Genusses -un¬ 
gekochter Ziegenmilch zurückzuführen zu sein. Der Mikro ko kkus. 


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mrd mit dem Harn äusgeschieden, die Ziegen rupfen 
r ; j,edfen* grüneü Halm am Wege ab und' erwerben so das Maltafieber. 
Auch liegen positive Fütterungsversuche vor. 

_ 2. Das als Beiheft zur „Medizinischen Klinik“ erschienene 
Buch'von Körting ist eine Art Jahresbericht, wie ihn ähnlich 
, auch die Deutsche militärärztl. Zeitschr. herausgibt, unterscheidet 
sich jedoch von diesem dadurch, daß es sieh bei dem Umfang der 
Literatur des Militärsanifätswesens, welches die ganze Medizin und 
- dazu eine Reihe von Sonderfächern aus dem Gebiet des Militär¬ 
wesens und der Verwaltung umfaßt, vorwiegend, und zwar in 
Form eines zusammenhängenden lesbaren Berichts, auf diejenigen 
deutschen .Erscheinungen beschränkt, welche das Interesse der 
Leser der Med, Klinik verdienen. Die einzelnen Kapitel, au deren 
Schluß dann jedesmal die Literatur aufgeführt wird, sind: 1. Organi¬ 
sation und Ausbildung, Ersatz- und Entlassungswesen. 2. Gesund¬ 
heitsfürsorge; - 3. Statistisches, Sanitätsberichte. 4. Krankenpflege 
und Krankheiten. 5. Feldsanitätswesen, Kriegssanitätsgeschichte. 
Bef. kann es nicht unterlassen, hierbei, auch im Hinblick auf den 
oben unter 1 erwähnten Bericht von Ruckert, die Stelle anzu- 
* führen, in welcher K. von der kriegsgeschichtlichen Darstellung 
unserer südwestafrikanischen Kämpfe durch den großen General¬ 
stab spricht. K. sagt: „Dem Sanitätsdienst speziell ist kein Ab¬ 
schnitt gewidmet, aber es ist auch keine Gefechtsschilderung darin, 
die nicht gleichzeitig ein Ruhmesblatt für die Tätigkeit des 
Sanitätspersonales wäre, ..welches dem stets im Uebermaß auf- 
treteriden, trefflich bewaffneten und schießenden Feind gegenüber 
fast immer zuerst mitkämpfen mußte und sich dann erst der oft 
unsagbar schwierigen Sicherung der Verwundeten widmen konnte.“ 
Bei der Besprechung des Ostasiatischen Feldzuges 1904 bis 1905 
und der Tätigkeit'des Japanischen roten Kreuzes in diesem er¬ 
fahren wir, daß es IOV 2 Millionen ausgegeben hat. Um diese 
aufzübringen, wurde allerdings in Japan u. a. ein Werbemittel 
benutzt, das wir nicht mitmachen können: die Mitglieder des 
roten Kreuzes bekamen je nach der Höhe ihres Beitrages drei 
Klassen von Orden und durften sie tragen. 

3; Im russisch-japanischen Kriege bestanden auf russischer 
Seite zwei besondere Formationen zur Ausführung bakteriologischer 
Untersuchungen und von Desinfektionen, deren eine allgemeine 
Untersuchungen, und Desinfektionen im großen auszuführen hatte, 
während die andere sich im kleinen betätigte. Die ständigen 
Formationen befanden sich an großen Orten, die mobilen wurden 
den Armeen zugeteilt. Die Ausstattung war sowohl in personeller 
als auch in materieller Beziehung zweckentsprechend und reich¬ 
lich. Außerdem hatte das rote Kreuz einen bakteriologischen Zug 
und eine Desinfektionsanstalt errichtet. Der Train bestand aus 
acht Waggons (ein Laboratoriums-, ein Desinfektions-, ein Eis¬ 
wagen, der täglich 1400 kg Eis produzierte, und fünf Wagen für 
Personen usw.). 

4. Das japanische Gewehr hat ein Kaliber von 6,5 mm. Die 
' meisten Schüsse machten, wenn sie nicht tödlich waren, nur ver¬ 
hältnismäßig kurze Zeit kampfunfähig. Der gefährlichste Abstand 
ag zwischen 0 bis 400 m, das Geschoß durchbohrte alles und 
wirkte oft explosiv. Bei 400 bis 600 m geht es glatt durch 
Knochen und Weichteile, auf größeren Abstand werden Ein- und 
Ausschuß größer, es entstehen Sprengungen und Splitterungen. 
Bei 800 m bleibt das Geschoß stecken. 



Laktophenin — Palkenberger Piperazin-Lithion- 
Gichtwasser — Sälen — Jodosolvin. 

Von Dr. M. Poltzer, Steglitz. 

Erneute Beobachtungen an mir selbst bezw. an einem von 
mir behandelten Kollegen veranlassen mich, im Anschluß an 
meine bezüglichen Veröffentlichungen in den „Fortschritten 
der Medizin“ (1906 Nr. 6, 1907 Nr. 18 und 29) wiederholt 
auf nachstehend genannte Mittel aufmerksam zu machen. 


1. Lakto pbenin. Dieses Mittel war mir bisher nur als 
Sedativum', Analgetikum und Antipyretikum bekannt gewesen. 
Ich gebrauchte es als Hypnotikum und zur Entwöhnung von 
Brom mit dem gewünschten Erfolge, nachdem ich gezwungen 
gewesen war, letzteres, wenngleich ohne Nebenerscheinungen, 
längere Zeit bis zu 2,0 zu nehmen, und mit allen anderen Ab¬ 
gewöhnungsmethoden gescheitert war, und zwar von 1,0 ab¬ 
wärts an in langsam fallender Dosis. Seine erste Empfehlung 
als Hypnotikum stammt von Wunderlich. 

2. Falkenberger Piperazin-Lithion-Gichtwasser. 
Es wird vielfach, behauptet, daß Piperazin nur im Reagensglase 
Gichtkonkremente auflöst. Ich kann nur sagen, daß das in 
der Ueberschrift genannte, von der chemischen Fabrik Falken¬ 
berg in Falkenberg - Grünau bei Berlin hergestellte Piperazin- 
Lithiouwasser (1,0 Piperazin und 0,1 Lithion auf 61)0,0 aq. 
carbon., davon täglich 100,0 zu nehmen) nicht nur mir, son¬ 
dern auch anderen, denen ich es empfohlen, sowohl im Anfall 
als auch prophylaktisch wiederholt außerordentlich gute Dienste 
geleistet hat und ich dem Wasser dankbar bin. Ueber das 
Nähere sowie die von der genannten Fabrik außerdem her¬ 
gestellten Heilwässer verweise ich auf Heft 6 der „Fortschritte 
der Medizin“ 1906. 

3. Sälen, aus der pharmazeutischen Abteilung der Ge¬ 
sellschaft für chemische Industrie in Basel, besteht aus einer 
Mischung von Methyl- und Aethylglykolsäure-Ester der Salizyl¬ 
säure mit gleichen Teilen Spiritus und stellt in dieser Form 
eine wasserhelle, klare, aromatisch angenehm riechende, leicht 
zu verreibende Flüssigkeit, mithin eine äußerlich anwendbare 
Salizylsäure-Medikation bei Rheumatosen dar, die. ähnlich wie 
Chloroformliniment, fast augenblicklich schmerzstillend wirkt. 
Der wirksame Bestandteil des bekannten Gaultheria- oder 
Wintergreenöls ist der Methylester der Salizylsäure, der aber 
höchst unangenehm riecht. („Fortschritte der Medizin“ 1906, 
Heft 6.) 

4. Jodosolvin. Die mir persönlich erfreulichste Beob¬ 
achtung habe ich mit diesem Präparat an einem Kollegen ge¬ 
macht, bei dem sich durch größere und kleinere Linsentrübungen 
der Beginn eines Altersstars ankündigte, der infolgedessen 
vermöge seiner hypochondrisch-melancholischen Veranlagung 
bereits alle Schrecken der ausgebildeten Katarakt vor sich sah 
und, indem er sich durch keine Vernunft- und Trostgründe be¬ 
ruhigen ließ, allmählich in einen Zustand psychischer Depres¬ 
sion hineingeriet, der nicht ganz unbedenklich war. Hier ist 
es mir gelungen, durch konsequente, lange fortgesetzte Ein¬ 
pinselungen von Jodosolvin, auf das ich durch Zufall aufmerk¬ 
sam geworden war, in die Stirn, die Linsentrübungen wenn auch 
noch nicht völlig, so doch fast ganz zu beseitigen, jedenfalls aber 
so. weit aufzuhellen,. daß der Patient sie für gewöhnlich selbst 
bei greller Beleuchtung durch den Schnee überhaupt nicht 
mehr sieht und so allmählich auch von seiner nervösen Depres¬ 
sion mit Schlaflosigkeit geheilt ist. Soviel mir bekannt, ist 
gleichzeitig auf diese Weise zum ersten Male dargetan, daß 
Linsentrübungen einer äußeren Jodmedikation zugänglich sind, 
was nicht ohne. Konsequenzen für die Augentherapie sein 
dürfte. Außer Linsentrübungen hatte der betreffende Kollege 
auch dicke arteriosklerotisch veränderte Temporalarterien mit 
Neigung zur Knotenbildung und zahlreiche der im vorgerück¬ 
teren Lebensalter so häufig auftretenden Warzen an der Stirn¬ 
grenze des Kopfhaarwuchses. Letztere sind unter dem Jodo¬ 
solvin ganz, die äußerlich sichtbar gewesenen arteriosklero¬ 
tischen Veränderungen der Temporalarterien fast ganz ver¬ 
schwunden. Da nach dem Gebrauch von Jodosolvin das Jod 
sehr bald im Harn erscheint, ist anzunehmen, daß das resor¬ 
bierte Jod auch auf innere Arteriosklerose wirkt. Jodosolvin 
ist eine von dem Apotheker J. Brandt in Altona hergestellte, 
demselben patentamtlich geschützte, ölige, schwärzliche, eigen¬ 
tümlich aromatisch riechende Flüssigkeit, die angeblich 15 % 
reines Jod enthält. Sie ist völlig reizlos, kann" also unbe¬ 
schränkt lange auf die Haut aufgepinselt werden, was bei Jod¬ 
tinktur bekanntlich ausgeschlossen ist. Jodosolvinflecke aus 
weißer Wäsche lassen sich leicht auswasclien. („Fortschritte 
der Medizin“ 1907, Heft 18 und 29.) 



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314 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. Ueber ein neues wirksames Darmadstringens, das Tannyl. 

Von Prof. Umber. Therap.^ d. Gegenwart, 1908, März. 

2. Autan. Von Apotheker Brukn. Therapeut. Neuheit. 
1908, April. 

3. Husinol. Von Dr. Linke. Ibidem. 

4. Originalmarke oder Substitute? Von Dr. Ruhemann. 
Med. Klinik, 1908, Nr. 14. 

5. Fibrolysin bei kruppöser Pneumonie mit verzögerter 
Lösung, Von Krusinger. Münch, med. Wochenschr., 1908, 
Nr. 14. 

6. Ueber Spirosal. Von Dr. P.erl. Med. Klinik, 1908, Nr. 15. 

7. Ueber künstliches kristallisiertes Karlsbader Salz. Von 
H. Matth es und H. Serger. Apothek.-Zeitg., 1908, Nr. 27. 

8. Hygiopon. Von Dr. Zernik. Apothek.-Zeitg., 1908, 
Nr. 28. 

9. Dr. med. Werner Müllers Nerven-Nahrsalz. Von Dr. 

Zernik Ibidem. 1908, Nr, 29. 

10. Jodomenin. Von Dr. Busch und Dr. Gumpert. Therap. 
d. Gegenwart, 1908, April. 

1. Ueber ein neues Darmadstringens, Tannyl, berichtet Prof. 
Umber. Dasselbe zeichnet sich nach Salkowski vor anderen 
Tanninverbindungen dadurch aus, daß es im künstlichen Magen¬ 
saft weit weniger löslich ist als z. B. Tannalbin, daß es ferner 
autiseptische Eigenschaften besitzt infolge seines Gehalts an Oxy- 
chlorkasein, sodaß es z. B. mit Pankreas nicht fault. Da bei Tier¬ 
versuchen ca. 8% des Tannyls in den Darmentleerungen unzer- 
setzt wieder zutage traten, so muß man auch eine ausgiebige ad¬ 
stringierende Wirkung auf die unteren Darmabschnitte erwarten. 
Das Tannyl stellt ein wasserunlösliches, ziemlich indifferent schmek- 
kendes graubraunes Pulver dar, das in manchen Fällen vorteilhaft 
in Mucilago Salep oder Haferschleim genommen werden kann. U. 
hat bei 42 Darmkranken das neue Mittel erprobt und hat seine 
adstringierenden Eigenschaften vor allem bei den oft so schwer 
stillbaren Durchfällen der Phthisiker schätzen gelernt. Bei 11 
Fällen von Darm tuberkulöse sah U. mehrfach Stillstand der Durch¬ 
fälle, wo vorher Tannalbin, Wismut, Kaltwassertherapie im Stiche 
gelassen hatten. Auf Grund zweijähriger klinischer Erfahrungen 
hält U. das Tannyl für ein absolut unschädliches, sehr brauch¬ 
bares Adstringens auch in der Kinderpraxis. Besonders bei Darm¬ 
tuberkulose erscheint ein Versuch mit Tann}d angezeigt. Man gibt 
3 mal täglich vor den Mahlzeiten 1—2—3 g, bis normale Stuhl¬ 
entleerungen erfolgen. 

2. Ueber die Vorzüge und Nachteile des Desinfektionsmittels 
Autan wurde an dieser Stelle erst kürzlich referiert. Jetzt be¬ 
richtet B. in einem kurzen Artikel über das neue Mittel. Ohne 
auf die Gründe einzugehen, die für oder gegen die desinfektori- 
selie Kraft des Autan sprechen, bemängelt B. hauptsächlich den 
noch so hohen Preis des Präparates. Er berechnet, daß die Des¬ 
infektion eines Wohnzimmers von mäßiger Größe (80 cbm) mit 
Autan 12 M., mit Formaldehyd dagegen nur 1 — 1,50 M. kostet. 
Selbst die Anschaffungskosten einer kleinen Formalinlampe nach 
Barthel oder Schering würden selbst bei einmaliger Desin¬ 
fektion den Betrag der einmaligen Autandesinfektion noch nicht 
erreichen. Zwar ist das letztere Verfahren außerordentlich einfach 
und kann von jedem Laien erfolgreich ausgeführt werden. Wegen 
der Kostenfrage kommt die Autandesinfektion bis jetzt aber nur 
zur Desinfektion eines Kleiderschrankes, eines Koffers, einer Droschke 
in Betracht. 

3. Wie L. berichtet, wird jetzt von der Firma B. Braun, 
Rosenapotheke und Fabrik pharmazeutischer Präparate, Melsungen, 
Hessen-Nassau, unter dem patentamtlich geschützten Namen 
„Husinol“ das früher Ennan genannte Kresolseifenpräparat in den 
Handel gebracht, und zwar in Form von Tabletten. Dieselben 
wiegen 1,0 g und enthalten 0,5 g Kresol; sie fühlen sich seifig 
an und haben eine durchsichtige braune Farbe wie Lysol. Je 15 
Stück in einer Glasröhre kosten nur 50 Pf. Außerdem werden 
Gläser zu 100, 500 und 1000 Stück abgegeben. L. hat auf Land¬ 
gängen das Präparat — über das unter dem Namen Ennan auch 
in dieser Wochenschrift referiert worden ist — mitgenommen und 
äußert sich sehr befriedigt über seine Wirksamkeit. Es soll dem 


Lysol, dem Liquor kresoli saponatus, der Kresolseife von Schülke 
&* Mayr durchaus gleichwertig sein und entspricht der den Heb¬ 
ammen neuerdings in Preußen vorgeschriebenen Kresolseife. 

4. Anknüpfend ap den auch von mir an dieser Stelle berich¬ 
teten Fall Berliners, wo nach Einnahme von 1,0 g Pyrazolon. 
phenyldimethyl. salizyl. (des Substituts von Salipyrin) bei einer 
Patientin der spät eingetretene Schlaf durch wirre Träume unter¬ 
brochen wurde und die Kranke in halb bewußtlosem Zustande 
wirre Reden führte, ferner an eine Mitteilung der Leipziger medi¬ 
zinischen Wochenschrift, Märzheft 1907, über den Tod- zweier 
Frauen infolge von Migräninvergiftung, wo statt des Migränin — 
Höchster Farbwerke — ein Ersatzpräparat verabfolgt war, und 
schließlich auf seine eigenen Erfahrungen über Aspirin und Aze¬ 
tylsalizylsäure bezugnehmend, wonach das letztere in seiner Wirkung 
viel unsicherer und nicht frei von Nebenwirkungen war, wie auch 
andere Autoren berichtet haben, stellt R. die Forderung auf, daß 
nicht der billigere Preis der Substitute bei der Verordnung solcher 
Mittel ausschlaggebend sein sollte, sondern die klinischen Erfah¬ 
rungen , die mit ihnen gemacht wurden. Diesen Ausführungen 
kann man nur zustimmen. 

5. Aus dem Olemenshospital zu Münster i. W. liegt ein 
Bericht vor über die Anwendung von Fibrolysin bei kruppöser 
Pneumonie, wenn die Lösung verzögert ist. Nachdem bei einem 
Dienstmädchen die Resolution der Pneumonie innerhalb 5 Wochen 
nach Beginn der Erkrankung und 4 Wochen nach dem ersten 
kritischen Temperaturabfall keinerlei Fortschritte gemacht hatte, 
auch Sajodin ohne Einfluß auf die Lösung gewesen war, wurde 
jeden zweiten Tag 2,3 g des Mittels (= 1 Ampulle des gebrauchs¬ 
fertigen Mittels der Firma Merck) subkutan injiziert. Schon nach 
der ersten, mehr noch nach der zweiten und den folgenden Injek¬ 
tionen trat eine deutliche Veränderung des physikalischen Befundes 
auf. Nach Einspritzung von 8 Ampullen, also nach 16 Tagen 
wurde ein fast völlig normaler Lungenbefund festgestellt. Im 
ganzen wurden 10 Injektionen vorgenommen. Die gleichen Beob¬ 
achtungen wurden bei einem 8 jährigen Mädchen gemacht. Man 
muß weitere Untersuchungen abwarten, ehe man ein endgültiges 
Urteil fällen kann. 

6. P. berichtet über seine Beobachtungen mit Spirosal. Dieses 
wurde bekanntlich von der Firma Bayer statt des Mesotans auf 
den Markt gebracht, weil nach Mesotangebrauch oft Reizzustände 
der Haut eintreten. Das Spirosal wurde als Gemisch (mit Spirit, 
rektifikat. ana) 3—4 mal täglich teelöffelweise mit der Hand in 
die Haut eingerieben, und nach ca. 3 Stunden erschien' die Salizyl¬ 
säure im Harn, wo sie 10—12 Stunden nachweisbar war. Bei 
den 70 Fällen, von denen 55 in Heilung resp. Besserung über¬ 
gingen, hat P. niemals Nebenerscheinungen wie Hautreizung, Magen¬ 
störungen , Ohrensausen beobachtet; selbst Patienten, die gegen 
interne Salizyldarreichung sehr empfindlich waren, haben keine 
Beschwerden gehabt, und ein Fall, der auf externe chemische 
Reizungen stets mit ausgedehnten Ekzemen zu .reagieren pflegte, 
wies auch nach längerem Spirosal gebrauch keinerlei Beeinflussung 
der Haut auf. (Spirosal zeichnet sich leider durch sehr hohen 
Preis aus. Red.) 

7. In Nr. 27 der Apothekerzeitung machen Matthes und 
Serger darauf aufmerksam, daß es vom rechtlichen und medi¬ 
zinischen Standpunkte aus unstatthaft sei, wenn in den Apotheken 
ein unreines Natriumsulfat als künstliches kristallisiertes Karlsbader 
Salz abgegeben werde. Denn häufig ist tatsächlich das letztere 
nichts weiter als ein Natriumsulfat, anstatt, wie es sein sollte, ein 
Gemisch von Kochsalz, Soda und Natriumsulfat. Zwar erhält man, 
wenn das künstliche Karlsbader Salz nach der Vorschrift der 
Deutschen Pharmakopoe hergestellt wird, ein Kristallmehl, und es 
ist unmöglich, auf dem gewöhnlichen Wege ein schön kristallisiertes, 
gleichmäßig zusammengesetztes Kristallgemisch zu erhalten. Aber 
dann sollte man das Publikum auf klären. Denn dies wie die Aerzte, 
ja selbst viele Apotheker stellen sich unter künstlichem kristallisiertem 
Karlsbader Salz entschieden etwas anderes vor als ein unreines 
Natriumsulfat. Ja, selbst mehrere im Großhandel unter der Be¬ 
zeichnung „künstliches kristallisiertes Karlsbader Salz“ erscheinende 
Präparate enthalten, wie die Verfasser untersucht haben, kaum 
nennenswerte Mengen von Kochsalz und Soda'. Es wäre wünschens¬ 
wert, daß dann wenigstens auf den Abgabebeuteln vermerkt würde: 
Karlsbader Salz, künstliches kristallisiertes, d. i. Glaubersalz. 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Breitung mit seiner pneumatischen Luftpumpe, der jedoch 
noch manche Mängel anhafteten. Die Technik war also auf 
weitere Fortschritte angewiesen. 

Das Problem eines einfachen, daher nicht zu kost¬ 
spieligen, soliden, zweckmäßigen Vibrators zur 
Massage des inneren Ohres oder anderer empfind¬ 
licher Organe und Körperteile dürfte jetzt durch den 
patentierten Apparat der Firma Emil Loest in Duderstadt 
gelöst sein. 


8. Z. hat in Gemeinschaft mit 0. Kuhn das neue Eisen¬ 
präparat „Hygiopon“ (Liq. ferri-ferrochlorat. electr. paratus) unter¬ 
sucht und darin Eisenchlorür, Eisenchlorid, Natriumchlorid, und 
freie Salzsäure nachgewiesen. Er bemerkt dazu: „Inwieweit diese 
salzsaure, Ferrichlorid enthaltende Lösung von Ferrochlorid infolge 
ihrer Darstellung auf elektrischem Wege die ihr zugeschriebenen 
Vorzüge vor anderen Eisenpräparaten besitzt, muß ärztlichem Urteil 
überlassen bleiben.“ Es mag nicht unerwähnt bleiben, daß, ent¬ 
gegen den ärztlichen Aeußerungen der Anerkennung, die der Pro¬ 
spekt der darstellenden Firma zitiert, auf Seite 109 des laufenden 
Jahrganges der „Therapeut. Monatshefte* 1 sich Dr. med. Heubner- 
Straßburg in den schärfsten Ausdrücken gegen das neue Mittel 
und die „besonders skrupellose Art seiner Anpreisung“ wendet. 

9. In Zeitungsinseraten empfiehlt die Gesellschaft für Körper¬ 
kulturartikel m. b. H., Berlin W., Dr. med. M üllerg Nervennähr- 
salz als Mittel gegen Nervosität und Blutarmut. Zwei Dosen 
Pastillen kosten 5 M.; eine Dose enthält za. 70 Pastillen. Z. hat 
die Pastillen, die im Durchschnitt 0,5 g wogen, untersucht und 
festgesteilt, daß sie sich in Wasser nur teilweise lösten und aus 
rund 25% Kochsalz, 25% Natriumphosphat, 3% an Eiweiß ge¬ 
bundenem Lezithin, einer Verbindung von Eisen mit anscheinend 
gleichfalls einem Eiweißkörper und Stärke bestanden. 

10. Auf Grund ihrer bisherigen Erfahrungen empfehlen B. 
und G. bei allen für die Jodmedikation in Betracht kommenden 
Fällen, insbesondere bei allen luetischen Erkrankungen und deren 
Folgeerscheinungen, bei Arteriosklerose, Asthma bronchiale und 
cardiale, Skrophulose, Apoplexie, Neuralgien, ihr neues internes 
Jodpräparat, Namens Jodomenin. Dasselbe soll nach ihrer Angabe 
die Jodwirkung der Jodalkalien besitzen, ohne ihre lästigen Neben¬ 
wirkungen hervorzurufen. Es ist das Jodomenin das Jodwismut¬ 
eiweiß, welches aus Wismuttrijodid und Eiweiß „unter geeigneten 
Bedingungen gewonnen wird“. Das Präparat ist nach Angabe 
der Erfinder in verdünnten Säuren und schwach sauren Flüssig¬ 
keiten unlöslich, während verdünnte Alkalien und schwach alkalisch 
reagierende Flüssigkeiten das Jodomenin schnell und leicht unter 
Bildung von Jodkali und Wismuteiweiß zersetzen. Dadurch soll 
das Präparat die Fähigkeit besitzen, den Magen unaufgeschlossen 
zu passieren und erst im alkalischen Darmsaft bei der fortschrei¬ 
tenden Verdauung in die genannten Komponenten zu zerfallen. 
Während nach Einnahme von Jodkali schon nach wenigen Minuten 
Jod im Harn nachzuweisen ist, tritt diese Reaktion bei Jodomeuin 
erst nach einer Stunde ein. Das Präparat soll geschmacklos sein; 
die Jodomenintabletten (zu 0,5 g) müssen zerkaut werden. Davon 
sollen täglich 3 mal 1—2 Tabletten genommen werden. Weitere 
Versuche mit dem neuen Mittel werden lehren, ob es als voll¬ 
wertiger Ersatz des Jodkali gelten kann. 


Mit diesem Apparat können gleichzeitig beide Ohren oder 
auch nur eines behandelt werden, ohne daß es einer Um¬ 
stellung des Vibrators bedarf. Er läßt sich durch einen ein¬ 
fachen Handgriff auf das kleinste gewünschte Maß von Vibra¬ 
tionsstärke emsteilen, wirkt aber auch wiederum bei Stark- 


Technische Neuerscheinungen 


Ein neuer Vibrations-Apparat 

zur Vibration des Trommelfells oder anderer Körperteile. 

Die Vibrationsmassage des Trommelfells gegen 
Schwerhörigkeit, Ohrensausen und Ohrenleiden 
der verschiedensten Art ist fachmännischen Kreisen durch 
die Forschungen namhafter Gelehrten längst als ein aus¬ 
gezeichnetes und wirksames Heilverfahren bekannt 
geworden. Wir brauchen nur an die Arbeiten von Prof. Dr. 
Breitung in Koburg, Dr. Friedländer in Göttingen, Prof. 
Dr. Stetter, Prof. Dr. Passow in Heidelberg und an die 
einschlägigen Berichte in der „Deutschen Medizinal-Zeitung“, 
der „Monatsschrift für Ohrenheilkunde“, der ,.Aerztlichen Poly¬ 
technik“, der „Berliner Klinischen Wochenschrift“ usw. zu er¬ 
innern. 

Mit der Hand ist natürlich dem Trommelfell nicht durch 
Massage wirksam “beizukommen; also war man auf die 9 echnik 
und Mechanik, auf Apparate angewiesen. Den ersten Apparat 
auf diesem Gebiete der Vibrationstherapie ersann Prof. Dr. 


Stellung recht kräftig. Nebeninstrumente oder doppelte 
Apparate für die verschiedenartigen Gebrauchszwecke sind also 
unnötig. 

In dem Gehäuse des Apparates bewegt sich eine Welle 
mit Flügel. An einer zweiten, auf dem Gehäuse gelagerten 
Welle befindet sich ein Exzenter, der durch ein Gestänge mit 
der unteren Welle verbunden ist. An beiden Seiten des Ge¬ 
häuses treten Metalldüsen mit daran angeschlossenen Gummi¬ 
schläuchen hervor. Die Massageinstrumente sind an den 
Schlauchenden befestigt. 

Für den Handbetrieb wird der Vibrator auf einem Unter¬ 
satze befestigt, den man mittels Stellschraube an die Tisch- 











3i6 


THERAPßCJtlSCSE MlNÜSCHAti/* V \ 


platte ansehrauben kann. An dem Untersatze befindet sieb die 
große Antriebsebeibe, die durch einen Riemen mit den oberen 
Schnurrädchen verbunden ist. Der Antrieb erfolgt durch eine 
Handkurbel. 

Bei elektrischem Antrieb wird der Apparat durch Kuppelung 
mit einem Motor verbunden und auf einer polierten Holzplatte 
befestigt. 

Durch den Antrieb der Flügel welle erzeugt der Vibrator 
in dem Gehäuse Luftschwingungen (Vibrationen), die durch die 
Schläuche auf das zu behandelnde Organ übertragen werden. 

Für die Trommelfell-Massage befestigt man die Hornoliven, 
die in einem verstellbaren Spannbügel ruhen, an die Schläuche 
und legt den Spannbügel um den Hinterkopf des Patienten* 
Der Bügel drückt die Oliven selbsttätig fest in die Ohrlöcher. 
Soll nur ein Ohr massiert werden, so schraubt man die eine 
Ohrolive einfach aus dem Spannbügel. 

Für die Augenmassage wird das eine Schlauchende am 
Handgriffe eines besonderen Massierinstruments befestigt. 

Zu stärkeren Vibrationen, wie sie für andere Körperteile 
meist angebracht sind, dient ein weiteres Instrument. 

Zur Massage der Nasenhöhle dient ein Gummibällchen, 
das, mit Oel oder Vaseline befettet, in die Nasenhöhle einge- 
liihrt wird. 

Die Umstellung zu den verschiedenen Gebrauchszwecken 
erfolgt durch einfache Verschiebung der Regulierschraube an 
der Exzenterscheibe. Auch das Umstecken der Ansatzstücke 
geschieht ohne nennenswerten Zeitverlust. Der Apparat ist 
also zu jedem Zwecke im Augenblick gebrauchsfähig. Sein 
einfacher, solider Mechanismus schließt Störungen und Repara¬ 
turen beinahe aus. 

Bei dieser vielseitigen Verwendbarkeit bei einfachster Hand¬ 
habung empfiehlt sich der neue Vibrator gegenüber anderen 
ähnlichen Apparaten von selbst und dürfte bald in keinem 
ärztlichen Instrumentarium fehlen. 


□ 


Bücherbesprechungen. 



wie die medikamentöse Therapie abgehandelt. Der AutoT verliert- 
sich nicht in zu eingehende -spezialärztliehe Details > sondern hat' 
stets den Zweck seines Taschenbuches, dem Allgemeinpraktiker 
ein getreuer Helfer und Berater zu sein, im Auge. Diesem Plane 
widerspricht es nicht, daß Pickardt ausführliche Diätschemata 
für jede Verdauungskrankheit eingefügt hat. Sie gehören im 
Gegenteil als integrierender Bestandteil in ein Buch über Ver¬ 
dauungskrankheiten hinein und sind für ein Kompendium um so 
wichtiger, als die Diätetik in der ärztlichen Ausbildung bisher 
leider recht schlecht weggekommen ist und doch vom modernen 
Arzt verlangt werden muß, daß er auch in der Küche beschlagen 
sei. Dem Unterricht in der Kochkunst dient eine Auswahl von 
Kochrezepten, die Pickardt am Ende seines Buches zusammen¬ 
gestellt hat und die Angaben über die Zubereitung der gebrauch- . 
liehen Krankendiät enthalten. Lungwitz-Berlin. 

Arzneiverordnungen. Von Dr. S. Rabow, Professor 
in Lausanne. 39. Auflage. Straßburg 1908. Verlag von Fried¬ 
rich Bull. 

Ein Buch, das seit 1874 39 Auflagen erlebt und in Mediziner¬ 
kreisen verbreiteter ist als irgendein zweites, bedarf keiner Emp¬ 
fehlung, um seinen Weg weiter zu gehen. Selbstverständlich ist 
die neue Auflage inhaltlich „der Neuzeit entsprechend“ umge¬ 
staltet, je nachdem erweitert oder verkürzt. 

Lun gwitz - Berlin. 



ALLGEMEINES. □ 


Bekanntmachung. Die Diphtherie-Heilsera mit den Kontroll« 
nummern 842 bis 865 aus den Höchster Farbwerken, 101 bis 107 
aus der Merckschen Fabrik in Darmstadt, 209 bis 210 aus der 
Fabrik vorm. E. Schering in Berlin, 100 bis 103 aus dem Serum¬ 
laboratorium „Ructe Enoch“ in Hamburg sind, soweit sie nicht 
bereits früher wegen Abschwächung etc. eingezogen sind, vom 
1. April d. Js. ab wegen Ablaufs der staatlichen Gewährdauer 
zur Einziehung bestimmt. 


Therapeutisches Taschenbuch der Verdauungs¬ 
krankheiten. Von Dr. Max Pickardt, Spezialarzt für Magen-, 
Darm- und Zuckerkranke, Berlin. Berlin 1908. Verlag von 
Fischers medizin. Buchhandlung H. Kornfeld. 178 S. Mit weißem 
Papier durchschossen. 3,50 M. 

Es ist eine Ereude, ein Buch wie das vorliegende in die 
Hand zu bekommen; denn der Geist, den das Therapeut. Taschen¬ 
buch Pickardts atmet, ist der des genauesten Verständnisses 
tur die Bedürfnisse des Praktikers. Solcher Bücher gibt es nicht 
viele. Der Wissenschaftler schreibt Wissenschaft, der Praktiker 
— meist nichts. Dieses Mißverhältnis spielt auch im Zeitungs- 
vesen eine gewichtige Rolle. Es bedarf eben einer besonderen 
Aibeitskraft und -lust, wenn ein in der Praxis stehender und viel¬ 
beschäftigter Arzt literarisch tätig ist, einer besonderen Erfahrung 
und literarischen Technik, ein Buch zu schreiben, das dem Prak¬ 
tiker nicht zu viel und nicht zu wenig bietet, das prägnant und 
doch erschöpfend geschrieben, leicht zu handhaben, übersichtlich 
usw. — kurz, praktisch ist. 

M. E. ist es Pickardt sehr gut gelungen, seiner Aufgabe 
gerecht zu werden. Trotz aller Kürze ist der Stil flüssig, der 
Inhalt umfassend. In der richtigen Erkenntnis, daß ohne genaue 
Diagnose eine erfolgreiche Therapie nicht möglich ist, hat P. dem 
Texte jeweils einige Bemerkungen über Symptomatologie und 
Diagnostik vorausgesetzt. Im Text ist die physikalisch-diätetische 


Flaschen mit diesen Kontrollnummern dürfen hinfort nicht 
mehr in den Apotheken abgegeben werden und können nach der 
Vereinbarung mit den betreffenden Laboratorien bei kostenfreier 
Einsendung kostenlos gegen einwandfreies Serum eingetauscht 
werden. 

Berlin, den 7. April 1908. 

Der Polizei-Präsident. 

I. A.: Lewaid. 

Der Verband Deutscher Ostseebäder zu Berlin, Unter den 
Linden 76 a, dem alle irgendwie bedeutenden Ostseebäder ange¬ 
hören, versendet seinen soeben erschienenen bekannten Führer 
durch die Ostseebäder 1908 für 30 Pf. zuzüglich 20 Pf. Porto. 
Der Führer, 304 Seiten stark mit Karten und Plänen, beschreibt 
in Kürze sämtliche 75 Ostseebäder und enthält alles Wissenswerte 
in Bezug auf ihre Lage und Einrichtungen, über Reise, Unter¬ 
kunft und Aufenthalt, Kurtaxe etc. Die Auswahl eines passenden 
Bades wird durch diesen Führer sehr erleichtert. 

Kreuznach. Auf Saline • Theodorshall soll ein Gebäude zur 
Aufnahme von Apparaten zur Herstellung und Gewinnung von 
Radiumsalzen errichtet werden, wodurch die Saline in der Lage 
sein wird, das gesamte Rohmaterial auf hochradioaktive Salze zu 
verarbeiten. Die Stadtverordneten bewilligten die nicht unerheb¬ 
lichen Mittel zur Herstellung von Betriebsanlagen, die eine dauernde 
Gewinnung von Radium zwecks Abgabe von Radiumbädern und 
Radiumpräparaten ermöglichen. O. Krey-Köln. 


Hoffenden und stillenden Frauen reicht man mit größtem Nutzen für 
sich und das kommende Geschlecht einen Ersatz für den Verbrauch an 
Kalk und Phosphor in 

Geh. Hut Dr. med. Wattenbergs Pliosphorkalkmilcli. 

Abhandlungen und Prospekte durch 

Dr. Hoffmann & Köhler, Harburg. 


. A. Hoppen u. R. Fischer 
Patentanwälte 

Berlin SW. 13, Neuenburgerstraße 15 

Amt IV 718. ‘ " 

Verantwortlicher Redakteur: Dr. H. Lungwitz, Berlin S. - 

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Verlag: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle a. S. 


Druck der Heynemannschen Buchdruckerei, Gebr. Wol£^ Halle a. S. 


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Wochenschrift für die gesamte Therapie .des praktischen Arztes. 


0. Anton, A. Duhrssen, C. A. Ewald, P. Gerber, R. Robert, 

Halle ä. S. Berlin. Berlin. Königsberg. Rostock. 

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Berlin S. 14, Dresdenerstr. 44. Tel. IV, 11773. 

Dr. med. et phil. H. Lungwitz. 


Herausgegeben von 



M. Koeppen, M. Mosse, K. Partsch, H. Rosin, H. Schlange, 

Berlin. Berlin. Breslau. Berlin. Hannover. 

R. Sommer, H. Unverricht, 0. Vulpius, 

Gießen. Magdeburg. Heidelberg. 


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Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte der Ostsee und der 

Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 


II. Jahrgang. Halle a. S., 17. Mai 1908. Nr. 20. 


Die „Therapeutische Rundschau“ erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2M., einzelne Nummer 20 Pf. Bestellungen nehmen jede Buchhandlung, 
die Post, sowie die Geschäftsstelle: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung in Halle a. S. entgegen. Inserate werden für die 4 gespaltene Petitzeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. berechnet. Beilagen nach Uebereinkunft. Reklamezeile 1,50 M. B.ei größeren Aufträgen wird Rabatt gewährt. 

Nachdruck der Original-Aufsätze ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. — Nachdruck der anderen Rubriken ist nur mit Quellenangabe gestattet. 




□ 

ORIGINALIEN. 

1 1 



Das Heufieber und seine Heilung durch Herstellung 
gesunder Nasenluftwege. 

Von Sanitätsrat Dr. Maximilian Bresgen in Wiesbaden. 

„leb glaube überzeugt sein zu dürfen } daß eine Unter- 
suchung der Nase der an sogen. Heuschnupfen zum ersten Male 
Erkrankten, wenn von in Nasenerkrankungen kundigem Auge 
ausgeführt, immer einen schon vorhandenen chronisch- 
katarrhalischen Zustand der Nasenschleimhaut feststellen wird. 
Die früher etwa beobachteten Fälle, in denen angeblich ein 
chronischer Katarrh der Nase nicht gefunden wurde, können 
gegen diese Anschauung deshalb nicht ins Feld geführt werden, 
weil die Wissenschaft von der katarrhalischen Erkrankung 
der Nasenschleimhaut noch gar zu wenig sich verallgemeinert 
hat, was schon daraus hervorgeht, daß einem sogen, veralteten 
Schnupfen fast allseitig keine Bedeutung beigelegt und meist 
ohne jede genauere Untersuchung einfach"die Nasendusche oder 
dergleichen kritiklos verordnet wird.“*) 

Was ich also vor nunmehr 27 Jahren, so viel ich weiß, 
als erster schrieb, ist heutzutage von fachkundiger Seite nicht 
mehr bestritten. Mit meiner damaligen Meinungsäußerung war 
natürlich auch die Erfahrung verknüpft, daß das Heufieber von 
der Nase aus heilbar sei. Dem lieh ich später**) auch noch 
besonderen Ausdruck: „Der Heuschnupfen ist nichts anderes 
als eine akute Rhinitis, die aber auch nur bei Personen zu¬ 
stande kommt, welche an schon entzündeter Nasenschleimhaut 
leiden; denn dieser Zustand kann beseitigt werden, und alsdann 
rufen die Pollenkörner keine Rhinitis mehr hervor.“ 

So habe ich in den langen Jahren immer die gleiche Er¬ 
fahrung gemacht, wobei sich die Erfolge natürlich stets besser 
gestalteten. Die größte Schwierigkeit bestand besonders darin, 
einen .Dauererfolg in der Beseitigung des Heufiebers zu erzielen. 
Das lag aber immer neben der dauernden Herstellung gesunder 
Nasenluftwege in hervorragendem Maße an der ungenügenden 
Ausdauer der Kranken. Nicht nur daß diese nur zu bald mit 


*) Aus M. Bresgen, Das Asthma bronchiale und seine Beziehungen 
zum chronischen Nasenkatarrhe sowie deren lokale Behandlung. Nach einem 
im Aerztliehen Vereine zu Frankfurt a. Main 1881 gehaltenen Vortrage. 
Leipzig 1882. Breitkopf und Härtel (Sammlung klin. Vorträge Nr. 216). 
S. 18. 

**) Krankheits- und Behandlungslehre der Nasen-; Mund- und Rachen¬ 
höhle sowie des Kehlkopfes und der Luftröhre. 1. Auflage. 1884. S. 86. 


dem erzielten Augenblickserfolge zufrieden waren, sie kamen 
auch stets zur verkehrten Zeit — während der Heuschnupfen- 
zeit — zur Behandlung. Denn jede örtliche Behandlung der 
Nasenschleimhaut während der Heuschnupfenzeit erwies sicli 
mir mehr und mehr als am wenigsten Dauererfolg versprechend. 
So drang ich denn immer entschiedener darauf, daß die Heu- 
fieberkranken möglichst bald nach ihrer sogen. Leidenszeit zu 
einer regelrechten Behandlung ihres Dauerschnupfens sich ein¬ 
stellten. Es konnte dann im frühen Frühjahre (März-April) 
noch eine zweite, kürzere Nasenbehandlung folgen, wodurch 
dann in diesen Fällen das Heufieber entweder ganz ausblieb 
oder sieb doch nur in äußerst bescheidener Weise geltend 
machte. Daraus verdichtete sich denn auch meine Forderung, 
daß die Heufieberkranken nur während der anfallfr eien Zeit 
der notwendigenNasenbehandlungunterworfen werden dürften . 
In meiner ersten „Fortbildungs-Vorlesung“ habe ich den Gegen¬ 
stand folgendermaßen behandelt: 

„Ein einem frischen Schnupfen sehr ähnliches, allerdings 
erheblich verkürztes Bild bietet eine Reihe von besonderen, an 
der Nasenschleimkaut zum Ausdrucke gelangenden Krankheits - 
zustände. Es sind jene vielfach noch aber unberechtigter 
Weise als hoffnungslos angesprochenen Krankheitsbilder, die 
man als auf ,nervöser 4 Grundlage entstanden sich denkt: 
der Heuschnupfen, auch Heufieber und Heuasthma genannt; 
gleichwertig damit sind .das sogenannte nervöse Asthma, der 
nervöse Schnupfen, Rosenschnupfen, Pfirsichschnupfen, Eisen¬ 
bahnschnupfen, den ich Wagenschnupfen nennen möchte, und 
ähnliche Krankheitsbilder. Was dabei auch nervöse Belastung, 
sei sie ererbt oder erworben, in die Wagsehale werfen mag, 
eines habe ich in diesen Fällen stets gefunden: eine Dauer- 
entziindung der Nasenschleimhaut! Ausschließlich auf 
der Grundlage einer solchen entwickeln sich unter Mitwirkung 
nervöser Umstände, die wohl in sehr vielen Fällen wider¬ 
natürlich-geschlechtlichen Ursprunges (insbesondere Koitus inter- 
ruptus, ungewöhnlich gehäufter und gekünstelter Geschlechts¬ 
verkehr mit seinen neurasthenischen Folgen) sind, jene eben 
genannten Krankheitsbilder, die jedoch bei Heufieberkranken 
einer besonderen auslösenden Ursache, des Einatmens von 
Pollenstaub gewisser Grasarten, zu bedürfen scheinen; ähnlich ver- 

*) Von mir eingebenderbehandeltiu meinen „Fortbildungs-Vorlesungen • 
(1901), „Die Entzündungen der Nasenhöhlen, des Rachens und des Kehl¬ 
kopfes, besonders auch in ihren Beziehungen zu einander sowie zu andeien 
benachbarten und entfernteren Gebilden“. Sie erschienen zuerst in der damals 
von mir herausgegebenen „Sammlung zwangloser Abhandlungen aus dum 
Gebiete der Nasen-, Ohren-, Mund- und Halskrankheiten“, 1902. Xi 1 
und ff. (Nr. 2 — S. 41, 49, 58 — erhielt u. d. 24. II. 02 der Vorsitzende 
des Heufieber-Bundes, doch geschah in dessen „Berichten“ meiner neuen 
Forderung nie Erwähnung, während sie jetzt von verschiedenen Seiten als 
„selbstverständlich“ behandelt wird.) Im Buchhandel erschienen meine 
„Fortbildungs-Vorlesungen“ bei Karl Marhold 1903, Halle a d. S. (3 6, 14, 3) 


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ftiö 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU: 


hält es sich beim Rosen- und Pfirsichschnupfen, bei denen die 1 
betreffenden Gerüche den Schnupfenanfall unmittelbar oder wahr¬ 
scheinlich mittelbar auslösen. Der Eisenbahn- oder richtiger 
WagenschnupfenkommtohneDauerentzündung der Nasenschleim¬ 
haut überhaupt nicht vor. Wer an letzterer leidet — Schwellung 
der Schleimhaut ohne Eiterung! — bemerkt beim Fahren in jedem 
beliebigen Wagen nach kürzerer oder längerer Zeit —je nach der 
Bedeutung der Erkrankung — eine vermehrte Anschwellung der 
Nasenschleimhaut, beginnend auf derjenigen Seite, nach der man 
geneigt sitzt; häufig tritt dabei Niesreiz ein, dagegen wenig oder 
gar keine Absonderung wässeriger Art. Dieser Schnupfenanfall 
tritt in der Eisenbahn stärker auf als in geschlossenem oder 
offenem gewöhnlichen Wagen; er tritt auch in der Eisenbahn 
weniger früh und stark auf, wenn man in der Fahrrichtung 
bei geöffnetem Fenster sitzt. Ich glaube deshalb, daß es sich 
hier um eine Schüttelwirkung auf die Gefäßnerven handelt, 
derart, daß bei fortdauerndem arteriellen Zuflusse eine ge¬ 
nügende venöse Abfuhr aus dem Venen-Schwellnetze der Nasen- 
schleimhaut verhindert wird.“ Es dürften ja überhaupt die 
Schwellungszustände der Nasenschleimhaut, wie sie in hohem 
Grade bei allen Erregungszuständen, insbesondere im Gebiete 
des Geschlechtsapparates, sich einzustellen pflegen, dem Nervus 
Sympathikus, dem Gefäßnerven, gut zu schreiben sein. Es 
ist mir im Laufe der Jahre sehr zweifelhaft geworden, ob bei¬ 
spielsweise der im Verlaufe des Nervus supraorbitalis sich 
geltend machende Kopfschmerz auf einer Reizung des letztge¬ 
nannten Nerven beruht; ich möchte aus meinen langjährigen 
Beobachtungen heraus weit eher annehmen, daß das Sympathikus¬ 
geflecht der jenen Nerven begleitenden Gefäße durch seine 
Reizung dem bekannten Migränekopfschmerz zur Unterlage dient. 
Damit stimmen auch die bekannten Beobachtungen, die man in 
solchen Fällen an den betreffenden Gefäßen selbst zu machen 
Gelegenheit hat. 

Nachdem ich nun am genannten Orte über die Erschei¬ 
nungen des Heuschnupfens in Kürze mich geäußert, wandte ich 
mich der örtlichen Untersuchung zu. „Untersucht man die Nase im 
Anfalle, so findet man starke Röte, Schwellung und Empfindlich¬ 
keit der Schleimhaut. Nach dem Anfalle, der, abgesehen vom 
Heufieber, manchmal nur eine halbe Stunde, beispielsweise 
morgens früh beim Aufstehen, dauert, findet man die Nasen¬ 
schleimhaut wohl noch gerötet und überempfindlich, allein nur 
wenig geschwollen. Untersucht man die Kranken am Nach¬ 
mittag, besonders gegen Abend hin, so findet man die Schleim¬ 
haut, die am Vormittag wenig schuldig aussah — ich möchte 
das als eine Erschöpfungserscheinung ansehen —, viel deutlicher 
geschwollen; insbesondere konnte ich recht oft die von mir auch 
in anderen Fällen zuerst beobachtete, mit der Sonde leicht ein- 
drückbare Schwellung am Tuberkulum septinanum feststellen. 
Alle diese Beobachtungen sowie auch die Erfolge meiner Be¬ 
handlungsweise haben mich immer mehr in der Ueberzeugung 
befestigt, daß den in Rede stehenden Fällen ausnahmslos eine 
Dauerentzündung der Nasenschleimhaut zugrunde liegt. Zu 
dieser Anschauung kommt man um so mehr, wenn man Heu¬ 
schnupfenkranke besonders außerhalb ihrer Anfallszeit wieder¬ 
holt zu untersuchen Gelegenheit hat. Sie erklären zwar wie 
auch die anderen eben genannten Kranken, daß sie außerhalb 
ihrer Anfälle ganz nasengesund seien; sie sind es aber meinen 
durch lange Jahre mit Sorgfalt fortgesetzten Beobachtungen 
nach nicht.“ „Gegen den Heuschnupfen und verwandte Zu¬ 
stände gibt es nur ein wirkliches Heilmittel: die gründliche 
Beseitigung der zugrunde liegenden Dauerentzündung der Nasen¬ 
schleimhaut während der anfallsfreien Zeit!“ Selbst¬ 
verständlich ist hierbei, daß auch der Rachenteil des Nasen¬ 
luftweges frei ist oder gemacht wird. 

Welchen Schwierigkeiten man bei der Feststellung einer 
Dauerschwellung der Nasenschleimhaut manchmal begegnet, 
habe ich schon wiederholt darzustellen mich bemüht. Der 
Grund liegt im wesentlichen darin, daß die Nase ein doppel¬ 
läufiges Organ ist und daß in den meisten Fällen wenigstens 
die eine Hälfte noch genügend frei zu ruhiger Atmung ist, 
besonders weil man sich bei dem allmählichen Wachsen der 
Schwellung an die dadurch langsam sich steigernde Beengung 
des Luftweges gewöhnt. Ich will nun aus einer meiner 


Schriften *) in Kürze einen Fall hierher .setzen. „Ein Beispiel 
für Viele! Eine junge Sängerin hatte ihre Stimme verloren., 
Sie wurde lange Zeit ohne jedweden Erfolg an ihrem Kehlköpfe 
behandelt. Ich konnte an demselben nichts entdecken , was 
diese Mißerfolge aus sich heraus zu erklären vermocht hätte. 
Auch in der Rachenhöhle ließ sich kein greifbarer Grund auf¬ 
finden. Ich wünschte deshalb die Nase zu untersuchen. Ich 
habe hierbei selten Schwierigkeiten seitens der Kranken ge¬ 
funden. Aber diese Dame wollte sich ihre Nase nicht unter¬ 
suchen lassen; es sei ganz überflüssig; denn sie habe niemals 
Beschwerden seitens ihrer Nase. Ich bestand aber doch auf 
deren Untersuchung, und siehe da, es fand sich eine ganz be¬ 
deutende Entzündung der Schleimhaut der Nase! Der Atmungs¬ 
weg durch dieselbe war ganz erheblich beeinträchtigt. Und 
nun stellte sich auch sehr rasch heraus, daß auch Nasen¬ 
beschwerden schon lange bestanden. Freilich wurden sie als 
solche nicht gedeutet; aber besonders abends und nachts sowie 
in geheizten und mit Menschen dicht besetzten Räumen, ver¬ 
schloß sich die Nase mehr oder weniger und zwang die Dame, 
nicht nur durch den Mund zu atmen, sondern auch beim Singen 
und Sprechen größere Anstrengungen zu machen, um den aus 
der Nase nach dem Kehlkopfe zurückprallenden Luftstrom zu 
bezwingen.Nachdem die Entzündung der Nasenschleim¬ 

haut in geeigneter Weise bekämpft und beseitigt war; wurde 
auch die Behandlung des Kehlkopfes eine fruchtbringende.“ 

Daß die Untersuchung der Nasenwege auf Schleimhaut¬ 
schwellung nicht zu leicht genommen werden darf, habe ich 
schon oft erörtert.**) „Von besonderer Wichtigkeit ist es zu 
wissen, daß bei der ersten Untersuchung und so lange, als beim 
Untersuchten noch Furcht oder Spannung betreffs der Unter¬ 
suchung besteht, der Befund in der Nase fast niemals der 
Wirklichkeit entspricht, weil infolge der genannten Umstände 
das Schwellgewebe sich von Blut entleert und dieses nach dem 
Herzen strömt. Ich muß auf diesen Umstand immer wieder 
aufmerksam machen, da bei Außerachtlassung desselben der 
wahre Zustand der Nasenschleimhaut besonders beim Kinde, 
das selten neben der Schweifung auch Verdickung aufweist, 
nicht gefunden werden kann. Nur so ist es zu erklären, daß 
icli in von anderen als gesund oder nicht wesentlich erkrankt 
bezeichneten Fällen recht erhebliche Schwellung und entzünd¬ 
liche Reizung festzustellen und zu heilen vermochte.“ 

Es kommt also auch beim Heuschnupfen ganz wesentlich 
darauf an, die Nasenschleimhaut wiederholt und vor allem 
auch in der anfallfreien Zeit zu untersuchen, um sicher zu 
sein, alle krankhafte Schwellung usw. zu finden. „Was aber 
zu einer endgültigen und ausdauernden Heilung von aller¬ 
größter Bedeutung ist, das ist die Belehrung des Kranken über 
die Eigentümlichkeit des Schwellgewebes der Nase. Die Kranken 
müssen wissen, daß es nicht zulässig ist, das Schwellgewebe so 
gründlich zu zerstören, daß es nicht mehr schwellen kann; sie 
müssen aber auch wissen, daß es deshalb notwendig ist, das 
Nach wuchern einzelner Stellen zu überwachen, damit diese 
rechtzeitig, d. h. bevor noch wieder weitere Strecken stärker 
erkrankt sind, in zweckentsprechender Weise zerstört werden 

können.Die Kranken selbst müssen auch wissen, daß 

sie nie imstande sind, rechtzeitig zu empfinden, ob in ihrer 
Nase wieder einzelne Stellen durch Wucherungen und Schwel¬ 
lungen sich verschlechtern; sobald sie dies selbst empfinden, 
ist der ,Rückfall' schon zu weit gediehen, um mit einem 
geringfügigen Eingriff bewältigt werden zu können. Es ist 
aber gerade darauf Wert zu legen, daß bei Beseitigung etwaiger 
zurückgelassener Schwellung oder Verdickung der Schleimhaut 
nach einer Reihe von Monaten immer nur eine kurzdauernde 
und nicht eingreifende Behandlung genügen muß.“***) 

*) Die Heiserkeit, ihre Ursachen, Bedeutung und Heilung. Hebst 
einem Anhang über die Bedeutung behinderter Nasenatmung. Berlin 1889. 
Heuser. S. 13 f. 

**) Ich beziehe mich hier nur auf „Die hauptsächlichen kindlichen Er¬ 
krankungen der Nasenhöhlen, der Rachenhöhle und der Ohren sowie ihre 
Bedeutung für Schule und Gesundheit nebst grundsätzlichen Erörterungen 
über Untersuchung und Behandlung solcher Kranken“. Halle a. d. S. 1904. 
Marhold. S. 46ff., wo auch weitere Angaben unter 40 zu finden sind. 

***) Die hauptsächlichen kindlichen Erkrankungen der Nasenhöhlen usw. 
S. 51 f. 


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.' Bei H#usßhnupf enkranken wird nun die örtliche Behandlung 
des Naseninnern bezw. des Nasen- und Rachenluftweges am 
besten im September begonnen, nachdem man sich also von 
der Heufieberzeit gänzlich erholt hat Zuerst ist der Luftweg 
von etwaiger Vergrößerung der Gaumen- und Rachenmandel 
zu befreien. Alsdann beginnt man in der Nase mit der Be¬ 
handlung der weitesten Nasenhälfte. In den meisten Fällen 
wird es sich um die Anwendung der elektrischen Glühhitze 
handeln. Ueber die Verwendung der Elektrolyse in geeigneten 
Fällen habe ich mich erst kürzlich eingehend geäußert.*) Eben¬ 
dort habe ich auch dargelegt, wie man sich zweckmäßiger 
Weise das Naseninnere zur Betrachtung bringt und auf welche 
Weise man mittels Kokain und anderer Mittel die Schleimhaut 
der Nase wirklich unempfindlich zu machen vermag. „Ich habe 
alle Ersatzmittel des Kokains wiederholt und längere Zeit ge¬ 
prüft, von jedem Mittel bin ich in Bezug auf die Nasenschleim¬ 
haut stets zum Kokain zurückgekehrt. Selbst die 20% ige Novo¬ 
kain-)-Suprareninlösung (Novok. 2,0, Aqu. dest. 10,0, Suprarenin. 
boric. [1,0 : 1000,0] gtt. 30) vermag die Nasenschleimhaut nicht 
so unempfindlich zu machen, wie meine Bestreichung dieser 
mit 20%iger Kokainlösung. Dahingegen hat es sich mir bei¬ 
spielsweise bei der Anwendung des elektrischen Brenners in 
der Nase sehr bewährt, die 20% ige Kokainlösung abwechselnd 
mit der 20 % igen Novokain -f- Suprareninlösung derart anzu¬ 
wenden, daß zunächst die erstere ein- bis zweimal, dann die 
letztere und weiterhin beide abwechselnd aufgetragen werden; 
im höchsten Falle habe ich dreimal Kokain, zweimal Novokain- 
Suprarenin zu verwenden nötig gehabt.“**) Die Verwendung 
der letztgenannten Lösung in Verbindung mit einer 20% igen 
Kokainlösung habe ich vorteilhafter gefunden als die letztere 
allein mit Suprarenin zusammen: man verbraucht weniger 
Kokain und Suprarenin. Ueberhaupt ist bei meiner Art des 
Aufstreichens dieser Lösungen der Verbrauch der denkbar ge¬ 
ringste, und das Verschlucken wird gleichfalls auf Spuren be¬ 
schränkt. 

Zur Herstellung gesunder Nasenluftwege kann man sich 
also, wie bereits angedeutet, nicht eines einzigen Verfahrens 
bedienen, sondern muß dieses je nach der Art der Behinderung 
der Nasenatmung in jedem einzelnen Falle wählen. Für die 
Anwendung des elektrischen Brenners sowie für die durchaus 
notwendige zweckentsprechende Nachbehandlung muß ich des 
Raumes wegen auf andere Schriften von mir verweisen.***) 
Was die Nachbehandlung angeht, so beschränke ich mich jetzt 
im wesentlichen auf die Verwendung von Perhydrol Merck 
10,0, Aqu. dest. 40,0, welches ich während der ersten sechs 
Tage täglich mittels wattebewickelter Nasensonde in die be¬ 
handelte Nase bringe, später über einen oder zwei Tage. Der 
freiwerdende Sauerstoff, der sich durch Brausen kundgibt, reinigt 
nicht nur das in Behandlung befindliche Gebiet, sondern zer¬ 
fetzt auch die sich allmählich abstoßenden Speckhäute und be¬ 
fördert dadurch deren Entfernung auf eine der Brandwunde 
keinen Nachteil bringende Weise. Diese auf jeder Wunde sich 
bildenden Schutzhäute bewirken in der Nase nicht geringe Be¬ 
schwerden infolge der durch sie eintretenden mehr oder weniger 
vollständigen Verstopfung des Luftweges. Es hat daher stets 
das Bestreben bestanden, sie möglichst frühzeitig zu entfernen 
— leider meist mit dem Erfolge, daß sie sich bei gewaltsamer 
Beseitigung immer sofort wieder erneuern. Auch hatte schon 
Max Schaefferf) die Beobachtung gemacht, daß sich solche 
Schutzhäute unter Umständen „organisieren“ und dadurch Ver¬ 
wachsungen benachbarter Teile in der Nase herbeiführen — 
auch ein wichtiger Grund, auf ihre rechtzeitige Entfernung be¬ 
dacht zu sein, ohne die Wundheilung dadurch aber wesentlich 
zu schädigen. Die von mir geübte vorsichtige Nachbehandlung 
sehe ich besonders auch durch neuere Untersuchungen von 


*) Die Elektrolyse mit langen Nadeln zur Behandlung von Ver¬ 
schwellung des Naseninnern. Therapeut. Rundschau 1908. Nr. 7, 8. — 
Als Sonderschrift erschienen bei Karl Marhold in Halle a. d. S. 1908. 

**) Die Elektrolyse mit langen Nadeln usw. S. 10 f. — Die genaue 
Beschreibung meiner Anwendung des Kokains in der Nase findet sich S. 12 ff. 

***) Inbesondere auf meine „Fortbildungs-Vorlesungen“ S. 41 ff. 
t) Chirurgische Erfahrungen in der Rhinologie und Laryngologie. 
Wiesbaden 1885. Bergmann, S. 17, 


Bergeil*) begründet. Danach kommt dem Fibrin neben 
seiner Bedeutung als Kittsubstanz zur Verklebung und Be¬ 
deckung von Wunden „seiner Entstehung gemäß ein antitoxisches 
und bakteriolytisches Vermögen zu; es übt ferner einen leuko- 
taktischen, hyperämisierenden, also heilenden Einfluß auf das 
umgebende Gewebe aus und gibt durch die auf der Oberfläche 
der Wunde sich bildende Kruste eine mechanisch und chemisch 
wirksame Schutzdecke für diese ab“. 

Ist nun die Behandlung der Verschwellung des Nasenluft¬ 
weges in der Nase selbst an sich schon eine nicht wenig Ge¬ 
duld erfordernde Arbeit, so gilt dies in erhöhtem Maße von 
Heufieberkranken. Dadurch daß man bei aller zerstörenden 
Arbeit in der Nase doch immer sich bewußt bleiben muß, den 
Nasenluftweg so zu gestalten, daß seine Schleimhaut vollkommen 
funktionsfähig bleiben bezw. werden muß, daß er also später 
nicht bloß die Luft frei durchlassen, sondern diese auch ent¬ 
sprechend befeuchten, erwärmen und reinigen muß, — aus 
diesen Gründen ergibt sich die bereits kurz gekennzeichnete 
Notwendigkeit, die Behandlung in verschiedenen, einander in 
bestimmten Zwischenräumen folgenden Zeitabschnitten vorzu¬ 
nehmen. Das ist zu einem nach jeder Richtung hin befriedigenden 
Dauererfolg durchaus notwendig. Nur so ist es möglich, der 
immer wieder sich im Uebermaße geltend machenden Nasen¬ 
schwellung dauernd entgegen zu treten. Erst wenn sich inner¬ 
halb Jahresfrist gar keine Schwellung mehr gezeigt hat, darf 
man hoffen, der Energie des Schwellgewebes wirksam begegnet 
zu sein. Die zweite Behandlung darf in keinem Falle später 
als sechs Monate nach der ersten stattfinden, in vielen Fällen 
muß sie schon etwas früher wiederholt werden, will man nicht 
wieder erheblichere Rückfälle zu bekämpfen haben. Wie beim 
Asthma, so ist auch beim Heufieber mit ganz besonderer Sorg¬ 
falt darüber zu wachen, daß Restschwellungen nicht nur früh¬ 
zeitig einer erneuten Behandlung unterzogen, sondern auch be¬ 
sonders in engen Gängen derart zerstört werden, daß diese 
dauernd vollständig frei bleiben. Alsdann, aber auch nur 
dann bringt man wie das Asthma so auch das Heufieber zu 
dauerndem Verschwinden; freilich können darüber in einzelnen 
Fällen mehrere Jahre vergehen. Dies ist aber unter allen Um¬ 
ständen einem ewigen Helgoland-Bummel oder dergleichen 
vorzuziehen. 


*) Ueber hämolytische Wirkungen des Fibrins. Deutsche medizinische 
Wochenschrift 1908. Nr. 9, S. 370. 


Ueber Nukleogen. 

Von Dr. Max Weissbart in München. 

Bei der großen Fülle von neuen Medikamenten, welche 
die chemische Großindustrie und die kleineren chemischen 
Laboratorien auf den Markt bringen, wird dem Arzte die Frage, 
welche Mittel herausgreifen und therapeutisch anwenden, sehr 
schwer. Man kann darum sehr wohl jene Kollegen begreifen, 
die an ihren seit langer Zeit mit Erfolg gebrauchten Arznei¬ 
mitteln festhalten und neuen Medikamenten nur schwer zu¬ 
gänglich sind. Von diesen kaum mehr zu übersehenden Mitteln 
gilt der bekannte Satz, daß nur Wenige ausersehen sind. Zu 
diesen Wenigen gehört nach meiner Erfahrung das Nukleogen. 

Nukle ogen ist eine äußerst glücklich gewählte Kombination 
von Arsen, Phosphor und Eisen; es wird in dem physiologisch¬ 
chemischen Laboratorium von Hugo Rosenberg in Berlin dar- 
gestellt. Die Grundsubstanz sind die Nukleinsäuren; sie werden 
aus der lebenden Hefenzelle gewonnen und enthalten über 5 % 
organisch gebundenen Phosphors. Die Eisensalze derNukle’in- 
säuren weisen bis zu 15% Eisen auf. Bis zu 5% Arsen 
läßt sich ins Nukleinsäuremolekül einführen. 

Was Arsen und Eisen für den menschlichen Organismus 
bedeuten, ist allbekannt. Daß auch den Nukleinsäuren als den 
Bestandteilen der Zellkerne eine hochwichtige Rolle im Körper¬ 
haushalte zukommt, ist ohne weiteres anzunehmen. In welcher 
Weise die Assimilation statthat, ist noch nicht sicher festge¬ 
stellt; es ist sehr wahrscheinlich, daß die Nukleine der Gewebe 
direkt aus den Nukle'inen der Nahrung entstehen. 


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320 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


iV^fPXS® 

Ntv*20 '• 


Mikulicz und Heile haben interessante Versuche mit 
Nukleinsäuren angestellt, aus welchen eine weitere sehr hohe 
Bedeutung dieser für den Organismus resultiert. Mikulicz 
hat an Tierversuchen gezeigt, daß die Widerstandsfähigkeit der 
Gewebe gegen eindringende Bakterien durch Nukleinsäuren ganz 
bedeutend gesteigert wird. Nukleinsäureinjektionen erzeugen 
eine Leukozytose bis zum Doppelten der Norm. Die Wider¬ 
standsfähigkeit des empfindlichsten aller Organe, des Peritoneums, 
wird nach diesen Versuchen durch subkutane Nuklei nsäure- 
injektionen so sehr erhöht, daß selbst reichlicher Koteintritt 
in die Bauchhöhle ohne Schaden ertragen wird.*) 

Gemäß seiner Zusammensetzung aus Phosphor, Eisen und 
Arsen findet Nu kl eogen seine therapeutische Verwendung. 
Erstmals erwähnt es Arneth (Deutsche med. Wochenschrift 
1906, Nr. 17). Er empfiehlt Nukleogen bei Chlorose, 
wo er, selbst bei sehr empfindlichem Magen, besonders gute 
Resultate sah. 

In ziemlich ausgedehnter Weise hat Weiß mann das 
Mittel verwendet (Deutsche Aerztezeitung 1907, Heft 11), 
nämlich in Fällen von Tuberkulose neben Heilbehandlung, 
Magenkarzinom, akuten Blutverlusten und anderen 
Schwächezuständen. Weißmann hatte überraschende 
Erfolge. Der Hämoglobingehalt des Blutes stieg rasch in 
kurzer Zeit, so in einem Falle in 18 Tagen von 55% auf 93%. 

Nur bei Krankheiten des Nervensystems bediente 
sich D a mm an n des Nukleogen; er berichtet nebenbei noch 
über 22 Fälle von anderer Erkrankung (15 Chlorose-, 
7 Tuberkulose-Fälle) eines Kollegen. In diesen Fällen 
waren die Resultate vorzüglich; der Hämoglobingehalt stieg 
nach kürzester Zeit um 20%, eine gewisse allgemeine Kräfti¬ 
gung, besonders Hebung des Appetits, konnte beobachtet werden. 
Sehr günstig waren die Erfolge bei'Neurasthenie und den 
Erschöpfungszuständen nach Psychosen und Neurosen; 
vor allem stellte sich eine erhebliche Besserung der nervösen 
Beschwerden ein. Eine gewisse Hebung des Ernährungszustandes 
ließ sich auch in den Fällen von Tabes, progressiver Paralyse 
und Paranoia nachweisen. 

Ueber die Verwendung des Nukleogens bei nerven¬ 
kranken Kindern hat Hoppe in der „Therapie der Gegen¬ 
wart“ berichtet (1907, Heft 11). Seine Erfahrungen .mit dem 
Mittel sind geradezu glänzende, besonders nachdem er an die 
subkutane Einverleibung des Nukleogens ging. Dazu veranlaßte 
ihn schon das Material von Kranken der Landes-Heil- und 
Pflegeanstalt Uchtspringe. Dieser Anstalt werden sehr häufig 
Kinder zugeführt, die infolge von Lähmungen und Krämpfen 
nur mit flüssiger Nahrung mit Hilfe der Saugflasche ernährt 
werden konnten. Bei dieser Ernährungsweise — meist Milch 
und Kaffee oder einem Gemenge von Milch und Brot — sahen 
die Kinder trotz aller Mühe der Pflegerinnen blaß, gedunsen 
und aufgeschwemmt aus und nahmen an Körpergewicht ab. 
Ein Versuch, den (selbst 6- bis 10 jährigen) Kindern eine kon¬ 
zentriertere Diät beizubringen, zeitigte Ernährungsstörungen 
und Schluckpneumonien. Hoppe gab nun Nukleogen innerlich 
zur Milch mit dem Erfolge, daß bedeutend weniger Eiweiß und 
Phosphor (auch Ca) ausgeschieden wurde, dagegen das Eisen 
des Nukleogen eine Vermehrung im Kot erfuhr (70% Eisen im 
Kot, bei Eisensomatose nur 50%). Wurde aber, wie später 
immer, Nukleogen subkutan einverleibt, so wurde viel mehr 
Eisen im Körper retiniert. In einem Falle versechsfachte sich 
innerhalb von drei Wochen die Zahl der roten Blutkörperchen 
und der Eisengehalt des Blutes stieg von 0,483 auf 0,80. 

Auch myxödemkranken Kindern wurde Nukleogen injiziert 
mit günstiger Wirkung und dem Resultate, daß die gleichfalls 
subkutan gegebenen Thyreoidinmengen bei gleichzeitigen Nuk- 
leogeninjektionen wesentlich erhöht werden konnten. Damit 
wurde der Altschen Forderung, es solle, um den Gefahren des 
Hyperthyreoidismus zu begegnen, zu erfolgreichen Thyreoidin- 
kuren reichliche Ernährung mit großem Gehalt an organischem 
Stickstoff und Phosphor hinzutreten, in bester WAise genügt. 

Schlesinger hat das Präparat vornehmlich in der Be- 

*) Diese Eigenschaft der Nukleinsäuren findet ihre praktische Ver¬ 
wendung in operativen Fällen, vornehmlich bei Karzinoma Uteri; die Ver¬ 
suche nach dieser Hinsicht sind noch nicht abgeschlossen, 


handlung der Neurasthenie verwendet (Medizinische Klinik, 
1907, Nr. 42). Bei 57% seiner Fälle hat er vorzügliche, bei 
23% gute Erfolge gesehen und kommt zu dem Resultate: 
Nukleogenjst ein völlig unschädliches Medikament, das in 
fast allen Fällen wenigstens Appetit und Stuhlgang, in der 
weitaus überwiegenden Zahl — die nötige Ausdauer voraus¬ 
gesetzt — die körperlichen, nervösen und psychischen Symptome 
der neurasthenischen Störung günstig beeinflußt. 

Nun zu meinen Fällen. Sie sind recht wenig zahlreich, 
aber die Erfolge, die ich in diesen bei Anwendung des Nuk¬ 
leogens gesehen, sind so günstig, daß ich das Mittel seither 
zahlreichen anderen Patienten gegeben habe und die Wirkung 
bei diesen zur Zeit beobachte. Angewendet habe ich das Medi¬ 
kament in Fällen von Erschöpfung, Neurasthenie, 
Tabes inzipiens und Chlorose. 

Die Fälle von Erschöpfung zeigten alle drei insofern 
eine Besserung, als das Allgemeinbefinden bedeutend gehoben 
werden konnte. Während zwei Fälle (eine auf psychischer 
Störung beruhende Unterernährung und ein Fall von malignem, 
inoperablem Blasentumor) nichts Besonderes in Hinsicht auf die 
Wirkung des Nukleogen bieten, war der dritte Fall, ein chro¬ 
nischer Morphinismus, nach dieser Richtung hin so beachtens¬ 
wert, daß ich über diesen einen Fall etwas eingehender be¬ 
richten zu müssen glaube. 

Herr J. K., 59jähriger Privatier, litt mit 27 Jahren an 
Asthma bronchiale, griff damals zum ersten Male zur Mor¬ 
phiumspritze, der er bis heute, über 32 Jahre, treu ergeben 
blieb. Selbstredend ist die mittlere Tagesdosis immer etwas in 
die Höhe gegangen. In den letzten acht Jahren, in welchen ich den 
Herrn zu beobachten Gelegenheit hatte, hat er sich durch¬ 
schnittlich täglich 50 Pravazspritzen einer 3% Morphiumlösung 
injiziert. Herr K. bietet alle Symptome des chronischen Mor¬ 
phinismus dar, Appetitlosigkeit, hochgradige Abmagerung (zirka 
45 Kilo), Abnahme der Schaffens- und Willenskraft, Energie¬ 
losigkeit, Tremor, schwere Schlaflosigkeit. Seine Kräfte sanken 
so sehr, daß er fast außerstande ist, zu gehen. Nur mühsam 
vermag er sich von einer Sitzgelegenheit zur anderen zu 
schleppen, sinkt ermattet nieder, wird teilnahmslos und leidet 
entsetzlich unter der Schlaflosigkeit und dem täglich wieder¬ 
kehrenden Stunden andauernden Morphium-Katzenjammer. 
Regelmäßiger Puls von etwa 80 bis 85 Schlägen, kein Fieber. 
Nahrungsaufnahme höchst minimal. Veronal brachte Schlaf. 
Das Allgemeinbefinden ward immer schlechter. 

Nunmehr gab ich dreimal täglich zwei Nukleogentabletten 
zu 0,05 g.. Nach einer Woche stellte sich etwas. Appetit ein, 
der zu einer einigermaßen befriedigenden Nahrungsaufnahme 
führte. Das Allgemeinbefinden hob sich und wurde nach etwa 
drei Wochen so gut, daß Patient zunächst am Stock ins Freie 
gehen konnte. Nach weiteren zwei Wochen führte der Patient 
wieder sein früheres Leben, das bei den schweren Intoxikations¬ 
erscheinungen kaum ein solches genannt werden konnte. 

Erst 1 3 / 4 Jahre später erlag Herr K. einer interkurrenten fieber¬ 
haften Bronchitis. Nach seinen Angaben konnte ich zusammen¬ 
fassend feststellen, daß er Zeit seines Lebens im ganzen 27 Pfund 
Morphium in Substanz verbrauchte, etwa 474 500 subkutane 
Injektionen machte, also fast fünf Hektoliter Lösung verspritzte. 

In den Fällen (5) von Neurasthenie und (1) von 
Tabesinzipiens waren die mit Nukleogen erreichten Resultate 
auch ganz vorzügliche. Die körperlichen und psychischen 
Symptome wurden gebessert, das Allgemeinbefinden hob sich. 
Bei einem schweren Neurastheniker (Eisenbahnunfall) war die 
Wirkung auffallend und anhaltend. 

Auch die wenigen Fälle von Chlorose, die ich mit 
Nukleogen zu behandeln Gelegenheit hatte, reagierten auf das 
Medikament sehr günstig. Doch gab ich das Mittel nur in 
Fällen von Blutarmut, bei denen mich hysterische oder neur- 
asthenische Symptome dazu veranlaßten. Bei der Chlorose 
junger Mädchen verabreichte ich es bisher nicht. 

Die Darreichung geschah in der üblichen Form der Pastillen 
zu 0,05 Gramm. Diese sind äußerst klein und geschmacklos 
und wurden bereitwilligst genommen. Täglich dreimal wurden 
je zwei solcher Pastillen mit dem Essen verabreicht. 


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Die Hämorrhoiden und deren Behandlung. 

Voii Br, W: \Veiss in Berlin. 

In den letzten Jahren hat sich das Interesse der medizini¬ 
schen Forschung wieder mehr einem Gebiete zugewandt, das 
•der Natur der Sache nach dem Gros der Aerzte nicht sehr 
verlockend sein kann, den Hämorrhoiden. Besteht doch nicht 
nur beim Publikum eine gewisse Scheu, wegen Beschwerden 
in der Aftergegend frühzeitig zum Arzte zu gehen.. Blüht doch 
gerade' hier die, Selbstbehandlung, das Geheimmittelunwesen 
und die Kurpfuscherei in besonderem Maße. Und findet man 
doch auch bei der Mehrzahl der Aerzte eine gewisse Ab¬ 
neigung, systematisch gegen die Klagen der Analkranken vor¬ 
zugehen, weil die Sache „so unappetitlich“ sei. 

Mit großem Unrecht. Denn gerade auf diesem Gebiete 
sind die Beschwerden der Kranken oft arg und ununter- 
drückbar, wirken auch in besonderem Maße auf das Gemüt 
ein und führen relativ schnell zu Verstimmungen, Reizbarkeit 
und Hypochondrie, die den Kranken selbst wie ihrer Umgebung 
das Leben verbittern. 

Das Publikum muß erzogen werden, auch mit seinen 
Mastdarmbeschwerden früh zum Arzte zu gehen. Und der 
Arzt sollte sich daran gewöhnen, seine Rektalkranken ebenso 
systematisch zu untersuchen und zu behandeln, wie es der 
Gynäkologe auf seinem Gebiete seit lange gewöhnt ist. Hätten 
wir erst die Gepflogenheit, daß der Hämorrhoidarier mit Finger 
und Spekulum untersucht und dann rationell behandelt wird, 
dann würden seine Klagen schnell verstummen, und — so 
mancher Mastdarmkrebs würde rechtzeitig erkannt werden, 
der sonst inoperabel zur Diagnose kommt, nachdem ihn sein 
Träger monatelang mit Pillen, Tränkchen, Haus- und Geheim¬ 
mitteln selbst „behandelt“ hat. 

Die digitale Untersuchung der Mastdarmhöhle ist ja all 
ihrer Schrecken entkleidet, wenn man zu ihr die so billigen und 
dabei vorzüglichen Kondomfingerlinge verwendet, die bei Gynä¬ 
kologen und Urologen seit lange im Gebrauche sind, die man 
aber bei dem Praktiker auf dem Lande nur selten antrifft. 
Wenn man sie gut einfettet und nach Gebrauch mit etwas 
Watte oder Papier vorsichtig abstreift, dann zeigt der Finger 
keine Spur von Fäkalgeruch, und jede Desodorierung mit 
Seifen, Formalin, Sublimat oder Eau de Cologne ist unnötig. 
Der Mastdarmspiegel aber sollte ebenso verbreitet sein wie 
das Vaginalspekulum, zumal er ebenso leicht zu hand¬ 
haben ist. 

Hat man bei einem Kranken Hämorrhoiden nachgewiesen, 
" dann nehme man den Fall in systematische Behandlung. 

Man forsche zunächst nach ätiologischen Momenten. Herz-, 
Nieren- und Leberleiden, die ja schnell zu Hämorrhoidal- 
beschwerden führen, verlangen ihre eigene Behandlung, deren 
Erfolge auch den letzteren Abhilfe schaffen. Aszites, Tumoren 
der Bauchhöhle usw. sind selten im Vergleich zu der kolossalen 
Zahl der Hämorrhoidarier. In der Hauptsache sind es chroni¬ 
sche Verdauungsstörungen, die zu Hämorrhoiden führen. Die 
Kranken sind, oft lange Zeit hindurch, habituell verstopft, 
haben sich einer regelmäßigen Defäkation entwöhnt und 
schließlich eine solche Uebeilastung der Abdominalhöhle er¬ 
worben, daß sich Hämorrhoiden, „Varizen der Mastdarmvenen“, 
allmählich ausbilden müssen. 

Es ist eine seit Jahrhunderten bekannte Tatsache, daß 
Leute, die eine „sitzende Lebensweise“ führen, in besonderem 
Maße zu Hämorrhoiden neigen. Ebenso bekannt ist, daß 
Frauen daran leiden, die ja fast ausnahmslos habituell ver¬ 
stopft sind, vor allem' darum, weil sie infolge des seit früher 
Jugend geübten Korsettragens eine derartige Inaktivität der 
Bauchmuskulatur erworben haben, daß sie der Anstrengung 
einer gründlichen Defäkation nicht gewachsen sind, zumal 
wenn durch wiederholte Schwangerschaften auch noch eine 
Ueberdehnung und Erschlaffung der Bauchmuskeln entstan¬ 
den ist. 

Ein sehr wichtiges ätiologisches Moment ist die Ueber- 
fütterung, deren sich der Kulturmensch im allgemeinen 
schuldig macht. Die meisten Menschen essen zuviel, vor 
allem zuviel Fleisch. Wir finden daher, daß bei Nationen, 


die anerkannt starke Fleischesser sind, wie die Engländer 
oder die Buren, die Hämorrhoiden außerordentlich verbreitet 
sind. 

Noch mehr kommt der Alkohol in Betracht, der infolge 
der verbreiteten Trinkunsitten für fast jeden Menschen ein 
tägliches Genußmittel geworden ist und durch die von ihm 
erzeugte chronische Hyperämie und Entzündung des Magens 
und der Leber sowie des ganzen Pfortadersystems zu einer 
tatsächlichen Plethora der Unterleibsorgane führt, deren End¬ 
resultat die Varizen am Mastdarm sind. 

Ein Rückblick auf diese ätiologischen Momente führt von 
selbst zu der Therapie, mit der wir die Hämorrhoiden anzu¬ 
greifen haben; die Vermehrung der Muskeltätigkeit und die 
Regelung der Diät, verbunden mit systematischer Bekämpfung 
der Verstopfung. Erfüllen wir diese Postulate, so beseitigen 
wir die Ursachen * der Hämorrhoiden, und diese verschwinden 
allmählich von selbst. 

Die Vermehrung der Muskeltätigkeit muß in rationeller 
Weise und mit großer Beharrlichkeit durchgeführt werden. In 
erster Linie dient hierzu das Gehen, aber nicht in der Form 
des gemütlichen „Bummelns“, sondern in sportmäßiger Weise 
betrieben. Man verordne bestimmte Touren, beginne mit 
kleinen Strecken und gehe zu immer bedeutenderen Leistungen 
über, bis sich der Kranke daran gewöhnt hat, Vj 2 bis 2 Stunden 
täglich, auch bei schlechtem Wetter, zu marschieren. Man 
lasse ihn fest ausschreiten und dabei eine gründliche Atem¬ 
gymnastik üben. Vier Schritte Einatmung, vier Schritte Aus¬ 
atmung, mit der Genauigkeit eines Uhrwerkes ausgeführt, ist 
eine Uebung, die auch dem Anfänger nicht schwer fällt, und 
die bald gesteigert werden kann auf je sechs, ja sogar je acht 
Schritte. Einatmung wie Ausatmung wird dabei wesentlich 
verbessert, tiefe Atemzüge bis zum Maximum der Lungen¬ 
kapazität werden zur Gewohnheit, und es stellt sich bei dem 
Wandernden ein ungeahntes Wohlgefühl ein, das ihm diese 
Uebungen sehr bald zu einem wahren Bedürfnis macht, wie 
er es in keinem Zandersaal und auf keinem Velotrab empfin¬ 
den wird. 

Eine zweite, allerdings nicht so einfache Methode, die 
Muskeltätigkeit zu heben, ist die Zimmergymnastik. Voraus¬ 
setzung ist bei ihr das Ueben bei geöffnetem Fenster und ohne 
Beengung durch einschnürende Kleidung. Ganz Hervorragendes 
leistet hier das Sandowsystem, das von diesem Meister der 
Körperpflege in seinem Institut für ,.physical culture“ in London 
in feinster Weise zur Durchführung gebracht ist. Seine „Griff¬ 
hanteln“, die auf dem Prinzip beruhen, daß der Hebende jede 
Muskelaktion mit Konzentration seiner vollen Aufmerksamkeit 
auf sie auszuführen hat, bieten eine solche Fülle gymnastischer 
Möglichkeiten, daß ihre Anschaffung jedem, vor allem dem 
Hämorrhoidarier, nur zu empfehlen ist. Auch Sandows 
„combined developper“, ein Apparat von Ringen und elastischen 
Zügen, der an einem Türpfosten im Schlafzimmer befestigt 
und täglich morgens wie abends eine Viertelstunde lang be¬ 
nutzt werden kann, leistet Großartiges. Ebenso wird Müllers 
so schnell bekannt gewordenes System von vielen empfohlen, 
der alten Sch reb ergymnastik nicht zu vergessen, die viele 
ganz vorzügliche Uebungen aufzuweisen hat. 

Wer Zeit übrig hat, wird sich mit Schwimmen den Körper 
stählen, auch Fechtboden und Turnhalle besuchen. Doch er¬ 
setzen diese Sportübungen nicht die Wander- und Zimmer¬ 
gymnastik, weil sie nicht so einfach sind. Jeder Arbeiter, 
jedes Ladenmädchen kann auf dem Wege von und zu der 
Arbeitsstätte Wandergymnastik treiben, auch morgens und 
abends hanteln, während zum Besuch von Turnhallen usw. die 
Zeit und — das Geld fehlt. 

Die Regelung der Diät nebst Bekämpfung der Verstopfung 
geschieht am besten dadurch, daß man häufige, aber kleine 
Mahlzeiten anordnet, wie sie bei Neurasthenikern, Epileptikern, 
Herzkranken und dergl. schon seit lange empfohlen sind, daß 
man viel weniger essen läßt, als die allgemeine Sitte heischt, 
und daß man den Körper daran gewöhnt, das, was er auf¬ 
nimmt, auch zu verdauen. Ein Darm kann aber nichts leisten, 
wenn man ihn mit Tabletten und Extrakten füttert. Man gebe 
ihm lieber reichlich Gemüse und Brot, vor allem Graham- oder 




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322 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 20 


Kommißbrot; die kann er auslaugen und hat dann wenigstens 
einen Rückstand für die Bildung des Kotes. Man schränke den 
Fleischgenuß ein und vor allem den Alkoholkonsum, der, wie 
schon oben geklagt, bei den Kulturnationen ein Mißbrauch ist, 
den nicht das Alter geheiligt hat. Der Alkohol sollte, wie es 
in verschiedenen Staaten Amerikas bereits gesetzlich einge¬ 
führt ist, nur als Heilmittel zugelassen sein und nur in Apo¬ 
theken verkauft werden dürfen. Was die Amerikaner können, 
das können wir auch. Es regt sich ja zum Glück überall ein 
Kampf gegen diesen Erbfeind der Menschheit, und in Amerika, 
England^ Schweden, Finnland gibt es schon zahlreiche Ge¬ 
meinden, in denen man keinem Betrunkenen mehr begegnet. 

Die Bekämpfung der Verstopfung, soweit eine solche noch 
übrig bleibt bei einem Kranken, der mit Körperpflege und 
vernünftiger Diät sich einige Zeit „trainiert“ hat, ist eine ziem¬ 
lich einfache Aufgabe, wenn man sich an den Grundsatz hält, 
nur im Notfälle Abführmittel zu geben und unter diesen häufig 
zu wechseln. Selbstmassage des Bauches morgens im Bett, 
ein Klistier bei der Toilette, ein Glyzerinzäpfchen, ein Glas 
Bitterwasser auf nüchternen Magen, eine Rhabarber- oder Podo- 
phyllinpille am Abend, Kaskara in der so ungemein prak¬ 
tischen Form der Tabloids, von Burroughs, Wellcome & Co. 
in London — mit diesem Rüstzeug kommt man aus, obschon 
ja zugegeben werden muß, daß gerade auf diesem Gebiet eine 
Ueberproduktion an Heilmitteln und — Geheimmitteln Platz 
gegriffen hat, die ins Uferlose zu streben scheint. Basiert sio | 
doch auf dem Hang der Menschheit zur Bequemlichkeit, ja 
Faulheit. So wie die alten Römer nach einem guten Festessen 
gern ein Brechmittel nahmen, um die Folgen ihrer Völlerei zu 
beseitigen, so greift auch die moderne Salondame lieber nach 
ihrem # Tamar indien, ihrem Laxin, Fomitin, Regulin e tutti 
quapti, als daß sie Gymnastik treibt und Brot und Obst zum 
Abendbrot ißt. 

Fertig ausgebildete Hämorrhoiden, die trotz einer Behand¬ 
lung nach dem oben skizzierten System nicht zurückgehen, 
sind zu behandeln, ob sie Beschwerden machen oder nicht. 
Man unterstützt nur den alten Schlendrian, wenn man wartet, 
bis die Knoten bluten, sich einklemmen oder gar vereitern. 
Ihre radikale Entfernung ist nur auf chirurgischem Wege mög¬ 
lich, und es dürfte sich dafür in erster Linie der Paquelin 
eignen, mit dem man auf den Blättern einer Hämorrhoidal- 
zange bequem, gründlich und doch langsam die einzelnen 
Knoten verkohlen kann, während die ätzenden Säuren un¬ 
sichere Gerinnsel schaffen und der abschnürende Faden leicht 
gefährliche Geschwüre setzt. 

Aber ehe man zu so extremen Mitteln greift, kann man 
noch viel tun, um die Gefahren der Hämorrhoiden zu beseitigen. 
Man halte auf peinlichste Sauberkeit — der Hämorrhoidarier 
sollte seine Analgegend ebenso sorgfältig pflegen wie seine 
Mundhöhle —, damit das Juckgefühl und das resultierende 
Ekzem ausbleiben und etwaige Blutungen nicht zu Eiterungen 
und Fissurenbildung führen. Man dulde keine Knoten außer¬ 
halb des Sphinkterringes, da diese sich erfahrungsgemäß über 
kurz oder lang doch einklemmen. Man reponiere sie vielmehr 
mit eingeöltem Kondomfinger in Knie-Ellenbogenlage des 
Kranken und sorge, daß er durch längeres Verweilen in Seiten¬ 
lage die reponierten Knoten auch drin behält. 

Vorzüglich bewährt sind die Hämorrhoidalpessare, wie sie 
die praktischen Amerikaner mit Vorliebe auf den Markt bringen. 
Mögen es Hantel-, Keulen- oder Stiftpessare sein: sie sind 
alle zu empfehlen; am meisten wohl die Pessare in Keilform, 
die mit ihrem dünnen Stiel den Sphinkter am wenigsten in¬ 
kommodieren, einen kräftigen und doch nachgiebigen Druck 
auf die Mastdarmvenen ausüben und durch den bekannten 
„Auftrieb“, den sie hervorrufen, eine aktive muskuläre 
Depletion derselben bewirken. 

Wenn diese Keilpessare aus Weichgummi gefertigt und 
innen hohl sind, so können sie nie reizen oder gar verletzen. 
Sie eignen sich dann auch als Salbenträger, sei es daß man 
schmerzstillende oder adstringierende oder purgierende Salben 
anwendet. Man muß nur dafür sorgen, daß sie auf der Ober¬ 
fläche gelocht sind, damit die Salbe ans dem Hohlraum in dio 
Mastdarmhöhle gepreßt werden kann. 


Sehr praktisch und mit Unrecht von vielen Aerzten mit 
scheelen Augen angesehen — wohl wegen der kolossalen 
Reklame, mit der sie vertrieben werden — sind die ver¬ 
schiedenen, maschinell hergestellten Zäpfchen, die im wesent¬ 
lichen heilend auf die Hämorrhoiden einwirken. Am be¬ 
kanntesten sind wohl die Anusolzäpfchen, deren Hauptbestand¬ 
teil Jod - Resorzin-sulfosaures Wismut ist. Noch wirksamer 
ist das in allerneuester Zeit empfohlene Kalziumchlorid (Ca CI 2 ), 
das direkt blutstillend wirkt. Es ist jetzt von der Firma Noris, 
Zahn & Co. in Berlin unter dem Namen „Noridal“ auf den 
Markt gebracht worden und stellt, in Form der „Noridalzäpfchen“ 
in seiner Verbindung mit Jodkalzium, Paranephrin und Peru¬ 
balsam ein vorzügliches Heilmittel dar, das zu großen Hoff¬ 
nungen berechtigt. 

Im Auslande, von dem wir noch manches annehmen könnten, 
ohne unserer Nationalehre zu nahe zu treten, sind die Zäpfchen 
aus der bekannten Londoner Fabrik von Burroughs, Wellcome & 
Co. am meisten verbreitet. Sie führen als wesentlichsten Be¬ 
standteil Präparate der Hamamelis virginiana, die schmerzlindernd 
und eminent blutstillend wirken. Die einfacheren Zäpfchen 
sind die „Hezeline“-Suppositorien, die komplizierteren dio 
„En ule “-Zäpfchen. Beide sind ganz vorzüglich, wobei freilich 
zugegeben werden muß, daß die „Enule“ Flecken in der 
Wäsche macht. 

Sicher wird uns die Großindustrie auch auf diesem Gebiet 
noch mit manchen Neuigkeiten überraschen. In den oben er¬ 
wähnten Noridal-Zäpfchen liegt ja eine solche, und zwar eine 
sehr vielversprechende therapeutische Bereicherung bereits vor, 
mit der wir wohl allen Ansprüchen gerecht werden können. 


„Spezifikum“. 

Die dankenswerten Anregungen, die die Redaktion der Berl. 
klin. Wochenschr. in letzter Zeit gegeben hat, um die medizinische 
Publizistik von allerlei Unkraut zu säubern, verdienen von allen 
Seiten beherzigt und unterstützt zu werden, und werden sicher¬ 
lich dazu beitragen, den „bezahlten* 1 Autoren das Handwerk emp¬ 
findlich — hoffentlich gänzlich — zu legen. Die Reinigung der 
medizinischen Presse sollte aber vor dem Inseratenteil nicht Halt 
machen. Eine noch so glänzend redigierte Zeitschrift macht einen 
schlechten Eindruck, wenn im Inseratenteil Präparate zweifelhafter 
Art in marktschreierischer Weise angepriesen werden. Noch immer 
spuken in einigen Zeitschriften Inserate, von denen jeder Redak¬ 
teur wissen sollte, daß sie anrüchig sind, auch wenn die darin 
empfohlenen Präparate noch nicht auf der Geheimmittelliste stehen 
oder für diese nicht geeignet sind. M. E. ist es auch — trotz 
der Insertionsverträge — nicht zulässig, daß die Puro-Annonce 
noch immer weiter in ihrer bisherigen Form erscheint, nachdem 
die letzten Wochen ein sonderbares Licht auf die Fabrikations¬ 
und Vertriebs weise dieses „Fleischsaftes“ geworfen haben, und 
ich stimme durchaus mit Dr. Hellpach überein, wenn er es in 
den Aerztl. Mitteil., Nr. 18, S. 321, als eine „Trübung unserer 
Würde und Reinlichkeit“, als eine „beklagenswerte Tatsache“ 
hinstellt, daß „die medizinische Presse genötigt ist, für etwas im 
Anzeige teil Reklame zu machen, was sie im redaktionellen Teil 
bekämpft“. 

Wenn man nun auch die Puro-Angelegenheit als Ausnahme¬ 
fall gelten lassen will, den Vorwurf kann ich mehreren Zeitschriften 
nicht ersparen, daß sie Inserate bringen, die nicht in die medizini¬ 
sche Presse hineingehören oder die durch ihre Fassung Anstoß 
erregen. Namentlich mit dem Titel Spezifikum wird bekannter¬ 
maßen ein erheblicher Unfug getrieben. So wird — um nur 
einige mir gerade zur Hand liegenden Beispiele zu erwähnen — 
ein Präparat, aus Milchkasein und glyzerinphosphorsaurem Natrium 
bestehend, als „spezifisches Tonikum“ bei Neurasthenie und Hysterie 
in den führenden Zeitschriften angezeigt; und in denselben führen¬ 
den Zeitschriften erhebt ein Mineralwasser in seitenlangen Inseraten 
den ungeheuerlichen Anspruch, Spezifikum gegen Diabetes mellitus, 
ferner gegen Leberkrankheiten, Katarrhe der Gallenwege, Magen- 
und Darink ran kheiten, besonders Hyperazidität, Magengeschwüre, 
Dünn- und Dickdarmkatarrhe, ferner gegen Arteriosklerose zur 
Erhöhung der Blutalkaleszenz uud Viskosität des Blutes zu sein, 








A FEOTISCflE RUNDSCHAU. 


323 


während es sich“ in einer anderen medizinischen Zeitschrift be¬ 
scheiden als vorzügliches, sozusagen spezifisches Mittel 
gegen Gicht und Diabetes, Harngries, Nierensteine, akute und 
chronische Blasenkatarrhe, Magen- und Darmkrankheiten empfiehlt. 


Ich bin der Meinung, daß eine Sanierung auöh des Inseraten¬ 
teils der medizinischen Presse not tut und daß diese am besten 
durchgeführt werden kann, wenn den Redakteuren die Inserate 
vor dem Abdruck vorgelegt werden und ihnen das Recht zusteht, 
über die Zulässigkeit der Aufnahme derselben zu entscheiden. 

Lungwitz. 



Innere Medizin. 

Referent: Dr. O. Burwinkel -Nauheim (Winter San Remo). 

Vom 25. Kongreß für innere Medizin zu Wien vom 6. 
bis 9. April 1908. 

Der diesjährige Kongreß brachte eine Reibe von Vorträgen, 
die ein hervorragendes praktisches Interesse beanspruchen dürften. 
Schon in der Eröffnungsrede sprach der Vorsitzende Fr. v. Müller- 
München sehr bemerkenswerte Worte über die der inneren Medizin 
gebührende Stellung. Das zu groß gewordene Gebiet der inneren 
Medizin rechtfertigt' durchaus eine Aufteilung in Spezialfächer und 
-Kongresse. Aber die Spezialitäten dürfen niemals den nötigen 
Zusammenhang mit der inneren Medizin verlieren, ein einseitiges 
Spezialistentum muß entschieden bekämpft werden. Die innere 
Klinik muß als starke Zentrale bestehen bleiben, schon aus dem 
Grunde, weil wir für das Land und die kleinen Städte tüchtige 
allseitig gebildete Aerzte notwendig haben. Viel leichter findet 
man einen guten Spezialarzt als einen guten Hausarzt. Die 
Neurologie und Urologie dürfen ebensowenig strenge Sondergebiete 
werden wie die Infektionskrankheiten. Der Wiener Schule, 
welche die innere Medizin in innige Verbindung mit der patho¬ 
logischen Anatomie gebracht hat, ist ihre Erhebung zur wirklichen 
Wissenschaft zu dänken. Dieser pathologisch-anatomischen Aera 
folgte dann die physiologische Aera (Joh. Müller). Unser Zeit¬ 
alter könnte man das ätiologische nennen; neben der Anatomie 
und Physiologie wollen auch die Chemie und Physik berücksich¬ 
tigt sein. Im Interesse der Ausbildung der Mediziner müssen 
wir an Stelle der bisherigen Physik „der höheren Töchterschule 14 
eine „männliche Physik 44 verlangen. Redner mahnt dann noch die 
Redakteure, sie möchten doch dem ungesunden Anwachsen der 
medizinischen Literatur Einhalt gebieten und nur wirklich Brauch¬ 
bares drucken lassen. Ebenso sei es an der Zeit, mit der Neu¬ 
gründung von Journalen und Zeitschriften aufzuhören. 

Das Referat über das erste Hauptthema „Die Beziehungen 
der weiblichen Geschlechtsorgane zu inneren Er¬ 
krankungen“ erstattete v. Rosthorn. Seine Ausführungen 
sind mehr für den Frauenarzt von Interesse, während der Kor¬ 
referent Lenhartz-Hamburg vom Standpunkt des Internisten 
wertvolle Ausblicke gab. Auch er betont, daß die innere Medizin 
immer unsere Mutter bleiben müsse. Hier muß der Arzt gut 
ausgebildet werden, dann wird er befähigt sein, auch andere Ge¬ 
biete richtig zu beurteilen und selbständig zu handeln. Der Haus¬ 
arzt muß entscheiden können, ob die bei der Menstruation, Gra¬ 
vidität und Laktation auftretenden Beschwerden nur funktioneller 
Natur und durch mangelhafte Energie, schlechte Erziehung und 
Hysterie hervorgebracht sind. Die Erfahrung kann da nur läutern. 

Wie oft stellen sich bei psychisch labilen Frauen anginöse 
Herzbeschwerden und Schilddrüsenschwellung mit Nasenbluten 
während der Menses ein. Oefters stellt sich auch kurz vor Be¬ 
ginn oder am ersten Tage der Menses ein Menstruationsfieber 
ein. Ein Ausbleiben der Menses kann Folge von Schreck und 
Chlorose sein. Die Emesis gravidarum ist keine einfache Reflex¬ 
neurose, sonst könnte sie nicht ohne weiteres im vierten oder 
fünften Monat aufhören; hier sprechen toxische Momente mit, 
wie bei der Eklampsie und Chorea gravidarum. In der Schwanger¬ 


schaft bildet sich öfters eine allerdings klinisch selten nachweis¬ 
bare Herzhypertrophie aus, wie dies durch Müllers Befunde an 
plötzlich verstorbenen Schwangeren sicher erwiesen ist. Dagegen 
erzeugt die Gravidität an sich weder Endokarditis noch Klappen¬ 
fehler, wohl aber kommen diese ebenso wie Neuritis bei puerperalen 
Prozessen vor. Bekannt ist die Neigung zum Fettansatz während 
der Gravidität. Bei klimakterischen Herzbeschwerden werden oft 
Herzhypertrophie und Arteriosklerose angetroffen, denen eine 
arterielle Hypertension vorauszugehen pflegt. Auffallend ist der 
häufige Herztod bei Myomoperationen, obschon der Eingriff nicht 
so bedeutend ist, wie bei Entfernung eines karzinomatösen Uterus. 
Trotzdem ist es bisher nicht gelungen, ein „Myomherz“ zu be¬ 
schreiben. Der Genitalapparat wird von inneren Krankheiten viel¬ 
fach influenziert: Fettsucht bedingt Menstruationsanomalien, Diabetes 
erschwert die Konzeption und erzeugt oft Abort und Pruritus 
vulvae. Die Tuberkulose führt oft zur Amenorrhoe, sie pflegt 
durch Schwangerschaft und Geburt verschlimmert oder auch zum 
Ausbruch gebracht zu werden. Beim Basedow sind die Menses, 
zumal bei stärkeren Symptomen, stets unregelmäßig, dagegen 
machen sich Gravidität und Geburt nicht ungünstig bemerkbar. 
Bei Nierenleiden ist Gravidität wegen der Gefahr von Eklampsie 
stets bedenklich. Blasen- und Nierenbeckenkatarrhe pflegen zur 
Zeit der Menses eine Verschlimmerung zu erfahren. Nicht selten 
verschwinden bei nervösen Frauen die zuvor bestehenden gastri¬ 
schen Beschwerden in der Gravidität. Gelegentlich tritt Ikterus 
sechs bis acht Tage vor der Menstruation auf, der mit Einsetzen 
der Blutung wieder verschwindet. Infektionskrankheiten bringen 
die Gefahr des Abortes mit sich. 

Die Therapie ist auch bei den Gynäkologen eine weniger 
aktive geworden, leider mehr in litteris als in praxi! Noch immer 
wird bei den auf neurasthenischer und hysterischer Basis be¬ 
ruhenden Störungen, wie sie bei Dj^smenorrliöe und Retroflexio 
uteri Vorkommen, viel zu viel mit Aetzen, Brennen, Pinseln, 
Tamponade vorgegangen. Man muß wissen, daß nervöse und 
hysterische Frauen auch bei völlig gesunden Genitalorganen oft 
Schmerzen empfinden. Uebrigens ist an der gynäkologischen Poly¬ 
pragmasie keineswegs allein die Mania operatoria activa vieler 
Aerzte schuld, sondern auch die Mania operatoria passiva vieler 
verblendeter Frauen, die alles auf die Sexualorgane zurückfuhren 
und absolut operiert zu werden verlangen. Diese Vorstellung der 
Frauen muß durchbrochen werden. Entfernung aus der gewohnten 
Umgebung, Isolierung, Ernährungskuren und psychische Beein¬ 
flussung führen zur Heilung. Ist die Ehe steril, so berücksichtige 
man auch den Gatten und veischone bei dessen Schuld die ohne¬ 
dies schon unglücklichen Frauen mit lokaler Behandlung. Die 
Frage, sollen junge Mädchen während der Regel vom Schulbesuch 
ferngehalten und für zwei bis drei Tage ins Bett gelegt werden, 
ist unbedingt zu verneinen. Das Liegen suggeriert nur das Krank¬ 
sein , Arbeit und Bewegung halten vom Grübeln ab und sorgen 
für richtige Blutverteilung. Bezüglich der künstlichen Unter¬ 
brechung der Schwangerschaft teilt Lenhartz den reservierten 
Standpunkt Veits und leitet sie nur bei wirklich bedrohter 
Lebensgefahr ein. In der Behandlung von Puerperalfieber gibt 
die transperitoneale Venenunterbindung nach Bum in vorzügliche 
Resultate. 

In der Diskussion weist Tu r bau-Davos auf die verminderte 
Widerstandskraft des weiblichen Organismus vor dem Eintreten 
der Menstruation hin. Es treten dann gern Furunkel, Erisypel 
und Anginen ein. Bei Tuberkulösen summieren sich die Schäd¬ 
lichkeiten , indem schon die Menstruation und dann noch die 
Tuberkeltoxine vasomotorische Schwankungen hervorbringen. Husten, 
Hämoptoe, Auswurf, selbst Auftreten von Bazillen im Sputum 
weisen auf den Kongestionszustand hin. Oefters steigt die Körper¬ 
temperatur Stunden und selbst Tage vor der Menstruation an. 
Dieser Typus prämenstrualis hat nicht die prognostisch ungünstige 
Bedeutung wie der Typus postmenstruahs. Im Klimakterium 
nimmt beim weiblichen Geschlecht die Tuberkulosemortalität ab. 

Nach Stintzing-Jena ist Gravidität bei dekompensiertem 
Klappenfehler bedenklich und verlangt oft künstlichen Abort. Bei 
kompensierten Fehlern hängt die Prognose sehr von der sozialen 
Lage ab. Beim Basedow sieht man mit eintretender Gravidität 
öfters Nachlassen der Erscheinungen, und es liegt kein Grund zum 
Eingreifen vor. Bei der Tuberkulose muß von Fall zu Fall ent- 


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schieden werden: ist die Phthise erst im Beginn und fieberlos, Die Therapie hat den Zweck, das Virus selbst zü töten-, Hei 

dann lasse man die Sache gehen; bei akuten Fällen und bei an- Tieren erwies sich das Atoxyl dem Hg überlegen, gegen Welches 

haltendem Fieber ist der Abort angezeigt. Bei vorgeschrittenen die Tiere sehr empfindlich sind, Atoxyl brachte in 40 bis Ö0% 

Fällen ist das Austragen der Frucht nicht gefährlicher als die völlige Heilung, Wie dies durch mehrmalige Reiüfektioii desselbeh 

künstliche Frühgeburt. S c ho 11-Nauheim ist auf Grund übler Tieres zu beweisen war. Beim Menschen müß die beste Methode 

Erfahrungen von seiner früheren Ansicht abgekommen, daß Mitral- der Atoxylanwendung noch herausgefunden werden. Das Azet- 

stenose mit Schwangerschaft gut vereinbar sei; ebenso hat er oft atoxyl scheint weniger giftig und doch wirksamer zu sein. Durch 

bei Basedowkranken raschen Kräfteverfall in der Schwangerschaft Präventivbehandlung mit Atoxyl (sieben bis acht Tage post infek- 

beobachten können. Klem p er er-Berlin hat bei zwölf Patienten tionem) kann man die Tiere heilen, ehe sie überhaupt krank ge- 

mit der Diagnose Morbus Brightii nachgewiesen, daß es sich um worden sind. Atoxyl tötet die Spirochaeten, ebenso Hg. Neißer 

einfache prämenstruelle Albuminurie handelte. Er empfiehlt die stellt beim Menschen als therapeutischen Grundsatz auf: Jeder 

Darreichung von Gelatine bei profusen Menses. Pin el es-Wien Syphilitische soll, zumal bei der ersten Kur, so energisch mit Hg 

bringt die Heberdeenschen Knoten in Beziehung zum Klimakterium; behandelt werden, als er es mit Rücksicht auf die Nieren und 

er fand sie bei fünf Frauen im Alter von 31 bis 39 Jahren, die etwaige Stomatitis nur verträgt. Eine richtig durchgeführte 

durch Operation ihre Menses verloren hatten. Auch die sogen. Inunktionskur ist das Beste. Bequemer sind allerdings die Injek- 

karnsaure Diathese ist häufig beim Climax artificiale. Pariser- tionen, doch nehme man volle und nicht verzettelte Dosen. Auch 

Homburg hält die prämenstruelle Zeit bei früher bestandenem Jod und Chinin sind wirkliche Heilmittel. Schutzimpfung und 

Ulkus ventrikuli und bei Cholelithiasis für kritisch; er läßt noch Serumtherapie ergaben bisher keine brauchbaren Resultate. Redner 

längere Zeit nach eingetretener Heilung um diese Tage herum schließt mit der optimistischen Versicherung, daß man in abseh- 

Ruhe und Diät beobachten. Im Schlußwort weist Rosthorn auf barer Zeit die Syphilis nur noch in ihren Anfangsstadien zu Gesicht 

die intermittierende Hydronephrose hin, die bei retroflektiertem bekommen werde. 

Uterus mit den Menses auftritt und dann verschwindet. Wassermann-Berlin schildert sodann „Die Serodia- 

„Der gegenwärtige Stand der Pathologie und gnostik und ihre Bedeutung für die ärztliche Praxis“. 

Therapie der Syphilis“ wird von N e i ß e r - Breslau dargelegt. Die von ihm angegebene Methodik gestattet insofern eine sichere 

Die Spirochaeta pallida Schaudinni ist der wirkliche Krankheits- Diagnose, als bei positivem Ausfall unbedingt Syphilis vorliegt; 

erreger. Die Experimente von Metschnikoff und Roux lehren, c ^ er negative Ausfall beweist aber nicht das Gegenteil. Die 

daß die höheren Affenarten für das Virus empfänglich sind und Methode ist reif für die Praxis und muß Allgemeingut der Aerzte 
unter den gleichen Erscheinungen erkranken wie der Mensch, werden. Sie gestattet die Differentialdiagnose bei beginnender 

Neißer und Finger gelang auch die Infizierung niederer Affen Paralyse, bei vielen Leberkrankheiten, bei Ammenwahl. Dem An- 

mit Syphilis; bei diesen entwickeln sich allerdings Primäraffekte sinnen der Apotheker, die Untersuchung zu erlernen und auszu- 

nur an den Augenbrauen und Genitalien, und Sekundärerscheinungen führen, hat der Redner rundweg widersprochen. Das ist Sache 

bleiben aus. Durch fortgesetzte Ueberimpfung von Tier zu Tier des Arztes. In zwei bis drei Wochen läßt sich die Methode er- 

werden die Spirochaeten nicht abgeschwächt in ihrer Virulenz lernen und die Einrichtung von Kursen ist anzustreben. Ehr- 

sondern eher noch giftiger. Die Serodiagnostik ist von hervor- mann-Wien erklärt besonders solche Leute für Tabes und 

ragender Wichtigkeit für die Praxis. Der positive Ausfall der Paralyse disponiert, deren Syphilis ohne Exanthem verlaufen ist. 

Reaktion beweist mit Sicherheit, daß wir ein syphilitisches Indi- Lenz mann-Duisburg erzielte durch intravenöse Chinin-Injektionen 

viduum vor uns haben, welches noch Träger von Spirochaeten ist. (10% und 0,7% NaCl) bei allen Stadien und Formen der Syphilis 

Diese können stets wieder virulent werden und Tertiärsymptome überraschende Heilerfolge. Die Sekundärerscheinungen verschwanden 

hervorbringen. Wir sind jetzt in der Lage, durch den Spiro- schon nach vier bis fünf Injektionen. Zum Schluß läßt die 

chaetennachweis sofort die syphilitische Natur des Primäraffektes Wirkung allerdings nach; man muß dann zum Hg greifen, welches 

sicherzustellen. Es gibt auch Syphilis ohne Sekundärerscheinungen, die letzten Reste der Erscheinungen aber schnell beseitigt. Auch 

hier gibt nur die Serodiagnostik Klarheit. Frühzeitige Exzision bei maligner Syphilis, die sich gegenüber Hg refraktär verhält, 

des Primäraffektes verhindert bei Tieren die Krankheit: sie bleiben bewährt sich Chinin. Die genaue Technik des Verfahrens ist in 

geheilt, wofern kein örtliches Rezidiv entsteht. Beim Menschen Nr. 10 der Deutschen med. Wochenschrift (1908) angegeben, 
liegt die Sache weniger günstig, indem das Gift offenbar schnell „Ueber Herzmuskelinsuffizienz durch relative 

in die Lymphbahnen eindringt. Immerhin soll man möglichst Enge des Thorax“ macht Her z - Wien ganz neue Angaben, 

früh und viel exzidieren und nebenher noch Aetzmittel (Tinct. Jodi) Bei räumlichem Mißverhältnis weicht das Herz nach links aus, so 

und Heißluftverfahren anwenden zur radikalen Zerstörung des bei Aufdrängung des Diaphragma bei Aszites, Myom, Meteorismus, 

Primärherdes. Metschnikoff beugt dem Primäraffekt vor durch Lebertumoren. Ist links kein Platz, dann entweicht das Herz 

Anwendung einer 33%igen Kalomelsalbe auf die der Infektion nach rechts. Ist auch dies nicht möglich, so treten Einklemmungs¬ 
ausgesetzte Stelle. So unfehlbar ist die Wirkung wohl nicht, erscheinungen auf. Man findet objektiv die Herzdämpfung nach 

doch verhütet äußerste Reinlichkeit post cohabitationem in einer links und rechts verbreitert, abnorme Resistenz des Spitzenstoßes, 

Unzahl von Fällen die Infektion. Sehr sicher desinfizierend wirkt pulsatorische Vorwölbung der Brustwand. 

auch 2 bis 3 %oige Sublimatlösung. Die Möglichkeit eines solchen Schmidt-Halle spricht „Ueber die neueren klini- 

Selbstschutzes müßte allgemein bekannt werden. Neißer hat sehen Untersuchungsmethoden der Darmfunktion 

stets dagegen gekämpft, daß die Allgemeinbehandlung erst nach und ihre Ergebnisse“. Der Vortrag wurde durch viele 

Ausbruch der Roseola einzusetzen habe. Je eher mit Hg und schöne Projektionsbilder und Demonstrationen erläutert und kann 

Atoxyl vorgegangen wird, um so mehr Spirochaeten werden ge- daher im Referat nicht gut wiedergegeben werden. In der sehr 

tötet und dadurch verhindert, daß sich überall Giftherde bilden, angeregten Diskussion wendet sich Straß burger-Bonn gegen 

von denen später Tertiärsymptome ausgehen können. Gerade die die übliche Kalomeltherapie des beginnenden Typhus abdominalis. 

Serodiagnostik gestattet * ein frühzeitiges Eingreifen, während man Kalomel hemmt in keiner Weise die Entwicklung der Bazillen,’ 

sich früher exspektativ verhalten mußte. Die beste Behandlung sondern schädigt nur den Darm. Daher ist Purgen vorzuziehen’ 

ist die chronisch intermittierende. Ein Tier, welches sich selbst Lenhartz wendet sich gegen die Auffassung, bei der Colitis 

überlassen wird, wird niemals von der Syphilis geheilt. Die membranacea handele es sich um einen wirklichen Katarrh Be- 

tertiäre Syphilis wird, wie durch Abimpfung erwiesen ist, durch stehe dieser, so sei er die Folge einer unzweckmäßigen Lokal- 

Spirochaeten verursacht. Die sekundäre Syphüis ist deshalb so behandlung. Die Kolitis ist eine „Sekretionsneurose“, eine anti- 

mfektiös, weil sie sich an Stellen (Genitalien, Lippen) lokalisiert, neurasthenische Behandlung mit Ruhe und Hausmannskost führt 

mit denen man oft in Berührung kommt. Es besteht ein Unter- jedesmal zur Heilung. Diesen Standpunkt vertritt v Noorden- 

schied zwischen Heilung und Latenz. Auch beim Fehlen jeglichen Wien schon seit 12 Jahren, er freut sich, daß man die von ihm 

klinischen Symptomes entscheidet die Serodiagnostik. Am längsten vorgeschlagene schlackenreiche Kost jetzt adoptiert habe. Auch 

hält sich das Gift in den Ovarien und Hoden, was für die Ver- Ageron empfiehlt bei diesem Leiden frugale Kost. Er nimmt 

erbung wichtig ist. Neißer hat m Batavia an Affen die ver- Veranlassung, vor der jetzt allgemein üblichen kritiklosen Amven- 

schiedensten Mittel auf ihre Wirksamkeit geprüft. düng des Regulin zu warnen. Das Mittel Wirkt sicherlich aus- 


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und Hystefizis. Be! motorischer 
des "Magens verbleibt, das Regulin acht, bis zehn bis 
zwölf' Stunden im Magen, ruft Gasbildung hervor und steigert die 
Obstipation, und Beschwerden. Reinbold-Kissingen hebt die 
Bedeutung der neuropathischen Konstitution bei der Obstipation 
hervor, die deshalb vorwiegend in den besseren Kreisen ange- 
froflfen wird. Volhard-Mannheim empfiehlt als glänzendes Ab¬ 
führmittel, das selbst beim Ileus noch zu probieren ist, ein Oel- 
frühstück (300 bis 400 ccm). Schmidt erklärt, daß neben der 
nervösen Form auch noch eine katarrhalische' Form der Colitis 
membranaeea existiere,- die eine blande Diät erheische. 

Sehr temperamentvoll war der Vortrag von Br au er-Mar¬ 
burg „Ueber künstlichen Pneumothorax bei Phthi¬ 
sikern“, den er 50 mal angelegt hat. Der Eingriff ist stets 
ernst und kommt nur in Frage, wenn alle inneren Mittel erschöpft 
sind. Brauer sah wirklich günstige Erfolge und hält an der 
Berechtigung dieser Operation auch gegenüber der Warnung von 
Lenhartz fest. 

„Zur Differentialdiagnose der peripheren Ischias“ 
dienen nach Erben-Wien zwei Punkte: Beim Anstrengen der 
Bauchpresse steigern sich die Schmerzen und beim Bücken macht 
die untere Wirbelsäule nicht mit, die Höhlung der Lendenwirbel¬ 
säule bleibt bestehen. 

„Die Infiltrationstherapie der Ischias“ wandte 
Bu mm-Wien- bisher bei 105 Patienten an; er hatte 65% Dauer¬ 
erfolge und nur 11% Mißerfolge. Injiziert werden 100 ccm NaCl- 
lösung unter hohem Druck intraneural. Bei 300 Einzelinjektionen 
wurden niemals üble Nebenwirkungen beobachtet, wie bei An¬ 
wendung differenter Flüssigkeit (Alkohol). Für diese Behandlung 
eignet sich nur die, unkomplizierte essentielle periphere Ischias, 
v. No orden-Bad Homburg empfiehlt bei Erkältungs- und Ueber- 
anstrengungsischias eine systematische, ein- bis zweimal täglich 
vorgenommene Saugpumpenbehandlung. Lange-Leipzig will die 
Indikationsstellung für intraneurale Injektionen auch auf die Ischias 
toxischer Natur (z. B. Diabetes) und auf Ischias bei Beckenkarzi¬ 
nomen ausdehnen. 

Neue Beiträge „Zur Frage der Erkältungsnephritis“ 
liefert Siegel-Reichenhall. Er stellt Hunde mit den Hinter¬ 
beinen 15-Minuten in kaltes Wasser (4° C) und bringt sie dann 
in den Käfig. Es stellten sich alle Erscheinungen einer akuten 
parenchymatösen Nephritis ein (Albuminurie, Erythrozyten, Nieren- 
epitlielien, Zylinder). Der Obduktionsbefund war dementsprechend. 
Ließ er aber die Hunde nach Verlassen des Wassers kräftig 
frottieren und mit Amylnitrat behandeln v so blieb die offenbar 
auf Ischämie beruhende Nephritis aus. 

Das „Drüsenfieber“ ist von P feiff er- Wiesbaden schon 
1889 beschrieben. Unter starken Allgemeinerscheinungen tritt 
abends oder nachts plötzlich Fieber auf. Objektiv bestehen nur 
Schluck- und Halsschmerzen, Schwellung der Halsdrüsen nur 
hinter dem Kopfnicker. Leber und Milz sind vergrößert, es be¬ 
steht spontaner Schmerz zwischen Nabel und Symphyse sowie am 
Schulterblattwinkel. Nie bestehen Symptome von seiten des 
Herzens und der Lungen. Alles geht gewöhnlich nach ein bis 
zwei Tagen zurück. Die Drüsen vereitern nie. Einmal bestand 
komplizierende hämorrhagische Nephritis. Tonsillen und Rachen 
sind nicht der Ausgangspunkt, da sonst die vor dem Kopfnicker 
. liegenden Drüsen ergriffen sein müßten. NeuerdiDgs wurde be¬ 
hauptet, es handele sich um eine larvierte Influenza. Um Skarlatina 
kann es sich nicht handeln, denn hier sind die hinten gelegenen 
Drüsen niemals beteiligt. 

Morawitz-Heidelberg teilt „Untersuchungen an einem 
hereditären Bluter“ mit. Das Blut wurde mittels der ganz un¬ 
gefährlichen Venenpunktion gewonnen. Morphologisch zeigte es 
keine Veränderung; doch war die Gerinnungszeit sechs- bis sieben¬ 
mal verlangsamt (statt 15 Minuten 2 Stunden). Chlorkalzium be¬ 
schleunigt die Gerinnung nicht, während sie Hirudin sehr ver¬ 
zögert. Es handelt sich um Mangel an Thromboginase. Die 
Durchlässigkeit der Gefäßwand zeigt keinen Unterschied gegen¬ 
über der Norm. Lommel probierte bei einem exquisiten Bluter 
das Serum normaler Menschen und Tiere; es wirkte sehr gut, 
ebenso das Ar o n s o n sehe Streptokokken - Serum. Schwalbe- 
Berlin erinnert an das alte Mittel, auf die blutende Stelle Blut 
von gesundem Menschen zu applizieren. Pick-Prag kennt eine 


Bluterfamilie, in der von 19 Geschwistern alle bis auf eins an 
Entbindungen und kleinen Verletzungen zugründe gegangen sind. 
Bei dem einzig Ueberlebenden traten Nierenblutungen auf; das 
Blut zeigt verschiedenes Verhalten, je nachdem die Untersuchung 
unmittelbar nach der Nierenblutung vorgenommen wurde oder 
nach eingetretener Erholung. Falta-Wien konstatierte normale 
Gerinnungsfähigkeit während des Auftretens der Blutung, hinter¬ 
her Abnahme der Gerinnungsfähigkeit. 

„Ueber Nierentuberkulose “ macht Kornfeld-Wien 
die Mitteilung, nicht gleich im Frühstadium zu operieren, wenn 
einige Bazillen gefunden werden. 

„Die vorläufige Mitteilung über Tuberkulose¬ 
behandlung“ von Lange-Leipzig betrifft die Empfehlung des 
(teueren!) Tuberkulin-Jacobs (Brüssel). Das Präparat wurde 
seit IV 2 Jahren angewandt, bei vorsichtiger Dosierung traten nie 
unangenehme Reaktionserscheinungen auf. Die Injektion wird zwei¬ 
mal, später einmal wöchentlich intramuskulär am Oberarm vorge¬ 
nommen. 

Hiermit dürfte in aller Kürze das wiedergegeben sein, was 
für die praktischen Aerzte von Wichtigkeit ist. Glänzend verlief 
der Empfang in dem herrlichen Rathaus durch den bekannten 
Bürgermeister Lueger; bei dem sich anschließenden, von der Stadt 
dargebotenen Festmahl herrschte die sprichwörtliche Wiener Ge¬ 
mütlichkeit. Im nächsten Jahre tagt der Kongreß wieder in 
Wiesbaden. 


Magen-, Darm- und Stoffwechselleiden. 

Referent: Spezialarzt Dr. M. Pickardt, Berlin. 

1. Zur Frage über den Gehalt an Extraktivstoffen des 
dunklen nnd weißen Fleisches. Von Adler. Berl. klin. Wochen¬ 
schrift, 1908, Nr. 8. 

2. Zur Behandlung des Kardiospasmus. Von Geißler. 
Münch med. Wochenschr., 1908, p. 673. 

3. Ueber die Wirkungsweise von Yoghurtkuren und ihre 
Indikationen bei Magen -Darmerkrankungen. Von Weg eie. 
Deutsche med. Wochenschr., 1908, Nr. 1. 

4. Rückblick auf die fünfjährigen Beobachtungen hei der 
Salzsänretherapie der Gicht. Von Falkenstein. Berl. klin. 
Wochenschr., 1907, p. 1545 ff. 

1. Von Offer und Rosenquist auf Veranlassung v. Noordens 
ausgeführte Untersuchungen' an Fleischsorten verschiedener Prove¬ 
nienz , welche diese auf ihren Gehalt an Purinkörpern prüfen 
sollten, um die Frage der Zulässigkeit der verschiedenen Arten 
von Fleisch und Fisch in der Diätetik der Nierenerkrankungen sowie 
der Gicht zu entscheiden, schienen bewiesen zu haben, daß der Gehalt 
des weißen und dunklen Fleisches an stickstoffhaltigen Stoffen, 
Extraktivstoffen sowohl als an Fleischbasen, so geringe Unter¬ 
schiede aufweise, daß man von einer prinzipiellen Unterscheidung 
absehen müsse; beide Sorten sollten also in der Krankenernähr urig, 
und speziell in der der Nieren- und Gichtkranken gleichberechtigt 
nebeneinander stehen. Indes hat Senator — schon früher — 
Wert darauf gelegt, daß der Zubereitungsprozeß — Braten und 
Kochen — bezüglich der Extraktivstoffe jene Veränderungen her¬ 
vorbringe, durch die sich die grundsätzliche Verschiedenheit der 
beiden Fleischsorten erklären lasse. In besonderer Berücksichti¬ 
gung dieses Gesichtspunktes vom Verf. auf Senators Wunsch 
angefertigte Analysen — deren Technik an dieser Stelle nicht 
interessiert — haben ergeben, daß genußfertiges Fleisch vom Rind 
nnd Kalb an Extraktivstoffen Differenzen zeigt, die eine Schei¬ 
dung in weiße und dunkle Sorten rechtfertigt, und daß das Kochen 
die Entziehung der stickstoffhaltigen Extraktivstoffe mehr begün¬ 
stigt als das Braten. Durch diese neugewonnene Erkenntnis er¬ 
hält der Erfahrungssatz von der relativen Schädlichkeit des dunklen 
gegenüber dem weißen Fleische eine Stütze, so daß in der Tat 
bei gewissen Krankheiten (Gicht, Nephritis) darauf Rücksicht zu 
nehmen ist. 

2. Zu den bisher üblichen Behandlungsmethoden des Kardio¬ 
spasmus, des — wahrscheinlich rein neurasthenischen — Ver¬ 
schlusses der Kardia durch krampfartige Zustände — d. h. Dauer¬ 
sonden, chirurgische Intervention —, hat Strauß vor kurzem eine 


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326 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU.' 


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neue gefügt, indem er ein Instrument an gab, mittels dessen er 
mekr minder gewaltsam die Kardia dehnte: Am unteren Ende 
einer Sonde, die durch die Kardia in den Magen geführt wird, 
befindet sich ein Gummiballon, welcher beim Zurückziehen auf¬ 
geblasen wird. Verf. setzt aber an diesem Instrument — mit 
liecht — aus, daß der Ballon gerade in der Kardia nicht auf- 
blähbar ist, eben weil die Kardia kontrahiert ist, sondern daß nur 
der unterhalb und oberhalb der Kardia gelegene Teil sich er¬ 
weitert. Diese Schwierigkeit ist behoben durch Ueberschieben 
einer Gummihülse und, zu deren Schutz, eines Seidennetzes, also 
eines widerstandsfähigeren Materials als des Gummiballons; die 
Aufblähung geschieht nicht von einem besonderen Schlauch aus, 
wie bei Strauß, sondern vom — engen — Lumen der einge¬ 
führten Sonde aus selbst, die unter der Gummihülse perforiert ist. 
Das Instrument, welches bei Härtel, Berlin, Karlstraße 19, an¬ 
gefertigt wird, hat sich bereits in der chirurgischen Universitäts¬ 
klinik zu Breslau bewährt. 

3. Yoghurt ist ein durch Einwirkung von bestimmten Bakterien 
in der Warme gewonnenes Pi’odukt, welches reichlich Milchsäure¬ 
bakterien und Milchsäure enthält. Man unterscheidet das nach 
Metschnikoff hergestellte Laktobazilline und das Mayaferment, 
zu erhalten bei Apotheker Mühlradt, Berlin, welche unter be¬ 
stimmten Kautelen im ersteren Pall der nativen, im andern der 
auf die Hälfte eingedickten Milch zugesetzt werden. Das Produkt 
ist eine sauerschmeckende Flüssigkeit bez. Brei, denen besondere 
Beeinflussung des Verdauungskanals attribuiert wird, weil die in 
ihnen enthaltenen Milchsäurebakterien, welche nach Genuß der 
Präparate lebensfähig bis zum Rektum nachgewiesen werden 
können, die andern Bakterienarten überwuchern und die Darmflora 
in für den Organismus günstigem Sinne beeinflussen. 

Diese an sich gut fundierten Ergebnisse des Laboratoriums 
sind nun wie in Frankreich so auch neuerdings in Deutschland 
mit einer wenig angenehm wirkenden Reklame dem Publikum 
vorgesetzt, und letzteres ist zum Gebrauch von teils von Zentralen 
trink- bezw. eßfertig gelieferten Präparaten (Yoghurt Milch, -Kuchen, 
-Käse), aber auch vom Konsumenten selbst herzustellenden ge¬ 
drängt worden. W. hat an 20 Verdauungskranken Versuche 
angestellt und ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, daß zur 
Behandlung mit Yoghurt sich eignen: Kranke mit schweren akuten 
Darmstörungen, mit Zersetzungsvorgängen, mit Magenkrankheiten, 
mit verminderter oder fehlender Saftsekretion und konsekutiven 
Darmstörungen, mit mit Darmfäulnis einhergehenden Darmaffek- 
tionen primärer wie sekundärer Natur. 

Ref. vermißt in den Darlegungen des Verf.s den Nachweis 
dafür, daß der Yoghurt unter gleichen Bedingungen anderen minder 
kostspieligen Präparaten ähnlicher Natur (Kefir, Kumys) vorzu¬ 
ziehen sei. 

4. Seit fünf Jahren bereits plädiert F. für die Darreichung 
von Salzsäure bei Gicht, nachdem er diese methodisch zuerst lange 
Jahre an sich selbst erprobt und nach eigener wie anderer Aerzte 
Aussage einen ganz wesentlichen Rückgang aller Gichtsymptome 
erfahren hatte. Es sei vorweg bemerkt, daß F.s Erfahrungen von 
Nachprufern im allgemeinen nicht bestätigt wurden, indessen rät 
Referent, welcher über einige wenige Fälle, die mit Salzsäure 
von ihm behandelt wurden, verfügt und wenigstens von deren 
absoluter Unschädlichkeit sich überzeugt hat, die Methode zu ver¬ 
suchen , da die bisherigen Behandlungsmethoden der Gicht — 
vielleicht mit einziger Ausnahme des Kolchikum — im Stich ge¬ 
lassen haben. Auf die mindestens sehr anfechtbaren, meist 
a posteriori konstruierten, Grundlagen der Salzsäuretherapie soll 
an dieser Stelle" nicht eingegangen werden. Siehe dazu das 
Original. 

F. nimmt und gibt täglich 50 bis 60 Tropfen Acid. muriat. 
nicht dilut., sondern pur., in Leitungswasser. Diese Dosen, die 
event. noch gesteigert werden können, sind gefahrlos, weil mit 
jeder Nahrung mehr minder große Mengen Alkalien aufgenommen 
werden, die einen Teil der Säure neutralisieren; eine Säurever¬ 
giftung kommt also nicht zu stände. Es tritt kein Reiz auf den 
Darm ein, im Gegenteil kommt es in der ersten Zeit der Medi¬ 
kation oft zu Verstopfung; auch Nieren, Blase, Blut und Zähne 
bleiben intakt; die Zähne sollen sogar gut beeinflußt werden! 
Gleichzeitig ist geboten, die Tätigkeit des Darms und der Haut 
zu fördern. Als Mittel, die Hautsekretion anzuregen, benutzt 


Verf. Bäder— die gewöhnlichen heißen Bäder der Thermen pei*- 
horresziert F. — mit Zusatz von roher Salzsäure, 10 Minuten 
28 °, auf ein Vollbad 200 bis 400 cm Säure. Solche Bäder sind in 
Pausen von 8 —14 Tagen zu nehmen; außerdem tägliche Waschungen 
des Körpers, erst lauwarm, dann kalt. % 


Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 

Referent: Spezialarzt Dr. M. Halle, Berlin. 

1. Weitere klinische Erfahrungen über die Behandlung von 
akuten Mittelohreiterungen mit Stauungshyperämie nach Bier. 
Von Stabsarzt Dr. F. Isemer, Priv.-Doz. und 1. Assistent der 
Kgl. Univers.-Ohrenklinik (Geh.-R. Prof. Schwartze) zu Halle. 
Archiv f. Ohrenheilk., Bd. 75, Heft 1 u. 2. 

2. Fremdkörper im Ohre. Eine klinisch-historische Studie. 
Von Dr. med. Carl Kassel-Posen, Reichs-Medizinal-Anzeiger, 
1908, 4 u. 5. 

3. Ueher Schädigung des Gehörs durch Schalleinwirkung. 

Von Wittmaack-Greifswald. Zeitschr. f. Ohrenheilk., Bd. 54, 
Heft 1, 1907, p. 37 bis 81. 

4. Zur Therapie der Angina. Eine Behandlung auf dem 
Wege durch die Nase mittels Protargolsalbe. Von Sanitätsrat 
Dr. L. Berliner-Reinikendorf b. Berlin. Ibidem. 

5. Ueher eine dentale, unter dem Bilde der Angina Ludo- 
vici auftretende und mit Retropharyngealabszeß kombinierte 
Halsphlegmone. Von Dr. G. Trautmann-München. Münch, 
med. Wochenschr., 1908, Nr. 12. 

1. Der Wert der Stauungshyperämie nach Bier für die 
eitrigen Erkrankungen des Ohrs, speziell bei Erkrankung des 
Warzenfortsatzes, ist noch immer Gegenstand sorgfältiger und 
häufiger Untersuchungen. Bei chronischen Eiterungen lauten aller¬ 
dings fast alle Berichte ungünstig, und es ist zweifelhaft, ob ge¬ 
legentlich beobachtete Erfolge auf Rechnung der Stauungshyper¬ 
ämie zu setzen sind. Dagegen scheint mehr erfolgversprechend 
die Anwendung derselben bei akuten Erkrankungen. Isemer 
versucht, an der Hand von neun einschlägigen Fällen ein Urteil 
über den Wert der Stauungshyperämie zu- gewinnen. Die mit¬ 
geteilten Krankengeschichten sind recht interessant. Beweisend 
für den Wert der Stauung erscheinen aber auch seine erfolgreichen 
Fälle nicht unbedingt, da diese sieben Patienten im Mittel fünf 
bis sechs Wochen in klinischer Behandlung und Beobachtung 
waren und es doch feststeht, daß auch anscheinend recht bedroh¬ 
liche Fälle unter Wärmeapplikation, Schwitzbett etc. ohne Operation 
ausheilen können. Eher dürften die beiden letzten Kranken¬ 
geschichten beweisend sein gegen den Wert der Stauung für das 
Gebiet der Ohrenkrankheiten. Doch gilt es, dieser Behandlung 
mit möglichster Objektivität gegenüberzutreten, was Isemer 
auch fraglos tut, wenn er folgende Schlußsätze aufstellt: 

a) Die Behandlung der Otitis media durch Stauungshyperämie 
ist nicht ohne Gefahren, da unter der vertrauensvollen Beschrän¬ 
kung auf diese Therapie die rechtzeitige Anwendung notwendiger 
chirurgischer Eingriffe versäumt und dadurch der Ausgang für 
den Patienten verhängnisvoll werden kann. 

b) Besondere Gefahren bringt die protrahierte Anwendung 
der Stauungsbehandlung bei Infektionen des Ohrs durch Diplo¬ 
kokken und Streptokokken. Günstig wirkt die Stauung bei 
Staphylokokkeneiterungen, namentlich in solchen Fällen mit 
Mastoiditis, wo bereits eine Kortikalisfistel besteht und durch 
eine kleine Weichteilinzision Eiterabfuhr aus der Knochenfistel 
möglich ist. 

c) Ein auffallendes Resultat der Stauungsbehandlung ist die 
schmerzstillende Wirkung, die last in allen Fällen schon nach 
kurzer Zeit eintrat. Die schmerzstillende Wirkung kann aber in 
gewissen Fällen für den Patienten ein Danaergeschenk sein, wenn 
man bedenkt, daß in einzelnen Fällen (z. B. bei Hirnabszeß) der anhal¬ 
tende Kopfschmerz oft das einzige differential-diagnostische Mittel ist. 

d) Absolut verwerflich ist jeder Versuch der Stauungsbehand¬ 
lung bei intrakraniellen Komplikationen der Otitis (Sinusthrombose, 
Extraduralabszeß, Hirnabszeß). 

e) Die Stauungsbehandlung darf nur in Krankenhäusern unter 
sachkundiger Kontrolle vor genommen werden, da nur hier eine 
stete Beaufsichtigung des Patienten gewährleistet werden Jsann. 


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Original fro-m 

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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


327 


2. Historiäclie Üebersicliteii haben fast immer den Vorteil, za 
zeigen, daß vieles, was wir für eine besondere Errungenschaft 
moderner Technik halten, ebenso oder sehr ähnlich lange Jahr¬ 
hunderte früher bekannt war. Auch die interessante Studie 
Kassels dürfte manchem Neues bringen. Was er über die Ent¬ 
fernung von. Fremdkörpern aus dem äußeren Gehörgange sagt, 
predigt die alte Regel, daß niemand mit Instrumenten an das 
Ohr geben darf, der nicht völlig damit vertraut ist. Das beste 
und am wenigsten schädliche Instrument bleibt die Ohrenspritzc. 

3. Wie ist der pathologisch - anatomische Befund bei Schädi¬ 
gung des Gehörorganes durch Schalleinwirkung ? Diese hoch¬ 
interessante Frage sucht Verf. der Lösung näher zu bringen 
durch Versuche an ca. 20 Meerschweinchen. Er ließ dauernd 
lauten Schall einwirken, wie ähnlich die professionelle Schwerhörig¬ 
keit beim Menschen zustande kommt. Bei anderen Versuchen be¬ 
nutzte er kurzdauernde, aber recht intensive Schalleinwirkung direkt 
am Ohr. Resultat: Lauter Schall ausschließlich durch Luftleitung, 
Tag und Nacht anhaltend, bewirkt keine Störung, weder intra 
vitam noch nachweisbar bei der Autopsie. Dieselbe Einwirkung 
aber zugeführt außer durch Luftleitung noch durch die Knochen - 
leitung bewirkt Freßunlust, Abmagerung, Exitus. Sektion ergibt: 
Mittelohr intakt, Innenohr zeigt Degenerationserscheinungen an 
den Nervenzellen des Ganglion kochlearis, des Ramus kochlearis und 
beginnender Zerfall des Oortischen Organs. Um auszuschließen, 
daß diese Veränderungen Folge der Abmagerung waren, wurde 
in einer dritten Versuchsanordnung Schall durch Luft- und Knochen¬ 
leitung mit halbtägigen Unterbrechungen zugeleitet. Hierbei er¬ 
gab sich keine Abmagerung, wohl aber die oben an¬ 
gedeuteten Degenerationserscheinungan. Kurzdauernde, 
sehr intensive, oft wiederholte Schalleinwirkungen verursachten 
wohl minutenlange Bewußtlosigkeit, aber weder allgemeine Stö¬ 
rungen noch Veränderungen im Mittelohr, keine Trommelfellruptur, 
keine Blutungen oder Zerreißungen im Innenohr, dagegen schwere 
Veränderungen im Nervus kochlearis, Ganglion und Oortischen 
Organ. Dieselben zeigten aber interessanterweise außerordentliche 
Tendenz zur Regeneration, so daß oft nur regressive Verände¬ 
rungen als Rückstände des Prozesses nachweisbar sind. 

Wittmaack vergleicht diese Befunde mit der beim Men¬ 
schen durch intensiven Schall hervorgerufenen Schwerhörigkeit, 
bei der er ebenfalls eine Erkrankung des Kochlearis entsprechend 
den Veränderungen annimmt, die er bei seinen Versuchen gefunden 
hat, die also als degenerative Neuritis aufzufassen wäre. 

Die Prophylaxe professioneller Schwerhörigkeit bestände daher 
in der Einschaltung schlecht schalleitender Körper zwischen Schall¬ 
quelle und Körper. 

4. Berliner empfiehlt bei Angina jeder Art, eine halb 
erbsengroße Portion einer Protargolsalbe in die Nase einzuführen. 
Rp. Protargol 1,5 solv. i. aq. frig. 2,5, tere c. Lanol. G,0 — adde 
Menthol 0,1, Saccharin 0,3, Vaselin ad 15,0. Er glaubt, davon 
besonders gute Erfolge gesehen zu haben, indem die Salbe durch 
Hinabfließen in den Nasenrachenraum mehr als auf anderem Wege 
zur Wirkung komme. 

5. Trautmann bringt ein Beispiel von den geradezu ex¬ 
zessiven Folgen, die eine grobe Vernachlässigung der Zahnpflege, 
bedingen kann. In seinem Fall ging von der Alveole der ersten 
unteren Prämolaris rechts ein kariöser Prozeß auf die Mandibula 
über, zerstörte dieselbe in erheblichem Umfang, ergriff den Mylo¬ 
hyoideus, die Epiglottis, wo er eine schwere Abszedierung hervor¬ 
rief, und ging endlich auf den Rachenraum über, wo ein retro¬ 
pharyngealer Abszeß entstand. Nur umfangreiche chirurgische Ein¬ 
griffe konnten die Kranke retten. 


Chirurgie. 

Referent: Spezialarzt Dr. Heinrich Landau, Berlin. 

1. Die Luxatio kubiti posterior und ihr Verhältnis zur 
sogen. Myositis ossifikans traumatika. Von Alfred Machol. 
Beitr. zur klin. Chir., Bd. 56, Heft 3. 

2. lieber die Prophylaxis der chirurgischen Infektion ver¬ 
mittelst präventiver Immunisierung. Von G. Lerda. Arch. f. 
klin. Chir., Bd. 85, Heft 4. 


3. Frakturenbehandlnng im Chromlederstreckverbande. Von 
Evler. Arch. f. klin. Chir., Bd. 85, Heft 4. 

4. Beiträge zum Kapitel der totalen Skalpierung. Von 
T. Migata. Arch. f. klin. Chir., Bd. 85, Heft 4. 

5. Die Bedeutung des Kotsteines für die Entstehung und 
den Verlauf der akuten Appendizitis. Von Paul Klemm. 

6. Zur Pathologie der Schultergelenkschleimbeutel. Von 
Alfred Stieda. ’Arch. f. klin. Chir., Bd. 85, Heft 4. 

7. Zur Kasuistik der Totalexstirpation der Skapula bei 
akuter infektiöser Osteomyelitis, zugleich ein Beitrag zur Früh¬ 
diagnostik derselben. Von E. Koerber. Arch. f. klin. Chir., Bd. 
85, Heft 4. 

8. Ueber Resektionen am Pankreas. Von 0. Elirhard. 
Deutsche med. Wochenschr., Nr. 14. 

9. Zur Sterilisation der Gummihandschuhe. Von S. Flatau. 
Münch, med. Wochenschr., 1908. 

10. Zur operativen Behandlung der diffusen eitrigen Peri¬ 
tonitis. Von K otzen b er g. Berl. klin. Wochenschr., 1908, Nr. 13. 

11. Die Oesophagoskopie heim Oesophagus- -und Kardia- 
karzinom. Von Hans Elsner. Deutsche med. Wochenschr., 
1907, Nr. 52. 

12. Ueber Händedesinfektion nur mit Alkohol. Von Schum - 
burg. Münch, med. Wochenschr., 1908, Nr. 8. 

1. Nach Machols an 16 Fällen während längerer Zeit außer¬ 
ordentlich genau ausgeführten Beobachtungen ist eine reponierte 
Luxatio knbiti Simplex in der Regel von zirkumskripter Verknöche¬ 
rung der Ellenbeuge -Muskulatur gefolgt; abweichende Falle 
bilden die Ausnahme, nicht reponierte zeigen den Prozeß nie. 
Während Machol damit der kürzlich erschienenen Arbeit von 
Frangenheim über den gleichen Gegenstand widerspricht, stimmt 
er mit F. in der Betonung des großen Wertes überein, den fort¬ 
gesetzte Röntgenuntersuchungen für die Diagnose und ganz be¬ 
sonders für die Therapie des Leidens haben; lassen sich doch aus 
den Röntgenbildern bestimmte Typen der Verknöcherung mit 
verschiedener Prognose erkennen. M. hat in keinem seiner Fälle 
operiert, hat mit konservativer ‘Behandlung gute Erfolge erzielt 
und rät unbedingt dazu, nicht vor Ablauf eines Jahres sich zum 
Eingriff zu entschließen, der auch dann nur bei nervösen Störungen 
oder ganz erheblicher funktioneller Störung angezeigt ist. 

2. Neben dem Bestreben, die chirurgische Infektion durch stete 
Verbesserung der Asepsis zu vermeiden, machen sich mehr und 
mehr Versuche geltend, das gleiche Ziel auf anderem Wege zu 
erreichen, den gefährdeten Körper immun zu machen gegen Strepto- 
und Staphylokokken, wie er schon längst gegen Pocken und in 
neuerer Zeit gegen Typhus, Pest, Cholera „fest“ gemacht wird. 
Nach den letzten Ergebnissen der Immunitätsforschung, der Endo¬ 
toxinlehre und der Kenntnis der Agglutinine und Bakteriolysine 
kann nur aktive Immunisierung zu diesem Zweck in Frage kommen, 
trotzdem die zu ihrer Durchführung nötige Zeit (8—12 Tage) vor¬ 
läufig praktische Verwendung ausschließt, bis es einmal gelingt, 
auch ein hinreichend starkes passives Immunserum darzustellen. — 
Lerda stellte aus einem Staphylokokken- und Streptokokkengemisch 
verschiedener Herkunft sterile Kulturen, Toxine und Bakterien- 
leiber dar und erzielte mit ihnen bei Kaninchen in kurzer Zeit 
eine beträchtliche Immunität polyvalenten Charakters gegen diese 
Keime, die sich auch durch starke Leukozytose kunclgab. Impfung 
beim Menschen „verursachte keine größeren Störungen, als sie 
durch Einimpfung des Vakzins gegen Pest, Cholera und Typhus 
hervorgerufen wurden“; nach 4 Impfangen begann die Agglutina- 
tionsprobe in Verdünnungen von 1:10 und 1 : 25 zu gelingen. 
Die an den Geimpften vorgenommenen Eingriffe verliefen glatt. 

3. Zwei Hülsen aus dickerem und dünnerem Chromleder, einem 
zu orthopädischen Notbehelfen und Geräten vorzüglich geeigneten 
Stoffe, umfassen diesseits und jenseits der Bruchstelle das ge¬ 
brochene Glied; die Streckung geschieht durch vernickelte Streben, 
die in aufgenähte Metallstücke eingeschraubt und, nach Bedarf mit 
Spiralfedern versehen, das gebrochene Glied und zwar innerhalb 
der beiden nächsten Gelenke zugleich feststellen und strecken. 
Diese neueste Ausführung eines in der Knochenbruch-Behandlung 
wohlbekannten Gedankens hat vor dem Gipsverbande den Vorzug, 
daß Bruchstelle und Gelenke freibleiben, vor dem Heftpflasterver- 
bande außerdem noch die Unabhängigkeit von der Bettruhe und 
die Möglichkeit, die verschiedenen Streck- und Drehzüge leicht 


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328 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU 


anzubringen. Die Chromlederstreckverbände sind, und das zeichnet 
sie vor den Hessing sehen aus, nach Fonnalin d esinf ek tion auch 
bei anderen Kranken zu benutzen, für die sie durch einfaches Ver¬ 
stellen von Bändern, Schrauben und Oesen passend gemacht werden. 
— Die Einzelheiten solcher Verbände für Schlüsselbein-, Ober¬ 
und Unterschenkelbruch, Wirbelsäulenerkrankungen lassen sich 
nicht in Kürze wiedergeben; die Herstellung fordert mechanisches 
Geschick und ist ohne Werkstatt und die Hilfe eines verständigen 
Bandagisten kaum möglich. 

Bemerkenswert erscheint es dem Ref., daß Evler den Hüft- 
gurt für seine Apparate zur Entlastung der Wirbelsäule nicht, wie 
sonst üblich, auf Kreuzbein und Darmbeinkamm ruhen läßt, sondern 
direkt unterhalb der Darmbeinstachel, zwischen ihnen und den 
Trochanteren, um die Hüften legt. Diese natürliche EinsenkuDg 
des knöchernen Beckens, wo die starken Muskelansätze jeden Druck 
vertragen und ein Rutschen des Gürtels nach unten und oben aus¬ 
geschlossen ist, wird nicht nur in der Orthopädie viel zu wenig 
benutzt. Auch die Frauenkleidung — man gestatte den kurzen 
nicht zur Sache gehörenden Hinweis — könnte mit diesem Hiift- 
gurt Leib und Brust entlasten, ohne die Schultern zu beschweren, 
was das Reformkleid nicht immer vermeidet. Auf den Gilbert- 
Inseln in der Südsee tragen die Frauen den Strick des Bastrocks 
noch heute nicht anders (Augustin Krämer). 

4. Migatas Fall, der eine Japanerin betraf, bestätigt die 
Beobachtungen der bisher veröffentlichten etwa 60 Skalpierungs- 
Verletzungen. Der ganz abgetrennte Skalp stößt sich gewöhnlich 
trotz genauer Annähung brandig ab. Die Schmerzen schwinden 
am raschesten bei Borsalbeverbänden, die auch schneller als alle 
anderen Mittel zur Ueberhäutung führen. Transplantation ist nicht 
zu umgehen; man beginnt am besten mit großen Kutislappen nach 
Krause, um später die Lücken nach Bedarf mit Thierschschen 
Läppchen auszufüllen. 

5. Pathologen, besonders Aschoff, haben aus dem glatten 
und verhältnismäßigen guten Zustande des Schleimhautgürtels, der 
in einem sonst schwer veränderten Wurmfortsatz einen Kotstein 
umschließt, die Folgerung gezogen, der Kotstein schädige nicht nur 
die Darmwand nicht, er schütze sie sogar. Klemm weist an der 
Hand seiner Operationspräparate schlagend die Unhaltbarkeit dieses 
Standpunkts nach; der Stein unterhält die Schleimhautschwellung, 
wenn er sie auch vielleicht nicht in jedem Fall selbst hervorge¬ 
rufen hat; er verhindert die Abschwellung und damit den Abfluß 
des Wurmfortsatz-Inhalts in den Blinddarm. Daß tatsächlich oft 
der Durchbruch nicht am Stein, sondern oberhalb erfolgt, liegt 
nur an der Spannung und an der Stauung des giftigen Inhalts, 
die, gerade durch den Stein veranlaßt, an der Spitze am stärksten 
und schnellsten ihre Wirkung entfaltet. Wenn Klemm jedoch 
weiterhin dem Stein jede zerstörende mechanische und chemische 
Wirkung auf die Schleimhaut abspricht, so steht er damit im 
Gegensatz zu einer großen Reihe von erfahrenen Appendizitis- 
Forschern und den Grundanschauungen über Fremdkörper und 
Fremdkörperwirkung. 

6. Es kommen, teils nach Fall oder Stoß, teils von selber, 
in den klinisch wichtigen subakromialen und subdeltoidalen Schulter¬ 
gelenks-Schleimbeuteln Entzündungen vor, mit Schmerzen, um¬ 
schriebener Druck empfindlichkeit, Bewegungshemmung und — manch¬ 
mal — mit Schleimbeutelerguß, bei denen das Röntgenbild an der 
Stelle der Schleimbeutel neben dem Tuberkulum maius humeri 
einen Schatten zeigt. Der Schatten zeigt oft Form und Größe 
des Schleimbeutels, kann sich aus einzelnen Flächen zusammen¬ 
setzen und verschwindet meist nach Ablauf der Erscheinungen; 
er ist als Bild gichtischer Stein-Ablagerung im Schleimbeutel auf¬ 
zufassen, auch wenn sonst nichts für allgemeine Gicht spricht. 
Die Erkennung der gichtischen Natur des Leidens ist nicht nur 
für die Behandlung entscheidend (der gichtisch frisch entzündete 
Schleimbeutel verträgt die sonst angezeigte Ruhigstellung der 
Schulter nicht und muß mit Umschlägen, schmerzlindernden Mitteln, 
Kolchikumtinktur behandelt werden); — der Schatten im Röntgen¬ 
bilde kann auch, zumal wenn ihn zufällige Einstellung der Röhre 
teilweise zur Deckung mit dem Humerusschatten bringt, für ein 
abgesprengtes Knochenstück gehalten werden und eine nicht gleich¬ 
gültige Fehldiagnose verschulden. Es ist hierauf um so mehr zu 
achten, als derartige Schleimbeuteltophi auch ohne alle Beschwerden 


bestehen können, wje ein zufälliger Befund Stiedas an der ge¬ 
sunden Schulter eines Unfallverletzten beweist. - 

18. Bei der akuten Osteomyelitis des -Schulterblatts ist die 
subperiostale Exstirpation des ganzen Knochens, in letzter Zeit 
besonders von Bockenheimer empfohlen, ein vorzügliches Ver¬ 
fahren. Es wirkt nicht nur in Fällen mit beginnender Allgemeinin¬ 
fektion lebensrettend, sondern ist auch, was Krankheitsdauer und 
schließliche Gebrauchsfähigkeit der Schulter anlangt, der sonst 
üblichen Osteomyelitis-Behandlung mit Aufmeißelung und Aus¬ 
löffelung weit überlegen. Es liegt in der Eigenart des flachen, 
rings von breiten Muskeln straff bedeckten Knochens, daß sich 
auch von kleinen Knochenherden aus rasch große Abszesse ent¬ 
wickeln, die das Periost in großer Ausdehnung abheben und die 
Ausschälung unter Schonung der Muskelansätze sehr erleichtern. 
In Koerbers Fall (Angina; Fall auf die Schulter; hohe Tempe¬ 
raturen ohne zunächst nachweisbaren Herd) hatte sich der Eiter 
zuerst in der Fossa subskapularis angesammelt und verursachte 
durch die Spannung des Musk. subskapularis bei Druck von der 
Achselhöhle her und bei dem Versuch, den Arm nach auswärts 
zu drehen, heftigen, plötzlichen Schmerz, ein Zeichen, das bei dem 
gewöhnlichen Durchbruch des Eiters nach vorn, entlang den Ge¬ 
fäßen, als Frühsymptom der Skapular-Osteomyelitis sicher Wert 
behalten wird. Die Totalexstirpation der Skapula mit Winkel¬ 
schnitt längs dem Innenrande und der Schultergräte brachte raschen 
Abfall der Temperatur und glatte Heilung, während deren sich 
die Neubildung der Skapula vom erhaltenen Periost aus auf Röntgen¬ 
bildern sehr schön verfolgen ließ. Der Gelenkpfannenfortsatz des 
Schulterblatts und das Akromion waren bei der Operation zurück¬ 
gelassen worden'; die Funktion des Gelenks wurde vollständig 
normal, was nicht zum wenigsten durch frühzeitige passive Be¬ 
wegungen in einem verstellbaren Mid deldorp ff sehen Triangel er¬ 
reicht wurde. 

7. Bei zwei in den Pankreaskopf eingebrochenen Pylorus- 
karzinomen gelang die Resektion der Bauchspeicheldrüse — ein 
Erfolg „auf chirurgischem Neuland“. 

8. Flat au hat ein Drahtgestell hersteilen lassen (bei Paul 
Walb, Nürnberg), über das die Handschuhe im Dampfsterilisator 
gezogen werden, um auch ihre Innenfläche sicher zu sterilisieren, 
und auf dem sie nach dem Gebrauch auch getrocknet werden 
können. 

9. In Hamburg-Eppendorf wird bei diffuser eitriger Peri¬ 
tonitis nach Versorgung der Durchbruchstelle, also in der Mehr¬ 
zahl der Fälle nach Entfernung des durchgebrochenen Wurmfort¬ 
satzes, die ganze Bauchhöhle ausgiebig mit Kochsalzlösung durch¬ 
gespült, bis die Lösung klar abläuft. Die Spülung geschieht mit 
eingeführtem Schlauch von der Wunde aus; Auspacken der Därme 
wird vermieden, aber alle Verklebungen und Verwachsungen zwischen 
den Därmen werden absichtlich gelöst. Die Flüssigkeit wird nicht aus¬ 
getupft, sondern bleibt in der Bauchhöhle zurück. In den untersten 
Wundwinkel kommt ein starkes Glasrohr (bis 2*/2 cm Lichtung) 
nach Dreesmann, das unten geschlossen ist, um das Anbacken 
der Därme zu verhüten, und am Boden und an den Seiten nur 
millimetergroße Löcher hat, durch die weder Netzzipfel noch Darm¬ 
wandteile hereingesaugt werden können. Dieses Glasrohr wird 
mit Vioformgazestreifen gefüllt und im Laufe der nächsten Tage 
mit frischen Streifen beschickt. Deren Wechsel vollzieht sich ohne 
Schmerz, Blutung und Vorfallsgefahr dank dem Schutz des Glas¬ 
drains, das seinerseits allmählich durch dünnere Drains leicht, 
ersetzt werden kann, da es mit den Därmen nicht verklebt. Die 
Wunde selbst wird zur Wiederherstellung des intraabdominellen 
Drucks, der Vorbedingung für richtiges Arbeiten der Drainage 
ist, bis auf den unteren Drainwinkel genau in Schichten vernäht 
und der Kranke in den nächsten Tagen mit erhöhtem Kopfende 
gelagert, zum besseren Abfluß der Sekrete nach dem kleinen Becken. 

Unter dieser Behandlung hat K. bei einer Beobachtungsreihe 
von 21 Fällen 2 Todesfälle und 19 Heilungen, ein ganz außer¬ 
ordentlich günstiges Ergebnis, da nach seiner Angabe alle Fälle 
diffuse eitrige Bauchfellentzündungen sind. Die geschilderte Be¬ 
handlung ist in ihren Grundzügen heute wohl überall anerkannt, 
besonders die genaue Naht im Gegensatz zur früheren „breiten“ 
offenen Tamponade; auch scheint die Kochsalzspülung bei sicher 
diffusen allgemeinen Peritonitiden immer mehr Anhänger zu ge¬ 
winnen. Eine bedenkliche Maßnahme bleibt aber nach Ansicht 


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> des '5@v4il|^ gÄdaäteliclie Trennen aller 1 frischen Verwachsungen, 
eterenj Vorhandensein ja gerade vermuten läßt, daß die Buchten 
und' Irischem der Bauchhöhle dahinter noch unberührt sein können. 
—^ Bemerkenswert ist, angesichts des kürzlich mit so einmütiger 

'Ablehnung empfangenen Vorschlags von Sonnenburg, „leichte“ 
Appendizitisfälle mit Rizinusöl zu behandeln, ein Fall aus K’s. Sta¬ 
tistik, wo die Perforation bei einem Jungen von 13 Jahren mit 
Sicherheit auf das kurz zuvor von den Eltern gegebene Rizinusöl 
zurückzuführen ist. 

10. Der Oesophaguskrebs ist mit den alten Untersuchungs- 
methoden, vor allem mit der Sonde, meist hinreichend früh fest¬ 
zustellen, der Krebs der Kardia dagegen in seinem Frühstadium 
durchaus nicht immer. Hier ist also die Oesophagoskopie am Platze 
und gestattet eine Frühdiagnose, die kein anderes Verfahren er¬ 
möglicht; beim Krebs der Speiseröhre dagegen liegt, wie Elsner 
mit hörbarem Vorwurf bemerkt, im allgemeinen keine Veranlassung 
dazu vor, das Oesophagoskop einzuführen. Er könnte noch hinzu¬ 
fügen, daß diese Einführung zumal bei vorhandenem Krebs keinen 
ganz gleichgültigen Eingriff darstellt. Trotzdem ist seine Ablehnung 
zu weitgehend, denn auch 'hinter dem scheinbar eindeutigen Sonden¬ 
befund kann sich irgendein anderes Leiden, eine Striktur, ein 
Divertikel verstecken, das nur das Oesophagoskop aufzudecken 
vermag. In solchen Fällen ist das Ergebnis der ösophagoskopi- 
schen Untersuchung nicht nur für die Erkennung, sondern auch 
für die Behandlung des Leidens von größtem Werte, was man 
von den Kardiakrebsen nicht sagen kann, die vorläufig noch, wenn 
auch zeitig durch den Tubus gesehen, trotz manch kühnem Opera¬ 
tionsversuch für chirurgische Hilfe unzugänglich sind. 

11. Nach wiederholten Versuchen kommt die Schumburg- 
sche außerordentlich einfache Händedesinfektion (Alkohol rektifikat. 
oder sogar Brennspiritus mit 1 / 2 % Salpetersäure oder 1% For¬ 
malin; Waschung höchstens drei Minuten mit Wattebäuschen ohne 
Bürste) in ihren Ergebnissen den alten Methoden, die Bürste mit 
heißem Wasser und Seife erfordern, zum mindesten gleich, schont 
aber die Hände mehr und spart Zeit und Geld. Ein Desinfektions¬ 
mittel hinterherzuschicken, ist nach Schumburg nicht nötig; 
wenn er für Liebhaber der Antiseptik statt des Sublimats 10% (I) 

-H 2 O 2 -Lösung empfiehlt, so fällt allerdings die Billigkeit des Ver¬ 
fahrens fort; auch kann Ref. nach eigener Erfahrung Wasserstoff¬ 
superoxyd in dieser Stärke nicht gerade schonend für die Hände finden. 

Das Verfahren an sich hingegen, ohne die von Sch. ausdrück¬ 
lich als überflüssig bezeichnete Nachprozedur, ist als außerordent¬ 
lich zweckmäßig und einfach zu bezeichnen. 


Krankenpflege. 

Referent: Dr. W. B. Müller, Berlin. 

1. Die „Kriegssanitätsordnung“ vom 27. Januar 1907 nebst der 
„Dienstvorschrift für die freiwillige Krankenpflege“ vom 12. März 
1907. Von Herrn. Cramer, Zeitschr. f. Krankenpfl., 1908, 
Nr. 1. 

2. Ein Beitrag zur Erage über die Bekämpfung der veneri¬ 
schen Krankheiten. Von A. J. Grünfeld. Ibidem. 

1. Am 27. Januar 1907 wurde eine neue vom Kaiser ge¬ 
nehmigte Kriegssanitätsordnung herausgegeben, welche an Stelle 
der von 1878 und des 1902 gesondert herausgegebenen Teiles 
VI über die freiwillige Krankenpflege tritt. Dieselbe stellt 
nicht erst im Feldzuge, sondern gerade schon im Frieden die 
Basis der zur Unterstützung und Ergänzung des Sanitätsdienstes 
im Kriege bestimmten Tätigkeit der freiwilligen Sanitätskolonnen 
dar. Die Abweichungen von der bisherigen und vor allem von deren 
früherem Teil VI in der neuen Kriegssanitätsordnung und vor 
allem auch in der im Zusammenhänge zwar mit dieser, aber doch 
gesondert herausgegebenen Dienstvorschrift für die freiwillige 
Krankenpflege vom 12. März 1907 werden vom Verfasser in der 
vorliegenden Abhandlung erörtert. Ein näheres Eingehen auf 
die einzelnen Punkte ist in einem kurzen Referat nicht möglich. 
Nachdem Verf. die Tätigkeit der freiwilligen Krankenpflege im 
Feldzuge etc. erörtert hat, kommt er noch auf die Abschnitte 
der Kriegssanitätsordnung vom Gesundheitsdienste und vom Kranken¬ 
dienste im Kriege zu sprechen, sowie über die Abschnitte von der 


Vernichtung der Ansteckungsstoffe und den Wortlaut des neuen 
Genfer Abkommens vom 6. Juli 1906. Die „Kriegssanitätsord¬ 
nung“ und die „Dienstvorschrift für die freiwillige Krankenpflege“ 
geben in überaus klarer Form eine Menge neuer Anregungen und 
Gesichtspunkte, denen nachzugehen und deren Anforderungen 
gründlich zu erfüllen eine wirklich befriedigende Aufgabe für den 
Tätigkeitsdrang der freiwilligen Krankenpfleger im Feldzuge wie 
im Frieden ist. Man ersieht im allgemeinen aus den neuen Be¬ 
stimmungen, daß der freiwilligen Krankenpflege von der Heeres¬ 
leitung eine bei weitem bessere Stellung eingeräumt wird und 
man sie nicht mehr als lästiges Anhängsel betrachtet, sondern mit 
ihr als einem wichtigen Hilfsmittel und einem wertvollen Freunde 
rechnet und ihre Tätigkeit und Leistung in gerechter Abwägung 
ihres Wertes hoch zu schätzen versteht. 

2. Als Fortsetzung aus der vorigen Nummer (cf. Nr. 7, S. 112) 
bringt Verf. zunächst einen Vergleich der Frequenz des Ambulatoriums 
in den letzten drei Jahren, aus welchem die enorme Zunahme der 
Zahl der Patienten ersichtlich ist. Es erwiesen sich die vorhandenen 
Räumlichkeiten sehr bald als viel zu eng und unzureichend, so 
daß man an einen Neubau herangehen mußte. Als aber dann ein 
Teil des Krankenhauses in das neue Gebäude auf der Slobodka 
Romanowska überführt wurde, fand sich auch für das Ambulatorium 
ein passenderer Raum, welchen es noch jetzt inne hat. Durch 
diese Aenderung wurde ein sehr günstiger Einfluß auf die Frequenz 
ausgeübt, so daß die Zahl der Kranken im Jahre 1906 auf 23913 
stieg. Es mußte ein zweiter Ambulanzarzt angestellt werden. 
Nunmehr machte sich wiederum eine Aenderung in den Räumlich¬ 
keiten notwendig, da für die Untersuchung und Behandlung der 
Kranken ganz unzureichende Zimmer vorhanden waren. So er¬ 
reichte Verf. einen Umbau des Ambulatoriums nach seinen eigenen 
Angaben und Wünschen. Es wurden ausreichende Warteraume 
mit Bänken an den Wänden geschaffen und ein Zimmer für die 
ärztliche Untersuchung, in welchem die Patienten zunächst von 
einem Diener in das Journal eingetragen und dann zum Arzte 
gewiesen werden. Nun kommt der Kranke in das helle und ge¬ 
räumige Oiitersuchungszimmer. Neben diesem Zimmer sind sechs 
Kabinen zum Entkleiden der Patienten. In diesen Kabinen ent¬ 
ledigen sich die Kranken der Oberkleider und des Hemdes, be¬ 
halten aber die Hose und Stiefel an und treten so entkleidet 
wieder in den Hauptraum an den Tisch des Arztes, welcher nun 
die Krankengeschichte aufnimmt und notiert. Der Kranke wird 
hier soweit als möglich untersucht und erhält den Heilplan und 
entsprechende Instruktion über sein Leiden. Da die große Zu¬ 
nahme der Kranken enorme Anforderungen an den Arzt stellten, 
die nur bis zu einem gewissen Grade von einem Arzte erfüllt 
werden konnten, so machte es sich nötig, daß mehrere Aerzte 
daselbst tätig waren, so waren in den letzten Jahren meist vier 
Herren daselbst beschäftigt. Trotz dieser Arbeitsteilung war es 
nicht immer möglich, den Kranken detaillierte Instruktionen über 
ihre Leiden zu geben, vor allem die Mittel und Wege der Ver¬ 
hütung der Weiter Verbreitung und Infektion selbst zu nennen, da 
die große Zahl der Kranken eingehende Einzelvorträge verbot. 
Es wurden deshalb Flugblätter gedruckt, auf denen die Patienten 
all die nötigen Aufklärungen fanden. Die Aushändigung solcher 
gedruckter Instruktionen hat sich sehr bewahrt und erleichtert 
den Betrieb eines solchen Ambulatoriums ganz enorm. — Eine Reihe 
guter Abbildungen sind dem Texte beigegeben und zeigen die 
einzelnen Zimmer und deren Einrichtung. 



Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. Ein neues Asthmainhalations-Zerstäübungsmittel. Von 
Dr. Friedmann-München. 

2. Ueber einige praktische Erfahrungen mit „Phytin“, 
speziell bei sexueller Schwäche. Von Dr. Peters. Al lg. med. 
Zentral-Zeitg., 1908, Nr. 9, 




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3. Bromatol, Bromothymin und Bromotussin. Von Dr. Linke. 
Therap. Neuigk., 1908, April. 

4. Klinische Erfahrungen über Leziferrin, ein neues Eisen¬ 
präparat. Von Dr. Kabisch. Deutsche Aerzte-Zeitg., 1908, 
Heft 8. 

5. Pharmakologische Untersuchungen mit Atoxyl. Von Dr. 
Croner und Seligmann, und 

Bemerkungen zu dem vorstehenden Aufsatz. Von Dr. 
Blumenthal. Med. Klinik, 1908, Nr. 17. 

6. Zur Anwendung der Emetika. Von Dr. Bachem. Ibidem, 
Nr. 17. 

7. Beiträge zur Formaminttherapie. Von Dr. Schoppler. 
Aerztl. Rundschau, 1908, Nr. 16. 

1. Unter allen Asthmamitteln zum Inhalieren standen bisher 
ohne Zweifel Tucker und Vixol obenan. Da beide Mittel horrend 
teuer und für das Gros der Asthmatiker unerschwinglich sind, 
ist es selbstverständlich, daß Chemiker und Aerzte sich alle Mühe 
gaben, die chemische Zusammensetzung des Tuckermittels und 
seine einzelnen Bestandteile zu finden. 

Jeder Bericht, der uns diesem Ziele näher bringt, ist deshalb 
mit Freuden zu begrüßen, und wir lassen deshalb einen Artikel 
von Dr. Friedmann über ein neues Asthmainhalations - Zerstäu¬ 
bungsmittel möglichst unverkürzt folgen. 

Um auch Minderbemittelten den Genuß und die Wohltat 
dieser in der Tat ganz hervorragenden Erleichterung durch oben¬ 
genannte Mittel zu verschaffen, hat Professor Einhorn in ver¬ 
schiedenen Veröffentlichungen die Resultate seiner Untersuchungen 
angegeben und mitgeteilt, daß es ihm gelungen sei, das Tucker¬ 
mittel genau zu analysieren. 

Wenn auch die Einhornschen Angaben hinsichtlich der 
Nitrite des Kokains und des Atropins der Wirklichkeit ent¬ 
sprechen , scheint es ihm doch nicht völlig gelungen zu sein, den 
Hauptbestandteil, der die spezifische Wirkung des Tucker bedingt, 
zu erkennen. Verschiedentlich von F. mit der Einhornschen 
Zusammensetzung angestellte Versuche ergaben, daß sie bei be¬ 
stimmten Fällen von Asthma nur leichteren Grades recht prompt 
wirkt; bei schweren und speziell chronischen Fällen bleibt sie sehr 
häufig weit hinter Tucker zurück. 

Um einen Vergleich über die Wirksamkeit der Nitrite von 
Kokain und Atropin gegenüber den Schwefel- und salzsauren 
Salzen dieser Alkaloide zu haben, ließ F. Asthmakranke beide 
Mischungen in derselben Konzentration abwechselnd benützen. 

Sämtliche Patienten machten die Wahrnehmung, daß die eine 
Losung (es war die mit salzsaurem Kokain und schwefelsaurem 
Atropin) ein unangenehmes Schwindelgefuhl und Kopfsausen mache; 
im übrigen konnten sie in der Wirkung keinen weiteren Unter¬ 
schied bemerken; bei leichtem Asthma hatten beide Lösungen 
Erfolg, bei schwerem Asthma versagten beide. Es kann also mit 
Sicherheit gesagt werden, daß die Nitrite nicht das Spezifikum 
des Tucker sind, da die entsprechende Wirkung ausbleibt, dagegen 
sind die Nitrite des Kokains und Atropins ungiftiger, d. h. sie 
wirken weniger „ toxisch als die gewöhnlichen Salze der beiden 
Alkaloide, eine erhöhte antispasmodische Wirkung den Nitriten 
dagegen zuzuschreiben, scheint F. nach seinen Befunden sehr 
fraglich. 

Durch eine Reihe von Untersuchungen ist es Apotheker 
Schoellkopf, München, gelungen, die Hauptsubstanz des Tuckers, 
welche auch die charakteristische Färbung gibt, zu finden. Seine 
Zusammensetzung ist folgende: 

Rp. Kokain, nitr. 1,0, 

Atropin, nitr. 0,5, 

Extr. Beilad. 0,3, 

Tinkt. Lobeliae 3,0, 

Extr. spasmo die. 0,2, 

Extr. Glanduloren. 0,06, 

Glyzerin., 

Aq. sterilisat. ana ad 100,0. 

Eine große Anzahl von Versuchen bei Patienten, speziell bei 
Patienten, die seit Jahren das Tuckermittel benutzten, ergab, daß 
zwischen der Apotheker Schoellkopf sehen und der Tucker sehen 
Lösung absolut kein Unterschied zu finden sei. Im Gegenteil 
gaben die Patienten der Schoellkopf sehen Zusammensetzung, 
der noch ein Styptikum, nämlich das Extrakt der südamerikani¬ 


schen Pflanze Glandulorenale bejgefügt ist, eipen bedeutenden, 
Vorzug. 

Von einigen Seiten ist zwar die kurative Wirkung des 
Schoellkopf sehen Mittels geleugnet; sie ist aber nach F. wenn 
nicht in allen, so doch in den meisten Fällen vorhanden. Als 
wirksames Prinzip kommen die von allen Untersuchern konsta¬ 
tierten, aber nicht näher definierten pflanzlichen Extraktivstoffe in 
Betracht. Die kurative Wirkung ist nur an die Extraktivstoffe 
gebunden und kann deshalb auch nicht mit den Salzen des Kokain 
und Atropin allein, welche jene Untersucher bei ihren Versuchen 
benutzten, erreicht werden. F. möchte die Wirkung dieser 
Extraktivstoffe bei Asthma mit der Wirkung der Bromsalze bei 
Epilepsie vergleichen, indem beide die Uebererregbarkeit der 
Krampfzentren bei längerem Gebrauch dauernd herabsetzen. Es 
handelt sich hier um die auch anderweitig in der Pharma¬ 
kologie zutage tretende Erscheinung, daß kombinierte kleinere 
Dosen verschiedener Stoffe aus derselben Gruppe intensiver wirken 
als eine größere nur eines Arzneimittels. Durch Zusatz eines 
Styptikums im Verein mit diesen Alkaloiden gelang es, eine In¬ 
halationsflüssigkeit zu gewinnen, die auch bei schwerstem Bronchial¬ 
asthma im Gegensatz zu den bisher gebräuchlichen Mitteln eine 
zuverlässige Wirkung und dem Tucker sich überlegen zeigt. 

F. empfiehlt als ultimum refugium bei schwerstem Bronchial¬ 
asthma das neue Mittel, das nebst Oelzerstäubern im chemisch- 
pharmazeut. Laboratorium „Bavaria“, Apotheker Schoellkopf in 
München X, zu haben ist. 

2. Die günstige Wirkung des Phosphorpräparates Phytin bei 
Chlorose und Anämie, bei Tuberkulose und Skrofulöse, bei Rekon¬ 
valeszenz nach akuten Krankheiten, bei Rhachitis, Osteomalazie, 
Pädatrophie, Neurasthenie, Hysterie und anderen Krankheiten des 
Nervensystems ist so vielseitig anerkannt, daß es sich erübrigt, 
darüber zu berichten. Neu dürfte aber die Verwendung des 
Mittels bei sexueller Schwäche sein, wie sie jetzt von Peters 
empfohlen wird. Dieser Autor veröffentlicht mehrere Fälle von 
Impotentia coeundi und mangelnder Libido sexualis, bei denen 
eine günstige Einwirkung des Mittels unverkennbar ist. Danach 
dürfte in derartigen Fällen eine innerliche Verabreichung von 
Phytin neben hydrotherapeutischen und ähnlichen Maßnahmen nur 
zu empfehlen sein. 

3. Ueber Bromatol, Bromothymin und Bromotussin berichtet 
L. in den „Therapeutischen Neuigkeiten“. Danach ist Bromatol 
eine 35 bis 40%ige Emulsion von Bromoform in Lebertran, und 
zwar derart, daß 1 ccm der Emulsion einem Tropfen Bromoform 
entspricht. Die Dosierung ist äußerst einfach: Man gibt Kindern 
bis zu einem Jahre dreimal täglich einen halben bis einen Tee¬ 
löffel, von ein bis zwei Jahren einen Tee- bis einen halben Eßlöffel, 
über zwei Jahre einen Eßlöffel, Erwachsenen einen bis zwei E߬ 
löffel drei- bis viermal täglich. Das Mittel soll ein „Spezifikum“ 
gegen Keuchhusten sein. Als weitere Indikationen werden an¬ 
gegeben: Bronchitis, Katarrhe der oberen Luftwege nach Masern, 
Influenza usw. L. sah sich ein sehr elendes, zweijähriges Kind 
nach Verbrauch einer Originalflasche erholen; die schweren An¬ 
fälle bei Keuchhusten wurden durch Bromatol kupiert. Das Mittel 
ist aber recht teuer. 

Dem Bromatol gegenüber bedeutet das nächste Präparat, das 
Bromothymin, entschieden schon durch seine Billigkeit (eine Ori¬ 
ginalpackung = 1,50 M.) einen Vorzug. Aber es zeichnet sich 
auch dadurch günstig aus, daß auf der Verpackung nichts von 
einem „Spezifikum gegen Keuchhusten“ vermerkt ist, sondern daß 
nur der schlichte Vermerk gemacht ist: „Aerztlich empfohlen bei 
Keuchhusten, Asthma, Kehlkopf- und Bronchialkatarrh“. Das 
entspricht den Tatsachen und ist in der Literatur bezeugt. 
Denn nach Gebrauch dieses Mittels werden die Anfälle seltener, 
dauern kürzere Zeit und sind nicht weiter von Würg- und Brech¬ 
reiz gefolgt. «Wenn Bromothymin zeitig, z. B. bei Geschwistern, 
gegeben wird, ist es ein vortreffliches Prophylaktikum. Man gibt 
den Kindern von dem Mittel, einer Komposition von Bromoform 
und Sir. Thymi compos., vier bis acht Kaffeelöffel. 

Ueber Bromotussin spricht sich L. recht abfällig aus; vor 
allem hält er den Preis des Mittels für viel zu hoch (10 M.). 
Der Erfinder des neuen Präparates, Dr. Schottin, beruft sich 
darauf, daß es in kleinen Orten schwer sei, reines Brom zu er¬ 
halten, und daß er deshalb das neue Mittel habe hersteilen lassen, 


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Original fro-m 

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SV **• '■ 


TttMßApEÜttSÖÖE RüfrDScfiAÜ. 


331 


Man, muß aber den Ausführungen B ruh ns beipflichten, daß eine 
Apotheke auf dem Lande sich lieber ein Kilo Bromum solidificatum, 
das Schottin gelegentlich seiner Versuche mit Bromdämpfen 
yorerst angewendet hatte, für 12 M. auf Lager hält, als eine 
einzige Dosis der Spezialität Bromotussin 4 10 M. Denn daran 
kann er weniger verdienen; mit dem ersten kann er aber eine 
ganze Anzahl Menschen glücklich machen, und er wird gern das 
Risiko tragen, daß durch Verdunsten ihm ein Teil Brom verloren 
geht. Uebrigens erinnert L. daran, daß auch schon 1888 gegen 
Kroup und Larynxstenose Bromdämpfe angewendet worden sind. 
(Vergl. d. Wochenschr. Nr. 11, S. 176 u. Nr. 14, S. 232.) 

4. K. berichtet über seine Erfahrungen mit Leziferrin, einem 
neuen Eisenpräparat, das er bei einigen vierzig Eällen angewendet 
hat. Dasselbe enthält 0,5% Lezithin als Ovolezithin und 0,6% 
frisch gefälltes Eisenoxyclhydrat, gebunden an Zucker, sowie Ge- 
schmackskorrigentien. Der Geschmack ist ein angenehm sü߬ 
licher, so daß das Präparat gern genommen wird. Selbst von 
Personen mit geschwächtem Magen wurde das Mittel gut ver¬ 
tragen. Nach kürzerer oder längerer Zeit wurde der Appetit 
gebessert, das Allgemeinbefinden hob sich, die Gesichtsfarbe des 
Kranken wurde eine bessere. Mit der Besserung des Gesamt¬ 
befindens besserten sich auch die Beschwerden. K. gab dreimal 
täglich ein Likörglas voll für Erwachsene, dreimal täglich einen 
Teelöffel voll für Kinder. Auf Grund seiner zufriedenstellenden 
Resultate empfiehlt K. das Leziferrin zu weiterer Prüfung. 

5. In Nr. 17 der „Medizinischen Klinik“ veröffentlichen C. 
und S. ihre pharmakologischen Untersuchungen mit Atoxyl. In 
einer früheren Veröffentlichung hatten sie festgestellt, daß bei 
Menschen und Hunden nach subkutaner Injektion des Atoxyls 
dieses nach einmaliger Einverleibung innerhalb 24 Stunden den 
Körper auf dem Nierenwege verläßt. Nach wiederholten Injek¬ 
tionen erstreckt sich die Ausscheidung auf einen längeren Zeit¬ 
raum, ferner tritt auch im Kot das Arsen auf. Diese Ergebnisse 
standen im Widerspruch zu den Versuchen von Blumenthal, 
welcher fand, daß bei der Anwendung von für Kaninchen un¬ 
giftigen Dosen von Atoxyl das Arsen erst nach 30 Stunden nach¬ 
weisbar ist. Um festzustellen, ob etwa die Verschiedenheit der 
Versuchstiere die verschiedenen Ergebnisse bedinge, prüfte 
Blumenthal in Gemeinschaft mit Jacoby seine Versuche nach; 
beide Autoren kamen aber wiederum zu dem Resultat, daß bei 
Kaninchen nach einmaliger Einspritzung von Atoxyl die Arsen¬ 
ausscheidung mehrere Tage währte. Nach der Auffassung O.s 
und S.s sind auch diese Untersuchungen nicht eindeutig, weil 
Blumenthal und Jacoby nicht pharmakologische, also thera¬ 
peutisch anwendbare Dosen benutzten, sondern toxikologische. Um 
nun auch für das Kaninchen den Ausscheidungsmechanismus des 
Atoxyls klar zu legen, nahmen die beiden Verfasser wiederum eine 
Reihe von Versuchen vor, über die sie ausführlich Bericht erstatten. 
Danach ist auch beim Kaninchen, genau wie bei Mensch und Hund, 
nach einmaliger Injektion von 0,1 Atoxyl die Arsenausscheidung 
durch den Urin nach 24 Stunden so gut wie beendet. Dagegen 
scheidet es im Gegensatz zum Menschen und Hunde noch längere 
Zeit hindurch Arsen im Kot aus. Bei längerer Atoxyldarreichung 
ist beim Kaninchen auch die Arsenausscheidung durch den Urin 
eine protrahierte. 

Zu dem vorstehenden Aufsatz macht Blumenthal folgende 
Bemerkungen: Er hat in Gemeinschaft mit Jacoby die Versuche 
von Groner und Seligmann nachgeprüft und nach Einspritzung 
von 0,1 g Atoxyl bei Kaninchen gefunden, daß die Arsenausschei¬ 
dung nach 24 Stunden nicht beendet ist, vielmehr tagelang anhält. 
Dieser auffällige Unterschied der Resultate ist nach Blumen- 
thal vielleicht durch die verschiedene Ausführung des Arsennach¬ 
weises zu erklären, und es ist möglich, daß die Methodik von 
Croner und Seligmann Schuld daran trägt, wenn sie zu 
anderen Ergebnissen als B. gekommen sind. B. hat nämlich bei 
einem Versuche, am vierten Tage, bei dem gleichen Urin, bei dem 
nach der Angabe von Salkowski (Berlin klin. Wochenschr., 
1908, Nr. 4) angestellten Arsennachweis ein positives Ergebnis, 
bei der anderen Urinhälfte nach der von Croner und Selig- 
mann angewandten Methode aber ein völlig negatives Resultat 
erzielt. 

6. In einem sehr interessanten Aufsatze bespricht B. einige 
_ Emetika und ihre Anwendung. Trotzdem es der pharmakologischen 


Chemie gelungen ist, aus der Radix Ipekakuanha die wirksamen 
Substanzen, die Alkaloide Emetin und Zephaelin, zu isolieren, 
wenden die meisten praktischen Aerzte die Droge an, sei es als 
Pulvis rad. Ipekak., oder als Vinum oder Tinktura Ipekakuanhae, 
oder endlich als schwaches Infus, je nachdem sie ihre Wirkung 
als Emetikum oder als Expektorans wünschen. Um nun für 
längere Zeit einen größeren Vorrat an Ipekakuanhainfus zu be¬ 
sitzen, wird in den meisten Apotheken ein fertiges, konzentriertes 
(1:10 oder 1 : 20) Infus vorrätig gehalten, das nach Bedarf resp. 
Vorschrift verdünnt wird. Dieses konzentrierte Infus, oder wie 
es öfter signiert wird, Tinktura Ipekakuanhae aquosa, wird alle 
10 bis 14 Tage erneuert. Dagegen ist nichts einzuwenden, falls 
das Infus nicht über die angegebene Zeit hinaus aufbewahrt wird. 
B. hat nun eine Reihe von sehr interessanten Versuchen an Hunden 
angestellt, und zwar mit frischem und altem Ipekakuanhainfus, 
mit Tinktura und Vinum Ipekakuanhae, mit den von der Firma 
Merck hergestellten Alkaloiden Emetin und Zephaelin, mit und 
ohne Alkoholzusatz, mit BrechWeinstein, ebenfalls mit und ohne 
Alkoholzusatz, ferner mit Apomorphin, das er per os und subkutan 
gab. Bei der letztem Darreichung studierte er die Wirkung bei 
gleichzeitiger Anwendung von Adrenalin. Die Gesamtergebnisse • 
seiner Arbeit faßt B. dahin zusammen: Die in den Apotheken 
vorrätig gehaltenen konzentrierten Ipekakuanhainfuse sind thera¬ 
peutisch zulässig, falls sie nicht älter als 14 Tage sind. Galenische 
Ipekakuanhazubereitungen mit hohem Alkoholgehalt wirken auf 
den Brechakt verzögernd. Beim Emetin (-}- Alkohol) ist dies nur 
in geringem Grade der Fall, beim Zephaelin gar nicht. Die Ur¬ 
sache hierfür liegt darin, daß die genannten Alkaloide zu starke 
Reizmittel für den Magen sind, gegenüber denen der Alkohol zu 
schwach lokalanästhetisch wirkt. Dieser verzögert gleichfalls die 
Wirkung des Brechweinsteins, aber nicht die des Apomorphins. 
Eine leichte lokale Anästhesie der Magenwand durch den Alkohol 
scheint die Ursache der verzögerten Brech Wirkung zu sein. Adre¬ 
nalin — auch das synthetische — verzögert die Brechwirkung 
des Apomorphins sehr erheblich. 

7. In mehr als 80 Fällen, sowohl im Revierdienst als auch 
im Lazarett, hat Sch. Formaminttabletten nehmen lassen, und zwar 
hauptsächlich bei Angina katarrhalis und lakunaris. Meist gab er 
aber nur vier bis sechs Stück, im Gegensatz zu vielen Praktikern, 
die sechs bis acht bis zehn Stück täglich verordnen. Als wesent¬ 
lich betont Sch., daß die Tabletten nicht zerkaut werden, sondern 
daß die Kranken sie im Munde zergehen lassen. Nach seinen 
Beobachtungen verschwanden die Beschwerden bei Angina katar¬ 
rhalis schon nach ein bis zwei Stunden, und nach Verlauf von ein 
bis zwei Tagen trat völlige Dienstfähigkeit ein (was — wie be¬ 
kannt — auch ohne jede therapeutische Maßnahme oft zu beob¬ 
achten ist. Ref.). Bei Angina lakunaris schwanden die Pfropfe 
sehr bald, der bestehende Foetor ex ore wurde schon nach ge¬ 
ringer Zeit nicht mehr wahrgenommen. Das Fieber soll nach 
24 Stunden zurückgehen, die Schluckbeschwerden sehr bald auf¬ 
hören. Bei Angina phlegmonosa hat auch Sch. eine günstige 
Wirkung der Formaminttabletten nicht bemerkt. Dagegen sah er 
gute Erfolge bei Verletzungen der Lippen, Wangen, des Zahn¬ 
fleisches, der Kiefern und bei Stomatitis. Die desodorierende, 
durchaus ungiftige Wirkung des Formamints ist ja bekannt. 
Ebenso, daß es an Stelle von Gurgelwässern und als Prophylakti- 
kum mit Vorteil verwandt werden kann. Wenn aber Sch. eine 
durch die Blutbahn gegebene toxinhemmende Eigenschaft (Fern¬ 
wirkung) annimmt, so dürfte dies doch zu weit gegangen sein. 



Eine transportable Operationslampe* 

Von Dr. M. Magnus, Düsseldorf. 

Für denjenigen Arzt, welcher nicht das Glück hat, über 
eine eigene Klinik mit ihrer zweckmäßig und vollständig zu¬ 
sammengestellten Ausrüstung zu verfügen, ergeben sich oft 
mancherlei Schwierigkeiten bei der Unterbringung und Behand¬ 
lung seiner Patienten, von denen der Krankenhausarzt nichts 


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Original fram 

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332 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU 


.. ’... TT“ ?•'" ‘ " V" * “ " -v '-"'v TT ~*-Y ^ ^*T l '4PoJ. V **~V TTTZZ?~r* 

Dieses Wort von Seved R i bbi n g,‘ - das, dqr bekannte Leipziger* > 
Autor seinem Werke als Motto vorsetzt * (Jör^te jeder Arzt gern 
unterschreiben, wenn sich nur jeder einer „eingehenden Kenntnis 
des Sexuallebens bewußt wäre und sich ein Urteil, einen Rat Zu¬ 
trauen dürfte. Leider ist die Erkenntnis, die ein jeder (hoffent¬ 
lich) an sich selbst verspürt oder doch wenigstens durch Beob¬ 
achtung des Weltgetriebes erwerben kann, nämlich, daß das sexuelle 
Moment der Angelpunkt ist, um den sich alles dreht, in ihrer Be¬ 
deutung für die Ausbildung des Mediziners und die Tätigkeit 
des Arztes noch immer unterschätzt worden, so daß in der Tat 
der größte Teil der prädestinierten Berater der Familien mit’ nicht 
viel mehr Ahnung von der vita sexualis ausgerüstet ist wie etwa 
ein gleichalteriger Laie — ja ich fürchte, die Laien übertreffen 
vielfach hierin den Arzt. Ich halte es für die Pflicht des Arztes, 
in sexuellen Fragen ebenso unterrichtet zu sein wie in anderen 
Disziplinen seiner Wissenschaft und Praxis, und kann zum Studium 
dringend Rohleders Werk empfehlen, das — wie kein zweites 

— in kurzer, präziser und doch umfassender wissenschaftlicher 
Darstellung sämtliche Gebiete des Sexuallebens dem ärztlichen 
Praktiker vor Augen führt. Mit den letzten Worten ist die' Reich¬ 
haltigkeit des Rohledersehen Werkes genügend charakterisiert. 

— Es ist nicht möglich, an dieser Stelle näher auf einzelne Kapitel 
einzugeken und es mag genügen, die Lektüre dieses Standard¬ 
werkes jedem Arzte dringend ans Herz gelegt zu haben. 

Lungwitz. 


weiß. Diese Schwierigkeiten häufen sich, wenn es sich um 
operative Fälle handelt, und können ungeahnte Dimensionen 
annehmen, wenn zu dem operativen Eingriffe eine künstliche 
Beleuchtung notwendig ist. Wer noch niemals . einer Ohrauf¬ 
meißelung beigewohnt hat, bei der als Spenderin des Lichtes 
eine die Luft im Operationszimmer nicht eben verbessernde 
Petroleumlampe verwandt wurde, als deren lebendes Stativ 
während einer halben Stunde und länger eine opferwillige, aber 
doch leider nicht unbewegliche Krankenschwester fungierte, der 
weiß es nicht, was es zuweilen für eine Kunst ist, bei künst¬ 
lichem Lichte zu operieren. Die technischen Schwierigkeiten 
der Operation verdoppeln und verdreifachen sich oft bei solcher 
Beleuchtung. Doch ganz abgesehen von der Petroleumlampe 
und ähnlichen für operative Zwecke mehr oder minder geeig¬ 
neten primitiven Notbehelfen, auch die übrigen im Gebrauche 
befindlichen sogenannten Operationslampen entsprechen nicht 
allen wünschenswerten Anforderungen. Die zur direkten Be¬ 
leuchtung verwandten elektrischen Stirnlampen sind zwar trans¬ 
portabel, es bedarf aber der Einschaltung eines Widerstandes 
zu ihrer Benutzung. Sie sind deswegen nicht überall zu ge¬ 
brauchen. Zudem ist ihr Preis ein relativ hoher, der dadurch, 
daß die Lämpchen oft durchbrennen — eine fatale Störung 
während der Operation — noch eine Steigerung erfährt. Zur 
Beleuchtung mit reflektiertem Lichte hat man Lampen für 
elektrisches Licht, für Gas, Petroleum etc., welche auf einer 
besonderen, mit ihnen nicht verbundenen Unterlage stehen, 
oder welche an einem mehr oder minder schweren Stativ, in 
der Höhe verstellbar, befestigt sind. Diesen Lampen haftet, 
abgesehen von dem ebenfalls hohen Preise, noch der Nachteil 
an, daß sie nur schwer transportabel sind und jedenfalls vom 
Arzte nicht überallhin mitgenommen werden können. 

Meine Absicht war es, eine Lampe zusammenzustellen, 
welche ich mit meinem Instrumentarium zu Opera¬ 
tionen ins Krankenhaus mit nehmen könnte, welche auch 
für Untersuchungen bettlägeriger Patienten im Kranken¬ 
zimmer geeignet wäre. Außerdem stände mir dann auch für 
Operationen in verschiedenen Krankenhäusern stets die gleiche 
Lichtquelle zur Verfügung, ein nicht zu unterschätzender Vor¬ 
teil. Die neue Lampe mußte also in irgendeiner Weise zu¬ 
sammenlegbar sein, sie durfte nicht zu große Dimensionen und 
ein zu großes Gewicht haben. Endlich durfte sie nicht zu 
teuer sein, um mit den bisher gebräuchlichen Lampen konkurrieren 
zu können. Daneben durfte sie die Vorteile derselben nicht 
vermissen lassen. Ich glaube nun mein Ziel erreicht zu haben 
mit einer Lampe, die etwa 1 kg schwer, zusammengelegt ca. 
60 bis 70 cm lang ist und etwa 15 bis 20 M. inkl. Futteral 
kosten wird. In dem Stativ, dessen Füße sich nach Art der 
zusammenlegbaren Notenpulte nach oben klappen lassen, ist 
das die abschraubbare elektr. Birne tragende Rohr ver¬ 
schiebbar angebracht. Die Leitungsschnur geht durch dieses 
Innen rohr hindurch und endigt in ca. 4 m Länge in einem 
Steckkontakt. Die Lampe hat also den Vorteil, daß sie ver¬ 
stellbar in einem zusammenlegbaren Stativ angebracht 
ist, so daß sie leicht transportabel ist und im Bedarfs¬ 
fall vom Arzte überall dort gebraucht werden kann, wo Haus¬ 
elektrizität vorhanden ist. Das wird aber in modernen Kran¬ 
kenhäusern und Kliniken stets der Fall sein. 



□ 


Bücherbesprechungen. 


□ 


Bekanntmachung. Das Diphtherie-Heilserum mit der Kon- 
trollnummer 921 aus den Höchster Farbwerken und den Kontroll- 
nummern 139, 140, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 150, 
152, 154 aus der Merckschen Fabrik in Darmstadt ist wegen Ab¬ 
schwächung zur Einziehung bestimmt. 

Flaschen mit diesen Kontrollnummern dürfen hinfort nicht 
mehr in den Apotheken abgegeben werden und können nach der 
Vereinbarung mit dem Laboratorium bei kostenfreier Einsendung 
kostenlos gegen einwandfreies Serum eingetauscht werden. 

Berlin, den 4. April 1908. 

Der Polizei-Präsident. 

I. A.: Lewald. 


Vorlesungen über Geschleohtstrieb und gesamtes 
Geschlechtsleben des Menschen. Von Dr. H. Rohleder, 
Spezialarzt für sexuelle Erkrankungen in Leipzig. Zweite ver¬ 
besserte , vermehrte und gänzlich umgearbeitete Auflage. Berlin 
1907. Fischers mediz. Buchhandlung H. Kornfeld. 2 Bände. 

„Die ganze Stellung des Arztes bietet keine angenehmere, 
keine zufriedenstellendere Seite als die, daß sein Wissen das 
Sexualleben, die Grundbedingungen der Familie 4 beherrscht.“ 


Patent-Nachrichten. 

Paten terteilun gen. 

30 d. 316 089. Schutzhülse gegen Uebertragung von Ge¬ 
schlechtskrankheiten, mit auf dem vorderen Teile andersartiger 
Färbung als auf dem hinteren. The Radium Rubber Go. m. b. H., 
Dellbrück b. Cöln a. Rh. 7. 8. 07. R. 19 757. 

30 e. 315 814. In Betten für Kranke die Anordnung einer 
durch Schnüre beweglichen Fußstütze, welche nach entsprechender 
Anpassung, befestigt wird. Max Trennert, Braunschweig, Hildes- 
heimerstr. 25. 23.7/07. T. 8694. 

30d. 315 801. Schutzverband mit Druckknopfvorrichtung. 
Josef Mittwich, Mainz, Bonifaciusstr. 26. 24. 6. 07. M. 24516. 

30 d. 316088. Schutzhülse gegen Uebertragung von Ge¬ 
schlechtskrankheiten, mit auf dem vorderen Teile andersartiger 
Färbung als auf dem hinteren. The Radium Rubber Oo. m. b. H., 
Dellbrück b. Cöln a. Rh. 7. 8. 07. R. 19 756. 

30 f. 315 827. Mehrteilige Haarpflege- und Kopfmassage¬ 
vorrichtung mit federndem Flüssigkeitsbehälter als Druckball. 
Muhr & Oo., Elberfeld. 9. 8. 07. M. 24 820. 


F. A. Hoppen u.. ß. Fischer 
Patentanwälte 

Berlin SW. 13, NQueiiburgcrstraße 15 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. H. Lungwitz, Berlin S. — Verlag: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle a. S. 
Druck der Heynemannschen BAhdru^kerei, Gebr. Wolff, Halle a. S. 


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Therapeutische Rundschau 

Wochenschrift für die gesamte Therapie des praktischen Arztes. 


G. Anton, A. Duhrssen, C. A. Ewald, P. Gerber, R. Robert, 
Halle a. S. Berlin. Berlin. Königsberg. Rostock. 

Ad. Schmidt, H. Schmidt-Rimpler, H. Senator, 
Halle a. S. Halle a. S. ' Berlin. 

C --N 

Redaktion: 

Berlin S. 14, Dresdenerstr. 44. Tel. IV, 11773 . 
_Dr. med. et phil. H. Lungwitz. 


Herausgegeben von 



M. Koeppen, M. Mosse, K. Partsch, H. Rosin, H. Schlange, 
Berlin. Berlin. Breslau. Berlin. Hannover. 

R. Sommer, H. Unverricht, 0. Vulpius, 

Gießen. Magdeburg. Heidelberg. 

r ~ " "N 

VerlagU. Expedition: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung 
in Halle a. S., Reilstraße 80. 

Tel.-Adr.: Marhold Verlag Hallesaale. Fernsprecher 823. 


Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte der Ostsee und der 
- _ Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 


II. Jahrgang. 


Halle a. S., 24. Mai 1908. 


Nr. 21. 


Nachdruck der Original-Aufsätze ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. - Nachdruck der anderen Rubriken ist nur mit Quellenangabe gestattet 


ORIGINALIEN. 


CD 


Operationslose Behandlung der „Drüsen“. 

Von Dr. P. Krause, Spezialarzt für Lungen- und Halsleiden, 
Hannover. 

Eine überaus häufige Erscheinungsform der Tuberkulose 
ist die Tuberkulose der Lymphdrüsen, die „Drüsen“ schlecht¬ 
weg, die ja sogar im Kindesalter als einzige oder doch wich¬ 
tigste und ins Auge fallendste Aeußerung der stattgehabten 
tuberkulösen Ansteckung erscheinen. Ist nun schon das Be¬ 
stehen dieser tuberkulösen Herde in den Drüsen, von denen 
aus eine Allgemeininfektion des Körpers oder einzelner Körper¬ 
teile wie Lungen, Gehirnhäute etc. erfolgen kann, keineswegs 
gleichgültig, so fürchten viele doch noch mehr als diese Ge¬ 
sundheit und Leben bedrohenden Eolgezustände unter Um¬ 
ständen die „kosmetischen“ Folgen: die dicken, zumal am 
Hals sichtbaren, entstellenden Drüsenpakete, durch deren teil¬ 
weise Erweichung, Vereiterung und Durchbruch nach außen 
dann tiefgehende, schwer und langsam heilende, häßliche, 
dauernde Narben zurücklassende Geschwüre entstehen, wenn 
nicht durch rechtzeitiges operatives Eingreifen diesem Gewebs¬ 
zerfall vorgebeugt wird. Doch auch diese chirurgische Be¬ 
handlung zeitigt keineswegs ideale Erfolge: wohl jeder weiß, 
wie oft nach diesen Drüsenoperationen große, zeitlebens sicht¬ 
bare Narben, ja sogar Atrophien und Lähmungen großer 
Muskelgruppen mit dauernder Bewegungsbeschränkung oder 
Schwächung der betreffenden Körperteile Zurückbleiben. Gewiß 
ist eine große Zahl der Drüsenerkrankungen eine gutartige, 
indem der Körper ohne äußere Unterstützung Herr der statt¬ 
gehabten Infektion wird, oder indem gesundheitsgemäße Lebens¬ 
weise, kräftigende Diät, Darreichung von Lebertran und 
anderen leicht verdaulichen Fetten event. in Verbindung mit 
vorsichtiger .Anwendung von Jodpräparaten und anderen Medi¬ 
kamenten zum allmählichen Schwinden der Schwellungen führt; 
meistens aber wird eine energischere, eingreifende Behandlung 
erforderlich sein, .um die Lymphdrüsentuberkulose zu beseitigen, 
und da war bisher der chirurgische Eingriff das beste, wenn 
nicht einzige, Erfolg versprechende Mittel, obgleich auch mit 
dem Messer nicht immer mit Sicherheit eine vollständige Aus¬ 
räumung . alles Erkrankten möglich war und häufig noch 
zurückbleibende Fisteln etc. eine monatelange, für alle Be¬ 
teiligten lästige Nachbehandlung nötig machten. 

Als nun in neuerer Zeit, nachdem der durch die teilweise 


üblen Erfahrungen der ersten 90er Jahre erzeugte „Tuberkulin¬ 
schrecken“ allmählich wieder überwunden war, der günstige Ein¬ 
fluß der verschiedenen Tuberkelbazillenpräparate auf tuberkulöse 
Erkrankungen der Lungen fraglos festgestellt wurde, zeigte 
sich die Wirkung der spezifischen Behandlungsmethode ebenso 
bei den meisten ^ andern tuberkulös erkrankten Körperteilen, 
Und nachdem die bei Lungen- und Kehlkopfkranken sowie 
bei den als Begleiterscheinung auftretenden Drüsenerkrankungen 
besonders mit Kochs Bazillen-Emulsion erzielten günsti¬ 
gen Erfolge in steigendem Maße mit Sicherheit konstatiert 
werden konnten, ging man auch dazu über, die „reinen“ 
Drüsenerkrankungen, d. h. solche, bei denen entweder außer 
der Drüsentuberkulose gar keine Krankheitserscheinungen oder 
nur so unbedeutende aufzufinden waren, daß dieselben voll¬ 
ständig in den Hintergrund traten, ebenfalls mit der Bazillen- 
Emulsion zu behandeln, und zwar mit überraschendem Erfolge! 
Nicht allein kleine verhärtete Drüsen, sondern auch dicke, ent¬ 
stellende Drüsenpakete, ja sogar schmerzhafte, teilweise er¬ 
weichte (in Eiterung übergehende) Drüsen, bei denen zum Teil 
die überdeckende Haut schon entzündlich gereizt war, erwiesen 
sich dieser Therapie zugänglich, und dasselbe war der Fall bei 
den Ueberbleibseln aufgebrochener oder operativ geöffneter, 
vereiterter Drüsen: die sezernierenden Wundflächen oder die 
so lästigen und hartnäckigen Fisteln erlangten plötzlich eine 
erstaunliche Tendenz zur Heilung und zur Bildung guter, wenig 
auffallender, relativ unsichtbarer Narben. 

Die Anwendung der Bazillen-Emulsion geschieht nach zwei 
verschiedenen Methoden: durch Einspritzungen unter die Haut 
oder durch Einnahme keratinierter Kapseln (Plitvsoremid), 
welche beide gleich gute Ergebnisse liefern.") Die erste, ältere 
Darreichungsform hat den Vorteil der schnelleren, entschie¬ 
deneren Wirkung für sich, dafür ist sie allerdings in der Hand 
des nicht genügend Erfahrenen unter Umständen nicht 
ungefährlich und darf daher nur mit äußerster Vorsicht unter 
sorgfältigster ärztlicher, dauernder Beobachtung des Patienten 
ausgeführt werden; auch sind die an den Injektionsstellen auf¬ 
tretenden entzündlichen Reizungen, Schwellung, Rötung und 
leichte Schmerzhaftigkeit, für empfindliche Kranke lästig und 
erschweren die Durchführung der Behandlung ebenso, wie die 
Notwendigkeit der häufigen ärztlichen Besuche bezw. Kon¬ 
sultationen die Kur naturgemäß verteuert und für manchen auf 
die Dauer unerschwinglich gestaltet. Alle diese Uebelstände 
werden durch die zweite, innere Anwendungsform vermieden, 
denn dieselbe ist bequem, billig, ungefährlich und scheint des- 


*) Ueber subkutane Anwendung- siehe Nr. 52, 1905, der Münch med 
Wochenschrift, doch ist bei Drüsen nur die Hültto der dort angegebenen 
Dosen anzuwenden. Ueber innere Darreichung- siehe Heft 6, JBamf 10 der 
„Zeitschrift, für Tuberkulose“. 


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334 


TMjERAPfitmscfite RUNÜSCÖÄt). 


halb die unbeschränkteste Möglichkeit, sich ihrer in allen 
Kreisen der Bevölkerung, auch der weniger bemittelten, zu 
bedienen, für die Zukunft zu bieten. 


Zur Behandlung der Abszesse, Furunkel und Phleg¬ 
monen der Haut und des Unterhautzellgewebes. 

Von Regimentsarzt Dr. Maximilian Ottenfeld, Prag. 

Unter den Erkrankungen, welche dem Militärärzte gelegent¬ 
lich der täglichen Krankenvisite zur Beobachtung gelangen, 
nehmen diejenigen der äußeren Bedeckungen, und zwar ins¬ 
besondere Exkoriationen und tiefergehende Substanz Verluste 
der Haut, in ihrer mannigfachen Erscheinungsform, ferner Ab¬ 
szesse, Furunkel und phlegmonöse Entzündungen sowohl ihrer 
Zahl nach, als was die Behandlungsdauer - - beziehungsweise 
die Zeit der Undienstbarkeit des betreffenden Mannes — anbe¬ 
langt. wohl den ersten Platz ein. 

Die Frequenz dieser Erkrankungen ist freilich auch starken 
Schwankungen ausgesetzt, die naturgemäß in innigem Zusam¬ 
menhänge stehen mit der Art der Beschäftigung, beziehungsweise 
mit der mehr oder minder großen Vertrautheit mit dem 
Dienste, wird also demzufolge zur Zeit der Einreihung der 
Rekruten — während der Zeit der Abrichtung — das Maximum 
erreichen. 

Weitere Momente, die hier von ganz bedeutendem Ein¬ 
flüsse sind, sind die prophylaktischen Maßnahmen betreffend 
Reinigung und Konservierung der Haut, insbesondere der Hände 
und Füße, Witterungseinflüsse (Hitze und Kälte) usw. 

Um nun die Zahl der Erkrankungen der äußeren Be¬ 
deckungen möglichst einzuschränken, muß man erstlich daran 
gehen, durch Belehrung dahin zu wirken, daß in erster Linie 
die Reinhaltung der Haut ein unbedingtes Postulat ist, um der 
Bildung von Abszessen, eitrigen Geschwüren usf. vorzubeugen, 
und auch weiterhin darauf hinweisen, daß derartige Er¬ 
krankungen durchaus nicht gleichgültiger Natur sind, daß sie 
unter Umständen schwere Schädigungen der Gesundheit, ja 
selbst den Tod des Individuums herbeizuführen vermögen. 

Andererseits wird es aber Sorge des behandelnden Arztes 
sein müssen, die Behandlung erstens rechtzeitig einzuleiten, 
d. h. dahin zu wirken, daß alle Läsionen der Haut sofort der 
ärztlichen Behandlung zugeführt werden, was durch eine streng 
durchgeführte Kontrolle unschwer zu erreichen ist, sowie nach 
einer Behandlungsart derartiger Krankheitsprozesse zu suchen, 
die in relativ kürzester Zeit zum Ziele führt, also die Un- 
dienstbaikeit des Mannes auf das möglichste Minimum an Zeit 
beschränkt. 

Was den letzteren Umstand anbelangt, so sind im Laufe 
der Jahre vielfache Modifikationen der Behandlungsweise der 
Abszesse, Furunkel und phlegmonösen Entzündungen der Haut 
und des Unterhautzellgewebos in Vorschlag gebracht und mit 
wechselndem Erfolge in Anwendung gezogen worden. 

Einen Wendepunkt in der Behandlung der vorangeführten 
Krankheitsprozesse bezeichnet die Einführung der Bier sehen 
Methode mittels Stauung und in der Folge die Einführung der 
verschiedenen Saugapparate zur Behandlung entzündlicher 
Prozesse durch Klapp. Nicht nur, daß die meist schmerz¬ 
haften und großen Inzisionen, die dann einer längeren Zeit zur 
Heilung bedürfen und nicht selten entstellende Narben zurück¬ 
lassen, umgangen werden, so ist das Verfahren an und für 
sich reinlich, bei einiger Uebnng und Erfahrung leicht auszu- 
fiihren, dabei für den Betroffenen mit weniger Schmerzen ver¬ 
bunden, und was die Hauptsache ist, die Behandlungsdauer ist 
in den meisten Fällen eine entschieden kürzere, die Restitutio 
ad integrum ohne störende Narbenbildung vielfach gewähr¬ 
leistet. 

Daß daneben die älteren Behandlungsmethoden, Appli¬ 
kation von Pflastern, feuchtwarme Einpackungen usf., auch 
noch zu Rechte bestehen und in Kombination mit der Bier- 
Klappschen Methode recht günstige Resultate zu zeitigen ver¬ 
mögen, ist selbstverständlich, und jeder Arzt wird je nach dem 
Falle die eine und die andere Behandlungsart in Anwendung 




bringen, auch je nach selbstgemachten Erfahrungen sein Re¬ 
gime einrichten. 

In letzter Zeit wurde ein neues Präparat, „Eston“ ge¬ 
nannt, von den chemischen Werken Friedländer in Berlin in 
Verkehr gebracht, das zur Behandlung von Geschwüren der 
Haut, Unterschenkelgeschwüren, zur Nachbehandlung von Ab¬ 
szessen etc. vorzüglich geeignet erscheint. Es ist ein basisches 
2 / 3 Aluminiumazetat und bildet ein feines, weißes, trockenes 
Pulver von etwas säuerlichem Gerüche, gegen Licht und Luft 
fast indifferent, in Wasser soviel als unlöslich. In alkalischen 
Flüssigkeiten (Blut und Eiter) löst es sich leichter und spaltet 
hierbei dauernd in langsamer Weise seine Komponenten ab; 
es verbindet derart die antiseptische und adstringierende Wirkung 
des Liquor Aluminii acetici mit der aufsaugenden und austrock¬ 
nenden eines Streupulvers, ein Umstand, der für dessen thera¬ 
peutische Verwendung von großem Werte erscheint. 

Da die Wirkung dieses Präparates infolge der sehr langsam 
vor sich gehenden Abspaltung seiner Komponenten eine ent¬ 
sprechend langsame ist, so wurde noch ein weiteres Präparat, 
das „Formeston“, dargestellt, welches eine analoge Zusammen¬ 
setzung hat wie das Eston, in dem aber eine der beiden Essig¬ 
säuregruppen durch Ameisensäure substituiert ist (basisch essig¬ 
ameisensaure Tonerde). Seine Wirkung ist eine eingreifendere 
und zugleich auch raschere. Ueber die therapeutische Ver¬ 
wendung dieser Präparate wird noch im folgenden berichtet 
werden. 

Weitere ganz vortreffliche Hilfsmittel bei der Behandlung 
von Eiterprozessen der äußeren Bedeckungen habe ich in den 
Nafalanpräparaten — dem reinen Nafalan, ferner in der Form 
als Hausnafalan (Zink-Nafalansalbe), dann in der Form als 
Nafalanstreupuder, weiter in den Sozojodolpräparaten, unter 
diesen in der Form der Sozojodolwundsalbe, als insbesondere 
im Bismutum sozojodolikum kennen und schätzen gelernt. 
Das letztere ist ein lichtgelbes, feines • Pulver, das pur ange¬ 
wendet bei oberflächlichen eitrigen Geschwürsprozessen, diese 
in rascher Weise günstig beeinflußt, stark austrocknend wirkt 
und die baldige Epidermisierung herbeiführt. Die Sozojodol- 
Wundsalbe vermag in Fällen beginnender Phlegmone (Pana- 
ritien) in dicker Schicht aufgetragen, diese Krankheitsprozesse 
zu kupieren, wobei vornehmlich auch die in den meisten Fällen 
bald eintretende schmerzstillende Wirkung von nicht geringer 
Bedeutung ist. 

Eine Unterstützung all der vorangeführten Behandlungs¬ 
methoden von Eiterungsprozessen der Haut habe ich in der 
gleichzeitigen Verabreichung einer lproz. Chininlösung, und 
zwar ca. drei bis vier Eßlöffel voll täglich — ca. 50 bis 60 g 
der Lösung gefunden. 

Ich übe dies Verfahren bereits seit mehreren Jahren und 
habe den sicheren Eindruck gewonnen und zwar durch öftere 
Nebeneinanderbehandlung gleichartiger Fälle, vorzüglich phleg¬ 
monöser Prozesse (Angina phlegmonosa), Phlegmonen des Ge¬ 
sichts, der Halsgegend und solche der Extremitäten, daß das 
gleichzeitig verabreichte Chinin^ den Verlauf der Eiterung 
sowohl als auch den der Rekonvaleszenz günstig beeinflußte in 
dem Sinne, daß beide Verlaufsphasen abgekürzt wurden und 
das Allgemeinbefinden der Patienten sich rasch besserte. Am 
auffallendsten' trat diese Besserung bei den sehr schmerzhaften 
Phlegmonen der Nase, bei Abszessen des äußeren Gehörganges, 
bei Lippenabszessen und in einem Falle von Phlegmone des 
Mundbodens und der rechten Halsseite hervor. 

In der mir zugänglichen Literatur fand ich dieses Verfahren 
nicht verzeichnet, doch zweifle ich nicht, daß auch in dieser 
Hinsicht anderweitige Erfahrungen bereits; vorliegen werden, 
durch die meine diesbezügliche Beobachtung bestätigt wird. 


Nachdem ich so die verschiedenen Methoden und thera¬ 
peutischen Hilfsmittel hei der Behandlung der eitrigen Er¬ 
krankungen der äußeren Bedeckungen, wie sie mich die lang¬ 
jährige Erfahrung hat kennen lernen lassen, nur innuce habe Revue 
passieren lassen, möchte ich noch einige Worte über die Be¬ 
handlung oben erwähnter Krankheitsprozesse mittels der Bier- 
Klapp sehen Methode sowie mittels der Estonpräparate, die ich 
in letzter Zeit vornehmlich in Anwendung brachte, noch an¬ 
schließen, 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


335 


f~ - Behandelt wurden nach Bier-Klapp in dem Zeiträume 
voip 27c Juli'1906 his 1. Dezember 1907 50 Fälle und zwar: 

K Abszesse.10 Fälle, 

Furunkel ...... 24 „ 

Phlegmonen . . . . ’8 „ 

Panaritien.3 „ 

Infektionspusteln . . 2 „ 

Lymphdrüsenabszesse 3 „ 

Bezüglich der Technik der Behandlung mit den Saug¬ 
apparaten wurden die Vorschriften Biers und Klapps genau 
befolgt. Eine Anzahl verschieden großer Saugglocken von 
teils runder, teils ovaler Form gestattet, den einzelnen Fällen 
entsprechend vorzugeben. 

Nach vollzogener Stauung wurde eine feuchtwarme Ein¬ 
packung mit Büro wscher Lösung gemacht, welche bis zur 
nächsten Stauung am folgenden Tage belassen wurde. Die 
Resultate dieser Behandlungsmethode waren gegenüber den 
früher geübten recht günstige* 

Abgesehen von der wenig schmerzhaften Stichinzision war 
die übrige Behandlung fast schmerzlos; die Behandlungsdauer 
der Abszesse und Furunkel variierte von drei bis zwölf Tagen, 
die der ziemlich ausgebreiteten Phlegmonen betrug im Mittel 
14 Tage, bei den Panaritien 8, 12 bezw. 21 Tage, im Mittel 
rund 14 Tage. 

Der große Vorteil dieser Methode liegt in der Einfachheit 
der Ausführung, in der Wohltat der geringen Schmerzhaftig¬ 
keit für- den Patienten, speziell beim Verbandwechsel, und 
nicht zum mindesten in der Verkürzung der Behandlungsdauer 
und der meist möglichen Restitutio ad integrum. 

Die früher erwähnten Estonpräparate habe ich bei der 
Behandlung oberflächlicher Exkoriationen der Hände und Füße 
sowie bei den sich aus denselben durch Vernachlässigung er¬ 
gebenden Hand- und Fußgeschwüren, die meist lange Zeit 
jeder Behandlung trotzen und die Geduld des Arztes oft auf 
die Probe stellen, in Verwendung gezogen und zwar, wie ich 
gleich vorausschicken will, mit ganz vorzüglichem Erfolge. Es 
genügte in den meisten Fällen, nach gründlicher Reinigung der 
Wunde und ihrer Umgebung etwas Estonpulver (vornehmlich 
wurde das Formeston in 20proz. Mischung mit Talkum, be¬ 
ziehungsweise eine lOproz. Salbe verwendet) aufzutragen, etwas 
aseptische Gaze darüber zu breiten und entweder mit einem 
Pflaster zu decken oder einen leichten Deckverband zu appli¬ 
zieren. 

Besonders hervorheben möchte ich folgenden Fall. Infanterist 
F. M. erschien am 23. Oktober v. J. mit einer ausgebreiteten 
Phlegmone am rechten Unterschenkel bei der Krankenvisite. 
Das Zentrum der Phlegmone war bereits gangränös. Nach 
Reinigung und Toilette der Wunde ergab sich ein 3 cm unter¬ 
halb der Tuber, tibiae beginnender, 10 cm weit nach abwärts 
reichender, in der größten Breite zirka 6 cm messender Sub¬ 
stanzverlust mit unterminierten Rändern, in dessen Tiefe der 
Periost der Tibia in der Ausdehnung von 3 resp. IV 2 cm 
bloßlag. 

Vergegenwärtigt man sich die entzündlich* ödematöse Schwel¬ 
lung der Umgebung und der Geschwürsränder, so hat man ein 
ungefähres Bild der großen, recht mißlich aussehenden Wunde. 
Der Verlauf war folgender: Aufträgen einer dichten Schicht 
Formeston, Deckverband, Bettruhe; am Nachmittag der Ver¬ 
band stark durchfeuchtet, die Eiterung teilweise noch miß- 
farbig und übelriechend, sehr kopiös, Verbandwechsel. In den 
foglenden zwei Tagen dasselbe Regime; bereits am dritten Tage 
die Eitermenge vermindert, nicht übelriechend, die Wunde 
rein, die entzündliche Schwellung der Geschwürsränder stark 
vermindert. Körpertemperatur am ersten Tage 38,6 0 C um 
8 Uhr früh, 39,2 0 C um 4 Uhr nachmittags und 38,4 0 C um 
7 Uhr abends; am zweiten Tage in der Frühe 37,9, um 4 Uhr 
W. M. 38,2, um 7 Uhr abends 38,0° C; am dritten Tage früh 
37,2 0 C, 4 Uhr nachmittags 36,8 und von da ab normal. 

Innerlich wurde gleich vom Beginne an lproz. Chinin¬ 
lösung verabreicht. 

Am 5. November: die entzündliche Infiltration der Um¬ 
gebung geschwunden, von den Rändern her und aus der Tiefe 
rasche Bildung gesunder Granulationen. Applikation eines 


Formestonsalbenverhandes. In den folgenden Tagen die Heilung 
rasch fortschreitend, schnelles Ausgranulieren des großen Sub¬ 
stanzverlustes, am 3. Dezember Wunde vollkommen verheilt. 

Von der Anwendung der Bi er sehen Methode wurde in 
diesem Falle Abstand genommen, um die reine Wirkung der 
Estonpräparate zur Geltung kommen zu lassen. 

Zum Schluß möchte ich noch die schon vom Regiments¬ 
arzt Dr. Hugo Taussig zur Behandlung der Schweißfüße 
empfohlene Verwendung der Estonpräparate erwähnen. 

Nachdem ich im Vorjahre in einer kurzen Publikation die 
sehr günstige Heilwirkung des Tannoformpulvers auf die abnorm 
gesteigerte Schweißbildung insbesondere der Füße, die ich an 
einer größeren Reihe von über hundert Fällen zu beobachten 
Gelegenheit genommen habe, mitteilte, habe ich es naturgemäß 
nicht verabsäumt, die Estonpräparate in dieser Hinsicht zu 
prüfen, und bin in der angenehmen Lage, diese Erfahrungen 
vollauf bestätigen zu können. Die austrocknende und gleich¬ 
zeitig desodorisierende Wirkung der Präparate — in leichteren 
Fällen von Fußschweiß eine 20proz., in schweren, mit Rhagaden¬ 
bildung und Geschwüren einhergehenden Fällen eine 50proz. 
Mischung mit Talkum — war, abgesehen von einem im Beginne 
auftretenden, leicht brennenden Gefühle, eine prompte, be¬ 
sonders in den letzterwähnten Fällen unter leichtem Deckver- 
bande und Bettruhe eine überraschend schnelle, so daß die be¬ 
treffenden Leute in kurzer Zeit als diensttauglich aus der Be¬ 
handlung entlassen werden konnten. 


Die Luftpumpe in der ärztlichen Praxis. 

Von Ingenieur Friedrich Dessauer, Direktor der Veifa- 
Werke, Asch affen bürg. 

Von den Fortschritten in der physikalischen Medizin, so¬ 
weit sie neue Apparatkonstruktion betreffen, gehen von Zeit zu 
Zeit einige aus der Hand des Spezialisten in die des praktischen 
Arztes über. Es handelt sich dabei durchaus nicht immer nur 
um solche Dinge, die durch ihre relativ technische Einfachheit 
in der Applikation der speziellen Schulung entbehren können. 
Es handelt sich vielmehr dabei oft nur um eine Wertfrage. 
Neue physikalische Methoden von allseitiger Verwertbarkeit, 
wirklich unzweifelhafter Nützlichkeit sind oft auch dann in die 
allgemeine Praxis übernommen worden, wenn die Anwendung 
durchaus nicht einfach war. Das sah man besonders deutlich 
beim Röntgenapparat, dessen sich viele praktische Aerzte be¬ 
dienen und der immer mehr bei ihnen Eingang findet. 

Die Konstruktion freilich, die ich im nachfolgenden be¬ 
schreiben will, eignet sich zur Einführung in die allgemeine 
Praxis in noch viel höherem Maße, weil es sich um einen 
relativ billigen und einfachen Apparat handelt, während das 
Röntgeninstrumentarium eben teuer und mehr oder weniger 
schwierig zu beherrschen ist. Seitdem ich mich mit dem 
Gegenstände befaßt habe, bin ich immer mehr zu der An¬ 
schauung gekommen, daß es sich bei der zu behandelnden 
Apparatgruppe und speziell bei der vorliegenden Konstruktion 
um eine Erfindung handelt, die auf die Dauer allgemeine Ein¬ 
führung und Anwendung gewinnen wird, ebenso oder in noch 
höherem Maße wie die Vibrationsmassage, die, was wirklich 
therapeutischen Wert anlangt, von der nachfolgend dargestellten 
Konstruktion sicherlich wesentlich übertroffen wird. 

Die Benutzung der Luftpumpe im ärztlichen Dienst ist 
nichts Neues. Frühzeitig schon wurde sie in dem Spezialgebiet 
des Nasen- und Halsarztes angewendet. Im 17. Bande Heft 2 
des Archivs für Laryngologie beschreibt Spieß, der sich mit 
diesbezüglichen Konstruktionen eingehend befaßt hat, eine elek¬ 
tromotorisch angetriebene Luftpumpe, die dazu dient, Hyperämie 
der Schleimhaut zu erzielen, die Drüsenfunktion zu erhöhen 
und der Atrophie der Schleimhaut entgegen zu arbeiten. Seine 
Konstruktion hat vielfache Anwendung gefunden. 

Eine weitere Anwendung der Luftpumpe hat insbesondere 
Zabludowski eingeführt. Es läßt sich kaum eine idealere 
Massage der Haut denken als mit Hilfe der Luftpumpe. Der 
rasch auf- und niedergehende Kolben erzeugt hin- und her- 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU 


drehbaren Teil mit seiner Marke auf die eine oder andere der 
Bezeichnungen stellt, erhält man andere und immer andere 
Wirkungen. Bei der Bezeichnung 0 ist die Pumpe nach 
außen wirkungslos. Das ist deswegen wichtig, weil man, ohne 
sie abzustellen, während des Betriebes unter Umständen einmal 
ihre Tätigkeit aufzugeben wünscht. Auf diese O-Stellung kann 
man sowohl von der Vakuumstellung (Marke V) also von der 


gehende Luftströme, indem er abwechselnd saugt und kom¬ 
primiert. Diese Luftstöße werden mit Hilfe eines Saugnapfes 
auf die zu behandelnde Hautstelle übertragen. Man kann nun bei 
entsprechender Konstruktion der Luftpumpe entweder eine reine 
Saugwirkung anwenden und damit Hyperämie erzeugen, 
aber auch Absaugen von Eiter etc. vornehmen. Man 
kann des weiteren, indem man Druck- und Saugwirkung zur 
Hautstelle leitet, eine richtige, bei guten Konstruktionen außer¬ 
ordentlich abstufbare Vibrationsmassage der Haut 
durchführen. Diese Massage kann bis zu einem Grad von 
Milde geschwächt werden, der selbst bei den empfindlichsten 
Stellen vertragen wird, und kann wiederum bis zu einem Grade 
gesteigert werden, der eine ganz erhebliche Reaktion hervor¬ 
bringt. Durch Einschaltung einer Saugflasche wird in ersterem 
Falle die seröse Flüssigkeit abgefangen. 

Professor Dr. Breitung verwendete diese Luftpumpe zur 
Trommelfellmassage, wie bekannt. Aehnliche Konstruktionen 
wurden auch von Seeligmann angegeben. 

Stellt man indessen die Pumpe so ein, daß sie als reine 
Druckpumpe wirkt, so erzeugt sie einen feinen, unter Um¬ 
ständen — bei kleiner Austrittsöffnung unter hohem Druck — 
entweichenden Luftstrom, der z. B. für Heißluftbrenner benutzt 
werden kann. Damit ist aber das Anwendungsgebiet lange 
nicht erschöpft. Es lassen sich auch größere Wirkungen der 
Bi er sehen Methode erzeugen. Das geht besonders gut 
durch Zwischenschaltung eines Vakuumreservoirs, das zunächst 
leer gepumpt wird und das dann mit dem Behandlungsgefäß 
in Kommunikation gesetzt wird. Das Behandlungsgefäß, häufig 
aus Glas oder Metall mit Gummiabschluß hergestellt, nimmt 
den zu behandelnden Körperteil auf. 

Dies sind etwa die Hauptanwendungen. In welch mannig¬ 
faltiger Weise sie sich für die einzelnen Körperteile und In¬ 
dikationen variieren lassen, hat schon jetzt die Praxis gezeigt. 
Wurde doch das Saug verfahren zur Behandlung der Büsten 
angewandt, kann man doch durch fein ausgebildete, ausgehöhlte 
Handstücke den vibrierenden Luftstoß bis an die kleinsten 
Stellen konzentrieren und bis zu den tiefsten Höhlen gelangen 
lassen. 

Selbstverständlich ist es auch möglich, durch den Luft¬ 
strom Medikamente zu zerstäuben oder einzuführen, unter die 
evakuierten Saugnäpfe beliebige Substanzen eintreten zu lassen. 
Kurz, es bleibt bei dieser Behandlungsmethode noch ein weites 
Feld zur Entwicklung und zum Ausbau. Jedenfalls aber ist 
schon der heutige Anwendungsbezirk ein so vielseitiger, daß 
die Einführung der Luftpumpe in die allgemeine Praxis gerecht¬ 
fertigt erscheint. 

Die „Vereinigten Elektrotechnischen Institute Frankfurt- 
Aschaffenburg“ haben neuerdings eine Konstruktion herausge¬ 
bracht, die durch ihre Vielseitigkeit, Wirksamkeit und Ein¬ 
fachheit der allgemeinen Verbreitung wohl großen Vorschub 
leisten kann. 

Die Abbildungen stellen die Pumpe mit elektromotorischem 
Antrieb in zwei Ausführungen dar. Selbstverständlich kann 
der Antrieb auch von Hand aus mit einem Uebersetzungsrad 
erfolgen, wo eine Stromquelle nicht zur Verfügung steht. 
Solche Handmotoren werden in verschiedener Ausführung 
gebaut. 

Die Pumpe wird bei elektromotorischem Betrieb einfach in 
die hohle Motorwelle eines geeigneten Elektromotors gesteckt 
und mittels einer rändrierten Mutter festgeschraubt. Es kann 
aber wohl jede Motorwelle passend gemacht werden, erforder¬ 
lichenfalls durch Befestigung eines geeigneten Zwischenstückes. 
Der von der oben genannten Fabrik im allgemeinen ange¬ 
wendete Anschluß ist genau der gleiche wie der Anschluß der 
biegsamen Welle des bekannten Vibrationsapparates Tremolo, 
den die gleiche Fabrik herstellt. 

Am unteren Ende der Pumpe befindet sich ein Stutzen, 
an dem ein Schlauch eingesteckt wird. Der Schwerpunkt der 
Einrichtung liegt in der äußerst sinnreichen Anordnung des 
Kolbens und des Zylinderbodens. 

Der Zylinderboden ist drehbar. Fünf Einkerbungen am 
Zylinderrande, an denen er vorbeigleitet, sind mit fünf ver¬ 
schiedenen Bezeichnungen versehen. Je nachdem man den 


Saugwirkung, wie auch andererseits von der Druckstellung 
(Marke D) ausgehen. Wir sehen, in der einen Stellung (V) 
saugt die Pumpe ein. Das dient zur Entfernung von Eiter 
und Blut, zur Erzeugung von Hyperämie usw. In der anderen 


Stellung (D) erzeugt sie einen Luftstrom, den man erwärmen 
kann, der zur Zerstäubung benutzt werden kann. Zwischen 
Vakuum- und Druckstellung befinden sich aber noch zwei 
andere Stellungen, mit TM und M bezeichnet. TM, die An¬ 
fangsbuchstaben von Trommelfellmassage, bedeutet einen leicht 
vibrierenden Luftstrom, der für die feinsten Massagezwecke an 
den empfindlichsten Organen Anwendung findet. M (Massage) 
bedeutet die Benutzung eines ziemlich kräftigen vibrierenden 
Luftstromes, der schon recht deutliche Wirkungen hervorzu¬ 
bringen vermag. 

Damit ist aber die sinnvolle Konstruktion des Apparates 
noch nicht erschöpft. Eine an der Außenwand des Zylinders 
angebrachte Hülse läßt sich nach links oder rechts drehen und 
reguliert dabei in wunderbar wirksamer Weise die Stärke des 
Effektes, so daß man ihn in jedem Falle von einem kaum 





**• * v ' v 

EÜNDSCHAO. 


3 3? 


wahriielimbareii Minimum zu einem sehr'wirksamen Maximum 
steigern kaim. Berücksichtigt man nun noch, daß alle diese 
Manipulationen, die TJmschaltungen der Wirung, die Regu¬ 
lierung der Intensität im Gegensatz zu den früheren Konstruk¬ 
tionen, während des Betriebs vorgenommen werden 
können so dürfte die wirkliche Brauchbarkeit und univer¬ 
selle Anwendbarkeit dieser neuen Konstruktion wohl gesichert 
erscheinen. 

Die Konstruktion kostet ungefähr 70 bis 80 M. und ist 
dadurch auch vom finanziellen Standpunkt aus den weitesten 
Kreisen zugänglich. 



Augenheilkunde. 

Referent : Privatdozent Dr. G. Abelsdorff, Berlin. 

1. Weitere günstige Erfahrungen über die Behandlung der 
Blennorrhoea adultorum (!) mittels Blenolenizetsalbe. Von C. 
Adam. Münch, med. Wochenschr./ 1908, Nr. 11. 

2. Papierwatte für Augen verbände. Von Wolffberg. 

Wochenschr. f. Therap. u. Hyg. d. Auges, 1908, Nr. 27. 

3. Heber lokale Tuberkulinüberempfindlichkeit der Kon- 
junktiva. Von Cohn. Berl. klin. Wochenschr., 1908, Nr. 17, 
Seite 835. 

1. Bei der gonorrhoischen Konjunktivitis der Erwachsenen 
hat die Behandlung mit Argentum nitricum, dem souveränen Mittel 
bei der Blennorrhoe der Neugeborenen, sehr mäßige Resultate 
wegen der Häufigkeit von Hornhautgeschwüren aufzuweisen. Adam 
hat nun an der Berliner Universitätsaugenklinik Versuche mit 
Blenolenizetsalbe (Kombination des Lenizet mit Euvaselin) ge¬ 
macht, die sehr günstige Erfolge gezeitigt haben. Er gibt kein 
Argentum, sondern streicht zweistündlich unter das Oberlid 10 %ige 
Blenolenizetsalbe ein bis zur deutlichen Abnahme der Sekretion, 
dann geht er zu drei- bis vierstündlichem Einstreichen von 5%iger 
Blenolenizetsalbe über; wenn die Sekretion ganz aufgehört hat, 
-gibt er nur Euvaselin, bei chronischem Bindehautkatarrh Ein¬ 
träufelung von V 2 °/oigem Argent. nitr. (ein Tropfen einmal am 
Tage). 

Bei dieser Behandlung wurden von 13 Fällen 10 mit intakter 
Hornhaut geheilt, nur einer bekam ein Leucoma adhaerens, zwei 
unregelmäßig geheilte Epitheldefekte. 

2. Wolffberg empfiehlt zu mobilen Augenverbänden Papier¬ 
watte, die mit oder ohne Mullüberzug, in Ovalen bereits für die 
Form der Augen passend geschnitten, in den Handel kommt (Reß 
in Leipzig). Vor der gewöhnlichen Watte ist die Papierwatte 
durch große Aufsaugungsfähigkeit ausgezeichnet, die Qualität ist 
derartig, daß kleine Fasern nicht in das Auge geraten können, 
durch die Handlichkeit der Ovale wird es ermöglicht, daß der 
Patient selbst dieselben leicht auswechseln kann. 

3. Nach Cohns Untersuchungen erwirbt die Konjunktiva 
Nichttuberkulöser durch einmalige Einträufelung einer l%igen 
Alttuberkulinlösung eine Ueberempfindlichkeit, die sich in zwei 
Eigenschaften kundgibt: 1. bei späterer Berührung mit l%iger 
Tuberkulinlösung mit Entzündungserscheinungen zu reagieren, 2. in 
der Fähigkeit, aus dem zirkulierenden Blut Tuberkulin anzuziehen 
(nach subkutaner Einspritzung), um dann mit diesem zu reagieren. 
Diese Eigenschaften sind streng lokal auf die zur Einträufelung 
benutzte Konjunktiva beschränkt. Zu ihrer Ausbildung bedarf es 
min destens fünf Tage j das Optimum wird erst zu Beginn der 
dritten Woche erreicht. 

Die Möglichkeit, daß diese artefizielle Ueberempfindlichkeit 
ein Zeichen latenter Tuberkulose sei, ist noch nicht erwiesen. 


Lungenkrankheiten. 

Referent: Dr. lürnst Meyer, Charlottenburg, Assistent an 
der Kgl. Universitätspoliklinik für Lungenleidende Berlin. 

1. Die physikalische Behandlung des Asthmas. Von Hans 
Naumann. Therapie d. Gegenwart, 1908, S. 108. 

2. Röntgenbehandlung bei Asthma bronchiale. Von G. 

Eckstein. Prager med. Wochenschr., 1908, Nr. 14, S. 173. 

3. Nadel im linken Bronchus. Von Hermann von Schrötter. 
Deutsche med. Wochenschr., 1908, S. 641. 

4. Ueber Saponininhalationen der oberen Luftwege. Von 
G. Zick graf. Münch, med. Wochenschr., 1908, S. 447. 

1. Bei dem Mangel einer einheitlichen Ursache des Asthmas 
muß man für jeden einzelnen Fall erst durch Probieren die ge¬ 
eignete Therapie herauszufinden suchen. Besonders im Beginn der 
Behandlung ist neben der physikalischen die medikamentöse Therapie 
kaum zu entbehren. Bei der Wasseranwendung muß streng indi¬ 
vidualisiert werden. Kalte Prozeduren perhorresziert Verfasser 
bei alten Personen, starken Anämien, Herzkomplikationen, Emphysem 
und in den Fällen, wo die Nieren nicht ganz intakt sind. Hier 
ist Verf. mit kalten Duschen und Badeformen sehr vorsichtig, 
ebenso bei akzentuiertem zweiten Aortenton und dauernd ver¬ 
mehrter Spannung im arteriellen Stromgebiet. In den meisten 
anderen Fällen war jedoch das kalte Halbbad von großem Nutzen. 
Ebenso wie dieses wirkten sehr günstig auf das Nervensj-stem 
Teilwaschungen mit spirituösen Flüssigkeiten oder mit Salz wasser, 
ferner Fichtennadelbader, Kohlensäurebader eventuell mit nach¬ 
folgendem Guß. Oft waren auch Sauerstoffbäder von Nutzen, wo 
Kohlensäurebäder unangenehme Empfindungen hervorriefen. Sehr 
günstig wirkt die Dusche als Wechseldusche (Fächer- oder Regen¬ 
dusche) mit allmählich kühler werdenden Temperaturen. Ein 
wichtiger Bestandteil der Asthmabehandlung ist eine richtig aus¬ 
geführte Atemgymnastik, wobei am besten der Thorax vom Arzt 
manuell komprimiert wird. Eventuell kann man auch den Roß- 
bachschen Atmungsstuhl anwenden. Ebenso wie diese Atemübungen 
wirkt auch die Vibrationsmassage expektorationsfördernd. Von 
Nutzen ist auch die Klimatotherapie, wo oft schon bloßer Luft¬ 
wechsel zur Besserung der Krankheit genügt. Zuweilen werden 
auch Asthmafälle günstig durch die Pneumotherapie, die pneu¬ 
matische Kammer beeinflußt, ebenso durch Inhalation von Sole mit 
und ohne Zusatz von Latschenöl. Von einigen Autoren wird ein 
Zusammenhang zwischen Asthma und gichtischer Diathese ange¬ 
nommen und deshalb ein antigichtisches, den StolfUmsatz beschleuni¬ 
gendes Regime vorgeschlagen (nukleinarme Diät, vegetarische Kost, 
Molke, Massage, Schwitzprozeduren, Bader etc. >. 

2. Nachdem Schilling in neun Fällen durch Rontgenstrahlen 
bei Asthmatikern Besserung erzielt hatte und auch Iinmelmann 
über gute Erfolge der Röntgenbehandlung bei Asthma bronchiale 
berichtet hatte, versuchte Eckstein diese Methode. Er be¬ 
handelte zunächst ein 45 jähriges Fraulein, das bis dahin alle 
üblichen Methoden vergeblich versucht hatte, und sah bereits 
nach sechs Bestrahlungen von je 10 Minuten Dauer wesentliche 
Besserung, die sechs Wochen anhielt. Nachdem die Kur dann 
nochmals wiederholt war, traten neun Wochen lang keine Anfalle 
auf. Der zweite Fall betraf ein 3 1 / 2 jähriges Kind, bei dem nach 
einer Bestrahlungsdauer von im Ganzen 18 Minuten allmählich 
Heilung eintrat. — Es wurden stets harte Röhren verwendet. 

Schilling erklärt die Wirkung der Strahlen wie folgt: 
„Die Röntgenstrahlen sollen eine Verminderung der Vakuolen-Bil- 
dung bezw. der Schleimabsonderung der Becherzellen und der 
kleinen Schleimdrüsen der Bronchien herbeifühien, vielleicht durch 
eine leichte Schädigung des Zelleibes selbst.“ 

3. Schrötter gelang es, bei einem Mädchen von 12 Jahren, 
welches eine große Schalnadel verschluckt hatte, diese mittels 
Röntgenstrahlen im linken Bronchus zu finden, und zwar nach 
21 Tagen. Die Nadel, welche mit dem Kopf voran eingedrungen 
war, wurde in einer Sitzung im Wege der direkten Methode 
mittels einer eingeführten Pinzette glatt entfernt unter Anwen¬ 
dung von Lokalanästhesie. Das Kind zeigte keinerlei Erschei¬ 
nungen mehr und befindet sich dauernd wohl. 

4. Zickgraf weist darauf hin, daß Erkrankungen der Nase 
zu den häufigsten Komplikationen der beginnenden Lungenschwind- 


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388 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU 



sucht gehören und erinnert daran, daß die Erkrankungen der 
Nase von der Rhinitis sikka beginnend bis zur Ozäna ein prädis¬ 
ponierendes Moment für Lungenleiden sind. Er fand, daß das 
Dekoktum kortizis Quillajae von großem Einfluß auf die Nasen¬ 
schleimhaut sei. Er benutzte es erst in Spülungen und später 
nur noch bei Inhalationen und erzielte hiermit sehr gute Erfolge. 
Er benutzte allerdings später wegen der besseren Haltbarkeit und 
geringeren Einwirkung auf die Bronchien das von Sthamer-Ham- 
burg aus der Drogue hergestellte Saponinum depuratum in l°/oiger 
Lösung für leichtere trockene Katarrhe, in 2%iger Lösung bei 
Ozäna. Die Inhalation fand statt durch Bullingsche Inhalations¬ 
apparate. Durchweg wurden gute Erfolge erzielt, sogar bei ein¬ 
zelnen schweren Fällen von Ozaena, wo der unangenehme Geruch 
verschwand. Auch beobachtete Verf., daß bei Fällen, wo infolge 
langjährigen Leidens der Geruch verloren gegangen war, bei der 
Wiederherstellung der normalen Schleimhaut auch das Geruchs¬ 
vermögen wieder zunahm. 


günstiger' Einfluß auf das Fieber scheint ja unverkennbar. Weitere 
Versuche sind aber jedenfalls zu empfehlen. 

3. Wolf berichtet über die Endresultate der Tracheotomie 
bei diphtheriokranken Kindern der Leipziger chirurgischen Klinik; 
dort wird die Intubation überhaupt nicht ausgeführt. Verf. teilt 
mit, daß unter seinem, 264 durch Tracheotomie geheilte Kinder 
umfassenden Material aus den Jahren 189$ bis 1906 keine narbige 
Stenose beobachtet wurde, die einer dilatierenden oder blutig¬ 
operativen Behandlung bedurft hätte; er nimmt an, daß die In¬ 
tubation die Entstehung solcher Narbenstrikturen eher begünstigt. 
Auch eine ernsthafte Schädigung der tieferen Luftwege, insbeson¬ 
dere der Lungen durch die Tracheotomie konnte *er nicht fest¬ 
stellen. Von den zur Beobachtung gekommenen leichteren Stö¬ 
rungen im Gebiet der Luftwege läßt sich schwer sagen, was auf 
Rechnung der Diphtherie und was auf Rechnung der Tracheotomie 
zu setzen ist, doch gibt Verf. zu, daß solche leichte Störungen 
in einem gewissen Prozentsatz der Fälle nach Tracheotomie Zu¬ 
rückbleiben. 


Kinderheilkunde. 

Referent: Privatdozent Dr. J. Ibrahim, München. 

1. Heber Basedowsche Krankheit im frühen Kindesalter. 
Von A. Schkarin. Russische med. Rundschau, 1908, Nr. 2. 

2. Zwölf Fälle von Lungenentzündung im Kindesalter mit 
Römers Pneumokokkenserum behandelt. Von Crux. Deutsche 
med, Wochenschr., 1908, S. 697. 

3. Ueber die Endresultate der Tracheotomie. Von W. Wolf. 
Ibidem, S. 725. 

4. Behinderung der Atmung und der Nahrungsaufnahme 
durch eine zu große Thymus bei einem zehn Wochen alten 
Kinde. Operation, Heilung. Von W. Hinricks. Berl. klin. 

Wochenschr., 1908, S. 825. 

5. Zur Symptomatologie und Aetiologie der Barlowschen 
Krankheit. Von Esser. München, med. Wochenschr., 1908, 
Seite 89G. 

1. Schkarin teilt die seltene Beobachtung einer Basedow¬ 
schen Krankheit bei einem 4 V 2 jährigen Mädchen mit. Als charak¬ 
teristisch für den Verlauf des Basedow hei Kindern gibt er an: 

a) Eine schnellere Entwicklung der Krankheit als bei Er¬ 
wachsenen. 

b) Arhythmie des Pulses ist äußerst selten. 

c) Die Struma ist gering, häufig doppelseitig, manchmal 
rechtsseitig, nie linksseitig. 

d) Der Exophthalmus ist schwächer ausgeprägt und als das 
erste Symptom anzusehen. 

e ) Die Symptome von Moebius, Graefe und St eil wag 
sind selten. 

f) Die Kinder zeigen schnelles Körper Wachstum. 

Therapeutisch empfiehlt Verf. eine an Kohlehydraten arme 

Diät und einen Versuch mit Antithyreoidin Moebius, das in seinem 
Fallt- allerdings nur mäßige Wirkungen entfaltete. 

2. Crux ist ein warmer Fürsprecher des Römorschen 
Pneumokokkenserums in der Behandlung kindlicher Pneumonien. 
Er resümiert seine Erfahrungen an zwölf Fällen dahin, daß dies 
Mittel einen außerordentlich günstigen spezifischen Einfluß ausübt 
und bei gesundem Herzen gänzlich ungefährlich ist. Nierenent¬ 
zündungen und Serumexantheme wurden nicht beobachtet. Es 
findet in vielen Fällen ein dauernder, fast kritischer Temperatur¬ 
abfall unter fast gleichzeitiger Lösung des Infiltrats statt. Der 
Puls wird durch das Serum günstig beeinflußt. Die Dauer der 
ganzen Erkrankung wird bei Anwendung des Serums ganz erheb¬ 
lich abgekürzt, dadurch, daß die Krankheit unterbrochen und ein 
weiterer Kräfteverfall wie beim gewöhnlichen Verlauf vermieden 
wird. Pleuritis wurde bisher bei Anwendung des Serums nicht 
beobachtet. Es wurden stets 5 ccm subkutan in die dem Sitz 
der Erkrankung entsprechenden Nates injiziert und, falls der Er¬ 
folg nach 24 Stunden nicht ausgesprochen war, nochmals 2,5 bis 
5 ccm. Das Serum wird von E. Merck in Darmstadt hergestellt; 
5 ccm kosten 2,50 M. 

Ref. möchte glauben, daß die mitgeteilten Beobachtungen 
noch nicht genügen, um den Wert des Serums zu beurteilen; ein 


4. Hinrichs berichtet über eine Resektion der Thymus¬ 
drüse bei einem zehn Wochen alten Kind, das an Asthma thymi- 
kum litt; der Fall ist der siebente operativ behandelte dieses 
Leidens und hatte einen vollen Erfolg; bemerkenswert ist, daß 
auch Schluckbeschwerden bestanden und nach der Resektion ver¬ 
schwanden. Wegen der Möglichkeit der Beziehungen der Thymus 
zur Rhachitis rät Verf., lieber die Drüse nur zu resezieren, als völlig 
zu entfernen. 

5. Die Barlowsche Krankheit hatte sich in den Beobach¬ 
tungen von Esser bei Milchgemischen entwickelt, die drei bis 
zehn Minuten lang bei 102 0 im strömenden Dampf sterilisiert 
worden waren. Verf. warnt daher vor diesen hohen Temperaturen 
und empfiehlt, die Milch nur drei Minuten lang auf 98 bis 100° 
zu erhitzen. Er faßt mit Neu mann die Krankheit als eine 
chronische Vergiftung auf und führt zur Stütze dieser Ansicht 
folgende Beobachtung an: Bei drei Kindern wurde, als sie noch 
unsichere Erscheinungen der Barlowschen Krankheit zeigten, die 
überhitzte Milch nur in halber Tagesration weiter gegeben, der 
andere Teil des täglichen Nahrungsquantums durch rohe Milch 
gedeckt und dazu noch in üblicher Weise frisches Gemüse und 
Zitronenwasser gegeben. Der Zustand dieser Kinder besserte 
sich aber nicht, sondern verschlimmerte sich sogar. Erst als auch 
die drei Flaschen zu stark sterilisierter Nahrung weggelassen und 
durch Rohmilch ersetzt worden waren, trat in kürzester Zeit 
Besserung und schließlich Heilung ein. — Ref. weiß übrigens aus 
eigener Erfahrung, daß auch bei den niedrigeren Temperaturen 
von 97 bis 98°, bei denen Esser keine Barlowfälle mehr beob¬ 
achtete, die Erkrankung entstehen kann. 


Säuglingsffirsorge. 

Referent: Dr. Gustav Tugendreiell, Leiter der städt. 

Säuglingslürsorgestelle 5 in Berlin. 

1. Einfluß der Ernährung auf die Säuglingssterblichkeit. 
Von H. Neumann. Zeitschr. f. soziale Med., Bd, 3, S. 196. 

2. Ueber die bisherigen Ergebnisse in den Münchener Be¬ 
ratungsstellen mit Vorschlägen zum weiteren Ausbau dieser Ein¬ 
richtungen. Von K. Oppenheimer. Münch, med. Wochenschr., 
1908, Nr. 4. 

1. Die von Neumann in der 'ihm eigenen sorgfältigen und 
technisch exakten Weise aufgemachte Statistik verdient allgemeine 
Beachtung. 

Daß die Brustnahrung der künstlichen unendlich überlegen 
ist, weiß man; man weiß auch, daß die Brustnahrung die sozialen 
Schädlichkeiten, welche unsere Arbeiterbevölkerung bedrohen, 
größtenteils zu paralysieren vermag. 

Exakt statistisch aber diesen Nachweis zu erbringen, ist keines¬ 
wegs leicht — aus hier nicht zu erörternden Gründen. 

Es existieren daher derartige Statistiken nur in verschwindend 
kleiner Anzahl. 

Neumanns Arbeit hilft daher, diese Lücke auszufüllen. 
N. benutzte das Material der letzten Berliner Volkszählung 1905 
und die Totenscheine der Säuglinge aus dem Jahre 1906. 


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THERAPEUTISCH! RUNDSCHAU. 


Tn den Zählkarten 1905 wurde die -Große der Wohnung und 
die Art der Säuglingsernährung festgestellt. Für den Tag der 
Volkszählung weiß man also, wieviel Säuglinge natürlich, wieviel 
künstlich innerhalb der verschiedenen sozialen Schichten, die nach 
der Wohnungsgröße eingeteilt wurden, ernährt wurden. 

An der Hand der Totenscheine kann man die Sterblichkeit 
dieser Kinder berechnen. 

Die immer wiederkehrende Behauptung, daß nicht die Art 
der Ernährung, vielmehr die allgemeinen sozialen Verhältnisse die 
Lebensaussicht des Säuglings bestimmen, wird durch des Verf.s 
Darlegungen widerlegt. 

Auch bei Wohlhabenden ist der künstlich genährte 
Säugling viermal so häufig dem Tode verfallen wie der brust¬ 
gestillte. Und dies Verhältnis ist bei den Proletariern keineswegs 
erheblich verschoben (4,7 : 1). _ 

Die Sterblichkeit der Brustkinder ist also in allen sozialen 
Schichten sehr gering. 

Bei den Armen (Inhaber von zwei Wohnräumen) 

überleben von 100 Brustkindern.95,1, 

bei den Mittelbegüterten (drei Wohnräume) über¬ 
leben .97,4, 

bei den Wohlhabenden (vier Wohnräume und 

darüber) überleben.97,4. 

Die interessante Arbeit sei jedem Arzte zur Lektüre emp¬ 
fohlen. 

2. Die Erkenntnis der Wichtigkeit der Brustnahrung hat in 
den meisten größeren Städten zu mancherlei Maßnahmen geführt. 

In München wurden auf Oppenheimers Vorschlag 19 Be¬ 
ratungsstellen eingerichtet, die — im Gegensatz zu ähnlichen 
Instituten vieler anderer Städte — nur stillenden Müttern Unter¬ 
stützungen gewähren. 

Es ist nun interessant, daß 0. in München genau dieselben 
Erfahrungen gejnacht hat, wie wir hier in Berlin (vergl. des 

Beferenten Bericht an den Magistrat, Ztschr. f. Säuglingsfürsorge, 
1908, Nr. 2). Die Mütter bleiben der Fürsorgestelle so lange treu, 
als sie Stillprämien erhalten. Sobald das Lockmittel versagt wird, 
erscheinen sie nicht wieder. Und da aus äußeren Gründen die 
Stillprämien nur verhältnismäßig kürzere Zeit gezahlt werden 
können, so ist auch die Beobachtungsdauer der Kinder nur kurz. 

Drei Viertel aller Kinder haben sich demnach schon im vierten 
Lebensmonate der Kontrolle entzogen, und auf jedes Kind fallen 
nicht mehr als sieben bis neun Konsultationen. (Uebrigens genau 
dieselbe Zahl wie in Berlin. Bef.) 

Verf. schlägt zur Abhilfe vor, jeder bedürftigen Frau, auch 
der, deren Bedürftigkeitsgrad keine fortlaufende Unterstützung 
benötigt, 5 M. nach sechsmonatiger Stilldauer zu versprechen, 
ebensoviel nochmals nach einjähriger Stilldauer. 

Die Bedürftigkeit soll durch Becherche städtischer Organe 
festgestellt werden. 


339 


1. B. hat im Anschluß an einen Todesfall an Luftembolie 
des rechten Herzens Tierexperimente an Meerschweinchen ange¬ 
stellt und gefunden, daß die im rechten Herzen befindliche Luft 
am besten im zweiten schrägen Durchmesser (von rechts hinten 
nach links vorn und umgekehrt) nachzuweisen ist. Den praktischen 
Wert erklärt er selbst für gering. 

2. Verf. ist der Ansicht, daß Tuberkulose sehr wohl Folge 
eines Traumas sein kann, und zwar besonders eines leichteren 
(z. B. Kontusion oder Distorsion). Es werden vier Fälle von 
Fuß tuberkulöse gebracht, die sich nach Traumen entwickelt haben 
und anfänglich als Plattfüße behandelt sind. Er empfiehlt des¬ 
halb bei verdächtigen Fällen (z. B. langdauernden Schwellungen 
und Schmerzen nach Distorsionen, bei einseitigen Plattfüßen, 
starker Unterschenkelafcrophie) röntgenographisch nach einem event. 
tuberkulösen Herd zu suchen und diesen frühzeitig zu entfernen, 
da dadurch, oft der ganze Fuß, ja sogar das Leben des Pat. ge¬ 
rettet werde. 

3. Die Schmerzen unter der Ferse waren bewirkt durch eine 
Verknöcherung im Ansatz der Faszia plantaris. Nach ihrer Ent¬ 
fernung schwanden sie prompt. (Bef. zieht den seitlichen Schnitt 
an der Ferse in solchen Fällen vor wegen der späteren Narbe.) 

4. Kasuistische Mitteilung von Frakturen in der Handwurzel 
mit 30 Böntgenbildern. Es werden gezeigt Einzelbrüche des navi- 
culare, lunatum, triquetrum und hamatum, sowie mehrere Fälle 
multipler Frakturen. Auch über die Behandlung sind dankens¬ 
werte Winke vorhanden. Die Prognose ist im allgemeinen nicht 
gerade günstig, zumal sich ziemlich häufig eine chronische Arthritis 
anschließt. 

5. Verf. hat bei Blasensteinaufnahmen die Platte in die 
Vagina eingeführt und von vorn belichtet. Selbstverständlich 
kommt dabei oft nur ein Teil der Blase zur Darstellung, so daß 
leicht seitlich liegende Steine nicht gesehen werden können und 
zu Fehlschlüssen Veranlassung geben. Sehr gefährlich wäre dieser 
Umstand gerade bei Divertikelsteinen, wo die Röntgenuntersuchung 
oft einzig und allein die Diagnose ermöglicht, da die kleine Oeff- 
nung des Divertikels auch zystoskopisch nicht zu Gesicht gebracht 
werden konnte. Eine ausgedehntere Anwendung der Methode der 
Platteneinführung in die Vagina ist wohl kaum erforderlich, da 
sich Blasensteine fast immer (event. nach Luftfüllung des Rektums i 
schon bei Durchleuchtung von vorn nach hinten darstellen lassen. 

6. AIbers-Schönberg beschreibt hier seinen sinnreichen 
Aufnahmestuhl und die Einrichtung zur Aufnahme des Herzens 
auf ca. 2 1 h m Entfernung. Näheres darüber muß im Original 
nachgelesen werden. Die Projektionsfehler sind dann so klein, 
daß sie ohne weiteres unberücksichtigt bleiben können. 


Radiotherapie. 

Referent: Dr. H. E. Schmidt, ehern. Oberarzt am König 
Universitäts-Institut für Lichtbehandlung, Berlin 


Röntgentherapie. 

Referent: Dr. Karl Försterling, I. Assistent bei 
Prof. Dr. Schlange, Hannover. 

1. Darstellung experimenteller Luftembolie im Röntgeno¬ 
gramm. Von Dr. Revenstorf. Fortsehr. a. d. Geb. d. Röntgen¬ 
strahlen, Bd. XII, S. 22. 

2. Fußwurzeltuberkulose und ihre Diagnose mittels Röntgen- 
strahlen. Von Dr. Paul Ewald. Ibidem, S. 30. 

3. Ein Fall von operativ geheilter Kalkaneodynie. Von Dr. 
Eugen Klopfer. Ibidem, S. 46. 

4. Deber (isolierte) Verletzungen der Handwurzelknochen. 
Von Dr. Franz Ebermayer. Ibidem* S. 1. 

5. Eine Modifikation der Aufnahmetechnik bei der Skia- 
graphie der Blasensteine. Von Dr. Jerie. Ibidem, S. 35. 

6. Die Bestimmung der Herzgröße mit besonderer Berück¬ 
sichtigung der Orthophotographie (Distanzaufnahme, Teleröntgeno- 
graphie. Von Prof. Albers-Schönberg. Ibidem, S. 38. 


1. Therapeutische Beiträge zur Bogenlichtbestrahlung. Von 
Riedel. Münch, med. Wochenschr., 1908, 31. Marz. 

2. Die Naevusbehandlung mittels Radium. Von Nagel- 
schmidt. Therap. d. Gegenw., 1908. Marz. 

3. Der gegenwärtige Stand der Radiumforschung. Von 
Strebei. (Fortsetzung folgt.) Zeitschr. f. neuere physik. Meck, 
1908, Nr. 6. 

4. Deber Thermopenetration und die bisher mit Thermo- 
penetration an der medizinischen Klinik Prof. Ortners ge¬ 
machten Erfahrungen. Von v. P r e yp und Ra < 1 o v i c i e. Wiener 
klin. Wochenschr., 1908, 9. April. 

5. Ueber die intrathorazische Struma. Vou Kien bock. 
Mediz. Klinik, 1908, Nr. 14. 

6. Therapeutische Wirkung der Hochfrequenzströme. Von 
Bonnefo 3 \ Zeitschr. f. neuere physikal. Med.. 1908, Nr. 7. 

7. Neuere Beiträge- zur Lichtbestrahlung. Von Foveau 
de Cour mell es. (Fortsetzung.) Ibidem. 

8. Der gegenwärtige Stand der Radiumforschung. Von 
Strebei. (Schluß.) Ibidem. 

9. Untersuchungen über die künstliche Radiumemanation. 
Von Biedel, Mediz Klinik, 1908, Nr. 12, 


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340 


THSRäH0TB(IbB 'ÄfejgoliSilf^ 


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auf Mikroorganismen, Pflanzen, kleinere Tiere, auf die mens(äbliö^.e. / ' 

Haut, auf pathologische Prozesse - 7 - nil novi, \. ; 


10. Ueber ein neues radiothejrapeutisches Verfahren. Von 

v. Jak sch. Zeitschr. f. klin. Medizin, 1907, Bd. 64, H. 3 u. 4. 

11. Leukämie und Röntgenbestrahlung. Von v. Jak sch. 
Wiener klin. Wochenschr., 1908, Nr. 14. 

12. Ueber das Problem der homogenen Tiefenbestrahlung in 
der Röntgentherapie. Von Sommer. Zeitschr. f. neuere physikal. 
Med., 1908, Nr. 8. 

1. Der Verfasser berichtet unter Mitteilung von 25 Kranken¬ 
geschichten über seine Erfahrungen bei der Bestrahlung mit 
reflektiertem Kohlenbogenlicht. Günstige Erfolge sind bei Ek¬ 
zemen, Akne vulgaris, Rosazea, Sykosis, Furunku- 
losis und Ulkus kruris erzielt worden. Versagt hat die Be¬ 
handlung bei Psoriasis, Prurigo, Alopezia areata, Pity¬ 
riasis versikolor. Referent kann der Ansicht des Verfassers 
nicht zustimmen, daß der Bogenlichtscheinwerfer „im Vergleich 
mit den anderen Lampen“ nicht vernachlässigt werden darf. Im 
Gegenteil! Wir können ihn getrost beiseite stellen, da wir in 
der Uviollampe einen sowohl bezüglich des Anschaffungspreises 
als auch des Stromverbrauches viel billigeren, handlicheren, an 
„chemischen“ Strahlen reicheren Apparat besitzen, der in ge¬ 
eigneten Fällen genau dasselbe leistet. 

2. Der Verfasser empfiehlt aufs angelegentlichste die Behand¬ 
lung der Gefäßmäler mit Radium, wenngleich er zugeben muß, 
daß man gelegentlich nach ein bis zwei Jahren in der zarten 
pigmentlosen Narbe, welche nach Beseitigung der Naevi zurück¬ 
bleibt, die Bildung von Teleangiektasien erlebt. 

Referent möchte vor dieser Methode eindringlich warnen, 
denn die Bildung von Teleangiektasien tritt nicht nur gelegent¬ 
lich, sondern immer ein, und zwar nicht erst nach ein bis zwei 
Jahren, sondern bisweilen schon nach wenigen Monaten, so daß 
man dann z. B. statt eines flachen rosafarbenen Naevus eine 
narbige weiß und dunkelrot gesprenkelte Hautpartie vor sich hat, 
die störender wirkt als der frühere Naevus. 

Referent hat das Auftreten von Teleangiektasien sogar in 
Fällen beobachtet, in welchen die Bestrahlung nicht einmal zur 
Narbenbildung geführt hatte. 

3. Besprechung der physikalischen Eigenschaften des Radiums 
und seiner Emanation. Nil novi. 

4. Auf der Beobachtung Prof. v. Zeyneks, daß Hoch¬ 
frequenzströme von bestimmter Wellenlänge im menschlichen 
Körper keine andere Empfindung als die der Wärme auslösen 
und nicht an der Oberfläche des zwischen den beiden Elektroden 
befindlichen Körperteils, sondern durch denselben hindurchfließen, 
beruht das von den Verfassern geschilderte Verfahren der „Thermo- 
penetration “. Besonders wird die schmerzstillende Wir¬ 
kung derselben hervorgehoben, als besonders geeignete Indika¬ 
tionen werden gonorrhoische Arthritiden und Muskel¬ 
rheumatismus genannt, auch einige behandelte Fälle mitgeteilt. 
Weitere Berichte über dieses neue Verfahren zur Erzeugung von 
Warme im Inneren des Körpers sollen demnächst folgen. 

5. Bericht über 11 Fälle von intrathorazischer, d. h. mit 
größeren oder kleineren Teilen unterhalb der oberen Brustapertur 
gelegener Struma. Die sichere Diagnose ist fast immer nur durch 
die radiologische Untersuchung möglich, da die Struma nicht zu 
paipieren ist und auch die Perkussion oft im Stich läßt. Thera¬ 
peutisch wird sich in der Regel ein Versuch mit Röntgenbehand¬ 
lung empfehlen. Ist dieser ohne Erfolg, so muß oft, namentlich 
bei bedrohlichen Erstickungsanfällen oder bei raschem Wachstum 
des Tumors, die Exstirpation vorgenommen werden. 

6. Sehr allgemein gehaltene Mitteilung über günstige Wir¬ 
kung der Hochfrequenzströme auf Erkrankungen des lymphati¬ 
schen Systems [Ly mph angitis, El ephantiasis, Ly mp ho me (?)] 
und des Herzens, bei denen eine „regulierende Wirkung“ der ge¬ 
nannten Ströme „auf die Zirkulation“ zur Erklärung der Heil¬ 
wirkung angenommen wird. 

7. Was an diesen meist rein theoretischen Betrachtungen 
über die Wirkung der einzelnen Spektralbezirke auf normale und 
pathologische Gewebe, auf Mikroben, über die Beziehungen zwischen 
Masern und Tuberkulose Neues sein soll, ist dem Referenten nicht 
ersichtlich. 

8. Weitere Mitteilungen über die physikalischen, chemischen 
und thermischen Wirkungen der radioaktiven Stoffe, ihren Einfluß 


9 . Der Verfasser berichtet über die Bestimmung des Ema¬ 
nationsgehaltes bestimmter Körper oder Flüssigkeiten, z. B. des 
fabrikmäßig hergestellten Radiogens, mittels der elektroskopi- 
schen Prüfung. Ueber technische Einzelheiten, über die möglichen 
Fehlerquellen etc. ist im Original nachzulesen. 

Zu therapeutischen Zwecken hat der Verfasser die Emanation 
als Bade-' oder Trinkkur an fast 100 Patienten mit verschiedenen 
Affektionen verabreicht. Die Ergebnisse sind vorläufig noch nicht 
spruchreif. Wie die meisten anderen Beobachter konnte auch der 
Verfasser oft, nicht immer, eine typische Reaktion konstatieren, 
in ausgewählten Fällen auch einen „gewissen“ Heileffekt, -wenn¬ 
gleich die Emanation in anderen ähnlichen Fällen wieder gänzlich 
versagte. 

10. Der Titel sagt zu viel; das Verfahren, die Röntgenstrahlen 
durch Filter zu härten, ist nicht neu. Der Verfasser verwendet 
eine 0,02 mm dicke Silberplatte. Kürzlich hat Fleig über ähn¬ 
liche Versuche mit einer 0,1 mm dicken Silberplatte berichtet. 
Der eine Fall von myeloider Leukämie, den der Verfasser mit¬ 
teilt, ist auch nicht beweisend dafür, daß die Zwischenschaltung 
der Silberplatte „einen wesentlichen Fortschritt in der Radio¬ 
therapie“ bedeutet. Abgesehen davon, daß der Fall schon vorher 
mit Röntgenstrahlen von anderer Seite behandelt war, so daß 
man an die bekannte Spätwirkung. der X-Strahlen denken könnte, 
hätte der Verfasser die Verkleinerung des Milztumors und den 
Rückgang der Leukozytenzahl auch ohne Silberplatte erzielen 
können, zumal er trotz der Silberplatte ein ziemlich heftiges Ery¬ 
them bekommen hat. 

Der Fall beweist jedenfalls so viel, daß man trotz der Ab¬ 
filtrierung der weicheren Strahlen auch mit harten Strahlen eine 
recht hübsche Oberflächenwirkung erzielen kann. Die Theorie 
stimmt hier offenbar nicht! Auch die härteren Strahlen werden 
z. T. wenigstens von der Haut absorbiertes findet also eine Ab¬ 
schwächung der gesamten Strahlungsintensität 1 . durch das Filter, 
2 . durch die Haut statt, so daß der Vorteil der Filtration dem 
Referenten ziemlich illusorisch erscheint. Auch die Mitteilung, 
daß die Haut in Summa 18 Stunden 40 Minuten (in der Zeit vom 
2. Mai bis 22. Juni 1907) bestrahlt worden ist, sagt gar nichts. 
Das kann bei sehr schwach belasteten und sehr harten Röhren 
unter Umständen einer kleineren Oberflächendosis entsprechen, 
als eine Bestrahlung von einer Stunde bei stark belasteten, mittel¬ 
weichen Röhren. Wann werden die passionierten Minutenbestrahler 
endlich einmal ausgestorben sein? 

11 . Weitere Mitteilung über den in der vorstehend referierten 
Arbeit beschriebenen Fall von Leukämie, in welchem bei Eintritt 
eines Rezidives die Röntgenbehandlung — notabene trotz der 
Silberplatte! — versagte; die Zahl der Leukozyten stieg, die 
Patientin kam ad exitum. Das Blutbild ähnelte zuletzt nicht 
mehr dem einer myeloiden Leukämie, sondern dem ein'er schweren 
Anämie, so daß der Verfasser eine direkte Schädigung der blut¬ 
bildenden Organe durch die Röntgenstrahlen annimmt und dafür 
eintritt, daß mit der Röntgenbestrahlung aufgehört wird, sowie 
eine Abnahme der Leukozyten eintritt, nicht aber fortgefahren 
wird, bis die Leukozytenzahl zur Norm heruntergebracht ist, eine 
Anschauung, die ja auch von anderen Autoren geteilt wird. 

12 . Nach Schilderung der bekannten Mittel zur Erzielung 
einer möglichst großen Tiefenwirkung [ 1 . harte Röhre, 2 . Strahlen¬ 
filter, 3. große Entfernung der Strahlenquelle vom Objekt (Be¬ 
strahlung von mehreren Seiten leider nicht angegeben, obwohl 
zweifellos sehr wichtig)] beschreibt der Verfasser die Anlage zur 
„Homogenbestrahlung“ nach den Angaben von Dessauer. 
Der Verfasser selbst drückt sich — und das ist durchaus nötig 
— sehr vorsichtig aus über die bisher erzielten Erfolge, kann 
es aber doch nicht unterlassen, einen Fall von rezidiviertem, meta¬ 
stasierten Uteruskai’zinom, der unter dieser „Homogenbestrah r 
lung“ ad exitum und zur Sektion gekommen ist, mitzuteilen, 
ebenso die Ansicht von Dessauer und Krüger, welche diesen 
Fall gemeinsam publiziert haben (Berl. klin. Wochenschr., 1908, 
Nr. 2 ). Die genannten Autoren führen einen zentralen Zerfall 
zahlreicher metastatischer Drüsen auf die Wirkung der Homogen¬ 
bestrahlung zurück, ohne auch nur flen geringsten Beweis für ihre 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


1908. 


341 



Behauptung erbringen zu können. Müssen solche Fälle publiziert 
werden ? 

Nach Ansicht des Referenten befindet man sich mit der 
ganzen Homogenbestrahlung nicht nur auf einem falschen, sondern 
vielleicht auch auf einem sehr gefährlichen, d. h. für den Kranken 
gefährlichen Wege. 

Daß eine Strahlung, die in 100 Stunden noch keine deutliche 
Farbenänderung einer Sabouraud-Noire sehen Reagenztablette her¬ 
vorbringt, tiefgelegene karzinomatöse Lymphdriisen beeinflussen 
soll, kann doch nur ein hyperphantastischer Röntgenenthusiast für 
möglich halten! Entweder ist die Intensität einer derartigen 
Strahlung minimal oder ihre Penetrationsfähigkeit ist eben so 
groß, daß nichts absorbiert, also auch keine Wirkung erzielt 
werden kann. 

Und nun das Wichtigste! Sind es denn immer die tief¬ 
gelegenen Krankheitsprozesse, die gegen Röntgenstrahlen 
refraktär sind? Ganz im Gegenteil! Es gibt tiefgelegene 
Sarkome, die auf Röntgenstrahlendosen schrumpfen, welche auf 
der Haut keine nennenswerte Reaktion hervorrufen, und es gibt 
andererseits oberflächliche Hautkrebse, die trotz stärkster 
Röntgendermatitis nicht zur Heilung kommen. Die „Radio- 
sensibilität“ der Gewebe, welche für die Röntgenbehandlung 
eine Conditio sine qua non ist, wird von den „Homogenbestrah¬ 
lungsfanatikern“ zu wenig berücksichtigt. Wo diese Radiosensi¬ 
bilität fehlt, wird man mit der homogensten Strahlung nichts aus* 
richten; das ist ohne weiteres klar nach den Beobachtungen, die 
jeder einigermaßen erfahrene Radiotherapeut z. B. beim Ulkus 
rodens machen kann. 

Wo aber diese Radiosensibilität vorhanden ist, da 
brauchen wir die Homogenbestrahlung nicht, weil wir mit dem 
üblichen Bestrahlungsmodus vollkommen auskommen. Ob nicht 
die Homogenbestrahlung eine große Gefahr für den Patienten 
wegen der Möglichkeit der Schädigung hochempfindlicher 
normaler Organe (Hoden, Ovarien, Milz, Knochenmark!) bietet, 
das ist doch auch sehr zu erwägen! 


Biologische Therapie. 

Referent: Dr. W. Esch, Bendorf a. Rh. 

1. Biologische Behandlung des Glaukoms. Von Dr. E. Klein- 
Berlin. Arch. f. diät.-pl^sik. Therap., 1908, Nr. 3 u. 4. 

2. Die Nierenentzündung im Verlauf von Scharlach. Von 

W. Schöneich. Bl. f. klin. Hydrotherap., 1908, Nr. 3, nach 
Csasop. lek., 1907, Nr. 6 bis 10. 

1. Im 12. bis 16. Kapitel seiner bereits mehrfach erwähnten 
Arbeit („Zur lokalen und allgemeinen Behandlung Augenkranker 
mit Hilfe des akut kyperämisierenden und diätetischen Verfahrens“) 
bespricht Klein das Glaukom und zeigt an den praktischen Er¬ 
gebnissen dieser Behandlungsweise, „wie fruchtbar es sein kann, 
wenn die starr umgrenzte lokalistische Betrachtungsweise ver¬ 
lassen wird, wenn die Beobachtung über die örtlichen Erschei¬ 
nungen hinausgelenkt, den Vorgängen im Gesamtorganismus 
sich zu wendet“. 

Zum besseren Verständnis seiner Betrachtungsweise möchte 
Klein statt der Unterscheidung von Gl. simplex und inflamma- 
torium, Gl. akutum und chronikum, Gl. absolutum die glaukoma¬ 
tösen Kranken scheiden in solche mit Drucksteigerung 
am vorher gesund gewesenen und solche mit Zunahme 
des Binnendruckes im lädierten Auge. 

Die letztere kann bedingt sein durch Raumbeschränkung und 
Umlaufhinderung infolge von Fremdkörpern, Geschwülsten, Linsen¬ 
luxation, Irisverwachsung etc. und verlangt eine örtliche Therapie, 
bei der ersteren aber ist eine allgemeine organische Funktions¬ 
störung als Ursache der glaukomatösen Vorgänge anzusehen. 

Der den ganzen Organismus ins Auge fassende Praktiker 
gelangt nämlich, wie Klein ausführt, bei Beobachtung einer 
größeren Zahl von Glaukomatösen zu der Erkenntnis, daß diese 
Menschen, wenigstens ihrer überwiegenden Mehrzahl nach, eine 
ganz besondere, ihnen gemeinsame Beschaffenheit aufweisen, daß 
sie nahezu einen Typus darstellen. Sie gehören meist demselben 


Lebensalter (zwischen 45 und 70) an, sie weisen einen fast identi¬ 
schen Körperbau auf, außer den Beschwerden und Veränderungen 
am Auge unterliegen sie fast den gleichen Störungen allgemeiner 
Natur, sie klagen über bestimmte Schmerzen, über das schnell 
überhandnehmende Schwinden körperlicher Fähigkeiten. Es sind 
die „rheumatoiden“ gichtischen „Fresser mit der großen Leber“, 
Stammgäste von Karlsbad, Kissingen etc., die fast ausschließlich 
intellektuell beschäftigten, chronisch obstipierten, mit 
Kapillarektasien behafteten Leute, die im Verhältnis zu ihrer 
geringen körperlichen Arbeitsleistung seit langer Zeit das Doppelte 
bis Dreifache der zureichenden Mengen gegessen haben. Ihre 
Sehkraft war dabei früher meist ausgezeichnet. 

Sie befinden sich im Stadium der Involution von den 
Mannesjahren zum beginnenden Greisenalter, und da sie das Maß 
ihrer Zufuhr stets weit über ihren Verbrauch, über ihre Fähigkeit 
zur Abfuhr eingestellt hatten, so sind sie einer frühzeitigen Er¬ 
müdung und Abnutzung aller Funktionen verfallen*). 

Aehnlich wie die Rhachitis am Ende des Säuglingsalters, die 
Skrofulöse vor dem Eintritt in die Pubertät, die Tuberkulose an 
der Wende des zweiten Jahrzehnts auftritt, so sind auch die be¬ 
schriebenen Erscheinungen und unter ihnen das Glaukom eine 
Reaktion auf Schädlichkeiten, die während des erwähnten Ueber- 
gangsalters fortwirken, eine örtliche Manifestation allgemein orga¬ 
nischer 17 ml aufsstör ungen (deren Herkunft imd Zusammenwirken 
im einzelnen uns noch unbekannt ist). 

In diesem Zusammenhang legt Klein besonderen Wert auf 
die Feststellung, daß die beim Glaukom zu beobachtenden Symp¬ 
tome ausschließlich auf eine hochgradige Stase, begleitet von 
einiger Transsudation, nicht aber auf eine Entzündung, sondern 
höchstens, wenn man wolle, auf eine Vorstufe derselben zu be¬ 
ziehen seien. 

Während nun die Augenärzte, die zur Erklärung dieser 
„Sukkulenz“ z. Z. nur unbefriedigende Hypothesen haben, zu ihrer 
Beseitigung eine zwar sehr radikale, jedoch immerhin nur sympto¬ 
matisch wirkende Verlegenheitstherapie anwenden, kann die eben 
beschriebene Anschauungsweise Kleins weder die Verwendung 
der miotisch wirkenden Mittel noch die Ausführung der Iridektomie 
als zweckmäßige Behandlung gelten lassen. 

Die künstliche Miose durch Eserin etc. wird ja schon von 
ophthalmologischer Seite als ein Verfahren bezeichnet, das den 
Krankheitsprozeß nicht zu verändern, sondern nur zu verschleppen 
geeignet sei, aber auch die Iridektomie ist weder ein sicher 
wirkendes noch ein ungefährliches Hilfsmittel, und selbst bei tat¬ 
sächlicher Erreichung des gewollten Zweckes wird durch sie der 
Zustand des Kranken verschlechtert (Kolobombildimg mit Blendung, 
Irisschlottern etc.). 

„Die einzig rationelle Behandlung der Glaukomkranken be¬ 
steht vielmehr einerseits in der Beeinflussung der zirkulatorischen 
Vorgänge seines ganzen organischen Haushalts“, d. h. vor allem 
in Einschränkung der gesamten Zufuhr bei gleich¬ 
zeitig gesteigerter Auswertung aller noch vorhan¬ 
denen Fähigkeiten des Verbrauchs und der Abfuhr, 
also in diätetischen Maßnahmen, und andererseits in örtlichen 
Maßnahmen am Auge, die kurz als akute Hyperämisierung 
zu bezeichnen sind. Beide haben sich je nach dem einzelnen 
Falle zu richten. 

Der stürmische Glaukomanfall erfordert eine sofortige, aus¬ 
giebige und anhaltende Herabsetzung des allgemeinen organi¬ 
schen Flüssigkeitsdrucks durch Aderlaß, Darmentleerung mittels 
Klysma und Jalappe, Aloe oder Senna, Schwitzpackung mit 
Dampfkruken, später heiße Teilbäder. Die lokalen Maßnahmen 
bestehen in feuchtheißer Bedeckung des Auges und der Stirn, 
abwechselnd mit Andampfung, später heißen Augenbädern. 

Bei weniger stürmischem Beginn kann mit dem Aderlaß zu¬ 
nächst gewartet werden. Nach Abklingen der akuten Erschei¬ 
nungen kann man mit ihm die sehr wichtige Fortsetzung der 
Behandlung eröffnen. Die örtliche Therapie beschränkt sich 
nun auf täglich mehrmals vorzunehmende heiße Augenbäder und 
heiße Aufschläge, event. bei Schmerz oder Spannung eine örtliche 


*) Bei den jugendlichen Glaukonmtüsan ohne Primarläsion ist die 
Funktionsstörung auf Senium praekox, Debilität, Skrofulöse oder sonstige 
Konstitutionsauomalien zurückzuführen. 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 




Blutentziehung. Die Allgemeinbehandlung hat neben den, 
erwähnten heißen Teilbädern (Hanffe) Uebung der Atemtätigkeit, 
Gymnastik, Massage, Waschungen, Packungen, Uebergießungen, 
geeignete Diät, Sorge für regelmäßige Stuhlentleerung ins Auge 
zu fassen. 

2. Vom 1. Mai 1906 bis 1. Mai 1907 wurden im Lodzer- 
Kiuderkrankenkause 340 Kinder mit Scharlach aufgenommen, unter 
denen sich 30 mit postskarlatinöser Nephritis befanden, 49 er¬ 
krankten an letzterer im Hospital. Urämie brachten 20 Kinder 
mit. Die Diät der Nephritis war eine aus Milch und Vegetabilien 
gemischte salzlose Kost unter möglichster Flüssigkeitseinschränkung. 

Die Ausscheidung der im Körper, retinierten Stoffe wurde 
durch Schwitzpackungen, Abführmittel und namentlich durch ein¬ 
st ündi ge Bäder von 28° R nach Strass er und Blumenkranz 
in erfolgreicher Weise herbeigeführt. 

Die günstige Wirkung der protrahierten Bäder wurde durch 
Kontrollversucke festgestellt, aus denen enorme Steigerung der 
Harnsekretion und rascheres Schwinden der Albuminurie im Ver¬ 
gleich zu der Behandlung mit einfachen Bädern oder Packungen 
hervor ging. 

Kontraindiziert sind die Bäder bei sehr starker hämorrhagi¬ 
scher Nephritis: letztere wurde mit Trockendiät, d. h. Beschrän¬ 
kung der Gesamtflüssigkeit auf V 2 1 pro Tag, und Sekale kornutum 
in großen Dosen behandelt. 


Varia. 

1. Vom Gesundbeten. Von LeopoldFeilchenfeld. Med. 
Klinik, 1908, Nr. 15. 

2. Medizin und TJeberkultur. Nach einem Vortrag in der 
Berliner medizinischen Gesellschaft. Von W. His. Deutsche 
med. Wochenschr., 1908, Nr. 15. 

3. lieber Auskunfts- und Fürsorgestellen für Alkoholkranke. 
Von Dr. B. La quer. Therap. d. Gegenw., 1908, Nr. 4. 

4. Elektrische Narkose. Von Dr. A. Gradenwitz. Um¬ 
schau, 1908, Nr. 14. 

5. Geht bei Atoxylbehandlung Arsen in die Haare über? 

Von Rabow und -Strzyzowski. Therap. Monatshefte, 1908, 
Heft 4, April. 

1. F eil chenf eld erzählt von einem Kranken, der wahrschein¬ 
lich an einem Hypernephrom mit Metastasen zugrunde ging und 
außer dem Arzte von einer Gesundbeterin behandelt wurde. Er 
meint, daß er vielleicht durch frühzeitige Operation hätte gerettet 
werden können, und daß die Christian Scientist dem im Wege 
gestanden habe. 

Indessen hat auch ein anderer Gedankengang seine Berechti¬ 
gung. Der Kranke war jedenfalls bis zuletzt der Ueberzeugung, 
daß er in guten Händen sei und gesund werde; und da uns nicht 
die Dinge erregen, sondern die Gedanken, die wir uns darüber 
machen, so hat er wahrscheinlich weniger gelitten als bei einer 
Nierenexstirpation, die, selbst wenn erfolgreich, ihm die Schwere 
seines Zustands, von den Schmerzen abgesehen, eindringlich und 
für die Dauer zu Gemüte geführt hätte. 

Ref. hat einen ähnlichen Fall erlebt. Er schickte einen 
älteren Herrn wegen verdächtiger Nierenblutungen zu einer 
Autorität, die den Verdacht auf eine maligne Neubildung nicht 
bestätigte. Kurz danach geriet der Kranke zu einem geschickten 
Schwindler, der von der Schwere des Falls keine Ahnung hatte, 
den Kranken während zweier Jahre als magenkrank behandelte, 
es aber verstand, ihn im Glauben zu halten, daß seine Erkran¬ 
kung unbedeutend sei. Als ich vier Wochen vor dem Tode wieder 
zu dem Kranken geholt wurde, war der ganze Leib mit Meta¬ 
stasen eine« Nierenkarzinoms erfüllt. 

Ich habe nie daran gezweifelt, daß der Kranke auf diese 
Weise besser gefahren ist, als wenn ich ihn lege artis zur Opera¬ 
tion hätte veranlassen können. Ich hätte das nur vermocht, wenn 
ich ihm die Gefährlichkeit seines Zustandes und die Notwendig¬ 
keit , bald zu operieren wegen der Gefahr der Metastasen, klar 
dargestellt hätte. Dann wäre es aber mit seiner Lebensfreude 
vorbei gewesen, und selbst wenn er schließlich nicht den Meta¬ 


stasen oder dem Rezidiv erlegen wäre,/ so, hätte doch weder ihn 
noch seine Angehörigen die Furcht vor denselben verlassen. 

F. von den Velden, Frankfurt a. M. 

2. Ein sehr lesenswerter Aufsatz des vielseitig gebildeten Ver¬ 
fassers, interessant auch durch das, was er'verschweigt und dem 
Scharfsinn des Lesers überläßt. 

His kennt drei nervöse Epochen der Vergangenheit, die 
alexandrinische, auf deren Aehnlichkeit mit der unserigen oft hin¬ 
gewiesen worden ist, die der ersten römischen Kaiser und die 
Frankreichs im 18. Jahrhundert, und benutzt die Beschreibung, 
dieser Epochen, um unserer eigenen Zeit, mit der er sie vergleicht, 
unangenehme Wahrheiten, besonders auch in ärztlicher Beziehung, 
zu sagen. Wir sehen hier, daß es auch in diesen Zeiten Aerzte 
gab, die sich dem Zug der Zeit widersetzten, und daß ihnen das * 
Leben sauer gemacht wurde. 

Als das Gemeinsame dieser Epochen erkennt er nicht die 
Unsicherheit der Existenz, nicht Einseitigkeit und Uebermaß 
intellektueller Arbeit, sondern den Mangel an idealen Gütern, das 
Aufsuchen der Genüsse und die Gewöhnung an sie und den 
Mangel an Leibes- und Lebensgefahr, und begründet diese An¬ 
sicht durch geschichtliche Betrachtungen, insbesondere durch den 
Nachweis, daß Zwang, Not und Gefahr stets sehr wohltätig auf 
die allgemeine Nervosität eingewirkt haben; oder, wie Goethe 
treffend sagt: 

Der Hypochonder ist bald kuriert, 

Wenn dich das Leben recht kujoniert. 

Freilich muß His zugeben, daß diese Kur nicht bei allen 
anschlägt, daß nervöse Belastung ihr Grenzen setzen, er hält aber 
diese für meist überwindbar und den Geist der Zeit für eine 
schlimmere Schädlichkeit als die ererbte Disposition. 

Aus solchen Anschauungen ergibt sich natürlich eine starke 
Geringschätzung der Pharmakologie, des Spezialistentums und der 
neuen Methoden und andererseits die Anerkennung aller, denen 
Heilung gelingt, sie mögen kommen, woher sie wollen, und Ver¬ 
fahren befolgen, die ihnen belieben: und in zurückhaltender Weise 
zieht denn auch His diese Folgerung. Es ergibt sich aber auch 
eine weitere Folgerung, vor der er zurückschreckt, daß nämlich 
! die Radikalkur der allgemeinen Nervosität gar nicht ins ärztliche 
Gebiet schlägt, sondern entweder durch die Zeitumstände herbei¬ 
geführt werden muß oder durch eine Persönlichkeit, die den 
Zeitgeist tief zu beeinflussen vermag — und wenn diese selbst 
zufällig ein Arzt wäre, so wüchse sie doch über das Gebiet 
des Berufs so weit hinaus, daß ihre ärztliche Vergangenheit nicht 
in Betracht käme.i 

Diesen für den einzelnen Arzt entmutigenden Schluß zieht 
His nicht, sondern ist der Ansicht, daß durch Belehrung der 
Patienten („nicht durch Vorträge und Bücher, die ja doch mi߬ 
verstanden werden“) Großes erreicht werden könne. Gewiß inuß 
der Arzt /diese versuchen, aber die Erfahrung wird ihn lehren, 
daß der Versuch gewöhnlich scheitert, und daß selbst der große 
und erfolgreiche Wirkungskreis einzelner Aerzte verglichen mit 
den Dimensionen eines ganzen Landes verschwindend klein ist. 

F. von den Velden. 

3. L a q u e r bringt einiges Statistisches über den diabolus 
germanikus und berichtet über die Bemühungen, die in Her¬ 
ford , Dortmund, Bielefeld und einigen anderen Städten gemacht 
werden, um die Trinker zu bekehren. Die Resultate wären besser, 
wenn nicht, wie L. richtig hervorhebt, gar zu Viele ein Interesse 
daran hätten, daß regelmäßig und reichlich getrunken wird. Er 
empfiehlt die Errichtung von Auskunfts- und Fürsorgestellen unter 
ärztlicher Leitung, von denen aus die Trinker bearbeitet werden 
sollen. Ref. möchte bezweifeln, daß dieselben mehr sein werden 
als ein Tropfen auf einen heißen Stein, und glauben, daß es bei 
Luthers Ausspruch bleiben wird: „Das Saufen ist ein alt Laster 
bei den Deutschen, wie der Römer Cornelius ( = Taeitus) schreibet, 
hat zugenommen und nimmt noch zu.“ Die in den führenden 
Klassen erfreulicherweise zunehmende Mäßigkeit im Trinken ist 
in den unteren Schichten nicht zu verspüren, und für eine ver¬ 
nünftige Alkoholgesetzgebung nach nordischem oder amerikanischem 
Muster werden die Deutschen, die doch so viele ungefährlichere 
Freiheiten entbehren müssen, so bald nicht zu haben sein. 

F. von den Velden. 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


343 


4. Kaninchen kann man durch Gleichströme, die im Lauf 
einer Sekunde sehr oft. unterbrochen werden und eine Spannung 
von 5 bis 6 Volt bei 1 Milliampere Stromstärke haben, in Narkose 
versetzen. An die Anwendung dieser Narkose auf den Menschen 
kann man indessen nicht denken, da schon bei 12 bis 15 Volt 
Herz und Atmung der Kaninchen stille stehen. 

Interessant ist aber, daß man diesen Stillstand — nicht immer, 
aber meist — durch rhythmische Stöße desselben Stroms vorüber¬ 
gehen lassen kann. Hier eröffnet sich- vielleicht eine Möglichkeit, 
durch elektrische Ströme Verunglückte zum Leben zurückzubringen. 

Gr. ist der Meinung, daß man auch in der Chloroform- oder 
Aethernarkose Verunglückte mit diesen elektrischen Strömen wieder¬ 
beleben könne. Da diese aber zur Inhalationsvergiftung keine be¬ 
sondere Verwandtschaft haben, so ist nicht einzusehen, warum sie 
hier mehr leisten sollten als andere Exzitantien. Auch werden 
sie gewöhnlich nicht zur Hand sein. F. von den Velden. 

5. Nur wenige neuere Arzneimittel haben eine solch umfang¬ 
reiche Literatur aufzuweisen wie das Metarsensäureanilid oder 
Atoxyl. Wurde dieses Mittel vor einigen Jahren nur vereinzelt 
bei einigen Dermatosen als Ersatz der arsenigen Säure angewandt, 
so gaben die damit gemachten reichen Erfahrungen bei der Trypa¬ 
nosomenkrankheit und bei der Behandlung der Syphilis den Anlaß 
zu eingehenden Studien über die Pharmakodynamik dieser organi¬ 
schen Arsenverbindung. Weit über 100 Arbeiten sind über diesen 
Gegenstand bis jetzt veröffentlicht worden. Die in der Ueber- 
schrift aufgeworfene Frage ist darum nicht ganz ohne Interesse, 
weil Arsenik bei medikamentöser Zufuhr in den meisten Organen 
nachgewiesen wurde; ja, durch die neueren Forschungen von 
Gautier und Bertrand scheint erwiesen, daß Arsen, in aller¬ 
dings kleinen Mengen, ein regelmäßiger Bestandteil des mensch¬ 
lichen Körpers ist. Nach Richaud (Precis de Therapeutique) 
soll es Gautier gelungen sein, in der Schild-, Brust- und 
Thymusdrüse , in der Haut und ihren Annexen unter normalen 
Verhältnissen geringe. Mengen dieses Elementes nachzuweisen. Die 
Fälle, wo Arsenik in den Haaren nachgewiesen wurde, sind sehr 
spärlich. Den Verfassern gelang es nun, durch die Vermittlung 
R. Kochs Proben von Haaren von Uganda-Negern, die als Mittel 
gegen die Schlafkrankheit Atoxyl subkutan bekommen hatten, sich 
zu verschaffen, die sie auf ihren Atoxylgehalt mit Hilfe eines 
sehr exakten Marsh sehen Apparates prüften (das genauere 
chemische Verfahren ist im Original nachzulesen). Wie aus Vorver¬ 
suchen festgestellt werden konnte, genügte diese Methode, um 
0,024 mg Atoxyl nachzuweisen, d. h. es zeigte sich der bekannte 
Arsenspiegel. Auffallenderweise aber ergab die Untersuchung der 
Haare, von denen je 1 g genommen wurde, nicht die Spur 
einer Anwesenheit von Arsen, obwohl die im Laufe einiger 
Monate eingespritzten Atoxylmengen meist 3 bis 8 g betrugen. Auch 
Versuche mit Kaninchen, die längere Zeit mit Atoxyl behandelt 
waren, führten zu demselben negativen Ergebnis. 

Es wäre wohl wenn auch vorläufig nur von theoretischer 
Wichtigkeit, den Grund hierfür zu erforschen; offenbar hängt diese 
Erscheinung mit der Differenz der chemischen Konstitution zwischen 
arseniger Säure und Atoxyl zusammen. Man kann vielleicht an¬ 
nehmen, daß die Verkettung des Arsens in dem organischen Atoxyl 
eine andere (festere?) ist als bei der arsenigen Säure, ein Um¬ 
stand, worauf auch die geringere Giftigkeit des Atoxyls zurück¬ 
geführt werden kann (Refi). G. Bachem-Bonn. 



Die Foraiaminttherapie. 

Sammelreferat von Privatdozent Dr. C. Bachem, Bonn, 

Wenige Arzneimittel der Neuzeit haben ein solch umfang¬ 
reiches Anwendungsgebiet zu verzeichnen, wie der einfachste 
Aldehyd der aliphatischen Reihe, der Aldehyd der Ameisen¬ 
säure, gewöhnlich Formaldehyd genannt. Abgesehen von den 
gewaltigen Umwälzungen, welche die Formaldehyddesinfektion 
auf hygienischem Gebiet hervorgebracht hat, wurde dieser 


Körper von den Chirurgen und Dermatologen zu den verschie¬ 
densten Zwecken verwandt. Dazu kam noch, daß der For¬ 
maldehyd mit einer Reihe anderer Arzneimittel kombiniert 
wurde, Verfahren, die uns die neueren Heilmittel Tannoform, 
Glutol, Autan, Amyloform, Septoforma u. a. lieferten. Kein 
Geringerer als v. Behring empfahl sehr geringe Mengen Formal¬ 
dehyds zur Sterilisation der Milch. Kurzum, die Verwendung 
war eine recht mannigfache. Nur der innerlichen Anwendung 
war man abhold, weil sich selbst bei sehr starken Verdünnungen 
Aetzerscheinungen gezeigt hatten. Andererseits muß aber hervor¬ 
gehoben werden, daß ernstliche Vergiftungen mit Formaldehyd 
nie beobachtet worden sind. 

Da es nun dennoch wünschenswert erschien, eine so stark 
antiseptische Substanz auch im Innern des Körpers zu ver¬ 
werten, so suchte man der Frage näher zu treten, wie die An¬ 
wendungsart zu modifizieren sei, so daß Reizwirkungen ausge¬ 
schlossen werden können. In der Tat gelingt dies durch 
Bindung des Formaldehyds an andere Körper, aus welchen er 
nur langsam wieder abgespalten wird. Als solche Körper 
nenne ich Kohlehydrate, Eiweißkörper, Menthol u. a. 
Jacobson fand, daß eine Masse, die aus Milchzucker mit 
2 % gebundenem Formaldehyd bestand, Hunden zu 160 g täg¬ 
lich zehn Tage hindurch verfüttert werden konnte, ohne daß 
diese den geringsten Schaden nahmen; insbesondere enthielt 
der Harn keine pathologischen Bestandteile. 

P. Rosenberg*) wandte diese Therapie am Menschen 
an, und zwar verabfolgte er zuerst Lösungen des Formaldehyds 
in ungekochter Milch und später in Milchzuckerlösung mit 
Zitronenlimonade als Komgens; diese Mischung enthielt 0.f)°,o 
Formaldehyd. Der widerliche Geschmack der Lösung war' 
jedoch ein Nachteil, welcher der sonst brauchbaren Medikation 
anhaftete. Der weitere und letzte Fortschritt bestand nun 
darin, das Produkt in feste Form zu bringen und zwar bewies 
sich die Tablettenform als eine äußerst bequeme Darreichungs¬ 
weise. Die Dosierung wurde so gewählt, daß jede Tablette, die 
1 g wiegt, 0,01 g an Milchzucker gebundenen Formaldehyd ent¬ 
hält; ein geringer Teil ist auch an Menthol gebunden; ferner 
enthalten die Tabletten außer den Bindemitteln Zucker und 
Gummi geringe Mengen Pepsin-Salzsäure. Als Geschmacks- 
korrigens wurde hauptsächlich Zitronensäure gewählt. Die 
Tabletten, die schwach nach Formaldehyd riechen und von an¬ 
genehm aromatischem Geschmack sind, führen den Namen 
Formamint - Tabletten. 

Im folgenden werde ich versuchen, von dem thera¬ 
peutischen Effekt der Formaminttabletten ein möglichst voll¬ 
ständiges Bild zu entwerfen; hei der Einteilung werde ich mich 
an die verschiedenen Organerkrankungen halten, bei denen 
Formamint angewandt zu werden pflegt. 

Zuvor noch einige Worte über die bakteriologisch fest¬ 
gestellte antiseptische Kraft des Mittels. Seifert**) löste eine 
Tablette in 10 ccm Wasser; diese Lösung tötete innerhalb fünf 
bis zehn Minuten in einer Aufschwemmung alle Streptokokken, 
Pneumokokken, Tj'phus- und Tuberkelbazillen. Ebenso fielen 
Kulturversuche in Bouillon, Agar und Gelatine negativ aus, 
d. h. die Nährböden blieben steril, während sieh in den Kon- 
trollversuchen deutliche Entwicklung der Kulturen zeigte. In 
ähnlicher Weise konnte Rhein bol dt ***) zeigen, daß Forma- 
mintspeichel mit einer Kultur von Prodigiosusbazillen ver¬ 
setzt und auf Agarplatten verimpft bei sofortiger Einwirkung 
sehr viel weniger Kolonien aufkommen ließ als Normalspeichel; 
nach vier Stunden war eine vollständige Abtötung aller Keime 
im Formamintspeichel erreicht. Dausf) konnte diese Ergeb¬ 
nisse bestätigen, z. B. impfte er Agarplatten mit einem Strepto¬ 
kokkus, der von einer schweren Angina gezüchtet war. Die eine 

*) Rosenberg: Ueber den Wert des Formaldehyds für die interne 
Therapie. Therapie der Gegenwart, 1905, Nr. 2. 

**) Seifert: Ueber Formaminttabletten. Pharmakologische und thera¬ 
peutische Rundschau, 1905, Nr. 14. 

***) Rheinboldt: Ueber den Desinfektionswert des Formamints. Deut, 
ined. Woch., 1906, Nr. 15. 

f) Daus: Zur desinfizierenden Wirkung des Formaldehyds auf Schleim¬ 
häuten. Mediz. Klinik, 1906, Nr. 16. 


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344 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 21 


Hälfte der Oberfläche wurde mit Formamintspeiehel behandelt, 
die andere nicht; nach 24 Stunden war die Speichelseite fast 
steril geblieben, auf der anderen Seite waren reichlich Kolonien 
aufgegangen. Versuche anderer Autoren ergaben ein ähnliches 
Resultat. 

Alle diese Versuche beweisen, daß dem Formamint in 
hohem Grade die Kraft innewohnt, den Speichel nicht nur 
aseptisch zu machen, sondern auch antiseptisch, so daß Ge¬ 
webe, die mit ihm in Berührung kommen, desinfiziert werden. 

Die geschilderten Ergebnisse ermunterten dazu, das Forma¬ 
mint zur Desinfektion der Mundhöhle anzuwenden und zwar 
als Ersatz der Gurgelwässer, wie chlorsaures Kalium, Alsol usw. 
Die richtige Anwendung ist die, daß man bei Angina und anderen 
Erkrankungen stündlich eine bis zwei Tabletten langsam im 
Munde zergehen läßt, keinesfalls sollen sie zerkaut oder gar 
ganz hinuntergeschluckt werden. Ich sehe hierin einen erheb¬ 
lichen Vorteil des Formamints vor anderen „Mundantiseptizis“, 
nämlich den, daß die Tabletten auch bei kleinen Kindern 
als „Bonbons“ gereicht werden können, während ein Gurgeln 
mit den vorhin genannten Substanzen gerade bei Kindern oft 
auf große Schwierigkeiten stößt. Auch hochfiebernde und 
apathische Kranke sind nicht selten außerstande, ihre Mund¬ 
höhle häufig genug zu reinigen. In recht großem Umfang ver¬ 
dient daher Formamint zur Desinfektion der Zähne und der 
Mundhöhle angewandt zu werden. Freilich müssen wir uns 
bewußt bleiben, daß es nie die mechanische Reinigung ersetzen 
kann, vielmehr nur als Adjuvans zu betrachten ist. Der Ge¬ 
brauch der Formaminttabletten bedeutet aber, besonders zu 
Zeiten von Diphtherie-, Scharlach-, Influenza- und anderen 
Epidemien eine treffliche Prophylaxe insofern, als viele In¬ 
fektionskrankheiten die Mundhöhle, Tonsillen usw. als Ein¬ 
gangspforte wählen. Bei spezifischen Munderkrankungen, Sto¬ 
matitis, Gingivitis, Aphthen und Mundfäule hat sich das Präparat 
als nicht minder brauchbar erwiesen und den vielfach ge¬ 
bräuchlichen Pinselungen mit Borax, Honig etc. scharfe Kon¬ 
kurrenz gemacht. 

Besonders indiziert erscheint eine Desinfektion der Mund¬ 
höhle nach Zahnextraktionen; da, wo die Dentisten eine Spülung 
mit Kamillentee, Kaliumpermanganat und ähnlichen Antisep- 
tizis verordnen, kann ohne Schwierigkeit bei Extraktionswunden 
Formamint benutzt werden. Damit ist aber die Aufzählung 
der Indikationen bei Munderkrankungen nicht erschöpft; be¬ 
währt hat sich das neue Mittel bei Alveolarpyorrhöe, Foetor 
ex ore und ganz besonders bei Stomatitis merkurialis. Ich 
greife nur einige in der Literatur niedergelegte günstige Be¬ 
richte aus vielen heraus. So sagt z. B. Sklarek*) am 
Schlüsse seiner Abhandlung über Stomatitis merkurialis und 
deren Therapie durch Formamint folgendes: „Als besondere 
Vorzüge des Formamints möchte ich außer seiner sehr be¬ 
quemen Anwendungsform noch seine beinahe absolute Un¬ 
giftigkeit, besonders dem Kalium chlorikum gegenüber, her¬ 
vorheben, dessen Anwendung doch immerhin die Ge¬ 
fahr des Verschluckens eines Blutgiftes in sich birgt. Gewiß 
ist aber auch ferner der Umstand nicht zu unterschätzen, daß 
das Formamint die Zähne nicht schädigt, angenehm schmeckt, 
eine tatsächlich hohe desinfektorische Wirksamkeit sowohl 
gegen die Bakterien des Mundes als auch gegen die Zahn- 
spirochäten besitzt, und daß seine Wirkung ausgiebiger und 
nachhaltiger ist als die der anderen prophylaktisch gegen 
Stomatitis angewandten Mittel.“ Aehnlich lauten die Er¬ 
fahrungen Meißners**), der 32 Luetikern zur Munddesinfektion 
Formaminttabletten verordnete (täglich 10 bis 11 Stück). Die 
Tabletten wurden von allen gern genommen, nur wurde liier 
und da über etwas Brennen und Reizerscheinungen, zumal im 
Kehlkopf geklagt, doch kamen diese Klagen gegenüber der 
wohltuenden Wirkung des Formamints nicht in Betracht. Seine 
Beobachtungen berechtigen den Verfasser zu dem Schluß, daß 
die Anwendung von Formaminttabletten bei Quecksilberkuren 

*) Sklarek: Ueber die Aetiologie der Stomatitis merkurialis und 
deren Therapie mittels Formamint. Berlin, klin. Wochensehr., 1907, 
Nr. 49. 

■■'*) Meißner: Zur Behandlung der Stomatitis merkurialis. Therapie 
der Gegenw., 1907, Nr. 7. 


mit der allergrößten Wahrscheinlichkeit das Auftreten der Sto¬ 
matitis merkurialis vermeiden läßt. Jänicke*), der eben¬ 
falls die starke antiseptische Kraft des Formamints den im 
Munde hausenden Mikroorganismen gegenüber anerkennt, stellt, 
auf dem Standpunkt, daß der ueue Modus der Formaldehyd¬ 
therapie, welchen das Formamint darstellt, in der gesamten 
Mundhöhlentherapie und bei der Indikation sorgfältiger Mund¬ 
pflege wesentliche Effekte garantiert. 

Für die Anwendung der Formaminttabletten in der zahn¬ 
ärztlichen Praxis plädiert u. a. Lang**), der das Mittel als 
vollkommenen Ersatz der Gurgelwässer ansieht und in der 
durch Formamint bedingten gesteigerten Salivation auch 
einen ausgiebigeren Kontakt der Schleimhaut mit dem Anti¬ 
septikum erblickt. 

Ich wende mich nunmehr zu einer kurzen Kritik der Er¬ 
folge, welche das Präparat bei Heilung anginöser Zustände zu 
verzeichnen hat. 

Einer der ersten, der bei Angina das Formamint mit ekla¬ 
tantem Erfolge benutzte, war Rosenberg***); dieser verfügt 
über 45 Fälle von Anginen, bei welchen nach ein- bis zwei-, 
höchstens dreitägiger Formamintbehandlung die Beläge sowohl als 
auch Temperatursteigerungen geschwunden waren. Die Dosie¬ 
rung war in diesen und ähnlichen Fällen die, daß anfangs 
halbstündlich, später stündlich eine Tablette genommen wurde. 
Wenn die Temperatur wieder normal geworden ist, gibt man 
täglich etwa vier bis fünf Tabletten. Kinder über zwei Jahren 
erhalten anfangs drei bis vier Tabletten in halbstündigen 
Pausen. Jüngere Kinder und Säuglinge erhalten zweistündlich 
eine Tablette in einem Löffel lauwarmen Wassers aufgelöst. 
Nach Rosenbergs Erfahrung hängt allein von der genügenden 
Dosis der Erfolg ab. Auch H. Weißf), welcher außer bei 
akuten und chronischen Pharyngitiden sich bei Angina des 
Formamints bediente, hebt ebenfalls die günstige Beeinflussung 
durch Formamint hervor. Dieselbe Ansicht teilt Blumen¬ 
thal ff). Er illustriert an der Hand einiger Krankengeschichten 
den Temperaturabfall und die schnelle Heilung der Angina 
unter Formamintwirkung. Auch bei chronischer Pharyngitis 
bewährte es sich zu seiner Zufriedenheit. Z will in ge r fff) 
preist ebenfalls die prompte Wirkung bei Angina lakunaris und 
katarrhalis; bereits am zweiten Tage waren die Allgemein¬ 
erscheinungen gewichen, und in keinem Falle kam es zu einer 
phlegmonösen Angina, wobei noch bemerkt sei, daß keine 
anderen therapeutischen Maßnahmen zur Anwendung ge¬ 
langten. 

Die meisten Autoren, welche über die günstige Beeinflus¬ 
sung der Angina durch Formamint berichten, wissen auch über 
gute Erfolge bei Diphtherie und Scharlach zu melden. Die 
einzelnen Krankengeschichten zu besprechen ist, hier nicht der 
Platz, es soll nur in aller Kürze gesagt sein, daß die vorher 
genannten Autoren Zwillinger, Rosenberg u. a. schnelles 
Verschwinden der schlimmen Symptome nach Formamint 
beobachteten. An die bereits zitierten Arbeiten hat sich 
neuerdings eine Untersuchung von M. Young*f) angereiht. 
Dieser englische Forscher hat nicht nur bakteriologisch, sondern 
auch klinisch die Vorzüge des Formamints wiederum bestätigt. 
An der Hand von kurz referierten Krankengeschichten weist 
er den Nutzen des Formamints besonders bei Scharlach nach; 
die Fälle, in denen Otorrhöe, Rhinorrhöe und Zervikallymph¬ 
adenitis vorkamen oder die durch Rheumatismus kompliziert 
waren, verringerten sich nach Formamintgebrauch sehr erheb- 

*) Jänicke: Zur desinfizierenden Wirkung des Formaldehyds auf 
Schleimhäute. Mediz. Klinik, 19U6, Nr. 30. 

**) Lang: Die Anwendung der Formaminttabletten in der zahnärzt¬ 
lichen Praxis. Deutsche zahnärztliche Zeitung, 1906, Nr. 133. 

***) Rosenberg, a. a. O. 

f) Weiß: Ueber den Gebrauch von Formaldehyd bei inneren Krank¬ 
heiten, Wiener mediz. Presse, 1907, Nr. 9. 

ff) Blumenthal: Beitrag zur Formaminttherapie. Therapie der 
Gegenwart, 1906, Nr. 12. 

fff) Zwillinger: Zur therapeutischen und prophylaktischen Wirkung 
des Formaldehyds bei inneren Krankheiten. Thorap. Monatshefte, 1905, 
Oktober. 

*f) Young: Modern Methods of treating infective conditions of the 
throat. Lancet, 1908, S. 924. 


Diqitize 





lieb. ' Bter änderen Erkrankungen find prophylaktisch (gegen- 
Mumps) bewährte es sich ebenfalls. Verfasser sieht im For¬ 
mamint J eine wertvolle Bereicherung des Arzneischatzes, hält 
aber die Tabletten noch für verbesserungsfähig insofern, als 
er eine noch langsamere Lösung für wünschenswert ansieht. 

Kramer*) verfügt u. .a. über 20 Fälle von zum Teil 
recht schwerem Scharlach, ohne dabei dank der Formamint- 
therapie einen Todesfall zu erleben. 

Von recht überraschendem Erfolge des Formamints bei 
Bronchitis fötida weiß Robert**) zu berichten. Der Krank¬ 
heitsfall, der bis dahin allen therapeutischen Maßnahmen ge¬ 
trotzt hatte, ging unter Formamint innerhalb eines Monats in 
Heilung über; die Temperaturerhöhung schwand, der Auswurf 
nahm ab, wurde nicht mehr übelriechend, der Lungenbefund 
wurde normal, und das Körpergewicht nahm bedeutend zu. 

Zum Schlüsse noch einige andere Veröffentlichungen, die 
für die Brauchbarkeit des Formamints zu sprechen scheinen: 
Rings***) behandelte eine große Reihe von Paratyphusfällen, 
von denen nur drei Prozent tödlich verliefen. Verfasser hält es 
von Wichtigkeit, bei Besprechung der Therapie auf den aus- 

f iebigen Gebrauch von Formamint aufmerksam zu machen, 
essen günstigem Einfluß er die guten Heilerfolge — zum Teil 
wenigstens — züschreibt. Jedenfalls ist hier ein stark bakte¬ 
rizider Einfluß des Mittels auf die Darmbakterienflora nicht 
von der Hand zu weisen. 

Wie aussichtsreich die Formamintthefapie bei anderen 
infektiösen Erkrankungen ist, ersehen wir aus den Resultaten 
Davidsf), welcher das Mittel bei tuberkulöser Knochen- und 
Gelenkerkrankung mit bestem Erfolg in Anwendung zog. 
Innerhalb kurzer Zeit trat bei den kleinen Patienten mit Koxitis, 
Spondylitis, Gonitis tuberkulosa etc. Besserung des Allgemein¬ 
befindens und teilweise Heilung ein. 

Auch andere Erkrankungen reagierten prompt auf Forma¬ 
mint, z. B. postgonorrhoische Bakteriurie (Weiß a. a. 0.). 
Schwarzenbachff) sah bei akuten (Erysipel, Strepto¬ 
kokkengrippen und -Anginen) und chronischen Streptomykosen 
sowie bei Lungentuberkulose den Nutzen des Formamints be¬ 
stätigt. Auch nach seinen Erfahrungen ist es unschädlich und 
reizt, obschon es in erheblichen Mengen im Harn ausgeschieden 
wird, die Nieren keineswegs. 

Diese und ähnliche guten Erfahrungen ließen sich be¬ 
liebig mehren, wenn die Aerzte mehr als bisher dazu über- 
;ehen würden, das Formamint reichlich anzuwenden. Da 
"ormaldehyd eines unserer stärksten, vielleicht das aller¬ 
stärkste Antiseptikum ist, welches wir bis jetzt kennen, ist die 
Anwendung des Formamints, auch wissenschaftlich betrachtet, 
als durchaus rationell zu bezeichnen. 


K 


*) Kramer: Zur Therapie des Scharlach. Petersburger med.Wochen¬ 
schrift, 1907, Nr. 6. 

**) Robert: Erfolgreiche Behandlung eines Falles von Bronchitis 
foetida mit Formamint. Deutsche militärärztl. Zeitschrift, 1905, Nr. 5. 

***) Rings: Klinische Bemerkungen über eine bakteriologisch sicher¬ 
gestellte größere Epidemie von Paratyphus. Medizin. Klinik, 1907, Nr. 34. 

f) David: Die Anwendung des Formamint bei tuberkulöser Knochen- 
und Gelenkerkrankung. Monatsschrift für orthopädische Chirurgie, 1907, 
Nr. 2. 

ff) Schwarzenbach: Die interne Behandlung der Streptomykosen 
mit Formaldehyd. Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte, 1905, Nr. 24. 


Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. Ueber den Desinfektionswert der neuen Kresolseifen des 
Ministerialerlasses vom 19. Oktober 1907. Von Dr. Seligmann. 
Berl. Hin. Wochenschr., 1908, Nr. 16. 

2. Ein Beitrag zur internen Arhovinbehandlung bei der 
akuten und chronischen Gonorrhöe des Mannes. Von Dr. Knauth. 
Münch, med. Wochenschr., 1908, Nr. 16. 

3. Zur Laktobazillinfrage. Von Prof. Dr. Biernacki. 
Wiener klin. Wochenschr., 1908, Nr. 17. 

4. Ueber die Pyrenoltherapie bei Lungenkrankbeit. Von 
Dr. Rosenbach. Die Heilkunde, 1908, Nr. 4. 


5. Beitrag zur Wirkung des Spirosals. Von Dr. Dengel. 
Allg. med. Zentral-Zeitg., 1908, Nr. 17. 

6. Ueber Rheumazid. Von Dr. Zernik. Apotheker-Zeitg., 
1908, Nr. 33. 

1. Gelegentlich von Untersuchungen über den Desinfektions¬ 
wert verschiedener Kresolpräparate des Handels wurden auch die 
Kresole vom Siedepunkt 199 bis 204° O geprüft, die neuerdings 
durch den preußischen Ministerialerlaß vom 19. Oktober 1907 für 
die Hebammenpraxis vorgeschrieben sind. Auf Grund seiner Ver¬ 
suche, die S. mit Kresolen aus drei verschiedenen Fabriken an¬ 
stellte, spricht er sich dahin aus, daß das Lysol den neuen Kresol¬ 
seifen an Desinfektionswert etwas überlegen ist; jedoch kommt 
diese Ueberlegenheit für praktische Zwecke und l%ige Lösungen 
kaum in Betracht. Daß — wie behauptet — die Kresolseifen, 
nach der neuen Verordnung • hergestellt, dem Lysol überlegen sind, 
konnte S. nicht bestätigen. Er fand ferner, daß die geprüften 
Kresolseifen unter sich keine ganz gleichmäßige Desinfektionskraft 
besitzen, und daß sie dem alten Liquor kresoli saponatus des 
Deutschen Arzneibuches von 1907 in keiner Weise überlegen sind. 

2. Bei 29 gonorrhoischen Erkrankungen, und zwar bei akuten, 
subakuten und chronischen Formen sowie bei gonorrhoischen Neben¬ 
hodenentzündungen , hat K. Arhovin verabreicht. Er gab es nur 
per os, täglich vier bis sechs Kapseln zu 0,25 g, in der Weise, 
daß die Kranken im akutesten entzündlichen Stadium bei gleich¬ 
zeitiger Einhaltung einer reizlosen Diät (vorwiegend Milch) und 
lokaler Eisbehandlung das Bett hüten mußten und erst dann, 
wenn der Ausfluß einen mehr wässrigen, schleimigen Charakter 
angenommen hatte, dasselbe verließen, um gleichzeitig zur gewöhn¬ 
lichen Kost ohne alkoholische Getränke überzugehen. Bei den 
chronischen Formen erhielten die Kranken die gewöhnliche Lazarett¬ 
kost; das Arhovin wurde so lange verabreicht, bis der Ausfluß 
sistierte, der Urin ganz hell wnirde und sich frei von Gonokokken 
erwies. Durch diese Behandlungsmethode wurden die akuten 
Tripper in durchschnittlich 30 Tagen geheilt, die chronischen in 
durchschnittlich 40 Tagen. K. hält das Arhovin für ein aut die 
Entzündung der Schleimhaut der Harnröhre günstig wirkendes, 
schmerzlinderndes Heilmittel, das per os genommen ein zweck¬ 
mäßiger Ersatz für die Injektionsmethode sei. (Ohne die günstigen 
Erfolge der Arhovinbehandlung irgendwie in Zweifel ziehen zu 
wollen, fragt es sich doch, ob der praktische Arzt gleich günstige 
Resultate erzielen wird. Denn welcher Patient kann tagelang, ja 
eventuell wochenlang das Bett hüten, selbst wenn er dazu im¬ 
stande wäre und die redlichste Absicht hätte, es zu tun? Eine 
solche Liegetherapie kann m. E. nur in Anstalten durchgetuhrt 
werden, und welche günstigen Resultate man mit Ruhe, auch ohne 
Arhovin oder ähnliche Mittel, erzielt, ist bekannt und oft genug 
gewürdigt worden. D. Ref.) 

3. Die günstige Wirkung nach Gebrauch von Yoghurt auf 
Darmkatarrhe verschiedener Herkunft ist an dieser Stelle wieder¬ 
holt besprochen. Nach Metschnikoff, in dessen Laboratorium 
aus dem Yoghurt das wirksame Ferment „Laktobazillin’ 1 (Bazill. 
bulgarik. und Bazill. paralaktik.) hergestellt wird, soll dieses bezw. 
die damit hergestellte saure Milch sogar ein geradezu lebensver¬ 
längerndes Mittel sein. Davon abgesehen sind aber auch die 
Versuchsergebnisse von Belonowsky außerordentlich interessant, 
ans denen hervorgeht, daß bei Mäusen, die mit Milchsäure oder 
mit Milchsäurebazillen versetzte Nahrung erhielten, die Entwick- 
lungs- und Zeugungsverhältnisse besser waren als bei solchen 
Mäusen, die gewöhnliche Nahrung bekamen. x4uch B. hat Stofl- 
wechselversuche mit Laktobazillin gemacht und ist zu Befundeu 
gekommen, die mit den Metschnikoffschen Ansichten über das 
Wesen des Laktobazillin unvereinbar sind. Er fand nämlich, daß 
beim Gebrauch von Laktobazillin bei drei Versuchen (an zwei 
Hunden) von den Tieren weniger Kot ausgeschieden wurde, und 
um 15 bis 20% weniger Trockensubstanz im Kote, darin weniger 
Stickstoff und Fett zur Ausscheidung kam als vor der Lakto- 
bazillinanwendung. Daraus folgt, daß das Laktobazillin eine be¬ 
deutende Steigerung der Nahrungsausnutzung im Darmkanale be¬ 
wirkt, und die bessere Entwicklung und Zeugung der Mäuse in 
den Belonowsky sehen Versuchen würde sieb ungezwungen auf 
diese bessere Nahrungsausnutzung zurückführen lassen. So faßt 
aber Metschnikoff die Erscheinungen nicht auf; denn er sieht 
das Wesen der Laktobazillinwirkung bezw. den günstigen Einfluß 


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.z? ’jr , 


346 


desselben in der Beschränkung der Darmfäulnis, welche er für 
die Grund Schädlichkeit des normalen Lebens hält. Er glaubt, daß 
die Wirkung der Milchsäure in letzter Linie mit der des Lakto- 
bazillins identisch ist, zieht aber doch das Ferment jener vor, weil 
es sich bei diesem um Entwicklung von Milchsäure in statu 
nascendi handle. Im Einklänge mit diesen Anschauungen geben 
einige Autoren, besonders Cohendy, an, daß beim Einnehmen 
von Laktobazillin der Gehalt an Aetherschwefeisäuren im Urin, 
als Maßstab der Darmfäulnis, sich tatsächlich vermindert. B. hat 
dies, wie auch andere Autoren, nicht bestätigt gefunden. Nach 
seinen Versuchen bei Einnahme von Milchsäuren zeigte es sich 
auch, daß die Ausscheidung der Aetherschwefelsäuren und die 
Ausnutzung der Nahrung im Darmkanale mit den Ergebnissen bei 
Laktobazillin nicht identisch waren. Auch fand sich bei Milch¬ 
säureverabreichung eine Eindickung des Kotes im Gegensatz zum 
Laktobazillinversuch. Wenn also Metschnikoff annimmt, daß 
durch den bulgarischen Bazillus die Darmfäulnis gehemmt werde, 
so findet sich bei den Untersuchungen B.s gerade das Gegenteil, 
nämlich bei Verabreichung von getötetem Ferment deutliche Zu¬ 
nahme der Aetherschwefelsäuren im Harne, also vermehrte Darm¬ 
fäulnis. Nach B.s Versuchsergebnissen liegt der Schwerpunkt der 
therapeutischen Laktobazillinwirkung in der Steigerung der Nah¬ 
rungsassimilation im Verdauungskanale, und es hat sich erwiesen, 
daß die Milchsäurebakterien (Baz. bulgarik., paralaktik.) bezw. 
deren chemische Komponenten einen mächtigen Anreiz für die 
Verdauungsorgane bilden. Zum Schluß seiner interessanten Aus¬ 
führungen weist der Verfasser darauf hin, daß zwischen der An¬ 
wendung des Laktobazillins und der vermittels desselben her¬ 
gestellten sauren Milch unterschieden werden muß. Letztere kann 
bei Darmerkrankuugen adstringierend wirken, ersteres bei Obsti¬ 
pation das Entgegengesetzte tun. 

3. Aus dem allgemeinen Krankenhause in Wien berichtet R. 
über günstige Erfolge mit Pyrenol. Er bestätigt die Beobach¬ 
tungen anderer Forscher, daß das Mittel tonisierend auf das Herz 
wirke. Von den Kranken wurde es gern genommen; infolge der 
erleichterten Expektoration war der Husten nicht mehr so quälend, 
das Sputum wurde dünnflüssiger; der Puls wurde voller, seine 
Frequenz sank. R. wandte das Pyrenol bei Tracheitis, Broncho¬ 
pneumonie, Bronchitis diffusa, Pneumonie, Asthma bronchiale so¬ 
wie bei einigen Phthisikern an; bei letzteren beobachtete er gleich¬ 
falls die sedative Wirkung des Präparats. 

5. Als ein „tadellos wirkendes Mittel bei Muskelrheumatismus“ 
wird von D. neuerdings Spirosal der Firma F. Bayer & Oo. 
empfohlen. D. glaubt, daß das Mittel bei Muskelrheumatismus 
wenigstens eine spezifische Wirkung ausübt. Er gab zweimal 
tätlich einen Teelöffel einer Mischung Spirosal und Spiritus ana 
und ließ diese nach und nach langsam auf die Stelle der größten 
Schmerzen verreiben, das ganze mit Watte, eventuell auch mit 
wasserdichtem Papier bedecken und mit einer Binde befestigen. 
D. rechnet aus, daß der Krankenkasse bei Verwendung von Spirosal 
in der angegebenen Form täglich 40 bis 50 Pfennige Kosten ver¬ 
ursacht würden, glaubt aber, daß sich die Firma Bayer dazu ver¬ 
stehen werde, das Mittel als Spezialität abzugeben, wodurch eine 
Tagesausgabe von 30 Pfennigen entstehen würde. Wegen der 
vorzüglichen Wirkung des Mittels hofft D., daß sich die Kranken¬ 
kassen auf eine Verabfolgung des Präparats einlassen werden und 
macht für diesbezügliche Schritte der Aerzte bei den Kassen Pro¬ 
paganda (wahrscheinlich ohne jeden Erfolg! Ref.). 

6. Ueber ein neues Mittel gegen Influenza, alle möglichen 
rheumatischen Leiden, Neuralgien, Gicht, Blasen- und Hautleiden 
liegt mir ein Prospekt vor und dann ein Bericht von Dr. Zernik 
über dieses Allheilmittel namens Rheumacid, welcher seine aus 
dem pharmazeutischen Institute der Universität Berlin stammenden 
Untersuchungen veröffentlicht. In haarsträubender Weise wird 
für das neue Mittel Reklame gemacht. Da heißt es u. a.: „Ein 
Retter naht Ihnen und bringt selbst in den schwersten, veralteten 
Fallen Hilfe, Heilung und Genesung.“ Und weiter: „Die bis 
jetzt zur Bekämpfung dieser Leiden gebräuchlichen Mittel können 
als ausreichend nicht angesehen werden, im Gegenteil 1“ 

„In jahrzehntelanger, angestrengter, unermüdlicher Arbeit ist 
es einem sich bedeutenden Rufes erfreuenden Spezialarzte, Dr. med. 
Thisquen in Köln, vergönnt gewesen, seinen eisernen Fleiß be¬ 
lohnt zu sehen, dadurch, daß er die schwierigste aller medizini¬ 



schen Fragen ein gewaltiges Stück der Lösung näher gebracht, 
wenn nicht überhaupt gelöst hat. ’ 

Es ist Dr. med. Thisquen möglich geworden, nicht zuletzt 
durch die jahrelangen, stets wiederkehrenden erfolgreichen Behand¬ 
lungen seiner Patienten, das Maß von Wissenschaft zu sammeln, 
das für die Lösung eines so wichtigen Problems erforderlich war. 

Einen Triumph für die Wissenschaft, einen Segen für die 
Menschheit, den schönsten Lohn für jahrelange, rastlose Forschungen 
bedeutet ein von dem Spezialarzt Dr. med. Thisquen in Köln 
entdecktes Präparat, das er „Rheumacid“ nannte. 

Dr. med. Thisquens Rheumacid ist dasjenige Präparat, 
welches bestimmt ist, eine vollkommene Umwälzung, ein Brechen 
mit alten Theorien, hervorzurufen. 

Leiden Sie an Influenza, Rheu- Dr. med. Thisquens 

matismus, Erkältungskrankheiten, Rheumacid A 

Neuralgien, Ischias und deren Be- beseitigt sie gründlich! 

gleiterscheinungen ? 

Werden Sie durch Gicht ge- Dr. med. Thisquens 

plagt? Rheumacid B 

befreit dauernd davon! 

Sind Sie mit Nieren-, Blasen- Dr. med. Thisquens 

oder Hautleiden behaftet? Rheumacid 0 

bewirkt vollständige Heilung I“ 

So weit der Prospekt über „Rheumacid“. Gleichzeitig wird 
darin Dr. med. Thisquens Rheumasolvid-Tee empfohlen. 

Die Präparate' werden dargestellt und vertrieben durch Dr. 
med. Thisquens Antirheuma-Werke, Berlin 112, Frankfurter 
Allee 15. 

Preis für Rheumacid A, B oder C: 

1 Flakon Tabletten 3,50 M. in Pulverform 50,0 g = 17,50 M. 
7 Flakons Tabletten 23,50 M. in Pulverform 100,0 g = 32,50 M. 

Eine Probeschachtel 1 M. 

Z. hat das Rheumacid A, B und O untersucht, und zwar 
lagen von Rheumacid B und O je zwei von verschiedenen Sen¬ 
dungen stammende Konvolute vor. Abgesehen davon, daß z. B. 
die mit „Rheumacid A w bezeichneten Schachteln nicht, wie ver¬ 
merkt, 10 Pulver zu 1,0 g enthielten, sondern nur 5 Pulver in 
durchschnittlichem Gewicht von 0,5 g, und daß die Sendungen 
von „Rheumacid B“ an Aussehen, Gewicht und qualitativer Zu¬ 
sammensetzung differierten, sei hier nur auf die Untersuchungs¬ 
ergebnisse von Z. hingewiesen. Danach enthielt Rheumacid A 
rund 10% Salol, 23% Antipyrin, 9% Zitronensäure und 58% 
salizylsäurehaltige Acetylsalizylsäure. Das eine Rheumacid B hatte 
die gleiche Zusammensetzung, das andere enthielt Salol, reine 
Azetylsalizylsäure und Zitronensäure. Das eine Rheumacid C war 
wieder ebenso wie Rheumacid A zusammengesetzt, während die 
zweite Sendung desselben 10' Tabletten zu 0,5 g entsprechend 
der Zusammensetzung von Rheumacid B (zweite Sendung) ent¬ 
hielt. Und für diese wundertätigen Kompositionen werden so 
horrende Summen verlangt! Kommentar überflüssig 1 



„Prominent“, ein neuer Plaschenständer. 

Ein glatter U-fÖrmiger Stab, dessen beide Schenkel oben 
zu Gelenkzapfen umgebogen sind, nimmt die Flasche auf, je 
ein kurzer Zapfen vorn und hinten verhindert eine horizontale 
Verschiebung derselben. Ein oberer Teil besteht ans einem 
Ring von ca. 12 cm Durchmesser mit zwei nach unten ge¬ 
bogenen federnden Stahlbügeln; ein leichter Druck läßt diese 
Federbügel in die Gelenkzapfen einschnappen, die gleichzeitig 
zum Aufhängen des ganzen im Gestell dienen. Die Flasche 
hängt so vollkommen frei und absolut sicher. Jede Ver¬ 
schiebung und damit jede Brachgefahr und Einklemmen der 
Finger beim Kippen etc. ist ausgeschlossen. Der fest auf der 
Flasche sitzende Federbügel bildet einön bequemen Handgriff. 
Da kein Teil der Flasche bedeckt ist, kann der Inhalt stets 
auf Beschaffenheit und Menge geprüft werden, Aufschriften 
sind auf den ersten Blick zu lesen. Da Ecken, Scharniere etc. 


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^ v# ^ y 1 kr ' J ■" ' r '♦ ---- 

fehlen, kommt ein Ansetzen von Staub oder Schmutz nicht in 
Frage. Ist" eine Flasche entzwei gegangen, so kann ohne jede 
Äenaeruhg eine beliebige Flasche ähnlicher Form eingesetzt 
werten, da der. Federbügel sich den kleinen Abweichungen 



starren Ausströmröhren oder mit Oliven an langen Schläuchen. 
Auf zwei parallel gerichteten Ausströmröhren sind die Nasen¬ 
oliven so aufgesetzt, daß sie aufrecht stehen, aber doch so viel 
seitlich zu bewegen sind, daß sie für eng- und weitgestellte 
Nasenöffrmngen gleichzeitig verwandt werden können. Die 



anschmiegt. Die Halter „Prominent“ werden ebenso wie die 
bisherigen in den üblichen Flaschenständer - Gestellen aufge¬ 
hängt. Sie können deshalb auch an alten Gestellen ange¬ 
bracht werden. 

Fabrikant L. Dröll, Frankfurt a. M., Kaiserstr. 42. 

M. Plien, Berlin. 


Brillengestell zur Untersuchung der Sehschärfe auf 
den einzelnen Augen 

nach Dr. S t e n z e 1, Wittenberge. (Zeitschrift für Krankenpflege, 
1908, März.) 

An einem Probierbrillengestell sind auf dem Nasenbügel 
in aufrechtstehender Zwinge zwei schwarz lackierte Blech¬ 



scheiben in Form einer Wippe so angebracht, daß in wage¬ 
rechter Stellung das Gesichtsfeld für das Sehen mit beidon 
Augen freibleibt, beim Niederdrücken dagegen abwechselnd 
der entsprechende Brillenausschnitt verdeckt wird. Durch Ab¬ 
biegung des Mittelstückes wird erreicht, daß die Scheiben 
hinter die Brillenfassung schlagen. Das Einsetzen von Gläsern 
ist so leicht ausführbar, besondere Deckgläser sind nicht 
nötig. 

Zu beziehen ist das Brillengestell vom Medizinischen 
Warenhaus Berlin. M. Pdien, Berlin. 


Neuer Flüssigkeitszerstäuber mit zwei beweglichen 
aufrechtstehenden Nasenoliven 

nach Dr. Ritsert, Frankfurt a. M. (Zeitschrift für Kranken¬ 
pflege, 1908, Märzheft.) 

Der Zerstäuber „Subtilissimus“ soll eine bequemere Hand¬ 
habung ermöglichen als die bisher gebräuchlichen Modelle mit 


beiden Ausströmröhren laufen an ihrer Basis in eine Röhre zu¬ 
sammen, so daß im Deckel der Zerstäuberflasche nur eine 
Oeffnung ist. In diese kann eine einfache gebogene Röhre 
eingesetzt werden und dann der Apparat auch zu Einstäu¬ 
bungen in Nase, Mund und Rachen benutzt werden. Die 
Größenverhältnisse des „Subtilissimus“ sind so gewählt, daß 
er in einem kleinen Etui bequem in der Tasche zu tragen ist, 
was ihn namentlich für Asthmatiker wertvoll machen kann. 

M. Plien, Berlin. 


□ 


Bücherbesprechungen. 


□ 


Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen. 

Von Prof. Dr. Dieudonne. Würzburger Abhandlungen, Bd. \IIf- 
3./4. Heft. Stübers Verlag. Würzburg. 1,70 M. 

In sehr ausführlicher Weise stellt D. die seitherigen wissen¬ 
schaftlichen Ergebnisse der Untersuchungen von Nahrungsmittel¬ 
vergiftungen zusammen und widmet dabei den Vergiftungen durch 
Genuß von verdorbenem Fleisch, Fisch, Käse, Kartoffeln, Vanille¬ 
creme, Mehlspeisen, Konserven besondere Kapitel. Die Ausfüh¬ 
rungen sind bei wissenschaftlicher Genauigkeit doch so gehalten, 
daß auch der Nichtfachmann und gebildete Laie mancherlei An¬ 
regung und zweckdienliche Belehrung schöpfen kann. Eine aus¬ 
führliche Literaturzusammenstellung gibt für denjenigen r der sich 
über bestimmte Formen der Nahrungsmittelvergiftung ausführlich 
unterrichten will, die nötigen Hinweise. 

Küster- Frei bürg i. B. 

Jahresbericht über die Ergebnisse der Immuni¬ 
tätsforschung. Baud II, 1906. Herausgegeben von Privut- 
dozent Dr. Weichardt-Erlangen. Stuttgart. Enke. 

Der H. Band der Jahresberichte über Immunitätsforschung 
ist soeben erschienen und man darf wohl behaupten, daß er von 
allen, die ihr spezieller Beruf oder allgemeines Interesse die wich¬ 
tigen Fortschritte der Immunitätslehre verfolgen heißt, wehnlichst 
erwartet wurde. Zur Zeit ist die Arbeit auf den verschiedensten 
Gebieten der Immunitätsforschung so allgemein aufgenommen, die Zahl 
der Veröffentlichungen in der in- und ausländischen Literatur ist so 
groß geworden, daß nicht einmal der Fachmann mehr imstande 
ist, sich durch eigne Lektüre einen Ueberblick zu verschaffen; 
er ist auf sachkundige Referate angewiesen und nimmt daher mit 
Freuden ein Buch zu Hilfe, das ihm in knapper und doch hin¬ 
reichend ausführlicher und verständlicher Form eine rasche Orien¬ 
tierung gestattet. 

Besonders zu begrüßen ist, daß neben der wiederum vor¬ 
trefflichen „Allgemeinen Uebersicht“ und „Zusammenfassung und 


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348 



THERAPEUTISCHE RWOTSCHATI. 


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Ausblick <c von der Hand des Herausgebers ein Bericht über: 
„Beziehungen der Immunitätsforschung zur Lehre von den Ge¬ 
schwülsten“ von Schöne und über „Opsonine“ von Rosenthal 
aufgenoinmen sind, die in Form des Sammelreferates auch den 
Fernstehenden leicht in diese beiden wichtigen Gebiete einführen. 
Sehr wünschenswert wäre es, wenn in Zukunft ein früheres Er¬ 
scheinen der Jahresberichte ermöglicht werden könnte, wenngleich 
ich die Schwierigkeit einer rascheren Erledigung durchaus nicht 
verkennen möchte. E. Küster-Freiburg i. B. 



— Die Therapeutische Rundschau (dieser Jahrgang, Nr. 17) 
bringt über meine letzte Publikation in der Münch, med. Wochen¬ 
schrift, 1908, Nr. 11, eine Notiz, welche unter anderem die Aeuße- 
rung enthält, ich hätte die mir brieflich geschilderten magneto- 
pathischen Versuche von Uppenborn (f) „gewissermaßen be¬ 
glaubigt“. 


pathische Zwecke mißbraucht 'werdet, nicht abhalten können, mich" 
an der Feststellung der physiologischen Tatsachen zu beteiligen! 

Halle a. S., den 11. Mai 1908. , r 

Prof. Dr. Erich. Harnack. 

Bemerkung hierzu. 

Ich konstatiere folgendes: Herr Geheimrat Prof. Dr. Harnack 
führt zur Erhärtung einer wissenschaftlichen Beobachtung als 
Gewährsmann einen in Kurpfuscherweise tätigen Magnetopathen ins 
Feld. Der wortgetreue Abdruck eines Briefes desselben, in dem 
von „Heilerfolgen“ mittels durch Bestreichen mit der Hand elek¬ 
trisch geladener Backoblaten berichtet wird, in einem Artikel von 
Harnack in der Münch, med. Wochenschr. muß selbstverständ¬ 
lich (nicht nur mich) sonderbar und unangenehm berühren. Zu¬ 
gegeben , daß Harnack die „Heilerfolge “' nicht „ gewissermaßen 
beglaubigt“, wozu findet der Abdruck des Briefes statt, wenn der 
Hauptinhalt desselben nachher von Harnack zurückgewiesen wird 
und weiter nichts Geltung behalten oder erhärtet werden soll, als 
daß Backoblaten durch Hautelektrizität geladen werden können? 

Lungwitz. 


Ich sehe mich genötigt, mich gegen diese Behauptung auf 
das entschiedenste zu verwahren, indem ich folgendes erkläre: 

1. Zu der Mitteilung jenes Briefes, der längst in meinem 
Besitze war,, hat mich erst die Publikation von Moll, was ich 
deutlich genug betont habe, veranlaßt. Wie peinlich mich dieser 
letzte Brief von Uppenborn überrascht hat und für wie be¬ 
denklich ich solche Versuche stets hielt, das habe ich genügend 
scharf zum Ausdruck gebracht. Meine Worte waren die folgenden: 

„Es wird also hier von einem mit Recht hochgeschätzten 
Fachmanne, den Moll als einen der Ersten preist und der sich 
auch durch seineu Kalender für Elektrotechniker namhaft gemacht 
hat, ein starker Schritt auf das Gebiet der Magnetotherapie getan, 
ein Gebiet, von dem ich mich von vornherein und aus wohl¬ 
erwogenen Gründen gänzlich ferngehalten habe! 

Daß trockene Backoblaten schlechte Leiter sind und daher 
mit Hautelektrizität durch Bestreichen geladen werden können, 
ist sehr wohl möglich . . . ., daß sie dadurch einen eigenen Geruch 
bekommen, ist schon schwer begreiflich; daß sie, sich selbst über¬ 
lassen, die gewonnene Veränderung bis zu mehreren Tagen be¬ 
halten sollen, scheint mir unmöglich, und daß sie Kopfschmerzen 
heilen sollen, das übersteigt meine Begriffe.“ 

Ich meine, stärkere und verständlichere Ausdrücke der Ab¬ 
weisung sind kaum denkbar, zumal es sich um einen Verstorbenen 
handelte, der sich nicht mehr verteidigen konnte. 

Das Einzige also, was ich als möglich zugegeben habe, ist 
die momentane elektrische Ladung trockner Oblaten durch Be¬ 
streichen mit der Hand; denn auch Glas, Hartgummi, Lack, Seide, 
Karton können schon durch Berühren mit der Hand unter Um¬ 
ständen recht merkbar geladen werden. Aber das hält nach den 
zahllosen Beobachtungen, die mir zu Gebote stehen, an der Luft 
höchstens einige Minuten an, und schon deshalb mußte ich alles 
weitere für unmöglich oder meine Begriffe übersteigend erklären. 

2. Bei allen meinen — keineswegs nur an mir selbst an- 
gestellten — Versuchen habe ich mich ausschließlich an das 
physiologisch-physikalische Gebiet gehalten und das therapeutische 
auch nicht mit einer Silbe gestreift. Weder habe ich je die Nei¬ 
gung empfunden, magnetopathische Versuche anzustellen, noch 
habe ich irgendeinen Grund, mich für solche zu erwärmen oder 
gar sie zu beglaubigen. Deshalb hat mich auch die Erwägung, 
das auf physiologischem Gebiete Gefundene könne für magneto- 


Wattenbergs colloider Kwoclienstoff 

ist gesetzlich geschützt unter dem Namen 

Gell. Hat Dr. Wattenbergs Pliosphorkalkmilch. 

Knochenbildungs- und Knochenkräftigungsmittel, welches leicht verdaut 
und im Säftestrom ausgeniitzt wird, bestens empfohlen als Zusatz zur Er¬ 
nährung schwächlicher, schlecht fundamentierter, rachitischer Kinder. 
.Abhandlung und Prospekte durch 

Dr. lloHmaim & Köhler, Harburg. 


ALLGEMEINES. 


Bad Harzburg, Gebirgsluftkurort und Solbad. Unter diesem 
Titel ist soeben der diesjährige Prospekt des Herzoglichen Bade¬ 
kommissariats von Bad Harzburg in ganz hervorragend schmuckem 
Gewände imd gediegener Ausstattung erschienen. Künstlerisch 
schöne Mezzotintobilder und eine Menge Doppeltondruckbilder 
führen uns die Herrlichkeiten des Gebirges sowie die bemerkens¬ 
wertesten Kurgebäude vor Augen. Dieses Buch wird an unsere 
Leser, die zum Kurgebrauch nach Harzburg zu gehen gedenken, 
auf Wunsch von vorgenannter Behörde mit einem ausführlichen 
WohnungsVerzeichnis, welches sämtliche Preise enthält, sowie einem 
Ortsplan kostenfrei versandt. 

Die vielen Freunde Harzburgs wird es interessieren, daß es 
der dortigen Verwaltung gelungen ist, eine neue überaus mächtige, 
starke Solquelle zu erbohren. 

Lüneburg. Wie Tageszeitungen berichten, ist der bekannte 
frühere Wunderdoktor Schäfer Ast in Radbruch gestorben. Er 
hatte sich vor einigen Jahren vom Geschäft zurückgezogen und 
soll ein Vermögen von ca. 600000 M. hinterlassen haben. 

Wer vieles bringt, wird mancbem etwas bringen. 

Unter dieser Flagge segelt der unserer heutigen Nummer beiliegende 
Prospekt des seit 40 Jahren allbekannten Versandhauses Bial & Freund, 
Breslau II und Wien XIII/1. Die Reichhaltigkeit des Prospektes ist auch 
in der Tat geeignet, so manchen seit langer Zeit gehegten Wunsch wieder 
neu zu beleben, und gerade die .herannahende Reise- und Jagdzeit bietet 
hierzu die beste Gelegenheit. 

Es wird gewiß jeder mit Freude begrüßen, wenn er in die Lage ver¬ 
setzt wird, alle diese zum Lebensbedürfnis nicht unbedingt gehörigen Artikel 
ohne fühlbare Ausgabe kaufen zu können. Große Geschäfte liefern aus 
diesem Grunde die verschiedenartigsten Artikel zu reellen und Ladenein¬ 
käufen durchaus entsprechenden Preisen gegen mäßige Monatsraten. Wie 
sehr diese durch wirtschaftliche Notwendigkeit entstandene Einrichtung 
beliebt ist, beweist am besten ein Blick in das viele Hunderttausend Namen 
enthaltende Register der Firma Bial & Freund. Es finden sich dort Namen 
bis aus den höchsten Gesellschaftskreisen. 

Der vorliegende Prospekt zeigt auch so recht die Leistungsfähigkeit 
dieser Firma, nicht nur mit Bezug auf die große Auswahl der empfohlenen 
Artikel, sondern auch hinsichtlich der äußerst bequem eingerichteten Zahlungs¬ 
raten, welche sich neben dem Kaufpreis jedes Artikels finden. 

Der reichillustrierte Hauptkatalog der genannten Firma, enthaltend 
eine große Anzahl verschiedener Artikel wie: Photographische Apparate, 
Opern- und Reisegläser, Jagd- und Luxuswaffen, Schreibmaschinen, Grammo¬ 
phone, Musikwerke jeder Art, Bücher, Lexika etc. wird auf Verlangen an 
jedermann gratis versandt, auch stehen hei genauerer Angabe reichhaltige 
Spezialkataloge aller Gebiete kostenlos zur Verfügung. 

F. A. Hoppen u. R. Fischer 
Patentanwälte 

Berlin SW. 13, Neuenburgerstraße 15 

Amt IV 718. 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. H. Lungwitz, Berlin S. — Verlag: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle a. S. 
Druck der Heynemannschen Buchdruckerei, Gebr. Wolff, Halle a. S. 


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Wochenschrift für die gesamte Therapie des praktischen Arztes. 


G. Anton, A. Dßhrssen, C, A. Ewald, P. Gerber, R. Robert, 
Halle a. S. Berlin. Berlin. Königsberg. Rostock. 

Ad. Schmidt, H. Schmidt-Rimpler, H Senator, 
Halle a. S. Halle a. S. Berlin. 

f .. 'S 

Redaktion: 

Berlin S. 14, Dresdenerstr. 44. Tel. IV, 11773. 

Dr. med. et phil. H. Lungwitz. 


Herausgegeben von 



M. Koeppen, M. Mosse, K. Partsch, H. Rosin, H. Schlange, 

Berlin. Berlin. Breslau. Berlin. Hannover. 


R. Sommer, 

Gießen. 


H. Unverricht, 

Magdeburg. 


0 . Vulpius, 

Heidelberg. 


Verlag u. Expedition: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung 
in Halle a. S., Reilstraße 80 . 

Tel.-Adr.: Marhold Verlag Hallesaale. Fernsprecher 823. 


Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte der Ostsee und der 

Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 

II. Jahrgang. Halle a. S., 31. Mai 1908. Nr. 22. 


Die „Therapeutische Rundschau“ erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2;M., einzelne Nummer 20 Pf. Bestellungen nehmen jede Buchhandlung 
die Post, sowie die Geschäftsstelle: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung in Halle a. S. entgegen. Inserate werden für die 4gespaltene Petitzeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. berechnet Beilagen nach Uebereinkunft Reklamezeile 1,50 M. Bei größeren Aufträgen wird Rabatt gewährt 

Nachdruck der Original-Aufsätze ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet — Nachdruck der anderen Rubriken ist nur mit Quellenangabe gestattet 



Neuere Richtungen in der gynäkologischen Therapie. 

Von Dr. Ö. Tuszkai, Marienbad und Budapest. 

Wenn wir der fieberhaften Arbeit, welche auf dem Gebiete 
der medizinischen Wissenschaften in der ganzen Welt, beson¬ 
ders. aber in Deutschland, herrscht, mit Aufmerksamkeit folgen 
und wir über diese Tätigkeit eine gewisse allgemeine Uebersicht 
zu gewinnen in der Lage sind, sehen wir alsbald, ob die medi¬ 
zinische Wissenschaft wirklich fortschreitet, und wenn ja, in 
welcher Richtung diese Fortschritte am deutlichsten und ent¬ 
schiedensten bemerkbar sind. Im ersten Augenblicke scheint 
wohl ein gewisser Pessimismus berechtigt zu sein; obwohl viele 
geniale Forscher mit eiserner Energie um die Lösung der kom¬ 
plizierten Fragen sich bemühen, stehen wir doch fast ver¬ 
zweifelnd und mit schwindenden Hoffnungen vor jenen Krank¬ 
heiten, welche wir mit Recht die Geißel der Menschheit nennen. 
Wie da sind: die malignen Neubildungen, die Tuberkulose und 
von den zahlreichen Nervenleiden die Hysterie und der größte 
Teil der Geisteskrankheiten. Was die schweren septischen 
Erkrankungen betrifft, tappen wir noch im Dunkeln, auch der 
größte Teil der Stoffwechselstörungen ist uns unaufgeklärt, 
z. B. der Diabetes, die Gicht, und wer könnte denn die 
schreckende Zahl der alltäglichen Krankheiten herzählen, bei 
denen wir Vorgehen, „ut aliquid fieri videatur“, und schließlich 
um mit Goethe sagen zu können: „Um es dann endlich 
gehen zu iassen, wie’s Gott gefällt.“ Andererseits aber, seit¬ 
dem Semmelweiß die Asepsis gehrte, erreichte die Chirurgie, 
die Macht des Messers in unserer Wissenschaft die Herrschaft, 
und wir können es auch nicht leugnen, daß der Stahl in der 
Hand eines klugen, erfahrenen, gelehrten Arztes und eines 
guten Menschen zum unendlichen Wohle der leidenden Mensch¬ 
heit wurde. Etwas später als Semmelweiß’ Lehren be¬ 
gannen auch die großen Errungenschaften der Bakteriologie sich 
Bahn zu brechen, und auch von diesen Lehren können wir be¬ 
haupten, daß dieselben zweifellos der leidenden Menschheit 
zum Wohle gereichen und einen weiten Fortschritt der Wissen¬ 
schaft bedeuten und es auch für die Zukunft bedeuten werden 
unter ruhiger Führung gewissenhafter Forscher. 

Als eine Vervollständigung dieser Lehren betrachten wir 
die von EKrlieh eingeführte Hypothese über Immunität, deren 
Wert wir, weil dieselbe nur eine Hypothese ist, nicht gering 
schätzen dürfen. Unsere Erklärungen, unsere Auffassung von 


der Elektrizität, der Wärme, dem Lichte und den übrigen 
Naturkräften sind ja im wesentlichen ebenfalls nur Hypothesen, 
aber betreffs der praktischen Resultate baute man die großen 
Errungenschaften auf diese Hypothesen, mit deren Hilfe die 
Menschheit heutzutage mit wunderbarem Erfolge gegen die 
durch Raum und Zeit gestellten Hindernisse kämpft. 

Dies sind auf dem Gebiete der medizinischen Disziplinen 
zweifellos Fortschritte, auf welche wir unseren ersprießlichen 
Kampf zur Besiegung der bestehenden Krankheiten resp. zur 
Abwendung und Vorbeugung derselben stützen. Wenn es also 
in den medizinischen Wissenschaften tatsächlich Fortschritte 
gibt, welcher Richtung sind diese? Die Richtung charakteri¬ 
sieren wir am besten, wenn wir aus dem Chaos der wetteifern¬ 
den Gedanken zwei leitende entnehmen: der eine ist die Lehre 
von der richtigen Beobachtung der Lebensprozesse im gesunden 
Zustande, der andere die Lehre von der richtigen Beobachtung 
der Lebensprozesse im kranken Zustande. 

Indem wir im folgenden eine ganz spezielle Krankheits¬ 
gruppe resp. die Art des gegen dieselbe geführten, erfolg¬ 
reichen Kampfes besprechen wollen, ist es unsere Pflicht, mit 
einigen Worten des zweiten Gedankens der zwei leitenden 
Ideen zu gedenken. 

Die eingehenden Untersuchungen überzeugten uns nämlich 
davon, daß die Gesetze der Lebensprozesse im kranken Zu¬ 
stande dieselben sind wie im gesunden: insofern mehr oder 
etwas anderes geschieht, als unter normalen Umständen zu ge¬ 
schehen pflegt, dies sind natürliche Heilbestrebungen zur Rekon¬ 
struktion. 

Die natürlichen Kräfte bestreben sich nämlich in jedem 
einzelnen Falle der Störung auf natürlichem Wege, d. h. von 
selbst zur Herstellung der früheren resp. normalen Ordnung: 
Das Bestreben zur spontanen FI eil ung ist ein Natur¬ 
gesetz. In der Reaktion auf diese Erkrankungen 
äußert sich die Zweckmäßigkeit der Naturkräfte. 
Das Ablernen der Selbstheilungsgesetze ist also die Art und 
Weise, vermöge deren wir imstande sind, der Krankenheilung 
den Weg zu bahnen. Eine derartige ist die Schutzpocken¬ 
impfung, die Serumbehandlung, welche wahre natürliche Heil¬ 
methoden sind, da dieselben die Heilbestrebungen der Natur 
imitieren, indem sie im Organismus, der gegen die Infektion 
kämpft, die während dieser Infektionskrankheit entstandenen 
Schutzstoffe vermehren. Oft geschieht es aber, daß der Orga¬ 
nismus einer bekannten oder unbekannten Ursache zufolge nicht 
imstande ist, gehörig d. h. zweckmäßig oder nicht ge¬ 
nügend lange auf den Angriff der Krankheit zu reagieren, 
oder aber daß die Reaktion von anfang an zu stark ist 
lind das Individuum nicht zur Genesung gelangt, oder daß 
die völlige Gesetzmäßigkeit bloß im ersten Stadium 


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zweckmäßig wirkt, später hingegen nicht, und nun beginnt denselben Gesetzen wie die physiologischen, bloß der unrich- 
die Tätigkeit des Arztes. Wir sehen z. B., daß., wenn schäd- tige Wortgebrauch konnte es bisher verursachen, daß wir mit 
liehe Stoffe in den Magen geraten, sich Erbrechen und Diarrhöe dem Worte „physiologisch“ nur etwas Gesundes meinen, 
einstellen; jedoch geschieht dies einerseits nicht in jedem Wie unberechenbarer Richtung und Tendenz ein derartiges, 

Falle, anderseits stellen sich die genannten Erscheinungen auch durch Infektion entstandenes Exsudat oder Transsudat auch sei, 
ein, wenn sie dem Organismus entschieden zum Nachteil werden. i s t es in seiner Entwickelung doch eher berechenbar, in seinem 
Die Entzündung und das Fieber sind ausgesprochene Heilbe- Verlaufe günstigerer Natur als die Leiden gonorrhoischen Ur- 
strebungsreaktionen des Organismus, jedoch können dieselben Sprungs. Betrachten wir nun, auf welche Weise sich der Or¬ 
bei einem gewissen Grade dem wenig Widerstandsfähigen be- ganismus in solchen Fällen wehrt. Zweifellos ist eine schwere 
deutenden Schaden zufügen. Bei äußeren Verletzungen oder Situation entstanden, denn die entzündliche Masse muß sich 
inneren Leiden reagiert das Herz gewöhnlich mit gesteigerter i n derselben Weise zurückbilden, wie sie sich entwickelte, 
Arbeit, deren erste Folge die Hypertrophie des Herzmuskels d. ü. auf dem Wege der Blut- und Lymphgefäße; diese Gefäße 
ist. Hören aber die Schädlichkeiten nicht auf, so ermattet das a ü er sind in ihren Funktionen entweder sehr beeinträchtigt 
hypertrophierte Herz, es verliert an Kraft, erweitert sich, und 0 der stellenweise ganz gehemmt. In dieser schweren Situation 
die Folgen sind bereits Siegeszeichen der Krankheiten über die i s t das Herz das erste Organ, welches seine Pflicht gut erfüllt. 
Gesundheitsgesetze. In anderen Fällen, z. B. bei Knochen- Bereits während des Fiebers leistet es eine größere Arbeit, 
brücken sehen wir, daß der Heilprozeß zwischen den Bruch- welche ohne Zweifel gleichfalls eine gewisse Heilbestrebung 
stücken bald nach erfolgter Fraktur ganz gesetzmäßig beginnt, i s t ? denn die Resorptionsquantität ist am Anfänge der Bakterium- 
doch sehen wir nie einen Fall, wo die Natur selbst zwei invasion mit der Geschwindigkeit der während einer Sekunde 
Bruchstücke zusammenfügen oder verschobene richtig stellen durch die Raumeinheit durchtretenden Blutmenge direkt pro¬ 
würde. In all diesen Fällen ist es des Arztes Pflicht, die portional. Sobald aber die Invasion aufhört, ist auch die Stärke 
Natur in ihrer gesunden, zweckmäßigen Reaktion gegen die der Resorption mit der Geschwindigkeit der Blutdurchströmung 
entstehenden Uebel zu unterstützen. direkt proportional. Eben jenes Hindernis, welches den Druck des 

Goldscheider faßt die Beförderungsarten der natürlichen Exsudates auf die peripheren Gefäße ausübt, zwingt das Herz 
Heilprozesse in folgende fünf Punkte zusammen: 1. Nach- zu größerer Arbeit und nötigt es zu einer mit gewissen Metho- 
ahmung der natürlichen Heilprozesse, wie z. B. die Impfungen, den nachweisbaren reaktiven Hypertrophie, 
die Serumtherapie; 2. indirekte Unterstützung der Natur- Es ist nicht zu leugnen, daß die spontane, glatte Heilung 

heilkraft. Hierher gehören z. B. die Kräftigung des Herzens nur au ^ diese Weise zu erklären ist, doch können wir es auch 
mittels Digitalis, Entfernung von Exsudaten aus der Blutlauf- anderseits nicht in Abrede stellen, daß das Herz trotz seiner 
bahn, die Herabsetzung der Aufregung und Unruhe des Orga- Muskelverdickung die Hindernisse zu überwinden nicht im- 
nismus durch Narkotika; 3. die Förderung der natürlichen stände ist oder es nur unvollständig tut, und dann ist die 
Heilprozesse durch allgemeine Behandlung, z. B. durch Hydro- alleinige Möglichkeit, nämlich die Heilung durch aktive Hyper¬ 
und Balneotherapie, durch Diätetik usw.; 4. Regelung der ämie, entweder ganz unmöglich oder sehr erschwert. Die aus 
natürlichen Heilprozesse und zwar in erster Reihe durch dem Blutkreislauf größtenteils ausgeschaltete Masse schrumpft 
Hemmung derselben und Herabsetzung der Nebenwirkungen; jedoch zusammen, wird hart, zum Zeichen, daß dieselbe an 
hierher gehören die Regelung der schädlichen Temperatur, Wassergehalt verliert, zweifelsohne durch langsame Osmose in 
Entfernung der entzündeten Appendix usw.; 5. Ergänzung der die benachbarten G-ewebe. Jede derartige Schrumpfung wird 
mangelnden Reaktion; hierher rechnen wir die Entfernung der raschen Rückbildung der Masse nur zum Nachteil dienen, 
maligner Tumoren, wie auch die Steigerung einer geringen indem ihre organischen Gewebselemente zu einer Masse mit 
Reaktion, resp. in vielen Fällen das Leiten der Reaktion. fortwährend steigendem Widerstand gegen eme Resorption sich 

vereinigen, in welcher die Blutgefäße m einen wirklich erbärm- 
- liehen Zustand geraten. — Dies ist also eigentlich keine Heil¬ 
tendenz, sondern ein chronisch werdendes Genitalleiden resp. 

Die chronischen Entzündungen und die durch dieselben dessen Folgen. Es scheint, als wenn die natürlichen Heilbe- 
verursackten bleibenden pathologischen Veränderungen gehören Strebungen nicht für die Zukunft sorgten, sondern nur die ersten 
seit langer Zeit zu den größten Plagen der alltäglichen Krank- Schritte zur Heilung anstrebten. Darin liegt etwas von teleo- 
heiten und stellen von alten Zeiten her auch die Geduld des logischem Standpunkte aus Unvollkommenes, sogar Wider- 
Arztes auf die Probe. Nirgends fühlen wir dies in einer Eirank- sprechendes. Wenn wir also die Natur m ihrer Heilbestrebung 
heitsgruppe so sehr als bei den Leiden der weiblichen Geni- unterstützen wollen, fällt uns die Aufgabe zu, je größere aktive 
talien und deren Adnexe. Wir können behaupten, daß auf und passive Hyperämie dem Exsudate zu besorgen und auf 
diesem Gebiete die Gonorrhöe das Feld beherrscht. Wenn wir diese Weise der Entstehung der oben genannten Prozedur vor- 
die fünf Gruppen, welche Goldscheider zur richtigen Er- zubeugen. Dieses ist der Grundsatz fast sämtlicher physi- 
klärung der natürlichen Heilrichtungen zusammenstellte, be- kalischer Heilmethoden. 

trachten, sehen wir, daß die spontanen Schutzeinrichtungen des Die Hauptrolle fällt in der physikalischen Therapie der 

weiblichen Organismus gegen die im Becken sich entwickelnden Frauenleiden Biers Hyperämie-Heilverfahren zu. Es sind 
chronischen Entzündungsstoffe in den meisten Fällen sehr un- kaum einige Jahre her, daß Prof. Bier seine Heilmethode 
vollkommen oder völlig machtlos sind. Mit den Exsudaten mittels trockener, heißer Luft veröffentlichte. Bei verschiedenen 
septischen Ursprungs wird die natürliche Heilkraft im allge- chronischen und akuten Krankheiten wendet man diese Methode 
meinen schneller fertig. Wir wissen, daß diese Exsudate eine an, und wir können sagen, daß man dieselbe heutzutage fast 
enorme Größe erreichen können, indem solche von Manneskopf- in jedem Fache der medizinischen Wissenschaften mit einer bei- 
größe und noch größere keine Ausnahme bilden. Milliarden nahe .übertriebenen Generalisierung gebraucht, und trotzdem, 
von Leukozyten treten bei hohem Fieber und Schüttelfrost aus daß man darin eine Panazee sucht, wird diese Heilmethode 
dem Blute, oder die Lymphe und andere flüssige Bestand- doch von einer überraschend schnellen Genesung gefolgt, 
teile des Blutes dringen durch die den Krankheiten zufolge Bier selbst konstruierte ganz einfache Holzkästchen, in welche 
veränderten Gefäßwände und sammeln sich so lange an, bis die der kranke Leib, die obere oder untere Extremität oder einzelne 
Ursache ein Ende nimmt, oder bis eine anatomische Einrich- Teile derselben hineinpassen. Hierher führte er aus einer 
tung der weiteren Ansammlung ihre Grenzen setzt. Die ent- Wärmequelle, in der Regel von einer Spiritus- oder Kohlen- 
standene große Masse komprimiert nämlich das Gefäßsystem, gaslampe, durch ein sogenanntes Quinckesches Rohr heiße 
welches die Exsudatflüssigkeit geliefert hat, und hindert auf Luft oder erwärmte die Luft der Holzkästchen selbst. Diese 

diese Weise das alterierte Gefäßsystem daran, seine physiolo- einfachen und der Mehrzahl der Fälle völlig entsprechenden 

gische Tätigkeit in der genannten pathologischen Richtung Apparate komplizierten der industrielle Erfindungsgeist und der 
fortzusetzen. Dieser Ausdruck „physiologisch“ ist kein Geschäftsgeist, sowie Leute, die um jeden Preis als Erfinder 

Widerspruch, denn die pathologischen Prozesse verlaufen nach figurieren wollen, dermaßen, daß während eines kurzen Zeit- 


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i * 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


351 


absölmittes zirka 80 Modelle angefertigt wurden, über welche 
wir, eh {Hoc sagen können, ihr Preis sei ein sehr hoher, ihr 
Nützen aber ein geringer. Wenn wir Biers einfache Modelle 
ans Behutsamkeit, um die Feuersgefahr zu vermeiden, mit 
Asbest ausfüttern, dann haben wir alles geleistet, was zur Her¬ 
stellung eines billigen und sehr guten Apparates nötig ist. 

Auf ähnliche einfache Weise können wir statt der eben 
genannten dunklen Kästchen auch helle, lichtwarme verfertigen, 
wo außer der erwärmten Luft bekanntlich dem Lichte und 
auch dem farbigen Lichte bei der Heilung der Krankheiten 
eine Rolle zufällt. 

Die Anfertigung der lichtgefüllten Kästchen geschieht am 
zweckmäßigsten, wenn wir auf einfachen Balkenstücken, welche 
mittels scheren artigen Artikulationen aneinander befestigt sind, 
oder in dem Inneren eines größeren mit Asbest gefütterten 
Kästchens elektrische Glühlampen anbringen. Diese können 
wir in beliebiger Zahl und Reihenfolge glühen lassen und nach 
Bedarf mit roten oder blauen Glühlampen versehen. 

In der gynäkologischen Therapie pflegen wir meistens 
einen Apparat zu gebrauchen, welchen wir über dem Leib 
resp. über dem Becken anbringen. Die Zahl jener verläßlichen 
und ernsten Beobachter, die bei schweren Entzündungen der 
Beckenorgane sehr ermutigende Heilerfolge durch Anwendung 
der Trockenheißluft erzielten, nimmt fortwährend zu. Ich selbst 
befasse mich seit sieben Jahren mit dieser Art der Therapie, 
und meine Erfahrungen sind im allgemeinen günstige. Ueber 
meine diesbezüglichen Erfahrungen und Untersuchungen be¬ 
richtete ich öfters (Kongresse zu Cassel und Breslau sowie 
in meinem im Mai 1905 dem kön. Aerzteverein zu Budapest ge¬ 
haltenen Vortrage). Aus diesen Resultaten, Untersuchungen ist 
ersichtlich, daß die Behandlung mit heißer Luft in ihrer allge¬ 
meinen Wirkung außerordentlich günstig ist, indem in jedem 
einzelnen Falle der Hämoglobingehalt des Blutes stetig zunahm, 
unter den Erythrozyten sind viele einkernige junge Zellen vor¬ 
handen, und all diese Symptome weisen darauf hin, daß diese 
Behandlung auf die hämatopoetischen Organe stimulierend 
wirkt. Auch das Körpergewicht der Patientinnen erfuhr eine 
Aenderung, insofern es wesentlich abnahm, und all dies inmitten 
eines angenehmen Allgemeinbefindens und ohne jeden Nachteil, 
trotzdem daß das Thermometer am höchsten Punkte des Appa¬ 
rates über 100° C. stieg und das Imischscher Thermometer, auf 
die Haut appliziert, 40 bis 50° C. zeigt, während einer ganzen 
Stunde der Behandlung. Die Beckenexsudate aber verkleinerten 
sich sozusagen augenscheinlich, oder wenn es auch langsamer 
ging, beobachtete ich doch fast in jedem Falle den konstanten 
Stillstand der oft sehr qualvollen Schmerzen. Ich führte auch 
einige Tierexperimente aus, welche ich seinerzeit veröffentlichte, 
und diese überzeugten mich davon, daß die Körpertemperatur 
auch im Innern der Bauchhöhle eine Steigerung von 1 bis 2° C. 
erfährt, es entwickelt sich also eine größere Hyperämie, welche 
in der Tat geeignet ist, das Exsudat zur Resorption 
zu bringen. 

Ich will dieses Ortes nicht erwähnen, wie vielfach diese 
Wirkung, die Prozesse erklärt werden können, doch vom prak¬ 
tischen Gesichtspunkte aus ist diese Heilmethode unter den 
angewandten Methoden zur Rückbildung der chronischen Ent¬ 
zündungsprodukte wirklich ein Gewinn, heute sogar die einzige, 
deren Wirkung wir vertrauen können. Die Hyperämie machte 
Bier auch auf andere Weise möglich, besonders als er passive 
Hyperämie an den kranken Körperteilen hervorrief. Die Chi¬ 
rurgen schreiben wahrhaftige Lobhymnen über diese Heil¬ 
methode, und wir Frauenärzte befassen uns auch nicht ohne 
jede Hoffnung mit derselben. Diese Heilmethoden, welche wir 
die Saugheilmethoden nennen, erreichten noch bei weitem 
nicht den Entwicklungsgrad, daß sie auf klinischer Basis 
ständen, doch sind dieselben sehr nutzbringend, besonders in 
Fällen von Endometritis. Das einfache Instrument, welches 
ich seit Jahren gebrauche, den Saugapparat für Zervix- und 
Kavum uteri, ist ein Gummiballon mit einer dünnen Glasröhre. 
Ich kann es nicht leugnen, daß, obwohl es in zahlreichen, beinahe 
desperaten Fällen sehr rasch die Schmerzen linderte und, wie 
es scheint, die Leiden auch heilte, ich doch sehr vorsichtig 
in der Anwendung dieser Heilmethode vorgehe, um so mehr, 


als ja ihr äußerst einfacher Gebrauch den Arzt fast lockt, 
aber auch deshalb, weil ich während meiner 21jährigen Praxis 
sehr viele Patientinnen mit Endometritis lange Zeit hindurch 
behandelte, ohne einen aus der Behandlung herrührenden Nach¬ 
teil wahrzunehmen, diese .Methode aber erst seit einem Jahre 
anwende und bei einer minderen Zahl von Patientinnen bereits 
vier sch werere Komplikationen beobachtete. In allen 
vier Fällen handelte es sich um Entzündungsrezidive, welche 
neuerdings akut auftraten und, eitrig in die Nachbarorgane 
durchbrechend, die Kranken monatelang ans Bett fesselten. 
Bei der früheren Behandlungsmethode des Kavum uteri stieß 
mir trotz Berührung des Endometriums mit starken Adstrin- 
gentien und Aetzmitteln mittels Stäbchen kein ähnlicher Unfall 
zu, es ist aber auch wahr, daß ich nur selten eine Heilung 
beobachtete. (Schluß folgt.) 


Biologische Betrachtungen aus der ärztlichen 
Praxis. 

Von Dr. Paul Kost, Pausa i. V. 

Vielen Lesern der Th. R. wird es trotz mancher Veröffent¬ 
lichungen immer noch mehr oder weniger unverständlich sein, 
warum eine Anzahl Aerzte es für nötig gehalten hat, sich zu 
einer Gruppe „biologisch denkender Aerzte“ zusammenzu¬ 
schließen und damit eine gewisse Sonderstellung gegenüber 
anderen zum Ausdruck zu bringen. Bestand wirklich eine 
solche innere Nötigung, innerhalb des Kreises der auf dem 
Boden der wissenschaftlichen Heilkunde stehenden Aerzte eine 
solche „biologische“ Sondergruppe zu bilden; oder ist das 
schöne Wort biologisch nur ein schönes Aushängeschild für 
Querköpfe und Sonderlinge unter den Aerzten, die aus Hang 
zur Eigenbrödelei von der offiziellen Medizin abrücken möchten? 
Die Frage scheint um so mehr berechtigt, als wahrscheinlich die 
meisten Aerzte, auch die sich nicht ausdrücklich als „biologisch 
denkende“ bezeichnenden, fest davon überzeugt sind, bei Be¬ 
handlung des biologischen Objektes, mit dem sie es als Aerzte 
zu tun habeu, des kranken Menschen nämlich, nach biologi¬ 
schen Grundsätzen zu verfahren. Wäre dies Bewußtsein, daß 
es sich bei aller ärztlichen Betätigung um Beeinflussung 
biologischer, vitaler, lebendiger Vorgänge handele, genügend 
wach im Denken aller Aerzte, so wäre es in der Tat ein 
pleonastischer Uebereifer, wenn einige Aerzte noch einmal aus¬ 
drücklich das Wort „biologisch“ aufs Schild setzen wollten, 
und es könnte nach verwerflichem, leicht mißzudeutendem 
spezialistischen Absonderungsbestreben anssehen. 

Aber wie liegen denn die Dinge in Wirklichkeit? Wir 
alle, die wir aus der Physiologenschule der letzten Jahr¬ 
zehnte hervorgegangen sind, uns ist wohl vor allem eine Tat¬ 
sache lebhaft im Gedächtnis haften geblieben, das ist der 
Kampf, der von nahezu allen Pl^siologen zwar nicht gegen 
das Wort: biologisch, wohl aber gegen den Begriff: Vitalismus 
geführt worden ist. Es wurde uns als größte Errungenschaft 
der modernen Physiologie bezeichnet, daß das Wort „Lebens¬ 
kraft“ durch die Nachfolger von Johannes Müller ein- für 
allemal aus der Physiologie, also aus der Lehre vom Leben, 
glücklich verbannt sei. Das Wort Vitalismus hätte lange Zeit 
als Lückenbüßer dienen müssen für unsere Unkenntnis in phy¬ 
siologischen Dingen, hätte lange genug mit seinem mystischen 
Beigeschmack zur Mystifikation exakten physiologischen 
Denkens geführt — nun sei die Parole auszugeben: in der 
Physiologie muß alles auf Mechanik zurückgeführt werden! 
Und glänzend waren die Erfolge, die mit diesem Forschungs¬ 
prinzip von einem Dub ois-Reymond usw. auf den ver¬ 
schiedensten Spezialgebieten physiologischer Forschung erzielt 
wurden, Erfolge, die schließlich ganz vergessen ließen, daß 
man bei diesem Vorgehen letzten Endes doch nur die Teile 
in der Hand hielt und daß das Band, welches den Organismus, 
den lebendigen Körper im Innersten zusammenhielt, doch 
fehlte. Es ist bezeichnend, daß die Begriffe Zuckungsgesetz, 
An- und Katelektrotonus, Diffusionsgeschwindigkeit und wie 
die exakten Dinge alle heißen mögen, uns beim Nachdenken 


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352 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 





als die Ausbeute unserer physiologischen Studien von der 
Universität her erscheinen; daß aber Begriffe, wie: Reaktions¬ 
kraft, Regenerationskraft, Disposition, Konstitution und ähnliche 
betes noires ganz gewiß nicht zu unseren Reminiszenzen aus 
dem Kolleg über Physiologie gehören. Und doch haben diese . 
letzteren „laienhaften“ Begriffe am Ende auch etwas mit Physio¬ 
logie oder Biologie zu tun; und was das Betrüblichste ist, wir 
können sie bei unserem ärztlichen Tun und Lassen meist viel 
weniger entbehren als alle jene oben genannten schönen 
exakten Dinge. Hier scheint mir ein Widerspruch zwischen 
unserer ärztlichen Ausbildung und theoretischen Basis einer¬ 
seits und unserem späteren ärztlichen Bedürfnis andererseits 
vorzuliegen, auf den hinzuweisen in den Augen Mancher fast 
trivial erscheinen mag, aber darum doch vielleicht nicht ganz 
überflüssig ist. Denn diese hier vorliegende Diskrepanz ist 
schuld daran, wenn der Nutzen unserer physiologischen Studien 
so verschwindend ist für unsere Tätigkeit am Krankenbett. 
Der Besitz einiger chemischen und physikalischen Kenntnisse 
über biologische Vorgänge kann doch wahrhaftig nicht als das 
Wesen physiologisch geschulten Denkens bezeichnet werden. 
Die genauesten Kenntnisse über Harnanalyse usw. sind für den 
Arzt nahezu wertlos, wenn sie erkauft werden mit völligem 
Verzicht auf die Erkenntnis, daß Physiologie und Biologie 
nicht einfach eine etwas kompliziertere Physik und Chemie 
sind, sondern daß es sich hier um Lebensvorgänge handelt, die. 
eigenen Gesetzen folgen. Und wenn wir diese Gesetze vor¬ 
läufig noch nicht in völlig exakte Formeln fassen können, so 
mag es uns der exakte Geist der Physiologie verzeihen, wenn 
wir uns einstweilen noch mit solchen Schlagworten wie Re¬ 
aktionskraft usw. begnügen. 

Wir dürfen uns nicht aus einer falschen Sucht nach 
Exaktheit dazu verleiten lassen, diese Dinge vornehm zu 
ignorieren, sondern wir müssen möglichst vorurteilsfrei die 
biologischen Vorgänge am Krankenbett betrachten. Wir müssen 
Eindrücke, die sich den Aerzten von jeher aufgedrängt haben 
und die in Ermangelung von exakten Begriffen gewöhnlich mit 
solchen Allgemeinausdrücken wie Naturheilkraft, Konstitution 
usw. belegt wurden, als tatsächlich beobachtet genau so gut 
registrieren wie das, was Marey und Riva-Rocci ver¬ 
zeichnen. Wir wollen es ruhig aussprechen, daß die viel ge¬ 
rühmte Exaktheit in der Heilkunde häufig nichts als eine 
Pseudoexaktheit ist. wenn sie große Gebiete biologischen Ge¬ 
schehens einfach unterschlägt, weil sie sich vorläufig noch nicht 
in das sogen, exakte System pressen lassen wollen. 

Den größten Schaden hat unser therapeutisches Handeln 
vom unbiologischen Denken in der Medizin gehabt. Während 
die Diagnostik Triumphe feierte, indem sie mit exakten Me¬ 
thoden neue Krankheitsbilder immer schärfer herausarbeitete 
(allerdings mit besonderer Vorliebe für die typischen, ausge¬ 
prägten Krankheitsbilder, unter Vernachlässigung funktioneller 
Diagnostik), so war doch die Therapie, aller Exaktheit spot¬ 
tend, jahrzehntelang dazu verurteilt, bei den Nichtexakten, bei 
„Naturheilkundigen“ usw. Unterschlupf zu suchen. Langsam 
wird jetzt die Therapie für die wissenschaftliche Heilkunde 
zurückerobert, und noch ist die Anschauung nicht ganz 
überwunden, daß Therapie und Pfuscherei im Grunde das¬ 
selbe sei. 

Ehe nicht der Exaktheitsdünkel völlig überwunden ist, ehe 
nicht die biologische Erkenntnis durchgebrochen ist, daß die 
Naturheilung noch immer die beste aller Heilungen ist, — 
eher ist unsere ganze ärztliche Tätigkeit noch nicht völlig ge¬ 
klärt. Solange wir noch eifersüchtig und schmollend in der 
Ecke stehen, wenn die Pleuritis von selbst ausgeheilt ist — 
ohne unsere Punktion und Rippenresektion —, solange wir 
überhaupt noch eine Art von beschämendem Gefühl nicht los 
werden, wenn wir während eines Krankheitsverlaufes keine Ge¬ 
legenheit gefunden haben, ferro ignique einzugreifen — so 
lange haben wir das Wesen aller ärztlichen Tätigkeit noch nicht 
begriffen. Und so lange wird auch der in weiten ärztlichen 
Kreisen verbreitete Pessimismus nicht verschwinden, der sich 
lähmend auf alle ärztliche Tätigkeit legt, und demzufolge die 


tberapeutische Betätigung des Allgemeinarztes, kurz ausge¬ 
drückt, nicht als., voll gelten soll. Es ist aber eine fatale Ver¬ 
kennung ärztlicher Leistungsfähigkeit, * wenn man sie in tech¬ 
nischen Kunststücken erblickt. Die Technik in allen Ehren 
(mag sie sich nun auf chirurgischem Gebiet oder auf dem 
Gebiet Ehrl ich scher Immunitätstheorien betätigen) — das 
eigentliche Feld ärztlichen Leistens liegt aber weder auf spe- 
zialistischem noch auf rein wissenschaftlichem Gebiet, Der 
Arzt wird nie zu innerer Ruhe und Befriedigung kommen, 
wenn er stets neidisch auf den Kollegen von der spezialisti- 
schen Technik blickt oder wenn er sich verpflichtet fühlt, 
immer hinter der letzten und allerletzten wissenschaftlichen 
Entdeckung herzulaufen. 

Der biologisch denkende Arzt wird seine Aufgabe darin er¬ 
blicken, dem Leben zu dienen, und nie möge dieses schöne 
Wort für ihn zur schönen Phrase werden! Ob er lebensfördernd 
wirkt durch eine Amputation, durch einen Prießnitz, durch 
eine Eisenmixtur oder durch suggestiven Zuspruch — das ist 
eine durchaus sekundäre Angelegenheit und durchaus nicht so 
wichtig, wie es Aerzten und Patienten in einer Zeit der spezia- 
listischen Technik allzuoft erscheint. Ob ferner die für unser 
therapeutisches Handeln einzig und allein ausschlaggebende 
Empirie nun auch schon die wissenschaftliche Approbation er¬ 
halten hat oder ob ihr diese letzte Weihe noch fehlt, — darf 
den Arzt in seiner therapeutischen Tätigkeit nicht irre machen 
und darf ihn nicht in einen unfruchtbaren Nihilismus hinein¬ 
treiben. Der biologisch denkende Arzt ist auf keine bestimmte 
Heilmethode eingeschworen, und Allgemeinbehandlung und 
spezialistische Behandlung sind ihm beide gleich willkommen 
zur Erreichung seines therapeutischen Zieles. Aus Humoral¬ 
pathologie und Zellularpathologie wird er sich seine Direktiven 
für die Praxis holen. Aber nur diese letztere entscheidet, und 
alle schönen Namen und Theorien sind Schall und Rauch. Die 
wichtige Bewertung therapeutischer Maßnahmen (alter und 
moderner) wird uns davor behüten, uns von verführerischen 
Namen, wie kausale Therapie einer ist, gefangen nehmen zu 
lassen. Ein geläuterter Ursachenbegriff zeigt uns, daß. es sich 
beim Krank- und Gesundwerden um zahllose Bedingungen ge¬ 
wöhnlich handelt, um einen Komplex von Relationen; und wir 
begreifen, daß es unstatthaft ist, eine bestimmte Kausa (z. B. 
die Bakterien oder die Erkältung) als die allein wesentliche causa 
morbi in den Vordergrund zu stellen. Wir wollen auch nicht gar 
so wegwerfend von dem denken, was man gewöhnlich nicht ohne 
eine gewisse Mißachtung als symptomatische Therapie zu be¬ 
zeichnen pflegt. Wenn wir unsere Stellung als die von be¬ 
scheidenen ministri naturae auffassen, so erscheint es uns nicht 
mehr als eine minderwertige ärztliche Leistung, wenn wir ein 
einzelnes lästiges Symptom bekämpfen, oder wenn wir durch 
Narkotika die außerwesentliche Betriebsarbeit des kranken 
Körpers ausschalten (Rosenbach). Wenn wir allzusehr 
immer „aufs Ganze“ gehen, wenn wir immer nur kausal ver¬ 
fahren wollten, so würde sich das Gebiet ärztlicher Tätigkeit 
außerordentlich einengen. Wir wollen doch nicht vergessen, 
daß wir vor allem die Aufgabe haben, die unter abnormen 
Verhältnissen arbeitende körperliche Oekonomik weiter betriebs¬ 
fähig zu erhalten, — daß es aber eine Verkennung dieser 
Aufgabe sein würde, wenn wir unsere Patienten ä tout prix 
wieder „gesund“ machen wollten. Die Kompensationen und Hilfs¬ 
mittel, die sich der kranke Körper meist selbst schafft, können 
wir zu unterstützen und zu regulieren suchen. Wir können 
aber meist nicht wieder völlig gesunde, normale Verhältnisse 
hersteilen. Die Restitutio ad integrum zeigt sich bei näherem 
Zusehen gewöhnlich als irrige Annahme (Butt er sack). 

Biologisches Denken macht bescheiden und gibt doch dem 
Arzt das tröstliche Gefühl, daß er sich in seinem dunklen Drang 
(denn dunkel ist noch vieles in biologischen Fragen) des rechten 
Weges stets bewußt ist. 


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1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


358 


Zur Behandlung der Tuberkulose in der Praxis. 

Von Dr. med. Alois Pollak, Prag-Weinberge. 

I. Thiokol und Sorisin. 

Für die Behandlung der Tuberkulose stehen uns im ganzen 
drei Wege zur Verfügung, Wege, welche einander in ihrer 
Benutzung nicht gegenseitig ausschließen dürfen, sondern — durch 
vielfache Pfade miteinander verbunden — vielmehr abwechselnd 
benützt werden müssen, wenn wir uns unserem Ziele, dem 
Wüten der Tuberkulose endlich Schranken zu setzen, nähern 
wollen. 

Diese Wege bezeichnen uns 1. die physikalisch-diätetische 
Heilmethode, 2. die ätiologische Behandlung mit Bazillenprä¬ 
paraten, 3. die medikamentöse Behandlung. 

Unter den hier in Betracht kommenden Medikamenten 
bilden eine Gruppe für sich die Kreosot- und Guajakolderivate, 
welche wohl für absehbare Zeit berufen sind, eine führende 
Rolle in der medikamentösen — nicht rein symptomatischen — 
Behandlung der Tuberkulose zu spielen. Unter diesen Prä¬ 
paraten wieder sind hervorzuheben die Salze -der Orthosulfo- 
guajakolsäure und zwar vor allem das Kalium o.-sulfoguaja- 
kolikum, welches unter dem Namen Thiokol wohl allgemein 
bekannt ist. (Das Kalzium o.-sulfoguajakolikum ist ein Be¬ 
standteil der flüssigen Guajakolsomatose.) Das Kalium o.-sulfo¬ 
guajakolikum bietet mannigfache wesentliche Vorteile. Es ist 
sicher nicht unwirksam, es wird sehr leicht vertragen, und es 
läßt sich bei ausgezeichneter Löslichkeit sowohl in Pulverform als 
auch in Mixturen leicht und ohne Nachteile zu verursachen ver¬ 
wenden. Dabei kommt wesentlich in Betracht, daß es sich mit 
weitaus der größten Zahl der Medikamente kombinieren läßt, 
vor allem mit Expektorantien und Narkotizis in großer Aus¬ 
wahl. Den Typus meiner Verschreibung, der ja vielfach modi¬ 
fiziert werden kann, stellt etwa folgendes Rezept dar: Inf. r. 
ipekakuanh. 0,3—0,5: 200. Liq. arnraon. an. 0,5 —1,0. Mur. kodein 
0,10. Thiokol. (oder das billigere Kal. o.-sulfoguajakol.) 2,5 
bis 3,0. Syrup. spl. 15. Zweistündlich ein Eßlöffel. Dabei kann 
ohne Schaden und ohne daß am Thiokol irgendwelche schäd¬ 
liche Veränderungen oder Fällungen vorkämen, ohne weiteres 
die Ipekakuanha gegen Senega, das Kodein gegen Heroin, mur. 
oder gegen Morphin ausgetauscht werden: selbstverständlich 
kann der Liq. ammon. anis. ohne weiteres weggelassen werden. 
Für Kinder sind die Gaben sinngemäß zu verkleinern. Ander¬ 
seits läßt sich das Thiokol sehr gut mit Roborantien im weiteren 
Sinne kombinieren, z. B. mit Eisen und mit Arsen. Für das 
letztere stehen uns zwei Methoden zur Verfügung. Es läßt 
sich mit Sol. arsen. Fowleri in Lösung sehr gut verbinden, 
und die Lösung ist haltbar. Ich verschreibe gewöhnlich Sol. 
ars. Fowl. 0,5— 1,5, Thiokol 2—3,0, Syrup. spl. 10, Aq. destill. ad 
200. Zweistündl. ein Löffel; aber auch iu Pulverform kann es 
verschrieben werden: Thiokoli 3—4, P. Azid, arsenikosi 0,005 
bis 0,01, Sacckar. alb. 3,5, Divid. in dos. X. 3—4 P. tgl. (Ich 
bemerke überhaupt, daß das Präparat p. az. arsenikosi zu 
wenig gewürdigt und zu viel gefürchtet zu sein scheint.) Zu 
dieser Pulvermischung kaün man sehr gut einen Zusatz von 
Eisen geben, z. B. Ferrum karbon. saccharat. oder Ferrum 
reduktum; bei der großen Toleranz des Thiokol zweifle ich gar 
nicht daran, daß sich auch andere Eisenpräparate so benützen 
lassen. Ich habe jedoch nur über die genannten zwei Pulver 
persönliche Erfahrungen. 

Ich habe früher das Thiokol auch vielfach zusammen mit 
Fiebermitteln (Pyramidon, Azetplienetidin) verschrieben und 
habe nur zu bemerken, daß diese Kombinationen gut vertragen 
werden. In letzter Zeit ziehe ich es vor, die Mittel getrennt 
zu verschreiben, da ja das Thiokol natürlich in regelmäßigen 
Zwischenräumen gereicht werden soll, das Fiebermittel aber 
nach dem Stande der Temperatur genommen werden muß, woraus 
sich öfter Unbequemlichkeiten ergeben haben. Ich möchte an 
dieser Stelle noch bemerken, daß ich speziell mit dem pulver¬ 
förmigen Kal. o.-sulfoguajakol. — nicht mit den später zu er¬ 
wähnenden flüssigen Präparaten — auch noch zwei weitere 
Krankheitsformen behandelt habe, und ich möchte hier darüber 
einige Worte fallen lassen. Es handelt sich erstens um das 


Emphysem in seiner Komplikation mit chron. Bronchitis oder 
mit Bronchiektasien. Hier habe ich öfter und mit gutem Er¬ 
folge Thiokol (oder Kal. o.-sulfoguajakol.) mit Terpinhydrat 
zusammen verschrieben, die Mischung wurde immer sehr gut 
vertragen und hatte eine sehr gute Wirkung. Dazwischen ließ 
ich regelmäßig ein Ipekakuanhainfus mit Liq. ammon. an. und 
einem Narkotikum nehmen. Ich ging dabei so vor, daß ich 
zuerst durch einige Tage die Ipekakuanha nehmen ließ und 
dann, nachdem ich mich von dem Grade der Wirkung über¬ 
zeugt hatte, das Thiokol in Pulverform, wie oben angedeutet, 
früh, mittags, abends je ein Pulver verordnete. Es machte sich 
eine entschieden sekretionshemmende 'Wirkung bemerkbar. 

In Fällen von verschleppter Influenzabronchitis bei Kin¬ 
dern öfter Thiokol mit Euchinin, ebenfalls mit sehr gutem, oft 
mit überraschendem Erfolge; beide Kombinationen wurden sehr 
gut vertragen. Einen ernstlichen Widerstand auch bei Kindern 
habe ich nie bemerkt. 

K. E., 4 3 / 4 jähr., sonst gesundes, blühend aussehendes Mäd¬ 
chen, erkrankt am 2.X. 1906 unter Schüttelfrost, Erbrechen, hef¬ 
tigem Kopfschmerz, Abgeschlagenheit, Mattigkeit. Die Unter¬ 
suchung ergibt folgenden Status: Mittelgroßes, kräftig gebautes, 
gut genährtes Kind, Haut heiß, trocken, Temp. 39,6, Puls 123. 
regelmäßig, Rachen gerötet, Zunge trocken, belegt, Pupillen 
normal, Hals kurz, Thorax breit, Atmung oberflächlich frequent. 
Innere Organe — bis auf reichliches Rasseln über der ganzen 
Lunge — normal. Ordination : Natr. salizyl. 2 : 200. Zweistündl. 
ein Eßlöffel. Bettruhe, Diät. 3. X. 1906 unverändert 4. X. 
1906 viel Rasseln, zweimal Erbrechen, 38,4, 39,2. 5. X. 1906 
Nacht unruhig mit Husten, Erbrechen, 38.2, 38,7, Natr. saliz. 
ausgelassen. Inf. ipekakuanh. 0,2 : 150. Liq. ammon. an. 0,5, 
Kodein mur. 0,06, zweistündl. ein Löffel. 6. X. 1906 Husten 
etwas leichter, kein Erbrechen, Stuhl nach Klysma, noch viel 
Rasseln, 37,2, 37,9. 7. X. 1906 37,1, 37,7, viel Schweiß, 

Husten leichter, Nahrungsaufnahme genügend, Aussehen gut. 
Objektiv unverändert. 9. X. 1906 fieberfrei, nur abends 
zwischen 37,7 bis 37,9, nicht länger als eine Stunde anhaltend, 
weniger Rasseln, Expektoration leicht, Ipekakuanha vier- 
stündl. 12. X. 1906 unverändert. 14, X. 1906 Temperaturen 
seit gestern Abend bis 38,2, Patientin blässer, Nahrungsauf¬ 
nahme ungenügend, Expektoration schwieriger, zweimal er¬ 
brochen. 15. X. 1906 38,2 abends, Patientin blaß, schlecht 
gelaunt, matt, objektiv etwas mehr Rasseln. 16. X. 1906 un¬ 
verändert. 17. X. 1906 38,3 früh, 38,6 abends, reichliches 
Rasseln, vollständige Appetitlosigkeit, Kind sehr blaß, Puls 
120, klein. Thiokol, 2,0, Euchinin. 1,5. Div. in dos. X. 4 P. 
täglich. 18. X. 1906 37,6, 38,1. 19. X. 1906 37,2, 37,5, viel 
weniger Rasseln, Nacht ruhig, Husten leichter, kein Erbrechen. 
Vom 20. X. angefangen fieberfrei, rapide Besserung. Am 
23. X. aufgestanden. 27. X. entlassen. Weitere ähnliche Fälle 
ausführlich mitzuteilen, wäre wohl zwecklos. 

Dem Zuge der Zeit folgend, welche es liebt, dem Arzte 
oder dem Patienten gebrauchsfertige Medikamente in die Hand 
zu geben, ging man daran, fabrikmäßig fertige Lösungen her¬ 
zustellen; so das Sirolin und das Sorisin. Auf letzteres wurde 
ich von meinem Freunde H. Dr. med. E. Schwarz aufmerksam 
gemacht, welcher mir auch eine auskömmliche Menge des 
Mittels versorgte. 

Das Mittel ist eine 10 °/oige Lösung von Kalium sulfoguaja- 
kolikum in Syrup. aurantiorum und wird hergestellt von Her- 
babny-Scholz, Wien 1, Lugeck Nr. 3. Bei der Zusammen¬ 
stellung des Sorisin und bei der bekannten Wirkung der Kom¬ 
ponenten schien es mir anfangs wichtiger zu sein, mich davon 
zu überzeugen, wie das Mittel vertragen wird, als davon, wie 
es wirken werde. Nachdem ich selbst es ohne Schaden ge¬ 
nommen hatte, ließ ich zwanzig Gesunde — meist Kinder — 
das Mittel nehmen, und ich konnte mich davon überzeugen, 
daß es immer gerne genommen und gut vertragen wurde. 
Einige Kontrollversuehe (5) ergaben, daß es lieber" genommen 
wurde als Sirolin. 

Dann ging ich daran, das Sorisin in pathologischen Zu¬ 
ständen zu versuchen. Ich wählte — mit Ausschluß aller 
akuter Katarrhe — ausschließlich chronische Prozesse. Ich 
verfüge — abgesehen von einigen Fällen, die sich vorzeitig 



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354 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 22. 


der Beobachtung entzogen — über neun Fälle. Dabei handelt 
es sich fünfmal sicher um an Tuberkulose leidende Patienten, 
viermal um Kranke mit chronischer Bronchitis. Allemal wurde 
eine ganz auffallende Besserung der lokalen Symptome und 
des Allgemeinbefindens konstatiert, welche auch, und das ist 
ja sehr wichtig, Von Dauer war. Gegeben wurden dreimal im 
Tage je 15 g. 

Den Verlauf eines Falles von Tuberkulose möchte ich 
kurz skizzieren: 

R. E., 11 Jahre altes Mädchen. Beide Eltern starben an 
Tuberkulose. 

10. IV. 1907. Husten seit sieben Wochen, kein Appetit, 
schlechte Nächte, keine Nachtschweiße. Stuhl regelmäßig; ver¬ 
schiedene beruhigende Mittel ohne Erfolg. Kind mittelgroß, 
blaß, mager, traurig, matt, Temp. 37,2 bis 37,7, schwacher 
Knochenbau, langer Hals, schmaler, flacher Thorax, tiefe 
Gruben. Lungenbefund rechts normal; links vorne über dem 
Schlüsselbein und links hinten oben zur Hohe des dritten 
pr. spin. Dämpfung, dichtes kleinblasiges Rasseln, bronchiales 
Exspir. Herz. Leber und Milz ohne pathol. Befund. Puls 
84 bis 90. Urin normal. Sorisin dreimal 15 g. 

14. IV. 1907. Auffallende Besserung des Hustens inso- 
ferne, als er weniger häufig auftritt; besserer Schlaf. 

20. IV. 1907. Besserung andauernd, Rasseln weniger dicht, 
besserer Appetit und wesentlich bessere Laune. Temp. 87,1 
bis 37,5. 

28. IV. 1907. Temp. 36,9 bis 37,3. Sehr wenig Rasseln, 
kein bronchial. Exspirium mehr, nur etwas Verschärfung des 
Respirationsgeräusches. Reichliche Nahrungsaufnahme, gute 
Laune. 

27. V. 1907. Sehr spärliches Rasseln, beinahe kein 
Husten. 

5. VII. 1907. Bis auf leichte Abschwächung des Per¬ 
kussionsschalles L. H. O. normale Verhältnisse; gutes Aus¬ 
sehen. 

22. VIII. 1907. Sorisin ausgelassen; kein Medikament. 

17. I. 1908. Befund unverändert. 

Die anderen Fälle verliefen analog. 

Fragen wir uns nun, was die genannten Präparate, Thio- 
kol (Sirolin) und Sorisin eigentlich zu leisten imstande seien, 
so können wir folgendes antworten. 

Die Präparate, deren wirksames Agens zweifellos das 
acid. o.-sulfoguajakolikum ist, setzen pathologische Sekretionen 
im Bereiche des Respirationstraktus herab, ohne daß das Sekret 
dabei zäher und schwerer expektorierbar würde, und wirken 
heilend auf katarrhalische Prozesse der Luftwege ein. Sio 
äußern einen zweifellos günstigen Einfluß auch auf den Ver¬ 
lauf und auf den Heilungsprozeß von nicht zu weit vorge¬ 
schrittenen Fällen von Lungentuberkulose. 

Eine expektorierende Wirkung konnte ich nicht kon¬ 
statieren; die Besserung des Hustens stellt sich allmählich mit 
der Einschränkung der Sekretion und mit der fortschreitenden 
Heilung ein. Dagegen vertragen sie die Verbindung mit Ex- 
pektorantien und zwar das reine Salz in direkter Kombination, 
die anderen Präparate in beliebiger aber gesonderter parallel - 
gehender Verwendung. Sie sind keine Antipyretika; ich sah 
wenigstens niemals eine deutliche rasche Temperaturherab- 
^etzung. wie man es bei spez. Fiebermitteln zu sehen gewöhnt 
ist. Die Herabsetzung der gesteigerten Temperatur geht parallel 
der allgemeinen und lokalen Besserung (vide oben!), wobei es 
begreiflich ist, daß die Körperwärme bei vorzeitigem Auslassen 
des Mittels eben wieder hinaufgeht. Bezüglich der Kom¬ 
bination mit Fiebermitteln gilt das oben über Expektorantien 
Gesagte. Auch mit Narkotizis und mit roborierenden Mitteln 
ist eine Kombination ohne weiteres durchzuführon. 

Ueber die appetitsteigernde Wirkung kann folgendes ge¬ 
sagt werden: Das Salz scheint eine mäßige Wirkung zu haben; 
das Sorisin hat eine ganz deutliche bessernde Einwirkung, ohne 
aber in allen Fällen an die oft ganz außerordentliche Ein¬ 
wirkung des reinen Kreosot oder Guajakol heranzureichen. 
Dabei aber darf wieder nicht vergessen werden, daß die hier 
abgehandelten Präparate leichter vertragen werden und zwei¬ 
fellos länger genommen werden können als Kreosot und Gua¬ 


jakol und zur Erzielung von Dauerwirkungen viel geeigneter 
sind. Der denkende Arzt hat in der Indikationsstellung allen 
diesen Umständen Rechnung zu tragen. In Zusammenfassung 
des Gesagten können wir wohl die Behauptung aufstellen, daß 
wir — besonders auch für die Behandlung der Tuberkulose — 
in den Präparaten der Sulfoguajakolsäure, Kal. o.-sulfoguaja¬ 
kolikum, Thiokol (Sirolin), Sorisin wesentliche Bereicherungen 
unseres Arzneischatzes zu begrüßen haben. 


□ 


REFERATE. 



Zum heutigen Stande der Hochfrequenz-Therapie. 

Übersichtsreferat von Dr. D. Sarason, Berlin. 

Die schon lange bekannte Eigenschaft von Kondensatoren, 
z. B. Leydener Flaschen, die positive und negative Elektrizität 
ihrer äußeren .und inneren Belegungen in einem eigenartigen 
Entladungsfunken auszugleichen, welcher nicht, wie sonst, in 
plötzlichem Stoße, nur nach einer Richtung, von positiv zu 
negativ verläuft, sondern in zahlreichen, immer kleiner werden¬ 
den Pendelschwingungen hin und her oszilliert, bis allmählich 
der Ausgleich erfolgt ist, ähnlich dem Vorgänge beim Zu¬ 
sammenströmen zweier durch eine Scheidewand getrennter 
Wassersäulen von ungleichem Niveau, nach plötzlicher Entfer¬ 
nung der Scheidewand, — diese wissenschaftlich schon seit 
langer Zeit bekannte Tatsache gewann mit einem Male eine 
praktische Bedeutung von allergrößter, heute noch kaum über¬ 
sehbarer Tragweite, nachdem man darauf gekommen war, mit 
ihrer Hilfe einen elektrischen Strom von ganz neuer Art und 
Wirkungsweise zu erzeugen, einen Strom, dessen Wellencharakter 
ihn den Erscheinungen des Lichtes und des Schalles an die 
Seite stellt. 

Durch zweckentsprechende Einschaltung von Leydener 
Flaschen und Drahtspulen in den Stromkreis der Sekundär- 
spule eines Induktors war es gelungen, die schon ohnehin 
zahlreichen Stromwechsel eines hochgespannten Induktions¬ 
stromes in Schwingungen von enormer Frequenz umzuwandeln, 
gleichzeitig mit gewaltiger Erhöhung der Spannung. Wenn 
man sich vorstellt, daß jeder einzelne der vielen tausend in 
einer Minute entstehenden, fortwährend die Richtung wechseln¬ 
den Stromimpulse des Induktors, nach Durchgang durch die 
Leydener Flaschen, bei deren Entladung wiederum in überaus 
zahlreichen Pol wechseln schwingt, bis er zum endgültigen Aus¬ 
gleich kommt, wird es einem nicht mehr phantastisch erscheinen, 
daß die sogen. Hochfrequenzströme, nach ihrem Entdecker auch 
Teslaströme genannt, millionenmal in der Sekunde ihre Rich¬ 
tung ändern und eine Spannung bis zu vielen hunderttausend 
Volt erreichen. 

D'Arsonval war der erste, der auf den Gedanken kam, 
die Hochfrequenzströme für therapeutische Zwecke zu verwerten, 
nachdem er die merkwürdige Tatsache festgestellt hatte, daß 
ihre enorm hohe Spannung vom Körper nicht allein ohne den 
geringsten Schaden ertragen wird, sondern, da unser sensorisches 
Nervensjrstem augenscheinlich keinen adäquaten Reiz in den 
elektrischen Wellen der Hochfrequenzströme empfindet, nicht 
einmal ein stärkeres subjektives Gefühl erregt. Es eröffnete 
sich mit dieser Entdeckung ein völlig neues Gebiet der elek- 
trotherapeutischen Behandlung, welches vom nüchtern-kritischen 
Standpunkte um so schwieriger richtig einzuschätzen war, je 
weniger unmittelbare subjektive und objektive Zeichen der 
körperlichen Beeinflussung dem ungeheuren Aufwand elektrischer 
Energie gegenüberstanden. 

Hierin dürfte wohl der Hauptgrund für den heftigen Kampf 
gelegen sein, welchen Enthusiasten und Skeptiker um den Wert 
der neuen Methode geführt haben. D’Arsonval und seine 
Schule, Moutier, Oudin, Apostoli usw. zogen den Kreis 
der Indikationen außerordentlich weit, während die Mehrzahl 
deutscher Autoren sichere Heilwirkungen nur für enger begrenzte 
Gebiete zugestand. Augenblicklich ist jedoch eine Klärung 




1908. THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 355 


der Anschauungen erfolgt, welche sowohl den Ueberschwang 
als auch unberechtigte Negation auf das richtige Maß zurück¬ 
führte. 


Die Hochfrequenzströme werden dem Körper in dreierlei 
Form zugeführt: allgemein, lokal mit Elektroden, wie bei son¬ 
stiger Strombohandlung, und lokal durch Büschel- oder Funken- 
entladungen. 

Die allgemeine Anwendung geschieht durch Umgebung des 
bekleideten Körpers mit einer weitmaschigen Drahtspule, dom 
sogen, großen Solenoid, welches eine Drahtverbindung der 
äußeren Belege der Leydener Flaschen darstellt und von Hoch- 
frequonzströmen durchflossen wird, die in jeder Beziehung den 
Entladungsfunken der inneren, mit der Sek und ärspule des In¬ 
duktors verbundenen Belege entsprechen. Dieser Solenoid¬ 
strom erzeugt durch sogen. „ Autokonduktion“ im Körper einen 
Induktionsstrom, der sich objektiv durch Aufleuchten einer 
Glühlampe bemerkbar machen läßt, aber keine oder nur mini¬ 
male Empfindung erregt. 

Zur lokalen Behandlung verbindet man die Außenbelege 
der Leydener Flaschen nur mit einer kleinen „Selbstinduktions“- 
Spule (kleines Solenoid) aus wenigen Drahtwindungen. Hiervon 
werden Elektroden abgezweigt, um in bekannter Weise Haut¬ 
oder Schleimhautflächen stabil oder labil angedrückt zu werden. 
Auch diese Applikation erregt keine Schmerzen, selbst dann 
nicht, wenn man sogen. Kondensatorelektroden benutzt (Glas¬ 
stäbe mit Innenbelegung, bei welchen der Körper als Außen¬ 
belegung fungiert), trotz der zahlreichen, beim Anlegen an die 
Haut übergehenden Funken, die sich bei wachsender Entfernung 
in Büschelentladungen verwandeln. Das sogen. „Kondensator¬ 
bett“ von Apostoli ist nach gleichem Prinzip konstruiert. 

Ein wesentlich stärkerer Strom kommt bei der dritten 
Methode, der lokalen Behandlung mit Büschelentladungen mittels 
des Oudinschen Resonators zur Anwendung. Dieser Reso¬ 
nator ist, ein zweites Solenoid, aus ziemlich starkem Draht und 
weiten Windungen bestehend, welches mit dem ersten einpolig 
verbunden wird, so daß es gewissermaßen eine Verlängerung 
desselben bildet, während der andere Pol dem Patienten ge¬ 
nähert wird. Der Strom des ersten Solenoids induziert in dem 
Resonator einen bedeutend höher gespannten Strom, dessen 
Maximum, ähnlich der Resonanz einer bei Erzeugung eines 
gleichgestimmten Tones in gewisser Nähe mitschwingenden 
Saite, durch Einschaltung einer dem primären Solenoid bezüg¬ 
lich des elektrischen Schwingungskreises entsprechenden, ganz 
bestimmten Anzahl von Windungen erzeugt wird. Die Büschel¬ 
entladungen des Resonators sind von äußerst kräftiger Wirkung, 
am kräftigsten bei Verwendung eines doppelpoligen Apparates 
nach Oudin, wobei, nach Angaben der den Apparat herstellen¬ 
den Firma Reiniger, Gebbert & Schall, Entladungen bis zu 
70 cm Länge erzielt werden. 


Die Literatur über die klinischen Ergebnisse und die phy¬ 
siologischen Erklärungsversuche der Arsonval-Therapie ist 
seit der ersten größeren Veröffentlichung ihres Begründers vom 
Jahre 1896 so außerordentlich umfangreich geworden, daß es 
nicht möglich ist, in kurzem Rahmen auch nur die Hauptpunkte 
der wertvolleren Publikationen hervorzuheben. — Es ist daher 
zweckmäßig, sich nur auf zwei Uebersichtsberichte aus dem 
letzten Jahre zu beschränken, die Debatte über Hochfrequenz¬ 
ströme auf dem Intern. Kongreß für Physiotherapie in Rom 
(Oktober 1907) und einen Vortrag von Dr. Nagelschmidt 
auf der Naturforscherversammlung des Jahres 1907. 

Bei dem Kongresse in Rom stand die Aussprache über 
die physiologischen Grundlagen für die Heilwirkung der Arson- 
val-Ströme im Vordergründe. Herabsetzung übermäßig ge¬ 
steigerten Blutdruckes, Regulierung der Zirkulation durch richtige 
Blutverteilung, Förderung aller Absonderungen, Kräftigung der 
viszeralen Muskulatur, Steigerung des Stoffwechsels, Schmorz- 
stillung, Minderung der allgemeinen und Reflexerregbarkeit, 
Erzeugung von Schlafbedürfnis — all diese Erscheinungen sind 
bei allgemeiner oder lokaler Arsonvalisation von einer Reihe 


von Forschern beobachtet und mehr oder weniger exakt fest¬ 
gestellt worden, während sie von anderen zum Teil bestritten 
oder eingeschränkt werden. Aus den Vorträgen und Diskus¬ 
sionen von Laqueur, Bonnefoy, Vassilides, Valobra, 
Bergonie, Broca und anderen gewann man den Eindruck, 
daß die Verschiedenheit und mannigfache Gegensätzlichkeit der 
Erfahrungen zu großem Teile durch die Ungleichheit und Un- 
enauigkeit der Meßvorrichtungen und Versuchsbedingungen, 
ie oft wohl ungünstig waren, durch Mangelhaftigkeit der 
Methoden und Apparate, durch verschiedene Dosierung und 
durch Ungeduld in Fällen, die etwa 40 bis 70 Sitzungen nötig 
gehabt hätten, aber schon nach fünf bis sechs Behandlungen 
als resultatlos aufgegeben wurden, zu erklären sind. 

Die bemerkenswerteste Auffassung scheint Vassilides- 
Athen vertreten zu haben. Er erklärt: Die Wirkung der Hoch¬ 
frequenzströme erstreckt sich hauptsächlich auf den Sympathikus. 
Nicht das sensible Nervensystem oder die Muskeln werden 
direkt beeinflußt, sondern die Gefäßkontraktion, die Drüsen¬ 
sekretion, das Wärmezentrum, die Peristaltik, also Funktionen 
des sympathischen Nervensystems. 

Diese Auffassung steht im Einklang mit den vorhin ge¬ 
nannten physiologischen Beobachtungen und mit günstigen 
therapeutischen Erfolgen bei folgenden vier Gruppen: 

1. Zirkulationsstörungen (Arteriosklerose, chronische Myo¬ 
karditis, Angina pektoris). 

2. Stoffwechselstörungen (Arthritismen, Gicht, Fettsucht, 
Steinbildungen, Diabetes). 

3. Nervösen Störungen (Neurasthenie, Neuralgien). 

4. Hautfunktions-Störungen (Sklerose, Ekzem, Pruritus, 
Akne, Psoriasis. Sykose, varikösen Geschwülsten). 

Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, daß einzelne 
französische Autoren bei Behandlung der Tuberkulose der 
Lungen, Knochen und anderer Organe mit Arsonvalisation gute 
Erfolge erzielt zu haben glauben. Ferner wird die günstige 
Beeinflussung von Magen- und Darmatonien gerühmt, speziell 
hartnäckige Obstipationen sollen nach G. Fleig (St. Louis- 
Krankenhaus, Paris) durch doppelpolige Applikation Oudin - 
scher Resonatoren (Rektalelektrode und Abdominalelektrode von 
30 mal 40 cm) vorzügliche Erfolge ergeben. Auch die Lokal¬ 
behandlung von Hämorrhoiden und Analfissuren soll sehr dank¬ 
bar sein. 

Ueber den Standpunkt, der im allgemeinen in Deutschland 
und Oesterreich bezüglich der Arsonvaltherapie eingenommen 
wird, berichtet A. Laqueur, Berlin. Eulen bürg, Toby Cohn, 
Mann, Kurelia, Rumpf, Loewy, Bädeker, Kahane, 
Nagelschmidt u. a. haben sich mit dem Studium und der 
Anwendung der Hochfrequenzströme beschäftigt ; die meisten der 
Autoren freilich nicht so intensiv wie die französischen Forscher. 
Laqueur berichtet über vorzügliche Erfolge der lokalen Arson¬ 
valisation 1. bei Pruritus, 2. tabischen Krisen, 3. Neuralgien. 
Die allgemeine Arsonvalisation soll nach Laqueur bei Arterio¬ 
sklerose nicht erfolgreich sein, da sie den Blutdruck nicht 
herabsetzt, sondern meist erhöht. Eine Druckerniedrigung und 
allmähliche Besserung soll nur bei Präsklerotikern eintreten. 
Organische Herzerkrankungen ohne Arterienverkalkung werden 
nach Prof. Rumpf bei lokaler Applikation einer von ihm an¬ 
gegebenen Kondensations-Elektrode (hergestellt von Reiniger, 
Gebbert & Schall) auf die Herzregion erheblich gebessert. 
Rumpf konnte in etwa 50 Fällen bei Herzdilatationen eine Ver¬ 
kleinerung der Herzgrenzen objektiv nach weisen. 

Bezüglich der subjektiven Empfindung bei allgemeiner 
Arsonvalisation ist noch ergänzend zu bemerken, daß ein 
Wärmegefühl meist erst bei häufiger Wiederholung der Sitzungen, 
und zwar solcher von kurzer Dauer, eintritt, zunächst an "den 
Händen, dann an den Armen und Schultern, schließlich herab¬ 
steigend bis zu den Füßen. So mm er vill e-Glasgow konnte, 
wie Bonnefoy berichtet, dieses Wärmegefühl objektiv be¬ 
greiflich machen durch die Beobachtung, daß in einer großen 
Reihe genauest durchgeführter Versuche die peripherische Tem¬ 
peratur des Körpers um mehrere Grade erhöht war. 

Mit Rücksicht auf die noch immer bestehenden Meinungs¬ 
verschiedenheiten über die Bedeutung der allgemeinen Arson¬ 
valisation, die sicher ihre objektiven Gründe in der Verschie- 




350 




THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. Nr. 22. 



denheit der Methoden und der Individualitäten haben, scheint 
es nicht überflüssig, auf die allgemeinen Vorschriften von 
Bonnefoy hinzuweisen. Dieselben lauten: Kurze Sitzungen 
(nur einige Minuten, höchstens zwölf), häufige Sitzungen (täg¬ 
lich ein-, oft zweimal, bis zum Wärmegefühl), kein brüskes Ab¬ 
brechen, sondern allmähliches Aufhören der Behandlung, ge¬ 
nügend lange Fortsetzung der Behandlung (oft monatelang), 
Stromintensität anfangs 2—300, allmählich bis 500 Milliampere 
ansteigend (Maximalgrenze 000 Milliampere bei Fettleibigen). 
Das Uebersteigen dieses Wertes ist unnötig und gefährlich. — 
Für die physiologische Begründung der Hochfrequenzströme 
ist die neueste Publikation von Bonnefoy Physiologische 
Wirkung der Hochfrequenzströme“ in Nr. 6, 1908, der Ztschr. 
f. neuere phys. Medizin beachtenswert. Der Autor kommt zu 
folgenden Schlußfolgerungen: 1. Herabsetzung der arteriellen 
Spannung bei Individuen mit Blutüberdruck; 2. Erhöhung dieser 
Spannung bei Individuen mit geringem Blutdruck; 3. die Hoch¬ 
frequenzströme sind wesentliche Regulatoren der Zirkulation. 


Besondere Aufmerksamkeit verdient noch die Publikation 
von Nagelschmidt über seine Erfahrungen mit Hochfrequenz¬ 
strömen bei Behandlung von zirka 300 Fällen seiner Klinik, 
die er in einem Vortrage auf dem Naturforscherkongreß 1907 
besprach. Nagel schmidt hat bei der Allgemeinbehandlung 
im Solenoid zwar nicht die von den Franzosen gerühmte Wir¬ 
kung auf Blutdruck und Stoffwechsel beobachten können, aber 
trotzdem gute Erfolge bei Schlaflosigkeit leichteren Grades, 
allgemeiner Neurasthenie und Angina pectoris konstatiert. Be¬ 
sonders hervorragend ist die günstige Wirkung auf Hautneur¬ 
algien und Hautjucken. Als überraschend erfolgreich erwies 
sich die Beeinflussung von tabischen Schmerzen und Krisen. 
Bei 18 Fällen war kein Mißerfolg. Krisen und Schmerzen, die 
weder auf Morphium noch irgendein anderes Medikament rea¬ 
gierten, schwanden unmittelbar unter der Behandlung. Dauer¬ 
wirkungen erfordern eine Behandlungszeit von zwei bis drei 
Monaten, aber auch nach kürzerer Behandlung sind schon In¬ 
tervalle vollkommenen Wohlbefindens von 15 Monaten bis jetzt 
beobachtet worden. 

Von allergrößtem Interesse dürfte eine neue Erfahrung 
sein, auf die Nagelschmidt aufmerksam macht, nämlich die 
Erzeugung von Muskelzuckungen bei bipolarer Anwendung, 
unter Zwischenschaltung einer kleinen Funkenstrecke. Eine 
Erklärung dieses Phänomens scheint noch nicht möglich. Ein 
prinzipieller Unterschied dieser Kontraktionsmethode gegenüber 
sonstigen Stromapplikationen liegt in der. Schmerzlosigkeit. 
Außerdem ist die Ergiebigkeit der Kontraktionen größer, als 
man sie sonst erzielen kann, weil man wegen der Schmerz¬ 
losigkeit der Hochfrequenzströme wesentlich größere Strom¬ 
mengen in den Körper einzuführen vermag, als dies bei andern 
Stromarten möglich ist. Es scheint sich hier ein sehr großes, 
äußerst dankbares Gebiet für die Uebungstherapie des Muskel- 
systems und auch für die Diagnostik der Lähmungen zu er¬ 
öffnen. 

Eine neue, sehr wertvolle Anwendungsart der Hochfrequenz¬ 
ströme, die freilich schon seit mehreren Jahren in Frankreich 
bekannt ist, das Interesse der deutschen Aerzte aber erst in 
allerletzter Zeit, auf Grund einiger günstigen Publikationen 
von Czerny■ Heidelberg sowie Benckiser und Krumm- 
Karlsruhe erregt hat, ist die Fulguration bösartiger Geschwülste 
nach de Keating-Hart (Marseille). Es handelt sich hier um 
eine vorwiegend elektrolytische Zerstörung resp. Desorganisation 
des kranken Gewebes durch den elektrischen Funken eines 
Oudinsehen Resonators, welchen man, um die Hitzewirkung 
so viel wie möglich zu beschränken, durch Kühlung der zur 
Verwendung gelangenden Hohlelektrode mit Kohlensäure oder 
Druckluft, in seiner Temperatur herabsetzt. Die Fulguration 
erweicht die bestrahlten kranken Gewebe elektiv und zwar 
sofort, so daß sie unmittelbar losgelöst werden können, sie 
stillt die Blutung, beseitigt die Operationsschmerzen, wahr¬ 
scheinlich durch Entspannung des Gewebes, bewirkt eine starke 


seröse Durchtränkung und Lymphorhoe im Operationsgebiet 
und regt eine ungemein energische Eliminations- und Regene¬ 
rationstätigkeit der Gewebe an. Letzteres bezieht sich in her¬ 
vorragendem Grade auf epitheliale Gebilde, so daß rasche 
Ueberhäutungen und vorzügliche kosmetische Erfolge resul¬ 
tieren. 

Die Fulguration wird stets in Verbindung mit der opera¬ 
tiven Entfernung der Geschwülste angewendet, ist also kein 
Ersatz, sondern eine sehr wertvolle Ergänzung und Erleichte¬ 
rung derselben, welche nicht allein die Prognose und den Heil¬ 
prozeß wesentlich günstiger zu gestalten vermag, sondern auch 
imstande ist, die operative Indikation jetzt noch auf solche 
Fälle auszudehnen, welche früher nicht mehr operabel er¬ 
schienen. 

Die Fulguration ist so schmerzhaft, daß sie nur in der 
Narkose vorgenommen werden kann. Da es sich jedoch stets 
um die Verbindung mit operativer Tätigkeit handelt, ist es 
nur nötig, die dafür erforderliche Narkose um die Zeit der 
Fulguration zu verlängern. 

Radiotherapie. 

Referent: Dr. H. E. Schmidt, ehern. Oberarzt am Königl. 

Universitäts-Institut für Lichtbehandlung, Berlin. 

1. Das Licht als Heilmittel. Von H. Hübner. Arcb. f. 
physikal. Med. u. med. Technik, Bd. III, H. 2. 

2. Beiträge zur Lichttherapie. Von L. Laquer. Ibidem. 

3. Ueber die Behandlungsmethode des Krebses nach der 
Keating-Hart (Marseille). Von Wiesner. Ibidem. 

4. Eine neue Behandlungsmethode des Krebses. Von M. 
de Keating-Hart. Ibidem. 

1. Populär gehaltene Schilderung der Bedeutung des Lichtes 
für therapeutische Zwecke, der Anwendung der Finsen- und 
Röntgenbehandlung, des Eisen- und Quecksilberdampf lichtes und 
der Glühlichtbäder. 

2. Beschreibung eines billigen, vom Verfasser angegebenen 
Apparates („Heliodor“) zur lokalen Applikation von Lichtwärme¬ 
strahlen, der aus einem vorn offenen, innen vernickelten Licht¬ 
kasten mit sechs lßkerzigen Glühlampen besteht. Der Apparat 
ist auf einem handlichen Stativ befestigt und in verschiedenen 
Richtungen verstellbar. Auf Grund seiner klinischen Erfahrungen 
mit diesem Apparat kommt der Verfasser zu dem Schlüsse, daß 
die Anwendung von örtlichen elektrischen Licht- und Wärme¬ 
reizen auf die unbedeckte oder leicht verhüllte Oberhaut, wenn 
die erzielte Temperatur 40 bis 45° C nicht überschreitet, eine 
beruhigende Wirkung auf Neuralgien und auf sonstige 
motorische und sensible Reizerscheinungen ausübt und 
anregend bei einzelnen Formen von funktionellen Nerven¬ 
störungen wirkt. 

3. Schilderung der — übrigens einfachen — Technik und der 
Apparate, welche zur Ausführung der „Fulguration“, i. e. der 
Anwendung besonders intensiver Hoclifrequenzströme zur Zer¬ 
störung krebsiger Neubildungen erforderlich sind, im wesent¬ 
lichen eines Funkeninduktors, eines Unterbrechers und eines ge¬ 
eigneten Resonators, mit dessen beiden Leydener Flaschen die 
beiden Polklemmen der Sekundärspule verbunden werden. Vom 
Resonator wird dann der Strom abgenommen, der als Funkenbündel 
von erheblicher Länge auf die Neubildung trifft. Das Verfahren 
ist sehr schmerzhaft und kann nur in Narkose vorgenommen werden. 

4. Kurze Beschreibung der Methode, Mitteilung behandelter 
Fälle. Wenn der Verfasser daraus, daß in einigen Fällen, die 
vorher erfolglos von anderer Seite mit X-Strahlen behandelt 
waren, die Fulguration erfolgreich war, den Schluß zieht, daß 
die Funken „zerstörender wirken“ als die X-Strahlen, so ist dieser 
Schluß unberechtigt. Das kaun an mangelhafter Technik gelegen 
haben. Referent hat z. B. einen Fall von Ulkus rodens am 
unteren Augenlid, der vorher 80 mal erfolglos geröntgt war, 
in sieben Sitzungen geheilt; der Patient ist bis jetzt über drei 
Jahre rezidivfrei. Es kommt eben darauf an, wie geröntgt wird. 

Von 16 schweren „fulgurierten“ Fällen waren 4 Brustkarzi- 
uome, 2 Epitheliome der Haut, 2 Epitheliome der Brust, 4 Epi- 


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357 


theliome. der Zunge und der Mundschleimhaut, 1 Kehlkopfkrebs, 
1 Drüsensarkom des Halses (die 2 übrigen? Ref,). 

3 Fälle” kamen ad exitum, 7 wurden gebessert und 6 an¬ 
scheinend geheilt. Die ganze Methode ist nach Ansicht des 
Referenten noch viel zu jung, als daß man sieh ein Urteil über 
ihren Wert bilden könnte. Offenbar handelt es sich nur um eine 
mehr oder weniger tiefgreifende mechanische Zertrümmerung durch 
kräftige elektrische Funken, jedenfalls um ein sehr schmerzhaftes 
und nur in Narkose ausführbares Verfahren, demgegenüber noch 
die größte Skepsis sehr am Platze scheint. 


Bakteriologie. 

Referent: Privatdozent Dr. E. Küster, Freiburg i. B. 

1. Fleischvergiftung und Widalsche Reaktion. Von H. Lief- 
inann. München, med. Wochenschr., 1908, S. 157. 

2. Eine Theorie der natürlichen Immunität des lebenden 
Gewebes. Von F. Holzinger. Ibidem, S. 601. 

3. Ueber die Wassermannsche Serodiagnostik der Syphilis. 
Von E. Frankel und Much. Ibidem, S. 602. 

4. Die Komplementbindung mit wässrigem Luesextrakt bei 
nichtsyphilitischen Krankheiten. Von Much und Eichelberg. 
Med. Klinik, 1908, S. 671. 

1. Obgleich die Widalreaktion schon viele Angriffe erfahren, 
obgleich ihre spezifische Bedeutung und klinische Verwendbarkeit 
im Laufe der Jahre manche Wandlung und Berichtigung erfahren 
mußte, so ist der große Wert der Widalreaktion für die Erkennung 
typhöser Erkrankungen dennoch bestehen geblieben. Grundbe¬ 
dingung ist nur, daß bei genauer Technik die Reaktion nicht 
schematisch und mit einseitig übertriebener Wertschätzung in An¬ 
wendung kommt, sondern unter sachgemäßer Würdigung ihrer 
Fehlergrenzen als wichtiges Krankheitssymptom diagnostisch in 
Rechnung gesetzt wird. Einen trefflichen Beleg dafür, daß die 
Widalreaktion unter besonderen Umständen scheinbar atypisch 
verläuft und doch für die Diagnose der betreffenden Krankheit 
ihren Wert-behält, ja an Wert gewinnt, zeigt uns die Studie L.s 
über Fleischvergiftung. L. fand bei einer Fleisch Vergiftungs¬ 
epidemie von 62 Fällen, welche durch das Bakt. Enteritidis 
Gärtneri bedingt wurden, daß die Widalreaktion für echte Typhus¬ 
bazillen höhere Werte zeigte als für den eigentlichen Erreger. 
Wäre hier nur das Serum der Pat. schematisch untersucht worden, 
so hätte auf Grund der Widalreaktion die Diagnose Typhus ge¬ 
stellt werden müssen. Die Berücksichtigung des klinischen Ver¬ 
laufs und die bakteriologische Untersuchung der Fäzes schützten 
vor diesem Irrtum und gerade der eigentümliche Ausschlag der 
Widalreaktion — der bisher nur vereinzelt beobachtet war — 
trug bei 1 richtiger Würdigung wesentlich zur Aufklärung der 
ganzen Epidemie bei. Die Untersuchungen L.s weisen erneut und 
energisch darauf hin, daß die Widalreaktion nur in besonders ein¬ 
gerichteten Laboratorien von Fachleuten ausgeführt werden sollte 
und daß dabei ein kurzer klinischer Bericht nicht entbehrt werden kann. 

2. H. stellte eine halbdurchlässige Tonzelle (Ferrocyankupfer- 
membran) mit Bier-Zuckerlösung gefüllt und offen in Wasser bei 
37° auf. Unter gleichen Bedingungen wurden Glaszellen auf¬ 
gestellt, und es zeigte sich, daß in diesen nach vier Tagen eine 
weit stärkere Bakterienvermehrung zu konstatieren war als in 
der Tonzelle. Zur Erklärung dieser auffallenden Erscheinung kann 
nach H.s Ausführungen nur die schädigende Einwirkung der 
osmotischen Bewegung in der Tonzelle auf das Bakterienwachstum 
herangezogen werden. Er nimmt weiterhin an, daß auch im 
lebenden Zellgewebe die Mikroorganismen durch osmotische Vor¬ 
gänge in ihrer Entwicklung gehemmt würden und erst bei Schä¬ 
digung der normalen osmotischen Vorgänge (Traumatisierung, 
Verstopfung der Abzugskanäle, Trockenheit, Abkühlung) eine An¬ 
siedlung von Bakterien im Gewebe möglich sei. Da es sich um 
eine vorläufige Mitteilung handelt, wird man zunächst den aus¬ 
führlichen Bericht mit genauen Versuchsprotokollen und Tier¬ 
experimenten abwarten müssen, vorerst kann man sich bei den 
Ausführungen H.s dem Gedanken nicht verschließen, daß die 
Schlußfolgerung .für die Immunität des lebenden Organismus rein 
physikalische Vorgänge zu sehr in den Vordergrund stellt, den 
Wert der zellulären Lebensfunktion zu sehr vernachlässigt und 


der großen Verschiedenheit in der Bakterienimmunität keine Rech¬ 
nung trägt. 

3. Die Autoren haben die Wassermannsche Serodiagnose 
bei einer Reihe von Sektionen durchgeführt, um auf diese Weise 
einige pathologisch interessante und in ätiologischer Beziehung 
strittige Krankheitsbilder aufzuklären. Sie batten folgende Resultate: 
sechs Fälle von Hellerscher Aortitis reagierten positiv: negative 
Reaktion gaben zwei Fälle von Aortenaneurysma, ferner Hoden¬ 
schwielen (Orchitis fibrosa) dreimal, allgemeines Amyloid mit 
Schinkenmilz zweimal, sowie ein bis auf das Periost der Tibia 
reichendes Ulkus kruris. Negative Reaktion gestattet im allge¬ 
meinen keinen sicheren Schluß, während positive Reaktion mit 
großer Wahrscheinlichkeit für die luetische Natur eines Leidens 
spricht. Die Autoren heben mit Recht hervor, daß die Sero¬ 
diagnostik an Leichenmaterial sowohl für die Aufklärung gewisser 
Krankheiten als auch bezüglich der anatomischen Kontrolle der 
Methode selbst von der größten Wichtigkeit ist. Wie jede neue 
Untersuchungsmethode, so muß auch die Serodiagnose der Lues 
erst an dem mannigfachen Material, wie es die ärztliche Praxis 
bietet, geprüft und bewertet werden, und es ist daher nicht zu 
verwundern, wenn trotz der großen Untersuchungsserien, welche 
von einzelnen Instituten bisher veröffentlicht wurden, und die durcli- 
gehends für die Spezifität der Reaktion reiches Material zusammen¬ 
bringen — wenn trotzdem einige nichtluetische Krankheitsfälle 
gefunden werden, bei denen dennoch die Reaktion positiv ausfällt. 

4. So fanden Much und Eichelberg, daß von 25 Scharlach¬ 
kindern 10, d. h. 40% positive Reaktion mit Leberextrakt nach 
Wassermann ergaben. Die Autoren halten sich dadurch zu 
folgenden Schlüssen berechtigt: „Finden wir, daß das Serum von 
Kranken, die unter der Einwirkung anderer Mikroorganismen 
stehen, und wo Lues mit Sicherheit auszuschließen ist, mit 
wässrigem Leberextrakt dieselbe Reaktion gibt wie das Serum 
Syphilitischer, die nicht unter der Einwirkung dieses Mikroorga¬ 
nismus stehen oder gestanden haben, so fallen damit die Stutzen 
auch für die Spezifität der Komplementbindung durch wässriges 
Leberextrakt und Syphilitikerserum.“ Ich halte diese Schlüsse 
für zu weitgehend, selbst gesetzt, daß die Reaktion bei Scharlach 
und noch einigen anderen Krankheiten nicht luetischer Art positiv 
ausfällt, so wächst damit nur die Schwierigkeit in der Verwertung 
einer positiven Reaktion. Wir wußten schon seit längerer Zeit, 
daß Schlafkrankheit, Framboesia, Trypanosomenerkrankungen ver¬ 
schiedener Art, z. B. Nagana und Dourine, positiv reagieren, der 
Wert der Reaktion für die Diagnose der Lues wurde dadurch 
kaum alteriert, und er wird es auch nicht durch die positive Reak¬ 
tion Scharlachkranker — so wenig wie die Widalreaktion dadurch 
außer Gebrauch kam, daß man eine Reihe von Fehlerquellen er¬ 
kannte. Groß kann die Zahl der positiv reagierenden Krankheiten 
nicht sein, sonst hätte man bei dem Umfang des bereits untersuchten 
Materials schon mehr Fälle finden müssen, und Lues gibt die 
Reaktion in einem so hohen Prozentsatz positiv, daß der praktische 
Wert der Reaktion vorerst nicht erschüttert erscheint. 


Chirurgie. 

Referent: Spezialarzt Dr. Heinrich Landau, Berlin. 

1. Zur Frage des Lüfterntritts in die V. jugularis interna 
hei operativer Verletzung derselben. Von W. A. v. Oppel. 
Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 92, H. 4/6. 

2. Die chirurgische Behandlung der Verbrennungskontrak- 
tnren der Hand und Finger durch Wanderlappen-Fernplastik. 
Von Paul Klemm. Ibidem. 

3. Die Schädigung des Nerv, medianus als Komplikation 
des tvnischen Radiusbruches. Von Blech er. Ibidem, Bd. 93, 
Heft 1. 

4. Die subkutane Milzzerreißung und ihre Behandlung. Von 
Lotsch. Ibidem. 

5. Zur Frage der konservativen Operationsmethoden bei 
den Sarkomen der langen Röhrenknochen. Von Borchard. 
Ibidem. 

6. Zur operativen Behandlung der arterio-venösen Aneu¬ 
rysmen. Von A. v. Oppel. Archiv f, klin. Chir., Bd. 86, H. 1. 


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358 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 



7. Operative Behandlung der Varizen, Elephantiasis und 

Ulkus kruris. Von G. Priedel. Ibidem. 

8. Die operative Therapie des Morbus Basedowii. Von 

Paul Klemm. Ibidem. 

9. Fremdkörper im Magen und in der Speiseröhre. Von 

Neuliaus. Ibidem. 

10. Vergleichende Untersuchungen über die sekretorischen 
Leistungen beider Nieren. Von Ed. Allard. Mitteil. a. d. Grenz¬ 
gebieten d. Med. u. Chir., Bd. 18, H. 5. 

1. Pirogow hat im Tierversuch festgestellt, daß Unter¬ 
bindung der Seitenäste der Vena jugularis den Lufteintritt nach 
Verletzung der Vene durch Verringerung der Blutsäule im Gefäß 
und Sinken des Blutdrucks begünstigt. Dieser alte Versuch gibt 
die Erklärung dafür, daß bei operativer Verletzung der Vene so 
oft — verhältnismäßig — der Tod durch Luftembolie eintritt: 
es handelt sich meist um Eingriffe bei ausgedehnten Geschwülsten, 
wo die oberen Aeste der Drosselvene längst durch Thromben ver¬ 
stopft sind, während die Vene selber ihre Lichtung behält, auch 
wenn sie nur als platter weißlicher Bindegewebsstreif erscheint. 
Es ergibt sich daraus die Folgerung, bei derartigen Eingriffen 
zuerst den Stamm der Vene freizulegen und zu unterbinden, was, 
im Gegensatz zu der Unterbindung der Karotis, unbedenklich ge¬ 
schehen kann. — Ist aber die Vene verletzt, so muß vor allem 
durch Fingerdruck oder straffe Tamponade weiterer Lufteintritt 
verhindert werden; dann kann man, wenn zentralwärts vom 
schützenden Finger genug Platz dafür ist, die Unterbindung vor¬ 
nehmen; sonst ist es sicherer, sich auf den Tampon zu verlassen. 
Mit der Tamponade hat v. 0. einen Kranken mit angerissener 
Jugularvene zu Ende operieren können und durchgebracht; ein 
anderer, in dessen verletzte Vene beim Versuch, sie zu fassen, 
abermals unter dem bekannten pfeifenden Geräusch Luft ein¬ 
strömte, starb noch auf dem Tische, trotzdem v. 0. noch mit 
einem in die Vene eingeführten Katheter nach Magen die das 
schaumgemischte Blut aus dem rechten Vorhof angesogen hatte. 

2. Jede Verbrennung an Hand und Finger ist sorgfältig und 
mit steter Rücksicht auf die spätere Gebrauchsfähigkeit zu ver- 
sorgen; jeder Finger muß einzeln verbunden, Finger und Hand 
unbedingt in gerader Stellung geschient, die Gelenke täglich be¬ 
wegt werden, um der drohenden Kontraktur und Versteifung von 
vornherein zu begegnen. Brandwunden dritten Grades sind, so¬ 
bald sie granulieren, plastisch zu decken (wozu bei rechtzeitiger 
Plastik Thier sch - Läppchen genügen), sonst stellen sich trotz 
anfänglich guter Stellung die bekannten Kontrakturen ein, wie 
sie Klemm als dorsale und volare Klumphand beschreibt. Zu 
ihrer Beseitigung müssen dann umständliche Narbenausschnei- 
dungeu mit Deckung durch gestielte Haut - Unterhautlappen von 
Brust, Bauch oder anderen Körperstellen her vorgenoinmen 
werden, und die verbildeten Gelenke erfordern außerdem noch müh¬ 
same Nachbehandlung mit Bewegungsübungen und adressierenden 
Verbänden. 

3. Bei Radiusbrüchen am unteren Ende des Knochens mit 
starker Verstellung kommen Medianusschädigungen vor, z. T. gleich 
durch Quetschung oder Ueberdehnung, z. T. erst später durch 
Kallusdruck. Die primäre Schädigung kann die funktionelle Hei¬ 
lung des Knochenbruches sehr in die Länge ziehen; doch erholt sich 
unter Massage, elektrischer Behandlung usw. der Nerv gewöhnlich 
wieder. Die sekundäre Schädigung des Medianus wird dagegen 
am besten durch operative Entfernung des drückenden Kallus be¬ 
handelt. 

4. Vier neue Fälle von Milzzerreißung durch äußere Gewalt 
bestätigen die Erfahrung, daß die Milzzerreißung durchaus klinisch 
zu erkennen ist (Ausdruck innerer Blutung mit umschriebener 
Dämpfung sind neben Druckschmerz, Chok usw. die vornehmsten 
Zeichen) und daß ihre Behandlung am besten in schleuniger Milz¬ 
exstirpation besteht. Dieser Eingriff ist nicht nur sicherer als 
Tamponade oder Naht, die nur bei oberflächlichen Rissen in Frage 
kommen könnten, sondern viel einfacher und rascher auszuführen. 
Der Verlust der Milz wird für die Blutbereitung sehr bald aus¬ 
geglichen und hat auch sonst keine Folgen. 

5. Borchard tritt dafür ein, bei den Sarkomen der langen 
Röhrenknochen die verstümmelnden Operationen nur dann anzu¬ 
wenden, wenn die Weichteile in ganz ausgedehnter Weise er¬ 
griffen sind. Seine mit dauerndem Erfolge resezierten Fälle be¬ 


weisen, daß nicht nur die als relativ gutartig betrachteten Riesen¬ 
zellensarkome (Epulis!), sondern auch kleine und spindelzellige 
Geschwülste sich für das konservative Verfahren eignen; nur 
muß weit geuug im Gesunden reseziert werden. Die Muskeln 
passen sich selbst einer sehr starken Verkürzung des Gliedes gut 
an und die resezierten Knochen heilen, wenn auch langsam, so 
doch mit genügender Festigkeit zusammen, um auch bei den 
unteren Gliedmaßen befriedigende funktionelle Erfolge zu geben. 
Ferner entschließen sich die Kranken viel eher zu einer Operation, 
die ihnen das Glied in brauchbarem Zustande erhält, als zu dem 
verstümmelnden Eingriff der Amputation oder ExartikulatioD. 

6. Die Behandlung der arterio-venösen Aueuiysmen hat durch 
das große Material des russisch-japanischen Krieges bemerkens¬ 
werte Fortschritte gemacht. Korotkow hat ein Verfahren an¬ 
gegeben , durch Druck auf die Arterie oberhalb oder zugleich 
oberhalb und unterhalb des Aneurysmas unter gleichzeitiger 
Messung des arteriellen Druckes in der Peripherie den kolla- 
teraleu Blutkreislauf zu prüfen; dadurch kann die Gefahr einer 
Gangrän des Gliedes durch Operation des Aneurysmas vorher er¬ 
kannt werden. Daß aber auch diese Methode ihre Grenzen hat, 
erfuhr v. Oppel an einem außerordentlich lehrreichen Falle: er 
unterband bei einem Aneurysma der Arteria axillaris die xYrterie 
oberhalb, die Vene unterhalb des Aneurysmasacks; aber während 
der Korotkowsche Versuch (Kompression der Arterie oberhalb 
des Aneurysmas) vorher 40 mm arteriellen Blutdruck in den Fingern 
ergeben hatte, sank der Blutdruck nach Durchschneidung der 
Arterie auf 0, der Arm blieb totenblaß und ohne Empfiudung, 
und bald zeigte ein blauroter Fleck am Daumenballen die be¬ 
ginnende Gangrän an. Korotkow erklärte sich diesen ver¬ 
hängnisvollen Widerspruch durch die Vorstellung, daß das arterielle 
Blut der Kollateralen in den Aneurysmasack gelange und von dort durch 
die Venen nach dem Herzen geführt, „abgefangen“ werde, ohne erst 
den Arm zu durchfließen. Die in dieser Ueberlegung ausgeführte 
Unterbindung der Vena axillaris oberhalb des Aneurysmas und 
einer ungewöhnlich starken Vena axillaris profunda stellte tat¬ 
sächlich den Kreislauf wieder her; doch machte sich bald wieder, 
verursacht durch rasche Erweiterung venöser Kollateralen, neues 
Sinken des Blutdruckes bemerkbar, und es war noch ein letzter 
Eingriff nötig, nämlich vollkommene Entfernung des Sacks samt 
zufiihrendeu Gefäßen, um die Blutversorgung des Armes dauernd 
zu erhalten. Der so an einem Tage dreimal unter Chloroform 
operierte Kranke wurde geheilt. — Das scheinbare Versagen der 
Korotkowsehen Methode erklärt sich dadurch, daß bei der 
Kompression der Arterie auch die Vene zusammeugedrückt, bei 
der ersten Operation aber nur die Arterie unterbunden wurde. 

Diese Beobachtung, daß der venöse Blutdruck stark genug ist, 
um nach Ausschaltung des Hauptarterienstammes das arterielle 
Kollateralblut im Aneurysma „abzufangen“ und das Glied dahinter 
mit Gangrän zu bedrohen, führt zu der Forderung, bei der Opera¬ 
tion des Aneuiysmas arteriellen und venösen Blutweg vollkommen 
zu trennen, was am sichersten, wenn auch nicht allein, durch 
Exstirpation des Sackes erreicht wird. 

7. Die Behandlung hartnäckiger Krampfadern und ihrer 
Folgen mit ringförmiger Umschneidung des Unterschenkels wird 
in Deutschland verhältnismäßig wenig angewendet. Rindfleisch 
hat in dem Gedanken, die Krampfadern durch möglichst vielfache 
Unterbrechung des venösen Blutstroms zu beseitigen, statt des 
Zirkelschnitts den Unterschenkel in zusammenhängender Spirale 
Umschnitten, die freigelegten Venen sämtlich sorgfältig unter¬ 
bunden oder umstochen und die tamponierte Wunde von der Tiefe 
aus zuheilen lassen, so daß die Narbe später sich wie eine dünne, 
fest ange^ogene, tief einschneidende Schnur um das Bein windet. 
Die Erfolge sind befriedigend; nicht nur sind Ernährungsstörungen 
der Haut ausgeblieben, sondern auch die bei der Operation noch 
vorhandenen Geschwüre sind geheilt, die Verdickung des Unter¬ 
schenkels hat sich zurückgebildet und die Kranken, deren Bein 
z. T. „zur Amputation reif“ war, sind fast ganz arbeitsfähig ge¬ 
worden und es auch größtenteils geblieben. Die Operation wird 
unter Lumbalanästhesie ausgeführt, die Saphena auf alle Fälle am 
Oberschenkel reseziert und dann der Spiralschnitt um den Unter¬ 
schenkel bis auf die Muskelfaszie gelegt, je nach Art des Falles in 
zwei, fünf, selbst sieben Windungen. Geschwüre sollen zwischen 
die Windimgen gelegt, wenn nötig, auch noch durch zwei senk- 


Diq 





1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


359 


rechte Schnitte ganz von der Blutversorgung der Haut getrennt 
werden. 

Die Operation wirkt nach F. nicht nur durch Beseitigung 
des Wanddrucks in den Gefäßen, durch die Verwandlung der 
langen Venenbahnen in kurze getrennte Teilstücke, sondern auch 
durch die ausgiebige „Entsaftung“ des ganzen Unterschenkels. 

• 8. In 32 ausführlich und anschaulich mitgeteilten Fällen von 

Basedowscher Krankheit hat Klemm die erkrankte Schilddrüse, 
die sich durch das Vorwiegen der „vaskulären Symptome“ sehr 
wohl von der gewöhnlichen Struma unterscheidet, operiert; er 
entfernte, und zwar ohne Narkose, lediglich mit Infiltration für 
den Hautschnitt, den einen stärker veränderten Drüsenlappen und 
unterband, wenn nötig, die Gefäße des anderen. Er wollte damit 
die toxische, trophisch-vasomotorische Neurose, die durch einen 
abnormen Stoffwechsel in der Schilddrüse verursacht wird, an der 
Wurzel fassen. Von seinen zum Teil sehr elenden Kranken hat 
er keinen verloren; dagegen sind von 27 weiter Beobachteten 25 
geheilt worden. „Nicht jeder Fall von Basedow muß operiert 
werden, aber jeder kann operiert werden, wenn keine Gegen¬ 
anzeigen vorliegen.“ Die Operation hilft sicherer und schneller als 
jede innere Behandlung; von Wichtigkeit ist nach dem Eingriff 
eine monatelange Ruhe, am besten Landaufenthalt, während deren 
der Organismus sich von der jahrelangen Vergiftung mit den 
Produkten der erkrankten Schilddrüse erholt, bevor das Gefä߬ 
nervensystem aufs neue den Erschütterungen des täglichen Lebens 
ausgesetzt wird. 

9. Bei verschluckten Fremdkörpern, die in der Speiseröhre 
stecken, spielt die Schlundsonde heute nicht mehr die herrschende 
Rolle wie früher. Ihre Anwendung ist nur noch erlaubt, wenn 
der Fremdkörper keine scharfen Kanten und Haken besitzt und 
wenn er nicht nur ohne Schaden länger im Magen verweilen kann, 
sondern auch voraussichtlich unter einer Kartoffelkur den Darm 
glatt durchlaufen wild. Scharfkantige Fremdkörper aber — Ge¬ 
bisse, Knochenstücke, Nadeln — mit der Schlundsonde feststellen 
oder hinunterstoßen zu wollen, ist oft ein vergebliches, immer ein 
gefährliches und manchmal verhängnisvolles Vorgehen. Hier tritt 
die Röntgenuntersuchung in den Vordergrund; ein Uebersichts- 
bild *des ganzen Oesophagusgebiets, gegebenenfalls zur Vermeidung 
der Deckung des Fremdkörperschattens durch den Wirbelsäulen- 
sohatten schräg oder selbst frontal aufgenommen, läßt den Ort 
erkennen, wo der Fremdkörper sitzt, und eine Blendenaufnahme 
dieser Stelle gibt, wenn nötig, seine Umrisse noch genauer an. 
Die Entfernung des Fremdkörpers durch das Oesophagoskop gibt 
nach N.s Ansicht nur in den Händen der Chirurgen, die die neue 
Technik beherrschen, gute Erfolge; bei eingewachsenen oder ver¬ 
hakten Fremdkörpern ist seine Anwendung unmöglich, bei schon 
geschädigter oder entzündeter Oesophaguswand gefährlich. Im 
allgemeinen bleibt nur der Speiseröhrenschnitt übrig, bei dem die 
häufige Fistel am ehesten vermieden wird, wenn durch eine gleich¬ 
zeitige Witzelsche Magenfistel der Oesophagus eine Zeitlang ganz 
ruhig gestellt werden kann. Auf diese Weise brachte Hilde¬ 
brandt einen Fall zur Heilung, wo ein verschlucktes Gebiß nur 
durch gleichzeitige Eröffnung von Magen und Speiseröhre nach 
Entgegendrängen vom Magen her durch die Oesophagus wunde ge¬ 
faßt, zerstückelt und entfernt werden konnte. 

10. Allard hat Gelegenheit gehabt, an einem Mann mit an¬ 
geborener Blasen Verlagerung die Urine der beiden Nieren beliebig 
lange und ohne die Störungen, die auch der schonendste Ureteren- 
katheterismus nicht vermeiden kann, aus den freiliegenden Harn¬ 
leitermündungen gesondert aufzufangen. Die bemerkenswerten 
Versuche haben ergeben, daß die beiden Nieren in gleichen — 
längeren — Zeitabschnitten bei ruhiger Rückenlage und gewöhn¬ 
licher normaler Diurese ungefähr gleiche Urin mengen von ziem¬ 
lich gleicher Zusammensetzung sezernieren. Bei sehr starker 
Wasseraufnahme trat, auch bei länger dauernder Beobachtung, 
eine erhebliche Ungleichheit in der Arbeit beider Nieren auf; 
auch hatte die Körperlage merkwürdigerweise derart Einfluß auf 
die Urinabsonderung, daß zwar die sonst angenommene „orthotische 
Oligurie“ nicht beobachtet wurde, hingegen bei Seitenlage eine 
Sekretionsdifferenz zwischen den sonst ziemlich gleichmäßig arbei¬ 
tenden Nieren auftrat; die Sekretion der „unteren“ Niere ist sehr 
viel lebhafter als die der „oberen“. 


Allards Versuche sind im Hinblick auf die „funktionelle 
Nierendiagnostik“ von großer Wichtigkeit. Sie bestätigen den 
Wert der Methode künstlicher Harnflut (Albarran, polyurie ex¬ 
perimentelle) zur Prüfung der Leistungsfähigkeit jeder Niere, die 
in Deutschland noch wenig angewendet wird, und mahnen zur 
Vorsicht beim zahlenmäßigen Vergleich der Sonderurine, wie sie 
der jetzt allgemein übliche kurze Ureterkatheterismus liefert. 


Oeffentliches Sanitätswesen. 

Referent: Dr. M. Peltzer, Generaloberarzt a. D. in Steglitz. 

1. lieber die Wirkung einiger Desinfektionsmittel für 
Pissoire, insbesondere verschiedener Saprole. Vcn Oberstabs¬ 
arzt Dr. Fichtner. Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1908, H. 8, 
S. 338. 

2. Ueber zwei neue Desinfektionsverfahren. Von Ober¬ 
stabsarzt Dr. Goßner. Ibidem, S. 349. 

1. Die bakteriologische Station des Garnisonlazaretts Leipzig 
hatte in den letzten Jahren eine Reihe von Desinfektionsmitteln 
für Pissoire auf ihre Desinfektionswirkung zu prüfen. Die Prüfung 
bezog sich auf 1. das Saprol für allgemeine Desinfektion, das 
Saprol für Pissoire A, B, C und „bell“ der chemischen Fabrik 
Nördlingen, 2. das Torfitextrakt der chem. Fabrik Grevenberg 
& Co., Hemelingen, 3. das Urinol von Rösemann & Kühnemann, 

4. das Pissoir-Anstrichöl der chem. Fabrik E. K. Marugg und 

5. die Karbol-Pissoirseife derselben Fabrik. Die Resultate waren 
kurz folgende; Das Saprol für allgemeine Desinfektion 
tötet Tj^phusbazillen in 2 bis 2 V 2 %igen Harn- oder Wasseraus- 
zügen sehr rasch. 2°/oiger Harnauszug wurde nach 40 Minuten, 
2V2%iger Wasserauszug nach 1 h Stunde steril gefunden. Hat 
jedoch der Harn länger gestanden, so daß sich die Bakterien ge¬ 
ballt und einen Bodensatz gebildet hatten, so verlangsamt sich 
die Wirkung erheblich. Grubeninhalt mit festen und derben Massen 
wird sich also wohl schwerlich durch dieses Mittel desinfizieren 
lassen. — Das Saprol C hat eine etwas schwächere Wirkung. 
Im 2 bis 2 V 2 °/oigen Harn- oder Wasserauszug gehen Typhus- 
bazilleu in 30 bis 40 Minuten zugrunde, die Vernichtung von 
Staphylokokken erfordert einige Stunden mehr Zeit als beim 
vorigen Mittel. — Saprol A, B und „hell“ verhalten sich ganz 
anders als 1 und 2. Typhusbazillen wurden von A und „hell“ 
nach einigen Stunden, von B selbst in 24 Stunden noch nicht 
sicher vernichtet. — Tor fitextrakt (aus Pflanzen- und Mineral¬ 
ölen extrahiert, mit einem Gehalt von Kresol und Sublimat) dient 
zur Reinigung und Desinfektion besonderer, aus Torfitplatten lier- 
gestellter Pissoire. Die Torfitplatten sind angeblich aus Torfmull 
in Verbindung mit Minerallaugen unter hohem Druck gepreßt und 
mit Desinfektionsmitteln imprägniert. Die Desinfektionskraft des 
Extrakts ist mäßig. Der 2%ige Harn- und Wasserauszug tötete 
Typhusbazillen in einigen Stunden ab. Staphylokokken wurden 
vom 2 1 / 2 %igeu wässrigen Auszug erst im Laufe des dritten Tages 
getötet. — Karbol-Pissoirseife. Der 2°/oige Harnauszug 
tötet Typkusbazillen in sechs bis sieben Stunden, Staphylokokken 
waren nach zwei Tagen noch nicht abgetötet, im 2 l /2°/oigen 
wässrigen Auszug noch nicht nach vier Tagen. Harn wird vor 
Zersetzung geschützt. 700 ccm Urin blieben nach Zusatz von 5,0 
des Präparats vollkommen klar. — Pissoir-Anstrich öl. Im 
2%igen Harnauszug waren Typhusbazillen nach zwei Stunden bis 
auf vereinzelte Keime abgetötet, ebenso im 2V2%igen wässrigen 
Auszug nach einigen Stunden, Staphylokokken am Ende des ersten 
oder im Laufe des zweiten Tages. — Das Saprol für allgemeine 
Desinfektion bleibt also bei weitem das stärkste und eignet sich 
für Gruben und Tonuen. Ob es nötig ist, auch Pissoire zu des¬ 
infizieren, fragt sich. Es kommen hier eigentlich nur die Typhus- 
bazillen im Harn von Rekonvaleszenten in Betracht. Ein großer 
Teil der Desinfektionsmasse wird ferner durch den abfiießeiiden 
Urin und das Spülwasser ausgelaugt und abgeschwemmt, trotzdem 
wird man hei Epidemien auf die Desinfektion auch der Pissoire 
nicht verzichten, hierbei jedoch sich wohl der sichersten Mittel, 
der Karbolschwefelsäure, des Chlorkalks, der Kalkmilch usw. be¬ 
dienen. Aus Militärlazaretten werden übrigens Typhusrekonvales- 
zenten erst nach bakteriologischer Untersuchung ihrer Ausschei- 


Origi^al from 






860 


düngen entlassen. Zur bloßen Desodorisierung von Pissoiren sind 
zweckmäßig der OelVerschluß, ferner das Torfitextrakt und Urinol, 
die eine gewisse Desinfektionswirkung haben, ebenso die ver¬ 
schiedenen Saprole. Im Leipziger Garnisonlazarett ist jetzt die 
Wasserspülung abgestellt, die Pissoire werden zweimal wöchent¬ 
lich mit Saprol C gepinselt. 

2. In der hygienischen Untersuchungsstelle des Garnison¬ 
lazaretts Brandenburg a. H. wurde das neue apparatlos zu ge¬ 
brauchende Formalinmittel Autan der Firma Bayer & Co. und 
der Lübbeckesehe Desinfektionsapparat geprüft; letzterer ist haupt¬ 
sächlich für Stalldesinfektionen bestimmt. Das Autan ist ein Ge¬ 
misch von polymerisiertem Formaldehyd und Metallsuperoxyden in 
bestimmtem Verhältnis. Durch Wasserzusatz entwickeln sich 
dichte Formalin- und Wasserdämpfe. Der L.sche Apparat sucht 
durch feinste Tropfenverspritzung löslicher, event. heißer Des- 
infizientien Keimvernichtung zu bewirken. Der Apparat selbst 
kann hier nicht näher beschrieben werden, die Austreibung der 
Desintektionsflüssigkeit erfolgt unter dem stets gleichen Druck 
von 1 l k Atmosphären durch einen Schlauch auf Wände, Decken, 
Fußböden usw. Er ist von zwei Mann leicht zu transportieren 
und zu bedienen. Als Testobjekte wurden Milzbrandbazillen, 
stapliylococc. pyogen, aur. und Diphtheriebazillen, Gartenerde, 
Stiefelsohlenschmutz , Pferdemistklumpen, Kalk- und Holzsplitter 
der Wände sowie Reinkulturen von Typhus- und Kolibazillen be¬ 
nutzt. Es ergab sich, daß die Autandesinfektion nur eine Ober¬ 
flächenwirkung besitzt, in kleinen Hohlräumen mit engem Zutritt 
(Reagenzglas, Stiefel) dagegen kaum zur Geltung kommt und 
daß die Desinfektionsräume sorgfältig abgedichtet werden müssen 
und das Mittel lange einwirken muß. Für kleinere Räume kann 
sie Bedeutung erlangen. Der L.sche Apparat leistete mit geeig¬ 
neten, besonders starken Desinfektionsmitteln (starke Sublimat¬ 
lösung) in einem Artilleriestall Vorzügliches, doch können auch 
schwächere Lösungen (5%iges Formalin) mit Vorteil benutzt 
werden. Die Autandesinfektion stellt sich teurer als die mit dem 
Formalinspray (nach H aus ert etwa sechs- bis zehnmal so hoch). 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU £ 


lieh auch dann ersprießlich sein, _ wenn die Gewerkschaftsärzte'*. 
jeden erheblichen Unfall der Gewerkschaftsmitglieder darauf rfi 

prüfen würden, ob eine eventuelle Gewerbsbehinderung auch ge- < 
hörig entschädigt wird. Man kann hiermit im allgemeinen ein- . 

verstanden sein, wenn F. aber meint, daß die Aufgaben des Ge¬ 
werkschaftsarztes dahin ausgedehnt werden möchten, fdaß er alle 
gestellungspflichtigen Gewerkschaftsmitglieder auf ihre Militär¬ 
tauglichkeit untersucht und eventuell den die Untauglichkeit be¬ 
gründenden Befund (und diese selbst?) attestierte (die begüterten 
Gestellungspflichtigen ließen sich in der Regel vor der militär¬ 
ärztlichen Untersuchung die eventuell „schwer zu diagnostizierende“ 
Erkrankung attestieren), so müßten gegen eine' etwaige spätere 
Ausgestaltung dieser Idee seitens anderer "auch im Interesse der 
Gestellungspflichtigen selbst Bedenken geäußert werden. Einmal 
nämlich hat der Zivilarzt, worauf auch verschiedene Ministerial- 
verfügungen hinweisen, sich nicht über Militärtauglichkeit oder 
Untauglichkeit selbst zu äußern —- dies ist Sache der Ersatz¬ 
behörden und der ihnen beigegebenen Sanitätsoffiziere —, sondern er 
hat lediglich den Befund oder einen ihm sonst bekannt gewordenen 
Umstand zu attestieren und eventuell auf solche Weise die Auf¬ 
merksamkeit des untersuchenden Sanitätsoffiziers auf Dinge zu 
lenken, die diesem bei den Massenuntersuchungen entgehen könnten, 
für sein Urteil aber wertvoll sind. Attestiert er „Untauglichkeit“ 
und die Aushebungsbehörde entscheidet anders,' so schafft er nur 
unliebsame Differenzen und ruft Enttäuschungen hervor. Ist aber 
die vom Zivilarzt attestierte Krankheit „schwer zu diagnostizieren“, 
so erreicht er mit seinem Attest nicht seinen Zweck, der Be¬ 
treffende wird nicht sogleich ausgemustert, sondern eventuell erst , 
im Lazarett beobachtet. Ob ähnliches nicht auch für die Ge¬ 
werkschaften bezw. den Gewerkschaftsarzt zutrifft, bleibe dahin¬ 
gestellt. Ref. glaubt der Sache zu dienen, wenn er auf diese 
Punkte aufmerksam macht. Im übrigen bemerkt. er, daß nach 
seiner Erfahrung gerade die weniger - begüterten Gestellungs¬ 
pflichtigen vom Lande häufig zivilärztliche Atteste mit zur Muste¬ 
rung und Aushebung bringen. — Auf ein Gewerkschaftskartell 
von 10000 Arbeitern denkt sich F. bei einer Besteuerung jedes 
Mitgliedes mit 1,0 M. pro Jahr zwei Gewerkschaftsärzte mit je 
5000 M. Gehalt. 


Soziale Medizin. 

Referent: Dr. M. Peltzer, Generaloberarzt a. D. in Steglitz. 

Die Notwendigkeit und die Aufgaben von Gewerkschafts¬ 
ärzten. Von Dr. Alfons Fischer-Karlsruhe i. B. Med. Reform, 
1908, Nr. 17, 23. April. 

Die Schiedsgerichte in Unfall- und Invaliditätsangelegen¬ 
heiten sind bekanntlich aus je zwei Vertretern der Arbeitgeber 
und Arbeitnehmer und einem Regierungsvertreter als Vorsitzenden 
zusammengesetzt. Es stehen somit oft zwei Arbeitgeberstimmen 
zwei Arbeitnehmerstimmen gegenüber, erstere sind meist — 
menschlich durchaus erklärlich — für Abweisung der bereits von 
den Berufskollegen abgelehnten Forderung des klägerischen 
Arbeiters, letztere für Bewilligung. Den Ausschlag gibt der Vor¬ 
sitzende , von dessen sozialem Verständnis (seine Gerechtigkeit 
steht außer Frage) es abhängt, ob das Urteil zugunsten des 
Klägers ausfällt oder nicht. Zugunsten lautet es gegenwärtig 
durchschnittlich in etwa 17% der Entscheidungen, es könnte dies 
aber nach F. etwa in der Hälfte der Fall sein, wenn der Arbeiter 
immer in der Lage wäre, seine Forderung gehörig zu begründen. 
In der Regel bedient er sich als Rechtsbeistand eines Arbeiter¬ 
sekretärs, aber auch dessen Tätigkeit vor dem Schiedsgericht 
bleibt wirkungslos, wenn die Gegenpartei sich, wie dies stets der 
Fall ist, auf ein ärztliches Attest stützt, der Arbeiter dagegen 
ein begründetes Gegengutachten (Kostenpunkt nach der Taxe 
mindestens 9 M.) nicht erhalten kann. Hierüber wird von den 
Arbeitersekretären viel geklagt, und F. führt aus dem ihm vor¬ 
liegenden umfangreichen Material Beispiele an, aus denen hervor¬ 
geht, wie gewinnbringend namentlich bei Meinungsverschieden¬ 
heiten zwischen dem Vertrauensarzt der Berufsgenossenschaft und 
dem Gegengutachter solche Atteste für den Arbeiter werden können. 
Aus diesen Erwägungen tritt er daher lebhaft für die Anstellung 
von Gewerkschaftsärzten als Gegengewicht gegenüber den Berufs¬ 
genossenschafts-Vertrauensärzten ein. Ihre Tätigkeit würde nament- 


Varia. 

1. Was hoffen und was fürchten wir von der „sexuellen 
Aufklärung“ der Jugend. Von Geh.-Rat Eulen bürg. Umschau, 
1908, Nr. 16. 

2. Heber die Besoldung der Aerzte. Von W. Spark. 
Freiburg 1908. Funcke. 53 S. 

3. Aus dem Gebiete der Berufskrankheiten. Von Maxi¬ 
milian Sternberg-Wien. Sonderabdruck der Medizin. Klinik, 
1908, Nr. 14. 

1. Während im allgemeinen die Propaganda für sexuelle Auf¬ 
klärung von Naturwissenschaftlern und Aerzten und der Wider¬ 
stand von den Pädagogen ausgeht, schließt sich Eulenburg nach 
ausführlicher Abwägung der von beiden Seiten vorgebrachten 
Gründe eher der letzteren Partei an. Die Aufklärung der Jugend 
durch die Eltern läßt er unbedingt gelten, während er ihren 
Nutzen als Lehrgegenstand in Zweifel zieht. Als Dämpfer für 
die Uebereifrigen, die durch dies neue Lehrfach die Geschlechts¬ 
krankheiten auszurotten hoffen, führt er das treffende Wort F. W. 
Försters an, man solle den Gefahren seitens der Aufklärung der 
Gasse lieber durch eine sorgfältige Gesamterziehung als durch 
allzu frühe Belehrungen entgegen wirken. 

Auf die prüde Zeit unserer Großeltern ist eine freiere gefolgt, 
auf deren Gipfel wir wohl einigermaßen angekommen sind; unsere 
Enkel werden wieder prüde sein. Die Welt ist damals nicht 
untergegangen und wird es auch jetzt nicht. Wenn die Geschlechts¬ 
krankheiten zugenommen haben, so gewiß zum größten Teil schein¬ 
bar, weil sie mehr in die öffentliche Diskussion gezogen werden. 
Daß man aber die Zunahme difreh Belehrung in der Sphule rück¬ 
läufig machen kann, ist dem Ref. unwahrscheinlich, solange man 
nicht einen praktischen Kurs mit Demonstrationen der Vorbeu¬ 
gungsmittel anschließt; und auch der würde nicht viel helfen, so- 


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Original fro-m 

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lange Ricords Wort vom „cuirasse contre le plaisir“ zu Recht 
besteht.- Die Bekanntschaft mit der Fortpflanzung der Pflanzen 
und Tiere vollends wird niemandem einen Zaum anlegen, denn die 
Fortpflanzung anderer von außen gesehen ist etwas durchaus 
anderes als die eigene von innen gesehen. Auch kann man schwer¬ 
lich hoffen, durch die Schulbelehrung derjenigen durch Alters¬ 
genossen die Spitze abzubrechen, denn die letztere pflegt in einem 
Alter zu geschehen, in dem von Schulbelehrung noch keine Rede 
sein kann — und sie ist auch viel interessanter. 

Anders steht es mit der Belehrung durch Eltern oder viel¬ 
leicht besser durch ältere erwachsene Geschwister. Sie hat den 
Vorzug, daß sie mit Berücksichtigung der Individualität, des in 
sehr verschiedenem Alter erwachenden Geschlechtstriebs, erteilt 
werden kann und daß sie, weil intim, viel eindrucksvoller ist; 
und daß der Schüler nicht, was bei der Schulbelehrung leicht 
Vorkommen könnte, bereits mehr weiß, als der Lehrer sagen darf. 

F. von den Velden. 

2. Der Inhalt der Broschüre, deren Verfasser kein Arzt, aber 
reich an passiven ärztlichen Erfahrungen ist, geht über den Titel 
hinaus. Selbst wer den Vorschlag, die Aerzte staatlich anzu¬ 
stellen, für verkehrt hält, wird ihr manche Anregung verdanken 
und zugeben, daß Spark die Grundübel, an denen der ärztliche 
Stand leidet, vor allem die Contradictio in se ipsam, die in der 
Praxis liegt, sehr wohl erkannt hat. 

Wer möchte sich wohl von einem Beamten behandeln lassen? 
und wird der durchschnittliche Beamte, der seinen Gehalt emp¬ 
fängt, ob er etwas tut oder nicht, und der ohne Kontrolle ist, 
auf die Dauer pflichteifrig bleiben? Am schlimmsten wird die 
Hysterische daran sein, die von dem zuständigen ärztlichen Be¬ 
amten Trost und Hilfe erwartet. 

Eher hören läßt sich der Vorschlag des Verfassers, die ärzt¬ 
lichen Fakultäten feiern zu lassen, bis der gegenwärtige Ueber- 
schuß an Aerzten verbraucht ist. Auf Verwirklichung dieses vor 
einigen Jahren von Erhard ausführlich begründeten Vorschlags 
ist leider keine Aussicht. 

Ueber das Verhältnis von Aerzten und sogen. Kurpfuschern 
sagt Spark einige Wahrheiten, die alle Beachtung verdienen; 
ebenso über die sogen. Freiheit der Wissenschaft, die ärztliche 
Ausbildung und den gegenwärtigen Umschwung der Anschauungen 
in der Ernährungslehre. F. von den Velden. 

3. Sternberg beginnt mit der sehr richtigen Bemerkung, 
daß es nicht lange her ist, seitdem man wieder die Anamnese 
respektiert und, statt sich mit formaler Diagnostik zu begnügen, 
den wahren Ursachen der krankhaften Störungen auf den Grund 
zu kommen sucht; und daß diese häufiger, als angenommen wird, 
mit dem Beruf Zusammenhängen. Als Chefarzt eines großen 
Krankenkassenverbandes hat er Gelegenheit zu Erfahrungen ge¬ 
habt, die manchem neu sein werden. 

Er glaubt, daß die Zunahme der Nierenerkrankungen mit der 
„weißen Mode“ und dem Gebrauch von Bleiweiß selbst in der 
Hut- und Lederindustrie zusammenhängt. Er teilt mit, daß die 
Wiener Straßenkehrer zwar viel an chronischen Erkrankungen der 
Atmungsorgane, aber auffallend selten an Schwindsucht leiden 
und führt dies auf ihre Beschäftigung in freier Luft zurück. Für 
die Schuhmacher hat er statistisch festgestellt, daß die Herzkranken 
die 1 1 j 2 fache Zahl des allgemeinen Durchschnitts ausmachen, 
was übrigens schon Lancisi und Morgagni bekannt gewesen 
sei. Die Berufskrankheit sehr beschäftigter Aerzte nennt er die 
Stenokardie mit plötzlichem Tod in den fünfziger Jahren. Er 
meint schließlich, daß auch viele nervöse Erkrankungen toxischer 
und exogener Natur seien, geht aber auf dieses dankbare Gebiet 
nicht ein, obgleich es doch sehr nahe liegt, daß die Lebens-, Er- 
nährungs- und Trinkgewohnheiten, die nach deutschen Begriffen 
von vielen Berufen unzertrennlich zu sein scheinen, die wahre Ur¬ 
sache der meisten nervösen Erkrankungen sind. 

F. von den Velden. 


Mitteilungen über Arzneimittel. 


Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. lieber Piscarol. Von Dr. Frisch. Leipz. med. Monats¬ 
schrift, 1907, Nr. 8. 

Meine Erfahrungen mit Piscarol. Von Dr. S o k a 1. Sonder¬ 
abdruck aus Reichs-Medizinal-Anz., 1907, Nr. 15. 

Ueber therapeutische Anwendung des Piscarol (Ichthyo- 
pon). Von Dr. Neufeld. Aerztl. Zentralzeitg., 1908, Nr. 17. 

Therapeutische Versuche mit Piscarol, einem neuen 
Ichthyolersatzpräparate. Von Dr. Friedmann. Oesterreich. 
Aerztezeitg., 1907, Nr. 15. 

2. Ueber innerliche Anwendung von Kochs Bazillenemulsion 
(Phtysoremid). Von Dr. Krause. Zeitschr. f. Tuberkulose, 
Bd. X, H. 6. 

3. Zur Behandlung des Ulkus molle. Von Dr. Lohnsteic. 
Allgem. med. Zentralzeitg., 1908, Nr. 17. 

4. Die Estonpräparate und ihre therapeutische Verwend¬ 
barkeit bei Haut- und Geschlechtskrankheiten. Von Dr. Dreysel. 
Fortschr. d. Med., 1908, Nr. 10. 

5. Ein Fall von Vergiftung nach Gebrauch von Thiosinamin. 
Von Dr. Große. Münch, med. Wochenschr., 1908, Nr 17. 

6. Ueber den praktisch-therapeutischen Wert des Cysto- 
purins. Von Dr. Peters. Deutsche Aerztezeitg., 1908, H. 9. 

1. Das in der Schweiz unter dem Namen Ichthyopon, in 
anderen Ländern als Piscarol von der Firma Lüdy & Co., Burg¬ 
dorf in der Schweiz, hergestellte Ersatzprodukt des Ichthyols 
stellt eine rotbraune, klare, sirupdicke Flüssigkeit von eigenartigem 
Geruch und Geschmack dar und ist nach der Analyse der Chemi¬ 
schen Kontrollstation Dr. Striebel in Zürich in destilliertem 
Wasser in jedem Verhältnis löslich, in Aether nnd Spiritus jedoch 
nur teilweise. Bei 100 0 getrocknet, verliert es an Gewicht, der 
Trockenrückstand löst sich in Wasser. Auf Grund mannigfacher 
Versuche, die seine innerliche und äußerliche Anwendung betrafen, 
ist seine Wirksamkeit erprobt worden. Die Hauptanwendungs¬ 
weise bleibt die äußerliche, und zwar speziell bei Hauterkran¬ 
kungen; es wirkt auf die Gefäße der Haut zusammenziehend, auf 
Infiltrate in oder unter der Kutis resorbierend und äußert gleich¬ 
zeitig eine schmerz- und juckenstillende Eigenschaft. Frisch 
hat die äußerliche Anwendung als erprobt gefunden bei ver¬ 
schiedenen Ekzemformen, bei follikulären und pustulösen, bei Ery¬ 
themen , bei Impetigo kontagiosa, Urtikaria, Pruritus und Sebor- 
rhoea squamosa in Form einer 5- bis 20%igen Salbe; bei Ver- 
brühuugen, Brandwunden, Dekubitus; zu Resorptionszwecken bei 
Kontusionen und Distorsionen in 10%iger Konzentration; bei 
Erysipel entweder pur oder in Salben form; bei Drüsenschwellungen, 
Bursitiden, bei Orchitis und Epididymitis, Pleuritis und anderen 
akuten Affektionen; bei Rheumatismus muskulorum und artikulorum, 
Lumbago und Ischias in 10%iger Lösung zum Verreiben oder 
Bepinseln; bei allen möglichen gynäkologischen Leiden: Para-, 
Perimetritis, Salpingitis, Oophoritis, Fluor albus in Form von Ein¬ 
reibung der Bauchdecken und in 10°/oiger Glyzerinlösung für 
Scheidentampons. Innerlich hat Frisch bei daniederliegender 
Ernährung, bei Gärungsvorgangen im Magen und im Darm, auch 
bei Tuberkulose des Darmtraktus Piscarol angewendet, und zwar 
folgendes Rezept: Piscarol 10,0, Aq. menth. pip. 80,0, Sir. spl. 
20,0. D. S. einen Kaffeelöffel voll in einem Glase Wasser, in zwei 
Absätzen zu trinken. Irgendwelche Störungen hat Frisch nie 
beobachtet. Auch Sokal empfiehlt das Piscarol, das er — schon 
wegen seiner Billigkeit dem Ichthyol gegenüber — für eine wert¬ 
volle Bereicherung des Arzneischatzes hält. Neufeld beobachtete, 
abgesehen von Fällen, bei denen er das Mittel äußerlich anwandte, 
einen günstigen Erfolg in einem sehr hartnäckigen Falle von 
putrider Bronchitis. Bei Magenerweiterung machte dieser Autor 
nach der üblichen mechanischen Reinigung mittels des Magen¬ 
schlauches eine gründliche Ausspülung des Magens mit einer 
l°/oigen Piscarollösung. Doch glaubt er, daß die ureigenste 
Domäne des Mittels die Dermatologie und Gynäkologie ist, und 
gibt aus reicher Erfahrung eine Reihe brauchbarer Rezepte für 




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UMIVERSITY OF MICHIGAN 


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UNIVERSSTY OF MICHIGAN 





362 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU, 


die verschiedenen Erkrankungsformen an. Auch Friedmann 
konnte bei Lungentuberkulose, wo er Piscarol mit Wasser ver¬ 
dünnt in allmählich steigender Tropfenzahl gab, Abnahme des 
Hustens und Auswurfs konstatieren. Bei Atonie und Magen¬ 
erweiterung gab er dreimal täglich 0,1 Piscarol mit Erfolg. Bei 
Urethritis gonorrhoika anterior ließ er 1 k bis 5%ige Lösungen 
des Mittels injizieren, bei Urethritis posterior machte er Spülungen 
mit 1- bis 10%igen Piscarollösungen, immer mit Erfolg. Auch 
dieser Autor hält das Piscarol dem Ichthyol für ebenbürtig. 

2. Nachdem K. jahrelang die Koch sehe Bazillenemulsion in 
subkutaner Anwendung studiert und sich davon überzeugt hatte, 
daß die Wirkung des Neutuberkulins in Vorgeschrittenen Stadien 
der Schwindsucht und besonders bei hartnäckigem Eieber bei vor¬ 
sichtiger Dosierung und sorgfältiger Individualisierung häufig über¬ 
raschende Erfolge zeitigt, bemühte er sich, die der subkutanen 
Methode anhaftenden Mängel und Umständlichkeiten zu beseitigen. 
Er erreichte dies dadurch, daß er die Bazillenemulsion innerlich 
gab, in Form keratinierter Gelatinekapseln, in Begleitung eines 
öligen Vehikels. Diese werden in absolut zuverlässiger Dosierung 
von dem Chemischen Laboratorium Dr. H. Müller & Co., Berlin, 
hergestellt und in einer starken und schwachen Sorte abgegeben. 
Die im Anfänge der Untersuchungen bei einigen Kranken auf¬ 
tretenden Verdammgsbesekwerden wurden vermieden, als K. statt 
großer, häufige aber kleine Dosen gab. Die Kur mit Bazillen¬ 
emulsion („Phtysoremid“) geht folgendermaßen vor sich: Nach 
entsprechender Beobachtungszeit nimmt der Kranke eine Kapsel 
mit schwacher Lösung, nach drei bis vier Tagen eine zweite, nach 
weiteren zwei Tagen die dritte und dann täglich eine Kapsel, bis 
die gewünschte Wirkung eintritt. Meistens geht K. nach einiger 
Zeit zu der stärkeren Sorte über, wovon er dann auch täglich eine 
Kapsel nehmen laßt. Nach K.s Ansicht entsprechen die Wirkungen 
der internen Darreichung der Bazillenemulsion-Kapseln völlig der 
subkutanen Anwendung des Mittels. 

3. Das ungiftige, reiz- und geruchlose Jodpräparat Europhen 
ist seit langem als angenehmes Ersatzmittel des Jodoforms be¬ 
kannt. Angeregt durch die günstigen Mitteilungen von Borne¬ 
mann und Richter hat L. das Mittel bei Ulkus molle gleich¬ 
falls mit bestem Erfolge verwandt. Nach Reinigung der Ge¬ 
schwüre mit einer antiseptischen Lösung und Aetzen mit konzen¬ 
trierter Karbolsäure wird ein Gemisch von Europhen und Borsäure 
darauf gestreut (Europhen 1,0, Acid. boric. pulv. subt. 3,0). Nach 
Reinigung der Geschwüre wird eine Europhensalbe aufgeschmiert, 
die nach folgender Formel rezeptiert wird: 

Rp. Europhen 2,0, 
solut. in 
Ol. Oliv. 2,0, 
cui ad de 

Lanolin q. sat. ad 15,0. 

4. Man hat sich schon mehrfach bemüht, die essigsaure Ton¬ 
erde in feste, also handlichere Form überzuführen — bisher ohne 
oder nur mit teilweisem Erfolg. Neuerdings ist es den Chemi¬ 
schen Werken von Dr. Friedländer gelungen, ein Präparat 
herzustellen, das den Namen Eston führt und in der Tat in ein¬ 
wandfreier Weise essigsaure Tonerde in trockner Form darstellt. 
Dem Berichte D.s entnehmen wir, daß Eston ein Aluminiumazetat 
ist, ein rein weißes, sehr feines und sehr trockenes Pulver von 
schwach säuerlichem Geruch, das gegen Licht und Luft indifferent, 
unbegrenzt haltbar ist und in der Wäsche keine Flecken macht. 
Nach Saalfelder hat es sich bei Tierversuchen als völlig un¬ 
giftig gezeigt. Es ist in Wasser unlöslich, und auch in starken 
Sauren löst es sich nur langsam und unvollständig. In alkalischen 
Flüssigkeiten lost es sich dagegen leicht. Daraus erklärt sich 
seine gute Wirkung; denn wenn es mit alkalischen Flüssigkeiten, 
Eiter, Blut, Gewebsflüssigkeiten Zusammentritt, wird es allmählich 
gespalten und die mild antiseptische und adstringierende Form 
der essigsauren Tonerde kommt zum Vorschein. So verbindet 
Eston die guten Eigenschaften dieser mit einem guten Streupuder. 
Um eine stärkere Wirkung hervorzurufen, hat die Fabrik ein 
zweites Präparat hergestellt, dem noch Ameisensäure zugesellt ist. 
Es heißt Formeston. Dies wirkt energischer. Um ganz schwache 
Wirkungen zu erzielen und es pur verwenden zu können, wurde 
noch ein drittes Präparat, das Subeston, hergestellt. Ferner hat 
die Fabrik, von diesen drei Grundpräparaten ausgehend, noch eine 


Menge von Verbindungen, Pulvergemische, Pflaster, Salben, in 
den Handel gebracht. D. hat die Estonpräparate als Streupuder, 
Pflaster und Salbe in 94 Fällen angewendet und ist mit den Er¬ 
folgen zufrieden gewesen. Von den Kranken yrnrde die saubere 
Anwendungsweise, die reizlose, kühlende, juckstillende Wirkung 
der Pul Vermischungen gelobt. Diese letztere Wirkung kommt in 
erhöhtem Maße den nach Saalfelds Vorschrift her gestellten Kühl¬ 
salben zu (Eston resp. Formeston, Ol. Oliv, ana 1,0„ A!q. dest., 
Lanolin anhydr. ana 2,0). Wenn naturgemäß bei Ulkus molle 
und luetischen Geschwüren die Estonpräparate von sehr mangel¬ 
haftem Erfolge waren, so hält sie D. bei Intertrigo, Hyperidrosis 
und Balanitis doch für sehr schätzenswerte, kaum zu übertreffende 
Streupuder. 

5. Wir haben schon mehrfach Referate über günstige Erfolge 
mit Thiosinamin gebracht. Daß bei Anwendung dieses Mittels 
Vorsicht am Platze ist, beweist ein Fall von Vergiftung nach 
Gebrauch von Thiosinamin, den G. kürzlich veröffentlicht hat. Bei 
einem 54jährigen Manne wurden Injektionen von Thiosinamin- 
Merck gemacht, und zwar jedesmal der Inhalt eines Röhrchens 
von 2,3 ccm Fibrolysin (= 0,2 Thiosinamin) eingespritzt. Nach 
der sechsten Injektion (die Einspritzungen wurden mit tagelangen 
Zwischenpausen gemacht) traten Herzschwäche, Fieber, Anurie, 
Erbrechen und hochgradiger Verfall der körperlichen und geistigen 
Kräfte ein. Erst nach vierwöchentlicher Behandlung konnte der 
Kranke wieder stundenweise seiner geschäftlichen Tätigkeit nach¬ 
gehen. Bisher waren nur vereinzelt geringe Fiebererscheinungen 
und Mattigkeitsgefühl nach Gebrauch von Thiosinamin beobachtet 
worden. Dieser Fall beweist aber, daß doch große Vorsicht am 
Platze ist. 

6. Günstige Resultate mit Oystopurin, die diejenigen des Uro¬ 
tropins, Salols, Arhovins usw. übertreffen sollen, berichtet P., 
der bei zwei akuten, drei chronischen Gonorrhöen und bei vier 
Zystitiden das Mittel an wendete. Der Urin wurde klarer, die 
Gonokokken verschwanden; Reizungen der Nieren wurden nicht 
beobachtet. P. ließ bis zu 5 g Cystopurin nehmen. 20 Tabletten 
zu 1,0 g kosten 1,50 M. Fabrikant: Chemische Fabrik Joh. A. 
Wülfing, Berlin S.W. 48. Oystopurin ist eine Verbindung von 
Hexamethylentetramin mit Natriumazetat im Verhältnis 1 : 2. 


Neuere Arzneimittel. 

Sulfogenol, ein neues Schwefelpräparat. Fabr.: Lüdy & Co., 
Burgdorf (Schweiz). 

Dem Ichthyol an dieser Stelle ein neues Loblied zu singen, 
dürfte um so weniger angebracht erscheinen, als jeder Arzt die 
guten Wirkungen dieses Mittels seit Jahren kennen und schätzen 
gelernt hat. Wird es doch seit langer Zeit gegen rheumatische 
Affektionen, in der gynäkologischen Praxis und besonders bei 
Hautleiden der verschiedensten Art mit bestem Erfolg angewendet. 
Aber trotz der guten Eigenschaften, die das Ichthyol auszeichnen, 
haften ihm namentlich zwei Uebelstände an, die seiner Verwen¬ 
dung oft hindernd im Wege stehen, das ist der penetrante, inten¬ 
sive, unangenehme Geruch, der bei vielen Kranken Anstoß erregt, 
und dann der Umstand, daß das Ichthyol die Wäsche derartig 
beschmutzt, daß sie nicht wieder völlig weiß gewaschen werden 
kann. Das sind immerhin Eigenschaften, die den Wunsch be¬ 
rechtigt erscheinen lassen, ein Präparat herzustellen, das — in 
seinen therapeutischen Wirkungen dem Ichthyol gleich — dessen 
Schattenseiten nicht in sich birgt. Diesen Ansprüchen scheint 
nach den Berichten einiger Autoren ein neues Schwefelpräparat, 
das Sulfogenol, zu entsprechen. Es stellt dies eine dickflüssige, 
braunschwarze Substanz dar, die völlig geruch- und geschmacklos 
ist, die in jedem Verhältnis mit Wasser, ebenso mit Alkohol, 
Aether, Glyzerin etc. gemischt werden kann. Die dunkelbraunen 
Lösungen sind unbegrenzt haltbare Die Wäsche, die mit Sulfo- 
genol in Berührung kommt, kann sehr leicht gewaschen werden, 
so daß Flecke nicht Zurückbleiben. Der Gehalt an Schwefel, der 
nach Ansicht der meisten Autoren auch der wirksame Bestandteil 
im Ichthyol ist, beträgt im Sulfogenol 12 bis 13%. Wird 
dies auf die Haut gepinselt, pur oder in ätherischer oder 
alkoholischer Lösung, so trocknet es bald zu einer nicht kleb¬ 
rigen Schicht ein, die sich leicht mit Wasser ab waschen läßt. 


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3f • |-j-- 1 




fHEBÄBEÜIISCHE RUNDSCHAU. 


363 


Die ; ä#eüÄiMg: des Sulfogenol ist mannigfaltig. Nach den 
Benchten' zahlreicher Autoren wird das neue Schwefelpräparat 
mit Erfolg, angewendet: in der Dermatologie bei Favus, Pityriasis 
versikolor, J Herpes tonsurans, Skabies, Ekzema chronic., Psoriasis 
vulgär., Akne vulgär., Ulkus varikosum, Erysipel etc.; in der 
Gynäkologie bei Endometritiden, Tubo-ovarialkatarrhen, peri- und 
parametritischen Affektionen, parametralen und Adnextumoren; in 
der Chirurgie bei Analfissuren, perimamillären Rhagaden stillender 
Frauen, bei Nebenhodenentzündungen; in der Urologie bei Ure¬ 
thritis chron. posterior und bei Zystitis; in der internen Medizin 
bei akutem und chronischem Gelenkrheumatismus, bei Ischias, bei 
Angina tonsillaris. Silberstein rühmt die ausgesprochen anti¬ 
septische Wirkung des Mittels: Er ließ in zwei Eprouvetten sterili¬ 
sierte Gelatine erstarren und setzte der einen Portion wenige 
Tropfen einer 5%igen Sulfogenollösung hinzu. Beide Nährböden 
impfte er dann mit Eiter eines Zahnfleischabszesses und fand nach 
24 Stunden den einen von Bakterien durchwachsen, während der 
sulfogenolhaltige ein ganz unverändertes Bild zeigte. Weiß be¬ 
richtet auch von einer erfolgreichen Behandlung mit Sulfogenol- 
Lanolinsalbe bei Akne rosazea und bei Frostbeulen. Nach den 
bisherigen Erfahrungen scheint es, als ob das Sulfogenol dieselben 
Wirkungen hat wie die besten Schwefelpräparate, das Ichthyol ein¬ 
begriffen. Ob es dieses sogar, übertrifft, müssen weitere Versuche 
lehren. Jedenfalls ist seine Geruchlosigkeit und die Sauberkeit 
seiner Anwendung Grund genug, um das Sulfogenol in geeigneten 
Fällen zur Anwendung zu bringen. W. Krüger-Magdeburg. 

Arsojodin werden Pillen genannt, die pro dosi 0,12 g Jod¬ 
natrium und 0,001 g Arsen enthalten sollen. Fabrikant: Stadt- 
Apotheke in Schärding i. Oesterreich. 

Diaspirin wird der Bernsteinsäureester der Salizylsäure ge¬ 
nannt, dessen Eigenschaften und pharmakologische Wirkung in 
Pharm. Zeitg., 1908, Nr. 23, bereits beschrieben wurden. Wegen 
seiner ausgeprägt schweißtreibenden Wirkung ist das Diaspirin 
besonders bei fieberhaften Erkältungserscheinungen sowie bei 
inneren Erkrankungen, die mit exsudativen Prozessen emhergehen, 
angezeigt. Fabrikant: Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Oo. 
in Elberfeld. (Pharm. Zeitg., 1908, Nr. 36.) 

Älbin, Hydrozon-Zahnpaste, ist eine Wasserstoffsuper¬ 
oxyd enthaltende Zahnpaste. Darsteller: Pearson & Cie. in Ham¬ 
burg. 

Aretontabletten zur Darstellung von antiseptischem Mund¬ 
wasser enthalten als wirksame Bestandteile Borsäure, Aluminium- 
azetat, Thymol, Tannin und Chlornatrium. Fabrikant: Adolf Kirch 
in Wiesdorf a. Rh. 

Lactolade, als reiner Milchkakao bezeichnet, besteht im 
Wesentlichen aus Zucker, Kakao und (wahrscheinlich) Magermilch¬ 
pulver. (Gordian 1908, Nr. 306.) 

Oxy chlor ine, welches von der Oxy chlorine Chemical Company 
in Chicago als Doppelverbindung von Natrium- und Kaliumtetra- 
borat mit Boroxychlorid bezeichnet wurde, enthält nach Angabe 
des Council of Pharmacy and Chemistry in einfacher Mischung: 
37,19% Kaliumchlorat, 29,76% Natriumnitrat, 2,18% Kalium- 
Und Natriumborat, 30,52% Borsäure und 0,35% unbestimmter 
Stoffe. (Schweiz. Wochenschr. f. Chem. u. Pharm., 1908, Nr. 4.) 

Bronchiline ist ein auf Flanell gestrichenes Pflaster, dessen 
Grundlage eine kautschukhaltige Mischung bildet, welcher geringe 
Mengen von Extr. Belladonnae, Chamomillae, Grindeliae robust, 
fluid., Thymi fluid., Ol. Menthae crisp., Ol. Rosmarin, und Cam¬ 
phora zugesetzt sind. Das Pflaster soll bei Keuchhusten ange¬ 
wendet werden. Fabrikant: Apotheker J. Büttner-Wobst in 
Zittau. 

Cor heißen Kompressen, die, in Wasser getaucht und dann 
aufgelegt, Kohlensäure entwickeln, so daß eine örtliche Wirkung 
der letzteren erzielt werden kann. Fabrikant: Med.-pharm. Fabrik 
Schindler & Löwenstein in Berlin W. 57. 

Russisches Stheuosina Orel, Sthenosine russe de Orel, 
als Nerventonikum von H. Lamarc[ue & Cie. in Paris empfohlen, 
ist wahrscheinlich ein Gemisch aus stärkemehlhaltigßr Pasta Gua- 
rana mit Calciumglycerophosphat und Rohrzucker. (Z e r n i k und 
Kuhn.) 

S&uerin werden Tabletten genannt, welche als wirksamen 
Bestandteil Reinkulturen des Bazillus acidi lactici enthalten. 


Vilja-Creme, von Obermeyer & Cie. in Hanau a. M. gegen 
Juckreiz, Wundsein usw. empfohlen, ist ein mit Rosmarinöl oder 
einem ähnlichen Oel aromatisiertes wasserhaltiges Wollfett. (Zernik 
und Kuhn.) 

Mensalin , von der chemischen Fabrik Gebr. Patermann in 
Friedenau-Berlin als Mittel gegen Menstruationsbeschwerden usw. 
empfohlen, enthält pro Tablette etwa 0,25 g Dimethylpyrazolon. 
salicylic. und 0,025 g Menthol, valerianie. (Zernik und Kuhn.) 

Paidol, ein Kindernähr mittel schweizerischen Ursprungs, 
scheint lediglich aus Cerealienmehl zu bestehen. (Zernik und 
Kuhn.) 

Rino-Heiisalbe von Rieh. Schubert & Oie. in Weinböhla i. S. 
ist nach Zernik im wesentlichen ein Gemisch aus Terpentin und 
Ol. Ca dinum mit etwa 1% Borsäure, 6 bis 7% Eigelb und einer 
indifferenten Salbengrundlage. 

Bronchisan von Dr. E. Silberstein in Berlin NW. enthält 
nach Kuhn etwa 4% Pyrenol neben Elixir e Succo Liquiritiae 
in wässeriger Lösung. (Parmaz. Zeitg., 1908, Nr. 31.) 


Technische Neuerscheinungen. 


Injektions-Glasapparat „Immersteril“. 

Der Apparat soll es ermöglichen, aus einer sterilisierten 
Flüssigkeit beliebig oft und selbst nach monatelanger Auf¬ 
bewahrung kleine Mengen rasch zu entnehmen, ohne dabei die 
Sterilität des Restes zu gefährden. Er besteht aus zwei durch 
eine gebogene Glasröhre miteinander verbundenen Teilen. 
Ein Standglas, das die Lösung aufzunehmen hat, ist durch eine 
am Boden befindliche ableitende Glasröhre mit einem Ent¬ 
nahmebecher verbunden; ein an letzterem angebrachter Glas¬ 
hahn gestattet nach einfacher Drehung ein Aufsteigen von 
Flüssigkeit in den Becher. Die an Stelle der austretenden 



Flüssigkeit in das Standglas eindringende Luftmenge muß eine 
starke & Watteschicht passieren, die in einer Glaskappe den dreh¬ 
baren, hohlen Glasstöpsel des Standglases umschließt. Da 
Glasstöpsel und Hals des Standglases je eine kleine Oeffnung 
haben, so genügt einfache Drehung des Glasstöpsels, bis beide 
Oeffnungen miteinander korrespondieren, um eine staub- und 
keimfreie Luft in das Standglas eintreten zu lassen, und ent¬ 
sprechende Drehung des Glashahns am Entnahmebecher, um 
daselbst , die keimfreie Flüssigkeit aufsteigen zu lassen. Der 
Entnahmebecher wird ständig steril gehalten durch Füllung 
mit geeigneter antiseptischer Lösung; dieselbe wird vor der 
Injektion durch Aufziehen mit der Spritze, diese zugleich des¬ 
infizierend, entfernt, nachher wieder ersetzt. Der eingeschliffene 
Glashahn des Entnahmebechers ist nach außen hin noch vor 
Infektion geschützt dadurch, daß ein Hohlraum um den ver- 


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schmälerten Griff des Hahnes vorgesehen ist, der mit Watte 
vollgestopft ist. 

Fabriziert wird der Apparat von Dr. Klebs, München, 
Göthestr. 25. M. Plien, Berlin. 


Kohlensäure- und Sauerstoff-„Perlbad“. 

Die einfache Apparatur, die bei jeder Badewanne zu be¬ 
nutzen ist, besteht aus einer Blechplatte, welche mit Rillen 
versehen ist, in die Bambusrohrstreifen eingelassen sind. Eine 
Tülle an dieser Platte, die auf den Boden der Badewanne ge¬ 
legt wird, wird durch einen Gummischlauch mit einer Kohlen¬ 
säure- oder Sauerstoff-Bombe in Verbindung gebracht. Oeffnet 
man den Hahn der Bombe und läßt das Gas ausströmen, so 
steigt es in außerordentlich feiner Verteilung durch die Rohr¬ 
stäbe als Perlbläschen im Badewasser auf. 

Der Apparat ist zu beziehen von der Firma Gebrüder 
Jakob & A. Serenyi, Berlin, Kaiser Wilhelmstr. 46. Er wird 
auch leihweise abgegeben. M. Plien, Berlin. 


KORRESPONDENZ. □ 


unter der Fahne der biologischen Naturwissenschaften einhergeht, 
eher zur Anerkennung gelangen könnte. Indem wir hiermit das 
Wort „Konkurrenz“ als unwürdig zurückweisen,'da wir'jede Ver¬ 
bindung unserer. Ziele mit eigennützigen Absichten streng aus- 
scheiden, so werden wir hierdurch in unserem Entschlüsse nur um 
so mehr bestärkt, unsere Propaganda allein unter der Flagge der 
Wissenschaft zu betätigen. 

Was uns von der konservativen Sohulmedizin unterscheidet, 
das ist unter keinen Umständen die Wissenschaft als solche, son¬ 
dern nur die Richtung derselben, indem wir mehrere Jahrzehnte 
lang vernachlässigte Grundbegriffe, welche uns die neueren For¬ 
schungen der Lebenslehre gebracht haben, zur Entwicklung der 
Heilkunde heranziehen wollen. 

Im übrigen hat Schreiber dieses kürzlich bei Gelegenheit 
eines mehrwöchigen Aufenthalts in Berlin, den er auch zur Aus¬ 
sprache mit den meisten der dortigen Mitglieder der Fr, V. be¬ 
nutzte, welche z. T. gleichzeitig denr Archiv -Verbände angehören, 
erfahren, daß Herr Dr. K. gar nicht als Interpret dieser Gruppe 
anzusehen sei! Sollte dieses richtig sein, so erwarten wir von 
den „wahren“ Vertretern eine Aufklärung in einer der nächsten 
Archiv-Nummern. 

Schließlich teilt Unterfertigter noch mit, daß wieder "von 
mehreren Seiten Anträge auf eine im Oktober zu Wiesbaden 
abzuhaltende Versammlung eingelaufen sind, auf welcher vor allem 
eine Organisation zustande gebracht werden soll. 

Dr. med. Bachmann. 


Die Biologische Vereinigung 

und der Aerzteverein für physikalisch-diätetische Therapie. 

Bisher hatte die Freie Vereinigung die Bestrebungen des ge¬ 
nannten Berliner Vereins und seiner Zeitschrift „Archiv“ als den 
ihrigen nahe verwandt betrachtet und ihnen daher kameradschaft¬ 
liche Gefühle entgegengebracht, wenn sie sich auch nicht ver¬ 
hehlen konnte, daß von vornherein gewisse Gegensätze bestanden. 
Insbesondere konnten wir das extreme Vorgehen gegen die Vivi¬ 
sektion, die Schutzpockenimpfang, das Arzneimittelwesen, sowie 
auch ein bedingungsloses Zusammenarbeiten mit der Laien-Natur- 
heilkunde nicht gutheißen, vertreten vielmehr in diesen Fragen 
einen gemäßigteren und vorsichtigeren Standpunkt. Wären wir 
aber einmal in die Lage gekommen, uns mit dem genannten Verein 
auseinanderzusetzen, und wäre es uns dabei gelungen, ihn in 
diesen Punkten zu beeinflussen, so hätte unseres Erachtens ein 
Zusammenarbeiten bis zu einem gewissen Grade sich wohl ermög¬ 
lichen lassen. 

Vor etwaigen hierdurch entstehenden Enttäuschungen sind 
wir nun aber durch einen Artikel von Herrn Dr. E. Klein in 
Jpummer 5 des Ziegelro thschen Archivs bewahrt worden. Wir 
danken es Herrn Dr. Klein aufrichtig, daß er hier sein Herz 
otfenbart hat, nämlich mit dem Erfolge, daß vorderhand nur von 
einer reinlichen Scheidung zwischen uns und dem Archiv- 
Verein die Rede sein kann. 

Ohne mit gleichen gefühls-pathologischen Ergüssen, wie sie 
Herr Dr. K. in seinem, an Hauffs Phantasien im Bremer Rats¬ 
keller erinnernden Artikel sich geleistet hat, auf warten zu können, 
stellen wir hier nur fest, daß dem genannten Herrn das biologische 
Denken in der Medizin ein Gräuel ist. Seiner Auffassung nach 
haben wir biologisch denkenden Aerzte diese Forschungsrichtung 
nur erfunden, um mit ihr, wie unter einer verräterischen Maske, 
dem alleinseligmachenden Archiv-Verbände uns zu nahen und das 
Werk seiner Hände zu zerstören! 

Wir könnten dieses Gebilde einer überhitzten Phantasie zwar 
ruhig sich selbst überlassen, doch müssen wir noch auf einen 
anderen Gegensatz hinweisen, der hier zutage getreten ist. Der¬ 
selbe offenbart sich in ganz naiver Weise in dem Ausdrucke 
„Konkurrenz-Fabrikat“, mit welchem liebenswürdigen Ausdruck 
die Theorien von Dr. Esch, Schreiber dieses und unserer sonstigen 
wissenschaftlichen Freunde bezeichnet werden. Hier haben wir 
anscheinend die wahre Triebfeder von Herrn Dr. K.s sonst so 
völlig unmotivierten Anfeindungen. Er fürchtet, daß die Schwächen 
und Verkehrtheiten seiner Gruppe ihr auf die Dauer doch selbst 
verhängnisvoll werden könnten und daß unsere Bewegung, welche 


□ 


Bücherbesprechungen 


□ 


Vorträge für Mütter über Pflege und Ernährung 
des gesunden Säuglings. Von Dr. Gustav Tugendreich. 
Mit sieben Textabbildungen, nebst einem Vorworte von Professor 
Finkeistein. Stuttgart 1908. Ferdinand Enke. 63 Seiten. Preis 
1,20 M. 

Das Büchlein enthält die Vorträge, die Verf. in seiner Säug¬ 
lingsfürsorgestelle vor Frauen und jungen Mädchen gehalten hat. 
Die Einteilung des Stoffes ist nach Vortragsstunden, im ganzen 
sechs, geordnet, so daß das Büchlein Aerzten, die eine ähnliche 
Aufgabe haben, vielleicht einen gewissen Anhaltspunkt geben kann. 

(Selbstanzeige.) 

Technik der chemischen Untersuchung des 
menschlichen Kotes. Von Freiherr Di\ v. Oefele in Bad 
Neuenahr. Leipzig 1908. Joh. Ambros. Barth. 8°. 104 Seiten. 

Preis 2,60 M. 

In der neueren Zeit ist die Untersuchung der Fäzes immer 
mehr und mehr ausgebaut worden, besonders seit A. Schmidt 
eine Methodik angegeben hat, mittels deren Störungen im Darm- 
traktus schon vor dem Auftreten klinischer Symptome erkannt 
werden können. Da auch das Mikroskop Allgemeingut der Aerzte 
geworden ist, liegt die Forderung nahe, daß jeder Praktiker, 
selbstverständlich aber der Spezialarzt mit der Untersuchung der 
Fäzes' vertraut sei. Zur raschen Orientierung über die gangbaren 
Methoden soll v. Oefeles Buch dienen; freilich wird der All¬ 
gemeinpraktiker kaum Zeit finden, eine regelrechte Stuhlunter¬ 
suchung in allen Details vorzunehmen, und so dürfte das Oefele- 
sehe Buch in der Hauptsache für den Spezialisten, insbesondere 
den, der mit einem guten Laboratorium ausgerüstet ist, bestimmt 
sein. Dem kann es aber auch angelegentlichst empfohlen sein. 
Wer chemisch arbeiten gelernt hat und seine Fäzesuntersuchungen 
an der Hand der Oefele sehen Technik anstellt, kann sagen, daß 
er alles getan hat, um zu erkennen, was bisher aus dem Kote 
erkannt werden kann. Lungwitz-Berlin. 


F. A. Hoppen ul. ß. Fischer 
Patentanwälte 

Berlin SW. 13, Neuenburgerstraße 15 

Amt IV 7IS. 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. H. Lungwitz, Berlin S. — Verlag: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Hall« *. S. 
Druck der Heynemannschen Buchdruckerei, Gebr. Wolff, Halle a. S. 


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Therapeutische Rundschau 

Wochenschrift für die gesamte Therapie des praktischen Arztes. 

Herausgegeben von 


0. Anton, A. Duhrssen, C. A. Ewald, P. Gerber, R. Robert, 
Halle a. S. Berlin. Berlin. Königsberg. Rostock. 

Ad. Schmidt, H. Schmidt-Rimpler, H. Senator, 
Halle a. S. Halle a. S. Berlin. 


Redaktion: 

Berlin S. 14, Dresdenerstr. 44. Tel. IV, 11773. 
Dr. med. et phil. H. Lungwitz. 



M. Koeppen, M. Mosse, K. Partsch, H. Rosin, H. Schlange, 

Berlin. Berlin. Breslau. Berlin. Hannover. 

R. Sommer, H. Unverricht, 0. Vulpius, 

Gießen. Magdeburg. Heidelberg. 

-^ 

Verlag u. Expedition: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung 
in Halle a. S., Reilstraße 80. 

Tel.-Adr.: Marhold Verlag Hallesaale. Fernsprecher 823. 


Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte der Ostsee und der 

Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 


II. Jahrgang. Halle a. S., 7. Juni 1908. Nr. 23. 

Die Therapeutische Rundschau“ erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2.M., einzelne Nummer 20 Pf. Bestellungen nehmen jede Buchhandlung, 
die Post, sowie tiie Geschäftsstelle: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung in Halle a. S. entgegen. Inserate werden für die 4 gespaltene Petitzeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. berechnet. Beilagen nach Uebereinkunft. Reklamezeile 1,50 M. Bei größeren Aufträgen wird Rabatt gewährt. ^ it 

Nachdruck der Original-Aufsätze ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet — Nachdruck der anderen Rubriken ist nur mit Quellenangabe gestattet 



Ist die individuelle Lebensgrenze nach oben hin 
künstlich verrückbar? 

Vorschläge zur experimentellen Inangriffnahme 
der Lösung dieser Frage*). 

Yon Dr. Tranjen, Divisionsarzt in Plewna (Bulgarien). 

Es soll hier nicht von der Verlängerung des Lehens die 
Rede sein, die man durch die Verbesserung, Vervollkommnung 
der Lebensweise des einzelnen wie der Allgemeinheit zu er¬ 
reichen sucht — von derjenigen Verlängerung des Lebens, die 
die Heilkunst, besonders die Hygiene, die sozialen Wissen¬ 
schaften, ja die ganze menschliche Kultur zu verwirklichen be¬ 
strebt sind. Denn es ist ja zweifellos, daß eine rationelle 
Lebensweise und die Schaffung besserer Lebensbedingungen 
auf die Länge des menschlichen Lebens von positivem, be¬ 
stimmendem Einfluß sind. Nur einer der unzähligen Beweise 
dafür soll hier angeführt werden: ich meine die Ergebnisse der 
Mortalitäts- und Morbiditäts-Statistik. Da sehen wir, wie in 
den verschiedenen Ländern die Lebensdauer variiert, und wie 
die mittlere Lebensdauer in den verschiedenen Berufen ver¬ 
schieden ist. Der Einfluß des Berufs, des Wohlstandes, des 
Wohnsitzes in dieser Beziehung ist so augenfällig, daß selbst 
die Lebensversicherungs-Institute, die doch nur mit realen 
Größen zu manipulieren gewohnt sind, diese Lebensbedingungen 
in ihre Berechnungen aufgenommen haben. Diese Art von 
künstlicher Lebensverlängerung also meine ich nicht. Nicht 
darum, Bewiesenes weiter zu beweisen, handelt es sich hier. 
Schon deshalb nicht, weil ja eine Lebensverlängerung, d. h. 
die Erreichung einer höheren mittleren Lebensdauer keine Ver¬ 
änderung in der Lebensgrenze bedeutet, wie aus den 
folgenden Ueberlegungen ersichtlich gemacht werden soll. Der 
Mensch — der Kürze wegen soll hier nur vom Menschen ge¬ 
sprochen werden, während unsere Ausführungen selbstverständ¬ 
lich ganz allgemein von der Tierwelt gelten sollen — der 
Mensch wird lebendig geboren, entwickelt sich, lebt sich aus, 
altert und stirbt. Vom ersten bis zum letzten Atemzuge 
dauert es verschieden lang. Die bewiesenermaßen längste Lebens¬ 
zeit ist 150 Jahre. Die mittlere Lebensdauer ist aber höchstens 
75 Jahre. Genau also die Hälfte von der möglichen Lebens- 

*) Siehe Nr. 2 dieses Jahrganges. 


dauer. Das ist denn doch wirklich grausam kurz! Es will 
dies sagen, daß der Mensch jeden Tag durch sein Verleben 
sich um das Doppelte, um zwei Tage, vulgo gesagt, abnutzt! 
Die Ursache dieser verschwenderischen Aufzehrung der eigenen 
Lebenskraft kann ja offenbar nur in den widrigen Lebensbe¬ 
dingungen gelegen sein. Worin denn anders? Die menschliche 
Forschung hat sich bis jetzt darauf beschränkt, derartige Mi߬ 
stände in den Lebensbedingungen aui'zudecken, um dann Mittel 
und Wege zu zeigen, wie dem abgeliulfen werden könnte. Das 
Ideal einer solchen Forschung wäre nun, dem Menschen zur 
Erreichung seiner natürlichen Lebemgrenze zn verhelfen, d. li. 
150 Jahre alt zu werden. Die Grenze wäre dann also wirk¬ 
lich erreicht, aber nicht überschritten, nicht nach oben 
verrückt, wie die Fragestellung dieser Abhandlung andeutet. 
Neuerdings hat es Professor Metschniko ff aus dem Pasteur- 
Institut unternommen, etwas tiefer in dieses Problem einzu¬ 
dringen. Wenn man nämlich die Ursachen der Lebensver¬ 
kürzung, die in den Mißständen der rein äußeren Lebens Verhält¬ 
nisse liegen, als exogene Ursachen bezeichnen will, so sind 
diejenigen Umstände, auf die Metschnikoff seinen Forsch erblick 
gerichtet hat, als endogene Ursachen der Lebensverkürzung 
aufzufassen. Herr Metschnikoff ist unter anderem geneigt, den 
Vorgängen im menschlichen Darm — und ganz besonders den¬ 
jenigen im Dickdarm — sowie der von ihm begründeten Phago¬ 
zytose eine hervorragende Rolle in dieser Beziehung zu¬ 
zuschreiben. Das mag ja alles richtig sein. Die Lebensver¬ 
kürzung bis auf die Hälfte des Möglichen mag ja nicht nur 
durch exogene, sondern auch durch viel intimere, endogene 
Vorgänge im menschlichen Organismus bedingt sein. Allein 
gesetzt den Fall, es gelänge uns, allen diesen Uebelständen, 
den äußoien wie den inneren, abzuhelfen, was wäre dann der 
maximale Preis? Doch wohl nur die Annäherung und Er¬ 
reichung der empirisch festgesetzten Lebensgrenze von 150 
j Jahren. Wenn dann jemand dem gewaltsamen oder durch 
gefährliche Krankheiten verursachten Tode glücklich zu ent¬ 
gehen gewußt hätte, so hätte er größere Chancen, alt, sehr alt, 
150 Jahre alt zu werden. 

Wie viele Menschen heute an Altersschwäche sterben, die 
nur 80 bis 90 Jahre alt wurden, so viele 150jährige Greise 
hätte dann die Menschheit aufzuweisen gehabt. Ein solches 
Ziel zu erreichen, hätte dem menschlichen Geiste, der mensch¬ 
lichen Forschung unbedingt viel Ehre gemacht. Würde es 
aber die Menschheit glücklicher machen? Ich glaube e^ 
nicht! Ich glaube es deshalb nicht, weil die beiden tragisch¬ 
sten Seiten des natürlichen Todes: sein unfehlbares Eintreten 
und die unzähligen Leiden seines Vorgängers, des Alt- und 
Dekrepidwerdens, zu existieren nicht aufgehört hätten! Aufge¬ 
schoben ist nicht aufgehoben! 

Was ich aber frage ist das: Ist überhaupt die Lebens- 


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grenze etwas Unabänderliches? Liegt die Ursache des aus¬ 
nahmslosen Eintritts des natürlichen Todes in den wirklich 
unabänderlichen Naturgesetzen oder nur in dem 
Gange der Entwicklung, in der Evolution des Lebens, 
und liegt mithin die Möglichkeit vor, durch Eingriffe in die 
Evolutionsbedingungen dies zu ändern? 

Trotz der alltäglichen Erfahrung vom natürlichen Tode 
des Menschen hat der Gedanke, daß er doch ewig leben 
könnte, unter den Erdensöhnen immer Verfechter gehabt. 

Den klarsten Ausdruck dafür finden wir in der alten, ehr¬ 
würdigen Bibel. Der körperliche Tod wird dort als eine für 
ein zufälliges Verbrechen verhängte Strafe geschildert, und 
wäre es nicht begangen worden, könnte derselbe menschliche 
Organismus ohne welche Umschaffung ewig leben. Aehnliche 
Gedanken finden sich in den verschiedensten Denkmälern der 
verschiedensten Weltansichten, die aber für den modernen, 
wissenschaftlich denkenden Menschen natürlich keine Beweis¬ 
kraft haben und deshalb hier nicht weiter aasgesponnen werden 
sollen. Von höchstem Interesse dagegen sind die Meinungen, 
die einige der neuzeitigen Naturphilosophen über diese Frage 
geäußert haben. Da sehen wir, daß einige den Tod des mehr¬ 
zelligen Organismus als Folge physiologischer Vorgänge an¬ 
sprechen (Butschli, Delboeuf, Tarchanoff), während 
andere ihn biologisch zu erklären suchen (Weißmann, 
Roux und Metschnikoff). Ohne hier auf die Einzelheiten 
der von den genannten Denkern und Experimentatoren ge¬ 
äußerten Theorien einzugehen, möchte ich nur auf das Wich¬ 
tigste und allen diesen Theorien Gemeinsame hingewiesen 
haben. Alle diese Gelehrten sind darin einig, daß poten¬ 
tielles Ewigleben unter den Lebewesen unserer Erde 
tatsächlich existiert. Die Träger dieser Eigenschaft sind 
die sogen, einzelligen Organismen. Die Meinungen differieren 
nur darin, wie man es sich zu erklären hat, daß diese so 
unendlich wichtige Eigenschaft den vielzelligen, also den Nach¬ 
kommen der Einzelligen, verloren gegangen ist. Da gibt’s nun 
allerdings recht viele, der scharfen Kritik mehr oder weniger 
standhaltende Hypothesen und Theorien. Von besonderem 
Interesse ist die wohlbegründete Ansicht Weiß man ns, daß 
es auch im Organismus des Vielzelligen Zellen gibt, die als 
Träger dieser Qualität des Ewiglebens anzusehen sind, näm¬ 
lich die Fortpflanzungszellen: der Samen und das Ei, 
die ihr kontinuierliches Leben selbst beim Menschen von Adam 
und Eva bis auf den jüngsten Tag fortsetzen. 

Man sieht nun klar, daß die Frage des obligaten Todes 
eines jeden Lebewesens nicht zu den müßigen, metaphysischen 
Denkübungen gehört, sondern daß wir von den Geheimnissen 
<Fr Natur schon so viel aufgedeckt haben, daß man es wagen 
dürfte, dieser Fiage wissenschaftlich näher zu treten, ohne als 
Fhantast zu gelten. Der moderne Mensch, unter dem Zeichen 
der Evolution und der „Umwertung aller Werte“ lebend, der 
sich tausendfach von der Haltlosigkeit des geisteslähmenden 
Dogmas, von der fatalen Unabänderlichkeit der Existenzformen 
in der Natur überzeugt hat, muß notgedrungen sich auch mit 
der Frage der Obligität des natürlichen Todes ernstlich be¬ 
schäftigen. 


Jeder mehrzellige Organismus, ohne Ausnahme, hat eine 
beschränkte Existenzzeit mit dem Tod als Endpunkt. Das ist 
einmal Tatsache. Eine solche allgemeine, naturgesetzähnliche 
Erscheinung muß auch ihre tiefen, gebieterischen Ursachen 
haben. Welches sind nun die Ursachen, daß es so ist und 
nicht anders? Denken wir uns die Kräfte, Gesetze und Materie 
der Natur als ein — sit venia verbo — Tasteninstrument, als 
ein Piano. Dies Kosmospiano hat nun sehr viele Tasten und 
Pedale, so daß der Künster und Komponist auf diesem Instru¬ 
ment so gut wie unbeschränkt alle seine Gedanken und 
Melodien zum Ausdruck bringen kann. Und nun fände sich 
ein gewisser Akkord ausnahmslos in allen, auch den ver- 
wickeltsten Kompositionen, während bewiesen ermaßen auch 
andere, ja entgegengesetzte Akkorde kombinier- und aus¬ 
führbar sind. Würden wir darüber nicht erstaunt sein? Dieser 
Akkord, dieser Sterbeakkord klingt uns nun immer entgegen 


in allen vielzelligen Organismen, während gleichzeitig- diejUfi--' 
Sterblichkeit der Einzelligen, ja _ eines gewissen Bestandteiles 
der Vielzelligen verhöhnend in unsere sterblichen, sonst so 
weitsichtigen Augen schaut! ■ 

Man braucht sich nur vorzustellen, daß die einzellige 
Mutterzelle bei ihrer Teilung auch ihr individuelles Bewußtsein, 
ihr Gedächtnis den Tochterzellen weitergibt, daß das be¬ 
fruchtete Ei der Vielzelligen ihr phylogenetisches Gedächtnis 
auch auf die individuellen Erlebnisse aller seiner Vorfahren 
ausbreitet. Hätten wir denn dann nicht unsterbliche Lebewesen 
vor uns? Wenn das befruchtete Ei auf den neu entstandenen 
Organismus nicht nur die bis zum Unbewußten fixierten Eigen¬ 
schaften, sondern auch das persönliche Bewußtsein der Erzeuger 
übertrüge, so gäbe es nach unseren Begriffen gar keinen Tod! 
Adam und Eva hätten dann unzählige Erneuerungen, ich 
möchte sagen, Ueberhäutungen erlebt, ohne auch nur einmal zu 
sterben, im Gegenteil sich immer vervielfältigend. Wenn nun 
aber trotz allem der natürliche Tod allen vielzelligen Lebe¬ 
wesen eigen ist, so kann der darwinistisch Denkende dies nur 
damit erklären, daß derselbe irgendwie dem großen Schaffen 
der Natur Nutzen bringen muß oder wenigstens nicht schadet, 
so daß sie es nicht nötig hat, abwehrende Schutzvorrichtungen 
gegen den Tod bei ihren Kreaturen auszuzüehten. Das wäre 
denn sozusagen die Logik des Todes, der Sinn der Indi¬ 
viduenvernichtung. In der Tat *sind die Anschauungen 
aller namhaften Evolutionisten, wie H. Spencers, Haeckels 
und vor allem Weißmanns dahingehend, daß der Tod des 
Individuums ein Hauptfaktor in der Vervollkommnung und 
Erhaltung der Art sei. Der Tod wird als einer der höchsten 
Formen der Anpassung der Arten an die Evolution betrachtet. 
Zu langes Leben würde den Fortschritt aufhalten und die 
Zuchtwahl im Kampfe ums Dasein hemmen. Der Tod fegt die 
Schwachen und die Mißgebildeten hinweg, entfernt rechtzeitig 
alles' Morsche, Ablebende und bewacht damit strenge die 
Interessen der Nachkommen, der Arten. Ohne den Tod würde 
unsere Erde von den häßlichsten, unvollkommensten Urtieren 
überfüllt sein, und ein gedeihlicher Progreß wäre schlechter¬ 
dings unmöglich. 

Diese und jede ähnliche Erklärungsweise gibt also still¬ 
schweigend zu, daß der Tod seine Ursache nicht in der Ur¬ 
eigenschaft der Materie hat. Nicht, daß aus den in der Natur 
vorhandenen Elementen und ihren Wechselbeziehungen poten¬ 
tiell ewig lebende Tiere nicht zu erschaffen wären, sondern 
der Tod ist das Opfer, das das Individuum seiner Art bringen 
muß, um die Vervollkommnung, Veredelung der letzten zu 
ermöglichen. Für die erwähnte Motivierung des Todes 
sprechen in der Tat viele fundamentale biologische Er¬ 
scheinungen, die nur so zu erklären sind, daß die Natur im 
Interesse der Erhaltung und Verbesserung der Arten das 
einzelne Individuum ohne jeden Skrupel aufopfert. Das Indi¬ 
viduum ist für sie von Wert nur als Träger seiner Fort¬ 
pflanzungsfähigkeit, d. h. als Arterhalter. Zärtliche Aufmerk¬ 
samkeit und strenge Ueberwachung des Wohlergehens genießt 
das Individuum seitens der Natur nur, solange sie seiner für 
den Zweck der Arterhaltung nötig hat, um nachher es mit 
recht unsanften Fußtritten in das kalte Grab, in die Ver¬ 
nichtung zu treiben. 

Bei den niederen Tieren stirbt sehr häufig das Individuum 
sofort oder kurze Zeit nach Erfüllung seiner Fortpflanzungs¬ 
mission. Bei höheren Tieren, bei denen die jungen Nach¬ 
kommen kürzere oder längere Zeit der aufmerksamen Fürsorge 
und Anleitung der Ausgewachsenen nicht entbehren können, 
dauert das individuelle Leben im allgemeinen nach seiner er¬ 
langten Geschlechtsreife kürzere oder längere Zeit. 

Um die Erhaltung der Art unter allen Umständen im 
Kampf ums Dasein möglichst zu sichern, bedient sich die 
Natur auch der Massenproduktion: entweder daß auf einmal 
sehr viele Individuen erzeugt werden, oder daß der geschlechts- 
reife Zustand lange anhält, oder endlich, daß das Individuum 
seinesgleichen lange Zeit hindurch und viele auf einmal er¬ 
zeugt, eine Vereinigung der ersten beiden Möglichkeiten. Wir 
finden deshalb aui unserer Erde Lebewesen, die sich in einigen 
Stunden vertausendfachen und ebenso rasch verschwinden, 


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1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


367 


solche, die in Jahrhunderten nur einige Exemplare repro¬ 
duzieren, und andere wieder, die, wie die Fische im Meere, 
lange Zeit hindurch und in ungeheurer Zahl sich vermehren. 
Je nach der Fortpflanzungsweise einer Tierart sind die Be¬ 
dingungen ihrer Existenz und ist auch das Leben ihrer 
Individuen reguliert und seine Dauer abgemessen: einige 
Stunden bei den Eintagsfliegen bis Jahrhunderte bei manchen 
Vögeln und Dickhäutern. 

Wenn man nun aus diesen biologischen Erscheinungen 
schließen muß, daß das Individualleben strenge den For¬ 
derungen der Artinteressen untergeordnet ist, so erscheint es 
fast selbstverständlich folgerichtig, daß man das Finalphänomen 
desselben, den natürlichen Tod, auch mit den Forderungen 
der Arten in Zusammenhang bringt, indem man den Tod 
als Hauptfaktor bei deren Vervollkommnung und Anpassung 
hinstellt. 

Das Leben des Individuums kann man in drei Phasen ein¬ 
teilen und zwar: die Zeitperiode bis zur Pubertät; die Phase der 
Fortpflanzung, die auch die variable notwendige Zeit zum 
Auf- und Erziehen der erzeugten Nachkommen einschließt, und 
die Phase des Ablebens, der Involution, des Todes. Diese drei 
Phasen sind allen geschlechtlich sich fortpflanzenden Tieren 
ohne Ausnahme gemein, während die Art und Weise, wie diese 
Phasen sich ab wickeln, nach Zeit und Form sich außerordent¬ 
lich voneinander unterscheiden und den Lebensbedingungen 
der Arten angepaßt sind. Wie sind nun diese Phasen bei dem 
uns besonders interessierenden Geschöpf, beim Menschen, aus¬ 
gebildet? Die erste Phase dauert rund 15 Jahre, in welcher 
Zeit die Geschlechtsreife erreicht ist; die zweite Phase, in 
welcher der Mensch ganz für die Interessen der Fortpflanzung 
und die Erhaltung der Erzeugten lebt, dauert etwa dreißig Jahre, 
also bis zum 45. Lebensjahre; vom 45. Lebensjahre fängt die 
letzte Phase, die Phase des Ablebens, des Todes an und dauert 
25 bis 30 Jahre, also durchschnittlich bis zum 70. bis 75. Lebens¬ 
jahre. Der Mensch also entwickelt sich 15, betätigt sich 30 
und verbringt 25 bis 30 Jahre in allmählichem Sterben. Die 
Natur hat, um ihren Zweck, die Erhaltung der Art zu er¬ 
reichen, mit dem menschlichen Individuum ein böses Spiel ge¬ 
trieben, hat es schlau und hinterlistig mit Illusionen und Schein¬ 
glück genährt, um es schließlich nach Erreichung ihres Zieles 
schutzlos und unbeschreiblich grausam den Qualen des dreißig¬ 
jährigen Todes zu überlassen. Da sind doch wahrlich die 
vielen niedrigen Lebewesen, die fast momentan nach Vollendung 
ihres Fortpflanzungsaktes, wohl noch in von Liebeslustgefühlen 
seligem Zustande sterben, von uns Menschen sehr zu be¬ 
neiden. 

Das menschliche Individuum wird von der Natur nur 
„lebensfähig“ zur Welt gebracht, aber es kann ja nur dann 
wirklich leben, wenn die Eltern ihre Ruhe und Lebenslust 
opfern, um ihr Kind vor den unzähligen Gefahren, die das 
zarte Wesen umgeben, zu bewahren. Innere Schutzkräfte und 
Anpassung sind beim menschlichen Kind mangelhaft ausge¬ 
bildet. Für die mörderischen Kinderkrankheiten ist ja dieses 
zarte Alter geradezu prädisponiert. Die Kindersterblichkeit ist 
auch deshalb trotz der rationellsten Nachhilfe der weitvorge¬ 
schrittenen Wissenschaft noch immer ungeheuer hoch, durch¬ 
schnittlich 40 bis 50 Prozent. Die Natur, die immer in der 
Richtung des geringsten Widerstandes arbeitet, hat es vorge¬ 
zogen, dem erwachsenen Menschen die Sorge des Aufziehens 
seiner Jungen zu überlassen, indem sie ihm die Mutter- und 
Vaterliebe anzüchtete, als die Kleinen selbst widerstandsfähiger 
zu machen. Zur größeren Sicherheit hat sie uns fürsorglich 
mit größerem Kindersegen bedacht. Das hat die Natur wahr¬ 
lich nicht aus Mangel an anderen Möglichkeiten so einge¬ 
richtet, denn daß sie auch widerstandsfähige Junge in ihrem 
Arsenal herzustellen vermag, beweisen uns viele Tierarten, 
deren Junge sehr bald nach ihrer Geburt selbständig mit Erfolg 
den Kampf ums Dasein aufzunehmen imstande sind, — und 
dabei nicht so geschwisterreich wie der Mensch sind. Aber, 
wie gesagt, die Natur zog es vor, in der Richtung des ge¬ 
ringsten Widerstandes zu arbeiten, der hohen Intelligenz und 
Sentimentalität des Menschen hat sie die Sorge um das Wohl¬ 
ergehen seiner Brut anvertraut, um sich der mühevolleren 


Arbeit des Widerstandsfähiger-Machens derselben zu entziehen. 
Nur dort, bei den Tierarten, wo dies nicht anging, bequemte 
sie sich dazu, die Jungen in viel vollkommenerer Ausrüstung 
zur Welt zu bringen. 

Was die zweite Phase, die Phase der Fortpflanzung, die 
Phase des eigentlichen Lebens anbetrifft, so ist dieselbe 
wiederum fast ausschließlich den Interessen der Art zum 
Leiden des Individuums angepaßt. Der Jüngling entflammt in 
Liebe, die unbewußte Erotik hält ihn vollständig gefangen. Er 
irrt wie ein Nachtwandler träumerisch herum. Sein ganzes 
Wesen wird von der zehrenden Sehnsucht nach dem Weibe 
beherrscht Er sucht, wie er fanatisch glaubt, nach seinem 
individuellen Glücke. Ihm entgegen kommt die Jungfrau, die 
Natur hat ihr den Hochzeitsschmuck angelegt. Alles an ihr 
ist reizend und berauschend: die Gestalt, die Formen, der 
Gang, das Lächeln, die zarte Haut, das wallende Haar, der 
verschleiert flammende Blick voll Hingebung und Verheißung. 
Der eroberungssüchtige Jüngling und die ergebungslustige 
Jungfrau treffen sich; aus denen wird ein Romeo und eine 
Julia, und beide glauben, ihr Lebensglück gefunden zu haben. 
Die Seligkeit der Liebenden währt aber recht kurze Zeit. 
Denn kaum ist durch die Konjugation für die Erhaltung des 
Homo sapiens gesorgt, so wendet sich das Blatt: die Natur, 
die bis jetzt für das Pärchen so zärtlich, mütterlich sorgte, 
wendet ihm nun den Rücken. Besonders grausam behandelt 
sie das Weib. — Es ist selbstverständlich nur von den Natur¬ 
menschen die Rede. — Der Jüngling fühlt sich bald über¬ 
sättigt, enttäuscht, verläßt seine Herzensdame, um sich bald 
einer anderen anzuschließen, bei der es ebenso endet wie bei 
seiner ersten Geliebten. So geht es immer weiter, bis er 
endlich seiner Anziehungskraft für das Weib verlustig ge¬ 
gangen ist. Er versucht wohl noch einige Zeit mit Gewalt 
das schwache Weib gefügig zu machen, bis er selbst entkräftet 
vom Weibe abfällt und in die Phase des Ablebens hinüber¬ 
gleitet. 

Der Jungfrau aber geht es viel schlimmer. Die Schwanger¬ 
schaft ist von vielen unangenehmen Sensationen begleitet: 
Magenschmerzen, Leibschmerzen, vermehrte Absonderung der 
verschiedenen Drüsen etc. etc. Das blühende, anziehende Ge¬ 
sicht wird blaß, gedunsen, der graziöse Körperbau ist dahin. 
Verschiedene Flecke und Verfärbungen treten am Gesicht und 
an anderen Körperteilen auf, so daß alle Schwangeren viele 
von ihren Reizen verlieren und manche geradezu ein ab¬ 
stoßendes Aussehen bekommen. Die Geburt selbst geht unter 
Schmerzen und Säfteverlusten einher. Das Stillen bringt ihr 
weitere Beschwerden und Sorgen, Abmagerung und Schwäche. 
Früher oder später erholt sie sich, gewinnt zum Teil ihre 
Reize wieder, um abermals denselben bitterbösen Zyklus 
durchzumachen, was sie immer mehr herunterbringt und ver- 
häßlicht. Es soll auf einen Vorgang während der Fruchtbar¬ 
kei tsperiode des Weibes, der sehr charakteristisch für die 
Stiefmiitterlichkeit der Natur ist, hingewiesen werden: während 
nämlich im allgemeinen das Weib eine wenig ausgebildete 
Libido sexualis besitzt (nach manchen Autoren sollen 40 Prozent 
Frauen Gleichgültigkeit empfinden', stellt sich in der zweiten 
Hälfte dieser Periode im vierten Lebensdezennium ein ver¬ 
stärktes Bedürfnis nach geschlechtlichem Umgang ein. Es ist 
dies das sogen, tragikomische Balzacsche Alter. Zu dieser 
Zeit aber ist die Frau schon eine halbe Ruine. Sie muß dann 
ihre ganze natürliche und erkünstelte Koketterie anwenden, 
um den Mann zu verführen. Weiter: In der Mitte der vierziger 
Jahre fängt die Menopause an. Da kommt wiederum eine 
ganze Serie der klimakterischen Beschwerden an die Reihe, 
um endlich das Weib in die Involutionsphase, in den langsamen 
Tod hinüberzuführen. Muß alles das so sein? Konnte es die 
Natur aus Mangel an Mitteln nicht anders schaffen? Das Tier- 
und das Vogelreich geben uns genug überzeugende Beispiele, 
um diese Frage zu beantworten. Da finden wir angeborene 
Treue der Männchen, sich immer erneuernde Hochzeits¬ 
gewänder, schmerzloses, ja lustvolles Auf- und Erziehen der 
Brut, worin sich Männchen und Weibchen gern liebevoll 
teilen, und wobei keine Spuren von Qualen und Leiden, die sich 




Original from 

HF Mlr"Hir«A M 




dem Fortpflanzungsgeschäft beimischen, wahrzunehmen sind. 
Warum also diese Grausamkeit dem Menschen gegenüber? 

Blicken wir nur etwas tiefer in dieses Treiben der Natur 
hinein, so werden wir uns leicht überzeugen, daß auch hier 
die individuellen Interessen denjenigen der Art geopfert sind, 
um mit möglichst geringer Mühe ihre Erhaltung sicher zu 
stellen. Die Anhänglichkeit der Frau, die Flatterhaftigkeit des 
Mannes, die Verhäßlichung der Frau, das späte Erwachen der 
Libido usw. dienen nur den Artinteressen. Wie bewiesener¬ 
maßen diejenigen Blumen am sichersten von einem Insekt be¬ 
fruchtet werden, die ihren Kelch mit dem Honig nur für eine 
bestimmte, eng begrenzte Insektenart eingerichtet haben und 
für andere unzugänglich sind, so sichert auch die Treue des 
Weibes, ihr wählerisches Naturell am besten ihre Fruchtbar¬ 
keit, und ein mono- oder oligo an drischt? angelegtes Weib sorgt 
besser für die Erhaltung der Art als das polyandrische. (Geringe 
Fruchtbarkeit der puellae publicae!) Daß dieses nicht gegen¬ 
seitige Gefühl dem treuen Weibe Sorgen und Erniedrigungen 
bereitet, schadet offenbar der Arterhaltung weiter nicht. 

Ganz ebenso kann die Don Juan-Art des Ur-Romeo augen¬ 
scheinlich der Vermehrung nur nützlich sein. Da weiter 
Exzesse in venere der Mütter für die Entwicklung der Frucht 
oft schädlich sind, so muß die Verhäßlichung in der Schwanger¬ 
schaft für die Leibesfrucht nur nützlich sein. Dasselbe gilt 
von der Laktationsperiode für die Ernährung des Säuglings. 
Statt das Weib nun wieder mit allen seinen Reizen ad inte¬ 
grum herzustellen und ihm das Hochzeitsgewand der Jungfrau 
immer aufs neue zu beschaffen, hat es die Natur vorgezogen, 
weil es wohl leichter zu erreichen war, seine Libido zu stei¬ 
gern, Koketterie ihm anzuzüchten, um für weitere Artvermeh¬ 
rung zu sorgen. 

Alle Momente des Fortpflanzungsgeschäfts beim Weibe 
schmerzlos zu machen, müßte sehr schwer zu erreichen sein, 
weil es sich da meistens um wirkliche Traumen handelt. Da 
aber nun diese Qualen die Frucht nichts angehen, so braucht 
sich die Natur einfach nicht viel darum zu kümmern: ein 
etwas abgeschwächtes Gedächtnis für diese Leiden ist mit der 
natürlichen Anhänglichkeit und erhöhten Libido offenbar zur 
Sicherung des Rezidivierens genügend. Für das Klimakterium 
und seine Beschwerden, die zur Zeit auftreten, zu welcher das 
Individuum aus seinem Artdienste entlassen wird, zu sorgen, 
wäre ein Luxus, den sich die äußerst sparsame, ja geizige 
Natur niemals erlauben würde. Und wie die schwarze Farbe 
des Raben nicht deshalb entstanden ist, weil die Natur in 
ihrem Atelier keine helleren Farben hat — denn ihre bun¬ 
testen und prachtvollsten Farbenspiele treffen wir ja auf jedem 
Sch litt und Tritt —, sondern wie der Rabe nur deshalb 
schwarz ist, weil ihm diese Farbe in seinen Lebensbedingungen 
am nützlichsten ist, so hätte auch uns die Natur ganz anders 
geschaffen, sie hätte uns ganz anders ausgezüchtet, wenn sie 
es müßte, wenn unsere Lebensbedingungen entsprechend andere 
wären. Auf diese Art und Weise sind wir Menschen um 
vieles Glück in dieser Lebensphase gekommen. 

(Schluß folgt.) 


Neuere Richtungen in der gynäkologischen Therapie. 

Von Dr. Ö. Tuszkai, Marienbad und Budapest. 

(Schluß.) 

Neu und interessant ist die Anwendung der Vibration 
in der Frauenheilkunde, welche in zwei Richtungen zur Gel¬ 
tung kommt, und zwar vom Gesichtspunkte der Diagnose und 
der Therapie aus. 

Lange Zeit, Jahre hindurch müssen wir uns mit der Vibra¬ 
tionsmassage beschäftigen, um wirklich reichlichen Nutzen bei 
der ganzen Gruppe der Frauenleiden zu erzielen. Im Laufe 
einer langen Zeit wird es uns möglich sein, uns die feinen 
Nüancen der Methode anzueignen, wir sind imstande, mit der¬ 
selben zu individualisieren. Den beston Dienst leistet die Mas¬ 
sage mittels des Vibrationsapparates bei Behandlung der bei Frauen 
so oft bestehenden Obstipation, und ich kann es behaupten, 


daß ich heutigen Tages keine anderer Methode -und kein Mbit- 
kament kenne , welche an Sicherheit und Dauerhaftigkeit 
der Wirkung der Vibrationsmassage gleich kämen, und, Vas die 
Hauptsache ist, welche absolut keine unangenehmen Neben¬ 
wirkungen zeigten. 

Die Anwendung geschieht derartig, daß ich die Kugel des 
Zentrifugalvibrators auf das rechte Hypochondrium des rück¬ 
lingsliegenden Kranken anlege. Hier halte ich dieselbe 
einige Sekunden, - um darauf das Kolon aszendens, sodann 
den queren, endlich den absteigenden Teil des Kolons mit 
gleichmäßigen Vibrationsbewegungen zu massieren, zirka 
zehnmal. Danach wiederhole ich, die Blasengegend stets über¬ 
springend, diese Prozedur 10- bis lömal, während die Beine 
zur Erschlaffung der Bauchdecken in Flexion gehalten werden. Nun 
appliziere ich den größten, sogen. Abdominalkurbel in der Regel 
in gerader Stellung auf die schlaffen Bauchdecken, so daß der 
obere Abschnitt des Konkussors den Nabel erreicht. Zumeist 
drücke ich tiefer während der Exspiration ein, bis ich die 
Gegend des Plex. solar, zu erreichen glaube. Nun schließe 
ich den elektrischen Strom und vibriere 3 bis 5 Minuten. Es 
ist ratsam, dieses Verfahren täglich nacheinander 10- bis 15mal 
zu wiederholen und der Patientin während dieser Zeit jedwedes 
Laxiermittel zu verbieten und sie, soweit es möglich ist, zu 
einer gemischten, sogar groben Kost anzuhalten. In dieser 
Weise scheint ein seit 15—20 Jahren vorhandenes Leiden bereits 
nach zwei- oder dreimaliger Wiederholung der Vibration zu ver¬ 
schwinden, die Entleerung des Darmes wird durch reichliche 
und schmerzlose Defäkationen alsbald eine ordnungsmäßige. — 
Zuweilen sind wir gezwungen, die Patientin länger zu behan¬ 
deln, ein andermal sind weniger Behandlungen auch schon 
von Erfolg begleitet, doch weiß ich kaum einen Fall, wo ich 
mit dieser Methode keinen guten Erfolg erzielt hätte. 

Ebenso ist die Vibrationsmassage ein ausgezeichnetes 
Hilfsmittel bei Stärkung der Uterusligamente, bei chron. Atonie 
des Uterus sowie bei chron. Metritis. Mit Ausdauer verwendet, 
leistet die Methode bei Hypoplasie gute Dienste, macht einer 
mit diesen Zuständen einhergehenden Anämie, Sterilität oft 
ein Ende. Dieser Apparat ersetzt gleichfalls beim Massieren 
von Beckenexsudaten mit Erfolg die äußere Hand; ich wende 
bei dem erwähnten Leiden überhaupt nur mit bimanuellem Kunst¬ 
griffe die Vibration an. Mit der linken Hand nämlich 
unterstütze ich die inneren Genitalien, mit der rechten leite 
ich den Zentrifugalvibrator resp. den aq diesen angeknüpften 
Konkussor. In vielen Fällen wendete ich diese Methode zur 
Kräftigung des reponierten und mit Hilfe eines Ringes fixierten 
Uterus und seiner Adnexe an, indem ich eine regelmäßige 
Hyperämie hervorrief, und ich bekam den Eindruck, daß die 
Kranken es dieser Behandlung zu verdanken haben, den Ring 
nach verhältnismäßig kurzer Zeit (nach zwei bis vier Monaten) 
entbehren zu können, wobei oft auch das mit dem Uterus des- 
zendierte Ovarium reponiert wurde. Sehr interessant ist die 
Anwendung der Vibration auch zu diagnostischen 
Zwecken, worüber ich diesen Ortes nicht sämtliche Details' 
mitteilen kann; ich bin aber überzeugt, daß diese diagnostische 
Methode in einigen komplizierten Fällen eine nicht zu unter¬ 
schätzende Zukunft und Wichtigkeit habe. Wenn wir z, B. den 
winkelig gebogenen großen abdominalen Konkussor auf die 
Blasengegend setzen und mit der inneren Hand das Vibrieren 
der Kleinbeckenorgane fein beobachten, bemerken wir alsbald, 
daß die zitternde Bewegung des härteren Uterus von gleich¬ 
mäßiger Konsistenz sich wesentlich von dem gleichzeitigen 
Vibrieren der hinter dem Uterus liegenden Neubildungen unter¬ 
scheidet. Ein härteres, fixiertes Exsudat läßt ein ganz anderes 
Vibrieren empfinden als ein retroflektiertes Myom. Unter 
den Myomen können wir gestielte, größere Mobilität besitzende 
und weniger bewegliche, eingekeilte, kurzgestielte oder murale 
Fibromyome unterscheiden. Eine eigenartige Vibrations- 
empfindung verursacht eine schlaffwandige Cyste im 
Par ametrium; sie ist different von derjenigen mit gespannter 
Wand, so daß derartige Neubildungen nebeneinander bei etwas 
Uebung ganz leicht zu unterscheiden sind, während dies mit 
den bisherigen Untersuchungen durch einfaches Tasten unmög¬ 
lich wa*r, 


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1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


371 


Sinken der Temperatur, Nachlaß der Schmerzen und Hebung 
des Allgemeinbefindens. Mit drei Injektionen, welche einen 
um den anderen Tag gemacht wurden, war völlige Ent¬ 
fieberung und Rückgang der lokalen entzündlichen Erschei¬ 
nungen erzielt. Zur Nachbehandlung ließ ich noch eine Schmier¬ 
kur mit Unguentum Cred6 machen und zwar so, daß ich noch 
drei Wochen lang zweimal wöchentlich 3 g in der bekannten 
Art und Weise in den Rücken verreiben ließ. 

Bei fünf Fällen von Parulis gelang es bei zwei Fällen im 
allerersten Stadium, den Prozeß durch lokale Anwendung von 
Alkoholsilbersalbe zu kupieren. In den übrigen drei Fällen 
war es schon zur Eiterbildung gekommen, aber immerhin war 
ich in der Lage, durch energische Einreibungen mit Unguentum 
Crede in den Nacken den Prozeß wesentlich einzuschränken 
und abzukürzen. 

Die Erkenntnis, daß Magen- und Darmatonie, Magen¬ 
ervveiterung und Enteroptose bei der Entstehung der neural¬ 
gischen und neurasthenischen beziehentlich hysterischen Er¬ 
krankungen eine große ursächliche Rolle spielen, dringt immer 
mehr durch. Immer mehr kommt man zur Ueberzeugung, daß 
die meisten Nervenkrankheiten bedingt sind durch Autointoxi¬ 
kationen, die vom Magendarmkanal ausgehen. In dieser Er¬ 
kenntnis habe ich seit einigen Jahren angefangen, Collargol 
oder Lysargin per os zu reichen, um auf diese Weise die Bil¬ 
dung von Giften im Magendarmkanal — durch Fäulnis des 
stagnierenden Inhalts — zu verhindern. Unter den oben ge¬ 
nannten 63 Fällen befinden sich fünf Fälle, bei denen es sich 
um Erscheinungen von Autointoxikationen, die durch motorische 
Insuffizienz des Magens und Darms entstanden waren, handelt. 
Die Symptome bestanden in Magenschmerzen, Schwindel, Kopf¬ 
druck, Neuralgien, Appetitmangel, Aufstoßen und Flatulenz. In 
allen fünf Fällen gingen diese Erscheinungen nach Gebrauch 
des kolloidalen Silbers zurück, um sofort nach Aussetzen der 
Medikation wiederzukehren. Es ist selbstverständlich, daß zu 
der Darreichung des Collargols oder Lysargins noch eine Be¬ 
handlung der Grundursache, der Atonie treten mußte, um einen 
dauernden Erfolg zu erzielen. Ich pflege in solchen Fällen 
zunächst den galvano-faradischen Strom anzuwenden, um dann 
später die erschlafften Baucheingeweide durch meinen Heft¬ 
pflasterverband „Simplex 11 oder meine Leibbinde „Unicurn“ 
zu stützen und ihnen wieder ein Hypomochlion zu geben. 

Zweimal war ich in der Lage, das kolloidale Silber bei 
einem Abort anwenden zu können. In beiden Fällen handelte 
es sich um einen Abort im vierten Monat, in beiden Fällen 
setzte am fünften Tage nach dem Abort hohes Fieber ein. In 
dem einen Falle genügte eine intravenöse Injektion von 0,2 g 
Lysargin und zwei Einreibungen von je 3 g Unguentum Cr ed 6, 
um die bis 39,8 0 C gestiegene Temperatur dauernd zur Norm 
zurückzuführen und vollkommenes Wohlbefinden zu erreichen. 
Im zweiten Falle war die Temperatur ebenfalls hoch, bis 
40,2 Ü C, gestiegen. Die erste intravenöse Injektion von 0,2 
Collargol brachte einen Temperaturabfall auf 37,4° C. Nach 
etwa 18 Stunden stieg die Temperatur wieder auf 39,3° C. 
Eine nochmalige intravenöse Injektion von 0,15 Collargol 
brachte dauernde Entfieberung, Wohlbefinden und Heilung. 

Aufschläge mit einer Collargollösung 1 :1000 leisteten mir 
gute Dienste bei einem Ulkus kruris eines alten Mannes mit 
sehr fötidem Geruch. 

Ein chronisches, speckig-eitrig belegtes Geschwür der 
Wange heilte sehr schnell nach Anwendung eines Verbandes 
mit Lysargin salbe. In einem Falle von Vereiterung eines 
Klavus der kleinen Zehe bei einer 70jährigen Frau, bei dem 
bedeutende Schwellung des Fußes und des Unterschenkels als 
Zeichen beginnender Phlegmone aufgetreten war, erzielte ich 
mit Anwendung der Alkoholsilbersalbe schnellen Nachlaß sämt¬ 
licher Erscheinungen. 

Gleich günstig wirkte die Alkoholsilbersalbe in dem Falle 
einer Dame, bei der ein kurpfuschender Heilgehilfe einige 
Warzen so gründlich weggeätzt hatte, daß stark schmerzende, 
kraterförmige, eiternde Geschwüre entstanden waren. In diesem 
Falle wurde die schmerzstillende Wirkung der Alkoholsilber¬ 
salbe sehr wohltuend empfunden. 


Mit Alkoholsilbersalbe lokal und mit Unguentum Crede 
allgemein behandelte ich einen Fall eines 49 jährigen Stein¬ 
metzen, bei dem ein durch Trauma entstandenes Geschwür des 
Handrückens eine nicht unbedeutende Lymphangoitis des Arms 
verursacht hatte. Heilung in fünf Tagen. Von Phlegmonen 
hatte ich noch Gelegenheit, 14 zu behandeln. In neun von 
diesen Fällen handelte es sich um leichte, eben beginnende 
Fälle nach kleinen Verletzungen. Hier genügte ein Verband 
mit Alkoholsilbersalbe, um meist in drei bis vier Tagen Heilung 
zu bringen. In vier mehr vorgeschrittenen Fällen mußte ich 
zur Credeschen oder auch zur Lysarginsalbe behufs Schmier¬ 
kur greifen, und in einem Falle kombinierte ich wegen seines 
bedrohlichen lokalen Charakters die lokale mit der Allgemein¬ 
behandlung. 

Daß die Alkoholsilbersalbe übrigens auch bei Quetschungen, 
Zerrungen und Verstauchungen eine gute schmerzstillende und 
entzündungswidrige Eigenschaft hat, habe ich in zwei Fällen 
erfahren. Nach einer heftigen Quetschung des Vorderarms 
war eine Periostitis der Ulna entstanden, die nach Anwendung 
der genannten Salbe in kurzer Zeit zurückging. 

In einem Falle von beginnender Peritonitis bei Cholelithiasis 
erzielte ich Heilung durch Darreichung des Collargols per os. 
Viermal hatte ich Gelegenheit, das kolloidale Silber bei Peri¬ 
typhlitis anzuwenden. In drei schweren Fällen mit Temperatur¬ 
steigerungen bis zu 38,8 n C ließ ich fünf bis sieben Dosen 
Ungt. -Crede von 3 g in die Oberschenkel verreiben, um dann 
zur Nachbehandlung Collargol per os zu geben. In einem 
leichteren Falle gab ich von Anfang an Lysargin per os. Alle 
vier Fälle gingen in Heilung aus. 

Ich habe schon an anderer Stelle*) hervorgehoben, welche 
ausgezeichneten Dienste mir das kolloidale Silber bei Augen¬ 
verletzungen , mit denen ich sehr häufig zu tun habe, leistet. 
Trotzdem daß fast in allen Fällen von unsauberen Händen 
Versuche gemacht waren, die Fremdkörper zu entfernen, gelang 
es in allen sechs Fällen von Verletzungen der Kornea, glatte 
Heilung zu erzielen. Bei einzelnen Fällen lagen recht ausge¬ 
dehnte Verletzungen vor. Die Behandlung bestand in Aus¬ 
waschung des Auges mit Collargollösung 1 :1000 und feuchtem 
Verband, der mit der gleichen Lösung getränkt war. 

Dreimal hatte ich Gelegenheit, die prompte Wirkung des 
Unguentum Crede auf das Erysipel zu beobachten. Man 
könnte das kolloidale Silber geradezu als Spezifikum gegen 
Erysipel bezeichnen, so schnell und sicher tritt die Wirkung 
ein. Gewöhnlich genügt eine Einreibung von 3 g Ungt. Crede 
bei Erwachsenen, um das Erysipel zu kupieren. Bei Parotitis 
epidemika habe ich das kolloidale Silber zweimal anwenden 
können, und ich glaube im Vergleich zu den nicht behandelten 
Fällen den Verlauf doch wesentlich abgekürzt zu haben. 

Wie ich schon in meinen früheren Veröffentlichungen über 
kolloidales Silber erwähnt habe, habe ich den Eindruck — 
beweisen läßt sich das kaum —, daß auch bei Infektionskrank¬ 
heiten, namentlich bei Typhus abdominalis und bei Pneumonie, 
das Argentum kolloidale einen abkürzenden und den Krankheits¬ 
verlauf mildernden Einfluß hat. 

Zwei Fälle von Abdominaltyphus und eine Pneumonie 
haben mich in der Ansicht bestärkt, daß einige Einreibungen 
mit Unguentum Crede im ersten Beginn dieser Krankheiten 
geeignet sind, den Verlauf günstig zu beeinflussen. 

Nur in einem Falle von Metritis und Endometritis hatte 
ich Gelegenheit, durch Einführung von Collargolstäbchen nach 
stattgehabtem Kurettement den Verlauf abzukürzen gegenüber 
der sonst üblichen Behandlung mit Playfair und Karbolspiritus. 

Zum Schluß möchte ich noch einen Fall einer frischen 
Verletzung anführen, der mir geeignet erscheint zu zeigen, 
w r elche entwicklungshemmende Kraft das Argentum kolloidale 
besitzt. Ein Arbeiter verletzt sich die rechte Hand dadurch, 
daß ein Sprengschuß, den er zum Sprengen eines Steines o-e- 
legt hat, zu früh losgeht. Der ganze Daumenballen und die 
Weichteile des zweiten und dritten Fingers sind zerrissen. 
Schmutz und Hautfetzen bedecken die Wunden. Ein vor mir 

*) Handbuch der Arhciterkrankheiten. Herausgegeben von Dr. Th. 
Weyl in Charlottenburg, p. 305. 



Original from 



370 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 23. 


plaziert und diese stufenweise mit Quecksilber oder Schrot 
füllt. Er konstruierte auch einen Apparat, mittels dessen wir 
die von der Scheide aus ausgeübte Kompression resp. die in 
die Ballons eingeführte Quecksilbermenge genau zu dosieren 
imstande sind, neben gleichzeitiger Hochlagerung und Kom¬ 
pression von der Bauchdecke her. Außerdem läßt er mit Hilfe 
von Tampons die mit Quecksilber oder Schrot gefüllten Gummi¬ 
ballons mehrere Tage hindurch in der Scheide (Dauerbelastung), 
jedoch empfiehlt er jedenfalls strenge Kontrolle. Temperatur¬ 
erhöhungen und leichtere Schmerzen bilden seiner Ansicht nach 
keine Kontraindikationen, während höhere Temperatur, bedeu¬ 
tendere Schmerzen oder, infolge der Blasenkompression sich 
einstellende Harnbeschwerden die Unterbrechung der konstanten 
inneren Belastung erfordern. Ich selbst habe keine Erfahrungen 
über diese Dauerbelastung, nachdem ein bis zwei Experimente 
dieselbe als eine brutale Behandlung erscheinen 
ließen; um so günstigere Erfahrungen machte ich mit der 
Beckenhochlagerung und mit der Bauchdeckenbelastung, welche 
in der Praxis tatsächlich leicht ausführbar sind, selbst in der 
Privatwohnung der Patientin. Es genügt, das Bettende mittels 
Unterlegung von Bauziegeln 30 bis 40° zu heben oder Holz¬ 
keile unter die Lenden zu legen, um die nötige Hochlagerung 
zu erreichen, und in diesem Zustande legen wir die Gewichte 
auf. Diese Behandlung leistet bei entsprechender Ruhe aus¬ 
gezeichnete Dienste, bei hartnäckigen, chronischen Exsudaten 
selbst nach erfolgloser Heißluftbehandlung bietet diese Methode 
Hoffnung auf Heilung. 

Zur lokalen Erhöhung oder Entziehung der Wärme finden 
einfache und bekannte physikalische Instrumente Anwendung, 
z. B. die Sch ei de nkühl ap parate in Form des Heitz- 
m an n sehen Metallrohres, in welchem sich ein doppelläufiger 
Katheter befindet. Zweifellos können wir den größten Teil der 
Scheide mit Hilfe des durch das Rohr strömenden Wassers in 
der Tat dauernd abkühlen und auf diese Weise in Fällen von 
akuten Entzündungen der Kranken gute Dienste leisten. Dieses 
starre Metallrohr aber gelangt nicht in die höheren Partien 
der Scheide, besonders nicht in die Wölbungen und kann 
wegen der Schmerzen, welche diese Entzündungen begleiten, 
nicht angewendet werden. Angenommen aber, daß wir den 
Kühlapparat bis in die Wölbungen schieben, würde der Apparat 
nur ein bis zwei Stellen des entzündeten Gewebes berühren, 
da das starre Metallinstrument sich dem Scheidengewölbe wegen 
der durch entzündliches Exsudat verursachten Formveränderung 
nicht anpassen kann. 

All diesen Uebelständen leistete ich durch Konstruierung 
eines Apparates Abhilfe. Den an den doppelläufigen Katheter 
befestigten Gummiballon können wir leicht bis zum Schei¬ 
dengewölbe hinaufführen, und das durch diesen strömende 
kalte Wasser ist ein ausgezeichneter Kühlapparat, während das 
stufenweise bis 40 bis 44° erwärmte Wasser eine lokale 
Wärmequelle ist, welche die Resorption chronischer Exsudate 
außerordentlich fördert. Der Apparat ist nicht nur deshalb 
gut, weil er sich dem durch Exsudate veränderten Scheiden- 
gewölbe anpaßt, sondern auch deshalb, weil wir die Strömungs¬ 
geschwindigkeit des Wassers mit Hilfe eines Hahnes am ab¬ 
leitenden Rohre regulieren und die Wirkung auf diese Weise 
modifizieren können. *) 

Vor zirka zehn Jahren konstruierte ich behufs rascher 
Dilatation der Zervix uteri einen doppelläufigen Katheter, 
welcher an Gestalt und Dimensionen dem Bozemann- 
schen ähnlich ist, sich aber von demselben darin unter¬ 
scheidet, daß sein dem Uterus zugewendetes Ende geschlossen 
ist. Diesen Katheter durchströmte 50 bis 60 ü warmes Wasser, 
währenddessen ich den in seinen Dimensionen dem Hegar- 
schen Dilatator entsprechenden Apparat durch das Orifizium 
ext. uteri bis zum inneren Muttermund einführte, wobei die 
Patientin eine Seitenlage einnahm. Viel schneller, sicherer 
und aseptischer ist die Anwendung dieses Instrumentes als die 
des He gar schon Dilatators. Ich gebrauchte dasselbe öfters 
zur Einleitung des künstlichen Abortus und überzeugte mich 
davon, daß es nicht nur eine dauernde und rasche Dilatation des 

*j Beim Ansaugen muß man das Zusammenfallen des Ballons verhindern. 


Zervikalkanals und inneren Muttermundes zustande brachte? 
sondern auch intensive Kontraktionen auslöste, so daß, während 
es einerseits normale Geburtsprozesse einleitete, anderseits eben 
durch Auslösung der Kontraktionen auch blutstillend wirkte. 
Dieses Instrument kann gegebenenfalls als konstanter intra¬ 
uteriner Wärmeableiter verwendet werden und wird ohne 
Zweifel auch bei Atonia uteri sowie bei dessen Entzündungs¬ 
prozessen eine Rolle spielen. 

Von bedeutend weniger Wichtigkeit ist die Anwendung 
des elektrischen Stromes in der gynäkologischen Therapie, als 
wir es erwarteten. Apostolis’ bemerkenswerte Experimente 
sind heute völlig außer Gebrauch, obwohl in neuerer Zeit die 
dreiphasigen Ströme, weiter die Tesla-Ströme nach ver¬ 
schiedenen Experimenten so manche Neuerungen enthalten. Bei 
der Licht-Heißluft-Behandlungsmethode erwähnte ich auch die 
Rolle der Lichtenergie. Das rote Licht enthält hauptsächlich 
Wärmestrahlen, es kommt also besonders die Wärmewir- 
kung zur Geltung. Das blaue oder violette Licht hingegen 
enthält vielmehr jene Strahlen, denen wir eine chemische Wir¬ 
kung zuschreiben. Die vollkommenste Art dieser farbigen Licht¬ 
energie fand in der ultravioletten Lampe Anwendung. 

Die Wirkung dieses ultravioletten Lichtes ist nach meinen 
Erfahrungen in erster Reihe eine bakterizide; es durchdringt 
solch dicke Gewebsschichten wie keines der bakteriumtöten¬ 
den Lokalmittel. 

Man experimentiert noch mit vielen anderen physikalischen 
Heilmethoden, welche ich diesen Ortes nicht erwähnen will. 
Unter ihnen sind mehrere sehr interessant und beweisen, wie 
groß und redlich das Bestreben der Aerzte ist, wo es gilt, den 
konservativen Heilmethoden Dienste zu leisten. Jede neuere 
Errungenschaft auf diesem Gebiete macht in einer großen 
Gruppe der Krankheiten das gefürchtete Messer überflüssig, 
und es ist ebenso human wie interessant, den Prozeß der 
natürlichen Heilbestrebungen des Körpers nachzuahmen. 
Schön und wertvoll ist daher diese ganze Heilrichtung, in deren 
Führung wir zweier Dinge nie vergessen dürfen und zwar: 
der wahren Liebe für den Leidenden und vor allem der 
größten Geduld, die ebenso den Arzt wie den Patienten be¬ 
seelen muß. 


Ueber weitere Erfolge mit kolloidalem Silber 
in der Praxis. 

Von Dr. med. R. Weissmann in Lindenfels. 

In meiner letzten Veröffentlichung über Lysargin, ein neues 
kolloidales Silber, in den „Therapeutischen Monatsheften“ vom 
Mai 1907 habe ich über 61 Fälle berichtet, bei denen ich das 
kolloidale Silber angewendet hatte. Ich bin heute in der Lage, 
abermals über 63 Fälle zu berichten, bei denen sich mir das 
kolloidale Silber, vornehmlich in der Form der Credöschen 
Salbe als außerordentlich wirksam und als eine wertvolle Be¬ 
reicherung unseres Arzneischatzes bewährt hat. 

Außer in der Form des Unguentum Crede habe ich das 
kolloidale Silber und zwar sowohl Collargol als auch Lysargin 
in Lösung per os gegeben; ich habe es ferner angewandt in 
5 %iger Lösung zur intravenösen Injektion und habe es sehr gern 
verordnet in der Form der Alkoholsilbersalbe. Eine weitere 
Anwendungsform war die Anwendung in Substanz in Gestalt 
von Tabletten oder als Streupulver und in Gestalt von Uterin¬ 
stäbchen. 

Was nun die einzelnen Krankheitsformen anlangt, bei 
denen ich das kolloidale Silber anzuwenden in der Lage war, 
so mochte ich zunächst vier Fälle von Furunkulose anführen. 
In allen vier Fällen habe ich den Eindruck gehabt, daß durch 
die Anwendung des Unguentum Credö der Verlauf sehr ab¬ 
gekürzt, die Rückbildung im Entstehen begriffener Furunkel 
beschleunigt und eine Neubildung solcher verhindert wurde. 

In einem Falle von akutem Gelenkrheumatismus erzielte 
ich durch intravenöse Injektion von 0,15 Collargol sofortiges 






THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


371 


Sinken derTemperatur, Nachlaß der Schmerzen und Hebung 
des, Allgemeinbefindens. Mit drei Injektionen, welche einen 
uni den anderen Tag gemacht wurden, war völlige Ent¬ 
fieberung und Rückgang der lokalen entzündlichen Erschei¬ 
nungen erzielt. Zur Nachbehandlung ließ ich noch eine Schmier¬ 
kur mit Unguentum Credö machen und zwar so, daß ich noch 
drei Wochen lang zweimal wöchentlich 3 g in der bekannten 
Art und Weise in den Rücken verreiben ließ. 

Bei fünf Fällen von Parulis gelang es bei zwei Fällen im 
allerersten Stadium, den Prozeß' durch lokale Anwendung von 
Alkoholsilbersalbe zu kupieren. In den übrigen drei Fällen 
war es schon zur Eiterbildung gekommen, aber immerhin war 
ich in der Lage, durch energische Einreibungen mit Unguentum 
Crede in den Nacken den Prozeß wesentlich einzuschränken 
und abzukürzen. 

Die Erkenntnis, daß Magen- und Darmatonie, Magen¬ 
erweiterung und Enteroptose bei der Entstehung der neural¬ 
gischen und neurasthenischen beziehentlich hysterischen Er¬ 
krankungen eine große ursächliche Rolle spielen, dringt immer 
mehr durch. Immer mehr kommt man zur Ueberzeugung, daß 
die meisten Nervenkrankheiten bedingt sind durch Autointoxi¬ 
kationen, die vom Magendarmkanal ausgehen. In dieser Er¬ 
kenntnis habe ich seit einigen Jahren angefangen, Collargol 
oder Lysargin per os zu reichen, um auf diese Weise die Bil¬ 
dung von Giften im Magendarmkanal — durch Fäulnis des 
stagnierenden Inhalts — zu verhindern. Unter den oben ge¬ 
nannten 63 Fällen befinden sich fünf Fälle, bei denen es sich 
um Erscheinungen von Autointoxikationen, die durch motorische 
Insuffizienz des Magens und Darms entstanden waren, handelt. 
Die Symptome bestanden in Magenschmerzen, Schwindel, Kopf¬ 
druck, Neuralgien, Appetitmangel, Aufstoßen und Flatulenz. In 
allen fünf Fällen gingen diese Erscheinungen nach Gebrauch 
des kolloidalen Silbers zurück, um sofort nach Aussetzen der 
Medikation wiederzukehren. Es ist selbstverständlich, daß zu 
der Darreichung des Collargols oder Lysargins noch eine Be¬ 
handlung der Grundursache, der Atonie treten mußte, um einen 
dauernden Erfolg zu erzielen. Ich pflege in solchen Fällen 
zunächst den galvano-faradischen Strom anzuwenden, um dann 
später die erschlafften Baucheingeweide durch meinen Heft¬ 
pflasterverband „Simplex“ oder meine Leibbinde „Unieum“ 
zu stützen und ihnen wieder ein Hypomochlion zu geben. 

Zweimal war ich in der Lage, das kolloidale Silber bei 
einem Abort anwenden zu können. In beiden Fällen handelte 
es sich um einen Abort im vierten Monat, in beiden Fällen 
setzte am fünften Tage nach dem Abort hohes Fieber ein. In 
dem einen Falle genügte eine intravenöse Injektion von 0,2 g 
Lysargin und zwei Einreibungen von je 3 g Unguentum Crede, 
um die bis 89,8 °C gestiegene Temperatur dauernd zur Norm 
zurückzuführen und vollkommenes Wohlbefinden zu erreichen. 
Im zweiten Falle war die Temperatur ebenfalls hoch, bis 
40,2 0 C, gestiegen. Die erste intravenöse Injektion von 0,2 
Collargol brachte einen Temperaturabfall auf 37,4° C. Nach 
etwa 18 Stunden stieg die Temperatur wieder auf 39,3° C. 
Eine nochmalige intravenöse Injektion von 0,15 Collargol 
brachte dauernde Entfieberung, Wohlbefinden und Heilung. 

Aufschläge mit einer Collargollösung 1:1000 leisteten mir 
gute Dienste bei einem Ulkus kruris eines alten Mannes mit 
sehr fötidem Geruch. 

Ein chronisches, speckig-eitrig belegtes Geschwür der 
Wange heilte sehr schnell nach Anwendung eines Verbandes 
mit Lysarginsalbe. In einem Falle von Vereiterung eines 
Klavus der kleinen Zehe bei einer 70jährigen Frau, bei dem 
bedeutende Schwellung des Fußes und des Unterschenkels als 
Zeichen beginnender Phlegmone aufgetreten war, erzielte ich 
mit Anwendung der Alkoholsilbersalbe schnellen Nachlaß sämt¬ 
licher Erscheinungen. 

Gleich günstig wirkte die Alkoholsilbersalbe in dem Falle 
einer Dame, bei der ein kurpfuschender Heilgehilfe einige 
Warzen so gründlich weggeätzt hatte, daß stark schmerzende, 
kraterförmige, eiternde Geschwüre entstanden waren. In diesem I 
Falle wurde die schmerzstillende Wirkung der Alkoholsilber¬ 
salbe sehr wohltuend empfunden. | 


Mit Alkoholsilbersalbe lokal und mit Unguentum Crede 
allgemein behandelte ich einen Fall eines 49 jährigen Stein¬ 
metzen, bei dem ein durch Trauma entstandenes Geschwür des 
Handrückens eine nicht unbedeutende Lymphangoitis des Arms 
verursacht hatte. Heilung in fünf Tagen. Von Phlegmonen 
hatte ich noch Gelegenheit, 14 zu behandeln. In neun von 
diesen Fällen handelte es sich um leichte, eben beginnende 
Fälle nach kleinen Verletzungen. Hier genügte ein Verband 
mit Alkoholsilbersalbe, um meist in drei bis vier Tagen Heilung 
zu bringen. In vier mehr vorgeschrittenen Fällen mußte ich 
zur Credeschen oder auch zur Lysarginsalbe behufs Schmier¬ 
kur greifen, und in einem Falle kombinierte ich wegen seines 
bedrohlichen lokalen Charakters die lokale mit der Allgemein¬ 
behandlung. 

Daß die Alkoholsilbersalbe übrigens auch bei Quetschungen, 
Zerrungen und Verstauchungen eine gute schmerzstillende und 
entzündungswidrige Eigenschaft hat, habe ich in zwei Fällen 
erfahren. Nach einer heftigen Quetschung des Vorderarms 
war eine Periostitis der Uina entstanden, die nach Anwendung 
der genannten Salbe in kurzer Zeit zurückging. 

In einem Falle von beginnender Peritonitis bei Cholelithiasis 
erzielte ich Heilung durch Darreichung des Collargols per os. 
Viermal hatte ich Gelegenheit, das kolloidale Silber bei Peri¬ 
typhlitis anzuwenden. In drei schweren Fällen mit Temperatur¬ 
steigerungen bis zu 38,8 n C ließ ich fünf bis sieben Dosen 
Ungt. Crede von 3 g in die Oberschenkel verreiben, um dann 
zur Nachbehandlung Collargol per os zu geben. Iu einem 
leichteren Falle gab ich von Anfang an Lysargin per os. Alle 
vier Fälle gingen in Heilung aus. 

Ich habe schon an anderer Stelle*) hervorgehoben, welche 
ausgezeichneten Dienste mir das kolloidale Silber bei Augen¬ 
verletzungen, mit denen ich sehr häufig zu tun habe, leistet 
Trotzdem daß fast in allen Fällen von unsauberen Händen 
Versuche gemacht waren, die Fremdkörper zu entfernen, gelang 
es in allen sechs Fällen von Verletzungen der Kornea, glatte 
Heilung zu erzielen. Bei einzelnen Fällen lagen recht ausge¬ 
dehnte Verletzungen vor. Die Behandlung bestand in Aus¬ 
waschung des Auges mit Collargollösung 1 : 1000 und feuchtem 
Verband, der mit der gleichen Lösung getränkt war. 

Dreimal hatte icli Gelegenheit, die prompte Wirkung des 
Unguentum Crede auf das Erysipel zu beobachten. Alan 
könnte das kolloidale Silber geradezu als Spezifikum gegen 
Erysipel bezeichnen, so schnell und sicher tritt die Wirkung 
ein. Gewöhnlich genügt eine Einreibung von 3 g Ungt. Crede 
bei Erwachsenen, um das Erysipel zu kapieren. Bei Parotitis 
epidemika habe ich das kolloidale Silbet zweimal anwenden 
können, und ich glaube im Vergleich za den nicht behandelten 
Fällen den Verlauf doch wesentlich abgekürzt zu haben. 

Wie ich schon in meinen früheren A T eröffentlichungen über 
kolloidales Silber erwähnt habe, habe ich den Eindruck — 
beweisen läßt sich das kaum —. daß auch bei Infektionskrank¬ 
heiten, namentlich bei Typhus abdominalis and bei Pneumonie, 
das Argentum kolloidale einen abkürzenden und den Krankheits¬ 
verlauf mildernden Einfluß hat. 

Zwei Fälle von Abdominaltyphus und eine Pneumonie 
haben mich in der Ansicht bestärkt, daß einige Einreibungen 
mit Unguentum Crede im ersten Beginn dieser Krankheiten 
geeignet sind, den Verlauf günstig zu beeinflussen. 

Nur in einem Falle von Aletritis und Endometritis hatte 
ich Gelegenheit, durch Einführung von Collargolstäbchen nach 
stattgehabtem Kurettement den Verlauf abzukürzen gegenüber 
der sonst üblichen Behandlung mit Playfair und Karbolspiritus. 

Zum Schluß möchte ich noch einen Fall einer frischen 
Verletzung anführen, der mir geeignet erscheint zu zeigen, 
welche entwicklungshemmende Kraft das Argentum kolloidale 
besitzt. Ein Arbeiter verletzt sich die rechte Hand dadurch, 
daß ein Sprengschuß, den er zum Sprengen eines Steines ge¬ 
legt hat, zu früh losgeht. Der ganze Daumenballen und die 
Weichteile des zweiten und dritten Fingers sind zerrissen. 
Schmutz und Hautfetzen bedecken die Wunden. Ein vor mir 


*) Handbuch der Arbeiterkrankheiten. Hera abgegeben von Pr Th 
Weyl in Charlottenburg, p. 305, 


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UNIVERSiTY OF MICHIGAN 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 23. 


plaziert und diese stufenweise mit Quecksilber oder Schrot 
füllt. Er konstruierte auch einen Apparat, mittels dessen wir 
die von der Scheide aus auso*eiibte Kompression resp. die in 
die Ballons eingeführte Quemcsilbermenge genau zu dosieren 
imstande sind, neben gleichzeitiger Hochlagerung und Kom¬ 
pression von der Bauchdecke her. Außerdem läßt er mit Hilfe 
von Tampons die mit Quecksilber oder Schrot gefüllten Gummi¬ 
ballons mehrere Tage hindurch in der Scheide (Dauerbelastung), 
jedoch empfiehlt er jedenfalls strenge Kontrolle. Temperatur¬ 
erhöhungen und leichtere Schmerzen bilden seiner Ansicht nach 
keine Kontraindikationen, während höhere Temperatur, bedeu¬ 
tendere Schmerzen oder infolge der Blasenkompression sich 
einstellende Harnbeschwerden die Unterbrechung der konstanten 
inneren Belastung erfordern. Ich selbst habe keine Erfahrungen 
über diese Dauerbelastung, nachdem ein bis zwei Experimente 
dieselbe als eine brutale Behandlung erscheinen 
ließen; um so günstigere Erfahrungen machte ich mit der 
Beckenhochlagerung und mit der Bauchdeckenbelastung, welche 
in der Praxis tatsächlich leicht ausführbar sind, selbst in der 
Privatwobnung der Patientin. Es genügt, das Bettende mittels 
Unterlegung von Bauziegeln 30 bis 40° zu heben oder Holz¬ 
keile unter die Lenden zu legen, um die nötige Hochlagerung 
zu erreichen, und in diesem Zustande legen wir die Gewichte 
auf. Diese Behandlung leistet bei entsprechender Ruhe aus¬ 
gezeichnete Dienste, bei hartnäckigen, chronischen Exsudaten 
selbst nach erfolgloser Heißluftbehandlung bietet diese Methode 
Hoffnung auf Heilung. 

Zur lokalen Erhöhung oder Entziehung der Wärme finden 
einfache und bekannte physikalische Instrumente Anwendung, 
z. B. die Scheidenkühiapparate in Form des Heitz- 
m ann sehen Metallrohres, in welchem sich ein doppelläufiger 
Katheter befindet. Zweifellos können wir den größten Teil der 
Scheide mit Hilfe des durch das Rohr strömenden Wassers in 
der Tat dauernd abkühlen und auf diese Weise in Fällen von 
akuten Entzündungen der Kranken gute Dienste leisten. Dieses 
starre Metallrohr aber gelangt nicht in die höheren Partien 
der Scheide, besonders nicht in die Wölbungen und kann 
wegen der Schmerzen, welche diese Entzündungen begleiten, 
nicht angewendet werden. Angenommen aber, daß wir den 
Kühlapparat bis in die Wölbungen schieben, würde der Apparat 
nur ein bis zwei Stellen des entzündeten Gewebes berühren, 
da das starre Metallinstrument sich dem Scheidengewölbe wegen 
der durch entzündliches Exsudat verursachten Form Veränderung 
nicht anpassen kann. 

All diesen Uebelständen leistete ich durch Konstruierung 
eines Apparates Abhilfe. Den an den doppelläufigen Katheter 
befestigten Gummiballon können wir leicht bis zum Schei¬ 
dengewölbe hinaufführen, und das durch diesen strömende 
kalte Wasser ist ein ausgezeichneter Kühlapparat, während das 
stufenweise bis 40 bis 44° erwärmte Wasser eine lokale 
Wärmequelle ist, welche die Resorption chronischer Exsudate 
außerordentlich fördert. Der Apparat ist nicht nur deshalb 
gut. weil er sich dem durch Exsudate veränderten Scheiden¬ 
gewölbe anpaßt, sondern auch deshalb, weil wir die Strömungs¬ 
geschwindigkeit des Wassers mit Hilfe eines Hahnes am ab- 
Jeitenden Rohre regulieren und die Wirkung auf diese Weise 
modifizieren können. *) 

Vor zirka zehn Jahren konstruierte ich behufs rascher 
Dilatation der Zervix uteri eineu doppelläufigen Katheter, 
welcher an Gestalt und Dimensionen dem Bozemann- 
schen ähnlich ist, sich aber von demselben darin unter¬ 
scheidet, daß sein dem Uterus zugewendetes Ende geschlossen 
ist. Diesen Katheter durchströmte 50 bis 60° warmes Wasser, 
währenddessen ich den in seinen Dimensionen dem Hegar- 
schen Dilatator entsprechenden Apparat durch das Orifizium 
ext. uteri bis zum inneren Muttermund einführte, wobei die 
Patientin eine Seitenlage einnahm. Viel schneller, sicherer 
und aseptischer ist die Anwendung dieses Instrumentes als die 
des He gar sehen Dilatators. Ich gebrauchte dasselbe öfters 
zur Einleitung des künstlichen Abortus und überzeugte mich 
davon, daß es nicht nur eine dauernde und rasche Dilatation des 

*) Beim Ansaugen muß man das Zusammen fallen des Ballons verhindern. 


Zervikalkanals und inneren Muttermundes zustande brachte? 
sondern auch intensive Kontraktionen auslöste, so daß, während 
es einerseits normale Geburtsprozesse einleitete, anderseits eben 
durch Auslösung der Kontraktionen auch blutstillend wirkte. 
Dieses Instrument kann gegebenenfalls als konstanter intra¬ 
uteriner Wärmeableiter verwendet werden und wird ohne 
Zweifel auch bei Atonia uteri sowie bei dessen Entzündungs¬ 
prozessen eine Rollo spielen. 

Von bedeutend weniger Wichtigkeit ist die Anwendung 
des elektrischen Stromes in der gynäkologischen Therapie, als 
wir es erwarteten. Apostolis’ bemerkenswerte Experimente 
sind heute völlig außer Gebrauch, obwohl in neuerer Zeit die 
dreiphasigen Ströme, weiter die Tesla-Ströme nach ver¬ 
schiedenen Experimenten so manche Neuerungen enthalten. Bei 
der Licht-Heißluft-Behandlungsmethode erwähnte ich auch die 
Rolle der Lichtenergie. Das rote Licht enthält hauptsächlich 
Wärmestrahlen, es kommt also besonders die Wärme Wir¬ 
kung zur Geltung. Das blaue oder violette Licht hingegen 
enthält vielmehr jene Strahlen, denen wir eine chemische Wir¬ 
kung zuschreiben. Die vollkommenste Art dieser farbigen Licht¬ 
energie fand in der ultravioletten Lampe Anwendung. 

Die Wirkung dieses ultravioletten Lichtes ist nach meinen 
Erfahrungen in erster Reihe eine bakterizide; es durclidringt 
solch dicke Gewebssckickten wie keines der bakteriumtöten¬ 
den Lokalmittel. 

Man experimentiert noch mit vielen anderen physikalischen 
Heilmethoden, welche ich diesen Ortes nicht erwähnen will. 
Unter ihnen sind mehrere sehr interessant und beweisen, wie 
groß und redlich das Bestreben der Aerzte ist, wo es gilt, den 
konservativen Heilmethoden Dienste zu leisten. Jede neuere 
Errungenschaft auf diesem Gebiete macht in einer großen 
Gruppe der Krankheiten das gefürchtete Messer überflüssig, 
und es ist ebenso human wie interessant, den Prozeß der 
natürlichen Heilbestrebungen des Körpers nachzuahmen. 
Schön und wertvoll ist daher diese ganze Heilrichtung, in deren 
Führung wir zweier Dinge nie vergessen dürfen und zwar: 
der wahren Liebe für den Leidenden und vor allem der 
größten Geduld, die ebenso den Arzt wie den Patienten be¬ 
seelen muß. 


lieber weitere Erfolge mit kolloidalem Silber 
in der Praxis. 

Von Dr. med. R. Weissroann in Lindenfels. 

In meiner letzten Veröffentlichung über Lysargin, ein neues 
kolloidales Silber, in den „Therapeutischen Monatsheften“ vom 
Mai 1907 habe ich über 61 Fälle berichtet, bei denen ich das 
kolloidale Silber angewendet hatte. Ich bin heute in der Lage, 
abermals über 63 Fälle zu berichten, bei denen sich mir das 
kolloidale Silber, vornehmlich in der Form der Credöschen 
Salbe als außerordentlich wirksam und als eine wertvolle Be¬ 
reicherung unseres Arzneischatzes bewährt hat. 

Außer in der Form des Unguentum C r e d 6 habe ich das 
kolloidale Silber und zwar sowohl Collargol als auch Lysargin 
in Lösung per os gegeben; ich habe es ferner angewandt in 
5 %iger Lösung zur intravenösen Injektion und habe es sehr gern 
verordnet in der Form der Alkoholsilbersalbe. Eine weitere 
Anwendungsform war die Anwendung in Substanz in Gestalt 
von Tabletten oder als Streupulver und in Gestalt von Uterin¬ 
stäbchen. 

Was nun die einzelnen Krankheitsformen anlangt, bei 
denen ich das kolloidale Silber anzuwenden in der Lage war, 
so möchte ich zunächst vier Fälle von Furunkulose anführen. 
In allen vier Fällen habe ich den Eindruck gehabt, daß durch 
die Anwendung des Unguentum Credö der Verlauf sehr ab¬ 
gekürzt, die Rückbildung im Entstehen begriffener Furunkel 
beschleunigt und eine Neubildung solcher verhindert wurde. 

In einem Falle von akutem Gelenkrheumatismus erzielte 
ich durch intravenöse Injektion von 0,15 Collargol sofortiges 


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1908/ TE^AI^UTISCHE RUNDSCHAU. 


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und Tee' oder Wasser nachtrinken lassen; auch fettreiche Nähr¬ 
gemische, wie z. B. Biederts Ramogen, Gärtner sehe Fettmilch 
oder Backhausmilch, sind hier mit Erfolg verwertbar; da¬ 
gegen sind Versuche mit Buttermilch oder Malzsuppe kontra¬ 
indiziert. 

2. Kohts berichtet über zwei Fälle von Hirschsprung¬ 
scher Krankheit (angeborener Erweiterung und Hypertrophie des 
Dickdarms), von denen einer zur Autopsie kam; für die Patho¬ 
genese ergaben sich keine neuen Gesichtspunkte; die jüngst hier 

■ referierte Hypothese von Koppe ist nicht berücksichtigt. — 
Therapeutisch empfiehlt Kohts Einläufe mit lVz bis 2 1 Wasser 
mit Zusatz von Glyzerin, wenn diese wirkungslos bleiben, große 
Oelklistiere (400 g Olivenöl). Diese. Eingriffe bekämpfen aber 
allein die Koprostase, können die vorhandene Darmerweiterung 
nicht beeinflussen. Vielleicht wird in vorgeschrittenen Fällen eine 
chirurgische Behandlung mehr leisten, über die bisher nur spär¬ 
liche Erfahrungen vorliegen. 

3. Hecht hat Untersuchungen über das Auftreten und die 
Zusammensetzung der sogenannten Seifenstühle im Säuglingsalter 
angestellt, aus denen bekanntlich vielfach ein BüeksGhluß auf 
mangelhafte Fettresorption gezogen wird, so daß sie als Indikation 
zur Einschränkung der Fettzufuhr betrachtet werden. Hecht 
stellt fest, daß die fettdyspeptischen Stühle der künstlich 
und an der Brust ernährten Kinder reichlich Sehleim enthalten, 
die Seifenstühle hingegen frei von Schleim sind, was damit zu¬ 
sammenhängt, daß der Schleim die Verseifung verhindert. Seifen¬ 
stühle sollen unter folgenden Bedingungen auftreten: 

a) es muß eine mäßige Störung der Fettresorption vor¬ 
handen sein, 

b) es darf kein Hindernis für die Fettspaltung bestehen, 

c) es muß eine stärkere Säuerung fehlen, 

d) es darf die Peristaltik nicht erheblich beschleunigt sein, 

e) es muß stärkere katarrhalische Reizung fehlen. 

Das Auftreten von Seifenstühlen beweist daher eine gering¬ 
gradige, aber wohl immer chronische Störung der Fettresorption. 
Sowie sich zu der chronischen Ernährungsstörung eine akute Exa¬ 
zerbation hinzugesellt, machen die Seifenstühle anderen Erschei¬ 
nungsformen fettreicher Stühle Platz. Ist aber die akute Erkran¬ 
kung wieder vorbei, dann treten neuerdings Seifenstühle auf. — 
Das Verschwinden von Seifenstühlen auf eine therapeutische Ma߬ 
nahme hin beweist an sich noch nichts für die Zweckmäßigkeit 
derselben. 

4. Großmann teilt interessante und sehr günstige Resultate 
über die Radikaloperation von Leisten- und Nabelbrüchen an 
Kindern und Säuglingen mit. Er spricht auf Grund seiner 111 
durchweg erfolgreichen und glatten Operationen die Ueberzeugung 
aus, daß im Kindesalter, speziell auch bei Säuglingen, die Radikal¬ 
operation der Leisten- und Nabelbrüche ein relativ ungefährlicher 
Eingriff ist und unbedenklich in allen den Fällen zur Anwendung 
kommen sollte, bei welchen man mit der konservativen Behand¬ 
lung nicht rasch zum Ziel gelangt. Speziell die Alkoholinjektionen 
scheinen ihm wenig empfehlenswert zu sein. Die günstigen Er¬ 
folge im Säuglingsalter glaubt er nicht zum geringsten Teil einem 
Urinfänger zu verdanken, der speziell für die Bruchoperationen 
konstruiert wurde, und der es ermöglicht, den kleinen Wundver¬ 
band bis zur Heilung absolut sauber und trocken zu halten 
(s. Münch, med. Wochenschr., 1904, Nr. 50). 

5. Grüneberg hat bei einem Neugeborenen, an dem sich 
die bedrohlichsten Erscheinungen einer hämorrhagischen Diathese 
bemerkbar machten, 15 ccm Merck sehe Gelatine subkutan mit 
promptem Heilerfolg injiziert. Der Rest der Merckschen Tube 
wurde am nächsten Tage dreistündlich teelöffelweise per os ver¬ 
abreicht und eine zweite Tube am nächsten Tage in gleicher 
Weise. Zugleich Uebergang auf natürliche Ernährung. Verf. 
glaubt, daß Sepsis in seinem Falle nicht mit im Spiele war. 

6. Eine frühzeitige Diagnose ist für die erfolgreiche Behand¬ 
lung der Möller-Barlowschen Krankheit von großer Bedeu¬ 
tung. Während früher erst die intensiveren Periost- und Zahn- 
fieischblutungen die Erkennung der Krankheit ermöglichten, sind 
wir in der Diagnostik der Anfangsstadien des Leidens in den 
letzten Jahren erheblich weiter gekommen. So wissen wir, daß 
eine nur bei genauer mikroskopischer Analyse des zentrifugierten 
Urins erkennbare Hämaturie oft anderen Erscheinungen der hämor¬ 


rhagischen Diathese vorangeht, und fahnden danach, sowie an¬ 
dauernde Anorexie oder Empfindlichkeit der Glieder ohne erkenn¬ 
bare Ursache unseren Verdacht auf die Barlowsche Krankheit 
lenken. Die letzten Jahre haben uns nun durch die Beobach¬ 
tungen von Fraenkel, Hoffmann und Rehn den Beweis ge¬ 
liefert, daß wir in der Röntgographie nicht nur ein vortreff¬ 
liches Mittel besitzen zur sicheren Identifizierung der klinisch zweifel¬ 
haften Fälle, sondern daß die im Röntgenbild erkennbaren typischen 
Veränderungen an den Knochen ein diagnostisch und daher auch 
therapeutisch mit bestem Erfolg verwertbares Frühs 3 r mptom dar¬ 
stellen. Diese Erfahrungen bestätigt Klotz in seiner mit einer 
Reihe von Röntgogrammen illustrierten Mitteilung. Der charakte¬ 
ristische Befund für den Säuglingsskorbut besteht in einer Ver¬ 
schmälerung der Kortikalis und Verwaschung der feinen Spongiosa¬ 
zeichnung, ferner einem bald breiten, bald schmalen, bald linearen, 
bald gekrümmten tiefdunklen Querschatten dort, wo die Diaphyse 
an die Epiphyse grenzt. Wo subperiostale Blutergüsse bestehen, 
sind sie auf dem Röntgogramm natürlich auch erkennbar. Die 
typische Veränderung,der Knochen im Röntgenbild überdauert die 
Heilung im klinischen Sinne noch lange. 


Säuglingsfürsorge. 

Referent: Dr. Gustav Tugendreich, leitender Arzt der 
städtischen Säuglingsfürsorgestelle 5 in Berlin. 

1. Von den Wenigen und den Guten. Von Dr. med. Agnes 
Bluhm. Die Frau, 15. Jahrg., Heft 7. 

2. Konzeptionsbeschränkung und Staat. Von Professor Dr. 
May et. Med. Reform, 16. Jahrg., Nr. 18. 

3. lieber Stillpraxis und ihren Einfluß auf die Entwicklung 
des Kindes. Von Dr. Martin Nagel. Münch, med. Wochenschr., 
1908, Nr. 20. 

4. Zur Frage der Stillfähigkeit. Von Dr. A. Lenk. Ibidem. 

1. Die (unberechtigte. Ref.) Zurückiührung der großen Säug¬ 
lingssterblichkeit auf den Kinderreichtum dient Bestrebungen zum 
Ausgangspunkte, die unter dem Namen des Neumalthusianismus 
die künstliche Beschränkung der Konzeption propagieren. 

Ihnen tritt Verf. mir Schärfe und Gewandtheit entgegen. Zu¬ 
nächst erschüttert sie durch zahlreiche Beispiele jenes angebliche 
Gesetz, daß die Kindersterblichkeit eine Funktion des Kinder¬ 
reichtums sei. Z. B. ist in Frankreich, dem klassischen Lande 
der Konzeptionsbeschränkung, die Kindersterblichkeit größer als 
in Norwegen mit viel höherer Geburtsziffer. 

Derartige Beispiele lassen sich leicht >o häufen, daß eben 
von einem gesetzmäßigen Zusammenhang zwischen Kindersterblich¬ 
keit und Kinderreichtum nicht die Rede sein kann. 

Verf. wendet sich dann gegen die andere Behauptung der 
Neumalthusianer, daß durch die Konzeptionsbe-ichränkung die 
Fähigkeiten des spärlicheren Nachwuchses ge .steigert würden, 
daß also die Beschränkung der Rassenverbesserung diene. 
Wie Verf. aber betont, wird die Konzeptionsbeschninkung gerade 
in den sozial besseren Schichten geübt, wahrend im Proletariate 
noch immer reichlich geboren wird und geboren werden muß, soll 
nicht die Bevölkerungsziffer abnehmen. Also ist die Folge eine 
Verschiebung der Zusammensetzung der Bevölkerung zugunsten 
des Proletariats, was keineswegs eine Rassenverbessernng bedeuten 
kann. 

2. Auch ein so vorzüglicher Statistiker wie M a y e t wendet 
sich gegen die Konzeptionsbeschränkung, indem auch er auf dem 
Standpunkt steht, daß die Kindersterblichkeit in letzter Linie 
nicht vom Kinderreichtum abhänge. Gerade die ersten Kinder 
haben eine größere Sterblichkeit als die späteren, ein Gesetz, das 
auch in der Tierzucht bekannt ist. M a y e t sieht vielmehr die 
letzte Ursache der Säuglingssterblichkeit in der Verbreitung der 
künstlichen Ernährung. Mit lebhaftem Eifer spricht er sich für 
eine möglichst lange Stilldauer aus, indem er auf Japan hinweDt, 
wo eine zwei- bis dreijährige Stilldauer die Regel bildet. 

Diese lange Stilldauer ist nach May et auch der beste Schutz 
gegen zu häufige Konzeption. 

Eine künstliche Konzeptionsbesehränkung billigt M. nur für 
den Teil der sich außerehelich Paarenden, bei denen eine 




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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Bauchfellverwachsungen und viele andere Störungen des Wund¬ 
verlaufs sattsam bekannt ist. V. gibt noch auf dem Operations¬ 
tisch 1 mg subkutan und wiederholt die Einspritzung, wenn nötig, 
nach drei Stunden. Auch bei nicht Operierten kann Physostigmin 
nach Vogels Erfahrungen als subkutanes Abführmittel gegeben 
werden. 

10. Im Städtischen Krankenhause Altona hat man sich von 
dem günstigen Einfluß des Marinorek-Serums auf chirurgische 
Tuberkulose, wie ihn neben ausländischen Arbeiten namentlich 
Veröffentlichungen aus den Kliniken von Hoffa und Sonnen¬ 
burg rühmten, bei einer Reihe von 14 Fällen nicht überzeugen 
können. Das Serum wurde bei der meist rektalen Einverleibung 
— Einspritzungen unter die Haut sind schmerzhaft — zwar gut 
vertragen, auch besserte sich das Aussehen mißfarbener Granula¬ 
tionen bei einigen Fisteln; entscheidende, dem Serum zuzuschrei¬ 
bende Heilerfolge aber blieben aus, und in zwei schweren Fällen 
von Knochentuberkulose flackerten während der Behandlung alte 
Herde wieder auf. Auch eine besondere Hebung des Allgemein¬ 
zustandes konnte nicht beobachtet werden. — Nach den Beob¬ 
achtungen des Ref. ist diese Auffassung durchaus berechtigt; auch 
halten manche in früheren Veröffentlichungen und Vorstellungen 
als geheilt vorgefuhrte Fälle einer schärferen Prüfung nicht stand, 
wie H. ebenfalls betont. 


Augenheilkunde. 

Referent: Privatdozent Dr. G. Abelsdorff, Berlin. 

1. Amblyopie infolge von Nebenhöhleneiterungen der Nase. 
Von L. Rethi. Wien. med. Wochenschr., 1908, Nr. 19, S. 1065. 

2. lieber Frühtransplantation bei Verbrennungen des Augen¬ 
lides. Von Pfalz. Deutsche med. Wochenschr., 1908, Nr. 19, 
Seite 823. 

3 . Die Jodkalibehandlung der Katarakta inzipiens. Von 

v. Pflugk. Med. Klinik, 1908, Nr. 7. 

1. Die von Rethi berichteten zwei Fälle veranschaulichen 
die erfolgreiche Behandlung der Neuritis optika, die im Gefolge 
einer Siebbeinzelleneiterung entstehen kann und bei Ausräumung 
des Siebbeinlabyrinths zurückgeht. Besonders eklatant war der 
Erfolg in dem ersten Falle: Bei einem 39jährigen Manne war 
durch Neuritis optika das linke Auge fast erblindet, das rechte 
hatte noch halbe Sehschärfe. Dabei war kein Abszeß oder Oedem 
der Lider vorhanden. Da Symptome einer Siebbeinzellenerkran¬ 
kung vorhanden waren, wurde nach Entfernung der mittleren 
Muschel das eiterdurchtränkte Siebbeinlabyrinth beiderseits aus¬ 
geräumt; nach zwei Tagen war die Sehschärfe bereits rechts fast 
normal, links auf V 2 gestiegen. 

In solchen Fällen ist es therapeutisch von großer Wichtig¬ 
keit, auch wenn keine Schwellung der Lider oder analoge Er¬ 
scheinungen den Verdacht von vornherein auf die Nase lenken, 
eine rhinogene Fortleitung auf den Optikus in Betracht zu ziehen 
und auf eine Nebenhöhlenerkrankung der Nase zu fahnden. 

2. Alle Verbrennungen der Haut- oder Schleimhautbedeckung 
der Augenlider oder in deren Umgebung haben bei der Ver¬ 
narbung leicht Ektropium oder Entropium und Trichiasis im Ge¬ 
folge, deren operative Beseitigung oft keinen vollen Erfolg hat. 
P falz rät daher, in solchen Fällen nicht die spontane Vernarbung 
abzuwarten, sondern unmittelbar nach Demarkation des Brand¬ 
schorfes Deckung der Defekte mit Epidermislappen nach Thiersch 
vorzunehmen. Die Deckung hat bereits bei Defekten von Erbsen¬ 
große, ja am unteren Lide und im inneren Lidwinkel in der Nähe 
der Tränenpunkte selbst bei kleineren Defekten stets zu erfolgen. 
Bei Defekten der Schleimhaut muß der groß zu wählende Epi¬ 
dermislappen wie ein einmal zusammengefalteter Briefbogen in die 
obere oder untere Uebergangsfalte eingenäht und dadurch vor 
Verschiebung bewahrt werden. Der Zeitpunkt ist recht früh — 
am vierten bis sechsten Tage nach der Verbrennung — zu 
wählen; Reste nekrotischen Gewebes sind mit scharfem Löffel zu 
entfernen. 

3. v. Pflugk tritt für die von französischen Ophthalmologen 
inaugurierte Behandlung des Katarakta inzipiens mit Jodkali ein. 
Er behandelt beginnende Linsentrübungen mit Jodkaliaugenbädern 
oder Jodk^lieinträufelungen (0,g5 : 10,0), bei vorgeschrittenen 



Fällen macht er subkonjunktivale Einspritzungen von 1 %iger Jod¬ 
kalilösung. Er hat bei dieser Behandlung Entweder Besserungen 
oder ein Stationärbleiben der Trübungen eintreten sehen, eine Ver¬ 
schlechterung erfolgte in keinem Falle. (Länge der Beobachtungs¬ 
dauer ?) 

Kinderheilkunde. 

Referent: Privatdozent Dr. J. Ibrahim, München. 

1. üeber Mehle und Mehlfütterungen bei Säuglingen und 
ihre Beziehungen zum Stoffwechsel. Von H. Rietschel. Deutsche 
med. Wochenschr., 1908, S. 826. 

2. Heber einige Fälle von Hirschsprungscher Krankheit im 
Kindesalter. Von Kohts. Therap. d. Gegenw., 1908, S. 193. 

3 . Ueber die Bedeutung der Seifenstühle im Säuglings¬ 
alter. Von A. Hecht. Münch, med. Wochenschr., 1908, S. 1010. 

4. Ueber die operative Behandlung der Hernien im Kindes¬ 
alter. Von E. Großmann. Ibidem, S. 1012. 

5. Zur Behandlung der hämorrhagischen Diathese beim 
Neugeborenen. Von L. Grüneberg. Ibidem, S. 1079. 

6 . Zur Röntgendiagnose des Säuglingsskorbuts (Barlowsche 
Krankheit). Von Klotz. Monatsschr. f. Kinderheilk., 1908, 
April. 

1. Der inhaltsreiche Aufsatz von Rietschel sei zum Studium 
im Original empfohlen. — R. vertritt folgende Anschauungen: 
Praktisch empfiehlt es sich, im ersten Monat das Mehl noch fort¬ 
zulassen, da die Erfahrungen hier noch recht geteilt sind, und der 
Nutzen nicht im Verhältnis zur Gefahr steht, im zweiten Monat 
aber unbedingt eine 1- bis 2%ige Schleim- oder Mehlabkochung als 
Zusatz zur Milch anzuwenden, die wir später noch etwas steigern 
können. Vom sechsten Monat an können Kohlehydrate in Form 
von Amylum reichlicher gegeben werden. — Die Mehle sind 
absolut indiziert beim Milchnährschaden (Czerny), bei Kindern, 
die durch Ueberernährung mit Milch atrophisch geworden sind. 
Diesen Kindern wird am besten geholfen, wenn man das Fett 
rigoros aus der Nahrung eliminiert; hier feiert die kohlehydrat¬ 
reiche Nahrung, die Buttermilch, die Malzsuppe, ihre Triumphe; 
hier sollen stets die Kohlehydrate in zwei Formen verabreicht 
werden, d. h. es muß diesen Mischungen stets Mehl in mehr 
oder minder großer Menge zugesetzt werden. — Darreichung 
reiner Mehlabkochungen (mit oder ohne Zucker) nach einer akuten 
Verdauungsstörung (Dyspepsie Widerhofers) ist nur für kurze 
Zeit gestattet (drei bis fünf Tage). Durch längere Mehlfütterung 
(mit und ohne Zucker) kann dem Säugling erheblicher Schaden 
zugefügt werden (Mehlnährschaden). Es ist wahrscheinlich, daß 
durch zu lange einseitige Fütterung von Mehl und Zucker „spe¬ 
zifische u Stoffwechselstör ungen entstehen (Störungen im Wasser- 
und Salzhaushalt), daß also der Mehlnährschaden nicht allein aus 
dem Fehlen anderer wichtiger Stoffe erklärt werden darf. Die 
Krankheitstypen des „Mehlnährschadens“ sind, am besten zu be¬ 
zeichnen als 1. rein atrophische, 2. atrophisch hydrämische und 
3. hypertonische Form. Diese Typen sind indes nicht etwa allein 
für den Mehlnährschaden charakteristisch, sondern finden sich auch 
bei anderen schweren Ernährungsstörungen (Zuckerüberfütterung?). 
Die Hypertonien sind aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zentral 
bedingt, sondern stellen eigentümliche Quellungszustände der 
Muskeln dar. Die Prognose des Mehlnährschadens ist schlecht, 
besonders für die atrophisch-hydraulischen und hypertonischen 
Formen. Therapeutisch ist die erste Indikation die sofortige Ent¬ 
fernung des Mehls und womöglich Ernährung mit Frauenmilch, 
zunächst in geringen Mengen, 200 bis 300 g. Gewichtszunahmen 
lassen oft lange auf sich warten; oft erlebt man zunächst ein be¬ 
trächtliches Heruntergehen des Gewichts, das mit dem Schwinden 
des hydrämischen Zustandes zusammenhängt. Man soll ruhig fort¬ 
fahren, ein solches Kind an der Ammenbrust trinken zu lassen, 
gleichviel ob es ab- oder zunimmt.- Nach einer gewissen Zeit, 
vielleicht 14 Tagen oder 3 Wochen, vielleicht auch früher, wird 
ein Moment eintreten, wo sich plötzlich die Kurve hebt und ein 
vollständiger Ansatz erzielt wird. — Steht Frauenmilch nicht zur 
Verfügung, so ist Kuhmilch (event. mit Pegnin gelabt) die zweck¬ 
mäßigste Nahrung; da die Zufuhr der nötigen Menge mitunter 
erschwert ist, kann man eventuell Vollmilch löffelweise geben 


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und Tee öder Wasser nachtrinken lassen; auch fettreiche Nähr¬ 
gemische, wie z. B. Biederts Ramogen, Gärtner sehe Fettmilch 
oder Backhausmilch, sind hier mit Erfolg verwertbar; da¬ 
gegen sind Versuche mit Buttermilch oder Malzsuppe kontra- 
indiziert. 

2. Kohts berichtet über zwei Fälle von Hirschsprung¬ 
scher Krankheit (angeborener Erweiterung und Hypertrophie des 
Dickdarms), von denen einer zur Autopsie kam; für die Patho¬ 
genese ergaben sich keine neuen Gesichtspunkte; die jüngst hier 
referierte Hypothese von Koppe ist nicht berücksichtigt. — 
Therapeutisch empfiehlt Kohts Einläufe mit IV 2 bis 2 1 Wasser 
mit Zusatz von Glyzerin, wenn diese wirkungslos bleiben, große 
Oelklistiere (400 g Olivenöl). Diese Eingriffe bekämpfen aber 
allein die Koprostase, können die vorhandene Darmerweiterung 
nicht beeinflussen. Vielleicht wird in vorgeschrittenen Fällen eine 
chirurgische Behandlung mehr leisten, über die bisher nur spär¬ 
liche Erfahrungen vorliegen. 

3. Hecht hat Untersuchungen über das Auftreten und die 
Zusammensetzung der sogenannten Seifenstühle im Säuglingsalter 
angestellt, aus denen bekanntlich vielfach ein Rückschluß auf 
mangelhafte Fettresorption gezogen wird, so daß sie als Indikation 
zur Einschränkung der Fettzufuhr betrachtet werden. Hecht 
stellt fest, daß die fettdyspeptisehen Stühle der künstlich 
und an der Brust ernährten Kinder reichlich Schleim enthalten, 
die Seifen stöhle hingegen frei von Schleim sind, was damit zu¬ 
sammenhängt, daß der Schleim die Verseifung verhindert. Seifen¬ 
stühle sollen unter folgenden Bedingungen auftreten: 

a) es muß eine mäßige Störung der Fettresorption vor¬ 
handen sein, 

b) es darf kein Hindernis für die Fettspaltung bestehen, 

c) es muß eine stärkere Säuerung fehlen, 

d) es darf die Peristaltik nicht erheblich beschleunigt sein, 

e) es muß stärkere katarrhalische Reizung fehlen. 

Das Auftreten von Seifenstühlen beweist daher eine gering¬ 
gradige, aber wohl immer chronische Störung der Fettresorption. 
Sowie sich zu der chronischen Ernährungsstörung eine akute Exa¬ 
zerbation hinzugesellt, machen die Seifenstühle anderen Erschei¬ 
nungsformen fettreicher Stühle Platz. Ist aber die akute Erkran¬ 
kung wieder vorbei, dann treten neuerdings Seifenstühle auf. — 
Das Verschwinden von Seifenstühlen auf eine therapeutische Ma߬ 
nahme hin beweist an sich noch nichts für die Zweckmäßigkeit 
derselben. 

4. Großmann teilt interessante und sehr günstige Resultate 
über die Radikaloperation von Leisten- und Nabelbrüchen an 
Kindern und Säuglingen mit. Er spricht auf Grund seiner 111 
durchweg erfolgreichen und glatten Operationen die Ueberzeugung 
aus, daß im Kindesalter, speziell auch bei Säuglingen, die Radikal¬ 
operation der Leisten- und Nabelbrüche ein relativ ungefährlicher 
Eingriff ist und unbedenklich in allen den Fällen zur Anwendung 
kommen sollte, bei welchen man mit der konservativen Behand¬ 
lung nicht rasch zum Ziel gelangt. Speziell die Alkoholinjektionen 
scheinen ihm wenig empfehlenswert zu sein. Die günstigen Er¬ 
folge im Säuglingsalter glaubt er nicht zum geringsten Teil einem 
Urinfänger zu verdanken, der speziell für die Bruchoperationen 
konstruiert wurde, und der es ermöglicht, den kleinen Wundver¬ 
band bis zur Heilung absolut sauber und trocken zu halten 
(s. Münch, med. Wochenschr., 1904, Nr. 50). 

5. Grüneberg hat bei einem Neugeborenen, an dem sich 
die bedrohlichsten Erscheinungen einer hämorrhagischen Diathese 
bemerkbar machten, 15 ccm Merck sehe Gelatine subkutan mit 
promptem Heilerfolg injiziert. Der Rest der Merckschen Tube 
wurde am nächsten Tage dreistündlich teelöffelweise per os ver¬ 
abreicht und eine zweite Tube am nächsten Tage in gleicher 
Weise. Zugleich Uebergang auf natürliche Ernährung. Verf. 
glaubt, daß Sepsis in seinem Falle nicht mit im Spiele war. 

6. Eine frühzeitige Diagnose ist für die erfolgreiche Behand¬ 
lung der Moll er-Barlo w sehen Krankheit von großer Bedeu¬ 
tung. Während früher erst die intensiveren Periost- und Zahn¬ 
fleischblutungen die Erkennung der Krankheit ermöglichten, sind 
wir in der Diagnostik der Anfangsstadien des Leidens - in den 
letzten Jahren erheblich weiter gekommen. So wissen wir, daß 
eine nur bei genauer mikroskopischer Analyse des zentrifugierten 
Urins erkennbare Hämaturie oft anderen Erscheinungen der hämor¬ 


rhagischen Diathese vorangeht, und fahnden danach, sowie an¬ 
dauernde Anorexie oder Empfindlichkeit der Glieder ohne erkenn¬ 
bare Ursache unseren Verdacht auf die Barlowsehe Krankheit 
lenken. Die letzten Jahre haben uns nun durch die Beobach¬ 
tungen von Fraenkel, Hoffmann und Rehn den Beweis ge¬ 
liefert, daß wir in der Röntgographie nicht nur ein vortreff¬ 
liches Mittel besitzen zur sicheren Identifizierung der klinisch zweifel¬ 
haften Fälle, sondern daß die im Röntgenbild erkennbaren typischen 
Veränderungen an den Knochen ein diagnostisch und daher auch 
therapeutisch mit bestem Erfolg verwertbares Frü hs ymptom dar¬ 
stellen. Diese Erfahrungen bestätigt Klotz in seiner mit einer 
Reihe von Röntgogrammen illustrierten Mitteilung. Der charakte¬ 
ristische Befund für den Säuglingsskorbut besteht in einer Ver¬ 
schmälerung der Kortikalis und Verwaschung der feinen Spongiosa¬ 
zeichnung, ferner einem bald breiten, bald schmalen, bald linearen, 
bald gekrümmten tiefdunklen Querschatten dort, wo die Diaphyse 
an die Epiphyse grenzt. Wo subperiostale Blutergüsse bestehen, 
sind sie auf dem Röntgogramm natürlich auch erkennbar. Die 
typische Veränderung der Knochen im Röntgen bild überdauert die 
Heilung im klinischen Sinne noch lange. 


SäugHngsffirsorge. 

Referent: Dr. Gustav Tugendreicli , leitender Arzt der 
städtischen Säuglingsfürsorgestelle 5 in Berlin. 

1. Von den Wenigen und den Guten. Von Dr. med. Agnes 
Bluhm. Die Frau, 15. Jahrg., Heft 7. 

2. Konzeptionsbeschränkung und Staat. Von Professor Dr. 
May et. Med. Reform, 16. Jahrg., Nr. 18. 

3. Ueber Stillpraxis und ihren Einfluß auf die Entwicklung 
des Kindes. Von Dr. Martin Nagel. Münch, med. Wochenschr.. 
190S, Nr. 20. 

4. Zur Frage der Stillfähigkeit. Von Dr. A. Le nk. Ibidem. 

1. Die (unberechtigte. Ref.) Zurückführung der großen Säug¬ 
lingssterblichkeit auf den Kinderreichtum dient Bestrebungen zum 
Ausgangspunkte, die unter dem Namen des Neumalthusianismus 
die künstliche Beschränkung der Konzeption propagieren. 

Ihnen tritt Verf. mit Schärfe und Gewandtheit entgegen. Zu¬ 
nächst erschüttert sie durch zahlreiche Beispiele jenes angebliche 
Gesetz, daß die Kindersterblichkeit eine Funktion des Kinder¬ 
reichtums sei. Z. B. ist in Frankreich, dem klassischen Lande 
der Konzeptionsbesehränkung, die Kindersterblichkeit größer als 
in Norwegen mit viel höherer Geburtsziffer. 

Derartige Beispiele lassen sich leicht so häufen, daß eben 
von einem gesetzmäßigen Zusammenhang zwischen Kindersterblich¬ 
keit und Kinderreichtum nicht die Rede sein kann. 

Verf. wendet sich dann gegen die andere Behauptung der 
Neumalthusianer, daß durch die Konzeptionsbesehränkung die 
Fähigkeiten des spärlicheren Nachwuchses gesteigert würden, 
daß also die Beschränkung der Rassenverbesserung diene. 
Wie Verf. aber betont, wird die Konzeptionsbeschränkung gerade 
in den sozial besseren Schichten geübt, während im Proletariats 
noch immer reichlich geboren wird und geboren werden muß, soll 
nicht die Bevölkerungsziffer abnehmen. Also ist die Folge eine 
Verschiebung der Zusammensetzung der Bevölkerung zugunsten 
des Proletariats, was keineswegs eine Rassenverbesserung bedeuten 
kann. 

2. Auch ein so vorzüglicher Statistiker wie M a y e t wendet 
sich gegen die Konzeptionsbeschränkung, indem auch er auf dem 
Standpunkt steht, daß die Kindersterblichkeit in letzter Linie 
nicht vom Kinderreichtum abhänge. Gerade die ersten Kinder 
haben eine größere Sterblichkeit als die späteren, ein Gesetz, das 
auch in der Tierzucht bekannt ist. May et sieht vielmehr die 
letzte Ursache der Säuglingssterblichkeit in der Verbreitung der 
künstlichen Ernährung. Mit lebhaftem Eifer spricht er sich für 
eine möglichst lange Stilldauer aus, indem er auf Japan hinweist, 
wo eine zwei- bis dreijährige Stilldauer die Regel bildet. 

Diese lange Stilldauer ist nach May et auch der beste Schutz 
gegen zu häufige Konzeption. 

Eine künstliche Konzeptionsbeschränkung billigt M. nur für 
den Teil der sich außerehelich Paarenden, bei denen eine 


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Bauchfellverwacksungen und viele andere Störungen des Wund¬ 
verlaufs sattsam bekannt ist. V. gibt noch: auf dem Operations¬ 
tisch 1 mg subkutan und wiederholt die Einspritzung, wenn nötig, 
nach drei Stunden. Auch bei nicht Operierten kann Physostigmin 
nach Vogels Erfahrungen als subkutanes Abführmittel gegeben 
werden. 

10. Im Städtischen Krankenhause Altona hat man sich von 
dem günstigen Einfluß des Marmorek- Serums auf chirurgische 
Tuberkulose, wie ihn neben ausländischen Arbeiten namentlich 
Veröffentlichungen aus den Kliniken von Hoffa und Sonnen- 
burg rühmten, bei einer Reihe von 14 Fällen nicht überzeugen 
können. Das Serum wurde bei der meist rektalen Einverleibung 
— Einspritzungen unter die Haut sind schmerzhaft — zwar gut 
vertragen, auch besserte sich das Aussehen mißfarbener Granula¬ 
tionen bei einigen Fisteln; entscheidende, dem Serum zuzuschrei¬ 
bende Heilerfolge aber blieben aus, und in zwei schweren Fällen 
von Knochentuberkulose flackerten während der Behandlung alte 
Herde wieder auf. Auch eine besondere Hebung des Allgemein¬ 
zustandes konnte nicht beobachtet werden. — Nach den Beob¬ 
achtungen des Ref. ist diese Auffassung durchaus berechtigt; auch 
halten manche in früheren Veröffentlichungen und Vorstellungen 
als geheilt vorgeführte Fälle einer schärferen Prüfung nicht stand, 
wie H. ebenfalls betont. 


Augenheilkunde. 

Referent: Privatdozent Dr. G. Abelsdorff, Berlin. 

1. Amblyopie infolge von Nebenhöhleneiterungen der Nase. 
Von L. Rethi. Wien. med. Wochenschr., 1908, Nr. 19, S. 1065. 

2. Heber Frühtransplantation bei Verbrennungen des Augen¬ 
lides. Von Pfalz. Deutsche med. Wochenschr., 1908, Nr. 19, 
Seite 823. 

3. Die Jodkalibehandlung der Katarakta inzipiens. Von 

v. Pflugk. Med. Klinik, 1908, Nr. 7. 

1. Die von Rethi berichteten zwei Fälle veranschaulichen 
die erfolgreiche Behandlung der Neuritis optika, die im Gefolge 
einer Siebbeinzelleneiterung entstehen kann und bei Ausräumung 
des Siebbeinlabyrinths zurückgeht. Besonders eklatant war der 
Erfolg in dem ersten Falle: Bei einem 39jährigen Manne war 
durch Neuritis optika das linke Auge fast erblindet, das rechte 
hatte noch halbe Sehschärfe. Dabei war kein Abszeß oder Oedem 
der Lider vorhanden. Da Symptome einer Siebbeinzellenerkran¬ 
kung vorhanden waren, wurde nach Entfernung der mittleren 
Muschel das eiterdurchtränkte Siebbeinlabyrintli beiderseits aus¬ 
geräumt; nach zwei Tagen war die Sehschärfe bereits rechts fast 
normal, links auf 1 h gestiegen. 

In solchen Fällen ist es therapeutisch von großer Wichtig¬ 
keit , auch wenn keine Schwellung der Lider oder analoge Er¬ 
scheinungen den Verdacht von vornherein auf die Nase lenken, 
eine rhinogene Fortleitung auf den Optikus in Betracht zu ziehen 
und auf eine Nebenhöhlenerkrankung der Nase zu fahnden. 

2. Alle Verbrennungen der Haut- oder Schleimhautbedeckung 
der Augenlider oder in deren Umgebung haben bei der Ver¬ 
narbung leicht Ektropium oder Entropium und Trichiasis im Ge¬ 
folge. deren operative Beseitigung oft keinen vollen Erfolg hat. 
P falz rät daher, in solchen Fällen nicht die spontane Vernarbung 
abzuwarten, sondern unmittelbar nach Demarkation des Brand¬ 
schorfes Deckung der Defekte mit Epidermislappen nach Thiersch 
vorzunehmen. Die Deckung hat bereits bei Defekten von Erbsen¬ 
große, ja am unteren Lide und im inneren Lidwinkel in der Nähe 
der Tränenpunkte selbst bei kleineren Defekten stets zu erfolgen. 
Bei Defekten der Schleimhaut muß der groß zu wählende Epi¬ 
dermislappen wie ein einmal zusammengefalteter Briefbogen in die 
obere oder untere Uebergangsfalte eingenäht und dadurch vor 
Verschiebung bewahrt werden. Der Zeitpunkt ist recht früh — 
am vierten bis sechsten Tage nach der Verbrennung — zu 
wählen; Reste nekrotischen Gewebes sind mit scharfem Löffel zu 
entfernen. 

3. v. Pflugk tritt für die von französischen Ophthalmologen 
inaugurierte Behandlung des Katarakta inzipiens mit Jodkali ein. 
Er behandelt beginnende Linsentrübungen mit Jodkaliaugenbädern 
oder Jodkalieinträufelungen (0,25 : 10,0), bei vorgeschrittenen 



THEMP&TmSCHB ipNDSQWK 


Fällen macht er subkonjunktlvale Einspritzhngen Von-1 tyoigerÄd-v 
kalilösung. Er hat bei dieser Behandlung entweder Besserungen 
oder ein Stationärbleiben der Trübungen eintreten sehen, eine Ver¬ 
schlechterung erfolgte in keinem Falle. (Länge der Beobachtungs¬ 
dauer ?) 


Kinderheilkunde. 

Referent: Privatdozent Dr. J. Ibrahim, München. 

1. Ueber Mehle lind Mehlfütterungen bei Säuglingen nnd 
ihre Beziehungen zum Stoffwechsel. Von H. Rietschel. Deutsche 
med. Wochenschr., 1908, S. 826. 

2. lieber einige Fälle von Hirschsprungscher Krankheit im 
Kindesalter. Von Kohts. Therap. d. Gegenw., 1908, S. 193. 

3. Ueber die Bedeutung der Seifenstühle im Säuglings¬ 
alter. Von A. Hecht. Münch, med. Wochenschr., 1908, S. 1010. 

4. Heber die operative Behandlung der Hernien im Kindes¬ 
alter. Von E. Großmann. Ibidem, S. 1012. 

5. Zur Behandlung der hämorrhagischen Diathese beim 
Neugeborenen. Von L. Grüneberg. Ibidem, S, 1079, 

6. Zur Röntgendiagnose des Säuglingsskorbuts (Barlowsche 
Krankheit). Von Klotz. Monatsschr. f. Kinderheilk., 1908, 
April. 

1. Der inhaltsreiche Aufsatz von Rietschel sei zum Studium 
im Original empfohlen. — R. vertritt folgende Anschauungen: 
Praktisch empfiehlt es sich, im ersten Monat das Mehl noch fort¬ 
zulassen, da die Erfahrungen hier noch recht geteilt sind, nnd der 
Nutzen nicht im Verhältnis zur Gefahr steht, im zweiten Monat' 
aber unbedingt eine 1- bis 2%ige Schleim- oder Mehlabkochung als 
Zusatz zur Milch anzuwenden, die wir später noch etwas steigern 
können. Vom sechsten Monat an können Kohlehydrate in Form 
von Amylum reichlicher gegeben werden. — Die Mehle sind 
absolut indiziert beim Milchnährschaden (Czerny), bei Kindern, 
die durch Ueberernährung mit Milch atrophisch geworden sind. 
Diesen Kindern wird am besten geholfen, wenn man das Fett 
rigoros aus der Nahrung eliminiert; hier feiert die kohlehydrat¬ 
reiche Nahrung, die Buttermilch, die Malzsuppe , ihre Triumphe; 
hier sollen stets die Kohlehydrate in zwei Formen verabreicht 
werden, d. h. es muß diesen Mischungen stets Mehl in mehr 
oder minder großer Menge zugesetzt werden. — Darreichung 
reiner Mehlabkochungen (mit oder ohne Zucker) nach einer akuten 
Verdauungsstörung (Dyspepsie Widerhofers) ist nur für kurze 
Zeit gestattet (drei bis fünf Tage). Durch längere Mehlfütterung 
(mit und ohne Zucker) kann dem Säugling erheblicher Schaden 
zugefügt werden (Mehlnährschaden). Es ist wahrscheinlich, daß 
durch zu lange einseitige Fütterung von Mehl und Zucker „spe¬ 
zifische“ Stoffwechselstörungen entstehen (Störungen im Wasser- 
und Salzhaushalt), daß also der Mehlnährschaden nicht allein aus 
dem Fehlen anderer wichtiger Stoffe erklärt werden darf. Die 
Krankheitstypen des „Mehlnährschadens“ sind am besten zu be¬ 
zeichnen als X. rein atrophische, 2. atrophisch hydrämische und 
3. hypertonische Form. Diese Typen sind indes nicht etwa allein 
für den Mehlnährschaden charakteristisch, sondern finden sich auch 
bei anderen schweren Ernährungsstörungen (Zuckerüberfütterung?). 
Die Hypertonien sind aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zentral 
bedingt, sondern stellen eigentümliche Quellungszustände der 
Muskeln dar. Die Prognose des Mehlnährschadens ist schlecht, 
besonders für die atrophisch-hydrämischen und hypertonischen 
Formen. Therapeutisch ist die erste Indikation die sofortige Ent¬ 
fernung des Mehls und womöglich Ernährung mit Frauenmilch, 
zunächst in geringen Mengen, 200 bis 300 g. Gewichtszunahmen 
lassen oft lange auf sich warten; oft erlebt man zunächst ein be¬ 
trächtliches Heruntergehen des Gewichts, das mit dem Schwinden 
des hydrämischen Zustandes zusammenhängt. Man soll ruhig fort¬ 
fahren, ein solches Kind an der Ammenbrust trinken zu lassen, 
gleichviel ob es ab- oder zunimmt. Nach einer gewissen Zeit, 
vielleicht 14 Tagen oder 3 Wochen, vielleicht auch früher, wird 
ein Moment eintreten, wo sich plötzlich die Kurve hebt und ein 
vollständiger Ansatz erzielt wird. — Steht Frauenmilch nicht zur 
Verfügung, so ist Kuhmilch (event. mit Pegnin gelabt) die zweck¬ 
mäßigste Nahrung; da die Zufuhr der nötigen Menge mitunter 
erschwert ist, kann man eventuell Vollmilch löffelweise geben 


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wein getränkten Jodoformgazetampon,^welcher noch mit mehrfach 
zu wechselnden Kataplasmen bedeckt wird* Besonders günstig 
sind die Erfolge beim phagedänischen Schanker. — Die einfache 
Trockenbehandlung des Schankers mit Pulvern ist oft schädlich, 
weil unter dem Pulver häufig Sekretstauung eintritt. Viel besser 
wirkt die feuchte Behandlung, wozu er am liebsten Kupr. sulfur. 
l%ig verwendet. 

11. von Nothafft beobachtete eine große Zahl von Fällen 
einer speziell im Juni bis August in trockenen Jahren auftretenden 
Juckepidemie, die bedingt ist durch das Festsaugen der Larve 
des Leptus antumnalis, die 0,25 bis 0,3 mm lang, 0,15 bis 
0,2 mm breit und honiggelb bis orangefarben ist. Man findet 
diese Larven besonders bei Kindern mit zarter Haut auf Schläfen, 
Hals und Armen. Sie können einfach durch Auf drücken eines in 
Benzin getränkten Wattebausches getötet werden. Häufig ver- 
anlaßte diese Affektion sekundäre Hautausschläge. 

12. Herzfeld beobachtete in einem Fall den foudroyanten 
Beginn des Karzinoms bei einer Leukoplakie nach wiederholten 
chirurgischen Eingriffen. Er glaubt, daß der operative Reiz die 
Entstehung des Krebse» auf dem durch die Leukoplakie präpa¬ 
rierten Boden rapid entwickelt hat. Er warnt daher vor jeder 
starken Reizwirkung. 

13. Die plastische Induration des Penis, eine spontan 
auftretende umschriebene Knotenbildung am Korpus kavemosum, 
die bei Erektion und Ejakulation gelegentlich ein sehr schmerz¬ 
haftes Leiden darstellt, findet man häufig im Zusammenhang mit 
Podagra und Dupuytrenscher Fingerkontraktur. In einem Fall 
ließen sich arteriosklerotische Veränderungen an den Gefäßen des 
Knotens nachweisen bei vollständigem Mangel der Sklerose an 
anderen Gefäßen.. 

14. Das Teerpräparat Pittylen unterscheidet sich von den 
bekannten Teerpräparaten durch die völlige Reizlosigkeit und Un¬ 
giftigkeit. Es kann daher auch bei subakuten Ekzemen ver¬ 
wendet werden, andrerseits kann es infolge seiner Tiefenwirkung 
auch die entzündliche Infiltration chronischer Hautkrankheiten zur 
Resorption bringen. 

15. Garboterpin, ein Teerpräparat, das die in Terpinol 
löslichen Bestandteile des Teers enthält, zeigt gute Wirkung bei 
Psoriasis. Löst man Teer in Tetrachlorkohlenstoff und läßt aus 
dieser Lösung den letzteren abdampfen, so erhält man eine Sub¬ 
stanz, die Herxheimer Carboneol nennt. Dies ist von allen 
Teerpräparaten das reizloseste. Allerdings ist es tiefschwarz und 
beschmutzt die Wäsche. Es läßt sich bei subakuten Ekzemen 
anwenden. 

16. Aus verschiedenen Versuchen folgert Maar, daß die 
Finsen-Reynlampe imstande ist, im lebenden tierischen Gewebe 
eine sowohl tiefere als andauerndere Reaktion hervorzubringen 
als die Kromayersche Lampe und dieser deshalb stets vorzu¬ 
ziehen ist, wenn man eine Wirkung wünscht, die diese Eigen¬ 
schaften besitzt. Die Tiefenwirkung wird nicht durch die An¬ 
wendung des blauen Lichtes verstärkt; im Gegenteil. Wünscht 
man dagegen eine kräftige Oberflächenwirkung, so wird sich die 
Kromayersche Lampe mit Vorteil verwenden lassen. Man darf 
aber nicht vergessen, daß die Bestrahlung mit derselben später 
stundenlang heftige Schmerzen und sehr leicht Nekrose mit darauf¬ 
folgenden verunstaltenden Narben verursacht. 

17. Napp empfiehlt die von Lenzman inaugurierte Lues- 
therapie mit intravenösen Chinin inj ektionen, die sämtliche Er¬ 
scheinungen beseitigen, ohne daß lokale Behandlung nötig ist. Er 
glaubt, auf die von Lenzmann gleichzeitig mit den intravenösen 
Injektionen gegebenen intramuskulären Injektionen von Chinin, 
nukleinikum verzichten zu können. 

18. Zeißl hat gute Erfolge beiRosazea erzielt durch zwei¬ 
mal tägliches Bestreichen der erkrankten Stellen mit unverdünntem 
Eisenchlorid. Nach vier bis fünf Tagen bildet sich eine dicke 
Kruste. Man hört dann mit dem Pinseln auf und wartet, bis die 
Kruste von selbst abfällt. Sobald die Entzündung vorbei ist, muß 
man wieder beginnen. Die Behandlung dauert drei bis vier 
Monate, Die geschlängelten Blutgefäße verschwinden oft gänzlich. 


Militärmedizin. 

Referent: Dr. M. Peltzer, Generaloberarzt a. D. in Steglitz. 

1. Die Erkrankungen und Verletzungen der Bauchspeichel¬ 
drüse in der Armee von 1894 bis 1904. Von Dr. Strauß, 
Oberarzt im 2. Lothr. Feldartill.-Regt. Nr. 34 in Metz. Deutsche 
militärärztl. Zeitschr., 1908, H. 8, S. 329. 

2. Die Orthoröntgenographie Gemeingut der Lazarette. Von 
Oberstabsarzt Dr. Gill et -Berlin. Deutsche militärärztl. Zeitschr., 
1908, Heft 7, 5. April, S. 281. 

3. Taktik des Truppensanitätsdienstes auf dem Schlacht¬ 
felde. Von Löffler, Major im Kgl. Sächsischen Generalstabe. 
(2. Aufl. Berlin 1907. Mittler & Sohn.) Der Militärarzt, 1908, 
Nr. 7, 10. April, S. 111, Referat. 

4. Geisteskrankenstationen in den Garnisonlazaretten. Ibid., 

S. 363, Mitteilungen. 

1. Nach Leichtenstern und Lenhartz spotten die 
Pankreaserkrankungen der Diagnose. Demgegenüber hat Str. 
festgestellt, daß die von 1894 bis 1904 in der Armee vorgekom¬ 
menen Fälle mehrfach diagnostiziert worden sind. Wir erwähnen 
kurz alle, weil sie, auch abgesehen hiervon, wertvolle Beiträge 
zur Pankreasforschung überhaupt liefern. Es wurden Pankreas - 
zysten fünfmal beobachtet und immer richtig diagnostiziert. 
Drei von den Kranken verweigerten die Operation, zwei wurden 
chirurgisch erfolgreich behandelt. Pankreaskarzinom wurde 
bei sieben Soldaten festgestellt, zweimal war es auf das Pankreas 
beschränkt, sonst hatte es auf Leber, Magen, Duodenum und Oeso¬ 
phagus, einmal sogar auf die linke Niere und Hoden übergegriffen. 
Pankreasentzündung gelang es Str. einmal bei einem Kanonier 
in Metz zu diagnostizieren und zwar auf folgenden Befund hin: 
es bestanden unerträgliche Schmerzen in der linken Bauchseite, 
hohes Fieber, hochgradige Abmagerung und Zuckerausscheidung. 
Letztere verschwand nach sechs Tagen, das Fieber sank, die Ab¬ 
magerung bestand jedoch weiter, nur später trat wieder eine ge¬ 
ringe Gewichtszunahme ein. Ausschlaggebend für die Diagnose 
waren die hochgradigen, durch Morphium nicht zu beeinflussenden 
lokalisierten Schmerzen, die rapide Abmagerung und die Zucker¬ 
ausscheidung. Hämorrhagische Pankreatitis wurde zwei¬ 
mal beobachtet und durch Laparotomie nicht geheilt. Einmal 
kam chronische interstitielle Pankreatitis vor. In einem 
Falle ausgedehnter Tuberkulose fast aller Baucheingeweide 
wurde auch das Pankreas von zahlreichen miliaren Knötchen durch¬ 
setzt gefimden. Bei drei Sektionen ergab sich eine schwerere 
Schädigung des Pankreas durch Magen- bezw. Duo¬ 
denalgeschwüre. In einem dieser Fälle, in welchem eine er¬ 
folglose Laparotomie gemacht worden war, wurde zwar keine 
Perforation des Geschwürs gefunden, wohl aber hatte dieses einen 
ab gekapselten, mit dem Pankreas verwachsenen Abszeß verursacht, 
ein zweites Mal hatte ein Magengeschwür auf das Pankreas über¬ 
gegriffen und dessen Schlagader eröffnet, ein drittes Mal griff 
das Geschwür 2 cm in das Pankreas hinein. Echinokokkus 
saß einmal im Pankreaskopf. Pankreas Verletzungen fanden 
sich dreimal, und zwar handelte es sich alle dreimal um den 
höchst seltenen Fall einer isolierten Bauchspeicheldrüsenverletzung. 
Zwei Fälle endeten tödlich, einer wurde gerettet, operiert wurde 
in sämtlichen Fällen. Die äußerst schwierige Diagnose einer 
solchen isolierten Verletzung wurde hier, wie es scheint zum ersten 
Mal, durch Stabsarzt Blecher gestellt, der aus dem Umstande, 
daß eine nach den Symptomen anzunehmende, langsam verlaufende 
innere Blutung infolge eines Huftritts gegen die Magengrube 
nicht in die Bauchhöhle erfolgt war und der Sitz der Dämpfung 
zwischen Magen und Kolon lag, auf das Pankreas als Ausgangs¬ 
punkt dieser Blutung schloß, was durch die glücklich verlaufene 
Operation bestätigt wurde. Das Genauere, namentlich auch über 
weitere Fingerzeige für die Diagnose in ähnlichen Fällen, muß im 
Original nachgelesen werden. In einem Diabetes fall wurde 
bei der Sektion das Pankreas stark atrophiert gefunden. Am 
Schlüsse der interessanten Arbeit finden sich Literaturangaben. 

2. Bei der Größenbestimmung des Herzens eine genaue, un¬ 
mittelbare Begrenzung des Organs zu machen, ermöglicht allein 
die Röntgenologie, doch ist die Methode an einen kostspieligen 
Apparat, den Orthoröntgenographen, gebunden. Mit Rücksicht 
hierauf hat Gillet ein derartiges Instrument konstruiert, das sich 


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bei geringen Kosten mit Hilfe der jedem mittleren Lazarett zu 
Gebote stehenden technischen Mittel herstellen läßt und allen An¬ 
forderungen genügt. Die gewerbsmäßige Herstellung'dieses Gill et - 
sehen Orthoröntgenographen ist patentamtlich geschützt, die Selbst¬ 
anfertigung zum eigenen Gebrauch, insbesondere für wissenschaft¬ 
liche Zwecke, dagegen erlaubt. • Die gesamten Herstellungskosten, 
abgerechnet Röntgenröhre und Fluoreszenzschirm, betragen etwa 
50 M. Wegen der Einzelheiten muß auf das Original verwiesen 
werden. 

3. Die vorliegende zweite Auflage der Löfflerschen Taktik 
des Truppensanitätsdienstes auf dem Schlachtfelde berücksichtigt 
die infolge der neuen Kriegssanitätsordnung von 1907 eingetretenen 
organisatorischen Veränderungen und bringt den Sanitätsdienst im 
Felde an zwei Gefechtsbeispielen zur Darstellung. Daran werden 
neue Ansichten und Vorschläge geknüpft. 

4. Bisher war es Vorschrift, daß Geisteskranke in den Gamison- 
lazaretten nur beobachtet und nach Feststellung ihrer Krankheit 
Ziviliirenanstalten überwiesen wurden, weil die dauernde Unter¬ 
bringung und Behandlung Geisteskranker in den Lazaretten Ein¬ 
richtungen erfordert, die in diesen nicht vorhanden und nicht er¬ 
forderlich waren, weil Geisteskrankheit vom Militärdienst aus¬ 
schließt und das hierauf abzielende Verfahren zur Entlassung des 
betr. Kranken alsbald eingeleitet wurde. Immerhin waren hier¬ 
mit Weiterungen verbunden , auch war das Verfahren nicht frei 
von Nachteilen für die Kranken selbst. Im Interesse einer besseren 
Fürsorge für diese ist jetzt im Februar d. Js. im Garnisonlazarett 
Posen in einem besonderen Neubau eine Geisteskrankenstation er¬ 
öffnet worden, die von einem in der Psychiatrie spezialistisch 
ausgebildeten Sanitätsoffizier geleitet wird. Sie ist zur Aufnahme, 
Beobachtung und Behandlung Kranker aus den Bezirken des I., 
II., V., VI. und XVII. Armeekorps bestimmt. Inzwischen werden 
die Geisteskrankenstuben in den anderen Garnisonlazaretten weiter 
ausgestaltefc und Geisteskrankenstationen bei dem Garnisonlazarett 
Straßburg i. E. und bei dem neuen Garnisonlazarett Magdeburg 
errichtet. 


Mitteilungen über Arzneimittel. 


Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. Pulmoform. Von Dr. Linke. Therapeut. Neuigkeiten, 

1908, Mai. 

2. Leichtlösliche Sublimatpastillen. Von Dr. Boshouwers. 

Ibidem. 

3. Hageen und Merkalator, zwei Neuheiten der Syphilis¬ 
therapie. Von Apotheker Bruhn. Ibidem. 

4. Alcuentum, eine neue Alkoholquecksilbersalbe. Von Dr. 
Kaiser. Aerztl. Rundschau, 1908, Nr. 21. 

5. lieber die intramuskuläre Anwendung eines neuen arsen- 
und phosphorhaltigen Eisenpräparates. Von Dr. Schramm. 
Med. Klinik, 1908, Nr. 18. 

fi. Ueber Wismutsubnitrat und dessen Wirkung. Mitteilung 
au-> der Chem. Fahr, von Bonz & Sohn (Böblingen). Allg. med. 
Zentralzeitg., 1908, Nr. 18. 

1. Ueber die günstigen Wirkungen des Pneumins der Chemi¬ 
schen Fabrik Speier & von Karzer wurde erst kürzlich in dieser 
Zeitschrift releriert. Dieses Präparat wird durch Einwirken von 
Formaldehyd aul Kreosot gewonnen, und da lag der Gedanke 
nahe, durch Ersatz des Kreosots ein Seitenstück zu dem genannten 
Präparat zu bilden, durch Einwirkung von Formaldehyd auf Gua- 
jakol ein Parallel mittel zum Pneumin zu gewinnen, welches im 
Pulmolorm vorliegt. Dieses ist ein gelbliches Pulver, dem fast 
dieselben Eigenschaften zukommen wie dem Pneumin; doch 
zeichnet es sich vor diesem durch seine völlige Geruch- und Ge¬ 
schmacklosigkeit aus und ätzt auch bei größten Dosen niemals. 
L. beobachtete, daß es lieber genommen wurde als Pneumin. Auch 
ist Pulmoform wesentlich billiger als sein Schwesterpräparat; es 
kosten 10 g 1,55 M. Die zur Fabrikation berechtigte Firma, 


Dr. Laboschin, Viktoriaapotheke, Berlin S.W., gibt das Pulmo¬ 
form auch in Tabletten zu 0,5 g ab zum Preise von 4 *M. für 
50 Stück. 

2. Schon mancher Arzt wird die Langsamkeit beklagt haben’, 
mit welcher sich die bekannten roten Angererschen. Sublimat¬ 
pastillen in Wasser lösen. Soll die Sache beschleunigt werden, 
bleibt meist nichts anderes übrig, als die Pastille mit den Fingern 
zu zerdrücken, wovon diese dann gewöhnlich für einige Tage eine 
Erinnerung zurückbehalten. Nach einer Mitteilung B.s haftet 
dieser Uebelstand den graublauen Pastillen der Firma Burroughs, 
Wellcome Co. nicht an. B. hat seit zwei Jahren diese Sublimat¬ 
pastillen im Gebrauch und war imstande, in 3 U Minute in 20 ccm 
kalten Wassers (ein gewöhnliches Reagenzglas voll) eine Pastille 
zu 0,5 g völlig aufzulösen. 100 Stück solcher Tabletten kosten 
1,35 M. 

3. B. berichtet über zwei neue Antisyphilitika, Hageen und 
Merkalator. Ueber das erstere und seine guten Erfolge habe ich 
schon an dieser Stelle referiert; ich begnüge mich deshalb mit 
dem Hinweis auf dieses neue Präparat, das vor dem Unguentum 
cinereum den nicht zu unterschätzenden Vorteil besitzt, daß es an 
die Wäsche keine Farbe abgibt, vorausgesetzt, daß die Einreibung 
nach Vorschrift vollendet wurde, d. b. die Haut sich nicht mehr 
klebrig, sondern nur noch feucht anfühlt. Unter dem Namen 
Merkalator ist eine neue Maske in den Handel gebracht worden, 
die zur Quecksilberinhalationskur dienen soll. Sie wird von der 
bekannten Firma Beiersdorf-Hamburg nach Angaben von Prof. 
Kromayer hergestellt. Wenn die Innnktion wirklich weiter 
nichts bedeutet, als die Vorbereitung zur Inhalation des Queck¬ 
silbers durch Mund und Nase, so ist es naheliegend, das Queck¬ 
silber in einfacher Weise an die Atmungsorgane zu bringen, und 
durch die Kromayer sehe Methode wird die Quecksilberkur sehr 
vereinfacht, wird diskret, sauber und billig in die Wege geleitet. 
Der Merkalator hat die Form einer Drahtglocke von etwa Faust¬ 
große, die durch Biegen jeder Gesichtsform angepaßt werden kann 
und Mund und Nase völlig bedecken soll. In dieser Lage wird 
sie nach Art einer Schnurrbartbinde durch zwei Bänder fixiert. 
Das Drahtgestell ist mit einer doppelten Ge websschicht bespannt, 
die imprägniert, 8 g metallisches Quecksilber in feinster Vertei¬ 
lung enthält. Nach zehntägiger Benutzung ist die Wirkung der 
Maske, die natürlich nur nachts getragen werden kann, erschöpft. 
Zu einer Vollkur sind drei bis vier Masken notwendig. Professor 
Kromayer hat bei etwa 160 Fällen die Merkalatormaske ange¬ 
wendet. Nach seinen Beobachtungen tritt die Quecksilberwirkung 
rascher ein als bei der Sohmierkur und ist ebenso sicher und er¬ 
folgreich. Der Preis einer Maske beträgt 2 M. 

4. Ueber ein anderes Quecksilberpräparat berichtet K., das 
er mit gutem Erfolge in mehreren Fällen angewendet hat. Es 
ist das eine neue Alkoholquecksilbersalbe namens Alcuentum. K. 
hebt als Vorteil gegenüber der grauen Salbe hervor, daß er nach 
Anwendung des neuen Präparats nie Reizerscheinungen, Pusteln 
oder Ekzeme bemerkte. Er schiebt dies auf den Alkoholgehalt 
der Salbe und darauf, daß das Alcuentum Hydrargyri in drei bis 
fünf Minuten völlig und feinstens in die Haut verrieben ist. Die 
Salbe soll auch die Leibwäsche nicht beschmutzen. Ob die Ab¬ 
kürzung der Einreibungsprozedur, wie K. meint, wirklich ein 
Vorteil ist, möge dahingestellt sein. Denn gerade in der inten¬ 
siven Inunktion in Verbindung mit Inhalation sehen die Autoren 
die vortreffliche Wirkung der grauen Salbe. Immerhin mag die 
33V3% Hg enthaltende Salbe Alcuentum Hydrargyri zu weiteren 
Versuchen als Ersatz der schmierigen Hg-Fettsalbe empfohlen 
werden. 

5. Um die Verdauungsstörungen, die häufig durch Eisen¬ 
präparate hervorgerufen werden, zu vermeiden, wurde Nukleogen, 
das bekannte arsen- und phosphorhaltige Eisenpräparat, von dem. 
chemischen Laboratorium Rosenberg-Berlin steril in zugeschmolzenen 
Phiolen in den Handel gebracht. Bei 7 6 Fällen- hat Sch. damit 
intramuskuläre Injektionen gemacht und äußert sich über den 
Erfolg sehr befriedigt. Der Inhalt einer Phiole reicht für eine 
einmalige Injektion bei Erwachsenen; Kindern injiziert man die 
Hälfte jeden zweiten Tag. Sch. verwendete das Präparat bei 
Personen von 4 bis'50 Jahren, und zwar bei Chlorose, Anämie, 
Skrofulöse, Tuberkulose, allgemeinen Ernährungsstörungen sowie 
neurasthenischen Beschwerden und Chorea. Die Einspritzungen 


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r. ’r * 


THERAPEUTISCHE BUNDSCHAU. 


379 


wurden jed;en -zweiten Tag mit einer-2 g fassenden Rekordspritze 
gemacht. Die 'erste Injektion war stets sehr schmerzhaft, rief 
auch lokale und' Allgemeinerscheinungen (Temperaturanstiege, Ab- 
geschlagenheit, Schwindel) hervor. Sie wurden am besten über¬ 
wunden, wenn man die Einspritzungen auf < Rücken oder Gesäß 
yomahm. Jede weitere Injektion soll in nächster Nähe der vor¬ 
hergehenden, höchstens drei Querfinger breit von ihr gemacht 
werden. Bei zu erheblicher Schmerzhaftigkeit soll man drei Tage 
warten. Es wurden durchschnittlich 30 Einspritzungen gemacht. 
Der Erfolg zeigte sich in Steigerung des Hämoglobingehalts, Zu¬ 
nahme des Körpergewichts und des allgemeinen Wohlbefindens. 
Trotz einiger Unbequemlichkeiten hält Sch. doch die Vorteile 
dieser Behandlung mit Nukleogen für so groß, daß er sie sehr 
empfiehlt. 

6. Auch für ärztliche Kreise dürften die Versuche interessant 
sein, welche die chemische Fabrik von Bonz & Sohn (Böblingen) 
über die Wirkung des Wismutsubnitrat angestellt hat. Daraus 
geht hervor, daß geringe Mengen von Wismutsubnitrat (2°/ 00 ) 
die Milchsäurebildun gaus Kohlehydraten (Milchzucker) in neutralen 
oder mit sehr wenig Salzsäure (0,075 °/oo) versetzten Lösungen 
völlig verhinderten, bei Zusatz von wenig mehr Salzsäure (0,15 °/oo) 
aber nicht mehr sehr merklich beeinträchtigten. Eiweißlösungen, 
verdünnt mit gleichem Volumen Wasser, gingen nicht in Fäulnis 
über — bei wochenlangem Erwärmen auf 40° —, wenn 3,3°/oo 
Wismutsubnitrat hinzugesetzt war. Wurden solche Eiweißlösungen 
schwach angesäuert, so wirkte Wismutsubnitrat auf die Milch¬ 
säurebildung zwar nicht hemmend ein; die später auftretende 
Fäulnis wurde aber durch jenes völlig verhindert. Den Umstand, 
daß Wismutsubnitrat in Fällen, wo es an Salzsäure fehlt, die 
Milchsäürebildung völlig verhindert, halten die Verfasser für be¬ 
deutungsvoll in therapeutischer Beziehung. Sie weisen darauf hin, 
daß Falkenstein (Wien, klin.-therap. Wochenschr., 1904) die 
Gichtanfälle von Dyspepsien eingeleitet annimmt, die durch Mangel 
an Salzsäure entstehen, und daß ferner Cohn (Hammarsten, 
Lehrb. d. phys. Chemie, S. 372) sagt, daß bei Anwesenheit von 
mehr als 0,7°/oo Salzsäure bei der Verdauung keine Milchsäure¬ 
bildung mehr- stattfinden könne. Wenn man dazu in Betracht 
zieht, daß Wiener die Möglichkeit der Harnsäurebildung im 
Körper mittels Milchsäure bewiesen hat und Burian die Mit¬ 
wirkung dieser Säure bei Entstehung der Harnsäure zugibt, so 
dürfte bei Neigung zu gichtischen Anfällen infolge mangelnder 
Salzsäurebildung die prophylaktische Wirkung von Wismutsub¬ 
nitratgaben nicht als absurd zu bezeichnen sein. Da die Gegen¬ 
wart von Wismutsubnitrat in größerer Menge die Lösung von 
geronnenem Eiweiß durch Pepsin und Salzsäure beeinträchtigt, ist 
es angebracht, besonders bei fortgesetzten Gaben des Präparats, 
dasselbe -nur in kleinen Mengen zu verabreichen. 


Technische Neuerscheinungen. 


Bin neuer Instrumententisch mit trapezförmiger Platte. 

Oberstabsarzt Dr. Geißler in Neu-Ruppin hat einen neueri 
Instrumententisch angegeben, welcher von der Firma Georg 
Haertel in Breslau angefertigt wird. Der Tisch zeichnet sich 
dadurch vor den bisher üblichen Tischen aus, daß er eine 
trapezförmige Platte besitzt. Der Autor hatte es bei gynäko¬ 
logischen Operationen besonders lästig empfunden, namentlich 
bei Beckenhochlagerung, daß man den Instrumententisch nicht 
bis an das Operationsfeld heranschieben kann, um auf denselben 
die Instrumente legen zu können. Es wurden die bald wieder 
zu brauchenden Instrumente in der Eile oft auf die mit sterilen 
Tüchern bedeckten Schenkel der Patienten gelegt. Allein dies 
hat seine großen Nachteile, und die Asepsis kann nur zu leicht 
arg gefährdet werden. Man hat nun bisher Instrumententische 
mit rechteckiger Platte, welche man über den Kranken hinweg 
schieben kann, allein wenn diese rechteckige Platte über die 
Brust des Kranken und auch wenn sie von den Beinen her in 
die Nähe des Operationsfeldes geschoben wird, so stört sie den 
Operateur öder Assistenten ganz bedeutend. Die Tafel des 


neuen Tisches ist trapezförmig und mit der breiteren Seite am 
Ständer festgemacht, während die schmalere Seite entgegen¬ 
gesetzt zu liegen kommt. Man kann also den Tisch von den 
Beinen her bequem zwischen die Schenkel schieben und da¬ 
durch bis in die nächste Nähe des Operationsfeldes gelangen. 
Die Tafel hat die Größe von 40 cm und 28 cm, während die 
vordere Seite des Trapezes etwas abgerundet ist. Die Höhe 
des Trapezes ist 40 cm. Die Ränder sind 1 cm nach oben auf¬ 
gebogen. Als Untergestell ist das vom Koch ersehen Ver¬ 
bandtisch her bekannte dreifüßige verwendet, dessen langer 
dritter Fuß unter jeden Operationstisch geschoben werden kann, 
ohne hinderlich zu sein. Durch das Einschieben der Tisch¬ 
platte zwischen die Beine wird dem Operateur wie den Assi¬ 
stenten eine sehr gute Gelegenheit gegeben, die Tupfer und 
Instrumente rasch einmal beiseite legen zu können und dabei 
doch eine einwandfreie sterile Unterlage für dieselben zu haben. 
Man bedeckt die Tischplatte natürlich mit einem sterilen Tuche, 
auf welches erst die Instrumente zu liegen kommen. Dieser 
überaus praktische Tisch kann event. eine Instrumentenschwester 
gut ersetzen. Man legt sich vor Beginn der Operation alle zu 
verwendenden Instrumente auf dem Tische zurecht und muß 
während der Operation nur immer peinlich darauf achten, daß 
man die einmal gebrauchten Instrumente i mm er wieder an den 
bestimmten Platz auf der Tischplatte zurücklegt. Man findet 
sie dann immer rasch wieder und kann eine zureichende Person 
entbehren. Deshalb hat Verf. diesem Tische den Namen 
„stumme Schwester“ gegeben. Die Tischplatte kann natürlich 
hoch und niedrig verstellt werden, und man kann den Tisch 
auch zu anderen Zwecken im Sprechzimmer, z. B. zum Darauf¬ 
stellen der Lampe bei Spiegeluntersuchungen verwenden. So 
ist dieser Tisch ein recht brauchbares Instrument für den Arzt 
geworden, das wohl verdient, allgemein beachtet zu werden. ' 

W. B. Müller, Berlin. 


Selbsttätgier Zimmerluftbefeuchter „Sanitas“. 

Es ist eine häufige Klage namentlich solcher Personen, 
welche asthmatische Anfälle oder sonstwie schwache oder er¬ 
krankte Atmungsorgane haben, daß die Luft in den Wohn- 
räumen oder Arbeitsstätten zu trocken sei. Dieser Umstand, 
daß durch Heizanlagen erwärmte Luft einen sehr geringen 
Feuchtigkeitsgehalt aufweist, ist eine lästige Beigabe zu den 
meisten modernen Heizungsanlagen. Leider muß man kon¬ 
statieren, daß ein sehr großer Teil aller Menschen an einer 
Affektion der Lungen, Bronchien, des Kehlkopfes oder der 
Nase und der Rachenorgane leidet, und diese Personen können 
ganz trockene Luft absolut nicht vertragen. Ein großer Teil 
der Menschen ist auch bloß an feuchte Luft gewöhnt und fühlt 
sich nicht so wohl, wenn er nicht in der gewöhnten, einen be¬ 
stimmten Feuchtigkeitsgehalt aufweisenden Luft leben kann. 
So ist man gezwungen, die Luft namentlich in Arbeitsräumen, 
in Schlaf-, Wohn- und Krankenzimmern immer auf einem be¬ 
stimmten Feuchtigkeitsgehalt zu erhalten. Die Heizungsanlagen, 
welche die direkte Verbrennung im Zimmer vermeiden, also 
durch geschlossene Anlagen Wärme zuführen, haben entgegen 
den alten Kaminen den Nachteil, daß sie erstens nicht ven¬ 
tilieren, zweitens der Luft keine Feuchtigkeit in Gestalt von 
Wasserdampf zuführen, sondern den normalerweise in der Luft 
befindlichen Wassergehalt noch vermindern, die Luft trocknen. 
So muß man in allen Räumen, wo Dampfheizung oder gewisse 
Oefen vorhanden sind, noch dafür sorgen, daß der Luft ein 
bestimmter Feuchtigkeitsgehalt zugeführt wird. Dies kann man 
erreichen, indem man in einem Gefäß Wasser kocht oder ver¬ 
dunsten läßt. Das ist aber eine unpraktische und mit vielen 
Mängeln behaftete Methode. Von Conrad Krell in Wies¬ 
baden ist ein Zimmerluftbefeuchter angegeben worden, 
welcher leicht dem Uebelstande zu trockener Luft abhilft. 
Dieser Apparat heißt „Sanitas“ und kostet 7 bis 15 Mark, je 
nach Größe und x4.usstattung. Er ist folgendermaßen gebaut. 
Er besteht aus einem runden oder langgestreckten Gefäß, in 
welches Wasser gegossen wird, und an dessen Rand eine An¬ 
zahl von sogen. Saugzellen angebracht ist, welche in das 


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380 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Wasser mit einem Ende tauchen. Diese Saugzellen sind 
scheibenförmige, ovale Gebilde mit einem hakenförmig ge¬ 
bogenen Schnabel an einer Seite, mit welchem sie in das 
Wasser tauchen und am Rand des Gefäßes aufgehängt sind. 
Stellt man den Apparat auf einen Heizkörper, Gas- oder 
sonstigen Ofen und streicht die warme Luft durch die Saug¬ 
zellen, so verdunstet das Wasser in den Saugzellen fortgesetzt, 
und es wird immer wieder Wasser aus dem Bassin in die 
Saugzellen nachgesaugt. Hierbei kommt hauptsächlich in Be¬ 
tracht, daß die Befeuchtung der Saugzellen von oben nach 
unten erfolgt, da das Wasser durch seine eigene Schwere 
naturgemäß nach unten fällt und hierdurch eine heberartige 
Zirkulation hervorruft, durch welche eine ununterbrochene, 
selbsttätige Befeuchtung der Zellen stattfindet. So versorgt 
der Apparat die Luft gut mit Wasserdämpfen und ist für 
viele Räume, wie Post-, Gerichts-, Bank-, Militär- und Ver¬ 
waltungsgebäude besonders geeignet, ebenso auch unentbehr¬ 
lich für Sanatorien, Krankenhäuser, Lazarette und Schulen. 
Dazu ist er ein Apparat, welcher wenig Raum wegnimmt, leicht 
zu bedienen ist und nicht häßlich aussieht. 

W. B. M ü 11 e r, Berlin. 



Bücherbesprechungen. 



Vorlesungen über Magen- und Darmkrankheiten. 

Von Craeiner. Heft 2: Die Einwirkung der Genußmittel auf 
den menschlichen Organismus, speziell auf die Verdauungsorgane. 
München 1907. Lehmann. 

Verf. hat im Verdauungsschrank und am Menschen eine große 
Reihe von Versuchen über die im Titel angedeuteten Themata 
gemacht und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß das Nikotin 
ein völlig überflüssiges Genußmittel ist — Ref. möchte daraus 
schließen, daß der Verf. als Nichtraucher die Lichtseiten des 
Tabaks nicht kennen gelernt oder aus eigener Intoleranz zu diesem 
Verdammungsurteil gekommen ist —; er ist der Meinung, daß 
„die Aerzte“ die Nikotinschäden nicht genau genug kennen, aller¬ 
dings ohne den Beweis hierfür zu bringen. Zustimmen wird jeder 
Praktiker dem Satz, daß der Mißbrauch von Nikotin, Tee und 
Kaffee die Magen-Darmfunktionen schwer schädigt; ja, aber eben 
wirklich nur der Mißbrauch. Ref., der ebenfalls naturgemäß als 
Spezialist auf dem Gebiet der Verdauungskrankheiten diesen 
Dingen eine dauernde Aufmerksamkeit schenken muß, ist der 
Meinung, daß mäßiges Rauchen an sich noch keinen Menschen 
verdauungskrank gemacht hat, daß es andererseits aber sicher 
Menschen gibt, die eine gewisse Intoleranz gegen Nikotin haben, 
dal! diese aber ebensogut unter Verdauungsgesunden wie -kranken 
zu finden sind; er ist der theoretischen und aus der Theorie in 
die Praxis mit Erfolg umgesetzten Meinung, daß es keine einzige 
Magen- oder Darmkrankheit gibt, welche veranlaßt, dem Patienten 
das Rauchen funditus zu verbieten; die meisten werden es ja von 
selbst lassen, weil ihre Geschmacksorgane — sagen wir mal: 
parasthetisch sind. Negiert man so absolut, wird man übrigens 
oft hintergangen; Anempfehlung der Mäßigkeit führt hier wie auf 
dem Gebiet des usus und abusus des xAlkohols praktisch viel 
weiter. 

Der Satz, „eine der Hauptursachen der Arteriosklerose scheint 
übermäßiges Rauchen zu sein“, ist doch zu wenig gestützt, um 
erfolgreich als Waffe gebraucht werden zu können. Pickardt. 

Ueber klinische Prognose. Auf Grundlage der An¬ 
trittsvorlesung usw. für den praktischen Arzt bearbeitet von Prof. 
Dr. Norbert Ortner. Wien und Leipzig 1908. Wilhelm Brau- 
muller. Groß 8°. 101 S. 

Eine richtige Prognose zu stellen, ist eine der schwierigsten, 
wenn nicht die schwierigste Aufgabe der praktischen Medizin, 
deren annähernd richtige Lösung ebenso reiche theoretische Kennt¬ 
nisse wie praktische Erfahrung voraussetzt. Ueber beide verfügt 
der Autor in seltenem Maße, und man muß ihm Dank wissen, 





daß er sein Können und Wissen zu einer Uebersicht über den 
jetzigen Stand der Prognostik zusammengetragen hat. Das „Igno- 
ramus* ist freilich nur zu oft in die Zeilen verwoben! — Bei 
der Prognostik der Pneumonie ist mir aufgefallen, daß des Schweißes 
in den Achselhöhlen* auf der Stirn, der freilich oft wenig bemerk¬ 
bar ist, nicht gedacht ist; fühlt man ihn, so kann man die Krisis 
ohne Thermometer diagnostizieren, was für die Prognose natürlich 
wesentlich ist. Namentlich bei Kindern ist dieser leichte Schweiß 
ein durchaus sicheres Zeichen. — Dem Praktiker gibt das Buch 
reichlich Anregung, seine Erfahrungen zu rekapitulieren, zu rubri¬ 
zieren, zu ergänzen und auszubauen. Lungwitz-Berlin. 


ALLGEMEINES. 


CD 


Nordseebad Borkum. Illustrierter Führer mit Ortsplan und 
Inselkarte. Jahrgang 1908. Alljährlich gibt die Borkumer Bade¬ 
direktion den vorliegenden, handlichen Führer, der von ihr kosten¬ 
los verabfolgt wird, neu heraus; der diesjährige ist soeben er¬ 
schienen. Er enthält in gedrängter und übersichtlicher Form alles 
Wissenswerte über das Bad und die Insel, wie auch Ratschläge 
für die Reise und kann allen, die zum Zweck der Orientierung 
über eins unserer bedeutendsten Nordseebäder das Wesentlichste 
erfahren wollen, bestens empfohlen werden. Das reich illustrierte 
und elegant ausgestattete 56 Seiten starke Heft erhebt sich weit 
über die landläufigen Badeprospekte; unter anderm wird in dem 
sehr lesenswerten Kapitel „Seeluft und Seebad“ die Bedeutung der 
Nordseebäder als klimatische Kurorte und Badeorte auf wissen¬ 
schaftlicher Basis eingehend begründet und sowohl die Seeluft 
wie auch das Seebad als hervorragende Kurmittel nachgewiesen, 
die entweder einzeln für sich oder beide vereint zur Anwendung 
zu bringen sind. Interessant ist die Bemerkung, daß Borkum mit 
zu den sonnenseheinreichsten Gebieten Deutschlands gehört, wie 
sich aus mehrjährigen Aufzeichnungen mittels eines Heliographen 
ergeben hat. Im Vorwort wird darauf aufmerksam gemacht, daß 
der Anfang der Saison, speziell der Monat Juni, sich in hervor¬ 
ragendem Maße zu einem Aufenthalt an der Nordsee eignet; ähn¬ 
liches gilt für die Herbstmonate. Unter den zahlreichen Illustrationen 
findet sich neben den Darstellungen über das Bad und seine Ein¬ 
richtungen mancherlei, was Anspruch auf allgemeines Interesse hat, 
z. B. die lebendigen Bildchen über das Rettungswesen zur See, die 
hochinteressante Vogelkolonie, Leuchttürme, Seehundsjagd, ferner 
See- und Strandbilder. Ein 84 Seiten starker Anhang, unter 
anderem enthaltend Einwohnerverzeichnis, Literatur über das Bad 
und die Insel, Reisewege, gibt vielerlei praktisch verwendbare 
Winke und Auskünfte. Die Bedeutung des seit mehr als 50 Jahren 
bestehenden Bades geht aus der hohen Besucherzahl hervor, näm¬ 
lich über 20000 in den letzten Jahren; eine statistische Ueber¬ 
sicht der Frequenz zeigt ein Wachstum in den verflossenen drei 
Jahrzehnten auf mehr als das achtzehn fache. Der textlich wie 
illustrativ interessante Führer dürfte bei Erörterung der Reisepläne 
für den Sommer mit Gewinn zu Rate zu ziehen sein. 

Bad Pyrmont. Die Zahl der Kurgäste betrug am 16. Mai 
1908 863 Personen. 

Hamburg. Das Medizinalkollegium des hamburgischen Staates 
hat unter dem 21. März eine Warnung vor dem Augenheilmittel 
„Augenwol“ der Augenwolgesellschaft in Berlin’ erlassen. Es 
heißt darin: „In einer Apotheke zubereitet, würde das Fläschchen 
,Augenwol‘ mit 50 ccm Inhalt nach der Arzneitaxe etwa 1 M. 
bis 1,25 M. kosten, während der Preis bei der ,Firma 4 3 M. be¬ 
trägt. Die dem Mittel und seiner Einreibung prahlerischerweise 
beigelegten Wirkungen kann es keinesfalls besitzen.“ 


F. A. Hoppen u. Li. JVisoiier- 
Patentanwälte 

Berlin SW. 13, Ncueiibnrgerstraße 15 

Amt IV 718. 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. H. Lungwitz, Berlin S, — Verlag: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle a. S. 
Druck der Heynemaonschen Buchdruckerei, Gebr. Wolfi, Halle a. S. 


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Therapeutische Rundschau 

Wochenschrift für die gesamte Therapie des praktischen Arztes. 


G. Anton, A. Dührssen, C. A. Ewald, P. Gerber, R. Robert, 
Halle a. S. Berlin. Berlin. Königsberg. Rostock. 

Ad. Schmidt, H. Schmidt-Rimpler, H. Senator, 
Halle a. S. Halle a. S. Berlin. 


Redaktion: 

Berlin S. 14 , Dresdenerstr. 44 . Tei.iv, 11773. 

Dr. med. et phil. H. Lungwitz. 


Herausgegeben von 



M. Koeppen, M. Mosse, K. Partsch, H. Rosin, H. Schlange, 

Berlin. Berlin. Breslau. Berlin. Hannover. 

R. Sommer, H. Unverricht, 0. Vulpius, 

Gießen. Magdeburg. Heidelberg. 


Verlag u. Expedition: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung 
in Halle a. S., Reilstraße 80. 

Tel.-Adr.: Marhold Verlag Hallesaale. Fernsprecher 823. 


Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte der Ostsee und der 

Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 


II. Jahrgang. 


Halle a. S., 14. Juni 1908. 


Nr. 24. 


Die „Therapeutische Rundschau“ erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2M., einzelne Nummer 20 Pf. Bestellungen nehmen jede Buchhandlung, 
die Post, sowie die Geschäftsstelle: Carl Marhold Verlagsbuchhandl ung in Halle a. S. entgegen. Inserate werden für die 4gespaltene Petitzeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. berechnet. Beilagen nach Uebereinkunft Reklamezeile 1,50 M. Bei größeren Aufträgen wird Rabatt gewährt. 

Nachdruck der Original-Aufsätze ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. — Nachdruck der anderen Rubriken ist nur mit Quellenangabe gestattet. 



Ist die individuelle Lebensgrenze nach oben hin 
künstlich verrückbar? 

Vorschläge,zur experimentellen Inangriffnahme 
der Lösung dieser Frage. 

Von Dr. Tranjen, Divisionsarzt in Plewna (Bulgarien). 

(Schluß.) 

Gehen wir nun zur Betrachtung der Erscheinungen der 
letzten Lebensphase über — der Phase des Ablebens, der 
Phase des Altwerdens, des natürlichen Sterbens. 

Da sehen wir, was aus Geschöpfen werden kann, wenn sie 
für die Natur nicht mehr von Interesse sind! Hier zeigt sich 
uns die Natur unverhüllt in ihrer vollen Grausamkeit, in der 
vollen Mißachtung des einzelnen: „Das Individuum hat die Er¬ 
haltung der Art besorgt; das Individuum kann gehen.*‘ Wie 
es gehen, wie es von der Lebensbühne verschwinden, wie es 
seinen Rückzug vom Schlachtfelde des „Kampfes ums Dasein 4 * 
bewerkstelligen soll, diese Fragen gehen die Natur gar 
nichts an. 

Schrecklich sind die Verheerungen, die diese Phase im 
Körper und in dem Geiste des Individuums anrichtet. Jeder 
Tag bringt neue Leiden! Schleichend beginnt die ärgerliche 
Presbyopie und Schwerhörigkeit. In immer rascher werdendem 
Tempo stellt sich allgemeines Schwächegefühl, das nach Ruhe 
verlangt, ohne restaurierenden gesunden Schlaf ein; Atonie, 
alle möglichen Arten von Atrophie, die zu den häßlichen De¬ 
formitäten führen, und zur Abwechslung noch unangenehmere 
Hypertrophien. Eine Schar von Krankheiten, für die das 
höhere Alter besonders disponiert, kommen herangestürmt: die 
Gicht, die verschiedensten Katarrhe der Schleimhäute und die 
deprimierende Impotenz. Dann die grausamen, schmerzvollen, 
bösartigen Neoplasmen und die alle Lebenslust raubende athe- 
romatöse Gefäßdegeneration mit dem blauen Asthma und 
blasser Angina usw. bis ins Unendliche! Alle diese Leiden 
führen das Individuum endlich dahin, daß es anfängt, sich nach 
dem Tode zu sehnen, seine völlige Auflösung als eine Er- 
lösung begrüßend. Die conditio sine qua non des Lebens, der 
Erhaltungstrieb, den die Natur allen ihren Lebewesen so sorg¬ 
lich anzüchtete, kann in dieser Lebensphase sich in das Gegen¬ 
teil; in die Lehens Vernichtung umkehren. Und ein solcher Zu¬ 


stand dauert Jahrzehnte, kann sich aber auch über ein Jahr¬ 
hundert hinziehen! Wo ist nun die Logik in dieser Lebens¬ 
phase? Was und wem nützen diese unzähligen Leiden des 
Individuums? Um darauf zu antworten, müssen wir etwas 
näher das Evolutionslaboratorium der Natur, wenn ich mich m 
ausdriicken darf, in Augenschein nehmen. Da werden wir die 
Instrumente, die Technik der Evolution, soweit uns dies zu¬ 
gänglich ist, kennen lernen, um dann auch die Erscheinungen 
des Alterns, des natürlichen Todes uns erklären zu können. 
Wie oben gesagt, ist der Tod des mehrzelligen Individuums 
nicht als Folge der Unmöglichkeit, mit den vorhandenen Mit¬ 
teln potentiell unsterbliche Tiere zu schaffen, sondern als für 
die Vorwärtsbewegung der Evolution unumgängliche Bedingung 
zu betrachten. Hierauf möchte ich etwas näher eingehend 

Die Entwicklungsgeschichte belehrt uns. daß dank der 
unzähligen Vielheit in den Lebensbedingungen in der Natur 
ein ewiger Variierungstrieb überall tätig ist. so daß nicht zwei 
Staubkörnchen von absoluter Gleichheit aufzufinden sind. 

Wenn nun ein Lebewesen mit irgendwelcher es anpassungs¬ 
fähiger machenden Variation erscheint, so überlebt es zucht- 
wählerisch die anderen Individuen und überträgt bei seiner Ver¬ 
mehrung diese seine Eigentümlichkeit auf die Nachkommen: 
es vererbt. In einer gewissen Reihe von Generationen werden 
nun solche vervollkommnten Individuen zum feststehenden 
Typus. So geht es weiter und immer weiter bis ins Grenzen¬ 
lose. Mit dem Begriffe der Evolution sind Sprünge unverein¬ 
bar. Die Entwicklung geht allmählich, Schritt "für Schritt, 
ohne zu springen, vor sich. Bei einer blinden Tierart kann 
sieb plötzlich kein Exemplar mit einem hoclikompliziert organi¬ 
sierten Auge als Variation einstellen. Dos Auge entwickelte 
sich ganz allmählich, von Stufe zu Stufe, bis zu seiner Voll¬ 
kommenheit, wie es Emst Haeekel so geistreich beschrieben 
hat. Der Anfang unseres so hoch entwickelten Sehapparates 
war eine zufällig dunkler gefärbte, lichtempfindlichere Stelle 
an der Körperoberfläche der Urtiere, die im Laufe von Gene¬ 
rationen immer dunkler, immer geschützter wurde vor äußeren 
Schädlichkeiten, immer weiter sich komplizierte und differen¬ 
zierte, bis endlich dieser Fleck zum Auge sich ausgebildet bat. 
Ebenso erging es dem Gehörapparate: ein zufällig in den 
Körper des Erlebewesens gelangtes Sandkörnchen, ein Stern¬ 
chen genügte dem Moner, um ihn für die Luft- und Wasser¬ 
erschütterungen empfindlicher als seine Verwandten zu machen 
und zuelitwählerisch das Ueberlebencle zu werden. Jede der 
unzähligen seichten Stufen, die zwischen dem dunklen Fleck¬ 
chen, dem Sandkörnchen und dem vollentwickelten Auge resp. 
Ohre liegen, muß also erst durch Variienmg aüftreten, zweitens 
müssen die Lebensbedingungen so beschaffen sein, daß diese 
Variation sich auch betätigen, sich auch bewähren kann, um 
ihre Nützlichkeit im Kampf ums Dasein hervortreten zu lassen, 


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da sonst die Zuchtwahl nicht getroffen werden kann; denn 
wenn das dunkle Fleckchen bei einem Tiere erscheint, das sein 
Leben in einer lichtlosen Höhle fristet, so kann es unmöglich 
seine Ueb erlegen heit dem Ungefleckten gegenüber zeigen und 
mithin auch nicht zuchtwählerisch bevorzugt werden; drittens, 
damit eine Variation durch Vererbung fixiert werden kann, 
muß bei geschlechtlich sich vermehrenden Tieren diese Variation 
immer vor dem Abschluß der Fortpflanzungsperiode am Indi¬ 
viduum auf treten * Denn das, was vom Individuum nach dieser 
Periode in der Phase des Ablebens erworben wird, kann doch 
unmöglich sich vererben. Wenn wir z. B. eine einjährige 
Pflanze irgendwie umzüchten wollen, so müssen wir deshalb 
selbstverständlich vor dem Zeitpunkte ihrer Blüte es vornehmen, 
denn was mit dieser Pflanze nach der Samenreifung gemacht 
wird, ist für die nächste Generation ganz gleichgültig. Wenn 
wilde Menschenstämme ihre altersschwachen Eltern auf einen 
Baum klettern lassen, um sie dann von dort aus durch Schüt¬ 
teln als reife Früchte herunterfallen zu lassen und zu ver¬ 
zehren. so schadet diese barbarische Behandlung des Alters 
dem physischen Gedeihen dieser Stämme nicht im mindesten. 
Dagegen muß jede systematische Mißhandlung von Kindern 
und Erwachsenen diesseits der Fortpflanzungsphase unfehlbar 
zum Ruin und zum schließlichen Untergang der betreffenden 
Völker und Rassen führen. Genau dasselbe läßt sich von der 
Behandlung sagen, die die Natur auf ihrem Evolutionsweg den 
Lebewesen in ihrer Allgemeinheit zuteil werden läßt. Waren 
nun einmal die Verhältnisse auf unserem Planeten so geartet, 
daß das Leben in ihren höheren Formen seine Kontinuität und 
Vervollkommnung nur oder am leichtesten durch die geschlecht¬ 
liche Vermehrung und Vererbung erreichen konnte, so war damit 
das Los des Individuums von selbst entschieden: seine Interessen 
wurden denjenigen der Arterhaltung geopfert, und was im 
Individuum von keiner Bedeutung für die Art ist, wurde von 
der Evolutionsbewegung ganz beiseite gelassen. Die Entwick¬ 
lungsphase, die voll von Gefahren für das schwächliche Indi¬ 
viduum ist, mußte so kurz wie möglich dauern. Der lange 
phylogenetische Rekapitulationskursus beim Menschen ist auf 
14 bis 15 Jahre zusammengedrängt. Die Fortpflanzungsphase 
dagegen muß möglichst lange währen, um so viele Nach¬ 
kommen zu schaffen, als für die Arterhaltung notwendig ist. 
Für das Weib waren nun etwa 30 Fruchtbarkeitsjahre nötig, 
um 20- bis 30mal gebären zu können, während der befruch¬ 
tende Mann, dessen Funktionen für seinen eigenen Körper viel 
weniger eingreifend sind, seiner Arterhaltungspflicht viel öfter 
und längere Zeit hindurch Genüge tut. 

Mit dem Ende dieser Phase hört nun aber das aktive Auf¬ 
treten des Evolutionsmechanismus für das Individuum ganz 
auf. Was mit ihm bei seinem Ableben, beim Sichabwickeln 
geschieht, liegt außerhalb der Evolutionsebene und spielt sich 
nach ganz anderen Gesetzen ab. „Um das Schicksal des Gro߬ 
papas und der Schwiegermutter kümmert sich die Evolution 
nicht!“ könnte man scherzhaft sagen, wenn das nicht für uns 
Menschen im Grunde genommen so traurig wäre! In der 
Phase des Ablebens darf man keine Evolutionslogik, keine 
Scheinteleologie suchen. Die Fragen „Warum und wozu sind 
die Altersleiden und Todesqualen da“, die nmn der Evolution 
des Lebens stellon wollte, sind ebenso unberechtigt, wie wenn 
man den Architekten für das Schicksal der restierenden Ziegel¬ 
steine und Baugerüste verantwortlich machen wollte. Das 
Individuum in der Ablebungsphase ist sozusagen die Art- 
Plazenta, die für die Evolution denselben Wert hat, wie der 
Mutterkuchen für die Hebamme: den einer quantite negligeable! 
Und wie das Schicksal der Nachgeburt für den Neugeborenen 
absolut bedeutungslos ist, so können auch die Vorgänge der 
Ablebensphase unmöglich irgendwie die Artentwicklung be¬ 
einflussen. Wenn also nun zufällig beim Individuum in dieser 
späten Lebensperiode irgendwelche noch so nützliche und ver¬ 
erbungswürdige Eigenschaften sich einstellen, so verschwinden 
sie spurlos mit dessen Tod, da sie sich nicht vererben, nicht 
fixiert werden können. Stellen wir uns beispielsweise einen 
Menschen vor, der im hohen Alter eine Krebskrankheit mit 
spontaner Heilung durchgemacht hat und dadurch gegen weitere 
derartige Erkrankungen Immunität erlangt hätte. Diese Im¬ 


munität wäre nun eine solche, die sieh durch den Samen oder ' 
durch das Ei weiter vererben ließe. Was könnte es nützen, 
wenn der betreffende immune Mensch nicht mehr zeugungs¬ 
fähig ist ? Die Eigenschaften der Krebsimmunität würden dann 
gleichzeitig mit seinem Träger verschwinden. 

Wenn wir nun das Gesagte zusammenfassend kurz rekapi¬ 
tulieren, würde es folgendermaßen lauten: 1. Das Leben des 
Individuums ist ausschließlich für die Artinteressen angepaßt. 

2. Von den drei Phasen des individuellen Lebens (die Rede ist, 
wie oben gesagt, vom Menschen) haben die zwei Arsten — von 
der Geburt bis zur Geschlechtsreife und die Periode des Fort¬ 
pflanzungsgeschäfts — gemeinsame Interessen mit der Art¬ 
erhaltung. Dieselben Evolutionskräfte, die für das letztere 
sorgen, sind gezwungen, auch gleichzeitig für die Erhaltung 
und progressive Entwicklung zu sorgen, um alle von ihm er¬ 
worbenen nützlichen Variationen durch Vererbung fixieren zu 
können: die Natur zeigt sich hier i ndividuophil. 3. Nach 
der Fortpflanzungsperiode, die genügend lange gedauert hat, 
um die Erhaltung der Art zu sichern, werden die Interessen 
des Individuums und diejenigen der Art diametral entgegen¬ 
gesetzt, und das Individuum muß dann unterliegen. Die pro¬ 
gressive Entwicklung hört auf, und das Individuum, von der 
Evolution ignoriert, tritt den regressiven Weg an, lebt ab und 
kehrt zu der Urquelle seiner Elemente, zu der anorganischen 
Welt zurück, es stirbt. In dieser Phase wird die Natur indi- 
viduophob. 4. Die individuophilen Eigenschaften werden 
evolutionistisch aktiv gezüchtet, indem die auftretenden nütz¬ 
lichen Variationen durch Vererbung fixiert werden. 5. Die indi- 
viduophoben Eigenschaften dagegen entstehen durch die passive 
Tätigkeit der Evolution, durch das Unterlassen der Fixierung 
der in der Ablebungsphase eventuell auftretenden nützlichen 
Variation, weil eben dieselben nicht vererbt werden können. 

Dieser Unterschied der aktiven und passiven Züchtung 
scheint mir von großer Wichtigkeit zu sein,* da wir daraus 
ersehen können, daß es keine angezüchtete individuellen, indi- 
viduophoben Eigenschaften gibt, sondern daß sie nur deshalb 
auftreten, weil ihre Antagonisten, die individuophilen Eigen¬ 
schaften, angezüchtet bleiben. Die Wichtigkeit dieses Unter¬ 
schieds wird uns aber erst recht einleuchten, wenn wir uns 
anschicken wollen, gegen die individuophoben Eigenschaften 
in der Ablebungsphase ins Feld zu ziehen. Denn es ist doch 
wohl ohne weiteres klar, daß eine fest angezüchtete Eigen¬ 
schaft sehr schwer, wenn nicht unmöglich, zu ändern ist, wäh¬ 
rend der Kampf mit einer unangezüchteten Eigenschaft mehr 
Aussicht auf Erfolg haben dürfte. Als Konsequenz dieses Ge¬ 
dankens bezeichne ich diejenigen Einrichtungen im lebenden 
Körper, die zuchtwählerisch ihm angezüchtet worden sind, als 
aktive. Dagegen dürften diejenigen Lebensfunktionen, die nur 
deshalb in Erscheinung treten, weil die entgegengesetzten, sozu¬ 
sagen ihre Antagonisten, aus irgendwelchem Grunde ungezüchtet 
geblieben sind, als passive Eigenschaften des Organismus cha¬ 
rakterisiert werden. 

Die physiologischen Vorgänge im Organismus, die darin 
bestehen, daß auf jeden Reiz, der den Körper trifft, eine ganz 
bestimmte zweckmäßige Reaktion folgt, die ihn ausgleicht und 
selbst zum Nutzen des Organismus verarbeitet, sind Produkte 
der aktiven Evolutionstätigkeit, die die nützlichen Reaktions¬ 
weisen im Körper gezüchtet hat. Pathologische Veränderungen 
des Körpers, Krankheiten desselben dagegen sind Folgen der 
passiven Evolutionstätigkeit. Denn pathologisch nennen wir 
den Zustand des Körpers, der sich als Folge, als eine Reaktion 
desselben auf einen Reiz, der sich quantitativ oder qualitativ 
von den physiologischen Reizen unterscheidet, einstellt. Man 
betrachtet auch deshalb die Krankheit als einen Kampf mit 
der krankmachenden Ursache. Da nun aber dieser Zustand 
den Organismus tötet oder im besten Falle seine Existenz ge¬ 
fährdet, so können unmöglich diese Reaktionsweisen dem Organis¬ 
mus angezüchtet sein. Der krankhafte Zustand stellt sich nun 
deshalb ein, weil die Schutzvorrichtungen gegen die Verursacher 
der Krankheit nicht wirksam genug ankämpfen. Folglich sind 
die Reaktionen, die zu Krankheiten führen, passive Eigen¬ 
schaften des Körpers. Im Lichte der Evolutionslehre be- 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


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trachtöt, erscheinen uns also die physiologischen Vorgänge 
als aktive, die pathologischen als passive Eigenschaften des 
Organismus. 

Die physiologische aktive Tätigkeit des Organismus ist 
nun, wie gesagt, dadurch charakterisiert, daß durch eine 
• zweckmäßige Reaktionsweise die Folge des eingewirkten Reizes 
so ausgeglichen wird, daß der Körper in keiner Weise irgend¬ 
welchen Schaden davonträgt. In der Biologie nennen wir nun 
solche Vorgänge Immunitätserscheinungen. Wena z. B. unser 
Körper seine normale Temperatur von 37° bei Außentempera¬ 
turen von — 50° bis -f- 50° beibehält, so bedeutet es nicht mehr 
und nicht weniger, als daß der Körper gegen die Einwirkung 
dieses Reizes immun ist. Andererseits können die pathologi¬ 
schen Vorgänge, bei welchen die Reaktionen des Körpers auf 
einen gewissen Reiz zur Vernichtung oder Gefährdung des 
Bestandes führen, als Folge der Empfänglichkeit des Körpers 
für diese Reize betrachtet werden. Erniedrigt oder erhöht sich 
die Körpertemperatur unter dem Einfluß der Außentemperatur, 
so müßte man biologisch denkend sagen: der Körper hat sich 
als empfänglich für diese Reize gezeigt. Die Begriffe physio¬ 
logisch, pathologisch decken sich hier, wie man sieht, mit den 
Begriffen Immunität — Empfänglichkeit. Die Erscheinung in 
den letzten Phasen des individuellen Lebens, die Phase des 
Alterns, des natürlichen Todes gehören insgesamt zu den patho¬ 
logischen, also evolutionistisch zu den passiven — und bio¬ 
logisch zu den des Nicht-Immunseins. Die Lehrbücher der 
Physiologie geben uns keine Aufklärung über die Erschei¬ 
nungen des Alterns und des Todes, sie verweisen uns auf die 
Pathologie, da die Veränderungen des Organismus beim 
Altern in das Gebiet des Krankhaften gehören. Tatsächlich 
sind ja alle uns bekannten Veränderungen in diesem Lebens¬ 
abschnitt rein pathologischer Natur. Alle Zeichen des Alterns, 
die verschiedensten Atrophien, Hypertrophien. Ergrauen und 
Ausfall der Haare, das Ueberhandnehmen der unedlen Gewebe 
auf Kosten der edlen (Sklerose, Gefäßwandverkalkung usw.) 
finden wir einzeln bei den verschiedenartigsten Erkrankungen 
auch in den ersten Lebensphasen, ja, selbst künstlich, experi¬ 
mentell können viele von den aufgezählten Alterserscheinungen 
hervorgebracht werden. Mithin haben also die Alterserschei¬ 
nungen nichts prinzipiell Neues an sich, nur das Zusammen¬ 
treffen dieser Erscheinungen beim Altern ist der Phase des 
Ablebens eigentümlich und charakteristisch. Woher dieses Zu¬ 
sammentreffen, woher diese Allgemeinheit bei allen mehrzelligen 
Organismen? Offenbar sind es tief im Wesen des Lebens und 
seinen eigensten Bedingungen gelegene Ursachen. Das rätsel¬ 
hafte Zusammentreffen dieser Erscheinungen beim Altern und 
die ausnahmslose Allgemeinheit desselben lassen sich dadurch 
erklären und am besten unseren heutigen pathologischen Be¬ 
griffen anpasseD, wenn wir das ganze Bild des Alterns als eine 
chronische, schleichende Autointoxikation uns vorstellen wollen, 
als eine Autointoxikation, die durch die Lebensprozesse selbst 
hervorgerufen wird, und gegen die die Evolution nur so viel 
und so lange den Organismus Antitoxine bilden läßt, als es 
für die Artinteressen notwendig ist. Darüber hinaus überläßt 
sie den Organismus sich selber, der nun nach kürzerer oder 
längerer Zeit dieser Vergiftung erliegt. Die populäre Erklärung 
des Alterns, die man auch vielfach in gelehrten fachwissen¬ 
schaftlichen Büchern findet, nämlich, daß der Organismus im 
Laufe der Zeit sich abnutze, hält meiner Meinung nach der 
Kritik nicht stand. Der Begriff der Abnutzung ist ja von der 
mechanischen anorganischen Welt genommen, wo er seine volle 
Berechtigung hat, denn jede Maschine muß beim Funktionieren 
durch Reibung, Erschütterung, Erwärmung usw. früher oder 
später sich abnutzen, ihre Teile müssen mit der Zeit die ge¬ 
naue gegenseitige Lage, die einzelnen Mechanismen ihr exaktes 
ln einandergreifen einbüßen, und die ganze Maschine muß dann 
endlich Stillstehen. Man denke sich daher eine Maschine von 
einem genialen Techniker so gebaut, daß man ihr außer den 
zum Funktionieren nötigen Spannkräften' in Form des Heiz¬ 
materials auch solche Stoffe zuführen kann, die geeignet sind, 
die durch das Funktionieren schadhaft und untauglich ge¬ 
wordenen Teilchen und Teile der Maschine zu ersetzen. 
Mittels wunderbarer Mechanismen werden diese Stoffe auto- 


! matisch verteilt, um jeden Schaden im Momente seines Ent¬ 
stehens vollkommen auszugleichen. Könnte denn eine solche 
Maschine sich abnutzen, alt und untauglich werden? Ganz 
gewiß nicht. Dieses wäre schlechterdings undenkbar. Der 
mehrzellige lebendige Organismus ist nun nach dem Plane 
einer solchen Maschine konstruiert: mit seiner Nahrung nimmt 
er zugleich mit dem Heizmaterial auch solche Stoffe auf, die, 
assimiliert, alle verloren oder untauglich gewordenen Teilchen 
und Teile vollkommen zu ersetzen imstande sind, und zwar 
automatisch durch die im Organismus vorhandenen kompli¬ 
zierten Mechanismen. Wie kann man also hier von Abnutzung 
sprechen, solange die Mechanismen präzise arbeiten? Warum 
sollte eine neue Zelle von heute weniger Lebensenergie be¬ 
sitzen als die alte gestrige! Das Schadhaft- und Untauglich¬ 
werden einer solchen Maschine, wie es der lebendige, mehr¬ 
zellige Organismus ist, kann man sich, will man das Kausali¬ 
tätsbedürfnis befriedigen, nur dadurch erklären, daß die ge¬ 
sagten komplizierten Mechanismen nicht fehlerfrei arbeiten, so 
daß sich im Organismus Verhältnisse ausbilden, die das Ver¬ 
lorene und untauglich Gewordene nicht vollkommen ersetzen; 
die neugebildeten Teile erscheinen dann immer schwächer und 
schwächer bis zur Funktionseinstellung, bis sie endlich sterben. 
Diese Bedingungen eben sind es, die ich Gifte nenne, und da 
dieselben sich im Organismus selber bei der Ausübung seiner 
Funktionen bilden, so sind wir gezwungen, den ganzen Vorgang 
als eine Autointoxikation zu bezeichnen. 

Gesetzt den Fall, diese Definition des Alterns als eine 
Autointoxikationskrankheit wäre die richtige, so fragt es sich, 
vom praktischen Standpunkte gesehen, weiter: können wir etwas 
unternehmen, um den Versuch zu machen, gegen diese mör¬ 
derischste und grausamste aller Kiankheiten anzukämpfen? 
Die ersten zwei Lebensphasen — die Phase bis zur Reife und 
die Fortpflanzungsphase — sind, wie wir wissen, durch rein 
äußere Einflüsse veränderbar. So wird die erste Lebensphase, 
was ihren zeitlichen Ablauf betrifft, von vielen rein äußer¬ 
lichen Verhältnissen beeinflußt, da ihre Dauer von der Rasse, 
vom Klima, vom Berufe, von der geistigen Entwicklung, vom 
Aufenthaltsort (Stadt oder Land), vom Wohlstände etc. ab¬ 
hängt. In den Tropen z. B. werden Mädchen schon im zehnten 
Lebensjahre geschlechtsreif, so daß wir dort 20 jährige Weiber, 
die Großmütter sind, finden. Auch die zweite Lebensperiode, 
die Fortpflanzungsphase, läßt sich von ähnlichen Bedingungen 
beeinflussen. Es wäre also gar nicht cinznsehen, warum die 
dritte Lebensphase, die. wie wir oben gezeigt haben, viel 
weniger fest von der Evolution geprägt ist, äußeren oder 
inneren Einwirkungen so unzugänglieli wäre. Eine solche 
Frage wie die Möglichkeit der Beeinflussung einer biologischen 
Lebensäußerung wäre vor der bakteriologischen Aera in der 
Medizin als eine müßige, gegenstandslose betrachtet worden, 
da wir ja da keine Idee davon hatten, wie man gegen einen un¬ 
sichtbaren Feind, gegen unbekannte Gifte und ihre Wirkungsart 
ins Feld ziehen könne. Wir hatten ebenso keine Ahnung 
davon, daß man dem Körper künstlich eine neue Funktions¬ 
richtung m einigon Tagen anzüchten kann, daß man also in 
das intimste Wirken des Organismus willkürlich eingreifen 
kann. Heutzutage jedoch, nach den wunderbaren Entdeckungen, 
die zum Aufbau der modernen Immunitähdekre geführt haben, 
scheint mir die Möglichkeit gegeben, dieser Frage etwas näher 
zu treten. Die Natur dieser Entdeckungen ist so eigenartig, 
so verblüffend neu und ungeahnt, daß sie es verdienen, daß 
man ihretwegen die dogmatischen Begriffe in der Physiologie 
und Biologie revidiere, in ihrem Lichte nochmals die scheinbar 
unveränderbaren Erscheinungen des Lebens auf ihre Unbeein¬ 
flußbarkeit prüfe, ganz so, wie die Entdeckung des Radiums 
uns gezwungen hat, den Eckstein unseres Wissens, das Gesetz 
von der Erhaltung der Kraft, nochmals auf seine Unfehlbarkeit 
zu untersuchen. Wir wollen nun auch hier sehen, ob das 
Dogma von dem obligaten Tod der mehrzelligen Organismen 
wirklich trotz der neuen Erkenntnisse noch zu Recht" besteht. 
Die neueren Erfahrungen in der Biologie und speziell in der 
Lehre von der Immunität haben uns zur Genüge gezeigt, daß 
das, was uns bis dahin als gleichwertig, identisch schien, in 
der Tat als sehr differente Dinge anzusehen seien, die man 




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384 

recht scharf voneinander zu trennen imstande ist. Mit unseren können, während Jahfzehnte dauernde Zustände der Lebens- 
älteren Reaktionen waren die Zellen, die Gewebssäfte und ihr phasen in dieser Beziehung ihn unbeeinflußt ließen. Als Fölge 
Hauptbestandteil, die Albumine eines Individuums einer Tier- dieser Ueberlegungen schlage ich daher vor; bei den verschie- 
spezies von den entsprechenden Stoffen eines Individuums ganz densten Experimenten der Immunisierung, die gemacht werden, 
anderer Art mit Sicherheit ihrem innersten Wesen nach nicht auch auf das Alter der in Betracht kommenden Tiere zu 
zu unterscheiden. Die Reaktionen beruhen meistenteils auf achten. Wir immunisieren beispielsweise ein Kaninchen mit 
ganz nebensächlichen, sozusagen zufälligen Eigenschaften der dem Blute eines einen Monat alten Hundes, wir müßten ‘dann 
Objekte, wie der Morphologie, dem Geschmack und Geruch in einem solchen Falle versuchen, ob die im. Serum des Kanin - 
derselben. Würden sie aber formlos gemacht, ihr Geschmack chens entstandenen Hämolysine resp. Präzipitine auch genau so 
und Geruch verdeckt, so würde es uns unmöglich gemacht, sie auf das Blut und das Serum greiser Hunde wie auf dasjenige 
voneinander zu unterscheiden, da das Mikroskop und ‘das junger wirkt. Soviel mir bekannt ist, sind derartige Versuche 
Reagenzglas uns dabei einfach im Stiche ließen. Was nun die noch nicht gemacht, mindestens nicht veröffentlicht Worden, 
gleichnamigen Teile verschiedener Individuen einer Tierart anbe- Es will mir scheinen, daß es der Mühe wert wäre, wenigstens 
trifft, so waren sie für uns vollkommen identischer Natur, ge- nebenbei bei den Immunisierungsversuchen darauf zu achten, 
schweige denn die Bestandteile verschiedener Organe eines Es ist ohne weiteres klar, daß man, um zu einem negativen 
und desselben Organismus. Wer hätte es sich träumen lassen, Schlüsse zu gelangen, außerordentlich viele, zum Teil recht 
daß z. B. das Bluteiweiß eines Huhnes sich von dem Eiweiß kostspielige Versuche anzustellen hat, weshalb die Erforschung 
seiner Eier unterscheiden läßt! dieser Verhältnisse nicht als die Aufgabe eines einzelnen an- 

Ueberblicken wir aber die Phänomene, die uns die Immu- gesehen werden darf Es wäre der Sache mithin nur dienlich, 
nitätsforschuns zu ergründen gelehrt hat, so sehen wir, daß wollten sichi recht viele Immunitätsforscher dazu bequemen, bei 
wir in einem großen Irrtume waren: wir wissen jetzt - um nur allen ihren Versuchen dieser Seite der Sache ihre Aufmerksam - 
das aufzuzählen, was für unsere Frage von Bedeutung ist — keit zuzuwenden. Im Falle aber eines positiven Ausfalls 
daß man beinahe beliebige Zytotoxine erzeugen kann. Wenn dieser Versuche, was gleichbedeutend wäre mit der Konsta- 
man also Zellenelemente eines Organs irgendeines Tieres in tierung einer gewissen Fremdartigkeit der Bestandteile des 
den Körper eines andern Tieres einführt, wirkt das Serum des be- greisen Tieres dem Körper des jungen gegenüber, könnte man 
handelten Tieres nun spezifisch auf dasjenige Organ derjenigen ja konsequenterweise dem Experimente zu entscheiden über- 
Tierart, dessen Zellenelemente ihm einverleibt worden sind, lassen, ob man durch Behandlung junger Tiere mit dem Serum 
oifticr. Wird z. B. einem Hunde verriebenes Gänsehirn oder Gewebssäften greiser Individuen bei den ersteren einen 
eingespritzt, so erhält das Serum dieses Hundes die Eigen- gewissen Widerstand gegen das Auftreten der Alterserschei- 
schaft, auf Gänsehirn, und nur auf solches, toxisch zu wirken, nungen züchten kann! ln einem solchen Falle würden wir im- 
Spritzt man nämlich vom Serum eines solchen Hundes eine stände sein, eine experimentelle Antwort auf meine eingangs 
gewisse Quantität einer Gans ein, so geht sie unter zerebralen gestellte Frage: „Ist die Grenze des individuellen Lebens 
Erscheinungen ein. Auf diese Art kann man alle möglichen nach oben hin verrückbar?“ geben zu können. 

Zytotoxine erzeugen, Nieren-, Herz-, Leber- etc. Gifte, die immer Wenn ich nun die Priorität für die Anregung des Ge- 

spezifisch, d. h. nur auf ein bestimmtes Organ einer bestimmten dankens einer aktiven Altersimmunität für mich in Anspruch 
Tierart eine toxische Wirkung ausüben. Noch viel auffallender nehmen muß, so gebe ich gleichzeitig gerne zu, daß die Idee 
sind die sogenannten Isotoxine, die spezifisch toxisch auf die einer passiven Altersimmunität lange, sehr lange, bevor die 
Organe anderer Individuen seiner eigenen Spezies wirken, d. h. Begriffe von der aktiven und passiven Immunität präzisiert 
auf die Organe, deren Teile die Isotoxinbildung verursacht worden sind, die Menschheit beschäftigt hatte. Aus den Ueber- 
haben. Es kommen dann die Präzipitine und Eiweiß-Präzipitine, lieferungen des Alten Testaments wissen wir, daß, als König 
mittels welcher es gelingt, nicht nur Bestandteile von Organis- David sehr alt und gebrechlich wurde, die Weisen des Volkes 
men verschiedener Arten, sondern durch die sogen, „kreuz- ihm den Rat gaben, seine Atmungsluft mit dem Dufte eines 
weise Immunisierung“ und. durch die „Komplement-Bindungs- lebensfrischen, jungen Mädchens zu würzen, in der Erwartung, 
methode“ die Bestandteile eines Individuums von denen eines daß sich seine Lebenskräfte auf den greisen König übertragen 
anderen Individuums derselben Art zu unterscheiden. Durch würden. In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, ge- 
scharfsinnige Versuche gelingt es auch, die Verwandtschafts- legentlich der Untersuchungen über Bluttransfusion, tauchten 
grade der verschiedensten Tierarten, den hauptsächlichsten Inhalt ernste Hoffnungen auf, daß das Blut junger, gesunder Indi- 
der Deszendenzlehre, mit dem Reagenzglase in der Hand zu viduen Greisen und Schwachen transfundiert, den letzteren 
beweisen. Es kommen dann noch die Antitoxine, Lysine und nützlich sein könnte. (Nach unseren heutigen Begriffen könnte 
überhaupt die Erscheinungen der Allergie-Reaktion. Alle diese man natürlich in einem solchen Falle nur das erwarten, 
Tatsachen beweisen uns also unzweideutig, daß das, was uns daß man dadurch bei den Greisen Isotoxine oder Isolysine 
vorher als gleich erschien, mittels der neueren Untersuchungs- hervorrufen würde.) 

methoden als deutlich heterogen sich herausstellt. Nicht nur Ich schließe nun mit der Bitte an die mit der Serologie 

die Gewebe und Organe von Individuen heterogener Spezies, sich beschäftigenden Forscher, bei ihren Arbeiten auf die hier 
nicht nur Bestandteile verschiedener Individuen derselben vorgebrachten Anregungen Rücksicht zu nehmen und die 
Tierart, nicht nur verschiedene Organe desselben Individuums Resultate der medizinischen Welt bekannt zu geben, 
untereinander lassen sich biochemisch voneinander unter¬ 
scheiden, sondern selbst ein und dasselbe Organ desselben 

Organismus verändert sich nach gewissen Eingriffen. Das - 

Blutserum eines Menschen nach überstandener Cholera, Typhus, Praktische Erfahrungen mit JöugllUine. 

bei tuberkulöser und luetischer Erkrankung ist in biologisch- Von Dr med _ A Scharff in Calbe a . S , 

chemischer Beziehung verändert, ohne daß wir durch andere 

ältere Reaktionen irgendwelchen Unterschied herausfinden. Jodglidine ist ein neues Jodpräparat und zwar eine Ver- 

Es erscheint mir deshalb auch unwahrscheinlich, daß die bindung von Jod mit dem Pflanzeneiweiß Glidine. Es wird 
Organe und Gewebe eines Individuums in den verschiedenen hergestellt von Dr. Vo lkm ar Klopf er in Leubnitz bei Dresden 
Lebensphasen immer in biologisch-chemischer Beziehung sich und kommt in den Handel in Form von Pastillen zu je 0,5 g, 
gleich blieben, daß die Zelle, der Gewebssaft eines Organs in deren jede 0,05 g Jod enthält. Jodglidine ist ein gelbbraunes, 

der Entwicklungsphase seines Organismus der Zelle des reifen geruch- und fast geschmackloses Pulver, das sich in Form der 

und des alternden Körpers identisch wäre, trotzdem ihre Tabletten oder auch in warmer Milch gelöst sehr gut einnehmen 

Funktionen sich offensichtlich qualitativ und quantitativ ver- läßt. Boruttau hat „über das Verhalten des Jodglidines im 

ändert haben. Es wäre nicht recht verständlich, wie Zustände menschlichen und Tierkörper“ Versuche au sich selbst an 

des Körpers, die bei manchen Krankheiten nur Tage, ja nur einigen Kranken und an Kaninchen und Hunden angestellt. 
Stunden dauern, ihn auf lange Zeit hinaus allergisch machen Es ergab sich dabei folgendes: „Die Jodausspheidung beginnt 


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1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


385 


I 


I 



in geringem Grade bald nach der Einverleibung und erreicht 
ihr Maximum erst gegen Ende der ersten 24 Stunden, während 
beim Jodkali das Maximum bereits nach zwei Stunden erreicht 
wurde. Sie dauert während der zweiten 24 Stunden an und 
hört erst im Laufe des dritten Tages auf. 

24 Stunden nach der letzten Darreichung war wie beim 
Jodkali die Ausscheidung beendet. Im Harn wurden 80 bis 
100% des Jods ausgeschieden (in einem Falle von gereichten 
900 mg 855,11 mg), der Rest mit den Fäzes ausgeführt resp. 
in geringer Menge im Körper zurückgehalten. Dabei wurde 
zugleich eine Steigerung der Stickstoffausscheidung (bei sonst 
gleichbleibender Ernährung) beobachtet.“ 

Nach diesen Untersuchungen Boruttaus ließ sich von 
vornherein erwarten, daß Jodglidine nicht nur vor den Jod¬ 
alkalien, durch die der Körper schnell mit großen Mengen von 
Jod überschwemmt wird und die leicht Vergiftungserscheinungen 
hervorrufen, große Vorzüge hat, sondern auch vor Jodverbin¬ 
dungen der Fette oder organischer Säuren, bei denen es leicht 
zur Aufspeicherung größerer Jodmengen im Körper und damit 
zu Jodismus kommen kann. Diese Erwartungen sind bestätigt 
durch eine ganze Reihe von Beobachtungen von Klinikern und 
praktischen Aerzten. So hat u. a. Bickel Jodglidine bei 
Arteriosklerose, Leyden ebenfalls bei Arteriosklerose und 
Asthma bronchiale angewendet, Kaufmann-Karlsbad bei 
Gelenkaffektionen und Arteriosklerose, Steinsberg-Franzens¬ 
bad bei Arteriosklerose, Asthma kardiale, Angina pektoris, 
Lähmungen, Tabes und Struma, ebenso Hirsch-Kudowa. 
Neuerdings berichtet Lu da-Berlin über seine Erfahrungen mit 
Jodglidine, das er besonders bei tertiärer und hereditärer Lues 
verordnet hat. Alle Beobachter rühmen die günstigen Heiler¬ 
folge bei gleichzeitigem Mangel aller unangenehmen Neben¬ 
erscheinungen. 

Meine eigenen Beobachtungen bestätigen nur, was schon 
vorher Günstiges vom Jodglidine berichtet war. Ich habe Jod¬ 
glidine bei den verschiedensten Erkrankungen verordnet, sowohl 
bei Männern im besten Lebensalter wie Kindern und Greisen, und 
habe ausnahmslos gesehen, daß es gern genommen wurde und 
selbst bei längerer Darreichung niemals unangenehme Begleit¬ 
erscheinungen hervorrief. Viele von den Patienten hatten 
früher bereits andere Jodpräparate, besonders Jodkali, Jod¬ 
natrium und Jodvasogen, genommen und rühmten, wie viel an¬ 
genehmer Jodglidine zu nehmen sei. Dabei war die Wirkung 
zum mindesten die gleiche wie die des Jodkali, ja, in einigen 
Fällen unzweifelhaft eine bessere. 

Ich lasse nun die Krankengeschichten folgen, die ich nach 
den Krankheiten zusammengestellt habe. 

1. Herr A. Iv., 70 Jahre alt, früher Kaufmann, jetzt Privatmann, 
leidet seit über 10 Jahren an Anfällen von Bewußtseinsstörungen, die zum 
Teil mit Muskelzuckungen, besonders im Gesicht, verbunden sind. Die 
Erkrankung ist früher für Alköhol- und Nikotinvergiftung erklärt worden, 
später stellte ein Nervenarzt die Diagnose „Epilcpsia tarda“. Arterioskle¬ 
rose leicht nachzuweisen, besonders Sklerose der Koronararterien. Vor 2 
Jahren schwere Anfälle von Angina pektoris. Früher behandelt mit Brom, 
seit 2V_, Jahren mit Jod, besonders Jodkali und Jodvasogen, auch mit Anti- 
sklerosin. Im Dezember 1907 Anfalle besonders häufig, dabei sehr trübe 
Stimmung. Fat. fängt bei der geringsten Veranlassung an zu weinen. 
Unruhiger Schlaf. Herzbeklemmungen. Vom 1. I. 08 an bekommt Pat. Jod¬ 
glidine und zwar bis 20. I. OS 3mal tgl. 1 Tablette. Das Mittel wird 
sehr gut vertragen, macht keinerlei Erscheinungen von Jodismus, die 
Krankhoitserscheinungen gehen zurück. — Aus äußeren Gründen wird vom 
20. I. 08 bis (3 II. 08 kein Jodglidine gegeben, doch verschlechterte sich 
während dieser Zeit der Zustand, was sich darin äußerte, daß die Anfälle 
häufiger wurden und der Schlaf unruhig war, auch wieder weinerliche 
Stimmung vorherrschte. — Vom 7. II. 08 an wieder Jodglidine und zwar 
2mal tgl. 1 Tablette. 

18. II. Befinden gut. Anfälle häufig, aber nur von sehr kurzer Dauer. 
Stimmung heiterer, Schlaf besser; kein Jodismus. Vom 20. II. an 1 Tablette 
täglich. 

14. III. Befinden sehr gut, Gemütsstimmung heiter, Verstand klarer 
wie sonst, Anfälle seltener und nur wenige Sekunden dauernd, Pat fühlt 
sich so wohl wie seit Jahren nicht, auch seine Angehörigen finden ihn be¬ 
deutend besser. Er macht täglich allein Spaziergänge, auch weite Wege, 
schläft gut und hat guten Appetit. Er hat seit Neujahr 120 Tabletten 
Jodglidine genommen und niemals auch nur geringo Spuren von Jodismus 
gezeigt. Er konnte das Jodglidine sehr gut einnehmen, hat keine strenge 
Diät dabei gehalten und rühmt die günstige Einwirkung auf den Stuhl¬ 
gang. 

2. R. R., 56 J,, Kaufmann, bekam vor l l / 2 Jahren, nachdem er schon 
einige Zeit vorher über Schwindel, Kopfschmerzen uud Blutandrang nach 


dem Kopf geklagt hatte, plötzlich halbseitige Muskelzuckungen. Diagnose: 
Arteriosklerose. Mußte damals bei strenger Diät Jodkur (mit Jodvasogen) 
machen, später bekam er Antiskierosin. Nachdem danach wesentliche Bes¬ 
serung eingetreten war, einige Monate Wohlbefinden. Anfang Januar 
wieder Schwindel und Blutandrang. Pat. hat in der letzten Zeit wieder 
viel Bier getrunken. 

Es wird zunächst bei strenger Diät und Entziehung von Alkohol 
Jodvasogen innerlich verordnet. Dies wird aber wegen des schlechten 
Geschmackes ungern genommen, auch stellen sich am~20. I. 08 Erschei¬ 
nungen von Jodismus (Schnupfen, Appetitmangel) ein. Daher wird das 
Jodvasogen ausgesetzt und vom 24. I. 08 ab Jodglidine genommen und 
zwar zunächst 2 mal tgl. 1 Tablette. — 18. II. OS. Allgemeinbefinden sehr 
gut, weder Schwindel, noch Blutandrang, kein Kopfschmerz, keine Zuckungen, 
Appetit gut, ebenso Stuhl, kein Schnupfen. Vom 21. H. 08 an täglich I 
Tablette. 

15. HI. 08. Pat. hat jetzt 80 Tabletten Jodglidine genommen, fühlt 
sich vollkommen gesund und hat keine Erscheinungen von Jodismus be¬ 
kommen. Auch dieser Pat. hat in den letzten Wochen keine strenge Diät 
befolgt, rühmt, wie angenehm sich Jodglidine nehmen läßt, und glaubt eine 
Steigerung des Appetits sowie leichten, regelmäßigen Stuhlgang auf Jod¬ 
glidine zurückführen zu müssen. 

S. D. B., 80 J. alt, Privatmann, früher Landwirt, leidet seit mehreren 
Jahren an Arteriosklerose, hat bereits einmal einen leichten Schlaganfall 
gehabt und hat vor 1 Jahre mit gutem Erfolg Antiskierosin gebraucht. 
Anfang Januar 1908 wieder schwere Störungen, die auf arteriosklerotische 
Veränderungen im Gehirn und am Herzen zurückzuführen sind, unregel¬ 
mäßiger, aussetzender Puls, Kopfschmerzen, belegte Zunge, Stuhlverstopfung. 
Appetitmangel, Unruhe, Irrereden usw. Am 24. I. 08 Jodglidine 2mal tgl. 
1 Tablette. 

31. I. 03. Pat. ist wieder ganz klar, redet nicht mehr irre, klagt 
nicht mehr über Schwindel und Kopfschmerzen, Zunge nicht mehr so stark 
belegt, Appetit besser, subjektives Wohlbefinden, Puls langsam, regelmäßig, 
nicht mehr aussetzend. Pat. beginnt aufzustehen und bekommt von nun 
an noch lmal tgl. 1 Tablette. 15. H. 08. Pat. fühlt sich völlig gesund, 
hat guten Appetit, regelmäßigen Stuhlgaug, hat keinen Schwindel und 
Kopfschmerz mehr. Unruhe und Irrereden verschwunden. Pat. hilft 
wieder in der Landwirtschaft mit. Er hat bis jetzt kein Zeichen von 
Jodismus gehabt. 

4. A. K., 61 J., Maurermeister. Arteriosklerose, vor 1 Jahre mit 
Jodvasogen und Antiskierosin behandelt, seitdem Wohlbefinden. Mitte 
Februar 08 wieder Kopfschmerzen, Schwindel, Herzklopfen, Beklemmungen. 

22. II. Jodglidine, 2mal tgl. 1 Tablette. 

2. III. Zustand hat sich gebessert, weiter Jodglidine, 2mal tgl. 

19. III. Gar keine Beschwerden mehr, Pat, fühlt sich ganz wohl. 
Irgendwelche Zeichen von Jodismus werden nicht bemerkt. Pat. nimmt 
noch weiter Jodglidine. 

25. HI. Jodglidinekur beendet. Keine Beschwerden mehr. Jod¬ 
glidine wurde sehr gut vertragen. Appetit war gut. Magonstörungen 
sind nicht aufgetreten, trotzdem Pat. keine besonderen Diätvorschriften be¬ 
kommen hatte. Es ist dies hier besonders hervorzuheben, weil Pat. früher 
wiederholt, zum letzten Mal vor l l / 9 Jahren, magenkrank war. 

5. A. Sch., 35 J., Lackierer, bereits früher wegen Bleikolik behan¬ 
delt, vor 3 Jahren Neuritis optika, mit konzentrischer Gesichtsfeldeinschrün- 
kung infolge von Bleivergiftung. 

15. I. 08. Rechtsseitige Fazialislähmung, gleichzeitig deutlicher Blei¬ 
saum , Kopfschmerzen, Leibschmerzen, daher wird die Lähmung als Folge 
der Bleivergiftung angesehen. 

Täglich Faradisieren, 2 mal wöchentlich ein Dampfbad, Jodkali. Am 

20. I. 08 Jodismus (Schnupfen, entzündete Augen, Husten, Kopfschmerzen, 
Appetitlosigkeit), deshalb wird das Jodkali ausgesetzt. Die Lähmung hat 
sich noch nicht gebessert. — Vom 24. I. 08 ab 2 mal tgl. 1 Tablette Jod¬ 
glidine. 1. II. 08. Fazialislähmung hat sich bedeutend gebessert, keine 
Kopf- und Leibschmerzen mehr. Pat. fühlt sich wohl, hat guten Appetit, 
wird noch jeden 2. Tag faradisiert und nimmt noch weiter 2 mal tgl. Jod¬ 
glidine. Wieder arbeitsfähig. 8. II. 08. Völlig geheilt. Es sind keine 
Spuren von Jodismus aufgetreten. 

6. Frau R., 56 J., Witwe. Vor 25 Jahren vom Ehemann luetisch 
infiziert. Seit 4 Jahren Tabes dorsalis, früher behandelt mit Inunktions- 
kuren (Sapolent. bydrargyr. Goerner), Kal. jod. und Natr. jod. Zweimal 
mit sehr gutem Erfolg in Bad Nenndorf gewesen. Letzte Kur vor 3 4 
Jahren; im Februar Inunktionskur. — Klagt danach über heftige Kopf¬ 
schmerzen, die besonders nachts auftreten. 

4. III. Jodglidine, 2 mal tgl. 1 Tablette. 

20. III. Pat. fühlt sich besser, Kopfschmerzen haben nachgelassen. 
Jodglidine wird gut vertragen, nur einige Tage ist eine leichte Entzündung 
der Augen eingetreten, die vielleicht auf Jod zurückzufiihren ist. Kein 
Schnupfen, kein Husten. Appetit und Stuhlgang gut. Pat. nimmt weiter 
Jodglidine. 

7. Frau K., 72 J. alt, Witwe, seit 6 Jahren krank, starke Pupillen- 
differenz, Patellarretlexe erloschen, Störung der Sensibilität, Ataxie. — Tabes, 
außerdem linden sich auch Zeichen von Arteriosklerose. Pat. bekam früher 
Kal. jod., zum letzten Mal vor 1 Jahr. 

Anfangs Februar 1908 fühlt sich Pat. wieder sehr schlecht, klagt vor 
allem über Kopfschmerzen und Schwindel. 

15. II. Jodglidine, 2 mal tgl. 1 Tablette. 

28. II. Pat. fühlt sich besser, verträgt das Mittel sehr gut und nimmt 
es gern, weiter Jodglidine. 

20. III. Pat. hat Jodglidine gut vertragen uud fühlt sich besser, bat 
•gar keine Kopfschmerzen. Der Schwindel hat nachgelassen, Pat. konnte 
sogar gestern einen kurzen Weg über die Straße allein geben, was in den 


\ 


Original frorri 

\ SfTT GFM IC HfGA N 




letzten Monaten nicht möglich war. Appetit sehr gut. Stuhlgang regel¬ 
mäßig. 

8. Frau H., 56 J. alt, Witwe, luetische Infektion negiert, doch er¬ 
scheint aus der Anamnese hervorzugehen, daß sie vor 20 Jahren Lues 
akquiriert hat, denn nachdem sie zuerst 3 gesunde Kinder gehabt hat, kamen 
nacheinander 3 Fehl- bezw. Frühgeburten, danach wurde ein sehr schwäche 
liches Kind geboren, das eine (angeblich angeborene) halbseitige Lähmung 
hat. Pat. erkrankte vor 1 i / 2 Jahren mit heftigen lanzinierenden Schmerzen, 
später kamen gastrische Krisen, seit Mitte September ist sie fast dauernd 
an das Bett gefesselt. Pupillendifferenz, Patellarreflex erloschen, Sensibilitäts- 
stürungen, hochgradige Ataxie. Diagnose: Tabes dorsalis. Früher behandelt 
mit Schmierkuren, Kal. jod. und Natr. jod. Massage und Elektrizität. 
Vom 25. I. 08 an Jodglidine, 2 mal tgl. 1 Tablette. 

Von Mitte Februar an häufige Anfälle von lanzinierenden Schmerzen, 
gegen die Morphium gegeben werden mußte. Pat. hat deshalb von Mitte 
Februar an kein Jodglidine mehr genommen. Jodismus ist nicht eingetreten, 
während früher bei Gebrauch von Jodkali und Jodnatrium Schnupfen, Kopf¬ 
schmerzen und Appetitmangel beobachtet wurden. Vom 18. III. 08 an 
nimmt Pat. wieder regelmäßig 3 mal tgl. 1 Tablette .‘Jodglidine. 

26. III. 08. Die Schmerzen haben seit 2 Tagen aufgehört. Pat. fühlt 
sich wieder besser. Außer mäßigem Schnupfen und Husten sind keine Er¬ 
scheinungen von Jodismus aufgetreten. Appetit und Stuhlgang gut. Die 
Ataxie hat sich nicht gebessert, Pat. liegt noch zu Bett. 

9. Frau A. B., 30 J., früher behandelt wegen Blutarmut, Gelenk¬ 
rheumatismus, Lungenspitzenkatarrh. Bei erneuter Untersuchung am 
24. I. 08 wird Struma gefunden. Umfang des Halses: 34 cm. Vom 24. I. 
ab Jodglidine, 2 mal tgl. 1 Tablette. 

7. II. Struma hat sich etwas verkleinert, Umfang des Halses: 33,5 cm. 
Das Mittel wird gern genommen und gut vertragen. Von nun ab weiter 
täglich 1 Tablette. 

6. III. Weitere Verkleinerung der Struma,Umfang des Halses: 33 cm. 
Subjektives Wohlbefinden, weiter Jodglidine. 

24 III. Pat. hat seit 14 Tagen kein Jodglidine mehr genommen. 
Umfang des Halses: 32,5 cm. Irgendwelche Zeichen von Jodismus sind 
nicht eingetreten. Der Appetit war gut. Hervorzuheben ist, daß seit 
i Wochen auch keine Gelenkschmerzen mehr verspürt wurden, während 
Pat. im Februar öfter über Gelenkschmerzen klagte. 

10. E. K., 13 Jahre alt, Struma, Umfang des Halses; 28,5 cm, be¬ 
kommt Jodglidine, 2 mal tgl. 1 Tablette vom 28. I. an. 

12. II. 08. Die Behandlung mußte für ca. 8 Tage unterbrochen 
werden, weil Pat. an Influenza erkrankte. Nach der Influenza wurde Jod¬ 
glidine weiter genommen. 

21. II. 08. Struma hat sich etwas verkleinert, Umfang des Halses: 
28 cm. Subjektives Wohlbefinden, weiter Jodglidine. 

25. 3. 08. Pat. hat seit 14 Tagen kein Jodglidine mehr genommen. 
Umfang des Halses: 27,5 cm. Pat. hat Jodglidine gut vertragen. Appetit 
gut, kein Jodismus. 

11. Frau M. C., 32 J. alt, früher behandelt wegen Pharyngitis chron. 
Anämie mit häufigen Herzbeschwerden. Puls meist beschleunigt, 90—100 
Schläge, öfter Ohnmächten. Struma, Umfang des Halses: 34 cm. 

12. II. 08. Jodglidine, 2 mal tgl. 1 Tablette. 

20. II. OS. Struma hat sich verkleinert, Umfang des Halses: 33 cm. 
Jodglidine bekommt sehr gut, keine Magen- oder Darmstörungen, kein 
Schnupfen, keine Erkrankung der Haut, was hier besonders hervorzuheben 
ist, da Pat. eine sehr reizbare Haut besitzt und mehrmals nach Medikamenten 
(u. a. Antipyrin) Urtikaria bekommen hat. 

18. III. 08. Weitere Verkleinerung der Struma, Umfang des Halses: 
32 cm. Pat. hat noch keine Ohnmachtsfalle wieder gehabt, der Puls ist 
etwas kräftiger und langsamer geworden (84 Schläge in der Minute). Der 
Appetit ist gut, Pat. hat seit Mitte Februar 1,5 kg zugenommen und fühlt 
sich kräftiger. Keine Spur von Jodismus. Pat. nimmt auch jetzt noch 
weiter Jodglidine. 

12. E. N., 29 Jahre alt, Vorarbeiter, leidet seit 1 Jahre an Psoriaris 
am 1. Bein und hat bis jetzt verschiedene Salben gebraucht, ohne völlige 
Heilung zu erreichen. 

18. 11. Chrysarobinsalbe äußerlich, Jodglidine innerlich, 2 mal tgl. 
1 Tablette. 

1. III. Zustand hat sich erheblich gebessert. Die starke Schwellung 
des Beines ist zurückgegangen, die Schuppen haben sich abgestoßen, die 
Haut ist noch etwas rot und wird noch mit indifferenten Salben behandelt. 
Pat. kann wieder ohne Schmerzen gehen und hat keine Symptome von Jodis¬ 
mus bekommen. 

13. Frau R., 72 J., seit fünf Jahren in meiner Behandlung wegen 
Lungenemphysems und chronischen Bronchialkatarrhs. In der letzten Zeit 
hat sich der Zustand verschlimmert, es sind jetzt öfter Anfälle von Asthma 
Bronchiale aufgetreten. Pat. klagt besonders darüber, daß sie wegen der 
Atemnot nachts nicht schlafen könne. 

Vom 27. II. 08 an bekommt Pat. 2mal tgl. eine Tablette Jodglidine. 
1. III. Pat. hat besser geschlafen und weniger Atemnot gehabt. 11. III. 
Pat. fühlt sich bedeutend besser, kann jetzt immer gut schlafen und hat 
noch keinen Asthmaanfall wieder gehabt. Appetit und Stuhlgang gut. 
Keine Zeichen von Jodismus. 18. III. Pat. hat seit einigen Tagen keine 
Tabletten mehr bekommen, bittet aber um nochmalige Verordnung von Jod¬ 
glidine, da sie sich wohler gefühlt habe und besser habe atmen können, so¬ 
lange sie Jodglidine nahm. 

25. III. Pat. nimmt seit einigen Tagen wieder Jodglidine und fühlt 
sich sehr wohl. Atemnot geringer, Schlaf ruhig. Keine Asthmaanfälle, kein 
Jodisraus. Appetit gut, ebenso Stuhlgang, ohne daß jetzt Abführmittel ge¬ 
braucht werden, die früher nötig waren. 


14. St. F., 57 j., Arbeite?, leidet seit mehreren Jahren an chronischem 
Bfönchiaikatarrh und Lungenemphysem; typische Asthmaanfälle fehlen; 
Herztätigkeit unregelmäßig, schwach. 

Vom 29. II. 08 an Jodglidine 3 mal tgl. eine Tablette. 

10. III. Pat. füblt sich besser, Husten und Auswurf haben nachge¬ 
lassen, Atemnot geringer, Appetit und Stuhlgang gut. Weiter Jodglidine 
2 mal tgl. eine Tablette. 

24, III. Pat. ist außer Bett, fühlt sich etwas besser. Jodglidine 
Wird gern genommen und gut vertragen. Es sind keine Zeichen von Jodis¬ 
mus aufgetreten. Appetit gut. 

15. H. Gr., 38 J., akquirierte vor 14 Jahren Lues, damals nur kurze 
Zeit behandelt bis zum Verschwinden der Sekundärerscheumugen. Dann 
keine spezifische Behandlung bis Frühjahr 1905, wo bei seiner Frau (von 
ihm infiziert) infolge eines Gummas an der Basis des Gehirns Trigeminus¬ 
neuralgie und rechtsseitige Fazialislähmung auftraten. Darauf bei beiden 
Eheleuten Inunktionskur, später Kal. jod. Seitdem hat sieh der Mann noch 
nicht wieder behandeln lassen. 

1. IH. Pat. kommt wieder zur Untersuchung, er klagt über Kopf¬ 
schmerzen, die besonders'nachts auftreten, Appetitmangel, Diarrhöe und 
Halsschmerzen. Ord.: Jodglidine 3 mal tgl. eine Tablette. 

18. III. Pat. füblt sich bedeutend wohler, die Kopfschmerzen haben 
nachgelassen, Appetit ist gut, Stuhlgang normal, regelmäßig lmal täglich, 
die anfangs trübe Gemütsstimmung ist heiter geworden. Kein Jodismus. 
Pat. nimmt noch weiter Jodglidine. 

16. M. Z., 61 J., Kaufmann, vor mehr wie 30 Jahren Lues akquiriert, 
seit 20 Jahren „nervenleidend“, früher chronische Naseneiterung, längere 
Zeit in Nervenheilanstalt gewesen, seit etwa 20 Jahren „epileptische“ (?) 
Krämpfe, die mit Jodkali und Btomsalzen behandelt wurden. Mitte Januar 
wieder mehrere schwere Krampfanfälle. 

Vom 25. I. 08 an wird Jodglidine gegeben, 3mal tgl. eine Tablette. 

Diagnose: Lues cerebri. 

18. II. Bisher noch kein Anfall wieder, Allgemeinbefinden sehr gut, . 
keine Nebenerscheinungen; Pat. bekommt nun noch 2mal tgl. eine Tablette 
Jodglidine. 

1. III. Allgemeinbefinden, besonders Appetit gut; Anfälle noch nicht 
wieder eingetreten. Kein Jodismus. 

17. L. B., 50 J., Beamter, seit etwa V/ s Jahren „Schnupfen“, der 
von Influenza zurückgeblieben sein soll. Vor Vj Jahr fing der Ausfluß au, 
übelriechend und eitrig zu werden, zugleich Wurde die äußere Haut an der 
Nasenspitze rot. Pat. ließ sich homöopathisch behandeln, das Leiden wurde 
für Lupus erythematodes erklärt. Besserung nicht erzielt. 

17. II. Die Nase ist mit Krusten und Borken augefüllt und ver¬ 
breitet einen furchtbar üblen Geruch. Das Septum weist einen großen - 
Defekt auf und zwar im knorpeligen sowohl wie im knöchernen Teil, 
Schleimhaut mit Borken besetzt. Die Sonde stößt auf rauben Knochen. 
Die äußere Haut an der Nasenspitze geschwollen und gerötet, ebenso die 
Oberlippe. Knötchen nicht vorhanden. 

Diagnose: Ozaena luetika. 

Ordin.: 2mal tgl. eine Tablette Jodglidine (außerdem Nasenspülungen 
mit Borwasser). 

28. II. Die Krustenbildung bat nachgelassen, die Sekretion ist ge¬ 
ringer geworden, der üble Geruch ist nicht mehr so stark. 

11 III. Bedeutende Besserung; es finden sich keine Borken und 
Krusten mehr in der Nasenhöhle, die Sekretion hat weiter nachgelassen, der 
üble Geruch ist fast völlig verschwunden. Allgemeinbefinden gut. 

25. III. Uebler Geruch völlig verschwunden, Sekretion minimal. 
Nasenhöhle läßt sich jetzt gut übersehen, das Septum ist zum größten Teil 
zerstört, ebenso ein Teil des Siebbeins. Kein Jodismus. Weiter Jodglidine. 

Auf Grund obiger Beobachtungen komme ich zu folgenden 
Ergebnissen: 

1. Jodglidine läßt sich sehr gut einnehmen und wird auch 
dann gut vertragen, wenn es längere Zeit hindurch in größeren 
Mengen gegeben wird. 

2. Jodglidine wirkt ebenso schnell und sicher wie Jodkali 
und Jodnatrium, die Wirkung tritt aber schon nach kleineren 
Dosen von Jod ein wie bei den Jodalkalien. 

3. In der Mehrzahl der Fälle wurde nach dem Gebrauch 
von Jodglidine eine Zunahme des Appetits und des Körper¬ 
gewichts beobachtet, das Allgemeinbefinden, auch die Gemüts¬ 
stimmung wurden besser. 

Ich halte daher das Jodglidine für eine wertvolle Be¬ 
reicherung unseres Arzneischatzes und kann seine Verordnung 
nur empfehlen. 

Zum Schluß möchte ich noch kurz die Indikationen für 
Verordnung yon Jodglidine besprechen. Es ist zu verwenden 
bei allen Krankheiten, bei denen früher die Jodalkälien ge¬ 
geben. wurden und zwar besonders in den Fällen, wo es darauf 
ankommt, längere Zeit hindurch und in größeren Mengen Jod 
zu gebrauchen, wo also bei Verordnung von Jodalkalien Jodismus 
zu befürchten ist, ferner bei Patienten mit schwachem Magen, 
bei denen die Jodalkalien leicht Verdauungsstörungen hervor- 
rufen, während Jodglidine stets günstig auf Appetit und Stuhl¬ 
gang einwirkt, dann auch bei den Kranken, die die Jodalkalien 
wegen ihres schlechten Geschmackes nicht nehmen mögen. Ich 


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selbst habe, wie aus obigen Krankengeschichten hervorgeht, 
Jodglidine verwendet in vier Fällen von Arteriosklerose, je 
drei Fällen von tertiärer ‘ Syphilis, Tabes dorsalis und Struma 
und je einem Fall von Bleilähmung, Psoriasis, Asthma bronchiale 
und Emphysema pulmon. mit chron. Bronchialkatarrh. Ich habe 
inzwischen noch einige andere Kranke mit Jodglidine behandelt, 
kann aber noch nicht darüber berichten, weil die Beobachtungs¬ 
zeit noch zu kurz ist. Jedenfalls kann ich nochmals hervor¬ 
heben, daß ich mit den Erfolgen sehr zufrieden bin und — 
meine Patienten sind es ebenfalls, und darum empfehle ich 
den Herren Kollegen, es gleichfalls zu verordnen. 



Lungenkrankheiten. 

Referent: Dr. Emst Meyer, Charlottenburg, Assistent an 
der Kgl. Universitätspoliklinik für Lungenleidende zu Berlin. 

1. Ueber die klimatische Behandlung der Lungentuber¬ 
kulose. Von Hermann Senator. Zeitschr. f. Balneol., Klimatol. 
u. Kurorthygiepe, 1908, Nr. 2. 

2. Ueber die Verwendbarkeit der Komplementbindungs¬ 
methode zur Diagnose tuberkulöser Exsudate. Von Kurt 
Meyer. Deutsche med. Wochenschr., 1908, Nr. 20, S. 868. 

3. Die Lungenspitzentuberkulose im Röntgenbild. Von 
Alb ers-S chönberg. Ibidem, S. 864. 

4. Welche Krankheiten sind im pneumatischen Kabinette 
zu behandeln 1 ? Von E. Aron ; Therapie d. Gegenwart, 1908, 
S. 195. 

5. IX. Jahresbericht der neuen Heilanstalt für Lungen¬ 
kranke zu Schömberg, Oberamt Neuenbürg, nebst Mitteilungen 
über die Verwendung von Luftbädern in der Phthisiotherapie. 

Von G. Schröder und^K. Kaufmann. Württemb. med.'Korre- 
spondenzbl., 1908. 

1. Senator macht darauf aufmerksam, daß schon die alten 
Aerzte den Einfluß klimatischer Kuren gekannt hätten, daß aber 
in den letzten Jahren, in der Zeit der Heilstätten bewegung, mit 
Unrecht eine gewisse Geringschätzung bezw. geringere Bewertung 
der Klimakuren bei der Tuberkulosebehandlung stattgehabt habe. 
Er hebt die Vorzüge der verschiedenen Klimata im allgemeinen 
hervor. Das Hochgebirgsklima in Höhen von 800 bis 2000 m 
bezeichnet er wegen der starken Anregung aller körperlichen 
Funktionen als kräftigend, erfrischend und abhärtend. Es findet 
Vermehrung der Blutkörperchen und des Hämoglobingehaltes statt. 
Vorgeschrittene Stadien der Lungentuberkulose sind eine Kontra¬ 
indikation für Aufenthalt im Hochgebirge. Sehr geeignet ist da¬ 
gegen das Hochgebirge für inzipiente und der Tuberkulose ver¬ 
dächtige Fälle. Eine Kontraindikation geben auch Komplikationen 
mit Kehlkopf-, Herz-, Gefäß- und Nierenleiden, sowie starke Nei¬ 
gung zu Blutungen, ebenso Diarrhöen. 

Das subalpine Klima (300 bis 900 m), das in seiner Wirkung 
dem Hochgebirgsklima nahe kommt, aber nicht so erregend wirkt, 
eignet sich auch für Kranke, die über die ersten Anfänge der 
Tuberkulose hinaus, aber noch nicht im Kolliquativstadium sind. 

Im scharfen Gegensatz zum Hochgebirgsklima steht das be¬ 
ruhigende, erschlaffend wirkende, feuchtwarme Tal- oder Kessel¬ 
klima, welches für schwächliche Patienten, die zu Blutungen neigen 
oder Kehlkopfkomplikationen haben, am meisten geeignet ist. — 
Das trockenkühle Seeklima ist dem Hochgebirgsklima gleich zu 
erachten und verdient nur bei Skrofulöse den Vorzug vor diesem. 
Wie beim Hochgebirgsklima kommen auch bei trockenkühlem See¬ 
klima zunächst Sommerkuren und erst, wenn der Patient eine 
genügende Widerstandsfähigkeit erreicht hat, Winterkuren in 
Betracht, die am besten in Anstalten stattzufinden haben. — 
Entgegengesetzt wirkt das feuchtwarme Seeklima, das dem Kessel¬ 
klima ähnlich ist, aber noch immer etwas anregt. Für nicht zu 
schwer Kranke sind die Vorteile des Seeklimas durch langdauernde 
Seereisen am besten zu erreichen. — Schließlich kommt zum 
Winterapfenthalt Tuberkulöser noph dgs Wüsten- und Steppen? 


klima in Betracht, das sich durch seine Wärme, den geringen 
Feuchtigkeitsgehalt, Klarheit der Luft und die starke Besonnung 
auszeichnet; es eignet sich wohl am meisten für Kranke, denen 
vorher das subalpine Klima empfohlen wurde. Bei allen Patienten 
ist jedoch die Klimakur am besten in Sanatorien vorzunehmen, 
und so fordert Senator, daß alle die Fälle, welche bisher 
in den Volksheilstätten des Flachlandes behandelt wurden, in 
Sanatorien im Gebirge oder an der See behandelt werden möchten, 
und daß man die Flachlandsanatorien für progresse Fälle benutzen 
solle. 

2. Bruck gelang es vor einiger Zeit, bei einer Miliartuber¬ 
kulose im Blutserum Tuberkelbazillensubstanzen und beim Fort¬ 
schreiten der Infektion Antituberkulin nachzuweisen; weiter ver¬ 
mochte er auch in pleuritischen Exsudaten den Nachweis gelöster 
Tuberkelbazillenstoffe zu erbringen. Meyer untersuchte deswegen 
Exsudatflüssigkeit aus mehreren stark tuberkulösen Leichen, sowie 
auch einige durch Punktion vom Lebenden gewonnene Pleuritis¬ 
flüssigkeiten. Es gelang ihm in keinem der acht Fälle, mit der 
Komplementbindungsmethode Tuberkelbazillenstoffe (Antigen) nach¬ 
zuweisen. Er weist nach, daß rein rechnerisch der Antigennach- 

. weis in Körperflüssigkeiten nur selten gelingen kann, und hält 
weitere Untersuchungen über den Antikörpergehalt tuberkulöser 
Exsudate für wünschenswert. 

3. Für die Diagnose der Lungenkrankheiten hat sich die 
Röntgenuntersuchung als ein wichtiger Faktor erwiesen. Während 
die Röntgendurchleuchtung nur für vereinzelte Fälle ein ab¬ 
schließendes Resultat gibt, ist sie als Hilfsuntersuchimg zur Kon¬ 
trolle der Hilusdrüsen und des Williamschen Symptoms wichtig. 
— Die Aufnahme auf der photographischen Platte hält Verfasser 
den physikalischen Untersuchungen für ebenbürtig, wenn nicht 
gar überlegen. Es gelingt beim Vorhandensein kleiner Infiltrate 
oft, die beginnende Lungenspitzentuberkulose durch die Röntgen¬ 
platte zu diagnostizieren. Auch Kavernen und Kalkherde in den 
Lungen sind sehr deutlich zu erkennen, auch aus den Trübungen 
einer Lungenspitze lassen sich oft Schlüsse ziehen, die für die 
Frühdiagnose der Lungenspitzen tuberkulöse verwertbar sind. Selbst¬ 
verständlich müssen alle Fehlerquellen berücksichtigt werden und 
sind nur technisch vollendet gute Röntgenogramme diagnostisch 
brauchbar. 

4. Man ist der Ansicht, daß die pneumatische Therapie in 
den letzten Jahren mit Unrecht sehr vernachlässigt sei. Natür¬ 
lich dürfe man nicht in dieser Therapie eine Panazee suchen, 
sondern müsse von vornherein ungeeignete Fälle von derselben 
ausschließen. In längerer Auseinandersetzung bespricht Verfasser 
die Tierversuche und theoretischen Betrachtungen anderer Autoren 
und kommt dann zum Schlüsse auf die Anwendung der pneumati¬ 
schen Kammer in der Praxis zu sprechen. Er empfiehlt sie vor 
allen Dingen bei dem chronischen Bronchialkatarrh, dem catarrke 
sec, während er die Fälle mit abundanter Sekretion für weniger 
geeignet für diese Therapie hält. Gute Erfolge sah er auch bei 
der Nachbehandlung der Pleuritis, wo die Therapie erst nach Ab¬ 
lauf des entzündlichen Stadiums einzusetzen hat. Er beseitigt 
hiermit einerseits die Verklebungen und Adhäsionen und wirkt 
anderseits auf die in der Lunge etwa entstandenen atelektatischen 
Stellen. Auch die Resorption etwa noch vorhandener Exsudat¬ 
reste wird durch den stärkeren negativen Druck direkt begünstigt. 
Auch bei Lungenemphysem und Asthma bronchiale soll die pneu¬ 
matische Kammer mit gutem Erfolg angewendet werden. Während 
einige Autoren teilweise bei tuberkulösen Katarrhen von der An¬ 
wendung der pneumatischen Kammer absehen, glauben andere und 
mit ihnen auch Aron dieselbe wohl empfehlen zu dürfen. Aron 
hält dieselbe nur bei Fieber und Neigung zu Hämoptoe für kontra¬ 
indiziert. Bei Kurzatmigkeit und Bronckokatarrken infolge von 
Herzfehlern hält Verfasser die pneumatische Kur für nicht am 
Platze. Auch für die Behandlung der Anämie und Chlorose hat 
man die pneumatische Kammer empfohlen. — Verfasser bemerkt 
ausdrücklich, daß man aber während der Anwendung der pneu¬ 
matischen Kammer niemals die anderen zur Verfügung stehenden 
Hilfsmittel der medikamentösen Therapie, Hydrotherapie, Klimato- 
therapie etc. vernachlässigen dürfe. 

5. Nach einigen allgemeinen Angaben über den Betrieb in 
der Anstalt betonen die Verfasser, daß sie die Prognose bei 
Larynxtuberkulose nicht für schlecht halten, sondern daß sie bei 


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388 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. " ^ 






vielen Fällen nach, operativer Behandlung völlige Heilung sahen. 
Sodann erwähnen die Verfasser, daß sie im letzten'Jahre Luft¬ 
bäder im Freien mit gutem Erfolge angewandt hätten. Besonders 
günstig waren die Luftbäder für die zur Neurasthenie neigenden 
Kranken. Das Luftbad wurde nur solchen Patienten verordnet, bei 
welchen keine frischen oder progresse Prozesse vorhanden waren. Auch 
bei Patienten mit Herzschwäche, fieberhaften Temperaturen, 
frischen Rippen feil Veränderungen wurden Luftbäder vermieden. 
Jedem Patienten wurde genau vorgeschrieben, welche Hebungen 
er im Luftbade vornehmen sollte, wobei stets nach der Leistungs¬ 
fähigkeit des einzelnen genau individualisiert wurde. Besonders 
wichtig war den Verfassern ein Trockenfrottieren vor und nach 
dem Bade. Die Dauer der Bäder betrug 5 bis höchstens 
20 Minuten. Einige Patienten setzten die Bäder bis gegen Weih¬ 
nachten fort, sonst wurden im Winter nur Zimmerluftbäder an¬ 
gewendet. Während die Verfasser die Luftbäder für sehr gut 
für Lungenkranke halten, sind sie für die Sonnenbäder weniger 
eingenommen. Sie halten sie direkt kontraindiziert für Kranke 
mit noch aktiven Herden wegen der zu starken Wirkung auf 
die Haut und den Gesaintorganismus. Ebenso halten sie dieselben. 
für schädlich für fette Lungentuberkulose, für welche die Pro¬ 
gnose überhaupt meist eine schlechte sei. 


Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Referent: Spezialarzt Dr. S. Aschheim, Charlottenburg-Berlin. 

1. Die Entstehung des Dekubitusgeschwürs am prolabierten 
Uterus. Von Kermauner-Heidelberg. Monatssckr. f. Gyn. u. Geb., 
1908, Mai. 

2. Die Appendizitis beim Weibe und ihre Bedeutung für 
die Geschlechtsorgane. Von P a n k o w - Freiburg. Hegars Bei¬ 
träge, 13, I. 

3. Klinische Erfahrungen über die Wirkung des Seka- 
kornins. Von Thomson. Zentralb). f. Gyn., Nr. 22. 

4. Diabetes mellitus als Indikation zur Unterbrechung der 
Schwangerschaft. Von Schottel ins - Leipzig. Münch, med. 
Wochenschr., 1908, Nr. 18. 

5. Ueber Naheiversorgung. Von Feitler-Wien (Klinik 
Schauta). Wien. klin. Wochenschr., 1908, Nr. 18. 

6. Zur Serumbehandlung des Puerperalfiebers. Von Müller- 
Magdeburg. Münch, med. Wochenschr., 1908, Nr. 20. 

1. Das Dekubitusgeschwür am prolabierten Uterus, dessen 
Entstehung auf Reibung an Kleidern und Oberschenkel mit nach¬ 
folgender Nekrose der epithelberaubten Stellen zurückgeführt wird, 
entsteht nach Kermauner durch Riß Verletzungen der oberfläch¬ 
lichen Schleimhautschichten. Die Schleimhaut reicht für den ver¬ 
größerten Vorfall nicht aus, ist nicht genug dehnungsfähig und 
birst infolgedessen. 

2. Zur Klärung der Frage nach der Häufigkeit der Blind¬ 
darmentzündung bei der Frau und der pathogenetischen Bedeutung 
hat Pankow 150 bei gynäkologischen Laparotomien mit ent¬ 
fernte Wurmfortsätze untersucht. 

Für abgelaufene Entzündungen, die sich nicht durch Oblite¬ 
ration oder ausgedehnte Schleimhautzerstörung dokumentieren, 
wird auf die Veränderungen der Serosa und vornehmlich der 
Muskularis hingewiesen; bei der Rückbildung der akuten Entzün¬ 
dung kommt es in der Muskularis des Prozessus zu einer Ver¬ 
mehrung des intermuskulären Bindegewebes; die normale Musku¬ 
latur sieht infolgedessen wie aufgesplittert aus. Muskelnarben 
sind als sicherer Beweis einer vorausgegangenen Entzündung auf¬ 
zufassen, die zur Perforation geführt hatte. Die Serosa ist nach 
der Ausheilung bindegewebig verdickt. 

An den 150 Appendizes ließen sich in 56% sichere Zeichen 
einer überstandenen Entzündung naehweisen; eine weitere Anzahl 
wiesen einen fraglichen Befund auf, so daß P. zu dem Schluß 
kommt, daß etwa 60% aller Frauen in der Blüte der Geschlechts¬ 
reife eine Blinddarmentzündung durcbgemacht hatten. (Aus diesen 
150 wegen Unterleibsbeschwerden operierten Fällen eine für die 
Gesamtheit der Frauenwelt gültige Prozentzahl abzuleiten, erscheint 
Ref. etwas sehr gewagt.) 


Im einzelnen besprioht PankoWA üni diA 

entzündlichen Adnexerkranküngen. •; "• v /-.; -> , '.-A 

Er hebt die Wichtigkeit der Appendizitis für die Entstehung, 
der pelviperitonitischen Adhäsionen mii ihren Folgeerscheinungen 
hervor und zöigt an einigen Fällen, wie Verwachsungen der Uterus¬ 
anhänge auf vorausgegangene Appendizitis^ zurüclraufübren seien. 
Auch das umgekehrte, der Uebergang der Adnexentzündung auf 
die Appendix kommt vor. 

Die klinische Deutung der Krankheitsbilder kann durch gleich- 
' zeitiges Bestehen von Appendizitis und Adnexerkrankung sehr . er¬ 
schwert sein. 

Die makroskopische Untersuchung der Appendix genügt nicht, 
erst die mikroskopische läßt oft die Ursache für sonst unklare 
Beckenbauchfell Veränderungen erkennen. 

Auch bei der Sterilität spielen pelviperitonitische Adhäsionen 
infolge - Appendizitis in Fällen, in denen Tuberkulose und Gonor¬ 
rhöe auszuschließen sind, oft eine wichtige Rolle. ‘Verwachsungen 
um das Tabenrohr können sich bilden, die trotz offener und frei¬ 
liegender Tubenostien durch Abschnürung und Abknickung dem 
Ei den Durchtritt hindern, es kann durch • perisalpingitische Ad¬ 
häsionen das Tubenostium verlegt werden, während - dahinter der 
Pavillon selbst offen bleibt, und es kann schließlich eine Ver¬ 
klebung der Fimbrienenden und dadurch Verlegung des Tuben- 
lnmens eintreten. P. sah derartige Fälle fünfmal. Prognostisch 
sind sie günstiger zu beurteilen als die gonorrhoischen Verände¬ 
rungen, bei welch letzteren immer endosalpingitische Veränderungen 
eine Rolle spielen. 

P. hebt ferner hervor, wie die klinischen Symptome einer 
„chronischen Appendizitis“ denen der Retroflexio uteri mobilis, der 
chronischen Oophoritis, des Ren mobilis dexter gleichen und es oft 
schwer ist, die Ursachen der Beschwerden imEinzelfalle festzustellen. 

Physiologische und Situs Veränderungen an der Appendix sind 
ebenfalls als Ursache klinischer Beschwerden von Hochenegg 
hervorgehoben worden. Füllungszustand, Länge des Mesenteriolums 
kommen in Betracht. Kotsteine spielen nach Aschoffs Ansicht 
nicht die ihnen zugeschriebene Rolle bei der Entstehung des 
akuten Anfalls. . 

Große Schwierigkeiten kann die Differentialdiagnose gegen 
Hysteroneurasthenie bewirken. P. zeigt dies an Fällen, die'nach 
Entfernung eines normalen Prozessus geheilt wurden, an solchen, 
die trotz Entfernung eines erkrankten Prozessus. über die alten 
Beschwerden weiter klagten. 

Er kommt schließlich für gynäkologische Operationen zu der 
Forderung, daß die Appendektomie in allen Fällen, in denen das 
Abdomen eröffnet wird — auch prophylaktisch —gemacht 
werden soll. 

Diese Forderung stützt er dann noch durch die Möglichkeit 
einer späteren Kombination von Schwangerschaft und Blinddarm¬ 
entzündung. Die Appendizitis hat in graviditate eine so hohe 
Mortalität (über 50%), daß schon geraten wurde, bei jeder an 
Appendizitis erkrankten Frau, die noch schwanger werden kann, 
den Wurmfortsatz fortzunehmen. 

Die Therapie der Appendizitis in graviditate im akuten An¬ 
fall hat in jedem Falle in sofortiger Appendektomie zu bestehen. 
(Bisweilen wird der Gynäkologe. aufgefordert, in solchen Fällen 
den Abort einzuleiten, ein Verfahren, das als Kunstfehler zu be¬ 
zeichnen ist und leicht für die Patientin verhängnisvoll werden 
kann. Ref.) 

Verwechslungen mit Pyelitis, Gallenstein sind natürlich auch 
hier möglich. 

Im Intermediärstadium neigt Pankow in graviditate mehr 
dem operativen Verfahren zu, nur bei leichter Erkrankung und 
wenn Abszedierung nicht nachzuweisen ist, wird abgewartet, falls 
die Frau nicht nahe dem Ende der Schwangerschaft ist; klinische 
Behandlung ist dabei absolut nötig, um bei den ersten Anzeichen 
eines Einsetzens der Frühgeburt sofort operativ eingreifen zu 
können. Wehentätigkeit und Verkleinerung des Uterus erhöht 
durch Sprengung von Adhäsionen die Gefahr. 

Die Therapie beim Douglasabszeß nach Appendizitis in . gravi¬ 
ditate ist eine operative; derselbe kommt meist nur bis zürn vierten 
Monat vor, doch beobachtete P. einen solchen im achten Monat; 
der Abszeß wurde von der Vagina aus eröffnet, ohne daß hei der 
Geburt später eine Infektion aus 4©r noch offenen Fistel ^erfolgte. 


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1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


389 


In einem änderen Palle von appendizitischem Abszeß auf der 
Darmbeinschaufel in graviditate wurde Laparotomie mit vaginalem 
Kaiserschnitt kombiniert. 

Aus der Aufstellung des Satzes, bei allen gynäkologischen 
Laparotomien den Prozessus zu entfernen, folgt schließlich, daß 
der Laparotomie gegenüber den vaginalen Methoden wieder ein 
breiterer Platz eingeräumt werden muß. 

3. Thomson empfiehlt die Anwendung des Sekakornin-Roche 

a) in der Nachgeburtsperiode und nach Abort, um Blutungen 
vorzubeugen, bei Atonia uteri, zur Beschleunigung der Involution 
und nach Ausschabung der Gebärmutter zur besseren Kontraktion 
derselben, 

b) bei Menorrhagien und Metrorrhagien und Fehlen deutlich 
nachweisbarer Veränderungen in den Genitalien, bei Metritis, 
Myomen mit Ausschluß der submukösen und polypösen Geschwülste, 
und im Klimakterium, 

c) bei akuteren entzündlichen Erscheinungen in der Ge- 
sclilechtssphäre mit Vorsicht, da Schmerzen bezw. Exazerbation 
der Entzündung hervorgerufen werden können. 

4. Die Prognose des Diabetes mellitus in graviditate ist für 
Kind und Mutter sehr ungünstig, ein Drittel bis die Hälfte der 
Kinder werden dabei verloren, von den Müttern erliegen viele 
dem Koma bald post partum. Schottelius bespricht unter An¬ 
führung eines Falles, der im Koma eingeliefert, eine halbe Stunde 
nach forcierter Entbindung starb, die Frage, ob es bei der schlechten 
Prognose der Komplikation von Schwangerschaft und Diabetes 
nicht ratsam erscheint, die Gravidität zu unterbrechen, und kommt 
zu dem Ergebnis, daß, wenn innere Medikation den Diabetes 
nicht beeinflußt, nach dem Rate von Hofmeier, Fellner, 
Born die Unterbrechung der Gravidität empfehlenswert sei. 

5. An der Sch au tasehen Klinik werden neuerdings Ver¬ 
suche angestellt, durch Omphalotripsie die Nabelversorgung ein¬ 
facher uud besser zu gestalten. Die Technik ist folgende: Die 
Nabelschnur wird in gebräuchlicher Weise ca. 6 cm vom Nabel 
entfernt abgebunden. Nach dem Bade wird die Nabelgegend 
sorgfältig gereinigt und eine ausgekochte, in Alkohol bereitliegende 
Pince knapp über dem Hautrande — mit Vermeidung des röt¬ 
lichen Saumes von Kapillaren — angelegt, der Nabelschnurrest 
mittels eines Skalpells oder Knopfmessers unmittelbar über dem 
Instrumente abgeschnitten. Die Pince bleibt mindestens zehn 
Minuten liegen, nach Abnahme derselben präsentiert sich die abge¬ 
klemmte Partie der Nabelschnur als eine fast papierdünne Membran. 
Der Nabelverband besteht aus steriler hydrophiler Gaze und einer 
5 cm breiten Kalikotbinde. Das Kind wird während seines 
Aufenthaltes in der Klinik nicht gebadet, der Nabelverband täg¬ 
lich gewechselt. Bei 600 Fällen, die so behandelt wurden, fanden 
sich in 52 Fällen Nachblutungen, in den meisten Fällen kam es zum 
Austritte von wenigen Tropfen dickflüssigen, bald gerinnenden 
Blutes aus einem vielleicht nicht genügend komprimierten Blut¬ 
gefäß, besonders bei sulzreichen Nabelschnüren, nur zweimal eine 
profuse Blutung nach mehreren Stunden. Die Blutungen wurden 
durch abermaliges Anlegen einer Pince durch eine halbe bis drei 
Stunden gestillt. Bei den schweren Blutungen betraf eine ein 
vielleicht hämophiles Kind, Blutung stand erst auf Kompressions¬ 
verband, die andere betraf ein asphyktjsch geborenes Kind; Blu¬ 
tung stand nach zehnstündigem Liegenlassen der Pince. 

Anomalien in der Heilung fanden sich in sieben Fällen. 

In 31% Abfall des Restes bis zum fünften Tag, in 64% bis 
zum zehnten Tage. 

Das Baden der Kinder, das bei den ersten 600 Fällen fort- 
gelassen wurde, scheint doch einen günstigen Einfluß auf die 
Kinder zu haben und wurde bei weiteren 60 Fällen, die mit 
Pinces behandelt waren, ohue Schaden der Nabelheilung aus¬ 
geführt. 

Ob man die Methode außerhalb der Klinik den Hebammen 
allein überlassen soll, das muß nach Ref. Ausicht doch sehr er¬ 
wogen werden, denn wenn in 8,67 % sich, wenn auch unbedeutende 
Nachblutungen einstellten, so wird der Vorteil der Asepsis, den 
die Klemmethode haben mag, sicher durch polypragmatische Ma߬ 
nahmen , die die Hebammen bei Nachblutung in der Angst vor¬ 
nehmen werden, aufgehoben werden. 

6. Müller hat in fünf Fällen schwerer puerperaler All¬ 
gemeininfektion nach Injektion großer Dosen (20 bis 30 ccm täg¬ 


lich mehrere Tage hintereinander) Menz ersehen Streptokokken- 
serums in vier Fällen Heilung, in einem ad exitum gekommenen 
Falle auf Injektion Temperaturabfall beobachtet, von den geheilten 
Fällen waren in zweien Streptokokken im Blute nachzuweisen. 
Er hat die Ueberzeugung aus den Fällen gewonnen, daß das Serum 
eine unverkennbar günstige Wirkung auf gewisse Fälle ausübt 
und eine wertvolle Bereicherung der therapeutischen Mittel gegen 
Puerperalfieber darstellt. Bei allen Prozessen, die mit Eiterbil¬ 
dung einhergehen, ist das Serum kontraindiziert. 


Radiotherapie. 

Referent: Dr. H. E. Schmidt, früher Oberarzt am Königl. 

Universitäts-Institut für Lichtbehandlung, Berlin. 

1. Die Fulgurationshehandlung der Krebse nach Keating- 
Hart. Von E. Rosenkranz.' Berl. klin. Wochschr., 1908, 18. Mai. 

2. Die Behandlung der Lues mittels Elektrizität. Von F. 
Schramm. Allgem. Wiener med. Zeitg., 1908, 12, Mai. 

3. Therapeutische Wirkung der Hochfrequenzströme. Von 

E. Bonnefoy. Zeitschr. f. neuere physikal. Therap., 1908, Nr. 10. 

1. Bericht (Vortrag in der Berliner med. Gesellschaft) über 
die Methode und die Erfolge der vou Keating-Hart ange¬ 
gebenen Fulguration der Krebse. Im allgemeinen wird so vor¬ 
gegangen, daß die maligne Neubildung (event. nach Freilegung) 
fulguriert, dann ausgelöffelt und der Grund darauf nochmals lulgu- 
riert wird. Das langdauernde und sehr schmerzhafte Verfahren 
kann nur in tiefer Narkose ausgeführt werden, ist also kein 
gleichgültiger Eingriff, der nach Ansicht des Referenten vorläufig 
nur bei wirklichen Karzinomen ausgeführt werden sollte. Bei 
den gutartigen Kaukroiden der Haut leistet meist die Röntgen¬ 
behandlung so Ausgezeichnetes bezüglich des kosmetischen und 
des Dauerresultates, und zwar ohne Schmerzen und ohne Narkose, 
daß es ein Unfug wäre, hier zu fulgurieren. Nur in den seltenen 
Fällen, wo die Röntgenbehandlung versagt, mag die Fulguration 
an ihre Stelle treten. 

Die Erfolge der letzteren sind als recht günstige, z. T. als 
verblüffende zu bezeichnen. Abbildungen eines Falles von Karzi¬ 
nom der rechten Orbita und eines Falles von Karzinom des linken 
Augenwinkels und der linken Wange veranschaulichen das gute 
kosmetische Resultat. Von Dauerheilungen kann bisher nicht 
gesprochen werden, da die Beobachtungszeit noch zu kurz ist. 
In der Diskussion wird von allen Rednern anerkannt, daß die 
bisher erzielten Erfolge jedenfalls zur weiteren Nachprüfung er¬ 
muntern, gleichzeitig aber betont, daß man ein definitives Urteil 
über die Bedeutung des Verfahrens für die Krebsbehandlung zur¬ 
zeit noch nicht fällen kann. Fulguration und Röntgentherapie 
sind keine Konkurrenzmethoden, bei ersterer handelt es sich um 
grobe mechanische Wirkungen, bei letzterer um tiefgreifende bio¬ 
logische Einflüsse. 

2. Der Verfasser hat im Sommer 1905 zwei syphilitische 
Primäraffekte an der Glans penis „fulguriert“ imd in wenigen 
Sitzungen zur Heilung gebracht. Bis heiite sind keine sekundären 
Erscheinungen aufgetreten. Auch bei Masern will der Verfasser 
durch entsprechende Behandlung der Nasen- und Rachensclileim- 
baut im iuitialen Inkubationsstadinm den Ausbruch des Exanthems 
völlig verhindert oder den ganzen Verlauf wenigstens milder ge¬ 
staltet haben. Ueber das Instrumentarium und die Art der An¬ 
wendung fehlt jede Angabe. 

3. Bericht über günstige Erfolge bei Arteriosklerose und 
Ray naudscher Krank heit durch Behandlung mit Hochfrequenz- 
strömeu (allgerneine d'Arsou va lisation, A u tokondu ktion). 


Biologische Therapie. 

Referent: Dr. W. Esch, Bendorf a. Rh. 

1. Beitrag zur bildlichen Darstellung von Lungenbefunden. 
Von Trunk. Zeitschr. f. Tuberk., Bd. XI, H. 2. 

2. Neue Stadieneinteilung der Lungentuberkulose. Erlaß 
des preuß. Kultusminist. Med. Ref., 1908, Nr. 14, vergl. auch 
Therap. Rundsch., S. 311. 


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390 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU, 

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3. Heber Krankheitsdisposition. Von Doz. Dr. E. Wieland- 
Basel. Beiheft zur Med. Klinik, 1908, Nr. 4. Berlin. ‘ Urban 
& Schwarzenberg. 26 S. Preis 1 M. 

4. Die gemeinsame Grundlage von Sehwindsucht und Krebs. 
Von Fr. v. d. V e 1 d e n - Frankfurt. Aerztl. Rundschau, 1908, 
Nr. 20. 

Artikel 1 und 2 seien hier kurz referiert als Beispiele einer 
Auffassung, zu der die biologische Krankheits- und Heillehre in 
einen gewissen Gegensatz getreten ist. 

1. Trunk hat die von Schaefer, Besold, Elkan, Sahli, 
Turban vorgeschlagene Zeichensprache zur graphischen Darstel¬ 
lung von Lungenbefunden seinerseits bearbeitet und zu vervoll¬ 
ständigen gesucht. Welch hohen Grad von Exaktheit er erreicht 
hat, das geht u. a. daraus hervor, daß er bei der Atmung zwischen 
„leise verschärft“ und „gering verschärft“ zu unterscheiden ver¬ 
mag, und daß er bei den Nebengeräuschen nicht nur für Schnurren, 
Pfeifen und Giemen, sondern auch für Knurren, Brummen, Murren, 
Knattern, Stöhnen, Piepsen, Schnarchen und Juchzen je ein eigenes 
Zeichen anwendet, das zudem verschieden ist, je nachdem das 
Geräusch beim In- oder Exspirium entsteht. 

2. Das Kultusministerium hat durch Erlaß vom 9. Januar 
dieses Jahres die von der 4. internationalen Tuberkulosekonferenz 
angenommene Stadieneinteilung der Lungentuberkulose für alle 
statistischen Erhebungen, insbesondere die Versicherungsanstalten 
und Heilstätten verbindlich gemacht. 

Beim ersten Stadium dürfen die Erscheinungen nicht über 
Klavikula und Spina skapulae bezw. zweite Rippe hinausgehen, 
das zweite Stadium erstreckt sich auf einen halben bezw. einen 
ganzen Lungenlappen; das dritte umgreift die darüber hinaus¬ 
gehenden Erkrankungen. 

Als leichte Erkrankungen werden disseminierte Herde mit 
leichter Dämpfung, als schwere Affektionen Infiltrationen mit 
starker Dämpfung angesehen, beide mit den entsprechenden Ver¬ 
änderungen des Atmens. 

Zu den schweren Erkrankungen zählt natürlich auch die 
Höhlenbildung. 

Von letzterer etwa abgesehen, dürfte der positive Wert der¬ 
artiger Unterscheidungen und Einteilungen wohl nicht allzu hoch 
anzuschlagen sein. . Man kann die Schwere der Erkrankung nicht 
mit dem Zentimetermaß berechnen, sondern muß sich nach dem 
Allgemeinzustand, der Konstitution, dem Reaktionsvermögen etc. 
richten. 

„Auch bei Abwesenheit nachweisbarer morphologischer Ver¬ 
änderungen kann das Zellenleben stark beeinträchtigt sein“, und 
umgekehrt braucht selbst einem relativ sehr schweren Lokal¬ 
befunde nicht immer eine schwere Allgemeinerkrankung zu ent¬ 
sprechen. Vor allem haben die obenerwähnten, z. T. überexakten 
Anstüftelungen feinster und kleinster Unterschiede im Lokalbefund 
für diejenige Tätigkeit, die für den Arzt die wichtigste sein sollte, 
nämlich für die Behandlung gar keine Bedeutung, denn diese 
richtet sich (mit Ausnahme gewisser selten vorkommender tech¬ 
nischer Maßnahmen) nach den erwähnten Beobachtungen und Er¬ 
fahrungen allgemein er Natur. 

Aehnlich denkt auch Meißen (Einige Bemerk, z. Wiener 
Stadieneinteilung, Ztschr. f. Tbk., 1908, H. 4), indem er beklagt,, 
daß die Stadieneinteilung und diejenige in leichte und schwere Fälle 
fast nur nach quantitativen, viel zu wenig aber nach qualitativen 
Eigenschaften erfolge, auf die es doch hauptsächlich ankomme. 

Er schlägt deshalb vor, wenigstens die Unterscheidung in 
leichte und schwere Fälle, bei der es nicht allein auf den physi¬ 
kalischen Befund, sondern vielmehr auf die klinische Beurteilung 
an komme, fallen zu lassen und statt ihrer lieber durch die Zu¬ 
sätze G bezw. 0 hinter die Stadienzahl anzudeuten, ob es sich um 
einen Fall mit oder ohne Absonderung (offene oder geschlossene 
Tbk.) handle. Ein beigefügtes F könne außerdem noch die event. 
Fieber ha ftigkeit anzeigen. Auf diese Weise werde man 
wenigstens einige Mängel der Einteilung beseitigen und müsse 
sich im übrigen mit dem Gedanken trösten, daß eine minder¬ 
wertige Einteilung immer noch besser sei als gar keine. 

3. Die alltägliche Beobachtung mußte, wie Wieland ausführt, 
mit Notwendigkeit dazu führen, von jeher zwei Faktoren für das 
Eintreten und die Verl auf sweise einer Krankheit verantwortlich zu 
machen; Erstens die Einwirkung einer bestimmten inneren oder 


äußeren Schädlichkeit oder Krankheitsursache, zweitens das 
Vorhandensein einer, .empfänglichen, zur Erkrankung' geneigten 
und für deren Verlauf ausschlaggebenden Körperbeschaffenheit, 
der Krankheitsanlage oder Disposition. Letztere kann sowohl 
ererbt als erworben sein. 

Schon bei Virchow findet sich die Vorstellung einer ver¬ 
mehrten Reizbarkeit gewisser Gewebe oder Zellen, die wohl 
als Grundlage für die krankhafte Anlage angesprochen werden 
könnte. Bei der damaligen mangelhaften Kenntnis der Krank-, 
heitsursachen war aber eine klarere Vorstellung von dem Wesen 
dieser abnormen Reizbarkeit und damit ein Einblick in die wahre 
Natur der Disposition sowie die Beziehungen zwischen Krank¬ 
heitsanlage und -Ursache nicht zu erwarten. 

Als nun die Bakteriologie nachwies, daß die Ursache 
der meisten (? Ref.) Krankheiten, speziell aller Infektionskrank¬ 
heiten, außerhalb des Körpers in kleinsten Lebewesen gesucht 
werden müsse, da war zwar über den einen der beiden Erkran¬ 
kungsfaktoren größere Klarheit geschaffen — leider wurde aber 
nun infolge der bakteriologischen Entdeckungen die Bedeutung, 
die dem lebenden Körper den Krankheitserregern gegenüber zu¬ 
kommt, außer acht gelassen und der Dispositionsbegriff als „ver¬ 
altet“ und „abgetan“ bezeichnet (so z. B. in den achtziger Jahren 
von Cohnheim, Baumgarten etc.).. Statt seiner wurde z. T. 
Virulenzsteigerung der Bakterien, größere Exposition oder Infek¬ 
tionsgelegenheit ins Feld geführt, letztere namentlich im Hinblick 
auf die Erfolge der Desinfektion und Isolierung. 

Seit den neunziger Jahren sollte aber der Dispositionsbegriff 
wieder zu Ehren gelangen. Hierzu trug vor allem bei die Ent¬ 
deckung der gesunden Bazillenträger, ferner der Befund 
latenter Tuberkulose, die im Leben keinerlei Symptome 
gemacht hatte, bei 90% sämtlicher Sezierten, endlich in den 
letzten Jahren das Studium der Lebensäußerungen des 
Organismus unter dem Einflüsse einer Infektion und 
der Ausbau der Lehre von der sogen. Immunität. 

Man entdeckte die dem Organismus innewohnende Fähigkeit 
ganz allgemeiner Natur; gegen aphysiologische, d. h. fremde 
schädigende Stoffe oder Reize du,rch Gegenreiz.e ,und. 
Gegenstoffe, durch Bildung von Gegengiften zu 
reagieren. Diese Reaktion*) der betreffenden und geschädigten 
Körperzellen nennen wir Krankheit, sie ist ein sekundärer 
Vorgang. Den primären Faktor aber, die notwendige Vor¬ 
aussetzung ihres Eintretens, nämlich das Vorhandensein reizemp¬ 
fänglicher Körperzellen nennen wir Disposition oder Krank¬ 
heitsanlage. Ohne den spezifisch vorbereiteten reaktionsfähigen 
Boden unserer Körperzellen ist das Zustandekommen von Krank¬ 
heit ebenso wenig denkbar wie das Eintreten von Genesung oder 
von vermehrter Resistenz (Immunität) als Folge der ausgelösten 
Abwehrreaktionen. 

Die genannten Körperzellen stehen unter dem allgemeinen, 
für jede lebende, d. h. reizempfängliche Zelle geltenden biologi¬ 
schen Gesetz, demzufolge bestimmte Zellen auf jeden differenten 
Reiz jedesmal durch einen genau entsprechenden spezifischen 
Gegenreiz mit spezifischem Abwehrprodukt antworten. An der 
Zusammensetzung desselben sind spezifische Stoffe mitbeteiligt, die 
in der Zelle selbst bereits vorgebildet waren. Der (Gegenreiz 
oder) Gegenkörper besteht also aus disponiertem Zell¬ 
material. 

„Disposition ist also nicht Fehlen von Immunität, von Wider¬ 
standskraft, sie ist kein negativer Begriff. Disposition als funk¬ 
tioneile, wahrscheinlich spezifische Eigenschaft der Körperzellen 
ist vielmehr etwas Positives, Greifbares, in Bau und Funktion 
bestimmter Zellen begründet Liegendes, ein Zustand, dessen Vor¬ 
handensein sich zwar einstweilen nicht durch das Mikroskop, oft 
aber durch das Eintreten der biologischen Abwehrreaktionen mit 
Sicherheit beweisen läßt.“ 

Die Disposition ist ferner, obgleich in ihrer Intensität 
stark wechselnd, ihrem eigentlichen Wesen nach immer etwas 
Bleibendes im Gegensatz zur Immunität, die wohl immer etwas 
Vorübergehendes und der Disposition Untergeordnetes ist. 

*) Man würde vielleicht besser sagen: die abnormen Erscheinungen, 
unter denen diese Reaktion vor sich geht, weil es auch eine „besonders 
kräftige und rasche Mobilisierung der Verteidigungsmittel des Organismus“ 
(s. u.) ohne Krankheitserscheinung gibt; Reaktion „der Immunen“. Ref, 


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UNIVERSITY OF MICHIGAN 


1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


391 


i 


Für die Tatsache der natürlichen, angeborenen Immunität 
einzelner Individuen gegenüber den -verbreitetsten menschlichen 
Infektionskrankheiten ist die Deutung noch fraglich. Ehrlich 
nimmt angeborenes Fehlen einer Disposition, reizempfänglicher 
Zellen an, Metschnikoff, Kißkalt etc. supponieren eine be- 
sonders kräftige und rasche Mobilisierung der Verteidigungsmittel 
des Organismus, auch könnte es sich um ällmähliche Giftgewöh¬ 
nung handeln (Wassermann und Citron), Sauerbeck nimmt 
neben der bakteriolytischen und phagozytären noch eine besondere 
antitoxische histogene Immunität an. 

Von bestimmendem Einfluß auf die Disposition, die Reizemp¬ 
fänglichkeit der Körperzellen sind Heredität (Familiendispositionen), 
Zeit, Ort, Lebensalter, die von äußeren Einflüssen abhängigen, 
ungleichen Lebens- und Existenzbedingungen, außerdem die 
wechselnde Stärke der Krankheitsreize, insbesondere die Virulenz 
der Krankheitserreger, alle „prädisponierenden“ oder krankheits¬ 
befördernden Momente (wie z. B. Ueberanstrengung, Hunger, 
Erkältung, fehlerhafte Ernährung, durchgemachte Krankheiten, 
Schwangerschaft etc.). 

Die Lokaldisposition bestimmter Organe (locus minoris resi- 
stentiae) kann durch Veränderungen anatomischer, mechanischer 
etc. Art bedingt sein, es gibt aber auch eine physiologische 
Organdisposition (z. B. Lungentuberkulose des Erwachsenen, 
Drüsentuberkulose des Kindes, Diphtherie in Nase, Rachen, Kehl- 
kopf, Typhus etc. auf der Darmschleimhaut), obschon hier auch 
noch andere Momente in Betracht kommen. 

Jedenfalls scheint Hu epp e recht zu haben, wenn erbetont, 
daß die Spezifität der Reaktion, die Eigenart der Krankheit, nicht 
sowohl abhänge vom spezifischen Reiz als von der spezifisch 
gebauten empfänglichen Körperzelle. 

Den Schluß der dankenswerten zusammenfassenden Arbeit 
bildet ein Hinweis auf die Wichtigkeit der Krankheitsver¬ 
hütung durch Erhöhung der Widerstandskraft. Da 
nämlich die Möglichkeit, krank zu werden, von dem Vorhanden¬ 
sein von Angriffspunkten der Krankheitsreize, d. h. von schwachen 
Stellen oder Krankheitsanlagen abhängt, so ist deren Beseitigung 
viel wichtiger als die Vernichtung und Ausschaltung der Krank¬ 
heitserreger. 

4. Früher bestand unbestritten die Ansicht, so führt Verf. 
aus, daß zum Entstehen der Schwindsucht meist eine ererbte 
Konstitutionsanomalie nötig sei und daß auf zahlreiche Fälle, 
in denen man ihren Ausbruch auf die Beschaffenheit der Eltern 
und Großeltern zurückführen kann, erst einer kommt, den man als 
akquirierte Schwindsucht, Schwindsucht nach mechanischer Lungen¬ 
verletzung, erschöpfenden Krankheiten, bei Potatorium, Syphilis 
oder allgemeinem Elend bezeichnen kann. 

Diese alte Ansicht kommt jetzt wieder zu Ehren, nachdem 
besonders Riffel*) hier vorgearbeitet hat. Gleichzeitig hat der ge¬ 
nannte Autor aber durch seine fleißigen, auf mehrere Generationen 
einer Ortschaft ausgedehnten Untersuchungen nachgewiesen, daß 
in ca. 50% der Schwindsuchtsfamilien auch Krebs vorkommt, 
daß also beide Krankheiten, äußerlich einander so unähnlich, doch 
auf demselben Boden gedeihen und näher verwandt sind, als ge¬ 
wöhnlich angenommen wird. 

Konstitutionsverbesserung ist also das hauptsächlichste pro- 
phjdaktische und therapeutische Mittel für beide Krankheiten und 
wichtiger als die Bazillenjagd. Esch. 

*) Riffel: Weitere pathogenet. Studien über Schwindsucht, Krebs 
etc. Frankfurt 1901. Alt. 


Varia. 

1. Ueber das elektrische Enteroklysma bei Darmverschluß. 

Von Prof. Dr. August von Luzenberger, Elektrotherapeut 
und Nervenarzt in Rom. Zeitschr. f. med. Elektrologie u. Röntgen¬ 
kunde, 1908, März. 

Der wohlbekannte und hochgeschätzte Elektrotherapeut und 
Nervenarzt Prof, Dr. von Luzenberger in Rom bringt an obiger 
Stelle einen bedeutsamen Aufsatz über das elektrische Entero¬ 
klysma bei Darmverschluß, welche Therapie mir sehr der Beach¬ 
tung und Anwendung in weiteren Kollegenkreisen wert erscheint. 
Ich bringe deshalb an dieser Stelle eine möglichst eingehende 


Beschreibung der v. Luzenbergersehen Maßnahmen, da ich 
glaube, daß mancher Kollege der Sache Interesse entgegenbringen 
wird und über seine Erfolge zum allgemeinen Besten hier be¬ 
richten kann. 

.Ein mittelstarker metallischer Katheter wird in der 

Krümmung etwas gerade gestreckt und über ihn ein Nelaton- 
katheter gezogen, wobei zu beachten ist, daß die Fenster der 
beiden übereinander zu stehen kommen, was oft die Notwendig¬ 
keit mit sich bringt, im Nelaton ein zweites Fenster mit der 
Schere auszuschneiden. Da an den gewöhnlichen Kathetern keine 
Klammern für die Leitungsschnüre angebracht sind, muß man an 
einer Oese des Katheters die Leitungsschnur befestigen und kann 
nun mit dieser improvisierten Elektrode den Darm mit Entero¬ 
klysma und Elektrizität gleichzeitig angreifen. 

Der Patient liegt mit angezogenen Beinen in Seitenlage. Die 
innere Katheter-Elektrode ist die Anode, während die Kathode in 
Gestalt einer möglichst überhandgroßen äußeren Elektrodenplatte 
in der Ileozökalgegend gut angefeuchtet mit Bändern befestigt 
wird. Nunmehr wird die innere Elektrode mit dem Gummischlauche 
eines Irrigators verbunden, so daß man mittels eines Drehhahnes 
eine lauwarme Salzwasserlösung in den Darm fließen lassen kann, 
wobei die eingefettete Darmsonden-Elektrode möglichst weit hinauf¬ 
geführt und das Wasser langsam eingelassen wird. Sobald ein 
halber Liter im Darme ist, wird mit dem Einschleichen des 
galvanischen Stromes begonnen. Selbstredend ist ein gutes 
Galvanometer unerläßlich. Nach Einlauf eines Liters wird der 
Wasserzufluß abgestellt, und man darf alsdann die Stärke des 
Stromes bis 50 Milliampere ansteigen lassen, ohne lokalen Schaden 
anzurichten. 

Diesen Strom von 50 M.-A. läßt unser Gewährsmann fünf 
Minuten lang ruhig hindurchgehen, hierauf reduziert er ihn auf 
5 bis 10 M.-A. und versucht in dieser Stärke voltaische Alter¬ 
nativen mit dem Stromwender auszuführen. Der Kranke soll 
dabei heftige Kontraktionen in der Bauchmuskulatur empfinden, 
was bei 10 oder auch noch mehr M.-A. der Fall ist. Nachdem 
die richtige Stärke für diese Kontrakturen gefunden ist, macht 
man dann 50 nacheinander rhythmisch. 

Alsdann bleibt man mit der Anode wieder an der Darm¬ 
sonde und steigt mit der Stromintensität bis auf 50 M.-A.. um 
das Spiel der voltaischen Alternativen, nach Reduktion des Stromes 
wie oben, nochmals in der gleichen Weise zu wiederholen. 

Schließlich wird der Strom ganz ausgeschaltet und die Darm¬ 
sonde vom Enteroklysmaschlauche provisorisch gelöst, wobei erstere 
im After stecken bleiben soll, damit ans dem Katheter so viel 
Wasser wie möglich in eine Bettschüssel laufen kann, welches je 
nach Färbung, Geruch und Menge wichtige Fingerzeige für die 
gelungene oder mißlungene Operation abgibt. Nunmehr wird der 
Irrigator mit frischem Salzwasser von 35 bis 40° C gefüllt und 
für den Fall, daß dieser ganze Liter ohne Schwierigkeit eingeführt 
werden kann, von weiteren elektrischen Maßnahmen abgesehen. 
Die Sonde wird alsdann herausgezogen, und der Patient geht auf 
den Leibstuhl, da die sitzende Stellung eine stärkere Bauchpresse 
ermöglicht. Sollte das Wasser hingegen schlecht einlaufen, so 
wird es wieder, wie oben geschildert, vom elektrischen Strome 
begleitet. 

„Im Falle, daß die Wirkung nicht sofort eiutritt — schreibt 
von Luzenberger zum Schlüsse weiter —, pflegt sie in den 
ersten Stunden Platz zu greifen. Wenn aber auch dann nur 
reines Wasser abläuft und noch keine Winde abgehen, dann führe 
ich nach drei Stunden dieselbe Prozedur wieder aus, um sie 
nötigenfalls noch ein drittes Mal zu wiederholen. — Nach Angabe 
anderer Autoren soll die Methode wenigstens in 70% der Fälle 
gelingen. Mir ist sie in allen Fällen lebensrettend gewesen. 
Jedenfalls soll sie von nun an bei allen Eiranken, bevor die Lapa¬ 
rotomie ausgeführt werde, versucht werden.“ 

Hünerfauth-Homburg v. d. Höhe. 

2. Ist die Naturheilkunde eine berechtigte Volksbewegung 
oder nicht? 

Hierauf antwortet Dr. Rösler - Reichenberg („Neues 
Leben“, 1908, Nr. 4) folgendermaßen: „Die Antwort auf diese 
Frage hängt davon ab, was man unter Naturheilbewegung versteht 

Jeder einzelne ist berechtigt, je nach seinem Wissen und 
Können Maßnahmen zu treffen, um gesund zu bleiben oder es zu 


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392 



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werden. Und die einzelnen können sich organisieren, um ge¬ 
meinsam ihr Wissen und Können zu fördern und zunächst ohne 
die Fachleute für ihre Gesundheit zu sorgen. Der Staat aber 
hat das Recht und die Pflicht, seine Bürger vor 
Schaden auf diesem Gebiete zu bewahren, Fachleute 
damit zu betrauen und der Selbstbetätigung der einzelnen gewisse 
Grenzen zu setzen. 

Das Volk soll an seinen Beratern auf allen Gebieten Kritik 
üben und, wo der Beweis der Rückständigkeit erbracht ist, auf 
Fortschritt dringen. Wir müssen z. B. fordern, daß die Lehrer unsere 
Kinder nach dem neuesten Stande pädagogischer Wissenschaft 
unterrichten und erziehen, daß die Richter nach moderner Rechts¬ 
wissenschaft ihre Urteile fällen usw. 

Aber aus der Tatsache, daß es viele untaugliche Lehrer gibt 
und daß hier und da ein pädagogisches Genie außerhalb der 
Lehrerschaft bessere Erziehungsergebnisse hat, als das Gros der 
Lehrer, aus dieser unbestrittenen Tatsache leiten wir noch lange 
nicht die Konsequenz ab, die Erziehung unserer Kinder einem 
Menschen anzuvertrauen, der in sechs Wochen für 30 M. bei 
einem „Natur“pädagogen unterrichten und erziehen gelernt hat. . . . 

Und darum, weg mit der Kurierfreiheit] Und 
noch strengere Prüfungen, noch mehr Wissen und Können ist zu 
verlangen.“ 

Möchten doch diese, in ihrer Einfachheit das „Siegel der 
Wahrheit“ tragenden Ueberlegungen bei der bevorstehenden Be¬ 
ratung des Kurpfuschereigesetzes gebührende Würdigung linden! 

Esch. 



Referate. 

Referenten: Dr. W. Krüger, Magdeburg, und Privatdozent 
Di-. C. Bachem. Bonn a. Rh. 


Energy stellt eine dickflüssige Masse von der Konsistenz des' 
Honigs dar. Der Geschmack' ist zunächst süß,- dann kommt der 
säuerliche Geschmack durch. ' . . 

Im Wasser löst sich „Energy“ fast klar, nach längerem 
Stehen scheidet sich ein rotbrauner Niederschlag, von Eisen her¬ 
rührend, ab. 

2. L. berichtet von einem seltenen Fall von Idiosynkrasie 
gegen Hühnereiweiß : Ein sonst gesunder Herr erkrankt bei Genuß 
kleinster Mengen von Hühner ei weiß .an außerordentlich heftigen 
Vergiftungserscheinungen; auf die äußere Haut gebracht, ruft das 
Eiweiß nach etwa 10 Minuten ausgeprägte urtikariaähnliche Er¬ 
scheinungen hervor. Mit diesem Herrn, der geradezu einen 
Indikator auf Hühnereiweiß abgab, machte L. einen Versuch mit 
Puro, das der Betreffende früher, vor 1900, genommen und an-, 
standslos vertragen hatte: Er verrieb aus einer Probeflasche, wie 
sie Aerzten zur Verfügung gestellt wird, etwa das Quantum einer 
Erbse auf die Zungenspitze. Die Masse wurde auf der Zunge 
verteilt und dann langsam im Muhde wie bei einer Geschmacks¬ 
prüfung verarbeitet. Autosuggestion muß um so eher ausge¬ 
schlossen werden, als ja der Herr früher Puro gut vertragen 
hatte. Aber schon nach 1 k bis */2 Minute bemerkte er ein eigen¬ 
tümliches Brennen und rief sofort: „Hier ist Hühnereiweiß“. 
Nach kurzer Zeit war die Zungenspitze gerötet, geschwollen, 
himbeerartig. Später hatte eine glasige, ödematöse Schwellung 
die ganze Zunge, Gaumen und Rachenwand ergriffen. Es trat 
vermehrte Speichelabsonderung, Tränen der Augen auf; das Ge¬ 
sicht hatte ein ausgesprochen krankhaftes Aussehen. Nunmehr 
Würgen und Erbrechen; nach einer Viertelstunde der erste Durch¬ 
fall. 10 Tr. Opiumtinktur vermochten die Durchfälle nicht zu 
sistieren, die vielmehr eine besorgniserregende Ausdehnung an- 
nahmen (innerhalb von 7 Stunden 12 Stühle). Nach Tannismut 
mit Rotwein trat 8 Stunden nach Genuß des Puro Stillstand der 
Erkrankung ein, und zwar so plötzlich, daß wiederum eine Stunde 
später der betr. Herr ein Beefsteak mit einem Glase frischen, 
dunklen Bieres genießen .konnte. Am anderen Tage ging er völlig 
gesund seinen Geschäften nach. — Der Fall ist wegen seiner 
Idiosynkrasie gegen Hühnereiweiß nicht minder eigenartig als 
wegen der Wirkungen, die der „Fleischsaft“ Puro ausübte. 


1. lieber Energy. Von Prof. Matthes. Pharmaz. Zeitg. 
1908, Nr. 38. 

2. Ein seltener Fall von Idiosynkrasie gegen Hühnereiweiß 
nebst Beitrag zur Würdigung des „Fleischsaftes“ Puro. Von 
Dr. Land mann. Münch, med. Wochenschr., 1908, Nr. 20. 

3. Ein Beitrag zur internen Arhovinbehandlung bei der 
akuten und chronischen Gonorrhöe des Mannes. Von Dr. Bott¬ 
stein Ibidem. 

1. Arhovin, ein internes Antigonorrhoikum bei der Gonor¬ 
rhöe des Mannes. Von Dr. M. Dreysel, Spezialarzt für Haut¬ 
krankheiten in Leipzig. Fortschr. d. Medizin, 1908, Nr. 4. 

5. Die Moorbäder Driburgs. Von Lünnemann. Therap. 
Monatshefte, 1908, Mai. 

6. Ueber Agar-Agar bei habitueller Stuhlverstopfung. Von 
M a n gels d or i. Therap. Monatshefte, 1908, Mai. 1 

7. Zur Methodik der Verwendung von Heidelbeerextrakt 
bei Darmaffektionen. Von A. Lau I er. Therap. Monatshefte, 
1908, Mai. 

1. Inder Pharmaz. Zeitg. veröffentlicht Prof. Matthes einen Artikel 
über ein von ihm untersuchtes, von der Firma A. Winter & Co. 
in Lörrach (Baden) unter dem Namen „Energy“ in den Handel 
gebrachtes neues Präparat. 

„Das einzig natürliche und vollkommen physiologische Gesund- 
heitsgetrank, hergestellt nach ärztlicher Vorschrift aus konzen¬ 
trierten Fruchtsäften, Orangenblütenbienenhonig, Azid, formizik. 
und pflanzensauren Alkalien. Zur Reinigung des Blutes, Neutrali¬ 
sierung der Säfte, Lösung der Harnsäure und aller anderen gif¬ 
tigen Stoffwechselprodukte. Für Säuglinge, Kinder und Er¬ 
wachsene ein sicheres und unschädliches Schutzmittel gegen alle 
Infektionskrankheiten. Für die ärztliche Praxis besonders als 
Getränk bei Fieber usw. unersetzlich. In der Kinderpraxis un¬ 
entbehrlich. Normaldosis: einen gehäuften Teelöffel voll in V* 1 
heißem Wasser zu lösen, im Winter warm und im Sommer kühl 
genau und nach besonderer Verordnung des Arztes zu trinken.“ 


3. Zu der auch an dieser Stelle referierten Arbeit von Dr. 
Knauth über interne Arhovinbehandlung bei der akuten und 
chronischen Gonorrhöe des Mannes macht B. einige Bemerkungen, 
aus denen besonders hervorzuheben ist, daß auch bei den Urologen 
noch heute der alte Satz gilt, daß es ein internes Mittel zur Hei¬ 
lung der Gonorrhöe nicht gibt, daß alle nur ein Adjuvans zur 
lokalen Therapie sind. 

4. Bei Arhovin ist der bisher übliche Weg, ein inneres Anti¬ 
gonorrhoikum zu* schaffen, ganz verlassen worden. Arhovin ist 
kein Balsamikum, hat mit den Balsamizis überhaupt nichts 
zu tun; es ist ein Additionsprodukt des Diphenylamins und der 
esterifizierten Thymylbenzoesäure. 

D. erprobte Arhovin bei 47 akuten, 8 subakuten und 3 chro¬ 
nischen — sämtlich ambulanten — Fällen. Er beurteilt den Wert 
des Arhovins nach rein praktischen Gesichtspunkten wie folgt: 

a) An Verträglichkeit und Reizlosigkeit ist das Arhovin wohl 
jedem anderen i n n e r e n Antigonorrhoikum überlegen, vom Magen 
wird es vorzüglich vertragen, auch bei 12 Kapseln pro Tag 
6 Wochen lang. Niemals wurde, wie mitunter durch die Balsamika, 
eine Reizung der Blase oder Niere verursacht, auch bei stark 
entzündeter, sehr empfindlicher Blase konnte Arhovin stets an¬ 
standslos genommen werden. 

b) Die subjektiven Beschwerden in der Pars anterior, also 
das Brennen beim Urinieren und die schmerzhaften Erektionen, 
wurden im allgemeinen durch Arhovin recht günstig beeinflußt. Bei 
ausschließlich innerer Behandlung (17 akute unkomplizierte Gonor¬ 
rhöen) nahmen Menge und Eitergehalt des Sekrets allmählich ab, 
dagegen wurde eine Heilung nicht erzielt, ebensowenig wie mit 
irgendeinem anderen inneren Antigonorrhoikum allein. Man muß 
also unbedingt heben Arhovin möglichst frühzeitig mit einer 
lokalen Behandlung einsetzen. 

c) Bei Erkrankung der hinteren Harnröhre resp. Blase — 
26 akute, 8 sübakute, 3 chronische Fälle — wurden die subjek¬ 
tiven Beschwerden noch günstiger beeinflußt als bei der Gonor¬ 
rhöe der Anterior allein. Brennen, Harndrang, Schmerzen in der 


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Blasengegend ließen meist innerhalb weniger Tage nach, mir aus¬ 
nahmsweise blieben sie zwei bis drei Wochen bestehen. 

Die Azidität des Urins wird durch Arhovin entschieden 
verstärkt. Die Trübung wurde auch meist in recht günstiger 
Weise beeinflußt, in wenigen Fällen trat auch bei starker Trü¬ 
bung und schweren Entzündungserscheinungen überraschend 
schnell völlige Klärung ein. Je weniger die Prostata am Ent¬ 
zündungsprozeß beteiligt war, um so eher läßt sich auf Klärung 
des Urins rechnen. 

d) Zur Erprobung der prophylaktischen Wirksamkeit des 
Arhovins standen 23 Fälle von akuter unkomplizierter Gonorrhöe 
der Anterior zur Verfügung. Bei 6 von diesen trat eine Beteili¬ 
gung der Posterior zum Teil in sehr geringem Grade ein. Wäh¬ 
rend D. sonst bei seinem Material 80 bis 90% Komplikationen 
aufzuweisen hat, hat er demnach bei Arhovin nur 26%. (Ein 
Kranker, der drei Wochen unter Arhovingebrauch frei von Kom¬ 
plikationen geblieben war und dann eigenmächtig Arhovin weg¬ 
gelassen hatte, bekam kurze Zeit später eine Urethritis posterior 
und daran anschließend eine Epididymitis.) Diese bedeutende 
prophylaktische Wirksamkeit ist es vor allem, die das Arhovin 
wertvoll macht. Zusammenfassend sagt D.: „Arhovin ist ein 
sehr gutes Adjuvans in der Gonorrhöetherapie, das, neben der 
Lokalbehandiung möglichst frühzeitig angewandt, die Beschwerden 
lindert, das Auftreten von Komplikationen erschwert, das bei Er- 
kraükung der hinteren Harnwege vielfach Heilung herbeiführt, und 
zwar um so sicherer, jefrischer, je weniger intensiv die Entzündung 
und je weniger eine Beteiligung der Prostata vorhanden ist. 

5. Das Driburger oder Saatzer Moor enthält an schwefel¬ 
sauren Alkalien in 1000 Teilen 2,19, an schwefelsauren Erden 
21,62, an freiem Schwefel 26,12, an Humussäuren 344,0 und an 
humussauren Erden 77,93. Eisenoxydul ist nur in Spuren vor¬ 
handen. Das Saatzer Moor gehört also zu den reinen Schwefel¬ 
mooren. Ein Moorbad wird bereitet durch Hinzufügen von Mineral¬ 
wasser zur Moorerde und Erhitzen (ca. 40°) des Breies. Außer 
einem gesteigerten Wärmegefühl zeigen sich oft im Anfang Blut¬ 
andrang zum Kopf, Atembeklemmung, Herzklopfen und großes 
Schwächegefühl. Körpertemperatur und Hauttranspiration sind 
häufig stundenlang gesteigert. Hauptsächlich wirken im Moorbade 
die Schwefelsäure und die Humussäuren antimykotisch, daneben 
läßt sich eine adstringierende Wirkung leicht an der Vagina fest¬ 
stellen. Die Säuren werden vom Moorbrei festgehalten und üben 
so keine ätzende Wirkung aus. Je dichter das Moorbad, desto 
leichter wird eine höhere Temperatur ertragen. Während die 
Haut durch Blutüberfüllung der Kapillaren lange gerötet bleibt, 
sind die inneren Organe blutleer. 

Die Hauptanwendung des Driburger Moors erstreckt sich auf 
die Behandlung weiblicher Sexualleiden. Menorrhagisehe Be¬ 
schwerden und einfacher Zervikalkatarrh sind dankbare Objekte 
der Moorbehandlung. Die Dauer einer solchen Kur, bei welcher 
oft mit Stahlbädern abgewechselt wird, beträgt meist sechs bis 
acht Wochen. Außer Erkrankungen der Tuben, Ovarien und 
Parametrien wirken die Moorbäder resorptionsbefördernd bei 
chronischem Gelenkrheumatismus, Muskelrheumatismus, Gicht, 
Ischias usw. Kontraindikationen bilden Vitium kordis, Arterio¬ 
sklerose und andere ernstere innere Organerkrankungen. Auch 
-Hysterie und Neurasthenie werden vorteilhaft einer Moorbehandlung 
unterzogen; für diese Erkrankungen passen Temperaturen von 35 
bis 38 0 besser. Die Folgeerscheinungen der Appendizitis sowie 
Hämorrhoiden werden ebenfalls durch die Moorbäder infolge Ver¬ 
besserung der Zirkulation günstig beeinflußt. Bachem-Bonn. 

6. Weil nach Ansicht des Verfassers im Regulin die Sagrada- 
wirkung zu sehr in den Vordergrund tritt, suchte er reines Agar- 
Agar anzuwenden. Da wo bei atonischen Zuständen des Darmes 
das Begulin versagte, wirkte chemisch reines Agar besser. Ver¬ 
fasser bespricht den günstigen Einfluß des Präparates an der 
Hand von vier Fällen. Es gelang auch, den Körper in wohl¬ 
schmeckender Form herzustellen, und es wird ein Agarpräparat unter 
dem Namen Agaroma (mit Himbeer- oder Orangegeschmack) von 
der Ludwigsapotheke in Kissingen in den Handel gebracht. 

Bachem-Bonn. 

7. Verfasser empfiehlt an Stelle von Tanninspülungen den 
von S.träuß eingeführten Heidelbeerextrakt. Das von Merck 
dargestellte Präparat ist das durch Kalk neutralisierte Extrakt 


der Heidelbeere, dessen Zucker durch Vergärung entfernt wurde 
und das einen Zusatz von Menthol enthält. Der Kalk wirkt ohne¬ 
hin schon antikatarrhalisch, das Menthol antiseptisch. Der eigent¬ 
lichen medikamentösen Spülung geht eine Kalkwasserspülung vor¬ 
aus. Man nimmt ein bis zwei Eßlöffel des Extraktes auf 1 1 
heißes (42 bis 45 0 C) Wasser und macht den Einlauf zweckmäßig 
mit dem Strauß sehen Tamponschlauch. Die Wirkung erwies 
sich als sehr befriedigend hei Proktitis, Sigmoiditis und Kolitis. 
Auch bei akuten Darmkatarrhen zeigte sich Heidelbeerextrakt, in 
der geschilderten Weise angewandt, nützlich. Beizerscheinungen 
waren nicht wahrzunehmen. Bachem-Bonn. 


Technische Neuerscheinungen. 


Handvibrationsmassageapparat „Ruk“. 

Von der Firma Reiß & Klemm, Berlin, ist ein Hand¬ 
massageapparat konstruiert worden, welcher, wie aus bei¬ 
stehender Abbildung ersichtlich, durch Elektrizität getrieben 
wird. Der Apparat ist einfach, klein und handlich und zur 
Selbstmassage sehr brauchbar und praktisch. Verschiedene 
Ansätze machen denselben für die einzelnen Körperregionen 
angepaßt. Man kann den Apparat durch eine Leitungsschnur 
an jede Stechdose anschließen, nur muß bei der Bestellung 
angegeben werden, wieviel Volt Spannung vorhanden sind in 
der betr. Leitung. Ist keine elektrische Anlage vorhanden, so 
kann der Apparat durch einen Akkumulator getrieben werden. 
Die geringe Größe des ganzen Apparates, der in einem kleinen 
Kästchen untergebracht ist, ermöglicht leicht den Transport 
und der Arzt kann denselben mit in die Privatwohnung,Mer 



Patienten nehmen, ohne durch den Ballast, wie ihn andere 
derartige Apparate für die Vibrationsmassage repräsentieren, 
belästigt zu werden. Der Stromverbrauch ist ein sehr geringer, 
also die Betriebsunkosten sind minimal. Auch der Preis 
für den ganzen Apparat ist ein mäßiger: ein Apparat 
Ruk mit Ansätzen kostet 80 M. Außer den fertigen An¬ 
sätzen lassen sich leicht noch andere Ansätze zu spe- 
zialistischer Massage anbringen, wie für Uterus-, Prostata-, 
Rektum-Massage etc. Der Motor des Apparates ist in dem 
Zylinder untergebracht und so klein gearbeitet, daß er absolut 
nicht stört. An dem Zylinder ist eine Nabe angebracht, welche 
man drehen kann, wodurch die Entfernung der beiden Ge¬ 
wichte, welche die Erschütterungen erzeugen, verändert wird, 
was die Intensität der Massage reguliert. So kann man 
stark und leise massieren, ohne eine Veränderung des 
Apparates vornehmen zu müssen. Wenn man keine Stech¬ 
dose zur Verfügung hat, so kann man den Apparat durch 
ein Zwischenstück an jede beliebige elektrische Lampe an¬ 
schließen. Dies ist besonders praktisch für den Arzt, der 
Patienten in deren Wohnung massiert. Da dieselben sehen 
Stechdosen im Zimmer oder in der Nähe des Bettes haben, so 
ist es sehr ratsam, wenn sich der Arzt ein Zwischenstück zum 
Ansatz an elektrische Lampen besorgt; dieses Zwischenstück 
ist klein und billig. Es ist dieser neue Apparat ein recht 
brauchbares Instrument, W. B. Müller, Berlin. 




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394 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 



Eine Reform unserer Ernährung. Von M. Hindhede, 

Arzt in Skanderborg. Uebers. von G. Barg um. Verlag von 
Tillge-Kopenliagen. Preis 3,75 M., geb. 5,25 M. 

Seit vielen Jabren bin ich überzeugt gewesen, daß die 
herrschende Ernährungslehre falsch sei. Namentlich habe ich an 
die Notwendigkeit des Genusses der großen Mengen von Eiwei߬ 
stoffen, die man, auf Voits Untersuchungen fußend, für erforder¬ 
lich erklärte, nie recht glauben können. Meine Kindheit verlebte 
ich in einer Gegend auf dem Lande, wo die arbeitende Bevölke¬ 
rung wenig Fleisch genoß; die Nahrung bestand hauptsächlich 
aus Grobbrot, Mehlklößen, Kartoffeln und Speck, in zweiter Linie 
erst kamen Milch, Quark und einige Gemüsearten in Betracht. 
Und doch gab es dort viele riesenstarke Männer von enormer 
Arbeitsfähigkeit und Ausdauer. Diese Erfahrung machte mich 
bereits während meiner Universitätsjahre zum Zweifler an der 
Lehre, daß ein mittelschwer arbeitender Mann täglich 118 g Ei¬ 
weiß genießen müsse. In meiner langjährigen ärztlichen Praxis 
bin ich dann zu der Ueberzeugung gekommen, daß viel mehr 
Menschen durch Ueberernährung an ihrer Gesundheit geschädigt 
werden als durch die so gefürchtete Unterernährung. 

In meinen Ansichten wurde ich später wesentlich bestärkt 
durch das, was ich über die Ernährung der Japaner erfuhr. Die 
Berichte des Prof. Bälz, der Jahrzehnte hindurch in Tokio gelebt 
und geforscht hat, waren für mich eine sehr erfreuliche Bestäti¬ 
gung meiner Anschauimgen über Ernährung. Dann kamen die 
eingehenden Untersuchungen Professor Chittendens zu meiner 
Kenntnis. Nun hielt ich es für angebracht, meine Ansichten und 
ihre Begründung den Kollegen zu unterbreiten; das ist geschehen 
in einem Aufsatz, der zu Anfang dieses Jahres in der „Aerztl. 
Rundschau“ veröffentlicht worden ist. Er ist jetzt als Broschüre 
erschienen *). 

Kürzlich ist nun von einem dänischen Arzte, Hindhede in 
Skanderborg, ein Werk herausgegeben, das betitelt ist: Eine 
Reform unserer Ernährung. In diesem Buche scheint mir der 
Beweis geführt zu sein, daß in der Tat unsere deutsche Wissen¬ 
schaft in der Ernährungslehre auf einem Irrwege gewesen ist. 

Zunächst wird ein kurzer Ueberblick gegeben, wie man in 
Deutschland zu der Ueberschätzung des Eiweißes gekommen ist. 
Liebig war es, der die Ansicht aussprach: durch die Muskel¬ 
arbeit werde das Eiweiß zersetzt, und das Nahrungseiweiß habe 
die Aufgabe, es zu ersetzen; das Eiweiß sei das einzige Gewebe 
bildende (plastische) Material, und das Zersetzungsprodukt des Ei¬ 
weißes (der Harnstoff) sei deshalb das Maß des Stoffwechsels. 
Kohlehydrate und Fette bilden Wärme, sie seien nur „Respira¬ 
tionsmittel“ (Brennmaterial). Nach dieser Liebigschen Ansicht 
mußte sich also die Zersetzung des Eiweißes nach der Muskel¬ 
arbeit richten. Aber durch physiologische Untersuchungen fand 
man bald, daß die Eiweißzersetzung im Ruhestände und während 
der Arbeit genau dieselbe ist. Daraufhin modifizierten Liebig 
und seine Schüler die Lehre dahin, daß die wirklich notwendige 
Eiweißzersetzung immer im Verhältnis zur Muskelarbeit stehe; 
werde aber ein Ueberschuß von Eiweiß zugeführt, so verbrenne 
dieser ähnlich wie Fett und Kohlehydrate; es finde eine „Luxus- 
konsumption“ statt. 

Voit bestritt, daß es eine Luxuskonsumption gebe; wenn eine 
solche existierte, so müßte die Eiweißzersetzung im Hungerzustande 
das Maß für die notwendige Eiweißmenge sein. Er glaubte je¬ 
doch nachgewiesen zu haben, daß, wenigstens beim Hunde, die 
zur Erhaltung notwendige Eiweißmenge mindestens 2 1 / 2 mal so 
groß sei wie der Hungerverbrauch. Man sollte meinen, Voits 
eigene Entdeckung, nämlich daß die Muskelarbeit die Eiweißzer¬ 
setzung nicht steigert, müsse diese Ansicht widerlegen. Aber er 
sagt: „Der Umsatz der Zelle erfolgt zwar in gleicherweise, mag 
das Individuum in Arbeit sein oder nicht. Eine reichliche Eiwei߬ 
zufuhr ist nur dafür Bedingung, daß reichliche Arbeit ausgeführt 


0,75 


1 


Zur Ernährungslehre. München. Verlag von 0. Gmelin, Treis 


werden kann. Starke Arbeit erfordert kräftige und wohlent- 
,wickelte Muskulatur, mit anderen Worten, hohen Eiweißstand. 
Deshalb (und nicht etwa weil das Eiweiß in besonderem Grade 
bei der Arbeit zersetzt würde) ist reichliche Eiweißzufuhr bei an¬ 
dauernder strenger Arbeit notwendig.“ 

Man faßt sich an den Kopf: wie ist es möglich, daß ein Ge¬ 
lehrter von Voits Range so etwas ausgesprochen hat ? Er setzt: 
Hohe Eiweißzufuhr = hohem Eiweißstand = kräftige Muskulatur, 
Die Richtigkeit dieser Gleichung müßte doch erst bewiesen werden. 
Aber darauf läßt Voit sich nicht ein; was bewiesen werden muß, 
wird einfach als Tatsache hingestellt. 

Wie kam nun Voit zu seiner Normalzahl von 120 (oder 
118) g Eiweiß? Er experimentierte an einem Manne, der in seiner 
Nahrung gewohnheitsmäßig etwa 120 g Eiweiß (19,5 g Stickstoff) 
zu sich nahm; der schied das gleiche Quantum Stickstoff in Harn 
und Exkrementen aus. Ferner bestimmte Voit bei einer Anzahl 
von verschiedenen Berufsklassen angehörenden Personen (Arbeiter, 
Tischler, Arzt usw.) die genossenen Eiweißmengen; endlich be¬ 
nutzte er von verschiedenen Forschern gefundene Eiweißmengen 
in der Nahrung von Personen in verschiedenen Lebensstellungen. 
Danach kam er für einen mittleren Arbeiter zu folgender Norm 
„als dem Mittelwert einer größeren Anzahl von Beobachtungen“: 
118 g Eiweiß, 56 g Fett und 500 g Kohlehydrate. 

Die Sache ist eigentlich kaum glaublich. Daraus, daß solche 
Mengen tatsächlich konsumiert werden, folgt doch nicht, daß das 
notwendig oder auch nur wünschenswert ist. Wie war es nur 
möglich, daß die wissenschaftliche medizinische Welt so schwach 
oder vielmehr so gut wie gar nicht begründete Zahlen als unum¬ 
stößlich ansah? Diese Zahlen standen im Glauben der deutschen 
Aerztewelt so fest, wie in den Kreisen gläubiger Christen nur 
irgendein kirchliches Dogma stehen kann. Die Kostsätze in Kasernen, 
Gefängnissen, Internaten wurden danach festgesetzt; ja europäische 
Gelehrte haben sogar den japanischen Soldaten eine so eiweißreiche 
Kost zuwenden wollen, damit sie leistungsfähiger würden. Nun, 
die japanischen Soldaten haben seitdem der überraschten europäi¬ 
schen Welt gezeigt, daß sie bei ihrer eiweißarmen — wie man 
also bei uns glaubte, minderwertigen — Kost sämtliche europäische 
Truppen an Marschleistungen und im Ertragen von Strapazen 
übertreffen. 

Hindhede gibt nun Beweise, daß die Voit sehen Zahlen 
nicht zu treffen; er bespricht eine Anzahl von Versuchen, die von 
verschiedenen Forschern (Hirschfeld, Klemperer, Atwater 
und anderen) gemacht worden sind, in denen die betr. Personen 
(Männer und Frauen) mit durchschnittlich 37 g Eiweiß ausge¬ 
kommen sind. Dann geht er auf die überaus wichtigen und -ein¬ 
gehenden Untersuchungen des Prof. Chittenden ein, über die 
vom Ref. mehrfach berichtet worden ist (Zeitschr. f. ärztl. Fort¬ 
bildung, Nr. 19 vom 1. Oktober 1906, und in der oben erwähnten 
Schrift „Zur Ernährungslehre“). Diese Untersuchungen sind in 
der Tat so beweisend, daß jeder, der nicht etwa die ungeheuer¬ 
liche Annahme macht, Prof. Chittenden habe Unwahres be¬ 
richtet, zugestehen muß, daß die bisherige Lehre, soweit sie das 
Erfordernis an Eiweiß zur Aufrechterhaltung von Gesundheit und 
Kraft betrifft, falsch gewesen ist. 

Unser Autor geht noch weiter; er spricht aus, daß viel Ei¬ 
weiß geradezu die Muskelkraft zu schwächen scheint. Er führt 
verschiedene Tatsachen an, die dafür sprechen; die beweisendsten 
sind: die unglaubliche Ausdauer und Leistungsfähigkeit der Japaner 
(wir setzen hinzu: die Erfahrungen, die Bälz mit seinen Wagen¬ 
ziehern machte, die nach Fleischgenuß weniger leistungsfähig 
wurden; s. „Zur Ernährungslehre“, S. 17); die große Zunahme 
der Körperkraft bei den zwölf Soldaten und sieben athletischen 
Studenten Chittendens, als der Eiweißgenuß auf 1 h bis V 3 
des Normalstandards eingeschränkt wurde; sodann die allgemeine 
Erfahrung, daß man nach einer starken Fleischmahlzeit müde und 
unlustig zu körperlicher (wie auch geistiger) Anstrengung ist. — 
Die Ansicht, daß der Genuß von viel Eiweiß die Ursache, mancher 
Erkrankungen ist, werden wohl die meisten Aerzte teilen; es 
würde hier zu weit führen, auf Näheres einzugehen. 

Es wird, sodann nachzuweisen versucht, daß vegetabilische 
Nahrungsmittel nicht, wie ihnen von den Befürwortern reichlichen 
Fleischgenusses vorgeworfen wird, schwer verdaulich sind. Man 
muß gestehen, daß die Art und Weise, wie Rubner die Schwer- 


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395 


KtMDSCHAÜ. 


Verdaulichkeit der Kartoffeln zu beweisen versucht hat, als beweis¬ 
kräftig nicht anerkannt werden kann. Dieser Forscher ließ seine 
Versuchsperson, einen Soldaten, drei Tage lang pro Tag 3 kg (!) 
Kartoffeln und 144 g Fett genießen. Dabei stellte sich heraus, 
daß von dem eingeführten Eiweiß 32% nicht verdaut waren. Das 
ist wirklich nicht zu verwundern, denn der menschliche Magen ist 
doch wohl nicht darauf eingerichtet, ein beliebiges Quantum 
irgendeiner Substanz zu verdauen; bei diesem „Freß versuch“ 
kündigten Magen und Darm den Gehorsam und ließen einen Teil 
der eingenommenen Kartoffeln unverdaut passieren. Hindhede 
sagt scharf (aber hat er Unrecht ?): Weil ein deutscher Soldat 
sich einmal in Kartoffeln überfüttert hat, darum sind Kartoffeln 
schwer verdaulich. 

Die wichtige Frage, wie billig man leben kann, beantwortet 
der dänische Arzt in einem ausführlichen Kapitel. Er hat lange 
Zeit hindurch an sich selbst experimentiert, um diese Frage be¬ 
antworten zu können. Sieht man seine Speisezettel an, so findet 
man, daß er z. B. während einer Versuchszeit von acht Wochen 
eine völlig fleischlose Kost genoß und dabei durchschnittlich täg¬ 
lich 57 g Eiweiß und 2236 Kalorien einführte, was einen Kosten¬ 
aufwand von 26,1 Oere verursachte (etwas mehr als 29 Pfennige. 
In Deutschland würde dieselbe Kost etwas mehr, % vielleicht 34 
bis 35 Pfennige, gekostet haben, da die Lebensmittel hier durch¬ 
weg teurer sind als in Dänemark). Dabei verlor er in acht 
Wochen zwei Pfund an Körpergewicht. Er sagt über sein da¬ 
maliges Befinden: „Obwohl ich viele Jahre annähernd so, wie 
angegeben, gelebt habe, bin ich doch nie (einzelne kurze Perioden 
ausgenommen) in Einfachheit so weit gegangen, und niemals 
habe ich mich besser befunden. Ich hatte ein bestimmtes 
Gefühl von Vermehrung der Körperkraft. Ich bin langjähriger 
Badfahrer. Wir haben hier in der Gegend von Skanderborg ein 
sehr hügeliges Terrain. Ich kenne im ganzen Lande (und ich 
bin mit vielen Landstraßen vertraut) keine schlimmeren Anhöhen 
als hier. Es gibt Steigungen, die hinaufzufahren ich mich viele 
Jahre gescheut habe, diesen Sommer aber mit größerer Leichtig¬ 
keit als zuvor hinauffuhr.“ In dieser Zeit machte er, um seine 
Kräfte zu prüfen, mehrere Radtouren. An einem der heißesten 
Tage des Jahres machte er (ein Mann von 45 Jahren) 142 km, 
davon die letzten 71 in 4 1 U Stunden. Am nächsten Morgen fuhr 
er um 3 Uhr ab und hatte um 10 3 A Uhr die 106 km nach 
seinem Heimatsorte zurückgelegt. „Ich war nur .sehr wenig trai¬ 
niert, und ehe ich nach Skanderborg kam — Gegenwind, Sonne 
gerade ins Gesicht, Temperatur 21 0 R im Schatten —, war ich 
müde in den Beinen, Herz und Lungen aber waren völlig un¬ 
berührt. Es ist übrigens bei mir eine stets wiederkehrende Er¬ 
fahrung , daß das Herz länger aushält als die Körpermuskeln. 
Ich komme nicht leicht ins Pusten. Ich nehme an, daß das mit 
meinerbeinahe „giftfreien“ Lebensweise zusammenhängt.“ Während 
dieses Ausfluges bestand die Kost aus Roggenbrot, Schwarzbrot, 
Margarine, ein wenig Käse und einer Portion Rhabarbergrütze 
(sehr beliebtes dänisches Gericht). „Auf meinen Reisen lebe ich 
in der Hauptsache nur von solcher Kost. Diese Restaurant¬ 
beefsteaks sind ja ganz sinnlos. Man hat hierauf sehr nötig, eine 
gute Stunde lang zu „verdauen“, während ich mich nach dem 
Essen eines mitgebrachten Stückes Butterbrot (tüchtig trocken in¬ 
folge der Wärme) mit einem Glase frischen Brunnenwassers dazu 
augenblicklich in vorzüglicher Verfassung fühle, um weiter zu 
fahren. . . . Welch einen großen Vorteil bietet meine Lebens¬ 
weise nicht auch dadurch, daß einen fast nie dürstet; selbst in 
der Hitze kann man 50 bis 75 km fahren, ohne zu trinken. 
Fleisch, Bier, starker Kaffee usw., die machen Durst. Hier ist 
etwas für Soldaten auf dem Marsch zu lernen.“ 

Mit-Recht sagt der Verfasser: „Was die Kost der Gut¬ 
situierten (und der Arbeiter, wenigstens in Deutschland, erlaubt 
sich Ref. hinzuzufügen) hauptsächlich so teuer macht, sind Fleisch, 
Kaffee und geistige Getränke. Was geben denn diese drei guten, 
teuren Freunde fürs Geld? 'Antwort: Kranke Nieren, Leber 
und Herz; Gicht und allerlei üble Laune.“ 

Sehr bemerkenswert sind die Berichte Hindhedes über 
zwei junge Männer, einen Studenten und einen Gärtnergehilfen, 
welche bei einer Kost kräftig blieben, die man bei uns für un¬ 
erträgliche Unterernährung halten würde. Der letztere genoß 


vom 3. November bis zum 12. Dez. 1906 durchschnittlich täglich 
62 g Eiweiß, 20 g Fett, 1970 Kalorien. Dabei war er in_vor¬ 
züglichem Kräftezustand. „Am 22. Dezember hatte ich Gelegen¬ 
heit, Nr. 56 (eben der Gärtnergehilfe, der damals Soldat war und 
es erreicht hatte, daß man ihm Kostgeld zahlte und er nun 
sich selbst beköstigte) einer gründlichen Untersuchung zu unter¬ 
ziehen. Sein Gesundheitszustand war vorzüglich, und jedem, der 
ihn sieht, wird sein gesundes, rotbäckiges Aussehen und sein 
kräftiger Körperbau auffallen. Seine Maße und sein Gewicht 
waren: Höhe 170 cm, Brustweite während des Einatmens 104, 
während des Ausatmens 91 cm; Magenmaß 76 cm, rings um den 
Oberarm 31 cm, um die Wade 38 cm; Gewicht nackend 71 kg.“ 

Auf die Frage der Soldatenverpflegung können wir nicht 
näher eingehen; wir verweisen unsere Leser auf die Lektüre des 
Buches. 

Vorzüglich ist der kurze Abschnitt über „Lebensgenuß“. Der 
gewöhnliche Einwand von Leuten, die die Gründe, die für eine 
überaus einfache Ernährung sprechen, nicht zu widerlegen ver¬ 
mögen, ist folgender: „Es ist möglich, daß ich, indem ich dem 
Verfasser folge, etliche Jahre meinem Leben zulege und daß meine 
Gicht, mein Magenkatarrh usw. verschwinden. Aber soll ich von 
Kartoffeln und Grütze, von Speck und Brot leben und dem bayri¬ 
schen Bier, dem Tabak, dem Kaffee, dem Fleisch u. a. m. ent¬ 
sagen, was ist das Leben dann wert? Mein Lebensgenuß wurde 
mit einem Schlage gleich Null werden, und lieber ein kürzeres 
Leben im Genuß, als ein langes Leben in Entsagung.“ 
In ansprechender Weise wird nachgewiesen, w T ie sehr die so 
redenden Leute im Irrtum befangen sind; nicht „gutes“ und 
üppiges Essen steigert den Lebensgenuß, sondern gerade die Ein¬ 
fachheit im Essen und Trinken. Einfache Ernährung erhöht 
Arbeitslust und Arbeitskraft; und der wahre Lebensgenuß besteht 
doch darin, daß unsre Arbeit für uns nicht eine ungern getragene 
Last, sondern eine Lust ist, die uns die Kürze des Tages be¬ 
dauern und abends bereits den Morgen ersehnen läßt, um neu¬ 
gestärkt wieder arbeiten zu können. 

In Dänemark, besonders in Kopenhagen sind bereits eine 
Anzahl von Hindhede-Speisehäusern und -Pensionen entstanden. 
In ihnen gibt es weder Alkohol noch Tabak oder Kaffee. Die 
Zubereitungskosten der Gesamtnahrungsmittel einer Person be¬ 
tragen dort nur 15 bis 20 Kronen (16,80 bis 22,40 M.) monat¬ 
lich. Eine solche Studentenpension wurde am 1. November 1906 
mit 6 Mann eröffnet; sie zählte am 1. April 1907 bereits 62 Mann; 
alles ohne Anzeigen, nur durch Empfehlung von einem Kameraden 
zum andern. 

Es wird natürlich, besonders in Deutschland, noch große 
Schwierigkeiten haben, die Lehre von der Ueberflüssigkeit, ja 
Schädlichkeit des gebräuchlichen Fleischgenusses zu verbreiten. 
Aber es wird gehen, wie es auch mit den Ansichten bezüglich 
des Alkoholgenusses geht: immer mehr Beweise für die Schädlich¬ 
keit der bisherigen Gewohnheiten werden beigebracht werden. 
In wachsender Zahl werden zunächst die selbständig denkenden 
Menschen sich bewogen fühlen, die neue Lehre nachzuprüfen. Und 
sind diese überzeugt, so werden die nicht selbständigen Massen 
nach folgen. 

Unsere Hygieniker und Physiologen stehen vor der Aufgabe, 
das nachzuprüfen, was Männer wie Chittenden und Hind¬ 
hede veröffentlicht haben. Wir zweifeln nicht, daß die Ergeb¬ 
nisse den Genannten recht geben werden, wenn die Anordnung 
der Versuche in richtiger Weise geschieht. 

Den Kollegen empfehlen wir das Buch des dänischen Prak¬ 
tikers dringend zu eingehendem Studium. Mancher wird zweifel¬ 
los alsbald geneigt sein, an seinem eigenen Körper zu versuchen, 
wie er sich bei dieser „Unterernährung“ fühlt, ob auch bei ihm 
Lebensfrische, Arbeitslust, körperliche und geistige Kraft Lei 
einem solchen Regime eine Vermehrung erfahren. 

Stille-Stade. 

Pulpentod, natürliche und synthetische Neben¬ 
nierenpräparate. Habilitationsschrift von H. Euler. Verlag 
der österreichischen Zeitschrift für Stomatologie. Wien 1907. 

Diese kritische experimentelle und klinische Studie hat außer 
für den Zahnarzt auch für andere Mediziner insofern gewissen 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU 


Wert, als es sich um die Erforschung eines unserer wichtigsten 
neueren Arzneimittel, des Adrenalins, handelt. Seine Unter¬ 
suchungen über den Pulpentod führen den Verfasser zu folgenden 
Ergebnissen: Absolut zuverlässige Hilfsmittel bei der Diagnose 
des Lebenszustandes der Zahnpulpa gibt es nicht. Der Induk¬ 
tionsstrom ist relativ am zuverlässigsten. Als allein völlig ein¬ 
wandsfreies Kriterium kann nur die Eröffnung der Pulpenkammer 
angesehen werden. In den Pällen, in denen möglicherweise nur 
die Injektion von Nebennierenpräparaten schuld am Absterben der 
Pulpa war, hat dieses Kriterium nicht Vorgelegen. Uebrigens 
werden auch ohne Injektionen an scheinbar gesunden Zähnen ab¬ 
gestorbene Pulpen beobachtet. Im Tierexperiment hat sich weder 
makroskopisch noch mikroskopisch eine Veränderung der Pulpa 
trotz Verwendung sehr hoher Dosen erzielen lassen. Was also 
bisher über das Absterben der Pulpa nach Injektionen von Neben¬ 
nierenextrakt von anderer Seite vorgebracht ist, steht auf 
recht schwachen Eüßen. Keine der über den Pulpentod aufge¬ 
stellten Theorien hat durch das Tierexperiment eine Stütze er¬ 
fahren. Somit muß die Angst, wirklich gesunde Zähne in ihrer 
Pulpenvitalität durch Injektion von Nebennierenpräparaten zu 
schädigen, als übertrieben, ja sogar als unbegründet bezeichnet 
werden. 

Von Interesse scheinen die umfangreichen poliklinischen Ver¬ 
suche zu sein, die Euler mit verschiedenen adrenalinartig wir¬ 
kenden Körpern angestellt hat. Hauptsächlich kommen drei in 
Betracht, das Aethylaminoazetobrenzkatechin (Homorenon), Methyl- 
aminoaetlianolbrenzkatechin (synthetisches Suprarenin gewöhnlich 
genannt) und Aminoaethanolbrenzkatechin (Arterenol). Das Homo¬ 
renon erwies sich in der Zahnheilkunde als relativ harmloses 
Mittel. In 5%iger Lösung waren jedoch ein bis zwei Tropfen 
auf 1 ccm Novokainlösung nicht ausreichend bezüglich der anämi- 
sierenden Kraft, es konnten länger dauernde Eingriffe unter Blut¬ 
leere nicht vorgenommen werden; dagegen bewährte es sich beim 
Exkavieren von sensiblem Dentin. Bei der geringen Giftigkeit 
der Substanz erscheint es auch wünschenswert, zu untersuchen, 
ob nicht eine mäßige Steigerung im Zusatz besser die Anästhesie 
zu unterstützen vermag. Das Arterenol erwies sich als noch un¬ 
giftiger ; ein weiterer Vorzug besteht darin, daß die Anämie ver¬ 
hältnismäßig rasch wieder verschwindet. Nachteilig war dagegen 
die ungenügende Tiefe bei der Novokainanästhesie. Treffliche Resul¬ 
tate lieferte dagegen die Anwendung des sogen, synthetischen 
Suprarenins. Obwohl es an Giftigkeit nicht hinter dem natür¬ 
lichen Adrenalin zurücksteht, so fiel doch die klinische Prü¬ 
fung dieses von Stolz dargestellten Körpers zur größten Zu¬ 
friedenheit aus. Ebenso wie die Anästhesie mußte auch die 
x^nämie als genügend bezeichnet werden; üble Begleit- oder 
Nacherscheinungen wurden nicht beobachtet. Ein Tropfen pro ccm 
Anasthetikumlösung genügt vollkommen. Als zweckmäßige Warte¬ 
zeit ergab sich beim Oberkiefer vier bis fünf, beim Unterkiefer 
acht Minuten. 

Der dritte Abschnitt, welcher für den Pharmakologen und 
Pathologen der wichtigste ist, handelt vom Einflüsse der syntheti¬ 
schen Nebennierenpräparate auf die Kaninchenaorta. Nach einer 
kurzen Wiedergabe der diesbezüglichen Arbeiten anderer Autoren 
betreibt Verf. die Ergebnisse, die sich nach intravenöser Injek¬ 
tion von einigen (den genannten) Nebennierenpräparaten an der 
Kaninchenaorta zeigten. Die naheliegende Vermutung, je wirk¬ 
samer das Mittel am Menschen sei, desto stärker würden die Ver¬ 
änderungen in der Aorta ausfallen, traf nicht zu: im Gegenteil, 
das Präparat, das die Anämie und Blutdruckveränderung hervor¬ 
rief, hatte unter den drei synthetischen Substanzen noch am 
meisten makroskopische Veränderungen gebracht, während solche 
bei der wirksamsten Substanz, dem synthetischen Suprarenin, so 
gut wie ganz fehlten. Die mikroskopische Untersuchung ergab 


Knoehenstott.' in colloider Form, ist das leicht verdauliche und Reicht 
assimilierbare,seit Jahrzehnten in der ärztlichen Praxis erprobte An tirachiticuin 

„Geh. Rat. Dr. Wattenbergs Fhosphorkallnnilch“. 

Enthält in aufgeschlossener Form alle anorganischen Bestandteile des 
menschlichen Knochengerüstes. 

Armenverbänden Prospekte und Abhandlung durch 

Ermäßigung! Dr. Iloffmann & Köhler, Harburg. 


■ dasselbe wie der makroskopische Befund, Nach Ansicht des Ver¬ 
fassers (und des Referenten) scheint es. allerdings bei der geringen 
Anzahl der Versuchstiere gewagt, weitere Schlüsse zu ziehen! 
Pest steht jedoch, daß die synthetischen Nebennierenpräparate 
qualitativ in gleicher Weise anf die Kaninchenaorta wirken wie 
die natürlichen. 

Endlich sei noch anf das reichhaltige Verzeichnis der ver¬ 
wendeten Literatur hingewiesen. Bachem-Bonn. 


IZU ALLGEMEINES. UH 


Der Führer des Verbandes deutscher Nordseebäder für 

1908 ist erschienen und in allen Prospektausgab es teilen, der Ge¬ 
schäftsstelle des Verbandes, ‘Berlin W 9, Linkstr. 1 (am Potsdamer 
Platz), sowie in den Pilialen von August Scherl G. m. b. H. und 
Daube & Oo. G. m. b» H. in den größeren Städten Deutschlands 
für 50 Pf. zu haben. 

Die Ausstattung ist künstlerisch vornehm. Der Inhalt .ist 
reichhaltig und übersichtlich geordnet. Eine aus ärztlicher Feder 
stammende Abhandlung schildert in allgemeinverständlieher Weise 
den Heilwert der Nordsee. 

Wer eine Badereise an die Nordsee beabsichtigt, wird ans 
keiner anderen Schrift sich so leicht, objektiv und vollständig 
orientieren wie ans diesem offiziellen Führer, 

Die VIII. ärztliche Studienreise beginnt am 1. September 
a. c. in Hamburg mit dem Doppelschraubendampfer „Oceana“ der 
„Hamburg-Amerika-Linie“ (8000 tons Gebalt, 7500 PS.), welcher 
den weitgehendsten Anforderungen nach jeder Richtung hin ent¬ 
spricht. In Aussicht genommen ist (Aenderungen Vorbehalten) der 
Besuch von Co wes und Ventnor (Isle of Wight), Jersey, Lissabon, 
Funchal (Madeira), Santa Cruz und Orotava (Teneriffa), Tanger, 
Trouville (Havre). Die Preise für einen Kabinenplatz beginnen 
mit 525 M. und erhöhen sich je nach den Ansprüchen und Lage 
des Kabinenplatzes. Zur Verfügung stehen 85 einbettige, cä. 8(F 
zweibettige und ca. 36 dreibettige Kabinen. In den Preis sind 
eingeschlossen die Landausflüge und Wagenfahrten auf der Isle 
of Wight, Jersey, in Lissabon und Funchal, sowie ein fünf- bis 
sechstägiger Landaufenthalt in Orotava, Ein- und Ansbooten, so¬ 
wie die Gepäckbeförderung von Hamburg bis Hamburg. Der 
Anmeldung ist die Hälfte des Preises des beanspruchten Platzes bei¬ 
zufügen; es können bei der großen Anzahl von Meldungen, die 
bereits vorliegen, nur noch umgehende Anmeldungen berücksich¬ 
tigt werden. Schiffspläne etc. sind anf Anfrage zu erhalten beim 
„Komitee zur Veranstaltung ärztlicher Studienreisen“, Berlin N.W., 
Luisenplatz 2/4 (Kaiserin Friedrich-Haus für das ärztliche Fort¬ 
bildungswesen). 

Die Führung der VIII. ärztlichen Studienreise nach den Kana¬ 
rischen Inseln etc. hat der Breslauer Kliniker Geheimrat Professor 
Dr. A. von Strümpell übernommen. 

Wiesbaden. Der Regierungspräsident von Wiesbaden warnt 
unter dem 10. März 1908 vor dem von der Firma Dr. med. 
Schaffner & Cie. in Berlin-Grünewald unter hochtrabenden 
Titeln, wie „Frohe Botschaft für Hals- und Lungenleidende“ an¬ 
gepriesenen Geheimmittel gegen Lungenschwindsucht 
sowie gegen chronische Katarrhe, Verschleimung, Asthma nsw. 
Das Heilmittel besteht lediglich ans ,den Blättern und Blüten der 
bekannten Pflanze „Gelber Hohlzahn“ (Galeopsis ochroleuka sive 
grandiflora), von der in den Apotheken und Drogenhandlungen 
für wenige Pfennige große Mengen bezogen werden können. Es 
handelt sich nach der „Pharm. Zeitg.“ anscheinend um .eine neue 
Form des auf die Geheimmittelliste gesetzten Mittels Brockhaus 7 
J ohannistee. 


F. A. Hoppen u. R. Fischer 
Patentanwälte 

Berlin SW. 13, Neuenburgerstraße 15 

Amt IT 718. 


Vt-1 antwortlicher Redakteur: Dr. H. Lung-witz, Berlin S. — Verlag: Carl ]$arhol<J Verlagsbuchhandlurg, Halle a. S. 
Druck der Heynemannschen Buchdruckerei, Gebr. WolflE, Halle a. S. 


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Wochenschrift für die gesamte Therapie des praktischen Arztes. 


G. Anton, A. Dührsseti, G. A. Ewald, P. Gerber, R. Robert, 


Herausgegeben von 


Halle a. S. Berlin. 

Ad. Schmidt, 
Halle a. S. 


Berlin. Königsberg. Rostock. 

H. Schmidt-Rimpler, H. Senator, 

Halle a. S. Berlin. 


Redaktion: 

Berlin S. 14, Dresdenerstr. 44, Tel. IV, 11773. 
Dr. med. et phil. H. Lungwitz. 



M. Koeppen, M. Mosse, K> Partsch, H. Rosin, 
Berlin. Berlin. Breslau. Berlin. 

R. Sommer, H. ünverricht, 0 . Vulpius, 

Gießen. Magdeburg. Heidelberg. 


H. Schlange, 

Hannover. 


Verlagu. Expedition: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung 
in Halle a. S., Reilstraße 80 . 

Tel.-Adr.: Marhold Verlag Hallesaale. Fernsprecher 823. 


Offizielles Organ des Schwatzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte ?ii Dejtsclien Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte der Ostsee und der 

Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 


II. Jahrgang. 


Halle a. S., 21. Juni 1908. 


Nr. 25. 


Die „Therapeutische Rundschau* erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2 ML, einzelne Nummer 20 Pf. Bestellungen nehmen jede Buchhandlung, 
die Post, sowie die Geschäftsstelle: Carl Marhold Verlagsbuchhandl ung in Halle a. S. entgegen. Inserate werden für die 4 gespaltene Petitzeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. berechnet. Beilagen nach Uebereinkunft. Reklamezeile 1,50 M. Bei größeren Aufträgen wird Rabatt gewährt. 

Nachdruck der Original-Aufsätze ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. — Nachdruck der anderen Rubriken ist nur mit Quellenangabe gestattet. 


CD ORIGINALEN. 


□ 


Neuere Methoden der funktionellen Darmdiagnostik. 

Von Privatdozent Dr. P. Rodari, Zürich. 

Seit Nothnagels grundlegenden Untersuchungen über 
die Diagnose, Pathologie und Therapie der Darmkrankheiten 
ist bis vor wenigen Jahren auf dem Gebiete der Funktions- 
prüfung üe^T>armes wenig Neues geleistet worden. Theoretisch 
wäre es zu erwarten, die Darmfunktionen in analoger Weise 
unter physiologischen und pathologischen Verhältnissen zu er¬ 
forschen wie die Funktionen des Magens. In praxi war dies 
jedoch mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, deren Ur¬ 
sache mannigfacher Natur sind: Einerseits die gleichsam in¬ 
stinktive Abneigung des Arztes, sich mit den Produkten der 
Darmfunktionen zu befassen, andererseits die Annahme, daß 
eine solche Prüfung mit erheblichen technischen Schwierigkeiten 
verbunden sei, welche nur durch die fachmännische Arbeit des 
geschulten Chemikers überwunden werden könnten. Deshalb 
beschränkt sich beim Praktiker noch jetzt die Prüfung der 
Fäzes zum großen Teile nur auf die makroskopische Inspektion, 
schon seltener auf die mikroskopische Untersuchung, z. B. auf 
das Fahnden nach Eiern von Helminthen, und — vielleicht 
noch seltener — auf gewisse chemische Untersuchungen, z. B. 
auf das Nachweisen von okkulten Blutungen. Die Klinik wandte 
naturgemäß den Fäzesuntersuchungen größeres Interesse zu, 
welches jedoch sich mehr auf Stoffwechsel- und Ausnutzungs¬ 
versuche als auf die Funktionsprüfung des Darmes im nor¬ 
malen und abnormalen Zustande erstreckte. 

Einen erheblichen Fortschritt in dieser letzteren Hinsicht 
bedeuten die grundlegenden Arbeiten von Ad. Schmidt und 
Schülern von ihm, wie Strasburger. Erster er ging von der 
Idee aus, tatsächlich eine Methode zu eruieren, welche ein 
Analogon zum Probefrühstück Ewalds bilden sollte. Möglichst 
einfach wie dieses sollte eine gewisse Kost beschaffen sein, die 
ermöglichen würde, den Zustand der Darmfunktionen zu prüfen. 
Wie beim Magen bestehen diese in der Verdauung, der Resorp¬ 
tion und der Motilität. Allein die Verhältnisse sind hier aus 
physiologischen Gründen schon viel komplizierter. Einerseits 
haben wir hier nicht mit einem relativ einfachen Vorgang der 
Verdauung zu tun, d. h. mit der Eiweißverdauung allein, son¬ 
dern mit einem Komplexe von Verdauungsvorgängen: Eiweiß-, 
Stärkeveitfauung und Fettspaltung von seiten des Pankreas, so¬ 
wie bis zu einem gewissen Grade noch Stärkeverdauung von 


den Dünndarmsäften, Einwirkung der Galle auf das Ferl; 
andererseits muß das Reagens, mit welchem die Prüfung auf 
diese verschiedenen Verhältnisse angestellt wird, so beschaffen 
sein, daß es uns einen klaren Einblick in die einzelnen Kom¬ 
ponenten der komplizierten Darmverdauung gewährt. Dieses 
Reagens kann nicht in dem einfachen Probefrühstück von 
Ewald liegen, es muß vielmehr in seiner chemischen Beschaffen¬ 
heit in gewissem Sinne eher der Probemahlzeit von Riegel 
entsprechen. In dieser Ueberlegung kommt man zur Aufstellung 
einer bestimmten Probekost für die Darmprüfung. 

Wie nun die Empirie am Probefrühstückstisch und an der 
Probemahlzeit des Magens zur Eruierung einer bestimmten 
physikalischen und chemischen Beschaffenheit unter normalen 
Verdauungsverhältnissen gekommen ist, von welcher aus die 
pathologischen Abweichungen beurteilt werden, so muß man 
auch bei der Funktionsprüfling des Darmes von einer solchen 
Beschaffenheit der Fäzes ausgehen, die den Ausdruck resp. das 
Produkt einer normalen Darmfunktion bedeutet. Diese Theorie 
hat Ad. Schmidt in die Praxis übersetzt, indem er sich von 
folgenden zwei Grundsätzen leiten ließ: „Erstens muß man 
bei der Prüf ung der Da rmfunkti on en von einer ein - 
heitlichen Zusammensetzung des Kotes, von einem 
Normalkote ausgehen, der stets? ein- und dieselbe 
ganz gleichmäßig zusammengesetzte Nahrung, „die 
Probekost“ vor aussetzt. Zweitens müssen die Stuhl¬ 
untersuchungen möglichst vereinfacht werden. u 

Nur dann können sich diese in der Medizin wie die Magen¬ 
untersuchungen einbürgern und dank ihrer Einfachheit Gemein¬ 
gut der praktischen Aerzte werden. 

Eine solche Probekost muß verschiedenen Anforderungen 
entsprechen: Einerseits darf sie den Magendarmkanal in keiner 
Weise reizen und muß dem ungefähren Kalorienbedürfnis des 
Körpers genügen, andererseits sollen Eiweißstoffe, Kohlehydrate 
und Fette in einem den Gesetzen der physiologischen Ernährung 
entsprechenden Verhältnis zn einander vorhanden sein. Eine 
weitere Anforderung ist, daß die Probekost leicht zu beschaffen 
und zu bereiten sei. In idealer Weise kommt folgender Diät¬ 
zettel diesen Anforderungen nach: 

Morgens: Ein halber Liter Milch, dazu 50 g Zwieback. 

Vormittags: Ein halber Liter Haferschleim (aus 40 g Hafer¬ 
grütze, 10 g Butter, 200 g Milch, 300 g Wasser, 1 Ei bereitet 
und durchgeseiht). 

Mittags: 125 g gehacktes Rindfleisch mit 20 g Butter leicht 
übergebraten, so daß es inwendig noch roh bleibt, dazu 250 g 
Kartoffelbrei (aus 190 g gemahlenen Kartoffeln, 50 g Milch und 
20 g Butter bereitet). 

Nachmittags: Wie morgens. 

Abends: Wie vormittags. 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU 


Nr. 25. 


■ 


Eine solche Kost entspricht ungefähr 2200 Kalorien. In 
solchen Fällen, wo die Milch schlecht vertragen wird, kann sie 
durch Kakao ersetzt werden (20 g Kakaopulver, 10 g Zucker, 
400 g Wasser, 100 g Milch). 

Wenn eine solche Probekost nun die Fäzes liefern soll, 
deren Untersuchung uns Schlüsse auf die Darmfunktionen 
ziehen lassen, so muß der Patient mehrere Tage diese Kost 
einnehmen. 

Der Gang der Untersuchung ist dann folgender: 

Auch hier beginnen wir mit der makroskopi sch en In¬ 
spektion, welche auf das Vorhandensein folgender unter patho¬ 
logischen Verhältnissen vorkommender Körper zu achten hat: 
Schleim in größeren und kleineren, selbst kleinsten Flocken, 
Art und Form der Schleimbeimengungen, die dadurch am 
besten wahrnehmbar ist, wenn kleine Kotpartikelchen auf einem 
schwarzen Teller, nachdem sie in einer Reibeschale unter Zu¬ 
satz von destilliertem Wasser gut verrieben w r orden sind, fein 
verteilt und dünn ausgebreitet werden. Das Vorhandensein von 
Schleim ist der Ausdruck einer entzündlichen Veränderung der 
Darmschleimhaut Unter Umständen finden sich noch andere 
Charakteristika dafür, wie z. B. Eiterflöckchen und Blut. Diese 
Verhältnisse sind von jeher in der Medizin bekannt, so daß 
ich auf sie des nähern hier nicht eintreten will. Der Fort¬ 
schritt der Schmidtschen Untersuchungen liegt vielmehr in 
der semiotischen Verwertung anderer makro- und mikroskopi¬ 
scher Bestandteile der Fäzes seiner Normalkost. Es ist näm¬ 
lich ein großes diagnostisches Verdienst des Autors, an der Hand 
von vielen hunderten Untersuchungen nachgewiesen zu haben, 
daß das Vorhandensein bestimmter morphologischer Bestand¬ 
teile uns strikte Schlüsse auf die Darm- und teilweise auch 
Magenfunktion des zu Untersuchenden ziehen läßt. Ad. Schmidt 
und Strasburger haben zuerst nachgewiesen, daß das rohe, 
im Hackfleisch vorhandene Bindegewebe nur vom Magen, 
niemals aber vom Pankreas verdaut werden kann. Neulich 
haben Einhorn, Wal ko, von Aldor u. A. diese Beobach¬ 
tungen vollauf bestätigt. Die Bindegewebsverdauung durch den 
Magensaft ist nicht nur von dem Vorhandensein eines genügenden 
Aziditätsgrades, sondern auch einer genügenden Pepsinkraft ab¬ 
hängig, und es hat den Anschein, daß in erster Linie das Pepsin 
das Bindegewebe verdaut. 

Wenn nun schon makroskopisch im Stuhl Bindegewebs¬ 
fasern und Sehnen nachweisbar sind, so können wir daraus 
den Schluß ziehen, daß die Magenverdauung gestört ist und 
ganz besonders die peptische Kraft nicht genügt, denn wie 
Kontrollversuche mit dem Magenschlauch nachgewiesen haben, 
vermag ein genügend saurer oder sogar hyperazider Magensaft 
allein das Bindegewebe nicht zu verdauen, wenn die peptische 
Kraft dem Aziditätsgrade nicht entspricht bezw. ungenügend 
ist:. In den häufigeren Fällen ist jedoch ein Parallelismus 
/.wischen Azidität und Pepsinkraft vorhanden und infolgedessen 
wird man meist beim Antreffen von Bindegewebe im Stuhl auf 
subazide, eventuell anazide Zustände des Magens einen Schluß 
ziehen dürfen. Nur dann würden die erwähnten Folgerungen 
nicht zutreffen, wenn die Unverdautheit des rohen Bindege¬ 
webes auf eine zu kurze Verweildauer im Magen zurückgefühlt 
werden dürfte, bezw. wenn mit den andern Mitteln der Dia¬ 
gnostik eine Hypermotilität des Organes nachweisbar wäre. 

Ein dritter Punkt, auf den schon die makroskopische Stuhl¬ 
untersuchung zu achten hat, ist die Prüfung, ob Muskelreste 
vorhanden sind, welche dem bloßen Auge als kleine braunge¬ 
färbte, wie Holzsplitter aussehende Stäbchen erscheinen. Diese 
lassen uns einen ganz anderen diagnostischen Schluß als das 
Bindegewebe bezw. die Sehnenreste ziehen: Der Magen ist 
nämlich nicht imstande, selbst bei intakter Verdauungskraft die 
Muskelfasern derart aufzulösen, daß ihre Struktur nicht mehr 
nachweisbar wäre. Dies ist nur die Fähigkeit einer völlig suf- 
fizienten Pankreassaftwirkung. Infolgedessen berechtigt das 
Vorhandensein zahlreichen makroskopischen und selbst auch 
mikroskopischen Muskelgewebes zur Annahme einer gestörten 
Darmverdauuiig, die entweder in mangelhafter Ferment¬ 
tätigkeit des Pankreas (Hypochylie oder Achylie) oder auch 
hier in einer zu kurzen Verweildauer der Ingesta im Dünn¬ 
därme ihre Ursache haben kann- Auf einen wichtigen Punkt 


der Differentialdiagnose dieser beiden Möglichkeiten werde ich 
noch weiter unten näher eingehen. 

Die Schmidtsche Probekost gewährt uns des weiteren 
auch einen Einblick auf die Beschaffenheit der Stärkeverdauung 
im Darme. Wenn nämlich bei der makroskopischen Fäzes¬ 
untersuchung zahlreiche kleine, glasig durchscheinende Körner 
von sagoartigem Aussehen vorhanden sind, so bedeutet dies 
unverdaute Kartoffelreste, welche nicht mit Schleimflocken ver¬ 
wechselt werden sollen. Ihre kuglige, aus dem Niveau der 
dünn ausgegossenen Kotschicht herausragende Beschaffenheit 
sowie ihre größere Konsistenz auf Druck kann uns vor dieser 
Verwechslung schützen. — Ueber die Art der Fettverdauung 
endlich können wir ebenfalls einen Einblick bekommen: Bei 
mangelhafter Fettausnützung haben wir schon die makrosko¬ 
pischen Charakteristika der Fettstühle: helle bis weiße Farbe, 
lehmartige Beschaffenheit und saure Reaktion. Freilich kann 
die echte Steatorrhöe mit den Stühlen bei fehlendem oder un¬ 
genügendem Gallenzufluß verwechselt werden, davor schützt 
uns aber die mikroskopische Untersuchung. 

Endlich gibt uns die Normalkost unter Umständen schon 
makroskopisch Aufschluß über eventuelle Fäulniserschei¬ 
nungen im Darme, welche sich durch das Vorhandensein großer 
Kristalle von phosphorsaurer Ammoniakmagnesia 
äußert. 

Diese makroskopische Untersuchung ist in den meisten 
Fällen nicht ausreichend, sondern muß durch die mikroskopische 
ergänzt werden. Um hier die Dinge zu sehen, die unter Um¬ 
ständen schon mit bloßem Auge erkannt werden können, stellt 
man drei Arten höchst einfacher mikroskopischer Präparate 
dar. — Das erste Präparat besteht in dem Zerdrücken eines 
kleinen Kotpartikelchens zwischen zwei Objektträgern, wobei 
die Schicht eine möglichst dünne sein soll. Hier können wir 
mit dem Mikroskope ohne weitere Prozeduren schon sehr 
wichtige Dinge sehen: Bakterien, Hefezellen, Detritus, schollen¬ 
artige Gebilde von gelber Farbe und Querstreifung, welche uns 
als Muskelfaserstücke imponieren, Fasern von unverdautem 
Bindegewebe und Sehnen, ungefärbte Seifen, vereinzelte Kar¬ 
toffelzellen sowie spärliche Spelzenreste aus dem Haferschleim. 

Das zweite ähnliche Präparat wird mit einem Tropfen 
Essigsäure zerrieben und einen Augenblick, bis zum beginnenden 
Kochen über der Flamme erhitzt. Dadurch werden sämtliche 
Fettreste vorübergehend zum Schmelzen gebracht, die aber bei 
eintretender Abkühlung zu kleinen Fettsäureschollen, wieder er¬ 
starren. Dieser Vorgang dient zum Nachweise von Fett im 
Stuhl bezw. von Steatorrhöe. Nur das’ Vorhandensein zahl¬ 
reicher, dicht nebeneinander liegender Fettschollen hat patho- 
gnostisches Interesse, da auch im normalen Stuhl in geringerer 
Menge Fett anzutreffen ist. 

Ein drittes mikroskopisches Präparat dient dazu, uns über 
die Stärkeverdauung im Darme zu unterrichten. Es wird in 
gleicher Weise wie die ersten zwei Präparate hergestellt, nur 
mit dem Unterschiede, daß auf ihm vor dem Aufsetzen des 
Deckglases ein Tropfen einer Jodjodkaliumlösung verrieben wird. 
Wenn sich nun im Stuhle unverdaute Stärkekörnerreste finden, 
so nehmen diese eine spezifische blaue Farbe an, während 
andere Gebilde, wie Bazillen und Pilzsporen, mehr violett ge¬ 
färbt sind. Die Annahme, daß eine mangelhafte Stärkever¬ 
dauung in der Beschaffenheit des Pankreassaftes ihre Ursache 
hätte, wäre nur dann richtig, wenn auch entsprechende Stö¬ 
rungen der Eiweiß- und Fettspaltung makroskopisch oder mikro¬ 
skopisch nachweisbar wären. Fehlen diese hingegen, so be¬ 
rechtigt uns die mangelhafte Stärkeverdauung nur dazu, eine 
Sekretionsstörung des Darmsaftes anzunehmen, und erfahrungs¬ 
gemäß handelt es sich in diesen Fällen um in pathologischer 
Hinsicht nicht erhebliche Anomalien, meistens um leichte Ka¬ 
tarrhe des Dünndarmes. An diesem dritten Präparate sieht 
man auch besonders deutlich die durch Jod gelb gefärbten 
Hefezellen. 

Der mikroskopischen Untersuchung schließt sich die che¬ 
mische Untersuchung an. Einfach ist die Feststellung der 
Reaktion mittels Lackmuspapier. In normaler Weise ist die 
Reaktion amphoter oder höchstens schwach sauer resp. schwach 
alkalisch. Eine stärkere Intensität nach der einen oder andern 


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mrai \ i ur luiiLniuMi 






1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


399 


Seite ist pathologisch : Stark saurer Stuhl deutet auf abnorme 
Kohlenhydratgärung, stark alkalischer Stuhl auf Eiweißfäulnis. 
Diese Verhältnisse werden in besonders anschaulicherweise 
durch die Gärungsprobe festgestellt, mittels des Stras¬ 
burg er sehen Gärungsröhrchens, dessen Prinzip mit dem¬ 
jenigen des Gärungs-Saccharometers identisch ist. Der Apparat 
wird 24 Stunden in den Brutschrank gestellt. Normalerweise 
bildet sich dabei nur wenig Gas, eine größere Gasentwicklung 
beruht, wie erwähnt, entweder auf Kohlenhydratgärung, das 
Gas riecht nach Buttersäure, und in diesem Falle reagieren die 
Fäzes sauer —, oder auf Eiweißfäulnis, wobei das entwickelte 
Gas einen intensiven Fäulnisgeruch entfaltet. Die Fäzes rea¬ 
gieren hier alkalisch. 

Die Eiweißfäulnis bedeutet einen viel schwereren patholo¬ 
gischen Zustand als die Kohlehydratgärung. Bei ersterer 
handelt es sich gewöhnlich um anatomische Erkrankungen der 
Darmschleimhaut, besonders des Dickdarmes, welche zur Ab¬ 
stoßung nekrotischer Bestandteile sowie zu vermehrter Schleim - 
absonderung und zur Exsudation von Serum und Eiter führen. 
Diese Körper bilden einen günstigen Nährboden für Fäulnis¬ 
bakterien, welche diesen selbst und das Eiweiß der Nahrung 
zu einem hohen Grade der Faulung bringen, während Fäulnis¬ 
prozesse auf funktioneller Basis beruhend nur geringgradig sind. 

Nach Ad. Schmidt beginnt die Fäulnis erst nach Passage 
des Darminhaltes durch die Ileozökalklappe, auch w r enn die 
Grundbedingungen hierfür viel weiter oben im Dünndarm liegen. 

Die chemische Fäzesuntersuchung kann noch auf den 
Gallenfarbstoff ausgedehnt werden. Unter normalen Verhält¬ 
nissen wird dieser durch Reduktion im Dickdarm zu Hydro- 
bilirubin umgewandelt, pathologisch bei Steigerung der 
Peristaltik bleibt diese Reduktion aus. Darauf baut Ad 
Schmidt seine Sublimatprobe auf: Normale Fäzes werden, 
wenn sie der Einwirkung einer konzentrierten Sublimatlösung 
während etwa 24 Stunden ausgesetzt wurden, rot, weil das in ihnen 
enthaltene Hydrobilirubin auf HgCL mit roter Farbe reagiert; 
abnormale Fäzes haben entweder eine grünliche Färbung, weil 
sie an Stelle des Hydrobilirubins das auf HgCl 2 nicht reagie¬ 
rende Biliverdin enthalten, oder sie sind lehmfarbig, weil der 
Gallenzufluß gehemmt ist. 

Diese Untersuchungen, die gewiß einen erheblichen Fort¬ 
schritt in der Darmdiagnostik bedingen, haben aber dennoch 
nicht den klaren, präzisen semiotischen Wert der Magenexplora¬ 
tion mittels des Probefrühstückes. Ein Hauptmangel haftet 
ihnen an, daß sie nämlich meistens nicht eindeutige, sondern 
nur mehrdeutige diagnostische Schlüsse zulassen, insofern wir 
uns dabei fragen: Was ist im konkreten, vorliegenden objek¬ 
tiven Symptome oder Symptomenkomplex an der Kotunter¬ 
suchung auf Rechnung der dem Darmkanale physiologisch und 
pathologisch eng angehörenden Verdauungsdrüsen, der Leber 
oder des Pankreas zurückzuführen, oder was ist durch 
Anomalien im Darme selbst, in der Sekretion des Darm¬ 
saftes, in der Resorption und Motilität bedingt? Eine genaue 
Diagnose resp. Differentialdiagnose sollte doch auch diese Fragen 
voneinander scheiden und eindeutig beantworten. Hierzu 
stehen uns noch a priori schon theoretisch zwei Wege zur Ver¬ 
fügung. Der einfachere, indirekte Weg ist der des Vergleiches 
der Stuhluntersuchungen mit objektiven und teilweise auch sub¬ 
jektiven Symptomen anderer Natur, beispielsweise würde bei 
der Frage, ob ein Fettstuhl für eine Leber- oder Pankreas¬ 
affektion spreche, im ersteren Falle der positive Befund an der 
Leber für die Differentialdiagnose ausschlaggebend sein, wie 
Volumen-Vergrößerung, Ikterus, negativer Ausfall der Gallen¬ 
probe in den Fäzes, Verhalten des Urins, lokalisierte Schmerzen 
usw. Umgekehrt würde für eine auf Pankreashypo- oder -achylie 
beruhende Steatorrhöe neben dem positiven Ausfall der Sublimat¬ 
gallenprobe, dem Vorhandensein von Muskelfasern, massenhaften 
Fettschollen, blaugefärbten Stärkekörnern, noch besonders das 
Fehlen von Lebersymptomen, das event. Bestehen einer Uly- 
kosurie sprechen, die uns den Verdacht einer Pankreasdiabetes, 
also einer Pankreaserkrankung nahe legen würde. 

Ein weiterer mehr direkter Weg zur Differentialdiagnose 
bei der funktionellen Darmprüfung ist in einer Methode zu 


suchen, die nur die Pankreasfunktionen resp. Störungen 
in der Absonderung des Pankreassaftes erkennen kann. 

Schon Unna trat dem Gedanken näher, in den Darm¬ 
kanal eine Substanz zu bringen, welche nur von einem nor¬ 
malen Pankreassaft verdaut werden sollte und die dadurch 
diagnostische Schlüsse auf die Pankreasfunktionen zuließe. 
Es sind dies die keratinisierten Pillen, die sich jedoch in 
der Praxis nicht bewahrt haben. S ah 1 i hat vor wenigen Jahren 
dieser Idee eine veränderte und verbesserte Gestalt in seinen 
G lut oidkapseln gegeben. Durch Formaldehydeinwirkung 
gehärtet, erweist sich die Gelatine, das Glutoid gegen die pep¬ 
tische Magenverdauung völlig resistent, während es vom Pan¬ 
kreassaft leicht verdaut resp. aufgelöst werden soll. So sollen 
unter normaler Pankreasverdauung in den Kapseln eingenom¬ 
mene Substanzen nach gewisser Zeit, z. B. nach drei bis sechs 
Stunden im Speichel Jodoform resp. Jod und im Urin Salol 
bezw. Salizylursäure, nachweisbar sein. Aber auch hier stößt 
man in der praktischen Verwertung dieser Methode auf Schwierig¬ 
keiten mannigfacher Art: So liefert der Härtegrad des Glutoids 
u. U. irrtümliche Resultate, z. B. kann zu hoher Härtegrad der 
Pankreassafteinwirkung widerstehen oder das Eintreten der 
Reaktion zeitlich erheblich stören, ebenso kann eine solche Ver¬ 
zögerung durch abnorm lange Verweildauer der Kapseln im 
Magen bei Magenatonie oder mechanischer Insuffizienz, ferner 
durch Störung der Darmmotilität (gesteigerte Peristaltik) sowie 
durch Herabsetzung der Resorptionsfähigkeit bedingt sein. Nur 
der rechtzeitige Eintritt der Jodreaktion im Speichel oder 
der Salizylreaktion im Harne läßt eine Pankreasaflektion aus¬ 
schließen, während eine Verzögerung oder ein Ausbleiben der 
Reaktion mannigfache Fehlerquellen haben kann. 

Ad. Schmidt hat nun des weiteren nachgewiesen, daß 
einzig der Pankreassaft imstande ist, das Nuklein, also die 
Zellkerne von beispielsweise Muskelgewebe zu verdauen, 
während der besten Magenverdauung diese Fähigkeit nicht 
inneliegt. Darauf hat er eine neue Untersuchungsmethode der 
Pankreasfunktion aufgebaut: Kleine in Alkohol gehärtete Fleisch¬ 
würfel werden in ein Gazebeutelchen eingeschlossen und das 
ganze in einer Oblate verschluckt. In den Fäzes der Probe¬ 
kost aufgefunden werden die Fleischwürfelchen auf das Vor¬ 
handensein oder Fehlen der Kernstruktur mittels Behandlung 
mit Essigsäure und Methylenblaulösung, event. auch mittels 
Färbung nach vorausgegangener Härtung geprüft. Das Fehlen 
der Kerne beweist Pankreasverdauung, wobei auch keine Muskel¬ 
fasern nachweisbar sind. Die Anwesenheit von Kernen in Ver¬ 
bindung mit Muskelgewebe bei fehlendem Bindegewebe beweist 
eine erhebliche Störung in der Pankreastätigkeit. 

Eine Modifikation dieser Untersuchungen hat Einhorn 
getroffen: Er läßt seine Patienten durchlochte Glas- oder 
Porzellan perlen schlucken, durch deren Oeffnungen ver¬ 
schiedenartige Substanzen gezogen und mittels eines Seiden¬ 
fadens befestigt werden, z. B. zum Nachweis der Binde¬ 
gewebs resp. Magenverdauung Katgut, der Nukleinverdau¬ 
ung resp. der Pankreasfunktion im Gegensatz zu Ad. Schmidt 
Thymusdrüsensubstanz, weil diese aus fast lauter Ker¬ 
nen besteht, die mikroskopische Untersuchung dadurch leichter 
oder doch prägnanter wird. Solche in den Fäzes gefundenen 
Perlen werden zunächst mit Wasser gereinigt, dann wird das 
an ihnen haftende Thymusgewebe ausgequetscht und auf Kerne 
gefärbt oder ungefärbt untersucht. — In neuester Zeit haben 
Wal ko und von Aldor diese Schmidt sehe Kernmethode 
nach geprüft und ihren Wert innerhalb der von ihrem Erfinder 
angegebenen Grenzen bestätigt. Die S ch mid t sehe Probe und 
deren Modifikation durch Einhorn lassen uns nur bei voll¬ 
ständiger Pankreasinsuffizienz einen positiven Schluß zie¬ 
hen; über partielle, graduelle Störungen dieser Drüsenfunktion 
geben sie nur ungenügende und unzuverlässige Auskunft. 
— Des weiteren wird der Wert dieser Methode durch den 
Einfluß von hochgradigen Fäulnisvorgängen im Darm beein¬ 
trächtigt, welche imstande sind, die Kerne in ähnlicher Weise 
wie der Pankreassaft selbst in ihrer Struktur zu verändern, 
ja sogar völlig aufzulösen. 

Die besprochenen Methoden haben uns in der funktionellen 
Darmdiagnostik innerhalb weniger Jahre einen bedeutenden 






Original from 

ÜF MfCf-ffGAN - 



400 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 25. 


Schritt weiter gebracht, trotz der ihnen anhaftenden Mängel. 
Sollte es weiterer Forschung gelingen — und dies liegt sicher¬ 
lich im Bereiche des Erreichbaren —, diese Mängel zu elimi¬ 
nieren, so würden wir wirklich in der Darmprobekost ein ein¬ 
faches diagnostisches Mittel besitzen, welches dem Ewald- 
schen Probefrühstück an Wert kaum nachstehen dürfte. 


Diätetische Einwirkungen auf den Stickstoffhaushalt 
des Patienten. 

Von Dr. v. Oefele, Bad Neuenahr. 

Daß der Stickstoffhaushalt des Organismus einer der wich¬ 
tigsten, vielleicht der wichtigste ist, kann als unbestritten an¬ 
genommen werden. Bei der diätetischen Richtung der modernen 
Heilkunde sind stickstoffhaltige Nährmittel in den verschieden¬ 
sten Formen in der Apotheke vorrätig und werden viel ver¬ 
ordnet, noch mehr aber von Laien hinter dem Rücken des 
Arztes ausgewählt. Trotzdem daß diese stickstoffhaltigen 
Nährmittel stark im Vordergründe stehen, fehlt eine wissen¬ 
schaftliche Begründung für die Indikation des einzelnen Prä¬ 
parates. Ich glaube, daß es hier bisher an der Möglichkeit 
entsprechender Untersuchungen mangelte. 

Meist handelt es sich um besser situierte Kranke, welche 
die Nährmittel für die Dauer einer ausreichenden Kur aus der 
Apotheke zu beziehen bereit sind. Wenn diese Kranken die 
Notwendigkeit einer teueren eingehenden Untersuchung ein- 
sehen, so sind sie auch dazu bereit. Aber persönlichen Un¬ 
bequemlichkeiten unterziehen sich dieselben nur bis zu einem 
gewissen Grade. Genaue Stoffwechselversuche, wie sie zu 
physiologischen Zwecken in ähnlicher Art bei Hunden und 
Kaninchen ausgeführt werden, finden zu diagnostischen und 
indikatorischen Zwecken bei diesen Kranken einen unüber¬ 
windlichen Widerstand. Nach den bisherigen Ansichten würden 
sich aber genaue Indikationen der stickstoffreieben Nährprä¬ 
parate nur mit entsprechenden Stoffwechselversuchen ergeben 
können. 

Ueberall im Leben können wir zwischen absoluten und 
relativen Maßen unterscheiden. Im praktischen Leben wird 
fast alles nur relativ gemessen. Die Stoffwechselversuche 
können wir als absolute Maße bezeichnen. Auch ihnen tritt 
für die Praxis das relative Maß als geeigneter entgegen. Solche 
relative Maße sind auch für den" Stickstoffhaushalt des Ge¬ 
sunden und Kranken möglich und von mir in einzelnen Fällen 
durchgeführt. An Feststellungen ist dafür die Urinmenge von 
24 Stunden und ihr Stickstoffgehalt nötig, außerdem eine Ruhe 
von Kotfeststellungen. Der Einfachheit wegen soll hier vor¬ 
läufig die Annahme gemacht werden, daß es sich nur um Leute 
handelt, welche täglich einmal regelmäßig Kot entleeren. Am 
Kot muß dann Gesamtmenge, Trockensubstanz, Aschengehalt, 
Aetherauszug, außerdem Stickstoffgehalt des frischen Kotes, des 
getrockneten Kotes und der Auskochung mit 10%iger Salz¬ 
säure festgestellt werden. (Preis beim Chemiker ca. 35 Mark.) 

Daraus können nun durch Koeffizientenberechnung relative 
Maße gewonnen werden, die uns so klaren Einblick in den 
Stickstoffhaushalt gewähren, daß wir dafür genaue Indikationen 
aufstellen und den Erfolg unserer diätetischen Einwirkungen 
kontrollieren können. Bei Gesunden und unmerklichen Stö¬ 
rungen enthielt im Durchschnitt der Urin 78,8% der Stick¬ 
stoffsumme von Kot und Urin. In Erkrankungsfällen, mit Aus¬ 
nahme von profusen Diarrhöen, stieg der Anteil dos Urins. 
Wir können also abgerundet 75% der Stickstoffsumme für den 
Gesunden im Urin annehmen. Bis zu 80% kann den physio¬ 
logischen Schwankungen zugewiesen werden. Wo der Urin 
aber über 80% der Stickstofisumme ausführt, liegen pathologi¬ 
sche \ erhältnisse vor. Ist diese Indikation durch keine weiteren 
Fehler kompliziert, so müssen aufgeschlossene Eiweißpräparate, 
z. B. Somatose, gereicht werden. Durch Kontrolle läßt sich 
zeigen, daß dadurch meist das Gleichgewicht wieder hergostellt 
wird oder wenigstens eine Annäherung an dasselbe statt findet. 

Eine zweite relative Zahl ergibt der Gehalt des Stick¬ 
stoffs des frischen Kotes auf Trockensubstanz berechnet Für 


den gesunden Menschen ergibt sich bei schlackenfreier Kost 
8,6% Stickstoff. Befunde unterhalb 7% sind als pathologisch zu 
betrachten. Diese Zahl ist aber nicht so eindeutig wie der 
erste Koeffizient. Schon eine Milchkur oder noch mehr eine 
Buttermilchkur kann den Aschengehalt des Kotes erhöhen, 
wodurch der Gehalt an stickstoffhaltigen Bestandteilen und 
damit an Stickstoff selbst vermindert wird. In ähnlicher Weise 
wirken auch alle jene Erkrankungen und Fehler der Verdau¬ 
ungsorgane, welche große Mengen Fette oder strukturierter 
Nahrungsmittel unverdaut im Kote verloren gehen lassen. Ohne 
Beachtung der übrigen Befunde kann also ein Gehalt des 
Kotes von weniger als 7% Gesamtstickstoff auf Trockensub¬ 
stanz nicht zu Eingriffen in die stickstoffhaltige Diät verwendet 
werden. 

Einen besseren Einblick gewährt es, wenn von der ge¬ 
samten Trockensubstanz des Kotes die Asche und der Aether¬ 
auszug in Abzug gebracht wird. Dieser Trockensubstanzrest 
beträgt beim Gesunden 68 bis 72% der Trockensubstanz des 
Kotes. Pathologischer Befund ist es, wenn der Gesamtstick¬ 
stoff auf Trockensubstanzrest weniger als 10% ergibt. Wenn 
in diesem Falle makroskopisch und mikroskopisch nicht große 
Mengen unverdauter Nahrungsreste erkennbar sind, so ergibt 
sich bei diesem dritten Koeffizienten die gleiche Indikation als 
beim erstgenannten. 

Einen vierten wichtigen Koeffizienten des Stickstoffhaus¬ 
haltes erhalten wir, wenn der Stickstoff der Salzsäureauskochung 
in Prozenten des Gesamtstickstoffs ausgedrückt wird. Unter 
90% muß hier als pathologisch betrachtet werden. Denn die 
unabgebauten Eiweißstoffe gerinnen beim Kochen mit Säuren 
und die Abbauprodukte sind in Säuren löslich. Vereinzelte 
Stoffe machen Ausnahmen von dieser Regel. Im allgemeinen 
darf dies aber angenommen werden. Bei Zahlen unter 90% 
muß somit die Resorption der Nahrungseiweiße als vermindert 
gelten. In diesen Fällen muß vor allem an die Darreichung 
von Pepsin und Salzsäure, je nach dem Befunde des Magen¬ 
saftes, gedacht werden. 

Diese vier Stickstoffkoeffizienten sind mehr oder weniger 
gegenseitig voneinander abhängig und ergänzen sich daher 
auch für die Indikation. 

Wesentlich davon verschieden ist der fünfte Stickstoff¬ 
koeffizient. Es wird in Prozenten des Gesamtstickstoffs aus¬ 
gedrückt, wieviel Stickstoff noch in der getrockneten Kotmasse 
vorhanden ist. Die Ergänzungszahl auf 100 gibt dann die 
Prozente des Gesamtstickstoffs an, die bei der Trocknung als 
Ammoniak, Indol, Skatol und ähnliche Stoffe verflogen sind. 
Diese letzteren Stoffe können durchweg als Fäulnisprodukte 
des letzten Darmabschnittes aufgefaßt werden. Wir besitzen 
damit einen Koeffizienten der Stickstoffäulnis im Darme. Der 
gesunde Mensch ergibt durchschnittlich eine Zahl von ungefähr 
10% flüchtigen Stickstoffs auf Gesamtstickstoff. Zahlen über 
20% sind als pathologisch aufzufassen. Bei erhöhter Stick¬ 
stoffäulnis ist zeitweise die Menge der stickstoffhaltigen Nah¬ 
rung einzuschränken und ein sulfatreiches Abführmittel zu 
reichen. Häufig sehen diese Kranken schlecht genährt aus, 
so daß ohne diesen chemischen Nachweis nicht zur Darm¬ 
entleerung gegriffen würde. Der Laie steigert sogar aus 
eigenem Antriebe in solchen Fällen die Menge seiner Stick¬ 
stoffnahrung. Doch ist hier ein Ausfall in der Ernährung 
weniger gefährlich als die fortgesetzte Resorption von Fäulnis¬ 
produkten, die zur enterogenen Autointoxikation führen muß. 

Die aufgeführten Indikationen sind nur in großen Zügen 
gegeben. Für die praktische Verwendung sind eine Reihe von 
Einzelheiten zu beachten. Doch schien mir bis jetzt der all¬ 
gemeine .Ueberblick weniger ausgebaut als die Einzelheiten, 
weshalb ich mit Unterdrückung aller Literaturnachweise mich 
zu diesem Ueberblick entschloß. 


Der Senkfuß. 

Von Dr. med. Karl Lengfellner, Chirurg und Orthopäde, 
früher Assistent der Hoffaschen Klinik, Berlin. 

Es besteht kein Zweifel darüber, daß eine früh¬ 
zeitige und damit rechtzeitige Behandlung des 


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1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


401 


Plattfußübels von großtem Einfluß auf den Verlauf 
des Heilerfolges ist. Eine frühzeitige Behandlung setzt 
aber selbstverständlich eine frühzeitig gestellte Diagnose voraus. 
Die Mehrzahl der Aerzte ist heutzutage imstande, eine 
solche Frühdiagnose des Plattfußübels zu stellen, dessen be¬ 
ständiges Zunehmen nicht von der Hand zu weisen 
ist. Dies ist nicht nur zu beweisen an Hand der Statistiken, 
dies muß bereits angenommen werden auf Grund theoretischer 
Erwägungen, deren Berechtigung ich gelegentlich voll beweisen 
werde. Wenn in jüngster Zeit von orthopädischer Seite ge¬ 
schrieben wurde, daß die Diagnose „Plattfuß“ viel zu häufig 
gestellt würde, so möchte ich diese Ansicht für irrig hinstellen; 
ich bleibe nach wie vor der Meinung, daß sie noch 
zu selten gestellt wird. Ich behaupte, daß der Plattfuß 
leider der Zukunftsfuß sein wird, und ich werde diese meine 
Meinung am rechten Orte zu verteidigen wissen. Wenn bei 
Plattfußbeschwerden bei näherer Untersuchung sich z. B. eine 
Fußwurzeltuberkulose herausstellt, was ich des öfteren ebenfalls 
nachweisen konnte, so spricht das doch keineswegs gegen das 
Vorhandensein eines Plattfußes. Im Gegenteil, wer mit 
den leider nur zu häufig vorkommenden sekun¬ 
dären Erkrankungen des Plattfußes vertraut ist, 
den überrascht eine Tuberkulose, die sekundär im 
Gefolge der Plattfußerkrankung auftritt, keines¬ 
wegs. Man darf eben niemals Ursache und Wirkung ver¬ 
wechseln. Wenn früher von Aerzten anstatt der Plattfuß- 
Diagnose die Diagnose Rheumatismus, Muskelentzündung usw. 
gestellt wurde, so traf wohl in den meisten Fällen auch diese 
Diagnose zu. Denn eine sekundäre Arthritis, eine Myositis 
sind doch häufige Folgeerscheinungen; es wurde eben nur das 
Grundübel, der Plattfuß übersehen. Wie kommt es aber, daß 
trotz der Kenntnisse des Uebels von seiten der Aerzte, trotz 
der Belehrung, welche von denselben über dieses Uebel aus¬ 
geht, die einzelnen Menschen, welche einen Plattfuß besitzen, 
meist nur äußerst schwer von dem Behaftetsein mit dieser Er¬ 
krankung überzeugt werden können. Dies ist meiner An¬ 
sicht nach nur die Folge des sehr schlecht ge¬ 
wählten Ausdruckes „Plattfuß“. 

Es ist ganz klar, daß sich ein Laie, der nicht in das 
Wesen und in die Entwicklung der Plattfußerkrankung einge¬ 
weiht ist, unter einem Plattfuß einen Fuß vorstellt, der keines¬ 
wegs mehr ein Gewölbe besitzt, sondern der vollkommen platt 
ist. Es ist nicht zu verlangen, daß die Zwischenstufen, die in 
orthopädischen Kreisen gelten, dem Laien ohne weiteres klar sind. 

Der Name Plattfuß erinnert eben durch nichts 
an die Entwicklung des Uebels, sondern charak¬ 
terisiert dasselbe als eine fest bestehende Erkran¬ 
kung, deren Wesen in der Plattheit des Fußes be¬ 
steht. Nun ist aber eine Tatsache, daß gerade die ersten 
Stadien des Plattfußes, welche der Zeit angehören, wo ein gut 
entwickeltes Gewölbe eben im Begriffe steht, sich etwas zu 
senken, die schmerzhaftesten und in bezug auf sekun¬ 
däre Erkrankungen oft die gefährlichsten sind. Ist 
der Fuß einmal ganz platt, so ist die Schmerzhaftigkeit und 
die Neigung zu sekundären Erkrankungen fast durchweg voll¬ 
kommen geschwunden. Es ist nicht zu verwundern, wenn ein 
Patient, der seiner Meinung nach noch ein ziemlich gutes Fu߬ 
gewölbe besitzt, ungläubig den Kopf schüttelt, wenn man ihm 
sagt, er habe einen Plattfuß. Für ihn besteht eben der Platt¬ 
fuß, wenn der Fuß wirklich platt ist. Mit dieser Bezeichnung 
wird man ihm nie ein Werden und Entwickeln beibringen 
können, wird man ihm nie klai'legen können, daß die Er¬ 
krankung und gerade der gefährlichste Zeitpunkt der Erkran¬ 
kung da ist, wenn sein vielleicht noch gut erhaltenes Fußge¬ 
wölbe eben im Begriffe steht, sich zu senken und wenn es erst 
einige Millimeter beträgt, was ihm natürlich nicht in die 
Augen fallen kann. Der Name für diese Erkrankung 
muß notwendigerweise ein Werden und eine Ent¬ 
wicklung der Erkrankung wiedergeben und nicht 
ein Endstadium. Ich schlage daher vor, an Stelle des 
Namens Plattfuß den Namen „Senkfuß“ zu setzen. Darin 
liegt das Werden deutlich ausgedrückt, so daß jedermann zur 
rechten Zeit auf die Erkrankung aufmerksam wird und davon 


auch überzeugt werden kann. Auch wird dadurch die persön¬ 
liche Eitelkeit nicht betroffen, was bei Damen z. B. eine Rolle 
spielt. Jedermann wird ohne weiteres zugeben, daß seine Fu߬ 
wölbung möglicherweise um ein geringes gesunken sei und daß 
daraus Schmerzen resultieren können, während er nie zuge¬ 
geben hätte, daß er einen Plattfuß besitze. Der Plattfuß 
soll dann das Endstadium des Senkfußes darstellen. 

Von dem Augenblick an, wo die Fußwölbung vollkommen 
eingesunken ist, haben wir es dann mit dem Plattfuß zu tun. 
Die Einführung des Namens „Senkfuß “ wird sicher- 
lich die erwünschte Wirkung im Gefolge haben; 
das Verständnis für diese Fußerkrankung wird 
ohne Zweifel wachsen. 

Ob ich die Priorität für diesen Namen beanspruchen kann, 
ist mir momentan nicht bekannt, und es ist mir auch sehr wenig 
daran gelegen; hingegen werde ich mir sehr daran gelegen 
sein lassen, zur Verbreitung desselben beizutragen, weil meines 
Erachtens der Nutzen nicht ausbleiben wird. 

Ich möchte ferner im Anschluß daran noch betonen, daß 
die ganzen Piattfußstatistiken samt und sonders nicht viel 
taugen, was ja bei Berücksichtigung meiner Zeilen leicht ein¬ 
zusehen ist. Wichtig ist der Inhalt dieser Abhandlung auch 
für die militärischen Organe, welche über die Befähigung 
der Aufnahme zum Militär zu urteilen haben. 

Es ist nämlich absolut nicht immer gesagt, daß ein Mensch 
mit ganz plattem Fuß keine Strapazen aushalten kann. Wenn 
mit der vollkommenen Plattheit auch etwas Schwerfälligkeit 
verbunden ist, so kenne ich doch eine ganze Reihe von Menschen 
mit ganz plattem Fuße, die anstandslos die größten Strapazen 
im Laufen aushalten. Entschieden vorsichtiger müssen 
die Militär-Organe bei denjenigen Fällen sein, wo 
die Wanderung der Fuß wurzelkno chen nach unten 
unter entzündlichen Erscheinungen eben im Gange 
ist. Hier rächt sich die unausbleibliche Ueberanstrengung, 
wie sie z.-B. der Infanteriedienst mit sich bringt, sehr oft bitter. 
Dazn wird durch das Militärschuhwerk, wie es momentan be¬ 
schaffen ist, ein Schlechterwerden des Zustandes keineswegs 
aufgehalten, wohl aber beschleunigt. Also auch den Herren 
Militärärzten dürfte der Name „Senkfuß“ zu denken geben. 

Bemerkungen zur Diskussion über den 
koffeinfreien Kaffee. 

Von Dr. med. et phil. Hans Lnngwitz, Berlin. 

Mit scharfen Waffen wird in unserer konstitutionsschwachen 
Zeit der Kampf gegen die arzneilichen wie die Nahrungsgifte 
geführt: Quecksilber, Phosphor, Arsen usw. werden in ent¬ 
gifteter Verbindung dargestellt und angewendet, alkoholfreie 
Getränke überfluten den Markt, das starke Geschlecht raucht 
nikotinarme Zigarren, aus der täglichen Kost soll nach Ansicht 
zahlreicher Autoren die giftige Harnsäure ausgemerzt werden, 
und auch dem guten, alten Kaffee rückt man energisch zu 
Leibe, um ihm sein Koffein zu rauben. 

Er hat sich lange dagegen gesträubt, der arabische Bohnen¬ 
kaffee, und lieber manch Surrogat groß werden lassen. Nun 
aber scheint doch sein Stündlein geschlagen zu haben. Die Bremer 
Kaffee-Handels-Aktiengesellschaft kündigt seit kurzem an, daß 
es ihr gelungen sei, einen koffeinfreien Kaffee darzustellen. 
Dieser Kaffee enthält allerdings noch geringe Mengen von Koffein 
(nach Angaben der Firma 0,1 bis 0,15 °/ 0 ), die aber nach den 
Tierversuchen von Boruttan, wie sie im Juniheft der 
Zeitschr. für physikal. und diätetische Therapie publiziert sind, 
„in den praktisch in Betracht kommenden Aufgüssen keine 
Koffeinwirkung äußern“. 

Zweifellos wird ein koffeinarmer oder -freier Kaffee zahl¬ 
losen Konsumenten besser bekommen als das Naturprodukt, 
aber man darf nicht vergessen, daß ein guter Teil der spezifischen 
Kaffeewirkung auf Konto der beim Rösten entstehenden empy- 
reumatischen Produkte zu setzen ist. Das physiologische 






402 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 25 


Experiment hat diese Annahme längst erwiesen, und speziell 
von dem Bremer Kaffee hat jetzt Zikel, wie er in seiner 
Zeitschrift für neuere physikalische Medizin, 1908, Nr. 11, mit¬ 
teilt, experimentell festgestellt, daß er trotz seines geringen 
Koffeingehaltes doch noch „Kaffeewirkung“ hat. „Wir haben“, 
schreibt er, „diese wichtige Frage experimentell gelöst, indem 
wir durch Versuche und eingehende Beobachtungen an Kanin¬ 
chen und Meerschweinchen zunächst die Wirkungen des Bremer 
Kaffees objektiv studiert haben. Die Wirkung des Bremer 
Kaffees auf ältere und besonders junge Tiere ist nach unseren 
Versuchen eklatant. Eine 5%ige, heiße und aut 15° C Zimmer¬ 
temperatur abgekühlte Bremer Kaffeelösung, besser demonstrier¬ 
bar aber eine 10%ige gleiche Lösung, erwies sich bei einer 
Quantität von wenigen Kubikzentimetern, unter antiseptischen 
und aseptischen Kautelen in die vordere Bauchfelltasche der 
Kaninchen vorsichtig eingespritzt, als hinreichend, um auf¬ 
fallende nervöse Symptome beim Versuchstiere zu erzeugen“, 
die Zikel ausführlich beschreibt. 

Ob in praxi sich die Harmlosigkeit des Bremer Kaffees 
wird erweisen lassen, bleibt abzuwarten. Es ist nötig, mög¬ 
lichst viele Urteile zu hören. Mir selbst stehen einige Erfah¬ 
rungen zu Gebote, die nicht gegen den Kaffee sprechen. Ich 
finde, was schon theoretisch anzunehmen ist, daß der Vorteil 
des Bremer Kaffees in der verhältnismäßig geringfügigen Koffein¬ 
zufuhr besteht, in der Vermeidung des Herzgiftes, nicht in der 
Ausschaltung jeglicher „Kaffeewirkung“, und daß darin gerade 
seine Existenzberechtigung gegenüber den Kaffeesurrogaten zu 
erblicken ist. 

Die meisten Bedenken werden gegen die Herstellungsweise 
geäußert. Mir liegt außer der Zikel sehen Arbeit eine 
Polemik im „Süddeutschen Nahrungsmittelchemiker“, Nr. 21, 
vor; in beiden Publikationen wird scharf kritisiert und ver¬ 
urteilt, daß die Kaffeebohnen mit Gasen oder Dämpfen sowie 
mit flüchtigen Lösungsmitteln in Berührung gebracht werden. 
Ich kann allerdings nicht einsehen, weshalb die Bearbeitung 
der Bohnen mit Gasen oder Dämpfen, speziell mit Ammoniak, 
und mit flüchtigen Lösungsmitteln, speziell Benzol, irgendwie 
nachteilig wäre, wenn diese Stoffe quantitativ wieder zu ent¬ 
fernen sind. (Üebrigens gibt die Firma bekannt, daß Ammo¬ 
niak nicht verwendet wird.) Das der Firma patentierte 
Verfahren ist meiner Ansicht nach geeignet, diese Stoffe voll¬ 
ständig zu entfernen. Ammoniak ist ein Gas. und Benzol siedet 
bei 80 ü C. Die Patentschrift enthält u. a. folgenden Passus: 

„Ist die Extraktion genügend weit durchgeführt, so destil¬ 
liert man das anhaftende Benzol durch Anwärmen des Doppel- 
mantels ab, schließt den Zylinder, läßt Dampf ein, bis im 
Zylinder ein Druck von etwa IV 2 Atmosphären herrscht, öffnet 
hierauf den Zylinder, um den Druck rasch abzulassen, und 
evakuiert mittels Vakuumpumpe. Diese Manipulation wieder¬ 
holt man, bis die letzten Spuren des Benzols entfernt sind.“ 

Wie dabei Gase oder Benzol „rein mechanisch“ (Zikel) 
Zurückbleiben können, ist mir nicht klar. Die sicherste Ent¬ 
scheidung bringt natürlich die chemische Untersuchung des 
fertigen Kaffees. Der „Süddeutsche Nahrungsmittel-Anzeiger“ 
veröffentlicht die Analyse eines Chemikers, der 0,145% Ammo¬ 
niak und Ammoniaksalze gefunden haben will. Die Bremer 
Gesellschaft hat aber das Chemische Staatslaboratorium in 
Bremen, das Chemische Institut des Geheimrat Fresenius in 
Wiesbaden und das Mediz.- chemische Laboratorium von Dr. 
Rabenhorst und J. Varges in Dresden ersucht, in irgend¬ 
einem Geschäft Proben des „koffeinfreien“ Kaffees zu entnehmen 
und auf „fremde chemische Bestandteile“ zu- untersuchen. Ehe 
die Resultate nicht bekannt sind, scheint es mir sehr verfehlt 
zu sein, ein so bedeutsames Unternehmen, wie es die Herstel¬ 
lung eines koffeinarmen Kaffees darstellt, durch Vermutungen 
zu diskreditieren. Es wäre ja geradezu Wahnsinn, wenn die 
Bremer Gesellschaft ein mit giftigen Verunreinigungen behaf¬ 
tetes Produkt, das ja gerade „entgiftet“ sein soll, in den Handel 
bringen wollte! 

Da m. E. nach der Patentschrift Ueberreste der zur Herstel¬ 
lung verwandten flüchtigen Materialien nicht mehr im Bremer 


Kaffee enthalten sein können, dürfte es die Konsumenten nicht 
genieren, daß der Kaffee mit „ungenießbaren Gasen und Lö¬ 
sungsmitteln“ präpariert worden ist. Wenn sich die Redaktion 
des Süddeutschen Nahrungsmittel-Anzeigers daran stößt, dann 
rate ich ihr, sich das Essen und Trinken überhaupt ruhig abzuge¬ 
wöhnen; denn wenn alle Nahrungs- und Genußmittel dem Konsu¬ 
menten ihre Entstehungsgeschichte erzählen könnten, würde der 
Appetit in sehr zahlreichen, wenn nicht den meisten Fällen streiken, 
selbst wenn man darin nicht so feinfühlig ist wie die gen. Redak-. 
tion. Das Bewußtsein, daß ein Nahrungs- oder Genußmittel 
mit Chemikalien, die quantitativ wieder entfernt sind, in Be¬ 
rührung gekommen ist, dürfte weit weniger genieren als z. B. 
der haut goüt des Wildes usw. usw: Es ist ja ganz gut, wenn 
die Kaffeefrage auch von dieser Seite beleuchtet wird, gerade 
deshalb um zu zeigen, daß im vorliegenden Falle die „un¬ 
appetitliche“ Zubereitung gegen den Kaffee absolut nicht ins 
Gewicht fällt, ebensowenig wie Bedenken, die wohl auf eine 
Unkenntnis in chemischen "Dingen zurückzuführen sind. 


REFERATE. 


Physikalische Therapie. 

Referent: Dr. A. Laqueur, leitend. Arzt des hydrotherapeufc.- 
medikomechanischen Instituts am Rudolf Virchow-Krankenhause 
zu Berlin. 

1. Die balneologische Behandlung der Ischias. Von Dr. 

Axel Win ekler-Nenndorf. Monatsschr. f. prakt. Wasserheilk., 
15. Jahrg., Nr. 4. 

2. Ueber die Behandlung der Basedowschen Krankheit. 

Von Dr. Tobias. Zeitschr. f. physikal. u. diätet. Therap., Bd. 12, 
Heft 2. 

3. Ueber die praktische Bedeutung der Vierzellenbäder. 

Von Dr. Tobias. Med. Klinik, 1908, Nr. 20. 

1. Bei der ausführlichen kritischen Uebersicht, die Win ekler 
über den heutigen Stand der Ischiastherapie gibt, ist beachtens¬ 
wert, daß der Verfasser alle sehr heißen Applikationen ver¬ 
wirft, sowohl die heißen Vollbäder als auch die lokale Hitze in 
ihren verschiedenen Anwendungsformen (Fango, Schlamm, heiße 
Duschen etc.); er schreibt der extremen Wärme nur eine symp¬ 
tomatische, keine heilende Wü'kung zu. Wenn es auch richtig 
ist, daß in der „Heißbaderei“, wie der Verf. sich ausdrückt, das 
alleinseligmachende Mittel gegen Ischias nicht gefunden ist, so 
heißt es doch m. E. zu weit gegangen, nun durchweg hier alle 
heißen Applikationen zu verwerfen, die doch oft genug von aus¬ 
gezeichnetem Erfolge sein können. 

Das von Winckler in Nenndorf beobachtete Verfahren be¬ 
steht in der Anwendung von lauwarmen bis mäßig warmen 
Temperaturen. Abwechselnd werden Schlammbäder von mittel¬ 
dicker bis dicker Konsistenz, 37 bis 38 0 C Temperatur und V 2 - bis 
1 ständiger Dauer und (nach je zwei bis drei Schlammbädern) ein 
Schwefelbad von 34 bis 35° C und 30 bis 40 Minuten Dauer 
gegeben. Am Schlüsse des Schwefelbades erfolgt eine lauwarme 
Begießung des kranken Beines aus einer Gießkanne, in hartnäckigen 
Fällen eine kurze laue Schwefelwasserdusche unter schwachem 
Druck. Um den Kranken nicht zu sehr zu ermüden, wird jede 
Woche ein bis zwei Tage lang mit dem Baden pausiert. Während 
der ganzen vier bis fünf Wochen dauernden Kur läßt Winckler 
den Kranken morgens ein Weinglas Friedrichshaller Bitterwasser 
und nachmittags ein bis zwei Gläser Schwefelwasser trinken. 
Bei alten und schwächlichen Individuen werden die Schlammbäder 
weggelassen; bei Komplikation mit Varizen (endlich wird hier 
einmal dieser so häufigen und die Heilung sehr erschwerenden 
Komplikation die nötige Beachtung geschenkt!) gibt Winckler 
die Schwefelbäder kühler (33 °) und erniedrigt auch die Tempe¬ 
ratur der Schlammbäder, die dafür extra dick bereitet werden. 

Das in Aix-les-Bains geübte Verfahren der Dusche-Massage 
hält Verfasser für zu kompliziert zur Nachahmung; er begnügt 


Digitized. by 






1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


403 


sich mit nicht über 40° C warmen Wasserdnschen. Die Massage 
hält er für nachteilig, dagegen wird eine vorsichtig dosierte 
Zandergymnastik als Unterstützungsmittel der Ischiaskur ge¬ 
rühmt. 

2. Verfasser beschäftigt sich in vorliegender Abhandlung be¬ 
sonders mit der diätetischen und physikalischen Therapie der 
Basedowschen Krankheit. Die von ihm bevorzugte Diät ist 
eine reizlose, aber nicht rein vegetarische; am besten eignet sich 
eine lakto-vegetabilische Diät mit zwei bis drei eingeschobenen 
Fleisch- oder Fischtagen in der Woche. Bei Komplikation mit 
Darmkatarrh ist man genötigt, eine gemischte Kost zu verordnen, 
unter möglichster Vermeidung aller reizenden Substanzen. \on 
alkoholischen Getränken ist nur das sehr wenig Alkohol ent¬ 
haltende Malzbier gestattet. 

Unter den physikalischen Maßnahmen spielen die hydro¬ 
therapeutischen die Hauptrolle, doch wendet Tobias nicht 
so energische und häutige Prozeduren an, wie sie von seiten 
Winternitz’ empfohlen worden sind. Er gibt in leichten 
Fällen Halbbäder von 34° C abwärts mit allmählich bis zu 
28° sinkender Anfangstemperatur, später wird dann von Zeit zu 
Zeit zur Beruhigung eine feuchte Einpackung statt des 
Halbbades appliziert. Bei sehr empfindlichen und erregbaren 
Kranken beginnt man die Kur statt mit Halbbädern mit Teil- 
Waschungen, ebenso werden bei solchen Patienten die feuchten 
Einpackungen durch eine Trockenpackung mit nachfolgen¬ 
der Teilwaschung anfänglich ersetzt. 

Schwieriger gestaltet sich die Behandlung in schweren 
Fällen; hier wendet Tobias im Beginne eine Trocken¬ 
packung mit Rückenschlauch auf die Wirbelsäule an, 
durch den aber nicht kaltes, sondern 38 bis 41° C warmes Wasser 
hindurchfließt. Daran schließt sich später eine Teilwaschung; 
erst wenn schon erhebliche Besserung eingetreten ist, darf zu 
anderen milden Prozeduren wie schwachen Kohlensäure¬ 
bädern oder feuchten Einpackungen mit warmem Rücken¬ 
schlauch übergegangen werden. Mit dieser Behandlung lassen 
sich nun allmählich recht gute Erfolge erzielen, die sich in Ver¬ 
schwinden oder Linderung der lästigsten Symptome äußern; da¬ 
neben diese Symptome noch lokal mit hycLriatischen Maßnahmen 
zu bekämpfen (Herzkühlung gegen die Tachykardie, Sitzbäder 
gegen die Durchfälle), hält Tobias meist für überflüssig. 

Von elektrotherapeutischen Methoden wird die Galvani¬ 
sation am meisten empfohlen (Anode auf die Herzgegend, Kathode 
in den Nacken oder Anode in den Kieferwinkel, Kathode eben¬ 
falls in den Nacken 1 bis 3 M.-A. drei Minuten). Außerdem sah 
Verfasser von faradischen Bädern öfters eine beruhigende 
Wirkung. 

3. Ueber den Wert oder Unwert des elektrischen Vier¬ 
zellenbades herrschen noch recht verschiedene und unklare 
Ansichten. Auf anfängliche übertriebene und teilweise reklarae- 
hafte Empfehlungen ist ein Skeptizismus gefolgt, der auch wieder 
über das Ziel hinausschießt; man vergaß ein wenig, daß ein Mittel 
in der physikalischen Therapie schätzenswert sein kann, auch wenn 
es den Blutdruck nicht erhöht oder erniedrigt oder ähnliche 
eklatante nachweisbare Veränderungen setzt. Es ist daher gerade 
vom Standpunkte des praktischen Arztes sehr zu begrüßen, daß 
Tobias in kritischer und objektiver Weise in vorliegender Ab¬ 
handlung die praktische Bedeutung der Vierzeilenbäder er¬ 
läutert. 

Was zunächst allgemeine Gesichtspunkte betrifft, so 
betrachtet der Verfasser als besonderen Vorzug des Vierzellen¬ 
bades vor dem elektrischen Vollbade die mangelnde Erkältungs¬ 
gefahr und die Anwendbarkeit bei alten, schwächlichen oder zu 
Katarrhen neigenden Individuen. Daß das Vierzellenbad durch 
sonstige Methoden der allgemeinen Elektrisation völlig zu ersetzen 
ist (Elektrodentisch), bezweifelt Tobias, m. E. mit Recht; ebenso 
glaubt er nicht, daß die Wirkung dieser Bäder ausschließlich eine 
suggestive sei, wenn sich dieses Moment natürlich auch nicht 
ganz ausschließen läßt. Betreffs der Technik ist beachtenswert, 
daß im allgemeinen vor der Anwendung sehr starker Ströme 
gewarnt wird. 

Unter den Indikationen der Vierzellenbäder spielen ner¬ 
vöse Erkrankungen die Hauptrolle; Beschwerden wie Schwindel, 


Angst, Kopfdruck, unbestimmte Schmerzen werden durch nicht zu 
starke galvanische Bäder oft gebessert, ebenso die Schlaflosig¬ 
keit leichteren Grades, während in schwereren Fällen von Agrypnie 
das Verfahren oft versagt. Bei Neuralgien ist in frischen 
Fällen das Vierzellenbad wirkungslos oder sogar schädlich, während 
bei chronischer Ischias der Verfasser öfters sehr gute Erfolge 
gesehen hat, besonders bei diabetischer Ursache des Leidens. Bei 
lanzinierenden Schmerzen der Tabiker hat Verfasser nur 
Mißerfolge gesehen; dagegen waren die Erfolge bei Parästhesien 
und Anästhesien infolge Tabes oft recht gute, ebenso bei 
Sensibilitätsstörungen sonstiger Aetiologie, sofern sie in 
Armen oder Beinen, vor allem in den Fingern oder Zehen, ihren 
Sitz hatten. Wirksam erwies sich das Vierzellenbad auch beim 
Schrei bk rampf (galvanischer Strom); bei Lähmungen ist es 
ein ganz brauchbares Unterstützungsmittel der sonstigen Behand¬ 
lung, es macht jedoch die lokale elektrische Behandlung gelähmter 
Muskeln und Nerven nicht überflüssig. Namentlich bei Poly¬ 
neuritis läßt es sich in diesem Sinne gut verwerten; besonders 
günstig ist die Wirkung des Vierzellenbades (schwache Faradisa- 
tion) bei Folgezuständen von Hemiplegien. 

Was die Herz- und'Gef äßkrankheite n betrifft, so sah 
Tobias bei Dilatationen der rechten Herzhälfte und bei 
Herzmuskelerkrankungen oft ähnliche Erfolge wie bei 
Kohlensäurebädern (vor allem mit Anwendung des sinusoidalen 
Stroms). Dagegen ist das Vierzellenbad bei Herzklappenfehlern, 
Aneurysmen, Arteriosklerose, überhaupt bei allen Erkrankungen, 
die durch starke Hypertrophie des linken Ventrikels 
charakterisiert sind, unwirksam oder sogar schädlich. Schließlich 
weist Verfasser darauf hin, daß auch bei Ekzem zuweilen 
das Vierzellenbad sich gut bewährt habe; über Kataphorese 
im Vierzellenbade besitzt er noch keine hinreichende Erfahrung. 


Kinderheilkunde. 

Referent: Privatdozent Dr. J. Ibrahim, München. 

1. Diagnose und Behandlung der kindlichen Seelenstörungen. 
Von Ra ecke. Deutsche med. Wochenschr., 1908, S. 905. 

2. Therapeutische Versuche und Vorschläge. Von R. W. 
Raudnitz. Prager med. Wochenschr., 1908, S. 255. 

3. Die Serumbehandlung der epidemischen Zerebrospinal- 
meningitis. Von Ch. H. Dünn. Boston Med. and Surg. Journ., 
1908, I, S. 371. 

4. Die Verwendung von fettfreier Milch in der Säuglings- 

ernährung. Von Ch. W. Townsend. Ibidem, S. 379. 

1. Ra ecke teilt die kindlichen Seeleustöruugen ein in an¬ 
geborene geistige Defektzustände (Idiotie, Kretinismus und Im¬ 
bezillität) und in die erworbenen Geisteskrankheiten { Katatonie, 
Melancholie, Manie, Infektionsdelirien, Amentia, chronische Paranoia 
und Dementia paralytika), unter denen die epileptischen und 
hysterischen Bewußtseinsstörungen eine besondere Stellung ein¬ 
nehmen. 

Hinsichtlich der Therapie der erworbenen Psychosen des 
Kindesalters äußert sich Verf. folgendermaßen: Sie ist eine rein 
83 T mptomatiische. Stets ist zunächst Bettruhe und strengste Ueber- 
wachung anzuordnen. Auch bei Kindern kommen ernsthafte 
Selbstmordversuche vor. Erregungen werden am besten mit pro¬ 
trahierten warmen Bädern und feuclitwarmen Packungen bekämpft. 
Von Berukigungsmitteln kommt in erster Liuie das Brom in Be¬ 
tracht. Wo ein stärkeres Schlafmittel sich nötig erweist, zumal 
bei älteren Kindern, mag man vorübergehend zu Paraldehyd 
greifen, das in kleinen Dosen von 3 bis 6 ccm gut vertragen 
wird (mit Sirup oder Fruchtsaft versetzt). Ein besonderes Augen¬ 
merk ist auf die Ernährung zu richten. Leichte, gut verdauliche 
Kost ist in kleinen Zwischenräumen recht oft am Tage anzubieten. 
Fortlaufeude Kontrolle des Körpergewichts mit der Wage sei an¬ 
geraten. Verweigert ein Kind hartnäckig die Nahrung, zögere 
man nicht zur Schlundsonde zu greifen. Bei katatonischem Stupor 
muß die künstliche Ernährung bisweilen viele Wochen fortgefiihrt 
werden, soll nicht das Kind an Iuanition zugrunde gehen. Die 
.beste Pflege finden geisteskranke Kinder stets in einer psychia¬ 
trischen Anstalt, 




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Nach eingetretener Genesung ist noch lange Zeit hindurch 
Ruhe und Schonung notwendig, Vermeidung jeder größeren gei¬ 
stigen und körperlichen Anstrengung, Fernhaltung von Gemüts - 
erregungen, vorsichtige Abhärtung, regelmäßiges Leben, Wahl 
eines möglichst ruhigen und gesunden Berufes, event. Erziehung 
außerhalb des Elternhauses. 

2. Raudnitz entwickelt eine Anzahl origineller therapeuti¬ 
scher Vorschläge, von denen einige hier genauer geschildert seien. 

Bei Prurigo infantum gravis, d. h. in Fällen, wo das 
Leiden jahrelang bestand, mit Verdickung der Haut, mit faust¬ 
großen Lymphdrüsen in den Schenkelbeugen und Achselhöhlen, 
mit Abmagerung wegen der schlaflosen Nächte, ging er mit Erfolg 
folgendermaßen vor: Nach einem gründlichen Bade Ueberstreichen 
der Haut mit Thigenol in dicker Lage, darauf sorgfältige Banda¬ 
gierung, zuerst mit Kalikotbinden, um die Gelenke Watteeinlagen, 
hierauf festgeschlossene, feucht angelegte, gestärkte Organtinbinden, 
so daß jedes Kratzen unmöglich wird. Alles kommt auf die 
Exaktheit des Verbandes an. Derselbe bleibt acht Tage lang 
liegen. Kurz vor dem Verbandwechsel Bad, damit das Kind 
nicht in einer Nacht die Arbeit von Monaten vernichte. Denn 
die Behandlung dauert mindestens 5‘ bis 6 Monate, oft länger. 
Daneben Arsenik bis zu hohen Dosen. Solange freilich Flöhe 
und Wanzen in der Wohnung des Patienten herrschen, werden 
Rezidive nicht ausbleiben. Insektenpulver und Waschen des Fu߬ 
bodens mit Chlorkalk gehören mit zur erfolgreichen Therapie. 

Bei schwerer, häufig rezidivierender Chorea hat Verf. in 
mehreren Fällen Erfolge von Parath} r reoidin gesehen; er emp¬ 
fiehlt es zu weiteren Versuchen; das Medikament sei jedenfalls 
ganz unschädlich. 

Den üblen Mundgeruch fand er mehrfach bei Fehlen 
von kariösen Zähnen und fauligen Pröpfen in den Gaumen- und 
Rachenmandeln durch einen ganz dünnen weißlichen Belag der 
Zunge bedingt. Hier genügten regelmäßige Mundspülungen mit 
Wasserstoffsuperoxyd zur Beseitigung der unangenehmen Affektion. 
In anderen Fällen schien der Zungenbelag nur die Teilerscheinung 
einer auch im Magen bestehenden besonderen Bakterienflora zu 
bilden. Hier schlägt Verf. einen Versuch mit der Ansiedlung 
eines antagonistisch wirkenden Mikroorganismus vor, wie es z. B. 
durch Ernährung mit Sauermilch gelingen soll. 

Bei der Oxyuriasis lassen die gewöhnlich geübten Behand¬ 
lungsarten : Knoblauchklistiere mit und ohne Seifenwasser, Kalomel, 
Einführung von Quecksilbersalbe in den After, oft im Stich. Zu¬ 
weilen sah Verf. Dauererfolge bei sehr obstinaten Fällen durch 
innerliche Verabreichung von Naphthalin 1,2, Thymol 4,8, Santonin 
0,4. Div. in dos. VIII. Daneben Podophyllin und Stuhlzäpfchen 
aus Jodoform, Naphthalin, Thymol ana 0,1. Als ein die Oxyuren 
in ungeheuren Mengen — ob dauernd, weiß er noch nicht anzu¬ 
geben — ab treibendes Mittel lernte er das Sauerkraut wasser 
kennen, wie es bei der Sauerkrautgärung entsteht. Man läßt in 
kurzen Zwischenräumen 1 bis 2 1 dieser ganz gut schmeckenden 
Flüssigkeit trinken. Erwachsene sollen es auf nüchternen Magen 
trinken und dazu rohes Sauerkraut essen. 

Bei Bronchialkatarrhen sollen Räucherungen mit 
Salmiak eine günstige Wirkung entfalten, die auf Schleimlösung 
beruht. Man nimmt sie vor, indem man reinen Salmiak auf einer 
sauberen Eisenplatte, eventuell am Herde verdampfen läßt. Außer¬ 
dem bewirken diese Räucherungen nach dem Niederfallen des 
Salmiakdampfes eine Verminderung der Luftke im e. 

3. Dünn hat 15 Fälle von epidemischer Zerebrospinal- 
meningitis, deren Krankengeschichten ausführlich mitgeteilt werden, 
durch intraspinale Behandlung mit dem vonFlexner hergestellten 
Meningokokkenserum behandelt. Die Erfolge sind zweifellos sehr 
günstige und erwecken auch bei kritischer Betrachtung den Ein¬ 
druck, daß die Therapie hier eine spezifische Wirksamkeit ent¬ 
faltete. Das Flexnersehe Serum, das nach früheren Mitteilungen 
Flexners bei Affen eine experimentelle Meningokokkenmenin¬ 
gitis zu verhindern oder zu heilen vermag, wird in ähnlicher 
Weise wie das Diphtherieheilserum durch Immunisierung von 
Pferden gewonnen. Es übt keine antitoxischen, sondern 
bakterizide Wirkungen aus. 

Seine Heilwirkung ist um so sicherer, je früher es angewandt 
wird. Das Fieber geht rasch zurück, mitunter in kritischem Ab¬ 
fall ; die bedrohlichen Symptome schwinden; event, verläuft die 


ganze Krankheit abortiv. Die drei 1 
Fällen) betrafen Patienten, die erst in der driften AVoche nach 
Ausbruch des Leidens injiziert worden waren. 

Die praktischen Gesichtspunkte, nach denen vorgegangen 
werden soll, präzisiert Verf. etwa folgendermaßen: In jedem Fall, 
wo bei Kindern der Verdacht oder auch nur die Möglichkeit einer 
Meningitis besteht, ■ soll sofort die Lumbalpunktion vorgenommen 
und gleichzeitig alles zur Seruminjektion vorbereitet werden. Ist 
die Zerebrospinalflüssigkeit deutlich getrübt, soll nicht erst die 
bakteriologische Untersuchung abgewartet, sondern gleich die 
Seruminjektion vorgenommen werden. Die große Mehrzahl der 
eitrigen Meningitiden, speziell im Kindesalter, sind durch den 
Meningokokkus verursacht, und in den seltenen Fällen, in denen 
eine stärker getrübte Flüssigkeit auf tuberkulöser oder Pneumo¬ 
kokkenmeningitis beruht, wird die Seruminjektion nicht schaden. 
Verf. läßt zunächst so viel Flüssigkeit ab, als spontan abläuft 
(50 bis 90 ccm), und injiziert das Heilserum durch die Lumbal¬ 
punktionsnadel in der Einzeldosis von 15 bis 45 ccm, gewöhnlich 
30 ccm. Wenn nach der ersten Injektion die Temperatur zur 
Norm abfällt und die sonstigen klinischen Symptome sich rasch 
und fortgesetzt bessern, ist eine Wiederholung der Seruminjektion 
zunächst unnötig; steigt im späteren Verlauf die Temperatur 
wieder an oder stellen sich die Symptome wieder ein, so ist die 
Behandlung in gleicher Weise zu wiederholen. — Gibt die erste 
Injektion nicht den gewünschten Erfolg, so soll die Lumbal¬ 
punktion mit nachfolgender Seruminjektion täglich wiederholt 
werden bis zu höchstens viermal im ganzen. Fieberanstieg und 
Verschlimmerung des klinischen Bildes können aber auch späterhin 
nochmals zum Eingriff Veranlassung geben. — Wo keine oder 
fast keine Flüssigkeit bei der Lumbalpunktion abfließt, ist viel¬ 
leicht die subkutane Anwendung des Heilserums am Platz. Doch 
hat Verf. auch in zwei derartigen Fällen ohne üble Folgen das 
Serum in den Lumbalkanal injiziert, rät aber zur Vorsicht. — 
Fälle, die erst im chronischen Stadium der Krankheit injiziert 
werden, haben nur dann Aussicht, durch die spezifische Behand- 
lung günstig beeinflußt zu werden, wenn noch Fieber und sonstige 
Symptome auf einen aktiven infektiösen Prozeß schließen lassen 
und in der Spinalflüssigkeit noch Meningokokken vorhanden sind. 

Daß definitive Schlüsse erst auf Grund eines erheblich größeren 
Materials erlaubt sind, betont der Verf. selbst. — Das Flexner- 
sche Serum dürfte dem in Deutschland hergestellten Kolle- 
Wassermannsehen Meningokokkenheilserum nahe stehen. Auch 
über dieses Serum liegen günstige Berichte aus jüngster Zeit vor, 
und zwar auch bei intraspinaler Anwendung (E. Levy, Deutsche 
med. Wochenschr., 1908, S. 139). Auch die Einzeldosen, die 
hier als zweckmäßig und notwendig befunden werden, decken sich 
beinahe mit denen des amerikanischen Autors, so daß -vielleicht 
die mitgeteilten Ratschläge auch als Leitlinien bei der Verwen¬ 
dung des Ko Ile- Was s ermann sehen Serums gelten dürften. 

4. Townsend berichtet über Ernährungsversuche mit fett¬ 
armer Kuhmilch im Säuglingsalter. Er hat folgende Erfahrungen 
gemacht: 

a) daß Fett viel öfter, als man im allgemeinen annimint, den 
Säuglingen im Uebermaß zugeführt wird, 

b) daß Ueberfütterung mit Fett Obstipation, brockige Stühle, 
Atrophie, Konvulsionen bewirken kann, 

c) daß es bei gastro- intestinalen Störungen der Säuglinge 
wünschenswert ist, das Fett aus der Nahrung auszuschließen, 

d) daß die Eiweißkörper der unverdünnten fettfreien Kuh¬ 
milch selbst von jungen Säuglingen bemerkenswert gut vertragen 
werden, und daß die sogenannten Kaseinbröckel in den Stühlen 
der so ernährten Kinder fehlen. 


Chirurgie; 

Referent: Spezialarzt Dr. Heinrich Landau, Berlin. 

1. Heber traumatische Knorpelrisse im Kniegelenk. Von 

Konrad Büdinger. Deutsche Zeitsehr. f. Chirurg., Bd 92 
Heft 4/6. * ’ 

2. Eine neue Methode der Amputatio kruris osteoplastika. 
Von Fritz L. Dumont, Ibidem, 


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flöten eundschau: 


405 


\ v f. Mfe tmiwre Bestrebungen zur Verbesserung und Ver- 

einfacbifng der Hantdesinfektion. Von' M. v. Brunn, Münch. 
~ mcd* Wochensehr., 1908, Nr. 17. 

5 &, Eeue Gesichtspunkte bei der Behandlung eitriger Pro¬ 
zesse. 4 Von Eduard Müller und Alfred Peiser. Ibidem. 

U 6: Zur Behandlung der Vorderarmbriiohe. Von N. Kaefer. 
Ibidem, Nr. 19. 

6. Zur Behandlung des Dekubitus. Von Richard Teller. 
Ibidem. 

7 . lieber die operative Behandlung der Hernien im Kindes- 
' alter. Von E. Großmann, Ibidem. 

8. Heber die Pathogenese und operative Behandlung des 
Prolapsus rekti. Von J. Rotter. Deutsche med. Wochensehr., 
1908, Nr. 16. 

9. lieber die Ergebnisse der Timmermannschen Injektions¬ 
methode zur Behandlung von Hernien usw. in den Jahren 1891 
bis 1904. Von R. Wollermann. Aerztl. Rundschau, 1908, 
Nr. 21. 

1. Büdingers Arbeit beschäftigt sich mit den traumatischen 
Knorpelrissen im Kniegelenk, die neben Meniskusverletzungen, 
intraartikulären Brüchen und Absprengungen, Veränderungen der 
Gelenkfettpolster die anatomische Grundlage zu dem vielgestaltigen 
Krankheitsbilde geben, das man früher mit der Verlegenheits¬ 
diagnose „der an gement interne“ bezeichnete. Diese Knorpelrisse 
gehören zu den häufigsten Folgen einer Verletzung des Knie¬ 
gelenks; „ihr Lieblingssitz ist an der Patella, demnächst an den 
Kuppen der Femurkondylen; sie entstehen entweder durch Berstung, 
insbesondere über subchondralen Blutergüssen, oder durch seitliche 
Verschiebung, Stauchung des Knorpelüberzuges. Funktionsstö¬ 
rungen des Gelenkes entstehen, wenn sich Knorpellappen aufstellen, 
wenn die Spalten weiter einreißen, wenn sich in der Umgebung 
eine Ohondritis entwickelt, oder wenn sich Teile des Gelenküber¬ 
zuges lösen“. Es ist meist unmöglich, die Knorpelrisse nach Sitz 
und Art zu erkennen, da sie dem Bild des „traumatischen Knies“ 
keine besonderen Züge geben; es genügt zu wissen, daß sie in 
fast allen solchen Fällen vorhanden sind, mag das Knie durch 
Stoß, Schlag oder nur durch Muskelzug („Umknicken“) verletzt 
sein, und daß sie sehr häufig die einzige anatomische Veränderung 
des Gelenks darstellen, wohl öfter als das isolierte traumatisch¬ 
entzündliche, subpatellare Lipom Hoffas. — Die Behandlung ist 
zunächst eine abwartende, denn der Knorpelriß kann von selber 
heilen; bleiben erhebliche Beschwerden — es sind besonders 
Bewegungsstörungen, bei deren Wertung für die Operation die 
wirtschaftliche Lage des Kranken, wie so häufig, eine große Rolle 
spielt —, so ist die Operation angezeigt. B. eröffnet das Gelenk 
mit einem 15 cm langen Seitenschnitt unter Auf klappen der 
Patella; nur so erreicht man volle Uebersicht über alle Gelenk¬ 
flächen, die für die Abtragung der teilweise gelösten Knorpel¬ 
lappen usw. notwendig ist. Der Schnitt durch trennt den Vastus 
nur schräg und am Rande, läßt den Streckapparat unversehrt 
im Zusammenhang und ergibt bei genauer Naht ohne Drainage 
und frühzeitiger Nachbehandlung vorzügliche, meist ganz regel¬ 
rechte Beweglichkeit und Gebrauchsfähigkeit des Knies. B. läßt 
seine Kranken schon am zweiten Tage aufstehen; vom zwölften 
an das Knie beugen. 

2. Haffter sucht bei Unterschenkelabsetzungen dadurch 
einen tragfähigen Stumpf herzustellen, daß er die Tibia höher 
oben durchsägt als die Fibula und das überstehende Stück der 
Fibula wie eine Brücke über den Tibiastumpf legt, wo er durch 
genaue Periostnähte befestigt wird. Durch steilen Ovalär-Haut- 
schnitt wird die Hautnarbe nach innen oben verlegt, so daß der 
Stumpf mit seinem wie ein Steigbügel geformten Knochengerüst 
eine feste Muskel-Haut-Unterlage hat. Haffters Erfolge sind 
gilt; doch sind sie von genauer Technik abhängig; sein Verfahren 
zwingt zu sechswöchigem Liegen und verbietet die Massage und 
die Tret-, Klopf- und Bewegungsübungen des Stumpfes nach 
Hirsch, mit denen man im allgemeinen bei allen Beinstümpfen, 
gleichgültig welcher Operationstechnik, vorzügliche Tragfähigkeit 
erreicht. 

3. An der Tübinger Klinik hat sich eine Händedesinfektion 
nur .mit Alkohol (5 Minuten langes Abreiben mit 96 %igem Alkohol 
mittels gazeumhüllten Wattebausches) ohne vorhergehendes Bürsten 
mit Wasser und Seife gut bewährt; man hatte die gleichen Erfolge 


wie mit dem Fürbringerschen und dem Heusnerschen Jod¬ 
benzinverfahren. — Der Alkohol wirkt weniger keimtötend als da¬ 
durch, daß er die Haut gerbt und somit die Abgabe von Keimen 
verhindert; er steht also den neuen Desinfektionsmitteln nahe, 
deren letzte Folgerung Döderlein mit seinem Gaudanin gezogen 
hat, einem dünnen Formalin-Gummihäutchen, das die Haut mit 
ihren Keimen während der Operation keimdicht abschließen soll, 
oder v. Oettingen mit dem Mastixgemisch, mit dem er im 
russisch-japanischen Kriege die Keime der Wundumgebung „fest¬ 
legte“. Diese neueren Bestrebungen, z. B. das Schumburgsche 
Verfahren, sind zweifellos gerade dem praktischen Arzt, dem Zeit 
und Aufwand für eine „klinisch-aseptische Operationsfeld- und 
Händevorbereitung“ nicht zu Gebote stehen, sehr willkommen; 
wenn aber vor der vorhergehenden mechanischen Händereinigung 
mit Seife, Wasser und Bürste gewissermaßen gewarnt wird, weil sie 
die in der Tiefe der Haut sitzenden Keime erst zum Vorschein bringe 
(Heusner), so muß doch dem gegenüber nachdrücklich betont 
werden, daß ohne diese allereinfachste Grundlage alle Aseptik auf 
schwankenden Füßen steht und daß viele Chirurgen ihre vor¬ 
züglichen Wundheilungserfolge hauptsächlich dem heißen Wasser 
und der Seife verdankten, v. B. verwahrt sich auch dagegen, 
daß etwa auf das Gewicht seiner Stimme hin „der Chirurg sich 
die Hände nicht waschen solle“; aber daß er diese Bemerkung 
nötig findet, ist bezeichnend. In der Tat, so gut wie nach 
Schleichs derbem Worte gekochter Kot Kot bleibt, so wenig 
kann eine mit Alkohol, Formalin oder JodlösuDgen gegerbte Haut 
für aseptisch gelten, wenn sie nicht vorher von der obersten 
Schmutzschicht befreit, d. h. mit Seife gewaschen wurde. 

4. Jeder „heiße Abszeß“ enthält, an die gelapptkernigen 
Leukozyten gebunden, ein eiweißlösendes Ferment, dessen Wir¬ 
kung durch ein im Blut kreisendes und in krankhalte Ausschei¬ 
dungen (Aszites) übergehendes Antiferment abgeschwächt wird. 
M. und P. gehen von der Ueberlegung aus , daß durch direkte 
Einwirkung des Antiferments auf die Wand der Abszeßhöhle die 
eitrige Einschmelzung des Gewebes und die Aufsaugung giftiger 
Eiweißabbauprodukte vermindert, die Eiterabsonderung verringert, 
die Heilung beschleunigt werden müßte. Es wurden an der 
Breslauer Klinik etwa 100 Fälle von Eiterungen (Lymphdrüsen- 
abszesse, Karbunkel, Panaritien, Phlegmonen) nach breiter Spal¬ 
tung und Entleerung des Eiters mit „Antifermentserum“ ver¬ 
bunden; und in der Tat haben die Verf. den Eindruck, als sei in 
diesen Fällen der Eiter rascher verschwunden, die Heilung schneller 
eingetreten als unter sonst üblicher Behandlung. Das Serum 
wirkt nur durch unmittelbare Berührung; vielbuchtige Höhlen 
sind darum ungeeignet für diese „physiologische“ Behandlung, 
die gewissermaßen eine Steigerung des Grundgedankens der Bier- 
schen Stauung darstellt. Ist kein Autifermentserum vorhanden 
— und es hat große Bedenken, trotz Filtration und antisepti¬ 
schen Zusätzen, Punktionsflüssigkeit oder Serum eines Menschen 
in die Wunden eines anderen zu gießen —, so wird das durch 
Aderlaß gewonnene Blutserum des Kranken selbst verwendet. — Ref. 
scheint ein Aderlaß nur zu diesem Zwecke bei vorhandenem, zu¬ 
nächst ziemlich harmlosen Eiterherd wenig angezeigt zu sein. 

5. Kaefer legt bei Vorderarmbruch den Kranken auf irgend¬ 
einen Operationstisch mit Beinhalter und läßt den verletzten Arm 
so um den Beinhalter legen, daß die Beinhalterstange bei recht¬ 
winklig gebeugtem Arm etwas oberhalb der Ellenbeuge liegt. Er 
hat dann an der Stange einen sicheren Halt zur Streckung und 
Einrichtung; der Verband — dorsale Gipsschiene aus Longuetten, 
mit Mullbinde angewickelt — wird in situ angelegt und dann die 
Beinhalterstange einfach herausgezogen. Das Verfahren spart einen 
Assistenten und ist zu empfehlen. 

6. Teller massiert, ohne die sonst übliche Behandlung zu 
vernachlässigen, die Ränder des Dekubitus mit Lassarscher Paste, 
um durch arterielle Blutwallung bessere Heilungsbedingungen zu 
schaffen. Er hat in zwei schweren Fällen Erfolg gehabt. 

7. Die Operation des Nabel- und Leistenbruchs bietet auch 
bei Säuglingen durchaus keine besonderen Gefahren; sie ist im 
Gegenteil wegen der Einfachheit der anatomischen Verhältnisse 
sehr leicht. Groß mann hat 90 Leisten- und 21 Nabelbrüche 
bei Rindern mit glatter Heilung operiert, darunter doppelseitige 
Operation an Säuglingen von zwei bis sieben Monaten. Auf der 
anderen Seite ist die Bandagenbehandlung so wenig sicher in 




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406 


THERAPE CJTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 25. 


ihren Erfolgen und namentlich bei armen Leuten mit so viel 
Unzuträglichkeiten verknüpft, die Beschwerden eines Bruchs auch 
ohne Einklemmung manchmal so erheblich (Verdauungsstörungen), 
daß eine allgemeine Anwendung der Bruchoperation auch im 
zarten Kindesalter durchaus berechtigt erscheint. 

S. Rotter empfiehlt für große Mastdannvorfälle das Rehn- 
Delormesche Operationsverfahren, das den Beckenboden und 
die verlorengegangene Krümmung des Rektums nach vorn am 
besten wieder herstellt. — Der Vorfall wird nach Sphinkterdehnung 
vorgezogen und die Schleimhaut vom After an ringsum nach oben 
zurückpräpariert ; es wird so ein Schleimhautzylinder von 10 bis 
20 cm Höhe abgelöst. Die Muskulatur des Rektum wird dann 
durch Nähte, die von oben nach unten verlaufen, in einen Wulst 
gerafft, schließlich die abgelöste Schleimhaut abgeschnitten 
und der Rand mit der Afterhaut vernäht. Um einen erneuten 
Vorfall nach Atrophie des Faltenringwulstes zu verhüten, kann 
mau eine Sphinkterverengerung oder eine Straffung des Becken- 
bodeus durch Nähte zwischen dem hinteren Sphinkterumfang und 
dem Levator ani anschließen. 

9. Timmermann hat den Gedanken Schwalbes, Brüche 
jeder Art durch Alkoholeinspritzungen zu behandeln, zu einem 
Verfahren ausgebaut, mit dem in den letzten Jahren nach seinen 
Angaben 92% Radikalheilungen selbst sehr großer Brüche erzielt 
worden sind. Die Einspritzung — es wird nur absoluter Alkohol 
verwendet — ruft eine Entzündung mit nachfolgender Binde¬ 
gewebswucherung und Schrumpfung in der Umgebung des Bruch¬ 
sackhalses hervor; die schließlich bleibende derbe Narbe verschließt 
die Bruchpforte. Unglücksfälle wie Peritonitis, Darmverlötung, 
Darmfistel, die man für schwer vermeidbar halten sollte, sind nur 
in den „Lehrjahren“, auch Schädigungen des Hodens sind sein- 
selten vorgekommen. Das Verfahren ist bei der großen Mehrzahl 
aller Brüche anwendbar, sofern sie nur, wenn auch nach langer 
Vorbehandlung, Lösung -der Verwachsungen durch Massage etc., 
zurückzubringen sind; es erfordert, je nach Lage des Falles, 10 
bis 44 Tage klinischer Behandlung, hat also in dieser Beziehung 
vor dem operativen Eingriff nichts voraus; auch ist eine ambulante 
Nachkur notwendig. — Die Arbeit betont nachdrücklich, daß das 
Verfahren nicht nach Vorschriften nachgeahmt, sondern nur durch 
eigene Anschauung und Uebung erlernt werden kann; sie fordert 
in vielen Punkten zur Kritik heraus, stellt aber das T immer- 
raannsche Verfahren als ein durchaus wisseuschaftlich überlegtes 
und diskutables dar. 


Oeffentliches Sanitätswesen. 

Referent: Dr. M. Peltzer, Generaloberarzt a. D. in Steglitz. 

1. Ueber die Unterbringung gemeingefährlicher Geistes¬ 
kranker. Von Oberarzt Dr. Mö nke mö 11 er-Hildesheim. Deutsche 
med. Wochenschr., 1908, Nr. 19 u. 21. 

1. Es läßt sich nicht leugnen, daß die Entweichungen ver¬ 
brecherischer und gemeingefährlicher Geisteskranker aus den Irren¬ 
anstalten sich in letzter Zeit gehäuft haben, der „wilde Mann“ 
eine häufige Erscheinung geworden ist und die Sicherheitsma߬ 
regeln der Anstalten nicht immer genügten. Trotzdem ist es ein 
Unrecht, diese Uebelstände durchweg den Anstaltsleitern zur Last 
zu legen, ebenso wie es falsch ist, den Irrenärzten vorzuwerfen, 
daß sie ihre Patienten zu früh ans der Anstalt entlassen. 
Oft soll der Irrenarzt sich angeblich entweder durch einen 
Simulanten täuschen lassen oder aber in gröblicher Weise ver¬ 
kennen, daß eine wirklich vorhandene Geisteskrankheit nicht ge¬ 
heilt ist, sondern noch fortbesteht. Jeder Einsichtige wird er¬ 
kennen, daß diese Vorwürfe unbegründet sind. Die Verhältnisse 
liegen hier eben meist schwieriger und komplizierter, als man sich 
vorstellt. Bei der allgemeinen Wichtigkeit des Gegenstandes 
führen wir daher nachstehend die Hauptpunkte aus den bezüg¬ 
lichen M.schen Darlegungen kurz an. Ein geheilter Kranker 
muß entlassen werden. Ein Rückfall läßt sich auch bei aller 
Erfahrung nicht immer voraussehen. Die meisten Kranken werden 
allerdings nur als „gebessert“ entlassen, ob die Besserung aber 
ausreicht, daß der aus der Ruhe der Anstalt in die laute Welt 
Entlassene damit auch auskommt, ist schwer zu berechnen. Das 


Drängen des Kranken und seiner Angehörigen, pekuniäre Verhält¬ 
nisse ^spielen hierbei eine Rolle, nicht minder die Erfahrung, daß 
die letzten Stadien einer Genesung manchmal außerhalb der An¬ 
stalt schneller ablaufen als in ihr. Leider verfahren die An¬ 
gehörigen solcher gebessert Entlassenen nicht selten mit diesen 
unvernünftig, indem sie trotz aller Ratschläge auf ihre Empfind¬ 
lichkeit keine Rücksicht nehmen, ihnen Alkohol geben, sie zu 
zerstreuen suchen usw. Am schwierigsten liegen die Verhältnisse 
bei den periodisch verlaufenden Krankheiten, wo sich das Rezidiv 
sicher voraussehen läßt. Eine noch größere Bedeutung als diese 
Entlassungen spielen in der öffentlichen Meinung die Fälle, wo 
ein Geisteskranker mit dem Gesetz in Koufiikt gekommen, ihm 
aber die Zurechnungsfähigkeit abgesprochen ist, so daß Gericht 
und Gefängnis ibm nichts mehr anhaben können, weil er für sein 
Tun nicht verantwortlich ist. Hier verlangt die öffentliche Mei¬ 
nung, daß er dann wenigstens unschädlich gemacht wird. Das 
Verbrechertum sammelt sich naturgemäß in den Großstädten, und 
die Irrenanstalten der Großstädte sind es daher auch, die die 
meisten Ausbrecher liefern (Sidney O’Donnel, Manolescu, der Ein¬ 
brecher Kirsch). Die Aufgaben dieser Anstalten sind daher auch 
schwerer als die anderer. Abgesehen ferner von den wenigen 
Straffälligen, die in der Untersuchungshaft erkranken, deren 
Geisteskrankheit also hinter die Straftat und vor den Strafantritt 
fällt, hat man zu unterscheiden zwischen verbrecherischen Geistes¬ 
kranken, deren Tat Ausfluß der Geisteskrankheit ist, und geistes¬ 
kranken Verbrechern, deren Krankheit nach dem Verbrechen auf- 
tritt. Eine scharfe Abgrenzung ist praktisch hierbei freilich 
schwer durchzuführen. Die Anamnese der letzteren ergibt bei 
ihrer Ueberfiihrung aus dem Gefängnis in die Anstalt nicht selten, 
daß ihre geistige Störung, und wenn nicht diese, so doch 
ihre Minderwertigkeit, so weit in die Vergangenheit zurück¬ 
reicht, daß mau annehmen kann, auch sie haben ihr Verbrechen 
bereits in geistiger Unfreiheit begangen. Hier beginnt das Gebiet 
der Gefängnispsychosen, denen namentlich die Minderwertigen 
leicht unterworfen sind. Hinsichtlich der anderen Kategorie, den 
verbrecherischen Geisteskranken mit ihrem ganzen asozialen Ver¬ 
halten , fragt es sich, ob die Irrenanstalt überhaupt der richtige 
Ort für sie ist, oder ob es sich nicht vielmehr empfiehlt, sie in 
besonderen Anstalten unterzubringen. Von Bedeutung ist es auf 
alle Fälle, daß der verbrecherische Geisteskranke möglichst früh 
in die Anstalt kommt, ehe er die unangenehmen Eigenschaften und 
Angewohnheiten eines Gefangenen angenommen hat, daß daher schon 
bei der Voruntersuchung eines solchen Kranken dem untersuchen¬ 
den Arzte keinerlei Schwierigkeiten vom Staatsanwalt oder Richter 
in den Weg gelegt werden. Die Gefängnislazarette müßten außer¬ 
dem eine eingehendere Beobachtung ermöglichen, als es bis jetzt 
vielfach der Fall ist. Eine crux bleiben die Minderwertigen, die 
Schwachsinnigen, Epileptiker und Alkoholisten, die noch nicht so 
ltrank sind, daß ihnen die Verantwortlichkeit ganz abgesprochen 
werden kanu. In die Irrenanstalt passen sie noch nicht recht 
und scheiden, wenn einmal in diese gekommen, aus ihr bald 
wieder aus. Läßt man sie verurteilen, so macht man sich den 
Vorwurf, daß man dem Grade ihrer Willenskraft vielleicht doch 
nicht ganz gerecht geworden. Zwar geben sie sich oft nur mit 
der sogen, kleinen Kriminalität ab, aber gerade weil diese sich 
bei ihnen zu häufen und zu summieren pflegt, fragt es sich, ob 
es sich nicht empfiehlt, sie ebenfalls dauernd unschädlich zu 
machen. In Amerika gibt es vier von jeder anderen Anstalt un¬ 
abhängige Zentralstationen für geisteskranke Verbrecher, das 
Matteawan State Hospital, die Anstalt in Bridgewater, das Michigan 
Asylnm und das Dannemora Hospital, außerdem noch Anstalten 
in Illinois und Connecticut, mit allem Komfort, Theater, Speise¬ 
sälen usw. 


Militärsanitätswesen. 

Referent: Dr. M. Peltzer. Generaloberarzt a. D. in Steglitz. 

1. Die für den Sanitätsdienst wichtigen Aenderungen in der 
Felddienstordnung und in der Manöverordnung vom 22. März 
1908. Erläutert von Stabsarzt Dr. Georg Schmitz-Berlin. 
Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1908, H. 9, S. 396. 





1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


407 


2. Kurze Betrachtungen über die Verwendbarkeit des 
Autans in seiner neuesten Form für militärische Verhältnisse. 

Von Prof. Dr. W. Hoffmann, Stabsarzt, und Dr. H. Strunk, 
Korpsstabsapotheker. Ibidem, S. 384. 

3. Manövertyphus 1907 in Galizien Von Oberstabsarzt 
Hrach, Spitalskommaudant in Theresienstadt. Der Militärarzt, 
1908, Nr. 9, 15. Mai. 

1. Anläßlich einer Neubearbeitung der Felddienstordnung 
vom 1. Jan. 1900 sind deren beide Teile jetzt gesondert und zwar 
als Felddienstordnung (F. O.) und Manöverordnung (M. O.) heraus- 
gegeben worden. In ersterer tritt besonders die schärfere Ab¬ 
grenzung und bestimmtere Stellung des Sanitätsdienstes, wie er 
.sie durch die Kriegssanitätsordnuug vom 27. Jan. 1907 erfahren 
hat, hervor. Ueberhaupt sind die Neuerungen auch insofern von 
allgemeinem Interesse, als sie einerseits die stets fortschreitende 
Fürsorge für das Wohl der Mannschaften dartun, andererseits für 
die zunehmende Würdigung des Sanitätsdienstes als eines unent¬ 
behrlichen Faktors für die Schlagfertigkeit der Armee sprechen. 
Man braucht nur an 1866 zu denken, wo es einen Sanitätsdienst 
im heutigen Sinne überhaupt noch nicht gab und die Forderungen 
der Hygiene stellenweise nur als lästig und hindernd empfunden 
wurden. In der Kriegsgliederung ist neu, daß die kleine Bagage 
jetzt Gefechtsbagage heißt. Zu ihr gehören die Sanitätspackpferde 
mit ihren berittenen Führern sowie die Truppensanitätswagen und 
die Feldküchen. Letztere verbleiben im Gefecht, sofern nichts 
anderes befohlen ist, zunächst beim Sanitätswagen. Zur großen 
Bagage der Kavalleriedivision gehört der Sanitäts Vorrats wagen. 
Der Verband des Sanitätsbataillons, das noch in der Kriegs¬ 
sanitätsordnung erwähnt ist, fällt fort. Die Sanitätskompagnien 
gehören nicht mehl* zum Train, sondern zur Infanteriedivision. 
Die Feldlazarette sind in den Verband der Trainbataillone (zwei 
bei jedem Armeekorps) eingetreten, zu welchen außer dem Stab 
die Proviant-, Fuhrparkkolonnen und Pferdedepot gehören. Muni- 

. tionskolonnen und Trains werden für den Marsch in zwei Staffeln 
geteilt, der ersten Staffel werden in der Regel nach Bedarf auch 
Feldlazarette zugewiesen. Steht ein Gefecht bevor, so können 
Munitionskolonnen und einzelne Feldlazarette als Gefechtsstaffel 
vor die große Bagage oder bis ans Ende der Truppen vorgezogen 
werden, die Führung dieser Staffel übernimmt, falls kein beson¬ 
derer Führer ernannt ist, der älteste Offizier. Ebenso können der 
Vorhut „Sanitätstruppen“ (bisher nur eine Sanitätskompagnie oder 
ein Teil derselben) beigegeben werden. Der Truppenbefehlshaber 
trägt für die Vermehrung der Bagage durch Vorspänner zum 
Fortschaffen Nichtmarschfähiger (bisher „Kranker“) persönlich die 
Verantwortung, ist aber zur Meldung verpflichtet. Für den Marsch 
sind besondere Schutzmaßregeln gegen Kältescbäden vorgesehen. 
Ein Teil der Ausrüstung Schonungsbedürftiger darf auf den 
Truppenfahrzeugen gefahren werden. Bei schlechten Wegen, die 
erst ausgetreten werden müssen, sowie bei Wind ist Abwechslung 
unter den an der Spitze oder an der Windseite Marschierenden 
geboten. Während der Eisenbahnfahrt ist die Möglichkeit der 
Verabreichung von Branntwein wesentlich eingeschränkt. Bei 
großer Hitze hat der Transportführer telegraphisch die Bereit¬ 
haltung von Trinkwasser zu bestellen. Aus der Mauöverordnung 
ist zu erwähnen, daß bei der „Besprechung“ die auf Grund der 
Kriegslage für den Sanitätsdienst getroffenen Anordnungen je 
uach den Umständen zu erörtern sind. Schonungsbedürftige 
Mannschaften, die der Bagage zugeteilt sind, können vom Truppen¬ 
teil eine schriftliche Ermächtigung zum Aufsitzen erhalten. 

2. Das Autandesinfektionsverfahren — eine Formalindesinfek¬ 
tion ohue Apparat — (vergl. das bezügliche Referat in Nr. 19 
des laufenden Jahrganges dieser Zeitschrift) hat in neuester Zeit 
insofern eine Aenderuug erfahren, als die Fabrik jetzt eine Neu¬ 
packung des Autans („Neu-Autan“) erscheinen läßt, wobei pro 
1 cbm Raum statt wi© bisher 35 g Autan eine etwa 20% größere 
Menge zur Verfügung steht. Außerdem wird das Autan, eine 
Mischung von Paraform und Baryumsuperoxyd, in seine beiden 
Komponenten getrennt geliefert, weshalb bei Beginn der Des¬ 
infektion eine gründliche Mischung beider vorzunehmen ist. Diese 
Mischung mit Wasser läßt sich allerdings jetzt leichter als bisher 
ausführen, da die Reaktion bei dem Neu-Autan später eintritt als 
bei dem alten bereits gemischten. Möglich also, daß ein Teil der 
früheren ungünstigen Resultate auf ein nicht genügendes Durch¬ 


mischen zurückzuführen ist. Neuere Versuche hatten denn auch 
ein besseres Resultat, es wurde das zur Prüfung der Desinfek¬ 
tionsapparate in der Armee eingeführte saprophytische Sporen¬ 
material (Resistenz etwa drei Minuten) bei oberflächlicher Anord¬ 
nung hier und da abgetötet. Bedingung war aber eine gewissen¬ 
hafte Abdichtung, wie sie bei den übrigen Formalinapparaten 
ebenfalls gefordert wird, für Kriegs- und Manöververhältnisse 
aber nicht ausführbar ist. (Darüber, wieviel Formaldehyd und 
Wasser durch das Autanverfahren für die Desinfektion nutzbar 
gemacht wird, liegen nur wenige Angaben vor. Nach Christian 
werden aus 1 kg Autan 32 bis 33 g Formaldehyd, bei Verwen¬ 
dung der vorgeschriebenen Menge also knapp 1 g für 1 cbm 
Raum vergast.) Die Kosten sind unter Berücksichtigung militäri¬ 
scher Verhältnisse ungefähr doppelt bis dreimal so hoch wie bei 
den übrigen Verfahren, so daß auch das Neu-Autan bis jetzt für 
militärische Verhältnisse noch nicht empfohlen werden kann. 

3. Aus Anlaß mehrerer, bei einem Artillerieregiment aus den 
Manövern in die Garnison Jaroslau (Galizien) eingeschleppten 
Typhusfälle gelangt Oberstabsarzt Hrach zu einer Reihe von 
Vorschlägen, zu denen Ref. bemerkt, daß sie bei uns zum Teil 
längst Vorschrift sind. Wir erwähnen sie nur, weil dies ein 
Beleg ist zu dem, was wir in Nr. 1 des vorstehenden Referats 
gesagt haben. Die Erkenntnis, daß die Militärhygiene kein Luxus, 
sondern ein Faktor ist, auf dem zu seinem Teil die Schlagfertig¬ 
keit der Armee beruht, hat sich je länger je mehr überall Bahn 
gebrochen und ist einer der Hauptgründe geworden, auf dem sich 
die Fortschritte des Sanitätskorps aufgebaut haben. Verf. schlägt 
vor, daß den „quartierregulierenden Aerzten“ von der politischen 
Behörde mitgeteilt werde, ob in den als Kantonnements in Aus¬ 
sicht genommenen Orten während der letzten zwei Jahre Typhus 
oder andere Infektionskrankheiten vorgekommen sind. Konstatieren 
die die Kantonnements bereisenden Aerzte, daß im selben Jahr 
Typhus in einem Orte vorgekommen, so sei dieser für Manöver¬ 
unterkunftszwecke auszuschließeu. Ist Typhus im Vorjahre vor¬ 
gekommen, so sind nur die betr. Häuser nicht zu belegen, die in 
ihrer Nähe gelegenen Brunnen bakteriologisch zu untersuchen und 
beim Vorhandensein pathogener Keime in ihnen zu schließen. Vor 
dem Beziehen einer Ortschaft seien außerdem Aerzte vorauszu¬ 
schicken, die jeden Kranken dieser zu besuchen und auf das 
etwaige Vorhandensein einer Infektionskrankheit zu untersuchen 
hätten. 


Mitteilungen über Arzneimittel. 


Ueber Yoghurt. 

Sammelreferat von Dr. Richard Braungart, Wien. 

Seit etwa vier Jahren wird in der französischen, seit zwei 
Jahren in der deutschen Fachpresse auf die hygienische und 
therapeutische Bedeutung eines früher bei uns unbekannten 
Gärungsproduktes der Milch, Yoghurt, hinge wiesen. Besonders 
Metchnikoff (1) war es, der mit Nachdruck dessen viel¬ 
versprechende Eigenschaften als wohlschmeckendes und vor 
allem ausgesprochen gesundheitschützendes, lebensverlängerndes 
Nahrungsmittel hervorhob. Seinen Veröffentlichungen über 
Yoghurt folgte eine in Anbetracht der kurzen Zeit erstaunlich 
große Menge von Arbeiten anderer xVutoren, die beinahe durch¬ 
wegs dem"neuen Mittel hohen Wert zusprechen. Diese Publi¬ 
kationen sind in französischen und deutschen Zeitschriften und 
Sitzungsberichten zerstreut und zum Teil schwer zugänglich: 
deshalb kann eine Zusammenstellung der bisher über Yoghurt 
veröffentlichten Arbeiten vielleicht auf einiges Interesse 
rechnen. 

Yoghurt ist eine Art Sauermilch. — Sauermilch galt von 
jeher als hygienisch und therapeutisch wertvolles Mittel: in 
den ältesten Schriften wird sie erwähnt, bei den verschieden¬ 
sten Völkern steht sie in Gebrauch. Teils in Gestalt der 
rohen, spontan geronnenen Milch, wie bei uns; teils verändert 


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Original from 

R5ITY OF MICHIGAN 




408 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 25. 


durch besondere Behandlung und Impfung: bei den Kaukasus¬ 
bewohnern als Kefir und Kumys, bei den Armeniern als 
Mazun. Leben raib genießen die Aegypter und Yoghurt die 
Türken und Bulgaren. Und gerade diese Völker zeichnen sich 
trotz mangelhafter hygienischer Lebensbedingungen durch Ge¬ 
sundheit und Langlebigkeit aus, was Metchnikoff zum Teil 
wenigstens auf den Sauermilchgenuß zurückführt. 

Die Sauermilch scheint ihm dadurch zu solcher Wirkung 
befähigt, daß sie durch Entwicklung bakterieller Milchsäure¬ 
gärung im Darm die Bildung von Fäulnisgiften hindert. Diese 
Fäulnisgifte erzeugen nicht nur bei größerer Menge die be¬ 
kannten Autointoxikationserscheinungen, sondern sind auch in 
der gewöhnlichen, geringen Menge schädlich. Metchnikoff 
hält sie sogar für die Hauptursache unseres vorzeitigen Alterns 
und Sterbens und sieht deshalb in der Sauermilch, welche die 
Darmfäulnis bekämpft, einen Faktor, der zur Gesundheit und 
Langlebigkeit der Hirtenvölker beiträgt. 

Somit ist der Genuß der Sauermilch warm zu empfehlen; 
doch müssen Unterschiede in der Bewertung der verschiedenen 
Dickmilcharten gemacht werden. Unsere gewöhnliche, durch 
Spontangärung entstandene Sauermilch ist vor allem nicht 
hygienisch einwandsfrei. Sie enthält manchmal Krankheits¬ 
keime und häufig finden neben der willkommenen Milchsäure¬ 
gärung noch andere, unerwünschte Nebengärungen statt: Bak¬ 
teriengifte, wie Subtilistoxin, Buttersäure, Alkohol können ent¬ 
stehen. Ferner wirkt sie lediglich auf chemische Weise, durch 
ihren Gehalt an Milchsäure, ebenso wie andere Sauermilch¬ 
arten z. B. Kefir und Kumys, die überdies den Nachteil ver¬ 
hältnismäßig hohen Alkoholgehaltes haben. 

Deshalb wird von verschiedenen Forschern empfohlen, 
Milch durch Einkochen zu sterilisieren und dann erst durch 
Impfung mit Reinkulturen von Milchsäurebakterien zu säuern, 
um derart die Gefahren des Sauermilchgenusses zu umgehen, 
seine Vorzüge aber zu erhalten und zu vergrößern. Und dies 
geschieht beim Yoghurt. 

Denn Yoghurt wird aus sterilisierter, aus abgekochter 
Milch bereitet. Und zwar wird in seiner Heimat, dem nörd¬ 
lichen Balkan Und der Türkei, Schaf-, Büffel- oder Kuhmilch 
verwendet. Diese wird nach starkem Kochen in ein geräumiges 
Gefäß gebracht, in dem die Temperatur durch wollene Tücher 
hochgehalten ist; man läßt nun so lange abkühlen, bis die ein¬ 
getauchten Fingerspitzen die Wärme eben noch ertragen, ver¬ 
reibt dann einige Eßlöffel dieser Milch mit der Maya, dem 
Yoghurt-Ferment (das eine Art Hefe darstellt und aus Schafs¬ 
mägen gewonnen wird), und mischt gut durch. Nach etwa 
zwölf Stunden ist dann die Milch geronnen, der Yoghurt genu߬ 
fertig. Einfacher und sauberer geschieht die Zubereitung bei 
uns: die Milch wird zur Hälfte eingekocht — statt dessen 
kann man zehn Prozent Trockenmilch zusetzen —, dann auf 
45 Grad abgekühlt und erhält das Mayaferment in der Menge 
von ca. 1 ccm auf 1 Liter zugefügt; nach 12—löstündigem 
Stehen in einer Wärmkiste, die nach Art der Kochkisten 
isoliert ist und ein Gefäß mit kochendem Wasser enthält, ist 
der Gärungsprozeß beendigt. 

Das zur Impfung verwendete bulgarische Ferment enthält 
nach Combe (2) Hefepilze *— Oidium, Torula — und andere 
Bakterien, welche seine Wirkung beeinträchtigen, ja sogar die 
Entwickelung gewisser Infektionskeime begünstigen. Deshalb 
ließ Metchnikoff Reinkulturen herstellen und diese sind in 
Frankreich als Laktobazilline-Pulver undLaktobazilline-Tabletten 
im Handel, in Deutschland als Dr. Trainers Maya und Dr. 
Trainers Yoghurt-Tabletten, die auch in Oesterreich (Maria- 
hilfapotheke in Graz) ein Depot haben. In den letzten Monaten 
erscheinen noch andere Präparate in Vertrieb, doch liegen die 
beiden oben erwähnten den später zu erörternden Versuchen 
und Beobachtungen zugrunde. 

Der auf die beschriebene Art zubereitete Yoghurt stellt 
eine homogene Masse von puddingartiger Konsistenz, säuerlich- 
aromatischem Geschmack und spezifischem Geruch dar, die für 
sich allein oder mit Zucker, Brot, Fruchtsaft, Kakao etc. ge¬ 
nossen werden kann. 


Ueber ihre chemische Beschaffenheit geben die Untersuch¬ 
ungen von Bertrand und Weisweiller (3) Aufschluß, welche 
fanden, daß vom ausgefällten Kasein nach einem Tage etwa 
V 21) wieder gelöst, Butterfett in sehr geringer Menge verseift, 
die Laktose fast ganz zu einem Gemisch von Rechts- und 
Linksmilchsäure hydrolisiert, etwa J / 2 g pro Liter Bernsteinsäure 
und ungefähr ebensoviel Essigsäure, aber kein Azeton und kein 
Alkohol gebildet werde. Fourro (4) fand ca. 38 Prozent des 
Kaseins und 68 Prozent des Kalkphosphats gelöst. Combe (2) 
gibt die folgende chemische Analyse: 


Laktokasein. 

. . 2,7, 

.Laktoalbumin. 

. . 0,8, 

Pept. und Albumos. . . . 

• • 3,7, 

Fett. 

• • 7,2, 

Milchzucker. 

. . 9,4, 

Milchsäure . 

. . 0,8, 

Alkohol . 

• • 0,2, 

Mineral. Bestandteile . . 

. . 1,3, 

Wasser. 

. . 73,7. 


Andere Autoren, wie Piorkowski (5), konnten Alkohol 
im Yoghurt überhaupt nicht nachweisen; jedenfalls ist der 
Alkoholgehalt im Vergleich zu Kefir und Kumys gleich Null. 
Dagegen ist der Gehalt an Eiweiß, Fett und Milchzucker fast 
noch einmal so groß wie bei unserer gewöhnlichen Sauermilch, 
was ja aber damit zusammenhängt, daß die zur Yoghurt- 
Bereitung dienende Milch zur Hälfte eingedickt ist. Wesent¬ 
licher ist der relativ große Gehalt an Milchsäure. Denn wenn 
die Milch bekanntlich schon an sich die Darmfäulnis herabzu¬ 
setzen vermag, da Milchzucker langsam gespalten wird und im 
Darm Milchsäure abgibt, die um so wirksamer ist, als sie in 
statu nascendi ist, so ist dies bei Yoghurt sicherlich noch mehr 
der Fall. Aber die therapeutischen Vorzüge des Yoghurt vor 
anderen Sauermilcharten beruhen vorwiegend auf anderen Fak¬ 
toren : auf der Tätigkeit der Bakterien, die den wirksamen Be¬ 
standteil des Yoghurt-Ferments bilden. 

Diese Bakterien sind durch zahlreiche Arbeiten von Gri- 
goruff, Maze, Fuhrmann, Kühn und Luerssen, Pior¬ 
kowski (7) studiert worden, die, im wesentlichen überein¬ 
stimmend, zu folgenden Resultaten gelangten: Der wichtigste 
von den das Maya-Ferment bildenden Bakterien ist der Bazillus 
bulgarikus. Dieser bildet Stäbchen von verschiedener Länge und 
Dicke, ist scheinbar unbeweglich, tritt oft in Ketten auf. Er 
ist grampositiv, färbt sich mit allen Anilinfarben, gibt bei der 
Färbung nach Neiße r nie Hörnchenbildung; er wächst 
aerob und anaerob, schlecht auf gewöhnlichen Nährböden, sehr 
gut auf, zumal flüssigen, Zuckernährböden. Auf guten Nähr¬ 
böden zeigen sich nach zwei Tagen Kolonien von 2 bis 3 mm 
Durchmesser, flach, glattrandig, saftig, weißgelblich. Sein Tem¬ 
peraturoptimum ist 45 Grad, doch gedeiht er gut auch bei 
37 Grad. 

Dieser Bazillus ist von sämtlichen Untersuchern im Yoghurt 
gefunden und mit unwesentlichen Abweichungen gleich beschrieben 
worden. Dagegen differieren die Angaben bezüglich seiner Be¬ 
gleitmikroben, von denen Grigeroff zwei, Maze eine und 
Guerbet vier Arten fand, was wohl darauf zurückzuführen ist, daß 
verschiedene Autoren mit verschiedenen Arten und Varietäten 
arbeiteten. Am konstantesten findet sich ein Bakterium, das 
von manchen als Bazillus paralytikus angesprochen wird. Dieser 
ist auch in den Laktobazilline- und den Dr. Train ersehen 
Präparaten enthalten, weil er nach Metchnikoffs Ansicht 
die Fette nicht so angreift wie Baz. bulgar. und der Milch 
einen angenehmen Geschmack verleiht. Piorkowski hält ihn 
für ganz überflüssig, da mit guter Vollmilch oder auch Mager¬ 
milch, bei der ja ein Angreifen der Fette nicht so zu besorgen 
ist, die erwünschte Wirkung ohnedies erreicht wird. 

Jedenfalls sind die Begleitmikroben von untergeordneter 
Bedeutung; der Hauptfaktor bei der Wirkung des Yoghurt ist 
der Baz. bulgarik. Dies beweist auch das Tierexperiment, wie 
es Belonowsky (nach Metchnikoff) (1) anstellte. 

Dieser machte Parallelversuche mit Mäusen, die zum ge¬ 
wöhnlichen, sterilisierten Futter Reinkulturen von Baz. bulgar. 












1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


409 


erhielten, und solchen, die zum gewöhnlichen Futter die „ent¬ 
sprechende“ Menge Milchsäure bekamen. Er fand nun, daß 
die ersten bedeutend besser gediehen und sich zahlreicher fort¬ 
pflanzten als die letzteren, und Metchnikoff erklärt dies 
damit, daß es nicht nur die mit Yoghurt eingeführte Milchsäure 
sei, die im Darm fäulniswidrig wirke, sondern daß ßaz. bulgar. 
die übrige Darmflora verdränge und auf diese Weise die Bildung 
von Fäulnisgiften verhindere. 

Die Substituierung von schädlichen Bakterien durch nütz¬ 
liche wäre ja an sich nicht neu. Schon Es che rieh, Ba¬ 
gin sky, De Jager, Brudzinski hatten diesen Plan, wenn 
auch nur bei KrankheitszuständeD und nicht im gewöhnlichen 
Leben. Brudzinski (7) hatte bei Säuglingen mit Proteus- 
Enteritis durch Eingeben von Baz. lakt. aerogenes in Reinkultur 
die Proteus-Bazillen aus dem Dann verdrängt; Tissier (8) er¬ 
zielte durch Baz. azidi paralakt. bei Säuglingskrankheiten ähn¬ 
liche Erfolge, die seine Kuren weithin bekannt machten. 
Herter (9) hatte den Einfluß der Milchsäurebakterien auf die 
Dann fäulnis durch die günstige Wirkung auf die Ausscheidung 
von Jndikan und Aetherschwefelsäure gewiesen, und so wandten 
alle Forscher, die die biologische Wirkung des Yoghurt stu¬ 
dierten, ihr Augenmerk auf die Ansiedelung von Baz. bulgarik. 
im Darm und die Verdrängung der übrigen Darmflora. 

Cohendy (10) genoß bei regelmäßiger gemischter Diät 
durch sechs Wochen Yoghurt und fand, daß der Bazillus sich 
nach drei bis fünf Tagen im Darm angesiedelt hatte; die Menge 
der im Harn nachweisbaren Aetherschwefelsäure war gegen 
früher um zwei Drittel vermindert, die Fäzes erwiesen sich als 
neutral oder schwach sauer. Diese Veränderungen fanden sich 
noch 12 bis 24 Tage nach Beendigung der Yoghurt-Kur und 
ebensolange gelang der Nachweis von Baz. bulgar. in den 
Fäzes. Die gleichen Resultate erhielt er bei 34 anderen Ver¬ 
suchspersonen. Pochon (11) bestätigt diese Ergebnisse in 
allen Punkten durch seine Versuche. Kotschi (12) konnte bei 
siebenbürgischen Hirten, die regelmäßig Y T oghurt aßen, Bakt. 
koli nur selten mikroskopisch und kulturell nachweisen und 
konstatierte bei Leuten, die erst auf seine Veranlassung Yoghurt 
zu genießen begannen, ein deutliches Zurücktreten dieses Bak¬ 
teriums. Duclaux (13) fand ebenfalls schon nach vierwöchigem 

Y oghurt - Gebrauch ein Absinken der Bakterienmenge in den 
Fäzes von 26 Millionen im Dezigramm auf 1200. Combe (2) 
endlich hat durch instruktive Kuren, welche die Abnahme der 
Fäulnisprodukte im Urin veranschaulichen, die Wirkung des 
Yoghurt auf die Darmfäulnis aufgezeigt. Und Kühn und Luers- 
sen (6) konnten bei YToghurt-Genuß, allerdings erst nach 14 
bis 17 Tagen, Baz. bulgar. in den Fäzes nachweisen und einen 
Rückgang der Tagesmenge von Aetherschwefelsäure um ein 
Viertel konstatieren. 5 bis 10 Tage nach Aufhören des Yoghurt- 
Gebrauches gelang dieser Nachweis nicht mehr. 

Uebereinstimmend beweisen alle diese biologischen Unter¬ 
suchungen, daß Yoghurt tatsächlich die Möglichkeit bietet, Baz. 
bulgar. im Darm anzusiedeln, die schädliche Darmflora zu ver¬ 
drängen und dadurch der Entstehung von Fäulnisgiften vorzu¬ 
beugen. Diese Möglichkeit, im Verein mit der Bildung der 
desinfizierenden Milchsäure außerhalb und vor allem innerhalb 
des Darmtraktus (in statu nascendi), lassen von Yoghurt hygie¬ 
nische und auch therapeutische Bedeutung erwarten. 

Und diese Erwartungen werden durch die bisher vorliegenden 
klinischen Ergebnisse durchaus bestätigt. 

Naturgemäß betreffen diese zunächst das Gebiet der Magen- 
Darmkrankheiten. Von den Krankheiten des Magens kommen 
diejenigen nicht in Betracht, bei denen es sich um abundante 
Sekretion und verzögerte Magenentleerung handelt; im allge¬ 
meinen auch nicht Magengeschwüre, doch kann nach YV e g e 1 e (14) 

Y oghurt auch hier in älteren Fällen mit schwacher Sekretion be¬ 
sonders in derForm der Yoghurt-Tabletten mit Vorteil Anwendung 
finden. Dagegen paßt die Y r oghurt-Kur bei allen Kranken, bei 
denen eine Insuffizienz der Leistung des Magens, besonders der 
Sekretion vorliegt; Yoghurt ist das Medikament der muskulären 
und sekretorischen Mageninsuffizienz, 


So fand Wegei e (14), der über 20 in seinem Sanatorium 
behandelte Fälle berichtet, bei chronischem Magenkatarrh mit 
herabgesetzter Saftsekretion und bei der Achylia gastrika — 
sowohl der atrophischen wie der nervösen Form —, daß „die 
bulgarische Sauermilch nicht nur eine wegen der Vorverdauung 
der Eiweißkörper zuträgliche Speise ist, sondern auch wegen 
Ausfall der desinfizierenden Tätigkeit der Salzsäure im Magen 
und der günstigen Wirkung der Milchsäure ... auf das vor¬ 
teilhafteste wirkt.“ Das gleiche konstatiert er bei Neurosen des 
Magens (ohne Sekretionssteigerung), besonders bei der „ner¬ 
vösen Dyspepsie“ mit Ernährungsstörungen, „um so mehr, als 
in solchen Fällen die Suggestionswirkung, welche in der Be¬ 
handlung mit einem neuen Mittel liegt, eine große Rolle zu 
spielen pflegt“. 

Auch Patschkowski (15) sah in 90 bis 100 Fällen von 
gestörter Y^erdauungstätigkeit im ganzen recht gute Resultate. 
Er empfiehlt „bei mageren Leuten die mit Maya Dr. Trainer 
bereitete Milch in der Dosis von 1 j i bis 1 Liter täglich in 
verteilten Gaben neben der gewöhnlichen Kost, bei fetten die 
Y oghurt- Tabletten “. 

Martinet (16) berichtet über günstige Erfolge selbst bei 
fortgeschrittenen Fällen von Magenkrebs in bezug auf Schmerzen 
und Erbrechen; es kann sich nur um Fälle von geschwächter 
Motilität handeln, bei denen zur Hebung der Ernährung 
beispielsweise nach einer Operation, die einen rascheren Ueber- 
tritt des Speisebreies in den Darm wieder hergestellt hat, 
Yroghurt sicherlich von Wert ist. 

Bei Darmkrankheiten des Säuglingsalters wandten Tissier, 
Rosenthal, Ribot, Bo met (17) Y r oghurt mit bestem Erfolge 
an. I nd Willke (18) berichtet, daß er bei Dyspepsie der 
Kinder „zweimal täglich eine halbe Yoghurt-Tablette Dr. 
Trainer in Tee gab — —- am fünften Behandlungstage war 
das abnorme Aussehen und der üble Geruch des Stuhles ge¬ 
schwunden, der Meteorismus, das Aufstoßen und die Schmerzen 
waren völlig beseitigt“. 

Ueber gute Resultate der Anwendung bulgarischer Sauer¬ 
milch bei akuten infektiösen Darmkrankheiten schrieben Ribot, 
Tissier, Robin, Nigoul (17). Bei Abdominaltyphus liegt 
nur ein Bericht von Par rot (19) vor, bei dessen Fall mit dem 
Gebrauch der Y r oghurt-Tabletten die Diarrhöen nachließen und 
die Temperatur sank, um beim Aussetzen des Mittels wieder 
zu steigen. Zahlreicher sind die Fälle von Erfolgen bei akuter 
und chronischer Dysenterie, über welche Publikationen vor¬ 
liegen; Broch et (20) berichtet begeistert von den Heilungen, 
die er im Hospital von Haiphong (Indochina) bei allerlei tro¬ 
pischen Darmkrankheiten durch die alleinige Anwendung von 
Yoghurt hatte. Und Wegele (14) war im vorigen Jahre Ge¬ 
legenheit geboten, bei einem Fall der seltenen Tropenkrankheit 
Indian spruc (aphthae tropicae) die außerordentliche Wirkling 
des Y r oghurt auf die — bei dieser Krankheit besonders stark 
auftretende — Darmfäulnis zu beobachten. 

Diese Wirkung macht Yroghurt für alle mit Fäulnisprozessen 
einhergehenden Darmkrankheiten geeignet. Löbel (21) kon¬ 
statierte in mehreren Fällen von chronischen Dünndarmkatarrhen 
sowie von Jejunaldiarrhöen ohne Katarrh Heilung. Wegele 
hatte auch bei jenen Diarrhöen, die als Folge der Achylia 
gastrika so häufig entstehen (weil die nicht genügend vorver¬ 
dauten und nicht durch Salzsäure desinfizierten Speisen Zer¬ 
setzungen erzeugen), bei einer Reihe von Patienten ohne Aus¬ 
nahme Erfolge. 

Wie auf Diarrhöen, so kann Yroghurt auch auf chronische 
Obstipation günstig einwirken, obgleich er nicht an sich ab¬ 
führend ist; nach ca. 14 tägigem " Gebrauch fand Patsch- 
kowski(lö) „stets regulären, schmerzlosen, reichlichen Stuhl¬ 
gang“. 

Bei den als Teilerscheinung der Darmtuberkulose auftre¬ 
tenden Durchfällen haben Jaquet, Kauselme, Nigoul (22) 
Abnahme der Diarrhöen zugleich mit Hebung der Ernährung 
gesehen. Und weitere nicht näher bezeichnete Erfolge bei 
Darmkrankheiten beobachteten Metchnikoff. Combe, 
Rosenthal und Zikel (23). 


\ 


Original from 



410 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU, 


Ob solche Erfolge auch bei Leberaffektionen (Cholelithiasis, 
Zirrhosis) regelmäßig zu erwarten sind, läßt sieb noch nicht 
übersehen. Vorläufig erzielten Willke und Martin (24) be¬ 
friedigende Resultate, die sie teils auf Behebung der Ver¬ 
dauungsstörungen durch Yoghurt zurückführen, teils mit dem 
durch die Milchsäure vom Darm aus gesetzten, reflektorischen 
Anreiz der Lebertätigkeit begründen. 

Sicherer fundiert ist die Annahme einer spezifischen 
Wirkung des Yoghurt gegenüber hydropischen Zuständen; und 
zwar sowohl bei solchen, die kardialer Natur sind, als auch 
bei solchen, die sich im Verlaufe von akuten und chronischen 
Nierenkrankheiten einstellen. Hat schon die Milch an sich, 
nach K ar r el und Immer mann, diuretisch e Eigenschaften, 
so gilt dies noch mehr vom Yoghurt, was zweifellos in Be¬ 
ziehung zur leichteren Diffusibilität und Assimilierbarkeit steht. 
Darauf gründen sich auch wohl die Erfolge, welche Dybo wski, 
Tü 1 bendjan (25) und auch Metchnikoff bei solchen Fällen 
erzielten. 

Die günstigen Ergebnisse des Yoghurt-Gebrauches bei 
kachektischen Zuständen, wie sie Willke sah und wie sie im 
Hospital Bouciraut bei Tuberkulose erreicht wurden, beruhen 
weniger auf spezifischer, sondern wohl lediglich auf allgemeiner 
Nährwirkung des Yoghurt. 

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß in der kurzen Zeit, 
in der Yoghurt Anwendung findet, eine so große Zahl von 
überaus günstigen klinischen Erfahrungen gemacht wurde, daß 
weitere Versuche mit dem neuen Mittel, welches niemals schäd¬ 
lich wirken kann, geboten erscheinen. 

Literatur. 

1. Metchnikoff, Etic. La vieillesse. (Rov. scientif., T. II., 1904); 
derselbe, Essaies optimistes, Paris, St. Malvine 1907. Daraus „Einige Be¬ 
merkungen über Sauermilch“. Deutsch von L. Schliep. Paris, A. Remv, 
1907. 

2. Combo, L’autointoxikation intestinale. Paris 1906. 

3. Bertrand u. Weisweiller, Ann. de l’institut Pasteur, 1906. 

4. Zitiert bei Metchnikoff, „Quelques remarques“ etc. 

o. Pi or ko wski, Berliner mediz. Gesellschaft, 13. XI. 1907. 

6. Grigoroff, Rev. medie, de la Suisse romande, 1905, p. 714; 
Maze, Ann. de l’inst. Pasteur, 1905; Fuhrmann, Zeitschr. f. Nahruugs- 
und Genußmittel, 1907, p. 598; Kühn u. Luerssen, Zentral«, f. Bak- 
teriol, 1908, Nr. 8/9. 

7. Brudzinski, Jahrbuch f. Kinderheilk., 1900. 

5. Tissier, Ann. de l’inst. Pasteur, 1905. 

9. Herter, British Medical Journ.. 25. XII. 1897. 

10. Cohen dy, Compte rond. de la soc. de biol., 1906. 

11. Zitiert bei Combe. 

12. Kot schy, Reichs.-Med-Anz., 13. XI. 1906. 

13. Duclaux, zit. Allgem. med. Zentr.-Ztg. 1907, Nr. 42/43. 

14. Regele, Deutsche med. Wochensehr., 190S, I. 

15. Patschkowski, Berliner med. Gesellschaft, 13. XII. 1907. 

16. Martin et, Presse medicale, 1906, März. 

17. Zitiert bei Nigoul, „Contribution a l'Etude elin. de l’Antisept. 
intest.“ 

18. Willke, Allg. med. Zentr.-Ztg , 1907, Nr. 42/43. 

19. Parrot, bei Nigoul a. a. O. 

20. Brochet, Observat. clinique recueillis sur l’action de la Lacto- 
bacilline. 

21. Löbel, Therap. d. Gegenwart, 1907, III. 

22. Nigoul a. a. O. 

23. Zikel, Zeitschr. f. neuere phys Therap., 1908, I. - 

24. Martin, Le Montpellier medical, 14. VII. 1907. . 

25. Dybo wski, Par. Acad. de Med., März 1904; Tülbondjan. 
Journ. de sciene. medic. d’Angers. November 1904. 


Referate. 

Referent: Dr. W, Krüger, Magdeburg. 

1. Hygiopon, ein osmo-therapeutisches Eisenpräparat. Von 

Dr. Peters. Deutsche Aerzte Zeitg., 1908, H. 10. * 

2 . Ueber Kühlsalbengrundlagen, insbesondere über Eucerin 
als Salbengrundlage. Von Dr. v. Boltenstern. Ibidem. 

3. Bornyval und seine große klinische Bedeutung. Von 
Dr. Kabisch. Fortschr. d. Med., 1908, Nr. 13. 

4. Zur Therapie der Basedowschen Krankheit mit Anti- 
thyreoidin Möbius. Von Dr. Baumann. Berl. klin. Wochenschr., 
1908, Nr. 20. 

5. Woraus besteht der „Fleischsaft Puro“? Von Dr. Schmidt. 
Med. Klinik, 1908, Nr. 21, 


6. TJeber Gonosan. Von Dr. Bade 1. Oesterr. Äerzte-Zeitg,, 
1908, Nr. 6. 

7. Formeston bei der Behandlung der Ohrenkrankheiten. 

Von Dr. Theimer. Ibidem, Nr. 4. 

8. Phosidin und Asferryl. Von Dr. Zernik. Apotkeker- 
Zeitg., 1908, Nr. 41. 

9. lieber die Verwendung von Gummi als Zusatz zum 
Anästhetikum bei Lumbalanästhesie. Von Dr. Er har dt. Müncb. 
med. Wooh., 1908, Nr. 19. 

1. Auf Grund seiner Beobachtungen bei neun Fällen emp¬ 
fiehlt P. wiederum Hygiopon als gutes organisches Eisenpräparat. 
Seine Vorzüge seien: Sehr starke Diffusionskraft, daher leichte 
Resorptionsfäbigkeit im Darm; ausgezeichnete Assimilationsfähig¬ 
keit im Organismus; absolutes Freisein von allen schädlichen oder 
störenden Nebenwirkungen, wodurch seiner Ordination auch bei 
empfindlichen oder magenleidenden Patienten nichts im Wege 
stände. P. hält auch den Preis des Mittels für sehr niedrig, da 
ein Originaltropfglas von 50 g (3 M.) ca. acht Wochen reicht. 

2. Entgegen den Anschauungen Liebreichs, daß die große 
Hydrophilie des Wollfettes den Cholesterinestern (= Fetten) zu¬ 
zuschreiben ist, haben Lifschütz und Darmstädter nachge¬ 
wiesen, daß die Wasseraufnahmefähigkeit des Wollfettes auf .seinem 
Gehalt an Alkohol beruht. Der Träger dieses großen Wasserauf¬ 
nahmevermögens ist die Alkoholfraktion 2 c. Diese ist bei ge¬ 
wöhnlicher Temperatur von honigähnlicher Konsistenz und eben¬ 
solchem Aussehen; sie löst sich leicht in allen Lösungsmitteln mit 
Ausnahme des Wassers und erstarrt bei niedriger Temperatur zu 
einer undurchsichtigen amorphen Masse. Die Fähigkeit dieses 
Stoffes, Wasser aufzunehmen, ist so groß, daß schon 1% genügt, 
um z. B. bei Vaselin eine Wasse'rabsorption von 150 bis 200% 
hervorzurufen. Das zähe Wollfett ist aber nicht das geeignete 
Vehikel für diese hydrophile Körpergruppe, sondern diese dürfte 
bei anderen geschmeidigeren Konstituentien wie Unguent. paraffini, 
Vaselin usw. unter sonst gleichen Bedingungen eine weit höhere 
Wasserkontinenz hervorrufen als beim Wollfett. Unna und 
Dieterich haben die hydrophile Eigenschaft des Lanolinum 
anhydricum Liebreich genau untersucht. Diese (= 105%) 
konnte nach Versuchen Unnas durch Zusatz anderer Fette, z. B. 
Adeps benzoatus, noch erheblich erhöht werden (250%). Da die 
Kühlung der entstehenden Kühlsalbe nur dann zur Geltung kommt, 
wenn dem Lanolin außer Wasser noch ein anderes Fett, z. B. 
Glyzerin, hihzugesetzt wird, zog Unna daraus den Schluß, daß 
es bei Konstruktion der Kühlsalben nicht auf große Wassermengen 
ankommt, sondern darauf, in welchen Quantitäten Wasser zur 
Verdunstung gelangt. Nun wird Lanolin an der Luft leicht hart, 
liecht schlecht, und die Oholesterinester sind nicht absolut uner¬ 
setzlich. Nach Lifschützs Entdeckungen scheint es aber mög¬ 
lich, die Hydrophilie des Wollfettes zu isolieren. Dies ist eine 
braungelbe, wachsartige Masse, welche mit dem absolut uner¬ 
setzlichen, weichen Unguentum paraffini im Verhältnis 1 : 20 ver¬ 
schmolzen wird. Diese Mischung, mit gleicheu Teilen Wasser ver¬ 
rieben, liefert „Eucerin“, während das wasserfreie Gemisch „Eucerinum 
anhydricum“ zu bezeichnen ist. Eucerin ist absolut haltbar, ge¬ 
schmeidig, in der Kälte mit anderen Medikamenten, Salben und 
Pasten beliebig mischbar, vollkommen geruchlos und imstande, 
wässrige Medikamente iu großer Menge aufzunehmen. Hauptsäch¬ 
lich stellt es eine Kühlsalbe dar. Zur Bereitung von Kühlpasten 
muß dem Eucerin nur etwas Pulver (z. B. Talkum) zugesetzt 
werden. Eucerin macht als Zusatz auch andere Salben oder 
Pasten zu Kühlsalben oder Kühlpasten; ferner gibt es eine vor¬ 
zügliche Grundlage für Lippenpomade, Zur Verwendung auf 
Schleimhäute eignet es sich nicht; hier nimmt man besser Eucerin, 
anhydric. Bisher empfiehlt Unna nur das Eucerin, als von ihm 
erprobt; mit dem wasserfreien Eucerin müssen noch weitere Unter¬ 
suchungen angestellt werden. 

3. Auf Grund eigener Erfahrungen lobt K. das Bornyval- 
Riedel (d.“ i. der Isovaleriansäureester des Borneols) bei funktio¬ 
neilen Neurosen des Herzens, bei den nervösen Beschwerden des 
Gastro-Intestinaltraktus, bei allgemeiner Neurasthenie, bei psychi¬ 
schen Erregungszuständen leichterer Art. Ganz besonders - günstig 
soll Bornyval bei einigen Frauenleiden im Klimakterium wirken. 
Anstatt Morphium hat K. oft das Mittel bei Magenkrampf an¬ 
gewendet. 


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TäBRAPEinSSCHE RUNDSCHAU. 


' 4. Auf die Zeit des Enthusiasmus, der auf die ersten Ver¬ 

öffentlichungen über Heilungen der Basedowschen Krankheit mit 
Antithyreoidin überall Platz griff, folgte bald eine Zeit der Ent¬ 
täuschungen, Das kam wohl daher, daß man bezüglich des Anti¬ 
thyreoidin die Erwartungen zu hoch gespannt hatte. Das Richtige 
liegt, wie bei so vielen Neuerungen in unserer Wissenschaft und 
unserem therapeutischen Handeln, in der Mitte. Jetzt .wird wieder 
von B. ein Fall von Basedowscher Krankheit berichtet, der mit 
Antithyreoidin-Moebius behandelt wurde und in Heilung über¬ 
ging. Dasselbe wurde drei Wochen lang, zuerst dreimal täglich 
acht, später dreimal zehn Tropfen gegeben; im ganzen, erhielt die 
Kranke 30 ccm. Die sehr, unregelmäßige Herzaktion wurde fast 
normal, die Struma ging um 1 cm zurück; die nervösen Störungen 
schwanden. Um die reichlichen Gaben Rotwein zu vermeiden, die 
notwendig sind, wenn das Mittel in diesem Vehikel gegeben wird, 
empfiehlt B. die Verabreichung in einem Mineralwasser. So wird 
der widerliche Karbolgeschmack am besten ertragen, der in Ver¬ 
bindung mit einem süßen Korrigens einfach unerträglich wird. 

3. Verfasser, der Untersuchungen über Präzipitinreaktion und 
denaturierte Muskeleiweißstoffe angestellt hat, zog — mehr zu¬ 
fällig — auch- den „Fleischsaft Puro tt in das Bereich seiner 
Experimente und machte dann zu seinem höchsten Erstaunen die 
Entdeckung, daß die laut Angabe der Fabrik Ochsenfleischeiweiß 
enthaltende Purolösung weder mit einem Rinderblutantiserum noch 
mit einem Rindermuskelpreßsaftserum reagierte. Auch mit Pferde¬ 
antiserum erzielte er ein negatives Resultat. Nunmehr stellte er 
direkte Immunisierüngsversuche mit Puro an und erhielt schließ- 
lich ein „Fleischsaft Puro u -Antiserum. Aber auch dieses wirkte 
auf Rindermuskeleiweißlösungen (Preßsaft: Puro soll ja Preßsaft 
.sein!) ebenfalls negativ. Auch auf Pferdeeiweiß reagierte das 
Puroserum negativ. Aus diesen Untersuchungen folgerte Sch., 
daß Puro überhaupt kein genuines Rindereiweiß enthielt. Zu 
diesem Resultat kam Autor auf Grund seiner biologischen Unter¬ 
suchungen. Sie wurden dadurch bestätigt, daß er im Puro nicht 
einmal Spuren von Blutfarbstoff nachweisen konnte. Auch Globu¬ 
line, aus denen jedes Muskeleiweiß (Preßsaft) besteht, waren in 
nennenswerter Menge nicht zugegen. Da nun Verfasser — der 
übrigens in Kairo lebt — die Angaben der Fabrik für glaubhaft 
hielt, konnte er sich nicht erklären, welches natürliche Eiweiß im 
Puro enthalten sei, bis ihm die. Bekanntmachung der Firma Puro 
„Zur Aufklärung“ zu Gesicht kam, und er vernahm, daß „es 
nichts als Eiereiweiß“ sei. Er holte nun sein vor IV 2 Jahren 
hergestelltes „Fleischsaft Puro“-Antiserum aus dem Eisschrank 
und verwandte es bei einer verdünnten Hühnereiweißlösung. Da 
entpuppte sich denn sein vermeintliches Fleischsaftantiserum als 
ein recht wirksames Hühnereiweißserum. Auch ein Hühnerblut¬ 
antiserum (Hühnerblut ist mit Hühnereiweiß biologisch verwandt) 
gab in verdünnter Purolösung deutliche Präzipitinreaktion. Auf 
Grund aller dieser Versuche behauptet Sch.t 

a) Puro ist zusammengesetzt aus Fleisch extra k t 
und natürlichem (genuinem) Eiweiß. 

b) Das im Puro vorhandene natürliche Eiweiß ist 
weder Rindermuskel- noch Rinderbluteiweiß, noch 
ist es Muskel- oder Bluteiweiß irgendeiner anderen 
Tierart. 

c) Das im Puro vorhandene natürliche Eiweiß ist 
Hühnereiw eiß. 

6. B. hat bei 45 Kranken mit akuter Gonorrhöe Gonosan 
neben der Lokaltherapie angewandt und kommt zu folgenden 
Schlüssen: Gonosan kann zur internen Behandlung der akuten 
Gonorrhöe neben der Lokaltherapie mit Vorteil in Verwendung 
gezogen werden; es wirkt schmerzstillend und sekretionsbeschrän¬ 
kend, wird vom Organismus gut vertragen und behindert die Ent¬ 
stehung von Komplikationen. 

7. Formeston, über das ich schon an dieser Stelle referiert 
habe, wird von Th. mit gutem Erfolge bei Ohrenkrankheiten an¬ 
gewandt. Meist benutzte er 10%iges Formeston, das er als 
gutes Mittel bei der konservativen Behandlung der Ohrenkrank¬ 
heiten betrachtet, speziell bei starker Sekretion. Das Formeston 
ist —- um zu rekapitulieren — ein Derivat der essigsauren Ton¬ 
erde, nämlich basisch essig-ameisensaure Tonerde. 

8. Ende 1907 wurden von dem Chemischen 'Laboratorium 
Dr. C. Sorger-Frankfurt a. M. zwei ueue Präparate in den Handel 


gebracht: Phosidin und Asferryl. Das erste ist ein organisches 
Phosphor-Eisensalz, das andere ein organisches Arsen-Eisensalz. 
Phosidin ist ein hellgelblich graues, amorphes, körniges Pulver 
ohne Geruch und Geschmack, das beim Erhitzen eine dunkel¬ 
violette Farbe annimmt. Asferryl stellt ein graugelbliches Pulver 
dar, das sich analog dem Phosidin verhält. Nach Z.s Unter¬ 
suchungen erhält Phosidin 24,0% Eisen und 34,85% Phosphor¬ 
säure, Asferryl dagegen 26,0% Arsen und 20,22% Eisen. 

9. Nach Tappeiner wird die Reizeigenschaft der zur Lumbal¬ 
anästhesie benutzten Anästhetika auf motorische und sensible 
Nerven durch Scbleimstoffe bedeutend herabgesetzt, auch wird die 
Resorption verhindert. Der Verfasser hat durch Tierversuche 
festgestellt, daß als Dosierung ein 3%iger Gummiznsatz zu l%iger 
Tropakokainlösung zu empfehlen ist. Eine Kombination mit anderen 
Narkotizis erscheint nicht wünschenswert und sollte höchstens in 
vorhergehender Injektion von Skopomorpliin oder dergleichen be¬ 
stehen, wenn die Ausschaltung des Sensoriums wünschenswert ist. 
Uebrigens ist die Entkeimung einer Gummi arabikum enthaltenden 
Lösung sehr umständlich. Verfasser hat deshalb die benutzten 
Lösungen von Merck-Darmstadt herstellen lassen. Doch wird 
über das eingeschlagene Verfahren nichts berichtet. Wichtig ist, 
daß nach jedem Gebrauch die Injektionsspritze gründlich gereinigt 
wird. Denn das zurückbleibende Gummi arabikum wird durch 
Luftzutritt sauer, und durch Injektion aus einer mit sauer reagierenden 
Resten verunreinigten Spritze könnten schwerste Nackerscheinungen 
resultieren. 


Technische Neuerscheinungen. 

- — - - - — 1 

Das Retrodiaskop, ein Refraktionsmonokel zur 
Durch- und Spiegelsicht. 

Nach Dr. Krusius, Marburg. (Aerztliclie Polytechnik, 
Heft 4.) 

Dasselbe besteht aus einem Plan-, Konvex- oder Konkav¬ 
spiegel, je nachdem es für einen Normal-, Kurz- oder Fern- 
sichtigen Verwendung finden soll, in Größe der üblichen Angen- 
glasmonokel. Zentral ist ein mehrere Millimeter Radius um- 



! i# ■ 

a 1 


fassender Bezirk des Spiegels unbelegt; diese Partie kann zum 
Durchsehen benutzt werden und ist je nach der Refraktion 
des Auges des Benutzers noch besonders ausgeschlifien. Die 
belegte Rückseite des Spiegels ist durch eine Metallfassung 
geschützt, an der ein Stielgriff befestigt ist. Zur Benutzung 
wird das Refraktionsmonokel mit der spiegelnden Seite dicht 
vors Auge gehalten, so daß man durch die zentrale Partie 
deutlich hindurchsehen kann und zugleich, durch kleine ent¬ 
sprechende Spiegeldrehungen im belegten Spiegelteile seitlich, 
oben und unten rückwärts vom Beobachter befindliche Geg'en- 


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?'?*6S5qfr. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU, 


stände sich deutlich sichtbar machen kann ohne Kopfdrehungen 
und sonstiges korrigierendes Glas. Der Apparat ermöglicht, 
im Konzert, Theater etc. die Vorgänge auf der Bühne scharf 
zu verfolgen und doch zugleich rückwärts oder seitlich vom 
Beobachter befindliche Personen oder Gegenstände unauffällig 
zu fixieren. Zu beziehen von der Firma William Sehuberth, 
Leipzig, Seeburgstr. 37. M. Plien, Berlin. 


Bücherbesprechungen. 


Zur Ernährungslehre. Von Dl’. Stille (Stade). Ver¬ 
lag der Aerztl. Rundschau. 1908. Preis 0,75 M. 

Eine klare Darstellung der Resultate von Baelz und Chit- 
tenden, der weiteste Verbreitung zu wünschen ist, in Anbetracht 
der großen hygienischen und sozialen Bedeutung der Frage. 
Stille legt dar, wie der von Liebig aufgebrachte und von 
Moleschott und andern fortgepflanzte Irrtum dazu kam, die 
Herrschaft so lange zu behalten, und wie wenig weit wir mit der 
bloß chemischen Betrachtung des Stoffwechsels kommen. 

F. von den Velden. 

Aerztliches Jahrbuch für Oesterreich 1908. Nach 

amtlichen Quellen zusammengestellt und redigiert von Dr. Emil 
Fuhrmann«Wien. Wien 1908. Verlag Spielhagen & Sckurich, 
Kumpfgasse 1. 614 S. Preis 8 Kr. = 7 M. ■ 

Das im dritten Jahrgange erschienene Buch ist unserm Ber¬ 
liner Medizinal-Kalender an die Seite zu stellen; wie letzterer 
über die deutschen, so orientiert ersteres in übersichtlicher und 
gründlicher Weise über die österreichischen medizinischen Ver¬ 
hältnisse und ist daher allen Interessenten sehr zu empfehlen. 

Lung witz -Berlin. 



ALLGEMEINES. 


NoordyL Folgendes gedruckte Rundschreiben gelangt z. Z. 
an die Apotheken der Reichshauptstadt zum Versand: 

„Der Polizei - Präsident von Berlin hat Ihnen unter dem 
10 . März eine Verfügung zugehen lassen, wodurch Ihnen unter¬ 
sagt wird, auf Grund mit Dr. med. Fischer Unterzeichneter 
Rezepte Noortwycks Noordyl abzugebeD, Diese Rezepte sind; von 
mir ausgefertigt. 

Als in Deutschland approbierter Arzt erkläre ich _, daß meine 
Rezepte gesetzliche Gültigkeit haben, und, ersuche Sie, die etwa 
in Ihrer Apotheke vorkommenden Rezepte mit meiner unten¬ 
stehenden Unterschrift auf jeden Fall anzufertigen. — Den Namen 
des betr. Patienten auf den Rezepten zii vermerken, besteht für 
mich keine gesetzliche Verpflichtung, dagegen wird in Zukunft 
jedes Rezept meine Adresse tragen. 

Berlin‘•Karlshorst, April 1908. Hochachtend 

Heiligenbergerstraße 12. Dr. med. Fischer.“ 

Man darf gespannt sein, was der Polizeipräsident darauf ant¬ 
worten wird. Die Verfügung desselben richtete sich gegen die 
offenbare Umgehung der Verordnung über den Verkehr mit Ge¬ 
heimmitteln. Die Aerztekammer wird sich wohl mit dieser An¬ 
gelegenheit auch noch zu befassen haben. (Zentralbl. f. Pharm, 
u. Chemie, 1908, Nr. 36.) 

F. A. Hoppen u. R. Fischer 
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Redaktion: 

Berlin S. 14, Dresdenerstr. 44. Tel. IV, 11773. 
Dr. med. et phil. H. Lungwitz. 



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Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte der Ostsee und der 

Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 


II. Jahrgang. Halle a. S., 28. Juni 1908. Nr. 26. 

Die „Therapeu tische Rundschau“ erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2M., einzelne Nummer 20 Pf. Bestellungen nehmen jede Buchhandlung, 
die Post, sowie die Geschäftsstelle: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung in Halle a. S. entgegen. Inserate werden für die 4gespaltene Petitzeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. berechnet Beilagen nach Uebereinkunft. Reklamezeile 1,50 M. Bei größeren Aufträgen wird Rabatt gewährt. 

Nachdruck der Original-Aufsätze ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. — Nachdruck der anderen Rubriken ist nur mit Quellenangabe gestattet 



Ueber Asferryl, 

ein neues Arsen-Eisen-Präparat. 

Von Privatdozent Dr. C. Bachem, Bonn. 

Arsenik und Eisen sind beides Präparate, an deren Wirk¬ 
samkeit kein wissenschaftlich denkender Arzt mehr zweifelt. 
Bereits im Jahre 1619 finden wir eine in Rom erschienene 
Schrift, welche den Arsenik als Heilmittel verteidigt, und 1786 
empfahl Fowler die arsenige Säure u. a. gegen Rückfallfieber 
und periodische Kopfschmerzen. Seit jener Zeit hat der Arsenik 
seine Stellung als Heilmittel bis auf den heutigen Tag zu be¬ 
haupten gewußt. 

Die innerliche Anwendung des Eisens ist noch älter. Schon 
die Hippokratiker bedienten sich desselben, und die Alchymisten 
des Mittelalters brachten es zu hohem Ansehen. Erst als sich 
die Ansicht von der Notwendigkeit des Eisens im Blute durch¬ 
gerungen hatte, beschränkte man sich auf seine Anwendung bei 
chlorotischen und anämischen Zuständen. Heute bietet die 
'Pharmakopoe dem Praktiker eine mehr als reiche Auswahl von 
organischen und anorganischen Eisen-Präparaten; dazu sucht 
die pharmazeutische Technik täglich neue Mittel dieser Art auf 
den Markt zu bringen. 

Wegen der Aehnlichkeit ihrer Wirkungsweise — beide 
wirken als formativer Reiz — sucht man gern Eisen mit Arsen 
zu kombinieren. Diesem Bedürfnis ist die pharmazeutische 
Industrie ebenfalls bereits entgegengekommen, und beim Durch - 
blättern der Kataloge unserer Großdrogisten und Spezialitäten¬ 
händler finden wir eine stattliche Anzahl von Arsen-Eisenver 
bindungen in fester oder flüssiger Form, die dem Laien schon 
durch ihre elegante Verpackung, Wohlgeschmack etc. impo¬ 
nieren müssen. Zum Teil erfüllen sie ihren Zweck auch recht 
gut. Ich erinnere nur an die Arsenferratose, die Arsoferrin- 
tektolettes und andere. Größere Mengen Arsen können aber 
mit Hilfe dieser Präparate dem Körper nicht zugeführt werden, 
weil der Arsengehalt einer Einzeldosis meist nur Bruchteilen 
eines Milligramms Arsen entspricht. Das Atoxyl ist eine 
organische Arsen Verbindung (Metarsensäureanilid) mit einem 
Gehalt von etwa 38% Arsen und kann, infolge seiner ver¬ 
änderten chemischen Konstitution, in bedeutend höheren Gaben 
gereicht werden. Von dieser Eigenschaft macht man bekannt¬ 
lich bei der Behandlung der Syphilis, der Trypanosomenkrank- 
heit etc. weitgehenden Gebrauch. Allerdings sind auch im 
Laufe der letzter* Jahre bedenkliche Vergiftungserscheinungen 


bei der Atoxylanwendung bekannt geworden. Es darf daher 
als sehr wünschenswert bezeichnet werden, nach Präparaten zu 
suchen, die relativ hohe Mengen Arsen in verhältnismäßig 
ungiftiger Form enthalten. 

Das chemische Laboratorium Dr. C. Sorg er in Frankfurt 
a. M bringt neuerdings ein organisches Arsen Eisenpräparat in den 
Handel, welches als Eisensalz einer komplexen Säure, der Arsen¬ 
weinsäure, anzusprechen ist. Der Körper führt den Namen 
Asferryl und stellt ein grünlich-gelbes Pulver dar. in Wasser 
und verdünnten Säuren schwer löslich, dagegen leicht löslich 
mit rotbrauner Farbe in verdünnten Alkalien: Zusatz von 
Säuren läßt freies Asferryl wieder ausfallen. Beim Erhitzen auf 
höhere Temperatur verkohlt die organische Substanz und hinter¬ 
läßt als Glühriickstand Eisenpyroarseniat. Quantitativ enthält 
Asferryl 23% As und 18% Fe. (Neben dem neutralen Salz, 
mit welchem ich meine Versuche anstellte, existiert auch ein saures 
Salz.) Das Darstellungsverfahren ist zum Patent augemeldet. 

Jedoch ist das Präparat nicht unlöslich, wie künstliche 
Verdauungsversuche und andere lehrten. Es handelt sieh dabei 
nur um eine Lösung, nicht Spaltung des Körpers. W urden 
z. B. 300 ccm Wasser -f 1 g neutrales Asferryl 6 Stunden laug 
bei 35 im Brutschrank belassen, so zeigte sich, daß 0,38 g i v bei 
einem anderen Versuch 0,36 g) Asferryl in Lösung gegangen 
war. Zusatz von Ferrozyankalium zum gelösten Filtrat ergab 
keine Bläuung, wohl aber trat eine solche nach Salzsäurezusatz 
ein; dasselbe geschah auch bei Versuchen, in denen im Brut¬ 
schrank außer Pepsin 0,25 bis 0,4% Salzsäure zugesetzt war. 
Arsen ließ sich leicht mit der B ette-ndorischen Probe nack- 
weisen. Aus einem Gemisch von 300 ccm Wasser mit 0.25% 
Salzsäure und Pepsin unter Zusatz von 1 g Asferryl wurden 
im Brutschrank in 6 Stunden durchschnittlich 0.44 g Asferryl 
gelöst, bei 0,4% Salzsäure in 20 Stunden 0.(34 g. In kaltem 
Wasser win den von einer Mischung von 1 g Asferryl : 3(>0g Wasser 
bei häufigem Schütteln, innerhalb 1 . 2 Stunde 0.42 gelöst, dies 
entspricht einer Löslichkeit von annähernd 1 : 700. Diese Lös¬ 
lichkeit des Präparates im Magensaft, scheint jedoch die Magen¬ 
verdauung nicht zu beeinträchtigen. 

Meine Versuche, die Wirkung des Asferryls zu erproben, 
erstrecken sich auf a) Kaninchen, b) Hunde, c) Versuche an ruir 
selbst. 

Von einem mittelscliweren (2400 gß Kaninchen wird eine 
einmalige Gabe von 0.1 g Asferryl, in Alkali gelöst, anstandslos 
vertragen, einerlei, ob die Zufuhr per os oder subkutan ge¬ 
schah. Bei letzterer xArt der Anwendung kommt es häufig zu 
Abszessen, was nicht dem Mittel als solchem, sondern der 
starken Alkaleszenz der Lösung zuzuschreiben ist. Herzschläge, 
Temperatur, Atmung und besonders das Körpergewicht bleiben 
normal. Während 0,04 g pro kg für Kaninchen schadlos sind, 
liegt die tödliche Dosis bei 0,06 bis 0,07 pro kg Tier. 0,01 g 


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arsenige Säure töten Kaninchen in 3 bis 6 Stunden (Kunkel*), 
kleinere Gaben, ca. 0,002 pro kg und pro die in einigen Tagen 
(Saikowsky**). 

Bei den Versuchen, die tödlich verliefen, konnte man je 
nach der Zeit des Todes deutlich zwei Arten der Arsenik ver- 
iftung unterscheiden: 1. die zentrallähmende nach wenig 
tunden ohne Aetzungen und 2. die resorptive, nach einem 
oder mehreren Tagen mit Organverfettungen, Aetzungen usw. 
Meist handelt es sich um Verfettung der Leber und der Nieren; 
Blutungen in den Dünndarm oder die Nieren wurden eben¬ 
falls beobachtet: alles Symptome der akuten oder subakuten 
Arsenikvergiftung. In keinem Falle war eine Aetzung des 
Magens zu konstatieren, weil das Präparat, wie oben gesagt, 
in verdünnter Salzsäure sich nur wenig löst. Nimmt man als 
Dosis letalis des Asferryls pro kg Kaninchen 0,07 g an, die der 
arsenigen Säure zu 0,002 g (eine Menge, die für einen 70 kg 
schweren Menschen sich zu 0,14 g, der bekannten tödlichen 
Gabe, berechnet), so ist das Asferryl 35 mal ungiftiger als die 
arsenige Säure. Nun verhält sich der Gehalt an metallischem 
Arsen in dem Asferryl gegenüber der arsenigen Säure wie 
1:3,3; dem Ars eng eh alt nach wäre demnach das Asferryl 
etwa 10 mal ungiftiger als Acidum arsenicosum. 

Die relative Unschädlichkeit des neuen Präparates ergibt 
sich auch aus Fütterungsversuchen an jungen Kaninchen, die 
längere Zeit hindurch (drei Monate) Asferryl in aufsteigenden 
Gaben erhielten. 

Ich wählte zu diesem Zwecke sechs junge Kaninchen von 
gleichem Wurf; drei wurden mit Asferryl behandelt, die drei 
anderen bildeten die Kon troll tiere und erhielten 20 bis 50 ccm 
Wasser. Etwa 6 Wochen nach Beginn der Behandlung schien 
ein Kontrollkaninchen aus unbekannter Ursache zu erkranken, 
magerte ab etc. und wurde aus der Versuchsreihe ausgeschaltet; 
aus rein äußeren Gründen mußte daher auch ein Asferryl- 
tier entfernt werden (dieses blieb jedoch dauernd gesund), so 
daß ich später nur mit zwei Asferryltieren und zwei Kontroll- 
tieren arbeitete. In 25 Einzeldosen, die meist in Abständen von 
3 bis 4 Tagen gereicht wurden, erhielt jedes Kaninchen aufstei¬ 
gend pro dosi 5 bis 50 mg Asferryl in schwach alkalischer l"/ 0 o 
Lösung per os. In der ganzen Fütterungsperiode (drei Monate) 
bekam jedes der beiden Tiere 0,53 g Asferryl. 

Bei Beginn der Versuche wog jedes Asferryltier durch¬ 
schnittlich 1450 g, am Schluß derselben 2300 g, so daß jedes 
mit Asferryl drei Monate hindurch behandelte Kaninchen 850 g 
zunahm. 

Bei Beginn der Versuche wog ein Kontrolltier durch¬ 
schnittlich 1480 g, am Schluß derselben 2230 g, so daß jedes 
mit Leitungswasser gefütterte Kontrollkaninchen 750 g zunahm. 

Wie man sieht, hat die lange Zeit durchgeführte Asferryl- 
behandlung den Tieren nicht nur nicht geschadet, sondern 
sogar ihr Körpergewicht gegenüber dem der Kontrolliere 
etwas gehoben.***) Ich will noch bemerken, daß alle 3 bis 4 Tage, 
d. h. bei jeder Fütterung, eine genaue Wägung der Tiere statt¬ 
fand. Die Kaninchen befanden sich während der ganzen Zeit 
der Behandlung völlig wohl, die Freßlust war nicht beeinträch¬ 
tigt, insbesondere traten keine Durchfälle auf. Die Zahl der 
roten Blutkörperchen und die Hämoglobinmenge hielt sich, am 
Schluß der Versuche gemessen, sowohl bei den Asferryl- als 
auch bei den Kontrolltieren innerhalb der normalen Grenzen. 

Die Kaninchen blieben auch späterhin andauernd gesund 
und wurden zu anderweitigen Versuchen gebraucht. 

Hunden das Asferryl per os beizubringen, scheitert daran, 
daß diese Tiere das Präparat leicht ausbrechen; dies geschieht 
sowohl, wenn das Mittel in schwach alkalischer Lösung mit 
Wasser verdünnt mit der Schlundsonde eingeführt wird, oder 
auch beim Fressen von mit Asferryl durchknetetem Fleisch. 
Daher wandte ich einige Male die subkutane Injektion an. Ein 
Hund von 4500 g erhielt z. B. 0,2 g Asferryl in schwach 
alkalischer Lösung subkutan, ohne daß Störungen sichtbarer 
Art in seinen Funktionen eintraten. Einem anderen Hunde 

*) Knnkel: Handbuch der Toxikologie, Bd. 1, 1899. 

**) Saikowsky, Virchows Archiv, Bd. 34, S. 73. 

***) Dies stimmt auch mit den Versuchsergebnissen Lardellis überein. 
^Mtinch. med. Wochensehr, 1906, Kr. 49.) 


(7000 g) wurden 0,5 g auf einmal injiziert, am fölgetifieh Tage 
ist er abgeschlagen, am zweitfolgenden Tage wieder munter, 
allerdings mit geringem Gewichtsverlust wegen anfänglicher 
Nahrungsverweigerung. Nach vier Tagen Wurde der Hund ge¬ 
tötet, weil an der Injektionsstelle infolge der alkalischen Lösung 
sich ein Abszeß und später eine^ große Hautwunde gebildet 
hatte. Daß das Asferryl ihm keinen dauernden Schaden zu¬ 
gefügt hatte, ergab die Sektion, bei der makroskopisch normale 
Organe gefunden wurden. Die tödliche Dosis liegt also bei 
Hunden ebenfalls sehr hoch, mindestens -über 0,07 g pro kg. 

Ermutigt durch die relative Ungefährlichkeit, ging ich 
daran, den neuen Körper an mir selbst zu erproben. Hierzu 
benutzte ich sowohl das pulverförmige neutrale Asferryl, mit 
Saccharum album als Pulver verrieben, oder die vom Erfinder 
hergestellten Asferryl-Schokolad'etabletten mit einem Gehalt von 
0,04 g Asferryl, entsprechend 0,0092 Arsen (15 Tabletten in 
Glasröhrchen kosten 1,50 M.). Ich nahm 7 Tage lang am 
ersten Tage eine, an den 6 folgenden Tagen je zwei Tabletten 
nach dem Essen, also Tagesgaben von 0,08 g Asferryl (= 0,02 As). 
Unangenehme Erscheinungen, besonders am Verdauungsapparat, 
waren nicht zu beobachten, Durchfall trat nie ein, eher, wohl 
infolge der Eisenkomponente, das Gegenteil. 

Sodann nahm ich einige Tage lang täglich 3- bis 4 mal 
abgeteilte Pulver mit je 0,05 Asferryl, was einer Tagesmenge 
von 0,2 g Asferryl (oder etwa 0,05 As) entspricht. Endlich ver¬ 
schluckte ich an einem anderen Tage drei Asferryl-Tabletten 
ä 0,04 g gleichzeitig, ohne auch hier nachteilige Folgen zu 
gewahren. 

Soweit die Erfahrungen an Tieren und an meiner Wenig¬ 
keit. Ich bin mir wohl bewußt, daß der Unterschied der 
Wirkung zwischen einem gesunden Tier und einem kranken 
Menschen ein recht großer ist, und eine Uebertragung von 
Schlüssen dieser Art nicht ohne weiteres zulässig ist. Jeden¬ 
falls scheint festzustehen, daß das Asferryl ein Mittel ist, 
welches bei Erkrankungen herangezogen werden darf, in denen 
man gewöhnlich eine der bekannten Kombinationen von Eisen 
und Arsenik zu reichen pflegt, vor allem also bei Chlorose, 
Anämien verschiedenster Art usw. Daß eine typische Arsen¬ 
wirkung in dieser neuen Verbindung zustande kommt, zeigt 
sich am charakteristischen Bild der Vergiftung bei großen 
Dosen. Endlich wird ein nicht unwesentlicher Nutzen des 
Asferryls darin liegen, daß auf relativ gefahrlose Weise große 
Gaben von Arsen dem Körper in Form dieses arsenweinsauren 
Salzes zugeführt werden können. 

0,3 g Asferryl — eine Gabe, die leicht auf 2 Tage ver¬ 
teilt werden kann — entspricht an Arsengehalt etwa 0,2 g 
Atoxyl (die übliche Injektionsdosis) oder, auf arsenige Säure 
umgerechnet, 0,1 g As* 0 3 . Asferryl würde also auch da 
eventuell von Nutzen sein, wo ein Arsendepot angelegt werden 
soll, z. B. bei Hautkrankheiten, Lues usw., vorausgesetzt, daß 
es nicht zu schnell den menschlichen Organismus unzersetzt 
verläßt, worüber genaue Untersuchungen wünschenswert wären. 

Soviel mir bekannt, ist das Asferryl auch bereits klinisch 
erprobt und für gut befunden worden, doch harren diese Ver¬ 
suche noch der Veröffentlichung. 

Bimanuelle innere Wendung. 

Von Dr. E. Miller, Kgl. Bezirksarzt in Stadtsteinach 
(Oberfranken) ^ 

Wenn der praktische Arzt, namentlich auf dem Lande und 
weitab von der hilfreichen Hand eines assistierenden Kollegen, 
vor eine verschleppte Querlage gestellt ist, dann läßt er all die 
Möglichkeiten, die ihm Schule, Studium und Erfahrung an die 
Hand geben, Revue passieren, um tunlichst ohne Nachteil für 
Mutter und Kind seines verantwortungsvollen Amtes zu walten 
und mit dem erzielten Resultate vor dem Forum der Wissen¬ 
schaft sowohl als des eigenen Gewissens bestehen zu können. 
Verschleppte Querlagen dürften wohl, dank der besseren Aus¬ 
bildung unserer jüngeren Hebammen und des hieraus resul¬ 
tierenden frühzeitigen Erkennens dieses ernsten pathologischen 
Zustandes, in neuerer Zeit erheblich seltener geworden sein; in 


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größeren Städten, wo das Hebammen-Material im allgemeinen In nachfolgendem möchte ich die Herren Kollegen auf 

ein besseres ist, wo das Hebammenamt vielfach den Hauptberuf eine Manipulation hinweisen, die, in geeigneten hallen ange- 

b.ildet, wo «die Konkurrenz zum wissenschaftlichen Auf-der- wendet, mir im Verlaufe von mehr denn zwanzig Praxisjahren 

Höhe-bleiben und zur Weiterbildung drängt und wo — last zuweilen erfolgreiche Dienste geleistet hat. Wenn das Frucht¬ 
not least — ärztlicher Beistand stets in genügender Auswahl wasser bereits längere Zeit abgeflossen, die kindliche Schulter 

rechtzeitig zur Stelle steht, werden verschleppte Querlagen durch die Wehentätigkeit tiefer gedrückt und etwa gar noch 
höheren Stadiums wunderselten zur Beobachtung gelangen, ein Arm vorgefallen ist, der, möglicherweise hochgradig einge- 
wenn nicht mal ausnahmsweise ein krasser Fall von Unver- schwollen, das Lumen der Vagina und damit den Zugang zur 
stand und Nachlässigkeit vorliegt; in Kliniken vollends werden, Frucht verlegt, dann weiß jeder Arzt aus Erfahrung, wie 
abgesehen von wenigen Fällen zu spät eingebrachter Kreißender, schwierig es ist, nach oben zu kommen, um behufs 
die verschleppten Querlagen zu den Raritäten zählen. Wenn Wendung auf den Fuß letzteren fassen zu können, er weiß, 
ich also resümiere, so darf man wohl, ohne gerade mit statisti- wie der vorgefallene, verdickte Arm für das Vordringen ein 
schem Material aufwarten zu müssen, behaupten, daß dank der verdrießliches Hindernis bildet; er weiß ferner, wie die Frucht, 
Verquickung verschiedener günstiger Faktoren die verschleppten selbst wenn es mühsam gelungen sein sollte, einen Fuß dei- 
Querlagen in den Städten eine erhebliche Abnahme erfahren selben zu fassen, in dem trockenen, eng angeschlossenen Uterus 
haben. Anders auf dem platten Lande. Auch hier mag zu- sich nicht wenden lassen will. In solch kritischen Fällen nun 
gegeben werden, daß infolge des gehobenen Ausbildungsniveaus hat es sich mir mehrmals bewährt, mit der einen Hand 
unserer Hebammen und der leichteren Erreichbarkeit ärztlicher in die Vagina einzugehen, den vorgefallenen Arm 
Hilfeleistung heutzutage mancher Fall von Querlage seine er- möglichst nach oben zu heben und durch kräftigen 
freuliche Erledigung findet, der unter den ungünstigeren früheren Druck mit den Fingern in der Richtung gegen den 
Verhältnissen zu einem „verschleppten“ geworden wäre; gleich- Fundus den kindlichen Körper etwas zu lüften, 
wohl werden aus Gründen anderer, vor allem orographischer während dieser Lüftung des kind liehen Kör p eis 
A r f; — beispielsweise in Gebirgsgegenden mit weitverstreuten mit der einen Hand wird gleichzeitig die ander e 
Einzelgehöften, bei dem Fernabgelegensein von größeren mensch- Hand -- Handfläche gegen Handfläche — in die 
liehen Niederlassungen und dem Fehlen gut passierbarer Land- Vagina eingeführt, so daß gleichzeitig be ide 
Straßen usw. — die verschleppten Querlagen nie völlig aus Hände des Operateurs sich in der Scheide be- 

dem ärztlichen Arbeitsbereiche verschwinden, und es wird dem finden. Es wird dank des gewonnenen freien Raumes und 
in solchen Bezirken praktizierenden Arzte auch fürderhin jene des durch die eine Hand gelockerten kindlichen Koipeis lüi 
körperliche und seelische Aufregung nie völlig erspart bleiben, die zweite Hand erheblich leichter sein, nach dem Fundus zu 
die mit der operativen Erledigung einer verschleppten Quer- kommen und einen Fuß der Frucht zu erreichen. Aber 

la<re in* so reichlichem Maße verknüpft ist. Gerade in dieser auch bei der Wendung selbst wird die erste Hand durch ] Vach- 
Situation ist es von unschätzbarem Werte, wenn man gute helfen und Schieben im Sinne der Drehung erfolgreich zum 
Nerven und ein ruhiges Temperament sein eigen nennt. Tele- Gelingen der Wendung beitragen können. Dieser Eingriff den 
phon und Telegraph existieren entweder nicht oder können, man als bimanuelle innere W endung bezeichnen kann, 
weil außerhalb der Bureauzeit, etwa mitten in der Nacht, be- wird in allen jenen Fällen zu versuchen sein m denen man, 
nötigt, nicht benutzt werden; bis dann der Bote zum Arzt und bei länger abgeflossenem Fruchtwasser, die übliche einbändige 
dieser wieder zur Wöchnerin kommt, sind oft Stunden ver- oder kombinierte Wendung nicht zustande bringt und vor die 
gangen; in gedrückter Stimmung geht es dem Kreiß-Bette zu, Frage der .Embryotomie gestellt ist, es werden namentlich 
mit banger Ahnung und Sorge, mit simulierter Seelenruhe Kollegen, die nur mit großem Zeitverluste und unter sonstigen 
zwar, in Wirklichkeit aber mit unruhiger Hast wird die erste Schwierigkeiten Assistenz erlangen können, diesen bimanuellen 
Untersuchung vorgenommen, die entscheiden soll, ob eine Handgriff nicht unversucht lassen. Ich bin mir wohl bewußt. 

Wendung ohne größeres Risiko noch möglich ist, oder ob durch daß die Zahl der für meinen Vorschlag m Betracht kom- 

die inzwischen stattgehabte Wehentätigkeit die Frucht bereits menden Fälle keine allzugroße ist; denn einerseits sind die 
so tief ins Becken herabgedrängt ist, daß die gefahrlose Aus- Fälle von verschleppter Querlage glücklicherweise an und für 
führung einer Wendung ausgeschlossen werden muß. In zahl- sich ziemlich selten und werden vielleicht für die Zukunft 
reicheren Fällen, insonderheit bei Querlagen, pflegt die Wehen- noch seltener werden, andererseits setzt dei Ei folg dei vol- 
tätigkeit nach dem Bersten des Fruchtwassers glücklicherweise geschlagenen Manipulation einen noch nicht allzuiest einge- 
für längere Zeit mehr oder minder vollständig zu sistieren, so daß keilten kindlichen Körper und außerdem ziemlich weite A\eia- 
auch nach längerem Zeitverlust, wenn auch unter erschwerten liehe Genitalien voraus, wie sie zumeist nui dei Multipaia zu 
Umständen, die Wendung der Frucht noch in normaler Weise eigen sind - Momente, deren Zusammentreffen nicht gerade 
effektuiert werden kann; in anderen Fällen dagegen ist das zu den Alltäglichkeiten zählt; es wird, wie schon oben er- 
nichf mehr möglich. Der amtierende Arzt ist dann vor die wähnt, in der Stadt, wo die Chancen für gebmtshiiiliche Ei- 
weniff ermutigende Alternative gestellt, entweder neuerdings folge viel günstiger.liegen, äußerst selten verkommen, daß ein 
mehrere Stunden zuzuwarten, bis ein Konsiliarkollege ange- Geburtshelfer den in \ orschlag gebrachten Handgnff m Ei- 

kommen ist, nm dann gemeinsam mit ihm nach einem noch- wägung ziehen muß; die Leidensgenossen von dei Landpiaxis 

maligen, in Narkose vorgenommenen, aber vergeblichen Wen- indessen, w r elehe die von mir geschilderte Situation veimutiich 
dungsversuch die Embryotomie zu vollführen — oder er muß lebhafter nachfühlen können, werden es begrüßen, wenn ihnen 
den ernsten, verantwortungsvollen Entschluß fassen, die Em- zur glücklichen, erfolgreichen Erledigung einer verschleppten 
brvotomie ohne kollegiale Assistenz vorzunehmen und eventuell Querlage ein weiteres Hilfsmittel an die Hand gegeben ist pnd 
mit Unterstützung der Hebamme und sonstiger hilfreicher Laien wenn es ihnen zuweilen erspart bleiben sollte, die Misere einer 
auch noch die Narkose zu leiten und zu überwachen. Der Embryotomie durchzukosten. Eine Gefahr ist, wie ich glaube, 

einsichtsvolle, vorsichtige Kollege wird sich angesichts der bei humaner Vornahme der beregten I rozedur, und wenn man, 

eminenten Verantwortung dafür entscheiden, das Eintreffen um eine Abreißung des Uterus zu verhindern, letzteren durch 
eines assistierenden und das Risiko mittragenden Kollegen ab- die Hebamme geeignet entgegendrücken hißt, für die Kreißende 
zuwarten, selbstredend in der Voraussetzung, daß dieses mehr- nicht gegeben. .... 

stündige weitere Zuwarten angängig ist und für das Befinden Die bimanuelle innere Wendung kann auch zuweilen bei¬ 

der Kreißenden keine weiteren Gefahren in sich birgt. Es Schädellagen und engem Becken mit recht gutem Erfolge 
oibt indes, wie bekannt, Fälle, in denen eine so heftige Wehen- angewendet werden; es sind hier vor allem halle m Betracht 
Tätigkeit einsetzt, daß zu befürchten steht, es werde durch zu ziehen, in denen das Fruchtwasser schon längere Zeit ab¬ 
längeres Zuwarten eine Uterusruptur sich einstellen und der geflossen, die Gebärmutter infolge der AA ehentätigkeit fest au 
letale Ansgang für die Mutter hierdurch verursacht werden, die Frucht angedrückt und der Kopf noch nicht fest ms becken 
Dann keißts natürlich; Zugreifen! In solchen Notlagen wird eingetreten ist, und wenn die Wendung auf dem üblichen \\ ege 
man erfinderisch ohne Narkose, bei mangelnder Assistenz nicht ermöglicht werden 



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iiß 


TäERAPfiüflSCÖE RÜÜDSCäAtJ. 



kann. Auch hier wird mit der einen Hand* der Kopf des 
Kindes zuerst etwas gelüftet, während die andere Hand gleich¬ 
zeitig am gelüfteten Schädel vorbei nach der Höhe vorzu¬ 
dringen trachtet, um einen Fuß erfassen und die Wendung der 
Frucht einleiten zu können; die erste Hand wird durch Nach¬ 
schieben des Kopfes im Sinne der Drehung zum Gelingen der 
Operation beitragen. 

Es soll nicht verhehlt werden, daß der vorgeschlagenen 
bimanuellen inneren Wendung auch in ausgesprochen ge¬ 
eigneten Fällen ein kleiner Nachteil anhaftet. Dieser Nachteil 
besteht darin, daß der Operateur dadurch, daß beide Hände 
im Innern des Genitaltraktus in Anspruch genommen sind, der 
äußeren Direktive entbehrt. Dieser Nachteil kann teilweise — 
nicht ganz! — ausgeglichen werden, wenn man eine geschickte, 
anstellige Hebamme an der Seite hat, welche die Anweisungen 
des operierenden Arztes auszuführen und damit die leitende 
äußere Hand desselben einigermaßen zu ersetzen vermag. 

Verfasser dieser teilen hat bereits vor Jahresfrist in einer 
angesehenen, vielgelesenen Zeitschrift für die von ihm des 
öfteren ausgeführte bimanuelle innere Wendung eine Lanze ge¬ 
brochen, und es hat sein Vorschlag sowohl in der Fachpresse 
als auch bei einzelnen Kollegen mehrfach wohlwollende und 
zustimmende Beachtung gefunden. Erwähnen will ich noch, 
daß in einem Fachblatte ein Kollege meinen Vorschlag in ge¬ 
eigneten Fällen zwar für sehr beachtenswert, aber für ein wenig 
schwierig bezeichnet; besagter Kollege glaubt außer der bima¬ 
nuellen inneren Wendung auch ein anderes Verfahren empfehlen 
zu können, das sogar in verzweifelten Fällen mit Erfolg anzu¬ 
wenden sei. und welches ihn nur einmal im Stiche gelassen 
habe, nämlich in einem Falle, wo nachher trotz tiefer Narkose 
die Wendung so schwer war, daß die Hand nach vollzogener 
Wendung erlahmte und die Extraktion durch einen Kollegen 
zu Ende geführt werden mußte. Dieses Verfahren beruht in 
Ueberführung der Kreißenden in Knie-Ellenbogenlage, wobei das 
Zurückführen der vorgefallenen Hand und der eingeklemmten 
Schulter meist ohne Schwierigkeiten gelingt und die Wendung 
bedeutend erleichtert wird. Dies beruht nach Ansicht des 
Kollegen darauf, daß bei Querlagen, besonders von Mehr¬ 
gebärenden, meistens Hängebauch besteht und hier der Uterus 
sich weiter nach oben, senkt als bei Rückenlage, so daß zu¬ 
nächst ein Eingehen mit der Hand, auch bei stark vorspringen¬ 
dem Promontorium, erleichtert wird; dann aber auch darauf, 
daß die Kreißende in dieser Lage von ihrer Bauchpresse gar 
keinen oder nur wenig Gebrauch machen kann, was sonst bei 
Wendungen sehr ausgiebig geschieht. Die Gefahr von Luft¬ 
eintritt in den Uterus dürfte zwar bei dieser Lagerung (durch 
Ansaugen) vermehrt, aber wahrscheinlich unbedenklich sein, 
da ja der Uterus noch vollständig mit Eihäuten austapeziert 
und da kein Gefäß abgerissen ist, weshalb Luftembolie nicht 
zu befürchten steht. — 

Mögen gegebenenfalls beide Verfahren versucht werden! 
Der am Kreiß bette stehende Arzt wird dankbar sein, wenn er 
in schwierigen Situationen mehrere Möglichkeiten besitzt, zum 
normalen Ziele zu gelangen, bevor er zur Embryotomie 
schreiten muß. Wenn mit der bimanuellen inneren Wendung, 
die ein Produkt der Notlage und der hieraus resultierenden 
Augenblickseingebung des Verfassers ist, gelegentlich ein 
positiver Erfolg erzielt werden sollte, dann ist der Zweck 
dieser Zeilen erfüllt. 


REFERATE. 


r—i 


Kinderheilkunde. 

Referent: Privatdozent Dr. J. Ibrahim, München. 

1. Vorschläge zu einer medikamentösen Prophylaxe der 
Masern. Von J. Langer, Münch, med. Wochenschr. 1908, 
S. 1179. 


2. lieber Bolusbehandlung bei Diphtherie. Von Stumpf. 

Ibidem, S. 1181. 

3. Nebennieren und Rhachitis. Von W. St öltzu er. Med. 
Klinik, 1908, Nr. 18 bis 22. 

4. Der Phosphorlebertran in der Therapie der Rhachitis. 
Sein Einfluß auf den Kalkstoffwechsel. Von J. A. Schabad. 
Therap, d. Gegenwart, 1908, S. 260. 

1. Daß eine . wirksame medikamentöse Prophylaxe der 
Masern zu den segensreichsten Entdeckungen gehört, kann wohl 
nur der ganz begreifen, welcher Spitalsendemien in Kinderkranken¬ 
häusern zu verfolgen Gelegenheit hatte und beobachten konnte, 
wie gerade die Schwerkranken oft unrettbar der Ansteckung durch 
einen eingeschleppten Fäll und damit nicht selten dem sicheren 
Tode verfallen. Aber auch außerhalb der Krankensäle des Spitals 
gibt es immer Kinder, für welche die Masern eine ernste, event. 
lebensgefährliche Krankheit darstellen; zu ihnen gehören, wie 
Langer ausführt, die Rhachitiker, die skrofulösen, die tuberkulös 
belasteten Kinder, ferner jene, die kurz vorher Keuchhusten, 
Lungenentzündung oder eine akute Infektionskrankheit - durchge¬ 
macht haben. 

Langer glaubt, in der Vornahme von Wasserstoff¬ 
superoxyd-Inhalationen ein wirksames Prophylaktikum ge¬ 
funden zu haben. Man benutzt zu diesem Zwecke die gewöhn¬ 
lichen Wasserdampf-Inhalationsapparate, in deren Vorlegeglas man 
zur jedesmaligen Inhalation 20 bis 25 ccm der Wasserstoffsuper¬ 
oxydlösung bringt (Perhydrol. Merck 10,0 auf Aq. dest. 300,0). 
Es empfiehlt sich, drei- bis viermal täglich die genannte Einzel¬ 
menge inhalieren zu lassen. Willig inhalierende größere Kinder 
tun dies in der Weise, daß sie abwechselnd durch Mund und 
Nase oder bei geschlossenem Mund durch die Nase inhalieren. Bei 
kleineren, abwehrenden Kindern dagegen muß man durch Fixation 
derselben durch eine Person und Offenhalten des Mundes mittels 
eingeführten Löffels, Korkstöpsels, Holzkeiles oder Mundspiegels 
hierfür sorgen. Die Augen benötigen keiner Deckung, da das 
von einzelnen Kindern gelegentlich geäußerte Brennen doch nur 
ganz flüchtiger Natur ist. 

Wenn sich die Wasserstoffsuperoxyddämpfe als Masernprophy- 
laktikum bewähren, was natürlich nur zu erwarten ist, wenn die 
'Inhalationen systematisch und exakt mit wirksamer Lösung durch¬ 
geführt werden, möchte Ref. in dieser Entdeckung eine große 
Bereicherung unserer ärztlichen Hilfsmittel erblicken. 

2. Die von Stumpf bei Cholera, Brechdurchfall und Ver¬ 
giftungsenteritiden inaugurierte Bolustherapie hat mehrfach leb¬ 
hafte Zustimmung und Fürsprache gefunden. Das gleiche, auf 
rein mechanischer Desinfektion beruhende Heilverfahren hat Verf. 
nun auch mit großem Erfolg bei 15 Diphtheriefällen (ohne gleich¬ 
zeitige Heilserumbehandlung) angewandt. 

Von einer Bolusaufschwemmung im Verhältnis 1:2 (z. B. 
125 g Bolus auf ein Viertelliter frisches Wasser) reicht man den 
Kranken alle fünf Minuten oder auch noch häufiger einen 
Teelöffel bis einen halben Kinderlöffel voll zum Verschlucken. 
Gibt man die stets gut umgerührte Aufschwemmung in dieser 
Häufigkeit — von der möglichst häufigen Einführung des Mittels 
hängt der ganze Erfolg ab —, so wird man bei der Rachen¬ 
diphtherie nach Stumpf etwa folgendes beobachten können: 

Schon nach ganz kurzer Zeit verschwindet der üble Geruch 
im Munde, nach zwei bis drei Stunden beginnen Fieber und Puls¬ 
zahl langsam zu sinken, gleichzeitig geht allmählich die Drüsen¬ 
schwellung, und zwar oft ganz überraschend schnell, zurück. 
Diesem Rückgang der Krankheitserscheinungen entsprechend 
sistiert fast mit Beginn der Behandlung die Zunahme der Beläge; 
schon nach ungefähr 10 Stunden bricht der diphtheritische Rasen 
an einzelnen Stellen ein, er zerklüftet sich, zwischen den nun¬ 
mehr inselförmigen Belagpartien wird die eigenartig glänzende 
und intensiv gerötete Rachenschleimhaut sichtbar. Schon nach 36 
bis längstens 48 Stunden wird, wenn man die Behandlung nicht 
vorzeitig unterbricht, völlige Heilung beobachtet. Postdiphtherische 
Lähmungen werden dadurch nicht verhütet. 

Verf. möchte sein Verfahren vor allem auch bei der schweren 
Nasenrachendiphtherie bei Scharlach empfehlen. Hier hätten dann 
noch recht ausgiebige und häufige, etwa stündliche Nasenspülungen 
mit Bolusaufschwemmung von der gleichen Konzentration stattzu¬ 
finden. . 


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1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


417 


3. Die Stoeltznersehe Theorie von der Insuffizienz der 
Nebennieren als patho -physiologische Grundlage der Rhachitis 
dürfte wohl allgemein bekannt sein; ebenso auch der als mi߬ 
lungen zu bezeichnende Versuch, diese Hypothese durch Heilung 
der Rhachitis mit Nebennierensubstanz zu beweisen. In weiteren 
pädiatrischen Kreisen wenigstens hat die günstige Wirkung dieser 
Organotherapie keine Bestätigung gefunden, und Stoeltzner 
selbst hat seine früheren therapeutischen Empfehlungen zurück¬ 
gezogen; in seiner bekannten Rhachitismonographie erklärt er, 
daß er es nicht mehr für zweckmäßig halte, die Nebennierenbe¬ 
handlung der Rhachitis für die Praxis zu empfehlen; er setzt aber 
hinzu, daß die Zukunft der Rhachitistherapie wahrscheinlich doch 
auf dem Gebiet der Organpräparate liege. 

In den nunmehr vorliegenden, durch klare Fragestellungen 
sich auszeichnenden Untersuchungen gelangt Stoeltzner zu der 
Auffassung, daß das Wesen der Rhachitis in einer un¬ 
genügenden Absonderung von Adrenalin durch die 
Nebennieren zu erblicken sei. Die Tatsachen, die er zur 
Begründung dieser Annahme ermitteln konnte, sind folgende: 

1. Die Nebennieren der Rhachitischen sind anscheinend schon ein¬ 
fach an Gewicht nicht vollwertig; 2. sie enthalten abnorm wenig 
Suprarenin; 3. sie enthalten abnorm wenig chromaffine Substanz. 
Aus der Feststellung, daß die Zeichen der Insuffizienz der Neben¬ 
nieren in allen Fällen von noch florider Rhachitis deutlich aus¬ 
gesprochen sind, auch wo die Skelettrhachitis noch sehr gering ist, 
schließt Verf., daß die funktionelle Insuffizienz der Nebennieren 
keine Begleit- oder Folgeerscheinung, daß sie vielmehr die nächste 
Ursache der Rhachitis ist. Auch Tierversuche hat Stoeltzner 
unternommen und glaubt, durch einseitige Nebennierenexstirpation 
bei Meerschweinchen positive Ergebnisse erhalten zu haben; doch 
sind die hier erhaltenen Resultate wohl noch am wenigsten 
überzeugend. 

Von besonderem Interesse sind nun die mitgeteilten B e - 
handlungsversuche der Rhachitis mit Adrenalin. Ver¬ 
wendet wurde Adrenalin Parke, Davis & Co., und zwar wurde 
täglich 1 Tropfen einer 0,l%igen Lösung innerlich in ca. 100 ccm 
Fencheltee verschüttelt, gegeben. Die Behandlungsdauer betrug 
durchschnittlich vier bis fünf Wochen. Schädliche Nebenwirkungen 
wurden unter 22 Fällen nur einmal gesehen (Erbrechen, Mattig¬ 
keit); hier wurde nach fünf Tagen die Behandlung abgebrochen. 
Bei allen Fällen konstatierte Stoeltzner eine überraschend 
schnelle Besserung der statischen Funktionen und des Allgemein¬ 
zustandes. In einem Fall konnte sich Verf. auch durch Unter¬ 
suchung der Knochen eines interkurrent verstorbenen Kindes 
überzeugen, daß histologisch von der Rhachitis fast nichts mehr 
zu entdecken war. 

Nicht ganz verständlich ist Stoeltzners eigene geringe 
praktische Bewertung seiner therapeutischen Beobachtungen. Er 
schreibt: „Daß die Adrenalinbehandlung der Rhachitis sich in der 
Praxis einbürgern wird, glaube ich kaum. Die Behandlung mit 
Phosphorlebertran genügt den praktischen Bedürfnissen vollkommen 
und ist bequemer. Und wen die Wirkung des Phosphorleber¬ 
trans nicht überzeugt, der wird auch zu der Adrenalinbehandlung 
nicht zu bekehren sein.“ 

Ref. möchte glauben, daß die Adrenalinbehandlung der 
Rhachitis nach den raitgeteilten Erfolgen vielmehr eingehender 
Nachprüfung wert ist, und wenn ähnliche Resultate auch von 
anderen Beobachtern erzielt werden, sicherlich auch ausgedehnte 
praktische Anwendung finden ward. 

4. Einstweilen ist zweifellos der Phosphorlebertran noch das 
souveräne Mittel in der Behandlung der Rhachitis; eingehende 
Versuche über den Kalkstoffwechsel von Kindern unter dem Ein¬ 
fluß von Phosphorlebertran stehen bisher noch aus, und die vor¬ 
läufige Mitteilung von Schab ad, die über derartige Versuche 
berichtet, ist daher von großem Interesse. Verf. stellte fest, daß 
der Phosphorlebertran auf den Kalkstoifweeksel gesunder Kinder 
keinen Einfluß ausübt, jedoch bei Rhachitis die Kalkretention er¬ 
höht. Diese Wirkung tritt bald nach dem Beginn der Dar¬ 
reichung des Mittels auf, ist nach drei bis fünf Tagen schon 
deutlich ausgeprägt und schwindet nach dem Fortlassen desselben 
sehr allmählich, so daß sie noch nach zwei Monaten nachweisbar ist 
(wenn das Mittel zweiundeinhalb Monate lang genommen wurde). 
Weitere Versuche des Verfs. sprechen dafür, daß im Phosphor¬ 


lebertran beide Komponenten, sowohl der Phosphor als auch der 
Lebertran wirksam sind. Verf. stellt fernerhin Untersuchungen 
in Aussicht, die zeigen sollen, ob der Phosphor per se ohne 
Lebertran auch wirkt, und ob nicht auch andere Oele und Fette 
ebenso wie der Fischlebertran einen Einfluß auf den Kalkstoff¬ 
wechsel bei Rhachitis ausüben, oder ob dies eine spezifische Eigen¬ 
schaft des Lebertrans ist. 

Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 

Referent: Spezialarzt Dr. M. Halle, Berlin. 

1. Ueber Infektionen des Mittelohrs nach Eingriffen in der 
Nase und im Nasenrachenraum. Von Doz. Dr. Ferdinand Alt. 
Wien. klin. Rundschau, 1908, Nr. 10. 

2. Ein Kühlapparat und seine Verwendung bei akuten 
Warzenfortsatzentzündungen. Von Dr. Herschel. Fortschr. d. 
Medizin, 1908, Nr. 16. 

3. Ueber die Endresultate der Tracheotomie. Von Dr. W. 

Wolf. Deutsche med. Wochenschr., 1908, Nr. 17. 

4. Fremdkörper in der Nase. Von Dr. Carl Leu wer. 
Reichs-Med.-Anz,, 1908, Nr. 11. 

5. Die Bedeutung des Fiebers hei Ohrenkrankheiten. Von 

Dr. Mann - Dresden. Zeitschr. f. ärztl. Fortbild., 1908, Nr. 10. 

6. Ueber die klinische Bedeutung des chronisch entzündeten 
nicht hypertrophischen Gaumentonsillengewebes. Von Dr. Muck- 
Essen. Münch, med. Wochenschr., 1908, Nr. 20. 

7. Ueber die Behandlung von Fremdkörpern unter Bron¬ 
chialstenosen. Von Gustav Killiau u. Wilhelm Brünings. 
Zeitschr. f. Ohrenheilkunde, Bd. 55, H. 4. 

8. Ueber Bronchoskopie hei Fremdkörpern. Von Carl 
v. Eicken. Deutsche med. Wochenschr., 1908, Nr. 17. 

9. Eine universale Demonstrations- Handgriff lampe für 
Laryngoskopie, Tracheotomie, Bronchoskopie und Oesophago- 
skopie. Von Dr. Horn. Ebenda. 

10. Die Tracheoskopie und Bronchoskopie. Von Dr. Max 
Senator. Berliner Klinik, 1907, Heft 234. 

1. Alt beschränkt sich nicht auf sein Thema, sondern führt 
in kurzer Uebersicht alle Ursachen von Infektionen des Mittel¬ 
ohrs an. Denn Schneuzen z. B. kann man doch kaum einen Ein¬ 
griff nennen, ebensowenig wie Duschen der Nase etc. 

Als Ursachen der Infektion sind zu beachten: Zu starkes 
Ausspritzen der Nase (was besonders bei akuter Rhinitis zu wider¬ 
raten ist — Ref.), Schluckakte während der Ausspülung oder der 
Dusche seitens des Patienten. Aufziehen von Salzwasser aus der 
Hohlhand ist nicht selten Ursache akuter Otitis, ebenso wie 
Schneuzen, zumal wenn es unzweckmäßig ausgeführt wird. Viele 
Menschen schließen mit dem Taschentuch beide Nasenseiten und 
blasen dann bei plötzlichem Abheben der Finger forciert unter 
trompetenartigem Geräusch Luft und Schleim aus der Nase. Bei 
diesem „Valsalvaschen Versuch“ kann leicht infektiöser Schleim 
ins Mittelohr gepreßt werden. Man soll schneuzen, indem man 
ein Nasenloch geschlossen, das andere offen hält und durch letzteres 
den Schleim heraustreibt. Erwähnen hätte Alt vielleicht müssen, 
daß dies nicht gilt während akuter Entzündungen. Da bläst 
man am besten bei beiderseits offener Nase vorsichtig hindurch. 

Nach Nasenoperationen kommen zuweilen ebenfalls Otitiden 
vor, ebenso nach Operation von Adenoiden. In diesen Fällen 
dürfte aber immer unzweckmäßiges Verhalten der Patienten, 
Husten, Niesen, Pressen, Schlucken anzuschuldigen sein. Auch 
die Tamponade soll häufig die Ursache akuter Media sein. Refe¬ 
rent sah sie von der Tamponade nicht häufiger als ohne diese, 
wenn genügend auf Asepsis geachtet wurde. Jede Verlegung 
der Nase durch Schwellungen ) namentlich bei akuten Katarrhen, 
gefährdet das Ohr stärker als die Tamponade. 

Mit Recht weist aber Alt besonders nachdrücklich auf die 
Gefahr für das Ohr durch Bellocquesehe Tamponade hin. Die¬ 
selbe wird deswegen vom Rhinologen nur in extremen Fällen an¬ 
gewendet und sollte auch vom Praktiker möglichst vermieden 
werden. 

2. Herschel beschreibt einen von ihm konstruierten Kühl¬ 
apparat zur Behandlung der Mastoiditis mittels gleichmäßiger 


V 

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418 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Kältewirkung. Er will davon sehr gute Erfolge gesehen haben, 
zumal in schweren Fällen, die nach seiner Ansicht sonst leicht 
zur Operation gekommen wären. 

Dem gegenüber muß betont werden, daß seit Jahren die 
großen Kliniken von der Kälteapplikation mehr und mehr abge¬ 
kommen sind und die Anwendung heißer Kompressen, mit be¬ 
sonderer Vorliebe der heißen Breiumschläge, vorzieheD. Die Er¬ 
fahrungen mit der Hyperämiebehandlung nach Bier lassen ja 
ebenfalls die Wärmewirkung als das zweckmäßigere erscheinen. 
Die von Herschel beobachteten 20 schweren Fälle, von denen 
17 ohne Operation ausheilten, dürften dem gegenüber nicht ge¬ 
nügend beweiskräftig sein. Und schmerzstillend wirken die heißen 
Kompressen meistens auch! 

Wir haben ebenfalls in der Mehrzahl der Fälle von der 
Wärme bessere Resultate gesehen. Doch sei zugegeben, daß diese 
nicht in allen Fällen gut vertragen wird, und bei einigen schwer 
Kranken uns Eis- oder Prießnitzumschläge bessere Hilfe leisteten. 
In solchen Fällen dürfte sich der Her sehe Ische Apparat be¬ 
währen. 

3. Tracheotomie oder Intubation, das ist die Frage, vor die 
wir oft gestellt werden. Die Anhänger der Intubation werfen 
der Tracheotomie vor, sie veranlasse leicht narbige Stenosen und 
Erkrankungen der Atmungsorgane infolge Fehlens der Vorwärmung 
der Respirationsluft, und speziell in Amerika, dem Heimatlande 
O’Dwyers, wird die Tracheotomie kaum mehr angewandt. 

Nun berichtet aber Lehn er dt von 16 Fällen, bei denen 
z. T. schwerste narbige Veränderungen nach Intubation beobachtet 
wurden, allerdings bei einem Material von 1539 Intubationen. 
Daß Trackeotomierte selten ein Alter über 20 Jahre erreichen 
und leicht der Tuberkulose erliegen, wird von Pipping (Münch, 
med. Wochenschr., 1905) als Ansicht französischer Autoren be¬ 
richtet, von Trumpp aber auf Grund von Nachforschungen bei 
den bayerischen Militärbehörden wenigstens für Deutschland 
energisch bestritten. Er gelangte nach Erfahrungen bei 351 Ope¬ 
rierten zu dem Resultat, daß die Tracheotomie wohl Folgeerschei¬ 
nungen hinterlassen könne, aber nicht mehr als die Intubation, 
und daß insonderheit von einem Disponiertsein der Tracheotomierten 
für Tuberkulose kaum gesprochen werden könne. Ein gleiches 
Resultat fand Pipping. 

Wolf, der hierüber genauer berichtet, hat das Material der 
Trendel en bürg sehen Klinik nach dieser Richtung einer sorg¬ 
fältigen Untersuchung und Sichtung unterzogen. Er erwähnt, 
daß Trendelenburg auf Grund seiner Erfahrungen die Intubation 
nicht mehr ausführen läßt. Es wurde dort immer die Tracheo- 
tomia inferior gemacht. Die Mortalität ist hierbei fast genau die 
gleiche wie die von der Intubation berichtete. 

Die Folgen hat er bei 173 Kindern von 404 Tracheotomierten 
in Erfahrung bringen können. 145 davon waren beschwerdefrei, 
gleich ca. 85%, eine Anzahl konnte schwere Arbeit ohne Atem¬ 
störungen leisten, einige waren besonders gute Sänger. Bei 24 
«= 14,2% waren Störungen, leichte bei 17 = 10,1%, schwerere 
bei 7 = 4,1%. Dieselben werden genauer besprochen, sind 
aber im ganzen so, daß sie nur mit Vorsicht der Tracheotomie 
zur Last gelegt werden dürfen. 

Wolf resümiert, daß seine Untersuchungen durchaus gegen 
die Berechtigung der Vorwürfe sprechen, die man der Tracheo¬ 
tomie mache. Weder kämen narbige Stenosen häufiger vor als 
nach Intubation, noch habe sich eine Disposition zur Tuberkulose 
nachweisen lassen. 


Die Diagnose ist nicht immer leicht. Starkes Sekret auf-einer. 
Seite, mehr oder minder starker Foetor, einseitiger Kopfschmerz 
führen auf den Verdacht, daß ein Fremdkörper die Ursache sein 
könnte. Sorgfältige Inspektion nach vorsichtiger Reinigung der 
Nase, am besten unter sorgfältiger Anwendung von Kokain und 
Adrenalin, was Leuwer wohl zu betonen vergessen hat, sichern 
die Diagnose. 

Die Entfernung will Leuwer am besten mit einem flachen 
Ohrlöffel erreicht haben, den er an dem Fremdkörper vorbeischob 
und mittels dessen er ihn herausholte. Ich möchte glauben, daß 
für den Praktiker eine starke, hakenförmig gebogene Sonde 
das beste Instrument ist, die über den Fremdkörper nach hinten 
und unten geführt wird und mit festem ruhigem Zuge von hinten 
her denselben herausdrückt. Bei weichen Körpern.ist vorsichtig! 
angewendet Haken oder Kornzange das richtige Instrument. 

5. In seinen Vorträgen gelegentlich der Kurse für ärztliche 
Fortbildung bespricht Mann die Bedeutung des Fiebers bei 
Ohrenerkrankungen, vornehmlich" für diagnostische bezw. operative 
Maßnahmen. Der Bestimmung seiner Vorträge gemäß bringt er 
nur Bekanntes, das sich etwa folgendermaßen zusammenfassen läßt: 

Bei Otitis media akuta findet sich meist eine Temperatur¬ 
erhöhung um 1 bis 2°, oft Schüttelfrost und hohes Fieber, zumal 
bei Kindern. Schmerz, Fieber, Vorwölbung des Trommelfells 
indizieren die Parazentese, die sich nach Einwirkung von 20% 
Alypinlösung während 10 bis 15 Minuten nahezu schmerzlos machen 
läßt. Fieber im Verlauf einer Infektionskrankheit aufs neue an¬ 
steigend deutet häufig auf Otitis media, besonders-bei Masern und 
Scharlach. 

Fieber während einer Otitis media plötzlich wieder ansteigend, 
zumal kombiniert mit Schmerzen und Schüttelfrost, läßt an otogene 
Pyämie denken. 

Bei chronischen Mittelohrerkrankungen leistet die Thermo - 
metrie weniger gute Dienste. Schwerste Eiterungen, auch des 
Knochens, können anfangs fieberlos verlaufen. Tritt dann hohes 
Fieber auf, so sind schwere Komplikationen zu befürchten. In 
allen schweren Fällen rät Mann, einen geschulten Spezialarzt zu 
Rate zu ziehen. 

6 . Chronische Entzündungszustände in den Tonsillen werden 
seit langem als Ursache mannigfachster Krankheitserscheinungen 
angesehen. Moritz Schmidt beschreibt, daß erhebliche Be¬ 
schwerden im Pharynx, als Kitzeln, Brennen, Stechen, Kratzen 
u. a., durch Tonsillenpfröpfe hervorgerufen werden. Grober will 
die Tonsillen als Eingangspforte für Krankheitserreger, besonders 
für den Tuberkelbazillus, gewürdigt wissen. Andere, wie Beck¬ 
mann und Verfasser, weisen auf Erfahrungen hin, die auf eine 
wesentliche Bedeutung des Tonsilleninhaltes für die Aetiologie des 
Rheumatismus zu sprechen scheinen. 

Zur Behandlung der Tonsillenpfröpfe empfiehlt Muck, ' der 
auch schon für die Ohren einen Saugapparat angegeben hat, einen 
„Tonsillen-Exhaustor a . Es ist dies ein Glasballon mit aufgesetztem 
Gummischlauch, der durch eine Klemme abgeschlossen wird. Eine 
gewöhnliche Spritze saugt aus dem Ballon die Luft. Hierauf 
wird ein mit Mundstück versehenes Glasrohr auf das freie Gummi¬ 
ende gesetzt und durch Oeffnen der Klemme aspiriert. 

Verfasser hat sehr gute Erfolge von dieser Behandlung ge¬ 
sehen. 

Referent möchte aber dringend empfehlen, daran eine Schlit¬ 
zung der Lakunen anzuschließen, weil sonst Rezidive der Mandel- 
pfröpfe unvermeidlich sind. 


4. Fremdkörper in der Nase kommen wohl am häufigsten 
in die Behandlung des praktischen Arztes, nicht des Spezialisten, 
der nur verschleppte Fälle sieht. Leuwer gibt eine kurze 
Uebersicht über die beobachteten Fremdkörper, welche fast alle 
Möglichkeiten umfassen. Die Hauptstörungen sind Katarrhe und 
Erschwerung der Atmung. Ernstere Komplikationen sind denkbar 
bei organischen Fremdkörpern, welche wie Erbsen, Getreidekörner 
etc. aufquellen und Sprossen treiben können. Doch sind auch 
nicht selten Nebenhöhlen- und Mittelohreiterungen als Folge von 
Fremdkörpern beobachtet worden. 

Wichtig sind die Erfahrungen, daß, namentlich bei großen 
Fremdkörpern, Kopfschmerzen, neuralgische, eklamptische und 
epileptiforme Anfälle einzig durch deren Entfernung geheilt wurden. 


7. Rastlos arbeiten Killian und seine Schüler fort an der 
Verbesserung seiner genial durchgearbeiteten Bronchoskopie. Ihre 
Haupterfolge bestehen immer noch in der Entfernung von Fremd¬ 
körpern aus der Lunge, die bisher nur auf dem Wege eines überaus 
gefahrvollen und selten erfolgreichen chirurgischen Eingriffs mög¬ 
lich war. Es ist bekannt, wie glänzend die Erfolge Killians 
und der ihm nacharbeitenden Laryngologen sind. 

Einen besonders hervorragenden Fall beschreiben Killian 
und Brünings in erwähnter Arbeit. 

Ein Tapezier hatte, wahrscheinlich etwa 5 1 /i Jahre früher, 
in einem epileptischen Anfall einen ziemlich großen Nagel „ver¬ 
schluckt“. Es stellten sich allmählich -sich steigernde schwere 
Lungensymptome ein, Husten, Auswurf, Kurzatmigkeit, Pleuritis,' 


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1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


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Auswurf reichlichen Eiters. Eine Röntgenuntersuchung stellte 
das Vorhandensein eines Nagels im rechten Hauptbronchus fest. 
Die bronchoskopische Untersuchung ergab Vorhandensein des 
Nagels in der Tiefe von 21 cm unter der angelegten Tracheotomie¬ 
wunde, aber eingekeilt in eine Stenose, die wahrscheinlich durch 
Usur des messerscharfen Nagelkopfes entstanden war. 

In fast dramatischer Form beschreiben die Autoren, wie sie 
im Verlaufe von zwei Monaten nach Ueberwindung größter 
Schwierigkeiten endlich den Nagel extrahierten. Die Expektora¬ 
tion massenhaften Eiters in jeder Sitzung, exzessive Hustenstöße 
der gereizten Lunge mußten überwunden, eine Reihe schwerer 
Probleme durchdacht, sinnreiche Instrumente konstruiert werden, 
ehe die schwere Stenose von einem kaum nennenswerten Lumen 
auf 12,5 mm gedehnt werden konnte und der Nagel glücklich 
herausbefördert wurde. Später haben die Autoren in die Tiefe 
Intubationsrohren eingeführt, um den Schluß der Stenose zu ver¬ 
hindern und den Lungenabschnitt wenigstens teilweise der Atmung 
zu erhalten bezw. die großen Gefahren des abgeschlossenen Eiter¬ 
herdes zu vermeiden. Der bisherige Verlauf ist relativ günstig. 

Es wird immer mehr unzweifelhaft, daß die Bronchoskopie 
unter den großen therapeutischen Errungenschaften der Neuzeit 
einen ersten Platz einnimmt. 

8. Die segensreiche Wirkung der Bronchoskopie illustrieren 
15 weitere Eremdkörperfälle in der Lunge, die z. T. von v. Eicken, 
z. T. von Killian selbst behandelt worden sind. Nagel, Erbse, 
Bohne, Knochen, Kragenknopf, Spange waren die Ursachen mehr 
oder weniger schwerer Lungenerscheinungen, die nach glüc kli cher 
Extraktion, welche in 11 Fällen gelang, meist zurückgingen. Nach¬ 
drücklich weist v. Eicken darauf hin, wie wesentlich besser die 
Prognose ist bei möglichst unverzüglicher bronchoskopischer Be¬ 
handlung, während in anderen Fällen die schweren pneumonischen 
Veränderungen auch nach gelungener Extraktion ad exitum führten, 
z. B. bei einem Kinde, das eine Bohne aspiriert hatte, 
oder doch langer Behandlung bedurften. Brechmittel haben sich 
in' keinem Falle bewährt. Deswegen soll jeder Fall, wo ein 
Fremdkörper vermutet wird, unverzüglich bronchoskopisch unter¬ 
sucht werden. 

9. Unser bronchoskopisches Instrumentarium wird immer mehr 
bereichert durch zweckmäßige Konstruktionen, die wir neben 
Killian vorzugsweise seinem befähigten Assistenten Brüning 
verdanken. Auch Horns neue Lampe scheint wesentliche Ver¬ 
besserungen zu bringen. Eine genaue Beschreibung dürfte jedoch 
nur spezialistisches Interesse haben. 

10. Senator gibt eine kurze Geschichte der Bronchoskopie, 
die sich auf eine ganze Reihe von Vorarbeiten stützte. Er er¬ 
wähnt, daß Kußmaul 1868 als erster starre, gerade Röhren in 
den Körper einführte, daß Mikulicz, Schroeder, Schroetter sen. 

u. a. diesen Gedanken fortgeführt, daß aber erst Rosenheim in 
seiner Oesophagoskopie diese Methode zu brauchbarer Höhe er¬ 
hoben und in die Praxis eingeführt habe. Auf diese Erfolge 
stützte sich Kirsteins Autoskopie, und wenn auch die Einfüh¬ 
rung der Bronchoskopie durch Killian von diesen Erfolgen aus¬ 
gehend nur noch ein Schritt war, so tut das Killians Ver¬ 
diensten doch keinen Abbruch. 

Des weiteren beschreibt Verfasser die gebräuchlichsten In¬ 
strumente, die zum großen Teil wohl bekannt sein dürften, deren 
Gebrauch für den Praktiker aber doch zu große technische 
Schwierigkeiten bieten dürfte. 

Auch zu rein wissenschaftlichen „Untersuchungen über die 
Blutzirkulation“ ist die Bronchoskopie von A. Loewy und H. 

v. Schrötter benutzt worden. 

Alles in allem erfährt die Tracheo-Bronchoskopie vom Ver¬ 
fasser gerechte Würdigung. 


Orthopädische Chirurgie. 

Referent; Dr. A. Stöffel, Oberarzt an der Prof. Vulpius sehen 
Klinik, Heidelberg. 

1. Die wissenschaftlichen Prinzipien bei Herstellung von 
Schuhwerk mit Berücksichtigung von Jugend- und Militärschuh¬ 
werk. Von K. Lengfellner. Zeitschr. f. orthopäd. Chirurgie, 
Bd. XX. 


2. Ein spezieller Plattfußstiefel. Von K. Lengfellner. 
Deutsche med. Wochenschr., 1908, Nr. 22. 

3. Die Behandlung des Knickfußes mit Einlagen und ortho¬ 
pädischen Apparaten. Von K. Lengfellner. Wiener klio. 
Rundschau, 1908, Nr. 18 u. 19. 

1. Als erste und vornehmste Bedingung für einen richtig ge¬ 
bauten Schuh fordert L. einen individuell gearbeiteten Leisten, 
der vor allem dem Fußgewölbe genau angepaßt ist. Der bisherige 
orthopädische Leisten krankte an dem Uebelstande, daß er die 
Fußwölbung nicht in der richtigen Weise berücksichtigte. 

Die Konfiguration der Sohle und der Fußwölbung erhält man 
durch den einfachen Gipsbreiabdruck, der als einwandfreies Muster 
für den Leisten dient. Sehr wichtig ist ein bequemes Ballen- 
und Zehenmaß; die nicht unschöne halbrunde Form ist zweck¬ 
mäßig. Die Fersenpartie soll solide, aber nicht zu schwer ge¬ 
arbeitet sein. Der von Hoffa angegebene breite und niedere 
Absatz ist zu empfehlen. Die Sohle soll nach Möglichkeit wasser¬ 
dicht sein; bei empfindlichen Füßen (Anlage zu Plattfuß) wähle 
man eine kräftige Sohle. 

Der Fuß des Neugeborenen wird, sobald er belastet wird, 
platt. Erst bei den Gehversuchen erstarkt er so weit, daß er die 
Körperlast zu tragen vermag. Es ist daher ganz verwerflich, 
wenn eitle Mütter ihre Kinder möglichst früh zum Laufen bringen 
wollen. Da in der Zeit, in der die ersten Schuhe gegeben werden, 
das Fußgewölbe noch nicht fertig ist und sich leicht senken kann, 
so ist gerade bei Kinderschuhen ein Augenmerk auf die individuell 
gearbeitete Schuhwölbung zu richten. Auch die folgenden Schuhe 
sollen diesem Umstande Rechnung tragen. Kinderschuhe >ollen 
eine nahezu gerade Achse besitzen, später ist eine ganz gerade 
Achse am Platz. 

Eine Besprechung des Militärschuhwerks behält sich L. für 
später vor ; jetzt weist er nur darauf hin, daß auch beim Militär¬ 
leisten die individuelle Fußwölbung berücksichtigt werden muß. 

2. Lengfellner weist auf die Wichtigkeit der Frühdiagnose 
des Plattfußes hin. Denn wir müssen mit unserm therapeutischen 
Handeln in dem Moment einsetzen, in dem das Fußgewölbe sich 
zu senken beginnt. Hat sich ein auch dem Laien auffallender 
Schwund des Fußgewölbes etabliert, so ist der geeignete Zeit¬ 
punkt für unsere Therapie vorüber. 

Um irrige Vorstellungen auch beim Laien zu vermeiden, 
schlägt L. für die Anfangsstadien des Leidens den Namen „Senk¬ 
fuß“ vor. Das Fußgewölbe ist bei solchen Füßen zwar noch er¬ 
halten, zeigt aber deutlich Neigung, sich zu senken. Für solche 
Formen mit ziemlich gut erhaltenem Gewölbe ist ein Plattfu߬ 
stiefel zu empfehlen. L. versteht darunter einen Schnürstiefel, 
der keine lose Einlage besitzt, dessen Schuhgewölbe aber allen 
Anforderungen, die man an eine Einlage stellt, gerecht wird. Die 
Brandsohle wird über dem entsprechenden Leisten so gewalkt, 
daß sie über den ganzen innern Teil des Leistens, dem Gewölbe 
entsprechend, verläuft. Der Teil der Brandsohle, der die Schuh¬ 
wölbung darstellt, wird mit einer festhaftenden, sehr bald er¬ 
härtenden Masse bestrichen, die das Eindringen von Wasser ver¬ 
hindert. Trotz der Eigenart der Konstruktion der Brandsohle 
bleibt die Eleganz der Form gesichert. In den Stiefel kommt 
eine feste, innere Kappe. Der Absatz ist breit, niedrig, womög¬ 
lich elastisch. 

3. Lengfellner spricht als Knickfuß diejenige Fußdetormität 
an, bei welcher der Fuß unterhalb der Malleolus medialis wie ab- 
geknickt erscheint (ohne Rücksicht auf die Fußwolbung). Der 
Knickfuß findet sich als Deformität für sich (infolge gewisser 
Knochen- und Gelenkveränderungen), ferner in Verbindung mit 
Plattfuß oder Genu valgum und endlich als traumatischer Knickfuß. 

Für leichtere Fälle empfiehlt sich eine indmduell angepaßte 
Einlage, die in einem Schuh mit Korkauflagerung am innern 
Rand (um Supinationsstellung zu erzeugen) getragen wird. Viel 
Erfolg sah L. von seiner über den Spann verschnürbaren Zelluloid¬ 
einlage sowie von seiner Knickfußeinlage mit Berücksichtigung 
des Malleolus medialis. Schwere Fälle erfordern einen Knickfu߬ 
schnürstiefel, über den der gewöhnliche Schuh getragen wird. 
Die Konstruktion der betr. Apparate sowie technische Einzelheiten 
müssen in dem Originalartikel, dem mehrere instruktive Bilder 
beigegeben sind, nachgelesen werden. 


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Biologische Therapie. 

Referent: Dr. W. Esch, Bendorf a. Rh. 

1 . Zur Verständigung über den Begriff der Unterernährung. 

Von Kreisarzt Dr. Bachmann-Harburg. „Das Land“, 1908,. 
Nr. 16. 

2. Probleme der Ernährung. Von Prof. Dr. E. v. Düring, 
Weißer Hirsch-Dresden. 1. Heft der „Beitr. z. ärztl. Praxis“. 
Leipzig 1908. F. 0. W. Vogel. 51 S. 

3. Stoffwechselversuche über den Eiweißbedarf des Kindes. 
Von Dr. med. et phil. H. Lungwitz-Berlin. Halle 1908. 
0. Marhold. 82 S. Preis 1,80 M. 

4. Zur Behandlung der Migräne. Von Dr. A. Herzfeld- 
New-York. New-Yorker med. Wochensehr., 1908, Nr. 1. 

Im Anschluß an die Referate über Ernährungsreform in Nr. 10 
der Therap. Rundsch. seien noch einige einschlägige Arbeiten hier 
besprochen. 

1. Bachmann führt folgendes aus: 

„Die neuliche Eingabe, welche die Zentralstelle für Volks¬ 
wohlfahrt in Gemeinschaft mit dem Deutschen Verein für länd¬ 
liche Wohlfahrt und Heimatpflege an die Bundesregierungen 
richtete, warnt vor den Folgen der heutigen Ernährung der 
Landbevölkerung, läßt jedoch über den dabei gebrauchten Aus¬ 
druck „■Unterernährung“ einige Zweifel bestehen. Daß diese Ein¬ 
gabe in Laien- ebenso wie auch in Aerztekreisen verkehrt auf¬ 
gefaßt werden würde, fürchtete ich von Anfang an. Und so 
habe ich in dieser kurzen Zeit nicht nur von Tageszeitungen, 
sondern auch von Aerzten die Ansicht äußern hören: auf unsere 
uordwestdeutsche Landbevölkerung treffe das Wort Unterernährung 
doch gar nicht zu, denn sie nähre sich doch im allgemeinen 
sehr kräftig und reichlich, d. h. esse viel Fleisch. Also 
völliges Mißverstehen der Mängel heutiger Ernährung!“ 

Unter den bei diesem Kapitel gemachten Fehlern hebt B. 
zunächst den hervor, daß ein bedeutender Fettansatz oder auch 
Lymphreichtum der Gewebe als „guter Ernährungszustand“ be¬ 
zeichnet und Kinder sowohl wie Erwachsene gesundheitlich „nach 
ihrem Körpervolumen“ taxiert werden [während es doch in Wirk¬ 
lichkeit auf das spezifische Gewicht (vergl. Lahmann, 
Dj^sämie. Ref.), d. i. vor allem auf kernige, feste Gewebe, speziell 
Muskulatur, ankommt]. 

Der Hauptfehler aber besteht in der berüchtigten Ueber- 
schätzung des Eiweißes, insonderheit des Fleisches, 
und der Verwechslung der Begriffe Reiz und Ernährung bezw. 
„Kräftigung“. 

Hier muß die Wissenschaft die von ihr gemachten Fehler 
offen eingestehen und das Volk über ihre neugewonnenen Erkennt¬ 
nisse aufklären. 

Aber die Ueberzeugung von dem großen Nährwert des 
Fleisches ist dermaßen ins Volk eingedrungen, daß es der Wissen¬ 
schaft hier wie dem Zauberlehrling gehen wird: die sie rief, die 
Geister, wird sie nun nicht los. 

„Denn nicht nur in Arbeiterkreisen, sondern in stets steigen¬ 
dem Maße auch auf dem platten Lande gilt Fleisch als Nahrungs¬ 
mittel* erster Klasse, wozu in dem letzten Jahrzehnt noch die 
Seefische einen sehr beträchtlichen Zuschuß an billigem tierischen 
Eiweiß geliefert haben. Wenn zu dem Eiweiß des Fleisches nun 
noch das des Brotes/ der Magermilch, des Käses und der Kartoffeln 
kommt, so kann von einer Unterernährung an Eiweiß auch auf 
dem Lande heutzutage in den hiesigen Provinzen absolut keine 
Rede sein! 

Aber auch an Fett ist sicherlich in der ländlichen Nahrung 
kein Mangel vorhanden, dafür sorgt die hohe Wertschätzung, 
deren sich überall das Schwein erfreut. Wenn nun auch Voll¬ 
milch und besonders Butter in geringerer Menge als früher ver¬ 
wendet wird, so ist doch die aus frischem Kokosnußöl in stets 
steigender Menge produzierte Kunstbutter ein Ersatz, an den 
sich weite Kreise nicht zu ihrem Nachteile gewöhnt haben; 
schon die Zurückdrängung des früher massenhaft verwandten 
billigen, aber höchst zweifelhaften amerikanischen Schmalzes ist 
ein Gewinn. 

Je mehr ich mich im Laufe von 15 Jahren davon über¬ 
zeugen konnte, daß die nordwestdeutsche Landbevölkerung, welche 
nie an Fleischmangel litt, mit der Annahme städtischer E߬ 


gewohnheiten geradezu eine Uebererhährüng ~axf 
treibt, um so mehr fiel mir stets der Mangel aii Zucker- tnd an 
mineralstoffhaltiger Nahrung auf, wodurch es dem Körper 
nicht nur an Krafterzeugern gebricht, sondern auch eine Ver¬ 
armung der Gewebe an Kalk, Magnesia, Natron und Eisen her¬ 
vorgerufen wird, an jenen Stoffen, welche nicht nur zum Aufbau 
von Knochen, Zähnen, Sehnen und Blut, sondern auch für den 
osmotischen Zellbetrieb von höchster Bedeutung sind.“ 

Die Bevölkerung ernährt sich vorwiegend mit Wurst, Kar¬ 
toffeln (Kaffee) und einem höchst minderwertigen, an Mineral¬ 
stoffen verarmten Feinbrot, viel Weißbrot, Kuchen und die Kinder 
zudem noch mit den das Land überschwemmenden Zucker- und 
Schokoladewaren. 

Obst, Gemüse, Wurzeln und Salate gelten größtenteils als 
Nahrungsbaliast oder als allzu wasserhaltig und minderwertig. 
Der einzige Lichtblick besteht in der zunehmenden Menge der 
Südfrüchte, aber für das Land kommen sie leider immer noch 
wenig in Betracht. 

„Wenn die höchst beachtenswerte Anregung, welche die 
Zentralstelle mit ihrer Eingabe bezweckt, wirklichen Segen bringen 
und nicht gar aus Mißverständnis zum Schaden der beteiligten 
Volkskreise ausschlagen soll, so dürfte darüber nicht der ge¬ 
ringste Zweifel gelassen werden, daß es sich nicht 
um die Einführung der städtischen Lebensweise mit 
ihrem E i w e i ß ü b e r f 1 u ß, Mineralsto ffmangel und 
sonstiger Unnatur in immer weitere ländliche Kreise 
handelt, sondern um eine der neueren Ernährungs¬ 
physiologie entsprechende Reform der Volksernährung. 

Im allgemeinen gilt es, unverfälschte, aus ganzer Körner¬ 
frucht, aus Obst, Gemüse, Wurzeln und Salaten sowie aus Milch 
und Milchprodukten bestehende Nahrungsmittel zu bevorzugen, 
dem Fleisch eine nur nebensächliche Rolle anzuweisen und die 
giftigen Reizmittel des Städters und fremdländische Gewürze sehr 
einzuschränken. Geradezu dringend ist diese Reform der Ernäh¬ 
rung bei der Jugend. 

Es gilt in erster Linie, die landwirtschaftlichen Vereine für 
diese Reformen der Ernährung, wozu auch die Frage einer ratio¬ 
nellen Düngung gehört, mobil zu machen. Baut zahlreiche Sorten 
von Gemüsen und alles Obst, was gedeihen will (und sorgt für 
Dörrobst und -gemüse. Ref.)! 

Wenn wir es aber weiter mit ansehen, wie die heutige, not¬ 
wendigerweise zum Verfall der Geschlechter führende städtische 
Lebensweise auch die Landbevölkerung verdirbt, so werden wir 
unsere Hauptquellen nationaler Kraft versiegen sehen.“ 

2 . „Die Ueberschätzung der Bedeutung der Organ- und Lokal¬ 
erkrankungen, der äußeren Krankheitsursachen, der Technik — 
von Düring hätte noch hinzufügen können: des „exakten“ 
Zählens, Messens, Wägens, „Beobachtens“ — hatten das biolo¬ 
gische Denken völlig in den Hintergrund gedrängt und da¬ 
mit einerseits zu den Auswüchsen eines an sich berechtigten 
Spezialistentums, andrerseits zu einem krassen Kurpfuscherunwesen 
geführt.“ v. D. möchte nun durch seine „Beiträge zur ärztlichen 
Praxis“ mithelfen zur Neuschaffung einer einheitlichen Anschau¬ 
ung, zum Wohle des hoffentlich bald wiedererstehenden Haus¬ 
arztes und des von diesem zur Gesundheitspflege zu erziehenden 
Publikums. 

Im 1. Heft behandelt er die so überaus wichtige Ernäh¬ 
rungsphysiologie, ein Gebiet, auf dem ganz besonders „wissen¬ 
schaftlicher Irrtum lange Jahre die bessere Erkenntnis auf ge¬ 
halten hat“. 

Zunächst bespricht er den Fortschritt, den Rubners ener¬ 
getische oder dynamische Bewertung der Nahrungsmittel gegen¬ 
über der rein stofflich-chemischen von Liebig-Voit bedeutete. 
Bircher-Benners einschlägige Theorie sucht er aber als zu 
extrem mit dem Hinweis zu widerlegen, „daß als Arbeitsquelle 
erst diejenige Form des Nährmaterials in Betracht komme, welche 
bei (den den hydrolytischen Spaltungen folgenden Resynthesen 
bei) der Assimilation angenommen werde. 

Ueberhaupt, fährt er fort, treffe aber die energetische Auf¬ 
fassung nur die eine Seite der Sache und gebe uns auf eine 
ganze Reihe von Fragen keine Antwort. Nie könne durch den 
Kalorienwert allein die Eigenschaft eines Stoffes als „Nahrungsstoff“ 
bedingt sein, eine ganz hervorragende Rolle beim Aufbau der 


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Gewebe, bei der osmotischen Ausgleichung der Druckunterschiede 
der Körperflüssigkeit, bei der katalytischen Auslösung der Um¬ 
setzungen im Zellstoffwechsel spielen die besonders von Lahmann 
in ihrer hohen Bedeutung gewürdigten Mineralstoffe, die 

- Nährsalze. Diese sind aber in der heutigen, die Vegetabilien bei 
weitem nicht genügend würdigenden Kost meist nur in unge- 

- nügender Beschaffenheit und Menge vorhanden. 

Im einzelnen wird dann an der Hand des einschlägigen 
Materials auch hier noch einmal 

a) der Nachweis geführt, daß die bisher geltende Bewertung 
der Eiweißnahrung. falsch ist, daß der Eiweißbedarf nur 30 bis 
50% der Voitsehen Zahl beträgt. Die Eiweißüberernährung 
bringt nicht nur keinen Nutzen, sie schadet vielmehr ganz enorm, 
so bedeutet z. B. die Spaltung des überschüssigen Materials für 
den Organismus eine starke Arbeitsleistung, die ihren Ausdruck 
in der erhöhten Temperatur findet und bei der auch noch Körper¬ 
material zum Zerfall gebracht wird. 

Zugleich ist damit bewiesen, wie berechtigt die Ver¬ 
meidung reichlicher Eiweißzufuhr bei Fieber war — 
wiederum ein Punkt, wo die zeitweise verlachte Empirie nach¬ 
träglich von der Wissenschaft bestätigt wurde; 

b) wird festgestellt, daß vegetarische Ernährung vollkommen 
genügend sein kann zur Erhaltung des Stoffwechselgleichgewichts 
und der Leistungsfähigkeit, und daß für körperliche Leistungen, 
für Muskelarbeit, die kohlehydratreiche vegetabilische Kost un¬ 
bedingt die zweckmäßigere ist unter Beobachtung der drei Punkte: 
richtige Bemessung der Nahrungsmenge (nach Chittenden nur 
2 h von Voits Kalorienzahl), gutes Kauen, richtiges Kochen. 
Auch hier wieder läßt v. Düring den Vorarbeiten Lahmanns 
die ihnen gebührende Anerkennung widerfahren; 

c) gibt er seiner Ueberzeugung Ausdruck, daß zwar der 
weniger körperlich Tätige, der Geistesarbeiter eine wenn auch 
geringe Beigabe des konzentrierten animalischen Eiweißes mit 
seinen in geringer Menge nicht schädlich, sondern anregend 
wirkenden Extraktivstoffen bedürfe, daß aber andrerseits das 
Uebermaß des Genusses sich kaum irgendwo strenger bestrafe als 
gerade hier, und daß unsere Kulturschäden sich zweifellos weit¬ 
hin mit Eiweißüberernährung und Reizmittelmißbrauch erklären 
lassen : 

Eine große Reihe der Neurasthenien, der periodischen 
Depressionszustände, dann die Stoffwechselkrankheiten im weitesten 
Sinne sind Autointoxikationen infolge von Zurückhaltung 
intermediärer, nicht genügend abgebauter oder gebundener Stoff¬ 
wechselprodukte. 

An den Folgen der Ueberernährung sterben sehr viele Men¬ 
schen früher als nötig, und noch viel mehr sind in ihrer Leistungs¬ 
fähigkeit lange vor der Zeit behindert. 

Möchte die Erkenntnis der richtigen Ernährungsgrundsätze, 
-denen gegenüber alle anderen Heilfaktoren für unser ärztliches 
Denken und Handeln von untergeordneter Bedeutung sind, immer 
mein; Gemeingut aller Aerzte werden I 

3. Lungwitz hat seine bereits in Nr. 10 kurz referierte 
Arbeit nunmehr in erweiterter Form mit Einschluß einer Anzahl 
von ihm angestellter Stoffwechselversuche herausgegeben. 

Nachdem eine immer größer werdende Zahl von Autoren sich 
dagegen ausgesprochen haben, daß die von Liebig, Voit, 
Pettenkofer, Ranke festgestellten Zahlen, die durch die 
Wucht dieser Persönlichkeiten im wahren Sinne des Wortes 
populär geworden sind, noch fast allgemein als die Kardinal¬ 
punkte der Ernährungsphysiologie gelten, daß das Eiweiß von 
den Laien und dep meisten Aerzten immer noch als Nährstoff 
par excellence angesehen wird, von dem man dem Leibe nicht 
genug zuführen könne, und daß man, trotzdem wir die künstlich 
erzeugten Krankheitsbilder vor uns haben*), nicht einmal daran 

*) Die Beziehungen der Ueberfütterung zum Ekzem und anderen 
Hautleiden, die „exsudative Diathese“ Czernys, der „Lymphatismus“ 
Siegerts wird u. a. von Brocq, Bouchard, v. Düring, Feer, 
Finkeistein, Henoch, Ullmann besprochen unter Ablehnung der 
H e b r a sehen Lokaltheorie und -therapie. Esser führt auch die R h a c h i t i s 
auf Ueberfütterung zurück. Lungwitz läßt zwar letztere als eins unter 
verschiedenen in Betracht kommenden ätiologischen Momenten gelten, will 
aber weniger die „das Knochenmark überanstrengende Leukozytose“ als die 
Durchsäuerung des Organismus hier verantwortlich machen. 


denkt, daß die Ueberfütterung mit Fleisch, Milch und Eiern schäd¬ 
lich gewesen seh>, das Eiweiß als Gift gewirkt haben könnte, ist 
es, wie L. anführt, an der Zeit, für uns Kulturmenschen, die wir 
uns vom „ewigen Urstande der Natur“ allzu weit entfernt haben, 
die wirklichen Bedarfszahlen in Hinsicht auf Nahrungsmenge 
und Beschaffenheit wissenschaftlich festzustellen. 

Für den Erwachsenen ist das bereits von seiten Chittendens 
geschehen, der an der Hand großartig angelegter Versuchsreihen 
den unwiderleglichen Beweis geliefert hat, daß für den arbeitenden 
Erwachsenen nicht die bisher angenommenen 1,5 g, sondern höch¬ 
stens etwa 1,0 g Eiweiß pro Kilo Leibessubstanz die Normalzahl 
darstellt. 

Für das Säuglingsalter sind die Bedarfszahlen ebenfalls be¬ 
reits festgestellt. Sie fehlen dagegen für ältere Kinder, nach dem 
Uebergang zur gemischten Kost. 

Lungwitz hat deshalb auf Anregung Siegerts im Labora¬ 
torium der Kölner Kinderklinik Stoffwechselversuche darüber an¬ 
gestellt, ob die von diesem Autor in langen Jahren praktisch er¬ 
probten Werte für die einzelnen Nahrungskomponenten der Diät 
des Kindesalters der wissenschaftlichen Untersuchung Stand halten. 

Die Versuchsanordnung wird genau beschrieben und das 
gefundene umfangreiche Zahlenmaterial (24 Seiten) tabellarisch 
mitgeteilt. Die Beobachtungen haben vor allem zur Genüge dar¬ 
getan, daß ein Eiweißgehalt der Nahrung von 10% der Gesamt¬ 
kalorien, wie ihn Siegert an Stelle der bisher üblichen 17% 
forderte, durchaus genügt, um nicht nur N-Gleichgewicht, sondern 
auch N-Retention zu erzielen. — 

Der aufrichtige Chronist darf nicht verschweigen, daß die 
besprochenen neuesten Erkenntnisse der Ernährungsphysiologie in¬ 
sofern eigentlich schon etwas Altes sind , als sie bereits längere 
Zeit vorher von einer Anzahl Autoren, die allerdings in einen 
gewissen Gegensatz zur offiziellen Heilkunde traten. zutage ge¬ 
fördert waren. Es sei hier wieder an den leider zu früh ver¬ 
storbenen Lahmann erinnert, dessen Anschauung sich fast wört¬ 
lich mit folgendem Ausspruch von Lungwitz deckt: 

„Prinzipiell ist zwischen einem Kinde jenseits der Säuglings¬ 
periode und einem Erwachsenen hinsichtlich der Ernährungsfrage 
kein Unterschied: Beide leben von gemischter Kost. Natürlich 
ist bei Bestimmung der Speisemenge der lebhaftere Stoffwechsel 
des wachsenden Organismus zu berücksichtigen, aber, was die 
Relation der einzelnen Nährstoffe angeht, so herrscht ein ganz 
überraschendes Gleichmaß. Das p h y & i 0 1 0 g i s c h e Paradigma: 
Eiweiß 1, Fett 4, Kohlehydrat?, wie es in der Frauen¬ 
milch gegeben ist, findet bei vernünftiger Ernäh¬ 
rung durch alle Lebensalter hindurch Anwendung — 
wie auch für jedes Tier in der arteigenen Milch die Verhältnis¬ 
zahlen seiner Ernährung absolut gegeben sind. Man braucht 
diese Koeffizienten nur mit der der Entwicklungsstufe des Indivi¬ 
duums adäquaten, die Quantität bestimmende Zahl zu multipli¬ 
zieren, um das physiologische Ernährungsmnß für jedes Alter zu 
finden.“ (Ref.) 

4. Einschränkung des übertriebenen Fleischge¬ 
nusses und Einhaltung einer mehr lak to-vegetari¬ 
schen Diät empfiehlt auch Herzfeld, und zwar 1 >ei Besprechung 
seiner Therapie der Migräne. Er hat selbst jahrelang an dieser 
Affektion gelitten und brachte sie erst dann bei sich und 
daraufhin auch bei vielen Patienten zirni Schwinden, als er das 
Primum noceus in einer gastrointestinalen Abnormität erkannte, 
nämlich in der durch mangelhafte Oxydation und Ausscheidung 
entstandenen Autointoxikation, wobei vor allem die Eiwei߬ 
fäulnisprodukte in Betracht kommen. 

(Bei Besprechung dieses Punktes weist H. die Auffassung 
Mangelsdorfs ab, der die bei Migräne und anderen Ver¬ 
giftungen, wie z. B. bei Epilepsie, Eklampsie gefundene Magen- 
atonie auf die — Migräne etc. zurückführt.) 

Seine auf Grund dieser Erkenntnis ausgebildete Therapie be¬ 
steht vor allem in der obenerwähnten Diät, die bei schwereren 
Fällen sogar zum Totalverbot von Fleisch und Eiern übergeht. 
Desgleichen läßt er Alkohol, Tabak, starken Tee und Kaffee, Aui- 
regungen, sexuelle Exzesse meiden, dagegen viel Bewegung in 
frischer Luft, Gymnastik, Abreibungen, Bäder etc. machen. Zeit¬ 
weise ist auch ein Abführmittel am Platz, um die Toxine des in 
Fäulnis geratenen Darminhalts zu entfernen. H. empfiehlt, ahn- 


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422 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU, 



lieh wie Meyer, dazu die Mittelsalze, wie er auch die Behand¬ 
lung des eigentlichen Anfalls selbst zunächst mit einer Darm¬ 
spülung und einer Grabe von Mg. oder NatiV sulfur. einleitet. 
Danach gibt er ein Pulver aus V 2 bis 1 g Natr. salizyl, (ex ol. 
gaulth. präp.) , 0,2 bis 0,3 Coff. cit. und 0,01 bis 0,02 Codein. 
pur., nötigenfalls später noch 0,5 bis 1,0 Veronal in heißem 
Wasser. Alle übrigen Medikamente hält er für überflüssig bezw. 
schädlich, Massage, Elektrizität etc. allenfalls bei rheumatischem 
Kopfschmerz wirksam. 

Interessant ist seine Stadieneinteilung des Migräneanfalls: Er 
unterscheidet ein gastrointestinales Stadium mit Appetitlosig¬ 
keit, Brechreiz, Flatulenz, unregelmäßigem Stuhl, allgemeiner Ge¬ 
reiztheit und Abgeschlagenheit, ein Stadium der S e h Störungen : 
Brennen und Schmerzen in den Augen, Lichtscheu, Akkomodations¬ 
und Gesichtsfeldstörungen, Pupillen Verengerung und meist Flimmer¬ 
skotom. Mit dieser „visuellen Aura“ ist zuweilen eine „sensorische“ 
verbunden; Kältegefühl, An- und Parästhesien der Extremitäten, 
Schwindel, Verwirrtheit etc. Das dritte Stadium des typischen 
Migräneanfalls ist dann dasjenige des eigentlichen Kopfschmerzes. 
Daneben gibt es natürlich leichtere, abortive Formen der Migräne. 


Mitteilungen über Arzneimittel. 


Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. lieber die praktische Bedeutung der Vierzellenbäder. 
Von Dr. Tobias. Med. Klinik, 1908, Nr. 20. 

2. Zur lokalen Therapie der Gonorrhöe. Von Dr. Beutler. 
Ibidem. 

3. Zur Frage der Entgiftung des Chloralhydrats. Von Prof. 
Blumenthal. Ibidem, Nr. 21. 

4. Zur Symptomatologie, Prognose und Therapie der akuten 
Veronalvergiftungen. Von Dr. Steinitz. Therap. d. Gegenw., 
1908, Mai. 

5. Escalin-Suppositorien zur Behandlung von Analfissuren 
und Hämorrhoidalblutungen. Von Dr. Sußmann. Ibidem. 

6. Erfahrungen über Subcutin (Anästhesin solubile). Von 
Dr. Floer. Aerztl. Rundsch., 1908, Nr. 20. 

7. Praktische Erfahrungen bei Trinkkuren mit Salvator¬ 
quelle. Von Dr. Kur rein. Oesterreich. Aerzte-Zeitg., 1908, 
Nr. 5. 

8. Inhalierapparat „Promptin“ und Schnupfpulver „Promptin“. 

Apotb.-Zeitg., 1908, Nr. 8. 

9. Ein Fall von Idiosynkrasie gegen Hühnereiweiß. Von 

Dr. Horowitz. Ibidem. 

1. Auf Grund seiner in der Praxis gewonnenen Erfahrungen 
spricht T. über die praktische Bedeutung der Vierzellenbäder. 
Er hat das Schnee sehe System angewandt und hält es für 
rationeller, in der Mehrzahl der Fälle schwache galvanische Ströme 
zu verwenden. Eindringlich warnt er davor, die Ausführung der 
Therapie dem Wärter zu überlassen. Daß bei der Behandlung 
mit Vierzellenbädern die Suggestion eine Rolle spiele und als das 
allein wirksame Moment anzusprechen sei, hält T. für ausge¬ 
schlossen. Die Domäne der Vierzellenbadtherapie sind die nervösen 
Krankheiten; rein nervöse Zustände wie Angst, Schwindel, Kopf¬ 
druck, ziehende Schmerzen von unbestimmtem Charakter werden 
durch einen nicht zu starken, konstanten Strom oft wesentlich 
gebessert. Leichte und mittelschwere Fälle von Schlaflosigkeit 
werden, wenn zur richtigen Tageszeit angewandt, entschieden ge¬ 
bessert; denn es ist zweifellos, daß das Bad schon an sich müde 
macht. Die Anwendung des Vierzellenbades bei frischen Neural¬ 
gien rät T. dringend ab, da Exazerbationen aufzutreten pflegen; 
bei solchen, die schon längere Zeit bestehen, lassen sich lang¬ 
andauernde Besserungen erzielen. Nach T.s Erfahrungen sind die 
Bäder bei den lanzinierenden Schmerzen der Tabiker von ungün¬ 
stiger Wirkung. Dagegen wirken sie beim Schreibkrampf günstig 
und unterstützen bei Lähmungen die lokale Elektrisation der 
Muskeln in hervorragendem Maße. Desgleichen empfiehlt T. die 


Bäder bei organischen Nervenleiden, ganz besonders aber bei den. 
Folgezuständen der Hemiplegie. Mit 'Recht werden ' Vierzellen¬ 
bäder auch bei Hysterie und traumatischer Neurose empfohlen. 
Dagegen glaubt T. nicht an eine Wirkung bei Herzklappenfehlern 
und Arteriosklerose, sowie bei chronischem Rheumatismus und 
chronischer Gicht. Die erste Bedingung bei dieser Therapie 
bleibt aber stets eine präzise Indikationsstellung und die nötige 
Kritik der Anwendung. 

2. Zur lokalen Behandlung der akuten und subakuten Gonor¬ 
rhöe empfiehlt B. folgende Methode: Nachdem der Kranke uriniert 
hat, wird ihm 1 1 Kaliumpermanganatlösung (1 : 5000) per urethram 
in die Blase mit einer 100 ccm fassenden Spritze injiziert. Nach 
jeder Spritze hält B. die äußere Harnröhrenöffnung V 2 bis 
1 Minute zu, damit die Wirkung der Lösung eine möglichst 
langdauernde ist. Nach Entleerung der Blase injiziert B. eine 
Spritze Argentum nitricum-Lösung 1 : 10000 in zwei Teilen. Nach 
jedem Teil hält er das Orifizium wieder 1 j 2 Minute zu. Nachdem 
Pat. die Argentumlösung entleert hat, spritzt B. nochmals eine 
Spritze Kaliumpermanganat ein. Diese Prozedur, täglich einmal 
vorgenommen, führt in vier Wochen zur Heilung. Wenn die 
Patienten nicht täglich zum Arzte kommen können, verschreibt 
er ihnen zwei Lösungen (Kaliumpermanganat 0,1: 200,0 und 
Argent. nitrie. 0,02: 200,0). Der Kranke muß dann vier- bis 
fünfmal hintereinander von der ersten Lösung eine gewöhnliche 
Tripperspritze voll injizieren, jede V 2 bis 1 Minute in der Harn¬ 
röhre lassen, danach zweimal eine Spritze Argentum, jede auch 
V 2 Minute darinnen lassen. Auch diese Methode wird täglich 
nur einmal ausgeführt; sie soll aber bei weitem nicht so günstig 
sein wie die erste Methode. 

3. Giftige Nebenwirkungen, vor allem die Furcht vor solchen 
auf das Herz, haben die Anwendung des Chloralhydrats heutzu¬ 
tage etwas in den Hintergrund gedrängt. Doch haben neuere 
Untersuchungen gezeigt, daß diese Furcht übertrieben ist. Das 
Chloralhydrat übt einen depressiven Einfluß auf das Gefäßnerven¬ 
system aus, insbesondere auf das Splanchnikusgebiet. Bei großen 
Dosen des Mittels sinkt dann der Blutdruck enorm. Auf das ge¬ 
sunde Herz wirken auch erst toxische Dosen ein; auf das kranke 
oder geschwächte aber können schon therapeutische Gaben eine 
Schädigung hervorrufen. Man muß daher in solchen Fällen mit 
der Anwendung des Chloralhydrats ebenso vorsichtig sein wie mit 
der des Chloroforms. Immerhin ist, wie Ewald neuerdings be¬ 
tont, in der Praxis bei den üblichen Gaben von 1 bis 2 g kaum 
etwas zu befürchten. Um nun der Möglichkeit einer Vergiftung 
zu begegnen, hat man versucht, das Chloral zu entgiften. Es 
entstanden eine Reihe neuer Präparate (Chloralamid, Chloralose, 
Sornnal, Hypnal, Dormiol u. a.), die aber den Erwartungen nicht 
entsprachen. Neuerdings wurde von A. Horowitz, Berlin, ein neues 
Produkt hergestellt, welches eine Vereinigung von Trichloralanti- 
pyrin, Trimethylxanthin und Karbaminsäurementhylester darstellt 
und sich als eine dickflüssige, wasserhelle, - klare Flüssigkeit von 
aromatischem Geruch und neutraler Reaktion repräsentiert. Falls 
weitere Untersuchungen seine Einführung in die Praxis ergeben, 
soll der kurze Name des Präparates „Eglatol“ sein. Die theoreti¬ 
schen Vorbedingungen dafür scheinen günstig zu sein; nicht 
minder waren es die Untersuchungen an Tieren und Menschen. 
B. hat sehr große Dosen bei Tieren angewandt, die, für den 
Menschen umgerechnet, eine kolossale Menge sein würden, ohne 
daß Vergiftungserscheinungen auftraten. Bei 40 Fällen erprobte 
B. auch die Verhältnisse am Menschen und fand, daß das Mittel, 
in Gelatinekapseln dargereicht, keine Nebenerscheinungen hervor¬ 
rief. Zu 0,5 g war es ein gutes Beruhigungs-, zu 1,0 ein Schlaf¬ 
mittel ; als letzteres war es nicht unbedingt zuverlässig, besonders 
bei Schmerzen. Bei nervösen Zuständen, leichter Erregbarkeit 
wirkte es recht gut. Ueber die Anwendung bei wirklichen Er¬ 
regungszuständen konnte B. keine Erfahrungen sammeln. 

4. Nach der Schwere der Symptome lassen sich praktischer¬ 
weise die Grade der Veronal Vergiftung feststellen: leichte Ver¬ 
giftungen mit weniger als 5 g, mittelschwere mit 5 bis 10 g und 
schwere, in der Regel tödliche mit größeren Dosen. Die Symp¬ 
tome der Veronal Vergiftung beziehen sich fast nur auf das Nerven¬ 
system. Dabei lassen sich vier Intensitätsgrade feststellen: 1. Der 
Schlaf, welcher durch stärkere Reize ohne weiteres zu unter¬ 
brechen ist und auf die gebräuchlichen Dosen eintritt. 2. Der 


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1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


423 


'S 


rauschähnliche Zustand, bei dem ein völliges Erwecken nicht mög¬ 
lich ist, der auch öfter bei empfindlichen Personen oder nach 
stärkeren, aber noch therapeutischen Dosen eintritt. 3. Der dem 
hysterischen Anfall ähnliche Zustand der leichten und mittel¬ 
schweren Vergiftungen. 4. Das tiefe Koma mit Erloschensein 
fast aller Reflexe. Die Erscheinungen der Vergiftung sind im 
einzelnen: Tiefer Schlaf ohne jede Reaktion. Die Pupillen sind 
normal weit und reagieren auf Li'chtein fall. Nur in ganz schweren 
Fällen findet man zuweilen Pupillenstarre. Korneal- und Kon- 
junktivalreflexe erloschen. Schlaffe Extremitäten mit erhaltenen 
Sehnenreflexen. Relativ gute Atmung und Herztätigkeit. Da das 
Veronal hauptsächlich durch den Urin ausgeschieden wird, kann 
man es in ihm chemisch nachweisen. Die Prognose der Vergif¬ 
tung bei unbekannter Veronalmenge ist günstig, solange die 
Pupillenreaktion und die Sehnenreflexe erhalten sind. Mit dem 
Ablauf der ersten 48 Stunden ist die Hauptgefahr vorbei. Wenige 
Stunden nach Einnahme des Giftes ist eine Magenspülung vorzu- 
nehmen. Wichtiger ist die Entleerung des Darmes; denn Veronal 
wird nur langsam resorbiert. Man gibt zu diesem Zwecke Rizinus 
durch die Magensonde und Klistiere von unten. Dann Sorge für 
Diurese (Kochsalzinfusionen). Meist ist Kampfer und Koffein un¬ 
nötig. Die während der Abheilung auftretenden Aufregungszu¬ 
stände werden gut durch Morphium beeinflußt. 

5. Das von klemperer in die Therapie des Magengeschwürs 
eingeführte Esi-aün hat sich sowohl gegen die Blutungen wie als 
schmerzlindernde» und die Ausheilung beförderndes Deckmittel 
beim Ulkus ventrikuli bewährt. S. wandte deshalb das Mittel 
bei ähnlichen Erkrankungen des Darmes an, bei Analfissuren und 
Hämorrhoidalblutungen, und zwar in Form von Suppositorien, die 
sich der Kranke selbst einführen kann. Das geschieht täglich 
zweimal, einmal nach der Stuhlentleerung, die durch geeignete 
Mittel eine breiige Beschaffenheit erhalten muß, und das zweite 
Mal vor der Nachtruhe. Vor der Einführung empfiehlt es sich, 
die Spitze des Zäpfchens zu erwärmen. 

6. Subcutin ist das wasserlösliche phenolsulfosaure Salz des 
Anästhesins, dessen Lösung sich im Gegensatz zu den anderen 
Salzen des Anästhesins beliebig sterilisieren läßt und unbegrenzt 
haltbar ist. 

Nach einer Arbeit von Stabsarzt Dr. Becker im Städtischen 
Krankenhaus Frankfurt a. M. (Prof. Rehn) (Münch, med. Wochen- 
schr., 1903, Nr. 20) haben die Fütternngs- und Injektionsversuche 
gezeigt, daß Subcutin in gleicher Weise wie Anästhesin selbst als 
gänzlich frei von schädlichen Allgemeinwirkungen für den Orga¬ 
nismus zu bezeichnen ist. 

Da nach dem gleichen Autor Subcutin neben seiner anästhe¬ 
sierenden Wirkung die Eigenschaft hat, die Entwickelung patho¬ 
gener Keime zu hemmen, war es von Interesse, das Subcutin auf 
anderen therapeutischen Gebieten zu versuchen, worüber F. seine 
Erfahrungen mitteilt. Er verwendete es als Mund- und Gurgel¬ 
wasser in l°/oiger Lösung bei Verdünnung von 1 : 2 bei katarrhali¬ 
schen Entzündungen der Mundschleimhaut und der Mandeln so¬ 
wie hei akutem Rachenkatarrh zum Pinseln in genannter Verdün¬ 
nung. Ferner wandte F. das Subcutin bei Schnupfen an vermittels 
der Nasendusche und besonders als lokales Anästhetikum. 

7. K. lenkt die Aufmerksamkeit der Aerzte auf Trinkkuren 
mit Salvatorquelle. Er hält das Salvatorwasser wegen seines 
großen Gehaltes an kohlensaurem Lithion für ein vorzügliches 
Adjuvans bei Behandlung der Gicht. Das Wasser soll kristall- 
rein sein und einen angenehm prickelnden Geschmack besitzen. 

8. Die Garantol-Gesellschaft m. b. H., Dresden-A. 19, bringt zur 
Bekämpfung von Hals-, Nasen- und Rachenkatarrhen einen Taschen- 
Inhalierapparat „Promptin“ und ein Schnupfpulver „Promptin“ in 
den Handel. 

Der Inhalierapparat besteht aus einem kleinen gläsernen Be¬ 
hälter, an dessen oberer Seite sich zwei birnenförmige Stutzen 
befinden, die beim Einatmen in die Nasenlöcher eingeführt werden. 
Am entgegengesetzten Ende, am Boden, befindet sich eine Oeff- 
nung, welche beim direkten Einsaugen in den Mund gebracht 
wird. Der Apparat ist mit Watte gefüllt, die mit einer Lösung 
von Menthol, Eukalyptus-, Latschenkiefern-, Kubeben- und Sassa¬ 
frasöl in absolutem Alkohol und weingeistiger Ammoniakflüssigkeit 
getränkt ist. 


Zum Gebrauch führt man den Apparat je nach der ge¬ 
wünschten Wirkung mit den birnenförmigen Röhrchen in die 
Nase oder mit der Oeffnung an den Mund und zieht die Luft 
durch Nase oder Mund kräftig ein. Bei Schnupfen verspürt man 
schon nach einigen Atemzügen die angenehmste Erleichterung; 
bei Asthma wird sofort die Atemnot gelindert. 

Der kleine Apparat ist stets gebrauchsfertig. Er kann be¬ 
quem in der Tasche getragen werden und bildet deshalb einen 
Ersatz für die umfangreichen und kostspieligen Nasenduschen 
und Inhalationsapparate sowie für Riech flaschen. 

Das „Promptin“-Schnupfpulver, welches nach Art von Schnupf¬ 
tabak angewendet werden soll, besteht aus einem Gemisch von 
Acid. boric., Acid. tannic. leviss., Sacch. Lactis, Rhizom. Iridis 
pulv., Amylum, Coff*. tost., Menthol, Ol. Cacao und einem Zusatz 
von 01. Thymi und 01. Gaulther. procumb. 

Beim Promptin-Schnupfpulver wird vor allen anderen Schnupf¬ 
mitteln als wichtiger hygienischer Vorzug der Zusatz von 01. Cacao 
gerühmt, es soll dadurch im Gegensatz zu den anderen Schnupf¬ 
mitteln wesentlich an Wirksamkeit gewinnen. Ist Promptin- 
Schnupfpulver in die Nase gezogen, so zerfließt das 01. Cacao so¬ 
fort durch die innere Nasenwärme und verteilt sich, gleichmäßig 
die darin suspendierten wirksamen Bestandteile mit sich führend, 
über die entzündeten Stellen. 

9. Auch H. berichtet über einen Fall von Idiosynkrasie gegen 
Hühnereiweiß bei einem 54 jährigen Herrn, der nach Genuß kleiner 
Mengen desselben heftige Leibschmerzen kriegt, so daß er sich 
wie ein Kranker mit Gallen- oder Nierensteinkolik windet. Er 
nennt diesen Zustand geradezu „Eierbauchweh“. Gleichzeitig tritt 
furchtbare Abgeschlagenheit, Uebelkeit, Erbrechen, zuweilen Diar¬ 
rhöe ein. Nach sieben bis acht Stunden ist die Krankheit vor¬ 
über; doch hinterläßt sie noch eine einen halben bis einen Tag 
dauernde Mattigkeit. Diesem Kranken gab nun H. zwei knappe 
Teelöffel Puro in seiner Bouillon und — nach drei Viertelstunden 
war das „Eierbauchweh“ da! Die Erkrankung verlief genau wie 
die sonstigen nach Genuß von Hühnereiweiß, und da nach Verf. 
auch in seinem Falle jede Autosuggestion ausgeschlossen wurde, 
so mußte in dem Puro Hühnereiweiß sein — quod erat demon- 
straudum. 


Technische Neuerscheinungen. 


Ein neuer Wandarm für Röntgenröhren 

ist von Dr. R. Pflugradt konstruiert worden, und wird 
von der Firma Paul Beez, Berlin, Friedrichstr. 133, in 
den Handel gebracht. Der neue Wandarm hat gegenüber 
den bisher gebräuchlichen Vorrichtungen zum Halten von 
Röntgenröhren während der Durchleuchtungen wesentliche 
Vorzüge, welche ein leichtes und rasches Zentrieren der 
Röntgenröhren ermöglichen. Wenn man bisher die Röhre 
genau einstellen wollte, mußte man unter einem nicht unbe¬ 
trächtlichen Aufwand von Zeit die Arme des Stativs durch 
Schrauben verstellen. Beim Gebrauche dieses neuen Wand¬ 
armes ist aber zur jeweiligen Einstellung der Röntgenröhre 
nur eine einzige Manipulation notwendig. Man faßt mit der 
linken Hand den Klemmarm, welcher die Röntgenröhre hält, 
und dreht denselben in seinem Kugelgelenk nach der ge¬ 
wünschten Richtung, während man mit der rechten Hand das 
Kugelgelenk durch die einzige an dem Apparat befindliche verstell¬ 
bare Schraube fixiert, nachdem man der Röhre die richtige Position 
gegeben hat. Der Arm besteht weiter aus einer sogen. Nürnberger 
Schere, durch welche man den Abstand der Röntgenröhre 
von der Wand regulieren kann, und welche sich bei dem Ein¬ 
stellen der Röhre verstellt, immer in der gegebenen Lage fest¬ 
stellt, ohne daß man sie durch Anziehen einer Schraube 
fixieren muß. Der ganze Wandarm läßt sich sehr leicht durch 
Drehen eines Handrades in der Höhe verschieben. Nach dem 
Gebrauch kann man den Arm ganz an die Wand zurück¬ 
schieben, und er nimmt da nur einen ganz geringen Raum in 




Origmal fro-m 

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Anspruch. Dieser sehr praktische Wandarm hilft entschieden 
einem Bedürfnis ab, was der am besten zu schätzen weiß, der 
mit dem Röntgenapparat arbeiten muß. 

W. B. Müller, Berlin. 



Kurze Zyklen von Fortbildungskursen und Vorträgen, an 

denen jeder deutsche Arzt unentgeltlich teilnehmen kann, 
werden demnächst unter Förderung des Reichsausschusses für das 
ärztliche Fortbildungswesen von den Landeskomitees in Bayern 
und Preußen veranstaltet. Die Zyklen umfassen die wichtigsten 
praktischen Disziplinen und finden in München vom 13. bis 
25. Juli, in Berlin vom 19.—31. Oktober statt. Nähere 
Auskunft erteilen für den Zyklus in Berlin: das Bureau des 
Kaiserin Friedrich-Hauses, Berlin N.W. 6, Luisen platz 2 bis 4, 
für den Zyklus in München: Herr Dr. Jordan, München, Lessing¬ 
straße 4. 

Ferner finden unentgeltliche kurzfristige Zyklen für 
deutsche Aerzte in den nächsten Monaten in folgenden Städten 
statt: Danzig vom 29. Juni bis 11. Juli (Auskunft: Dr. Wallen¬ 
berg, Olivaer Tor 5); Dresden vom 5. bis 24. Oktober 
(Auskunft: Geh. San.-Rat Crede, Dresden-A., Oanalettostr. 11); 

Die Anwendung leicht verdaulicher und assimilierbarer Kalkpräparate 
zur prophylaktischen und kurativen Behandlung der Tuberkulose bricht 
sich Bahn, 

Als erprobte Anwendungsform empfiehlt 

Geh. Sauitätsrat Dr. Wattenberg seine „Phosphorkalkmilcb“. 

Abhandlungen, Prospekte durch 

Dr. Hofiinann & Köhler, Harburg. 


Düsseldorf vom 28. September bis 24, Oktober (Auskunft: 
Sekretariat der Akademie, Moorenstr. 2); Erlangen im Juli 
(Auskunft: Hofrat Dr. L. Schuh, Nürnberg) ; F r e i b u r g vom 
13. bis 31. Juli (Auskunft: Priv.-Doz. Dr. Link, Albertstr. 41); 
Hamburg vom 5. bis 24. Okt. (Auskunft: Prof. Dr. Lenhartz, 
Eppendorf er Krankenhaus); Heidelberg vom 13. bis 31. Juli 
(Auskunft: Priv.-Doz. Dr. Willmanns); Leipzig vom 12. bis 
24. Oktober (Auskunft: Univer&itätsquästur); Magdeburg vom 
29. September bis IG. Oktober (Auskunft: Ob.-A. Dr. Schreiber, 
altstädt. Krankenhaus); Rostock vom 5. bis 15. Oktober (Aus¬ 
kunft: Prof. Dr. Martius). 

An dem Zyklus in Berlin sind als Dozenten hervorragende 
Universitätslehrer bezw. sonstige Vertreter der Sonderfächer 
beteiligt und zwar die Herren: Professor Dr. Ben da, Geh. 
Med.-Rat Professor Dr. Bier, Geh. Med.-Rat Professor Dr. 
Brieger, Geh. Med.-Rat Professor Dr. Bumm, Dr. Esch- 
baum, Prof. Dr. Finkeistein, Prof. Dr. Haike, Geh. Med.- 
Rat Prof. Dr. Hildebrand, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. His, Dr. 
Immelmann, Prof. Dr. J oachimsthal, Priv.-Doz. Dr. Joch- 
mann, Prof. Dr. Klapp, San.-Rat Dr. Köhler, Geh. Med.-Rat 
Prof. Dr. Kraus, Prof. Dr. L. Kuttner, Geh. Med.-Rat Prof. 
Dr. L. Landau zusammen mit Dr. Th. Landau, Med.-Rat Prof. 
Dr. L epp mann, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Lesser zusammen 
mit Dr. Arndt, Prof. Dr. E. Meyer, Geh. Med.-Rat Prof. Dr, 
von Michel, San.-Rat Dr. Mugdan, Prof. Dr. Pels-,Leusden , 
Prof. Dr. Posner, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Senator zusammen 
mit Prof. Dr. H. Strauß, San.-Rat Dr. Schütze, 

F. A. Floppen ti. R. Fischer 
Patentanwälte 

Berlin SW. 13, Neuenburgerstraße 15 
Aiut IV 718 . 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. H. Lungwitz, Berlin S. — Verlag: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle a S. 


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Redaktion: Verlagu. Expedition: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung 

Berlin S. 14 , Dresdenerstr. 44 . Tel. iv, 11773. in Halle a - s - Reilstraße so. 

_ Dr. med. et phil. H. Lungwitz. _ J l ___/ 

Offizielles Organ des Sehwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte der Ostsee und der 
6 Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. __ 


D. Jahrgang. 


Halle a. S., 5. Juli 1908. 


Nr. 27. 


~röl Tr... ... ti.rh, D„ n erscheint ieden Sonntag und kostet vierteljährlich 2 M., einzelne Nummer 20 Pi. Bestellungen nehmen jede Buchhandlung, 

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Nachdruck der Original-Aufsätze ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. - 


I—I ORIGINALIEN. || CD | 

Die Ernährung der Lungenkranken und eine Rück¬ 
schau in eigener Sache. 

Von Hofrat Dr. Volland in Davos-Dorf. 

Motto: Es ist ganz unglaublich, wie langsam 
alte Irrtiimer verschwinden. Einmal 
das Richtige sagen hilft in der Regel 
gar nichts, man maß es hundertmal 
sagen. Möbius, Staehyologie. 

Nach meinen immer neuen Wahrnehmungen dürfte es 
immer noch nicht unzeitgemäß sein, nochmal alles das über 
die Ernährung der Lungenkrankheiten mitzuteilen, was sich 
mir in meiner sehr langjährigen Tätigkeit als Phthisiater als 
das beste bewährt hat. 

Ich habe schon oft über mein Verfahren, das den geltenden 
Anschauungen vielfach widersprach, geschrieben, und da¬ 
für auch reichlich Widerspruch, Abweisung, Hohn und Spott 
geerntet. Aber ich fand doch auch bei manchen Verständnis, 
Nachahmung, Anerkennung und Beifall. Und so hoffe ich, mit 
dem nachfolgenden den Kreis meiner Zustimmenden und Freunde 
wieder um einiges zu vergrößern. 

Der Name Schwindsucht deutet darauf hin, daß mit der 
Krankheit ein langsames Hinschwinden der Kräfte und Körper¬ 
gewebe einhergeht. Es ist also erstes Erfordernis, durch Zu¬ 
fuhr geeigneter Nahrungsmittel dem Kräfteverfall entgegenzu¬ 
wirken und die Substanzverlnste zu ersetzen. So selbstver¬ 
ständlich das ist und so einfach das klingt, so stellen sich 
doch der Erfüllung dieser Anzeichen die mannigfaltigsten Hin¬ 
dernisse in den Weg. 

Sehr oft hat der Patient keinen Appetit, er genießt alle 
ihm Vorgesetzten Speisen nur gezwungen und mit Widerwillen. 
Namentlich ist der Ekel vor Fleischnahrung recht häufig. 
Solche hochgradige Appetitlosigkeit beruht meist auf vorhan¬ 
denem, wenn auch noch so niedrig scheinendem Fieber. Die 
ri chtige Behandlung des phthisischen Fiebers ge¬ 
hört also auch mit in das Kapitel der Ernährung. Denn ohne 
seine Beseitigung wird es mit der Ernährung und der Wieder' 
herstellung des Patienten nie ernstlich vorwärts gehen. Wenn 
seine Behandlung aber erfolgreich sein soll, so muß vor allem 
das richtige Verständnis für das Fieber bei Arzt und Patienten 
vorhanden sein. Es muß als solches sicher erkannt und ge¬ 
würdigt werdep. 


Schon das Aussehen des Phthisikers und weiterhin der 
schwache Puls sagen uns deutlich, daß bei ihm ein gewisser 
Grad von Blutarmut vorhanden sein muß. Das Blut ist in 
seinem Umlauf bekanntlich der Verteiler der Körperwärme im 
Organismus, denn jeder künstlich blutarm gemachte oder krankhaft 
blutleer gewordene Körperteil fühlt sich kälter an. Daraus folgt, 
daß ein blutarm gewordener ganzer Organismus ebenfalls kühler 
sein, also eine entsprechend niederere Körpertemperatur zeigen 
muß als ein gesunder. Die höchste Temperatur eines gesunden 
Menschen in der Achselhöhle gemessen ist 37,0° C. Der blut¬ 
arme Phthisiker wird, wenn er fieberfrei ist, niemals diese 
Höhe erreichen, sondern nicht unerheblich unter diesem Werte 
bleiben. Meine Erfahrungen haben mich nun gelehrt, daß man 
einen Lungenkranken erst für fieberfrei erklären kann, wenn 
bei ihm die Temperatur, zehn Minuten lang in der Achselhöhle 
gemessen, mehrere Tage hindurch 36,7 0 C. nicht über¬ 
steigt. Es kann sehr verhängnisvoll für den Kranken werden, 
wenn man 37,5° C bei ihm nicht für Fieber erklärt, sondern 
ihn mit dem unglücklichen, aber viel gebräuchlichen Trostwort 
beruhigt, das sei nur höhere Temperatur. Das Fieber beginne 
erst mit 38,0° C. Je früher man diese Temperaturen zwischen 
36,7° und 37,5° als Fieber erkennt und sie in die richtige Be¬ 
handlung nimmt, desto früher wird das Fieber beseitigt sein 
und desto rascher wird sich der Appetit des Kranken einstellen. 
Verschlepptes phthisisches Fieber braucht aber ge¬ 
wöhnlich eine Behandlung von vielen Monaten und dann zwar 
am sichersten im Hochgebirgsklima. Nur da ist es möglich, 
den Kranken dauernd monatelang im Bett zu halten, ohne 
daß dadurch die Eßlust beeinträchtigt wird, wie das im Tief¬ 
land allgemein gefürchtet wird. Nur unter diesen Bedingungen 
kann das phthisische Fieber endlich zum Verschwinden gebracht 
werden. Es ist eigentlich überflüssig zu bemerken, daß das 
bei ganz schweren Fällen manchmal überhaupt nicht mehr 
gelingt. 

Die Behandlung des phthisischen Fiebers kann erfolgreich 
nur durch ruhige Bettlage im luftigen, doch nicht zu kalten 
Zimmer durchgeführt werden. Hat es schon lange bestanden 
und will es bei gewöhnlicher Bettlage nicht weichen, so bleibt 
nichts weiter übrig, als den Kranken zur vollständigen Ruhe¬ 
lage zu bestimmen. 

Dieses Verfahren, was ich zuerst angegeben und beschrieben 
habe, hat Anklang gefunden, und man hat dafür sogar Kadaver¬ 
rahe verlangt, oder es wenigstens so bezeichnet. Nun, so 
schlimm ist es damit doch nicht: der Patient darf schon die 
Arme und Beine etwas bewegen, auch den Kopf darf er drehen 
und etwas anfrichten. Der übrige Körper muß allerdings mög¬ 
lichst unbeweglich liegen, und die Bettschüssel ist unentbehr¬ 
lich. Das ist aber der wunde Punkt dieser Maßnahmen. 
Manche bringen die Defäkation auf ihr nicht zustande und 


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426 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 





strengen sich dabei noch mehr an als bei der Benutzung des j 
Nachtstuhls. Die Bettschüsselfrage ist eben immer noch offen. 
Wer dieses schwierige Problem yöllig befriedigend lösen würde, 
der würde sich ein großes Verdienst um zahllose Kranke er- ; 
werben. 

Mit dem Absinken der Körpertemperatur und bei vorsich¬ 
tiger Ernährung stellt sich der Appetit meist ganz von selbst 
ein, und man hat weiterhin leichtes Spiel. 

Gegen das Darreichen von Fiebermitteln bin ich durch¬ 
aus, ich nehme zu ihnen nur bei sich subjektiv schwer bemerk¬ 
bar machenden Begleiterscheinungen vorübergehend meine Zu¬ 
flucht, also besonders wenn heftige Schmerzen geklagt werden, 
die auf das Fieber zu beziehen sind. Bei hohem Fieber wird 
mit Eis gekühlt. Als Hilfsmittel zur Beseitigung der letzten 
Fieberzehntel zwischen 37,5 und 36,8° C hat sich mir die kn- 
Wendung von Vesikatoren gut bewährt. Nach der Ab¬ 
heilung, die unter dem feuchten Sublimatverband nur drei bis 
vier Tage beansprucht, wird auf die vordere Brustfläche ein 
neues Blasenpflaster gelegt und damit alle vier Tage fortge¬ 
fahren. Der Patient sieht selbst, wie dabei die Temperatur 
um Zehntel fällt, und verlangt stets selbst nach einem neuen 
Pflaster, zumal da die Sache sozusagen schmerzlos ist. 

Infolge ihrer Blutarmut haben Lungenkranke ein schwaches 
Herz, und durch langdauerndes Fieber muß die Herzschwäche 
immer mehr zunehmen. Um dieser zu begegnen, habe ich täg¬ 
liche Kampferdarreichungen in Gestalt des zehnprozen¬ 
tigen Kampferöls subkutan empfohlen. Zwei bis vier Spritzen 
a 1 Gramm jeden Tag müssen aber angewandt werden, wenn 
man bald den Puls regelmäßiger, gleichmäßiger, ruhiger und 
kräftiger finden will. Das gleiche Verfahren ist auch bei nicht 
fiebernden Lungenkranken erfolgreich. Man sieht dabei ein 
auffallend rasches Besserwerden der Lungenerscheinungen. Be¬ 
sonders bemerkenswert war die rasche Aufhellung ausgebreiteter 
Infiltrationen, wie das in der Vorkampferzeit kaum zu beob¬ 
achten war. Ich kann das den Kollegen zur Nachprüfung an« 
gelegentlich empfehlen. Man begeht auch kein Verbrechen, 
wie es mir ungefähr angerechnet wurde, wenn man den 
Kranken anlernt, sich die Einspritzungen selbst zu machen. 
Der Kampfer wirkt in den Dosen, wie ich ihn gebe, nie giftig, 
eine Angewöhnung an ihn findet nie statt, man kann damit 
jederzeit ohne irgendwelche Beschwerden aufhören, und kampfer¬ 
süchtig wird ganz gewiß niemand. 

Die Appetitlosigkeit kann aber auch ohne Fieber beim 
Phthisiker bestehen und beruht dann auf einem chronischen 
Magenkatarrh, auf Grund dessen die Schwindsucht zum 
Ausbruch gekommen ist. Es kann aber auch umgekehrt sein: 
die ausgebrochene Krankheit hat den Magen ungünstig beein¬ 
flußt. Meistens liegt aber die Sache so: beim Ausbruch der 
Krankheit hat eine unzweckmäßige Ernährung stattgefunden, 
oder es sind zu viel Medikamente gegeben worden. Gewöhn¬ 
lich ist beides der Fall gewesen. Bei solchen findet man häufig 
Atonie des Magens, die man leicht an den Plätscherge- 
räuschen über der Magengegend erkennen kann. Die Größe 
des oft erweiterten Magens läßt sich leicht bestimmen, wenn 
man sich eines Apparates mit Hörschläuchen bedient, den man 
auf die Magengegend aufsetzt und mit ihm den Sukkussions- 
geräuschen nachgeht. 

Um nun den Lungenkranken richtig ernähren zu können, 
muß man die größte Sorgfalt auf die Pflege des Appetits 
verwenden. Der richtige Appetit ist das sicherste Merkmal, 
daß die Verdauung in Ordnung ist. Es ist aber eine ausge¬ 
machte Sache, daß nicht das den Menschen ernährt, was er ißt, 
sondern nur das, was er auch richtig verdaut. Im allgemeinen 
sollte es also als Regel gelten, daß der Patient nicht eher ißt, 
als bis er wirklich auch eine Appetitsregung spürt. Sie ist 
stets ein Zeichen, daß der Magen ganz oder wenigstens nahezu 
leer ist und neue Zufuhr verlangt. Dem ist freilich bei völliger 
Appetitlosigkeit zunächst nicht gerecht zu werden. Etwas muß 
dann doch dargereicht werden: Gern wird gewöhnlich noch 
morgens eine Tasse Milchkaffee mit Zwieback oder Weißbrot 
mit Butter genommen. Mittags etwa eine dicke Suppe mit ge¬ 
riebenem Fleisch darin, und abends gibt man ein wenig rohen 
gehackten Schinken oder Geflügelfleisch mit Butterbrot und 


ähnliches. Auch ist die sauere Milch zu versuchen , die fir 
den Fiebernden oft ein wahres Labsal ist. Ob sie mit Lakto- 
bazillin oder als Yoghurt bereitet wird, das wird sich wohl gleich 
bleiben. Man muß auf die Geschmacksrichtung des Kranken 
die allergrößte Rücksicht nehmen und ihm nicht Sachen auf¬ 
zwingen, die er nicht mag. In dnr Beziehung ist besonders 
auf die verschiedenen Nährpräparate acht zu geben. Wenn 
sie ungern genommen "werden, so sind sie unbedingt wegzu¬ 
lassen. Dagegen kann man manchmal Dinge erlauben, deren 
Darreichung mit der Schulmeinung im Widerspruch steht. 

Die Vorschrift aber, dem appetitlosen Lungenkranken wo¬ 
möglich alle zwei Stunden etwas Nahrhaftes gewöhnlich in 
flüssiger Form darzureichen, damit er nur nicht von Kräften 
komme, die ist ganz unzweckmäßig. Damit kommt es nie zum 
Appetit. Da wird der Magen nie leer, und die neu zugeführte 
Speise stört nur die Verdauung des jschon vorhandenen Inhalts. Ja 
man erreicht damit nur das Gegenteil von der angestrebten 
Kräftigung des Kranken. Denn der -Gang der Ereignisse ist 
dann gewöhnlich folgender : Nach Verordnung des Arztes und 
auf dringendes Zureden der Angehörigen zwingt sich der 
Patient aus Pflichtgefühl auf, was ihm nur immer so oft wie 
möglich dargeboten wird. Das geht dann so lange, bis bei 
einem halbwegs heftigen Hustenanfall die ganze Bescherung 
wieder zum Vorschein kommt. Das ist stets das Zeichen eines 
schlaffen Magens, denn ein widerstandsfähig gewordener gibt 
auch bei ganz heftigen Hustenanfällen keine Speisen wieder 
von sich. 

Man lasse also eine längere Pause zwischen den Mahl¬ 
zeiten vergehen in der Weise, daß man zunächst nur dreimal 
täglich essen läßt. Nun wird man bald die Genugtuung haben, 
daß der Patient zunächst wenigstens den Widerwillen gegen 
das Essen verliert und nach und nach schon leichte Appetits¬ 
regungen spürt. Damit ist aber für ihn schon viel gewonnen. 
Jetzt hat man die Sicherheit, daß das Genossene auch wirklich 
der Ernährung des Körpers dient und daß keine schädliche 
Ueberlastung des Verdauungskanals mehr stattfindet. Sind 
auch die zugeführten Nahrungsmengen noch nicht groß und 
dürften sie dem besorgten Arzt und der Umgebung des Kranken 
noch nicht ausreichend erscheinen, die durch die Krankheit ver¬ 
ursachten Verluste zu decken, so hat man doch die Gewißheit, 
daß sie ordentlich verdaut werden und in Wirklichkeit dem 
Kranken mehr bieten als die vier- und fünffachen Mengen, die 
ihm wider Willen aufgezwungen werden. 

Bei sonst richtigem Verhalten wird nun bald der eigent¬ 
liche Rekonvaleszentenhunger kommen. Patient wird das ihm 
Gebotene jedesmal mit Vergnügen aufessen und kaum satt zu 
kriegen sein. Dem muß dann in reichem Maße nachgegeben 
werden. 

Die erfreulichen Folgen werden sein: Verschwinden des 
Fiebers, gutes Befinden, bessere Stimmung, Wiederkehr der 
Kräfte, Körpergewichtszunahme, Besserung der Lungener¬ 
scheinungen. 

Nun kommt es oft genug vor, daß der Patient der Meinung 
ist, mit der gewaltigen Zufuhr von Nahrung müsse es so weiter 
gehen, um möglichst rasche Gewichtszunahme zu erreichen. 
Er fährt fort, große Mengen zu sich zu nehmen, auch wenn 
die Sättigung schon eingetreten ist. Appetitsverlust, Magenbe- 
schwerden und Gewichtsabnahme sind die Folgen. Jetzt heißt- 
es wieder zur Mäßigung im Essen mahnen, und es wird bald 
nicht nur zum Essenkönnen, sondern zur wahren Eßlust 
kommen. Es ist wohl zu beachten, daß' das in der Phthisiatrie 
sehr zweierlei Dinge sind, die sorgfältig auseinander zu halten 
sind. 

Brehmer hat zuerst großen Wert darauf gelegt, daß die 
Nahrung der Phthisiker möglichst fettreich sein solle. Dieser 
alten Forderung wird zum Teil auch heute noch nachgelebt 
in der Absicht, damit reichlichen Fettansatz und rasche Ge¬ 
wichtszunahme zu erzielen. Man gibt also den Patienten recht 
reichlich Sahne zu trinken, die Speisen werden möglichst fett 
gekocht, auch Lebertran soll darauf hinwirken. Dieses ein¬ 
seitige Mästen auf Fettansatz, dem außerdem noch reichlicher 
Milchgenuß dienen soll, ist nicht das Zuträglichste für den 
Kranken. Wenn auch die großen Gewichtszunahmen, die. 


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1!'0Ö THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


sich manchmal damit erreichen lassen, nicht nur dem 
Patienten, sondern auch der Umgebung gewaltig imponieren, 
so findet man gewöhnlich bei genauerem Nachsehen, daß der 
Lungenzustand sich trotzdem nicht gebessert hat. Der Husten 
und Auswurf ist nicht vermindert, und dementsprechend findet 
man auch objektiv keine Erscheinungen von Besserung über 
den Lungen. Dagegen hat sich mehr Kurzatmigkeit eingestellt, 
einmal weil an dem Körpergewicht mehr zu tragen ist, und 
dann weil sich unter anderem auch Fett auf dem Herzen ab¬ 
gelagert hat, wodurch die schon vorhandene Herzschwäche 
nur noch vergrößert werden mußte. Es ist wohl zu 
beachten, daß sich Fettsucht und Schwindsucht 
durchaus nicht gegenseitig ausschließen. 

Man muß also darauf hinzu wirken suchen, daß sich wo¬ 
möglich sämtliche Körpergewebe verhältnismäßig an der Ge¬ 
wichtszunahme beteiligen. Das erreicht man aber nur, wenn 
der bei gutem Appetit gehaltene Lungenkranke durchaus ge¬ 
mischte Kost bekommt, wie sie gut bürgerlichen Verhältnissen 
entspricht und wie sie von den übrigen gesunden Angehörigen 
gegessen wird. 

Die Wichtigkeit des Appetits für die reichliche Absonde¬ 
rung von Magensaft und somit für die richtige Verdauung und 
Ausnutzung für den Aufbau der Gewebe hat Pawlow durch 
seine berühmten und oft bestätigten Versuche an Hunden mit 
Magenfistel nachgewiesen. Sie sind zu bekannt, als daß ich 
hier darauf näher einzugehen brauchte. Nur das möchte ich 
sagen: Eine glänzendere Bestätigung meiner auf Nachdenken 
und Erfahrung begründeten Forderungen, die Ernährung der 
Lungenkranken betreffend, hätte ich mir nicht wünschen können. 

Als besonders notwendiges Nahrungs- und Unterstützungs¬ 
mittel der Kur galt von jeher die Milch. Nun, sie ist in der Tat 
unentbehrlich, wenn bei beschränkten Verhältnissen eine aus¬ 
reichende gemischte Kost nicht zu ermöglichen ist. Dann muß 
sie als billigstes Nahrungsmittel, als Ersatz für den Ausfall 
von kräftigeren Speisen, eintreten. Man wird sie also zu den 
einzelnen Mahlzeiten als Milchsuppe, Milchbrei, sauere Milch 
und auch als Getränk geben. Wenn aber bei der sehr reich¬ 
lichen Ernährung, wie sie in Heilanstalten, Hotels und Pen¬ 
sionen stattfindet, zwischen den einzelnen Hauptmahlzeiten 
noch gläserweise Milch getrunken wird, so bedeutet das eine 
Überlastung des Magens, die früher oder später Appetitlosig¬ 
keit, Magenkatarrh, Atonie und bei lange in dieser Weise fort¬ 
gesetzter Milchkur endlich Magenerweiterung zur Folge haben 
muß. Die sehr reichlichen Mahlzeiten, mittags mit drei und 
abends mit zwei Fleischplatten mit Suppe und süßer Speise, 
nehmen die Tätigkeit des Magens recht erheblich in Anspruch’ 
so daß er eben gerade noch von einer Mahlzeit bis zur anderen 
mit der Verdauung fertig werden kann. Wird sie aber durch 
die Zufuhr eines Glases Milch gestört, so kann man sich leicht 
vorstellen, daß der VerdauungsVorgang sich nun nicht mehr 
normal weiter abspielt. Man muß nur bedenken, daß die Milch 
kein einfaches Getränk darstellt, sondern in den Magen ge¬ 
bracht, alsbald zu Käseklumpen gerinnt und dadurch keineswegs 
leicht verdaulich wird. Die Verdauungsarbeit muß also von 
neuem beginnen: sie kann nun bis zur nächsten Mahlzeit nicht 
beendet sein und wird durch diese abermals beeinträchtigt. 

Dadurch, daß der Magen den ganzen Tag sich nie ent¬ 
leeren kann und erst spät in der Nacht endlich sich seines In¬ 
halts entledigt, bilden sich Gärungen im Magen, die sich be¬ 
sonders durch Aufstoßen von Luft bemerkbar "machen. Außer¬ 
dem wird der Patient das Gefühl von Druck und Völle in der 
Magengegend nie recht los, wenngleich eigentliche Magen¬ 
schmerzen bei dieseu Zuständen kaum je von mir beobachtet 
worden sind. Die Zunge zeigt sich weiß belegt. Häufiges 
Durstgefühl, besonders nach den Mahlzeiten, was durch Trinken 
nicht gestillt wird, sondern nur das Gefühl von Druck und 
Unbehagen im Leibe vermehrt. Reichliche Blähungen, Aus¬ 
fallen von Uraten, die den erkalteten Urin trüben. Nicht 
selten Herzklopfen, oft Tachykardie und unregelmäßiger Puls¬ 
schlag, manchmal auch Bradykardie. Auch findet man solche 
Kranke oft nervös, reizbar, verstimmt, hypochondrisch und zur 
Melancholie geneigt, ganz im Gegensatz zu den Magengesunden, 
die als Phthisiker immer mehr zum Frohsinn neigen. Das 


alles sind weitere Zeichen eines atonischen oder erweiterten 
Magens, die nicht immer alle, aber doch in der Mehrzahl bei 
den einzelnen Fällen beobachtet werden. 

Die Behandlung dieser atonischen und ektati- 
schen Magenzustände, die sich mir stets bewährt hat, 
besteht im wesentlichen in täglich nur dreimaliger Darreichung 
von Speisen in fester Form mit so wenig Getränk wie nur 
möglich. Auch die gewöhnlichen Mittagssuppen bleiben weg, 
nur die dicken Abendsuppen können beibehalten werden. A1- 
koholische Getränke in jeder Form sind ganz zu meiden. Auf 
besondere Leichtverdaulichkeit der Speisen braucht man nicht 
bedacht zu sein, wesentlich ist gemischte Kost, die sich von 
aller Einseitigkeit und Gleichförmigkeit fern hält, Getränke 
sind früh und nachmittags eine Tasse Milchkaffee oder Tee 
und abends vor Schlafengehen ein bis zwei Gläser frisches 
Wasser. Von der Beobachtung ausgehend, daß sich morgens 
im atonischen oder ektatischen Magen beim Aushebern häufig 
trübe oder auch gallig gefärbte Flüssigkeit findet, läßt man 
früh nüchtern ein Glas gewärmtes Tarasper Wasser trinken, 
öfter ein ebensolches noch eine halbe Stunde vor dem Mittag¬ 
essen, gewissermaßen zur Magenreinigung. Gewöhnlich ver¬ 
schwinden unter diesem einfachen Regime die Zeichen von 
Magenatonie in kurzer Zeit, es tritt Wohlbefinden und richtiger 
Appetit ein. Aber noch lange Zeit nachher machen sich Rück¬ 
fälle nach unvorsichtiger Ueberfiillung des Magens bemerkbar 
und zwar gewöhnlich am auffallendsten durch erneutes Aus¬ 
fallen von Uraten im erkalteten Urin. 

Von den künstlichen Ernährungs- und Kräfti¬ 
gungsmitteln, mit denen eine geschäftige Industrie den 
Aerzten und den Lungenkranken bei geschwächtem Magen zu 
Hilfe zu kommen sucht, will ich nicht reden. Ihrer Anwen¬ 
dung sich entgegenstemmen zu wollen, wäre angesichts der 
Reklame aussichtslos. Wir müssen zufrieden sein, wenn die 
Preise der Sachen nicht in gar zu grellem Gegensatz zu ihrem 
Nutzen stehen. Wenn wir sicher sind, daß damit kein Schaden 
angerichtet wird, so können wir dem Verlangen danach ruhig 
nachgeben. Der Patient wird nach längerem oder kürzerem 
Gebrauch schon von selbst die teueren Dinge weglassen. Un¬ 
bestreitbar ist und bleibt die beste Nährmittelfabrik eine mit 
feinem Verständnis geleitete Küche. 

Gegen den regelmäßig verordneten Genuß von Alkohol 
in der Phthisiatrie bin ich, wie weiter unten zu lesen sein wird, 
schon sehr früh aufgetreten. Seither ist man wohl allgemein 
zu der Ueberzeugung gekommen, daß für den Phthisiker große 
Mäßigkeit in Alkoholizis dringend notwendig ist. Deshalb 
brauche ich hierüber kein Wort mehr zu verlieren. Aber ich 
möchte doch nicht der völligen Abstinenz das Wort reden. 
Auch des Kranken Herz soll manchmal der Wein erfreuen. 

Für diese meine den Magen des Kranken schonende Be¬ 
handlung habe ich nun recht gewichtige Gewährsmänner und 
Gesinnungsgenossen. Schon der alte Jesus Sir ach sagt: 
„Viel Essen macht krank, wer mäßig isset, der lebet desto 
länger.“ Sonderegger*) verlangt für den Menschen auch 
nur dreimal täglich zu essen. Billroth**): Die Idee, jeder 
Abmagerung und jeder Schwäche durch sofortige, massenhafte, 
beliebige Nahrungszufuhr selbst zwangsweise abhelfen zu wollen, 
muß man aufgeben. Das massenhafte Einführen von Nah¬ 
rungsmitteln kann einem in seinen Ernährungsorganen Kranken 
ebensowenig nützen, wie wenn man einem Automaten das 
schönste Diner eingösse. Auch Richard Rosen***) und 
Dobczynskif) stimmen mir bei. Do Uff) sagt: Sehr häuficr 
steht boi den aus den Heilstätten Entlassenen das hervorragend 
gebesserte Allgemeinbefinden zu dem kaum veränderten, selbst 
verschlechterten Lungenbefund in schroffem Gegensatz. Die in 
den Anstalten angemästete Körperfülle schwindet in den alten 
Verhältnissen rasch wieder dahin und die Kranken eilen 


*) Vorposten der Gesundheitspflege, 

**) Die Krankenpflege. Wien, 1899, S. 224. 

***) Berliner Klinik. Mai 1900. 

f) Tuberkulose und deren Bekämpfung nach den Anschauungen eint*» 
praktischen Arztes. 1899. 

ft) Aerztliche Mitteilungen aus und für Baden. 1S89. Nr. 14 




unaufhaltsam ihrem Schicksal entgegen. G. Schröder*) 
verfährt genau so wie ich. 

Rosenfeld**) fordert auch nur drei große Mahlzeiten. 
Die verzettelten kleineren lassen den Magen nie zur Ruhe 
kommen. 

0. Minkowski***): „Die Bedeutung des geringen Nah¬ 
rungsvolums ist etwas, was bei der Behandlung der Magen¬ 
krankheiten schon häufig hervorgehoben worden ist, was aber 
in der Praxis nicht genug in Betracht gezogen wird. Mit der 
Milch, die ja in der Diät der Magenkranken eine so große 
Rolle spielt, wird in dieser Hinsicht viel gesündigt.“ 

Dagegen spricht sich Rump ff) folgendermaßen aus: 
„Daß reichliche Nahrungsaufnahme die Prognose verbessert, 
dürfte außer von Yolland allgemein angenommen werden.“ 

Man vergleiche nun mit diesem schnellen Wort, was 
Meißen in demselben Buche (S. 154) sagt: „Drei tägliche 
Mahlzeiten sind, wenn der Ernährungszustand auf einer ge¬ 
nügenden Höhe ist, ausreichend. Auch wenn der Appetit nach¬ 
läßt, tun manche Kranke gut, sich mit ihnen zu begnügen“, 
und S. 152: „Dem Bestreben mancher Kranker, durch allerlei 
Ernährungskünste oder durch unmäßiges Essen immer dicker 
zu werden, muß man entgegentreten. Magen und Darm ver¬ 
sagen da, und es kann zu ernsten Störungen, sogar zu Mauern¬ 
den Schädigungen kommen.“ 

Abgesehen davon, daß ich meine Meinung noch etwas 
bestimmter ausgedrückt habe als Meißen, so ist das 
doch fast dasselbe, worauf ich seit 1895 immer und immer 
wieder hingewiesen habe. Wodurch mag ich mir nun wohl 
Rumpfs Ungnade zugezogen haben, daß er mich, doch wohl 
ohne meine Schriften richtig gelesen zu haben, in dieser Weise 
abtut? Ich bin ihm doch niemals zu nahe getreten? So ver¬ 
mag ich mir dafür keinen andern Grund zu denken, als daß 
nach seiner Meinung ein gewöhnlicher praktischer Arzt sich 
gar nicht zu unterstehen hat, eigene Gedanken und Anschau¬ 
ungen zu haben, noch weniger aber solche zu publizieren oder 
gar öffentlich vorzutragen. Wenn er es dennoch tut, so nimmt 
man am besten keine Notiz davon oder dann nur in der oben 
mitgeteilten Rumpf sehen Weise. 

Als selbständig denkender und kritisch veranlagter Arzt 
war es mir von jeher unmöglich, den bequemen und breiten 
Weg der medizinischen Mode mitzuwandeln. Ich mußte es 
sogar versuchen, einen etwas frischeren Zug in die alte Schablone 
zu bringen. Dabei ist freilich der Autoritätsglaube ganz in 
die Brüche gegangen. Sicher wäre es für mich ersprießlicher 
gewesen, wenn ich dem Goethe sehen Sprüchlein nachgelebt 
hätte: 

„Willst du aber das Beste tun, 

So bleib nicht auf dir selber ruhn, 

Sondern folg eines Meisters Sinn. 

Mit ihm zu irren ist dir Gewinn.“ 

Dann hätte ich mir vielleicht auch Rumpfs Beifall er¬ 
worben, oder hätte mir wenigstens nicht seinen Zorn aufge¬ 
laden . 

Im nachfolgenden gebe ich nun eine Rückschau in 
chronologischer Reihenfolge über alle meine Ideen, Beobach¬ 
tungen, Erfahrungen usw., die in über 50 Veröffentlichungen 
niedergelegt sind. Damit kann ich dann überall meine Priori¬ 
tät wahren. Ich überlasse es dem Leser selbst, zu beurteilen, 
welche von meinen Gedanken, praktischen Vorschlägen, Unter¬ 
suchungen usw. schon Beifall und Nachprüfung gefunden haben, 
welche noch scharfer Opposition und Mißbilligung begegnen, 
und welche sich vielleicht nach und nach doch noch durch¬ 
setzen werden, wenn es auch noch so lange dauern mag. 

1. Im Jahre 1879 habe ich mich zuerst mit vergleichenden 
Beobachtungen über Verdunstung und Insolation zwischen 
Hochgebirge und Tiefland, Davos-Dorf und Straßburg i. E. be¬ 
schäftigt. (Broschüre, damals Schweighauserische Buchhand¬ 
lung in Basel, jetzt Erfurt in Davos-Platz.) 

*) Zeitschrift für Krankenpflege. 1901. Nr. 6. 

**) D. M. W. Vereinsb. 1905, S. 1295. 

***) Medic. Klin. 1905, Nr. 52. 

t) Handbuch der Therapie der chron. Lungenschwinds. von Schröder 
und Blumen fei d. Leipzig, 1904. S. 483. 


2. Gegen den kurgemäß verordneten Kognakgenuß bei 
Phthisikern habe ich mich zuerst 1883 gewandt (Deut. Med. W. 
Nr. 39). Der war damals sehr in der Mode, jetzt gehört er 
aber schon in die medizinische Rumpelkammer. 

3. Es wird die geringe Kindersterblichkeit trotz der 
großen Phthisikerfrequenz in Davos nachgewiesen und das 
Nichtvorkommen der Rhachitis in Davos festgestellt. (Jahrb. f. 
Kinderheilkunde, N. F., 22. Band, 1884.) 

4. Daß die erkrankte Lunge ebenso wie jeder andere er¬ 
krankte Körperteil zu seiner Genesung der möglichsten Ruhe 
bedürfe und daher das Bergsteigen und die Lungengym¬ 
nastik aus der Phthisiatrie auszuscheiden sei, ebenso wie die 
Ueb er ernähr ung, findet sich zuerst abgedruckt in den Davoser 
Blättern, 1887, Nr. 27 u. ff. 

5. Einen neuen Handgriff zur Korrektur sich 
falsch zur Geburt stellender Gesichtslagen habe ich 
im Jahre 1887 im Zentralblatt für Gynäkologie Nr. 46 ange¬ 
geben. Nach mündlichen Mitteilungen soll seiner im Operations¬ 
kurs in München Erwähnung getan worden sein. Das wäre 
nach zwanzig Jahren immerhin schon etwas. 

6. In der Broschüre: „Die Behandlung der Lungenschwind¬ 
sucht im Hochgebirge“, Leipzig, Vogel, 1889, habe ich mich zuerst 
gewandt gegen den unmäßigen Milchgenuß zwischen sub¬ 
stantiellen Mahlzeiten. 

Ferner findet sich da eine Erklärung für die Entstehung 
der Anämie der Lungenspitzen als günstiger Nährboden 
für die Ansiedelung des Tuberkelbazillus. 

Der Habitus phthisikus oder paralytische Thorax 
ist eine sekundäre Erscheinung und wird bedingt durch die 
mangelhafte Blutfüllung des kleinen Kreislaufs und dem daraus 
folgenden schwachen Gasaustausch in den Lungenspitzen. Die' 
Thoraxheber kommen außer Gebrauch und atrophieren, während 
der Gasaustausch nur in den blutgefüllten Unterlappen be¬ 
sorgt wird. 

Die horizontale Lage ist ein Mittel zur besseren Blut¬ 
versorgung der Lungenspitzen. Durch die Dusche werden 
mächtige Inspirationen ausgelöst, diese dehnen die Lungen 
übermäßig und stören den Krankheitsherd in seiner Ruhe. Sie 
ist deshalb für die Phthisiatrie zu verwerfen. 

7. In der Deut. Med. Zeit., 1889, Nr. 61, findet sich dann 
der experimentelle Nachweis, daß bei der Flüs sigkeitsVer¬ 
teilung in einem geschlossenen, elastischen, unge¬ 
nügend gefüllten Rohrsystem nur allein die Schwere 
in Betracht kommt, daß also bei allgemeiner Blutarmut, wie 
sie bei den Phthisikern das gewöhnliche ist, die unteren Lungen¬ 
teile wohl mit Blut gefüllt sein müssen, während die Lungen¬ 
spitzen an Blutmangel leiden. Denn die Verzweigungen der 
Lungenarterie besitzen zu ungenügende aktive Kontraktilität, 
als daß sie sieb dem verminderten Blutvolum anzupassen ver¬ 
möchten, weil sie sehr arm an glatten Muskelfasern sind. Zu¬ 
satz von heute: Bei dem Ausfall der Tätigkeit einer ganzen 
Lunge, wenn es also nach schweren Pleuraerkrankungen nicht 
wieder zu ihrer Entfaltung gekommen ist, muß die ganze Blut¬ 
menge durch die gesunde Lunge getrieben werden. Daß das bei 
verhältnismäßiger Arbeitsfähigkeit sehr lange möglich ist und 
solche Leute manchmal alt werden können, ist bekannt. Wie unge¬ 
nügend müssen nun die beiden Lungen eines blutarmen Menschen 
gefüllt sein, der sich im Beginn der Phthise befindet! Zudem 
werden ja bei ihm die Lungen durch den herabsinkenden Thorax 
nur noch länger. Durch diese Ueberlegung muß einem das 
Zustandekommen der Anämie der Lungenspitzen immer ver¬ 
ständlicher werden. 

8. Im Jahre 1890 (Aerztlicher Praktiker 20 u. 21) habe 
ich zuerst die scharfe Kritik geübt an den Gornetschen Schlu߬ 
folgerungen aus seinen Experimenten, mit denen er die Infek¬ 
tion mit Tuberkulose durch Einatmung des bazillen¬ 
haltigen trockenen Luftstaubes beweisen wollte. Ihm 
ist es zuzuschreiben, daß damit leider die unsinnige Bazillen¬ 
angst über Aerzte und Laien hereinbrach. Auch heute noch 
glauben sehr viele Forscher daran, daß die Bronchialdrüsen¬ 
tuberkulose durch die Inhalation des Giftes entstände. Und 


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<JocE Hat Gor net selbst später*) zugegeben, daß es ihm nicht 
gelungen sei, experimentell durch Inhalation des trockenen 
bazillenhaltigen Staubes beim Tier Tuberkulose hervorzurufen. 
Auch ist es immer noch nicht gelungen, den Tuberkelbazillus 
in der Luft in einatembarem Zustand nachzuweisen. 

Ich habe dagegen behauptet, daß dieBronchialdrüsen 
schon von der frühesten Kindheit an durch die so 
sehr häufigen Bronchialkatarrhe zu einem locus 
minimae resistentiae geworden sind. Dadurch bieten 
sie dem Tuberkelbazillus die allergünstigsten Verhältnisse zur 
Ansiedelung, er sei in den Organismus eingedrungen, auf 
welchem Weg nur immer, ob hereditär oder erworben. 

In der gleichen Veröffentlichung findet sich der erste Hin¬ 
weis auf die Infektion mit Skrofulöse und Tuberkulose durch 
die vom Fußbodenschmutz unsauberen Kinderhände. 

9. In der Zeitschrift f. klin. Med. Bd. XXHI, Heft 1 u. 2, 
1892, sind mitgeteilt: Untersuchungen der Schulkinder und 
Schüler, die das ungeheuer häufige Vorkommen der ge¬ 
schwollenen Halslymphdrüsen ergeben haben. Diese 
Untersuchungen sind nachher auch von anderen Forschern an- 

estellt worden und haben das gleiche Ergebnis gehabt, 
krofulose tritt erst nach dem ersten Lebensjahre auf, 
nachdem die Kinder mit dem Fußboden auf Händen und FüßeD 
in Berührung gekommen sind. Im ersten Lebensjahre ist sie 
selten und beruht dann auf ererbter Tuberkulose. Skrofulöse 
und erworbene- Tuberkulose sind Schmutzkrankheiten. 
Deswegen habe ich die Errichtung von Kinderpflege¬ 
rinnenschulen empfohlen, ganz besonders für die Zeit nach 
dem Säuglingsalter. Eben lese ich in der Tägl. Rundschau 
(85, 1908), daß in dem demnächst in Berlin zu errichtenden 
Krippenhaus auch jüngere Mädchen praktisch für den Dienst 
als Kindermädchen angelernt werden sollen. 

10. Die Behandlung der exsudativen Pleuritis und 
der akuten Tuberkulose mit völlig ruhiger Rücken¬ 
lage habe ich zuerst angegeben im Juliheft der Therap. Monats¬ 
hefte 1898 und habe sie auch da biologisch-physikalisch be¬ 
gründet. 

11. Therap. Monatshefte 1895, Sept.: Durch die Ueber- 
ernährung der Phthisiker entstehen leicht Magenatonien 
und Ektasien. Mitteilung der erfolgreichen Behandlung dieser 
Zustände. Verminderte Urin aus sch eidang und Aus¬ 
fallen von Uraten im erkalteten Urin deutet stets auf eine 
Magen- oder Darmstörung hin. Durch die Ueb ertr eibun g 
der Freiluftkur entstehen sehr leicht Rachen-, Kehlkopf- 
und Bronchialkatarrhe. — Damit stehe ich noch ziemlich 
allein da. 

12. Die Abhärtung des Menschen gehört in die Ver¬ 
hütung und nicht in die Behandlung des Phthisikers. Darum 
ist die Kaltwasserbehandlung dem blutarmen Kranken nur von 
Nachteil. Seine niedrige Körperwärme verträgt nicht ohne 
Schaden die damit verbundenen größeren Wärmeentziehungen. 
Die Wasserbehandlung hat sich bei ihm auf tägliche Waschungen 
mit warmem Wasser und auf ein wöchentliches warmes Vollbad 
zu beschränken. Alles nur der Hautpflege wegen. Die aller¬ 
meisten Neurastheniker leiden an Magen- oder Darm¬ 
katarrhen, mit oder ohne Erschlaffung dieser Organe. Die 
Heilung dieser Erscheinungen bietet deshalb den besten An¬ 
griffspunkt für eine erfolgreiche Behandlung der Neurasthenie. 
Ther. Monatsh. 1896, Juli. 

18. In der Deut. Med. Zeit. 1900, Nr. 61, findet sich an¬ 
gegeben das häufige Vorkommen von Magenatonie bei 
blassen, blutarmen Kindern und chlor otischen Mäd¬ 
chen. Die so häufige Unwirksamkeit der verschiedensten, 
wenn auch noch so leicht verdaulichen Eisenmittel wird dadurch 
erklärlich. 

14, Empfehlung der Behandlung des geringgradigen Fiebers 
mit Vesikatoren. In Zwischenräumen von drei bis vier 
Tagen wird ein .halbhandtellergroßes Blasenpflaster auf die 
vordere Brustwand immer auf eine neue Stelle aufgelegt. Die 
Stelle der Blase wird nach Entleerung mit feuchtem Sublimat¬ 
verband gedeckt. Schmerzlosigkeit, rascher Ersatz der Epider- 

*) Deut« Med. Wochenscbr. 1898. Vereinsbeilage Nr. 9, S. 53. 


mis. Abkürzung der Zeit bis zum Verschwinden des Fiebers. 
(Näher beschrieben in der Neuen Therapie, 1904, Nr. 11.) Eine 
Erklärung für diese Heilwirkung können die Untersuchungen 
von Carrien und Lagriffoul*) geben. '„Untersuchungen, 
die sich durch mehrere Jahre erstreckt haben, haben ihnen er¬ 
geben, daß auf die Anwendung des Blasenpflasters eine Ver¬ 
mehrung der Leukozyten folgt. Nicht bloß am Ort der Appli¬ 
kation, sondern im ganzen Kreislauf. Vermehrung um das 
zwei- bis zweieinhalbfache. Anstieg rasch, Abnahme allmählich. 
Man muß das Blasenpflaster als ein Reizmittel der Phagozytose 
ansehen. “ 

15. Die trockene und verstopfte Nase zwingt be¬ 
sonders nachts zum Atmen durch den offenen Mund und ver¬ 
ursacht dadurch Rachen- und Kehlkopfreizungen. Die sehr 
einfache und rasch Erleichterung bringende Behandlungsweise 
besteht in dem Ausschmieren des Naseninnern mit Zinkvaselin, 
das mit Watteträger bis zu den Choanen ein geführt wird. 
Genauer beschrieben im Augustheft der Therap. Monatsh. 1904. 

16. Gegen das tägliche Auskultieren und Per- 
kutieren der Pneumoniker und Pleuritiker, was mit 
Aufsitzen der Kranken verbunden ist, habe ich schon im Jahre 
1896 (Therap. Monatsh. 7 u. 8) geschrieben. Ausführlicheres 
findet man darüber in der Neuen Therap., Nr. 10, 1905. Es 
ist da auseinander gesetzt, warum das dem Kranken schaden 
muß und warum es für die Krankenbehandlung vollständig 
gleichgültig ist. Die Pneumoniker und Pleuritiker dürfen in 
ihrer ruhigen, selbstgewählten Rückenlage auch durch den Arzt 
nicht gestört werden. — Vor kurzem sprach ein italienischer 
Bauunternehmer in Davos, dem eben wieder ein Arbeiter an 
Pneumonie gestorben war, mir gegenüber seine Verwunderung 
aus, wie es käme, daß von den zehn Arbeitern, die im Laufe 
der Jahre von mir an Pneumonia behandelt worden seien, auch 
nicht einer gestorben sei: — Ich habe die Kranken eben in 
Ruhe gelassen und sie nicht mit zwecklosen Untersuchungen 
gequält. Das ist das ganze Geheimnis. 

17. Die Empfehlung der subkutanen Anwendung des 
sterilisierten zehnprozentigen Kampferöls gegen die chro¬ 
nische Herzschwäche der Phthisiker in ausreichender 
Dosis, nämlich täglich zwei bis vier Grammspritzen voll. Es 
gibt dabei keinerlei üble Nebenwirkungen, und durch die 
Regelung und Kräftigung des Herzschlags wird auch die Heilung 
des Lungenleidens befördert. Therap. Monatsh., 1906, Febr. 

18. Endlich habe ich noch auf die Analogie der Ver¬ 

erbung der Syphilis und der Tuberkulose aufmerksam 
gemacht. Da die Spirochäte pallida sich schon vom leicht 
kranken Vater auf das Kind vererbt, ohne daß die Mutter 
krank zu werden braucht, so sind wir gezwungen,^ das auch 
dem Tuberkelbazillus zuzutrauen. Wie es unzweifelhaft eine 
Syphilis hereditaria tarda gibt, so ist die Tuberkulosis heredi- 
taria tarda noch viel unzweifelhafter. Therap. Monatshefte 
1907, April. . 

All das Gesagte habe ich meinem Motto entsprechend m 
den vielen Veröffentlichungen wieder und wieder gesagt. Frei¬ 
lich, das nach Möbius erst helfende hundertste Mal ist noch 
lange nicht erreicht. 

Societö de Biologie. Deut. Med. Wochenscbr, Nr 5, Vereinsbei¬ 
lage, S. 208, 1907. 



Pharmakologie. 

Referent: Privatdozent Dr. C. Bachem, Bonn. 

1. Zur Theorie der Schwefelwirkung. Von Diesing. Berl. 
klin. Wochenscbr., 1908, Nr. 16, S. 785. 

2. Eine neue volumetrische Eiweißbestimmung mittels der 
Phosphorwolframsäure. Von Tsuchiya. Zentral bl. f. innere 
Medizin, 1908, Nr. 5. 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


3. Die volumetrische Eiweißbestimmung mittels der Phos¬ 
phorwolframsäure. Von Tsuehiya. Ibidem, Nr. 24. 

1. Verf. stellte Versuche mit Schwefelbädern an Hunden an, die 
teils gesund, teils mit Trypanosoma Brucei und Piroplasma canis 
infiziert waren. Die Blutuntersuchungen ergaben, daß im Anfang eine 
Vermehrung der farbstoffhaltigen Elemente eintrat, die nach kürzerer 
oder längerer Zeit in das Gegenteil umschlug. Allmählich überwogen 
die farblosen Blutzellen, mononukleäre und polynukleäre Zellen 
nahmen ebenfalls durch die Bäderbehandlung zu, auch traten 
kernhaltige rote Blutkörperchen auf, so daß man das ganze als 
künstliche Leukämie bezeichnen kann. Bei Anwendung von nur 
zwei bis drei Bädern wöchentlich trat dieses pathologische Bild 
nicht auf, sondern es kam dann nur zu einer Hämoglobinvermeh- 
riing. Temperaturmessungen bei infizierten Tieren ergaben, daß 
der durch die Haut zugeführte Schwefel die Temperatur auf einer 
mittleren Höhe hielt; zwei beigefügte Fieberkurven zeigen dies 
auf das deutlichste. Ferner ergeben die Kurven, daß das mit 
Schwefel behandelte Tier fünf Tage länger lebte als der Kontroll- 
hund, was bei der Piroplasmainfektion viel heißen will. Die Wir¬ 
kung des Schwefels erklärt sich (nach D.) aus seiner bindenden 
Kraft gegenüber dem lebenden und seiner reduzierenden Kraft 
gegenüber dem verbrauchten, zur Ausscheidung bestimmten Hämo¬ 
globin. Die stärkere Bindung des aktiven Blutrots hindert seinen 
schnellen Verbrauch, und es kommt nicht zu der tödlichen Hämo¬ 
globinurie. 

Verfasser erzielte bei Trypanosomiasis mit Schwefelbädern 
eine Verlängerung des Lebens der Hunde um eine Woche gegen¬ 
über den Kontrolltieren; ferner konnten durch Kombination mit 
Sublimatinjektionen bei Piroplasmosis die Hunde über zwei Monate 
am Leben gehalten werden. Die Verbindung von Schwefelbädern 
mit Arsen- oder Atoxylinjektionen bei Trypanosomen erwies sich 
jedoch als nicht wirksamer gegenüber der einfachen Arsen- oder 
Atoxylbehandlung. 


filtriert sein und das spezifische Gewicht 1Q06* bis 1008 haben, 
das Röhrchen schwenkt'man 10- bis 15 mal um und läßt 24 Stunden 
stehen. Die Fehlergrenzen sind sehr gering, wie T. dies durch 
Kontrollversuche (durch, Wägen) feststellen konnte. Die beige¬ 
fügten Tabellen geben hierüber Auskunft. 




Augenheilkunde. 

Referent: Privatdozent Dr. G. Abelsdorff, Berlin. 

1. Ueber Embolie der Zentralarterie. Von R, Hesse. 

Zeitschr. f. Augenheilk., Bd. XIX, H. 5, S. 441. 

2. Heber einen Fall von Hornhauttransplantation mit .er¬ 
haltener Transparenz. Von 0. Plan ge. Klm. Monatsbl. f. 
Augenheilk., Bd. XLVI, S. 277. 

3. Die Serotherapie hei schweren Infektionen des Auges. 
Von M. Teulieres. Ophthalmol. Klinik, Nr. 6, S. 161. 

1. Hess es Beobachtung gibt einen Fingerzeig, in Fällen 
von Embolie der Zentralarterie der Retina möglichst, frühzeitig 
einen Versuch mit der Massage zu machen. An der Grazer 
Augenklinik wurde eine an einem Herzfehler leidende Patientin 
mit plötzlicher Sehstörung auf dem linken Auge beobachtet; es 
fehlte ihr die ganze untere Gesichtsfeldshälfte; ophthalmoskopisch 
war die obere Papillenarterie stark verdünnt. Es wurde die Dia¬ 
gnose auf Embolie der Zentralarterie mit Fortschwemmung des 
Embolus in die obere Netzhautarterie gestellt. Bei fortgesetzter 
Massage (Fingerdruck und plötzliches Nachlassen des Druckes) 
des Augapfels wurde der Embolus im Anfangsteile dieser Arterie 
sichtbar, rückte weiter hinauf, bis er am folgenden Tage fehlte 
und die Gefäße wieder von normaler Beschaffenheit waren. Das 
Gesichtsfeld zeigte wieder normales Verhalten, die Sehschärfe 
betrug 8 /io. 


2, Verf. hat sich die Aufgabe gestellt, für die mit manchen 
Fehlern etc. behaftete Esbach sehe Probe eine neuere zuver¬ 
lässige und brauchbare Mischung herzustellen. Nach zahlreichen 
Vor versuchen kam er dazu, die Phosphorwolframsäure zu diesem 
Zweck nutzbar zu machen. Da nun normale Harnbestandteile 
durch diese Säure in wässeriger Lösung niedergerissen werden, 
zog er die alkoholische Lösung vor. 

Am besten bewährte sich folgendes Rezept: 

Azidum phosphorwolframik. 1,0, 

Azid, hydrochl. konz. 5,0, 

Alkohol 96% 100,0. 

Diese Lösung, zu der man immer frische Phosphorwolfram- 
saure uehmen muß, ist lange Zeit hindurch haltbar. Das eigent¬ 
liche Verfahren gestaltet sich genau wie das Esbach sehe. 

In 1 ach Ansicht des Verfassers besitzt das neue Reagens folgende 
Vorzüge: Aus normalem Harn fällt kein Niederschlag zu Boden, 
wie es bei Esbachs Reagens nach 24 Stunden beobachtet wird. 
Der Niederschlag aus eiweißhaltigen Harnen setzt sich regel¬ 
mäßiger ab als bei der Esbach sehen Methode. Die bei letzterer 
sich häufig bildenden Schaumbläschen, das Schwimmen des Nieder¬ 
schlags auf der Flüssigkeit wurde bei der neuen Methode niemals 
beobachtet. Die Genauigkeit bei mittlerer Zimmertemperatur ist 
bedeutend größer als beim Esbachschen Verfahren. Auch für 
höheren Eiweißgehalt (bis 7 %o) ist die Genauigkeit noch an¬ 
nähernd die gleiche; bei Exsudaten und Transsudaten ist eine 
Verdünnung am Platze. Geringe Eiweißmengen werden m i t dem 
neuen Reagens noch ebensogut niedergeschlagen wie größere. 
Besonders für die Untersuchung von Fieberharnen kommt dieser 
Vorzug in Betracht, da die Esbach sehe Methode bei Fieber¬ 
harnen unbrauchbar ist. Der Niederschlag enthält annähernd die¬ 
selbe Stickstoffmenge wie das im Urin enthaltene Eiweiß, während 
der Esbachsehe Niederschlag ziemlich viel Harnsäure enthält. 
Hierzu kommt, daß bei dem neuen Reagens die immerhin etwas 
gefährliche Pikrinsäure vermieden wird, der Arzt sich das Reagens 
selbst herstellen kann; auch der Umstand, daß das neue Reagens 
keine Flecke in die Wäsche macht, ist von Wichtigkeit. 

3. In der zweiten Arbeit über dasselbe Thema bespricht Verf. 
einige äußerliche Praktiken bei Anstellung der Reaktion. Die 
konisch zulaufenden Glasröhrchen sind empirisch eingeteilt. Man 
mischt 9 Teile Urin mit 8 Teilen Reagens, der Harn muß stets 


2. Einem Patienten, dessen eines Auge seit früher Kindheit 
durch Verletzung blind und phthisisch war, wurde durch Kalk¬ 
verbrennung die Kornea des gesunden Auges zerstört, das Oberlid 
verlötete völlig mit der ganzen Kornea. Nach operativer Beseiti¬ 
gung dieses Symblepharon und eines Entropiums beider Lider 
trug P. die oberen getrübten Schichten der Kornea mit dem 
Messer ab, eine dünne untere, noch durchsichtig gebliebene Schicht 
stehen lassend. Zur Transplantation benutzte er die durchsichtige 
Kornea des phthisischen Bulbus, indem er einen entsprechenden 
Lappen ausschnitt und diesen auf der transparenten Stelle der 
verbrannten Kornea mit Nähten befestigte. Nach acht Monaten 
war die Transparenz des angeheilten Lappens erhalten geblieben, 
so daß die Pupille sichtbar war und Finger in 4 bis 5 m Ent¬ 
fernung gezählt werden konnten. 

3. Teulieres schreibt dem Serum eines immunisierten Tieres 
eine Wirksamkeit bei Infektionen jeglicher Art zu. Gemäß dieser 
Ansicht hat er alle nichtdiphtherischen Infektionen des Auges mit 
subkutanen Injektionen von Antidiphtherieserum (Roux) behandelt, 
„das am meisten Vertrauen verdient und am leichtesten zu be¬ 
schaffen ist“. Der Einfachheit dieser therapeutischen Indikations¬ 
stellung entsprechen die Erfolge der Behandlung: die Schmerzen 
werden gelindert, das Fortschreiten der Infektion aufgehalten, die 
Aufsaugung von Infiltraten begünstigt, die Homhautnarben sind 
durchsichtiger und weniger ausgedehnt wie gewöhnlich. Mehr 
kann man von einem einzigen Heilmittel nicht verlangen. 


Urologie. 

Referent: Spezialarzt Dr. Arthur Schwenk, Berlin. 

1. Die Erkrankungen des Kollikulus seminalis und ihre Be¬ 
ziehungen zu nervösen und anderweitigen Störungen in der 
Urogenitalsphäre und zur sexuellen Neurasthenie. Von Wossidlo- 
Berlin. Zeitschr. f. Urologie, 1908, Nr. 2. 

2. Ueber die Nierentuberkulose. Von 111 y es-Budapest. 
Fol. urolog., 1908, März. 

3. Wie soll sich der Arzt gegenüber Blasentumoren ver¬ 

halten? Von Posner-Berlin, Berl, klm. Wochenschr., 1908, 
März, ' 1 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


431 


Rosenfeld- 


4 der Uratdiathese. 

Breslaus Mefl. Klinik, 1908, Nr. 21. 

U Wosaidlo resümiert nach 103 behandelten Krankheits¬ 
fällen- seine Beobachtungen wie folgt: Schmerzen oder lästige 
Empfindungen in der vorderen und hinteren Harnröhre beim oder 
nach dem Urinieren und öfterer Harndrang. Sehr häufig strahlen 
die Schmerzen nach den Innenseiten der Oberschenkel, der Leisten¬ 
gegend und den Hoden aus. Reiten und Pahren, wobei der 
Kollikulus stärker gereizt zu werden scheint, steigert die Be¬ 
schwerden oft bis ins Unerträgliche. Eine Entzündung des 
Samenhügels findet man häufig bei - vermehrten Pollutionen, 
Prostata- und Spermatorrhöen, mangelhaften Erektionen und 
Ejakulatio praekox. 

Die Diagnose der Kollikuluserkrankungen bestätigt am zu¬ 
verlässigsten die Urethroskopia posterior. Ein zu diesem Zweck 
von Wossidlo modifiziertes Instrument hat folgende Konstruktion. 


Blasenherde pflegen nach der NierenexstirpatioD spontan abzu¬ 
heilen. 

3. Das Bestehen eines Blasentumors ist an und für sich kein 
Grund zu operativem Eingriff; einerseits sind Selbstheilungen beob¬ 
achtet , andrerseits sind die Operationsresultate im allgemeinen 
keine ermutigenden. Macht ein Tumor keine nennenswerten Be¬ 
schwerden, dann überläßt man ihn am besten sich selbst. Posner 
stellt für einen Eingriff folgende Indikationen fest: 

a) Hochgradige örtliche Störungen, die in dauernden Blu¬ 
tungen, heftigem, unerträglichem Harndrang oder Unvermögen zu 
urinieren bestehen. 

b) Durch das Zystoskop kontrolliertes rapides Wachstum der 
Geschwülste, 

c) Infektion in Porm von Zystitis. 

Posner empfiehlt, jedesmal, wo es irgend geht, denVersuch 
mit der schonenderen intravesikalen Methode zu machen, die den 




An der konvexen Seite des Tubus befindet sich ein offenes 
Fenster; in der Nähe desselben ist der Tubus leicht abgeknickt, 
wodurch das Gesichtsfeld vergrößert wird. An dem Okularende 
des Tubus ist ein kleines Röhrchen angebracht, durch das Luft 
in die Harnröhre eingeblasen wird; das distale Ende schwillt etwas 
an zum Zwecke des dichteren Verschlusses der Harnröhre. Der 
Lichtträger mit der Valentinschen Lampe wird luftdicht in den 
Tubus eingeschoben und mit einem abnehmbaren Glasfenster ver¬ 
sehen. Dem Instrumente sind außerdem ein sterilisierbarer Pinsel 
und Kauter zur Behandlung des Samenhügels beigefügt. 

Die Bilder, die der erkrankte Kollikulus zeigt, sind die ver¬ 
schiedenartigsten; dieselben näher zu beschreiben, hat nur spezia- 
listisches und kein allgemein medizinisches Interesse. 

Referent hatte selbst Gelegenheit, zwei Fälle von chronischer 
Spermatorrhöe verbunden mit vollkommener Impotentia koeundi 
und fehlenden Erektionen zu beobachten und zu behandeln. Bei 
beiden ergab die Urethroskopie eine starke Schwellung des Samen¬ 
hügels. Es wurden daraufhin mehrere Aetzungen (Argent. nitr. 
10%) im Urethroskop gemacht. Der Effekt war der, daß die 
Spermatorrhöe sich verlor, die Erektionen und die Potentia koeundi, 
wenn auch in etwas schwächerer Weise, sich wieder einstellten. 
Es wäre demgemäß sehr wünschenswert, wenn der praktische 
Arzt, der oft als Hausarzt in dieser Angelegenheit zu Rate ge¬ 
zogen wird, nicht bloß mit symptomatischen Mitteln (Yohimbin 
etc.) zur Hand wäre, sondern die Aetiologie des Leidens ergründen 
und dementsprechend seine Therapie einrichten würde. 

2. Die Häufigkeit der Tuberkulose der Nieren ist rechts so 
groß wie links und bei beiden Geschlechtern gleich. Die Tbk. 
entsteht vorwiegend auf hämatogenem Wege. Die Infektion 
schreitet dem Saftstrome entsprechend weiter fort, in seltenen 
Fällen verbreitet sie sich auch in der dem Saftstrome entgegen¬ 
gesetzten Richtung. Die häufigste Form ist die Kavernenbildung; 
spontane Ausheilungen kommen vor, aber selten, und sind meist 
nur scheinbar und nicht anhaltend. Der tbk. Herd hat sich für eine 
Zeit geschlossen, um eines Tages wieder aufzubrechen. Die Dia¬ 
gnose wird am sichersten gestellt durch den doppelseitigen Ureteren- 
katheterismus und die Gefrierpunktsbestimmung des aufgefangenen 
Urins. Ist die Diagnose einer einseitigen Tbk. gestellt, dann ist 
so bald als möglich die Nephrektomie auszuführen, bevor die 
andere Niere und die Blase infiziert werden. Etwaige im Urin 
der nichttuberkulösen Niere gefundene Eiweiß- oder Nierenbestand¬ 
teile kbntraindizieren die Operation nicht, wofern nur die Funk¬ 
tion dieser Niere eine* gute ist. Eventuelle zirkumskripte tbk. 


Vorzug hat, dem Patienten ein langes Krankenlager zu ersparen; 
andrerseits kann, wenn die Methode im Stiche läßt, immer noch 
die radikalere Sektio alta angeschlossen werden. Die Resultate bei 
der intravesikalen wie bei der radikalen Operationsmethode sind 
dieselben, Rezidive sind bei dieser wie bei jener gleich oft beob¬ 
achtet worden. 

4. Die Behandlung der Uratsteindiathese zerfällt in zwei 
Teile: die diätetische und medikamentöse. Da die Harnsäure im 
Organismus durch den oxydativen Abbau der Purinbasen entsteht, 
ist dementsprechend die Harnsäuremenge bei purinfreier Kost am 
geringsten. Deshalb muß bei der Behandlung der harnsauren 
Diathese vor allem die Verabreichung des purinhaltigen Fleisches 
eingeschränkt und dem Fischfleische zur Nahrung der Vorzug ge¬ 
geben werden. Da auch Zucker und Alkohol bei purinhaltiger 
Kost die Harnsäuremenge vermehren, ist auch möglichst sparsame 
Verabreichung derselben am Platze. Von Medikamenten kommen 
in Betracht a) Harnstoff, der die Harnsäurebildung einschränkt 
und bewirkt, daß die Harnsäure im Urin gelöst bleibt: Nieren 
oder Magen werden dadurch nicht alteriert. Tägliche Menge be¬ 
trägt 10 bis 15 g; b) Glyzerin, welches die im Nierenbecken 
event. zurückgehaltenen Harnsäurepartikelchen herausschwemmt 
und hervorragend lindernd auf die Nierensteinkoliken wirkt. Tages¬ 
menge pro Kilo des Körpergewichts 2g; d. h. bei einem Gewicht 
von 75 kg beträgt die zu verabreichende Menge Glyzerin 150 g. 
Die Dosierung geschieht so, daß die Tagesration in vier Portionen, 
und zwar in Tee, Selters oder Milch genommen wird. Die Glyzerin- 
medikation wird vier- bis sechswöchentlich wiederholt, in der 
Zwischenzeit bekommt der Patient täglich 10 bis 15 g Harnstoff. 


Militärsanitätswesen. 

Referent: Dr. M. Peltzer, Generaloberarzt a. D. in Steglitz. 

1. lieber die Zunahme der Körpergröße der militärpflichti¬ 
gen Jugend in einigen europäischen Staaten. Von Dr. Heinrich 
Schwiering, Stabsarzt im Kriegsministerium. Deutsche militär- 
ärztl. Zeitschr., 1908, H. 10, S. 409. 

2. Einiges aus den eigenen Erfahrungen im japanisch-russi¬ 
schen Eeldzuge von 1904/1905. Von Prof. Dr. Haga, General¬ 
arzt der kaiserlich japanischen Armee. Ibidem, S. 424. 

3. Der deutsche Eiriegssanitätsdienst. Von Oberstabsarzt 
Dr. Hahn-Stettin. Der Militärarzt, 1908, Nr. 10. 


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482 THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. Nr.?Ä7 \ 


4. Behandlung der Fußschweiße im dänischen Heere. Von 

E. Bö eher. Referat nach Militärläger XIII, 1906. Ibidem, 
S. 158. ‘ ^ 

1. St.-A. Schwier in g hat vor kurzem in einer im klinischen 
Jahrbuch, Bd. 18, S, 399, veröffentlichten Arbeit „Beiträge zur 
Rekrutierungsstatistik“ zahlenmäßig mit einigen Vorbehalten nach¬ 
gewiesen, daß von 1894 bis 1903 in Deutschland (außer Bayern, 
Sachsen und Württemberg) die Zahl der militärpflichtigen kleinen 
Leute ab-, die der großen dagegen zugenommen hat, während die 
der mittelgroßen dieselbe geblieben ist. Aus dem neuerdings von 
ihm an obengenannter Stelle mitgeteilten und verarbeiteten Material 
ergibt sich, daß sich eine ähnliche Erscheinung in den letzten 
Jahrzehnten in allen Kulturstaaten Europas, aus welchen überhaupt 
verwertbares Material vorliegt, bemerkbar gemacht hat, d. h. eine 
deutliche Tendenz zur Größenzunahme bei der männlichen Jugend 
im militärpflichtigen Alter. Ob dies auch einer Zunahme der 
endgültigen Körperlängen entspricht, ließ sich nicht beurteilen, 
das Ergebnis konnte auch dadurch bedingt sein, daß das Wachs¬ 
tum schneller vor sich geht und so die größeren Körperlängen 
schon in etwas früheren Lebensjahren erreicht werden als vordem. 
An diese Tatsache selbst schließt sich eine Reihe anthropologischer 
Prägen, die allerdings zum Teil schwer oder gar nicht zu beant¬ 
worten sind. So fragt es sich z. B., seit wann diese Wachstums¬ 
tendenz in den einzelnen Staaten eingesetzt hat und auf welchen 
Gründen sie beruht. Daß die männliche Bevölkerung früherer 
Jahrhunderte kleiner gewesen ist als die jetzige, läßt sich aus 
den alten Rüstungen schließen, die einem Manne von Durch¬ 
schnittsgröße heute meist zu klein sind. Zu einer vollständigen 
Beantwortung der Präge nach dem Beginn dieser Erscheinung 
reicht das Material aber leider nicht aus. Unter den Gründen 
sind vielerlei Paktoren, so auch pathologische (Rhachitis, Struma, 
Zahnverderbnis, Säuglingsernährung) zu berücksichtigen. Pür die 
Niederlande scheint bessere Ernährung und Hygiene mit Sicher¬ 
heit nachgewiesen zu sein. Sei dem, wie ihm wolle, die Erschei¬ 
nung spricht gegen die vielfach behauptete Dekadenz der heutigen 
Generation und für Verbesserung der allgemeinen sanitären und 
sozial-hygienischen Verhältnisse, wenngleich freilich dem Längen¬ 
wachstum nicht immer auch die Entwicklung der übrigen, namentlich 
der Brustorgane entspricht. Militärisch ist die Körpergrößen¬ 
zunahme unter Voraussetzung der gleichzeitigen Entwicklung des 
übrigen Körpers unter mehrfachen Gesichtspunkten jedenfalls zu 
begrüßen. 

2. Dem von Haga auf Einladung des Generalstabsarztes der 
Armee in der Kaiser Wilhelms-Akademie gehaltenen Vortrag ent¬ 
nehmen wir zunächst, daß H. in dem volle 21 Monate dauernden 
japanisch-russischen Kriege 20 Monate lang leitender Sanitäts¬ 
offizier einer Division der zweiten Armee (etwa gleich einem 
deutschen Armeekorps) war und an zahlreichen Schlachten und 
Gefechten teilgenommen hat. Es ist klar, daß seine Beobachtungen 
infolgedessen wertvoll sind. Die Truppenverbandplätze befanden 
sich etwa 500 bis 600 m hinter der Gefechtslinie; dabei nahmen 
die Schützenlinien oft eine Prontausdehnung von 1000 m pro 
Bataillon ein, so daß die Hilfskrankenträger 200 m in Abständen 
hinter den Schützen folgen mußten, um nicht von einem Plügel 
zum andern zu weite Wege zu haben. Bis zum Errichten des 
Hauptverbandplatzes vergingen vom Beginn des Gefechts an nur 
etwa 30 bis 60 Minuten, weil man meist auf den Angriff vor¬ 
bereitet war und die Sanitätskompagnie bereit stand. Diese hatte 
etwa 80 Tragen, aber keine Krankenwagen. Der Transport der Ver¬ 
wundeten vom Hauptverbandplatz zum Feldlazarett erfolgte daher 
meist auf chinesischen Bauern wagen. Auf dem Schlachtfelde 
selbst war die Verwendung von Wagen während des Gefechts 
unmöglich, selbst die Krankenträger ko nn ten oft nicht einmal bis 
zu den Verbandplätzen und weiter vor herankriechen, so daß die 
Verwundeten meist bis in die Nacht liegen bleiben mußten. Ein 
Verbandplatz (einer anderen Division) wurde so stark unter Peuer 
genommen, daß etwa ein Drittel von ihm aufgerieben wurde. 
Auch in der Nacht mußte meist im Dunkeln gearbeitet werden. 
Sowie sich Licht zeigte, gab es feindliches Peuer. Die Mann¬ 
schaften orientierten sich sehr genau nach dem Kompaß und den 
Sternen. Operiert wurde auf dem Hauptverbandplatz verhältnis¬ 
mäßig wenig, ausgeführt wurden Blutstillungen und Tracheotomien. 
Die Feldlazarette — etwa 1000 bis 2000 m hinter der Gefechts¬ 


linie — waren trotzdem nicht immer dem Artilleriefeuer entzogen, 
oft befanden sie sich aber auch mit dem H. V. PI. in demselben 
Dorfe, so daß die Verwundeten direkt in sie gelangten. Geteilt 
wurden sie selten. Bei den Operationen im Lazarett hat sich die 
Azetylenlampe sehr bewährt. Im Winterfeldzug (niedrigste Außen¬ 
kälte 25 0 O) betrug die Gesamtbelastung der Mannschaften, die 
schwere dicke Pelze trugen, etwa 32 kg. Trotz der Kälte lagen 
sie auch nachts und während des Kampfes im Freien, Prostgangrän 
bekamen aber nur die, die, wenn auch nur auf Minuten, einge¬ 
schlafen waren. In schweißigen Strümpfen zeigte sich deutliche 
Eisbildung. Zum Schutz gegen die Kälte hatte jede Kranken¬ 
trage ein Schutzdach aus Tuch und eine wollene Decke-. Zum 
Verbände wurde nur die nächste Umgebung der Wunde -frei ge¬ 
macht, völliges Entkleiden war untersagt. Während des Gefechts 
wurde Zwieback gegessen, der Durst mit Schnee gestillt. In der 
Wasserflasche gefror alles. Aerzte und Krankenträger waren dem 
Peuer ebenso ausgesetzt wie die Kombattanten. Der Verlust 
betrug drei Aerzte und mehrere Sanitätsmannschaften. Der Ver¬ 
lustzahl nach kam zuerst die Infanterie, dann die Artillerie, die 
Pioniere, das Sanitätskorps und die Kavallerie. Auf die übrige 
Verluststatistik usw. können wir hier nicht eingehen, erwähnt sei 
nur, daß ein in der Schützenlinie liegender Soldat etwa 200 Schu߬ 
wunden hatte. Einige Verwundete, bei denen, wie die Röntgen¬ 
untersuchung ergab, das Geschoß im Gehirn stecken geblieben 
war, kamen mit dem Leben davon. Laparotomiert wurde vorn 
nicht, bei konservativer Behandlung blieben viele trotz bereits 
eingetretener peritonitischer Erscheinungen ebenfalls leben.' Die 
Handgranaten machten furchtbare Zerstörungen. Im ganzen hatte 
die Division 11302 Tote und Verwundete. Von diesen fielen 
direkt auf dem Schlachtfelde 2190, 290 starben späterhin. In 
die Lazarette kamen 8157 Kranke, von denen 384 = 4,7% der 
Aufgenommenen und 1,1% der Kämpferzahl starben. Unter den 
Kranken befanden sich 715 Fälle von Typhus, 68 von Dysenterie, 
1723 von Kake. 

Wie man sieht, war das japanische Kriegssanitätswesen ganz 
nach deutschem Muster eingerichtet, dem denn H. auch seine Ver¬ 
beugung macht, •• ; ' 1 - 

3. Oberstabsarzt Hahn stellt im Anschluß an seine 1905 im 
Militärarzt, Nr. 19 bis 23, gegebene Schilderung des deutschen 
Kriegssanitätsdienstes gegenwärtig diejenigen Veränderungen über¬ 
sichtlich zusammen, die gegen früher durch die Kr. S. O. vom 
27. Januar 1907, die D. fr. K. vom 12. März 1907 und die 
K. S. O. vom 15. Mai 1907 bedingt sind. Wir heben daraus die¬ 
jenigen hervor, welche neu sind, um so auch den Fernerstehenden 
wenigstens teilweise ein Bild von den Fortschritten unseres Sani¬ 
tätsdienstes im Kriege zu geben. Dem Korpsarzt wird jetzt außer 
dem beratenden Chirurgen auch ein Hygieniker (Oberstabs- oder 
Stabsarzt), dem beratenden Chirurgen (Generalarzt, Generalober¬ 
arzt oder Oberstabsarzt) ein Ober- oder Assistenzarzt zugeteilt. 
Pür jedes Armeekorps wird ein Sanitätsbataillon (in der Regel 
drei Sanitätskompagnien und zwölf Feldlazarette) auf gestellt, jeder 
Reservedivision werden eine Reservesanitätskompagnie und vier 
(bisher drei) Reservefeldlazarette überwiesen. Der gegen früher er¬ 
heblich verstärkten Sanitätskompagnie wird ein eigener Assistenz-- 
arzt als Truppenarzt zugeteilt (die übrigen Sanitätsoffiziere der 
Kompagnie sind ihr nur angeschlossen, nicht unterstellt). Statt 
der bisherigen Hilfskrankenträger erhält jede Infanterie-, Jäger- 
und Schützenkompagnie vier lediglich für den Sanitätsdienst zur 
Verfügung stehende etatsmäßige Krankenträger. Dem Etappen¬ 
arzt wird wie dem Korpsarzt ein Hygieniker, außerdem ein Korps¬ 
stabsapotheker beigegeben. Jeder Heeresangehörige wird mit 
zwei Verbandpäckchen ausgerüstet. Das Verbandpäckchen ist neu 
zusammengestellt, bei dessen sachgemäßer Anlegung eine Berüh¬ 
rung der Wunde oder der zu ihrer Bedeckung dienenden Stoffe 
mit den Fingern ausgeschlossen ist. In der Verwendung desselben 
werden die Mannschaften schon im Frieden unterrichtet. Die für 
das Aufmarschgebiet bestimmten Hygieniker erhalten ein Mikro¬ 
skop und einen bakteriologischen Kasten, der zur Kriegslazarett¬ 
abteilung gehörige Zahnarzt einen zahnärztlichen Kasten. Für 
den Hygieniker beim Etappenarzt und zur Ergänzung der bakterio¬ 
logischen Kästen ist ein tragbares bakteriologisches Laboratorium 
bestimmt. Statt des'früher vom Stabsarzt aufwärts vorgeschriebenen 
größeren chirurgischen Bestecks, das er mitführen mußte, hat jetzt 


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iSMAPEÜTlSCHE RUNDSCHAU. 


4B3 


jedes Bataillon, jede Abteilüng und jedes Kavallerieregiment ein 
Truppenbesteck. Bei dem Etappensanitätsdepot (früher Lazarett¬ 
reservedepot) befinden sich auch vierspännige Röntgenwagen und 
zweispännige fahrbare Trinkwasserbereiter. Bei einer Mobil¬ 
machung sind alle Sanitätsoffiziere von der Vorgesetzten Stelle 
über die Art ihrer bevorstehenden Tätigkeit zu informieren. Für 
die Beförderung von Kranken' marschierender Truppen können die 
Krankenwagen der Feldsanitätsformatiönen benutzt werden, in 
der Nähe des Feindes müssen jedoch letztere stets verwendungs- 
' bereit sein. Vor einem Gefecht bestimmt der Truppenführer auf 
Vorschlag des zuständigen Sanitätsoffiziers, welche Aerzte und 
Sanitätsmannschaften auch nach Errichtung des Truppenverband¬ 
platzes der Truppe unmittelbar zu folgen haben. Die Verstärkung 
der Truppenverbandplätze erfolgt aus dem Personal der Feld¬ 
lazarette, zu welchem Zweck die Chefärzte naher, noch nicht ein¬ 
gerichteter Feldlazarette selbständig Personal entsenden. Die 
16 Krankenträger eines Bataillons (s. o. Nichtkombattanten mit 
Genfer Binde) werden am Ende des Bataillons gesammelt, treten 
zum Infanteriesanitätswagen (bisher Truppenmedizinwagen), der unter 
einem Sanitätsunteroffizier der Truppe stets möglichst unmittelbar 
zu folgen hat, und gehen mit den Krankentragen und Sanitäts- 
tornistem zum Auf suchen der Verwundeten vor. Als Hilfskranken¬ 
träger (mit roter Binde) werden künftig nur noch Musiker ver¬ 
wendet. Von chirurgischen Eingriffen sollen auf dem Tr. V. PI. 
nur unaufschiebbare lebensrettende vorgenommen werden. Müssen 
bei einem Rückzuge Verwundete daselbst verbleiben, so sind sie 
vor der Gefahr, überrannt zu werden, durch Schutzwehren, Stroh¬ 
wische usw. möglichst zu sichern. Mit ihnen bleibt ev. in der Regel 
nur das nötige Sanitätsunterpersonal zurück. 

Ganz neu ist die Organisation des Gefechtssanitätsdienstes 
bei der Kavalleriedivision, die bisher ein Problem war. Sie gilt 
sinngemäß auch für andere selbständige Kavallerietruppenkörper. 
Jedes Regiment der Divisionskavallerie, d. h. der einer Infanterie¬ 
division zugeteilten Kavallerie, hat bei vier oder fünf (bezw. 
sechs) Schwadronen einen Regimentsarzt, zwei Assistenzärzte, vier 
oder fünf (sechs) Sanitätsmannschaften, Hilfskranken träger nach Be¬ 
darf und zwei (vier) berittene Führer mit je einem Packpferd. Jedes 
Packpferd trägt zwei (vier) Paar Sanitätspacktaschen und vier (acht) 
Nottragen. Zum Stabe der Kavalleriedivision gehört ein Divisions¬ 
arzt (Generaloberarzt) und ein sechsspänniger Sanitätsvorratswagen. 
Die Regimenter der Kavalleriedivision haben einen ähnlichen Etat 
wie die der Divisionskavallerie, jedoch sechs Sanitätsmannschaften 
und noch einen zweispännigen Kavalleriesanitätswagen. Letzterer 
enthält das Material für den Sanitätsdienst auf dem Marsche, im 
Quartier und Gefecht (darunter ein Kavalleriebesteck und zwei 
Tragen) und kann zwei sitzende und zwei liegende Verwundete 
aufnehmen. Bei der großen Bagage geht ein Sanitätsvorratswagen 
der Kavalleriedivision zur Ergänzung der Packpferdausrüstungen 
und des Inhalts des Kavalleriesanitätswagens mit. Auf ihnri be- 
finden sich u. a. zwei Kavalleriebestecke, zwölf Nottragen und 
zwei Sätze Zeltstangen für je ein Verwundetenzelt. Steht eine 
Berührung mit dem Feinde bevor, so bildet die Kavalleriedivision 
aus zwei Dritteln ihres Sanitätspersonales, den Hilfskraukenträgern 
und dem Sanitätswagen die „Sanitätsstaffel“ , zu der ein Unter¬ 
offizier kommandiert und die durch den rangältesten zu ihr kom¬ 
mandierten Sanitätsoffizier derart nachgeführt wird, daß sie bei 
eintretenden Verlusten Verbandplätze anlegen kann. Zum Kranken¬ 
trägerdienst werden verfügbare Mannschaften, z. B. Reiter, [die 
ihre Pferde verloren haben, im Bedarfsfall noch andere ausge¬ 
bildete Mannschaften herangezogen und von dem Unteroffizier ge¬ 
sammelt. Der nach Bildung der Staffel verbleibende Rest an 
Sanitätspersonal und Material einschl. der Packpferde verbleibt 
bei der Truppe und darf nur ausnahmsweise zur Staffel mit heran¬ 
gezogen werden. Sobald möglich, folgt die Staffel der Truppe 
oder wird vom Divisionsarzt aufgelöst. (Schluß folgt.) 

4. Im Kopenhagener Garnisonlazarett werden bei hyper- 
hidrosis pedum die Füße zunächst mit Seife und Bürste gereinigt 
und mit Spiritus abgewaschen, dann wird jede Zehe für sich 10 
bis 15 Minuten lang in einen mit einer 4%igen Formalinlösung 
getränkten Gazeümschlag eingewickelt. Nach Abnahme dieses 
werden die Füße an der Luft getrocknet und dann mit einem 
Pulver von 30 Teilen Salizylsäure, 100 Teilen amyl. tritik. und 


870 Teilen Talkum stark gepudert. Die Stiefel werden mit 
10%iger Formalinlösüng desinfiziert. Die Kur wird drei bis vier 
Tage lang jeden Abend vor dem Schlafengehen wiederholt. Es 
soll fast stets definitive Heilung folgen. 



Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. Die neueren arzneilichen Beruhigungs- bezw. Schlaf¬ 
mittel im Dienste der Psychiatrie. Von Med.-Rat Dr. Wür- 
schmidt, Sonderabdruck a. d. Zeitschr. f. ärztl. Fortbildung, 
1908, Nr. 8 u. 10. 

2. lieber Kohlensäure-Kataplasma. Von Dr. v. Boltenstern. 
Deutsche Aerzte-Zeitg., 1908, Nr. 11. 

3. Eston. Besprochen von Dr. v. Boltenstern. Ibidem. 

4. Neue synthetische Nebennierenpräparate. Pharmazeut. 
Zeitg., 1908, Nr. 43. 

1. In einer größeren Arbeit hat W., Leiter einer großen 
Irrenanstalt, seine Kenntnisse und Erfahrungen über die neuen 
Beruhigungs- bezw. Schlafmittel niedergelegt. Er läßt sich be¬ 
sonders über diejenigen aus, die er auf Grund seiner Beobach¬ 
tungen für würdig erachtet hat, in den ständigen Arzneischatz 
der Psychiatrie anfgenommen zu werden. Diese Gruppe ist aller¬ 
dings eine nur kleine; dazu gehören das P a r a 1 d e h y d , das 
Amylenhydrat, das Sulfonal, Trional und Veronal, das 
Proponal, Bromural, Hj^oszin. Das Paraldehyd hält W. 
trotz seines unangenehmen Geruchs und Geschmacks für eine 
wertvolle Bereicherung unseres Arzneischatzes, weil es bei Manie, 
bei manischen Erregungszuständen der Dementia paralytika, bei 
Paralyse, Epilepsie und Hysterie eine volle schlafmachende Wir¬ 
kung entfaltete, ohne daß im allgemeinen unaugenelime Neben¬ 
erscheinungen auftraten. Paraldehyd kann auch bei Zirkulations¬ 
störungen angewandt werden ; schmerzlindernd wirkt es aber nicht. 
Die durchschnittliche Dosis ist 5,0, die höchste 12,0 g. Auch 
das Amylenhydrat, von dem er durchschnittlich 3,0 g ver¬ 
ordnet©, hält W. für ein gutes Hypuotikum und Sedativum: doch 
ist der Schlaf nicht sehr tief. Auch dieses Präparat wurde bei 
allen Formen geistiger Störung verwendet. Herzkrankheiten sind 
keine Kontraindikation. Mit Sulfonal wurde stets ein tiefer 
Schlaf erzielt; bei keiner der Versuchspersonen (Melancholie, 
Hysterie, Paranoia, Paralyse und Verblödungsprozesse) blieb der 
Erfolg aus. Die mittlere Dosis ist 2,0 g: doch genügen bei 
Frauen oft schon 1,0, bei Männern erst 3.0 g Sulfonal. Nach 
W.s Beobachtungen ist dieses Mittel als Sedativum nicht zu ge¬ 
brauchen. Auch ist es nicht ganz frei von Nebenerscheinungen: 
doch sind seine Vorzüge (Geruch- und Geschmacklosigkeit, brillante 
Wirkung) gegenüber den Nachteilen so erheblich, daß man es als 
Hypnotikum stets mit günstigem Erfolge anweuden wird. Noch 
besser als Sulfonal wirkt das Trional, besonders wenn man 
beide abwechselnd reicht, da das letztere die imgenehmen Neben¬ 
wirkungen des ersteren nicht aufweist. sich ferner leicht in 
Wasser löst. Bei Frauen genügen 0,5 bis 1,0 g; die mittlere 
Dosis für Männer ist 2,0 g. Jedoch haben beide Präparate auf 
den Schmerz gar keinen Einfluß. Das Veronal hat W. an vielen 
Hunderten von Kranken studiert und faßt sein Endurteil dahin 
zusammen, daß dieses Mittel ein vorzügliches Schlafmittel ist, das 
den uns bekannten getrost an die Seite gestellt werden kann. 
Er betont aber, daß es absolut notwendig ist, die Veronaltabletten 
aufgelöst zu geben; dann beobachtet man auch keine unange¬ 
nehmen Nebenerscheinungen. Bei Frauen genügt oft schon 0,25 g, 
bei Männern 0,5 bis 1,0 g. Doch hat W. auch Fälle gehabt, wo 
er bei Frauen bis zu 1,5 g steigern mußte. Die Kranken emp¬ 
fanden es als besonders angenehm, daß sie nach Gebrauch von 
Veronal niemals über Kopfschmerzen, Eingenommensein des Kopfes 
etc. zu klagen hatten. Der einzige Nachteil des Veronals dürife 
sein hoher Preis und seine Wirkungslosigkeit auf den Schmerz 
sein. Bei einiger Vorsicht hält auch W. in der praktischen Irren- 


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434 


tflERAffiÜflSCäfi ÄtJMJSÖBAtj. 



Heilkunde die Intoxikation mit Veronal oder Veronalismus für 
ausgeschlossen. Das Proponal hat nach W.s Erfahrungen vor 
dem Veronal keinen Vorzug. Doch kann es in Gaben von 0,3 
bis 0,5 g als ein Ersatzschlafmittel benutzt werden. Das Bro¬ 
mural hat W. bei einer Anzahl von Kranken mit Geistesstö¬ 
rungen, die auf nervöser oder hysterischer Basis beruhten, an¬ 
gewendet und ist überzeugt, daß dieses Mittel in Zukunft sowohl 
als Hypnotikum als auch als Sedativum eine hervorragende Bolle 
spielen wird, besonders bei der Behandlung weiblicher Kranker. 
Er dosierte 0,3 bis 0,6 g und Keß die Tabletten in heißem Wasser 
auflösen. W. hat keine unangenehmen Nebenwirkungen gesehen; 
nur ruhige Männer — merkwürdigerweise nur diese, aber nicht 
die ruhigen Erauen — klagten über Kopfschmerz nach Bromural¬ 
gebrauch. Der Schlaf war stets ein sehr tiefer. Das Hyoszin 
ist mehr ein Narkotikum als Hypnotikum. Nur Kranke mit ge¬ 
sundem Herzen sollten es bekommen. Schon nach kurzer Zeit 
muß die Dosis erhöht werden, weil die bisherige versagt. Hyoszin 
hat höchst unangenehme Nachwirkungen; Kopfschmerz, Abge- 
schlagenheit, Katzenjammer, und weiterhin häufig sehr böse Neben¬ 
erscheinungen: Delirien und Gesichtshalluzinationen. Diese werden 
beseitigt, wenn man gleichzeitig Morphium reicht, also als Einzel¬ 
gabe 0,001 bis 0,002 g Hyoszin und ebensoviel Morphium. Stets 
ist aber Vorsicht in der Anwendung dieses heroischen und diffe¬ 
renten Mittels notwendig. 

2. v. B. berichtet über seine Erfahrungen und die anderer 
Aerzte mit den Dr. Pfeffermannschen Kohlensäure-Kataplasmen. 
Diese bestehen aus zwei Komponenten, einer Creme, welche köhlen¬ 
saure Salze in einem geeigneten Bindemittel und einen geringen 
Zusatz von Menthol enthält, und einer Platte, dem eigentKchen 
Kataplasma, welches ein mit Weinsäure imprägniertes Gewebe 
darstellt. Nachdem die Creme messerrückendick, in Fünfmark¬ 
stück- bis Handtellergroße auf die zu beeinflussende Haut auf¬ 
getragen ist, wird das angefeuchtete Kataplasma daraufgelegt und 
mit Billroth-Battist bedeckt und zweckmäßig mit einer Binde 
fixiert. Es beginnt nunmehr eine starke Kohlensäureentwicklung, 
die etwa 10 Minuten anhält. Durch dieses Verfahren hat man es 
in der Hand, an allen Körperstellen Kohlensäure in statu nascendi 
einwirken zu lassen, ohne erst einen großen Apparat wie beim 
Vollbade in Bewegung setzen zu müssen. Durch das beigefügte 
Menthol wird Schmerzstillung mit erfrischender Wirkung kombi¬ 
niert. Wenn auch bei dieser Behandlung oft genug Suggestion 
resp. Autosuggestion eine Rolle spielen mag, so ist doch die Wir¬ 
kung nach v. B.s Ansicht und den Berichten einiger anderer 
Aerzte in einer Reihe von Fällen bei schmerzhaften Affektionen 
nicht abzuleugnen. 

3. In der Deutschen Aerzte-Zeitg. lesen wir eine Besprechung 
v. Boltensterns über die Indikationen zur Anwendung des von 
der Firma F. Friedländer in Berlin in den Handel gebrachten 
Eston (= basische „essigsaure Tonerde“) und des Formeston (Zu¬ 
satz von Ameisensäure zu vorbenannter Verbindung). Beide 
Präparate sind indiziert: 1. bei verschiedenen Formen von Hyper- 
kidrosis als Streupulver in 50%iger, später in 20%iger Verdün¬ 
nung; 2. bei Dekubitus in 20- bis 50%iger Verdünnung; 3. als 
Streupulver bei kleinen Kindern in 10 % iger Mischung mit Talkum ; 

4. bei verschiedenen Hautkrankheiten entweder pur oder als Pulver, 
mit Amylum oder Talkum vermischt, ferner als „Peru-Eston“, 
weiterhin in Salbenform, 10 bis 20 T. mit 90 bis 80 T. weißer 
Vaseline oder Vaseline und Lanolin ana vermischt, unter Hinzusetzung 
anderer Wirksamer Substanzen; 5. bei Brandwunden als 10- bis 
15%ige Vaseline; 6. als Wundverbandmittel in Form von 10- bis 
15%iger Vaseline; 7. in der Gynäkologie als 20- bis 50%iges 
Pulver bei Entzündungen, Katarrhen und zur Linderung bei 
Karzinom; 8. gegen Frostbeulen. Schütte wandte Eston auch 
bei Otitis externa, bei Ekzemen der Ohrmuschel, bei weichen 
Schankern mit Erfolg an. 

4. Aus einem Bericht der Pharmaz. Zeitg. über neue syn¬ 
thetische Nebennierenpräparate entnehmen wir folgendes: Der 
wissenschaftKche und technische Ausbau des synthetischen Supra- 
renins hat zur Darstellung des trockenen salzsauren Salzes des 
letzteren und zu zwei neuen Präparaten, dem Homorenon und 
dem Arterenol geführt, die sämtlich von den Farbwerken vorm. 
Meister Lucius & Brüning in Höchst dargestellt werden. Das j 


Homorenon, das mit Salzsäure ein haltbares, in W^asser sdhr 
leicht lösKches Salz (Homorenon -OHorhydrat) bildet, ist ein weißes, 
lockeres Kristallmehl, dessen bitter schmeckende Lösung auf'der 
Zunge eine vorübergehende Unempfindlichkeit hervorruft. Das 
Homorenon entspricht qualitativ dem synthetischen Suprarenin. 
Eine 5%ige Lösung kommt bezügKch seiner blutdrucksteigernden, 
pupillenerweiternden Eigenschaft einer l°/ooigen Suprareninlösung 
gleich. Es ist 50 mal weniger giftig als die wirksame Substanz 
der Nebennieren. Das Arterenol ergibt mit Salzsäure das 
Arterenol-Chlorhydrat, ein weißes, sehr leicht in Wasser lösKches 
Kristallmehl, das auf der Zunge eine schwach anästhesierende 
Wirkung ausübt. Selbst Dosen von Viooo bis V 2000 mg Arterenol 
rufen, intravenös injiziert, eine Steigerung des Blutdrucks hervor. 
Lösungen von 1:500000 bedingen noch Pupillenerweiterung. 
Dieses Präparat ist quaKtativ den Nebennierenpräparaten absolut 
gleich, aber zwei- bis dreimal weniger giftig. Es wird in gleicher 
Konzentration wie Suprarenin angewendet; doch ist mindestens 
die doppelte Maximaldosis zulässig. Das Suprarenin. hydro- 
chlor. Synthetik, ist ein rein weißes, luftbeständiges, leicht 
wasserlösliches Kristallmehl, das in seiner Wirkung mit dem aus 
Nebennieren hergesteKten Suprarenin völKg identisch ist. Auch 
seine Anwendung und Dosierung ist die gleiche. Die Höchster 
Farbwerke bringen das synthetische salzsaure Suprarenin in 
Lösungen von 1 :1000 und in fester Form in den Handel (ebenso 
wie das Arterenöl-Ohlorhydrat), so daß die Apotheker zuverlässige, 
konstant wirkende Vorratslösungen sich herstellen können. Das 
Suprarenin, hydrochlor. synthet. und seine Lösungen sind haltbar, 
und diese können unbeschadet ihrer Wirkungen durch einfaches 
Aulkochen sterilisiert werden. Jedoch ist es notwendig, alkali¬ 
freie Gläser zu benutzen, weil der geringste Gehalt an freiem 
Alkali auf alle Nebennierenpräparate zersetzend wirkt. 



Ein praktisches ärztliches Untersuchungsinstrument 

nach Dr. med. Kretzschmar in Leipzig.*) 

Ein Instrument, das sowohl als Stethoskop wie als Reflektor 
zur exakten Untersuchung des Gehörganges, der ‘Nasen- und 
Mundhöhle dient, hat Kretzschmar angegeben; es wird von 
der Firma W. Schub er th, Leipzig, Seeburgstr. 37, hergestellt 
und kostet, aus Hartgummi gearbeitet, 7,50 M. K. beschreibt 
sein Instrument in der Münch, med. Woch., 1908, Nr. 18, wie 
folgt: 

„An einem Stethoskope, dessen Hörplatte abnehmbar ist 
und zwecks bequemen Tragens in .der Tasche derart an dem 
Griffe befestigt werden kann, daß das Stethoskop eine flache 
Gestalt erhält, wie es also schon zumeist im Gebrauche des 
praktischen Arztes ist, habe ich auf der Hörplatte einen durch¬ 
lochten Hohlspiegel anbringen lassen. Dadurch, daß der Stiel 
des Stethoskops nicht wie bisher durch den an der unteren 
Seite der Hörplatte befindlichen Kanal vollkommen hindurch¬ 
reicht, sondern nur bis zu der in der Mitte der Hörplatte be- 
findKchen Oeffnung, ist das Stethoskop zugleich ein Reflektor. 
Zum Zwecke einer genauen Untersuchung des Gehörganges 
ist an dem unteren, breiteren Ende des Stethoskopstieles eine 
Ausdrehung vorhanden, in welche ein Satz von drei Ohrtrichtern 
eingefügt ist. Diese Ohrtrichter werden durch einen aufschraub- 
baren Ring am Herausfallen und Klappern verhindert. Der Ring 
stellt insofern noch eine Verbesserung des Stethoskops dar, als er 
das auf den Körper des Patienten zu setzende Ende des Hörrohres 
in angenehmer Weise abrundet und ihm die scharfen Ränder 
nimmt, die namentlich bei unruhigen Kindern leicht störend 
wirken. 


*) Infolge eines Versehens wurde die Abbildung dieses Instrumentes 
bereits in Nr. 25, S. 411, gebracht. 


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Original fru-m 

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1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


435 


Aus der Beschreibung folgt, daß das sinnreiche Instrument 
dem Praktiker besonders willkommen sein dürfte, weil er im 
Besitze des neuen Stethoskops nicht immer sein Spiegelbesteck 
mit sich zu nehmen braucht. Lungwitz- Berlin. 


□ 


Bücherbesprechungen. 


□ 


Die Frakturen des Mittelfußes. Von A. Kirchner. 

Berliner Klinik, Heft 236. 

Die Brüche der Mittelfußknochen, am bekanntesten bei den 
Fußgängertruppen, haben auch für die bürgerliche Praxis durch 
ihr nicht seltenes Vorkommen Bedeutung. Sie entstehen, von den 
Brüchen durch direkte Gewalt abgesehen, dadurch, daß ein oder 
mehrere Mittelfußknochen plötzlich, wenn auch nur für Bruchteile 
einer Sekunde, das ganze Körpergewicht zu tragen haben: beim 
Abspringen, Fehltreten, beim Abgleiten des Fußes von der Bord¬ 
schwelle. Bei großer Ermüdung genügt irgendeine kleine Uneben¬ 
heit des Bodens, die die Fußmuekeln durch ihre Spannung nicht 
mehr ausgleichen, um beim Ab weichen der Fußsohle einen ein¬ 
zelnen Mittelfußknochen, gewöhnlich den zweiten, dem ganzen 
Druck des Körpergewichts auszusetzen; der Knochen bricht dann, 
ohne daß später eine bestimmte Ursache angegeben werden kann. 
Bei der Diagnose soll man sich, wie Kirchner mit Recht her- 
vorhebt, auf die klinischen Zeichen, vor allem auf den Druck¬ 
schmerz verlassen; so lehrreiche Bilder die Röntgenuntersuchung 
auch geben kann — hat sie doch überhaupt erst den Knochen¬ 
bruch hinter der „Fußgeschwulst“ der früheren Zeit entdeckt —, 
so sicher ist es, daß bei reinen Querbrüchen ohne oder mit nur 
geringer Verstellung nach Fußrücken und Sohle hin die Röntgen¬ 
aufnahme z. T. wegen Deckung der einzelnen Metatarsenschatten 
ergebnislos bleibt, bis später der Kallus den Knochenbruch be¬ 
weist. Es wäre falsch, in solchen Fällen nur eine Periostitis an¬ 
nehmen zu wollen. Die Behandlung hat zunächst durch Ruhe 
imd Hochlagerung für Rückgang der Schwellung zu sorgen; leichte 
Brüche der mittleren Fußwurzelknochen, zumal ohne Verstellung, 
heilen ohne weiteres; für die übrigen ist der Bar den heue rsche 
Extensionsverband das beste. Gips oder Wasserglasgeh verbände 
ermöglichen rascheres Aufstehen, erfordern aber dann wieder Be¬ 
handlung des steif gewordenen Fußgelenkes. — Die kleine Arbeit 
ist kurz, klar und umfassend; nur hätte K. statt des Hinweises 
auf Bardenheuers Lehrbuch die Technik der Streckverbände 
zweckmäßiger gleich angegeben; auch vermißt Ref. die Erwähnung 
des Heftpflasterstreifen-Druckverbandes, der bei allen nicht zu 
schweren Mittelfußknochenbrüchen Vorzügliches leistet. 

Heinrich Landau, Berlin. 

Probleme der Ernährung. Von v. Düring. Leipzig 

1908. Veit & Co. 

Der Nachfolger Dr. Lahmanns in der Leitung seines Sana¬ 
toriums, Professor v. Düring, beabsichtigt Beiträge zur ärzt¬ 
lichen Praxis in Form von sechs Aufsätzen zu veröffentlichen. 
Die Themata derselben werden sein: 1. Probleme der Ernährung. 
2. Krankheitsursachen. 3. Harnsäurediathese. 4. Neurasthenie. 
5. Therapie der Syphilis. 6. Allgemeinbehandlung der Hautkrank¬ 
heiten. 

Man sieht, der Verfasser schneidet mutig schwierige aktuelle 
Fragen an. Das erste Heft: „Probleme der Ernährung“ ist er¬ 
schienen. Man wird daran erinnert, daß auch Lahmann in 
seiner Dysämie mit der Behandlung eines Ernährungsproblems 
der Aerztewelt ins Gesicht sprang, und nur Voreingenommenheit 
wird bestreiten, daß diese Schrift mit dazu beitrug, die Ernäh¬ 
rungsfrage auf die Tagesordnung zu bringen. Man wird von 
v. Düring, der bisher auf anderen Gebieten schriftstellerisch 
tätig war, nicht die Originalität seines Vorgängers erwarten. Das 
was ihm am Herzen liegt, ist, den praktischen Arzt aus der gedanken¬ 
losen Heeresfolge der landläufigen, aber wissenschaftlich schon 
überwundenen Ueberschätzung der Eiweißnahrung herauszureißen 
und mit der neuen Anschauung über Nährsalze und Katalyse be¬ 


kannt zu machen. Als den wertvollen Kern der verschiedensten 
diätetischen Regimes, mit denen in Sanatorien bei Stoffwechsel¬ 
kranken gute Erfolge erzielt werden, sieht er die Verminderung 
der Eiweißzufuhr an, da eben das Gros der besser situierten 
Kulturmenschen durch Ueberernährung, speziell Eiweißüberernäh¬ 
rung, krank wird. Mäßiger Fleischgenuß ist aber sowohl zum 
Ersatz verbrauchten Eiweißes wie zur Anregung des Appetits 
und der Osmose unentbehrlich. 

Im zweiten Teil wird auf die Bedeutung der Nährsalze und 
der Katalyse hingewiesen. Wir empfehlen die Schrift jedem, der 
das Bedürfnis hat, seine diätetischen Anschauungen zu revidieren. 

Gmelin, Südstrand-Föhr. 


□ ALLGEMEINES. t 


Der IV. Internationale Kongreß für Thalassotherapie in 
Abbazia findet am 28., 29. und 30. September statt. 

Ende Juni erscheint das ausführliche Programm, welches ent¬ 
halten wird die Statuten, das Verzeichnis der Landeskomitees, die 
Liste der ausgewählten Vorträge und die Namen der Bericht¬ 
erstatter, die angemeldeten Mitteilungen, die Tagesordnung, die 
in Aussicht genommenen festlichen Veranstaltungen und Ausflüge, 
die Höhe des Mitgliedbeitrages, die von den Eisenbahnen ge¬ 
währten Ermäßigungen, die dem Kongreß angegliederten Ausstel¬ 
lungen usw. 

Die betreffenden Drucksachen werden, auf Wunsch durch das 
Organisationskomitee, Professor Glax-Abbazia, kostenlos versandt. 

Der Führer durch die Thüringischen Bäder Kurorte und 
Sanatorien, 5. Jahrgang 1908, ist soeben im Verlage der All¬ 
gemeinen Bäder-Verkehrsanstalt Berlin NW. 7, Unter den Linden 
Nr. 76 a, erschienen. Für den geringen Preis von 20 Pf. und 
Porto 10 Pf. wird hier ein 112 Seiten starkes Nachschlagwerk- 
chen geboten, welches alles Wissenswerte über Thüringen ent¬ 
hält. An Hand des Führers kann man sich vor der Reise über 
Kurtaxe, Verpflegung und Logis, Eisenbahnverbindungen, Frequenz 
der einzelnen Orte, Indikationen, Aerzte orientieren und danach 
seine Dispositionen treffen. 

Das Material für diese Angaben ist von den Kurverwaltungen 
selbst geliefert bezw. ausgearbeitet, kann also auf absolute Zuver¬ 
lässigkeit Anspruch erheben. 

Prächtige Mittelmeer-Reisegelegenlieit , die unsere Leser 
sicherlich interessieren dürfte, bietet in den letzten zwei Dritteln 
des August die „Freie deutsche Reise-Vereinigung“ durch ihre 
fast dreiwöchige Fahrt von Marseille nach den ethnographisch, 
künstlerisch und landschaftlich hervorragendsten Mittelmeerstätteu, 
Barcelona, Palma, Algier, Tunis, Carthago, Palermo, Taormina, 
Messina, Amalfi, Sorrent, Capri, Neapel, Rom, Monaco und Genua, 
wie sie teilweise unseren Lesern von der letzten Kaiserreise noch 
bestens bekannt sind. Die Reise kostet mit voller LTnterkunft, 
Verpflegung und allen Ausflügen nur 350 M. Kein geschäftliches 
Unternehmen. Unsere Leser erhalten kostenlos Prospekt durch 
den Schriftleiter, Redakteur Baumm (nicht Baiunann) in Duis¬ 
burg. 

Wyk auf Föhr. Am 5. Juni starb der hiesige Bürgermeister 
Petersen. Er hat nicht nur um die Förderung der Gemeinde 
und des Badeortes Wyk, sondern auch um die Gründung und 
Entwicklung des Nordseebäderverbandes sich große Verdienste 
erworben. 

Was ihn auszeichnete, war eine große zielbewußte Tatkraft 
und weiter Blick. 


F. A. Hoppen u. R. Fischer 
Patentanwälte 

Berlin SW. 13, Neueuburgerstraße 15 

Amt IV 718. _I 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. H. Lungwitx, Berlin S. — Verlag: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle a. S. 
Druck der Heynemannschen Buchdruckerei, Gebr. Wolff, Halle a. S. 


\ 


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UNIVERSFTY OF MICHIGAN 







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aus sachliche Bearbeitung und Eigen¬ 
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Messingpaletten erhalten dieselben ein elegantes Aussehen. Für 
bessere Institute sind die Bettstellen vorzüglich geeignet, da deren In¬ 
sassen meistens nicht gewohnt sind, auf Eisenbetten zu schlafen und 
diese als etwas Minderwertiges ansehen. 

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ZEITSCHRIFT FÜR BALNEOLOGIE K KUR0RTJHYfflENE D 

herausgegeben von 

San.-Rat Dr. Graeffner und Dr. Kaminer. 

Organ des Deutschen Ausschusses für die gesundheitlichen Einrichtungen in Kur- und Badeorten. 


Inhalt des soeben erschienenen Juliheftes: 


( i i o \ a ii ii i balli, Prof JJr iRorni, Unter welchen Bedingungen können 
sirh H< r/- und Kreislaufkranke in llohenaniagen aufhalten Fuld, Dr. E (Berlin), 
\ruerr Anschauungen über die Wirkungsweisen der Mineralwässer auf Magen- 
aff< ktion' n Gasis, Dr Denn trius (Athen), Ueber die Heilquellen Griechenlands 
Bickel, Prof iBerhn) und Dr T ogami (]apan), Zur biologischen Prüfung eines 
neuen Mineralwassers kau ffmann, Ilans (Berlin), Die Bedeutung der Quellen- 
fassungi n I ink, Dr Iran/ (Ksulsbad), Die Bedeutung von Trinkkuren bei 
chronischen BlinddarrnaQr ktion« n, Indikationen und Kontraindikationen. Silber¬ 


gleit, Dr Herrn (Kissingen), Die Indikationen Kissingens. Schütze, San.-Rat 
Dr. Carl (Bad Kosen). Ueber Inhalationen und das neue Inhalatorium (Pat. Körting) 
zu Bad Kosen Sippell, San.-Rat Dr. (Sooden a. Werra), Ueber die Herstellung 
künstlicher Kohlensäure-Solbäder und ihre Anwendungsweise bei Blutarmut. Apt, 
Dr. (Bad Ems). Bad Ems Stern, Dr. Max (Reinerz), Bad Reinerz. Scherf, 
Dr (Orb), Bad Orb Gemmel, San-Rat Dr. (Bad Salzschlirf), Wie läßt sich eine 
individualisierende Diät in Badeorten durchführen. 


Bezugsbedingungen: ,,Die Z f. B u erscheint monatlich und kostet jährlich M. 8,— exkl. Porto. Die Zeitschrift ist zu beziehen durch jede Buchhandlung und Postanstalt. 

Probenummern unentgeltlich direkt vom Verlage Berlin SW 48, Wilhelmstr. 121, 


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Wochenschrift für die gesamte Therapie des praktischen Arztes. 


G. Anton, A. Dührssen, C.A. Ewald, E: Friedberger, P. Gerber, 
Halle a. S. Berlin. Berlin. Berlin. Königsberg. 

H. Schlange, Ad. Schmidt, H. Schmidt-Rimpler, 


Redaktion: 

Berlin S. 14, Dresdenerstr. 44, Tel.iv, 11773. 
Dr. med. et phil. H. Lungwitz. 


Herausgegeben von 



R. Robert, M. Koeppen, M. Masse, K. Partsch, H. Rosin, 

Rostock. Berlin. Berlin. Breslau. Berlin. 

H. Senator, R. Sommer, H. Unverricht, 0. Vulpius, 

Berlin. Gießen. Magdeburg. Heidelberg. 

r —■“ n 

Verlag u. Expedition; Carl Marhold Verlagsbuchhandlung 
in Halle a. S., Reilstraße 80. 

Tel.-Adr.: Marhold Verlag Hallesaale. Fernsprecher 823. 


Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte der Ostsee und der 

Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 


n. Jahrgang. 


Halle a. S., 12. Juli 1908. 


Nr. 28. 


Die Therapeu tische Rundschau“ erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2M., einzelne Nummer 20 Pf. Bestellungen nehmen jede Buchhandlung, 
die Post sowie "die Geschäftsstelle; Carl Marhold Verlagsbuchhandlung in Halle a. S. entgegen. Inserate werden für die 4gespaltene Petitzeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. berechnet Beilagen nach Uebereinkunft Reklamezeile 1,50 M. Bei größeren Aufträgen wird Rabatt gewährt. t 4 

Nachdruck der Original-Aufsätze ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet — Nachdruck der anderen Rubriken ist nur mit Quellenangabe gestattet 


Inhalt. 


I, Originalieu: 

1. W. B. Müller, Berlin: Die Behandlung der Frakturen . . . 437 

2. F. B ahrmann, Sauat. Finkenwaldeb. Stettin: Ueber Hämatopan 440 
II. Referate: 

1. Otfried O. Fellner, Wien: Puerperalfieber (Saramelreterat). . 448 

2. H. E. Schmidt, Berlin: Radiotherapie.444 

3. E. Meyer, Charlottenburg: Lungenkrankheiten.4-14 

4. H. Landau, Berlin: Chirurgie.445 

5. M. Peltzer, Steglitz: Kriegschirurgie.445 



Die Behandlung der Frakturen. 

Von Dr. W. B. Müller, Spezialarzt für Chirurgie und 
Gynäkologie, Berlin. 

In dem täglichen Leben spielen die Knochenbrüche sowohl 
als die Folgen der Unfälle für das allgemeine Publikum als 
auch als Hauptkontingent der chirurgischen Fälle in der Sprech¬ 
stunde eines vielbeschäftigten Arztes eine gar gewichtige Rolle. 
Eine hohe Bedeutung ist es, welche die Frakturenbehandlung er¬ 
langt hat, denn einesteils haben an einer sachgemäßen und 
kunstgerechten Behandlung ganz besonders die Versicherungs- 
Institute ein rege» Interesse, denn sie sind es, welche den 
größten materimlen Schaden erleiden, wenn einer ihrer Ver¬ 
sicherten durch eine schiechtgeheilte Fraktur dauernde Be¬ 
einträchtigung seiner körperlichen Arbeitsleistung und Energie 
erleidet, andererseits haben die Verletzten selbst ein hohes 
Interesse an einer Restitutio ad integrum vor allem, wenn sie 
keine Unterstützung durch Versicherungen haben. Und gerade 
das Gebiet der Frakturen ist es, welches so ungeheuer viel¬ 
seitig und abhängig von tausenderlei Nebenumständen und 
unvorhergesehenen Zufällen ist, und in welchem selbst dem 
erfahrensten, gewissenhaftesten und tüchtigsten Chirurgen Mi߬ 
erfolge schlimmster Art begegnen können. So muß man es 
noch immer erfahren, daß trotz bester Behandlung ein ge¬ 
brochener Unterarm deform heilt und oftmals überhaupt eine 
Konsolidation ausbleibt. Bei dieser enormen Bedeutung der 
Behandlung der Frakturen wird es von Interesse sein, wenn 
in dem Folgenden ein kurzer Ueberblick über den modernen 
Stand der Frakturenbehandlung gegeben werden _wird. 

Man muß bei der Lehre der Frakturen im allgemeinen 
ei Arten unterscheiden, nämlich die'Frakturen der Extremi- 


6. M. Peltzer, Steglitz: Soziale Medizin .... .... 44G 

III. Mitteilungen über Arzneimittel: 

W. Krüger, Magdeburg: Referate.440 

IV. Technische Neuerscheinungen: 

W. B. Müller, Berlin: Kouikusflaschen.440 

V. Biicherbesprechungen: 


W. Winsch, Halensee: Ueber Wärmekultur (Ref. W. Esch, 
Bendort a. Rh).447 

tätenknoehen und die Frakturen der Knochen des Rumpfes. 
Die erstere Art soll uns hier ausschließlich interessieren, denn 
sie sind die bei weitem am häufigsten vorkommenden und den 
Arzt am häufigsten beschäftigenden, während die Frakturen 
der Knochen des Thorax und Schädels bedeutend seltener den 
praktischen Arzt direkt beschäftigen und von ihm eine Be¬ 
handlung erfordern, denn solche Verletzte werden in den 
meisten Fällen einem Hospitale überwiesen werden, und der 
praktische Arzt hat da meist nur die erste provisorische Hilfe¬ 
leistung zu verrichten. Es werden hier also vorerst nur die 
Frakturen der Extremitätenknochen behandelt werden, während 
die Therapie der Frakturen der Knochen des Thorax und Schä¬ 
dels an anderer Stelle erörtert werden soll. 

Die Grundprinzipien der Behandlung der Frakturen der 
Extremitätenknochen sind: erstens die Taxis, zweitens Fixierung 
der Knochenenden in richtiger Lage. Das Hauptaugenmerk 
muß also darauf gerichtet werden, daß die bei dem Trauma, 
welches ja in den meisten Fällen eine Fraktur hervorruft, ent¬ 
stehende Dislokation der Bruchstücke gegeneinander wieder 
ausgeglichen wird und daß die Bruchstücke so gegeneinander 
gestellt werden, daß, wenn sie verwachsen sind, sie den 
Knochen in seiner normalen Form, Lage und Funktion nicht 
verändert haben. Diese richtige Stellung der Bruchstücke er¬ 
zielt man durch die Taxis oder Reposition oder Einrichtung 
der Fraktur. Die Fixierung der Bruchstücke in dieser Stellung 
wird durch den Verband erzielt. Bei der Betrachtung der 
Therapie der Frakturen kommt noch eine andere Einteilung 
der Frakturen in Betracht, welche zwar nicht ganz logisch 
richtig, aber praktisch doch recht wichtig ist, nämlich die in 
komplizierte und nicht komplizierte Frakturen. Der Chirurg 
der Neuzeit wird ja wenig Wert auf diese Unterscheidung in 
manchen Fällen zu legen brauchen, aber in vielen Fällen ist 
unsere Therapie doch sehr abhängig von der Natur der Fraktur 
in dieser Hinsicht, da bei den komplizierten Frakturen, also 
bei denen, wo eines der Frakturenstücke oder alle die Weich- 
teile perforieren und somit eine offene Wunde gebildet haben, 
neben der Taxis und Fixierung noch die Wundbehandlung als 
maßgebender Faktor für die Therapie hinzukommt. Es wird 


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Original fro-rri 

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also immer eine Unterscheidung zwischen komplizierter und baren Schmutz gereinigt werden, ehe man die Fragmente, in t; 
nichtkomplizierter Fraktur notwendig sein. die Weich teile reponiert. Ist dies' geschehen, so wird^ die *- . 

Die Diagnose der Frakturen an den Extremitäten hat ja Fraktur eingerichtet und die Wunde offen gelassen. Man - , 
in den seltensten Fällen für den chirurgisch nur etwas ge- wird eher noch den Hautschlitz etwas erweitern, falls man 
schulten Arzt Schwierigkeiten. Man wird aus der abnormen den Eindruck hat, daß nicht genügend Abflußgelegenheit vor- - # 

Beweglichkeit, Dislokation, Krepitation und dem Schmerz neben handen ist. Man soll sich aber hüten, viel Manipulationen mit 
lokaler Schwellung mit Sicherheit stets eine Fraktur diagnosti- der Wunde vorzunehmen, man soll nicht viel waschen und 
zieren können. Die Röntgendurchleuchtung wird zur Sicherung desinfizieren, nur die groben sichtbaren Schmutz-, Erde- oder 
der Diagnose noch als ultimum refugium übrig bleiben. Man sonstigen verunreinigenden Teile entfernt man. Dann legt man 
hüte sich aber, die subjektive Untersuchung zu vernachlässigen einen aseptischen Verband oder einen Salbenverband auf die 
in Hinsicht auf die Hilfe der Röntgenstrahlen, denn man wird Wunde. 

oft in der Lage sein, die Röntgendurchleuchtung nicht aus- Bei der weiteren Behandlung kommt noch die Art der 

führen zu können, und dann darf dem Arzte die Fähigkeit, eine Fragmente in Betracht. Man unterscheidet da noch die glatten 
genaue Diagnose zu stellen, allein durch seine Untersuchung und Zertrümmerungsfrakturen. Bei den glatten Frakturen ist 
nicht abgehen. Deshalb befleißige man sich stets, ohne Hilfe der Knochen vollkommen zerbrochen, doch die Fragmente 
der Röntgenstrahlen eine Fraktur sicher zu diagnostizieren, und zeigen feste Enden, während bei den Zertrümmerungsfrakturen 
verwende die Röntgenstrahlen lieber zur Kontrolle der einge- die Fragmente zertrümmert sind, so daß man einzelne abge¬ 
richteten Fraktur als zur Diagnose. sprengte Knochenstücke (Splitter) findet. Bei der komplizierten 

Die erste Maßnahme, welche der Arzt zu treffen hat, nach- Zertrümmerungsfraktur entfernt man durch die Wunde die or¬ 
dern er eine Fraktur diagnostiziert hat, besteht in der Taxis, reichbaren Splitter, bei der nicht komplizierten läßt man sie 
Man muß also untersuchen, wie die Fragmente der Fraktur intakt. 

gegeneinander stehen. Hierbei kommen noch zwei Momente Di© Taxis der komplizierten Fraktur ist nicht schwer, 

in Betracht, erstens die Komplikation, zweitens die Inter- Man muß unter Kontrolle des Auges, Gefühles und event. der 
position von Weichteilen. Es ist sehr leicht festzustellen, ob Röntgenstrahlen die Fragmente durch Zug an der Extremität 
man eine komplizierte Fraktur vor sich hat, man erkennt das die richtige Lage bringen. Gelingt dies nicht in genügendem 

daran, daß entweder eines oder alle Fragmente die Haut Maße, so schreitet man zur Operation. Diese kann, wenn die 

durchspießen, daß man also den Knochen selbst frei zutage Wunde klein und nicht verunreinigt ist, sofort stattfinden, man 
treten sieht, oder man erkennt es daran, daß eine offene l©gt die Fragmente frei und näht dieselben. Oder man wartet, 

Wunde an der Frakturstelle vorhanden ist. Bei der kompli- wenn man eine Infektion der Wunde fürchtet, bis die Wunde 
zierten Fraktur besteht stets die große Gefahr der sekundären geheilt ist. Dann setzt man eine neue Wunde und näht die 
Infektion. Da die Fraktur in den allermeisten Fällen durch Knochen. Die Operation wird aber nur in den seltensten Fällen 
ein Trauma entstanden ist, so wird die Gefahr der Infektion nötig sein. 

bei komplizierter Fraktur sehr groß sein, da das Trauma den . n , ^ ... ,. , , . , , i 

Menschen ja meist bei der Arbeit oder während des Aufent- Au |> 6r Komplikation der Fraktur kommt als erschwe- 

haltes außerhalb ganz sauberer Räume befällt. Die Infektion ™ n ?! s Moment die Interposition von Weichteilen zwischen die 
der Wunde ruft erstens eine lokale Entzündung, eine Phleg- Frakturfragmente vor. Es ist dies so zu denken daß m den 
mone hervor, zweitens kann sie eine allgemeine Infektion Zwischenraum zwischen die Fragmente sich Muskeln, Sehnen 

hervorrufer. Die Phlegmone kann beschränkt bleiben auf das oder Fettgewebe einlagert. Diese Interposition ist ein sehr 

Unterhautzellgewebe, oder es kann eine Entzündung benach- unangenehmes Vorkommnis. Ist nur wenig Muskelgewebe etc. 
harter Sehnenscheiden, Gelenke oder Blut- und Lymphbahnen d .a 2 ^ lsolle ;] n gelagert, so kann man durch starken Zug (Exten- 
sntstehen oder es kann die Infektion nur das Knochenmark “°n) an dem distalen Teil der Extremität die Weichteile aus 
der Bruchenden befallen und somit eine Osteomyelitis entstehen. de .! a Zwischenraum entfernen. Die Interposition von Weich- 
Die Allgemeininfektion besteht in allgemeiner Septikämie, welche teilen zwischen die Fragmente stellt man dadurch fest, daß 
meist mit lokaler Infektion einhergeht, oder sie besteht in Te- die Krepitation undeutlich ist. Es kommt aber sehr leicht vor, 
tanus, der Infektion mit Tetanusbazillen, welche das Bild des daß ma £ dle Interposition bei der Taxis gar nicht erkennen 
Wundstarrkrampfes bedingen. Man muß stets die Möglichkeit kann. Ferner kommt es vor, daß die Weichteile sich trotz 
des Tetanus bedenken, wenn man eine komplizierte Fraktur energischer Extension nicht aus dem Zwischenraum entfernen 
zur Behandlung bekommt, denn man hat gerade bei diesen Ver- l assen ’ “ de , n scharfen Spitzen und Zacken der 

letzangen sehr häufig diese schwere Erkrankung gesehen, Fragmente festhaken Man gewahrt dies oder die Interposition 
namentlich dann, wenn der Verletzte auf der Straße oder auf überhaupt daran, daß die Fragmente nach 14 Tagen noch nicht 
der Erde das Trauma erlitt, so daß die komplizierte Fraktur langen zu konsolidieren. Dann ist mit Sicherheit eine Inter- 
mit Erde oder dem Schmutz des Straßenpflasters etc. in Be- P osl £ on anzunehmen, und man kann sie nur heben, indem man 
rührung kam. Diese traurige Erfahrung, daß komplizierte d l e Fragmente freilegt und nach Entfernen der mterpomerten 
Frakturen sehr oft mit Tetanus einhergthen, läßt es vielen Muskeln durch Knochennaht veremigt. 

Chirurgen sieb zur Pflicht machen, prophylaktisch bei allen diesen Der Verband, welchen man bei der Fraktur an Extremi- 

Verletzungen Tetanusserum dem Patienten zu verabreichen, täten anlegt, bezweckt Fixierung der Fragmente in normaler 
Wenn auch dieses Serum nicht unbedingt sicher gegen Tetanus Stellung, so daß, wenn dieselben verheilt sind, der Knochen 
wirkt, so kann man doch in manchen Fällen den Ausbruch der in toto seine normale Form wiedererlangt hat. Es ist nun oft- 
Krankheit event. verhüten. Der Grund, weshalb gerade die mals enorm schwierig, dies zu erreichen. Die Verbände, welche 
komplizierten Frakturen vor anderen Verletzungen häufiger von man anlegt, sind folgende: 1. Gipsverband, 2. Schienenverband, 

Tetanus gefolgt sind, liegt mit darin, daß die Tetanusbazillen ana- 3. Extensionsyerband. Wenn man einen Verband für eine 
orob wachsen. Wenn sie auf eine offene Wunde gelangen, Fraktur wählt, muß man erwägen, ob eine totale Fixierung 
wachsen sie nicht so rasch und gut und werden vom Blut- notwendig ist, oder ob der Erfolg besser durch Extension er- 
strom eher wieder aus der offenen Wunde hinausgespült, als reicht werden kann. Die Extension ist von Bardenheuer 
wenn sie in die Wunde der komplizierten Fraktur gelangt sind, ganz besonders ausgebaut-und bei jeder Fraktur von Extremi- 
welche sich nach dem Zurückgleiten der Fragmente in die täten angewandt worden, und Barden heuer hat ganz vor- 
Weichteile wieder bis auf den Spalt der Haut schließt. Dabei zügliehe Erfolge damit gehabt. Es besteht aber ein Nachteil 
gelangen die Tetanusbazillen in eine geschlossene Wunde ohne bei diesen Verbänden, nämlich der, daß der Extensionsverband den 
Luftzutritt, in welcher sie besonders günstigen Nährboden und Kranken ans Zimmer oder gar ans Bettin vielen, ja in den meisten 
günstige Verhältnisse zum üppigen Wachstum finden. Wie Fällen fesselt. In neuerer Zeit hat man nun die Ueberzeugung 
man diese Fälle behandelt, kann hier nicht näher erörtert gewonnen, daß es absolut nicht notwendig und dienlich ist, die 
werden. Extremität bei einer Fraktur so lange zu fixieren, wie man 

Die komplizierte Fraktur muß zunächst von jedem sicht- bis noch vor wenigen Jahren annahm. Je eher man den 


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, Krajikeja wieder läßt Bewegnjagen Anfängen, nm sb Besser ist den Angehörigen manche Enttäuschung ersparen und ihnen die 
es für ihn. So hat man sogar empfohlen, bei vielen Frakturen, Dauer der Heilung sicher prophezeien können. 

.wie, der Fractura humeri u. radii, gar keinen Verband anzu- Die verminderte Kallusbildung zu bekämpfen, muß sofort 

legen, sondern den Arm nur in eine Mitella zu legen und unser Ziel sein, sobald wir bemerken, daß die Konsolidierung 
sonst sieh selbst zu überlassen, nachdem man die Fraktur repo- nicht in normaler Zeit und Weise beginnt. Es stehen uns zu 
niert hat. Bei ruhigen Personen hat man zweifellos auch gute diesem Zwecke verschiedene Mittel und Wege zur Verfügung, 
Erfolge damit erzielt, aber verallgemeinern darf man diese Art und wir wollen die hauptsächlichsten kurz erwähnen, 
der Frakturenbehandlung nicht. Es ist zweifellos notwendig, Die Kallusbildung besteht in einer Gewebsneubildung, welche 

wenn man den Kranken ambulant behandeln will, ihm bei einer mit der Zeit aus dem Bindegewebe Knochengewebe macht Jede 
Fraktur einen Verband anzulegen. Aber* man muß folgendes Gewebsbildung im Organismus hängt aber direkt zusammen mit 
stets bedenken und danach strikte handeln. Erstens darf der den Blutverhältnissen sowohl des ganzen Organismus als auch 
Verband nicht über zwei bis vier Wochen liegen, zweitens soll des Gebietes der Fraktur, also der Umgebung der Frakturstelle 
man durch Massage die Konsolidierung beschleunigen und unter- selbst. Wenn nun die Kallusbildung in ungenügender Weise 
stützen. Sobald die Fragmente durch Kallusbildung anfangen, erfolgt, so muß man annehmen, daß entweder das Blut im all¬ 
sich zu verbinden, braucht man keinen Verband mehr. Die gemeinen unzureichend ist oder daß nicht genügend Blut in 
Kallusbildung hängt direkt ab von der Blutmenge, welche in den Geweben um die Frakturstelle vorhanden ist. Man kann 
der Umgebung der Bruchstelle vorhanden ist. Liegt die Ex- dem abhelfen, indem man eine vermehrte Blutzufuhr zu der 
tremität ruhig in einem fixierenden Verbände, so ist die Blut- Frakturstelle zustande bringt. Dies geschieht auf verschiedene 
Zirkulation sehr gering, und die Kallusbildung geht langsam und mehrfache Weise. In neuester Zeit hat man die bei ent- 
vor sich. Man hat nun versucht, Hyperämie in dem Gliede zündlichen Affektionen so warm empfohlene Bi ersehe Stauung 
zu erzeugen (Bier), und hat oberhalb der Bruchstelle eine auch zur Anregung und Vermehrung der Callusbildung ver- 
Biersche Stauungsbinde angelegt. Dabei beobachtete man, wendet. Wenn man eine Extremität oberhalb der Fraktur- 
daß die Kallusbildung sehr rasch vor sich ging. Aehnlich wirkt stelle durch eine Gummibinde leicht abschnürt, so daß der 
die Massage der Extremität. Auch durch dieselbe wird Hyper- venöse Abfluß erschwert wird, der arterielle Blutzufluß aber 
ämie erzeugt und .die Kallusbildung angeregt. Man wird also erhalten bleibt, so entsteht in dem ganzen zentrifugal von der 
hieraus die Lehre ziehen, die Extremität nur so kurze Zeit, als Gummibinde gelegenen Teile der Extremität eine Hyperämie, 
unbedingt notwendig ist, zu fixieren. Sehr wertvoll sind ja die eine Stauung, welche zunächst als venöse Hyperämie anzu- 
Extensionsverbände auch in dieser Hinsicht. Während dieselben sehen ist. Es kommt aber dabei auch eine Vermehrung des 
liegen, kann man leichte Massage auf die Bruchstelle oder immer zuströmenden arteriellen Blutes in den Geweben zu- 
Heißluftmassage oder Stauungshyperämie applizieren. Wenn es stände, und man hat den Zweck erreicht, einen vermehrten 
also die sozialen Verhältnisse gestatten, wird man den Exten- Blutgehalt in der Umgebung der Fraktur zu erzielen. Man 
sionsverband anwenden. Kann man denselben nicht verwenden, hat von der bei mangelnder Kallusbildung längere Zeit ange- 
so legt man einen Schienen- oder Gipsverband an, welchen legten Stauung gute Erfolge gesehen. Es ist ja die Stauung 
man nach acht Tagen abnimmt, um einen neuen für weitere in diesem Falle zweifellos ungefährlich, und so kann man nur 
acht Tage anzulegen und zugleich Massage, Heißluftmassage raten, dieselbe anzuwenden. Man ist nun so weit gegangen, 
oder Stauung einmal zu applizieren. Nachdem die Fraktur jedes Glied mit Fraktur sofort der Bi ersehen Stauung zu 
nur einigermaßen angefangen hat, sich etwas zu konsolidieren, unterziehen und hat geglaubt, damit eine raschere Konsoli- 
wird die Extremität nur noch in einen Schienenverband (Hülse) dierung zu erzielen. Es stößt diese Art der Frakturenbehand- 
gelegt, welchen man täglich einmal abnimmt, um zu massieren, lung aber auf Schwierigkeiten, denn man kann bei \ erwenden 
Bei dieser Behandlung gelingt es sehr bald, eine feste Kallus- der Stauung nicht feste fixierende Verbände anlegen und muß 
bildung und Heilung der Fraktur zu erzielen. Allerdings muß die Kranken unter steter Kontrolle halten können. Gewiß, es 
man individualisieren je nach der Art der Fraktur und dem heilen selbst schwere Frakturen auch ohne jeden Verband, aber 
Kranken selbst. Es ko mm t da vor allen Dingen das Alter des es wird doch nicht immer möglich sein, die Patienten in der 
Patienten in Betracht. Es besteht ein großer Unterschied in Klinik zu behandeln, und das Risiko einer Gangrän, die bei 
dem Lebensalter; so heilen gebrochene Knochen bei einer Stauung und fixierendem Gipsverband eintreten kann, wenn 
jugendlichen Person meist sehr gut und rasch, sofern nicht man den Kranken nicht immer unter Aufsicht haben kann, 
andere pathologische Zustände vorhanden sind, wie Lues, Tuber- wird doch niemand übernehmen wollen. Somit wird man die An- 
kulose oder andere Konstitutionskrankheiten, welche gelegent- Wendung der Stauungshyperämie nur für wenige Fälle reser- 
lich die Heilung resp. Konsolidierung der Fraktur verhüten vieren können. Sie ist nur für die Spitalpraxis brauchbar, wo 
und erschweren können, während bei alten Personen, solchen man den Kranken immer unter sachgemäßer Kontrolle hat und 
über fünfzig Jahre, stets eine geringere Neigung zu Kallus- die Extremität event. ohne fixierenden Verband sachgemäß 
bildung zu beobachten ist. Es kommt sehr oft vor, daß die lagern kann. Auch bei den Extensionsverbänden ist die Stauung 
Heilung einer Fraktur bei älteren Personen doppelt so lange schwer anwendbar. 

Zeit beansprucht, als eine gleiche bei jugendlichen Kranken. Man kann aber eine wirksame Hyperämie auf andere Art 

Neben dem Alter sind, wie schon angedeutet, verschiedene noch erzeugen und zwar die arterielle Hyperämie. Dieselbe 
Konstitutionskrankheiten Hinderungsmomente für die normale wird erzielt durch Heißluftbäder, Heißluftmassage nach 
Kallusbildung. Man hat sehr oft beobachtet, daß luetische Per- Klapp, manuelle Massage oder Applikation von heißen Um- 
sonen lange Zeit an mangelnder Kallusbildung zu leiden hatten, Schlägen. Durch Hitze, welche durch den heißen Luftstrom 
ferner alle Personen, welche an chronischer Bleivergiftung, in den Bi er sehen Heißluftkästen oder den anderen Heißluft- 
Phosphorintoxikation und ähnlichen Affektionen leiden, haben apparaten oder durch die Heißluftmassage oder heiße Um¬ 
schlechte Aussichten bei Frakturen. Es ist aber deswegen nicht Schläge auf die Frakturstelle ein wirkt, wird in den Geweben 
in jedem Falle notwendig, daß bei solchen Personen die Kallus- in der Umgebung der Fraktur eine starke arterielle Hyperämie 
bildung verhindert wird. So habe ich bei sehr alten, 75 Jahre erzeugt, und diese ist es, welche ganz besonders zur Kallus- 
und älteren Personen Frakturen sehr gut und rasch heilen bildung anregend wirkt. Um diese an wenden zu können, muß 
sehen, ebenso bei Luetischen und dergleichen. Es kommt ent- man aber auch die Extremität aus dem Verbände nehmen. In 
schieden auf den Kräftezustand der betr. Personen an, wenn gleicher Weise wirken die Massage der Extremität mit der 
der Körper trotz Alter oder chronischer Erkrankungen ein noch Hand oder die Vibrationsmassage, auch die Bewegungen der 
hohes Maß von Vitalität besitzt, so wird er eine Fraktur leichter Frakturenden gegeneinander wirken hauptsächlich durch Er- 
überstehen, als ein äußerst dekrepides, geschwächtes und nur zeugen einer Hyperämie. Man wird diese Methoden dann an- 
noch ein geringes Maß von Vitalität besitzendes Individuum, wenden, wenn man nach Abnahme des ersten Verbandes nach 
Es ist aber doch wichtig für den Arzt, wenn er diese Verhält- acht bis vierzehn Tagen nach dem Trauma noch Krepitation, 
nisse bei Abgabe seines Urteils über den Verlauf der Heilung abnorme Beweglichkeit und alle Zeichen mangelnder Konsoli- 
einer Fraktur berücksichtigt, er.wird dann dem Patienten oder dierung findet. Es genügt da in vielen Fällen schon die ein- 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


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malige Anwendung der Massage, Heißluft oder Bewegungen, 
um eine rasche Konsolidierung zu erzielen. Man legt dann 
nach der Massage oder dem Bad sofort wieder einen fixieren¬ 
den Verband an, den man zehn Tage liegen läßt. Nach Ver¬ 
lauf dieser Zeit und Abnahme des Verbandes wird man dann 
schon eine gute Kallusbildung gewahren. In schweren Fällen 
aber, wo eine einmalige Applikation von Heißluft, Massage etc. 
keinen Erfolg hat, verfährt man am besten so, daß man eine 
abnehmbare Gipshülse anfertigt, welche die Extremität in guter 
Stellung fixiert. Diese Hülse nimmt man jeden Tag einmal 
ab und appliziert ein Heißluftbad oder Massage etc. So ver¬ 
fährt man jeden Tag und kann kontrollieren, ob die Kallus* 
bildung vor sich geht. Schon nach dreimaliger Behandlung 
werden die Frakturen konsolidieren. Man hat hierbei den 
großen Vorteil, daß man die Extremität durch die Hülse in 
der Zwischenzeit in guter Stellung fixieren kann. Allerdings 
muß man auch für diese Behandlung den Kranken entweder 
in Hospitalpflege haben, oder er muß täglich in die Sprech¬ 
stunde kommen können, wenn z. B. die Fraktur an der oberen 
Extremität lokalisiert ist, oder der Arzt muß den Kranken täg¬ 
lich besuchen können. Man lasse aber solche Fälle nie ohne 
eigene Kontrolle, so daß man z. B. den Kranken selbst die 
Hülse abnehmen und sich durch andere massieren etc. ließe. 
Man verliert dabei die Kontrolle über die Stellung der Fraktur¬ 
enden, und es können große Fehler entstehen, die ein schlechtes 
Heilungsresultat ergeben, für das immer der Arzt verantwort¬ 
lich bleibt. (Schluß folgt.) 


Aus dem Sanatorium Finkenwalde bei Stettin. 

Ueber Hämatopan. 

Von Dr. Fritz Bahrmann, leitendem Arzt. 

Unter den Medikamenten, welche zur Unterstützung einer 
Ernährungskur bei Nervösen, Magendarmkranken, Blutarmen 
und anderen den Ernährungszustand reduzierenden Krank¬ 
heiten gegeben werden, hat neben dem xirsen das Eisern von 
jeher eine große Rolle gespielt. 

Zwar glaubte man früher (ich folge hier im wesentlichen 
den Ausführungen Kionkas: Der heutige Stand der Eisen¬ 
therapie, Med. Klinik 1905, Nr. 15), daß von dem per os ein¬ 
geführten Eisen nichts resorbiert werde, da man fast die ganze 
eingegebene Menge im Kot wiederfand und das wenige, was 
vielleicht fehlte, durch Fehler in der Analyse erklärt werden 
konnte. Man nahm an, das Eisen wirke nur dadurch, daß es 
im Darmkanal den Schwefelwasserstoff beziehungsweise den 
Schwefel der in Fäulnis begriffenen Eiweißkörper in Beschlag 
nähme und hierdurch die eisenhaltige hämatogene Substanz 
der Nahrung davor schütze, durch Schwefelwasserstoff zersetzt 
zu werden; allein die Darreichung von Mangan, welches 
ebenso wie Eisen den Schwefelwasserstoff bindet, leistet für 
die Blutbildung nichts. Andere glauben, daß die Eisenpräparate 
ähnlich wie Tannin adstringierend und tonisierend auf Magen- 
und Darmschleimhaut wirken und sie zur Assimilation besser 
befähigen, doch ist diese Erklärung wohl nicht stichhaltig, da 
sich die Chlorose auch durch subkutan dargereichtes Eisen 
heilen läßt. 

Ueber die Schicksale des per os eingeführten Eisens haben 
die letzten Jahre Klarheit geschaffen. Hiernach wird fast jedes 
Eisenpräparat im Magen und Darm in Eisenalbuminat ver¬ 
wandelt und im Duodenum teilweise resorbiert. Es erscheint 
dann in der Leber teils in ionaler Form, d. h. durch Schwefel¬ 
ammon fällbar, teils maskiert, d. h. organisch z. B. als Nukleo- 
proteid gebunden. Die Ausscheidung des Eisens erfolgt durch 
die Schleimhäute des Zökums und des Dickdarms. 

Die gut löslichen Eisensalzlösungen wirken je nach der 
Konzentration ätzend, indem sie gierig Eisenalbuminatver- 
bindungen eingehen, oder styptisch oder adstringierend. Diese 
örtliche Wirkung kommt allen per os eingegebenen Eisenver¬ 
bindungen zu, welche das Eisen in salzartiger Bindung, d. h. 
in ionaler Form enthalten, sehr viel weniger aber denjenigen 
Eisenverbindungen, welche das Eisen in organischer Form ent¬ 
halten. 


Man wird deshalb zweckmäßig, um die AetzWirkung zu 
vermeiden, das Eisen in Form von Eisenalbuminaten ver¬ 
abreichen. Ganz ohne ätzende und adstringierende Wirkung 
wird es dabei allerdings nicht abgehen, weil beiin Verweilen 
im Magen unter dem Einfluß der Pepsinsalzsäure Eisen abge¬ 
spalten wird. 

Es gibt jedoch alkalische Eisenalbuminate (resorbiert 
werden nur alkalische Eisenalbuminate), welche das Eisen im 
Säuremolekül enthalten, und die wegen ihres säureartigen Cha¬ 
rakters als „Ferrialbuminsäuren“ bezeichnet -werden. Diese 
Verbindungen bilden nachGrüning mit schwacher Salzsäure, 
wie sie im Magensaft enthalten ist, kein ätzendes Eisenchlorid, 
sondern werden nur in saures, nicht diffundierbares Albuminat 
umgesetzt. Das Alkali des Darmes stellt daraus die ursprüng¬ 
liche Verbindung wieder her, welche leicht diffundiert und 
resorbiert wird. 

Zu diesen Verbindungen, welche das Eisen in „maskierter“ 
Form enthalten, gehören die zahlreichen Blutpräparate, voraus¬ 
gesetzt, daß der Blutfarbstoff nicht zu sehr durch die Be¬ 
arbeitung verändert oder zersetzt ist. 

Eins dieser Blutpräparate ist das von mir benutzte 
Eisenpräparat Hämatopan, denn es enthält nach den Analysen 
des Herrn Professor Dr. Loeb vom Virchow-Krankenhaus in 
Berlin den Blutfarbstoff in Form des Oxyhämoglobins, außer¬ 
dem enthält es Oxydasen, d. h. die Oxydation beschleunigende 
fermentartige Körper, und besitzt somit nach dem Urteil des 
eben genannten Forschers dieselben oxydativen Eigenschaften 
wie das Blut. 

Ueber die Wirkung des Eisens im Organismus möchte ich 
nach Kionka noch folgendes anführen. 

Früher betrachtete man das eingeführte Eisen wesentlich, 
wenn nicht ausschließlich, als Bildungsmaterial für die roten 
Blutkörperchen, und aus dieser Ueberlegung heraus griff man 
auch zur Darreichung des Eisens in Form des roten Blutfarb¬ 
stoffs. Allerdings erscheint es nach den verschiedenen Wand¬ 
lungen, welche die verschiedenen Eisenverbindungen. durch¬ 
machen, wenig aussichtsvoll, allein in Form von Hämoglobin 
genügend Eisen zur Resorption zu bringen, wie ja auch das 
Eisen der Nahrung trotz überreicher Zufuhr meist nicht zur 
Ausübung einer Heilwirkung genügt. Deshalb wird man be¬ 
strebt sein müssen, das Eisen in einer Form zu geben, welche 
die katalytische Eigenschaft des roten Blutfarbstoffs am meisten 
entwickelt. Diese Fermentwirkung ist nun nach Schade nicht 
sowohl von der quantitativen Eisenzufuhr abhängig, als viel¬ 
mehr von der Qualität des eingeführten Eisens. Die kata¬ 
lytische Kraft ist nämlich proportional der Metalloberfläche, so 
daß dem Metall in kolloider Form die stärkste katalytische 
Wirkung zukäme. Hinsichtlich des Wertes der verschiedenen 
Eisenpräparate würde also von diesem Gesichtspunkte aus das 
entscheidende Moment darin zu suchen sein, ob das Präparat 
geeignet ist, nach seiner Resorption eine die Oxydations¬ 
beschleunigung - auslösende Modifikation zu liefern, welche 
längere Zeit unverändert im Körper zu verweilen vermag. 

Ob das Hämatopan dieser Forderung entspricht, weil es 
Oxydasen enthält, oder ob diese fermentartigen Körper auf dem 
Wege durch den Magen und Darm durch die Verdauungssäfte 
zerstört oder unwirksam gemacht werden, läßt sich wohl nur 
auf Grund eingehender Untersuchungen entscheiden. Jeden¬ 
falls enthält das Hämatopan das Eisen in leicht resorbierbarer 
Form und bei dem fermentativen Charakter der Eisen Wirkung 
auch in genügender Menge. 

Das Hämatopan enthält 35 % Oxyhämoglobin, 5 % Wasser, 
3 % natürliche Blutsalze und 57 % Malzextrakt. 

Es wird von den Sudbracker Nährmittelwerken in Biele¬ 
feld nach einem zum D. R. P. angemeldeten Verfahren dar¬ 
gestellt : das Präparat kommt unter dem zum Musterschutz an¬ 
gemeldeten Namen „Hämatopan“ in den Handel. Das Häma¬ 
topan hat eine feine kristallinische Lamellenform von rubin¬ 
roter Farbe und löst sich im Wasser zu einer weinroten Flüssig¬ 
keit von der Farbe des frischen arteriellen Blutes. Durch einen 
Zusatz von Malzextrakt wird die leichte Löslichkeit des Hämo¬ 
globins erzielt, der Nährwert des Präparates erhöht und ein 


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1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


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angenehm riechendes und wohlschmeckendes Blutpräparat er¬ 
halten. 

Da Eiweiß, und Kohlehydrate unbedingt in dem richtigen 
Verhältnis dem Körper gereicht werden müssen, um den ver¬ 
brauch desselben, im Gleichgewicht zu halten, so erscheint mir 
die Vereinigung eines leicht resorbierbaren Eiweißes mit dem 
seit langem als Nähr- und Stärkungsmittel anerkannten Malz¬ 
extrakt als eine besonders glückliche Kombination. 

Der Hersteller schreibt über das Präparat: 

„Da die Nährpräparate in allen denjenigen Fällen zur Ver¬ 
wendung gelangen, in denen man sich in die Notwendigkeit 
versetzt sieht, durch Zufuhr leicht verdaulicher, nahrhafter, 
löslicher Stoffe die Ernährung zu heben, so wurden nach der 
früheren Ernährungstheorie vornehmlich künstlich verdaute 
Eiweißkörper, Peptone und Albumosen verwandt. Trotz der 
durch Rieh. Neumeister und G. v. Bunge längst erfolgten 
Aburteilung der vielfach wertlosen Albumosen- und Pepton¬ 
präparate werden dieselben noch häufig angewandt. Die Ab¬ 
sicht, durch diese künstlich verdauten Präparate dem Körper 
die Arbeit abzunehmen, ist als eine verfehlte zu betrachten. 
Denn nach Angabe von J. König, „Chemie der menschlichen 
Nahrungs- und Genußmittel“, hat R. 0. Neumann gefunden, 
daß ein sehr bekanntes Albumosepräparat zum Teil unausge- 
nutzt im Kot ausgeschieden wurde, vorwiegend wohl des¬ 
halb , weil schon nach 20 g des Präparates die Stühle 
breiig diarrhöisch würden und lästiges Afterjucken auf trat. 
Auch vermochte in diesem Falle die Albumose den Körper 
nicht im Stickstoffgleichgewicht zu halten. 

Die Verdaulichkeit der Fleischalbumosen beträgt nur bis 
zu 40 bis 50 %, während Fleischeiweiß bis zu 90 % ausge¬ 
nutzt wird. 

Durch diese Ergebnisse der Forschungen auf dem Gebiete 
der Ernährungslehre ergibt sich, daß die künstliche Verdauung 
den Nährwert des nativen Eiweißes herabsetzt und den Prä¬ 
paraten mit nativem, löslichem Eiweiß der Vorzug zu geben 
ist. Die wichtigste Eiweißquelle ist das Fleisch bezw. das 
Blut. Das letztere ist heute durch das Dr. HommeIsche 
Hämatogen ein in den weitesten Kreisen bekannt gewordenes 
Nährmittel. Denn das Blut, „das rote Lebenselixier“, enthält 
sämtliche zum Körperaufbau notwendigen Baustoffe. Das Hämo¬ 
globin mit seinem natürlichen Eisengehalt, der fest an den Blut¬ 
farbstoff gebunden ist, ist ein vorzüglicher Blutbildner. 

Prof. Dr. R. Kobert schreibt in seiner Pharmakotherapie: 
Das Blut bildet den Ausgangspunkt für die Darstellung vieler, 
seit einigen Jahren mit Recht immer mehr begehrter Eisen¬ 
präparate. Kleinen Kindern, denen, falls die Mütter blutarm 
sind, eine viel zu eisenarme Milch durch die Mutterbrust zu¬ 
fließt, hat man alle Ursache, Eisen arzneilich zuzuführen; die 
Präparate der Pharmakopoen wirken bei ihnen erfahrungs¬ 
gemäß sehr schlecht, während die vom Blut sich herleitenden 
vortrefflich vertragen werden und energisch blutbildend 
wirken. 

Für Chlorotische muß man nur nach Kobert das Blut 
von Bakterien und giftigen Stoffwechselprodukten befreien und 
seinen Farbstoff in eine zwischen Hämoglobin und Hämatin 
stehende Stufe und eine möglichst wenig an Blut erinnernde 
geruch- und geschmacklose Form bringen, die den Magen un¬ 
gelöst passiert, im Darm nicht teerartig wird und langsam aber 
sicher zur Aufsaugung kommt. 

Nun läßt allerdings die Darreichungsform des Blutes in 
Form von Hämatogen in dieser Hinsicht viel zu wünschen 
übrig. Das Hämatogen des Handels besteht durchschnittlich 
aus 30% Hämoglobin, die übrigen 70% bestehen aus Wasser 
bezw. Glyzerin- oder Alkohol-Zusatz. Zunächst sind diese 
konservierenden Zusätze zu verwerfen. Ferner widerspricht es 
dem ästhetischen Gefühl der meisten Patienten, die dickliche, 
klebrige, rote Blutflüssigkeit zu trinken. Oft genug habe ich 
Klagen darüber gehört, daß,Hämatogen so unappetitlich sei. 

Abgesehen von diesen Aeußerlichkeiten finden sich häufig 
Flaschen mit verdorbenem Inhalt unter den vielen Präparaten 
verschiedener Herkunft. Namentlich im Anbruch ist der Inhalt 
leicht dem Verderben ausgesetzt und bildet ein vorzügliches 
Substrat für die Bakterien der Luft. Koning hat durch seine 


Untersuchungen festgestellt, daß das Hämatogen selten keimfrei 
ist. Koning fand unter sieben Präparaten nur ein Hämatogen, 
welches wirklich frei von Organismen war. In einem Gramm 
wurden 36 000 bis 700 000 Mikroorganismen gefunden. Es ist 
daher dringend nötig, daß in unserer Zeit bei den vielen neu 
auftauchenden organotherapeutischen Mitteln auch der Biologe 
einmal seine warnende Stimme ertönen läßt. Alle diese er¬ 
wähnten innewohnenden und äußeren Mängel würden bei 
einem fachgemäß dargestellten und gereinigten, trockenen 
Hämatogen fortfallen. Ich habe nun verschiedene derartige 
Trockenpräparate untersucht und gefunden, daß diese sehr 
schwer, zum Teil unlöslich sind und eine braunrote Lösung 
ergeben, die darauf schließen läßt, daß das Hämoglobin teil¬ 
weise zersetzt ist. Denn man muß die Anforderung stellen, 
daß das Trockenpräparat sich leicht im Wasser löst und eine 
schöne weinrote Färbung von der Farbe des frischen arteriellen 
Blutes gibt. 

Durch den Gang der Fabrikation enthält das Hämatopan 
Serum- und Hämoglobineiweiß als leicht lösliches „natives“ 
Eiweiß. Wie durch einen Verdauungsversuch festgestellt ist, 
sind von dem Gesamteiweiß 96,41% verdaulich. Somit 
dürfte man das Hämatopan als ein völlig verdauliches Eiwei߬ 
präparat bezeichnen. Infolgedessen wird dieses Präparat im 
Darm sicher zur Aufsaugung gelangen. 

Besonders hervorzuheben ist noch der wertvolle Lezithin¬ 
gehalt von 1,20%. Das Lezithin ist die natürliche Glyzerin- 
Phosphor-Eiweiß verbin düng, der sogenannte natürliche — phy¬ 
siologische — Phosphor. 

Die experimentellen Forschungen haben ergeben, daß das 
Wachstum und die Vermehrung der Zellen, somit alles organi¬ 
sche Leben an die bioplastischen Vorgänge der Lezithine ge¬ 
bunden ist. Die Lezithine finden sich in jeder lebenden Zelle, 
sie bilden einen wichtigen Bestandteil der Nervensubstanz, des 
Gehirns und der Blutkörperchen. Daher ist Hämatopan durch 
seinen unveränderten natürlichen Lezithingehalt ein besonders 
geeignetes Kräftigungsmittel für das Gehirn und die Nerven. 
Hämatopan ist daher berufen als natürliches Heilmittel für 
Neurastheniker. Serno, Danilewski, Aries. Zuntz be¬ 
stätigen, daß kleine Mengen Lezithin ausgezeichnete Dienste 
für die Zellbildung und Zellmast leisten. Die Anwendung des 
Lezithins hat sich nach Angaben obiger Autoren bewährt bei 
erschöpften Greisen und durch jugendliche Exzesse herunter¬ 
gekommenen Personen, ebenso bei Neurasthenie, Tuberkulose. 
Rhachitis und Skrophulose. 

Eiweiß und Kohlehydrate müssen jedoch unbedingt im 
richtigen Verhältnis dem Körper gereicht werden, um dessen 
Verbrauch im Gleichgewicht zu halten. 

Prof. R. Kobert schreibt darüber in seiner Pharmako¬ 
therapie: „Fast alle Kohlehydrate haben außer ihrer nährenden 
Funktion im Darm auch noch eine antiseptische; sie vermin¬ 
dern nämlich die Eiweißfäulnis im Darmkanal, indem sie zum 
Teil in Milchsäure, Essigsäure, Buttersäure und andere organi¬ 
sche Säuren, welche den eiweißspaltenden Darmbakterien ent¬ 
gegenwirken, übergehen. Schon dieses einen Umstandes wegen 
ist es äußerst wünschenswert, daß unsere Nahrung immer eine 
aus Eiweißsubstanzen und relativ viel Kohlehydraten 
bestehende ist. Sobald wir die letzteren zugunsten der 
ersteren sehr vermindern, bekommen wir, wie der Laie sich 
ausdrückt, einen „verdorbenen Magen“ und „riechen aus dem 
Halse“, d. h. wir bilden im Darm stinkende Fäulnisprodukte 
der Eiweißstoffe, welche die Exspirationsluft übelriechend machen. 
Bei der Behandlung der Zuckerkranken hat man dieser 
äußerst wichtigen Tatsache häufig nicht genügend Rechnung 
getragen.“ 

In den letzten Jahren haben die Physiologen diesen 
Kohlehydraten, den Zuckerarten ein erhöhtes Interesse 
zugewandt. Denn in der eiweiß- und fettsparenden Kraft des 
Zuckers liegt eine hohe nationalökonomische und therapeutische 
Bedeutung. Prof. E. Stadelmann schreibt: „Ein Eßlöffel 
voll Malzextrakt entspricht dem Nährwert eines 
Eies!“ Malzextrakt findet hauptsächlich Verwendung bei 
fieberhaften Krankheiten, besonders bei Ikterus,- da hier die 
Zufuhr von Fetten abgeschnitten ist und die Kohlehydrate 


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TflEiAPttj^CfiE 




guten Ersatz leisten. Die Maltose, der Hauptbestandteil des 
Malzextraktes, wird besonders leicht und schnell resorbiert. 
Die verschiedenen Zuckerarten werden mit verschiedener 
Schnelle und in verschiedenen Mengen resorbiert. Bei Ver¬ 
suchen an Hunden fand Albertoni, daß im Laufe der ersten 
Stunde 100 g eingeführten Zuckers resorbiert wurden: von 
Glukose 60%, von Maltose und Rohrzucker 70 bis 80% und 
von Milchzucker nur 20 bis 40%. 

Früher nahm man nun an, daß die Kohlehydrate nur in 
der Weise wirksam seien, daß sie das Eiweiß und das aus ihm 
entstandene Glykogen sparten (Ersparnistheorie von Weiß, 
Wolfenberg u. a.). Dieser Ansicht gegenüber haben C. und 
E. Voit gezeigt, daß die Kohlehydrate „echte Glykogenbildner“ 
sind. Solche echte Glykogenbildner sind die drei gewöhn¬ 
lichen Mono- und Disaccharide. Der Milchzucker und der 
Rohrzucker gehen nach subkutaner Einverleibung fast voll¬ 
ständig in den Harn über, und sie müssen also behufs. Gly¬ 
kogenbildung vorerst im Darmkanal einer Inversion unterliegen. 
Von der Maltose, die auch im Blut gespalten wird, geht da¬ 
gegen nur wenig in den Harn über und sie kann, wie die 
Monosaccharide, selbst nach subkutaner Injektion für die Gly¬ 
kogenbildung verwertet werden. (Fr. Voit.) Gegenwärtig 
dürfte man wohl allgemein der Ansicht sein, daß das Gly¬ 
kogen sowohl aus Eiweiß wie aus Kohlehydraten entstehen 
kann. 

Das Hämatopan entspricht den beiden Hauptanforderungen, 
die an ein modernes Blutpräparat gestellt wurden. Hämatopan 
enthält natives, lösliches Eiweiß mit organisch gebundenem 
Eisen und lösliche Kohlehydrate im richtigen Verhältnis. Dem 
Arzt wird hiermit ein Präparat in die Hand gegeben für alle 
diejenigen Fälle, in denen er sich gezwungen sieht, durch Zu¬ 
fuhr leicht verdaulicher nahrhafter Stoffe das Allgemein¬ 
befinden zu heben, ohne dem Körper unnötigen Ballast zu¬ 
zuführen. 

Ich lasse hier nun einige Fälle folgen, die von mir im 
Laufe des Jahres 1907 mit Hämatopan behandelt worden sind. 

Fall U. Sängerin, 25 Jahr, Masern und Scharlach als Kind. Im 
Schlaf gesprochen, gewandelt. Seit dem 15. Jahre (infolge des Tanzens?)_ 
bleidisüchtig Herzklopfen seitdem. Menses regelmäßig, ohne molinima. 
Nervenschmerzen in den Armen und Beinen in späteren Jahren. Studierte 
Klavierspiel und Gesang. Appetit immer mäßig, wählerisch im Essen. 
Anfälle von Ucbelkeit und Erbrechen 1 bis 1V 2 Stunden dauernd. Stuhl 
angehalten Blutandrang nach dem Kopf. Kopfschmerzen stark und lauge 
dauernd. Angst vor größeren Menschenansammlungen. Seit einiger Zeit 
Erschlaffung der Kehlkopfmuskulatur. Weihnachten 06 Anfall von Gicht. 
Mit Halbbädern, Massage, Liegekur und Luftbädern behandelt, besserte 
sich das Befinden Das Körpergewicht stieg bei der allgemeinen Diät von 
51,5 kg am 10. V. 07 bis 58,0 am 30. V. Von da ab wurde zur Be¬ 
schleunigung der Körpergewichtszunahme Hämatopan 3mal tgl. ein Thee- 
Joiiel gegeben. Daraufhin nahm die Patientin in einer Woche 2 kg zu. 
Dienstag am 6. VI. 55,0 kg. Leider setzte in den nächsten Tagen eine 
langer dauernde Magenverstimmung nervöser Natur ein, welche den Appetit 
der" Patientin so stark reduzierte, daß sie in den nächsten acht Tagen 
wieder ein Pfund abnahm. Sie wurde dann am 15. VI. mit einem Gewicht 
von 54,5 kg (Gesamtzunahme 6 Pfund) im Allgemeinbefinden wesentlich 
gefiebert entlassen. Die Funktionen des Kehlkopfs waren nach dem Urteil 
eines Berliner Spezialisten, der sie schon vorher behandelt hatte und dem 
sie stich bald nach der Kur wieder vorstellte, vollständig in Ordnung. 

Fall L. Schülerin, 16 Jahre alt. Masern, Scharlach, Diphtherie als 
Kind. Mit 12 J. Pleuritis von über einem Monat, lange Rekonvaleszenz. 
Im März 06 Bronchitis, viel gehustet, eine Woche zu Bett, nachher Darm¬ 
entzündung. Oft Kopfschmerzen, bei körperlichen Anstrengungen leicht er¬ 
müdend. Befund: Hochgewachsenes, schmalbrüstiges, blaß aussehendes 
Mädchen. Die Körperorgane bieten keinen besonderen Befund. Atem- 
‘_reikusch laut, an manchen Stellen nicht ganz rein, Reste der überstandenen 
Pleuritis sind nicht festzustellen. Körpergewicht am 14. V. 43 kg. Die 
Behandlung bestand in Halbbädern, Massage, Liegekur, Luftbädern und 
Hämatopan. 6 Mahlzeiten ara Tage. Das Körpergewicht hob sich in der 
Zeit vom 14. V. bis 21. VI. um 6 kg. Dementsprechend besserte sieb das 
Allgemeinbefinden und das Aussehen bedeutend. Patientin wog bei der 
Entlassung am 22. VI. 49,0 kg. 

Fall K. 35 J. alt, Ehefrau. Erste Periode mit 11 Jahren. Im 14. 
Jahre Masern und schwere Ohrenentzündung. Mit 15 Jahren starke Bleich¬ 
sucht. Bei der Periode, die immer vorzeitig ein trat, sehr stark war und 
etwa acht Tage dauerte, hatte sie immer migräneartige Kopfschmerzen 
(ohne Erbrechen) und fühlte sich sehr matt. Pat. bekommt bei irgend¬ 
welchen Veränderungen in ihrer Umgebung leicht Herzklopfen. Schlaf 
und Appetit gut. Status: Kieme, schmächtig gebaute, magere, blasse Frau. 
Iunero Organe o. ß. Herztätigkeit regelmäßig, Töne rein. H. Ton akzen¬ 
tuiert, Puls 80 bis 90, scwach. Bei Herzklopfen stark beschleunigt und 
sehr klein, Sehnenreflexe gesteigert. Dia Behandlung bestand in elektri- 


schön und Fichtenti^blbäd», Liegekürfm aöff.eÄi 8' Tägetf 
allgemöiner Faradisation, 7 Mahlzeiten ara Tage, 3 mal einen 
Hämatopan. Das Körpergewicht stieg vom 6;XI. bis 9. XII. um 5 ö 
von 44 kg auf 49 kg. Das Allgemeinbefinden hob, sich wesentlich, die 
Menses traten nicht verfrüht auf, die Dauer derselben wurde, da sie noch 
stark waren, durch Styptol (Knoll) prompt und ohne Beschwerden ver¬ 
kürzt. Die sonst sehr starken Kopfschmerzen waren wesentlich geringer. 

Fall W. Schüler, 11 Jahre alt. Im ersten Jahre Mittelohreiterung 
und Operation, Heilung nach Jahr. Vor 3 Jahren Scharlach,- daran an¬ 
schließend Blutvergiftung und Nierenentzündung. Seit der Zeit Eiweiß 
im Urin. Befund: Blasser, mäßig genährter .Junge. Körperorgane o. B. 
Im Urin l / 2 % 0 Eiweiß (Esbach). Die Behandlung bestand in Halbdampf¬ 
bädern, Liegekur und laktovegetabilischer Diät mit wenig Fleisch, Körper¬ 
gewicht am 29. V. 30 kg, 3. VI. 32 0 kg, 7. VI. 32,0 kg, 12. VI. 33,0 kg, 
15. VI. 33,0 kg. Da das Körpergewicht nur langsame Fortschritte machte, 
bekam Patient in den letzten 8 Tagen seiner Kur Hämatopan in den üb¬ 
lichen Dosen und nahm in dieser Zeit dann noch 1 kg zu, so daß sein Gewicht 
am 22. VI. 34,0 kg betrug. Leider mußte die Kur aus äußeren Gründen 
abgebrochen werden. 1m Urin, der täglich untersucht wurde, waren zu¬ 
letzt nur noch minimale Spuren von Eiweiß vorhanden. 

Fall S. 13 J. alter Schüler. Vater lebt, früher lange an tuberkulöser 
Lungenaffektion gelitten, jetzt geheilt. Mutter der Mutter an Tb. gestorben. 
Patient batte als Kind Masern. Mit 5 J.ahren Lungen- und Rippenfell¬ 
entzündung. Litt viel an Mandelentzündungen and nervösen Zuckungen. 
Im Frühjahr 07 2mal Influenza, im Anschluß an die zweite Influenza 
katarrhalische Lungenentzündung. 5 bis 6 Tage hohes Fieber, lytischer 
Abfall. Status: Hochaufgeschossener, magerer Junge von phthisischem 
Habitus. Innere Organe ohne besonderen Befund. Puls 94. Atemgeräusch 
über beiden Lungenspitzen verdächtig. Perkutorisch o. B. Appetit 
schlecht, Stuhl angehalten. Die Behandlung bestand in Massage, Packun¬ 
gen, Liegekur, »Solbädern und Hämatopan. Gewicht am 19. VI. 41,0 kg.. 
Im Verlauf der sechswöchigen Kur nahm Patient 6 Pfund zu und am 
wurde 3. VIII, mit einem Körpergewicht von 44,0 kg gebessert entlassen. 

Fall A. 31 Jahre alt, Postbeamter. Als Kind Diphtheritis. Anzeichen 
nervöser Disposition. Mit 24 Jahren Nierenentzündung. Zeitweilig viel 
getrunken. Im vorigen Jahre Influenza, im Urin Eiweiß festgestellt, von 
seiten der Niere keine Beschwerden. Stärkere Nervosität seit 1903. Bei 
der Arbeit zur Sekretärprüfung brach er zusammen, war morgens matt, 
konnte nicht auf den Beinen stehen, mußte längeren Urlaub nehmen. 
Status; Mittelgroßer, mäßig genährter, blaß aussehender Mann mit schlaffer 
Muskulatur und müdem, deprimiertem Gesichtsausdruck. Sehnen- und 
Hautreflexe gesteigert. Tremor der Hände, keine Druckpunkte. Innere 
Organe o. B. Im Urin Spuren von. Eiweiß. Befund über den Lungen¬ 
spitzen nicht eindeutig, bei einer früheren Untersuchung wurde von 
einem Arzte der Verdacht einer Lungenspitzenaffektion ausgesprochen. Die 
Behandlung bestand in Massage, Abreibungen, Packungen, Diät, Liegekur 
und Hämatopan. Patient erholte sich sehr langsam, nahm aber in der Zeit 
vom 14. II. bis 29. IV. im ganzen 11 Pfund zu. Das Allgemeinbefinden 
hatte sich schließlich in dem Maße gehoben, daß Patient seinen Dienst 
wieder aufnehmen konnte und mit kurzen Unterbrechungen auch heute noch 
tut. Die Besserung seines Befindens hat nach der Kur noch weitere Fort¬ 
schritte gemacht. 

Die angeführten Fälle lassen darauf schließen, daß das 
Hämatopan die anregenden Wirkungen eines Fleischsaftes und 
die ernährenden Eigenschaften des Fleischeiweißes besitzt. Die 
anregende Wirkung dürfte, wie oben gesagt, auf den Gehalt 
an Oxydasen, Blutsalzen und Lezithin zurückzuführen sein. 
Die ernährende Wirkung findet eine Erklärung darin, daß das 
in dem Hämatopan enthaltene Hämoglobin- und Serumeiweiß 
sehr leicht verdaulich ist und gut ansgenutzt wird; es steht 
dem Fleischeiweiß sehr nahe und ist physiologisch damit iden¬ 
tisch. Blut könnte man demnach als flüssiges Fleisch bezeichnen. 
Jedenfalls ist das Hämatopan als Nährpräparat und zugleich 
als Blutbildner den Fleischsäften mit sogenannten „purem“" 
Fleischeiweiß vorzuziehen, denn, wie nachgewiesen ist, ent¬ 
halten diese künstlich zugesetztes Eiweiß von zweifelhafter 
Reinheit und Herkunft. Daß es imstande ist, das Körperge¬ 
wicht zu steigern, zeigt der Fall G., welcher nach Hämatopan 
bei sonst gleichbleibender Kost in einer Woche vier Pfund 
zunahm, während er vorher nur etwa wöchentlich ein Pfund 
zugenommen hatte. Aehnlich verhält sich der Fall W., der 
nach zweiwöchigem Stillstand des Körpergewichts nach einer 
Hämatopanwoche noch zwei Pfund zunahm. Ein eklatanter 
Einfluß auf das Allgemeinbefinden war in fast allen Fällen fest¬ 
zustellen, besonders aber in den Fällen K., A., L. und G. 

Da das Präparat billig ist, 100 g kosten M. 1,80, sein Ge¬ 
schmack angenehm und die Anwendungsweise sehr bequem, so 
wird es sich wohl bald unter den bevorzugteren Mitteln einen 
Platz erobern. 


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Puerperalfieber. 

Sammelreferat von Frauenarzt Dr. Otfried Fellner, Wien. 

Nach Mansfeld enthält der Uterus fieberfreier Wöchnerin¬ 
nen am vierten und. fünften Tag des Wochenbetts in 60% Keime 
und in 22 l [ 2 °/o Streptokokken. Die Fälle mit keimhaltigen Lochien 
unterscheiden sich durch nichts von den sterilen Fällen. Die 
Zahl der inneren Untersuchungen, die Dauer der Geburt, die 
Art und Dauer der Nachgeburtsperiode erklären nicht die An¬ 
oder Abwesenheit der Keime. Das Strichpräparat gibt bei 
fieberfreien Fällen keine Auskunft über den reinen Gehalt des 
Uterus, resp. heißt es noch nicht steril, wenn im Strichpräparat 
nichts zu sehen ist, da eben bei fieberfreien Fällen die Zahl 
der Keime außerordentlich klein zu sein scheint, und es häufig 
vorkommt, daß die Keime erst in der Kultur bemerkbar werden. 
Die Sekretentnahme aus dem Uterus scheint ungefährlich, aber 
nicht ganz indifferent für die Wöchnerin. Bei extragenitalem 
Fieber sind die Lochien steril. In allen Fällen von Puerperal¬ 
fieber äußerte sich die große Zahl der Keime schon dadurch, 
daß das Strichpräparat reichlich Keime enthielt und in keinem 
Falle steril war. Die leichten Fälle und jene, welche in bezug 
auf die Endometritis leichte waren, zeigten Mischinfektionen 
von Streptokokken und Stäbchen. Die schweren Fälle von 
Puerperalfieber enthielten Streptokokken in Reinkultur. 

Nach Jung sind die bei der inneren Untersuchung der 
Reihe nach zu berücksichtigenden Punkte folgende: Ver¬ 
letzungen und Geschwüre der Scheide, tiefere Einrisse in die 
Zervix und in deren Umgebung, tastbare Infiltrate des Becken¬ 
bindegewebes, Durchgängigkeit des inneren Muttermundes. Ist 
er geschlossen, so besteht meist Lochiometra, deren Entleerung 
oft in kürzester Zeit das Fieber zum Abfall bringt, wenn man 
durch Anregung von Uteruskontraktionen ihre Wiederentstehung 
verhindert. Inhalt der Uterushöhle: Eihaut und Plazentarreste, 
die bis in die Vagina hineinhängen, Abtastung der Umgebung 
des Uterus. Ist in der Privatpraxis die Untersuchung der 
Lochien auf Bakterien unmöglich, so tut man gut, für sich 
selbst den Fall der Sepsis, also den schwersten Fall, anzu¬ 
nehmen und danach seine Therapie einzurichten. Die ganze 
Therapie besteht in einer vernünftigen, auf Hebung und Er¬ 
haltung der Widerstandsfähigkeit der Kranken hinzielenden 
Allgemeinbehandlung und Pflege. Serumtherapie ist indiziert 
bei allen vom Uterus ausgehenden septischen Streptokokken- 
Allgemeininfektionen, bei denen wir eine Lokalisation außer¬ 
halb des Uterus nicht nach weisen können. Kontraindiziert ist 
sie, wo schon eine bestimmt nachweisbare Lokalisation außer¬ 
halb des Uterus stattgefunden hat. Wenig günstig lauten die 
Erfolge mit Collargol, günstig mit Antipyrin (viermal pro die). 
Von der operativen Entfernung des Uterus und der Unter¬ 
bindung der Venen hält J. nicht viel. 

Ueber Verhütung des Puerperalfiebers und den Erfolg der 
Behandlung mit dem Aronsohnsehen Antistreptokokkenserum 
berichtet A. Mayer. Lokal war öfters die Injektionsstelle 
etwas infiltriert und schmerzhaft. Für die eingetretenen Todes¬ 
fälle konnte das Serum nicht angeschuldigt werden. Fünfmal 
kam Exanthem vor. M. vermochte keinen Nutzen des Serums 
nachzuweisen. Gerade bei den erwiesenen Streptokokkeninfektio¬ 
nen kam es zu den höchsten und am längsten dauernden Tem¬ 
peratursteigerungen. Der Rückgang der Erscheinungen ließ 
sich ungezwungen auch ohne Serum erklären. 

Das Serum von Gabritschewsky verwandte G.Bohn- 
s t e d t. Er spritzte 50 ccm unter die Haut der vorderen Brust¬ 
fläche ein. Vor der Serumbehandlung wurde eine besondere 
Beachtung der Herztätigkeit geschenkt, und gewöhnlich ver- 
ordnete G. Digitalis. Die lokale Therapie wurde bei ent¬ 
sprechender Indikation sowohl vor wie nach der Serumein- 
spritzung angewandt. In allen Fällen wurde nach der Ein¬ 
spritzung ein Ansteigen der Harnmenge beobachtet. Die 


Wirkung auf die Blutbeschaffenheit äußert sich in einem be¬ 
ständigen Wachsen der Leukozytenzahl und im Fallen der 
Anzahl der roten Blutkörperchen. In keinem einzigen Fall 
hat die Injektion einen Schaden gestiftet. In den meisten Fällen, 
bei frühzeitiger Anwendung, wird sie guten Erfolg haben. 

Einen Fall von puerperaler Sepsis, Ligatur der rechten Vena 
spermatika, beschreibt A. A. Leusdon. Eine 84jährige Zweit¬ 
gebärende, welche normal entbunden hatte, erkrankte nach 
zwei Tagen unter Schüttelfrösten mit hohem Fieber. Am 
vierten und fünften Tage wurden Uterusspülungen vorgenom¬ 
men, doch blieben die Lochien übelriechend. Am 13. Tage 
setzte abermals ein Schüttelfrost ein, und da fühlte man rechts 
von der Zervix schmerzhafte Stränge. L. eröffnete die Bauch¬ 
höhle von der Vagina aus und fand die Venen im rechten 
Ligament thrombosiert. Darauf führte er den Bauchschnitt 
aus und unterband die Vasa spermatika, dränierte den Douglas, 
worauf Heilung eintrat. 

Friedmann räumte einen fieberhaften Abortus in der 
Narkose aus. Es setzte pyämisches Fieber mit Schüttelfrösten 
ein, und dieses dauerte durch acht Tage an. F. führte die 
Ligatur der Beckenvenen mitten im thrombosierten Herd aus, 
und es trat Heilung ein. 

Die alleinige transperitoneale Unterbindung der Spermatikal- 
venen bei puerperaler Prämie ist nach Berkofsky hinsicht¬ 
lich der Chokwirkung und Gefahr der peritonealen Infektion 
ein nahezu ungefährlicher Eingriff. 

Die Ligierung der Venen bei puerperaler Prämie ist nach 
Seitz ein wenig gefährlicher Eingriff. Von 37 Fällen ist kein 
einziger dem operativen Eingriff selbst erlegen. Die operierten 
Fälle waren ausnahmslos schwere und schwerste Pyämien. 38% 
Heilung, während sonst die Genesungsziffer bei solchen Fällen 
33% nicht übersteigt. (Kein besonderer Effekt. D. Ref.) Am 
besten reagieren chronische Fälle. Von 24 Fällen sind 45% 
geheilt worden. Die besten Resultate hat bisher die Köliutomie 
ergeben. 24 Fälle mit 45% Heilung. Es ist daher die Kolio- 
tomie dem extraperitonealen Verfahren, durch das nur 28% 
geheilt werden, vorzuziehen. Es können alle vier Venen ligiert 
werden, nur bei ausgesprochener einseitiger Erkrankung kann 
man sich mit der Unterbindung der einen Seite begnügen, 
muß dabei jedoch, auch wenn das hypogastrische Gebiet frei 
zu sein scheint, stets auch dieses Gefäß unterbinden. Läßt 
sich eine Vena iliaka media feststellen, muß auch diese ligiert 
werden. Die'Resektion der Venen ist auf jene Fälle einzu¬ 
schränken, bei denen ein Eiterdurchbruch droht. Die Resektion 
soll zur Vermeidung einer Peritonitis mit dem Paquelin ror- 
genommen werden. Ueber die Ausräumung der Thromben auf 
vaginalem Wege muß erst weitere Erfahrung gesammelt werden. 
Zur Operation geeignet sind die schweren Fälle, die rein thrombo- 
phlebitischen Formen des Puerperalfiebers, und zwar am besten 
im subakuten Stadium. Ein allzu langes Warten erhöht die 
Wahrscheinlichkeit der Karathrombose und der Anwesenheit 
ausgedehnter Metastasen. Leichtere Lungenerscheinungen sind 
keine Gegenanzeige. Fälle mit Lungenabszessen, septischer 
Pneumonie und schweren Herzdegenerationen sind auszuschließen. 
Die abdominelle V enenligierung ist eine berechtigte Operation 
und bei richtiger Auswahl der Fälle und des Zeitpunktes ge¬ 
eignet, die Mortalität der schweren Fälle puerperaler Pyämie 
herabzusetzen. 

Literatur 

1. 0. B. Mansfeld, Ueber den Wert der puerperalen Bakteriologie Arch- 
f. Gynäk., 83. Bd , 3. Heft. 

2. Jung-, Behandlung- der puerperalen Infektion Med. Klin., 42, 07. 

3. A. Mayer, Behandlung des Puerperalfiebers mit dem Aronsohnsehen 
Antistreptokokkenserum. Beitr. z. Geburtshilfe. 12. Bd. 

4. G. Bohnstedt, Serumbehandlung der puerperalen Sepsis. Petersburg, 
med. Wochenschr., 5. 2. 07. 

5. A. A. Leusdon, Fall von puerperaler Sepsis. Austral, med. Gaz., 
März 07. 

6. G. Friedmann, Ein Fall von puerperaler Pyämie geheilt durch Unter¬ 
bindung der Beckenvenen. Zentralbl. f. Gynäk, 23, 08. 

7. Berkofsky, Transperitoneale Unterbindung der Spermatikalvonen hei 
puerperaler Pyämie. Deutsche med. Wochensehr., 17, OS. 

8. L. Seitz, Oporative Behandlung der puerperalen Pyämie. Volkmanik> 
Sammlung klin. Vorträge, 464. 


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THERAPEUTISCHE. RUNDSCHAU. 


Radiotherapie. 

Referent: Dr. H. E. Schmidt, früher Oberarzt am Konigl. 

Universitäts-Institut für Lichtbehandlung, Berlin. 

1. Die dermatotherapeutische Verwertung der statischen 
Elektrizität nach Suchier. Von Prof. Jesionek. Münch, med. 
Wochenschr., 1908, Nr. 24, 16. Juni (Schluß folgt). 

2. Pathologie und Therapie des Röntgenulkus. Von Prof. 
Pr. v. Krzy stalowicz. Zeitschr. f. neuere physikal. Therapie, 
1908, Nr. 12. 

3. Neue Hochfrequenzapparate (nach Dr. Keating-Hart;). 

Von Friedrich Dessauer. Medizin. Klinik, 1908, Nr. 24. 

1. Jesionek schildert das Instrumentarium, insbesondere 
eine neue nach der Angabe Suchiers hergestellte Influenz¬ 
maschine zur Anwendung der statischen Elektrizität in der Dermato- 
therapie. Als negative Elektrode dient eine Metallplatte, welche 
am Vorderarm angeschnallt oder auch vom Patienten in die Hand 
genommen wü’d, als positive Elektrode eine Metallspitze, von 
welcher die auf die erkrankte Hautpartie einwirkenden elektri¬ 
schen Entladungen ausgehen; diese sind verschiedener Natur, 
je nach der Entfernung; bei größerer Entfernung sieht man von 
der Metallspitze eine büschelförmige blauviolette Lichterscheinung 
ausgehen, bei Annäherung an die Haut treten dann blitzartige 
Entladungen auf; die Blitze sind um so dichter und massiger, je 
näher sich die Metallspitze der Haut befindet. 

Die erste Art der Anwendung, über die nähere Angaben be¬ 
treffs der Indikationen und der Reaktionen von seiten der Haut 
fehlen, bezeichnet der Verfasser als Lumination, die zweite 
Art, die „Beblitzung“ aus der Nähe, als Szintillation. 

Letztere bat eine mechanische Zertrümmerung, eine Zer¬ 
störung und Verschorfung normaler oder pathologischer (Lupus, 
Kankroid) Gewebe zur Folge und dürfte sich in ihrer Wirkungs¬ 
weise nicht wesentlich von derjenigen der Hochfrequenzfunken 
(Strebei, Keating-Hart) unterscheiden. 

Der Szintillation geht die Freilegung des Krankheits¬ 
herdes durch die Auskratzung mit dem scharfen Löffel in Narkose 
oder unter lokaler Anästhesie in der Regel voran. Unmittelbar 
daran schließt sich dann die Behandlung mit den Funken, die 
zuerst 1 bis 2 mm Länge haben sollen und dann allmählich auf 
1 bis 1 Vs cm Länge durch Entfernung der Elektrode von dem 
Krankheitsherde vergrößert werden. 

2. Ausgezeichnetes Sammelreferat über Pathologie und Therapie 
des Röntgenulkus, das in ausführlichster Weise die bisher über 
das Thema vorliegende Literatur zusammenstellt; im übrigen — 
nil novi. 

3. Beschreibung und Abbildung eines von den Veifawerken 
hergestellten Instrumentariums zur Fulguration nach de Keating- 
Hart. Trausformator, Kapazität, Selbstinduktion, Funkenstrecke, 
Resonator und der ganze Schaltmechanismus sind derartig in 
einen fahrbaren Tisch montiert, daß nur ein an dem Apparate 
befestigter Steckkontakt mit einer vorhandenen Stromquelle ver¬ 
bunden werden muß, um die ganze Einrichtung betriebsfähig zu 
haben. Für diejenigen Kollegen, welche einen Funkeninduktor 
besitzen und „fulgurieren“ wollen, möchte Referent darauf hin- 
weisen, daß für diese Zwecke der gewöhnliche, sehr leistungsfähige 
Hochfrequenzapparat, wie ihn die Elektrizitätsgesellschaft „Sanitas“ 
(Berlin) liefert, vollkommen ausreicht. 


Lungenkrankheiten. 

Referent: Dr. Ernst Meyer, Charlottenburg, Assistent an 
der Kgl. Universitätspoliklinik für Lungenleidende zu Berlin. 

1. Die Hetolbehandlung von Tuberkulose. Von R. Wei߬ 
mann. Berl. Klinik, 1908, H. 240. 

2 . Die Heilung der chronischen Bronchitis durch Atmungs¬ 
gymnastik. Von H. E. Knopf, Berl. klin. Wochenschr., 1908, 
Nr. 25, S. 1185. 

3 . Der Einfluß der deutschen Meere (Ost- und Nordsee) 
auf die Tuberkulose der oberen Luftwege. Von A. Hennig. 
Wiener klin. Wochenschr., 1908, Nr. 25, S. 910. 


4. Der Heilwert der Ostsee. Von Lange, Ma^gnTie’s;^ 
Röchling. Zeitschr. f. Balneol., Klimatol. u, Kurorthygiene, 
1908, Nr. 3. - 

1. Weißmann hat noch viele Versuche bei.Tuberkulösen 
mit Hetolinjektionen nach Länderers Methode gemacht und 
hatte nach seiner Angabe bei den Lungenerkrankungen ersten 
und zweiten Grades recht gute Erfolge, während bei den Erkran¬ 
kungen dritten Grades die Erfolge naturgemäß viel ungünstigere 
waren. Bei den sogen, larvierten Tuberkulosen hatte er 100% 
Dauererfolge. Auch bei Skrofulöse und Drüsentuberkulose ist .die 
Hetoltherapie von großem Vorteil. Sehr günstig waren die Er¬ 
folge bei Kehlkopftuberkulose, wo nur 20% Mißerfolge zu ver¬ 
zeichnen waren. — Bei Fällen von Mischinfektion empfiehlt Verf. 
eine kombinierte Behandlung von Hetol und Kollargol. — Zur 
Bekämpfung der durch Hetolinjektionen zuweilen eintretenden 
Herzschwäche wandte Weißmann Prävalidin und Meffertsche 
Packungen an. — Zur Unterstützung der Hetolbehandlung dient 
die Freiluftkur sowie geeignete Ernährung, besonders viel Vege- 
tabilien, wobei Verf. immer durch Bitterwasser, Purgen etc. für 
gute Entleerung sorgte. 

2. Verf. hatte eine große Anzahl' von Asthmatikern mit 
Atmungsgymnastik mit gutem Erfolge behandelt. Er wandte 
dieselbe Methode auch zur Behandlung der chronischen Bronchitis 
an, wobei er besonderen Wert darauf legte, daß die Patienten“ 
zuerst in richtiger Weise tief atmen lernten. Er stellte hierbei 
die Patienten vor einen Spiegel, damit sie stets ihre Atem¬ 
bewegungen selbst beobachten konnten. Wichtig ist bei der Be¬ 
handlung eine möglichst verlängerte Exspiration. — In den meisten 
Fällen war der Erfolg der Behandlung ein guter. Von ungün¬ 
stigen Nebenwirkungen wurden nur in den ersten Tagen zuweilen 
leichte Schwindelanfälle beobachtet, die bald verschwanden. Da¬ 
gegen wurde eine Zahl günstiger Nebenwirkungen beobachtet, wie 
Besserung der oft bestehenden Chlorose, des Schlafs, Appetits etc. 
etc. — Während alle medikamentösen Expektorantien mehr oder 
weniger ungünstige Nebenwirkungen haben, kann man die metho¬ 
disch eingeübte Vertiefung als das sicherste und einzige ganz un¬ 
schädliche Expektorans bezeichnen. 

3. Mit großer Entschiedenheit tritt Hennig dafür ein, 
Tuberkulöse nicht in südliche Klimata zu schicken, sondern in 
Hinblick auf die äußerst günstigen Erfolge des Seeklimas der 
Ost- und Nordsee auf die Tuberkulose der oberen Luftwege und 
der Lungen, besonders in den Anfangsstadien, die Patienten an 
unsere heimischen Küsten zu schicken. Besonders günstig seien 
die Erfolge bei Tuberkulösen auf anämisch - chlorotischer Grund¬ 
lage, infolge allgemeiner Körper schwäche, sowie im Anschluß an 
Skrofulöse, Rhachitis und Infektionskrankheiten. Man solle für 
zarte und schwächliche Patienten die Ostsee wegen der wind¬ 
geschützten Lage bevorzugen, während die Nordseeinseln sich 
mehr für kräftigere Naturen eignen. Entgegen der noch vielfach 
herrschenden Ansicht, daß für Klimakuren an der See nur die 
Sommermonate geeignet seien, betont Hennig ausdrücklich, daß 
auch in den andern Jahreszeiten gleich gute Erfolge erzielt 
würden. Es sei sehr zweckmäßig, mit der klimatischen Kur 
andere Behandlungsmethoden, wie medikamentöse, diätetische, 
Inhalationen etc., zu verbinden. Dringend befürwortet Verfasser 
ferner noch die Einrichtung von Sanatorien und Lungenheilstätten 
an den deutschen Küsten, die viel geeigneter seien als Anstalten 
im Süden etc. — Für einen großen Teil der Patienten genüge 
der Aufenthalt in den Seekurorten, dagegen müsse unbedingt ge¬ 
fordert werden, daß die Bazillenträger aus den offenen Kurorten 
ausgeschlossen und nur in geschlossenen Anstalten untergebracht 
würden. Sei die Tuberkulose der Lungen und der oberen Luft¬ 
wege schon weit vorgeschritten, so sei dies unbedingt eine Kontra¬ 
indikation für den Aufenthalt an der See. 

4. Auch Lange, Margulies und Röchling heben den 
günstigen Einfluß des Seeklimas bei verschiedenen Krankheiten, 
besonders der Lunge und Atmungsorgane, hervor; sie geben jedoch 
wegen der geschützten Lage den Ostseekurorten den Vorzug vor 
denen an bezw. in der Nordsee gelegenen. 


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Chirurgie. 

Referent: Spezialarzt Dr. Heinrich Landau, Berlin. 

1. Paraffinprothesen in der Fußsohle. Von Karl Gütig. 
Wiener med. Woohenschr., 1908, Nr. 17. 

2. Heber die Einwirkung des Sauerstoffs auf Wunden und 
Infektionen. Von Burckhardt. Deutsche Zeitschr. f. Chir., 
Bd. 93, Heft 2. 

3. Zur Diagnose der Knochenechinokokken. Von Ritter. 
Ibidem. 

4. Ueber therapeutische Verwendung des Sonnenlichts in 
der Chirurgie. Von Karl Haeberlin. Wiener klin. Rundsch., 
1908, Nr. 22. 

5. Die Vorbereitung der Kranken zur Laparotomie. Von 
Max Schwab. Mediz. Klinik, 1908, Nr. 23. 

1. Bei einer Frau mittleren Alters traten beim Gehen unter 
der Sohlenhaut der Ferse heftige Schmerzen auf wie beim Treten 
auf eine Spitze. Das Röntgenbild zeigte eine dem Fersenbein 
vorne unten spornartig aufsitzende Verknöcherung am Ansatz 
der Plantar-Aponeurose. Es wurde eine Paraffineinspritzung unter 
die Sohlenhaut gemacht, um die Haut wie durch eine Schutzplatte 
vor dem Druck der knöchernen Spitze zu schützen. In der Tat 
verschwanden die Schmerzen nach einiger Zeit; die Frau wurde 
ganz beschwerdefrei. Auf einem kurz nach der Einspritzung auf¬ 
genommenen Röntgenbild sieht man das (durch Jodoformzusatz 
schattengebende) Paraffin an der gewünschten Stelle liegen. — 
Derartige Knochendome werden sonst auch mit gutem Erfolg 
von einem seitlichen Schnitt aus entfernt. 

2. Als Ergebnis eingehender Versuche über Einwirkung von 
Sauerstoff auf Wunden und Infektionen stellt Burckhärdt fest, daß 
durch die Berührung mit reinem Sauerstoff auf Wunden eine starke 
Gefäßinjektion hervorgerufen und die Granulationsbildung befördert 
wird; in der Bauchhöhle entsteht ziemlich bedeutende Hyperleuko¬ 
zytose unter Verlangsamung der Resorption. Die Wachstums¬ 
hemmung fakultativ aerober Bakterien, die im Reagenzglas ziem¬ 
lich erheblich war, konnte im Tierkörper kaum nachgewiesen 
werden. Mit diesen negativen Ergebnissen stehen die 
praktisch guten Erfolge der Sauerstoffanwendung nicht im Ein¬ 
klang; das „Sauerstoffwasser“ (H 2 0 2 ), das nicht nur durch die 
mechanisch reinigende Schaumbildung, sondern auch chemisch 
wirkt, ist ein vorzügliches Wundmittel, und die heilende Wirkung 
der Sauerstofffüllung auf kranke, besonders tuberkulöse Blasen 
steht außer Zweifel. 

3. An zwei Fällen von Knochenechinokokken, im Femur und 
an der Klavikula, konnte Ritter nachweisen, daß Knochenechino¬ 
kokken durchaus nicht für Röntgenstrahlen undurchgängig sind, 
wie man bisher annahm; man sieht vielmehr „in höchst charakte¬ 
ristischer Weise zahllose große und kleine runde Hohlräume vor, 
dicht neben- und hintereinander gereiht liegen, nur von zarten 
Knochenlamellen getrennt. Dazu kommt eine außerordentlich 
dünne Kortikaiis, das Fehlen der Markhöhle und ganz geringe 
oder sogar gar nicht vorhandene Reaktion von seiten des Periosts“. 
Gerade diese fehlende Periostwucherung und Knochenauftreibung 
ist gegenüber chronisch-entzündlichen Knochenerkrankungen sowie 
Knochentumoren, mit denen der Echinokokkus verwechselt werden 
kann, ,als entscheidendes Merkmal von größter Bedeutung. 

4. Fisteln, eiternde und granulierende Wunden heilen unter 
der Einwirkung der Sonnenstrahlen schneller als unter der bisher 
üblichen Behandlung. Die Erfolge, die in den Alpen (Samaden, 
Leysin) mit der Sonnenbehandlung erreicht worden sind, können 
auch bei uns erzielt werden. 

5. Bei der Vorbereitung der Kranken zur Laparotomie — 
wie zu jeder größeren Operation — soll auf das seelische Befinden 
mehr Rücksicht genommen werden. Schlaflosigkeit ist durch 
Veronal zu bekämpfen und grundsätzlich Digitalis einige Tage 
vorher zu geben. Zur Desinfektion bevorzugt Schwab das Jod¬ 
benzinverfahren, weil es für den Kranken am wenigsten Unzuträg¬ 
lichkeiten (lange Dauer, Abkühlung) mit sich bringt. 


Kriegschirurgie. 

Referent: Dr. M. Peltzer, Generaloberarzt a. D. in Steglitz. 

Heber die Behandlung der Gefäßverletzungen im Kriege. 

Von Dr. Leo Bornhaupt. St. Petersburger med. Wochensehr., 
1908, Nr. 19. 

Die Behandlung der Gefäßschußverletzungen im Kriege, 
besonders auf dem Schlachtfelde, ist eine der wichtigsten und 
schwierigsten kriegschirurgischen Fragen, die es gibt. Hierüber 
hat B. auf Grund seines im letzten russisch-japanischen Kriege in 
dem Lazarett des roten Kreuzes in Charbin gesammelten Materials 
auf dem estländischen Aerztetag in Reval im Novbr. v. Js. einen 
Vortrag gehalten, in dem er die Ansicht vertritt, daß diejenigen 
Gefäßschußverletzungen, die keine profuse Blutung aus der Schu߬ 
wunde zur Folge haben, keinen operativen Eingriff auf dem 
Schlachtfelde erfordern. Die Folgen des modernen kleinen 
Kalibers seien eben: ein enger Schußkanal, in dem sich schnell 
Wandverklebungen bilden, seltenes Steckenbleiben der Kugel und 
dadurch geringere Wahrscheinlichkeit der Infektion, weshalb weiter¬ 
hin ein großer Teil der Verwundungen überhaupt spontan zur 
Heilung per primam neige. Dasselbe wie für die Gefäßverlet¬ 
zungen ohne profuse Blutung gelte für solche Fälle, wo eine 
kleine Ein- und Ausschußwunde und kein ausgedehnter Bluterguß 
in die Weichteile, keine Fraktur eines benachbarten Knochens, 
keine kommunizierende Verletzung eines benachbarten inneren 
Organs und kein Steckenbleiben der Kugel usw., also keine Kom¬ 
plikation vorliegt. Von dieser Gruppe der unkomplizierten Gefä߬ 
schußverletzungen, die übrigens im Vergleich zu den komplizierten 
und den durch Verblutung unmittelbar zum Tode führenden die 
größere sei, könnten also die Verbandplätze um so mehr entlastet 
werden, als die Unterbindung auf dem Schlachtfelde technisch 
gelegentlich doch recht schwierig sein könne, ganz abgesehen da¬ 
von, daß die Asepsis nicht immer zu beobachten ist. In zweifel¬ 
haften Fällen seien immobilisierende Transportverbände anzulegen. 
Die Frühoperation sei nur in einem verhältnismäßig kleinen Prozent¬ 
satz der Fälle angezeigt. Diese herauszufinden und von denen 
zu unterscheiden, in welchen eine Infektion, Nachblutung oder 
gar Gangrän zu befürchten, mit anderen Worten, die Operation 
indiziert ist, sei eben die Aufgabe und die Kunst des geübten 
Kriegschirurgen. 

Das Material, auf welches B. diese seine Ansicht stützt, und 
welches er auch seiner im 77. Bande, Heft 3 von Langenbecks 
Archiv, für klinische Chirurgie veröffentlichten Arbeit zugrunde 
legt, bezieht sich vorwiegend auf durch kleinkalibrige Mantelge¬ 
schosse zustande gekommene Gefäßschußverletzungen, die ohne 
Komplikation heilten. Im ganzen sind in Charbin 25 Fälle von 
Gefäßschußverletzungen behandelt worden, vou denen B. 22 an 
eben genannter Stelle veröffentlicht hat. Die Gefäßschüsse mit 
Komplikationen haben natürlich in erster Linie diejenigen Aerzte 
zu Gesicht bekommen, die auf dem Schlachtfelde selbst oder in 
seiner Nähe tätig waren, während in den weiter hinten gelegenen 
Lazaretten hauptsächlich nur solche Gefäß Verletzungen zur Behand¬ 
lung und Beobachtung kamen, die bei einer ausgeheilten Schu߬ 
wunde zur Bildung eines Aneurysma geführt hatten. Die Fälle 
selbst und die an ihnen vorgenommenen Operationen usw. können 
hier nicht besprochen werden, erwähnt sei nur noch, daß B. in 
seinen Schlußfolgerungen sich auch auf die Arbeiten von Brentano 
(Archiv f. klin. Chir., Bd. 80, H. 2), Kikuzi (Beiträge z. klin. 
Chir., Bd. 50, H. 1) und Saigo (Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 85) 
bezieht, in denen im ganzen über 128 einschlägige Fälle be¬ 
richtet ist. Anderer Ansicht ist Zoege von Manteuffel, der, 
wie B. selbst sagt, in seiner im Archiv f. klin. Chir., Bd. 87, ver¬ 
öffentlichten Arbeit B.s und Brentanos Forderung „aufs ener¬ 
gischste und entschiedenste zurückweist“, indem er den Satz auf¬ 
stellt: „Die Gefäß Verletzungen sind auf dem Hauptverbandplatz 
resp. in den ersten in einigen Stunden zu erreichenden (Etappen-) 
Lazaretten zu operieren, d. h. doppelt zu unterbinden.“ Grund; 
drohende Infektion, Nachblutung bezw. Gangrän. Einen ähnlichen 
Standpunkt n i mm t v. Oettingen ein (Studien auf dem Gebiete 
des Kriegssanitätswesens im russisch-japanischen Kriege, 1907). 
Die Berechtigung der M.schen Forderung für Gefäßschußverlet¬ 
zungen mit Komplikation gibt B. ohne weiteres zu, für die ohne 
Komplikation bleibt er bei seiner Ansicht. 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


446 


Nr. 28 


Es wird wohl noch weiterer Erfahrungen und Beobachtung 
bedürfen, ehe man zu einem abschließenden Resultat im Sinne 
B.s kommt. Wir selbst möchten jedenfalls vorläufig die Verant¬ 
wortung, eine Gefäß Verletzung unversorgt zu lassen, noch nicht 
übernehmen und würden, wo angängig, unterbinden. Wenn B. 
im übrigen meint, daß auf dem Hauptverbandplatz nur die un¬ 
bedingt nötigen Operationen statthaft seien, so ist dem bei uns 
bereits durch die ältere Kriegssanitätsordnung vom 10. Jan. 1878 
Rechnung getragen. 


Soziale Medizin. 

Referent: Dr. M. Peltzer, Generaloberarzt a. D. in Steglitz. 

Eine Organisation für die Desinfektion am Krankenbette. 

Von Dr. Theodor P1 a u t - Frankfurt a. M. Med. Reform, 1908, 

Nr. 25, S. 273. 

In Berücksichtigung des Umstandes, daß es allgemein 
einer Familie, in der ein ansteckender Krankheitsfall vorkommt, 
oft schwer fällt, neben der Sorge für diesen auch noch die für 
eine sachgemäße Isolierung imd Desinfektion zu übernehmen, ganz 
abgesehen davon, daß sie häufig noch nicht einmal weiß, was 
überhaupt zu geschehen hat, hat infolge einer Anregung des 
Kreisarztes Dr. E. F r o m m - Frankfurt a. M. der Frankfurter 
Verein für Hygiene (Ortsgruppe des Deutschen Vereins für Volks- 
l^giene) unter Leitung seines Vorsitzenden Prof. Dr. M. Neißer 
eine Einrichtung geschaffen, an der sich zu beteiligen Dr. Plaut 
Gelegenheit hatte und die nachgeahmt zu werden verdient. Sie be¬ 
steht darin, daß eine zu diesem Zweck besonders ausgebildete 
Schwester die Angehörigen des Erkrankten in der Ausführung 
aller in Betracht kommenden Maßnahmen unterweist, falls nicht 
die Anwesenheit einer geschulten Pflegeperson dies überflüssig 
macht. Die durch das Bureau des Vereins vermittelte Schwester 
macht ihre Besuche nur auf Anordnung des behandelnden Arztes 
und darf sich in nichts anderes als ihre eigensten Obliegenheiten 
mischen. Den Angehörigen wird außerdem ein Merkblatt einge¬ 
händigt, das neben den allgemeinen Verhaltungsmaßregeln beson¬ 
ders die Technik der einzelnen Maßnahmen darstellt. Dieses 
sowie die „Instruktion der Schwester“ ist in der Med. Reform 
a a. O. abgedruckt. Ergänzt wird die Einrichtung noch durch 
ein leihweise an die Familie abzugebendes „Instrumentarium zur 
Desinfektion am Krankenbette“, zu dem u. a. auch drei weiße 
Mäntel (für Arzt, Pflegeperson und Vereinsschwester) gehören, die 
erfahrungsgemäß in den wenigsten Haushaltungen zu finden sind. 
Außerdem gehören dazu zwei Gefäße mit Wasserverschluß zur 
Desinfektion von Wäsche und Geschirren, die, wenn nicht das 
geruchlose Sublimat zur Anwendung kommt, überhaupt erst eine 
geruchlose Desinfektion im Krankenzimmer ermöglichen. Die 
Frankfurter Aerzte sind durch einen Vortrag und außerdem durch 
Zirkulare mit der Einrichtung bekannt gemacht. Im Einzelfalle 
genügt ein telephonischer Anruf des Vereinsbureaus. 


Mitteilungen über Arzneimittel. 


Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. Atoxylversuche bei Malariakranken. Von Dr. Gonder 
und Dr. Dapas. Wien. klin. Wochenschi*., 1908, S. 837. 

2. Vergleiche zwischen Chinosol, Karbolsäure und Sublimat 
in antiseptischer und bakterizider Wirkung. Von E. Nortli- 
New-York. Allgem. med. Zentralzeitg,, 1908, Nr. 24. 

3. Ueber die Verwendung von Alkohol und alkoholfreien 
Präparaten in der Privatpraxis. Von Dr. Meißner. Oesterr. 
Aerztezeitg., 1908, Nr. 11. 

1. Die Verfasser haben im südlichen Istrien in der Nähe der Be¬ 
zirksstadt Orsera, wo dauernd schwere Malaria herrscht, Atoxylversuche 
zur Bekämpfung dieser furchtbaren Fieberkraukheit vorgenommen. 
Auf Grund von Beobachtungen an sechs Kranken, bei denen auch 


Blutuntersuchungen vorgenommen wurden, kommen die Verfasser 
zu dem Schluß, daß das Atoxyl nicht die tötende Wirkung auf 
die Malariaparasiten besitzt wie das Chinin, und daß immer wieder 
Rezidive eintreten. Vielleicht gelingt es, bei intensiver und 
längerer Darreichung von Atoxyl eine Heilung zu erreichen. 
Immerhin beweisen der Rückgang des Milztumors und das 
Schwinden der Parasiten schon nach sechs Injektionen, daß das 
Atoxyl für den Malariakranken von keiner ungünstigen Wirkung 
ist, wenn auch eine direkt tötende Wirkung auf die Parasiten, 
wahrscheinlich wegen der kleinen Dosen, nicht beobachtet werden 
konnte. 

2. Aus vergleichenden Versuchen, die N. mit Chinosol, Karbol¬ 
säure und Sublimat bezüglich ihrer antiseptischen und bakteriziden 
Wirkung auf Staphylokokkus pyogenes albus, Typhus und Anthrax 
gemacht hat, geht hervor, daß Chinosol viel stärker antiseptisch 
wirkt als Karbolsäure und in dieser Beziehung wenigstens dem 
Sublimat gleichwertig ist. Die Versuche über Keimtötung in 
wässrigen Lösungen zeigen sämtlich, daß Chinosol in seiner 
bakteriziden Wirkung kräftiger als Karbolsäure ist. Auch hier 
konnte festgestellt werden, daß seine bakterientötende Fähigkeit 
der des Sublimat näher kommt als der der Karbolsäure. Das 
Resultat der Untersuchungen mit Chinosol geht also dahin, daß 
es als Desinfiziens mehr dem Sublimat als der Karbolsäure gleicht. 

3. Von dem Gesichtspunkte geleitet, daß es unwissenschaftlich 
und vielleicht auch unüberlegt sei, trotz so vieler von hervor¬ 
ragender Seite ausgehender Mahnungen und Warnungen, den 
Alkoholkonsum am Krankenbette nicht viel mehr einzuschränken 
bezw. einzustellen, hat M. Versuche mit Blutan, dem alkohol¬ 
freien Liquor ferro - mangani peptonati der Firma Helfenberg, 
Sachsen, angestellt. Erwachsene erhielten zwei bis drei Eßlöffel, 
Kinder zwei bis drei Teelöffel voll täglich. Das Mittel wurde 
gern genommen und gut vertragen. Kindern gibt man es gern 
in Milch und tut gut, bei Gebrauch vou Blutan den Genuß saurer 
Speisen und rohen Obstes zu verbieten. Von Beginn bis zum 
Schluß der Behandlung betrug die Zunahme des Hämoglobin¬ 
gehaltes des Blutes 10 bis 30%. M. glaubt, daß Blutan den 
Appetit anregt und die Körperkräfte hebt. Da es billig ist, glaubt' 
Verfasser es um so mehr empfehlen zu sollen. (Dazu möchte 
Ref. bemerken: Ist es wirklich notwendig, bei Gebrauch von 
eisenhaltigen Präparaten irgendeiner Art den Genuß von rohem 
Obst und sauren Speisen zu meiden ? Ref. wenigstens hat in 
vielen hundert Fällen niemals davon eine ungünstige Wirkung 
oder unangenehme Nebenerscheinungen gesehen. Man sollte doch 
mit dieser Anschauung ebenso aufräumen wie mit der — in 
Laien kreisen gleichfalls herrschenden — Ansicht, daß Eisenpräpa¬ 
rate die’ Zähne verderben, also Karies derselben herbeiführen.) 


Technische Neuerscheinungen. 


Konikusflaschen und Einnehmegläser. 

(Von Prof. Dr. Edlefsen, Hamburg. Deut. Med. Woch., 
1908, Nr. 10.) 

Verf. ist von Feldmann, dem Verfertiger der Konikus- 
flaschen, im Anschluß an seinen Artikel über die Einnehme¬ 
gläser auf die Konikusflaschen aufmerksam gemacht worden 
und hat sich überzeugt, daß durch diese Neuerung in der 
Medizinabgabe entschieden ein großer Fortschritt zum Besseren 
gemacht worden ist. Bei den Konikusflaschen ist der ’Glas¬ 
stopfen liohl und zwar ist derselbe so ausgeschliffen, daß er 
bestimmte Mengen der Medizin faßt, also bis zu der einen 
Marke gefüllt, faßt der Stopfen einen Teelöffel, bis zur anderen 
gefüllt, einen Eßlöffel, oder bei kleineren Flaschen kommen 
die Maße nach Tropfen in Anwendung, der Stopfen faßt da 15 und 
25 Tropfen. Die Flaschen haben, entgegen unseren jetzt üblichen 
Arzneiflaschen eine Pyramidenform, so daß der Hals direkt in 
gerader Linie in die Wandung der Flasche übergeht, es fehlt 
also eine Ecke in der Flasche, die immer schwer zu reinigen 
war. Auch dies ist ein Vorteil der Konikusflaschen gegenüber 






mm 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


447 


den alten zylindrischen Medizinflaschen. Gerade aber der Um¬ 
stand, daß der Patient hier mit der Medizinflasche sofort das 
Maß für die Medizin mit in die Hand bekommt, ist ein ge¬ 
eignetes Mittel, um dem Uebelstand in der Dosierung der 
Medizin durch die nie einheitliches und genaues Maß gebenden 
Arznei-Einnehmegläser abzuhelfen. Es wäre nur erforderlich, daß 
man sich entschlösse, die Medizin nur in den Konikusflaschen 
herzugeben. Inwieweit sich dies ermöglichen läßt, kann man 
jetzt noch nicht sagen. Da die Konikusflaschen nicht wesent¬ 
lich teurer sind als die alten Flaschen und Stopfen, so ist 
wohl anzunehmen, daß sieb diese Neuerung recht bald 
Bahn brechen wird. Die Herstellung der Konikusflaschen 

f arantiert ein immer genaues Maß in den Maßstopfen der 
'laschen, man kann sich darauf verlassen, daß der Stopfen an 
der Marke, wo ein Eßlöffel steht, auch die vorgeschriebene 
Menge der Medizin enthält. So allein ist eine genaue Dosierung 
möglich. Es ist bei den Konikusflaschen nur zu beachten, daß 
die Außenfläche des Stöpsels immer feucht ist, wenn er zum 
Abmessen der Medizin verwendet werden soll. Wenn die 
Außenfläche nicht feucht ist, so kann man die Marke, bis zu 
welcher der Stopfen gefüllt sein muß, nicht so gut und genau 
sehen, als wenn die Außenseite feucht ist. Es läßt sich ja 
nun leicht erreichen, daß die Außenseite angefeuchtet wird, 
man braucht den Kranken nur darauf aufmerksam zu machen, 
daß er die Medizin vor dem Gebrauch umschüttelt und dabei 
den Stopfen etwas lockert. Es ist kein Zweifel, daß dieser 
Umstand, daß man die Marken nur genau sehen kann, wenn 
die Außenseite feucht ist, einen Nachteil darstellt, aber so¬ 
lange wir noch keine Stopfen mit durchsichtigem Glas haben, 
• müssen wir diesen Uebelstand mit in Kauf nehmen. Man wird 
auch Mittel und Wege finden, um dem abzuhelfen. 

W. B. Müller, Berlin. 


n 


Bücherbesprechungen. 


□ 


Ueber Wärmekultur. Ein Fortschritt der Lebens- und 
Heilkunst und ein Beitrag zur höheren Entwicklung des Menschen. 
Von Dr. W. Win sch-Halensee. Berlin 1908. Verlag Lebens¬ 
kunst-Heilkunst. 34 S. Preis 0,60 M. 

Das Büchlein enthält neben manchen Einseitigkeiten doch 
so viel Bemerkenswertes, daß seine Lektüre sich wohl verlohnt. 
Hier seien in Kürze einige der leitenden Gedanken besprochen. 

Neben „Hunger und Liebe“, also Ernährung und Fortpflan¬ 
zung, kommt für uns Nordländer als dritte Grundfrage des mensch¬ 
lichen Lebens die Wärmefrage in Betracht. 

Körperlich haben wir uns den veränderten klimatischen 
Verhältnissen nicht recht angepaßt, vielmehr sogar unser Haar¬ 
kleid größtenteils verloren, dagegen haben wir uns vermöge der 
Vernunft allmählich eine Wärmekultur geschaffen und uns dadurch 
in viel höherem Grade an alle Temperaturen angepaßt, als dies 
irgendein Tier vermag. 

Während wir von der natürlichen Wärmeregulation nur 
wenig Gebrauch machen, haben wir uns zum Zwecke der 
künstlichen verschiedene Hilfsmittel geschaffen: Wohnung, Klei¬ 
dung, Heizung, Bett. 

(W. bespricht ausführlicher nur das letztere. In dem Streit: 
Bier wollene Decke, hier Federbett! soll ein jeder sich nach seinem 
Behaglichkeitsgefühl richten, das Verf. als eine der wich¬ 
tigsten instinktiven Empfindungen bezeichnet. 

Der Landmann, der viel körperlich arbeitet und schwitzt, 


dabei meist wenig Fleisch ißt, kann nachts eine wärmere Be¬ 
deckung vertragen als der Städter, dessen Lebensweise bei Tage 
eine Wärmestauung erzeugt, die nachts entbunden werden muß.) 

Neben diesen Schutzmitteln vor Wärmeverlust brauchen wir 
aber noch „direkte Heizung“ unseres Körpers. Diese können wir 
erzielen 

a) mit Sonnenbädern. W. verbreitet sich eingehend über 
den Nutzen derselben, die Verbesserung des Stoffwechsels, die 
Lösung und Ausscheidung von im Körper abgelagerten Stoff¬ 
wechselprodukten, die aufsaugende und schmerzstillende Wirkung 
der Wärme, alles Dinge, auf die, wie er hervorhebt, besonders 
Bier wieder hingewiesen hat. 

Da uns aber die Sonne nur relativ selten zur Verfügung steht, 
so müssen wir uns mit künstlicher Wärmeerzeugung behelfen, 
und da ist neben der unmittelbaren Feuerung die mittelbare in 
Gestalt von 

b) Heißwasser-, Dampf- und Heißluftanwendungen 
zu nennen (besonders heiße Sitz- und Vollbäder, Teilwaschungen, 
heiße Aufschläge, „heiße Flasche“, Dampf- und Heißluftbäder, 
elektrische Lichtbäder). Ihre hohe Bedeutung wird von Win sch 
ausführlich dargelegt und namentlich ihr Nutzen bei den ver¬ 
schiedensten Krankheiten erörtert. Neben allen möglichen 
Lokal- und Allgemeinstörungen werden besonders erwähnt die 
katarrhalischen Krankheiten und die Schwindsucht, bei 
denen die Wärmebehandlung ja von altersher schon rein empirisch 
als wichtigstes erkannt war, ferner Koliken und Neuralgien, 
wo nebenbei auch noch die schmerzstillende Wirkung der Wärme 
als Ersatz für das Morphin in Betracht kommt. Heiße Sitzbäder 
und Aufschläge in Verbindung mit richtiger Diät bringen auch 
die hartnäckigste Verstopfung zur Heilung. In der Geburts¬ 
hilfe ist die Wärme in derselben Anwendungsart von größtem 
Nutzen bei Wehen schwäche zur Erzielung leichter Geburten 
(vgl. Winkler, Beitr. z. Hydrother. i. d. Geburtsh., Arch. f. 
phys.-diät. Therap., 1906, Nr. 1). 

Interessant sind auch Winschs Ausführungen über das 
Fieber. Er faßt es auf als „eine akute Hyperthermie, ver¬ 
anlaßt durch eine vorhergehende chronische Hypothermie, als eine 
Art Ausgleich, womit der Körper das nachzuholen sucht, was er 
vorher versäumt hatte“. 

Als drittes Hauptwärmemittel wird dann noch die bei uns 
leider so sehr vernachlässigte Muskeltätigkeit genannt. 

Es folgt eine kulturgeschichtlich interessante Zusammenstellung 
betr. Wärmekultur. Erwähnt werden: die vorzügliche uralte Hei߬ 
wasserkultur in Rußland und Japan, das Badewesen der antiken 
Welt und dasjenige in Deutschland bis zum 30jährigen Kriege, 
der es leider vernichtete. 

An seine Stelle ist zum größten Schaden des Volkes die 
„Deckung des Wärmemankos durch Fleisch und Alkohol“ ge¬ 
treten. 

„Die Gier nach Fleisch, die in einem großen Teil unserer 
Kulturmenschheit vorhanden ist, erklärt sich vor allem durch die 
Heizwirkung des Fleisches. Das Fleisch erzeugt eine Art 
Fieberzustand, der als erhöhte Lebenstätigkeit empfunden, wobei 
aber die vorgetäuschte Kraft nur auf Kosten des Lebenskapitals 
entwickelt wird.“ Aehnliches wäre vom Alkohol zu sagen. 

Diese Fehler würden nicht in dem Maße begangen werden, 
wenn dem Volk anderweitige Gelegenheit zu guter Durchwärmung 
geboten wäre: Volksbäder mit heißer Brause, Volks wärmehallen, 
alkoholfreie heiße Getränke etc. 

„Eine der wichtigsten Kulturaufgaben ist also die Schaffung 
einer guten Wärmekultur, unsere ganze Lebens- und Heilkunst 
kann und muß nur darin bestehen, daß wir uns in dem äußeren 
Lebensraum einen immer günstigeren „Nährboden“ züchten.“ 

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M. —,40. 

Taiicuin-Joiiddelowitz, Dr. Leo, Spezialarzt für Haut- und venerische 
Krankheiten, in Reval. Die Geschlechtskrankheiten und ihre Behandlung. 
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Weber, Dr. Ernst. Ursachen und Folgen der Rechtshändigkeit. M. 1,50 

Weber, Sanitätsrat Dr. H., in St. Johann. Die Heilung der Lungen¬ 
schwindsucht durch Beförderung der Kohlensäurebildung im Körper. 

Weifl. Dr. Eduard, Militär- und Volkshygiene. Nach einem auf der 76. 
Naturforscher-Versammlung gehaltenen Vortrage. M. 0,50. 

Wichmaun, Dr. med. Ralf, Nervenarzt. Geistige Leistungsfähigkeit und 
Nervosität bei Lehrern und Lehrerinnen. Eine statistische Unter¬ 
suchung. M. 1,50. , 

Wikmark, Dr. phil. Eloii. Die Frauenfrage. Eine ökonomisch-soziologische 
Untersuchung unter spezieller Berücksichtigung des schwedischen Bürger¬ 
tums. M. 8,—. > 

Wild. Dr. C., von, in Kassel. Die Verhütung und Behandlung der chro¬ 
nischen Verstopfung bei Frauen und Mädchen. Zweite verbesserte und 
vermehrte Auflage. M. 0,80- 


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Therapeutische Rundschau 

Wochenschrift für die gesamte Therapie des praktischen Arztes. 


0 . Anton, A.Duhrssen, C.A. Ewald, E. Friedberger, P. Gerber, 
Halle a. S. Berlin. Berlin. Berlin. Königsberg. 

H. Sehlange, Ad. Schmidt, H. Schmidt-Rimpler, 
Hannover. Halle a. S. Halle a. S. 


Redaktion: 

Berlin S. 14, Dresdenerstr. 44. Tei.iv, 11773. 
Dr. med. et phil. H. Lungwitz. 


Herausgegeben von 



R. Robert, M. Koeppen, M. Mosse, K. Partsch, H. Rosin, 
Rostock. Berlin. Berlin. Breslau. Berlin. 

H. Senator, R. Sommer, H. Unverricht, 0 . Vulpius, 

Berlin. Gießen. Magdeburg. Heidelberg. 


Verlag u. Expedition: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung 
in Halle a. S., Reilstraße 80 . 

Tel.-Adr.: Marhold Verlag Hallesaale. Fernsprecher 823. 


Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte der Ostsee und der 
, Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 

II. Jahrgang. Halle a. S., 19. Juli 1908. Nr. 29. 

Die „Therapeutische Rundschau“ erscheint j'eden Sonntag und kostet vierteljährlich 2M., einzelne Nummer 20 Pf. Bestellungen nehmen jede Buchhandlung, 
die Post, sowie die Geschäftsstelle: Carl Marhold Verlagsbuchhandl ung in Halle a. S. entgegen. Inserate werden für die 4gespaltene Petitzeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. berechnet. Beilagen nach Uebereinkunft. Reklamezeile 1,50 M. Bei größeren Aufträgen wird Rabatt gewährt. 

Nachdruck der Original-Aufsätze ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. — Nachdruck der anderen Rubriken ist nur mit Quellenangabe gestattet. 


Inhalt. 


I. Origiiialien: 

LH. Schmidt-Rimpler, Halle a. S.: Die Behandlung der un- 


. reifen Stare.. 449 

2. S. Weinberg, Gersfeld: Eine neue Vorrichtung zur Verbesserung 

des elektrischen Bades.450 

3. W. B. Müller, Berlin: Die Behandlung der Frakturen (Schluß) 451 

II. Referate: 

.1. E. Küster, Freiburg i. B.; Bakteriologie.453 

2. Gr. Abelsdorff, Berlin: Augenheilkunde.454 


3. M. Halle, Berlin: Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten . . . 455 

4. A. Stoffel, Heidelberg: Orthopädische Chirurgie.456 

5. M. Peltzer, Steglitz: Militärsanitätswesen.457 

III. Mitteilungen über Arzneimittel: 

W. Krüger, Magdeburg: Referate.457 

IV. Technische Neuerscheinungen: 

W. B. Müller, Berlin: Balance-Tragbahre „Aurelia“ .... 458 

V. H. Lungwitz, Berlin: Nochmals der koffeinfreie Kaffee . . . 459 



Die Behandlung der unreifen Stare. 

Von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. H. Schmidt-Rimpler, Halle a. S. 

Den Kranken, deren Sehschwache durch beginnende Star¬ 
trübungen bedingt ist, kann oft mehr, als es gewöhnlich ge¬ 
schieht, durch optische Hilfsmittel ihr Zustand erleichtert und 
ihr Sehen verbessert werden. 

Meist trübt sich in einem Auge die Linse schneller, wenn es 
sich nm Altersstar handelt, als in dem anderen. Das undeut¬ 
liche und verschwommene Netzhautbild des schlechten Auges 
stört dann das Sehen des besseren: die Kranken kommen oft 
selbst darauf, daß sie, wenn sie scharf sehen wollen, das 
schlechtere Auge zukneifen. Wenn diese Störung bei der Nahe¬ 
arbeit besonders stark hervortritt und das bessere Auge sehr 
geniert, ist es vorteilhafter, durch ein vorgelegtes undurchsich¬ 
tiges Brillenglas das Sehen mit dem schlechteren auszuschließen. 
Auch in der Weise kann man das Lesen oft erleichtern, daß 
man das schlechter sehende Auge nicht der in der Regel vor¬ 
handenen Presbyopie entsprechend korrigiert, sondern die passende 
Korrektur nur dem besser sehenden Auge zukommen läßt und 
vor das andere ein Planglas legt. 

Ist beiderseits schon größere Sehschwache eingetreten, so 
kann man durch starke Konvexgläser (+ 15,0 z. B.), welche 

f estatten, die Schrift dicht heranzunehmen und so größere 
’etzhautbilder zu erhalten, oft noch das Lesen ermöglichen. 
Durchgehends sind mit derartigen Gläsern versehene Brillen 
besonders wenn nur noch an einem Auge die genügende 
Sehschärfe besteht — dem Patienten angenehmer als das Lesen 
mit über der Schrift gehaltenen Lupen. Bei hohen fortge¬ 
schrittenen Startrübungen, wo auch in dieser Weise kein aus¬ 
reichendes Sehern erreicht wird..und zurzeit eine Operation 


nicht ausführbar ist, kann man ein wenigstens zeitweises, wenn 
auch unbequemes besseres Sehen bisweilen dadurch ermöglichen, 
daß man das Auge durch ein stenopäisches Loch, hinter dem even¬ 
tuell ein entsprechendes sphärisches Glas liegt, blicken läßt. 
Muß ein sphärisches Glas benutzt werden, so wird man die 
Einrichtung praktisch so machen, daß man dasselbe bis auf eine 
zentrale kleine Oeffnung schwärzen läßt. Es ist diese Art des 
Sehens zweifellos sehr unbequem, erscheint aber manchem doch 
erwünscht, um beispielsweise Unterschriften zu leisten oder¬ 
wichtige Sachen selbst lesen zu können. 

Auch für das Fernsehen haben die optischen Hilfsmittel 
hohe Bedeutung. Mit der Star-Entwicklung ändert sich in der 
Regel die Brechung: es tritt gewöhnlich eine Erhöhung der¬ 
selben (Kurzsichtigkeit), oft auch Astigmatismus ein. Diese 
Anomalien sind natürlich zu korrigieren und bessern in einer 
für den Starkranken oft höchst vorteilhaften Weise das Seh¬ 
vermögen. 

Bei Kernstaren finden sich gelegentlich noch sehr durch¬ 
sichtige Randpartien: hier bewirken Brillen mit dunklen Gläsern, 
unter denen die Pupille sich erweitert, eine Besserung des 
Sehens. Mehr erreichen wir durch Einträufeln von Mydriatizis. 
Es läßt sich durch Versuche feststellen, wie stark die Pupillen¬ 
erweiterung sein muß, um die beste Sehschärfe zu gewähren. 
Bedarf es keiner maximalen Erweiterung, so genügt eine ein¬ 
prozentige Homatropin-, bisweilen auch Kokain-Einträufelung am 
Morgen. 

Andererseits kommen wieder Fälle zur Beobachtung, wenn¬ 
gleich seltener, wo eine enge Pupille das Sehen erleichtert: hier 
ist dann die Pilocarpin-Einträufelung angezeigt. 

Ich finde, daß nicht immer diese Hilfsmittel, mit denen 
man so oft nützt, in entsprechender Weise den Starkranken zu 
Gebote gestellt werden. Allerdings handelt es sich nur um 
symptomatische Hilfe. 

Kann man aber nicht direkt dem Vorschreiten des Stares Ein¬ 
halt tun oder sogar vorhandene Startrübungen wieder klären? 

Daß dies in einigen Fällen möglich, unterliegt keinem 
Zweifel. An traumatischen Staren beobachtet man gar nicht 
selten eine Lichtung vorhandener Trübungen, besonders wenn 


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450 


* * - *; - *• 



THERAPEUTISCHE. RUNDSCHAU, 


SCHAU. - * ~ - \ ; ??£& 


es sich um feine Stichwunden handelt. So habe ich öfter feine 
strich förmige graue Trübungen, die von der vorderen Kapsel 
gegen den hinteren Pol gingen und dort stern- oder schalen¬ 
förmige Figuren gebildet hatten, wieder vollständig verschwinden 
sehen. Weiter sind gesicherte Beobachtungen vorhanden, daß 
besonders diabetische Startrübungen sich beim Gebrauch von 
Karlsbader Brunnen oder sonstigen Kuren aufgehellt haben. 

In neuester Zeit haben sich auch Beobachtungen gemehrt, 
aus denen man glaubt abzunehmen, daß selbst bei den 
gewöhnlichen Altersstaren durch Jodkali-Behandlimg ein 
Stillstand, selbst eine Lichtung der Startrübungen eintreten 
könne. Nach den gegebenen Mitteilungen und nach eigener 
Beobachtung möchte ich die Möglichkeit eines derartigen Ein¬ 
flusses des Jodkali nicht von der Hand weisen und würde den 
Satz Sich eis*) nicht unterschreiben: Apres des recherches 
conscienceuses nous sommes en droit d’accuser de mensonge 
ceux qui pretendent guerir les cataractes s6niles par des remödes 
pharmaceutiques. 

Schon A rlt**), der die Beobachtungen von Rau und andern 
über den Vorteil der mit äußerlicher Anwendung von Jodkali 
behandelten beginnenden Startrübungen anführt, berichtet — 
abgesehen von dem Rückgängigwerden geringer Linsentrübungen 
durch Karlsbad — über zwei Fälle, wo nach Einreibungen 
von Jodkalisalbe in Stirn und Schläfe ein Verschwinden bezw. 
ein über 1 l l 2 Jahre beobachteter Stillstand eintrat. „In zwei 
andern Fällen“, schreibt er weiter, „ließ mich das Mittel trotz 
zeitiger und gehöriger (?) Anwendung im Stiche. — Ich über¬ 
sehe nicht, indem ich das niederschreibe, daß mancher Leser 
hier Täuschung vermuten wird. Hier kann nur eigene unbe¬ 
fangene und beharrliche Prüfung zur Ueberzeugung führen; 
a priori läßt sich in solchen Sachen nichts absprechen.“ 

Aber die Prüfung ist außerordentlich schwer, da der Ver¬ 
lauf der Star-Entwicklung ein sehr verschiedener ist. Eine 
Reihe umschriebener Trübungen in der Linse bleibt auch ohne 
jede Therapie stationär, andere beschränken sich nur auf Rinden¬ 
partien und stören das Sehen nicht erheblich. Man wird bei 
allen Menschen im höheren Lebensalter — über 70 Jahre — 
bei genauerer Untersuchung der Linsen umschriebene strich- 
oder sektorenförmige, vereinzelte Trübungen in der Kortikalis 
selten vermissen. Wenn demnach beispielsweise Badal, der 
neuerdings (1901) für die Jodkalibehandlung besonders einge¬ 
treten ist, von einer 75 jährigen Person mit „Cataracte stri6e u 
und Sehschärfe V 3 berichtet, daß bei ihr während einer 18mona- 
tigen Beobachtungszeit der Zustand stationär geblieben sei, so ist 
das nicht sehr überzeugend. Aber wir müssen doch zugeben, daß 
in weiteren von ihm und anderen, besonders auch letzthin von 
v. Pf lug k***) veröffentlichten Beobachtungen, der auch experi¬ 
mentelle Versuche mit Anwendung von Jodkali beim Naphtha¬ 
lin-Star angestellt hat, die Möglichkeit eines Einflusses dieser 
Behandlungsmethode auf beginnende Startrübungen eine ge¬ 
wisse Stütze gefunden hat. Auch ein Fall, den Peltzerf) 
neulich sehr eingehend mitteilt, wo durch Einpinseln von Jodo- 
solvin — ein von dem Apotheker Brandt in Altona verfertigtes 
Präparat, das die Haut nicht schwärzt — in die Stirn eine Auf¬ 
hellung der Trübung gelang, scheint mir sehr beachtenswert. 
Ich selbst habe schon lange in vielen Fällen beginnenden Stares 
Einträufelungen von Sol. Kali jodati (0,1 ad 10,0 täglich ein¬ 
mal während vier Wochen einzuträufeln, dann zwei Wochen 
aussetzen, um etwaige Schleimhautreizung zu vermeiden, und 
dann wiederum vier Wochen Anwendung des Mittels usf.) ver¬ 
ordnet, ohne mir gerade davon viel zu versprechen, — abge¬ 
sehen von dem oft nicht genug zu schätzenden psychischen 
Einfluß der Anwendung eines wenn auch in seinem Erfolge 
zweifelhaften Mittels. 

In einzelnen Fällen ist allerdings ein langes Stationär¬ 
bleiben, in Fällen, wo das erst ergriffene und nicht behandelte 
Auge schnell zur Reife kam, von mir beobachtet worden. 
Sehr ausnahmsweise habe ich eine Besserung des Sehens (natür- 

*) Traite de Pophthalmie, la cataracte et l’araauros. Paris, 1837, S. 524 

**) Die Krankheiten des Auges. 2. Bd., S 297. Prag 1853. 

***) v. Graefes Arch. f. Ophthalmol., Bd. 67, S. 272 u. 537. 1908. 
Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., 1906, 2. Bd., S. 400. 

f) Fortschritte der Medizin. 1907. Heft 18 u. 19. 


lieh ohne daß sonstige Komplikationen Vorlagen) nach- einigen 
Monaten konstatiert. Aber in der überwiegenden Mehrzahl aer 
Fälle trat eine weitere Reifung ein in den Fällen, wo nach 
sonstiger Erfahrung progressive Formen des Stares Vorlagen. 
Immerhin scheint es mir angezeigt, weitere Versuche anzu- 
zustellen. Seit zirka 3 /4 Jahren hat Herr Dr. Müller auf 
meine Veranlassung in der Klinik jetzt Versuche mit Jodo- 
solvin-Einpinselung in die Stirn angestellt; bisher ist aber auch 
er nicht zu einer gesicherten Ansicht über die Heilwirkung des 
Mittels gekommen. Immerhin ist eine längere Beobachtung nötig; 
später wird von ihm über die durch Zeichnungen der Trübungen 
usw. gestützten Ergebnisse berichtet werden. — 

Wie ersichtlich, sind die Methoden der Anwendung des 
Jodkali verschieden. Arlt und nach ihm auch H. Pagen¬ 
stecher*) haben Jodkalisalbe in die Umgebung des Auges 
eingerieben: letzterer spricht die Ansicht aus, „daß das Mittel 
insofern günstig einzuwirken vermag, als es das Fortschreiten 
der beginnenden Katarakt doch vielleicht in einzelnen Fällen 
aufhalten kann. Er glaubt sich selbst überzeugt zu haben, daß 
Jodkalisalbe für die Aufhellung leichter diffuser Trübungen, die 
sich zwischen umschriebenen Streifen, Speichen und Flecken ent¬ 
wickeln, günstig wirken kann; allerdings konnte diese Aufhellung 
auch spontan eingetreten sein. 

Badal hat besonders Jodkali als Augenwasser (0,25:10,0) 
und zu lauwarmen Augenbädern (7,5:800,0) zweimal täglich zwei 
bis fünf Minuten lang, event. steigend benutzt, nachdem er 
die früher angewandten subkonjunktivalen Injektionen und die 
Benutzung des Jodnatriums aufgegeben hat. Gelegentlich hat 
er auch innerlich Jodkali verordnet, wie vor ihm schon eine 
Reihe älterer Autoren. Verdereau wandte wiederum die sub¬ 
konjunktivalen Injektionen ( 2 V 2 bis 5% Jodkali) an, die neuer¬ 
dings besonders von v. Pflugk als die Instillationen (2,5 ad 
10,0) und Bäder im Erfolge weit übertreffend gerühmt werden. 
Jedoch versucht er erst mehrere Monate die Badal sehe Kur, 
ehe er zu 1% Jodkali-Injektionen (V 2 bis 1 Spritze von Jpdkali 
und Natr. chlorat. ana 0,1 ad Aqu. dest. 10,0), Tag um Tag unter 
die Konjunktiva zu machen, übergeht. Die Schmerzhaftigkeit 
der Injektionen wird dadurch vermieden, daß die Konjunk¬ 
tiva mittels Einträufelungen einer dreiprozentigen Kokainlösung 
und Einlegung eines damit getränkten Wattebausches anästhe¬ 
tisch gemacht wird; sollte dennoch über Schmerz geklagt 
werden, so werden einige Tropfen 1% Acoinöls eingeträufelt. 

Die älteren Ophthalmologen erinnern sich noch der Ver¬ 
suche amerikanischer Aerzte, durch Anwendung des konstanten 
Stromes die Startrübungen zu lichten. Trotz der damals ge¬ 
rühmten Erfolge ist das Verfahren jetzt mit Recht ganz in 
Vergessenheit versunken; die Jodkali-Therapie hat sich länger 
gehalten, weil sie vielleicht doch hier und da von Nutzen ge¬ 
wesen. 


*) Kl. Monatsbl. f. Augenheilk., 1897, S. 408. 


Eine neue Vorrichtung zur Verbesserung des 
elektrischen Bades. 

Von Dr. S. Weinberg, Gersfeld. 

Die letzten Jahre haben in der Entwicklung des elektrischen 
Wasserbades außer der Bereicherung der dafür in Betracht 
kommenden Stromarten durch den sinusoidalen Wechselstrom 
vor allem ein Zurücbtreten sämtlicher Formen des elektrischen 
Vollbades zugunsten der elektrischen Teilbäder (Vierzellenbad 
nach SchnGe, nach Sarason) und deren Surrogate (Elek¬ 
trodenhüllen nach Boruttau, Elektrodentisch nach Winter¬ 
nitz) gebracht. Es ist nun aber klar, daß gerade für die 
Hauptindikationen des elektrischen Bades (Neurasthenie, Para¬ 
lysis agitans) das Vollbad den genannten Teilbadformen weitaus 
vorzuziehen ist, weil jenes die hydriatische Beeinflussung zu 
der elektrischen addiert, außerdem aber den Vorzug hat, fast 
die gesamte Hautoberfläche der Einwirkung des elektrischen 
Stromes auszusetzen. Aus letzterem Grunde ist es bei- der 
Anwendung des faradischep Stromes zugleich die vollkom- 


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451 


. meiste Form .der allgemeinen Faradisation; dasselbe gilt 
natürlich für den sinusoidalen Wechselstrom. Bei dem Vier¬ 
zellenbad und den Boruttauschen Elektrodenhüllen dagegen 
wird höchstens die Oberfläche der Unterschenkel und Vprder- 
arme, bei dem Winternitzsehen Elektrodentisch gar nur 
kaum die Hälfte (entweder die volare oder die dorsale Fläche) 
der Vorderarme und die Fußsohlen faradisiert. Es sind diese 
Methoden deshalb zwar nicht wertlos, aber nur einer Elektri- 
sation mit großen Elektroden gleichzusetzen. Daß dabei der 
Strom von den Vorderarmen zu den Unterschenkeln durch den 
ganzen Körper hindurchgehen muß, ist zwar richtig, aber auch 
bei der gewöhnlichen Faradisation mit Plattenelektroden der 
Fall und für die speziellen Indikationen der elektrischen Bäder 
nicht der Einwirkung auf fast die gesamte Hautoberfläche an 
Wert gleichzusetzen, wie sie die elektrischen Vollbäder, in 
schwächerem Maße die gewöhnliche allgemeine Faradisation 
leisten. 

Was ist nun der Grund, daß trotz ihrer Vorzüge die An¬ 
wendung der elektrischen Vollbäder zugunsten der Teilbäder 
und Teilbadsurrogate zurückgetreten ist? Man kann ihn nur 
darin finden, daß den seitherigen Formen der elektrischen Voll¬ 
bäder (monopolares, dipolares und Zweizellenbad nach Gärtner) 
wesentliche Mängel anhaften. Das dipolare Bad krankt daran, 
daß man vollständig im Ungewissen ist, wie groß der durch 
den Körper gehende Stromanteil ist. Während dieser Uebel- 
stand beim monopolaren Bad fehlt und der ganze Strom den 
Patienten passieren muß, ist es hier sehr mißlich, daß der¬ 
jenige Pol, der den Strom außerhalb des Wassers dem Körper 
zuführt, bei der gewöhnlichen Einrichtung (Monopolarstange, 
die mit den Händen umfaßt wird) eine zu kleine Oberfläche 
der Haut trifft. Man hat dann nur die Wahl, entweder, wenn 
der im Badewasser befindliche Hauptteil des Körpers einen ge¬ 
nügend starken Strom erhalten soll, an den Händen eine zu 
große Stromdichte und damit große Schmerzhaftigkeit in den 
Kauf zu nehmen, oder wenn man an den Händen erträgliche 
Stromdichte haben will, an dem Rumpf und den Beinen nur 
zu schwache, unwirksame Ströme an wenden zu können. Etwas 
abgeschwächt ist dieser Fehler, wenn statt der Monopolarstange 
die Trautweinsche Rückenkissen-Elektrode verwendet wird, 
doch muß dabei entweder der größte Teil des Rumpfes außer¬ 
halb des Badewassers und deshalb die beeinflußte Oberfläche 
wesentlich kleiner sein (also kein eigentliches Vollbad) oder 
die Isolation der Rückenkissenelektrode vom Badewasser in 
Gefahr geraten. Ein an sich ideales elektrisches Bad wäre das 
Gärtner sehe Zweizellenbad, bei dem die Badewanne durch 
ein Gummidiaphragma geteilt wird und der Körper durch eine 
Oeffnung im Diaphragma sich hindurchzwängt. Der Rand des 
Diaphragmas an der Oeffnung muß aber dabei überall der Haut 
dicht anliegen. Dies kann nur leider bei den so ungleichen 
Kalibern und Konturen der verschiedenen Patienten oft nicht 
der Fall sein, und der Strom geht dann zum großen Teil nur 
durch das Badewasser. Außerdem ist das Einsteigen und das 
Liegen in den Zweizellenbädern natürlich unbequem. 

Ich habe nun, um dem elektrischen Vollbad bei seinen 
oben dargelegten wesentlichen therapeutischen Vorzügen gegen¬ 
über den jetzt üblichen Surrogaten (Vierzellenbad etc.) wieder 
zu seiner Geltung zu verhelfen, eine Vorrichtung angegeben, 
die das Monopolarbad von seinem bereits genannten praktischen 
Fehler befreien soll. Statt eine Monopolarstange quer über die 
Wanne zu legen, werden zwei Armwannen aus nichtleitendem 
Material entweder auf den Boden der großen Wanne passend 
gestellt oder an deren Rand derart drehbar und verschiebbar 
angebracht, daß der im Vollbad Liegende bequem seine Arme 
bis an die Achseln hineinstecken kann. In das Badewasser 
der großen Wanne wird dann der eine Pol (zweckmäßig meist 
der negative),. in das die Arm wanne möglichst vollständig* 
füllende Wasser der andere Pol geleitet. Die Oberfläche der 
beiden Arme ist groß genug, um dort Strömen, die für den 
übrigen im Badewasser befindlichen Körper genügend stark 
sind, eine gut erträgliche Stromdichte zu verleihen. Das Ver¬ 
hältnis ist noch günstiger, wenn man, wie gesagt, für die große 
Wanne die Kathode und für die Arm wannen die weniger 
reizende Anode wählt. Die Vorrichtung (man kann sie Drei¬ 


zellenbad nennen) wird von der Firma Reiniger, Geb- 
bert & Schall, Erlangen und Berlin, hergestellt. 

Ich möchte hier anfügen, daß jeder Arzt ohne (für Sana¬ 
torien, Krankenhäuser, überhaupt für häufigen Gebrauch nach 
wie vor empfehlenswerte) elektrisch montierte Badewannen und 
Schalteinrichtungen in jedem beliebigen Raum, auch im 
Hause des Patienten, ein faradisehes (dies die praktisch 
wichtigste und hinreichende Form) Bad applizieren kann. Es 
ist dazu außer einem Induktionsapparat mit nicht zu dünnen 
Drahtwindungen, wie ihn jeder Arzt sowieso besitzen soll 
(am besten Schlitten-Induktionsapparat), nur eine gewöhnliche 
Badewanne und meine Vorrichtung nötig. Ist die Wanne von 
Holz, Porzellan, gut lackiertem Zink oder sonstiger nicht- 
leitender innerer Fläche, so leitet man den einen Pol, was 
leicht zu improvisieren ist, am Fußende in das Badewasser 
(der Endpol darf nur den Badenden nicht berühren), den 
anderen zu den Armwannen. Ist die Wanne von blankem 
Metall, so verhütet man die direkte Berührung des Badenden 
mit dem Metall durch auf den Boden der Wanne gelegte und 
an die Seiten gestellte Holzlatten oder dergl. und kann dann 
den Leitungsdraht vom einen Pol an die Wanne festklemmen 
oder in die Wanne einschrauben. Es wäre zu wünschen, daß 
den vielen Neurasthenikern, die aus allerlei äußeren Gründen 
sich nicht von Haus und Beruf eine Zeitlang frei machen 
können und deshalb ambulant behandelt werden müssen, von 
ihrem Hausarzte ein so gutes therapeutisches Mittel wie 
die faradischen Vollbäder gewährt werden könnte, was der Fall 
sein wird, wenn dieser weiß, wie leicht ein solches improvisiert 
werden kann. Ich hoffe, daß meine Vorrichtung zur häutigeren 
Anwendung des elektrischen Bades beitragen wird. 


Die Behandlung der Frakturen. 

Von Dr. W. B. Müller, Spezialarzt für Chirurgie und 
Gynäkologie, Berlin. 

(Schluß.) 

Wir kommen uun auf die verschiedenen Arten der Ver- 
bände zu sprechen, welche zur Fixierung der Bruchstücke 
dienen. Wir haben da vor allem zwei Hauptarten, die strikte 
fixierenden, immobilisierenden Verbände und die Extensions¬ 
verbände, welche nicht strikte fixieren. Es muß hier hervor¬ 
gehoben werden, daß man von der alten Grundregel der 
Fixierung jeder frakturierten Extremität insofern abgekommen 
ist, als man die Zeit der Fixierung bedeutend abgekürzt hat. 
Während man früher z. B. eine Fraktura radii typika vier bis 
sechs Wochen fixierte, legt man bei derselben nur noch zehn 
bis zwölf Tage einen fixierenden Verband an und beginnt dann 
schon mit Massage und Bewegungen der Gelenke. Es ist 
diese Aenderung in der Frakturenbehandlung von ganz unge¬ 
heurem Werte und als ein großer Foitschritt zu betrachten, 
denn man erzielt nicht nur eine raschere Heilung, sondern auch 
ein viel besseres Resultat hinsichtlich der Restitutio der nor¬ 
malen Beweglichkeit, Funktion und Gebrauchsfähigkeit der 
Extremität. Die Regel bei der Fixierung der Brückenden geht 
dahin, daß man nur so lange Zeit einen die Knochen und Ge¬ 
lenke feststellenden Verband anlegt, als die Frakturenden Zeit 
brauchen, um durch die ersten Anfänge der Kallusbildung in 
ihrer normalen Lage fixiert zu werden. Wenn man also den 
Verband ab nimmt, sind die Bruchenden schon durch Kallus 
verklebt, aber sie sind nur eben so weit fest, daß sie in der 
ihnen gegebenen Stellung verharren. Die Zeit, welche die 
Fraktur dazu braucht, ist nun aber verhältnismäßig kurz. Nun, 
nachdem die Konsolidierung begonnen hat, fängt man mit 
Massage und Bewegungen in den benachbarten Gelenken an. 
Dadurch erzielt man erstens eine rascher fortschreitende Kallus¬ 
bildung, zweitens eine freie Beweglichkeit der Gelenke und 
normale Muskulatur. Während man früher, als man Gips ver¬ 
bände sechs bis acht Wochen und länger liegen ließ, in allen 
Fällen starke Atrophien der Muskeln der Extre m ität und Ver¬ 
klebungen der Gelenke als Folgen der langen totalen Fixierung 
der ganzen Extremität nach Abnahme des Verbandes beobachtete, 


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452 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 29 


Zustände, welche oftmals nur sehr schwer, langsam und unter 
«roßen Schmerzen des Patienten, in anderen Fällen aber auch 
crar nicht mehr oder nur zu einem geringen Teile geheilt und 
beseitigt werden konnten, sieht man bei unserer modernen, 
kurze Zeit dauernden Immobilisierung der Extremität derartige 
unangenehme Folgezustände nicht mehr oder nur in ganz 
o-eringem Grade bei sehr schwere» Fällen. Es richtet sich 
natürlich je nach dem betreffenden Falle, ob man eine schwere 
oder leichte Fraktur, eine beider Knochen oder nur eines oder 
eine Fraktura humeri, antibrachii, femoris, kruris oder eine 
solche eines Metatarsus, Metakarpus, des Radius allein etc. vor 
sich hat. Man kann ungefähr folgende Regel aufstellen: 

Man «fixiert bei: 

Fraktura humeri 2—3 Wochen, 

„ femoris 3—3*^ n 

„ antibrachii 2— 2*/2 „ 

„ kruris 2—3 „ 

tibiae 2 „ # 

„ fibulae 1—2 „ 

„ radii 10-12 Tage, 

„ ulnae 10—12 „ 

„ metatarsi 1 Woche, 

n metakarpi 1 „ 

v einer Phalange 10—14 Tage, 

n eines Mittelhandknochens 10—12 Tage, 

„ Mittelfußknochens 2—3 Wochen, 

etc. etc. 

Natürlich sind dies nur relative Zahlen, und es müssen 
dieselben je nach den obwaltenden Verhältnissen modifiziert 
werden. In den Fällen, wo man nach Abnahme des Verbandes 
nach zwei Wochen bei Fraktura antibrachii z. B. noch stark 
federnde Knochen findet, kann man ja noch für eine Woche 
eine Gipskapsel anlegenj damit eine Verbiegung der weichen 
Knochen noch vermieden werde, aber man massiert schon jeden 
Tag. Handelt es sich um komplizierte Frakturen, so werden diese 
Zahlen natürlich nicht direkt gelten können, denn da richtet sich 
der Verband eben ganz nach der Größe und Art der Wunde. 
Bei nicht komplizierten Frakturen erzielt man mit dieser Be¬ 
handlung aber ganz hervorragende Erfolge. Das Resultat ist 
bei gewissenhafter Behandlung stets ein gutes. Um die Stellung 
der Knochenenden gut zu erhalten, kommt es vor allem auf 
gute Taxis an und gutes Anlegen des ersten Verbandes. Ich 
mache es stets so, daß ich, nachdem die Fraktur eingerichtet 
ist, einen gutsitzenden Schienen- oder Gipsverband anlege und 
entweder sofort oder am nächsten Tage die Stellung der Knochen 
im Röntgenbild kontrolliere. Steht "die Fraktur gut, so bleibt 
dieser erste Verband acht Tage liegen. Nach dieser Zeit wird 
ein zweiter Verband angelegt und wieder die Stellung der 
Knochen im Röntgenbilde kontrolliert. Wenn man eine starke 
Schwellung der Weichteile erwarten muß, so kann man ja ein 
oder zwei Tage nur einen provisorischen Schienenverband an- 
lecren und erst nach Rückgang des Oedemes den definitiven 
fixierenden Verband vornehmen. Das Oedem wird sehr rasch 
weggebracht durch Heißluftmassage. Dieselbe ist ganz schmerzlos 
und für die Kranken angenehm. 

Die Frage, ob man einen Schienen- oder Gipsverband an- 
legen soll, ist für den einzelnen Fall nicht a priori zu ent¬ 
scheiden, es hat jeder Chirurg für die einzelnen Frakturen seine 
eigenen Methoden. Es ist im Prinzip und auch quoad succes- 
surn vollkommen gleichgültig, welcher Verband angelegt wird, 
wenn derselbe nur technisch vollendet und vollkommen ausge¬ 
führt worden ist. Man kann mit einem Schienenverband 
ebensoviel Unheil anrichten wie mit einem Gipsverband, wenn 
man die Technik nicht beherrscht und nicht geübt ist. Es ist 
allerdings gar nicht immer leicht, einen guten Verband bei 
einer Fraktur anzulegen, und wer es nicht versteht, der soll 
zu seinem und seines Patienten Wohle lieber einen Spezialisten 
zu Hilfe rufen. Wer aber die Technik beherrscht, der wird 
stets gute Erfolge erzielen, und für ihn wird es gleichgültig sein, 
ob erschienen- oder Gipsverband anlegen wird. Ich lege für 
die typische Radiusfraktur bei leichtem Falle die Schedesche 
Schiene bei schwerem den Lex ersehen Schienen verband oder 
einen Gipsverband an, bei Fraktura antibrachii ziehe ich den 


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Gipsverband dem Schienen verband meist vor, bei Fraktura 
humeri lege ich Schienen verband an, bei Fiaktura femoris 
selten Schienen- oder Gipsverband, bei Fraktura kruris Gips¬ 
verband und bei den anderen meist einen Schienen verband 
an. Ueber den Extensionsverband bei diesen Frakturen spreche 

ich noch. . _ . . , 

Der Schienenverband besteht aus zwei Pappschienen oder 
Holzschienen, Watte und Steifgazebinde. Die Extremität 
wird in Watte gut eingehüllt und dann werden die Schienen 
angelegt, die mit der Steifgazebinde fixiert werden. Auf die 
einzelnen Verbände kann ich hier nicht eingehen. Bei allen 
Verbänden muß man besonders beachten: gut zu polstern, nicht 
zu eng anzulegen, und stets die beiden benachbarten Gelenke 
mit zu immobilisieren. Besonders gefährlich ist der Gipsver¬ 
band, weil er stark schrumpft. Man achte stets darauf, ihn 
nicht zu fest anzulegen und die Kranken am nächsten Tage 
zur Kontrolle zu bestellen. 

Ich komme nun noch kurz auf den Extensionsverband zu 
sprechen, welcher an Stelle des fixierenden Verbandes bei den 
meisten Frakturen ebenfalls verwendet werden kann. Die Be¬ 
handlung einer Fraktur mit dem Extensionsverband ist eine 
total verschiedene von der mit dem fixierenden Gipsverbande. Die 
Vorteile, welche das Extensionsverfahren gegenüber den anderen 
bietet, sind: 1. Genaue dauernde Reposition der Frakturenden 
und Festhalten der Fragmente in der richtigen Lage; 2. Be- 
we°*ungsmöglichkeit der Muskulatur der erkrankten Extremität, 

3. Möglichkeit der Anwendung der Massage und Elektrizität; 

4. geringere Gefahren und doch sehr gute Heilungserfolge, 
Man kann vor allen Dingen bei dem Extensionsverfahren die 
Stellung der Fragmente jederzeit ändern und genau kontrollieren 
und vermeidet all die Nachteile des festen fixierenden Ver¬ 
bandes. Weiter kann man die Konsolidierung besser und zu 
jeder beliebigen Zeit kontrollieren und, falls dieselbe unge¬ 
nügend vor sich geht, eher und intensiver deren Anregung be¬ 
wirken. All diese und noch manche anderen Vorteile des 
Extensionsverfahrens vor dem des fixierenden Verbandes haben 
dem Extensionsverband eine große Anzahl von eifrigen An¬ 
hängern und Freunden erworben. Ein Umstand besteht aber 
als Nachteil von gewichtiger Art, nämlich die Unmöglichkeit 
der Anwendung des Verfahrens in vielen Fällen. Nicht alle 
Frakturen an den Extremitäten lassen sich mit Extension be¬ 
handeln, so z. B. die Frakturen der Mittelfuß- und -handknocken, 
der Patella, des Olekranon etc. Ferner muß man als Nachteil 
der Extension den Umstand ansehen, daß der Patient in den 
meisten Fällen zu Bett liegen muß, während wir gerade einen 
so großen Vorteil darin sehen, dem Kranken durch Anlegung 
bestimmter fixierender Verbände die Möglichkeit, das Bett zu 
verlassen und sich zu bewegen, zu geben. Der Extensionsver- 
band erzielt aber bei weitem die besten Resultate bei strikter 
Ruhe des Kranken. Nur bei wenigen Frakturen an den oberen 
Extremitäten können wir den Kranken auch mit dem Exten¬ 
sionsverband das Bett verlassen sehen, wie bei Fraktura humeri, 
antibrachii, phalangeorum digitorum. In allen Fällen ver¬ 
hindert der Extensionsverband die freie Bewegung des Kranken 
bedeutend. Es lassen sich aber auch diese Nachteile bis zu 
einem gewissen Grade vermindern und verringern. Daß man 
sehr gute Erfolge mit dem Extensions verfahren erzielt, ist be¬ 
kannt aber es gehört sehr viel Geduld, Uebung und Kennt¬ 
nisse in der Technik sowie Erfahrung zur Extensionsbehand¬ 
lung, wenn glänzende Resultate erzielt und Nachteile vermieden 
werden sollen. 

Jedenfalls stehen sich die Extensions- und Fixierungs¬ 
methode als gleichwertige therapeutische Methoden der Frak¬ 
turen gegenüber, und der erfahrene Arzt, der viel Frakturen 
• behandelt hat, wird für jede Art der Fraktur seine bestimmte 
Methode haben, mit welcher er erfahrungsgemäß in dem betr. 
Falle den besten Erfolg erzielt. Es läßt sich schwer ein Rat 
geben, wie diese oder jene Fraktur strikte und immer be¬ 
handelt werden muß, es müssen bei jedem einzelnen Falle alle 
Verhältnisse beachtet werden, und nach ihnen muß man seine 
Entschließungen treffen. Vor allen Dingen muß man bedenken, 
daß bei dem Extensionsverfahren eine ständige ärztliche Kon¬ 
trolle des Kranken unbedingt notwendig ist, so daß man Frak- 


/ 




453 





turen ambulant meist nicht nach dieser Art behandeln soll So 
muß man für jeden einzelnen Pall die geeignetste Methode 
nach Berücksichtigung aller Umstände und Verhältnisse wählen. 
FeSte Regeln lassen sich nur für folgende Fälle geben: Die 
typische .Fraktura rädii wird am besten mit einem Gips- oder 
Schienenverband (Lexer, Schede) behandelt, die Fraktura 
femoris mit dem Extensionsverband, die Fraktura kruris mit 
Gipsverband (Gehverband), die Fraktura antibrachii mit Gips¬ 
oder Schienenverband, die Fraktura humeri entweder mit Ex- 
tensions- oder Schienenverband behandelt. Für alle anderen 
Frakturen sowie für komplizierte und Zertrümmerungsfrakturen 
kann man keine festen Regeln aufstellen. 

Ganz besonders schwierig zu behandeln sind die supra- 
kondyläre Fraktura kubiti und Fraktura antibrachii. Die supra- 
kondyläre Fraktura kubiti gibt ein leidlich gutes Resultat, wenn 
die Gelenkflächen der Kondylen nicht zertrümmert sind, dann 
wird der Arm wieder gut beweglich, wenn man die Fragmente 
durch gute Reposition günstig stellt. In vielen Fällen aber, 
und ich habe viele solcher Fälle behandelt, sind die Kondylen 
vollkommen zertrümmert und die Trümmer der Knochen sind 
noch gegeneinander disloziert. In diesen traurigen Fällen, bei 
denen nicht immer komplizierte Fraktur vorzuliegen braucht, 
schwebt der'Patient in doppelter Gefahr, erstens besteht die 
große Wahrscheinlichkeit, daß das Ellenbogengelenk versteift, 
zweitens können die dislozierten Fragmente auf Gefäße und 
Nerven drücken und diese schwer schädigen, wodurch dem 
Patienten noch schwerere Folgen und Gefahren drohen. Solche 
Zertrümmerungsfrakturen werden am besten operativ behandelt, 
indem man das Gelenk reseziert. 

Ich komme damit auf die dritte Art der Frakturenbehand¬ 
lung zu sprechen, die operative Therapie. Des genaueren auf 
dieselbe einzugehen, muß ich mich hier enthalten, da es uns 
zu weit führen würde. Die Operation kommt in Betracht für 
schwere Gelenkfrakturen und Zertrümmerungsfrakturen sowie 
für Frakturen mit Interposition der Weichteile, die sich nicht 
reponieren lassen. Die Operation besteht in Resektion des be¬ 
troffenen Gelenkes (Ellenbogen-, Knie-, Hand-, Fußgelenk etc.) 
und event. Interposition von Faszien oder Muskeln zur Her¬ 
stellung eines neuen Gelenkes (Pseudarthrose), oder im Ent¬ 
fernen der zertrümmerten Knochenstücke und Naht der Knochen¬ 
enden, wobei maü Knochenplastiken event. ausführen muß. Des 
genaueren kann ich auf die operative Therapie der Frakturen 
hier nicht eingehen. 

Ehe ich diese Betrachtung schließe, möchte ich noch einer 
Komplikation der Frakturen Erwähnung tun, die zum Glück 
selten vorkommt, aber durch ihr Auftreten recht üble Folgen 
zeitigen kann. Es ist dies das Bild der Nervenlähmung bei 
Frakturen. Man findet in manchen Fällen nach Frakturen der 
Extremitäten Paresen auftreten, welche verschiedene Aetiologie 
besitzen können. Je nachdem unterscheidet man: Ischämische 
Nervenlähmungen und Drucklähmungen. Die ischämische 
Lähmung ist ein' Vorkommnis, das erstens durch die Fraktur 
selbst, zweitens durch denVerband hervorgerufen werden kann. 
Sie beruht auf Störungen des Blutkreislaufs in der Extremität, 
und zwar kann ein Fragment der Fraktur die großen Gefäße 
komprimieren und so eine mangelhafte Ernährung erzeugen, 
oder es kann ein Fragment einen Nerven komprimieren und 
dadurch die Parese hervorrufen. Man beobachtet auch direkte 
Verletzungen der großen Blutgefäße durch die Fragmente, 
wodurch starke Blutungen, Hämatome entstehen. Diese Ver¬ 
letzungen der Nerven und Blutgefäße durch die Fragmente 
können während des Traumas oder während der Reposition der 
Fraktur (Taxis) entstehen. Letztere Verletzungen muß der Arzt 
nach Möglichkeit zu vermeiden suchen. Es kommt bei diesen 
Verletzungen erstens totale Ruptur eines großen Nerven oder 
einer großen Arterie oder Vene in Betracht, zweitens teilweise 
Verletzung des Nerven und Anspießungen der Arterie oder 
Vene. Die totale Ruptur des Nerven ist höchst selten und 
wird bemerkt durch totale Lähmung sofort nach dem Trauma, 
die nach einigen Tagen nicht anfängt zurückzugehen. Man 
muß dann den Nerven nähen. Die Ruptur eines Gefäßes ist 
ebenfalls sehr selten und muß sofort operativ behandelt werden. 
Sie zeigt sich an durch Fehlen des Pulses (Arterie) und starkes 


Hämatom, eventuell durch Blutungen. Die teilweise Durchtren¬ 
nung resp. Anreißung des Nerven zeigt sich an durch sofort aufg&- 
tretene partielle Parese. Sie bleibt einige Zeit bestehen und 
vergeht von selbst wieder, ohne therapeutisch angegriffen 
werden zu müssen. Die Anspießung und Verletzung von 
Arterien und Venen zeigt sich an durch starkes zunehmendes 
Hämatom. Es kommen da die Ligatur, Gefäßnaht und der 
Kompressionsverband in Betracht. Es kommt nun auch vor, 
daß ein großer Nerv durch ein Fragment stark komprimiert 
wird, dann ist eine partielle oder totale Parese nach dem 
Trauma sofort vorhanden, schwindet aber nach der Reposition 
der Fraktur (Taxis) wieder langsam. Man muß sich nun aber 
hüten, bei der Reposition einer Fraktur mit den Fragmenten 
die in der Nähe liegenden größeren Nerven, Arterien und Venen 
zu verletzen. Man kann dies gut tun. indem man sich die 
anatomische Lage der Organe genau vergegenwärtigt und die 
Bewegungen bei der Reposition so einrichtet, daß man die in der 
Nähe verlaufenden Nerven, Arterien und Venen nicht verletzt. 

Wenn man nach dem Trauma keine Parese findet, sondern 
dieselbe erst nach Anlegen des Verbandes entsteht, so kann die 
Ursache erstens in Kompression des Nerven durch die Frag¬ 
mente, zweitens in Kompression durch den Verband, drittens 
in Ischämie gegeben sein. In erstem Falle muß man noch 
einmal die Fragmente reponieren, im zweiten den Verband 
ändern, im dritten durch Massage, Bäder, Heißiuftbäder etc. 
die Zirkulation anregen und die Ernährung der Gewebe in der 
Extremität zu bessern suchen. Der Verband darf eigentlich 
nie eine solche Wirkung auf Nerven oder Gefäße ausüben, es 
sei denn, daß er fehlerlos angelegt ist und unvorhergesehene 
plötzliche Anschwellung des Gliedes den Druck des Verbandes 
erzeugt hat. Letzteres ist sehr seiten. Meist liegt ein Fehler 
im Verband vor, wenn nach Anlegen des Verbandes Lähmungen 
auftreten, die durch Druck des Verbandes hervorgerufen worden 
sind. Dieselben müssen entschieden vermieden werden. 

All diese Bemerkungen über Paresen nach Frakturen 
zeigen, wie peinlich der Arzt bei der Behandlung einer Fraktur 
vorgehen muß, und doch können trotz genauer Befolgung aller 
Vorsichtsmaßregeln Paresen auftreten, die dem Arzte nicht zur 
Last gelegt werden können. Deshalb ist eine genaue Auswahl 
der jeweilig am meisten geeigneten Behandlungsart der Fraktur 
von höchstem Werte, und der Arzt kann viel Unheil ver¬ 
meiden, indem er alle Momente berücksichtigt und individuali¬ 
siert und nicht nach einem Schema jede Fraktur behandelt 
Wo so viele Eventualitäten und Verhältnisse mitsprechen und 
maßgebend sind, wie bei der Behandlung einer Fraktur, dar! 
von einer schematischen Therapie keine Rede sein. Damit 
aber eine genaue individualisierende Behandlung möglich ist, 
muß der Arzt über große Erfahrung und eingehende Kennt¬ 
nisse über das Wesen, Art und Entstehung der Fraktur ver¬ 
fügen. Dann wird er für jeden Fall die richtige Methode 
wählen, und die besten Erfolge werden ihm seine große Mühe 
und Arbeit lohnen. 

Diese Bemerkungen über die Therapie der Frakturen 
mögen genügen, um ein Bild der nicht operativen Tätigkeit 
des Arztes bei Verletzungen der Knochen der Extremitäten zu 
entwerfen, und sie genügen, um die gebräuchlichen Methoden 
zu skizzieren. Ein näheres Eingehen auf die einzelnen Verbände 
ist hier nicht möglich und muß für andere Abhandlungen 
Vorbehalten bleiben. Ebenso konnte ich die operative Therapie 
der Frakturen hier nicht des genaueren behandeln. Es wird 
dies Gegenstand einer anderen Arbeit sein. 



Bakteriologie. 

Referent: Privatdozent Dr. E. Küster, Freiburg i. B. 

1. Die Wassermann-Neißer-Brucksche Reaktion bei Syphilis. 
Von 0. Bruck und M. Stern. Deutsche med. Wochenschr., 
1908, Nr. 20. 


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2. Heber die Serodiagnostik der Syphilis und ihre prak¬ 
tische Bedeutung für die Medizin. Von Wassermann. Wiener 
klin. Wochenschr., 1908, Nr. 21. 

3. Heber Anaphylasie. Von Doerr. Ibidem, Nr. 13. 

1. In einer ausführlichen Veröffentlichung legen die Autoren 
nochmals den ganzen heutigen Stand der serologischen Luesdia¬ 
gnose dar und berichten über eine Reihe bisher nicht veröffent¬ 
lichter Versuchsserien aus Batavia; hier seien nur die wichtigsten 
Punkte herausgegriffen. 

Durch Verwendung von haltbar gemachtem Extrakt aus 
luetischen Organen = „Standard Luesantigen“ und konserviertem 
Luetikerserum =*= „Standard Luesantikörper“ gelang es, zahlen¬ 
mäßig nachzuweisen, daß bei Tieren, deren Serum vor der Infek¬ 
tion frei von Luesantikörpern war, sich im Laufe der Infektion 
solche einstellten, und daß bei Tieren (niederen Affen), die schon 
normalerweise einen Luesant.ikörpergehalt aufweisen, derselbe durch 
die Infektion eine Steigerung erfährt. Sie fanden ferner, daß man 
vielfach vor Ausbildung des Primäraffektes ein Auftreten, rasches 
Ansteigen und dann wieder Abfallen der Antikörperbildung kon¬ 
statieren kann, und schließen daraus auf eine Generalisation des 
Virus schon während dieser Zeit. Durch Behandeln von Tieren 
mit lebendem oder abgetötetem luetischen Material gelingt es, 
eine Antikörperproduktion anzuregen, aber niemals über eine ge¬ 
wisse Höhe, und dadurch unterscheidet sich dieser bei Lues ge¬ 
fundene Antikörper grundsätzlich von den Bakterienantikörpern. 
Der Antikörpergehalt des Serums mit Lues geimpfter Tiere zeigt 
im übrigen ganz unregelmäßige Schwankungen. Der Luesanti- 
korper zeigte weder im Reagenzglas noch im Tierversuch gegen 
Lues schützende oder heilende Eigenschaften, hat also keine 
Schutzkraft. Die Untersuchungen der Autoren über Antigengehalt 
von Organen bestätigten, daß auch in normalen Organen geringe 
Mengen Antigen, d. h. eines Stoffes, der mit den Antikörpern 
des Luetikerserum eine spezifische Reaktion eingehen kann, vor¬ 
handen sind, und daß er bei Lues stark vermehrt auftritt. Der 
Antigengehalt schwindet bei spez. antiluetischer Behandlung der 
infizierten Tiere; in vitro wird durch die gleichen Mittel keine 
Wirkung erzielt. 

Beim Menschen wurden von 378 Luesfällen in 204 Lues¬ 
antikörper gefunden, wahrend bei 157 Nichtluesfällen nur zweimal 
eine verdächtige Seroreaktion eintrat. Trotz der veränderten Deu¬ 
tung, die Antigen und Antikörper bei Lues in der letzten Zeit 
gefunden, bleibt also nichtsdestoweniger der Nachweis des Anti¬ 
körpers im Luetikerserum für Lues charakteristisch und muß — 
da er in 82,3% von nicht behandelten Luesfällen positiv aus¬ 
fällt — als unsere derzeit beste biologische Reaktion bezeichnet 
werden. 

Bei behandelten Luesfällen wurden nur in 29,5% Antikörper 
gefunden, und während der spezifischen Behandlung kann man 
häufig ein Verschwinden der Antikörper konstatieren: es kann 
deshalb die Serumkontrolle während der Behandlung einen wert¬ 
vollen Maßstab für den erzielten Erfolg abgeben. 

2. Wassermann selbst, der Erfinder der Serodiagnose der 
Lues, faßt auf dem diesjährigen Kongreß für inn ere Medizin in 
Wien seine Ausführungen über die Serodiagnose folgendermaßen 
zusammen: Die Methode ist, wenn sie positiv ausfällt, klinisch 
absolut zuverlässig und reif für die Einführung in die Praxis. 
Die Ausführung muß aber unbedingt den Aerzten reserviert 
bleiben, denn es macht einen großen Unterschied aus, ob durch 
irgendeine Fehlerquelle in der Ausführung einer Reaktion bei¬ 
spielsweise angegeben wird, daß jemand Eiweiß im Urin oder 
etwas mehr Harnsäure hat, oder ob ihm mitgeteilt wird, daß er 
syphilitisch infiziert sei. 

3. x^naphylaxie bezeichnet den Zustand der Ueberempfindlich- 
keit eines Tieres gegen eine Substanz, mit der schon vor längerer 
Zeit eine Impfung stattgefunden hat, so daß eine Impfdose deletär 
wirken kann, die vom normalen, nicht vorbehandelten Tiere glatt 
vertragen wird. Diese Anaphylaxie tritt auch beim Menschen 
auf. Das Wesen der A. ist nur noch fast vollständig in Dunkel 
gehüllt, wir kennen einstweilen nur eine Reihe von Eigentümlich¬ 
keiten. Die A. entsteht spezifisch, d. h. wenn man einem Tier 
Kuhmilch in größeren Zwischenräumen einspritzt, so wird es über¬ 
empfindlich gegen Kuhmilch, nicht etwa gegen Pferdeserum und 
umgekehrt. Auf A. beruht auch die ^ Serumkrankheit“ des Men¬ 


schen (v. Pirquet und Schi ck), " Bekanutlich befindet sibiu das£ 
Antitoxin, welches wir bei Diphtherie uüd anderen Erkrankungen, 
zu Heilzwecken einspritzen, in Pferdeseram, und dieses Vehikel, 
das Pferdeserum, bedingt eine Ueberempfindlichkeit des Geimpften, 
die bei einer zweiten Injektion von Antitoxin in Erscheinung 
treten, schwere Schädigungen bedingen, eventuell den Tod herbei¬ 
führen kann, d. i. Serumkrankheit. Das Studium der A. ist da¬ 
her von großer praktischer Bedeutung, ihre Bekämpfung für die 
Serumtherapie eine Lebensfrage. Wenn man das Serum eines 
anaphylaktischen Tieres einem gesunden einspritzt, so wird dieses 
überempfindlich. Die A. beruht also auf Bildung eines Reaktions¬ 
körpers im Serum. Dieser Körper verträgt ein Erhitzen auf 56 0 
und ist mit keinem der bekannten Antikörper identisch. 

Die A. ist auch erblich auf die Jungen übertragbar und be¬ 
weist experimentell die Möglichkeit der Uebertragung einer krank¬ 
haften Disposition. Den in Betracht- kommenden Substanzen, 
speziell den Eiweißlösungen, die Eigenschaft, Ueberempfindlichkeit 
bei Impfung hervorzurufen, zu nehmen, ist bis jetzt noch nicht 
gelungen; in der Aethernarkose kommen Symptome der Ueber¬ 
empfindlichkeit nicht zur Ausbildung. Tiere, die so überempfind¬ 
lich sind, daß die in Betracht kommende Substanz bei der Re- 
injektion sie sofort tötet, vertragen diese Impfung ohne Symptome, 
wenn man sie vorher mit Aether betäubt. 


Augenheilkunde. 

Referent : Privatdozent Dr. G. AbelsdorfF, Berlin. 

1. Zur Frage über die Heilung des Trachoms durch Bec¬ 

querelstrahlen (Radium). Von Selenkowsky. Arch. f. Augen- 
heilk., Bd. 60, H. 1, S. 63. ~ 

2. Ein Beitrag zur Serumtherapie bei Erkrankungen des 
Auges. Von A. v. Hippel. Deutsch, med. Wochenschr., 1908, 
Nr. 27, S. 1182. 

3. Beitrag zur Aetiologie und Therapie der chronischen 
Konjunktivitis. Von Elschnig. Ibidem, Nr. 26, S. 1133. 

4. Heber die Aufhellung der durch metallische Aetzgifte 

verursachten Hornhauttrübung. Von G u i 11 e r y. Ibidem, Nr. 26 

S. 1135. ' 7 

5. Heber Behandlung von Augen Verletzungen. Von 0. 

Lange. Samml. zwang! Abhandl. a. d. Gebiete d. Augenheilk 
Bd. 7, H. 5. * 7 

6. Heber den Frühjahrskatarrh. Von Feld mann. Ibidem 

Heft 6. 7 

1. Nachdem von mancher Seite die Erfolge der Radium¬ 
behandlung des Trachoms bezweifelt worden sind, tritt S. von 
neuem warm für dieselbe ein. Um eine schädliche Wirkung auf 
das Innere des Auges und die Hornhaut zu vermeiden, werden 
die ektropionierten Lider mit Radiumbromid (Maximum 10 mg) 
höchstens 10 Minuten bestrahlt. Die Trachomkörner des granu¬ 
lösen Trachoms schwinden ohne Narbenbildung.’ Die Dauer der 
Behandlung ist kürzer als bei Anwendung der üblichen Mittel. 
Anders sind die Resultate bei dem mit Pannus komplizierten 
chronischen Trachom. Hier ist das Radium bald mehr bald 
weniger wirksam als die gewöhnlichen Mittel, jedoch kommen 
auch bei Fällen, die monatelang mit diesen erfolglos behandelt 
sind, günstige Resultate durch Radiumbestrahlung vor. 

Wegen der kumulativen Eigenschaften des Radiums, das 
eine starke Aktivität besitzen muß, sollen die Bestrahlungen nur 
zweimal wöchentlich stattfinden. 

2. Das von Deutschmann hergestellte Serum, das durch 
Fütterung von Tieren mit lebenden Hefezellen hergestellt wird, 
ist ein polyvalentes Serum, das Infektionen mit Strepto-, Staphylo-, 
Pneumokokken, sogar mit Tuberkelbazillen heilen soll. v. Hippel 
hat dasselbe bei 40 Augenkranken (Dosis 2 bis 4 ccm) angewandt, 
ohne lokale oder allgemeine Reaktionen zu beobachten. Die 
Serumeinspritzung erzielte günstige Erfolge bei Iritis plastika 
und Ulkus serpens korneae. Sie erwies sich unwirksam bei skrofu¬ 
löser und tuberkulöser Keratitis sowie bei schweren Infektionen 
des Glaskörpers. 

3. Elschnig macht auf manche der üblichen Therapie mit 
Adstringentien trotzende Formen der chronischen Konj unk tivitis 


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aufmerksam: 1. Eine häufige Aefiologie ist Hypersekretion der 
M ei bo machen Drüben. Diese am häufigsten bei älteren. Indivi¬ 
duen zu beobachtende Konjunktivitis ist zu beseitigen, wenn das 
oft in sehr starker Menge angesammelte Sekret durch geeigneten 
Druck auf die Lider wiederholt entleert wird. 2. Mangelhafter 
Verschluß der Lidspalte bei leichtem Lidschluß- und im Schlafe 
kommt auch ohne Exophthalmus nicht selten vor, führt zu chroni¬ 
scher Entzündung der Bindehaut und sogar zuweilen zu um¬ 
schriebener lederartiger Verdickung derselben. Schutz d§s Auges 
durch einen einfachen Leinenstreifen während des Schlafs führt 
ohne Anwendung von Adstringentien zur Heilung. 

4. Metallische Aetzgifte, insbesondere Kalk, erzeugen in der 
Hornhaut Trübungen, 1. primär durch die chemische Verbindung, 
welche sie mit dem Hornhautgewebe eingehen; 2. sekundär durch 
die reaktive Entzündung des Gewebes; 3. durch die etwaigen 
Substanzverlusten folgende Narbenbildung. 

Die primäre Trübung (1.) ist einer chemischen Aufhellung 
zugänglich. Als bestes Mittel hat sich eine Mischung von Chlor¬ 
ammonium mit einem Zusatz von Weinsäure bewährt. Das gut 
kokainisierte Auge wird mittels einer sogenannten Augenwanne 
V 2 bis 3 A Stunde ein bis mehrere Male täglich in 4- bis 5%ige 
Chlorammoniumlösung mit 0,02 bis 0,1% Weinsäurezusatz getaucht. 
Bei unverändertem Weinsäurezusatze kann das Chlorammonium 
auf 10% und mehr gesteigert werden. Die Kokainisierung des 
Auges beseitigt nicht nur das Gefühl des Brennens beim Ein¬ 
tauchen in die Lösung, sondern erleichtert die Diffusion derselben 
durch das Homhautepithel. 

5. Lange bespricht die Augenverletzungen nach folgender 
Einteilung: 1. Durch Fremdkörper, 2. durch scharfe oder spitze 
Gegenstände, 3. durch stumpfe Gewalt, 4. durch thermische oder 
chemische Kräfte. Er gibt eine übersichtliche Darstellung der 
bei den verschiedenen Verletzungen erforderlichen Behandlungs¬ 
methoden und betont zum Schluß, daß bei allen schwereren Augen¬ 
verletzungen ein aseptischer Schutzverband die zweckmäßigste 
Hilfe vor der Ueberweisung an einen Spezialarzt darstelle. 

6* Feldmann schildert die als Frühjahrskatarrh bezeichnete 
Bindehauterkrankung, ihr Vor wiegen beim männlichen Geschlechte 
jugendlichen Alters und ihre regionäre Verbreitung, die in den 
einzelnen Ländern sehr verschieden ist. In einer tabellarischen 
Uebersicht^sind 81 in der Gießener Universitätsklinik beobachtete 
Fälle zusammengestellt. Der neuerdings betonte Zusammenhang 
zwischen Frühjahrskatarrh und Sonnenlicht führte zu der thera¬ 
peutischen Maßnahme, die sonst jeglicher Therapie trotzende Er¬ 
krankung mit Okklusivverband oder dunklen Gläsern zu behandeln. 
Auch in der Gießener ' Klinik wurden mit dieser Methode recht 
gute Resultate erzielt, so daß dieselbe nach den bisher vor¬ 
liegenden, allerdings noch nicht zahlreichen Beobachtungen einen 
erheblichen Fortschritt darzustellen scheint. 


Viel wichtiger aber erscheint auch ihm die Feststellung von 
Woodhead und Uffenorde, daß die vergrößerte Rachenmandel 
zweifellos der Tuberkulose als Eintrittspforte in den Gesamt¬ 
organismus diene. Woodhead konnte bei zahlreichen Sektionen 
von Kindern nach weisen , wie vom Nasenrachenraum aus auf dem 
Wege der Lymphbahnen die Bronchialdrüsen und schließlich die 
Lungen infiziert werden. 

Wenn auch für die Infektion mit Tuberkulose noch viele 
andere Gesichtspunkte in Frage kommen (Disposition, schlechte 
Ernährungs- und Wohnungsverhältnisse, Mundatmung, bedingt 
durch Rachendrüsen oder Muschelschwellungen), so muß man sich 
doch oder gerade deswegen auf den Standpunkt Seiferts stellen, 
daß die Adenotomie überall angezeigt ist, wo der Tumor nach¬ 
weisbare Störungen hervorruft. 

Dabei ist nach Erfahrung des Referenten kein Alter auszu¬ 
nehmen. 

Handelt es sich um eine Schädlichkeit, so kann sie nicht 
früh genug aus dem Körper eliminiert werden. 

Wir waren gezwungen, Adenoide bei Kündern von zwei 
Wochen zu operieren, und immer hatten wir den denkbar besten 
Erfolg! 

2. Bei hochgradigen Verengerungen der Trachea durch Kom¬ 
pression von hinten kann schon eine Lageveränderung, insbesondere 
die Rückenlage, verhängnisvoll werden. Körner verlor ein 
2V 4 jähriges Kind, das er tracheoskopieren wollte, weil es an 
einem Atmungshindernis litt, durch bloßes Lagern auf den Rücken 
behufs Tracheotomie. Operation und Einführung des Tracheoskops 
kamen zu spät. Das Lumen der Trachea war durch einen Tumor 
oder Abszeß (Sektion wurde nicht gestattet) spaltförmig verengert 
und durch die Lagerung geschlossen. Körner zitiert Pieniäzek, 
welcher bei retroösophagealem Abszeß einen Patienten durch 
Tracheoskopie verlor, indem das starre Rohr des Tracheoskops 
den Inhalt des Abszesses nach abwärts drückte und dieser nun¬ 
mehr in seinem prall gespannten unteren Teil die Trachea ab¬ 
schloß. 

3. Muck hat dauernd gute Erfolge vom Absaugen des Eiters 
mit seinem Apparate auch bei schwereren Mittelohreiterungen ge¬ 
sehen, die mit zitzenförmig vorgewölbtem Trommelfell kompliziert 
waren. Er rät zu intermittierendem Saugen, iünf- bis zehnmal 
in einer Sitzung, und jedesmaligem Abtupfen des Eiters. Die 
Zitze erweitert er nicht, trägt sie auch nicht ab. In fünf der¬ 
artigen Fällen hat er Heilung nach durchschnittlich acht Tagen 
beobachtet vom Beginn des Saugens an gerechnet. 

Referent hat im allgemeinen, günstige Erfolge von dieser 
Methode gesehen. Doch war er in einigen Fällen gezwungen, die 
Perforation bei exzessiver Vorwölbung des Trommelfells vorbei 
galvanokaustisch zu erweitern, da ein zufriedenstellender Abfluß 
anders nicht zu erreichen war. 


Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 

Referent: Spezialarzt Dr. M. Halle, Berlin. 

1. Lupus und Tuberkulose des Nasenrachenraumes. Von 
Prof. Dr. Otto Seifert. Medizin. Klinik, 1908. Nr. 17. 

2. Die Gefährlichkeit der Tracheoskopie bei Kompression 
.der Luftröhre von hinten. Von O. Körner. Zeitsehr. f. Ohren- 
heilk., LVI. Bd., 1. Heft. 

3. Die Behandlung der akuten Mittelohreiterungen mit 
zitzenförmiger Perforation durch Aussaugen des Eiters aus 
derselben vom Gehörgang aus. Von Dr. 0. Muck. Ebenda. 

4. Ueber experimentelle endogene Infektion der Nase und 
des Ohres durch pathogene Hefen. Von Dr. Rudolf Schil¬ 
lin g. Ebenda. 

5. Ein rhinogener Hirnabszeß. Von Dr. Dona lies. Arch 
f. Ohrenheilk., Bd. 75, Heft 3 u. 4. 

1. Im Anschluß an den Bericht über einen Fall von tuber¬ 
kulösen .Tumoren in Nase und Nasenrachenraum, einem relativ 
seltenen Vorkommen — der durch Operation von der Nase und dem 
Retronasalraum aus geheilt wurde —, bespricht S eifert die Tuber¬ 
kulose der Rachenmandel, die, wie er aus zahlreichen Literatur¬ 
berichten feststellt, in 1 bis 6% der Fälle vorkommt. 


4. Hefen als pathogene Organismen sind allgemein wohl wenig 
bekannt, und bis vor einem Dezennium wurden sie meist als 
harmlose Parasiten betrachtet. Erst seit einer eingehenden Arbeit 
Busses wurde beobachtet, daß eine Reihe wilder Hefen ein 
zweifellos pathogenes Verhalten zeigen. 

Schilling untersuchte Nase und Schläfenbeine von Tieren, 
die mit Hefe infiziert waren, und beschreibt eingehend den mikro¬ 
skopischen Befund, dessen Einzelheiten hier ja kaum von Inter¬ 
esse sind. Es sei nur darauf hingewiesen, daß weitgehende Zer¬ 
störungen nachgewiesen wurden, die einwandsfrei neben früheren 
Arbeiten die Pathogenität mancher Hefenarten auf den tierischen 
Organismus nachweisen. 

5. Die Entstehung von Hirnaffektionen, insbesondere Hirn¬ 
abszessen, im Anschluß an akute Prozesse in der Nase sind relativ 
selten beobachtet worden. Donalies beschreibt einen sehr 
interessanten Fall. Ein Knabe von zwölf Jahren, der gerade an 
einem Schnupfen litt, schlug mit der Stirn gegen die scharfe 
Kante einer Schulbank auf. Aeußere Verletzungen waren nicht 
entstanden. Zirka vier Wochen später traten bedrohliche Erschei¬ 
nungen auf. Auf der Stirn in der Mittellinie fand sich ein 
Abszeß, reichliche Eiterung aus der Nase, und bei der notwendigen 
Operation fand Donalies ein akutes Empyem beider Stirnhöhlen 
und bei einer zweriten Operation einen kleinen Extraduralabszeß und 
einen Hirnabszeß von 1 */& cm Durchmesser links. Das Kind wurde 


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456 


geheilt. Den Entstehungsmodus stellt sich Donalies so vor, 
daß durch den Fall Blutergüsse unter der Haut, in den Stirn¬ 
höhlen und zwischen Os frontis und Dura entstanden waren, die 
durch den bestehenden Schnupfen infiziert worden sind. 



THERAPBÜTISC1CE RUflbSCEtAÄ 


Orthopädische Chirurgie. 

Referent: Dr. A. Stoffel, Oberarzt an der Prof. Vulpiussehen 
Klinik, Heidelberg. 

1. Die Trochanter-Spina-Linie als diagnostisches Hilfsmittel. 

Von J. Schoemaker-Haag. Zeitschr. f. orthopäd. Chir., Bd. 19, 
H. 3 u. 4, S. 465. 

2. Scharlach und Trauma. Von R. B ernstein-Sensburg. 
Aerztl. Sachverst.-Zeitschr., 1908, Nr. 12, S. 242. 

3. Kasuistischer Beitrag zur Frage der Fingerfraktur- 
behandlung. Von S. Kof mann-Odessa. Arch. f. Orthopädie etc., 
Bd. 6, H. 4. 

4. Redressement und nachfolgende Behandlung des ange¬ 
borenen Klumpfußes. Von W. Beck er-Bremen. Ibidem. 

1. Gerade bei pathologischen Veränderungen des Hüftgelenks 
(entzündliche Prozesse, Deformitäten, Frakturen und Luxationen) 
ist für unsere Therapie, da sie nach den verschiedensten Grund¬ 
sätzen arbeiten muß, eine sichere und einwandfreie Diagnose von 
höchster Bedeutung. Aber nur zuverlässige und exakt arbeitende 
Hilfsmittel führen uns zu einer sicheren Diagnose. Wie wenig 
man diese Postulate bei Bestimmung des Trochanterstandes der 
Roser-Nelatonsehen Linie nachrühmen kann, wird jeder schon 
empfunden haben, der sich öfters dieses Untersuchungsmodus zu 
bedienen hat. Gern greift man daher zu einer neuen Methode, 
zumal ihr der Vorzug des Einfachen, Praktischen und Schonenden 
eigen sein soll. 

Schoemaker zieht von der Spitze des Trochanter, am Rande 
der Spina ant. sup. oss. ilei entlang, eine gerade Linie bis zur 
Mittellinie, die „Trochanter-Spina-Linie“. Beim normal gebauten 
Menschen schneiden die von beiden Seiten gezogenen Linien die 
Mittellinie in der sei ben Höhe (etwa in der Gegend des Nabels). 
Rückt nun einer der beiden Trochanteren nach oben oder außen, 
so wird der Schnittpunkt mit der Mittellinie nach unten ver¬ 
schoben, und zwar ungefähr dreimal soviel als die Wanderung 
der Trochanterspitze beträgt. Rückt der Trochanter nach unten 
oder innen, dann bewegt sich der Schnittpunkt nach oben. Daraus 
erhellt, daß die Methode hauptsächlich zum Vergleich mit der 
gesunden Seite ihre Existenzberechtigung hat. 

Zur Bestimmung dieser Linie setzt man dem auf dem Rücken 
liegenden Patienten (Becken gerade, Beine parallel!) den Daumen 
der rechten Hand auf die linke Spina und den der linken auf die 
rechte Spina und bestimmt mit dem Nagel den Unterrand der¬ 
selben. Die Mittelfinger kommen auf die Spitze der Trochanteren. 
Nun zieht man, den Nagel des Mittelfingers als Zeichenstift be¬ 
nutzend, von der Spitze des Trochanter am Unterrand der Spina 
entlang nach der Mittellinie und markiert den Punkt, wo letztere 
getroffen wird. 

Ref. hat die Methode Lei mehreren Fällen in Anwendung ge- 
biaHit und meistens günstige Resultate damit erzielt. Doch wird 
erst die Untersuchung vieler Fälle ein abschließendes Urteil er¬ 
lauben. 

2. Der im Anschluß an ein Trauma, eine Verletzung, auf- 
tretende Scharlach ist riesig selten. In der Literatm’ existieren 
nur wenige Fälle, die eindeutiger Natur sind. 

B. beobachtete ein siebenjähriges Kind, bei dem sich, von 
einer Rißwunde am rechten Mittelfinger ausgehend, ein Exanthem 
in Gestalt eines fingerbreiten, roten Streifens, der bis zur Achsel¬ 
höhle zog, entwickelte. Kubital- und Axillardrüsen stark ge¬ 
schwollen und schmerzhaft. Am nächsten Tage trat ein scharlach¬ 
artiger Ansschlag an Brust und Beinen auf, der bald abblaßte. 
Zwei Tage später entwickelte sich eine Angina mit Anschwellung 
der Unterkieferdrüsen. Nach zehn Tagen machte sich ein Scharlach¬ 
exanthem am Hals und an den Beinen bemerkbar. Das Kind 
genas. Im Anschluß hieran erkrankten noch zwei Geschwister 
mit typischem Scharlach. Das Virus war durch ein Dienstmädchen 
aus einem mit Scharlach befallenen Dorfe eingeschleppt worden, 


V r - - * ? * pggJII 

Das Scharlachexanthem entwickelt sehr wahrscäiAinlipp 

zuerst an den der Infektionsstelle' benachbarten Hautpartien (in? 
unserm Falle also am Arm, bei Infektion durch die Tonsillen am 
Halse). Das Auftreten der Angina nach'dem Exanthem erklärt 
B. als eine sekundäre Erkrankung der Tonsillen, die für das 
Scharlachvirus eine Prädilektionsstelle zu sein scheinen. 

Für die Diagnose „traumatischer Scharlach“ stellt B. folgende 
Forderungen: 

a) Ausgang des Exanthem von der verletzten Stelle; 

b) unmittelbarer Uebergang des Exanthem auf den übrigen 
Körper; 

c) Auftreten des Exanthem vor anderen Symptomen des 
Scharlachs. 

3. Einem Mechaniker wurde durch laufende Zahnräder die 
Grundphalanx des Mittel- und Zeigefingers so frakturiert, daß die 
Bruchstücke einen nach dorsal offenen Winkel, über den die Ex- 
tensorensehnen hinwegzogen, bildeten. Die Reposition gelang 
leicht, aber der Zug der Extensorensehnen vernichtete sofort 
wieder das Erreichte: die Knickung der Phalanx stellte sich 
wieder her. Um nun diesen schädigenden Zug auszuschalten, 
legte K. in die Hand einen Wattebausch, ließ die Finger ein- 
schlagen und legte in dieser Flexionsstellung einen Kompressions¬ 
verband an. Bei Abnahme des Verbandes nach zehn Tagen waren 
die Phalangen in gerader Stellung konsolidiert. 

4. Becker weicht bei der Behandlung des angeborenen 
Klumpfußes in seinen Grundsätzen und der Technik in mehrfacher 
Beziehung von den heutzutage geübten Verfahren ab. Was an 
dem Aufsatze, der viel Originelles enthält und von Erfahrung und 
eigenem Denken zeugt, dem Praktiker wissenswert dünkt, ist 
folgendes: 

Da der Säuglingsklumpfuß meistens schwerer zu redressieren 
ist als der älterer Kinder (federnder Widerstand der Knorpel, 
ungenügender Angriffspunkt am Kalkaneus) und da bei dem Säug¬ 
ling der Verband sehr gern rutscht, so sollte man die Behandlung 
der Deformität im ersten Lebensjahre unterlassen. Nach oben hin 
gibt es keine Altersgrenze. 

Beim Redressement ist das Hauptaugenmerk auf die 'Auf¬ 
schaltung der Adduktionsstellung des Fußes zu richten ; der innere 
Fußrand muß aufgerollt werden. Sollte sich diesem Versuch die 
Plantarfaszie und der Adduktor halluzis entgegenstemmen, so 
werden sie subkutan tenotomiert. Desgleichen ist die Achillotomie 
nach vollendetem Redressement sehr empfehlenswert. 

Der Verband soll niemals in der Stellung des' maximalen 
Redressement angelegt werden, da sonst ein Zurückfedern des 
Fußes mit konsekutiven Schmerzen und Dekubitus droht. B, legt 
den Verband niemals über Watte an, da nach seiner Meinung 
ein solcher Verband den Füß nicht in der gewünschten Stellung 
hält. Er benutzt vielmehr nur einen Trikotschlauch, den er über 
den mit Borsalbe eingefetteten Fuß und Unterschenkel zieht. Auf 
die Innenseite der Großzehe und des Kalkaneus werden zwei 
kleine Filzstreifen gelegt. Etwaige Tenotomiewunden werden mit* 
in Alkohol getränkter Jodoformgaze bedeckt. Das Redressieren 
im Verband gestaltet B, auch anders: er redressiert nach jeder 
Gipsbinde und fixiert den Fuß, bis die Binde erhärtet ist. Dann 
kommt die nächste. (Auf diese Weise wird ohne Zweifel ein 
exakteres Redressement erzielt, als wenn man damit wartet, bis 
der ganze Verband fertig ist.) 

Die überflüssigen Hautfalten an der Außenseite des Fu߬ 
rückens sollen exzidiert und vernäht werden, da sie einem Rezidiv 
die Wege ebnen können. 

Sollte sich in den nächsten Tagen nach Anlegung des Ver¬ 
bandes ein traumatisches Oedem einstellen, so wird der Verband 
entfernt, das Oedem durch Massage, Bindenwicklungen und Hoch¬ 
lagern bekämpft und erst nach Schwinden desselben zu einem 
neuen Verband geschritten. 

Die Verbandperiode ist möglichst lange zu bemessen (minde¬ 
stens zwei bis drei Monate). Zur Nachbehandlung empfiehlt sich 
bei gut situierten Patienten ein'Schienenhülsenapparat, bei ärmeren 
Leuten ein richtiger Schuh am Tage und eine Gipshülse des 
Nachts. 


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Militärsanitätswesen. 

Referent: Dr. M/Peltzer, Generaloberarzt a. D. in Steglitz. 

1. Die Verbandpäckchen bei den verschiedenen Nationen. 

VoiP Oberstabsarzt Dr. Blau. Deutsche militärärztl. Zeitschr., 
,1908, Heft 11, S. 457. 

2. Bedarf die Kriegs- und Friedenssanitätsausrüstung hin¬ 
sichtlich des Betänbnngsverfahrens einer Aenderung? Von Stabs¬ 
arzt Dr. Georg Schmidt. Ibidem, S. 480. 

3. Ausstattung der Lazarette für zahnärztliche Maßnahmen. 
Ibidem, S. 494. 

4. Uebungen von Oberapothekern. Ibidem, S. 495. 

1. Aus einer vergleichenden, bis in die kleinsten Einzelheiten 
gehenden Studie des Oberstabsarztes Dr. Blau über die Verband¬ 
päckchen bei den verschiedenen Nationen (Belgien, Bosnien, Däne¬ 
mark, Deutschland, Frankreich, Japan, Italien, Niederlande, Nor¬ 
wegen, Oesterreich-Ungarn; Rumänien, Rußland, Schweden, Schweiz, 
Spanien und Türkei), an denen Verf. jedoch, aus richtigem Takt¬ 
gefühl, keinerlei Kritik übt, erfahren wir u. a. lediglich als Tat¬ 
sache, daß von allen genannten Staaten nur Deutschland' zwei 
Verbandpäckchen pro Kopf und Mann, alle übrigen nur eins 

' hätten. Maßgebend hierfür ist bei uns wohl das Prinzip gewesen: 
lieber Einzelverbände von minimalem Volumen, die man völlig 
aufbraucht, und lieber zwei Verbandpäckchen, von denen man das 
eine in Reserve behalten und nötigenfalls an einen verwundeten 
Kameraden abgeben kann, als ein umfangreiches, mit dessen ein¬ 
maliger Eröffnung man sich völlig verausgabt hat. Einzelne 
Staaten haben mehrere Größen nebeneinander, nämlich für Ver¬ 
wundungen durch Artilleriefeuer und für solche durch klein- 
kalibrige Geschosse. In dieser Beziehung steht die deutsche und 
die japanische Marine obenan. In der Frage, ob das Verband¬ 
material aseptisch oder antiseptisch sein soll, finden wir drei Auf¬ 
fassungen vertreten. Den Typus: „aseptisches Verfahren“ ver¬ 
treten die Niederlande, den antiseptischen (Sublimat) Deutschland, 
Rußland, Schweden, Italien, Norwegen, Belgien und Japan. 
Oesterreich und die Schweiz haben Vioform. Ein kombiniertes 
Verfahren (Imprägnation und nachfolgende nochmalige Sterilisation 
in strömendem Dampf) wird in Deutschland und der Schweiz bei 
Herstellung des Materials beobachtet. Dem schweizer Verband¬ 
päckchen ist außer dem Genfer Kreuz die Bezeichnung und Ge¬ 
brauchsanweisung in drei Sprachen aufgedruckt. Es würde dem 
Geiste der humanen internationalen Verwundetenfürsorge ent¬ 
sprechen, wenn sämtliche Verbandpäckchen mit einer Universal¬ 
gebrauchsanweisung versehen werden könnten, damit sie unter 
Umständen auch dem Feinde zugute kommen. Daß sich jedoch 
hierfür das von Frankreich vorgeschlagene Esperanto nicht eignet, 
darin stimmen wir dem Verf. vollkommen bei. Es ist, wie er 
sagt, eine nur für den Gebildeten geeignete Sprachzusammen- 
setzung, deren fremdsprachliche Bestandteile eben nur dieser be¬ 
herrscht. 

2. Wie andauernd unsere Militärmedizinalverwaltung darauf 
bedacht ist, daß das Sanitätswesen der Armee mit der Wissen¬ 
schaft und den Ergebnissen der Forschung gleichen Schritt hält, 
geht aus den von Stabsarzt G. Schmidt zusammengestellten Er¬ 
gebnissen der Verhandlungen hervor, welche auf Veranlassung des 
Generalstabsarztes der Armee am 21. April d. Js. in dem wissen¬ 
schaftlichen Senat bei der Kaiser Wilhelms-Akademie stattgefunden 
haben und die Frage betrafen, ob unsere Sanitätsausrüstung im 
Frieden und im Kriege hinsichtlich des Betäubungsverfahrens 
einer Aenderung bedarf. An den Erörterungen beteiligten sich 
außer dem Generalstabsarzt selbst als Vorsitzenden, dem Referenten 
Bier und dem Korreferenten S t e c h o w, Männer wie 0 z e r n y, 
Eiseisberg, A. Köhler, F. König, F. Krause, Kümmell, 
Küttner, Rehn, Sonnenburg und Trendelenburg, wo¬ 
durch allein schon die Richtigkeit der Entscheidung verbürgt war. 
Diese bestand vorläufig darin, daß die örtliche Betäubung für die 
Hilfeleistung unmittelbar bei der fechtenden Truppe sowie auf 
den Truppenverbandplätzen gar nicht, auf den Hauptverband¬ 
plätzen wohl nur ausnahmsweise als angebracht anzusehen ist. 
Eine Inhalationsnarkose, besonders der Aetherrausch, ist für die 
Kxiegschirurgie in erster Linie wünschenswert, es fragt sich je¬ 
doch, ob sie hier, namentlich auch aus äußeren Gründen, aus¬ 
führbar ist« Küttner bezweifelt es, und zwar auf Grund seiner 


Erfahrungen im Burenfeldzuge. Die Rückenmarksbetäubung wird 
wegen ihrer besondere Uebung erfordernden Technik von Czerny, 
Eiseisberg, A. Köhler und Rehn für das Feld vorläufig als 
ungeeignet bezeichnet, während Küster, Sonnenburg und 
Bier sie wenigstens für Feldlazarette und weiter zurückliegende 
Sanitätsanstalten empfehlen. Alles in allem ergab sich, daß bis 
zur endgültigen Entscheidung noch weitere Versuche nötig sind. 
Diese sollen angestellt werden und darin bestehen, daß sowohl die 
Sanitätsoffiziere die Verfahren schon im Frieden häufiger üben, 
als auch die Ausstattung der Feldsanitätsanstalten mit den bezüg¬ 
lichen Apparaten usw. und deren Unterbringung praktisch er¬ 
probt wird. 

3. Nachdem der zahnärztliche Dienst im Kriege eine grund¬ 
legende Neugestaltung erfahren hat (vergl. das bezügl. Referat in 
dieser Zeitschr. vom 8. März d. Js.), ist jetzt ein ähnlicher be¬ 
merkenswerter Fortschritt auch in der Friedenssanitätsausrüstung 
und zwar insofern zu verzeichnen, als nicht nur die Zahninstru¬ 
mente selbst vermehrt, sondern diese vermehrte Ausrüstung auch 
in Lazaretten für 1 bis 70 Lagerstellen eingeführt ist, während 
bisher nur für Lazarette von 71 bis 200 Lagerstellen lediglich 
Zahnzangen vor geschrieben waren. In den Lazaretten zu Königs¬ 
berg i. Pr., Breslau, Hannover, Mainz, Karlsruhe, Straßburg i. E. 
bestehen eigene zahnärztliche Abteilungen. Bei dieser Gelegen¬ 
heit sei nebenbei erwähnt, daß bei den Garnisonlazaretten und 
für den Revierdienst jetzt auch gestrichenes Kautschukpflaster 
(nach einer vom Stabsapotheker Budde ausgearbeiteten Vorschrift) 
eingeführt ist, wodurch früheren Klagen über schlechtes Kleben 
der Pflaster begegnet ist. 

4. Nachdem durch den Etat für 1908 die Mittel zu Uebungen 
von Oberapothekern des Beurlaubtenstandes bewilligt sind, werden 
im Sommer d. Js. zum erstenmal 18 Oberapotheker zu einer 
sechswöchigen Uebung bei den Sanitätsämtern am Sitze der 
Generalkommandos, an deren Standort sich gleichzeitig das Train- 
und das Sanitätsdepot befindet, eingezogen. Die Uebungen er¬ 
strecken sich auf Beschaffung und Abnahme ärztlicher Geräte, 
Verbandmittel usw., auf Anfertigung und Sterilisierung letzterer, 
sowie die Herstellung von Verbandstoff preßstiicken und Arznei¬ 
tabletten, ferner auf Verwaltung und Schriftverkehr u. derg). 
mehr. Nebenher geht ein Dienstunterricht im Friedens- und 
Kriegssanitätsdienst, auch werden die Uebenden zu einer Kranken¬ 
trägerübung herangezogen. Die Einführung einer dreiwöchigen 
Uebung, nach deren erfolgreicher Ableistung die Beförderung 
der Oberapotheker mit dem Befähigungsnachweis für Nahrungs¬ 
mittelchemiker zu Stabsapothekern stattfinden soll, ist Vorbehalten. 


Mitteilungen über Arzneimittel. 


Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. Experimentelle Prüfung des Desinfektionswertes von 
Rohlysofoxm für die Wäsche und des Autans für die Wohn- 
räume Tuberkulöser. Von Dr. Kaufmann und cand. med. 
Mietzscb. Sep.-Abdr. aus Zeitschr. f. Tuberkni., 1908, Bd. 12, 
Heft 5. 

2. Ueber Spirosal. Von Dr. Ruhemann. Berl. klm. Wochen¬ 
schrift, 1908, Nr. 23. 

3. Ueber Bromural. Von Dr. Mampell. Medizin. Klinik, 
1908, Nr. 25. 

4. Ueber einen Fall von Vergiftung nach Formamint- 
tabletten. Von Dr. Glaser. Ibidem. 

5. Ueber Resorzinvergiftung bei äußerer Anwendung. Von 

Dr. Nöthen. Ibidem, Nr. 24. 

1, Auf Grund eingehender Untersuchungen hat Roepke- 
Melsungen behauptet, daß Tuberkelbazillen in der Wäsche durch 
24ständiges Einwirken einer l°/oigen oder durch 12 ständiges 
Einwirken einer 2%igen Rohlysoformlösung sicher abgetötet werden. 
Die Verfasser haben Nachuntersuchungen mit Rohlysoform ange¬ 
stellt zwecks Einführung des Verfahrens in die Lungenheilanstalt 


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458 


THERAPEUTISCHE RüNDSGHAtf. ^ 



Schömberg. Während'sie aber dem Roepkeschen Bericht, dai3 
das Präparat absolut unschädlich ist, die Reinigung der Wäsche 
erleichtert, ohne sie zu beschädigen, ihr einen frischen, angenehmen 
Geruch verleiht, und für den Konsumenten bequem käuflich und 
im Preise billig ist, in jeder Beziehung ihre Zustimmung geben 
konnten, müssen sie auf Grund ihrer Tierversuche feststellen, daß 
die bakterizide Wirkung des Mittels sich anders verhält, als 
R o e p k e sie beobachtete. Denn sie fanden, daß das Rohlysoform 
in der von Roepke als Desinfiziens der Wäsche Tuberkulöser 
angegebenen Verwendung keine abtötende Wirkung auf Tuberkel¬ 
bazillen hat. Auch ihre Untersuchungen mit dem Desinfektions¬ 
mittel Autan fielen anders aus als die anderer Forscher. Denn 
der Ausfall der Tierversuche zeigte, daß das Mittel keine nennens¬ 
werte Wirkung auf tuberkulöses Sputum hat. Sie geben ihr 
Urteil dahin ab, daß das Autan für die Desinfektion von Zimmern, 
in denen Phthisiker mit tuberkelbazillenhaltigein Auswurf ge¬ 
wohnt haben, und Gegenständen, die von ihnen benutzt sind, 
wertlos ist. 

2. Neuerdings wird von R. zur perkutanen Behandlung rheu¬ 
matischer Affektionen wieder das Spirosal empfohlen, das weder 
unangenehm riecht — wie das Mesotan — noch die Reizerschei¬ 
nungen desselben erzeugt. Bei einigen hundert Applikationen 
sowohl des reinen wie des mit Spiritus rectifikat. ana versetzten 
Mittels sah R. niemals Reizerscheinungen auftreten; ja bei zwei 
Fällen, die nach Mesotangebrauch ein lokales Ekzem akquiriert 
hatten, übte das unmittelbar nach der Abheilung desselben ein¬ 
geriebene Spirosal keine Reizung aus. Da das Mittel in Fett 
löslich ist, so wird dadurch seine Permeabilität noch erhöht. Das 
reine Spirosal erschwert die Resorption; deshalb empfiehlt die 
Firma JBaj^er & Co. den Zusatz von Spiritus. Beim Gebrauch 
verdunstet dieser schnell und das fettig sich absetzende Spirosal 
läßt sich vortrefflich in die Haut einreiben. Verf. beobachtete 
nach drei Stunden das Auftreten der Salizylreaktion im Urin. 
Er empfiehlt, die eingeriebene Hautstelle wann einzuhüllen, weil 
dadurch die Resorption unterstützt wird. 

3. Bromural wirkt nach M. nicht als Narkotikum, und es 
muß daher überall dort versagen, wo Schmerzen oder spontane 
Reize den Schlaf verhindern. Günstiger wirkt es in mittelschweren 
Fallen von Schlafbehinderung. So sah M. einige Fälle von hart¬ 
näckiger Schlaflosigkeit bei Lungentuberkulose mit mäßigem Husten¬ 
reiz und mäßigen Abendtemperaturen. Hier trab fast immer auf 
0,3 bis 0,6 g Bromural, d. h. auf ein bis zwei Originaltabletten, 
in wenigen Minuten ein ruhiger, meist traumloser Schlaf ein, der 
bei einigen Patienten allerdings nur zwei bis drei Stunden anhielt, 
aber nach gleich großer Dosis sich fortsetzte. Abgesehen von 
Gefühlen der Unlust, die einigemal kurz nach dem Erwachen 
eintraten, jedoch bald wieder verschwanden, sah M. niemals sub¬ 
jektive oder objektive Erscheinungen nach Gebrauch des Mittels. 
Gut sind die Erfolge bei leichten Fällen und mittelschweren, die 
nicht von organischen Krankheiten begleitet sind. M. hat bei 
nervöser Agrypnie niemals einen Mißerfolg gesehen. Immer trat 
nach Gaben von 0,3 bis 0,6 g Bromural in 10 bis 30 Minuten 
ein langsames, ruhiges Einschlummern ein. Und nach dem Er¬ 
wachen hatten die Kranken nie über unangenehme Nebenerschei¬ 
nungen zu klagen. Als einen Vorzug betrachtet es M., daß man 
das Mittel auch in größeren Dosen in der Kinderpraxis anwenden 
kann. So benutzte Verfasser es bei Säuglingen von x /2 bis 1 Jahr 
bei Keuchhusten, wo er l U bis V 2 Tablette verordnete. Daneben gab 
er Chininum tannicum. Das wäre immerhin ein erfreulicher Zuwachs 
unseres Arzneischatzes in der Keuchhustentherapie. Die Tabletten 
werden in Milch aufgelöst verabfolgt. Auch bei Stimmritzen¬ 
krämpfen sah Verf. Erfolge, desgleichen beim Zahnen der Kinder, 
wenn sie Nächte hindurch schreien und durch ständige Unruhe 
und mangelhaften Schlaf immer mehr herunterkommen. Nach Prof. 
Gottlieb (New York) soll das Bromural auch in der Frauen¬ 
praxis ein hervorragendes Sedativum sein. 

4. Vor kurzem veröffentlichte Roters eine an sich selbst 
beobachtete Vergiftung nach Einnahme von etwa acht Formamint- 
tabletten. G. fügt dazu einen weiteren Fall, wo ein Patient 
wegen Halsschmerzen zwei Tabletten eingenommen hatte. Nach 
vier Stunden stellte sich Urtikaria ein, späterhin Kopfschmerzen, 


Uebelkeit und Erbrechen. Nach vier Tagen nah G. den i _ 
der das Bild einer schweren Urtikaria bot, die volle achk Tagei 
anhielt und jeglicher Therapie trotzte. Da der betr. Kranke 
einige Wochen vorher nach Genuß einer Tablette gleichfalls 
Quaddeln bekommen hatte, glaubt G. eine andere Ursache der 
Urtikaria ausschließen zu können und plädiert dafür, die Forma- 
minttabletten dem Handverkauf der Apotheken zu entziehen, weil 
das Mittel nicht so harmlos isei, wie man es bisher gehalten 
habe. 

5. N. berichtet über zwei Fälle von Resorzinvergiftung, von 
denen der eine (ein elf Tage altes Kind) tödlich verlief. Im 
ersten Falle waren mehr als 30 g einer 15%igen, im zweiten 
Falle eine kleine Menge einer 3%igen Resorzinsalbe verwendet 
worden. Die Vergiftungen verliefen unter den Zeichen schwerer 
Bewußtlosigkeit, Zyanose und oberflächlicher Atmung. Auch andere 
Autoren haben, allerdings nach viel größeren Mengen höher prozentu- 
ierter Salben, eine auffallende Müdigkeit und Schläfrigkeit beobachtet. 
Solche Vergiftungsfalle sind leider geeignet, das sonst so vorzüg¬ 
liche Resorzin in Mißkredit zu bringen. Jedenfalls sollte man 
bei größeren Epidermisdefekten resp. bei schwächlichen Individuen 
und Kindern in Zukunft lieber auf das Resorzin verzichten. 



Balance-Tragbahre „Aurelia“ 

ist eine Tragbahre zum Transport Verwundeter und Kranker 
mit der Vorrichtung, daß man den Kranken entweder liegend 
oder auf einem Stuhle sitzend in allen Arten auf Treppen oder 
schiefen Ebenen horizontal transportieren kann. Mit den ge¬ 
wöhnlichen Tragen oder Bahren ist der Transport von Kranken 
über Treppen immer mit einer gewissen Gefahr verbunden, 
weil der Träger leicht ausgleiten und die Trage verlieren 
kann etc. Die neue Trage hat erstens an den Enden der 
Halter bewegliche Handgriffe, welche ein festeres Halten des 
Trägers ermöglichen. Ein Mechanismus der Trage ist ange¬ 
bracht, daß je nach der Höhe der schiefen Ebene, welche beim 
Ersteigen der Treppen mit der Trage maßgebend ist, die 
Lagerung des Kranken so verändert wird, daß derselbe immer 
horizontal liegt oder sitzt. Sehr leicht kann man die schworst 
verletzten Personen mehrere' Treppen hinauftragen, ohne daß 
die Träger, wie es bisher immer geschehen mußte, die Arme 
beugen, so daß der zweite immer schwerere Arbeit hatte, als 
der erstere, oder umgekehrt beim Herabsteigen der Treppen. 
Bei dieser Tragbahre lassen die Träger stets die Arme lang 
und haben überhaupt nichts von dem ganzen Mechanismus zu 
beachten, denn derselbe reguliert sich ganz von selbst. Auch 
die Füße, auf denen die Tragbahre beim Herabsetzen auf dem 
Boden steht, legen sich beim Anheben der Tragbahre von selbst 
11 m, und man braucht keine Sorge zu haben, daß man mit den¬ 
selben an einem Absatz oder einer Schwelle hängen bleibt. 
Wird die Bahre abgesetzt, so stellen sich die Füße ganz von 
selbst senkrecht und fest, so daß die Bahre einen sicheren 
Stand erhält. Die Holmen haben eine Länge von 2,70 bis 
2,80 m. Man kann die Tragbahre mit einem Bett zum flachen 
Liegen des Patienten oder mit einem Stuhl zum Sitzen des¬ 
selben erhalten. Die erstere heißt Tragbahre „Aurelia“, der 
letztere Balance-Tragstuhl. Diese Balance-Tragbahren werden 
von M. Schütz in Lahr in Baden angefertigt, und ihre 
Konstruktion ist gesetzlich geschützt. Der Balance - Trag¬ 
stuhl ist mit genau demselben Mechanismus verseheu wie die 
Balance-Tragbahre „Aurelia“. Ersterer ist besonders geeignet 
für Hotels, Sanatorien, wo weniger Personen, die liegend trans¬ 
portiert werden müssen, als die nicht gehen etc. sollen, ver¬ 
pflegt werden, wie Herz-, Nerven-, Lungenkranke etc., und für 
Spitäler und Siechenhäuser etc., während die Balance-Tragbahre 
„Aurelia“ für alle die.Krankenhäuser und Spitäler brauchbar 


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V % .-5 V THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 459 


ist,., wo man öfter schwer verletzte oder operierte Personen 
transportieren muß, ebenso für Unfallstationen, Rettungs¬ 
wachen etc. W. B. Müll er, Berlin. 


Nochmals der kofieinfreie Kaffee. 

In Nr. 25 dieser Zeitschrift schrieb ich, daß es mir nicht 
klar sei, wie bei dem der Kaffee-Handels-A.-Gr. patentierten Ver¬ 
fahren Gase oder Benzol rein mechanisch ln den Bohnen zurück¬ 
gehalten werden könnten, ein Vorwurf, den Zikel in der Zeitschr. 
f. neuere physik. Med., Nr. 11, erhebt. In Nr. 13 seiner Zeit¬ 
schrift belehrt mich nun Zikel, daß gewisse Körper, besonders 
im pulverisierten oder im porösen Zustande mit großer Kraft Gase 
absorbieren und in sich festhalten. Er belegt dies mit einem 
einfachen Versuche. 

A Wenn man Kaffeebohnen im Papinschen Topf auf einem 
Sieb hochgespannten Dämpfen aussetzt, so vergrößert sich ihr 
Volumen, läßt man diese aufgequollenen Kaffeebohnen in einen 
schmalen mit Gas (Sauerstoff oder Stickstoff) gefüllten Zylinder 
in der pneumatischen Wanne unter Wasser aufsteigen, so steigt 
das Wasser in der Glasröhre, d. h. das Gas vermindert sich durch 
die Absorptionskraft der Kaffeebohnen.“ 

Die durch das Experiment gezeigte Tatsache ist nie bezweifelt 
worden. Die H.-A.-G. hat ja gerade das Verfahren des Auf- 
schließens der Kaffeebohnen mittels Dampf gewählt, um den das 
Koffein lösenden Mitteln Zutritt zu verschaffen. Daß diese ver¬ 
wandten Gase oder Dämpfe trotz wiederholter Destillation in der 
Wärme und im Vakuum nicht wieder zu entfernen wären, dafür 
bleibt Z. den Beweis schuldig — sowohl mit seinem Experiment, 


wie mit der Aufrechtschen Analyse des Bremer Kaffees. Auf die 
Ergebnisse der Analyse des Handelsproduktes legte ich schon in 
meiner ersten Publikation das Hauptgewicht; die chemische Unter¬ 
suchung bei Aufrecht ergab, „daß die vorliegenden Proben nach¬ 
weisbare Mengen dieser Bestandteile“ — nämlich Benzol, Chloro¬ 
form, Benzin, Aether und freien Ammoniaks — „im freien Zu¬ 
stande nicht enthielten“. 

Ich kann mich übrigens nicht enthalten, auf die Widersprüche 
in den Erfahrungen Zikels und Boruttaus hinzuweisen. Z. 
spritzt heroisch in die Bauchhöhle und beobachtet schwere nervöse 
Symptome; er begeht die „Torheit“, koffeinfreien Kaffee zu trinken 
und zu verabreichen, und sieht darauf „einige deutliche Störungen“. 
B. schreibt nach intravenösen Injektionen lege artis den Blutdruck 
und die Atmung auf, und es bleibt in der Tat jede merkliche 
Koffeinwirkung aus; bei Genuß selbst extrastarker Dekokte ver¬ 
mißt er geradezu auffällig die beim Kaffeegenuß gewohnte er¬ 
regende Wirkung und hört dasselbe von anderer Seite. Ich denke 
mir, daß diese Widersprüche sich durch die ausführliche Erläuterung 
der Experimente, die Z. verheißt, klären werden; denn Boruttau 
einfach als befangenen Beobachter abzutun, bloß weil er gern 
Kaffee trinkt, dürfte doch wohl ebensowenig stichhaltig sein wie 
die Boruttau supponierte Ansicht, daß der Bremer Kaffee 
wertlos sei, weil er keine erregende, d. h. keine Koffeinwirkung 
habe. Lungwitz-Berlin, 


F. A. Hoppen u. R. Fischer 
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Verantwortlicher Redakteur: Dr. H. Lungwitz, Berlin S. - Verlag: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle a S. 
Druck der Heynemannschen Bnchdruckerei, Gebr. Wolff, Halle a. S. 


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und Direktor Dr. Kirchhoff in Neustadt (Holstein), Geh. Med.-Rat Dr. 
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Medizinalrat Dr. May ser in Hildburghausen, Med.-Rat Dr. Näcke in 
Hubertusburg, Prof. Dr. Oppenheim in Berlin, Prof. Dr. Pick in 
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Uehtspringe, Geheimrat Dr. Schüle in Illenau, Prof. Dr. Schultze 
in Greifswald, Geh. Med.-Rat Dr. Siemens in Lauenburg, Geh. Med.-Rat Dr. 
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Therapeutische Rundschau 

Wochenschrift für die gesamte Therapie des praktischen Arztes. 


0. Anton, A.Dührssen, C.A. Ewald, E. Friedberger, P. Gerber, 
Halle a. S. Berlin.. Berlin. Berlin. Königsberg. 

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H. Schlange, 

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Redaktion: 

Berlin S. 14, Dresdenerstr. 44. Tel. IV, 11773. 
Dr. med. et phil. H. Lungwitz. 



R. Robert, 

Rostock. 

H. Senator, 

Berlin. 


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M. Koeppen, M. Messe, K. Partsch, H. Rosin, 
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Gießen. Magdeburg. Heidelberg. 


Verlag u. Expedition; Carl Marhold Verlagsbuchhandlung 
in Halle a. S., Reilstraße 80. 

Tel.-Adr.: Marhold Verlag Hallesaale. Fernsprecher 823. 


II. Jahrgang. 


Halle a. S., 26. Juli 1908. 


Nr. 30. 


nie Theraoeu tische Ru ndschau“ erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2M., einzelne Nummer 20 Pf. Bestellungen nehmen jede Buchhandlung, 
die Post sowie die GescEäftsstelle• Carl Marho 1 d Verlagsbuchhandjung in Halle a. S. entgegen Inserate werden für die 4gespaltene Pet.tzeile oder deren Raum 

mit 50 P’f. ^er 3 §riginai-Aufs^tze* Ist* ohne^erSimlgung 1 der Redaktion*nicht gestattet — Nachdruck ler anderen Rubrike n ist nur mit Quellenangabe gestattet 

Inhalt. 


I. Origiualieu: 

A. Tiotze, Broslau: Zur Operationstechnik bei freien und einge¬ 
klemmten Hernien. 


461 


II. Referaten 

1. G. Tugendreich, Berlin: Säuglingsfürsorge.. . 466 

2. M. i’ickardt, Berlin: Magren-, Darm- und Stojfwechselleiden 467 

3. J. Baüm. Berlin: Dermatologie und Syphilidologie.467 

4. H Landau, Berlin: Chirurgie.. 468 


□ 


0RIQINAL1EN. 



Aus der chirurgischen Abteilung des Allerheiligen-Hospitals 
zu Breslau. 

Zur Operationstechnik bei freien und eingeklemmten 
Hernien. 

Von Prof. Alexander Tietze. 

(Mit drei Textabbildungen.) 

Im Allerheiligen-Hospital in Breslau, dessen chirurgische 
Abteilung ich seit Oktober 1905 leite, und in meiner Privat¬ 
praxis wurden von mir und meinen Assistenten in zwei Jahren 
106 freie und 42 eingeklemmte Hernien (inkl. Narbenhernien) 
operiert. Wir hatten also genügend Material, um frühere Er¬ 
fahrungen auf ihre Richtigkeit zu prüfen und manches zu 
ihrer Ergänzung hinzuzufügen. Da es sich hierbei um Fragen 
handelt, die unmittelbar m das Leben des Praktikers ein- 

§ reifen, so hat es vielleicht einiges Interesse, die von uns 
efolgten Prinzipien vor einem etwas größeren Kreise vorzu¬ 
tragen. 

Ich beginne mit der Schilderung unseres Verfahrens zur 
Radikaloperation bei freien oder irreponiblen, nicht ein¬ 
geklemmten und nicht zu großen Inguinalhernien. Die Kenntnis 
dieses operativen Vorgehens hat auch für den eine allgemeine 
Praxis ausübenden Arzt deshalb eine nicht unerhebliche Be¬ 
deutung, weil diese sogenannte Radikaloperation sehr oft mit 
Vorteil an die Operation eines eingeklemmten Bruches ange¬ 
schlossen werden kann — die letztere Operation muß aber 
notwendigerweise als Gemeingut aller Aerzte angesehen und 
ihre exakte Ausführung als eine gerechterweise an jeden Arzt 
zu stellende Forderung betrachtet werden. Das von uns be¬ 


lli. Mitteilungen über Arzneimittel: 

W. Krüger, Magdeburg: Referate.4G9 

IV. Technische Neuerscheinungen: 

W. B. Müller, Berlin: Neuer Zinkleimverband.470 

Y. Bücherbesprechungen: 

E. Pfülf, München: Die Panik im Kriege (Ref. H. Peltzer-Steglitz) 471 

VI. Korrespondenz .471 

VII. Allgemeines.471 


vorzugte Operationsverfahren ist das von Bassini, und zwar 
hat dasselbe allmählich folgende Gestalt angenommen: 

Der Schnitt durch die Haut verläuft parallel dem P oup art- 
schenBande und dicht über ihm, seine Länge wechselt nach der Aus¬ 
dehnung der Hernie. Auch beiSkrotalhernien wird nicht der ganze 
Hodensack in der Ausdehnung der Bruchgeschwulst gespalten, son¬ 
dern der Schnitt reicht nur so weit nach unten, daß man von ihm 
aus den Bruchsack isolieren und herausheben kann; dazu 
braucht man kaum unter die Wurzel des Penis herunterzu¬ 
gehen. Man muß aber bei der Anlegung des Schnittes darauf 
acht geben, daß er auch wirklich die angegebene Lage und 
Richtung erhält und nicht etwa zum Poupartsehen Bande in 
spitzem Winkel verläuft, d. h. nicht steiler ist, als eben ange¬ 
geben wurde. Es soll nämlich die Narbe möglichst tief liegen, 
um der Wirkung der Bauchpresse entzogen zu sein. Nach Ver¬ 
sorgung aller Gefäße wird die Obliquusfaszie sauber freige¬ 
macht und knapp einen Finger breit über dem P oup art sehen 
Bande und genau parallel mit demselben durch trennt. Nach 
der Spina hin muß diese Durchtrennung so weit durchgeführt 
werden, daß ein breites Stück Muskel erscheint, d. h. der 
muskuläre Rand der Bruchpforte ordentlich frei ist. Nun wird 
die durchschnittene Faszie beiderseits mit den geschlossenen 
Branchen einer Co op er sehen Scheere von dem darunter¬ 
liegenden Muskel abgehoben und, damit sie nicht stört, mit 
mehreren Nähten an den Hautrand angeheftet. Der untere 
Faszienlappen geht unmittelbar in das Poupartsche Band 
über, und während man denselben leicht anzieht, isoliert man 
jetzt zunächst dieses Band. Man bedient sich dabei größten¬ 
teils stumpfer Instrumente, doch soll man das Prinzip, stumpf 
vorzugehen, nicht allzuweit treiben, man verletzt häufig weniger, 
wenn man scharf präpariert. An dem freien Rande des Pou- 
partschen Bandes setzt ein ganz zartes Faszienblatt an, welches 
das properitoneale Fett und auch die Femoralgefäße verdeckt. 
Dieses Blatt wird dicht am Leistenbande mit der Schere ein¬ 
geschnitten, hier setzt man einen fingerförmigen Haken in den 
Schlitz ein, zieht das Poupartsche Band nach unten und 
kann nun das genannte Faszienblatt ziemlich leicht vom Pou- 
p art sehen Bande nach oben abdrängen und andererseits das 


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462 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 30 


Poupart sehe Band unter exakter Schonung der großen Gefäße an 
seinem Ansatz an der Symphyse isolieren. Der Bruchsack ist 
bisher noch nicht berührt. Der nächste Akt besteht nun'darin, 
daß die Bruchpforte in exakter Weise freigemacht wird. Zu 
diesem Behufe spaltet man zunächst die Kremasterfasern, welche 
den Bruchsack bedecken, in der Länge der Bruchgeschwulst. 
Dieser Schnitt wird so weit vertieft, daß man den Brachsack 
freilegt, d. h. seinen Inhalt durch das zarto Peritonealblatt 
hindurchschimmern sieht. Sämtliche den Bruchsack bedeckenden 
Lagen werden stumpf angehoben und am besten am Rande der 
Bruchpforte quer eingeschnitten und seitlich zurückgeklappt, 
so daß man den Bruchring, d. h. die ihn von oben einfassenden 
Muskelfasern frei hat. Ein Assistent faßt nun mit einem finger¬ 
förmigen Haken in diesen Muskelhalbring und zieht ihn nach 
oben, während der Operateur zwischen Muskel und Peritoneum 
einen an einem Seidenfaden befindlichen Tupfer in die Höhe 
schiebt. Auf diese Weise soll der Bruchsackhals möglichst 
hoch hinauf isoliert werden, denn es kommt darauf an, daß 
beim schließlichen Abschluß des Peritoneums eine glatte Fläche 
erzielt und jeder Peritonealtrichter vermieden wird. Nunmehr 
wird der Bruchsack geöffnet, die eventuell vorhandene Intestina 
reponiert, die Bauchhöhle provisorisch durch ein eingeschobenes 
Tuch abgeschlossen. Daiauf faßt man die freien Ränder des 
Bruchsackes mit Klemmpinzetten, die man zusammen in die 
linke Hand faßt, und zieht nun auf diese Weise den Bruchsack 
aus seiner Nachbarschaft heraus, bezw. man streift letztere mit 
Tupfer oder Pinzette vom Bruchsack ab. Stellenweise bedient 
man sich auch hier scharfer Instrumente, namentlich in der 
Nähe des Bruchsackhalses, es ist gerade hier sehr unangenehm, 
denselben einzureißen. Hier an dieser Stelle liegen schon 
dickere Lagen properitonealen Fettes dem Bruchsack an, die 
seitlich abgeschoben werden müssen. Daraufhin wird der 
Bruchsack entweder sofort oder nach Verkürzung mit Klemmen 
gefaßt, stark angezogen, mehrmals um seine Achse torquiert, 
was wieder den Zweck hat, ihn möglichst hoch hinauf zu 
isolieren, abgebunden und abgetragen. Der Stumpf wird mit 
einem starken Katgutfaden, der an jedem Ende eine Nadel 
trägt, durchstochen, der vorher zwischen Muskulatur und Peri¬ 
toneum gelegte Tupfer entfernt und in dem dadurch frei- 
gewordenen Zwischenraum die Bauchmuskulatur von hinten, 
d. h. von der rückwärtigen Bauchwand nach vorn und zwar 
möglichst weit entfernt von der Bruchpforte mit den Katgut- 
nadeln durchstochen, die Katgutenden nunmehr auf der Vorder¬ 
seite der Bauchwand geknüpft. Auf diese Weise wird der ab¬ 
geschnittene Bruchsackhals abgeknickt und stark nach oben 
gezogen, was noch ein weiteres Moment für die Vermeidung 
einer Peritonealgrube bedeutet. Daraufhin wird der Samen¬ 
strang im Wundbett aufgesucht und als zusammenhängendes 
Bündel bis zur Bauchwand hin emporgehoben, wobei zuweilen 
die stark geschlängelte Arteria epigastrica freigelegt wird und 
sich aus dem. properitonealen Fett heraushebt; dann wird der 
Sa.menstrang auf einen sogen. Kirsteinschen Haken gelagert, 
in die Höhe gehoben und nun unter und hinter ihm die Mus¬ 
kulatur an das P o u p a r t sehe Band angenäht. Für den Samen¬ 
strang muß eine genügend große, aber nicht zu weite Lücke 
übrig bleiben. 

Wird der Samenstrang gedrückt, so kommt es zu einer 
Nekrobiose, d. h. Atrophie des Hodens. Ist die Lücke zu weit, 
so kann es ein Rezidiv geben. Wo man den Samenstrang hin 
verlagert, ist bei den einzelnen Operateuren verschieden. 
Manche legen ihn ganz in die äußere Ecke der Nahtlinie und 
beginnen die Nähte erst nach innen von demselben. Im Aller¬ 
heiligen-Hospital wird er in der Weise in die Nahtlinie im¬ 
plantiert, daß bereits außen von ihm eine Naht zu liegen 
kommt. Dann folgt die Naht der vorher provisorisch an die 
Haut gehefteten Aponeurose bezw. Faszie des Obliquus und 
zwar, wenn es geht, in der Weise, daß die Faszienblätter mit 
ihren Rändern sich decken, d. h. daß auf diese Weise längs 
der Nahtlinie eine Verdoppelung der Faszie entsteht. Es ist 
dies aber nur auszuführen, wenn dadurch der Samenstrang nicht 
zu stark gequetscht wird. Beim Legen dieser Naht wird der 
Hoden mit einer Pinzette gefaßt und im Grunde des Skrotums 
festgehalten, damit der Samenstrang sich glatt anspannt. Drain 


in den unteren Wundwinkel aus Glas, das nach ein bis „zwei 
Tagen entfernt wird. — Hautnaht. " 

Es tritt manchmal infolge von Nachblutung oder einer 
leichten Zirkulationsbehinderung im Samenstrang eine Schwel¬ 
lung des Hodens und des Skrotums ein. Das Skrotum rutscht 
zwischen den Beinen nach unten und wird eingeklemmt, des¬ 
halb muß es von Anfang an auf ein Keilkissen gelagert und 
hochgehoben werden. Es wird stark mit Zinkpuder einge¬ 
pudert. 

Was die Resultate nach diesem Verfahren anbetrifft, so 
muß ich leider mitteilen, daß einer unserer Patienten gestorben 
ist. Er war in den Ferien operiert worden; es trat eine In¬ 
fektion der Wunde ein, welche die Veranlassung zur Wieder¬ 
eröffnung derselben gab. Bei dieser Gelegenheit wurde auch 
das Peritoneum, wie mir berichtet wurde, eröffnet, und es kam 
zu einer Peritonitis, an welcher Patient zugrunde ging. Bei 
sämtlichen übrigen Patienten trat Heilung per primam intentio- 
nem ein. Dieselben wurden im März 1908 zu einer Nach¬ 
untersuchung bestellt; es haben sich aber nur 30 Hospital¬ 
patienten gemeldet. Ein Rezidiv war eingetreten bei einem 
Patienten, welcher an einem Nabelbruch und an zwei Inguinal¬ 
hernien litt; sämtliche drei Brüche waren rezidiviert; wie mir 
von den beiden Operateuren berichtet wurde, hatten besondere 
Schwierigkeiten bei der Ausführung der Operation nicht be¬ 
standen; bei den übrigen Patienten waren die Narben gut und 
fest, beim Husten und Pressen wölbten sie sich nicht hervor. 
Eine Adrophie des Hodens, welche nach der Bassinischen 
Operation zuweilen beobachtet wird, war nicht eingetreten. 

Wenn auch der Todesfall nach der Herniotomie' Kochst 
bedauerlich ist und das Rezidiv, das in dem einen Falle ein¬ 
getreten war, nicht gerade zur Operation ermuntert, so halte 
ich mich doch auf Grund langjähriger Erfahrung gleich den 
übrigen Chirurgen für berechtigt, warm für dieselbe einzu¬ 
treten. Ich pflege allerdings Patienten, die mich deshalb um 
Rat fragen, ganz offen zu sagen, daß natürlich diese Operation 
ebensowenig wie irgendeine andere ohne Gefahren sei, sowie 
ferner, daß in einem gewissen Prozentsatz Rezidive vorfcu- 
kommen pflegten, daß aber dies Risiko in beiden Beziehungen 
gering sei. 

Die Gefahr des Rezidives wird natürlich mit zunehmender 
Größe des Bruches gleichfalls größer, weil damit auch die 
Operation komplizierter wird, jedoch eigentliche Schwierigkeiten 
pflegen nur einzutreten bei den sogen, übergroßen Her¬ 
nien, d. h. Hernien von Mannskopfgröße und mehr. Hier 
liegt die Unannehmlichkeit zunächst schon darin, daß es 
manchmal gar nicht gelingt, die Eingeweide in den Bauchraum 
zurückzubringen: „der Darm hat sein Heimatsrecht in der 
Bauchhöhle verloren“. Um dies zu erleichtern, hat Sauerbruch 
neuerdings angegeben, man solle die Patienten vor der 
Operation bei knapper Kost und reichlicher Darmentleerung 
täglich mehrere Stunden lang in schräger Lage mit erhöhtem 
Becken liegen lassen; dadurch gewöhnt sich der Darm all¬ 
mählich daran, nach der Bauchhöhle zurückzurutschen, ein 
Vorgang, welcher durch passende Repositionsmanöver, aufge¬ 
legte Sandsäcke und dergleichen unterstützt wird. Mein Lehrer 
Mikulicz pflegte in gleicher Weise bei irroponiblen, nicht 
inkarzerierten Hernien zu verfahren. Ich habe, mehrmals ge¬ 
sehen, daß diese Methode vollkommen Erfolg hatte. Auch Herr 
Sauerbruch berichtet * von seinen guten Erfolgen, und es 
läßt sich verstehen, daß sein Verfahren in vielen Fällen die 
Schwierigkeiten der Situation beseitigen kann. Einmal jedoch, 
als ich dasselbe bei einer ganz kolossalen Skrotalhernie an¬ 
wandte, welche vielleicht s / 4 des gesamten Darmes beherbergte, 
hat es mich im Stich gelassen, obgleich ich die Methode viele 
Wochen lang angewandt hatte. Der Grund war allerdings auch 
sehr klar, denn es stellte sich bei der Operation heraus, daß 
der Darm an allen Ecken und Enden mit dem Bruchsack ver¬ 
wachsen war, so daß die Lösung außerordentlich schwierig 
wurde. Schließlich gelang es mit großer Mühe, den Darm 
vollständig in die Bauchhöhle zu reponieren. Dieser Patient 
ging aber leider zwölf Stunden nach der Operation zugrunde 
und zwar unter zunehmender Atemnot, an den Erscheinungen 
der Erstickung* Es fand sich bei der Sektion ein starker 


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1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


468 


Zwerchfellhochstand und eine erhebliche Kompression der 
Lungen, der Umfang des Leibes hatte nach der Operation 
mehrere Zentimeter zugenommen, man mußte annehmen, daß 
durch die Ueberfüllung des Abdomens der Atmungsmechanis¬ 
mus stark geschädigt worden und der Patient daran zugrunde 
gegangen ist. Es erinnerte mich der Fall an Ähnliches, was 
ich in der Literatur gelesen hatte, speziell an eine Demon¬ 
stration von Herrn Geheimrat Küstner in der Vaterländischen 
Gesellschaft in Breslau. In einem Falle von Operation des 
Nabelschnurbruches hatte er die Leber, die zum großen Teile 
im Bruche Vorgelegen hatte, reponiert mit dem Erfolg, daß der 
kleine Patient innerhalb sehr kurzer Zeit unter ähnlichen Er¬ 
scheinungen, wie ich sie eben beschrieben habe, zugrunde ge¬ 
gangen war; auch Herr Küstner erklärte den Tod in seinem 
Falle in derselben Weise wie ich. 

Bei großen und übergroßen Hernien sind ferner noch eine 
Reihe anderer Schwierigkeiten zu überwinden, so gibt unter 
LRnständen das Verhalten des Hodens zu solchen Veranlassung. 
Der Samenstrang pflegt unter diesen Umständen so auseinander 
gefasert zu sein, daß von einer exakten Isolierung, wie ich sie 
oben geschildert habe, gar keine Rede sein kann. Bei älteren 
Leuten ist es am einfachsten, den Hoden dann ganz wegzu¬ 
nehmen, bei jüngeren hat Bernhard vorgeschlagen, den Hoden 
mit samt dem ganzen Blatte, welches Vas deferens und Gefäße 
enthält, in die Bauchhöhle zu versenken und den Bruchspalt 
ganz zuzunähen. 

Der Vermeidung eines Rezidivs gilt auch der Vorschlag 
von G o e p e 1 - Leipzig, die Bruchpforte mit einem Silbernetz 
zu verschließen. Diese Netze sind im Handel in verschiedener 
Größe zu beziehen und wurden ursprünglich in starrer Form, 
jetzt meistens als Kettennetze geliefert. Die Methode ist viel¬ 
fach angewandt worden, und zwar sind manche Chirurgen so 
vertrauensvoll gewesen, das Netz ohne eine eigentliche vor¬ 
herige Radikaloperation einzunähen. Indessen waren die Er¬ 
folge doch so wenig gleichmäßig, daß der ursprüngliche Beifall, 
den das Verfahren gefunden hatte, etwas verstummt ist. Es 
wäre aber schade, wenn die Methode deshalb ganz in Ver¬ 
gessenheit geraten sollte. Denn wenn sie auch vor Rezidiven 
nicht schützt, so scheint es mir doch, als wenn sie wenigstens 
eine relative Sicherheit gewährte, und daß sie namentlich bei 
Narbenhernien, wo das Material manchmal etwas dünn und 
knapp ist, öfters in passender Weise Verwendung finden könnte. 
Ich besitze Aufzeichnungen über 15 Fälle, in welchen ich 
Silbernetze eingenäht habe, von denen ich einen allerdings 
ausschalten muß, da hier das Netz bei einem kolossalen Baueh- 
bruch nur an einer kleinen Stelle zur Verstärkung der Narbe 
eingelegt wurde. Die übrigen 14 Fälle sind zum Teil schon 
vor mehreren Jahren operiert. Die eingelegten Netze waren 
mit Ausnahme von 3 oder 4 Fällen feste, wenn auch biegsame 
Platten. Ich habe sie immer in der Weise angewandt, daß ich 
erst die vollkommene Radikaloperation ausführte und dann erst 
zwischen Faszie und Haut das Netz einlegte. Gewöhnlich habe 
ich dann für ein. zwei Tage an einer oder zwei Stellen die 
Wunde mit Glasdrains drainiert. Eingekeilt ohne Fistel sind 
sämtliche Netze, obgleich in einem Falle bei einer Patientin, 
einer .furchtbar dicken polnischen Jüdin, für mehrere Tage eine 
stärkere Sekretion aus den Drains bestand. Es handelte sich 
bei den Patienten viermal um Nabelbrüche, in allen anderen 
Fällen um Narbenhernien, welche in einem Fall nach Operation 
eines eingeklemmten Schenkelbruches mit Darmresektion, in 
den anderen Fällen teils nach Blinddarmoperation, teils nach 
Leberoperationen zurückgeblieben waren. Rezidive habe ich 
gesehen bei einer Nabelhernie und bei einer Narbenhernie nach 
Operation einer eitrigen Perityphlitis, doch sind sechs Fälle 
erst im letzten Jahre operiert. Die Kettennetze wurden alle 
ohne Beschwerde vertragen, in den anderen Fällen bei den 
festen Netzen (Drahtgitter) hatten die Patienten zuweilen Be¬ 
schwerden dadurch, daß die Kante gegen die Haut drückte, 
doch waren diese Beschwerden in keinem Falle so erheblich, 
daß eine spätere Entfernung des Netzes erwogen wurde. Inter¬ 
essant ist es, daß die eingepflanzten Netze, wie es scheint, einer 
gewissen Auflösung fähig sind. An einem Netz habe ich jeden¬ 
falls ganz bestimmt durch wiederholte Röntgenaufnahmen kon¬ 


statieren können, wie es allmählich in großem Umfange zerriß, 
obgleich es abgesehen von dem Druck, den es auszuhalten 
hatte, funktionell nicht in Anspruch genommen wurde. Es ist 
dies deswegen interessant, weil v. Brunn aus der Tübinger 
Klinik die Patellarnähte nachuntersucht hat und konstatieren 
konnte, daß die dazu verwandten Silberdrähte so gut wie aus¬ 
nahmslos später auseinanderrissen. Wenn man hierfür viel¬ 
leicht auch die starke Inanspruchnahme bei der Funktion ver¬ 
antwortlich machen kann, so sprechen doch andererseits die 
Experimente von Credö, welcher dünne Silberplättchen auf 
Bakterienplatten legte und eine Auflösung des Metalles kon¬ 
statieren konnte, dafür, daß in der Tat auch selbst der¬ 
artige feste Substanzen durch Zelltätigkeit angegriffen werden 
können. 

Daß in meiner kleinen Statistik von eingenähten Netzen 
die Nabelhernien eine verhältnismäßig große Rolle spielen, 
ist kein Zufall, denn hier müssen wir eingestehen, daß unsere 
Resultate bei der Radikaloperation noch nicht hervorragende 
sind. Ein Operationsverfahren für größere Nabelhernien hat 
Graser vor zwei Jahren angegeben. (Vbdlg. des Chirurgen¬ 
kongresses 1906.) Derselbe benutzt das Prinzip des Faszien¬ 
querschnittes, d. h. während die Peritoneal wunde und ebenso 
die aus ihrer Scheide freipräparierten Rekti längs vereinigt 
werden, war die Faszie ebenso wie die Haut über dem Bruch¬ 
sack quer gespalten und wird nun in dieser Richtung ver¬ 
einigt; die Nahtlinien kreuzen sich also. 

Graser hat sein Verfahren für sehr große Nabelhernien 
erdacht und es dabei trotz des hier notwendigen komplizierten 
und langdauernden Eingriffes für sehr bewährt gefunden. Auf 
meiner Hospitalabteilung ist dasselbe seitdem in typischerWeise 
zweimal ausgeführt worden, das eine Mal von Herrn Dr. 
Mertens im Jahre 1906 bei dem Patienten, dessen Abbildung 
ich nachstehend gebe, das zweite Mal August 1907 von Herrn 
Dr. Goldenberg bei einer Frau, ebenfalls mit großer Nabel- 
hernie. Beide Patienten waren nach zwei bezw. einem Jahr 
ohne Rezidiv. 



Abb. 1. 


Ich habe das Prinzip der Operation dann noch in zwei 
Fällen bei großen Narbenbrüchen verwandt, doch fiel hier die 
Operation etwas atypisch aus, das vorhandene Gewebsmaterial 
war spärlich, so daß es kein Wunder war, wenn in einem 
Falle wieder ein Rezidiv eintrat. Ich halte aber das Graser- 
sche Verfahren für ausgezeichnet. 

Sehr wichtig erscheint mir an der Gras ersehen Methode 
der Umstand, daß der Autor die Rekti aus ihrer Scheide weit¬ 
hin auslöst. Auf diese Weise nämlich mobilisiert, können sie 
weit nach der Mittellinie herübergezogen und in der Regel ohne 
Spannung durch Naht vereinigt werden. Ich verwende dieses 
Prinzip bei der Operation aller Nabelbrüche, der epigastrischen 


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464 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 30 


Hernien und bei allen Narbenbrüchen, d. h. es wird — früher 
von einem Längsschnitt aus, jetzt eventuell mit dem Gras er¬ 
sehen Querschnitt — der Bruchsack freigelegt und zwar gleich 
so ergiebig, daß man seine Muskelbegrenzung gut übersehen 
kann. Das ist ganz besonders wichtig, namentlich auch bei 
Narbenbrüchen. Dann eröffnet man entweder sofort den Bruch¬ 
sack, versorgt die Eingeweide und kürzt das Peritoneum, so 
weit es nötig ist, um nun die Faszienscheide zu eröffnen, oder 
man führt sofort am Rande des Bruchsackes einen Ovalär- 
schnitt aus und zwar bis auf den durch die Faszie schim¬ 
mernden Muskelrand; die Blätter der somit eröffneten Muskel¬ 
scheide werden vom und hinten vom Muskelbauch abgehoben, 



Abb. 2. 


wodurch dieser so locker wird, daß er sich ohne Schwierigkeit 
verschieben läßt. Dann folgt die Naht, zuerst hinteres Faszien- 
blatt samt Peritoneum, dann Muskel, dann vordere Faszie. Zur 
Naht dient Seide; die Muskelnähte werden^nur so weit ange- 



Abb. 3. 


zogen, daß die Muskelränder sich gerade berühren, Einrisse in 
der Substanz durch zu festes Schnüren sind zu vermeiden. 

Auch ohne Faszienquerschnitt hat mir diese Art der Ver¬ 
sorgung sehr gute Resultate gegeben. Allerdings muß, um den 
Muskel frei zu bekommen, der Schnitt oft ziemlich lang ge¬ 
macht werden, so z. B. bei Nabelhernien mit weiter Diastase 
der Rekti oder bei epigastrischen Hernien. Ist die Haut des 
Nabels sehr verdünnt, so wird man ihn wohl opfern, ist das 
nicht der Fall, so namentlich bei epigastrischen Hernien — 
falls hier der Nabel in den Schnitt hineinbezogen werden muß 
—, so kann man den Nabel, wie dies auch von anderer Seite 
vorgeschlagen ist, schonen. So konnte ich in zwei Fällen, von 
denen ich eine Photographie beigebe (Abb. 2 u. 3), bei jungen 


Männern mit einer ziemlich großen epigastrischen Hernie und 
einer weitgehenden Diastase der Rekti den Nabel in Form eines 
langen Lappens umschneiden und die Haut beiseite klappen. 

Bei Kruralhernien haben wir bisher nicht Gelegenheit ge¬ 
habt, behufs Radikaloperation etwas anderes als eine Ver- 
nähung der Bruchpforte vorzunehmen. Ich habe aber nur 
sehr wenige Fälle davon operiert und vorläufig kein Rezidiv 
gesehen. 

Bei der Operation eingeklemmter Hernien wird von 
vornherein darauf Rücksicht genommen, daß dieselbe als 
Radikaloperation beendet werden kann. Infolgedessen wird 
der Schnitt nicht über die ganze Länge der Bruchgeschwulst, 
sondern ganz so angelegt, wie es vorher beschrieben worden 
ist. Er geht also auch parallel dem Poupartschen Bande, 
beginnt etwas unterhalb der Spina und zieht sich eventuell in 
einem leichten Bogen in das Skrotum hinein. Auch hier wird 
zuerst, ohne Rücksicht auf die Einklemmung, der äußere Bruch¬ 
ring freigelegt und die Faszie gespalten, ebenso der Kremaster. 
Um nun die Muskulatur bei Spaltung des eingeklemmten 
Bruchringes nicht zu sehr zu verletzen, und auf diese Weise 
die spätere Nahtlinie nicht zu sehr zu gefährden, suche ich 
jetzt den Muskel vom Peritoneum abzuheben, und indem ich zwei 
stumpfe Haken zwischen Muskulatur und Peritoneum setze, 
wird diese durch vorsichtiges Anziehen der Haken gedehnt. 
Die Bruchpforte ist dann schon so weit, daß in den meisten 
Fällen der Bruchinhalt reponiert werden könnte, aber natür¬ 
lich geschieht dies nicht, sondern der Bruchsack wird eröffnet, 
weil man unter allen Umständen die Beschaffenheit der einge¬ 
klemmten Eingeweideteile prüfen muß. Diese Dehnung nehme 
ich allerdings nur dann vor, wenn die Einklemmung relativ 
frisch ist, denn ich habe zwar niemals gesehen, daß der ein¬ 
geklemmte Darm bei diesem Verfahren einem besonderen 
Druck ausgesetzt ist, aber man könnte sich doch diese Mög¬ 
lichkeit konstruieren und annehmen, daß dieselbe bei schon 
beschädigtem Darm nicht ohne weiteres ertragen wird. Nach 
Eröffnung des Bauchfelles wird der Bruchsackhals so weit ein¬ 
geschnitten, daß der Darm gut vorgezogen und besichtigt 
werden kann, namentlich natürlich, wenn er gangränver¬ 
dächtig ist: der Bruchring muß dann so weit sein, daß der 
Darm zwanglos ein gehöriges Stück vor die Wunde gebracht 
werden kann, eine eventuelle Resektion darf erst begonnen 
werden, wenn dies erreicht ist. Man kann zu diesem Zwecke 
den Bruchring an mehreren Stellen einkerben. 

Die Frage, ob primäre Darmresektion oder künstlicher After 
bei brandiger Hernie, möchte ich für meine Person in 
folgender Weise beantworten: es kommt vor allen Dingen 
darauf an, die Gefahr der Peritonitis zu umgehen. Zeigt sich 
der Darm nach Eröffnung des Bruchsackes zwar gangränver¬ 
dächtig, so am Scheitel der eingeklemmten Schlinge oder an 
den Schniirfurchen, ohne daß aber die Kontinuität nachweis¬ 
lich oder wahrscheinlich in erheblichem Maße gelitten hat, so 
soll man getrost die Resektion machen, entweder zirkulär oder 
als seitliche Anastomose mit blindem Verschluß der Enden; ist 
dagegen der Darm erheblich verändert, matsch, das Bruchwasser 
schwer infiziert, stinkend, oder ist der Darm womöglich bereits 
perforiert, so daß beim Anfassen Gas oder Kot aus demselben 
quillt, so ist es besser, die Operation möglichst bald zu beenden, 
den Bruchring zu spalten, den Darm vorzuziehen, beide 
Schlingen parallel, eng nebeneinander zu lagern und im Ge¬ 
sunden mit Haut zu umsäumen; der Bruchsack wird entfernt, 
die Wunde durch Naht geschlossen, aber drainiert, der vor¬ 
gelagerte Darm mit Gaze umgeben und das Brandige sofort 
oder nach einigen Stunden entfernt. Nach einigen Tagen, 
nachdem der Ausfluß des stark gestauten Darminhaltes nach¬ 
gelassen hat, wird mit dem Anlegen der Spornquetsche be¬ 
gonnen, wozu eventuell jede Arterienklemme benutzt werden 
kann. Ist eine genügende Kommunikation zwischen beiden 
Darmteilen vorhanden und sind die Wundverhältnisse soweit in 
Ordnung, so wird der Testierende Anus verschlossen, was nach 
Ablösen der Darmwand von der Haut leicht gelingt. Wurde 
dabei das Peritoneum eröffnet, so wird es nach Reposition des 
Darmes durch Naht geschlossen, die Weichteilwunde drainiert; 
war die Eröffnung des Bauchfelles nicht nötig, so legt man 




1908. 


465 


TÄRAPETJTISCHE RUNDSCHAU. 


am besten auf die in der Wunde freiliegende Bannnabt einen 
aus der Nacbbarscbaft entnommenen gestielten Hautlappen, um 
die Ernährung des Darmes zu sichern. 

Die Resektion des Darmes ist mit blindem Verschluß der 
Darmenden und seitlicher Anastomose leichter zu bewerk¬ 
stelligen als die zirkuläre Darmnaht, doch bietet auch diese 
keine erheblichen technischen Schwierigkeiten. Die Darm¬ 
schlinge, an der genäht werden soll, wird, ehe reseziert wird, 
entleert, d. h. es wird am besten die zu resezierende Partie 
beiderseits mit einem durch das Mesenterium gestochenen 
dicken Seidenfaden abgebunden oder durch Klemmen abge¬ 
schlossen, und dann die Dannpartien rechts und links jenseits 
der Fäden durch Streichen von ihrem Inhalt befreit; ist dies 
eine genügende Strecke weit geschehen, so legt man an der 
Grenze des entleerten Darmes eine Darmklemme an oder um¬ 
schnürt wieder mit einem Seidenfaden, eine Besudelung des 
Operationsgebietes mit Kot kann auf diese Weise mit Leich¬ 
tigkeit vermieden werden. Wählt man den blinden Verschluß 
der Darmenden, so wird an der geeigneten Stelle mit einem 
Quetschinstrument eine breite Furche im Darm angelegt und 
der Darm vor dem Durchtrennen mit einem dünnen Seiden¬ 
faden gleich zugebunden; dann Abtrennung des Mesenteriums 
partienweis, Resektion der brandigen Schlinge, Naht der Darm¬ 
enden, AneinanderleguDg der geschlossenen Därme im Sinne 
der Peristaltik, Anastomose. 

Bei der zirkulären Darmnaht ist die gefährdete Stelle der 
Ansatz des Mesenteriums, weil hier der Darm zwischen den 
beiden auseinanderweichenden Peritonealblättern von Serosa 
frei ist. Mein Lehrer Mikulicz legte zuerst ein bis zwei 
Intermesenterialnähte, d. h. Lembertsche Nähte, welche das 
spärliche Fett- und Bindegewebe zwischen Peritonealblättem 
nach Art der Lembertsehen Naht faßten, dann verband er 
die beiden Schnittränder des Darmes, soweit sie im Mesenterial¬ 
spalt lagen, durch eine Czerny sehe Darmnaht, schließlich 
folgten zwei Paramesenterialnähte, das heißt an jedem der 
beiden auseinandergewichenen Mesenterialblätter je eine Lem¬ 
bertsche Naht dicht am Darmansatz: so lag der vom Peri¬ 
toneum entblößte Darmabschnitt eingemauert zwischen den 
Peritonealblättern. 

Bei der Darmresektion und Darmnaht tamponiere ich das 
Peritoneum nicht, sondern verschließe es durch Naht völlig 
oder lege ein Drainrohr ein. Ich glaube, daß der Tampon 
durch seine stark saugende Wirkung die Ernährung der ge¬ 
nähten Schlinge beeinträchtigt und auch durch sein direktes 
Verkleben mit der Nahtlinie deren Sicherheit gefährdet; ein¬ 
mal vor Jahren habe ich auch durch die starken, auf diese 
Weise erzeugten Verwachsungen eine Abknickung des Darmes 
und Ileus erlebt. Die Weichteil wunde muß aber gut drainiert 
werden. 

Im Jahre 1890 hat Helferich sein Verfahren bei der 
Gangrän verdächtigem Darm angegeben. Er macht den Vor¬ 
schlag, die gefährdete Schlinge außerhalb der Bauchhöhle liegen 
zu lassen nach Herstellung einer Darmanastomose zwischen 
zu- und abführendem Darmstück abdominal von der Einklem- 
mungsstelle. Bei der Wichtigkeit des Gegenstandes erlaube ich 
mir eine seiner Krankengeschichten in extenso anzuführen. 
(Verhdlg. der Dtsch. Gesellschaft für Chirurgie, 1890, p. 876.) 

Aeltere Frau mit eingeklemmtem linksseitigem Leisten¬ 
bruch : 

„Es wird sofort zur Operation geschritten. Der Bruchsack 
wird gehörig freigelegt, dann eröffnet. Er enthält keine Spur 
Bruchwasser. Sein Inhalt ist eine gegen 20 cm lange Darm- 
schlinge, welche in drei Windungen so gelagert ist und der 
Wandung des Bruchsackes anliegt, daß hierdurch die erwähnte 
lappige Form der Bruchgeschwulst bedingt ist. Zwischen 
Darm und Bruchsack befinden sich stellenweise lockere, leicht 
trennbare Adhäsionen. An der vorliegenden Darmschlinge 
finden sich zwei größere blauschwarze, bezüglich ihrer Inte¬ 
grität verdächtige Stellen; sie sind gegen das weniger ver¬ 
änderte Gewebe durch einen gelblichen Ring abgegrenzt und 
sitzen in der Nähe der Bruchpforte an dem einen Ende der 
Schlinge. Nach gehöriger Erweiterung der Bruchpforte wird 
der Darm aus der Bauchhöhle weiter hervorgezogen. Die Ein¬ 


klemmungsstelle ist an dem abführenden Schenkel mehr aus¬ 
geprägt als an dem zuführenden, doch nirgends der Gangrän 
verdächtig wie die schon erwähnten zwei Stellen. — Wegen 
der letzteren muß auf eine einfache Reposition verzichtet 
werden. Es schien mir das Geratenste, die vorgezogene 
Schlinge vorläufig außerhalb der Bauchhöhle liegen zu lassen; 
zugleich aber abdominal eine Enteroanastomose zwischen zu- 
und abführendem Darmstück anzulegen. — Hierzu wurde der 
Darm — beide Schenkel — beträchtlich hervorgeleitet, vor¬ 
sichtig und ohne weitere Inzision der Bruchpforte. Etwa 
15 bis 20 cm jenseits der Einklemmungsstelle werden die 
Darmlumina durch Wegstreichen des Inhaltes leer gemacht 
und diese Stellen in der gewöhnlichen Weise durch dünne 
Gummiröhrchen abgesperrt. An diesen Stellen wird nun gegen¬ 
über dem Mesenterialansatz das Darmlumen in der Längs¬ 
richtung jederseits etwa 4 cm weit geöffnet; die Wundränder 
werden nach genügender Desinfektion sorgfältig so miteinander 
vernäht, daß eine breite, ca. 4 cm lange Oeffnung zwischen 
den Darmstücken entsteht. — Dieses Darmstüek, an welchem 
sich die Verbindung der beiden Schenkel findet, wird nunmehr 
vorsichtig durch die Bruchpforte in die Bauchhöhle zurück¬ 
geschoben, so weit, daß es reichlich innerhalb der Bauchhöhle 
liegt, während die Einklemmungsstellen und die ganze einge¬ 
klemmte Darmschlinge — durch zwei feine Nähte an der 
Bruchpforte etwas befestigt — außerhalb liegen bleiben. 
Lockerer Verband mit Jodoformgaze und Watte. Dauer der 
Operation 1V 2 Stunden. 

Das Befinden nach der Operation war leidlich. Am folgenden 
Tage zeigt sich an den der Gangrän verdächtigen Stellen keine 
Besserung. Die Darmschlinge bleibt daher in der bisherigen 
Lage außerhalb der Bauchhöhle. 

Das Gesamtbefinden ist ein recht befriedigendes. Kein 
Fieber. Erbrechen ist nicht mehr vorgekommen; Abgang von 
Flatus. — Drei Tage später ist an den erwähnten verdächtigen 
Stellen völlige Gangrän ausgebildet. In der Folge perforieren 
diese brandigen Stellen und lassen auch etwas Kot austreten, 
während das Gesamtbefinden der Frau sich zusehends bessert 
und die Darmpassage sich ganz ungestört erweist. Patientin 
ist stets fieberlos. — Am 28. November, d. h. neun Tage nach 
der Operation, wird der größere Teil der vorliegenden Darm¬ 
schlinge mitsamt den Perforationsstellen reseziert; doch bleiben 
noch l J / 2 bis 2 Finger breit die Darmenden stehen, um nach 
etwas weiter reichender Entfernung ihrer Schleimhaut durch 
Nähte in geeigneter Weise verschlossen zu werden. Dies wird 
ohne Narkose, doch nicht ganz ohne Schmerz ausgeführt; zahl¬ 
reiche blutende Gefäße müssen unterbunden werden. — Beim 
Verbandwechsel am 28. November zeigt sich, daß aus einer 
kleinen Oeffnung im zuführenden Darmstück noch etwas kotige 
Flüssigkeit aussickert. Mäßiges Ekzem der umgebenden Haut. 
Die ganze gutgranulierende Wunde (die Darmenden) prominiert 
noch etwas über das Niveau der umgebenden Haut. Es wird 
versucht, durch beständiges Auflegen eines Schrotbeutels auf 
den Verband die Wunde zu komprimieren und die Fistel zum 
Verschluß zu bringen. Dieses Hilfsmittel hat die beste Wirkung. 
Schon Ende Dezember ist die Fistel nur mehr eng und die 
Wunde sehr verkleinert, so daß demnächst ein letzter Eingriff 
— Ablösen der Hautränder und etagenförmiger .Verschluß der 
Wunde — vorgenommen wird, welcher zur definitiven Heilung 
führt. Infolge einer interkurrenten Influenza kann Patientin 
erst am 15. Februar 1890 entlassen werden, völlig geheilt und 
in gutem Kräftezustande. — Spätere Nachrichten melden die 
andauernde Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der Frau.“ 

Ich sah mich vor etwa zwei Jahren vor die Aufgabe ge¬ 
stellt, eine große brandige Dünndarmhernie bei einer alten 
Frau zu operieren, bei der bereits eine brandige Phlegmone 
des Bruchsackes und der Haut bestand. Es war noch keine 
Peritonitis vorhanden. Hätte ich aber die Herniotomie in ge¬ 
wöhnlicher Weise gemacht, so hätte ich sicher eine solche 
erzeugt. Auch die Helferich sehe Operation schien mir nicht 
den genügenden Schutz zu bieten. Ich ging daher so vor, daß 
ich mich zunächst gar nicht um den eingeklemmten Bruch als 
solchen kümmerte, sondern die Laparotomie machte,. mir zu- 
und abführenden Schenkel aufsuchte, zwischen beiden die 


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Original fru-m 

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I 


466 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 30 


Anastomose machte, den Darm und Mesenterium intraabdo- 
minell zwischen Anastomose und Einklemmung durchschnitt, 
alle vier Enden blind verschloß, die geöffnete Bauchhöhle dicht 
mit Laparotomietüchern vollstopfte, nun den Bruchsack er- 
öffnete und nach Erweiterung des Bruchringes das untere, ein¬ 
geklemmte, nunmehr bereits vollkommen gelöste Darmstück 
herauszog. In diesem Falle exstirpierte ich dann den Bruch¬ 
sack, schob einen Tampon in das Peritoneum und verschloß 
die Bauchwunde. Das war ein Fehler, denn es kam am zu¬ 
führenden, blind verschlossenen Darmende zur Nekrose, es ent¬ 
stand eine Kotfistel, und die Patientin ging innerhalb von etwa 
drei Wochen an Inanition zugrunde. Ich glaube, ich hätte 
dies aus oben angegebenen Gründen durch Verschluß der 
Bauchhöhle vermeiden können; eine Peritonitis war in diesem 
Falle jedenfalls verhütet worden. In zwei anderen Fällen, 
einer von mir, einer von meinem Assistenten Herrn Dr. Brade 
operiert, trat prompte Heilung ein; die Bauchhöhle war zuge¬ 
näht worden. Ein vierter Fall starb, es bestand bereits zur 
Zeit der Operation eine septische Peritonitis, endlich ein fünfter 
Fall, in dem der größte Teil des Dünndarmes und das Zökum in 
einem linksseitigen Bruchsack lagen und gangränös oder gangrän- 
verdächtig waren, starb leider auch; hier hatte nach der Re¬ 
sektion die Dickdarmnaht nicht gehalten. 

Die von mir mit dieser Methode erzielten Resultate sind 
also bisher nicht sehr glänzend, aber wie die Mitteilung zeigt, 
lag dies zum Teil an Verhältnissen, die vielleicht auch als 
technische Fehler bezeichnet werden müssen, aber doch der 
Methode als solcher nicht zur Last fallen. Das ist jedenfalls 
sicher, daß man auf diese Weise die Gefahren der Peritonitis 
ganz erheblich zurückdrängt. Will man übrigens noch sicherer 
gehen, so kann man vielleicht das Peritoneum zirkulär in der 
Umgrenzung der beiden blindgeschlossenen Enden der peripher 
liegenden, abgetrennten (eingeklemmten) Schlinge umschneiden, 
vom Abdomen aus diesen Peritonealdefekt über den Darm¬ 
stümpfen nähen, so daß diese ganz extraperitoneal liegen und 
dann auch die ganze Bauchwunde schließen. Wenn man das 
Peritoneum etwas von seiner Unterlage ablöst, so wird das wohl 
keine großen Schwierigkeiten machen. Erst dann kann man 
den Bruchsack eröffnen und seinen Inhalt ganz ohne Berührung 
mit der Bauchhöhle entleeren. 


Ob man das als Normalverfahren für alle gangränver¬ 
dächtigen Hernien betrachten soll, will ich vor der Hand noch 
nicht behaupten, für die eingeklemmten Hernien mit Plileg- 
moue des Bruchsackes stellt es meiner Ansicht nach ab,er 
das Normal verfahren dar. Es ist mir nicht bekannt, ob dies 
Verfahren an anderen Orten häufiger geübt wird; da es, t 
namentlich nach Publikation der Helfe ri ch sehen Operation^ 
nahe liegt, so ist dies durchaus möglich. In der Tat teilte mir 
Herr Prof. Kader auf meine Anfrage mit, daß er seit langer 
Zeit diese Methode übt. 


Er schreibt mir: „Ich operiere die gangränösen Hernien 
als auch solche, welche nekroseverdächtig sind; stets so, daß 
ich zunächst laparotomiere und recht weit vom Bruch eine 
breite Enteroanastomose anlege, bald ohne, bald mit vorheriger 
Entleerung des Darminhaltes. Letzteres geschieht in Fällen 
vou starker Blähung der zuführenden Darmschlingen. Nach 
Fertigstellung der Laparotomie und Bereitmachung. der für die 
Enteroanastomose bestimmten Darmpartien wird die Einklem¬ 
mung nach vorheriger Faltung der den eingeklemmten Darm 
bedeckenden Häute von der Laparotomiewunde gelöst und je 
nach Befund lokal oder nach vorheriger Vorlagerung vor die 
Bruchpforte entleert. Das weitere Verfahren nach Fertig¬ 
stellung der Enteroanastomose ist verschieden ; entweder wird 
zunächst nichts mehr gemacht oder lokal reseziert, und die 
Darmenden werden blind vernäht. Das resezierte Stück wird 
in diesen Fällen nur selten liegen gelassen, meist entferne ich 
dasselbe. Ich operierte in dieser Weise alle gangränösen 
Hernien, welche auf mich in Breslau entfielen, die erste glaube 
ich 1893 oder 1894. Unter diesen befindet sich ein Fall von 
Resektion von über 2 m Darm. Ich habe diesen Fall, einen 
Mann, aber auch einen anderen, eine Frau, in der Vater¬ 
ländischen Gesellschaft vorgestellt und über die Methode ge¬ 


sprochen. In Krakau operiere ich nur in der beschriebenen 
Weise.“ 

Als ich meine Fälle operierte, war mir die Methode von 
Kader nicht bekannt, ich war bei der Demonstration seiner 
Fälle nicht zugegen. Ich entsann mich aber, daß er nach 
einer neuen Methode mit gutem Erfolge operiert hatte und wollte 
daher nicht versäumen, mich vor meiner eigenen Mitteilung über 
sein Vorgehen zu erkundigen. Ich kann aber nunmehr auf 
Grund eigener Erfahrungen ihm völlig beipflichten. 


CD 


REFERATE. 



Säuglingsfürsorge. 

Referent: Dr. Gustav Tugendreich, leitender Arzt der 
städtischen Säuglingsfürsorgestelle 5 in Berlin. 

1. Versuch zur vorläufigen statistischen Aufklärung über 
die Ergebnisse der modernen Säuglingsftirsorge. Von Biedert. 

Med. Reform, 1908, Nr, 28. 

2. Die Säuglingsfürsorge und der Staat. Von Effler. Zeit¬ 
schrift f. Säuglingsfürsorge, Bd. II, H. 7. 

1. Biedert findet in der französischen Statistik keinen Be¬ 
weis für Erfolge der gerade von Frankreich ausgehenden modernen 
Säuglingsfürsorge. Zwar ist die Säuglingssterblichkeit in Frank¬ 
reich beständig gesunken und besonders kräftig seit dem Anfänge 
der neunziger Jahre, in dem die Fürsorge in Frankreich ein¬ 
gesetzt hat. 

Wenn man aber die Sterbefälle sondert nach Land und Stadt, 
so sieht man, daß die Verminderung der Säuglingssterblichkeit 
nur auf dem Lande stattgefunden hat, in den Städten aber gleich 
geblieben oder sogar etwas gestiegen ist. 

Gerade in den Städten aber wird die Säuglingsfürsorge be¬ 
trieben, auf dem Lande ist der Rückgang der Sterblichkeit ohne 
öffentliche Fürsorge erfolgt. 

Daraus folgert Biedert, daß die letzten Ursachen der Säug¬ 
lingssterblichkeit in der schlechten sozialen Lage zu suchen sind, 
auf die die Säuglingsfürsorge an sich nicht einwirken kann. Die 
Verschlechterung der sozialen Lage durch den Kinderreichtum 
des Proletariats wird anerkannt. Aber die Besserung der suzialen 
Lage will Biedert nicht durch die künstliche Beschränkung der 
Konzeptionen herbeiführen. Warnend weist er auf Frankreich hin, 

' wo heute schon mehr Menschen sterben als geboren werden. 
VBiedert appelliert vielmehr an die Weisheit des Staates, der für 
feine so gute Verteilung der Arbeit und ihrer Ergebnisse sorgen 
soll, daß die Bevölkerung am meisten durch Mehrung ihres Arbeits¬ 
ertrages, am wenigsten durch Minderung des Volkszuwachses das 
logische Verhältnis zwischen Volkszahl und Lebensmitteln zu er¬ 
reichen vermag. 

2. Biederts skeptische Bewertung der Säuglingsfürsorge 
erscheint dem Referenten zum mindesten verfrüht. Die Säug¬ 
lingsfürsorge ist noch allerorts — auch in Frankreich — so 
lückenhaft, so schlecht organisiert, daß eine Statistik wohl den 

I bisher erzielten geringen Erfolg veranschaulichen kann, aber nicht 
! den Schluß auf die Zwecklosigkeit der Säuglingsfürsorge — auch 
nach ihrem Ausbau — gestattet. 

Daß besonders auch in Deutschland die Säuglingsfürsorge 
noch in den primitivsten Entwicklungsstadien steckt, das zeigt 
Eff ler in seinem Aufsatz. 

Der Entwicklungsgang der Maßnahmen, die im Dienste der 
öffentlichen Gesundheitspflege ergriffen werden, läßt sich in vier 
Stadien teilen. Im ersten treten einige einsichtige Menschen¬ 
freunde zur Abhilfe zusammen (private Wohltätigkeit), im zweiten 
Stadium bringen städtische Behörden und Korporationen Hilfe 
(kommunale Fürsorge), im dritten Stadium leiht der Staat den 
privaten oder kommunalen Fürsorgebestrebungen seine Hilfe, im 
vierten endlich nimmt der Staat selbst die Fürsorge in die Hand 
(staatliche Fürsorge). 

Die allgemeine Säuglingsfürsorge in Deutschland ist nun noch 
nicht über de« erste und zweite Stadium hinausgekommen. Alles 



fl 




ai!908. 


JKERÄJPEÜfISOHE RUNDSCHAU. 


467 


-liegt/Jbier nochinf den Händen der .privaten oder kommunalen 
„^Verbände. • Weiter- vorgeschritten sind wir auf dem Gebiete der 
• besonderen Fürsorge.,für obdachlose nnd elternlose Kinder, für die 
unehelichen iisw.. Zum Teil, hat für diese Kategorien auch der 
schon eine s Beihilfe übernommen (Ziehkinderwesen). Nach 
•Effler liegt aber überhaupt noch zu wenig Erfahrungsmaterial 
vor,,eine Folge der mangelhaften Organisation und Zentralisation, 
.als daß man die Frage der allgemeinen Fürsorge durch den Staat 
in Deutschland als spruchreif bezeichnen könnte. 

Hingegen ist die besondere Fürsorge, speziell das Ziehkinder¬ 
wesen, schon so weit ausgebildet, daß der Wunsch nach seiner Ver¬ 
staatlichung berechtigt ist. 


Magen*, Dann- und Stoffwechselleiden. 

Referent: Spezialarzt Dr. M. Pickardt, Berlin. 

li Heber die Aetiologie des digestiven Magensaftflusses. 
-Von Huppert. > Med. Klinik, 1908, Nr. 15. 

2. Zur Behandlung der chronischen habituellen Obstipation. 

Von Blümel und Ulrich Deutsche med. Wochenschr., 1908, 
Nr. 27. 

. 3. Zur .Therapie des Ulkus ventrikuli und der Hyperazidität 
des Magensaftes mittels der Kapsnl. ol. olivar. asept. Von 

Köhler. Prag. med. Wochenschr. 1908, Nr. 28. 

1. In den letzten Jahren ist mit wachsender Deutlichkeit 
ein Symptomenbild aus dem Gebiete der Verdauungskrankheiten 

. herausgehoben worden, das sich unter der Bezeichnung: „alimen¬ 
täre Hypersekretion“ einbürgert. Es ist diagnostisch folgender¬ 
maßen zu umgrenzen: In einem nachgewiesenermaßen in 
nüchternem Zustande leeren Magen findet sich eine Stunde nach 
eingenommenem Probefrühstück eine große Menge Inhalt mit 
relativ viel freier Salzsäure und relativ sehr wenig festen Be¬ 
standteilen. Beschwerden wie bei Hyperazidität. 

H. hat sich der Aufgabe unterzogen, eine größere Reihe von 
solchen Fällen auf ihre Aetiologie hin zu untersuchen, um so der 
Therapie derselben prinzipiell Fingerzeige geben zu können. So 
glaubt hr in 62 Fällen 35 mal Ulkus ventrikuli bezw. Verdacht 
darauf eruiert zu haben, in 15 allgemein nervöse Symptome usw. 
Eine verhältnismäßig hohe Anzahl von Patienten hatten eine 
chronische Obstipation, so daß Verfasser in diesen drei angeführten 
Faktoren wichtige ätiologische Momente sieht und von deren Be¬ 
einflussung sich Erfolg verspricht. Auch der Abusus nikotini ist 
zu berücksichtigen. 

2. Ad. Schmidt hat vor einigen Jahren die Ansicht aus¬ 
gesprochen, daß die chronische Obstipation auf einer zu hohen 
Ausnutzung der Speisen im Darm beruhe, so daß zu wenig Inhalt, 
zu geringe Reste übrig blieben, um einen genügenden Reiz für 
die' Muskulatur des Kolons abzugeben. Ref. ist der Meinung, 
daß das Verhältnis gerade umgekehrt sei, d. h. daß, weil die 
Motilität verlangsamt ist, die Ausnutzungsfähigkeit eine größere 

. ist. Dieser Ansicht sind auch die Verff. und kommen so ex ju- 
vantibus zur gleichen Auffassung, weil sie bei Patienten — natür¬ 
lich solche, bei welchen organische Magen- oder Darmleiden oder 
Verlagerungen der Abdominalorgane als Ursache der Obstipation 
bestanden, ausgeschlossen — mit auf die Steigerung des 
Anreizes der Peristaltik gerichteten Maßnahmen Erfolge erzielten. 
In solcher kausalen Therapie hat auch schon anderen ein zellu¬ 
losereiches Brot Dienste geleistet — so das bekannte, von Rade¬ 
mann in Frankfurt a. M. fabrizierte D. K.-Brot — auch Brot mit 
Kleie, Korkstückchen, Sägespänen, Sand hat man gebacken. Die 
Verff. empfehlen nach vielen Versuchen ein Brot, bei dem auf 
1 Va Pfund Teig 50 g feine, sorgsam durchgesehene, fein ge- 
-• siebte Buohenspäne von im Spätherbst geschlagenen Holz zuge- 
setzt sind; das ausgebackene Brot enthält dann 10% Rohfaser. 

Dieses „Zellulose-Brot“ hat einen ganz reinen Brotgeschmack, 
das sich an einer großen Anzahl von Kranken — in der Weickert- 
schen Lungenheilanstalt in Görbersdorf — bewährt hat. 

3. Die in,,- die Therapie einiger Magenaffektionen — Ulkus 
, s Ventrikuli,. Rylorospasmus — vor einigen Jahren eingeführte Be- 

hapdlung -mit Oel stößt - wegen | des Geschmacks bei einer Reihe 

-Kraken auf ^Widerstand. Verf, | empfiehlt, das Ol^Qlivar. 


hier in Gelatinekapseln zu geben: 6 bis 10 Stück, in Kapseln zu 
3 g. Die Gelatine der Kapseln stört nicht, Verf. vindiziert ihr 
im Gegenteil einen die Heilung des Ulkus unterstützenden Ein¬ 
fluß durch Eiweißsparung. (Verf. übersieht aber, wie klein die 
Menge ist; es kann sich pro die höchstens um 3 bis 4 g handeln, 
die natürlich gar keine Rolle spielen. Ref.). Zum Oel kann man 
in den Kapseln auch Wismut oder Magnesia asta setzen. 

Ref. benutzt seit mehreren Jahren das deutsch-ostafrikanische 
Erdnußöl (Berlin, bei Antelmann), das am allerwenigsten von allen 
Oelen Eigengeschmack hat; eventuell mit Zusatz von ein wenig 
Ol. Menth, (tropfenweise). 


. Dermatologie und Syphilidologie. 

Referent: Spezialarzt Dr. Jtll. Baum, Berlin. 

1. Ueber gelungene Versuche, Hautnarben durch Bestrah¬ 
lung mit rotem Licht zur Regeneration zu bringen. Von Buch - 
holz. Arch. f. physik.-diät. Therap., 1908, Nr. 5. 

2. Teleangiectatic lesions of the skin occurring in the suh- 
jects of Graves disease. Von Hy de. Brit. Journal of Dermato- 
logy, 1908, Nr. 2. 

3. A further -note on the aetiology of infantile eczema. 
Von Hall. Ibidem, Nr. 1. 

4. Die Quecksilberkur mittels der Merkalatormaske Beiers¬ 
dorf im Vergleich zu den bisher üblichen Kuren. Von Kro- 
mayer. Monatsh. f. prakt. Dermatologie. Bd. 46, H. 10. 

5. Kohlensäureschnee zur Behandlung von Hautkrankheiten. 
Von Pusey. Berl. klin. Wochenschr., 1908, Nr. 24. 

6. Zur Therapie der Syphilis. Von Schwarz. Therap. 
Monatsh., 1908, Juni. 

7. Ueber Resorzinvergiftung hei äußerer Anwendung. Von 
Nöthen. Mediz. Klinik, 1908, Nr. 24. 

8. Beitrag zur Guecksilberausscheidung nach Thiopinol- 
bädera bei der Schmierkur. Von Diesselhorst. Zeitschr. f. 
experim. Pathol. u. Therap., 1908, Nr. 2. 

9. Syphilitischer Initialaffekt der Bauchhaut an der Ein¬ 
stichstelle nach Impfang in die Hoden von Affen und Kanin¬ 
chen. Von Hoffmann, Löhe und Mulzer. Deutsche med. 
Wochenschr., 1908, Nr. 27. 

10. Erfahrungen mit der Finkelsteinschen salzarmen Kost 
heim Säuglingsekzem, beim Strophulus und Pruritus infantum. 
Von Spiethoff. Ibidem. 

11. Ueber die Heißluftbehandlung gonorrhoischer Gelenk¬ 
entzündungen. Von Wagner. Mediz. Klinik, 1908, Nr. 25. 

1. Buchholz bestrahlt hypertrophische Narben täglich oder 
jeden zweiten Tag eine halbe Stunde lang mit dem Bogenlicht- 
scheinwerfer, vor den eine rote Glasscheibe gesetzt wird in einer 
Entfernung von 1 m. Nach wenigen Bestrahlungen tritt gewöhn¬ 
lich Abblassen der Narben ein und der Glanz verschwindet, ebenso 
mit der Zeit die fibrösen Stränge. In einem Fall waren allerdings 
208 Bestrahlungen nötig. 

2. Hy de beobachtete in einer Reihe von Fällen von Morbus 
Basedow das Auftreten von Teleangiektasien im Gesicht. Er 
schreibt diesem Moment direkt diagnostische Bedeutung bei. 

3. Aus der Tatsache, daß hei Kindern 96% der Ekzeme auf 
Kopi und Gesicht beginnen im Gegensatz zu den Ekzemen der 
Erwachsenen, schließt Hall, daß äußere Reizungen die Ursachen 
des Ekzems sein müssen. Da ferner nur 7% der Ekzeme im 
Sommer beginnen, glaubt Verfasser, daß die kalte Luft der ge¬ 
wöhnliche äußere Reiz sei. 

4. Vergleichende Untersuchungen über die verschiedenen 
Methoden der Quecksilberbehandlung, insbesondere im Vergleich 
zu der (in einer früheren Nummer dieser Zeitschrift schon refe¬ 
rierten) Inhalationskur mit der Merkalatormaske, einer mit grauer 
Salbe bestrichenen Narkosemaske, die man nachts über tragt, 
führen Kromayer zu folgenden Ergebnissen: Methoden der Hg- 
Einverleibung, bei denen Hg schnell resorbiert wird, z. B. bei 
intravenösen Injektionen, haben einen geringeren Wert A als solche 
mit allmählicher Resorption ,% da der schnelleren Resorption auch 
die schnellere Ausscheidung entspricht. Spritzt man Hg salizylikum 
in großen Dosen in mehrtägigen Intervallen ein, so wirkt dieselbe 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


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Menge bedeutend geringer, als wenn man sie in kleinen Dosen 
täglich einspritzt, weil bei großen Dosen ein großer Teil schon 
nach 24 Stunden ausgeschieden wird. Die Schmierkur hat den 
Vorteil der langsamen, Resorption der allmählichen Ausscheidung 
des Hg und der längeren Remanenz gegenüber den Hg salizylikum- 
Einspritzungen. Die Merkalatorkur verbindet die Vorteile der 
Schmierkur mit der raschen Wirkung der Hg salizylikum-In¬ 
jektionen. 

5. Pusey verwendet bei verschiedenen Hautaffektionen 
Kohlensäureschnee, d. h. aus der Kohlensäurebombe herausgelassene 
flüssige Kohlensäure, die in einem Lederbeutel aufgefangen, zu 
Schnee erstarrt. Dieser Schnee wird 5 bis 20 Sekunden aufge¬ 
preßt. Besonders günstige Resultate erzielte er bei Naevi, 
Verrucae, senilen Keratosen, Lupus erythematodes; keinen Erfolg 
bei Lupus vulgaris. 

6. Schwarz verwendet mit gutem Erfolg zur Behandlung 
der Syphilis Hydrargyr. sozojodolikum innerlich in Pillenform. Er 
gibt 0,1 pro die mit Extr. opii. 

7. Nöthen berichtet über zwei neue Fälle von Resorzin¬ 
vergiftung bei äußerer Anwendung. In dem einen Pall ent¬ 
stand ein komatöser Zustand bei einem 19 jährigen Mann, der mit 
15%iger Resorzinschwefelpaste eingerieben wurde, im zweiten 
Pall trat der Tod ein bei einem 11 Tage alten Kind, das wegen 
Pemphigus mit 3%iger Resorzinvaseline verbunden wurde. 

8. Bei gleichzeitiger Verwendung von Thiopinolbädern bei 
der Schmierkur sind nur Spuren von Quecksilber im Urin und in 
den Päzes nachweisbar. Es wird also die Hg-Kur bedeutend ab- 
geschwächt. 

9. Durch Einspritzen von viel Virus enthaltendem syphiliti¬ 
schen Saugserum in die Hodensubstanz ist es gelungen, beim 
Kaninchen ebenso wie beim Affen einen kutanen Initialaffekt an 
der Einstichstelle zu erzeugen, dessen spezifische Natur durch 
seine charakteristische Form und den Befund von Spirochäten er¬ 
wiesen wurde. 

10. Einen direkten Einfluß der Pinkelste in sehen salzarmen 
Kost auf das Säuglingsekzem konnte Spiethoff nicht feststellen. 
Trotzdem hat diese Ernährung den Wert, daß durch Ausschaltung 
sekundärer Einflüsse die Heilung sich ungestörter vollzieht’ und 
die Rezidive einen milderen Charakter haben. Ein günstiger Ein¬ 
fluß wurde bei Strophulus und Pruritus beobachtet. Besonders 
indiziert erscheint die Diät bei hautkranken Kindern mit chroni¬ 
schen Dyspepsien. 

11. Wagner verwendet mit gutem Erfolg die Heißluft¬ 
behandlung bei gonorrhoischer Gelenkentzündung. 


Chirurgie. 

Referent: Spezialarzt Dr. Heinrich Landau, Berlin. 

1. Der Kropf und seine Behandlung. Georg Hesse. 
Münch, med. Wochenschr., 1908, Nr. 23. 

2. Phimosenoperation. 0. Föderl. Wiener klin. Wochen¬ 
schr.. 1908, Nr. 26. 

3. lieber die Verrenkung des Fußes nach hinten und den 
Extensionsverband bei gebeugtem Knie. Karl Ewald. Wiener 
klin. Wochenschr., 1908, Nr. 26. 

4. Eine Radikaloperation des Unguis inkarnatus. P. Sick. 
Zeitschr. für ärztl. Fortbildung, 1908, Nr. 12. 

5. Gastro-Duodenoskopie und Diaphanoskopie. Th.Rovsing. 
Arch. f. klin. Chir., Bd. 86, Heft 3. 

6. Ueber die operative Behandlung der Embolie der Lungen¬ 
arterie. F. Trendelenburg, Arch. f. klin. Chir., Bd. 86, Heft 3. 

7. Zur Dauerheilung des Brustkrebses. Steinthal. Arch. 
f. klin. Chir., Bd. 86, Heft 3. 

8. Heber Nervenläsionen bei Drüsenexstirpation am Halse. 
M. Westergaard. Arch. f. klin. Chir., Bd. 86, Heft 3. 

9. Gastroenterostomia kaustika. Crede. Arch. f. klin. Chir., 
Bd. 86,; Heft 3. 

10. Erzielung tragfähiger Amputationsstümpfe durch Nach¬ 
behandlung nach H. Hirsch^iifi japanisch-russischen Kriege 
1904/1905. Hashimoto und Saito, Arch, f, klin, Chir., Bd. 86, 
Heft 3, 


1. Die Entscheidung darüber, ob ein Kropf zu operieren ist, 
hängt weniger von dem Zustand des Kropfes selber als von den 
Schädigungen ab, die er mittelbar oder unmittelbar schon ange¬ 
richtet an: Verschiebung, Erweichung und Zusammendrückung der 
Luftröhre; Sympathikus- und Rekurrensstörungen (Ermüdbarkeit 
beim Sprechen, Heiserkeit); endlich Herzstörungeh, besonders die 
Erweiterung des rechten Ventrikels als Folge von venöser Stauung 
und Lungenemphysem (Rosesches Kropfherz). Sind Herzerschei¬ 
nungen vorhanden oder läßt die Spiegelung von Kehlkopf und 
Luftröhre, die bei keiner Kropfuntersuchung fehlen soll, auch nur 
eine Nachgiebigkeit der Luftröhre erkennen, so soll operiert 
werden, auch wenn der Kropf an sich klein ist oder angeblich 
gar keine Beschwerden macht. Es wäre ein Fehler, dann noch 
eine Behandlung mit Jod oder Schilddrüsenpräparaten zu beginnen, 
vor der für die Dauer sogar zu warnen ist: wenn das Jod 
überhaupt auf den Kropf wirkt, dann wirkt es gleich; monatelang 
fortgesetzter Jodgebrauch kann selbst Beschwerden hervorrufen, 
die denen bei Basedowscher Krankheit gleichen. — Die gebräuch¬ 
lichste Operation ist die halbseitige Exzision nach Kocher, 
die, namentlich unter örtlicher Schmerzbetäubung ausgeführt, ein 
fast ungefährlicher Eingriff geworden ist. Kocher, freilich 
„der kropferfahrenste Arzt der Welt“, hat bei den letzten 
beiden Tausend Operationen nur sechs Todesfälle. Die Exzision 
des Kropfes soll möglichst intrakapsulär geschehen, zur Schonung 
des Rekurrens und zur Erhaltung der Epithelkörperchen, deren Ver¬ 
letzung akute Tetanie herbeiführt. Etwa ein Viertel der Schild¬ 
drüse soll zuruckgelassen werden; Ausfallserscheinungen, die etwa 
trotzdem auf treten sollten und sich oft als „Rheumatismus thyreo- 
privus chronikus“ nur durch Apathie, Denkfaulheit, Kopf- und 
Gliedschmerzen ankündigen, sind durch Schilddrüsenpräparate völlig 
zu beseitigen. 

Aber auch die Kropfoperation hat ihre Grenzen: bei hoch¬ 
gradiger Dyspnoe mit schlechtem Herzen und Oedemen, ferner bei 
diffusen, wenig beweglichen, festen Kolloidkröpfen soll man nicht 
mehr operieren, ebenso nicht mehr in vorgeschrittenen Fällen 
von Basedowscher Krankheit, zumal der Basedow - Kropf nach 
Hesse besondere Operationsschwierigkeiten bietet. " ,v, ' r 

2. Töderl gibt eine einfache Phimosen-Lappenplastik an, die 
in der Tat natürliche Verhältnisse herstellt und die Verstümmelung 
der Zirkumzision ebenso vermeidet wie die kosmetischen Nach¬ 
teile des Dorsalschnitts. Der Vorhautring wird ovalär Umschnitten; 
der Ovalärscknitt beginnt dorsal knapp an der Präputialöffnung, 
und seine Ebene ist ventral in einem Winkel von etwa 45 0 zur 
Achse des Penis geneigt. Dieser Schnitt durchtrennt nur das 
äußere Blatt; ein entsprechender, nach oben geneigter zweiter 
exzentrischer Ovalärschnitt nur das innere Blatt; dann werden die 
gekreuzten Ebenen der beiden Wundränder miteinander vernäht. 

3. Keilbrüche am unteren Ende von Schienbein und Waden¬ 
bein sind viel häufiger, als erkannt wird, mit einer Verrenkung-des 
Fußes nach hinten verbunden. Es ist fast unmöglich, im Gips- 
Verband diese Verrenkung eingerichtet zu erhalten; Ewald ver¬ 
wandte bei seinen Fällen mit bestem Erfolge den Extensionsver¬ 
band unter Beugung von Hüfte und Knie. Ref., dem zu näherer 
Beschreibung des Verbandes der Raum fehlt, möchte auch hier 
noch einmal das kleine Buch über Extensionstechnik von Barden¬ 
heuer empfehlen. 

4. Sick umschneidet nach Entfernung des Nagels den ein¬ 
gewachsenen Nagelfalz in Form eines Trieders, indem er das 
Messer, mit' der Schneide schräg nach außen gerichtet, in Höhe 
des Querfalzes nach oben zu einstößt; unter Vermeidung des Ge¬ 
lenks wird das Messer etwas gedreht, die Schneide tangential am 
Knochen vorbei ungefähr nach der Mitte des Nagelbetts durch¬ 
gezogen und der in Triederform umschnittene Nagelfalz mit Schere 
und Pinzette vollends entfernt. Die Wunde kann, gegebenenfalls 
ohne Tamponade, zusammen geklappt werden und heilt in etwa 
acht Tagen. Der kleine Eingriff läßt sich „im Bruchteil einer 
Minute“ und unter Ohloräthylspray ganz schmerzlos ausführen. 

5. Um bei Magenoperationen die auch bei geöffneter Bauch¬ 
höhle oft zweifelhafte Frage, ob Gastroptose, Ulkus oder Tumor 
vorliegt, zu entscheiden, führte Rovsing ein Zystoskop durch 
einen ganz kleinen Einschnitt in den Magen ein, betrachtet Magen 
und Duodenum zunächst im durchscheinenden Licht der Zystoskop- 
lampe von ‘außen (Diaphanoskopie), um- dann die Innenfläche regel 


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recht „zystoskopiseh“ durch das Instrument zu durchmustern 
(Gastro-Düodenoskoplej. Das neue Verfahren hat sich in den 
24 Fällen, bei denen es bis jetzt verwendet wurde, sehr gut be¬ 
währt, besonders bei mehrfachen Geschwüren, die sonst kaum be¬ 
merkt worden wären, und bei einem stark blutenden Ulkus, das 
sich bei der Diaphanoskopie samt, der arrodierten Arterie deutlich 
von der klar durchleuchteten Magenwand abhob. Aber auch die 
entzündete Schleimhaut, Tumoren, alte Ulzera geben sehr gute 
Bilder, wobei Diaphanoskopie und Gastroskopie einander ergänzen. 
Das Gastroskop unterscheidet sich vom Zystoskop nur durch sein 
stärkeres Kaliber und einen Kanal zum Einblasen von Luft; ein 
zweites Modell gestattet die retrograde Bougierung der Speise¬ 
röhre unter Leitung des Auges. 

6. Trendelenburg legt bei Embolie der Lungenarterie 
durch einen T-Schnitt längs der zweiten Rippe und dem linken 
Brustbeinrande transpleural den Herzbeutel frei, öffnet ihn und 
führt mit gebogener Sonde einen Gummischlauch hinter den großen 
Gefäßen — Aorta und' Pulmonalis — durch, der zur vorüber¬ 
gehenden Abklemmung angezogen wird. Dann eröffnet ein rascher 
Schnitt die Pulmonalis, und die Embolie werden mit einer nach 
der Teilungsstelle zu geführten Polypenzange gefaßt und entfernt. 
Während der Schlauch gelockert wird — die Abklemmung darf 
nicht länger als 3 /i Minute dauern —, erfolgt über einer Klemm¬ 
zange die Naht der Arterienwunde. — Die neue Operation ist 
mit dauerndem Erfolge erst an Tieren ausgeführt worden; immer¬ 
hin liegen bereits drei Fälle vor, die ihre technische Möglichkeit 
auch am Menschen und in den dringenden Minuten nach einer 
unerwarteten Embolie beweisen. Trendelenburg hebt mit Recht 
hervor, daß der Tod nach Lungenembolie nicht immer „blitzartig“ 
eintritt, sondern manchmal erst nach 10, 15, ja 30 Minuten, 
während deren die Operation, auch bei schon fehlendem Pulse, 
noch lebensrettend wirken kann. 

7. Das Ergebnis der Dauerheilungen nach Brustkrebsoperation 
(die statistischen Einzelheiten sind hier ohne Bedeutung) zeigt, 
daß die immer eingreifender gewordene Operation nicht imstande 
gewesen ist, bei fortgeschrittenem Krebs den Prozentsatz der 
Dauerheilungen gegen früher wesentlich zu vergrößern. Abgesehen 
von besonderen Einflüssen der Bösartigkeit des einzelnen Krebses, 
der Erblichkeit u. dgl., gilt noch immer die alte Regel, daß die 
Aussicht auf Dauerheilung am größten ist, wenn der Krebs mög¬ 
lichst früh, vor Verwachsung mit der Haut und vor dem Auftreten 
größerer Achsel- oder gar Schlüsselbeindrüsen, operiert wird; 
natürlich mit radikaler Amputation, Entfernung des Pektoralis 
maior und Achselausräumung. 

8. Bei schwierigen Drüsenausräumungen am Halse soll man 
über der Schonung der Gefäße die Nerven nicht vergessen. Wenn 
auch Verletzungen von Phrenikus und Vagus aus anatomischen 
Gründen weniger in Betracht kommen, so fallen doch oft die 
hinteren oberen Hautäste des Plexus und vor allem der Nervus 
akzessorius in den Schnitt, und ihre Durchschneidung kann, wie 
Westergaard an zwei Fällen beobachtete, nicht nur lästige 
Neuralgien, sondern auch Kukullarislähmung mit Tiefstand der 
Schulter verschulden. Zur Vermeidung solcher „calamities of 
surgery“ sind die Schnitte am oberen Teile des Halses nie quer, 
sondern mit den Hautfalten oder mit dem Sternokleidomastoideus 
gleichlaufend zu legen; vor allem aber darf das Messer nie die 
Mitte des hinteren Randes dieses Muskels kreuzen, von der die 
meisten Zweige des Plexus zervikalis superfizialis wie von einem 
Brennpunkte aus nach allen Seiten hin ausstrahlen. 

9. Crede hat zur schnellen Ausführung der Gastroentero¬ 
stomie ein Verfahren erprobt, das viele Schwierigkeiten der 
Operation'umgeht: er legt Magen und Darm zunächst mit einer 
einfachen starken Kürschnernaht bogenförmig aneinander und ver- 
schorft daün mit breitem Pacquelinansatz ein der künftigen Magen¬ 
darmpassage entsprechendes Stück von Magen- und Darmwand 
(etwa 1,5X2 cm) bis auf die Schleimhaut, die nicht durchlöchert 
wird,' klappt die verschorften Stellen zusammen und führt die 
Naht mit dem liegengebliebenen Faden in elliptischem Kreise 
weiter, bis Fadenende mit Fadenanfang verknotet werden kann. 
Die strahlende Hitze des Pacquelin bewirkt durch leichte Entzün¬ 
dung des Bauchfells ein sehr schnelles und festes Verwachsen der 
Serosaflächen, so daß die eine Naht vollkommen genügt; die ein¬ 
fache Technik und die Vermeidung jeden Austritts von Darm¬ 


inhalt machen das Verfahren leicht und ungefährlich. Die Ab¬ 
stoßung der nekrotischen Mukosa erfolgte in acht Fällen Credes, 
die sämtlich glatt verliefen, etwa am fünften Tage. 

10. Trotz aller osteoplastischen Amputationsmethoden wird 
die einfache Absetzung mit Zirkelschnitt wegen ihrer Kürze und 
leichten Ausführbarkeit unter dringenden Verhältnissen — im 
Kriege also in der Feuerlinie — stets ihre Bedeutung behalten. 
So sind auch im japanischen Roten Kreuz-Hospital 38 größten¬ 
teils ohne Plastik Amputierte zur Nachbehandlung gekommen, an 
deren Stümpfen Knochen, Periost und Hautnarbe verwachsen, ja 
z. T. die Tragfläche mit zackigem Kallus bedeckt war. Es gelang, 
durch fortgesetzte Uebungsbehandlung, wie sie Hieronymus 
Hirsch angegeben hat, diese zunächst nicht tragfähigen Stümpfe 
für eine einfache angeschnallte Stelze tragfähig zu machen, und 
zwar in fünf bis sechs Monaten, während von vornherein nach 
Bier operierte Stümpfe in drei Monaten leistungsfähig waren. 
Die Behandlung bestand in Hochlagerung der Beine unter Bett¬ 
ruhe und mehrmals täglich wiederholter Massage, Tret- und Frei¬ 
übungen sowie Steh- und Gehübungen mit der provisorischen 
Prothese. Die Behandlung fordert Umsicht und Geschick vom 
Arzte und von ihm wie von dem Kranken große Geduld. 


Mitteilungen über Arzneimittel. 


Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. Aphrodisin. Von Dr. Linke. Therapeut. Neuigkeiten, 
1908, Juni. 

2. Osdurgen. Von Dr. Linke. Ibidem. 

3. Rexotan. Von Dr. Linke. Ibidem. 

4. Polygonum kuspidatum. Von Apotheker Brühn. Ibidem. 

5. Neue Erfahrungen mit Pankreon. Von Dr. Schütte. 
Fortschr. d. Med., 1908, Nr. 16. 

6. lieber Jodglidine. Von Dr. Piorkowski. Pharmaz. 
Zeitg., 1908, Nr. 51. 

1. In den Therapeut. Neuigkeiten (Juniheft) berichtet L. 
über das Erscheinen eines neuen Aphrodisiakum, namens Aphro- 
disin. Dasselbe wird von der Marienapotheke in Dresden in den 
Handel gebracht und soll enthalten: Anonacein [Alkaloid aus der 
Frucht der Hylopia aethiopica (?)], Yohimbin, Extrakt. Muirae 
puamae (von Liviosma ovata), Extr. Eckineceae (von Ech. angusti- 
fol., einem amerikanischen Aphrodisiakum), Lezithin und Chinin, 
glyzerino-phosphor. Das Präparat wird in Tabletten von Bohnen¬ 
form hergestellt und kostet viel Geld (10 bis 15 M.). Ob es 
hilft, wissen die Götter; L. weiß es auch nicht. Denn sein Be¬ 
richt klingt doch recht skeptisch. 

2. Mehr hält derselbe Verfasser von Osdurgen, einem neuen 
Lezithinpräparat der Firma Schulze in Dresden-A. (Originalpackung 
3 M.), das ihm nach einigen Versuchen in der Armenpraxis und 
auf Grund der Zusammensetzung von günstigem Erfolge begleitet 
schien. Es enthält reines Lezithin (4%); lösliche Kalkeisensalze, 
die an Glyzerinphosphorsäure, Phosphorsäure und Milchsäure ge¬ 
bunden sind, Proteinstoffe und Milchzucker. Der Firma war daran 
gelegen, einen möglichst vollwertigen Ersatz des Lebertrans her¬ 
zustellen und dem Arzte bezüglich Handlichkeit, guten Geschmacks 
■und Haltbarkeit ein allen Anforderungen entsprechendes Mittel in 
die Hand zu geben. Einer Originaldosis ist ein Löfleichen bei- 
gegeben. Das Kind erhält vom dritten oder vierten Monat ab einen 
gestrichenen Maßlöffel voll, vom ersten Jahre ab zweimal einen 
solchen Löffel, bis zum zweiten Jahre drei bis vier solche Löffel. 
Eine Flasche enthält 60 Meßlöffel; ein einjähriges Kind kostet 
also täglich 10 Pf. 

3. Schließlich referiert L. noch über ein neues Darmadstringens 
„Rexotan“. Dasselbe ist ein Tanninpräparat, ein gelbliches, ge- 
ruch- und geschmackloses Pulver, das in Wasser und verdünnten 
Säuren sich kaum löst, dagegen leicht in alkalischer Flüssigkeit. 
Die Bedeutung des Mittels liegt darin, daß es erst im Darm ge¬ 
spalten wird und durch Regeneration von Forinaldehyd neben ad- 


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stringierender eine desinfizierende Wirkung ausübt. Als Indika- . 
tionen gelten Sommerdiarrhöen der Kinder, akute, subakute und 
chronische Darmkatarrhe und Diarrhöen der Phthisiker. Auch 
Dr. Peters (vergl. diese Zeitschr., 1908, Nr. 13) hat in vielen 
Fällen während drei Jahren das Rexotan mit bestem Erfolge an¬ 
gewendet , ohne dabei auch nach längerer Anwendung Appetit¬ 
störungen und Reizerscheinungen der Magen- und Darmwände zu 
erleben. Erwachsene erhalten von dem Mittel 0,5 g> drei- bis 
viermal täglich eine halbe Stunde vor der Mahlzeit, Kinder ebenso¬ 
oft 0,15 bis 0,3 g in Haferschleim. Das Anrühren darf nur in 
lauwarmen, nicht heißen Flüssigkeiten geschehen. 10 g kosten 
95 Pf., also dasselbe wie Tannalbin und weniger wie Tannigen 
oder Tannothymal. 

4. Von Frankreich her wird eine neue Droge, Polygonum 
kuspidatum, als neues Abführmittel empfohlen; dies ist eine Pflanze, 
die in China und Japan wild, in Frankreich häufig als Zierpflanze 
wächst. Nach den Untersuchungen von Goris und Cret4 ent¬ 
halt sie nicht unbedeutende Mengen von Polygonin, das bei der 
Hydrolyse in Emodin und einen noch nicht näher studierten 
Zucker zerfällt. Die Droge enthält zwar an Emodin noch nicht 
die Hälfte dessen, was der chinesische Rhabarber davon aufweist; 
aber es ist doch wesentlich mehr, als in Folia Sennae und Kort. 
Frangul. enthalten ist. Nach den Berichten der genannten Autoren 
soll die Droge in gleicher Dosierung wie Rheum verabfolgt werden. 
Weitere Beobachtungen müssen noch angestellt werden, ehe das 
neue Mittel allgemein empfohlen werden kann.' 

5. Da durch das Pankreassekret Eiweißkorj^er, Fette und 
Kohlehydrate in lösliche, für den Organismus verwertbare Sub- 
- tanzen umgewandelt werden, so bedeutet ein Ausscheiden der 
Pankreaswirkung für den Körper einen erheblichen Verlust, da 
der größte Teil der Fette und eine beträchtliche Menge der Ei¬ 
weißkörper unverdaut den Darm passiert. Verdacht auf eine 
Pankreaserkrankung besteht, wenn bei Verdauungsstörungen mit 
auffallender Abmagerung und Abnahme der Körperkräfte Fett¬ 
stühle nachgewiesen werden. Auch Glykosurie kann mit patho¬ 
logischen Veränderungen der Pankreasdrüse in Verbindung stehen. 
Im Hinblick auf die Unentbehrlichkeit dieses wichtigen Verdau- 
ungsfermente^ lag es nahe, einen Ersatz zu suchen. Erst der 
Chemischen Fabrik Rhenania in Aachen gelang es, im „Pankreon“ 
ein Präparat auf den Markt zu bringen, das das natürliche 
Pankreassekret völlig ersetzt. Durch Verbindung mit Tannin 
wird es gegen die Einwirkung der Magenverdauung geschützt. 
Man gibt am besten Dosen von 1 bis 2 g dreimal täglich kurz 
nach der Mahlzeit. Aus Untersuchungen mit Pankreon erwies 
sich die Wirksamkeit des Mittels durch Verschwinden der Fett¬ 
stuhle. Auch zeigte es sich bei Stoffwechseluntersuchungen, daß 
viel größere Mengen von Fetten und Eiweißstoffen dem Organismus 
zugetuhrt und von ihm verwertet werden können, wenn man 
Pankreon gleichzeitig reicht. Darum erzielt man auch bei Diabetes 
gute Resultate. Durch Zusatz von Natrium bicarbonicum werden 
die Wirkungen des Pankreon noch verstärkt. Das Mittel kann 
in 'Tabletten- und Pulverform gegeben werden. Von den Tabletten 
(ä 0,25 g) gibt man, je nach Schwere des Falles, 4 bis 12 Stück 
täglich. Wenn sie nur mit Widerstreben genommen werden, 
zerdrücke man sie und mische sie in Wasser, Bouillon, Suppe; 
jedoch darf die zum Anrühren benutzte Flüssigkeit nicht wärmer 
sein, als sie der Mund verträgt. Pankreonpulver gibt man drei¬ 
mal täglich 1 bis 2 g in Oblaten. Die Dosierung für Kinder ist 
je nach Alter 0,1 bis 0,25 g in Wasser, Bouillon oder Milch an- 
gerdhrt. Eine andere Modifikation des Pankreons ist Pankreon- 
zucker, der für Säuglinge bestimmt ist. Dieser hat sich bei Ver- 
dauungs- und Ernährungsstörungen der Säuglinge, bei Brech¬ 
durchfällen mit ihren bedenklichen Folgezuständen nicht nur als 
verdauungsförderndes Agens, sondern direkt als Nährersatz- und 
Kräftigungsmittel bestens bewährt. Diese günstigen Resultate 
anderer Autoren veranlaßten Sch. gleichfalls zu Versuchen mit 
Pankreon. Er faßt seine Beobachtungen dahin zusammen, daß 
Pankreon als ein zuverlässiges Mittel in der Pathologie der 
Pankreasdrüse und des gesamten Verdauungstraktus anzusehen ist, 
daß es bei Erschöpfungs- und Schwächezuständen infolge von 
organischen Erkrankungen aller Art, bei Ernährungs- und Stoff¬ 
wechselstörungen indiziert ist. Wie weit es Imstande ist, bet 


karzinomatösen Erkrankungen v ein^ ^ 

entfalten, analog de§t,BerXchten A&Weie^f \ will Sch, in< |- 

weiteren Untersuchungen studieren;jv ! ‘ | 

6. P. hat das Kl;opforsche Pfianzeüöiweißpbäparät Jodilidmi, P 
das in Tabletten zu 0,5 g in den HäfideI%oilii 3 it und 0,05 JodA 
pro dosi enthalten soll, auf Joä, JodWäägörgtofT• und freies Jod , 
untersucht. Er fand 0,0559 g Jod, Spüreü Von Jodwasserstoff, 
aber kein freies Jod. ' < 



Neuer Zinkleimyerbänd 

von Dr. Otto B.e’tz. 1 ' ' , 

'Der bisher empfohlene Zinkleimverband, hat nicht /ver-, 
mocht, sich allgemein in die Praxis ein£uführen, was an veF-; * 
schiedenen Uebelständen liegt, die dem bisherigen Verbände'/ 
anbafteten. So muß man als Nachteile desselben das ungleiche 
zubereitete Material,, das Bröckeln. des Zinkleims, der leicht 
von Pilzen verdorben wird, die Notwendigkeit einer Assistenz 
beim Anlegen des Verbandes, die Schwierigkeit des Trans-, 
portes für den Arzt auf dem Lande — man braucht eine 
Leimschüssel, die im Wasserbad erwärmt werden muß, Pinsel . 
und Binden — und dergl. mehr nennen. Endlich braucht man 
eine geraume Zeit zum Anlegen eines solchen Verbandes, und 
die Kranken empfinden oftmals, namentlich Kinder, den heiß 
aufzustreichenden Leim unangenehm auf der Haut, und es sind 
wohl auch schon Verbrennungen dabei vorgekommen, weshalb 
ängstliche Gemüter das Anlegen dieser verbände oft ver¬ 
weigern. Weiter sind die beim Aufpinseln des Leimes leicht 
entstehenden Flecke in Kleidern und auf Möbeln etc. unange¬ 
nehm. Alle diese Nachteile fallen bei dem neuen Verbände 
weg, denn derselbe besteht- aus imprägnierten,, gebrauchsfertigen^ 
Zinkleimbinden von der Breite der üblichen Mullbinden. Zur 
Herstellung dieses neuen Zinkleimverbandes werden trockene, 
grobfädige Mullbinden in heißem Zinkleim, der aus rohem 
Zinkoxyd und Gelatine zu einem Teile, Glyzerin und Wasser 
zu zwei Teilen besteht, getränkt, man läßt ’ die Binden ab¬ 
tropfen und trocknet sie dann. Diese Binde braucht man nur 
in kochendem Wasser zu erwärmen, und sie ist gebrauchsfertig 
zum Anlegen eines Verbandes. Man nimmt die Binde mit 
einer Zange aus dem kochenden Wasser, das man ja jederzeit 
im Privathaushalt, ja selbst bei dem ärmsten Patienten. rasch 
durch Spiritus bereiten kann, und kühlt die heiße*Binde einige 
Minuten, bis man sie gut mit den Händen anfassen kann, ohne 
Gefahr sich zu verbrennen. Beim Abrollen setzt .die Binde 
noch einen geringen Widerstand entgegen, was aber gerade 
erwünscht ist, damit der Verband, z. B. beim Ulkus kruris,, 
wo er ja am häufigsten Verwendung findet, recht fest sitzt 
und gut komprimiert. Beim Anlegen dieses Verbandes braucht 
man keine Assistenz, und der Verband hat den Vorteil, daß er 
rasch trocknet, der Kranke also nicht lange*zu warten braucht, 
bis er die Kleider wieder über d©n Verband ; bringen und an¬ 
lögen kann. Ein solcher Verband, der ags zwei Lagen ..der, 
Zinkleimbinde gefertigt wird, ist dauerhaft und fest und hält 
viele Wochen. Dieser neue Verband ist auch ' bedeutend 
billiger als der alte Zinkleim verband, der Arzt kann sich die " 
Binden selbst herstellen, wenn er dies aber scheut,, so kann er 
die Binden auch leicht in jedem .einschlägigen Geschäft ,und., 
jeder Apotheke kaufen. Das Verfahren ' ist gesetzfich' geschützt, 
und die fertigen Binden sind im Handel zu haben. Es "ist 
kein Zweifel, daß diese vereinfachte Methode dem Zinkleim-'" 
verband viele neue Freunde erwerben wird. 

W. B. Müller,. Berlin. 


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Original fro-m 

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H 

i$ 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


471 


□ 


Bücherbesprechungen. 


□ 


ALLGEMEINES. 


Die Panik im Kriege. Erweiterte Fassung eines in 
der. Psychologischen Gesellschaft München gehaltenen Vortrages. 
Von Oberst a, D. EmilPfülf. München. Verlag der ärztlichen 
Rundschau (0. Gmelin). Preis 1,20 M. 

Den in erweiterter Fassung herausgegebenen Vortrag, den 
Oberst a. D. Pfülf in der Münchener Psychologischen Gesellschaft 
gehalten hat, haben wir mit dem allergrößten Interesse gelesen 
und empfehlen ihn allen, die sich überhaupt für psychologische 
Fragen interessieren, auf das dringendste. Schon der Ort, an 
dem er gehalten wurde, spricht für den Inhalt, und in der Tat 
ist dieser eine tief in das Seelenleben der Massen wie des Einzelnen 
eindringende Studie über den Begriff, den man heute mit dem 
Worte „Panik“ verbindet. „Panik“ kommt her von dem „großen 
Schrecken des Pan“ im Altertum, das in der Einsamkeit des 
Waldes, im Rascheln des Laubes, im Stöhnen des Sturms Ueber- 
natürliches zu hören wähnte, sie ist eine meist unter Gemüts¬ 
depressionen eintretende Sinnesillusion einzelner Gruppen mit daraus 
sich blitzartig auslösender Schreckwirkung, eine blitzschnelle Ueber- 
tragung des Affekts auf die Gesamtheit durch Suggestion, psy¬ 
chische Ansteckung und Nachahmung, Allgemeinherrschaft des 
Selbsterhaltungstriebes und unbesinnliches Handeln — keine Furcht 
und doch eine Panik, tief begründet in der menschlichen Natur, 
und beim Zusammentreffen aller dazu disponierenden Momente 
auch in der best disziplinierten Truppe vorkommend, eine vorüber¬ 
gehende Lähmung aller Hemmungsvorrichtungen, eine Art Hypnose 
des Massenmenschen, der „psychologischen Menge“, aber keine 
Schande. Hierfür werden aus der Kriegsgeschichte aller Völker 
und Zeiten fesselnde Beispiele angeführt, aus denen u. a. hervor¬ 
geht, daß auch das im allgemeinen kühlere Temperament der 
germanischen Rasse gegenüber der lebhafteren Phantasie anderer 
Völker nicht vor Panik schützt. Das beste Mittel dagegen sind 
durchschlagende Anfangserfolge, hat ein General gesagt. Mögen 
sie uns in einem Kriege immer beschieden sein. 

Peltz er-Steglitz. 


[=□ KORRESPONDENZ. UU 


Lindenfels, den 14. Juli 1908. 
Sehr geehrter Herr Kollege! 

In dem Referat des Herrn Kollegen Meyer in Nr. 28 der 
Therap. Rundschau über meine Arbeit „Die Hetolbehandlung der 
Tuberkulose“, Berl. Klinik 1908, Nr. 240, findet sich der Satz: 
„Zur Bekämpfung der durch Hetolinjektionen zuweilen eintretenden 
Herzschwäche wandte Weißmann Prävalidin und Meffert’sche 
Packungen an.“ 

Das ist nicht richtig, Hetol verursacht niemals Herzschwäche. 
Ich habe, wie auf Seite 12 meiner Abhandlung zu lesen steht, 
die beiden Mittel zur Unterstütz ung der Hetolbehandlung 
da angewendet, wo eine gewisse Herzschwäche der 
Entfaltung der Hetolwirkung im Wege zu stehn schien. 
Das ist denn doch etwas anderes als das, was der Herr Referent 
herausgelesen hat. 

Mit kolleg. Gruß \ 

ergebenst \ 

Dr. Weißmann. 

Wattenbergs colloider Knochenstoff 
ist gesetzlich geschützt unter dem Namen 

Geh. Rat Dr. Watteilbergs Phosphorkalkiuilch. 

Knochenbildungs- und Knochenkräftigungsmitte], welches leicht verdaut 
und im Säftestrom ausgenützt wird, bestens empfohlen als Zusatz zur Er¬ 
nährung schwächlicher, schlecht fundamentierter, rachitischer Kinder. 
Abhandlung und Prospekte durch 

_ Dr- Hoffmann & Köhler, Harburg. 


Die heurige Vierte deut8Che Mittelmeerreise unter Leitung 
von Prof. Miller in Stuttgart vom 3. bis 26. August bietet die 
doppelte Gelegenheit, sowohl Aegypten als Palästina auf 
die angenehmste und billigste Weise kennen zu lernen. Die 
Ueberfahrt erfolgt mit dem herrlichen neuen Luxusdampfer Kairo, 
welcher 180 m Länge, 12000 t Gehalt, 18000 Pferdekräfte und 
7 Decks übereinander hat. Der Aufenthalt in Aegypten dauert 
12 Tage und führt bis Assuan und zum ersten Katarakt. Man 
kann aber auch statt Ober-Aegypten Palästina einsetzen und 
hat in diesem Falle 5 Tage in Aegypten und 7 Tage in Palästina 
zur Verfügung, kann Jaffa, Jerusalem, Bethlehem, Jericho, das 
Tote Meer und den Jordan mit Muße besuchen und hat, wenn 
man von Jericho absieht, auch von der Hitze gar nichts zu fürchten. 
Bequemer kann ein Besuch des heiligen Landes wohl nicht mehr 
ausgeführt werden. Die Kosten dieser ganzen Reise können 
schon mit 520 M. und einem kleinen Taschengeld bestritten werden. 
Wer größere Bequemlichkeit liebt, setzt noch ein paar hundert 
Mark zu und fährt erster Klasse. Seekrankheit ist in dieser 
Jahreszeit und mit einem solchen Dampfer beinahe ganz ausge¬ 
schlossen. Etwas Schöneres und Gesundheitförderndes gibt es 
wohl kaum, als eine Seefahrt in der warmen Jahreszeit im Mittel¬ 
meer mit einem solchen Schiffe. 

13 o 

Berlin. Im Berl. Lokal-Anzeiger vom 19. Mai (Morgenaus¬ 
gabe) lasen wir folgende Mitteilung: 

Den Naturheilkundigen Paul Mistelsky, „Professor an der 
Pariser Freien Universität (Universite libre), korrespondierender 
Professor an der Universität in Toulouse, Naturheilkundiger 
Direktor der elektro-physikalischen Lieht-Naturheilanstalt“, führte 
gestern eine Anklage wegen Betrugs vor das Schöffengericht 
Berlin-Mitte. Eine Frau, die an einem schweren Krebsleiden er¬ 
krankt war, hatte verschiedene Aerzte deswegen konsultiert und 
war auch eine Zeitlang in der Klinik, aus der sie als unheilbar 
entlassen worden war. Da wandte sich die Kranke an Herrn 
Mistelsky. Nachdem sie von dem dort amtierenden Dr. med. 
Fischer untersucht worden war, besprach sie die Bedingungen 
der Behandlung mit Mistelsky. Dieser soll ihr, wie die Tochter 
der Frau behauptet, die besten Aussichten auf Heilung eröffnet 
und ihr gesagt haben, daß es sich zwar um keinen leichten Fall 
handelte, die Patientin aber die Hoffnung haben könne, von ihrem 
Leiden befreit zu werden. Die Frau soll bewogen worden sein, 
um gleich die Sache energisch anzufassen, die teuerste Klasse im 
Mistelskyschen Institut zu 250 M. zu wählen. Die Gelder hierfür 
wurden von der Familie der Patientin zusammengeborgt, und 
die energische Kur begann, ohne bei dem Charakter der furcht¬ 
baren Krankheit irgendwelchen Erfolg zu haben. Die Frau gab 
schließlich die Kur auf und ist bald darauf gestorben. Ein Kausal¬ 
zusammenhang zwischen der Kur und dem Tode der Frau ist 
nicht vorhanden, dagegen stand die Staatsanwaltschaft auf dem 
Standpunkt, daß ein Betrug darin liege, daß der Angeklagte, dem 
die Unheilbarkeit des Leidens bekannt sein mußte, die Frau in 
dem Irrtum erhalten habe, daß er sie gesund machen könne. Das 
Schöffengericht kam zu derselben Auffassung. Zur Sprache kam 
noch, daß der Angeklagte den Angehörigen der Frau einen Tag 
vor dem Termin die größte Hälfte des Betrages zurückgezahlt 
hat. Der Staatsanwalt beantragte auf Grund der Beweisaufnahme 
gegen den Angeklagten ein Jahr sechs Monate Gefängnis. Das 
Urteil lautete auf 1000 M. Geldstrafe. 


F. A. Hoppen n. Et. Fischer 
Patentanwälte 

Berlin SW. 13, Neuenburgerstraße 15 

Amt IV 718. 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. H. Lungwitr, Berlin S. — Verlag: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle *. S. 
Druck, der Heyn emann sehen Buchdruckerei, Gebr. Wolff, Halle a, S. 


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0. Anton, A. Dührssen, C. A. Ewald, E. Friedberger, P. Cerber, 
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H. Schlange, Ad. Schmidt, H. Schmidt-Rimpler, 
Hannover. Halle a. S. Halle a. S. 


Redaktion: 

Berlin S. 14, Dresdenerstr. 44. Tel. iv, 11773. 
Dr. med. et phil. H. Lungwitz. 


Herausgegeben von 



R. Robert, M. Koeppen, M. Mosse, K. Partsch, H. Rosin, 
Rostock. Berlin. Berlin. Breslau. Berlin. 

H. Senator, R. Sommer, H. Unverricht, 0. Vulpius, 

Berlin. Gießen. Magdeburg. Heidelberg. 


Verlag u. Expedition: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung 
in Halle a. S., Reilstraße 80. 

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Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte der Ostsee und der 

Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 


HL Jahrgang. Halle a. S., 2. August 1908. Nr. 31. 


Die „T he rapeu tische Rundschau“ erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2M, einzelne Nummer 20 Pf. Bestellungen nehmen jede Buchhandlung, 
die Post, sowie die Geschäftsstelle: Carl Marhold Verlagsbuchhandl ung in Halle a. S. entgegen. Inserate werden für die 4gespaltene Petitzeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. berechnet. Beilagen nach Uebereinkunft Reklamezeile 1,50 M. Bei größeren Aufträgen wird Rabatt gewährt. 

Nachdruck der Original-Aufsätze ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. — Nachdruck der anderen Rubriken ist nur mit Quellenangabe gestattet 


Inhalt. 


I. Originalton: 

1. H. Stern, Uew-York: Die Bedeutung des Eidotters für die Hebung 


der Unterernährung . . . .473 

2. F. Bachmann, Harburg a. E.: Physikalische oder biologische 

Medizin?.476 

II. Referate : 

1. S. Aschheim, Charlottenburg: Gynäkologie und Geburtshilfe 476 

2. W. Esch, Bendorf a. Ith.: Biologische Therapie.. 478 

3. M. Peltzer, Steglitz: Soziale Medizin.480 

Iil. Mitteilungen über Arzneimittel: 

f‘'• W. Krüger, Magdeburg: Referate.481 


IY. Technische Neuerscheinungen: 

1. W. B. Müller, Berlin: Ein nach jeder Richtung fahrbares Ge¬ 
stell zur Erlernung und Uebung von Fuß- und Beinbewegungen 482 

2. Derselbe: Uterusspülkatheter nach Jaeggy.482 

Y. Büeherbesprechungen: 

• 1. C. Röse, Dresden: Erdsalzarmut und Entartung (Ref. F. Bach¬ 
mann, Marburg). 182 

2. Bismarckbund, Juniheft (Ref. M. Peltzer, Steglitz).482 

VII. Allgemeines .483 


□ 


ORIGINALIEN. 


□ 


Die Bedeutung des Eidotters für die Hebung 
der Unterernährung. 

Von Professor Dr. Heinrich Stern, New York. 

Norm ist bekanntlich ein schwankender Begriff, der inner¬ 
halb bestimmter Grenzen nach oben wie nach unten das Gesunde, 
Regelmäßige bezeichnet. In diesem Sinne ist normale Ernährung 
derjenige Körperzustand, bei welchem Stoffeinnahme und Stoffaus¬ 
gabe sich annähernd das Gleichgewicht halten. Bei der Ueber- 
ernährung übersteigt die Stoffeinnahme die Stoffausgabe, bei 
der Unterernährung umgekehrt die Stoffausgabe die Stoffein- 
nahme. Dies trifft jedoch nur für die abgeschlossene Körper¬ 
entwickelung zu. Bei Kindern würde es ein regelwidriger 
Zustand sein, wenn Stoffeinnahme und Stoff ausgab e sich das 
Gleichgewicht hielten, da bei ihnen zwecks Neubildung von 
Wachstumszellen ein Plus von Einnahme vorhanden sein muß. 
Was bei Erwachsenen die Norm ist, würde bei ihnen als 
Unterernährung zu bezeichnen sein, und diese artet bei Kindern 
von dem Augenblick an in Marasmus aus, wo die Stoffausgabe 
die Stoffeinnahme übersteigt. Bei Erwachsenen dagegen würde 
das Plus von Ausgabe in den leichteren Graden als Unter¬ 
ernährung und erst in den schwereren Graden als Marasmus 
zu bezeichnen sein, andererseits das Plus von Einnahme als 
Ueberernährung. Irrtümlicherweise macht man das Körper¬ 
gewicht zum Maßstab der Ernährungsnorm. Man setzt für 
einen Körper von bestimmten Größenverhältnissen ein be¬ 
stimmtes Gewicht fest und erklärt es als normwidrig, falls das 
wirkliche Gewicht diese Zahl übersteigt oder unter ihr bleibt. 
Das Kriterium -des normalen Ernährungszustandes bei Er¬ 
wachsenen ist jedoch unseres Erachtens nicht, das Körper¬ 
gewicht, sondern das Stickstoffgleichgewicht und hei Kindern 


das Plus von Einnahme. Das Zurückbleiben hinter diesem 
Zustand ist Unterernährung und im weiteren Verlaufe Maras¬ 
mus. Nicht notwendigerweise wird Unterernährung durch 
Krankheiten oder funktionelle Störungen hervorgerufen, welche 
die normale Verdauung oder vollständige Ausnützung der 
Nährstoffe direkt oder indirekt beeinträchtigen. Vielmehr kann 
der Zustand der Abzehrung auch durch ungenügende oder un¬ 
geeignete Nahrung erzeugt sein. 

Es ist klar, daß dem mit Unterernährung einhergehenden 
Kräfteverfall vorgebeugt werden muß. ganz unabhängig davon, 
ob der zugrunde liegenden Krankheit oder funktionellen Störung 
mit therapeutischen Maßnahmen beizukommen ist oder nicht. 
Wissen wir doch, daß die Hebung der Ernährung zugleich die 
Widerstandsfähigkeit steigert und damit den HeiluugsVorgang 
unterstützt. 

Gewöhnlich versteht man unter Hebung der Ernährung 
die Steigerung der Nahrungszufuhr, die UeberiÜttorung uder 
Mastkur. Es muß jedoch gleich hier gesagt werden, daß diese 
an sich nicht als rationeller Heilfaktor betrachtet werden kann, 
sondern im Gegenteil oft den Zustand des Kranken verschlim¬ 
mert, indem sie dessen Verdauungsorgane überbürdet und zur 
übermäßigen Erzeugung giftiger Stoffwechselprodukte Anlaß 
gibt. Um der Abzehrung, dem fortschreitenden Verlust an 
Körpersubstanz Einhalt zu tun, muß man in erster Linie den 
Zustand der Verdauungsorgane in Betracht, ziehen; Gewalt 
nützt hier nichts, sondern die Nährstoffe sollen in geeigneter 
Form dargereicht werden, so daß sie verarbeitet und assimi¬ 
liert werden können, mit anderen Worten die verlorene Körper¬ 
substanz zu ersetzen imstande sind. Wenn die Nahrung nicht 
der Verdauungs- und Assimilationskraft des Kranken angepaßt 
ist, dann wird dieser weiter abzehren,, selbst wenn er bis zum 
Bersten essen sollte. Andererseits findet man nicht selten, daß 
bei sogen, „auszehrenden“ Krankheiten der Verlust an Körper* 
Substanz überraschend gering ist, solange die Verdauungs¬ 
und Assimilationskraft nicht oder nicht weit unter die physio¬ 
logische Grenze sinkt und die Nährstoffe in geeigneter Form 
dargereicht werden. So macht man beispielsweise oft bei 
chronischer ulzerativer Phthisis, selbst in weit fortgeschrittenen 


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474 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


BfiC 3i 


Fällen, die Beobachtung, daß die Kranken nicht erheblich ab¬ 
magern. Wo der kachektische Zustand freilich sehr weit fort¬ 
geschritten, wo eine Wiederherstellung der Verdauungs- und 
Assimilationskraft nicht mehr möglich ist, da wird der Kräfte¬ 
verfall unaufhaltsam seinen Lauf nehmen. 

Aber wenn auch nicht die Ueberernährung oder Mastkur 
an sich als Heilfaktor der Unterernährung angesprochen werden 
kann, so spielt nichtsdestoweniger die Diät bei der Hebung 
dieses Zustandes eine außerordentlich wichtige Rolle -- mehr 
als irgendwelche andere Maßnahmen, deren Bedeutung bis zu 
einem gewissen Grade unleugbar ist. Soll aber die Diät ihre 
Aufgabe erfüllen, dann muß sie dem Individuum und seinem 
wechselnden Zustand angepaßt sein; sie darf keinen Wider¬ 
willen erregen und die Verdauungsorgane nicht übermäßig be¬ 
lasten, sondern soll in konzentriertester Form die Wärme¬ 
einheiten und die kräftigsten Ersatzstoffe der Körpersubstanz 
enthalten. Ein solches Nährmittel, das zugleich frei von Nach¬ 
teilen irgendwelcher Art ist — ein Nährmittel allerersten Ranges 
besitzen wir im Eidotter. 

Unter „Eidotter-Kur“ verstehe ich ein diätetisches Regime, 
in welchem der größere Teil der Wärmeeinheiten vom Dotter 
des Hühnereis geliefert wird, und in welchem letzteres die 
einzige Fettsubstanz bildet. Neben dieser strengen Dotterkur 
gibt es auch modifizierte Formen, in welchen entweder nicht 
lauter Dottertage aufeinander folgen, sondern solche Tage ein¬ 
geschoben sind, die nicht überwiegend Eidotter darbieten, oder 
aber Eidotter, obwohl es bis zu einem Betrag in der Diät ent¬ 
halten ist, nicht die Hauptmasse der Kalorien ausmacht und 
nicht der einzige Repräsentant der Fettsubstanzen in der 
Nahrung ist. In der Mehrzahl der Fälle, wo die Verdauungs¬ 
organe des Kranken sich in gutem Zustande befinden und der 
akute Kräfteverfall zum Stillstand gekommen ist oder der 
Kranke an Körpergewicht zuzunehmen begonnen hat, bieten 
die modifizierten Formen gewisse Vorzüge gegenüber dem 
strengen Regime dar. Ueberdies ist die den individuellen Be¬ 
dürfnissen und Wünschen Rechnung tragende und dem 
wechselnden Zustand des Kranken immer aufs neue angepaßte, 
modifizierte Dotterkur die einzige Form, in welcher die Eidotter¬ 
diät Monate und Jahre hindurch fortgesetzt werden kann. 

Der Dotter des Hühnereis im rohen oder halbrohen Zu¬ 
stande wird sehr schnell verdaut. Den von mir am gesunden 
menschlichen Magen angestellten Versuchen zufolge verlassen 
zwei rohe Eidotter den Magen in 70 bis 90 Minuten, drei in 
70 bis 100 Minuten, vier in 80 bis 100 Minuten. Ein in 
heißem Wasser und Whisky genommener Dotter verläßt den 
Magen in 50 bis 70 Minuten, zwei in 50 bis 75 Minuten. Ein 
in einer Tasse heißen Kaffees mit etwas Zucker und Milch ge¬ 
nommener Dotter verläßt den Magen in 60 Minuten, zwei 
in 60 bis 70 Minuten. 

Die sogar bei vielen gesunden Individuen unzweifelhaft 
vorhandene Idiosynkrasie gegen Eier ist meiner Ueberzeugung 
nach allein auf Rechnung des Weißen im Ei zu setzen. Dieses, 
das die Hauptmasse der Proteidsubstanzen im Ei enthält, muß 
mit Rücksicht auf die verzögerte Verdauung, sei dieselbe nun 
durch Unzulänglichkeit der Magenbewegung oder durch irgend¬ 
welchen anderen die Nahrung im Magen-Darmkanal zurück¬ 
haltenden Zustand hervorgerufen, für die Bildung von Wasser- 
stoffsulphid und Ammonium verantwortlich gemacht werden. 
Der Dotter dagegen, welcher im Magen niemals so lange wie 
das Weiße im Ei verbleibt, bietet keine Gelegenheit zur Er¬ 
zeugung von Wasserstoffsulphid in solchem Grade dar, daß 
letzteres unliebsame Folgen nach sich ziehen könnte. Diesem 
Umstande schreibe ich die Tatsache zu, daß ich niemals Idiosyn¬ 
krasie gegen Eidotter allein gefunden habe. 

Eidotter wird sehr gut assimiliert. Der Beweis dafür ist 
in der verhältnismäßig geringen Fettmenge gegeben, die in 
den Fäzes dort enthalten ist, wo Eidotter die ausschließliche 
Fettsubstanz in der Diät bildet. Es ist eine bekannte Tatsache, 
daß die Assimilation desto langsamer und unvollständiger vor 
sich geht, je höher der Schmelzpunkt des Fettes ist. Der rohe, 
geschlagene und flüssig gemachte Eidotter wird sehr schnell 
und meist vollständig absorbiert. Meine eigenen Untersuchungen 
ergaben, daß von 1,5 bis 8,5% des Dotterfettes in den Fäzes 


wiedererscheinen. Die große Absorbierbarkeit des Dotterfettes 
wird um so klarer, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß 
Milchfett in den Fäzes der Erwachsenen zum Betrage von 4,4 
bis 6,6% und in den Fäzes von Säuglingen zum Betrage von 
5,1 bis 7% wiedererscheint. Der vom Dotterfett in den Fäzes 
gelassene Rückstand ist geringer als derjenige irgendeines 
anderen tierischen Fettes. 

Eidotter wird von den meisten Individuen in irgend¬ 
welchen Mengen gern genommen und gut vertragen. Dies kann 
von den anderen fettigen Nährstoffen nicht behauptet werden, 
die der gewöhnliche Magen in solchen Quantitäten, daß sie 
die Hauptmasse der notwendigen Wärmeeinheiten ausmachen, 
schlecht verträgt. Ein großer Teil dieser Fälle, bis zu 10, 
12 und mehr Prozenten, erscheint gewöhnlich in den Fäzes 
wieder. Olivenöl wird, wie alle anderen pflanzlichen Fette, 
nicht in größeren als den gewöhnlichen Mengen vertragen. 
Außerdem ist in unseren Breitegraden die Aversion gegen 
Pflanzenöle viel häufiger als die Vorliebe für größere Quan¬ 
titäten derselben. Crime und Butter werden von den Kranken 
meist gern genommen; wenn sie jedoch die Hauptmasse des 
Heizmaterials für den Körper bilden, tritt im Magen eine Zer¬ 
setzung ein, durch welche fettige Säuren von niederem Mole¬ 
kulargewicht frei werden, die ihrerseits wieder den Verdauungs¬ 
prozeß und das Stickstoffgleichgewicht stören. Ueberdies sind 
diese fettigen Säuren die Vorläufer der sogen. Azeton-Körper, 
welche mit mehr oder weniger Berechtigung in ursächliche Be¬ 
ziehung zum diabetischen Koma und zu verschiedenen anderen 
augenscheinlich auf Selbstvergiftung beruhenden Krankheits¬ 
zuständen gebracht worden sind. 

Weiterhin enthält der Dotter des Hühnereis ein die Um¬ 
wandlung der amyloiden Substanzen unterstützendes diastati- 
sches Ferment. Zwar läßt er nicht die Gärungseigenschaften 
der pankreatischen oder der den Speichel in Stärke umwan¬ 
delnden Enzyme erkennen; nichtsdestoweniger dürfen seine. 
Gärungseigenschaften nicht unterschätzt werden. Eidotter ist 
außerdem ein kräftiges Agens zur Beförderung der Absonderung 
des Magensaftes und sollte in allen Fällen von Achylie und 
anderen durch unzulängliche Absonderung des Magensaftes 
charakterisierten Zuständen verabreicht werden. 

Daß der Eidotter Lezithin enthält, ist eine zu wohlbe¬ 
kannte Tatsache, als daß hier näher darauf eingegangen zu 
werden brauchte. Der Schluß ist deshalb berechtigt, daß die 
Einverleibung von Eidotter zur Wiederbelebung der Nerven- 
kraft und zur Verbesserung des Zustandes der Unterernährung 
beitragen werde. 

Der Dotter des Hühnereies enthält durchschnittlich 5 bis 
6 g Fett, die ungefähr 50 Kalorien gleichkommen. Wie wir 
gesehen haben, sind diese fast vollständig assimilierbar. 20 Ei¬ 
dotter liefern 1000 und 80 Eidotter 1500 Kalorien. Um über 
den Zustand der Unterernährung hinwegzukommen, sind 8 bis 
20 Kalorien in Form des Eidotters pro Tag und Kilogramm 
Körpergewicht notwendig. 

Obwohl Eidotter sehr wenig Stickstoff enthält, ist er doch 
insofern ein eiweißsparendes Nährmittel, als die Eidotterkur so 
modifiziert werden kann, daß die Kranken im Stickstoffgleich¬ 
gewicht bleiben. Meinen Versuchen zufolge ist die Ausschei¬ 
dung von Stickstoff bei der strengen Eidotterkur größer als die 
Einnahme; das Defizit ist aber so geringfügig, daß es prak¬ 
tisch gar nicht in Betracht kommt, und daß man nichtsdesto¬ 
weniger dem Eidotter einen höheren Grad der Eiweißersparnis 
zuschreiben kann als irgendeinem anderen Nährmittel. 

In einem im Aerztlichen Verein des Staates New York ge¬ 
haltenen Vortrag habe ich über den Einfluß der Eidotterkur 
auf mif Azetonurie komplizierten Diabetes berichtet. Ich konnte 
auf Grund der von mir gemachten Beobachtungen feststellen, 
daß die Eidotterkur die Ausscheidung von Azetonsubstanzen 
vollständig zum Stillstand bringt und gleichzeitig die Glyko- 
surie wesentlich einschränkt oder ganz zum Verschwinden 
bringt. In allen diesen Fällen wurde durch die Eidotterkur 
die gesamte Ernährung, das Körpergewicht, die Kraft und 
Widerstandsfähigkeit gehoben. In einem der Fälle, der einen 
15 Jahre alten Diabetiker mit bedeutender Zucker- und 
Azetonausscheidung betraf, stieg unter dem Einfluß der Ei- 


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1908. 


475 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


dotterkur das Körpergewicht von 98 A /2 auf 126^2 Pfund. 
Weiter unten werde ich die Technizismen und die Kochrezepte 
angebeü, die sich mir bei der Eidotterbehandlung der Diabetes- 
Kachexie bewährt haben.: 

Während nun die strikte antidiabetische Diät die Kohle- 
‘ hydrate gänzlich ausschließt und die Proteide auf ein Minimum 
reduziert, und während die antidiabetische Eidotterkur diesen 
Beschränkungen Rechnung tragen muß, kommen letztere bei 
der Eidotterkur der nichtdiabetischen Unterernährung nicht in 
Betracht. Andererseits müssen Quantität und Qualität jedes 
Nährstoffes bei der Behandlung der nichtdiabetischen Unter¬ 
ernährung bestimmt werden. Wir sollten uns darüber ver¬ 
gewissern, ob, wann und in welchen Beträgen gewisse Nah¬ 
rungsmittel vom Magen vertragen werden, in welchem Um¬ 
fang die Nährstoffe während des Verdauungsprozesses ver¬ 
arbeitet und für die Erhaltung des Stickstoffgleichgewichts 
ausgenützt werden. In der Mehrzahl der Fälle von Unter¬ 
ernährung ist dies keine leichte Aufgabe, die ein genaues 
Studium der individuellen Verdauungs- und Assimilationskraft 
voraussetzt. Einfache klinische Methoden, die jedem Praktiker 
zur Verfügung stehen, befähigen denselben, in gewöhnlichen 
Fällen von Unterernährung das geeignete Kostregime zu ver¬ 
ordnen. In anderen selteneren Fällen, wo die klinische Beob¬ 
achtung und einfache diagnostische Methoden allein keine ge¬ 
nügende Einsicht in den Ernährungszustand gewähren, müssen 
kompliziertere Methoden der Untersuchung und Diätbestim¬ 
mung zu Rate gezogen werden. Letztere, die in vielen Fällen 
nicht leicht ausführbar sind,werden von dem allgemeinen Praktiker 
selten angewandt. 

Es darf als erwiesen gelten, daß Eidotter von beinahe 
jedem Unterernährten gut vertragen wird. Eidotter muß daher 
die Grundlage des Kostregimes für Unterernährte bilden. Dem 
Kliniker nun obliegt es, im einzelnen Falle die Form der Ei¬ 
dotterkur zu bestimmen. Hier beginnt die Schwierigkeit. In 
einigen Fällen erweist sich die Verabreichung in Milch, Kaffee 
oder Tee. in anderen wieder als ein modifizierter Eierpunsch 
Vorteilhaft. Die wohltätige Wirkung der Eidotterkur tritt in 
vielen Fällen nur dann zutage, wenn zugleich bestimmte 
Kohlehydrate in entsprechenden Quantitäten verabreicht werden. 
Eidotter in Suppe oder Fleischbrühe, mit Rind-, Lamm- oder 
Hühnerfleisch ruft oft eine Besserung des Ernährungszustandes 
hervor, welche nicht in gleichem Umfange dort beobachtet 
wird, wo andere Beigaben des Eidotters als Vehikel dienen. 
In anderen Fällen, insbesondere bei Lungentuberkulose, ge¬ 
nügt häufig gewöhnliche gemischte Kost, in welcher die Fett¬ 
substanzen durch Eidotter allein vertreten sind, um die Assi¬ 
milationskraft, das Körpergewicht und die Widerstandsfähig¬ 
keit zu steigern. 

Wenn ein im letzten Stadium einer auszehrenden Krank¬ 
heit befindlicher Patient unter dem Einfluß der Eidotterkur 
nicht an Gewicht zunimmt, dann darf in der Regel' angenom¬ 
men werden, daß letztere nicht in geeigneter Form verabreicht 
wurde, d. h. die dem Eidotter beigegebene Nahrung war ent¬ 
weder nicht rechter Art, oder sie wurde in einer nicht der 
Verdauungskraft angepaßten Menge verabreicht. Während 
nämlich geeignete Nahrung die spezifische Eidotterwirkung be¬ 
fördert, verzögert oder unterdrückt in Charakter oder Menge 
ungeeignete Nahrung die Aufsaugung des Eidotters. 

Andererseits erleichtert der Eidotter die Verdauung ge¬ 
wisser Mengen von Kohlehydraten (diastatisches Ferment) und 
verhältnismäßig großer Mengen von Proteiden (Anregung der 
Absonderung des Magensaftes). Eidotter scheint keine Eigen¬ 
schaften zu besitzen, welche der Nahrung beigefügte andere 
Fette leichter absorbierbar machen. Die erschwerte Aufsaugung 
des Fettes aber ist mit großer Wahrscheinlichkeit direkt für 
den Zustand der Unterernährung in vielen Fällen verantwort¬ 
lich zu machen. Die Untersuchung der Fäzes hat mir gezeigt, 
daß in nicht zu weit fortgeschrittenen Fällen von Abmagerung 
der Eidotter fast immer so vollständig absorbiert wird, wie 
dies bei normalen Individuen geschieht. Es ergibt sich hieraus 
die Forderung, alle fettigen Substanzen in der Nahrung nach 
Möglichkeit durch Eidotter zu ersetzen. Nachdem Besserung 
eingetreten ist, braucht Eidotter nicht mehr das einzige Nah¬ 


rungsfett zu bilden, sondern es können der Diät auch andere 
Fette beigefügt werden. Rationeller erscheint es, mit der Diät 
in der Weise abzuwechseln, daß jede Woche ein oder zwei 
Tage eingeschaltet werden, an denen Eidotter nicht den Haupt¬ 
bestandteil der Nahrung ausmacht, sondern die gewöhnlichen 
Fette in beschränktem Maße verabreicht werden. Immerhin 
muß an den anderen Tagen der Eidotter die Hauptmasse der 
Wärmeeinheiten bilden oder sollte wenigstens die einzige 
Fettsubstanz an diesen Tagen sein. 

Ich gebe jetzt die Probe eines Eidottermenus für einen 
Schwindsüchtigen, der normalerweise 140 Pfund (68,63 kg) 
wiegen sollte, aber nur 110 Pfund (50 kg) wiegt und dessen 
Ernährungsapparat die Verabreichung einiger Kohlehydrate und 
fast normaler Mengen von Proteiden gestattet. Dieser Kranke 
sollte Nahrung im Werte von 35 Kalorien pro Tag und Kilo¬ 
gramm Körpergewicht, demnach 1750 Kalorien in 24 Stunden 
aufnehmen. 


Einzelne Mahlzeiten 

Anzahl der Eidotter 

An¬ 
nähernde 
Zahl der 
vom Ei¬ 
dotter ge¬ 
lieferten 
Kalorien 

An¬ 
nähernde 
Gesamt¬ 
zahl der 
Kalorien 

1. Frühstück: 250 ccm abgerahmte 
Milch mit 4 Eidottern. 

4 

i 

I 200 

! 

290 

30 Gramm Weizentoast. 

— 

— 

75 

2. Frühstück: 1 Tasse Kaffee und 

2 Eidotter. 

2 

100 

100 

Mittagessen: Ein Teller Suppe mit 

4 Eidottern. 

4 

200 

225 

150 Gramm sehr mageres Rindfleisch 

— 

— 

125 

30 Gramm Weizentoast. 


— 

75 

Nachmittagsvesper: 250 ccm ab¬ 
gerahmte Milch, 30 ccm Whisky. 

3 Eidotter. 

3 

150 

! 370 

Abendessen: 100 Gramm Griesmehl 
oder Reissuppe, 1 Eidotter, abge¬ 
rahmte Milch. 

1 

50 1 

1 350 

Apfelsauce 75 Gramm. 

— 

_ ! 

30 

Vor Schlafengehen: Nachttrunk 
(90 ccm heißes Wasser, 10 ccm 
Whisky, 1 Eidotter, 1 Teelöffel 
voll granulierter Zucker) .... 

1 

1 

50 

110 

Gesamtsumme 

15 

750 

1750 


Bei einer längeren Eidotterkur kann und muß das Ver¬ 
hältnis der verschiedenen Typen von Nährstoffen den über¬ 
wiegenden Umständen des Falles gemäß geändert werden. 
Immerhin darf das vorstehend angegebene Kostregime als 
Richtschnur gelten. In gewissen Fällen mögen die ganzen 
Eier gut vertragen werden; es ist dann zweckmäßig, ihnen 
besonderen Eidotter hinzuzufügen. Um Eintönigkeit und Wider¬ 
willen zu vermeiden, die bei beständiger Wiederkehr derselben 
Fleisch- und Mehlspeisen unvermeidlich sind, sollte auf Ab¬ 
wechselung in den mit dem Eidotter verabreichten Gerichten 
Bedacht genommen werden. 

Alle Eidottergerichte müssen Salz in genügender Menge 
enthalten. Gewürze und geschmackverbessernde Zutaten können 
beigefügt werden, falls keine Kontraindikationen gegen ihren 
Gebrauch vorliegen. Es sollte nicht vergessen werden, daß 
Gewürze keineswegs gleichgültige Stoffe sind, und daß je nach 
Lage des Falles durch sie der Verdauungsprozeß ebenso an¬ 
geregt wie verzögert werden kann. In der Regel leiden die 
der Eidotterkur unterworfenen Kranken nicht an Stuhl Vor¬ 
haltung, wo es aber der Fall ist, mögen milde Laxantien ver¬ 
abreicht werden. 

Die Eidotterkur in ihren verschiedenen Modifikationen hat 
keine Gemeinschaft mit der Legion von unnatürlichen und un¬ 
vernünftigen Mästungssystemen, wie sie allüberall ange- 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 



priesen werden. Sie ist nicht mein Steckenpferd und 
wird hoffentlich auch niemals dasjenige eines anderen 
werden. Sie hat ihre Grenzen, aber es darf als sicher gelten, 
daß ihre gewissenhafte Anwendung bei gewissen Formen der 
Unterernährung, zu welchen auch Diabetes gerechnet werden 
muß, das Körpergewicht erhöht und die Widerstandskraft selbst 
dort wiederherstellt, wo andere Kostregime versagen. 

Es erübrigt nun noch, auf ein besonders wichtiges Kapitel, 
die Unterernährung der Kinder und ihre Hebung durch die 
Eidotterkur einzugehen. (Schluß folgt.) 


Physikalische oder biologische Medizin? 

Von Kreisarzt Dr. F. Bachmann, Harburg a. E. 

Professor Pagel, der bekannte und verdiente medizinische 
Geschichtsforscher, gibt seit Anfang dieses Jahres eine „Zeit¬ 
schrift für physikalische Medizin“ heraus. In einem neulich 
erschienenen Artikel, betitelt „Kurzer geschichtlicher Ueberblick 
über die Entwickelung der physikalischen Medizin“ schreibt 
P. wie folgt: 

„Unter physikalischer Medizin verstehen wir die Beziehungen, 
welche die Heilkunde im Laufe ihrer Entwickelung zur Physik 
genommen hat. Sie sind ebenso alt als innig. Hieß doch im 
Mittelalter der Arzt: physicus. Das ist kennzeichnend. Der 
Arzt war der Naturlehrer par excelience. Merkwürdigerweise 
entbehrten diese Beziehungen bisher einer zusammenfassenden 
Sonderdarstellung vom historischen Standpunkt.“ 

Sodann weist Professor P. nach, wie seit dem grauen 
Altertum bis zur Neuzeit die Physik in Mechanik, Optik, 
Akustik, der Lehre von der Luft, Elektrizität, den Strahlen usw. 
in Diagnostik und Therapie die größte Rolle gespielt habe. 
Früher allerdings nur in äußerlicher Weise; unter Harveys 
Einfluß tauchte dann zum ersten Male „zielbewußtes physika¬ 
lisches Denken in der Medizin auf, um seitdem nicht mehr zu 
verschwinden“. Erst der jüngsten Zeit jedoch „blieb es Vor¬ 
behalten . . . ., die unreifen Bestrebungen des 17. Jahrhunderts 
durch rationelle Methodik und vollkommene Experimentierkunst 
zu ersetzen und zu rehabilitieren“. 

So wäre nach Pagel also der Gipfel der Medizin in dem 
heutigen exakten Ausbau der „physikalischen Methoden“ völlig 
oder doch nahezu erklommen. 

Können wir biologisch denkenden Aerzte uns hiermit ein¬ 
verstanden erklären? Ich meine, nun und nimmermehr! 

Zuerst muß einmal die Unklarheit beseitigt werden, welche 
heutzutage so häufig Physik und physis verwechselt oder Physik 
den gesamten Naturwissenschaften gleichsetzt. 

Der Arzt hieß zur Zeit lateinischer Gelehrsamkeit wahr¬ 
haftig nicht deshalb physicus, weil er besondere physikalische 
Ke nn tnisse haben mußte, sondern weil er die Kenntnisse der 
gesamten Natur, der physis, beherrschen sollte. Den heutigen 
Begriff der Physik, als Lehre von den Kräften der unbelebten 
Natur, gab es ja damals noch gar nicht. Wenn man aber 
heutzutage immer von der Bedeutung der Physik für die 
Medizin sprechen hört, so müßte ein Außenstehender in der 
Tat glauben, ein Professor der Physik müßte auch der beste 
Arzt sein. Man scheint beinahe zu vergessen, daß der Arzt 
doch in allererster Linie Kenntnisse der organischen Natur 
braucht, daß für ihn die Lebens Vorgänge im Organismus fast 
ausschließlich in Betracht kommen. 

Wenn der heutige Sprachgebrauch es erlaubte, wollten wir 
unsere Richtung (welche übrigens, historisch betrachtet, mehr 
mit Hippokrates und Galenus, als mit Harvey gemein¬ 
sam hat — doch davon ein ander mal!) eher physische Medizin 
nennen, aber nie und nimmermehr physikalische; Physik und 
ebenso Chemie stehen sogar in einem gewissen Gegensätze 
zur biologischen Medizin. So sehr die Biologie diese Fächer 
als Hilfsmittel benötigt, so muß sie doch stets den scharfen 
Gegensatz betonen, welcher zwischen der mechanistischen 
Lebensauffassung des Physikers und Chemikers und der 
modernen Entwicklungslehre von Tag zu Tag stärker hervor¬ 
tritt. Die Erkenntnis anorganischer Vorgänge in Physik und 


Chemie, so ungeahnte Fortschritte sie der Technik bracKte^ haf: 
die organischen Naturwissenschaften und damit die Medizin in der 
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts unserer Auffassung nach 
sogar geschädigt und auf falsche Bahnen gelenkt. 

Wenn wir den Pagel sehen Auffassungen huldigten, S 0 s 
müßten also Physik und Chemie die hauptsächlichsten Grund-' 
lagen medizinischen Wissens bilden. Leider ist dieses ja auch 
im ärztlichen Staatsexamen noch viel zu sehr der Fall: Wir 
Biologen betonen aber stets, daß vielmehr die allgemeine Bio¬ 
logie und die Entwicklungslehre einschließlich Anthropologie 
und der modernen Psychologie die Hauptgrundlagen unseres 
Studiums darstellen sollten, ja daß man die Gesetze der 
anorganischen Natur in Physik und Chemie sogar nur mit 
einer gewissen Vorsicht bei der Erforschung des somatisch¬ 
psychischen Betriebes anwenden dürfe. 

Was nun das heutige Vorherrschen der Physik in der 
Therapie anlangt, so- müssen wir auch hiergegen unser Be¬ 
denken äußern. Zweifellos sind die physikalischen Faktoren, 
wie Temperatur, Bewegung, Luft. Wasser, Licht. Elektrizität 
nichtige therapeutische Reize und die Kenntnis ihrer Gesetze 
ist für den Arzt von Wichtigkeit. Sie können aber nur dann 
zu einer ersprießlichen ärztlichen Tätigkeit führen, wenn gleich¬ 
zeitig das Studium der Biologie und Physiologie den Arzt 
darüber belehrt, wie der Organismus als solcher auf die phy¬ 
sikalischen Faktoren reagiert, wie sie den Organismus in seiner 
Selbsterhaltungs-Heiltätigkeit unterstützen können. 

Was würde dem Arzte seine ganze physikalische Aus¬ 
rüstung helfen, wenn er keine organischen Kenntnisse, hätte-? 
Wir wollen ja doch unsere Heilkunde wieder möglichst einfach 
und natürlich gestalten, weil wir in ihrer heutigen Kompliziert¬ 
heit ein Zeichen ihres Verfalls sehen, müssen also schon- 
dieserhalb die Physik mit all ihrem Apparatus niedriger ein¬ 
schätzen. 

Was uns von einer „physikalischen Medizin“ trennt, von 
einem Heilverfahren, bei welchem der Mensch, Philosoph und 
Seelenkünstler unter Apparaten und Maschinen völlig ver¬ 
schwindet, das ist die Grundanschauung, welche den größeren 
Wert auf die im Körper schlummernden Kräfte legt, 
die mit möglichst einfachen und „naturgemäßen“ Reizen ge¬ 
weckt werden sollen, nicht aber auf die physikalischen Kräfte 
außerhalb des Körpers. 

Daß auch die Bezeichnung „biologische Medizin“ und 
„biologische Therapie“ mancherlei Bedenken gegen sich hat, 
weil sie nicht völlig das zum Ausdruck bringt, was wir Re¬ 
former anstreben, so daß ein wirklich vollwertiger Ausdruck 
für unsere auf den neuen Naturwissenschaften aufgebaute 
Richtung bisher noch nicht gefunden ist, gebe ich unverhohlen 
zu. Gänzlich abweisend stehe ich aber dem Ausdruck „phy¬ 
sikalische Medizin“ gegenüber. 


REFERATE. 


Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Referent: Spezialarzt Dr. S. Aschheim, Charlottenburg-Berlin. 

1. Lysol Vergiftung durch Uterussptilung. Von Dr. Piltz- 
Erlangen. Münch, med. Wochenschr., 1908, Nr. 18. 

2. Zur operativen Behandlung der puerperalen Peritonitis 
und Thrombophlebitis. Von G. Leopold. Arch. f. Gyn., Bd. 85, 
Heft 3. 

3. Primäre und Dauerresnltate der Ovariotomien bei ana¬ 
tomisch malignen und zweifelhaften Geschwülsten. Von Garl 
Schnidlechner. Monatsschr. f. Gyn., 1908, Juli, XXVIII. 

4. Larynx und Schwangerschaft. Von Dr. Hofbauer- 
Königsberg. Ibidem. 

5. Ueber nasale Reflexe. Von Prof. Ko blank. Deutsche 
med. Wochenschr., 1908, 11. Juni. 

1. Piltz teilt einen Fall mit, in dem bei Abort nach Uterus- 
und Scheidenspülung mit l°/oiger Lysollösung eine schwere hämor- 


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4 1 i * * V« ygür^- ^ * 1 

rhagiache Nöphxitis auftrat. Unter Anführung mehrerer Fälle aus 
der Literatur, darunter zwei, die schließlich letal endeten, warnt 
er vor Ausspülung mit Lysollösung, die in schwächerer Lösung 
nicht d esinfizi erend wirkt, in stärkerer aber leicht gefährliche 
Schädigungen herbeiführen kann. Als Spülflüssigkeit für den 
Uterus empfiehlt er, wie dies auch anderorts lange schon üblich 
ist, sterile physiologische Kochsalzlösung oder einfaches Wasser, 
auch bei infizierten Fällen. 

2. Leopold, der schon früher der operativen Behandlung 
der puerperalen Peritonitis das Wort geredet hat, faßt seine auf 
18 Fällen beruhenden Erfahrungen folgendermaßen zusammen: 

a) Gonorrhoische Infektion kurz vor Beginn oder während 
der Schwangerschaft kann das Wochenbett viel gefährlicher ge¬ 
stalten, als allgemein angenommen und geglaubt wird. Dies be¬ 
weisen solche Fälle, bei denen die Gebärenden innerlich nicht 
untersucht worden sind. 

b) Bei solchen infizierten Frauen kann hohes Fieber mit dem 
Zeichen beginnender Peritonitis schon am dritten Tage post 
partum, iij manchen Fällen erst am sechsten Tage als sogenanntes 
Spätfieber auftreten. Gerade letzteres ist bekanntlich für gonor¬ 
rhoische Infektion sehr charakteristisch und kann außerordentlich 
schwer mit akuter Peritonitis bezw. Thrombophlebitis, die in 
kurzer Zeit zum Tode führen, einsetzen. 

c) Yoü großer Gefahr sind wochenlang sich hinschleppende 
Abortblutungen, namentlich wenn sie mit Fieber verbunden sind. 
Nach erfolgter Ausstoßung des Eies kann hier durch die im 
Uteruskavam angesammelten Infektionsträger sich sofort akute 
Peritonitis bezw. Thrombophlebitis anschließen. 

d) Von den verschiedenen Zeichen beginnender Peritonitis 
bezw. Thrombophlebitis sind die ernstesten der hohe kleine Puls, 
der Singultus, event. das Erbrechen und die Schüttelfröste. In 
zweiter Linie kommen dann der spontane Leibschmerz oder der 
Schmerz bei Betastung sowie der Meteorismus, und bei der 
Thrombophlebitis die Schmerzen in der Fossa ovalis und die 
Oedeme der Füße und Beine. 

e) Ist die Diagnose auf beginnende akute Peritonitis gestellt, 
so darf nicht später als am dritten Tage nach Beginn derselben 
die Eröffnung der Bauchhöhle zum Ablaß des Eiters ausgeführt 
werden. Auf jeden Fall ist der Douglassche Raum nach der 
Scheide hin von der Linea alba aus zu eröffnen, durchzuspülen 
und zu drainieren. Zweckmäßig ist die Eröffnung und Drainie- 
rung der Bauchhöhle auch in den Flanken. 

f) Bei der Nachbehandlung ist die allergrößte Sorgfalt darauf 
zu verwenden, daß von den Oeffnungen der Drainröhren aus keine 
sekundäre Infektion eintritt. 

g) Handelt es sich um Thrombophlebitis purulenta puerperal., 
ohne Beteiligung des Peritoneum, so ist nach dem heutigen Stande 
der Wissenschaft in erster Linie in Betracht zu ziehen, daß der 
Leib eröffnet und die betr. thrombosierte, von Eiter erfüllte Vene 
auf gesucht, unterbunden und entfernt wird (notabeue nach Bumm 
genügt die bloße Ligierung der Vene). Die beste Methode ist hier 
die transperitoneale. Der richtige Zeitpunkt ist gekommen, wenn 
Schüttelfröste auf die Verschleppung von Thrombusbröckeln hin- 
weisen und seit ein bis zwei Tagen auftreten. 

h) Angesichts der Tatsache, daß nach anfänglich gutartigem 
Verlaufe einer ein- oder doppelseitigen Thrombose der Vena 
femoral. bezw. iliak. ext. sich pyämisches Fieber, welches auf 
eitrigem Zerfall der Thromben und Verschleppung der Eiterbröckel 
beruht, sogar noch spät anschließen kann, so erscheint die mög¬ 
lichst frühzeitige Aufsuchung und Abbindung der thrombosierten 
Venae iliak. bez. der Venae spermat int., ja im einzelnen Falle 
selbst aller vier Venen, je nach der Schwere des Falles, durchaus 
begründet. 

i) . Hierbei halte sich der Operateur immer vor Augen, daß 
die Gefahr, in welcher die Kranke bei Beginn einer Peritonitis 
oder bei einer Thrombophlebitis purulenta sich befindet, imm er 
eine viel ernstere und- drohendere ist als die, welche in dem 
operativen Eingriff liegt, und daß umgekehrt bei längerem Zu¬ 
warten und Zaudern die Laparotomie für den nunmehr sehr ge¬ 
schwächten Körper zu gefährlich, ja ganz aussichtslos ist. 

Der Leitstern muß sein: früh genug, aber nicht zu spät! 

3. Sch. stellt die Resultate der Budapester Klinik zu¬ 
sammen: 


Für das Karzinoma ovarii hat er folgende Zahlen: Von 
35 Operierten wurden 29 = 82,86% primär geheilt, 6 = 17,14% 
starben (Inanition, Ileus, Peritonitis, Nephritis, Herzschwäche sind 
die Todesursache). 

Endgültige Heilung, d. h. Rezidivfreiheit fünf Jahre nach 
der Operation. Von obigen 29 sind 2 Kranke endgültig geheilt, 
19 starben an Rezidiven, 2 leben noch mit Rezidiven, 3 sind 
verschollen, 2 Kranke starben an interkurrenten Krankheiten, 

der eine lebte ohne Rezidiv, war aber erst ein Jahr nach der 
Operation. 

Die so ungünstige Prognose der Operation könnte nur durch 
frühzeitige Operation verbessert werden, da aber die Symptome 
des Ovarialkarzinoms nicht prägnant sich manifestieren, werden 
die Pat. wohl auch künftig erst relativ spät, wenn Schmerz oder 
Größerwerden der Geschwulst eintritt, zur Operation kommen. 

Wegen Adenozystoma serosum wurden 60 Fälle operiert. Da¬ 
von 58 = 96,67% primär geheilt, 2 = 3,38% gestorben. 

An Rezidiven starben 7 Kranke, 2 an unbekannter Krank¬ 
heit, 6 sind verschollen, bei 10 Kranken sind noch keine fünf 
Jahre verflossen, endgültig heilten 33 Kranke. 

Endgültige Heilung = 82,5%. 

Bei den 27 Sarkomkranken trat primäre Heilung bei 24 
= 88,8% ein. 85% endgültige Heilung. 

Was die Technik und Indikationswerte der Operation anlangt, 
so sind die Meinungen darüber noch geteilt, ob man bei einseitigem 
Sitz der Tumoren das andere anscheinend gesunde Ovarium mit- 
entfernen soll. 

Bei den sicher malignen Tumoren verlangen die radikalen 
Operateure auch die Entfernung des Uterus; ja manche auch die 
der regionären Drüsen. 

(Es dürfte wohl im allgemeinen ein radikaler Standpunkt sich 
empfehlen; daß im Einzelfalle, da wo Nachkommenschaft verlangt 
wird, Ausnahmen gemacht werden, wobei die Patientinnen aber 
in Beobachtung gehalten werden müssen, ist zweifellos berechtigt. 
Ref.) 

4. Hofbauer, dem wir schon so manche aufklärende Unter¬ 
suchung über die Biologie und Pathologie der Schwangerschaft 
verdanken, hat, veranlaßt durch Mitteilungen von Sängerinnen 
über die Veränderungen der Stimme in der Schwangerschaft, 
klinische und anatomische Untersuchungen über Veränderungen 
des Kehlkopfs angestellt. 

Anatomisch fand er an der Mukosa und Submukosa Gefä߬ 
dilatation, zellige Infiltration der Schleimhaut durch Leukozyten 
und gequollene (deziduale) Bindegewebszellen, Auftreten von Plasma¬ 
zellen. Die anatomischen Veränderungen sind analog denen, die 
wir bei subakuten entzündlichen Prozessen zu sehen bekommen. 

Am Epithel zeigten sich 1. Metaplasie der flimmernden 
Zylinderzellen in geschichtetes Uebergangs- bezw. Pflasterepithel 
und Proliferation der Epithelstratum in Gestalt eines Zapfens nach 
der Tiefe, Veränderungen, wie sie für die „Pachydermia“ charakte¬ 
ristisch sind. , 

Auch laryngoskopisch zeigten sich sehr häufig bei Kranken 
Veränderungen am Kehlkopf, wie Rötung und Schwellung der 
falschen Stimmbänder und Aryknorpel, Verstrichensein, der Inter- 
aryfalte, seröse Durchtränkung und Auflockerung der Stimmbänder, 
Schwäche der Interni. 

Alle diese Veränderungen gehören in die Kategorie der „ent¬ 
zündlichen Schwellung“. 

Ihr Vorkommen in der Schwangerschaft erklärt die Hart¬ 
näckigkeit des Larynxkatarrhs während der Dauer der Gravidität 
und hat Bedeutung für die bekannte Tatsache, daß die Larynx- 
tuberkulose in der Gravidität eine so verhängnisvolle Ausbreitung 
erfährt. 

Der durch entzündliche Vorgänge veränderte Kehlkopf ist in 
seiner Widerstandsfähigkeit gegen Infektion herabgesetzt, der 
Verlust des Flimmerepithels bedeutet den Verlust eines der wich¬ 
tigsten Schutzmittel gegen bazilläre Infektion, während das in 
lymphadenoides Gewebe verwandelte Bindegewebe besondere Dis¬ 
position zur tuberkulösen Erkrankung hat. 

5. Koblank kommt zu folgenden Schlußsätzen: 

Die Schwellkörper der Nasenschleimhaut stehen in besonderem 
Zusammenhänge mit denen der Genitalorgane. In der Geburts¬ 
hilfe kann man von der Nasenschleimhaut aus die Wehenschmerzen 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


vorübergehend lindern und Uteruskontraktionen verstärken. Von 
der Nasenschleimhaut aus können einzelne Folgeerscheinungen 
krankhaften sexuellen Lebens beseitigt und gewisse anormale Ge¬ 
schlechtserregungen abgeschwächt werden. Von einer bestimmten 
Stelle der Nasenschleimhaut aus läßt sich der Rhythmus des 
Herzens beeinflussen. 


Biologische Therapie. 

Referent: Dr. W. Esch, Bendorf a. Rh. 

1. Gedanken zur Serumtherapie. Von Dr. E. Fischer. 
Aerztl. Rundschau, 1906, Nr. 31 u. 32. 

2. Die Vasomotorenlähmung als Grundlage der Hydro¬ 
therapie der Infektionskrankheiten. Von Dr. H. J. Wolf-New 
York. New Yorker med. Monatsschr., 1908, Nr. 5. 

3. lieber die Wirkung der Seeluft auf die Erkrankungen 
der Luftwege, Von Dr. Ide-Amrum. Zeitschr. f. diät. u. phys. 
Therap., 1908, Juli. 

4. Verhütung und Behandlung der Bleichsucht. Von Dr. 

K. B. Martin-Freiburg. Aerztl. Rundschau, 1908, Nr. 28. 

5. Soll man Eklamptische schonend oder forciert entbinden? 
Aus den „Vermischten Abhandlungen“ von Dr. M. Bohm-Fried- 
richroda. 1908, Selbstverlag. 169 S. 

6. lieber Diät bei engem Becken („Prochownicksche Diät“). 

Von Dr. M. Bö hm-Friedrichroda. Arch. f. phys.-diät. Therapie, 
1908, Nr. 6. ’ 

1. Fischers Arbeit enthält so viel Anregendes, daß wir es 
uns nicht versagen können, noch jetzt einige seiner Gedanken¬ 
gänge, die von besonderem Interesse erscheinen, kurz anzuführen. 

Hinsichtlich der Antitoxinbehandlung betont F., daß man da¬ 
hin streben müsse, die Antitoxine aus dem Serum so viel wie 
möglich rein darzustellen, „da im Heilserum ziemlich sicher neben 
den unschädlichen Antikörpern Substanzen vorhanden sein dürften, 
die schädliche Wirkungen auszuüben wohl imstande sind. Denn 
das Heilserum stammt nicht von völlig normalen Tieren, weil die¬ 
selben zahlreichen fieberhaften Vergiftungen und Blutentziehungen 
unterworfen sind. — Wenn nun schon gesundes Blut von Indivi¬ 
duen verschiedener Tiergattungen miteinander vermischt zu chemi¬ 
schen Umsetzungen führt, um wie viel mehr muß dann krankes 
Blut von Tieren auf dasjenige von Menschen einwirken können 
und zumal bei Kindern, in deren Blut sich wegen des Wachs¬ 
tums die chemischen Prozesse in viel größerem Umfange und mit 
viel größerer Lebhaftigkeit als bei Erwachsenen abspielen! Diese 
Ueberlegung mahnt zur besonderen Vorsicht hinsichtlich der Prä- 
v en t i vimpf ungen“. 

Des weiteren bespricht Fischer die häufig gemachte Beob¬ 
achtung, „daß nicht schwächliche Personen am stärksten an Typhus 
oder Pneumonie erkranken, sondern vollkräftige, im besten Lebens¬ 
alter stehende Männer, daß nicht blasse, magere und elende Kinder 
am häufigsten an Diphtherie sterben, sondern gerade die blühendsten 
und gesundesten ‘. Das sucht er sich folgendermaßenzu erklären: 
„Während es, damit überhaupt die Krankheit entstehen kann, 
bei gesunden und kräftigen Individuen der Einwirkung stärkerer 
Gifte als bei schwächlichen und zarten bedarf, um den Wider¬ 
stand der im stabileren Zustande sich befindenden Zellen zu 
brechen, gestaltet sich nach Ueberwindung dieses Widerstandes 
der ^Krankheits verlauf infolge der größeren chemischen Affinität 
der Zell- und Giftradikale zu einander in der Regel weit schwerer 
als bei weniger gesunden und weniger kräftigen Personen.“ 

Hier möchten wir doch den Einwand nicht unterdrücken, 
daß die von Fischer hervorgehobene „Vollsaftigkeit“ und 
„Kräftigkeit“ durchaus nicht gleichbedeutend mit guter Konstitu¬ 
tion zu sein braucht, vielmehr oft nur das Zeichen von Hydrämie, 
Dysämie, überflüssiger Fettbildung („Notregulation“) etc. darstellt. 
Bekanntlich sind die hageren Individuen bei weitem widerstands¬ 
kräftiger als jene „vollsaftigen.“ Wir möchten hier wiederholt 
an Lahmanns Lehre von der Bedeutung des spezifischen 
Gewichts erinnern, die u. a. auch die Mastkuren und den Eltern¬ 
stolz auf die 10 Pfund-Neugeborenen in ihrer ganzen Torheit 
zeigt; vergl. auch Vollands Ausführungen über die vielfach 
leider noch immer beliebte kritiklose Ueber - Ernährung der 
Phthisiker etc. in Nr. 27 der Therap. Rundschau. 


Am meisten Widerspruch dürfte aber , wohl Fischers /Zü4 i 
kunftstraum betr. Auffindung spezifischer Heilmittel 'er¬ 
fahren. 

Bei Besprechung der spezifischen aniibakteriellen Heilmittel-- 
weist er darauf hin, daß ein solches direkt antibakterielles Gift¬ 
radikal auch z. B. das Chinin gegen die Malariaplasmodien ent¬ 
halten dürfte. „Ein plausibler Grund für die Tatsache, daß diese 
organische Base die Plasmodien direkt in ihrer Vitalität hemmt 
und sie zum Absterben bringt, wäre in folgendem zu finden: 

„Die Chinabäume gedeihen bekanntlich in den Tropen am 
besten auf solchem Boden, - auf welchem auch die Malariaplasmodien 
sich zu entwickeln pflegen. Wie diese, so werden auch jene aus 
denselben Stoffen zu einem Teile ihren Körper aufbauem Es 
kann demnach gar nichts Wunderbares darin gesehen werden, 
daß in bestimmten Gewebsbestandteilen des Chinabaumes sich ein 
chemischer Körper vorfindet, welcher zu einem bestimmten Zell¬ 
bestandteile der Malariaplasmodien eine große chemische Affinität 
bekundet, ja es ist sogar im höchsten Grade wahrscheinlich, daß 
der Chinabaum als Pflanze durch die Lebensbetätigung seiner 
Zellen aus gewissen Nährstoffen nur die Bestandteile des einen 
Radikales und die dem Tierreiche zugehörenden Malariakeime 
nur die des anderen mit entgegengesetzten Affinitäten begabten 
Radikales ihrem Körper ein verleiben. Wir würden darin einen 
ähnlichen Antagonismus zu sehen haben, wie er sich bei den 
Pflanzen in der überwiegenden Aufnahme der Kohlensäure und 
Abscheidung des Sauerstoffs und beim Tiere in der Aufnahme 
des Sauerstoffs und der Abgabe der Kohlensäure sowie' hinsicht¬ 
lich vieler anderen Funktionen zu erkennen gibt. Ein analoges 
Verhältnis finden wir auch zwischen denselben Plasmodien und 
dem Eukalyptol des ebenfalls in Sumpfgegenden gedeihenden 
Eukalyptusbaumes, sowie zwischen der Salizylsäure in dem Salizin 
der Weiden und noch unbekannten anderen Mikrobenkeimen, 
welche wahrscheinlich die Polyarthritis, Myositis, Pleuritis, Endo- 

Perikarditis rheumatika bedingen. Wäre das Chinin der 
einzige Stoff, welcher in einer derartigen Relation zu einem be¬ 
stimmten Krankheitserreger stünde, so wäre man vollständig be¬ 
rechtigt, nur von einem merkwürdigen Zufalle zu sprechen, da 
aber noch andere Substanzen in einem ganz ähnlichen Verhältnisse 
zu derselben oder einigen anderen Krankheitsursachen stehen, so 
ist es an und für sich schon wahrscheinlich, daß zwischen diesen 
Krankheiten, und Heilmitteln tatsächlich eine bestimmte innere 
Beziehung obwaltet. 

Die alte Volksanschauung, daß für jede Krankheit ein Kraut 
gewachsen sei, ist demnach dahin verallgemeinert, daß für jede 
chemische Noxe eine chemische Antinoxe gefunden werden könnte; 
beinahe ebenso selbstverständlich als der physikalische Grundsatz: 1 
Wo Kräfte in Aktion treten, stoßen sie auf Gegenkräfte, nur 
daß wir dieser Auffassung nicht mehr, wie das früher geschehen 
ist, einen teleologischen Untergrund zu geben brauchen, sondern 
sie auf eine ganz natürliche, naturwissenschaftliche Basis stellen 
können. . . .“ 

Ob diese Auffassung in der Zukunftsforschung weitere An¬ 
haltspunkte gewinnen wird, das erscheint uns doch sehr zweifel¬ 
haft. Von anderen Gegengründen abgesehen, ist doch sicherlich 
die Stärkung der Widerstandskraft des Organismus gegen Schäd¬ 
lichkeiten weit wichtiger und wertvoller als das Suchen nach 
spezifischen äußeren „Heilmitteln“. 

Meißen (Zeitschr. f. 'Tbk., XII) sagt hierzu: „Die Ansicht, 
daß es gegen jede Krankheit ein Spezifikum geben, müsse, ist ein 
Rest des naiven Wunderglaubens alter Zeiten, den wir sonst so 
gern verspotten“, und Erhard (Ketzerische Gedanken, München 
1906): „Man sollte nicht von ,spezifischen 4 , sondern höchstens von 
,wirksamen 4 Mitteln sprechen, denn es wäre überaus naiv, zu 
glauben, daß bei der unendlichen Mannigfaltigkeit und Labilität 
der organischen Natur zwei Dinge existieren, die gerade nur zu¬ 
einander passen wie die Liebenden im Roman.“ 

Den Kern der Sache aber trifft Knorr (Physiol. Diätkuren, 
Aerztl. Rdsch., 1903, Nr. 42), wenn er das auch von andrer Seite 
mehrfach Hervorgehobene folgendermaßen zusammenfaßt: 

„Man erstrebt heute das medizinische „Perpetuum mobile“, 
„Spezifikum“ genannt; solange es nicht „spezifische Manschen“ 
gibt, wird es eben keine spezifischen Krankheiten geben und also 
auch keine spezifischen Heilmittel. Jeder Mensch ist ein. eigen- 




LV - i 
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• artig zusammengesetzter Nährboden, und'zwar ein selbständig 
lebender , der während der Invasion des spezifischen Erregers je 
nach seiner Widerstandskraft sich verschieden gegen den Angreifer 
zur Wehre setzt. 

/ . Angenommen, wir hätten'nun ein „Spezifikum,“, sagen wir, 

/'• / • ein Antitoxin, würde nun ein durchaus anders angelegter Organismus 

> } V' physiologisch - biochemisch gleichartig für dieses Antitoxin anzu- 
sprechen sein? Sicher nicht. 

Für die bakteriellen Krankheiten wäre dies.a priori allenfalls 
noch denkbar; wie stehts aber mit den konstitutionellen? Diese 
sind meist die Folge eines jahrelang fortgesetzten verkehrten 
Lebenswandels, von Berufsschädigungen, Leidenschaften, erblicher 
Veranlagung, minderwertiger Beschaffenheit der zur Verfügung 
stehenden Ernährung, der Luft, des Lichts; sollten diese durch 
ein noch .so streng wissenschaftlich durchdachtes Spezifikum aus 
der Welt geschaffen werden können, und zwar mit einem Schlage, 
durch eine subkutane Injektion? 

Jeder Arzt kennt nun den Einfluß der Konstitu¬ 
tion auf die Empfänglichkeit für bakterielle Infek¬ 
tion und auf den Verlauf derselben. 

Daher ist die Serumtherapie, die die so außerordentlich ver¬ 
schieden konstituierten Menschen nach Analogie der unter den 
gleichmäßigsten Bedingungen lebenden und künstlich einheitlich 
, krank gemachten Meerschweinchen etö. behandelt, einstweilen nocn 

mindestens mit einem großen Fragezeichen zu versehen, das auch 
durch die „Feststellungen der Statistik“ nicht beseitigt werden 
kann. Denn diejenigen, die sämtliche Fälle einer Krankheit mit 
demselben Mittel behandeln, werden aus naheliegenden Gründen 
stets günstige Statistiken erhalten. (Ref.) 

, 2. Wolf sieht mit Romberg und seinen Schülern, ferner 

mit Wiesel, Baruch etc. die häufigste Todesursache der akuten 
Infektionskrankheiten in einer toxischen Vasomotorenlähmung, die 
wahrscheinlich durch eine Schwäche des Vasomotorenzentrums, 
sicher aber auch durch eine Erkrankung der kontraktilen Teile 
„ der peripheren Gefäße bedingt ist. 

Die Hydrotherapie, der Kältereiz wirkt nun an beiden Orten, 
sowohl im Zentrum wie in der Peripherie, durch reflektorische 
Tonisierung von Blutgefäßen, glatter Muskulatur, „Hautherz“, 
Herz und Nervensystem. 

Er ist außerordentlich abstuf bar; während im allgemeinen 
das von Baruch modifizierte Brandsche Bad (18 bis 28°, 
15 Minuten Dauer) mit starker Reibung im Bade anzuwenden 
ist, kann man nötigenfalls statt dessen auch laue bis warme 
Bäder mit kalten Uebergießungen (bei Typhuspneumonie bezw. 
„adynamischem“ Typhus mit niedriger Temperatur und Sopor), 
ferner Waschungen, Umschläge, Packungen (bei schwächlichen 
Kranken) geben. 

Der früher hauptsächlich betonte temperaturherabsetzende 
Effekt der Hydrotherapie ist, wie auch Wolf mit Recht betont, 
neuerdings als gänzlich nebensächlich, ja widersinnig erkannt worden 
im Vergleich zu den oben angegebenen biologischen Wirkungen. 

3. Ide stellt auf Grund seiner Erfahrungen und Beobachtungen 
folgendes fest: 

a) An der See sind Affektionen der Luftwege überhaupt selten. 
In 10 Jahren sah er nur einen dort entstandenen Fall von Lungen- 
tuberkulöse, der zudem von der Mutter ererbt war. Sonstige Er¬ 
krankungen der Luftwege, wie z. B. Keuchhusten, treten nur bei 
lang anhaltendem Landwind ein. 

b) Sie finden dort sehr günstige Heilungsbedingungen. An¬ 
fängliche Vermehrung des Hustens und des Auswurfs bei den 
vom Festlande kommenden Kranken ist das Zeichen der „Lösung“ 
des Schleims, die Einleitung der Heilung. Besonders Leute, deren 
Kehlkopf durch den Beruf sehr in Anspruch genommen wird, 
wie Lehrer, Geistliche, Sänger, Offiziere, ziehen immer wieder 
Nutzen von der günstigen Wirkung der Seeluft. Auch nervöses 
und' bronchiales Asthma, nervöse Affektionen der Stimmbänder, 
Lungenspitzenkatarrh, Residuen von Lungen- und Rippenfellent¬ 
zündung weichen keinem anderen Mittel so rasch wie dem See¬ 
klima. 

c) Dasselbe gilt von der Disposition zu Erkrankungen 
der Luftwege, jedoch ist zur nachhaltigen Besserung derselben 
eine längere, 9 bis i2monatige Kurdauer nötig. 


Der Grund für diese günstigen Wirkungen liegt zunächst in 
dem Fehlen von Reizung durch Staub und Bakterien, sodann in 
dem gleichmäßigen Feuchtigkeitsgehalt, der einerseits das Aus¬ 
trocknen der Schleimhäute verhindert und andererseits die Wärme¬ 
verdunstung auf ein Minimum herabsetzt; gleichzeitig wirkt auch 
der Salzgehalt der Seeluft verflüssigend auf die Sekrete ein. 

Außer diesen lokalen Einflüssen ist noch die Erhöhung 
des Stoffwechsels zu nennen, die ihrerseits den Atmungs¬ 
organen wieder eine größere Regenerationsfähigkeit verleiht; ähn¬ 
liches gilt von der im Seeklima stattfindenden Verlangsamung 
und Vertiefung der Atmung und der Herztätigkeit, speziell im 
Hinblick auf Stauungen im kleinen Kreislauf, sowie von der Ent¬ 
lastung der Innenorgane durch die unter dem Einfluß der Sonne 
und des Windes zustande kommende Hauthyperämie. Gleichzeitig 
übt das Seeklima einen allgemein beruhigenden Einfluß auf den 
Organismus aus, der dann wieder auch lokal günstig wirkt. 

Bei den letztgenannten indirekten Einflüssen ist aber vor 
dem Zuviel zu warnen. Zu langer Aufenthalt am Strande, be¬ 
sonders an nicht windgeschützten Stellen, lange Segelpartien etc. 
können zu Ueberreizung und damit, bei dem Fehlen des gewohnten 
Gleichgewichts, zu hartnäckigen Katarrhen führen, die oft nur 
durch dauernde Bettruhe bezw. Rückkehr aufs Festland zu be¬ 
seitigen sind. Jedoch ist diese Ueberreizung bei geeignetem Ver¬ 
halten , wobei auch passende Kleidung von großer Wichtigkeit, 
leicht zu vermeiden. 

4. Ohne auf Martins ätiologische Theorien einzugehen, 
seien seine empfehlenswerten therapeutischen Winke hier kurz 
wiedergegeben. Zunächst die prophylaktischen Maßnahmen : 

Ist von nervösen oder blutarmen Eltern ein Kind ins Dasein 
gerufen, so ist energisch für Fernhaltung aller derjenigen Schäd¬ 
lichkeiten in der Lebensweise zu sorgen, die jene Krankheiten er¬ 
zeugen können. Planmäßige Abhärtung, Uebung und Entwicklung 
der Körperkräfte, erstere aber nicht mit kaltem Wasser, sondern 
durch Luftbäder etc. zu erreichen. Strengste Abstinenz von 
den auf Empfindliche so besonders schädlich wirkenden Reizmitteln, 
Bier, Wein, Kaffee,Tee, desgleichen möglichstes Weglassen von Fleisch 
und Eiern bis zum 12. Lebensjahre, oder wenigstens sind sie nur ein¬ 
mal täglich zu geben. „Ein Apfel um 10 Uhr ist gesünder und 
blutbildender als das früher so beliebte Glas Tokayer mit ge¬ 
schabtem Fleisch oder Schinkenbrot.“ 

Man schicke die Kinder, auch wenn sie „sehr weit voraus“ 
sind, nicht zu früh zur Schule, sondern lasse sie sich in der freien 
Luft tummeln, Schwimmen, Schlittschuhlaufen, Ball- und Turnspiele 
treiben. 

Das Gesagte gilt auch für die Behandlung, mit Ausnahme 
der Bewegung, die bei ausgebildeten Graden des Leidens teilweise 
durch Ruhe ersetzt werden muß, Freiluftliegekur, Hängematte, 
Luftbad, Tiefatmen, statt Handarbeiten kräftigende Hausarbeit. 

Von speziellen Mitteln sind neben „Luftveränderung“ 
(möglichst Höhenluft, bei skrofulöser Grundlage See) die „Stahl¬ 
quellen“ zu nennen, deren Wirkung durch die Forschungen auf 
dem Gebiet der Katalyse etc. verständlicher geworden ist. Die 
physikalischen Heilfaktoren werden ferner angewandt in Gestalt 
von kühlen Abreibungen, bei mangelhafter Reaktion mit 
Alkohol-, Salz- oder Essigzusatz, eventuell kalte Abgießungen der 
Ar me und Beine, denen bei kalten Gliedmaßen ein heißes Hand¬ 
oder Fußbad voraufgeht. Diese Maßnahmen wirken zirkulations¬ 
befördernd, ebenso wie die kalten Sitzbäder, die besonders bei 
Blutüberfüllung des Unterleibs von Nutzen sind. 

Energische Blutableitung zur Haut wird auch durch Schwitz¬ 
prozeduren (Dampf-, Heißluft-, Sonnen-, Licht- und Heißwasser- 
bäder) erzielt, die jedoch bei schwachem Herzen, beginnender 
Tuberkulose, Nierenleiden zu vermeiden sind. 

Als „chirurgische“ Maßnahmen empfiehlt Mar tin sodann den 
von Dyes (Schubert, Bachmann etc.) ausgebildeten kleinen 
Aderlaß als kräftiges Anregungsmittel für die blutbildenden 
Organe und die Zirkulation. 

Weiter werden Gymnastik, Atemübungen, Massage (besonders 
bei Verstopfung) empfohlen, vor allem aber die Wichtigkeit 
rationeller Ernährung betont: Wenig Fleisch, viel Obst 
und Gemüse. Milch wird oft besser vertragen, wenn sie durch 
Saugröhrchen oder Strohhalm oder mit Löffel genommen, also 
nicht hinunter „geschüttet“ wird. 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Die tausenderlei Nährpräparate schätzt Martin im Gegen¬ 
satz zu den natürlichen Nahrungsmitteln mit Recht gering ein, 
Milch- und Pflanzeneiweiß sind den Fleischeiweißpräparaten im 
allgemeinen vorzuziehen. 

Die Eisenmedikation wirkt nicht nur bei Bleichsucht aus 
Eisenmangel in der Nahrung gut, sie bildet auch einen spezifi¬ 
schen Reiz für die ^blutbildenden Organe und wirkt tonisierend 
auf Herz und Blutgefäße (Schulz); schematisches, monatelanges 
Darreichen von Eisenpräparaten sollte aber vermieden werden, da 
das Versagen darauf hin weist, daß der Körper mit dem eingeführten 
Arzneistoff nichts anzufangen weiß („Störung des Knoclienmark- 
betriebs u ). 

Auch mit dem als Ansporn wirkenden Arsenik soll vor¬ 
sichtig verfahren werden. Speziell die hochmoderne, in manchen 
Sanatorien geübte Kombination von Mastkur und Arsenikinjektion 
vergleicht Martin nicht ohne Berechtigung mit ähnlichen Mani¬ 
pulationen der Pferdehändler. 

5. Eklampsie entsteht auf toxischem Wege, sobald gewisse 
mütterliche oder kindliche Stoffwechselprodukte infolge einer Insuf¬ 
fizienz der Entgiftungsorgane des mütterlichen Organismus nicht 
mehr hinreichend ausgeschieden werden und sich im Blute massen¬ 
haft anhäufen. 

Welche toxischen Substanzen das sind (Schilddrüsen-, Synzy- 
tiolysin- und -toxintheorie etc.), ist noch unbekannt. 

Da wir auf die Entdeckung eines problematischen Synzytio- 
antitoxins nicht warten können und die früher empfohlene Narkoti- 
sierung nur ein Symptom unterdrückte, also nichts nützte, sondern 
höchstens schadete, so müssen wir als rationelle Behandlung 
die Entgiftung des Organismus zu erreichen suchen. 

Den hierzu empfohlenen Aderlaß hält Böhm nicht für an¬ 
gebracht, da man nie wissen könne, wieviel Blut bei der Geburt 
verloren gehe, und da man einem schwer gestörten Organismus 
nicht noch die „unnütze Mehrarbeit einer lebhafteren Anregung 
der blutbildenden Organe“ auf bürden solle. 

Vielmehr hält er es für zweckmäßiger, das Blut zu entgiften, 
ohne es dem Organismus zu entziehen. 

Die als beste „kausale“ Therapie von Dührssen, Bumm, 
Westphal etc. geübte forcierte Entbindung mit tiefen Inzisionen, 
gewaltsamer Erweiterung, vaginalem Kaiserschnitt wird von Ahl- 
feld, Pfannenstiel, v. Rosthorn, Kermauner, Krömer 
etc. bekämpft. 

„Nicht die Entbindung als solche rettet die Eklamptische, 
sondern der damit einhergehende Abgang von toxinhaltigem 
Fruchtwasser und Blut und die Thrombosierung von Plazentar¬ 
und Uteringefäßen (verringerte Resorption von Eklampsiegift). 
Deshalb ist nicht die forcierte, sondern die schonende Ent¬ 
bindung das beste Verfahren“, besonders da sie die schädliche 
Narkose vermeidet. 

Als zweckmäßigsten Eingriff hierzu bezeichnet Böhm die 
Sprengung der Fruchtblase, event. bei engem, rigidem 
Muttermunde mittels heißer Scheidenspülungen (40 0 C, 8 bis 10 1) 
oder mittels Glyzerinwattetampons. 

Das ist aber nur ein Teil der Eklampsiebehandlung, der 
zudem nur in jenen Fällen angewendet werden muß, bei denen die 
Entgiftungsprozeduren allein nicht zum Ziel geführt haben, wo 
die Heftigkeit und Zahl der Anfälle, das Fieber etc. nicht nach- 
lassen oder Herzschwäche eintritt. 

Diese Entgiftungsprozeduren bestehen in langdauernden 
heißen Bädern, feuchtwarmen Ganzpackungen, heißen Getränken 
(Zitronensaft, Lindenblütentee), warmen Darm- und Scheidenein¬ 
läufen. 

Die von Engelmann und Bumm befürchtete Eindickung 
der Körpersäfte durch die Schwitzkur wird nach Böhms Ansicht 
durch die Wasserimbibition der Gewebe im Bade und durch die 
innerliche Flüssigkeitszufuhr verhindert. 

6. Unter kritischer Besprechung der einschlägigen Arbeiten 
von Brandt, Brünninghausen, Prochownick, Lahmann, 
Ziegelroth, Eichholz, Fehling, Hoffmann, Haspel, 
Reyenge, Reeb, Büttner kommt Verf. auf Grund seiner Er¬ 
fahrungen zu folgenden Schlüssen: 

a) EsUst, in freilich nicht vorausbestimmbaren Fällen, möglich, 
auf diätetischem Wege durch eine die Eiweiß- und Kohlehydrat¬ 
nahrung sowie die Flüssigkeitszufuhr auf das möglichste Mindest¬ 


maß beschränkende Schwangerschaftskost zugleich mit dem hier¬ 
durch bewirkten Fettabbau im mütterlichen Organismus fettarme, 
daher leichtere Früchte und so zuweilen eine Erleichterung * der 
Geburt zu erzielen. 

b) Diese Fettarmut und Gewichtsverringerung der Frucht ist 
aber kaum mit einer entsprechenden Verkleinerung des Kinds¬ 
kopfs verknüpf! derart, daß räumliche Mißverhältnisse des letzteren 
gegenüber dem verengten Becken ausgeschaltet und geburtshilf¬ 
liche Operationen daduroh überflüssig werden. 


Soziale Medizin. 

Referent: Dr. M. Peltzer, Generaloberarzt a. D. in Steglitz. 

1. Ein Beitrag zur Frage der Organisation der Desinfektion 
fl.nn Krankenbett. Von A. Wolf-Eisner -Berlin. Med. Reform, 
1908, Nr. 25, S. 302. 

2. Qewerbekrankheiten. Milzbrand. Hauterkrankungen. Von 

E. J. N. Ibidem, Nr. 19, S. 231. 

1. Kürzlich referierten wir über einen in Nr. 23 der Med. 
Reform erschienenen Artikel von Dr. PI aut-Frankfurt a. M. 
(„Eine Organisation für die Desinfektion am Krankenbette“), in 
welchem P. über Maßnahmen berichtet, die zu diesem Zweck in 
Frankfurt a. M. der dortige Verein für Hygiene getroffen hat. In 
dem vorliegenden Artikel, in welchem Wolf-Eisner auf dieses 
Vorgehen zurückkommt, um es gleich uns zur weitesten Nach¬ 
ahmung zu empfehlen, berührt er einen Punkt, auf den bisher 
unseres Wissens noch von keiner Seite aufmerksam gemacht ist, 
der aber ebenfalls hiermit weiterer Erwägung und Beachtung 
empfohlen sei. Er betrifft die Hygiene der ärztlichen Warte- und 
Sprechzimmer. Verf. sagt: „Von einer Hygiene kann bisher 
wohl kaum die Rede sein. In der Mehrzahl der Fälle sind die 
Räume mit Polstermöbeln, dicken Teppichen, Portieren, Ueber- 
gardinen und sonstigen Staubfängern ausgerüstet, und zwar hat 
in neuerer Zeit mit dem zunehmenden Luxus der Uebelstand 
eher zu- als abgenommen. Der einzelne ist gegenüber dieser 
Tendenz mehr oder weniger machtlos, und es wäre zu wünschen, 
daß auch hier eine Diskussion einsetzte, die zu einer hygienischen 
Verbesserung der ärztlichen Warte- und Sprechzimmer führt. Eine 
Aufklärung des Publikums dürfte auch hier am ehesten zu einem. 
Erfolge führen. Gar mancher Arzt würde die Räume gern 
hygienisch einwandfrei einrichten, wenn .die Patienten nicht 
Eleganz fordern würden.“ Wir fügen hinzu, daß sich hierdurch 
nicht zuletzt auch pekuniär Ersparnisse erzielen ließen. 

2. Einen weiteren Beitrag zu der so wichtigsten Kenntnis 
der Gewerbekrankheiten, zu der wir in Nr. 19 der Therap. Rund¬ 
schau ein längeres Referat brachten („Gewerbliche Bleivergiftungen 
mit seltener Entstehungsursache“ von Te-leky), liefert gegen¬ 
wärtig E. J. N. In einer Glacelederfabrik in Schwarzburg-Rudol¬ 
stadt, in der aus Asien herrührende Schaffelle verarbeitet wurden, 
starb ein Gerber an Milzbrand. Er batte sich mit den jedenfalls 
schmutzigen Fingernägeln am Halse gekratzt und so infiziert. Ein 
zweiter Arbeiter konnte durch eine Operation gerettet werden, 
ein dritter erkrankte ebenfalls. Eine Entgiftung der Felle soll 
nicht möglich sein, weil sie durch Behandlung mit Dampf oder 
anderen Mitteln unbrauchbar werden. Belehrung der Arbeiter 
und schleunigste ärztliche Hilfe dürfte daher das einzige Mittel 
sein, der Gefahr vorzubeugen. Eine Milzbranderkrankung, die 
ebenfalls zum Tode führte, ereignete sich auch in einer Wei߬ 
ledergerberei im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach, in der 
rumänische Schaffelle verarbeitet werden. — Eine Gewerbekrank¬ 
heit ist die „Walkerkrankheit“ in den Tuchfabriken. Sie 
besteht hauptsächlich in Ekzemen an den Händen. Das beständige 
Hantieren in warmem Wasser macht die Haut weich, wodurch 
leicht Schrunden entstehen. Die Arbeiter glauben, ihre Hände 
seien durch die ständige Berührung mit Seifenwasser bereits rein 
und unterlassen es daher, sie nachträglich abzuspülen. Benutzung 
von Wasser mit Boraxzusatz zur Härtung der Haut und nachträg¬ 
liches Einfetten scheint gute Dienste zu leisten. 


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Original fro-m 

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Mitteilungen über Arzneimittel. 


Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

Von Dr. Auf- 


Geber einige neue Tonerdepräparate. 

Med. Klinik, 1908, Nr. 23. 

Bromural in seiner Eigenschaft als schweiflhemmendes 
Von Dr. Runck. Berl. klin. Wochen sehr., 1908, Nr. 24. 
Die Vermeidung des Bromismus bei Verwendung von 

Von Dr. Peters. Deutsche Aerzte-Zeitg., 1908, 


1 . 

recht. 

2 . 

Kittel. 

3. 

Bromglidine. 

Heft 13. 

4. Ueber Somatose, ihre Arzneiverbindungen und Anwen¬ 
dungsformen. Von Dr. Spitzer. Sep.-Abdr. aus Allg. Wiener 
med. Zeitg., 1908, Nr. 19 u. 20. 

5. lieber Jodofan bei der Behandlung ulzeröser und ero- 
siver Prozesse an den äußeren männlichen Genitalien. Von Dr. 
Assmy. Fortschr. d. Med., 1908, Nr. 17. 

1. Aufrecht hat die Ersatzpräparate des Aluminiumazetat, 
nämlich Eston, Eston mit Zusatz von 10% Sulfat, Subeston, 
Eormeston und Lenizet auf ihre bakteriologischen Wirkungen 
gegenüber Staphylokokkus pyog. aur., Streptokokkus pyog., Bazill. 
typhi, Bakter. koli kom. und Diphtheriebazillen untersucht. Zum 
Vergleich wurde ein Liq. alum. azet. herangezogen, den A. nach 
Vorschrift des deutschen Arzneibuches selbst anfertigte. Aus den 
beigefügten Tabellen ergibt sich, daß das Eormeston den übrigen 
Tonerdepräparaten an bakterizider Wirkung überlegen ist. Es 
vernichtet in l%iger Lösung Typhusbazillen und Kolibakterien 
nach 10 Minuten, Diphtheriebazillen nach 15 Minuten langer 
Einwirkung. Streptokokken und Staphylokokken werden in 5%iger 
Lösung nach 5 Minuten langer Dauer sicher abgetötet. Bezüg¬ 
lich seiner bakteriziden Wirkung kommt dem Formeston am 
.nächsten das Subeston, während Eston und Lenizet einander 
ziemlich gleichwertig, dem gewöhnlichen Liq. alum. azet. aber an 
antiseptischer Wirkung immer noch überlegen sind. Für -den 
praktischen Arzt ist wichtig, zu wissen, daß Lenizet in Wasser 
relativ leicht, die anderen Ersatzpräparate der Tonerde jedoch 
schwer löslich sind. 

2. Schon gelegentlich seiner Veröffentlichung über die be¬ 
ruhigende Wirkung des Bromural hat Runck auf die schwei߬ 
hemmende Wirkung dieses Mittels hingewiesen. Jetzt macht er 
neuerdings auf diese Erscheinung aufmerksam. Wenn der uni¬ 
versellen Hyperhidrosis ein Allgemeinleiden wie Tuberkulose, 
Neurasthenie, Anämie, Diabetes zugrunde liegt, muß kausale Be¬ 
handlung eintreten. Wo diese uns im Stiche läßt, sowie bei allen 
anderen Fällen mit krankhaft gesteigerter Schweißabsonderung, 
werden von altersher Atropin, Akonitin, Agarizin, Strychnin an¬ 
gewendet. Ihre Giftigkeit und häufige Unzuverlässigkeit lassen 
das Suchen nach einem neuen, zuverlässigen und ungefährlichen 
Mittel gerechtfertigt erscheinen. Ein solches dürfte nach den 
Untersuchungen und Beobachtungen R.s in dem Bromural ge¬ 
funden sein. Danach findet man nach kürzerer oder längerer 
Darreichung des genannten Präparates entschieden eine schwei߬ 
herabsetzende bezw. sekretionshemmende Wirkung. Denn auch 
die Bronchen zeigen verminderte Sekretion. Die geeignetste 
Dosierung ist 0,6 g Bromural, das allabendlich oder in Zeit¬ 
räumen von drei bis fünf Stunden in hartnäckigen Fällen zu 
wiederholen ist. 

3. Jeder Arzt kennt die unangenehmen Nebenerscheinungen 
längerer Bromdarreichung; das Wort Bromismus sagt genug. Es 
ist auch fast unmöglich, sein Auftreten zu verhindern. Manche 
Menschen können zwar große Dosen Brom nehmen, ohne die ge¬ 
ringsten Beschwerden zu verspüren, während bei anderen solche 
schon nach weit geringeren Dosen auftreten. Und dann beob¬ 
achten wir wieder, daß manche Menschen zeitweilig* ohne jede 
Nebenwirkung Brom nehmen können, zu anderer Zeit aber große 

• Empfindlichkeit gegen Brompräparate zeigen. Allen diesen Un¬ 
annehmlichkeiten soll Bromglidine von Dr. Klopfer entgegen¬ 
treten, das nach den Angaben von Peters bei seinen Fällen nie 


Bromismus hervorrief. Das Präparat ist bekanntlich eine Verbin¬ 
dung des Klopf er sehen Pflanzeneiweißes Glidine mit Brom und 
stellt ein hellbraunes, geruchloses und fast geschmackloses Pulver 
dar, das in Wasser schwer löslich ist. Es wird in Tabletten zu 
0,5 g, von denen jede 0,05 g Brom enthält, in den Handel ge¬ 
bracht. Die Abspaltung des Broms im Organismus geht außer¬ 
ordentlich langsam vor sich. P. beobachtete bei mehreren Per¬ 
sonen, denen er versuchsweise 2 g Bromglidine gab, in den ersten 
4 Stunden nach dem Einnehmen gar kein Brom im Urin, dann 
Spuren, nach 24 Stunden reichlich, am zweiten Tage noch Spuren 
von Brom — ein Beweis für die langsame Abspaltung des Broms 
im Organismus und die allmähliche, aber vollkommene Ausschei¬ 
dung des Broms aus ihm. Infolge der verlangsamten Resorption 
werden Reizungen und Belästigungen des Darms vermieden; dann 
aber genügen wegen der größeren Ausnutzung des Mittels geringere 
Mengen des Brom, um gleiche Wirkungen der Beruhigung zu er¬ 
zielen, wie bei den Bromalkalien. Im übrigen ist die Indikation 
des Bromglidine die gleiche wie bei Anwendung des Broms über¬ 
haupt. Der Umstand aber, daß neben den verhältnismäßig kleinen 
Brommengen dem Organismus ständig ein vorzügliches Kräftigungs¬ 
mittel — durch das Pflanzeneiweiß — zugeführt wird, sichert 
dem Bromglidine einen Platz in der ersten Reihe unserer besten 
Medikamente. 

4. Die Somatose — ein aus Fleisch hergestelltes Albumosen- 
präparat — stellt jenes bekannte Pulver von fast vollkommener 
Geschmack- und Geruchlosigkeit dar, dessen Wert noch dadurch 
erhöht wird, daß man es, ohne daß die Kranken etwas davon 
merken, den Speisen beimischen kann. Infolge des hohen Eiweiß - 
gehalts des Mittels werden dem Eiranken größere Mengen von 
Nährwerten unbemerkt einverleibt. Gleichzeitig ist aber die 
Somatose auch ein Roborans und Stomachikum, das die Magen¬ 
saftsekretion erhöht und appetitanregend wirkt. Der menschliche 
Körper hat bei der Verdauung eine gewisse Arbeit zu leisten, die 
ihm naturgemäß dadurch erleichtert wird, daß man dem Magen 
einzelne, auf künstlichem Wege erzeugte Zwischenstufen der 'Ver¬ 
dauung zuführt. Nach den Untersuchungen von Prof. Zuntz ist 
die Somatose ein solches Präparat, das bei seiner Resorption dem 
Verdauungsapparat weniger Arbeit macht als das Fleisch. Auf 
Grund aller dieser Vorzüge hat Spitzer das Präparat vielfach 
angewendet und möchte die Aufmerksamkeit der Aerzte besonders 
auf die flüssige Somatose lenken, und zwar auf zwei Formen 
derselben, eine „herbe“ mit Kräuteraroma, der Maggischen Suppen¬ 
würze nicht unähnlich, und eine „süße“ mit Zusatz von Himbeer¬ 
saft. Ferner besteht eine Kombination der flüssigen Somatose 
mit Eisen, die flüssige Eisensomatose, und jene mit Kalzium 
sulfoguajakolikum, die sogenannte Guajakose. Aus den Berichten 
über seine Erfahrungen an ca. 100 Fällen geht hervor, daß Sp. 
das Präparat schon bei Säuglingen, die J /2 Jahr alt waren, mit 
Erfolg angewendet hat. Solchen von schwächlicher Konstitution 
und schlechter Verdauung gab er Somatose messerspitzenweise 
zur Milchnahrung. Es ist aber insofern große Vorsicht notwendig, 
als bei Kindern mit empfindlichen Verdauungsorganen leicht Magen- 
darmreizungen eintreten können. Dann ist Somatose kontraindi¬ 
ziert. Die Verabreichung des Präparates an Schulkinder bei Blut¬ 
armut ist etwas Alltägliches; ebenso an chlorotische Mädchen und 
rhachitische Kinder, an Neurastheniker und Rekonvaleszenten. Es 
genügt, die Aerzte auf die flüssige Form des Präparats hin¬ 
gewiesen zu haben. 

5. An mehr als 50 Fällen von ulzerösen und erosiven Pro¬ 
zessen an den äußeren männlichen Genitalien hat Assmy Jodofan, 
das Ersatzpräparat von Jodoform (Fabr. Dr. Horowitz, Berlin N.), 
erprobt. Er wandte es genau nach Vorschrift an: Oertliche 
Reinigung der Wunde mittels feuchten Tupfers, Aufstreuen des 
Jodofans daselbst in dünnster Schicht, der Umgebung in dicker 
Schicht. Trotz mehrmaliger Mißerfolge bei Ulkus molle, wo Jodo¬ 
form dann sofort zum Ziele führte, steht A. nicht an, das Jodofan 
zu empfehlen, da er nie Hautreizungen oder Intoxikationserschei¬ 
nungen beobachtete. Auch schlaffe Wundgranulationen wurden 
durch Jodofan belebt. 


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482 




TEERAPEUTISCHE*RÜNI)SCHAU, 


Ein nach jeder Richtung fahrbares Gestell zur 
Erlernung und Uebung von Fuß- und 
Beinbewegungen. 

Von Friedrich Deinzer in Nürnberg ist ein Apparat 
konstruiert worden, welcher für alle jene Kranken von großem 
Werte ist, die nach einem langen Krankenlager oder nach 
Operationen oder Frakturen etc. an den unteren Extremitäten 
wieder anfangen wollen, das Gehen zu lernen. Hierbei ist 
von Wert, _ daß der Apparat nach jeder Richtung hin leicht 
beweglich ist, also den Kranken nicht nur in einer oder zwei 
Richtungen zu gehen gestattet. Die betreffende Person ist 
durch Ringe, welche in den Achseln zu liegen kommen, in 
'einem eisernen Stativ vor dem Fallen gesichert, da die Ringe 
über dem Kopfe an dem Stativ befestigt sind mittels Riemen, 
die leicht zu verlängern oder zu verkürzen sind. Das Stativ 
ist aus vier Stahlrohren gefertigt, von welchen jedes auf einer 
beweglichen Rolle läuft. Der ganze Apparat ist leicht zusam¬ 
menlegbar und leicht zu transportieren, da er kein großes Ge¬ 
wicht besitzt. Es ist von besonderem Wert, daß man den 
Apparat leicht Zusammenlegen und ebenso leicht und rasch 
wieder aufschlagen kann, man kann ihn so leicht je nach Be¬ 
darf an andere Orte transportieren. Er gestattet dem Kranken, 
sowohl im Zimmer wie im Garten, natürlich auf ebener Erde, 
Gehversuche anzustellen und gibt dem Patienten vollkommene 
Sicherheit vor dem Fallen. So stellt dieser Apparat ein über¬ 
aus einfaches.und praktisches Gerät dar, welches jedem Kranken¬ 
haus und Spital warm empfohlen werden kann und eine sehr 
gute und wertvolle Bereicherung unseres orthopädischen Instru¬ 
mentariums darstellt. Ein weiterer Vorzug dieses Apparates 
liegt noch darin, daß man ihn sehr leicht zum Unterricht des 
Schlittschuhlaufens für Anfänger verwenden kann. Man braucht 
da nur eine kleine Abänderung anzubringen, welche ohne große 
Mühe angemacht werden kann und darin besteht, daß an Stelle 
der Rollen an den vier Füßen schlittschuhähnliche Kufen an¬ 
gebracht werden, die natürlich in einem Gelenk nach allen 
Richtungen hin beweglich sind und ein leichtes Dahingleiten 
des ganzen Apparates auf dem Eise ermöglichen. Natürlich 
ist dies nur ein Nebenzweck, hauptsächlich wird der Apparat 
für orthopädische Zwecke Verwendung finden müssen und hilft 
da einem Bedürfnis ab. 

W. B. Müller, Berlin. 


wird bewirkt, daß die Innenfläche des Cfterus viel 
bespült wird. Am-unteren Ende des Apparates befinden sich' 
zwei seitliche Flügel, welche zum Festhalten des Katheters 
während des Drehens der Gabel dienen sollen. Der sehr prak¬ 
tische Apparat, der für geburtshilfliche' und gynäkologische 


üpl 



Uterusspülkatheter 


Praxis sehr wertvoll ist, wird von der .Firma Bauer & Hein¬ 
barth in Hamburg fabriziert und in den Handel gebracht. 
Aus beistehender Abbildung ersieht man die Konstruktion. 

W. B. Müller, Berlin. 



Erdsalzarmut und Entartung. Von 0. R ö s e. Berlin. 

Julius Springer. 156 Seiten. 

Dr. med. Rose, Kgl. sächs. Hofrat und Zahnarzt, hat in 
der Deutschen Monatsschrift für Zahnheilkunde seine seit Jahr¬ 
zehnten mit ungemeinem Fleiß zusammen getragenen Untersuchungen 
über den Erdsalzgehalt von Trink- und Kochwässern sowie unserer 
Nahrungsmittel und dessen Wirkung auf die Körperbeschaffenheit 
in einem 156 Seiten langen Aufsatz niedergelegt. Ein ausführ¬ 
liches Referat über dieses für die Konstitutionsforschung grund¬ 
legende Werk darf ich mir wohl Vorbehalten. Was R. als Ent¬ 
artung bezeichnet, hat Ref. ja seit 15 Jahren als Konstitutions¬ 
verschlechterung und Konstitutionsverfall zu beschreiben und 
größtenteils auf verkehrte Ernährung zurückzuführen versucht. 
R. weist nun nach, daß in erster Linie das "Wässer, und zwar ' so¬ 
wohl direkt als Trinkwasser wie indirekt heim Kochen durch 
Auslaugung der Vegetabilien (genau wie es Dr. La hm an n^ ge¬ 
lehrt hat!) die Beschaffenheit des Körpers verschlechtert. 

Um vorläufig wenigstens einen Begriff von dem reichhaltigen 
Inhalt der Schrift zu geben, führe ich hier die einzelnen Kapitel 
an: 1. Einleitung. 2. Erdsalzarmut und Zahn Verderbnis. 3. Erd¬ 
salzarmut und Speichelbeschaffenheit. 4. Erdsalzarmut und Militär- 
tauglichkeit (an einem ungeheuren Rekrutenmaterial in über¬ 
zeugendster Weise dargetan). 5. Die Beziehungen zwischen der 
Erdsalzarmut des Bodens, des Trinkwassers und der Nahrungs¬ 
mittel. 6. Erdsalzarmut und Stillungsfähigkeit der Frauen. 7. Erd¬ 
salzarmut und Rhachitis. 8. Ueber die Aufnahme der Erdsalze 
in den menschlichen Körper. 9. Die Bekämpfung der Erdsalz¬ 
armut. 


nach Dr. Jaoggy. 

Das vorliegende Instrument besteht aus einem doppel¬ 
läufigen Katheter, gegen welchen es noch durch einige Ver¬ 
besserungen ausgezeichnet ist. Es besteht aus zwei Teilen, 
dem Spülrohr und der Gabel, welche mit dem Spülrohr durch 
einen Bajonettverschluß in Verbindung steht und um 180° in 
der Längsachse drehbar ist. Das Lumen des Spülrohres ist in 
seiner Länge durch eine Scheidewand in eine rechte und linke 
Hälfte geteilt. Durch die Gabel kann man je nach Wunsch 
die rechte oder linke Hälfte des Spülrohres als Einfluß- oder 
Ausflußrohr gebrauchen, indem man die an der Gabel ange¬ 
brachte Drehvorrichtung in Bewegung setzt. Durch diese 
Mechanik bewirkt man, daß Blutkoagula oder Gewebsstücke, 
welche die Abflußöffnung oder das Abflußrohr verlegen, infolge 
des Drehens der Gabel und der dadurch entstehenden Aen- 
derung der Richtung des Flüssigkeitsstromes weggespült werden 
und somit kein Hindernis mehr abgeben können. Man kann 
bei diesem Katheter also stets auf sehr einfache Weise das 
Verstopftwerden verhüten. Durch das abwechselnde Ausfließen 
der Spülflüssigkeit aus den beiden seitlichen Katheteröffnungen 


Der Text des Buches schließt 67 Seiten Tabellen und sta¬ 
tistische Karten ein, woraus allein schon die Reichhaltigkeit des 
Materials hervorgeht. Ueber die schließlichen Ergebnisse wollen 
wir noch nichts verraten, nur dürfen wir wohl unserer Genug¬ 
tuung .darüber Ausdruck geben, daß das Werk geradezu ein 
Triumph des biologischen Konstitutionsgedankens 
im Sinne der Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte 
darstellt und auf die moderne Volksgesundheitslehre einen 'ent¬ 
scheidenden Einfluß auszuüben berufen ist. Daß auch alle prakti¬ 
zierenden Aerzte, insbesondere die Balheologen und Sanatorien¬ 
besitzer, dem Werke das größte Interesse schulden, liegt auf der 
Hand. Rose geht sogar soweit, zu behaupten (S. 156): Sobald 
die Kenntnis von den Gefahren der Erdsalzarmut genügend ver¬ 
breitet sein wird, kann es nicht ausbleiben, daß u. a. zahlreiche 
Kalk- und Erdsalz-Sanatorien errichtet werden. Und diese Sana¬ 
torien werden die geeignetsten Pflanzstätten werden für die von 
mir angestrebte Küchenreform.“ Bachmann. 

Bismarckbund. Monatsschrift. Herausgegeben vom Deut¬ 
schen Bismarckbund. Wolfenbüttel. Heckners Verlag. 

Das uns vorliegende Juniheft des gegenwärtigen sechsten 
Jahrganges der bekannten Monatsschrift der zum Deutschen Bis- 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


'%&**$-ff' •_ 


1«08. 


488 


marckbunde zusammengeschlossenen Verehrer Bismarcks enthält 
u. a. die Einladung zur Einsendung singbarer Bismarcklieder mit 
Angabe des Verfassers und der 'Singweise für das Bismarcklieder¬ 
buch an Herrn Friedrich Schäfer, Wolfenbüttel, Campestraße 3. 
Der Termin (20. Juni) ist allerdings schon verstrichen, wir nehmen 
jedoch an, daß auch nachträgliche Sendungen, wenn vielleicht auch 
nicht für jetzt, so doch für später willkommen sein werden, ist 
doch die Zahl der Bismarckverehrer gerade unter uns Aerzten, 
die hiermit zum Beitritt zu dem Bunde eingeladen seien (Beitrag 
5 M.), nicht kleiu. Der übrige Inhalt des Stoffes ist erstens ein 
Artikel von H. v. Poschinger „Fürst Bismarck und seine Ham¬ 
burger Freunde“, unter welchen letzteren diesmal besonders des 
Hamburger Architekten Hugo Stammann, der Bismarcks Eßzimmer 
in Aumühle einrichtete, gedacht wird, ferner der Schluß von 
Otto v. Bismarck und Napoleon III., von Adolph Kohnt, ein zweiter 
Artikel von v. Poschinger, enthaltend einige von Horst Kohl in 
seinen Bismarckregesten übersehene Daten, betr. die Stellver¬ 
tretung B.s als Reichskanzler, und andere kürzere Notizen. 

Peltz er -Steglitz. 


□ ALLGEMEINES. CZD 


— Der Verein abstinenter Aerzte des deutschen Sprachgebietes 
ersucht um Aufnahme folgender Zeilen: 

Aufruf an die Aerzteschaft aller Völker. 

Der auf dem XI. Internationalen Kongresse gegen den 
Alkoholismus zu Stockholm im Jahre 1907 gegründete Internatio¬ 
nale Verband abstinenter Aerzte richtet an die Aerzte aller 
Zungen die Aufforderung, sich zu gemeinsamer Tätigkeit zu ver¬ 
einigen, um die Völker vom Alkoholismus zu befreien. Er be¬ 
gründet diesen Appell durch nachfolgende Leitsätze: 

1. Eine außerordentlich große Zahl der Uebel, die wir be¬ 
klagen, ist und wird herbeigeführt durch die Wirkungen des 
Alkohols, in welchem Getränke er auch genossen werden mag. 

2. Der ärztliche Stand hat die besondere Pflicht, die Völker 
darüber aufzuklären. 

3. Dauert die Herrschaft des Alkoholgenusses an, so werden 
auch die Folgen, wie sie uns die bisherige Geschichte des Men¬ 
schengeschlechtes lehrt, stets dieselben sein: Demoralisation, Ent¬ 
artung von Individuen und Völkern. 

4. Alle geistigen Getränke sind für jede Art von Lebewesen 
überflüssig, ein Bedürfnis nach ihnen besteht nur da, wo es künst¬ 
lich wachgerufen worden ist. 

5. Alle normalen Organismen vollführen ihre Funktionen 


besser ohne Alkohol, besonders gefährlich ist er aber für die 
jungen und wachsenden Gewebe. 

6. Für die Bewahrung der künftigen Geschlechter ist es nötig, 
sich der geistigen Getränke zu enthalten, da nur durch weitver¬ 
breitete Abstinenz der Alkoholismus mit seinen Folgen auf das 
möglichst geringe Maß beschränkt werden kann. 

Aus diesen Gründen fordern wir im Internationalen Verbände 
abstinenter Aerzte vereinigten Aerzte unsere Berufsgenossen aller 
Länder auf, sich mit uns zur Bekämpfung des Alkoholismus zu 
verbünden und folgenden Aufruf mit zu unterzeichnen: 

Aufruf von Aerzten aller Länder 
an alle Herrscher, Regierungen, Volksvertretungen, an alle Er¬ 
zieher, Lehrer und Geistlichen, an alle, denen die Wohlfahrt unseres 
Geschlechts und der künftigen Geschlechter am Herzen liegt! 

Wir, die wir dem ärztlichen Stande angehören und durch 
unsere Studien besonders befähigt sind, das Wesen und die Wir¬ 
kungen der geistigen Getränke zu erkennen und zu beurteilen, 
erklären es für unsere feste Ueberzeugung, daß diese Getränke 
durchaus unnötig und überaus schädlich sind, sowie daß die 
Uebel, die aus dem Genüsse der geistigen Getränke erwachsen 
sind und immer noch entstehen, ausgerottet und verhindert werden 
können und müssen. Vor allem soll die Jugend auf jede mög¬ 
liche Weise unterrichtet und durch das Beispiel erzogen, sowie 
auch durch Gesetze beschützt werden, damit sie sich des Genusses 
der geistigen Getränke enthalten lernt. 

Wir erklären, daß nach unserer Ueberzeugung dieser Weg 
beschritten werden muß, um eine nüchterne Welt zu schaffen und 
Glück, Wohlfahrt und Fortschritt derVölker zu fördern und zu sichern. 

Dr. Holitscher m. p., Dr. Santesson m. p., 
Pirkenhammer. Stockholm. 

Dr. Ridge m. p., Dr. Laitinen m. p., Dr. Olrik m. p., 

Enfield. Helsingfors. Frederiksvaerk. 

Dr. Stein m. p., Dr. Vogt m. p., 

Budapest. Christiania. 

Alle jene Kollegen des deutschen Sprachgebietes, die, ohne 
einer Abstinenzorganisation anzugehören, diesem Aufrufe zustimmen 
und gewillt sind, dies dadurch zu bekunden, daß sie ihn unter¬ 
fertigen, werden gebeten, die Einwilligung dazu, daß ihr Name 
daruntergesetzt werde, vermittels einer Postkarte dem Schrift¬ 
führer des Verbandes Dr. Holitscher in Pirkenhammer bei 
Karlsbad zu erteilen. 

F. A. Hoppen u. R. Fischer 
Patentanwälte 

Berlin SW. 13, Neuenburgerstraße 15 
Amt TV 718. 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. H. Lungwitz, Berlin S. — Verlag: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle a S. 
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Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 


D. Jahrgang. ‘ Halle a. S., 9. August 1908. Nr. 32. 


" v ,7‘—, - ‘■1*' nmudgcu wiiu nauau gewann. 

Nachdruck der Original-Aufsätze ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. — Nachdruck der anderen Rubriken ist nur mit Quellenangabe gestattet 

Inhalt. 


I. Originalien: 

1. H. Stern, New-York: Die Bedeutung des Eidotters für die Hebung 


der Unterernährung.485 

2. F. Müller, Heilbronn: Bemerkungen zur Technik der endo- 

laryngealen Entfernung von Polypen.487 

3. H. Lungwitz, Berlin: Fabrikarbeit.487 

II. Referate: 

1. A. Laqueur, Berlin: Physikalische Therapie.488 

2. J. Ibrahim, München: Kinderheilkunde.489 

3. M. Halle, Berlin: Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten . . . 489 



ORIGINALIEN. 


□ 


Die Bedeutung des Eidotters ffir die Hebung 
der Unterernährung. 

Von Professor Dr. Heinrich Stern, New York. 

(Schluß.) 

Wenn für den kindlichen Marasmus, wie für jede andere 
Form der Unterernährung, auch nicht die gleiche Ursache in 
allen Fällen verantwortlich gemacht werden kann, so darf es 
doch als Tatsache gelten, daß die physikalisch, chemisch oder 
biologisch nicht dem zarten kindlichen Organismus angepaßte 
Nahrung am häufigsten jene gastro-intestinalen Störungen 
hervorruft, welche ihrerseits wieder die gewöhnlichen Vorläufer 
der Athrepsia infantum sind. 

Die überwiegende Mehrzahl aller Fälle von Unterernäh¬ 
rung und Marasmus der Kinder rekrutiert sich aus den künst¬ 
lich ernährten Flaschenkindern, während bei Brustkindern 
dieser Zustand verhältnismäßig selten beobachtet wird. Modi¬ 
fikationen der Milch und Milchsurrogate, welche angeblich die 
physiologischen Nährstoffe ersetzen, sind in den letzten fünfzehn 
Jahren in großer Anzahl auf den Markt geworfen worden; 
aber nur wenige von ihnen entsprechen den wissenschaftlichen 
Anforderungen und den Bedürfnissen des hilflosen Kindes. 

Häufig kann derBeginn der Athrepsia infantum durch rationelle 
Milchmodifikationen oder Milchsurrogate bekämpft werden; aber 
dieser besondere Zustand der Unterernährung kommt dem Kliniker 
heutzutage nichtsdestoweniger ebenso häufig vor Augen, wie 
es bei seinem Vorgänger vor 20 und 30 Jahren der Fall war. 
Es ist weiterhin zu beachten, daß, wo die kindliche Atrophie 
sich einmal etabliert hat, keine der Milchmodifikationen oder 
der bis jetzt ersonnenen künstlichen Ersatzmittel, ja nicht ein- 


4. A. Stoffel, Heidelberg: Orthopädische Chirurgie . . . . 490 

5. M. Peltzer, Steglitz: Militärsanitätswesen. . 491 

HI. Mitteilungen über Arzneimittel: 

W. Krüger, Magdeburg: Referate.493 

IY. Technische Neuerscheinungen: 

C. Peters, Eisenach: Ein neuer Kranken-Hebe-Apparat .... 494 
Y. Bücherbesprechungen: 

Lots, Friedrichsroda: Nervöse Zustände (Referent H. Lungwitz, 
Berlin). . 4^5 


mal. gute Brustmilch die spezielle Eigenschaft zu besitzen 
scheint, um der Abzehrung Einhalt zu tun. 

Es liegt nicht in meiner Absicht, altes Stroh zn dreschen 
oder über die zahlreichen Präparate der Kindernährmittel za 
Gericht zu sitzen. Immerhin möchte ich die Aufmerksamkeit 
auf einen stark vernachlässigten Punkt lenken, der mir in 
vielen Fällen die Hauptursache der Athrepsia infantum zu sein 
scheint. Dieser Faktor ist der chemische Charakter der in der 
Säuglingsnahrung enthaltenen Fettsubstanzen. Während näm¬ 
lich die Fettmenge in Biederts Crememischung, in Gärtners 
Fettmilch, usw. praktische Berücksichtigung gefunden hat, ist 
die Qualität des Fettes, wenn man von verschiedenen kleineren 
Versuchen zur Modifizierung des vom Fett der Muttermilch 
physikalisch und chemisch stark abweichenden Fettes der Kuh¬ 
milch absieht, sehr wenig in Betracht gezogen worden, wo es 
sich darum handelte, ein Nährmittel für gesunde, besonders 
aber für kranke und unterernährte Kinder zu ersinnen. 

Selbstverständlich ist das Fett der Muttermilch das physio¬ 
logische Nahrungsfett des Säuglings und sollte es bilden. In ge¬ 
eigneter Form und in den Bedürfnissen des individuellen kind¬ 
lichen Organismus angepaßten Mengen liefert es nicht Fett¬ 
säuren in solchem Grade, daß dadurch intestinale oder andere 
Störungen hervorgerufen werden; außerdem wird es in solchen 
Mengen assimiliert, daß die normale Wachstumsentwickelung 
des Kindes verbürgt erscheint. Wenn auch die Neubildung 
und Absonderung des Muttermilchfettes nicht immer in dem¬ 
selben Verhältnis erfolgt und seine Zusammensetzung oft erheb¬ 
liche Abweichungen erkennen läßt, so wird doch die Auf¬ 
saugung und Assimilation des Fettes seitens des Säuglings 
keine Einbuße erleiden, solange die mütterliche Milchfett¬ 
absonderung sich innerhalb der pt^siologischen Grenzen be¬ 
wegt. Andererseits können schwere Stoffwechselstörungen, 
Wachstumsbehinderung des Kindes und körperlicher Verfall 
dort nicht ausbleiben, wo infolge irgendeines abnormen Zu¬ 
standes der Mutter die Fettabsonderung der Brustmilch nach 
Quantität oder Qualität erhebliche Regelwidrigkeiten zeigt. 
Glücklicherweise kommt dies bei gesunden Frauen selten vor, 


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THERAPEUTISCHE^ÜNDSCHAU. : j 


und ausgesprochene Fälle von Marasmus werden daher bei 
normal geborenen Brustkindern nicht häufig beobachtet. 

Bei der künstlichen Ernährung, einerlei ob es sich um 
Modifikationen der Kuhmilch oder um Nährpräparate handelt, 
pflegt das ganze Fett aus dem Rahm der Kuhmilch genommen 
zu werden. Man muß dabei aber wohl im Auge behalten, 
daß das Fett der Kuhmilch in seiner Zusammensetzung erheb¬ 
lich von demjenigen der Muttermilch ab weicht, ganz davon zu 
schweigen, daß das Milchfett der Kuh selbst je nach Jahres¬ 
zeit, Rasse, Alter usw. große Verschiedenheiten auf weist. Ins¬ 
besondere enthält das Fett der Kuhmilch weit mehr flüchtige 
Fettsäuren, unter welchen Acidum butyricum die wichtigste 
ist. Die folgende Tabelle veranschaulicht die Unterschiede in 
der Zusammensetzung des Fettes der Muttermilch und der 
Kuhmilch. 

Physikalischer Charakter. 



Fett der 

Fett der 


Muttermilch 

Kuhmilch 

Spezifisches Gewicht bei 15° C. . 

0,966 

0,949-0,946 

Schmelzpunkt. 

33—34 "C 

31,1—34,66°C 

Erstarrungspunkt. 

19—22,5° C 

35—38°C 


Charakter und Verhältnis der Fettsäuren. 



Fett der 
Muttermilch 

Fett der 
Kuhmilch 

Acid. 

butyric. C 4 H s 0 2 ... 

\ 

5,45 1 


5 ) 

VS 

caproic. C 6 H| 2 0 2 . . . 

caprylic. C s H 16 0 2 . . . 

1,4 

2,091 
0,49 

8,35 

n 

capric. O 10 H 20 Ü 2 . . . 

J 

0,32) 



lauric. C 12 H 94 U 2 . . . 


2,57' 



myristic. C 14 H 28 0 2 . . 


9,89 

•53,9 

n 

palmitic. C 16 H 32 0 2 . . 

49,2 

38,61 

55 

stearic. C 1S H 36 0 2 . . . 


1,83 


5 ? 

dioxystearic. C ls H 36 0 4 . 


1,04, 


n 

oleic. C 18 H 34 0 2 . 

49,4 

32,5 



Sehr kleine Mengen von flüchtigen Fett- Flüchtige Fettsäuren 
säuren; acid. oleic. bildet die Hälfte der nicht- gemäß anderen Ana- 
flüchtigen Säuren; unter den festen Fetten JfXristenSämen 
kommen acid. mynstic. und _ palmitic. m überwiegen acid. 
größeren Mengen vor als acid. stearic. palmitic. und stearic 

Wenn wir uns nun vergegenwärtigen, daß die Mutter¬ 
milch regelmäßig einen größeren Prozentsatz an Fettsubstanz 
enthält als die Kuhmilch — hier beträgt derselbe 8, dort 
3,85% — und daß bei Flaschenkindern das Defizit an Fett¬ 
substanz oft in größeren Mengen durch Milchfett der Kuh ge¬ 
deckt werden muß, als im natürlichen Produkt vorhanden sind, 
dann verstehen wir, daß der absolute Unterschied des dem 
Kinde verabreichten Fettes sogar größer ist als der in der Tabelle 
angegebene relative Unterschied. Der Extrazusatz an Milch¬ 
fett der Kuh steigert den Gehalt der kindlichen Nahrung an 
flüchtigen Fettsäuren. Es ist aber klar, daß 10% flüchtiger 
Fettsäuren kein rationelles Surrogat für eine fettige Nähr¬ 
substanz sein können, bei deren Zusammensetzung die flüch¬ 
tigen Fettsäuren nur in verhältnismäßig kleinen Mengen hinein¬ 
kommen. Der wichtigste Bestandteil dieser flüchtigen Fett¬ 
säuren ist acid. butyric., dessen Anwesenheit in der Milch der 
Mutter von manchen Forschern geleugnet wird. Normalerweise 
wird acid. butyric. in der Muttermilch sicherlich nur in un¬ 
schädlichen Mengen gefunden; wo aber pathologische Verhält¬ 
nisse vorliegen, die eine Erhöhung des Gehalts an acid. butyric. 
bedingen — ein allerdings seltener Fall —, da wird über kurz 
oder lang das Gedeihen des Säuglings leiden. 

Sofern nun das Fett der Kuhmilch immer viel acid. butyric. 
entwickelt, und sofern dieses die Muttersubstanz der Azeton¬ 
körper bildet, muß behauptet werden, daß Kuhfett kein ideales 
Nährmittel für Kinder ist. Außerdem ist der kindliche Organis¬ 
mus dem aus der Kuhmilch gewonnenen Fett schlecht angepaßt, 


was schon aus der von Uffelmann (Archiv- f..lünöcrheflk.,/ ^ 
Bd. II, 1881) nachgewiesenen Tatsache hervorgeht, daß ,das. 
in den Exkrementen wieder erscheinende Fett einen höheren 
Prozentsatz bei Kuhmilch als bei Muttermilch zeigt. Dasselbe 
wird beobachtet, wo Erkrankungen des'Verdauungsapparates 

Chemisch gesprochen ist Milchfett nicht eine einfache 
Mischung von Triglyzeriden, sondern eine Mischung von Gly¬ 
zerin-Estern. Die 'neutralen Fette unterliegen höchstwahr¬ 
scheinlich der hydrolytischen Zersetzung und werden teils durch 
Verseifung, teils (als Fettsäuren) durch die Tätigkeit der Galle 
flüssig gemacht. 

Es würde mich zu weit führen, bei dieser Gelegenheit 
nochmal auf die Frage der Azetonkörper und ihre Bedeutung 
wie für den Erwachsenen, so auch für das Kind und sein Wohl¬ 
befinden, einzugehen. Es sei hier nur erwähnt, daß die Azeton¬ 
körper nicht selten für das periodische Erbrechen, die Eklampsie 
und zahlreiche andere Störungen des Kindesalters verantwort¬ 
lich gemacht werden. Was liegt nun näher als die Annahme, 
daß das Fett der Kuhmilch, welches große Mengen acid. hutyric, • 
enthält, der wirkliche Urheber einer Anzahl von Krankheits¬ 
zuständen ist, deren Entstehung einer Selbstvergiftung des 
Organismus zugeschrieben worden ist? Außerdem darf als 
erwiesen angenommen werden, daß die Proteide und Kohle¬ 
hydrate der Kuhmilch oder der künstlichen Nährmittel quanti¬ 
tativ und zum großen Teil auch qualitativ deshalb, weil sie 
sich für die Ernährung des Kindes nicht eignen, häufig die 
kindliche Entwicklung hemmende gastro-intestinale Störungen 
hervorrufen. Diese mögen vorübergehend durch Weglassen 
des Milchfettes gehoben werden. Andererseits kann der kind¬ 
liche Organismus auf die Dauer, ohne in Marasmus zu ver¬ 
fallen, ohne eine genügende Menge assimilierbarer Fettsub¬ 
stanzen nicht bestehen. Da nun vegetabilische Oele und die¬ 
jenigen tierischen Fette, welche einen hohen Schmelzpunkt 
haben, außer Betracht gelassen werden müssen, so bleibt nur 
das vom Dotter des Hühnereis gelieferte Fett übrig. Dieses 
ist in der Tat das ideale Fett für solche Kinder, die' an chro¬ 
nischen gastro-intestinalen Störungen und den aus ungenügender 
Ernährung hervorgehenden Krankheitszuständen, wie Gewebs- 
schwund, Marasmus usw. leiden. 

Als unbestreitbare Vorzüge des Dotterfettes möchte ich 
kurz folgende aufführen: 

1. In geeigneten Mengen und Mischungen wird das Dotter¬ 
fett in seinem natürlichen Zustande von der Mehrzahl der 
Kinder gut vertragen; wo aber Widerwille gegen das 
Hühnerei gefunden wird, da ist er mehr auf Rechnung 
des Weißen als des Dotters zu setzen. 

2. Die Absorbierbarkeit des Eidotterfettes ist größer als die¬ 
jenige aller anderen tierischen Fette, wie aus dem in den 
Fäzes enthaltenen Rückstand klar hervorgeht. 

3. Die Fettkomponenten des Eidotters: Palmitin, Stearin und 
Olein, enthalten keine oder nur sehr geringe Mengen 
flüchtiger Fettsäuren und geben infolgedessen keine Ver¬ 
anlassung zur Bildung der Azetonkörper. 

4. Die große Menge von Lezithin im Eidotter trägt zur 
Wiederherstellung der Nervenkraft und zur Verbesserung 
des kachektischen Zustandes erheblich bei. 

5. Der Eidotter hilft als diastatisches Ferment bei der Um¬ 
wandlung der amyloiden Substanzen. 

6. Eidotter hat die Eigenschaft, die Absonderung der Ver- 

■ dauungssäfte anzuregen. 

Sollen nun bei der Verabreichung von Eidotter an Kinder 
gute Resultate erzielt werden, dann müssen zwei wesentliche 
Punkte berücksichtigt werden: 

1. Das Eidotterfett muß gänzlich an die Stelle des Milch¬ 
fettes treten. 

2 Die Menge des Eidotterfettes muß den kalorischen und 
Ernährungsbedürfnissen des kindlichen Organismus aiige- 
paßt sein. 

Es ist wohl überflüssig, diese beiden selbstverständlichen 
Forderungen näher zu begründen. Ich will daher den von mir 
mit großer Sorgfalt ausgeführten Untersuchungen bezüglich 
des Einflusses der Eidotterkur auf den Zustand der Unter- 


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1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


487 


ernährung, mit besonderer Berücksichtigung der Diabetiker 
dei Phthisiker und der an Marasmus leidenden Kinder, welche 
sich in ihrer überwiegenden Mehrzahl aus den künstlich er¬ 
nährten Kindern rekrutieren, nur noch die Anmerkung bei- 
1 iigen, daß die elektrische Leitbarkeit der abgerahmten Milch 
zusatz ich der physiologischen Mengen von Eidotterfett, wahr¬ 
scheinlich größer ist als diejenige der natürlichen Milch. 
Diese Erscheinung ist aus der Interferenz der Fettkügelchen 
mit der Bewegung der Ionen zu erklären. 

Ueber die Technik der Eidotterkur kann ich mich kurz 
lassen. Die bisherige Diät wird am besten in der Weise plötz- 
ich abgebrochen, daß die nächste Mahlzeit einfach in Wegfall 
kommt Inzwischen wird der Intestmaltraktus entleert, worauf 
ein Salzwasserklistier folgt. Soweit Diabetiker und Kranke 
mit starkem Körperverfall in Betracht kommen, muß die aus¬ 
schließliche Dotterkur bis zur allgemeinen Besserung fortgesetzt 
werden, ln weniger ausgesprochenen Fällen mag man ein bis 
drei läge pro Woche einschieben, an denen die Eidotter nicht 
die Hauptmahlzeiten bilden. Hält die Besserung längere Zeit 
an dann können der Dotterdiät größere Mengen von Kohle¬ 
hydraten in Form von grünen Gemüsen zugesetzt werden. Wie 
“ ? uu ^ le Eidotterkur den individuellen Bedürfnissen gemäß 
modifiziert werden mag, so muß doch stets der Grundgedanke, 
daß das Eidotterfett allein das Fettbedürfnis des Unterernährten 
decken sollte, im Auge behalten werden, Ich habe dieses Thema 
wiederholt in der leitenden medizinischen Fachpresse Amerikas 
ehandelt und freue mich, daß mir Gelegenheit gegeben wurde, 
meine neuen und großenteils nicht allgemein bekannten Er¬ 
fahrungen auch dem Urteil der deutschen Aerztesohaft zu unter¬ 
breiten. 


Bemerkungen zur Technik der endolaryngealen 
Entfernung von Polypen. 

Von Dr. Friedr. Müller, Hals-, Nasen-, Ohrenarzt 
in Heilbronn a. N. 

i i ? ,e A rt • <ler E°t fern ung von Stimmbandpolypen mittels 
Lokalanästhesie und Doppelkurette setze ich als im allgemeinen 
bekannt voraus. Zu den folgenden Bemerkungen wurde ich 
durch einen besonders schwierigen Fall veranlaßt, bei welchem 
es mir erst in der dritten Sitzung gelang, einen banfkorn- 
großen Polypen im Gebiet des vorderen Drittels des rechten 
stimm bandes zu entfernen. 

„„.., D ? r Fa '| war dadurch kompliziert, daß der Patient, ein 
aOjahriger Mann, einen Kropf hatte, durch den der Kehlkopf 
um eine vertikale frontale und sagittale Achse gedreht worden 
war. Die rechte Kehlkopfhälfte stand mehr hmten, die linke 
mehr vorne; die obere Hälfte war mehr nach hinten, die untere 
nach vorne disloziert; ferner stand die ganze obere Kehlkopf- 
halfte mehr links, die untere mehr rechts. Die Längsachse 
des Kehlkopfes verlief also von oben links hinten nach unten 
rechts vorne, wozu noch die Drehung um die Längsachse selbst 
kam. Außerdem hatte der Patient nicht einen flachgewölbten 
sondern einen ziemlich schmalen, hochgewölbten Kehldeckel’ 
der im Ruhezustand stark nach hinten herunterhing; schließlich 
war die Zungenbasis sehr breit, die Zunge selbst kurz, so daß 
es nur schwer gelang, diese fest zu fassen und den Zumren- 
grund energisch nach vorne zu ziehen. Letzteres wurde dmch 
aas wohl erhaltene Gebiß noch erschwert. 

Bei der laryngoskopischen Untersuchung gelang es nicht 
ohne weiteres den Polypen zu sehen, auch nicht beim Heben 
des Kehldeckels mit der Sonde; erst bei maximalem Vorziehen 
der Zunge, Vordrucken des Zungengrundes und des Kehldeckels 
I' 11 _ 61 Sonde, während der Patient „e“ sagte, sah man den 
hanf korngroßen, weißen Stimmbandpolypen während eines Augen¬ 
blicks zwischen den wahren Stimmbändern. 

Diesen Schwierigkeiten entsprechend gelang es mir in der 
ersten Sitzung nicht, den Polypen zu entfernen, weil der Patient 
nicht energisch genug seine Zunge nach vorne zog und es mir 
nicht gelang, den Zungengrund und Kehldeckel mit der Doppel¬ 


kurette so weit nach vorne zu drücken, daß ich den Polvpen 
sehen konnte. r 

Auch in der zweiten Sitzung mißlang die Entfernung. 
Durch Heben des Kehldeckels mit der Sonde kam der Polyp 
nicht zu Gesicht; ich prüfte daher verschiedene Instrumente; 
der Reichert sehe Kehldeckelhalter war zu dick, so daß das 
Gesichtsfeld stark eingeengt wurde; die Sim rock sehe Kehl- 
deckelpinzette glitt stets ab. Das brauchbarste Instrument 
schien mir der Lublinskische Kehldeckelhalter zu sein; 
dieser teilt sich an seinem Ende gabelförmig in zwei Aestchen, 
an deren Ende sich ein Knöpfchen befindet; er legt sich der 
Innenseite des Kehldeckels an, ohne das Gesichtsfeld einzu¬ 
engen, und besitzt genügende Kraft trotz seines schlanken 
Baues, um den Kehldeckel energisch zu heben und den Zuno-en- 
grund nach vorn zu drücken. Er wird in einen gewöhnlichen 
Kehlkopfspiegelgnff gesteckt. Mit diesem Instrument gelang 
es mir leichter^ den Polypen zu sehen, insbesondere wenn der 
Patient den Hals maximal streckte. Es blieb nur noch ein 
Uebe stand übrig Es gelang der Schwester nicht, den Lub- 
hnskischen Kehldeckelhalter längere Zeit so exakt zu halten, 
daß sich sein dem Kehldeckel anliegendes Ende nicht verschob; 
der glatte Kehlkopfspiegelgriff ließ sich nicht festhalten, er 
ghtt aus den hingern. Ich ließ mir daher einen Kehlkopf- 
spmgelgriff mit gekörnter Oberfläche anfertigen*). Nachdem 
mh m der dritten Sitzung mehrmals die einzig zweckmäßige 
Einstel ung des Kehldeckelhalters und die zweckmäßigste Haltung 
des Halses aasprobiert hatte, gelang die Entfernung des Polypen 
in einigen Sekunden. ö 

Ich glaube deshalb, daß in den meisten schwierigen Fällen 
vorliegender Art jeder Kollege bei Verwendung des Lub- 
linskischen Kehldeckelhalters mit rauhem Handgriff und bei 
Anwendung der gestreckten Haltung des Halses rasch ein gutes 
operatives Resultat erzielen wird. 

*) Erhältlich bei W. Walts Nachfolger, Heidelberg. 


Fabrikarbeit. 

Die Apotheker-Zeitung nimmt seit einiger Zeit gegen mehrere 
raparate der Firma Dr. A. Horowitz energisch Stellung. Die 
Diskussion, die sich über die Zusammensetzung des Pyrenols vor 
urzern in den Spalten der gen. Zeitschrift abgespielt hat und 
le zu einer gerichtlichen Entscheidung führen wird, hatte die 
krage zum Gegenstand, ob das Pyrenol, wie Thoms, Zernik 
u ; a - au f Grund ihrer mehrfachen Untersuchungen behaupten nur 
6 u n e “i sch V0D Benzoesäure, Salizylsäure und Thymol sei, oder 
ob Dr. Horowitz recht habe, wenn er als wirksamen Bestandteil 
eine einheitliche chemische Verbindung, das „Benzoylthymolnatrium- 
benzoylooxybenzoikum“, angibt. Es ist natürlich auch für die Aerzte 
von größtem Interesse daß sie über die Zusammensetzung von 
Spezialitäten nicht im Unklaren gelassen werden. Sie werden ge¬ 
tauscht einmal durch Angabe von Bestandteilen, die im Präparat 
nicht enthalten sind, oder durch Verschweigen von Ingredienzen 
die zwar vorhanden sind, es aber nicht sein sollten, oder durch 
die Angabe des Fabrikanten, daß sein Präparat ein synthetisches 
sei wahrend es m Wirklichkeit ein Gemisch ist. Der Arzt kann 
sich leider gegen die Nonchalance gewinnsüchtiger Spezialitäten- 
fabnkanten nicht genügend schützen. Wir müssen der pharma¬ 
zeutischen Presse dankbar sein, daß sie häufig Mitteilungen über 
die Prufungsergebnisse pharmazeutischer Spezialitäten bringt Bei¬ 
träge d l8 auch in dieser Zeitschrift stets referiert worden sind 
im übrigen stimmen wir durchaus der Berl. klin. Wochenschr bei' 
weun sie den Aerzten anrät, Spezialitäten und Präparate’ die 
nicht von als einwandfrei bekannten Firmen in den Handel 
gebracht werden ebenso die diese empfehlenden ärztlichen Gut¬ 
achten und Artikel mit großer Vorsicht und Reserve zu aenießen 
Der Mißbrauch des Vertrauens der Aerzte, Apotheker und 
Parienten den der Spezialitätenfabrikant durch irgendwie unzn- 
treffende Angaben über sein Präparat sich zu schulden kommen 
laßt, ist besonders dann unverzeihlich, wenn die fingierte Zu¬ 
sammensetzung von höherem therapeutischen Werte ist als die 
wirkliche. Ist das aber nicht der Fall, so ist zwar das Vorgehen 


Original from 


um v liui 


K3 AN 


um v cr\ j 




488 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 32 


des Fabrikanten nichts weniger als einwandfrei, aber es dürfte 
doch mancher Arzt zu der Ansicht neigen: der Fabrikant geht 
mich nichts an, das Präparat und seine Wirksamkeit ist mir die 
Hauptsache; ist das Präparat von guter Wirkung, so ist es mir 
gleichgültig, ob darin eine patentierte neue chemische Verbindung 
enthalten oder ob es eine Mischung bekannter Stoffe ist. Auch 
eine Mischung kann als Spezialität berechtigt sein. Was nun 
speziell das Pyrenol angeht, so scheint es — den zahkeichen 
ärztlichen Gutachten nach, die freilich z. T. nicht von besonders 
zuverlässigen Autoren stammen — eine günstige Wirkung zu ent¬ 
falten; ob es aber infolge seiner Wirkung als Spezialität berech¬ 
tigt ist, nachdem die Untersuchungen ergeben haben, daß das 
wirksame Prinzip gar keine synthetische Substanz darstellt, dar¬ 
über möchten wir gelinde Zweifel hegen. Im übrigen dürften 
die schwebenden Prozesse weitere Aufklärung in diese Angelegen¬ 
heit bringen. 

Ebenso interessant wie die Frage nach der wirklichen Zu¬ 
sammensetzung des Pyrenols sind die Eröffnungen, die Professor 
F rer ich s in Bonn über die Präzision, mit der Dr. Horowitz 
arbeitet, in den Nummern 58 bis 60 der Apoth.-Zeitg. auftischt. 
Wir lesen da die überraschendsten Untersuchungsergebnisse über 
die quantitative Zusammensetzung der Pyrenoltabletten, der Arhovin- 
und Eglatolkapseln, und müssen uns in der Tat an den Kopf 
fassen, daß eine derartig schwankende und ungenaue Dispeusation 
in einem Fabrikbetrieb möglich ist, und daß Herr Dr. Horowitz 
so wenig Kontrolle über seine Fabrikate hat, daß er es nicht ver¬ 
hüten kann, sich so unangenehmen Entdeckungen auszusetzen. 
Die Pyrenol tabletten, die nach Angabe des Fabrikanten je 0,5 g 
Pyrenol enthalten sollen, haben nach Frerichs’ Untersuchungen 
nur einen zwischen 0,223 g und 0,445 g, d. i. zwischen 44,6 und 
89% der angegebenen Menge schwankenden Gehalt an Pyreuol. 
Die Arhovinkapseln „ä 0,25 g Arhovin“ enthalten nach Frerichs 
je 0,136 bis 0,259 g Arhovin, d. i. 54,4 bis 103,6% des ange¬ 
gebenen Gehaltes. In den Eglatolkapseln „zu 0,5 g u fand Frerichs 
einen zwischen 0,246 bis 0,573 g schwankenden Inhalt. Wir 
müssen allerdings sagen, daß diese Feststellungen geradezu haar¬ 
sträubend sind und daß das Vertrauen des Fabrikanten auf die 
— Gutmütigkeit der Aerzte und Apotheker denn doch die Grenzen 
des Erlaubten übersteigt. Wir sind sehr gespannt, wie der Staats¬ 
anwalt, dem Prof. Frerichs die Angelegenheit übergeben hat, 
sich zu diesen Dingen verhalten wird. Jedenfalls verdienen die 
Publikationen von Frerichs die weitestgehende Beachtung auch 
der medizinischen Presse, damit nicht nur die Apotheker, sondern 
auch die Aerzte erfahren, wie ihr Vertrauen gelohnt wird, das sie 
dank der geschickten Reklame und der therapeutischen Brauchbarkeit 
der Präparate der Firma Dr. A. Horowitz entgegengebracht haben. 

Auch wir sind wie Prof. Frerichs überzeugt davon, daß 
eine Regelung des Verkehrs mit fabrikmäßig hergestellten Arznei¬ 
mitteln im Interesse nicht nur des Apothekerstandes, sondern in 
weit höherem Maße auch im Interesse des arzneibedürftigen Publi¬ 
kums“ und doch wohl auch der Aerzte liegt. Die Ansichten 
über den Weg, der zum Ziele führen soll, sind leider noch sehr 
geteilt, wie sich erst wieder auf der Hauptversammlung des Ver¬ 
eins deutscher Chemiker im Juni d. Js. zeigte. Immerhin steht 
zu hoffen, daß, da mau allgemein von der Notwendigkeit der 
Schaffung einer Untersuchungsstelle besonders wiederum durch 
Eröffnungen wie die von Prof. Frerichs überzeugt sein' dürfte, 
auf der Basis der His - Kober t sehen Vorschläge in nicht mehr 
unabsehbarer Zeit Mittel und Wege zur Kontrolle der pharma¬ 
zeutischen Industrie werden gefunden werden. Lungwitz. 


REFERATE. 


Physikalische Therapie. 

Referent: Dr. A. Laqueur, leitend. Arzt des hydrotherapeut.- 
medikomechanischen Instituts am Rudolf Virchow-Krankenhause 
zu Berlin. 

1 Versuche mit Radiumemanationen. Von A. Strasser 
und A. Selka. Blätter f. klin. Hydrotherap., 1908, Nr. 6, und 
Med. Klinik, 1908, Nr. 28. 


2. Die Wirkung und Anwendung der Joachimsthaler radio¬ 
aktiven Brunnenwässer. Von L. Gottlieb. Zentralbl. f. d. ge¬ 
samte Therap., 1907, Nr. 4. 

3. Die Anwendung und Wirkung der Joachimsthaler Gruben- 

wässer. Von L. Gottlieb. Prager med. Wochenschr., 1908, 
Nr. 15. 

4. Die Radioaktivität der Kreuznacher Solquellen und die 
therapeutische Verwendung der aus denselben gewonnenen radio¬ 
aktiven Substanzen. Von Karl Aschoff. Med. Klinik, 1908, 
Nr. 27. 

1 Strasser und Selka wandten die Radiumemanation in 
Form des Radiogenwassers an, dessen Emanationsgehalt ein 
sehr hoher und dabei doch konstanter ist; das Wasser wurde 
lediglich zu Trinkkuren benutzt. Was die Dosierung be¬ 
trifft, so haben die Verfasser die von Loewenthal u. a. emp¬ 
fohlenen Dosen im allgemeinen nach obeuhin überschritten. Sie 
begannen meist mit 5000 Volt-Einheiten, stiegen dann rasch bis 
10 000 Einheiten und gaben 20000, ja selbst 50000 Einheiteu in 
einzelnen Fällen, ohne Schaden zu stiften. Das Auftreten von 
Albuminurie nach Einverleibung radioaktiven Wassers, wovon 
Nagelschmidt berichtet hatte, haben die Verfasser niemals 
beobachtet-, selbst bei Nierenkranken trat danach keine Steigerung 
der Eiweißausscheidung auf. Ebensowenig fanden sie, daß bei 
Patienten mit malignen Tumoren des Magen-Darmtraktus eine 
Temperatursteigerung nach Genuß von Radiogenwasser auftritt, 
wie das von Loewenthal angegeben worden war (auch Referent 
konnte diese Angabe nicht bestätigen, ebenso Riedel). 

Was nun die therapeutischen Resultate betrifft, so 
wurden vor allem bei akutem und chronischem Gelenk¬ 
rheumatismus, bei deformierender Arthritis und bei 
Ischias in der Mehrzahl der Fälle gute Erfolge erzielt. Meist 
trat hier im Beginne der Kur (am ersten bis dritten Tage) eine 
spezifische Reaktion ein, doch war zur Erzielung dieser 
Reaktion öfters eine Steigerung der Dosis über das gewöhnliche 
Maß von 10000 Einheiten hinaus notwendig. Bemerkenswert ist, 
daß die Verfasser einen absoluten Konnex zwischen Reak¬ 
tion und Heilwirkung nicht beobachten konnten, da öfters 
günstige Wirkung ohne Reaktion eintrat, während andrerseits bei 
lebhaft reagierenden Patienten manchmal eine Besserung oder Hei¬ 
lung ausblieb. 

Unter sonstigen Krankheitszuständen, bei denen das Radiogen- 
wasser versucht wurde, ergaben die lanzi nierenden Schmerzen 
der Tabiker ein zum Teil auffallend günstiges Resultat; in einem 
Falle von Karzinom des Magens wurde vorübergehende Besserung 
der Schmerzen und des Appetits erreicht. Jedenfalls verdient 
die innere Darreichung der Radiumemanation weiter geprüft zu 
werden, 

2. In Joachimsthal in Böhmen, dem Fundorte des Urau- 
pecherzea, wird das dortige sehr stark radioaktive Grubenwasser 
neuerdings zu Badezwecken benutzt. Gott lieb berichtet über 
43 Patienten, die mit derartigen Bädern behandelt wurden; es 
handelte sich um Fälle von akutem, subchronischem und chroni¬ 
schem Gelenkrheumatismus, Gicht, Ischias und gonorrhoischer 
Arthritis. Die Erfolge waren gute; nach den ersten Bädern trat 
die typische Schmerzreaktion ein, die eventuell ein Pausieren 
um mehrere Tage notwendig machte; dann stellte sich allmählich 
die Besserung ein, die sich bei den Gelenkerkrankungen vor allem 
in Nachlassen der Schmerzhaftigkeit und Verbesserung der 
Funktion äußerte. Im Gegensätze zu gewöhnlichen warmen 
Bädern will der Verfasser nach den radioaktiven Bädern eine 
kräftigende, das subjektive Wohlbefinden hebende Wirkung beob¬ 
achtet haben, ferner sah er danach eine Steigerung der Diurese. 
Es wurden bei einer Kur bis zu 30 Bäder verabreicht. 

3. In Bestätigung seiner vorher gemachten Angaben er¬ 
weitert Gottlieb die Indikationen der radioaktiven Bäder auch 
auf Schmerzen nach Frakturen, neurasthenische Schwäche¬ 
zustände, speziell nervöse Impotenz, sowie Tabes; in vier Fällen 
Wurden die lanzinierenden Schmerzen (s. auch oben Strasser 
und Selka) und zugleich der Allgemeinzustand gebessert. 

4. Die Kreuznacher Solquellen sind nicht nur reich an Radium¬ 
emanation, sondern es lassen sich aus den Quellsedimenten 
auch radiumhaltige Substanzen in größeren Mengen darstellen ? 


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1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


489 


die als Rad i olpräpara t e in den Handel kommen und sich zur 
Radiumtherapie verwenden lassen. Zugleich wurde mit Hilfe 
dieser radioaktiven Rückstände auch der Emanationsgehalt 
der Solquellen künstlich verstärkt, und es wurden besondere 
Apparate konstruiert, die ähnlich wie die Radiogenapparate eine 
hohe Aktivierung von beliebigem Wasser zu Bade- oder Trink¬ 
kuren ermöglichen. Ueber therapeutische Resultate sind noch 
keine näheren Angaben gemacht. 


Kinderheilkunde. 

Referent: Privatdozent Dr. J. Ibrahim, München. 

1. Stoffwechselversuche an gesunden und rhachitischen 
Kindern mit besonderer Berücksichtigung des Mineralstoff¬ 
wechsels. Von W. Cronheim und Erich Müller. Biochemi¬ 
sche Zeitschr., 1908, Bd. 9, H. 1 u. 2. 

2. Ekzem und Asthma. Von L. Langsteiu. Berl. klin. 
Wochenschr., 1908, S. 1218. 

3. Die natürlichen Grenzen der Wirksamkeit einer Heil¬ 
serumbehandlung bei der Diphtheria fauzium und ihre gelegent 
liehe notwendige Ergänzung durch bestimmte lokale Ma߬ 
nahmen. Von G. Kröuig. Therap. d. Gegenwart, 1908, S. 289. 

4. Kefirmilch als Säuglingsnahrung. Von K. Dresler. Med. 
Klinik, 1908, S. 1023. 

1. Die wertvollen und mühsamen Untersuchungen von Cron¬ 
heim und Erich Müller, auf deren interessante Einzelergeb¬ 
nisse an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden kann, 
bringen Beiträge zu den bisher noch in geringer Zahl vorliegenden 
Untersuchungen über den Mineralstoffwechsel des Säuglings. Der 
von den Verfassern früher erhobene Befund eines günstigeren 
Verlaufes des Kalkstoffwechsels bei Ernährung mit roher (Kuh-) 
Milch gegenüber sterilisierter ließ sich bei den diesmaligen Ver¬ 
suchen nicht feststellen. 

„Die Untersuchungen an den rhachitischen Kin¬ 
dern haben Unterschiede im gesamten Stoffwechsel 
gegenüber dem der gesunden nicht ergeben. Es ist 
allerdings möglich, daß sich die Kinder, physiologisch - chemisch 
betrachtet, trotz der klinisch sicheren Diagnose einer Rhachitis 
bereits in der Heilung befunden haben. Der Versuch fiel dann 
zeitlich in eine Periode, in welcher der Stoffwechsel eben keine 
Anomalien mehr aufweist. Vielleicht erklärt es sich auch aus 
diesem Grunde, daß die früheren Beobachtungen über eine ver¬ 
mehrte Kalkausscheidung im Kote (Baginsky) nicht bestätigt 
werden konnten.“ 

„Die langsame Entwicklung des menschlichen Säuglings be¬ 
dingt es, daß der Ansatz der einzelnen Stoffe, besonders der 
mineralischen, in der üblichen Zeit eines Stoffwechselversuchs 
sehr gering ist, und daher so prägnante Resultate wie bei schuell 
wachsenden Tieren nicht zu erwarten sind. Zufälligkeiten ver¬ 
mögen natürlich das Resultat hier weit mehr zu beeinflussen, was 
sich auch bei einzelnen Perioden der relativ lang ausgedehnten 
Versuche zeigte. Gewisse Differenzen zwischen zwei Perioden 
haben sich später wieder ausgeglichen und dadurch Fehlschlüsse 
verhütet. Nur die alte Forderung, die Versuche zeitlich möglichst 
auszudehnen und auf viele Kinder zu erstrecken, werden über 
diesen Mangel hinweghelfen können.“ 

2. Langst ein hat versucht, das Asthma der Säuglinge, das 
er als Korrelat zum Säuglingsekzem zu betrachten geneigt ist, 
mit der nach Finkeisteins Angaben hergestellten molkeu- 
armen Milch diätetisch zu behaudelu. Er resümiert seine Erfah¬ 
rungen dahin, daß wir in der Finkelsteinschen Methode der 
salzarmen Ernährung ein ganz ausgezeichnetes therapeutisches 
Hilfsmittel bei einer Reihe schwerer Ekzemfälle besitzen. Es 
scheint aber beim Asthma vollständig zu versagen. Hier zeigt 
sich als hervorragendes therapeutisches Agens die Aenderung des 
Milieus. Die Anschauung, daß das Asthma durch irgendwelche 
suggestive Einflüsse von seiten der Eltern oder des Pflegepersonals 
ausgelöst werde, sei wohl berechtigt. 

Die Fin k eist ein sehe Suppe, über deren Wert in der Be¬ 
handlung des konstitutionellen Ekzems der Säuglinge die Mei¬ 
nungen verschiedener Beobachter noch auseinander gehen, die 
aber zweifellos einen Teil der Fälle bei längerem Gebrauch sehr 


günstig beeinflußt, wird nach der Original Vorschrift folgendermaßen 
hergeytellt: „1 1 Milch (oder ein anderes dem Alter des Kindes 
angemessenes Quantum) wird mit Pegnin oder Labessenz aus- 
gelabt; von der Molke wird der größere Teil beseitigt, ein Fünftel 
(auf die Menge des verwendeten Milchquantums berechnet) mit 
Haferschleim auf das ursprüngliche Volumen aufgefüllt. Das derbe 
Gerinnsel wird, um es feinflockig zu machen, durch ein feines 
Haarsieb gerührt, mehrfach durch Aufschwemmung mit Wasser 
gewaschen und dann der Molken-Schleimmischung zugesetzt, dazu 
kommen 30 bis 40 g Streuzucker (kein salzhaltiges Zuckerpräparat, 
wie z. B. Soxh 1 ets Nährzuckerf) Das Ganze stellt eine sämige 
Suppe dar, die von den Kindern gerne genommen wird; es ent¬ 
hält die Gesamtmenge des Kaseins und Fettes der verwendeten 
Müch, aber nur den fünften Teil der Molkensalze.“ 

3. Krönig empfiehlt bei reinen Diphtheriefällen, wenn sich 
kein Effekt der Serumtherapie zeigt, rechtzeitig eine exakte Lokal- 
iuspektion event. Palpation der Rachengebilde vorzunehmen und 
bei Konstatierung einer größeren Härte des Infiltrats eine gründ¬ 
liche Spaltung desselben auszuführen. 

Er weist darauf hin, daß man möglichst frühzeitig von der 
Heilseruminjektion Gebrauch machen muß unter folgender theoreti¬ 
scher Begründung: n Solange die vaskulären Zugänge und Aus¬ 
gänge in deu diphtheritisch befallenen Partien frei und passierbar 
bleiben, so lange haben die mit dem Serum eingeführten Anti¬ 
körper Gelegenheit, die Toxine, wenn möglich, schon am Lokus 
morbi zu fassen und unschädlich zu machen, d. h. den Fall event. 
in den ersten Anfängen zu kupieren. Dieser Vorteil gebt ver¬ 
loren, sobald man durch längeres Zuwarten die Infiltrate derart 
an wachsen und erstarren läßt, daß die Kommimikationswege für 
Blut und Lymphe in dem infiltrierten Bezirk unpassierbar werden, 
ja ihre Unpassierbarkeit schließlich so weit sich steigert, daß 
partielle oder totale Gewebsnekrosen hinzutreten. Unter diesen 
Umständen ist ein lediglich durch Heilseruminjektion zu erzielender 
Erfolg natürlich ganz imdenkbar und nur bei einer gleichzeitigen 
Spaltung des Infiltrats eine Einwirkung des Serums auf deu Herd 
zu erwarten.“ 

4. Dresler hat Kefirmilch (mit Nährzucker- oder Liebig- 
suppelösung verdünnt) zur Ernährung gesunder und verdauungs¬ 
kranker Säuglinge verwandt und berichtet über Erfolge, die 
dem Ref. beachtenswert erscheinen. Die Details der Zubereitung 
mögen im Original eingesehen werden. Leider fehlen bei den 
Krankengeschichten Mitteilungen über die jeweils in 24 Stunden 
verbrauchten Nahrungsmengen. 


Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 

Referent: Spezialarzt Dr. M. Halle, Berlin. 

1. Heber Operation von tiefliegenden Zungenabszessen. 
Von Dr. A. Bruck. Deutsche med. Wochenschr., 1908, Nr. 28. 

2. Angina und Miliartuberkulose. Von Sanitätsrat Lub- 
linskL Berl. klin. Wochenschr., 1908, Nr. 27. 

3. Die intranasale Eröffnung der Kieferhöhle. Von Dr. 
Sturmann. Ibidem. 

4. Methodik der Durchleuchtung von Oberkiefer- und Stirn¬ 
höhlen. Von Karl Vohsen. Berl. kirn. Wochenschr., 1908, 
Nr. 28. 

5. Klinische Studien zur Chirurgie der otogenen Meningitis. 

Von G. Alexander. Arch. f. Ohienheilk., Bd. 75 u. 76. 

1. Akute Zungenabszesse führen in der Regel zu recht 
schweren Krankheitsbildern. Die Zunge ist meist stark vergrößert, 
kann gelegentlich sich erheblich zwischen den Zähnen hervor- 
dräugen und nach hiuten sich soweit ausdehnen, daß sie direkt 
zu einem mechanischen Ateinhindernis wird. Die hochgradigen 
Schmerzen machen den Schluckakt zu einer Qual. Abgesehen von 
der dadurch bedingten schlechten Ernährung ist die Gefahr einer 
Schluckpneumonie eine sehr erhebliche. 

Die zweckmäßigste Behandlungsmethode ist die Inzision. Bei 
mehr oberflächlich gelegenen Abszessen ist die Inzision gut vom 
Munde aus zu machen. Anders bei tief gelegenen Abszessen, 
die sich zwischen die Muskeln der Zunge in die Tiefe hinein¬ 
ziehen. 




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Man hat auch hier versucht, vom Munde her auszukommen 
durch tiefe Inzisionen event. in Narkose. Doch ist das sehr ein 
Tappen im Dunkeln und die Gefahr der Neben Verletzungen nicht 
gering. Deswegen hat als erster Killian angeraten, die Ab¬ 
szesse und phlegmonösen Entzündungen von außen her anzugreifen 
durch Spaltung der Haut in der regio suprahyoidea und Eingehen 
zwischen die Muskeln der Zunge. 

Bruck beschreibt zwei Fälle, bei denen dieser Weg in 
schnellster und angenehmster Weise zur Heilung führte und emp¬ 
fiehlt auf Grund derselben angelegentlich diese zweckmäßige 
Methode. 

2. Die von den Tonsillen ausgehenden Erkrankungen näherer 
und entfernter liegender Organe bilden schon seit langem den 
Gegenstand eingehender Untersuchungen. Bekannt ist die Be¬ 
teiligung der benachbarten Drüsen, zumal im Kindesalter. Fest¬ 
gestellt ist auch ein ätiologischer Tonsillarprozeß bei manchen 
Fällen von Arthritis rheumatika, Endokarditis u. a. und Heilung 
dieser Kranken durch Behandlung des Halses. 

Lublinski teilt einen anderen interessanten Fall mit. Ein 
Patient von 39 Jahren, der 10 Jahre lang an Tuberkulose so ge¬ 
ringen Grades litt, daß er praktisch gesund erschien, erkrankte 
an einer starken Tonsillitis. Er schonte sich nicht, trotz ent¬ 
sprechender Hinweise. Unmittelbar darauf mußte er sich unter 
schweren Allgemeinerscheinungen legen, welche sich bald als 
Symptome einer Miliartuberkulose herausstellten, an der Patient 
zugrunde ging. L. verlangt daher bei allen Fällen von Angina 
Schonung, zumal bei nicht völlig intakten Patienten. 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


radikal zu beseitigen. Es ist ein großes. Verdienst der operativen 
Otologie, diese Tatsache, auf die schon von Bergmann hinge¬ 
wiesen, immer klarer festzustellen. 13 Fälle, ,über die Alexander 
eingehend und kritisch berichtet, lassen die großen Erfolge klar 
erkennen, welche die operative Behandlung der eitrigen Meningitis 
zu verzeichnen hat. 

Von allgemeinem Interesse sind Alexanders Erfahrungen 
über die klinische Bedeutung der Lumbalpunktion für diese Fälle. 
Erhöhter Abflußdruck ist stets das Zeichen eines erhöhten intra- 
meningealen Druckes, also einer Meningitis (seröse oder diffus¬ 
eitrige Meningitis). Normaler Abflußdruck ist häufig bei tuber¬ 
kulöser oder auch eitriger Meningitis. Weiße oder gelbe Färbung 
weist bei gleichzeitiger Trübung fast stets auf eitrige Meningitis. 

Doch ist auch ein ungünstiges Resultat der Lumbalpunktion 
keine Kontraindikation gegen Operation, zumal stark eitrig ge¬ 
trübte Punktion auch in Fällen von Hirnabszeß, Labyrintheiterung 
oder Sinusthrombose Vorkommen, die durch Operation mit bestem 
Erfolge angreifbar sind. 

Die Operation selbst verlangt ein breites Freilegen von Sinus, 
Dura der mittleren, eventl. auch der hinteren Schädelgrube, breite 
Eröffnung des Intraduralraums durch verschiedene tiefe Einschnitte. 
Am günstigsten erscheinen prognostisch diejenigen Fälle, in denen 
ein direkter Zusammenhang zwischen einer Ohraffektion (Labyrinth¬ 
eiterung, Sinusthrombose) und dem Hirnprozeß besteht. 


3. Stürmann veröffentlicht eine neue Methode der Er¬ 
öffnung der Kieferhöhle von der Nase aus, welche der Denker- 
schen Radikaloperation nachgebildet ist. Sie hat jedoch vor dieser 
den Vorteil, daß sie wesentlich schonender ist, den Patienten 
nicht so angreift und sowohl ein weiteres konservatives als auch 
nötigenfalls ein radikales Vorgehen erlaubt. Für eine Reihe 
chronischer Fälle dürfte sich dieses Verfahren sehr empfehlen. 
Die Operationsmethode ist folgende: Kokainisieren der in Frage 
kommenden Abschnitte, Einschnitt innerhalb der Nase entsprechend 
der Apertura pyriformis, Abpräparieren der Mukosa an der fazialen 
und nasalen Wand, Abmeißeln des Knochens des aufsteigenden 
Kieferastes vom Ansatz der mittleren Muschel bis zum Boden 
der Nase. 

Referent hat es nach der Demonstration Sturmanns in der 
laryngologischen Gesellschaft in zwei schweren Fällen angewandt, 
allerdings, indem er die ganze kranke Mukosa fortnahm und den 
Lappen der lateralen Nasenwand mit der Basis am Boden der 
Nase bildete und in die Höhle tamponierte. Der Erfolg scheint 
ein durchaus befriedigender. Jedenfalls ist das Verfahren schonend 
für schwere Fälle und erlaubt dauernd eine gute Uebersicht über 
die Höhle, was für die Nachbehandlung von großem Werte ist. 

4. V ohsen beschreibt des näheren den Modus prozedendi bei 
der von ihm seit Jahren lebhaft empfohlenen Durchleuchtung der 
Nebenhöhlen und verweist auf eine neue Lampe, die er angegeben 
hat und die besonders gute Resultate ergeben soll. Er hält die 
Durchleuchtung der Nebenhöhlen für gleichwertig der Perkussion 
der inneren Organe. 

Es dürfte unzweifelhaft sein, daß die Durchleuchtung für die 
Diagnose der Nebenhöhlenerkrankungen von nicht zu unterschätzen¬ 
der Bedeutung sein kann. Aber der lebhafte Wunsch des Autors, 
seine wohl ausgearbeitete Methode zu propagieren, läßt ihn doch 
wohl den Wert derselben etwas hoch einschätzen. Er gesteht 
selber zu, daß allein auf die Durchleuchtung nicht die Diagnose 
gestützt werden soll. Es muß aber auch darauf hingewiesen 
werden, daß die Durchleuchtung auch den damit Vertrauten sehr 
leicht zu schweren diagnostischen Irrtümern verleiten kann, wenn 
er sich nicht darüber klar ist, daß dieselbe höchstens ein gutes 
Adjuvans ist. Sind wesentliche Empyeme vorhanden, so lassen sie 
sich gewöhnlich auch ohne Durchleuchtung sicher diagnostizieren. 
In zweifelhaften Fällen jedoch läßt sie sehr häufig im Stich oder 
läßt Eiterungen vermuten, wo keine sind. Immerhin wird mancher 
Fehler vielleicht bei weiterem Ausbau der Methode vermieden 
werden können. 

5. Auch ausgebreitete eitrige Meningitis muß nicht zum Exitus 
führen, sie kommt im Gegenteil in einem hohen Prozentsatz der 
Fälle zur Heilung, wenn es gelingt, die causa nocens möglichst 


Orthopädische Chirurgie. 

Referent: Dr. A. Stoffel, Oberarzt an der Prof. Vulpin sehen 
Klinik, Heidelberg. 

1. Stauungshyperämie bei fixiertem Plattfüße. Von G. 
Muskat-Berlin. Berl. klin. Wochenschr., 1908, Nr.- 26. 

2 . Beiträge zur Höhlenbildung im Rückenmark (Syringo¬ 

myelie) nach Unfall. Von L. La quer-Frankfurt. Aerztl. Sach- 
verst.-Zeitg., 1908, Nr. 12. -:m ~w.r- 

3. Beiträge zur Kenntnis des Entstehungsmechanismus 
und der wirtschaftlichen Folgen von Fersenbeinbrüchen. Von 
A. Tietze-Breslan. Arch. f. Orthopädie etc., Bd. 6, H. 4. 

4. Was dürfen wir von der heutigen Skoliosenbehandlung 
erwarten“? Von K. Wahl-München. Münch, med. Wochenschr., 
1908, Nr. 28. 

1. Das Krankheitsbild des fixierten Plattfußes ist durch zwei 
Momente charakterisiert: erstens durch die eigentliche Plattfu߬ 
stellung und dann durch die forcierte Pronationsstellung des Fußes, 
die ihn unbeweglich, kontrakt macht. Lorenz spricht daher 
auch von „kontraktem Plattfüße“. Das Entstehen dieses Pro¬ 
nationskrampfes hat man sich folgendermaßen zu denken:' Bei der 
Belastung des Fußes durch das Körpergewicht wird das Ligamen¬ 
tum talokalkaneo - navikulare durch das Kaput tali überdehnt. 
Daraus resultiert eine traumatische Reizung dieses Bandes und 
der die Gelenkflächen desselben überkleidenden Synovialmembran, 
was wiederum eine Reizung der Gelenkzweige des Nerv. tib. ant. 
zur Folge hat. Dieser Reiz wirkt nun in der Bahn dieses Nerven 
reflektorisch auf die Mm. peronaei und bringt sie zum Krampf. 
Daher ist der Name „reflektorische Kontraktur“ gerechtfertigt. 
Hält der Krampfzustand längere Zeit an, so kommt es zu nutri¬ 
tiver Schrumpfung der genannten Muskeln. Es ist wichtig, zu 
wissen, daß die reflektorische Kontraktur schon bei beginnendem 
Plattfüße einsetzen kann. 

Das Stellen der richtigen Diagnose stößt manchmal auf große 
Schwierigkeiten. Eine beginnende Periostitis der Tarsalknochen, 
eine Neuralgie, ein rheumatischer Zustand können vorgetäuscht 
werden. Isolierter Schmerz unter der Ferse oder im Metatarso- 
phalangealgelenk kommt bisweilen beim beginnenden oder ent¬ 
wickelten Plattfüße vor und darf nicht zu diagnostischen Irr¬ 
tümern verleiten. Die Metatarsalgie ist wahrscheinlich auch in 
den Symptomenkomplex des Plattfußes einzureihen. 

In letzter Zeit haben Stein und Preiser auf eine Perio¬ 
stitis an der Innenseite der Grundphalangen der zweiten bis 
vierten Zehe (Wirkung der abduzierenden inneren Mm. interossei) 
als Frühsymptom des Pes plano-valgus hingewiesen* 


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'' Zur Beseitigung der Fixation des beginnenden Plattfußes 
empfiehlt Muskat ganz besonders die Anwendung der Hyperämie, 
und zwar sowohl der aktiven (durch Bestrahlung mit einer intensiv 
heiß wirkenden, elektrischen roten Lichtquelle), als auch der 
passiven durch Anlegung der Staubinde am distalen Drittel des 
Unterschenkels. Unter der Binde, die Muskat mitunter eine 
halbe Stunde liegen ließ,' entwickelte sich leichte Schwellung und 
blaurote Verfärbung der Haut des Fußes. Nach Abnahme der 
Binde waren die Gelenke freier beweglich, Schmerzen und Span¬ 
nung geschwunden. Nach der Stauung Supinationsübungen. 
Wenn der Fuß frei beweglich ist, können Einlagen verabreicht 
werden. Zur Unterstützung und Sicherung des erreichten Resul¬ 
tates empfehlen sich Bindenwicklungen und Heftpflasterverbände. 

2. Bei den Fällen, die einen Zusammenhang zwischen Trauma 
und Syringomyelie aufweisen, müssen wir zwei Gruppen unter¬ 
scheiden: 1. solche, bei denen das Trauma zentral, d. h. auf die 
Medulla spinalis sive oblongata eingewirkt hat; 2. solche, bei 
denen periphere Organe, z. B. eine Extremität, betroffen wurde. 

Die nach peripherem Trauma entstandene Syringomyelie ist 
entweder auf eine Aktivierung einer vielleicht angeborenen Gliose 
des Zentralkanals' durch Entzündungserreger oder auf eine von 
den verletzten Stellen aus aufsteigende Neuritis zurückzuführen. 
Curschmann setzt eine kongenitale Anlage, eine Hemmungs¬ 
bildung im Rückenmark voraus. 

Laquer bringt die Auszüge der Kranken- und Gutachten¬ 
geschichte von drei Unfallverletzten, bei denen er den Zusammen¬ 
hang zwischen den einzelnen Unfällen (Verbrennung des Ellen¬ 
bogengelenks, Schnitt in die Bauchgegend, schwere Knochen- und 
Gelenkverletzung durch Verschüttung) und der Höhlenbildung im 
Rückenmark bejahte und von den richterlichen Instanzen an¬ 
erkannt wurde. 

3. Die Ausführungen von Tietze gipfeln in der Beantwor¬ 
tung von zwei Fragen: 

a) Kommen wirkliche Rißfrakturen des Fersenbeins vor? 

b) Ist die zuerst von Hueter geäußerte Ansicht, daß Fersen¬ 
beinbrüche niemals ohne dauernde Funktionsstörung ausheilen 
können, noch aufrecht zu erhalten? 

5 Bezüglich der Frage a bringt die Durchsicht der Röntgen¬ 
bilder von 22 Kalkaneusfrakturen den Verfasser zu folgenden 
Schlüssen: 

Es fand sich niemals eine Bruchform, die man als Rißfraktur 
hätte ansprechen müssen, es handelte sich vielmehr immer um 
Kompressionsfrakturen. Isolierte Brüche seitlicher Fortsätze des 
Kalkaneus (Sustentakulum tali, Prozessus trochlearis) wurden nicht 
beobachtet. Bei dem Zustandekommen der Kompressionsfrakturen 
kommen als entscheidende Momente in Betracht: Belastung von 
oben, Bodendruck, Bandapparat und Spaltrichtung des Knochens. 
Die Bruchform ändert sich in hohem Grade je nach der Richtung 
der einwirkenden Kraft. 

Ueber die Frage b gibt die Unfallstatistik näheren Auf¬ 
schluß : 

Von 76 Patienten, deren definitives Schicksal bekannt ist, 
wurden 24 = 32% vollkommen erwerbsfähig, die übrigen er¬ 
hielten Dauerrenten, und zwar mehr als die Hälfte durchschnitt¬ 
lich nur 15%. 

Noch einige Daten über die Therapie. Die mobilisierende 
Behandlung ist der fixierenden vorzuziehen. Tietze verfährt 
folgendermaßen: 

Q Gipsverband (gewöhnlich in Varusstellung) auf 10 bis 14 Tage. 
Danach Gipshülse mit Gehbügel, die den Fuß frei läßt und Massage 
und Uebungen gestattet. Nach 6 Wochen wird dieser Apparat mit 
einem gleichen aus Leder gefertigten vertauscht, über dem ein 
Schuh getragen wird. Uebungen und Massage werden noch 
längere Zeit fortgesetzt. Den Schienenhülsenapparat tragen die 
Patienten mindestens 1 /a Jahr. 

4. Die Erfahrungen, die Wahl an 321 in den letzten fünf 
Jahren behandelten Fällen sammelte, stimmen mit den Erfahrungen 
und Resultaten wohl der meisten Orthopäden überein: 

Die Heilungsresultate bei beweglicher Wirbelsäule sind 
vorzüglich zu nennen. Völlige Heilung, kann mit Sicherheit er¬ 
zielt werden. Behandlungsdauer drei Monate bis zwei Jahre. 

Größere oder geringere Besserungen sind auch bei fixierter 
Wirbelsäule mit Sicherheit zu erreichen. Freilich werden dabei 


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an den Eifer und die Geduld des Patienten und seiner Angehörigen 
noch größere Anforderungen gestellt. 

Bei der Behandlung der fixierten Skoliose bedient sich Wahl 
eines von ihm konstruierten Reklinationsbettes, das eine ähnlich 
stark adressierende Wirkung wie der Gipsverband entfalten soll. 
Desgleichen verwendet er noch ein besonders stark redressierendes 
Turngerät, das im wesentlichen aus einer am Scheitel der Krüm¬ 
mung angreifenden Gabel und einer Glissonschen Schlinge be¬ 
steht. Beide Geräte werden dem Patienten nach Hause mitge¬ 
geben. Ihre Konstruktion muß im Originalartikel, dem mehrere 
Figuren beigegeben sind, nachgelesen werden. 


Militärsanitätswesen. 

Referent: Dr. M. Poltzer, Generaloberarzt a. D. in Steglitz. 

1. Das Heeressanitätswesen während der Jahre 1906 und 
1907. Von Stabsarzt Dr. Georg Schmidt. Berl. klin. Wochen¬ 
schrift, 1908, 22. Juni, S. 1189. 

2. Erfahrungen aus dem südwestafrikanischen Eeldzug. 
Von Stabsarzt Dr. Franz-Berlin. Deutsche militärärztl. Zeit¬ 
schrift, 1908, H. 12, S. 497. 

3. Der deutsche Kriegssanitätsdienst. Von Oberstabsarzt 
Dr. Hahn. Der Militärarzt, 1908, Nr. 11. (Schluß.) 

1. Nachdem wir vor kurzem in einem Referat über „den 
deutschen Kriegssanitätsdienst“ von Oberstabsarzt Hahn einen 
Ueberblick über die wichtigsten, diesen Dienstzweig betreffenden 
Neuerungen gegeben haben, lassen wir nachstehend nach Stabs¬ 
arzt Dr. G. Schmidt einen ebensolchen über die Weiterentwick¬ 
lung unseres Sanitätskorps im Frieden folgen, indem wir das, 
was Sch. eingangs seiner Arbeit ebenfalls über die Veränderungen im 
Kriegssanitätsdienst bringt, als bereits besprochen übergehen. Als 
Aufsichtsinstanzen für die einheitliche Ausübung des militärärztl. 
Musterungs-, Aushebungs- und Invalidenprüfungsgeschäfts, sowie 
die fach technische Verwaltung der Sanitätsausrüstung, die Fort¬ 
bildung des Sanitätspersonals usw. sind vier preußische, eine 
bayerische und eine sächsische Sanitätsinspektion geschaffen, zu 
denen je ein Generalarzt als „Sanitätsinspekteur“ mit dem Range 
und den Gebührnissen eines Brigadekommandeurs, ein Stabsarzt 
und ein Sanitätsunteroffizier gehören. Alle Korpsärzte beziehen 
jetzt Regimentskommandeursgehalt, die zweite Gehaltsstufe ist 
weggefallen. Die patentierten Generaloberärzte erhalten wie die 
Oberstleutnants die Zulage von 1150 M. In Mainz ist die Garnison¬ 
arztstelle in die eines patentierten Generaloberarztes umgewandelt 
und als zweiter Garnisonarzt ein Stabsarzt kinzugekommen. An 
mehreren größeren Bezirkskommandos sind zur Disposition stehende 
Sanitätsoffiziere als Diensttuende mit Zulage neu angestellt. Neben 
den weiblichen Mitgliedern geistlicher Genossenschaften, die be¬ 
reits bisher in einzelnen Garnisonlazaretten vertragsmäßig an der 
Krankenpflege teilnahmen, gibt es jetzt „Armeeschwestern“, die 
meist den Vereinigungen der freiwilligen Krankenpflege entstammen 
und für die eine besondere Amtstracht vor geschrieben ist. In 
den Lehrplan der Kaiser Wilhelms-Akademie, an welcher die Zahl 
der Studierenden abermals vermehrt ist und deren Neubau in der 
Invalidenstraße seiner Vollendung entgegengeht, ist ein zahnärzt¬ 
licher Kurs sowie Unterricht durch einen Generalstabsoffizier im 
militärischen Kartenlesen und Krokieren eingefügt worden. Den 
Revierkrankenstuben sind besondere Untersuchungszimmer ange¬ 
gliedert, in den Lazaretten Licht-, Luft- und Sonnenbäder sowie 
Liegehallen eingeführt und die Röntgenabteilungen erweitert worden. 
In jedem Armeekorps wird eine Korps-Augen-, Korps-Ohrenstation 
und eine Korpsstation für Geschlechtskranke eingerichtet. Der 
Einrichtung psychiatrischer Abteilungen wurde bereits früher ge¬ 
dacht. Einige größere Lazarette erhalten eine zahnärztliche Ab¬ 
teilung unter Leitung eines Sanitätsoffiziers, der die zahnärztliche 
Staatsprüfung abgelegt hat. Bei den Sanitätsdepots in Posen 
und Koblenz werden besondere Anfertigungsstellen für Verband¬ 
päckchen eingerichtet. Am 13. Oktober 1907 wurde auf dem 
Gelände der ehemaligen Dettweilerschen Anstalt im Taunus im 
Aufträge des Kaisers als Grundherrn durch den Generalstabsarzt 
der Armee der Grundstein zu dem „Offizierheim Taunus“ für er¬ 
holungsbedürftige Offiziere und Sanitätsoffiziere gelegt. Bei Er¬ 
krankungen in der Familie der Unteroffiziere dürfen jetzt Pflege- 


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rinnen heran gezogen werden, für erholungsbedürftige Unteroffizier¬ 
frauen und -kinder sind, wie für Unteroffiziere und Mannschaften 
bereits seit längeren Jahren, ebenfalls Genesungsheime geschaffen 
worden, und zwar in Schloß Edstein im Taunus und im Seeheim 
Osternothafen bei Swinemünde (für das sächsische Heer in König¬ 
stein). Standorte, in denen Truppen Unterkunft und Lazarett 
räumlich weit auseinanderliegen, erhalten Garnisonkrankenwagen, 
in Berlin und Metz werden als solche vorläufig Krankenkraft¬ 
wagen der Heeresverwaltung benutzt. Weitere Neuerungen be¬ 
treffen die Militärgesundheitspflege, das Ersatz-, Entlassungs- und 
Versorgungswesen sowie die Dienstverhältnisse der freiwilligen 
Krankenpflege. Die amtlichen literarischen Veröffentlichungen der 
Medizinalabteilung des Kriegsministeriums und einzelner Sanitäts¬ 
offiziere, auf die hier jedoch nicht näher eingegangen werden 
kann, weisen eine stattliche Zahl wichtiger Arbeiten auf. 

2. Auch die Literatur über den südwestafrikanischen Feldzug 
mehrt sich. Zu den Arbeiten, über welche hier bereits referiert 
worden ist, tritt jetzt die des Stabsarztes Dr. Franz-Berlin. 
Wir erfahren, daß das Sanitätspersonal der Schutztruppe im Ver¬ 
gleich zu heimischen Verhältnissen sehr groß, und zwar doppelt 
so groß war, aus dem einfachen Grunde, weil bei jeder gesondert 
operierenden Kompagnie oder Batterie ein Sanitätsoffizier sein 
maßte. Ferner brauchte sie zwei bis drei Sanitatsmannschaften, 
weil sie nicht selten auf zwei bis drei räumlich getrennte Wasser¬ 
stellen verteilt war. Später mußten trotzdem in der Heimat in 
der Eile ausgebildete Militärkrankenpfleger hinausgesandt werden, 
da die freiwilligen Meldungen von Sanitätspersonal den Bedarf 
nicht deckten. Sie haben sich gut bewährt. Von mobilen Sani¬ 
tätsformationen waren zunächst nur zwei kleine Feldlazarette mit 
je 30 und später zwei große Feldlazarette mit je 200 Betten der 
Schutztruppe beigegeben, welche letztere in je sieben Teile ‘geteilt 
wurden, so daß schließlich einschl. eines Marinefeldlazaretts sieb¬ 
zehn Feldlazarette vorhanden waren. Wegen Transportschwierig¬ 
keiten konnten sie jedoch den Truppen nur selten folgen, meist 
blieben sie stationär. Die Schwierigkeiten der Unterbringung, 
Behandlung und Pflege der Kranken und Verwundeten waren 
groß. In einem Zelt für 20 Kranke mußten einmal 53 schwere 
Typhuskranke untergebracht werden, zudem war beim siebenten 
Feldlazarett an einem Tage das gesamte Personal einschließlich der 
Aerzte erkrankt. Ueber den Sanitätsdienst im Gefecht ist bereits 
in Nr. 19 dieser Rundschau einiges referierend mitgeteilt worden. 
Von 174 wahrend des Krieges tätigen Aerzten fielen 5, wurden 
verwundet 7 = 7,4% (bei den Japanern im Mandschurischen 
Kriege, die die Tätigkeit der Aerzte in der Feuerlinie besonders 
betonen, 2,7%). Das Verbandpäckchen hat sich bewährt, das 
andere Verbandstoffe einhüllende Pergamentpapier wurde jedoch 
infolge der Trockenheit der Luft sehr bruchig. Als sehr prak¬ 
tisch hat sich die Mitnahme der Schimmelbuschschen Verband¬ 
trommeln auf das Gefechtsfeld erwiesen; die Pravazschen Spritzen 
mit Asbest- oder Lederstempeln dagegen durchweg nicht, da sie 
nicht zogen. Bewährt haben sich die allerdings teueren' sogen. 
Rekordspritzen mit luftdicht ein geschliffenem Nickelkolben, wie 
sie ähnlich auch die englischen Aerzte im Burenkriege mit Vor¬ 
teil benutzten. Beifall fanden auch die dosierten sterilen Morphium- 
und Aetherinjektionen der Kadeschen Apotheke (Berlin), die, weil 
sie dosiert sind, auch dem Unterpersonal in die Hände gegeben 
werden können. Es war ratsam, den Verwundeten gleich von 
vornherein die Maximaldosis zu geben, manchmal waren zur Be¬ 
ruhigung auch 0,04 bis 0,06 notwendig. Die Armeekrankentrage 
hat sich im allgemeinen gut bewährt, besser noch waren zusammen¬ 
legbare Metalltragen, weil alles Hölzerne in Afrika schnell brüchig 
wird. Häufig mußten Tragen aus Stöcken, Zeltbahnen, Woylachs 
und Hafersäcken improvisiert werden, die sich jedoch namentlich 
beim Tragen durch enge Schluchten bewahrten. Aus alledem er¬ 
gibt sich die Wichtigkeit, in Kolonialkriegen für ein gutes Kranken¬ 
transportwesen zu sorgen. Die Verluste durch Eirankheiten hielten 
sich mit den Gefechtsverlusten die Wage: gefallen und an Wunden 
gestorben sind 644, an Krankheiten 649. Eine erschöpfende 
Statistik ist noch nicht möglich, da noch nicht alles Material dazu 
vorliegt, ebensowenig lassen sich schon jetzt endgültige Schlüsse 
ziehen. Die Heilung der Wunden war im allgemeinen bei der 
Trockenheit der Luft sehr günstig. Jodoformgazetampons be¬ 
wirkten häufig Eiterretentionen, Trotz fast drei Jahre langen 



•JÄSCHLÖS^ 




Biwakierens der Truppen kam kein einziger Fall von Tetanus ,'vöK ‘ 
Die Berkefeldfilter Raben versagt, sie waren durch das meist' 
lehmige Wasser sehr bald Verstopft. Die- fahrbaren Pietsche!- 1 
Hennebergschen Apparate waren sehr schwer beweglich, kamen 
oft erst sehr spät an die Wasserstelle der durstenden Truppen 
und lieferten auch nicht immer ein klares Sterilisat. Sehr wichtig * 
war es, daß jeder seinen Kot und Urin alsbald verscharrte, wie 
die Eingeborenen es tun, der Fliegen als Infektionsträger wegen. 
Ruhr war häufig, die Typhusschutzimpfung schien zwar die 
Qualität, nicht aber die Quantität der Erkrankungen zu beein¬ 
flussen. Malaria war im allgemeinen selten. Wo Anopheles¬ 
mücken vorkamen, wurde wöchentlich zweimal je 1,0 Chinin ge¬ 
geben. — Die Anfälle wurden dadurch nicht verhindert. Skorbut 
war häufig, die häufigste Erschöpfungskrankheit, wahrscheinlich 
infolge von Unterernährung und Mangel an Schlaf, Erkrankung 
der Herzmuskulatur. 

3. Die drei Sanitätskompagnien und zwölf Feldlazarette eines 
Armeekorps bilden jetzt zusammen ein Sänitätsbataillon, dessen 
Kommandeur beide Formationen in disziplinärer und truppeiidienst- 
licher Beziehung, nicht aber hinsichtlich des sanitären Dienst¬ 
betriebes unterstellt sind. Die Sanitätskompagnie hat jetzt 208 
Krankenträger (früher 160). Ihr angeschlossen — nicht unter¬ 
stellt — sind der Chefarzt (Oberstabsarzt), zwei Stabs- und fünf 
Assistenzärzte (das frühere „Sanitätsdetachement“ hatte keinen 
Chefarzt, sondern nur einen „ersten Stabsarzt“). Der Chefarzt 
hat innerhalb seines Dienstbereiches über das Sanitätspersonal die 
\Strafgewalt eines Kompagniechefs. Tritt die Sanitätskompagnie 
in Tätigkeit, so hat der Kommandeur bezüglich des Sanitäts¬ 
dienstes den Anforderungen des Chefarztes Folge zu geben und ihm 
das geforderte Personal und Material zur Verfügung zu stellen. 
Für den Hauptverbandplatz sind jetzt Azetylenbeleuchtungsgeräte 
eingeführt, und zwar sowohl zum Auf suchen der Verwundeten im 
Dunkeln (als Patrouillenlampen) als auch für die Signalvorrichtung 
des Hauptverbandplatzes und das Verbindezelt (als Signallaterne 
und Zeltlampe). Mit der Errichtung des Hauptverbandplatzes soll 
grundsätzlich so lange gewartet werden, bis die Gefechtslage eine 
andauernde und wirksame Tätigkeit der Sanitätskompagnie in 
nicht zu weiter Entfernung vom Orte der Verluste gewährleistet. 
Dabei ist von vornherein eine Vereinigung der Truppenverband¬ 
plätze mit dem Hauptverbandplatz anzustreben. Den Platz für 
diesen sucht jetzt nach Eingang des Befehls zur Errichtung der 
Chefarzt aus (früher bestimmte ihn der Divisionskommandeur oder 
Divisionsarzt), der Kommandeur führt die Kompagnie dorthin, 
übergibt dem Chefarzt Personal und Material, marschiert mit 
den Krankenträgern und Krankenwagen auf das Gefechtsfeld und 
entscheidet, ob letztere bis an den Ort der Verluste folgen können 
oder ob und wo sie Halt zu machen haben (Wagenhalteplatz). An 
Stelle der früheren weißen und roten Wundtäfelchen ist jetzt ein ein¬ 
heitliches Muster getreten, an dessen Längsseiten sich zwei abrei߬ 
bare rote Streifen befinden. Bei marschfähigen Verwundeten werden 
beide abgerissen, bei transportfähigen nur einer. — Von wichtigeren 
Veränderungen im Bereich der Etappe ist bereits der Hinzutritt 
eines Hygienikers und eines Korpsstabsapothekers zu dem den 
Sanitätsdienst im Bereich der Etappeninspektion leitenden Etappen¬ 
arzt erwähnt, ebenso die Neueinführung der Feld-Röntgen-Wagen 
und der fahrbaren Trinkwasserbereiter. Bei der Kriegs! azarett- 
abteilnng (früher Kriegslazarettpersonal) befindet sich jetzt ein 
Zahnarzt, worüber wir bereits früher berichtet haben, und ein 
Instrumentenmacher Für die Krankenverteilung ist jeder Etappen¬ 
inspektion eine Krankentransportabteilung unter einem Chefarzt 
(Oberstabsarzt), der den Befehl führt und die Strafgewalt eines 
Kompagniechefs hat, beigegeben. Dieselbe Strafgewalt hat der 
Chefarzt eines Lazarettzuges über das militärische Zugpersonal 
und die im Zuge befindlichen Unteroffiziere und Mannschaften 
(analog also dem Chefarzt eines Feldlazaretts, während die Chef¬ 
ärzte der Kriegs- und Etappenlazarette über letztgenannte Chargen 
keine Strafgewalt haben). Die Einrichtung der Hilfslazarettzüge 
beschränkt sich jetzt nicht mehr auf das Hamburger System (mit 
sogen. Teufelsklauen, an denen die Tragen hängen) und das System 
nach Grund (Stellung der Tragen auf Blattfedern mit Rollen), 
sondern die Tragen können jetzt auch in der Linxweilerschen 
Vorrichtung, der Hundsieckerschen Halbbehelfsvorrichtung und 
im Wulff-Hohwannschen Krankentragegestell gelagert werde» 


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UNIVERStTY OF MICHIGAN 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


1908. 


493 


(näheres hierüber siehe Krankenträgerordnung vom 15. Mai 1907). 
— Im Bereiche der Besatzungsarmee werden die Friedenssanitäts- 
inspektionen für die Dauer des Krieges aufgelöst Den stellver¬ 
tretenden Korpsärzten steht in Zukunft nicht nur ein beratender 
Chirurg zur Seite, sondern es werden auch andere nicht dienst¬ 
pflichtige Fachärzte von Ruf schon im Frieden für einen be¬ 
stimmten Bezirk vertragsmäßig als Beiräte verpflichtet. Der 
Garnisonarzt einer armierten Festung hat in Zukunft über das 
Sanitätspersonal der Festung die Disziplinargewalt eines nicht 
selbständigen Bataillonskommandeurs. Berechtigt zur Unterstüt¬ 
zung des Kriegssanitätsdienstes sind jetzt auch andere Vereine 
und Gesellschaften — früher hatten sie nur die deutschen Landes¬ 
vereine vom roten Kreuz und die mit ihnen verbündeten Vereine 
und die Krankenpflege-Ritterorden. Im allgemeinen — und dies 
wird noch stärker als früher betont — hat sich die freiwillige 
Krankenpflege auf die Unterstützung der amtlichen ira Heimats¬ 
und Etappengebiet zu beschränken. Ganz neu, wie die Regelung 
des Sanitätsdienstes bei der Kavallerie, ist schließlich die des 
Sanitätsdienstes bei den Kriegsgefangenen. Verwundete und 
Kranke werden, was selbstverständlich ist, wie die des eigenen 
Heeres behandelt, ihre Ueberführung in Vereinslazarette und 
Privatpflegestätten ist jedoch ausgeschlossen. Kriegsgefangene im 
feindlichen Lande, die so schwer krank sind, daß sie, wenn über¬ 
haupt, erst nach langer Zeit wieder dienstfähig werden, werden, 
falls es ohne Härten geschehen kann, den Ortsbehörden übergeben. 
Kriegsgefangene mit ansteckenden Krankheiten werden erst nach 
Beseitigung ihrer Ansteckungsfähigkeit und Desinfektion ihrer 
Sachen vom Kriegsschauplatz entlassen und den Gefangenendepots 
zugeführt. Alle Kriegsgefangenen sind der Schutzpockenimpfung 
zu unterziehen. In Lazaretten werden sie gesondert untergebracht, 
zeitweilig und in nicht zu langen Pausen, je nach der Entschei¬ 
dung durch die Kommandobehörden, werden Todesanzeigen und 
letztwillige Verfügungen von Kriegsgefangenen durch Parlamentäre 
den feindlichen Behörden mitgeteilt. 

Im Anschluß an die hiermit beendete kurze Uebersicht sei 
eines Vorschlages gedacht, den nach einer Notiz im „Militärarzt“ 
vom 12. Juni 1908, Nr. 11, S. 174, der französische Militärarzt 
Foliefont auf Grund seiner Erfahrungen im russisch-japanischen 
Kriege machte (s. Renaut, Presse med., 1907, S. 565): Folie¬ 
font beobachtete die instinktive Errichtung von Verwundeten- 
Nestern an den durch das Gelände hierzu geeigneten Orten. Auch 
wir meinen, daß dies im Reglement berücksichtigt werden sollte, 
indem wir hinzufügen, daß der Instinkt bekanntlich ja auch das 
Tier lehrt, sich, wenn es krank ist, den geschütztesten Ort selbst 
auszusuchen. 

3. Wie sich aus der ueuen Felddienstordnnng ergibt, fällt 
der Begriff des Sanitätsbataillons als Zusammenfassung der Sani¬ 
tätskompagnien und Feldlazarette unter einem besonderen Kom¬ 
mandeur wieder fort. Erstere gehören zu den Infanterie-Divisionen, 
letztere, wie bisher, zu den Trains. 


Mitteilungen über Arzneimittel. 


Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. Ein neues Keuchhustenmittel. Von Dr. Kaupe. Münch, 
med. Wochenschr., 1908, Nr. 27. 

2. Fibrolysin bei Hepatitis interstitialis. Von Dr. Moerlin. 
Ibidem. 

3. Zur Therapie des Keuchhustens. Von Dr. Bodenstein. 

Deutsche med. Presse, 1908, Nr. 13. 

1. Kaupe hat recht, wenn er sagt: „Die Zahl der gegen 
Pertussis empfohlenen Mittel ist Legion und gerade der Umstand, 
daß immer wieder neue auftauchen, ist der beste Beweis für die 
Unzulänglichkeit.* Und Referent möchte hinzufügen: „Nicht 
allein dies, sondern auch die Tatsache, daß jeder Praktiker sofort 
und gern jedes neue Keuchhustenmittel aufgreift, das auf den 
Markt gebracht wird, und wünscht, dieses möchte doch^ endlich 


ein wirkliches „Heilmittel“ der lästigen Kinderplage sein, beweist 
die Richtigkeit der von Kaupe aufgestellten Behauptung.“ Darum 
sind wir bemüht, sobald uns Kenntnis wird von einem neuen 
Präparat gegen Pertussis, dieses zu prüfen, Berichte darüber zu 
sammeln und zu sichten, um es weiter zu empfehlen, wenn es 
einer Empfehlung würdig ist. Was das neue Präparat anlangt, 
das K. empfiehlt, so handelt es sich um ein von der Societe ano¬ 
nyme „La Zyma u in Aigle (Schweiz) hergestelltes Dialysat der 
Herba Thymi und Pinguiculae. Das letztere Kraut soll nach An¬ 
gabe der Fabrik ein proteolytisches Ferment enthalten; der 
Thymian wird ja schon lange als ein mehr oder weniger zuver¬ 
lässiges Mittel bei Keuchhusten angesehen. Nach dem Berichte 
K.s nun erscheint die Verbindung beider Kräuter nicht ungeschickt 
zu sein; denn danach muß man eine günstige Beeinflussung der 
Krankheit zugestehen. Bei einem Kinde eines Arztes „Heilung 
mit einem Schlag“, wie der betreffende Vater sich ausdrückte. 
In einigen 60 Fällen hat K. diese überraschende Wirkung beob¬ 
achtet und nur in 2 oder 3 Fällen ein Mißlingen der Kur kou- 
statieren können. Er fand auch, daß bei beginnendem Leiden 
das spasmodische Stadium ausblieb, und daß in ausgebildeten 
Fällen die Anfälle schon nach ein bis zwei Tagen seltener und 
vor allem bedeutend leichter wurden. Auch schien die Dauer 
der Krankheit ebenfalls ganz erheblich abgekürzt zu werden. Das 
Dialysat soll folgendermaßen verabfolgt werden: Kinder unter 
fünf Jahren erhalten morgens und abends nüchtern einen Tropfen 
in einem Eßlöffel Wasser, und zwar bis zur Abnahme der Anfälle. 
Dann soll man auf zwei bis drei Tropfen (morgens und abends) 
steigen bis zur eingetretenen Heilung. Sollten die Anfälle wieder¬ 
kehren, so empfiehlt sich ein langsamer Rückgang auf wiederum 
zweimal täglich einen Tropfen. Kinder über fünf Jahre beginnen 
mit zwei Tropfen und steigen auf drei oder vier Tropfen, eben¬ 
falls morgens und abends. Irgendwelche Nebenerscheinungen hat 
K. nicht gesehen ; auch nehmen die Kinder das Mittel leicht. Einen 
Versuch mit dem Diatysat sollte man immerhin machen. 

2. Moerlin berichtet über einen Fall von Hepatitis inter¬ 
stitialis, bei dem er durch Fibrolysininjektionen eine hervorragende 
Wirkung erzielte. Von dem Gedanken ausgehend, daß bei der 
genannten Krankheit die Funktion der Leber durch dem Narben¬ 
gewebe ähnliche Bindegewebsstränge gestört ist, wandte er zur 
Lösung der letzteren Fibrolysin an und gab gleichzeitig Karls¬ 
bader Salz und wegen pappigen Geschmacks Salzsäuremixtur. Aus 
der Krankengeschichte geht hervor, daß die anfangs stark ge¬ 
schrumpfte Leber nach der vierten Injektion wieder unterhalb 
des Rippenrandes fühlbar, die Bauchwassersucht gänzlich ver¬ 
schwunden war. Das Allgemeinbefinden war vorzüglich, Appetit 
sehr gut. Nach der sechsten Einspritzung machte der Kranke 
schon wieder leichte Feldarbeiten. Weitere Beobachtungen müssen 
lehren, inwieweit das Fibrolysin imstande ist, die Leberzirrhose 
günstig zu beeinflussen. Der günstige Bericht M.s ermuntert zu 
weiteren Versuchen. 

3. Wieder erhebt sich eine Stimme, die das Bronchisan als 
„Keuchhustenheilmittel“ empfiehlt. Bodenstein hat an zwölf 
Fällen von Pertussis das Präparat (eine mit Succ. Liquirit. und 
Thymian versetzte Pyrenollösung) versucht und hebt insbesondere 
folgende Eigenschaften dieses Mittels hervor: 1. Die expek- 
torierende, sekretionsbeschränkende, desinfizierende und antipyre¬ 
tische Pyrenolwirkuug des Bronchisan konkurrieren in unver¬ 
gleichlich günstiger Weise bei Pertussis. 2. Die kal- 
mierende und sedative Wirkung kommt zur Verminderung der 
Frequenz sowie Intensität der einzelnen Hustenaufälle und zur 
Beruhigung der Nerven dem Keuchhusten wesentlich zu statten. 
3. Von den bisherigen Keuchhnstenmitteln hat Bronchisan außer 
der größten Sicherheit der Wirkung (?) noch den unschätzbaren 
Vorteil der Herzstärkung [der herzanregende Einfluß des Pyrenols 
(sic!)] voraus, während von den bekannten Antipyretizis und den 
Alkaloiden sowie den meisten der übrigen bisher gegen Keuch¬ 
husten üblichen Mitteln gerade das Gegenteil behauptet werden 
kann. — Nun, andere Autoren behaupten dies wieder von Bron¬ 
chisan, dem sie skeptisch gegenüberstehen. Obige Auslassungen 
erscheinen doch ein wenig zu enthusiastisch. Der unbefangene 
Kritiker entnimmt den vielen widerstreitenden Meinungen soviel, 
daß das Heilmittel gegen Pertussis bis heute noch nicht ge¬ 
funden (Refer.). 




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rcHfQAN 







494 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 32 


wodurch die jederzeitige Anbringung auf Bettstellen von jeder 
beliebigen Breite und Länge ermöglicht wird. (S. Abb.) 

Eine leichte Zusammenlegbarkeit und Aufstellbarkei t 
des Apparates wird durch vier Streben ermöglicht, welche 
einerseits an die Füße im Doppelscharnier angelenkt, anderer¬ 
seits mit zwei auf der oberen Quergestellstange verschieb¬ 
baren, mittels Klemmschrauben feststellbaren Muffen gelenkig 
verbunden sind. 

Durch einfaches Festklemmen der Muffen auf der Stange 
wird die Feststellung des ganzen Bockes in jeder beliebigen 
Stellung ermöglicht. Die durch eine starke runde Stahlrohr¬ 
stange verbundenen Obergestellenden tragen die nach unten 
hängenden Lager der Windevorrichtung. Letztere besteht aus 
zwei auf einer Stahlrohrwelle befestigten Trommeln, welche 
von einer Kurbelwelle aus durch Zahnräderübersetzung in 
Drehung versetzt werden und auf je einer spiralig gekerbten 



Technische Neuerscheinungen. 

Ein neuer Kranken-Hebe-Apparat. 

Von Dr. Carl Peters, Eisenach. 

Großes Interesse in allen ärztlichen Kreisen, ganz be¬ 
sonders in den klinischen, erweckt der seit etwa Jahresfrist in 
die Praxis eingeführte neue, reichspatentierte Kranken-Hebe- 
Apparat nach Dr. Peters-Eisenach. 

Er ist dem Wunsche entsprungen, schwerkranken, ge¬ 
lähmten (Apoplexie, Hemiplegie), dauernd komatösen (Typhus, 
Meningitis), operierten (Laparotomie), schwerverletzten (Rück¬ 
grat-, Beckenverletzungen etc.) Patienten die hochgradigen Be¬ 


schwerden und Schmerzen zu erleichtern, wenn nicht ganz zu 
ersparen, die für sie mit dem Umbetten, Wechseln der Unter¬ 
lagen oder größeren Verbände, Ordnen des Bettes etc. ver¬ 
bunden sind. Die meisten derartigen Kranken haben vor diesen 
oft genug täglich sich wiederholenden Prozeduren eine heillose 
Angst, oft sogar mehr als vor der Operation selbst, weil das 
passive Heben des häufig schweren Körpers selbst von gut ge¬ 
schultem Wartepersonal nie so gleichmäßig und ruhig ge¬ 
schehen kann, daß nicht dem Kranken ganz erhebliche Be¬ 
schwerden und Qualen verursacht werden. Dieses Ziel wird 
durch den Peters sehen Krankenhebeapparat in vollkommener 
Weise erreicht. 

Der Apparat ist so einfach konstruiert, daß er bei jedem 
Bett, jeder Tragbahre, jedem Operationstisch benutzt werden 
kann. Er setzt sich zusammen aus: 

1. einem aus vernickeltem Stahlrohr gefertigten, auf vier 
Stativen ruhenden Bock mit einer Winde Vorrichtung, welcher 
von großer Leichtigkeit, schnell zusammenlegbar und für selbst 
ungünstige Standorte sicher aufstellbar ist, ohne je mehr als 
eine Stellschraube für zwei Stative zu benötigen. Zu diesem 
Zwecke sind die Stative in den Enden des Obergestells dop¬ 
pelt gelenkig gelagert, so daß sie sowohl beliebig seitlich ge¬ 
spreizt, als auch vor- oder rückwärts gestellt werden können, 


Rolle je ein starkes Drahtseil aufwickeln; an diesen beiden 
Seilen ist frei schwebend eine Stahlrohrstange angebracht, an 
welche die Ketten der eigentlichen Hebegurten befestigt werden. 

2. Aus den zum Anlegen an den Kranken bestimmten 
Teilen, nämlich: 

a) einer schaufelförmigen, muldigen Kopfstütze, die durch 
eine nach hinten ausgebogene Stange mittels Klemmschraube 
in einem Rohr befestigt ist, das rechtwinklig geknickt in dem 
oberen Ende der frei schwebenden, zum Heben des Kranken 
bestimmten Querstange mittels Klemmschraube verschiebbar 
eingelassen ist. Dadurch wird eine ausgiebige Verstellung der 
Kopfstütze in vertikaler und horizontaler Richtung ermöglicht. 
Um ein Unterlegen der Kopfstütze unter den Kopf ohne Heben 
desselben — z. B. bei schweren Kopfverletzungen — zu ermög¬ 
lichen, ist in der Mitte der die Schaufel tragenden gebogenen 
Stange ein Gelenk angebracht, das ein Unterschwingen der 
nach hinten gehobenen Schaufel unter den Kopf gestattet; 

b) drei zangenförmigen, breiten, mit Leder weich' ge- 
olsterten Greifern, welche den Kranken umfassen und sich 
ann selbsttätig durch die Schwere des Körpers schließen. 

Diese drei Greifer — ein großer für die Schulter, ein mittel¬ 
großer für das Becken, ein kleiner, mit zwei an den Enden 
aufwärts gebogenen Schenkeln, für die Unterschenkel — 












'v* v^sr*" t 


THM^PEÜTISCHE RUNDSCHAU. 


495 


hängen ^, s |^ T imer oben mit einem Ring versehenen starken 
Kette • unä werden — nach Anlegung an den Kranken — mittels 
dieses Ringes an drei frei auf der Schwebestange beliebig ver¬ 
stellbares Haken befestigt. Durch Anziehen der Windetrommeln 
von einer Kurbel aus wird durch die auf den Rollen sich 
aufwickelnden zwei Drahtseile die Schwebestange, an der 
der Kranke — mit dem Kopf auf dem Kopfhalter, mit dem 
Leibe in den drei Klammern ruhend — hängt, gehoben, und 
damit eine passive gleichmäßige Hebung des Kranken be¬ 
wirkt, ohne jegliche Stoß- oder Zugbewegung; in dieser Schwebe 
können bequem Verbandwechsel aller Art vorgenommen werden, 
während gleichzeitig die Unterlagen, Betten etc. gewechselt 
und zurecht gemacht werden können.' Der Apparat arbeitet so 
leicht, daß er von einer Schwester bedient werden kann. Dabei 
ist jeder Körperteil erforderlichenfalls zwecks Verbandwechsels 
freizulegen, ohne eine aktive Bewegung des Patienten zu erfordern. 

Die Hauptvorzüge des Apparates sind kurz folgende: 

1. Leichte Transportabilität infolge des verhältnismäßig 
geringen Gewichts; 

2. die Leichtigkeit seiner Bedienung durch nur eine Person; 

3. die schnelle und einfache Zusammenlegbarkeit und Auf¬ 
stellung ;. 

4. die Möglichkeit der Anbringung auf jedem Bettgestell; 

5. die bequeme Anlegbarkeit der zangenförmigen Lager¬ 
gurte, ohne daß der Kranke im geringsten bewegt wird; 

6. die sichere, gleichmäßige Hebung des Kranken, die jede 
Schmerzempfindung beim Heben ausschließt. 

Der Apparat, der die Beachtung der weitesten ärztlichen 
Kreise verdient, hat das Hauptfeld seiner Anwendung in chirurgi¬ 
schen, gynäkologischen und medizinischen Kliniken, in allge¬ 
meinen Krankenhäusern, Lazaretten, namentlich auch Feld¬ 
lazaretten, wobei infolge der leichten Transportabilität für jede 
Station ein Apparat genügt, findet aber auch bei den Rettungs¬ 
gesellschaften, Unfallstationen etc. in größeren Städten zur 
leichteren, schmerzlosen Hebung und Aufbahrung Schwerver¬ 
letzter auf die Transportbahre ausgiebige praktische Ver¬ 
wendung. 

Knochenstoff in colloider Form, ist das leicht verdauliche und leicht 
assimilierbare, seit Jahrzehnten in der ärztlichen Praxis erprobte Antiraehiticnm 

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menschlichen Knochengerüstes. 

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Firma Wilhelm Holzhauer in Marburg übertragen wurde, ist 
seit ca. einem Jahre in einer Reihe von Kliniken und Kranken¬ 
häusern, besonders Süddeutschlands, zur Einführung gekommen 
und bewährt sich im praktischen Gebrauch auf das vortreff¬ 
lichste— zu gleich großer Befriedigung und Freude von Aerzten 
und Kranken. 


□ 


Bücherbesprechungen. 


□ 


NorVÖSO Zustände. Neue Wege zu ihrer Erkenntnis 
und Behandlung von Dr. med. Lots in Friedrichroda. Verlag 
Otto Salle, Berlin. Preis 1,50 M. 77 S. 

In seiner Broschüre legt Lots die Ergebnisse nieder, die 
sich aus seiner langjährigen Erfahrung herauskristallisiert haben 
und die kennen zu lernen um so interessanter ist, als sie lebhaft 
zur Kritik herausfordem. L. sieht in der Nervosität nicht eigent¬ 
lich eine Krankheit, sondern eine Abwehrerscheinung des Organismus 
gegen eine Vernachlässigung der Tätigkeit der Haut im Ginne 
eines dem Zentralorgan latente Kraft zuführenden nervösen Organes. 
Es ist also die Nervosität eine Reaktion analog der Drüsenschwel¬ 
lung, dem Fieber etc., und sie verdankt ihre Existenz den Ein¬ 
flüssen unseres Kulturlebens. Obwohl Lots’ Anschauung auch 
„nur“ Hypothese ist — freilich eine, die ihm durch die Geschichte 
und durch die praktische Erfahrung bewiesen zu sein scheint —, 
verdient sie entschieden eine kritische Beleuchtung und Prüfung, 
nicht allein weil sie ein erfahrener Praktiker ausspricht, sondern 
vor allem weil sie der Neurasthenie den Anschluß an die physio¬ 
logischen Prozesse vermittelt, der ihr bisher nicht zugebilligt 
wurde — und je mehr wir hinter das Geheimnis der Pathologie 
kommen, eine „abgeartete“ Physiologie zu sein, desto besser für 
unsere Therapie, desto weiter werden wir uns von der lokalen 
Behandlung entfernen. Auch im Abschnitt über die Therapie der 
Nervosität bringt L. einige beachtenswerte neue Resultate seiner 
Erfahrung, so daß man das Buch bestens empfehlen und ihm eine 
gute Prognose stellen kann. Lungwitz -Berlin. 


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- = deren Komplikationen. ■========= 

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kranke günstige Höhenlage, d. i. mittlere Gebirgslage, welche sich auch furlerrain- 
kuren eignet; — 3. Eine geeignete Trinkkur, um die mannigfaltigen Ursachen und 
Folgen der Herz- und Adererkrankungen: Gicht Fettsucht Diabetes, Blutstauungen 
in Lungen -und Unterleibsorganen. Storungen der Gallensekretion, Verdauungsstörungen 
"zu bek. mpfen Diese Forderungen erfüllt Bad Orb. Seme 
an Kohlensäure überreichen Solsprude), seine Lage in den 
Ausläufern der Spessartberge, seine ]WartAl«ISQUelle 
machen Bad Orb zu einem Heilbade erst Rang f d \ ielf 
Ursachen u Komplikationen der Herzfehler. Versd. d Mar 
tinusquelle 30 Fl M. 18,—, an Arzte M 7,50. Kurdirektion. 



LüngenerKranKungeri 

und die Arminiusqueile in Lippspringe. 

Die Arminiusqueile in Lippspringe wurde im Jahre 1907 von fast 7000 Lungen¬ 
kranken — gegen ca. 6000 iin Jahre 1905 — besucht. Eine Reihe von Versicherungs¬ 
anstalten, Vereinen, Gemeinden, Stiftungen usw. schickte Kianke mit bestem 
Erfolge; z. B. die Versicherungsanstalt Westialen hess m den letzten Jahren 
jährlich 600 Versicherten eine Kur an der Arminiusqueile zuteil werden. 
Ueber die hier in freier Kur erzielten aus^eioideutlichen Heilerfolge vergleiche 
die Jahresberichte der Landesversicherungsaustalt Westialen. Der Jahresbericht 
des Barmer Vereins für Gemeinwohl pro 1904 sagt z. B.: „Bei dem Vergleich der 
Kurerfolge von Lippspringe mit den anderen lvuroueti hezw. Anstalten tur Lungen¬ 
kranke steht Lippspringe an erster Stelle.' — Dev neu ent>tandene Kurbriinnen 
sieht mit der seit 70 Jahren bewährttn Arminiusqueile und deren Vmw.-i ung 
nicht in Verbindung. Jede weitere Auskunft eiteil die Brunnen-Administi ai ;n *’ 

• Lippspringe, Westf. (Bahnstation). Arminiusqiie' ** 






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496 


THERAPEUTISCHE. RUNDSCHAU. 





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*G. m. b. K., Bwlin 

Literatur und 1 

IW* Parametritis, Perime¬ 
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Wochenschrift für die gesamte Therapie des praktischen Arztes. 


0. Anton, A. Dfihrssen, C. A. Ewald, E. Friedberger, P. Gerber, 
Halle a. S. Berlin. Berlin. Berlin. Königsberg. 

H. Schlange, Ad. Schmidt, H. Schmidt-Rimpier, 

/ Hannover. Halle a. S. Halle a. S. 

/-—-"V 

Redaktion: 

Berlin S. 14, Dresdenerstr. 44. Tei.iv, 11773 . 

Dr. med. et phil. H- Lungwitz. 


Herausgegeben von 



R. Robert, M. Koeppen, M. Mosse, K. Partsch, HARosin, 
Rostock. Berlin. Berlin. Breslau. Berlin. 

H. Senator, R. Sommer, H. Unverricht, 0. Vulpius, 

Berlin. Gießen. Magdeburg. Heidelberg. 


Verlag u. Expedition: Carl Marhold Verlagsbachhandlang 
in Halle a. S., Reilstraße 80. 

Tel.-Adr.: Marhold Verlag Hallesaale. Fernsprecher 823. 


Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte der Ostsee and der 

Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 


II. Jahrgang. 


Halle a. S., 16. August 1908. 


Nr. 33. 


Die , 


.. D . . a »1 h ® ra P e u V f, c h e Ru ni ds cha u“ erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2 M., einzelne Nummer 20 Pf. Bestellungen nehmen jede Buchhandlung, 
S,« Post sowie die Geschäftsstelle: Carl Marhold VerlagsbuchhandJ ungm Halle a. S. entgegen Inserate werden für die 4gespaltene Petitzeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. berechnet. Beilagen nach Uebereinkunft. Reklamezelle 1,50 M. Bei größeren Aufträgen wird Rabatt gewährt 

_ Nachdruck der Original-A ufsätze ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. — Nachdruck der anderen Rubriken ist nur mit Quellenangabe gestattet 

Inhalt. 


1. Originalen: 

1. A. Scharff, Calbe a. S.: Ueber Anwendung und Wirkung der 
Pyozyanase bei Infektionskrankheiten, besonders bei Diphtherie. 497 


II. Referate: 

1. 0. Fellner, Wien: Eklampsie (Sammelreferat).502 

2. H. Landau, Berlin: Chirurgie.503 

3. C. Bachem, Bonn: Pharmakologie.504 

III. Mitteilungen über Arzneimittel: 

. W. Krüger, Magdeburg: Referate.505 


IY. Technische Neuerscheinungen: 

M. Plien, Berlin: Präzisions-Gärungs-Saccharometer mit Queck¬ 
silberfang .506 

Y. Bücherbesprechnngen: 

W. B. Müller, Berlin: Narkologie. (Referent H. Försterling, 

Mörs.506 

YI. Korrespondenz.507 


□ ORIGINALIEN. □ 


Ueber Anwendung und Wirkung 
der Pyozyanase bei Infektionskrankheiten, 
besonders bei Diphtherie. 

Yon Dr. med. A. Scharff, Calbe a. S. 

Eine außergewöhnlich lange anhaltende Diphtherieepidemie 
gab mir in den letzten Jahren Gelegenheit, eingehende Unter¬ 
suchungen über diese Krankheit und ihre Behandlung anzu¬ 
stellen. Wenn auch, dank dem Heilserum, die Sterblichkeit 
eine nicht zu hohe war, so gab es doch immer wieder Fälle 
zu sehen, bei denen das Heilserum versagte, ferner solche, bei 
denen trotz wiederholter Einspiitzungen die Beläge sich nur 
langsam zurückbildeten und nach langer Krankheit schwere 
Nachkrankheiten zurückblieben. In einigen Fällen war diese 
ungenügende Wirkung des Heilserums offenbar darauf zurück¬ 
zuführen, daß außer Diphtheriebazillen noch Strepto- und 
Staphylokokken als Krankheitserreger tätig gewesen waren. 
In solchen Fällen versagten auch alle Mittel, die neben dem 
Heilserum teils innerlich, teils lokal verordnet wurden. 

Der Wunsch lag daher nahe, ein Mittel zu besitzen, welches 
neben dem Heilserum besonders in Fällen sogenannter Misch¬ 
infektion wirksam sein könnte. Durch die Veröffentlichung 
der Arbeit von Emmerich, „Die Pyozyanase als Prophylak- 
tikum und Heilmittel bei bestimmten Infektionskrankheiten“ in 
Nr. 45 und 46 der „Münchener medizinischen Wochenschrift“, 
wurde ich nun auf die Pyozyanase aufmerksam gemacht, und 
nachdem ich zuerst vergeblich versucht hatte, dieses neue 
Mittel zu bekommen, gelang es mir, von dem bakteriologischen 
Institut Lingner in Dresden die nötigen Versuchsmengen Pyo¬ 
zyanase zu erhalten. Ich habe nun die Pyozyanase in 89 Fällen 


von Infektionskrankheiten, darunter 25 Fällen von Diphtherie, 
angewendet und möchte im folgenden über die damit gemachten 
Erfahrungen berichten. 

Ueber die wissenschaftlichen Grundlagen der Pyozyanase- 
behandlung will ich hier nicht schreiben und verweise die, 
denen sie noch fremd sind, auf die Originalarbeiten von Em¬ 
merich und anderen, auch auf die im „Bakteriologischen 
Institut Lingner“ bearbeitete Schrift „Ueber Pyozyanase und 
ihre Anwendung bei Infektionskrankheiten“, die auch ausführ¬ 
liches Literaturverzeichnis enthält. 

Ueber weitere Versuche, die in dem hygienischen Institut 
der Universität Berlin angestellt wurden, berichtet Schapiro 
in der „Hygienischen Rundschau“ (Nr. 8 vom 15. April 1908). 
Durch diese Versuche wurden die Beobachtungen von Em¬ 
merich und Löw und anderen, betreffend die bakterizide 
Wiikung der Pyozyanase, bestätigt. Ich will von den Ergeb¬ 
nissen der sehr interessanten Untersuchungen nur folgende 
zwei Punkte hervorheben: 1. die Pyozyanase entfaltet auf be¬ 
stimmte Bakterienarten, wie Diphtheriebazillen, Gonokokken, 
Streptokokken usw. eine starke bakterizide Wirkung; 2. die 
schädliche Wirkung auf Tierorganismen — Mänse, Meer¬ 
schweinchen — hält sich namentlich bei den neueren Prä¬ 
paraten in mäßigen Grenzen, die Verabreichung per os wurde 
von den Tieren am besten vertragen. Auf weitere Einzelheiten 
kann ich hier nicht eingehen, muß vielmehr wieder auf die 
Originalarbeit verweisen. 

Ferner hat Mühsam gemeinschaftlich mit Weil im 
Krankenhause Moabit Versuche angestellt, die ergaben, daß 
Pyozyanase bakterizid auf Diphtheriebazillen wirkte. („Ueber 
Pyozyanasebehandlung der Diphtherie“ von Oberarzt Dr. Richard 
Mühsam. Deutsche med. Wochenschr. Nr. 6 vom 6. Februar 
19 ° 8 .) 

Experimentelle Versuche über die bakterizide Wirkung der 
Pyozyanase habe ich nicht anstellen können, ich habe das 
Mittel am Krankenbett erprobt und zwar nicht wie die bis¬ 
herigen Beobachter im Krankenhaus, sondern in der Privat¬ 
praxis. Da ich auf die früheren Arbeiten über Pyozyanase¬ 
behandlung noch öfter zurückkommen muß, möchte ich gleich 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU, 


vorteilhaft, indem die Kinder dabei den Mund so b weit öffnen, 
daß sich die Besprayung des Rachens ausführen läßt, ohne daß 
man genötigt ist, die Zungenwurzel mit dem Löffelstiel nieder¬ 
zudrücken. In einigen schweren Fällen habe ich die Besprayung 
auch noch öfter wiederholen lassen. 

Außer in Form der Besprayung des Rachens und der Nase 
habe ich die Pyozyanase auch 
bei fünf Fällen 
kopfes. Ich habe dazu 
gebraucht, die Pyozy 


hier erwähnen,”daß außer den bereits angeführten noch folgende 
Arbeiten erschienen sind: Zucker, „Zur lokalen Behandlung 
der Diphtherie mit Pyozyanase“ (Archiv für Kinderheilkunde, 
Bd. 44, Heft 1 bis 8), und Schlippe, „Zur Behandlung der 
Diphtherie mit Pyozyanase und über die Persistenz der Diph¬ 
theriebazillen“ (Deutsche med. Wochenschrift, Nr. 14 vom 
2. April 1908). 

Die Pyozyanasebehandlung der Diphtherie erfolgte fiüher 
mittels des Escherichsehen Zerstäubers. Diese Methode ist 
wesentlich erleichtert und verbessert durch Lingner, der den 
Zerstäuber modifiziert und mit Gummiball versehen hat. Die 
Gebrauchsanweisung und Abbildung, die ich der bereits oben 
erwähnten Schrift „Ueber Pyozyanase und ihre Anwendung 
bei Infektionskrankheiten“ entnehme, lasse ich gleich hier 
folgen. 


in Dampfinhalation angewendet 
von diphtlieritischer Erkrankung des Kehl- 
einen gewöhnlichen Inhalationsapparat 
yanase mit physiologischer Kochsalzlösung 
verdünnt und diese verdünnte Lösung zweistündlich inhalieren 
lassen. 

In weitaus der Mehrzahl der Fälle habe ich Pyozyanase 
neben dem Heilserum angewendet, in einem Fall ohne Heil¬ 
serum. Ich werde diesen Fall noch besonders schildern. Hervor¬ 
heben will ich, daß fast alle Fälle bakteriologisch untersucht 
sind und zwar mehrmals. Die Untersuchungen wurden ausge¬ 
führt im Königlichen Medizinal-Untersuchungsamt in Magde¬ 
burg, dessen Vorsteher, Herrn Kreisarzt Dr. Bur meister, ich 
für seine liebenswürdige Unterstützung auch an dieser Stelle 
meinen verbindlichsten Dank ausspreche. 

Ich möchte nun die einzelnen Krankheitsfälle besprechen 
und zwar zunächst zwei Fälle, die tödlich verliefen. 

E. B., 9 Monate alt, erkrankte am 17. Februar 1908 mit 
Husten und Schnupfen; am 19. Februar bekam das Kind „Bell¬ 
husten“, in der Nacht vom 19. zum 20. Februar Atemnot. Am 
20. Februar kam die Mutter mit dem Kind zu mir in die 
Sprechstunde. Das Kind war in einem traurigen Zustand. Im 
Hals fand sich ein schmieriger grauer Belag, der bis auf die 
Mitte des Gaumens reichte. Zunge dick belegt, submaxillare 
Drüsen stark geschwollen, aus der Nase sickerte ein dünnes 
übelriechendes Sekret, starker foetor ex ore, starke Stenose, 





THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


vm 


499 


näher eingehen soll, so muß ich sagen, daß in dem ersten Fall 
eine Heilung wohl kaum noch erwartet werden konnte. Viel¬ 
leicht hätte ja die Tracheotomie den Exitus noch verhindern 
können, aber die J Eltern wollten das Kind nicht operieren 
lassen, und bei dem jugendlichen Alter, der Schwere der Er¬ 
krankung und dem langen Bestehen der Krankheit war doch 
wohl die Aussicht auf Heilung nur eine äußerst geringe. Der 
zweite Patient hätte meiner festen Ueberzeugung nach trotz 
der schweren Infektion gerettet werden können, wenn nicht 
die Eltern zu spät für ärztliche Hilfe gesorgt hätten. Daß 
durch die „Behandlung“ der Kurpfuscherin das Krankheitsgift 
erst recht in die Lymphbahnen und Blutbahnen hineingebracht 
und dadurch septische Erscheinungen hervorgerufen wurden, 
unterliegt für mich keinem Zweifel. 

Außer diesen beiden Fällen ist keiner von den mit Pyo- 
zyanase behandelten Kranken gestorben. 

Ich möchte nun aus der Zahl der übrigen von mir mit 
Pyozyanase behandelten Diphtheriefälle noch einige Kranken¬ 
geschichten besonders hervorheben. 

1. C. J., 6 Jahre alt, erster von mir mit Pyozyanase be¬ 
handelter Patient, erkrankte am 6. Februar 1908 mit Er¬ 
brechen, Kopf- und Leibschmerzen. 7. Februar nachmittags 
wurde ich gerufen und fand grau-weißen Belag auf beiden 
Tonsillen und dem Zäpfchen, starken foetor ex ore, Fieber, 
Pulsbeschleunigung. Zunge stark belegt, Submaxillardrüsen 
geschwollen. Injektion von Heilserum Nr. I. Am nächsten 
Tage waren die Beläge größer geworden, hatten sich bis auf 
die Mitte des Gaumens ausgedehnt. Im Mandelabstrich finden 
sich neben Diphtheriebazillen reichlich Streptokokken. Injektion 
von Heilserum Nr. II. 

10. Februar. Zustand noch nicht gebessert, Drüsen stärker 
geschwollen, Belag hat sich noch vermehrt. 

12. Februar. Noch keine Abnahme der Beläge, erste An¬ 
wendung von Pyozyanase, noch immer Fieber. 

13. Februar. Belag etwas weniger, Allgemeinbefinden 
besser. 

14. Februar. Fieberfrei, Belag weniger, Patient sitzt im 
Bett und singt. 

18. Februar. Belag völlig verschwunden, subjektives Wohl¬ 
befinden, Gaumenlähmung. 

Das Kind bekam später noch eine Lähmung der Augen¬ 
muskeln, Schielen auf beiden Augen, die aber, ebenso wie die 
Gaumenlähmung, allmählich wieder zurückgegangen ist. Außer 
diesem Fall habe ich nur noch einmal eine leichte Gaumen¬ 
lähmung beobachtet. 

Bei allen übrigen mit Pyozyanase behandelten Diphtherie¬ 
fällen habe ich keine Nachkrankheiten wieder gesehen. Auf¬ 
fallend war in diesem Falle, wie schnell die Beläge schwanden, 
die vorher trotz zweimaliger- Injektion von Heilserum und 
Gurgeln mit essigsaurer Tonerdelösung nicht weniger werden 
wollten, ja anfangs noch Zunahmen, auffallend auch, wie schnell 
sich das Allgemeinbefinden besserte. Daß es sich um einen 
schweren Fall handelte, geht nicht nur aus den Krankheits¬ 
erscheinungen, sondern auch aus dem bakteriologischen Befund 
hervor. 

Ich möchte nun noch einige Krankengeschichten von Fällen 
anführen, wo neben Diphtheriebazillen Streptokokken oder 
Strepto- und Staphylokokken gefunden wurden, die aber vom 
ersten Tage ab mit Pyozyanase behandelt wurden. Ich führe 
nur die charakteristischsten Fälle an: 

1. Fall. H. G., 14 Jahre alt (bakteriologisch: Diphtherie¬ 
bazillen, wenig Strepto- und Staphylokokken), erkrankte am 

6. April 1908. Temp. 39,0, Puls 140, Belag auf beiden Ton¬ 
sillen, foetor ex ore, Drüsenschwellung. Heilserum Nr. I, Pyo¬ 
zyanase. 

7. April. Temp. 37,3, Puls 120, Belag weniger, foetor 
verschwunden. 

8. April. Temp. 37,0, Puls 96, nur noch wenig Belag, 
subjektives Wohlbefinden, guter Appetit. 

9. April. Temp. 36,7, Puls 78, Belag völlig verschwunden, 
Zunge rein, Drüsenschwellung zurückgegangen. Patient fühlt 
sich völlig gesund. Nach acht Tagen keine Diphtheriebazillen 
mehr. 


2. Fall. O. F., 5 Jahre alt (bakteriologisch: spärlich Diph- 
theriebazillen, reichlich Strepto- und Staphylokokken), erkrankte 
am 8. April 1908 mit Erbrechen, Kopf- und Leibschmerzen, 
Stuhlverstopfung, Halsschmerzen. 

9. April. Temp. 39,3, Puls 150, Belag auf beiden Ton¬ 
sillen, Zunge belegt, foetor ex ore, Drüsen geschwollen. Heil¬ 
serum Nr. I, Pyozyanase. 

10. April. Temp. 37,8, Puls 120, Belag weniger, foetor 
geringer, Allgemeinbefinden besser. 

11. April. Temp. 37,0, Puls 102, weitere Besserung. 

12. .April. A öllig fieberfrei, Belag völlig verschwunden, 
Zunge rein, Appetit und Stuhlgang gut, subjektives Wohl¬ 
befinden. 

14. April. Mandelabstrich: Diphtheriebazillen, spärlich 
Streptokokken, keine Staphylokokken. 

24. April. Mandelabstrich: keine Bazillen mehr gefunden. 

3. Fall. M. F., 10 Jahre alt (Schwester von dem an Diph¬ 
therie gestorbenen W. F.), bakteriologisch: Diphtheriebazillen, 
reichlich Streptokokken, erkrankte am 12. April 1908. Temp! 
39,8, Puls 130, foetor ex ore, Belag auf beiden Tonsillen, 
Zunge belegt, Erbrechen. Es wird Heilserum Nr. I injiziert 
und Pyozyanase eingeblasen. 

13. April. Temp. morgens 37,0, abends 38,5, Puls 120, 
sonst keine wesentliche Aenderung. 

14. April. Temp. früh 36,7, abends 36,8, Puls 102, Belag 
weniger, foetor hat abgenommen, Allgemeinbefinden besser. 

16. April. Völlig fieberfrei, Belag völlig verschwunden, 
Zunge rein, kein foetor ex ore mehr, Appetit gut, Allgemein¬ 
befinden sehr gut. 

Nachuntersuchung am 22. April: keine Diphtheriebazillen 
mehr. 

Besonders interessant ist folgender Fall, der die Mutter 
des Kindes M. F. (Fall 3) betrifft. 

4. Fall. Frau F., 35 Jahre alt, erkrankte am 13. April 
1908 abends. Es fanden sich Beläge auf beiden Tonsillen, 
Allgemeinerscheinungen (Kopfschmerzen, Uebelkeit, Appetit- 

I mangel). Fieber 38,6. Puls 120. Es wurde sofort Heilserum 
Nr. I injiziert und Pyozyanase eingeblasen. Die bakterio¬ 
logische Untersuchung des Mandelabstriches, der vor Be¬ 
handlung mit Pyozyanase entnommen wurde, ergab: Diphther - 
bazillen und Streptokokken. 16ständiges Wachstum. Nach 
zweimaligem Einblasen von Pyozyanase" wurde am 14. April 
(von Herrn Dr. Bur me ist er)* ein zweiter Mandelabstrich ge¬ 
macht. Dessen bakteriologische Untersuchung ergab: Diph¬ 
theriebazillen, Reinkultur, 8 stündiges Wachstum. 

Daß dieser auffallende Unterschied im bakteriologischen 
Befund auf die Wirkung der Pyozyanasebehandlung zurückzu¬ 
führen ist, unterliegt wohl keinem* Zweifel. 

Ich fahre nun in der Krankengeschichte fort. 

14. April morgens: Temp. 37,8, Puls 96, abends: Temp. 

38.2, Puls 102, sonst keine wesentliche Aenderung, nur hat der 
foetor ex ore etwas abgenommen. 

15. April morgens: Temp. 36,7, Puls 78, abends: Temp. 

37.2, Puls 84, Belag hat abgenommen, Zunge beginnt sich zu 
reinigen, gar kein foetor mehr, Allgemeinbefinden besser. 

16. April. Völlig fieberfrei, Temp. 36,4, Puls 66 morgens 
und abends, Belag völlig verschwunden, Zunge frisch rot und 
feucht, vorzügliches Allgemeinbefinden. 

22. April. Nachuntersuchung: keine Diphtheriebazillen 
mehr. 

Um mich nicht zu wiederholen, will ich von diesen Kranken¬ 
geschichten keine weiteren anführen, sondern nur bemerken, 
daß in den übrigen Fällen, in denen außer Diphtheriebazillen 
noch Streptokokken oder Strepto- und Staphylokokken gefunden 
wurden (es sind außer den bereits oben geschilderten 6 Fällen 
noch 8 Fälle), der Verlauf ein ganz analoger war. Ueber- 
raschend schnell gingen die Krankheitserscheinungen zurück, 
und nach wenigen Tagen war völlige Heilung eingetreten. 
Unter „völliger Heilung“ verstehe ich hier, daß die Kranken 
völlig fieberfrei waren, keine Spur von Belag mehr hatten und 
bestes subjektives Wohlbefinden eingetreten war. Daß trotz¬ 
dem noch virulente Diphtheriebazillen in Mund und Nase und 



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500 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 33 


Rachen vorhanden sein können und meistens noch längere 
Zeit sind, ist ja bekannt. Ich will auf diese Frage noch später 
zurückkommen. Ich möchte hier nur noch erwähnen, daß außer 
den 14 Fällen, in denen eine Mischinfektion, d. h. die Be¬ 
teiligung von Streptokokken oder Strepto- und Staphylokokken, 
durch die bakteriologische Untersuchung mit Sicherheit fest¬ 
gestellt werden konnte, noch einige andere mit gleichem Er¬ 
folg mit Pyozyanase behandelt wurden, bei denen allerdings 
eine bakteriologische Untersuchung nicht gemacht werden 
konnte, aber die klinischen Erscheinungen für Mischinfektion 
sprachen. In zwei von diesen Fällen wurde bei den Ge¬ 
schwistern der erkrankten Kinder die Mischinfektion bakterio¬ 
logisch festgestellt. 

Ich möchte nunmehr einige Krankengeschichten von Fällen 
anführen, bei denen die Erkrankung teils von den Tonsillen 
nach Larynx und Trachea herabstieg, teils von vornherein auf 
den Kehlkopf und die Luftröhre lokalisiert war. 

Fall 1. A. F., I 1 /* Jahre alt, erkrankte am 23. Februar 
1908 mit Schnupfen, Husten und Heiserkeit, Unruhe, Erbrechen, 
Stuhlverstopfung. — Bei der ersten Untersuchung am 24. Februar 
findet sich kein Bela^i im Hals, jedoch ergab die bakteriologische 
Untersuchung des Mandelabstriches Diphtheriebazillen. Das 
Kind hatte mäßiges Fieber. (38,5), starke Pulsbeschleunigung 
fl 40), belegte Zunge, mäßige Schwellung der Submaxillar- 
driisen, heiseren bellenden Husten, mäßige Dyspnoe. Ich in¬ 
jizierte sofort Heilserum Nr. I, ließ Einpackungen machen und 
blies Pyozyanase ein, die ich außerdem noch zweistündlich als 
Dampfinhalation anwenden ließ. Daneben ließ ich noch heiße 
Milch und heißen Brusttee mit Liquor, ammon. anis. geben. 

Bereits am nächsten Tage war das Fieber und die Atemnot 
verschwunden, während der Bellhusten zunächst noch anhielt. 
Es wurde nun weiter dreimal täglich Pyozyanase eingeblasen 
und zweistündlich verdünnte Pyozyanase inhaliert. 

Nach drei Tagen war bei vorzüglichem Allgemeinbefinden 
auch der kruppöse Husten verschwunden und kam auch nicht 
wieder. 

2. Fall. H. P., 1 Jahr alt. wird am 29. Februar 1908 in 
meine Sprechstunde gebracht, hat auf beiden Tonsillen schmutzig¬ 
grauen Belag, stark belegte Zunge, foetor ex ore, rauhen, 
heiseren Husten, laut röchelndes Atmen, Temp 39,5, Puls 140. 
Sofort Heilserum Nr. I injiziert und vom 1. März an mit der 
Pyozyanasebehandlung begonnen und zwar dreimal täglich Ein¬ 
blasungen, außerdem zweistündlich Dampfinhalationen mit ver¬ 
dünnter Pyozyanase gemacht, bereits am 2. März Besserung 
des Allgemeinbefindens, Belag im Hals verschwunden, kein 
Fieber mehr, aber noch Bollhusten, kein foetor ex ore mehr. 

5. März. Kruppöser Husten völlig verschwunden, Stimme 
nicht mehr heiser, Allgemeinbefinden vorzüglich. 

Eine bakteriologische Untersuchung dieses Falles konnte 
leider nicht ausgeführt werden, doch war bei dem objektiven 
Befund die Diagnose Diphtherie sicher und wurde noch dadurch 
bestätigt, daß am 8. März eine (postdiphtherische) Gaumen¬ 
lähmung auftrat, die dann bald ohne jede Behandlung wieder 
zurückging 

Auch bei dem nächsten Fall konnte eine bakteriologische 
LTntersucliung nicht vorgenommen werden. 

3. Fall. E. L., 13 Jahre alt, vor 6 Tagen vom Lehrer 
wegen „Bellhusten“ nach Hause geschickt, seitdem zu Hause 
mit” Hausmitteln (Brusttee usw.) „behandelt“. In der Nacht 
vom 17. zum 18. März wurde ich gerufen, da das Kind am 
Ersticken wäre. Als ich zum Patienten kam, fand ich, daß 
das Kind soeben bei heftigem Husten eine Membran und ein 
wenig Blut ausgehustet hatte, doch bestand noch immer starke 
Dyspnoe, rauher, heiserer Husten. Belag war im Halse nicht 
zu sehen, nur war der ganze Racheneingang, besonders Ton¬ 
sillen und Zäpfchen gerötet und geschwollen, Zunge belegt, 
Submaxillardrüsen geschwollen, Temp. 38,6, Puls 120. 

Ich machte sogleich noch in der Nacht eine Heilserum¬ 
injektion (Nr. I) und begann dann am nächsten Morgen mit 
der Pyoz) T anasebehandlung, auch in diesem Fall dreimal täg¬ 
lich Einblasungen in den Hals und außerdem Dampfinhalation 
mit verdünnter Pyozyanase. 

Von diesem Tage an trat kein Erstickungsanfall mehr ein, 


vielmehr besserte sich das Befinden von Tag zu Tag. Bereits 
am 20. März war das Fieber verschwunden, der Husten verlor 
allmählich immer mehr seinen kruppösen Charakter und am 
28. März war völlige Heilung erreicht. 

Fall 4. L. L., 4 Jahre alt, erkrankte am 19. April 1908 
während des Besuches bei Verwandten in einem Nachbardorf. 
Der hinzugezogene Arzt konstatierte Mandelbelag, hielt aber 
die Erkrankung nicht für Diphtherie. Der Belag soll angeb¬ 
lich am 20. April wieder verschwunden sein, und das Kind 
kam dann mit den Eltern wieder nach Calbe zurück. Am 

22. April verschlimmerte sich der Zustand wieder, und ich 
wurde nun zu Hilfe gerufen. Das Kind hatte in der Nacht 
gebrochen und Bellhusten bekommen. Ich fand am 22. April 
auf beiden Tonsillen grauweißen Belag, die Zunge belegt, die 
Submaxillardrüsen geschwollen, Temp 38,0, Puls 120. Das 
Kind war sehr heiser und hatte kruppösen Husteu. Da die 
Eltern dem Kind keine Heilserumeinspritzung machen lassen 
wollten, so wurde es zunächst nur mit Pyozyanase behandelt 
und zwar wie die vorhergehenden Falle mit Einblasungen in 
den Hals und Dampfinhalation. Um die Diagnose zu sichern, 
machte ich vor der Behandlung einen Mandelabstrich. 

23. April mittags: Temp. 36,7, Puls 102, Allgemeinbefinden 
besser, die rechte Tonsille ist fast ganz von Belag frei, auf der 
linken Tonsille ist der Belag noch nicht weniger, Husten noch 
immer bellend, Stimme heiser. 

24. April mittags: Temp. 36,7, Puls 102, auf der rechten 
Tonsille ist der Belag völlig verschwunden, auf der linken 
weniger geworden, das Allgemeinbefinden hat sich bedeutend 
gebessert, Patient sitzt im JBett und spielt, hat schon gesungen, 
nur Husten noch etwas heiser. 

Inzwischen ist das Ergebnis der bakteriologischen Unter¬ 
suchung eingetroffen■, es lautet: „Diphtheriebazillen, spärlich 
Streptokokken“. Da nun die Eltern selbst es wünschen, wird 
Heilserum Nr. I injiziert. 

25. April. Weitere Besserung. 

2(5. April. Nur noch stecknadelkopfgroßer Belag auf der 
linken Tonsille, Husten lockerer. 

27. April. Völlig geheilt. 

29. April. Nachuntersuchung: spärlich Diphtheriebazillen, 
keine Streptokokken. 

5. Mai. Nachuntersuchung: keine Bazillen mehr. 

In allen vier Fällen gelang es also, den Krupp zu heilen, 
ohne daß Tracheotomie nötig geworden wäre, trotzdem in allen 
Fällen vor der Pyozyanasebehandlung beträchtliche Dyspnoe, 
in Fall 3 sogar ein schwerer Erstickungsanfall beobachtet 
wurde. Daß dieser günstige Erfolg in erster Linie der Pyo- 
zyanasewirkung zuzuschreiben ist, geht besonders aus der 
vierten Krankengeschichte hervor. In diesem Fall war die 
Besserung bereits eingetreten,* ehe die Heilserumeinspritzung 
gemacht wurde, und es hätte sich wahrscheinlich völlige 
Heilung auch ohne Heilserum allein durch Pyozyanase er¬ 
reichen lassen. Dies erscheint mir um so wahrscheinlicher, 
als die Heilserumeinspritzung und zwar die schwächste Heil¬ 
dosis erst am fünften Krankheitstage angewendet wurde, also 
zu einer Zeit, wo man nach Ansicht der meisten Aerzte, die 
ich übrigens auf Grund meiner Beobachtung von über 260 auf¬ 
einanderfolgenden Diphtheriefällen teile, einen Erfolg der Heil¬ 
serumbehandlung kaum noch erwarten kann. Außerdem machte 
ich bei diesen Fällen eine Beobachtung, die auch von Dr. 
Zucker in der k. k. Universitäts-Kinderklinik des Herrn Prof. 
M. Pfaundler in Graz gemacht wurde, nämlich „daß die Ver¬ 
flüssigung der Exsudatmassen im Bronchialbaum keine kenn¬ 
zeichnende physikalische Erscheinung — nämlich feuchtes 
Rasseln — zur Folge hatte, vielmehr eine „trockene Lösung k 
zustande kam.“ Ich kann dies nur bestätigen und bin gera.le 
wegen dieser Abweichung von dem sonst üblichen Verlauf der 
Ansicht, daß die Heilung der kruppösen Erkrankung von Kehl¬ 
kopf und Luftröhre hauptsächlich der Pyozyanasebehandlung 
zu verdanken ist. 

Ich komme nunmehr zu einem Fall, den ich mit Pyo¬ 
zyanase allein, ohne Heilserum behandelte. 

H. R., 2 1 /, Jahre alt, Schwester eines bereits seit mehreren 
Tagen wegen schwerer Diphtherie von mir behandelten Kindes, 


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erkrankte amT:7.. Mai 1908. Bei der Untersuchung fand sich 
'^f,:¥ei3e|L^ionsillen ein grauer Belag. Da kein Fieber fest- 
äustelfen >war. (Temp. 37,5, Puls 120), auch die Allgemein- 
erscheinungen keine' schweren waren, so beschränkte ich mich 
darauf, dreimal täglich Pyozyanase einzublasen. Die Unter¬ 
suchung des Mandelabstriches ergab: Diphtheriebazillen. 

Bereits am nächsten Tage war der Belag etwas weniger 
geworden, die Temperatur unter 87,0 heruntergegangen. 

Am 21. Mai finden sich auf jeder Mandel nur noch je ein 
kleiner grauer Fleck, das Allgemeinbefinden ist sehr gut, Tem¬ 
peratur dauernd morgens und abends unter 37,0. Lymph- 
dtüsenschwellung nicht eingetreten. 

22. Mai. Belag völlig verschwunden, subjektives Wohl¬ 
befinden. 

, '25. Mai. Keine Diphtheriebazillen mehr. 

Es ist also in diesem Falle möglich gewesen, die Diph¬ 
therie durch die Pyozyanasebehandlung allein zu heilen. Wenn 
es sich auch um einen leichten Fall handelte, so war doch 
auffallend; wie schnell die Heilung eintrat, wobei noch berück¬ 
sichtigt werden muß* daß das Kind erst 2 V 2 Jahre alt war, 
nicht gurgeln konnte und auch mit keinem anderen Mittel 
lokal oder innerlich behandelt wurde. Immerhin sind die Fälle, 
Wo man die Pyozyanase allein verwenden kann, Ausnahme fälle, 
in der Regel soll es neben dem Heilserum gebraucht werden. 
Ich würde die Pyozyanase allein vor allem in solchen Fällen 
gebrauchen, wo die Unterscheidung zwischen Diphtherie und 
lakunärer Mandelentzündung schwer ist und die Eltern bezw. 
der Patient selbst sich nicht entschließen können, eine Heil¬ 
serumeinspritzung machen zu lassen. Es gibt ja immer noch 
viele Menschen (leider sogar einige Aerzte), die der Ansicht 
sind, die Heilserumbehandlung könne schädliche Folgen haben, 
besonders häufig hört man die Ansicht äußern, durch das Heil¬ 
serum würden Lähmungen hervorgerufen Solchen Anschau¬ 
ungen gegenüber ist es für den praktischen Arzt oft sehr 
schwer, die Zustimmung der Patienten oder ihrer Eltern zur 
Serumbehandlung zu erhalten, wenigstens wenn es nicht schon 
für den Laien klar ist, daß es sich wirklich um eine schwere 
Diphtherie handelt. Es empfiehlt sich dann, einen Mandel¬ 
abstrich zu machen und bakteriologisch untersuchen zu lassen, 
bis zum Eintreffen des Ergebnisses der Untersuchung mit Pyo¬ 
zyanase zu behandeln. Die Heilserumbehändlung kann ja dann 
immer noch nachgeholt werden, wenn nicht inzwischen Heilung 
erfolgt ist. 

Endlich möchte ich noch einen Fall besprechen, der einen 
vom sonst beobachteten abweichenden Verlauf zeigte. 

Schlippe hat in seiner Arbeit einen Fall erwähnt, bei 
dem unter Pyozyanasebehandlung die Beläge anfänglich ver¬ 
schwanden und dann von neuem auftraten. Auch ich habe 
einen solchen Fall beobachtet, dessen Krankengeschichte ich 
im Auszug folgen lasse: 

E. R., 2 */-2 Jahre alt, erkrankte am 27. April unter schweren 
Diphtherieerscheinungen. Bakteriologisch: Diphtheriebazillen, 
spärlich Streptokokken. Vom ersten Tage an mit P} r ozyanase 
behandelt. Außerdem am ersten Erkrankungstage Heilserum 
Nr. I. 

2. Mai. Fieber und Belag völlig verschwunden, subjektives 
Wohlbefinden. 

5. Mai. Wieder Belag, aber nicht in Form einer zusam¬ 
menhängenden Membran, sondern als kleine, follikulär sitzende, 
grau-weiße Flecke. Bakteriologisch: Diphtheriebazillen, keine 
Streptokokken. Das Allgemeinbefinden war dabei nicht gestört, 
Fieber bestand nicht. Fortsetzung der Pyozyanasebehandlung. 

14. Mai. Belag seit mehreren Tagen völlig verschwunden, 
im Mandelabstrich keine Diphtheriebazillen mehr. 

Ich möchte nun noch die Einwirkung der Pyozyanase auf 
die Persistenz der Diphtheriebazillen besprechen. Schlippe, 
der diese Frage ebenfalls untersucht hat, kommt dabei zu 
keinem günstigen Ergebnis, denn er findet, daß es „nicht ge¬ 
lingt, durch Pyozyanase die Persistenz der Diphtheriebazillen 
zu verhüten und in Fällen von ausgesprochener Persistenz und 
chronischer Diphtherie die Bazillen abzutöten“. Er spricht 
allerdings selbst aus, daß dies vielleicht weniger in der Natur 
des Mittels als darin begründet ist, daß wir „bei der Pyo- 


zyanaseanwendung nicht bis in alle Krypten der Nasen-Rachen- 
höhle gelangen, in denen die Bazillen vegetieren“. 

Ich habe nun ebenfalls und zwar in 20 Fällen regelmäßig 
Nachuntersuchungen ausgeführt bezw. ausführen lassen und 
komme doch zu einem wesentlich günstigeren Ergebnis wie 
Schlippe. Die Untersuchungen wurden wöchentlich einmal 
vorgenommen, und zwar wurde meistens ein Mandelabstrich, 
in einigen Fällen auch Nasenabstrich untersucht. Dabei zeigte 
sich, daß in zehn Fällen bereits bei der ersten Nachunter¬ 
suchung keine Diphtheriebazillen mehr gefunden wurden; in 
sieben Fällen wurden bei der zweiten Nachuntersuchung keine 
Diphtheriebazillen mehr gefunden, und zwei Fälle waren bei 
der dritten Untersuchung bazillenfrei. Erwähnen muß ich 
noch, daß von den sieben Fällen, die erst bei der zweiten Nach¬ 
untersuchung bazillenfrei waren, vier bei der ersten Unter¬ 
suchung außer Diphtheriebazillen noch Streptokokken oder 
Strepto- und Staphylokokken hatten, ebenso die beiden Fälle, 
die erst bei der dritten Nachuntersuchung bazillenfrei waren, daß 
aber bis auf einen Fall, der bei der ersten Untersuchung 
Strepto* und Staphylokokken, bei der ersten Nachuntersuchung 
außer Diphtheriebazillen spärlich Streptokokken hatte, in allen 
übrigen Fällen schon bei der ersten Nachuntersuchung keine 
Strepto- und Staphylokokken mehr gefunden wurden. Nur ein 
Fall zeigte noch bei der sechsten Nachuntersuchung positiven Be¬ 
fund; aber gerade dieser Fall war nicht mit Pyozyanase be¬ 
handelt worden. Der Patient erkrankte, nachdem schon drei 
Geschwister und die Mutter diphtheriekrank waren, trotzdem 
er eine Immunisierungseinspritzung bekommen hatte und fleißig 
mit essigsaurer Tonerdelösung gurgelte, am 19. April 1908 
ebenfalls an Diphtherie. Ich war damals für einige Tage ver¬ 
reist, und der Kollege, der mich vertrat, spritzte noch Heil¬ 
serum Nr. I ein und ließ weiter gurgeln. Als ich von meiner 
Reise wieder zurückkam, am 22. April, war der Junge fieber¬ 
frei und hatte keinen Belag mehr. Ich machte nun noch einen 
Mandelabstrich, und es fanden sich: Diphtheriebazillen, spärlich 
Streptokokken. Da ich damals nur wenig Pyozyanase hatte, 
beschränkte ich mich darauf, fleißig weiter gurgeln zu lassen. 
Es fanden sich aber immer wieder Bazillen, auch als ich mit 
zweiprozentiger Höllensteinlösung pinseln ließ, und ebenso 
nach Gebrauch von Formaminttabletten. Als sich nun am 
25. Mai immer noch Diphtheriebazillen fanden, begann ich mit 
Pyozyanasebehandlung und zwar benutzte ich in diesem Falle 
einen Sprayer mit stärkerem Gummiball und gebogenem, etwas 
weiteren Zerstäubungsrohr, der eine energischere Anwendung 
des Mittels ermöglichte wie die sonst gebrauchten Apparate. 
Die Pyozyanase wurde nun viermal täglich eingeblasen und 
zwar je zweimal in den Hals, je einmal in die Nase. Mit 
diesem Verfahren wurde begonnen am 28. Mai. Die nächste 
am 1. Juni vorgenommene Nachuntersuchung ergab: keine 
Diphtheriebazillen. Ich meine, daß gerade dieser Fall be¬ 
sonders überzeugend zeigt, daß die Pyozyanase sehr wohl im¬ 
stande ist, bei ausgesprochener Persistenz der Diphtheriebazillen 
diese abzutöten. 

Ferner habe ich auch eine Bazillenträgerin, Mutter zweier 
diphtheriekranker Kinder, von denen eins mit Pyozyanase und 
Heilserum, das andere nur mit Pyozyanase behandelt wurde, 
untersucht. Am 18. Mai 1908 wurden zum erstenmal Diph¬ 
theriebazillen gefunden, am 21. Mai wurde mit der Pyozyanase¬ 
behandlung begonnen, und schon bei der ersten Nachunter¬ 
suchung am 25. Mai war die Frau bazillenfrei. 

Ich habe nun allerdings nicht, wie dies Schlippe getan 
hat, nachdem einmal der Befund negativ war, trotzdem weitere 
Nachuntersuchungen vorgenommen, glaube aber nicht, daß sich 
bei etwaigen späteren Untersuchungen wieder Bazillen ge¬ 
funden haben würden, da nicht ein einziges Mal bei den An¬ 
gehörigen der Kranken ein neuer Diphtheriefall auftrat, nach¬ 
dem einmal die Bazillen verschwunden waren. 

Zum Vergleiche führe ich die Ergebnisse der Unter¬ 
suchungen von einigen nicht mit Pyozyanase behandelten 
Kindern an, die mir Herr Dr. Burmeister - Magdeburg auf meine 
Bitte gütigst mitgeteilt hat: 

1. W. L. erkrankte am 25. Februar, positiver Befund: 
28. Februar, 10. März, 14. März. 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 33 


502 


2. H. L. erkrankte am 31. März, positiver Befund: 3. April, ■ 
7. April (14. April negativ). 

3. 0. A. erkrankte am 18. April, positiver Befund: 28. April, 
11. Mai. 

4. E. 0. erkrankte am 23. April, positiver Befund: 28. April, 

6. Mai (11. Mai negativ). 

5. A. M. erkrankte am 11. Mai, positiver Befund: 19. Mai, 

25. Mai. 

Aus Gründen, die hier nicht erörtert werden können, 
konnte ich weiteres vergleichendes Material leider nicht be¬ 
kommen. Jedenfalls scheint mir aus dieser vergleichenden Zu¬ 
sammenstellung doch hervorzugehen, daß bei den mit Pyo- 
zyanase behandelten Kranken die Bazillen schneller verschwin¬ 
den wie bei den nur mit Heilserum behandelten. 

Daß meine Ergebnisse günstiger sind wie die von 
Schlippe, liegt meines Erachtens daran, daß Schlippe 
seine Beobachtungen im Krankenhause gemacht hat, während 
meine Kranken sämtlich in der Privatwohnung behandelt 
wurden. Wenn wir auch ganz absehen von der Möglichkeit 
der Reinfektion im Krankenhause, so ist doch kein Zweifel, 
daß im Krankenhause die Verhältnisse insofern ungünstiger 
liegen, als in der Regel im Krankenhaus mehr schwere Fälle 
zur Behandlung kommen wie in der Privatpraxis und auch 
noch häufiger wie in der Privatpraxis solche Fälle, bei denen 
die Krankheit schon mehrere Tage bestand, die Krankheits¬ 
erreger also Gelegenheit hatten, von dem primären Ort der 
Ansiedlung aus (Tonsillenoberfläche, Nasenschleimhaut) sich 
weiter zu verbreiten. Daß sie dann in all den Schlupfwinkeln 
des Nasenrachenraums sehr fest haften und schwer zu be¬ 
seitigen sind, ist verständlich. 

Daß in der Privatpraxis bessere Erfolge zu erzielen sind 
wie im Krankenhause, ergibt sich aus einem Vergleiche der 
Mortalität. Schlippe hat unter 54 Kranken 7 Todesfälle, also 
13%, Mühsam unter 23 Kranken 4 Todesfälle, also 17% Mor¬ 
talität. während von meinen 25 mit Pyozyanase behandelten 
Kranken 2 gestorben sind, die Mortalität also nur 8% betrug. 
Zum Vergleich habe ich die Zahl und Mortalität der Fälle in 
der entsprechenden Zeit des Vorjahres (1. Februar bis 31- Mai 
1907) aus meiner Privatpraxis zusammengestellt und finde da 
32 Erkrankungsfälle, darunter 4 Todesfälle, also eine Morta¬ 
lität von 12,5%. Ferner habe ich mir die amtliche Statistik 
geben lassen und finde da für die Zeit vom 1. Februar 1907 
t>is 31. Mai 1907 70 Erkrankungen und 6 Todesfälle, also eine 
Mortalität von 8.5%, und für die Zeit vom 1. Februar 1908 bis 
31. Mai 1908 80 Erkrankungen mit 7 Todesfällen, also eine ] 
Mortalität von 8,75%. Ungefähr das gleiche Verhältnis ergibt 
ich, wenn man die vier vorhergehenden Monate (1. Oktober 
1 907 bis 31. Januar 1908) berücksichtigt, wo sich in der amt- 
' ^tatis r :k i 96 Erkrankungen und 16 Todesfälle, also fast 
8% Mortalität finden. 

Wie also hier die Mortalität in der Privatpraxis eine weit 
geringere ist als im Krankenhause, so werden sich auch betr. 
Beseitigung der Diphtheriebazillen bei Bazillenträgern und bei an 
Diphtherie erkrankt gewesenen in der Privatpraxis bessere Er¬ 
folge erreichen lassen wie im Krankenhause. Bei der großen 
Bedeutung dieser Frage möchte ich hoffen, daß meine Aus¬ 
führungen Anlaß zu weiteren Untersuchungen geben möchten. 

(Schluß fulgt.) 



Eklampsie. 

Sammel-Referat von Dr. Ottfried Fellner, Wien. 

Bei der puerperalen Eklampsie findet sich nach Chiriö 
regelmäßig eine Hyperplasie der Rinde und des Markes der 
Nebenniere. Er faßt sie als eine Folge der Nierenveränderungen 
auf. Wahrscheinlich spielt die Nebennierenhypertrophie eine 
große Rolle in der Blutdrucksteigerung. • 


Hinsichtlich der Albuminurie stellten Bar und Dannay 
ausgiebige Untersuchungen an und fanden schon vor dem ersten 
Anfall Eiweiß im Urin, und zwar nahm dieses vor dem Anfall 
stark zu. Das Eiweiß ist Hämoglobin und Methämoglobin. Sie 
stammen aus dem Blut. Aus diesem Grunde meinen die 
Autoren, daß auch das Eiweiß aus dem Blute stammen dürfte. 

G. Brunet beobachtete eine 19jährige Erstgebärende, 
welche seit acht Tagen Schwellungen der Beine bemerkte. Sie 
stand am Ende der Schwangerschaft. Im Urin Va'Voo Eiweiß. 
Da die Urinmenge konstant abnimmt, Oedeme und Eiweiß zu¬ 
nehmen, wird durch Kolpeuryse die Geburt eingeleitet. Zehn 
Stunden nach der Entbindung beginnen heftige Kopfschmerzen, 
Patientin ist sehr unruhig, verfällt in Koma und stirbt. Bei 
der Sektion finden sich Blutungen und Nekrosen in allen 
Organen. In zwei weiteren Fällen fanden sich bei der 
Sektion ähnliche Erscheinungen. Im zweiten Falle war dem 
Tode im 6. Monat eine 24 ständige, plötzlich eingetretene Be¬ 
wußtlosigkeit vorausgegangen. 

Im dritten Falle handelte es sich um eine am Ende der 
Gravidität stehende Frau, die mit Erbrechen und Unruhe er¬ 
krankt war, dann plötzlich das Bewußtsein verlor und nach 
wenigen Stunden starb. 

B. meint, daß in diesen Fällen die Organ Veränderungen 
bereits zu einer Zeit den Tod herbeiführten, wo die zur Aus¬ 
lösung der Krämpfe notwendige Reizhöhe noch nicht er¬ 
reicht war. 

Zwischen der Eklampsie und der sogen. Schwangerschafts- 
nephritis besteht die engste Beziehung, und das einzige Unter¬ 
scheidungsmerkmal der beiden Erkrankungen ist nur durch den 
Ausbruch der Krämpfe gegeben. 

E. V. Davis meint, man müsse Eklamptische, wenn irgend 
möglich, ins Krankenhaus schaffen. Genaue Aufnahme der 
Anamnese und Untersuchung der Patientin in Narkose ist 
dringend notwendig. Geht es an, so entbinde man die Patientin 
sofort, entferne die Nachgeburt und tamponiere. Sind noch 
keine Wehen da, so leite man die Geburt ein. Bei gespann¬ 
tem Puls sind Aderlaß und Kochsalzinfusionen angezeigt. Ferner 
Kalomel oder Natrium karbonikum, heiße Einpackungen. Man 
katheterisiere alle sechs Stunden. 

D. empfiehlt ferner dreimal täglich 10 mg Veratrin oder 
Digalen. Bei Lungenödem Atropin oder Strychnin. Die Nahrung 
bestehe in Milch und Wasser. Außerdem gebe man per Rektum 
Alkohol und Salzwasser, eventuell auch Strychnin. Kochsalz- 
irrigationen zweimal in 24 Stunden sind beim Kinde zu ver¬ 
ordnen. 

Auch der Kaiserschnitt wird neuerdings häufig bei Eklampsie 

angewendet. 

In einem Falle von Kreisch war die Wahl zwischen 
klassischem Kaiserschnitt und vaginalem Kaiserschnitt vor¬ 
handen. Da die Geburtswege noch vollständig unvorbereitet 
waren, wurde der vaginale Kaiserschnitt vorgenommen. All¬ 
mähliche Besserung. 

Entsprechend neueren Untersuchungen über die Beziehung 
der Eklampsie zu den innersekretorischen Drüsen wird auch 
der Extrakt dieser bei Eklampsie verwendet. 

O. Kaiser empfiehlt, von dem Vassaleschen Mittel 120 
Tropfen innerhalb von 24 Stunden zu geben in Dosen von 
20 Tropfen oder 180 Tropfen intramuskulär innerhalb von 
12 Stunden. K. berichtet von einem Fall von Eklampsie post 
partum. Der Urin 'enthielt 9 / t0 Vol. Eiweiß. Aderlaß, Koch¬ 
salz, Heißluft wurden angewandt. Schließlich Einspritzung von 
2,0 Parathyreoidin, welche dreimal wiederholt wurde. Am 
nächsten Morgen reagierte Patientin auf Anrufen, und am 
nächsten Tage antwortete sie auf Fragen. Allmählich trat 
Heilung ein. 

Nach 0. Franck besitzen wir in der sofortigen Ent¬ 
bindung ein Mittel, welches in 75% der Fälle die schweren 
Erscheinungen der Eklampsie beseitigt. Bei den übrigen 25% 
handelte es sich meist um verlorene Fälle, denen man nach 
der Entbindung einen so schweren Eingriff wie die Nieren- 
dekapsulation nicht mehr zuzumuten wagt. F. führte zehnmal 
die Dekapsulation aus. In einem Falle handelte es sich um 
eine schwere, tief komatöse Eklamptische im vierten Monat, 


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UNIIMSsl IV Ul- MILHIL.AN 




1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


503 


die operativ entbunden in 15 Stunden 26 Anfälle hatte. Man 
machte die Dekapsulation. Drei Stunden post operationem hatte 
sie keinen Anfall. Die Urinmenge, welche früher 127 cm 3 in 
16 Stunden betragen hatte, stieg auf 741, nach weiteren 
26 Stunden auf 1313. Am Ende des zweiten Tages trat hohes 
Fieber ein, und Patientin starb an Pneumonie. 72 Stunden 
nach der Operation waren beide Nieren mit der Umgebung fest 
verlötet. Es ist daher die Vorstellung nicht von der Hand zu 
weisen, daß erst eine nach bestimmter Zeit eintretende Ver¬ 
klebung mit neuen Ausflußbahnen die Entlastung der Niere 
zuwege bringt. Zweimal ließ die Operation im Stich. In zwei 
weiteren Fällen war ein günstiger Einfluß auf den Verlauf der 
Eklampsie wahrscheinlich. In sechs Fällen trat rasche Ge¬ 
nesung ein. In acht Fällen wurde der Uterus zuvor entleert. 
Hiervon blieb ein Fall durch die Operation unbeeinflußt. Zwei¬ 
mal wurde die Operation vor der Entbindung ausgeführt und 
hier wurde nur einmal Erfolg erzielt. 

Einen weiteren Fall von Eklampsie infolge erhöhter intra¬ 
renaler Spannung besprechen G. ter ßraak und A. Mijulieff. 
Eine 21jährige Erstgebärende hatte eine Zangengeburt durch¬ 
gemacht. Bald danach traten Schmerzen auf, die allmählich 
Zunahmen. Sechs Stunden nach der Geburt setzte der erste 
Anfall ein, dem rasch weitere folgten. Rechterseits ist deutlich 
ein Tumor zu tasten. Die Niere sehr vergrößert, so schmerz¬ 
haft, daß Patientin trotz des komatösen Zustandes auf Be¬ 
fühlen stark reagierte. Die Anfälle hörten allmählich auf und 
ebenso die Schmerzen. Abnahme des Nierentumors. Am dritten 
Tage war er verschwunden. Angesichts dieser Krankengeschichte 
eines Eklampsiefalles post partum möchte Rf. darauf hinweisen, 
daß man zweifellos das Entstehen der Eklampsie erklären müsse 
durch die Annahme, daß neben dem toxischen auch noch ein 
mechanisches Moment vorhanden gewesen sein müsse. Dieses 
mechanische Moment findet man in der intrarenalen Spannung 
und den dadurch bedingten, vielleicht sogar plötzlichen venösen 
Stauungen mit vollständiger Aufhebung der Zirkulation bei An¬ 
schwellung des ganzen Organs. Die Tatsache, daß neben dem 
toxischen Moment noch eine mechanische Ursache für die 
Eklampsie vorhanden sein muß, bleibt bestehen. Findet man 
bei einer Eklampsie Oligurie bei stark albumenhaltigem, sangui¬ 
nolentem Urin nach mikroskopischer Untersuchung, also rote 
Blutkörperchen, ebenso granulierte Zylinder und Nieren- 
epithelien, so ist man völlig berechtigt, operativ einzugreifen 
(Dekapsulation), gerade in solchen Fällen, wo die Stauung 
nicht lange bestanden hat. Da ist die beste Prognose vor¬ 
handen. 

Härle behandelte fünf Fälle von Eklampsie mit intra¬ 
muskulären Injektionen von 3 bis 4 g Amylenhydrat. Es trat 
ein ruhiger Schlaf ein. Zur Anregung der Nierentätigkeit gibt 
er 1 cg Pilokarpin. Alle fünf Fälle genasen. 

Literatur. 

vt , U 0 ber die Nebenniere bei puerperaler Eklampsie und die 

Nephritis Schwangerer. Societe de Biol. de Paris. Mai 1908. 

2. Bar und Dannay, Verlauf und Stärke der Albuminurie bei der 
puerperalen Eklampsie. Societe d’obstetr. April 1907. 
i 3. G. Brunet, Ueber die sogen. Eklampsie ohne Albuminurie. Gynä¬ 
kolog. Rundschau, 5, 1908. 

4. E. P. Davis, Die Behandlung der Eklampsie im Hause. The 

Therap. Gazette. 1, 1908. F 

5. E. Kreisch, Sectio caesarea vaginalis wegen Eklampsie. Münchn 
rned. Wochenschr. 22, 1908. 

41 1907°' Kaiseri Eklam P 8ie und Parathyreoidin. Zentralbl. f. Gynäk. 

7. O. Franck, Ueber Nierendekapsulation bei Eklampsie. Münchn 
med. Wochenschr. 50, 1907. 

8. G. ter Braak und A. Mijulieff, Eklampsie infolge erhöhter 
mtrarenaler Spannung. Zentralbl. f. Gynäkol. 42, 1907. 

9. Härle, Amylenhydrat bei Eklampsie. Münchn. med. Wochenschr. 


Chirurgie. 

Referent: Spezialarzt Dr. Heinrich Landau, Berlin. 

1. Beiträge zur Pankreaschimrgie. Von Albert Dreifuß. 
Deutsche Zeitschr. f. Chirurg., Bd. 93, H. 4 u. 5. 

2. Beitrag zur Heusbehandlung. Von W. Braun. Berl. 
klin. Wochenschr., 1908, Nr. 24. 


3. Ueber duodenalen Ileus nach Operationen. Von L/Landau. 
Ibidem. 

4. Zur Gehirnchirurgie. Von Hermann Oppenheim. 
Ibidem, Nr. 28. 

5. Ueber die Erfolge der operativen Behandlung der Fu߬ 
gelenkstuberkulose. Von Rudolf Stich. Deutsche med Wochen¬ 
schrift, 1908, Nr. 28. 

6. Die angiosklerotische Gangrän und ihre operative Be¬ 
handlung durch arterio - venöse Intubation. Von Wietine 
Ibidem. 

1. Der Entschluß zu rascher Laparotomie bei Verdacht auf 
intraperitoneale Verletzungen und Entzündungen hat nicht nur 
vielen Menschen in den letzten Jahren das Leben gerettet, sondern 
auch die Pathologie der großen Eingeweidedrüsen außerordentlich 
gefördert. An erster Stelle steht hier das Pankreas, das häufiger, 
als man annimmt, bei Einwirkung stumpfer Gewalt auf den Bauch 
isoliert verletzt wird, und dessen Entzündung, die gefürchtete 
akute Pankreatitis, sich der chirurgischen Heilung in einem Maße 
zugänglich erwiesen hat wie kein anderes parenchymatöses Organ 
des Körpers. Alsberg operierte einen Fall von Pankreaszer¬ 
quetschung durch Deichselstoß sogar nach 42 Stunden mit Erfolg. 
Der Verletzte hatte sein Fahrrad nach dem Unfall noch führen 
und drei Treppen hinauftragen können; er klagte über heftige 
Schmerzen, der Bauch war druckempfindlich, besonders in der 
Magengrube links; erst später wiesen Auftreibung des Leibes, 
Bauchdeckenspannung, Verkleinerung der Leberdämpfung unzwei¬ 
deutig auf intraperitoneale Verletzung hin, ohne genauere Dia¬ 
gnose zu gestatten. Es fand sich Bluterguß in die Bauchhöhle, 
an Netz und Mesenterium Fettgewebsnekrosen, und am unteren 
Magenrande führte ein großes Loch im Lig. gastrokolikum in die 
mit Blut und Gerinnseln erfüllte Höhle des zerquetschten Pankreas¬ 
schwanzes. Die Heilung erfolgte nach Tamponade und sorgfältiger 
Drainage nach außen ohne Zwischenfall. Nicht minder lehrreich 
sind zwei Fälle chirurgisch behandelter spontaner Pankreas¬ 
erkrankung: ein 15jähriger Junge erkrankt plötzlich mit Leib¬ 
schmerzen und Erbrechen; später gesellen sich Meteorismus, 
Druckschmerz und Muskelspannung rechts oben vom Nabel dazu, 
so daß unter der Annahme einer Appendizitis operiert wird. Der 
Wurmfortsatz erweist sich als gesund; bei weiterem Suchen ent¬ 
leert sich aus der Tiefe klare sanguinolente Flüssigkeit, und Fett- 
gewebsnekrosen leiten nach dem blutig durchtränkten Pankreas 
hin, das nach stumpfer Durchtrennung seines Bauchfellüberzuges 
drainiert wird. Trotzdem geht die Pankreatitis hämorrhagika 
weiter, führt zu einer Exsudatbildung und starker Anschwellung 
der Drüse, die schließlich in die freie Bauchhöhle hineiuplatzt 
und, 18 Tage nach der ersten Operation, eine akute Peritonitis 
hervorruft. Bei ziemlich kritischem Zustand des Kranken gelingt 
es, durch eine zweite Operation das Exsudat zu entleeren und die 
Pankreashöhle zu tamponieren, worauf Heilung erfolgt. Während 
bei dieser akuten Pankreasentzündung höchstens eine sehr reich¬ 
liche Mahlzeit am Abend vorher als auslösendes Moment in Be¬ 
tracht kommt, ist für den anderen Fall, eine akute Pankreas¬ 
nekrose mit Ausgang in Abszedierung, frühere Cholelithiasis an¬ 
zunehmen , die durch Stauung des Pankreassekrets zur Drüsen¬ 
entzündung und Nekrose führte: die 48jährige Frau bemerkte, 
nachdem sie vor drei Wochen nach angestrengtem Heben einen 
außerordentlich heftigen Schmerzanfall gehabt, eine sich rasch ver¬ 
größernde Geschwulst links im Leibe, zugleich bestand hohes Fieber. 
Der mannskopfgroße, die linke obere Bauchhälfte einnehmende 
Tumor ließ an perinephritische Eiterung denken; beim Lumbal¬ 
schnitt fielen sofort Fettnekrosen an der Kapsel der Niere auf 
der Tumor wurde retroperitoneal neben der Niere eröffnet und 
nach Entleerung reichlichen, stinkenden Eiters drainiert. 

In allen drei Fällen, die als Beispiele „chirurgischer“ Pankreas¬ 
erkrankungen ausführliche Wiedergabe verdienen, war der Urin 
unverändert; die gelegentlich auftretende Zuckerausscheidung so¬ 
wie der Abgang von Fett und, neueren Forschungen zufolge? von 
Glyzerin mit dem Stuhl hat also durchaus keine entscheidende 
Bedeutung, Bei unklaren Erkrankungen sowie bei Verletzungen 
in der Oberbauchgegend ist stets das Pankreas in Betracht zu 
ziehen; die lokal nekrotisierende und allgemein toxische Wirkung 
seines Sekrets ist durch frühzeitige Laparotomie und Drainage 
nach außen zu vermeiden. 






from 


“T"“—----- 




504 


THEBAPEÜTISGH&BONDSCHAÜ. 



2. Sobald die Diagnose auf mechanischen Darmverschluß ge¬ 
stellt ist, hat auch die Behandlung auf mechanisch-chirurgischem 
Wege zu erfolgen. Bleibt die Diagnose unbestimmt, so darf mit 
der Beobachtung nicht zu viel Zeit verloren werden; denn „ein 
Verpassen der Indikationsstellung innerhalb der ersten 12 bis 
24 Stunden besiegelt schon das Geschick einer ganzen Reihe von 
Dünndarmvolvuli, Strangulationen und Invaginationen“, und auf 
der anderen Seite kommen meist schwere intraabdominelle Prozesse 
in Frage, wie Gangrän, Perforation, Pankreatitis, bei denen eben¬ 
falls sofortige Laparotomie die beste Aussicht bietet. Von 69 
nach diesem Grundsatz behandelten Ileusfällen hat Braun im 
Krankenhaus Friedrichshain zu Berlin 60% gerettet, während 
frühere Statistiken umgekehrt nur etwa Va Heilungen auf weisen. 
Wird der Eingriff nicht sofort vorgenommen, so läßt Braun 
wiederholte Einläufe geben, besonders konzentrierte 7%ige Koch¬ 
salzklistiere nach Nothnagel, während er von Atropin und 
Physostigmin, welch letzteres sonst unzweifelhaft in vielen Ileus¬ 
fällen sich bewahrt (Ref.), niemals Erfolg, einmal sogar direkten 
Schaden gesehen hat. 

3. Eine Absperrung des unteren queren Duodenumschenkels 
durch die Radix mesenterii mit der Art. mes. sup. (Rokitanskys 
arterio-mesaraischer Verschluß) kommt nach Operationen gelegent¬ 
lich zustande, wenn das Duodenum leer ist und die ins kleine 
Becken hinuntergleitenden, vielleicht auch geblähten Dünndärme 
die Radix mesenterii straff wie eine Saite anspannen. Es erfolgt 
plötzlicher Kollaps, fast rein galliges, nie kotiges, unstillbares Er¬ 
brechen, Auftreibung der linken Oberbauchgegend, schneller Ver¬ 
fall; ein Krankheitsbild, wie es als akute postoperative Magen¬ 
dilatation öfter dringliche Operation veranlaßt hat. Im Falle 
Landaus wurde der Duodenal Verschluß noch im letzten Augen¬ 
blicke richtig erkannt und dadurch beseitigt, daß man die Kranke 
— Laparotomie wegen Uterusmyom — in Bauchlage brachte, 
worauf sofort unter massenhafter Entleerung von Gasen durch 
Mund und After alle Ueuserscheinungen schwanden. Die Kenntnis 
dieses Duodenal-Ueus und des einzigen einfachen Mittels zu seiner 
Heilung ist deswegen wichtig, weil ein solcher Druck Verschluß 
des unverschieblich der Wirbelsäule anliegenden Duodenums durch 
die Radix mesenterii auch einmal ohne vorhergegangene Operation 
zustande kommen kann. 

4. In der ungewöhnlichen Form eines offenen Briefes an 
Fedor Krause weist Oppenheim, der heute wohl das 
schwierige Gebiet der topographischen Hirngeschwulstdiagnose am 
besten beherrscht, darauf hin, daß trotz mancher Paradefälle dieser 
Teil der Hirnchirurgie noch in seinen Anfängen steht, die Dia¬ 
gnose sehr häufig unsicher, der Sitz der Geschwulst ungünstig, 
der Eingriff sehr schwer ist. Für den Praktiker ergibt sich die 
Notwendigkeit, solche Kranke möglichst früh in klinische Beob¬ 
achtung zu bringen, vor allem aber eine genaue Krankengeschichte 
zu führen, „die für das Wohl und Wehe des Patienten geradezu 
entscheidend werden kann“. Die Neißersehe Hirnpunktion be¬ 
trachtet Oppenheim im Gegensatz zu Krause trotz mancher 
Mängel, der Gefahr der Blutung usw., als wertvolles diagnosti¬ 
sches Hilfsmittel. 

5. Die Eigenart des Fußes mit seinen vielen, zum Teil zu¬ 
sammenhängenden Gelenken zwischen kleinen Knochen erfordert 
bei der Fußgelenkstuberkulose, besonders bei deren überwiegenden 
ostalen Form, ein radikaleres Vorgehen, als es z. B. beim Knie 
angezeigt ist. An Garres Klinik wird nur bei den seltenen 
Fällen von einzelnen Knochenherden oder isolierter Gelenkerkran¬ 
kung ein Versuch mit konservativer Behandlung gemacht; sonst 
wird von vornherein das Sprunggelenk — um das es sich,meist 
handelt — reseziert, wobei der Talus ohne großen Schaden ge¬ 
opfert werden kann; denn die Ankylose wird durch erhöhte Be¬ 
weglichkeit im Chopart- und Lisfrankscben wie in den Zehen¬ 
gelenken bis zu einem hohen Grade ausgeglichen, und auch die 
Verkürzung des Beins bleibt, selbst bei Operation im Kindesalter, 
unerheblich, da eine gewisse Anpassung des Kalkaneus stattfindet; 
er wird stärker und das Fußgewölbe steiler. Eine Statistik der 
Enderfolge konservativer und radikaler Behandlung zeigt ebenfalls 
die Ueberlegenheit der letzteren: mußte doch bei der zuerst 
konservativ behandelten Fälle schließlich doch noch operiert werden. 
Die operative^Behancllung ist ungleich kürzer als die konservative 
mit festen Verbänden, Stauung, Jodoformeinspritzung u. dgl.; sie 


macht den Kranken viel rascher wieder erwerbsfähig, und beseitigt 
gründlich die Gefahr, die jeder Kranke mit offener tuberkulöser 
Eiterung für seine Umgebung bildet, und die „nicht geringer ist 
als die des hustenden und spuckenden Phthisikers“* 

6* Wieting ist es als erstem gelungen, bei drohender 
arteriosklerotischer Gangrän des Fußes die Amputation dadurch 
zu vermeiden, daß er die durchschnittene Arteria femoralis in 
ihre oberhalb abgebundene Begleitvene „intubierte“* Die Ver¬ 
einigung -geschah am untereil Ende des Scarpaschen Dreiecks, so 
daß die Arteria profunda femoris und die Vena saphena magna 
als große Zu- und Abflußrohre dem Beine erhalten wurden, 
während das periphere nicht mehr durchgängige Stück der Arterlä 
femoralis ausgeschaltet blieb. Der vorher kühle und bleiche Unter¬ 
schenkel zeigte deutlich die neue Durchblutung, die Schmerzen 
hörten auf, und der Erfolg ist, wenigstens vorläufig, ein bleibender« 
Die gelungene Operation bedeutet einen Fortschritt auf dem Ge¬ 
biete der Gefäßchirurgie, der, wie der Eingeweidechirurgie im 
weiteren Sinne überhaupt, heute viele Chirurgen ihre Arbeit mit 
Vorliebe widmen. 


Pharmakologie. 

Referent: Privatdozent Dr. C. Bachem, Bonn. 

1. Zur Frage der wirksamen Kaffeebestandteile. Von 
Boruttau. Zeitschr. f. physikal. u. diätet. Therap., 1908/09, 
Bd. 12. 

2. lieber den Antagonismus der Gifte. Von H. Meyer. 
Wien. klin. Wochenschr., 1908, Nr. 17. 

1. Nachdem Verfasser die früheren Arbeiten auf diesem Ge¬ 
biete, insbesondere diejenigen von Aubert, Binz, Erdmann 
und Geiser, kurz kritisiert hat, bespricht er seine Versuche mit 
koffeinfreiem Kaffee, indem er die Frage behandelt: Wie unter¬ 
scheidet sich der koffeinfreie Kaffee in seiner Wirkung vom 
koffeinhaltigen. Aus dem neuen Handelsprodukt „koffeinfreier 
Kaffee“ sollen nach Angabe der Fabrik 90% und mehr JKoffein 
entfernt sein, während das sogen. Koffeon erhalten bleibt. Ist 
wirklich das Koffein allein an der bekannten Wirkung auf Herz 
und Atmung beteiligt, so müssen jene Erscheinungen nach Genuß 
des koffeinfreien Kaffees ausfalleu. B. stellte nun Sei bst versuche 
an mit starken (20%igen) Aufgüssen dieses Präparates und ver¬ 
mißte, ebenso wie auch andere, den belebenden Einfluß, Wach¬ 
halten hei Ermüdung usw. Wurde Säugetieren dieses neue Pro¬ 
dukt in den Magen gebracht, so war ebenfalls von einer nach 
koffeinhaltigem Kaffee auftretenden motorischen Unruhe, verstärkter 
Herz- und Atemtätigkeit nichts zu sehen. Bei intravenöser In¬ 
jektion von Infusen gewöhnlichen Kaffees tritt infolge des Kali¬ 
salzgehaltes eine primäre Senkung des Blutdrucks ein mit gleich¬ 
zeitiger Verlangsamung der Schlagfolge und Abflachung der At¬ 
mung. Dasselbe zeigt sich bei reinen Chlorkaliumlösungen, aber 
auch beim koffeinfreien Kaffee; die eigentliche Koffeinwirkung 
tritt erst nach Verklingen der Kaliwirkungen hervor. Wurden 
nun dem koffeinfreien Kaffee auch die Kalisalze entzogen, so 
blieb bei intravenöser Zufuhr in der Tat jede merkliche Wirkung 
aus. Gewöhnlicher koffeinhaltiger Kaffee, in gleicher Weise be¬ 
handelt, ergab nach Einverleibungen der Lösungen aus den Ex¬ 
trakten im Verlauf einer Stunde typische Koffein Wirkung. 

Nebenbei sei noch erwähnt, daß Verfasser auch mit den ver¬ 
schiedenen Extrakten die Wirkungen derselben auf das Zentral¬ 
nervensystem und die Muskulatur des Frosches prüfte. 

Auf Grund seiner Versuche hält sich B. berechtigt, zu be¬ 
haupten, daß der entkoffeinierte Kaffee in den praktisch in Be¬ 
tracht kommenden Aufgüssen keine Koffeinwirkung äußert, anderer¬ 
seits liefern sie einen neuen Beweis dafür, daß die erregende 
Wirkung des Kaffees nur auf das Koffein zurückzuführen ist. 

2. Der rühmlichst bekannte Wiener Pharmakologe bespricht 
in diesem Aufsätze zunächst den Begriff des vielgeschmähten 
„Antagonismus“: in das schwankende Spiel widerstreitender Kräfte 
in den Zellen treten pharmakologisch wirksame Stoffe ein, die die 
Lebensäußerungen der Organe hemmen oder fördern. Ob nun ein 
Gift fördernd oder hemmend auf eine Organfunktion wirkt, läßt 
sich nicht Vorhersagen. Nur bei wenigen Giften, bei solchen mit 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


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. *••£?/* VSTceH.-^ v ' 

ghob chemischer Wirkung, kann man einen Antagonismus a priori 
annelinien*Ader n Typus eines solchen ist die Oxalsäure, die durch 
Ihre Affinität zum Kalk der Gewebe ein Zellgift ist. Zufuhr von 
Kalk macht die Oxalsäure unlöslich und unwirksam. Ein ähnliches 
Verhältnis scheint zwischen Toxin und Antitoxin zu walten; des¬ 
gleichen bei der Neutralisation'von Säure und Alkali. 

Eine andere Art von Antagonismus spielt sich da ab, wo von 
zwei Körpern der eine fördernd, der andere hemmend einwirkt, 
ohne aber selbst zueinander irgendeine Beziehung zu haben. So 
ist durch Versuche nachgewiesen, daß Chinin die Wirksamkeit des 
Hefeferments hemmt, Kurarin sie fördert und beide in bestimmter 
Mischung zusammengebracht ohne Wirkung sind. Wir müssen 
eben im Ferment einen bestimmten Angriffspunkt für beide Gifte 
annehmen, der in entgegengesetztem Sinne beeinflußt wird. Oft 
werden wir auch an eine labile Verbindung irgendwelcher Art mit 
dem gemeinsamen Substrat der lebenden Zelle denken müssen, um 
die sich der Kampf der beiden Gifte abspielt. Das klassische Bei¬ 
spiel hierfür ist das Verhalten des Sauerstoffs zum Kohlenoxyd. 
Um in diesem Falle eine Entgiftung eintreten zu lassen, bedarf 
es einer „Massenwirkung“ von Sauerstoff. 

Die Möglichkeit eines wechselseitigen Antagonismus gibt M. 
zu, denn bei vielen akuten Vergiftungen ist die Giftbindung lösbar, 
das Gift kann gleichsam ausgewaschen werden. Tritt nun noch 
gar ein gleichartig angreifendes, aber umgekehrt wirkendes Agens 
hinzu, so muß die Entgiftung beschleunigt werden. In diesem 
Sinne ist der reziproke Antagonismus aufzufassen zwischen Atropin 
und Pilocarpin, Kurare und Physostigmin, Cholin und Adrenalin. 
Leider ist die Analyse der Wirkungen der Gifte besonders am 
Zentralnervensystem eine äußerst schwierige; hier ist es nicht 
ausgeschlossen, daß ein Scheinantagonismus vorliegt, d. h. daß 
nebengeordnete Zentren für andere (gelähmte) vikariierend ein¬ 
treten. 

Eine dritte Art von Antagonismus ist der mittelbar physiolo¬ 
gische, dessen Typus M. durch die Bezeichnung autonome und 
sympathische Gifte zum Ausdruck bringt. Es hat sich nämlich 
gezeigt, daß die kranialen und sakralen autonomen Nerven alle 
Gegner des Sympathikusheeres sind; sie suchen die ihnen unter¬ 
worfenen Organe (glatte Muskeln, Drüsen, Gefäße, Herz) in umge¬ 
kehrter Richtung zu beeinflussen wie der. sympathische Nerv. Eine 
Reihe von Giften weist nun eine bestimmte und regelmäßige Be¬ 
ziehung zu ihnen auf. Wo nämlich autonome und sympathische 
Nerven antagonistisch wirken, da wirken auch die entsprechenden 
pharmakologischen Mittel in gleichem Sinne; wird z. B. die 
Pupille durch Pilokarpin verengt, so wird sie durch Kokain er¬ 
weitert usw. 

Außerdem existiert eine Reihe anderer physiologischer Anta¬ 
gonisten, die sich aus den inneren Sekreten rekrutieren; so fördert 
z. B. Pankreassekret die Glykogenbilduug, während sie durch 
Nebennierensekret gehemmt wird. Weitere Forschung auf diesem 
Gebiet wird auch das Verständnis jener pathologischen Zustände 
erleichtern, die aus der Gleichgewichtsstörung solcher rivalisierender 
Kräfte hervorgehen. 


Mitteilungen über Arzneimittel. 


Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. Ein Wort zur Anwendung der sogenannten Nährsalze 
;und physiologischen Salze. Von Dr. v. Oefele. Deutsche Aerzte- 
'Zeitg., 1908, H. 14. 

2. Neuere Arzneimittel: EglatoV entgiftetes Chloralhydrat. 

'.Von Dr. v. Boltenstern. Ibidem. 

3. Linoval, eine neue Salbengrundlage mit bakterizider 
"Eigenkraft. Von Dr. Salomon. Med. Klinik, 1908, Nr. 29. 

,4. Jäin neuer Salizylester: Spirosal. Von Dr. Haagner. 
Allgem. Wiener, med. Zeitg., 1908, Nr. 28. 

5.- Heber Jod-Arsentherapie und klinische Erfahrungen 
über Arsojodin. Von Dr. Hintz. Wiener klin. Wochensckr., 
1908, Nr. 29. ' 


1. Die Mineralsalze des fvörpe.s sin 1 der Nähr uig «und laugst 
bekannt, wurden aber mit Ausnahme des Eisens, das vielleicht 
allzusehr in den Vordergrund gestellt wurde, wenig beachtet. 
Später wandte sich das Interesse auch dem Phosphor zu. Den 
Elementen Sauerstoff, Stickstoff, Wasserstoff, Kohlenstoff, Phos¬ 
phor und Schwefel stehen die eigentlichen Mineralstoffe im Körper¬ 
haushalt gegenüber, vor allem Kalk, Magnesia, Natron, Kali, 
Chlor und Kieselsäure. Diese sind vorübergehend mit organischen 
Bestandteilen des Körpers verbunden; im allgemeinen finden sie 
sich jedoch mit Phosphorsäure und Schwefelsäure in anorganischen 
Verbindungen in den Körpersäften. Anorganisch treten sie in 
den Körper ein, anorganisch verlassen sie ihn wieder, und da ihr 
Zustand beim Eintritt und Austritt wenig verschieden ist, so ist 
ihre Rolle viel umstritten. Nach diesen einfachen Feststellungen 
gingen die Aerzte an die Darreichung entsprechender Mineral¬ 
gemische. Die Erfolge waren in zahlreichen Fällen sehr günstig. 
Doch verhielt sich mangels jeder physiologisch annehmbaren Be¬ 
gründung die große Mehrzahl der Aerzte ablehnend gegen die 
Mineralgemische. Die natürliche Folge war die Annahme derselben 
durch die Kurpfuscher. Der Widerspruch gegen diese Pfuscher¬ 
mittel wurde um so stärker, als die Autoren Albu und Neu¬ 
berg sich in ihrem Buche über den Mineralstoffwechsel ganz ab¬ 
fällig über alle Nährsalzpräparate aussprachen. Der einzige feste 
Punkt, von dem ausgegangen werden kann, ist Albert Robins 
Lehre von der pathologischen Demineralisation, die sich vor allem 
im präphthisischen Zustande ausbilden soll. Dem R o b i n sehen 
Gedankengange bei dieser Lehre entspricht das Sal physiologikum 
Poehl, das der Verfasser nahezu 10 Jahre in vielen Kilogrammen 
bei richtiger Indikationsstellung zur größten Zufriedenheit ver¬ 
braucht hat. Am unrichtigen Orte kann man nach Verfassers 
Ansicht mit diesen Salzen großes Unheil stiften. Wo z. B. das 
Herz defekt ist oder Entzündung der Nieren vorliegt, kann der 
erhöhte Mineralstoffwechsel nicht bewältigt werden. In anderen 
Fällen, z. B. bei Phthisis pulmonum, hält Verf. das Sal physio¬ 
logikum Poehl für ein sehr wertvolles Symptomatikum zur Hebung 
der subjektiven und objektiven Kräfte. Gegen die lügenhafte 
Reklame, daß ohne Diätvorschrift die Zuckerkrankheit und selbst 
die Brightsche Nierenkrankheit durch Nährsalzpräparate geheilt 
werden köunten, macht Verl energisch Front. Denn es kann 
wohl bei Diabetes durch physiologische Salze viel genützt, jedoch 
keine Heilung erzielt werden. Das Sal physiologikum Poehl ent¬ 
spricht der Gesamtasche des Blutes. Ein anderes, das die Erd¬ 
salze auslaßt und nur für Arthritis angewendet werden soll, ist 
Regenerol, das unter der Aegide des Prof, von Noorden in die 
Therapie eingeführt wurde. Urizedin greift nur auf die Alkali¬ 
salze zurück. 

2. Wie Langgaardt hervorgehoben hat, kommt für das 
Chloralhydrat als erster Angriffspunkt die graue Substanz der 
Großhirnhemisphären in Betracht; das Rückenmark wird erst 
später und am spätesten die Medulla oblongata und das Herz er¬ 
griffen. Ist nun schon auf Grund der Untersuchungen Kien¬ 
böcks eine Schädigung des Herzens durch Chloralhydrat nicht 
mehr zu befürchten und kann durch Herabsetzung der Dosen die 
hypnotische Kraft des Mittels so vermindert werden, daß nur 
noch ein Sedativum vorliegt, das auf die Großhirnhemisphären 
wirkt, so muß ein schädigender Einfluß im allgemeinen als aus¬ 
geschlossen betrachtet werden. Die letzten prinzipiellen Bedenken 
gegenüber der Verwendung des Chloralkydrats als Sedativum, die 
erhoben werden können auf Grund der ausnahmsweise bei dazu 
disponierten Individuen auftretenden Hiroaffektionen, der Ex¬ 
zitation gerade bei kleineren Dosen usw., fallen aber fort, sobald 
es gelingt, die in dem Chloral gegebenen, ausschließlich auf die 
Großhirnhemisphären gerichtete sedative Wirkung für die Therapie 
nutzbar zu machen unter gleichzeitiger Beseitigung der oben er¬ 
wähnten geringfügigenIntoxikationserscheinungen. Nach v. Bolten¬ 
sterns Ansicht ist dies Dr. Horowitz in dem Präparat „Eglatol“ 
gelungen. Dies ist eine dickflüssige, wasserhelle, klare Flüssig¬ 
keit von aromatischem Gerüche, die in den gewöhnlichen Lösungs¬ 
mitteln völlig, in Wasser teilweise löslich ist. Der Wert des 
Präparats liegt in der Kombination von Cklorall^drat mit Phenyl- 
dimethylpyrazolon; dadurch soll die toxische Wirkung ausgeschaltet 
sein, während die sedative sich völlig entfalten kann. „Eglatol ist 
kein chemisoh einheitlicher Körper; doch bildet es eine einheit- 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 




liehe Flüssigkeit, während sämtliche Ausgangsmaterialien in Kristall¬ 
form auftreten.“ Gleichwohl findet trotz langen Liegens kein Aus¬ 
kristallisieren statt. Tierversuche haben ergeben, daß beim Eglatol 
eine Entgiftung von^ 52% vorliegt. Enorme Dosen, die beim 
Menschen niemals zur Anwendung kommen, würden toxisch wirken: 
0,401 g pro kg Tier entsprechen etwa 25 bis 30 g für den er¬ 
wachsenen Menschen. Deshalb liegen gegen die Verabreichung in 
gesteigerten Dosen ebensowenig Bedenken vor wie gegen wochen¬ 
lange Anwendung. Als Sedativum dürften 0,5 bis 1,0 g mehr¬ 
mals pro die, als Hypnotikum 1,5 bis 2,0 bis 3,0 g in allen 
Fällen ausreichen. Auch klinische Untersuchungen (Blumen¬ 
thal, Mediz. Klin., 1908, Nr. 21J haben die therapeutische 
Anwendbarkeit des Eglatol erwiesen; es wurde in Gelatinekapseln 
verabfolgt. Das Mittel ist als Nervinum und Hypnotikum indi¬ 
ziert. Bei Schmerzen empfiehlt sich eine gleichzeitige Darreichung 
von Phenazetin bezw. Morphin. Desgleichen mag darauf hinge¬ 
wiesen werden, daß man das Eglatol nicht auf den leeren Magen 
verabfolgt. 

3. An guten Salbengrundlagen ist kein Mangel. Das ver¬ 
kennt auch Salomon durchaus nicht. Nachdem er aber bei einer 
Probesendung von Linoval eine auffallende Reinigung eines exulze- 
rierten Karzinoms und Nachlassen der Schmerzen beobachtet hatte, 
sah er sich veranlaßt, das neue Präparat weiterhin zu probieren. 
Nach Angabe des Fabrikanten, R. Schmidt-Altona, ist das wirk¬ 
same Prinzip des Linoval eine Fettsäure, die bei der Raffinerie 
des Leinöls gewonnen wird. Das reine Linoval ist eine weiße 
Salbe von nicht unangenehmem Geruch, die 15% Wasser resor¬ 
biert und unbegrenzt haltbar ist. Alle Zusätze werden ohne Er¬ 
wärmen gemacht: Salizylsäure, Ichthyol, alle Teerpräparate, 
Chrysarobin, Metalloxyde, aber keine Metallsäuren und Alkalien. 
Bei vergleichenden Versuchen mit diesen Salbenverbindungen und 
solchen des Lanolins bezüglich der Wirkung der Salbengrundlage 
dürfte doch dem Lanolin der Vorzug gegeben werden. Bei der 
Anwendung des puren Linovals zeigte sich aber eine offenbare 
bakterizide Wirkung, speziell gegen Staphylo- und Streptokokken. 
So wurde ein alter, vernachlässigter Fall von Furunkulose (27 tiefe 
Furunkel des Rückens) unter Linovalum purum in 10 Tagen zur 
Heilung gebracht. Salomon glaubt, seine hervorragende bakteri¬ 
zide Kraft werde dem Linoval ebenso wie seine analgesierende 
und epithelialisierende Eigenschaft einen dauernden Platz im 
dermatologischen Heilschatze sichern. 

4. Auch Verfasser hat in zahlreichen Fällen von rheumati¬ 
schen und neuralgischen Affektionen sich von der vorzüglichen 
Wirkung des (übrigens nur pur angewendeten) Spirosal überzeugen 
können. H. rühmt besonders die schmerzstillende Eigenschaft des 
Mittels. 

5. Die kombinierte Jod-Arsentherapie hatte bisher immer mit 
der Schwierigkeit zu kämpfen, daß infolge der ausgesprochenen 
Hygroskopizität der Jodsalze eine Verbindung mit der arsenigen 
Säure unmöglich war. Man behalf sich deshalb damit, daß man 
neben Jod Arsen in irgendeiner Form reichte. Mit dem Arsojodin 
wurde ein Präparat auf den Markt gebracht, das Jodnatrium und 
arsenige Säure in inniger Vermischung enthält und in Pillenform 
abgegeben wird, wobei jede Pille genau dosierte Jod- und Arsen¬ 
mengen enthält (und zwar 0,001 arsenige Säure und 0,096 reines 
Jod). Dieses Präparat wurde von Hintz auf der Fing er sehen 
Klinik für Syphilidologie und Dermatologie an ca. 150 Patienten 
erprobt. H. gab 3 Pillen täglich und stieg jeden Tag um eine 
Pille, bis die Kranken 30 Pillen pro die erhielten; dann "wurde 
wieder herabgegangen. Die Vorzüge des Präparats liegen nach 
H. 1. in der guten Verträglichkeit der kleinsten wie der höchsten 
Dosen; 2. darin, daß infolge der Verabreichung in Pillenform 
einerseits eine absolut genaue Dosierung gewahrt erscheint, die 
auf Jod und Arsen zugleich Rücksicht nimmt und es ermöglicht, 
beide Arzneimittel in solchen Mengen zu geben, die sonst für das 
eine und das andere Medikament nicht in Anwendung gebracht 
werden können; 3. weil weder Jod- noch Arsenintoxikation beob¬ 
achtet wurde. Im Hinblicke auf die Atoxyltherapie erscheint es 
wichtig, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, daß ebenso hohe 
oder höhere Dosen von Arsojodin wie Atoxyl verabreicht wurden, 
ohne den Organismus im geringsten zu schädigen. 


Technische Neuerscheinungen. 

Präzisions - Gärungs - Saccharometer 
mit Quecksilberfang. 

nach Dr. Weiden kaff. 

Für die Gärungs-Saccharometer, bei denen Quecksilber 
zum Abschluß einer bestimmten Menge der_ zu vergärenden 
Flüssigkeit benutzt wird, und die durch die Genauigkeit der 
damit erzielten Resultate den Vorzug vor anderen verdienen, 
kommt die Schwierigkeit in Betracht, das zur Verwendung ge¬ 
langte Quecksilber wieder zu gewinnen. Dem soll der Wei¬ 
den kaff sehe Apparat abhelfen. Wie aus der Abbildung er¬ 
sichtlich, zeigt derselbe als neu einem geräumigen, trichter¬ 



förmigen Schenkel, in den die zu vergärende Flüssigkeit bei 
der Gärung aus dem durch Glasstopfen verschlossenen Meß- 
schenkel übersteigern kann, - ohne "daß- ehr'Ueberlaufen' zu be¬ 
fürchten ist. An diesem trichterförmigen Schenkel befindet 
sich eine durch Kautschukstopfen verschließbare Ausbuchtung, 
die dem Zweck dient,'das zum Abschluß der beiden Schenkel 
gebrauchte Quecksilber wieder zu gewinnen. Nach beendigter 
Gärung gießt man die Flüssigkeit durch den trichterförmigen 
Schenkel, dabei sammelt sich das Quecksilber in der Aus¬ 
buchtung, die alsdann durch den Kautschukstopfen abge¬ 
schlossen werden kann. Der Apparat besitzt einen abnehm¬ 
baren, vernickelten Metallfuß, wodurch ihm größere Stabilität 
verliehen ist; das Meß rohr ist Präzisionsarbeit. (Zu beziehen 
durch Weidenkaff, München 31. Preis 4,50 M.) 

M. Plien, Berlin. 


Bücherbesprechungen. 


Narkologie. Ein Handbuch der Wissenschaft über allge¬ 
meine und lokale Schmerzbetäubung. Von Dr. med. W. B. Müller. 
Berlin 1908. 907 Seiten. 

Nachdem Verfasser in der Einleitung das Erscheinen des 
Werkes begründet hat, bringt er im ersten Band einen ganz 
kurzen geschichtlichen Ueb erblick der Narkologie sowie eine Er¬ 
klärung der Namen (Narkosiologie = Allgemeinbetäubung, An- 
ästhetologie = Lokalbetäubung). Lebhaft tritt er für die Ein¬ 
führung der Narkologie als besonderes Lehr- und Prüfungsfach 
ein. Die Forderung, „daß eine Narkose nur dann einzuleiten ist r 
wenn die Unterlassung derselben für das Leben oder die dauernde 
Gesundheit des betreffenden Menschen direkt gefahrbringend und" 
verderblich ist“ (S. 27), dürfte wohl etwas engherzig sein. Verf. 
gibt bei Geburten gleich darauf Ausnahmen zu. Wie stehts bei 
mittelgroßen Vaginalprolapsen, bei Lippen- und Gaumenspalten 
älteren Kinder? Hier wird man die Notwendigkeit der Narkose 
doch wohl anerkennen müssen, obwohl direkt gefahrdrohende und 
verderbliche Zustände nicht vorliegen. 


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THERAPEUTISCHE 


RUNDSCHAU. 


■Es folgen* Ausführungen allgemeiner Art über Vorbereitung, 
Verlauf und Technik der Allgemenmarkose sowie die Behandlung 
des Patienten vor, während und nach derselben. 

Im - speziellen Teil werden die einzelnen Allgemeinnarkotika 
in sehr ausführlicher Weise behandelt, unter Berücksichtigung 
sämtlicher bisher angewandter (ca. 30) Mittel; bei jedem wird die 
chemische Zusammensetzung, die physiologische und pathologische 
Wirkung sowie seine Anwendung erörtert. Den Schluß bilden 
die Mischnarkosen. 

Im 2. Bande über Anästhetologie (lokale Schmerzbetäubung) 
werden im allgemeinen Teil die für* alle Arten mehr oder weniger 
gültigen Punkte behandelt und zum Schluß eine ausführliche Be¬ 
schreibung der sensiblen Nerven der ganzen Körper Oberfläche ge¬ 
bracht. 

Im speziellen Teil folgt wiederum die Besprechung der ein¬ 
zelnen (14) Mittel unter Darlegung der chemischen, physiologischen 
und pathologischen Eigenschaften und ihrer Anwendungsform. Die 
dann folgenden Methoden bilden hier das wichtigste: die Schleich- 
sche Infiltration, die Kokainanästhesie nach Reclus und die 
Leitungsanästhesie nach Oberst und Hackenbruck. — In 
verdienter'Ausführlichkeit bildet den Schluß die Bier sehe Medullar- 
anästhesie, ihre Technik und Anwendung. Bei der Statistik findet 
Verf. auf 288 Fälle einen Todesfall, eine Zahl, die sich bei 
besserer Technik wohl bald verringern wird. 

Ein näheres Eingehen auf die Einzelheiten würde bei der 
Fülle und Wichtigkeit des Stoffes zu weit fuhren. 

Angeschlossen ist ein Literaturverzeichnis von 57 Seiten. 

Verf. klagt in der Einleitung darüber, daß die Narkose viel¬ 
fach noch als etwas Nebensächliches und Leichtes betrachtet 
werde; er hat sehr recht damit. Möge dies fleißige Werk zu 
weiterem Forschen auf diesem Gebiet anregen und zugleich dem 
Praktiker ein belehrendes Nachschlagebuch sein. 

Förste rling-Mörs. 


KORRESPONDENZ 



Eine Gruppe von Interessenten hat in der pharmazeutischen 
und medizinischen Fachpresse gegen meine Präparate Pyrenol, 
Arhovin, Visvit und Jodofan eine Reihe schwerwiegender Ver¬ 
dächtigungen gerichtet. Sämtliche dieser als Tatsachen unter¬ 
stellten Herabsetzungen meiner Präparate sind auf Grund er¬ 
wiesenermaßen falscher Analysen, unzureichender Untersuchungs¬ 
methoden und voreingenommener Voraussetzungen aufgestellt 
worden. Zum Teil habe ich den Beweis hierJfür schon vor den 
ordentlichen Gerichten erbracht. Auch hinsichtlich der übrigen 
Angriffe bin ich imstande, den sofortigen Nachweis dafür zu 
liefern, daß dieselben ebenso ungerechtfertigt und z. T. unlauteren 
Motiven entsprungen sind. — Da aber die Gerichtsferien diesen 
Nachweis erheblich verzögern und die gegen mich gerichteten 
Angriffe für die Begründung der Notwendigkeit der Errichtung 
der gerade jetzt stark umstrittenen Zentralstelle für Arzneimittel¬ 
prüfung als Nothelfer dienen sollen, so weiß ich mich gegen die 
Verdächtigungen einer einflußreichen Gruppe, die ihre Angriffe 
z. T. in einem anscheinend wissenschaftlichen Gewände bringt, 
nur dadurch zu erwehren, daß ich an die gesch. Redaktionen 
der Fachpresse appelliere mit der Bitte, solche Einsendungen, 
die sich mit meinen Präparaten beschäftigen, einer krit is chen 
Prüfung unterziehen zu wollen. 

Zu dieser Bitte halte ich mich für berechtigt, da ich für 
meine Präparate nach jeder Richtung hin durchaus einstehen kann. 

Dr. Arthur Horowitz, Berlin N. 24. 

Wir bemerken hierzu, daß wir es im Interesse aller Be¬ 
teiligten für hocherfreulich halten, wenn es Dr. Horowitz ge¬ 
lingen sollte, den „schwerwiegenden Verdächtigungen“ erfolgreich 
entgegenzutreten. Er müßte allerdings dann stichhaltigere Mittel 
anwenden, als es der Versuch ist, die Gegner durch den Vorwurf 
falscher Analysen, unzureichender Untersuchungsmethoden und vor¬ 
eingenommener Voraussetzungen an die Wand zu drücken. Vor¬ 
läufig können wir — schon wegen der Gerichtsferien — nur 
fragen: „Was ist Wahrheit?“ und müssen uns mit der von Dr. 
Horowitz herausgeforderten Kritik der Einsendungen, die sich 
mit seinen Präparaten beschäftigen, begnügen, natürlich auch der 
Einsendungen, die für Dr. Horowitz sprechen. 


Die Firma Dr. A. Horowitz, Berlin, versendet an die 
Redaktionen ein Rundschreiben, das wir um so lieber zum Ab¬ 
druck bringen, als wir in Nr. 31 unter dem Titel „Fabrikarbeit“ 
auf einige der Firma von „einer Gruppe von Interessenten“ ent¬ 
gegengehaltenen Vorwürfe eingegangen sind. Das Zirkular lautet: 


F. A. Hoppen u. K. Fischer 
Patentanwälte 

Berlin SW. 13, Neuenbnrgerstraße 15 

Amt IV 71S. 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. H. Lungwitz, Berlin S. - Verlag: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle a. S. 
_ n r ,,rfe Hevnetnannschen Buchdmr.lcerei. Gehr. Wolff. Hall* a. S 



Vor Nachahmungen und Fälschungen wird gewarnt. 


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auch an Private . Günther «fe Noltemeyer. 


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gegen 

Haemorrljoiden, 

Blutungen, Pruritus, Tenesmus, Mastdarm- 
katarrh, Schrunden und Wundsein der Anal¬ 
gegend, schmerzhafte Stuhlentleerung. 
Wirkung ohne irgendwelche Sekundär-Erscheinung. 

Literatur: Prof. Boas-Berlin, Kehr-Halberstadt, Pickardt- 
Berlin, Weiß-Berlin, Landsberg-Berlin, Zibell-München, 
Wright-London, Silvestri-Rom, Dawson-London. 

Proben und Literatur gratis und franko. 

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Wochenschrift für die gesamte Therapie des praktischen Arztes. 


G. Anton, A. Duhrssen, C. A. Ewald, E. Friedberger, P. Gerber, 
Halle a. S. Berlin. Berlin. Berlin. . Königsberg. 

H. Schlange, Ad. Schmidt H. Schmidt-Rimpler, 

Hannover. Halle a. S. Halle a. S. 


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Berlin S. 14, Dresdenerstr. 44. Tel. iv, 11773 . 
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R. Robert, M. Koeppen, M. Mosse, K. Partsch, H.*Rosin, 

Rostock. Berlin. Berlin. Breslau. Berlin. 

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in Halle a. S., Reilstraße 80. 

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Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte der Ostsee and der 

Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 


n. Jahrgang. 


Halle a. S., 23. August 1908. 


Nr. 34. 


. Di . e »Therapeu tische Rundschau“ erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2M., einzelne Nummer 20 Pf. Bestellungen nehmen jede Buchhandlung, 
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Nachdruck der Original-Aufsätze ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. — Nachdruck der anderen Rubriken ist nur mit Quellenangabe gestattet 


CD ORIGINALIEN. □ 


Ueber Anwendung und Wirkung 
der Pyozyanase bei Infektionskrankheiten, 
besonders bei Diphtherie. 

Von Dr. med. A. Scharff, Calbe a. S. 

(Schluß.) 

Was nun die Wirkung der Pyozyanase auf die einzelnen 
Krankheitssymptome betrifft, so machte ich dabei folgende Be¬ 
obachtungen : 

1. Die Rachenbeläge verschwanden ziemlich schnell. Wäh¬ 
rend ich bei der reinen Sernmtherapie meist zunächst ein 
Wachsen der Beläge bemerkte, waren bei der Behandlung mit 
Pyozyanase die Beläge meist schon am zweiten Behandlungs¬ 
tage kleiner geworden, um dann in einigen Fällen schon am 
dritten Behandlungstage, meistens am vierten oder fünften Tage, 
ganz zu verschwinden. Nur in zwei Fällen war der Belag erst 
am sechsten Behandlungstage verschwunden. Ebenso wie 
Zucker, Mühsam und andere konnte auch ich feststellen, 
daß, während bei reiner Serumbehandlung die Beläge sich 
stückweise oder in ganzen Membranen abstießen, die Beläge 
bei der Pyozyanasebehandlung vom Rande her abschmolzen. 
Besonders charakteristisch war diese eigenartige Form der 
Membranabschmelzung bei dem nur mit Pyozyanase be¬ 
handelten Falle zu erkennen. 

2. Der foetor ex ore verschwand sehr schnell. 

3. Das Fieber fiel unter Pyozyanasebehandlung bald zur 
Norm ab. In elf Fällen war bereits nach einem Tage das 
Fieber verschwunden, in acht Fällen nach zwei Tagen, und 
nur in zwei Fällen waren nach drei Tagen noch leichte Fieber¬ 
erscheinungen (abends 38,2 bezw. 38,5°) zu verzeichnen. 

4. Das subjektive Befinden wurde ebenfalls günstig be¬ 
einflußt. Meistens machten die Kranken schon am zweiten oder 
dritten Behandlungstage gar keinen kranken Eindruck mehr. 
Sie saßen im Bett, spielten, lachten und sangen. Auch der 
Appetit wurde bald besser, oft sagten mir die Eltern schon 
nach wenigen Tagen, die Kinder seien kaum zn sättigen. 

5. Die Drüsenschwellungen, soweit solche vorhanden wai^en, 
gingen gleichfalls schnell zurück. In den Fällen, wo bei Beginn 
der Behandlung die Submaxillardrüsen nicht geschwollen waren, 
traten auch im weiteren Verlauf der Erkrankung keine Schwel¬ 
lungen mehr auf. 


6. Bei der kruppösen Erkrankung von Kehlkopf und Luft¬ 
röhre trat bald eine Linderung der Atemnot und eine Lösung 
ein. Nur in einem Falle von hochgradiger Stenose war keine 
Besserung zu erreichen. 

Auf einen Punkt möchte ich noch aufmerksam machen, 
der in den bisher erschienenen Arbeiten über Pyozyanase noch 
nicht berücksichtigt worden ist. Ich habe nämlich seltener 
Nachkrankheiten bei den mit Pyozyanase bezw. Pyozyanase 
und Serum behandelten Diphtheriekranken beobachtet, wie bei 
den nur mit Heilserum behandelten. Während ich bei 244 nur 
mit Serum behandelten Fällen 35 mal postdiphtherische Läh¬ 
mungen beobachtete (vielleicht wären es noch mehr gewesen, 
wenn ich alle Kranken hätte nachuntersuchen können), habe 
ich bei den 25 mit Pyozyanase behandelten Fällen nur dreimal 
eine Lähmung eintreten sehen. Davon war ein Kind mit einer 
schweren septischen Diphtherie, das acht Tage nach Beginn 
der Erkrankung eine Gaumenlähmung bekam und einen Tag 
später an Herzlähmung starb, ein Kind (Fall 1 meiner Sta¬ 
tistik) wurde erst sechs Tage nach Beginn der Erkrankung mit 
Pyozyanase behandelt und ein Kind drei Tage nach Beginn 
der Erkrankung. In all den Fällen, wo gleich vom ersten Tage 
ab Pyozyanase zur Anwendung kam, konnten bei mehrfachen 
Nachuntersuchungen keine postdiphtherischen Lähmungen fest¬ 
gestellt werden. Ich habe ferner in sämtlichen Fällen nach 
Verschwinden der Krankheitserscheinungen den Urin unter¬ 
sucht und dabei niemals Eiweiß gefunden. Ich glaube nicht, 
daß dieses günstige Ergebnis ein zufälliges ist, erkläre es mir 
vielmehr dadurch, daß durch die Pyozyanasebehandlung der 
Krankheitsprozeß lokalisiert wird und die Krankheitserreger, 
Diphtheriebazillen, Strepto- und Staphylokokken nicht von den 
Tonsillen aus in die Lymphdrüsen und von da in die Lymph- 
und Blutbahnen gelangen können. Es wäre jedenfalls wün¬ 
schenswert, wenn diese Frage nachgeprült würde. 

Was ferner die etwaigen Nebenwirkungen der Pyozyanase 
betrifft, so habe ich bei zwei Kindern, welche die überschüssige 
Pyozyanase verschluckten, während oder kurz nach der Ein¬ 
blasung Erbrechen eintreten sehen. Eines von diesen Kindern 
bekam auch Durchfall, während das andere (es waren zwei 
Geschwister), trotzdem es ebensoviel Pyozyanase schluckte, 
sogar schweren Stuhlgang hatte. Bei beiden Kindern hat sich 
das Erbrechen später gelegt. Ich habe nur die Vorsicht ge¬ 
braucht, bei leerem Magen einzublasen und zwischen den ein¬ 
zelnen Einblasungen größere Pausen zn machen. Eines von 
diesen Kindern bekam auch Urtikaria, doch glaube ich, daß 
diese nicht durch die Pyozyanase verursacht wurde, sondern 
durch das gleichfalls angewendete Heilserum, oder genauer ge¬ 
sagt, durch die dem Heilserum zugesetzte Karbolsäure. Zu 
dieser Annahme halte ich mich für berechtigt, weil ich einer¬ 
seits bei nur mit Pyozyanase behandelten Kranken niemals 


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510 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 




Urtikaria auftreten sah, andererseits in den letzten vier Monaten 
bei vier nur mit Heilserum behandelten Fällen ebenfalls Urti¬ 
karia beobachten konnte. Daß Karbolsäure Urtikaria hervor- 
rufen kann, ist ja bekannt. 

Da sich bei den experimentellen Untersuchungen über die 
Wirkung der Pyozyanase zeigte, daß diese nicht nur Diph¬ 
theriebazillen, sondern auch andere Krankheitserreger zu ver¬ 
nichten vermochte, so lag es nahe, auch andere Infektions¬ 
krankheiten durch Pyozyanase zu heilen zu versuchen.- So 
berichtet J e h 1 e über günstige Erfolge der Pyozyanasebehand- 
lung bei einer Grippenepidemie im Säuglingssaale der Wiener 
Kinderklinik. Dies veranlaßte mich, ebenfalls Pyozyanase bei 
Grippe zu gebrauchen, und zwar habe ich das Mittel bei solchen 
Kranken in die Nase eingeträufelt bezw. eingeblasen, bei denen 
trotz innerlicher Verabreichung von Salipyrin und Schwitz¬ 
einpackung ein Stockschnupfen bestehen blieb. Ich lasse die 
betr. Krankengeschichten im Auszug folgen: 

Fall 1. Frau E., erkrankte am 14. Februar mit Schüttel¬ 
frost, heftigen Kopf- und Gliederschmerzen, Schnupfen und 
Husten. Temp. 14. Februar 38,5. Es wird zunächst Salipyrin 
gegeben, Patientin muß tüchtig schwitzen. 

16. Februar. Trotz Salipyrin und zweimaliger Schwitz¬ 
einpackung noch immer Fieber (88,0) und Stockschnupfen. 
Patientin klagt, daß sie gar keine „Luft durch die Nase be¬ 
kommen“ könne. Die Nase hat zweimal stark geblutet. Es 
wird nun Pyozyanase in die Nase eingeblasen. 

17. Februar. Temp. 36,8, Nase etwas freier, noch einmal 
Nasenbluten. Die Pyozyanasebehandlung wird fortgesetzt. 

18. Februar. Temp. 36,5, Nase rechts ganz frei, links 
noch etwas verstopft, keine Blutung wieder eingetreten. 

20. Februar. Völlig geheilt, Nase vollkommen durchgängig, 
keine Sekretion mehr, subjektives Wohlbefinden. 

Fall 2. Herr B., erkrankte am 18. Februar mit Schüttel¬ 
frost und Fieber (39,0), heftigen Kopf- und Gliederschmerzen, 
stark belegte Zunge, Appetitmangel, Stockschnupfen. Ord. 
Salipyrin innerlich, Pyozyanaseeinblasung. 

19. Februar. Fieberfrei, fühlt sich bedeutend besser, Nase 
etwas freier. Die Pyozyanasebehandlung wird fortgesetzt. 

22. Februar. Völlig geheilt, subjektives Wohlbefinden, 
Appetit gut, Zunge wieder rein, Nase sondert gar nichts mehr 
ab und ist völlig durchgängig. 

Fall 3. Herr G. F. wird seit acht Tagen wegen Influenza 
behandelt mit Salipyrin, Schwitzeinpackungen usw. 

Am 18. Februar ist er fieberfrei, hat aber noch immer 
Stockschnupfen und Luftröhrenkatarrh, klagt besonders über 
die verstopfte Nase, die ihm immer ein Gefühl der Trockenheit 
im Halse und Hustenreiz verursache. Auch habe er noch immer 
Kopfschmerzen und könne nicht schlafen. 

Vom 18. Februar ab täglich zweimal Einträuflung von 
Pyozyanase in die Nase; bereits am nächsten Tage Besserung. 

Am 22. Februar Schnupfen ganz verschwunden, Nase durch¬ 
gängig, auch Kopfschmerzen und Bronchitis gebessert. Patient 
längt an aufzustehen. 

Die Zahl der behandelten Fälle ist natürlich zu klein, um 
bindende Schlüsse zu ziehen, jedenfalls empfiehlt es sich, weitere 
Versuche anzustellen. 

Da sich bei den experimentellen Untersuchungen zeigte, 
daß die Pyozyanase auch auf Gonokokken bakterizid wirkt, so 
habe ich auch einige Fälle von Gonorrhöe mit Pyozyanase be¬ 
handelt. 

Fall 1. Herr S. leidet seit Oktober 1907 an Gonorrhöe. Er 
ist bisher behandelt mit Einspritzungen von Protargol, Kal. 
permang. Zinc. suifo.-carbol., mit Arhovin und Gonosan. Trotz 
aller Mittel besteht am 29. Februar 1908 noch immer ein spär¬ 
licher Ausfluß, der Gonokokken enthält. Es wird daher am 
29. Februar Pyozyanase (unverdünnt) eingespritzt. Einige Tage 
später erneute Untersuchung des Sekretes: keine Gonokokken 
mehr. 

6. April. Nachuntersuchung: keine Gonokokken zu finden. 

Fall 2. Herr O., erkrankte am 10. Februar 1908 an Go¬ 
norrhöe, starker eitriger Ausfluß, der massenhaft Gonokokken 
enthält, bekommt zunächst Balsam, copaiv. innerlich und Ein¬ 
spritzungen mit Kal. permangan. 


I. März. Linksseitige Epididymitis, noch immer eitriger 
Ausfluß, der reichlich Gonokokken enthält. Es wird nur refne 
Pyozyanase eingespritzt. Patient soll selber keine Einspritzungen 
mehr machen. 

Einige Tage später kein eitriger Ausfluß mehr, Epididy¬ 
mitis zurückgegangen. Keine Behandlung mehr. 

Nachuntersuchung am 2. Mai 1908. Es gelingt mit Mühe 
des morgens früh, bevor Patient uriniert -hat, ein kleines 
Schleimtröpfchen aus der Harnröhre zu pressen. Bei der 
mikroskopischen Untersuchung werden keine Gonokokken 
gefunden. 

Fall 3. Herr V., erkrankte am 14. April an eitrigem Aus¬ 
fluß aus der Harnröhre. Der Eiter enthält sehr reichlich Gono¬ 
kokken. Es werden zunächst Einspritzungen mit l%igerPro- 
targollösung verordnet. 

26. April. Ausfluß hat nachgelassen, doch werden noch 
immer Gonokokken gefunden, daher Pyozyanaseeinspritzung. 

27. April. Ausfluß hat aufgehört, Patient ist schmerzfrei. 

3. Juni. Nachuntersuchung. Es hat sich kein Ausfluß 

wieder eingestellt, auch heute ist nicht ein Tropfen Eiter zu 
erhalten. 

Fall 4. Herr H., erkrankte acht Tage post coitum am 
30. Mai 1908 an eitrigem Ausfluß aus der Harnröhre und 
brennenden Schmerzen beim Wasserlassen. Bei der ersten 
Untersuchung am 1. Juni finden sich massenhaft Gonokokken. 
Es wird sofort Pyozyanase eingespritzt, sonst nur Gonosan 
innerlich gegeben. 

3. Juni. Schmerzen und Eiterung geringer, mikroskopisch 
finden sich noch Gonokokken, aber weniger wie vorgestern. 
Nochmals Einspritzung von Pyozyanase. 

5. Juni. Koch mäßige Absonderung von gonokokken¬ 
haltigem Eiter. Nochmals Pyozyanaseeinspritzung. 

8. Juni. Status idem. Wiederholung der Pyozyanaseein¬ 
spritzung. 

II. Juni. Patient hat keinerlei Beschwerden mehr. Es 
läßt sich mit Mühe ein Tropfen Sekret aus der Harnröhre 
pressen, es gelingt aber nicht, noch Gonokokken zu finden. 

Was die Technik der Pyozyanasebehandlung betrifft-, so 
habe ich meistens zur Injektion eine gewöhnliche Tripperspritze 
mit konischem Gummiansatz benutzt. Nur einmal habe ich 
reine Pyozyanase injiziert, sonst die Pyozyanase mit destillier¬ 
tem und durch Kochen sterilisiertem Wasser zur Hälfte verdünnt 
und die Einspritzung 10 'bis 15 Minuten in der Harnröhre 
zurückhalten lassen. Das Verfahren war schmerzlos. 

Ich komme nun zu einigen Fällen von Tonsillitis, die 
anfangs den Verdacht auf Diphtherie erweckten, bei denen 
aber bakteriologisch keine Diphtheriebazillen gefunden werden 
konnten. 

Fall 1. E. S., 11 Monate alt, erkrankte am 20. Februar 
1908 mit Schnupfen, Husten und Fieber (Temp. 38,0, Puls 140), 
beide Tonsillen stark geschwollen und gerötet, mit wenig gelb¬ 
lich-weißem Belag. Da zwei Kinder im gleichen Hause an 
Diphtherie erkrankt sind, wird Pyozyanase eingeblasen in Hals 
und Nase. 

21. Februar. Befinden besser, Belag verschwunden, noch 
Fieber 38,0. 

22. Februar. Fieberfrei, hat ruhig geschlafen, Nase läuft 
nur noch wenig, Schwellung der Tonsillen geringer, Husten 
locker. 

23. Februar. Völlig geheilt. 

Fall 2. Frau R., 20 Jahre alt, erkrankte am 3. Mai 1908 
mit Hals-, Kopf- und Rückenschmerzen, Appetitlosigkeit, 
Uebelkeit. 

4. Mai. Temp. morgens 38,0, Puls 120, Belag auf beiden 
Tonsillen, Zunge belegt. Da der Ehemann vor l U Jahr an 
Diphtherie erkrankt war, Pyozyanaseeinblasung dreimal täglich. 

5. Mai. Temp. 36,7, Puls 78, Belag weniger, Allgemein¬ 
befinden besser. 

6. Mai. Temp. 36,2, Puls 72, Belag völlig verschwunden* 
subjektives Wohlbefinden, Zunge rein, Appetit gut. 

Fall 3. H. H., 47 Jahre alt, erkrankte am 7. Mai 1908 mit 
Kopf- und Rückenschmerzen, Uebelkeit, Appetitmangel, Schluck¬ 
beschwerden. 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


511 


des Knochens war nicht festzustellen: es blieb bei der Ver¬ 
ordnung von Spülungen mit ßorwasser. 

Da aber die Eiterung gar nicht abnehmen wollte, so ver¬ 
suchte ich es mit der Pyozyanasebehandlung und träufelte täg¬ 
lich einmal mittels Pipette Pyozyanase in beide Nasenlöcher 
und zwar jedesmal e x twa 0,5 ccm. Diese Behandlung wurde 
am 5. Mai 1908 begonnen. Da der Verdacht- vorlag, daß es 
sich um chronische Nasendiphtherie handeln könne, ließ ich 
den Eiter bakteriologisch untersuchen. Die Untersuchung ergab: 
Streptokokken, keine Diphtheriebazillen. 

. Bereits nach wenigen Tagen hatte die Eiterung nachge¬ 
lassen. Daß diese Besserung auf die Pyozyanasebehandlung 
zurückzuführen war, zeigte sich deutlich, als wegen einer Reise 
einige Tage lang die Pyozyanasebehandlung ausgesetzt werden 
mußte, da die Eiterung sogleich wieder stärker wurde, auch 
gab die Mutter an, daß nach der Einspritzung mehrere Stunden 
hindurch kein Eiter abgesondert wurde und erst am nächsten 
Morgen wieder stärkere Eiterung eintrat. Ich ließ deshalb vom 
17. Mai ab die Pyozyanase zweimal täglich einspritzen, und nun 
besserte sich der Zustand weiter, bis am 25. Mai die Eiterung 
völlig aufgehört hatte. Wahrscheinlich hätte sich auch hier 
schon früher die Heilung erzielen lassen, wenn gleich von 
vornherein zwei- bis dreimal täglich Pyozyanase eingeblasen 
worden wäre. 

Zum Schlüsse will ich die Ergebnisse meiner Unter- 


* <3.' Max.“ Temp. 88,8, Puls 84, Beiag auf beiden Tonsillen, 
starker foetor ex ore, Zunge belegt. Pyozyanaseeinblasung. 

' - 9. Mai.- Temp. 36,7, Puls 72, Belag verschwunden, Ton¬ 

sillen nur hoch , etwas gerötet und geschwollen, Allgemein¬ 
befinden besser. 

iO. Mai. Völlig geheilt nnd beschwerdefrei. 

Fall 4. E. K., 5 Jahre alt, erkrankte am 29. Mai 1908 
mit Hals-, Kopf- und Leibschmerzen. Trotz Gurgeln mit essig¬ 
saurer Tonerde, Trinken von Zitronensaft und Prießnitzscher 
Umschläge um den Hals wurde es nicht besser, deshalb schickten 
die Eltern am Abend des 29. Mai zu mir. Ich fand das Kind 
ziemlich stark fiebernd (Temp. 39,0, Puls 130); es hatte Belag 
auf beiden Tonsillen, belegte Zunge, keinen Appetit und 
klagte besonders über Hals- und Kopfschmerzen. Pyozyanase¬ 
einblasung. 

30. Mai. Temp. 38,2, Puls 102, Belag etwas weniger, All¬ 
gemeinbefinden besser, weiter Pyozyanase. 

31. Mai. Temp. 36,5, Puls 84, Belag völlig verschwunden, 
subjektives Wohlbefinden. 

Bakteriologisch fanden sich: Streptokokken (Untersuchung 
29. Mai 1908). 

Fall 5. K. J., 15 Jahre alt, erkrankte am 1. Juni 1908 
unter mäßigen Fiebererscheinungen an Halsschmerzen. Beide 
Mandeln zeigten Belag, der trotz fleißigen Gurgelns mit essig¬ 
saurer Tonerdelösung nicht abnehmen wollte. 

2. Juni. Beide Tonsillen stark geschwollen, lakunär sitzen¬ 
der weißlicher Belag, Zunge belegt. Appetitmangel, Temp. 37,5. 
Puls 120. Pyozyanaseeinblasung dreimal täglich. 

3. Juni. Der Belag hat sich verringert, die Schluck¬ 
beschwerden haben nachgelassen, Temp. 36,8, Puls 96. Die 
Pyozyanasebehandlung wird fortgesetzt. 

4: Juni. Belag völlig verschwunden, Zunge nicht mehr 
belegt, Temp. 36,5, Puls 84. subjektives Wohlbefinden. 

Alle fünf Fälle sind bakteriologisch untersucht worden, es 
fanden sich in keinem Fall Diphtheriebazillen. In einem Fall 
wurden Streptokokken im Mandelabstrich gefunden. In allen 
fünf-Fällen trat schnelle Heilung ein. Nachkrankheiten oder 
unangenehme Nebenwirkung der Pyozyanase wurden nicht 
beobachtet. Für Kinder, die nicht gurgeln können und für 
Fälle von hartnäckigem Mandelbelag, der unter Anwendung 
von Gurgelmitteln nicht verschwindet, dürfte sich also die 
Pyozyanasebehandlung gleichfalls empfehlen. 

Weiter habe ich Pyozyanase angewendet in einem Falle 
von Scharlach. 

E. H., 3 Jahre alt. erkrankte am 28. Februar an Scharlach. 
Temp. 39,0, Puls 140, Scharlachausschlag, beide Tonsillen stark 
geschwollen und belegt, Zunge belegt, starke Koryza. 

Pyozyanaseeinblasungen in Hals und Nase. 

Nach dreitägiger Behandlung ist der Belag aus dem Halse 
fast völlig verschwunden, ebenso der Ausfluß aus der Nase, 
doch besteht noch immer Fieber, das abends bis zu 39,0 steigt. 
Die Pyozyanasebehandlung konnte leider nicht fortgesetzt 
werden, da mein Vorrat erschöpft war und eine frische 
Sendung" erst eintraf, nachdem die Krankheitserscheinungen 
bis zur Norm zurückgegangen waren. Das Kind ist völlig ge¬ 
heilt ünd hat auch keine Nachkrankheiten bekommen. 

Leider habe ich seitdem noch keinen Scharlachfall mit 
schwereren Halserscheinungen wieder in Behandlung bekommen, 
jedenfalls erscheint nach den guten Erfolgen bei Diphtherie 
und lakunärer Mandelentzündung ein Versuch mit der Pyo¬ 
zyanasebehandlung auch bei der Scharlachdiphtherie berechtigt. 

Endlich möchte ich noch über einen Fall von chronischer 
Naseneiterung berichten, der durch Pyozyanasebehandlung ge¬ 
heilt worden ist. 

Es handelt sich um den l 1 ^ Jahre alten Knaben H. S. 
Er hatte Ende Januar 1908 Diphtherie gehabt und seitdem eine 
äußerst hartnäckige Naseneiterung. Diese war bisher mit Aus¬ 
spülungen der Nase mit Borwasser behandelt worden, ohne 
daß eine Besserung zu verzeichnen war. Mitte April machte 
eine sekundäre Mittelohreiterung die Parazentese des rechten 
Trommelfells nötig, die in einer Ohrenklinik vorgenommen 
wurde. Dort wurde auch die Nase untersucht; eine Erkrankung 


suchungen nochmals kurz zusammen fassen: Die Pyozyanase 
verdient bei der Behandlung menschlicher Diphtherie neben 
dem Heilserum, besonders in Fällen von Mischinfektion und 
bei verzögerter Rückbildung der Membranen, angewendet zu 
werden. Sie befördert die Auflösung der Beläge, beseitigt sehr 
schnell den foetor ex ore und das Fieber und wirkt günstig 
auf den Allgemeinzustand der Kranken. Durch Pyozyanase 
gelingt es, den Erkrankungsprozeß zu lokalisieren und die 
Persistenz der Diphtheriebazillen zu verhüten, auch werden 
seltener Nachkrankheiten bei Pyozyanasebehandlung beobachtet. 
Auch bei lakunärer Mandelentzündung empfiehlt sich die Pyo¬ 
zyanasebehandlung, besonders bei Kindern, die noch nicht 
gurgeln können. Die bisherigen Erfahrungen mit dem Mittel 
bei Influenza, Gonorrhöe und anderen infektiösen Erkrankungen 
berechtigen zu weiteren klinischen Versuchen. 

Nachtrag: Während der Drucklegung der Arbeit habe ich 
noch weitere 4 Diphtheriefälle mit Pyozyanase behandelt, da¬ 
von 2 Fälle mit Pyozyanase allein, 2 Fälle mit Pyozyanase- 
Heilserum. Alle 4 Kranke wurden geheilt; Diphtheriebazillen 
in allen 4 Fällen gefunden. Im übrigen bestätigte der Ver¬ 
lauf auch dieser Fälle die günstige Wirkung der Pyozyanase. 


Miszellen aus der französischen Geburtshilfe. 

Von Dr. E. Rohlff, Potsdam. 

Professor Fritsch hat kürzlich den Vorschlag gemacht, 
die Assistenten der verschiedenen Kliniken vierteljährlich aus¬ 
zutauschen, damit durch diese die Errungenschaften der ein¬ 
zelnen Pflegestätten der Wissenschaften schneller zu allgemeiner 
Kenntnis gelangten. Erst recht wird aber die Verbreitung 
solcher Fortschritte gehemmt, wenn noch Sprachverschieden- 
heiten eine Trennungsmauer errichten. Dank unseren Gym¬ 
nasien, für die in ärztlichen Kreisen ja noch immer Begeiste¬ 
rung herrscht, konnten wir weder französisch noch englisch 
sprechen oder auch nur fließend lesen, als wir die Schule ver¬ 
ließen. Es ist daher kein Wunder, wenn ganz bedeutende 
Fortschritte, die in einem dieser Länder gemacht wurden, bei 
unsern Praktikern so gut wie unbekannt geblieben sind. 

Die Franzosen haben die Geburtshilfe mit Stolz stets als 
eine französische Wissenschaft bezeichnet und das nicht mit 
Unrecht; denn sehr viele bedeutende Errungenschaften ver¬ 
dankt man deren Lande. Ich nenne aus neuester Zeit z. B. 
die Achsenzugzange, den Basiotrib, den harten Ballon Cham- 
petier, den 6carteur utörin Tarnier (ans dem der Bossi erwuchs), 
die Ausbildung der Technik der Symphysiotomie, welche an¬ 
scheinend wieder der Pubiotomie Konkurrenz machen wird, 


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Original fro-m 

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und den Griff Pinards, um bei Steißlagen indirekt einen Fuß 
lierunterzuholen, wenn man nicht direkt mehr herankommen 
kann. 

Nachdem in einem früheren Aufsatz in dieser Zeitschrift 
der Bossi und der Ballon Champetier abgehandelt worden, 
möchte ich diesesmal die Basiotripsie, die Verwendung des 
öcarteur Tarniers zur Wehenerregung, und den Handgriff von 
Pinard besprechen. 

A. Der Basiotrib. 

In der Pratique mödico-chirurgicale, 1907 herausgegeben 
unter der Aegide von Pinard, schließt der Artikel cranioelaste 
mit den Worten: „Le basiotribe a. remplacö avanteusement le 
cranioelaste qui n’est plus employö.“ Demgegenüber las ich 
erst kürzlich in einer deutschen Abhandlung den Satz: „Die 
Dreiblätter scheinen keine besonderen Vorteile vor dem Kranio- 
klast zu bieten.“ 

Was ist Wahrheit? 

Lebhaft erinnere ich mich noch aus der Studentenzeit, 
welches Aufsehen die Einführung des Kranioklastes seinerzeit 
erregte. Meine Begeisterung hat sich inzwischen seit langem 
beträchtlich abgekühlt. Wenn es sich um die ernstesten Fälle 
handelt, so gebe ich den Franzosen recht; der Kranioklast dürfte 
dabei nicht verwendet werden, nur der Basiotrib. 

Untersuchen wir zunächst die Bedingungen, unter welchen 
jene Instrumente in Tätigkeit treten sollen. 

Der Kranioklast ist nur ein Zuginstrument. Trotz aller 
imponierenden, selten gebrauchten Sehraubvorrichtungen ist er 
nur die alte Knochenzange recht handlich lang, mit bequemer 
Pack- und Haltevorrichtung. Er läßt die Schädelbasis unver¬ 
sehrt. Der Durchtritt des Kopfes wird nur in dem Verhältnis 
erleichtert, in welchem der größte Umfang der Gehirnhöhle 
den Umfang des Kopfes in der Basisebene übertrifft. Das be¬ 
wirkt aber nicht eigentlich der Kranioklast, sondern die Per¬ 
foration. Der Kranioklast verhilft nur zum bequemen Hindurch¬ 
ziehen. 

Der Basiotrib dient einerseits in gleicher Weise als Zugin¬ 
strument. andererseits zerquetscht er die Basis und bewirkt 
eine Verkleinerung des Längendurchmessers vom Hinterhaupt 
zur Stirn. Er verkürzt, ihn auf eine Länge von nur 472 cm 
— den Abstand der beiden äußeren Arme bei geschlossenem 
Instrument, wobei die Dicke der Stahllöffel noch mitgerechnet 
wird aus praktischen Gründen. Nötigenfalls kann der Schläfen¬ 
durchmesser bei allgemein sehr verengtem Becken durch er¬ 
neute Zerquetschung in gleicher Weise verkleinert werden. 

Nun ist bei Vergleichung der Unterschied in der Wirkung 
beider Instrumente klar, wann ein jedes Anwendung finden sollte. 
In allen Fällen, wo das Becken noch die Basis des Schädels 
in normaler Stellung passieren läßt, soll man nur den Kranio¬ 
klast verwenden, weil seine Handhabung einfacher und doch 
ausreichend ist. Wo aber erst die Basis auf die Kante gestellt 
passieren kann, sollte man, statt diesen Kunstgriff, zu dessen 
Ausführung erst zeitraubendes und gefahrbringendes Wegbrechen 
der Schädelknochen die Voraussetzung ist, zu verwenden, lieber 
die viel einfachere und ungefährlichere Zermalmung des Hinder¬ 
nisses durch den Basiotrib vornehmen. 

Also die alleinige Indikation der Basiotripsie gibt ab ein 
Mißverhältnis zwischen Schädelbasis und Beckenenge. Nicht 
bedingen Stirn- oder Gesiclitslagen als solche die Anwendung 
des Basiotribes; hinzukommen muß noch eine sehr enge c. v. 
oder ein Riesenkind. Am nachfolgenden Kopf wird kaum je 
die Basiotripsie nötig werden, das ergibt schon die Ueberlegung, 
daß, wenn ein Becken den Rumpf eines Kindes hat passieren 
lassen, es auch höchst selten nur der Schädelbasis dieses Kindes 
unüberwindlichen Widerstand wird entgegensetzen, zumal man 
nach Perforation durch Zug am Kinn Drehbewegungen in jeder 
Richtung zur Hilfe heranziehen kann. Bietet einmal enger 
Muttermund das alleinige Hindernis, so wird ebenfalls kaum 
die Basiotripsie in Frage kommen. Hier ist nicht die Länge 
eines Durchmessers der Basis das Entscheidende, sondern der 
gesamte Umfang, und dieser wird durch Basiotripsie kaum ver¬ 
kleinert. 

Also fast nur bei Schädeleinstellnngen werden wir Gelegen¬ 


heit zur Anwendung des Basiotribes finden, das ergibt sich aus; 
obigen Betrachtungen.; Die entscheidenden Symptome werden^ 
einerseits das mehr oder weniger starke Hineinragen des 
Schädels in das Becken abgeben und andererseits die Becken¬ 
maße. Steht der Schädel wie ein Dach über dem Beckenein¬ 
gang, so wird die Basiotripsie sofort ins Auge zu fassen sein. 
Ein sehr starkes Kind bei mittelengem Becken bietet dasselbe 
Hindernis dar wie ein normales bei recht engem Becken; die 
Verhältnisse bleiben sich proportional. Ragt schon ein Teil 
konvex hinein, so wird meist nach Verkleinerung der Gehifn- 
höhle die Basis passieren können, also die Kraniokiasie ein¬ 
facher und doch zweckmäßig sein. 

Bei diesen Indikationsangaben setze ich natürlich voraus, 
daß Hydrozephalus und Wendungs- oder Zangenmöglichkeiten 
wegen einfacher Scheitelbeineinstellungeihaiisgeschlossen wurden, 
also nur noch die Wahl zwischen Basiotripsie oder Kranio¬ 
kiasie übrig geblieben war. 

Da es erfahrungsgemäß feststeht, daß besondere Gefahren, 
vornehmlich etwa durch Knochensplitterung, mit der Basio¬ 
tripsie nicht vorhanden sind, sollte man bei so einfacher klarer 
Sachlage denken, daß auch bei uns längst der Basiotrib ein 
unentbehrliches Hilfsmittel viel beschäftigter Geburtshelfer und 
derjenigen Aerzte, weichein an engen Becken reichen Landes¬ 
teilen leben, geworden sei. Doch ist dem keineswegs so, wie 
ein jeder weiß. 

Es gilt also zunächst zu zeigen, daß die Gründe, welche 
das Aufkommen dieser Operation verhindern, nicht stichhal¬ 
tig sind. 

Selbstverständlich waren es meistens die Mißerfolge bei 
Versuchen mit dem Basiotrib, welche zur Verwerfung geführt 
haben. Diese Mißerfolge beruhten auf zwei Dingen, mangel¬ 
haften Instrumenten einerseits, Ahnungslosigkeit bezüglich der 
richtigen Handhabung andererseits. So ist es auch dem Ver¬ 
fasser ergangen viele Jahre hindurch, nachdem er eine 
Auvardmodifikation erworben hatte. Erst absolute Mißerfolge, 
später nach Verkürzung des Mittelblattes Viertelerfolge und 
viel Aerger waren die natürlichen Ergebnisse. Das Dreiblatt 
diente tatsächlich nur als Zuginstrument: „es erwies sich dem 
Kranioklast nicht als überlegen.“ 

Unter 26 Perforationen am vorangehenden Kopf befanden 
sich einige, wo das Wegbrechen des Schädeldaches viele Zeit 
und einmal ein Opfer forderte. Diese Erinne'rungen sowie die 
Achtung vor dem Namen des Erfinders Tarn ier ließen mich 
nicht ruhen, bis ich in den Besitz eines guten Instrumentes 
gelangte und durch eingehendes Studium französischer Literatur 
auch der Kenntnisse, dieses Instrument richtig zu handhaben. 
Das Wesentliche soll in nachstehendem den Herren Kollegen 
dargeboten werden. 

Ein gutes Instrument muß nachfolgende Eigenschaften be¬ 
sitzen. Der mittlere Arm muß um mehrere Zentimeter kürzer 
sein als der erste äußere Arm. Sonst wird jener nicht mit 
Sicherheit die Basis umgreifen können, was die unerläßliche 
Vorbedingung zur Zermalmung später ist. Zwar kann man 
scheinbar diesen selben Erfolg auch erreichen, wenn das erste 
äußere Blatt nur ein wenig das Mittelstück überragt. Denkt 
man sich den Mittelarm ungefähr in der Basis mitte fest einge¬ 
bohrt (Tarnier, Winter) oder eingeschraubt (Zweifel), so 
muß beim Zusammenpressen mittels des ersten Außenarms die 
Basis sich nach der Seite dieses Armes neigen, da jene fixierte 
Stelle als Drehpunkt dient, und dadurch ihr Rand so tief treten, 
daß er allmählich in die Höhlung des Außenbla,ttes hin ein tritt 
und dann beim ganz festen Zuschrauben zerquetscht wird. 
Dieser Vorgang wird von den Franzosen als das „kleine Zer¬ 
brechen“ bezeichnet. Nun soll aber schon ein Zurechtfinden 
auf der Basis gar nicht so leicht sein. Bei falschem Einstich¬ 
punkt sind Mißerfolge unvermeidlich. Andere Basiotribmodi- 
fikationen haben gar ein stumpf endendes langes Mittelstück. 
Da soll die Fixierung auf der Basismitte einfach durch Gegen¬ 
drücken bewirkt werden, was fast immer mißglücken muß. 
Rutscht das Mittelstück dem Außenarm entgegen, so kann 
dieser nie die Kante umgreifen und trotz dritten Blattes bleibt 
der apparatus magnus ein einfacher Kranioklast. Doch selbst 
wenn das kleine Zerbrechen gelungen sein sollte, bleibt es 


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513 


beim Scheinerfolge. Diese geringe ZermalmuDg gibt in ernsten 
Fällen noch nicht die Entscheidung; das tut erst das zweite, 
das „große Zerbrechen“. Ist die eine Schädelkante nach unten 
gedrückt, so ist die entgegengesetzte dementsprechend in die 
Höhe gedrängt. Nun ist hei den Basiotribformen, die ein zu 
langes Mittelstück besitzen, mit oder ohne Spitze ganz gleich, 
der zweite Außenarm nur ein wenig länger wie der erste. 
Niemals also kann dieser die hochgedrückte Kante umgreifen. 
Weit klaffend liegt er dem Gesicht an, und beim Zusammen¬ 
schrauben wird ein Teil des Gesichts zwar entstellt, aber die 
Basis bleibt unversehrt! 

Diese Erfahrungen machte ich alsbald. Zuerst sie auf 
eigene Ungeschicklichkeit schiebend, ließ das Nachdenken mich 
indes bald die wahre Ursache erkennen. Das Mittelstück wurde 
um fast 2 cm verkürzt, und nun gelang das Fassen und teil¬ 
weise Zerquetschen der Basis. Aber o weh! zwei neue Fehler 
stellten sich ein. Entweder wurde nur ein Teil der Basis an 
einer Seite zertrümmert, wodurch nicht viel gewonnen wurde, 
‘oder bei zentralem Einbrechen ragten zu beiden Seiten der 
Löffel noch Teile der Basis unversehrt hervor, wodurch wiederum 
ein Mißerfolg zustande kam. Also die Löffel waren zu schmal! 
So legte ich den Auvard beiseite und erwarb die Neukonstruk¬ 
tion des Tarnierschen Basiotrib. Auf noch andere Fehler des 
Auvard und seiner Abänderungen, die tatsächlich vorhanden 
sind, lohnt nicht erst einzugehen, wenn die Leser einmal die 
Lieberzeugung gewonnen haben, daß mit den Dingern nichts 
anzufangen ist. Empfehlen kann ich den Herren Kollegen nur 
das neue Modell Tarnier und die von Zweifel angegebene 
Abart. 

Wird in nachstehendem auch nur die Handhabung des 
Tarnier geschildert, so wird ein Besitzer des Zweifel mit Leich¬ 
tigkeit die Nutzanwendung für sein Instrument ziehen können. 

Die Darstellung stützt sich auf die Schriften von Pozzi, 
Queirel, Budin (Schüler von Tarnier), Potocki (Schüler 
von Pinard) und Bar. 

Da eine Einstimmigkeit über das beste Modell und über 
die beste Handhabung in Frankreich noch nicht erzielt wurde, 
so ist leicht einzusehen, daß hieraus neue Schwierigkeiten für 
die Verbreitung der Basiotripsie hervorgehen. Dieser Satz wird 
manchen Leser stutzig und mißtrauisch machen, also will ich 
nur gleich zur Beruhigung hinzufügen, daß für uns, die wir 
ohne Voreingenommenheit an die Fragen herantreten, die Wahr¬ 
heit spielend leicht zu finden sein wird. 

Zunächst beschäftigen wir uns mit der Basiotripsie, wie 
sie ausgeführt wird mit Tarniers ursprünglichem Modell. 
In jedem großen Instrumentenkatalog findet man Abbildungen 
der verschiedenen Basiotribe. Ich beschränke mich daher 
darauf, die Unterschiede allein hervorzuheben. 

Das Erstlingsinstrument besteht aus einem Mittelstück mit 
lanzenförmiger Spitze, welche zuerst die Perforation zu be¬ 
sorgen hat, um dann in die Basis gebohrt zu werden. Von 
den zangenblattartigen Löffeln mit leichter Beckenkrümmung 
muß stets der linke zuerst eingelegt werden. Dieser ist der 
kürzere. Er kommt über das Hinterhaupt, wenn wie meistens 
erste Schädellage vorhanden ist. Nach vorgenommenem „kleinen 
Zerbrechen“ wird der erste Löffel mit dem Mittelstück durch 
einen Haken verbunden. Nun folgt das Einlegen des zweiten 
längeren Löffels. Bei erster Schädellage kommt er über das 
Gesicht zu liegen. Endlich wird das Ganze mittels starker 
Kompressionsschraube, wie bekannt, zusammengepreßt. Hat man 
demnach mit einer zweiten Lage zu tun, so kommt der kurze 
Löffel über das Gesicht zu liegen. Dann können Teile unzer- 
malmt bleiben. Das geben alle Verteidiger des alten Basiotribs 
zu, versichern zugleich aber, sie hätten noch stets die Extrak¬ 
tion ermöglichen können. Als Vorteile aber rühmen sie die 
Leichtigkeit des Instrumentes und die Unmöglichkeit, sich, wie 
es bei dem neuen Modell oft stattfinde, zu irren in den Ver¬ 
bindungen der verschiedenen Arme. 

Der alte Basiotrib gestattet zwei Anlegungsweisen am 
vorangehenden Kopf, und beide haben wiederum ihre hart¬ 
näckigen Verteidiger. Tarnier legte sein Instrument einfach 
quer an im okzipito-frontalen Durchmesser des Kindskopfes. Dies 
Verfahren wurde von seinem Nachfolger Budin, kürzlich ver¬ 


storben, verteidigt, ebenso von Queirel und Pozzi. Hin¬ 
gegen lehrten alsbald Bar und Bonnairs eine andere An¬ 
legung schräg von einem Stirnhöcker zum os mast, der anderen 
Seite. Diesen schloß sich z. B. Pinard an. 

Wir werden zunächst die Techniken beider Verfahren be¬ 
schreiben und dann die Gründe erörtern, warum wir Bar und 
Pinard folgen müssen. 

I. Queres Anlegen. 

1. Wie bei jeder Perforation muß zunächst eine Hilfsperson 
auf dem Bett knieend durch energischen Druck den Kopf mög¬ 
lichst feststellen. 

2 Nun folgt mit peinlichster Sorgfalt die Wahl der Per¬ 
forationsstelle. Sie liegt in der Medianlinie, nicht aber, wie 
man zunächst denkt, im Mittelpunkt des Muttermundkreises! 
Denn bei engen Becken findet sich sehr häufig Hinterscheitel¬ 
beineinstellung. Würde man einfach am tiefen Punkt einbohren, 
so wäre die unvermeidliche Folge, daß nur ein Teil der Basis 
zwischen die Löffel geriete, der größere Teil aber unversehrt 
bliebe. Die sut. sagittalis, in welcher am geeignetsten perfo¬ 
riert wird, läuft aber manchmal dicht an der Symphyse ent¬ 
lang ; so muß man ihr mindestens nahe zu kommen suchen und 
möglichst nach vorn ein stechen. Durch Drehbewegungen dringt 
der Perforateur überraschend leicht durch den Knochen. Lebt 
das Kind noch, so vergesse man nicht, möglichst zunächst die 
med. oblong, zu zerstören. Alsdann bohrt man die Spitze in 
die Basis gegenüber der Perforationsstelle. 

8. Der innere Arm wird nunmehr einer Gehilfin übergeben 
mit der Weisung, ihn fest gegen die Basis gepreßt zu halten. 

4. Der Arzt selbst ergreift den linken Löffel und führt 
ihn unter Leitung der rechten Hand sehr vorsichtig am Kopf 
hinauf. Man halte sich das untere gespannte Uterinsegment stets vor 
Augen! Ist man hoch genug hinauf gekommen, so ergreift man 
selbst wieder das Mittelstück, streng darauf achtend, daß die 
Spitze sich nicht von der Basis entferne, und vereinigt beide 
Arme. Durch langsame Schrauben Wirkung unter Vermeidung 
jeglichen Zuges wird möglichste Annäherung erzielt und durch 
einen Hakenschluß festgehalten. Ein Stück des Schädels ist 
nunmehr zwischen die Arme geklemmt und damit der ganze 
Schädel behufs Drehbewegungen in der Gewalt des Operateurs. 
Ist die Spitze nicht auf der Basis verrutscht, so hat man auch 
schon einen Einbruch in die Basis erreicht: „das kleine Zer¬ 
brechen“. 

5. Die auf dem Bette knieende Person kann nunmehr ihren 
Druck auf den Uterus aufgeben. 

6. Weiter folgt alsdann das seitliche Anlegen des rechten 
äußeren Blattes. Zur Erleichterung kann man dabei den Kindes¬ 
kopf mittels der beiden anderen Arme etwas lüften. Um den 
Schluß der Löffel zu erzielen, hebelt man den rechten Arm 
entweder ein wenig herum oder umgekehrt dreht man die 
anderen Arme samt dem Kopf dem dritten ein wenig entgegen. 
Vereinigung im Schloß. 

7. Nunmehr Anwendung der Kompressionsschraube. Nach 
jeder halben Umdrehung wird ein wenig pausiert, damit das 
Gehirn Zeit hat zum Ausfließen.*) 

S. Nach völligem Zusammenschrauben werden Instrumenr 
und Kopf um 90" gedreht, da der verkleinerte Kopfdurchmesser 
die c. v. passieren soll. Die Löffel liegen also hinter det 
Symphyse und am Kreuzbein. 

9. Nach Ueberwindung des Beckeneinganges wird die 
Drehung wieder zurückgemacht, weil nunmehr der sagittale 
Beckendurchmesser der größere geworden ist, und diesem der 
jetzt größte Durchmesser der Basis, der unversehrte Schläfen- 
durchmesser, entsprechen muß. 

II. Anlegen in einem schrägen Beckendurch¬ 
messer an einen schrägen Längs durchmess er des Kopfes. 

Dies Verfahren ist zuerst von Bar 1889 angegeben. Der 
Einfachheit halber werden nur diejenigen Punkte der Technik 

*) In deutschen Lehrbüchern findet man immer die Vorschriften ener¬ 
gischen Umrührens und Ausspülens des Gehirns. Die Franzosen erwähnen 
nie etwas davon und das mit Recht. Unter dem Druck der Kompressions¬ 
schraube oder auch des einfachen Kranioklastzuges dringt das in seinem 
Aufbau schon zertrümmerte Gehirn anstandslos aus der Ferforationsbffuung; 
hervor. 


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besprochen, welche sich von denen der ersten Methode unter¬ 
scheiden. 

1. Die Lage der Perforationsstelle ist eine andere. Sie muß 
liegen in der Verbindungslinie eines Stirnhöckers zum entgegen¬ 
gesetzten Felsenbein. Eine anatomisch vorgezeichnete Linie 
wie die sut. sag. gibt es hier nicht. Der idealste Einstichpunkt 
wäre dicht hinter der großen Fontanelle in der Sagittalnaht. 
Dieser Punkt ist aber nicht immer zu erreichen. Man steche 
aber jedenfalls in der Nähe der großen Fontanelle ein, wenn 
es auch außerhalb der Medianlinie geschehen muß. Denn eine 
Perforation an der kleinen Fontanelle würde zur unausweich¬ 
baren Folge haben eine nur teilweise Basiszertrümmerung am 
Hinterhaupt. 

2. Der linke äußere Löffel wird hinten an der symph. 
sakroiliaka eingelegt. Vorweg sei bemerkt, daß, wer das neue 
Modell Tarnier besitzt, hingegen, diejenige Seite wählen muß, 
wo ein os mast, liegt. 

3. Nach Fixation werden durch Drehung die beiden Blätter 
in einen Querdurchmesser des Beckens gebracht. 

4. Der zweite äußere Löffel wird nun in der anderen Becken¬ 
seite quer angelegt an den Kopf und kommt dabei dann auf 
einen Stirnhöcker beim neuen Modell zu liegen. 

Alles übrige entspricht den Vorgängen beim ursprünglichen 
Verfahren. 

III. Nun hat Pinard für allgemein hochgradig verengte 
Becken noch ein Hilfsmittel angegeben. Ist ein Becken auch 
seitlich so verengt, daß es nicht einmal den kleinen Schläfen¬ 
durchmesser, der ja in die Querstellung gebracht wird, durch¬ 
treten läßt, so rät er, die beiden äußeren Löffel in ihrer Stellung 
hinter der Symphyse bezüglich vor dem Kreuzbein abzunehmen. 
Nicht aber dürfe das innere Blatt entfernt werden, da man 
es kaum wieder einlühren könne! Die Blätter sollen dann 
wiederum seitlich also nunmehr an dennoch unversehrten Schläfen¬ 
durchmesser der Basis gelegt werden und auch diesen zermalmen. 
Darauf einfache Extraktion. Soweit man aus dem Bericht 
ersehen kann, scheinen die Ergebnisse ihn befriedigt zu haben. 

Nach Darstellung der einzelnen Operationsmethoden tritt 
an uns die Frage heran, für welche wir uns im Prinzip ent¬ 
scheiden müssen. 

Die einfache quere Anlegung entspricht der gewohnten 
Anlegung der Zangenblätter; der beste Einstichpunkt für die 
Perforation in der Sagittallinie ist leicht zu bestimmen. Diese 
Punkte sind heute noch für die meisten Lehrer der Geburtshilfe 
in Frankreich ausschlaggebend, um die Queranlegung zu lehren 
und selbst auszuführen. Man muß dabei in Betracht ziehen, 
daß der französische Arzt den Kranioklast nicht verwendet. 
Sicher hat er glatten Erfolg, wo der Kranioklast ausreicht, 
eher noch bessern, da der Basiotrib nicht ausreißen kann. 
Ferner, wenn wir einmal annehmen, wir müßten etwa bei 
jeder fünften Perforation, mit dem Kranioklast arbeitend, Stücke 
des Schädeldaches wegbrechen, um den Fall erledigen zu' 
können, so wird auch da in mindestens der Hälfte dieser Fälle 
der Basiotrib noch befriedigend arbeiten. Ziehen wir selbst in 
Betracht, daß infolge eines Fehlers die Basiszermalmung nur 
an einer Seite gelungen sei, so kann bei den häufigen platten 
Becken die Extraktion noch glatt von statten gehen, wenn nur 
eine Seite des Beckens geräumig genug ist, um die unversehrte 
Partie durchschlüpfen zu lassen, während in der engen c. v. 
noch der zerquetschte Teil der Basis zum Durchtritt kommt. 
Also ein Fehler braucht nicht immer sofort die Operation 
scheitern zu lassen. Wenn wir nun schließlich bedenken, wie 
selten durchschnittlich der Allgemeinpraktiker eine Perforation 
macht, so können wir unter Zusammenfassung aller dieser zu¬ 
gunsten der am einfachsten zu erlernenden Operation sprechen¬ 
den Gründe für Frankreich selbst jenen Verteidigern in ge¬ 
wisser Weise recht geben. Für uns, die wir für gewöhnlich 
mit dem Kranioklast weiter arbeiten und den Basiotrib nur in 
ernsten Fällen gebrauchen wollen, liegt die Sache anders. 
Diejenige Methode allein, welche die ungefährlichere und 
sicherere ist, darf empfohlen werden, und das ist die schräge 
Anlegung aus folgenden Gründen. 

Die extramediane Perforation an sich ist mit scharf ge¬ 
schliffenem (!) Perforateur leicht; aber große Sorgfalt erfordert 


die schwierigere Wahl des Einstichpunktes, damit eine Tdil- 
zermalmung vermieden wird. Das ist der einzige Nachteil der 
schrägen Anlegung. Man stelle sich nun einmal das Empor¬ 
steigen des ersten äußeren Löffels an dem halbkugeligen Hinter¬ 
haupt vor. Ein gerundetes Blatt einer Zange wird sich ihm 
anschmiegen, aber das mehr gerade Basiotribblatt wird, je 
höher es kommt, mit seiner Spitze sich von ihm entfernen und 
gegen die vielleicht schon sehr gespannte Uterusw^nd drückeo. 
Diese Erwägung zeigt, wie vorsichtig gerade dieser Akt aus¬ 
geführt werden muß. Ferner geht, auch daraus hervor, daß 
man bei engem Muttermund womöglich nur den Kranioklast 
benutzen soll; denn sein äußeres Blatt ist ja viel kürzer als 
das entsprechende Basiotribblatt, welches mehrere Zentimeter 
weiter hervorragt, und in solchem Fall von unten immer nach 
oben außen also direkt gegen die Uteruswand geführt wird. 
Legt man den Basiotrib über das os mast., so ist diese Kopf¬ 
gegend viel flacher, und das Blatt wird sich ihr besser anlegen 
auch mit seinem Endteil und demnach weniger die Uteruswand 
bedrohen. 

Der zweite äußere Löffel legt sich später ganz mechanisch 
an den entgegengesetzten Stimhöcker, und nun — das ist: 
das entscheidende Moment — kommt beim Zusammen- 
schrauben kein Gleiten am Schädel so leicht vor wie am 
runden Hinterhaupt und der glatten Stirn, und demnach wird 
eine ideale Zermalmung erreicht. Das sind Ergebnisse un¬ 
zähliger Versuche, deren Wichtigkeit einfache üeberlegung 
einsehen läßt, und die denn selbst von den Verteidigern der 
seitlichen Anlegung ohne Rückhalt zugegeben werden. 

Also für uns ist das klare Ergebnis unserer Betrachtungen:' 
der Basiotrib ist in einem schrägen Durchmesser anzulegen, 
und zwar kommt der erste äußere Löffel (des neuen Modells) 
über ein os mast, zu liegen. (Fortsetzung 1 folgt.) 



Lungenkrankheiten, 

Referent: Dr. Ernst Meyer, Charlottenburg, Assistent an 
der Kgl. Universitätspoliklinik für Lungenleidende zu Berlin. 

1. Manuell-mechanische und Uebungsbehandlung bei Lungen¬ 
emphysem und Asthma bronchiale. Von Franz Kirchberg. 
Therapie d. Gegenwart, 1908, Juli. 

2. Die therapeutische Wirksamkeit des Alttuberkulins hei 
Lungentuberkulose. Von F. Köhler. Vortrag im Essener Aerzte- 
verein, Februar 1908. 

3. Heber die angeblichen Gefahren der Konjunktivalreak- 
tion. Von Friedrich Teichmann. Med. Klinik, 1908, Nr. 26, 
8. 978. 

4. lieber die Ophthalmoreaktion der Tuberkulose in ihrer 
Beziehung zum Sektionsergebnis und zur Tuberkulininjektion. 

Von G. Fehsenfeid. Münch, med. Wochenschr., 1908, Nr. 26, 

S. 1373. 

5. Ist die konjunktivale Tuberknlinreaktion ungefährlich? 
Von Max Goerlich. Ibidem, S. 1379. 

6. Die kutane Tuberkulinimpfung nach v. Pirquet bei Kin¬ 
dern des ersten Lebensjahres. Von Stabsarzt' Morgenroth. 
Ibidem, S. 1381. 

1. Die Anforderungen, welche Hofbauer an seinen zur 
Behandlung des Emphysems etc. konstruierten Apparat stellte — 
1. kürzere Einatmungen und längere Ausatmungen aufeinander folgen 
zu lassen, 2. die auxiliäre Muskelkraft der Bauchdecken erst 
gegen Ende der verlängerten Ausatmungsperiode in Kraft treten 
zu lassen —, suchte Kirchberg seit 1V 2 Jahren durch aktive 
und passive Atmungsgymnastik im Verein mit Massage zu er¬ 
reichen. Er beginnt mit einer Massage des Rückens, der er die 
eigentliche Atmungsgymnastik folgen läßt, wobei der Patient 
während des langsamen Ausatmens ein tiefes lautes a ertönen 
lassen muß, wodurch er sich selbst beobachten lernen soll. Von 
großer Bedeutung hierbei ist der Einfluß des Willens auf die.At- 


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' : THB3fey?SJÜTISCHB RUNDSCHAD. 


mung. Beim Atmen läßt Kirchberg den Patienten die Aus¬ 
atmung mit der Uhr in der Hand bestimmen, wobei die Patienten 
«oft in kurzer Zeit bis auf 25 Sekunden kommen. Nützlich ist es, 
wenn die Patienten zu ihrer Beobachtung die Uebungen vor dem 
Bpiegel vornehmen. Im weiteren Verlauf der Behandlung kann 
«der Arzt bei dem liegenden Patienten am Schluß der Exspiration 
noch den Thorax leicht mit der Hand komprimieren. — Außer 
bei Emphysem wendet Kirchberg diese Behandlungsmethode 
noch bei chronisch katarrhalischer Bronchitis und Asthma bron¬ 
chiale an. — Die hackenden Massagebewegungen sind bei nervösen 
Menschen zu vermeiden. .— Indiziert ist die ganze Behandlungs¬ 
methode auch bei Komplikationen mit adhäsiver trockener Pleuritis, 
doch ist hier vor brüsken Versuchen, die Adhäsionen zum Peißen 
zu bringen, zu warnen. 

2. Köhler findet auf Grund,langjähriger Erfahrungen, daß 
das Alttuberkulin in gewissen Fällen wohl eine günstige Ein¬ 
wirkung auf beginnende und stationäre Lungentuberkulose haben 
kann. Mit der Aktivität des Prozesses läuft die Wahrscheinlich¬ 
keit der günstigen Wirkung umgekehrt proportional. Bei sub¬ 
akuten Prozessen ist die Wirkung des Alttuberkulins sehr ver¬ 
schiedenartig, so daß Köhler an folgenden Worten festhält: „Die 
Einwirkung des Alttuberkulins auf den tuberkulösen Organismus 
ist ein außerordentlich verschiedenartiger und unsicherer und in 
keiner Weise von vornherein bestimmbar.“ — Es ist unbedingt 
anzustreben, daß im Laufe der Behandlung Fieberreaktionen ver¬ 
mieden werden, was sich aber nie sicher durchführen läßt. Ob 
sich mit dem Etappenverfahren nach Petruschky günstigere 
.Resultate erzielen lassen, steht noch dahin. — Aus dem Fehlen 
einer Reaktion auf Ausheilung des tuberkulösen Prozesses schließen 
zu wollen, ist falsch, da leicht Gewöhnung an das Mittel eintiitt. 

'3. Gegenüber anderen Autoren hat Teich mann bei der An¬ 
wendung *der Konjunktivalreaktion niemals stärkere Folgeerschei¬ 
nungen bei seinen Patienten gesehen. Er führt die von anderen 
Autoren mitgeteilten Schädigungen vor allem auf die Wahl un¬ 
geeigneter Tuberkulinpräparate zurück oder auf Vernachlässigung 
wichtiger Kontraindikationen, wie z. B. Instillation in kranke be¬ 
sonders tuberkulöse Augen, Skrofulöse und Wiederholung der 
Instillation in früher schon der Reaktion unterzogene Augen, be¬ 
sonders mit starken Lösungen. Anzuwenden ist ohne Gefahr nur 
eine frisch bereitete l°/oige Tuberkulihlösung. Falls doch einmal 
Konjunktivitiden etc. ein traten, konnten sie stets schnell und 
leicht mit Einträufeln einer Kokain - (2 % )Adrenalin - (l u / 00 )Lösung 
kupiert werden. 

4. Auf Grund seiner Beobachtungen schließt Fehsenfeid, 
daß die Ophthalmoreaktion als diagnostisches Hilfsmittel zwar von 
Wert ist, daß ihr aber keine absolute Bedeutung zukommt. Eine 
sichere Diagnose ergibt sich aus einer bei einem tuberkulosever- 
dächtigen Individuum positiv verlaufenen Ophthalmoreaktion noch 
nicht, so daß sie also nur in Verbindung mit anderen Krankheits¬ 
erscheinungen verwertet werden kann. Von Interesse ist, daß 
Verfasser bei zwei Individuen nach der Tuberkulininstillation 
schwerste Augenerkrankungen eintreten sah. 

5. Verfasser wandte bei seinen Versuchen das Präparat von 
Oalmette in l%iger Lösung an und ist auf Grund dieser Ver¬ 
suche ein entschiedener Gegner des Cal me tte sehen Präparates, 
da er schwere Folgeerscheinungen, ja sogar einmal Verlust eines 
Auges beobachtete. Außerdem fand er, daß die prognostische 
Bedeutung der Konjunktivalreaktion eine sehr unsichere ist, da 
eine schwere Tuberkulose gar keine, zwei andere progresse Fälle 
nur leichte und mehrere andere bald darauf ad exitum gekommene 
Fälle sehr starke Reaktionen zeigten. Jedenfalls ist nach Ansicht 
des Verfassers kein Grund vorhanden, von der erprobten sub¬ 
kutanen Probeinjektion abzugehen. Dem praktischen Arzte kann 
die Probe noch nicht empfohlen werden. 

6. Zur Diagnose der Tuberkulose bei Säuglingen wandte 
Morgenroth die kutane Impfung nach Pirquet an und be¬ 
nutzte hierbei das verdünnte Kochsche Alttuberkulin. Hierdurch 
konnte er bei 5% seiner Patienten Tuberkulose nach weisen, ohne 
daß er je unangenehme Nebenwirkungen des Tuberkulins auf die 
Säuglinge sah. Verfasser empfiehlt die Anwendung bei allen aus 
tuberkulöser Umgebung stammenden Säuglingen und zieht sie der 
hier nicht immer ungefährlichen Subkutaninjektion weit vor. 


Neurologie und Psychiatrie. 

Referent: Dr. G. Flatau, Nervenarzt, Berlin. 

1. Zur Indikationsstellung für den künstlichen Abort wegen 
psychischer Krankheit. Von Dr. M. Friedmann. Deutsche med. 
Wochenschr., 1908, Nr. 19—21. 

2. Zur Aetiologie des Asthmas bei Kindern. Von Dr. A. 
Stegmann. Med. Klinik, 1908, Nr. 29. 

3. Die Heilungsaussichten in der Irrenanstalt. Von Prof. 
Dr. Alt. Neurol. Zentralbl., 1908, Nr. 15. 

4. Zur Frage von den Abstinenzdelirien. Von Dr. Holitscker. 
Psych.-neurol. Wochenschr., 1908, Nr. 15, 16 u. 17. 

1. Es ist 'notwendig, über die Indikationen für den künst¬ 
lichen Abort gemeinsame gültige Grundsätze aufzustellen, solche 
mangeln namentlich für das psychiatrische Gebiet. Drei Spezialgrund¬ 
sätze kehren in den Diskussionen immer wieder: 1. Bedrohung 
des Lebens der Mutter durch die Schwangerschaft und Geburt. 
2. Mangel eines anderen gangbaren Weges zur Beseitigung der 
Gefahr. 3. Sichere Voraussicht, daß der Abort die erwartete 
Hilfe bringt. Alle diese treffen das psychiatrische Gebiet gar 
nicht. Bisher erwogen wurden nur Graviditäts- und Puerperal¬ 
psychosen, jedoch mit Ablehnung des Eingriffes, weil dieser keinen 
Erfolg gibt. Eine neue Indikation stellt Verf. auf in Form der 
psychopathischen Reaktion auf die Geburt und Schwangerschaft 
— eine krankhafte Ueberwertigkeit und Steigerung der Geburts¬ 
angst bei psychisch neuropathisehen Konstitutionen; sie unter¬ 
scheidet sich von der normalen Geburtsangst dadurch, daß sie in 
Monaten nicht gebessert wird und alles überwuchernd zum Selbst¬ 
mord treibt, von den echten Psychosen unterscheidet sie sich da¬ 
durch, daß sie lediglich durch den Affekt hervorgerufen, durch 
Beseitigung der Schwangerschaft sofort verschwindet. Von den 
fünf Fällen Friedmanns sind alle beweisend für den Grundsatz, 
daß bei dieser Form der Schwangerschaftserkrankung auf psychi¬ 
schem Gebiet Gründe der Humanität zur Verhütung des Selbst¬ 
mordes und etwaiger bedrohlicher körperlicher Abnahme die Ein¬ 
leitung des Abortes verlangen. 

2. Verf. berichtet über drei Fälle von Asthma bei Kindern 
im Alter von 6, 8 und 9 Jahren. In allen drei Fällen ließ 
sich der psychische Einfluß, der die Anfälle hervorrief, sicher 
stellen; falsche Erziehung, Aengstlichkeit der Eltern, die selbst 
nervös waren, falsche Aengstlichkeit der behandelnden Aerzte. In 
allen Fällen Erfolg durch Beeinflussung der Umgebung, hypnoti¬ 
sche Beeinflussung der Kinder, geeignete psychische und körper¬ 
liche Diät. Verf. gedenkt auch der Freudschen Theorie, die zur 
Erklärung des Asthmas bei Kindern heranzuziehen sei, und Referent 
kann dem für einige Fälle wohl beistimmen; der Wert der hyp¬ 
notischen Beeinflussung des Asthmas ist noch lange nicht ge¬ 
nügend bekannt. Ganz besonders lehrreich ist der Fall 1 des 
Verfassers. 

3. Gegen die Ansicht, die Irrenanstalt leiste nur in der Pflege 
der Kranken etwas, die Heilungsaussichten seien nicht besser als 
außerhalb der Anstalt, wendet sich Alt in sehr energischer Weise: 
er anerkennt natürlich den großen Prozentsatz unheilbarer Fälle 
und gibt sogar zu, daß in einer kleinen Anzahl die Heilung 
schließlich draußen erfolge, nachdem sie in der Anstalt nicht zu¬ 
stande gekommen sei, zeigt aber den enormen Nutzen der Anstalts¬ 
behandlung für eine große Reihe akuter Formen, die draußen 
einfach zugrunde gehen, dann für die Epileptischen, bei denen 
der Status epilept., der Tod in diesem in der xknstalt vermieden 
werden könne, ferner die Beeinflussung auch rein psychischer 
Symptome durch Diät, körperliche Pflege, den milden Verlauf 
mancher Psychosen durch Anstaltsbehandlung. Zu therapeutischem 
Nihilismus liegt absolut für den Psychiater kein Grund vor. 

4. Aus dem gesammelten Material zieht Verf. den Schluß: 
Es gibt sehr seltene Fälle, auf hunderte von Deliranten und vor 
dem Delirium stehenden Säufern etwa einer, in denen sich einige 
Tage nach der unvermittelten Alkoholentziehung ein Delirium ein¬ 
stellt und für das sich keine der sonst nachweisbaren Ursachen: 
psjmhische Erschütterungen, Infektionskrankheiten, Operationen, 
finden läßt. Die Ursachen, warum der eine Säufer Delirium be¬ 
kommt, der andere ebenso schwere nicht, sind ja^noch unklar; 
daher steht die Lehre von den Abstinenzdelrien auf sehr schwachen 
Füßen, es hat keine Berechtigung, einen Zusammenhang zwischen 


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Abstinenz und Delirium anzunehmen. Es ist daher stets notwendig, 
den Alkohol sofort zu entziehen, ihn prophylaktisch zur Vermei¬ 
dung eines Deliriums weiter zu geben, ist nicht begründet. 


Radiotherapie. 

Referent: Dr. H. E. Schmidt, früher Oberarzt am Königl. 

Universitäts-Institut für Lichtbehandlung, Berlin. 

1. Die dermatotherapeutische Verwertung der statischen 
Elektrizität nach Suchier. Von Prof. Jesionek. Münch, med. 
Wochenschr, 1908, Nr. 25 (Schluß). 

2. Die Behandlung inoperabler Geschwülste mit Radium. 

Von Dr. Arthur Selig. Med, Klinik, 1908, Nr. 30. 

3. Versuche mit Radiumemanationen. Von Dr. A. Strasser 
und Dr. A. Selka. Ibidem. Nr. 28. 

4. Die Röntgenbestrahlung der Seborrhoea oleosa. Von 

Dr. H. E. Schmidt. Berl. klin. Wochenschr., 1908, Nr. 29. 

1. Der Verfasser geht im zweiten Teil seiner Abhandlung 
(cf. das Referat über den ersten Teil in Nr. 28 dieser Zeitschrift) 
auf das Wesen der Lumination ein, die eine ähnliche Reaktion auf 
der Haut hervorruft wie die Kromayersehe Quarzlampe, also 
eine exsudative Entzündung. Besonders empfohlen wird die 
Lumination bei bestimmten Erkrankungen des behaarten Kopfes, 
beim Herpes tonsurans, bei der Seborrhöe und bei der 
Alopezia areata. Größere Erfahrungen scheinen noch nicht 
vorzuliegen. Zum Schlüsse ventiliert der Verfasser die Möglich¬ 
keit, die Suchier sehe Influenzmaschine zum Betriebe der Röntgen¬ 
röhren zu verwenden, wenngleich es ihm zweifelhaft erscheint, ob 
die Stromstärke, die nicht mehr als 0,5 Milliampere betragen soll, 
für diesen Zweck ausreicht. 

2. Der Verfasser berichtet über die Behandlung von sechs 
Fällen, in denen es sich um inoperable Karzinome innerer Organe 
(vier Magenkarzinome, ein Karzinoma duktus zystici, ein Karzinoma 
duktus choledochi et hepatis) handelte Die Bestrahlung wurde 
in der Weise vorgenommen, daß die Radiumkapsel über dem 
Tumor auf der Bauchhaut mit Heftpflaster fixiert wurde. Der 
Erfolg war in allen Fallen negativ, wie das von vornherein zu 
erwarten war; sämtliche Fälle kamen ad exitum. Schon Beclere 
hat gesagt, daß eine Radiumkapsel nichts weiter sei als „eine 
winzige, ganz weiche Röntgenröhre in Taschenausgabe 14 , und auch 
Referent hat wiederholt darauf hingewiesen, daß die praktische 
Bedeutung der Radiumbehandlung gleich Null sei, da man über¬ 
all da, wo eine Radium-Behandlung in Frage kommt, mit gleichem 
Erfolge die Röntgenstrahlen verwenden kann. 

3. Die Verfasser referieren über 30 Fälle, die mit Radium- 
einanation (in Form von Bade- oder Trinkkuren) behandelt wurden, 
und kommen zu folgendem Schlüsse, daß die „interne Darreichung 
von Radiumemanation als eine Behandlungsmethode erscheint, mit 
welcher unbedingt Wirkungen und wohl auch Heilwirkungen er¬ 
zielt werden können, und welche daher der Prüfung auf breitester 
Grundlage würdig ist. Ihr wesentliches Gebiet bilden alle Formen 
von Gelenkerkrankungen subakuten und chronischen 
Charakters, weiter Ischias und Schmerzsymptome der 
Tabes dorsalis“. 

4. Referent hat in exzessiven Fällen von Seborrhoea oleosa 
faziei mit bestem Erfolge schwache Röntgenbestrahlung ange¬ 
wandt, die als einzige kausale Therapie dieser Affektion zu 
betrachten ist. 


Biologische Therapie. 

Referent: Dr. W. Esch, Bendorf a. Rh. 

1. Grundzüge der diätetischen Behandlung des schweren 
Diabetes. Von Doz. Dr. Kolisch - Wien. Zeitschr. f. physikal. 
u. diätet. Therapie, 1908/09, Juni u. Juli. 

2. Die Hyperämie als Heilmittel in der Gynäkologie und 
Geburtshilfe. Von Dr. A. S te in-New-York. New-Yorker med. 
Monatsschr., 1908, Nr. 3. 

1. Da der Diabetes keine pathologische Einheit darstellt, so 
ist eine ätiologische Therapie des Leidens mit Schwierigkeiten 


verbunden. K. geht , von der nenefdingd andh.Vön A. Cf" 

anerkannten Annahme aus, daß die Ursache der Hyperglykämie 
in einer durch toxische (oder nervöse) Einflüsse verursachten ■ ( 
Steigerung der normalen Zuckerabspaltung aus den Geweben zu 
suchen sei. Diese gesteigerte Zuckeräbspaltung aus dem N-haltigen 
Material muß sich aber nicht in der N-Ausscheidung des Urins 
dokumentieren, so daß konstante Beziehungen zwischen N und D , 
sich nicht aufstellen lassen. Des Weiteren vertritt K. die An¬ 
sicht, daß der Zucker normaliter nur in gebundenem Zu¬ 
stande im Blute kreise und dadurch vor Ausscheidung geschützt 
bleibe. Glykosurie sei immer nur der Ausdruck dafür, daß freier 
Zucker zirkuliere — wahre Glykämie. 

Die Steigerung der Glykosurie im Diabetes durch Eiweiß hat 
mehrere Ursachen: 1. Das Eiweiß ist jenes Nahrungsmittel, das 
den größten Nahrungsreiz ausübt. Die Verbrennungen im Organis¬ 
mus nehmen von jenen Nahrungsmitteln ihren Ausgang, die den 
Geweben am adäquatesten sind, d. h. von den Eiweißkörpern. 
Daher wird Eiweiß auch unabhängig vom Bedarf zersetzt. Der 
Zersetzung geht der Eintritt des Eiweißmoleküls in das Zellplasma 
voraus, wodurch auf das letztere ein intensiver Reiz ausgeübt 
wird, der seinerseits wieder zur Spaltung des Protoplasmas und 
zur Zuckerabspaltung fuhrt; 2. gibt das Eiweiß selbst,bei seiner 
Zersetzung Material für die Zuckerbildung ab. Der Organismus 
nimmt letzteres aus allen Gruppen der Nahrungsmittel, zunächst 
aus Kohlehydrat, dann aus Eiweiß, endlich noch aus Fett, was 
K. durch eigene Experimente festgestellt hat. 

Was nun die diätetische Behandlung des schweren 
Diabetes betrifft, so erscheint K. als wichtigstes Prinzip die 
quantitative Nahrungseinschränkung. Er wendet sich 
gegen das Dogma der „genügenden“ Kalorienzuluhr, weil speziell 
der Diabetiker mit weniger Kalorien auskommt als ein Ge¬ 
sunder (Selbstschutz des Organismus gegenüber den ungünstigen 
Ernährungsbedinguogen). Daher muß vor allem das Minimum 
der Nahrung festgestellt werden, mit dem ein Diabetiker 
gerade auskommen kann. Dieses Minimum bängt aber sehr von der 
qualitativen Zusammensetzung der Nahrung ab. Das zweite wichtige 
Prinzip ist nämlich die Ein Schränkung der Eiweißzufuhr: 
Kolisch zeigt, wie gering das Eiweißminimum bei Diabetikern 
— auch bei dauernder Zufuhr — sein kann, ohne daß der 
Organismus Schaden leidet. Bezüglich der Qualität hält er das 
vegetabilische Eiweiß für das beste. 

Was die Kohlehydratzufuhr betrifft, so weist K. nach, 
daß die sogen. Toleranzgröße für Kohlehydrat nicht so sehr von 
der Menge und Art der zugeführten Kohlehydrate, als vielmehr 
von der Zusammensetzung der Nahrung, die neben ersteren ge¬ 
reicht wird, abhängig ist, und zwar besonders von der Menge und 
Art der gleichzeitig gereichten Eiweißkörper. 

Wie K. zuerst durch eigene Versuche nachgewiesen hat, 
kann Eiweiß durch Kohlehydrat substituiert werden. - Dadurch 
wird es möglich, bei schwerem Diabetes das Maximum zuzuführen 
und so eins der wichtigsten Postulate der diätetischen Therapie 
zu erfüllen. 

Das gelingt am besten mittels eines streng vegetabili¬ 
schen Regimes, wie es sich dem Verf. seit Jahren bestens be¬ 
währt hat. Die Einzelheiten seiner Vorschriften sind im Original 
nachzulesen, ebenso wie seine Behandlung der diabetischen Azidose. 

2. Der operationslüsternen Aera der 80er Jahre ist, wie 
Stein ausführt, in der Gynäkologie jetzt eine mehr konservative 
Epoche gefolgt. Vor allem trugen dazu die Forschungen und 
Arbeiten Biers bei, dem es Vorbehalten blieb, alle jene jahr¬ 
hundertelang rein empirisch angewandten Heilbestrebungen, die 
wir beute unter dem Namen der künstlichen Hyperämiebehand¬ 
lung zusammenfassen, auf eine festgefügte wissenschaftliche Grund¬ 
lage zu stellen. 

Ihr Hauptgebiet sind die chronischen entzündlichen Vorgänge 
im Becken, parametritische Exsudate, Fixationen, Verlagerungen 
etc., bei denen die Hyperämiebehandlung schmerzlindernd, resor¬ 
bierend, event. einschmelzend (Inzision!), erweichend wirkt, Narben, 
Fixationen etc. der Massage zugänglich macht. 

Als zweckmäßigsten Apparat empfiehlt er die halbzylindrische 
Reifenbahre mit Quinckeschem Schornstein (event. Glühbirnen 
nach Kehrer), anfangs eine halbe, später eine Stunde täglich in 
der Temperatur von 80 bis 120°O angewandt. 


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.; ; gjjjg mit der P i n c u s sehen „Belastungslagerung“: 

g Aija Ahd^nieii 1 bis 2 hg Ton oder äehrotbeutel, in die Vagina 
,e|neia schrotgefüllten Kolpeurynter, Fußende des Bettes 

0^höht-— wirkt infolge der nach der Anämisierung (von sechs bis 
acht Stunden) eintretenden aktiven Hyperämie ähnlich, aber noch 
intensiver wie die Heißluftbehandlung und wird abwechselnd mit 
dieser benutzt. 

Ein weiteres Gebiet der Hyperämietherapie ist die Saug- 
, behandlung der - Brustdrüse gegen „Schlupf- und Nabelwarzen“ 
und zur Anregung der Milchsekretion, vor allem aber bei puerpe¬ 
raler Mastitis. 

Rudolphs Suktion der Portio steht Stein skeptisch, Polanos 
Dysmenorrhöebehandlung durch Brustwarzensaugung abwartend 
gegenüber. 


Varia. 


517 


Für das Auge ist also nur Schaden von den Röntgen- und 
Radiumstrahlen zu erwarten und größte Vorsicht geboten. 

F. von den Velden. 

3. Kann man einen Toten wieder erwecken? Von E. Horn¬ 
berger. Umschau, 1908, Nr. 22. 

Hornberger hat experimentell erwiesen, daß man einen 
ertränkten Hund oder ein totchloroformiertes Kaninchen, nachdem 
der Herzschlag aufgehört hat, durch Venäsektion der Jugularis 
wieder zum Leben bringen kann. Diese in früheren Zeiten ge¬ 
bräuchliche Methode ist auch in die über Maß und Ziel hinaus- 
schießende prinzipielle Verdammung des Aderlasses hineingezogen 
worden. F. von den Velden. 



1. lieber das Individuelle in der Medizin. Von Sir Dyes 
Duckworth. Bull. m6d., 1908, Nr. 15, und Fortschr. d. Med., 
1908, Nr. 16. 

Aus Buttersacks Besprechung der herrlichen Rede von 
Duckworth, die den springenden Punkt in der Heilkunde, die 
Konstitution und ihr Studium, wieder in den ihr gebührenden 
Mittelpunkt rücken will, seien folgende Sätze hervorgehoben: 

„Wenn ich autfh“, sagt Sir Dyes Duckworth, „den modernen 
Forschungen sympathisch gegenüberstehe, so möchte ich doch die 
soliden Errungenschaften der Vergangenheit nicht hergeben, unsere 
großen Vorgänger in der Medizin nicht als naive Menschen oder 
Ignoranten angesehen wissen und nicht glauben, daß mit dem 
Mikroskop und X-Strahlen eine ganz neue Aera angebrochen sei. 

Wir sind zu leicht geneigt, allein die neuen Entdeckungen 
zu bewerten und die alten zu übersehen oder gar zu verachten. 
Wir Aerzte lassen uns zu sehr durch Laboratoriumsergebnisse im¬ 
ponieren und schenken den Angaben von Leuten Glauben, die 
vielleicht der Klinik nicht absolut fremd gegenüberstehen, die 
aber jedenfalls nicht in lebendigem Konnex mit kranken Menschen 
sind. Ein Meerschweinchen mag immerhin dem andern gleich¬ 
wertig sein, beim Menschen trifft das sicherlich nicht zu. Theo¬ 
retisch geben das alle.zu, aber in der Praxis ists mit dem Indivi¬ 
dualisieren nicht weit her. 

Zum Glück gibt es aber doch noch Leute, die diesen klini¬ 
schen Fundamentalsatz, daß kein Individuum dem andern gleich¬ 
zusetzen ist, erfaßt haben, die (an Stelle der früheren termini) 
von arthritischen, lymphatisch-skrofulösen, nervösen, biliösen Kon¬ 
stitutionen sprechen und diese als das Maßgebende bei allen Er¬ 
krankungen betrachten, die an dem betr. Individuum im Laufe 
seines Lebens in Erscheinung treten. 

.Wir verwenden zu viel Zeit auf das Diagnostizieren 

und versäumen darüber unsere Hauptpflicht, zu heilen und zu 
lindern. Wir sind zu sehr abstrakte Wissenschaftler geworden 
und haben darüber unsere persönlichen Beziehungen zu dem 
Patienten, das Künstlerische in unserem Berufe vergessen.“ 

Esch. 

2. Die Wirkung der Röntgen- und Radiumstrahlen auf das 
Auge. Von Prof. Birch-Hirschfeld. Umschau, 1908, Nr. 22. 

Ultraviolette, Röntgen- und Radiumstrahlen haben das ge¬ 
meinsam, daß sie, obgleich nicht im eigentlichen Sinne, sondern 
nur durch die erregte Fluoreszenz der Medien sichtbar, doch dem 
Auge schädlich sind; und zwar verhalten sich Röntgenstrahlen 
und Radiumstrahlen (oder wahrscheinlich richtiger von letzteren 
nur der G am mastrahlen genannte, durch den Magneten nicht ab¬ 
lenkbare Teil) in physiologischer Beziehung sehr ähnlich. Die 
Hornhautzellen werden in der Weise beeinflußt, daß Mißbildungen 
derselben entstehen; die Nervenzellen der Retina zerfallen, event. 
bis zur Optikusatrophie, wie B.-H. auch an menschlichen Augen, 
deren Umgebung ohne genügenden Schutz des Auges bestrahlt 
worden war, feststellen konnte. Ferner wird die Intima der Ge¬ 
fäße geschädigt, was Verschluß derselben und Schädigung der 
umgebenden Gewebsteile zur Folge haben kann. Alle diese 
Folgen treten nicht sofort, sondern meist erst Tage oder Wochen 
nach der Bestrahlung ein. Es scheint, daß die Strahlen besonders 
auf das Lezithin einwirken. 


Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. Leziferrin. Von Dr. Zernik. Apotheker-Zeitg., 1908, 
Nr. 57. 

2. Lipotin. Von Dr. Zernik. Ibidem, Nr. 56. 

3. Kephaldol. Von Dr. Zernik. Ibidem. 

4. Untersuchung einiger Spezialitäten. Von Dr. Zernik 
und O. Kuhn. Ibidem. 

5. Vergiftung oder Idiosynkrasie mit besonderer Berück¬ 
sichtigung des Formamints. Von S.-R. Dr. Rosen ber g. Med. 
Kliuik, 1908, Nr. 28. 

6 . Ueber Bromokollum solubile, ein wirksames Mittel gegen 
Hautjucken. Von S.-R. Dr. Pütz. Aerztl. Rundschau, 1908, 
Nr. 29. 

1. Auf Veranlassung der Geschäftsstelle des Deutschen Apo¬ 
thekervereins bat Dr. Zernik in Gemeinschaft mit Kuhn im 
Pharmazeutischen Institut Berlin das von der Firma Galenus, 
Frankfurt a. M., gelieferte Leziferrin (Flasche 3 M.) untersucht. 
Er hat darin wohl die von der Firma angegebene qualitative Zu¬ 
sammensetzung des Mittels als richtig befunden, nicht aber die 
quantitative. Denn bei den in Zeitungsinseraten angezeigten Lezi¬ 
thin- und Eisenmengen finden sich Differenzen insofern, als auf 
Grund der Untersuchung anstatt 0,5 nur 0,3 g Lezithin im Lezi- 
ferrin enthalten ist, oder wenn man den Gesamtinhalt einer Flasche 
Leziferrin heranzieht, wieder der angegebene Gehalt an Eisen- 
oxydhydrat nicht stimmt. 

2. Von den genannten Autoren wurde auch das von Rieh. 
Groppler (in Firma: Marien-Apotheke), Charlottenburg, vertriebene 
Lipotin untersucht, ein Heilmittel gegen Flechten und Hautaus¬ 
schläge. Das Präparat besteht aus dem eigentlichen Lipotinbalsam 
und einer Salbe. Die erkrankten Stellen sollen dreimal täglich 
zuerst mit dem Balsam bepinselt und sodann mit der Salbe kräftig 
eingerieben werden. Ein Originalkarfcon kostet 10 M. Nach der 
Patentschrift soll die Flüssigkeit „Zitronellbalsam“ ein Reaktions- 
produkt von Zitronellöl und Formaldehyd sein. Der Lipotinbalsam 
war eine gelbbraune ölige Flüssigkeit von ausgesprochenem Geruch 
nach Zitronellöl; die Reaktionen ergaben die Anwesenheit der in 
der Patentschrift angegebenen Bestandteile. Die Flechtensalbe 
bestand, wie die Untersuchung ergab, aus Perubalsam und rotem 
Quecksilberoxyd, letzteres zu 2,8%. 

3. Ferner hat Dr. Zernik ein vom Apotheker Dr. Fr. Stohr 
in Wien dargestelltes und vertriebenes Antipyretikum und Anti- 
neuralgikum, namens Kephaldol, untersucht, das in Gaben von 0,5 bis 
2,0 g pro dosi und bis 5,0 g pro die verabreicht werden soll. Nach 
Angaben des Darstellers ist das Präparat „entstanden durch eine 
unter bestimmten Verhältnissen erzielte Einwirkung von Zitronen¬ 
säure und andrerseits Salizylsäure auf Phenetidine, nach deren 
Beendigung noch vorhandene freie Säure an Chinin gebunden 
resp. durch Natriumkarbonat gebunden wurde“. Nach den Er¬ 
gebnissen der Untersuchungen stellt Kephaldol ein auf nicht näher 
bekannte Weise bereitetes Gemisch dar, das ungefähr 50% 
Phenazetin, 32% Salizylsäure und 5% Zitronensäure enthält, 
die letzteren beiden gebunden an Chinin (4%) und an Natrium. 


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518 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHäÄ 


4. Von den Untersuchungen, die die Verfasser mit einigen 
Spezialitäten vorgenommen haben, dürfte unsere Leser folgendes 
interessieren: 

Dr. Bambergers Lupinapulver wird von Dr. Bamberger & Co., 
chemisches pharmazeutisches Laboratorium, Wiesbaden, als „be¬ 
währtes Mittel gegen Magenbeschwerden, Verdauungsstörungen, 
Blutarmut und Stuhlbeschwerden“ empfohlen. Dreimal täglich ist 
ein gehäufter Teelöffel des Pulvers in Milch oder Wasser zu 
nehmen. 

Als Bestandteile werden angegeben: Kondurangoextrakt 6,00, 
Zitronensäure 5,00, Pepsin 6,00, Magnesia usta 10,00, Magnesium¬ 
superoxyd 20,00, Zucker, Milchzucker ana 25,00, Weizenstärke 
15,00, Menthol 1,00. 

Eine Dose, enthaltend rund 45 g, kostet 2,50 M. 

Qualitativ konnten die sämtlichen vom Darsteller angegebenen 
Bestandteile in dem Präparate nachgewieseu werden. 

Spermacid, ein antikonzeptionelles Mittel, wird von Apotheker 
O. Braemer, Fabrik pharmazeutischer Präparate, Berlin SW., als 
„idealem Frauen-Schutzmittel“, „Bestes Schutzmittel gegen An¬ 
steckung für Mann und Frau“, das „den Vorzug absoluter Sicher¬ 
heit“ besitzt, in den Handel gebracht. Ueber die Bestandteile 
des Mittels ist dem Prospekt nur zu entnehmen, daß Spermacid 
„Peroxyd (0 2 )“ enthält, dagegen keinerlei Fettstoffe. 

Eine Originalröhre — Preis 2 M. — enthält 12 weiße 
Pastillen von Geruch nach Zitronellöl. Ihr durchschnittliches 
Einzelgewicht betrug 1,1 g. 

In Wasser lösten sie sich unter Kohlendioxydentwicklung nur 
teilweise; der ungelöste Rest bestand aus Talkum. Die wässerige 
Lösung reagierte stark alkalisch; beim Ansäuern brauste sie auf 
unter starker Entbindung von Kohlendioxyd. Weiter waren in 
ihr nachweisbar: Weinsäure, Borsäure und Natrium. Dagegen 
verlief die Prüfung auf Peroxyde bezw. aktiven Sauerstoff negativ. 
Anderweite wirksame Substanzen wurden im Spermacid nicht ge¬ 
funden. 

Das Mittel besteht somit im wesentlichen aus einem in 
Pastillenform gebrachten, anscheinend mit Zitronellöl parfümierten 
Gemisch aus borsaurem und kohlensaurem Natrium, Weinsäure 
und Talkum. 

Cholelysin heißt ein von der Firma J. E. Stroschein, Berlin SO., 
in den Handel gebrachtes Cholagogum. Es ist sowohl in flüssiger 
als in Pulverform im Handel. 

Die quantitative Zusammensetzung des Cholelysin. siccum, das 
als wesentliche Bestandteile Natronseife und Eiweiß enthält, scheint, 
wie aus einem Vergleich der jetzigen mit einer früheren Analyse 
hervorgeht, zu wechseln. 

5. Anknüpfend an den (auch von uns zitierten) Fall einer 
vermutlichen Formamintvergiftung nach dem Gebrauch zweier 
Tabletten (Med. Klinik, Nr. 25), wobei Verbot des Handverkaufs 
in den Apotheken gefordert wurde, bricht Rosenberg für das 
von ihm in den Arzneischatz eingeführte Mittel eine Lanze, indem 
er einmal die Begriffe Idiosynkrasie und Vergiftung fixiert und, 
zu dem Schlüsse gelangend, daß es unstatthaft sei, beide zu identi¬ 
fizieren, feststellt, daß der Autor in dem betreffenden Artikel 
selbst eine Idiosynkrasie gegen das Mittel als vorliegend erachtete, 
und indem er andrerseits auf die Tierversuche und Erfahrungen 
in der Praxis hinweist, die seines Erachtens zur Evidenz beweisen, 
daß Formamint als ein absolut unschädliches, für den Organismus 
indifferentes Mittel anzusehen ist. 

6. Von neuem wird von Dr. Pütz gegen Hautjucken Bromo- 
koll empfohlen, ein Mittel, das entsteht, wenn man eine nach Ein¬ 
wirkung von Brom auf Tannin entstandene Lösung mit Leim ver¬ 
setzt, wobei ein Niederschlag von Dibromtanninleim entsteht, der, 
getrocknet, sich als ein feines, gelbliches bis hellbraunes, geruch¬ 
loses und geschmackloses Pulver erweist, das in Wasser ganz un¬ 
löslich ist. Nach Versuchen von Friedländer wird Bromokoll 
erst im Darm resorbiert, das selbst in hohen Dosen keine Stö¬ 
rungen des Allgemeinbefindens verursacht. Es ist daher mit 
Erfolg auch gegen Epilepsie und andere Krankheiten ge¬ 
geben worden. Im Jahre 1901 wurde von Max Joseph die 
Anwendung des Bromokolls in Form von 10- bis 20%igen Salben 
gegen verschiedene Formen des Pruritus empfohlen. Unterdessen 



ist es gelungen, das Präpara% auöm imremeb 
bringen ; die Aktiengesellschaft für ‘Anflih'feitekßlioii bÄgt; ^ 
10%ige Lösung in den Handel. Von der Vorzüglichkeit der-I 
selben hat sich P. überzeugt., Er gab das Mittel nach folgendem - 
Rezept: Bromokoll. solubil. 10,0, , , 

Zink, oxydat., 

Amyl. tritik. ana 20,0, 

Glyzerin., 30,0, 

Aq. dest. q. s. ad 100,0. 

S. Schüttelmixtur. 

Einmal aufpinseln. 

Nebenbei Karlsbader Salz und Diät! 



Eine neue chirurgische Hakenpinzette. 

Nach Dr. Hans, Limburg. (Mediz. Klinik, Nr. 18.) 

Das Instrument stellt eine Kombination von anatomischer 
und chirurgischer Pinzette dar, deren Branqhenenden in abge¬ 
schrägtem gotischen Spitzbogen gegeneinanderstehen. Diese 
Branchenstellung ermöglicht, wesentlich fester und exakter zu¬ 
fassen zu können; die beigefügte anatomische Querkehlung 
erleichtert das Festhalten auch weicher Gewebe. Durch das 
auch bei geschlossener Pinzette offene Zwischenfenstbr bleibt 



die Uebersichtlichkeit der tieferen Gewebe gewahrt, um so 
besser, als die seitlich liegenden Gewebe ausgiebiger zurück- % 
gedrängt werden. Durch Aufschieben eines auf jede Pinzette 
passenden Sperr-Riegels kann sofort während der Operation eine 
Fixierpinzette oder auch Blutstillungsklemme hergestellt werden. 
Weiter läßt sich die Pinzette benutzen als Stieltupferhalter, 
als Reagenzglashalter, auch als Penisklemme nach, Urethral¬ 
injektionen. Das Instrument wird in verschiedener Größe mit 
verschiedener Hakenzahl angefertigt. Preis 2,50 bis 3,50 M. 
Fabrikant Schweickhardt - Tuttlingen. M. Plien, Berlin. 


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Herausgegeben von 

G. Anton, A. Dfihrssen, C.A. Ewald, E. Friedberger, P. Gerber, R. Robert, M. Koeppen, M. Mosse, K. Partsch, H. Rosin, 

Halle a. S. Berlin. Berlin. Berlin. Königsberg. Rostock. Berlin. Berlin. Breslau. Berlin, jj 

H. Schlange, Ad. Schmidt, H. Schmidt-Rimpler, 

Hannover. Halle au S. Halle a. S. 


Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte der Ostsee nnd der 

Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 


Redaktion: 

Berlin S. 14, Dresdenerstr. 44. Tel. iv, 11773. 
Dr. med. et phil. H. Lungwitz. 



H Senator, 

Berlin. 


R. Sommer, 

Gießen. 


H. ünverricht, 

Magdeburg. 


0. Vulpins, 

Heidelberg. 


Verlag u. Expedition: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung 
in Halle a. S., Reilstraße 80. 

Tel.-Adr.: Marhold Verlag Hallesaale. Fernsprecher 823. 


II. Jahrgang. 


Halle a. S., 30. August 1908. 


Nr. 35. 


Die Therape utische Rundschau“ erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2M., einzelne Nummer 20 Pf. Bestellungen nehmen jede Buchhandlung, 
die Post, sowie die Geschäftsstelle: Carl Marhold Verlagsbuchhandl ung in Halle a. S. entgegen. Inserate werden für die 4gespaltene Petitzeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. berechnet Beilagen nach Uebereinkunft Reklamezeile 1,50 M. Bei größeren Aufträgen wird Rabatt gewährt. M _ „ . , „ . 

Nachdruck der Original-Aufsätze ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. — Nachdruck der anderen Rubriken ist nur mit Quellenangabe gestattet 


Inhalt. 

1. Origlnalien: 

1. E. Ro hl ff, Potsdam: Miszellen aus der französischen Geburtshilfe. 

(Fortsetzung.).521 

2. H. Lungwitz, Berlin: Wahre Werte.523 

II. Referate: 

1. E. Küster, Freiburg i. B.: Bakteriologie.524 

2. G. Tugendreich, Berlin: Säuglingsfürsorge . ..524 

3. J. Baum, Berlin: Dermatologie und Syphilidologie.524 

4. M. Peltzer, Steglitz: Militärsanitätswesen.525 

5. F. von den Yelden, F. Bachmaun, M. Peltzer: Varia . . 526 

IU. Mitteilungen über Arzneimittel: 

W. Krüger, Magdeburg: Referate.527 


□ ORIGINALEN. dZl 


Miszellen aus der französischen Geburtshilfe. 

Von Dr. E. Rohlff, Potsdam. 

(Fortsetzung.) 

Wir kommen nunmehr zur Besprechung der Abände¬ 
rungen, welche die ursprüngliche Form des Basiotribs später 
erlitten hat. 

Nachdem Bar 1889 das Mittelstück kolbig verdickt hatte, 
wodurch es mit dem linken Außenblatte allein als Kranioklast 
dienen konnte, schritt Ta r nier dadurch angeregt zu Ver¬ 
besserungen seines Instrumentes. Zunächst konstruierte er eine 
nach außen geriefte Kappe, welche man über die Spitze des 
Perforateurs stecken konnte, beliebig nach links oder rechts 
schauend, um so aus dem Mittelstück und einem Außenblatt 
einen Kranioklast zu gewinnen. Dann schuf er Möglichkeiten, 
beliebig das linke oder rechte Blatt als erstes einzulegen und 
zwar kurz oder lang ganz nach Gefallen. Dies wurde erreicht, 
indem das linke Blatt nunmehr unter und bloß das rechte 
Blatt über das Mittelstück zu liegen kam. Zwei Zapfen und 
vier Einschnitte dazu ermöglichen die verschiedenen Lage¬ 
rungen. 

Diese Aenderungen erfreuen sich in Frankreich noch heute 
keines Beifalls; von den namentlich angeführten Autoren ver¬ 
teidigt nur Bar sie, während Pinard in dieser Frage sich für 
das alte Modell entscheidet. Tarnier selbst hat in seinen 
letzten Lebensjahren die angebrachten Verbesserungen sehr 
bedauert. Bar hat seine eigene Konstruktion zugunsten von 
Tarniers neuem Modell wieder aufgegeben. 

Ehe wir uns zu den durch das neue Modell ermöglichten 
Operationsabänderungen wenden, müssen wir die Frage in An¬ 
griff nehmen, welches Modell für uns das bessere ist. 


IV. Technische Neuerscheinungen: 

1. W. B. Müller, Berlin: Ein aseptischer, zerlegbarer Kehlkopf- 

pulverbläser.528 

2. M. Plien, Berlin: Aseptisches Impf besteck.529 

V. Bücherbesprechungen: 

1. G. Pfülf: Die Panik im Kriege. (Ref.: M. Peltzer, Steglitz) 529 

2. A. Wolff-Eisner, Berlin: Das Heufieber. (Ref.: C. Bachem, 

Bonn).529 

3. 0. v. Hovorka und A. Kronfeld: Vergleiche Volksmedizin. 

(Ref.: F. von den Felden, Frankfurt a. M.) .530 

4. Fr. Wolff, Untereichen: Antonii Panormitae Hermaphroditus. 

(Ref.: H. Rohleder, Leipzig.).530 

5. P. Bayle, A. Kind: Obszönitäten. (Ref.: H. Rohleder, 

Leipzig).530 

VI. Allgemeines .530 


Da wir den Kranioklast nicht aufgeben dürfen, nicht ein¬ 
mal bei Schädellagen und erst recht nicht bei Stirn- und Ge¬ 
sichtslagen sowie am nachfolgenden Kopf, wie unten noch 
weiter erörtert wird, so müssen wir es begrüßen, daß wir jetzt 
zwei Instrumente in dem einen Basiotrib vereinigt finden und 
nicht zwei schwere Instrumente mit uns zu schleppen brauchen. 

Zunächst wird getadelt, daß die Neukonstruktion schwerer 
und unhandlicher sei als die alte. Das ist richtig und wird 
unangenehm empfunden beim Mitführen sowie bei der Anwen¬ 
dung. Entscheidend kann das aber nicht sein, da die Güte des 
Instrumentes über Tod und Leben ausschlaggebend wird. 

Die Unmöglichkeit, sich mit Sicherheit sofort in den ver¬ 
schiedenen Verbindungen zurecht zu finden, macht das neue 
Modell fast unbrauchbar, erklingt fast allgemein der harte Vor¬ 
wurf. Und wirklich, es ist nicht möglich, ins Gedächtnis die 
Wirkung der verschiedenen Verbindungen fest einzuprägen; so 
bereute auch ich ein Jahr lang, das neue Modell erworben zu 
haben. Heute denke ich jedoch anders. Ich legte mir die 
Frage vor, ob es denn nicht möglich sei, wenn nicht gedächt¬ 
nismäßig, so doch verstandesgemäß in jeder Lage und in jedem 
Augenblick die richtigen Verbindungen ohne Zögern und ohne 
Fehler zu treffen. Die bejahende Antwort ergab sich sofort, 
als ich die Ergebnisse unserer Betrachtungen in zwei kurze 
Regeln faßte. Sie lauten: 

Erster Löffel — hinten — Felsenbein — kurzragend, 

Zweiter Löffel — seitlich — Stirnhöcker — langragend. 

Verfolgt man bei dieser Anlegungstendenz mit dem geistigen 
Auge das Emporsteigen der beiden Löffel, so gleiten die Zapfen 
von selber gleichsam in die richtigen Lager; beim ersten Löffel 
wird die erste sich darbietende Verbindungsmöglichkeit, beim 
zweiten hingegen die oberste benützt. 

Dem Leser, der selber noch nicht sich mit den verschie¬ 
denen Verbindungen des neuen Tarnier vergeblich abgemüht 
hat, wird — hoffentlich — meine Lösung des Problems kin¬ 
disch einfach erscheinen. Ich will daher zum besseren Ver¬ 
ständnis, daß ich auf eine scheinbar so einfache Sache solchen Wert 
lege, einige Worte aus einer Abhandlung von Potoeki über 
den Basiotrib hierher setzen: „J’ai entendu Tarnier lui-meme 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 




me repeter maintes fois combien il regrettait d’avoir modifi6 
son premier basiotribe..Denn: „ ... et prötent an sujet du 
choix des encocbes ä une teile confusion que j’ai vu des accou- 
cheurs exercßs se tromper au moment meine oü ils demontraient 
les avantages de ces perfectionnements.“ 

Ist auf obige Weise der Lagerungswirrwarr aus der Welt 
geschafft, so sind die Vorteile überwiegend. Es sind ihrer vier. 

1. Stets kann der erste' Löffel über ein Felsenbein kurz¬ 
ragend hinten eingelegt werden. 

2. Der das Gesicht bedeckende Löffel wird behufs aus¬ 
giebiger Zermalmung immer der längere sein können. 

3. Der Basiotrib kann zunächst als Kranioklast dienen; bei 
wider Erwarten starkem Hindernis kann nachträglich das 
dritte Blatt hinzugefügt werden. 

4. Ist die c. v. unter 4t l j 2 cm lang, so zermalmt man bei 
aufgesetzter Kappe. Dann nimmt man das dritte Blatt 
wieder ab, dreht um 90°, und kann nunmehr eine c. v. 
von noch nicht ganz 4 cm passieren, da die beiden 
ersten Blätter als Kranioklast den Kopf festhalten. 

Die Anwendungsweise des neuen Modells bietet nur eine 
geringfügige Aenderung dar. Nach erfolgter Perforation wird 
das Mittelstück hervorgezogen und mit der Kappe versehen. 
Deren rauhe Fläche muß nach der Seite schauen, wo der erste 
Löffel eingelegt werden soll. Alsdann wird der Perforateur 
wieder eingeführt. Einlegung des ersten Blattes hinten. Nun 
läßt man ruhig das Mittelstück dem Außenblatt entgegen¬ 
gleiten und vereinigt. Auf das kleine Zerbrechen wird stets 
verzichtet. Will man den Apparat nun nicht einfach als 
Kranioklast verwenden, so folgt die weitere Fortsetzung wie 
früher. 

Bevor ich das Gebiet der Schädeleinstellungen verlasse, 
möchte ich aufmerksam machen, daß nichts darüber bekannt 
ist, in welcher Weise die Basiotripsie bei dem äußerst selten 
vorkommenden seitlich verengten Becken ausgeführt werden 
muß. Verfasser hatte einen solchen Fall, geradezu bekanntlich 
ein Unikum, bevor er im Besitz des Basiotrib war, mit sehr 
schwieriger Kranioklasie glücklich erledigt. Die seitliche An¬ 
legung des Basiotribs, die zunächst das Natürliche erscheint, 
kann doch nur Resultate geben, wenn wirklich die ganze 
Basis in voller Länge zerquetscht wird. Ob dies gelingt oder 
ob nicht die Löffel hier hinter der Symphyse und am Kreuz¬ 
bein entlang über Hinterhaupt und Stirn hinaufgeführt werden 
müssen mit nachfolgender Drehung um 90° und Extraktion, 
müßte durch Versuche an einem Phantom ermittelt werden. 

Sämtliche anderen Einstellungen des Kopfes und der 
nachfolgende Kopf geben aus schon früher erwähnten Gründen 
selten Anlaß zur Basiotripsie. 

Die Beschreibung der Techniken für solche Fälle wird 
uns nicht lange aufhalten. 

Bei Stirnlagen wird der erste äußere Löffel schräg hinten 
wie gewöhnlich eingeführt am nach hinten liegenden Stirn¬ 
höcker. Alles weitere wie früher bei Schädeleinstellungen. 

Bei Gesichtslagen wird die Sache ungünstiger, da bei 
Perforation durch die Stirn und Blättereinlegung, so gut als 
es geht mehr seitlich, die Basis nicht immer erreicht wird. 

Das Durchbohren der Augenhöhle mit dem starken Per¬ 
forateur ist auch mißlich. Will man es versuchen, so wird 
geraten, die nach hinten liegende zu wählen, den ersten äußeren 
Löffel dann daneben einzuführen usw. 

Für den nachfolgenden Kopf genügt bekanntlich so gut 
wie immer einfaches Anbohren. Die Anlegung des Basiotrib 
an den nachfolgenden Kopf ist wegen der beschränkten Raum¬ 
verhältnisse der Scheide sehr schwierig. Außer dem Kindes¬ 
hals liegen dort die starren Arme Nummer 1 und 2, dann aber 
müssen noch Platz finden das dritte Blatt und die Hand des 
Arztes, um diesen Löffel richtig anzubringen. Schon die ein¬ 
fache Perforation mit dem dickeren Perforateur des Basiotrib 
statt mit der flachen Naegelisehen Schere ist merklich un¬ 
bequemer. Sollte man mit einfacher Perforation nicht aus- 
kommen, so ist es am besten, den Hals abzuschneiden, um 
besser an den Kopf herankommen zu können. Gelingt die 
Perforation am unversehrten Kinde nicht, so kann man dieselbe 
am abgetrennten Kopf machen durch die Stirn oder durch eine 


Augenhöhle. Darauf folgt eine einfach seitliche Anlegung des 
Basiotrib. 

Alle Berichte lauten übereinstimmend dahin, daß ein Ver¬ 
rutschen der Löffel nicht zu befürchten, sondern stets ein guter 
Erfolg sicher ist. Einfacher dürfte aber immer irgendeine 
Kranioklastanlegung sein, z. B. das innere Blatt in den Schädel 
durch das schon hinter dem Ohr gebohrte Loch, das äußere 
Blatt dann über den Halsstumpf oder das Gesicht. 

Die Herren Kollegen haben in den vorstehenden Aus¬ 
führungen die Resultate der französischen Forscher zusammen¬ 
gestellt gefunden. Mancherlei Kenntnisse und Sorgfalt bei der 1 
Operation sind nötig, um gute Erfolge zu erzielen. Und doch 
ist die Ausführung der Basiotripsie nicht schwer, wenn man 
sich einmal durch ruhiges Durchdenken den Gang der Ope¬ 
ration klargemacht hat. Es handelt sich um mechanische 
Probleme und deren verstandesgemäße Inangriffnahme, nicht 
um ein gedächtnismäßiges Einpauken von allerlei Operationsvor¬ 
schriften ohne logischen Zusammenhang. So wenigstens habe 
ich den Herren Kollegen den Inhalt französischer Lehrbücher 
darzubieten versucht. Dort allerdings beschreibt meist einfach 
ein jeder nur seine Methode. Gründliche Vergleiche zwischen 
altem und neuem Modell und ihren Anwendungsformen einer¬ 
seits sowie das Verhältnis zwischen Basiotripsie und Kranio¬ 
klasie fehlen im großen und ganzen. 

Bar bildet davon eine rühmliche Ausnahme in zwei Hin¬ 
sichten. Er ist nicht fanatisch eingenommen, sondern läßt auch 
dem Kranioklast sein Recht, zeigend, daß er unter mancherlei 
Umständen dem Basiotrib vorgezogen werden muß. Ferner 
gibt er Abbildungen der Resultate fehlerhaften Anlegens und 
die dazu gehörigen Diagramme mit Maßangaben von den mehr 
oder minder zertrümmerten Basisteilen. Die anderen tun so, 
als spielten Fehler gar keine Rolle. Wenn man das Verhalten 
dieser Autoren sonst kennt, so kann man nur einen einzigen 
Schluß aus diesen Unterlassungen ziehen, daß sie nämlich kein 
Bedürfnis fühlten, in dergleichen Erörterungen und Vergleiche 
einzutreten, weil die in der Praxis erhaltenen Resultate mit 
ihrem jeweiligen Instrument und ihrer Anlegungsweise sie 
vollauf befriedigten. So finden sich endlich in keinem einzigen 
Werk alle Hilfsmittel besprochen. Keiner hat sich bemüht, sie 
alle kennen zu lernen oder seinen Lesern mitzuteilen, weil er 
sie offenbar für überflüssig hält. Alle diese Unterlassungs¬ 
sünden beweisen aber gerade die Brauchbarkeit der Basio¬ 
tripsie. Die Darstellungsweise der französischen Autoren, eine 
fast rein beschreibende, mag für französische Aerzte genügend 
sein. Wer nur den Basiotrib benutzt, wird seinem Gedächtnis 
die Regeln einpauken, zumal er bald Uebung durch die Praxis 
erlangt. Für uns aber, die wir nicht den Kranioklast ganz 
zum alten Eisen legen wollen, steht die Sache anders. Fünf 
bis zehn Jahre können vergehen, bis wir plötzlich auf einen 
Fall stoßen, der die Anwendung des Basiotrib erheischt. Was 
nun? Zum Nachlesen ist keine Zeit: hic Rhodus, hic salta. 
Darum habe ich meiner Darstellung eine andere Form ge¬ 
geben. Aus einer einfachen Beschreibung des Verfahrens ist 
eher die mathematisch-physikalische Lösung eines mechanischen 
Problems geworden. Wer einmal mit dem Verstand den Gang 
der Operation verfolgt hat, braucht sich nicht mehr auf sein 
Gedächtnis zu verlassen. Jederzeit wird er sich verstandes¬ 
gemäß zurecht finden können von der Wahl des Einstich¬ 
punktes und der zarten Einführung des ersten äußeren Löffels 
am Felsenbein entlang an bis zum Schluß: denn ein jeglicher 
Operationsakt beruht auf einer logischen Notwendigkeit. Und 
gerade hierin sehe ich den durchschlagenden Grund für die 
Existenzberechtigung der Basiotripsie: die gegebenen Verhält¬ 
nisse rufen mit Notwendigkeit die helfenden Maßnahmen des 
Arztes hervor. 

Bewährt sich die Basiotripsie, so schwindet in der Haus¬ 
praxis die Indikation zum Kaiserschnitt wegen absoluter Becken¬ 
enge, da es diese dann kaum noch gibt. Voraussetzung ist 
natürlich, daß man der Frau, welche die Gefahren allein zu 
tragen hat, auch allein das Recht zuerkennt, die Operationsart 
zu wählen. Solange noch die Prognose des konservativen 
Kaiserschnittes oder des Porro eine mäßige ist, während es 
andererseits zweifelhaft bleibt, ob auf diese gefährlichere Ent- 


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J 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


523 




bindungsweiae ein Kind lebend entwickelt wird, dessen weitere 
Lebensdauer noch recht unsicher ist, hat man kein Recht, eine 
Frau dahin zu Beeinflussen, daß sie sich der größeren Gefahr 
unterziehen solle.- Nur offen darlegen muß man die Sachlage; 
bestimmen darf allein die Frau. (Schluß folgt.) 


Wahre Werte, 

Von Dr. med. et phil. Hans Lnngwitz, Berlin. 

Ein an sich unbedeutendes Ereignis wird, wenn es nur 
plötzlich und unerwartet eintritt oder von interessierten Kreisen 
geschickt benutzt wird, oft genug zu einer Staatsaktion, die 
nicht bloß die flachen Köpfe erregt, sondern selbst ruhige und 
klare Gemüter tangieren kann. Die Kritik verblaßt vor der 
Stimmung — bis die Sache historisch geworden ist und als¬ 
dann ihren wahren Wert offenbart. 

Wir Aerzte müssen uns ganz besonders hüten, in Stim¬ 
mung zu geraten und das Temperament in der Beurteilung 
einer Sache die Erfahrung und die ruhige Kritik übertönen 
zu lassen. M. E. ist dieser Fehler in der Puro-Affäre begangen 
worden. Wir alle haben uns eine Zeitlang durch die Ver¬ 
öffentlichungen Gerets und Horiuchis in eine ganz schiefe 
Fragestellung hineindrängen lassen. Und wahrhaftig: ist es 
nicht ein ungeheuerlicher Frevel, wenn Aerzten und Patienten 
ein Präparat serviert' wird, das unter falscher Flagge segelt; 
ist es nicht ungeheuerlich, daß gerade dieses falsch bezeichnete 
Präparat die unbedingte Anerkennung der weitesten Kreise, 
auch der kritischsten Kliniker gefunden hat, daß es also 
zweifellos r gut“ ist. Mit Recht moquiert sich nach diesen 
Erfahrungen der Süddeutsche Nahrungsmittel-Anzeiger in Nr. 21 
d. J. über die Zuverlässigkeit der ärztlichen Gutachten, indem 
er ausführt: . . der . . . Fleischsaft Puro ist in den ver¬ 

schiedensten Kliniken und Sanatorien von Aerzten und Pro¬ 
fessoren eingehend geprüft und begutachtet worden . . . und 
w*ts besagt das heute?“ — Natürlich, wie kann ein Präparat 
gut sein, wenn es eine falsche Bezeichnung trägt! Die Gut¬ 
achter haben sich eben allesamt getäuscht; das Präparat ist 
miserabel und muß unbedingt vom Erdboden verschwinden! 
Die gesamte medizinische und pharmazeutische Presse war 
sich einig in der Beurteilung des Präparates und konnte sich 
nicht genug tun, es und seinen Fabrikanten an den Pranger 
zu stellen. 

Jetzt, nachdem sich die hochgehenden Wogen der Ent¬ 
rüstung einigermaßen beruhigt haben, scheint es dringend 
indiziert, den Fall Puro auf seinen wahren Wert zu prüfen. 
Jeder unbefangene Kritiker muß zugeben, daß die Hetze gegen 
das Präparat ebenso unzweckmäßig wie übertrieben war. 
Interessant war sie freilich; die Puro-Artikel wurden sicher¬ 
lich immer zuerst gelesen, und es empfahl sich aus taktischen 
Gründen, daß jede Zeitschrift das Präparat wenigstens einmal 
hochnahm. Besonders wirkungsvoll war das Kesseltreiben in 
moralischer Beziehung, schon weil sich der deutsche Michel 
— zum Gaudium des Auslandes — nichts Erfreulicheres denken 
kann,- als wenn er Gelegenheit findet,' einem Landsmann ge¬ 
hörig an den Kragen zu gehen. Sind doch — nebenher be¬ 
merkt — die ausländischen Fleischsäfte und ihre Inserate noch 
heute unbehelligt, obwohl wir längst wissen, daß Valentines 
Meat juice ebenfalls kein Fleischsaft im medizinischen Sinne 
und „im Verhältnis zu seinem Wert geradezu unverschämt 
teuer ist“. (Vergl. Dr. Heim, Die künstlichen Nährpräparate, 
Bonn 1901.) 

Die Veröffentlichungen Gerets und Horiuchis waren frei¬ 
lich verblüffend, und es ist mit Freuden zu begrüßen, wenn 
die Wissenschaft Mittel und Wege findet, um die Industrie zu 
kontrollieren. Die Praxis kann dadurch nur profitieren. Im 
Falle Puro ist die Praxis aber in Gefahr zu leiden, da man ein 
praktisch geringfügiges Ereignis zu einer Staatsaktion aufge¬ 
bauscht und so ein sehr brauchbares Präparat zu unterdrücken 
versucht hat. 

Die Vorwürfe, wegen deren sich Dr. Scholl zu verant¬ 
worten hat, sind die, daß er sein Produkt als „Fleischsaft“ be¬ 


zeichnete und angab, es enthalte 30% Fleischeiweiß. Zum 
ersten Punkt läßt sich sagen, daß, wenn man es Dr. Scholl 
verbietet, Puro als Fleischsaft zu bezeichnen, man es auch den 
ausländischen Fabrikanten verbieten muß, Präparate unter dieser 
Bezeichnung auf den deutschen Markt zu bringen, die auch 
kein Fleischsaft im medizinischen Sinne sind. Zweifellos liegt 
darin eine Entschuldigung für Dr. Scholl. Indes — sei es Ab¬ 
sicht, sei es Nachlässigkeit — Dr. Scholl durfte eine Fabri¬ 
kationsmethode und Zusammensetzung, die er verlassen hatte, 
nicht weiter in seiner Reklame führen. Aber statt ihn nun 
einfach zu veranlassen, die Bezeichnung fallen zu lassen, die 
wohl seinem ursprünglichen Präparate zukam, nicht aber dem 
gegenwärtigen zukommt, ging man weit über das in diesem 
Falle Gebotene hinaus: man machte das Präparat selbst 
herunter. Man versuchte, einem Präparat den Garaus zu 
machen, das sich seit ca. 15 Jahren aufs beste bewährt hat, 
und das von zahlreichen Aerzten, darunter ersten Autoritäten wie 
von Leyden, von Winkel, von Ziemßen, von Berg¬ 
mann, Minkowski, Klemperer etc. empfohlen und glän¬ 
zend begutachtet worden ist und noch heutigentags von zahl¬ 
reichen Aerzten und Kranken verwendet wird. Wie konnte 
man es wagen, das Urteil solcher Persönlichkeiten zu mi߬ 
achten — aus einem Grunde, der eine Wertung des Präparates 
als Nähr- und Kräftigungsmittel gar nicht zuließ, sondern — 
sagen wir — rein juristischer Art war. Hat man denn gar 
nicht empfunden, welche Blamage der Aerztewelt angetan 
wurde durch das unkluge Verfahren, ein bestempfohlenes Prä¬ 
parat in Grund und Boden zu verdammen, bloß weil die Be¬ 
zeichnung anfechtbar war! Hat man nicht daran gedacht, wie 
sehr das Vertrauen des Publikums zu den Aerzten leiden muß, 
wenn im eigenen Lager offen ausgesprochen wird, wie wenig 
zuverlässig ein Urteil zahlreicher Aerzte, zahlreicher Autoritäten 
ersten Ranges ist! Und um das Satj'rspiel abzurunden: Puro 
ist ja wirklich ein brauchbares Präparat! Zahlreiche Laien 
wissen das, haben es am eignen Leibe erfahren und können 
nicht begreifen, was auch ich nicht begreifen kann, daß ein 
gutes Präparat nicht ferner existieren soll, bloß weil die Be¬ 
zeichnung nicht stimmte. 

Warum dieser gewaltige Lärm? Die Fragestellung ist 
falsch gewesen, und wir sind wie ein Experimentator mit ver¬ 
kehrter Versuchsanordnung zu falscher Wertung der ganzen 
Angelegenheit gelangt. Der wahreWert eines Präparates 
liegt — wer wüßte es nicht? — darin, daß es thera¬ 
peutisch brauchbar ist. Der Patient will geheilt werden; 
ihm ist es gleichgültig, ob das Mittel, von dem er einen gesund¬ 
heitlichen Vorteil erhofft, so oder so heißt. Er verlangt vom Arzte, 
daß das Prinzip, nach dem er, der Patient, Medikamente abschätzt, 
auch das des Arztes sei, und daß dieser seine Bedenken gegen 
„Nam’ und Art“ eines Präparates nicht als maßgebend für die An¬ 
wendung hinstelle, jedenfalls nicht als maßgebender denn den 
therapeutischen Erfolg. Selbstredend ist es unsere Pflicht, kaufmän¬ 
nische Skrupellosigkeit der Industrie aufzudecken und zu strafen, 
und die Konkurrenz ist uns dabei eine sehr bereitwillige, wenn¬ 
gleich nicht sehr zuverlässige Gehilfin. Aber wir dürfen uns infolge 
von Bedenken in dieser Richtung nicht versteigen, ein tausend¬ 
fach erprobtes Präparat, für das in der Tat ein Ersatz nicht 
existiert, aus der Therapie ausmerzen zu wollen ; zwei gewichtige 
Faktoren werden dagegen Front machen: das Publikum und 
der gesunde Menschenverstand. 

Der Kampf gegen Puro wäre berechtigt, wenn, die wirk¬ 
liche Zusammensetzung praktisch unbrauchbar oder weniger 
wirksam wäre als die bisher angegebene, d. h. wenn Eiereiweiß 
geringwertiger wäre als Fleischeiweiß. Das ist aber nicht der 
Fall. Im Gegenteil möchte ich sagen, daß mir Puro bei weitem 
appetitlicher vorkommt, seit ich weiß, daß sein Eiweiß nicht 
von Fleisch irgendwelcher Provenienz, sondern von veritablen 
Eiern abstammt. Soviel steht jedenfalls fest, daß Puro in nicht 
minder ausgedehntem Maße verordnet wäre, wenn man von 
vornherein gewußt hätte, daß es Eiereiweiß, nicht Fleischeiweiß 
enthält. 

Die therapeutischeWirksamkeitist also durch die Aufklärungen 
Gerets und Horiuchis nicht geringer geworden, ja jeder un¬ 
parteiische Sachkenner wird mir recht geben, w T enn ich behaupte, 


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524 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 35 


daß die Kombination gerade von Puro eine äußerst zweckmäßige 
und wissenschaftlich einwandfreie ist. Es besteht denn auch 
nicht nur nach meiner Meinung, sondern nach der Ansicht sehr 
autoritativer Persönlichkeiten kein Zweifel, daß der mit Pauken 
und Trompeten, mit Haubitzen und Granaten inszenierte Feld¬ 
zug das angegriffene Präparat nicht wird vernichten können, 
sondern vielmehr dazu dienen wird, gerade an dem Bestehen 
der Feuertaufe den wahren Wert des Puro zu erkennen und 
sein Ansehen zu befestigen. 



Bakteriologie. 

Referent: Privatdozent Dr. E. Küster, Freiburg i. B. 

Die bakteriologische Frühdiagnose der akuten Infektions¬ 
krankheiten. You Lüdke. 

Der Autor erblickt in dem Nachweis des spezifischen Er¬ 
regers die wertvollste Ergänzung des klinischen Symptomenbildes 
der Infektionskrankheit, warnt aber mit Recht davor, hierin zu 
weit zu gehen und zugunsten der bakteriologischen Untersuchung 
der Sekrete und Exkrete die klinische Beobachtung zu vernach¬ 
lässigen. Er bespricht sodann die einzelnen akuten Infektions¬ 
krankheiten vom Standpunkt der bakt. Frühdiagnose in recht 
übersichtlicher Form, so daß die Abhandlung für den Praktiker 
eine wohl empfehlenswerte Lektüre abgibt. Mir sei es hier ge¬ 
stattet, vom rein bakteriologischen Standpunkt auf einige Punkte 
näher einzugehen. Der Autor hat „Ruhrbazillen“ wochenlang in 
„typischer“ Kokkenform wachsen sehen, eine Beobachtung, die 
sicherlich die meisten Bakteriologen bisher nicht machen konnten. 
Der Glaube, daß alle Versuche, einen Bakterienstamm in einen 
anderen nahestehenden umzuzüchten, zu Enttäuschungen führen 
werden, dürfte nach den Erfahrungen, die man bei Herauszüch¬ 
tung von rotwachsenden Keimen der Endoplatte aus weiß wachsenden 
gemacht hat, besonders nachdem es gelungen ist, durch Zusatz 
von bestimmten Zuckerarten das Auftreten solcher Umschläge zu 
begünstigen, nicht so ganz berechtigt sein. Der positive Aus¬ 
fall einer Widalreaktion mit einer Serumverdünnung 1 : 50 dürfte 
nicht als beweisend allgemein anerkannt werden, es sei denn, daß 
im Verlauf der Krankheit vorher ein niedrigerer Agglutinations¬ 
titer konstatiert wurde. Endlich ist der Autor der Ansicht, daß 
man Influenza aus dem Ausstrichpräparat diagnostizieren könne 
und man in Fällen von Mischinfektion die Kulturmethoden heran¬ 
ziehen müsse. Dem kann ich mich nicht anschließen. Auf dem 
staatl. bakt. Untersuchungsamt d. U. Freiburg i. B. habe ich im 
Laufe der letzten vier Jahre eine große Reihe von klinisch in¬ 
fluenzaverdächtigen Fällen kulturell untersucht und gefunden, daß 
im Sputum sehr häufig influenzaartige Stäbchen in Zügen gelagert 
Vorkommen, die sich kulturell durch Wachstum auf den verschie¬ 
densten Nährboden von dem Bakt. influenzae Pfeiffer durchaus 
unterscheiden. Das Vorkommen des typ. Bakt. infl. ist viel 
seltener, als man auf Grund der klinischen Erscheinungen an- 
nehmen könnte. 

Säuglingsfürsorge. 

Referent: Dr. Gustav Tugendreicll, leitender Arzt der 
städtischen Säuglingsfürsorgestelle 5 in Berlin. 

1. Beobachtungen an stillenden Frauen. Von S. Jacobius. 
Arch. f. Kinderheilk., Bd. 48, H. 1 u. 2. 

2. Die Schwankungen der Säuglingssterblichkeit im Deut¬ 
schen Reiche während der letztabgelaufenen beiden Jahrzehnte. 
Von Rahts. Med.-statist. Mitteil. a. d. K. Gesundh.-Amte, Bd. 10. 

1. Jacobius hat an dem reichen Materiale der Säuglings¬ 
fürsorgestelle V Beobachtungen über die Beziehungen zwischen 
Laktation und Menstruation angestellt. 

Von 180 Frauen waren in der 26. Woche der Laktation 
amenorrhoisch 56,1%, menstruiert 43,9%. 


Es waren amenorrhoisch von den stillenden Frauen 
im 2. Monat 88,9%, 

„ 3. „ 76.7%, 

„ 4. „ 72.8%, 

„ 5. „ 66,6%, 

„ 6. „ 56,1%. 

Einen Nachteil für die Brustkinder sah Verf. niemals von 
der Menstruation. Im allgemeinen findet er, daß das Stillen zwar 
den Wiedereintritt der Periode mehr oder minder lange hinaus¬ 
zögert, aber nicht verhindert. Der Verf. teilt ferner mehrere 
interessante Fälle von lang erhaltener Stillfähigkeit bei nicht 
stillenden Müttern mit. 

Ein besonders eklatanter Fall betraf eine Frau, die noch 
73 Tage post partum so viel Milch in den bisher unbenutzten 
Brüsten hatte, daß sie das Kind nähren konnte. 

2. Fiir den statistischen Nachweis der Erfolge der Säuglings¬ 
fürsorge, der aller Voraussicht nach in den nächsten Jahren im 
Mittelpunkte der fachgenössischen Erörterungen stehen wird, bieten 
die Untersuchungen von Rahts aus dem Kaiserlichen Gesund¬ 
heitsamte einen guten Ausgangspunkt. Rahts behandelt den 
Gang der Säuglingssterblichkeit in dem Zeitraum, in dem von 
einer erheblichen Einwirkung der Säuglingsfürsorge noch nicht 
die Rede sein kann. Er findet, daß die Säuglingssterblichkeit seit 
1885 von Jahrfünft zu Jahrfünft zurückgegangen sei, von 1885 
bis 1904 von 24,4 auf 20,8%. Eine deutliche Abnahme zeigten 
besonders die Großstädte. 

Meteorologische und wirtschaftliche Verhältnisse haben wahr¬ 
scheinlich nach des Verfs Ansicht diese Schwankungen beeinflußt. 


Dermatologie und Syphilidologie. 

Referent: Spezialarzt Dr. Jul. Baum, Berlin. 

1. Mochalles Schwefelpräparate. Von Gerhard Hahn. 
Allg. med. Zentralzeitg., 1908, Nr. 32. 

2 . Experimentelle Untersuchungen über tuberkulöse Ver¬ 
änderungen an der Haut ohne Mitwirkung von Tuberkelbazillen 
(toxische Tuberkulose) und die Bedingungen ihres Entstehens. 
Von Zieler. Münch, med. Wochenschr., 1908, Nr. 32. 

3. Zur internen Therapie der Syphilis. Von Pöhlmann. 
Ibidem, Nr. 27. 

4. Ist die Metschnikoffsche Kalomelsalbe ein Vorbeugungs¬ 
mittel gegen Syphilis? Von Vorberg. Med. Klinik, 1908, Nr. 23. 

5. Ueber die Behandlung des Lupus mittels Tuberkulin¬ 
salbe und über eine durch Tuberkulinsalben-Einreibung spezifi¬ 
sche Hautreaktion. Von Senge r. Berl. klin. Wochenschr., 
1908, Nr. 23. 

6. Vaginitis. Von Doleris. Annales des maladies des 
Organes genito-urinaires, 1908, Nr. 15. 

7. Die Behandlung des Lupus und ihre Ergebnisse. Von 
Wich mann. Med. Klinik, 1908, Nr. 28. 

8. Die Behandlung der Syphilide durch lokale Quecksilber¬ 
einspritzungen. Von Hamei. Annales de Dermatol., 1908, Mai. 

9. Ueber die therapeutische Verwendung von flüssiger Luft 
und flüssiger Kohlensäure. Von Zeisler. Dermatol. Zeitschr., 
1908, Juli. 

10. Drei Zeichen für die Diagnose des Erysipel. Von 

Milian. Le progr^s medical, 1908, 25. Juli. 

11. Aphthöses Fieber. Von Boye, Gazette des Hopitaux, 

1908, Nr. 84. 

1. Hahn empfiehlt von Mochalle in Breslau hergestellte 
Schwefellauge zu Schwefelbädern und eine Schwefelseife desselben 
Fabrikanten, die den Schwefel in ganz auffallend feiner Vertei¬ 
lung enthält und leicht Schwefelwasserstoff abgibt. Die Seife hat 
sich bei Akne, Pityriasis versikolor und rosea bewährt. 

2. Die Anschauung, daß das Tuberkulin nur dadurch wirke, 
daß Teile von Tuberkelbazillen darin enthalten sind, ist nicht 
richtig. Zieler lieferte durch experimentelle Untersuchungen 
den Beweis, daß das Tuberkulin, welches vollständig von Bazillen¬ 
resten befreit ist, d. b. also dialysierbare, aus dem Tuberkel¬ 
bazillus stammende Stoffe, fähig ist, echte tuberkulöse Strukturen 


TJN 


TW 




1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


525 


zu erzeugen, daß also weder Bazillen noch ihre Trümmer noch 
gelöste Leibessubstanz dazu nötig sind. 

3. M e r g a 1 wird zur internen Therapie der Syphilis von 
Pöhlmann empfohlen. Es» ist eiü Quecksilberpräparat, das 
prompt wirkt, geringe Nebenerscheinungen, aber nur eine ge¬ 
ringe Nachwirkung hat, da häufig sehr bald hernach Rezidive 
auftreten. 

4. Die von Metschnikoff als Vorbeugungsmittel gegen 
Syphilis empfohlene 30%ige Kalomeisalbe ist nach Vor borg 
kein Schutz gegen Syphilis, gibt dem Patienten eine trügerische 
Sicherheit. Es ist daher vor der Anwendung der Salbe im Sinne 
Metschnikoffs zu warnen. 

5. Sen gor sah außerordentlich günstige Beeinflussung bezw. 
Heilung des Lupus durch Einreibung der Herde mit Tuberkulin¬ 
salbe in Verbindung mit Röntgenbestrahlungen. Durch die Salbe 
werden die Lupusknötchen gleichsam aus der Tiefe hervorgeholt 
und durch kleinste Ulzerationen zerstört und bieten der Bestrah¬ 
lung einen günstigen Boden. 

6. Bei der akuten Vaginitis empfiehlt Doleris direkt als 
Spezifikum Spülungen mit Kal. hypermanganik. 1 : 200 dreimal 
täglich; event. Sublimat 2 ‘/z °/ 00 . Bei der chronischen Vaginitis 
hängt die Behandlung von der Aetiologie und den Komplikationen 
ab. Bei der gonorrhoischen sind Spülungen von Kal. hypermangan. 
zweckmäßig unter Mitbehandlung der Zervix. Zwischen den Spü¬ 
lungen führe man einen langen zylindrischen Tampon ein, der mit 
Salbe bestrichen ist (Jodoform, Dermatol ana 5,0, Vaselin 20,0). 
Bei saprophytischer chronischer Vaginitis spüle man mit 

Hydrogen, peroxyd. 250,0, 
l°/oiger Karbolsäure 750,0. 

Möglichst mild muß man jene Formen der chronischen Vagi¬ 
nitis behandeln, die durch Gewebsveränderungen hervorgerufen 
sind, ähnlich dem Ekzem der Haut. Diese sind dadurch charakte¬ 
risiert, daß sie periodisch auftreten, mit Hautjucken oder Ekzem 
verbunden sind, durch unzweckmäßige Lebensweise bedingt sind. 
In diesen Fällen führe man eine Minute lang einen Tampon mit 
Tinkt. Jod. 5,0, Glyzerin. 20,0 ein, dann einen Tampon mit 
40%iger Zinksalbe, und wende im übrigen nur reizlose Spü¬ 
lungen an. 

7. Nach Wich mann ist es ein Kunstfehler, einen initialen 
Lupus zu ätzen oder zu brennen, stets soll man ihn womöglich 
exzidieren. Externe Methoden wie Aetzungen, Brennungen etc. 
wirken fast immer nur vorübergehend, ebenso wie die internen 
Methoden mittels Tuberkulin oder Kantharidin. Dauerresultate 
erzielt man nur durch Exzision oder Lichtbehandlung (Röntgen, 
Radium-, Finsenbehandlung). 

8. Hamei behandelt syphilitische Affektionen der Haut in 
sekundären und tertiären Fällen, besonders ulzeröse Formen, neben 
der Allgemeinbehandlung durch subkutane Infiltration der Syphi¬ 
lide mit einer Lösung von 

Hydrargyr. zyanat. 0,05, 

Stovain. 0,5, 

Aq. ad. 100,0, 

Die Injektionen sind schmerzlos. Die Syphilide heilen rapid. 
Besonders in Fällen, in denen mau zunächst keine Allgemeinbe¬ 
handlung durchführen will, bei Karies der Zähne etc., oder wenn 
die Allgemeinbehandlung nicht oder zu langsam wirkt, ist die 
Methode zu empfehlen. Ganz besonders auch in diagnostischen 
Fällen, wenn wir dem Patienten dadurch eventuell eine Allgemein¬ 
behandlung ersparen können. 

9. Zeisler empfiehlt die von Pusey angegebene Verwen¬ 
dung der flüssigen Kohlensäure zur Behandlung von Naevi, 
Epitheliomen, senilen Keratosen und besonders Lupus erythema¬ 
todes (siehe Referat in Nr, 30 dieser Zeitschrift). 

10. Nach Milian ist Erysipel gegenüber anderen Hautent¬ 
zündungen durch drei Eigenschaften charakterisiert. Erstens das 
Maximum der Entzündung besteht immer am fortschreitenden 
Rand. Zweitens ist charakteristisch, daß bei Erysipel die Ent¬ 
zündung vom Gesicht auf das Ohr fortschreitet, während andere 
Entzündungen am Ohr Halt machen. Dies beruht darauf, daß 
die meisten Entzündungen subkutan fortschreiten. Am Ohr fehlt 
jedoch das subkutane Gewebe. Das Erysipel ist aber eine Ent¬ 
zündung der Kutis und nicht des Unterhautgewebes. Drittens 
ist das Erysipel sehr schmerzhaft und am meisten am Rand. 


11. Boye beschreibt unter dem Namen aphthöses Fieber 
eine besonders häufig bei Kindern und Säuglingen auftretende 
fieberhafte Mundaffektion, die durch die Milch von aphthösen 
Kühen übertragen wird. Nach achttägiger Inkubation treten 
unter Allgemeinerscheinungen, Trockenheit des Mundes Blasen auf, 
deren Decke nach 24 bis 48 Stunden platzt. Es entsteht dann 
eine Ulzeration mit gelblich-grauem Belag und roten indurierten 
Rändern, ähnlich einem Schankergeschwür. Manchmal tritt Schwel¬ 
lung der Sub- und Retromaxillardrüsen ein. 

Militärsanitätswesen. 

Referent: Dr. M. Peltzer, Generaloberarzt a. D. in Steglitz. 

1. Die Selbstnarkose der Verwundeten im Krieg und Frieden. 

Ein humaner Vorschlag von Prof. C. L. Schleich. Berlin 1907. 
Springer. Referat von R, A. Lengsfeld. Der Militärarzt, 1908, 
Nr. 13, S. 208. 

2. Die Behandlung der Geisteskranken im Kriege. Von 

Stabsarzt Dr. Stier-Berlin. Deutsche militärärztl. Zeitschr., 1908, 
Heft 13. 

3. Infektiöse Darmkrankheiten und Fliegen. Von Marine- 

Oberstabsarzt Dr. H. Trembur, Vorstand der hygienischen Unter¬ 
suchungsstation in Tsingtau. Ibidem, S. 556. 

1. Einen vom Gefühl der Humanität eingegebenen Vorschlag, 
an dessen Verwirklichung wir aber nicht glauben, macht Schleich. 
Schleich hat nämlich gefunden, daß ein bei Körpertemperatur 
von 38 0 siedendes Gemenge von 2 T. Aethylchlorid, 4 T. Chloro¬ 
form und 12 T. Schwefeläther ein fast völlig gefahrloses Narkoti¬ 
kum darstellt, und dies in 15000 Narkosen, darunter hochgradige 
Körperschwäche, Herzfehler, Herzschwäche, Aneurysmen usw., er¬ 
probt. Das Gemisch soll überdies, bevor noch die Narkose ein- 
tritt, schmerzstülend und schlaferzeugend wirken und diese Wir¬ 
kung auch durch Selbstnarkose beim Einatmen der Dämpfe von 
damit getränkter Watte erzielt werden können, wie Schleich 
selbst und andere Aerzte dies durch Versuche an sich selbst und 
an Kranken mit Gallenstein- und Nierenkoliken sowie Magen¬ 
krämpfen usw. mehr als 100 mal festgestellt haben. Hieran knüpft 
Schl, den Vorschlag, daß jeder Soldat mit einem Etui ausgerüstet 
werde, welches in drei wohl verschlossenen Hülsen Watte mit je 
50 g des „Siedegemisches u getränkt enthält. Sollte dies nicht 
angängig sein, so sollten wenigstens die Lazarette und das Sani¬ 
tätspersonal entsprechend ausgestattet werden. Wir glauben, wie 
gesagt, nicht an die Durchführbarkeit dieses gewiß vortrefflich 
gemeinten Vorschlages, soweit er sich auf den einzelnen Mann 
bezieht. Abgesehen von den Gegeü gründen, die schon Lengs¬ 
feld geltend macht (das Gewicht des Etuis von 200 g, die Mög¬ 
lichkeit des Mißbrauchs usw.), denke man sich eine Armee, in der 
jeder Soldat mit einem Selbstnarkoseapparat ausgerüstet ist, um 
sich vor Schmerzen zu bewahren! Ueber die Ausstattung der 
Lazarette mit dem Gemisch läßt sich reden, und die Anregung 
Schleichs könnte, wie Lengsfeld bemerkt, immerhin im Frieden 
bei Unglücksfällen und Verletzungen weiter erprobt werden. Im 
übrigen verweisen wir auf das Referat über Betäubungsver¬ 
fahren in der vordersten Linie in Nr. 29 des laufenden Jahrgangs 
dieser Zeitschrift. 

2. Ungefähr in gleicher Richtung wie der Schleichsche 
Vorschlag bewegt sich ein solcher, den Stabsarzt Stier bei Be¬ 
sprechung der Behandlung der Geisteskranken im Kriege macht, 
insofern es sich auch hier um leichte, schnelle und sichere Be¬ 
täubung handelt. Daß die Zahl dieser Kranken im Kriege er¬ 
heblich größer ist als im Frieden, ergeben die Kriegserfahrungen 
der letzten Jahrzehnte. Die Formen sind hauptsächlich akute 
halluzinatorische Verwirrtheit, epileptische und Alkoholpsychosen 
sowie schwere neurasthenische Erschöpfungszustände. Die Er¬ 
regungszustände überwiegen bei der vormarschierenden, fechtenden 
Truppe. Um jede Störung dieser durch die Kranken zu ver¬ 
meiden, müssen sie rückwärts geschafft werden und kommen zu¬ 
nächst ins Feldlazarett. Hier wartet ihrer, wenn sie toben, die 
zwar mildeste, immerhin aber tunlichst zu vermeidende Form des 
mechanischen Zwanges, der ihn selbst und seine Umgebung vor 
Unheil bewahrt: die Zwangsjacke. Einen vollwertigen Ersatz für 


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UTMÜFTTü/W 



526 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


diese bietet das Hyoszin cJcr das Skopolamimim hydrobromikum 
der Pharm, germ. Es kann auch dem erregtesten Kranken leicht 
und schnell subkutan bei gebracht werden und lähmt ihn sofort 
und vollständig. Um rLra Kranken jedoch das quälende Gefühl 
dieser Lähmung zu erspciej, iujiziert man außer 0,0006 bis 0,001 
Hyoszin noch 0,02 Morphium und erzielt so gleichzeitig Bewußt¬ 
losigkeit. Diese Injektion veieint man am bequemsten in einer 
Spritze. Erwacht der Kivrlr, nach vielen Stunden, so kann er, 
wenn nötig, mit der S„kl'\idsonde gefüttert und erforderlichen¬ 
falls durch eine neue Injektion abermals in denselben Zustand 
wie vorher versetzt werden. Diese Behandlung kann ohne Schaden 
mehrere Tage lang durchgefübrt werden. S t i e r empfiehlt hiernach 
die Ausrüstung der Sanitätskompagnien und Feldlazarette mit 
Hyoszin, am besten in Form der zu je einer Injektion fertigen 
zusammengeschmolzenen Röhrchen, die sich in Südwestafrika gut 
bewährt haben. Leider ist ein Transport im Hyoszinschlaf ge¬ 
fährlich. Für einen solchen empfiehlt St. zur Erzielung eines 
Halbschlafs Sulfonal oder Trional in refrakta dosi viermal täglich 
1,0 g ein bis zwei Tage lang vor dem beabsichtigten Transport. 

3. Die Beteiligung der Fliegen an der Verbreitung von 
Krankheiten ist eine alte Erkenntnis, für Cholera ist sie direkt 
durch Laboratoriumsversuche von Simonds, für Typhus von 
Ficker nachgewiesen, für Ruhr und Darmkatarrh jedoch noch 
nicht. Berücksichtigt man aber, wie es Trimbur tut, die Ver¬ 
breitung der Darmkrankheiten unter der Besatzung von Tsingtau, 

. ihre infektiöse Natur, die geringe Wirksamkeit der gegen sie seit 
Jahren durchgeführten energischen sanitären Maßregeln usw., so 
ergibt sich der Schluß, daß auch an der Verbreitung des An- 
steckungsstoffes von Ruhr und Darmkatarrh die Fliegen die Haupt¬ 
schuldigen sind. Hieran knüpft sich naturgemäß die Frage, wie 
und wann ihnen am besten beizukommen ist, um sie unschädlich 
zu machen. Aus ihrem Entwicklungsgänge geht hervor, daß dies 
bei den Maden, in den Vorstadien vom Ei bis zur Puppe, überall 
da der Fall ist, wo Unrat abgesetzt wird, während gegen das 
fliegende Insekt nur wenig zu machen ist, wenngleich auch durch 
den Kampf gegen dieses immerhin etwas erreicht wird, um die 
Fliegenplage zu verringern. Für denjenigen, der das beste, in 
der Praxis anwendbare Mittel zur Vertilgung der Fliegen angeben 
wurde, hatte die Pariser ZeituDg „Le matin“ einen Preis von 
10 000 Frcs. ausgesetzt, zuerkannt ist er dem, der hierzu Schiefer- 
ol empfohlen hat. In Tsingtau ist schon jahrelang Saprol zu 
diesem Zweck angewandt. Dabei hat sich gezeigt, daß sowohl 
Saprol als auch Schieferöl die Fliegenbrut sicher vernichten, wenn 
sie in hinreichender Menge angewandt werden. Der Unterschied 
zwischen beiden Mitteln ist gering, dem letzteren schien infolge 
seiner leichteren Verteilung eine schnellere und intensivere Wir¬ 
kung zuzukommen. Bei beiden scheint es sich nach dem Ausfall 
von Kontrollversuchen nicht nur um eine mechanische, sondern 
auch um eine toxische Wirkung zu handeln. Weiterhin stellte 
sich jedoch heraus, daß in l°/oiger Verdünnung nach dem Labo¬ 
ratoriumsversuch nur noch dem Saprol eine vernichtende Wirkung 
auf alle Vorstadien der Fliegen zukommt. Praktisch wird von 
diesen Versuchen zunächst nicht viel zu erwarten sein, Forst- 
und Landwirtschaft werden, wie Tr. selbst angibt, wohl auch Be¬ 
denken dagegen erheben, daß ihr Dung durch die Behandlung mit 
Saprol oder Schieferöl entwertet wird, während ärztlicherseits der 
Kampf gegen die Verbreiter von Ansteckungsstoffen mit allen 
Mitteln fortgesetzt werden muß. 


Varia. 


1. Die Trinkwasserversorgung der Städte vom chemischen 
Standpunkte. Von Geh.-Rat W. Hempel. Umschau, 1908, 
Nr. 27. 

Der Mineralwasserverbrauch der großen Städte hat seinen 
jetzigen Umfang erst angenommen, nachdem an die Stelle der 
artesischen und Pumpbrunnen die Leitungen mit ihrem vorwiegen¬ 
den Oberflächenwasser von geringem Mineralgehalt getreten sind. 
Die Typhusgefahr ist geringer geworden, aber dafür hat man 
andere Schäden eingetauscht; es läuft auch hier darauf hinaus, 
daß wir lieber langsam zugrunde gerichtet sind als schnell. Als 
deutlichstes Beispiel dieser Schäden sei die Zahnverderbnis und 


Zunahme der Militäruntauglichen, in Gegenden mit weichem 
Wasser, die Rose naohgewiesen hat, angeführt. Die gerühmte 
Keimfreiheit kann eine feine Zunge nicht über die Minderwertig¬ 
keit des durchschnittlichen Leitungswassers hinwegtäuschen, und 
die Erkenntnis von der Wichtigkeit der Mineralsalze für die Ge¬ 
sundheit gibt diesem Instinkt der Zunge Recht. Hempel fordert 
deshalb die Wiedereinführung von artesischen und Pumpbrunnen, 
aus denen das Trinkwasser entnommen werden soll, während die 
Leitungen das Wasser für alle übrigen Zwecke liefern mögen. 

K. von den Velden. 

2. Die Geistesstörungen bei den Juden. Von Dr. Max 

Sichel. Umschau, 1908, Nr. 26. 

Sichel macht auf Grund des Materials der Frankfurter 
Irrenheilanstalt die der allgemeinen Annahme widersprechende 
Mitteilung, daß Geisteskrankheiten bei den Juden nicht häufiger 
sind als bei anderen Völkern. Die gegenteilige Ansicht erklärt 
er daraus, daß weniger die Zahlen der öffentlichen Irrenanstalten 
als die der Sanatorien beachtet werden, zu denen die Juden be¬ 
kanntlich ein besonders starkes Kontingent stellen. 

Besonders häufig hat er bei Juden zirkuläre Psychosen und 
Paralyse beobachtet; die ersteren zeichneten sich durch langwierigen 
Verlauf aus. Alkoholische Psychosen waren selten; kamen aber 
vor (etwa ein Fall jährlich) und werden, wie S. ohne Zweifel 
richtig prognostiziert, mit der in raschem Zunehmen begriffenen 
Amalgamierung der Juden mit den Wirts Völkern immer häufiger 
werden. Angeborener Schwachsinn, Dementia präkox und Hysterie 
fand S. häufiger als bei Nichtjuden, Epilepsie seltener (gemeint 
ist wohl epileptisches Irresein). Er spricht die Ansicht aus, daß 
die Vererbung bei den Geisteskrankheiten der Juden eine besonders 
große Rolle spiele; wenn dies richtig ist, mag es sich daher er¬ 
klären, daß das Trinken und andere gesundheitswidrige Gewohn¬ 
heiten bei ihnen weniger verbreitet sind. Die Ansicht, daß die 
Prognose der Geisteskrankheiten bei Juden besonders schlecht sei, 
konnte S. an seinem Material nicht bestätigt finden. 

F. von den Velden. 

3. Einige Krankheitsbilder an den Zähnen, in klinisch neuer 
Beleuchtung. Von Dr. med. Kleinsorgen-Elberfeld, prakt. 
Zahnarzt. Sonderabdr. a. d. Deutschen Monatsschr. f. Zahnheilk., 
1907, Jahrg. 25, Sept.-Heft. 8 Seiten. 

Auf welche Gebiete auch immer biologische Anschauungen 
hingelangen, so wirken sie befruchtend. Es war hauptsächlich die 
Aera der bakteriologischen und miskroskopischen Forschung, die, 
wie in der Gesamtmedizin, so auch in der Zahnheilkunde durch 
Außerachtlassung des organischen Zusammenhangs der Dinge auf 
irrige Bahnen »führte. 

Hierfür gibt K. mehrere Beispiele, von welchen wir die 
hauptsächlichsten hier auszugsweise anführen wollen: 

a) Die mikroskopische Forschung läßt das sogen. Schmelz¬ 
oberhäutchen als ein Zellrest aus der Geburtsperiode des Zahnes 
demselben in Gestalt eines leblosen Dauerhäutchens aufliegen. Die 
Biologie kann ein solches jedoch nur als ein sich abnutzendes und 
regenerierendes Zirkulationsprodukt des Zahnes gelten lassen, 
welches es tatsächlich ist. 

b) Die mikroskopische Forschung verneinte das Vorhanden¬ 
sein regulär-anatomischer Nervenelemente im Zahne und behalf 
sich mit der hypothetisch-gezwungenen Definition einer Sensibili¬ 
tätsübertragung , bis die logische Forderung der Biologie auf 
Grund eines neueren Nervengesetzes im Verein mit einigen Tat¬ 
sachen der praktischen Erfahrung den Nachweis feinster Nerven- 
fibrillen im harten Zahngewebe erbrachte. 

c) Die Bakteriologie sieht in der möglichst sterilen Mund¬ 
höhle die Hauptwaflfe im Kampfe gegen die Zahnverderbnis. Die 
Biologie erkennt wohl die Forderung einer instinktiv sauber ge¬ 
haltenen Mundhöhle an, sieht aber in der im normal gebildeten 
und ernährten Zahne liegenden natürlichen Schutzkraft die beste 
Waffe gegen die Zahnkaries. 

d) Die Bakteriologie sieht in der bazillär-eitererregenden 
Natur der Alveolarpyorrhöe die Ursache dieser Erkrankung. Die 
Biologie kennt Eiterungen nur als symptomatische Erscheinungen, 
im vorliegenden Falle als das Symptom einer Stoffwechselerkran- 


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Original fro-m 

UNIVERSUM OF MICHIGAN 



527 


J i '' *' thbrapSiütische Rundschau. 


kühg, welches in erster Linie als Alveolenschwund in die Erschei¬ 
nung tritt*).- 

v e), 'Dia vorherrschende bakteriologische Strömung hat es über¬ 
haupt verschuldet, daß die in der bisherigen einseitigen Form 
betriebene Zahnhygiene, die sich lediglich auf Zahnziehen, Zahn¬ 
ersatz und mechanische und desinfizierende Reinigung der Zähne 
und des Mundes beschränkte, heutzutage ihre Unzulänglichkeit 
bekennen muß und sich nunmehr gezwungen sieht, ihr Augenmerk 
auch der praktisch-biologischen Seite der Zahnhygiene, vor allem 
der Schaffung kräftig gesunder Zahnanlagen, zuzuwenden und 
diese Arbeit als die notwendige Basis einer prophylaktischen Zahn¬ 
hygiene anzuerkennen. 

Nach K., dem Ref. aus seinen Harburger Beobachtungen 
völlig beipflichten muß, ist nicht Karies das verbreitetste Krank¬ 
heitsbild an den Zähnen, sondern die Kalkunterernährung 
oder Sübkalzismus, wie K. dieses Krankheitsbild bezeichnet. Der 
Subkalzismus des Zahnes ist natürlich nur Teilerscheinung der 
allgemeinen Kalkunterernährung und diese mithin überhaupt wohl 
die verbreitetste Krankheit des Kulturmenschen. 
Nach Lebensalter und Geschlecht sind ihre allgemeinen Symptome 
natürlich verschieden. Ihre ganz spezielle Blüte in den ersten 
Lebensjahren, wie auch häufig schon intrauterin, ist die englische 
Krankheit. Mischblüten treibt sie in den Beifejahren, speziell bei 
der Chlorose und bei den allgemeinen Blutarmutszuständen, vor¬ 
züglich auch solchen der Mutterjahre. Als die wirksamste und 
physiologisch nächstliegende Therapie empfiehlt K. die Ernährung 
mit organischen Knochensalzen, und zwar von der Fruchternäh¬ 
rung an, also bei der schwangeren Frau. 

Wir erkennen an diesen Beispielen, zu welchen hygienischen 
Unterlassungssünden eine einseitig übertriebene Bewertung der 
Bakteriologie und Mikroskopie führen kann. Beide — an sich 
wertvollen — Hilfswissenschaften des allgemeinen Naturerkennens 
erhalten erst ihren wahren Wertstempel aufgedrückt, wenn sie 
sich der biologischen Führung an vertrauen. Wir vermögen zwar 
mikroskopisch zu sehen, aber nicht mikroskopisch zu denken, da¬ 
her müssen wir das im Mikroskop Gesehene stets der Kontrolle 
biologischer Kritik und biologischen Denkens unterwerfen, sofern 
wir theoretische und praktische Erfolge haben wollen. 

Bei den ersten Anfängen der Karies, der Karies mikroskopika 
oder inzipiens, wie K. dies Krankheitsbild nennt, welches in einer 
lokalen, mikroskopisch feinen Porosität der Zahnoberfläche besteht 
und sich erst später in einem mißfarbenen Flecke erkennen läßt, 
empfiehlt K. die in vierteljährigen Zwischenräumen wiederholte 
Politur, und zwar die Oelpolitur des Zahnes, und hält diese für 
berufen, die bisherige zahnärztliche Tätigkeit um eine höchst 
wertvolle Verrichtung zu bereichern. Da es in solch kurzen 
Zwischenräumen nur ausnahmsweise zu sichtbaren Defekten kommt, 
so wird die regelmäßige Oelpolitur das Krankheitsbild der Karies 
mikroskopika immer wieder im Keime ersticken, soweit es sich 
um 'Stellen handelt, die einer sorgfältigen Politur zugänglich 
sind **). 

Wir möchten die K.sche Arbeit den Schulärzten und Schul¬ 
zahnärzten ganz besonders dringend ans Herz legen. In ihren 
Reihen macht sich heutzutage noch solcher Mangel an biologischem 
Denken bemerkbar, daß man sich der Frage nicht erwehren kann: 
warum muß in der Hygiene heutzutage mit vieler Mühe und Geld 
noch immer so viel gesäet werden, was später zum größten Nach¬ 
teil der Autorität der Wissenschaft doch wieder ausgejätet werden 
muß? Ein Beispiel dieser Art haben wir ja an der Liebig- 
Voitsehen Ernährungslehre erlebt, welche nie und nimmer in 
einer biologisch denkenden Zeit hätte entstanden sein können! 

Bachmann-Harburg. 

4. Die Stellung des Arztes zur Alkoholfrage. Von Dr. 

Wegscheider, Frauenarzt in Berlin. (Nach einem im IX. Berliner 
Aerzte-Verein am 19. 3. 1908 gehaltenen Vortrage.) Sonderab¬ 
druck aus der „Zeitschrift für die ärztliche Praxis“. 

*) Fast allgemein verbreitet findet sich eine skorbutartige Zalmfleiseh- 
erkrankung unter der erwachsenen Bevölkerung der Lüneburger Heide, 
welche sicher alimentäre Ursachen hat (Mangel an Obst und Gemüse!). 

Der Ref. 

**) Vgl. K.s Arbeit: Immunität der Zähne gegen Karies und Begrün¬ 
dung einer natürlichen und künstlichen Immunisierungstherapie. Verlags¬ 
anstalt. 19 Seiten. 


Es ist über die Alkoholfrage und die Alkoholabstinenz 
soviel gesprochen und geschrieben worden, daß wir davon Abstand 
nehmen zu können glauben, hier noch einmal alles das, was Verf., 
der selbst seit nunmehr 4 Jahren alkoholabstinent ist, zugunsten 
dieser vorbringt, zurückzukommen. Erwähnt sei nur, daß W. aus 
diesem Riesengebiete einen wichtigen Abschnitt, die Stellung der 
Aerzte zu ihr, herausgreift und es verstanden hat, in der vor¬ 
liegenden kleinen Schrift die Ergebnisse der wissenschaftlichen 
Alkoholforschung so kurz und übersichtlich zusammenzustellen, wie 
wir persönlich es noch nirgends gefunden haben, so daß sie eigent¬ 
lich für sich selbst sprechen. Allzu großen Hoffnungen, die Kollegen 
zu bekehren, gibt er sich freilich nicht hin, und in der Tat dürfte 
der Fall, daß jemand durch Vorlesungen theoretisch dahin ge¬ 
bracht wird, dem Alkohol zu entsagen, zu den seltensten Aus¬ 
nahmen gehören. Man hört zu, nimmt sich selbst aber von all dem 
Gesagten aus und überläßt es anderen, die Konsequenzen zu ziehen. 
In dieser Beziehung sind gerade die nach ihrer Ansicht „Mäßigen“ 
die Sc hlim msten, ebenso wie die Niebetrunkenen, die, wie sie selbst 
sagen, viel vertragen, während sie es in Wirklichkeit nur ertragen. 
Häufiger wohl wird man, wie wir selbst seit fünf Jahren, in der 
Weise „Alkoholiker im Ruhestände“ — (wir haben das Wort 
irgendwo gelesen), — daß man infolge irgendeines Ereignisses 
sich vorübergehend des Alkohols enthalten muß und, indem man 
die Segnungen dieser Enthaltsamkeit am eigenen Leibe verspürt, 
nachher nicht wieder zu ihm zurückkehrt. Was Wegscheider be¬ 
klagt, ist, daß gerade unter uns Aerzten die Zahl der Alkohol¬ 
abstinenten verhältnismäßig so klein ist — von den deutschen 
Aerzten ist es bisher nur 1 %. Da hiernach von der gegenwärtig 
lebenden Generation dieser nicht allzuviel zu erwarten ist, sollten 
sie wenigstens die Verordnung von Alkohol in der Praxis möglichst 
einschränken und vor allem nach Kräften dafür sorgen, daß die 
Kinder ohne Alkohol groß werden, um auf diese Weise ein nicht 
von ihm durchseuchtes Geschlecht heranzuziehen. (Noch besser 
freilich, man versuche selbst, ohne Rücksicht auf seinen Weinkeller 
oder Brauereiaktien!) Den Beweis dafür, daß der Alkohol als 
Medikament keinen therapeutischen Wert besitzt, insonderheit 
kein Eiweißsparer ist und daher in der Praxis sehr wohl entbehrt 
werden kann, liefert W. teils aus der einschlägigen Literatur, teils 
aus eigener Erfahrung. Zulässig, aber nicht nötig sei der Alkohol 
als inneres Medikament nur in drei Fällen: 1. Beim Kollaps als 
Exzitans — auch hier durch Kampfer usw. zu ersetzen; 2. zur 
Euthanasie als Euphorikum und Narkotikum (zu ersetzen durch 
Morphium usw.); 3. da, wo die Peitschenwirkung des Alkohols und 
die Selbsttäuschung über die eigene Leistungsfähigkeit erwünscht 
ist, also z. B. in der Austreibungsperiode bei sekundärer Wehen¬ 
schwäche. Die Industrie kommt im übrigen dem Bedürfnis nach 
alkoholfreien Medikamenten bereits entgegen, so durch Gudes und 
Helfenbergs Eisenpräparate, Kronen-Hämatogen und Blutan, sowie 
Athenstadts Athensa. P e 11 z e r - Steglitz. 


Mitteilungen über Arzneimittel. 


Referate. 

Referent: Dr. W, Krüger, Magdeburg. 

1. lieber die therapeutische Verwendung leicht löslicher 
Schlafmittel aus der Veronalgruppe. Von Dr. Steinitz. Therapie 
d. Gegenwart, 1908, Juli. 

2. Jodomenin, ein Jodeiweißpräparat in der Kinderpraxis. 
Von Prof. Dr. Gas sei. Ibidem. 

3. Heber unsere Erfahrungen mit Ichthynat „Heyden“. 
Von Dr. Nebesky. Med. Klinik, 1908, Nr. 30. 

1. Von der Ueberlegung ausgehend, daß leicht lösliche 
Hypnotika schneller und sicherer ihre schlafmachende Wirkung 
entfalten als schwerlösliche, und in der Annahme, daß auf der 
Schwerlöslichkeit mancher Hypnotika, z. B. des Veronals, die z. T. 
unsichere Wirkung, vor allem die häufig beobachteten unan¬ 
genehmen Begleiterscheinungen und Nebenwirkungen beruhen, hat 
Steinitz die in Wasser leicht löslichen Verbindungen der Alkali- 


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UNIVERSITY OF MICHIGAN 




528 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 36 


und Erdalkalimetalle mit der Diaethylbarbitursäure zu Versuchen 
angewendet, und zwar benutzte er das von der Chemischen Fabrik 
auf Aktien (vorm. E. Schering) hergestellte Mononatriumsalz der 
Diaethylbarbitursäure, das sog. Medinal. Es ist dies ein weißes 
kristallinisches Pulver von geringem bitteremund schwach alkalischem 
Geschmack, das sich in kaltem Wasser im Verhältnis 1 : 5 (Veronal 
1 : 145) löst. Da das Mononatriumsalz schwerer ist als die Diaethyl¬ 
barbitursäure , so entsprechen 0,5 g nur 0,45 g der letzteren. 
Doch hat sich beim Gebrauch ergeben, daß die geringe Differenz 
praktisch ohne Belang ist. St. wandte das Präparat innerlich, 
rektal und subkutan an, im ersteren Falle durch Auflösen des 
Pulvers in V 4 Glas Wasser. Dabei wirkte es durchschnittlich 
schneller als das reine Veronal. Störende Nachwirkungen wurden 
selten beobachtet; ebenso blieben kumulativ toxische Wirkungen 
aus. Durch Proben mit saurem Magensaft im Reagenzglase wies 
St. nach, daß das Salz sich ganz oder teilweise unter Einwirkung 
der Salzsäure in Diaethylbarbitursäure umwandelte, ohne dabei 
auszufallen; erst bei Aziditäten von mehr als 100 traten Nieder¬ 
schläge auf. Man würde diese umgehen durch Auflösen des 
Salzes in heißer Flüssigkeit, was Fischer und v. Me ring schon 
für den Gebrauch des Veronals vorschrieben, und worauf die stets 
gute Wirkung dieses Mittels beruht. Es muß allerdings zuge¬ 
geben werden, daß diese Vorschrift zu erfüllen für den Laien 
sehr mühevoll ist, weil eben das Veronal so schwer löslich ist, 
und seitdem Tabletten verordnet werden, wird es ungelöst ein¬ 
genommen — daher die oft unsichere Wirkung. Empfiehlt sich 
also die Anwendung des Derivates unter den genannten Um¬ 
ständen , so ist dies noch mehr der Fall, wenn zur Zeit des Ein¬ 
nehmens im Magen keine oder nur wenig Säure vorhanden ist. 
Dann wird das Natriumsalz als solches in den Darm befördert 
und kann rasch resorbiert werden, weil die Umwandlung 
des Alkalisalzes in die Säure erspart bleibt. Rascher 

und intensiver war die rektale Applikation des Mittels, zu der 
das Salz in 5 ccm Wasser gelöst in einer Spritze verabfolgt 

wurde. In einigen Fällen war der Erfolg auch da ausgezeichnet, 
wo die innerliche Darreichung versagt hatte. Diese Methode ist 
bequem und stets reizlos. Ueber die Wirkung der subkutanen 
Applikation hat St. keine genügenden Erfahrungen sammeln 

können. Bei seinen Versuchen stellte er jedoch fest, daß die 
Wirkung weniger eine besonders schnelle, als vielmehr eine be¬ 
sonders intensive war. Bei Aufregungszuständen trat wohl bald 
eine gewisse Beruhigung, Schlaf jedoch erst nach einigen Stunden 
ein. Auch hier wurde 0,5 g, gelöst in 2 ccm Wasser (= 25%), 
gegeben; doch muß die Injektion wegen der Schmerzhaftigkeit 
intramuskulär gemacht werden. Auf Grund von Versuchen an 
sich selbst empfiehlt Verf. eine 10%ige Lösung. Dann sind 

5 ccm zu injizieren; die Einspritzungen sind aber schmerzlos. 
Sehr günstig waren die Injektionen bei drohendem Delirium und 
bei Morphiumentziehungskuren. Noch größer sind die Löslich¬ 
keitsunterschiede bei dem Proponal und seiner Mononatrium Verbin¬ 
dung. Proponal löst sich in kaltem Wasser im Verhältnis 
1 : 1640, sein Mononatriumsalz 1:3, unter Erwärmen 1 : 2. Auf 
der Schwerlöslichkeit des Proponals beruhen die Schattenseiten 
desselben. Weitere Untersuchungen über das Natriumsalz der 
Dipropylbarbitursäure wird der Verf. anstellen. 

2. Auf Grund von Versuchen an sechs Patienten empfiehlt 
Prof. Cassel das Jodomenin, eine Verbindung von Jodwismut¬ 
eiweiß, das er bei Kindern im Alter von 8 bis 10 Monaten und 
fi bis 10 Jahren gegen Lues tarda und Bronchitis angewendet 
hat, und zwar in der Weise, daß die Tabletten zerdrückt und in 
einem schleimigen Vehikel, kalter Milch oder Limonade, gereicht 
wurden. Alle Patienten, auch die Säuglinge haben das Präparat 
anstandslos genommen und gut vertragen; nie zeigten sich schäd¬ 
liche Neben- oder Nachwirkungen. Aeltere Kinder bekamen drei¬ 
mal täglich eine (= 0,06 Jodkalium), Säuglinge dreimal täglich 
eine halbe Tablette. Das Jodomenin wird von der Chemischen 
Fabrik Joh. A. Wülfing, Berlin, in den Handel gebracht. 

3. N. hat an der Universitätsfrauenklinik in Innsbruck das 
Ichthynat Heyden auf seinen Wert geprüft. Dieses Präparat wird 
ebenso wie das Ichthyol im Tiroler Karwendelgebirge gewonnen 
und besteht aus fossiler Kohle mit abnorm hohem Gehalt an 
Schwefel und Wasserstoff. Beide Präparate stimmen quantitativ 


und qualitativ fast genau überein (v. Hayek). Auch äußerlich 
weisen dieselben kaum einen Unterschied auf. Daher kommt 
Verf. zu dem Schlüsse, daß das Ichthynat dem Ichthyol an schmerz¬ 
stillender und mild resorptiver Wirkung gleichkommt und daher 
für die Fälle von chronisch entzündlichen Vorgängen an den 
Beckenorganen ebenso wie Ichthyol empfohlen werden kann. Ein 
Vorzug soll auch die größere Billigkeit sein, da nach Verf. das 
Ichthynat halb so teuer wie das Ichthyol ist. 


Technische Neuerscheinungen. 


Ein aseptischer, zerlegbarer Kehlkopfpulverbläser 

von Dr. Joseph Eis eit 

wird von der Firma R. Dötert in Berlin, Karlstr. 9, in den 
Handel gebracht. Der Vorzug des Apparates gegenüber den 
bisher üblichen Pulverbläsern für laryngologische Zwecke ist 
darin gelegen, daß der Apparat in allen seinen Teilen leicht 



und sicher sterilisierbar ist. Er besteht aus einem hakenförmig 
gebogenen Kehlkopfröhrchen aus Glas, an welches ein Gummi¬ 
schlauch von ca. 30 cm Länge angefügt wird. Das Kehlkopf¬ 
röhrchen ist an der Uebergangsstelle zum Gummirohr ca. 1 cm 
breit innen und außen rauh geschliffen. Dadurch wird das 
Einbringen des Pulvers erleichtert, man braucht nur das Rohr 
in das Pulver mit dem rauhen Ende senkrecht einzutauchen 
und eine genügende Menge des Pulvers bleibt in dem Glas¬ 
rohr haften. Nun setzt man das Gummirohr auf, welches am 
anderen Ende das Mundstück trägt. Dieses besteht aus einem 




UNIUtKtpll V Uh MILHIbAN 






THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


■ 


529 


konisch verlaufenden Glasrohr, das in seiner Mitte zu einer 
Kugel ausgeblasen ist. Von der Oeffnung aus bringt man in die 
Kugel einen kleinen Bausch Watte, welcher dazu dient, daß alles 
Sekret, Speichelteilchen, Staub oder Bakterien, welche in der 
eingeblasenen Luft enthalten sind, aufgehalten werden. Dieses 
Mundstück wird mit dem Gummirohr verbunden, und man 
kann auf diese Weise den Pulverbläser ohne Sorge durch den 
eigenen Mund in Bewegung setzen, denn die Luft wird durch 
die Watte quasi filtriert, indem alle gröberen Beimengungen 
des Luftstromes aus dem Munde in der Watte haften bleiben. 
Man kann die Glasröhre auskochen, ebenso den Schlauch. 
Weiter stehen eine große Anzahl von Mundstücken zur Ver¬ 
fügung, so daß man stets das gebrauchte wieder ersetzen kann. 
So kann man das Pulver leicht, rasch, ohne Verwendung zu 
großer Kraft und unter Beachtung aller hygienischen Kautelen 
in den Kehlkopf des Kranken bringen. Diese neue Kon- 
struktion macht den Pulverbläser zu dem besten, den wir be¬ 
sitzen, und man muß sagen, daß er in jeder Hinsicht den 
anderen Pulverbläsern vorzuziehen ist. Die einfache Kon¬ 
struktion ermöglicht auch die Verwendung eines jedesmal 
neuen Pulverbläsers für jeden Patienten. Die Glasteile dieses 
Pulverbläsers werden, nachdem sie durch Auskochen in Wasser 
oder in Dampf sterilisiert worden sind, in einem Glasgefäß in 
Sublimatlösung oder Alkohol liegend aufbewahrt und sind 
sofort gebrauchsfertig. Man kann sie auch trocken sterili¬ 
sieren und trocken in einer Glasflasche aufbewahren. Der 
Apparat stellt jedenfalls eine sehr brauchbare Verbesserung 
des Instrumentariums des Laryngologen dar. 

W. B. Müller, Berlin. 


Aseptisches Impfbesteck. 

Nach Dr. Wodtke. (Aerztl. Polytechnik, Heft 4.) 

Dasselbe besteht aus einem Metallkästchen mit glatten 
Wänden, abgerundeten Ecken, welches bequem in der Rock¬ 
tasche unterzubringen ist. Auf der Innenseite des Deckels be¬ 
finden sich, durch Metallklemmen gehalten, drei Platiniridium- 
messer in Metallhülsen, eine Pinzette und eine Klemme zur 
Aufnahme des Lymphröhrchens. Die untere Hälfte des Käst¬ 
chens enthält eine flache Spirituslampe mit aufgeschraubtem 
Deckel und den Lymphbehälter. Dieser besteht aus zwei kreis¬ 
förmigen, ca. 1 cm dicken Glasplatten von 3 cm Radius, die 
genau aufeinander geschliffen sind und völlig luftdicht 
schließen, dabei aber doch glatt seitlich gegeneinander ver¬ 
schoben werden können. Beide sind an der Innenseite leicht 
konkav geschliffen, so daß sie einen flachen, von der Luft 
völlig abgeschlossenen Hohlraum in sich bergen, in dem sich drei 
bis vier kleine Uhrschälchen zur Aufnahme der Lymphe über¬ 
einander befinden. Durch eine leicht abnehmbare Metall¬ 
klemme werden beide Glasplatten unverschiebbar aufeinander 
gehalten. Da der Apparat nur aus Metall und Glas besteht, 
kann er im ganzen sowohl wie in seinen einzelnen Teilen 
sicher sterilisiert werden. Die Füllung des sterilisierten Lymph- 
behälters geschieht in der Weise, daß nach Abnahme der Klemme 
die obere Glasplatte seitlich auf der unteren verschoben, das 
oberste Uhrschälchen mit Lymphe gefüllt und sofort die Glas¬ 
platte wieder herübergeschoben wird; dann ist die Lymphe 
von der äußeren Luft sicher abgeschlossen. Die Entnahme 
der Lymphe mit dem über der Flamme sterilisierten Platin- 
iridiummesser geschieht gleichfalls durch momentanes seitliches 
Verschieben der oberen Glasplatte, so daß die Lymphe nnr 
kürzeste Zeit mit der äußeren Luft in Berührung kommt. Nach 
Beendigung des Impftermins entfernt man aas gebrauchte 
oberste Uhrschälchen mit der Pinzette aus dem Lymphbehälter 
und bedient sich bei dem nächsten Impftermin des zweiten 
Uhrschälchens in derselben Weise. M. Plien, Berlin. 


□ 


Bücherbesprechungen. 


□ 


Die Panik im Kriege. Von Oberst E. Pfülf. Verlag 
der Aerztl. Rundschau. 1908. 78 S. 

Der Verfasser definiert die Panik als einen ansteckenden 
akuten Geisteszustand, der sich ohne hinreichende äußere Ver¬ 
anlassung auf Grund von Illusionen entwickelt. Erschöpfung, 
Hunger und andauernde Gemütsspannung können auch eine ge¬ 
schulte Truppe in einen so explosiblen Zustand versetzen, daß 
eine Kleinigkeit genügt, um die Panik zum Ausbruch zu bringen, 
doch verschwindet sie hier rasch, und die Truppe ist bald danach 
wieder schlagfertig, während eine schlecht vorbereitete und mit 
den Führern nicht vertraute Truppe durch die Panik dauernd 
aufgelöst wird. Starke Nerven sind zur Vermeidung dieses Mi߬ 
geschicks ebenso wichtig als ausreichende Verpflegung und Ver¬ 
trauen in die Führung. Daher betont Verf., wie wichtig es ist, 
daß es dem Menschen schon im Frieden nicht unmöglich gemacht 
werden darf, gesunde Nerven zu bewahren; er trifft darin mit 
der Anschauung überein, daß in den modernen Kriegen Sieger 
bleibt, wer den Eindrücken des Kampfes am längsten zu wider¬ 
stehen vermag. 

Man könnte der Ansicht sein, daß die Panik für den Arzt 
nur ein theoretisches Interesse habe, man kann sie aber auch bei 
langdauernden Operationen, bei denen unerwartete Zwischenfälle 
und besonders immer neue Blutungen auftreten, und bei die 
Kräfte des Arztes erschöpfenden Entbindungen beobachten. Auch 
hier bleibt Sieger, wer die stärksten Nerven hat, und wer sie 
nicht hat, begeht zuweilen die erstaunlichsten Kopflosigkeiten und 
kann froh sein, wenn ein Assistent die Führerrolle übernimmt. 

Zahlreiche Beispiele machen das Heft zu einer interessanten 
und anregenden Lektüre. M. Peltzer, Steglitz. 

Das Heufieber, sein Wesen und seine Behandlung. Von 
Dr. A. Wolf f-Eisner. München. Lehmanns Verlag. Preis ungeb. 
3,60 M. 

Eine Krankheit, die den meisten Aerzten, in bezug auf 
Symptomatologie, Ursache oder Therapie unbekannt ist, stellt der 
gewöhnlich als Heufieber bezeichnete Symptomenkomplex dar. 
Diese Unwissenheit ist aber völlig entschuldbar, weil die Er¬ 
krankung erst in den letzten Jahren in den Vordergrund des 
Interesses gerückt ist, seitdem man die Theorie von ihrem Zu¬ 
standekommen allseitig anerkannt hat. Selbst heute, glaube ich, 
werden die Medizinstudierenden nur wenig damit bekannt ge¬ 
macht; und das zu Unrecht. Denn ein Leiden, an welchem viele 
Tausende alljährlich erkranken und welches den Patienten oft in 
die elendeste Verfassung bringt, verdient unsere volle Aufmerk¬ 
samkeit und Aufwendung aller zur Verfügung stehenden thera¬ 
peutischen Mittel. 

Mehr Kenntnis über diese Erkrankung in die Aerzte- und 
auch Laienwelt hineinzutragen, hat sich Verf. zur Aufgabe ge¬ 
macht; und die Lösung dieser Aufgabe ist als trefflich gelungen 
zu bezeichnen. 

Nach einem geschichtlichen Abriß geht er auf die einzelnen 
Theorien ein, unter denen die Pollentheorie eingehend gewürdigt 
ist. Beim Kapitel „Klinisches über das Heufieber“ finden wir 
schätzenswerte Angaben über die Beziehungen von Heredität und 
Geschlecht, Rasse, Beruf und Alter zum Heufieber. Alle Einzel¬ 
heiten sind in Kurven oder Tafeln in zweckmäßiger Anordnung 
graphisch sichtbar gemacht. Das breiteste und wichtigste Kapitel 
bildet die Therapie des Heufiebers. Eingehend bespricht Verf. 
alsdann das Pollantin und die Art seiner Wirkungsweise; auch 
andere gegen Heufieber empfohlene Mittel sind hinlänglich be¬ 
rücksichtigt. Recht interessant erscheint die Lektüre des Kapitels 
„Klimatotherapie“, in dem die Vorzüge und Nachteile der einzelnen 
gegen Heufieber empfohlenen Orte kritisiert werden. Den Rest 
dieses trefflichen Buches bilden Betrachtungen über die Disposition 
zum Heufieber und Erklärungsversuche hierfür, ferner finden wir 
in einem besonderen Kapitel einige Angaben über den Heufieber¬ 
bund und seine Aufgaben. Unter der Rubrik „ Beziehungen des 
Heufieberg zur Allgemeinheit“ werden die Stellung der Heufieber- 



530 


kranken zu den Aerzten, Militärtauglichkeit und Berufswahl der 
Patienten sowie die Beziehungen zwischen Heufieber und Ehe be¬ 
handelt. 

Alles in allem dürfen wir ruhig zugeben, daß die Monographie 
überaus reichhaltig ist und den Herren Kollegen für das Studium 
des Heufiebers warm empfohlen werden kann. 

Bachem - Bonn. 

Vergleichende Volksmedizin. Von 0. v. Hovorka 
und A. Krön feid. Verlag von Strecker & Schröder. Preis 
22,40 M. 

Von dem interessanten Werke liegt jetzt die dritte Lieferung 
vor, die den Schluß des ersten (nach Schlagwörtern geordneten) 
Bandes und einen Teil des zweiten enthält, der die Krankheiten in 
der herkömmlichen Einteilung abhandelt. Wie die vorhergehenden 
Abteilungen ist sie mit zahlreichen Abbildungen und einigen vorzüg¬ 
lich ausgeführten Tafeln versehen. 

Man blättert mit Vergnügen in dieser Zusammenstellung des 
Sinns und Unsinns der Jahrhunderte, und wer es noch nicht weiß, 
wird gewahr, welches ehrwürdige Alter viele abergläubige Pro¬ 
zeduren haben, die noch in Gebrauch sind und mit Nutzen an¬ 
gewandt werden. Denn auch bei Mitteln und Verfahren kommt 
es weniger darauf an, was sie leisten, als welchen Ruf sie haben 
— die Leistung findet sich dann schon ein. 

Die wenigsten von den phantastischen, willkürlichen und 
närrischen Volksheilmitteln können natürlich, abgesehen von dem 
Einfluß dessen, Jer sie ordiniert und dem Glauben dessen, der sie 
über sich ergehen läßt, Nutzen stiften. Aber sie beruhigen das 
Gemüt des Kranken auf eine einfachere und zugänglichere Weise 
als die heute anerkannten Verfahren, die ja auch zum großen 
Teil auf nicht mehr hinauslaufen. P. von den Velden. 

Antonii Panormitae Hermaphroditus, Lateinisch, 
nach der Ausgabe von G. Fr. Porberg (Koburg 1824), nebst 
einer deutschen metrischen Uebersetzung und der deutschen Ueber- 
setzung der Apophoreta von C. Fr. Forberg. Besorgt und 
herausgegeben von Fr. Wolff-Untereichen. Mit einem sexual¬ 
wissenschaftlichen Kommentar von Dr. Alfred Kind. 
Unverkäuflicher Sonderabdruck. Leipzig 1908. Adolf Weigel. 
Privatdruck. Gedruckt nur für wissenschaftliche Subskribenten. 

Forbergs Apophoreta ist für das Studium der Sexual¬ 
wissenschaft von großem Wert. Zu der Uebertragung von Fr. 
Wolff-Untereichen hat nun Kind den sexualwissenschaftlichen 
Kommentar geliefert, der dem Sexualforscher und überhaupt dem 
Arzte viel des Interessanten bietet, jedenfalls wird so manchem 
Leser die Lektüre Forbergs nicht nur erleichtert, sondern auch 
erläutert. Von der Vielseitigkeit kann der Leser sich einen Be¬ 
griff machen, wenn er erfährt, daß bei Forberg Homosexualität, 
Bisexualität, Amor lesbicus, Masochismus, Pika, Herrenmoral der 
Alten, Masturbation, Sodomie, Koitus u. a. abgehandelt wird. 

Kind entnimmt seine Anmerkungen den verschiedensten 
Autoren der Sexualwissenschaft, seine eigenen wertvollen An¬ 
sichten dabei mit einflechtend, wobei er in den einzelnen Ab¬ 
schnitten alphabetisch vorgegangen ist. Wenn auch dem Sexual¬ 
forscher das meiste bekannt, so enthüllen doch viele Anmerkungen, 
besonders literarhistorische, auch hier manches Neue und Inter¬ 
essante (z. B. S. 367 unter Olisbos u. v. a.). Sehr interessant 
ist der Abschnitt „Herrenmoral der Alten“ (S. 395 bis 400), der 
Abschnitt Masturbation ist vielleicht doch ein wenig zu kurz weg¬ 
gekommen. Die Schilderungen der Uebertreibungen der Wir¬ 
kungen der Onanie sind nicht nur vor über einem Jahrhundert 
(Hufeland), sondern bis jetzt, bis 1908 fortgesetzt. Ich er¬ 
innere nur an das Gemälde, was z. B. Dr. Kreß in seinem Buche 
„Die Geheimnisse der Zeugung“, Bd. 1, S. 173 ff. (1908), von 
den Wirkungen des Lasters entwirft, gegen welche Schauermär 
Hufelands Darstellung noch ein kleines Kind ist. 

Jedenfalls ist der Kind sehe Kommentar zu den Forberg- 
schen Apophoreta ein sehr nützlicher und wertvoller, der sich 
vielleicht hier und da doch noch erweitern ließe. 

Rohle der-Leipzig. 

Obszönitäten. Kritische Glossen von Pierre Bayle. 
Bearbeitet und zeitgemäß erweitert von Dr. Alfred 
Kind. Beiträge zur Geschichte des menschlichen Sexuallebens. 
Band 2. Willy Schindler, Verlag, Wilmersdorf-Berlin, Motzstr. 51. 
Preis 2 M. 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Das Buöh ist eine freie Uebersetzung von Bayles Abhänäl 
lung: „Sur les obscenit4s u , eines Nachtrages des gelehrten „BiCr 
tionnaire historique critique u dieses Verfassers aus dein Jahre 1697. 
Eine Uebersetzung, wohl aber unbrauchbar, ohne das Original 
nicht verständlich, erschien in der von Gottsched veranstalteten 
Uebersetzung des Bayle sehen Wörterbuches, Band 4, 1744. 

Kind, ein in der Literatur der Sexualwissenschaft wohl¬ 
bewanderter Kollege, hat es unternommen, uns hier eine Ueber¬ 
setzung oben genannter Bayle sehen Abhandlung zu geben, für 
die wir ihm zu vollem Dank verpflichtet sind, denn sie gibt uns 
in freier, derber, bisweilen etwas sehr drastischer, darum aber 
um so packenderer Form ein Bild von der Schlagfertigkeit, mit 
der Bayle die Dunkelmänner und Denunzianten gegen die Sexual¬ 
schriftsteller abfertigt. Die Lektüre ist ein geistiger Genuß, kann 
aber temporibus mutatis gleich als eine scharfe, aber gerechte 
Kritik gegen die „Sittlichkeitsmeier“ und literarischen, Unzucht-’ 
schnüffler unserer Zeit gelten. 

Am Ende der Arbeit gibt Kind (vide Heft 2 der „Blätter 
für Bibliophilen“) eine Definition von obszön. „Obszön ist alles, 
was geeignet ist, die eingeborene oder erworbene Reaktionsfähig¬ 
keit des Menschen physiologisch zu reizen“, eine Definition, die 
m. E. etwas zu weit gefaßt ist, da es ungemein schwierig halten 
dürfte, auf dem Gebiete der Erotik eine physiologische 
Grenze zu ziehen. 

Daß Humor und beißende Sarkastik hierbei auf ihre Rechnung 
kommen, brauche ich wohl nicht erst zu erwähnen. 

Rohleder - Leipzig. 



Für den kurzfristigen Zyklus unentgeltlicher Fortbildungs¬ 
kurse in Berlin (vom 19. bis 31. Oktober) gelangt soeben das 
Teilnehmerheft zur Ausgabe. Der erste Abschnitt umfaßt das 
Kursprogramm, den Arbeitsplan und die Ausweise. Der zweite 
Abschnitt ist ein Wegweiser für den in Berlin fremden Ärz4, der 
hier alle für seinen Aufenthalt in der Reichshauptstadt erforder¬ 
lichen Hinweise in übersichtlicher Anordnung findet (Wohnung, 
sämtliche medizinischen und hygienischen Institute, Verkehrswesen 
usw.). Der dritte Abschnitt ist eine Zusammenstellung der Ver¬ 
günstigungen, welche den Teilnehmern in den Berliner Theatern 
während der ganzen Dauer des Zyklus gewährt werden. An der 
Veranstaltung kann jeder deutsche Arzt gegen Erlegung einer Ein¬ 
schreibegebühr von 15 M. teilnehmen. Meldungen sind zu richten 
an das Kaiserin Friedrich-Haus (z. Hd. des Kassierers Herrn 0. 
Zürtz, Berlin NW. 6, Luisenplatz 2/4. 

Knappschaft und freie Arztwahl. Die vor kurzem im 
Reichs versicherungsamt abgehaltene Konferenz weckte die Erinne¬ 
rung an ein Vorkommnis, aus dem hervorgeht, mit welch mangelndem 
Verständnis die für Kranke, Kassen und Aerzte gleich wichtige 
Frage der freien Arztwahl von Leuten beurteilt wird, die bei 
deren Entscheidung mitzuwirken haben: 

In Nr. 501 des Aerztlichen Vereinsblattes wurde von einer 
Generalversammlung des Allgem. Deutschen Knappschaftsverbandes 
in Berlin berichtet, auf der der Knappschaftsälteste Bloch, .ohne 
rektifiziert zu werden, folgenden blühenden Unsinn produzieren 
konnte: 

„Die Einrichtung, daß wir Mitglieder uns einen innerhalb 
eines Umkreises von 4 km wohnenden Knappschaftsarzt frei 
wählen können, hat dahin geführt, — daß 'das Verlangen 
nach freier Arztwahl geschwunden ist, und ich muß sagen, daß 
ich Gegner der freien Arztwahl bin.“ —• Er ist also gleich¬ 
zeitig Freund und Gegner der freien Arztwahl. Was 
er sich unter ihr vorstellt, ist unerfindlich. Wer über diese Frage 
mitreden will, der sollte aber doch nachgerade darüber orientiert 
sein, daß man unter freier Arztwahl das Recht zu verstehen hat, 
sich unter den in dem betr. Bezirk ansässigen Aerzten, die sich 
mit den Kassenbedingungen einverstanden erklärt haben, einen 
auszusuchen. E s oh. 

Bad Harzburg. In den Bädern ist Hochsaison. — Die große 
Völkerwanderung aus den Großstädten in die Sommerfrischen eto. 


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7 V '* v \r- ~ r • •* 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


531 


hat begonnen. Auch das idyllisch am Nordharz gelegene Bad 
Harzburg hat seine alte Anziehungskraft für Erholung Suchende 
behalten, ein Strom von Gasten ist eingekehrt, über 20000 nach 
der letzten amtlichen Kurliste, um sich zu erholen oder sich zu 
amüsieren. Trotz dieser hohen Frequenz ist an guten und preis¬ 
werten Wohnungen niemals Mangel; selbst jetzt in der Hoch¬ 
saison ist immer reichlich Angebot in Wohnungen und infolge¬ 
dessen sind die Preise so niedrig, daß es wohl jedem möglich ist, 
einige Woöhen in Bad Harzbarg zu wohnen. Ueber die Woh- 
nungs- und Pensionspreise gibt das vom Herzoglichen Bade¬ 
kommissariat herausgegebene Wohnungsverzeichnis erschöpfende 
Auskunft. Dieses sowie einen reich illustrierten Prospekt können 
unsere Leser kosten- und portofrei vom Herzoglichen Badekora- 
missariat beziehen. 

Für die diesjährige Viil. ärztliche Studienreise, die unter 

der Führung des Geheimen Medizinalrates Professor Dr. A. von 
Strümpell-Breslau von Hamburg ausgehend Ostende, Isle of 
Wight, San Sebastian, Madeira, Teneriffa, Tanger und Lissabon 
besucht, haben Vorträge bereits zugesagt: Geheimrat Professor 
Dr. A. v. Strümpell-Breslau, Medizinalrat Professor Dr. Nocht- 
Hamburg, Professor Dr. Lenhartz-Hamburg, Professor Dr. 
Strauß-Berlin, Professor Dr. Hammer-Heidelberg, Professor 
Dr. Felix Fr an cke-Braunschweig, Professor Dr. Pannwitz- 
Berlin, Oberstabsarzt Dr. Bassenge -Berlin, Dr. A. Laqueur- 
Berlin, Privatdozent Dr. Keil er-Charlottenburg-Berlin. 

Die Reise beginnt am 1. September in Hamburg und endet 
am 25. d. Mts. ebendaselbst. 

Der gecharterte Dampfer „Ozeana“ ist bereits voll besetzt 
und können nur noch Vormerkungen auf event. frei werdende 
Plätze angenommen werden. Anfragen sind zu richten an das 
„Komitee zur Veranstaltung ärztlicher Studienreisen“, Berlin NW., 
Luisenplatz 2/4. 

Aerztliches Fortbildungswesen in Berlin. An das „Zentral¬ 
komitee für das ärztliche Fortbildungswesen“ sind in letzter Zeit 
mehrfach Anfragen gerichtet, ob neben dem kurzfristigen Kurs¬ 
zyklus vom 19. bis 31. Oktober auch die sonst veranstalteten 
Vorträge und Kurse stattfinden werden. Mit Bezug hierauf er¬ 
sucht uns das Zentralkomitee um die Mitteilung, daß (unabhängig 
von dem genannten kurzfristigen Kurszyklus) im Herbst ein Zyklus 
von 12 Vorträgen über die Ernährungsbehandlung und ferner 
während des Wintersemesters wie bisher Semestralkurse über 
sämtliche klinische Disziplinen stattfinden werden. Obwohl bei 
dem kurzfristigen Zyklus im Oktober die Teilnahme den Berliner 


Aerzten nicht verwehrt ist, so nimmt doch das Zentralkomitee an, 
daß sich an diesen Kursen, die während 14 Tagen die Zeit des 
Hörers an sämtlichen Tagesstunden in Anspruch nehmen, vor¬ 
wiegend auswärtige Kollegen beteiligen werden, die eigens zu 
diesem Zwecke nach Berlin kommen. Hingegen sind die Vorträge 
über Ernährungsbehandlung und die winterlichen Semestralkurse, 
bei denen jede Disziplin einmal wöchentlich vorgetragen wird, 
wie früher ausschließlich für die Aerzte von Berlin und Provinz 
Brandenburg bestimmt. Das definitive Programm letzterer Vor¬ 
träge und Kurse gelangt Anfang September zur Veröffentlichung. 

Berlin. Das Großherzoglich-Lessische Polizeiamt Darmstadt 
erläßt vor den Geheimmitteln des Dr. med. Hey „Rad-Jo“ und 
„Lactor-Generator“ folgende Warnung: 

Von einer Hamburger Firma werden in neuerer Zeit zwei 
Geheimmittel in Verkehr gebracht und durch Veröffentlichung 
von Heilberichten angepriesen, vor denen dringend gewarnt werden 
muß. 

1. Dr. med. Heys „Rad-Jo u , angeblich dem Arzneischatz 
der Indianer entstammend, wird als Mittel zur Herbeiführung 
einer raschen und schmerzlosen Entbindung sowie zur Verhütung 
von Fehl- und Frühgeburten angepriesen. Es besteht nach dem 
Gutachten der Großh. Badischen Lebensmittelprüfungsstation zu 
Karlsruhe im wesentlichen aus dem Fruchtbrei der Tamarinde und 
ist nichts anderes als ein Abführmittel. 

2. Dr. med. Heys „Lactor-Generator“, angeblich der aus¬ 
gepreßte Saft einer seltenen westafrikanischen Pflanze, der bei 
den Negern mit „zauberhaftem“ Erfolg zur Beförderung der Milch¬ 
absonderung stillender Mütter angewendet wird, ist nach Fest¬ 
stellung des Botanischen Instituts zu Hamburg ein Kalksalze ent¬ 
haltender, alkoholischer Auszug aus einer in Afrika verbreiteten 
Pflanze (Kalanchoe), der eine andere als eine hautreizende Wir¬ 
kung nicht besitzt. 

Wer sich eingehender unterrichten will, lese die in der kürz¬ 
lich erschienenen Nr. 652 des „Aerztlichen Vereinsblattes für 
Deutschland“ veröffentlichten Abhandlungen von Dr. C. Reissig 
in Hamburg über: „Dr. med. Heys Mittel Lactor-Generator und 
Rad-Jo“. (Apoth.-Zeitg., 1908, Nr. 36.) 


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Verantwortlicher Redakteur: Dr. H. Lungwitz, Berlin S. — Verlag: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle a. S. 

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G. Anton, A. Dührssen, C. A. Ewald, E. Friedberger, P. Gerber, 

Halle a, S. Berlin. Berlin. Berlin. Königsberg. 

H Schlange, Ad. Schmidt, H. Schmidt-Rimpler, 

Hannover. Halle a. S. Halle a. S. 


Redaktion: 

Berlin S. 14, Dresdenerstr. 44. Tel. iv, U773. 
Dr. med. et phil. H. Lungwitz. 


Herausgegeben von 



R. Robert, M. Roeppen, M. Mosse, R. Partsch, H. Rosin, 
Rostock. Berlin. Berlin. Breslau. Berlin. 

H. Senator, R. Sommer, H. Unverricht, 0. Valpius, 

Berlin. Gießen. Magdeburg. Heidelberg. 

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Verlag u. Expedition: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung 

in Halle a. S., Reilstraße 80. 

Tel.-Adr.: Marhold Verlag Hallesaale. Fernsprecher 823. 

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Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Datschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte der Ostsee und der 
* Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte.. 


II. Jahrgang. 


Halle a. S., 6. September 1908. 


Nr. 36. 


Die „Therapeutische Rundschau“ erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2M, einzelne Nummer 20 Pf. Bestellungen nehmen jede Buchhandlung 
die Post, sowie die Geschäftsstelle: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung in Halle a. S. entgegen. Inserate werden für die 4 gespaltene Petitzeile oder deren Raun’ 
mit 50 Pf. berechnet. Beilagen nach Uebereinkunft. Reklamezeile 1,50 M. Bei größeren Aufträgen wird Rabatt gewährt. 

Nachdruck der Original-Aufsätze ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. — Nachdruck der anderen Rubriken ist nur mit Quellenangabe gestattet. 


□ ORIGINALIEN. HZ! 


Miszellen aus der französischen Geburtshilfe. 

Yon Dr. E. Rohlff, Potsdam. 

(Schluß.) 

B. Der öcarteur uterin Tarnier. 

Im Jahre 1888 konstruierte Tarnier ein Instrument, 
welches dazu dienen sollte, durch Reizung des unteren Uterus¬ 
segments Wehen hervorzurufen behufs Einleitung einer Früh¬ 
geburt, sowie zur Neuerregung von Wehen bei zögernd ver¬ 
laufenden Entbindungen. Obwohl andauernd eifrig nach wehen¬ 
anregenden Mitteln gesucht wird, hat das Instrument bisher 
keinen Anklaug gefunden. Ueberzeugt von dem Wert des in 
einer Art abgeänderten Instrumentes, will, ich in nachfolgendem 
für dasselbe eine Lanze brechen. 

Der Ecarteur, dessen Abbildung man in jedem größeren 
Instrumentenkatalog findet, ähnelt in seiner ursprünglichen und 
besten Form dem bekannten Handschuherweiterer, nur muß man 
sich die beiden Arme auseinandernehmbar denken und jeden 
am oberen Ende versehen mit einer kleinen Platte, die unter 
einem Winkel von ungefähr 120 0 nach außen abbiegt. Diese 
Plättchen haben eine Länge von 27 mm, eine Breite von 
20 mm; sie sind an der oberen Seite konkav und nach außen 
abgerundet. Späterhin fügte Tarnier einen dritten, alsdann 
noch einen vierten Arm hinzu. Kaufen kann man bei uns nur 
ein dreiarmiges Instrument; gebraucht werden jedoch nur zwei 
von den Armen. 

Die Anwendungsweise war folgende: Jeder der beiden 
Arme würde für sich durch den Muttermund eingeführt. Die 
Blättchen legten sich dann wie die Löffel einer Zange an den 
Kindskopf, während die konvexe Seite auf dem unteren Uterin¬ 
segmente ruhte. Nachdem in einem Schloß die Arme in der 
Mitte vereinigt waren, legte man um die außen hervorragenden 
Stiele Kautschukringe in gespanntem Zustande, die durch ihr 
Bestreben, sich zusammenzuziehen, die äußeren Enden ein¬ 
ander näherten und somit die inneren samt den Zervixwänden 
auseinanderdrängten, wodurch Wehenreize ausgelöst werden 
sollten. 

Tarnier wollte also den physiologischen Reiz, sonst 
durch Fruchtblase oder vorliegenden Kindesteil hervorgerufen, 
durch sein Instrument hervorbringen. Und zwar wollte er es 
in unsere Gewalt geben, durch Verminderung oder Verstärkung 


I des Druckes der elastischen Bänder die Reizwirkung zu be¬ 
herrschen. 

Der Gedanke ist offenbar genial, und doch wird das 
Instrument kaum noch benutzt. Woran liegt das? Hielt das 
Instrument nicht, was man sich von ihm versprach, oder welche 
Gründe lagen sonst vor? Der Verfasser will versuchen, diese 
Fragen zu beantworten. 

Zunächst beging Tarnier den Fehler, das Instrument 
umständlicher zu gestalten durch Hinzufügung eines dritten 
und vierten Armes. Die Absicht dabei war, den Druck gleich¬ 
mäßiger auf die Zervix zu verteilen. Die Handhabung aber 
wurde dadurch äußerst erschwert. 

Ferner war die Spannkraft der Gummiringe nicht genügend 
regulierbar. Das war bis heute der ausschlaggebende Fehler. 
Nimmt man aber des Verfassers einfaches Verfahren an, so 
wird der Fehler ausgemerzt und das Instrument für den Un¬ 
erfahrensten verwendbar. 

Zum dritten wurde der eigentliche Zweck der Erfindung 
alsbald völlig verkannt. Sie sollte ein physiologisch wirkendes 
Reizmittel abgeben und wurde statt dessen benutzt, um mecha¬ 
nisch die Zervix zu dehnen. So ist auf diesem Irrwege vor 
Jahren, ehe es den Bossi gab, der Yeifasser in den Besitz 
eines Ecarteur gekommen, um damit bei Eklampsie Zervix- 
dehnungen vorzunehmen. Später ruhte dann — leider muß ich 
sagen — Jahre hindurch das Instrument friedlich in einer 
Schublade, bis ein Notfall es mir in die Hand zwang vor 
kurzer Zeit. 

Also, welchen Wert hat das Instrument nun ? 

Nach Angaben der Franzosen kann man es wohl benutzen 
zur Einleitung einer Frühgeburt. Budin gibt unter neun Ver¬ 
suchen sieben Erfolge an. Die Sache ist aber für den Prak¬ 
tiker nicht empfehlenswert, weil man, um sicher Druckbrand 
zu verhüten, die Lage des Ecarteur zweistündlich ändern solle. 
Budin empfiehlt daher, erst Bougies einznlegen und nur bei 
zu langsam fortschreitender Entbindung mit dem Ecarteur nach¬ 
zuhelfen. 

Solch ein Fall zwang mich vor einigen Monaten, das In¬ 
strument anzuwenden. Es handelte sich um eine Erstgebärende 
mit Schwangerschaftsniere. Die Frau war ihrer Rechnung 
nach vier Wochen vor dem Termin in Behandlung gekommen. 
Anfangs nahmen Eiweißmenge und Oedem unter Milchdiät usw. 
ab; jedoch nach 14 Tagen stiegen beide wieder schnell an. 
Schließlich schwollen die Hände, und der Puls wurde stetig- 
kleiner. Bei so unheimlichem Verlauf entschloß ich mich, 
zumal die objektive Untersuchung sagte, daß die Frau sich 
um einen Monat in ihrer Rechnung irre, die Entbindung ein¬ 
zuleiten. 

Zu meiner Ueberraschung ergab sich bei der erneuten 
Untersuchung, daß das Fruchtwasser inzwischen langsam ub- 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU, 





geflossen war, ohne daß die Frau es bemerkt hatte. Die 
Zervix war noch 1 / 2 cm dick und mühsam für zwei Finger 
durchgängig. Kopfeinstellung war vorhanden. Trotzdem der 
Reizeffekt der Bougies unter solchen Umständen zu bezweifeln 
war, wurden notgedrungen zwei dicke Nummern eingelegt*) 
Nur leichte Wehenschmerzen stellten sich ein, und dem ent¬ 
sprechend geringfügige Oeffnung, während in den nächsten 
24 Stunden die Hände sichtbar weiter schwollen. Was also 
tun? Man konnte erstlich abwarten und „hoffen“, daß keine 
Krämpfe kommen würden und die Entbindung „hoffentlich“ in 
einigen Tagen von selbst sich erledigen würde. Sonst hätte 
man in Narkose einen Ballon Champetier einführen oder den 
Bossi anwenden müssen, wenn man den Krämpfen sicher 
zuvorkommen wollte. Da fiel mir der Ecarteur ein! Zwei 
Arme wurden eingelegt und durch Handdruck so weit ausein¬ 
andergepreßt, als die Frau es ertragen konnte. Ich ließ die 
Hebamme den Ecarteur in dieser Stellung festhalten und 
schlang einen dünnen Gummischlauch in leichter Spannung 
zweimal um die Stiele herum, so daß die gewünschte Spannung 
erhalten blieb. Festklemmung durch Kornzange. Erfolg: im selben 
Augenblick setzten starke Wehen ein. Nach vier Stunden 
wurde mit leichter Zange ein tief betäubtes, nicht ausge¬ 
tragenes Kind entwickelt, welches nach langen Bemühungen 
zum Leben gebracht wurde. Der hohe Grad der Gefahr wurde 
durch den Zustand des Kindes erhärtet. Mutter und Kind be¬ 
finden sich wohl. 

Die bekannte Duplizität der Fälle spielte mir zwei Tage 
nach dieser Entbindung einen Geburtsfäll mit der zweiten 
Indikation für den Ecarteur in die Hände. Es war eine jener 
unangenehmen Entbindungen, wo wir, meist 24 Stunden nach 
Wehenbeginn, gerufen werden, weil es „nicht vorwärts gehe“. 
Die Hebamme „hat schon alles gemacht“. Die ganze Familie 
wachte die Nacht hindurch und ist erschöpft; die Kreißende 
„kann es nicht mehr aushalten“. Dabei ergibt die Unter¬ 
suchung, daß der Muttermund kaum sich zu öffnen beginnt. 
Sorgt man nicht für ein Schlafmittel, wird man unfehlbar in 
der nächsten Nacht unnütz geholt. Auch der nächste Tag und 
die folgende Nacht verstreichen, während die Wehen bald ein- 
setzen, bald wieder erlahmen. Endlich kann der Arzt am 
dritten oder vierten Tag die Zange anlegen und damit den 
Hauptbeteiligten und sich selbst Ruhe schaffen. 

Um einen derartigen GeburtsVorgang handelte es sich. 
Die Frau, eine Mehrgebärende, kreißte schon drei Tage, als 
ich zuerst gerufen wurde. Am vierten Tag war kaum eine 
Aenderung eingetreten. Das Wasser war längst abgeflossen. 
Der Muttermund, nicht scharfrandig, war für zwei Finger 
knapp durchgängig. Gern nahm die Frau den Vorschlag der 
Ecarteuranwendung an. 

Zu meiner Enttäuschung traten nicht, wie im ersten Fall, 
sofort Wehen ein. Aber beim nächsten Besuch — fand ich 
die Entbindung längst beendet! Denn gerade beim Fortgehen 
hatten heftige Wehen eingesetzt, und l 1 ^ Stunden später wurde 
das Kind geboren. 

Fall IH kam zwei Monate später zur Behandlung. IX para, 
31 Jahre alt, 8 Spontangeburten, verliert an einem Bonnabend 
das Fruchtwasser bei talergroßem Muttermund. Völliges Auf¬ 
hören der Wehen. Am folgenden Dienstag wird der Arzt ge¬ 
holt. Befund: sehr schwächliche Frau; Kind in Schädellage; 
Muttermundrand sehr dick und völlig unnachgiebig. Nach 
Einlegung des Ecarteur treten im selben Augenblick Wehen 
ein und dauern zwei Stunden. Dann hörten sie wieder völlig 
auf. Dies war aber nicht etwa ein Mißerfolg, sondern die 
Spannkraft des Gummischlauches war völlig ausgenutzt! Dessen 
Reiz fehlte und die frühere Trägheit der Gebärmutter stellte 
sich wieder ein. Beim Befunde ergab sich nunmehr ein sehr 
weicher, weit dehnbarer Muttermund, so daß die Sache jetzt 
durch eine leichte Zange beendet werden konnte, während 
unter ungünstigeren Verhältnissen einfach die Spannung hätte 
erneut werden müssen. 


*) Anderes ließ sich bei der empfindlichen, ungebärdigen Brau ohne 
Narkose nicht tun. 


Ueber weitere Erfahrungen kann ich leider noch nicht be¬ 
richten. Vergleicht man aber die Angabe von Budin, wo 
unter neun Frühgeburtseinleitungen ohne jegliche Vorbereitung 
sieben Erfolge waren und zwar in so kurzer Frist, daß durch¬ 
schnittlich der ganze Geburts Vorgang in 15 Stunden sich ab¬ 
spielte, so wird man zugeben müssen, daß an einen glück¬ 
lichen Zufall bei den drei oben geschilderten Entbindungen 
nicht zu denken istT Das Instrument wirkt ja auch theoretisch 
richtig durch Reizung des unteren Uterinsegments. 

Nachdem die Unvollkommenheit und Nichtregulierbarkeit 
der ursprünglichen Gummiringspannung (man erhält beim Kauf 
des Instrumentes zwei beliebige Ringe) nunmehr beseitigt ist auf 
die einfachste Weise, kann man ohne Bedenken das Instrument 
einlegen, denn eine Ueberwachung ist nicht nötig, weil bei 
einer Erweiterung des Muttermundes über Handtellergroße der 
Ecarteur keinen Halt mehr findet und herausfällt. Ferner ist 
eine Verletzung undenkbar, weil in den Fällen, wo das Instru¬ 
ment vorläufig nur gebraucht werden soll, die Zefvix schon 
eine gewisse Weite und Weichheit hat. „Vorläufig“ sagte ich, 
denn nun könnte die Frage, ob nicht das Instrument über¬ 
haupt primär als Wehenerreger behufs Frühgeburtseinleitung 
benutzt werden darf, noch einmal geprüft werden.- Wenn 
Druckbrand beobachtet ist bei einer nicht regulierbaren Span¬ 
nung, so ist noch nicht bewiesen, daß er auf tritt bei leichter 
Einwirkung. Je enger in der Zervix die Löffelchen aneinander¬ 
liegen, je weiter stehen die äußeren Stiele auseinander. Die 
herumgelegten Ringe befinden sich also zunächst in starker 
Spannung mit entsprechender Druckwirkung innen. Allmählich 
pressen sie die äußeren Stiele mehr zusammen und demgemäß 
läßt ihre Spannkraft nafch. Wie unvollkommen ein solcher 
Vorgang wirken muß, isf klar. Können wir aber die Kraft¬ 
wirkung beliebig regeln,' so ergeben sich vor den Ballons doch 
große Vorteile. Der Sekretabfluß wird nicht gehindert, die 
Sterilisierbarkeit ist tadellos, ein plötzliches Entzweigehen ist 
nicht zu fürchten. Vor allem ist die Einführung stets leicht. 
Mag das Fruchtwasser abgeflossen sein, der Kopf vorliegen, 
eine empfindliche Frau pressen stets ist das .Einlegen -schnell 
besorgt. Wer eine gleichmäßigere Druckverteilung wünscht, 
kann nach einiger Erweiterung auch noch den dritten Arm 
einführen. ' 

Zunächst müssen wir uns allerdings fragen: dürfen wir 
»überhaupt bei einfacher Wehenschwäche instrumenteil um¬ 
greifen ? Bei Frühgeburtseinleitung ist wegen dringender Not¬ 
lage jedes ungefährliche Hilfsmittel erlaubt. Eine Gefahr durch 
Wehenschwäche aber ist mir allerdings unter vielen Dutzend 
Fällen nur einmal vorgekommen. Am siebenten Tag nach 
Fruchtwasserabfluß trat Fieber auf, welches zum Tode führte. 
Einige beunruhigende Nachblutungen durch Atonie wurden 
außerdem beobachtet. Es muß demnach nicht gerade sein, daß 
man derartig verlaufende Entbindungen beschleunigt. Wenn 
man es aber gefahrlos tun kann, wird zweifellos der Frau und 
allen sonst Beteiligten eine Wohltat erwiesen. Es dreht sich 
demnach noch um die Frage, ob absolute Asepsis beim Ein¬ 
führungsakt des Ecarteur gewahrt werden könne. Die erste 
Einführungsmöglichkeit, mit Hilfe der Specula aseptisch vor¬ 
zugehen, ist nicht immer zu verwirklichen. Gleich im ersten 
Fall scheiterte mein Versuch, weil der Muttermund ganz nach 
hinten sah. Daher wurde einfache Einführung aui den Fingern 
vollzogen. Wem dies Verfahren nicht ausreichend erscheint, 
mag erst die Finger einlegen, darauf ein weites Irrigatorrohr 
und nun durch den rückfließenden starken Strom sterilisierten 
Wassers hindurch die Ecarteurarme hochbringen und in den 
Muttermund leiten. Damit wäre die Asepsis auf einfachste Art 
gewährleistet. Jedenfalls dürfte ein solcher Eingriff weniger 
gefährlich sein als die durch das qualvolle Hinziehen em- 
tretende Erschöpfung der Frau in Verbindung mit den In¬ 
fektionsgefahren durch die wiederholten Untersuchungen. 

Praktisch liegt die Sache einfach. Derjenige Arzt, welcher 
eine schleppend verlaufende Entbindung mit der Zange ab- 
kürzt, nur um die Frau einige Stunden eher zu erlösen, wird 
auch den Ecarteur zum selben Zweck einlegen. Außerdem 
sieht man immer wieder, daß Wehenschwädie primär sehr 
selten ist, Meist tritt sie sekundär auf durch frühzeitigen 


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1906 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


535 


Wasserabfluß, schlechte Kopfeinstellung, Kindesgröße. Mich 
wenigstens hat die Erfahrung sehr mißtrauisch gemacht gegen 
die Behauptung, „die Wehen sind zu schwach“. Das Warum 
braucht man meistens nicht lange zu suchen. Haben wir also 
tatsächlich mit abnormalen Zuständen zu tun und können ihnen 
eine harmlose Abhilfe entgegensetzen, so sind wir dazu ver¬ 
pflichtet, nicht nur berechtigt. Der Einwand, schließlich gehe 
die Entbindung ja doch von selbst gut aus, ist ganz verkehrt. 
Es ist eine Grausamkeit, eine Kreißende unnütz sich viele 
Stunden quälen zu lassen. 

Wenn normalerweise eine erste Entbindung 12 bis 24 
Stunden dauert, eine folgende 6 bis 12. so ist jede Stunde 
weiterer Dauer abnormal. Mögen die Wehen primär oder 
sekundär ungenügend sein, ganz gleich, es liegt ein patho¬ 
logischer Zustand vor. Wer das für eine Stunde Zeitdauer 
noch nicht gelten lassen will, muß es mindestens für 12 bis 
24 Stunden zugeben. Mir kommt es nicht auf die genaue 
Stundenzahl an. sondern auf den Hinweis, daß dies Hin- 
schleppen nicht natürlich ist! Dann ist aber auch ein Eingriff 
geboten, wenn er, ohne zu schaden, abkürzend wirkt. 

C. 'Pinards Handgriff. 

Möglicherweise wird in neuesten Auflagen unserer Lehr¬ 
bücher dieser Kunstgriff erwähnt —als älterer Arzt kann man nicht 
alle Neuauflagen kennen —. da ich selbst aber diesen Griff 
aus französischen Büchern erst erlernte sowie alsdann Ge¬ 
legenheit hatte zu sehen, daß vier Kollegen in mittleren 
Lebensjahren ihn nicht kannten, so möge diese Vorbemerkung 
zur Entschuldigung dienen bei denjenigen Lesern, die nur 
ihnen schon Bekanntes finden. 

Was ist zu tun, wenn man aus irgendeinem Grunde bei 
Steißlage die Geburt beschleunigen will? Bisher ist es mir 
noch immer, wie auch Pinard es angibt, gelungen, entweder 
durch Einhaken der Zeigefinger oder Mittelfinger von vorn 
und hinten in die vorliegende Hüfte den Steiß herauszu- 
befördem, oder ich vermochte noch einen Fuß herabzuholen. 
Ein durch die dira necessitas der Unmöglichkeit entscheidenden 
Handelns gebotenes Abwarten bei eröffnetem Muttermund ist 
mir dank Pinards Handgriff noch nicht vorgekommen. 

Für den Allgemeinpraktiker ist diese Möglichkeit, einen 
jeden Fall, wenn die Geburtswege eröffnet sind, sofort erledigen 
zu können, äußerst wertvoll. Ich gebe zu, daß es im Interesse 
der Kinder in einer Anzahl Fälle vielleicht besser gewesen 
wäre, noch Stunden abzuwarten, ob nicht doch die Weben den 
Kindeskörper tiefer herabpreßten und ein In-die-Höhe-schlagen 
der Arme vermieden würde. Eine Frau habe ich jedoch durch 
meine Eingriffe in weit über hundert Fällen nicht verloren. 
Einige Kindesarme sind gebrochen und wieder geheilt. Der 
Praktiker kann eben nicht beliebig warten. Zugegen muß er 
sein, wenn das Kind bis zum Nabel geboren ist. Er hat aber 
stets noch andere Kranke in Behandlung, die mit demselben 
Recht Anspruch auf seine Hilfe machen wie der neue Welt¬ 
bürger. Er kann also nur ein Verfahren einschlagen, welches 
nach Möglichkeit allen gleichmäßig gerecht wird. Im Kranken¬ 
haus, wo wenigstens ein Assistenzarzt immer zugegen ist, kann 
man warten, draußen eben nicht, wenigstens nicht unberechen¬ 
bare Stunden. Die Armbrüche sind natürlich nicht bei den 
weiten Becken vorgekommen, sondern in den schwereren Fällen, 
wo mechanische Hindernisse sie hervorriefen. Gerade in diesen 
Fällen wäre der Steiß beim Warten in einem Teil der Fälle 
nicht tiefer getreten und in anderen erst nach vielen Stunden. 
Immer wird bei der Empfehlung des Wartens nicht genügend 
berücksichtigt, daß bei günstigen Verhältnissen das Herabholen 
eines Beines selten schaden wird, die alsdann nötige Arm¬ 
lösung leicht sein wird; daß bei ungünstigen Gesamtverhält¬ 
nissen hinwieder die Pflicht besteht, eine Möglichkeit zu 
schaffen, die Entbindung in absehbarer Zeit zu beenden. Für 
die Stadt- und Dorfpraxis gilt dies unbedingt. Das Abwarten 
bei unberechenbarem Verlauf wäre der größere Fehler. Einen 
anderen Standpunkt kann der vielbeschäftigte Allgemeinprak¬ 
tiker meines Erachtens nach nicht einnehmen. 

Ohne noch weiter auf einzelne Indikationen einzugehen, 
wollen wir uns zur Schilderung des Verfahrens wenden. 


Vorbedingungen sind: 1. der Muttermund muß erweitert 
sein, 2. das Kind muß leben, 3. es darf kein Tetanus uteri be¬ 
stehen. 

Der Muttermund muß schon weit sein, weil stets die 
ganze Hand, nicht nur zwei Finger gebraucht werden. Totes 
Kind und Tetanus uteri bedingen Anwendung des stumpfen 
Hakens. 

Wenn es nun einmal nicht gelingt, Hacke und Knöchel 
zu fassen, was besonders Vorkommen kann, wenn der Bauch 
des Kindes nicht nach einer Seite, sondern gerade nach vom 
oder hinten schaut, so kann man indirekt den Fuß herableiten 
durch das von Pinard angegebene Verfahren, die Beuger des 
Unterschenkels mittels Fingerdruckes zu verkürzen und damit 
den Unterschenkel herabzubeugen. 

Man führt in Rückenlage der Frau eine Hand zunächst 
ganz in die Scheide. Nehmen wir einmal an, der Bauch des 
Kindes sehe halb nach hinten, halb nach der linken Seite der 
Frau. Dann liegt das rechte Bein des Kindes mehr nach vorn. 
Stets suche man das vordere Bein herabzuholen. In unserem 
Falle führe man die rechte Hand, die mit der Volarseite gegen 
den Bauch des Kindes gerichtet ist, langsam in den Uterus 
hinauf am rechten Oberschenkel entlang, bis die Spitzen des 
Mittel- und Zeigefingers in die Kniekehle gelangt sind. Der 
Daumen wird auf die Hinterseite des rechten Schenkels ge¬ 
bracht nahe dem Kreuzbein des Kindes. Die beiden letzten 
Finger liegen mehr an der Innenseite des rechten Ober¬ 
schenkels. Uebt man nun in Wehenpause — unerläßlich diese 
zu benutzen — einen Druck mit Mittel- und Zeigefinger auf 
die Unterschenkelbeuger, besonders auf die Sehnen, aus, so 
weicht der Oberschenkel erstens nach außen hinten (im Ver¬ 
hältnis zum Kindeskörper) aus; dadurch wird Platz geschaffen 
zwischen Uteruswand und Kindesbauch und zugleich durch die 
Verkürzung der Beuger der Unterschenkel zum Herabsteigen 
gezwungen. Die Hacke des Kindes berührt die Außenseite der 
Finger des Geburtshelfers und kann alsdann mit Leichtigkeit 
ergriffen werden. 

Sieht der Bauch des Kindes gerade nach vorn oder hinten, 
so bleibt es gleichgültig, welche Hand man einführt: jedes 
Bein kann beliebig durch leichten Druck zum vorderen ge¬ 
macht werden. 

Als Hilfsmittel des geschilderten Verfahrens kommt als 
wichtigstes in Betracht die Narkose. 

Als zweites wird angegeben, man solle noch etwas höher 
hinaufgehen, den Zeigefinger auf die Vorderseite des Unter¬ 
schenkels hinaufbringen, um mit dessen Hilfe den Unter¬ 
schenkel herunterzudrücken. Offen gestanden halte ich dieses 
Vorgehen mehr für Spielerei. Gelingt dieses, konnte man wohl 
auch an den Fuß kommen. 

Wichtiger ist jedoch das letzte Unterstützungsmittel, welches 
aber nur verwendet werden kann bei nach vom gerichtetem 
Bauch des Kindes. Findet der Unterschenkel an der kon¬ 
trahierten Gebärmutterwand ein Hindernis für sein Herab¬ 
steigen, so kann der Arzt mit der freien Hand durch direkten 
Druck auf denselben von der Bauchwand her nachhelfen. 
Allerdings ist tiefe Narkose besser. 

Die Wichtigkeit des Pinard sehen Handgriffes wird den 
Herren Kollegen wohl am einfachsten klar durch die Angabe, 
daß der Verfasser von dreien jener oben erwähnten vier 
erfahrenen Aerzte zur Hilfeleistung aufgefordert wurde, nach¬ 
dem jene Herren langdauernde Versuche an der chloroformierten 
Kreißenden erst allein, dann noch in Gegenwart des Autors 
gemacht hatten, um einen Fuß herabzuholen. In Sekunden 
gelang dies dann mit Hilfe des oben geschilderten Griffes. 

Anhangsweise möchte ich noch erwähnen, daß in Frankreich 
in neuester Zeit Propaganda gemacht wird für Anlegung der 
Zange bei hochstehendem Steiß, aber eigentlich nicht an den 
Steiß selbst, sondern über die Oberschenkel, wo die Zange 
einen Halt an den Trochanteren findet. Dies ist nur möglich, 
wenn der Rücken des Kindes nach hinten sieht. Im entgegen¬ 
gesetzten Fall — Rücken nach vorn — würde die Zange über 
das Becken selbst zu liegen kommen und mit ihren Enden die 
Unterleibsorgane des Kindes beschädigen. 


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Grade umgekehrt liegt eine Schlinge nur gut, wenn der 
Rücken nach vorn sieht. Im entgegengesetzten Fall würde die 
Schlinge bei dem nach vom gerichteten Zuge aus der Beuge 
auf den Schenkel gleiten. Legt man aber in letzterem Fall 
außer der Schlinge auch noch die Zange an, so kann die 
Schlinge nicht gleiten, und man vermag eine doppelte Zug¬ 
wirkung auf diese Weise zur Geltung zu bringen. — 

Auf keinem Gebiet der ärztlichen Tätigkeit liegen im all¬ 
gemeinen tiefste Verzweiflung der Patienten und Freude über 
Erlösung von Schmerz und Gefahr so nahe beieinander wie 
in der Geburtshilfe. Jedes neu erlangte Wissen und jede neu 
erlernte Technik setzen sich alsbald in dankbare Erfolge um. 
Nichts ist zu gering auf diesem Gebiet: es kann über Tod oder 
Leben entscheiden. Darum hoffe ich, daß mein Versuch, wirk¬ 
lich wertvolle Errungenschaften unseres Nachbarlandes zur 
Kenntnis weiterer Kreise deutscher Praktiker zu bringen, 
einigen Nutzen bringen werde, ihnen selbst zu freudiger Ge¬ 
nugtuung, ihren Klientinnen zum Heil. 



Pharmakologie. 

Referent: Privatdozent Dr. ö. Bachem, Bonn. 

1. Tödliche Montaninvergiftung. Von Rosner. Wiener 
klin. Wochenschr., 1908, Nr. 21. 

2. Eine Salizylmundwasservergiftung. Von Henneberg. 
Therapeut. Monatsh., 1908, Nr. 6. 

3. Vergiftung durch Bismutum subnitricum und sein Er¬ 
satz durch Bismutum carbonicum. Von E. Meyer. Ibidem, 
Nr. 8. 

1. Durch die Fortschritte der Industrie und der Technik 
werden auch Stoffe, die hygienisch mehr oder weniger bedenklich 
sind, in Anwendung gezogen. Eine genaue Kenntnisnahme der 
toxikologischen Eigenschaften solcher Körper ist für den Medi¬ 
ziner, besonders für den Fabrikarzt unerläßlich. 

R. beschreibt zwei Fälle einer Montaninvergiftung, die in 
Wien zur Beobachtung gelangten. Montanin wird als Nebenpro¬ 
dukt in der keramischen Industrie gewonnen, ist eine fast farb- 
und geruchlose Flüssigkeit, die hauptsächlich die antiseptisch 
wirkende Kieselfluorwasserstoffsäure enthält; der Gehalt 
des Präparates an genannter Säure beträgt etwa 20%. Auf 
Mikroorganismen wirkt das Mittel stark wachstumshemmend. Die 
Anwendung des Montanins liegt in der porenverschließenden Wir¬ 
kung, welche auf der Bildung von unlöslichen Stoffen beruht. 
Es wird benutzt als Anstrichmittel zur dauernden Trockenlegung 
feuchter Wände, als Imprägnierungs- und Konservierungsmittel 
zur Verhütung der Schimmelbildung und wird besonders in 
Brauereien angewandt. 

In dem beschriebenen Falle handelte es sich um eine Ver¬ 
wechselung, wodurch der eine Patient, ein 37jähriger Mann, nach 
Trinken von ca. 125 ccm Montanin innerhalb einiger Minuten 
starb. Eine 57jährige Frau hatte nur einen Eßlöffel voll ge¬ 
trunken und kam nach schwerer Erkrankung mit dem Leben da¬ 
von. Der Verlauf der Krankheit und die Sektion des Ver¬ 
storbenen ergaben, daß das Montanin in die Gruppe der ätzenden 
Sauren gehört und alle klinischen Erscheinungen hervorruft, die 
der Säurevergiftung eigen sind, und zwar sowohl lokale als auch 
allgemeine. Daher ist die Therapie auch die gleiche wie bei 
Saure Vergiftung. 

Verf. schlägt mit Recht vor, Brauereien und Gewerbeinspek¬ 
tionen von der Giftigkeit des Montanins in Kenntnis zu setzen 
und entsprechende Vorkehrungen zu treffen (Gefäße mit Aufschrift 
„Gift“ versehen, Transport kleinerer Mengen nur in farblosen 
Flaschen gestatten usw.). 

Auch in Fällen verbrecherischer Vergiftung kann das Montanin 
eine Rolle spielen; sein Nachweis wäre alsdann ein wichtiges 
Hilfsmittel zur Ergreifung des Täters. 


2. Eine 25 jährige Kellnerin trank in selbstmörderischer Ab¬ 
sicht eine Flasche Salizylmundwasser, deren Inhalt auf 8 g Salizyl¬ 
säure und 90 g absoluten Alkohol geschätzt wurde. Eine halbe 
Stunde später lag sie bewußtlos in Krämpfen, reagierte nicht auf 
äußere Insulte, Haut mit kaltem 'Schweiß bedeckt, Gesicht 
zyanotisch, Pupillen auf Licht kaum reagierend, Kornealreflexe' 
erloschen, die stertoröse Atmung wurde durch schwere dyspnoi- 
■sche Anfälle unterbrochen, Puls frequent und klein. Nach Kampfer¬ 
injektion und Magenspülung mit warmem Wasser kam Pat. ali- 
mählich wieder zum Bewußtsein; der immer noch schwachen 
Herztätigkeit wurde durch einen Aderlaß mit nachfolgender Koch¬ 
salzinfusion, Digalen und Koffein entgegengearbeitet. Der Harn, 
der reichlich Salizylsäure aufwies, enthielt keine pathologischen 
Bestandteile. Außer vorübergehender Diarrhöe gelangten andere 
Vergiftungserscheinungen nicht zur Beobachtung uud die Kranke 
konnte am siebenten Tage geheilt entlassen werden. 

Als Ursache der Vergiftung kommt in erster Linie der Gehalt 
an freier Salizylsäure, dann aber auch der absolute Alkohol in 
Betracht. Welches Gift in diesem Falle das eine, welches das 
andere Symptom hervorgerufen hat, ist schwer zu sagen, doch 
scheinen die Krämpfe und die Zyanose durch die Salizyl¬ 
säure veranlaßt worden zu sein. Die genannten zwei Gifte, die 
in den hier in Betracht kommenden Mengen leicht tödlich wirken 
können, waren in diesem Falle weniger gefährlich, weil das Mittel 
auf vollen Magen genommen wurde und die Patientin an den 
überreichlichen Genuß von Alkohol gewöhnt war; zudem handelte 
es sich um eine junge, kräftige, nierengesunde Person. 

3. Während die Toxikologie der Wismutvergiftung sich mit 
der einer Metall Vergiftung deckt, sind die von Bo eh me sowie 
von Benneke und Hofmann mitgeteilten Fälle von Wismut¬ 
vergiftungen nach großen Dosen, wie sie zu röntgenologischen 
Zwecken gebraucht werden, als Nitritintoxikationen aufzufassen, 
da sich salpetrige Säure erwiesenermaßen im Körper aus dem 
offizineilen Wismutsubnitrat abspalten kann. Nicht nur, daß das 
Blut deutlich methämoglobinhaltig war, es gelang auch darzutun, 
daß im Darm durch reduzierende Bakterien aus dem genannten 
Salz salpetrige _ Säure abgespalten_ und resorbiert wird. 

In dem Meyerschen Falle handelt es sich um einen 20jähr., 
schwächlichen, mit Darmtuberkulose behafteten Menschen, dem 
zwecks Durchleuchtung 50 g Bismutum subnitricum und 60 g 
Bolus alba gereicht wurde. Drei Stunden nach der Durchleuch¬ 
tung erfolgte plötzlicher Kollaps mit ausgesprochener Blässe und 
hochgradiger Zyanose, weite reaktionslose Pupillen, Herzaktion 
beschleunigt, Atmung erst schnell, dann verlangsamt. Die 
Therapie bestand in Sauerstoffinhalation, Aderlaß, Kochsalzinfusion, 
Analeptika. Trotzdem trat einige Stunden später der Tod ein. 
Das entnommene Blut war braun und zeigte deutlich (spektro¬ 
skopisch) den Methämoglobinstreifen. Der Inhalt des Darms inner¬ 
halb der vorhandenen Strikturen enthielt viel Nitrit, auch im 
Harn und Blut ließen sich Spuren davon nachweisen. 

Der zweite mitgeteilte Fall, der allerdings in Genesung aus- 
ging, betraf einen Herrn, dem zu gleichem Zwecke 30 g Bism. 
subuitr. gereicht worden waren und der ungefähr das gleiche 
klinische Bild der Vergiftung darbot. 

Mit Rücksicht auf das höchst Bedenkliche dieser Art der 
Zufuhr von Bismut. subnitr. rät Verf., statt dessen das Bismut. 
carbonicum zu verwenden, welches sich als Hilfsmittel bei' der 
Röntgendurchleuchtung bereits gut bewährt haben soll. 

Röntgentherapie. 

Referent: Dr. Karl Försterling, dirig. Arzt des Kranken¬ 
hauses Bethanien, Mors. 

1. Heber ein neues Fulgurations - Instrumentarium nach 
Heinz Bauer. Von Dr. Abel. Deutsche med. Wochenschr., 1908, 
S. 745. 

2. Heber den Wert kurzzeitiger Röntgenaufnahmen, Von 
Prof. R. Klapp. Zeitschr. f. neuere physik. Med,, 1908, S. 233 
und 266. 

3. Was haben wir von der Röntgentherapie zu erwarten? 
Von Prof. Dr. Schiff-Wien. Ibidem, S. 233. 


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4. Zu? therapeutischen Verwertbarkeit der Röntgenstrahlen. 
VonPrivätdoz. R. Ziegler. Ibidem, S. 235 u. 269. 

/ 5. Ras Röntgenverfahren in der Orthopädie. Von Prof. 

VuLpius. Ibidem, S. 237. , 

6. Indikationen und Kontraindikationen der Röntgen¬ 
therapie und der Fulguration bei der Behandlung des Krebses. 
Von Dr. de Keating-Hart. Ibidem, S. 271. 

7. Ueber ein neues TTniversalblendenstativ mit Schutz- 
kasten. Von Dr. Pörsterling. Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgen¬ 
strahlen, XII, S. 238. 

8. Die Luxatio cubiti posterior und ihr Verhältnis zur sog. 
Myositis ossificans traumatica. Von Privatdozent Dr. Alfred 
Macholl. Bruns Beiträge, Bd. 56, S. 775. 

1. Nach Beschreibung eines mit Fulguration und Auskratzung 
behandelten inoperablen Portiokarzinoms, wobei die starke Er¬ 
weichung und Blutleere der Tumormassen nach der ersten Fulgu¬ 
ration auffiel, wird das neue Instrumentarium geschildert. Es ist 
besonders für den Gebrauch am Operationstisch gebaut worden. 

2. Klapp hebt den Wert der Röntgenmomentbilder hervor 
unter Demonstration einer Reihe von Bildern, die in einer Sekunde 
aufgenommen waren. 

3. Eine berechtigte Kritik der übertriebenen Hoffnungen auf 
die heilende Wirkung der Röntgenstrahlen und eine Mahnung, 
bei der Beurteilung der Erfolge ja objektiv zu bleiben. 

4. Ein Versuch, die therapeutische Wirkung der Röntgen¬ 
strahlen aus Experimenten zu begründen. Im raschen Wachstum 
begriffene Zellen werden am ehesten geschädigt; nach diesem 
Satze haben wir unser Handeln zu richten, um möglichst Erfolge 
zu erzielen. — Ich glaube, daß Verf. sie etwas zu günstig be¬ 
urteilt. 

5. Vulpius zeigt uns in kurzen Umrissen den Wert der 
Röntgenstrahlen für die Orthopädie. Neben der Förderung der 
wissenschaftlichen Erklärungen bringen sie uns besonderen Nutzen 
bei Diagnose und Art der Therapie. Jedoch soll das Röntgen¬ 
verfahren nur zur Vervollständigung, Nachprüfung und Richtig¬ 
stellung dienen, nachdem wir uns vorher durch andersartige Unter¬ 
suchung ein Urteil verschafft hatten. 

6. Verf. vergleicht die Wirkung seiner Fulgurationsmethode 
mit der der Röntgenstrahlen. Er hat mehrere Erfolge erzielt, 
die jedoch erst Monate alt sind, also für eine leidlich sichere Be¬ 
urteilung nicht ausreichen. Zu bedauern ist es, daß bei dem ab¬ 
gebildeten Falle die Aufnahme nach der Heilung so unscharf ist, 
daß man von Narbe etc. nichts erkennen kann. 

7. Verf. beschreibt das nach seinen Angaben modifizierte 
Universalstativ von Reiniger, Gebbert & Schall. Der für Röntgen¬ 
strahlen undurchlässige, allseitig geschlossene Röhrenkasten ist an 
einer Stativstange befestigt, an der er infolge Gegengewichts 
leicht in jeder beliebigen Höhe eingestellt werden kann. Jede 
Röhre wird in einem besonderen, billigen Röhrenhalter einmal 
zentriert und kann dann leicht in den Kasten eingeschoben 
werden, wo sie sofort über der Mitte der Blendenöffnung genau 
eingestellt ist. Vor der Blendenöffnung ist leicht eine Doppel¬ 
winkelblende (für Durchleuchtung und Uebersichtsaufnahmen), ein 
Kompressionszylinder (rund und rechteckig) und Bestrahlungs¬ 
zylinder aus Bleiglas anzubringen. Infolge einer hier angebrachten 
Lotvorrichtung ist spielend leicht und sicher stets der Zentral¬ 
strahl genau über jedem beliebigen Punkte einzustellen. — Vor¬ 
züge des Universalblendenstativs sind: 1. Absoluter Schutz der 
Umgebung gegen unbeabsichtigte Bestrahlungen; 2. Vielseitigkeit 
der Verwendung sowohl bei Aufnahme, Durchleuchtung wie 
Therapie; 3. leichteste Handhabung; 4. große Billigkeit. Fabrikant 
ist die Firma Reiniger, Gebbert & Schall, Erlangen. 

8. Auf Grund von 16 in den letzten vier Jahren beobach¬ 
teten Fällen kommt Verf. zu dem Schluß, daß sich durchschnitt¬ 
lich an jede Luxat. cubiti poster. eine Myosit. ossificans anschließt. 
Er hat eine gewisse Regelmäßigkeit in der Entstehung gefunden. 
Besonders auffallend ist, daß der Beginn der Myositis ossific. nicht 
vom Trauma, sondern von der Reposition abhängig zu sein scheint. 
Veraltete, später reponierte Luxationen beweisen das: sie wiesen 
vor der Reposition nie Verknöcherungen auf. Die Therapie sei 


537 


konservativ: feuchte Umschläge, heiße Luft, vorsichtige (nie 
forzierte Massage). Operativer Eingriff nur nach längerer Zeit 
und bei schweren Funktionsstörungen. 


Hals*, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 

Referent: Spezialarzt Dr. M. Halle, Berlin. 

1. Immunisierung gegen Heufieber durch Antitoxin nnd die 
heim Gebrauch des letzteren beobachteten Fälle von Anaphy¬ 
laxie. Von Dr. Al brecht. Med. Klinik, 1908, Nr. 18. 

2. Ueber den chronischen Rachenkatarrh, insbesondere in 
seinen Beziehungen zur Nase und deren Nebenhöhlen. Von Dr. 
Matte. Zeitschr. f. ärztl. Fortbild., 1908, Nr. 9. 

3. Zur Behandlung des akuten Schnupfens. Von Dr. Hugo 
Löwy. Münch, med. Wochenschr., 1908, Nr. 29. 

4. Indikationen und Kontraindikationen für baineothera¬ 
peutische Maßnahmen bei Erkrankungen des Gehörorgans. Von 
Prof. Brieger. Med. Klinik, 1908, Nr. 29 

5. Zur konservativen Behandlung chronischer Eiterungen 
des Epitympannm. Von Dr. L. Mekler. Wien. klin. Wochen¬ 
schrift, 1908, Nr. 30. 

6. Einführung in die perorale Intubation. Von Dr. Franz 
Kuhn. Med. Klinik, 1908, Nr. 29. 

1. Albrecht polemisiert gegen die Anschauung Weichardts 
und Wolf f-Eisn ers, daß das in den Pollen enthaltene Gift 
kein Toxin im Ehrlichschen Sinne sei, sondern ein Endotoxin. 
Dieses bewirke im Tierkörper die Bildung von zytolytischen Stoffen, 
nicht von Antitoxinen. Albrecht beschreibt dem gegenüber 
einen Tierversuch, der beweise, daß im Immunserum kein Zyto- 
lysin enthalten sein könne. Andererseits stehe eine spezifische 
Wirkung des Serums ganz außer Zweifel. Auch müsse sich im 
Tierkörper ein spezifisches Antitoxin bilden, da sowohl aktive wie 
passive Immunisierung nachgewiesen ist. 

Pollantin wirkt in vielen Fällen prophylaktisch, so daß 
Patienten, die regelmäßig sehr schwere Attacken des Heufiebers 
durchgemacht hatten, nach mehrjährigem Pollantingebrauch völlig 
davon verschont blieben. 

Nun gibt es Heufieberkranke, die allmählich eine Ueberemp- 
findlichkeit gegen Pollantin zeigen (Anaphylaxie). Zur Erklärung 
dieser Fälle, bei denen Pollantin anfangs nützte, später reizte, 
stellten Weichardt und Wolff-Eisner die Hypothese auf, 
daß sich bei dauernder Zufuhr der von ihnen angenommenen 
lytischen Immunkörper im Körper der Heufieberkranken die 
passenden Komplemente bildeten. Albrecht weist diese Er¬ 
klärung zurück und begründet diese Fälle mit der Anaphylaxie 
gegen artfremdes Serum. Schon die Anwendung von reinem 
Pferdeblutserum rief dieselben starken Reizerscheinungen hervor 
wie Pollantin. Doch erreichte A. in solchen Fällen noch günstige 
Erfolge durch Anwendung stark verdünnten Serums. 

2. Der chronische Rachenkatarrh gehört zu den Affektionen, 
die am häufigsten in die Behandlung des Arztes kommen. Ge¬ 
wöhnlich wird der Rachen mit mehr oder minder großer Ausdauer 
und mehr oder mioder starken Lösungen gepinselt, ohne daß meist 
ein mehr als vorübergehender Erfolg zu verzeichnen ist. 

Matte legt in großen Zügen die Ursachen dieser Mißerfolge 
dar. Rachenkatarrhe haben als Ursache entweder ein konstitutio¬ 
nelles Leiden, wie Anämie, Chlorose, Skrofulöse, Lues, Gicht u. a., 
oder ein lokales, das den Nasenrachenraum betrifft oder 
die Nase. Es kommt daher neben der örtlichen Behandlung vor 
allem darauf au, das Grundleiden zu beseitigen. Konstitutionelle 
Krankheiten bedürfen entsprechender Therapie, Alkohol- nnd Tabak¬ 
genuß muß in entsprechenden Grenzen gehalten, Mißbrauch scharfer 
Gewürze, zu heißes oder zu kaltes Trinken und Essen vermieden 
werden. 

Von örtlichen Affektionen sind besonders zu beachten die 
Rachendrüse (insbesondere die stark zerklüfteten, weichen Gebilde. 
Referent.), die Schwellungen der Muschelschleimhaut, Polypenbil¬ 
dungen, Nebenhöhleneiterungen, chronische Mittelohreiterungen. 
Besonders diese lokalen Affektionen sind sehr häufig die Ursache 
der „chronischen“ Rachenkatarrhe, und erst nach ihrer Beseiti¬ 
gung können diese zur Heilung gebracht werden. 


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538 


3. Mit vollem Recht weist Löwy darauf hin, daß die Ver¬ 
suche , den akuten Schnupfen tunlichst schnell zu beseitigen, 
keineswegs das etwas mitleidige Lächeln verdienen, welches man 
oft dafür zur Schau trägt. Abgesehen von den augenblicklichen 
Störungen für den Patienten, die oft außerordentlich unangenehm 
sind, verdienen besonders die häufigen Komplikationen, Entzün¬ 
dungen der Nebenhöhlen, des Mittelohrs (vorzugsweise durch 
falsches Schneuzen! Ref.) die allergrößte Beachtung. Deswegen 
ist es sehr dankenswert, wenn immer von neuem Versuche ge¬ 
macht werden, den akuten Schnupfen zu kupieren. 

L. hat sehr zufriedenstellende Erfolge von der Anwendung 
10%igen Protargols oder zu Anfang schwächerer Lösung gesehen, 
die er auf einem kleinen Wattebausch gegen die mittlere Muschel 
legt und für kurze Zeit liegen läßt. Berliner rühmt der Pro- 
targolsalbe ähnliche gute Erfolge nach. Spray und Instillation 
haben sich Löwy weniger bewährt. 

Zur Unterstützung dieser Behandlung hat L. Menthol-Kampfer 
benutzt, die er im Verhältnis von 2 : 1 tropfenweise in ein Reagenz¬ 
glas mit wenig Wasser träufelt und während vorsichtigen Er¬ 
wärmens über einer kleinen Flamme durch die Nase inhalieren 
läßt. Mit Nachdruck betont Verf. auch die Wichtigkeit der 
Nasenatmung während des Schnupfens. 

4. Die Ohrenheilkunde basiert heute vorzugsweise auf lokaler 
Therapie, die ja auch unbedingt den Vorzug verdient, so lange 
man den Krankheitsprozessen direkt beikommen kann. Dennoch 
gibt es eine Reihe von Affektionen, bei denen die Allgemein¬ 
behandlung sehr wichtig, wenn nicht unentbehrlich ist. In erster 
Linie sind baineotherapeutische Maßnahmen von Bedeutung zur 
Nachbehandlung nach unvollkommenen chirurgischen Eingriffen, 
zur Beseitigung von Disposition zu chronisch katarrhalischen Pro¬ 
zessen im Bereich des Mittelohrs. Wichtig ist allerdings, daß 
vorher die eventuelle Eingangspforte sich wiederholender Infek¬ 
tionen beseitigt wird, als die in erster Linie adenoide Wuche¬ 
rung zu nennen ist. Brieger, der besonders wertvolle Unter¬ 
suchungen über die Bedeutung des lymphatischen Ringes als 
Schutzorgan angestellt hat, wendet sich nachdrücklich gegen die 
Anschauung, daß durch Adenotomie das Kind „schützender Ein¬ 
richtungen im Bereich der oberen Luftwege beraubt“ würde. 
„Die Erfahrung lehrt, daß bei Kindern mit hyperplastischen 
Rachenmandeln klimatische oder andere Kuren keinen oder nur 
sehr geringen Nutzen zeigen, so lange die Störungen im Nasen¬ 
rachenraum fortbestehen, daß aber bei demselben Kinde eine 
günstige Wirkung sofort eintritt, wenn das Kind später, von 

seiner hyperplastischen Rachenmandel befreit,.die Kur 

wiederholt.“ 

Unter dem Bilde chronischer Mittelohreiterungen kann sich 
auch eine latente Tuberkulose verbergen. Für solche Fälle ist 
natürlich die See, besonders die Nordsee von größtem Nutzen. 

Ebenso können balneologische Maßnahmen von großem Werte 
sein bei den Fällen von chronischem Mittelohrkatarrh, die auf 
einem chronischen Nasenrachenkatarrh basieren. Trink- und In¬ 
halationskuren in Verbindung mit lokaler Behandlung sind hierbei 
sehr wertvoll. Größeren Nutzen als von der See verspricht sich 
Brieger vom Hochgebirge für ihre dauernde Beeinflussung. 

Ebenso hält Brieger das Hochgebirge bei Otosklerose für 
einen besseren Heilfaktor als die See, vor der besonders Schwartze 
geradezu warnt. Natürlich kann man sich bei diesem Leiden 
höchstens eine Beeinflussung der subjektiven Geräusche versprechen. 
Für „plethorische“ Patienten, die sich, wohl infolge der Vermeh¬ 
rung der roten Blutkörperchen, im Hochgebirge schlecht befinden, 
ist dieses natürlich bei vorhandenen Gehörleiden direkt kontra¬ 
indiziert. 

5. Chronische Eiterungen des Mittelohres stellen an die Ge¬ 
duld des Arztes und der Patienten immer große Anforderungen. 
Doch gelingt es in einer nicht geringen Zahl der Fälle, die 
drohende Radikaloperation zu vermeiden, so daß die konservierende 
Behandlung alle Aufmerksamkeit des Arztes fordert. Die üblichen 
Mittel sind Spülungen und Einblasen von Pulvern, vorzugsweise 
von Borsäure, Einführung trockener Verbandgaze. Die Spülungen 
und Einblasungen können auch mittels des Paukenröhrchens, erstere 
auch durch die Tube gemacht werden. 

Auch die Saugbehandlung leistet nicht selten gute Dienste. 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU 


Me kl er hat in zwei Fällen gute Erfolge-bei profus ef 
rung von „Borsäuretampons“ gesehen. Er blies bei nach unten'; 
hängendem Kopf nach Reinigung und Austrocknung des Ohrs * 
Borsäure hinein, so daß da^s Pulver in den Attikus eindringen 
konnte, füllte den Gehörgang mit-Borsäure und legte Watte da¬ 
vor. Die Borsäure wurde anfangs nach 24 Stunden gelöst, blieb 
aber später trocken. 

6. Die perorale Intubation nach Kuhn hat sich im Laufe 
der Jahre einen großen Anhängerkreis verschafft. Sie ist dazu 
bestimmt, den Larynxeingaug offen zu halten und bei Operationen 
vor Eintritt von Blut zu schützen. Sie wird von Kuhn ange¬ 
legentlichst empfohlen bei Asphyxien infolge von Inspiration schäd¬ 
licher Gase, bei Opium- oder Morphiumintoxikation, bei Er¬ 
trunkenen, bei schlechter Narkose und zur Erleichterung schwerer 
Operationen im Bereich des Halses und Kopfes. 

Sie besteht bekanntlich in der Einführung eines mit Mandrin 
versehenen, besonders konstruierten Rohres in den Larynx, wo es, 
durch Schutzringe vor tiefem Hineingleiten bewahrt, während der 
benötigten Zeitdauer liegen bleibt. 

Kuhn faßt in dieser Arbeit noch einmal kurz alle seine 
Empfehlungen der Methode zusammen, deren Brauchbarkeit wohl 
besonders dadurch gekennzeichnet ist, daß Bier sie in die Neu¬ 
auflage des bekannten Handbüchleins von Bergmann-Roöhs 
aufgenommen hat. 

Er rät dringend an, das nicht schwere Verfahren an der 
Leiche und gelegentlich beim Patienten einzuüben (nach Kokain i- 
sierung des Kehlkopfes), um es bei Gelegenheit an wenden zu 
können. 

Die Lektüre der kurzen Arbeit dürfte sehr empfehlens¬ 
wert sein. 


Herzkrankheiten. 

Referent: Spezialarzt Dr. B. Rehüsch, Berlin. 

1. Die Herzleiden, ihre Ursachen und Bekämpfung. Gemein¬ 

verständliche Darstellung von Dr. 0. Berwinkel-Bad-Nauheim. 
10. bis 12. verm. und verb. Aufl. München 1908. Verlag der 
„Aerztlichen Rundschau“. 8 °. 60 S. („Der Arzt als Erzieher“, 

Heft 1.) 

2. Die Herzkrankheiten, ihre Ursachen und kurörtliche 
Behandlung. Von Dr. med. L. Nenadovics, Badearzt in 
Franzensbad. Franzensbad 1908. Verlag von E. A. Götz. 144 S. 

3. Eine neue Kreislauftheorie und ihre Beziehung zur 
Pathologie und Therapie. Von Dr. Ernst Hornberger-Frank¬ 
furt a. M. Halle a. S. Carl Marhold Verlagsbuchhandlung. 60 S. 

1. Wenn man schon den Standpunkt vertritt, dem Laien¬ 
publikum in Form allgemeinverständlicher Darstellung einen Ueber- 
blick über ein bestimmtes Leiden zu bieten, so erfüllt der Verf. 
mit seiner Schrift diesen Zweck in musterhafter Weise. Ohne 
sich in wissenschaftliche Details zu verlieren, für die der Nicht¬ 
arzt kein Interesse haben kann, schildert er in kurzer übersicht¬ 
licher Weise die einzelnen Arten der Herzaffektionen und betont 
vor allem ihre Aetiologie. Infolgedessen legt er auch auf die 
Prophylaxe der Herzleiden, die in einer vernünftigen Lebensweise 
besteht, den Hauptwert und versteht es auch, die allzu pessimisti¬ 
schen Anschauungen über Herzkrankheiten zu zerstreuen. Ob es 
angezeigt war, dem Natr. salizyl. in der Behandlung von Gelenk¬ 
rheumatismus einen so schädlichen Einfluß zuzusprechen, will mir 
aus vielen Gründen nicht einwandsfrei erscheinen. 

2. Verf. wünscht in seiner Arbeit sowohl eine Verbindung 
zwischen Arzt und Publikum herzustellen, als auch den Herz¬ 
kranken einen wissenschaftlichen Führer an die Hand zu geben. 
Speziell aus letzterem Grunde wird die Anatomie und Physiologie 
der Zirkulationsorgane in mehr als nötig erscheinender, ein¬ 
gehender Weise besprochen. Ist es erforderlich, daß ein Laie 
darüber orientiert wird, daß der N. vagus ein diastolischer und 
die N. akzelerantes systolische Nerven genannt werden, oder daß 
ein Nichtmediziner darüber informiert wird, daß jede Systole des 
Herzens eine Refraktärphase hervorruft? Ebenso ausführlich wird 
dann die Frage der Ernährung, der Trink- und Badekur erörtert. 
Hinsichtlich der Diät Vorschriften, die nicht nur Herzkranke allein 
interessieren dürften, hält sich Verf. im wesentlichen an die, Ver- 


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V (, r s , f. SSPJg ••<••- 

■ 1,11 


PP!PPJPP|I!!I|,).1I w, iiu ||UfjjDpjunppii 

RUNDSCHAU. ' 539 



otfdmjiigeiLrte 1 und von v* Noorden. Wann eine Trink¬ 
kur angezeigfc -ist ümd wie eine Badekur am besten zum Nutzen 
des Patienten“ ausgeführt wird, schildert Yerf. gleichfalls sehr aus- 
, führlieh.* In diesem Abschnitte findet auch der Praktiker manchen 
befölgenswerten Rat. Schließlich resümiert Yerf. dahin, daß 
Franzensbad eigentlich das Herzbad par excellence sei und zitiert 
hierbei die Worte v. Jackschs, nach denen sowohl in der 
Richtung der Bäder als des Terrains Franzensbad als das idealste 
Bad Europas bezeichnet werden müßte. 

3. H., der durch eine Reihe wissenschaftlicher Arbeiten be¬ 
kannt ist, konstruiert seine neue Kreislauftheorie auf zwei Thesen. 
Da sich bei den niederen Tieren und in der ersten Zeit des 
Fötallebens bei den Säugetieren der Kreislauf in der Weise ab¬ 
spielt, daß das Herz sowohl als Druck- als auch als Säugpumpe 
fungiert, so glaubt H. dieselben Eigenschaften auch für das ent¬ 
wickelte Herz im besonderen des Menschen in Anspruch^nehmen 
zu müssen. Von diesem Gesichtspunkte ausgehend, nimmt H. eine 
aktive Diastole sowohl der Arterien als auch der Ventrikel an. 
Für die Richtigkeit seiner Theorie führt H. auch die Arbeiten 
mehrerer Physiologen, so die von Goltz und Gaule, de Jager 
und Luciani, an. Allein die moderne Physiologie # hat die 
Resultate der Untersuchungen dieser Autoren nicht als beweisend 
ansehen können und lehnt auch gegenwärtig die Annahme einer 
aktiven Diastole ab. 

Hingegen kann man die zweite Hypothese H.s, daß die Blut¬ 
gefäße, vor allem die Arterien, mit als Triebkräfte für die, Fort¬ 
bewegung des Blutes anzusehen sind, im besonderen seit den Mit¬ 
teilungen Grützners, voll und ganz annehmen. 

Im Anschluß an diese Auffassung entwickelt H. auch neue 
Gesichtspunkte hinsichtlich der Therapie von Kreislaufstörungen 
und empfiehlt von neuem den Aderlaß, ganz besonders bei Läh¬ 
mungen der Yorhöfe infolge Ueberdehnung. 

Die ernste Arbeit bietet auch dem Praktiker viel/Anregung. 


.^ Oeffentliehes Sanitätswesen. 

Referent: Dr. M. Peltzer, Generaloberarzt a. D. in Steglitz. 

1. Zur Bekämpfung der Granulöse. Von Medizinalrat Dr. 
Cohn, Kreisarzt a. D. Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Med. und 
öffentl. Sanitätswesen, 1908, Juli, S. 139. 

2. Gehäuftes Vorkommen von Krebs im Dorfe Nordleda, 
Kr. Hadeln. Von Kreisassistenzarzt Dr. Guttmann in Ottemdorf. 
Ibidem, S. 153. 

3. Kritische Untersuchung der üblichen Sputumgläser. Von 
Dr. med. B usch-Ratzeburg in Lauenburg. Ibidem, S. 162. 

1. Während einer neunjährigen Tätigkeit als Kreis- und 
Kontrollarzt im Kreise Heydekrug hat C. vorwiegend zwei Formen 
des Trachoms beobachtet, von denen er die eine als die gewöhnliche, 
genuine, die andere als die akute bezeichnet. Bei ersterer be¬ 
finden sich die Körn erbil dun gen an verschiedenen Stellen und in 
mannigfacher Ausdehnung und Gruppierung auf einer im übrigen 
reaktionslosen Bindehaut, bei der akuten Form ist letztere meist 
an beiden Augenlidern in einem inflammatorischen Zustande. Ver¬ 
sucht man sie zu quetschen oder zu reiben, so kommen im Gegen¬ 
satz zur genuinen Form keine Körner hervor, es tritt vielmehr 
flächenhaft Blut aus. Der Knorpel ist verändert: er ist ver¬ 
breitert, verdickt und in seinem Volumen vergrößert. Die Ober¬ 
fläche ist stark gerötet, rauh und uneben, der Rand nicht mehr 
scharf, sondern dick und abgerundet. Das Gewebe ist weich und 
der Knorpel schneidet sich wie Wachs. ^Die Sekretion ist gering, 
jedenfalls nicht eitrig, die Lider sind leicht geschwollen, die Lid¬ 
spalten etwas verengt, so daß die Diagnose leicht zu stellen ist. 
Der Hauptsitz der Krankheit, der eigentliche Infektionsherd ist 
in diesen Fällen der Knorpel, in dem die Körner tief eingebettet 
liegen, und ehe dieser nicht operativ entfernt ist, rührt sich 
der Prozeß ^nicht^von der Stelle, ob man : Höllensteinlösungen oder 
andere Adstringentia oder Antiseptika einträufelt oder nicht. 
Leider stehen dieser einzigen erfolgreichen Behandlung, die am 
besten in£einer^Klinik ausgeführt wird,^[infolge der Indolenz und 
des Widerstandes der littauischen Bevölkerung große Schwierig¬ 
keiten entgegen. 


2. Zu dem in der deutschen medizinischen Literatur bereits 
mehrfach mitgeteilten gehäuften Vorkommen von Krebs liefert G. 
einen weiteren Beitrag, indem er eine kurze Schilderung von 
47 Fällen gibt, die alle in dem einen Dorfe Nordleda, Kreis 
Hadeln, in dem schon seit längerer Zeit häufige Krebserkrankungen 
auffielen, vorgekommen sind. Noch auffallender wird diese Tat¬ 
sache dadurch, daß in der 2 bis 3 km entfernten Gemeinde 
Wanna der Krebs seit längerer Zeit fast unbekannt ist, während 
hier Tuberkulose gehäuft vorkommt. G. scheint geneigt, diese 
Erscheinungen mit der fundamentalen Verschiedenheit des Bodens, 
auf dem Nordleda und Wanna liegt, und der sich daraus er¬ 
gebenden Wasserversorgung in Zusammenhang zu bringen, ob¬ 
gleich er eine bestimmte Schlußfolgerung nicht zieht. Wanna 
liegt nämlich in der Geest auf Sandboden, dem in einer Tiefe 
von 6 bis 15 m bei jedem Hause einwandfreies Trinkwasser ent¬ 
nommen werden kann, Nordleda dagegen in der Marsch auf Moor¬ 
boden. Nachdem hier seit zwei Jahren ungefähr 120 bis 150 Tief¬ 
röhrenbrunnen angelegt sind, welche gutes Wasser liefern, und so 
die Zahl derer, welche lediglich auf Grabenwasser angewiesen 
sind, sich, wenn noch mehr angelegt werden, alljährlich verringert 
und schließlich ganz schwindet, wird sich nach Verlauf von etwa 
10 bis 20 Jahren zeigen, ob tatsächlich ein Zusammenhang zwischen 
Krebserkrankung und Trinkwasserversorgung besteht oder nicht. 

3. Die Entstehung der heutzutage üblichen Sputumgläser 
knüpft au die Entdeckung des Tuberkelbazillus im Jahre 1882 
an. Abgesehen vom Kostenpunkt und der Frage, ob — vom 
klinischen Standpunkte aus — das Glas die Prüfung und Kontrolle 
des Sputums ermöglicht, ist der Kernpunkt für die Beurteilung 
der Zweckmäßigkeit der: ermöglicht das Glas auch die absolute 
Unschädlichmachung des tuberkulösen Sputums? Eine von Ab¬ 
bildungen begleitete kritische Untersuchung dieser Frage durch 
B. fuhrt zu dem Ergebnis, daß sie ebenso einfach wie radikal 
nur durch die verbrennbaren Sputumgefäße gelöst wird und zu 
lösen ist, wie sie auf Anregung Flügges von der Firma Finger- 
hut & Co. in Breslau in Form von Wandnäpfen, Taschenspei¬ 
gefäßen und Handnäpfen hergestellt werden. Sie sind teils in 
einfacher, brauner Pappe, teils mit Emaille- bezw. Lackanstrich 
versehen. Die Taschengefäße haben die Form von Zigarren¬ 
taschen und sind etwa bis zur Hälfte mit saugender Zellulose¬ 
einlage bezw. mit Holzwolle gefüllt. 


Mitteilungen über Arzneimittel. 


Somagen und Caropan. 

Von Dr. phil. A. WolfF, Bielefeld. 

Nachdem mein Hämoglobin-Malzpräparat, das Hämatopan, 
in den Aerztekreisen eine schnelle Verbreitung gefunden hat, 
speziell in der Verordnung gegen Anämie und Chlorese, so 
möge es mir gestattet sein, über zwei weitere Präparate, 
Somagen und Caropan, eine kurze Charakteristik zu geben. 

Bekanntlich wird der Fleischextrakt als Anregungsmittel 
sehr geschätzt, jedoch ist ihm wegen seines Mangels an Eiweiß 
jeder Nährwert abzusprechen. 

Justus von Liebig (The Lancet vom 1. November 1868) 
äußert sich hierzu wie folgt: 

„Wäre es möglich, zu einem annehmbar billigen Preise 
ein Präparat aus Fleisch herzustellen, welches die Protein¬ 
stoffe zusammen mit den Extraktivstoffen in sich vereinigen 
würde, so wäre ein solches Präparat einem Fleischextrakt 
vorzuziehen, denn ein solches Präparat würde alle nährende 
Bestandteile des Fleisches enthalten. Ich habe wiederholt 
konstatiert, daß bei der Herstellung des Fleischextraktes die 
proteinhaltigen Bestandteile des Fleisches im Abfall Zurück¬ 
bleiben, daher für die Ernährung verloren gehen, was jeden¬ 
falls eine Mangelhaftigkeit des Fleischextraktes genannt 
werden muß.“ 

In ähnlicher Weise äußert sich C. Voit 1869. 


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540 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Dieses von Liebig vor 40 Jahren aufgestellte Problem 
ist nunmehr gelöst, denn das in gebrauchsfertiger Form vor¬ 
liegende Präparat „Somagen“ enthält nicht nur anregende 
Fleischsalze und Fleischbasen, sondern hauptsächlich besteht 
es aus den Proteinstoffen, den nährenden Bestandteilen des 
Fleisches, die es in leicht löslicher, aufgeschlossener und vor 
allen Dingen vollkommen verdaulicher Form enthält, wie aus 
nachstehender Analyse der landwirtschaftlichen Versuchsstation 
in Münster i. W., Vorstand Geheimer Regierungsrat Professor 


Dr. J. König, ersichtlich ist: 

Wasser.8,78% 

Organische Substanz . . 85,73% 

Stickstoffsubstanz.79,11%*) 

Asche.5,54% 

darin 

Phosphorsäure.0,84% 

Kalk.1,93% 

Natron.0,75% 

Kali.0,5% 


Nach der Analyse enthält somit Somagen 80% aufge¬ 
schlossene Eiweißstoffe, 5,54% Asche, die vorwiegend aus den 
Muskel- und Nervensubstanz bildenden organischen Natrium- 
und Kalziumphosphatverbindungen besteht. 

Das Präparat wurde Somagen getauft, abgeleitet von den 
griechischen Worten oco/du yzvväv = Körper bilden. Der Name 
soll die Eigenschaften des Präparates andeuten, denn das Prä¬ 
parat bewirkt schnellste Gewichtszunahme, energische Gehirn - 
und Nervenstärkung und regt in hohem Maße den Appetit an; 
kurz gesagt, es belebt den Gesamtorganismus und erhöht sämt¬ 
liche Gehirn- und Körperfunktionen in sichtbarer Weise. 

Somagen ist somit ein angenehmes und nahrhaftes Fleisch- 
präparat, das ungemein leicht verdaulich ist und selbst in größeren 
Mengen vertragen wird. Ganz besonders hervorzuheben ist noch 
seine fast Geschmack- und Geruchlosigkeit, die es ermöglicht, daß 
es dem empfindlichsten Patienten unbemerkt mit den Speisen 
gereicht werden kann. Somagen dient als Kräftigungsmittel 
für zurückgebliebene Kinder, für geistig überanstrengte, nervöse 
und erschöpfte Erwachsene, sowie in allen Fällen, in denen es 
sich darum handelt, durch Zufuhr leicht verdaulicher Eiwei߬ 
stoffe das daniederliegende Allgemeinbefinden rasch und energisch 
zu heben. 

Sehr gut wirkt das Somagen bei Magenverstimmungen, 
Seekrankheit, Kater usw. Somagen eignet sich als nährender 
Zusatz zum ersten Frühstücksgetränk und vermag uns das 
englische Beefsteak zu ersetzen. Auf das erste Frühstück 
sollte viel mehr Wert gelegt werden, denn bei der heutigen auf¬ 
reibenden, schnellebigen Zeit gilt es mehr denn je, den Körper 
nach der langen Nachtpause für die bevorstehenden Strapazen 
des Tages kräftig zu rüsten. Diese einfache Weisheit machten 
sich schon unsere Vorfahren zunutze, indem sie die Frühkost 
mit einer kräftigen Milch- oder Hafersuppe einleiteten, wäh¬ 
rend es heute als allgemeine Mode gilt, den nervenaufreizenden 
Kaffee zu trinken und dazu die an Nährwert so armen, 
aus ausgebeuteltem Mehl hergestellten Weißbrötchen zu ver¬ 
speisen. Ein derartiges Frühstück ist vom physiologischen 
Standpunkte aus direkt ärmlich zu nennen. Preis des Somagen : 
50 g = 2 M., 100 g = 3,75 M. 


C a r o p a n. 

So erwünscht nun auch für viele Fälle der Ernährung 
diese reinen Fleischeiweißpräparate sind, so ist es doch not¬ 
wendig, daß unsere tägliche Nahrung stets eine gemischte ist, 
d. h. sowohl Eiweiß als auch Kohlehydrate enthält, denn diese 
beiden wichtigen Nährgruppen müssen dem Körper im richtigen 
Verhältnis gereicht werden, um deren Verbrauch im Gleich¬ 
gewicht zu halten. 

Prof. R. Kobert schreibt darüber in seiner Pharmako¬ 
therapie* **) ): 

*) Anm. d. Verf.: Die obigen 79,11 °/ 0 Stickstoffsubstanz bestehen aus 
aufgeschlossenem, vollkommen verdaulichem Fleischeiweiß. 

**) R. Kobert, Pharmakotherapie, 1897, Seite 145. 


„Fast alle Kohlehydrate haben außer ihrer nährenden 
Funktion im Darm auch noch eine antiseptische; sie ver¬ 
mindern nämlich die Eiweißfäulnis im Darmkanal, indem sie 
zum Teil in Milchsäure, Essigsäure, Buttersäure und andere 
organische Säuren, welche den eiweißspaltenden Darm¬ 
bakterien entgegen wirken, übergehen. "Schon dieses Um¬ 
standes wegen ist es äußerst wünschenswert, daß unsere 
Nahrung immer eine aus Eiweißsubstanzen und relativ viel 
Kohlehydraten bestehende ist. Sobald wir die letzteren zu- 
unsten der ersteren sehr vermindern, bekommen wir, wie 
er Laie sich ausdrückt, „einen verdorbenen Magen“ und 
„riechen aus dem Halse“, d. h. wir bilden im Darm stinkende 
Fäulnisprodukte der Eiweißstoffe, welche die Exspirationsluft 
übelriechend machön. Bei der Behandlung der Zuckerkranken 
hat man dieser äußerst wichtigen Tatsache häufig nicht ge¬ 
nügend Rechnung getragen.“ 

Unter Berücksichtigung dieser Forderung der gemischten 
Nahrung habe ich ein Präparat zusammengesetzt, das aus 50% 
Somagen und 50% Kohlehydraten besteht. Als lösliche, leicht 
und vollkommen verdauliche Kohlehydratnahrung wurde der 
Malzextrakt gewählt. Diesen Kohlehydraten, den Zuckerarten, 
haben die Physiologen ein hohes Interesse zugewandt. Denn 
in der eiweiß- und fettsparenden Kraft des Zuckers liegt eine 
hohe nationalökonomische und therapeutische Bedeutung. Prof. 
E. Stadelmann schreibt*): „Ein Eßlöffel voll Malzextrakt 
entspricht dem Nährwerte eines Eies!“ Die Maltose, der 
Hauptbestandteil des Malzextraktes, wird besonders leicht und 
schnell resorbiert. 

Die verschiedenen Zuckerarten werden mit verschiedener 
Schnelle und in verschiedenen Mengen resorbiert. Bei Ver¬ 
suchen an Hunden fand Albertoni, daß im Laufe der ersten 
Stunde von 100 g eingeführtem Zucker resorbiert wurden: von 
Glukose 60%, von Maltose und Rohrzucker 70 bis 80% und 
von Milchzucker nur 20 bis 40%. 

Früher nahm man nun an, daß die Kohlehydrate nur in 
der Weise wirksam seien, daß sie das Eiweiß und das aus ihm 
entstandene Glykogen sparten. (Ersparnistheorie, von,.V^e>iß, 
Wolfenberg u. a.) Dieser Ansicht gegenüber haben indessen 
C. und E. V o i t gezeigt, daß die Kohlehydrate „echte Gly¬ 
kogenbildner“ sind. Solche echte Glykogenbildner sind die 
drei gewöhnlichen Mono- und Disaccharide. Der Milchzucker 
und der Rohrzucker gehen nach subkutaner Einverleibung fast 
vollständig in den Harn über, und sie müssen behufs Gly¬ 
kogenbildung vorerst im Darmkanal einer Inversion unter¬ 
liegen. Von der Maltose, die auch im Blute gespalten wird, 
geht dagegen nur wenig in den Harn über, und sie kann, wie 
die Monosaccharide, selbst nach subkutaner Injektion für die 
Glykogenbildung verwertet werden. (Fr. Voit.) Gegenwärtig 
dürfte man wohl allgemein der Ansicht sein, daß das Glykogen 
sowohl aus Eiweiß wie aus Kohlehydraten entstehen kann. 

Das Präparat wurde „Caropan“ (caro und panis) be¬ 
nannt; der Name soll die Zusammensetzung des Präparates an¬ 
deuten. Das Caropan ist pulverförmig, löst sich leicht und 
vollständig in Wasser, besitzt einen würzigen, kräftigen Ge¬ 
schmack, der an Malz und Zwieback erinnert, und wird 
infolgedessen gern genommen. Ganz besonders ist Caropan 
als Kindernahrung zu empfehlen, da der Malzextrakt mit 
seinem Diastasegehalt von jedem Säugling vertragen und voll¬ 
ständig assimiliert, d. h. schlackenfrei verbrannt wird. Wie 
aus den oben angeführten Untersuchungen von Albertoni 
hervorgeht, ist der Malzzucker dem Milchzucker vorzuziehen, 
weil er vollständiger assimiliert wird. 

Dem Arzt wird mit dem Caropan ein Mittel in' die Hand 
gegeben für alle diejenigen Fälle, in denen er sich gezwungen 
sieht, durch Zufuhr leicht verdaulicher, nahrhafter Stoffe das 
Allgemeinbefinden zu heben, ohne dem Körper unnötigen Ballast 
zuzuführen. 

Caropan stellt sich billiger wie Somagen, es kosten die 
Originaldosen Inhalt 100 g ==» 2,20 M., Inhalt 200 g = 4M. 

*) B. Stadel mann, Deutsche Aerzte-Zeitung-, 1901, Nr. 25. 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


541 


Referate. 


Referent:-Dr. W. Kröger, Magdeburg. 

1. Beitrag zur Arsen-, Phosphor-Eisentherapie mit beson¬ 
derer Berücksichtigung des Nukleogens. Von S.-B. Dr. Dorn. 
Fortschr. d. Med., 1908, Nr. 20 n. 21. 

2. Hydropyrin. Von Dr. Zernik. Apotheker-Zeitg., 1908, 
Nr. 59 1 

3. lieber Monotal. Von Privafcdoz. Dr. Goebel. Die Heil¬ 
kunde, 1908, Nr. 4. 

4. Heber Veronalnatrium. Von Prof. Winternitz. Med. 
Klinik, 1908, Nr. 31. 

5. Die Behandlung septischer Erkrankungen mit Kollargol- 
klismen. Von Dr. Seidel. Deutsche med. Wochenschr., 1908, 
Nr. 31. 

6. Antiformin, ein bakterienauflösendes Desinfektionsmittel. 

Von Prof. Uhlenhuth und Dr. Xylander. Berl. klin. Wochen¬ 
schrift, 1908, Nr. 29. 

7. Lysoform als Desinfiziens. Von Privatdoz. Zlatogorow. 
Allg. med. Zentral-Zeitg., 1908, Nr. 31. 

1. Sanitätsrat Dorn hat einige Monate hindurch poliklinisch 
und in der Privatpraxis Nukleogen (Rosenberg) verwendet. 
Dieses Präparat ist eine Verbindung der Nukleinsäure — diese 
ist phosphorhaltig — mit Eisen und Arsen. Nach D.s Bericht 
führte das Mittel schon nach vier Wochen (durchschnittlich) in 
der Mehrzahl der Fälle zu vollen Erfolgen. Die Therapie er¬ 
streckte sich bei D.s Fällen auf Chlorotische, Neurastheniker und 
Erschöpfungszustände bei chronischen Leiden. D. fiel auf, daß 
die gestörten Funktionen des Magens unter der Einwirkung des 
Nukleogens sich bald kräftigten und der Appetit in kurzer Zeit 
sich steigerte. Unerwünschte Nebenwirkungen wurden nicht beob¬ 
achtet. 

2. Unter dem Namen Hydropyrin hat die chemische Fabrik 
Gedeon Richter in Budapest im Jahre 1907 ein Präparat in den 
Handel gebracht, das als das Natriurasalz der Azetylsalizylsäure 
beschrieben wird und vor dem Aspirin den Vorzug der Wasser¬ 
löslichkeit haben soll. Dieses von österreichischen Aerzten mit 
Erfolg angewendete Mittel hat Z. untersucht, sowohl das pulver¬ 
förmige Präparat als auch die Tabletten. Beide rochen stark 
nach Essigsäure und schmeckten sehr sauer. Auch lösten weder 
das.Pulver noch die Tabletten sich in Wasser völlig auf. Der 
hohe Gehalt an freier Essigsäure bedingt die leichte Zersetzlich¬ 
keit des Hydropyrins, die übrigens auch von anderer Seite beob¬ 
achtet wurde. 

3. Als dankenswertes Mittel bei Rheumatismus muskulorum 
und artikulorum, besonders in chronischen Fällen, empfiehlt G. 
das Monotal als externes Antiphlogistikum und Analgetikum. Es 
ist dies ein Methylglykolsäureester des Guajakols, das G. aller¬ 
dings nur an einem kleinen Material erproben konnte. Es wird 
in der Weise angewendet, daß täglich zweimal 5 g des Mittels 
mit der Hand auf dem betreffenden Körperteil verrieben werden. 
G. hat keine ungünstigen Nebenwirkungen beobachtet. 

4. In voriger Nummer hatte ich über die Versuche von 
Steinitz mit dem Natriumsalz der Diaethylbarbitursäure ge¬ 
sprochen. In der zitierten Arbeit wurde dem Veronalnatrium der 
Vorzug gegeben vor dem einfachen Veronal (resp. der Diaethyl¬ 
barbitursäure), einerseits wegen leichterer Löslichkeit, andererseits 
wegen sicherer Wirkung Und Mangels an Neben- oder Nach¬ 
erscheinungen. Der günstige Eindruck wird verwischt durch einen 
Artikel von Prof. Winternitz, der das erste Argument, die 
leichte Löslichkeit, anerkennt, die anderen Gründe aber zu ent¬ 
kräften sucht. Denn er glaubt, daß Veronalnatrium im großen 
und ganzen ebenso wirkt wie Veronal. Der chemische Vorgang 
ist nach Winternitz der: Veronalnatrium wird im sauren 
Magensaft in Veronal überführt, im Darm wieder zu Veronal¬ 
natrium umgesetzt und als solches resorbiert. Veronalnatrium — 
gleichgültig, ob reines Veronal oder sein Natriumsalz gegeben 
wird — zirkuliert im Blute und in den Geweben; am Orte der 
Wirkung, in den nervösen Zentralorganen, greift Veronalnatrium 
ran. Danach müßte es allerdings bezüglich der Neben- oder Nach¬ 
wirkungen gleichgültig sein, ob man Veronal oder sein Natrium¬ 
salz anwendet, und mir wegen der leichten Löslichkeit verdient 
•das letztere den Vorzug. Nach W. kann man übrigens auch 


Veronal rektal geben; nur muß die Flüssigkeitsmenge viel größer 
sein (100 bis 150 ccm). Seine Ansicht über beide Mittel faßt 
W. dahin zusammen: 1. Die Wirkung des Veronalnatrinms ist die 
des Veronals, wobei die wirksame Dosis, auf Veronal bezogen, die 
gleiche ist. 2. Bei leerem Magen wirkt Veronalnatrium rascher. 
3. Das Veronalnatrium ermöglicht eine bequemere rektale Anwen¬ 
dung. 4. Der Geschmack des Veronalnatriums ist weit schlechter. 
In wässriger Lösung gleicht sich der Unterschied aus; wo aber 
aus äußeren Gründen die Anwendung in Pulvern oder Tabletten 
erfolgt, ist Veronal des zweifellos besseren Geschmacks wegen 
vorzuziehen. 5. Die leichte Löslichkeit des Veronalnatriums er¬ 
möglicht die Herstellung haltbarer Lösungen und die Dispensierung 
mit anderen löslichen und wirksamen Arzneimitteln. 6. Die Neben- 
und Nachwirkungen beider Präparate sind die gleichen. 

5. Die Darreichung des Kollargol Crede erfolgte bisher 
meist in Form des einzureibenden Unguentum Crede oder ver¬ 
mittels intravenöser Injektionen. Letztere sind, besonders bei sehr 
fetten oder sehr mageren Personen, nicht so ganz leicht. Infolge¬ 
dessen wurden Kollargolklistiere vorgeschlagen, deren Brauchbar¬ 
keit S. nachprüfte. Er gab bei über 100 Fällen von Sepsis, nach¬ 
dem ein Reinigungsklistier gegeben und der Darm eine Viertel¬ 
stunde nach Entleerung des Klistiers durch 0,5 bis 1 1 erwärmter 
l°/oiger Kochsalz- oder Sodalösung von Schleim befreit worden 
war, bei schweren akuten Fällen 50 bis 100 g einer 5%igen 
Kollargollösung, die langsam eingespritzt wurde, bei leichten akuten 
Fällen auch als Anfangsdosis 50 bis 100 g einer 2 %igen Lösung. 
Falls die Klistiere schwer gehalten wurden, wurden 8 bis 12 Tr. 
Tinkt. Opii spl. hinzugesetzt. Unangenehme Nebenwirkungen im 
Alter wurden dabei nicht beobachtet. Doch trat bei gonorrhoi¬ 
schen oder septischen Erkrankungen der Gelenke jedesmal zu¬ 
nächst eine Zunahme der Schmerzen auf, meist mit Frost ver¬ 
bunden , dem ein größeres Wohlbefinden mit Schlafneigung und 
Abnahme von Schwellung und Schmerzen folgte. Bei leichten 
chronischen Fällen gab S. nur zweimal täglich 1,0 im Klistier. 
Die rasche Aufsaugung des Kollargols wurde von S. auch auf der 
Röntgenplatte beobachtet. Nach großen Dosen Kollargols sah er 
Schwankungen im Leukozytengehalt. Die von S. zitierten Fälle 
dürften um so mehr die Güte des Mittels erweisen, als sie inso¬ 
fern unzweideutig sind, als nur Kollargol verabreicht wurde. Mit 
Recht weist S. darauf hin, daß eine einmalige oder mehrmalige 
kleine Dosis meistens gar nichts nützt und daher das Kollargol 
in Mißkredit gebracht hat. Nach Eintritt der Wirkung geht man 
mit der Dosis zuruck, verabreicht die schwächeren Dosen aber 
noch 14 Tage lang. 

6. Aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte ist ein Bericht von 
Prof. Uhlenhuth und Dr. Xylander erschienen über ein bak¬ 
terienauflösendes Desinfektionsmittel, namens Antiformin. Dieses 
ist eine Mischung von Alkalihypochlorit und Alkalihydrat in be¬ 
stimmtem Verhältnis, also das bekannte Eau de Javelle mit einem 
Zusatz von freiem Alkali. Antiformin stellt in konzentrierten 
Lösungen eine gelblich klare Flüssigkeit dar, welche einen kräf¬ 
tigen, nicht unangenehmen Geruch nach frischer Lauge und Chlor 
erkennen läßt. Wegen seiner reinigenden und schleimlösenden 
Wirkung hat das Mittel bisher fast ausschließlich im Bruuerei- 
betriebe zur Reinigung und Desinfektion von Bierleitungen und 
Gärbottichen Verwendung gefunden. Das Antiformin wird von 
der Firma Hans Knorr (Charlottenburg) in den Handel gebracht 
(1 1 = 50 Pf.). Die Wirkung des Präparates beruht infolge 
seines Gehaltes an unterchloriger Säure wohl in erster Linie auf 
einer intensiven Oxydation. Es zeigte sich, daß eine 2- bis 5%ige 
Lösung sehr schnell die meisten Bakterien, spätestens in 2 1 / 2 bis 
5 Minuten abtötete. Nur Milzbrandsporen wurden erst nach 
12 Stunden abgetötet. Frisches Eau de Javelle war drei- bis 
siebenmal weniger wirksam, älteres zeigte überhaupt keine nennens¬ 
werte Desinfektionswirkung. Der Zusatz von Alkalihydrat hat 
also den Vorteil, die Haltbarkeit und desinfizierende Eigenschaft 
des Präparates wesentlich zu erhöhen. Von dem Gesichtspunkte 
ausgehend, daß ein Desinfektionsmittel wenig wert ist, wenn es 
nur in wässriger Lösung Bakterien ab tötet, in eiweißhaltiger aber 
versagt — diese sind bekanntlich sehr schwer zu desinfizieren —, 
prüften die Verf. das Antiformin im Vergleich mit Sublimat. 
Denn gerade die Desinfektion eiweißhaltiger Flüssigkeiten kommt 
für die Verhältnisse in der Praxis sehr in Betracht. Die Verf. 


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542 


fanden, daß im Gegensatz zum Sublimat (und Karbol) das Anti- 
formin keine Ausfällung des Eiweißes liervorruft. Ueber Ver¬ 
gleiche bezüglich der Desinfektionskraft sind Untersuchungen im 
Gange. Bei der Prüfung der desinfizierenden Eigenschaft des 
Antiformins in wässrigen Medien zeigte es sich, daß Bakterien in 
wässrigen Aufschwemmungen schon durch verhältnismäßig schwache 
Lösungen von Antiformin in ganz kurzer Zeit wie Zucker in 
Wasser restlos aufgelöst werden, so daß eine wasserklare Flüssig¬ 
keit resultiert (2%ige Lösung Antiformin: 7 bis 10 bis 15 Min.). 
Nur junge Kulturen von Milzbrandbazillen wurden erst nach 30 
bis 45 Min. aufgelöst, alte werden selbst nach 24 Stunden nicht 
vollkommen gelöst. Diese Auflösung ist der Effekt einer glück¬ 
lichen Kombination von Chlor und Alkali. Biologisch interessant 
und für die Praxis wichtig ist die Tatsache, daß Tuberkelbazillen 
und andere säurefeste Stäbchen sich selbst gegen konzentrierte 
Lösungen von Antiformin vollkommen refraktär verhielten, während 
sämtliche Bakterienarten aufgelöst wurden. Die Verf. erklären 
dies dadurch, daß die Bakterien von einer Fettwachshülle wie 
durch einen resisten Panzer umhüllt werden. Dieses Ergebnis 
ihrer Forschung ist insofern unangenehm, als tuberkulöses Material, 
z. B. Sputum, nicht mit Antiformin desinfiziert werden kann. 
Sonst wäre es ein Sputumdesinfektionsmittel xar t^oyrjv, weil selbst 
dicke Sputumballen sich in 15- bis 20%igen Lösungen zu einer 
fast homogenen Masse verflüssigen. Immerhin hat dieser Umstand 
dazu geführt, daß man nunmehr imstande ist, für die Meerschwein¬ 
chenimpfung ein von anderen Bakterien freies Material zu er¬ 
halten , wodurch Sekundärinfektionen vermieden werden. Auch 
die direkte Züchtung der Tuberkelbazillen aus dem Sputum ge¬ 
lingt nunmehr. Die ausgezeichnet lösende und desinfizierende 
Wirkung legt den Gedanken nahe, das Antiformin auch für die 
Desinfektion von Trinkwasser, Abwässern und Fäzes zu verwenden. 
Im festen Kot waren nach 24 Stunden künstlich beigefügte 
Typhusbazillen abgetötet. Selbst härtester Kot löste sich in 
kurzer Zeit auf. Pestilenzialisch stinkende Fäkalien wurden durch 
Antiforminzusatz in kurzer Zeit aromatisch riechend. In der 
Praxis dürfte die Desinfektion von Abortgruben, Pissoirs, Ställen 
in Frage kommen. Doch verbietet sich die Anwendung stärkerer 
Lösungen, weil Farben, Lacke, Linoleum vollkommen aufgelöst 
werden. Zur Desinfektion von Händen, Wunden, parasitären 
Hautkrankheiten, zur lokalen Behandlung der Diphtherie, zur 
Prophylaxe der Geschlechtskrankheiten könnte es Anwendung 
finden. — Nach diesen Versuchen öffnet sich allerdings eine 
günstige Perspektive für ein gutes, billiges Desinfektionsmittel. 

7. Nach Vorversuchen mit Lösungen von geringem Lysoform- 
gehalt (0,5 bis 2,0%), die nur geringe bakterizide Kraft des 
Mittels ergaben, hat Z. Untersuchungen mit 3- bis 5%igen 
Lösungen an Staphylo- und Streptokokken, an Baz. pyozyaneus, 
diphther., typhi, dysent., choler. asiat., anthrac. u. a. angestellt 
und ist zu dem Ergebnis gelangt, daß Lysoform bei Temperaturen 
von 37 0 zu den Desinfizientien mittlerer Stärke gehört, während 
es bei 15 0 und darunter nur geringe bakterizide Eigenschaften 
entwickelt. Gewissen Bakterien gegenüber (Cholera, Typhus, 
Dysenterie, Fränkelsche Diplokokken) ist Lysoform bei 37° ein 
energisches Desinfiziens, ja auch bei 15° ist es gegen Cholera¬ 
vibrionen und Typhusbazillen eine stark bakterizide Substanz. 
Wegen seiner geringen Giftigkeit, seiner relativen Billigkeit und 
seines angenehmen Geruches verdient es zweifellos Beachtung. 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 



Ueber „Einnehmegläser“ und „Tropfgläser“, 

Vorschläge zur Sicherstellung einer richtigen Dosierung flüssiger 
Medikamente, von Edlefsen in Hamburg. 

Verf. hat durch eingehende Untersuchungen mit den im 
Handel vorkommenden und empfohlenen Einnehmegläsern nach¬ 
gewiesen, daß der Inhalt solcher Gläser ein so verschiedener 
ist, daß man keines der verschiedenen Arten als richtiges 
empfehlen kann. Es fanden sich so große Unterschiede in 
dem Maß eines Eß- oder Teelöffels, daß in Fällen stark 


'wtm. 


wirkender Arzneien Unglücksfälle und Vergiftungen zu ' .he- ' 
fürchten sind, und daß der Arzt bei Verordnung der Medizin 
nie weiß, welche Menge der Kranke wirklich 1 erhalt, da es von} 
Zufall abhängt, welches Einnehmeglas der Khanke besitzt. Es 
fehlt also an der Einheitlichkeit des Maßes, und da keine Kon¬ 
trolle vorhanden ist, so haben die Fabrikanten derartiger Ein- 
nehmegläser je nach dem gerade obwaltenden .Zufall den E߬ 
löffel groß oder klein gewählt und das Einnehmeglas danach 
hergestellt. Verf. gibt den Rat, daß man ein Gesetz schaffen 
solle, nach welchem nur geeichte Einnehmegläser, welche 
genau kontrolliert worden sind, ob sie auch die richtigen 
Mengen an den bezeichneten Marken fassen, in den Handel 
gebracht werden dürfen. Dadurch allein kann der Arzt eine 
Sicherheit erlangen, daß der Kranke die verordnete Medizin 
auch in den vorgeschriebenen Mengen wirklich nimmt, und 
daß er, wenn er stark wirkende und schwer * giftige Medi¬ 
kamente verordnet, nicht in Sorge zu sein braucht, daß durch 
Gebrauch eines zu großen Maßes der Kranke in die Gefahr 
einer Vergiftung geraten kann. Es ist entschieden von Wert, 
daß dieser Uebelstand in unserer Dosierung der Arzneimittel 
endlich einmal aufgedeckt worden ist, und man kann wohl 
hoffen, daß die Behörden in diesem Punkte bald Abhilfe durch 
ein Gesetz schaffen werden oder durch Bestimmungen für die 
Apotheker und Drogisten, daß sie nur geeichte Einnehmegläser 
abgeben dürfen. Ein anderer Weg als der des Gesetzes wird 
kaum mit Erfolg betreten werden können, denn selbst wenn 
alle Aerzte nach Anraten des Verf. den Kranken die Gefahr 
vor Augen führen und vor Einnehmegläsern warnen würden, 
was zur Folge haben müßte, daß die Gläser weniger gekauft 
und die Fabrikanten auf den Uebelstand aufmerksam gemacht 
würden, so daß sie nolens volens bessere Gläser herstellen müßten, 
so würde das immer noch kein einheitliches Resultat haben, 
denn immer noch würde die rechte Kontrolle fehlen und vor 
allem würde der ganzen Sache der nötige Ernst mangeln. Es 
würden dann immer noch viele unrichtige Gläser im Gebrauch 
bleiben, weil die vielen auf Vorrat hergestellten Exemplare 
erst verkauft werden müßten, ehe die Fabriken an, eine^ppp 
Herstellung gingen. Bei einem so wichtigen Umstande,' von 
welchem viele Menschenleben eventuell abhängen, sollte man 
nicht zögern, strenge Gesetze zu schaffen. ^ 

W. B. Müller, Berlin. 



Die neueren Arzneimittel in der ärztlichen Praxis. 

Von A. Skutetzky. Berlin 1908. Verlag J. Springer. Preis 
geb. 8 M. 380 S. 

Seit einigen Jahren beginnt die Literatur über „Neuere 
Arzneimittel“ ins Unendliche zu wachsen; um so weniger ist es 
dem praktischen Arzt zu verargen, wenn er in diesem Embarras 
de richesse sich nicht zurechtfindet. Die Aufgabe, dieses weit¬ 
verzweigte Material in, gedrängter Form zusammengebracht zu 
haben, hat Verfasser in dankenswerter Weise gelöst. Die Zahl 
der behandelten Mittel ist eine recht große, dabei ist bei jedem 
derselben auf die chemische etc. Herkunft, Wirkung, Nebenwir¬ 
kungen, Indikationen und Dosierung genauere Rücksicht genommen. 
Was das Werk besonders wertvoll macht, ist die übersichtlich 
angeordnete reichhaltige Literatur, die bei den meisten Mitteln 
bis Mitte 1907 berücksichtigt ist. Der Nutzen des Buches würde 
noch erhöht werden durch die Angabe von Fabrikanten und Preisen 
der einzelnen Präparate. Trotzdem wird es sich meines Er¬ 
achtens viele Freunde erobern. Bachem-Bonn. 

Fettleibigkeit und Fettsucht. Von Prof. Dr. E. H. 
Kisch in Prag-Marienbad. Würzburger Abhandlungen, Bd. VIII, 
Heft 6. Würzburg 1908. A. Stubes Verlag. Preis 0,85 M. 
25 S. Groß 8°. ' 

K. teilt auf Grund seiner Erfahrungen und biologischer Uebej;- 
legung die Fälle von Lipomatosis universalis in zwei Gruppen: 
Die alimentäre und konstitutionelle Lipomatosis. ■ Beider Genese, 


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Original fru-m 

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Symptome^ Folgen und Therapie werden eingehend und gründlich 
„besprochen. Es sei die .Therapie besonders angegeben: 1. Alimen¬ 
täre Lipomatosis. Diät: Ausreichende individuell entsprechende 
Eiweißzufuhr (160 g), mäßige Mengen Kohlehydrate (80 g), Reduk¬ 
tion der Fettzuführung auf ein Minimum (11 g), im ganzen zirka 
1100 Kalorien. 2. Konstitutionelle Lipomatosis. Diät: 200 g Ei¬ 
weiß, 100 g Kohlehydrate, 12 g Fett, rund 1300 Kalorien. Ein¬ 
schränkung der Flüssigkeitszufuhr. Diätschemata sind angegeben. 
Daneben die bekannten Faktoren der physikalischen Heilmethoden. 
Um während einer Brunnenkur (Glaubersalz-, alkalisch - salinische 
Wässer) den Kräftezustand zu kontrollieren, wendet K. seine 
Dynamometrie an. Gegen die medikamentöse Therapie ist ein ge¬ 
wisses Mißtrauen wegen des zugleich eiweißstörenden Effektes 
wirksamer Medikamente am Platze. 

Die Abhandlung, die durchaus persönlich gehalten ist, ver¬ 
dient das allgemeinste Interesse. Lungwitz-Berlin. 

Röntgen-Photographie. Von A. Parzer-Mühlbacher. 
Mit 8 Tafeln und 29 Figuren im Text. Zweite Auflage. Photogr. 
Bibliothek, Bd. 6. Berlin. Verlag von Gustav Schmidt. Preis 
2,50 M. 

Das Büchlein ist in erster Linie für Amateure, die sich mit 
Röntgenphotographie beschäftigen wollen, bestimmt und gibt in 
klarer, leicht verständlicher Darstellung die nötige praktische An¬ 
leitung. Besonderes Gewicht wird auf den Betrieb der Röntgen¬ 
röhren mittels Influenzmaschinen, wie er ja auch wohl gelegentlich 
für den Landarzt in Frage kommt, gelegt, und das nötige Instru¬ 
mentarium und seine Instandhaltung in anschaulicher Weise ge¬ 
schildert. 

Die Auswahl und Behandlung der Platten, die stereoskopischen 
Röntgenaufnahmen, die plastischen Röntgenbilder, das Blenden¬ 
verfahren werden ausführlich besprochen. 

Eine Anzahl recht hübscher Tafeln erläutert die vielfache 


Der abscheuliche Lebertran ! Sollte man nicht endlich den alten 
Zopf abschneiden dürfen und statt Lebertran und Tranpräparate für die 
Folge Fucol und Fucol-Präparate verordnen? Fucol wirkt doch bei 
sonst gleichen Eigenschaften energischer und schneller und schmeckt an¬ 
genehmer. Orig.-Flaschen ä l / 2 Liter kosten M. 2,—. General-Vertrieb: 
Karl Fr. Töllner, Bremen. 

F. A. Hoppen u. R. Fischer 
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Berlin SW. 13, Neuenburgerstrafle 15 

Amt IV 718. 


Amwendungsmöglichkeit der Röntgenstrahlen im Tier- und Pflanzen¬ 
reiche. Nicht besonders gelungen, weil ohne Strukturzeicbnung, 
sind die ebenfalls mit der Influenzmaschine hergestellten Auf¬ 
nahmen menschlicher Extremitäten. 

Die anregende Lektüre des Büchleins kann jedem, auch dem 
praktischen Arzte, auf das angelegentlichste empfohlen werden. 

H. E. Schmidt-Berlin. 


ALLGEMEINES. 


Versammlung der Freien Vereinigung biologisch denkender 
Aerzte ZU Wiesbaden, am 17. Oktober 1908, nachmittags 4 Uhr. 
Tagesordnung: 1. „Die neuro chemischen Korrelationen im Orga¬ 
nismus und ihre Bedeutung für Physiologie und Pathologie.“ Vortrag 
von Herrn Dr. med. Karl Bernold Martin aus Freiburg i. Br. Auch 
von den Herren Drs. Kau ff mann aus Wildungen (Winter in 
Wiesbaden), Faßbender aus Ibbenbüren i. Wfl., Spohr aus 
Frankfurt a. M. und anderen Kollegen sind Referate über die 
Beziehungen der Biologie zur Medizin in Aussicht gestellt worden, 
so daß eine bedeutende Debatte über den Gegenstand zu erwarten 
sein dürfte. Im Behinderungsfalle von Dr. Martin haben sich 
die genannten Herren als Ersatzmänner angeboten. 2 . „Ueher 
mein Lebensgesetz. u Von Dr. med. Klein schrodt vom Sana¬ 
torium Erdsegen in Oberbayern. 3. „Der Wert der Biologie üir 
die Volks Wohlfahrt.“ Vom Unterfertigten. 4. Beratung über 
Programm, zukünftige Gestaltung und Arbeitsplan der Freien 
Vereinigung. — Es wird beabsichtigt, die wissenschaftlichen Ergeb¬ 
nisse der Sitzung in einem besonderen Berichte herauszugeben, 
wozu sich der Verlag der „Therapeutischen Rundschau“, Carl 
Marhold Verlagsbuchhandlung in Halle a. S., vorläufig bereit er¬ 
klärt hat. Als Anhang könnten noch weitere Arbeiten von Mit¬ 
gliedern der Fr. V. Aufnahme finden. Auch Nicht-Mitglieder des 
ärztlichen Standes sind als Gäste willkommen. 

Harburg a. E., im August 1908. Dr. med. Bach mann. 

Hoffenden und stillenden Frauen reicht man mit größtem Nutzen für 
sich und das kommende Geschlecht einen Ersatz für den Verbrauch an 
Kalk und Phosphor in 

Geh. Rat Dr. med. Watteilbergs Phospliorkalkmilch. 

Abhandlungen und Prospekte durch 

Dr Hoffmaun Ar Köhler, Harburg. 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. H. Lungwitz, Berlin S. — Verlag: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung. Halle a ^ 
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Literatur: Prof Boas-Berlin, Kehr-Halberstadt, Pickardt- 
Berlin, Weiß-Berlin, La ndsb erg-Berlin, Zibell-München, 
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0. Anton, A. Döhrssen, C, A. Ewald, E. Friedberger, 
Halle a. S, Berlin.' Berlin. Berlin. 

H. Schlange, Ad. Schmidt, H. Schmidt-Rimpler, 

Hannover. Halle a. S. Halle a. S. 


Redaktion: 

Berlin S. 14, Presdenerstr. 44. Tel. iv, 11773. 
Dr. med. et phil. H. Lungwitz. 


Herausgegeben von 



P. Gerber, M. Koeppen, M. Mosse, K. Partsch, H. Rosin, 
Königsberg. Berlin. Berlin. Breslau. Berlin. 

H. Senator, R. Sommer, H. ünverricht, 0. Vulpius, 

Berlin. Gießen. Magdeburg. Heidelberg. 


Verlag u. Expedition: Carl Marhold Verlagsbachhandlang 
in Halle a. S., Reilstraße 80. 

Tel.-Adr.: Marhold Verlag Hallesaale. Fernsprecher 823. 


Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte der Ostsee and der 

Ereien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 


II. Jahrgang. 


Halle a. S., 13. September 1908. 


Nr. 37. 


. 1 Die „Therapeutische Rundschau“ erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2M, einzelne Nummer 20 Pf. Bestellungen nehmen jede Buchhandlung, 
die Post, sowie die Geschäftsstelle: Carl Marhold Verlagsbuchhandl ung in Halle a. S. entgegen Inserate werden für die 4gespaltene Petitzeile oder deren Raum 
mit wi pf berechnet Beilagen nach Uebereinkunft Reklaniezeiie 1*50 M, Bei größeren Aufträgen wird Rabatt gewährt. 

■ Nachdruck der Srigin^-AufsStze Ut oline Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. - Nachdruck der anderen Rubriken ist nur mit Quellenangabe gestattet. 


Inhalt. 


1. Originalieu: 

1. G. Reimer, Lage i. L.: Elektizismus in der Medizin . 


. 545 


II. Referate: 

1. H. Landau, Berlin: Chirurgie.. 548 

2. M. Pickardt, Berlin: Magren-, I)arm- und Stoffweckselleiden 550 

3. W. Esch, Bendorf a. Rh.: Biologische Therapie.551 


III. Mitteilungen über Arzneimittel: 

1. W. Krügerj Magdeburg: Referate.553 

IV. Technische Neuerscheinungen: 

M. Pliem, Berlin: Hörtelephon für Schwerhörige.554 

V. BUcherbesprechuug; 

F. Meudel, Essen: Die Fibrolysinbehandlung (Ref : W. Krüger, 
Magdeburg).555 

VI. Allgemeines.555 



Eklektizismus in der Medizin. 

Eine historisch - therapeutische Studie. 

Von Dr. G. Reimer, Lage i. L. 

Es hat von jeher dem Menschen das Bedürfnis inne¬ 
gewohnt, in Fällen von Krankheit und Leid Hilfe und 
Mitleid unserer Mitmenschen zu suchen und in Anspruch 
zu nehmen, wie andererseits dem Erkrankten, Hilflosen in 
seinem Leide Trost und Hilfe zuteil werden zu lassen und 
die bestgemeinten Ratschläge für seine Genesung zu erteilen. 

Diese gute Absicht ist sicherlich auch bei der Menschheit 
des Uralters vorhanden und Ursache gewesen, daß sie in 
primitiver Form Mittel suchten, um die Schmerzen zu lindern 
oder erlittene Wunden zur Heilung zu bringen, z. B. daß sie 
den fieberglühenden Körper mit Wasser labten oder mit kühlenden 
Blättern oder Gras bedeckten usw. 

Die Medizin bei den heutigen von der Kultur noch unbe¬ 
leckten Naturvölkern, von der wir mancherlei Interessantes 
durch die Forschungsreisenden erfahren, hat ohne Zweifel 

f *nße Aehnlichkeit mit der Höhe der Entwicklung, auf der die 
ölker der Erdteile im grauen Altertume standen. Der Medizin¬ 
mann ist meistens zugleich- Priester oder aus diesem Stande 
hervorgegangen, der sich durch größere Intelligenz vor seinen 
Stammesgenossen ausgezeichnet, dem man das Vertrauen ent¬ 
gegenbringt, daß er mit der Gottheit in Verkehr stehe und 
der Gottheit Hilfe vermitteln könne. 

Nicht selten wählt sich dieser Medizinpriester auch den 
einen oder anderen aus, den er in seine Geheimnisse einweiht 
und zu seinem Nachfolger erzieht. Der Neuling kann nur 
langsam stufenweise den höheren Grad erreichen und muß 
dazu häufig förmlich einen Befähigungsnachweis erbringen. 
Gelingt es einem dieser Anwärter, sich auf diese Weise das 


Vertrauen des Stammes zu erringen, dann allerdings ist sein 
Einfluß ein ganz unbegrenzter, unglaublicher auf die Einbildung 
der blind glaubenden und gehorchenden Massen. 

Der Medizinmann pflegt nicht einfach darauf los zu be¬ 
handeln, sondern sucht erst die Ursache der Krankheit zu 
erforschen, und nach der Aetiologie der Krankheit richtet sich 
die Behandlung. 

Hat ein Dämon von dem Kranken Besitz genommen, so 
versucht er es, ihn durch Bitten und Schmeicheln oder durch 
Fasten und Beten oder durch Drohen und Schelten, je nach 
der Gottheit, zum Verlassen seines Opfers zu veranlassen ; glaubt 
er in der Krankheit eine Strafe zu erkennen, die ein Gott ge¬ 
schickt. so hilft natürlich nuKBeten und Opfern, hat ein Gott einen 
Teil des Körpers, die Seele oder das Nierenfett geraubt, so 
muß er versuchen, ihm dieses wieder abzujagen oder durch 
Ueberlistung zurückzugewinnen, hat ein Feind die Verhexung- 
fertig gebracht, dann gilt es, einen kräftigen Gegenzauber anzu¬ 
wenden. Zauberformeln, die kein anderer, zuweilen er selbst 
nicht versteht, murmelnd oder singend, muht er sich um den 
Kranken, bis derselbe, förmlich hypnotisiert. Zeichen der 
Besserung zu erkennen gibt. Seine sonstigen Mittel bestehen 
z. B. in mehr oder weniger kräftiger Massage, die bis zum 
Klopfen, Schlagen, Geißeln, Treten des Kranken sich steigert, 
in Anwendung von Wasser, meist in der Form, daß der 
Medizinmann mit seinem Munde, den er voll Wasser nahm, den 
Körper des Kranken oder das erkrankte Glied bespritzt, so daß 
die rasche Verdunstung eine Abkühlung erfolgen läßt. Auch 
Arzneien wenden sie an in Form frischer Säfte aus Pflanzen 
oder als Infuse und Dekokte. sogar Salben, Pulver und Pillen 
stellen sie her aus Pflanzen, deren abführende oder brech¬ 
reizende, blasenziehende oder lindernde Wirkung sie kennen 
gelernt haben. 

Daß sie über die Ansteckungsgefahr z. B. Lepröser oder 
Darmkranker nicht im Unklaren sind, beweist der Umstand, 
daß bei manchen Völkern abgesonderte Orte und Hütten be¬ 
stehen, in denen diese Kranken zwangsweise untergebracht 
und bewacht werden. 

Wie heute noch bei den Naturvölkern, so stand im Alter¬ 
tume die Heilkunst in innigem Zusammenhang mit dem reli- 


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reran a pmmaflnB 'srnmimri 


546 THERAPEUTISCHE' RUNDSCHAU, '• * f* 

--- — • " ; • 

giösen Kultus. Bei den verschiedenen Seuchen, die schon die Ausbildung, der Chirurgie, sich : nich$ gelinge Vefd^eriätei ^ 

damals nachweislich grassierten und den dagegen Wehrlosen erworben. Ein Eklektiker feinster-Art •war 'Asklepiades (12$ -|5j 
gewaltigen Schrecken ein jagten, wandten sie sich angstvoll und bis 56 v. Chr.), dem es gelang, iü Rom, wohin ? er nach Studien 
hilfesuchend an ihre Götter durch Vermittelung der Priester, in Athen mittellos einwanderte, der bis dahin durch. Sklaven 
Die Antworten und Ratschläge dieser klugen Priester nahmen iind Freigelassene in Verruf gebrachten Medizin 'durch sein . 
sie hin als eine Offenbarung der Götter. Erst mit erwachender feines Auftreten und vertrauten Verkehr * mit den Gebildeten, 
Intelligenz trennte sich eine besondere Priesterkaste ab, die z. B. Cicero, Achtung zu verschaffen und den Ruffeln es .aus* 
sich nur mit Krankenbehandlung befaßte, jedoch immer noch gezeichneten Arztes zu gewinnen. Von ihm stammt *das be- 
auf theurgisch-mystischer Grundlage. Die ältesten Dokumente kannte „Cito, tuto, jucunde“. Aus der in Rom blühenden 
medizinischer Lehre stammen von den alten Indern, etwa aus demokritisch-epikureischen Lehre und seinen griechischen . Er¬ 
dern Jahre 1000 v. Chr.; es ist dies der von Susrutas in fahrungen kombinierte er sein Lehrsystem, wonach der Körper- 
Sanskritschrift verfaßte Ayur-Veda. Dies Werk gibt uns Kunde aus unzähligen Poren bestehe, die durch die Atome in Ver- 1 
von einem Hochstande medizinischen Könnens, das dem unseres bindung ständen, in denen sich die Safte des Körpers bewegten. 
Mittelalters kaum nachstand. Außerordentlich groß ist darin die Stockung der Atome in den Kanälen, sowie Erweiterung und 
Fülle der diätetischen Vorschriften und der Inhaltder Arzneimittel- Verengerung derselben und Vermischung der flüssigen und 
lehre, die sowohl die Pflanzenstoife, giftige und ungiftige, als 'geistigen Stoffe bildeten die Ursache der Krankheiten, 
auch mineralische Mittel reichlich enthielten. So kannten sie In seiner konsequenten Therapie spielten die bis dahin 

gegen den giftigen Schlangenbiß nicht bloß wirksame Gegen- üblichen Arzneimittel eine nebensächliche, diätetische Ma߬ 
gifte, sondern legten den größten Wert auf die chirurgische regeln dagegen die Hauptrolle, er bediente sich in fieberhaften 
Behandlung, Abbinden der Extremität, Ausbrennen der Wunde Krankheiten, wie er sagte, des Fiebers selbst als Heilmittel, 
usw. „Nur die Vereinigung der Medizin und Chirurgie' 1 , sagt dem er mit Hungern und F'asten, Wasser trinken, Bädern und 
S^usrutas, „bildet den vollkommenen Arzt. Der Arzt, dem die Massage zu Leibe ging. Durch die Reibungen sollte ja die 
Kenntnisse des einen dieser Zweige abgehen, gleicht einem Vogel Beweglichkeit der stockenden Atome wieder hergestellt werden, 
mit nur einem Flügel. u So kannten sie nicht nur und besaßen auch kannte er die einschläfernde Wirkung des gelindesten 
viele Instrumente, die auch wir jetzt noch anwenden, z. B, die Streichens mit den Fingern (Hypnose), die Hydrotherapie soll 
Messer zur Abszeßöffnung, Spekula zu innerer Untersuchung, nicht selten drastisch von ihm in Form von kalten Sturz- und 
Nadeln, Knochensäge, Schröpfköpfe, Lanzetten, mit denen sie in Regenbädern angewandt sein. Von den Schriftstellern werden 
genau beschriebener Art Aderlässe Vornahmen, sondern sie auch seine hohen.Kenntnisse des in Rom epidemischen Wechsel¬ 
operierten auch gutartige und bösartige Geschwülste, die sie fiebers, der verschiedenen Formen der Wassersucht, die An¬ 
genau diagnostizierten, eröffneten Abszesse der Brustdrüse mit Wendung der Tracheotomie und Parazentese gerühmt. Seinem 
Schonung der Milchgänge, heilten Teleangiektasien durch Beispiel und seiner Lehre folgte die Schule der Methodiker. 
Unterbindung heilten Frakturen, die sie durch Krepitation von Von deQ Enzyklopädisten der römischen Kaiserzeit hat 

Luxationen unterscheiden konnten, la sogar die Lithotomie, bei s i c h Celsus (30 v. Chr. bis 40 n. Chr) vorzüglich als Eklek- 
h rauen mit dem Blasenscheidenschnitt, Fisteioperationen des tiker bewährt und einen Namen gemacht. - Er schrieb sein 
Darmes führten sie aus und wagten mit Erfolg Parazentese des gro ß 6S Werk „de artibus“, in dem er über Medizin, Landwirt- ' 
Leibes, Lapaiotomie und Darmnaht. Schaft, Rhetorik und Kriegskünste in glänzender Sprache Altes 

Der ärztliche Stand war in allerhöchstem Ansehen, es und Neues behandelt, nicht nur für Aerzte, sondern auch für 
durfte sich demselben nur einer aus der allerersten Kaste Gebildete anderer Berufe. Ausgestattet mit gründlichen medi- 
widmen, den man bezüglich seiner körperlichen, geistigen und zinischen Kenntnissen und philosoph.isch.er Bildung verstand es 
moralischen Eigenschaften für würdig dazu erachtet hatte. Es Celsus, sich über die Parteien zu stellen, und von diesem 
herrschte ein starrer Dogmatismus, die Fortschritte, die einer höheren Standpunkte aus erkannte er die Vorzüge des Hippo- 
verntinftigen Empirie entsprangen, wurden als Geschenk der kr a tischen Dogmatismus und der den Lehren des Askle- 
Götter, als deren Offenbarung angesehen, und doch mag es piades folgenden methodischen Schule an, beleuchtete aber 
unter diesen klugen Männern manch einen gegeben haben, treffend ihre Fehler und Schwächen. Auch Athenaeus (60 
der es verstand, aus dem reichen Wissensschatze seiner Vor- Chr.) versuchte die Theorien der Dogmatiker, Methodiker 
gänger zu schöpfen und in geeigneter Form für seine Kranken und Naturphilosophen von höherer Warte aus eklektisch zu 
zu verwenden. sichten und in der Lehre von dem Pneuma zu vereinen: das 

Die Griechen führten die Ursprünge der Heilkunde zurück WeIts ° el 5 fl durch deren Ausflüsse 

auf Asklepios (Aesculap), der gegen 1200 v. Chr. gelebt haben T T “v f blldet ^ 

soll, und den sie wegen seinfs hervorragenden Wirkens als LT!!! 01 man daher aUgemem mit 
einen Gott verehrten, dem zu Ehren in den folgenden Jahr- lbr ? El .°Jf n f g als eklektls . c 5e Schule, 

VmnrlprfAn vatiiraiphp Tnmnoi __.. j _ öle die letzte der Schulen des Altertums gewesen ist. 


hunderten zahlreiche Tempel gegründet wurden, in denen ® tili %1, ,• Altertums gewesen ist. 

K "” k ! *r‘. *» w—. «•■>■»*» «™—. ÄlÄ K ä .“Äht k ; r ; K:C; 

Für die tiefere Entwickelung der Heilkunde war das Lehren die die Heilkunde ausübten und die sich, jeder von der Rich- 
und Wirken des Hippokrates (400 v. Chr.) von nachhaltigem tigkeit und Berechtigung nur seiner Lehre überzeugt, voll Gift 
Einfluß. Er unterschied als Ursachen der Krankheiten äußere, und Galle anfeindeten und bekämpften, als Galen (131 bis 201 
von dem Willen des Menschen unabhängig eintretende n. Chr.) auftrat. Er sah mit offenem Auge die Schäden, die 

('Klima. Jahreszeit.An LehensalfAr rmrl n .— i t xt : ___ j •_ _ 


(Klima, Jahreszeiten, Lebensalter und epidemische Einflüsse), ein solches fruchtloses Zanken für die Wissenschaft und eine 
und von dem Willen des Menschen abhängige Schädlich- segensreiche Therapie haben mußte, und faßte den Plan, die 
keiten, hauptsächlich diätetische Einflüsse, die geeignet seien, Wissenschaft zu reformieren, indem er sich gegen alle diese 
die „Krasis u der Kardinalsäfte zu verändern und durch Ueber- Systeme zusammen wandte. 

fluß oder Mangel an Blut, Schleim, gelber oder schwarzer Er entnahm der Methode des Hippokrates die Beob- 

Galle, zuweilen auch des ^nvtvf.ta“ sich äußerten. Aus seinen achtung, stellte sie aber auf wissenschaftliche Basis einer ge- 
Lehren entwickelte sich die dogmatische Schule, der nach nauen Anatomie und Physiologie, die beide seit den Zeiten der 
kurzer Zeit die empirische Schule gegenübertrat. Während Alexandrinischen Schule wohl Fortschritte gemacht hatten, deren 
die dogmatische Schule in Spitzfindigkeiten über Naturphilo- Fortschritte aber der praktischen Heilkunde nicht zugute^ ge- 
sophie und leeren Hypothesen sich verlor, lief die empirische kommen —— - 11 M - - 1 


Schule die Gefahr trostloser Handwerksmäßigkeit, da sie die Er¬ 
fahrung nicht als Quelle, sondern Zweck ihres Wissens be- 


da sowohl die empirische wie methodische 


Schule sich mit aller Kraft gegen deren Einfluß gewehrt hatten 
und lediglich auf theoretischen Voraussetzungen bauten. Es 


trachtete und jede Theorie verachtete. Doch hat sie war sein großer Gedanke, Theorie und Praxis' durch sein philo- 
durch genaue Symptomatologie und durch die Lehre von den sophisches System zu verbinden, wodurch es ihm gelang, für 
Indikationen und Wirkungsweise der Arzneien sowie durch jede Frage .eine passende Antwort zu finden, indem er die 




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190b 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU 


547 



Emzelbeobachtungen so oft und so lange drehte, bis sie eben in 
sein System paßten. 

Dieses formvollendete System hatte die Gefahr freilich 
und hat sie anderthalb Jahrtausend bewiesen, daß von nun 
an jede selbständige fortschrittliche Forschung unterdrückt 
wurde. 

Man kann Galen den größten Anatom und Physiologen 
des Altertums nennen. Durch Zergliederung von Tieren, ge¬ 
fallenen Kriegern und Verbrechern, die den wilden Tieren vor¬ 
geworfen waren, fügte er der Kenntnis der Knochen noch die¬ 
jenige von der ernährenden Knochenhaut, den Knorpeln und 
Bändern, den Muskeln und Verzweigungen der Blutgefäße mit 
ihren drei Häuten hinzu. Vor allem imponiert seine Nerven¬ 
lehre über den Ursprung der sieben Gehirnnerven und deren 
Verlauf, die Häute des Gehirns und Rückenmarks, sowie die 
Anatomie des Herzens und der Blutgefäße. 

Das bekannte „Contraria contrariis tt , d. h. es müsse dem 
Kranken ein direkt entgegenstehender Zustand herbei ge führt 
werden, stammt von Galen. Er lehrte auch, daß die Unter¬ 
lassung des Aderlasses im allgemeinen weniger schade als 
dessen Mißbrauch, wie er von manchen Aerzten im Beginn 
jeder Krankheit gebräuchlich sei. Neben Bädern, Salbungen, 
aktiver und passiver Massage wandte er eine ganze Anzahl 
von Arzneimitteln an, sowohl einzeln wie in den verschieden¬ 
sten Zusammensetzungen. 

Von der Entwickelung der Medizin bei den Arabern im 
Mittelalter ist wenig an dieser Stelle zu sagen, noch weniger 
von der des Abendlandes, die fast gänzlich in den Händen von 
Mönchen sich befand, die den Aberglauben der Kranken nicht 
unterdrückten, sondern ausnützten. Erst als die Reformation 
im 16. Jahrhundert neues Leben und helleres Licht verbreitete, 
gelang es, dirrch Wiederentdeckung der verbotenen und 
inzwischen verlernten Anatomie die Medizin von den Fesseln 
der Scholastik zu befreien, in denen sie Jahrhunderte lang ge¬ 
legen. Welchen Tiefstand die Heilkunde noch am Ende des 
16. Jahrhunderts zeigte, davon zeugt ein schweinsledernes, ge¬ 
drucktes, dickes Handbuch eines Dr. Wittichius, das 1601 
von diesem Stadtmedikus zu Arnstadt herausgegeben wurde, 
dessen tolle und ekelhafte Verordnungen wahrhaft Mitleid ein¬ 
flößen können, wenn man bedenkt — wie Ausrufungszeichen 
und Fragezeichen an dem Rande des Druckes beweisen —, daß 
diese Verordnungen nicht bloß mit Andacht gelesen, sondern 
auch gewissenhaft befolgt wurden. 

Dieser edle Menschenfreund empfiehlt — das Buch, dick 
wie eine Bibel, ist seinem Kurfürsten gewidmet — gegen 
Pleuritis 2 handvoll Pferdemist mit Ingwer gestoßen, in ein 
leinen Tuch gewickelt und zugeschlagen, in einem neuen Topf 
mit 1V 2 Maß Wein begossen, zum Drittel einzukochen. Davon soll 
der Kranke „einen guten Trunk“ alle Morgen trinken und 
warm zugedeckt zum Schwitzen gebracht werden. „Ein o- u t 
Experiment“ freilich, da muß einem der Angstschweiß aus¬ 
brechen. Gegen Unsinnigkeit hilft Gehirn eines Widders, gegen 
Milzschwellung Hirschzungen, gegen Nierensteine gebrannter 
Hase, gepulvert und mit den verschiedei\en Kräutern vermischt. 
Ein gut Experiment wider das Podagra : Nimm den Harn von 
einem unbefleckten jungen Knaben, destilliere ihn, darnach leg 
zerstoßen Knoblauch hinein, vermach das Geschirr oben wohl 
zu, putrificiers 4 Tage nacheinander, alsdann destilliers zum 
andern mal, dies Wasser lindert den Schmerzen des Podagra 
wunderlich mit einer Feder darauf gestrichen. Die PiluTae 
imperiales Arnoldi — man kann sie Alllieilpillen nennen —' 
bestehen aus nicht weniger als 35 verschiedenen Mitteln der 
Apotheke, die alle genau abgewogen und vermengt gegen un¬ 
gefähr alle möglichen Krankheiten von unzweifelhafter Wirkung 
sind. Nasenbluten wird gestillt, indem Schweinsdreck, so warm 
er von den Schweinen kommt, für die Nase gehalten wird. 

Und doch hatte schon länger als 50 Jahre vor Erscheinen 
dieses Buches eine Reformation auch der Heilkunde eingesetzt, 
veranlaßt teilweise durch das Wiedererblühen des geistigen, 
politischen und sozialen Lebens nach der Entdeckung von 
Amerika, teilweise durch das Auftreten von Seuchen und Krank¬ 
heiten, von denen die Syphilis als neue Erscheinung durch 
ihren schreckenerregenden Umfang und ihre unbekannten Ursachen 




Aerzten und Gelehrten gleicherweise ein schwer lösbares Rätsel 
aufgab. 

Den Anfang hatten die Neuforschungen des Vesalius 
(1514 bis 1565) auf dem Gebiete der Anatomie gemacht, der 
sich im Gegensatz zu anderen Anatomen, von denen es 
schon mehrere gab, nicht damit begnügte, seine Funde der 
Lehre Ga lens anzupassen und einzugliedern, sondern den 
echten Mannesmut besaß, der ihn auch nach dreijähriger Tätig¬ 
keit in Padua seinen Lehrstuhl kostete, offen heraus zu sagen, 
was seiner Ansicht nach falsch war an den Befunden Galens; 
er war nahe daran, den Blutkreislauf zu entdecken, es gelang 
ihm jedoch nicht, sich frei zu machen von der alten Galen^ 
sehen Weisheit, daß das Blut in der Leber gebildet wurde. 
Auf den Grundmauern dieser neuen Anatomie konnte jetzt die 
Chirurgie weiter bauen, die infolge der durch die Schußwaffen 
geschaffenen Wunden sich auch vor Fragen gestellt sah, auf 
aie sie von dem alten Galen keine Beantwortung erwarten 
konnte. Da half der Eklektiker Paracelsus (1493 bis 1541) 
oder auf gut deutsch von Hohenheim die Bresche vollenden. 
Er hatte offenen Auges während seiner Lehr- und Wander¬ 
jahre fleißig gearbeitet, auf den Universitäten, in den scho¬ 
lastischen Wissenschaften, der Naturwissenschaft und Philo¬ 
sophie, er hatte nicht bloß in den Fuggerschen Hüttenwerken 
die Alchemie, als Wundarzt verschiedener Heere Chirurgie ge¬ 
lernt, sondern er schöpfte, wo er konnte, auch „bei den Schee- 
rern, Badern, Weibern, Schwarzkünstlern, bei den Alchvmisten, 
Klöstern, bei Edlen und Unedlen, bei Gescheidten und Ein- 
feltigen“. Er trug zuerst in deutscher Sprache vor und ver¬ 
brannte öffentlich die Bücher Galens zum Zeichen seines 
Widerspruches. Seine Verdienste sind, daß er die Chemie dem 
Arzneischatze dienstbar machte und daß er den Gedanken aus- 
sprach, der erst viel später Wirklichkeit wurde, die Therapie 
durch die „Areana‘‘ nicht gegen die Krankheitssymptome, sondern 
gegen die Krankheitsursachen wirken zu lassen. 

Das Zeitalter Galileis im 17. Jahrhundert brachte dann 
mit einem phänomenalen Aufschwung der mathematischen und 
Naturwissenschaften statt mystischer Auffassung einen cresunden 
Realismus. 

Die Erfindung des Mikroskops und des Thermometers, die 
n0 u gefundenen Gesetze von Wärme, Schall, Polarisation u. a. 
ermöglichten jetzt erst einwandfreie exakte Untersuchungen, 
die hohe wissenschaftliche Erfahrung und Beobachtung zeitigten. 
Aber für die Therapie (her Krankheiten kam bei °allen ^den 
geistreichen Forschungen und rastlosen Arbeiten hervorragender 
Köpfe wenig.heraus; eine Irrlehre folgte der anderen, man 
drehte sich wie im Kreise auch im 18. Jahrhundert, trotz 
Gründung von Kliniken. Es gab wohl Männer, wie Frank 
und Hufeland, die ihre Stimme erschallen ließen: zurück 
zur Natur! aber nur ein leises Echo fanden sie an dem Wall 
ihrer Kollegen, deren gewaltige Mehrzahl noch von philosophi¬ 
schen Anschauungen umfangen war und sich in komplizierter 
Rezeptschreiberei hinwegtäuschte über Ursachen und Zusam¬ 
menhang der Krankheiten. 

So war der Grund und Boden beschaffen und vorbereitet, 
in dem ein neugepflanztes Bäumchen seine Wurzeln entwickeln 
lassen und allmählich sich auswachsen konnte zu einem statt¬ 
lichen Baume, der sich nun nicht mehr in seinem Wachstum 
aufhalten und unterdrücken ließ. Samuel Hahnemann, 
geboren in Meißen 1755, gründete gegen Ende des 18. Jahr¬ 
hunderts ein neues Heilverfahren, die Homöopathie. Er glaubte 
durch Versuche mit der Chinarinde, deren Entdeckung 5 schon 
einige Jahrhunderte vorher zu Paracelsus Zeiten mächtig 
an dem morschen Gebäude des Galen gerüttelt hatte, an 
seinem eigenen Körper gefunden zu haben! daß sie bei dem 
gesunden Organismus Symptome hervorrufen, ähnlich denjenigen 
bei Wechselfieber, und trat im Gegensatz zu Galens ,.Con- 
traria Contrariis“ mit der Theorie auf „Similia Similibus“.' d. h. 
nach den Symptomen, den äußeren Anzeichen der Krankheit, 
solle dasjenige Mittel gewählt werden, das an dem gesunden 
Körper dieselben oder ähnliche Veränderungen hervorriefe. 

Er wollte also nicht, wie Hu fei and, daß die Natur selbst 
die Krankheit überwinde und der Arzt nur der Diener oder 
Handlanger der Natur sein solle, sondern er hatte die Absicht 




THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 37 


im erkrankten Körper eine ähnliche Krankheit zu schaffen, 
seine Heilmittel sollten eine krankheitserregende Potenz dar¬ 
stellen, diese so geschaffene Gegenkrankheit sollte die Krank¬ 
heit aufheben. Seine Mittel entnahm er dem Arzneischatze der 
damaligen Medizin, er verwandte Essenzen, hergestellt durch 
Auspressen des Saftes frischer Arzneipflanzen und Vermischung 
mit Gleichen Teilen Weingeist, Tinkturen aus getrockneten 
Drogen, durch Ausziehen mittels der fünffachen Gewichtsmenge 
Weingeist oder durch Lösung chemischer Substanzen, die im 
Wasser oder Weingeist löslich sind, während unlösliche Prä¬ 
parate zu Verreibungen bereitet wurden mit Milchzuckerzusatz 
in gleichem Verhältnis. Nach anfänglich üblicher Zentesimal- 
skaTa gingen seine Anhänger, da sie keine Erfolge bei diesen 
übertriebenen Verdünnungen mehr sahen, später zu der 
Dezimalskala bei der Potenzierung und Verreibung über. d. h. 
die 1. Potenz enthält 1 / l0 der Arznei = 0,1, die 2. Potenz = 0,01, 
die 3. Potenz = 0,001 usw. Seine Lehre bedeutete gegenüber 
den ungemein komplizierten Rezepten seiner allopathischen 
Kollegen, wie er sie benannte, eine deutlich erkennbare Ver¬ 
einfachung, die jedem Kranken auffallen mußte, denn er ver¬ 
mied es von vornherein, Arzneigemische anzuwenden, sondern 
riet möglichst mit einem Mittel auszukommen, wenn man 
dessen Wirkung vorher sich klar gemacht hätte. Vor allem 
sicherte seinem System einen Erfolg der Umstand, daß er, 
wenn auch gänzlich unbewußt, Rückkehr hielt zur Naturheilung 
durch o-enaue Vorschrift einer einfachen blanden Diät, da er 
bei ungeeigneter scharfer Kost für die Wirksamkeit seiner 
schwachen Gaben fürchten mußte. 

Wenn Hahnemann auch den Anlaß zur Gründung seines 
Systems dem Studium der Schriften Paracelsus, und Cul- 
lens verdankt, aus denen er den Ausdruck Similia Similibus, 
der dort vorkommt, entnommen hat, so ist er doch mehr 
orio-inell als Eklektiker; anders Rademacher, „der Alte 
von Goch“, der in der Absicht, die Medizin von den Aus¬ 
wüchsen des Brownianismus und der Naturphilosophie zu be¬ 
freien, noch 1843 seine „verstandesrechte Erfahrungshelllehre“ 
schrieb, in der er wesentlich aus Paracelsus und Sydenham 
schöpfte, um schließlich zu dem schlimmen Fehler des Herum¬ 
probierens zurückzukehren. Nach ihm begegnen wir noch 
einmal einer Gruppe von Eklektikern, die aber auf steuerlosem 
Schiffe hilflos therapeutischem Nihilismus entgegentrieben, so | 
daß einer der besten von ihnen, Stieglitz, 1840 trostlos 
sprach: „Die deutsche Medizin ist so gesunken und erschlafft, 
daß ihr jede Aufrüttelung heilsam sein muß, alles, was sie in 
neue Bahnen versetzt, selbst wenn diese reich an Irrtümern und 
Verkehrtheiten sein sollten.“ 

Schon ließ die Morgenröte des nahenden Tages ihre ersten 
Strahlen hervordringen, ohne daß dieselben gleich überall be¬ 
achtet wären. Wieder war es die Anatomie, diesmal die patho- 
logische Anatomie, die unter Rokitansky in der Wiener 
Schule durch mikroskopische Forschungen bahnbrechend hervor¬ 
trat. Seinem Beispiel folgte in Deutschland Virchow, der 
Beo-ründer der Zellularpathologie. Er legte in klarster Weise, 
durch seine peinlich exakten mikroskopischen Untersuchungen 
für jedermann verständlich fest, daß wie von Schwann die 
Pflanzenzelle als Grundbestandteil jeder Pflanzenbildung, so die 
Zelle auch für die tierischen und menschlichen Wesen die 
Urform sei, auf deren Lebensbetätigung alles zurückzu¬ 
führen sei. . . , . . , „ 

Mit einem Schlage nahm die Anatomie durch bchatiung 
der Histologie ein ganz neues verändertes Aussehen an, die 
mikroskopische Pathologie gewährte einen Einblick in die 
Krankheitsursachen und -Zusammenhänge, der bis dahin neu 
gewesen. ... _ r , . , 

Auch die Physiologie, die schon durch innige Verbindung 
mit der Naturwissenschaft und der gut ausgebildeten Chemie 
im Aufblühen begriffen, bemächtigte sich dieser Forschungen 
und baute auf dieser Basis unter Hoppe-Seyler und Dubois- 
R e y in o n d unumstößliche biologische Lehren. War es 
Virchow gelungen, den Tuberkel als den Träger der Tuber¬ 
kulose zu erkennen, so wies der Bakteriologe Koch durch 
seine Färbungsmethode nach, daß der Tuberkelbazillus solche 
Tuberkel hervorriefe, und es gelang ihm, nicht bloß diesen 


Bazillus, sondern auch den Cholerabazillus durch seine Rein¬ 
kulturen zu züchten und zu isolieren. Dann ging er weiter 
und stellte aus den Ausscheidungsgiften solcher Tuberkel¬ 
kulturen Serumstoffe her, um mittels derselben die Krankheit 
zu heilen. Zwar mißlang ihm der erste und zweite Versuch, 
aber daß seine Theorie gegenüber der Tuberkulose richtig, das 
zeigte Behring, dem es gelang, in analoger Weise ein Heil¬ 
mittel gegen die Diphtherie zu gewinnen, indem er das Blut¬ 
serum von Tieren verwandte, die er gegen das Diphtheriegift 
immun gemacht hatte. (Fortsetzung folgt) 



REFERATE. 


Chirurgie. 

Referent: Spezialarzt Dr. Heinrich Landau, Berlin. 

1 Operative Behandlung des Lungenemphysems. Von L. 
Müller. Zentralbl. f. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., 1908, Nr. 9. 

2. Das Gebiet der ambulatorischen Operationen. Von Jul. 
Sternberg. Med. Klinik, 1908, hr. 24. 

3. Ueber Gelenktransplantation. Von Erich Lex er. Ibidem, 
Nr. 22. 

4. Ueber Ellbogenresektionen mit Erhaltung der Beweg¬ 
lichkeit. Von V. Schmieden. Berl. klin. Wochensehr., 1908, 

Nr. 33. 

5. Zur Frage der Hirnpunktion. Von Fedor Krause. 

Ibidem, Nr. 29. 

6. Der plastische Ersatz von traumatischen Defekten der 
Ohrmuschel. Von Schmieden. Ibidem, Nr. 31. 

7. Operation von tiefliegenden Zungenabszessen. Von A. 
Brunk. Deutsche med. Wochenschr., 1908, Nr. 23. 

8. Ueber die Behandlung von Fingerfrakturen. Von P. 
Ewald. Ibidem. 

9. Zur Technik der Nadelextraktion. Von Carl Ha eher - 
lin. Münch, med. Wochenschr., 1908, Nr. 32. 

10. Bemerkungen zur Behandlung der Hydrozele. Von 

Heinrich Mohr. Ibidem. 

11. Zur Radikaloperation der Leistenbrüche. Faszienknopf ¬ 
nähte. Von Hackenbruch. Ibidem. 

12. Die Operation von Leisten- und Schenkelhernien in 
lokaler Anästhesie. Von A. Nast-Kolb. Ibidem, Nr. 33. 

13. Die Technik der Geh-Gipsverbände. Von James 
Fränkel. Ibidem. 

1. Die von Freund vorgeschlagene Operation (Durchschnei- 
dung der oberen Rippenknorpel, um die obere Brustkorböffnung 
beweglicher zu machen) ist bereits mehrmals bei Emphysem mit 
starrer Brustkorberweiterung erfolgreich ausgeführt worden. Es 
lassen sich nach Müllers Sammelreferat folgende Ergebnisse fest¬ 
stellen: Die Operation ist von unverkennbarem Nutzen, auch wenn 
sie nur auf einer Seite ansgeführt wird; sie ist weder technisch 
schwierig noch — unter örtlicher Schmerzbetäubung für den 
Kranken allzu eingreifend. Zeitpunkt der Wahl ist das Auftreten 
von Atemnot bei mittleren, spätestens bei ganz leichten An¬ 
strengungen. Auch sekundäre Herzinsuffizienz schließt Möglich¬ 
keit und Erfolg des Eingriffs nicht aus. 

2. Ob ein Eingriff ambulatorisch vorgenommen werden kann, 
hängt in erster Linie natürlich von der Möglichkeit ab, den 
Kranken nachher nach Hause zu schicken, dann aber noch von 
anderen Erwägungen z. T. rein ärztlicher Art. So wird man 
Leute, die zu Hause ohne Pflege sind, auch wegen verhältnis¬ 
mäßig geringer Eingriffe lieber im Krankenhaus aufnehmen, wenn 
strenge Bettruhe erforderlich ist; man wird keine ambulante 
Plastik machen, wenn irgendein Familienglied ein Erysipel hat, 
und ebensowenig bei dem Kinde einer Hochschwangeren ein Em¬ 
pyem operieren. Sonst aber ist mit Hilfe sorgfältiger Asepsis 
und unter Anwendung der örtlichen Betäubung, des Aetherrausches 
u. dgl., sowie großer , möglichst fixierender Verbände — die bei 
ambulanten Kranken viel größere Bedeutung haben, als auf der 
Station — der Kreis der ambulatorischen Operationen sehr weit zu 


Kbl I T Uh MILHIÜAN 


rHTüÄlT 




1908. 


THEK APEUTISCHE RUNDSCHAU. 


549 


ziehen: es gehören dazu die meisten Operationen an Kindern, die 
meisten Eingriffe der Ohren-, Nasen-, Hals-, z. T. auch der Augen¬ 
ärzte; selbst Strumaoperationen, Halslymphome, Mamma-Amputa¬ 
tionen mit Achseldrüsenausräumung sind, wie Ref. bestätigen kann, 
bei entsprechender Auswahl der Fälle unbedenklich ambulant zu 
operieren. 

3. Lexer ist es Schritt für Schritt gelungen, erst Gelenk¬ 
knorpelscheiben , dann Gelenk-Enden von Knochen („halbe Ge¬ 
lenke“) und schließlich ganze Gelenke (Kniegelenke), in einem 
Falle sogar samt Kapsel, zu transplantieren und an ihrer neuen 
Stelle zur dauernden Einheilung zu bringen. Diese schönen Er¬ 
folge widerlegen die Erfahrungen des Tierversuchs, in dem derart 
überpflanzter Knochen regelmäßig nach längerer Zeit schwindet. 
Lexers Fälle sind u. a. tuberkulös versteifte Knie, die durch 
die Transplantation passiv beweglich geworden sind; zur aktiven 
Beweglichkeit fehlte natürlich die Tätigkeit der kontrakt ge¬ 
wordenen Muskeln. Bei einem Sarkom der oberen Tibia-Epihyse 
ersetzte L ex er das samt seiner Gelenkfläche entfernte Tibiadrittel 
durch das entsprechende Knochenstück eines wegen Altersbrand 
amputierten fremden Beins. Das Knochenstück heilte, wie man 
auf Röntgenbildern verfolgen konnte, unter starker Kallusbildung 
ein; der Mann stand nach sieben Wochen im Schienenapparate 
auf und hatte nach acht Monaten ein festes, belastungsfähiges 
Kniegelenk, das aktiv und passiv bis 90° gebeugt werden konnte. 
— Der Weg ist damit gegeben, durch Krankheit oder Operation 
zerstörte oder entfernte Gelenke brauchbar und beweglich wieder 
herzustellen, wenn das Verfahren auch heute noch „weder einfach 
noch leicht ist, noch in kurzer Zeit zum Ziele führt“. 

4. In der Bier sehen Klinik werden versteifte Ellbogen¬ 
gelenke nach Helfe rieh s Vorschlag mit sparsamer bogenförmiger 
Resektion der Knochen-Enden und Zwischenklappen eines Muskel- 
Sehnenlappens aus dem Trizeps operiert. Von allergrößter Wichtig¬ 
keit ist früh — acht Tage p. op. — einsetzende und lange durch¬ 
geführte Nachbehandlung. Von elf Fällen ergaben sechs gute, 
z. T. ideale Heilungen, zu schwerer Arbeit brauchbare Gelenke; 
vier wurden gebessert; einmal stieß sich der Muskellappen ab. 

5. Fedor Krause, der bekannte Hirnchirurg, warnt in 
seiner Antwort auf Oppenheims „offenen Brief“ (Ref. Ther. Rund¬ 
schau, Nr. 32) vor kritikloser Anwendung der Neißer-Pollak- 
schen Hirnpunktion, bei der stets, so wertvolle Aufschlüsse sie 
auch in manchen Fällen geben kann, zwei ernste Gefahren drohen: 
die Blutung aus einem unregelmäßig verlaufenden oder patho¬ 
logisch verlagerten oder erweiterten Hirnhautgefäß und die In¬ 
fektion bei Punktion eines Abszesses, verkästen Solitärtuberkels 
oder dergl. Zum mindesten sollte, auch nach wohlerwogener An¬ 
zeige zur Gehirnpunktion, dieser Eingriff nur vorgenommen werden, 
wenn alle Vorbereitungen zu einer sofort anzuschließenden Trepa¬ 
nation getroffen sind. 

Ref. kann sich die Bemerkung nicht versagen, daß Krauses 
kurze Ausführungen trotz aller Sachlichkeit in demselben leben¬ 
digen und persönlichen Tone gehalten sind, wie Oppenheims 
„offener Brief“; ein Ton, dem man in den literaturbepackten und 
mit langen Krankengeschichten gespickten deutschen Arbeiten 
seltener begegnet als in den Fachzeitschriften des Auslandes. 

6. Schmieden hat zum Ersatz einer abgerissenen Ohr¬ 
muschel eine Art Wanderlappenplastik mit gutem Erfolge benutzt. 
In mehreren Sitzungen wurde ein ohrmuschelförmiges Knorpel¬ 
stück aus dem Rippenbogen nahe dem Brustbein herausgeschnitten 
und frei unter der Brusthaut eingepflanzt, diese als nach oben 
unter dem Schlüsselbein zungenförmig gestielter Lappen Um¬ 
schnitten und nach Verlängerung des Stiels an der Stelle des 
fehlenden Ohres befestigt. Der Knabe ertrug die vierwöchige 
Fixation des Armes über dem Kopf, die zur Entspannung des 
Lappenstiels notwendig war, sein’ gut. Zum Schluß wurde die 
Form der neuen Ohrmuschel durch Lappenbildung aus der Kopf¬ 
haut noch verbessert. Sch. betont mit Recht, daß der Wegfall 
der Narben in der Umgebung des Operationsfeldes, wie sie bei 
der alten „indischen“ Methode unvermeidlich sind, alle Unbequem¬ 
lichkeiten der Fernlappenplastik (italienische Methode) reichlich 
aufwiegt. 

7. Nach den für die topographische Anatomie der Zungen¬ 
eiterungen grundlegenden Angaben von Killian eröffnete Br unke 
zwei tief in der Zungenwurzel sitzende Abszesse, die er mit den 




üblichen blinden Einschnitten vom Munde aus nicht hatte er¬ 
reichen können, von außen her: der Schnitt entspricht genau dem 
Unterbindungsschnitt der Art. lingualis, die nebst dem Nerv, 
lingualis und der Submaxillardrüse bequem vermieden werden 
kann, indem man den Musk. hypoglossus stumpf durchtrennt und 
mit der Komzange auf den Abszeß eingeht. In beiden Fällen 
erfolgte die Heilung rasch. Angesichts der Gefahren solcher nicht 
allzu seltener ZuDgenabszesse — Larynxödem, Wanderung des 
Abszesses ins Mediastinum oder in die Bindegewebsräume längs 
der großen Halsgefäße — ist die Kenntnis eines einfachen und 
sicheren Weges zur Eröffnung von außen her sehr wertvoll. 

8. Brüche der Fingerglieder werden sehr häufig als Quet¬ 
schungen und Verstauchungen — nicht behandelt, was sich um 
so bitterer rächt, als gerade bei ihnen (abgesehen von den Nagel¬ 
gliedern) eine völlige funktionelle fast immer eine anatomische 
ideale Heilung erfolgt — Grund genug, gerade derartige 
Verletzungen nie ohne Röntgenkontrolle zu behandeln und, wenn 
eine Fraktur vorliegt, den Verband nie schematisch anzulegen. 
Ein einfacher Schienenverband ist nicht imstande, eine vorhandene 
Verstellung zu beseitigen, geschweige denn die richtige Lage der 
Bruch-Enden gegenüber dem starken Sehnenzuge zu sichern. (Besseres 
leistet der Extensionsverband; statt der umständlichen und teuren 
Bardenheuer sehen Schiene kann man eine gewöhnliche Schuster¬ 
spanschiene, die Fingerspitzen spannen weit überragend, in die ge¬ 
polsterte Hohlhand legen, mit einer Gipsbinde festwickeln und 
an ihr die Heftpflasterzüge, event. mit Gummizwischenstücken, in 
beliebiger Richtung und Zahl befestigen. Ref.) Besonders ist 
auf die Brüche im Grundglieds zu achten: durch den Zug der 
Musk. interossei wird das proximale Bruchstück gebeugt, es ent¬ 
steht eine Winkelstellung nach der Beugeseite zu. Diese für die 
spätere Funktion verhängnisvolle Dislokation wird auf ebenso ein¬ 
fache wie zweckmäßige Weise dadurch beseitigt, daß man in die 
Hohlhand einen großen festgewickelten Wattebausch legt und 
darüber den gebrochenen Finger samt den anderen zur Faust 
schließen läßt. In dieser Fauststellung, die das gebrochene Grund¬ 
glied geradestreckt und durch die gesunden Finger seitlich 
schient, wird ein Bindenverband angelegt, um zunächst nach acht 
Tagen, später zweimal wöchentlich zur Vornahme von Bewegungs¬ 
übungen gewechselt zu werden. Nach drei Wochen ist der Bruch 
geheilt. 

9. Haeberlin empfiehlt statt der Röntgenaufnahme die 
Durchleuchtung; um Sitz und Lage eines Fremdkörpers genau zu 
bestimmen, wird Finger oder Hand, um die es sich meistens 
handelt, vor den Durchleuchtungsschirm gebracht und, sobald der 
Fremdkörper eingestellt ist, nach verschiedenen Richtungen ge¬ 
dreht. Die Verschiebungen, die der Fremdkörperschatten dabei 
gegen den Knochenschatten zeigt, geben die Möglichkeit, den Sitz 
des Fremdkörpers in der Hand nach Breite, Tiefe und Höhe 
genau festzustellen. 

10. Adrenalininjektionen in den entleerten Hydrozelensack — 
2 ccm einer Adrenalinlösung 1 :5000 — sichern eine dauernde 
Heilung ebensowenig wie die früheren Einspritzungen von Jod, 
Kokain u. dgl. Doch scheint nach zwei Fällen Mohrs die 
Wiederansammlung der Flüssigkeit langsamer einzutreten; auch 
waren Schmerz und Reaktion geringer. (Dem Praktiker darf man 
wohl bei dieser Anwendung eines so starken Mittels, wie es das 
Adrenalin ist, Vorsicht raten; gerade eine Hydrozelenpunktion — 
damals mit Kokaineinspritzung — mit tödlichem Ausgang hat vor 
kurzem zu einem Haftpflichtprozeß gegen einen französischen Arzt 
geführt. Ref.) 

11. Hackenbruch fügt bei Bruchoperationen zum Kocher¬ 
scheu Verlagerungs verfahren eine Faszienplastik nach Art der 
Bassinischen bei; er spaltet die Aponeurose des Obi. abdom, 
extern, vom Leistenring aus nach oben, näht den medialenSchnittrand 
samt der Muskelplatte des Internus und Transversus durch eine 
Reihe von Knopfnähten an die Innenseite des Leistenbandes und 
legt den Samenstrang darüber. Der vorher lappenförmig zurück¬ 
geklappte laterale Schnittrand der Aponeurose wird dann über 
den Samenstrang hinüber genäht. Diese Verdoppelung des Sehnen¬ 
blattes sichert den Nähten (Jodkatgut) feste Angriffspunkte und 
verschließt die Bruchpforte sehr sicher. H. hat unter 68 Fällen 
nur ein Rezidiv, durch eine Eiterung verschuldet. Er drainiert 







550 




THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


m 


gar nicht; operiert — da prima intentio Vorbedingung des Er¬ 
folges ist — mit Gesichtsschutz und Handschuhen. 

12. An der Heidelberger Klinik sind in letzter Zeit gegen 
80 Brüche, darunter auch eingeklemmte Leisten- und Schenkel¬ 
brüche, sowie Nabel- und epigastrische Brüche, unter örtlicher 
Schmerzbetäubung mit gutem Erfolge operiert worden. Nach 
Braun scher Technik — subkutane, dann für die tieferen Schichten 
parenchymatöse Infiltration — ■wurde eine 1 %ige Novokain-Supra- 
reninlösung verwendet, von der bis zu 50 ccm eingespritzt werden 
können. Von allen Hernien verlangen unbedingt nur die mit 
breit verwachsenem Bruchsack die allgemeine Narkose; umschriebene 
Netzverwachsungen, sehr große Brüche, Einklemmung sind keine 
Gegenanzeigen gegen die lokale Anästhesie; selbst Darmgangrän 
nicht, wie zwei Resektionsfälle von Nast-Kolb beweisen. Frei¬ 
lich stellt der wache Kranke, wie bei jeder Operation ohne Nar¬ 
kose , erhöhte Ansprüche an den Takt und die Technik des 
Chirurgen; besonders ist jede Zerrung am Bruchsack zu ver¬ 
meiden. 

13. Frankel hat den Geh-Gipsverband mit Tretbügel nach 
Lorenz, der bei Knöchelbruch, Fußgelenkstuberkulose, schwerem 
Plattfuß häufiger angewendet werden sollte, durch ein seitliches 
Scharnier im Bügel abnehmbar gemacht. Dieser Bügel-Gipsverband 
ist billig, dauerhaft, und leicht ohne Bandagisten herzustellen ; er ist 
also für den Praktiker von Bedeutung. Der Unterschenkel wird 
mit Wiener Watte gepolstert, darüber kommt vorn und hinten 
ein Zinkstreifen, und nun wird der Gipsverband unter genauem 
Aumodellieren, namentlich des „Sitzringes“, unter dem Schienbein- 
kuauf lege artis angelegt. Mit der letzten Binde wird der Tret- 
bugel eingegipst, das Scharnier an der Außenseite des Fußes, 
das Sohlenstück 4 bis 8 cm von der Fußsohle entfernt. Jetzt 
wird der Gipsverband auf dem Zinkstreifen aufgeschnitten, im 
Scharnier aufgeklappt, abgenommen und getrocknet. Er kann 
dann mit Flanell, der als Schnürlasche über die Ränder vorsteht, 
ausgeklebt werden. — F. läßt bei Fußgelenkstuberkulose nach 
Bi ersehen Grundsätzen den Fuß frei; wird er mit in den Ver¬ 
band genommen, so muß die vordere Schnittlinie bis zur großen 
Zehe verlängert werden, die hintere oberhalb der Ferse spiralig 
abbiegen und längs dem Kleinzehenrande nach vorn verlaufen. 
Die Bügel liefert H. Windler-Berlin. 


Magen-, Darm- und Stoffwechselleiden. 

Referent: Spezialarzt Dr. M. Piekardt, Berlin. 

1. Zur diätetischen und physikalischen Behandlung der 
Gicht. Von Dr. Max Hirsch Med. Klinik, 1908, Nr. 32. 

2. lieber Proctitis sphinkterika Von Prof. H. Strauß. 
Berl. klin. Wochenschr., 1908, Nr. 31. 

3. Zur Therapie der Gallensteinkrankheit. Von R. von 
Renvers. Therapie d. Gegenwart, 1908, S. 97 ff. 

4. Zur Behandlung des TJlkus ventrikuli. Von Dr. Elsner. 
Tberap. d. Gegenwart, 1908, Nr. 2. (Ref.: W. Krüger, Magdeburg.) 

1. Es ist durch reichliche Flussigkeitszufuhr dafür Sorge zu 
tragen, daß die gebildete oder eingefuhrte Harnsäure ausge¬ 
schwemmt wird; Versuche haben gezeigt, daß in dieser Beziehung 
die mineralsalzhaltigen Wässer nicht mehr leisten als gewöhnliches 
Quell- oder destilliertes Wasser. Zur Anregung des Stoffwechsels 
empfehlen sich, besonders wo körperliche Muskelleistungen nicht 
vertragen werden, heiße Vollbäder — 30 11 R, 30 bis 40 Minuten 
—, Packungen, Sand-, Moor-, Schlammbäder. Wärmestauende 
und wärmezufuhrende Maßnahmen haben aber leicht den Nachteil, 
daß sie die Schmerzen steigern; so sind andererseits auch Kälteproze¬ 
duren — Schwimm-, See- und kalte und Sturzbäder — nur mit 
Vorsicht anzuwenden, weil Giehtiker gegen extreme Temperaturen 
überhaupt sehr empfindlich sind. 

Die Behandlung des akuten GichtanLlls besteht in Ruhig¬ 
stellung und Hoehlagerung7des erkrankten Körperteils, der, ganz 
nach der individuellen Toleranz des Patienten, mit Kälte oder 
Wärme behandelt wird. Alkohol verbände haben sich — der 
Hydrotherapeutischen Anstalt der Universität Berlin, deren Er¬ 
fahrungen hier wiedergegeben werden — nicht bewährt. Bewährt 
haben sich dagegen Longuettenverbände, die 1 l /a bis zwei Stunden 


liegen bleiben und ein- bis zweimal täglich Verabreicht werden, 
in der Art, daß aus einem mit Eiswasser gefüllten' Eimer durch .’ 
einen engen Schlauch Flüssigkeit auftropft. Während' des An¬ 
falls ist Massage — die nach demselben anzuwenden ist — zu 
unterlassen; blande Diät zu verabfolgen. Gegen .eventuelle Ver¬ 
änderungen an den Gelenken nach akuten Anfällen in Form von 
der' chronischen Arthritis ähnlichen Versteifungen und Verkrüm¬ 
mungen ist das ganze Armamentarium der orthopädischen Appa- 
ratotherapie, auch die Massage in allen ihren modernen Abstu¬ 
fungen, ferner die heißen Prozeduren — zur Aufsaugung der 
Exsudate — heranzuziehen. 

2. Verf. beschreibt einen Krankheitszustand, dessen Symp¬ 
tome folgende sind: Jucken und tenesmenartige Erscheinungen 
ad anum, Proktospasmus, besonders bei Untersuchung mit ; dem 
Finger oder dem Rektoskop; bei einem Teil der Kranken fanden/ 
zum Teil nicht unbeträchtliche, Darmblutungen statt, die ge¬ 
legentlich Verdacht auf Karzinom erweckt hatten; ferner Anal¬ 
ekzeme. Objektiv finden sich in solchen Fällen alle bekannten 
Zeichen einer Proktitis: Rötung, sammtartige Schwellung, Schleim, 
kleine Exulzerationen: aber alles das beschränkt auf die Partie 
der Sphinkteren bis zur Ampulle hinauf. Die Hälfte dieser Pa¬ 
tienten waren Hämorrhoidarier. 

Für diesen Zustand, den Verf. für ein selbständiges Krank¬ 
heitsbild (? Ref.) hält, eignet sich folgende Therapie: Zellulosearme, 
antoibstipative Diät, Einführung von Oel oder Kakaobutter vor der 
Defäkation. Die Lokalbehandlung besteht außer Verabreichung 
von Adrenalin-, Anusol- und Heidelbeerextraktsuppositorien in 
Applikation von Argentum — 2- bis- 5%ig — oder Ichthyol 
1:5- bis 1 : 3-Lösung mit Eukain- etc. Zusatz, auf Wattebäusch- 
chen, im Rektoskop oder mit einer Oidtmann sehen Spritze mit 
perforiertem Gummiüberzug. Zuweilen brachte auch die Pulver¬ 
behandlung mit dem Hartmannschen Pulverbläser Nutzen. 

Jedenfalls begnüge man sich nie bei solchen Symptomen 
mit der Diagnose einer „nervösen“ Beschwerde, sondern überzeuge 
sich durch Okularinspektion von dem Zustand der Schleimhaut. 

4. Es sind zwei große Kategorien von Gallensteinleidenden 
zu unterscheiden: solche mit bakteriell infizierten Gallenwegen und 
solche ohne Infektion. Letztere kommt nach R. — entgegen der 
herrschenden Naunynsehen Lehre — sicher vor, vielleicht durch 
toxische Fermente, welche das gebildete Cholestearin nicht in 
Lösung halten können; führen diese — meist Solitär — Steine 
zur Einklemmung oder zum Ikterus, so fehlt trotz heftiger 
Schmerzen stets Fieber. Ein fruchtloser Anfall kann zu Reiz¬ 
zuständen der Gallenwege und — bei vollkommen aseptischem 
Verlauf — zur Bildung von kalkhaltigen Steinen führen. Es 
kann allerdings — bei Einklemmungen im Choledochus — zu 
sekundärer Infektion mit eventuellen chronischen Schleimhaut Ver¬ 
änderungen kommen. In der Mehrzahl der Fälle jedoch ist der 
Ursprung der Affektion ein bakterieller; die einzelnen Anfälle 
verlaufen mit stürmischen Temperaturerhöhungen und deren Folgen; 
meist geht eine Cholezystitis vorher. Diese zeitigt alle Arten 
der Schleimhautveränderung, von der einfachsten Entzündung bis 
zur Gangrän. Sie verläuft meist ohne Ikterus. 

Entsprechend der Verschiedenheit dieser beiden Krankheits¬ 
bilder ist auch das therapeutische Verhalten ihnen gegenüber ein 
verschiedenes. Dem durch eine Einklemmung eines Steines aus 
aseptischer Gallenblase entstehenden Kolikanfall steht R. anders 
gegenüber als zurzeit die Mehrzahl der Acizte; es ist wohl 
allgemeiner Grundsatz geworden, eine „Latenz“ als das höchste 
Ziel anzustreben und aus diesem Grunde nicht nur Morphium 
überhaupt, sondern sogar reichlich zu geben. R. verwirft das, 
weil es die Austriebskraft des Organismus lähmt, wendet im Be¬ 
ginn nur Hitze in jeder Form — Getränke, Kataplasmen, Bäder 
— an und gibt Morphium erst dann, wenn Dauer und Heftigkeit 
des Schmerzes sowie ein beginnender Ikterus die Wanderung des 
Steines dokumentieren. Von Cholagogis hält R. gar nichts, eben¬ 
sowenig von der „Oelkur“. Ist der Stein abgegangen, sorge man 
für Ruhe und rege durch häufige, kleine Mahlzeiten den Gallen- ■ 
fluß an, um Rückstauungsinfektionen zu verhindern. Im Intervall 
verordne man Gymnastik und Hydrotherapie. Die Diät sei eine 
gemischte; jede Darmstörung ist sorgfältigst zu behandeln; in . 
diesem Sinn wirkt das Karlsbader Wasser. 


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1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


551 


Sind die Gallenwege — primär oder sekundär — infiziert, 
müssen wir auf jeden Versuch einer interneu Infektion verzichten. 
In diesen Fällen gibt R. von vornherein Morphium, weil hier die 
Wanderung des Steins Komplikationen zeitigen kann. Als gallen- 
tieibende Medikamente sind anzusehen: Salizylsäure oder kleine 
Kalomeldosen. Im allgemeinen ist die Therapie der infizierten 
Gallenwege eine chirurgische: Eröffnung der Gallenwege, Ent- 
fernung der Steine, Ermöglichung des Abflusses der infizierten 
Galle. 

4. Gegen die Zi ein ßen-Leu besehe Ruhekur bei Ulkus 
ventrikuli und gegen das v. Le ubesehe Regime bei Hyperazidität 
hat schon vor mehreren Jahren Lenhartz Front gemacht, indem 
er eine völlig neue Methode zur Behandlung des Magengeschwürs 
vorsclilug. Er wollte einerseits die disponierenden Momente dieser 
Kiankheit, nämlich Anämie und Chlorose, bekämpfen, andrerseits 
auch der Hyperazidität abhelfen und suchte dies dadurch zu er¬ 
reichen, daß er — auch bei erst vor kurzem voraufgegangenen 
Blutungen — von vornherein eine größere Menge Eiweiß in Form 
von Eiern und Schabefleisch gab, dagegen die Milchquanten, die 
die Leu besehe Kur vorschreibt, erheblich herabsetzte. Diese 
Methode hat ihre Gegner und ihre Anhänger gefunden. Auf die 
beiderseitigen Ansichten hier näher einzugehen, würde zu weit 
führen; nur soviel steht fest, daß man gerade beim Ulkus ven¬ 
trikuli nicht von allgemein gültigen „Ulkuskuren“ sprechen kann, 
vielmehr in jedem einzelnen Falle streng individualisieren muß. 
Dabei wird man von folgenden Gesichtspunkten bezüglich der Er¬ 
nährung geleitet: Großer Kalorienwert, kleines Volumen, aus- 
' reichendes Salzsäurebindungsvermögen und Reizlosigkeit der Nah¬ 
rung. Demnach hat man nahrhafte und gut ausnutzbare, kon¬ 
sistente, eiweißreiche und reizlose Nahrung zu geben. Diesen 
Forderungen gerecht werden viele Nahrungsmittel, wie Milch, 
Sahne, Butter, Oel, auch dünne Griesbreie mit Zusatz von Nähr¬ 
präparaten. Welche von diesen Mitteln in jedem Einzelfalle am 
besten zu verwenden siud, muß man von Fall zu Fall unter¬ 
scheiden. Aus der Behandlungsmethode, die nach E. in der Boas- 
schen Klinik geübt wird, ist folgendes zu entnehmen: Die Grund¬ 
lage der Ernährung bildet Milch, die in kleinen Mengen bis zu 1 1 tägl. 
genommen wird. Ihr Nährwert wird zweckmäßig durch irgendein 
Nährpräparat erhöht, z. B. durch Hygiama. Dies ist ein angenehm 
schmeckendes, niemals Widerwillen erregendes Präparat, das in 
das Einerlei der Milch eine willkommene Abwechslung bringt. 
In allen Fällen, wo HCl-Ueberschuß besteht, gibt nun Verf. auch 
noch große Mengen von Alkalien. Demnach gestaltet sich die 
Behandlung so, daß Kranke vom ersten Tage ab, auch nach 
vorausgegangener Blutung, bei absoluter Bettruhe, eine auf Eis 
abgekühlte Abkochung von Milch in Hygiama mit etwas Zucker¬ 
zusatz bekommen, am ersten Tage 200 g Milch, 20 g Hygiama 
und 20 g Zucker. In den nächsten Tagen steigt die Milchmenge 
um je 200, die Hygiamamenge um je 20 g bis zum fünften Tage. 
\om sechsten Tage erhalten die Kranken Zulagen vou Butter oder 
Sahne, eingeweichtem Zwieback, rohen und weichgekochten Eiern. 
Aus den Stoffwechseluntersuchungen E.s geht übrigens hervor 
daß 100 g Hygiama ; '/ 4 1 Milch entsprechen. Außerdem erhalten 
die Kranken vom ersten Tage au größere Mengen von Natrium 
bicarbonicum oder Magnesia usta, drei- bis viermal täglich einen 
Teelöffel. So behandelte Patienten konnte E. nach vier bis sechs 
Wochen als geheilt entlassen. Die Methode — soweit man, wie 
gesagt, bei der Behandlung des Magengeschwürs von einer Me¬ 
thode sprechen darf — empfiehlt sich zur Nachahmung. Sie 
bietet für viele Praktiker eiue neue Richtschnur ihres Vorgehens 
in den oft so schwierigen Lagen bei der Ulkus ventrikuli-Therapie. 


Biologische Therapie. 

Referent: Dr. W. Escll, Bendorf a. Rh. 

1. Natürliche Darmdesinfektion Von Priv.-Doz. Dr. E. 
Moro-Graz. Münch, med. Wochenschr., 1906, Nr. 41. 

2 . Saure Milch. \onDr. L. Haim-Ithaka, Neu-York Moderne 
medicine, 1908, Nr. 1 , und Bl. f. klm. Hydrotherapie, 1908, Nr. 5. 

3. Ueber Säuglingsernährung'mit Yoghurtmilch. Von Dr. 
M. Klotz, Ass. a. d. Säugl.-Abteil, d. Krankenh. zu Magdeburg. 
Ztschr. f. ph. u. diät. Ther., 1908, Aug. 



4. Zur Eiweißernährungsfrage. Von S.-R. Dr. Stille-Stade. 
Aerztl. Rundschau, 1908, Nr. 32. 

5. Die Selbstvergiftung als Ursache der Myopie. Von Dr. 

K. Sch ul in-Billings (Mont). Monatsschr. f. prakt. Wasserheilk 
1908, Nr. 1. 

6. Augenerkrankungen und gastrointestinale Atointuoxika- 
tion. Von Dr. Fr. Groyer. Münch, med. Wochenschr. 1905, 
Nr. 39, und Fortschr. d. Med., 1905. 

7. Ueber Autointoxikationspsychosen. Von Dr. E. Meyer- 
Königsberg. Münch, med. Wochenschr., 1904, Nr. 46, und Arch. 
f. phys.-diät. Therapie, 1905. 

8. Die Katatonie. Von Dr. Stadel mann-Dresden. Mün¬ 
chen 1905, Gmelin, und Fortschr. d. Med., 1906. 

9. Wert der absoluten vegetarischen Diät bei Psoriasis. 
Von Dr. Bulkeit. Rev. prat. des malad, cut, 1907, und Bl. f. 
klin. Hydrotherapie, 1908, Nr. 5. 

10. Die Akne und ihre Behandlung. Von Dr. Jeanselme- 
Paris. La med. mod., 1904, Nr. 24, und Fortschr. d. Med., 1905. 

11. Der Basedow (Graves’ Disease) und seine Behandlung. 

\ on W. H. Thompson. Americ. journ. of med. dis., 1908, und 
Zeitschr. f. phys.-diät. Therapie, 1908, Nr. 3. 

12. Appendizitis und Obstipation. Von Dr. G. Hüner- 
f a u t h - Homburg v. d. H. Monatsschr. f. pr. Wasserheilk., 1908, 
Nr. 3. 

13. Krankenernährung und Krankenküche. Von Dr. W. 

Sternberg-Berlin. Stuttgart 1906. Enke. 3,60 M. 

1. Unter den nachfolgenden Referaten aus dem Gebiete der 
Ernährungstherapie ist Moros Arbeit, weniger wegen des Verf.s 
praktisch wohl kaum durchführbaren therapeutischen Vorschlages, 
als wegen dessen theoretischer und experimenteller Begründung, 
von Interesse. M. beschäftigt sich nämlich mit dem wichtigen 
Problem der Vernichtung der schädlichen Bakterien 
durch Förderung der nützlichen. 

„Ein dem Patienten gereichtes Antiseptikum vernichtet wahl¬ 
los alle Bakterien seines Wirkungskreises, sowohl die schädigenden 
als die nützlichen, und der natürlichen Reparation ist in der 
zeitweisen Schwächung der seßhaften Darmflora die mächtigste 
Waffe entzogen; denn in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle 
führt der Kampf offenbar in der Weise zum Siege, daß die autoch- 
thonen Darmbakterien die fremden Keime allmählich verdrängen 
und überwuchern.“ 

Den ersten Schritt in der Richtung einer Unterstützung der 
fürkämpfenden geschwächten Armee hat im Jahre 1900 Escherich 
getan, der durch seinen Schüler B r u d z i n s k y an Säuglinge junge 
Kulturen von Bakt. lakt. aerog. verfüttern ließ in der Absicht, 
durch eine reichliche Zufuhr dieses Gärungserregers im gegebenen 
Falle den Proteus aus dem Darm zu verdrängen. In gleichem Sinne 
gab Tissier 1906 und später ähnlich Moro selbst Mischkulturen 
von B. azidi paralaktz. und B. bifidus darmkranken Säuglingen, 
mit z. T, recht gutem Resultat. 

Allein das Ideal der natürlichen Darmdesinfek¬ 
tion liegt nicht in der Einfuhr von Bakterien, son¬ 
dern vielmehr in der Veränderung des Darminhalts 
zugunsten der elektiven Entwicklung aktiver nor¬ 
maler Darmbakterien. Diesen klassischen und in seiner Art 
einzig dastehenden Versuch führt die Natur täglich am Brust¬ 
kind aus: 

Die Frauenmilch wirkt sowohl im Darm wie in der Kultur 
wie ein Ferment auf das Wachstum des B. bifidus, sie entfacht 
ihn zu einer dominierenden Entwicklung, die alle anderen Bakterien 
in den Hintergrund drängt. 

Moro schlägt daher vor, Frauenmilch oder einen „aus ihr 
noch zu isolierenden Bestandteil“ als Darmdesinfiziens, „Bifidus- 
wecker“, Kindern und Erwachsenen zu reichen. 

2. In ähnlichem Sinne, aber praktisch leichter durchführbar, 
wirkt, wie Haim ausführt, die Sauermilch-Medikation. 

Der Gebrauch der Sauermilch ist uralt. Besonders im Orient 
spielt sie eine große Rolle in der Laienmedizin, speziell in der 
Form von (saurer) Buttermilch, die ja nichts anderes ist, als ein 
Produkt des Milchsäurebazillus. 

Dieser wurde von Freudenreich und Gönn als der mäch¬ 
tigste Feind der schädlichen Keime erkannt. Sterilisierte Milch 
sukzessive mit Milchsäurebazillus, Typhus-, Cholera- und Eiter- 


uNivERsrn 


■al frern 






bazillus infiziert, läßt letztere sieh nicht entwickeln. Der Milch - 
säurebazillus treibt alle anderen hinaus. Er wird im Verdauungs¬ 
trakt nicht durch den Magendarmsaft getötet, sondern gelangt in 
den Dickdarm und entfaltet dort seine therapeutische Wirkung; 
besonders bei den Darmintoxikationen, bei der Cholera nostras etc., 
wo Eäulnisbazillen eine große Rolle spielen, hat er sich glänzend 
bewährt. 

3. Klotz kommt auf Grund der einschlägigen Literatur und 
eigener Beobachtungen zu folgenden Schlüssen betreffs des neuer¬ 
dings als Panazee angepriesenen bulgarischen Sauermilchpräparates 
Yoghurt: 

Ein gesunder Säugling, der künstlich ernährt wird und gedeiht, 
hat Laktobazillin und Yoghurt nicht nötig. Es darf nicht vergessen 
werden, wie leicht bei der Bereitung des Y. schädliche Keime in 
die Milch geraten können. Die Behauptung, daß die orientalischen 
Sacharolyten die Vermehrung pathogener und nicht pathogener 
Keime hinderten, entspricht keineswegs den Tatsachen. Nament¬ 
lich Hefe, Soor, Heubazillen entwickeln sich elektiv gut in 
Yoghurtmilch. 

Mit gutem Gewissen darf man einem Säugling nur dann die 
Yoghurtmilchflasche geben, wenn man vorher täglich genau fest¬ 
stellt, wie Geruch, Geschmack, Gesamtazidität sich verhalten und 
— welche Resultate ein Ausstrichpräparat ergibt (!). 

Rechnet man dazu noch die umständliche Zubereitung, die 
Anschaffungskosten für Wärmkiste etc., so erscheint der Schluß 
zwingend, daß die Yoghurt-Therapie ausschließlich Sache des 
Krankenhauses sein sollte. 

Bei größeren Kindern von 1 1 / 2 bis 2 Jahren, die nicht be¬ 
friedigend zunehmen, appetitlos, ekzematös etc. sind, kommt Yog¬ 
hurtmilch neben gewöhnlicher Sauermilch, Kefir (und Kumys) 
event. in Betracht. Piir Säuglinge mit den akuten Ernährungs¬ 
störungen der heißen Jahreszeit besitzt Y. keineswegs spezifischen 
Heilwert. Ueber die Wirkung von Laktobazillinmolke und Butter¬ 
milch in diesen Pallen müssen erst weitere Erfahrungen gesammelt 
werden. 

Bei chronisch magendarmkranken Säuglingen ist nach Fehl¬ 
schlagen aller anderen erprobten Ernährungsformen ein Versuch 
mit Y. gerechtfertigt. 

Das Säuglingsekzem wird durch Y. günstig, die Rhachitis 
meist ungünstig beeinflußt. 

-1. Stille bedauert in einer Besprechung von Rubners 
Schrift „ Volksernährungsfragen u , daß der bekannte Autor immer 
noch an der V o i t sehen Eiweißzahl festhält, trotzdem er die 
Schädlichkeit zu reichlicher Fleischkost im Gegensatz zu seiner 
früheren Anschauung jetzt selbst zugesteht. Wenn R. den Ei- 
weißiiberschuß „als einen Sicherheitsfaktor“ betrachtet, „der not¬ 
wendig ist, gerade wie man eine Brücke viel stärker baut, als 
jemals die maximalst (!) zugelassene Belastung ausmacht“, so ver¬ 
gißt er, daß eine „zu starke“ Brücke nie Unheil anrichten kann, 
wohl aber eine zu starke Eiweißzufuhr. 

St. führt außer Ohittendens Versuchen noch die von 
Hindhede an (vergl. diese Zeitschr., Nr. 24), aus denen hervor¬ 
geht, daß die Milchproduktion der Kühe sich nicht nach der Ei¬ 
weißmenge des Futters richtet, dagegen richtet sich der Harn¬ 
stickstoff ganz besonders, ja man kann wohl sagen allein, nach 
dem Eiweiß im Futter. „Sollte nicht auch beim Menschen die 
Hauptwirkung einer sehr eiweißhaltigen Nahrung eine vermehrte 
N-AusScheidung im Harn sein?“ Zu große Eiweißmengen ver¬ 
größern den Zerfall, verhindern den Aufbau, vergl. Bantingkur 
und Bachmanns Beobachtungen über vermindertes Stillvermögen 
der Frau und vorzeitige Impotenz des Mannes bei Eiweißüber¬ 
ernährung (Med. Klinik, 1907, Nr. 23). 

5. Nach Schulin sind Asthenopie, Myopie und Presbyopie 
durch ein Band verknüpft, das von einer abnormen Verfassung 
des Organismus abhängt. Es gibt sehr komplizierte Beziehungen 
zwischen dem lokalen Stoffwechsel der verschiedenen Organe, wo¬ 
bei neben der Art der Lebensweise, speziell der Ernährung, auch 
diejenige der inneren Sekretion eine große Rolle spielt. Von 
diesen Faktoren hängt die Beschaffenheit des Zentralnervensystems 
ab, das seinerseits wieder den Tonus und die Koordination der 
Muskeln beherrscht. Sch. konstruiert folgende Kette von Vor¬ 
gängen zur Herbeiführung von Augenstörungen: Anhäufung von 
Produkten unvollkommener Oxydation — Hypoleukozytose — 


Mangel an Spermin — Autointoxikation -—Atonie und Schwäche 
der Muskeln, die rasch ermüden — Neurasthenie — Asthenopie 
— Störung der Koordination der Augenmuskeln — mangelhafter 
Schlaf mit katatonischer Kontraktion derselben — Myopie und 
andere Anomalien, auch Schielen. Besonders ist die Skrofulöse 
ätiologisch für diese Vorgänge haftbar zu machen. 

6. Groyer konnte bei einer Anzahl von Augenleiden, denen 
eine greifbare Ursache scheinbar fehlte (Keratitis, Iritis, Chorioi¬ 
ditis, retrobulbäre Neuritis, Glaskörpertrübung, Flimmerskotom etc.), 
allerlei schmerzhafte Sensationen in der Magen-, Lenden-, Milz^- 
gegend, Herzklopfen, Atemnot usw. anamnestisch ermitteln. Ferner 
fanden sich Druckpunkte an den Interkostalnerven, dem Plexus 
zervikalis, den Trigeminusästen; endlich in sämtlichen Fällen 
Indikan in wechselnder Menge im Harn. Nach diesem Befund 
glaubt Groyer annehmen zu dürfen, daß bei diesen Patienten 
Darmgifte infolge abnormer Fäulnisvorgänge entstehen, welche in 
den Kreislauf gelangen und die genannten Schädigungen hervor¬ 
bringen. Aehnlich schreibt Elschnig, Wien. med. Wochdnschr., 
1905, Nr. 52. 

7. Unter Autointoxikationspsychosen sind jene Fälle zu ver¬ 
stehen, in denen das somatische und psychische Krankheitsbild 
auf eine Vergiftung durch vom Organismus selbst bei seinem 
Lebensprozeß erzeugte Giftstoffe hinweist. M. berichtet über eine 
Reihe hierhergehörigey Fälle mit autoptischem Befund. Meist war 
die Ursache der Autointoxikation in gastrointestinalen Verände¬ 
rungen zu suchen. Die dem Ausbruch der Psychose vorangehende 
körperliche Erschöpfung war bei dem Fehlen aller Zeichen einer 
Infektion oder exogenen Intoxikation auf die Selbstvergiftung zu¬ 
rückzuführen , da auch die Magendarmstörungen an sich den 
schweren körperlichen Verfall nicht erklären konnten. Die psy¬ 
chische Störung verlief unter den Erscheinungen einer „nicht 
agitierten, traumhaften Benommenheit, mit Inkohärenz, erschwerter 
Auffassung, Neigung zu Perseveration und Stereotypie, sowie viel¬ 
fach mit eigentümlich wechselnden hysteriformen Zügen“. Die 
psychischen Symptome allein lassen jedoch diese Fälle nicht scharf 
von den nach anderen toxischen und infektiösen Schädigungen auf- 
tretenden Psychosen unterscheiden, und auch den anatomischen 
Veränderungen im Gehirn (leichte, aber ausgebreitete Alterationen 
der Zellen, der Glia und der Markfasern) kommt keine spezifische 
Bedeutung zu. Sie bieten nur einen „anatomisch sichtbaren Aus¬ 
druck der durch die Autointoxikation bedingten Schädigung der 
nervösen Elemente“. Die Diagnose muß sich vielmehr auf die 
körperlichen Erscheinungen stützen, auf das Fehlen einer greif¬ 
baren Krankheitsursache bei bestehender schwerer Kachexie, wo¬ 
bei auch verhältnismäßig leichte Störungen im Darmtraktus zu 
berücksichtigen sind. 

8. Ausnahmslos sieht Stadelmann in einer dyskrasi- 
schen, d. h. den Bewegungen von außen her nicht völlig an¬ 
gepaßten chemischen Beschaffenheit des Gehirns bezw. der 
ihm zufließenden Stoffe und der Unmöglichkeit einer voll¬ 
kommenen Verwertung der jenem von außen zufließenden Energien 
die unmittelbare Ursache für die hochgradige Ermüdungsanlage 
und die mittelbare für die auf der krankhaften „Fühlslage“ sich 
aufbauende Psychose. 

9. Bulkeit fand bei allen Psoriatikern das spezifische Ge¬ 
wicht und die Harnsäure des Urins erhöht, die Harnstoffmenge 
kann bis auf das Doppelte ansteigen. In 565 Fällen sah er 
Gutes von der streng vegetarischen Diät: Die Effloreszenzen 
wurden immer blasser, verloren ihre Schuppen und verschwanden 
schließlich in einigen Wochen, ohne Anwendung irgendeines lokalen 
Mittels. Jeder Diätfehler provoziert ein Rezidiv, das bei richtiger 
Diät wieder abklingt. 

10. Die Akne ist das Resultat von Funktionsstörungen der 
Talgdrüsen und von den sie begleitenden Entzündungsvorgängen. 

! Jeanselme betont aber sehr mit Recht, daß diese Erscheinungen 
durchaus nicht als ein rein lokales Leiden aufzufassen sind, was 
manche Aerzte immer noch zu glauben scheinen, sondern daß sie 
mit sexualen, gastrointestinalen und allgemeinen Stoffwechsel¬ 
störungen im Zusammenhang stehen, während Parasiten bei ihnen 
nur eine sekundäre Rolle spielen. 

Die durch kapilläre Ektasien charakterisierte! Akne, rosazea r 
findet sich häufig bei Leuten mit Varizen, HäänorrhQi4oxr.p:Jbejr 


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1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


553 


Arteriosklerose und Gicht. Jod- und Bromakne entsteht mit Vor¬ 
liebe bei lymphatischen nud seborrhoischen Individuen. 

Demgemäß ist neben der lokalen Behandlung der Hauptwert 
auf allgemeine hygienische Vorschriften zu legen, eine mäßige 
reizlose Diät unter genügender Berücksichtigung der Vegetabilien 
innezuhalten, für Hautpflege und Körperbewegung Sorge zu tragen. 

11. H. Thompson kommt auf Grund 20jähriger Erfahrung 
zu dem Ergebnis, daß es sich bei Basedow nur mittelbar um eine 
Schilddrüsenerkrankung handele, in der Hauptsache sei es eine 
Stoffwechselanomalie, die besonders Einschränkimg der Eiweißkost 
erfordere. 

12. Hünerfauth betont in Uebereinstimmung mit den von 
ihm besprochenen Arbeiten von Champoniere und Tyson, ähn¬ 
lich wie die bereits hier besprochene Arbeit von Meyer-Bernstedt, 
daß die überwiegende Fleischkost in zweifacher Weise schadet: 

a) sie bildet in höherem Grade wie die fleischlose Ernährung 
im Darm schädliche Agentien (Zerfallsprodukte des tierischen Ei¬ 
weißes), 

b) ihr hoher Fibringehalt führt zur Verstopfung, die ihrer¬ 
seits wieder die Bildung der ersterwähnten Produkte und auf 
diesem Nährboden die Entstehung der infektiösen Darmerkrankung 
begünstigt, die wir infolge ihrer Lokalisation Appendizitis nennen. 

Therapeutisch ist also vor allem die übermäßige Fleischkost 
einzudämmen und nach der vegetarischen Seite hin zu korrigieren, 
ohne jedoch in Extreme zu verfallen. Daneben sind die übrigen 
Heilfaktoren in Betracht zu ziehen, der mechanische Gebrauch 
von Klistieren oder Abführmitteln ist zu inhibieren. 

13. Sternbergs Buch wird von Buttersack in den 
„Fortschr. d. Med.“ mit folgenden treffenden Worten besprochen: 

„In unseren kalorienschwangeren Handbüchern der Ernäh¬ 
rungslehre steht herzlich wenig davon drin, daß das Essen dem 
Pat. auch schmecken müsse. Wozu auch? Wenn der Mensch 
seine 2- bis 3000 Kalorien inkorporiert bekommt, ist ziemlich 
nebensächlich, ob ihm das Futter auch schmeckt oder nicht. Der 
Gedanke, daß die Reize des Geschmackssinnes ebenso künstlerisch 
zu kombinieren wären, wie jene für das Auge und Ohr, liegt den 
meisten Ernährungstherapeuten fern; so ist es gekommen, daß die 
Industrie floriert, welche brutale, geschmacklose, hochwertige 
Präparate auf den Markt bringt, daß aber die Kochkunst ira 
weiteren Sinne keine Fortschritte gemacht hat. 

Auf diese Verirrung weist Stern berg hin; er behandelt 
die Ernährungsfrage vom physiologisch-psychologischen Standpunkt 
des Geschmacks und der Schmackhaftigkeit, und nicht allein die 
Daten, die er bringt, als noch weit mehr die Lücken unseres 
Wissens von diesem Sinnesgebiete, die er aufzeigt, sind höchlich 
interessant. Ich glaube, daß jeder vielerlei Anregungen in dem 
Heftchen finden wird.“ 


Mitteilungen über Arzneimittel 


Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. Ueber Rhachisan, ein neues Antirhachitikum. Von Dr. 
Weißmann. Zeutralbl. f. innere Med., 1908, Nr. 21. 

2. Zur Therapie der Rhachitis. Von Dr. Lungwitz. Therapie 
d. Gegenwart, 1908, Juni. 

3. Ueber Wirkung und Wert des Leukrols nach Maßgabe 
praktischer Erfahrungen, Von Dr. Peters. Sep.-Abdr. a. d. 
Deutschen Aerzte-Zeitg., 1908, H. 14. 

4. Idiosynkrasie gegen Aspirin. Von Dr. Melchior. Therapie 
d. Gegenwart, 1908, August. 

5. Das Spirosal. Von S.-R. Dr. Lehmann. Ibidem. 

6. Eine neue Heilmethode rheumatischer Leiden. Von 
Regimentsarzt Dr. Tausig. Oesterreich. Aerzte-Zeitg., 1908, 
Nr. 15. 

7. Ueber Erfahrungen mit Gonosan bei der Behandlung 

der Gonorrhöe. Von Dr. H. de Meric. Allgern. med. Zentral- 
Zeitg., 1908, Nr. 33. 


1. W. veröffentlicht im Zentralblatt für innere Medizin einige 
seiner Fälle von Rhachitis, bei denen er mit Hilfe des von Dr. 
Lungwitz in die Therapie eingeführten Rhachisan einen 
durchaus günstigen Einfluß auf die Krankheit ausüben konnte. 
Das Rhachisan ist bekanntlich kein eigentlich neues Präparat, 
sondern stellt eine Verbesserung des Phosphorlebertrans dar, mit 
einem Phosphorgehalt von 0,05%. Das Ganze ist eine dauernd 
haltbare Emulsion. Fabrikant ist Dr. Degen & Kuth in Düren. 
Dadurch, daß das Eisen durch Mannit mit, dem Ovovitellin ver¬ 
bunden ist, ist ein lösliches Reaktionsprodukt entstanden, 
das einerseits eben durch seine Löslichkeit einen Vorteil gegen¬ 
über dem unlöslichen Eisenvitellinat bietet und deshalb schneller 
resorbiert wird, das andrerseits aber durch eine schwach ab¬ 
führende Wirkung die Darmtätigkeit regelt, die bei Rhachitikern, 
zumal wenn Eisen gegeben wird, meist gestört ist. Wenn man 
die Fälle W.s durchgeht, muß man die Güte des Präparates zu¬ 
gestehen ; denn allein durch frische Luft, Bäder, gemischte Kost 
kann man bekanntlich die Rhachitis nicht heilen. Erst der Phos¬ 
phorlebertran beeinflußt das Krankheitsbild in augenfälliger Weise. 
Da aber der organische Phosphor eminent giftig ist, zudem sich 
bei warmer Temperatur verflüchtigt und allmählich in Oxyde 
übergeht, die wirkungslos sind, da ferner die Phosphorwirkung 
sich nur gegen die Knochenrhachitis richtet, so muß man Lung¬ 
witz recht geben, wenn er sagt, daß. der Phosphorlebertran den 
lymphatischen Habitus und die Anämie unbeeinflußt läßt, daß es 
daher notwendig sei, durch Heranziehung vornehmlich des Eisens 
und Jods ein Präparat herzustellen, das die Vorzüge des Phos¬ 
phorlebertrans besitzt, ohne .seine Nachteile aufzuweisen. Die auf¬ 
geführten Krankengeschichten lassen sämtlich eine hervorragende 
Wirkung des Rhachisan erkennen. Daher glaubt W., daß das 
Mittel den Anforderungen genügt, welche man an ein brauch¬ 
bares Antirhachitikum stellen muß, und hält eine Weiterprüfung 
desselben im großen Maßstabe für angezeigt. 

2. In einem Artikel über Rhachitis hatte sich Geheimrat 
Wattenberg dahin ausgesprochen, daß man diese Krankheit 
kausal behandeln könne, indem man phosphorsauren Kalk und 
Eisen der an diesen armen Nahrung zufüge. Gegen diese An¬ 
sicht polemisiert Lungwitz, indem er auf die neueren Forschungen 
hin weist, die gezeigt haben, daß — wegen Mangel an Knochen¬ 
stoff, an phosphorsaurem Kalk und Eisen — die Zuführung dieser, 
eventuell in „kolloidaler, gallertiger, nicht körniger Beschaffen¬ 
heit“, keine „kausale“ Therapie der Rhachitis ist, sondern nur 
eine symptomatische. Denn die letzte Ursache der englischen 
Krankheit sei das Unvermögen, den Kalk, der das ostoide Gewebe 
umspült, festzuhalten und zu Knochensubstanz chemisch mit zu 
verarbeiten. Worauf diese Stoffwechselanomalie beruhe, wisse 
man nicht. Soviel stehe aber fest, daß eine erhöhte Kalkzufuhr 
eher eine schädigende als eine kurative Wirkung habe. 

3. Seit zwei Jahren hat Dr. Peters bei Leukorrhoe (nicht 
gonorrhoischen Ursprunges) mit bestem Erfolge „Leukrol“ ange¬ 
wendet, ein Präparat pflanzlichen Ursprunges, das aus dem reinen 
Extrakt einer in Ostasien heimischen Aristolochiacee hergestellt 
ist und innerlich verabreicht wird. Die Chemische Fabrik Erfurt 
G. m. b. H. in Erfurt-Ilversgehofen bringt das Mittel in Tabletten¬ 
form ä 1,0 (= 3 M.) in den Handel. Leider werden in dem 
Artikel Angaben über die Dosierung nicht gemacht. Die kurz 
skizzierten Fälle P.s beweisen aber, daß durch interne Verab¬ 
reichung von Leukrol eine ganze Reihe von Krankheitserschei¬ 
nungen unserer Frauenwelt zur Heilung gebracht werden kann, 
u. a. Metritis chron. katarrhal., Zervix- und Vaginalkatarrhe, 
Dysmenorrhöen, Menorrhagien. Oft werden dadurch nebenbei be¬ 
stehende Krankheiten — gleichgültig ob sie Folge oder Ursachen 
der genannten Frauenleiden sind — gebessert oder beseitigt. 
Wenn die Leukorrhoe durch eine Schwäche der Sexualorgane be¬ 
dingt ist, halte man sich sogleich an Leukrol; nach P.s Erfahrung 
wird man alsbald sicheren und schnellen Erfolg haben. Doch 
kann er nicht der Ansicht Tuszkais zustimmen, daß Fluor alb. 
gonorrhoikus durch Leukrol beseitigt werden kann. Diese Be¬ 
hauptung könnte nur das Mittel in Mißkredit bringen. 

4. Wiederum wird über einen Fall von Idiosynkrasie nach 
Gebrauch von Azetylsaliz 3 dsäure berichtet. Das Krankheitsbild 
war ein sehr schweres: Mächtige Urtikaria, Lidödem, Rötung und 
Schwellung der Mundschleimhaut, die auch die tieferen Luftwege 




Original frorn 

UNlVERS^^ffilCHtGAN 





554 


ergriffen hatte, starke Zyanose, diffuse Bronchitis, -Spuren von 
Eiweiß und Zylinder im Urin. Die Erscheinungen traten eine 
halbe Stunde nach dem Einnehmen auf*, der Versuch wurde noch 
mehrere Male gemacht — stets mit gleichem Resultat. Auch 
Hydropyrin (Aspirin-Na) hatte die gleichen Wirkungen, während 
Salol, Salipyrin, Novaspirin, Antifebrin und Phenazetin sich negativ 
verhielten. 

5. Sanitätsrat Lehmann empfiehlt Spirosal bei rheumatischen 
Affektionen und gibt der Verabreichung des zu gleichen Teilen 
mit Spiritus verdünnten Mittels vor dem unverdünnten den Vorzug 
— schon deshalb, weil dann der Gebrauch ökonomischer ist. 
Nächstens wird die Firma einen „Spiritus Spirosali“ in Original¬ 
packung abgeben, und zwar je Dosen von 20 g für ca. 1,20 M. 
Dann würde der Tagesverbrauch des Mittels sich auf 50 bis 60 Pf. 
stellen. 

6. Nach Beobachtungen des österreichischen Regimentsarztes 
Dr. Tausig soll „Robur“ nicht allein ein schmerzstillendes, 
sondern auch heilendes Präparat bei Rheumatosen verschiedener 
Art sein. Dasselbe ist ein einfaches Gemenge von Ammoniok 
und Alkohol, dem etwas Fichtennadelextrakt hinzugesetzt ist; es 
wird in drei Formen hergestellt: als Zusatz zu Bädern, als Robur- 
essenz für Einreibungen und als Robursalbe. Für die rheumati¬ 
schen Erkrankungen Ischias, Lumbago und ähnliche zeigten die 
Roburbäder den besten Erfolg, der derart eklatant war, daß ohne 
jedwede andere Medikation völlige Heilung selbst veralteter Leiden 
eintrat. Die Anwendungsweise gestaltete sich so, daß den heißen 
Bädern etwa 300 g Robur zugesetzt, das Wasser tüchtig gemischt 
wurde, wobei es eine grünlichgelbe Farbe und einen angenehmen 
Geruch nach Fichtennadelextrakt erhielt. Das Bad wirkte er¬ 
frischend und anregend, nicht ermüdend. Die Roburessenz, von 
ungefähr gleicher Zusammensetzung wie der Bäderzusatz, kann 
als Adjuvans oder in leichteren Fällen von rheumatischen Krank¬ 
heiten als alleiniges Heilmittel verwendet werden. Um Ekzem 
zu vermeiden, empfiehlt es sich, anfangs das Mittel mit Oel ver¬ 
dünnt zu nehmen. Nach der Einreibung muß ein Verband an¬ 
gelegt werden. Die Robursalbe hat als Salbengrundlage das 
Cerivin, ist aber im übrigen von gleicher Zusammensetzung wie 
die anderen Roburpräparate. Sie wird mit Vorteil bei Ekzemen 
angewendet, wo ihre desodorierende, austrocknende, dabei reizlose 
und schmerzstillende Wirkung auffällt. Auch sah T. günstige 
Erfolge bei Brandwunden und Erfrierungen. Leider fehlt in dem 
Artikel eine Notiz, wo das Mittel erhältlich ist. 

7. Dr. de Meric hat im French-Hospital in London das 
Gonosan studiert. Er wandte es bei Gonorrhöe neben der Lokal¬ 
behandlung, bei Zystitis, Epididymitis etc. jedoch allein an; täg¬ 
lich 6 bis 8 Kapseln. Auf Grund seiner Erfahrungen empfiehlt 
er das Gonosan bei allen Fällen von akuter Gonorrhöe zur Linde¬ 
rung der Beschwerden, zur Erzielung eines rascheren Ablaufs der 
Krankheit und zur Vermeidung von Komplikationen: bei Urethritis 
post, und Zystitis zur raschen Beseitigung der krampfhaften 
Schmerzen und zur Klärung des Urins. 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU 


den Magneten ist in Vi mm Entfernung eine MetallmembraiC 
befestigt; von beiden führt je eine Induktionsspule zu der Katiel- 
leitung. Wird der Apparat unter Strom gesetzt, .so'werden die 
Magnete erregt und die Membran schwingt. Das Mikrophon 
ist ein Kohlen körn ermikrophon mit einer Membran aus Kohle; 
unter ihr befindet sich ein Resonanzboden, in dessen Mitte auf 
einer Stahlspirale ein Kohlenbecher eingebaut ist, der die 
Kohlenkörner enthält. Das Mikrophon ist von einem Metall¬ 
ring umgeben, der als Schallfänger dient und SeitenscMitze 
aufweist, die den Schall von der Seite eindringen lasäeh;Jn 
seinem Grunde ist eine siebförmig durchlöcherte Sehutfcscheibe 
angebracht. 

Die Schallwirkung des Apparates ist am intensivsten, wenn 
möglichst viele Kohlenkörner die Membran berühren, wenn 
also das Mikrophon auf horizontaler Plätte, z. B. auf dem Tisch, 
mit der Schallöffnung nach unten liegt. Nebengeräusche können 
auftreten durch zu große Stärke des Stromes oder ungeeignete 
Lage des Mikrophons. 

Die Handhabung des Apparates ist einfach. Das Trocken¬ 
element kann in der Westentasche getragen werden; bei mitt¬ 
leren Graden von Schweihörigkeit kann das Mikrophon mittels 
einer Metallöse an einem Westenknopf aufgehängt oder sonst 
an der Kleidung befestigt werden; bei hochgradiger Schwer¬ 
hörigkeit spricht man direkt in das Mikrophon, wobei die 
Schallfläche desselben senkrecht gehalten werden muß und 
alle Bewegungen zu meiden sind. Manche hochgradig Schwer¬ 
hörige verstehen aber am besten, wenn sie das Mikrophon 
in die Tasche stecken, oder wenn es auf der Tischplatte 
steht. Sowohl der Schwerhörige wie der Sprechende müssen 
mit der Technik des Telephonierens vertraut sein; man soll 
mit leiser Stimme, aber langsam und akzentuiert in den Apparat 
sprechen. 

Ausgezeichnete Erfolge hatte Verf. mit dem Apparat bei 
alLen Abstufungen von nervöser Schwerhörigkeit. In den 
Fällen von Sklerose waren die Resultate sehr verschieden, die 
einen erzielten sehr befriedigende Hörverbesserung, andere — 
nach der Funktionsprüfung identische Fälle — erwiesen sich 
völlig refraktär. Der Akustikapparat ist keineswegs ein un¬ 
fehlbar wirkender Korrektionsapparat des Gehörorgans; immer¬ 
hin gelingt es mit ihm, eine Reihe von Personen, die von dem 
Gespräch ausgeschlossen waren, dem Verkehr mit ihren Mit¬ 
menschen wiederzugeben. M. Plien, Berlin. 




Die Fibrolysinbehandlung und ihre Erfolge 

Dr. F. Mendel-Fasen. Berliuer Klinik, Oktob. 1907, He 


Preis 0,60 M. 


Von 
Heft 232. 


Technische Neuerscheinungen. 


Hörtelephone für Schwerhörige. 

Dr. Lebram-Berlin. (Berl. klin. W. Nr. 18.) 

Verf. bat an einer Reihe von Patienten mit einer chronischen 
unheilbaren Schwerhörigkeit einen Apparat erprobt, der eine 
bedeutend verbesserte Type des seiner Zeit von Stille und 
Leiche empfohlenen Akustikapparates darstellt (konstruiert 
von der Deutschen Akustik-Gesellschaft Berlin). Derselbe be¬ 
steht aus drei Teilen, einem Telephon, einem Mikrophon und 
einem Trockenelement, die zusammen ein Gewicht' von nur 
315 g haben. Telephon und Mikrophon wird durch ein ge¬ 
gabeltes Kabel, das durch Stechkontakt an das Trockenelement 
angeschlossen wird, verbunden. Alle Teile sind leicht ge¬ 
arbeitet, so daß das Ganze leicht transportabel und wenig auf¬ 
fällig ist. Das Telephon ist ein Dosentelephon, das in kleinem 
Raum zwei Magnete und einen kräftigen Anker enthält; über 


Ein ausgezeichneter Kenner der Fibrolysinbehandlung ver¬ 
öffentlicht nicht allein seine Forschungen und Erfahrungen auf 
diesem Gebiete, sondern rekapituliert auch alles, was über diesen 
Gegenstand bisher bekannt geworden ist. Da die Injektion der 
alkoholischen Lösung von Thiosinamin außerordentlich schmerzhaft 
ist, und da die von Juliusberg empfohlene Lösung des Präparats 
in warmem Wasser und Glyzerin sich als nachteilig erwiesen hat, 
weil in der Kälte sich jedesmal Thiosinamin ausscheidet, durch 
das häufige Erwärmen aber eine Veränderung des Präparates Ein¬ 
tritt, hat die Firma Merck-Darmstadt auf Veranlassung von 
Mendel ein Doppelsalz hergestellt, das eine chemische Verbin¬ 
dung von Thiosinamin und Natrium salizylikum darstellt und den 
Namen Fibrolysin erhalten hat. Dieses, in warmem und kaltem 
Wasser leicht löslich, wird in zugeschmolzenen Ampullen steril in 
den Handel gebracht. Jede Ampulle enthält 2,3 ccm Fibrolysin, 
was einem Gehalt von 0,2 Thiosinamin entspricht. Mit diesem 
Präparat hat M. seine Untersuchungen angestellt, die völlige Un¬ 
giftigkeit desselben ergaben. Interessant ist die Beobachtung, 
daß Fibrolysin eine erhebliche Leukozytose anregt. Das Mittel 
wird intravenös, besser noch intramuskulär injiziert. Bevorzugt 
wird die Glutäalgegend, und zwar wird — je nach Dringlichkeit 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


555 



jeden Tag oder alle zwei bis drei Tage, J vom Reichsaussclmß für das ärztliche Fortbildungswesen in Ver- 
nÜndestenS aber wöchentlich dreimal bei Erwachsenen der Inhalt * bindung mit dem Zentralkomitee nachstehende Bestimmungen ge- 
.eker ganzen Ampulle,.bei Krädern entsprechend weniger verab- | troffen worden: 1. Berechtigung zur Teilnahme. Zur Teilnahme 
rjßicht. M. hat bis zu 50 Injektionen gemacht. Schwere allge- an den Fortbildungskursen und Vorträgen ist jeder deutsche Arzt 
meine' o,der lokale Nebenerscheinungen hat M. nie beobachtet, gegen Erlegung einer Einschreibegebühr \on 15 M. für den ganzen 

(Kan vergleiche dagegen den vor kurzem aus der Leipziger Poli- Zyklus berechtigt. Diese Einschreibegebühr wird nicht zurück- 

klinik veröffentlichten Bericht in der Münch, med. Wochenschr., erstattet, sofern aus irgendwelchen Gründen eine Teilnahme an 

1908, Nr. 17.) Die Erfolge der Fibrolysinbehandlung dokumen- dem Zyklus nicht möglich ist; eine Zurückerstattung erfolgt nur 

tieren sich bei narbigen Veränderungen der Haut, Sehnen und dann, wenn etwa sämtliche bei der Meldung gewünschte Kurse 

Gelenke, besonders bei Verbrennungen und Dupuytrenscher Kon- und Vorträge schon besetzt sind. 2. Art der Meldung. Pro- 

traktur; ferner bei chronischem Gelenkrheumatismus und Arthritis gramme und Meldezettel für die gewünschten Kurse und Vorträge 

deformans. In Fällen von chronischem Gelenkrheumatismus mit sind unentgeltlich im Bureau des Kaiserin Friedrich-Hauses für 

Aukylosierung verband M, die intravenöse Attriträbehandlung mit das ärztliche Fortbildungswesen (Schalter für Kartenausgabe) zu 

der intramuskulären Fibrolysintherapie. * Die erweichende Wirkung erhalten, wo auch Auskunft erteilt wird (schriftlich nur gegen 

des Fibrolysin kommt weiterhin zur Geltung bei Strikturen röhren- Erstattung des Rückportos oder wochentäglich 9 bis 2 Ubr per- 

förmiger Organe (Pylorus, Urethral, ferner bei chronischer Para- sönlichb Bei schriftlichen Bestellungen auf den Meldezetteln ist 

metritis, pleuritischen Verwachsungen und solchen von Darm und zugleich 'die Einschreibegebühr (durch Postanweisung) zu iiber- 

Blase, weiterhin in der Ohren- und Augenheilkunde, bei chroni- senden, ohne welche die Meldung ungültig ist. Alle schriftlichen 

scher Neuritis. M. betont aber ausdrücklich, daß in allen Fällen, Meldungen und Postanweisungen sind zu richten an Herrn 0. 

wenn mit der Fibrolysinbehandlung ein voller Erfolg erzielt Zürtz, Kaiserin Friedrich-Haus, N.W. 6, Luisenplatz 2— 4. Per¬ 
werden soll, diese durch mechanische, hydriatische, elektrische sönliche Meldungen werden wochentäglich von 9 Uhr vormittags 

und ähnliche Maßnahmen unterstützt und gefördert werden muß. bis 2 Uhr nachmittags angenommen * hierbei ist zugleich di e Ein- 

Lektüre dieser Abhandlung, die das Resultat der bis- schreibegebühr zu erlegen. Telephonische Bestellungen von Karten 

herigen Untersuchungen über die Fibrolysinbehandlung darstellt und Verzeichnissen können nicht berücksichtigt werden. 3. Termine 

und reichliche Literaturangaben enthält, kann jedem praktischen der Meldungen, a) Beginn der Meldungen : 10. August, b) Schluß 

Arzt auf das wärmste empfohlen werden. der Meldungen : 17. Oktober. 4. Programmheft. Vom 10. August 

W. Krüger-Magdeburg. an werden täglich aus allen bis 2 Uhr nachmittags eingelaufenen 

schriftlichen und persönlichen Meldungen durch Auslosung die 
Teilnehmer für die einzelnen Kurse festgestellt, welche hierauf 
ein Programmheft erhalten. Das Programmheft ist unübertragbar, 
enthält den Ausweis für die Kurse und ist auf Verlangen beim 
Eintritt in die Kursräume vorzuzeigen. 5. Zuschriften Alle Zu¬ 
schriften sind zu richten an das Bureau des Zentralkomitees, 

Für den kurzfristigen Zyklus unentgeltlicher ärztlicher p^senplatz 2 T 4 ( Kaiserm Fnednch-Han» für das arzt- 

Fortbildungskurse in Berlin vom 19. bis 31. Oktober d. J. sind llche Fortbildungswesen). 

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tran wirkt, machen sich bei Gebrauch des ersteren auch die Heilerfolge um 
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Wochenschrift ^ür die gesamte Therapie des praktischen Arztes. 


Herausgegeben von 


O. Anton, A..Dfihrssen, C.A. Ewald, E. Friedberger, p «• Koennen. m. messe, 

Halle a. S. Berlin. Berlin. Berlin. 

H. Schlange, Ad. Schmidt, H. Schmidt-Rimpler, 

Hannover. Halle a. S. Halle a. S. 

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Redaktion: 

Berlin S. 14, Dresdenerstr. 44. Tel. IV, 11773.' 

Dr . med. et phil. H. Lungwitz. _, 

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P. Gerber, M. Koeppen, M. Mosse, K. Partsch, H. Rosin, 
Königsberg. Berlin. Berlin. Breslau. Berlin. 

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Verlag u. Expedition: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung 
in Halle a. S., Reilstraße 80. 

Tel.-Adr.: Marhold Verlag Hallesaale. Fernsprecher 823. 


D. Jahrgang. 


Halle a. S., 20. September 1908. 


Nr. 38. 


Die „Therapeutische Rundschau- «scheint jeden Sonntag und[kostet f “ich g 2 einzelne N“”“” f äi e B 4 ^espaYtlne 

Sft 50 Pf. S be^tmetP e Beilagen^n^hUe^ereinkunft^Rekl^niezeile^^O^Ah^ d Be|_größeren A^tragenjvjrd^ahatt f e f a nde re n Rubriken ist nur mit Quellenangabe gestattet 



Eklektizismus in der Medizin. 

Eine historisch -'therapeutische ^Studie. 

Yon Dr. Gr. Reimer, Lage i. L. 

(Schluß.) 

Hatten schon im Anfang des 19. Jahrhunderts in Ausge¬ 
staltung des Aehnlichkeitsprinzips einige, z.B. Herrn an n Groß, 
der Tierarzt Lux u. a., ohne Begründung und ohne Erfolg 
die schon bei Paracelsus erwähnte Isopathie entwickelt und 
versucht, z. B. Krätze durch innerliche Darreichung von ge¬ 
wonnenem Krätzstoff, Schwindsucht durch Auswurf von Brust¬ 
kranken zu heilen, so waren diese neuen Bakteriologen nicht 
etwa Eklektiker, sondern originell auf fest begründeter wissen- 
schaftlicheriGrundlage. Auch die Chirurgie war inzwischen 
nicht zurückgeblieben. Hatte Lister auf Pasteurs Ent¬ 
deckung hin, daß die Luft Infektionskeime enthalte, in desinfi¬ 
zierter Luft operiert und die Wunden mit antiseptischen Mitteln 
behandelt und verbunden, so führte Bergmann in gerechter 
Würdigung der neuen Forschungen die Aseptik ein, und da 
inzwischen, dank der mächtig aufstrebenden und schaffenden 
Chemie und £ Pharmakologie, das Chloroform und der Aether 
als Betäubungsmittel zur Geltung gebracht waren, so erreichte 
die Operationstechnik eine ungeahnte Ausbildung, die es er¬ 
möglichte, auch die bis dahin gefährlichsten und gefürchtetsten 
Operationen sicher und gefahrlos auszuführen. 

Es war in kurzer Zeit von 30 bis 40 Jahren mehr ge¬ 
schaffen von Denkern und Geisteshelden, als vordem im Laufe 
von Jahrtausenden. Alle Welt sah staunend und bewundernd 
auf ihre Erfolge und konnte dankbar die Früchte dieser 
Forschungen am eigenen Leibe genießen und empfinden. Aber 
eine große Gefahr war mit dieser berauschenden Entwickelung 
verbunden. 

Der praktische Arzt war durch die in Kliniken musterhaft 
ausgebildete Perkussion, die ja schon Auenbrugger, ohne 
Anhänger zu finden, in der Mitte des 18. Jahrhunderts ange¬ 
wandt und in einem Schriftchen empfohlen hatte, die aber erst 
von Corvisart, Laennec und Scoda wieder hervorgeholt 
wurde, durch die Auskultation und chemische und mikro¬ 
skopische subtile üntersuchungsmethoden, durch Augen- und 
Ohrenspiegel imstande, genau die Art und den Sitz der Krank¬ 
heiten zu erkennen; durch die Autoritäten auf den verschie¬ 


denen Spezialgebieten, denen er vertrauensvoll und ohne Nach¬ 
prüfung folgte, war ihm zur Pflicht gemacht, alle Mittel gegen 
diese Krankheitsursachen, die ja jetzt so klar vor ihm lagen, 
anzuwenden, und in blindem Autoritätenglauben wandte er alle 
die vielen Mittel an^die eine findige Industrie als wirksam ihm 
lieferte. 

Sein Vorgehen richtete sich gegen die Ursachen der Krank¬ 
heit, die Kokken und Bazillen, und suchte dieselben durch spe¬ 
zifisch wirkende Mittel aus den ergriffenen Körperteilen wieder 
zu vertreiben. Das gelang ihm denn auch in den vielen akuten 
Krankheiten so auffallend, daß der Kranke und Arzt Freude 
haben konnten; aber nicht alle Krankheiten reagierten so ge¬ 
fällig wie das Wechselfieber auf Chinin und der Gelenkrheu¬ 
matismus und die anderen Infektionskrankheiten auf die Sali- 
zylate oder die Influenza auf die neu erstandenen Antipyretika, 
es waren*die große Menge chronischer Stoffwechselerkrankungen 
mit ihren Folgezuständen, die allen diesen Mitteln trotzten und 
dann den Kranken mit Mißtrauen gegen, seinen Arzt erfüllten, 
letzteren an seinen Fähigkeiten und seinen Mitteln zweifeln 
ließen und dem Pessimismus überlieferten. 

Besonders zu der Zeit, als die Neurasthenie die Führer¬ 
rolle in der Schar der Krankheiten übernahm, infolge des 
üppigeren* Lebensh und der* erschwerten Existenzbedingungen 
nach dem^Kriege 1870/71 in den 80er Jahren. 

Als da der Pfarrer Kneipp Hat für solche Leidenden 
wußte durch seine Wasserkur und lehrte, daß man nicht das 
kranke Organ, sondern den ganzen Körper zu behandeln habe, 
und daß man den Körper durch Abhärtung. gegen Eirankheit 
schützen könne und solle, da die Verweichlichung desselben 
deren Eintreten begünstige,^da^kam \eine7gewaltige Bewegung 
und Erregung über große Schichten der^Gebildeten^des Volkes. 
Nach dem Beispiel von Wörishofen bildeten sich eine Reihe 
großer Naturheilanstalten, anfangs von Laien, später auch von 
Naturärzten geleitet, die von den Erfolgen der Naturheilmethode 
sich blenden ließen oder auch in selbstsüchtiger Absicht 
ihrem Stande untreu wurden und sich gänzlich gegen An¬ 
wendung von Arzneibehandlungaussprachen, ja in ihrem 
Uebereifer fanatisch gegen den Aerztestand auftraten und 
durch die häßlichsten Hetzartikel gegen die „Serumsjauche 41 
und den „Serumsschwindel“ das Publikum gegen die Aerzte- 
schaft aufwiegelten. 

Wenn man heute, nachdem die Bewegung ruhigere Formen 
angenommen, ohne Voreingenommenheit alles übersieht, so muß 
man mit Bedauern zugeben, daß unserem Aerztestand nicht mit 
Unrecht ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, daß er die 
Bewegung damals nicht in ihrer Tiefe und Schwere genügend 
erkannt hat und den rechten 'Anschluß verpaßt_ hat. Ent¬ 
schuldigung hat er insofern, weil zu ungestüm und mit 


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: ■•• 4 - ' - »< ' • 


elementarer Gewalt diese Laienrevolution hereinbrach und 
damit zugleich solche feindselige Stimmung gegen die Aerzte 
sich bemerkbar machte, daß dieser Stand sich in die Defensive 
zurückziehen mußte, wenn es nicht den Anschein bieten sollte, 
als strecke er seine Waffen. 

Aber die größere Schuld trifft jene „Naturärzte“, die ihre 
Wissenschaft preisgaben und verhöhnten, die alles taten, ihre 
Standesgenossen nicht zu bekehren und zu sich hinüber¬ 
zuziehen, sondern durch „Vereinigung süddeutscher Aerzte für 
physikalisch - diätetische Therapie (Naturheilverfahren)“ mit 
ihrem „Heidelberger Programm“ jede Verständigung unmög¬ 
lich machten. 

Dadurch ist ein solcher Groll und Widerwille' gegen die 
Naturheilmethode entstanden und eingewurzelt, daß es auch 
heute noch anstößig ist, diese Bestrebungen mit ihrem Namen 
zu nennen, obwohl mit der Zeit doch eine große Menge Aerzte 
und alle Sanatoriumsleiter die Wahrheiten dieser Methode, 
sofern sie von Aerzten in den rechten Grenzen richtig an¬ 
gewandt wird, anerkennen und zugestehen. 

Aber die Aerzteschaft im großen allgemeinen sträubt sich 
noch, dieser Methode ihre Berechtigung zuzugestehen, sie geniert 
sich dessen, weil Laien die Begründer derselben gewesen, 
lieber folgte man den Hauptrufern im Streite, die wie auf der 
Gegnerseite, so auch auf unserer Seite erstanden sind und noch 
glauben, durch ihr Gezeter sich Bundesgenossen zu schaffen und 
durch ihr Triumphgeschrei den „Feind“ der Kurpfuscherei, 
denn dazu zählen sie die Naturheilbewegung, bange machen 
und verscheuchen zu können. Die praktischen Aerzte, um deren 
Wohl und Wehe es sich bei Lösung dieser Streitfrage handelt, 
stehen unbeteiligt beiseite, oder wenn sie versuchen, sich in 
diesen Kampf einzumengen, dann werden sie nicht einmal zu¬ 
gelassen. Kein Stand hat im Laufe dieser letzten 20 Jahre so 
unter diesem geschaffenen Unfrieden zu leiden gehabt, so 
enorme Einbuße an Ansehen gehabt bei seiner Rolle als neu¬ 
traler Zuschauer, der nicht wußte, welcher Partei er sich zu¬ 
wenden solle, als der Stand der praktischen Hausärzte. Durch 
seine unangebrachte Neutralität schuf er sich Feinde und keine 
Freunde. 

Feinde von ihm sind die Kurpfuscher und die Naturärzte, 
die ihm manche fruchtbare Domäne abnahmen, die er nicht 
genügend bewirtschaftet hatte, und die in ihrer neben Wirt¬ 
schaftsart den Beweis lieferten, daß es auch so, d. h. ohne 
Arzneiwirtschaft geht in vielen Fällen. 

Feinde erstanden ihm auch in den Nachfolgern der Lehre 
Hahnemanns, den 500 modernen Homöopathen, die sich ge¬ 
flissentlich von der Kollegenschaft absondern und von ihren 
Isolierschemeln herab in mystischer Form dem wunder¬ 
gläubigen Publikum eine Doktrin der Charlatanerie vororakeln, 
die der Selbsttäuschung und dem Betrüge Tür und Tor öffnet. 
Sie rauben auf diese Weise dem Hausarzte, neben dem sie 
heimlich oder offen arzten, zum Schlüsse die Anerkennung, die 
der Geheilte ihm schuldig ist. Feinde sind dem Hausarzte 
auch in nicht zu knapper Weise erstanden in der Klientel 
selbst, die es nicht einsehen kann, daß ihr Arzt sich trotzig, 
und wie sie meinen, aus Mangel an Einsicht diesen Methoden 
verschließt, denen mancher seine Wiedergenesung zu ver¬ 
danken glaubt. Ihre Sympathien sind für die von der 
Wissenschaft, wie sie meinen, Ausgestoßenen, die allen Grund 
haben, als solche sich hinzustellen, und bewußt verschweigen, 
daß sie freiwillig ihre separierte Stellung gewählt oder sich 
verkehrterweise haben in diese falsche Lage hineindrängen 
lassen. 

Und wenn wir freimütig und offen sein wollen, so müssen 
wir sagen, der größte Feind findet sich in unseren Reihen 
selbst, das sind die Kollegen, die mit den Jahren Pessimisten 
geworden sind, weil sie mit falsch angewandten Mitteln nicht 
die Erfolge erzielten, die sie erwartet hatten, und die ihre 
Ohnmacht nicht still für sich in ihrem Herzenskämmerlein 
tragen, sondern bei den unpassendsten Gelegenheiten ihren 
nihilistischen Standpunkt auch Laien und Pfuschern gegenüber 
zum Ausdruck bringen, das sind die Kollegen, die konservativ 
bis auf die Knochen feindselig jeder Neuerung gegenüberstehen, 
auch wenn sich diese bewährt hat, das sind die gleichgültigen 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU, 


Kollegen, die mit dem Staatsexamen einen genügenden AK-A 
Schluß ihrer wissenschaftlichen Studien erreicht zu haben 
glauben und damit ein Anrecht auf ausreichende Versorgung ' 
in irgendeiner gut dotierten Kassenarztstelle, wo es ihnen dann 
auf ein Rezept mehr oder weniger nicht ankommt. 

Der „neue Hausarzt“ soll und muß wieder werden ein 
treuer Berater der Kranken und Familien, zu dem seine 
Patienten das vollste Vertrauen haben, daß er ihnen in ihren 
Nöten gerne hilft und kraft seiner Wissenschaft und Erfahrung 
auch helfen kann. 

Er muß ausgerüstet sein mit einem Gemüt, das empfäng¬ 
lich ist für alles Gute, Edle, Schöne, und muß in allen Sätteln 
der Wissenschaft fest und angegossen sitzen. 

Die Asepsis muß er nicht bloß beherrschen, sondern auch 
in jedem Falle beherzigen, die Geburtshilfe muß er mit Ruhe 
und Geschick ausüben, in der Arzneimittelpraxis muß er mit 
klarem Blicke die Spreu vom Weizen trennen lernen, damit 
er den Fehler der alten Aerzte, die Kompliziertheit der Rezepte, 
vermeidet, es genügt für ihn nicht mehr die subtilste Aus¬ 
nutzung der Perkussion und Auskultation, er muß mit dem 
Mikroskop umzugehen wissen, auch bakteriologische und che¬ 
mische Untersuchungen, nicht bloß des Urins, sondern auch der 
andern Se- und Exkrete, der Fäzes auszuführen imstande sein. 
Er muß Augen-, Ohren- und Kehlkopfspiegel handhaben können 
und leichtere Eingriffe dieser Art mit sicherem Geschick machen 
können, er muß aber auch groß und stark genug sein, sich der 
Grenzen seiner Kunst bewußt zu bleiben, und nicht wenn es 
zu spät ist, sondern rechtzeitig die Hilfe eines erfahrenen 
Spezialarztes in Anspruch nehmen. Mit einem Worte, ein ver¬ 
nünftiger Eklektizismus unter den vielen, vielen Kurmöglich¬ 
keiten der modernen Medizin kommt für den Hausarzt in 
Betracht. 

Den Feinden seiner Wissenschaft gegenüber muß er eine 
feste, ruhige, sichere Haltung einnehmen; nicht schelten oder 
prahlen, ohne deren Methoden auch nur eines Blickes zu wür¬ 
digen, er soll auch diesen gegenüber den Standpunkt eines 
klugen und zielbewußten Eklektikers einnehmen, aus ihren 
Mitteln schöpfen und wählen. 

Da hat die Naturheilmethode uns eine ganze Reihe wirk¬ 
samer Mittel gebracht, die wir dankbar anwe'nden sollen. Es 
ist nicht nur nicht bedauerlich, sondern in gewisser Weise gut 
und ein Glück gewesen, daß die Naturheilbewegung von Laien 
ausging und deshalb mit solcher Vehemenz in die Erscheinung 
'trat. Aerzte würden niemals, wie die Geschichte lehrt, so 
rasch eine so große Anhängerschar gefunden haben, die sich 
willig zu den Versuchen hergab, wie sie Laienpraktiker ohne 
Verantwortungsgefühl nunmehr anstellen konnten. Dadurch und 
besonders deshalb, weil diese Laien gänzlich sich von der Arznei 
lossagten, konnte um so leichter nachgewiesen werden, inwie¬ 
weit die Natur des Einzelnen befähigt ist, eine Naturheilung 
eintreten zu lassen. Und das Resultat dieser Versuche ist 
doch zweifellos, daß der Naturheilmethode eine Berechtigung 
innewohnt, nicht deshalb, weil in vielen Fällen die^ Natur 
alleine ausreicht, weil es Krankheiten gibt, die erfahrungsmäßig 
allein durch sie heilen können, sondern weil es Krankheiten, 
wie die Stuhlträgheit und Neurasthenie gibt, die auf Natur¬ 
heilwege geheilt werden müssen, bei denen es nur einer ver¬ 
nünftigen Natur leb weise und Naturheilmethode gelingt, eine 
Endheilung zu erreichen. 

Folgen wir nur getrost den Lehren dieser Naturheilmethode, 
die ja auch nicht zu geringem Teil von Aerzten ausgehen, z. B. 
was die Behandlung der Stuhlträgheit betrifft, und sorgen wir 
dafür, daß durch uns dieselben unseren Patienten kund 
werden, als Lehren, die wir selbst befolgen: Leben wir nach 
dem Vorbilde, das die Natur uns bietet in dem Wachstum ihrer 
Pflanzen und Geschöpfe, die ohne genügend Luft, Licht, Wasser 
und geeignete Nahrung und ohne genügende freie Bewegung 
verkümmern oder eingehen; wenden wir in Krankheitsfällen 
vorzüglich die Naturheilweise an, d. h. diese aus der Allnatur 
uns stets zur Verfügung stehenden Mittel sollen durch modi¬ 
fizierte innere und äußere zweckmäßige Anwendung unsere 
Körpernatur unterstützen in dem Bestreben, sich der Krankheit 
zu erwehren. Wenn wir die Lehren hieraus nützlich an wenden 




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1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


550 


und offen anwenden in unserem Berufe, dann entwinden wir 
damit den Pfuschern und Naturärzten ihre Waffe und ihre 
Reklametrommel, denn jeder Verständige wird erkennen, wie¬ 
viel höher ein Arzt steht, der neben diesen Naturheilmitteln 
noch über so und so viele Arzneimittel verfügt, mit denen er 
rasch und sicher eingreifen kann, als der verrannte Naturarzt, 
der sich dieser Arzneihilfe begibt. 

Und dann gegen den anderen Feind des Hausarztes, den 
modernen Homöopathen! ? 

Es müßte dafür gesorgt werden, daß auf den Universitäten 
vor dem Staatsexamen ein Aufklärungsunterricht eingerichtet 
würde, sowohl über Naturheilmethode wie über die Homöo¬ 
pathie, Wo derselbe noch fehlt, muß sich jeder später diese 
notwendige Aufklärung aus Büchern verschaffen. Der Homöopath 
behandelt mit unseren Mitteln, die er nur in veränderter Form 
gibt, nach dem sogen. Potenzsystem. Aber es sind viele Aehn- 
lichkeiten zwischen beiden Methoden. Die Indikationen für die 
Wahl der einzelnen Mittel sind bei der Allopathie und Homöo¬ 
pathie fast dieselben; die Mittel Kampfer, Ferrum, Moschus, 
die von uns in größerer Dosis verordnet werden, werden auch 
vom Homöopathen in niederer Potenz, d. h. in starker Dosis 
verabreicht, so Kampfer und Eisen in 1. bis 2. Potenz, also 
0,1 bis 0,01, und sollen in rascher Wiederholung gegeben 
werden. So sollen bei akuten Krankheiten die niederen Po¬ 
tenzen (also stärkere Dosen), in chronischen Krankheiten 
mittlere oder höhere Potenzen (also schwache Dosen) in An¬ 
wendung gebracht werden; dasselbe Prinzip wie beim modernen 
Hausarzt, der bei akuten Krankheiten alles daran setzt, durch 
häufige und stärkere Gaben einen Umschwung zur Besserung 
hervorzurufen, während er in langwierigen Krankheiten weniger 
Arzneien gebraucht und wohl gar gänzlich der Naturleb- 
weise und -heilweise sich vertraut. 

Lernen wir also Homöopathie, damit wir nötigenfalls ein 
gerechtes sachliches Urteil in Laienkreisen zur Aufklärung ab- 
geben, damit endlich dieser Aberglaube aufhört, und wo noch 
ein moderner Homöopath störend in der Praxis sich bemerkbar 
macht, würde es auch kein Fehler sein, eventuell auch einmal 
die Form dieser Verordnung zu wählen, damit er von der 
Bildfläche als überflüssig verschwinde und wieder dazu erzogen 
werde, seine Kunststückchen zu unterlassen und ernstliche 
Wissenschaftlichkeit anzunehmen. Keinesfalls möchte ich in 
den Verdacht geraten, die Schar der modernen Homöopathen 
noch um einen oder mehrere durch diese meine Aufforderung 
zu vermehren. 

Lange genug, allzu lange hat der ärztliche Stand, der des 
Hausarztes vor allem, gelitten unter dem 80jährigen Kriege, 
hat schwere Kriegsopfer tragen müssen, während er lau und 
neutral dem Kampfe zusah. 

Schon schauen sie leuchtenden Auges auf die Hilfe, die 
ihnen gebracht wird durch die Gesetzgebung, durch die von 
oben eingeleitete hygienische Aufklärung der Sozialmedizin, auf 
die Wirksamkeit des deutschen Vereins für Volkshygiene und 
andere, schon bildete sich eine freie Vereinigung biologisch 
denkender Aerzte als Gegnerschaft der „Naturärzte“, aber das 
alles sind nur Vorpostenplänkeleien. Den Hauptkampf, den 
müssen sie allein ausfechten, da müssen Sie von Eifer¬ 
süchteleien und Uneinigkeit ablassen, und Mann für Mann 
folgen der Fahne, die ihnen entrollt ist zum Kampfe gegen 
Pfuschertum und Aberglauben in der Medizin. 

Drum auf mit diesen ihren geschärften Waffen mutig in 
den Kampf, unser ist der Sieg! 


REFERATE. 


Augenheilkunde. 

Referent: Privatdozent Dr. G. AbelsdorfF, Berlin. 

1. Erkrankungen des Auges durch die ultravioletten Strahlen 
greller Lichtquellen und Schutz gegen dieselben durch ein neues, 


in dünnen Schichten farbloses Glasmaterial. Von A. Vogt. 
Arch. f. Augenbeilk., Bd. LX, H. 2, S. 161. 

2. Ueber regionäre Anästhesie in der Orbita. Von A. 

Löwenstein. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., XLVT, S. 592. 

1. Da in den letzten Jahren die Erkenntnis der Bedeutung 
der ultravioletten Strahlen für die Pathologie des Auges zuge¬ 
nommen hat und die Entstehung mancher Krankheiten, wie der 
Schneeblindheit, Ophthalmia elektrika, Glasbläserkatarakt, zum 
großen Teile der Wirkung dieser Strahlen zugeschrieben wird, 
hat V. nach einem möglichst farblosen Glase gesucht, das die 
ultravioletten Strahlen absorbiert, und dieses in dem schwach gelb¬ 
lichen Schwertflint 0,198 (Schott, Jena) gefunden. Er empfiehlt 
dieses Glas für alle diejenigen Zwecke, bei welchen, ohne der 
Helligkeit des Lichtes Abbruch zu tun, der schädliche Einfluß 
greller Lichtquellen ausgeschaltet werden soll, also als Lampen¬ 
glasmaterial bei Auer-, Azetylen-, elektrischem Licht, als Schutz¬ 
glas. im Gebirge, als Brillenglas für manche Berufe, wie Glas¬ 
bläser, und für manche Krankheiten, wie Katarakta inzipiens. 

2. Während die Lokalanästhesie mit Kokain sich für die 
Enukleation nicht entzündlicher Augäpfel bewährt hat, versagt die 
Methode oft bei entzündeten und schmerzhaften Augäpfeln. Auf 
Elschnigs Anregung wurden daher in der Prager Augenklinik 
Versuche mit Leitungsanästhesie in der Weise angestellt, daß die 
Kokaininjektion gegen das Ganglion ziliare, in dessen Nähe sich 
alle den Bulbus versorgenden sensiblen Nerven zusammendrängen, 
gerichtet wurde. Man findet den Weg durch Einstich einer 
Pravazschen Spritze mit 5 cm langem Nadelansatz am lateralen 
Orbitalrand etwas unterhalb der Mitte. Durch leicht hebelnde 
Bewegung überzeugt man sich, daß die Spitze sich nicht im 
Optikus gefangen hat. Fast unmittelbar nach der Injektion von 
höchstens 1,5 ccm l°/oiger Kokainlösung ist der Augapfelinhalt 
anästhetisch. Bei Entzündungen empfiehlt sich, um auch den 
Bindehautschnitt schmerzlos zu machen, noch eine subkonjunkti- 
vale Kokaininjektion. Nach diesem Verfahren wurden 18 Enu¬ 
kleationen, 7 Exenterationen, 1 Zyklodialyse schmerzlos vorge¬ 
nommen. Ein unangenehmer Zwischenfall ereignete sich bei Enu¬ 
kleation eines hochgradig myopischen Auges mit Melanosarkom 
der Chorioidea; die Nadelspitze stach hier den Bulbus an, so daß 
sich sein Inhalt in das orbitale Zellgewebe entleerte. 


Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 

Referent: Spezialarzt Dr. M. Halle, Berlin. 

1. Ein einfaches Verfahren, die Ansaugung der Nasenflügel 
zu beseitigen. Von Dr. Heer mann-Kiel. Zeitschr. f. Ohren- 
heilk., 1908, Bd. 56, H. 2. 

2. Zur Aetiologie und Behandlung der Sängerknötchen. 
Von Dr. Ernst Barth. Berl. klin. Wochenscbr., 1908, Nr. 33. 

3. Die operative Behandlung der malignen Tumoren der 
Nase. Von Prof. Denker. Arch. f. Laryngol., Bd. 21, H. 1. 

4. lieber Blutungen nach Exzision der Rachenmandel. Von 
Dr. Haymann. Ibidem. 

1. Zur Beseitigung des häufigen, sehr lästigen Ansaugens der 
Nasenflügel bei der Respiration wendet Heermann statt des 
Hartgummiovals von Schrnidthuisen und des Silberdrahtbügels 
von Feldbausch, die wegen der äußerlichen Sichtbarkeit zumal 
von bessergestellten Patienten uDgem getragen werden, kleine 
Wattekügelchen an, die er, mit Borsalbe getränkt, in das Vesti- 
bulum narium einführt. Diese „ Wattepillen u werden vom Pat. 
selbst gedreht (Heermann hat sie auch fabrikmäßig darstellen 
lassen) und in die sogenannte Spitzentasche, ganz vorn und oben 
im Vestibulum, hineingedrückt. H. hat nur Vorteile davon ge¬ 
sehen. 

Es dürfte sich jedoch in der Mehrzahl der Fälle empfehlen, 
durch einen einfachen Eingriff das Septum narium vom zu ver- 
schmälern, das in solchen Fällen gewöhnlich deformiert bezw. ver¬ 
dickt ist. Hierdurch sind leicht Dauerheilungen zu erzielen. Nim 
bei sehr ängstlichen Patienten dürfte Heermanns Methode emp¬ 
fehlenswert sein (Ref.). 

2. Barth bespricht die bisher aufgestellten Theorien über 
die Entstehung der Sängerknötchen, 1. daß sie durch mechanische 


UNTVtRb^TOfflTrRTü/W 


lindl from 








560 




gegenseitige Reibung der geschwollenen Stimmbänder 'entstehen, 

2. an den Knotenpunkten der Schwingungen der Stimmlippen, die 
dazu besonders prädisponiert sind, 3. daß eine Drüse am Stimm¬ 
bandrande eine wichtige Rolle für ihre Entstehung spiele. 

Yerf. bringt gegen alle drei Theorien Gründe vor (wie es 
scheint, nicht ganz stichhaltige gegen Nr, 2. als Mitfaktor Ref.) 
und zieht aus den anatomischen Verhältnissen und der physiologi¬ 
schen Funktionsart der Stimmlippen den Schluß, daß Stimmband¬ 
knötchen zustande kommen durch häufiges Anschlägen der Stimm¬ 
lippen an das tief in den Kehlkopf gewölbte Tuberkulum epi- 
glottidis. 

Nötig zu ihrem Entstehen ist eine falsche Methode des 
Singens, indem der Kehlkopf bei hohen Tönen hochgezogen wird, 
statt wie zweckmäßig tiefer zu treten. 

Diese Entstehung erkläre auch den Erfolg einer Kur, die 
allein in absoluter Stimmruhe besteht. Lokale Behandlung ist 
nur am Platze, wenn daneben ein Katarrh des Kehlkopfs besteht. 
Notwendig ist natürlich vor allem das Erlernen einer richtigen 
Stimmtechnik, ohne die jede Therapie machtlos ist. Operative 
Maßnahmen hält Barth nur bei Versagen aller sonstigen ange¬ 
deuteten Mittel für berechtigt angesichts der eminenten Gefahr 
des technisch nicht absolut vollendeten Eingriffes für die Zukunft J 
des Sängers. 

Die Theorie des Verfassers ist jedenfalls eine sehr inter¬ 
essante und originelle, wenngleich sich wohl mancherlei Elinwen¬ 
dungen dagegen erheben ließen, die hier zu weit führen würden. 
Eine Bestätigung oder Ablehnung muß der Zukunft Vorbehalten 
bleiben. 

3. Die radikale Operation maligner Tumoren der Nase ist bis 
heute eine crux medieorum. Alle noch so eingreifenden Methoden, 
die den Tumor bis weit ins Gesunde herauszuschälen erlaubten, 
haben Rezidive nur für relativ kurze Frist zu verhindern ver¬ 
mocht. Dabei waren die bisher gebräuchlichen Methoden fast 
durchgängig überaus blutig und hatten eine erhebliche Mortalität 
(bis ca. 30%). 

Denker berichtet, konform mit einem Vortrag auf dem 
ersten internationalen Laryngologenkongreß in Wien, über einen 
neuen Weg, den er schon vor zwei Jahren angegeben hat. Er 
vermeidet jeden Schnitt durch die Haut, sondern beginnt seine 
Operation mit einem Schnitt im Munde an der Umschlagstelle 
der Mukosa am Oberkiefer, schiebt die Weichteile bis zur Orbita 
zurück, entfernt die vordere Wand des Antrum Highmori, dessen 
Schleimhaut sorgfältig weggenommen wird. Ebenso wird die 
mediale knöcherne Wand der Kieferhöhle, die untere Partie des 
Nasenbeins und des Prozessus nasalis des Oberkiefers bis ans 
Tränenbein entfernt. Hierdurch gewinnt man eine treffliche 
Uebersicht über das ganze Gebiet, und der Tumor kann relativ 
bequem entfernt werden. Die Wunde wird dann sofort vernäht, 
der Tampon durch die Nase hindurchgeführt. Nach 14 Tagen 
kann der Patient die Klinik verlassen. 

Leider hat auch diese Methode, die ein so weitgehendes Vor¬ 
dringen erlaubt, nicht vermocht, die Rezidive zu verhindern. 
Dennoch ist sie sicher eine sehr empfehlenswerte, weil sie jede 
Entstellung vermeidet, die Blutung gering ist und die Heilung 
außerordentlich rasch von statten geht. Es ist wohl zu hoffen, 
daß ihre weitere Ausbildung die Prognose dieser Operationen immer 
günstiger gestalten läßt. 

4. Wenn auch im allgemeinen Operationen der Rachenmandel 
als vollkommen gefahrlos zu bezeichnen sind, so kommen doch, 
wenn auch selten, sehr unangenehme Zufälle vor. Es besteht die 
Gefahr einer Wundinfektion und, wesentlich mehr, die Gefahr 
einer starken Blutung. Diese kann sich der Operation unmittelbar 
anschließen oder, als Nachblutung, nach einer Reihe von Stunden, 
ja von Tagen auftreten. 

Die Ursache solcher Blutungen können sein in erster Linie 
Nebenverletzungen, in seltenen Fällen Hämophilie oder Leukämie, 
und verhältnismäßig häufig sind es hängengebliebene Reste, aus 
denen es immer wieder blutet, zumal diese Fetzen gewöhnlich 
durch Würgbewegungen stark gezerrt werden. Blutungen werden 
auch angegeben bei vorhandener Nephritis und Herzfehlern. Auch 
eine gerade bestehende Menstruation ist des öfteren angeschuldigt 
worden, jedoch ist ein ätiologischer Zusammenhang hier nicht be- 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Prophylaktisch wird man daher auf leukämische Prozesse- unS' 
Hämophilie zu achten haben;(sehr seltene Fälle). Das Wichtigste ist 
die Kontrolle nach der Operation auf hängengebliebene Reste, weil 
diese die gewöhnliche Ursache von Nachblutungen sind. 

Ist die Blutung auf diese Weise nicht zu stillen, so läßt sich 
in ausnahmsweisen Fällen eine Retronasaltamponade nicht ver¬ 
meiden, doch soll man sich hierzu nur in äußersten Notfällen 
entschließen, da die Gefahr einer Infektion des Ohrs sehr groß 
ist und auch Allgemeininfektionen beobachtet worden sind. 


Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Referent: Spezialarzt Dr. S. Aschheim, Charlottenburg-Berlin. 

1. Histologische Besonderheiten von Vagina und Blase 
während der Gravidität. Von Dr. Hofbauer. Monatsschr. f. 
Gyn. u. Geb., Bd. 28, H. 2. 

2. Die Achsendrehung des Dickdarms in Beziehung zu 
Schwangerschaft und Geburt. Von Dr. Georg Becker (Univ.- 
Klinik Halle). Ibidem. 

3. Ueber Duodenalverschluß. Von Dr. Rosenthal (Klinik 
Prof. Landau). Arch. f. Gyn., Bd. 86, H. 1. 

4. Typhusvereiterung des Ovarialtumors. Von Dr. Gans 
(Frauenklinik in Königsberg). Monatsschr. f. Gyn. u. Geb., Bd. 28, 
Heft 2., 

5. Heber missed abortion. Von B. Rosinski. Ibidem. 

6. Die Bedeutung der hämolytischen Streptokokken für die 
puerperale Infektion. Von Dr. Th. Heynemann (Frauenklinik 
Halle). Arch. f. Gyn. 86, 1. 

7. Zuckerkrankheit und Schwangerschaft in ihren Wechsel¬ 
beziehungen. Von Dr. Offergeld. Ibidem. 

8. Ein neuer Handgriff zur Behandlung der atonischen 
Nachblutungen. Von Dr. Lagos Göth. Zentralbl. f. Gyn., 
1908, Nr. 15. 

9. Zu der Mitteilung des Herrn Dr. Göth: Ein neuer Hand¬ 
griff zur Behandlung der atonischen Nachblutungen. Von Dr. 
G. Zick el - Berlin. Ibidem, Nr. 34. 

10. Perforatorium. Von Dr. Nacke. Ibidem, Nr. 29. 

1. In drei von acht Fällen fand H. in der Vagina bei- 
Schwangerschaft statt Plattenepithels Uebergangs- bezw. ge¬ 
schichtetes Zylinderepithel, im Bindegewebe Plasmazellen und 
Lymphozytenhäufchen; vielleicht erklären diese Veränderungen das 
Faktum der geschwächten Widerstandskraft der Scheidenschleim¬ 
haut gegen das Eindringen der Gonokokken während der Gra¬ 
vidität. 

An der Blase fand er Dickenzunahme der kontraktilen Fasern, 
in einem Falle Auftreten von quergestreiften Fasern, ferner Ver¬ 
breiterung und Quellung der bindegewebigen Septa, im Bereich 
der Schleimhaut und in den Interstitien der Muskularis Rundzellen¬ 
infiltrate, auch Plasmazellen. 

Am Epithel fand er in zwei Fällen ProliferationsVorgänge, 
nämlich Umwandlung in eine papillentragende Schleimhaut; ferner 
Durchwanderung von Leukozyten. 

Am vesikalen Ureterabschnitt ist die Muskularis infiltriert 
mit leukozytären Elementen, woraus sich vielleicht die von Sänger 
angegebene leichte Tastbarkeit des Ureters in graviditate erklärt. 

Vielleicht erklärt sich hieraus auch ein mangelhafter Ver¬ 
schluß der Ureterenöffnung, wodurch wiederum die Genese der 
Pyelitis gravidarum aszendens bei bestehender Bakteriurie erklärt 
werden könnte. 

2. Achsendrehung des Darms ist bei Frauen seltener als bei 
Männern, die Komplikation mit Gravidität ist sehr selten beob¬ 
achtet. 

B. beobachtete einen solchen Fall in der Halleschen Klinik. 

Eine XV p. bekam beim Aufsitzen nachts plötzlich heftigen 
Schmerz im Leibe, eine Stunde später Erbrechen, das sich am 
Morgen wiederholte. Bei der Ueberführung in die Klinik am 
Abend heftige Unruhe, schnellen kleinen Puls, beschleunigte ober¬ 
flächliche Atmung, aufgetriebener sehr druckempfindlicher Leib. 
Stuhl- und Windverhaltung. Uterus am Rippenbogen, Mm. mark¬ 
stückgroß. Die Geburt wurde mit Metreuryse schnell beendet ; 
der schlechte Allgemeinzustand ließ von einer Laparotomie Ab- 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


1908 . 


stand nehmen. Nachts Exitus, Sektion ergab, daß die Flexura 
sigmoid. mit ihrem sehr langen beweglichen Mesokolon 360 0 fest 
um die Basis des Dünndarmmesenteriums geschlungen war, so 
daß sich die Mesenterien gegenseitig abschnürten, und die dazu¬ 
gehörigen Darmabschnitte — der Dünndarm in 4*/^ m Länge, 
die Flexur in 30 cm Länge — gangränös waren; diese Partien 
rissen wie Zunder. 

B. gibt dann Bericht über acht Fälle (zwei in den ersten 
Monaten der Schwangerschaft) aus der Literatur, von denen nur 
einer durch Operation gerettet wurde; zwei der Fälle setzten 
unter der Geburt ein. In allen Fällen, außer einem, war das Kind 
durch die schwere Störung des Allgemeinbefindens abgestorben; die 
Diagnose schwierig; ist sie gestellt, muß sofort laparotomiert 
werden; dabei aber ist die Prognose auch ungünstig. 

3. Fälle von Duodenalverschluß sind in letzter Zeit in der 
gynäkologischen Literatur öfter beschrieben worden. R. teilt zwei 
Beobachtungen aus der Landauschen Klinik mit. 

Im ersten Falle traten die Erscheinungen am fünften Tage 
nach supravaginaler Uterusamputation wegen Myom auf. Krampf¬ 
artige Schmerzen im Leib, heftiger Durst waren die ersten Symp¬ 
tome bei objektivem Fehlen von Erscheinungen. 

Wenige Stunden später waren die Schmerzen, die in der 
Magengegend lokalisiert wurden, heftiger, Puls beschleunigt, Aus¬ 
sehen blaß, beinahe grau. Nach kurzer Besserung auf heiße Um¬ 
schläge weitere Verschlechterung, plötzlich heftiges Erbrechen, 
Puls 150, Kollaps; bald wiederholte sich das Erbrechen häufiger. 
Magenspülung. Am nächsten Morgen besseres Befinden^ Nach 
Genuß von Flüssigkeit von neuem Erbrechen und Schmerzen. 
Magen aufgetrieben, druckempfindlich, sonst Abdomen weich; Er¬ 
brechen, alle fünf Minuten große Mengen. Magenspülungen er¬ 
folglos. — Klagen über entsetzlichen Durst. Abends kleiner 
frequenter Puls. Temperatur 38°. Schlechtes Allgemeinbefinden. 
Durst. Magen stärker aufgetrieben. — Abgang von Blähungen. 
Am folgenden Morgen sehr schlechtes Befinden. Verfallenes Aus¬ 
sehen. Stetig Singultus und Erbrechen. Magen grenze unterhalb 
des Nabels. 

Diagnose: hoher Darm Verschluß. Vor der vorbereiteten Re- 
laparotomie Versuch mit Bauchlagerung, der einen eklatanten Er¬ 
folg hatte. Erbrechen hört auf; Blähungen gehen ab. Hinterher 
Wohlbefinden. Heilung. 

Im zweiten, fünf Jahre schon zurückliegenden Falle traten 
nach vaginaler Totalexstirpation vom fünften Tage an Schmerzen 
und Erbrechen ein. — Diagnose: Ileus. Laparotomie. 

Dünndarm im kleinen Becken, einzelne Schlingen am Scheiden¬ 
trichter adhärent. Keine Abknickung. Lösung der Verwach¬ 
sungen. Reposition des Dünndarms. Heilung. 

Außer diesen beiden Fällen zitiert Verf. noch eine größere 
Zahl aus der Literatur. Der hohe Darmverschluß entsteht da¬ 
durch, daß das Mesenterium durch Zug in der Richtung der 
Beckenachse das Duodenum verschließt, und zwar ist vor allem 
die A. mesenterica, die diesen Verschluß bewirkt. Dieser Zug 
muß nach Verf. ziemlich stark sein und wird verstärkt durch 
Druck von oben nach unten, durch Einklemmung des Darmes im 
kleinen Becken und durch Verwachsungen von Dünndarmschlingen 
mit dem Beckenboden. Druck von vorn nach hinten übt auch 
die volle Blase aus. Bezüglich der Entstehung der Magendilatation, 
ob primär, ob sekundär, gehen die Meinungen auseinander. R. 
Fall 1 beweist sekundäre Magendilatation. Die Diagnose ist nicht 
schwer, wenn mau das Krankheitsbild, wie es Fall 1 gibt, kennt. 
Durst, der bei hochsitzendem Darm Verschluß so stark ist, wie 
kaum sonst, Erbrechen, bald häufiger, bald seltener in großen 
Massen, von gelbgrüner, fast schwarzer Farbe, nicht fäkulent, 
•Temperatur nicht oder erst sehr spät erhöht, Puls klein und 
schnell. Stuhl und Flatus können angehalten sein, aber auch 
durch Einläufe zu erzielen. Urin hat hohen Indikangehalt. Leib 
in Epigastrium aufgetrieben, dort auch schmerzhaft. Schlechtes, 
verfallenes Aussehen. 

Bewirkt wird der Verfall durch große Flüssigkeitsverluste 
infolge des Erbrechens. 

Die Therapie besteht vor allem in der Bauchlagerung, die 
das Krankheitsbild mit einem Schlage aufhebt. Magenausspü- 
ungen, event. Versuch in Knieellenbogenlage, den Dünndarm aus 


561 


dem kleinen Becken herauszudrängen. Als Ultimum refugium 
kommt die Laparotomie in Betracht. 

Die Prognose ist bei zeitig gestellter Diagnose günstig. Die 
Bauchlagerung hat keine Nachteile für die Wundheilung. 

Die Erkrankung ist nicht nur nach Laparotomien, sondern 
auch ohne solche meist bei schlecht genährten Individuen beob¬ 
achtet worden. Bäumler beschreibt eine solche bei einem durch 
Typhus ad exitum gekommenen Mädchen. 

4. Nach größeren Statistiken gehen 8 bis 12% der Ovarial¬ 
tumoren in Eiterung über, woran Streptokokken, Gonokokken, 
Tuberkelbazillen, Bakterium koli, Staphylokokken, Pneumokokken 
und einige Saprophytenarten beteiligt sind. 

Auch Typhusbazillen sind in einer Reihe von Fällen gefunden 
worden. 

Einen solchen beschreibt G. Die Pat. trug bei ihrer Erkran¬ 
kung an Typhus einen sehr großen Ovarialtumor. Vier Monate 
nach der Genesung vom Typhus bekam Pat. beim Gehen plötz¬ 
lichen stechenden Schmerz in der Geschwulst und im Leibe, der 
nach einigen Stunden sich legte; seitdem beim Gehen und bei 
Druck auf den Tumor öfters Schmerzen. 

Bei einer zweiten Schmerzattacke starker Meteorismus und 
Erbrechen. 

Bei der Probelaparotomie entleert sich aus einem Einriß aus 
dem Tumor etwas Eiter; der Tumor wird nicht total exstirpiert, 
sondern nur drainiert. 

Im Eiter Reinkultur von Typhusbazillen. 

Ueber das weitere Schicksal der Pat. berichtet die Kranken¬ 
geschichte nichts. 

5. Der erste Fall, den R. beschreibt, betrifft eine luetisch 
infizierte Ip., bei der nach Ausbleiben der Menses eine der Zeit 
entsprechende Gravidität festgestellt wurde; nach sechs Monaten 
war der Uterus aber entsprechend dem dritten Monat vergrößert, 
das Allgemeinbefinden sehr schlecht, Albumen, Oedeme. Ent¬ 
sprechende Behandlung fünf Wochen ohne Besserung, deshalb 
Dilatation der Zervix zur Unterbrechung der Schwangerschaft; 
Ausbruch von Eklampsie — Ausräumung — Anfälle folgen Schlag 
auf Schlag — Exitus — Frucht mazeriert. 

Der zweite Fall betraf eine VTgravida. Letzte Menses am 
22. November, im Juni Auf hören der Kindsbewegungen, am 
18. Oktober wurde R. konsultiert. Nach der Untersuchung trat 
spontan die Geburt ein; zwei schwere atonische Nachblutungen. 
Die Pat. zeigte vorher starke Anämie, etwas Albumen und fühlte 
sich schlecht. 

Das schlechte Allgemeinbefinden der Frauen bringt R. in 
Beziehung zur Retention der abgestorbenen Frucht, auf Auto¬ 
intoxikation. 

Daraus aber folgt, daß in den Fällen von missed abortion 
das bisherige exspektative Verhalten aufzugeben und die Ent¬ 
leerung des Uterus anzustreben ist in allen Fällen, in denen der 
Tod der Frucht sichergestellt ist. 

Auch die atonische Nachblutung, die R. erlebte und die er 
auf Herabsetzung des Kontraktionsvermögens infolge des all¬ 
mählichen Zusammenschrumpfens nach der langsamen Resorption 
des Fruchtwassers zurückführt, geben Veranlassung zur Entleerung 
des Uterus. 

In der Diskussion zu diesem Vortrag bemerkt Lange, daß 
er auch einen Fall von Schädigung des Allgemeinbefindens durch 
missed abortion gesehen habe. 

6. Dem Nachweise der hämolytischen Streptokokken, d. h. 
Streptokokken, die auf einem bestimmt zusammengesetzten Blut¬ 
agar einen glashellen Hof bilden, wird von Veit und seinen 
Schülern, besonders von Fro mme, eine weitgehende Bedeutung für 
die Prognose der puerperalen Infektion zugeschrieben. 

H. hat zur Entscheidung der Frage, ob in der Hämolyse ein 
Merkmal zu erblicken sei, durch das die hochvirulenten von den 
weniger virulenten oder saprophytisch lebenden Streptokokken zu 
unterscheiden seien Blut und Lochia von 125 fiebernden Wöchne¬ 
rinnen bakteriologisch untersucht. 

In 22 Fällen davon wurden hämolytische Streptokokken im 
Lochialsekret gefunden, unter denen sich 4 letal endende Fälle 
fanden; hei letzteren wurden die Streptokokken auch im Blute 
gefunden, bei denen, die in Genesung übergingen, fanden sich 
keine Streptokokken im Blut, sonst wurde einmal im Blut der Fried- 


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Original frorn 

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1 änder sehe Kapselbazillus, einmal Staphyl. aureus gefunden, beide 
Fälle genasen. 

Auch die übrigen 18 Fälle wiesen schwere klinische Erschei¬ 
nungen — Temperatur bis 41°, Puls bis 126, 130 bis 140 — 
auf. Diese 18 Fälle gingen auf Bettruhe, Eisblase, Ergotin in 
Heilung über, wobei einige allerdings noch rezidivierten. 

Streptokokken, aber nicht hämolytische, wurden auch oft in 
anderen Fieberfällen gefunden, in einer Reihe von Fällen in Rein¬ 
kultur oder in großer Menge, so daß sie für die Erkrankung 
ätiologisch in Betracht kommen. 

Die Krankheitserscheinungen waren stets milder als bei den 
mit hämolytischen Streptokokken erkrankten Wöchnerinnen, be¬ 
sonders war der Puls weniger beschleunigt, die Temperatur nicht 
so hoch. 

Dem Nachweis der hämolytischen Streptokokken bei der 
puerperalen Infektion kommt nach H. eine große praktische Be¬ 
deutung zu, und zwar ist der Wert seines Nachweises 

a) ein diagnostischer: Er macht das Vorliegen einer puerpe¬ 
ralen Infektion wahrscheinlich und verhindert, daß das Fieber 
fälschlicherweise auf andere Ursachen zurückgeführt wird; 

b) ein prognostischer: In 22 unter 125 untersuchten Fällen 
wurde der Keim im Lochialsekret nachgewiesen, davon blieb er 
in 18 Fällen auf den Uterus beschränkt, oder es kam zu einer 
Parametritis; diese heilten. 4 aber, bei denen die Streptokokken 
ins Blut hatten eindringen können und dort zu finden waren, gingen 
zugrunde. Von den 103 Fällen ohne Streptok. hämolyt. starb keiner. 
Staphylokokkennachweis in großer Menge macht die Prognose 
auch dubiös; 

c) ein therapeutischer: Der Nachweis des hämolytischen 
Streptokokkus mahnt zu großer Vorsicht bei der Behandlung; die 
lokale Therapie muß vermieden werden, da durch Setzen von 
Wunden den Keimen neue Einbruchsstellen verschafft werden. 

d) Bedeutung für die Prophylaxe; beim Nachweis des hämo¬ 
lytischen Streptokokkus, der die schweren Fälle puerperaler Infek¬ 
tion verursacht, müssen die Gegenmaßregeln gegen die Weiter¬ 
verbreitung einsetzen. 

Die Entnahme des Sekrets zur bakteriologischen Untersuchung, 
die bisher meist aus dem Uterus geschah, genügt nach H.s Unter¬ 
suchungen aus dem vorderen Abschnitte der Scheide; nach späte¬ 
stens 12 Stunden ist der hämolytische Streptokokkus auf der 
Platte zu erkennen. 

Allen hämolytischen Streptokokken kommt nicht die gleiche 
Virulenz zu. 

Daß aber bei Untersuchungen des Lochialsekrets fiebernder 
Wöchnerinnen die ausgesprochen hämolytischen Streptokokken als 
die hoch vir ulenten, den Menschen schwer krank machenden und 
ernstlich bedrohenden Keime, die nicht hämolytischen aber als 
die weniger virulenten, weniger bedrohlichen oder gar saprophy- 
tären angesehen werden dürfen, daß damit also dem Nachweis der 
hämolytischen Streptokokken bei der puerperalen Infektion ein 
hoher praktischer Wert zukommt, ist das Ergebnis der Unter¬ 
suchungen H.s. 

Dies Ergebnis wäre für die Praxis ja außerordentlich wichtig; 
leider hat es sich jedoch nicht bestätigt. Siegwart gelangtes 
inzwischen an der Bummsehen Klinik, typisch hämolytische 
Streptokokken aus dem Lochialsekret gesunder Wöchnerinnen zu 
züchten, und Heynemann selbst fand, wie er bei der Korrektur 
bemerkt, unter 50 fieberfreien Wöchnerinnen 31 mal ausgesprochen 
hämolytische Streptokokken. Wenn er dann aber schreibt: „Für 
fiebernde Wöchnerinnen bewährte sich Blutuntersuchung und 
Scheidensekretausstrich auch weiterhin, wenn wir auch, wie vor¬ 
ausgesehen, häufiger hämolytische Streptokokken in der Scheide 
fanden, ohne schwere Krankheitserscheinungen (geringe Temperatur, 
ruhiger Puls); von sechs weiterhin beobachteten Todesfällen fielen fünf, 
von sechs parametranen Abszessen zwei den hämolytischen Strepto¬ 
kokken zur Last“, so kann Ref. nur fragen, worin denn nun 
dieses Sichbewähren bestehen soll. 

7. Im Anschluß an zwei in der Königsberger Klinik beob¬ 
achtete Fälle von Diabetes mellitus und Gravidität, deren einer 
nur kurze Zeit beobachtet wurde, deren anderer nach anfänglicher 
Besserung in der Gravidität kurz post partum im Koma starb, 
stellt 0. die 63 Nummern aufweisende Literatur über die Kom- 


Unter 57 Frauen starben direkt im Koma 17 = 30%, 14 
weitere sind in den nächsten 30 Monaten p. p. gestorben, und 
zwar sind sie dem Diabetes an sich oder seiner Komplikation mit , - \f 
Lungentuberkulose erlegen. Die Gesamtmortalität der . Mütter " 

nach 2 1 /» Jahren — 50%. Von den Kindern starben intrauterin 
29 = 51%, 6 weitere in den ersten Tagen infolge schlechter 
Entwicklung und weitere 7 in den ersten Lebensjahren an Hydro- ■ 

zephalus, Diabetes und Polyurie. Das Schicksal der übrigen ist •* 

unbekannt, die Mortalität 66,66%. 

Bei dieser schlechten Prognose für Mutter und Kind ist in 
bezug auf die Therapie zu bedenken, daß die leichten Fälle in 
die schweren übergehen, so daß der Verlauf einer mit Diabetes 
komplizierten Gravidität sich nicht Vorhersagen läßt. 

Die Therapie soll eine individuelle sein. Einfach sind die 
Fälle, die bei der Beobachtung ihren milden Charakter bewahren, 
bei denen keine Azidose und Nephrose hinzukommt. Sie werden 
nach den Regeln der internen Medizin behandelt und rechtfertigen 
nicht den künstlichen Abort, der jedoch bei den schweren Formen 
(Formen mit Diabetes, Azidose, Albuminurie, Zylindrurie, Ab¬ 
nahme des Gewichts, Lungentuberkulose) sehr in Betracht zu 
ziehen ist. Dabei ist möglichst jede seelische Erregung zu ver¬ 
meiden. 

Die künstliche Frühgeburt liegt nur im Interesse der Mutter, 
da die Prognose für das Kind zu schlecht ist. Der oft hinzu¬ 
kommende Hydramnios indiziert sie eventuell. Sonst ist die künst¬ 
liche Unterbrechung angebracht, wenn leichte Fälle plötzlich ihren 
Charakter ändern und Kräfteverfall eintritt, wenn schon in voran¬ 
gegangener Gravidität schwere Störungen aufgetreten sind oder 
Komplikationen des Diabetes (Bronchitis, Tbk.) aufgetreten sind. 

Bei ausgebrochenem Koma stirbt das Kind regelmäßig, doch emp¬ 
fiehlt es sich, auch hier die Schwangerschaft zu unterbrechen, da 
drei Fälle in der Literatur bekannt sind, in denen sich die Wöch¬ 
nerinnen von dem Koma erholten. 

Das Stillen ist den Müttern unter allen Umständen zu ver¬ 
bieten, weil erfahrungsgemäß die diabetische Frau, .dabei sehrw 
herunterkommt. 

8. Der von Göth empfohlene Handgriff besteht darin, daß 
Daumen und Zeigefinger der dem Bettrande zugekehrten Hand 
den Uterus in der Gegend des Kontraktionsringes dreist um¬ 
greifen und das ganze Organ unter gleichzeitigem Zusammen¬ 
pressen der beiden Finger stark empordrängen, währenddessen 
die andere Hand den Uteruskörper nach vorn beugt und den 
Fundus — eher gegen die hintere Wand hin — reibt. 

Er beschreibt acht Fälle, in denen es ihm hierdurch schnell 
gelang, eine atonische Nachblutung zu stillen, in zwei Fällen ver¬ 
sagte sie jedoch und mußte zur Dührssenschen Tamponade über¬ 
gegangen werden. 

9. Zickel, der die Methode in einem Falle von atonischer 
Nachblutung bei in der Vulva stehender Portio anwandte, be¬ 
merkte , als er den Uterus komprimierte, wie mehrfach Luft aus 
ihm sich ausdrücken ließ; die Pat. kollabierte, erholte sich aber . 
schnell. Ob der Kollaps durch den Blutverlust, ob vielleicht 
durch leichte Luftembolie entstanden war, läßt Z. unentschieden, 
kann aber die Methode nicht als ungefährlich gelten lassen, da 
durch das Ho’chdrängen des Uterus leicht Luft in ihn eingesogen 
werden kann. 

10. Nacke beschreibt ein neues Perforatorium, eine Röhre, 
deren einem Ende eine aus drei spitzen Prismen zusammengesetzte 
Lanzenspitze mit breiter Basis aufgesetzt ist. Ein durch (Jen 
hohlen Schaft geführter voller Metallstab öffnet durch eine kurze 
Drehung die geschlossene Lanzenspitze, so daß je eine der Außen¬ 
flächen der drei Prismen als scharfe Schneide schräg nach außen 
geführt wird. Er rühmt dem Instrument nach 1. die sichere Ein¬ 
führung ohne Gefahr für die eigene Hand und die Gebärende, 

2. daß der kreisrunde Ausschnitt eine bessere Ausspülung des 
Schädels gestattet, der Kranioklast sicher angelegt werden 
kann, ohne auszureißen, 3. die schnelle und für die Enthirnung 
ausreichende Eröffnung des Schädels an sehr harten oder ungünstig 
für die Perforation gelegenen Partien des kindlichen Schädels. 


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Original fro-m 

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1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


563 


Ob wirklich bei den vielen Perforatorien noch eine neue Art 
nötig ist, erscheint Ref. zweifelhaft, merkwürdig aber erscheint 
es ihm, wenn N. zur Begründung der sicheren Einführung ein 
Mißgeschick anführt, das ihm mit dem scherenförmigen Perfor. 
passierte; bei fünfmarkstückgroßem Mm. einer Eklamptischen be¬ 
wirkte dasselbe eine Inzision des Mm., die weiterriß und ihn 
zwang, die sofortige Extraktion am hochstehenden Kopfe vorzu¬ 
nehmen, in einem Falle, der bei guten Wehen eine spontane Aus¬ 
stoßung des ausgeräumten Kopfes hätte erwarten lassen. 

Ref. ist es völlig neu, daß man 1. überhaupt und 2. speziell 
bei Eklampsie der Perforation nicht die Extraktion folgen läßt. 

Militärmedizin. 

Referent: Dr. M. P öltzör, Generaloberarzt a. D. in Steglitz. 

1. Eiweiß- und Zucker-Reagentien in Tablettenform. Von 

Dr. Winckelmann, Oberarzt im Inf.-Regt. 114, Konstanz. Deutsche 
militärärztl. Zeitschr., 1908, Heft 9, S. 399. 

2. Appendizitisoperation und Militärdienstfähigkeit. Von 
Stabsarzt Dr. Braun, kommand. zur chirurg. Klinik der Univer¬ 
sität Jena. Ibidem, S. 369. 

3. Die Psychiatrie in ihrer Bedeutung für die Armee. Von 

Stabsarzt Dr. Bruno Drastich, Vorstand der psychiatr. Abtlg. 
des Garnisonspitals Nr. 1 in Wien. Vortrag. Oesterr. Aerzte- 
Zeitg., 1908, Nr. 6. 

1. W. machte im Sommer 1906 dem Medizinalrat Merck- 
Darmstadt den Vorschlag, zu versuchen, ob sich nicht die ß - 
Naphthalinsulfosäure oder unsere bisher gebräuchlichen Harn- 
reagentien überhaupt in Tablettenform hersteilen ließen. Nach 
langwierigen Versuchen ist dies gelungen. Die Eiweißreagentien 
sind: 1. Esbachs Reagens (Pikrinsäure -f- Zitronensäure), 2. 
Rieglers Reagens (/^-Naphthalinsulfosäure), 3. „A u. B u (Essig¬ 
säure und Ferrozyankalium). Zu den Esbachschen und Riegler- 
schen Reaktionen wird je eine Tablette in 5 ccm Wasser gelöst 
und dieser Lösung 5 ccm des zu untersuchenden Harns hinzuge¬ 
setzt. Ein Niederschlag beweist bei Esbach Eiweiß, bei Riegler 
kann auch durch Albumosen oder Peptone eine Trübung oder Fällung 
entstehen, die jedoch beim Erwärmen vergeht, während Eiwei߬ 
niederschlag bleibt. Vom Reagens A u. B wird gelöst: eine 
Tablette A in 10 ccm Harn, eine Tablette B in 1 ccm Wasser. 
Nach vollständiger Auflösung der Tabletten wird die B-Lösung 
zu der mit A versetzten Flüssigkeit hinzugefügt. Trübung oder 
Fällung beweist Eiweiß. Die Empfindlichkeit der Reaktionen ist 
so groß, daß auch geringste pathologische Eiweißmengen im Harn 
nachgewiesen werden können. Die Riegl er sehe Reaktion ist 
wegen der Erwärmung etwas weniger bequem als die anderen, 
scheint aber empfindlicher zu sein als diese. Trüber Harn muß 
vorher filtriert werden. Diese Reaktionen sind nur qualitativ, die 
Merck sehen Kupfer- und Alkalitabletten, die der Fe hl in g- 
schen Lösung nachgebildet sind, weisen den Zucker auch quanti¬ 
tativ nach. Die Lösung je einer Kupfer- und Alkalitablette in 
2,5 ccm Wasser entspricht dem Reduktionswert von 0,01 Trauben¬ 
zucker. Näheres ergibt eine Gebrauchsanweisung. Beim Ersatz- 
und Invalidenprtifungsgeschäft, überhaupt für den Praktiker, 
kommt wie beim Eiweiß, so auch beim Zucker nur der qualita¬ 
tive Nachweis in Betracht. Dazu löst man je eine Kupfer- und 
Alkalitablette in 2,5 ccm Wasser und erhitzt die Lösung bis zum 
Sieden. Dann fügt man tropfenweise 2 ccm des zu unter¬ 
suchenden filtrierten (eiweißireien I) Harns hinzu. Ein gelber bis 
gelbroter Niederschlag beweist die Anwesenheit von Zucker. Ein 
bisweilen auftretender flockiger Niederschlag, der nicht diese 
Farbe besitzt und leicht von dem Kupferniederschlag zu unter¬ 
scheiden ist, hat keine Bedeutung. 

2. Die Frage, ob die Zunahme der Appendizitis nicht nur 
eine scheinbare, relative, durch die Sicherheit der Diagnose be¬ 
dingte, sondern auch absolute ist, ist noch nicht entschieden. In 
der Armee scheint sie letzteres zu sein. Die Entscheidung ist um 
so schwieriger, als noch nicht einmal die Aetiologie durchweg 
feststeht, die für die Armee noch dadurch kompliziert wird, daß 
es sich hier gegebenenfalls auch um die wichtige Frage handelt, 
ob Dienstbeschädigung vorliegt, d. h. der Anspruch auf Invaliden¬ 


versorgung begründet ist oder nicht. Daß es eine Appendizitis 
traumatika gibt, wird sich nicht leugnen lassen, insofern scharfes 
Reiten, strammes Exerzieren auf hartem Boden, ferner Turnen 
und Fechten sowie andere äußere Einflüsse entschieden ver¬ 
schlimmernd auf eine gleichviel wie entstandene Entzündung des 
Wurmfortsatzes einwirken können. Erspart bleibt uns jedenfalls 
die Feststellung der Dienstbeschädigung, wenn wir den Kranken 
nicht nur heilen, sondern auch dienstfähig erhalten. Hierzu 
scheint es einen Weg zu geben: Die prinzipielle Frühoperation 
zu jeder Zeit, bei Tag und bei Nacht, sobald die Diagoose fest¬ 
steht, mit Entfernung des Wurmfortsatzes, falls sich das Suchen 
nach diesem nicht durch besondere Umstände verbietet, mit nach¬ 
folgender Narbenkorrektur. In Jena werden schon seit Jahren 
die Appendizitiskranken mit wenigen Ausnahmen sofort der chirur¬ 
gischen Klinik überwiesen, viele Kranke kommen direkt, ohne den 
Arzt zu befragen, in die Klinik, und Br. hat infolgedessen seit 
Oktober 1905 mehr als 600 Blinddarmoperationen gesehen, dar¬ 
unter Fälle von 6- bis 12- bis 20 ständiger Dauer, und mehr als 
100 selbst ausgeführt, während bis jetzt nach Ausweis der letzten 
Sanitätsberichte die konservative Behandlung in der Armee noch 
bei weitem die chirurgische überwiegt. Die Operationsmethode, 
mittels welcher sich das Doppelziel: nicht nur Heilung, sondern 
auch Wiederherstellung der Dienstfähigkeit, erreichen läßt, ist 
nach Br. der in Deutschland zuerst von Riedel (Deutsche med. 
Wochenschr., 1905, Nr. 37 u. 38) empfohlene Zickzackschnitt, der 
auch Kreuz- oder vielleicht noch besser Etagenschnitt genannt 
werden könnte und dessen Grundprinzip die Durchtrennung aller 
Schichten der Bauchwand in ihrem Faserverlauf ist, mit nach¬ 
folgender Narbenkorrektur. Das Wesentliche für die Wiederher¬ 
stellung der Dienstfähigkeit liegt bei dieser Methode in den 
kleinen Hautschnitten, die jedoch nicht unter 5 bis 6 cm Länge 
heruntergehen sollten. Die geheilte Narbe ist dann so geringfügig 
und liegt so geschützt unter dem Darmbeinstachel, daß von ihr 
auf die Dauer gegründete Beschwerden kaum zu erwarten sind. 
Trotzdem wird in der Jenaer Klinik in allen drainierten Fällen 
8 bis 12 Wochen nach der Heilung prinzipiell eine Korrektur der 
Narbe vorgenommen. Diese bietet nämlich außer der Verhütung 
der Hernienbildung noch die Möglichkeit, bei fortbestehenden Be¬ 
schwerden in der lleozökalgegend die Bauchhöhle an der ehe¬ 
maligen Drainstelle wieder zu öffnen und etwaige Verwachsungen 
zu lösen. Die Hautnarbe wird exzidiei*t, die zurückgewichenen 
Spaltränder der Aponeurose werden aufgesucht und freipräpariert 
und sodann Aponeurose und Haut mit Katgut oder Zwirn ver¬ 
näht, wodurch schließlich eine tadellose lineare Narbe erzielt wird. 
Gegenüber dem Einwand, daß sich der Soldat lediglich zur Wieder¬ 
herstellung seiner Dienstfähigkeit nur schwer zu einer nochmaligen 
Operation wird bewegen lassen, empfiehlt es sich, die Notwendig¬ 
keit der späteren Narbenkorrektur von vornherein als einen not¬ 
wendigen Bestandteil der Operation überhaupt hinzustellen. In 
Jena kommen die drainierten Appendizitiskranken fast ausnahms¬ 
los ohne weiteres Erinnern nach einem Vierteljahr wieder, um 
sich „die Narbe schneiden zu lassen a . Ueberdies besagt eine 
(für andere Fälle ergangene) Entscheidung des Reichsgerichts, 
daß der Soldat dienstlich verpflichtet ist, „den die Heilung be¬ 
zweckenden Befehlen des zuständigen Sanitätsoffiziers Folge zu 
leisten, sofern es sich nicht um Vornahme einer erheblichen chirur¬ 
gischen Operation handelt“. Und eine solche ist die Narben¬ 
korrektur nicht. Br. verspricht sich von diesem Verfahren Erfolge, 
die die der operationslosen Behandlung übertreffen, welche letztere 
überdies nicht einmal die Quelle der Gefahr, den Wurmfortsatz, 
beseitigt. 

3. In Nr. 23 des laufenden Jahrganges dieser Zeitschrift 
konnten wir referierend berichten, daß im Februar d. Js. im 
Garnisonlazarett Posen in einem besonderen Gebäude eine Geistes¬ 
krankenstation errichtet ist, in der die Kranken nicht nur wie 
bisher bis zu ihrer Ueberführung in eine Zivilirrenanstalt beob¬ 
achtet, sondern auch durch einen spezialistisch ausgebildeten Sani¬ 
tätsoffizier behandelt werden, und daß weitere Lazarette, zunächst 
Straßburg i. E. und Magdeburg, nachfolgen werden. Aus der 
Ueberschrift zu dem hier zum Referat stehenden Artikel von 
Drastich ersehen wir, daß auch in der österreichischen Armee, 
und zwar beim Garnisonlazarett 1 in Wien, bereits eine besondere 
psychiatrische Abteilung besteht, deren Vorstand der Verf. ist — 


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I fre 


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564 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 38 


ein Beweis, daß mit der Zunahme der Größe einer Armee und | 
der Kompliziertheit ihres Organismus auch die Psychopathie in 
ihr zunimmt und demgemäß die Psychiatrie eine immer größere 
Bedeutung für sie gewinnt. Bei der Armee handelt es sich um 
spezifische Verhältnisse, der Soldat muß nicht nur körperlich, 
sondern auch geistig-nervös völlig gesund sein, was einerseits 
die möglichst schnelle Eliminierung, andererseits von vornherein 
die möglichste Fernhaltung aller ungesunden Elemente von ihr 
bedingt. So beginnt allmählich auch die Militärmedizin mehr und 
mehr in Spezialfächer zu zerfallen, was angesichts der Tatsache, 
daß der Sanitätsoffizier von heute noch weniger als der Zivilarzt 
imstande ist, das Gesamtgebiet der Medizin zu beherrschen, bei 
ihr als fast noch natürlicher erscheint als bei der bürgerlichen 
Medizin. Soll doch der Militärarzt von heute nicht nur Arzt und 
Chirurg, sondern auch Militär, Vorgesetzter, Lehrer und Instruktor, 
Verwaltungsbeamter (als Chefarzt), Statistiker, Sanitätstaktiker 
(als Divisionsarzt) usw. sein und außerdem eine Reihe von Eigen¬ 
schaften besitzen, die in dieser Weise vom Zivilarzt nicht ge¬ 
fordert werden und nicht gefordert zu werden brauchen, wobei 
man nur an die Felddienstfähigkeit und Reitkunst zu denken 
braucht. Was speziell die Psychiatrie betrifft, so muß diese im 
besonderen natürlich nach wie vor dem Fachmann und den 
Spezialzivilanstalten überlassen bleiben, dies schließt aber nicht 
aus, daß jeder Militärarzt noeh mehr als der Zivilarzt im allge¬ 
meinen in der Psychiatrie bewandert sein muß, weil es, ganz 
abgesehen von allen anderen Gründen, die D. anführt, besonders 
beim Militär u. a. darauf ankommt, psychische Störungen und 
Abnormitäten, die den Betreffenden mit der Disziplin in Konflikt 
bringen, rechtzeitig zu erkennen und so eine ungerechte Behand¬ 
lung des Mannes zu verhüten. Auf Einzelheiten und die von D. 
angezogenen Beispiele können wir hier nicht ein gehen, erwähnt 
sei nur, daß außer ihm in neuester Zeit auch noch zwei andere 
Militärärzte über das von ihm besonders berührte Thema der 
akuten Rauschzustände geschrieben haben. In der Wiener klini¬ 
schen Wochenschrift, 1906, Nr. 17, findet sich ein Vortrag des 
österreichischen Regimentsarztes Dr. Mattauschek „über die 
forensische Beurteilung akuter Rauschzustände vom Standpunkte 
des Militärstrafgesetzes“ abgedruckt. Ferner hat Stabsarzt Dr. 
Fischer hierüber geschrieben („Die akute Trunkenheit und ihre 
strafrechtliche Begutachtung mit besonderer Berücksichtigung der 
militärischen Verhältnisse“, Jena 1907, Fischer). Was wir bei 
dieser Gelegenheit erfahren, ist, daß jetzt, wie bei uns bereits 
seit 1894 (s. Dienstanweisung vom 1. Febr. 94), so auch in Oester¬ 
reich nicht nur bestehende, sondern auch überstandene Geistes¬ 
krankheit bei Wehrpflichtigen die Tauglichkeit zum Militärdienst 
aufhebt. Der erweiterten Ausbildung der Militärärzte in der 
Psychiatrie wird bei uns durch Kommandierungen zu Irrenkliniken 
Rechnung getragen, in den in Oesterreich seit 1900 eingeführten 
militärärztl. Applikationsschulen, die jeder in die Armee neu eintretende 
Arzt ein Jahr lang besuchen muß, wird auch Psychiatrie vorgetragen. 
Nachahmenswert erscheint die österreichische Einrichtung, daß in 
den Garnisonlazaretten am Sitze der Generalkommandos Zentral¬ 
stellen für die forensisch-psychiatrischen Beobachtungen und Be¬ 
gutachtungen, die sich bei den Militärgerichten des Korpsbezirks 
als notwendig ergeben, geschaffen sind. Mit der Zeit, meint D., 
wird es möglich sein, alle psychiatrischen Fälle des Korps in 
diesen Zentralstellen als eigenen Beobachtungsabteilungen zu 
sammeln, was bis jetzt aus räumlichen Gründen nur vereinzelt ge¬ 
schehen kann. Neu ist schließlich, daß auch in den Fortbildungs¬ 
kursen für Landwehrärzte die Psychiatrie und Neurologie ein¬ 
geführt ist. 


Mitteilungen über Arzneimittel. 


Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. Notiz über Kondurangorinde und Kawarwurzel. Von 
Geh. Med.-Rat Dr. Boehm. Münch, med, Wochenschr., 1908, 
Nr. 34. 


2. Zur Verbesserung der Tuberkulinbehandlung. Von Dr. 

Jessen. Ibidem. 

3. Ein interessanter Fall von Chinin-Intoxikation. Von Dr. 

Salomon. Ibidem. 

4. Ueber Jodglidine. Von Dr. Aufrecht. Deutsche Aerzte- 
Zeitg., 1908, H. 17. 

5. Therapeutische Notizen. Münch, med. Wochenschr., 1908, 

Nr. 32 u. 33. 

1. In einer kurzen Notiz teilt B. mit, daß in dem pharmako¬ 
logischen Institut der Universität Leipzig Untersuchungen über 
eine in Transvaal als Volksheilmittel gegen Krebs benutzte Wurzel 
(Kawarwurzel) angestellt seien, die ergaben, daß in der Kawar¬ 
wurzel (einer ebenso wie die Kondurangorinde der Familie der 
Asklepiadazeen angehörenden Droge) Bestandteile enthalten waren, 
die mit der genannten Rinde die größte Aehnlichkeit haben. 
Außer reichlichen Mengen eines Glykosids (Kawarin), das dem 
Kondurangin, dem wirksamen Bestandteile der Kort. Koudurang., 
nahe verwandt ist, fanden sich auch beträchtliche Mengen eines 
ätherischen Oeles. Soweit sind bisher die Untersuchungen ge¬ 
diehen. Die Tatsache aber, daß in zwei Weltteilen (Kondurango¬ 
rinde gilt in Südamerika als Heilmittel gegen Krebs) zwei vege¬ 
tabilische Drogen, aus der gleichen Pflanzenfamilie stammend, als 
Volksmittel gegen die gleiche Krankheit gebraucht werden, und 
daß die chemische Zusammensetzung dieser beiden Drogen eine 
weitgehende Uebereinstimmung aufweist, erscheint B. beachtens¬ 
wert. Da die Heilkunde viele wirksame Arzneimittel der naiven 
Beobachtung der Naturmenschen verdankt, und es immerhin mög¬ 
lich wäre, daß wir die Kondurango noch nicht in der richtigen 
Weise anwenden, so hält B. den Gegenstand für wert der Be¬ 
achtung von seiten der ärztlichen Praxis. 

2. Zur Therapie der Phthise mit Tuberkulin gibt der be¬ 
kannte Arzt Dr. Jessen in Davos folgende Verbesserung an: 
Ausgehend von den Untersuchungen von Amand-Delille, der 
experimentell nachwies, daß unter den Toxinen des Tuberkel¬ 
bazillus das eine (Aetherextrakt) verkäsend, das andere (Chloro¬ 
formextrakt) sklerosierend wirkt, eliminiert J. die in Aether und 
Chloroform löslichen Gifte des Tuberkulins, indem er die in 
Höchst a. M. hergestellte tuberkelbazillenfreie Bouillon T. O. A. 
zuerst mit Aether und dann mit Chloroform extrahiert. Die er¬ 
haltene Restflüssigkeit wird mit einer 20% Glyzerin und 0,5% 
Karbolsäure enthaltenden physiologischen Kochsalzlösung auf das 
gewünschte Maß verdünnt. Es ist klar, daß eine auf solche 
Weise behandelte Tuberkelbazillenbouillon auch völlig fett- und 
wachsfrei ist, und nach den Angaben J.s scheint es, als ob damit 
aus dem Tuberkulin ein großer Teil unangenehm wirkender Sub¬ 
stanzen entfernt ist. Aber damit nicht genug, hat auch J. die 
Anwendung der Methode verändert, indem er nach dem Vorgänge 
von Aufrecht kleinste Dosen, aber nicht, wie dieser, steigend, 
sondern die gleiche Menge anwendend (Philippi), und auf Grund 
der Arbeiten von Wright und seiner Schüler in großen Zwischen¬ 
räumen diese kleinsten Dosen verabfolgt — um nicht mit der 
folgenden Injektion in eine „negative Phase“ hineinzufallen. 
Wenn er mit seinem verbesserten Tuberkulin durchschnittlich 
Viooooo ccm in Zwischenräumen von 8 Tagen bis 4 Wochen Ein¬ 
spritzungen in die Rückenhaut machte, sah er nie einen Schaden 
ans der Behandlung entstehen. Die neue Injektion darf erst nach 
völlig abgelaufenem Reize folgen; vorherige Untersuchung ist in 
jedem Falle Bedingung. Die Resultate sind für leichte Fälle 
sehr gut, für mittelschwere meist gut. Dieselben gehen oft in 
hervorragende Besserung, ja in völlige Heilung über. Fortge¬ 
schrittenere Kranke, die nichts erreichen, bessern sich auch bei 
Anwendung anderer Methoden nicht. 

3. Ueber eine auffällige Chinin-Intoxikation berichtet S.: Eine 
Dame, die vor 3 / 4 Jahr wegen ihres Lupus erythematosus Chinin 
bekommen und ohne besondere Beschwerden 18 g genommen 
hatte, bekam nach Einnahme von 0,45 g Chinin, hydrochlor. (inner¬ 
halb 24 Stunden) schwere Oedeme des Gesichts, eine ausgedehnte 
Purpura hämorrhagika der Unterschenkel, Blutungen in der Kon- 
junktiva und im Lupus. Besonders interessant ist an diesem Fall 
die erworbene Idiosynkrasie, da die Kranke früher dasselbe 
Präparat gut vertragen hat und sonst eine allmähliche Gewöhnung 
an das Mittel bekannt ist. Gleichzeitig warnt S. vor der Lenz¬ 
mann sehen intravenösen Chininbehandlung bei Syphilis, da er 


UNT 


Uh HICfflGRH 


UNIVtWall V Uh MILHIbAN 





1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


565 


dabei in zwei Fällen Besinnungslosigkeit, Atemnot, ja schwere 
Ohnmächten beobachtete. 

4. Aufrecht hat das Jodglidine auf die Angabe des Fabri¬ 
kanten hin, daß Jod im Jodglidine organisch gebunden sei, ge¬ 
prüft, und um sein Verhalten bei Einwirkung von Pankreassaft 
bezw. Pepsin zu studieren. A. fand seinerseits die Angaben des 
Fabrikanten (Dr. Klopfer) über die organische Bindung des 
Mittels bestätigt und konnte andererseits auch Jodwasserstoffsäure 
nicht in dem Präparat finden. Aus seinen Untersuchungen geht 
weiterhin hervor, daß künstlicher Magensaft keinen nennenswerten 
Einfluß auf die Jodabscheidung ausübt, daß dagegen eine wesent¬ 
lich schnellere Jodabspaltung im alkalischen Pankreassaft eintritt, 
da schon nach zwei Stunden mehr als die Hälfte des vorhandenen 
Jods nachgewiesen werden konnte. Daraus folgt, daß das Jod¬ 
glidine zum geringen Teil im Magen, in der Hauptsache aber im 
Darm zur Resorption gelangt. 

5. Therapeutische Notizen, die für unsere Leser von Inter¬ 
esse sein dürften, finden wir in der Münch, med. Wochenschr.: 
Nagelschmidt berichtet in einer Arbeit aus der Finsenklinik 
über die Quecksilberbehandlung der Syphilis und berücksichtigt 
dabei besonders das Mergal, das nach seiner Ansicht mit größerer 
Sicherheit in bestimmbaren Dosen in die Zirkulation gelangt wie 
bei jeder anderen Kur. Es ist frei von unangenehmen oder ge¬ 
fährlichen Nebenwirkungen; es wird schnell und in relativ großer 
Menge resorbiert. Für gewöhnlich genügt eine Tagesdosis von 
6 bis 8 Kapseln und eine Gesamtzahl von 300 bis 350 Kapseln 
für eine Kur (Dermatol. Ztschr., 1908, H. 3). Nach Grünfeld- 
Odessa muß Mergal vermieden werden, wo die Lues schwere oder 
direkt lebensgefährliche Erscheinungen aufweist oder wo ganz be¬ 
sonders energische Kuren notwendig sind. In der Latenzperiode 
oder bei Fournier-Neißerscher Methode leistet Mergal sehr 
gute Dienste. Auch G. hält es für das beste interne Antisyphiliti- 
kum (Deutsche Med.-Ztg., 1908, Nr. 30). 

Zur Therapie der Syphilis wird weiterhin (Therap. Monatsh., 
1908, H. 6) von Schwarz das Sozojodol. hydrargyri empfohlen, 
und zwar in Pillenform: Rp. Sozojod. hydrarg. 0,6, Extrakt opii 
0,18, Mass. piL q. s. ut f. pil. Nr. 36. D. S. Dreimal täglich nach 
den Mahlzeiten zwei Pillen zu nehmen. Wenn der Patient sich 
an das Mittel gewöhnt hat, wird das Opium weggelassen. Die 
Behandlungsdauer überschreitet selten 6 bis 8 Wochen. 

An gleicher Stelle eine Notiz zur Entfernung der Protargol- 
flecke aus der Leibwäsche: Wenn sie frisch sind, Auswaschen mit 
Seifenwasser. Wurden sie schon belichtet, Behandlung mit Jod¬ 
kali- oder Natriumthiosulfat-(Fixierbad)Lösungen. Sehr gut 
soll Wasserstoffsuperoxyd in Verbindung mit Ammoniak wirken 
(Wochenschr. f. Therap. u. Hyg. d. Auges, 1908, Nr. 37). 


Technische Neuerscheinungen. 


Ueber eine Verbesserung der Injektionsspritzen mit 
eingeschliffenem Glaskolben. 

Dr. Faulhaber, Dachau. (Münch, mediz. W. Nr. 17.) 

Die Injektionsspritzen mit eingeschliffenem Glaskolben haben 
vor allen anderen den großen Vorzug, daß sie auszukochen sind, 
mit jedem beliebig konzentrierten Desinfektionsmittel beliebig 
lange desinfiziert werden können, und daß ohne Schädigung 
des Kolbens jede differente Injektionsflüssigkeit verwandt 
werden kann. Sie lassen aber eine bequeme und sichere 
Handhabung vermissen; der Kolben fällt leicht heraus, wes¬ 
halb man nach Einsaugen der Injektionsflüssigkeit die Spritze 
sorgfältig wagrecht halten muß, damit der Kolben sich nicht 
verschiebt und wieder Luft eindringt oder Injektionsflüssigkeit 
ausfließt. Diesen Uebelstand sucht Verf. in einfacher Weise 
zu vermeiden. 

Wie die Abbildung zeigt, wird um den oberen Rand des 
Spritzenzylinders ein federnder Metallbügel gelegt, der sich 
leicht abnehmen läßt, und auf dem senkrecht zum Kolben eine 
kleine Schraube angebracht ist, die gleichzeitig als Griffhaken 


dient, und die so eingestellt wird, daß der Kolben gerade noch 
daran vorbei kann. Eine minimale Drehung der Schraube vor¬ 
wärts oder rückwärts genügt dann, um den Kolben an jedem 
beliebigen Punkt sofort zu fixieren oder wieder frei zu machen. 
Ist die Flüssigkeit eingesaugt, die eingedrungene Luft entfernt, 
so wird der Kolben fixiert; dann kann man die Spritze nach 



oben oder nach unten halten, ohne auf den Stempel achten zu 
müssen, und bequem die Injektion auch bei einem unruhigen 
Patienten ausführen. 

Die kleine Vorrichtung kann an jeder im Gebrauch be¬ 
findlichen Spritze nach dem Lu er sehen wie dem Lieberg- 
schen System angebracht werden; sie wird in verschiedenen 
Größen von der Firma Stiefenhofer- München geliefert. 

M. Plien, Berlin. 


Bett-Tisch nach Wagemann. 

Ein neuer Bett-Tisch, welcher in seiner Konstruktion aus 
beistehender Abbildung erkennbar ist, ist von Wagemann an¬ 
gegeben und konstruiert worden. Er hat gegenüber den bisher 
gebräuchlichen Tischen große Vorteile, vor allem zeichnet er 
sich dadurch aus, daß er einfach konstruiert, handlich und 
dauerhaft ist, daß er leicht durch gründliche Sterilisation 
aseptisch gemacht werden kann. Die Platte des Tisches läßt 



sich über das Bett des Kranken schieben und ist nach zwei 
Richtungen verstellbar, so daß man sie auch schräg wie ein 
Lesepult stellen kann. So kann man den Tisch für den 
Kranken als Eßtisch und Lesepult anwenden, braucht man den 
Tisch nicht, so kann man ihn sehr leicht zerlegen und in ein 
kleines Paket verpacken. Der Arzt kann den Tisch aber 
auch sehr gut als Instrumententisch bei Operationen ver¬ 
wenden. Der Fuß läßt sich unter das Bett des Kranken 
schieben. Die Platte ist in der Höhe leicht verstellbar, so daß 
man sie in jede beliebige Höhe bringen kann. Der ganze 
Tisch ist aus Metallrohr und Holz gearbeitet und daher nur 
von geringem Gewicht. W. B. Müller, Berlin. 


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566 



THERAPEÜTISÖSE ROTDSCHÄJ; 



Ernährung und Körperbeschaffenheit. Von Kreis¬ 
arzt Dr. Bachmann zu Harburg a. E. Verlag der „ Aerztlichen 
Rundschau“ (0. Gmelin). München. Preis 0,75 M. 

Mehr und mehr bricht sich die Ueberzeugung Bahn, daß eine 
verkehrte Ernährung die Gesundheit des jetzt lebenden Geschlechts 
in hohem Maße schädigt. Ref. hat in den letzten Jahren öfter in 
diesem Sinne geschrieben und sich namentlich gegen die Ueber- 
schätzung des Eleischgenusses wiederholt ausgesprochen. 

Bachmann nimmt einen ähnlichen Standpunkt ein. In der 
vorliegenden kleinen Schrift beschreibt er zunächst die Verände¬ 
rungen des menschlichen Körpers, wie sie sich in den breiten 
Bevölkerungsmassen Hamburgs zeigen. Diese Millionenstadt und 
ihre preußischen Vororte bietet für eine solche Betrachtung ein 
sehr geeignetes Material, denn die Entartungserscheinungen, be¬ 
stehend in Konstitutionsfehlern mancherlei Art, sind hier be¬ 
sonders deutlich, weil Hamburg seit langen Jahren eine sehr 
reichliche Fleischkost bevorzugt und zugleich an sonstiger Un¬ 
natur der Lebensverhältnisse krankt. 

Unter der Hamburger Bevölkerung findet Bachmann das 
Bedenkliche der Konstitutionsveränderung in folgenden Erschei¬ 
nungen: einer starken Neigung der Zähne zum Verfall und un¬ 
regelmäßigem Wachstum, vielfachen Abweichungen des Knochen¬ 
gerüstes von der Norm, einer zu großen Fülle der Körper- und 
Gesichtsform neben zahlreichen Atrophien, der Abweichung der 
Hautfarbe (auch Unreinheit des Teints), dem auffallend frühen 
Verfall verheirateter weiblicher Personen der unteren Volksschichten, 
der vorzeitigen Greisenhaftigkeit der Männer (Kahlköpfigkeit, Im¬ 
potenz), der Nervosität bei alt und jung; schließlich in dem 
häufigen Vorkommen von Stoffwechselkrankheiten wie Arterio¬ 
sklerose , Nieren- und Herzleiden, Rheumatismus und Zucker¬ 
krankheit. 

Die Ursachen dieser alle Volkskräfte beeinträchtigenden und 
die Körper hochgradig verhäßlichenden Erscheinungen sieht Verf. 
mit Recht in verkehrten Lebensgewohnheiten: Ueberladung des 
Körpers mit Eiweiß und tierischen Fetten, Mangel an Mineral¬ 
stoffen, verkehrter (zu dichter) Bekleidung. Dazu kommt schlechte 
Atmungsluft, mangelhafte Ausbildung der Muskulatur und des 
Hautorgans; endlich die zahlreichen giftigen Reiz- und Genu߬ 
mittel (Alkohol, Tabak, Kaffee, Tee). 

Hier gilt es, eine gründliche Aenderung unserer Gewohn¬ 
heiten anzubahnen. „Wer es gelernt hat, seine Ernährung mit 
möglichst wenig Fleisch zu bewerkstelligen, der hat einen enormen 
Vorteil in bezug auf Arbeitsleistung, Genuß, Lebensdauer; ferner 
verliert er zu seinem größten Nutzen bald das Bedürfnis nach 
den schädlichen Nervenreizmitteln Alkohol, Koffein, Tabak, so daß 
er bald beträchtlich besser und dabei billiger lebt. Was aber 
eine Einschränkung aller Ausgaben an Reizmitteln für den Volks¬ 
haushalt zugunsten wahrer Kulturaufgaben bedeuten würde, das 
ist mit Worten gar nicht auszudrücken.“ Und „nur fleischlose 
oder zum mindesten fleischarme Kost und völlige Enthaltung von 
allen giftigen Reizmitteln befähigen aber zu den größten Kraft¬ 
leistungen, wie die unzweideutigen Erfolge der sogen. Vegetarier 
bewiesen haben.“ 

Jeder plötzliche Uebergang von altgewohnter Lebensweise zu 
einer völlig anderen geht jedoch — wie man es nicht anders er¬ 
warten kann — mit Unlustgefühlen und mancherlei Betriebs¬ 
störungen vorübergehender Art einher. Wer daher zu einer 
richtigen Ernährung übergehen will, sollte es nicht plötzlich tun, 
sondern allmählich, im Verlauf von Monaten, dann würde er 
kaum irgendwelche Beschwerden empfinden. Dienlich ist ferner 
eine bessere Hautpflege, Luftbäder, durchlässige Kleidung, dem 
Alter angemessene genügende Bewegung. Dann tritt nach Jahr 
und Tag eine Regeneration des Organismus ein. Zugleich macht 
sich eine günstige Veränderung des Charakters bemerkbar; z. B. 
wird ein zänkischer, querköpfiger Mensch friedlicher, ein launischer 
stetig; dieser wird ein besserer Gatte und Vater, jener ungeduldige 
Sinn ruhiger; ein zu Zorn und unüberlegten Handlungen geneigter 
Mensch vorsichtig und gleichmütig. „Den Geist überkommt un¬ 


merklich eine mehr ruhige, gemäßigte Anschauungsweise übäc’-' : ^^8 
Menschen und Dinge.“ Das ist-bei dem innigen Zusammenhänge 
von Körper und Geist sehr natürlich, wird aber viel zu, wenig 
beachtet. ' . . 

Wir können die Bachmann sehe Schrift allen denkenden 
Aerzten dringend empfehlen. Namentlich, meinen wir, würden die 
in Großstädten (Hamburg!) ihre Praxis ausübenden Kollegen großen 
Nutzen von der Lektüre haben, da der heutigen „exakten“ Medizin 
solche Anschauungen mehr oder weniger fremd sind. Sind doch die. 
Aerzte berufen, richtigere Anschauungen darüber zu verbreiten, wie 
man leben und sich ernähren soll, um gesund zu bleiben und nicht 
vorzeitigem Siechtum zu verfallen. Wer Kraft und Gesundheit 
des Einzelmenschen hebt, dient damit der Nation, welche doch 
nur aus der Summe der Individuen besteht. Stille-Stade. 

Differential-Diagnose der Anfangsstadien der 
akuten Exantheme für Aerzte, besonders Amtsärzte. Von . 
Prof. Dr. A. Tobeitz-Graz. Stuttgart 1908. Verlag von Ferd. 
Enke. Preis 2,80 M. 

Wie schwer es oft für den praktischen Arzt — selbst bei 
reichster eigener Erfahrung — ist, die Erscheinungen in den 
Anfangsstadien der akuten Exantheme richtig zu deuten und 
differential-diagnostisch richtig zu verwerten, braucht hier wohl 
nicht erörtert zu werden. Jeder Arzt wird sich an Fälle erinnern, 
bei denen er die in den Anfangsstadien gestellte Diagnose, weil 
irrtümlich, fallen lassen und sich eingestehen mußte, daß er sich 
gründlich getäuscht hatte. Das ist in den meisten Fällen schon 
nicht angenehm für den praktischen Arzt; noch unangenehmer 
trifft es den amtlichen Arzt, dessen vornehmste Aufgabe es ist, 
Infektionskrankheiten zu bekämpfen . und nicht allein zu be¬ 
kämpfen, sondern die ersten Anfänge im Keime zu ersticken. In 
diesem Sinne ist das vorliegende Buch geschrieben, und ich 
glaube, daß es dem Verfasser gelungen ist, was er sich als Ziel 
seiner Aufgabe gestellt hatte, nämlich eine praktische Anleitung 
zur differentiellen Diagnostik der akuten Exantheme auszuarbeiten. 

Nach einer kurzen Uebersicht über den Weg der Infektionen im 
allgemeinen bespricht T. den Scharlach, die Masern, die RötelU 1 ,'' 
die epidemische Schweißfriesel, die verschiedenen Formen der 
Blattern und die Schafblattern, und zwar vergleicht er die Symp¬ 
tome der jeweiligen Stadien mit allen möglichen physiologischen ' 
und pathologischen Erscheinungen von seiten der Haut. Daß die 
einzelnen Vergleichsmomente am Rande jeder Seite namentlich 
hervorgehoben werden, muß als ein besonderer Vorzug betreffs 
Uebersichtlichkeit und schneller Orientierung betont werden. So 
kann man das Büchlein nur bestens empfehlen. 

W. Krüger-Magdeburg. 



Der Verein zur Errichtung eines ärztlichen Erholungs¬ 
heimes in Marienbad hat am 8. Mai 1. J. seine konstituierende 
Versammlung abgehalten. 

Aus dem Tätigkeits- und Kassenbericht für die Zeit vom 
1. September 1907 bis zum laufenden Tage ist folgendes zu er¬ 
sehen. 

Die im Herbste vorigen Jahres unter den Marienbader Kollegen 
veranstaltete Sammlung für das Aerzteheim ergab den Betrag von 
870 Kronen, und eine Umfrage unter den Marienbader Kollegen, 
die Miethäuser in Marienbad besitzen, ergab, daß von diesen 
sowie von Hausbesitzern, die dem ärztlichen Stande nahestehen, 
an 40 Zimmer in der Vor- und Nachsaison, d. h. im Monat 
Mai und im Monat September (von Mitte August an), dem Komitee 
zur Verfügung gestellt worden sind, so daß schon in diesem Jahre 
40 Kollegen freie Unterkunft in Marienbad finden können. 

Die Aerzte des ärztlichen Erholungsheimes genießen Befreiung 
von der Kurtaxe und der Musiktaxe. 

Eine Anzahl von Hotels und Restaurationen gewährt einen 
10%igen Nachlaß von den Preisen oder berechnet das 3 Kronen- 
Kuvert mit 2 K 60 h bezw. 2 K. 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 






THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Der Direktor dea Stadttheatera bewilligt 50% Nachlaß v.on 
(len Billetpreisen. 

Freie Benützung aller Bäder und Kurbehelfe in den Stift 
Tepler Badeanstalten und freier Eintritt in die Lesesäle wird 
gewährt. 

Bis zum heutigen Tage sind für die diesjährige Saison 37 An¬ 
meldungen eingelaufen. 

Der augenblickliche Besitzstand des Vereins besteht in einer 
Sparkasseneinlage der städtischen Sparkasse in Marienbad von 
4707 Kronen und einem Baugrund in Marienbad. 

Um die Errichtung eines eigenen Gebäudes baldmöglichst in 
Angriff nehmen zu können , richtet der Verein an die gesamte 
Aerzteschaft Oesterreich-Ungarns und des Deutschen Reiches, die 
ärztlichen Vertretungskörper und Vereine, die med. Fachpresse 
etc. etc. die Bitte, ihn in diesem Unternehmen zu unterstützen, 
und erläßt an alle Aerzte beider Reiche die Einladung, als Mit¬ 
glieder beizutreten. 

Nach § 5 der Statuten gibt es: 

a) Ehrenmitglieder. 

b) Stifter, Einzelpersonen, Vereine etc., welche eine Spende von 
wenigstens 500 K in Geld oder Geldeswert gewähren. 


Errichtung eines ärztlichen Erholungsheimes in Marienbad zu 
richten. 

Anmeldungen und Gesuche um Freiplätze sind schriftlich, 
direkt oder durch Vermittlung eines Kollegen an den Vorstand 
zu richten. Die Marienbader Aerzte stellen kurgebrauchenden 
Kollegen ihre Hilfe .und Ratschläge bereitwilligst zur 


Verfügung. 


Kleine Mitteilungen. 


Edel-Würze, ein neues geschütztes Kaffee-Glasurverfahren, 
das bezweckt, die billigen, schlechtschmeckenden Brasilkaffees da¬ 
durch zu verbessern, daß sie beim Rösten einen leichten Ueberzug 
vo & C 6 H 12 0 6 + H 2 0 von feinem, pikantem kaffeeartigen Geruch 
Der Ueberzug ist nicht gärungsfähig 
zugleich als Konservierungsmittel der gerösteten 
Die Vegetabilia, aus welcher die Würze gewonnen wird, 
der Familie der Gentianaceen; die Würze ist 


und Geschmack erhalten, 
und dient demnach 
Bohne. 

ist Menyanthes aus 
Menyanthin. 

Luna, DiwiCO, Gillette sind Rasierapparate teils einheimischer, 
teils amerikanischer Konstruktion. Es ist zweifellos, daß das 
Selbstrasieren mittels eines Sicherheitsapparates von hygienischen 
Gesichtspunkten aus zu begrüßen ist. Der amerikanische Razor 
Gillete weist dadurch große technische Vorzüge auf, daß die 
Klinge gewölbt ist, also etwas abgeschrägt nach unten steht und 
gelockert werden kann. Der deutsche Apparat „Diwico“ hat 
zwar keine gewölbten Klingen, allein sie stehen mit ihrer scharfen 
Kante, wie bei Gillette, ebenfalls schräg abwärts zwischen den 
beiden Sicherungen aus vernickeltem Stahl, so daß eine möglichst 
glatte Rasur auch an den schwierigeren Bartstellen erzielt wird. 
Ein besonderer Vorzug des Diwico ist, daß er ein leichtes Gewicht 
hat. Der Luna-Apparat gilt als einer der ältesten der einheimischen 
Industrie, Aeußerlich unterscheidet er sich kaum von den beiden 
vorgenannten. Indes weicht er im Prinzip wesentlich von ihnen 
ab; denn die Messer liegen zwischen den Sicherungen genau 
wagerecht. Die verbesserte Anordnung konstruktiver Art ver¬ 
hindert allerdings jegliche Verletzung, aber mir scheint, als ob die 
Rasur bei starkem Bartwuchs nicht glatt genug sei. Dr. D. 


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„l)cn nenne ich einen Mann“, sagte einst Sherlock Holmes, „der 
schnell sich entschließt und dann mit Energie ans Werk geht.“ Das Nähr¬ 
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Lebertran. Aus diesem Grunde verdient es den Vorzug Man verordne 
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Herausgegeben von 


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Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 


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die Post, sowie die Geschäftsstelle: Carl MarhoIdVerlagsbuchhandlung in Halle a. S. entgegen. Inserate werden für die 4gespaltene Petitzeile oder deren Raum 
mit 50 Pf. berechnet. Beilagen nach Uebereinkunft Reklamezeile 1,50 M. Bei größeren Aufträgen wird Rabatt gewährt. 

Nachdruck der Original-Aufsätze ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. — Nachdruck der anderen Rubriken ist nur mit Quellenangabe gestattet 


Inhalt. 

I. Originalen; 

F. A. Becker, Salzschlirf: Grundzüge der modernen Therapie der 

habituellen Obstipation.569 

II. Referate: 

1. J. Baum, Berlin: Dermatologie und Syphilidologie.572 

2. M. Peltzer, Steglitz: Militärsanitätswesen.573 

3. W. Esch, Bendorf a. Rh.: Biologische Therapie.573 

4. F. von den Yelden, Frankfurt a. M., M. Peltzer, Steglitz, 

M. Plien, Berlin: Yaria. r . 574 

III. Mitteilungen über Arzneimittel: 

1. ' W. Krüger, Magdeburg: Referate.575 

2. derselbe : Mitteilungen aus der Praxis . . . 576 

IV. Technische Neuerscheinungen: 

M. Plien, Berlin: Fingerkurette zur Entfernung von Abortresten. — 


ÜU ORIGINALIEN. CZI 


Grundzüge der modernen Therapie der habituellen 
Obstipation. 

Von Dr. F. A. Becker, Salzschlirf. 

In der Behandlung der habituellen Obstipation hat sich 
gegen früher ein bedeutender Umschwung vollzogen. Während 
ehemals die Therapie der chronischen Stuhlverstopfung in 
immer stärker wirkenden Abführmitteln sich erschöpfte, sind 
diese heutzutage wenn auch nicht ganz aus dem wissenschaft¬ 
lichen Heilschatz verbannt, so doch an die letzte Stelle gerückt 
worden, und man macht nur ausnahmsweise davon Gebrauch. 
Mit einer besseren Kenntnis der Krankheit hat sich auch eine 
Aenderung in der Therapie als notwendig erwiesen. Sodann 
begann mit dem Au Rauchen der physikalisch-diätetischen Heil¬ 
methoden eine neue Aera in der Behandlung der habituellen 
Obstipation. 

, ' Bei der Besprechung der Therapie können wir nicht 
umhin, einen ganz kurzen Blick auf das Wesen und die Er¬ 
scheinungsweise der Krankheit zu werfen, sowie auf die Ent¬ 
stehungsursachen etwas näher einzugehen, da hierauf erst eine 
vernünftige und aussichtsvolle Behandlung sich aufbauen läßt. 
Das Wesen der habituellen Obstipation besteht nach unseren 
heutigen Anschauungen in einer funktionellen Störung der 
Innervation des Dickdarms. Es kann sich dabei sowohl um 
eine herabgesetzte als auch eine abnorm gesteigerte Inner¬ 
vationstätigkeit handeln, infolgedessen das eine Mal zu 
schwache, das andere Msd zu starke, aber ergebnislose Kon¬ 
traktionen der glatten Muskeln zustande kommen. Wir 
unterscheiden daher eine atonische und eine spastische Form 


Ueber einen neuen Apparat zur Sputumdesinfektion. — Neue 
Hochfrequenzapparate nach Keating-Hart. — Taschensputum¬ 
flasche — Ein verbessertes Ansatzstück an den Irrigator zur 


Scheidenspülung. — Stangerotherm, ein neuer Wärmestromheil- 
apparat. — Polypenschnürer mit doppelter Durchbohrung im 
Schieber.•.576 

V. Bücherbesprechung: 

1. L. Löwenfeld: Homosexualität und Strafgesetz. (Ref.: H. 

Rohleder, Leipzig). 578 

2. Apotheker-Kalender. (Ref.: C. Kiesow, Berlin).579 

3. J. Markuse, Berlin: Grundzüge einer sexuellen Pädagogik 

in der häuslichen Erziehung. (Ref.: W. Es eh, Bendorf). . . 579 
4 Th. Ziehen, Berlin: Psychiatrie für Aerzte und Studierende. 
(Ref.: Dannemann, Gießen).579 

VI. Allgemeines .580 


der habituellen Obstipation. Die diagnostischen Unterscheidungs¬ 
merkmale sind an sich zwar leicht, aber im einzelnen Fall 
kann die Differenzierung der beiden Arten doch erhebliche 
Schwierigkeiten machen. Ein Hauptunterschied scheint mir 
schon der Häufigkeit nach zu bestehen. Die Atonie ist die 
gewöhnliche Erscheinungsform, während ausgesprochener Spas¬ 
mus viel seltener ist und vorzugsweise nervöse sowie hyste¬ 
rische Individuen betrifft. Besonders charakteristische Merk¬ 
male für Darmatonie sind aufgetriebener Leib und dicke, 
wurstförmige, im absteigenden Ast des Kolon und der Flexura 
sigmoidea fühlbare Resistenzen. Die Fäzes sind von ent¬ 
sprechender Gestalt: dicke, rundliche, meist kurze, klumpige 
Stücke. Im Gegensatz dazu ist der Leib bei der spastischen 
Obstipationsform flach, eher eingezogen, die Palpation kon¬ 
statiert an den bezeichneten Stellen dünne, harte Massen und 
ist sehr schmerzhaft. Der Kot hat ein bandartig platt- 
gedrlicktes Aussehen und bildet längere und kürzere Streifen. 
Bei Spasmus klagen die Kranken über heftige Krämpfe im 
Leib und quälenden Tenesmus, während die Atonie höchstens 
einen dumpfen Schmerz hervorruft. Die typischen Erscheinungs¬ 
formen der beiden Kategorien bestehen jedoch nicht immer für 
sich allein, streng voneinander geschieden, vielmehr gibt es 
in praxi zahlreiche Uebergänge. Zudem liegen anerkannter¬ 
maßen der spastischen Obstipation allgemein atonische Zu¬ 
stände zugrunde-, wie der Spasmus auch stets von Intervallen 
stärkster Atonie unterbrochen ist. 

Ursächlich kommt für die habituelle Obstipation zunächst 
die Heredität in Betracht, wenn dem Umstand auch keine 
übei große Bedeutung beigemessen werden darf. Eine wich¬ 
tigere Rolle spielt die fortgesetzte Mißachtung des Stuhldrangs, 
die namentlich bei der weiblichen Jugend fast zur ausnahms¬ 
losen Regel geworden ist. Eine falsche Scham läßt die jungen 
Mädchen außer der eigenen Behausung, in Gesellschaft, auf 
Reisen, überhaupt überall unter fremden Menschen den Drang 
zur Stuhlentleerung unterdrücken. Durch öftere Nichtachtung 
der vom Darm ausgehenden Reize wird allmählich die Sen- 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 




sibilität des Organs abgestumpft und geht schließlich ganz 
verloren. Ein größeres Schuldkonto für die Allgemeinheit trifft 
die verkehrten Grundsätze in der Ernährung. Es ist die Sucht, 
dem Magen nur die nahrhaftesten Speisen in der am leich¬ 
testen verdaulichen Zubereitung zu bieten, wie sie den Kindern 
gegenüber vorzüglich geübt wird. Aber auch bei Er¬ 
wachsenen ist dieses Bestreben vielfach vorherrschend, be¬ 
sonders bei dem so verbreiteten empfindlichen Magen der j 
Nervösen unserer Tage. Häufig liegt es in diesen Fällen dann 1 
auch an der allzu starken Ausnützung der aus Furcht vor Be¬ 
schwerden nur mangelhaft zugeführten Nahrung. Je größer 
der Nährwert einer Speise ist, um so weniger unverdauliche 
Bestandteile enthält sie, denen die darmanregende Wirkung 
zukommt. So ist es mit dem Fleisch und den feineren Mehl¬ 
sorten. Sie werden größtenteils resorbiert, während die unver¬ 
daulichen Reste für eine ausreichende Darmentleerung unzu¬ 
länglich sind. Gröbere Brotsorten, Gemüse und Salate werden 
in größeren Mengen an dem Tisch weiter Volkschichten nur selten 
genossen, und doch ist ihr Gehalt an Holz- oder Rohfaserstoffen 
notwendig zur Auslösung von Dickdarmkontraktionen. Die 
Fleischkost wird fast allgemein in den Mittelpunkt der Er¬ 
nährung gerückt, dagegen die Pflanzenkost mit Unrecht als 
nebensächlich betrachtet. Und doch kommt der letzteren eine 
große Bedeutung sowohl für die Verdauung als auch für eine 
regelmäßige Stuhlentleerung zu. Noch schlimmer wirkt der 
Genuß einiger Nahrungsmittel, wie Kakao, Rotwein, getrocknete 
Heidelbeeren, Eichelkaffee, Eichelkakao, die (infolge ihres 
Tanningehaltes) direkt stopfen. Sodann befördert die sitzende 
Lebensweise so vieler Kulturmenschen die Hartleibigkeit ganz 
wesentlich. Zuerst auf der Schulbank, dann im Kontor oder 
Studierzimmer, vor den Arbeitstischen der Fabriken- oder 
Werkstätten und bei anderen Gelegenheiten. 

Mit der Vermeidung der Schädlichkeiten werden die ersten 
Ansätze zu einer gedeihlichen Behandlung und dauernden Be¬ 
seitigung des Uebels beginnen müssen. An der hereditären 
Anlage können wir nichts ändern, um so mehr kann in der 
Familie zur Bekämpfung der falschen Scham bei der weib¬ 
lichen Jugend geschehen, sowie zur Erziehung der Kinder zur 
Ordnung in der täglichen Darmentleerung. Auch in diesem 
Punkte muß eine gute Gewohnheit ausgebildet werden. Von 
einer solchen Darmschulung muß aber auch noch von Er¬ 
wachsenen Gebrauch gemacht werden, wenn sich durch Nach¬ 
lässigkeit oder Bequemlichkeit Stockungen im Stuhlgang ein¬ 
gestellt haben. So gut wie beim Magen durch regelmäßige 
Mahlzeiten das Hungergefühl sich zur rechten Zeit bemerkbar 
macht, wird auch der Trieb zur Stuhlentleerung sich regulieren 
lassen, wenn ein fester Wille dahintersteht. Der seelische Ein¬ 
fluß auf die Darmfunktion ist ja allgemein bekannt durch die 
unangenehmen Folgen von großer Angst und Furcht auf die 
Darmnerven, die vielfach schon bei geringeren Aufregungen 
des Gemüts deutlich reagieren. Ebensowenig ist der Einfluß 
der Suggestion, besonders in der Hypnose, auf die Darment¬ 
leerung zu bestreiten. Ich möchte die Hypnose zwar auf 
seltenste Fälle beschränkt wissen, weil die damit verbundene 
Alteration in keinem Verhältnis zu dem Leiden steht, gegen 
welches sie angewandt werden soll, namentlich aber deswegen, 
weil sie in Hand des Ungeübten ein zweischneidiges Schwert 
ist. Anders steht es mit der Wachsuggestion, die wir in 
keinem Fall verabsäumen sollten. Sogar ein so überzeugter 
Anhänger der Massage wie Zabludowski wies bei seinen 
Aerztekursen auf die Zuhilfenahme der suggestiven Einwirkung 
bei der Ausübung der Massage hin. Wir kennen überdies zur 
Genüge die Bedeutung der Suggestion bei allen unseren Ver¬ 
ordnungen, um wieviel mehr sollen wir davon Gebrauch 
machen bei einer Erkrankung, bei der ihr Wert über allen 
Zweifel erhaben ist. Gerade in der zähen Beharrlichkeit, mit 
welcher eine regelmäßige Darmentleerung erzielt wird, liegt 
ein mächtiger psychischer Faktor zur Herstellung einer ge¬ 
ordneten Darmfunktion, der sich bis zur Autosuggestion zu 
steigern vermag. Zur regelmäßigen täglichen Kotabsetzung 
soll eine ganz bestimmte Tageszeit eingehalten werden, am 
besten morgens bald nach dem Aufstehen oder Frühstück oder 
abends vor dem Zubettgehen oder auch nach der Hauptmahl¬ 


zeit. Es sind das die Zeiten, an welchen be>i 'Gesunden meist 
Stuhlgang zu erfolgen pflegt. - . , 

Bezüglich der Ernährung muß vor allem auf ein aus- * 
reichendes Maß von Nahrung Bedacht genommen werden, um 
eine zu starke Ausnützung von seiten des Darms zu ver¬ 
hindern, namentlich bei den chronisch appetitlosen Individuen, 
Sodann muß als Grundsatz gelten, weniger konzentrierte als 
voluminöse Nahrungsmittel zu verbrauchen. Durch den 
füllenden Ballast der letzteren werden nämlich die' Kon-, 
traktionen des Dickdarms ausgelöst, wodurch dieser sich von 
seinem Inhalt befreit. Solche schlackenreiche Nahrungsmittel 
sind die an Holzfasern reichen Gemüse aller Art, Salate, Erd- 
gewächse als Kartoffeln, Rüben, Rettiche, Radieschen etc. Ferner 
die gröberen Brotsorten: Roggenbrot. Schrot- (Kommiß-) Brot, Gra¬ 
hambrot, Pumpernickel und dergl. Tn gleicher Weise wertvoll 
sind die verschiedenen Früchte: Kirschen, Aprikosen, Feigen, 
Birnen, Weintrauben, Aepfel, Pflaumen usf. Bei. dem Obst 
sind außerdem die Fruchtsäuren und der Zuckergehalt wirk¬ 
sam. Aehnlich den Fruchtsäuren ist die Milchsäure in der 
saueren Milch und saueren Sahne tätig. Bei Vergärung' der 
Milch durch den Spaltpilz der Kefyrkömer entsteht 
neben geringen Mengen Alkohols Kohlensäure, welche 
nicht weniger wirkungsvoll ist. Kefyr läßt sich leicht mittels 
der im Handel befindlichen Kefyrpastillen zubereiten. Selbst¬ 
verständlich tut die Kohlensäure, wie sie in den natürlichen 
Mineralwässern und sogen. Säuerlingen enthalten ist oder dem 
Wasser auch künstlich zugesetzt wird, die gleichen Dienste. 
Vor Uebertreibungen ist jedoch zu warnen, da die Kohlen¬ 
säure, in übermäßigen Mengen genossen, eine Ueberdehnung 
und Erschlaffung des Magens verursachen kann. Ein weiteres 
Hilfsmittel, das aus der Milch gewonnen wird, ist die süße 
Sahne, sowohl durch ihren hohen Fett- als auch Milchzucker¬ 
gehalt; denn Fette und Zucker entfalten eine stuhlanregende 
Wirkung. Unter den Fetten ist vor allem die Butter zu 
nennen, sodann die verschiedenen Oele, Olivenöl, Rüböl, das 
Pflanzenfett Palmin, die Kunstbutterarten: Vitello, Margarine 
etc., welche in der Küche zum Backen und Kochern oder als 
Zutaten zu Salaten, Mayonnaisen 1 usw. Verwendung-finden. 
Der Zucker ist als gewöhnlicher Rohrzucker in Gebrauch, 
Milchzucker wird bekanntlich der Milch zur Behebung der 
Säuglingsverstopfung öfter zugesetzt. Zugleich wird damit 
allerdings auch der Nährwert der Kindernahrung erhöht. Dieser 
Umstand führt uns unwillkürlich zur Bewertung der einzelnen 
stuhlfördernden Nahrungsmittel. Man darf bei der uns in der 
Ernährung zu Gebote stehenden Unterstützung nicht kritiklos 
Gebrauch machen, sondern es muß weise Auswahl gehalten 
werden, damit nicht unwillkommene Nebenwirkungen ein- 
treten. So wäre es gewiß unklug, wenn man einen Fett¬ 
leibigen zur Abstellung seiner Darmträgheit extra viel Butter 
essen lassen wollte, oder einen Diabetiker Honig und andere 
Süßigkeiten. Der Temperatur der Speisen, namentlich der Ge¬ 
tränke, kommt ebenfalls eine gewisse Bedeutung zu, des¬ 
gleichen den Gewürzen. So ruft schon kaltes Wasser, besonders 
morgens nüchtern getrunken, leichte Darmbewegungen hervor, 
und der Genuß größerer Portionen Kochsalz hat einen ähn¬ 
lichen Effekt. ■ Sehen wir uns unter Berücksichtigung des Salz¬ 
gehaltes wieder den Speisezettel an, so finden wir allerhand 
Delikatessen, welche die Stuhlentleerung begünstigen; Kaviar, 
Sardellen, gesalzene Heringe etc. Bei Benutzung von kleinen, 
nur sohwachwirkenden Mitteln, wie es alle diätetischen Ma߬ 
nahmen sind, muß man nicht nur eins oder das andere, 
sondern stets mehrere zusammen zu Hilfe nehmen, um Erfolg 
zu erzielen. 

Die bisher geschilderten diätetischen Anweisungen waren 
auf Beeinflussung der Darmatonie berechnet. Bei Spasmus 
wird man zunächst den an sich gereizten Darm durch grobe 
Kost nicht noch mehr reizen dürfen, sondern zu schonen 
suchen, ohne allerdings für immer bei diesem Regime zu ver¬ 
harren. Uebertreibungen in dieser Hinsicht bergen die 
Gefahr in sich, einer Entwickelung von Darmneurasthenie 
Vorschub zu leisten. Wenn auch andere den nervös-hyste¬ 
rischen Gesamtzustand verbessernde Behandlungsverfahren 
wichtiger und unerläßlich sind, so ist anfangs dennoch ein© 




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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


571 


1&Ö8 


Schonungsdiät dringend erforderlich. Bei der Kostbereitung 
sind alle scharfen Gewürze (Pfeffer, Paprika, Nelken, Muskat) 
zu vermeiden. Alle pikanten Speisen sind demnach gänzlich 
verboten, speziell auch Alkohol. Die blähenden Kohlarten, 
Gurken, Salat, Rettich, Radieschen, Hülsenfrüchte, Pilze sind 
wegen ihres reichen Gehaltes an Holzfasern ebenfalls zu ver¬ 
bieten ; desgleichen die bakterienreichen Käsesorten, am besten 
aber Käse überhaupt. Bei der Herrichtung der Speisen ist 
großes Gewicht zu legen auf sorgfältige Entfernung aller rauhen 
Schalen sowie auf gründliche Zerkleinerung durch Messer, 
Stampfer und Reibe. Durch ein Sieb gepreßte Speisen in 
Suppen- und Breiform sind besonders reizlos. Die Einspeiche- 
lung braucht darunter keineswegs zu leiden. Die Milch wird 
wegen ihrer leichten Verdaulichkeit sowie zur Hebung des 
meist daniederliegenden Ernährungszustandes fast immer zu 
empfehlen sein. Nur ganz allmählich wird man zu einer 
rauheren Kostordnung wieder zurückkehren dürfen. 

Wo die sitzende Lebensweise Ursache der Verstopfung 
ist, wird man die „dienstfreie“ Zeit durch Spaziergänge, aller¬ 
hand Sport oder Gartenarbeit auszufüllen suchen, jedenfalls 
einem Versitzen auch der Erholungsstunden entgegenarbeiten 
müssen. 

Von den physikalischen Heilfaktoren stehen uns die Hydro¬ 
therapie, Mechanotherapie und Elektrotherapie bei beiden 
Formen der habituellen Obstipation helfend zur Seite. Freilich 
werden wir bei den gegensätzlichen Zuständen von Atonie und 
Spasmus auch diametral sich entgegenstehende Methoden zur 
Anwendung zu bringen haben. So bewähren sich bei der 
Atonie kurze kalte Sitzbäder sowie kalte Abreibungen und 
Uebergießungen, aber auch sogen, erregende Umschläge auf 
den Leib nachtsüber. Bei krampfhafter Erregung der Darm* 
muskulatur sind im Gegenteil prolongierte warme Sitz- oder 
Halbbäder, heiße oft gewechselte Kompressen und warme 
nächtliche Umschläge von ausgezeichneter Wirkung. Im An¬ 
schluß an die Hydrotherapie auch ein Wort über die Be¬ 
deutung der Balneotherapie in der Behandlung der habituellen 
Obstipation. Mit Recht werden chronisch Obstipierte im 
Sommer auch in die Bäder geschickt, aber nicht immer mit 
dem erhofften Erfolg. Es liegt das zum Teil daran, daß bei 
der Auswahl des Badeortes auf dessen Quellen zu wenig Rück¬ 
sicht genommen wurde. Von den drastisch wirkenden 
Glaubersalz- und Bittersalzwässern kann man freilich keine 
günstige Einwirkung erwarten. Wohl aber lassen sich die 
mildwirkenden schwächeren kohlensauren Kochsalzquellen mit 
ungefähr 1 % Salzgehalt vorübergehend bei habitueller Obstipation 
mit Nutzen gebrauchen, aber nur unter Kontrolle eines mit den 
Quellen genau vertrauten Arztes. Der Laie, welcher nach 
dem Grundsatz handelt, viel hilft viel, wird mehr Schaden als 
Nutzen stiften, da erfahrungsgemäß nach jedem stärkeren Durch¬ 
fall eine mehr oder minder heftige Verstopfung eintritt. Nur 
der kundige Arzt wird die Klippen einer Trinkkur bei habi¬ 
tuell Obstipierten zu vermeiden wissen. Die Heilquellen 
werden nach altem Brauch morgens nüchtern getrunken. In 
dieser Magenverfassung erfolgt auch die intensivste Wirkung 
auf den Darm. Wir können von dieser Erfahrung bei der 
Abführdiät Gebrauch machen, was ohnedies beim Volke schon 
üblich ist. Man läßt sodann in Kurorten bei Atonie die Quellen 
kalt trinken und erhöht damit die abführende Wirkung. Aber 
der Genuß kalten Wassers an sich übt im gewöhnlichen Leben 
schon einen starken Impuls auf die erschlaffte Darm¬ 
muskulatur aus. Ueberhaupt soll der gewohnheitsmäßigen Be¬ 
schränkung in der Flüssigkeitszufuhr namentlich bei Frauen 
durch Verordnung entsprechender Wassermengen entgegen¬ 
gearbeitet werden, um den nachteiligen Folgen der Trocken¬ 
diät auf die Darmtätigkeit vorzubeugen. 

Mit der Massage" können wir ebenfalls sowohl eine be¬ 
ruhigende als auch erregende Wirkung auf den Darm erzeugen. 
Die Manipulationen sind dabei allerdings verschieden. Wäh¬ 
rend zarte Streichungen mit der eingefetteten Hand die Darm¬ 
steifungen zu lösen vermögen, rufen umgekehrt kräftige 
Knetungen, Klopfungen und Erschütterungen Kontraktionen 
hervor. Im ganzen ist die Massage indes mehr bei Atonie als 
Spasmus indiziert. Zur Erregung der Darmperistaltik dienen 



kräftige Reibungen der Bauchdecken, durchgreifende Knetungen 
und tiefgehende Erschütterungen der Därme, Klopfungen des 
Kreuzbeins und Vibrationen der Analgegend, manuell oder 
mit dem Vibrator. Die Massage muß täglich 6 bis 10 Wochen 
lang appliziert werden, soll ein anhaltender Erfolg damit er¬ 
zielt werden. Eine Selbstmassage, die in zirkelförmigen Touren 
um den Nabel herum, etwa im Verlauf des Kolon besteht, 
kann den Patienten als zweckdienlich empfohlen werden. 
Ebenso verdient ein von Ebstein angegebener Handgriff 
Empfehlung, welcher die Entfernung des Kotes aus dem 
letzten Teil des Rektums bezweckt. Derselbe besteht darin, 
daß man bei der Defäkation mit der linken Hand in der Ge¬ 
säßspalte von außen den Kot herauszustreichen sucht. Außer¬ 
dem kann diese Art der Massage längs des untersten Rektum¬ 
abschnittes zur Erhöhung der austreibenden Kraft des Darmes 
benutzt werden. Zur schmerzlosen Evakuation des Darmendes 
von harten Kotballen kann auch ein von Gumprecht be¬ 
schriebener Handgriff angewendet werden. Derselbe besteht 
in einer Art Dammschutz. Man legt dabei die Hand aufs Kreuz 
und führt durch Verschiebung der Weichteile nach dem Anus 
hin eine Entspannung der ganzen Umgebung des Afters herbei. 
Dieser „Dammschütz a erleichtert namentlich bei Hämorrhoiden, 
die ja so häufig von chronischer Stuhlverstopfung begleitet 
sind, die Entleerung eingetrockneter harter Kotmassen. 

Die Gymnastik dient hauptsächlich der Kräftigung der 
Bauchpresse, welcher bei dem Geschäft der Defäkation keine 
unbedeutende Rolle zufällt. Von Freiübungen kommen be¬ 
sonders Rumpfbeugen vor- und seitwärts, Beinspreizen vor- 
und seitwärts, Knieheben und -beugen in Betracht, ebenso 
Aufrichten des Oberkörpers aus der wagerecliüm Lage ohne 
Unterstützung der Hände. Wer diese Freiübungen oder ent¬ 
sprechende Widerstandsgymnastik nicht ausführen kann, muß 
sich mit passiven Bewegungen an Zanderapparaten begnügen. 
Die Dauerresultate der mechanischen Behandlungsmethoden 
sind im allgemeinen als günstige zu bezeichnen, doch müssen 
sie mit Kritik, sachgemäß und längere Zeit hindurch (drei bis 
vier Monate) zur Anwendung kommen. 

Zur elektrischen Behandlung der atonischen Form der 
Obstipation ist der faradische Strom geeignet, entweder äußer¬ 
lich oder innerlich appliziert. Bei der äußeren Applikation 
setzt man die breitere Elektrode auf den unteren Teil des 
Rückens, die kleinere setzt man der Reihe nach an verschie¬ 
denen Punkten des Leibes auf oder verbindet sie mit einer 
Massagerolle, welche man dem Kolon entlang führt. Intensiver 
wirkt die Faradisierung vom Rektum aus. Man benutzt ziem¬ 
lich starke Ströme in einer Dauer von 10 bis 15 Minuten. Der 
galvanische Strom beruhigt die vermehrte Darmperistaltik der 
spastischen Obstipation. Man behandelt die vom Krampf be¬ 
troffenen Stellen mit der Anode, während die Kathode im 
Rücken sitzt, und nimmt Ströme von 15 bis 25 M.-A. 

Eine große Verbreitung und Bedeutung haben in der Ob¬ 
stipation stherapie auch die Klistiere erlangt. Man unterscheidet 
nach der verwendeten Flüssigkeit Wasser- und Oelklysmen. 
Sie kommen in zwei Formen zur Anwendung, als kleine und 
große oder hohe Klistiere. Kaltes Wasser übt einen starken 
Reiz auf die erschlafften Darm Wandungen aus, heißes Wasser 
setzt die motorische Erregung der spastischen Obstipation 
herab. Oeleinläufe werden nach dem Vorgang von Fl einer 
und Ebstein mit einem Gummiball oder Irrigator in größeren 
meist aber in kleineren Mengen warmen Oliven-, Sesam- oder 
Rüböls gemacht und leisten gute Dienste bei jeder Art von 
chronischer Verstopfung. Wenn das Oel auch nicht erweichend 
auf die oft steinharten Kotballen einwirkt, so macht es doch 
die Darmpassage schlüpfriger und löst außerdem gelinde Darm¬ 
bewegungen aus. In Form von mehrwöchigen Kuren, ver¬ 
bunden mit Bettruhe, haben sie oft einen heilenden Einfluß 

f erade auf die spastische Obstipation. Glyzerinzäpfchen kommen 
en Oeleinläufen nicht an Reizlosigkeit gleich, sind aber zur 
gelegentlichen Verwendung sehr brauchbar. 

Bei der medikamentösen Therapie müssen wir scheiden 
zwischen denjenigen Arzneimitteln, welche die der Verstopfung 
zugrunde liegende Atonie bezw. den Spasmus bekämpfen, und 
den sogen. Abführmitteln. Zur rationellen Behandlung der 


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nriviTrHrn&N 





572 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 39 


Atonie dient das Strychnin. Seine Wirkung beruht bekannt¬ 
lich auf einer Erregung der Darmnerven, wodurch Kon¬ 
traktionen der glatten Muskulatur zustande kommen. Läh¬ 
mend auf die glatte Muskulatur wirkt Atropin, es wird also 
am ehesten die krampfhaften Zusammenziehungen des Darmes 
beheben. In gleicher Richtung sind Brompräparate und Chloral- 
hydrat wirksam. 

Die eigentlichen Abführmittel rufen durch Reizung der 
Darmschleimhaut die Entleerungen hervor und sind daher 
möglichst zu vermeiden. Zur Einleitung einer richtigen Be¬ 
handlung der habituellen Obstipation wird man ihrer aller¬ 
dings vielfach nicht entraten können, schon deswegen, weil die 
Patienten daran gewöhnt sind. Ebenso wird man sie bei alten 
Leuten nicht gut entbehren können. Bezüglich ihrer Schäd¬ 
lichkeit besteht kein großer Unterschied unter den als Ape- 
rientia, Purgatoria und Drastika bezeichneten Gruppen. Es 
kommt bei ihrer schädigenden Wirkung hauptsächlich auf die 
Mengen an und den tatsächlichen Schleimhautreiz; denn durch 
eine sehr starke Dosis eines purgatorischen Mittels kann der 
Darm heftiger insultiert werden als mit einer kleinen Gabe 
eines Drastikums. Dennoch wird man stets versuchen müssen, 
mit den schwächeren Mitteln auszukommen. Ueberhaupt muß 
für den Gebrauch von Abführmitteln als erste Regel gelten, 
nie mehr davon zu verordnen, als unbedingt nötig ist, und 
danach zu streben, nach Möglichkeit die Dosis allmählich zu 
reduzieren. Unbeschadet des Erfolges wird das oft genug ge¬ 
lingen. Unter dem Volke sind die Karminativa: Pfefferminz, 
Fenchel und Kamillen wegen ihrer krampfstillenden Wirkung 
viel verbreitet und auch in der Tat von den Abführmitteln bei 
der spastischen Form allein brauchbar. Relativ mild und 
sicher wirken bei Atonie auch Faulbaumrinde und Sennes- 
schoten. Kalifornischer Feigensyrup zählt noch mehr zu den 
diätetischen Abführmitteln. Brustpulver, Rhabarbertabletten, 
Cascara sagrada brauche ich als relativ harmlos nur zu er¬ 
wähnen. Von neu eingeführten Mitteln verdient das von 
Ad. Schmidt empfohlene Regulin als rationelles Abführ¬ 
mittel hervorgehoben zu werden. Die Wirkung beruht haupt¬ 
sächlich auf dem durch Quellung zum Darmballast gewordenen 
Agar-Agar, dem etwas Cascara zugesetzt ist. Stärkere Abführ¬ 
mittel sind bei der habituellen Obstipation gänzlich zu ver¬ 
meiden. 

Wie wir gesehen haben, gibt die moderne Heilkunde dem 
Arzt zur Bekämpfung der chronischen Stuhlverstopfung eine 
Reihe von aussichtsreichen Mitteln in die Hand, ln der 
kritischen Verwertung nicht minder wie in der beharrlichen 
Durchführung einzelner, zum Teil allgemein hygienischer 
Grundsätze beruht der dauernde Erfolg. 


□ 


REFERATE. 



Dermatologie und Syphilidologie. 

Referent: Spezialarzt Dr. Jul. Baum, Berlin. 

1. Die Technik der Wassermann-Neißer-Bruckschen Sero¬ 
diagnostik der Syphilis. YonTaege. Münch, med. Wochenschr., 

1908, Nr. 33. 

2. Scharlach und Serodiagnostik auf Syphilis. Von Georg 
Meier. Med. Klinik, 1908, Nr. 36. 

3. Ueber das Verhalten des Serums von Scharlachkranken 
bei der Wassermannschen Reaktion auf Syphilis. Von Fritz 
Höhne, ßerl. kliu. Wochenschr., 1908, Nr. 38. 

4. Ueber Serumreaktionen bei Scharlachkranken, Von E. 
Seligmann und F. Klopstock. Ibidem. 

5. Serumdiagnosis of Syphilis. Von William J. Butler. Journ. 
of the americ. med. assoc., 1908, 5. Sept. 

6. Der serologische Luesnachweis mit der Banerschen Modi¬ 
fikation der Wassermannschen Reaktion Von Hinrichs. Med, 
Klinik, 1908, Nr. 35. 


7. Le priapisme. Von Charles Laurent und Leon Nove- 
Josserand. Gaz. des hopit., 1908, Nr. 101. 

8. Die Kromayersche Quecksilberinhalationskur bei Syphilis. 
Von Paul Bendig. Münch, med. Wochenschr., 1908, Nr. 35. 

9. Ueber die Verwendung des Arsacetins (Ehrlich) bei der 
Syphilisbehandlung. Von A. Ne iß er. Deutsche med. Wochen¬ 
schrift, 1908, Nr. 35. 

10. Ueber urethrale Tuberkulinreaktion. Von M. Oppen¬ 
heim. Wien. klin. Wochenschr., 1908, Nr. 37. 

11. Zur Frage des Lupus erythematodes und der Tuber¬ 
kulose überhaupt. Von S. Ehr mann und S. Reines. Med. 
Klinik, 1908, Nr. 34. 

12. Ueber alte und neue Heilsalben. Von Paul Richter. 

Ibidem, Nr. 37. 

13. Beitrag zur Frage der internen Syphilistherapie unter 
besonderer Berücksichtigung des Mergals. Von Georg Haedicke. 
Allg. med. Zentralzeitg., 1908, Nr. 34 u. 35. 

1. Wer sich über die Technik der Wassermann-Neißer- 
Bruckschen Reaktion zur Serodiaguose der Lues informieren will, 
lese die außerordentlich klare und präzise Arbeit Taeges, die be¬ 
sonders für Leute geschrieben ist, die mit der Technik der sero¬ 
logischen Methoden nicht vertraut sind. 

2. Entgegen den Angaben von Much und Eichelberg 
fand Meier bei Scharlach nie die Wassermann sehe Reaktion. 
Das Ueberstehen des Scharlachs gibt keinen Anlaß zur serodia¬ 
gnostischen Fehldiagnose auf Lues. Die widersprechenden Resul¬ 
tate beruhen auf Nichteinhaltung der genauen Vorschriften und 
Kontrollen. 

3. Auch Höhne findet, daß das Ueberstehen einer Skarlatina 
die Deutung der mittels der Wassermannschen Reaktion er¬ 
haltenen Ergebnisse und die große Bedeutung der Methode für 
die Serodiagnostik der Syphilis in keiner Weise beeinträchtigt. 

4. Ebenso kamen auch Seligmann und Klopstock zu 
demselben Schluß. Sie fanden jedoch, daß das angewandte Antigen 
gelegentlich sich so verändern kann, daß es mit einer Reihe von 
nicht luetischen Seren, auch Scharlachseren reagiert. 

5. Nach Butler ist die Serumreaktion auf Syphilis spezifisch. 
In 90 bis 95% der Fälle mit syphilitischen Manifestationen wird 
sie gefunden, in 50 bis 60% latenter Fälle, in 70 bis 80% para- 
syphilitiseher Krankheiten. In manchen Fällen wird sie durch 
die Behandlung beeinflußt, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß 
die Zahl dieser Fälle bedeutend vermehrt wird, wenn die Reak¬ 
tion durch eine prolongierte Behandlung hindurch verfolgt wird. 
Die positive Reaktion zeigt die Aktivität des spezifischen Virus 
an und ist eine Indikation für eine spezifische Behandlung. Der 
negative Ausfall der Reaktion hat keine Bedeutung, 

6. Mit der von Bauer angegebenen Modifikation der Wasser¬ 
mannschen Reaktion bekommt man feinere Ausschläge und in 
einer größeren Zahl von Fällen positive Reaktion. 

7. Priapismus, d. h. lange schmerzhafte Erektion ohne das 
Lustgefühl oder den Wunsch und stets ohne Ejakulation, hat die ver¬ 
schiedensten Ursachen; entweder bestehen mechanische Zirkulations- 
kinderuisse wie Prostatatumoren oder Blasentumoren oder Häma¬ 
tome im Korpus kavernosum. In andern Fällen ist Urethritis 
mit Thrombose im Korp. kavernosum die Ursache. Manchmal 
spielen nervöse Ursachen, wie geistige Ueberanstrengung oder 
Neurosen, eine Rolle. Gelegentlich wird er durch Kanthariden 
oder Yohimbin verursacht. Besonders häufig findet er sich bei 
Leukämie und andern Blutkrankheiten; ferner bei Malaria, Dia¬ 
betes und Gicht. Entsprechend der Ursache mul.? die Behandlung 
kausal sein. Bei unbekannter Ursache sind Anaphrodisiaka am 
Platz, besonders beim akuten Priapismus, wie Kampfer, Lupulin, 
Brom, eventuell Chloroform mit Morphium. Die chirurgische Be¬ 
handlung durch Inzision des Korpora kavernosa ist im allgemeinen 
zu vermeiden. 

8. An der Hand von 20 Fällen sah Bendig mit der von 
Kroinayer angegebenen Hg-Inhalationsmethode der Lues gute 
klinische Erfolge. Gemessen an der diuretischen Wirkung des 
Hg scheinen die Masken nach 8 Stunden ihre Wirkung zu ver¬ 
lieren und müssen dann gewechselt werden. Die Kur ist zirka 
40 Tage lang durchzuführen. Bendig hebt die von Kromayer 
angegebenen Vorteile der Behandlungsmethode hervor gegenüber 
Schmier- und Spritzkur: Sauberkeit und Bequemlichkeit. 


DWWHBm Uh MILHIIjAN 


UNIUtKtpll T Uh MILHIIjAN 




1908. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 



9. Nach allen Erfahrungen am Menschen und besonders nach 
zahlreichen Tierexperimenten hat Neißer die Sicherheit gewonnen, 
daß das Quecksilber ein wahres Heilmittel gegen die Syphilis ist, 
geeignet, nicht nur Symptome zu beseitigen, sondern auch das 
Virus zur Abtötung zu bringen. Andrerseits haben jedoch die 
neueren Untersuchungen ergeben, daß wir neben dem Hg noch 
andre wahre Heilmittel gegen Syphilis haben, insbesondere in dem 
Atoxyl. Ehrlich hat ein neues Atoxylpräparat, Arsacetin ge¬ 
nannt, hergestellt. Dieses neue Mittel ist ungleich ungiftiger als 
das alte Atoxyl, hat die gleiche Wirkung und kann sich nicht 
zersetzen. Neißer empfiehlt Hg und Arsacetin gleichzeitig 
nebeneinander anzuwenden. Verwendet wird 10%ige Lösung; 
jede Woche an zwei aufeinander folgenden Tagen wird 0,6 Arsa¬ 
cetin injiziert. 

10. Nicht nur die Konjunktiva, sondern auch die Urethra 
kann gelegentlich allergische Reaktion auf Tuberkulineinträuflung 
zeigen. Die Reaktion ist jedoch viel schwächer und inkonstanter 
als an der Konjunktiva. Eine praktische diagnostische Bedeutung 
kommt der urethralen Reaktion nicht zu. Bei Skrofulöse und 
Tuberkuliden der Haut konnte keine stärkere Reaktion erzielt 
werden als bei anderen AffektioneD. 

11. Obgleich der Lupus erythematodes mikroskopisch im all¬ 
gemeinen nicht tuberkulöses oder tuberkuloseähnliches Gewebe 
zeigt, so ist er doch ein Stigma für Tuberkulose. Die besten 
Heilresultate gibt nach Ehr mann und Reines die Quarzlampen¬ 
behandlung, schwankende die Finsen- und die Jod-Chininbehandlung. 

12. Ricjhter empfiehlt den Viljacreme als ein bei vielen 
Hautkrankheiten wirksames, besonders jucklinderudes Mittel. 

13. Haedicke sieht in Mergal, einem neuen internen Anti- 
syphilitikum, einen außerordentlichen Gewinn für den neueren 
Arzneischatz. Dieses Hg-Präparat wird fast stets gut vertragen 
und gerne genommen. 

Militärsanitätswesen. 

Referent: Dr. M. Peltzer, Generaloberarzt a. D. in Steglitz. 

1. Ueber paroxysmale Hämoglobinurie nach Gehen. Von 

Oberstabsarzt Dr. Rose nt ha 1-Münster. Deutsche militärärztl. 
Zeitschr., 1908, Heft 14, S. 585. 

2. Psoriasis als Folge der Revakzination. Von Assistenz¬ 
arzt Dr. von Mielecki-Magdeburg. Ibidem, S. 607. 

1. Während die Kasuistik der paroxysmalen Kältehämoglobi¬ 
nurie, wie R. bemerkt, ziemlich umfangreich ist, sind Fälle von 
paroxysmaler Hämoglobinurie nach Gehen sehr selten und in der 
militärärztlichen Literatur, abgesehen von kurzen Erwähnungen in 
den Sanitätsberichten der preußischen Armee, seines Wissens bisher 
noch nicht beschrieben worden. Aus diesem Grunde teilt er einen in 
Straßburg i. E. beobachteten Fall dieser seltenen Krankheit aus¬ 
führlich mit, stellt dabei die anderen bisher veröffentlichten Falle 
dieser Art zusammen und berichtet kurz über die neuesten Fort¬ 
schritte in der Erkenntnis der paroxysmalen Hämoglobinurie über¬ 
haupt. Er hält Kälte- und Marschhämoglobinurie für zwei von¬ 
einander ganz verschiedene Krankheitszustände, zwischen denen 
Uebergänge nicht Vorkommen, und fordert zu gelegentlichen weiteren 
vergleichenden Beobachtungen auf. 

2. Assistenzarzt Dr. von Mielecki fand vor einiger Zeit 
gelegentlich der monatlichen ärztlichen Untersuchung der Mann¬ 
schaften des Korpsbekleidungsamtes des vierten Armeekorps einen 
Mann, dessen Körper von einem eigentümlichen Hautausschlag 
bedeckt war. Der Mann war am 9. Oktober mit Erfolg geimpft, 
der Ausschlag wurde von ihm am 20. Oktober bemerkt und sollte 
„über Nacht“ entstanden sein. Daß die Eruption mit der Imp¬ 
fung in Zusammenhang stand, lehrte ein Blick auf die Haut an 
den Impfstellen, welche in gleicher Weise, jedoch erheblich stärker, 
verändert war als an der übrigen Körperoberfläche. Die Diagnose 
wurde auf Psoriasis gestellt, und es fragte sich nur, was den An¬ 
stoß zum Ausbruch der Krankheit gegeben hatte, die mechanische 
Verletzung der Haut durch die Impflanzette oder die Einverlei¬ 
bung der Lymphe? Es blieb als Ausweg nur die Annahme einer 
eigenartigen Disposition übrig. Derartige Fälle sind auch ander¬ 
weitig gelegentlich beobachtet und beschrieben worden. Besnier 
(Besnier-Brocq-Jasquet, la pratique dermatologique, tome 



573 


VI, 1907, S. 128) schätzt ihre Zahl auf kaum 10. v. Mielecki 
fand in den Sanitätsberichten der preuß. Armee von 1898/99, 
1900/01, 1901/02 und 1904/05 noch viermal die Revakzination 
als Ursache von Psoriasis erwähnt, ferner noch bei Bett mann 
und Teske (Münchn. med. Wochenschr., 1899, Nr. 15, und 
Monatsschr. f. Unfallheilk., 1905, Nr. 8). 


Biologische Therapie. 

Referent: Dr. W. Esch, Bendorf a. Rh. 

1. Ueber das Wesen der biologischen Phänomene in der 
Medizin und über die Grenzen ihrer Verwertbarkeit. Von Dr. 
G. Salus-Prag. Med. Klinik, 1907, Nr. 50. 

2. Was geschieht, wenn artfremdes Serum außerhalb des 
Darmtraktus eingeführt wird? Sammelreferat. Von Dr. G. Salus. 
Ibidem, 1908, Nr. 8. 

3. Ueber die Serotherapie der Streptokokkeninfektion. Von 

W. Zangemeister. Münch, med. Wochenschr., 1908, Nr. 16. 

4. Zur Wirkung des Prießnitzumschlages bei der Entzündung. 
Von Privatdoz. Dr. H. Sch ade-Kiel. Münch, med. Wochenschr,, 

1907, Nr. 18, und Bl. f. klin. Hydrotherapie, 1908, Nr. 5. 

5. Die Kleidung der Mutter in Beziehung zur Gesundheit 
des Kindes. Von Marg Pochhamraer. Zeitsch. f. Krankenpfl , 

1908, Nr. 2. 

6 . Meinungsverschiedenheiten in der Anwendung der Sonnen¬ 
bäder. Von Dr. W. O. Le nki-Budapest. Zeitschr. f. phys.-diät. 
Therapie, 1908, Augustheft (nach e. Eigenbericht). 

7. Ueber Quecksilber als Heilmittel. Von Dr. Kaufmann, 

Frankfurt a. M. Heft 6 .der Flugschr. der Gesellsch. z. Bek. d. 
Geschlechtski’. Leipzig, Barth, 1906. 24 S. M. 0,30. 

Im Anschluß an das Referat über Fischers Bemerkungen 
zur Serumtherapie (Nr. 31 dieser Zeitschrift) seien noch die obigen 
drei ersten Arbeiten angeführt. 

1 u. 2. Salus leugnet, daß die nach Injektion artfremden 
Serums beobachteten Vorgänge Beziehungen zur „Immunität“ be¬ 
sitzen, sondern nimmt an, daß der Organismus auf die anomale 
Eiweißzufuhr anomale „Fermentoide“ bilde, die das eingeführte 
Eiweiß ohne Rücksicht auf seine Giftigkeit verdauen. n Alle Er¬ 
scheinungen nach der erstmaligen und nach der wiederholten In¬ 
jektion erklären sich ungezwungen als VerdauungsVorgänge ohne 
jede Beziehung auf die Immunität. Auch Agglutination, Bakterio- 
lyse und -präzipitation sind keine wahren Immunitätserscheinungen, 
sondern nur Folgen der anomalen Verdauung von Leibesbestand¬ 
teilen der Bakterien.“ 

3. Zangemeister gelangt auf Grund eigener Versuche zu 
dem Ergebnis, daß Sera, die beim Tier hochwirksam waren, beim 
Menschen völlig versagten. Die am Krankenbett „beobachteten“ 
spezifischen Eigenschaften der Sera erwiesen sich bei exakter 
Prüfung als Täuschung. 

Er erklärt das mit der spezifischen Pathogenität der Strepto¬ 
kokken: Ein Stamm kann für eine Tierart hochvirulent sein, ohne 
deshalb die geringste Virulenz für eine andere Tierart zu be¬ 
sitzen. In der Tat zeigten in diesem Sinne angestellte Versuche, 
daß Pferdeserum beim Affen wirkungslos, ja sogar schädlich 
war, indem es den Tod der Versuchstiere 'beschleunigte. 

Mit Anwendung artfremder Streptokokkensera soll man also, 
wie Z. betont, äußerst vorsichtig sein, sonst werde der Effekt der 
Serumtherapie durch den Schaden, den die Einverleibung art¬ 
fremden Serums mit sich bringt, paralysiert. 

Da die artfremden Sera als Fremdstoffe und deshalb besten¬ 
falls nur als „Leukostimulantien“ wirken, so möchte Ref. an Stelle 
der kostspieligen und zweischneidigen Sera künstlich krank ge¬ 
machter Tiere die einfacheren, billigen und unschädlichen altbe¬ 
kannten leukotaktischen Mittel der Pharmakopoe, deren Haupt¬ 
repräsentant das Terpentin ist, zur Wiedereinführung vorschlagen. 

4. Die durch den Prießnitzumschlag hervorgerufene reaktive 
Hyperämie wirkt in der Weise, daß sie durch Steigerung des 
osmotischen Druckgefälles die zentrifugal gerichtete Lymphbe- 
wegung erhöht und mit dem so gesteigerten Lymphstrome die 
Entzündungsprodukte in kürzerer Zeit aus dem am meisten ge¬ 
fährdeten Zentrum nach der Peripherie schafft, um sie dort an 




574 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 39 


die zirkulierende Blutmasse abzugeben oder sonstwie unschädlich 
zu machen. 

5. Verfasserin stimmt den (bereits referierten) Ausführungen 
Grissons bei, bis auf dessen Abneigung gegen das Reformbein¬ 
kleid, bekämpft dagegen energisch Möllers Bedenken hinsicht¬ 
lich der Schulterbelastung, die sie für völlig unhaltbar erklärt. 
Sie empfiehlt poröse Hemdhose, Büstenhalter mit Leibgurt und 
Strumpfhaltern (z. B. „Hera“ nach Fleischer-Griebel in Berlin), 
poröses Reformbeinkleid, lose gefüttertes Kleid ohne Unterrock 
oder ungefüttertes mit einem solchen, und betont, daß man jedes 
Kleid, das sich der Gestalt anschmiege, ohne sie irgendwo zu be¬ 
lasten oder einzuengen, als Reformkleid bezeichnen müsse. 

6. Verfasser befaßt sich in erster Linie mit der Indika¬ 
tionsstellung der Sonnenbäder und meint unter anderem, daß 
geringere Fieberbewegungen nicht als unbedingte Gegenanzeige 
zu betrachten seien, da die Rektaltemperatur im Sonnenbad auch 
bei Fiebernden oft abnehme, und wenn dieselbe bei solchen, deren 
Sonnenbad eben mit dem täglichen Anstieg der Temperatur zu¬ 
sammenfällt, in manchen Fällen auch zunehme, diese Zunahme 
doch so unbedeutend sei, daß sie nicht in Betracht komme, um 
so mehr, da die Dauerwirkung auch bei diesen günstig sei. Er 
meint auch, daß solche, die Neigung zu Lungenblutungen haben, 
nicht vom Sonnenbad auszuschließen seien. Der Auswurf zweier 
seiner Patienten, die kurz vor der Behandlung in mehreren An¬ 
fällen viel Blut auswarfen, zeigte während der Sonnenkur nicht 
den mindesten Blutverlust. Auch bei Menstruierten zeigte sich 
auf Sonnenbäder kein ungünstiger Einfluß auf die Blutung. Doch 
will er trotz dieser Erfahrungen Patienten mit bestehender Blutung, 
schon auch deshalb, da diese absoluter Ruhe bedürfen, vom Sonnen¬ 
bad ausgeschlossen sehen. 

Bezüglich der Methodik der Sonnenbäder betont Verfasser, 
daß dieselben strenge dosiert werden sollen. Er verurteilt des¬ 
halb die ambulatorischen, mehrere Stunden langen Sonnenbäder, 
da diese Erythembildung und starke Pigmentation der Haut provo¬ 
zieren und genaue Individualisierung unmöglich machen. Er gibt 
Schwachen und Blutarmen nur kurze Sonnenbäder (15 bis 45 Min.), 
läßt diese nur frei bescheinen und meidet bei allen, bei denen er 
Wert auf die Lichtwirkung legt, daß die Haut übermäßig ge¬ 
bräunt werde. Nach seinen Untersuchungen läßt tiefgebräunte Haut 
nur ca. den fünf- bis zehntausendsten Teil der auffallenden Strahlen 
durch und von diesen auch nur gelbe und rote, wohingegen durch 
blasse oder nur mäßig gebräunte Haut der hundertste Teil pene¬ 
triert. Die zu starke Bräunung der Haut vermeidet er dadurch, 
daß er seine Patienten nur kurz bestrahlen läßt und daß diese 
die bestrahlte Hautfläche oft wechseln. Beginnendes Erythem 
sucht er durch mehrtägige Pause oder dadurch hintanzuhalten, 
daß er solche einige Tage unter Filtern bestrahlen läßt, welche 
für ultraviolette Strahlen undurchlässig sind. Er läßt nur jene, 
bei denen au -h auf intensivere Wärmewirkung Gewicht gelegt 
werden muß, also hauptsächlich solche länger (etwa eine Stunde) 
bestrahlen, bei denen Aufsaugung erstrebt wird, und läßt, 
um auch diese nicht zu sehr zu bräunen, das Sonnenbad 
über eine Stunde meist nur mit bedecktem Körper oder in 
Packung fortsetzen. Die Aufsaugung sucht er auch dadurch 
zu fördern, daß er letzteren, um die Säfteströmung von den 
Geweben zu den Blutgefäßen anzuregen, auch schon einige Stunden 
vor dem Sonnenbad die Elüssigkeitsaufnahme verbietet. Dadurch 
will er erreichen, daß der durch Verdunstung entstandene Verlust 
ans den Geweben und nicht durch Reserveflüssigkeit aus dem 
Darm gedeckt werde. Solchen, deren Körper energisch durch¬ 
spült werden soll, erlaubt er hingegen, auch während der Beschei¬ 
nung ihren Durst zu löschen. 

Energische erythembefördernde Bestrahlung hält Verfasser 
nur bei zirkumskripten, oberflächlichen Leiden bazillären Ursprungs 
für unbedingt indiziert, also nur bei lokalen Sonnenbädern, bei Teil¬ 
sonnenbädern schon nicht oder nur im Anschluß an totale, um die 
Allgemeinwirkung durch lokale noch zu verstärken. Doch tut er 
dies nur in jenen Fällen, in welchen mildere Sonnenbäder nicht ge¬ 
nügend wirken. Er meint auch, daß die Erwärmung der Haut be¬ 
rücksichtigt werden müsse, da dadurch die Wärmeregulation des 
Körpers bis zu einem gewissen Grade beeinflußt werden kann. 
Intensive Erwärmung der Haut, also senkrechte Bestrahlung, be¬ 
fördert die Reaktion und Funktion derselben, also auch die Ver¬ 


dunstung und dies meist in höherem Grade als die Wärmeauf¬ 
nahme. Das Pigment wirkt ebenfalls in diesem Sinne, d. h. nicht 
nur als Schutz gegeu übermäßige Lichtwirkung, sondern auch 
gegen übermäßige Durchwärmung des Körpers: die Hautfarbe ist 
also bei Verordnung der Sonnenbäder zu berücksichtigen. Auf 
jedes Bad soll eine Wasseranwendung folgen. 

7. Kaufmann zeigt an der Hand der Geschichte, wie das ehr¬ 
würdige Medikament Hg alle Stürme und Umwälzungen der Medizin 
überdauert habe. Alle Bestrebungen, es durch andere Mittel oder 
Methoden zu ersetzen, seien bisher feblgeschlageD. In richtiger 
Dosis und Form, unter sachverständiger Leitung gegeben, sei es 
ein mächtig wirkendes Heilmittel und seine Schattenseiten gänz¬ 
lich vermeidbar. 

Natürlich sei es noch nicht das ideale Syphilismittel, es könne 
Rückfälle nicht immer verhüten, ja in einzelnen seltenen Fällen, 
besonders bei Alkoholikern, versage es völlig. Einstweilen aber, 
bis ein besseres gefunden, sei noch an ihm festzuhalten. 


Varia. 

1. lieber epidemische Meningitis. Von M. Mathes. Ueber 
epidemische Meningitis. Von H. Hochhaus. Medizin. Klinik, 

1908, Nr. 20. 

Von beiden Aufsätzen sei nur das Therapeutische hervor¬ 
gehoben. Mathes verwandte dreistündlich wiederholte heiße 
Bäder (bis 40°) von viertelstündiger Dauer mit guter subjektiver 
Wirkung. Die Spinalpunktionen waren „kaum von erheblichem 
Erfolg“, ebenso die subduralen Injektionen von Serum. Dafür 
traten aber Öfters Schmerzen und Kollaps ein. Biersche Stauung 
des Kopfs wurde nicht vertragen. 

Zu ähnlichen Resultaten gelangt Hochhaus. Die Injektion 
von Serum von verschiedener Provenienz und Menge versagte 
vollständig. F. von den Velden. 

2. Alkohol und Lebensdauer. Von Dr. Stille (Stade). 
Med. Klinik, 1907, Nr. 34. 

Die Arbeit macht Statistiken englischer Versicherungs¬ 
gesellschaften , • die besondere Abteilungen für Abstinente haben, 
zugänglich. Die Abstinenten erhalten 15% Rabatt, in welcher 
Zahl sich am prägnantesten ihre vermehrte Lebenserwartung aus- 
drücken läßt. 

Wenige Aerzte werden daran zweifeln, daß es der großen 
Mehrheit der Menschen besser wäre, wenn sie abstinent lebte. 
Aber so groß kann der Vorteil der Abstinenz nicht sein, als er 
nach den Statistiken erscheint. Der Gesunde kann den Alkohol 
weit leichter entbehren als ein Teil der Kränklichen, der ihn 
braucht, um sich über Depressionszustände wegzubringen und den 
Ablauf der körperlichen Funktionen wenigstens während der Zeit 
der Nahrungsaufnahme in Gang zu setzen. Deshalb befindet sich 
unter den Nicbtabstinenten ein größerer Prozentsatz Menschen mit 
geringer Lebenserwartung als unter den Abstinenten, und ihre 
höhere Mortalität rührt teilweise daher. Einverstanden, daß mehr 
Nichtabstinenten sterben als Abstinenten — es sterben aber auch 
mehr Leute, die den Arzt und Apotheker brauchen, als die ihn 
entbehren können, und doch darf man daraus nicht auf deren Ge¬ 
meinschädlichkeit schließen. Der Alkohol ist die populärste Medizin 
und wirkt — richtig gebraucht — wie die Arznei in der Mehr¬ 
zahl der Fälle auch, nämlich durch vorübergehende Erleichterung 
von Störungen, -die nach verklungener Wirkung gleich groß oder 
größer wieder da sind. 

Noch ein weiteres Moment läßt den Einfluß des Alkohols 
geringer erscheinen, als ihn die Statistiken darstellen. „Man hat 
die Ansicht ausgesprochen, daß die Abstinenten besonders sorg¬ 
fältige und methodische Leute seien, die nach Uebung und Regel 
leben, Gefahren, Aufregungen und Exzesse aller Art vermeiden 
und überhaupt unter solchen Bedingungen leben, die der Gesund¬ 
heit und Langlebigkeit förderlich sind; und daß ihre Abstinenz 
von berauschenden Getränken nur das Merkmal einer Klasse oder 
eines Typus ist, deren geringere Sterblichkeit ihrer allgemeinen 
behutsamen, ruhigen und methodischen Lebensweise zuzuschreiben 
ist. Diese Ansicht“, fügt Stille hinzu, „ist wenig begründet.“ 
Ich glaube, daß sie sehr gut begründet und von Stille sehr gut 
formuliert ist. Gewöhnlich sind die ganz oder beinahe Abstinenten 


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1908, 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


575 


ängstliche und pedantische oder beschränkte Menschen — mit 
Ausnahme natürlich derer, die den Alkohol tatsächlich nicht oder 
nicht mehr vertragen. Die levis notae macula, die dem Wasser¬ 
trinker anhängt, ist nicht ganz unberechtigt, und das Volkslied 
sagt nicht ohne Grund: le buveur d’eau n’est qu’un poltron. 

F. von den Velden. 

3. Schulpoliklinik der Stadt Luzern. Med. Reform, 1908, 
Nr. 24, S. 293, Kl. Mitteilungen. 

Eine nachahmenswerte Einrichtung hat Luzern getroffen: 
Im Januar d. Js. ist daselbst eine Schulpoliklinik eröffnet worden, 
die, ohne irgendwie obligatorisch zu'sein und die freie Arztwahl 
zu beschränken, für alle Schüler und Schülerinnen der Primär- 
und Sekundärschulen der Stadt vollständig frei ist. Sie zerfällt 
in eine allgemeine Abteilung für leichte Fälle der Ohren- und 
Augenheilkunde, für Hautkrankheiten, die kleine Chirurgie usw. und 
eine Schulzahnklinik, wo Extraktionen besorgt werden, im übrigen 
aber ein möglichst konservatives Verfahren beobachtet wird. Aus¬ 
genommen sind Goldfüllungen und Prothesen. Besuche im Hause 
finden nicht statt, überhaupt werden nur ambulante Fälle be¬ 
handelt. M. Peltzer, Steglitz. 

4. Die organischen Eisenpräparate. Von A. G. Aposto- 
lides-Smyrna. Folia Therapeutica, Vol. II, Nr. 3. 

Eine umfangreiche und zum Referat nicht geeignete Aus¬ 
einandersetzung über die Vorzüge der organischen Eisen- und 
Arsenpräparate vor den unorganischen. 

Die gewöhnlich eintreffende und häutig versagende Wirkung 
des Eisens hat schon viele Untersucher genarrt, und mau kann 
sagen, daß sie auch heute nicht aufgeklärt ist. Auf der richtigsten 
Fährte scheint Haig zu sein, dem die offizielle Wissenschaft 
noch ablehnend gegenübersteht. Schon Garrod hat gezeigt, daß 
Eisen und Blei unlösliche Harnsäure verbin düngen bilden, und 
Haig hat bewiesen, daß beide Metalle vorübergehend die Harn¬ 
säure aus dem Urin, also auch aus dem Blute verschwinden 
lassen — gerade wie es der von den Chlorotischen instinktiv 
aufgesuchte Essig und zahlreiche andere Mittel, z. B Quecksilber, 
Jod und Kupfer auch tun. Mit dem bloß vorübergehenden Ver¬ 
drängen der Harnsäure aus dem Blute ist aber, da es nur kurze 
Erleichterung bringt, wenig geleistet, nur eine passende Hebung 
der körperlichen Funktionen auf anderem Wege und eine geeignete 
Diät kann dauernd helfen. Immerhin sind die erwähnten Metalle 
gute Mittel zur Unterstützung der Kur, und Haig bedient sich 
ihrer auch. Kupfer, Quecksilber und Jod haben nun viel un¬ 
angenehmere Nebenwirkungen als Eisen, und so mag es kommen, 
daß das letztere von altersher seinen Platz in der Behandlung der 
Chlorose behauptet hat. F. von den Velden. 

5. Wie schützen wir unser Auge gegen die schädliche Wir¬ 
kung deB Lichtes, besonders des kurzwelligen. Von Prof. Birch- 
Hirschfeld. Umschau, 1908, Nr. 30. 

Von den neueren Lampen sind besonders die Quecksilber¬ 
dampflampen an ultravioletten Strahlen reich und deshalb dem 
Auge gefährlich, indem sie nach kurzer Zeit Konjunktivitis und 
Störungen der Farbenempfindung herbeiführen. Bei Tieren hat 
man sogar Linsentrübung eintreten sehen. Auch die Haut wird 
von den kurzwelligen Strahlen geschädigt, B.-H. akquirierte durch 
Bestrahlung mit einer Quarzlampe von vier Minuten Dauer in 
1 m Entfernung eine Hautentzündung. 

Als Schutz gegen diese Strahlungen dienen Brillen oder an 
den Lampen angebrachte Ueberfanggläser aus neuen, jetzt im 
Handel befindlichen Glassorten. Bemerkenswert ist, daß auch die 
in der Dermatologie verwandte Uviollampe das Auge schädigt. 

F. von den Velden. 

6. Harnsäure und kein Ende! (Die echte und die falsche 
Gicht.) Von Dr. W. Steekel. Wien 1908. Knepler. 56 S. 

Ein unterhaltendes Büchlein voll gesunden Menschenver¬ 
stands, das jeder mit Anregung lesen wird, wenn er sich auch 
öfters zum Widerspruch genötigt sieht. Sehr zu bedauern ist, 
daß Steckei die Arbeiten Haigs nicht kennt: so muß ihm die 
Lehre der Gicht ein Chaos erscheinen. Er weiß nicht, daß Haig 
einen großen Teil der Widersprüche, welche die Gicht „gleich 
geheimnisvoll für Weise wie für Toren“ machten, auf das glück¬ 
lichste aufgelöst hat. 

Darin hat Steckel unzweifelhaft recht, daß, wenn nicht alle 
Anzeichen trügen, die „harnsaure Diathese“ bald die Stelle einer 


Modekrankheit und Bequemlichkeitsdiagnose einnehrnen wird, in 
Ablösung der Influenza und Blinddarmentzündung. Auch darin, 
daß bei den heute verbreiteten atypischen Formen von Gicht die 
Harnsäure zu sehr in den Vordergrund gerückt wird, während 
die Störungen der Leber- und Darmfunktion vergessen werden. 
Dafür hebt dann St. ein anderes Symptom, die verminderte Wärme¬ 
bildung, ungebührlich als Hauptsache hervor. 

Sehr witzig zieht St. gegen das Steckenpferd des Tages, 
die Diät, zu Felde, ohne deren Wichtigkeit in bestimmten Fällen 
zu verkennen. „Sie machen allerlei Experimente und verfallen 
alle dem Diätteufel, dann sind sie freilich für das Leben und den 
Lebensgenuß ganz verloren.“ „Trotzdem stehe ich nicht an, zu 
behaupten, daß der Schade der Diätkuren fast ihre Segnungen in 
den Hintergrund drängt. Sieht man mit ruhig kritischem Blick, 
wie sich zahllose Menschen in törichter Weise ohne Grund und 
ohne Berechtigung kasteien, quälen, martern, so faßt einen wahr¬ 
haftig der ganze Jammer der Menschheit an“. „Endlos sind die 
Torheiten, die die Menschen infolge ihrer allzu großen Weisheit 
begehen.“ „Die Diät bat neben ihren großen Vorzügen einen 
ungeheuren Fehler: sie zwingt die Menschen, sich selber zu beob¬ 
achten.“ * F. von den Velden. 

7. Das Luftbad bei der Pflege der Lungenkranken. Von 

Dr. Schröder und Dr. Kaufmann. Zeitschrift für Kranken¬ 
pflege. 1908, Aprilheft. 

Für den Gebrauch der Luftbäder im Freien bei Phthi¬ 
sikern sind strenge Indikationen erforderlich. Verf. haben die 
Luftbäder nur solchen Kranken verordnet, bei denen der Prozeß 
ganz oder längere Zeit zum Stillstand gekommen war, die 
normal ernährt waren, keine Erscheinungen von Herzschwäche 
zeigten, nie fieberhafte oder labile Temperaturen hatten, deren 
vasomotorische Zentren nicht übererregbar waren. Rippenfell¬ 
veränderungen galten stets als Kontraindikation, wenn nicht 
festere Pleuraverwachsungen seit langer Zeit ohne Reiz¬ 
erscheinungen bestanden. Die Technik des Luftbades ge¬ 
staltete sich folgendermaßen: Begonnen wird in der Regel bei 
eeigneten Kranken mit Zimmerluftbädern. Bei 18° C 
chattentemperatur werden die Bäder zuerst im Freien ge¬ 
nommen, meist morgens zwischen 9 und 10, bei höherem 
Sonnenstand auch abends zwischen 6 und 7 Uhr. Dabei 
werden die üblichen Luftbadekostüme getragen. Ein Arzt resp. 
eine Schwester beaufsichtigen die Uebungen, die in leichten 
gymnastischen Prozeduren, eventuell kombiniert mit Atem¬ 
gymnastik* bestehen. Die Dauer der Bäder schwankt von fünf 
Minuten im Beginn bis gegen zwanzig Minuten. Anschließend 
erfolgt eine kurze Marschübung, dann Ablegen des Kostüms, 
Frottieren der Haut mit dem Frottiertuch, Ankleiden, einviertel¬ 
stündiger Spaziergang, dann Liegekur. Verf. haben nach diesen 
Prinzipien bei etwa dreißig Kranken die Luftbäder angewandt. 
Der Gesamteindruck von der Wirkung der Luftbäder auf den 
dazu geeigneten Lungenkranken war der, daß er entschieden 
gekräftigt, abgehärtet und iu der Besserung der Lunge ge¬ 
fördert wird. M. Plien, Berlin. 


Mitteilungen über Arzneimittel. 


Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. Zur therapeutischen Verwendbarkeit des Bromfersan in 
der Behandlung funktioneller Neurosen. Von Dr. Flesch. 
WieD. klin. Rundschau, 1908, Nr. 35. 

2. Weitere Beiträge zur Eisentherapie mittels Blutan. dem 
alkoholfreien Liquor Ferri-Mangani peptonati. Von Dr. Kabisch. 
Mediz. Blätter, 1908, Nr. 36 

3. Alcuenta. Von Dr. Linke. Ther. Neuigkeiten, 1908, Juli 

4. Ueher Jodneol Boer. Von Dr. Vogt her r. Pharmaz 
Zeitg., 1908, Nr. 68. 

1. Im Jahre 1900 gelang es dem Dozenten Dr.^J olles in 
Wien, aus den durch Zeutrifugierimg isolierten Erythrozyten durch 








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THERAPEa3TiSG-l:E ■RQNBSCgAtf.--;>7; ~ -fe i 


Einwirken von Salzsäure einen Körper -— Fersan — darzustellen, 
der das gesamte Eisen und den Phosphor der roten Blutkörperchen 
organisch gebunden als Azidalbumin enthält. Dieser Eiweißkörper 
wird leicht resorbiert, ist wasserlöslich, passiert den Magen un¬ 
verändert, enthält 90% lösliches Eiweiß und wird im Darm 
resorbiert. In jüngster Zeit wurde nunmehr von Apotheker Filo 
eine Bromverbindung des Fersan auf den pharmazeutischen Markt 
gebracht, das Brom-Fersan, das Verfasser in der Behandlung 
funktioneller Neurosen an dem Material der allgemeinen Poliklinik 
in Wien erprobt hat. Das Mittel kommt in Gestalt von Pastillen 
in Verkehr, deren jede 0,5 g Fersan und 0,05 g Bromnatrium 
enthält. F. gab zwei- bis dreimal 3 Pastillen; diese wurden zerstampft, 
wenn Kinder sie nehmen sollten. Irgendwelche unangenehme 
Nebenerscheinungen hat Verf. nicht gesehen. Seine 30 Fälle 
machten günstige Fortschritte. Wo eine starke Bromwirkung 
erzielt werden soll, ist das Mittel nicht indiziert, da zu geringe 
Bromdosen in den Pastillen enthalten sind. Eine Ausnahme machen. 
Kinder, die ja auf Brom besser reagieren als Erwachsene. Die 
Hauptdomäne liegt nach Verf. auf dem Gebiete der funktionellen 
Neurosen ex anaemia. 

2. „Blutan“ stellt einen alkoholfreien Liquor Ferri-Mangani 
peptonati vor, der 0,6% Eisen und 0,1% Mangan mit Acidalbumin 
und Kohlensäure imprägniert, enthält und von Dietr i ch-Helfenberg 
hergestellt wird. Der Geschmack ist sehr angenehm, das Mittel 
nach wochenlangem Stehen unverdorben. Der Wohlgeschmack ist 
durch das leichte Prickeln der Kohlensäure erhöht. Nach Verf. 
hat das Präparat wegen seines Mangels an Alkohol vor anderen 
einen Vorzug. Erwachsene erhalten dreimal täglich einen'Eßlöffel, 
Kinder einen Tee- oder Kinderlöffel voll. Auch K. bestätigt die 
Beobachtungen anderer Autoren über eine günstige Wirkung des 
Mittels. Ferner stellt die Firma noch Jod-Blutan mit 0,6% Fe, 
0,1% Mn und 0,1% J, und Brom-Blutan mit 0,1% Brom (beide 
alkoholfrei) her. Auch hier ist die Dosierung die gleiche wie 
beim einfachen Blutan. Endlich sei noch das Diabetiker-Zucker¬ 
freie) Blutan und das China-Blutan erwähnt. 

3. Alcuenta (Alc|ohol] und [Ung]uenta) sind wasserlösliche, 
weiche, völlig gleichmäßige, bis zu 30% Alkohol enthaltende,, 
nicht übelriechende Salben, die wegen des Alkoholgehaltes nicht 
ranzig werden oder schimmeln und keine Nährböden für Bakterien 
abgeben. Sie haben den Vorzug, daß der Alkohol die Poren der 
Haut für die Einreibung empfänglicher macht und sie zur Auf¬ 
nahme des in ihnen befindlichen Medikamentes vorbereitet. Die 
Firma Helfenberg, A.-G., liefert die verschiedenen Medikamente, 
Salizylsäuren, Jod und Quecksilber mit Alcuentum, in fest ver¬ 
schlossenen Büchsen zu 100, 500 und 1000 g. Mit einem beige¬ 
gebenen Maßapparat kann sich der Konsument grammweise Salbe 
herrichten. L. hat die Salizylsalbe verwendet: Unter fortwährendem 
Zutropfen von Wasser auf die einzureibende Körperstelle reibt 
man leicht und sicher die Substanz so lange ein, bis ein ganz 
leichter Fettglanz zurückbleibt, der dann sofort abgewaschen wird. 
Ebenso werden die beiden anderen Präparate angewendet; Alcu¬ 
entum Kalii jodat. mit 10% Jodkali und Alcuentum Hydrargyri 
ein. mit 33 1 /.3% Quecksilber. Bei letzterer Salbe werden 41,80% 
Quecksilber resorbiert,' bei der gewöhnlichen grauen Salbe nur 
29,83%. Die Ausscheidung durch den Harn geschah 36 Stunden 
früher. Bei der Quecksilberkur dürfte es sich empfehlen, die 
überschüssige Salbe nicht ab zu waschen, da man annehmen kann, 
daß ein Teil des nicht verriebenen Hg immer noch inhaliert 
werden könnte. 

4. Verf. hat das Jodneol Böer auf seine Bestandteile hin 
untersucht und gefunden, daß 1,55% Jodnatrium, 1,34% freies 
Jod und 4,92% organisch gebundenes Jod darin enthalten ist. Aus 
den physiologischen Versuchen geht hervor, daß da? Jod in 
kürzester Zeit die Haut durchdringt, von den Geweben aufge¬ 
nommen und verarbeitet und in kleinen Mengen durch Harn und 
Schweiß wieder ausgeschieden wird. Verf. hält das Jodneol für 
eine hervorragende Arzneiform, die es gestattet, in kürzester Zeit 
dem Körper größere Mengen Jod zuzuführen. 


Mitteilungen aus der Praxis. ; - 

Katheterpurin. 

Ein Katheterpurin' genanntes Präparat, das zum Schläpfrig- 
machen der Katheter dienen soll, hat. nach der „Medical World“ 
folgende Zusammensetzung: 

Hydrargyr. oxyoyanat, 0,2," . . 

Glyzerin. 165,0, 

Tragacanth. 2,5, 

Aq. dest. sterilisat. 10,0. 

(Aus Apotheker-Zeitg,, 1908, Nr* 20.) 

Eine neue Methode der Aufbewahrung von Kautsöhuk- 
gegenständen. Von J. Thal. 

Für die Aufbewahrung von Gummisachen empfiehlt Thal 
Zinkblech kästen, in denen f sich niedrige Glasschalen mit bestem 
Ammoniumkarbonat befinden. Nach seinen 15jährigen Erfahrungen 
neigen die Gummisachen in solchen Kästen nicht zur Oxydation. 
Das Ammoniumkarbonat zerfällt allmählich in Ammoniak und Kohlen¬ 
säure. Nach der Gummizeitung soll der,Vorschlag, Kautschuk- 
gegenstande in Ammoniakdämpfen aufzubewahren, durchaus nicht 
neu sein. (Aus Apotheker-Zeitg., 1908, Nr. 20.) 

W. Krüger-Magdeburg. 


Technische Neuerscheinungen. 


Fingerkurette zur Entfernung von Abortresten. 

Dr. Kaufmann, Dürkheim.' (Aerztliche Polytechnik, Heft 4.) 

Das kleine Instrument soll zur Abschabung kleinerer fest¬ 
haftender Reste von der Uteruswand gewissermaßen den Finger¬ 
nagel ersetzen, um die Abschabung unter Kontrolle der 
tastenden Fingerkuppe, unter minimalem Druck und daher 
ohne Perforationsgelahr und unter Beobachtung gleich strenger 
Asepsis wie bei Anwendung der bisher gebräuchlichen Instru¬ 
mente zn ermöglichen. Es besteht'aus dem^eihöM" etwäs Jähg*'' 
gewachsenen, schnabelförmig nach abwärts .gebogenen Finger-" 
nagel ähnlichen, stumpfrandigen Hauptteil, der das Nagelglied 
des Fingers ringförmig umfaßt und den kurz geschnittenen 
Nagel nm etwa 2 mm überragt, und aus zwei Ringen, die mit 
dem Hauptteil durch eine schmale, biegsame Metallschiene 
verbunden sind. Diese dienen zur Befestigung der Kürette 
am Finger, umfassen Mittel- und Grundglied zwischen den ent¬ 
sprechenden Gelenken und greifen an der Volarfläche des 
Fingers federnd übereinander, um eine allzu starke Einschnü¬ 
rung des Fingers zu verhüten Um ein Abstreifen des Instru¬ 
mentes vom Finger bei Herausziehen desselben aus der event. 
wenig durchgängigen Zervix zu verhüten, ist an dem hinteren 
Ringe ein schmales leinenes Band angebracht, das über die 
Rückenfläche der Hand verläuft, als T-Binde das Handgelenk 
umgreift und auf dessen Dorsalseite mit einem Druckknopf 
befestigt wird. Dasselbe kann vor dem Gebrauch mit dem 
Instrument durch Auskochen sterilisiert werden. Die Finger¬ 
kurette muß gut zum Finger passen, weshalb das Instrument 
nach Maß angefertigt werden muß. M. Plien, Berlin. 


Ueber einen neuen Apparat zur Sputum- 
desinfektion. 

Nach Dr. Schröder, Schöneberg. (Zeitschr. für Tuberkulose, 
Bd. XII, Heft 4.)' 

Der Apparat bezweckt die Desinfektion des Sputums mit 
strömendem Wasserdampf. Er besteht aus einem Kessel, der 
durch einen aufschraub baren Deckel abgeschlossen wird. In 
dem Kessel ist ein Drahtkorb eingehängt, der kompaktere Par¬ 
tikel und sonstige in das Sputum hineingeratene festere Sub¬ 
stanzen zurückhalten soll, damit diese nicht das unter dem 
Kessel befindliche Ablaufventil verstopfen können. In dar Nähe- 


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UNIVERSUM OF MICHEGAN 


Original fro-m 

UNIVERSITf OF MICHIGAN 






THERAPEUTISCHE rundscHaü. 


des Bodens dos Kessels befindet sich eine mit nach oben und 
unten gerichteten Ausspritz Öffnungen versehene Düse, durch 
die der Dampf eingelassen wird. In das Zuleitungsrohr für 
diesen mündet auch ein Wasserleitungsrohr, durch das Wasser 
zum Nachspülen eingelassen werden kann. Zura Ableiten des 
Dampfes ist ein Rohr vorgesehen, das mit einem Druckventil 
versehen ist, so daß sich eine gewisse Spannung im Kessel 
erhalten hißt. Bei Gebrauch des Apparates wird der Kessel 
zu etwa 3 / 4 mit Sputum gefüllt, der Deckel aufgeschraubt und 
Dampf eingelassen. Der nach unten ausströmende Dampf wühlt 
das am Boden festsitzende Sputum auf; nach etwa 20 Minuten 
kann die Dampfzufuhr unterbrochen und das Ablaufventil ge¬ 
öffnet werden. Das Ablaufrohr steht in Verbindung mit der 
Kanalisation, in die der ganze Inhalt des Kessels läuft. Es 
wird dann Wasser in den Kessel gelassen zu gründlicher 
Reinigung durch Spülung. M. Plien. Berlin. 


Neue Hochfrequenzapparate nach Keating-Hart. 

Von Ing. Dessauer. (Aerztl. Polytechnik. Heft 4.) 

Zur Erzeugung der Hochfrequenzströme, die zur Ausübung 
der neuartigen, von Keating-Hart inaugurierten Bestrahlung 
(Fulgurisation) erforderlich sind, kann man entweder ein gutes 
Funkeninduktorium mit zwischengeschaltetem Unterbrecher an 
ein Gleichstromnetz anschließen oder, was wirksamer und 
einfacher ist, einen Wechselstromtransformator direkt an eine 
Wechselstromquelle legen. Bei vorhandenem Funkeninduktor 
und Hochfrequenzapparat kann der Umbau für die neue 
Methode ohne nennenswerte Kosten bewerkstelligt werden. 
Nach Angabe des Verfassers stellen die Veifawerke Aschaffen bürg 
einen Apparat her, bei dem die ganze Hochfrequenzeinrichtung in 
einem einzigen fahrbaren Tisch vereinigt ist. Transformator, 
Kapazität, Selbstinduktion, Funkenstrecke, Resonator und der 
Gesamtschaltungsmechanismus sind etagenweise in einen fahr 
baren Tisch montiert, daß nur ein an dem Apparat befestigter 
Steckkontakt mit einer vorhandenen Stromquelle verbunden 
werden muß, um die ganze Hochfrequenzeinrichtung betriebs¬ 
fähig zu haben. Die räumliche Ausdehnung der ganzen An¬ 
ordnung ist auf ein Minimum beschränkt, der Apparat kann 
an jeden beliebigen Platz gefahren werden, größte Uebersicht- 
lichkeit erleichtert die Bedienung. M. Plien, Berlin. 


Taschensputumflasche 

nach Dr. B. A. Knopf. New York. 

Eine Taschensputumflasche muß als erste Eigenschaft eine 
unauffällige handliche Gestalt und Form haben, damit sie 
weder dem Kranken noch dessen Umgebung als ekelerregender 
und unappetitlicher Gegenstand erscheint und dadurch ihren 
Gebrauch lästig und unangenehm macht. Von einer guten 
Sputumflasche verlangt man ferner noch, daß sie sicher 
schließend, unzerbrechlich, auskochbar, leicht in allen Teilen 
zugängig ist, ohne tote Winkel und Ecken zu haben, damit 
man eine gründliche Reinigung sicher vornehmen kann. Allen 
diesen genannten Anforderungen entspricht die Taschensputum¬ 
flasche von Knopf, welche in zwei Formen in den Handel 
kommt, nämlich als hohe und niedrige Flasche. Der Deckel 
schließt vollkommen dicht ab und öffnet sich leicht durch 
Federdruck von selbst. Das Sputum kann nicht in den Deckel 
gelangen und an demselben haften, was durch einen heraus¬ 
nehmbaren Metalltrichter erreicht wird. Die Metallteile sind 
gut vernickelt, und die Flasche kann in toto durch Kochen in 
zweiprozentigem Sodawasser während 20 Minuten sterilisiert 
werden. Will man die Flasche nicht auskochen, so kann man 
die in ihr enthaltenen Bakterien dadurch vernichten, daß man 
einen Löffel voll Holzessig in die Flasche gießt und den Holzessig 
iu derselben beläßt, wenn sie in Gebrauch ist. Dann wird das 


577 


Sputum selbst noch durch den Holzessig desinfiziert. Diese 
Flaschen sind durch „Aesculap“ zu beziehen. M. Plien. 

Ein verbessertes Ansatzstück an den Irrigator 
zur Scheidenspülung 

ist von Dr. Scheun em an n- Magdeburg-Neustadt empfohlen 
worden Dasselbe besteht aus einem Hohlmantel, der mit einer 
Abflußöffnung versehen ist und an seinem vorderen Ende konisch 
ausgeht, worauf er in sechs Spangen auslaufr, welche sich zu 
einem offenen Ringe vereinigen. In dem Hohlmantel ist das 
Ausflußrohr angebracht, welches in gleich großem Kaliber in 
seinem ganzen Verlaufe in dem Mantel gelegen ist, und dessen 
Spitze, die mit einigen Oeffnungcn versehen ist, gerade dort 
sich findet, wo die sechs Spangen des Hohlmantels zu dem 
Ringe sich vereinigen. Dadurch wird der Austritt der Flüssig¬ 
keit aus dem Rohre erleichtert, weil der Ring mit den Spangen 





das Anlegen der Scbeidenschleimhaut an das Rohr verhindert. 
Durch den Hohlmantel wird der Rückfluß der Spülflüssigkeit 
aus der Scheide ermöglicht, denn der Mantel besitzt dort, wo 
das Zuführungsrohr in denselben übergeht, ein Loch, durch 
welches die Flüssigkeit aus dem Hohlmantel herausfließt. Der 
ganze Apparat hat eine leichte Biegung, wie man sie bei den 
sogen. Mutterrohren auch oft findet und welche ungefähr dem 
Scheideneingang in der Richtung entspricht. Dieser Ansatz ist 
entschieden sehr zu empfehlen, denn er ermöglicht erst der 
Spülflüssigkeit, richtig in die Scheide zu gelangen, und da der 
ganze Apparat ziemlich dick ist, so führen ihn die Frauen 
auch leichter tief genug in die Vagina ein, weil sie keine 
Sorge zu liegen brauchen, Nebenverletzungen zu setzen. Da¬ 
durch, daß die Schleimhaut der Scheide durch den dicken 
Hohlmantel entfaltet wird, wird erst dem Spülwasser Gelegen¬ 
heit gegeben, in Ecken und Buchten, Winkel und Faltender 
Schleimhaut vorzudringen und aus denselben Schleim und Eiter, 
Bakterien oder Blutkoagula und dergl. mehr, was aus der 
Vagina durch die Spülung entfernt werden soll, hervorzuspülen 
und durch den rückläufigen Strom nach außen zu befördern. 
Die Oeffnungen in dem inneren Rohre sind so angebracht, daß 
der Strahl der Flüssigkeit direkt senkrecht zur Richtung des 
Rohres heraustritt, und da ihr Kaliber ziemlich klein ist. so 
wird der Strahl dünn und tritt infolge des vermehrten Druckes 
im Rohre mit starker Gewalt hervor. Mau kann dies leicht 
beobachten, wenn man durch das Ansatzstück Wasser fließen 
läßt. Das Ansatzstück wird aus sehr widerstandsfähigem Hart¬ 
glas oder Hartgummi gefertigt, ebenso aus Metall. Die Exem¬ 
plare aus Metall sind natürlich am haltbarsten, aber sie sind 
nicht so leicht zu reinigen, weil man nicht den im Inneren an¬ 
gesetzten Schmutz sehen kann, wie es bei den gläsernen Rohren 
der Fall ist. Auch die Glasansatzstücke sind ziemlich haltbar. 
Dieses sehr praktische und äußerst wirksame Instrument, das 
entschieden das beste Ansatzstück darstellt das wir besitzen, 
wird von der Firma L. Hartmann & Sohn, Magdeburg, in den 
Handel gebracht und ist in allen Instrumentenhandlungen zu 
haben. W. B. Müller, Berlrn. 

„Stangerotherm“, ein neuer Wärmestrom- 
heilapparat. 

Dr. Pauli, Karlsruhe. (Münch, med. W., Nr. 19.) 

Der von dem Elektrotechniker Stange r in Ulm kon¬ 
struierte Apparat ist ein auf elektrischem Wege heizbares 
Kataplasma. Er besteht aus einem schmiegsamen Gewebe, in 
dem biegsame elektrische Leitungsdrähte von besonderer 



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omftHfGAN 



578 


Legierung so verteilt sind, daß durch sie nach. Herstellung 
der Verbindung mit irgendeiner elektrischen Lichtleitung das 
ganze Kataplasma in einigen Minuten gleichmäßig erwärmt 
wird. Die dadurch erzeugte und dem Körper mitzu teil ende 
Wärme ist durch einen zwischen Kataplasma und Elektrizitäts¬ 
leitung eingeschalteten regulierbaren Widerstand genau dosi#- 
bar, wodurch jeder gewünschte Wärmeeffekt bis zur aus¬ 
giebigsten Schweißproduktion erzielt werden kann. Die dem 
Körper anzulegende Seite des Kataplasmas ist mit einem hitze¬ 
beständigen, abwaschbaren, wasserundurchlässigen Stoffe über¬ 
zogen, womit genügende Sauberhaltung gewährleistet ist. Man 
kann den Stangerotherm entweder direkt dem Körper auflegen 
oder ein trockenes respektive feuchtes Leintuch dazwischen 
einschieben. Die Dosierbarkeit der Wärme erlaubt, den 
Patienten beliebig lange unter der vom Arzt angeordneten 
Wärme zu halten. Der Apparat wird in verschiedenen Formen 
und Größen hergestellt, entsprechend den Körperbezirken, 
welchen er dienen soll, für den ganzen Körper, den Stamm, 
die Extremitäten, ferner für Hals, Lungenspitzen, Magen, 
Hüften, Füße. Mit dem Gebrauch als Kataplasma und Schwitz- 
apparat ist aber die Verwendbarkeit des Stangerotherm nicht 
erschöpft; das Problem der Erwärmung des Operationstisches 
scheint durch denselben eine befriedigende Lösung zu finden; 
es ist nicht nur möglich, die Unterlage des Patienten stets 
gleichmäßig warm zu halten, sondern auch die von der Ope¬ 
ration freibleibenden Körperteile ohne Gefährdung der Asepsis 
mit Leichtigkeit einer gleichmäßigen dauernden Wärme zu 
unterstellen. Weiter kann der Apparat zur Erwärmung von 
Betten, Liegestühlen etc. gebraucht werden; und in der geburts¬ 
hilflichen Praxis dürfte er für die Warmhaltung lebens¬ 
schwacher Kinder wohl manchmal einen Brutschrank ersetzen 
können. Für die letzteren Indikationen dienen natürlich be¬ 
sondere, den zu erreichenden Zwecken angepaßte Foi'men. 
Der Stromverbrauch ist mäßig; bei vollständig eingepacktem 
Körper etwa ein Zwanzigstel des Verbrauchs eines elektrischen 
Lichtbades. M. Plien. 



THERAPEUTISCHE RUNDSCÖAÜ. 


1. Den Zustand psychosexualen Zwittertums (Hermaphrödisie); - 

2. Den Zustand der exklusivem' Homosexualität. , . 

3. Die Fffemiuatio. - 

Diese letztere gleichsam als eine verstärkte Form der exklu¬ 
siven Homosexualität anzusprechen, ist nicht angängig,, da sie 
ebenfalls schon bei psychosexueiler Hermaphrödisie : vorhanden ist, 
andererseits viele Formen reinster Konträrsexualität jedes effemina- 
tiven Beigeschmacks entbehren, wie überhaupt m.E, auf die 
Effeminatio bei Homosexuellen viel zu sehr gefahndet wird, jeder 
geringfügigsten Hinneigung der Psyche zum anderen Geschlecht 
zu großes Gewicht beigelegt wird. Doch dies beiseite. • ' 

Löwenfeld geht nun, und man darf sagen, in kurzer, aber 
prägnanter Weise, auf das Wesen der Homosexualität über, die 
Päderastie, die Arten homosexuellen Verkehrs, die Häufigkeit, die 
Aetiologie. Auf letztere geht Verf. (im Verhältnis zürn geringen 
Umfang seiner Broschüre überhaupt, 33 Seiten) sehr ausführlich 
ein. Er beleuchtet die Theorien Krafft-Ebings, Möbius’, 
Forels, v. Schrenk-No tzings, Bloehs,' Hirschfelds, 
Freuds, der bekanntlich (m. E. mit sehr großer Unwahrschein¬ 
lichkeit) sexuelle Frühreife zur Entstehung von Perversionen heran¬ 
ziehen will. Abgesehen davon, daß dieselbe dooh ziemlich häufig 
ist, müßten wir hier im späteren Leben ein großes Sammelsurium 
von homo- und heterosexuellen Perversionen bei sehr vielen Per¬ 
sonen beobachten, es müßte das jetzige Verhältnis der Häufigkeit 
von Heterosexualität zur Homosexualität ein weit verschobeneres 
sein, als es re vera ist, Perversionen der verschiedensten Art bei- 
Eiuzeiindividuen sich gleichzeitig zeigen etc. Nun kommt Löwen- 
feld zu seinen eigenen Deduktionen. Er meint, daß der (echten 
dauernden) Homosexualität eine angeborene Anlage zugrunde 
liegt, daß jedoch mit dieser Anlage allein die organische Trieb¬ 
richtung noch nicht fixiert ist, daß hierzu Einwirkungen des e^tra- 
uterinen Lebens erforderlich sind bei anzunehmender eigentüm¬ 
licher Organisation des Gehirns („gewisse sexuelle Konstitution, 
sexuelle Frühreife und gesteigerte Fixierbarkeit der Erinnerungen 
infantiler Sexualerlebnisse“). 



Polypenschnürer mit doppelter Durchbohrung 
im Schieber. 

Nach Dr. Choronshitzky. (Aerztl. Polytechnik. Heft 4.) 

Bei kurzen, an einem sogen. Schlingenführer angebrachten 
Schlingen besteht immer die Gefahr, daß die Schlinge sich 
löst und in der Nase liegen bleibt, von wo ihre Entfernung 
dann große Schwierigkeiten verursachen kann. Lange, durch¬ 
gehende Schlingen beugen dieser Gefahr vor; beim Choron- 
shitzkyschen Polypenschnürer ist, um eine sichere Befestigung 
des Drahtes zu erzielen, der Schieber mit zwei Bohrungen 
versehen. Das Drahtstück wird in der Mitte leicht gebogen, 
die Enden zusammengenommen und in die vom Griff abge¬ 
kehrte Rohröffnung eingeführt. Haben die Enden das Rohr 
passiert, so werden sie zunächst durch die eine weitere 
Bohrung des Schiebers geleitet, dann scharf umgebogen und 
zurück durch die engere Bohrung geführt, in der sie durch 
eine Stellschraube festgeklemmt werden. M. Plien. 


Kurz, Verfasser vermag nicht, nur irgend etwas Positives 
zur Erklärung des Wesens der Homosexualität durch okkasionelle 
Gelegenheitsfakten des postembryonalen Lebens beizutragen, ebenso 
wenig wie irgendein anderer Forscher. Er bietet Schlagworte, 
wie „Eigentümlichkeiten der nervösen Organisation“ etc., die in 
Wirklichkeit, wie alle diese Erklärungsversuche, durch okkasionelle 
Momente nur recht, recht schwache Hypothesen sind, während er 
z. B. den geistreichsten und m. E. besten Erklärungsversuch des 
Angeborenseins der Homosexualität von Halb an (Archiv für 
Gynäkologie, 1904, 70. Band, Heft II, auf die ich in meinem 
Werke, Band II, Seite 354 ff., näher eingegangen) scheinbar gar 
nicht kennt. 

Was die physiopathologische Seite der Homosexualität an¬ 
betrifft, so steht Löwenfeld ebenfalls, wie die besten Kenner 
der Sache (Hirschfeld, Krafft-Ebing, Merzback, Blbch ? 
Näcke, Ellis, v. Römer, Kind, Michaelis u. a.), auf dem 
richtigen Standpunkt, daß dio konträre Sexualempfindung an und 
für sich keine Erkrankung ist, sondern „eine Anomalie darstellt, 

die.in der Mehrzahl der Fälle eine isoliert bestehende 

psychische Abweichung von der Norm bildet, die nicht als krank¬ 
hafter oder degenerativer Natur betrachtet werden kann und den 
Wert des Individuums als Glied der bürgerlichen Gesellschaft 
nicht herabzusetzen geeignet ist“. * 


□ 


Bücherbesprechungen. 


□ 


Homosexualität und Strafgesetz. Von L. Löwen¬ 
feld. Nach einem in der kriminalistischen Sektion des akademisch¬ 
juristischen Vereins zu München am 17. Dezember 1907 gehaltenen 
Vortrage. Wiesbaden 1908. Verlag von J. F. Bergmann. 

Nach einer kurzen Einleitung über die geschichtliche Entwick¬ 
lung der wissenschaftlichen Literatur des Themas Homosexualität 
unterscheidet Verf. folgende drei Stufen: 


Ebenso hat Verf. über die Beziehungen zwischen Homo¬ 
sexualität und Strafgesetzbuch sehr richtige, mit den Anschau¬ 
ungen obiger Autoren sich völlig deckende Ansichten. Aus vier 
Gründen stimmt er für Abschaffung des § 175. In einem Scjhluß- 
worte weist er noch darauf hin, daß ein Homosexueller an und 
für sich durchaus nicht minderwertiger sei als ein Heterosexueller. 

Die kleine Schrift Löwenfelds entwirft in kurzen, klaren 
Zügen ein Bild von dem gegenwärtigen wissenschaftlichen Stand¬ 
punkte der Homosexualitätsfrage und gibt — abgesehen vqn 
nebensächlichen Ansichten über Aetiologie, die nach Referents 
Ansichten anfechtbar sind — sehr richtige, aus der Praxis ge¬ 
schöpfte und deswegen wertvolle, nicht theoretisch am grünen 


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1008. 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU 


579 


Tisch erkünstelt© Anschauungen. Die Lektüre kann allen Aerzten 
zur Klärung dringend empfohlen werden. Rohleder-Leipzig. 

Apotheker - Kalender 1908 . Im Verlag Schallehn 
& Wollbrück, Magdeburg, erschien in diesem Jahre, zum zweiten 
Male seit seiner Begründung, der der jüngeren Generation des 
Apothekerstandes, speziell dem Verbände „Konditionierender Apo¬ 
theker“ gewidmete Apotheker-Kalender 1908. 

War in der ersten Ausgabe sein Inhalt auch noch etwas 
kärglich, so ist er diesmal wesentlich bereichert worden und ihm 
besonders für die praktische Tätigkeit des Apothekers geeignete 
wertvolle Hilfsmittel eingefügt. 

Neben den Rechtsverhältnissen der Angestellten, dem Rechts¬ 
schutz, bringt der Kalender sonst schwer auffindbare Vorschriften 
für die so wichtigen Reagentien und Farblösungen, während der 
letzte Teil in dem, wenn wir nicht irren, über 4000 Mitglieder 
enthaltenden Verzeichnis ein willkommenes Adreßbuch aufweist. 
Zum Schluß sei noch das Ortsverzeichnis nebst Zahl der Ein¬ 
wohner und der vorhandenen Apotheken erwähnt. 

Der Apotheker - Kalender ist zum Preise von 2 M. im Buch¬ 
handel erhältlich. Apotheker C. Ki esow-Berlin. 

Gnindzüge einer sexuellen Pädagogik in der 
häuslichen Erziehung. Von Dr. med. J. Markuse. München 
1908. Gmelin. 45 S. Preis 0,75 M. 

Zwei Momente sind es, die den Drang nach Aufklärung auch 
auf dem Gebiete des menschlichen Geschlechtslebens mit nahezu 
elementarer Gewalt gezeitigt und uns zum Handeln gedrängt 
haben: Einmal der mit der enorm gesteigerten naturwissenschaft¬ 
lichen Erkenntnis erwachsene unaufhaltsame Drang nach Wissen 
und Wahrheit, dann die sozialen, im Schoße der Gesellschaft immer 
unheimlicher wuchernden Vergiftungserscheinungen mit ihren un¬ 
sagbar traurigen Folgen für Individuum und Generation. (Zu¬ 
nahme der Onanie, der Prostitution, der Geschlechtskrankheiten.) 

Diejenigen, die ihre Verpflichtung, hier zu lehren und zu 
wehren, erkannt haben, sehen sich aber noch mancherlei Unsicher¬ 
heit, vielem Bedenken und Zagen gegenüber, während auf diesem 
Gebiet doch nur Klarheit und Unbefangenheit zu richtiger 
Unterweisung und Erziehung führen können. Verf. will deshalb 
zunächst die Eltern belehren „über die natürlichen Vorgänge auf 
Erden, über die im Pflanzen- und Tierreich sich abspielenden 
gleichgearteten und das Verständnis für die menschliche Fort¬ 
pflanzung anbahnenden Prozesse, um ihnen dann Anleitung zu 
geben, wie sie hiervon ausgehend die Heranwachsenden unter¬ 
weisen können, immer in Anknüpfung an Erlebnisse und Beob¬ 
achtungen, an Gespräche und Begebenheiten“. Bei der Alternative 
zwischen Vergiftung der Kinderseele durch unberufene 
unheilvolle Berater und Schutz derselben durch eine wenn auch 
nicht leichte Aufklärungsarbeit kann die Wahl nicht schwer fallen. 

Im einzelnen handelt es sich zunächst bei jüngeren Kindern 
nicht um Aufklärung über den Verkehr der Geschlechter, sondern 
nur um eine, ihrem Auffassungsvermögen entsprechende Beant¬ 
wortung ihrer Hauptfrage: „Woher kommen die Kinder?“ Hier 
die richtige Antwort zu geben, ohne den Storch oder andere 
falsche Vorstellungen zu bringen, an deren Stelle dann von „auf¬ 
geklärten“ Kameraden die nackte rohe Wirklichkeit gesetzt wird, 
ist nicht schwer, wenn man schrittweise Erkenntnis mit der dem 
Kinde so nötigen phantasiereichen Darstellung verbindet: Wie das 
Samenkorn in der Erde, so schlummert der Menschenkeim im 
Schoße der Mutter. Der Nestbau der Vögel, die Fortpflanzung 
der Haustiere und ähnliches geben entsprechende Hinweise. Der 
Gedanke, daß es selbst ein Stück der Mutter war, ist dem 
Kinde wohltuend und seinem Verständnis naheliegend. Später, 
wenn das geschlechtliche Geschehen in den Bereich der Auf¬ 
klärung gezogen werden muß, ist zunächst wieder eine Anknüp¬ 
fung gegeben in der Fortpflanzung der blütentragenden Pflanzen 
durch die Keimzellen, von wo man zu den höheren Lebewesen 
übergeht. Ohne zu verkennen, daß da mancherlei Schwierigkeiten 
zu überwinden sind, bespricht Verf. eingehend, wie man dem 
Kinde, von Stufe zu Stufe fortschreitend, zwar stets Wahrheit, 
aber nur ganz allmählich und vorsichtig im entsprechenden Alter 
(beim Eintritt ins Leben) die ganze Wahrheit sagen soll. 

Aber die sexuelle Erziehung erschöpft sich keineswegs in 
Belehrung und Wissensbereicherung, sie muß vielmehr mit einer 


Erziehung des Gemüts und einer Schulung des Willens Hand 
in Hand gehen, sowohl der Behütung des Schamempfindens gerecht 
werden als auch dem Kinde eine wirksame Waffe gegen frühreife 
ungesunde Triebe in die Hand geben. 

Dies erreichen die Eltern vor allem durch gutes Vorbild, 
durch Vermeiden „pikanter“ Gespräche und Lektüre, Sorge für 
Regelmäßigkeit in der Lebensweise, Abhärtung, Selbstbeherrschung 
bei unangenehmen Eindrücken und Gemütsbewegungen, weiterhin 
durch Erziehung zur Arbeit als Lebensinhalt, als Faktor sitt¬ 
licher Kraft und Erweckerin des Pflichtgefühls. Sie kann auch 
zunächst in Form von Spiel und Sport (Volks- und Jugendspielen), 
von Handfertigkeits- und geistigen Arbeiten herangezogen werden. 
Sehr wichtig ist endlich rationelle, mäßige Ernährung, 
Einschränkung der Fleischkost und der Leckereien und vor allem 
Vermeidung des Alkohols. Esch. 

Psychiatrie für Aerzte und Studierende. Von 

Th. Ziehen. 3. Auflage. Leipzig 1908. Hirzel. 801 S. 

Seit 1894 erscheint das Handbuch nun zum dritten Male in 
wesentlich erweiterter Form, über 300 Seiten stärker wie seiner¬ 
zeit die erste Auflage. Doch ist, wie ein Vergleich der Inhalts¬ 
verzeichnisse beider Auflagen ergibt, die Disposition des Stoffes 
im wesentlichen unverändert geblieben. — Ziehen vertritt in 
vielen Hinsichten seinen eigenen Standpunkt und bringt Anschau¬ 
ungen , denen ja nicht alle Fachgenossen unbedingt zustimmen 
werden. Nach wie vor lehnt er die Katatonie als eine häufig 
vorkommende Krankheitsform sui generis ab, macht auch der Auf¬ 
stellung des Begriffes eines manisch-depressiven Irreseins keine 
Konzessionen (worin ihm Referent beistimmt, denn allmählich wird 
die Neigung, alle möglichen Formen psychischer Störung unter 
diese Benennung zu bringen, zur förmlichen Marotte), rechnet 
auch nach wie vor gewisse mit Wahnbildung einhergehende und 
in Genesung auslaufende Psychosen zur Paranoia, wiewohl die 
große Mehrheit der Fachgenossen sich doch Dachgerade dahin ge¬ 
einigt hat, mit diesem Namen ausschließlich chronische Zustände 
zu belegen, und wiewohl es wünschenswert wäre, daß in der 
Terminologie so starke Differenzen der Benennung vermieden 
wtlrdeD. Sie führen unstreitig den Lernenden, für den doch die 
Lehrbücher der Psychiatrie geschrieben sind, irre, dem es auch 
zu wünschen wäre, daß auch die psychiatrische Nomenklatur mög¬ 
lichst vereinfacht würde, anstatt daß jeder Autor seine eigenen 
Bezeichnungen prägt und verwendet (phrenoleptische Vorstellungen, 
Eknoia etc.). In dieser Hinsicht besteht ja leider bei vielen die 
entgegengesetzte Tendenz, wobei nur an die famose „Schizo¬ 
phrenie“ des letzten Psychiatertages erinnert sei. 

Die allgemeine Psychopathologie umfaßt jetzt ca. 330 Seiten 
(gegen 270 der ersten Auflage). Erweitert ist, entsprechend den 
Fortschritten der Methodik, das Kapitel über allgemeine Dia¬ 
gnostik und Untersuchungslehre. Bei der Behandlung der all¬ 
gemeinen Aetiologie ist den kalorischen Schädlichkeiten die Auf¬ 
merksamkeit zugewendet, die Bedeutung der physiologischen Aus¬ 
nahmezustände des Weibes ist intensiver betont, die ursächlichen 
Beziehungen körperlicher Krankheiten sind spezialisierender be¬ 
trachtet. Das Kapitel über Imitation und psychische Infektion 
ist erweitert. Fast wörtlich gleich lautet das Kapitel über die 
allgemeine Prognostik in der ersten und der dritten Auflage. 
Darin liegt die stillschweigende Anerkennung der Tatsache, daß 
wir hinsichtlich der Fähigkeit, den Ausgang einer Geistesstörung 
vorherzusehen, nach wie vor uns Reserve auferlegen müssen und 
im Laufe der letzten Dezennien in der Prognostik leider keine 
erheblichen Fortschritte gemacht haben. 

Zur speziellen Psychopathologie leiten kürzere Abschnitte 
über Untersuchungstechnik und allgemeine Therapie hinüber. — 
Ziehens Einteilung der Psychosen ganz zu geben, das Pro und 
Kontra bezüglich der für ihn dabei maßgebenden Gesichtspunkte 
abzuwägen, reicht hier der Raum nicht. Erstere ist mit den 
Jahren recht kompliziert geworden, und ich frage mich, ob eine 
so minutiöse ätiologische Differenzierung der Dämmerzustände bei¬ 
spielsweise überhaupt möglich ist. Sollte nicht mancher „Migräne¬ 
dämmerzustand, Affektdämmerzustand, angiospastischer Dämmer¬ 
zustand“ in letzter Linie doch epileptische Basis besitzen ? 

Die Notwendigkeit, ein breites Kapitel der Darstellung der 
psychologischen Eigenart und des Verhaltens der Psychopathen 



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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Internationalen Kongreß für Thalassotherapie in Abbazia über¬ 
nommen ; an der Spitze des Ehrenkomitees steht der Statthalter 
von Triest Prinz Konrad Hohenlohe-Schillingsfürst. Das Ehren¬ 
präsidium bilden bekanntlich Exzellenz Professor von Leyden 
und Geheimrat Kirchner in Berlin, Sir Hermann Weber- 
London, Professor Albert Ro bin -Paris, Minist.-Rat Dr. Daimer 
und Hofrat Winternitz in Wien. 

Die österr. Regierung bringt dem Kongresse großes Interesse 
und jegliche Förderung entgegen; sicherem Vernehmen nach 
werden der Minister des Innern, der Unterrichtsminister und der 
Minister für öffentliche Arbeiten den Kongreß unter ihren beson¬ 
deren Schutz nehmen. 

Auch die Anmeldung von Referaten über die ausgewählten 
Fragen und die zahlreichen Vorträge legen Zeugnis ab, welche 
Bedeutung dem Kongreß überall beigelegt wird. Als Referenten 
sind bis jetzt eingetragen: Dr. Bardier, Prof. Glax, Dr. Gmelin, 
Dr. Haeberlin, San.-Rat Dr. Hennig, Dr. Lavergne und 
Dr. Sadoveanu. 

In Verbindung mit dem Kongreß wird eine Ausstellung von 
medizinischen Instrumenten und Präparaten veranstaltet und ferner 
eine Ausstellung alter und moderner Erzeugnisse istrischen und 
dalmatinischen Kunstgewerbes. Eine Rundfahrt durch den Quarnero 
soll den Mitgliedern des Kongresses die landschaftlichen Schön¬ 
heiten der Gegend vor Augen führen; zu diesem Zwecke stellt 
der österreichische Lloyd gratis einen Dampfer zur Verfügung. 
Geplant ist auch ein Ausflug längs der dalmatinischen Küste, der 
event. bis Korfu ausgedehnt wird. 


zu widmen, hat sich, wenn wir die neueren Lehrbücher der Psy¬ 
chiatrie betrachten, jedem Autor stets erheblicher aufgedrängt. 
Z. ist ihr gerecht geworden durch die Kapitel über neurasthenische, 
hysterische, epileptische, erblich-degenerative, traumatische, toxisch¬ 
psychopathische Konstitutionen. — Ein Einblick in diese Kapitel 
wird ebenso wie ein Durchgehen der Darstellung der Defekt¬ 
psychosen auch dem langjährig im Fache tätigen Arzte zahlreiche 
neue Gesichtspunkte erschließen. 

Ziehens Schreibweise ist stets knapp, präzis und ungemein 
verständlich. Gleiches gilt für seine Definitionen. Die Berück¬ 
sichtigung der Fachliteratur kann wohl kaum eine gründlichere 
«ein und zeugt von einer erstaunlichen Belesenheit des Autors. 
Und so ist dem Werke zu wünschen, daß es den Weg in die 
Bibliothek vieler Mediziner finden und ihnen das Verständnis für 
das Wesen psychischer Störungen eröffnen und mehren möge. 

D an n em an n-Gießen. 


ALLGEMEINES 


Berichtigung. 

Daß in Nr. 38 die „Kleinen Mitteilungen“ im redaktio¬ 
nellen Teil abgedruckt worden, beruht auf einem Versehen der 
Druckerei. 

IV. Internationaler Kongreß für Thalassotherapie in 
Abbazia. Erzherzog Rainer hat das Protektorat über den IV. 


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Nicht durch die Tagesblätter, sondern allein auf Grund seiner effek¬ 
tiven Vorzüge bei der Behandlung von Skrofulöse und Rachitis soll das 
Nährfett Fuool sich seine Stellung im Arzneischatze erringen. Diesen Weg 
äder Einführung wird jeder Praktiker billigen. Man verordne Orig.-Flaschen 
Vs Liter ä M. 2,—. Der General-Vertrieb: Karl Fr. Töllner, Bromen. 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. H. Lungwitz, Berlin S. — Verlag: Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle a. S. 
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f C * \ , ' ’ , Herausgegeben von 

Gefi. Med.-Rat Prof. Dr. G. Anton, Halle a. S., Prot. Dr. A. Albu, Berlin, Prof. Dr. A. Dührssen, Berlin, Geh ; * Jwald, Bedin, 

Prof. DjvE. Friedberger, Berlin, Prof Dr. P. Gerber, Königsberg, Prof. Dr. M. Koeppen, Berlin, Geh. Med-Rat Prof. Dr K. Partsch, Breslau, 
Pjröf. Dr. H. Rosin, Berlin, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. H. Senator r Berlin, Prof. Dr. H. Schlange, Hannover Prof. Dr. Ad. Schmidt, Halle a S, 
Geh'. Med.-Rat Prof. Dr. H. Schmidt-Rimpler, Halle a. S., Prof. Dr. med. etphil. R. Sommer, Gießen, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. H. Unverricht, Magdeburg, 

Prof. Dr. 0. Vulpius, Heidelberg. 

Verlag und Expedition: 


0 Redaktion: 

Dr. med. et phil. H. Lungwitz, Berlin S. 14, Dresdenerstr 44. . 

Telephon: Amt IV, 11773. 

Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte 
der Ostsee und der Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 


Gustav Ehrke Zeitschriftenverlag, Berlin W. 9, Köthenerstr. 44. 
Telephon: Amt VI, 3020. 


II. Jahrgang. 


Berlin, 4. Oktober 1908. 


Nr. 40. 


Die „Therapeutische Rundschau“ erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2 M., einzelne Nummer 20 Pi. Zu beziehen durch den Verlag, sowie sämtl 
Buchhandlungen und Postämter. Inserate werden für die 4gespaltene Zeile oder deren Raum mit 50 Pt. berechnet. Beilagen nach Uebereinkunft. Reklamezelle l.aO M. Bei 
größeren Aufträgen wird Rabatt gewährt. _ _ . „ 

Nachdruck ist oline Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. ____ 


Inhalt. 


Originalen: 

G. Edlefsen, Hamburg: Erfahrungen über die Anwendung' 

des Kamphers und Oxykamphers.581 

E; Rohlff, Potsdam: Schmerzloses Zahnziehen mittels lokaler 
Betäubung in der allgemeinen Praxis ........ 587 

Referate: 

C. Bachem, Bonn: Pharmakologie.590 

H. E. Schmidt, Berlin: Radiotherapie.591 

GK Abelsdorff, Berlin: Augenheilkunde . ..591 

Ernst Meyer, Charlottenburg: Lungenkrankheiten .... 592 


M Pickardt, Berlin: Magen-, Darm- und Stoffwechsel¬ 


krankheiten ..592 

M. Peltzer, Steglitz: Militärmedizin.593 

Mitteilungen über Arzneimittel: 

W. Krüger. Magdeburg: Referate.59:5 

Technische Neuerscheinungen: 

Kindler, Düsseldorf: Eine regulierbare Inhalation^pteife . 594 

Wohlfahrt, Görbersdorf: Saug- und Inhalation-Apparate . 594 

Bücherbesprechungen: 

E. Wulff en, Dresden: Psychologie des Verbrecbeis (Referent 

H. Hoffmann, Berlin). ..595 

Allgemeines.. 590 


ORIGINALIEN. 

Ueber die Anwendung des Kamphers und 
Oxykamphers. 

Erfahrungen eines alten Praktikers. 

Von Prof. Dr. GL Edleffeen, .Hamburg. 

Von. dem Kamp her mache ich in meiner Praxis 
schon lange sehr ausgiebigeil Gebrauch und, wenn das ge¬ 
schieht, so wird man daraus schon schließen können, daß 
ich auch sehr gute Erfolge damit erziele. Wenn ich da¬ 
gegen in der konsultativen Praxis immer wieder aufs neue 
die Erfahrung mache, daß es in Fällen, in denen mir die 
Indikation für seine Anwendung fast selbstverständlich 
und die Aussicht auf einen günstigen Einfluß des Mittels 
fast sicher zu sein scheint, den Kollegen oft gar nicht 
einmal in den Sinn gekommen ist, daß sie mit dem Kam- 
pher in passender Form weit mehr müßten erreichen 
können, als mit ihrer bisherigen, noch so wohl überlegten 
Bebandlungsweise, so ist es mir, wie ich wohl sagen kann, 
oft bedauerlich erschienen, daß, wo dann auf meinen Rat die 
Verordnung von Kampher allein oder in Verbindung mit 
anderen Arzneimittel beschlossen wurde, den Kranken die 
damit gewährte Wohltat nicht früher zuteil geworden war, 
und daß wohl manchmal mir der Hauptanteil an dem 
Danke zufiel, den der Kollege so~leicht sich selbst hätte 
erwerben können. Ich habe deshalb schon öfter mich mit 
dem Gedanken beschäftigt, den ich jetzt in die Tat um¬ 
zusetzen mich anschicke, einmal — wie ich hoffe, zum 
Nutzen der Herren Kollegen und zum Wohle der leidenden 
Mitmenschen — einiges ans meinen in einer viel jährigen 
Praxis* gesammelten Erfahrungen über die Wirksamkeit 
des K.a*m pji e,r s iiutzuteilen und. die daraus gezogenen 
Lehren ‘auch' .anderen ~ nutzbar zu machen.' Und" ähnlich 
wie mit dem Kampher steht es auch mit dem Öxy- 
kampher. J Ich selbst habe ihn in den letzten Jahren 


ziemlich häufig verordnet und mehrfach auch Kollgen zu 
seiner Anwendung veranlaßt, dann aber fast jedesmal ge¬ 
funden, daß diese ihn entweder kaum dem Namen nach 
kannten oder doch mit der Art seiner Verordnung durch¬ 
aus nicht vertraut waren. Audi über meine dieses Mittel 
betreffenden Beobachtungen in aller Kürze etwas zu be¬ 
richten, meine ich deshalb in dem Gefühle, damit wenig¬ 
stens einigen Aerzten vielleicht etwas nützen zu können, 
fast verpflichtet zu sein. Und durchaus passend schließt 
sich diese Mitteilung an die auf den Kampher bezügliche 
an, weil die Wirkung der beiden Mittel, die ich denn auch 
in manchem Falle zeitweilig nebeneinander gegeben habe, 
sich oft in gewissem Sinne e r g ä n z t. Jeder Arzt aber, der 
bisher noch schwankend, nur erst Vertrauen zu dem Mittel 
gefaßt hat und sich, wo die Indikation dafür vorliegt, zu 
Versuchen mit der Anwendung des O x y k a m p h e r s 
entschließt, wird sehr bald zu der Ueberzeugung gelangen 
und es dankbar anerkennen, daß wir in diesem ein w ert- 
volles Heilmittel besitzen, das es uns ermöglicht, in 
einer Anzahl von Fällen den Kranken die Erleichterung zu 
verschaffen, die wir vorher uns vergebens bemühten 
durch andere Behandlungsmethoden herbeizuführen. 

Was ich hier — ich darf wohl sagen aus der 
Praxis für die Praxis — zu bringen gedenke, ist 
also nur eine Wiedergabe der Eindrücke, die ich bei der 
Beobachtung der Einwirkung der beiden Mittel auf ver¬ 
schiedenartige Krankheitszustände erhalten, und der 
Regeln für die Behandlung, die ich daraus abgeleitet habe. 
Ich glaube, dabei, obgleich ich alles vermeiden möchte, was 
der, Befürwortung eines schablonenmäßigen Vorgehens 
in der Krankenbehandlung auch nur ähnlich sehen könnte, 
5 auch die Anführung einiger Rezeptformeln nicht 
unterlassen zu dürfen, die ich, gewissen sich in verschie¬ 
denen Fällen immer wieder ähnlich gestaltenden K o m - 
b i n a t i o n e n v o n K r a n k li e i t s e r s c h e i nun g e n 
a n g e p a.ß t, zusammengestellt und immer wieder be¬ 
währt und für die meisten gleichartigen Fälle gleich ge¬ 
eignet gefunden habe. An die Benutzung solcher Formeln 


Digitized by 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 












THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


tfr. 40 


m 


wird sicdi niemand gebunden halten; aber manchem werden 
sie, wo es sich um eine ihm noch nicht geläufige Behand¬ 
lungsweise handelt, wenigstens anfangs einen ganz will¬ 
kommenen Anhalt bieten, und dem, der meine Angaben 
einer Prüfung zu unterziehen wünscht, verschafft ihre Mit¬ 
teilung jedenfalls die Möglichkeit, seine Beobachtungen 
unter genau denselben Bedingungen anzustellen, die den 
meinigen zugrunde lagen. 

Eine ausführliche Besprechung aller die Wirkungsweise der 
beiden Mittel betreffenden Fragen, vor allem ein näheres Ein¬ 
gehen auf die Erörterungen über die physiologischen 
Wirk u n g e n des K a m p h e r s und die Versuche, die auf 
experimentelle Untersuchungen begründeten Anschauungen mit 
dem in Einklang zu bringen, was wir bei seiner Anwen¬ 
dung als Heilmittel beobachten und demgemäß bei der 
Indikationsstellung als maßgebend gelten lassen, liegt völlig 
außer meiner Absicht. Das würde meines Erachtens schon mit 
dem Charakter dieser Zeitschrift nicht recht verträglich sein 
und überdies eine Berücksichtigung der L iteratur verlan¬ 
gen, wie sie hier wegen der gebotenen engeren Begrenzung des 
dem Einzelnen zu gewährenden Baumes weder zulässig noch 
durchführbar sein würde. So mag es erklärt und entschuldigt 
werden, wenn ich in diesem Aufsatze jeden Hinweis auf fremde 
Arbeiten vermissen lasse. 

Zweimal schon habe ich zu der Frage des Wirkungs- 
und Anwendungsbereiches des Kamphers das Wort 
genommen. Zuerst im Jahre 1888 auf dem VII. Kongreß 
für innere Medizin hei Gelegenheit der Diskussion über die 
chronischen Herzmuskelerkran künden 
und ihre B e li a n d lung und sodann in einem 1901 
unter dem Titel „Die Euthanasie und die Pra- 
vazsche S p r i t z e“ in der „Deutschen Aerzte-Zeitung“ 
(S. 49) erschienenen kleinen Aufsatz, in dem ich auf d i e 
wohltätige Wirkung einer K a in p h e r - 
injektion noch in den letzten Stunden des 
schon erlöschenden Lebens hinwies, eine Wir¬ 
kung, die sieh, wie aus dem ganzen Verhalten des Kranken 
zu entnehmen ist, darin zu erkennen gibt, daß das Gefühl 
der namenlosen, niederdrückenden Schwäche und die damit 
verbundene körperliche Angstempfindung ebenso, wie die 
begleitende Atemnot vermindert wird, derart, daß unver¬ 
kennbar durch diesen, das Leben und somit auch das 
Leiden keineswegs verlängernden Eingriff das Sterben 
manchmal noch mehr als durch eine Morphium 
injektion (deren gleichzeitige Anwendung damit ja 
übrigens nicht ausgeschlossen ist) erleichtert werden 
kann. 

Auf die letzterwähnte Indikation liier zurück¬ 
zukommen, habe ich keine Veranlassung. Dagegen möchte 
ich das, was ich vor 20 Jahren auf dem Kongresse gesagt 
habe, gerade zum Ausgangspunkte für meine heutige Be¬ 
sprechung wählen. 

Die chronischen Herzmuskelerkran- 
k u n gen oder, allgemeiner gefaßt, die uns so häufig be¬ 
gegnenden Fälle von chronischer Insuffizienz 
des Herzens, denen bekanntlich keineswegs immer 
eine wirkliche anatomische Erkrankung, sondern oft nur 
eine durch unzulängliche Versorgung mit normal beschaf¬ 
fenem Blute lierheigeführte vorübergehende, mit der 
Besserung der Blutzufuhr allmählich wieder schwindende 
Störung der Ernährung des Herzmuskels 
zugrunde liegt, diese Fälle sind es doch eben, die, ab¬ 
gesehen von der durch akut entstandene Herz¬ 
schwäche gegebenen Indikation, am häufigsten Ver¬ 
anlassung gehen, den Kainpher für die Behandlung mit 
heranzuziehen. In letzter Linie ist es ja auch, so oft wir 
Kainpher verordnen, eigentlich immer die Kräfti¬ 
gung des Herzmuskels, die uns als das zu er¬ 
strebende Ziel vorschwebt, ein Ziel, das wir denn ja auch, 
wo nicht schwerere Degenerationen des Herzfleisches vor¬ 
liegen, tatsächlich häufig genug damit erreichen. 


Auf welchem Wege es erreicht wird, ob durch eine direkte 
E i n Wirkung des Kamphers auf die M uskel- 
fasern des Herzens oder durch allmähliche Wiederher¬ 
stellung der für die normale Füllung der Koronararterien und 
somit auch für die Ernährung des Herzmuskels unerläßlichen 
Gleich- und Regelmäßigkeit der Ilerzaktion vermittelst einer in 
diesem Sinne wirkenden B ee i n flussung der H e r z - u n d 
Gefäßnerve n, das ist eine schwer zu beantwortende F rage 
und, um die mir nach eigenem Ermessen gesteckten Grenzen nicht 
zu überschreiten, begnüge ich mich damit, hier einige der in Be¬ 
tracht zu ziehenden Möglichkeiten nur angedeutet zu haben. 

Eins läßt sich aber mit Sicherheit behaupten: Wo 
eben chronische und oft schon lange bestehend e 
chronische Krankheitszustände vorliegen, 
da wird jenes Ziel nicht durch eine kurz dauernde Kam- 
pherbehandlung erreicht werden können, sondern es wird 
dazu einer lange fortgesetzten Anwendung des Mittels be¬ 
dürfen. Und das ist der Punkt, in dem hauptsächlich, wie 
ich glaube, mein Behandlungsprinzip von dem im all¬ 
gemeinen von den Aerzten befolgten abweicht. Ich darl 
wahrscheinlich mit gutem Rechte annehmen, daß ich 
häufiger als die Mehrzahl der Aerzte den Kampher hei 
e h r o n i s c li e n Krankheiten zur Anwendung 
bringe, vor allem aber ist es der, wie ich sagen möchte, 
c hronis e h e G e b rauch d e s K a m p h e r s , worauf 
ich besonderes Gewicht lege, und dafür auch die Herren 
Kollegen zu gewinnen, ist mein lebhafter Wunsch. Ich ver¬ 
mute zwar, daß mancher überrascht sein wird, wenn ich 
sage, daß ich den Kampher in der Dosis von dreimal täg¬ 
lich 0,2 g sehr häufig 3 Monate lang und selbst noch länger 
ohne Unterbrechung habe nehmen lassen, und daß mancher 
wohl sich zweifelnd die Frage vorlegen wird, ob ein der¬ 
artiges Verfahren wirklich zulässig sei; aber ich kann mit 
der größten Bestimmtheit behaupten, daß ich auch nicht 
ein einziges Mal etwas von einer ungünstigen Einwirkung 
wahrgenommen, im Gegenteil immer nur in jeder Hinsicht 
befriedigende Erfolge mit dieser Behandlung erzielt habe, 
so daß ich nur mit voller Zuversicht, wie schon oft im un¬ 
mittelbaren Verkehr mit den mich konsultierenden 
Aerzten, so jetzt auch an dieser Stelle empfehlen kann, mir 
darin zu folgen. 

Ich habe freilich nur verhältnismäßig selten den 
Kampher ganz für sich allein angewandt, schreibe daher 
auch nicht ihm allein meine zahlreichen guten Heilresultate 
zu; daß er aber gewöhnlich vorwiegend an der unter 
Mithilfe der ihm beigegebenen Arzneistoffe erlangten 
Heilwirkung beteiligt war, dafür besitze ich Beweise in 
Menge. 

Bei der erwähnten Gelegenheit l ) habe ich darauf 
hingewiesen, wie wichtig es sei, bei der Behandlung der 
chronischen Herzmuskelerkrankungen im allgemeinen, 
ganz besonders aber b e i d e n in i t A n ä m i e u n d Fett¬ 
sucht in Zusammenhang stehenden For¬ 
men die Anwendung von Eisen zu Hilfe nehmen, um 
den Kranken die Durchführung der ohne Zweifel sehr not¬ 
wendigen Beweg u n g s ■ und Uebungstherapie 
(Terrainkuren, Gymnastik, Schwimmbäder etc.) zu er¬ 
leichtern oder in manchen Fällen überhaupt nur erst zu er¬ 
möglichen, da man nie vergessen dürfe, daß die Er¬ 
nährung des Herzmuskels nicht nur von der 
Menge, sondern auch von der Beschaffenheit des 
ihm zugeführten Blutes abhängig ist. Aber, wie ich da¬ 
mals schon weiter ausführte, mit dem Eisen allein 
erreicht man seinen Zweck immerhin doch nur selten oder 
jedenfalls nur sehr längs a m, während es bei diesen 
Kuren doch gerade darauf ankommt, dem Kranken mög¬ 
lichst rasch zu der Leistungsfähigkeit zu verhelfen, die er 
schon besitzen muß, um seine Kur beginnen zu können, vor 
allem aber in möglichst kurzer Zeit den Herzmuskel 


i) s. Verhandlungen des VII. Kongresses für innere Medizin, S. Üü . 




UNIVLKy I i Uh MILHHjÄN 



TEE RAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


1908 


683 


soweitzukräftigen, daßih in aus derilim z u- 
gemuteten sehr bedeutenden Mehrarbeit 
kein Schaden erwächst. Denn — das ist wohl zu 
berücksichtigen: einmal kann man von sehr geschwächten 
Kranken (mir schweben namentlich die sehr korpulenten, 
dann aber auch die nicht eben übermäßig fetten, aber 
schwer anämischen, vielleicht auch noch mit Emphysem 
behafteten Personen vor, bei denen ich selbst diese Erschei¬ 
nungen habe beobachten können), die schon nach dem Er¬ 
steigen einer Treppe oder einer ganz geringen Höhe völlig 
erschöpft, in Schweiß gebadet, keuchend und nach Atem 
ringend angetroffen werden, nicht die Energie ver¬ 
langen, die allein schon nötig ist, um den Entschluß zu 
fassen und nun gar erst durchzuführen, sich dieser Qual 
immer von neuem auszusetzen, zweitens aber droht in 
solchen Fällen dem Herzen die große Gefahr, daß es infolge 
der übergroßen Arbeitsleistung zur Herzer m ii d u n g 
und zur E n t s t e h u n g einer E r s c h ö p fungs- 
d i 1 a t a t i o n und somit statt zur Besserung zu einer 
Verschlechterung seines Zustandes kommt, die, wenn über¬ 
haupt, in der Regel nur sehr allmählich durch wochenlange 
Schonung und kräftigende Behandlung wieder ausgeglichen 
werden kann. Der überwachende Arzt ist daher nach 
meiner Meinung einfach v e r p f 1 i c* h t e t, wo sich bei 
den ersten Versuchen derartig schwere Erschöpfungs¬ 
symptome einstellen, oder wc er nach seiner Kenntnis des 
Patienten im voraus auf deren Eintritt gefaßt sein muß, 
den Beginn einer regelrechten strengen Kur nach Oer 
t e 1 sehen Prinzipien solange hinauszuschieben, bis es ihm 
durch eine zweckmäßige Behandlung gelungen ist, das 
Herz bis zu dem Grade zu kräftigen, daß es sich den von 
ihm zu fordernden größeren, natürlich auch nur langsam 
zu steigernden Leistungen, gewachsen zeigt. 

Dies nun erreicht man nach meiner Erfahrung bis¬ 
weilen schon in überraschend kurzer Zeit, fast sicher aber, 
falls überhaupt reparable Störungen der Ernährung des 
Herzens vorliegen, im Verlauf einiger Woehen, wenn man 
den G e b r a u c, h des K a in p h e r s in w i r k s a m e n 
Dosen mit de m d e s E i s e n s k o m h i n i e r t. Als 
eine Form der Verbindung, die sieh mir seit dem Tage, an 
dem ich sie zum ersten Male veiordnete, immer in gleicher 
Weise bewährt hat, kann ich die K a m p her- Eisen¬ 
pillen in der Zusammensetzung, die ich ihnen Vor nun¬ 
mehr fast 25 Jahren nach Beratung mit einem Apotheker 
gegeben und später nur iu einem Punkte von untergeord¬ 
neter Bedeutung verändert habe, bezeichnen. 

Die Forme 1, die übrigens allen Aerzten, die meine Vor¬ 
lesungen gehört oder noch unter meiner Leitung in der Kieler 
medizinischen Poliklinik praktiziert, haben, bekannt ist, findet, 
sieh in den Verhandlungen des VII. Kongresses für innere Me¬ 
dizin (1. c.) abgedruckt. I)a aber diese nur wenigen zugänglich 
sind, glaube ich sie auch hier in der ein wenig (nur in bezug auf 
die Menge des Extr. chinae) veränderten Gestalt, in der ich sie 
jetzt zu schreiben pflege, mitteilen zu müssen. Sie lautet: 

Rp. Ferri reducti 

Camphorac tritae aä.6,0 

Extr. chinae aquos.4,0 

Pulv. gummös. 

Aqu. destill ää q. s. 

Fiant pil. No. 90, consp. plv. Pass. Cinnamom. 

D.S. Dreimal täglich nach dem Essen 3 Pillen z. n. 

Die Zahl 90, die auf die Einteilung de» früher gebräuch¬ 
lichen Pillenmaschinen zugeschnitten war. verträgt sich frei¬ 
lich, ebenso wie die Normierung der Gewichtszahlen, nicht mit 
dem D e zimalsyste in, aber ich habe an ihr fcstgelialten, 
weil sie, wenn man 3 Pillen pro dosi geben will, die Berechnung 
der Ein'/eldoscn des Kamphers bequem macht. Wenn man etwa 
10 g Kamphor und die gleiche Menge Ferrum reductum, und dann 
auch 5 g Extr. chinae auf 100 Pillen verschreibt, um von diesen 
dreimal täglich 2 nehmen zu lassen, so wird man häufig finden, 
daß die Patienten sieh über ihre unerlaubte, das Schlucken schwer 


machende Größe beklagen. Indessen bleibt cs ja jedem unbe- 
noifimen, die ihm zusagende Form zu wählen, wenn mau es nur 
als Rc-gel gelten läßt, die Einzeldosis des Kamphers auf nicht 
weniger als 0,2 g zu berechnen. Den Zusatz des E xtractum 
c h i n a e betrachte ich nicht als bedeutungslos, da ich glaube, 
daß dieses wohl, gleich dem Chinin in kleinen D o - 
sc n, als T oniku m auf das Herz einwirken und demnach die 
Wirkung des Kamphers und Eisens in erwünschter Weise ergän¬ 
zen kann, eine Annahme, die mich auch eben veranlaßt hat, die 
Dosis gegen früher etwas zu erhöhen. Wo man jedoch auf die 
Kosten Rücksicht zu nehmen hat, kann man statt dessen E x t r. 
gentianae in der gleichen Menge verschreiben. Etwas Pfian- 
zenextrakt ist schon zur Herstellung der Pillenmassc erforder¬ 
lich. 

Von diesen Pillen kann ich ungefähr dasselbe sagen, 
was ich oben bezüglich des lange fortgesetzten alleinigen 
Gebrauches von Karapher bemerkt habe. Sie werden fast 
ohne Ausnahme gut, manchmal sogar besser als andere, 
\orher angewandte Eisenpräparate vertragen; gar nicht 
selten konnten die Kranken nach einiger Zeit über eine 
ohne Zuhilfenahme anderer Mittel eingetretene erfreu¬ 
liehe Z n n a h m e ihres Appetits berichten, manche 
von ihnen hoben außerdem noch den auffallend w ohl- 
tätigen Einfluß der Pillen auf ihre vorher sehr 
träge und ungeregelte I) a rmtätigkeit rühmend her¬ 
vor, und nur in sehr vereinzelten Fällen habe ich mich ge¬ 
zwungen gesehen, aus irgendwelchen Gründen nach kür¬ 
zerer oder längerer Zeit von ihrem ferneren Gebrauch Ab¬ 
stand zu nehmen. Sonst habe ich die Kamphei-Eisenpillen 
fast immer — das will sagen bei vielen Hunderten von 4 
Kranken — 10—12, ja 15 Wochen lang ohne Unter¬ 
brechung und zuweilen dann nach einer Pause von 5 bis 
0 Wochen noch einmal wieder etwa () Wochen hindurch 
nehmen lassen, und es ist mir kaum ein einziger Fall, der 
überhaupt noch einer Behandlung zugängig war, Torge¬ 
ld oinmeii, in dem nicht ein d u r c h a u s b e f r i e d i g e n - 
d er Erfolg zu verzeichnen gewesen wäre. Zahlen an¬ 
engeben ist mir allerdings augenblicklich nicht möglich. 

Die dazu nötige Durchsicht meiner sämtlichen Notizen aus 
den letzten 24 Jahren würde einen Aufwand an Zeit er¬ 
fordern, wie sie mir in den letzten Monaten zu Gebote 
stand. Doch behalte ich mir gern vor, diese Lücke später 
noch einmal auszufüllen. Jedenfalls aber ist es keine 
ITebertreibung, wenn ich von Hunderten von Kranken 
allein in meinem Wirkungskreise spreche, denen die Pil¬ 
len, falls sie nur, der Verordnung gemäß, 1 a n g e g e n u g 
g e n o m m e n wurden, eine lang d a u e r n de B e s s e- 
r u ng ihres Zustandes, von Hunderten auch, denen 
sie eine bleibe n de W i e d e r h e r s t e 11 u n g i li r e r 
Gesundheit gebracht haben. Vorwiegend waren es 
fettleibige P e r s o n e n mit mehr oder weniger aus¬ 
gesprochenen Symptomen der H; 1 rzsc h w ä c h e, häufig 
auch mit den Zeichen eines a u f d i e h i n t e r e n u n t e - 
r e n Partie n d e r- L u n g e n lies c h r ä nkte n 
(Sta u un g s -) Katarrhs, s e li r a n ä m ische, 
nicht selten auch k o r p u 1 e n t e E m p h y s e m a t i k e r 
bald mit, bald ohne Bronehialkatarrh, atlantische 
K r a n k e in i t Klappe n f e li 1 e r n, dann wieder auch 
solche, bei denen die Diagnose n u r a u f A n ä m i e lauten 
konnte, Lei denen aber die besonders schweren Krank¬ 
heitserscheinungen, wie O h n m a c h t s - und S c li w i n- 
d e 1 a n w a n d 1 nn g e n, g r ö ß t e Iv u r z a t m i g k e i t 
u n d sofortig e r Eintritt v o n He r z k1o pf e n 
u n d P n 1 s b e s c li 1 e u n i g u n g bei m T r e p p e n - 
steigen und schon b e i m A u s - und A n k 1 e i d e n 
in (I e r S p r e c h s t u n d e, gleichwie die iu solchen Fäl¬ 
len freilich, wie bekannt, oft nur wenig sicheren Anhalt 
gebenden Befunde bei de r U n ters ii c 1t u n g auf 
einen besonders hohen Grad v o n Herz¬ 
schwäche schließen ließen, — vorwiegend also waren 
es Kranke dieser Art, deren Leiden mir die Indikation für 


LHIÜAN 





584 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 40 


die, wie gesagt, meist erfolgreiche Behandlung mit K a m - 
p li e r - E i s e n p i 11 e n lieferte. Gelegentlich aber, 
wenn ernstere Erscheinungen, die das Vorliegen einer 
Herzinsuffizienz höheren Grades erkennen 
ließen, dazu aufzufordern schienen, habe ich sie auch 
C h lorotische n, seihst wenn diese noch in jugend¬ 
lichem Alter standen, gegeben; indes geschah dies doch 
immer nur ausnahmsweise und für eine beschränkte Zeit, 
nach deren Ablauf sie, vorausgesetzt, daß jene schweren 
Symptome geschwunden waren, mit einem der sonst ge¬ 
bräuchlichen Eisenpräparate ohne Kampher vertauscht 
wurden. 

In neuerer Zeit habe ich öfter und nach und nach in 
dem Maße, wie die erzielten Resultate mich dazu antrie- 
ben, in zunehmender Häufigkeit, wenn die soeben in ge¬ 
drängter Uebersiclit aufgezählten Symptome und Folge¬ 
zustände der Herzschwäche mir in besonders schwerer 
Form entgegentraten, namentlich wenn sich noch 
A r y t h m i e der H e r z a k t i o n und vielleicht bereits 
die Zeichen eines beginnenden Hydrops hinzu¬ 
gesellten, dem Gebrauch der Kampher-Eisenpillen zu¬ 
nächst die Darreichung einer Iv o m bination des 
K a mphers mit Digitalis in kleinen Dosen 
voraufgehen lassen. Auch dafür habe ich, weil immer ein 
längerer Gebrauch in Aussicht zu nehmen war, die Pil¬ 
lenform gewählt, und auch deren Formel hier niitzu- 
teilen, meine ich wohl berechtigt zu sein, da sie tatsäch¬ 
lich für jeden Fall (es kommen ja fast ausschließlich Er¬ 
wachsene in Betracht) in gleicher Weise paßt und ich 
im Laufe der Zeit immer mehr die Ueberzeugung gewon¬ 
nen habe, daß die Zusammensetzung, die ich, auf einen 
dreiwöchigen Gebrauch berechnet, den Pillen gegeben, 
und somit auch die Dosierung der beiden 
H a u p t m i 11 e 1 (Kampher 0,2, Digitalis 0,05 pro dosi) 
gerade das Richtige trifft, insofern gewöhnlich — immer 
vorausgesetzt, daß es sich um heilbare oder wenigstens für 
längere Zeit zu bessernde Zustände handelt, — nach Ver¬ 
brauch von zwei Portionen der Pillen die bedrohlichen Er¬ 
scheinungen mit Einschluß des Hydrops und der Vermin¬ 
derung der Harnabsonderung geschwunden sind, so daß 
nunmehr der Gebrauch der Kampher-Eisenpillen folgen 
kann, und nur ausnahmsweise die Anwendung noch einer 
dritten Pillenportion sich als nötig erweist, die 
man in Anbetracht der kleinen Dosis, in der die Digitalis 
gegeben wurde, ohne alle Bedenken empfehlen kann. 

Ich verschreibe also wie folgt, lasse jedoch, je nach Wunsch 
und Schluckfähigkeit des Patienten, aus der Masse entweder 
90 Pillen anfertigen und dreimal täglich 3, oder 60 und dreimal 
täglich 2 davon nehmen: C'amphor. trit. 0,0. Fol. digital, pulv. 1,5, 
Extract. taraxaci, Massae pilularum üä q. s. (etwa 3,0), fiat massa 
e qua formentur pilul. No. 60, consp. D.S. Dreimal täglich nach 
dem Essen 2 Pillen z. n. Statt des Extr. taraxaei kann man 
natürlich auch wieder Extr. ehin. aquos. zu etwa 4 g zusetzen 
und benutzt dann am besten Pulv. gummös, als Konstituens. 

Ueber die Wirkung dies-er Medikation habe 
ich nach den im vorstehenden bereits enthaltenen Andeu¬ 
tungen wohl kaum nötig, mich weiter auszulassen. Ich 
kann nur sagen, daß ich, wo überhaupt noch Besserung 
möglich war, immer die besten Erfolge damit er¬ 
zielt habe, manchmal wohl zur freudigen Ueberraschung 
der Kranken selbst, die kaum noch geglaubt hatten, auf 
eine Besserung oder gar vollständige Wiederherstellung 
hoffen zu dürfen. Ich weiß nun recht gut, daß die Ver¬ 
bindung des Kamphers mit der Digitalis in der 
Behandlung der Herzkrankheiten an und für sich durchaus 
nicht neu ist. Oft genug — wieder vielleicht sogar häufi¬ 
ger als die Mehrzahl der Kollegen — habe ich selbst sie 
(ähnlich wie Kalo m e 1 mit K a m p h e r) hei s c h w e - 
i e n K o in p e n s a t i o n s s t ö r u n g e n zur Anwendung 
gebracht; aber dann wurden die Digitalisblätter in Pulver¬ 
form von mir, wie wohl der Regel nach auch von anderen 


Aerzten, immer in größeren Dose n, drei- bis vier¬ 
mal täglich 0,1 mit der gleichen oder doppelten Menge 
Kampher, und demgemäß auch immer n u r f ii r k u r z e 
Zeit gegeben. Die hier besprochene Verwendung dieser 
Kombination, die mir selbst gewissermaßen noch neu, 
jedenfalls erst in den letzten Jahren von mir in Gebrauch 
genommen ist, hat dagegen den Vorzug, daß die Kain- 
p h e r w i r k u n g fast s o f o r t, die Digitalis w i r- 
k u n g aber nur a 11 m ä h 1 i c h, auch mehr d e m t oni- 
sier enden Verfuhren entsprechend, zur Gel¬ 
tung kommt, dafür aber um so nachhaltiger zu sein pflegt, 
und, was nicht zu unterschätzen ist, daß diese Art der 
Digitalisbehandlung keine ärztliche Ueber- 
w a c h u n g erforderlich macht, demnach ohne Bedenken 
auch ambulanten Kranken verordnet werden kann. 

Bis hierher habe ich immer Krankheitszustände im 
Auge gehabt, bei deren Behandlung mit Kampher (wenig¬ 
stens nach meiner Auffassung) das Eisen nicht zu ent¬ 
behren ist. Es kommt aber natürlich oft genug vor, daß 
der Gebrauch von Kampher indiziert erscheint, wo zur An¬ 
wendung von Eisen keine Veranlassung gegeben ist. Ver¬ 
hältnismäßig selten freilich handelt es sich um Fälle von 
e h ronische m Charakter, die eine lange Forts e t - 
z u n g des K a m p h e r g e b r a uchs erforderlich 
machen. Wo sich aber diese Notwendigkeit ergiebt, wie es 
z. B. wohl hei Klappenfehlern, hei Emphysem, hei Kypho¬ 
skoliose höheren Grades mit chronischer Bronchitis und 
sonst gelegentlich der Fall sein kann, da kann man ihr 
nach meiner Meinung und Erfahrung kaum besser gerecht 
werden, als einfach durch Verordnung der K a m p her- 
Eisenpillen o h n e Ferru m r e d u c t u m. 

Häufiger sind es jedoch akute Krankheiten 
oder akute Steigerungen chronischer L e i - 
d e n oder zu diesen hinzutretende Fieberzust ii n d e. 
sind es z. B. K o m pensationsstör u n g e n b e i 
K 1 a p p e n f e h 1 ern, f i e b e r h a f t e aku t e B i* o n - 
c h i t is oder vielleicht Influenza hei Emph y s e m 
und dergleichen mehr, die zu der Notwendigkeit führen, 
den K a m p li e r als w irksamstes, manchmal wohl 
gar lebe’nsrettendes Heilmittel zu benutzen, oft 
freilich natürlicherweise nicht als das alleinige. Wie 
häufig wir uns in diese Lage versetzt sehen, wenn herz¬ 
schwache Personen von einer Pneumonie befallen wer¬ 
den, vor allem von einer Influenza- oder W ander- 
Pneumoni e, ist jedem Arzte bekannt, und jeder Arzt 
wird denn auch wahrscheinlich in solchen Fällen, u n be¬ 
dingt gewiß im Notfälle, tatsächlich zum Kampher 
greifen, mag er ihn nun subkutan oder inner lic h 
und im letzten Falle allein oder in Verbindung 
m i t anderen Mittel n, wie Acid. benzoic. Sublimat., 
Koffein, Liqu. ammon. anisat. usw. anwenden wollen. Ich 
würde also über diesen Punkt mit Stillschweigen hinweg¬ 
gehen können, wenn dabei nicht docli (nach meinem viel¬ 
fältiger Erfahrung entsprungenen Urteil) in zweierlei 
Hinsicht so häufig gefehlt würde. Es wird nämlich eines¬ 
teils mit der Verordnung des Kamphers ge¬ 
wöhnlich z u 1 a n g e g e z ö g e rt, und andernteils wer¬ 
den die Dosen oft zu klein bemessen. Wenn 
viele Aerzte, namentlich die aus der L e u b e sehen Schule 
stammenden, es für geboten halten, sobald eine Verän¬ 
derung der Pulsbeschäffenbeit auf ein beginnendes Er- 
1 a h m e n d e r H e t z k r a f t hinzuweisen scheint, immer 
sofort Digitalis, Digitoxin oder D i g a 1 e n zu 
verordnen, so kann ich nach meinen Erfahrungen nur 
raten, davon ganz abzusehen und statt dessen in solchem 
Falle von vornherein als Haupt mittel Kam¬ 
pher zu gehen. Mit der Unterlassung der immer 
zweischneidigen Digitalisbehandlling wird nach meiner 
Ueberzeugung nichts versäumt, mit der Kampherbehand¬ 
lung aber wird man jedenfalls nie schaden. Man sollte 


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UNIVhUy IV Uh MILHIbAN 



1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


585 


meines Erachtens bei der Pneumonie, wenn auch nur 
eben der Eintritt oder eine bedenkliche Steigerung einer 
schon bestehenden Herzinsuffizienz zu drohen scheint, im¬ 
mer sofort, eventuell schon am zweiten oder dritten 
Krankheitstage mit der Darreichung von Kampber, zu¬ 
nächst nur per os und in der Dosis von etwa 4 mal täg¬ 
lich 0,1 g, beginnen, um demnächst, wenn es nötig zu sein 
scheint, auf 0,2 g, ebenso häufig oder vielleicht dreistünd¬ 
lich gegeben, zu steigen und endlich, wenn die Gefahr 
drohender wird, zumal während der Krisis, zu s u b ku¬ 
tan en lnjektionen überzugehen. Die Einzel¬ 
dosis für diese aber sollte, wie ich schon früher ein¬ 
mal betont habe 2 ), beim E r w a chsene n hier wie in 
jedem anderen Falle von akuter Herzschwäche, nie we¬ 
niger a 1 s 0,2 g betragen. 

Es ist daher zweckmäßig, der Kampheröllösung eine solche 
Stärke zu geben, daß in einem Kubikzentimeter, dem Inhalt einer 
Spritze, gerade oder doch annähernd diese'Dosis enthalten ist. 
Teils um ihre Wirksamkeit noch etwas zu erhöhen, teils, um sie 
dünnflüssiger zu machen, fügt man zu der öligen Lösung passend 
eine klein© Menge A e t. h e r hinzu, verschreibt also, wie es übri¬ 
gens von seiten vieler Aerzte auch bereits geschieht, C a m p h o r 
2,1), () 1. a in y g d a 1. d u 1 c. 8,0, A eth er s n 1 f u r. 2.0. 

Ich glaube, daß mancher Pneumoniekranke durch eine 
frühzeitig beginnende und während des ganzen Verlaufes 
der Krankheit fortgesetzte Kainpherbehandhing dem Le¬ 
ben erhalten bleiben könnte, der auch durch die stärksten 
Kamplierdosen, die ihm erst im letzten Stadium 
subkutan beigebracht werden, nicht mehr zu retten ist. 

Häufiger noch als die Pneumonie hat mir, wie ein 
Rückblick auf meine bald 40 jährige Praxis mir sagt, d i e 
a kute oder die akute Steigerung einer chro¬ 
nischen Bronchitis, auch wohl der Eintritt 
von Herzschwäche bei der letzteren ohne 
besonders auffällige Steigerung der bronehitischen Fi¬ 
schei nungen bei E r w a c h s e n e n u n d Iv i n d e r n Ver¬ 
anlassung geben, den K a ni p h e r, dann natürlich nur für 
beschränkte Zeit, zur Anwendung zu bringen, nicht eben 
oder doch nur selten, um das Leben zu retten, das ja durch 
diese Erkrankungen, wenn wir von der Bronchopneumonie 
der Kinder und der Bronchitis hei Influenza abselien, nicht 
leicht gefährdet wird* sondern weil es sich oft so außer¬ 
ordentlich nützlich erweist, um im Verein mit Expekto- 
rantien den Kranken rasch eine große Erleichterung zu 
verschaffen, und, wie ich glaube, auch manchmal eine Ab¬ 
kürzung der Krankheitsdauer bewirken kann. Wieder 
waren es vorwiegend Fettleibige, Emphyse in a - 
t i k e r, Ky phoskol iot isch e und I n f 1 u e n z a - 
k r a n k e, kurz Leute mit schon geschwächtem oder wenig 
leistungsfähigem und ausdauerndem Herzen und Kin- 
d e r m i t k a p i 11 ä r e r B r o ne li i t i s und sich daraus 
entwickelnden 1 o b u 1 ä r e n P n e u m onie n, deren Zu¬ 
stand die Kampherbehandlung nach meiner Ansicht nötig 
machte. 

Seit langer Zeit habe ich mich gewöhnt, in solchen 
Fällen den Kampher in einer E m u 1 s i o n zu gehen, der 
ich Elixiresuccoliquiritiaein einer Meng? zu¬ 
setze, die ausreicht, um auch die Wirkung des L iquo r 
a m m o n i i a n i s a t u s voll zur Geltung kommen zu 
lassen, und oft genug - so noch kürzlich hei einem 69jäh- 
rigen, etwas korpulenten Emphysematiker und fast zur 
selben Zeit bei einer an Influenza leidenden 65 jährigen 
Frau, bei der ein vorher vom Hausarzte.verordnetes Digi- 
talisinfus in Begleitung von Expektorantien völlig un¬ 
wirksam geblieben war, — hat diese Medizin, um mich 
des von den Patienten gebrauchten Ausdruckes zu bedie¬ 
nen, „wirklich Wunder getan“. 

Kunstgerecht verschrieben lautet die Formel t ü r E r 
wach sen e: Rp. Camphor. tri t. 2,0. Gummi arab. q. s., Aqu. 

2 ) s. „Die Euthanasie und die Pravazsche Spritze 4 *, S. 51. 



destill. 175,0. Fiat lege artis emulsio. Adde Elixir. e succo li- 
quirit 25,0 (—30,0). M.D.S. Viermal täglich (oder in schwe¬ 
reren Fällen dreistündlich) einen Eßlöffel voll oder besser 15 ccm 
zu nehmen. F ü r K in der i m j ii n g s t e n A 1 t er kann man 
Kampher 0,5 auf 60,0 Emulsion mit 15 g Elixir teelöffelweise 
(4 ccm), für e t w a s ältere dieselbe Mixtur kinderlöffelweise 
(7,5 ccm), für noch ältere etwa Camphor. 1.0 auf 75,0 
Emulsion mit 20.0 Elixir, gleichfalls zu 7,5 ccm pro dosi, ver¬ 
schreiben. Das Elixir dient zugleich als Geschmackskorrigens. 

Ich brauche kaum erst zu sagen, daß diese Medikation 
zwar Erwachsenen häufig gleich nach de r 
ersten Feststellung des Tatbestandes 
empfohlen wurde, wo immer die auskultatorischen Zeichen 
auf Anwesenheit eines sehr zähen Sekretes in den 
Bronchien schließen ließen und demnach die Indikation 
vorlag, auf eine „Lösung des Katarrhs“ hinzuwirken, daß 
Me aber bei Kindern mit kapillärer Bronchi- 
t i s oder Bronch o p n e u m onie immer erst zur An¬ 
wendung kam, nachdem sich herausgestellt hatte, daß, von 
anderen therapeutischen Maßnahmen abgesehen, durch 
Ipekakuanha- oder Senegainfus mit Liqu. amiiion. anisat. 
der gewünschte Erfolg nicht zu erzielen und einer allmäh¬ 
lichen Verschlechterung des Gesamtzustandes nicht ge¬ 
nügend entgegenzuarheiten war. 

Ob der Kampher selbst zu der erstrebten und 
gewöhnlich auch erreichten Verflüssigung des Bronchial- 
sekretes beiträgt, oder oh er nur vermittelst der Kräfti¬ 
gung der Herzaktion und Verbesserung des Blutumlaufes 
in der Bronchialschleimhaut d i e W i r k u n g des 
gleichzeitig eingeführten Expektorans 
unterstützt, lasse ich dahingestellt. 

In derselben Form kann man übrigens unter Umstän¬ 
den den Kampher auch bei der krupösen Pneumo¬ 
nie mit Vorteil verwenden. Dann nämlich besonders, 
wenn durch die auskultatorischen Zeichen und die Be¬ 
schaffenheit des Sputums das Vorhandensein eines B r o n - 
c b i a 1 k a t a r r li s bewiesen wird, wenn also z. B. die 
Dneumonie einen an chronischer Bronchitis leidenden 
Kranken befallen bat. Andererseits möchte ich jedoch be¬ 
merken, daß ich mich weder in einem solchen Falle, noch 
auch bei der Behandlung der einfachen unkomplizierten 
Bronchitis herzschwacher Personen immer an diese Art 
der Darreichung des Kamphers gebunden gehalten habe, 
um so weniger demnach sie anderen zum ausschließlichen 
Gebrauch zu empfehlen beabsichtige. Ich habe vielmehr 
in Uehereinstimmung mit anderen Aerzteil nicht selten 
auch Kampher (0,2) mit Benzoesäure (0.1) in 
Kapseln, eine Verbindung, deren Wert z. B. in d?r Behand¬ 
lung asthenischer Pneumonien ich gewiß nicht unter¬ 
schätze. manchesmal auch in Begleitung von Cnffei- 
n u m natro-be n z o i c u m , T e r p e n li y d r a t oder 
anderen Mitteln gegeben, wie sie eben der Fall zu er¬ 
fordern schien. _ 

lieber die Wirkung des 0 x y k a m p h e r s habe ich 
mich zuerst schon bald nach seiner Einführung 
unterrichten können, als ich am 3. Juli 1899 bei 
einem an Sehr u m p f n i e r e und u r ä mische m 
Asthma leidendeu Kranken, dem der behandelnde 
Arzt das Mittel kurz vorher schon verordnet hatte, 
zu Rate gezogen wurde. Seitdem habe ich es bei einer 
größeren Zahl von Kranken, die ich längere Zeit anhal¬ 
tend beobachten konnte, selbst angewandt und wiederholt 
Kollegen bei Konsultationen empfohlen und, soweit mir 
erinnerlich, Latte es immer die gute Wirkung, die nach 
den Ergebnissen der experimentellen Untersuchungen zu 
erwarten war, eine Wirkung also, d i e der physiolo¬ 
gischen entspra c li und die Richtigkeit der zu ihrer 
Erklärung aufgestellten Theorie bestätigte. Der Oxy- 
k a m p h e r soll das Atmungszentr u m in der Weise 
beeinflussen, daß die Atemzüge vertieft werden 


Original from 



586 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 40 


und, weil infolge ihrer vermehrten Tiefe eine kleinere Zahl 
von Einzelatmungen genügt, uni das Sauerstoffbedürfnis 
zu decken, die A t in u n g s f r e q u e n z s i n k t. Bei 
K r a n k e n geht damit eine wesentliche V e r m inde- 
r u n g d e t Ate m n o t und des Ge f ii h 1 s v o n 
L u f t m a n g e 1 parallel und — was wohl nicht daraus 
allein zu erklären, sondern, wie es scheint, auf eine dem 
Mittel noch innewohnende besondere Kraft zurückzufüh¬ 
ren ist — es gesellt sich dazu als sehr willkommene Bei¬ 
gabe auch noch eine unverkennbar beruhigende 
manchmal geradezu hypnotis e li e W i r k u n g. 

Bei der V e r o r d n u n g des ü x y k a m p li e r s, 
dessen 50 proz. alkoholische Lösung bekanntlich als Oxa- 
phor bezeichnet wird, habe ich mich anfangs genau an 
die den Merck sehen Empfehlungen beigegebene Formel 
gehalten. Nachdem ich jedoch wiederholt beobachtet 
hatte, daß die nach dieser Vorschrift bereitete wässerig- 
alkoholische Lösung sich nach kurzer Zeit durch ausge¬ 
schiedenen Oxykampher zu trüben begann, habe ich dir» 
Menge des zugesetzten Spir. vini auf das Doppelte erhöht 
und verschreibe demnach jetzt regelmäßig wie folgt: 

Rp. Oxaphor. 10,0 

A(|u. amygdal. amar. . . 3,0 

Spir. vini gallic. . . . 40,0 

Aqu. destill. ad .... 150,0 

Von dieser Lösung, die also in 15 ccm 0,5 Oxykampher 
nthält, habe ich meistens nur abends einen und ge¬ 
wöhnlich nach einer halben Stunde einen zweiten, in be¬ 
sonderen Fällen sogar im Laufe der Nacht noch einen drit¬ 
ten Eßlöffel voll nehmen lassen, zuweilen aber auch (I rei- 
iii a 1 t ä g 1 i c h die gleiche Dosis gegeben. Das gilt selbst- 
v *i stündlich für E r w a c h s e n e, bei denen ich nach die¬ 
sen Dosen niemals ( mit einer Ausnahme, wo es sien jedoch 
nur um eine a n ge b 1 i c h ungünstige Wirkung bei einem 
sehr ängstlichen Kranken handelte) unerwünschte Er¬ 
scheinungen habe auftreteri sehen. Im k i n d 1 i c* h e n 
Alter kommen Krankheitszustände, die den Gebrauch 
von Oxykampher indiziert erscheinen lassen könnten, wohl 
so gut wie niemals vor, es sei denn, daß das Mittel auch 
b e i m e igentlichen Ast h in a n e r v o s u m mit 
Nutzen zu verwenden wäre, worüber ich bis jetzt keine 
Ei fall Hingen besitze. 

Keber den Geschmack dieser Medizin haben sich meine 
Kranken, soweit mir erinnerlich, nie beschwert; dagegen klag¬ 
ten einige über ein durch das Einnehmen verursachtes läst.i- 
pi's Brennen i m H a 1 s e, eine Unannehmlichkeit, der sieh 
durch Vermischung mit Haferschleim leicht abhelfen läßt. 

Unter meinen Kranken befand sich einer, ein 58 jäh¬ 
riger Kaufmann, der an chronischer M y o k a r - 
(1 i t i s infolge von Arteriosklerose litt und 
vom 5. Februar 1903. bis zu seinem am ‘27. April desselben 
Jab res erfolgten Tode von mir behandelt wurde. Bei 
diesem Kranken traten in den letzten 3 Wochen seines 
Lebens unter Steigerung der bis dahin noch mit Erfolg be¬ 
kämpfte Herzschwäche und unter rascherer Zunahme des 
schon bestehenden Hydropsanasarca stenokardische 
Anfälle auf, die, anfangs noch leichter Art und 
nur nächtlicherweile sich wiederholend, mit der 
Zeit immer schwerer und qualvoller für den Kranken 
wurden und, obgleich er dauernd das Bett hütete, sieh all¬ 
mählich immer häufiger auch am Tage einstellten, 
durch die gebräuchlichen Mittel kaum merkbar beein¬ 
flußt. Am 18. April verordnete ich die obige Oxy- 
k a in p h e r 1 ö s u n g, und zwar ließ ich davon drei- 
s t ii n (1 I i c h ei n e n E ß 1 ö f f e 1 nehmen, jedoch mit* 
der Maßgabe, daß mit einer etwaigen Verlängerung der 
Pausen zwischen den Anfällen auch die Zwischenräume 
zwischen der Darreichung der Dosen wachsen sollten. 
I) i e W i r k u n g w a r eine s e h r b e friedigen d e. 
Tatsächlich wurde die Zahl der in der vierundzwanzig- 


stiindigen Tagesperiode erfolgenden Anfälle bedeutend 
vermindert und ihre Form wesentlich leichter; aber, - 
was mit Rücksicht auf seine physiologische Wirkung her¬ 
vorgehoben zu werden verdient — das Mittel vermochte 
den Eintritt des C h e y n e Stokesschen P h ä n o - 
mens in den letzten 24 Stunden vor dem Tode nicht zu 
verhüten. 

Die übrigen Kranken, mit Ausnahme einer Dame, bei 
der nur sehr erhebliche Korpulenz mit Anämie lind Herz¬ 
schwäche vorlag, litten sämtlich an Emphysem und 
B r o n c h i t i s. Eine Kranke war dabei zugleich sehr 
korpulent; bei einem der männlichen Kranken, dem¬ 
selben, den ich oben bei der Besprechung der Wirksamkeit 
der Kampheremulsion erwähnte, bestand Korpulenz 
m ä ß i g e n Grade s. Die anderen befanden sieb in 
einem guten Ernährungszustände. Eine Kranke ausge¬ 
nommen, war bei allen dasHerzso beschaffen, 
daß es größeren Auf or derungen n i c h t 
mehr genügte und nur hei ruhigem Verhalten die 
durch das Emphysem bedingte Erschwerung des Blut- 
umlnufes noch zu kompensieren vermochte. Bei allen die¬ 
sen Kranken stellte sich daher während des Gehens wie 
bei jeder größeren Anstrengung mehr oder weniger große 
Kurzatmigkeit ein, und sie alle nahmen zeitw eise, abwech¬ 
selnd mit anderen Expektorantien oder die Sekretion be¬ 
schränkenden Mitteln, aber oft wochenlang K a mpher- 
e in u 1 s i o n mit E 1 i x i r p e c t o r a 1 e. Bei der Mehr¬ 
zahl traten oft auch nächtliche, mehr oder weniger 
lange anhaltende, manchmal sich nacli Pausen mehrfach 
wiederholende Anfälle von Atemnot auf, die bei 
zwei Kranken, darunter auch die erwähnte, im Alter von 
55 Jahren stehende Frau mit gesundem, leistungsfähigem 
Herzen, einen vollkommen a s t h m a artigen Ch ä - 
r a k t e r nnnahmen, obgleich beide nie zuvor an Asthma 
gelitten hatten und später w ieder ganz von derartigen An¬ 
fällen verschont blieben Daraus ergab sich ganz von 
selbst die Notwendigkeit, den Oxykampher abends zur 
Verhütung der Anfälle oder, w r o deren Eintritt nicht vor¬ 
auszusehen war, nachts beim Beginn eines An¬ 
falls nehmen zu lassen. In beiden Fällen fiel die Wir¬ 
kung, wo es sich um einfache, im wesentlichen nur i n s p i- 
r ato rische Dys p noe — übrigens zum Teil recht 
schwerer Art — handelte, fast immer vollkommen befrie¬ 
digend aus. Die abendliche Darreichung einer Dosis von 
zuweilen nur einmal, häufiger wmlil zweimal 0,5 g hatte 
in der Regel ein Ausbleiben der Anfälle, minde¬ 
stens aber ihr Auftreten in sehr abgeseliwächte r, 
ganz erträgli c h er Fo r m zur Folge und, wenn das 
Mittel in der Nacht erst beim Beginn des Anfalles gegeben 
w urde, machte sich oft schon nach der ersten, immer aber 
nach einer zweiten Dosis von 0,5 g, ehe noch eine halbe 
Stunde vergangen war, ein bedeutendes Nachlassen 
(1 e r Dys p n o e bemerkbar, die dann in der Regel sehr 
bald einer vollständig freien unbehinderten Atmung Platz 
machte. Die a s t h m a ä h n 1 i c h e n Anfälle, die 
immer von vorwiegend exspiratorischen, noch in 
einer gewissen Entfernung hörbaren, pfeifenden und gic- 
menden, bei der Untersuchung während des Tages nicht 
wahl-zunehmenden Geräuschen begleitet wurden und bei 
dem männlichen Kranken, w 7 ie ich zu konstatieren Gelegen¬ 
heit fand, zu einer erheblichen a k u teil Lungen- 
h 1 ä h u n g führten, waren durch Einnehmen von ein- oder 
zweimal 0,5 g Oxykampher vor dem Einschlafen nicht 
ganz zu verhüten, wurden aber dadurch und ebenso durch 
eine bei ihrem Eintritt gegebene Einzeldosis von 0,5 g 
wesentlich gemil d e r t, hei der Frau aber, wenn 
sie beim Schlafengehen noch, einer ihr schon vorher ge¬ 
gebenen Vorschrift gemäß, eine Dosis Jodkalium in 
Verbindung mit B r o m n a t r i u m genommen hatte, auch 
meistens b e d e u t e n d a b g e k ii r z t. 



UND 


:rol IY Uh MILHIbAN 


UNIVtWall V Uh HILHIbAN 





THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


587 


1908 


Im Gegensatz zu diesen Fällen wurde der Oxykampher 
in den übrigen beiden n u r a in Tage gegeben. Der erste 
dieser Fälle betraf den vorhin als „mäßig korpulent“ clia- 
rakterisierten, fast 70 Jahre alten E m p li y s e m a t i k e r. 
Bei diesem Kranken hatte sieh längere Zeit nach der er¬ 
folgreichen Behandlung mit Kainpherexnulsion und Brnst- 
elixir im Anschluß an eine (freilich nicht durch ärztliches 
Zeugnis beglaubigte) Infi u e n z a, deren Nachwirkun¬ 
gen noch in Gestalt schwerer Neuralgien in ver¬ 
schiedenen Nervengebieten fortbestanden, die 
eigentümliche Erscheinung einer hei ruhiger Bettlage be¬ 
ständig in wechselnder Stärke empfundenen Atemnot 
eingestellt, deren Vorhandensein in der ganzen Atmungs- 
forni zum Ausdruck kam (Einzelheiten sind mir nicht er¬ 
innerlich) und sich zeitweise auch sehr deutlich in den 
Gesichtszügen ausprägte, die aber — darin mußte ich dem 
Hausarzte vollkommen beistimmen nicht r ec h t z u 
dem Untersuchungsbefunde i m V e r h ä 11 - 
nis zu stehen schien. Dieser bestand nämlich, ab¬ 
gesehen von dem übrigens nicht sehr erheblichen Emphy¬ 
sem, uur in den Zeichen eines wenig ausgebreiteten Bron- 
chialkatarrhs in den hinteren unteren Lungenabschnitten, 
wie sie bei dem Kranken auch in den Zeiten relativen 
Wohlbefindens fast immer noch gefunden wurden. Auf 
die Wirkung irgendeines Medikamentes ließ sich die ei^en- i 
tümliche Atemnot nicht zurückführen; der Kranke batte 
in der letzten Zeit vor meinem Besuche nur etwas K a m - 
p h e r erhalten. Man konnte sich in der Tat des Eindrucks 
nicht erwehren, daß der Erscheinung eine eigenartige 
Alteration des Atmungszentrums zugrunde 
liegen müsse, die wohl auch in das wechselreiche Bild der 
Influenza hineinpassen konnte, zumal hier, wo auch ander 
schwere Nervenaffektioneu Vorlagen. I m so 
mehr mußte gerade in diesem Falle der 0 x y k a m p h e r 
indiziert erscheinen. Wir verordneten ihn in der gewöhn¬ 
lichen Form der Lösung und der Kranke wurde angewie¬ 
sen, von dieser dreimal täglich mit etwa 6 ständigem ^Zwi¬ 
schenraum 15 ccm zu nehmen. Die günstige Wir¬ 
kung machte sich gleich mit dem ersten Tage der An¬ 
wendung bemerkbar und der bleibe n d e E r f o 1 g. den 
der Kranke nicht genug zu rühmen wußte, war ein der¬ 
artiger, daß er wohl unsere, immerhin ziemlich gewagte, 
Annahme einigermaßen berechtigt erscheinen lassen 
konnte, jedenfalls aber die Wirksamkeit des Oxykamph?rs 
in geeigneten Fällen aufs klarste bewies. 

Der zweite Fall, zugleich der letzte, über den ich noch 
kurz zu berichten habe, und wieder einer der ersten in der 
Reihe meiner Beobachtungen, ist aus dem Grunde inter¬ 
essant und lehrreich zugleich, weil er nicht nur den Wert 

desOxykamphersauchfürdieBeha n d hing 
der durch Anstrengungen hervorgerufe¬ 
nen Ate m n o t, sondern auch seine Unschädlich¬ 
keit bei Einhaltung der wirksam befundenen Dosen er¬ 
kennen läßt: Eine 41 jährige, sehr korpulente Frau, bei 
der ich, obgleich das Herz der Brustwand in großer Aus¬ 
dehnung anlag, die Herztöne, so oft ich untersuchte, immer 
auffallend leise, den Puls jedoch zwar ziemlich klein, aber 
bei ruhigem Verhalten nie beschleunigt oder unregelmäßig 
fand, und die im Hause vormittags fast beständig in 
Bewegung war und oft mehr als nötig treppauf und 
treppab lief, ohne mit erheblichen Atembeschwerden zu 
kämpfen zu haben, wurde bei jedem Gang auf de r 
S t r a ß e in einer Weise k urza t in i g und geriet dabei 
unter Hinzutreten wirklicher B e ä ngstlgungs- 
g e f ü li 1 e dermaßen i n S c h w e i ß, daß die Ausdehnung 
eines solchen Ganges über die Dauer von 5 oder höchstens 
10 Minuten hinaus sich in der Regel absolut nicht erzwin¬ 
gen ließ. Daß die Angaben der Dame nicht übertrieben 
waren, davon habe ich mich wiederholt überzeugen kön¬ 
nen, wenn ich ihr zufällig unmittelbar nach ihrer Rück¬ 


kehr vor oder in ihrem Hause begegnete. Eine Bewe¬ 
gung s t h e r a p ie erschien unter diesen Umständen 
einfach u n a u s f ii hrba r. Der längere Gebrauch von 
Kampher-Eisenpillen, von anderen Eisenpräparaten und 
allerlei tonischen Mitteln sowie Gymnastik und Mas¬ 
sage änderten so gut wie nichts an diesem Krankheitsbilde. 
Endlich entschloß ich mich, da ich zu jener Zeit bereits ein- 
oder zweimal Gelegenheit gefunden hatte, die Wirksam¬ 
keit des Mittels bei nächtlichen Anfällen von Atemnot zu 
erproben, einen Versuch mit 0 x v k a m p h e r zu machen, 
riet also der Kranken, jedesmal, wenn sie auszugehen be¬ 
absichtigte, eine halbe Stunde vorher einen Eßlöffel voll 
von der bekannten Lösung zu nehmen. Nicht ohne Beden¬ 
ken freilich traf ich diese Verordnung, da ich mir wohl 
.sagen mußte, daß die Wirkung des Mittels auf Herz und 
Atmung sich bei in Bewegung befindlichen 
Menschen in nicht zu berechnender Weise anders Ge¬ 
stalten könnte, als bei r uliende n. Indessen hat der Er¬ 
folg bewiesen, daß ich mir unnötigerweise Sorge gemacht 
hatte. Der Oxykampher in dieser Weise angewandt, be¬ 
wirkte nur, daß es der Kranken ermöglicht wurde, bei Ver¬ 
meidung jeder LTeberhnstung ihre Wege weiter, und zwar 
bald bis zur Dauer einer halben Stunde und darüber aus¬ 
zudehnen, und sie hat nie über irgendeine beunruhi¬ 
gende Erscheinung während des G eh e n s 
zu klagen gehabt. Wenn aber das Mittel sieb bei d i e ser 
K r a n k e n und unter den liier obwaltenden Verhältnissen 
als unschädlich erwies, so wird noch viel weniger in 
irgendeinem anderen Falle eine Gefahr von seiuer Anwen¬ 
dung zu befürchten sein. 


Schmerzloses Zahnziehen mittels lokaler Be¬ 
täubung in der allgemeinen Praxis. 

Von Dr. E. RohllL Potsdam. 

Die Zeiten des „Zahnreißens“, wo jeder Barbier oder 
Bader dasselbe im Nebenamte betrieb, sind fast überall 
vorbei, nur in den „Fliegenden Blättern“ werden der 
Bader und sein Klient als Witzfiguren noch eine Weile 
ihr Dasein fristen. Auch der Zahntechniker wird schon be¬ 
droht in seiuer Existenz durch den approbierten Zahnarzt. 
Und weiter geht der Zug der Zeit: Der „Spezialarzt für 
Zahn- und Mundkranklieiten“ ist auf dem Plan erschienen, 
um den Kampf aufzunehmen mit dem nur für die Zahn¬ 
heilkunde ausgebildeten Dr. med. dent. 

Galt das Behandeln der Zähne früher für die Aerzte 
als standesunwürdig, so hat sich darin eine Wandlung voll¬ 
zogen. Die hohe Ausbildung der Zahnheilkunde einerseits, 
sowie die gewinnbringende Ausübung dieses Faches haben 
den Aerzten die Augen geöffnet. Andererseits ist jetzt fast 
jeder Arzt gezwungen, sowie er nur Kassenpraxis betreibt 
— also wohl die meisten der Kollegen — wenigstens Zähne 
zu ziehen, wenn er sich auch sonst nicht weiter mit Zahn- 
lieilkunde befaßt. Zahnziehen ist eine vollberechtigte Ope¬ 
ration geworden, und es ist aus moralischen wie aus tech¬ 
nischen Gründen eigentlich nicht mehr erlaubt, diesen 
schmerzhaften und leider manchmal langdauernden Ein¬ 
griff ohne jene schmerzlindernden Mittel vorzunehmen, 
die bei jeder sonstigen Operation selbstverständlich 
sind. Zwar verhalten sich die Aerzte noch recht gleich¬ 
gültig gegen diese berechtigten Forderungen, törichter¬ 
weise. In den Augen des Patienten ist die Zahnextrak¬ 
tion eine entsetzliche Operation, in den Augen des Arztes 
ein unbedeutender Eingriff, wenn nicht etwa — er selbst 
sich muß einen Zahn ziehen lassen. Dann macht er es 
genau so wie das Laienpublikum, nämlich daß er einen 
Zahnoperateur aufsucht, der die gefürchtete Operation 
möglichst schmerzlos ausführt. Ein jeder Blick in die 




UNIVLWal I r Ul- HICHIGäB 




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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 40 


Zeitung zeigt uns marktschreierische Anzeigen über 
schmerzloses Zahnziehen, daß man beinahe annehmen 
könnte, es müsse ein wahres Vergnügen sein, in jenen 
Ateliers einen Qualgeist losznwcrden. Selbstverständlich 
beruhen diese Anzeigen auf frechen Schwindel, da es heuti¬ 
gen Tages noch nicht möglich ist, jeden Zahn schmerzlos 
zu ziehen mittels lokaler Betäubung. Aber tatsächlich läßt 
es sich erreichen, daß von 10 Patienten 9 voll befriedigt 
sind. Warum duldet denn der praktische Arzt, daß dies 
Unwesen fortdauert? Das Publikum heutigen Tages bat 
mehr Vertrauen zum Arzt als zum Techniker. Der Arzt 
braucht nur zu wollen, und seine Praxis bereichert sich als¬ 
bald mit einer neuen Gruppe Patienten, solchen, denen er 
schmerzlos einen Zahn ziehen soll. Täglich wird in den 
medizinischen Zeitungen geklagt, wie gering das Einkom¬ 
men praktischer Aerzte trotz Sonntags- und Nachtarbeit 
sei. Leider ist dem so! Vielleicht benutzen einige Kollegen 
die Winke, welche ihnen hier ein allgemein tätiger Arzt 
gibt, gegründet auf vieljährige Erfahrungen im „schmerz¬ 
losen Zahnziehen“, um sich durch Ausbildung in dieser 
Technik eine neue Einnahmequelle zu schaffen. In nach 
stehendem wird nur das Wesentliche, so wie ich es jetzt 
mache, nach vieljährigen Versuchen, geschildert, also das 
praktisch Wichtige. Wer sich der Sache annehmen will, 
tut gut, sich noch einige Hilfsmittel zuzulegen. Ich emp¬ 
fehle ihm z. B. zu kaufen: 

1. Busch: Die Extraktion der Zähne. 2 M. 

2. Jessen: Zahnheilkunde. 6 M. 

Sehr gut sind auch die Artikel von Partsc h in 
Bergmann Mikulicz Handbuch der Chirurgie. 

Mit diesen Lehrmitteln kommt man vollkommen aus. 

Bevor wir zur Schilderung des gesamten Operations¬ 
verfahrens übergehen, müssen wir zunächst klarstellen, wie 
weit man schmerzloses Zahnziehen dem besorgt fragenden, 
ängstlichen Patienten versprechen kann. 

Niemals darf der Arzt die Unwahrheit sagen! Zwar 
macht manche Patientin ein bedenkliches Gesicht, wenn 
sie nun vernimmt, ganz gegen ihre Hoffnung, die Sache 
sei mitunter doch schmerzhaft, versichert man dann aber 
weiter, es sei immerhin so erträglich, daß, wenn etwa noch 
ein Zahn entfernt werden müßte, sie sich nicht vor der 
zweiten Operation ängstigen würde, so heitert sich alsbald 
das Gesicht wieder auf. Und ist die Extraktion selbst ein 
wenig schmerzhaft gewesen, nun, überstandene Leiden sind 
bald vergessen, und dankbar drückt sie beim Abschied dem 
Arzte die Hand, während sie einen Betrug mit Recht nie 
verzeihen würde. 

Besonders bei dem ersten Dutzend von Zahnextrak¬ 
tionen sei der Arzt sehr vorsichtig mit seinen Versprechun¬ 
gen. Alles will gelernt sein, auch das Einspritzen. Ich sage 
ausdrücklich: das Einspritzen, denn gar manche Gelegen¬ 
heit lauert hier, daß der Arzt beim Einspritzen selbst ganz 
empfindliche Schmerzen macht. 

Vorwiegend jedoch gelten diese einschränkenden Be¬ 
merkungen für untere Molarzähne mit Periostitis. Einzel¬ 
heiten folgen später. 

Bei großer Besorgnis der Patienten pflege ich sie zu 
ersuchen, ein Plakat durchzulesen, auf welches ein Zei¬ 
tungsauschnitt geklebt ist, der den Inhalt eines vor einem 
Berliner Gerichtshof abgegebenen Gutachtens über 
schmerzloses Zahnziehen seitens eines Sachverständigen 
wiedergibt. Es lautet: 

Niemand sei in der Lage, unterschiedslos in allen 
Fällen absolute Schmerzlosigkeit beim Zahnziehen usw. zu 
versprechen. Die örtlich wirkenden Mittel Kokain usw. i 
seien wohl an sich geeignet, die Schmerzen erheblich herab- | 
zusetzen, auch in manchen Fällen die Schmerzempfindung 
vollständig aufzuheben. Ein bestimmter Erfolg könne aber 
niemals allgemein versprochen werden, da die anatomi¬ 
schen Verhältnisse besonders des Unterkiefers dem ent¬ 


gegenstehen, auch die Arzneien selbst nur in der durch 
die Maximaldosis gegebenen Menge Verwendung finden 
dürfen. Alle diese Örtlich anzuwendenden Mittel wirken 
zudem individuell verschieden, der Grad des Erfolges sei 
also schwer voraus zu bestimmen. Auch die allgemeine Be¬ 
täubung sei nicht geeignet, ein generelles Versprechen für 
absolute Schmerzlosigkeit zu rechtfertigen. Eine Narkose 
könne bekanntlich nicht gefahrlos bei jedermann ein¬ 
geleitet werden,.sie sei bei sehr schwierigen, lebensretten¬ 
den Eingriffen nicht zu umgehen, doch sei das Ausziehen 
von Zähnen zu letzteren nicht zu rechnen. Weiterhin könne 
aber auch besonders bei kurzdauernden, nicht sehr tiefen 
Narkosen der Patient erwachen, ehe der Eingriff beendet 
sei. In solchen Fällen werde ein Eingriff, wenn auch viel¬ 
leicht abgeschwächt, so doch immerhin schmerzhaft emp¬ 
funden. 

Die mit diesem Verfahren erzielte Wirkung war stets 
ausgezeichnet. Etwaige Erinnerungen an Schwindel¬ 
reklame wurden unschädlich gemacht, die Patienten gaben 
sich vertrauensvoll in Behandlung und verlangten nichts 
Unmögliches. Aufforderungen von Patienten zu einer Nar¬ 
kose lehne man ab mit der Begründung, daß eine solche, 
die immerhin todbringend sein könne, nicht mehr erlaubt 
sei aus u n b e g r ü n d e t e r Furcht vor großen Schmerzen 
bei einem sonst ungefährlichen Eingriff. Die Patienten - 
werden einer bestimmten Erklärung stets folgsam sein. 

Die nächste Frage lautet nun: darf man ohne jede 
Rücksicht auf Alter, Konstitution, etwaige Schwanger¬ 
schaft, Herzkrankheiten usw. einspritzen ? Diese Frage ist 
unbedenklich mit „ja“ zu beantworten, wenn man nur die 
ganz unerläßliche Vorsichtsmaßregel beobachtet, 
den Patienten stets sich noch vollzogener Einspritzung hin¬ 
legen zu lassen und dann und wann mit ihm zu plaudern, 
um ihn von Beobachtungen etwaigen Herzklopfens ab¬ 
zulenken. Zugleich kontrolliert man von Zeit zu Zeit den 
Puls. 

Ich habe Leuten in den 70 er Jahren sowie Patienten 
im Endstadium der Leberzirrhose (Periostitis nach Kalo- 
melkuren) mehrere Zähne auf einmal schmerzlos gezogen, 
andererseits auch Kindern von 7 Jahren. Letzteres tue ich 
allerdings nicht gerade gern. Kinder sind natürlich oft 
ängstlich. Sie machen keinen Unterschied zwischen einem 
kleinen und einem bedeutenden Schmerz, es fehlt ihnen die 
Einsicht, daß es vorteilhafter sei, einen Nadelstich zu er¬ 
tragen, als das Ausziehen eines Zahnes ohne Betäubung. 
So gebe ich dem Willen der Mütter nur dann nach, wenn 
das Kind einer Auseinandersetzung über das, was der Arzt 
tun muß, um einen großen Schmerz zu ersparen,- aufmerk¬ 
sam folgt. Kommen aber Tränen in die Augen, oder er¬ 
hebt das Kind den Arm gleichsam zur Abwehr, schreite 
ich zur sofortigen Operation, denn dieses Kind würde ein¬ 
fach beim Einstechen der Nadel den Kopf w egreißen und 
sich bei erneutem Versuch nur in immer größere Auf¬ 
regung hineinarbeiten. Bei verständigen Kindern steht 
der Anästhesierung nichts im Wege. Sie haben ein kräf¬ 
tiges Herz, die verbrauchten Mengen Kokain (eigentlich 
Kokain-Ischämingemisch, w T as ich nur noch verwende statt 
des reinen Kokain) sind nur gering w r egen des dünnen 
Kiefers und der kurzen Wurzeln. So zog ich einmal einem 
9 jährigen Knaben in einer Sitzung 5 Zähne mit zusammen 
2,5 cg Kokain und 5 Tropfen Ischämin in 1 proz. Lösung 
ohne die geringste Storung. 

Daß Schwangerschaft kein Hindernis bildet dürfte 
heutzutage als bekannt vorausgesetzt werden. 

Auch Fieberkranken, die außerdem noch von einem 
kranken Zahn geplagt werden, eiwveise man unbedenklich 
die Wohltat des schmerzlosen Ausziehens. 

Hier und da wird man Nervöse treffen, welche die 
lange Dauer der ganzen Vorbereitung usw. so erregt, daß 
man den Eindruck gewinnt, für diese Leute wäre es besser, 


Digit izi 


.Wi 





1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


589 


sie würden sofort ohne Betäubungsmittel mit möglichster 
Schnelligkeit operiert. Die Mehrzahl dieser Patienten ist 
aber bei einer neuen Operation viel ruhiger. Bei noch an¬ 
deren Nervösen, auch Männern, erlebt man es, daß trotz 
eingetretener Unempfindlichkeit der Kranke den Mund zu- 
macht, sobald die Zange angesetzt werden soll. Man mache 
ihn darauf aufmerksam, die kurze Zeit der Unempfindlich¬ 
keit verfliege, der Schmerz komme bald wieder, er müsse 
sich zur Operation entschließen. Folgt er dann nicht, so 
entlasse man ihn, ohne sich über seine Torheit zu erregen, 
weiteres ärgerliches Reden würde erfolglos bleiben. 

Vereinzelte mißtrauische Patienten lassen sich einen 
Zahn ziehen, um dann — wenn es nicht geschmerzt hat — 
die Extraktion eines zweiten zu verlangen. Man lehne das 
sofortige Ziehen mit dem Hinweis auf die neue erforder¬ 
liche Kokainmenge ab, wenn der — oder fast immer die 
Patientin — sich nicht als sehr widerstandsfähig gegen 
Kokain erwies. 

Nach diesen allgemeinen Vorbedingungen kommen wir 
nun zu den Einzelheiten der Technik. 

Zunächst: welches Instrumentarium ist nötig? Erstens 
die Extraktionsinstrumente. Sie müssen die Sicherheit 
bieten: 

1. Ueberhaupt jeden Zahn zu entfernen. Es darf nicht 
Vorkommen, daß der Arzt einen Zahn nicht heraus¬ 
bekommt, wenn er nicht gerade auf den ganz seltenen Fall 
eines Odontoms stoßen sollte. 

2. Der Zahn muß möglichst schnell und 

3. möglichst schonend entfernt werden. 

Infolgedessen ist es nicht gestattet, mit einer Uni- 

versalzahnzauge zu operieren, sondern man braucht eine 
Anzahl verschiedener Zangen. Das Unerläßliche ist fol¬ 
gendes: 

1. Für die Oberkiefer. 

a) Zwei Zangen nach Tomes für die zwei ersten 
Molaren. Dieselben Zangen bezüglich die gleich zu erwäh¬ 
nende Bajonettzange genügen auch für den Weisheitszahn. 

b) Eine mittelstarke Resektions-Bajonettzange. Mit 
derselben entfernt man alle übrigen Zähne des Oberkiefers, 
sowie alle Wurzeln. Zur Not kann man sie auch in aus¬ 
gedehnter Weise im Unterkiefer gebrauchen. 

c) Eine schmale Bajonettzange für eingeklemmte 
Wurzelstückchen oder für in der Tiefe abgebrochene Wur¬ 
zeln. Im allgemeinen ist aber zu raten, für Wurzeln die 
breitere Zange zu benutzen, wenn man auch das Zahnfleisch 
etwas weiter abhebt, weil man die Wurzeln doch beträcht¬ 
lich fester packt. 

2. a) Für den Unterkiefer bedarf man zunächst einer 
Zange in Habichtschnabel form für die molaren Zähne. 
Diese über die Kante gebogene Zange gestattet ein viel 
ruhigeres und zugleich kräftigeres Lockern der Mahl¬ 
zähne als eine über die Fläche gebogene. Eine Zange mit 
geraden Armen genügt für beide Seiten, da die Wange sich 
ohne weiteres genügend zurückziehen läßt. 

b) Eine Zange für Wurzeln der Molaren. Man wähle 
eine nicht zu schmale, denn erstens läßt sich damit sicherer 
fassen, und zweitens erfordert der feste Kiefer auch eine 
starke Widerstandsfähigkeit des Zangenmaules. Mit dieser 
Zange entfernt man auch sämtliche übrigen Zähne und 
Wurzeln des Unterkiefers. Ob das Maul dieser Zange sowie 
dasjenige der Bajonettzange entsprechend im Oberkiefer 
gerade genau sich au den Hals dieser Zähne anschließt, 
ist nicht so wichtig, weil sie alle verhältnismäßig leicht 
auszuziehen sind. Besitzt man Zangen, welche die schwie¬ 
rigsten Operationen vollenden, so ist es genug, für die 
übrigen Zahnextraktionen dient schließlich jede Zange. 

c*) Für die Weisheitszähne bedarf man noch mehrerer 
Zangen, besonders wenn Kieferklemme besteht. Sehr be¬ 
quem sind oft die Wurzelzangen nach W i t z e 1. Es ge¬ 
lingt damit sehr leicht, wenn durch den Mundsperrer nur 


um Fingerbreite die Zahnreihen vorn auseinandergebracht 
sind, den eingeklemmten Weisheitszahn zu erreichen. Diese 
Zangen sind auch sonst oft mit Vorteil zum Ausziehen von 
Unterkieferwurzeln zu verwenden. Man braucht eine für 
rechts, eine zweite mit entgegengesetzter Krümmung für 
links. _ 

d) Handelt es sich aber um einen sehr starken Kiefer 
und noch tiefverborgenen Weisheitszahn, so bedarf man 
noch einer sehr starken Zange. Sie muß über die Fläche 
gebogen sein. Einen besonderen Namen führt sie nicht, so 
daß ein jeder aus einem Katalog sie sich heraussuchen 
muß. Professor Buse h hat eine von ihm angegebene Mo¬ 
difikation als ultima ratio bezeichnet. Der Name sagt wohl 
schon genug. Nach ihrer Anlegung muß man sie, wenn 
keine Klemme hindert, noch möglichst kräftig mit auf 
dem Schloß liegenden linken Daumen hinabdrücken und 

; während des Zusammenpresens den Druck fortwirken 
lassen, damit sie möglichst tief am Kiefer sich einbeißt. 

e) Wenn nun auch schon für Wurzeln unterer Mo¬ 
laren uns zwei Zangen zur Verfügung stehen, rate ich doch, 
noch eine sehr kräftige Zange anzuschaffen und zwar nicht 
ein bloß stärkeres Exemplar nach dein Modell der ersten 
Wurzelzange. An den hinteren Teilen des Unterkiefers 
gleitet wegen des Leisten Vorsprunges die Zange sehr leicht 
ab, wenn sie am Zahn selbst wegen vorgeschrittener Zer¬ 
störung keinen rechten Halt mehr findet. Es ist daher 

! besser, noch eine zweite starke Zange zu haben, deren 
Maulbranchen unter einem anderen Winkel Zusammen¬ 
stößen, wie diejenigen der gewöhnlichen Wurzelzange. 
Am besten ist es, eine Art Resektionszange mit einem Maul 
ähnlich der Bajonettzange zu wählen, aber nur in Habicht- 
schnabelsteliung des Maules. Auch bei deren Verwendung 
muß man energisch den Druck mit dem linken Daumen 
zu Hilfe nehmen. Je nach dem Verhältnis der Winkel 
zwischen den Armen des Maules und demjenigen, unter 
welchem die labialen und lingualen Kieferknochenseiten 
bei einer gedachten Verlängerung Zusammentreffen wür¬ 
den, legt sich bald die eine, bald die andere Zange fester 
an. Bei Ausrüstung mit diesen Zangen kommt auf 2—300 
Molarzähnen höchstens einmal der Meißel zur Anwendung. 

3. Für Kinderzähne braucht man nur noch eine Zange 
für die zweiwnrzeligen Unterkieferzähne. Das für Er¬ 
wachsene bestimmte Exemplar ist oft zu breit. 

Andere Zahnzangen sind überflüssig, da die Kinder¬ 
zähne sämtlich leicht auszuziehen sind. 

4. Unerläßlich ferner ist ein Meißel nebst Hammer. 
Der Meißel muß an der Schneide eine Breite von 3—4 mm 
haben. Ein langer Griff ist empfehlenswert. Gebraucht 
wird er für die LTnterkieferwurzeln und für einen ver¬ 
irrten Zahn im Gaumen. 

ö.Geißfnß und V a y n a sehe Hebel sind ja viel in Ge¬ 
brauch. Ihre Anwendung bietet kaum einen Vorteil, wenn 
die Wurzel noch sichtbar ist. Die Vaynaschen Hebel können 
allerdings tief abgebrochene Wurzel aus den Alveolen 
herausholen. Medizinisch liegt dazu kein eigentlicher 
Grund vor, da ein steckengebliebenes Wurzelstückchen 
keine besonderen Erscheinungen macht. In den Augen des 
Patienten wird aber die Operation und damit der Operateur 
durch ein solches Ereignis herabgesetzt. ‘Es ist daher em¬ 
pfehlenswert, wenigstens einen schonenden Versuch noch 
zu machen, das fehlende Stückchen durch Heraushebeln 
mit dem Vayna ans Licht zu bringen. 

Zur Ausführung einer guten Einspritzung ist uner¬ 
läßlich eine tadellose Spritze. Sie muß schlank gebaut sein. 
Querstangen besitzen und absolut dicht sein. Modelle gibt 
es zahlreich, das einfachste ist aber das beste. Ich habe 
mir in eine der bekannten Metallspritzen einen Lederkolben 
machen lassen. Diese Spritze versagt nie. Zwar gilt der 
Lederkolben heute nicht für voll, weil er nicht ausgekocht 
werden kann. Benutzt man aber diese Spritze nie zu einer 



590 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 40 


Probepunktion, so kann tatsächlich keinerlei Unheil an- j 
gerichtet werden. 

Soll man nun allerlei krumme Ansätze anschrauben, j 
um an der lingualen Unterkieferseite hinten bequemer ein¬ 
spritzen zu können? Ich rate entschieden davon ab, ich j 
bin noch stets mit der einfachen Spritze fertig geworden. I 

Wie befestigt man die Nadeln auf dem Konus? Da 
oft unter sehr starkem Druck eingespritzt werden muß, so j 
kommt es anfangs leicht vor, daß plötzlich Nadel und , 
Spritze sich trennen, die Injektionsflüssigkeit spritzt | 
herum. Allein bald gewöhnt man sich, die Nadeln sehr i 
fest auf den Konus zu drücken, auch manchmal mit zw r ei j 
Fingern der linken Hand während des Spritzens selbst die 
Nadel dort festzuhalten. Nur Nadeln mit Metallhütchen | 
sind brauchbar, die Kautschukhütchen sind oft nicht 
gleichmäßig rund und schließen daher nicht dicht. 

Schwierig zu sagen ist, w T elclie Nummer der Nadeln 
man wählen soll. Am idealsten wäre die feinste. Der 
schnelle Einstich wird tatsächlich fast gar nicht gefühlt, 
aber erstens brechen diese feinen Nadeln sehr leicht, was 
immerhin den Patienten erschreckt, und zweitens verstop¬ 
fen sie sich sehr leicht, sogar während des Spritzens, erst 
recht in der Zwischenzeit des Lagerns, wenn man vergessen 
hat, einen Draht einzuführen. Endlich finden sich in diesen 
Nadeln nicht ganz selten seitliche Löcher, durch welche die 
Injektionsflüssigkeit heraustritt. Ich ziehe deshalb 
meistens die zweit feinste Nummer vor. Die dritte ist 
kaum noch erlaubt, da die Einstiche, besonders an der 
Gaumenseite, schon zu schmerzhaft werden, was beim 
,.schmerzlosen“ Zahnziehen doch nicht angeht. 

Die Spitzen dürfen nicht zu lang ausgezogen sein, 
sonst wird wiederum der Einstich zu lange dauernd 
schmerzen. 

Iridiumnadeln sind nicht zu gebrauchen, weil jede der 
feinen Nadeln nur bei 2—3 Zähnen Dienste tut. Ihre 
Lebensdauer ist zu kurz. 

Betreffs der Sterilisierung der Instrumente ist zu be¬ 
merken, daß eine einfache, mechanische Reinigung nie ge¬ 
nügt. Ich habe noch die Zeit durchgemacht, wo man so die 
Instrumente „reinigte“; bösartige Entzündungen der ge¬ 
quetschten Weichteile waren oft die Folge. Auskochen ist 
leicht gesagt, manchmal aber unbequem durchzuführen. 
Seit vielen Jahren lege ich die Zahnzangen (wie auch Spe- 
cula, geburtshilfliche Instrumente usw.) auf beliebig lange 
Zeit einfach in einen Kasten mit reinem oder etwas ver¬ 
dünntem Seifenkresol, welches ebenso gut wie das teure 
Lysol ist. Spült man sie alsdann in Wasser ab, trocknet sie 
mit einem reinen Handtuch und bewahrt sie in einem 
Glaskasten auf, so ist eine genügende Sterilisation tat¬ 
sächlich vorhanden, mag sie auch in bakteriologischer 
Hinsicht nicht strengsten Anforderungen genügen. Die 
Nadeln werden in einem Kästchen mit gleicher Lösung auf¬ 
bewahrt. Sie rosten nie! Ein Draht muß aber in die 
Lichtung eingeführt sein, sonst verstopfen sie sich leicht. 
Das Unangenehme an dem Lysol oder Seifenkresol ist der 
Geruch, sonst wäre diese Sterilisierungsart für den Prak¬ 
tiker das Ideal an Einfachheit und Zeitersparnis. Muß 
man zufällig eine Zange in derselben Sprechstunde noch 
einmal benutzen, so wasche man sie ah, trockne sie und 
halte sie dann solange über eine Flamme, wie man denkt, 
daß bei gleichem Verhalten mit einem Finger dieser 
tüchtig verbrannt sein würde. Der Stahl hat alsdann in 
der kurzen Frist noch nicht gelitten, ist aber sicher steril. 

A n m erku n g: Seit 14 Tagen liegen die Nadeln in 
einer Glasdose, gefüllt mit Seifen Spiritus. Bisher sind sie 
völlig rostfrei. Da ihre Lebenstage gezählt sind, werden 
sie vermutlich ihren Glanz bis zum Ende bewahren. Dann 
wäre dieses Sterilisierung- und Aufbewahrungsmittel für 
feine Nadeln dem Lysol oder Kresol vorzuziehen, weil jene 


Lösungen einen feinen Schlamm ablagern, durch welchen 
das ärgerliche Verstopftsein der Nadeln in erster Linie 
bewirkt wird. (Schluß folgt.) 


REFERATE. 

Pharmakologie. 

Referent: Privatdozent Dr. C. Bachem, Bonn. 

1. Gesichtspunkte für die Einführung des Extraetum Digi¬ 
talis depuratum. Von Hoepffner. Münch, med. Wochen¬ 
schrift, 1908, Nr. 34. 

2. Ein Fall von Broniisnins. Von H a n k e 1 n. Zeitschr. f. 
Psychiatr., Bd. 65, S. 366. 

3. Ein interessanter Fall von Chininintoxikaüon. Von Sa¬ 
lomen. Münch, med. Woehensehr., 1908, Nr. 34. 

1. Da die Anwendung der Digitalisblätter und ihrer gale- 
nischen Präparate vor den chemisch rein dargestellten Glyko¬ 
siden der Pflanze immer noch von den Praktikern vorgezogen 
wird, hat die Firma K n o 1 1 & Co. in Ludwigshafen auf An¬ 
regung von R. Gottlieb (Heidelberg) ein gereinigtes Digi¬ 
talisextrakt hergestellt. Bei seiner Darstellung werden alle 
chemischen Eingriffe vermieden, die zersetzend auf die wirksamen 
Stoffe einwirken. Fast die Gesamtheit dieser Substanzen ist in 
das Extrakt übergegangen. Die Einstellung des Präparates er¬ 
folgt so, daß (die Einzeldosis 0,1) der Wirkungsstürke von 0,1 g 
stark wirkender Digitalisblätter entspricht. Verf. kommt zu den 
Schlüssen, daß dem Extraetum Digitalis depuratum eine zuver¬ 
lässige und prompte therapeutische Wirkung zukommt. Die 
Wirkung auf Puls (Qualität und Freqenz) und Diurese tritt 
relativ schnell ein. Mit 0,4 g Digipuratuni (wie das Extrakt der 
Einfachheit halber genannt wird) erreicht man in 24 Stunden 
Wirkung, mit 0,3 g kann man in den folgenden 2 Tagen den 
Effekt erhalten, mit 0,2 g, noch einige Tage weiter gegeben, eine 
vollständige Digitalisierung erreichen. Das Digipuratuni scheint 
den Magen weit weniger zu stören, als eine in Bezug auf den 
therapeutischen Erfolg gleich energische Kur mit Digitalis¬ 
blättern. In den angeführten Fällen traten nennenswerte Neben¬ 
erscheinungen seitens des Magens nicht auf. Es gelingt mit dem 
gereinigten Extrakt leichter als mit den inkonstant zusammen¬ 
gesetzten Digitalisblättern energische Digitaliskuren durch¬ 
zuführen, ohne daß sich Vergiftungserscheinungen durch Kumu¬ 
lation geltend machen. Solche energische Digitaliskuren sind 
nach H. der Prüfstein für ein gutes Digitalispräparat. 

Verf. hält sich für berechtigt zu sagen, daß das Extraetum 
Digitalis depuratum alles das leistet, was man von einem guten 
Digitalispräparat verlangen kann. 

2. Es handelte sich um eine 49 jährige Kranke mit epilep¬ 
tischen Anfällen, die nach einer Pause von einigen Dezennien 
wieder auftraten und den Gebrauch großer Mengen Bromkalium 
notwendig machten. Alsbald zeigten sich Erscheinungen von 
Bromismus: Sprach- und Schriftstörungen, Verwirrtheit, Schlaf¬ 
losigkeit, wenig Appetit und Halluzinationen; dazu gesellte sich 
Störung der Merkfähigkeit. Die Pupillen reagierten träge, Kon- 
junktival-, Korneal- und Rachenreflex waren abgeschwächt., die 
Patellarreflexe gesteigert, der Harn enthielt viel Brom. Nach 
Aus 3 etzen des Broms war ein Zurückgehen der Vergiftungs¬ 
erscheinungen zu konstatieren. Verfasser bespricht.- dann die 
Fiage des Entstehens des Bromismus, indem er kurz auf die 
Untersuchungen von Laudenheime r, Hoppe, Kunkel 
u. a. eingeht, wonach das Brom in erheblicher Menge im Körper 
aiifgespeichert wird (Bromdepots), im Blute an Stelle des Chlors 
tritt und so der Organismus lange Zeit unter Bromwirkung ge¬ 
halten wird. Nach H. ist der Bromismus, wenigstens die 
schwereren Formen desselben, eine seltene Erkrankung und steht 
die Zahl der Vergiftungsfälle im Gegensatz zu der enormen 
Menge Bromkalium, die täglich in allen Kulturstaaten ver¬ 
braucht- wird. 

3. Eine Kranke mit Lupus erythematosus hatte zur Heilung 
ihrer Krankheit im ganzen 18 g salzsaures Chinin genommen, 
ohne Beschwefden wahrzunehmen. Wegen eines Rezidivs sollte 
wieder Chinin gegeben werden; schon nach dem ersten Pulver 
klagte sie über Uebelkeit, Brechreiz und Ohrensausen. Nach 
einer weiteren Dosis von 0,15 g war das Gesicht gedunsen, stark 




UNIVtWall V Uh MILHIbAN 





THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


591 


1908 


ödeinatös, Blutungen im Gesiebt (im Verlaufe des Lupus) und 
in die Bindehaut, sowie Purpura haeinorragica der Beine. Im 
Vordergrund des Krankheitsbildes standen Atemnot, Blutbrechen, 
blutige Durchfälle, Hämaturie und Schleimhautblutungen. 

Styptica und Analeptica brachten in wenigen Tagen Heilung: 

Besonders lehrreich ist dieser Fall dadurch, daß eine er¬ 
worbene Idiosynkrasie vorlag, da die Patientin das Mittel früher 
besser vertragen hatte und sonst eine allmähliche Angewöhnung 
an Chinin bekannt ist. Merkwürdig war sodann die außer¬ 
ordentliche Schwere der Vergiftung auf eine Gabe von nur 
0,45 g in 24 Stunden. 


Radiotherapie. 

Referent: Dr. H. E. Schmidt, ehern. Oberarzt am Universitäts 
Institut für Lichtbehandlung, Perlin. 

1. Aktinotherapie mit Kosmetik. Von Dr. G. J. Müller. 
Med. Klinik, 1908, Nr. 35. 

2. Radiuinenianation als Heilfaktor. Von Dr. Felix 
Davidsohn. Deutsche med. Wochenschrift, 1908, 17. Sep¬ 
tember. 

3. Ueber den Einfluß der Fulgiiration auf die Lebensfähig¬ 
keit von Zellen. Von T h. v. W a s i 1 i e w s k i und L. H i r s c h- 
f e 1 d. Münch, med. Wochenschrift, 1908, 15. September. 

4. Phototlicrapie. Von Dr. H. E. S chmi d t. Zeitschrilt 
für neuere physikal. Medizin, 1908, Nr. 17. 

1. Der Verfasser empfiehlt die Röntgenbehandlung bei der 
Seborrhoea oleosa, der Hyperhidrosis, bei hart¬ 
näckigen Fällen von A k n e, bei Folliculitis nodosa 
und Acnekeloid. 

Auch das seborrhoische Ekzem, die Psoriasis 
und chronische Ekzeme bilden dankbare Objekte für die 
Röntgenbehandlung, die eventuell auch beim Angiom versucht 
werden kann, während bei den flachen N aevi vasculosi das 
Radium, die F i n s e n 1 a m p e oder die Quarzlampe in 
Frage kommen. 

Auch Molluscum cotagiosum und Verrucae 
lassen sieh durch Röntgenbestrahlung beseitigen. 

Der Warnung des Verfassers von der Bestrahlung „verhorn¬ 
ter Warzen“ an den Händen kann Referent nicht beistimmen; 
auch diese Warzenform reagiert meist prompt auf Röntgen¬ 
bestrahlung, mitunter sogar besser als die weichen juvenilen War¬ 
zen; auch eine Dermatitis ersten Grades ist an den Händen un¬ 
bedenklich. 

H y perhidrosis soll nur in sehr ausgedehnten, beson¬ 
ders entstellenden Fällen mit Röntgenstrahlen behandelt werden; 
bei Peru ionen wirkt Röntgenbestrahlung recht günstig, be¬ 
sonders kommt hier der schmerz- und juckreizlindernde Einfluß 
zur Geltung. 

Die Quarzlampe kommt für die Behandlung des Lupus 
erythematodes und der Alopecia areata in Betracht. 
Zur Röntgenbestrahlung der Tricliorrhexis nodosa, die 
vom Verfasser und anderen Autoren gleichfalls empfohlen wird, 
hat sich Referent inn Anbetracht der Unsicherheit des Erfolges 
bisher noch nicht entschließen können. 

2. Der Verfasser hat ca. 100 Fälle von chronischem 
R heumatismusundNeuralgien mit emanations¬ 
haltigem Wasser behandelt. Es wurde immer mit 
einer Trinkkur begonnen, und nur in den Fällen, in welchen 
der Erfolg nicht befriedigte, auch eine Badekur ange¬ 
wandt. Das Wasser wurde von den Apparaten der Radiogen- 
G esell schaft geliefert. Trotzdem die Resultate laut Ta¬ 
belle recht günstig zu sein scheinen, muß man sich doch immer 
vergegenwärtigen, daß cs sich bei „Muskelrheumatismus“ und 
„chronischen Gelenkrheumatismen“ um Erkrankungen handelt, 
die zeitweise spontan erhebliche Besserungen des Zustandes zei¬ 
gen. Außerdem ist es zwar sehr bequem, aber m. E. doch nicht 
zulässig, jede Verschlechterung als „Reaktion“ aufzufassen. We¬ 
gen derartiger Verschlimmerung mußte in 5 Fällen die Kur ein¬ 
gestellt werden. Referent steht trotz aller bisher veröffentlichten, 
anscheinend günstigen Resultate der Heilwirkung des ema- 
nationslialtigen Wassers nach wie vor sehr skeptisch gegenüber. 

3. Die Verfasser haben Bakterien und Amöben ful- 
guriert und konstilieft, daß gutentwickelte Kulturt*n durch 15 
bis 30 Minuten dauernde Beblitzung nicht abgetötet werden, da¬ 


gegen sind frisch ausgesliichene Kulturen weniger widerstand? 
fähig. 

Geschwulstzellen des Mäusekrebses erwiesen sieh sowohl in 
vitro als in situ gleichfalls sehr resistent gegen die Fulguration. 
die Ueberimpfung glückte meist trotz der Fulguration, in drei 
Versuchen sogar besser als ohne Beblitzung. Vergleichende Ver¬ 
suche mit Radium- und Röntgenstrahlen, auf welche am Schlüsse 
kurz hingewiesen wird, haben nach Ansicht des Referenten nur 
dann Wert, wenn man die den genannten Strahlen eigentümliche 
Latenzzeit berücksichtigt, die bis zum Eintritt der Wirkung ver¬ 
geht. Wenn man also unmittelbar nach einer Röntgenbestrah¬ 
lung mikroskopisch oder durch Impfversuche keine Schädigung 
der Zellen, keine Abnahme ihrer Vitalität nachweiseD kann, so ist 
damit gar nichts gesagt. Wir wissen, daß z. B. Spermatozoen 
stundenlang unverletzt bleiben und trotzdem nicht befruchtungs¬ 
fähig sind. 

4. Ueberblick über den gegenwärtigen Stand der Lichtbehand¬ 
lung, über die Anwendungsgebiete der Einsen-, Quecksilber¬ 
licht- und Glühlicht-Apparate: nur bei den beiden erstgenannten 
Lichtquellen sind die „chemischen“ Strahlen das wirksame Agens, 
beim Glühlicht dagegen die ,,Wärme“-Strahlen; die Sonnenbäder 
nehmen eine Mittelstellung ein. Die Indikationen sind verschie 
den, je nach der wirksamen Strahlenart. 


Augenheilkunde. 

Referent: Privatdozent Dr. G. Abelsdorff, Berlin. 

1. Uebrr Behandlung der Blennorrhoea neonatorum mit 

Rindersermn. Von W. Gilbert. Münch, med. Wochenschr., 
1908, Nr. 30. 

2. Weiterer Beitrag zur Kenntnis der Schädigung des Auges 
durch ultraviolettes Licht. Von Birch-Hirscbfeld. Zeit¬ 
schrift f. Augenheilkunde, Bd. 20. Heft 1. 

3. Kurzer Bericht über die in der Berliner Universitäts- 
Augenklinik gemachten Erfahrungen mit Deutschmannschein 
Heilserum. "Von 0. N a p p. Zeitschr. f. Augenheilk., Bd. 20, 
Heft 1. 

4. Beitrag zur Deutschmannsehen Serumtherapie. Von W. 

Zimmermann. Ophthalmolog. Klinik, 1908, Nr. 13. 

1. In der Münchener Universitäts-Augenklinik hat man die 
Versuche Moros und Mandelbaums, eitrige Prozesse mit 
frischem Rindersermn zu behandeln, auf die Augenblennorrhoe 
des Neugeborenen in der Weise angewandt, daß man in 8 Fällen 
alle 2 Stunden den Konjunktivalsaek mit Rinderserum ausspülte. 
In zwei bis drei Wochen trat fast ohne jede Anwendung von 
Silberpräparaten Heilung ein. Mikroskopisch war nach der Aus¬ 
spülung eine erhöhte Phagozytose den Gonokokken gegenüber 
(durch Opsonine des Rinderserums) zu beobachten. G. empfiehlt, 
die Ophthalmoblennorrhoe nicht lediglich mit Serumspülungen 
zu behandeln, aber statt der bisher üblichen Spülungen mit 
leichten antiseptischen Lösungen Rinderserum zu benutzen und 
mit der Silbertherapie zu kombinieren. 

2. Birch-Hirsehfeld hat in 5 Fällen nach länger 
dauernder Beschäftigung an der au ultravioletten Strahlen 
reichen Quecksilberdampflampe (Uviollampe, Heraeuslampe) neben 
konjunktivaler Reizung eine Störung der Netzhautfunktion beob¬ 
achtet, die sich in Form eines vorwiegend perizentralen Skotoms 
für Kot und Grün bei voller Sehschärfe und normalem Augen¬ 
befund geltend machte. 

Nur in zwei Fällen war der zentrale Farbensinn im Sinne 
einer Herabsetzung der Rot-Grün-Empfindung beeinträchtigt. 
Das Farbenskotom bildete sich im Laufe mehrerer Wochen (bei 
geeigneter Schutzbrille auch bei fortgesetzter Arbeit im Uviol- 
licht) zurück. Verf. verlegt die anatomische Läsion in die Netz¬ 
haut. Wenn auch der Anteil der leuchtenden Strahlen für die 
Störung nicht auszuschließen ist, so wirken doch wohl die 
ultravioletten Strahlen mit. 

Die Beobachtungen fordern zu einem Schutz der Augen aller 
derjenigen Personen auf, die längere Zeit in direkter Nähe von 
Lampen zu arbeiten haben, die intensives, an ultravioletten 
Strahlen reiches Licht ausstrahlen. Da nach unseren heutigen 
Kenntnissen gerade die kurzwelligsten Strahlen das Auge schä¬ 
digen, dürften im allgemeinen Muschelschutzbrillen aus gewöhn¬ 
lichem Glase ausreichen, für besondere Fälle Schutzgläser und 
Lampenglocken aus Glas von hohem Absorptionsvermögen für 
Ultraviolett (Schwerflintglas, Euphosglas) sich empfehlen. 




592 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 40 


3. In der Berliner Universitätsaugenklinik wurden 15 Pa¬ 
tienten mit infektiösen Augenerkrankungen, besonders Pneuinö- 
kokkeninfektion mit Deutschmann schein Heilserum be¬ 
handelt. Abgesehen von harmlosen Exanthemen wurde zwar 
keine Schädigung beobachtet, ebenso wenig konnte aber ein hei¬ 
lender Einttuß konstatiert werden, vielmehr nahmen die Erkran¬ 
kungen den den klinischen Erfahrungen entsprechenden Verlauf 
ohne jede Abkürzung der Krankheitsdauer. Es wurde daher vor¬ 
läufig von der weiteren Verwendung des Mittels Abstand ge¬ 
nommen. 

4. Zimmermann kann diesem abfälligen Urteil auf 
Gruud seiner Beobachtungen nicht beistimmen, er hat eine An¬ 
zahl von Augenverletzungen, infektiösen Eiterungen, typischem 
Ulcus serpens, Infektionen nach operativen Eingriffen und einen 
Fall von sympathischer Ophthalmie mit Deutsch man ns 
Hefeserum behandelt und kommt zu dem Schlüsse, daß man selbst 
bei sehr vorsichtiger Beurteilung das Hefeserum nicht als wir¬ 
kungslos ad acta legen dürfe, sondern bei der absoluten Unschäd¬ 
lichkeit des Mittels ausgiebigen Gebrauch von demselben machen 
müsse Einer ausgedelmetcn Anwendung stellt noch der hohe 
Treis des Serums im Wege. 


Lungenkrankheiten. 

Referent: Dr. Ernst Meyer, Charlottenburg, Assistent an der 
Kgl. Universitätspoliklinik für Lungenleidende zu Berlin. 

1. Erfahrungen mit Marmoreks Antitubcrkuloseserum. Von 

C. Damanski und G. G. W i 1 e n k o. Medizinische Klinik, 
1908, Nr. 36, S. 1379. 

2. Ueber Tuberkulintherapie. Von M. John. Therapie 

der Gegenwart, September 1908, S. 387. 

3. Die operative Brustwand-Lungettmobilisicrung (Pneumo- 
lysis) zwecks Behandlung einseitiger Lungenphthisc. Von P. L. 

F r i e d r i c li. Medizinische Klinik. 1908, Nr. 33, S. 1258. 

Damanski und W i 1 e n k o wandten das Marmorek- 
sclie Antituberkuloseserum bei fünf Patientinnen an, hatten aber 
in keinem Falle eine Heilung zu verzeichnen. In zwei Fällen trat 
eine ganz geringe Besserung ein, in den übrigen 3 Fällen eine 
deutliche Verschlechterung des Leidens, die vielleicht auf die , 
Anwendung des Serums zurückzuführen war. Da bei der Anwen¬ 
dung auch sonst unangenehme Nebenwirkungen eintraten, sahen 
die Verfasser von der weiteren Anwendung des Mittels ab. 

2. Verfasser wandte bei ca. 100 Fällen von Tuberkulose die 
Koch sehe Bazillenemulsion an und sah hierbei in einer großen 
Anzahl von Fällen eine erhebliche Besserung eintreten. Die Mi߬ 
erfolge anderer Autoren führt er darauf zurück, daß diese Autoren 
mit den Dosen zu schnell gestiegen seien. Je langsamer man 
mit der Dosis steige, um so besser würde die Kur von den Pa¬ 
tienten vertragen. Nur bei hoch fiebernden vorgeschrittenen Fällen 
sei ein rascheres Vorgehen am Platze. Außer der Pieberreaktion 
müssen alle anderen sog. lokalen Reaktionen wie erhöhte Puls¬ 
frequenz, Kopfschmerzen, vermehrter Husten, Hämoptoe etc. etc. 
berücksichtigt werden. Akute Erkrankungen, z. B. Angina, ge¬ 
bieten Unterbrechung der Kur, während die Menses außer Be¬ 
tracht gelassen wurden. Verfasser steht auf dem Standpunkt, 
daß die Kur wenigstens in ihrem ersten Teile in einem Kranken¬ 
hause vorgenommen werden müsse und nicht ambulant zu¬ 
lässig sei. 

3. Wenn man auf den Standpunkt gekommen war, daß 
die chirurgische Behandlung der kavernösen Phthisen un¬ 
zweckmäßig sei. so bat sich diese Ansicht in neuester Zeit wieder 
geändert. Friedrich ging von dem Standpunkt aus, daß es 
in der Hauptsache auf die Schrumpfung der Kavernen ankomme. 
Er sucht dies bei einseitigen Phthisen dadurch zu erreichen, daß 
er auf der erkrankten Seite die Rippen in großer Ausdehnung 
resezierte und die Pleura eostalis loslöste, wobei er jedoch streng 
darauf achtete, daß die Pleurahöhle nicht verletzt wurde, um 
mit der Operation den Atmosphärendruck auf die erhaltene Pleura 
eostalis und nicht auf die Lunge selbst wirken zu lassen. Die 
Erfolge waren so gute, daß Verfasser rät, bei schweren an¬ 
scheinend aussichtslosen Fällen fortschreitender einseitiger 
Lungenphthise bei noch leidlichem allgemeinen Kräftezustand 
des ganzen Körpers den operativen Eingriff der Pneumolyse zwecks 
Lungenschrumpfung zu versuchen. 


Magen-, Darm- und Stoffwechselkrankheiten. 

Referent: Spezialarzt Dr. M. Pickardt, Berlin. 

1. Zur Behandlung der Gicht. Von Dr. Falkenstein. 
BerL klin. Woehensehr., 1908, pag. 1649 ff. 

2. Ein Beitrag zur Frage der Haferkur. Von Dr. v. 
W e 8 t e n r i j k. Wiener klin. Woehensehr.. 1908, pag. 1265. 

3. Aperitol. Ein schmerzloses Abführmittel. Von Prof. 
II a in m e r und Dr. V i e t h. Med. Klinik, 1908, ]>ag. 1410. 

4. Sind Gallensteine in der Galle löslich und läßt sieh die 
Lösungsfähigkeit der Galle durch Medikamente (Chologcn) stei¬ 
gern? Von Prof. A. L ö w y und Dr. Glase r. Korrespondenz¬ 
blatt für Schweizer Aerzte, 1908. Nr. 12. 

1. Verf., welcher schon seit Jahren für die Behandlung der 
chronischen Gicht mit größeren Dosen von Salzsäure eintritt — 
cf .auch Referate über dieses Thema in dieser Zeitschrift —, 
warnt davor, etwaige Anfälle, welche im Verlauf der Behandlung 
eintreten sollten, als Mißerfolg zu deuten; sie sind vielmehr so 
zu deuten, daß die alten Harnshuredepots durch die Medikation 
erst, nach Jahren, -wenn überhaupt, angegriffen werden und natür¬ 
lich, solange sie eben bestehen, Anfälle machen können, während 
die Salzsäure nur bestimmt und imstande ist, die Bildung neuer 
Niederschläge zu verhindern. 

F. glaubt aber jetzt ein Mittel gefunden zu haben, welches 
imstande ist, auch die alten Niederschläge aufzusaugen und diese 
wirksam zu bekämpfen, so daß diese bis jetzt in der Gicht¬ 
therapie vorhandene Lücke geschlossen wäre. Dieses Mittel ist 
das Jod, das sich aber wegen der Intoleranz der meisten Pa¬ 
tienten in den bisherigen Formen nicht als praktikabel erwies; 
eine solche fand F. nunmehr im Jodglidine, einer — organischen 

— Verbindung von Jod mit einem Pflanzeneiweiß, welches auch 
als Nährpräparat Verwendung findet. Dieses Jodpräparat macht in 
den gewöhnlichen Dosen keinen Jodismus und hat einige Eigen¬ 
schaften — Vermehrung der Stickstoffausscheidung; es entzieht 
dem Körper Alkalien, indem es ihn als Alkaliverbindung verläßt 

— Welche „bei der Gicht heilsam wirken müssen“. 

F. hat eine solche günstige Wirkung an sich und anderen 
Gichtikern beobachtet, welche, sich auf Appetit, Verdauung, 
Schweißabsonderung und Schlaf bezieht. Bezüglich der Durch¬ 
führung der Behandlung werden folgende Vorschriften gegeben: 
Zunächst eine einmalige Kur von 4 Röhrchen ä 20 Tabletten : vom 
ersten Röhrchen täglich 2 Stück: nach dem ersten Frühstück und 
zum Nachmittagskaffee je eine; von den übrigen Röhrchen nur 
eine Tablette täglich nachmittags. Bei angegriffenem Magen nur 
halbe Tabletten, eventuell mit tagelangen-Pausen, um beim Gicht¬ 
anfall bis auf 3 Tabletten zu steigen. Im Anfall gibt F. Jod aber 
lieber als Jodipin per injectionem: 10 ccm mit der Serumspritze, 
erwärmt, mit weiter Kanüle in das in der Nähe des erkrankten 
Gelenkes befindliche lockere Zellgewebe; nebeuher eventuell 
Morphium. 

2. Durch von N o o r d e n ist in die Therapie des Diabetes 
«lie sogenannte Haferkur eingeführt worden, d. h. die periodische 
Ernährung Zuckerkranker — mittelschwerer und schwerer, be¬ 
sonders letzterer, d. li. solcher, welche Neigung zu Azidosis i, e. 
Bildung von Azetonkörpern haben — mit pro die 200—250 g 
Hafermehl mit Zusatz von Eiweiß in Form von Roborat oder 
dergl. Trotz so großer Mengen von Kohlenhydraten sank in den¬ 
jenigen Fällen, die darauf, reagierten — die aber durchaus die 
Minderzahl aller bilden, lief. —, nicht nur die Quantität der im 
Harn ausgeschiedenen Kohlenhydrate, sondern auch des Azetons, 
ähnlich der Wirkung der Hungertage (N a u n y n) oder der Ge¬ 
müsetage (von Noorden). Die Untersuchung des Verf. 
beweist zahlenmäßig, daß es sich um eine quasi spezifische Wir¬ 
kung des Hafermehls handelt, da unter gleichen Bedingungen 
den gleichen Versuchspatienten gegebene Mengen Weizenmehl 
diesen Effekt nicht hervorbrachten. (Es liegen Versuche von 
anderer Seite vor, die zu beweisen scheinen, daß sogar die verschie¬ 
denen Sorten Hafermehl different wirken, lief.). 

3. Um die laxative Wirkung des bewährten Phenolphthaleins 
mit einer sedativen zu verbinden, wurde dasselbe mit Valerian- 
siiure gekoppelt, und zwar derart, daß es den Magen passiert und 
erst im Darm zerfällt. Dieses Mittel — nom de guerre: Aperitol 

— wurde nach vorhergehenden Tierversuchen, welche seine Un¬ 
schädlichkeit erwiesen, bei akuter und chronischer Obstipation 
gegeben; es zeigte sich, daß das Präparat beiden Indikationen ge¬ 
recht wurde.. Es kommt in der Dosierung von 0,2 als Frueht- 
geleebonbon in den Handel. 

(lief, kann die gleichmäßige und sichere, sowie schmerzlose 







1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


693 


Wirkung nach mehrmonatigen Versuchen an seiner Poliklinik 
bestätigen.) 

4. Das unter dem Namen Chologen bekannte Kompositum 
mehrerer immer noch geheim gehaltener Pharmaka hat neben 
vielen Freunden auch viel Gegner gefunden, welche den von 
(1 laser — dem intellektuellen Autor — behaupteten Effekt bei 
Oholej^ystitis und Cholelithiasis leugneten. (lief, schließt sich 
aui Grund von 45 genau beobachteten und peinlich nach den Vor¬ 
schriften Glasers behandelten Füllen unbedingt den letzteren 
an.) L. hat durch sinnreich angestellte Versuche bewiesen, daß 
bei Gallensteinkranken — nach der Operation! — die Menge der 
abgeschiedenen Galle und ihr Lösungsvermögen durch Chologen 
Nr 1 und 2 gesteigert werden. Wenn aber im Iiesume der Publi¬ 
kation von G. — daraufhin geschlossen wird, daß das, „zu einer 
Besserung bez. Heilung unkomplizierter Fälle führen kann in 
dem Sinne, daß keine Weiter- bezw. Neubildung von Steinen zu¬ 
standekommt“, so trifft das insofern nicht den Kern der Sache, 
als es in der übergroßen Mehrzahl der Fälle klinisch überhaupt 
nicht auf die Steine, sondern auf die Entzündung ankommt. Ab¬ 
gesehen davon sind die Gewichtsabnahmen, welche die Steine — 
extra corpus — durch die Chologengalle erfahren haben, so mi¬ 
nimal, daß wohl mehr als e i n Menschenleben dazu gehören 
würde, um den Inhalt einer steinerfüllten Blase intra eor- 
p u s zur völligen Lösung zu bringen. 


Militiinnedizin. 

Referent: Generaloberarzt a. D. Dr. M. Peltzer. Steglitz. 

1. Ein Fall von Pneuniokokken-Peritonitis. Von Ober¬ 
stabsarzt Dr. K o 1 o m a n G ö m ö r v. Der Militärarzt, 1908. 
Nr. 15. 

2. Beitrag zur Troiumlerlälimung und deren Behandlung. 

Von Stabsarzt Dr. W ü r th v. W ürthenau- Wiesbaden. 
Deutsche militärärztliche Zeitschr., 1908, lieft Iß. 

3. Ueber Schrapnellverletzungen. Von Marine-Oberassistenz- 
Oizt Dr. S c he e 1. Ibidem, Heft 15, S. 633. 

4. Rückblick auf 1Ü0 Operationen wegen Erkrankung des 
Wurmfortsatzes. Von Stabsarzt Dr. I) erlin. Ibidem, S. 641. 

5. Improvisation der Feldtrage aus einem Zeltblatt. Von 
Reg.-Arzt Dr. T h. R u h i g, Chefarzt des Inf.-Rcg. Nr. 34. Der 
Militärarzt, 1908, Nr. 16. 

0. Die neue Offizicrsgamasclic als TJniversalsehiene. Von 
Stabsarzt Dr. J u 1. Iv a u f m a n n. Deutsche militärärztl. Zeit¬ 
schrift, 1908, Heft 16. 

1. Das Wesentliche an dem von Oberstabsarzt Gömöry 
veröffentlichten Fall von Pneumokokkenperitonitis bei einem Sol¬ 
daten war seine bakteriologische Seite, insofern es sich dabei um 
das extrapneunionale Vorkommen des F r ä n k e 1 sehen Pneumo¬ 
kokkus (Djplococcus pneumoniae nach W eichseibau m) ban¬ 
delt. der von einer Pneumonie ganz unabhängig einmal in der 
Bauchhöhle und sodann im Pharynx zur Entstehung eitriger Ent¬ 
zündungen geführt hatte. Feber die Art dieser Entstehung 
ließen sich nur Vermutungen aufstellen. 

2. Die erste ausführliche Arbeit über Trommlerlähmung 
war unseres Wissens die 1891 erschienene Inauguraldissertation 
von v. Zand e r, der, als Referent Regimentsarzt des 2. Garde- 
Regiments zu Fuß in Berlin war. u. a. auch bei diesem Material 
sammelte. Seitdem wurde die Daumenerkrankung — denn um 
eine solche handelt es sich — gewöhnlich als Extensorenlähmung, 
Trommlerlähmung ,Trommlersehne bezeichnet und als richtige 
Lähmung einzelner Muskeln oder Muskelgruppen angesehen, bis 
Düms 1896 darauf hinwies, daß im allgemeinen wohl häufiger 
eine Erkrankung der Sehne (des langen Daumenstreckers) als des 
Muskels vorliegt. C z e r n y und Stendel stellten dann in den 
von ihnen operierten Fällen eine Zerreißung der Sehne des linken 
langen Daumenstreckers infolge angestrengten Trommeins fest, 
und diese scheint denn in der Tat auch häufiger vorzukommen 
als die des gleichnamigen Beugers. Verfasser sah unter 62 be¬ 
züglichen Fällen nur 3 der letzteren Art und unterzieht eineli 
davon, der operiert war, einer eingehenden Besprechung. 

3. Verletzungen durch Stahlschrapnells (nach ihrem Erfin¬ 
der, dem englischen Oberst S h r a p n e 1 1, mit Bleikugeln gefüllte 
Ilohlgesehosse, die meist schon in der Luft platzen — Granaten 
platzen beim Aufschlagen—) kommen im Frieden begreiflicher¬ 
weise nur ausnahmsweise vor; am 21. IX. 07 explodierten jedoch 


auf dem Artilleriedepot zu Wilhelmshaven 20 Schrapnells und 
brachten Verwundungen hervor, wie sie ein Zukunftskrieg wahr¬ 
scheinlich in Masse bringen wird. Die Beschreibung und Ver¬ 
öffentlichung der dadurch herbeigeführten Verletzungen durch 
den Verfasser ist daher von allgemeinem kriegschirurgischen In¬ 
teresse. 

4. Auf den yon Stabsarzt Der 1 i n veröffentlichten Rück¬ 
blick auf 100 Operationen wegen Erkrankung des Wurmfortsatzes 
kann hier nur hingewiesen werden. Er bildet eine wertvolle Er¬ 
gänzung der bezüglichen Statistik überhaupt. Ausgeführt wur¬ 
den die Operationen in den Garnisonlazaretten Thorn und Magde¬ 
burg sowie in einzelnen Lazaretten des 17. und 4. Armeecorps an 
Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften (mit 6 Todesfällen), 
davon innerhalb der ersten 48 Stunden 22 mit 2 Todesfällen, 
19 im intermediären Stadium mit 4, im anfallsfreien Stadium 
52 ohne Todesfall. 

5. und 6. Regimentsarzt Dr. Ruhig und Stabsarzt Dr. 
Kaufmann liefern gleich zwei neue Beiträge zu der für den 
Sanitätsoffizier namentlich im Felde so wichtigen Improvisations¬ 
technik: ersterer stellt aus einem Zeltblatt eine Feldtrage, letz¬ 
terer aus der neuen Offiziersgamasche eine Universalschiene her. 
I)a ein Referat ohne Abbildungen jedoch nicht verständlich sein 
würde, so soll hier nur darauf aufmerksam gemacht werden. 


Mitteilungen über Arzneimittel. 

Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. Atoxyl als Tonikmn. Von Dr. Schach t. Med. Klinik, 
1908, No. 37. 

2. Ein Beitrag zur Behandlung der Blutarmut lind Nerven¬ 
schwäche mit Hämatose und Arsen-Hämatose. Von Dr. Neu¬ 
bauer. Oesterfeidi. Aerzte-Zeitung. 1908, Nr. 16. 

3. Einiges über Europäern Von Dr. Meißner. Berl. 
klin. Wochenschrift, 190S, Nr. 35. 

4. V erfasser wendet das Atoxyl seit 5 .1 ahren systematisch als 
Tonikum und Roborans an und war mit den Erfolgen stets zu¬ 
frieden. Er wandte das Mittel intramuskulär an und benutzte als 
Einstichstelle die Glutäalgegend. Niemals hat er lokale Reizun¬ 
gen oder Abszedierungen gesehen. Die intravenöse Anwendung 
des Atoxyls hält Verfasser nicht für einen wesentlichen Vorteil; 
über die Darreichung per os fehlen ihm Erfahrungen. Für den 
Injektionsgebrauch wandte er die kleinen Ampullen an, die bei 
sicherer Sterilisierung eine Zersetzung ausschließen sollen, und 
zwar analog einer Arsenikkur in steigenden und fallenden Dosen, 
also etwa nach dem Schema 0,02—0,04—0,06—0,08—0,10—0,12 
—0,15—0,15—0,15—0,15—0,12 u. s. f. bis 0,02 wie im Beginn. 
Demgemäß erstreckte sich eine Kur auf einen Monat, wenn jeden 
zweiten Tag eine Einspritzung vorgenommen wurde. Im ganzen 
wurden l 1 ^ g Atoxyl verbraucht. Diese Dosis erscheint klein im 
Vergleich zu den in neueren Arbeiten erwähnten Mengen, ist aber 
gegenüber der mit F o w ler scher Lösung oder asiatischen Pillen 
in den Organismus ein geführten Arsenikmenge die 3—5 fache 
Dosis. Verfasser wandte Atoxyl in jenen Fällen an, wo sonst 
Arsen verordnet wird, und sah gute Erfolge, oft auch da, wo eine 
Arsenkur fehlgeschlagen war. 

2. Nach N. besitzt die von Apotheker Richard Paul 
bergest eilte Hämatose (Vin. cliin. ferr. phosph.) alle die unbe¬ 
dingt erforderlichen Eigenschaften, die man an ein gutes Eisen¬ 
präparat stellen muß. Es ist dies ein Eisen in glyzero-phosplior- 
saurer Verbindung mit einem Gehalt an Alkaloiden der China¬ 
rinde. Das Präparat soll wohlschmeckend und gut bekömmlich 
sein. Auch die von dem gleichen Apotheker hergestellte Arsen - 
hämatose (Vin. chinae arso-ferr. phosphor.) soll eine gute Kom¬ 
bination von Eisen und Arsen sein, die den Vorzug der ziemlich 
genauen Dosierbarkeit des Arsens besitzt; denn ein Likörglas 
= 20 g (im Original steht — wohl irrtümlich — = 200 g!) ent¬ 
hält 1 mg arsenige Säure. 

3. Um die teilweise unangenehmen Eigenschaften des Jodo- 
forms zu beseitigen, ist man seit Jahren bemüht gewesen, einen 
Ersatz zu schaffen, den man in dem 1891 entdeckten Präparate 
Europhen gefunden zu haben glaubte. Dieses ist ein Isobutyl- 
ortho-Kresoljodid, das in seinen physiologischen Wirkungen eine 



594 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr 40 


große Uebereiustimmung mit dem Jodoform aufweist, ohne dessen 
penetranten Geruch und seine Giftigkeit zu besitzen. Das Prä¬ 
parat ist ein gelbes, leichtes, schwach nach Safran riechendes 
Pulver, welches in Wasser unlöslich, jedoch in Alkohol, Aet.her, 
Chloroform und fetten Oelen löslich ist. Der Jodgehalt des Euro- 
phens beträgt etwa 28%. Es haftet gut aut Schleimhäuten und 
Wunden. Am besten findet Europhen Anwendung zu gleichen 
Teilen mit fein pulverisierter Borsäure. Da meist die weichen 
Schanker mit Jodoform behandelt werden und das Publikum mit 
dieser Therapie vertraut ist, so genügt der penetrante Geruch des 
Jodoforms, den Träger zu brandmarken. Es ist deshalb sehr er¬ 
freulich, daß nach M. die Anwendung des Europhens solche gün¬ 
stigen Resultate gezeitigt hat, daß man dasselbe statt des Jodo¬ 
forms künftighin bei Ulcus molle benutzen kann. Die Heilungs- 
dauer betrug 6—10 Tage. Auffallend war bei Verfassers Fällen 
die ausgesprochen schmerzlindernde Wirkung. Die Behandlung 
geschieht in folgender Weise: Das Ulcus wird zunächst mit lau¬ 
warmer 4 proz. Borsäurelösung gewaschen und gereinigt, mit ste¬ 
riler Gaze abgetupft und mit Europhen-Borsäurepulver dick be¬ 
streut. Ist ein Präputium vorhanden, so wird zwischen Glans 
und Präputium au geeigneter Stelle ein nach außen führender 
Gazestreifen eingelegt. Ist ein Präputium nicht vorhanden, so 
tritt, an Stelle dieses Gazestreifens ein trockener Gazeverband. 
Jeden Morgen und Abend wird der Verband bezw. der Gazestrei¬ 
fen entfernt und ohne neue Waschung von frischem Europhen- 
pulver aufgepudert. Allmählich bildet sich ein fester Europhen- 
sc-horf, der nach vollendeter Ueberhäutung der Gesellwürsfläche 
von selbst abfällt. Auch auf exstirpierte Init.ialsklerosenwund- 
ränder streut M. Europhen auf. Nach seiner Auffassung ist dieses 
von den bisher in die Praxis eingeführten Wundstreupulvern das 
beste, weil es reinigend, die Heilung befördernd, schmerzstillend 
wirkt und geruchlos ist. 


Technische Neuerscheinungen, 

Eine regulierbare Inhalationspfeife. 

Von Dr. Kindler, Düsseldorf. 

Die Inhalationspfeife soll es ermöglichen, auf ein¬ 
fache und bequeme Weise die wichtige Forderung einer 
Erfolg versprechenden Inhalationstherapie, die ange¬ 
wandten Heilmittel reizlos, tief und gleichmäßig ein- 
atmen zu können, zu erfüllen und auch bisher zu diesem 
Zwecke wegen zu heftiger Schleimhautreizung ungeeignete; 
aber wirkungsvolle Medikamente dazu verwendbar zu 
machen. Verf. sucht dies zu erreichen durch Regulierung 
der Luftzuführung. Die Pfeife ist aus Glas hergestellt und 
besteht aus dem mit einer Eingußöffnung versehenen Me- 
dikamentenbehälter A, dem Rohrstück B und dem oliven- 
förmigen Endstück C, das für Nasen- und Mundinhala- 
tion gleichmäßig zu verwenden ist. Auf der oberen Seite 



des Rohrstücks sind fünf rundliche Oeffnungen an¬ 
gebracht; Größe und Abstand voneinander sind so be¬ 
messen, daß sie gleichzeitig alle oder beliebige einzelne 
durch die Finger des Inhalierenden zugehalten werden 
können. Diese verschiedentlich offen oder geschlossen ge¬ 
haltenen Löcher ermöglichen es, beim Einatmen dev Medi¬ 
kamente denselben soviel Luft beizumengen, daß die In¬ 
halation ohne jeden Reiz tief und gleichmäßig vor sich 
gehen kann. Das Gefühl des Patienten gibt am besten Auf¬ 
schluß über den nötigen Grad der Abschwächung. Je mehr 
Oeffnungen frei bleiben lind je weiter diese vom Medi- 
kamentenbehälter entfernt sind, um so schwächer ist das 
Inhalationsgemenge und umgekehrt. 


Fabrikation und Vertrieb des Instrumentes durch die 
Deutschen Glas-Präzisionswerkstätten in Brakei bei Dort¬ 
mund; dasselbe soll unter der Bezeichnung „Inhalations¬ 
pfeife Adda“ zum Preise von 1 M. in den Handel kommen. 

Sang- mul Iiihalationsapparat 

nach Dr. Wohlfahrt, Görbersdorf. 

Der Apparat soll in erster Linie eine Saugwirkung ent¬ 
falten. Wie aus der Abbildung ersichtlich, besteht derselbe 
aus zwei seitlichen Glasröhren, die an ihrem einen für die 
Einführung in die Nase bestimmten und entsprechend ab¬ 
gebogenen Ende mit Gummiringen armiert sind, während 
die anderen Enden durch ein Mittelrohr in Verbindung ge¬ 
bracht sind, in deifi ein Schlitz vorhanden ist, der durch 
einen Gummiringschieber verkleinert resp. geschlossen wer¬ 
den kann. Der Apparat wird luftdicht in die Nasen- 
öffnungen eingeführt, wozu Gummiringe von verschiedener 
Stärke beigegeben sind, alsdann atmet der Patient nur 
durch den Apparat hei geschlossenem Munde ein, während 
die Ausatmung auf beliebigem Wege vor sich gehen kann. 
Dabei bedingen die seitlichen Glasröhren eine Luftverdiin- 
nung in den Luftwegen, die durch Verkleinern des im 
Mittelrohr befindlichen Schlitzes mehr oder weniger ver¬ 
stärkt werden kann. Die Verminderung des Druckes in den 
Lungen soll eine größere Ueberflutung dieses Organes mit 
Blut zur Folge haben. Soll mit der Saugwirkung eine In- 
halationswirkung verbunden werden, so gibt man etwas 
Watte in das Mittelrohr und tränkt diese mit einigen 
Tropfen Inhalationsflüssigkeit (eine solche, aus ätherischen 
Oelen in Verbindung mit Perubalsam und Menthol usw. be¬ 
stehend, ist durch Apotheker Carl, Friedland, Bez. Breslau, 
zu beziehen). 



Der Apparat eignet sich zur Behandlung von mehr 
oder weniger chronischen Katarrhen der Atmungsorgane 
Tuberkulose der Lungen 1. und 2. Stadiums, Luftröhren- 
und Bronchialkatarrhen, chron. Affektionen des Kehl¬ 
kopfes, ehron. Katarrhen der Nase und des Rachens. Un¬ 
geeignet ist der Apparat bei Lungenblutungen und fieber¬ 
haften Affektionen. Er soll in der Regel nicht länger als 
ß—4 Stunden täglich benutzt werden. Die Schlitzöffnung, 
die in 1U Teile geteilt ist, wird ganz allmählich verkleinert, 
wobei als Regel gelten soll, daß der Patient im Beginn 
jeder Einatmung regelmäßig eine leichte Atemnot ver¬ 
spürt. Eine im Anfang der Anwendung bisweilen sich ein¬ 
stellende stärkere Atemnot, Kopfdruck, Gesichtsrötung, 
Brustschmerzen usw. sind ohne Bedeutung, einige Ein¬ 
atmungen bei geöffnetem Munde beseitigen leicht die Be¬ 
schwerden. Die Desinfektion des Apparates kann leicht 
durch Einlegen in eine LysoformlÖsung bewirkt werden. 

Zu beziehen durch E. Waldow, Friedland, Bez. Breslau. 
Preis 5 M. M. Plien, Berlin. 







1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAÜ. 


595 


Bücherbesprechungen. 

Psychologie des Verbrechers. (Enzyklopädie der 
modernen Kriminalist! k.) Von Staatsanwalt, E. 
Wulffen, Dresden. 2 Bände, (1. Band 448, 2. Band 546 S.) 
Gr. 8 0 25 M., geh. 30 M. Verlag Dr. P. L a n g e n s c h e i d t , 
G roß-Lichterfelde-Ost. 

Sicher eine verdienstvolle Arbeit, eine Psychologie des Ver¬ 
brechers zu schreiben. W ul ffen.s Abhandlung ist ein großes 
Werk, nicht etwa nur dem Umfange nach. Ob man in allen 
Einzelheiten mit dein Verfasser einverstanden sein kann, ist eine 
andere Frage; ich möchte gleich die beiden Hauptpunkte er¬ 
wähnen, in denen ich mit ihm dissentiere. 

Der erste Band bringt, außer Vorwort und Einleitung ein 
Kapitel über Physiologie und Psychologie und ein zweites über 
Psychiatrie. So sehr auch beides bei einer ,,Psychologie des 
Verbrechens“ gewürdigt werden muß, so wenig sympathisch er¬ 
scheint es mir, daß ein Jurist Aufsätze über Anatomie und Patho¬ 
logie schreibt, auch wenn er sich auf anerkannte Autoren stützt; 
aus diesem Gedanken heraus mißbillige ich auch — an und für 
sich richtige — Urteile, wie: „Ein ganz einfacher Schulfall der 
Epilepsie.“ 

Ich verkenne zweitens durchaus nicht, daß ein Beispiel viel 
lehrreicher wirkt, den Fall viel prägnanter zeichnet, als es die 
beste Schilderung vermag, trotzdem kann ich hier die Befürch¬ 
tung nicht unterdrücken, daß die zahlreichen, bis ins einzelne 
gehenden Erzählungen geeignet sind, die Sensationslust zu er¬ 
wecken und dem Werke eher schaden als nützen. 

Bei dem großen Umfange des Werkes ist es natürlich im 
Rahmen einer Besprechung nicht möglich, auf alle Einzelheiten 
einzugehen; es sei gestattet, nur dieses und jenes besonders 
hervorzuheben. Wenn W. im „Vorwort“ sagt, daß die empirische 
Menschenkenntnis nur dann als wertvoll anerkannt werden kann, 
wenn sie zum mindesten einen sicheren Vergleich mit experimen¬ 
tell geprüftem Materiale zuläßt, so ist zu bedenken, daß unsere 
schönsten Experimente oft von der allmächtigen Natur ad ab¬ 
surdum geführt werden. Dagegen stimme ich dem Verf. durch¬ 
aus bei, wenn er meint, daß eine latente Kriminalistik fast jedem 
Menschen innewohnt, und daß das Milieu eine große Rolle dabei 
spielt. 

Deshalb glaube ich nicht an einen geborenen Verbrecher. 
„Gelegenheit macht Diebe.“ 

Die Forderung, daß der praktische Kriminalist sich selbst 
auf der vom Arzte vorgetragenen Grundlage ein Gutachten 
aufzubauen vermag, ist wohl zu weitgehend, aber unbedingt 
zu fordern ist, daß er dem Gutachten folgen, es genau verstehen 
und würdigen kann; dann wird auch der Gutachter immer zu 
seinem Rechte kommen. Mit den Gerichtsärzten scheint Verf. 
übrigens schlechte Erfahrungen gemacht zu haben, sie kommen 
bei seiner Beurteilung nicht gerade gut weg. Sehr richtig isl, 
daß sowohl Staatsanwalt wie Vorsitzender die Persönlich¬ 
keit des Verbrechers fast u i e kennen. 

Wenn W. in seinem dritten Kapitel „Anthropologie“ sagt, 
daß das Vorhandensein auffälliger Tätowierungen ein Anzeichen 
für die Minderwertigkeit der ethischen Gefühle und des Intel¬ 
lekts darstelle, so kann ich nur dann beistiminen, wenn das 
Wort „auffällig“ besonders betont und unterstrichen wird. Ich 
habe —- ich möchte fast sagen — unzählige Tätowierte gesehen, 
Kriminelle und andere, ich halte das Tätowieren für eine Mode- 
sache, einen Sport, einen Zeitvertreib; ich bin hierin ebenso 
Raers Ansicht, wie in der Frage, oh bei Verbrechern, besonders 
bei Verbrecherinnen. Linkshändigkeit häufig anzutreffen sei; 
meine gewiß nicht kleinen Erfahrungen können dies nicht 
bestätigen. 

Ob wirklich nur aus dem allgemein weiblichen Bedürfnisse 
heraus, sich an eine stärkere Persönlichkeit anzulehnen, die 
Prostituierte sieh einem Zuhälter anschließt, erscheint mir frag¬ 
lich, ich glaube doch, daß hier auch die Liebe mitspielt; außer 
ihrem Berufe will die Prostituierte — wenn ich so sagen darf — 
auch etwas fürs Herz haben; und man könnte sich viele Züge 
und Vorkommnisse nicht erklären, wenn man die Liebe (oder ein 
ihr absolut ähnliches Gefühl) ganz ausscheideil wollte. 

Daß unter den Verbrechern ein großer Teil Geisteskranker, 
geistig „Minderwertiger“, moralisch, ethisch und intellektuell 
Tiefstchcnde sich befinden, bedarf keiner weiteren Frage, des¬ 
halb erklärt sich wohl auch das häutige Fehlen .von Treue und 
Freundschaft in diesem Kreise; daß aber die größte Zahl 


Schwachsinniger nach B e z z o 1 a s Berechnung gezeugt werden 
soll zur Zeit des Weinmosts, des Faschings usw., ist wohl nicht 
allzuernst zu nehmen, denn Mosttrinken und Faschingfeiern ist 
nur auf örtlich eng begrenzte Gebiete beschränkt. 

Im vierten Kapitel bringt W. eine ausgedehnte Statistik, 
während im 5. und 6. Kapitel „Ethik und Charakterologie“ be¬ 
sprochen werden. Was hier z. B. über die Tätigkeit der Ver¬ 
teidigung und über die Nachsicht der Geschworenen gesagt 
wird, kann ohne weiteres unterschrieben und durch zahlreiche 
Beispiele belegt werden: Delikte, die die Geschworenen für sich 
oder ihre Angehörigen fürchten können, haben fast nie auf Frei¬ 
spruch zu rechnen, deshalb wurde auch Termow trotz der 
ärztlichen Gutachten verurteilt. 

Sehr richtig ist, daß uns allen größere Kenntnis der Gesetze 
not tut; wie erstaunt ist bisweilen der Angeklagte, wenn er hört, 
als was eigentlich seine Tat im Sinne des Strafgesetzbuches aus¬ 
gelegt wird, wie er vom Verlesen des EröfTnungsbesehlusses, wo- 
rauf W. in seinem 8. Kapitel (Psychologie im Strafverfahren und 
im Strafvollzug) hinweist, fast gar nichts versteht, denn diese 
Vorlesung ist tatsächlich oft die reine Farce; auch alle sonst be¬ 
tonten Schattenseiten der Hauptverhandlung sind nur zu richtig. 
Aber woran liegt das meist? An der Ueberlastung der Richter! 
Sie müssen so und so viele Sachen in einer Sitzung erledigen, 
sonst ist gar kein Durchkommen mehr, und deshalb geht, alles 
im Fluge, und deshalb hört man nachher so oft von dem Ver¬ 
urteilten die Klage: „Ich bin ja gar nicht zu Worte gekommen!“ 

Auch das „Witzeln“ des Vorsitzenden geht oft zu weit, wie 
W. richtig hervorhebt, wie überhaupt bisweilen die Behandlung 
des Angeklagten nicht die richtige zu sein scheint. Neulich er- 
ltbte ich, daß ein etwas sehr derb angeredeter Angeklagter ant¬ 
wortete: „Sie brauchen nicht- so zu schreien!" Die Zuhörer 
brachen in lautes Lachen aus. Dient das dazu, eine Verhandlung 
würdiger zu gestalten? 

Natürlich wird sich der Gewohnheitsverbrecher, der seine 
Diebstähle usw. oft als Sport betreibt, viel leichter auf der ilmi 
sattsam bekannten Anklagebank zurechtzufinden als der Neu¬ 
ling, der erstmals Angeklagte. 

Von fundamentaler Bedeutung ist die Ansicht, daß der Ver¬ 
brecher fast nie regelmäßig arbeiten gelernt, nie den Segen der 

Arbeit erfahren hat. 

Aus dem Abschnitt über „Aberglauben“ möchte ich hervor¬ 
heben, daß die vom Verf. geschilderten Vornahmen, um einen 
Eid ungültig zu machen, ihn nicht zum Meineid werden zu lassen, 
sehr verbreitet sind. Ich nehme etwas vorneweg, wenn ich hier 
schon auf den „Aberglauben der Wilddiebe“ zu sprechen komme. 
W. meint: „Für den Grad der Intelligenz spricht ihr Aberglaube.“ 
Ich weiß nicht, ob dieser Satz in seiner Allgemeinheit richtig ist, 
denn fast jedem Waidmann, auch dem gebildeten, wohnt ein ge¬ 
wisser Aberglaube inne: ich erinnere nur an das Begegnen einer 
alten Frau beim Aufbruch zur Jagd oder bei derselben Gelegen¬ 
heit an den Wunsch: „Viel Glück!“ usw. 

Ein Wort noch über unsere Erziehungsmethoden. 

Auch hier scheint mir W. durchaus das Richtige zu treffen, 
wenn er verlangt, daß beim Kinde die ethische Seite mehr betont 
werden müßte. 

Aus dem 7. Kapitel (Psychologie des Verbrechens und Ver- 
brecherspezialisten) möchte ich folgendes hervorheben: Erlebt 
man zahlreiche Gerichtsverhandlungen wegen Diebstahls, so muß 
man dem Verf. unbedingt Recht geben, daß aus echter Not 
verhältnismäßig wenig gestohlen wird: weiter wird mit Recht 
eine zwischen dichterischem Vermögen und strafbarem Schwin¬ 
del bestellender Zusammenhang betont, der sich bei beiden in 
der Lebhaftigkeit der Phantasie äußert. Was die Simulation 
von Geistesstörung angeht, so ist diese nicht so häufig als man 
früher glaubte, aber auch nicht so enorm selten, wie man jetzt 
oft. anzunehmen geneigt ist,; ich verweise in dieser Richtung auf 
einen kleinen Aufsatz von mir im „Archiv von G ro ß“, 
Bd. 25, 1900. 

Auch die Simulation von Körperkrankheiten habe ich mehr¬ 
fach erlebt und zwar ebenfalls auch Taubstummheit und Stumm¬ 
heit. Eine russische Bettlerbande durchzog die Lande, von ihnen 
überreichte Briefe schilderten ihr Elend usw., es w’urde behauptet, 
die Vorzeiger seien gemartert und ihnen die Zunge ausgerissen. 
Ein flüchtiges Hineinblicken in den Mund zeigte, daß die Zunge 
fehlte; nur genaue Untersuchung mit Spatel brachte die Zunge 
zu tage. 

Bei der Blutschande spielt ganz sicherlich, wie W. hervor¬ 
hebt, in den allermeisten Fällen der Alkohol eine Rolle. Das 


Original fr; 


UNIVLky 17 Ul MIGHIbAN 



596 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 40 


letzte Kapitel: ..Psychologie im Strafverfahren und im Straf¬ 
vollzug“ interessiert mich am lebhaftesten. 

Als Beispiel der häutigen Depression und Verzweiflung der 
Täter nach der Tat führt W. den von mir behandelten und beob¬ 
achteten Fall „Waldeck“ an; solche Beispiele lassen sich noch 
eine grolle Menge anführen, ich habe eine kleine Statistik über 
Selbstmorde gegeben in dem Aufsatz über Geföngnishygiene 
(Vierteljahr sehr fcft für gerichtliche Medizin etc., Band 31, 

3. Folge, 1906) und füge hinzu, daß diese Depression naturgemäß 
sich meistens äußert in den allerersten Tagen, bisweilen Stunden 
nach der Einlieferung in das Gefängnis oder kurz nach der Ver¬ 
urteilung. 

Außer Butterbrot und Bier üben vor allen Dingen Zigarren 
und Zigaretten eine oft unwiderstehliche Gewalt auf den An¬ 
geschuldigten aus und versetzen ihn häufig in eine gewisse gute, 
zu Mitteilungen und Geständnissen geeignete Stimmung. 

Gewalttätige Angriffe habe ich nicht nur auf den Gerichtshof 
und den Gerichtsdiener, sondern auch auf den Sachverständigen 
erlebt. 

Einverstanden muß man unbedingt mit der Ansicht von W. 
sein, daß die Abschaffung der Todesstrafe n i c h t, unbedingt zu 
fordern ist. 

Weinen und Hilfeschreien habe ich vor den verhältnismäßig 
zahlreichen Hinrichtungen, denen ich beigewohnt habe, nicht 
erlebt. 

Auch das Schreien von Hennig (ich habe auch diese Hin¬ 
richtung gesehen und den II. bis zu seiner ITeberführung nach 
Plötzensee beobachtet), war kein Schreien aus Angst und Furcht ; 
II. wollte seine Hinrichtung mit allen Mitteln vereiteln, und uns, 
die wir den ganzen Verlauf des Falles genau kannten, kamen 
diese Szenen nicht unerwartet. 

Der Forderung des Verfassers, bei der Strafverbüßung auch 
die Gesetze der Hygiene zu berücksichtigen, die Gefangenen indi¬ 
viduell zu behandeln usw.,ist man wohl jetzt überall zu entsprechen 
bemüht, dafür sprechen die verlangter" regelmäßigen Zellen- 
besuche aller Gefangenen durch die Oberbeamten, ferner die 
bessere Ausbildung dieser Beamten, die Lehrkurse für das Ge- 
fängr.iswesen und dergl. mehr. Ob man hier, auf den Gefangenen 
auch ästhetisch und künstlerisch zu wirken, nicht manchmal über 
das Ziel hinausschießt, erscheint mir doch nicht unmöglich: ich 
meine, daß eine schön geschmückte und modern verzierte Kirche 
(wir haben im Neubäu des Untersuchungsgefängnisses auch eine 
selche) nicht ins Gefängnis gehört. Natürlich soll sie sich 
nicht ausnehmen wie ein Ort des Schreckens, aber ihr AeußereL« 
soll dem Rechtsbrecher stets gemahnen, daß er sich im Gefängnis 
befindet. 

Was die jugendlichen Verbrecher anlangt, so stehe ich auf 
dem Standpunkt, daß diese viel eher in ein Erziehungshaus, in 
Familienpflege usw. gehören als in ein Gefängnis. Unsere Für¬ 
sorge müßte — auch darin stimme ich dem Verf. bei — viel 
mehr ausgebildet werden, damit sie wirklichen Segen und Nutzen 
bringen kann, denn der „Wiedereintritt des Strafentlassenen in 
die Gesellschaft“ ist nicht nur nicht leicht, sondern meistens sehr 
schwer. 

Und schließlich bin ich auch mit W. der gleichen Ansicht, 
daß die Geldstrafen proportional dem Vermögen, der Stellung des 
Bestraften verhängt werden müßten. 

Wie lange braucht ein Arbeiter, um eine Geldstrafe von 
100 Mark zu zahlen? In der Regel ist ihm dies unmöglich, denn 
sein Verdienst steht zu dieser Summe in gar keinem Verhältnis; 
auf der anderen Seite hätte man z. B. im Falle Sternberg eine 
Geldstrafe von mehreren Millionen vielleicht neben einer kleinen 
Gefängnisstrafe ausgesprochen oder vielmehr aussprechen können, 
so würde man die Schuldigen vielleicht schwerer getroffen haben, 
ohne ihn zu ruinieren, ganz abgesehen von der Einnahme des 
Fiskus. Man erzählte sich, Sternberg besäße 7 Millionen: auch 
von der Hälfte dieser Summe läßt sich noch einigermaßen leben. 

Alles in allem ist die „Psychologie des Verbrechers“ ein 
großes Verdienst W u 1 f f e n s. Wir versuchen die Seele des 
Täters, sein Inneres, seine Motive für die Tat kennen zu lernen, 


Wattenbergs eolloider Knochenstoff 

ist gesetzlich geschützt unter dem Namen 

Gell. Rat Dr. Wattenbergs Phosphorkalkinilch. 

Knochenbildungs- und Knochenkrüftigungsniittel, welches leicht ver¬ 
daut und im Säftestrom ausgenützt wird, bestens empfohlen als Zusatz zur 
Ernährung schwächlicher, schlecht fundainentierter. rachitischer Kinder. 
Abhandlung und Prospekte durch 

]>r. Holtmann & Köhler, Harburg. 


und wenn uns dies gelingt, so können wir natürlich auch die Tat 
selbst besser und richtiger beurteilen und verstehen; das, was uns 
k sonst oft allein ein vollständiges Rä-tsel erscheint, trägt die Lösung 
in sich, wenn es uns gelingt, dem Täter auf den verchlungenen 
Pfaden seines Denkens und Ueberlegens zu folgen. Und darin 
liegt das Verdienst des Verfassers. Was die äußere Gestaltung 
des Werkes fingeht, so ist sie des bekannten Verlages würdig. 

Med.-Rat Dr. H. H o f f m a n n (Berlin). 

Allgemeines, 

Der Vorkämpfer der Heilbehandlung der Tuberkulose, Dr. 
med. W e i ß m a n n -Lindenfels i. 0„ läßt an alle Freunde der 
ITetoltherapie eine Einladung zu einer Versammlung ergehen, die 
am 18. Oktober d. J., nachm. 2 Uhr, in Köln a. Rh. im Hotel West- 
minster (gegenüber dem Dom) statt,finden und zur Gründung 
einer freien Vereinigung der Iletolfreunde führen soll'. Die Ta¬ 
gesordnung ist: 

1. Eröffnungsansprache durch Dr. Weiß m a n n . \\ ahl 

eines Versammlungsleiters und zweier Protokollführer. 

2. Zweck der Versammlung. Referent: Dr. Grpßkopf- 
Osnabrück: 

3. Beratung über die angeregte Gründung einer freien Ver¬ 
einigung der Iletolfreunde; event. Wahl des Vorstandes. 
Festsetzung der Beiträge. Vereinsorgan. 

4. Beratung über die Form der Propaganda für die Heil¬ 
behandlung. Programm und Arbeitsplan der Vereinigung. 

5. Mitteilungen über Erfahrungen mit Hetol, über die Tech¬ 
nik der intravenösen Injektion und die Technik der Hetol- 
behandlung. 

6. Gemeinsames Essen um 5 Uhr (mit Damen ; das trockene 
Gedeck 3 M.). 

Anmeldungen mit Angabe der gewünschten Anzahl Gedecke 
und des gewünschten Nachtquartiers nimmt Dr. Weiß mann 
bis spätestens 10. Oktober entgegen. 

Poliklinik für Nervenmassage. Durch Verfügung des Mi¬ 
nisters der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenhei¬ 
ten ist in dem zur Charite gehörigen Hause Luiscnstr. 11, pt... eine 
Poliklinik für Nervenmassage eröffnet worden, deren Leitung 
dem Spezialarzt für Nervenmassage, Oberstabsarzt Dr. Corne¬ 
lius von der Kaiser Wilhelms-Akademie, übertragen worden ist. 

Zweck dieser Einrichtung ist: Die Behandlung peripher¬ 
nervöser Leiden (Neuralgien aller Art, zumal Ischias,Kopfschmer¬ 
zen. nervöser Magen-Darmbeschwerten, nervöser Herzbeschwer¬ 
den, nervöser Frauenleiden, von Unfallsneurosen und deren Be¬ 
urteilung) mittels Nervenmassage. Die Aufnahmestunden sind 
täglich, außer Sonntag und Donnerstag, zwischen 12 und 2 Uhr. 
Die Behandlung erfolgt für Unbemittelte kostenlos, für Kassen¬ 
kranke usw. zu Minimalsätzen. 

Das Institut dient gleichzeitig als Lehrinstitut für Aerzte 
in der C ornelius sehen Nervenmassage, deren Bedeutung für 
die Behandlung dieser Nervenleiden mehr und mehr anerkannt 
wird. (Deutsche militärärztl. Ztschr., 1908, Nr. 18.) 

Kürzlich erschien: „Ich weiß Bescheid in Berlin“ (380 Seiten 
auf dünnstem Papier in bequemem Taschenformat, mit Pharus- 
planen und 24 Illustrationen. Preis M. 1,—, geh. M. 1,50. 
B.Behrs Verlag, Berlin W. 35). — Unter der Mitarbeit hervor¬ 
ragender Fachgelehrter und Schriftsteller wie Georg B e r n - 
har 5, F r i e d r i c h D e r n b u r g, Albert Dresdner, Ed¬ 
mund Edel, Dr. v. E r d b e rg, Julius II a r t, Ansel m 
Heine, Theodor K a p p s t e i n, Otto Iv y n ö r c k, Con¬ 
rad Matschoß, D. Friedric h N a u m a n n, Hans 
O s t. w a 1 d, Geheimrat P roskauer, Ernst Sc h u r u. a„ 
ist hier ein ebenso praktischer wie literarisch wertvoller Führer 
entstanden, der in klarster, systematischer Verteilung auf 30 Ka¬ 
pitel ein schier unerschöpfliches Material an allem Sehenswerten 
und Wissenswürdigen in Berlin bietet. Die Wünsche der Ver- 
gnügühgs- und ,,Schnellreisenden“ wie die der Studien reisenden 
jeder Art sind in gleicher Weise berücksichtigt. 

F* A. Hoppen u. R. Fischer 
P at ent anw äl t © 

Berlin SW. 13, Neuenburgerstraße 15 

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Verantwörtlicher Redakteur: Dr. IL Lungwitz, Berlin S. — Verlag: Gustav Ebrbe Zeitschriftenverlag, Berlin W. 9. 
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Hannover, Prof. Dr. Ad. Schmidt, Halle a. S., Geh. Med.-Rat Prof. Dr. H. Schmidt-Rimpler, Halle a. S., Prof. Dr. med. et phil. R. Sommer, Gießen, 
Prof. Dr. P. G. Unna, Hamburg, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. H. Unverricht, Magdeburg, Prof. Dr. 0. Vulpius, Heidelberg. 

Redaktion: - • Verlag und Expedition: 

Dr. med. et phil. H. Lungwitz, Berlin S. 14, Dresdenerstr. 44. Gustav Ehrke Zeitschriftenverlag, Berlin W. 9, Köthenerstr. 44. 

Telephon: Amt IV, 11773. Telephon: Amt VI, 3020. 

Offizielles Organ des Schwarzwaidbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte 
der Ostsee und der Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 



Inhalt. 

Originalton: • M. Peltzer, Steglitz: Soziale Medizin. 

A. S. Bylina, Kiew: Zur Kasuistik der primären chronischen „ Peltzer, Steglitz: Militärsanitätswesen. 

fibrinösen Bronchitis. 597 Mitteilungen nber Arzneimittel: 

E. Röhl ff, Potsdam: Schmerzloses Zahnziehen mittels lokaler \v. Krug er, Magdeburg: Referate. 

Betäubung in der allgemeinen Praxis (Schluß). 599 Technische Neuerscheinungen: 

Kantorowicz, Berlin: Ein neuer Perkussionshammer . . 

Referate: Bücherbesprechungen: 

~~ *’ 1 1 A. Hellwig: Aus Natur und Geisteswelt (Referent: H. Hoff 

mann, Berlin). 

P. Näcke, Hubertusburg: Ueber Familienmord durch Geiste> 

kranke (Referent: H. Hoff mann. Berlin). 

Korrespondenz.. 

Heinrich Landau,'Berlin: Chirurgie. 607 | Allgemeines. 


utiriea u. Kellner, Wien: interne Komputationen aer 

Schwangerschaft (Sammelreferat).603 

J. Ibrahim, München: Kinderheilkunde . '.605 

Gustav Tugen drei ch, Berlin: Säuglingsfürsorge .... 606 
G. Fla tau, Berlin: Neurologie.607 


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Wochenschrift 


ORIGINALIEN. 

Aus der therapeutischen Fakultätsklinik des Prof. W. P. Obrastzow 
an der Universität Kiew. __ 

Zur Kasuistik der primären chronischen 
fibrinösen Bronchitis. 

Von Privatdozent Dr. A. S. Bylina. 

Als „Curiosity of medicine“ bezeichnet J. West die in 
hohem Grade eigentümliche Affektion der Bronchien, welche 
unter dem Namen der fibrinösen Bronchitis bekannt ist. 
Zu dieser Bezeichnung sah. er sich durch zahlreiche Mo¬ 
mente veranlaßt. Die große Seltenheit der Krankheit, die 
vollständig dunkle Aetiologie derselben, die wenig erforschte 
Pathogenese und hauptsächlich das außerordentlich charak¬ 
teristische Symptom dieser Krankheit, welches in dem Ab¬ 
gang von schönen, baumartig verästelten Abgüssen mit dem 
Sputum besteht — alle diese Momente haben W e s t veran¬ 
laßt, die fibrinöse Bronchitis als eine vollständig eigenartige 
Erkrankung zu bezeichnen, die in der gesamten Pathologie 
kein Analogon besitzt. 

Das Grundsymptom der fibrinösen Bronchitis, welches, 
wie gesagt, im Abgang von charakteristischen Abgüssen 
besteht, Rat natürlich nicht umhin können, die Aufmerksam¬ 
keit der klassischen und mittelalterlichen Aerzte auf sich 
zu;lenken. Die ersten Hinweise auf solche Abgüsse kann 
man schon hei Galen finden. Jedoch hat erst T u 1 p i u s 
fin Jahre 1646 durchaus sichere Fälle von dieser Krankheit 
beschrieben und der Beschreibung deutlich und genau aus- 
^efuhrte-Abbildungen beigegeben. Seitdem hat sich eine 
ganze Reihe von Autoren (N4cholsius, Lemery, 
M ö r v g ä g ri i j H u n t e r, L a e n a e c und viele andere) mi t 
dem Studium'der"'fibrinösen Bronchitis beschäftigt, jedoch, 
.hat' die -schwache Entwickelung der zeitgenössischen Ana¬ 
tomie und Physiologie einerseits und der Pathologie anderer¬ 
seits zu eirief falschen Beurteilung undirrtünilichen Deutung 1 
der beobachteten Erscheinungen geführt. ~ Jeder Autor er- 

□ igitized by 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 


klärte auf seine eigene Art und Weise die Entstehung der 
verästelten Abgüsse. Manche sprachen von geronnenem 
und weiß gewordenem Blute, von Bronchial- und sogar 
Herzpolypen, von abgelöster Bronchial-Schleimhaut, schlie߬ 
lich von nekrotischen Blut- und Lymphgefäßen, die nach 
außen geworfen werden. Erst in der Mitte des vergangenen 
Jahrhunderts hat Remak (1845) als erster einen Fall von 
auf dör Basis von fibrinöser Pneumonie entstandener sekun¬ 
därer fibrinöser Bronchitis beobachtet und die entleertenBlut- 
gerinnsel als Abgüsse, die dem Lumen der Bronchien ent¬ 
sprechen, betrachtet. Die weitere Ausbreitung dieser Frage 
verdankt die Wissenschatt hauptsächlich Biermer, 
Lebert und Riegel, die zur Erforschung der in Rede 
stehenden Erkrankung viel beigetragen haben. 

Heutzutage betrachtet man als primäre fibrinöse Bron¬ 
chitis idiopathisch zur Entwicklung gelangende E 11 I- 
zündüngen der Bronehialsehleimhaut, wobei auf der Ober¬ 
fläche der letzteren sich Fibrinschichten auflagern, welche 
dann in Form von charakteristischen, baumartig verästelten 
Abgüssen hinausgeworfen werden. Dem Verlauf nach unter¬ 
scheidet man akute, suhakute und chronische Form von 
idiopathischer fibrinöser Bronchitis. So einfach und leicht 
es aber theoretisch auch sein mag, die primäre fibrinöse 
Bronchitis als eine besondere und streng abgegrenzte Krank¬ 
heitsform darzustellen, so schwer ist es manchmal, in ein¬ 
zelnen in der Praxis vorkommenden Fällen feslzustelleu, 
ob wir es mit einer primären Affektion oder nur mit einer 
eigenartigen Komplikation anderer selbständiger Er¬ 
krankungen zu tun haben. 

Die fibrinöse Bronchitis befindet sich nämlich ver¬ 
mittelst sehr zahlreicher, zeitweise jedoch schwer faßbartu* 
Verletzungen in Wechselbeziehung zu vielen anderen Krank- 
heitsformen. In dieser Beziehung ist das Studium des 
Zusammenhanges, der zwischen der fibrinösen Bronchitis 
und dem Bronchial-Asthma bestellt, sehr lehrreich und 
interessant. In vielen Fällen von Bronchial-Asthma kann 
man in dem während des ^Anfalles zur Ausscheidung ge¬ 
langenden Auswurf feine Fädehen finden, welche bei ent¬ 
sprechender Untersuchung, von der im nachstehenden aus 

Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 


























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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 41 


führlich die Rede sein wird, sich als aus Fibrin bestehend 
erweisen: sie stellen Abgüsse der kleinen Bronchien dar. 
Neben diesen fibrinösen Fädchen kann man in solchen 
Fällen gewöhnlich die charakteristischen Bestandteile des 
Auswurfes der an Asthma leidenden Personen finden: 
Kristalle von Charcot-Leyden und Spiralen von 
Curschmann. Das dabei zutage tretende Asthmabild 
unterscheidet sich von den gewöhnlichen Manifestationen 
dieser Krankheit nicht: Wie gewöhnlich, so treten auch 
hier Anfälle von heftigem Asthma, die mit der Expektoration 
des geschilderten Sputums abschließen, in den Vordergrund. 
Es kommen aber auch solche Fälle von Asthma vor, wo man 
im Auswurf größere, fibrinöse, sich baumartig verästelnde 
Abgüsse sehen kann, welche nicht nur den kleinen, sondern 
auch den mittelgroßen Bronchien entsprechen; auch in 
diesem Falle enthält der während des Anfalles zur Aus¬ 
scheidung gelangende Auswurf meistenteils die charakte¬ 
ristischen Kristalle und Spiralen. Jedoch kann man bei 
der Untersuchung dieses Auswurfes, wie Adolf Schmidt 
richtig bemerkt, nicht genau feststellen, mit welcher der 
beiden Krankheitsformen man es in dem betreffenden Falle 
zu tun hat. Ferner kommen Fälle vor, wo die im Sputum 
sich vorfindenden Fibringerinnsel noch größere Dimensio¬ 
nen erreichen, während die charakteristischen Kristalle und 
Curschmann’schen Spiralen in geringer Quantität und 
obendrein nicht immer angetroffen werden. Auch das 
klinische Bild zeigt einen Charakter, der der Vorstellung 
vom typischen Bronchialasthma weniger entspricht: Die 
Asthmaanfälle haben, wenn sie auch auftreten, keinen so 
stürmischen Charakter; die ganze Krankheit verläuft über¬ 
haupt weniger stürmisch und akut, und das Auswerfen von 
Fibrin während der Hustenanfälle tritt als Erscheinung in 
den Vordergrund. Diese Kombination von Symptomen, in 
der Reihe der Kettenglieder, welche das Bronchialasthma 
einerseits- und die primäre fibrinöse Bronchitis anderer¬ 
seits mittelst ununterbrochener Kette miteinander verbinden^ 
stellen eine Gruppe dar, welche der rein essentiellen fibri¬ 
nösen Bronchitis sehr naheliegt. 

Auf den zwischen Bronchialasthma und fibrinöser 
Bronchitis bestehenden Zusammenhang hat zum erstenmal 
v. L e y d e n im Jahre 1872 hingewiesen. Analoge Ansichten 
äußerten Pramberger, Ungar, Sokolowski und 
P o s s e 11. In neuerer Zeit hat A. F r ä n k e 1 die Vermutung 
ausgesprochen, daß die fibrinöse Bronchitis ein Kettenglied 
ist, welches das Bronchialasthma einerseits und die vor 
kurzem von Lange beschriebene und ajs „Bronchitis 
obliteTans“ bezeichnete besondere Krankheitsform anderer¬ 
seits verbindet. Außer dem Bronchialasthma gibt es noch 
eine ganze Reihe akuter sowohl wie chronischer Erkran¬ 
kungen, in deren Verlauf als dauerndes oder vorüber¬ 
gehendes, jedenfalls aber sekundäres Symptom sich Ent¬ 
leerung von fibrinösen Bronchialabgüssen einstellt. So 
kann man ziemlich häufig, wenn man den Auswurf von 
mit typischer fibrinöser Pneumonie behafteten Patienten 
in Wasser gießt, fibrinöse Abgüsse bemerken^ die sich im 
Wasser entfalten und weißlich, häufiger aber blutig ge¬ 
färbt sind; diese Abgüsse entsprechen ihren Dimensionen 
nach den kleinsten und kleinen, ab und zu auch den mittel¬ 
großen Bronchien. Die Erklärung der Entstehung dieser 
Bronchialgerinnsel während der fibrinösen Lungen¬ 
entzündung verursacht keine große Schwierigkeiten: beim 
reichlichen Erguß von entzündlichem Exsudat in die Höhlen 
der Lungenbläschen kann ein Teil derselben nach oben 
in das Lumen zunächst der kleinsten, dann unter günstigen 
Verhältnissen (bei reichlichem Exsudat) in das Lumen 
größerer Bronchien hinaufsteigen; hieraus werden die Ge¬ 
rinnsel im Stadium der beginnenden Resolution der Pneu¬ 
monie unter starken Hustenstößen samt dem charakteristi¬ 
schen Auswurf nach außen befördert. 

Noch verständlicher ist die Entstehung der Bronchial¬ 
abgüsse, welche in manchen Fällen von Diphtherie des 


Rachens und des Kehlkopfes beobachtet werden. Von diesen 
Organen kann der durch die Diphtherie-Bazillen bedingte 
Enlzündungsprozeß sich nach und nach auf die Schleim¬ 
haut der Luftröhre aus breiten, dann auch auf die Bronchien 
übergehen und auf der Bronchialschleimhaut die Ablage¬ 
rung von charakteristischen fibrinösen Membranen hervor- 
rufen. Dieser Prozeß steigt gewöhnlich über die größeren 
und mittelgroßen (Bronchien nicht hinunter. 

Viele Autoren (Lebert, Lucas Cha mp i o n n i e r e , 
Model) haben die Entleerung von fibrinösen Abgüssen 
im Verlauf von chronischer Lungentuberkulose beobachtet. 

Ab und zu kann man die Entleerung von Bronchial¬ 
abgüssen auch bei Influenza beobachten. So hat N o n a t 
im Jahre 1837 bei Gelegenheit einer heftigen Influenza- 
Epidemie zu Paris bei vielen Kranken im ausgeworfenen 
Sputum eigenartige Gerinnsel konstatiert. 

E i s e n 1 o r und ,M a z z o 11 i berichten über je einen 
Fall von Typhus, in dessen Verlauf sie Abgang von ver¬ 
ästelten Gerinnseln beobachtet haben. 

Ferner sind — allerdings nicht besonders zahlreiche — 
Fälle veröffentlicht, in denen der Abgang von Bronchialab¬ 
güssen bei Syphilis, Skrofulöse, bei englischer Krankheit und 
Alkoholismus beobachtet wurde. Desgleichen werden bei 
Herzerkrankungen, namentlich bei Herzklappenfehlern im 
Stadium der Kompensationsstörung Bronchialabgüsse ex- 
pektoriert, die in solchen Fällen gewöhnlich stark blutig 
gefärbt sind. Solche Fälle sind von Habel, Stark, 
Bernouilli, Degen und in letzter Zeit von Professor 
Janowski beschrieben worden. Letzterer beschreibt einen 
in dieser Beziehung außerordentlich lehrreichen Fall, der 
einen Patienten aus dem Städtischen Alexander-Kranken¬ 
hause zu Kiew betrifft. 

Es muß noch hervorgehoben werden, daß manche 
Autoren das Expektorieren von Auswurf mit mehr oder 
minder charakteristischen Abgüssen (Waldenburg, 
Streets, Made r) im Verlauf von einigen Hautkrank¬ 
heiten, wie Ekzem, Herpes tonsurans, ab und zu auch bei 
Pemphigus der Nasen- und Mundschleimhaut beobachtet 
haben. 

Desgleichen fanden manche Autoren (B r i c k) Abgüsse 
im Sputum bei Störungen von seiten der weiblichen Genital¬ 
sphäre, namentlich bei unregelmäßiger Menstruation. 

Man kann somit Abgang von Bronchialabgüssen von 
Zeit zu Zeit bei einer ganzen Reihe von Erkrankungen 
beobachten; in solchen Fällen ist aber diese Erscheinung 
nur ein Symptom der primären Grundkrankheit und tritt 
nur ab und zu als Ausnahme auf; diese Erscheinung kann 
rasch und für immer verschwinden, während die Grund¬ 
krankheit ihren gewöhnlichen Verlauf nimmt. Mit einem 
Worte, in denjenigen Fällen, in denen das Auftreten von 
Bronchialabgüssen im Verlauf von anderen Krankheiten be¬ 
obachtet wird, haben wir gar keinen Grund, anzunehmen, 
daß primäre fibrinöse Bronchitis vorliege und müssen uns 
auf die Feststellung eines eigenartigen und seltenen Sym¬ 
ptoms der jeweiligen Grundkrankheit beschränken. 

Die chemische Zusammensetzung der Gerinnsel, die 
bei primärer fibrinöser Bronchitis expektoriert werden, 
bildete längere Zeit hindurch den Gegenstand lebhafter De¬ 
batten zwischen den zahlreichen Forschern. Bereits gegen 
Ende des 18. Jahrhunderts hat Mac Laurin die Ansicht 
ausgesprochen, daß die Abgüsse aus verdichtetem Schleim be¬ 
ständen. Derselben Meinung schlossen sich L. Cham¬ 
pionniere und in neuerer Zeit Oscar Beschorner 
an. Ihre Ansicht haben diese Autoren auf die Resultate 
der chemischen Untersuchung der von ihren Patienten ex- 
pektorierten Gerinnsel gestützt, wobei letztere sich als 
aus Schleim (Mucin) bestehend erwiesen haben. Eine eben¬ 
solche chemische Zusammensetzung der Gerinnsel fanden 
in neuerer Zeit in ihren Fällen Klein (1896), Habel 
(1898), Prof. Hochhaus (1902), Schwarz köpf u. a. 
Jedoch läßt in vielen Fällen von primärer fibrinöser Bron- 





1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


599 


chitis die chemische Untersuchung der Gerinnsel keinen 
Zweifel darüber aufkommen, daß dieselben aus Fibrin be¬ 
stehen. Zu demselben Schlüsse sind im letzten Jahrzehnt 
folgende Autoren gelangt, die sich vielfach mit der Unter¬ 
suchung der Bronchialabgüsse ihrer Kranken beschäftigt 
haben: Jakobsohn (1898), R. Schmidt (1899), 
H. S t r a u ß (1900), Schittenhelm und einige andere. 

Das Hauptunterscheidungsmerkmal, welches für das 
Fibrin charakteristisch ist, ist bekanntlich die Fähigkeit 
desselben, sich bei der Färbung nach der Methode von 
Weigert scharf-blau zu färben, während Schleim bei der¬ 
selben Färbungsmethode nur eine blaß-blaue Farbe an- 
nimmt. Liebermeister hat in seinem sehr interessanten 
Aufsätze, der 12 Fälle dieser Krankheit aus der Leipziger 
Klinik umfaßt, als erster darauf hingewiesen, daß in Ab¬ 
güssen, die aus Fibrin bestehen, zwischen den Fibrillen 
desselben sich stets in mehr oder minder großer Quantität 
Schleimklümpchen befinden. Man kann dies sehen, wenn 
man nach Weigert gefärbte Schnitte mikroskopisch unter¬ 
sucht, wobei man zwischen den blauen Fibrillen des Fibrins 
blaß-blaue Schöllchen und Schleimklümpchen finden kann. 
Er hat auch darauf hingewiesen, daß auch in den Schleim¬ 
gerinnseln häufig mehr oder minder bedeutende Bei¬ 
mischungen von Fibrin-Fibrillen zu finden sind. Mit einem 
Worte, es gibt zwischen den reinen Fibrin- und den reinen 
Schleim-Gerinnseln eine ganze Reihe von Uebergangs- 
formen, wo beide Substanzen sich in den verschiedensten 
quantitativen Beziehungen als vermengt erweisen. Es 
kommt sogar vor, daß Fibrin und Schleim an der Bildung 
des Gerinnsels in fast gleichen Quantitäten Anteil nehmen 
und dabei miteinander so eng vermengt sind, daß es bis¬ 
weilen unmöglich ist, festzustellen, ob man es mit einem 
Fibrin- oder mit einem Schleim-Bronchialgerinnsel zu tun 
hat. In Anbetracht dieser Umstände ist der Vorschlag von 
Liebermeister durchaus gerechtfertigt, statt von Fibrin 
oder Schleim zu sprechen, in jedem Falle festzustellen, wie¬ 
viel Fibrin und wieviel Schleim in den Gerinnseln ent¬ 
halten ist. (Schluß folgt.) 


Schmerzloses Zahnziehen mittels lokaler Be¬ 
täubung in der allgemeinen Praxis. 

Von Dr. E. Rohlff. Potsdam. 

(Schluß.) 

Wir kommen nun zu den Chemikalien, welche zur 
Anästhesierung erforderlich sind. Wie viele Mittel auch 
andauernd auf den Markt geworfen werden, so bleibt trotz¬ 
dem das älteste, das Kokain, noch immer das souveräne 
Anästhetikum. Eukain, Stovain, Novokain, Alypin sind 
seine Hauptkonkurrenten, haben bisher jedoch nicht ver¬ 
mocht, das Kokain zu entthronen, obwohl von jedem Mittel 
behauptet wird, es sei 3—7mal weniger giftig und leiste 
trotzdem dasselbe. Das Eukain ist wohl fast beseitigt, 
weil es recht unangenehme Schwellungen hinterläßt. Das 
Alypin scheint dem Kokain doch nicht gleichzukommen; 
ich benutze es aber gern, wenn ich mit 3 cg Kokain noch 
keine genügende Wirkung erzielt habe, zu einer ergänzenden 
Einspritzung von ca. 2 cg Alypin in 1—1,5 g Wasser. Nie¬ 
mals wurde eine unangenehme Allgemein- oder Lokal- 
Wirkung bemerkt, während die Schmerzempfindung völlig 
schwand. Ueber Stovain und Novokain fehlen mir eigene 
Erfahrungen. Bemerken möchte ich nur im allgemeinen, 
daß alle gefäßerweiterndn Mittel im Prinzip falsch sind, 
weil die Stoffe zu schnell weggeführt werden von dem 
Ort, wo man ihre Wirkung wünscht. Aus dem Grunde, die 
Lokalwirkung recht ausgiebig zu gestalten, benutzt man 
ja die Nebennierenextrakte. Es ist also ein gewisser Wider¬ 
spruch, gefäßerweiternde Mittel mit gefäßverengernden zu 
verbinden. Zum mindesten ist es kein ideales Verfahren. 


Kokain und Alypin hält man sich am besten in 
Tabletten von 3 cg vorrätig. Verschiedene Größen zu haben, 
macht die Sache nur umständlicher. 

Von den Nebennierenextraktlösungen ist zurzeit das 
I allein empfehlenswerte wegen seiner großen Haltbarkeit das 
1 Ischämin. Es ist das eine Stammlösung eines Nebennieren¬ 
extraktes von 1:1000. Sie hält sich nach Eröffnung der 
[ Flasche und einfachem Stöpselverschluß nach jedesmaliger 
Gebrauchsentnahme mindestens zwei Monate unverändert 
| im warmen Zimmer und dem Lichte ausgesetzt. Das nötige 
Quantum: 7 Tropfen bei Periostitis, sonst 4—5, wird mit 
einer durch eine Flamme gezogenen Pipette entnommen. 
Verwendet wird stets eine 1 proz. Lösung des Kokain, eine 
1,5—2 proz. des Alypin. Spritzt man Alypin nach, so wird 
kein Ischämin mehr zugesetzt. Ischämin wird in Fläsch- 
| chen von 10 g und 30 g verkauft. Sollte trotz der ge¬ 
ringen Menge nach zwei Monaten noch etwas übrig sein, 
so kann es noch zwei weitere Monate dienen zur Stillung 
von Nasen- oder Zahnblutungen. Wer Tabletten vorzieht, 
der wähle die Hemisine von Burrough und Welcome 
a 0,003 g, gleich 6 Tropfen der Stammlösung. Diese Tabletten 
sind zwar nicht zur Injektion eigentlich bestimmt, lassen 
sich aber trotzdem dafür verwenden. Die Kompositions¬ 
masse bewirkt keine Reize. Sie ist äußerst haltbar. 

Quer abgeschnittene Glasstäbchen dienen zum Verreiben 
der Tabletten, Tuschnäpfchen zur Aufnahme der Lösungen. 
Sie w r erden mit den Nadeln zusammen aufbewahrt und 
sorgfältig im Wasser abgespült, w r eil sich sonst das Ischämin 
zersetzen kann. Als Lösungsmittel dient einfach frisches 
Brunnenwasser. Abkochen ist bei den geringen Mengen 
so w r enig nötig wie bei einer Morphiumeinspritzung. Er¬ 
wärmen, Kochsalzzusatz sind illusorisch. Von solchen 
Dingen hängt weder die Schmerzlosigkeit des Einspritzens 
selbst, noch der manchmal auftretende Zahnlückenschmerz 
ab. Reinigung der Mundschleimhaut vor der Einspritzung 
ist ganz überflüssig. Ebenso nutzlos ist es, die Einstich¬ 
stellen unempfindlich machen zu wollen. Ich habe es viel 
versucht mit Kokain und später mit Karbolsäure, habe es 
aber längst aufgegeben, w r eil ein voller Erfolg sich nicht 
erzielen ließ und andererseits eine feine Nadel mit schnellem 
Ruck an richtiger Stelle eingestoßen, kaum eine Empfin¬ 
dung macht. An der labialen Seite von Ober- sowie Unter¬ 
kiefer sticht man medial von dem kranken Zahn in der 
Mitte des vorhergehenden gesunden in die Uebergangsfalte 
ein und geht spritzend wagerecht am Periost entlang vor 
bis in die'Mitte des gesunden Zahnes, der dem erkrankten 
oder der Reihe erkrankter Zähne folgt. Braun erklärt 
dies für genügend. Es mag ja sein, w^enn man sehr lange 
wartet. Ich ziehe es aber doch vor, alsdann noch am 
Kiefer hinauf- bzw. am Unterkiefer hinabgehend, eine An¬ 
zahl Tropfen zu entleeren in die Nähe der Wurzelenden. 
Die Durchtränkung des gesamten Gebietes dürfte immerhin 
schneller erfolgen. 

Dies Verfahren bewirkt, stets genügend Unempfindlich¬ 
keit, außer an den zwei letzten Unterkiefermolaren. Wenn 
da sich eine sehr breite Leiste vorfindet, so kommt das 
Kokain nicht tief genug hinunter. Die Extraktion bleibt sehr 
schmerzhaft. Als einfaches Auskunftsmittel in solchen 
Fällen fand ich vor einigen Monaten die Umgehung dieser 
Leiste. Um festzustellen, wann das Ausziehen schmerzlos 
vor sich gehen kann, läßt man von Zeit zu Zeit den 
Patienten auf den Zahn drücken und angeben, ob der 
Schmerz nachläßt oder nicht. 

Da auf Nervöse kein Verlaß ist, diese mitunter noch 
ängstlich Schmerzempfindung äußern, während ihre An¬ 
gaben nach überstandener Operation ganz das Gegenteil 
besagen, so kontrolliere man objektiv die Schmerzempfin¬ 
dung durch Beobachtung, wie der Patient sich verhält. Zu¬ 
erst drückt er nur kurz auf den kranken Zahn, und um¬ 
gehend folgt die Versicherung: „es tut noch wehi“ Dann 
ein längeres und immer längeres Herumsuchen mit dem 





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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 41 


Finger nach einer etwa noch empfindlichen Stelle. Bemerkt 
man, daß die Zeiten nicht länger werden, bis endlich die 
Schmerzangabe erfolgt oder eine Schmerzabnahme ange¬ 
geben wird, so bleibt nichts übrig als nachzuspritzen. 
Manchmal wird bestimmt geäußert: hier an dieser Stelle 
schmerzt es noch — dann ist nur dort eine Hilfseinspritzung 
notwendig. Mehr als 3 cg Kokain verwende ich für einen 
einzigen Zahn nie. Bleihen Molarzähne trotzdem noch 
schmerzhaft, so spritze ich ein Gramm einer 1,5 2proz. 
Alypinlösung nach, und zwar steche ich nun nicht wieder 
in die Uebergangsfalte, sondern mehr in die Wangenschleim¬ 
haut ein, die dann längst empfindungslos ist, führe so die 
Nadel über die Leiste hinab am Kiefer bis in die Gegend 
der Wurzelenden und entleere dort 3 / 4 g, das letzte Viertel 
wird noch an der lingualen Seite recht tief eingespritzt. 
Es ist auffallend, wie schnell nun die Empfindungslosigkeit 
eintritt. Seit Anwendung dieses einfachen Kunstgriffes trage 
ich kein Verlangen mehr nach Brauns Rat, am aufsteigen¬ 
den Kieferast 1 cm über der Krone des Weisheitszahnes 
die Nn. lingual, und alveol. inf. unempfindlich zu machen, 
wobei man nach 10 20 Minuten auf den Eintritt dieser 
Anästhesie warten muß. Außerdem gibt Braun an, daß 
eine leichte Empfindlichkeit dieser Gegend mehrere Tage 
bestehen bleibt, was dem Patienten nicht erfreulich sein 
wird. Endlich berichete mir ein Kollege, er habe eine Phleg¬ 
mone durch eine derartige Einspritzung entstehen sehen! 
Sollte bei Kieferklemme wirklich nicht die Spritze an den 
Weisheitszahn heranzubringen sein, was mir noch nicht 
vorgekommen ist, so steht nichts im Wege, daß man von 
der äußeren Haut aus an beiden Kiefernseiten hochgehend 
den Zahn umspritzt. So verfuhr ich, bis mir die einfache 
Umgehung der Leiste in den Sinn kam. 

Habe ich hingegen die Ueberzeugung, daß ein Patient 
nur noch aus Angst eine überhaupt nicht mehr vorhandene 
Empfindlichkeit angibt, so spritze ich ihm nur noch 1 cg 
Atypin ein, teils suggestionis causa, teils um mich zu 
sichern, daß der Patient wirklich keine Schmerzen mehr 
empfinden soll. Ein Schmerz, durch einen stärkeren Druck 
erst erzeugt, braucht kein Anlaß zu sein zum längeren 
Warten; man drückt ja beim Ausziehen nicht auf den 
Zahn, legt, ihn vielmehr seitlich um. 

Nun muß noch die Gaumenseite unempfindlich gemacht 
werden. Wegen der Festigkeit des Gewebes wäre der Ein¬ 
stich mit einer dicken Nadel recht, empfindlich. Man muß 
sofort bis auf den Knochen gehen. Oft leistet das Gewebe 
dem Eindringen der Flüssigkeit starken Widerstand, des¬ 
wegen ist eine Spritze ohne Querstangen ganz unbrauch¬ 
bar. Wenn man hier nicht sehr vorsichtig ist, kann man 
dem Patienten recht große Schmerzen machen. Kein Zeichen 
verrät manchmal eine besondere Empfindlichkeit des 
Periostes. Sowie man zu spritzen anfängt, erhebt, aber 
der Patient ängstlich abwehrend die Hand und läßt ein 
leises Stöhnen hören. Pausieren! Zuspruch: nun wisse 
man die bisher unbekannte Schmerzhaftigkeit, man werde 
sehr vorsichtig sein! Nur ein Teilstrich darf zunächst ein¬ 
gespritzt werden, doch sofort erhebt sich schon die Hand 
des Patienten. Kleine Pause, dann wieder Einspritzung 
eines Teilstriches. Nun können zwei Striche folgen und 
allmählich langsames, gleichmäßiges Spritzen; der Patient 
wehrt sich nicht mehr. 

Diese Einspritzungen müssen in verschiedener Höhe 
erfolgen. Am ersten Schneidezahn, ungefähr in 3 mm Höhe 
über dem Zahnfleischsaum beginnend, steigen sie an bis 
ungefähr zur Höhe von 1 cm am zweiten Molarzahn. Hat 
man mehrere Zähne zu ziehen, so braucht man nicht an 
jedem einzuspritzen, sondern — wegen der Nerventeilung 
nur am ersten und letzten je 1 / 2 cg Kokain-lschämin. 
An der Innenseite des Unterkiefers ist es oft schwierig, 
hinten, wegen Schiefstandes der Kieferwand und hindern¬ 
der Zunge, die Nadel einzustoßen; doch bin ich noch stets 
mit schlank gebauter, gerader Spitze ausgekommen. Ist 


der Unterkiefer an der Vorderseite sehr dick bei starker 
Leiste, so kann es vorteilhaft sein, an der dünneren, 
lingualen Wand 1 cg Kokain statt eines halben einzuspritzen. 
Die Kokainlösung muß ungefähr in der Gegend des Wurzel¬ 
endes deponiert werden. Eine wichtige Frage ist, wieviel 
man nun einspritzen soll. Man findet ja Angaben, daß man 
z. B. bei einem Oberkieferzahn ohne Periostitis mit 1, ja 
V*, cg Kokain auskommen könne. Das mag bei sehr langem 
Warten der Fall sein. In der Praxis liegt die Sache aber 
nicht so einfach. Die Patienten kommen meist in der Sprech¬ 
stunde. Draußen sitzen noch weitere Wartende. Also un¬ 
endliche Zeit kann der Arzt einem Fall nicht opfern. Denn 
den Patienten nach erfolgter Einspritzung ins Wartezimmer 
zu schicken, ist nicht angängig. Ueberwachung und Zu¬ 
spruch bei etwaigem Herzklopfen sind erforderlich. Spritzt 
man mehr ein, so erfolgt die Gewebsdurchtränkung schneller, 
und da in die weitere Umgebung das meiste noch nicht 
eingedrungen ist, so wird beim Ziehen des Zahnes ein 
Teil des Kokains durch Ausbluten wieder entfernt. Aller¬ 
dings wird der Patient, wenn man größere Mengen nimmt, 
eher gewisse unangenehme Nebenerscheinungen, bes. Herz¬ 
klopfen, in den Kauf nehmen müssen, als bei Verwendung 
von Mindestmengen. Dazu ist er aber gern bereit, wenn 
er nur keinen Schmerz empfindet. „Hat es wirklich nicht 
weh getan?“ wird er nachher gef ragt; und er antwortet dann: 
„Nein, weh getan hat. es nicht, aber ich habe Herzklopfen 
bekommen; doch das machte nichts, da ich keine Schmerzen 
auszuhalten brauchte!“ — Und, Herr Kollege, wenn Sie 
selbst sich einen Zahn ziehen lassen, werden Sie nicht 
dem operierenden Arzte sagen: „Spritzen Sie nur ein 
bißchen reichlich ein; die Hauptsache ist mir denn doch, daß 
es nicht schmerzt; ich habe so wie so schon drei Tage 
und Nächte ausgehalten?“ Das ist die unbestrittene Sach¬ 
lage: Hier etwas mehr „Gift“, dort längere, ängstliche 
Wartezeit und Halberfolge; infolgedessen Nachrede für den 
reellen Arzit, Zulauf zum Charlatan, Verlangen nach 
Chloroform. Nun kommt aber noch in technischer Be¬ 
ziehung ein wichtiges, ausschlaggebendes Moment hinzu. 
Manchmal ist ein Zahn morscher, oder er sitzt fester, als 
man glaubte. Da kommt eine absolute Gefühllosigkeit dem 
Patienten wieder sehr zustatten, und der Operateur wird 
bei seinen energischen, wiederholten Eingriffen in keiner 
Weise gehindert. Ferner gestattet eine recht vollkommene 
Blutleere, daß das Operationsfeld nach kurzem Abtupfen 
völlig übersichtlich bleibt. — Demnach nicht die Minimal¬ 
dosis geben, sondern eine sicher wirkende, die noch 
absolut ungefährlich istl — Der verständige Arzt wird 
natürlich sich erst die Konstitution der Patienten ansehen, 
Kieferbau, etwaige Entzündungen in Betracht ziehen und 
nicht schematisch handeln. 

Unter Berücksichtigung aller dieser Umstände empfehle 
ich für einwurzelige Oberkieferzähne nicht unter l l / 2 cg, 
für dreiwurzelige nicht unter 2 cg zu geben. Bei Entzün¬ 
dungen V 2 cg mehr. Die Unterkieferzähne erfordern unter 
entsprechenden Verhältnissen 1 / 2 cg mehr, als die im Ober¬ 
kiefer. Bei Peridentitis der Molarzähne im Unterkiefer ist 
oft noch eine Dosis Alypin nötig, wie schon oben ausein¬ 
andergesetzt wurde. Soll man nun stets Nebennierenextrakt 
zusetzen zur Kokainlösung? Ich empfehle, es zu tun, weil, 
selbst wenn keine Entzündung (vorhanden, also die Schmerz¬ 
losigkeit verhältnismäßig leicht zu erzielen ist, die Emp¬ 
findungslosigkeit länger vorhält. Man braucht in diesen 
Fällen auch nicht so viel Ischämin zu nehmen, 4—5 Tropfen 
zu 3 cg Cocain genügen. 

Sehr wohl kann man in einer Sitzung selbst drei ge¬ 
trennt stehende Zähne auf einmal ziehen, wenn man, der 
Sachlage entsprechend, mit Ueberlegung das Anästhesie¬ 
rungsmittel richtig verteilt. In solchen Fällen sind nicht 
alle Zähne gleichmäßig schwierig zu entfernen. Einer ist 
der Hauptübeltäter; die anderen sollen nur bei der Ge¬ 
legenheit gleich mit beseitigt werden. Für zwei mehr- 




uTOlRSm 





1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


601 


wurzelige Zähne und einen einwurzeligen z. B. genügen 3 cg 
Kokain und 3 cg Alypin in 6 g Wasser vollkommen, wenn 
man nur 10 Minuten bis zum Ausziehen wartet. 

Stehen die zu entfernenden Zähne nebeneinander, 
braucht man verhältnismäßig wenig von den Betäubungs¬ 
mitteln. Für sämtliche Zähne auf einer Seite des Ober¬ 
und Unterkiefers kommt man aus mit 3 cg Kokain, 3 cg 
Alypin, aufgelöst in 6 g Wasser unter Hinzufügung von 
8 Tropfen Ischämin. Derartige bedeutende Eingriffe nehme 
man aber nur in der Wohnung des Patienten vor. Emp¬ 
fehlenswert ist es, nach ausgeführter Operation eine 
Morphiumeinspritzung zu machen und ein Schlafmittel¬ 
rezept für alle Fälle zu hinterlassen. 

Von Nebenumständen ist noch einiges zu sagen. 

Fisteln müssen umspritzt werden. Unangenehm können 
beginnende Abszesse werden, die man noch nicht zu er¬ 
kennen vermochte. Gerät man da mit der Nadel hinein 
und spritzt, so verursacht die plötzliche Drucksleigerung 
enorme Schmerzen. Einen absolut sicheren Schutz dagegen 
gibt es nicht; aber man beachte genau die Abwehrbewegun¬ 
gen des Patienten und gehe langsam, sehr langsam vor. 

Bei außer der Reihe nach vorn stehenden Eckzähnen 
genügt eine Einspritzung an der Vorderwand. 

Zähne alter Leute, schon wackelig, fast nur im Zahn¬ 
fleisch festsitzend, sind sehr empfindlich. Man lasse sich 
nicht verleiten, sie ohne Kokain zu ziehen, auch wenn 
sie offenbar leicht zu entfernen sind. Der Patient wäre 
Ihnen nicht dankbar. Natürlich genügt 1 cg vollkommen, 
weil kein Kiefer zu durchdringen ist; aber lange warten, 
weil die Empfindlichkeit hoch ist. 

Vor Einschnitt auf einen Zahnabszeß spritze man 1 cg 
ein, dann kann man eine sehr breite Eröffnung machen, 
wodurch eine Fistelbildung vermieden wird. Den schuldi¬ 
gen Zahn sogleich zu ziehen, ist nicht ratsam; dem Patienten 
würden viele Schmerzen verursacht, und er >vollte ja gar 
nicht den Zahn oder die Wurzel, sondern nur seine 
Schmerzen loswerden. 

Eine Epulis wird beidseitig umspritzt. 

Unter solchem Vorgehen wird, sobald erst einige Uebung 
vorhanden ist, man nur noch wenige Patienten unbefriedigt 
entlassen. 

Beim Verabschieden pflege ich dem Patienten zu sagen: 
„Sie können Kokain gut — resp. je nachdem, nicht allzu 
gut — vertragen. Geben Sie das für einen etwaigen zu¬ 
künftigen Fall dem Arzt an;“ ferner „die entfernte Wurzel 
war über normal lang (oder kurz); wie eine ist, pflegen 
alle zu sein. Es ist bei einer etwaigen zukünftigen Opera¬ 
tion für Sie vorteilhaft, daß der Operateur darüber Bescheid 
erhält, damit er nicht zu flach oder unnötig tief einen 
größeren Teil des Kokains anbringt.“ 

Zum Schluß fasse ich meine Ratschläge noch einmal 
in die kurzen Worte zusammen: Wollen Sie Erfolg haben, 
so zeigen Sie dem Kranken Ihr Mitgefühl in Worten so¬ 
wohl wie in Zartheit und Geduld. Wer nicht im innersten 
Herzen mitfühlt mit dem Leidenden, der fange gar nicht 
erst an mit schmerzlosem Zahnziehen; er bringt es doch 
nicht zur Vollkommenheit! 

Wir kommen nun zum zweiten Abschnitt der Arbeit, 
zur Extraktionstechnik. Dieser braucht nicht ausführlich 
behandelt zu werden, da in jedem chirurgischen Hand¬ 
buch das nötige steht. Ich beschränke mich daher auf 
Aphorismen. 

Zunächst handelt es sich darum, festzustellen, ob ein 
noch leidlich gut aussehender Zahn wirklich entfernt, 
werden muß, oder ob er etwa noch durch Plombieren er¬ 
halten werden kann. Hat der Patient auch nur eine Nacht 
Schmerzen gehabt, tut Berührung mit Heißem weh, ist der 
Zahn druckempfindlich, erscheint er länger, sind schon 
benachbarte Drüsen geschwollen (Peridentitis), so ist nur 
die Wahl vorhanden: Aushalten und ab_warten, ob das 
Leiden sich nicht spontan bessert, oder: Ausziehen! Die 


Fäulnis hat die Nervenkanäle ergriffen, darum tritt bei 
Erwärmung größerer Druck der Fäulnisgase und damit er¬ 
höhter Schmerz ein. Zwar vermag die zahnärztliche Kunst 
durch langwierige, kostspielige Bemühungen unter Um¬ 
ständen einen solchen Zahn zu erhalten. Mitunter aber 
folgen der Plombierung sofort heftigste Schmerzen weil 
doch die Fäulnis nicht völlig beseitigt war — so daß nun 
die Entfernung noch nachträglich nötig wird. Bei ein¬ 
wurzeligen Vorderzähnen mag der Arzt den Patienten auf 
die Möglichkeit der Zahnerhaltung hin weisen; bei den inehr- 
wurzeligen Backzähnen dürfte bei dem zweifelhaften Aus¬ 
gang eines solchen Versuches dieser jedenfalls nur wohl¬ 
habende^ Patienten vorzuschlagen sein. Bei einfacher 
Karies (Symptom: Schmerz beim Beißen) oder Pulpitis 
(Symptom: Schmerz bei Berührung, bei Kälteeinwirkung, 
oder spontan in ausstrahlender, neuralgischer Form) hängt 
die Behandlung von vielerlei Umständen ab. Da muß man 
die Entscheidung von Fall zu Fall treffen. Nur darauf sei 
aufmerksam gemacht, daß die ersten bleibenden Molaren so 
hinfällig sind, daß manche Zahnärzte deren Füllung 
prinzipiell ablehnen. 

Was die Technik anbelangt, so ist Schonung des Zahn¬ 
fleisches, Vermeidung weiterer Ablösung desselben uner¬ 
läßlich. 

Handelt es sich um Extraktion abgebrochener Wurzeln, 
stoßen Sie die Zange am Oberkiefer hinauf, als wollten 
Sie oben am Kopf herauskommen, am Unterkiefer hinab, 
als wollten sie am Kinn durchstoßen, bis Sie den Zahn 
festhaben. Ein Zahn darf nicht abbrechen, heißt es in 
den Lehrbüchern. Das ist ein Unsinn, sei dem Anfänger 
zum Trost gesagt. Es gibt Wurzeln, fast nadeldünn, in 
dicken Kiefern. Da ist es eine physikalische Notwendigkeit, 
daß sie brechen. Wer aber ruhig und kunstgerecht arbeitet, 
wird allerdings weniger Zähne abbrechen, als wer schnell 
rüttelt. Sie haben ja Zeit bei guter Anästhesierung. Es 
darf nicht Vorkommen, daß Sie bei Extraktion eines t nter- 
kieferzahnes beim Herausfahren (statt Herausnehmen!) der 
Zange gegen die Oberkieferzähne schlagen und womöglich 
- es kommt vor! — einen gesunden Zahn herausstoßen. 
— Ziehen Sie keinen falschen Zähn! Der Patient gibt 
Ihnen mitunter einen verkehrten an. Prüfen Sie seine An¬ 
gaben, wenn sie Ihnen verdächtig erscheinen, objektiv noch 
durch Druck, Berührung mit erhitztem Metall, Sonde. Be¬ 
nutzen Sie den Induktionsstrom. Geben Sie dem Patienten 
die eine Elekirode in die Hand, die andere nehmen Sie 
selber in Ihre linke Hand. Dann berühren Sie bei 
schwächstem, eben fühlbarem Strom die Zähne mit Ihrem 
rechten Zeigefinger. Wenn Sie an den kranken kommen, 
zuckt der Patient zusammen. Allerdings würden Sie bei 
nervösen Frauen scheitern; diese fahren zusammen, so¬ 
bald sie überhaupt den elektrischen Strom wahrnehmen und 
geben Ihnen keine entscheidende Auskunft: ,,es tut alles 
furchtbar weh!“ Als letztes differentialdiagnostisches Mittel 
ist zu empfehlen, eine schwache Probeeinspritzung senkrecht 
an dem verdächtigen Zahn hinunter zu machen und dann 
zu sehen, ob der Schmerz verschwindet oder nicht. Lieber 
erschöpfen Sie alle Mittel, ehe Sie einen falschen Zahn 
ziehen. Es gibt aber auch Fälle, wo Sie schwören möchten, 
der vom Patienten angegebene Zahn sei gesund. Der 
kariöse Kanal ist vielleicht so fein und kann so verborgen 
zwischen eng aneinander stehenden Zähnen liegen, daß 
Sie ihn nicht finden. Die Probeeinspritzung wird die Sach¬ 
lage klären. In einem derartigen Fall fiel eine Frau vor 
mir auf die Knie flehentlich bittend, ihr doch einen an¬ 
scheinend gesunden Backzahn zu ziehen; schon zwei Zahn¬ 
ärzte hätten es verweigert, und nun wolle auch ich sie 
nicht von den unerträglichen Schmerzen befreien. Da ließ 
ich mich bewegen, und die Frau hatte recht. 

Auch beim Zahnlückenschmerz kommt, es vor, daß man 
vergeblich sich mit dessen Behandlung abquält, und erst 
spät entdeckt man die schuldige Ursache in einem schein- 



602 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 41 


bar gesunden Nachbarzahn, mit dessen Entfernung der 
Patient von seinen Schmerzen erlöst ist. Also Augen aufl 

Umgekehrt gehe man nicht dem Drängen des Patienten 
ohne weiteres nach, gleich zwei Zähne zu ziehen. Sind 
auch beide druckempfindlich, ist der eine aber noch ver¬ 
hältnismäßig gut erhalten, so spritze man zwar so ein, 
daß man nötigenfalls beide entfernen kann, ziehe aber zuerst 
den schlechtesten. Hängt an dessen Wurzel ein Eitersack, 
so bewege man den Patienten zur Geduld, schreibe ihm ein 
Schlafmittel auf; wenn aber am nächsten Tage der ge¬ 
schonte Zahn noch ebenso schmerzen sollte, dann aller¬ 
dings heraus |mit ihm! Einen solchen Fehlschlag ver¬ 
denkt Ihnen Ihr Patient sicher nicht, er wird Ihre gute 
Absicht anerkennen. 

Die bei Extraktion vorderer Schneidezähne empfohlene 
Rotation ist zwecklos. 

Bei vom außer der Reihe sitzenden Eckzähnen setze 
man die Zange nicht zu parallel dem Zahn an, sondern 
mehr gegen den Kiefer, sonst gleitet sie ab. Sollte zu¬ 
fällig ein Nebenzahn krank sein, so entferne man diesen. 
Der gesunde Eckzahn rückt in die Lücke ein. 

Für versprengte Zähne im Gaumen (sehr selten!) lege 
man Meißel und Hammer bereit, denn sie sitzen sehr fest. 

Bei starkem Bluten nach Ausziehen eines oberen Molar¬ 
zahnes denke man an eine mögliche Eröffnung des Antrum 
Highmori und tamponiere mit Jodoformgaze. 

Unterkiefermolaren wird man, im Besitz der oben ge¬ 
forderten Zangen, fast immer mit diesen entfernen können. 
Gelingt es ausnahmsweise nicht, so greife man zum Meißel. 
Nachdem das Zahnfleisch abgehoben und durch Jodoform¬ 
gaze vom Kiefer getrennt wurde, ist es eine Kleinigkeit 
bei der vorhandenen Blutleere und Uebersichtlichkeit des 
Operationsfeldes mittels einiger Hammerschläge auf den 
Meißel den vorderen Knochenrand zu entfernen, um einen 
festen Halt für die Zange zu gewinnen. Dasselbe Verfahren 
auch noch auf der Innenseite anzuwenden, dürfte kaum 
nötig sein. 

Bei schadhaften Kinderzähnen, wo man schwanken 
kann nach der Sachlage zwischen Plombieren und Ex¬ 
traktion, darf man die Zähne entfernen, wenn die soziale 
Lage der Eltern eine teure Füllungsbehandlung mit ihren 
Revisionen und Neufüllungen nicht gestattet. Der Kiefer 
leidet nicht in seiner Entwickelung, so daß die neuen Zähne 
später doch genügend Platz finden. Ehe man den Patienten 
entläßt, vergewissere man sich, daß sich nicht Kiefer¬ 
stückchen halb gelockert in der Wunde befinden. 

Sehr wesentlich für den Erfolg des „schmerzlosen Zahn¬ 
ziehens“ ist die Behandlung von Folgezuständen. 

Zunächst kann der „Zahnlückenschmerz“ unangenehm 
überraschen. Man versteht darunter das Auftreten von 
Schmerz in einer Alveole, ohne daß man eigentlich ob¬ 
jektiv etwas Krankhaftes nachweisen kann. Der Schmerz 
dauert oft tagelang in heftiger Weise an. Die Behauptung, 
daß er von der Kokaininjektion herrühre, muß auch ich 
nach eigenen Erfahrungen zurückweisen. Man glaube nicht 
den Anpreisungen neuer Mittel, in denen stets figuriert, 
der Zahnlückenschmerz komme nach ihrer Verwendung 
nicht vor. Gar manches Mal wurde ich wegen dieses 
Schmerzes von Leuten befragt, die sich anderswo einen 
Zahn hatten ohne Lokalbetäubung ziehen lassen. Und 
mit der Zeit lernt man doch voraussehen, daß unter 
gewissen Umständen ein Zahnlückenschmerz zu erwarten 
sei. Bei jedem Fäulnisvorgang in den Nervenkanälen der 
Wurzeln sei man mißtrauisch. Ist auch noch keine Periosti¬ 
tis da, so beweist Ihnen einfach das Kommen des Patienten, 
den sein Leiden endlich zum verzweifelten Entschluß, sich 
der Zahnoperation zu unterwerfen, getrieben hat, daß eine 
Steigerung der entzündlichen Vorgänge stattgefunden haben 
muß. ln einzelnen Fällen kann man vorher sogar fast sicher 
sein. Am verdächtigsten erscheint mir immer ein Molarzahn 
mit großer Karies, wobei im Winkel zwischen Kiefer und 


Ohr schon eine schmerzhafte Drüse sich findet. Zu sehen 
ist am Zahnfleisch gar nichts. Ich rate dringend, solche 
Zähne ausgiebig und sehr tief zu umspritzen und dann 
lange zu warten, sonst beweist Ihnen alsbald ein Schrei 
und verzweifeltes Befühlen der Backe seitens des Patienten, 
daß das Ausziehen das Zahnes sehr schmerzhaft war. 
Findet man nun keinen deutlichen Eitersack an einer der 
Wurzeln, so muß man annehmen, die Druckschmerzhaftig¬ 
keit. rühre von Reizung der Kiefernerven splbst. her und 
daß demnach der Zahnlückenschmerz zu erwarten sei. Um¬ 
gekehrt deutet eine mächtige Granulationsentwickelung 
darauf hin, daß die Schmerzen nicht wiederkehren werden, 
nachdem die Eiterhöhle freigelegt wurde. Habe ich nun 
den Verdacht auf Nachschmerz, so bekommt der Patient ein 
Rezept mit, lautend auf 1 g Orthoform, und er wird an¬ 
gewiesen, nach Fingersäuberung sich aus Watte auf einem 
Teller eine schlanke Spindel zu fertigen und dieselbe mit 
einem Brei aus Orthoform und Wasser zu durchtränken, 
nicht bloß zu bestreichen. Diesen Wattewickel solle er 
dann mit Strick- oder Haarnadel in die Zahnlücke hinein¬ 
bringen und allmählich tiefer hinabdrücken (event. nach 
Erneuerung der Watte, falls die erste zu sehr von Blut 
durchtränkt werd. Dann bekommt er 4—5 Stunden Ruhe. 
Darauf Erneuerung des schmerzstillenden Tampons. 

Jahre hindurch habe ich, nachdem auch ich die brand¬ 
erzeugende Wirkung des Orthoforms an Geschwüren er¬ 
leben mußte, das Orthoform durch Anästhesin zu ersetzen 
gesucht, bin aber jetzt wieder zum Orthoform zurück¬ 
gekehrt, da es sich dem Anästhesin weit überlegen erwies. 
Bei Behandlung des Zahnlückenschmerzes habe ich niemals 
das geringste Schädliche bemerkt. Im ^Gegenteil fand ich 
die Wunden immer sehr gut aussehend und bitte daher 
unter Berufung auf meine Erfahrungen, einen Versuch mit 
dem Orthoform zu machen. 

Die Zahnlücke sofort nach der Operation zu tampo¬ 
nieren, ist nicht zu empfehlen, da öfter Patienten bei Ge¬ 
legenheit einer zweiten Extraktion es sich verbaten. 

Kommt nun ein Patient wieder, weil er trotz Ortho- 
formtampons noch Schmerzen habe, so ist — wenn nur 
Lokalschmerz, keine Lymphdrüsenschwellung besteht — 
folgendes Verfahren meist von Erfolg begleitet: Mit Watte¬ 
sonde, in Kokainlösung getaucht, geht man langsam tiefer 
in die Alveole hinab. Das unterste Ende darf.nicht außer 
acht gelassen werden. Nach eingetretener Empfindungs¬ 
losigkeit fahre man schnell und kräftig mit einer zweiten 
Wattesonde, getaucht in flüssige Karbolsäure, tief hinunter. 
Es entsteht immerhin noch ein Schmerz für einen Augen¬ 
blick, dann aber ist der Zahnlückenschmerz dauernd fort. 
Ohne Kokainvorbereitung ist der Augenblicksschmerz sehr 
heftig; also bitte, die „Heftigkeit“ und nicht „den Augen¬ 
blick“ für Ihr Handeln maßgebend sein zu lassen! 

Sollte trotz Kokainisierung der Höhle der Schmerz 
gleich bleiben, wäre Karbolanwendung nutzlos, weil damit 
bewiesen wäre, daß Nerven der Umgebung den Schmerz aus¬ 
lösten. In diesem Fall, ferner bei Periosterkrankung, bei 
Lymphdrüsenentzündung, oder überhaupt falls die Opera¬ 
tion kurz vor Einbruch der Nacht stattgefunden hat, gebe 
man lieber (dem Patienten noch ein Rezept mit für ein 
allgemeinschmerzstillendes Mittel, z. B. Pyramidon mit 
Morphium. 

Tun Sie eher des Guten zu viel, als zu wenig! Der 
Patient fühlt Ihr Mitleid mit seinen Schmerzen, und konn¬ 
ten Sie ihn auch nicht völlig von ihnen befreien, so kommt 
er sicher im nächsten Fall zu dem mitfühlenden Arzt 
wieder. 

Nachblutungen sind nach Kokain-Ischämin sehr selten. 
In allen kleinen Adern war das Blut geronnen, ehe die zu¬ 
sammenziehende Wirkung des Mittels erschöpft war. Nur 
wenn ein großes Gefäß des Kiefers angerissen wurde, kann 
eine Nachblutung stattfinden. Zur Stillung verwende man 
zunächst einen Kokain-Ischämintampon. Es ist am besten, 









THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


603 




sofort Kokain mitzubenutzen, damit, wenn Ausbeizungen 
nötig werden sollten, man nicht erst neuen Zeitverlust 
erleidet. Steht nun die Blutung ganz oder fast, so ge¬ 
nügt ein Tampon aus Watte mit Ferropyrinpulver bestreut. 
Zeigt es sich aber, daß eine größere Knochenarterie die 
Blutung unterhält, so genügt dies Verfahren nicht. Das 
Einfachste ist alsdann Wattesonden mit gesättigter Chrom' 
säurelösung getränkt, gegen die blutende Stelle eine Minute 
fest anzudrücken. Quillt, durch den Schorf noch rotes Blut, 
so wiederholt man das Verfahren ein oder mehrere Male. 
Den Kauter oder das Uebernähen eines Tampons habe ich 
nie verwendet. 

Eigentlich wäre nun unser Thema erschöpft. Wer aber 
viel von Zahnleidenden behufs Extraktionen aufgesucht 
wird, der hat noch einige Zahnkrankheiten, bei denen der 
Zahn erhalten bleiben kann, zu behandeln. 

Empfindliches Zahnbein wird mit Karbol oder 20 pro¬ 
zentiger Höllensteinlösung zweimal gebeizt. Man muß aber 
auf Mißerfolge gefaßt sein und auf deren Möglichkeit auf¬ 
merksam machen. Nach erlangter Unempfindlichkeit raten 
Sie, wenn es noch lohnt, die kariösen Stellen füllen zu 
lassen. 

Dankbar ist mitunter die Behandlung derPyorrhoea alveo- 
laris. Die Patienten kommen stets mit der Aufforderung 
den oder die befallenen Schneidezähne des Unterkiefers 
zu entfernen. Die Zähne sind tatsächlich wackelig. Wenn 
das Leiden aber nicht zu schlimm ist, unternehme man 
den Versuch, die Zähne zu erhalten. Die in den Lehr¬ 
büchern angegebenen Methoden, Ausbrennen mit dem Gal¬ 
vanokauter oder Spalten des Zahnfleisches durch einen 
senkrechten Schnitt, seitliches Auskratzen und Offenhalten 
der Wunde durch Jodoformgazestreifen sind nicht zu 
empfehlen. In einer einzigen Sitzung ist die Sache nicht 
zu erledigen und für Wiederholungen ist der Patient nicht 
zu haben, — er kommt nicht wieder. Einfacher ist es, mit 
spitzem Hölzchen so tief wie möglich zwischen Zahn und 
Zahnfleisch wiederholt hinabzugehen und mittels dieses 
Instrumentchens erst Kokainlösung, später Chromsäure hin¬ 
abzubringen, und zwar an Vorder- und Rückseite. Das 
Verfahren wiederholen Sie noch zweimal in achttägigen 
Zwischenräumen. Abschreckend wirkt diese Methode nicht 
und ist bei zartem Vorgehen fast schmerzlos. Auf mehr als 
50% Erfolge werden Sie aber nicht rechnen dürfen. 

Blutendes Zahnfleisch darf nach Kokainisierung mit 
Chromsäure geätzt. Bei sehr starken Wucherungen trägt 
man erst die Lappen mit einer Schere ab, und ätzt alsdann, 
bis die Blutung steht. 

Als Linderungsmittel bei Stomatitis, besonders mercu- 
rialis ist Anästhesin brauchbar. Kokain in das Zahnfleisch 
mehrmals hintereinander eingerieben, dient als Linderungs¬ 
mittel bei leichter Peridentitis, wenn der Zahn „muckert“. 
Besonders ad usum proprium dürfte es für Kollegen 
empfehlenswert sein, wenn sie mit derartigen Schmerzen 
behaftet in Wind lind Wetter hinausmüssen. Aelteren 
Damen, welche sich vor einer Extraktion ängstigten, habe 
ich das Mittel vereinzelt verordnet. Sie waren zufrieden. 

ln vorstehenden Ausführungen findet derjenige Arzt, 
welcher der kleinen Chirurgie des Mundes sich annehmen 
will, die Grundlagen, auf welchen er weiter bauen kann. 
Gar manches fehlt noch. Doch die Wissenschaft schreitet 
schnell fort, und der Leser weiß vielleicht zurzeit schon 
selbst. Verbesserungen. So können wir hoffen, daß die¬ 
jenigen Verfahren, welche wir heute trotz ihrer Mängel als 
„schmerzlose Behandlung“ bezeichnen, dem Ideal sich mehr 
und mehr nähern werden, und daß dementsprechend die 
Tätigkeit des praktischen Arztes eine stetig dankbarere 
werde für seine Patienten sowohl, wie auch für ihn selbst. 


REFERATE. 

Interne Komplikationen der Schwangerschaft. 

Sammelreferat 

von Frauenarzt Dr. Otfried O. Fellner (Wien). 

A. Zufällige Komplikationen. 

1. Infektionskrankheiten. 

Differentialdiagnostisch ist nach Bedrunc für Influenza 
im Wochenbett der gute Puls entscheidend. Doch ist die Dia¬ 
gnose oft sehr schwierig. Die Behandlung sei dieselbe wie außer¬ 
halb des Wochenbettes. Das Stillen soll unbedingt fortgesetzt 
werden. 

B a 11 a i m i beobachtete ß Fälle von Schwangerschaft und 
Wochenbett, die mit Malariamilz kompliziert waren. In drei 
Fällen handelte es sich um Mehrgebärende mit Kompensations¬ 
störungen von seiten des Herzens, in einem Falle um Mitral¬ 
insuffizienz und Nephritis. Hier wurde der Abort im 5. Monat 
eingeleitet. Der Milztumor reichte in den Fällen bis zum Becken. 
Nach der Geburt trat unter Vergrößerung des Milztumors An¬ 
steigen der Temperatur und der Pulszahl auf. Nach 10 Tagen 
schwanden die letzten Erscheinungen. Das Fieber beruht jeden¬ 
falls auf Perisplenitis und lokaler Peritonitis am Milztumor. Bei 
3 Mehrgebärenden wurde eine Messung des Milztumors ausge¬ 
führt und stets eine Vergrößerung wahrgenommen. 

Bei Larynxtuberkulose kommt es nach Barthas selten zu 
Abortus, häufig aber zur Frühgeburt, doch verläuft mitunter die 
Schwangerschaft ungestört. Fast stets ist gleichzeitig eine Lun¬ 
gentuberkulose vorhanden. Im Kehlkopf lokalisiert sich die Tu¬ 
berkulose zumeist am Anfang der Schwangerschaft. Der Tod 
erfolgt gewöhnlich im Wochenbett. Die kindliche Mortalität be¬ 
trägt 36%. Der Abort führt nicht zum Stillstand der Erkran¬ 
kung, und da auch die Frühgeburt das Ende nur beschleunigt, so 
soll man nur lokal und allgemein behandeln. Das Stillen ist zu 
verbieten. 

Wie Rotte r mit teilt, war bei einer an Kehlkopf- und Lun¬ 
genschwindsucht erkrankten Frau schon die Tracheotomie vor- 
genomen worden. Im Interesse des kindlichen Lebens wurde bei 
der sterbenden Frau die Sectio vaginalis ausgeführt, und ein 
lebendes Kind erzielt. Die Frau starb nach vier Stunden. 

2. Magen- und Darmerkrankungen. 

Bei einer Patientin von E. P r e i ß kam es vor der zweiten 
Entbindung zu heftigen Darmblutungen, wiederholtes Erbrechen 
von Blut und darauffolgenden Ohmnachtsanfällen. Am nächsten 
Tage erfolgte die Entbindung, worauf die Erscheinungen auf¬ 
hörten. Im letzten Monat der nächstfolgenden Schwangerschaft 
zeigten sich dieselben Symptome. Daß es sich um die Perforation 
eines Magengeschwürs handelte, ist B. nicht sehr wahrscheinlich. 
Dagegen erscheint es ihm nicht ausgeschlossen, daß der geplatzte 
Varix einer Magenvene die Blutung verschuldet hat. 

A. Calmann berichtet über eine 26 jährige Frau, die im 
7. Monat ihrer ersten Schwangerschaft unter Kreuzschmerzen, 
Schmerzen in der Ileocöcalgegend, Erbrechen und Fieber er¬ 
krankte. Stuhlverstopfung. Acht Tage nach Beginn der Erkran¬ 
kung fühlte man eine unbedeutende Resistenz. Die Temperatur 
war etwas erhöht. Unter der üblichen Behandlung gingen die 
Erscheinungen zurück. Entbindung normal. Dies war eine Ap- 
pendicitis simplex. Bei einer Appendizitis schweren Charakters 
bedeutet die Unterbrechung der Schwangerschaft die größte Ge¬ 
fahr. Eine 38 jährige Frau, die 4 mal geboren hatte, stand im 
vierten Monat einer neuerlichen Schwangerschaft. Seit 12 Stun¬ 
den bestanden Blutungen. Der Abort ließ sich leicht entfernen. 
Sekale. 3 Tage später stellten sich Durchfalle, Erbrechen, Hitze 
ein. Zwei Tage darauf Schüttelfröste. Pulszahl stieg. Lapa¬ 
rotomie ergab- V 2 Liter grünlichen, übelriechenden Eiters. Der 
Proc. vermicularis war mit dem Ovarium verklebt. Dieses ent¬ 
hielt 3 Abszesse. Resektion des Appendix und der rechten Adnexe. 
Drainage. An der Spitze des Cöcums fanden sich 3 feine Perfo- 
rationsöHniingen. Am 4. Tage Exitus. 

C. erwähnt drei Fälle mit Peritonitis, in einem Falle kam es 
zur Unterbrechung der Schwangerschaft. Die im Wochenbett 
auftretenden oder rezidivierenden Prozesse nähern sich in ihrem 
Verlauf den Erkrankungsformen außerhalb der Gestationszeit. 
Ein Fall: Appendicitis simplex im Wochenbett, Heilung ohne 
Operation. Nur eine Komplikation, die nur ausschließlich im 




604 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 41 



Wochenbett sich einstellt, indiziert einen anderen Standpunkt. 
Sie besteht in einer hartnäckigen Störung der Involutions- 
vorgange des Uterus, die erst der Heilung oder operativen Be¬ 
seitigung der Appendizitis weichen. 

C. führt einen Fall von Appendizitis im Wochenbett an. 
Involutio uteri. Der Uterus bleibt zwei Finger über der Sym¬ 
physe, die Blutung bleibt stark. Durch 4 Wochen Ruhelage, Da 
die Blutung fortbesteht, das Fieber andauert, wird die Operation 
ausgeführt und 3 Tage nachher hört die Blutung auf. In einem 
weiteren Falle handelte es sich um einen Abortus im 3. Monat. 
Appendizitis. Subinvolutio uteri. Blutung. Nach der Opera¬ 
tion wird der Uterus wieder kleiner. Weiterhin ein Fall von 
chronischer Appendizitis während der Schwangerschaft und 
Operation im 7. Monat. Fortdauer der Schwangerschaft. 
Schließlich eine phlegmonöse Appendizitis mit Abszeß im Me- 
senteriolum. Operation. Hierauf Unterbrechung der Schwan¬ 
gerschaft. Thrombose der Yenae femoralis. Heilung. 

Eine Patientin Stählers hatte vor IV 2 Jahren einen 
leichten Appendizitisanfall. Jetzt trat in der 24. \\ oehe ein 
zunächst fieberfreier neuerlicher Anfall auf, bei welchem sich 
nach einigen Tagen eine Temperatur von 38,3° und Puls¬ 
beschleunigung einstellte, also Zeichen drohender Perforation. 
In der darauffolgenden Nacht erfolgte auch die Perforation. 
Als man in der Frühe den Bauch eröffnete, kam Eiter zum Vor¬ 
schein. Abtragung des Wurmfortsatzes. Tamponade nach 
Mikulicz. Tags darauf erfolgte die vorzeitige Entbindung. 
Es trat Sepsis und Peritonitis auf, aber schließlich wurde die 
Patientin gesund. S. stellte im ganzen 77 Fälle von Appendi¬ 
zitis in der Schwangerschaft zusammen. Diese geringe Zahl 
spricht seiner Ansicht nach für eine verringerte Disposition. 
Unter 104 Fällen befanden sich 40, die teils mit, teils ohne 
Operation das Kind austrugen, während bei 64 Frühgeburten 
cintraten. 58 wurden operiert. Auf die Operierten entfallen 
32 vorzeitige Schwangerschaftsbeendigungen und 20 Todesfälle, 
also 35% Mortalität, auf die 46 nicht operierten 32 vorzeitige 
Entbindungen und 17 Todesfälle, also 37% Mortalität. S. 
empfiehlt die frühzeitige Operation und spricht sich gegen die 
vorzeitige Entbindung aus. 

3. Gallenblase. 

A. Litzenf re y schließt sich dem Bericht an, daß bei 
Frauen, die geboren haben, Gallensteine viel häufiger gefunden 
werden als bei Nulliparen. Auch beobachtet man Anfälle sein- 
häufig zu Beginn der Menstruation. Es läßt sich dies vielleicht 
damit in Zusammenhang bringen, daß die in der Zeiteinheit 
abgesonderte Galle der die Leber durchströmenden Blut¬ 
menge direkt proportional ist und daß schon geringe Blut¬ 
verluste die starke Muskeltätigkeit der Gallenblasenabsonderung 
oft plötzlich unterdrücken. Die dadurch veranlaßten plötzlichen 
IJruckschwankungen begünstigen die Einwanderung der Darm¬ 
mikroorganismen in die Gallenblase. S. erwähnt mehrere Fälle 
aus der Literatur, wo in der Schwangerschaft das Krankheits- 
bild so beängstigende Formen annahm, daß man operieren mußte. 
Da die Frauen die Operation gut überstehen und am normalen 
Termin niederkommen, empfiehlt Fellner mit Recht in solchen 
schweren Fällen die Gallenblasenoperation und keineswegs die 
Unterbrechung der Schwangerschaft.. Cliolelithiasis scheint in 
der Schwangerschaft selten zu sein. Fellner beobachtete 
5 Fälle auf 40 000 Geburten. Häufiger ist sie im Wochenbett. 
Fehldiagnosen sind nicht selten. Ein Gallensteinleiden kann die 
Symptome einer gynäkologischen Erkrankung Vortäuschen und 
umgekehrt. 

4. Syphilis. 

lieber das Zusammentreffen von Tabes bei einer Frau und 
Syphilis beim neugeborenen Kinde berichtet D u f o u r. Die 
Frau hatte bereits 2 Frühgeburten durchgemacht. Das 3. Kind 
kam zur richtigen Zeit, starb aber einige Tage später. Es zeigte 
sich ein makulo-papulöses Syphilid. Pemphigus, Koryza. Die 
Leber war vergrößert. 

Macht nach Behring er die Syphilis noch in den ersten 
drei Jahien Symptome, dann halten diese noch länger an. 
B. beschreibt 16 Fälle, in denen sich Späterscheinungen, wie 
chronischer Hydramnios, Abort und Frühgeburt einstellten. Man 
soll also die Verheiratung möglichst hinausschieben und wäh¬ 
rend der Schwangerschaft nochmals behandeln. 

5. Ilerz- und Blutkrankheiten. 

Tuszkai stellt folgende Behauptungen auf: Der Puls 
ist während der Schwangerschaft anders geartet als der nor¬ 


male, nachdem derselbe in der Mitte der Gravidität, ja sogar 
schon häufig zur Zeit des Beginns derselben seine normale Labi¬ 
lität verliert. Das Verschwinden dieser Labilität, begleitet von 
der Steigerung des Blutdruckes und von der Vergrößerung der 
Herzdämpfung ist höchstwahrscheinlich die Folge der Ilerz- 
hvpertrophie der normalen Schwangerschaft. Die Vergrößerung 
der Herzdämpfung, begleitet von der Verminderung des Blut¬ 
druckes und von der Rückkehr resp. von der Zunahme der Püls- 
labilität ist ein Zeichen der Insuffizienz der Herzmuskulatur 
bezw. der Dilatation. Wenn diese Symptome eii}getreten sind, 
muß bei Herzkrankheiten die Schwangerschaft unterbrochen 
werden. Nun ist nach E. Sc ip ad es (Sammlung kl in. Vor¬ 
träge, 167) bei normaler Schwangerschaft das Auftreten einer 
physiologischen Herzhypertrophie nicht bewiesen. Damit ent¬ 
fällt. die Basis für den ersten Teil der Behauptung T.’s. S. stellte 
fernerhin sehr ausgedehnte Untersuchungen an 13 Schwangeren 
an, und diese ergaben, daß die Ergebnisse dieser Untersuchungen 
keineswegs dafür srechen, daß bei Schwangeren die bei ver¬ 
schiedener Körperlage vorhandene Pulslabilität aufhöre. Sie. 
scheinen sogar zu beweisen, daß die Labilität in jeder Zeit der 
Schwangerschaft innerhalb der physiologischen Grenzen be¬ 
stehen bleibe. Nach weiteren Untersuchungen sind diejenigen 
Verhältnisse, welche durch andere hinsichtlich des Verhältnisses 
des Pulses im Falle einer Herzkrankheit außerhall) der Gravi¬ 
dität konstatiert wurden, identisch mit jenen, welche sich bei 
Kombination des Herzleidens mit Gravidität ergeben. Auf 
Grund der Untersuchungen des Pulses aber können hinsichtlich 
der Prognose der Aktionsfähigkeit der Herzmuskulatur noch 
keine praktischen Folgerungen abgeleitet werden. Am Schluß 
resümiert S.. daß T u s z k a i s Arbeit, da sie die elementarsten 
Bedingungen des wissenschaftlichen Vertrauens vermissen lasse, 
für die Beobachtung ernster Forscher auch nicht einen Moment 
geeignet sei. 

T h. v on W entzel meint, sicher sei während der Schwan¬ 
gerschaft das Blut hydraulisch: in demselben zirkulieren auch 
wahrscheinlich unbekannte Toxine, welche durch den graviden 
Zustand gebildet werden und vielleicht von der Frucht stammen. 
Das hydrämische Blut ernährt das Herz nicht tadellos (F e 11 - 
n e r), die Toxine wirken aber ebenfalls schädlich auf die Nerven 
und Muskeln des Herzens ein und stören dessen Tätigkeit. 

Die spontan eingeleit.ete Geburt überläßt W. sich selbst; 
nur wenn eine stärkere Kompensationsstörung vorhanden ist, 
erscheint es notwendig, die Geburt zu beschleunigen. Die 
schnelle Entleerung des LTterus kann schädliche Folgen haben. 
Bei der Sectio caesarea vaginalis, die heute vielfach empfohlen 
wird, darf man nicht vergessen, daß man bei Herzleiden, welche 
mit großen, venösen Stauungen verbunden sind, auf ungewöhn¬ 
lich große Blutverluste vorbereitet sein muß, dann aber, daß die 
Beendigung der Geburt durch diese Operation zu Beginn der 
Erweiterungsperiode ungerhein rasch erfolgt, weshalb nicht nur 
eine unerwartetete Schwankung des Blutdruckes, sondern auch 
viel gewisser als bei anderen Operationen eine Atonie eintreten 
kann. Nach der Geburt, starker Verband auf das Abdomen. 

W. führt 8 Fälle mit schwerer Inkompensation an, zwei 
während der Schwangerschaft, 6 während der Geburt. In vier 
Fällen war die Kompensationsstörung schon vor der Schwanger¬ 
schaft seit Jahren vorhanden. Alle diese sind gestorben. In drei 
Fällen trat sie in der ersten, bei einem in der zweiten Hälfte der 
Schwangerschaft auf. Einmal künstlicher Abortus. einmal 
Wendung auf den Fuß (Placenta praevia), je einmal Erweite¬ 
rung des Muttermundes, Wendung auf den Fuß, Extraktion und 
Plazentalösung, zweimal Zange. Zwei Geburten verliefen spon¬ 
tan, 4 Kinder blieben am Leben. Die chronische Erkrankung der 
Aortenmündung verursacht nur unbedeutende Störungen. 

6. Gehirn- und Nervenkrankheiten. 

Freund berichtet über eine Frau, welche vorher gesund 
war, im 7. Monate der Schwangerschaft schwer erkrankte. Die 
Erscheinungen nahmen mit dem Fortschreiten der Schwanger¬ 
schaft immer mehr zu. Im Wochenbett entwickelte sich dann 
das Bild einer schwere Myelitis, die nach einigen Monaten aus¬ 
heilte. 

Eine neue Indikationsstellung zur Einleitung des künst¬ 
lichen Aborts wegen psychischer Krankheiten entwickelt M. 
F r i e d rn a n n. 

Bisher hat man den Abort wegen psychischer Erkrankungen 
fast durchgängig nur in Rücksicht auf einige typische Gravi¬ 
ditäten und Puerperalpsychosen erwogen und hat man den Ein- 





1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


605 


griff im Prinzip abgelehnt, weil es ohne wirklichen Einfluß auf 
die Entstehung oder den Verlauf der Psychse bleibt. Mit J o 11 y 
und A. Piek stellt der Verfasser eine grundsätzlich neue Indi¬ 
kation auf, die gerade ebenfalls sich nicht gar häufig ergibt, 
aber sich doch nach der Meinung des Verfassers ungleich wich¬ 
tiger gestaltet als jene alte Indikation. Es handelt sich dabei 
um die sog. psychopathische Reaktion bei psychisch widerstands¬ 
losen und neuropathischen Individuen, und es liegt dabei eine 
krankhafte Uebertreibung der Geburtsangst vor. Von echten 
Psychosen unterscheiden sich diese Erkrankungen dadurch, daß 
sie allein durch den psychischen Affekt ins Leben hervorgerufen 
werden, und daß sie fast ausschließlich verschwinden und zur 
Genesung gelangen, wenn das krankmachende Agens, also die 
Schwangerschaft, beseitigt wird. Die Gefahr des Selbstmordes 
und eine bedrohliche körperliche Abnahme geben die Indi¬ 
kation ab. (Ist schon bei den echten Psychosen die Gefahr des 
Selbstmordes nicht als Indikation für einen künstlichen Abort 
angesehen worden, so darf dies noch weit weniger bei den hier 
besprochenen Aufregungszuständen der Fall sein. Die Unter¬ 
bringung in eine Anstalt ist hier allein indiziert. Kommt die 
Patientin sehr stark herunter, dann mag eventuell in sehr 
schweren Fällen der Abort indiziert sein. Die vorliegenden 
Fälle aber sind kein Beweis für die Notwendigkeit dieser In¬ 
dikation. ln solchen Fällen genügt es oft nur so zu handeln, als 
ob man den Abortus einleiten wolle, um sofort eine Besserung 
der Nahrungsaufnahme zu erzielen. Und ist man erst über 
einige Monate hinweg, macht man insbesondere die Patientin 
darauf aufmerksam, daß die mangelnde Nahrungsaufnahme den 
Arzt nicht dazu bestimmen könne, den Abort einzuleiten, übt 
man auch sonst eine suggestive Therapie aus, dann erreicht man 
wohl ohne Weiteres die zweite Schwangerschaftshälfte, worauf 
zumeist die Aufregungszustände schwinden. Bei geeigneter 
Therapie darf daher der bloße Aufregungszustand niemals die 
Indikation zur Opferung des kindlichen Lebens abgeben. D. Ref.) 

Nach A 1 z h e i m e r'ist eine künstliche Unterbrechung der 
Schwangerschaft bei Geisteskrankheit dann geboten, wenn in¬ 
folge der Schwangerschaft ein lebensbedrohlicher Zustaöd der 
Mutter bereits eingetreten oder mit Bestimmtheit zu befürchten 
ist, falls eine Unterbrechung der Schwangerschaft und nicht etwa 
eine weniger eingreifende Maßnahme den bedrohlichen Zustand 
der Schwangeren beseitigen kann. Vergleicht man nach den 
älteren Statistiken die Zahl der Graviditätspsychosen mit der 
Zahl der Psychosen des weiblichen Geschlechts überhaupt und 
die Zahl der puerperalen Psychosen, so zeigt sich, daß die Zahl 
der Graviditätspsychosen im Vergleich zu den Psychosen über¬ 
haupt nicht sehr beträchtlich scheint und namentlich auffällig 
niedrig ist zur Zahl der Psychosen in den anderen Perioden des 
Generationsgeschäft.es, besonders der Periode des Puerperiums. 

Von 21 manisch Depressiven fällt nur bei 4 der erste Anfall 
in die Zeit einer Gravidität, während bei den übrigen 17 schon 
früher, unabhängig von der Schwangerschaft, Anfälle von de¬ 
pressivem und manischem Charakter beobachtet worden sind 
oder die Depression und Erregung schon bestand, als die 
Schwangerschaft eintrat. Fälle, wo sich in jeder Gravidität 
eine Depression eingestellt hat, sind sehr selten. In allen jenen 
Fällen, in welchen 1 oder 2 Schwangerschaften mit einem ma¬ 
nisch depressiven Zustand zusammenfielen, waren auch Anfälle 
ohne Gravidität nachzuweisen, schon vor der ersten Gravidität 
vorhanden, oder sie traten auch in den klimatischen Epochen 
auf. Gegen eine große Bedeutung der Schwangerschaft für die 
Entstehung manisch depressiver Zustände spricht auch der ge¬ 
ringe Einfluß, den in allen Fällen die natürliche Unterbrechung 
oder die Beendigung der Schwangerschaft auf den Krankheits¬ 
verlauf zeigte. In keinem Falle trat mit dem Ende der 
Schwangerschaft eine Heilung ein. Das manisch-depressive 
Irresein darf also keine Indikation für die Schwangerschafts¬ 
unterbrechung abgeben. Eine heilende Wirkung des Abortus 
auf die Krankheit der Mutter scheint nicht erwiesen zu seiu. 

(Schluß folgt,) 

Kinderheilkunde. 

Referent: Priv.-Doz. Dr. J. Ibrahim, München. 

1. Nervosität und Ernährung im Kindesalter. Von F. S i e- 
g er t'. Münch, med. Wochenschrift, 1908, S. 1963. 

2. Ueber die Behandlung der Diphtherie nach den während 
der Jahre 1900—1908 im städtischen Augustanospital zu Cöln ge¬ 
machten Erfahrungen. Von Berlin. Ibidem, S. 1974. 


3. Die kutane Tuberkulinreaktion (v. Pirquet) im ersten 
Lebensjahr, speziell im ersten Lebenshalbjahr. Von F. Sieger t. 
Deutsche med. Wochenschrift, 1908, S. 1665. 

4. Ueber Diagnose und spezifische Behandlung der latenten 
endothorakalen Drüsentuberkulose des kindlichen Alters. A on 
D a u t w i z. Beiheft zur Med. Klinik, 1908, Heft 9. 

1. Siegert, der seit Jaliren auf Grund genauer Kranken- 
beobachtung, theoretischer Erwägung und der Ergebnisse der in 
seiner Klinik allgestellten Stoffwechselversuche (vergl. die be¬ 
kannten Untersuchungen von L u n g w i t, z)gegen die übermäßige 
Eiweißzufuhr im Kindesalter kämpft, bespricht in einem sehr 
beherzigenswerten, durch kurze Krankengeschichten illustrierten 
Aufsatz die Zusammenhänge zwischen Nervosität und Ernäh¬ 
rung im Kindesalter; es handelt sich dabei nicht um die durch 
Heredität oder falsche Erziehung nervös gewordenen Kinder 
sondern um eine besondere Gruppe von Kindern, die durch ihre 
leichte prompte Heilung und gänzliche Wiederkehr des normalen 
körperlichen und geistigen Verhaltens bei geeigneter Behand¬ 
lung beweist, daß ihre Nervosität eine erworbene ist, welche nach 
beseitigter Ursache wegfällt, einzig und allein bedingt und unter¬ 
halten durch unzweckmäßige Ernährung, eine Ernährung, in der 
Gemüse und Obst fehlen oder unbedeutend vertreten sind, wäh¬ 
rend das Eiweiß oft auch das Fett an Menge 3,4, selbst 5 g pro 
Kilo und l ag erreichen. Bei diesen Patienten, die fast nur in 
den Häusern der Reichen zu finden sind, speziell bei Hoteliers, 
Restaurateuren, Metzgern und auch Aerzten, ist das Hervor¬ 
stechendste neben dem schlechten Aussehen, der oft gelben Haut¬ 
farbe und Anämie, der meist vorhandenen hartnäckigen Obstipa¬ 
tion das Mißverhältnis zwischen Nahrungseinfuhr und körper¬ 
lichem und geistigem Kräftezustand. Hautaffeklionen. häufige 
Erkrankungen an Angina, Bronchitis und Infektionskrankheiten 
sind ,trotz fehlender lymphatischer Diathese die Regel, eine zu¬ 
nehmende Nervosität zeigt sich durch rastlose Unruhe bei Tage, 
durch schwere Erziehbarkeit, durch mangelnde Leistungen in der 
Schule, durch unregelmäßigen Schlaf und Aengstlichkeit in der 
Nacht. Rasche Ermüdung des Körpers und Geistes sind häufig. 

In diagnostischer Beziehung ist wichtig, daß man sich nicht 
mit an amnestischen Angaben vager Natur über die Ernährung 
der Kinder begnügen darf, sondern daß Zahl, Quantität und 
Qualität der Mahlzeiten ganz genau eruiert werden müssen. 

Die Behandlung ist eine sehr einfache. “Sie verlangt 
eine Diät, welche jedem gesunden Kinde ausnahmslos zusagt und 
bekommt, Fettablagerung in unnötiger Weise vermeidet und 
überall und in jeder Jahreszeit durchführbar ist, auch das Eiwei߬ 
bedürfnis sehr herabsetzt. Die Eier als ganz überflüssiges, sehr 
unzuverlässiges, unzweckmäßiges, teuerstes Nahrungsmittel fal¬ 
len weg. Nur soweit sie zur Zubereitung der Speisen unent¬ 
behrlich sind, sind sie stets gestattet. Nicht also in irgendwelcher 
Zubereitung, wohl aber z. B. in Nudeln, Puddings etc. Fleisch 
kann vom dritten Lebensjahre an einmal täglich in kleiner 
Menge gestattet werden, und zwar schwarzes wie weißes 
Fleisch, ebenso Fisch. Die Hülsenfrüchte, der Kakao, 
die Schokolade fallen fort. 

Zur Einschränkung der Milch — wo sie nicht 
vorübergehend ganz durch Suppen aus Hafer flocken, Gries. Reis, 
Gerste, später aus Mehlen ersetzt wird — wird ihr Malz- 
kaffee, dünnster Bohnenkaffee, aromatischer 
Tee (Nußblätter, Lindenblüte, Kamille) bis zur Hälfte 
zugesetzt und etwas Zucker, Bei bestehender 
Obstipation werden Zwieback und Brötchen. wie Fein¬ 
brot durch grobgeschrotetes Brot (Graham, Steinmetz, Si¬ 
mon, Pumpernickel etc.) ersetzt und neben etwas Butter reich¬ 
lich Marmeladen verwendet. Als zweites Frühstück, wo dies 
wegen Ortsgebraueh oder Gewohnheit verlangt wird, empfiehlt 
sich rohes, gut gereinigtes Obst, gekochtes Obst., event. also im 
Winter gekochtes, getrocknetes Obst, frische Bananeu, Apfel¬ 
sinen, aber nicht nur deren Saft. Mittags fehlt an keinem Tag 
eine stets ohne Milch, aus Wasser oder dünner Fleischbrühe mit 
der nötigen Einlage hergestellte, etwas gesalzene Suppe, die fett¬ 
arm, stets gut bekommt, ohne die Eßlust zu beeinträchtigen. Sie 
soll aber niemals nach dem Essen gegeben werden. Vor allem 
sind Gemüsesuppen, auch unter Verwendung von Wurzelgemüse 
und Salat zu empfehlen. Sodann reichlich Gemüseode r 
Salat mit mäßig viel Kartoffeln, schmackhafter Sauce und 
wenig Fleisch als Genuß- oder Reizmittel, nicht als eigentliches 
Nahrungsmittel. Des öfteren statt dessen Melilspeisen mit ge¬ 
kochtem Obst. Rohes Obst als Nachspeise und, so 
lange der Ernährungszustand zu wünschen übrig läßt, 1—U /2 




Hi 







606 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 41 


Stunden Schlaf resp. lluhe nach dem Essen. Eventuell muß des¬ 
halb die Schule 2—3 Wochen nachmittags wegfallen. Um 4 Uhr 
wenig Milchkaffee und Butterbrot oder Obst und Brötchen. 
Abends eingekochte Suppen oder Gemüse und Kartoffeln oder 
Puddings aus halb Milch, halb Wasser, event. reiner Milch mit 
Gries, Reis, Maizena, Mondamin oder Mehlspeisen mit Frucht¬ 
saft, gekochtem Obst, kein rohes Obst. 

Bei dieser Diät schwindet sofort jede Obstipation. Eblust 
und Behagen nach der Mahlzeit und oft genug prompter ruhiger 
Schlaf treten ein. Durch Vermehrung des Kohlehydratgehaltes 
ist eine rasche Körpergewichtszunahme leicht erreichbar, wo sie 
wünschenswert erscheint. 

Da der Haupt wert der S i e g e r t sehen Ausführungen ge¬ 
rade auch in der detaillierten Darstellung seiner diätetischen Rat¬ 
schläge gelegen ist, glaubt Referent durch deren ausführliche 
Wiedergabe den Interessen der Leser dieser Zeitschrift entgegen¬ 
zukommen. 

2. Die Arbeit von Berlin enthält eine größere Zahl inter¬ 
essanter Einzelheiten über die in Cöln gemachten Erfahrungen, 
die Serumbehandlung der Diphtherie, Intubation und Tracheo¬ 
tomie beim Kehlkopfcroup betreffend, auf die des Näheren hier 
nicht eingegangen werden soll. Dagegen seien kurz einige the¬ 
rapeutischen Maßnahmen erwähnt, die neben dem Heilserum 
Anwendung fanden: Bei ausschließlichen Pharynxaffektionen 
wurde mit günstigem Erfolge eine Halsstauung angelegt, wie sie 
Hochhaus für die Behandlung der Diphtherie vorgeschlagen 
bat. Zur Beeinflussung des lokalen Prozesses wurde kleineren 
Kindern eine 3 proz. Wasserstoffsuperoxydlösung in den Rachen 
eingesprayt; von dieser Methode sah Verfasser immer recht gute 
Erfolge, insofern als sich die schmutzigen Beläge viel leichter 
reinigten und der Foetor ex ore bald nachließ. Mit Pyocyanase 
nach dem von Emmerich empfohlenen, in diesen Blättern 
schon mehrfach besprochenen Verfahren, wurden etwa 45 Patien¬ 
ten behandelt. Die leichten Rachenaffektionen, besonders aber 
Nasendiphtherien, wurden sehr günstig dadurch beeinflußt. Da¬ 
gegen konnte Verfasser bei schwer septischen Prozessen der Ton. 
sillen kaum eine nennenswerte Einwirkung der Pyocyanase fest¬ 
stellen. Irgendwelche schädlichen Nebenwirkungen des Mittels 
wurden nicht beobachtet. 

3. Aus S i e g e r t s Mitteilung über die v. Pirquet 6che 
kutane Tuberkulinreaktion geht hervor, daß auch im Säuglings¬ 
alter, speziell auch im ersten Lebenshalbjahr die Probe mit un¬ 
verdünntem Alttuberkulin angestellt, positiv ausfällt, wenn ein 
tuberkulöser Herd im Körper vorhanden ist. Wo sie fehlt, be¬ 
weist sie das Fehlen eines tuberkulösen Herdes, die Ueberflutung 
des dem Exitus nahen Tuberkulösen mit Tuberkulotoxin bei mili¬ 
arer Tuberkulose, tuberkulöser Meningitis oder aber die vorüber¬ 
gehende Unterdrückung der Hautreaktion durch spezifische Haut¬ 
veränderung, wie wir sie bis jetzt durch v. Pirquet für die 
Masern kennen. 

Es sei hier übrigens erwähnt, daß von Schloßmann 
und Engel auf der diesjährigen Tagung der Gesellschaft für 
Kinderheilkunde in Cöln eine größere Zahl von Kindern de¬ 
monstriert wurde, die im Verlauf des ersten Lebensjahres an 
Tuberkulose sicher erkrankt, wie die positive Pirquet sehe 
Reaktion oder die histologische Untersuchung exzidierter Drüsen 
bewies, dennoch erheblich gebessert oder vielleicht ganz geheilt 
ins zweite Lebensjahr hinübergeführt worden waren; es handelte 
sich allerdings vorwiegend, vielleicht sogar ausschließlich um 
Knochen- oder Drüsentuberkulosen; gleichwohl sind diese Er¬ 
fahrungen in höchstem Maße bemerkenswert, da sie der bisher all¬ 
gemein verbreiteten Annahme von der llnheilbarkeit der Säug¬ 
lingstuberkulose in erfreulichster Weise widersprechen. Ueber 
die bei diesen Kindern angewandte Behandlungsmethode, bei wel¬ 
cher Tuberkulindosen von geradezu abenteuerlicher Höhe eine 
Rolle spielen, wird noch eingehend zu berichten sein, wenn die 
von E n g e 1 in Aussicht gestellte ausführliche Publikation vor¬ 
liegt. 

4. Das lesenswerte Heft von D a u t w i z bringt über die 
Diagnostik der Bronchialdrüsentuberkulose im Kindesalter zahl¬ 
reiche, auf Grund eigener reicher Erfahrung mitgeteilte Einzel¬ 
heiten, auf die hier nur kurz hingewiesen sei. Neben einer ge¬ 
nauen physikalischen Diagnostix, wie sie früher geübt wurde, 
spielen hier der palpatorische Druckschmerz einzelner Brustwirbel 
oder der Rippenbrustbeinansätze eine große Rolle, die übrigens 
auch kürzlich von O. delaC amp in seinem zusammen fassenden 
Aufsatz in den „Ergebnissen der inneren Medizin und Kinderheil¬ 
kunde“ gebührend hervorgehoben wurde; wo gegründeter Ver¬ 


dacht auf Bronehialdrüscnerkrankung besteht, gelingt die Dia¬ 
gnose mit Sicherheit bei Heranziehung der Tuberkulindiagnostik 
(subkutan oder kutan) und des Röntgenverfahrens. Freilich ge¬ 
hört zur Beurteilung der Befunde der Radiographie ebenso wie 
bei der der Perkussion und Auskultation große persönliche 
Uebung. „Man sieht alles erst, wenn man das Röntgenogramm 
wirklich ,lesen* kann, bei sorgfältiger und wiederholter Durch¬ 
musterung und Vergleich der mit harten und weichen Röhren 
von einem und demselben Kinde in gleicher Stellung gewonnenen 
Platten.“ 

Ueber die angewandte Behandlungsmethode möchte Ref. aus¬ 
führlich berichten. Es wurde grundsätzlich Tuberkulin 
Beraneck gewählt, da9 nach des Verfassers Ueberzeugung 
das unschädlichste, zweckmäßigste und zuverlässigste Tuberkulin 
zu therapeutischen Zwecken darstellt. 

Technisch wird genau nach den Sahli sehen Grundsätzen 
verfahren und so vorsichtig und schonend wie möglich, unter 
thunlichst vollkommener Vermeidung jeglicher Fieber-, Lokal- 
und Allgemeinreaktion. Durchweg wird bis zur individuellen 
Maximaldosis vorgegangen oder, wenn Tuberkulinempfindlichkeit 
nicht mehr besteht, bis Beraneck B, C, D. Die Kinder wer¬ 
den in regelmäßigen Intervallen eingehend und sorgfältig unter¬ 
sucht, die Befunde graphisch festgelegt. Der Urin wird 24 Stun¬ 
den nach jeder Injektion untersucht, die Temperaturen werden 
dreistündlich am Tage, das Gewicht alle 14 Tage festgestellt. 
Gleichzeitig werden die Kinder regelmäßig und kräftig genährt; 
denn nur in Verbindung mit der hygienisch-diätetischen Kur ver¬ 
mag die spezifische Behandlung Erfolge zu erzielen. Die ein¬ 
fache hygienisch-diätetische Therapie genügt bei Kindern mit 
latenter Bronchialärüsentuberkulose nicht immer, besonders nicht 
bei schwächlicheren, unter w^enig günstigen Lebensbedingungen 
aufgewachsenen Kindern. Vierwöchige Sool- oder Seebadekuren 
nützen ihnen vorübergehend, heilen sie aber nicht. Keinesfalls 
sind Soolbäder annähernd so wirkungsvoll wie Seebadekuren, 
wenn sie alljährlich auf 3—4 Monate ausgedehnt werden, ein 
Verfaliren, das bei aimen Kindern aus rein äußeren Gründen 
schon nicht durchführbar ist. Die mit Tuberkulin behandelten 
Kinder werden von 5 zu 5 Monaten wieder vorgestellt; Reaktion 
auf probat-orische Subkutanimpfung mit Alttuberkulin bei dieser 
Gelegenheit hat Wiederaufnahme und Fortsetzung der Tuber- 
kulinkur zur Folge. Die für Tuberkulinbchendlung ausgewähl¬ 
ten Kinder dürfen nicht zu elend und schwach sein. Kontraindi¬ 
kationen außer gleichzeitig tuberkulöser Erkrankung der Lun¬ 
gen, Augen, Knochen und Gelenke, des Darmes, akuter Iufek- 
tions-, Herz-, Blut-, Hirn- und Nervenkrankheiten, möchte Verf. 
weder in höherem Fieber und Komplikationen mit tuberkulösen 
Mittelohrkatarrhen, noch in beginnender Bauchfell- und Nieren¬ 
tuberkulose erkennen. Bei schon lungenkranken Kindern 
scheint das rapide Fortschreiten des tuberkulösen Krankheits¬ 
prozesses auchj durch vorsichtigste Tuberkulindosen nicht auf¬ 
gehalten, eher' gefördert und beschleunigt zu werden. 

Daß abschließende Urteile über den Wert dieser Behand- 
lungsform erst nach Jahren gefällt werden können, wenn Dauer¬ 
erfolge» erreicht oder ausgeblieben sind, wird vom Verfasser selbst 
hervorgehoben. Daß das Verfahren Erfolge zeitigt, schließt Ver¬ 
fasser ans der subjektiven und objektiven Besserung des Allge¬ 
meinbefindens, aus dem A r erschwinden subfebriler und selbst höhe¬ 
rer Temperaturen und der sternokostalen und spinalen Druck- 
empfindlichkeit, wie au di des namentlich im Anfang nach Tuber- 
lailininjektionen empfundenen, schmerzhaften Druckes unter dem 
Brustbein. Vor allem aber glaubt Verfasser, durch regelmäßig 
wiederholte Röntgenuntersuchungen die Einwirkung der Tuber 
kulinbehandlung auf die endothorakalen Drüsen selbst bewiesen 
zu haben. Er findet nämlich, daß der auf die Bronchialdrüsen zu 
beziehende Schatten im Röntgenbild im Verlauf der Kur inten¬ 
siver, plastischer, exakter umrändert erscheint und deutet diesen 
Befund als den Ausdruck einer zunehmend fibrösen Verdickung. 
1 der Drüsenkapsel und mehr oder minder vollständigen Verkal 
i kung ihres Inhaltes. Leider ist diese Deutung des an sich gewiß 
recht beachtenswerten Befundes nicht durch Sektionsbefunde ge¬ 
stützt. 


Säuglingsfürsorge. 

Referent: Dr. Gustav Tugendrelch. leitender Arzt der städt. 
Säuglingsfürsorgestelle V in Berlin. 

1. Ueber die Bewertung der die Säuglingssterblichkeit be¬ 
dingenden Ursachen. Von G. T u g e n d r e i c h. Arch f Kin¬ 
derheilkunde, Bd. 48, Heft 5/6. 



F MILHIbAN 


UNlUbKtpll V Uh MILHIIjAN 





1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


607 


2. Kngcnik, Lebenshaltung und Auslese. Von W. Schall¬ 
mayer. Zeitschr. f. Sozialwissenschaft, XI. Bd., B. Heft, 1908. 

1. Tugendreichs Arbeit geht davon aus. daß unmög¬ 
lich alleD den von den Autoren angeschuldigten Ursachen die 
gleiche Bedeutung für die Säuglingssterblichkeit zukommen 
könne. Die Lösung der Frage, welches die entscheid e n d e 
Ursache sei, ist besonders wichtig im Hinblick auf die Säug¬ 
lingsfürsorgestellen. Ihre Daseinsberechtigung hängt davon ab, 
daß wirklich die Ernährung, auf die einzuwirken sie ja fast 
allein imstande sind, den größten Einfluß auf die Säuglings¬ 
sterblichkeit habe. 

Fast alle Statistiken über die Ursachen der Säuglingssterb¬ 
lichkeit begehen den fundamentalen Fehler, auf einem 
in sich heterogenen Material zu basieren. Sie unterscheiden 
nämlich nicht, die gestorbenen Säuglinge nach der Ernährungs¬ 
art in Brust- und Flaschenkinder. Nun ist die geringe Resistenz 
der Flaschenkinder gegen allerlei schädliche Einflüsse, z. B. des 
Klimas, der Hitze, des Pauperismus usw. ja bekannt. Die Brust¬ 
kinder aber sind in außerordentlich hohem Grade dagegen gefeit. 
Demnach muß eine Popularisierung der Brusternährung auch 
jene Schädlichkeiten paralysieren, besonders auch den deletären 
Einfluß des Pauperismus. Denn das brustgestillte Proletarier¬ 
kind hat noch bessere Lebenschancen als das künstlich genährte 
Kind wohlhabender Leute. Den beiden bisher existierenden 
Statistiken, die die Kennung nach der Ernährungsart bei gleich¬ 
zeitiger Berücksichtigung der sozialen Lage durchgeführt haben, 
nämlich den Arbeiten von griege-Leutemann und N e u- 
m a n n fügt Verf. noch eine eigene hinzu, die, gewonnen aus 
dem Materiale seiner Säuglingsfürsorgestelle, zu gleichem Resul¬ 
taten gelangt. 

2. Auch die Arbeit Schallmayers, die in gewisser Bezie¬ 
hung zu den Problemen der Säuglingsfürsorge steht, warnt ^vor 
einer Ueberschätzung der Wirkung des sozialen Milieus, des Pau¬ 
perismus, auf die Erhaltung der Rasse. ,.Nicht Milieueinflüsse, son¬ 
dern die Auslesebedingungen, welche die Vermehrung vorkom¬ 
mender spontaner, individueller Varianten begünstigen, l>e- 
schränken oder unterdrücken, üben den belangreichsten Einfluß 
auf die psychogenetische Entwicklung der Erbquäjiäten einer Be¬ 
völkerung, und es liegt im beträchtlichen LTmfange in unserer 
Hand, diese Auslegeverhältuisse zu ändern.“ 

So hebt Schallmayer ausdrücklich hervor, daß das 
Still v er mögen unabhängigistvondersozialen 
Lage, und Referent möchte noch an die Geburtsgewichte der 
Proletarierkinder erinnern, die trotz mangelhafter Pflege der 
Schwangeren nicht hinter denen der wohlhabenden Neugeborenen 
Zurückbleiben. 


Neurologie. 

Referent: Dr. G. Flatau. Nervenarzt, ^Berlin. 

1. Die Lehre von der Periodizität nervöser Kranklieits- 
crsehcinungen. Von Oppenheim. Neurologisches Zentral¬ 
blatt, 2. Januar 1908. 

2. Spasmopliolie und Kalzium - Stoffwechsel. Von W. 
Stoeltzner. Ibidem, 16. Januar 1908. 

3. Die Angst ncurose der Kinder. Von W i 1 h. S t e c k e 1, 
Wien. Med. Klinik, 1908, Nr. 17—18. 

4. Symptomatische Therapie und Pflege bei Tabes dorsalis. 
Von Alfred Fuchs, Wien. Beiheft d. Med. Klinik, 1908, 
Nr. B. 

5. Ueber Luftinjektioneu. Von Dr. W. Alexander, 
Berlin. Med. Klinik, Nr. 23. 

6. Zur Kenntnis der Hyperliidrosis unilateralis. Von Dr. 
Jul. Friedländer. Deutsche med. Wochenschrift, 1908, 
No. 23. 

1. Eine Anzahl von Neuralgien, auch nicht auf Intermittens 
beruhender, tritt periodisch auf. Auch an die periodischen Psy¬ 
chosen wird erinnert und im Anschluß daran der Neurasthenie 
gedacht, deren Beschwerden auch ein periodisches Auftreten zei¬ 
gen. O. weist auf früher beschriebene Fälle von organischer Er¬ 
krankung hin, namentlich von Lues cerebri, und auf andere Er¬ 
fahrungen, bei denen ein Wechsel von guten und schlechten Tagen 
gesetzmäßig auftrat. Man möchte bei solchen Erfahrungen immer 
an Kombination mit Hysterie denken, doch spricht dagegen die 
Hartnäckigkeit des Leidens auch gegen suggestive Beeinflussung 
und ferner die stete Verbindung mit Lues. O. glaubt, daß die 
Periodizität in der Organisation des Nervensystems begründet ist. 


2. Tierversuche zu der früher aufgestellten Hypothese des 
Zusammenhanges von Spasmophilie und Kalziumvergiftujig. Das 
Verhalten von Ca-Gehalt der Gewebsflüssigkeit und Kalkauf- 
nalime bezw. Retention durch die Knochen muß so sein, daß kein 
Ca-Ueberschuß in den Geweben stattfindet; würde im letzten 1 alle 
noch die Ca-Ausscheidung durch den Darm insuffizient, so ist die 
Ca-Stauung evident. Besonders wird das der Fall sein, wenn 
schnell fortschreitende Rachitis eintritt. Die \ersuche müssen 
im Orginal nachgelesen werden. 

3. Die Angst der Kinder ist der Ausdruck des Vermissens 
der geliebten Person und ist physiologisch, erst die erhöhte Reiz¬ 
barkeit, Angst allein zu bleiben, Schlaflosigkeit, Pavor nocturnus 
sind pathologisch und beruhen auf dem Zusammentreffen mit dem 
sexuellen Problem; es handelt sich oft um Kinder nervöser El¬ 
tern, frühzeitige Masturbation, Sucht sich zu entkleiden, ins 
Bett der Mutter zu kommen. Dafür werden einzelne Beispiele 
angeführt, bei denen die sexuelle Wurzel deutlich hervortrat, 
Verführung durch Dienstboten, durch unbewußtes Beispiel der 
Eltern. Die Therapie der Angstneurosen hat an dieser Stelle 
einzusetzen durch geeignete Erziehung, Kinder »ollen allein 
schlafen, nicht zu Eltern oder Erziehern ins Bett genommen wer¬ 
den, sexuelle Reize ferngehalten werden. Die Aufdeckung der 
sexuellen Wurzel ist oft schwierig. Alles in allem, die Angst¬ 
neurose der Kinder beruht auf falscher Verknüpfung eines dis¬ 
poniblen Affektes (Libido). Kinder sind nicht asexuell. 

4. Die Beurteilung der Wirksamkeit unserer Therapie bei 
Tabes dorsalis ist schwer, da neurasthenische Begleiterscheinun¬ 
gen vorhanden sind und spontane Stillstände und Besserungen 
Vorkommen; die antisyphilitische Behandlung ist nutzlos und 
sogar kontraindiziert bei beginnender Optikusatrophie, bei schwe¬ 
rer Kachexie. An Stelle der Argentum nitricum-Behandlung tritt 
die Protargolbehandlung. Protargol 3,0 auf XXX Pillen. Er- 
gotin nützt nichts. Bei Kachexie sind Atoxylpräparate von Nut¬ 
zen. Die Organtherapie hält Verfasser für ganz nutzlos, dagegen 
ist Lecithin manchmal von Nutzen. Die Suspensionsbehandlung 
und die Modifikationen sind zu Unrecht in Vergessenheit geraten. 
Ref. erinnert sich noch der Begeisterung, die vor 20 Jahren die 
Suspension erregte. Die Hydrotherapie muß sich auf milde 
Behandlungsformen beschränken, Teilwaschuugen, Leibbinden, 
Vollbäder. Die Unzahl von Badeorten aufzuzählen, wie es der 
Verfasser tut, hält Referent für unnütz. Weniger die Bäder als 
die Erfahrung und Geschicklichkeit der Badeärzte kommt in Be¬ 
tracht. Die Elektrotherapie, Massage werden kurz angeführt, 
sie kommen als Allgemeinbehandlung und symptomatisch für lan- 
cinierende Schmerzen in Betracht, an äußeren und inneren Mit¬ 
teln für letztere sind natürlich eine Unzahl empfohlen, die im 
Original nachzulesen sind. Das Gleiche gilt für die Krisenmit¬ 
tel. Bei den Larynxkrisen kommt Inhalation von Chloroform 
und Aether, Kokainpinselung, Amylnitrit, Morphium in Frage. 
Betreffs der anderen Symptome erwähnen wir noch die Behand¬ 
lung der Optikusatrophie nach Mann. Für die Behandlung der 
schweren und bettlägerigen Tabiker werden Vorschriften ge¬ 
geben, die nichts wesentlich Neues enthalten. 

B. Luftinjektionen wurden zu therapeutischen Zwecken und 
besonders zur Heilung der Neuralgien gemacht. Verf. weist auf 
die Gefahr der Luftembolie hin, die nur durch größte Vorsicht, 
durch Ansaugen nach dem Einstich zu vermeiden sind. Lang¬ 
same Resorption erscheint wünschenswert. Wie die Wirkung bei 
Neuralgien zu erklären ist, ist noch unsicher. Ref. stimmt dem 
Autor darin bei, daß die Methode nur nach dem Versagen aller 
anderen Methoden in Frage kommt. 

6. Bei der Feststellung der Hyperhidrosis unilateralis muß 
man sich vor dem Fehler hüten, eine Anidrosis unilateralis zu 
übersehen. Bei der Hyperhidrosis scheint die linke Seite häufiger 
betroffen zu werden, zu unterscheiden ist zwischen einer zentralen 
und peripherischen Form; familiäres Vorkommen ist beobachtet. 
Therapeutisch ist bisher wenig geleistet, erst Kromayer ge¬ 
lang es, durch Röntgenbestrahlung Erfolge zu erzielen. 


Chirurgie. 

Referent: Spezialarzt Dr. Heinrich Landau. Berlin. 

1. Mastopexie zur Beseitigung der Hängebrust. Von D e h - 
n e r. Müneh. med. Wochenschrift, 1908, Nr. 36. 

2. Ein Beitrag zur idealen Operation des arteriellen Aneu¬ 
rysma. Von Enderlen. Deutsche med. Wochenschrift. 1908, 

S. 1581. 






608 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 41 


3. Zur Behandlung des Hydrozephalus. Von Heile. Dtsch. 
med. Wochenschrift, 1908, Nr. 34. 

4. Ucber Wanderung von Fremdkörpern. Von G. Muska t. 
Medizinische Klinik, 1908. Nr. 36. 

5. Desinfektion der Hände und der Haut mittels Jodtetra- 
chlorkohlrnstofT und Derniagummit. Von W e d e r h a k e. Med. 
Klinik, 1908, Nr. 34. 

1. D. kam in die Lage, eine starke Hängebrust, die durch 
Ekzembildung ihrer Trägerin im subtropischen China große Be¬ 
schwerden machte, operativ zu beseitigen. Er entfernte auf bei¬ 
den Seiten oberhalb der Mamma einen elliptischen Keil von Haut 
und Fettgewebe bis auf auf die Faszie, befestigte den Drüsen¬ 
körper selber durch starke Katgutfäden am Periost der dritten 
Rippe und stellte so annähernd regelrechte Brustformen wieder 
her. — Die Operation, deren Narbe man durch andere Schnittfüh¬ 
rung wohl an unauffälligere Stelle bringen könnte, ist in ihrer 
Art neu und in ähnlichen Fällen sicher berechtigt und dankbar. 

2. Ein durch luetische Wandveränderung entstandenes An¬ 
eurysma der Arteria poplitea wurde nach Abpräparierung von 
der Vene entfernt und die 4 cm voneinander entfernten Enden 
der Arterie unter starker Beugung des Knies End zu End verei¬ 
nigt. Zwar kehrte der vorher nicht fühlbare Puls in der Tibial- 
posterior nicht wieder, doch brachte der Eingriff volle funktio¬ 
nelle Heilung. 

3. Spinalpunktionen oder direkte Ventrikelpunktionen be¬ 
einflussen die Hirndruckerscheinungen bei Hydrozephalus sehr 
günstig, besonders wenn im Anschluß an die Punktionen längere 
Zeit Jodkali in großen Dosen gereicht wird. Heile hat ferner 
den Versuch gemacht, den Duralsack mit der Bauchhöhle in Ver¬ 
bindung zu setzen, um einen dauernden Abfluß der Gehirnflüssig¬ 
keit und damit Druckentlastung des Gehirns zu bewirken. Das 
Kind, bei dem er nach mehrfachen Ventrikelpunktionen, die nur 
vorübergehend halfen, diese Operation ausführte, hatte eine ope¬ 
rierte Spina bifida, was den Eingriff durch die mangelhafte Ent¬ 
wicklung der Lendenwirbelkörper erleichterte. Es wurde die 
Bauchhöhle von hinten her, neben der Wirbelsäule vorbei, er¬ 
öffnet und eine Dickdarmschlinge mit dem gleichfalls geöffneten 
Durasack vernäht. Der neue Abflußweg funktionierte sofort, 
wie c^ie Abnahme des Kopfumfanges zeigte, doch starb das in 
Beckenhochlagerung gehaltene Kind 20 Stunden darauf beim 
Aufsetzen, wahrscheinlich infolge plötzlichen starken Liquor¬ 
abflusses in die Bauchhöhle. 

4. Eine an der Rückseite des Oberarmes, handbreit über dem 
Ellbogen eingestoßene Nähnadel drang, wie Röntgenbild und 
Operation nach wenigen Stunden bestätigten, sofort bis an die 
Radialseite des Vorderarms; wahrscheinlich ist sie, wie M. an- 
nimmt, durch eine Art Schleuderwirkung der Trizepssehne soweit 
vorgetrieben worden. Eine Reihe von Versuchen an Mäusen und 
Kaninchen ergab keine feste Regeln für die Wanderung einge- 
brachter Fremdkörper (Nadeln); nur schien Eiterung den Weg 
der Nadel zu hemmen, auch blieb die Nadel an Ort und Stelle, 
wenn sie beim Eindringen an einen Knochen zu liegen kam. 

o. W ederhake wäscht Hände und Operationsfeld drei 
Minuten in 1 prom. JodtetrachlorkohlenstotT und bestreicht dann 
beides mit „Dermagummit“, einer jodversetzten Kautsehuk-Tetra- 
chlorkohlenstofflösung, die beim Verdunsten einen bakteriendich¬ 
ten, elastischen Ueberzug bildet. Die praktischen und bakterio¬ 
logischen Ergebnisse dieser neuesten Desinfektion ohne Wasser 
sind gut; sie teilt mit dem S c h u m b u r g sehen Verfahren 
(1 proz. Formalin-Alkohol), mit dem v. Bruns sehen (96 proz. 
Alkohol), dem II eusner sehen (Jodbenzin) u. a. den Vorzug der 
Einfachheit, Kürze, Billigkeit und wird wie diese besonders für 
Notfälle in der Außenpraxis, hei Wassermangel (FeldchirurgieI) 
ihre Bedeutung gewinnen. Die unbedingte Sicherheit des Bak- 
terienabschlusses durch das dünne Gummihäutchen, dürfte jedoch 
Zweifeln begegnen; es ist kaum denkbar, daß die Schweißabson¬ 
derung während einer längeren Operation das hundertfach gefäl¬ 
telte und gezerrte Häutchen nicht an vereinzelten Stellen spren¬ 
gen sollte, wie es durch Versuche mit Höllensteinlösung für ähn¬ 
liche Hautüberzüge bereits nachgewiesen ist. Diese Paraffin- 
und Gummihäutchen (Ohirol, Gaudanin, Chirosoter, Paraffin- 
Xylol u. dgl.) haben die meisten Nachteile des Gummihandschuhs, 
ohne seinen großen Vorzug, die relative Sicherheit des Hautab¬ 
schlusses, zu besitzen. 



Soziale Medizin. 

Referent: Generaloberarzt a. D. Dr. M. Peltzer. Steglitz. 


1. Invalidenversicherung der Gefangenen. Med. Reform, 

1908. Nr. 35, S. 432. 

2. Private Unfallversicherung in Landgemeinden. Ibidem, 

Nr. 37, S. 443. .^044 

3 . LiegekurschiiT in Zoppot. Ibidem, Nr. 37, S. 449. 

4 . Spezialärzte. Von Dr. Rudolf Lennhoff. Mediz. 
Reform, 1998, Nr. 35. 

5 . Fabrikarbeit und Nervenleiden. Beitrag zur Aetiologie 
der Arbeiterneurose. Von Dr. Gerhard Heilig, Unterarzt, 
im Inf.-Regt. v. Wittich in Cassel. Med. Reform 1908, Nr. 31, 
32 und 33. 


1 . Nach | 46, 1 des Invalidengesetzes vom 13. VII. 1899, 
erlischt unter gewissen Voraussetzungen die aus der Versiche¬ 
rungspflicht sich ergebende Anwartschaft auf Invalidenrente. 
Nach § 135 ebenda erlischt ferner eine Quittungskarte, wenn sie 
nicht innerhalb zweier Jahre zum Umtausch eingereicht ist. Um 
die Gefahr des Eintritts dieser Nachteile von solchen Versicher¬ 
ten abzuwenden, die Gefangene sind, hat jetzt der Justizminister 
unter Aufhebung seiner Verfügung vom 8 . III. 1901 unter dem 
30. I. d. J. bestimmt, daß der Gefangene, der eine lärigere als 
1 jährige, aber nicht lebenslängliche Freiheitsstrafe verbüßt und 
versicherungspflichtig ist, auch ohne seine Einwilligung nötigen¬ 
falls aus seinem Arbeitsverdienst, seitens der Verwaltung weiter 
versichert wird. 

2. Da die staatliche Unfallversicherung der Unfallverletzten 
erst nach Ablauf der 13. Woche für die über diesen Zeitraum 
hinausreichenden Unfailfolgen entschädigt, hat der praktische 
Arzt Dr. J a k s - Thüngen (Unterfranken) in dem ungefähr 900 
Einwohner zählenden Dorfe Stelten den Versuch gemacht, die 
selbständigen Bauern, welche der Krankenversicherung nicht un¬ 
terliegen und mithin für den 13-Wochenzeitraum leer ausgehen, 
zu einer privaten Gemeinde-Unfallversicherung auf genossen¬ 
schaftlicher Basis zu bewegen und verspricht sich weitere Er¬ 
folge davon. Diese will, streng im Rahmen der Gemeinde, alle 
Unfälle bis zur,,Dauer von 90 Tagen entschädigen, gleichgültig, 
ob sie Betriebs-tod'er landwirtschaftliche Unfälle sind. Mitglied 
ist jede über 16 Jahre alte, der gesetzlichen oder statutarischen 
Krankenversicherung nicht unterliegende Person. Der Beitrag 
beträgt 1 M. jährlich, für Verheiratete 2 M. Ein Fehlbetrag wird 
nötigenfalls durch Extraumlage gedeckt. Die Verwaltung ist 
kostenlos und obliegt dem Bürgermeister und dem Lehrer. 

3. Im Hinblick auf den bevorstehenden 4. internationalen 
Kongreß für Thalassotherapie in Abbazia interessiert die Notiz, 
daß der Aerztevcrein in Zoppot zur Durchführung thalassothera- 
peutischer Maßnahmen ein Liegekurschiff für 36 Personen aus¬ 
gerüstet hat, das, hauptsächlich für Neurastheniker, Asthmati¬ 
ker und Rekonvaleszenten bestimmt, täglich in der Ranziger 
Bucht kreuzt. 

4. Nachdem'über die Frage des Titels „Spezialarzt“ der Streit 
der Meinungen lange hin und her gewogt hat, wobei die einen 
die Ansicht vertraten, daß das Recht, ihn zu führen, nur durch 
ein Spezialexamen erworben werden könne, während die anderen, 
besonders die Standesvertretungen, dieses oder gar eine besondere 
Approbation weit von sich weisen, hat jetzt das Kultus¬ 
ministerium zu ihr Stellung genommen, indem es in einem Erlaß 
an die Ober- und Regierungspräsidenten vom 15. VII. d. J. aus¬ 
spricht, daß es seinerseits von einer Regelung der Angelegenheit 
vorläufig absehe und die weiteren Schritte zunächst der ärzt¬ 
lichen Standesorganisation (Aerztekammer, Ehrengericht) über¬ 
lasse. Möge, wie Dr. Eugen Israel. Berlin, Spezialarzt für 
Chirurgie, hierzu sagt, diese eine Formel finden, welche der All¬ 
gemeinheit nützt und die berechtigten Interessen des einzelnen 
schont! Was nach Lennhoffs Ansicht, der wir uns an- 
sehließen, nicht zu umgehen sein wird, ist der Nachweis einer 
spezialistischeii Ausbildung, also eine Art Diplom. Will man das 
nicht, so lasse man, wie in Frankreich und Amerika, den Spezial¬ 
arzttitel ganz fallen und benutze nur den Ruf seines Namens 
als Werbekraft. — Dieser Artikel hat der Schriftleitung der 
..Medizin. Reform“ eine Anzahl Zuschriften eingetragen, darunter 
i*irie solche .von S c h w a 1 b e , der auf seinem Aufsatz in Nr. 41 
der „Deutsch.-Med. Wochenschrift“ von 1907 verweist, und von 
Schober, der über die einschlägigen Verhältnisse in Frank¬ 
reich berichtet. Näheres hierüber s. „Med. Reform“ Nr. 36, S. 431, 
unter der Ueberschrift: „Spezialarzttitel“. 


UNIULKbl IY Uh MILHIbAN 




1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


609 


5. Unter diesem Titel veröffentlicht H. eine interessante 
Studie über die ätiologische Bedeutung der Fabrikarbeit als 
solcher in bezug auf die Entstehung von Arbeiterneurosen. \\ ir 
empfehlen sie insbesondere auch allen Kassenärzten namentlich 
deshalb, weil darin außer den mechanisch schädigenden Momen¬ 
ten der Fabrikarbeit, als da sind der Lärm, dieser akustische 
Dauerreiz, der Unfall, die üeberanstrengung usw., in kurzer, 
übersichtlicher Weise auch Imponderabilien in Betracht gezogen 
sind, die unseres Wissens nicht allgemein genügend gewürdigt 
werden. Dahin gehört das Verantwortlichkeits-, das Zurück¬ 
setzungsgefühl, die Arbeitsfreudigkeit, der Einfluß des Akkord¬ 
systems, die Existenzunsicherheit, ferner die Wehrpflicht usw. 
Erschöpft ist die Reihe der inneren Ursachen, wie Yerf. selbst 
sagt, damit freilich nicht, es gehören dazu auch noch andere 
Dinge, wie namentlich das Vereinsleben, die Politik und die Ge¬ 
nußsucht. 

Militärsanitätswesen. 

Referent: Generaloberarzt a. D. Dr. Peltzer, Steglitz. 

1. Ueber die Zunahme der Körpergröße der militärpflicht i- 
gen Jugend in Norwegen. Von Hans Daae, Major im 
Sanitätswesen der norwegischen Armee. Dtsch. militärärztl. 
Zeitschr., 1908, Heft -7. 

2. AVie lernt inan mit einem Auge zielen? Von Dr. med. 
II. v. W y ß, Sanitäts-Oberleutnant, ibidem, S. 724. 

3. Der erste Fortbildungskursus für Generalärzte und Ge- 
lieraloberärzte des aktiven Dienststandes. Ibidem, S. 759. 

4. Die zahnärztliche Behandlung beim Regiment. Von 
Dr. G r e n i e r, med. aide-major. Le caducee, 1908, Nr. 2. 
Referat in: Der Militärarzt, 1908. Nr. 17. 

5. Zucker in der Ration des Soldaten. Von J o 1 y, areli. 
de med. et de pharm, mil., 1907, IV., der Militärarzt 1908, Nr. 16, 
Militärärztl. Zeitungsrevue. 

6. Eine Latrine für das Feldlager. Von Kapt. Fredfer ick 
Herr ick. The milit. Surgeon, 1907, p. 125, ibidem. 

7. Brieflicher Unterricht von Militärärzten und Sanitäts¬ 
unteroffizieren. Von Oberstleutnant Homer'J. Jones. The 
milit. Surgeon, 1908, II. p. 83, ibidem. 

1. Die Arbeit von Daae bildet eine Ergänzung und einen 
Beleg zu der von Schwiening („Ueber die Zunahme der Kör¬ 
pergröße der militärpflichtigen Jugend in einigen europäischen 
Staaten“), über welche wir in Nr. 27 des laufenden Jahrganges 
dieser Zeitschrift berichteten, und weist speziell für Norwegen 
die Richtigkeit der von Schwiening hervorgehobenen Tat¬ 
sache nach, daß sich in allen Kulturstaaten Europas, aus welchen 
überhaupt verwertbares Material vorliegt, bei der militärpflichti¬ 
gen Jugend eine Tendenz zur Zunahme der Körpergröße bemerk¬ 
bar macht. Diese betrifft namentlich die an sich schon Großen, 
während die Kleine;' abnehmen, die Mittelgroßen sich gleich blie¬ 
ben. In Norweg^ .*rgeben überhaupt anthropologische Unter¬ 
suchungen insofef ein interessantes Material, als hier in den 
Tälern und Fj</ n eine sowohl voneinander als auch von dem 
Einfluß der Städte isolierte Bevölkerung lebt. 

2. Beim Schießunterricht der Rekruten finden sich immer 
einige, die nicht ein Auge zukneifen können, v. W. sucht nun 
nachzuweisen, worauf dies beruht, nämlich auf der mangelhaft 
ausgebildeten Differenzierung der Tätigkeit der einzelnen Ge¬ 
sichtsmuskeln, und empfiehlt eine von ihm vielfach mit Erfolg 
'ausprobierte Methode, dieser Schwierigkeit zu begegnen, zu 
weiteren Versuchen. Sie beruht auf der Uebung eben dieser 
mangelhaft ausgebildeten Muskulatur. 

3. Vom 20. VII. bis 2. VIII. hat in Berlin nunmehr auch 
für aktive General- und Generaloberärzte der erste Fortbildungs¬ 
kursus an der Kaiser-Wilhelm-Akademie stattgefunden. Es 
nahmen teil 11 General- und 21 Generaloberärzte, darunter je 
ein württembergischer Sanitätsoffizier, außerdem ein sächsischer 
Generalarzt. Dies ist um so wichtiger, als die genannten Char¬ 
gen durch ihren Dienst der praktischen Tätigkeit, entrückt sind. 
Vorträge hielten Bier, Hildebrandt, Kraus, FI i s, 
Ziehen, v. Michel. G a f f k y, Kirchner, Sc h m i d t. - 
m a n n u. a. Außerdem fanden Besichtigungen statt, so der Klär¬ 
anlagen in Wildau uud Rulilsdorf, der Wasserwerke am Müggel¬ 
see, de9 Yirehow-Krankenhauses usw. 

4. Wir berichteten bereits mehrfach über neuere Ma߬ 
nahmen zur Regelung de9 zahnärztlichen Dienstes im Heere. 


Von G r. erfahren wir u. a., daß die englische Armee im Buren¬ 
krieg von 12 Zahnärzten in Hauptmannsrang begleitet war, ein 
Beweis mehr, welchen Wert gerade der Engländer auf sein be¬ 
kanntes Gebiß legt. 

5. Zucker in der Ration des Soldaten wurde im 94. franz. 
Infanterie-Regiment während der Manöver 1906 als Beigabe zur 
Kost erprobt. 60—150 g wurden 17—20 Tage lang ohne Ver¬ 
dauungsstörung vertragen. In der täglichen Kost konnten 100 g 
frisches Fleisch durch 100 g Zucker ersetzt werden. Wurden 
100 g frisches Fleisch durch 120 g Zucker ersetzt, so steigerte 
sich die Widerstandskraft des einzelnen, der Krankenzugang im 
ganzen nahm ab. Bei 5 Freiwilligen konnte 3 Tage lang die 
gesamte Nahrung ohne Nachteil durch Zucker ersetzt werden. 
Wenn wir uns recht erinnern, haben s. Z. auch bei uns ähnliche 
Versuche stattgefunden, ohne zu einem praktischen Ergebnis zu 
führen. 

6. Die von H. beschriebenen Latrinen wurden hergestellt, 
indem man mit einem Kreisbohrer Gruben anlegte und in diese 
Eisenzylinder, später auch solche von Papiermache, Holz usw,, 
die nachher verbrannt weiden konnten, geschoben wurden. Ueber 
diese kamen die Sitze. Die Anlage soll sich bewährt haben. 

7. Homer J. Jones, Chefarzt der Nationalgarde von 
Indianapolis, schlägt für die nicht aktiven Militärärzte einen 
brieflichen Unterricht in der Weise vor, daß von Zeit zu Zeit 
Fragebogen über einschlägige Themata an sie versandt werden, 
deren Beantwortung obligatorisch ist und die sie dann an den 
Chefarzt einzusenden haben. Aehulich sollen die Regiments- 
ärzte bezüglich der Sanitätsunteroffiziere verfahren. Also eine 
Art Winterarbeit. Die Idee läßt sich hören. 


Mitteilungen über Arzneimittel. 

Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. Cardiotonin, Herztonikuin, Broschüre der Firma Dr. 
Degen & Kuth, Chemische Fabrik, Düren (Rheinland). 

2. Zur medikamentösen Therapie des akuten Gelenkrheunia- 
thismus. Von O. Minkowski, Greifswald. Therapie der 
Gegenwart, September 1908, 

3. Bemerkungen zur Behandlung des chronischen Gelenk¬ 
rheumatismus. Von Dr. T a u s z k. Uebersetzung aus Buda¬ 
pest. Orvosi Ujsäg, 1908, Nr. 3. 

4. Die Lehre von Alexander Poehl und die mit seinen Prä¬ 
paraten erzielten Erfolge in der medizinischen Klinik im Jahre 
1906/1907. Von Dr. Szurek. Wien. klin. Wochenschrift, 
1908, Nr. 36. 

1. Ueber ein neues Herztonikum liegt mir ein Präparat der 
Firma Dr. Degen & Kuth, Chemische Fabrik, Düren (Rhein¬ 
land), vor. In demselben wird ausgegangen von der bekannten 
Maiblume, der Convallaria majalis, die ja als Herzmittel und 
Diuretikum seit langer Zeit bekannt ist, deren Wirkung übrigens 
— wenigstens nach meinen eigenen Erfahrungen — zweifelhaft 
ist. Denn ich erinnere mich aus der Zeit meiner Tätigkeit als 
Krankenhausarzt, das Infus öfter verordnet zu haben — meist 
mit negativem Erfolge. Die wirksame Substanz in der Conval¬ 
laria majalis ist das Convallamarin und das Convallarin, und es 
mag sein, wie auch in der vorliegenden Broschüre betont wird, 
daß die bisher im Handel üblichen Convallariapräparate in ihrem 
Gehalte an wirksamen Substanzen infolge ihrer verschiedenarti¬ 
gen Herstellungsweise und Herkunft keine einheitliche sichere 
Wirkung aufgewiesen haben. Zudem schmeckt ein Infus der 
Maiblume trotz Zusatz großer Mengen von Ivorrigentien schau¬ 
derhaft, und bekanntlich ist das oft genug der Grund, daß ein 
Präparat sang- und klanglos wieder in der Versenkung ver¬ 
schwindet. Am wirksamsten soll ein Extrakt der Blüten sein, 
während ein solcher aus den Wurzeln schwächer wirkt. Ein Ex¬ 
trakt aus den Blättern wirkt aber nicht allein schwächer, son¬ 
dern weist auch qualitativ ganz andere Wirkungen im Tierver¬ 
suche auf. Hier ist es nach F r i e d 1 ä n d e r vor allem das Con- 
Vallarin, das neben der wie Strophantus hispidus sich äußern¬ 
den Wirkung des Convallamarin in die Erscheinung tritt und 
neben einer schon länger bekannten brechenerregenden Wirkung 
eine blutdruckherabsetzende, also der Benutzung als Herztoni- 



610 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 41 


kum entgegenstehende Tätigkeit entfaltet. Sollte also aus der 
Maiblume ein einheitlich wirkendes Präparat gewonnen werden, 
so war es Aufgabe der Pharmakologie, die Entfernung nachteilig 
wirkender und die Erhaltung wertvoller Bestandteile der Droge 
zu erstreben, mit einem Worte ein Präparat herzustellen, das nur 
die guten Eigenschaften der Convallaria besitzt, ierner war 
auch die genaue Einstellung eines jeden Quantums, das zum \ er- 
trieb gelangt, auf einen pharmakologischen Titer (Einheit der 
Wirkung) durch den Versuch am lebenden Tier notwendig. Der 
oben genannten Firma ist es gelungen, diesen Ansprüchen ge¬ 
recht zu werden, indem nach einem besonderen Verfahren die¬ 
jenigen Substanzen, welche die unangenehmen Nebenerscheinun¬ 
gen hervorrufen, aus der frischgeernteten Pflanze entfernt und 
die nur kardiotisch wirkenden Stoffe in Form einer Lösung 
isoliert werden. Diese wird durch sorgfältige Versuche am 
lebenden Kaninchen, am ausgeschnittenen Warmblüterherzen so¬ 
wie am Froschherzen auf seinen Wirkungswert und die Art seiner 
Wirkung eingestellt und jenem entsprechend auf eine immer 
genau gleichwertige Konzentration gebracht. Die drei zu be¬ 
obachtenden Stadien bei der Wirkung des Präparates sind: 

1. Das therapeutische Stadium: Pulsverlangsamung undBlutdruck- 
steigerung. 2. Das toxische Stadium: Pulsbeschleunigung, und 
als 3. Stadium: Arythmie, Druckabfall, Herztod. Zur Steigerung 
der diuretischen Wirkung der Convallaria und zur gleichzeitigen 
Anregung des motorischen Herznervenapparates sind noch 
2,5% Coffein, natrio-benzoicum dem Präparat hinzugefügt. 
Diese Komposition hat den Namen ,,C ardiotonin“ erhalten 
und wird in Originalfläschchen mit Meßpipette abgegeben. Eine 
stets gleiche Wirksamkeit des Präparates wird durch die Kon¬ 
trolle des Herrn Prof. Dr. Boruttau in Berlin gewährleistet. 
Die bisher zweckmäßigste Dosis scheint 1 ccm, steigerungs¬ 
fähig bis 3 ccm zu sein. Davon täglich 3 mal die gleiche Menge. 
Das Cardiotonin dürfte indiziert sein bei funktioneller Herz¬ 
schwäche, Herzneurosen, Kompensationsstörungen. Eine kumu¬ 
lierende Wirkung wurde bisher nicht beobachtet. 

2. Es ist eine alte Erfahrungstatsache, daß viele Fälle von 
akutem Gelenkrheumatismus auf Salicylsäure besser wirken als 
auf die Salze derselben; ja, manche Fälle reagieren auf salicyl- 
saure Salze gaT nicht, auf reine Salicylsäure prompt. J)aher 
die Empfehlung eines spezifischen Mittels gegen den 
akuten Gelenkrheumatismus durch Stricker. Nun läßt es 
sich nicht leugnen, daß die Salicylsäure manche unangenehme 
Eigenschaft hat; namentlich die Beschwerden des Magens und 
der Widerwille gegen die Einnahme machen sich bei keinem Prä¬ 
parate so bemerkbar wie bei der freien Säure. Daher das eifrige 
Bemühen der Industrie, durch mannigfache Kombinationen der 
Salicylsäure mit anderen Atomgruppen die Nebenwirkungen zu 
beseitigen, ohne die Wirksamkeit der Säure zu verringern. Nach 
Minkowski soll dies der Firma Boeh ringer & Söhne 
in der Herstellung des „D i p 1 o s a 1“, dem Salicylsäureester der 
Salicylsäure gelungen sein. Dasselbe enthält nichts weiter als 
reine Salicylsäure, und zwar 107%, d. h. 1,0 g der Substanz bildet 
1,07 Salicylsäure im Organismus, und zwar dadurch, daß die 
esterartige Paarung der beiden Salicylsäuremoleküle unter 
Wasseraustritt und dementsprechend die Umwandlung des Esters 
in freie Säure unter Wasseraufnahme erfolgt. Das Diplosal 
stellt, ein färb-, geruch- und geschmackloses Pulver dar, das in 
Wasser sehr schwer, in Alkohol sehr leicht löslich ist. Seine 
Erfahrungen im letzten Semester mit dem Mittel — es wurden 
ca. 3 kg verbraucht, meist in Dosen von 3—6 mal 1,0 g — faßt 
M. dahin zusammen, daß das Diplosal gut vertragen wird, auch 
bei längerem Gebrauch weder Magenbeschwerden noch Ohren¬ 
sausen erzeugte. Die Wirksamkeit des Präparates war der der 
freien Säure gleich. Bei 9 Fällen von frischem Gelenkrheumatis¬ 
mus trat nach 4 —6 mal 1,0 g innerhalb von 1—2 Tagen eine 
prompte Entfieberung und rascher Rückgang der Gelenkerschei¬ 
nungen auf. Auch bei anderen Krankheitszuständen wurde eine 
günstige Wirkung beobachtet. 

3. Verfasser unterscheidet eine senile und eine juvenile 
Form der Arthritis deformans, welche aber eine verschiedene 
ätiologische Basis haben. Beide Formen gehen mit mehr oder 
weniger heftigen Schmerzen einher, gegen die sich unsere Me¬ 
dikation im allgemeinen zu richten pflegt, da andere Maßnahmen 
gegen das Leiden selbst machtlos sind. Die Zahl der Mittel ist 
Legion und rekrutiert sich aus den verschiedenen Antineuralgicis 
und Antirheumaticis. Wenn man auch eine Linderung der Be¬ 
schwerden in dem einen oder anderen Falle unumwunden zuge- 
stehen muß, so fehlt es immer noch an einem sicheren Mittel. 


Und das beweist auch die Bestrebung der pharmazeutischen In¬ 
dustrie, verbesserte Präparate auf den Markt zu bringen. Ob das 
von T. empfohlene „Salimentliol“ ein solches ist, müssen weitere 
Beobachtungen lehren. Das von dem Chemisch-Pharmazeutischen 
Laboratorium in Arnau a. d. E. (Böhmen) auf den Markt ge¬ 
brachte Präparat ist ein fast geruch- und geschmackloses Oel, das 
weder bei innerlicher oder äußerlicher Anwendung irgendwelche 
Nebenwirkungen zeigt. Bei der Verseifung mit Kalilauge zer¬ 
fällt Salimentliol in annähernd gleiche Teile Salicylsäure und 
Menthol; doch ist es nicht ein einfaches Gemisch-beider Kom¬ 
ponenten. Die gleiche Spaltung erleidet das Präparat im Darme. 
Zur lokalen Behandlung verwandte T. das unter dem Namen 
„Samol“ von der gleichen Firma in den Handel gebrachte Medi¬ 
kament, das eine fertige Form des Unguentum Salimentlioli 
(15% des Mittels) darstellt. Damit wurden je nach Schwere 
des Falles die erkrankten Gelenke 1—3 mal täglich dick einge¬ 
rieben; eventuell wurde über die eingeriebene Stelle eine Salben- 
schicht gelegt, die mit Watte bedeckt wurde. Nur bei sehr 
intensiver Behandlung wurden Hautirritationen beobachtet. Nach 
T.s Erfahrungen ist das „Samol“ betreffs schmerzstillender Wir¬ 
kung allen anderen Präparaten bei weitem überlegen. Innerlich 
wandte er das „Salimenthol“ in Kapseln, die fertig in den Handel 
gebracht werden (3 mal 1—3 Stück), mit gutem Erfolge an. Die 
Kranken waren frei von unangenehmen Erscheinungen. Die 
besten Erfolge sali T. bei gleichzeitiger interner und externer 
Anwendung des Präparates, daß nach ihm, ein sicher und ohne 
unangenehme Nebenerscheinungen wirkendes Antirheu¬ 
matikum ist. 

4. Die Lehren P o e h 1 s über die Organotherapie, die 
S z u r c k genauer darlegt und verteidigt, selbst im Auszuge 
wiederzugeben, würde den Rahmen eines Referates überschreiten. 
Das muß im Original nachgelesen werden. Hier interessieren 
uns nur die Versuche, die mit P o e h 1 sehen Präparaten an der 
Krakauer Universitätsklinik vorgenommen wurden, und, zwar 
wurden verwendet: Spermin, Zerebrin, Adrenalin, Reniin und 
Hämaglobin Poehl. Die Erfolge waren zweifelhaft. Am besten 
bewährte sich noch Spermin, und zwar bei Fällen von Neur¬ 
asthenie und Tabes dorsalis. Bei letzterer Krankheit wurden 
die lancinierenden Schmerzen einmal beseitigt, einmal wesentlich 
gebessert; in einem dritten Falle war die Therapie.völlig erfolg¬ 
los. .Leichtere .Fälle von Lungentuberkulose wurden gebessert, 
schwere Fälle und solche von Diabetes reagierten auf Spermin- 
gar nicht. Mit Adrenalin und Hämaglobin erzielte S. zweifel¬ 
hafte Erfolge; Zerebin und Reniin hatten keinen Erfolg. Da¬ 
nach kann der objektive Kritiker sich nur dahin entscheiden, daß 
der Wert der Poehl sehen Präparate — soweit sie hier auf¬ 
geführt sind — nur ein problematischer ist. Auch S., ein be¬ 
geisterter Anhänger der Organotherapie, scheint sich dem nicht 
zu verschließen, wenn er bemerkt: „Der negative Wert dieser 
Präparate kappn P o e h 1 s Verdienste um die Organotherapie 
nicht schmälern.“ 


Technische Neuerscheinungen. 

Ein neuer Perkussionshammer 

nach Dr. Kantorowiez, Berlin. 

In Berücksichtigung der verschiedenen Wirkungs¬ 
weisen schwerer und leichter Perkussionshämmer hat K. 
sich bemüht, die Wirkungsarten in einem einzigen Model) 
zu vereinen. Ein solches zu konstruieren, das zugleich 
leicht und schwer sein könnte, ging nicht an, da die Masse 



des Hammers etwas Gegebenes ist, das einer Veränderung 
nicht mehr fähig ist. Dagegen erstrebte K., au einem 
bestimmten, geeigneten Modell eine Aenderung der 
Massenverteilung herbeizuführen. Der aus dieser Idee her¬ 
aus konstruierte Perkussionshammer besitzt einen beweg¬ 
lichen Schwungkörper in Form eines Laufgewichtes, das 



ILHIIjAN 


UNlUbKtpll V Uh MILHIbAN 





im 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


611 


verschoben und auf jeden beliebigen Punkt des Hammer¬ 
stieles eingestellt werden kann. Die Wirkung des Hammer¬ 
kopfes, der gewissermaßen ein Schwunggewicht darstellt, 
wird durch Zufügung des zweiten Schwunggewichtes ver¬ 
größert, und zwar um so mehr, je näher letzteres dem 
ersteren gerückt wird. Bei Anwendung des Hilfsgewichtes 
wird die Schlagwirkung des Hammers innerhalb weiter 
Grenzen verändert, und zwar durch verschiedenartige Ver¬ 
teilung der 1 Gesamthammermasse ohne Aenderung dieser 
Masse selbst. Steht das Laufgewicht am hinteren Ende des 
Hammerstieles, so ist seine Zusatzwirkung gering, die 
Schwungkraft des Hammers weist die kleinste Größe auf, 
mit Herausrücken des Gewichtes an den Hammerkopf ver¬ 
größert sich sein Einfluß und erreicht am Hammerkopf 
das Maximum der möglichen Einwirkung. Das Hinzu¬ 
treten des verschiebbaren Schwungkörpers verleiht so dem 
Perkussionshammer eine unbegrenzte Zahl von Schwung¬ 
momenten. In der Praxis wird man sich meist mit 3 Ein¬ 
stellungen des Laufgewichtes, auf dem Anfangs-, Mittel¬ 
und Endpunkt des Hammerstieles, begnügen können. (Fa¬ 
brikanten Dewitt & Herz, Berlin.) M. Piien. 


Bücherbesprechungen. 

Aus Natur und Geisteswclt. Verbrechen und Aber¬ 
glaube. Von A. Hellwig. Verlag von B. G. T e u b n e r. 
Leipzig. 139 S. 

Im Vorwort erklärt Verf., daß die Untersuchungen nur zum 
kleinen Teile aus Büchern und Zeitschriften geschöpft sind, das 
meiste mündlichen Mitteilungen, Zeitungsberichten usw. entnom¬ 
men ist. Das Gebotene soll dazu dienen, sich über das Thema 
zu orientieren und soll ferner einen Leitfaden dai^stellen zur Er¬ 
klärung und Motivierung mancher wunderbaren Vorkommnisse 
und endlich anregen, sich für dieses Gebiet weiter Zu interessieren. 

In der Einleitung betont Verf., daß auch heute noch selbst im 
modernen Deutschland Aberglaube mancher Art verbreitet ist, 
und abergläubische Gebräuche auch von Leuten begangen werden, 
die sicherlich nicht daran glauben. 

Im 2. Paragraphen spricht H. über Hexenprozesse und er¬ 
wähnt, daß der Glaube an Hexen auch heute noch nicht aus¬ 
gestorben ist. 

In allen Abhandlungen bringt Verf. interessante Beispiele, 
die das entsprechende Gebiet trefflich illustrieren. 

Im Kapitel über Vampyrglaube erzählt H. ein derartiges Vor¬ 
kommnis aus Odessa aus dem Jahre 1905 (!). 

Besonders interessiert den Arzt das Kapitel über Sympathie¬ 
kuren und das, was der Verf. über die Kurpfuscher sagt. Sehr 
richtig ist seine Ansicht, daß es sehr schwer ist., den gewerbs¬ 
mäßigen Kurpfuscher wegen Betruges zu belangen, und er be¬ 
zeichnet das Treiben der Kurpfuscher als ein derart sozial ge¬ 
fährliches, daß es höchste Zeit ist, ihnen gegenüber administra¬ 
tive Maßnahmen zu treffen, ein Ausspruch, dem wir Aerzte wohl 
,ohne weiteres von gaijzer Ueberzeugung beitreten. 

Der folgende Abschnitt über das Gesundbeten gehört im 
großen und ganzen mit zu den Sympathiekuren. 

Daß dem Blute eine besondere Kraft zugeschrieben wird, ist 
wohl allgemein bekannt, ebenso daß abergläubische Vorstellungen 
über Totenfetische zu Leichenschändung Veranlassung geben 
können. 

Daß Wahrsagerinnen häufig als Kupplerinnen tätig sind und 
wohl noch andere, nicht minder schmutzige Nebengewerbe be¬ 
treiben, kann man in den Berliner GeTichtssälen nicht selten er¬ 
fahren. 

Daß eigenartige Zeremonien beim Schwören die Meineids¬ 
folgen gleichsam aus dem Körper wieder herauszuleiten vermögen, 
ist ein bekannter, weit verbreiteter Aberglaube und wird vom 
Verf. in gebührender Weise beleuchtet. 

Was den Kinderraub durch Zigeuner angellt, so möchte ich 
dem Verf. vollständig beipflichten, der da sagt, daß bis jetzt zwar 
ein Kindesraub durch Zigeuner nicht erwiesen sei, daß man aber 
deshalb die Möglichkeit eines solchen nicht absolut ausschließen 
könne. 


Die Arbeit stellt ein sehr lesenswertes Buch dar, welches das 
gesamte Material in übersichtlicher Form und in Bott geschriebe¬ 
ner Weise zusainmenstellt. 

Med.-Rat Dr. H. II offmann - Berlin. 

lieber Familieninord durch Geisteskranke. Von Med.-Rat 
Dr. P. N äcke in Hubertusburg, Ehren- und korrespondierendes 
Mitglied einer Reihe von psychiatrischen und anthropologischen 
Gesellschaften. Verlag: Carl Marhold, Halle a. S., 1908. 
140 Seiten. Gr. 8°. 

Ueber dasselbe Thema, nämlich über Familienmord in ge¬ 
richtlich-psychiatrischer Beziehung, haben der Verfasser und 
Straß mann auf der Versammlung der deutschen Gesellschaft 
für gerichtliche Medizin in Dresden September 1907 gesprochen. 

Vorliegende Arbeit stellt das erweiterte Referat jenes Vor¬ 
trages dar. Es wird betont, daß der Familienmord immer häu¬ 
figer werde. 

Das dem Verfasser vorliegende Material bezieht sich auf 
110 Männer und 51 Frauen. Verf. meint, daß ein seit langem ge¬ 
planter, mit allem Raffinement erdachter und energisch aus¬ 
geführter Familenmord durch Irre seltener vorgenommen werde, 
als durch normale Menschen und ferner, daß der Familenmord in 
den unteren Volksschichten häufiger sei als in den oberen. 

Im dritten Abschnitt spricht Verf. die einzelnen Krankheits- 
fermen durch, bei denen Familienmorde Vorkommen und betont 
beim Alkoholismus mit Recht, daß bei alten Verbrechern der 
Rausch sicher nicht die Hauptschuld am Rückfalle trägt. Es 
greift, da sehr leicht eine Uebertreibung in der Weise Platz, daß 
alle Schuld auf den Alkohol gewälzt wird. 

Weiter betont Verf. die Gefährlichkeit der depressiven Zu¬ 
stände, wie er auch später die melancholische Frau als die ge¬ 
fährlichste, besonders für die Kinder, hinstellt. 

Weiter bespricht Verf. die Epileptiker und schildert den epi¬ 
leptischen Charakter. 

Er betont im vierten Kapitel die Beziehungen von Ver¬ 
brechen und Wahnsinn. Er steht auf dem — auch von mir ver¬ 
tretenen — Standpunkte, daß wohl derartige Beziehungen be¬ 
stehen, daß aber nicht jeder Verbrecher psychisch erkrankt sei, 
daß Verbrechen und Geisteskrankheit sich nicht decken. 

Wie man den Familienmord verhüten kann, wird im fünften 
Kapitel besprochen. Es kommt diese Prophylaxe hinaus auf 
Aufbesserung in-hygienischer und wirtschaftlicher Hinsicht, auf 
rechtzeitige Anstaltsbehandlung usw. 

Der sechste Abschnitt bringt das Resultat der Arbeit in 
12 Leitsätzen, während das siebente Kapitel uns eine Kasuistik 
vorführt, der sich im achten Tabellen über die beobachteten Fälle 
anschließen. 

Die Arbeit ist sehr instruktiv, und die Lektüre derselben 
kann denen, die sich für das Thema interessieren, nur empfohlen 
werden. Med.-Rat Dr. H. H offmann - Berlin. 


Korrespondenz. 

Alkohol und Lebensdauer. 

In der Besprechung des gleichnamigen Aufsatzes von Dr. 
Stille in Nr. 39 dieser Zeitschrift führt Dr. von den Vel¬ 
den zwei Argumente gegen die Beweiskraft der Erfahrungen 
der englischen Lebensversicherungsgesellschaften ins Feld, die ich 
nicht unwidersprochen lassen möchte. Wenn er meint, daß der 
Gesunde den Alkohol viel leicLter entbehren könne als der 
Kränkliche, sich daher unter den Nichtabstinenten ein viel 
größerer Prozentsatz von Menschen mit geringerer Lebenswar- 
tung befinde als unter den Abstinenten, so widerspricht dies 
zweifellos den tatsächlichen Verhältnissen. Ein nicht unbedeu¬ 
tender Teil der Abstinenten verzichtet aus gesundheitlichen 
Gründen auf den Alkohol, das sind Leute, die schwächlich und 
wenig widerstandsfähig sind, an Magen- oder Nervenleiden labo¬ 
rieren und infolgedessen eine geringere Lebenserwartung haben. 
Die Volksstimme gibt diesem Verhältnisse dadurch Ausdruck, daß 
der Nichttrinker als Schwächling und Minderwertiger betrachtet 
wird, während das Trinken als Zeichen der Kraft und der Männ¬ 
lichkeit angesehen wird. Je mehr einer verträgt, für desto stärker 
sieht ihn das Volk an; gewiß mit Unrecht, aber hätte dieses 
Vorurteil entstehen können, wenn die Trinker von vornherein dio 
Kränklichen wären? 











612 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU: 


Was den zweiten Einwand betrifft, so berufe ieli mich auf 
das Zeugnis Mr. Whittakers, der in einer Diskussion im 
„Institute of Aetuaries* 1 zu London zu dieser Frage das Wort 
ergriff, R. M. Mackenzie, der Aktuar der United Kingdom 
Temper ance and General Provident, Institution, hatte am 
30. November 1903 einen Vortrag über die Sterblichkeit der Ab¬ 
stinenten und Nichtabstinenten gehalten, und in der Debatte er¬ 
hob Dr. G e o King genau denselben Einwand, den Herr Dr. 
von den Velden jetzt macht, daß nämlich die Abstinenten 
pedantische und behutsame Leute seien, deren geringere Sterb¬ 
lichkeit auf ihrer Lebensweise im allgemeinen, nicht allein auf 
der Alkoholenthaltsamkeit beruhe. „Ich kenne,“ erwiderte ihm 
Mr. Whittaker, „vermutlich mehr Abstinente in England als 
irgend jemand unter den Anwesenden, und ich bestreite, daß dem 
so ist. Ich bestreite, daß die Abstinenten, abgesehen von ihrer 
Abstinenz, besonders vorsichtige und regelmäßige Leute sind, 
deren Lebensweise zu Langlebigkeit disponiert. Sie sind ein rast¬ 
loses, eifriges, tätiges und zuweilen zanksüchtiges Volk. Leute, 
die eine unpopuläre Partei im öffentlichen Leben ergreifen, 
müssen notwendig solcher Charakterprägung sein, und man kann 
sicher nicht behaupten, daß strebsame und hastige Gemütsart 
gerade zu Gesundheit und Langlebigkeit disponiere. Del’ Tee¬ 
totaler ist ein eifriges, zanksüchtiges, tätiges, kampflustiges, sich 
abmühendes, unruhiges Menschenkind. Man kann ruhig be¬ 
haupten, daß im ganzen die Abstinenten dem Durchschnitte der 
tüchtigen Menschen entsprechen. Ein großer Teil der Versiche¬ 
rungswerber der United Kingdom-Gesellschaft kommt mir zu 
Gesichte, und ich leugne, daß irgend jemand imstande wäre zu 
bestimmen, welcher davon abstinent, welcher niehtabstinent ist, 
außer er nimmt Einsicht in die Erklärung. Sie leben in der 
gleichen Stadt, arbeiten in demselben Betriebe, haben dasselbe 
Einkommen, sie sind genau dieselbe Menschenspezies. Man kann 
die Abstinenten nicht mit dem Gros der Bevölkerung aut dieselbe 
Stufe stellen, wohl aber mit dem Stamme der in der allgemeinen 
(nichtabstinenten) Abteilung Versicherten, die in der Regel vor¬ 
sichtige, bedachte und sparsame Leute seien. Ich kann auch 
sagen, daß meine Gesellschaft ausnehmend sorgfältige Auswahl 
trifft. Der Direktor und beinahe alle Agenten sind Abstinente 
und daher arbeiten sie naturgemäß unter einer Bevölkerung, die 
wenn nicht enthaltsam, doch der Enthaltsamkeitsidee sehr 4iahe- 

steht.“ i t> . • 

Auch die Berichte über die in England bestehenden absti¬ 
nenten Arbeiterkranken- und Sterbekassen, die zum Teil nur Ab¬ 
stinente aufnehmen, bestätigen, daß es irgendeinen Unterschied 
zwischen Enthaltsamen und Nichtenthaltsamen, mit einziger Aus¬ 
nahme eben des Alkoholgenusses nicht gebe. Da unsere Er¬ 
fahrungen über die Lebenserwartung der Abstinenten ausschlie߬ 
lich aus England stammen, so müssen uns auch die Meinungen 
der dortigen Gewährsmänner maßgebend sein. Ich weiß nicht, 
ob Dr. von den Velden Beobachtungen über die Gemütsart 
englischer Teetotaler gemacht hat: nur solche können aber hier 
in Frage kommen, da drüben, wo die Abstinenz so häufig eine 
Folge religiöser, konfessioneller und moralischer (Heilsarmee!) 
Beweggründe ist, natürlich die Verhältnisse ganz anders liegen 
als bei uns. Bis heute sind die Erfahrungen der englischen Ge¬ 
sellschaften ,die uns lehren, daß die Lebenserwartung der Absti¬ 
nenten um 27% besser ist als die der Alkohölgenießenden, immer 
noch unwiderlegt. 

Dr. med. Holitschcr, Pirkenhammer bei Karlsbad. 


schuß des Deutschen Aerztevereinsbundes am 2. Oktober die Mit¬ 
teilung zugegangen, daß der genannte Verband das Anerbieten 
des XXXVI. Deutschen Aerztetages zu Danzig, einen neuen Ver¬ 
trag zur Regelung der Vertrauens- und hausärztlichen Verhält¬ 
nisse auf nur 3, statt 10 Jahre abzuschließen, in seiner am 
24. September stattgehabten außerordentlichen Generalversamm¬ 
lung abgelehnt hat. Damit ist. laut Beschluß jenes Aerztetages 
die Angelegenheit für den GeschüftsausRchu ß erledigt. Die Kün¬ 
digung des bestehenden Vertrages wird erfolgen, und die weitere 
Behandlung der Angelegenheit geht in die Hände des Verbandes 
der Aerzte Deutschlands über. 

Die Lebensversicherungs-Gesellschaften werden nunmehr ver¬ 
suchen, sich die Ausfertigung der erforderlichen Versicherungs- 
Atteste durch vertragliche Abmachungen mit einzelnen Aerzten 
(Vertrauensärzten) zu sichern, wodurch die Gefahr entsteht, daß 
Uneinigkeit in die Reihen der deutschen Aerztescliaft gebracht, 
und die ordnungsmäßige Regelung der Angelegenheit gefährdet 
wird. Es ergeht deshalb an alle deutschen Aerzte die dringende 
Mahnung, jegliche Verhandlungen mit Lebensversicherungs-Ge¬ 
sellschaften zu dem genannten Zwecke abzulehnen und keinerlei 
Vereinbarungen mit solchen zu treffen. Der Vorstand des V irt- 
schaffliehen Verbandes wird in seiner Sitzung am 14. Oktober 
dem Beschluß des XXXVI. Aerztetages entsprechend zu der An¬ 
gelegenheit Stellung nehmen und alles weitere veranlassen und 
bekanntgeben. 

Bekanntmachung. 

Unter Bezugnahme auf die Polizeiverordnung, betreffend 
das Meldewesen der Aerzte, Za.li n ä r z t e und Tier ä r z t. e 
im Landespolizeibezirk Berlin vom 15. Dezember 1902. bringe 
ich hiermit zur Kenntnis, daß zurzeit für Entgegennahme der 
gemäß der §8 1 bis 4 der Verordnung zu erstattenden Meldungen 
folgende königliche Kreisärzte zuständig sind: 

1. für Berlin: Herr Geh. Medizinalrat Dr. S c h u 1 z, 
Möckernstraße 131, zu sprechen an Wochentagen von 8—9 und 
4—5 Uhr; 

2. für Oharlottenburg: Herr Medizinalrat Dr. 
Büfow zu Charlottenburg. Kantstraße 120/121, zu sprechen an 
Wochentagen Von 9—10 und 5—6 Uhr; 

3. f ii r S c h ö n e b e r g und D t. -Wilmers d o r f: Herr 
Mecjjizinalrat Dr. von Kob y 1 e t z k i zu Schöneberg, Mühlen¬ 
straße 6a, zu sbreehen an Wochentagen von 8—10 und 3—4 Uhr : 

4. für R*i xdorf: Herr Dr. Dietrich zu Rixdorf. 
Gauner Chaussee 39, zu sprechen an Wochentagen von 9—10 
und 4—5 Uhr; 

5. für Lich'tenberg und Boxliagen-R.um m e 1 s- 
bürg: Herr Kreisassistenzarzt Dr. Mann, zu sprechen Mon¬ 
tag, Mittwoch und Sonnabend v. 10—11 in Lichtenberg, Alfred¬ 
straße 4, in den Räumen der königlichen Polizeidirektion. 
Zimmer No. 14. 

Als königlicher Departement, stierar z t. für den 
ganzen Landespolizeibezirk Berlin ist Herr Veterinärarzt Dr. 
Arndt liier zuständig, der an den Wochentagen vormittags im 
Dienstgebäude am Alexanderplatz, Eingang III, II. Stock, 
Zimmer 274, zu sprechen ist.' 

Berlin, den 14. September 1908. 

Der Polizeipräsident, 
v. Stu'benrauct. 


Allgemeines. 

Wie in der letzten Nummer des „Aerztlichen Vereinsblattes“ 
vom 6. Oktober bekannt gegeben wird, ist seitens des Verbandes 
deutscher Lebensversicherungs-Gesellschaften dem Gescliäftsaus- 


Wattcnbergs colloider Knochenstoff 

ist gesetzlich geschützt unter dem Namen 

Geh. Rat Dr. Wattenbergs Phospliorkalkmilch. 
Kiiochenbilclungs- und Knochenkräftigungsmittel, welches leicht ver¬ 
daut und im Säftestrom ausgenützt wird, bestens empfohlen als Zusatz zur 
Ernährung schwächlicher, schlecht fundamentierter. rachitischer Kinder. 
Abhandlung und Prospekte durch 

Dr. Hoffman» & Köhler, Harburg. 


NATÜRLICHES 



KARLSBADER 


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[ Vor Nachahmungen und Fälschungen wird gewarnt. J 


F. A. Hoppen u. R. Fischer 
P atentan wälte 

Berlin SW. 13, Neuenburgerstraße 15 

Amt IV, 718. 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. H. Lungwitz, Berlin S. — Verlag: Gustav Ehrke Zeitschriftenverlag, Berlin W. 9. 
Druck von Oarl Marschner Buchdruckerei, Berlin SW. 13. 













Vj 






TherapeutischeRundschau 

Wochenschrift für die gesamte Therapie des praktischen Arztes. 

Herausgegeben von 

Prof. Dr. A. Albu, Berlin, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Anton, Halle a. S., Prof. Dr. P. Bergell, Berlin Prof Dr A Bickel Rerlin Prnf n r i 
reich, Berlin Prof. Dr C. Bruhns, Berlin, Prof. Dr. A. Dührssen, Berlin, Prof. Dr. E. Enderlen, Wurzburg, Prof. Dr R. Eschweiler, Bonn Geh Med -Rat 



, Redaktion: Verlag und Expedition: 

Dr. med. et phil. H. Lungwitz, Berlin S. 14, Dresdenerstr 44. Gustav Ehrke Zeitschriftenverlag, Berlin W. 9, Köthenerstr. 44. 

Telephon: Amt IV, 11773. Telephon: Amt VI, 3020. 

Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte 
_ der Ostsee und der Freien Vereinigung biologisch denkender Aerzte. 


11. Jahrgang. 


Berlin, 18 . Oktober 1908 . 


Nr. 42. 


„ Dlc ..Therapeutische Rundschau 4 * erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2 M einzelne Nummer p. •/,, t... i , v.i 

AXteArtÄT-gÄ'' " erden Wr JiC 4 *'* t “" CnC Zcile dm " R ™"‘ 50 W- ^rechne.. Beitage« nachUeheÄntS'Vti 

Nachdruck ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. 



f } 


Originalien: 

* A. S. B vlina, Kiew: Zur Kasuistik der primären chronischen 

tihrinfiseu Bronchitis (Schluß). 

M. Koch, Pteiburg i. B.: Die Behandlung der Tubeikulo.se 

in der Praxis .. 

H. Lungwitz, Berlin: Mene tekel! — Ein Wort über 
Lactagol-Pearson. 

Referate: 

Otfried 0. Fellner, Wien: Interne Komplikationen der 

Schwangerschaft. Snmmelreferat (Schluß). 

A. Sch vv e n k, Berlin: U rologie. 


Inhalt. 


E. Küster. Frei bürg i. B*; Bakteriologie.023 

Jul. Baum, Berlin: Dermatologie und Syphilidologie . . . 023 

013 M. Halle, Charlottenburg: Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten 024 

L. Horwitz, Nürnberg und W. Esch. Befidorf a. Rh.: Varia 025 

010 Mitteilungen über Arzneimittel: 

W • Krüger- Magdeburg: Referate.0*J6 

ul8 Technische Neuerscheinungen : 

J. Benario, Frankfurt: Vulnoplast.027 

W. Kaupe, Bonn: Impfschutzverband.027 

021 j Rüclierliespreclium'en. 0->7 

022 j Allgemeines. ^28 


ORIGINALIEN. 

Aus der therapeutischen Fakultätsklinik des Prof. W. P. Obrastzow 
_au der Unive rsität Kiew. 

Zur Kasuistik der primären chronischen 
fibrinösen Bronchitis. 

Von Privatdozent Dr. A. S. Bylina. 

(Schluß.) 

Nun möchte ich den von mir beobachteten Fall von 
primärer chronischer Bronchitis beschreiben. 

Am 21. März 190.> wurde in die therapeutische Klinik der 
Kiewer l nivevsit.ät der .*4 Jahre alte Bauer Ti. S. aufgeiiommen. 
der in einem der grohen**Gasthäuser als Kellner angestellt war. 
Der Patient berichtete, daß er ungefähr vor sieben Jahren an 
linsten erkrankte, der mit Ausscheidung von grauem, sehleimigem 
Sputum einlierging. Die Ursache des Auftretens des Hustens 
kiiiui der Patient nicht, genau angeben, weist aber darauf hin, 
daß er häutig an Erkältungen leide, was mit dem Charakter 
seines Dienstes in Zusammenhang stehe. Blut war im Sputum 
nirht enthalten. Der Husten hielt einige Tage an und ver- 
sehw and dann allmählich. Ob.während dieses Hustens die Tem¬ 
peratur gesteigert war, vermag der Patient nicht anzugeben, wohl 
abei waren unbedeutende Seitonstieho vorhanden gewesen. Seit 
jener Zeit stellten sich drei- bis fünfmal'in jedem Jahre eben¬ 
solohe I lüsten an fälle mit nicht besonders starker Ausscheidung 
von serös-schleimiger Flüssigkeit ein. Vor 4 Jahren (im Sommer 
1901 ) bemerkte der 1 atient hei Gelegenheit eines eingetretenen 
Hustenanl alles zum ersten Mal. daß sieh im Auswurf weiße 
Fädchen befanden, die stceknadeldiek und Vj—V 2 Wersehek lang 
waren. Seil, jener Zeit enthielt der Auswurf, sobald sieh die 
Ilustenanfälle ('instellten, stets diese Fädchen, wobei letztere bei 
jedem neuen Hustenanlall immer dicker und länger wurden und 
nach und nach eine baumartig verästelte Form bekamen. Mit 
Blut waren diese Röhrchen niemals gefärbt. Die Hustenanfälle 


d.meiten nach wie vor d Io läge und wiederholten sich im 
-lahre 3 fi mal. Die verästelten Röhrchen wurden hauptsächlich 
in der Nacht ausgeluistot, während am Tage sich meistenteils 
nur schleimig-serös-eitriger Auswurf entleerte. Nach heftigen 
Hustenanfällen verspürte der Patient Stiebe in der linken I T nter- 
seh 1 iisse 1 beingegend. Atemnot stellte sieh nur dann ein. wenn 
der Patient. Treppen steigt oder eine schwere Arbeit verrichtet. 
Blutspnekon war nicht vorhanden. Bes Nachts schwitzt der 
Patient nur wegen der Hustenanfälle. 

Im September 1902 erkrankte der Patient an Syphilis und 
wurde sofort in rationelle ärztliche Behandlung genommen: er 
bekam zunächst Queoksilbereinspritzungen und in der letzten 
Zelt Jod. Letzteres soll, wie der Patient nngah. die Husten¬ 
anfälle frequenter und stärker gemacht haben; der Auswurf ent¬ 
leerte sieh in reichlicherer Quantität und enthielt stets verästelte 
Rührehen heigemengt. Außerdem bewirkte das Jod Schnupfen 
und reichlichen Ilautausschlag. Der Patient hat dreimal an 
Gonorrhoe gelitten, und zwar im IS.. 24. und 30. Lebensjahre. 
Jedesmal genoß der Patient rationelle ärztliche Behandlung. 
Bis zum Jahre 1905 hat der Patient, viel geraucht: bis 30 Ziga¬ 
retten täglich; jetzt raucht er viel weniger, nicht mehr als fünf 
bis sechs Zigaretten täglich. Mißbrauch an alkoholischen Ge¬ 
tränken hat der Patient niemals getrieben. Feber Herzklopfen 
und Schmerzen in der Herzgegend klagt der Patient nicht. 
Rheumatismus in der Anamnese nicht vorhanden. Appetit be¬ 
friedigend. Durst nicht gesteigert. Nicht selten stellt sieh nach 
dem morgendlichen llustenanfall Fcbelkeit ein, jedoch ohne daß 
es zu Erbrechen kommt. Zeitweise, und zwar fast jeden Monat, 
stellt sieh heim Patienten ohne jegliche sichtbare Veranlassung 
Durchfall ein: 5—6 Stühle täglich, die flüssig sind und weder 
Blut, noch Schleim enthalten. Vor dem Stuhlgang bestehen zur 
Zeit der Diarrhöe kolikartige Schmerzen im Abdomen, welche 
nach dem Stuhlgang verschwinden. Die Diarrhöe bleibt zwei 
bis drei Tage bestehen und macht hierauf normalem Stuhlgang 
Platz. Verstopfung tritt nicht ein. Der Patient uriniert frei 
und ohne Schmerzen; er braucht auch nicht des Nachts aufzu¬ 
stehen, um zu urinieren. Schmerzen im rechten Hypoehondrium 
und Ikterus waren nicht vorhanden. An Sumpffieber hat der 


Zrn 


Original fro-rri 

tJWfVER S TTY 0 F Vt f C H f GA fl 









614 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 42 


Patient gleichfalls niemals gelitten; auch vermag er sich nicht 
zu erinnern, in der Kindheit irgend welche Krankheiten über¬ 
standen zu haben. An Lungen- und an Brustfellentzündung will 
der Patient gleichfalls nicht gelitten haben. Von seiten der 
Heredität sind pathologische Abweichungen nicht vorhanden. 
Der Patient ist verheiratet und hat eine 11 jährige Tochter. Das 
ist alles Wesentliche, was durch Befragen des Patienten fest- 
gestellt werden konnte. 

Status p r a e s e n s: Der Patient ist. regelmäßig gebaut 
und im allgemeinen gut genährt. Die sichtbaren Schleimhäute 
sind blaß, die Haut blaßrosa. Auf der Rückenhaut befindet 
sich ein reichlicher Akneausschlag. Lymphdrüsen nirgends 
vergrößert. Periostitiden nicht vorhanden. Mundschleimhaut 
leicht hypcrämisjert; Mandeln und Rachen normal. Nasenschleim¬ 
haut katarrhalisch hyperümisiert. Am Halse sind Kropf und 
sichtbare Pulsation der (lefäße nicht vorhanden. Beide Hälften 
des Brustkorbes sind symmetrisch entwickelt. Die Atmungs¬ 
exkursionen sind auf beiden Seiten gleichartig und gleichmäßig. 
Bei tiefen Inspirationeon werden die Interkostalräume, von dem 
6. Interkostalraum beginnend, leicht eingezogen, Atmungszahl 
in der Minute 18—20. Beide Lungenspitzen liegen vorn durch¬ 
aus symmetrisch, 3 cm oberhalb der Schlüsselbeine, während 
sie hinten das Niveau der Dornfortsatzes des 7. Halswirbels er- 
erreichen. Die untere Grenze der rechten Lunge liegt an der 
Mammillarlinie am oberen Rande der 7. Rippe, an der mittleren 
Axillarlinie im 8. Interkostalraum; die untere Grenze der linken 
Lunge liegt, an der Mammillarlinie am oberen Rande der 7. Rippe, 
an der mittleren Axillarlinie im 8. Interkostalraum. Die Per¬ 
kussion ergibt überall an der Lungenoberfläche klaren Lungen¬ 
schall. Die Perkussion der Schlüsselbeingegend ergibt linkä 
einen etwas höheren und kürzeren Ton als rechts. Die Beweg¬ 
lichkeit der unteren Lungenränder ist vorn beiderseits etwas 
herabgesetzt. Stimmfremitus auf beiden Seiten gleich und 
mäßig. Pleura-Reibegeräusch wird nirgends gefühlt und auch 
nirgends auskultiert. Die Auskultation ergibt an der Lungen- 
oberfläche überall vesikuläres Inspirium und etwas verlängertes 
unbestimmtes Exspirium. Rasselgeräusche nicht vorhanden. 
Einmal hörte man hinten unterhalb des rechten Schulterblattes 
ein außerordentlich charakteristisches Atmungsgeräusch. Die 
Atmung war hier bedeutend geschwächt, aber sowohl das 
Inspirium, wie auch namentlich das Exspirium gingen mit einem 
besonderen Geräusch einher, welches an das bekannte Ventil¬ 
geräusch erinnerte. Unmittelbar nach Abgang des Gerinnsels 
hörte dieses eigentümliche Atmungsgeräusch auf. Der Herz- 
spitzenstoß ist nicht zu sehen, desgleichen sind wgder Erschütte¬ 
rungen des Herzens, noch andere Pulsationen in der Herzgegend 
zu sehen. Grenzen der kompletten Herzdämpfung: obere am 
4. Rippenknorpel, rechte an der linken Mammillarlinie, linke 
2 cm nach innen von der linken Mammillarlinie. Der Herz¬ 
spitzenstoß läßt sich im 5. lnterkostalraum schwach palpieren: 
sein Widerstand ist geringfügig, seine Ausbreitung 1—1,5 qcm, 
Herztöne rein; an der Aorta ist der zweite Ton leicht akzen¬ 
tuiert; Geräusche. Verdoppelungen und akzessorische Töne sind 
nicht vorhanden. Die Untersuchung der peripherischen Arterien 
ergibt Arteriosklerose ersten Grades. Puls 70—80 in der Mi¬ 
nute. regelmäßig, ziemlieb voll, gleichmäßig. Abdomen, wenn 
der Patient liegt, nicht aufgetrieben. Flexura sigmoidea in 
Form eines zeige fingerdicken Zylinders zu fühlen. Zeitweise 
hört man hier Knurren. Der Blinddarm ist deutlich in Form 
eines erschlafften 1 \'i querfingerbreiten dicken Zylinders zu 
fühlen. Die untere Magengrenze wird bei gleichzeitiger Perkus¬ 
sion und Palpation in Nabelhöhe festgestellt. Bei der Perkussion 
oberhalb der Magengegend ergibt sich ein ziemlich hoher tympa- 
niti scher Schall, oberhalb der Dünndarmgegend gedämpfter 
Schall. Die Leber ragt an der Mammillarlinie über den Rippen¬ 
rand nicht hinaus, der Leberrand ist. nicht zu fühlen; der Milz¬ 
rand ist der Palpation nicht zugängig. Knie und andere Sehnen¬ 
reflexe nicht gesteigert. Die Untersuchung des Blutes ergibt: 
5 000 000 rote Blutkörperchen und 9000 weiße Blutkörperchen; 
Hämoglobinquantität nach G o w ers -S a h 1 i 90% ; morpholo¬ 
gische Veränderungen von seiten der Formelemente des Blutes 
wurden nicht gefunden. Tägliche Harnquantität 1200—1600 ccm. 
l)cr Harn ist strohgeib, leicht trübe, sauer; spezifisches Ge¬ 
wicht 1014. Eiweiß und Zucker nicht vorhanden; im Nieder¬ 
schlag formlose Träte in unbedeutender Quantität. Die Tem¬ 
peratur stieg nur einmal abends bis 38 °, während sie sich mei¬ 
stenteils in den Grenzen zwischen 30,5 n und 37° bewegte. 

Der Patient hat nur während der ersten vier Tage während 

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seines Aufenthaltes im Krankenhaus«? verästelte Abgüsse ent¬ 
leert. und zwar hauptsächlich des Nachts: desgleichen fühlte der 
Patient beim Aushusten der Gerinnsel keine Schmerzen; wohl 
aber fühlte der Patient nach dem Abgang der Gerinnsel Erleich¬ 
terung. Nach 4 Tagen hörte die Absonderung der verästelten 
Abgüsse auf. 

Die Behandlung bestand während des Aufenthaltes des Pa¬ 
tienten im Krankenhause in täglicher Inhalierung von Kalk¬ 
wasser zur Hälfte mit destilliertem Wasser, sowie in innerlichem 
Gebrauch von Jodkalium und Tinct. ipecacuanhae; außerdem 
nahm der Patient ein kaukasisches Mineralwasser zur Hälfte mit 
heißer Milch zu sich. 

Der Patient entleerte täglich 2—3 Eßlöffel voll Auswurf, 
der schleimig, eitrig, zähe, grau gefärbt war und gelbe Klümp¬ 
chen enthielt; zeitweise waren im Auswurf sehr unbedeutende 
Blutspuren in Form von kleinen Aederchen zu sehen. Die 
mikroskopische Untersuchung des. Blutes ergab: Eiterkörperchen 
im Zustande fettigen Zerfalls in nicht, besonders großer Quan¬ 
tität; spärliche runde Alveolar-Epithelzellen mit eingedrungenen 
Kohlenpartikelchen; C u r s c h m a n n sehe Spiralen und 
C h arco t- L c y d e n sehe Kristalle sind nicht vorhanden. Die 
mehrmals ausgeführte bakteriologische Untersuchung des Aus¬ 
wurfes ergab folgende Resultate: F r a e n k e 1 sehe Diplokokken 
in ziemlich bedeutender Anzahl, ab und zu Streptokokken, Sta¬ 
phylokokken und katarrhalische Mikrokokken; Koch sehe Ba¬ 
zillen, Influenzabazillon und Diphtheriebazillen wurden niemals 
gefunden. Die mit dem Sputum, sowie mit der Substanz der 
Abgüsse auf verschiedene Nährmedien angelegte Kulturen er¬ 
gaben Kulturen von Fraenkel sehen Diplokokken, katarrha¬ 
lischen Mikrokokken, sowie Strepto- und Staphylokokken. 

Wurde der Auswurf in den ersten vier Tagen des Aufent¬ 
haltes des Patienten im Krankenhause in Wasser gegossen, so 
konnte man charakteristische, baumartig verästelte weiße Ab¬ 
güsse deutlich sehen. In 24 Stunden wurden 5—8 solcher Ab¬ 
güsse entleert. Ihre Größe war verschieden. Die Länge der 
größten erreichte 6—8 cm, der Durchmesser des Hauptst.ammes 
5—7 mm. Die Gerinnsel waren in dUr Verästelung der Bronchien 
dikotomisch geteilt, Ap dyp .Stämmen, mittleren Kalibers, ist 
nicht selten eine der Achse entlang verlaufende Höhle zu sehen, 
während die größeren Stämme und kleinen Aeste massiv er¬ 
scheinen. Bei der Untersuchung der frischen Gerinnsel unter 
dem Mikroskop ergab es sich, daß sie aus zartfaseriger Sub¬ 
stanz bestehen. Die Fibrillen liegen wellenförmig und netz¬ 
förmig aneinander verflochten, ln den Maschen dieses Netzes 
sind stellenweise homogene, glänzende Schleimklümpchen zu 
sehen. In manchem Präparat liegen einzeln und in Häufchen 
zahlreiche weiße Blutkörperchen, die einen, vorwiegend aber 
viele Kerne enthalten. Es werden auch meistenteils vereinzelte, 
runde Alveolar-Epithelzellen angetroffen. 

Die mikroskopische Untersuchung der nach Weigert ge¬ 
färbten Schnitte der Bronchialabgüsse ergib folgendes: Die 
faserig-maschige Substanz ist stark blau gefärbt, was beweist, 
daß die überwiegende Masse des Gerinnsels aus Fibrin besteht. 
In den Maschen dieses Fibrinnetzes sieht man hellblau gefärbte 
Schleimschöllchen. Auf den mit Hiimatoxylin und Eosin ge¬ 
färbten Schnitten sieht man deutlich, daß die überwiegende 
Mehrzahl der weißen Blutkörperchen polynukleäre sind. Die 
Färbung nach Ehrlich mit Triazid weist auf ein quantita¬ 
tives Uebergewicht der eosinophilen Zellen nicht hin. Die 
runden Alveolar-Epithelzellcn kommen ziemlich häufig vor, wo¬ 
bei sie wohl vereinzelt, wie gehäuft liegen; außerdem werden 
stellenweise kubische Epithelzellen der kleinen Bronchien ver¬ 
einzelt und gehäuft angetroffen. Auf den mittelgroßen und 
kleinen Aestchen mancher Gerinnsel kann man ab und zu junges 
Granulationsgewebe antreffen, welches aus runden Zellen besteht, 
die einzelne, ziemlich große Kerne enthalten. Das Vorhanden¬ 
sein von jungem Granulationsgewebe weist darauf hin, daß in 
einigen Gerinnseln der Organisationsprozeß begonnen hat: Von 
der Oberfläche des Bronchus, die ihrer Epitheldecke beraubt ist, 
wächst in die Dicke des bronchialen Fibrinabgusses junges 
Bindegewebe hinein. 

Die mitgeteilte Krankengeschichte weist meineiv 
Meinung nach so deutlich darauf hin, daß man es hier mit 
chronischer fibrinöser Bronchitis, und zwar mit der pri¬ 
mären spontanen Form derselben zu tun hatte, daß es 
vollständig überflüssig wäre, die Richtigkeil der Diagnose 
besonders zu begründen. 







1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


.615 


Ich möchte aber die dunkelste und am wenigsten auf¬ 
geklärte Seite der Frage der fibrinösen Bronchitis betrach¬ 
ten, nämlich die Aetiologie derselben. 

Die Ursache, welche die primäre fibrinöse Bronchitis 
hervorruft, bleibt bis auf den heutigen Tag unverständlich 
und dunkel, trotzdem in dieser Richtung bereits eine große 
Anzahl von Forschungen stattgefunden hat. Das Expek- 
torieren von Abgüssen wird, wie gesagt, nicht besonders 
selten im Verlaut von sehr vielen Krankheiten beobachtet, 
welche durch spezifische Mikroorganismen hervorgerufen 
werden. Es müßte ganz natürlich die Vermutung entstehen, 
daß dcir Mikroorganismus^ der die Grundkrankheit Hervor¬ 
gerufen hat, zu gleicher Zeit auch die Ursache der eigen¬ 
tümlichen, sich in Auflagerung von fibrinösen Membranen 
äußernden Aifektionen der Bronchien sein muß. W ie auch 
zu erwarten war, hat die in den betreffenden Fällen aus¬ 
geführte bakteriologische Untersuchung diese Vermutung 
vollauf bestätigt, in den Fällen, in denen die Fibringe 
rinnsei sich im Verlaut von fibrinöser Pneumonie gebildet 
hatten, fanden viele Autoren bei der Untersuchung der 
Gerinnsel wiederholt Fraen kölsche Diplokokken in den¬ 
selben, wenn die fibrinöse Bronchitis die Ausbreitung von 
Rachen- oder Kehlkopfdiphtherie auf die Bronchien dar- 
stellte, fand man in den Abgüssen Lo eff ler sehe, 
hei Lungentuberkulose Koch sehe und bei Influenza 
Pfeiffer sehe Bazillen. 

Die positiven Resultate der Untersuchungen in vielen 
Fällen von sekundärer fibrinöser Bronchitis ließen die Frage 
aufkommen, ob nicht auch die primäre spontane fibrinöse 
Bronchitis durch irgend einen bestimmten und konstanten 
Mikroorganismus hervorgerufen werde. In der Tat sind 
seit der Vervollkommnung der bakteriologischen Unter¬ 
suchungsmethoden zahlreiche sorgfältige Forschungen vor¬ 
genommen worden, welche jedoch die gesetzten Hoffnungen 
nicht erfüllten. Jeder Autor, der einen Patienten mit 
primärer fibrinöser Bronchitis zu beobachten Gelegenheit 
halte, erachtete v es für seine erste Pflicht, die von dem 
Patienten expektorierten Gerinnsel bakterioskopisch und 
bakteriologisch zu untersuchen, und trotzdem jed.er Forscher 
dabei auf irgendeinen Mikroorganismus stieß, blieb der 
wahre Krankheitserreger tunentdeckt. So hat Claise in 
seinem Falle von fibrinöser Bronchitis mit chronischem 
Verlauf Streptokokken gefunden und ist auf Grund der bei 
den Aussaat- und Impfversuchen erzielten Resultate zu dem 
Schlüsse gelangt, daß diese Krankheit eben durch diesen 
Mikroorganismus hervorgerufen wird. Er hat sogar den 
Vorschlag gemacht, die frühere Bezeichnung der in Rede 
stehenden Krankheit durch eine neue, und zwar durch 
die Bezeichnung „Streptococcie chronique des voies respi- 
ratoires“ zu ersetzen. Ein anderer Autor, nämlich Soko- 
lowski, hat in seinem Falle Staphyiococcus pyogenes 
albus et aureus, in einem anderen Falle aur Staphyiococcus 
pyogenes albus gefunden und ist infolgedessen geneigt, 
diesen letzteren als den wahren Krankheitserreger zu be¬ 
trachten. P i c c h i n i hat im Jahre 1899 drei Arbeiter be¬ 
obachtet, welche akut an fibrinöser Bronchitis erkrankten, 
nachdem sie auf mit menschlichen Fäkalien gedüngten 
Feldern gearbeitet hatten. Sämtliche Patienten genasen. 
Picchini ist es gelungen, drei nicht näher bestimmte 
Bakterien zu isolieren, welche, in die Luftröhre von 
Kaninchen injiziert, bei den Versuchstieren hämorrhagische 
Entzündung der Luftröhre hervorgerufen haben. Mag¬ 
il iaux hat im Jahre 1895 in den Abgüssen Friedlän- 
d ersehen Diplococcus gefunden. Andere Autoren fanden 
mehrere Erreger. In dem von mir beschriebenen Falle 
wurden, wie gesagt, vier Mikrobienarten gefunden. 

Die so bedeutende Anzahl der mutmaßlichen Krank¬ 
heitserreger und die so gewaltige Verschiedenartigkeit der 
bezüglichen Ansichten sind der sicherste Beweis dafür, daß 
der wirkliche Urheber der in Rede stehenden Erkrankung 
bis auf den heutigen Tag noch nicht entdeckt ist. Anderer¬ 



seits hat aber die Fruchtlosigkeit der Fahndung nach dem 
wirklichen Krankheitserreger die Frage in den Vordergrund 
stellen müssen, ob wir überhaupt berechtigt sind, einen 
spezifischen Mikroorganismus zu finden, der sämtliche 
Symptome von primärer fibrinöser Bronchitis bedingt. 

ln dieser Beziehung kann uns das Studium des 
Prozesses der Gerinnselbildung, welches allerdings nur bei 
genauer Kenntnis der Zusammensetzung und der Struktur 
der Gerinnsel selbst-möglich ist, wertvolle Fingerzeige gehen. 
Bei der mikroskopischen Untersuchung der gekerbten 
Schnitte der librinöseu Gerinnsel kann man zwischen den 
Fibrin-Fibrillen stets Epithelzellen der Atmungswege finden, 
die in der Mehrzahl der Fälle als Häufchen angetroffen 
werden. In der Mehrzahl der Fälle handelt es sich um 
Epithelzellen der Lungenbläschen, ab und zu kommen aber 
auch Epithelzellen der Bronchiolen und der kleinen 
Bronchien vor. Meistenteils befinden sich diese Zellen im 
Zustande fettiger Degeneration, jedoch ist die Erkennung 
der wahren Natur derselben mit besonderen Schwierigkeiten 
nicht verknüpft. Das Vorkommen von Epithelzellen der 
Atmungswege in (Heu Gerinnseln weist als konstante Er¬ 
scheinung darauf hin, daß in sämtlichen Fällen von fibri¬ 
nöser Bronchitis sowohl in den Alveolen, wie auch in den 
Initial-Bronchien eine Ablösung von Epithelzellen statt- 
findet. Durch diese Ablösung werden mehr oder minder 
bedeutende Partien der Atmungswege ihrer Epitheldecke 
beraubt. Nur unter solchen Verhältnissen ist es möglich, 
daß in das Lumen der Atmungswege flüssiges Exsudat 
dringt, welches aus Blutplasma besteht; durch die unver¬ 
letzte Epithelschicht kann das Plasma bekanntlich nicht 
dringen. In dieser Beziehung besteht eine Analogie 
zwischen dem Epithel, welches die Atmungswege auskleidet, 
und dem Epithel, welches die Corpora Malpighii in den 
Nieren umgibt: solange das Epithel, welches die 
Knäuelchen bedeckt, unverletzt ist* kann das Eiweiß, welches 
in dem in den Kapillaren des Knäuelchens zirkulierenden 
Blutplasma gelöst, ist, in die Höhe der Bo w manschen 
Kapsel nicht dringen; sobald aber dieses Epithel, wenn 
auch nur auf einem geringfügigen Gebiet, fehlt, kann das 
Eiweiß frei in die Kapsel und von da auch in den Harn 
dringen. Die Ablösung des Epithels der Atmungswege ge¬ 
währt somit dem plasmareichen, entzündlichen Exsudat 
die Möglichkeit, sich in das Lumen der Atmungswege zu 
ergießen. 

Wie geht nun die Bildung der Abgüsse selbst vor sich ? 
Eine Antwort «darauf finden wir in den Untersuchungen 
von Weigert, der sich auf den Standpunkt Schmidts 
stellte, den letzterer bei seinen Versuchen, die Entstehung 
des Belags bei Croup und Diphtherie zu erklären, ein¬ 
nahm. Nach Schmidt sind zur Bildung von Fibrin zwei 
Substanzen erforderlich: fibrinogene Substanz und Fibrin- 
Ferment. Weigert behauptet auch, daß bei Croup und 
Diphtherie die fibrinogene Substanz im Exsudat enthalten 
ist, während das Fibrin-Ferment beim Zerfall der Epithel 
zellen frei wird. 

Vor relativ kurzer Zeit hat Hauser in bezug auf 
die Entstehung des Infiltrats bei fibrinöser Pneumonie genau 
dieselben Ansichten ausgesprochen und angenommen, daß 
das Fibrin-Ferment in diesem Falle von dem sich ablösenden 
Alveolar-Epithel geliefert werde. Es versteht sich von selbst, 
daß Schittenhelm durchaus berechtigt war, dieselbe 
Erklärung auch für die Entstehung der Gerinnsel in den 
Fällen von fibrinöser Bronchitis in Anspruch zu nehmen. 
Nach seiner Meinung ergießt sich das plasmareiche ent¬ 
zündliche Exsudat in das Lumen der Alveolen und der 
Initialbronchien und dringt von hier aus allmählich in die 
größeren Bronchien, indem es durch die neu hinzukommen¬ 
den Exsudatmassen fortgestoßen wird; zur gleichen Zeit 
gerinnt die fibrinogene Substauz des Plasmas unter Mit¬ 
wirkung des Fibrin-Ferments, welches von dem zugrunde 




THEftAPßOTIÖCHE BüNDSCITAtT. 


Nr. 4$ 


Gl 6 

gehenden Epithel frei wird, und bildet die charakteristischen 
fibrinösen Abgüsse. 

Das Dttfehschwilzen von so bedeutenden Mengen 
flüssigen Exsudats in das Lumen der Atmungswege weist 
darauf hin, daß die Blut- und wahrscheinlich auch die 
Lymphgefäße der Bronchien und der Lungenbläschen sich 
im Zustande bedeutender Erweiterung befinden und mit 
Blut resp. Lymphe überfüllt sind. Diese Hyperämie der 
Atmungswege ist in Anbetracht der übrigen, zu gleicher 
Zeit bestehenden Symptome ihres entzündlichen Zustandes 
durchaus verständlich. Enter diesen Symptomen ist die 
Ablösung des Epithels von größter Bedeutung. 

Der desquamative Prozeß spielt somit in der Entstehung 
der fibrinösen Bronchitis eine wesentliche Rolle, indem er 
die Ersuche der Gerinnselbildung, dieses Kernpunktes der 
beschriebenen Affektion, abgibt. Die Aetiologie der des¬ 
quamativen Bronchitis festzustellen, bedeutet somit im 
wesentlichen nichts anderes, als auch die Bisache der 
fibrinösen Bronchitis ausfindig zu machen. Diese l rsache . 
ist aber bis auf den heutigen Tag, wie gesagt, noch nicht 
gefunden worden; desgleichen ist der Krankheitserreger, j 
der die Entwicklung dieser Affektion verursacht, noch nicht : 
entdeckt. Vielleicht liegt die Ersache des Mißerfolges darin, 
daß die desquamative Bronchitis nicht durch irgendeinen 
bestimmten Erreger, sondern durch verschiedene Bakterien¬ 
arten, die einzeln oder gemeinsam wirken und unter 
günstigen Verhältnissen eine vorübergehende oder an¬ 
dauernde Ablösung des Epithels der Atmungswege hervor- 
mfen können, bedingt wird. Welche Momente das Ein¬ 
dringen von Krankheitserregern begünstigen, wissen wir bis 
auf den heutigem Tag noch nicht genau ; es ist aber zweifel¬ 
los, daß die herabgesetzte Widerstandsfähigkeit des Organis- j 
ums und eine etwaige besondere Prädisposition hier eine 
bedeutende Rolle spielen. 

Auf diese Weise ist vieles davon, was in der primären 
fibrinösen Bronchitis lange Zeit hindurch als dunkel und 
rätselhaft erschien, heutzutage schon verständlich und auch 
h'icht zu erklären. Jedoch legt die Seltenheit dieser Affek- 
tion in Verbindung mit dem Umstande, daß noch viele Seiten 
derselben einer Beleuchtung benötigt sind, jedem Arzte, 
dem sich Gelegenheit zur Beobachtung dieser Krankheit 
darbietet, die Verpflichtung auf, sämtliche Manifestationen 
derselben auf das Sorgfältigste zu untersuchen. Die Anam¬ 
nese. die objektive Bntersuchung des Patienten, die ein¬ 
gehende Analyse der Exkrete, hauptsächlich natürlich des 
Auswurles und der Gerinnsel, müssen mit der größtmög¬ 
lichsten Vollständigkeit gehandhabt werden. Sollte sich 
auch Gelegenheit bieten, eine pathologisch-anatomische 
Bntersuchung auszuführen, so ist die genaueste sowohl 
luakro-, wie mikroskopische 1 ntersuchung des gesamten 
Respiraliousapparates direkt erforderlich. Nur unter diesen 
Emsländen wird es möglich sein, das Geheimnis dieser 
wirklichen Kuriosität der MedizinWollständig zu lüften. 

Zum Schluß jst es mir eine angenehme Pflicht, an 
dieser Stelle meinem Jiochverehrten Lehrer, Prof. W. E. 
Obrastzow, in dessen Klinik ich diesen höchst seltenen 
und lehrreichen Fall zu beobachten Gelegenheit halte, 
meinen verbindlichsten Dank zu sagen. 

Literatur. 

1. A. Schmidt: Beiträge zur Kenntnis des Sputums. 
Zeitschrift für klinische Medizin 1892. 

2. A. S o k o I o w s k i : Wyklady klinic/.nc choröb drög 
oddechowych, 1902, T. 1. 

3. A. Posselt: Zur vergleichenden Pathologie der Bron¬ 
chitis tihrinosa und des Asthma bronchiale, 1900. 

4. A. Eraenkel: Beber Bronchitis tihrinosa obliterans 
Deutsches Archiv f. klin. Med. 1902, Band 73. 

5 \\ . Lange: Geher eine eigentümliche Erkrankung der 
kleinen Bronchien und Bronchiolen. Ibidem 1901. Band 70. 

0. T h. G. J a n o w s k i: Russki Wratseh 1902. 

7. 1.. V li a m i i o li n i e r e: De la broneliite pseudomem- 
hraneuse chronique 1876. 


S. O s e a r B e s e h o r n e r: Geber chronische essentielle 
fibrinöse Bronchitis. V o 1 k m a n n s Sammlung klin. Vorträge 
1893, No. 73. 

9. Prof. 11 och haus: Zur Pathologie der Bronchitis tibri- 
nosa. Dtseh. Archiv f. klin. Medizin 1902. Bd. 74. 

10. S c h w a r z k o p f: Münchener med. WoehensdlV. 1 904. 

11. A. S e h i t t e n h e 1 m: Deutsch. Archiv f. klin. Med:. 
1900. Band 07. 

12. Li e b e r m eist e r: Beber Bronchitis tihrinosa. Ibidem 
1904, Band 80. 

13. W e igert: lieber Croup und Diphtheritis. V i r - 
c h o \v s Areliiv 1877. Band 60. 

14. Hauser:. Geber die Entstehung des fibrinösen lntil- 
trats bei der kroupösen Pneumonie. Zieglers Beiträge zur 
pathol. Anatomie und allgemeinen Pathologie, 1894. Bd. 15. 

Außer diesen Arbeiten kommen noch folgende Aufsätze über 
fibrinöse Bronchitis in Betracht : 

15. (} randv: Geber sogenannte Bronchitis crouposa. 
Zieglers Zentralblatt f. allg. Pathologie, 1897. 

Iß. Habel: Ein Fall von chronisch fibrinöser Bronchitis. 
Zentralblatt f. innere Med. 1898. No. 1. 

17. U u d o 1 f S e h m i d t: Geber einen Fall von Bron¬ 
chitis tihrinosa chronica mit besonderer Rücksicht nähme aut das 
mikroskopische Sputumbild. Zentralblatt f. allg. Pathologie. 
1899. 

18. E. Klebs: Die allg. Pathologie. Teil EI. 

19. Jean Lepine: Broneliite pseudoincnbraneusc ehro- 
ui({ue. Revue de med. 1898. Band 18. 

20. Ziegler: Lehrbuch der allg. Pathologie und pathol. 
Anatomie 1895. 

21. Ilammarsten: Lehrbuch der physiologischen 
Chemie 1899. 

22. L. C h a m p ionnierre: De la broneliite pscndunicin- 
hraneuse clironique. Pariser Dissertation 1876. 

23. F r a n z Ri e gel: Handbuch der speziellen Pathologie 
und Therapie, herausgegeben von Ziemssen. 1875, Bd. 4. 
2. Hälfte. 

24. Magniaux: Recherche» sur la broneliite mem- 
hroneuse primitive. Paris 1895. 

25. F. Hoffman n: Die Krankheiten der Bronchien. 
Spezielle Pathologie und Therapie, herausgeb. von 11. Noth¬ 
nagel. Band 13, 2. Hälfte. 

26. Marfan: Maladios des bronches. Traite de medeeim*. 
publie sous la direct ion de 0 h a r v o t. B o u e li a r d und B r i s- 
s a u d. Band 4. 

27. Landois: Lehrbuch der Physiologie des Menschen, 
1891. 

28. L. Hermann: Lehrbuch der Physiologie 1892. 


I>ic Behandlung der Tuberkulose in der Praxis. 

Von Dr. W. Koch. Freiburg i. B. 

Zwischen der Behandlung der Lungentuberkulose durch 
den praktischen Arzt und der Therapie der Eungenheil- 
anstallen wird immer ein gewisser Enterschied bestehen 
bleiben. In den Sanatorien wird die Krankheit als reines 
Spezialfach betrieben; Aerzte, Personal und Räumlichkeiten 
sind vollständig auf diese Erkrankung eingerichtet und auch 
die ganze Zahl der Patienten weiß, daß sie tuberkulös sind. 
Dieser (‘ine Punkt isl schon von großer Wichtigkeit für 
die Autorität des Arztes, für den Gehorsam des Kranken 
und damit für die genaue Durchführung der Vorschriften. 
Jeder Patient hat sich beim Eintritt auf die Hausordnung 
zu verpflichten, die ständige Eeberwaehung durch den Arzt, 
das Personal und die Kranken untereinander läßt Eebcr- 
trelungen leicht offenbar werden, die entsprechend der 
Schwere des Falles durch Belehrung, Strafe und Ausweisung 
korrigiert werden. Dieser moralischen Unterstützung ent¬ 
behrt. der Arzt in der Praxis von vornherein gänzlich; er 
muß sie sich in jedem Falle erst mühsam erkämpfen und 
muß ofl erleben, daß seine Anordnungen durch den Eigen¬ 
willen und Leichtsinn des Patienten oder, was mich per¬ 
sönlich immer noch mehr ärgert, durch albernes Geschwä tz 
von. seiten der Angehörigen uijiL-q^ie^J^ reun de und "ge- 


Digitizedby 





1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


617 


treuer Nachbarn durchkreuzt werden. Die Verantwortung 
liir das „Nichlbesserwerden“ wird ihm natürlich bereit¬ 
willigst überlassen. Ist es da ein Wunder, wenn er die 
Flinte ins Korn wirft, zumal bei der Bezahlung, die ihm 
von seiten der Kassen zumeist zuteil wird, daß er darauf 
verzichtet, auf die Individualität des Kranken einzugehen, 
hier zu trösten und zu ermuntern, dort zu belehren und 
dort mal energisch drein zu fahren? Das sind alles diese 
freuderaubenden Schwierigkeiten, die die Ileilstätlenärzle 
lange nicht in diesem Maße zu schmecken bekommen. 

In diesen Blättern, die ja für den praktischen Arzl be¬ 
stimm! sind, soll in einer fortlaufenden Reihe von Artikeln 
die Behandlung besprochen werden, die der Arzl in der I 
Praxis seinen Tuberkulösen zuteil werden lassen kann. Fs 
ist klar, daß ich nicht ausschließlich Neues Vorbringen kann. 
Bin Hauptzweck dieser Zeilen ist der, immer wieder darauf 
hinzu weisen, daß wir nicht locker lassen sollen im Kampfe i 
gegen diese \ olksseuche, daß jeder durch seinen hohen 
Beruf verpflichtet ist. beizutragen, was er nur immer kann; 
wenn er sich ernstlich bemüht, wird er auch Krfolgc sehen 
und dann wollen wir uns bei Frfolgen auch ganz ruhig 
sagen, post hoc, ergo propter hoc, ich habe durch meine 
Maßnahmen den Körper befähigt, wieder gesund zu werden, 
ich habe indirekt geheilt. Berechtigtes Selbstbewußtsein 
dürfen wir haben. 

Zur Diagnose u n d F r ii h d i a g n o s e. 

Je früher wir die Diagnose auf eine tuberkulöse Er¬ 
krankung stellen, desto mehr Aussicht haben wir, den 
Kranken heilen zu können. Heilung nennen wir in diesem 
Falle die Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit auf jedem 
Gebiet, die Beiladung von Tuberkelbazillen und allen Sym¬ 
ptomen der vorhergegangenen Erkrankung, also relative Ge¬ 
sundheit. Eine Restitutio ad integrum gibt es nicht. 

Die Frühdiagnose kann sehr erheblichen Schwierig¬ 
keiten begegnen, trotz guter Kenntnisse auf diesem Gebiet 
und trotz eingehender wiederholter Untersuchung. Das ist 
ja auch sehr erklärlich. In dem Augenblick, in dem die 
Tuberkelbazillen in dem Körper eine Stätte gefunden haben, 
an der sie sich erhalten und vermehren können, weil der 
Körper die Eindringlinge nicht mehr vernichten kann, ist 
der Mensch tuberkulös und fängl an, unter der Erkrankung 
zu leiden. Die Erkrankungsstellc ist aber zuerst so klein, 
daß sie sich unserer Diagnose entzieht. Trotzdem wir auch 
über den Infektionsmodus noch keine Klarheit haben (In¬ 
halation, Erkrankung von den Tonsillen über die Lvmph- 
drüsen, Infektion vom Darm usw.), soviel isl sicher, die 
Lungenspitzen sind die Prädilektionsstelle der Erkrankung. 
Aber weshalb das so ist, wissen wir auch noch nicht sicher. 
Der eine schuldigt die schlechte Ventilation und Durch¬ 
blutung der Lungenspitzen an. der zweite die Stenosierung 
des ersten Rippenknorpels mit dem Manubrium sterni; be¬ 
wiesen ist gar nichts. Man könnte manchmal wirklich ver¬ 
zweifeln, daß je mehr man sich mit dem Studium der 
Tuberkulose beschäftigt, man eigentlich über die Grund¬ 
ursache immer unsicherer wird. Aber bei der ungeheuren 
Arbeit, die gerade auf diesem Gebiete geleistet wird, können 
wir die sichere Zuversicht hegen, daß wir auch hier noch 
klarer sehen werden. 

für die Frühdiagnose speziell von größter Wichtigkeit 
sind die Impfungen mit Tuberkulin, die subkutanen Injek¬ 
tionen, die Impfung nach Pirquet und die Ophthalmo¬ 
reaktion. Die subkutane Injektion „bewirkt Allgcmein- 
erschciniMigen. Fieber, häufig auch eine leichl entzünd¬ 
liche,'subkutane Schwellung der Injektionsstelle, die Sticfi- 
Teaklion“. Dazu kommen noch verschiedene Unannehm¬ 
lichkeiten für den Arzt, d> alberne Furcht des Publikums 
vor dem Tuberkulin, fl io Uebenvachung der mindestens 
zweistündlich notwendigen Temperalurmessung einige läge 
vor und einige Tage nach der Impfung und die Schwierigkeit 
der Technik und Dosierung. Wer da glaubt, nach dem 


Rezept verfahren zu können, wie es vor kurzem im „Acrzl- 
Iic heu Centralanzeiger“ auf eine Anfrage: „Wie macht man 
die Tuberkulininjektionen?“ in 4 6 Zeilen gegeben wurde, 

der kann mir aufrichtig leid tun; seine Patienten noch viel 
mehr. So einfach ist die Sache nicht. Ich kann jedem 
nur raten, sicli das Lehrbuch der spezifischen Diagnostik 
und Therapie von B a n d e 1 i e r und R ö p k e anzuschaffen, 
bevor er sich mit diesem schwierigen Gebiet befaßt. Mil 
Tuberkulin lustig daraufloskurieren ist Frevel und könnte 
außerdem sehr unangenehme Folgen für den Arzt haben. 
Für den Allgemeinarzt halte ich die Sache vorläufig, ganz 
besonders in der Ambulanz, nicht für ersprießlich. Die 
von P i r q u e 1 angegebene Allergiediagnostik dagegen müßte 
in den diagnostischen Wissensschatz eines jeden Praktikers 
übergehen. Der Autor schildert sie selbst folgendermaßen : 

„Zwei Tropfen Alttuberkulin werden in der Entfernung 
von ca. 6 cm auf die Haut des Unterarmes aufgetropft; 
dann mit einer Impflanzette, deren Spitze meißelförmig ab- 
geschliffcn ist, zuerst in der Mitte zwischen den beiden 
Tropfer», hierauf innerhalb derselben eine bohrende Skari- 
likation ausgeführt. 

Die Anlegung einer Kontrollstelle ohne Tuberkulin isl 
unbedingt nötig, weil die traumatische Reaktion der ver¬ 
schiedenen Individuen berücksichtigt werden muß. Zur 
qualitativen Ausführung kann konzentriertes Altubcrkulin 
angewendet werden; ich verwende gewöhnlich eine Lösung 
von 1 Teil Alttuberkulin mit 2 Teilen physiologischer Koch¬ 
salzlösung und 1 Teil 5 proz. Karbolglyzerin, welches sehr 
haltbar ist.- 

An den Impfstellen entstehen beim Tuberkulösen ge¬ 
wöhnlich innerhalb 24 Stunden papulöse Erhebungen, deren 
Breitendurchmesser zwischen ö und 20 mm variiert. Jede 
wesentliche Verschiedenheit von der Kontrollstelle ist als 
positiver Erfolg anzusehen. Wenn die Reaktion zweifelhaft 
ausfällt, so wiederhole ich sic nach drei Tagen. 

Die Papeln sind gewöhnlich hellrot, deutlich lastbar; 
manchmal tragen sie kleine Bläschen oder haben ein 
blässeres Zentrum wie eine Urticaria. Bei skrofulösen 
Kindern kommt es vor, daß neben der Impfstelle kleine 
Nebenpapeln aufschießen, ähnlich wie Nebenpocken bei der 
Vaccination. 

Die Zeit des Eintritts kann über 24 Stunden hinaus 
gehen; Reaktionen, welche erst am zweiteil oder dritten 
Tage sichtbar werden, nenne ich „torpid“. Sie ..scheinen 
eine latente, inaktive Tuberkulose zu bezeichnen“. Jede 
Bildung bei der Impfung isl zu vermeiden. 

Fieber und Allgemeinerscheinungen fehlen fast immer; 
auch tritt kein Jucken an der Lokalaffektion ein. Positiver 
Ausfall beweist, daß der Körper mit dem Tuberkelbazillus 
in Berührung gekommen ist. Schlüsse auf das Stadium 
lassen sich nicht, daraus ziehen; auch prognostisch wird 
sich die Probe nur mit Vorsicht verwerten lassen. 

Welch schöner Fori schritt in der Frühdiagnostik! 

Die von W o 1 f f - E i s n e r und von C a 1 m e 11 e äuge 
gebene Ophthalmoreaktion, die in der Kinträuflung von 
Tuberkulin in die Bindehaut des einen Auges besteht und 
häufig bei nicht ganz gesunden Augen von einer zu heftigen 
Reaktionskonjunktivitis gefolgt ist, wird wohl kaum iu der 
Allgemeinpraxis viel Verwertung finden. Das ist aber nur 
ein subjektives Urteil, da das Verfahren noch nicht ge¬ 
nügend erprobt ist. 

Ueber den Silz der Erkrankung gibt die Allergieprobe 
keinen Aufschluß. Da bleiben Auskultation und Perkussion 
in ihrem Recht, ja ich meine, wir müßten gerade bei 
positivem Ausfall immer wieder nach dem Sitz der Er¬ 
krankung fahnden. Denn verschiedene Krkrankungsstellc, 
verschiedene Behandlung. Wer in der Therapie der Tuber¬ 
kulose schematisiert, wird nicht viel leisten. 

Die Frühsymptome der Tuberkulose sind sehr zahlreich. 
Ich nenne nur Blutarmut, Abmagerung, schlechten Appetit, 


energieloses 


besonders 






618 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 42 


Nackengegend, Erweiterung der Temporalvenen und der | 
Venen am oberen Teil des Brustkorbes, schnelle Ermüdung j 
bei körperlicher Anstrengung, Neigung zu Schweißbildung, j 
Nachtschweiß, Temperaturerhöhung nach schon einstündi- 
gen Spaziergängen, schlechter Schlaf, Pulsbeschleunigung 
ohne erhöhte Temperatur usw. Dagegen finden wir 
aber auch Lungenkranke im vorgerücktem Stadium, die 
über ,,gar nichts zu klagen haben“, die wegen irgendeiner 
äußeren Ursache zum Arzt kommen. Die Frühsymptome 
sind alle unsicher und können uns nur einen gewissen 
Anhalt geben. Ebenso ist es mit der Disposition und Here¬ 
dität. Das einzig Ausschlaggebende ist die genaue körper¬ 
liche Untersuchung auf der nackten Haut, auf der wir auch 
der prüdesten Dame gegenüber unbedingt bestehen müssen. 
Am selben Abend zeigt sie sich ja vielleicht schon in mehr 
als diagnostischer Dekolletierung vor Leuten, die sie mit 
ganz anderen Augen ansehen als der Arzt. 

Vorschriften für die Perkussion zu geben ist schwierig 
und an dieser Stelle unmöglich. Das aber sollte sich jeder 
zum Prinzip machen, i m m e r entwederPlessimeter-Hammer 
Perkussion auszuüben oder immer Finger-Fingerperkussion 
zu betreiben. Ein Wechsel rächt sich bei den Anforde¬ 
rungen, die die erforderliche leise Perkussion an unser 
Gehör stellt, zu leicht. Ebenso ist es mit dem Stethoskop. 
Das Modell, an welches einer mal gewöhnt ist, sollte er 
beibehalten. 

Ich will hier die Fälle, in denen die Diagnose leicht, 
ist, in denen uns gröbere Klangabweichungen von der Norm, 
verbunden mit fein- und grobblasigem Rasseln, die Krank¬ 
heit leicht erkennen lassen, ausscheiden. Darüber ist ja 
nicht viel zu sagen. Wenn man aber nur eine ganz geringe 
Schallabweichung auf der rechten Spitze z. B. findet, wenn 
an dieser Stelle das Atmen nur etwas leiser oder unbe¬ 
stimmt ist, wenn wir im übrigen Lungengebiet normale 
Verhältnisse finden, dann beginnt die Schwierigkeit. Der 
Patient ist außerdem vielleicht mit Klagen über schlechten 
Appetit oder schlechte Verdauungen zum Arzt gekommen. 
Dann würde sich der Verdacht doch einstellen, daß es sich 
um eine beginnende Tuberkulose handelt, wenn wir diesen 
Befund öfter konstatieren können. Wir haben da einige 
Hilfsmittel, um wenigstens etwas genauer diagnostizieren 
zu können. Wenn man beim Auskultieren den Patienten 
einigemal kurz hintereinander husten läßt, so hört man 
bisweilen an der verdächtigen Stelle ein feines Knistern, 
flas schnell vorübergeht. Oder man fordert den Patienten auf, 
einigemal so lief als möglich zu atmen und dann den Atem 
anzuhalten. Beim langsamen Ausatmen hört man dann 
zuweilen ebenfalls Rasselgeräusche. Der eventuell vor¬ 
handene Schleim in den feinsten Verzweigungen der Lungen¬ 
spitze hat sich gelockert und erzeugt nun das Geräusch. 
Der Arzt kann auch mechanisch das Sekret zur Lockerung 
bringen, indem er mit dem Hammer einige kräftige Schläge 
auf das Plessimeter im Bereich der verdächtigen Stelle 
ausübt. Diese Methode, die für empfindliche Patienten nicht 
gerade angenehm ist, übte ich aus, bis mir ein Referat 
über eine Arbeit von Noeri Neapel zur Kenntnis kam. 
Man kann seine Methode kurz charakterisieren: Auskul¬ 
tation der Lungenspitze nach ihrer Massage. Man setzt 
vier Finger auf den Rand des Trapezius. Mit dem Daumen 
führt man einige Sekunden lang leichte Druckstöße aus 
in der Fossa supraclavicularis. Bei den ersten folgenden 
Inspirationen hört man an Stellen, die vorher fast normal 
waren, kleiublasiges Rasseln oder Knacken. 

Bei Patienten, welche angeben, nur morgens Husten 
zu haben, ist es manchmal möglich, sonst vermißte Rassel¬ 
geräusche frühmorgens zu hören. Unterstützen kann man 
die Aufforderung, den Husten bis zur Untersuchung zu 
unterdrücken, durch Gaben von Cod. phosphor. Man er¬ 
reicht damit manchmal, daß die ,,Lunge ihre Toilette erst 
nach der Untersuchung macht“, aber diese Melhode wird 
in der Praxis kaum viel Erfolg haben. 


Aus der Messung, die sorgfältig mit einem guten 
Maximalthermometer durchgelührt werden muß, kann man 
auch diagnostische Schlüsse ziehen. Ich lasse einen 
suspekten Patienten drei Tage lang das Bett hüten und 
zweistündlich genau messen. Am vierten und fünften Tage 
lasse ich ihn, wenn sich nicht schon bei der Buhe Fieber 
gezeigt hat, ein- bis zweistündige Spaziergänge mit mäßigem 
Steigen machen und vor und nach dem Ausgange die 
Temperatur aufschreiben. Zeigt sich dabei ein Unterschied 
in der Temperaturkurve von 0,5—1,0 Grad mehr nach der 
Bewegung, so ist (las ein weiteres diagnostisches Hilfs¬ 
mittel. Im allgemeinen muß jede Temperaturerhöhung über 
37° (gewöhnlich zwischen 4 und 6 Uhr nachmittags) den 
Verdacht auf Tuberkulose verstärken. Die Messungen in 
dieser Häufigkeit vorgenommen, geben uns Aufschluß über 
das Maximum, das der Patient gewöhnlich immer um die¬ 
selbe Zeit erreicht. Messungen, „morgens, mittags und 
abends“, wie sie gewöhnlich vorgeschrieben werden, lassen 
uns manches übersehen, zum Schaden des Patienten. Daß 
die häufigen Messungen eine Belästigung für den Kranken 
sind, ist nicht zu leugnen, aber diese Unbequemlichkeit 
muß er auf sich nehmen in Anbetracht der einschneidenden 
Wichtigkeit der richtigen Diagnose für seine ganze Lebens¬ 
führung und für die ganze weitere Therapie. Man kann aus 
der Temperaturkurve oft mit Sicherheit erkennen, ob der 
Patient den Anordnungen resp. Beschränkungen nach- 
gekommen ist. Mancher Leichtsinnige oder Unaufrichtige 
sucht dann den Arzt zu bemogeln, indem er die Temperatur 
etwas korrigiert. Deshalb ist es sehr gut, wenn man 
Konirollmessungen von Zeit zu Zeit selbst, vornimmt. Wie 
man den Patienten auf die schädlichen Folgen seines Ver¬ 
fahrens aufmerksam macht, ist Sache des Taktes und unter¬ 
liegt der Beurteilung des Einzelfalles. 

Daß man Sputum, falls solches produziert wird, auf 
Tuberkelbazillen untersucht oder untersuchen läßt, ist. selbst¬ 
verständlich. Man muß beii£ Resultat nur nicht vergessen, 
daß die Mehrzahl der Tuberkulösen im Anfangsstadimn 
keine Tuberkelbazillen aushusten, daß man also vom nega¬ 
tiven Befund die Diagnose nicht abhängig machen darf. 


Mene tehel! 

Ein Wort über Lactagol'-Pearson.*) 

Von Dr. med. et phil. Hans Lung’witz. Berlin. 

„S ehr g e e h r I. e F rau! 

Wir gestatten uns, Ihnen beifolgend ein kleines Büch¬ 
lein über „Natürliche Säuglingsernährung“ zu über¬ 
reichen, das viel Wissenswertes und Brauchbares für 
jede Mutter enthält. Sie werden daraus unter Anderem 
ersehen, ,daß Sie, im Falle Sie nicht genügend Milch 
haben, sollten, mit Hilfe des von den größten ärztlichen 
Autoritäten empfohlenen Lactagol in der Lage sein 
werden, Ihr Kind an der Brust zu ernähren und es da¬ 
durch vor den schlimmen Gefahren des Brechdurchfalls 
und anderer verheerender Krankheiten zu schützen. 

Aber g.uch, wenn Sie genügend Milch haben, ist. 
Ihnen der Gebrauch des Lactagol, so lauge Sie stillen, 
anzuraten : Es schützt Sie vor den sonst häufig ein¬ 
tretenden unangenehmen Folgen des Stillens, wie 
Schwäche, 'Siechende Schmerzen in Brust und Rücken 
und dergl. und macht Ihre Milch nahrhafter und be¬ 
kömmlicher für das Kind . . . .“ usw. 

Mit diesen Briefen wendet sich die Firma Pearson 
& Co., G. m. b. H., Hamburg, an die Mütter und solche, 
die es werden wollen, um sie, ohne den Rat des Arztes 
zu hören, zur Anwendung des Lactagols zu veranlassen. 


*) Ueber ein anderes Präparat derselben Firma gedenke ich 
in einer der folg. Nummern zu‘berichten. 


Digitized by 

MWWPW W I MIII W 


UNlUbHol I I Uh MILHIIjMN 



1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


619 


Eine derartige Bearbeitung des Publikums ist anstößig und 
unzulässig; zumal von einer Firma, die im allgemeinen 
,,mit den Aerzien äfb@ltöt‘'j Zweifellos macht sich ein 
derartiger Vertrieb nötig, weil die Aerzle das Lactagol ver¬ 
nünftigerweise sehr wenig verordnen. Auf gute Freund¬ 
schaft mit den Aerzten braucht freilich die Firma dann 
nicht zu rechnen, wenn sie hinter ihrem Rücken das 
Publikum über den Wert des Lactagols „aufklärt“. Die 
Vertriebsmethode hat eine verzweifelte Aehnlichkeit mit der 
Kurpfuscherei - auch was den Nutzeffekt der Pearson- 
schen Anpreisungen für das Publikum angeht. Glück¬ 
licherweise sind von diesem Präparat, das allenfalls unter 
der Flagge eines Nährpräparates aus Pflanzeneiweiß segeln 
dürfte, wenigstens keine schädlichen Wirkungen zu er¬ 
warten. Trotzdem verdient es festgestellt zu werden, daß 
sich die Firma Pearson der direkten Reklame bei Laien 
Und bei Hebammen bedient, um ihr Lactagol an den Mann 
oder vielmehr an die Frau zu bringen, unil wir werfen 
die Frage auf, ob somit fliese Firma nicht den gleichen Weg 
beschreitet, wie zahlreiche Firmen und Firmchen, die es 
nicht riskieren können, mit ihrem Schwindelzeug den 
Aerzten vor die Augen zu treten. 

Die Firma Pearson & Co. weiß freilich ihr Prä¬ 
parat besser zu schätzen als die Aerzte, die sich über den 
wahren Wert des Lactagols klar sind uiid es deshalb 
allenfalls faüte de inieux zu suggestiven Zwecken ein 
mal verordnen. Womit aber nicht gesagt sein soll, 
daß es nicht doch auch von Aerzten bona fide wirklich 
zu kurativen Zwecken angewandt wird; es ist einem ja 
unmöglich, die Spreu vom Weizen reinlich zu sondern, 
wenn man in einer Praxis stellt, die einem nicht Zeit 
zum Essen und Schlafen läßt. Die Firma weiß ihr Lactagol 
zu schätzen; sie verheißt, ohne zu erröten, daß die mit 
der Broschüre beglückte Frau, falls sie nicht genügend 
Milch hat, durch Lactagol alsbald in der Lage sein wird, 
ihr ,Kind_an-der Brust zu ernähren, uud es .dadurch vor 
den schlimmen Gefahren des Brechdurchfalls und anderer 
verheerender Krankheiten zu schützen. 

Natürlich, Laien muß man laienhaft begegnen. Brech¬ 
durchfall ist ein Schreckgespenst, „andere verheerende 
Krankheiten“ ist möglichst unklar, vieldeutig und in der 
\\ licht des Ausdrucks furchterweckend. Es ist doch herr¬ 
lich, daß die Firma Pearson & Co. aus einer selbst¬ 
verständlich auch mehrfach auf Ausstellungen prämiierten 
philanthropischen Gesinnung heraus ein Präparat anbietet, 
das alle Furcht vor Brechdurchfall und anderen ver¬ 
heerenden Krankheiten zunichte macht. Die „größten ärzt¬ 
lichen Autoritäten“ helfen bei dieser Wohltat mit ge¬ 
nannt sind diese „größten Autoritäten“ freilich nicht, und 
in der medizinischen Literatur kann ich sie auch nicht 
auffinden, es müßte denn der Dr. X. oder V. eine ,,größte 
Autorität“ sein. Aber das Publikum weiß das ja nicht 
und braucht 'auch nicht alles und jedes zu \yissen ; die 
Hauptsache ist, daß es glaubt und bestellt. Bestellen muß 
es auf jeden Fall! Es wäre ja töricht, wenn sich Pear¬ 
son & Co. auf die milcharmeu Wöchnerinnen beschränken 
wollte; auch diejenigen Frauen, die genügend Milch haben, 
können lauf Absatz 2 des famosen Briefes ohne Lactagol 
nicht auskommen. Weh ihnen sonst! „Unangenehme 
Folgen des Stillens, wie Schwäche, stechende Schmerzen 
in Brust und Rücken und dergl.“ stellen sich ohne Lactagol 
ein; mit Lactagol aber bleiben sie natürlich aus, ja, die 
Milch wird „nahrhafter und bekömmlicher für das Kind“!! 
Man muß mit Gewalt an sich halten, um nicht den passenden 
unparlamentarischen Ausdruck für diesen Hohn auf Ver¬ 
nunft. und Wahrheit aus der Feder zu lassen. Das heißt 
nicht „corriger la förtune“, das heißt „corriger la nature“! 
Pearson stellt in etwa zehn Worten - ohne zu erröten 
- die ganze Natur auf den Kopf! Er macht die physio¬ 
logische Nahrung, die einzige, die die Natur fix und 
fertig liefert, die Normalnahrung, die Muttermilch, die nie¬ 



mals einen Komperativ verträgt, zu einem Dreckzeug, 
das erst durch Pearsons Lactagol zur A m bros i a um¬ 
gewandelt werden muß. Soll man das Kühnheit nennen, 
wenn da zu lesen ist, Lactagol macht di e M i I c h 
von Frauen, die ihr Kind gut und genügend 
stillen können, „n a h r h a f 1 e r u n d b e k ö m m - 
lieh er“! Als ob es eine einzige Mutter gäbe, deren Milch 
für ihren Säugling nicht nahrhaft und bekömmlich schlecht¬ 
hin wäre! Armselige und heimtückische Natur, die du 
den Baumwollsainen seit Jahrtausenden schnöde seiner 
wahren Bestimmung, Futter für Wöchnerinnen zu sein, 
entzogen hast! Glücklicher Pearson, dem es einem 
zweiten Prometheus vergönnt war, das Feuer vom 
Himmel zu stehlen und frei nach Goethe den Göttern 
Hohn zu lachen! 

Der Zauber geht aber noch weiter. 

„Wenn die Frau nach früheren Geburten vergeblich 
zu stillen versucht hat, oder die Brüste schlecht entwickelt 
sind, ist es besser, mit dem Gebrauch des Lactagol schon 
etwa vier Wochen vor der Geburt zu be¬ 
ginnen.“ 

Das Lactagol soll zwar, „nach unseren ersten ärztlichen 
Autoritäten“ innerhalb 3- 4 Tagen, häufig auch schon so¬ 
fort am ersten (!!) Tage, seine völkerbeglückende Wirkung 
ausüben — aber in den zitierten Fällen muß man es vier 
Wochen (!) vorher nehmen. Wäre es nicht empfehlens¬ 
werter, das Lactagol gleich von Kindheit auf zu nehmen? 
Wächst das Mädchen normal heran, entwickelt es sich gut, 
heiratet es später, konzipiert die Frau alsdann immer 
bei Lactagolzufuhr! und geht sonst alles gut, so bürgt 
Lactagol mit Sicherheit für gute Milchsekretion! 

Es ist m. E. völlig zwecklos, Lactagol überhaupt zu 
nehmen, Unsinn aber ist es, wenn Pearson einen vier¬ 
wöchigen Gebrauch ante partum anordnet. Dabei kommt 
nur er gut weg; denn ein Karton Lactagol, dessen Her¬ 
stellungspreis zu den Zahlen gehören dürfte, mit denen 
ein zwei- bis dreijähriges Kind rechnet, kostet 2,75 M. 
und reicht bei einer Dosierung von 3 bis 4 mal täglich 
1 Teelöffel 10 bis 12 Tage. Ein ebensolcher Unsinn 
aber ein gefährlicher! — ist folgender Passus aus einem 
auch an Laien versandten Prospekt: 

„Dringend notwendig wird der Lactagolgebrauch, so¬ 
bald während des Stillens die Milch weniger zu werden 
beginnt, was am sichersten daran zu erkennen ist, daß 
der Säugling nicht mehr regelmäßig an Gewicht zunimmt.“ 

Also a n statt z u m Arzt zu g e li e u und die oft das 
Leben bedeutende Ursache des Gewichtsstillstandes oder 
gar der Gewichtsabnahme konstatieren und mit Hilfe ärzt¬ 
licher Kunst und Wissenschaft beseitigen zu lassen, ver- 
t r a u e m an ruhig ei n e m W i s c h von Pears o n , 
mache mittels Lactagol die Milch „nahrhafter und be¬ 
kömmlicher“, und alles ist in bester Ordnung! Wie soll 
man derartige Ratschläge bezeichnen? ist das nur 
Leichtsinn oder Naivität? Ist das nicht viel- 
m e h r K u r p f usc h e r e i s c h 1 i in m s t e r S o r t e ? 

Ebenso ist es Kurpfuscherei, wenn sich P. an¬ 
maßt, den Wöchnerinnen Rat zu erteilen, wie oft und lauge 
sie ihre Säuglinge anzulegen haben. Er tut das in der im 
zitierten Briefe verschlossenen Broschüre, betitelt : „Natür¬ 
liche Säuglingsernährung“. Die eindringliche Mahnung an 
die jungen Mütter, clie Kinder selbst zu stillen, die er 
mit einer der guten Sache würdigen Emphase in den ersten 
Seiten vorbringt, würde auch oder gerade aus Laienmunde 
Beifall verdienen, wenn sie nicht in einer Broschüre erteilt 
würde, die der Empfehlung von Lactagol gewidmet isl; 
es ist nur zu durchsichtig, daß die Mahnungen nur zu 
dem Zwecke erteilt werden, dem Lactagol das Feld vorzu- 
b er eiten. Mit der Miene des menschenfreundlichen Bieder¬ 
mannes redet Pearson den Frauen ins Gewissen, während 
ihn doch nur der Wunsch, Lactagol los zu werden, be¬ 
seelt. Da kommt denn, auch nach einer sehr rührsam 


Original frorn 

UNlvERSr^TTOlcHI GA N 


620 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 42 


und poetisch gehaltenen Einleitung, die Stimmung machen 
soll, auf Seite 5, unten, folgende Offenbarung: 

..Als Mittel, das Stillvcrrnögen zu steigern und das 
Wohlbefinden der Stillenden zu heben, kommen in Be¬ 
tracht: Kräftige, reichliche, aber nicht zu reichliche Er¬ 
nährung, mäßige Arbeit und Bewegung, ausreichende, 
möglichst ungestörte Nachtruhe, sorgfältige Hautpflege, 
Vermeidung aller stärkeren Bemütserregungen vor 
allem aber das Mittel, das direkt die Erzeugung der 
Milch in der Mutterbrust an regt und fördert, das in 
letzter Zeit vielgenannte Lactagol dessen milchbildende 
Wirkung fast nie versagt, und das jeder Krau, deren Brüste 
nicht vollständig verkümmert sind, das Stillen ohne Be¬ 
sehwerden ermöglicht.“ 

..Vor allem aber das Kartagol! Vite arideren 
Maßnahmen sind von Pearson ich möchte lasl sagen: 
gestattet, man mag sie anwenden, vor allem aber das 
Eactagol! Das tut’s! Denn 

..in der medizinischen Literatur werden Kälte milgeleill, 
wo schon am ersten (!) Tage des Lactagolgebrauches 
eine derartige Milchvermehrung (!I) eintrat, daß die 
Säuglinge die enorme Menge der Milch (!!!) nicht mehr 
bewältigen (lies : b e w ä 1 I i ge n !) konnten.“ 

Haarsträubend! Wer so etwas glaubt, muß in eine 
Idiotenanstalt gesperrt werden. Aber wohin gehört der¬ 
jenige, der die Stirn bat, dem Publikum solchen (gelinde 
gesagt) I nsinn ins Besicht zu schleudern? 

Auf Seile 8 folgen dann ,,Hegeln beim Stillen“. Da 
steh! gleich im zweiten Absatz: „ln den ersten drei 
Wochen gibt man sodann alle 2 1 2 Stunden die Brust ; 
nachts nur einmal: im ganzen also achtmal“. Nun, die 
Firma Pearson bat sich, scheint’s, von ihren „größten 
ärztlichen Autoritäten“ beraten lassen; denn sie weiß mehr 
als wir dummen Aerztc, die wir finit bis sechs Mahlzeiten 
empfehlen und nachts Mutter und Kind in Bullt 4 lassen. 

Freilich, wenn -gleich am ersten Tage der Eactagol 
Bitterung eine solche Milchsintflut einselzl, daß dör arme 
Säugling direkt darin zu ertrinken Befahr läuft, muß man 
die Milchflulen schon öfter abfließen lassen! 

Man glaubt da in der Tat, es mit einer Fabrik a la 
B a d .1 o und L a e t o r - B e n e r a I o r oder Antidiabe¬ 
tikum - Bauer und Konsorten zu tun haben, nicht 
aber mit einer angesehenen Firma, die einen gewissen Werl 
darauf legi, die Aerzle nicht vor den Kopf zu stoßen. Dieses 
läßt sich freilich nicht vermeiden, wenn man überhaupt mit 
dem „spezifisch wirkenden Larlagogum“ Eactagol, auf den 
Plan tritt. Was ist denn Eactagol? Die Untersuchungen im 
Pharmazeutischen Institut der Universität Berlin durch 
Dr Kendler (Apolh.-Zlg., 1904, Nr. 51) haben ergehen, 
daß Eactagol ein P r o t e i n k ö r p e r ist, der nur 
Spuren von fremden Beimengungen enthält. 

„Das Eactagol ist somit zur Bruppe der Nährpräparat« 4 
aus Pflanzeneiweiß zu zählen. Dem Uoborat wird bei¬ 
spielsweise gleichfalls eine laetagoge Wirkung zuge- 
schrieben, welche nach Ansicht der Hersteller des Buhorals 
allerdings auf den Eecithingehalt des Koborals ziirückzu- 
fiihren ist, während das Eactagol kein Lecithin enthält.“ 

Also einem P f 1 a n z e n e i w e i ß ist d i e er- 
s I a null c h s p e z i f i s r h W i r k u n g a u I d i e M i I c Il¬ 
se kiel io n z u z u s r h r e i b e n. Die Botschaft hör’ ich 
wohl, allein mir fehlt der (Haube. Die vielgerühmten Tier¬ 
versuche, sowie die „seit unvordenklichen Zeilen“ herr¬ 
schende Mode der „Naturvölker“, Abkochungen von Baum- 
wollblättern zu trinken, können mich von der spezifischen 
Wirkung nichl überzeugen, ich halte es überhaupt für 
ausgeschlossen, daß durch Darreichung eines Eiweißkörpers 
die Milchsekretion sich beeinflussen läßt: es ist hier nicht 
der Ort, sich über die physiologischen Bedenken auszu¬ 
lassen, es genügt, zu betonen, daß es auch dem gelehr¬ 
testen und erfahrensten Kopfe wie eine Vergewalti¬ 
gung der V er n u n f t erscheint, wenn jemand be¬ 


hauptet, durch Zufuhr von ein paar Brumm Bauiuwoll- 
samenextrakt, cl. i. Proteinsubstanz, auch nur einen Tropfen 
Milch aus der Brustdrüse hervorlocken, und noch dazu die 
Zusammensetzung der Milch um ganz erhebliche Prozent¬ 
sätze „verbessern“ zu können. Zugegeben auch, daß die 
Tiere nach Genuß von Baumwollsamen eine vermehrt«' 
Milchsekretion erkennen lassen das Eactagol ist jeden¬ 
falls nicht die wirksame Substanz des Samens. 

Die ärztlichen Beobachtungen, die in der Literatur 
(leider!) niedergelegt sind und die mir von der Firma in 
liebenswürdiger Weise zur Verfügung gestellt worden sind, 
enthalten sämtlich nichts Beweiskräftiges, entkräften keines¬ 
falls das Erteil, das ich und zahlreiche mir bekannte Kolle¬ 
gen über Eactagol gewonnen haben. Von größten Autori¬ 
täten“-ist in der mir zugegangenen Literatur nichts zu 
gehen. Vielleicht ist die Firma Pearson der Meinung, 
der verstorbene Sanitätsral Fürst, Berlin, dessen Feder 
allerdings bekannt war und der mi4 seinem Beitrag „l eher 
Bruslernährung“ beteiligt ist, wäre eine solche gewesen. 

Ferner liegen Arbeiten vor von einem Dr. Z tue ist i 
in Berlin, van den Brink in Monster (Holland) und 
Prof. Charles in Lüttich. Die Prüfungen, die diese Autoren 
mit Eactagol in der Praxis angeslellt haben, muß man alle¬ 
samt als höchst oberflächlich und wertlos bezeichnen. Wenn 
Prof. Charles schreibt: „Dank dem Eactagol, mit dessen 
Verabreichung man sofort begonnen und die man dann 
mehren 4 Wochen fortgesetzt hat, hatte die Mutter in ihren 
Brüsten Milch genug, um das Kind während der ersten 
drei Monate stillen und erhalten zu können“, so beweist 
«las gar nichts. Eiest man die Arbeit von van den Bri n k, 
so fragt mau sich, ob sich der Autor mit der Aufführung 
seiner Kasuistik nicht einen Scherz gemacht hat. Am 
besten läßt sich der Fürstsehe Artikel an, der von einer 
„gewissen Autosuggestion“ spricht; ein Salz aber, wie der 
folgende: „Sein hoher Kivveißgehalt (46,9 °, u nach Beck¬ 
mann) macht es'schon au sich verständlich, daß e's di« 4 
Dualität des in der Mamma zirkulierenden Blutes und die 
Ernährung «l« 4 r Drüsenzellen besser!“, gibt «lern Artikel ein« 4 
rechl possierliche Wendung ins Naiv-Komische, und mau 
merkt, welch« 4 Mühe es d«m sonst so federgewandten Sani- 
lälsral Fürst g( 4 kost< 4 ! hat, den Karren mit dem Eactagol 
nichl umfallen zu lassen; an seine Erklärung geglaubt hat 
er sicher selber nicht. 

Endlich paradiert noch eine Arbeit vom Apotheker 
V arges in Dresden (Med. Klin. 1905, Nr. 10), der über die 
qualitative Veränderung der Milch nach Eaetagoldarreichung 
.Untersuchungen“ angeslellt hat. Blüeklicherweisc balle 
er nur e i n e Versuchsperson zur Verfügung, es wäre ihm 
schwerlich geglückt, eine prozentuale Febereinstimmung der 
qualitativen Veränderung der Milch mehrerer brauen 
durch Eactagol zu erzielen vorausgesetzt, daß eine solche 
m der I al. «unfreien könnte. Daß diese Analysen nicht den ge¬ 
ringsten Wert haben, leuchtet dem Kennor sofort « 4 in, wtmn 
er si( 4 ld, daß der Frau während cI«*r Versuchstage (lo) das 
Kind von der Brust genommen und di< 4 Milch mit der Säug¬ 
pumpe entleert wurde, wodurch sofort «lic physiologischen 
Verhältnisse verschoben werden. Es ist nicht zu verwun¬ 
dern, daß V arges den Fettgehalt um über 100°/ () , den 
Eiweißgehall. um über 00% erhöht fand. Das muß eine 
ii e t I < M i 1 ch ge w ese nsri u!! Die gekreuzigte Wissen¬ 
schaft krümmt und windet sich vor Schmerzen darüber, 
daß eine Muttermilch, di« 4 unter den genannten l instünden 
gewonnen wurde, und die um derartige Prozentsätze von 
der normalen Zusammensetzung abweichl, als „na h rhjil I 
und bekömmlich“ (!!) designiert wird, ja als_„nahr¬ 
hafter, besser und bekömmlicher“ als die physi¬ 
ologische Muttermilch. Ist es nicht eine Schmach, 
daß zu einem derartigen Unfug auch noch ein Säugling 
14 Tage laug um die Mutterbrust betrogen wurde! Ist es 
nicht eine Schmach, daß derartige Blasphemien in einer 
Im« bangesehen« 4 !! Z«\itschrill publiziert werden! Ist es nicht 




■ 




1908 THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 621 


eine Schmach, daß auf (Jrund derartiger Verirrungen ein 
Präparat als Lactagogurn bezeichnet werden darf, als ein 
Präparat, das laut. Aufschrift auf den Packungen unein- 
g c s c h r ä n k t ,,j e d er Mutterdas Selbststillen e r - 
m ö g I i <• h I“ ! Ist es nicht eine Schmach, daß ein Apotheker 
ein Urteil abgeben darf, der so naiv ist, folgenden Satz zu 
veröffentlichen: ,,Auff die Vermehrung der Quantität der 
Milch glaube ich auch daraus schließen, zu müssen, daß 
Milch sich vermittels eines besonderen Saugapparates 
schnell und leicht abziehen ließ!“ 

Glücklicherweise dringt die Ueberzcugung, daß jede 
gesunde Wöchnerin stillen kann, sofern sie nur will, immer 
mehr auch in die Laienkreise dank der Aufklärung, 
die von uns Aerzten und vielfach auch von den Hebammen 
ausgeht. Wir wollen hoffen, daß diese Aufklärung dazu 
beit rügt, d i e j u n g e ti M ii 11 e r v o r <1 e r A n w e n d u n g 
des Lad agols zu b e w a h r c n , das n ur de m G el d - 
b e u t, e 1 d e s F a b r i k a n t. e n nützt, für die W ö c h 
n er innen aber, wie Prof. Siege rt auf der Versamm¬ 
lung der niederrheinisch-westfälischen Kinderärzte in 
Cölu a. Rh. 1907 sehr richtig sagte, keinen Schuß 
P u 1 v e r wert ist. 


REFERATE. 


Interne Komplikationen der Schwangerschaft. 

Sammelreferat 

von Frauenarzt Dr. Otfried O. Fellner (Wien), 

* (Schluß.) 

11. G rav id i t ätst ox i kosen. 

1. Lokalisation i ni S c li o r g a n. 

V i ti e k y berichtet von einer im 8. Monate Schwangeren, 
welche eines Morgens plötzlich blind war. Her Augeuhinter- 
grund wies nichts Abnormes auf. Nach 6 Stunden traten eklamp- 
t.ische Anfälle auf. V. nahm die Sectio caesarea vor, und nach 
dem Aufwachen aus der Narkose sah Patientin wieder. Heilung. 

Amblyopie und Amaurose führen nach F a u c o u in i er oft 
zur vollständigen Erblindung. Arterielle Hypertension ist oft die 
Ursache, mitunter auch starke Blutverluste oder Albuminurie. Ist 
letztere durch die Schwangerschaft hervorgerufen, so ist die 
Amaurose als eine Folgeerscheinung der Kchwangerseliaftshämato- 
toxämie anzusehen. Bestellt gleichzeitig Nephritis, so ist die Pro¬ 
gnose eine ernste, da die Sehkraft nicht ganz wieder hergestelll 
wird. Günstiger ist es, wenn die Erkrankung gegen Ende der 
Schwangerschaft eintritt. Die Therapie besteht in Milchdiät. 
Nur wenn Nephritis vorhanden ist. beendige man die Schwanger¬ 
schaft. 

2. L o k a 1 i s a t i o n in Blas e u n d N i e r c. 

Nach V i ton 1 kann die Hämaturie in der Schwangerschaft 
von der Niere oder von der Blase ausgehen, ist aber von gut¬ 
artigem Charakter; mitunter wird aber die Schwangerschaft vor¬ 
zeitig beendigt. Bei nicht zu starker Blutung kann man kon¬ 
servativ Vorgehen, sonst ieile man die Frühgeburt » in. Das rich¬ 
tige Verfahren wäre aber die Nephrotomie oder die Dekapsulation 
der Niere. Bei Blasenbildungen mache man die Sectio alta. 

Aetiologiseh sind hei Pyelonephritis nach F o u r n i e r zwei 
Momente zu berücksichtigen, die Kompression des Ureters mit ab¬ 
steigender Infektion durch Baeterium coli oder mit aufsteigender 
durch Gonokokken. Zu berücksichtigen sind ferner renale Er¬ 
krankungen. Steine, Senkungen, angeborene Mißbildung des Ure¬ 
ters und des Nierenbeckens. Bei der Infektion mit Baeterium coli 
findet man dieses oft im Urin, bei der durch Gonokokken sind 
aber diese selten, da sic meist nur Vorläufer anderer Organismen 
sind. Die crstcre Infektion ist prognostisch ungünstiger als die 
zweite. Sind Steine vorhanden, so ist es immer ungünstig für 
das Kind. Man muß frühzeitig durch Desinfection der llarnwege 
der Krankheit Herr zu werden suchen. 

Die Pyelitis kommt nach A I heck hei Kreißenden, oft auch 
hei Schwangeren vor. Man trifft Fälle mit starkem Fieber und 
Schmerzen in der Nierengegend, aber auch, und zwar viel häuti¬ 



ger, Fülle ohne Fieber und ohne Schmerzen an. Solche Fälle wur¬ 
den früher für katarrhalische Zystitis gehalten. Die Pyelitis fängt 
immer in der Schwangerschaft, an und bildet eine eigenartige, 
von der Schwangerschaft abhängige Krankheit. Die Prognose 
ist oft eine ernste, weil die akuten Erscheinungen das Sehen der 
Patienten bedrohen, weil die Pyurie in eine langdauernde Bak¬ 
terium* übergehen kann, die die Patientin noch längere Zeit ar- 
beitsunfähig machen kann. Bei der Behandlung der Fälle mit 
Fieber hat man sich in der Schwangerschaft möglichst abwartend 
zu verhalten, seihst sehr starkes Fieber fällt ab und Seinnerzen 
können bei ruhiger Bettlage von selbst zurückgehen, um erst bei 
der Geburt oder überhaupt nicht wieder zu erscheinen. 

An der Hand der Literatur und von 4 selbstbeobachteten 
Fällen von Pyelonephritis im Wochenbett kommt E. .1 e a n n i ii 
zu folgenden Schlüssen. Die Infektion ist zumeist eine hämato¬ 
gene mit Baeterium coli, infolge langdauernder Darmträgheit. 
1—5 Tage nach der Entbindung, zu der Zeit, wo der Ureter noch 
vom Uterus komprimiert werden kann, treten die ersten Sym¬ 
ptome auf. Ebenso kann die Erkrankung schon in der Schwan¬ 
gerschaft beginnen. Das Fieber ist ein remittierendes und steigt 
bis 41 H an. Im voreitrigen Stadium ist der Puls regelmäßig, 
Fröste, Kopfschmerzen. Mattigkeit zeigen die Erkrankung an. 
Leicht getrübter Urin wird in reichlicher Menge gelassen. Etwas 
Eiweiß. Nach 3—8 Tagen finden wir reichlichen Eiter im Urin. 
Es treten Schmerzen in der Nierengegend auf mit gleichzeitiger 
Polyurie. Dabei sinkt das Fieber. Zumeist ist die rechte Niere 
erkrankt. Nach 5—6 Wochen erfolgt Heilung. Schwierig ist oft 
die Differentialdiagmjse gegenüber von Puerperalfieber. Die The¬ 
rapie besteht in Milchdiät, und hohen Irrigationen. Umschläge, 
eventuell Urotropin 1.5—2 g pro Tag. Um die Eit.errcntion 
zu verhindern, fülle man die Blase mehrmals täglich mit 151) g 
Borsäurelösung, auch kann man eventuell durch 24 Stunden den 
Uretercnkatheter liegen lassen. 

3. Lokalisation im Magen- I) a r m k a nah 

Man muß nach Schulte zwei Gruppen von Ilypcreniesis 
unterscheiden. Solche Frauen, bei denen sieh eine Schädigung in 
den Organe!n naehweisen läßt, und solche, hei denen Organerkran- 
kungen nicht auffindbar sind. Die Mehrzahl der Fälle gehört der 
zweiten Gruppe an. Die Therapie war zuerst eine suggestive. Es 
wurden zwar auch therapeutische Eingriffe wie Aufrichtung des 
Uterus und dergleichen als suggestive Hilfsmittel angewendet. 
13 Fälle waren ausgesprochen hysterisch, 5 hochgradig nervös. 
Bemerkenswert ist das Auftreten von Uecidiven in derselben 
Schwangerschaft. Niemals mußte die Schwangerschaft vorzeitig, 
beendigt werden, und doch trat in allen Fällen Heilung ein. 

Severec erweiterte behufs Heilung des unstillbaren Er¬ 
brechens, den Zervikalkanal und die Schwangerschaft, ging unge 
stört weiter. 

4. Lokalisation in den Galle n w e ge n. 

Hing t e d berichtet von einer 30 jährigen Frau, welche zwei 
normale Schwangerschaften durchgemaeht hatte. In den späte¬ 
ren trat im 6. oder 8. Monat Ikterus auf. In den drei ersten kam 
es zur Frühgeburt. Jm letzten wurde die Frühgeburt eingeleitet, 
worauf jedesmal Heilung eintrat. 

5. S t o f f w e c h s e 1 s t ö r u n gen. 

Heber Auftreten von Glykoxylsäure im Verlauf von Uravi 
«litüt berichtet J. II o f b a u e r. Häufig findet sieh die Glykoxyl- 
siiure in dem ersten Drittel der Schwangerschaft, und in der letz 
ten Zeit, der Gravidität. Das letztere Vorkommen hängt sicher 
mit der Wehentätigkeit, zusammen. Da aber fernerhin die Glyk¬ 
oxylsäure als Zwisckenproduet des in der Leber stattfindenden 
Abbaues von Gl.vkokoll anzusehen ist, so spricht dies für eine Min¬ 
derwertigkeit der Leber in der ersten Zeit der Schwangerschaft. 
Wir müssen daher ebenso von einer Sehwangerschaftslebcr wie 
von einer Sch.wangerschaftsniere sprechen. 

Nach A. A. Esliner ist vorübergehende Glykosurie in der 
Schwangerschaft und insbesondere im Wochenbett sehr häufig 
Diabetes selbst kommt selten gleichzeitig mit Schwangerschaft 
vor. Interessant ist folgender Fall. Eine 37 jährige Frau litt au 
Diabetes, Zuckergehalt 4,67%. 2 1 _« Liter Urin täglich. Nach 

entsprechender Behandlung sank der Zuckergehalt, und die Frau 
nahm an (Jewicht zu. Sie wurde schwanger, und in der Schwan¬ 
gerschaft schwand die Zuckerausscheidung vollständig. Die Ent¬ 
bindung war zw ar sehr verlängert, aber sonst bis auf eine kurze 
Atonie normal. 7 Page nach der Entbindung* fand man etwas 
Albuinen, aber keinen Zucker. 14 Tage nachher trat eine Throin- 






622 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 42 


bophlebifcis auf. welche heilte. -1 Monate nach der Entbindung 
zeigte sich wieder der Diabetes, 

Die Komplikation der Schwangerschaft mit Diabetes mellitus 
ist nach Schot-telius für Mutter und Kind recht ungünstig. 
Sch. beschreibt einen Fall von Koma am Ende der Schwanger¬ 
schaft, welcher für ein eklamptisches gehalten' wurde. Trotz so¬ 
fortiger Entbindung starb die Patientin. Im Urin war Zucker 
nachweisbar. Die Sektion ergab eine Atrophie des Pankreas, De¬ 
generation der Nieren. ‘ Azeton war auch im Blute nachweisbar. 
Gründe gegen die künstliche Schwangerschaftsunterbrechung 
waren, daß die Schwangerschaft in 60% ungestört verläuft, daß 
das Koma erst während der Geburt auftritt und nach der Unter¬ 
brechung nicht verschwindet. Die absolut unsichere Prognose 
und die stets vorhandene Möglichkeit eines Komas machen aber 
die mit dieser Krankheit komplizierte Schwangerschaft, zu einer 
so schweren, daß man im Interesse der Patientin wohl berechtigt 
ist, die Schwangerschaft zu beendigen. 

Literatur. 

1. V. Alb eck: Bakteriurie und Pyurie bei Schwangeren 
und Gebärenden. Zeitschr. f. Geburtsli., 60. Bd., 3. lieft. 

2. Alzheimer: Indikation für künstliche Schwanger¬ 
schaftsunterbrechung bei Geisteskranken. Münch, med. Wochen¬ 
schrift, 1907, Nr. 33. 

3. B aller in i: Perisplenitis und Maläria, Milztumor im 
Puerperium. Ginecologia, 1907, Nr. 5. 

4. E. B a r t has: Ueber die Larynxtuberkulöse bei Schwan¬ 
geren. Inaugural-Dissertation, Paris 1907. 

5. F. Bedrunc: Influenza und Wochenbett. Inäugural- 
Dissertation, Paris 1907. 

ß. F. Be ringer: Der Späteinfluß der Syphilis auf die 
Schwangerschaft. lnaugural-Dissertation, Lyon 1907. 

7. A. Cal man: Perityphlitis und Schwangerschaft. Mo¬ 
natsschrift für Geburtshilfe, Oktober 1907. 

S. Duf ou r: Zusammentreffen von Tabes bei einer Frau 
und Syphilis beim neugeborenen Kind. Societe med. des IIöp., 
Paris, Juli 1908. 

9. A. A. Eskner: Diabetes und Schwangerschaft. Amer. 
Journ. of thc med. Science, September 1907. 

10. Fauconnier: Ueber die Amaurose.in der Schwan¬ 
gerschaft. Inaugural-Dissertation, Paris 1907. 

11. F. F o u r n i er: Pyelonephritis gravidarum. Inaugural- 
Dissertation, Toulouse 1907. 

12. E. Freund: Schwangerschaftsmyelitis. Prager med. 
Wochenschrift, 1908, Nr. 25. 

13. M. Friedmann: Zur Indikationsstellung für den 
künstlichen Abort wegen psychischer Krankheiten. Deutsche 
med. Wochenschrift, 1908, Nr. 19. 

14. J. II of bauen Ztsclir. f. physich Chemie, Bd. 5, IT. 52. 

15. C. J e an nin: Klinische Studie über die Pyelonephritis 
im Wochenbett. Progres med., Januar 1908. 

4 6. E. P r e i- ß: Ueber rezidivierende Magendarmlähmung im 
letzten Monat, der Schwangerschaft. Gynäkologische Rundschau, 
1907. Nr. 18. 

17. Ringted: Fall von rezidivierendem Icterus gravi¬ 
darum. Meddelt i Foreningen for Gyn., 1907. 

18. R otter: Sectio caesarea vaginalis an einer sterbenden 
Frau im Interesse der Frucht. Orvosk Lapja, 1908, Nr. 5. 

19. A. Schot t e 1 i u s: Diabetes mellitus in graviditate 
aL Indikation zur Unterbrechung der Schwangerschaft. Münch, 
inril. Wnchcn-chri ft. 1908. Nr. 18. 

20. F. S c h u 1 t. e: Ueber erfolgreiche Suggesti v 1 »eh andiüttg 
der Ilyperemesis gravidarum. Monatssehr. f. Gcburtsh., Mai 1908. 

21. F. S c i p i a d e s: Sammlung klin. Vorträge, 967. 

22. M. S e v e r e c nee Raitsiso: Aufhören des unstill¬ 
baren Erbrechens durch Erweiterung des Uterushalses durch La- 
minariastifte vor Ausstoßung der Frucht. Inaugural-Disserta¬ 
tion, Paris 1907. 

23. S i t zen t rey: Ueber die Beziehung der Cholelithiasis 
zum weiblichen Geschlechtsleben und zu gynäkologischen Leiden. 
Nebst Mitteilung eines durch Zystektomie geheilten Falles von 
(ialleublascnempyem im Wochenbett. Prager med. Wochenschr., 
1907. Nr. 28. 

24. F. St ii h I e r: Appendicitis in graviditate et puerperio. 
Monatsschr. f. Geburtshilfe, August 1907. 

25. R. V i d e k y : Amaurosis während der Schwangerschaft. 
Orvosi L T j8ag, 1908* Nr. 10. 


26. G. Vit oul: Ueber die Hämaturie in der Schwanger¬ 
schaft. Inaugural-Dissertation, Paris 1906. 

27. Th. v. N\ entzel: Herzkrankheiten und Schwanger¬ 
schaft. Monatsschrift f. Geburtshilfe, Oktober 1907. 


Urologie. 

Referent: Spezialarzt Dr. Sehwenk, Berlin. 

1. Beiträge zur Kenntnis der Azoospermie. Von Hans 
Posne r. Inaug, Dissert., 1908. 

2. Eine neue Methode, den Harn jeder einzelnen Niere 
getrennt aufzufangen. Von Prof. R. K u t n e r. Zeitschrift f. 
ärztl. Fortbild., Nr. 17. 

3. Zur Präventivbehandlung der Gonorrhoe bei der Frau. 

Von llein r i ch L ö b. Therapie der Gegenwart, Juni 1908. 

4. Ueber den prophylaktischen Einfluß des Gonosans auf 
die Komplikationen der Gonorrhoe. Von Dr. Leon David, 
Paris. Allg. Mediz. Zentr.-Ztg., 1908. 

5. Die konservative Behandlung der Hoden-Tuberkulose. 

A T ou Dr. Hartung. Zeitsclir. f. Urol., 1908, Nr. 8. 

6. Ueber die Anwendung von Saughyperämic an der Pro¬ 
stata und ein dazu geeignetes Instrument. Von Dr. U 11 m a n n, 
Wien. Zeitschr. f. Urol.. 1908, Nr. 9. 

1. Zum Zwecke der Untersuchung empfiehlt Verf. die von 
P osne r sen. geübte Punktion des Hodens. Die Technik ist die, 
daß nach Desinfektion der Skrotalhaut der Hoden zwischen 
Daumen und Zeigefinger gespannt, tief eingestochen und dann 
aspiriert wird; hierbei bedient man sich am besten der Bi er¬ 
sehen Spritze zur Anästhesie des Rückenmarks. Durch dieses 
Verfahren können leicht die beiden Typen der Azoospermie, die 
Obliteration und atrophische, unterschieden werden, die durch die 
Untersuchung des Ejaculats bisher nicht getrennt werden konn¬ 
ten. Die häufigste Art der Azoospermie und Hauptursache für 
sterile Ehen wird liervorgerufcn durch Obliteration der Samen¬ 
wege im Gefolge von Gonorrhoe. litt Punktionssekret der Oblit. 
Azoosp. finden sich Spermatozooen, in dem der atrophischen 
fehlen Spermatozoen gewöhnlich vollständig. Die Potent,ia 
coeundi bleibt bei der ersten für viele Jahre erhalten, während 
.sie bei der letzteren bald zu schwinden pflegt. Da ein hoher 
Prozentsatz steriler Ehen bedingt ist durch voraufgegangene 
bilaterale Epididymitis, muß cs das Bestreben des Arztes sein, 
dieselbe möglichst radikal zu beseitigen; sehr empfehlenswert 
hierfür ist die B i e r ache Stauung. Hoffentlich gelingt, es der 
chirurgischen Technik, die unwegsamen Stellen des Samenkanals 
zu beseitigen und den Spermatozooen die Passage wieder frei- 
zu mftehen. 

2. Der 1 reterenkatheterismus hat die Kenntnis von den 
Krankheiten der Nieren und namentlich von ihrer Funktions- 
fähigkeit um ein beträchtliches Stück gefördert. Doch in ein¬ 
zelnen Fällen muß man auf seine Anwendung verzichten, wegen 
der durch ihn bedingten Gefahr der Infektion. Aus dieser Er¬ 
wägung heraus konstruierte K. einen neuen Apparat, der die 
Lücke, die der Ureterenkatheterismus ließ, ausfüllen soll. Das 
Instrument, ist, so konstruiert, daß der zystoskopische Apparat 
auf die Ureterenöffnung gesetzt, und vermittelst Luftpumpe der 
Ureter angesaugt wird. Fs gelingt dadurch, den Harnleiter voll¬ 
kommen abzuschließen und den ganzen Urin von der betreffenden 
Seite zu erhalten. Ob der Apparat auch für intravesikale thera¬ 
peutische -Zwecke Verwendung finden wird, bleibt den weiteren 
Versuchen Vorbehalten. 

3. Verfasser empfiehlt als Präventivbeliamllung für Frauen, 
d. h. zur Verhütung des Ausbruches der gonorrhoischen Infektion 
folgendes Verfahren: Reinigung von Vulva und Vagina mit 
1 prom. Sublimatlösung, darauf Auswaschen dieser Teile und des 
Cervix uteri mit 5 proz. Protargol und Ausspritzung, der Urethra 
mit derselben Lösung. 

4. Die bei der Gonorrhoe früher gebräuchlichen Balsamika 
reizten mehr oder weniger den Magendarmkanal und wurden von 
den Patienten deshalb nur ungern genommen. Diesem Ucbel- 
stande half im großen und ganzen das Gonosan ab, das diese 
unangenehmen Nebenwirkungen weniger oder wie manche Be¬ 
obachter behaupten, gar nicht zeigt. Abgesehen davon, daß das 
Gonosan wie die anderen internen Medikamente die Entzündung 
einschränkt und die Schmerzen lindert, scheint es nach den Be- 

I obachtungen des Verf. ganz besonders angetan zu sein, die 




THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


623 


1908 


Gonorrhoe auf den vorderen Teil der Harnröhre zu beschränken ; 
und die oberen Harnwege gegen das Eindringen der Infektions¬ 
erreger zu schützen. Und zwar verdankt es diese Eigenschaft 
seiner dreifachen Wirkung: der antiseptischen, adstringierenden 
und antikatarrhalischen. 

5. Durch die B i e r sehe Staumethode hat die konservative j 
Behandlungsweise dem radikaleren operativen Verfahren ein gut 
Teil Betätigungsfeld abgenommen. Die guten Resultate, die J 
man z. B. bei der konservativen Behandlung der Gelenktuber¬ 
kulose erzielte, legten den Gedanken nahe, auch andere Tuber¬ 
kulosen des Körpers analog zu behandeln. Und so berichtet Verf. 
von Hodentuberkulose. Das Verfahren ist folgendes: Man zieht 
den kranken Hoden stark nach abwärts und schnürt um die 
Wurzel des Hodensackes einen mit Watte unterfütterten wei¬ 
chen •Gummischlauch, der so fest angezogen wird, daß eine starke 
Hyperämie entsteht. Der Hoden wird in ein Suspensorium ge¬ 
lagert und kann so 1—3 Stunden täglich getragen werden. Be¬ 
rücksichtigt man, daß — wie Sektionen lehren — häufig große 
tuberkulöse Lungenherde fibrös ausheilen oder verkalken, so lie¬ 
gen die Aussichten für die Ausheilung der Hodentuberkulose noch 
viel günstiger. 

Einmal kann man dieselbe durch die wirksame Stauung 
unterstützen, andererseits aber gibt es bei der Hoden tuberkulöse 
ein die Ausheilung sehr Unterstützendes Moment, nämlich die 
Möglichkeit der Heilung durch Fistelbildung. Die Stauungs¬ 
behandlung wird zweckmäßig unterstützt durch eine geeignete 
roborierende Diät, durch Aufenthalt in guter Luft und durch 
See- oder salzhaltige Sitzbäder. 

6. Der empfohlene Apparat stellt eine Modifikation des 
Arzberger sehen Kühlers dar. der mit Saugvorrichtungen 
und behufs besserer Lokalisation der Saugung mit Lampe ver¬ 
sehen ist. Die Indikationen für die Saugbehandlung sind große 
derbe Prostatatumoren auf entzündlicher Basis, bei denen es 
gelang, in wenigen Sitzungen eine erhebliche Verkleinerung 
des Tumors, Einschränkung der Sekretion und der Filament¬ 
bildung aus der Prostata zu bewirken. 

Bei einer anderen Erkrankung der Vorsteherdrüse, der 
Abszeßbildung, scheint diese Behandlungsart sich ebenfalls zu 
bewähren. Es bildet sich nach kurzer Zeit der Saugung eine 
Perforatiohsstelle, durch die sich der Eiter dann schnell entleert. 


Bakteriologie. 

Referent: Privatdozent Dr. E. Küster, Freiburg i. B. 

1. Vcber Tuberkelbazillengehalt der in Leipzig zum Verkauf 
kommenden Milch- nml Molkereiprodukte. Von Eher. Wiener 
kl in. Wochenschrift 1908, Nr. 34. 

2. Ueber die Gefahr der Reinjektion größerer Mengen von 
Heilserum. Von G. K 1 e m p e r e r. Therapie der Gegenwart, 
1908. S. 431 . 

3. Morbicid, ein neues Desinfektionsmittel. Von II. Töp¬ 
fer. Deutsche med. Wochenschrift 1908, S. 1512. 

1. Mit ei nein außerordentlichen Aufwand von Mühe und Ar¬ 
beit und mit bedeutenden pekuniären Opfern hat E. auf dem Ve¬ 
terinärinstitut der Universität Leipzig den Tuberkelbazillengehalt 
der in Leipzig zum Verkauf kommenden Milch und Molkereipro¬ 
dukte festgestellt. Die Untersuchungen wurden an einem so 
großen Material (über 1000 Untersuchungen) und sorgfältiger 
Berücksichtigung der praktischen Verhältnisse und unter Ver¬ 
wendung der zurzeit als beste bekannten Untersuchungsmethode 
— jeweils subkutane Impfung eines Meerschweinchens — durch¬ 
geführt, daß man wohl die Resultate als einwandfrei bezeichnen 
muß. Die Ergebnisse waren folgende: 

Von 210 vorschriftsmäßig untersuchten Marktmilchproben 
waren 22 = 10,5% tuberkelbazillenhaltig. Diese Proben ent¬ 
stammten 70 verschiedenen Verkaufsstellen, uud zwar wurde bei 
.19 Geschäften 1 mal, bei 2 Geschäften 2 mal und bei einem drei¬ 
mal im Laufe eines Jahres die Milch tuberkelbazillenhaltig ge¬ 
funden. 

Von 150 Butterproben waren 18 — 12% mit virulenten Tu¬ 
berkelbazillen behaftet, und zwar führten 2 große Geschäfte bei 
2 vier Monate auseinanderliegcnden Untersuchungen beidemal 
tuberkelbazillenhaltige Butter. Dabei ergab sich das für den 
Fernstehenden vielleicht überraschende Resultat, .daß Güte und 
Marktwert nicht dem hygienischen Wert entsprach, denn von 
50 Proben Molkereibutter I. Sorte waren 16%, von 50 Proben 


II. Sorte 10% und von 50 Proben Bauernbutter 8% tuberkel¬ 
bazillenhaltig. Der Grund dafür liegt in dem Umstand, daß in 
den Molkereien jeweils Mischmilch aus vielen Ställen zu Butter 
verarbeitet wird und mit der Anzahl der verwandten Milchsorten 
wächst natürlich die Wahrscheinlichkeit, daß eine tuberkelbazil¬ 
lenhaltige darunter ist und die gesamte Butter infiziert. 

Auch Margarine wurde untersucht. Nach Verfassers An¬ 
gaben werden bei der Margarinebereitung zu 30 kg Oleomagar¬ 
garine (aus Rindertalg gewonnen) 25 Liter Milch und 25 Liter 
Wasser, welches die ausgelaugten Bestandteile von 100 g Kuh¬ 
euter enthält, zugegeben; die Möglichkeit einer Infektion liegt 
also vor, nichtsdestoweniger wurden in 75 Proben Margarine 

I. Sorte und in 75 Proben geringer Speise- und Kochmargarine 
in keinem einzigen Falle Tuberkelbazillen gefunden: ein erfreu¬ 
licher Beweis für die Sorgfalt und Sauberkeit der in Betracht 
kommenden Margarinefabriken. 

Von 50 Sahneproben enthielten 3 = 6% Tuberkelbazillen; 
bei 50 Käsequarckproben wurden 2 = 4% tuberkelbazillenhaltig 
gefunden. 

Die Untersuchungen Ebers sind von dem größten allge¬ 
meinen Interesse, denn trotz der von K o c h vertretenen Auf- 
fassung (Londoner Tuberkulosekongreß 1901 und Zeitungsnach¬ 
richten zufolge auch auf dem diesjährigen Tuberkulosekongreß in 
Washington), daß Rindertuberkulose für den Menschen unge¬ 
fährlich sei, ist man heute doch allgemein von der Uebertragungs- 
möglichkeit überzeugt. Die Rindertuberkulöse muß deshalb mit 
allen Mitteln bekämpft werden, einmal weil sie die Landwirt¬ 
schaft enorm schädigt und dann, weil sie den Menschen anstecken 
kann. Staat, Landwirt und Konsument sollten gemeinschaftlich 
diese höchst wichtige Aufgabe in Angriff nehmen. 

2. Der Autor berichtet über felgenden Fall: Bei einer Pa¬ 
tientin trat 10 Tage nach einer normalen, spontanen Geburt eines 
gesunden Kindes Temperatursteigerung auf 40.2 n und Schüttel¬ 
frost. ein und es wurden 30 ccm Antistreptokokkenserum Höchst 
eingespritzt. Die Temperatur sank darauf in drei Tagen zur 
Norm zurück. Am 15. Tage trat allgemeines I rticariaexanfchem, 
am 21. unter Fieber Schwellung des rechten Schultergelenkes ein; 
dann wieder normale Temperatur. In den folgenden drei W oehen 
setzte zweimal ein bedrohlicher Herzkollaps ein. Klemperer 
führt diese Erscheinungen von Herzschwäche auf Anaphylaxie 
zurück (cf. diese Zeitschrift Nr. 29). da Patientin vor drei 
Jahren mit Diphtherieheilserum geimpft war. Ich möchte mich 
dieser Ansicht nicht ohne weiteres anseliließen. Wenn man im 
Tierversuch mit der Reinjektiou von Pferdeserum 3 Jahre war¬ 
tet. so erhält man keine anaphylaktische Reaktion mehr und dabei 
werden doch im Tierversuch viel größere Dosen von Serum ver¬ 
wendet; außerdem pflegen Zeichen von Anaphylaxie viel prompter 
einzutreten als in dem geschilderten Falle. Jedenfalls läßt sich 
aus der einen Beobachtung kein bindender Schluß für Heilserum¬ 
anwendung ziehen. 

3. Töpfer untersuchte ein neues, „Morbicid“ genanntes 
Desinfektionsmittel, welches aus Formaldehyd und Seife zusam¬ 
mengesetzt. sich vor dem Formalin durch geringere Aetzwirkung, 
geringere Giftigkeit bei gleich guter (in der Wärme 40" stär¬ 
kere) Desinfektionswirkung auszeichnet. Es ist dem allerdings 
sehr schwach wirksamen Lysoform weit überlegen, ob es sich 
jedoch in der Praxis einführen wird, kann nur die Praxis ent¬ 
scheiden. 


Dermatologie und Syphilidologie. 

Referent: Spezialarzt Dr. Jul. Baum. Berlin. 

1. Ueber die moderne Prostatahypertropliiebeliandlung. Von 
E. F. Chomolka. Wien. med. Wochenschr., 1908. Nr. 36/37. 

2. Ueber ein malignes Myom der Haut. Von K. Zieler. 
Arch. d. Deutsch, patliol. Gesellsch., April 1908. 

3. Maladie de Duhring avec loealisation bueeo-laryngee et 
conjunctivale. Von J. G a r r e 1. Revue hebdomadaire de laryn- 
gologie, 19. Sept. 1908. 

4. # Ueber eine St. Galler Mikrosporie - Epidemie. Von 
R. Zollikofer und O. W e n n e r. Korresp.-Bl, f. Schweizer 
Aerzte, 1908, Nr. 17. 

5. Kongenitale Lues und progressive Paralyse. Von C h r. 
Müll e r. Münch, med. Wochenschr., 1908, Nr. 38. 

6. Das Collessehe und Profotasche Gesetz im Lichte der 
modernen Serumforschung. Von J. Bauer. Wiener klin 
Wochenschrift, 1908, Nr. 36. 



624 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 42 


7. Tabes und Paralyse im Lichte clor neueren Syphilis- 
forscliimg. Von F ritz Lesse r. Berl. klin. Wochenschrift. 
1908, Nr. 39. 

8. lieber die Diersehe Stauung*. und Saugbehandlung in 
der Venerologie. Von A. S v a n <1 a, Wien. med. Wochensehr.. 
Nr. 36. 

1. Die idealste Behandlung der Prostatahypertrophie ist 
nach Chomolka die Totalexstirpation. Verf. tritt hier be¬ 
sonders für die transv.esikale Methode ein. Die anderen Opera¬ 
tionsmethoden, wie diq Genitalmethode lind die B o t t i n i sehe 
Methode verwarf er vollständig. Sehr oft ist in der Praxis die 
bloß palliative, fast symptomatische Behandlung möglich. 

2. Es handelt sieh bei dem von Ziel e r beschriebenen Fall 
von malignem Myom der Haut nicht um Febergang in Sarkom, 
sondern es bestehen alle Uebergiinge typischer Muskelzellen bi? 
zu großen Riesenzellen ohne die für Sarkome charafeterisehe 
fibröse Zwischensubstanz. Der Tumor saß auf der Wange einer 
67 jährigen Frau, kirschgroß, braunrot, hatte sieh aus einer war¬ 
zenartigen Bildung entwickelt. Die Geschwulst, charakterisiert, 
sich als maligne durch das deutliche Einwuchern der Myomzellen 
in das komprimierte lvutisgewebe. 

3. Garrel beschreibt einen Fall von Dermatitis herpeti- 
formis Duhring. bei dem vor allem auch erythematöse und bullöse 
Erscheinungen der Schleimhäute vorhanden waren. 

4. Z o 1 1 i k o f e r und W e n u c r berichten über eine Mikro¬ 
sporie-Epidemie in St Gallen. Es handelte sich um «las 
Mikrosporon lanosum, das von Katzen übertragen worden war. 
Diese M. lanosum-Epidemie ist für die Schulen nicht besonders 
gefährlich und kann ohne Röntgenstrahlenbehandlung bekämpft 
werden. Die Behandlung muß erstens eine ständige Reizung der 
Kopfhaut erzielen, ferner müssen die Haare gelockert werden. 
Dazu gehört andauerndes Feuchthalten durch Umschläge. Salben 
oder Pflaster. Als Salben werden hält ptsächl ich weiße Präzipi- 
tal-, Resorcin und Naphtbol benutzt, zu Umschlägen 5 proz. Soda¬ 
lösung. 

5. Gerade durch die Ergebnisse der W a s s e r m a n n sehen 
Reaktion haben wir gesehen, daß in fast allen Füllen von Tabes 
und Paralyse Syphilis vorausgegangen ist. Die Anamnese läßt 
aber dabei oft im Stieb. M ü 1 1 c r zeigt, an der Hand von drei 
I* allen, hei denen Paralyse im 42. bzw. 43. bzw. 53. Lebensjahre 
auftrat, daß auch die hereditäre Lues gelegentlich im höheren 
Alter noch Paralyse veranlassen kann. 

6. Wenn man bisher immer noch debattierte, ob Tabes und 
Paralyse mit Syphilis in Zusammenhang steht, ist. durch die 
Forschungsergebnisse der \Y a s s e r m a n n scheu Reaktion diese 
Frage jetzt sicher gelöst in dem Sinne, daß eigentlich in jedem 
fall von typischer Tabes oder Paralyse Syphilis vorausgegangen 
ist. Es handelt sich heute für uns um das Problem, w i e hängen 
I al»cs und Paralyse mit der Syphilis zusammen. Lesse r ver¬ 
tritt den Standpunkt., daß die positive Reaktion auf das Xoch- 
vorliandensein von syphilitischem Virus deutet. Bei Paralyse ist 
in allen Fällen die Seruinreaktion positiv, bei Tabes in 82.6%. 
Hier ist das luetische Virus nicht in allen Fällen mehr aktiv, 
hat aber zu den tabisclien Veränderungen geführt. So lange die 
Reaktion positiv, muß so lange die Hg- oder Jodkur fortgesetzt 
werden, bis sie negativ wird. Der negative Ausfall der Reaktion 
bietet den Fingerzeig, daß der Luetiker nicht Gefahr läuft, Pa¬ 
ralyse oder Tabes zu bekommen. Es wird sich also durch die 
Blutuntersuchung eventuell die Häufigkeit des Ausbruches von 
Tabes und Paralyse herabsetzen lassen. 

7. Durch die A\ a s s e r m a n n sehe Serumreaktion sind 
wir nicht nur in den Stand gesetzt, die Diagnose der Syphilis in 
manchen Fällen präziser zu stellen, sondern auch verschiedene 
bisher noch offene I ; ragen der Syphilisforschung zu klären. Bis 
in die neueste Zeit, bestand die Regel, daß eine Mutter, die ein 
syphilitisches Kind zur Welt bringt, gegen Lues immun ist, 
ohne Lues acquiriert zu haben (C o 1 1 e s sehe Regel). Die sero¬ 
logische I ntersuchung hat in allen Fällen ergehen, daß in diesen 
l allen nicht eine Fcbertragung nur durch das Sperma ohne In¬ 
fektion der Mutter stattgefumleii hat. sondern daß die S^uttcr 
auch infiziert ist. wenn auch nie Erscheinungen beobachtet wor¬ 
den sind. Die kongenitale Lues ist also stets eine mäterne. 
Aehnlich verhält es sich mit dem Prof r t a scheu Gesetz, das 
besagt, daß gesunde Kinder syphilitischer Mütter immun sind 
gegen syphilitische Infektion. Die sekundären Erscheinungen der 
hereditären Lues werden sehr häufig übersehen. In einer größeren 
Zahl von Füllen scheinbar gesunder Kinder war die Nermn- 
reaktion positiv. Das hat seine praktische Bedeutung vor allem 


auch, wenn es sieh darum handelt, für ein Kind eine Amme zu 
beschaffen, wo es sich einerseits darum handelt, das Kind vor 
einer luetischen Amme zu schützen oder umgekehrt. 

8. Die B i e r sehe Methode verkürzt bei der Behandlung des 
Bubo enorm den Heilungsverlauf. Sie bietet den Vorteil, daß 
sich jede sehmerzverursachende Manipulation außer dem eventuell 
unter Chloräthyl ausgeführten Einschnitt vermeiden läßt. Die 
Methode ist ferner sehr einfach und erspart Verbandmaterial. 
Sie ermöglicht vor allem auch ambulatorische Behandlung. 
Ferner sind alle Fälle von Bubo dieser Behandlung in vier ver¬ 
schiedenen Modifikationen zugüngig. 

Die B i c r sehe Methode befriedigte S v a n d a bei der Be¬ 
handlung der Epididymitis weniger. — Ganz besonders gute 
Dienste leistet die Methode bei der gonorrhoischen Kniegelenks- 
entzümlung. 

Hals-, Nasen- und Olircnkranklieitcn. 

Referent: Spezialarzt Dr. M. Halle, Charlottenburg. 

1. Die operative Behandlung der otogenen Fazialislähmung. 

Von Dr. Alt. Monatsschr. f. Olvreuhlk., XL11, Heft 6. 

2. Die Borsiiurcbehamllung bei Mittelohreiterunge». Von 
Dr. 1) i) 1 g e r. Münch, med. Woehensehr., 1908. Nr. 33. 

3. Behandlung der Tuberkulose der oberen Luftwege. Von 
Dr. G 1 e i t s m a n n. Archiv f. Laryngologie, Bd. XXL Heft 1. 

4. Die Erkrankungen der Nebenhöhlen der Nase bei Schar¬ 
lach. Von lv i 1 1 i a n. Zeitschr. f. Ohrenhlk., LVI. Bd., lieft 3. 

5. Aspirierter Zwelschenstein. Von Dr. S c h m i d t. Ibi¬ 
dem. 

.6. Die Frage der Radikalbeliandlung des Kehlkopfkrebses in 
den letzten 50 .Jahren. Von Dr. S e n d z i a k. Oesterreichische 
Aerztezeitung, 1908, Nr. 16. 

1. Fazialislähmungen finden sith im Anschluß an schwere 
Mittelohreiterungon meist bei Cholesteatom durch Usur des Ca- 
nalis Fallopii. Granulationswuchefungen um den Nerven, Druck 
durch Sequester des Labyrinthes. Narben können nicht selten die 
Frsaelie sein. Verletzungen des Nerven bei Ohroperationen füh¬ 
ren gleichfalls in einer Reihe von Fällen zu langdäfiOrnder Fa¬ 
zialislähmung. 

Glücklicherweise ist der Fazialis außerordentlich regenera¬ 
tionsfähig, und oft kann man noch nach Jahren eine vollständige 
\\ iedorkehr seiner Funktion beobachten. Ist jedoch jede HolT- 
ming darauf geschwunden, so kann man versuchen, sie auf ope¬ 
rativem Wege wiederherzusteilen durch die sogenannte Ncrveu- 
pfropfung. Der Nervus hypoglossus wird freipräpariert und mit 
dem peripheren Teil des Fazialis verbunden (Methode F a u r e- 
F u r e t). Der Erfolg ist im großen und ganzen ein guter, wenn¬ 
gleich er durch sekundäre Lähmung und Atrophie der ent¬ 
sprechenden Zungenhälfte nicht unerheblich beeinträchtigt wird. 

A 1 t hat in einem Falle von Zerstörung des Fazialis auf 
2 cm durch einen Labyrinthsequester eine solche Nervenpfrop- 
fung mit zufriedenstellendem Erfolg ausgeführt. Wo aber «1er 
Nerv nicht auf so weite Strecken zerstört war. versuchte er mit 
bestem Erfolge, einer Anregung von K ü m m e 1 und S t a e k e 
folgend, eine andere Methode. Der Fanalis Fallopii wurde nach 
exakter Blutstillung durch sorgfältige Unterbindung und reich¬ 
liche Adrenalinanwendung freigelegt, eventuelle Fissuren des 
Kanals aufgesucht, der Kanal eröffnet, der Nerv breit freigelegt, 
gegebenenfalls aus dem Kanal herausgehoben, von Cho¬ 
lesteatommassen, Granulationen etc. gereinigt, aus even¬ 
tuellen Narben gelöst und wieder in den Kanal zurück - 
gelegt. In anderen Fällen bei erheblicherem Defekt 
wurde ein Katgutbündel (nach G 1 u e k und B e r n - 
h a r d t) zwischen die Stümpfe gebracht. Seine sehr erfreu¬ 
lichen Erfolge zeigen einmal, wie außerordentlich gut sich Ner¬ 
ven regenerieren, zeigen aber auch andererseits einen schönen 
Triumph der operativen Otologie in Fällen von entstellenden Pa¬ 
resen, denen wir bisher machtlos gegenüberstanden. 

2. Die von Bezold empfohlene Behandlung der akuten 
und chronischen Mit.telohreiterungen hat sieh allseitig Anhänger 
erworben. Doch da immer wieder von berufener Seite der Bor¬ 
säure der Vorwurf gemacht wird, sie veranlasse durch Verkle¬ 
bung mit dem Eiter Retentionen und verursache so leicht sekun¬ 
däre Entzündungen am Warzenfortsatz, s«> kam 1) ö 1 g e r auf 
die Vermutung, die verschiedenen Resultate könnten durch Ver¬ 
schiedenheit der Präparate bedingt, sind. Die von ihm vernnlaß- 
ten Versuche ergaben nun, daß 6 verschiedene Proben eine Lö- 



UNIUtWall V Uh fflCfflGRB 




TUET? A PETIT TKUTT E THTN DSOHA U 


625 



sungszcit von 30 Sekunden bin 4 Minuten *40 Sekunden hatten. 
Da es aber natürlich auf gute LÖBÜchkeit der Präparate beson- 
ders ankoinnit, sc> lehrt dieser Versuch, daß nur beste Borsäure 
verwendet werden soll bei exakter Anwendung der B e /. o 1 d - 
sehen Vorschriften: Ausspülen des Ohres mit warmer 4 pro/. Bor- 
säurelösung, Lufteiutreibung durch die Tube, sorgfältige Aus¬ 
trocknung des (Jehörganges mittels Wattestäbehen, Linstiiuhung 
fein pulverisierter Borsäure in mäßiger Menge, W atteversohluII. 

3. Die Behandlung der lokalen Tuberkulose der oberen Luft¬ 
wege zeitigt immer bessere Erfolge, zumal wenn die Kardinalfor- 
derung. die Behandlung des gesamten Organismus, genügende 
Berücksichtigung findet. 

Von Medikamenten haben sich Ferroinonochlorphenol, Phc 
nolsulforieinieum. KreosotsalieylpHaster dauernd bewährt neben 
der allgemein gebrauchten Milchsäure. Aus K örners Ivlinjk 
sind gute Erfolge bei Jodkaligebraueh gesehen worden. II ol- 
1 ä n d e r gibt .lodkali in Verbindung mit Kalomol. (lute Erfolge 
sah G 1 e i t s m a n n. ebenso wie O n o d i und R o s o n b e r g 
von dem Tuberkulin. 

Große Triumphe feiert auch auf diesem Gebiete die operative 
Therapie, angefangen von der von Grünwald empfohlenen 
tiefen Galvanokaustik bis zu dem radikalen Kürettement. nach 
Landgraf- K raus e. 

Die Strahlentherapie, wie die Einsen-. Röntgenbestrahlung, 
das Radiumlieht, werden viel angewandt, und besonders beim 
Lupus werden sehr zufriedenstellende Erfolge berichtet. 

In letzter Zeit wieder besonders empfohlen wird II o 1 I ü n - 
der s Lnftkauterisation speziell hei Larynxtuberkulose nach vor¬ 
hergehender Laryngofissur. 

4. Zwei Fälle von Nebenhöhlen ei terun gen bei Scharlach, 
von denen einer starb, der andere durch eingreifende Operation 
geheilt wurde, geben K i 1 1 i a n Veranlassung, weitere Fälle cige 
ner Beobachtung und in der Literatur berichtete zusammenzustel- 
leu. Diese insgesamt 25 klinisch beobachteten Krankengeschich¬ 
ten lehren, daß Nebenhöhlenerkrankungen bei Scharlach relath 
oft Vorkommen. Meist handelt es sieh um leichtere Affektioneji. 
ln schweren Fällen kann es zu einer Rhinitis fibrinosa kommen, ja 
schwere ulzeröse Prozesse mit. tiefen Zerstörungen des Knochens 
sind beobachtet worden, die .auf die Nebenhöhlen Übergriffen und 
in einer Reihe von Fällen zum Exitus führten infolge Durch¬ 
bruches nach den Meningen. 

Die Erkrankungen der Nebenhöhlen beginnen vom etwa 
fünften Krankheitstage an, sind fast immer mit starkem lokalen 
Schmerz verbunden, worauf oft unter der W irkung der schweren 
Allgemeinerseheinungen wenig geachtet wird. Sie können, wie 
auch sonst die akuten Empyeme, glatt zurückgehen, oder aber, 
in etwa der Hälfte der Fälle, werden die Erseheinungen stärker 
und können die oben angedeuteten verhängnisvollen Komplikatio¬ 
nen machen. Das regionäre Oedem, der lokale Schmerz, das hohe 
Fieber bei Verlegung und Eiterung der Nase weisen auf die 
schwere Sinuserkrankung hin. Trübungen des Bewußtseins, 
Kopfschmerz, Erbrechen, Pulsveränderungen deuten auf eine 
drohende Beteiligung der Meningen, Schüttelfröste auf eine be¬ 
ginnende Thrombosierung des Sinus Jongitudinalis durch Infek¬ 
tion von der Stirnhöhle aus. 

Die Sinuisitis scarlatinosa kann spontan ausheilen, hat aber 
meist die Tendenz nach außen fort/.uschreiten. ln schweren 
Fällen kann natürlich nur die von Preysing inaugurierte 
radikale Operation das bedrohte Leben retten. 

5. Fall von Fremdkörper in der Lunge, insofern bemerkens¬ 
wert, als der Stein, der nach den physikalischen Erseheinungen im 
rechten Ifauptbronchus vermutet wurde, von S c h m i d t dort 
hei zwei Bronchoskopien nicht, gefunden werden konnte. Line 
dritte Bronchoskopie durch K i 1 1 i a n zeigte den Fremdkörper 
im linken Ilaiiptbronchus. Nach Vermutung des Verfassers ist 
er mit dem Branehialrohr am Stein vorbeigegangen (' Ref.). 
derselbe wurde später mobil und gelangte in die Trachea, wo er 
einen Erstickungsanfall auslöste. Durch die noch ungeschwächte 
Inspirationskraft der linken Lunge wurde er dann in den linken 
Bronchus hineingezogen, wo er bis zur definitiven Entfernung 
verblieb. 

Wegen offenbarer eitriger Infektion und schlechten Allge¬ 
meinbefindens des Patienten hatte S e h m i d t Streptokokken¬ 
serum mit gutem Erfolg injiziert, bevor die letzte Bronchoskopie 
gemacht wurde. 

fi. S e n d z i a k gibt eine dankenswerte l T ebersieht über die 
Erfolge der operativen Behandlung des Larynxkarzinoms. Als 
Lcitschnur seiner Ausführungen dient das Wort Vircliows: 


„Ist der Krebs in seinem Beginne und oft noch sehr lange ein ört¬ 
liches Leiden, so muß cs möglich sein, ihn in dieser Zeit örtlich 
zu heilen.“ 

S. stellt 1002 Fälle zusammen, von denen 57 auf endolaryn- 
gealem Wege, 303 mittels Laryngofissur, 224 mittels partieller 
Resektion. 41 fi mittels totaler Exstirpation des Kehlkopfes ope¬ 
rativ behandelt wurden. Die besten Resultate quoad vitam et re- 
cidiv gibt in beginnenden Fällen die Laryngofissur. Bei fortge¬ 
schrittenen oder hei gewissen zum Fortsehreiten tendierenden 
Fällen ist die halbseitige oder totale Exstirpation die souveräne 
Methode, welche besonders von Gluck in technisch vollendete! 
Form ausgebildet ist. In allen Fällen hängt, der Erfolg natür¬ 
lich in erster Linie von der möglichst frühzeitigen Diagnose ab, 
damit der günstige Zeitpunkt nicht ungenützt vorübergeht. 


Varia. 

Ist der dauernde Ziehoricngenuß sicher absolut unschädlich? 

Von Dr. II o r w i t z, Nürnberg. Zeitsehr. f. neuere phys. Med.. 
1908, Nr. HJ. 

Die Autoren (Chemiker, Hygieniker, Aerzte etc.) sprechen 
sicli seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis heute last 
einstimmig in meist außergewöhnlich scharfen Worten gegen 
die Verwendung des Zichorienabsudes aus. Die früher enorm 
häufigen Verfälschungen sind heute noch lange nicht verschwun¬ 
den. Vortr. zitiert eine Anzahl neuerer absprechender Erteile 
und widerlegt dann die wenigen Autoren, die hiermit nicht über¬ 
einstimmen. Wenn der Zichorie auch die Herz und Nerven an¬ 
regenden und demgemäß auch diese Organe evtl, schädigenden 
Substanzen vollkommen fehlen, müssen doch, zumal nach B o - 
r ii t t a u s experimentellen Arbeiten, die reichlich vorhandenen 
und dem Körper in einfach gelöstem, elektrolytisch dissoziiertem 
Zustande zu geführten Kalisalze als das Herz schädigend ange¬ 
sehen werden. Vortr. selbst hat sein Augenmerk hauptsächlich 
auf die Verdauungsorgane gerichtet und gefunden, daß Zichorien¬ 
zusatz zum Kaffee besonders hei nervösen Magenstörungen aller 
Art, hei Störungen, die mit Superazidität einhergehen. hei Ma¬ 
gengeschwüren. Magenkatarrhen mit verschiedenerlei Sekretions¬ 
verhältnissen. endlich akuten und chronischen Darmkatarrhen 
verschiedener Art schlecht vertragen wird. Die durch Zichorie 
hervorgerufenen Beschwerden (Magendrücken, Sodbrennen, sau¬ 
rer Geschmack im Munde, selbst Eehelkeit und Brechneigung, 
sowie selbst Durchfall) verschwanden mit Weglassung der Zi¬ 
chorie. um umgekehrt wieder aufzutreten. Diese Erfahrungen 
stimmen nicht, nur mit denen anderer Autoren (aus neuester 
Zeit z. B. Rose n h e i m u. a.) überein, sondern auch mit B o - 
r utt aus Experimenten, nach welchen Zieliorienabsud die Mn- 
genverdauung beträchtlich stört unter gleichzeitiger Erzeugung 
von Superazidität — in gesundheitsschädlichem Grade —. wäh¬ 
rend der hohe Kaligehalt, „die Wertlosigkeit in bezug auf An¬ 
regung und Nährstoffgehalt, endlich der unangenehme .... Ge¬ 
schmack und Geruch“ den Vorzug der Zichorie hundertfach auf¬ 
wiegen, ein voller schmeckendes, dunkleres (Jetränk zu liefern. 
Vortr. resümiert, daß mindestens hei den recht zahlreichen ln 
dividuen, deren Magen- und Darmkanal ein wenig reizbar ist, der 
dauernde Zichoriengenuß eine erhöhte Reizbarkeit leicht hervor- 
rufen kann, die „den Boden für ernstere Störungen bereiten 
hilft“ (R o sen h e i m) und allmählich auch ihrerseits Beschwer 
den macht. Autoreferat. 

Immer wieder um das Quecksilber! Von Dr. E. Klein, 
Berlin. Archiv f. phys.-diät. Therapie, 1908, Nr. 9. 

Verfasser hat sowohl in Gemeinschaft mit S i* h w e n i n g e r 
als auch selbständig unter Ilg-freier Behandlung zahlreiche, selbst 
rczidivierte Iritiden vollständig und ohne jede Synechie heilen 
sehen, sowie zwei schweren, trotz anderweitiger 11g-Behandlung 
fast ganz erblindeten Fällen von Iridochorioiditis non luetiea 
das Sehvermögen wieder verschaffen können. 

Es trat nun ein Patient mit frischem zentralen Skotom des 
rechten Auges auf luetischer Basis in seine Behandlung, den er 
durch einen Fachmann bestätigen ließ, daß es nach der herrschen 
den Lehrmeinung nur e i n e. nämlich Ilg-Behandlung für sein 
Leiden gebe. 

lv 1, versuchte aber auch hier, ohne Hg auszukommen, ge 
stützt auf folgende Ueberlegung: „Eine plötzlich, mit Aufhören 
der Funktion einsetzende Umlauf Störung im rückwärtigen Augen- 




626 


1 

THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. Nr. 42 


abschnitt muß binnen Stunden wieder in die Wege geleitet, binnen 
'lagen völlig behoben sein, da sonst das Gefüge und der Aufbau 
der Elemente in unabsehbar schwerer Weise geschädigt würde. 
Die Fähigkeit, diese Arbeit zu leisten, traue ich dem Hg nicht 
zu; wenn es eine wirksame Methode gibt, dann kann es nur die 
mit einer allgemeinen Herabsetzung des Um¬ 
laufdruckes verbundene lokale II y p e r ä m i s i e - 
r ungsei n.“ 

Die Verordnungen bestanden in zweimal täglichem Baden 
der Augen in möglichst, heißem Fencheltee zum Zwecke der ört¬ 
lichen Hyperämisierung, Beibehaltung der bereits früher wegen 
des Grundleidens verordneten wöchentlich dreimaligen, wechseln¬ 
den heißen Sitz-, Bein-, Armbäder, bis zum S c h w e i ß a u s - 
b r u c h zu gebrauchen, danach nachts eine feuchte Kaltpackung, 
an den Zwischentagen eine ebensolche Ganzpackung, gemischte 
trockene Kost, Ent haitu n g v o n jegliche m G e t r ä n k 
und allen flüssigen Nahrungsformen bis zur äußersten Grenze der 
Erträglichkeit des allenfalls eintretenden Durstgefühls. 

10 Tage nach Beginn dieser Behandlung wurde augenärzt- 
licherseits völliges Geschwundensein des Sko- 
t o m s, Sehschärfe fast “/«, festgestellt. 

Epikritisch bespricht Verfasser „die mitigierte Zwischen¬ 
stellung des merkuriellen Rationalismus“, der nur dann Hg an¬ 
wenden will, wenn symptomatische Veränderungen einen wichti¬ 
gen Zusammenhang der Gewebe oder eine unentbehrliche Funk¬ 
tion zu zerstören drohen (Befallenwerden von Kehlkopf, Gau¬ 
men, Nasenbein, Auge, Herz, Gehirn) oder Venn besondere Rück¬ 
sichten zur schnellen Fortschaffung der Symptome drängen. 

Es müsse der Beweis erbracht werden, daß auch diese reser¬ 
vierten, besonders schweren Fälle ohne Ilg behandelt werden dür¬ 
fen. ja m ü s s e n, nicht weil das Hg ein Gift sei, sondern weil es 
für die Behandlung der Lues nicht das leiste, was von ihm er¬ 
wartet werde. 

„Hier müssen diejenigen einsetzen, denen Erfahrung, Stel¬ 
lung oder sonst ein Vorteil die Möglichkeit und Fähigkeit ge¬ 
währen, den größeren Verantwortungen ruhig entgegenzutreten. 
Es muß der Ausbau und das Bekanntwerden von Methoden geför¬ 
dert werden, die ebenso gut wie das Hg imstande sind, hartnäckige 
oder bedrohliche Veränderungen Zum Schwinden zu bringen, sich 
dabei aber als adäquater Bestandteil der notwendigen, in erster 
Reihe zu berücksichtigenden Allgemeinbehandlung einfügen.“ 

Esch- Bendorf a. Rh. 


Mitteilungen über Arzneimittel. 

Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. Ueber Sabromin, ein neues Brompräparat. Von weiland 
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. J. v. M e r i n g - Halle. Med. Klinik. 
1908, Nr. 38. 

2. Dr. HofTiuuniis Castoreumbromid. Von Dr. Lücke- 
Wiederau. Therapeutische Neuigkeiten, September 1908. 

3. Unterchlorigsaures Natron als Desinfizienz. Von Dr. 
E g o n II artu n g. Med. Klinik 1908, Nr. 39. 

4. Ueber Behandlung mit Pyozyanase bei Diphtherie, Schar¬ 
lach und Anginen. Von Stabsarzt Dr. S a a r. Deutsche med. 
Wochenschrift 1908, Nr. 30. 

1. Nachdem v. M e r i n g in Gemeinschaft mit Fischer 
«las Kalksalz der Monojodbehensäüre, das sogenannte Sajodin, der 
Therapie zugänglich gemacht hatte, lag es nahe, auch die ent¬ 
sprechenden Bromverbindungen der hochmolekularen Fettsäuren 
darzustellen. Jedoch erwies sich das monobrombehensaure Cal¬ 
cium als zu wenig wirksam. Erst in dem dihronibehensauren Kalk 
fand v. M. ein Mittel, das in seiner Wirkung auf das Nerven¬ 
system den Bromalkalien nicht nachstand. Er nannte das Prä¬ 
parat in Anlehnung an Sajodin „Sabromin“. Dasselbe enthält 
29—30% Brom und ist ein farbloses, völlig geruch- und ge¬ 
schmackloses Pulver, das gern genommen und gut vertragen wird. 
Versuche an Tieren haben seine völlige Unschädlichkeit selbst 
bei großen Dosen erwiesen. Man gibt das Sabromin, das auch au 
einer größeren Zahl ambulanter und klinischer Kranker bei Hy¬ 
sterie und Neurasthenie in ihren verschiedenen Formen erprobt 
wurde, am besten zu 1-2 g ungefähr 1 Stunde nach dem Essen. 


Die Wirkung tritt nicht so rasch ein wie bei den Bromsalzen, ist 
aber protrahierter. Unangenehme Eigenschaften, insbesondere 
Bromismus hat v. M. nie gesehen. Für gewöhnlich wurden 2- bis 
3 mal täglich 1. g, meist früh, mittags und abends 1 g, in einigen 
Fällen nur abends 1—2 g 1 Stunde nach dem Abendessen verab¬ 
folgt. Es wurden aber auch bis zu 0 g täglich längere Zeit hin¬ 
durch gegeben. Am praktischsten, bewährten sich Tabletten zu 
0,5 g, die in Röhrchen zu 20 Stück in den Handel gebracht wer¬ 
den. Die Resorption derselben im Magen wird befördert dadurch, 
daß man die Tabletten vor dem Verschlucken kaut. 

Da im Bromkalium 67%, im Sabromin nur 30% Brom ent¬ 
halten sind, so ist der therapeutische Erfolg durch weit geringere 
Bromdosen mit letzterem Präparate erzielt. Ueber den therapeu¬ 
tischen Wert gibt \. M. noch kein abschließendes Urteil ab; lei¬ 
der wurde er vom Tode dahingerafft, ehe seine Arbeiten über 
dieses neue Präparat zu einem Abschlüsse und zu einer sicheren 
Bewertung gelangt, waren. 

2. L. empfiehlt „Dr. II o f f m a n n s Castoreumbromid“, 
das als Sal. bromat. effervescens c. Y.alerian. et Castor. verschrie¬ 
ben wird, "weil es bei einer Reihe von epileptischen Anfällen 
prompter wirkte, als das gewöhnlich verordnete Brom in seinen 
verschiedenen Dosierungen. Dieses „Dr. II o f f m a n n sehe 
brausende Brom-Baldrian-Castoreum-Salz“ wird übrigens mit 
und ohne Eisen abgegeben. Es soll auch eine analeptische Wir¬ 
kung entfalten. Als Hypnotikum steht es dem einfachen ..Erlen- 
meyer“ mit Castor. Canadense nicht nach, bedeutet vielmehr einen 
Fortschritt. Man gibt 2—3 mal täglich %—1. Meßglas, d. h. 
1—2 Teelöffel des Salzes in einem halben Glase Zuckerwasser, 
rührt nach 1 Minute um und trinkt während des Brausens. Das 
Eisenderivat enthält 1% Eisencitrat. 1 /i Glas kostet 2,50 M„ 
Vz Glas (ohne Meßglas) 1,50 M. Die Hauptniederlage und Fa¬ 
brikation hat die Schwan-Apotheke in Breslau VIII. 

3. UnterchlorigSaUres Natron ist nur in wässeriger Lösung 
bekannt, und zwar sind es wässerige Lösungen von Natriumhypo- 
chlorit und etwas Natriumkarbonat und etwas Natriumclilorid. 
Dem Apotheker sind bei der Herstellung einige Vorschriften in 
der Pharmakopoe gegeben, die wir hier übergehen können. Die 
Eigenschaften des Präparates sollen folgende sein: Klare, farb¬ 
lose oder schwach gelbgrüne Flüssigkeit von schwachem Geruch 
nach unterchloriger Säure, die rotes Lackmuspapier erst bläut, 
dann entfärbt. Man verschafft sich möglichst frische Präparate 
und bewahrt sie in einer gut geschlossenen, vor Licht geschützten, 
schwarzen Flasche auf. Früher wurde das Mittel in der Medizin 
häufiger angewandt, als Gurgelwasser, gegen syphilitische Ge¬ 
schwüre. Heute ist es in der Medizin kaum bekannt und im Ge¬ 
brauch selten geworden, wie H. glaubt, mit Unrecht, da es ihm 
gute Dienste erwiesen hat. Er wandte es in 1,6 proz. Lösung, also 
mit einem Gehalt von 0,5-—0,8% Chlor, an bei eitrigen, jauchigen 
Wunden, z. B. inoperablen Karzinomen, alten Osteomyelitiswun¬ 
den, lange eiternden Empyemwunden mit Pyoz’yaneusinfektion, 
tuberkulösen Fisteln. Durch die Abspaltung von unterchloriger 
Säure resp. Chlor wird der üble Geruch durch den schwachen Ge¬ 
ruch genannter Säure verdeckt. Wie Tierversuche ergaben, ist das 
Mittel relativ unschädlich. Denn ein Kaninchen zeigte erst nach 
Injektion von 19% Spritzen einer 1,6 proz. Lösung von unter- 
ehlorigsaurem Natron innerhalb 6 Tagen Vergiftungserscheinun¬ 
gen. erholte sich aber nach Aussetzen der Einspritzungen sehr 
schnell. Beim Menschen hat H. hei so vielfacher Anwendung 
keine Vergiftungserscheinungen gesehen. H. hebt die günstige 
Wirkung des Mittels bei stark verunreinigten Wundflächen her¬ 
vor, die sich bald säubern und mit frischroten Granulationen be¬ 
decken, und bei Mischinfektionen mit dem Pyozyaneus. Er 
machte Umschläge mit unterclilorigsaurem Natron mit 0,5 proz. 
wirksamem Chlorgehalt (also eine Lösung von 1,6 g auf 100 Was¬ 
ser), und zwar täglich, oder jeden zweiten oder dritten Tag. 
Ueber die Behandlung von Abszessen mit Injektionen des Mittels 
sind die Beobachtungen noch nicht abgeschlossen. 

4. Ueber die Behandlung der Diphtherie mit Pyozyanase 
wurde an dieser Stelle schon wiederholt berichtet. An der zwei¬ 
ten medizinischen Klinik der Charite hat Stabsarzt Dr. Saar 
die Pyozyanase auch bei Scharlach und Anginen, neben der 
Diphtherie, angewendet und faßt seine Erfahrungen in folgen¬ 
den Leitsätzen zusammen: „Die Pyozyanase ist entsprechend ihrer 
experimentell studierten bakteriziden Eigenschaft ein ausgezeich¬ 
netes lokal wirkendes Mittel zur Behandlung von Anginen, die 
durch Streptokokken, Staphylokokken und Diphtheriebazillen her¬ 
vorgerufen sind. Da eine giftbindende (antitoxische) Wirkung 
auf das Diphtherietoxin nicht zu den Eigenschaften der Pyozya- 


criWEKbi iT 



1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


627 


nase zu gehören scheint, so ist die Pyozyanase bei Diphtherie 
neben dem Heilserum anzuwenden. Jedoch ermöglicht die Pyo- 
zyanasebehandlung vielleicht eine geringere Dosierung des Heil¬ 
serums. Bei erwachsenen Di])htheriekranken macht die Pyozya- 
nasebehandhmg bei rechtzeitiger Anwendung die Serumtherapic 
überflüssig.“ 

Der Erfolg war bei den Diplitheriefällen überraschend; die 
Membranen lösten sich in kurzer Zeit, vom Hände her. Sehr 
prompt wirkte die Pyozyanase in den Fällen von Scharlach, wo 
starke Halserscheinungen mit Belägen auf den Mandeln und Gau¬ 
menbögen vorhanden waren, liier genügte eine 3—4 tägige Be¬ 
handlung mit Pyozyanase, uni die zum Teil großen diphtherie¬ 
ähnlichen Beläge zum Schwinden zu bringen. Auch drei Fälle 
von Angina Plaut-Vincenti wurden erfolgreich mit Pyozyanase 
behandelt. Die Anwendung des Mittels geschah in der Weise, daß 
vermittelst des beigegebenen Zerstäubers — dieser wurde neben 
dem Material von der Firma L i n g n e r - Dresden zur \ er- 
l'iigung gestellt — drei- Ins viermal täglich eine Zerstäubung vor¬ 
genommen wurde. Nach 5—10 maligem Zusammenpressen des 
Gummiballes, wobei der Strahl möglichst direkt gegen die Mem¬ 
branen gerichtet wurde, mußte der Kranke ausspucken; darauf 
wurde das Bespritzen wiederholt und die Pyozyanase im Rachen 
belassen. Während einer halben Stunde nach jeder Besprayung 
durfte nicht gegurgelt werden. In gleicher Weise wurde die 
Nasenhöhle, wenn nötig, behandelt. Um Material zu sparen, 
wurden ganz umschriebene Ilerde bepinselt. Schwierigkeiten in 
der Handhabung zeigten sich auch bei Kindern nicht. Der Ge¬ 
schmack soll an Maggi erinnern. Verdauungsbeschwerden nach 
Verschlucken der Pyozyanase wurden nicht beobachtet. Zum 
Schluß lenkt Verfasser die Aufmerksamkeit auf die Anwendung 
des Heilmittels zu prophylaktischen Zwecken bei Typhusepide¬ 
mien und bei Fällen von Gelenkrheumatismus zur Verhinderung 
von Nachschüben (Bepinselung mit Pyozyanase). 


Technische Neuerscheinungen, 

Vulnoplast. 

Nach Dr. J. Benario. Frankfurt. 

Der neue Wundverband Vulnoplast soll die Nachteile, 
die den bisher im Handel befindlichen Pflastern anhaften, 
beseitigen und eine ausgiebigere Verwendung des bequemen 
und handlichen Pflasterverbandes ermöglichen. Der wesent¬ 
liche Uebelstand des bisherigen Pflasterverbandes ist der, 
daß die von der Wunde abgesonderten Sekrete nicht auf¬ 
genommen werden, sich vielmehr unter dem Pflaster an¬ 
sammeln und zu Reiz- und Eni zündungserschein ungen An¬ 
laß geben. Vulnoplast besteht aus drei miteinander in feste 
Verbindung gebrachten Schichten. Die unterste, mit der 
Wunde in Berührung kommende, besteht aus Verbandmull 



und ist mit einer Salbe bestrichen, für die als Grundlage 
Gelatine gewählt ist. Diese löst sich völlig in den Wund- 
sekreten und läßt die ihr zugesetzten Medikamente voll¬ 
ständig zur Einwirkung kommen ; zudem verklumpt sie nicht 
mit (den Sekreten, so daß die Ablösung des Pflasters schmerz¬ 
los und ohne Abreibung der Granulationen vorgenommen 
werden kann.. Als Sarbenzusätze können desinfizierende, 
epidcinisierende, austrocknende Medikamente gewählt 
werden. Hat sich die Gelatinesalbe in den Wundsekreten 
gelöst, so gelangen diese durch die Maschen eines eigen¬ 
artig gewebten Mulls in eine über der Mullschicht ange¬ 
ordnete Gazeschicht, von der sie völlig aufgesaugt werden. 
Uebcr der Gazeschicht befindet sich die Deckschicht, die 


das Ganze zusammenhält; seitlich ist diese, wo sie zur 
Befestigung auf dem Körper dienen soll, mit Klebemasse 
bestrichen, während der Rest der Deckschicht unbestrichen 
und dadurch luftdurchlässig ist. Die Anwendungsweise 
ist, da ein Handgriff genügt, denkbarst einfach. Zur Be¬ 
handlung mit Vulnoplast eignen sich alle Fälle der kleinen 
Chirurgie, Riß-, Quetsch-, Brand-, Nahtwunden, Furunkel; 
zweckmäßig ist seine Anwendung auch bei Ulcus cruris, 
als Impfschutz, zur Schonung frischer Wundnarben, und 
weiter als erster Notverband auch in der Hand des Laien. 
Von der Vuluoplast-Gesellschaft, Bonn, wird es in Breiten 
von 4, 6, 8, 12 cm und in Längen von 10 und 50cm, 
auch in Packungen von 2 und 5 m in den Handel gebracht. 
Vorrätig sind Präparate mit Acid. boric., Acid. salicy!,, 
Airol, Antipyrin, Chrysarobin, Dermatol, Ichthyol, Jodo¬ 
form, Isoform, Vioform, Xeroform, Schwefel, Sublimat, 
Zinkoxyd in entsprechenden Prozentverhältnissen. ' Niehl 
imprägniertes Vulnoplast ist 10°/ o billiger als solches mit 
A rzneizusätzen. 

(Zeitschrift für Krankenpflege, Heft 9.) 


Impfschutzverbaiid. 

Von Dr. W. Kaupe, Bonn. 

Auf Grund günstiger Erfahrungen mit dem ,,Yiilno- 
plast“ bei der Wundbehandlung benutzte Verf. dieses auch 
als Impfschutzverband, indem er aus Dermatol- oder Xero¬ 
form vulnoplast Deckpflaster von entsprechender Größe zu- 
reehtschnitt. Die Wirkung der Pilaster war ausgezeichnet, 
die Pusteln entwickelten sich in normaler Weise, erysipe- 
latöse Erscheinungen blieben aus, beim Nachschautermin 
klebten die Pflaster noch fest, zwecks Inspektion ließen sie 
sich teilweise ablieben und gut wieder aufkleben, um bis 
zum Eintritt der Eintrocknung liegen zu bleiben. Niemals 
traten Reizungen der Haut oder ekzematöse Veränderungen 
ein. Auf Vorschlag des Verf.’s fertigt die Fabrik eigene 
Impfschutzpflaster aus 20 proz. Xeroformvulnoplast an, in 
Größe von 10:8 cm. Die den Xeroformgelatinebausch 
deckende Schicht ist dabei perforiert, wodurch einer mög¬ 
lichen Wärmestauung begegnet wird, was auch noch da¬ 
durch unterstützt werden kann, daß das Pflaster von vorn¬ 
herein nicht straff aufgeklebt wird. M. Plien, Berlin. 


Blicherbesprechimgen, 

Dpi* Wert der Rektoromanoskopie für die Erkennung und 
Behandlung,der tiefsitzenden Darmerkrankungen. Von Prof. Dr. 
J. S i h r e i b e r. Sammlung zwangloser Abhandlungen aus. dem 
Gebiete der Verdauungs- und Stoffwechsel-Krankheiten. Bd. 1. 
Heft 1—2. Halle a. S., M a rh old. 3 M. 

Die mit Rücksicht auf allgemein ärztliche Interessen inaugu¬ 
rierte Bibliothek konnte kaum glücklicher eingeleitet werden als 
durch vorliegendes Kabinettstück aus der bewährten Feder 
Schreibe r s, welcher in seiner ,,Rektoromanoskopie etc.“ 
(1903) für die speziell Interessierten ein Standardwork geschaf¬ 
fen und sich mit diesem als den intellektuellen Urheber der mo¬ 
dernen Rektoskopie dokumentiert hat. Wenn auch vielleicht auf 
rein technischem Gebiet hier manche Verbesserungen und Neue¬ 
rungen in der Folgezeit geschaffen wurden, darf, wie das von 
anderen Seiten jetzt bisweilen geschieht. S c h i* e i b e r s Ver¬ 
dienst als des Anregers und Aufbauers dieses so überaus wichti¬ 
gen diagnostischen Gebietes nicht in den Hintergrund geschoben 
werden. 

Dem Leser des 66 Seiten fassenden Essays wird ein klares 
Bild des Wertes der Rektoromanoskopie der tiefsitzenden Darm- 
erkrankungen aufgerollt und die charakteristischen Zeichen der 
hauptsächlich in Betracht kommenden Affektionen: Karzinome, 
Blutungen, Katarrhe, Polypen, Stenosen, Erweiterungen etc. in 
specie erörtert. Daß vorläufig der diagnostische Wert den kura¬ 
tiven noch überwiegt — wenigstens der Behandlung im R e k t o- 










628 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 42 


skop! — beweist der Umstand, daß die Therapie auf dem Raum 
von nur 7 Seiten, wenn auch erschöpfend, dargestellt ist. Zum 
Schluß werden die Indikationen und Kontraindikationen abge¬ 
handelt, nachdem die Technik des Verfahrens beleuchtet wurde. 
Diese Technik ist so überaus einfach, daß sie jeder beschäftigte 
Arzt üben sollte: denn natürlich nur in der Deutung der an und 
lür sich leicht zu erhellenden Befunde liegt die Schwierigkeit; 
demjenigen, dem an der Hand der Schreibersehen Publika¬ 
tionen und eigener Arbeit diese.Deutung oft gelingt, wird in der 
Rektoromanoskopie — wenn er überhaupt dazu inkliniert — eine 
Quelle großen \ ergniigens an der Zunahme seines Könnens und 
Wissens finden. P i c k a r d t - Berlin. 

Die Uigengeset/lichkeit des Lehens. Eine neue Lehre vom 
Leben und von der Krankheit. Von Pr. K 1 e i n s c h r o d. Lan¬ 
gensalza 1908, Bel 1 z. 108 Seiten gr. 8°. (Nach einem Eigen¬ 
bericht.) 

Kleins c h r o d stellt drei Gesetze auf: 1. Grundgesetz des 
Lebens : Pas Lehen hebt mittelbar oder unmittelbar die mechani¬ 
schen Gesetze der leblosen Welt auf. 2. Dazu ist ein eigenes 
Prinzip notwendig, das Lebensprinzip. Lebensprinzip ist, was 
ein mechanisches Prinzip aufhebt. Das Lebensprinzip ist n i c h t 
nach dem Gesetz der mechanischen Körper, sondern nach dein 
der Individuen* 4 oder der lebendigen Körper tätig, d. h. als ein 
Subjekt. Damit ist der prinzipielle Unterschied gegenüber 
dem mechanischen Prinzip in der kausalen Tätigkeit nach- 
ge wiesen. 3. Auch in der energet i s c li e n Tätigkeit ist ein 
prinzipieller l nterschied. Es läßt sich zeigen, daß das energeti¬ 
sche Prinzip des Lebens dem der leblosen Welt gerade entgegen¬ 
gesetzt ist. Hier werden akt i v immer lebendige Kräfte in, 
Spannkrätte, im Leben aktiv immer Spannkräfte in lebendige 
Kräfte umgewandelt. Durch diese aktive Umkehrung können die 
mechanischen Gesetze aufgehoben worden. Die Summe der 
Energien ist dieselbe, aoer der I n h a 1 t des energetischen Prin¬ 
zips ist ein anderer. 

Die l’mwiyidluug findet im Protoplasma statt. Das Proto¬ 
plasma ist das energetische Prinzip des Lebens, das dem der leb¬ 
losen Substanz gerade entgegengesetzt ist. 

Im übrigen muß auf das Original verwiesen werden. Kl.'s 
Ausführungen gipfeln in einer von ihm aufgestellten Schöpfungs¬ 
theorie. — 

Das an derartige Betrachtungen verwandte ..heiße Be¬ 
mühen“ dürfte, so lauge das „Ign’orabisnms“ seine Geltung besitzt, 
ziemlich überflüssig sein. Alan kann die Lebenserscheinungen 
auch ohnedem beobachten, anerkennen und rationell verwerten 
( Kef.). Esch. 

Hygiene der Kleidung. Von Prof. Dr. med. IT. Jaeger 
und Frau A n n a J a e g c r. Stuttgart. 1900, M o r i t z. 3,— M. 

In gemeinverständlicher und dabei doch wissenschaftlicher 
Weise werden alle Beziehungen der Kleidung zur Gesundheit des 
Menschen eingehend gewürdigt. Besonders zu begrüßen ist. daß 
hier eine Frau sich der Frage* der Frauenkleidung mit viel Ver¬ 
ständnis und großem Eifer annimmt., denn dieser Teil der Hygiene 
der Kleidung ist, wie das Verfasser in dem Vorwort mit Reell! 
hervorhebt, eine Frauen trage. Das Buch verdient, weiteste Ver¬ 
breitung und sollte im Familienkreise recht eifrig gelesen wor- 
Bilder wie Figur XI— Sß dürften bei einer Neuauflage mehr in 
Aufnahme kommen, während andere im Interesse der Gesamr- 
wirkuug weghleiben dürften; denn gerade dadurch scheint, mir 
die Reformkleidungsbeureimng auf Widerspruch zu stellen, daß 
auf wirkliche Schönheit des Kostüms — und ein Kleid soll nicht 
nur kleiden, sondern auch schmücken — immer noch viel zu wenig 
Wert gelegt wird. Es ist zwar nach dem ersten vergeblichen 
Sturmlaut dir ,,Sackkostüine 4 ‘ schon vieles besser i. e. schöner 
geworden, sehr zum Vorteil der ganzen Bewegung, aber leider 
sieht man heute noch viele Relortnkleidungen auf der Straße, 
die direkt abschreckend wirken und sehr zum Nachteile der Ein¬ 
führung einer hygienischen und schönen Rcformkleidung den 
Spott des ln- und Auslandes hcrausfordern. 

E. K ü s t e l* - Frei bürg i. B. 

F. A. Hoppen n. R. Fischer 
Patentanwälte 

Berlin SW. 13, Neuenburgerstrafie 15 

Amt IV, 718. 


Die Geschichte der Kehlkopf'tuberkulöse vor Erfindung des 
Kehlkopfspiegels. Von Dr. J m li o f o r - Prag. C a r 1 M a r - 
h o 1 d - Halle a. S. 

Verfasser, der sich mit besonderer Vorliebe mit der tuber¬ 
kulösen Erkrankungen des Kehlkopfes beschäftigt, hat mit 
großem Fleiße die Schriften der alten Aerzte durchstudiert und 
von II i p ]> o k r a t e s bis G a r c i a ein Bild entrollt von dem 
oft bewunderungswürdigen Arbeiten und Streben der Vergangen¬ 
heit auf diesem Gebiete. Aus noch älteren Zeiten, von der Me¬ 
dizin der Inder, Aegypter, .luden, Chinesen etc. konnten für das 
Gebiet der Laryngologic keine Angaben entnommen werden. Erst 
mit dein universalen H i p p o k r a t e s beginnt eigentlich eine 
Kenntnis und Würdigung der Kehlkopftuberkulose, lieber G a - 
len. die zweiten Größe der Vergangenheit, dem der Autor eine 
eingehende Würdigung zuteil werden läßt, führt er uns zu den 
Arabern, der Schule von Palermo und den Scholastikern, ferner 
zu den Autoren des 1(5. Jahrhundert-, von denen besonders Am- 
broise Pa re her vor gehoben wird, würdigt den verdienten 
Al o r g a g n i und B i c h a t, aus dem 17. Jahrhundert S y - 
d e n h a m, der schon eine lokale Therapie versucht, B o o r h a v e 
und viele andere bekannten Namen. Besonders übersichtlich sind 
die zusammenfassenclen Besprechungen und Würdigungen der 
einzelnen Gruppen von Autoren und ganzer Zeitabschnitte, 

Eine Fülle von wertvollen Notizen hat l ni h o f e r aus dem 
riesigen Material zusammengetragen, und wer sieh mit der Ge¬ 
schichte der Laryngologic beschäftigt, wird allen Anlaß haben, 
auf dieses Buch zurückzugreifen. 

AL II alle- Charlottenburg. 


Allgemeines. 

Vorhand Deutscher Esperantisten. (Mitglieder in über 
ISO Orten Deutschlands.) Die Verbreitung des Esperanto. Bei 
dem großen Interesse, daß sich jetzt überall für diese Weltsprache 
zeigt, dürfte es unsere Leser interessieren, etwas über 
die Verbreitung dieser interessanten Sprache zu hören. Der 
Verfasser des Esperanto ist bekanntlich der russische Arzt Dr. 
L. L. Samenhof in Warschau, der seine Weltsprache 18S7 
der OetTentlichkeit übergab. Lange Jahre machte Esperanto nur 
sehr kleine Fortschritte, bis die Bewegung seit 1904 in ein 
schnelleres Fahrwasser kam. Es gab im Januar 1904 11ß Espe* 
rautovereine. im Januar 1905 deren ISS, im Januar 1900 deren 
306, im Januar 1907 deren 482 und im Januar 1908 bereits 
865 Esporantistongruppen. Bis zum 5. August dieses Jahres war 
die Zahl der Esperantovereine bereits auf 1057 gestiegen, von 
denen sich 15 in Afrika, 23 in Asien, 163 in Amerika, 18 in 
Australien und 838 in Europa befinden. Die meisten Esperanto¬ 
vereine befinden sich in Europa, in Frankreich mit 207 und in 
England mit 158 Esperantovereinen, denen Deutschland mit 87 
erst, in weitem Abstand folgt. In Deutschland wird die Espe¬ 
rantosprache von mehreren Verbänden besonders in der letzten 
Zeit sehr energisch zu verbreiten gesucht., und Kaiser Wilhelm 
hat sicher zu den letzten Erfolgen des Esperanto mit. dadurch 
beigetragen, daß er sagte, er habe sich davon überzeugt, daß die 
Einführung des Esperanto bei allen Völkern der Erde keine Phan¬ 
tasterei mehr sei, sondern sich verwirklichen lasse. Esperanto- 
Auskunft, ssteilen gibt, es nun bereits in 288 Orten der Erde, von 
denen ich 18 in Deutschland befinden, und von denen die Aus¬ 
kunftsstelle des V. D. E. in Leipzig. Uarolinenstr. 12, gegen 
Einsendung der Selbstkosten von 15 Pfg. in Briefmarken an 
Interessenten ein Esperantolehrbuch zum Selbstunterricht porto¬ 
frei versendet. 


"71 SPRUDELSALZ 

mm 

[ Vor Nachahmungen und Fälschungen wird gewamr. 


NATÜRLICHES 



istdas allein echte Karlsbader 


Verantwortlicher Redakteur :Dr. II. Lunewitz. Rerlin S. — Verlag: Gustav Ebrke Zeitschriftenverlag, Berlin W. 9. 
Druck von Carl Marschner ßuchdruckerei, Berlin SW. 13. 


D 


Uh MILHILUN 


Uh mCHIGRB 






Therapeutische Rundschau 

Wochenschrift für die gesamte Therapie des praktischen Arztes. 

Herausgegeben von 

Prof. Dr. A. Albu, Berlin, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. 0. Anton, Halle a. S., Prof. Dr. P. Bergeil, Berlin, Prof. Dr. A. Bickel, Berlin, Prof. Dr. L. Blum¬ 
reich, Berlin Prof. Dr E. Braa-.z, Königsberg. Prof. Dr. C. Bruhns, Berlin, Prof. Dr. G. Burckhard, Würzburg, Prof. Dr. A. Dührssen, Berlin, Prof. 
Dr. E. Enderien, Würzburg, Prof. Dr. R. Eschweiler, Bonn, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. A. Ewald, Berlin, Prof. Dr. E. Friedberger, Berlin, Prof. Dr. P. Gerber, 
Königsberg, Reg.-Rat Prof. Dr. Jul. Glax, Abbazia, Prof. Dr. K. Helbing, Berlin, Prof. Dr. M. Henkel, Greifswald, Prof. Dr. K. Herxheimer, Frank¬ 
furt a. M., Prof. Dr. P. Heymann, Berlin. Prof. Dr. G. Jochmann, Berlin, Prof. Dr. M. Koeppen, Berlin, Prof. Dr. A. Kollmann, Leipzig, Prof. Dr. J Kocks, 
Bonn, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. 0. Küstner, Breslau, Prof Dr. M. Lewandowsky, Berlin, Prof. Dr. G. Meyer, Berlin, Prof. Dr. M. Mosse, Berlin, Prof. 
Dr. E. Opitz, Düsseldorf, Geh Med.-Rat Prof. Dr. K. Partsch, Breslau, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. H. Piannenstiel, Kiel, Geh. Reg.-Rat Prof Dr. 
B. Proskauer, Berlin, Prof. Dr L. C Rehn, Frankfurt a M , Prof. Dr. H. Rosin, Berlin, Prof. Dr. Th. Rumpf, Bonn, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. H. Senator, 
Berlin Prof Dr H. Schlange, Hannover, Prof. Dr. Ad. Schmidt, Halle a. S, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. H. Schmidt-Rimpler, Halle a. S„ Prof. Dr. med. et 
phil. R. Sommer, Gießen, Prof. Dr. G. Sultan, Berlin, Prof Dr. A. Tietze, Breslau, Prof. Dr. P. G. Unna, Hamburg, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. H. Unver- 
richt, Magdeburg Prof Dr 0. Vulpius, Heidelberg, Prof. Dr. H. Walther, Gießen, Prof. Dr. F. Wesener, Aachen, Prof. Dr. G. Winter, Königsberg, 
5 Prof. Dr. E. Ziemke, Kiel. 

Redaktion: Ver,a g und Expedition: 

Dr. med. et phil. H. Lungwitz, Berlin S. 14, Dresdenerstr 44. Gustav Ehrke Zeitschriftenverlag, Berlin W. 9, Köthenerstr. 44. 

Telephon: Amt IV, 11773 Telephon: Amt VI, 3020. 

Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte 

der Ostsee und der Medizinisch-biologischen Gesellschaft. 


II. Jahrgang. Berlin, 25. Oktober 1908. Nr. 43. 

Die Therapeutische Rundschau“ erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2 M., einzelne Nummer 20 Pf. Zu beziehen durch den Verlag, sowie sämtl. 
Buchhandlungen "und Postämter. Inserate werden für die 4gespaltene Zeile oder deren Raum mit 50 Pf. berechnet. Beilagen nach Uebereinkunft. Reklamezelle 1,50 M. Bei 
größeren Aufträgen wird Rabatt gewährt. 

Nachdruck ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. 


Inhalt. 


Originalien: 

A. Bickel. Berlin: Neuere Gesichtspunkte zur internen. The¬ 
rapie von Pankreaserkrankungen ..629 ; 

O. Langfeldt, Zell: Aphorismen zur Therapie der Bolus alba 630 | 

M. Pickardt. Berlin: Preßpiratentum. lionorigkeit von Hono¬ 
raren . 632 j 

H. Lungwitz, Berlin: Reklamesünden. 634 | 

Referate: 

C. Bachem, Bonn: Pharmakologie.63."» j 

Ernst Meyer. Charlottenlmrg: Lungenkrankheiten .... 635 j 

S. Aschheim, Charlottenburg: Gynäkologie und Geburtshilfe 636 

Heinrich Landau. Berlin: Chirurgie . . .631 

W. Esch. Bendorf a. Rh.: Biologische Therapie.638 

M. Peltzer, Steglitz: Militärmedizin.639 

Mitteilungen über Arzneimittel: 

S. Wahle, Bad Kissingen; Zur Therapie der Rachitis . . . 640 I 


W, lvrüger, Magdeburg: Referate.641 

Technische Neuerscheinungen: 

Ludwig Fried mann, Krakau: Ein neues Pessar gegen* 

Uterus- und Seheidenvorfall.642 

Ein neues Schutzmittel gegen die Febertragung von Krank¬ 
heiten durch Insekten (Ref.: M. Plien. Berlin).643 

Bücherhesprechungen.627 

Magnus Hirschfeld, Charlottenburg: Jahrbuch für sexnelle 
Zwischenstufen unter besonderer Berücksichtigung der 

Homosexualität (IM.: H. Rohleder, Leipzig).043 

Josef Berze. Feber das Verhältnis des geistigen lnventare 
zur Zurechnung'- u.Geschäftsfähigkeit (Ref.: E. Z iemke, Kiel) 644 
Basler. Der Alkoholismus, seine strafrechtlichen und anti¬ 
sozialen Beziehungen und seine Bekämpfung (Ref.: E. Ziemke. 

. Kiel).644 

Allgemeines.644 


OIUGIN ALIEN. 

Aus der experimentell-biologischen Abteilung des Königlichen 
pathologischen Instituts der Universität ^Be rlin. 

Neuere Gesichtspunkte zur internen Therapie 
von Pankreaserkrankungen. 

Von Prof. A. Bickel (Berlin). 

Während bislang die Therapie der einer Diagnose über¬ 
haupt zugänglichen Erkrankungen des Pankreas vornehmlich 
die Domäne des Chirurgen war, beginnt heute mehr und mehr 
auch der Internist in den Besitz dieses Gebietes miteinzu- 
treten. Einmal ist ja die Diagnostik der Pankreaserkrankun- 
gen überhaupt verfeinert worden, indem wir über Methoden 
verfügen, die uns eine gestörte Funktion des Pankreas mit 
mehr oder weniger großer Sicherheit erschließen ich er¬ 
innere an die Cammidgesche Harnreaktion, an die Unter¬ 
suchung des tryptischen Fermentes nach der Gabe der 
Boidyreffscheu Probekost u. dergl. m. , dann aber hai 
uns ganz besonders die experimentelle Forschung Wege 
gewiesen, auf denen wir wohl zu einer internen thera¬ 
peutischen Beeinflussung der Pankreasfunktionen gelangen 
können. 

Wir müssen, wenn iwir von einer Beeinflussung der 
Pankreasfunktionen sprechen, im wesentlichen zwei Bich¬ 
tungen unterscheiden, jn denen das Pankreas zu wirken 
berufen ist. Die eine Richtung ist durch den Einfluß des 
Pankreas auf den Zuckerstoffwechsel gekennzeichnet, indem 
das Pankreas, wie die Beziehungen von Parabiose und 
Pankreasdiabeles lehren, höchstwahrscheinlich in seinen 



Langerhansschen Zellen einen Stoff produziert, der die 
an anderen Orten im Körper gebildeten und nach Eintritt 
in den Kreislauf einen Diabetes bewirkenden Substanzen 
paralysiert; die andere Richtung erstreckt sich auf die Saft¬ 
sekretion des Pankreas im engeren Sinne des Wortes und 
auf die Wirkungen, welche das Verdauungssekrel im Darm¬ 
kanal ausübt. 

Die Gewinnung eines die antidiabetische Kraft des 
Pankreas enthaltenden Präparates ist schon seit langer Zeit 
Gegenstand zahlreicher Arbeiten gewesen, ohne daß bis 
jetzt die Versuche Erfolg gehabt hätten. Letzthin hat noch 
Zülzer dahinzielende Mitteilungen gemacht, allerdings 
sind seine Versuche kaum beweiskräftiger, wie die seiner 
Vorgänger auf diesem Gebiet. Zudem konnten Alexan¬ 
der und Ehrmann zeigen, daß in dem Blute der Veua 
pancreatica in welchem Stadium der Drüsenfunktion 
auch das Blut gewonnen wurde kein Stoff in solcher 
Konzentration enthalten ist, daß durch Injektion des Blutes 
die Ziickerausscheidung hei pankreaslosen Hunden mit 
Sicherheit unterdrückt .werden konnte. Bis heute das 
kann man wohl sagen sind die Versuche einer Therapie 
des Pankreasdiabetes durch Einführung von etwa vom 
Pankreas lieferbaren anlidiabelischen Stoffen in den diabo¬ 
lischen Körper als gescheitert anzusehen. 

Während so hinsichtlich einer therapeutischen Beein¬ 
flussung der antidiabetischen Funktion des Pankreas, wie 
auch hinsichtlich der Versuche, diese Funktion durch 
Isolierung und Zuführung der wirksamen Stoffe zu ersetzen, 
die Forschung sich noch im Dunkeln bewegt, sind wir über 
die Bedingungen und über therapeutische Beeinflussung der 
eigentlichen Saftsekretion dos Pankreas genauer unter¬ 
richtet. 




















630 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Ich habe kürzlich an anderem Orte auseinander' 
gesetzt, daß wir durchaus Grund haben, beim Pankreas 
das Vorklimmen ähnlicher Sekretionsstörungen anzu¬ 
nehmen, wie wir sie für den Magen kennen. Bestimmte 
Beobachtungen an Pankreasfistelpatienten deuten darauf 
hin. Wenn nun auch die pathologische Drüse nicht immer 
auf die verschiedenen Reize in der nämlichen Weise re¬ 
agiert wie die normale Drüse, so ist doch die Kenntnis 
der Sekretionsbedingungen der letzteren die Grundlage, auf 
der sich die Therapie der Sekretionsstörungen des Pankreas 
au)bauen muß. So war es zunächst geboten, die Sekretion 
des normalen Pankreas zu studieren. 

Von dem Einfluß, den die Reizung der mit dem 
Pankreas in Beziehung stehenden Nerven auf seine Sekre¬ 
tion haben, soll hier ebensowenig die Rede sein, wie von 
den Beziehungen, die zwischen psychophysiologischen 
Prozessen (Affekten) und Pankreassaftbildung bestehen; es 
soll auch nicht untersucht werden, auf welchem Wege, 
ob reflektorisch oder ob durch direkte Beeinflussung der 
Drüsenzellen vom Blute aus irgendein sekretorischer Effekt 
zustande kommt. Von Bedeutung für den praktischen Arzt 
ist nur die Kenntnis der definitiven Erfolge, d. h. die 
Kenntnis darüber, welches Resultat die eine oder andere 
Einwirkung auf die Größe der Sekretion und die Zusammen¬ 
setzung des Sekretes hat. 

Wir wenden zunächst der Diätetik unsere Aufmerk¬ 
samkeit zu. Es gibt da Nahrungsmittel, welche starke, 
andere, die schwache Erreger für die Pankreasdrüse sind. 

Unter den starken Erregern der Pankreasdrüse nenne 
ich zunächst Bouillonsuppen in den verschiedensten Kon¬ 
zentrationen. Togami hat jüngst dahinzielende Versuche 
auf meine Veranlassung gemacht, indem er fertige Bouillon- 
präparate, wie wir sie z. B. in Maggis gekörnter Fleischbrühe 
oder Magis Bouillonwürfeln besitzen, in Wasser löste und 
diese Lösungen von genau dosierter Zusammensetzung 
verwandte. Es zeigte sich, daß dadurch die 'Sekretion der 
Pankreasdrüse stark angeregt wird. Ein starker Erreger 
ist nach Pawlows Angaben ferner das Brot; Fleisch ruft 
eine etwas schwächere, aber immer noch hinlänglich 
kräftige Sekretion hervor. Dagegen bewirken die verschie¬ 
denen Gemüsearten, wie z. B. Spargel, Spinat, Mohrrüben, 
Erbsen, Kartoffeln u. dergl. m. eine recht schwache Se¬ 
kretion, besonders wenn sie in Breiform gegeben werden. 
Fett erzeugt nur eine ganz minimale Saftabscheidung; durch 
den Zusatz von Fett zu anderen, an sich sekretions- 
sleigernden Speisen wird direkt eine Hemmung des sekre¬ 
torischen Effektes der letzteren hervorgerufen. 

Wasser bewirkt eine spärliche Saftabscheidung, 
während die alkoholischen Getränke sich ähnlich der 
Bouillon verhalten. 

Unter den Mineralwässern regen die Tafelwässer und 
Kochsalzquellen die Sekretion an, während alkalische 
Wässer und Bitterwässer einen mehr weniger stark hemmen¬ 
den Einfluß ausüben. Doch der letztere hängt z. T. von 
dem Gehalt der betreffenden Wässer an Chloriden ab. Je 
reicher ein Bitterwasser daran ist, um so größer seine 
cxzito-sekretorische Wirkung. Daher hemmt z. B. Hunyadi- 
Janos kräftig, während Friedrichshaller Bitterwasser kaum 
eine hemmende Wirkung erkennen läßt. 

Wir kennen heute auch bereits eine ganze Reihe von 
Medikamenten, durch deren Gabe wir die Pankreassekre¬ 
tion beeinflussen können. Salzsäure steigert die Sekretion, 
Natrium bicarbonicum, Kodein, Opium hemmen dieselbe, 
auch Morphium bringt das vorübergehend zustande. Es 
ist gleichgültig, ob die letztgenannten Alkaloide subkutan 
oder intragastral einverleibt werden. 

Diese kurze Uebersicht läßt erkennen, daß wir es heute 
schon in der Hand haben, teils durch bestimmte diätetische 
Maßnahmen, teils durch baineologische oder medikamentöse 
Mittel die Pankreassaftsekretion zu regulieren. Es wird 
die Aufgabe zukünftiger Forschung sein, in dieser Richtung 


Nr. 43 

weiterzuarbeiten; gerade die Diätetik und die medikamen¬ 
töse Therapie bedürfen noch dringend eines weiteren 
Ausbaues. 

Es ist ferner Aufgabe einer zukünftigen Forschung, 
uns darüber zu orientieren, wie sich unter dem Eindruck 
der verschiedenen Bedingungen Ferment- und Wasser¬ 
sekretion beim Pankreas verhalten. Denn es liegen heute 
bereits Beobachtungen darüber vor, daß mit einer Ver¬ 
mehrung der Sekretmenge nicht notwendig die Fermeid¬ 
produktion gleichen Schritt zu halten braucht. Vielleicht 
hat die Erfahrung, daß große Sekretmengen relativ ferment- 
arm sind, während kleine relativ fermentreich sind, eine 
generelle Bedeutung. Daneben beanspruchen die Beobach¬ 
tungen über die Adaptation der Ferme nt Produktion an die 
Art der zugeführten Nahrung unsere ganz besondere Auf¬ 
merksamkeit. 

Wie dem auch sei, mir lag nur daran, an dieser Stelle 
auf die Fortschritte hinzuweisen, die die interne Therapie 
der Pankreaserkrankungen zu verzeichnen hat. Wenn bis 
jetzt auch in erster Linie die Therapie der Pankreasfistel, 
wie ich nach den W oh 1 gem u t hsehen Mitteilungen 
als bekannt voraussetzen darf, davon einen in die 
Augen fallenden Vorteil gehabt hat, so bin ich doch darüber 
nicht zweifelhaft, daß in nicht zu ferner Zeit, besonders 
wenn die Diagnostik der Pankreaserkraukungen noch 
weiter verfeinert worden ist, man auch bei anderen Affek¬ 
tionen der Drüse aus diesen Errungenschaften Nutzen 
ziehen wird. 

Aphorismen zur Therapie (1er Bolus alba. 

Von Dr. med. 0. Langffeldt in Zell. 

Einst, im 14., 15., 16., 17. Jahrhundert, war bekannt¬ 
lich Bolus alba von allen Aerzten hoch geschätzt; mehr 
und mehr, zuletzt ganz, blieb sie unbeachtet. 

Und doch — noch zur Zeit eines Boerhave, Hufe- 
1 a n d , Camerarius, F i c i n u s, Seiler, Weese, 
Rust, H i 1 d e b r a n d u. a., verdankt, nach dem überein¬ 
stimmenden Urteil solcher Autoritäten, das Alaun, Al 2 3 S 0 4 , 
Kal. 2 S0 4 + 24 H 2 0, seine darmstopfende Wirkung seinem 
Gehalt an „Alaun-Erde“. 

Alumen bewirke, so lehrte man, in kleinen Gaben Hart¬ 
leibigkeit, weil hierbei die Erde zur Wirkung komme, in 
starken Dosen dagegen Diarrhoe, denn dabei mache die 
Schwefelsäure und das Kali sich geltend. Die Tonerde 
des Alauns sei „darmanhaltend“, austrocknend, Feuchtig¬ 
keiten absorbierend. Darum habe auch die einst so be¬ 
liebte Bolus, wie Bolus armena, Bolus rubra, Bolus alba. 
Terra Lemnia, als sie normal gereicht wurde, gegen 
Diarrhoe, ruhrartige Ausleerungen, Schleim- und Blutflüsse 
so gute Dienste geleistet. 

Merkwürdig — trotz solchen Lobes benutzte man da¬ 
mals und bis in die neueste Zeit dieselbe nur zur Pillen- 
Fabrikation, der Alaun dagegen erschien in verschiedensten 
Variationen, immer in neuen Auflagen. Jetzt hat man 
bereits deren elf, übergenug für Präparate ohne sehr hohen 
therapeutischen Wert. 

Noch in einem mir vorliegenden Medizinalkalender von 
1907 heißt es unter „Therapeutischer Anwendung“ zur 
Bolus alba: „Zu Pillen (Argent. nitr.).“ ln diesem Jahr 
endlich steht da auch noch: „Gegen Cholera.“ 

Fast möchte .man sagen, wie die alten vor-vor-vor- 
elterliehen Möbel jetzt wieder nachgemachl werden, so 
kommt dies Mittel, wie auch manches obsolete Kraut, wieder 
in Anwendung, und zwar nicht bloß gegen die Cholera. 

Keinen Grund geben die vorgenannten, noch jetzt hoch¬ 
geachteten damaligen Autoritäten für die Gebrauchs¬ 
abnahme der Bolus an. War es wegen einer ihr inne¬ 
wohnenden Schädlichkeit, sicher hätten sie sich bei ihrer 
pflichterfüllten, bekannten Gründlichkeit darüber ausge- 


UMULKbll! Uh MIlHIbAN 






1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


681 


sprechen; -- aber sie schwiegen. War ihnen vielleicht 
die Form nicht recht, war es zu gewöhnlich, zu leicht 
populär oder antiquiert wer weiß das zu sagen? 
Soviel steht fest: Wirklich stichhaltige Gründe hatten sie 
nicht, wgnn auch ein Apotheker nicht erbaut von dem 
Mittel sein kann, denn für 100,0 darf er sich nicht mehr 
als ganze 20 Pfennig berechnen. 

Manchen bestimmen solche Ueberlegungen wohl, das 
Mittel nicht gerne anzuwenden, denn einen gewissen Wert 
der Beachtung besitzen sie. Ob aber unter allen Um¬ 
ständen, das ist eine andere Frage. Jeder kommt mit¬ 
unter in so verzwickte Lagen, daß von solchen Rücksichten 
keine Rede mehr sein kann. 

Was will man machen, wenn man ein atrophisches 
Kind mit schlotternder Haut, dickem, hartem Bauch und 
armseligster Gestalt vor sich hat, bei dem alle modernsten 
Mittel in Verbindung mit zweckmäßigster Nahrung den 
permanenten Durchfall nicht abstellen? — „Ein Mittel, den 
den Darm zu desinfizieren, besitzt man nicht!“ Ein 
wertloser Trost. — 

In solchen Lagen aber hat mir die Bolus alba trefflich 
genützt. Als Beleg mögen zunächst drei kurze Kranken¬ 
geschichten hier Platz finden. 

Am 28. Mai vor. J., vormittags, wurde ich zu dem 
einzigen, acht Monate alten Sohn des Metzgers H. in U. 
gerufen. Das Kind hatte das charakteristische Aussehen 
weit vorgeschrittener Atrophie. In jammernder Tonart 
winselte es und hatte angeblich auch Nachts nie seine 
Ruhe. 

In der Apotheke erfuhr ich, verordnet sei bereits 
Tannalbin und alles, was dazu gehört, seit schon drei 
Monaten, und den hygienischen Anforderungen war die 
künstliche Ernährung, wie ich hörte, völlig angepaßt 
worden. 

Unter diesen Umständen sah ich mich veranlaßt, nun 
zur Bolus zu greifen. 

Das Kind bekam täglich l 1 /* gehäufte Eßlöffel auf 1 , 4 
Liter reines, kaltes Wasser. Es leerte ohne Anstand seinen 
hiermit gefüllten „Pudel“. Zu meinem Erstaunen hörte 
ich bei meinem Besuch am anderen Tage, daß das Kind 
zuerst wieder seit langer Zeit eine wirklich gute Nacht 
gehabt habe. Diarrhoe sei seit gestern nicht mehr be¬ 
merkt worden, auch habe sich kein Erbrechen wieder ein¬ 
gestellt. Das Kind lag zufrieden und ohne Klagetöne. Nur 
drei Tage nahm es indessen willig diese milchähnliche 
Mischung, die öfter umzuschütteln ist, um das Absetzen 
der Bolus zu verhindern. Zum Glück war diese Anwendung 
auch nicht mehr weiter nötig. Die Besserung war stetig. 
Nach etwa zehn Tagen war der Bauch nicht mehr auffallend 
Zdick. Seine Härte hatte er schon früher verloren. Zwei 
Monate später wurde ich wieder zu diesem Kinde gerufen. 
Es lag sterbend an Broncho-Pneumonie bei Keuchhusten 
und war 1 Stunde nach meinem Besuch tot — bei wohl¬ 
genährtem Körper. 

Der zweite Fall betrifft einen 2 1 .»jährigen Knaben, 
Sohn des Malers Z. i. I . Er hatte, als ich ihn am 10. Sep¬ 
tember vor. Jahres besuchte, seit unbestimmt langer Zeit 

ca. 12 Wochen Diarrhoe, Erbrechen häufig, und 
Appetitmangel. Das Kind war abgemagert und so matt, 
daß es fast stets lag. Fieber fehlte, doch konnte ich mich 
des Verdachtes auf Darmtuberkulose nicht ganz enthalten. 
Nach achttägiger, üblicher Behandlung trat keine Aenderung 
ein. Nun nahm ich Bolus, täglich 2 Eßlöffel. Bei meinem 
nächsten Besuch, nach zwei Tagen, sagte mir die Mutter, 
ihr Sohn habe seit gestern keinen Durchfall, auch habe 
er nicht mehr erbrochen und bekomme nun Appetit. 
Das Kind gebrauchte zur Sicherheit noch eine Woche Bolus. 
Die Krankheit war gehoben. Das Kind erholte sich schnell. 

Der dritte Fall betrifft den einjährigen Sohn des Bauern 
S. in 0. Am 10. Jan. d. J. kam dies Kind in meine Be¬ 
handlung; es war sehr rachitisch und atrophisch-magen- | 


darmkrank. Phosphor in Lebertran wurde hartnäckig 
verweigert und auch erbrochen; Bolus. V 2 Eßlöffel täglich, 
wurde gut eine Woche hindurch genommen. Der Erfolg 
war vorzüglich. Schon am dritten Tage war der vorher 
unheimlich harte, dicke Bauch weich und bald nicht mehr 
übermäßig dick. 

Ferner habe ich die Bolus auch bei zwei Säuglingen 
wegen akuten Magendarmkatarrhs mit schnellem Erfolg 
angewandt. 

Bei Erwachsenen habe ich Bolus ebenfalls dreimal bis¬ 
her angewandt. Auch hier waren die Erfolge gut. 

Zwei Fälle davon betreffen Kassenkranke. Von diesen 
litt Andreas B. in ()., 44 J. alt, an Dünndarmkatarrh, als 
ich ihn am 2. Juni vor. J. in Behandlung bekam. Er war 
ziemlich abgemagert, nach bereits seit zehn Wochen be¬ 
stehender schleimiger Diarrhoe. Die gewöhnlichen Mittel, 
darunter medikamentöse Eingießungen, änderten fast nichts. 

Mitte Juni bekam er dann Bolus, täglich 4 Eßlöffel in 
1 2 Liter Wasser. In der nächsten Kassenstunde, nach 
einer Woche, behauptete er, sich nun ganz gesund zu 
fühlen, seine Krankheit sei gehoben. Weitere Beobachtung 
bestätigte die Wahrheit seiner Angabe, und er nahm seine 
Arbeil wieder auf, welche er noch jetzt ungestört betreibt. 

Der andere Kassenkranke, Jakob Z. in B.. 47 .1. alt, 
war im Laufe von drei Jahren von mir viermal wegen 
Gallensteine behandelt worden, unter Anwendung der üb¬ 
lichen Verbindung von Podophyllin mit Kalomel und einem 
Carminativum. Er lag jedesmal mehrere Wochen. Als er 
am 10. Dezember vor. J. wieder einen Anfall hatte, bekam 
er neben diesem Mittel auch Bolus. 

Dies zu tun hatte mich der Gedanke veranlaßt, daß die 
Entzündung -der Gallenblase ;nit sekundärer Steinbildung 
jetzt als Folge eines Bakterien-Transferts aus dem Darm 
angesehen wird. Die gemachten Erfahrungen hatten mir 
die Bolus als vorzügliches darmbakterizides Mittel erwiesen, 
und so hoffte ich damit die eigentliche letzte Ursache der 
Cholelithiasis zu zerstören. 

Wirklich kam der Kranke diesmal viel früher als sonst 
aus seiner schmerzhaften Lage und fühlte sich nachher 
auch freier als sonst. Daß dies nur Zufall war, kann ich 
nicht ganz glauben, denn ein ähnlicher Fall reagierte ebenso 
günstig nach um nicht zu sagen auf Bolus. 

Fräulein L. in Z., 30 J. alt, litt seit zwei Jahren an 
Gallensteinen. Ganz frei von Schmerz war sie selten. Im 
Dezember vorigen Jahres gebrauchte sie ebenfalls Podo¬ 
phyllin mit Kalomel. Es besserte sich der Zustand in einer 
früher nicht erlebten Weise erst, als sie Mitte Januar Bolus 
angewandt hatte. Sie bedarf jetzt keiner Mittel, denn sie 
fühlt sich wohl, wie gesund. 

Bei zwei anderen Erwachsenen, die an chronischer 
Diarrhoe litten, versagte indessen die Bolus. Die Ursache 
dieser Krankheit ist eben sehr verschieden, und es wäre 
zu viel verlangt, daß ein einziges Mittel in allen Fällen gut 
wirkt. 

Was an Nebensymptomen bei Bolusgebrauch vorhanden 
sein könnte, vermag ich nicht zu sagen, mir sind solche nicht 
bekannt geworden. Hartleibigkeit trat in keinem Fall ein, 
Durchfall leichter Art. aber bei der Gallensteinkranken, den 
man wohl auf Rechnung des Podophyllin und Kalomel 
bringen kann. Der Appetit war in keinem Fall gestört. 
Der Geschmack wird pnfangs als ,,komisch“ angegeben, doch 
tritt bald Gewöhnung ein. Widerwillen dagegen habe ich 
nicht beobachtet. Er trat bei Kindern erst später ein. 

Näheres mag indessen die Klinik feststellen, ebenso 
sei die Eruierung des Modus der Wirkung von Bolus auf 
Bazillen der Laboratoriumsarbeit überlassen bleiben, denn 
Theoreme ohne Handhabe experimenteller Erfahrung sind 
des Lesens kaum wert. 




632 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 43 


Preßpiratentum. Honorigbeit von Honoraren. 

Z u r 11 c f o r m d e r medizinischen P u blizisti k. 

Von Dr. Max Piekardt (Berlin). 

Wie. uns im Sommer, wenn wir lange Zeit unter der 
Temperatur und der Spannung der atmosphärischen Elek¬ 
trizität geseufzt haben, ein Gewitter als eine Erlösung er¬ 
scheint, so gibt es auch auf dem Gebiete sozialer Fragen 
Ereignisse, die ein uns drückendes Gefühl des l ngewissen, 
des l iilerderdeckesi hlummerns plötzlich ablösen, indem sie 
Klarheit schaffen. Ein einziger, wenn auch kalter Schlag, 
genügt: der Anfang ist 'gemacht. In dieser Beleuchtung 
erscheint mir die Tätigkeit, welche der Verein der medi¬ 
zinischen Fachpresse seit einer Reihe von Jahren zur Her 
Stellung des rationellen Verhaltens der an der medizinischen 
Publizistik Beteiligten zu inaugurieren bemüht ist. \\ ir 
alle, die wir berufsmäßig zur Belehrung und Erbauung aktiv 
oder passiv uns mit ärztlichen Journalen beschäftigen, 
kennen eine ganze Reihe von Mißständen, welche sich, 
seit die Zahl der Publikätiöhsorgane und damit der Publi¬ 
kationen sich so immens vermehrt hat, eingeschlichen und 
festgesetzt haben; aber, wie so oft im Leben; der einzelne 
scheut sich, sie urbi .et. orbi auszusprechen, sei es, weil 
es ihm überhaupt unangenehm ist, sich in die Oeffentlichkeit 
zu flüchten, sei es, weil er auch nur den Schein vermeiden 
will, als ob er anderen persönliche Vorteile neidet, die sie aus 
einer Tätigkeit, die er für sich selber perhorreszierl, gewinnen, 
sei es, weil er nicht in sich die Kraft fühlt, solche Fragen vor 
einem größeren Forum durchzufechten. Der Schaden wird 
dann größer, indem er unbehelligt bleibt; der Schleier der Ge¬ 
heimnisse wird aber dann schließlich doch an irgendeiner 
Stolle durchbrochen, und die Folge kann sein, daß auch 
die Nichlauguren, das Laienpublikum, von diesen Dingen 
erfahren und sie wahrlich nicht zum Nutzen ärztlicher 
Autorität zumal mit Unterstützung der Tagespresse - 
breit treten und ausbeuten. 

Und hier eben bereitet sich der Segen jener Institution 
vor, von der wir oben sprachen, der Vereinigung der medi¬ 
zinischen Presse. Sie darf und kann in die Wespennester 
stechen, weil sie am meisten Kenntnis hat von den Vor¬ 
gängen hinter den Kulissen und außerdem, weil sie, kor¬ 
porativ auftretend, nichts riskiert und gleichzeitig die große 
Macht hat, (lurchzusetzen, was sie als Recht, als Norm 
proklamiert. 

Zu den Fragen, deren Inangriffnahme und Lösung mir 
stets als eine der erwünschtesten erschienen ist, gehört 
diejenige, die jetzt in Cöln auf der diesmaligen Versamm¬ 
lung der Vereinigung der medizinischen Fachpresse an¬ 
geschnitten, ja sogar durch Resolutionen bis zu einem ge¬ 
wissen Grade entschieden wurde, die Frage: 

Ist die Annahme von Honoraren für Untersuchungen von 
Arzneimitteln zulässig ! 

Der Frage liegt folgender Tatsachenbestand zugrunde: 

In den letzten ungefähr zwanzig Jahren ist die Zahl 
der in der Heilkunde, und zwar in allen praktischen Zweigen 
derselben angewandten oder anzuwendenden Miltel in 
Feinem vorher ungeahnten Maße gewachsen; erstens, weil 
eine viel großen' Zahl von Fachmännern (Aerzten, Phar¬ 
makologen. (’bemikern) sich mit den hierzu nötigen theore- 
lischen Grundlagen beschäftigte, zweitens und hauptsäch¬ 
lich, weil eine Reihe chemischer Fabriken, großer wie 
kleiner, in der Massenfabrikation derartiger Artikel eine 
Quelle lohnender Tätigkeit suchte und fand. 

Diese beiden Faktoren brauchten einander; sie waren 
und sind aufeinander angewiesen, um Ideen anzuregen, zu 
produzieren und die Produkte auf den Markt zu bringen. Es 
sind also ganz naturgemäß rein kaufmännische Abmachungen 
zu diesem Beruf in jedem Einzelfalle getroffen worden, nicht 
selten sogar ausgesprochene Kontrakte stipuliert, durch 
welche z. ß. ein Arzt sich verpflichte!, seine ganze Tätig¬ 


keit auf nicht praktisch ärztlichem Gebiete in be¬ 
stimmter Richtung einer bestimmten kaufmännischen 
Betriebsgesellschaft, Fabrik etc. zugute kommen zu 
lassen; es liegt dann also ganz genau dasselbe Verhältnis 
vor, wie zwischen einer chemischen Fabrik und ihren an - 
gestellten Chemikern. 

Darin hat wohl nie ein vernünftiger Mensch 
etwas Unfaires, etwas, wie das unschöne Wort 
lautet, ..Standeswidriges“, gefunden. Nun weiter aber bat 
sich herausgestellt, daß eine Einführung von für die Praxis 
fabrikatorisch hergestellten Präparaten, wie Medikamenten, 
Nährpräparaten etc. nicht angängig sei, ohne daß diese 
von fachmännischer Seite geprüft, begutachtet, empfohlen 
seien. Aus diesem Grunde haben sich die an eben jener 
Einführung interessierten Produzenten mit Aerzten in Ver¬ 
bindung gesetzt, die als Leiter oder Besitzer von In¬ 
stituten, welche die Möglichkeit der Durchführung einer 
exakten Prüfung gewährten, oder in ihrer Privatpraxis Ver¬ 
suche anstellen konnten und die Resultate dieser Unter¬ 
suchung zur Verfügung stellten, sie publizierten bezw. zur 
Publikation überließen. 

Unter den hier in Betracht kommenden sind nun 
drei Kategorien zu unterscheiden: 1. solche, welche 
ein Honorar für ihre Tätigkeit strikte ableimen, weil es 
sich nicht mit ihrer Würde vereinbaren ließe, 2. solche, 
welche es prinzipiell annehmen, wenigstens nicht zurück- 
weisen oder sogar vorher stipulieren, aber ihren Kollegen 
gegenüber leugnen, daß sie so verfahren. 

ln meiner Eigenschaft als langjähriger Assistent an großen 
meiner Eigenschaft als langjähriger Assistent an großen 
Instituten, ferner durch persönliche Liebhaberei für die 
Grenzgebiete zwischen Medizin und Chemie, durch reich¬ 
haltige Bekanntschaft mit Fabrikanten, Großhändlern einer 
seits, mit Kollegen andererseits, ferner durch eine mehr¬ 
jährige Tätigkeit als Redakteur einer medizinischen Zeit¬ 
schrift bin ich in der Lage, für alle diese drei Kategorien 
nicht unbeträchtliche Zahlen von Vertretern 'aufzustellen, 
und kann versichern, daß die von Nr. 3 das Uebergewichl 
haben. Nun. möchte ich aber keineswegs diesen Herren, 
oder wenigstens allen diesen, einen Vorwurf machen, denn 
es ist die Möglichkeit zuzugeben, daß sie glauben, gewisse 
Rücksichten nehmen zu müssen; was anzuklagen ist, 
isl m. E. das Vorurteil, das bei einer Reihe Berufener und 
Unberufener in dieser Hinsicht besteht, daß es nämlich 
mit der dem Aerztestande eigenen Standesehre nicht ver¬ 
einbar sei, Geld für diese Leistungen zu nehmen. 

Warum dieses ? Worin besteht überhaupt 
eine besondere „ärztliche Standesehre“? 

Wir alle oder die übergroße Mehrzahl von uns 

so große, daß die Ausnahmen numerisch gar 
nicht in Betracht kommen arbeiten, um Geld 

zu verdienen; daß wir mit unserer Tätigkeit Humani¬ 
tät üben, daß wir unsere Mitmenschen helfen, daß wir auch 
im gegebenen Falle hierfür von Honorar absehen und uns 
freiwillig mit dem Dank der Patienten und unserer Freude 
über gelungene Erfolge begnügen, ist unsere, des Einzelnen 
Privatsache; aus welchem rationellen Grunde nun soll eine 
Arbeit, die wir ganz abgesehen, davon, daß sie in letzter 
Linie doch auch der leidenden Menschheit zugute kommt 

leisten, die sieh auf unserm Interessen- und Wissens¬ 
gebiete bewegt, und die ausschließlich eine.rvon uns Wissen - 
; den leisten kann, weniger fair sein; aus welchem er¬ 
sichtlichen Grunde sollen wir für eine ehrliche, anständige 
Arbeit andere Bedingungen stellen, d. h. Iravailler pour 
le roi de Prusse als Angehörige anderer Berufsarten, noch da¬ 
zu solcher, die uns durch gesellschaftliebe, soziale Bildungs¬ 
verhältnisse gleich und nahe stellen? Welcher Anwalt denkt 
auch nur entfernt daran, ein. Gutachten für eine große 
Gesellschaft umsonst anzufertigen, die dieses für ihren Ver¬ 
trieb verwertet, usw.? 

„A n s t ä n d i g e“ Arbeit da liegt der Hase 






1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


683 


im Pfeffer! Denn es ist keinem Eingeweihten ein 
Geheimnis mehr, daß die Medaille auch eine Kehrseite 
hat, daß dieses Aufeinanderangewiesensein von Industrie 
und Sachverständigen, von dem wir oben sprachen, eine 
Art. Raubritterluin, ein, wie ich es nennen möchte, „Preß* 
p i rate n t. u m“ gezüchtet hat, das sich höchst widrigerweise 
jahrelang breitgemacht hat. Ich kann eine Reihe Namen 
nennen und bin bereit, sie, wenn gewünscht, zu veröffent¬ 
lichen, von Aerzten, welche ganz gewerbsmäßig Publika¬ 
tionen veröffentlichen, denen jegliche materielle Basis fehlt 
außer der, die sie ihren Forderungen betreffs Honorar zu¬ 
grunde legen. Diese Herren verfuhren so: Sobald ein 
neues Präparat etc. angekündigt wurde, schrieben sie an 
den intellektuellen Urheber oder an die produzierende 
Fabrik, /daß sie bereit seien. Versuche mit diesem Mittel 
anzustellen und dafür entweder pro beobachteten Fall 
oder als Pauschquantum — ein gewisses Honorar bean¬ 
spruchten. In auffallend kurzer Zeit wurde dann ein meist 
stilistisch nicht ganz ungeschickt abgefaßtes - denn die 
Uebung macht den Meister Elaborat eingesandt, das in 
der medizinischen Presse abgedruckt wurde. Für einen 
Teil solcher Aufsätze ist der strikte Nachweis zu führen, 
daß ihre Verfasser in der gegebenen Zeit gar nicht so 
viele Fälle behandelt haben, als sie anführen. Hiervon 
wurden Separatabdrücke bestellt und auf die Aerztewelt 
losgelassen, die jahrelang täglich solche fliegenden Blätter 
auf dem Schreibtisch vorfand; das nahm derart überhand, 
daß viele ernsthafte Kollegen sie einfach in den Papier¬ 
korb beförderten, weil sie sich außerstande erklären mußten, 
die Spreu vom Weizen zu sondern. Die Fabriken brauchten 
solche Reklame, die Zeitungen hatten einen erklecklichen 
Gewinn, weil die gut bezahlten Abdrücke bisweilen bis 
hoch in die Tausende gingen. 

Was Zeitschriftenverleger aus solchen Gründen sich 
erlaubten, habe ich am eigenen Leibe erfahren, als vor 
einer Reihe von Jahren ich einer unserer größten 
Zeitschriften eine rein wissenschaftliche Arbeit über ein 
Ferment einreichte; der Abdruck verzögerte sich aus mir 
unbekannten Gründen, als schließlich mir eines Tages die 
Fabrik, die das Ferment herstellt und der ich einen Abdruck 
meines Manuskriptes einschickte aus purer Höflichkeit, 
denn von einem Honorar ist weder vorher noch nachher 
je die Rede gewesen — mitteilte, daß die Verl a g s- 
h a n d 1 u n g das Erscheinen des Aufsatzes 
davon abhängig machte, ob die Fabrik 
einen lnse-ratau-ftrag darauf g ä b e. Au f das so¬ 
fortige energische Einschreiten des Redakteurs und meiner¬ 
seits erging dann mit einem großen Entschuldigungs¬ 
schreiben die höfliche Antwort, daß es sich nur um „einen 
unberechtigten Eingriff eines untergeordneten Beamten des 
Verlags 41 gehandelt hätte. 

Das hat nun allerdings zwar nicht ganz aufgehört, 
aber ist doch erheblich eingeschränkt worden. 

In diese Interessen wirtschatt hat die Vereinigung der 
medizinischen Fachpresse, in die nur die gut empfohlenen 
Leiter der medizinischen Journale nach einer gewissen 
Karenzzeit. aufgenommen werden, eine Bresche 
geschlagen, indem sie eine ,,s c h w a r z e A u t o r e n 1 i s t e“ 
anlegte von eben jenen Preßpiraten, die allen Mitgliedern 
zur Verfügung steht ; kein Mitglied darf von solchen Herren 
ein Manuskript abdrucken. Keine große Fabrik gibt 
solchen Herren weiter Aufträge. Nun bleiben allerdings 
noch viele kleine Fabriken übrig, die solche Manöver zu 
brauchen scheinen, manche dieser Autoren sind noch nicht 
genügend gewürdigt und beleuchtet worden, aber im wesent¬ 
lichen ist eine Art Säuberung vorgenommen worden. Von 
diesen Leuten also braucht wohl fürderhin unter uns keine 
Rede mehr zu sein! 

Solche Anschauungen aber nun, wie ich sie oben be¬ 
züglich der Honorigkeit, Honorare zu akzeptieren, als meine 
proklamierte, waren oder sind nicht allseitig geteilt. Man 


zeigte auf die „kleine n“ Autoren m i t F i n g e r n , 
h ü n g t. e sie und ließ die g r o ß e n lauf c n. 

In diesen gordischen Knoten, dessen Bestehen vielleicht 
gar nicht uuwahrscheinlicherweise eventuell einmal unsere 
famosen Standesehrengerielite in Bewegung gesetzt hätte, 
um Urteile ä la zulässige Größe der Schilder oder Anzahl 
der Annoncen usw. herauszulocken, die den Fluch der 
„bösen Tat“ durch den der Lächerlichkeit übertrumpfen, 
hat wiederum der Verein der medizinischen Presse hinein¬ 
gehauen. Auf der vorjährigen Versammlung erhob Kollege 
C. Oppenheimer die Frage, die unseren Zeilen zugrunde 
liegt, und das Interesse an ihr war ein so allgemeines, 
daß ein Ausschuß aus vier Mitgliedern gewählt wurde, 
welcher es unternehmen sollte, Material zu ihrer Ent¬ 
scheidung herbeizuschaffen. Es erging, nachdem einige 
Thesen formuliert waren, an eine Reihe deutscher und 
österreichischer Leiter von Instituten die Aufforderung, zu 
diesen Thesen bestimmte Stellung zu nehmen. Die einge¬ 
laufenen Meinungsäußerungen wurden gesichtet und auf der 
diesjährigen Versammlung von dem jetzt zum Vorsitzenden 
der Vereinigung gewählten Herrn Prof. J. Schwalbe in Form 
eines Resuine vorgetragen. Dieses ist in Nr. 40 vom 1. Okt. d.J. 
der ,,D. in. W.“ wörtlich abgedruckt. Wie vorauszusehen war, 
differieren die Ansichten sehr; gegenüber solchen, die ganz 
prinzipiell Honorare ablehnen — sie scheinen in der Minder¬ 
heit zu sein — stehen Träger berühmter Namen, die sie be¬ 
dingt zulassen und solche sehr berühmter, die sie unbedingt 
genehmigen - höchst wahrscheinlich also auch für sich stets 
genehmigt haben und jetzt nur Farbe bekennen mußten. 

Die Mehrheit vertrat jedoch den Standpunkt, daß es 
erstens im Interesse der Fortschritte der Therapie liege, 
wenn die Wirkung neuer Präparate gründlich studiert werde, 
und daß zweitens die Prüfung oft so zeitraubend sei, daß 
man dem Prüfenden die Annahme von Honorar nicht ver¬ 
wehren dürfe. Die Kenntnis der Ansichten der hervor¬ 
ragenden Vertreter seines Faches und sein ethisches Empfin¬ 
den müssen ihn hei seinem Verhalten leiten. 

So sehr die Fachpresse darauf hält, Soldschreiber fern¬ 
zuhalten,-so wenig habe sie das Recht, die Tatsache einer 
Honorierung als Anlaß zu nehmen, eine Arbeit, die den 
Charakter strenger Wissenschaftlichkeit trage, abzulehnen. 
Es wurde anerkannt, daß die Untersuchung neuer synthe¬ 
tisch gewonnener Heilmittel im Tierversuch und in der 
Klinik nicht nur im Interesse der beteiligten Industrien, 
sondern ebenso im Interesse des Fortschrittes der theo¬ 
retischen und praktischen Heilkunde liegt. 

Ferner einigte man sich auf folgende Grundsätze: 

,,Es liegt ebenso im Interesse der beteiligten In¬ 
dustrie wie in dem der Heilkunde, daß nur solide Arbeiten, 
die das Resultat wirklich durchgeführter, exakter Versuche 
oder Beobachtungen sind und ohne Schönfärberei darge¬ 
stellt werden, publiziert werden. Unzuverlässige, beein¬ 
flußte oder gar bewußt schwindelhafte Arbeiten über Präpa¬ 
rate sind aufs schärfste zu bekämpfen. 

Es ist daher Pflicht der Redaktionen, Arbeiten, die in 
der genannten Beziehung zweifelhaft sind, zurückzuweisen. 
Ebenso ist jede Arbeit abzulehnen, die der Redaktion von 
ah derer Seite als dem Verfasser selbst oder dem Vorsteher 
des Institutes, an dem sie gemacht ist, eingereichl wird. 

Die Nennung der erzeugenden Firma ist zulässig, eben¬ 
so der Bezug von Sonderdrucken zu Propagandazwecken. 

Die Bezahlung der Arbeit darf von dem Resultat der¬ 
selben und von ihrer Publikation nicht abhängig gemacht 
werden. Einsichtnahme in die Arbeit seitens der Fabrik 
vor der Drucklegung ist zulässig, ebenso der Vorbehalt der 
Firma, daß sie eine Publikation der Arbeit nicht zuzulassen 
gezwungen ist., solange das geprüfte Präparat nicht in den 
Handel gebracht oder von anderer Seite ein abweichendes 
Urteil veröffentlicht wird.“ 

Nun also liegen die Grundsätze fest; eine Regiemen 
tieruüg in wohltuender Form und Aussicht, eine „moralische 



634 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 43 


Eroberung“. Wenn auch, wie Vi scher sagt und 
Schwalbe zitiert, ,,das Moralische sich immer von selbst 
versteht“, ist es ein unbestreitbares Verdienst, Vorurteile, 
welche in bezug auf ethische Qualitäten sich breitgemacht 
hatten, zu beseitigen. Aut Grund der vorliegenden ße- 
schlüsse wird es noch leichter als bisher möglich sein, die 
unlauteren Elemente zu brandmarken und auszumerzen; 
dazu muß jeder unbarmherzig beitragen, der ein Interesse 
an einer anständigen Publizistik, an der Wertschätzung 
hat. die die medizinische Presse, die Medizin überhaupt, 
in früheren Jahren genossen hat und hoffentlich wieder 
genießen wird. 

Und: 

„Erlaubt ist was sich ziemt!“ 

Reklamesimden. 

Von Dr. med. et phil. Hans Lung’witz (Berlin). 

Ich hatte in der Nr. 41 dieser Zeitschrift bei der Be¬ 
sprechung des Lactagol-Pearson darauf hingewiesen, daß 
es absolut zu verurteilen ist, wenn sich Firmen der pharma¬ 
zeutisch-chemischen Branche unter Fmgehung des Arztes 
direkt an das Publikum wenden, lim ihre Präparate los¬ 
zuschlagen. Bei Lichte betrachtet und mit dem richtigen 
Namen bezeichnet, ist diese Vertriebs weise von Heilmitteln 
oder sonstwie zu therapeutischen Zwecken verwendbaren 
Präparaten Kurpfuscherei, die in demselben Moment zu 
einer Betrügerei wird, wo eine Firma mit Rücksicht auf 
den „Laienverstand“ und nach dem Grundsätze: „Wer 
dumm ist, muß geprügelt, werden“ in ihren Anpreisungen 
Sein und Schein wirr durcheinanderwirft und mit voller 
Absicht den Wert ihrer Präparate weil über das Maß des 
Möglichen und Wirklichen hinaus erhebt. 

Man muß es von einer Firma, deren Präparate dem 
Rp. nicht unterworfen sind, verlangen, daß sie, wenn sie 
überhaupt sich an Private wendet, in ihren Anpreisungen 
nicht ins Marktschreierische verfällt und Wirkungen ihrer 
Präparate verheißt, die dem Fabrikanten selbst ein Lächeln 
abnötigen. Oder aber: Die Firma muß die gute Freund¬ 
schaft mit den Aerzten opfern. Was soll man z. B. dazu 
sagen, daß die F i rm a M a x E 1 b , G. m. b. H. in Dres d e n , 
nicht nur an Private, sondern sogar an Aerzte(!!) eine 
Broschüre abgibt, in der über die Wirkung der Silvana- 
Bäder-Essenzen folgender Passus (S. 5 unten) ent¬ 
halten ist: 

„Man ist überrascht und entzückt von der großartigen 
Wirkung eines solchen Bades. Der ganze Körper reckt und 
dehnt sich vor Wohlbehagen, das Bad wird förmlich inter¬ 
essant. die erschlafften Muskeln beginnen sich zu straffen, 
und die erschöpften Nerven beleben sich wie die Natur 
nach einem frischen Mairegen. Ein Wonnebehagen sonder¬ 
gleichen, wie man es nie gekannt hat, erfüllt den gesamten 
Organismus, und neues Leben durchströmt den Körper, neue 
Schaffenskraft erfüllt den wie von einem Alp befreiten 
Geist.“ 

Da hört denn doch sogar die sächsische „Ge 
miedliehgeid“ auf! Die Firma sollte sich doch hüten, 
solche Uebersehwenglichkeiten in ihre Reklamebroschüre 
aufzunehmen. Eine Empfehlung ist doch dieser Un¬ 
sinn keinesfalls; es ist also nicht nur vom mora¬ 
lischen, sondern auch vom geschäftlichen Standpunkt 
aus falsch, mit solchen Albernheiten ans Tageslicht zu 
kommen. „Der ganze Körper reckt und dehnt sich“ beim 
Lesen solcher Ankündigungen „vor Wohlbehagen“ in dem 
Gedanken, die* Broschüre ihrem wohlverdienten Schicksal 
zu übergeben, „ein Wonnebehagen sondergleichen, wie man 
cs nie gekannt hat, erfüllt den gesamten Organismus“, wenn 
sich das Supplicium an einer gewissen Stelle vollzieht. 

Ich bewundere offen die Kühnheit der Firma Elb, der 


artige Prospekte sogar an Aerzte zu senden; mir wenigstens 
hat sie das Elaborat u. a. als „Literatur“ gesandt. Wahr¬ 
scheinlich hat sie mir eine Belehrung zuteil werden lassen 
wollen darüber, daß die „Ursache unseres heutigen nervösen 
Zeitalters (siel!) gerade in der Vernachlässigung der Haut¬ 
pflege liege“, daß also doch wohl durch Silvanabäder diese 
„Ursache unseres heutigen nervösen Zeitalters“ beseitigt 
und also auch die Wirkung, d. i. „unser heutiges nervöses 
Zeitalter“ aufgehoben werde. Das muß allerdings ein ganz 
besonderer JSaft sein, der ein ganzes Zeitalter aufheben 
kann! Kein Wunder, daß sich die ersten Autoritäten dafür 
begeistert haben. Denn auf S. 5 oben finden wir den 
klassischen Satz, dessen zwingende Logik nicht nur ein 
ganzes Zeitalter, sondern die Jahrtausende vom Beginn der 
Philosophie bis zum heutigen Tage über den Haufen wirft : 

„Den schlagendsten Beweis aber, daß konsequente An¬ 
wendung der Silvana-Bäder zu größeren körperlichen und 
geistigen Leistungen befähigt, hat der bekannte Forscher, 
Professor Dr. Griesbach, erbracht, indem er durch ex¬ 
akte Versuche nachgewiesen hat, daß ein Zusammenhang 
zwischen geistiger Ermüdung und Hautempfindlichkeil be¬ 
stellt. Je größer die geistige und körperliche Ermüdung ist, 
um so empfindlicher hat sich die Haut erwiesen.“ 

Inwiefern freilich die Versuche Griesbachs über 
den Zusammenhang zwischen geistiger Ermüdung und 
Hautempfindlichkeit den „schlagendsten Beweis“ für die 
Anwendung gerade der Silvanaessenzen erbringen, wird 
dem geneigten Leser leider nicht verraten. Ich glaube es 
der Firma an der Elbe auch nicht, „daß die konsequente 
Anwendung der Silvana-Bäder zu größeren körperlichen und 
geistigen Leistungen befähigt“. Ich könnte ihr, wenn das 
wirklich zuträfe, nur raten, zum Besten ihrer Prospekte recht 
ausgiebig ihr eigenes Fabrikat zu verwenden; denn ein Pro¬ 
spekt ist die Visitenkarte der Firma, die mehr erkennen läßt als 
den bloßen Namen. Die Kräuter-Extrakte Silvana „ent¬ 
halten“, wie weiter dem gläubigen Muselmann mitgeteilt 
wird, „die uns von der Natur gebotenen Heilkräfte unser 
Wald und Wiesenkräuter, vor allem die wichtigen aroma¬ 
tischen Stoffe extrahiert und konzentriert“. Credat Judaeus 
Apellai Aber weiter: „In den Silvana Essenzen ist ge¬ 
wissermaßen. der gesamte Heilschatz der Natur und ihr 
köstliches, natürliches Aroma aufgespeichert.“ Der ge- 
s a m t e Heilschatz der Natur!! Das ist so praeter 
propter die gesamte Medizin ! Ein gütiges Geschick scheint 
bisher über der Firma Elb gewaltet zu haben, daß sie 
derartige frivole Uehertreibungen ungestraft aussprechen 
und sogar gedruckt verbreiten durfte. Hat sich denn kein 
Arzt, keiner von den zahlreichen Herren, die in der gleichen 
Broschüre als Referenzen aufgeführt sind, bisher die Mühe 
genommen, die Verirrungen der Firma Elb, an denen die 
paar kleinen Seiten des Prospektes so überreich sind, fest 
zulcgen und dagegen Einspruch zu erheben. Sind das über¬ 
haupt nur Verirrungen, d. h. unabsichtliche, auf Unkennt¬ 
nis beruhende Angaben? Wie kann ein Mensch behaupten, 
in einem Kräuterextrakt sei der gesamte Heilschatz der 
Natur enthalten? 

Wir .würden uns mit dieser Angelegenheit nicht be¬ 
fassen, wenn die Firma Elb sich darauf beschränkte, ihre 
Silvana-Essenzen als Kosmetika iti den Handel zu bringen. 
Sie hat sich aber damit an die Aerzte gewandt, um deren 
Gutachten einzuholen und preist in ihren jedem Laien 
zugänglichen Broschüre ihre Präparate unter nament¬ 
licher Beziehung auf zahlreiche Aerzte als Heilmittel an. 
Abgesehen von der psychotherapeutischen Wirkung he 
tont die Firma den günstigen. Einfluß auf Hautunreinig¬ 
keilen. Kopfschuppen, Haarausfall, K o p f s c h m e r z e n , 
Migräne, Neuralgien, S c h w i n d e I a n f ä 11 e , 
B a r t e r k r a nkungen (Sykosis, Trichophytie oder was 
sonst?) etc.; sie spricht natürlich in Superlativen: Silvana¬ 
wasser vorzügliches Mittel. „Die unverdünnte Essenz 
wirkt bei Gicht, Rhen m a t i s m u s , Nervens c h m e r- 





1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


635 


z e n , Ischias, Erkältungskrankheiten durch Ein¬ 
reiben auf die erkrankten Teile außerordentlich schmerz¬ 
lindernd.“ Ferner eignen sich die Essenzen zum Inhalieren, 
bei Erkrankungen der Respirationsorgane, 
II u ste n , Man de 1 entz ü nd u ngen, Bro n chial- 
katarrhen, Verschleimungen, Keuchhusten 
und asthmatischen Leiden.“ 

Non multam, sed rnulta! Es scheint, als ob die Kräuter, 
aus denen die Silvana-Essenzen bereitet werden, das lang¬ 
gesuchte Kraut, das gegen den Tod gewachsen ist, ent¬ 
halten. Man merke: Indikationen für irgendein neues Prä¬ 
parat gibt es noch immer genug; man schreibe einfach ein 
paar hundert Krankheitserscheinungen auf, die möglichst 
wenig Beziehungen zu den pharmakodynamischen Wirkun¬ 
gen der neuen Errungenschaft haben, und das „Indikalions- 
gebiet“ ist gegeben. Das Publikum denkt nicht, es wird sich 
im allgemeinen nicht einmal klar darüber, ob es an die 
Anpreisungen glaubt oder nicht, es kauft! Die Aerzte aber 
-- lassen es sich gefallen, sind zu indolent, zu beschäftigt, 
zu interesselos! 

Wenn man glaubt, daß sich die Firma bei den vor¬ 
stehenden ,,Indikationen“ beruhigt hätte, so irrt man. Die 
Bäume der Firma scheinen tatsächlich in den Himmel zu 
wachsen — was schon daraus hervorgeht, daß in den 
Kiefernadelbäder-Essenzen nur das „Gel ausgewählter, auf 
der Hohen Tatra in Ungarn an der Grenze des ewigen 
Schnees wachsenden Kiefernarten, welche in einer Höhe 
von 2000 m destilliert werden (die Kiefernarten!) und sich 
zu Bädern besonders gut eignen (die Kiefernarten!)“, 
verwendet wird. Um nun auch insbesondere die 
Kinder für den Konsum der Bäder - Essenzen heranzu¬ 
ziehen, muß als weitere Indikation die Skrofulöse auf¬ 
geschrieben werden. Es gibt Silvana-Heilbäder, die ein 
,,vorzügliches Kräftigungsmittel für kleine Kinder“ dar¬ 
stellen., die „für Skrofulöse zu empfehlen“ und als „haut¬ 
stärkende Kinderbäder“ anzuwenden sind. Wenn man also 
seinen Kindern für das spätere Leben ein dickes Fell ver¬ 
schaffen will, muß man sie in Silvana-Feldkümmel-Essenz 
baden. Ich wüßte gern, ob die Firma Elb die diesbezüg¬ 
liche günstige Wirkung am eigenen Leibe erfahren hat. 

Bleichsucht und Blutarmut vertreibt man mit 
Silvana-Stahlbäder-Essenz; die „Kräuter“ zur Herstellung 
dieser Heilbade-Essenz sind wahrscheinlich Spinat, Grünkohl 
und anderes grünes Gemüse. Schon durch die erbaulich 
schöne Bezeichnung besticht die Silvana-Antischweiß-Fuß- 
bäder-Essenz gegen übelriechenden (im Gegensatz zum wohl¬ 
riechenden?) Fußschweiß. Damit ist das Dutzend ver¬ 
schiedener Essenzen zu „Heilbädern“ voll — leider, es 
fehlt noch eine Silvana-Antihiihneraugen-Zehenbäder- 
Essenz, eine Silvana-Antigeburtsbeschwerden-Fnterleibs- 
bäder-Essenz ä la Dr. Kleinertz’ Ouidestin, vor allem aber 
eine Silvana-Antibrechreiz-Essenz, die jedem gleichzeitig mit 
der Broschüre zugeht und vor und während der Lektüre 
zu benutzen ist. 

Ein gutes Präparat hat eine so wenig faire Reklame 
nicht nötig. Eine anfechtbare Art der Lancierung und des 
Vertriebes läßt immer darauf schließen, daß das Präparat 
selbst anfechtbar ist. Indes will ich über die Brauch¬ 
barkeit der Silvana - Essenzen für psychotherapeutische 
und kosmetische Zwecke (und nur für diese) kein 
Urteil abgeben, nur die Ansicht zur Diskussion stellen, 
daß ein Präparat, das auf so wenig einladende und 
einwandsfreie Manier vertrieben wird, doch wohl Mißtrauen 
verdient und seine Fehler haben muß, sei es in der Fabri¬ 
kation, sei es in der Konzentration und Zusammensetzung, 
sei es endlich in der Wirksamkeit, die sich bei einem 
psychotherapeutischen Mittel doch nur mit der denkbar 
größten Reserve abschätzen läßt. 


REFERATE. 

Pharmakologie. 

Referent: Privatdozent Dr. C. Bachem. Bonn. 

1. Ueber schlimme Zufälle bei der Apomorphinanwendung 
und über die Beziehung zwischen Würgakt und Muskellähmung. 

Von E. Uarnack. Münch, med. Wochenschrift, 1908, Nr. 36. 

2. Ueber die Gefahren der Verwendung von sog. Essigessenz. 
Von B 1 e i b t r e u. Münch, med. Wochenschrift, 1908, Nr. 38. 

1. H. berichtet über einige interessante Vergiftungsfällc 
durch Apomorphin, darunter einen, den er an sich selbst erleben 
mußte. Um einen verschluckten Fremdkörper wieder herauszu- 
sehaffen, injizierte er sich 10’mg Apomorphinsalz subkutan. Es 
trat bald Erbrechen ein, dem aber eine bedrohliche allgemeine 
Muskelschwäche folgte. Alle Körpermuskeln befanden sich in 
einem Zustand absoluter Erschlaffung, nur das Bewußtsein. At¬ 
mung und Herzschlag dauerten fort. Einige weitere angeführten 
Fälle zeigen ebenfalls aufs deutlichste, daß therapeutische Gaben 
sehr verhängnisvoll werden können, andererseits wurde einmal 
das 10 fache der Maxinialdosis, 0;2 g. überstanden. 

Die Ursache dieser schweren Erscheinungen scheint uns nach 
den Untersuchungen G u i n a r d s verständlich zu sein ; denn 
während das kristallisierte Apomorphin psychomotorische Ex/i 
tation hervorruft, Kau- und Xagebewegungen und selbst Konvul¬ 
sionen macht, wirkt das amorphe Salz geradezu antagonistisch 
und ist viel gefährlicher wegen der Atemlähmung. Es liegt nahe, 
daß in den beschriebenen Fällen schwerer Vergiftungen ein 
amorphes Apomorphin oder eine Verunreinigung mit solchen Vor¬ 
gelegen hat. 

Im zweiten Teil seiner Abhandlung betrachtet II a r n a c k 
die Beziehungen zwischen Apomorphin und Muskellähmung resp. 
Brechakt und Muskellähmung. Weil das Apomorphin Muskel¬ 
erschlaffung macht, hat man es geradezu als Heilmittel gegen 
Krämpfe empfohlen, und zwar mit teilweisem Erfolg. Einen 
geringeren Grad von Muskellähmung kann man beim Akte des 
Erbrechens beim Menschen beobachten, und diese Muskelerschlaf¬ 
fung durch den Würgakt läßt sich mit einer Art von schnell vor¬ 
übergehender Vergiftung des Muskels vergleichen. Etwas Achn- 
liches besteht bei der Seekrankheit, hei der sieh gleichzeitig mit 
Würgen und Erbrechen ein hoher Grad von Muskelschwäche fin¬ 
den kann. 

Eine befriedigende Antwort auf die Frage, worin die Muskel¬ 
schwäche ihren letzten Grund hat, läßt sicli zurzeit nicht geben. 

2. Mit Recht weist Verfasser auf die schweren Schäden hin, 
die im Laufe der Jahre bei mißbräuchlicher Verwendung von 
Essigessenz (80 proz. Essigsäure) bekannt geworden sind. Erst 
jetzt, nachdem der Verband deutscher Essigfabrikanten 230 Ver¬ 
giftungen aus den Tageszeitungen zusanimengestellt hat, unter 
denen 132 tötlich verliefen, beginnt unsere Regierung Maßregeln 
zu ergreifen, die einer leichtfertigen Verwendung der Säure Vor¬ 
beugen sollen. Selbstmorde hat die Essigessenz weniger auf dem 
Gewissen, meist handelt es sicli um Verwechselungen mit Genu߬ 
mitteln usw. ln dankenswerter Weise hat B. die Literatur um 
einige (3) weitere Fälle bereichert, von welchen einer letal en¬ 
digte. Er betraf eine Frau, die zwei Eßlöffel der Substanz ge¬ 
schluckt hatte und nach 24 Stunden der Vergiftung erlag. Das 
klinische Bild und die Sektion zeigten die bekannten Erschei¬ 
nungen der Essigsäureintoxikation. 


Lungenkrankheiten. 

Referent: Dr. Ernst Meyer, Charlottenburg, Assistent an der 
Kgl. Universitätspoliklinik für Lungenleidende zu Berlin. 

t. Tuberkulose - ltnmiinblnl, Tuberkulose - Immunität und 
Tuberkulose-In»munblut-( J. K.)Behandlung. Von C. Speng¬ 
ler. Deutsche med. Woehensehr., 1908, Nr. 38. 

2. Pathogenese und Klinik der Bronehiektasien. Von 
A. B i t t o r f. Zeitsehr. f. ärztl. Fortbildung. 1908, Nr. 17. 

3. Das Vorkommen und die Bedeutung halbseitig erhöhter 
Temperaturen bei Lungen aff ek$ionen. Von II. V o g e 1. Müneli. 
med. Wochenschr., 1908, Nr. 39, S. 2041. 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


686 


Nr. 48 


4. lieber Diagnose und spezifische Behandlung der latenten 
endothoraknlen Drüsentuberkulose des kindlichen Alters. Von 

1) a u t w i t l . Beihefte zur Med. Klinik, 1908, Nr. 9. 

1. Es gelang C. S p e n g l e r nachzuweisen, daß der Haupt¬ 
sitz der Tuberkulose-Immunsubstanzen nicht das Blutserum ist, 
sondern daß vielmehr die Blutzellen die Hauptproduktions- und 
Anbiiufuugsstellen sind. Die Untersuchungen ergaben ferner, 
daß der erwachsene und völlig gesunde Mensch tuberkuloseimmun 
ist. Verfasser fand aus dem hochwertigen Tuberkulose-Immun¬ 
blut künstlich immunisierter Menschen und Tiere im aufge¬ 
schlossenen Zustande ein hervorragendes Therapeutikum für den 
tuberkulösen Menschen. Das Präparat, chemisch rein dargestellt, 
ist frei von Eiweiß und Blutfarbstoff und wird von S p engler 
J.-K. genannt. Es hat eine direkt antifebrile und bakterien¬ 
tötende Eigenschaft. Die ersten Zeichen der J.-K.-W irkung 
sollen Hebung des subjektiven Befindens und der freieren Atmung. 
Besserung des Appetits, rasche Gewichtszunahme und Absinken 
des Fiebers sein. Sehr auffallend ist die rasche Verminderung 
der Tuberkelbazillen. Auch als Diagnostikum soll das J.-K. 
wertvoll sein. Natürlich darf man bei der J.-K.-Therapie die 
klimatische, diätetische etc. Therapie niemals vernachlässigen. 
Leichte Fälle darf man unbedenklich ambulant behandeln; bei 
schweren Phthisen, selbst bei desolaten Fällen ist oft noch auf¬ 
fallende Besserung, doch tut man gut. liier von Beginn an schon 
auf die Hebung der Herzkraft zu achten und eventuell dauernd 
Digalen zu geben. Das Mittel wird subkutan in 1—3 tägigen 
Pausen gegeben, am besten an der Streckseite des linken Unter¬ 
arms. Bei Kindern kann man statt der Injektionen perkutane 
Einreibungen machen. Das Mittel wird hergestellt von Kalle 
Ar Co. in Biebrich. 

2. Nachdem A. Bit t o r f in seiner lesenswerten Abhand¬ 
lung über die verschiedenen Arten, den Verlauf und die Diagnose 
der Bronchiektasien gesprochen hat. schreibt er zum Schluß noch 
über die Behandlung derselben. Nur in seltenen Fällen wird eine 
Heilung des bestehenden Leidens möglich sein, deshalb ist Pro¬ 
phylaxe sehr wichtig, und muß man besonders die chronischen 
Bronchitiden der Kinder ernsthaft betrachten und behandeln. Bei 
der Behandlung der Bronchiektasien müssen die Hauptziele sein: 
allgemeine Kräftigung, Verhütung neuer katarrhalischer und 
pneumonischer Affektionen. Verhütung fötider Zersetzung. Be¬ 
schränkung der starken Sekretion, Verhinderung von Stagnation, 
Beseitigung nachweisbarer kausaler Momente, wie Fremdkörper, 
Stenosen etc. Die wichtigste Aufgabe ist die Entleerung des 
Sekretes, wobei oft die sogenannte Q uincke sehe Schieflage 
gute Dienste leistet. Von Nutzen kann auch die Anwendung von 
Atemgymnastik sein. Ueber die chirurgische Behandlung liegt 
noch kein abschließendes Urteil vor, doch scheinen die bisherigen 
Erfahrungen nicht besonders günslige zu sein. Auch das Ein¬ 
blasen von Luft in die Pleurahöhle zur Kompression der Lunge 
hat keine Erfolge gezeitigt. Die Bekämpfung der Expektoration 
durch Morphium und Kodein ist kontraindiziert, ebenso darf man 
aber auch mit Expektoranticn und Brechmitteln nicht zu weit 
gehen. Die fötide Zersetzung sucht man durch Inhalieren und 
innerliche Gaben von Terpentin, Kreosot etc. zu bekämpfen. Zu¬ 
weilen sollen auch Sauerstoff!nhalationeö günstig wirken. Kom¬ 
plikationen etc. bedürfen natürlich stets spezieller Behandlung. 

3. V o g e 1 prüfte die zuerst von Peter mitgeteilte und 
von C o r n e t erwähnte Tatsache nach, daß bei einseitigen tuber¬ 
kulösen Lungenerkraukungen die erkankte Körperhälfte eine 
höhere Temperatur zeigte als die gesunde. Er konnte durch seine 
Beobachtungen die Angabe vollauf bestätigen und fand oft Tem¬ 
per a.turdiff ere uzen bis zu einem halben Grad (stets in der Achsel¬ 
höhle gemessen). Bei doppelseitigen Lungenerkrankungen war 
die Temperatur der Seite höher, wo der aktivere Prozeß war. Bei 
Tuberkulin Injektionen traten jedoch umgekehrte Verhältnisse ein, 
da hier die Temperatur der gesunden Seite höher wurde, als die 
der kranken. Welche prognostische und diagnostische Bedeutung 
diesen Temperaturdifferenzen zukommt, müssen noch weitere Be¬ 
obachtungen zeigen. 

4. Dautwitz bespricht die verschiedenen Arten der 
Diagnose der endothorakalen tuberkulösen Drüsen bei Kindern, 
wobei er neben anderen auch die Röntgendiagnostik und Tuber¬ 
kulindiagnose erwähnt. Von der Ophthalmoreaktion nimmt er 
stets Abstand und bevorzugt die kutane Tuberkulin an Wendung 
nach P i r q u e t. und wendet auch zuweilen die subkutane Tuber¬ 
kulininjektion an. Neben einer roborierenden Allgemeinbehand¬ 
lung kommt bei Kindern mit Drüsen tuberkulöse noch die spezi¬ 
fische Tuberkulinbehandlung in Betracht. D a u t w i t z ver¬ 
wendet das Alttuberkulin Koch, eventuell prophylaktisch, zieht 


jedoch besonders bei schwächeren Kindern das Tuberkulin 
Heraneck vor, da cs angeblich besser vertragen wird. V on 
großem Nutzen sind auch Soolbadekuren, die in ihrer Wirkung 
aber noch durch alljährliche Scebu.iekuron von 3 4 inonäliger 

Dauer weit übertroffen werden. Ls ist deshalb dringend aut Er¬ 
richtung von Kindersauatorieu an der See hin/.nwirken, sowohl 
für Kinder aus den unteren Volksschichten wie für Kinder der 
besseren Stände. 


Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Referent: Spezialarzt Dr. S. Aschheim. Charlottenburg. 

1 Ein Beitrag zur traumatischen Schwangerschaftsruptur 
des hochgravide.» Uterus mit Austritt des ganzen Eies in die 
Bauchhöhle. Von E. E h r e n darf e r, Innsbruck. Arcli. im 

(,>,, 2. M Khi Beitrag zur Aetiologie und Therapie der Uterus- 
ruptur. Von J. 11 a r t m a n n. Frauenklinik zu Jena. Zeit sehr. 

f. Geb., LXII, 3. „ , i, , 

3. Experimenteller Beitrag zur operativen Behandlung du 
akuten puerperalen Peritonitis. Von l)r. Zangemeister, 
Königsberger Univ.-Klinik. Ebenda. 

4. Ueber Symphyseotoiftie in der Schwangerschatt. \ on 

L e h in a n n. Arcli. 56, 2. . 

5. Oie Gefahren und der Nutzen der intrauterinen In¬ 
jektionen. Von P. Z w e i f e L Leipzig. Ebenda. 

- (}. Ueber klinische Erfahrungen mit der ^ aporisation. ' 011 

Dr. F rankenstei n. Mönatsschr. f. Gyn., 28, IV. 

1 Eine III para erlitt im 8. Monat einen Sturz, wonach 
die Kindesbewegungen aufhörten und Bat, eine Zeitlang krank 
war. Ad terminum trat die Geburt nicht, ein, der Leib wurde 
kleiner, in ihm eine Geschwulst tastbar, so daß sie sich bei gutem 
Befinden 2 Vs Monate nach dem erwarteten Geburtstermin m die 

Klinik begab. , , . . 

Dfe Laparotomie z-igte, Ja» die Frucht durch den ruptur .ei ¬ 
ten Uterus in die Bauchhöhle getreten war; sie wurde mitsamt 
dem Uterus und Adnexen entfernt: die Rupturstelle sah an der 
vorderen oberen Wand, durch sie war auch die 1 lazenta aus- 
getreten und war an den Rißrändern angelieilt; der Uterus hatte 
sich völlig involviert und bereits wieder vor der Operation ein¬ 
mal menstruiert. , , , 

9 Zu der Frage, ob die Uterusruptur operativ oder diucli 
Tamponade zu behandeln sei, nimmt II.« auf Grund von viel Be¬ 
obachtungen Stellung.. Diese Fälle sind: 

a) III para, hei der 24 Stunden nach Wehenbeginn der Kopl 
nicht ins Becken eingetreten war. bei der seit 8 Stunden die 
Wehen zessierten und Schmerzen im Leibe vorhanden waren, 
wurde vom Arzt der Kopf der abgestorbenen Frucht perforiert; 
ah diePlazenta nach einer Stunde sich nicht exprimieren ließ, V oi - 
such der manuellen Lösung, hierbei kam der Arzt durch Riß in 
der Vorder wand in die Bauchhöhle. Transport m die Klinik. 
Auf Credo hin die Nachgeburt entfernt. Da an der lrei- 
gelegten Portio ein Riß nicht, gesehen wurde. Bettruhe, Eisblase, 
Opium. Allmählicher Verfall und Exitus sechs Tage spater an. 
Peritonitis. Sektion ergibt das Vorhandensein eines 11 cm lan¬ 
gen kompletten Uterusrisses. 

b) III para. 2 mal Perforation des Kindes, enges Becken. 

Fiebernd in die Klinik gekommen, Pubotomie abgeleimt. Ab¬ 
warten. Temperatur stieg auf 39,7". Pubotomie, zu der a 
nunmehr bereit war, ärztlicherseits abgelehnt; ohne daß Kon- 
trektionsring sich zeigte, Uterusruptur, Austritt des Kindes in 
die Bauchhöhle. Abdominale Totalexestirpation, schwere Rekon¬ 
valeszenz, schließlich llciluug. . 

c) 11 para enges Becken. Erste Entbindung durch lvaisci- 
schnitt nach Fritsch, da das Kind klein ist, diesmal Abwarten. 
Plötzliches. Aufhören der Wehen; Kind abgestorben, unter den 
Bauchdecken fühlbar. Puls der Kreißenden gut. Zange; Pla¬ 
zenta manuell geholt, Austastung ergibt^ daß der Uterus an 
seinem oberen Ende total zerrissen ist, im Kavum Darmschlingeli. 
Vaginale Totalexstirpation. Heilung. 

d) III para. Wegen starker Blutung hoher Zaiigenversuch; 
nach Mißlingen desselben Wendung und Extraktion. Riß in der 
Vorderwand der Vagina oder Zervix. Tampobade. Transport m 
die Klinik. Totalexstirpation per vaginam. Heilung. 

Aus seinem ersten Fall schließt H., daß man bei Zweifel an 
der Ruptur aus tasten soll, da die Prognose ganz schlecht ist, 
wenn bei Uterusruptur gar nichts geschieht. 


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1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


637 


II. bespricht dann die Ursache der Ruptur nach voraus¬ 
gegangenem Kaiserschnitt, ohne in irgendeiner Nahtmethode 
(Katgut, Seide — Eta gen naht mit und ohne Mitfassen der Dc- 
ciflua) prädisponierende Momente erkennen zu können; die Narbe 
war in seinem Falle schlecht, warum ist unaufgeklärt. 

I nter den andern Rupturfällen fand er in einem Vermehrung 
«'es Rindegewebes und Verschmälerung der Muskelfasern. 

II. bespricht dann unter Anführung der Literatur die Er¬ 
folge der vaginalen Totalexstirpation bei Ruptur: 29 Fälle, von 
denen ln geheilt werden, 14 starben, von letzteren kommen 6 
i*ur in Betracht, in denen die Operation den ungünstigen Ans¬ 
gang nicht hat verhindern können. 

Unter Vergleich mit. anderen Statistiken über Tamponade 
plädiert II. für die vaginale Totalexstirpation; er schließt mit 
folgenden Sätzen: 

I. Die Behandlung der Uterusruptur nach Abwendung der 
momentanen durch Blutung bedingten Lebensgefahr ist nicht 
Sache des praktischen Arztes, sondern des Gynäkologen von Fach. 

II. Bei der Behandlung der Uterusrupturen verdient die 
vaginale Totalexstirpation des rupturierten Uterus eine viel 
größere Beachtung und Anwendung als bisher; die Resultate der 
bis jetzt ausgeführten vaginalen Totalexstirpation sind min¬ 
destens die gleichen wie bei der aussichtsvollsten andersartigen 
I herapie. Die vaginale Totalexstirpation des puerperalen Uterus 
ist technisch leicht auszuführen und befreit die vom Unglück 
der Ruptur befallene Frau dauernd von der in der Narbe gelege¬ 
nen Gefahr. 

3. Z. hat durch Tierexperimente zwei Fragen geprüft: 

a) \\ ie verhält sich die Heilwirkung eines Antistreptokokken- 
serums zum Heileffekt, der sich durch die operative Entfernung 
des primären Infektionsherdes erzielen läßt^ 

b) Lassen sich dies.» beiden Heilfaktoren unter Umständen 
addieren und dadurch ein noch höherer Erfolg erreichen? 

Es läßt sich nach seinen Versuchen der an sich schon hohe 
Heileffekt eines wirksamen Antistreptokokkenserums noch we¬ 
sentlich steigern durch gleichzeitige Wegnahme des primären 
Infektionsherdes. 

Für die puerperale Infektion schließt er. daß durch gleich 
zeitige Verwendung von Serum und operativen Entfernung des 
primären Infektionsherdes (abdominale Totalexstirpation des 
Uterus) die Aussichten auf Erfolg günstigere werden dürften. 

4. L. macht hei einer IT para mit engem Becken (erste Ent¬ 
bindung. \\ endung, Extraktion, Zange am nachfolgenden Kopf, 
totes Kind) in der 3G. Woche eine Symphyseotomie. 27 Tage 
später trat die Geburt ein. Kopf trat nicht ins Becken, wurde 
erst mit hoher Zange durchgezogen; die Symphyse war leicht 
empfindlich p.p., die Knochenenden standen beim Versuch direkter 
Verschiebung fest. 

Auf Grund dieser Erfahrung rät L. von der Symphyseotomie 
in der Schwangerschaft ab; ebenso wie er hatte früher F ra n k 
mit der Operation Mißerfolg. 

5. Der wichtigen Frage, ob Arzneilösungen bei intrauterinen 
Einspritzungen durch die Tuben in die Bauchhöhle fließen können 
und in einer gewissen Regelmäßigkeit fließen oder nicht, hat 
Zweifel erneut seine Aufmerksamkeit geschenkt, indem er 
vor operativer Entfernung des Uterus Spülungen des lvavum 
machen ließ. Dabei fand er, daß wässerige Lösungen, die nicht 
ätzen, nicht reizen und unter der Bedingung, daß jede Anregung 
zu Zusammenzielumgen der Gebärmutter vermieden ist. in der 
Regel in die Bauchhöhle überfließen; das gleiche taten alkoho¬ 
lische Lösungen unter denselben Bedingungen, ebenso Liq. fern 
sesquiehlor., selbst wenn die Flüssigkeitsmenge noch nicht 1 ccm 
betrug. 

Aus seinen Versuchen geht mit zwingender Notwendigkeit 
der Schluß hervor, daß man in das Corpus uteri überhaupt keine 
ätzende Flüssigkeit einspritzen darf oder nur 2 -1 Tropfen, 

wt uii der Abfluß nicht vollkommen gesichert ist. 

I in den Abfluß zu sichern, macht Z. daher seine Injektionen 
mit Eiq. lern durch starre, in den Uterus eingeführte Metall¬ 
rohn', durch die er einen Wattepinsel zum Aufsaugen der Flüs¬ 
sigkeit nachschiebt. Der unbedingt freie Abfluß des Ueber- 
schusses soll den Eintritt der Flüssigkeit, in die Tuben vermeiden. 
Bei Frauen mit engem Muttermund muß Dilatation vorausgehen. 
Die Behandlung läßt sich daher nicht mehr in der Sprechstunde 
ausführen. 

Zum Schluß erwähnt Z., daß auf Grund dieser Beobachtun¬ 
gen des l eher treten s von Flüssigkeiten in die Tuben Versuche 
gemacht wurden, beginnende Tubenentzündungen /.. B. mit 2 proz. 


Argcntaminlösungen zu behandeln, jedoch auch nur sehr vor¬ 
sichtig und nicht ambulatorisch. 

6. F. berichtet über die Erfahrungen, die an der Werth- 
sclien Klinik in Kiel mit der Vaporisation an 192 Fällen erzielt 
wurden. 

Bei jüngeren Frauen trat in einigen Fällen die (nicht beab¬ 
sichtigte) Menopause ein, in anderen wurden die Menses auf ein 
normales Maß zurückgeführt. Bei einer Fat.., die später gravide 
wurde und abortierte, mußte die Plazenta manuell gelöst werden 
und ergab die mikroskopische Untersuchung Fehlen der Decidua. 
In 3 anderen Fällen trat Gravidität mit normalem Verlauf ein. 
Vor der Vaporisation bei jüngeren Frauen warnt Verf. daher, 
er läßt sie nur als ultima ratio vor der Totalexstirpation gelten. 

Die primären Resultate waren in 218 von 223 Fällen gut, 
5 Fälle, davon 2 mit Myom komplizierte, hatten keinen günstigen 
primären Verlauf, 2 hatten fieberhafte Bronchitis, die mit der 
Vaporisation nichts zu tun hatte, eine einen Schüttelfrost, eine 
vierte Thrombose und eine fünfte rasch vorübergehende Hirn¬ 
embolie. 

Unter 192 Fällen wiesen 15 einen Mißerfolg auf; 7 Fälle 
wurden zwei- oder auch dreimal vaporisiert und hatten dann zum 
Teil Erfolg, in acht unter den übrigen Fällen ist dreimal der 
Mißerfolg auf später sich entwickelnde Myome zurückzuführen. 

Die Dauererfolge waren folgende: 
in 82 Fällen ~ 42.7% endgültige Menopause, 
in 46 Fällen = 24% folgte eine kürzere oder längere Menostase, 
die dann von normaler oder spärlicher Menstruation abgelöst 
wurde, 

in 49 Fällen = 25.5% folgte der Operation schwach bis mittel¬ 
starke Menses. 

Die große Mehrzahl der Frauen fühlte sich subjektiv gut, 
12 Frauen klagten über Ausfallerscheinungen, 8 über Schmerzen. 

Bei vorsichtiger Indikationsstellung und sorgsamer Technik 
verdient die Vaporisation den ihr zugewiesenen Platz zur Be¬ 
kämpfung klimakterischer Blutungen. 


Chirurgie. 

Referent; Spezialarzt Dr. Heinrich Landau, Berlin.* 

1. Zirkuläre Artericunaht beim Menschen. Von Martin. 
Med. Klinik 1908. Nr. 38. 

2. Zur Technik der Extensioiisbehandluiig, Von 
S'chrecker. Deutsche med. Wochenschrift 1908, Nr. 39. 

3. Zur Behandlung schwerer Schußverlet/iingen der Lunge 
mit primärer Naht. Von 11 e r m a u n K ii t t. n c r. Deutsche 
Zeitschrift f. Chirurgie. 

4. Die konsirvsftive Behandlung der Hodt »tuberkulöse. A ou 

Egon II a r t u n g. Zeitschrift f. Urologie 1908. Heft 8. 

1. Marti n vereinigte die bei einer komplizierten Luxa¬ 
tion des Vorderarmes samt ihren Ventil und ulnaren Knilateralen 
in der Ellenbeuge zerrissene Arteria brachialis durch direkte 
Gefäßnaht. Die Entfernung der Enden betrug 3 cm, konnte aber 
durch Beugung des Vorderarms leicht ausgeglichen werden. Ge¬ 
näht wurde mit fortlaufender Naht, ohne besonderes Instrumen¬ 
tarium (feinste Nadel, Darmnadel, Darmseide); mit durchgrei¬ 
fenden Nähte wurde die Gefäßwand nach außen umgekrempell 
und die schnell verklebende Intima liickenlfs mit der Intima der 
anderen Artevienstückes vereinigt (Verfahren nach Garrel- 
S t i c h. gerade umgekehrt wie die L e m b e r t sehe Dannnaht). 
Der vorher kühle und weiße Vorderarm wurde allmählich wann; 
die Heilung war eine vollständige, und die Durchgängigkeit der 
Nahtstelle konnte später durch Blutdruckmessungen nachgewie- 
ser. werden. — Das S t i c h sehe \erfahren der Gefäßnaht Hat 
vor dem Payrsehen (Vereinigung der Gefäßenden über Mag- 
uesiumprothesen, die resorbiert werden) den großen Vorteil, daß 
es keines besonderen Instrumentariums bedarf, was besonders hei 
Unglücksfällen sehr ins Gewicht füllt. 

2. Auf der B a r d e n h e u e r sehen Abteilung wird jetzt 
statt des Heftpflasters bei Streckverhänden die II e u sne r sehe 
Klebemasse verwendet : eine Lösung von venetianiscliem Terpen¬ 
tin (beste klare Sorte; die billigere Sorte der Pharmakopoe klebt 
nicht) in Spiritus 1 : 2 wird mit einem Zerstäuber auf die Extre- 


*) Unser geschätzter Mitarbeiter ist vor kurzem leider einem 
Unfall erlegen. Die Referate über Chirurgie hat Herr Prof. Dr. 
II elbi ng, Berlin, freuudlichst übernommen 







inal frorn 


638 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 43 


mität aufgesprayt und dann ein 8—10 cm breiter Streifen rauhen 
Woll- oder Baumwollstoffes (Buckskin. Barchent, Biber) zu bei¬ 
den Seiten in üblicher Weise angelegt, nachdem Knöchel usw, 
durch glattgefaltete Gazelagen (nicht Watte!) vor Druck ge¬ 
schützt sind. Der Streifen wild mit einigen Bindetouren fest¬ 
gewickelt unter leichtem Andrücken und kann sofort mit einem 
Gewicht von 20 kg und mehr belastet werden. Der H e usner- 
sche Verband ist viel billiger als einer aus Heftpflaster, er ist 
schnell zu improvisieren (Parfum-Zerstäuher!) und hat die große 
Annehmlichkeit, daß er leicht und schmerzlos abgenommen wer¬ 
den kann. 

3. Die Auffassung der Lungenschüsse ist heute eine andere 
als früher, wo sie sich, was Heilungstendenz anlangt, eines weit 
besseren Rufes erfreuten, als sie in Wirklichkeit verdienen. Man 
weiß aus einer großen Statistik von (1 a r r e, daß nur etwa 60% 
bei zu wartender Behandlung heilten; mehr als 40% starben; auch 
dauert die konservative Behandlung sehr lange, muß mit Nach¬ 
blutung, Empyem und anderen Gefahren rechnen und schließlich 
können ihre Erfolge durch Schwartenbildung. Thoraxschrump¬ 
fung und Herzverlagerung sehr beeinträchtigt werden. Der 
Hauptgrund gegen die operative Behandlung der Lungenschüsse 
war jedoch die Gefahr des operativen Pneumothorax, eine Ge¬ 
fahr. die heute durch die Methoden der Druckdifferenz beseitigt 
ist. K ü t t n e r bat in der Sauerb r u c h sehen Kammer einen 
fast die ganze Pleurahöhle füllenden Bluterguß nach Revolver¬ 
schuß unter breiter Eröffnung des Thorax entleert, Ein- und Aus¬ 
schuß vernäht, und die Wunde nach kräftiger Aufblähung der 
Lunge luftdicht verschlossen. Die Wirkung des Eingriffes war 
ganz auffallend; der Kranke, vorher schwer zyanotisch und nach 
Luft ringend, wachte, mit ganz normaler Atmung aus der Nar¬ 
kose auf und war nach weniger als 4 Wochen völlig geheilt wor¬ 
den, während ein gleichzeitig konservativ behandelter Lungen- 
sehuß, mit an und für sich leichterer Verletzung, 78 Tage in der 
Klinik bleiben mußte, und schließlich infolge der oben erwähn¬ 
ten Folgeerscheinungen in sehr schonungsbedürftigem Zustande 
entlassen werden konnte. K ü ttne r zieht aus seinen und an¬ 
deren bisher mit Glück operierten Fällen den Schluß, daß bei 
Druckdiffeienzverfahren auch schwerste, scheinbar aussichtslose 
Schußverletzungen der Innige operativ angegriffen werden kön¬ 
nen. Unter dem Schutze des Heber- oder* Uiiterdruckverfahrens 
kann man sich aber auch dazu entschließen, selbst längere Zeit 
nach der Verletzung einen starken Bluterguß, der nicht aufge- 
saugt wird und Schwartenbildung befürchten läßt, durch Tho¬ 
rakotomie zu entleeren. Man wird dann aber,'nicht wie bisher, 
die Pleurahöhle drainicren, sondern nach Aufblähung der Lunge 
hei Druckdifferenz die Brusthöhle sofort wieder luftdicht ver¬ 
schließen, was die Aussicht auf glatte Heilung außerordentlich 
verbessert. Nur muß man vorher, um ohne Gefahr einer Nach¬ 
blutung die großen Vorzüge des primären Pleurahöhlen Verschlus¬ 
ses benutzen und auf die Tamponade verzichten zu können, die 
Lungen wunden, die trotz versteckter Lage hei Druckdifferenz in 
aller Ruhe aufgesucht werden können, durch Umstechung. Liga¬ 
tur oder Naht unter allen Umständen versorgen, auch wenn sie 
scheinbar nicht mehr bluten. 

4. Während fistulöse Hoden tuberkulöse noch allgemein als 
Anzeige zur Kastration gilt, hat II a r t u n g mehrere Fälle unter 
.konservativer Behandlung ausheilen sehen und empfiehlt diese 
namentlich für einseitige und auf den Nebenhoden beschränkte 
Erkrankungen dringend. Er legte seine Kranken ins Bett, sorgt 
für sehr reichliche und eiweißreiche Kost, läßt Seebäder, Voll- 
uud Sitzbäder mit Salz nehmen und beschränkt die Lokalbehand¬ 
lung auf dauernde Wärmewirkung (Thermophor, Leinsamen- 
umschlag; auch Lichtbehandlung), Fisteln werden mit Kochsalz 
ausgespült. Infiltrate möglichst ohne Parenchym Verletzung ge¬ 
öffnet und steril verbunden. Bier sehe Stauung verwendet 
II a r t u n g nicht. Starke Diurese durch Getränke; regelmäßi¬ 
ger Stuhl und geschlechtliche Enthaltsamkeit, namentlich auch 
von der Onanie, zu der solche Kranken neigen, unterstützen die 
Behandlung. Ohne Zweifel sind bei der verhältnismäßigen 
Gutartigkeit der Hodentuberkulose durch Allgeincinbehandlung 
manche unerwartete Heilungen zu erreichen : so pflegte Lassar 
gern den Fall eines Thüringer Dorfschmiedes zu nennen, dessen 
Hoden schon das Todesurteil vom Chirurgen gesprochen war, und 
der unter Zimnitsiiuveeinspritzungcn nach Länderer gesund 
wurde und Kinder zeugte. Trotzdem ist die Gefahr einer Ver¬ 
schleppung der Tuberkulose vom Hoden aus nicht zu unter¬ 
schätzen. und wenn sonst im Körper kein Herd nachzuweisen, 


namentlich die Lungen frei sind, wird man dieser Gefahr lieber 
unter Preisgabe des Hodens zuvorkommen und den Hoden ent¬ 
fernen. 


Biologische Therapie. 

Referent: Dr. W. Esch, Bendorf a. Rh. 

1. Heilserum, Immunität und Disposition. Von Dr. F roch- 
lieh, Dresden. München 1898, G m e 1 i n. 56 S. 

2. Zur Behandlung der Ischias. Von Dr. B. Bux b a u m , 
Wien. Allg. Wiener med. Ztg., 1908, Nr. 30 u. 31. 

3. Die Hydriatik des Typhus abdominalis. Von J. Sad- 
ger. Wien-Gräfenberg. Berl. Klinik, 1908, Heft 242. (Preis 
1,20 M.) 

1. Durch die in No. 39 referierten neuesten Arbeiten auf 
dem Gebiete der Serologie wird eine Anschauung bestätigt, die 
F r o eh 1 i e h bereits vor 10 Jahren ausgesprochen hat, und die 
ihrer prinzipiellen Wichtigkeit wegen hier noch kurz referiert 
werden soll. 

Fr oehjic h, der seine Untersuchung „unter einem persön¬ 
lichen Gewissenszwang unter dem Druck der schweren Verant¬ 
wortung als Arzt, die ihn bei einer oberflächlichen Entscheidung 
für oder wider nicht zur Ruhe kommen ließ“, unternommen hat, 
bespricht zunächst die Bedenken, die den Erklärungsversuchen 
von Ehrlich-Behring einer- und Fische r andererseits 
hinsichtlich der Art der Serumwirkung entgegenstehen. Diese 
müssen im Original nachgelesen werden. 

Sodann faßt er seine Ansicht über das Wesen der Immunität 
und Disposition ungefähr so zusammen: 

Schon im normalen Organismus findet eine ständige Toxin- 
und Antitoxinbildung statt, letztere besonders in den mit ..anti¬ 
toxischer Funktion“ versehenen Organen, Blutgefäß-, Lympli- 
drüsensystem.Leber, Schilddrüse, Nebennieren. Diese beiden halten 
normaliter ein das Gleichgewicht. Durch naturwidrige Lebens¬ 
weise aber und die damit verbundenen Stoffwechselstörungen 
wird dieser Ausgleich verhindert, die Erzeugung der pathologi¬ 
schen Stoffwechselprodukte und Toxine nimmt zu, die der Anti¬ 
toxine und die Ausscheidungstätigkeit ab. Die Zellein heit 
ist gestört. Es entsteht Disposition für 
lvrankheite n. 

Disposition 1 ) (Bachmanns Status morbidus oder Kon¬ 
stitutionsverschlechterung) ist also eigentlich schon Krankheit: 
Es ist die Unfähigkeit des Organismus, genügend Abwehrstoffe zu 
bilden bezw. ausscheidend zu wirken. 

Wurden vorher Bakterientoxine ohne weiteres durch ..nor¬ 
male“ antitoxische Körperprodukte neutralisiert, so geschieht das 
jetzt nicht mehr, weil jetzt der Nährboden für die Infektion gün¬ 
stig ist. Ihre Einwirkung auf den Organismus und dessen jetzt 
krankhafte Reaktion dagegen stellen die Infektionskrankheit dar: 
Der Organismus beantwortet als ganzes die Bedrohung seiner 
Integrität mit Erhöhung des Stoffwechsels, der Oxydation und 
damit auch der Temperatur, d. h. mit Fieber. Zugleich werden 
die betreffenden Zellen zu lebhafter Antitoxinbildung angeregt 
und so die Toxine unschädlich und zur Ausscheidung geeignet ge 
macht. Aehnlieh kommen die phagozytären Vorgänge zustande. 
Es bleibt eine gesteigerte Leistungsfähigkeit der antagonistischen 
Zellen zurück. 

N a c h F. gibt es also keine spezifischen gift¬ 
bindenden Substanzen, sondern die Anti¬ 
toxine sind nichts anders als die auch im Nor¬ 
malzustände erzeugten Gegengifte antago¬ 
nistischer Zellen und Organe. Bei Zufuhr von Bak 
teriengiften steigt das Vermögen des Körpers, schnell und im 
Ueberschuß Antitoxine hervorzubringen, die aber bald wieder ver- 
verschwinden. 

Eine äußerlich gleiche Reaktion kann man aber, wie F. be¬ 
tont, auch durch Injektion einer großen Zahl anderer offensiver 
Stoffe, vielleicht schon durch einen bloßen „Fremd reiz“ er¬ 
zielen. 

1) „Innere“ Disposition im Gegensatz zu der als „äußere“ Disposition 
bezeichneten Mangelhaftigkeit der äußeren Schutzvorrichtungen des 
Organismus gegen das Eindringen der Mikrobien. 

2 ) Hierbei ist aber auch deshalb Vorsicht gebeten, weil wir es 
nicht mit rein chemischen, sondern dynamischen Wirkungen zu 
tun haben. 








1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


639 


Hei Besprechung der an sich schon prekären Uebertragung 
antitoxischer Keagenzglasvorsuche auf die Therapie weist F. so¬ 
dann darauf hin, daß das Antitoxin des einen Organismus sieh 
von dem eines anderen ebenso unterscheide, wie die Zellen selbst. 
,,l nd je größer die Verschiedenheit dieser ist, um so weniger wird 
Aussicht vorhanden sein, daß die in dem einen Körper gebildeten 
Antitoxine die in dem anderen entstandenen Toxine zu binden, 
unschädlich zu machen vermögen, um so mehr wird man erwar¬ 
ten müssen, daß das Antitoxin in de in F r e m d o r g a - 
n i s m u s verändert wird, dem Zerf a \ 1 anheim 
I ii 1 1 t, w i e j a a u e h T i e r b 1 u t in d e r m e n schlichet 
B 1 u t b a h ji rasch zerstört w i r d. 

Aber selbst, wenn es größtenteils unzerstört bliebe, würde da¬ 
mit doch nicht viel zu erreichen sein, u. a. schon wegen seiner re¬ 
lativ geringen Menge. 

Bei Besprechung der günstigen Serumstatistik weist F. auf 
die vielen Einwände hin bez. Periodizität der Seuchen, Wegfall 
früher beliebter, allzu eingreifender Therapie, Vergleich ungleich¬ 
artigen Materials ete. 

Sein Urteil über die Serumtherapie faßt er daliin zusammen, 
daß der Gewinn, den wir aus ihr ziehen können, der Hauptsache 
nach in dem tiefen Verständnis des Wesens der Selbstheilung und 
in der dadurch gewonnenen Möglichkeit liege, auf die Schaffung 
der Bedingungen dieser Selbstheilung hinzu wirken, während der 
direkten künstlichen Einführung der Antitoxine, wenn überhaupt 
eine, so doch nur eine geringe Heilwirkung zugesprochen werden 
könne. 

I)a die Grundursache aller Infektionskrankheiten in uns 
selbst liege, so gebe es nur eine Art wirklicher Immunisierung, 
nämlich allmähiehe Tilgung der inneren Disposition, Schaf¬ 
fung einer guten Konstitution durch rationelle Lebensweise. 

2. B u x b a u m empfiehlt bei frischen Ischialgien tunlichst 
unkomplizierte Kuren: eine feuchte Einpackung, Fango- oder 
Thermophorapplikation ohne nachfolgende Massage. Sehr gute 
Dienste bei der rheumatischen Form leisten nicht zu hohe t h e r - 
m i s c h e K ontras t. e, also wechselwarme Prozeduren. Datier 
erfreut die aus \\ arme-, Kälte- und Druckwirkung kombinierte 
s c h o t t i s c h e Dusche sieh einer wohlbegründeten Beliebt¬ 
heit. Versagt sie, so ist eir. Dampfkastenbad mit nachfolgender 
Abreibung oder niedrig temperierter Dusche zu versuchen. Es 
wirkt noch besser als das elektrische Lichtbad, das seinerseits 
wieder dem Heißluftbad überlegen ist. 

Gerade die heißen Applikationen sollten nur mit Vorsicht 
gebraucht werden; die Unzweckmäßigkeit allzu langer und in¬ 
tensiver Hitze geht u. a. besonders aus Schaffers Unter¬ 
suchungen über die durch sie herbeigeführten Gewebsschädigun¬ 
gen hervor. Ein 80— 100 gradiges Heißluftbad. das bei Gelenk- 
und MuskelafFektionen noch günstig wirkt, kann bei Ischias schon 
enormen Schaden anrichten. Dasselbe gilt vom heißen Bad. der 
Heißluftdusche und der Fangoapplikation. Letztere wirkt z. B. 
hei 37 0 sehr günstig, während sie in höheren Graden die Be¬ 
schwerden oft steigert. Sehr empfehlenswert ist. W inter- 
n i t z ‘ Dampfbad in der Wanne mit nachfolgenden Uebergießtm- 
gen. 

ln der Frage: Ruhe oder Bewegung? lassen sich keine be¬ 
stimmten Gesetze aufstellen. Man muß sich im Einzelfalle nach 
dem Wohlbefinden des Patienten richten. Ueberhaupt soll alles, 
was die Schmerzen steigert, vermieden werden. 

3. S a d g e r bespricht zunächst die Geschichte der Typhus- 
hydriatik (Frießnitz, Schindler, v. d. Decken, 

B r a n d , Jürgensen, V o g 1 . Winternitz, Lieber- 
meiste r, f r i p i e r und Bouver et ete. und sieht mit 
B r a n d als deren konstante Wirkung an: 

a) nicht allein die Möglichkeit der Verhütung jeder Exazer¬ 
bation, sondern auch die Besiegung des Fiebers in toto und sei- 
iH'i Ursache. (Wenn auch das früher in den Vordergrund ge¬ 
stellte Motiv der Temperaturherabsetzung als solcher heutzutage 
nicht mehr zu Recht besteht, so gibt cs doch einen Parallelisnius 
zwischen Hyperthermie und Schwere der Krankheit.) 

b) Die Beseitigung der Funktionsstörungen von seiten dos 
Deliir n s, des H e r z e n s, der Lunge n, der Nieren, der 
Haut. (S. tritt sehr mit Recht für die Bedeutung der heutzutage 
immer noch Unterschätzten kritischen Auss c h e i d u n - 
g e n durch Haut, und Nieren ein.) 

c) Beseitigung des Katarrhs im \ evdauungstrakt, Verhütung 
drr l Izeration infiltrierter Darmdrüsen, Möglichkeit ausgiebiger 
Ernährung (Ueberernährung ist zu meiden). 

d) Verhütung von Komplikationen bezw. Verminderung ihrer 1 



Zahl. Es bleibt also vom gewöhnlichen Typhusbild bei systemati¬ 
scher Wasserbehandlung nur übrig: leichtes Fieber, Milzschwel¬ 
lung, Roseola, Infiltration der Darmdrüsen, unbedeutender Bron¬ 
chialkatarrh. Medikamente verwendet S. nicht. Seine Behand- 
I lung ist die folgende: 

a) Im \ orläuferstadium und am ersten Frosttag zweimal 
täglich eine triefende Ganzabreibung (10° R.) mit nachfolgen¬ 
dem Luftbad: bei ausgesprochener Hyperthermie (von 39,5° in 
axilla an), aber noch nicht zweifelloser Diagnose, 2—3 mal täg¬ 
lich „gewechselte Packung mit H a I b b a d oder 
Abreibung am Schlu ß“. Sie bleibt jedesmal nur so lange 
liegen, bis sie sich zu erwärmen beginnt, also zuerst 5—10. dann 
10—20, dann eventl. 30 Minuten. Das Halbbad soll 20—22 ° Ii. 
haben. 

b) Bei ausgesprochenem Typhus Halbbäde r mit vorher¬ 
gehender Thermoinetrie, nachher Stammumschlag und Trocken¬ 
frottierung der Extremitäten bis der Frost vorüber, dann neuer¬ 
liche Messung im After, Zufuhr reichlicher flüssiger Nah¬ 
rung und Stammumschläge in den Zwischenzeiten. (Die Tempe¬ 
ratur der Halbbäder soll 20—-18 ", bei älteren oder dekrepiden 
Leuten 24—20 °, seine Dauer 5—15 Minuten betragen, der Frost 
soll nicht im Bade abgewarlet werden. Während des Bades ist der 
ganze Körper kräftig zu frottieren, auch vom Patienten selbst.) 

Die Bäder sollen höchstens dreistündlich wiederholt werden, 
höchstens ca. 6 mal am Tage, 2 mal in'der Nacht, sobald die Rek¬ 
taltemperatur 39° übersteigt. Der Anstieg kann durch häufig 
gewechselte zimmerkalte große Umschläge zwischen den Bädern 
hintangehalten und so das Bad auf 4 stündige und seltenere Ap¬ 
plikation beschränkt werden. 

c) Bei späterem Beginn der Bäderbehandlung und ver¬ 
schleppten Fällen soll man sich vorher durch eine kalte Teil¬ 
abreibung von der Reaktion der Haut überzeugen. Bei ..areolar- 
zyanotischer Injektion“ oder anderen kollapsverdächtigen Zei¬ 
chen sind statt, der Bäder nur die „präparatorisch“ wirkenden 
Stammumschläge zu machen. Zwischen die erste und zweite Lage 
derselben schiebt man bei Herzschwäche und Kollapsgefahr den 
Herzkühler. Unterstützend und ableitend wirken stündlich ge¬ 
wechselte W T adebindeu und 2—3 mal zu wiederholende Teil¬ 
abreibungen des ganzen Körpers. Bei drohender Herzschwäche vor 
und nach dem Bad Alkohol! Ferner kalte Kopf- und Nackengüsse, 
die auch bei Somnoienz gut wirken. 

In Fällen, wo die Hyperthermie sich gegen die Bäderbehand- 
I lung resistent verhält, appliziert man vor dem Bade einen häufig 
I gewechselten feuchten Wickel. 

Während der Deferveszenz ist das Baden nicht brüsk abzu- 
brechen, vielmehr in der dritten Woche die Badegrenze auf 38.5 0 
herabzusetzen. \\ ird auch diese Temperatur nur noch abends 
erreicht, dann können die Bäder bei Tage ausgesetzt und dann all¬ 
mählich überhaupt unterlassen werden. Sie können im allgemei¬ 
nen in der Deferveszenz wärmer und kürzer sein. Die Nahrung 
wird jetzt konstanter. Fleisch und feste Nahrung ist aber erst 
nach 3—4 fieberfreien Tage zu geben. 

Die seltene adynamische Form ohne Hyperthermie verlangt 
dieselbe Behandlung wie die Herzschwäche: kalte Teilabreibung 
etc.. Halbbad 24—22 °. 3—5 Minuten lang mit kräftigster Frik¬ 
tion. Hierbei pflegt unter Besserung aller übrigen Symptome 
die Temperatur zu steigen: „der anormale Typus wird in 
einen normalen verwandelt.“ 

Der Typhus der Greise.wird ähnlich behandelt. Bei Kindern 
nimmt man statt langer lauer, besser kurze, kältere Applikatio¬ 
nen. Kältere Bäder sind auch hei Pneumonie., bei Diarrhoe fla¬ 
gegen große Kompressen und kleine 6—S gradige Klystiere nach 
jeder Entleerung indiziert. 

Blutspuren, die in der ersten Zeit zuweilen im Kot auftreten, 
kontraindizieren die Bäder nicht, wohl aber die später vorkom¬ 
menden stärkeren Blutungen mit Puls- und Temperaturverände¬ 
rung und Ohnmacht. Hier werden nur Stammumschläge und 
Kühler mit. tagelang durchlaufendem kalten Wasser genommen, 
ebenso bei Perforation und Peritonitis. 


Militiirmedizin. 

Referent: Generaloberarzt a. D. Dr. M. Peltzer. Steglitz. 

1 . Ueber Blitzverletzungen. Von Stabsarzt Dr. W e n d I e r . 
Hannover. Deutsche militärärztl. Zeitsehr., 1908. Heft 17, 8. 722. 

2. In der Entstehung zweifelhafter Fall von eitriger Menin¬ 
gitis. Abnahme des Körpergewichtes uni mehr als die Hälfte. 




Original fram 






640 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 48 


Heilung mit Erhaltung der Dienstnihigkeit. ^ ou Stabsaizt 
I)r. Tt o s e n b a u in , Uawitsch. Ibid.. S. 838. 

;3. Hesultate mit dein Lcntz - Tietzsehen Aiircicherungs- 
verfahren und dem Endosehen Fuchsinagar. Von Stabsarzt 
Dr. Gerhard Simon, Ibid., S. 741. 

4 Vorübergehende psychische Störung nach einer Mine n- 

explosion. Von Dr. M atig n o n. Nach le Caducee vom 
17. 8 . 07 in Der Militärarzt .1908, Nr. 18, Militärarzt!. Zeitungs¬ 
revue von II. A. Mann. _ , n 

5 Schwere Erkrankungen nach Explosion eines Haust» 
gesell csses. Von Dr. 0 a m p o, ibidem, nach Arch. de med. navale, 

6 . Intoxikation durch deletäre Gase in einem Panzerturni 

während des Abfeuerns eines Schusses. Von Dr. Gazeau, 
ibidem, nach Arch. de. med. navale, Juni 1907. . 

7. Hitzeerschöpfung auf Kriegsschiffen. Aon Mittle- 
t on St Elliot, ibidem, nach The milit. surgeon, 1908, Heft 6. 

8 Behandlung der Fußgcschwillst mit Heftpflasterverbanden. 
Von Stabsarzt Dr. Blechor, ibidem, nach Dtseh. militararztl. 

Zeitschr., 1907, Heft 21. ■ . . 

9 nie Gefahren der Exerzierpatrone. \ on Dr. J. Honett e, 

ibidem, nach Theses de Paris, 1907. . 

19 Feber die Anwendung der Heilsera im Kriege. \ on 
R.-A. Doz. Dr. Doerr, ibidem, S. 283. Vortrag im Wiener 

militararztl. Verein 11. 4. 1908. . n . 

11 Die Aufgabe der Krankheitsverhütuiig bei \ olk und 
Armee. Von Oberstabsarzt Dr. N eum a n n, Bromberg. ibidem, 

^1^ Mit Rücksicht darauf, daß Verletzungen und Tötungen 
durch Blitzschlag zwar nicht selten, die Literatur darüber aber 
nur spärlich und die Ansichten über Blitzwirkungen noch nicht 
genügend geklärt sind, liefert St.-A. Wendle r einen Beitrag. 
\m \bend des 10. VI. 07 übten auf dem Truppenübungsplatz 
Münsterlager etwa 40 Feldartilleristen mit 2 Gespannen und 
6 Pferden unter 2 Offizieren während eines heftigen Gewitters. 
Ein Blitz warf 13 Mann nieder, tötete einen und ein Pferd. 
Es werden die Leichenbesichtigung und die Beobachtungen am 
Krankenbett mitgeteilt, die in Anbetracht des Umstandes, daß 
die Obduktion des Getöteten von den Angehörigen nicht ge¬ 
stattet wurde, zwar, wie Verf. selbst sagt, auch keinen weiteren 
Aufschluß über die Art des Blitztodes geben, als wir ihn bisher 
besaßen, die Erfahrungen über die Blitzwirkung aber vielfach er¬ 
gänzen. Hof. erinnert hierbei an den Artikel Verletzungen durch 
Blitzschlag“ von Oberstabsarzt N i c o 1 a i in Heft 1 der „Deut¬ 
schen militärtärztl. Zeitschr.“ von 1892 mit Photographien von 
Blitzfiguren. Es handelte sich damals um eine ganze Anzahl auf 
dem Tempelhofer Feld bei Berlin gleichzeitig vom Blitz gerühr¬ 
ter Mannschaften, wobei einem Manne u. a. vom Blitz der Stiefel 
ausgezogen und drei Schritt fortgeschleudert wurde. 

2. Die Beschreibung des von Stabsarzt R ose n b a u m be¬ 
richteten Falles ist in Kürze eigentlich schon in der l T eberschritt 
gegeben; Verf. hat. ihn veröffentlicht, weil er zu den wenigen 
Beispielen eitriger, nicht epidemischer Meningitis gehört, die 
völlig genesen sind. Bisher wurde in derartigen Fällen vielfach 
die Richtigkeit der Diagnose angezweifelt. Auffallend ist fer¬ 
ner die Abnahme des Körpergewichtes von 63 kg hei der Ein¬ 
stellung. 57,5 kg bei der Lazarettaufnahme, auf 31,1 kg in zwei 
Monaten. Nach einer Erholungskur wog der Kranke wieder 
58,5, später 60.1 kg. 

3 . Stabsarzt S i m o n hat sich bei vielen tausend Stuhl- 
und Urinuntersuchungen auf Typhus- bezw. Paratyphusbazillen 
eine Kombination des Lentz-Tietz.sehen MalachitgHin¬ 
an reicherungsverfahrens mit dem Endosehen Fuchsinagar so 
gut bewährt, daß er sie allgemein warm empfiehlt. Da die Her¬ 
stellung beider Nährböden jedoch noch nicht genügend bekannt 
zu sein scheint, gibt er diese und die mit ihnen erzielten Resul¬ 
tate an. 

4 . 5 . 6 . Die gemeinsame Ursache aller drei unter diesen 
Nummern genannten Erkrankungen war eine Explosion, insofern 
es sich auch beim Abfeuern eines Schusses um eine solche handelt. 
Ein französischer Freiwilliger wurde in China beim Explodieren 
einer Mine in die Luft geschleudert und dann bis zum Halse 
verschüttet. Die Folge war eine Art akuter Manie mit Ausgang 
in Heilung. Einen ähnlichen Fall beobachtete M. bei einem 
italienischen Offizier. Balistit ist ein dem Melinit ähnlicher 
Sprengstoff. Bei der Explosion entwickelt er Gase, die zwar 
nicht absolut irrespirabel sind, da Menschen 20—25 Minuten 
in ihnen atmen können, aber doch Erbrechen, Fieber, Dyspnoe, 


Lungenödem, Bronehialkatarrhc mit gelbem Sputum (der Rauch 
ist gelb) verursachen können. 1904 und 1906 beobachtete 0. bei 
der Explosion eines solchen Geschosses auf dem köuigl. Schiff 
..M. Polo“ sogar Todesfälle. — Nach dem Abfeuern eines 
Schusses in einem Panzerturm erkrankte die ganze Mannschaft 
an Schwindel und Erbrechen, erholte sich an Deck aber bald 

wieder. \ . 

7 . ln den.iHeizräumen der Kriegsschiffe kommen Erkran¬ 
kungen vor, die man in der Marine „Heizerkrämpie“ nennt. 
Krämpfe, Gliederschmerzen, kleiner schneller Puls, flache Atmung, 
Aphonie, weite Pupillen, Ruhelosigkeit, Austrocknung des Ge¬ 
webes, keine Bewußtlosigkeit, kein Erbrechen. Therapeutisch 
haben sich E. Kochsalzeingießungen in den Mastdarm bewährt. 

8 . B. empfiehlt bei der sog. Fußgeschwulst die Anlegung 
vorher erwärmter, dachziegelförmiger Heftpflasterstreifen bei 
maximaler Dorsionsstellung des Fußgewölbes unter starkem 
Zue. Darüber kommt eine Binde bis zürn Knie. Der Kranke soll 
sofort gehfähig sein. Der Verband kann 3 Wochen liegen 
bleiben. 

9. Wir unterscheiden eine Exerzier- und eine I latzpatrone, 
in der Ueberschrift ist erstere genannt, B. bespricht aber die 
dynamische Wirkung der letzteren bei den verschiedenen Armeen 
und hat dieses selbst an lebenden und toten Zielen geprüft. Den 
in der Literatur veröffentlichten Verletzungen durch Platz¬ 
patronen fügt er 24 weitere Fälle hinzu, darunter 5 Selbstmord¬ 
versuche, und empfiehlt die Behandlung der Verletzten mit 
Antitetanusseruminjektionen. Die Pappe der Platzpatronen 
sollte sterilisiert sein. 

10. Regimentsarzt Doerr fragt: welche Sera soll man in 
den Krieg mitnehmen, und welchen Sanitätsformätionen sind sie 
mitzugeben l Die Antwort lautet: Tetanusheilserum den auf den 
Verbandplätze^ tätigen Formationen, Dysenterieheilserum den 
Feldlazaretten, beide in Form der Trockensera, und zwar in 
Fläschchen, deren Inhalt der Menge des flüssigen Serums ent¬ 
spricht.; so daß das Fläschchen zum Gebrauch nur mit sterilem 
Wasser gefüllt zu werden braucht. 

11 . Die militärische Bekleidung des Soldaten und der hygie¬ 
nische Unterricht in der Armee sind bis jetzt, noch wenig ausge¬ 
baute Teile der Militäigesuiulheitspttege, in letzterem ist auch 
bei uns erst der Anfang gemacht. Das Wichtigste wäre eine 
Winter- und eine Sommeruniform. Der hygienische I nterriclit 
sowohl der Mannschaften aL auch der Offiziere durch Sanitäts¬ 
offiziere sollte ein obligatorischer Dienstzweig werden, zugun¬ 
sten der Volkshygiene, die dadurch später in das ganze Land 
getragen wird. 


Mitteilungen über Arzneimittel. 

Zur Therapie der Rachitis. 

Von Dr. med. S. Wahle (Bad Kissingen). 

Eine allgemein befriedigende Aetiologie der Rachitis 
ist bis heute noch von keiner Seite gegeben worden, so 
daß man gezwungen ist, mit allen möglichen Hypothesen 
sich ahzufinden. Auf alle Fälle stellt sie eine konstitutionelle 
Erkrankung des frühesten Kindesalters dar, die hauptsäch¬ 
lich an Veränderungen des Knochensystems zu erkennen 
ist. Daß der pathologische Prozeß vorwiegend am SkeletI 
sich abspielt, darauf weisen auch die im \ olksmund für 
die Krankheit, gebräuchlichen Bezeichnungen hin, wie abge 
setzteGliedcr, doppelte Glieder, Zahnen durch dieGlieder usw. 
Damit isi allerdings noch gar nichts über die l rsachc der 
Krankheit gesagt und auch der Symptomenkoinplex noch in 
keiner Weise erschöpft. 

Als ganz sicher kann wohl gellen, daß unhygieiiische 
Verhältnisse, wie schlecht gelüftete, feuchte, dunkle und 
enge Wohnungen, also Mangel an Lufl und Licht, und un¬ 
geeignete Ernährung die Säuglinge zur Rachitis disponie¬ 
ren. Wie ,weil Vererbung, Klima, Jahreszeit, Rasse und 
rasch aufeinander folgende Geburten von Bedeutung sind, 
entzieht sich, meiner genaueren Kenntnis. Nach meiner 
Erfahrung sind hauptsächlich solche Kinder gefährdet, die 










1908 


Therapeutische Rundschau. 


641 


der natürlichen Brust.nahrung entbehrcMi und inil allzu stark 
verdünnter Milch oder minderwertigen Ersatzmitteln über¬ 
füttert werden, also viel zu große Kinzelmengen allzuhäufig 
erhalten. Dabei fällt den Eltern trotz der reichlichen Nah¬ 
rungsaufnahme bald das blasse Aussehen, die Leblosigkeit 
der Kinder, die Unlust zum Spielen und der stark aufge- 
liiehene Leih auf und führt sie zum Arzt, dem gegenüber 
sie ihre Verwunderung ausdrücken, daß das Kind trotz 
guten Appetits nicht zunehme. Regelung der Diät führt in 
solchen Fällen meist rasch zum Ziele. Dagegen ist man 
in der Therapie der weiter vorgeschrittenen Rachitis seit 
Jahrzehnten nicht vorwärts gekommen. Geeignete Nahrung, 
Licht und Luft, Salz- und Soolbäder gehören seit Alters 
zum Heilschatz der Rachitis, von Medikamenten stellt seit 
langer Zeit der Lebertran mit und ohne Phosphor und 
dessen Ersatzpräparate im Vordergrund; doch gehen über 
dessen therapeutischen Wert die Meinungen sehr weit aus¬ 
einander. Richtig ist jedenfalls, daß der Phosphorleber¬ 
tran nur den Knochen Veränderungen Rechnung trägt, 
während Blutarmut, pathologische Zustände der Drüsen usw. 
außer acht bleiben. In neuerer Zeit hat deshalb Lang- 
w i t z ein Mittel eingeführt, das Rhachisan, das neben Phos¬ 
phor auch Eisen und Jod enthält und, nachdem es mir 
in zwei Fällen gute Dienste geleistet hat. der Nachprüfung 
mir wert erscheint. 

Ich lasse hier kurz die Krankengeschichten der beiden 
Kinder folgen, die allerdings nicht klinisch beobachtet 
werden konnten. 

1. Kind B., männl., 25. II. 1907 (8 Monate alt) in Be 
handlang genommen, Eltern und ein lebender Bruder ge¬ 
sund. Befund: Rachitischer Rosenkranz, Auftreibung der 
Epiphysen, graue, welke, runzlige Haut, stark .aufgetriebe¬ 
ner, gespannter Leib, hervortretende Venen, Enteritis, Fu¬ 
runkulose und Abszedierungen am Rumpfe, nässendes 
Ekzem des Gesichts, blasse Schleimhäute, Drüsenschwelhin¬ 
gen, Pädatrophie (wiegt etwa 9 Pfund), belegte heisere 
Stimme, ständiges Jammern und Stöhnen, Weinen bei jeg¬ 
licher Berührung, bewegungslos und mit halboffenen Augen 
im Bette liegend, geringe Nahrungsaufnahme. Zunächst 
Regelung der letzteren, lokale Behandlung der* Furunkulose 
und des Ekzems, sowie interne Behandlung riör Enteritis; 
gegen erstere werden auch Hefepräparate mit wenig Er¬ 
folg versucht, letztere durch Bismuth günstig beeinflußt; 
die Nahrungsaufnahme wird auch bald befriedigender, jm 
übrigen aber keine wesentliche Besserung, so daß das Kind 
im Alter von 1 Jahr erst 12 Pfund wiegt. Gegen Ende 
Sommer 1907 wurde mir von der Fabrik Dr. Degen & Kuthin 
Düren (Rhld.) ein Versuchsquantum Rhachisan bereitwilligst 
zur Verfügung gestellt, und zum Teil von mir bei dem Kinde 
verwendet (dreimal täglich 1 Kaffeelöffel) mit dem Erfolg, 
daß es nach Gebrauch von 2 Flaschen lebhaft und munter 
wurde, bedeutend an Körpergewicht zugenommen hatte 
(15 bis 16 Pfund), bessere Gesichtsfarbe und Völle zeigte 
und Ekzem und Furunkulose völlig ausheilte. Heute ist 
das Kind von einem gesunden nicht zu unterscheiden, nur 
daß es jetzt mit 2 Jahren erst zu laufen beginnt. 

2.. Kind M., weiht., Eltern und drei Geschwister gesund, 
ein Bruder, zwei Jahre alt, rachitisch, an Bronchopneumonie 
gestorben, sehr ungünstige Wohnungsverhältnfise, bald nach 
Gehurt, Bronchitis, sonst gesund und kräftig; 28. XL 1907 
( l /i> Jahr all) wegen Rachitis in Behandlung genommen, 
war vorher stark überfüttert worden mit Flaschenmilch; 
enteritischc und bronchitische Erscheinungen, Gewichts¬ 
abnahme, Nahrungsverweigerung, Pertussis mit sehr häufi¬ 
gen Anfällen und Erbrechen, sehr blaß, Drüsenschwellun¬ 
gen, multiple Hautabszesse am ganzen Rumpf und am 
Halse. Bekommt Rhachisan, daraufhin rasche Besserung des 
Allgemeinbefindens und Appetits, Gewichtszunahme (bis zu 
1 kg in 14 Tagen), am 20. V. 1908 mit Erfolg geimpft,, 
kurz nachher Varizellen; heute (16 Monate alt) kräftiges 
Kind, das zu laufen beginnt (24 Pfund schwer). 



Wenn auch aus zwei Fällen kein Urteil über ein neues 
Heilmittel abgegeben werden kann, da das Material zu klein 
ist, so stehe ich doch nicht an, bei beiden Kindern den 
günstigen Verlauf der ganz sicher schweren Erkrankung 
in der Hauptsache dem Rhachisan zuzuschreiben, das eben 
verschiedenen Indikationen gerecht wird, nicht nur die 
Knochenveränderungen, sondern auch die pathologischen 
Zustände des Blutes und der Drüsen günstig zu beeinflussen 
scheint, während der bisher übliche Phosphorlebertran nur 
auf erstere Rücksicht nahm. 

Was den Geschmack des Rhachisan angeht, so ist das 
Präparat natürlich kein Genußmittel, da es ja Leberiran 
zu einem hohen Prozentsatz enthält, dessen Geschmack sich 
auch durch kulinarische Gewandtheit des Chemikers nicht 
ganz wird verdecken lassen. Immerhin schmeckt und riecht 
Rhachisan bedeutend besser als der gewöhnliche Phosphor¬ 
lebertran und wird deshalb von den kleinen Patienten auch 
meist anstandslos genommen. 

Wenn meine Veröffentlichung recht viele Kollegen zur 
PNachprüfung und zur Beschreibung ihrer Resultate ver¬ 
anlaßt, so ist der Zweck derselben erfüllt. 


Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. Sabromin, ein neues Brompräparat. Von l)r. K a 1 i s c h er. 
Deutsch, med. Wochen sehr.. 1908, Nr. 40. 

2. Beitrag zur therapeutischen Verwendung von Phosphor¬ 
präparaten. Von Dr. Rosen. 

3. Das Autauverfahren in der Desinfektion. Von Privatdoz. 
Dr. G r o ß m a n n. Zeitschr. f. neuere physik. Med. 

4. Seharlaehrotsalbe. Von Apotheker F. 11 r u h n. The¬ 
rapeutische Neuigkeiten, September 1908. 

1. In voriger Nummer wurde über einen Artikel des ver¬ 
storbenen Geheimrats v. M e r i n g. Halle, über „Sabromin“, ein 
neues Brompräparat, referiert. Jetzt teilt in der „Deutsch, med. 
\\ ocllenschr.“ Dr. Kalischer seine Erfahrungen über das 
neue Mittel mit. Wie erwähnt, hatte v. M e r i n g das Präparat 
geprüft, ohne seine Versuche zu Ende führen zu können. Die 
Versuche K.'s erstreckten sich auf die Hysterie. Neurasthenie, 
Schlaflosigkeit. Epilepsie, Hypochondrie, Herzneurosen etc. 
Wiederholt hatte K. auch Gelegenheit, Sabromin bei Kindern mit 
Eklampsie, Tetanie, Epilepsie und Tic zu versuchen. Oft wandte 
er es da an. wo Wochen und Monate zuvor andere Brompräparate 
genommen waren. Die völlig geschmacklose Sabromintablette 
wird zerkaut oder einfach hiniintergeschluckt. Die Versuche mit 
dem unlöslichen Pulver fielen ungünstig aus. Trotz großer Dosen 
(6 —8 Tabletten täglich) hat Iv. bei seinen Patienten niemals üble 
Nachwirkungen auf Magen und Darm gesehen. Der Eintritt der 
Bromwirkung schien verspäteter als bei den anderen Brom¬ 
alkalien; die Nachwirkung war eine verlängerte. Bromakne trat 
nicht auf. bei langem Gebrauch nur in ganz geringem Grade. 
Nachteilige Wirkungen auf die Psyche, wie Müdigkeitsgefühl. 
Abnahme des Gedächtnisses, der Energie, der Leistungsfähigkeit 
ließen sich nicht feststellen. K. wandte täglich 2—3 mal nach 
den Hauptmahlzeiten 1 —2 Tabletten an. Bei Epilepsie wurden je 
nach der Schwere der Erscheinungen 3 —6 Tabletten verabfolgt. 
Sehr günstige Resultate erzielte K. bei Schlaflosigkeit, indem er 
zwischen 5 —6 Uhr 2—3 Tabletten nehmen ließ, um gleich nach 
dem Abendbrot eine entsprechende Dosis nehmen zu lassen. Wenn 
das Mittel zu spät abends genommen wird, so tritt infolge des 
verlangsamten Eintritts von Schlaf und der verlängerten Wirk¬ 
samkeit des Mittels am Tage zu großes Ermüdungsgefühl ein. 
Auch dem Sabromin kommt eine kumulierende Wirkung zu; da¬ 
her empfiehlt sich seine Anwendung bei Epilepsie. Bei Herz¬ 
neurosen. Affektzuständen, vasomotorischer Erregbarkeit, und 
labiler Stimmung dürften Dosen von 2—3 mal täglich 1 —2 Ta 
bletten sehr zu empfehlen sein. Wegen der absoluten Geschmack¬ 
losigkeit, wegen der erheblich geringeren Neigung zu Hautaus- 
schlägen und Bromismus und der unschädlichen Wirkung auf den 
Verdauungstraktus glaubt K. dem Mittel vor anderen Brom¬ 
präparaten den Vorzug geben zu dürfen. 

2 . Viel mehr als bei uus ist von den Franzosen und Eng¬ 
ländern der Phosphortherapie bei nervösen Krankheiten das 
Wort geredet worden. Doch zeigte es sieh, daß bei der Dar- 





642 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU 


Nr. 48 


reiehung des anorganischen Phosphors hei einer großen Anzahl 
von Patienten schnell unangenehme Reizerscheinungen des 
Magendarmkanals auftraten. Man ging deshalb daran, organische 
Phosphorverbindungen .^arzustellen. Doch verließ man ihre 
therapeutische Verw ,dung wieder, als es sich herausstellte, daß 
ihie Ausnützung im menschlichen Körper eine nur geringe war. 
An Stelle dieser synthetisch dargestellten organischen Phosphor- 
Präparate traten nunmehr solche Verbindungen, wie sie im Haus¬ 
halte der Natur schon Vorkommen, also Lezithine, Nukleine, 
Paianukleine, Nukleinsäuren. Im Jahre 1903 wurde eine orga¬ 
nische Phosphorverbindung aus verschiedenen vegetabilischen 
Produkten hergestellt, namens Phytin. Dieses bekannte Präparat 
ist eine gelbliche, säuerliche Flüssigkeit, deren Geh alt an Phos¬ 
phor 26,08% in organischer Bindung beträgt. Heber die klinische 
Brauchbarkeit des Mittels liegen schon eine ganze Reihe von 
Berichten vor, denen R. einen neuen hinzu fügt. Er hat das 
Piäparat an einem größeren Krankenmaterial erprobt und es der 
Vorschrift gemäß in einer Tagesdosis von 1 g gegeben, entweder 
in flüssiger Form (Phytin, liquid. 2mal täglich 30—40 Tropten) 
oder in Pulverform (2 mal 2 Kapseln) angewandt. R, variierte 
die Anwendungsform, indem er morgens 20 Tropfen, mittags 
und abends je 20—30 Tropfen in Suppe oder Milch nehmen, oder 
morgens und abends je eine, mittags 2 Kapseln des Pulvers ein- 
nehmen ließ. Patienten, die Kapseln nicht schlucken können, 
mögen diese öffnen und das Pulver so schlucken, da es nicht 
schlecht schmeckt. Irgendwelche Klagen über Nebenwirkungen 
des Phytin hat R. nicht gehört. Er wandte es an bei Rekon¬ 
valeszenten, Unterernährten. Lungentuberkulosen im 1. Stadium, 
Neurasthenikern und nervös Erregten und war mit den Er¬ 
folgen sehr zufrieden. 

3. Auch über das Au tan verfahren habe ich an dieser Stelle 
wiederholt referiert. Jetzt wird dasselbe von Privatdozent Dr. 
(J roß m a n n neuerdings empfohlen. Die Firma F r. B a y e r »Sr 
Co.. Elberfeld, die das Autan in den Handel bringt, hat eine 
Neuerung insofern getroffen, als sie das Desinfektionsmittel, das 
aus einem Gemenge von Bnriuinsuperoxyd und Paraformaldehyd 
in bestimmtem Verhältnis besteht, in seine beiden Substanzen ge¬ 
irennt. und zwar in einem Paket, das durch eine Zwischenwand 
getrennt ist, abgibt. Dadurch wird das Eintreten einer vor¬ 
zeitigen Reaktion auf jeden Fall verhindert, obwohl beide Sub¬ 
stanzen in absolut trockenem und chemisch reinem Zustande nicht 
aufeinander einwirken, wenn sie auch gemischt sind. Immerhin 
wird durch die Neuerung verhütet, daß das Pulver, wenn es feucht 
geworden sein sollte, schon vor der eigentlichen Desinfektion 
Formaldehyd entwickelt, wodurch bewirkt werden würde, daß 
die auf jeder Packung angegebene, für eine bestimmte Raum¬ 
größe vorgesehene Autanmenge zur gründlichen Desinfektion 
nicht genügen würde. Auf der Blechhülse, die als luft- und 
wasserdichte Packung dient, ist eine Marke bezeichnet, welche 
die für die wirksamste Entwicklung von Formaldehyd notwendige 
Menge Wasser genau angibt; eine zweite Marke bezeichnet die 
für den gleichfalls beigegebenen Ammoniakentwickler, der zur 
Vertreibung des Formalingeruches dient, notwendige Wasser¬ 
menge. Die Formaldehydeutwicklung kann in einem beliebigen 
Gefäße, z. B. einem Eimer oder einem Wasserbottich vor sich 
gehen. Da auch keine Feuersgefahr zu befürchten ist, kann 
die Desinfektion von jedem Laien unter Aufsicht eines Arztes 
vorgenommen werden. Auch fallen die hohen Anschaffungs- und 
Reparaturkosten, die das Formalinverfahren erheischt, fort. Nur 
der höhere Preis, der übrigens laut einer Fußnote der Redaktion 
wesentlich verringert sein soll, stellen der Allgemeineinführung 
noch Schwierigkeiten in den Weg. Bisher rechnete man pro 
Kubikmeter I 2 V 2 Pfg. bei der Autanmethode gegenüber 9 Pfg. 
bei der Formalingasmethode. In der Großdesinfektion dürfte 
trotzdem das Autanverfahren nicht ungünstig sein, da man mit 
weniger Beamten, ohne kostspielige Apparate eine größere 
Leistungsfähigkeit erzielen kann. W <> es die Verhältnisse be¬ 
dingen, daß man auf einmal und in kurzer Zeit viele und große 
Räume desinfizieren muß, dürfte das Autanverfahren den Vorzug 
verdienen. Dafür führt der Yerf. ein Beispiel an: In der Schweiz 
sollte eine Kaserne, in der Typhus vorgekommen war, vom Keller 
bis zum Speicher innerhalb 5 Tage desinfiziert werden, damit 
ein Regiment in die Kaserne gelegt werden konnte. Es wäre 
unmöglich gewesen, die Räume in einer Ausdehnung von 30 000 
Kubikmetern in so kurzer Frist mit Formaldehyd zu desinfizieren, 
und man hätte viele Dutzende von Desinfektions- und Ammoniak¬ 
entwicklungsapparaten gebraucht, deren Beschaffung kaum mög 
lieh gewesen wäre. So desinfizierte man die ganze Kaserne inner¬ 
halb 2 Tage mit 1000 Packungen Autan. 



4 . Scharlachrot ist ein neuer Teerfarbstoff, der von der 
Chemischen Fabrik Kalle A r Co. in .Biebrich hergestellt wird. 
Das Mittel wurde zur Wundbehandlung empfohlen. Gelegent¬ 
lich der Uebungskurse für Aerztc in Magdeburg wurden einige 
Fälle vorgeführt, .hei denen Scharlachrotsalbe von hervorragender 
Wirkung gewesen war. Ein Fall mit ausgedehnter Verbrennung 
des Rückens kam unter prophylaktischer Anwendung des Fibro- 
lysins (während des Heilprozesses) zur völligen Heilung in kur¬ 
zer Zeit ohne Narbenbildung. Das Scharlachrot, kommt in Salben 
mit 5—.10% Gehalt zur Anwendung. Benutzt wird das Biebri- 
cher Scharlach B extrafein. Dies gehört in die Gruppe der Azo¬ 
farbstoffe uncf stellt als Scharlachrotpulver eine rotbraune Sub¬ 
stanz dar, die sich in Wasser leicht löst. Die verdünnte Lösung 
zeigte eine schöne scharlachrote Farbe. Das Hantieren mit der 
Salbe ist nicht so unangenehm, wie B. mit Methylenblau. Die 
Salbe färbt die Haut kirschrot, läßt sieh aber trocken leicht, mit 
Watte abwischen. Wäsche und Verbandmaterial wird natürlich 
gefärbt, namentlich wenn Wundsekrete hinzutreten. Für die 
Salbe bildet die Salbengrundlage Vaselin und Lanolin. Die For¬ 
mel für ein 5-—10 prpz. Unguentum Searlatinae würde sein: Rp. 
Scharlachrot B pulv. subtil. 1—2,0, Unguent. Paraffin., Lanolin 
ää ad 20.0. ifer Preis dieser Salbe würde 1.— M. betragen. 1 g 
Scharlachrot kostet ö Pf., ist also viel billiger wie andere pulver- 
förmige Antiseptika: Dermatol. Xeroform, Vioform ete. 

A n m 4 r k u n g b e i d e r K orrekt u r. Nach Abfassung 
des Referates über Scharlachrot halte ich Gelegenheit, mit dem 
Sekundärarzt der chirurgischen Abteilung des Altstadt. Kranken¬ 
hauses in Magdeburg über die Wirkung des genannten Präparates 
zu sprechen, der sich sehr anerkennend über die therapeutischen 
Erfolge, welche mit Scharlachrot erzielt wurden, aussprach. 
Gleichzeitig fand ich einen Artikel in der Münch. Med. Wochen¬ 
schrift, 1908, Nr. 38, von Clexnentine lv r a j c a, die^ auf 
Grund ihrer Erfahrungen am Material des evangelischen Kran¬ 
kenhauses in Göln die Scharlaehrotsalbe sehr empfiehlt, und eine 
gleichzeitige Kombination dieser'Behandlung mit inselförmigen 
Hauttransplantationen vorschlägt. Die Anwendung geschah 111 
der Weise, daß die 8 proz. Salbe auf sterile Mullläppehen messer¬ 
rückendick aufgestrichen, und 24 Stunden auf den Granulations¬ 
flächen belassen wurde, ohne den vonS c hmiede n vorgeschlage¬ 
nen wasserdichten Stoff darüberzudecken. Es wurde täglich ab¬ 
wechselnd Scharlachrot- und Borsalbe verwendet. T eber¬ 
wuchernde Granulationen wurden mit Höllenstein touchiert. Nur 
bei Hautreizung wurde länger als 24 Stunden die Scharlaehrot¬ 
salbe ausgesetzt. 


Technische Neuerscheinungen. 

Ein neues Pessar gegen Uterus- und Sclieiden- 
vorfall. 

Von Dr. Ludwig* Fried mann. Krakau. 

Das Pessar besteht, aus zwei Teilen, einem Hing und 
einem Bügel, der in seiner Form der unteren Hälfte des 
modifizierten Hodgepessars ähnlich sieht; beide sind aus 
Stahl gefertigt und mit Hartgummi überzogen; sie sind 
mittels eines Scharniers miteinander verbunden, wobei dank 
der Konstruktion des Scharniers und der elastischen 
Spannung der Bügelarme das Pessar seine Form (Ring und 
Bügel in rechtwinkliger Stellung zueinander) gewöhnlich 
behält und nur bei Anwendung einer gewissen Kraft mittels 
zwei oder drei Finger zusammengeklappt werden kann. 
Durch Zusarnmendrücken -der Bügelarme kann der Bügel 
vom Ring entfernt werden, wobei die Details des Scharniers 
einer gründlichen Säuberung zugänglich werden. Die am 
Scharnier von Hartgummi entblößten Metallteile sind ver¬ 
zinnt, zum Schutze gegen die Scheidensekrete. Indem man 
mit Daumen am Ringe, mit Zeige- und Mittelfinger am 
Bügel drückt, klappt man das Pessar zusammen und führt 
es zusammen geklappt wie ein gewöhnliches Hodgepessar 
in die Scheide ein; dann klappt, man mittels Zeige-, ev. 
Mittelfinger den Bügel auf und wendet ihn entweder nach 
vorn zur Symphyse oder nach hinten zum Kreuzbein, je 







1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


nachdem die hintere oder vordere Scheidenwand mehr vor¬ 
fällt. Dank dem sich am muskulösen Boden des kleinen 
Beckens stützenden Bügel behält der King die zur Scheiden¬ 
achse senkrecht stehende, erwünschte Dichtung, wird in 
der Scheide behalten^ und hält, indem sich die Scheiden¬ 
gewölbe an ihm stützen, Scheide und Uterus von dem 
Vorfall zurück. Sowohl betreffs der Dimension des Ringes 
wie auch des Bügels werden verschiedene Größen ange- 
fertigt, so daß in jedem Falle des Uterus- oder Scheiden¬ 
vorfalles ein passendes und haltendes Pessar anzupassen 
möglich ist. Eine Ausnahme bilden nur die Fälle mit 
Trichterform der Scheide infolge atrophierender Kolpitis, 
wo ein Pessar keinen Halt hat. Will man das Pessar ent¬ 
fernen, so muß man es vorher wieder, zusammenklappen, 
indem man mit Zeige- und Mittelfinger den Ring, mit dem 
Daumen das Bügelende erfaßt und zusammendrückt. Ein¬ 
führen sowohl wie Entfernen des Pessars läßt sich leicht 
und schmerzlos ausführen. Weitere Vorzüge gegenüber 
anderen bisher gegen Uterusvorfall in Verwendung stehen¬ 
den Pessaren sind folgende: Das neue Modell ist leicht 
zu säubern und erleichtert auch Sauberhaltung der Scheide, 
indem es nicht so leicht, wie Schalen- und voluminöse Ring¬ 
pessare die Scheidensekrete zurückhält. Indem es mit 
seinem Bügel sich an einer größeren Scheidenwandfläche 
stützt und /drückt als Stiel-, Zapfen- und Keulenpessare, 
wird .dein Entstehen von Druckgeschwüren leichter ent¬ 
gegengewirkt. #Der geschlechtliche Verkehr wird durch das¬ 
selbe in keiner Weise gehindert. 

Das Pessar wird hergestellt von der Firma H. Reiner in 
Wien, von Swietengasse 10. 

(Zentralblatt f. Gynäkologie, Nr. 31.) 

Ein neues Schutzmittel gegen die Uebertraguug 
von Krankheiten durch Insekten. 

Die Erkenntnis, daß manche Insekten, die Ueberträger 
von Infektionskrankheiten sind (Tsetsefliege, Moskitos;, sich 
nirgends aufzuhalten vermögen, wo ein Luftstrom von einer 
gewissen Stärke fühlbar ist, hat man durch Erzeugung eines 
solchen Luftstromes in ,Wohnxäumen nutzbar zu machen 





versucht. Dazu standen bisher nur die elektrischen Venti¬ 
latoren zur Verfügung, deren Anwendung aber das Vor¬ 
handensein des elektrischen Stromes voraussetzt. Einen 
Ersatz für diese (bilden die neuesten ,,Jost : Lampen-Venti- 
latoren“. Diese können in Form von Saug-, Decken-, Tisch- 
vcntilatoren zur Anwendung kommen und bringen eine 
wirksame Ventilation hervor, welche die Räumlichkeiten 
frei von Insekten hält, die auf einen Luftstrom reagieren. 
Diese Lampenventilatoren werden durch flüssige Brenn¬ 
stoffe (Spiritus, Petroleum) betrieben; die nötigen Mengen 
des Brennstoffs sind gering; während einer Betriebsdauer 
von lü Stunden ist etwa Vg Liter erforderlich, das würde 
bei Verwendung von Petroleum etwa 9 Pf. Betriebskosten 
verursachen. Die Apparate vereinigen also mit dem Vor¬ 
teil, daß sie völlig unabhängig, nicht an eine».Zentrale ge¬ 
bunden sind, den der außerordentlich niedrigen ßetriebs- 


643 

kosten (etwa */s der des elektrisch betriebenen Ventilators). 
Dadurch wird es möglich, diese Venlilatoreri in großem 
Maßstabe zur Bekämpfung der durch Insekten ver 
breiteten Tropenkrankheiten anzu wenden. Auch da, 
wo zwar elektrischer Strom vorhanden ist, aber 
die Verwendung der elektrischen Ventilatoren wegen 
der hohen Betriebskosten nicht angängig sit (in be¬ 
scheiden fundierten Hospitälern, Sanatorien, in Feld¬ 
lazaretten und Krankenbaracken), können die billig zu be¬ 
treibenden Jost-Lampen-Ventilatoren ein Verwendungsgebiet 
zur Erzeugung ausreichender Ventilation finden. Die Appa¬ 
rate werden bei der Firma F. C. Jenkins, Hamburg, König 
Straße 7, geführt. (Zeitschrift für Krankenpflege, Heft 9.) 

M. P1 i e n , Berlin. 


Bücherbesprechungen. 

Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen unter besonderer Be. 
rüeksichtigung der Homosexualität. Herausgegeben unter Mit- 
wirkung namhafter Autoren im Namen des wissenschaftlich-hu¬ 
manitären Komitees von Dr. med. Magnus Hirsehfeld. 
prakt Arzt in Charlottenburg. IX. Jahrgang. Leipzig 1908, Ver¬ 
lag von M a x S p o h r. 0(>4 Seiten. Preis 12 M. brüsch., 13,50 M. 
elegant, gebunden. 

Nach etwas längerer Pause als sonst liegt der IX. Band des 
heute ja allbekannten Jahrbuches vor, von dessen Gediegenheit 
und Reichhaltigkeit folgende kurze Inhaltsangabe ein Bild geben 
mag: 1. ln einer juristischen Abhandlung: ..Inwiefern wider¬ 
spricht der ^ 17.» des Strafgesetzbuches dem richtigen Recht“ gibt 
Dr. jur. N u m a P r a e t o rius die Gründe an. die logischer- 
weise bei einer Revision des Strafgesetzbuches zur Aufhebung 
des § 175 zwingen ,wobei er besonders W a cli en f e 1 d, den be¬ 
kannten Verfechter des £ 175 an der Hand eines anderen bedeu¬ 
tenden Juristen, M i t t e r inaie r, schlagend zurückweist, weil 
der homosexuelle Verkehr re vera keinen Eingriff in die staatliche 
Ordnung darstellt und die durch 1/5 hervorgerufenen Schäden 
seine \ orteile bei weitem über wiegen. 

2. Dr. A 1 1 r e d K i n d schreibt: „Ueber die Komplikationen 
der Homosexualität mit anderen sexuellen Anomalien“ und zwar 
liegt seinen Beobachtungen ein Material von 550 Homosexuellen 
zugrunde; es ergab sich, daß bei rund einem Fünftel die Ilomo- 
sexualitiit mit Masochismus resp. Sadismus, Fetischismus. Ex 
hibitionismus, Mixoskopie etc. kompliziert war, d. h. „der Be¬ 
griff der Homosexualität allein charakterisiert die Triebanlage 
einer erheblichen Anzahl Konträrer nicht genügend erschöpfend/ 1 

Die 3. Studie: „Diovan Antonio il Sodoma. der Maler der 
Schönheit \ on E 1 i s a r von K u p f f e r ist eine vorwiegende 
„Seelen- und Kunststudie“, eine außerordentlich fleißige Arbeit, 
die zeigt, warum er den Namen „il Sodoma“ führte, der für ihn 
zum Ehrennamen geworden war, während die 

4. Arbeit : „C h r i s t i n e, Königin von Schweden, in ihrer 
Jugend" von Sophie Höchstetter eine psychologische 
Geschichtsstudie ist. iu der Verfasserin beweist, das C hristine 
bisexuell war, „die größte fürstliche Frau aus dem Zwischen¬ 
stufengeschlecht“. 

Nr. 5 und 6: „Sokrates und die Homosexualität“ von 
Dr. O. Kiefer- Stuttgart und: „Der 7ud&ujr t'ocua in der grie¬ 
chischen Dichtung“ von P. S t e p ha n u s sind philologische Ar¬ 
beiten. Kiefer zeigt einerseits die bisexuelle Natur des 
Sokrates, andererseits die Entsagung der homosexuellen Be¬ 
tätigung desselben. 

In Nr. 7 gibt Dr. F r i e d r i c h S. K r a u ß in Wien zum 
ersten Male Kunde davon, daß K ulke ein Homosexueller war 
und in Nr. 8 Dr. P. N ä c k e - Hubertusberg ein Studie: „Ueber 
Homosexualität in Albanien“ an der Ilanfl eines Briefes eines an¬ 
gesehenen deutschen Gelehrten, der Albanien bereist hat. 

Die letzte wissenschaftliche Originalarbeit: „Fragment der 
Psychoanalyse eines Homosexuellen“ von Dr. J. Sadger, Ner¬ 
venarzt in Wien, ist eine der besten Arbeiten des Jahrbuches über¬ 
haupt, welche zeigt, daß die psychoanalytische Methode F reuds 
noch außerordentlich viel zum tieferen Eindringen in das Wesen 
des Uranismus leisten kann. Ob die psychoanalytische Methode 
auch eine therapeutische Handhabe gegen die Homo- 




THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Sexualität, uns gelten' wiv.l. mul) vorerst noelt unentschieden 

bleiben. . . n T > 

Zuletzt gibt I)r. Klima Praetorius wieder eme Bi- 
spreehung der wissenschaftliehen Bibliographie der Jalue 1900 
mul 1907. sowie eine solche der belletristischen Bibliographie dei 
,1 a hre 1905 — 1907, welche Besprechung wohl wieder am besten 
mit dem Ausdruck „klassisch“ gekennzeichnet wird. 

Diese kurze Skizziorung des Inhaltes des ganzen Jahrbuches 
zeigt daß es unmöglich ist, auch nur einigermaßen naher daraut 
einzugehen. Hirschfeld hat auch mit diesem Jahrgange 
seines Jahrbuches gezeigt, wie ernst es ihm um die w issen- 
s c h a f t 1 i c ff e Durchforschung seines Sondergebietes, Homo¬ 
sexualität, ist. Juristische, medizinische, philologische, künst¬ 
lerische u. a. Mitarbeiterschaft namhafter Autoren präsentiert 
sich wie in früheren, so auch in diesem Jahrbuch, und, wie ich 
immer wieder bei Besprechungen früherer Jahrgänge betont habe, 
ist die r e in wiss e n s e 1. a f t 1 i c h e Bearbeitung und Er¬ 
forschung des homosexuellen Gebietes, d i e b e s t e W a f t e m 
dem Kampfe um das wahre Wesen der Homosexualität und da¬ 
mit um die Xichtberechtigung des § 175. Nur durch streng wis¬ 
senschaftliche Durchforschung dieses Gebietes werden die Geg¬ 
ner endlich zur WatTenstreckung gebracht werden. 

Der 9. Jahrgang des Jahrbuches schließt sieh seinen Vor¬ 
gängern würdig an, die ganze Sammlung ist. ein Standard work 
für das Studium der Homosexualität wie des Sexuallebens über¬ 
haupt. dessen k c i n ernste r Forscher der Sexologie entbehren 
haupt, ein Werk, das kein ernster forscher der Sexologie 
entbehren kann. R o h 1 ed er - Leipzig. 

Ueber das Verhältnis des geistigen Inventars zur Zurcch- 
n uh gs- und Geschäftsfähigkeit. Von Dr. Jm e f Beize. Jii- 
ristisch-psvchiatrische Gr erfragen 1908, \ 1. Bd lieft, o ß. 

Die forensische Begutachtung geistig schwacher Individuen 
stützt sich der Hauptsache nach auf die Beurteilung des geistigen 
Inventars. Verfasser setzt in überzeugender Weise auseinander 
daß eine richtige Beurteilung des geistigen Besitzstandes nicht 
schon wie dies so häufig in psychiatrischen Gutachten geschieht 
durch oberflächliche Prüfung der Schulkenntnisse, sondern erst 
durch wiederholte Prüfung jedes der einzelnen Teile des geistigen j 
Inventars gewonnen werden kann. Die Brauchbarkeit der be¬ 
kannten Frageschemata reicht nicht über die Erkennung eines 
schon ziemlich hochgradigen Schwachsinnes hinaus. Durch das 
geltende Recht sind wir auch genötigt, die an sich unhaltbare 
Differenzierung von Abnormität und Krankheit zu machen. Verl, 
gibt dem Gutachter den Rat, wenn die Straf Prozeßordnung ihn 
nicht zwingt, sich auf das Gesetz zu beziehen, m seinem Gutach¬ 
ten nur das möglichst deutlich zum Ausdruck zu bringen, was ihm 
seine rein psychiatrische IXeberzeugung sagt. I »Zurechnungs¬ 
fähigkeit liegt dann vor, wenn das geistige Inventar eines Indi¬ 
viduums sich dadurch insuffizient erweist, daß ihm die morali¬ 
schen Begriffe, welche die Triebhandhtfigen modifizieren, abgehen, 
oder dadurch, daß diese Begriffe die erforderliche Auslösbarkeit 
und Wertigkeit, nicht erlangt haben. Auch die Geschäftsfähigkeit 
hat einen gewissen Grad von Intelligenz zur Voraussetzung. Ob 
dieser Grad im speziellen Falle vorhanden ist, läßt sich außer 
durch eine allgemeine Intelligenzprüfung besonders durch lru- 
fung der Quantität und Verfügbarkeit desjenigen geistigen Be¬ 
sitzes fest stellen, der sich auf die bürgerlichen \ erkehrsbeziehun- 
gen bezieht. 

Die klaren und interessanten Ausführungen verdienen von 
jedem Arzt, der in die Lage kommt, vor Gericht psychiatrische 
(lutachten abzugeben, gelesen und beherzigt zu werden. 

Prof. Ernst, Z i e m k e - Kiel. 

Der abscheuliche Lebertran! Sollte man nicht endlich den alten 
Zopi abschneiden dürfen und statt Lebertran und Tranpraparate fnr die 
FoW Fucol und Fucol-Präparate verordnen? f ucol wnkt, doch bei 
; on 3 gleichen Eigenschaften energischer und schneller und schmeckt• aii- 
genehmer. 1 Xgifalflaschen ä V, Eher kosten Mk. 2-. GeneralA ertrieb: 
Kail Fr. Töllner. Bremen. ___ 


Der Alkoholisinus, seine strafrechtlichen und antisozialen 
Beziehungen und seine Bekämpfung. \ on Med-Rat Dr. B a 1 s e i. 
Vssessor A u 1 und l)r. W a 1 dach m i <1 t. Juristisch-psychia¬ 
trische Grenzfragen. VI. Bd.. Heft 2- 3. Halle a. S.. l'arl 

M a r h old. «V ''Jbt ,. 

Drei uusgezeicliuetc Referate zur Alkohol frage, welche die 
am häufigsten in der strafrechtlichen Praxis vorkommenden For¬ 
men der Alkoholvergiftung nebst, ihren Beziehungen zur Krimi¬ 
nalität und die zweckmäßigste Art der Behandlung der Trinker, 
sowie die Mittel und Wege erörtern, welche geeignet sind, die 
verschiedenen durch den Alkoholmißbraueh verursachten Schädi¬ 
gungen zu beseitigen. Zahlreiche Beispiele aus der Praxis dienen 
zur Illustration des verderblichen, die Kriminalität, steigernden 
Einflusses des Alkohols. Prof. E r n st Z i e m k e - K iel. 


Ela KARLSBADER 


SPRUDELSALZ! 


SALZ 


istdas allein echte Karlsbader 

Vor Nachahmungen und Fälschungen wird gewarnt 


Allgemeines. 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. n. Lungwitz, Berlin S 
Druck von Oarl Marschner 


Frei» Vereinigung biologisch-denkender Aerzte. Die am 

17 Oktober zu Wiesbaden abgehaltene General-Versammlung war 
von 22 Mitgliedern besucht, außerdem nähmen 9 \\ iesbadener 
Aerzte als Gäste teil. Die drei Vorträge wurden mit Beifall auf- 
gc,mnimen und veranlaßten eine lebhafte Diskussion. Daran! 
wurde die Begründung einer wissenschaftlichen Gesellschaft vor- 
genominell, unter dem Kamen 

. M e d i z i n i s c h - b i o 1 o g i s c h e < J e s e 11 s c h a 1 t. 

ln den Vorstand wurden gewählt die Herren B a c h m a n n. 
Hai bürg. Esc h, Bendorf, K 1 e i n s e h r o d. * München, und 
F a ß b ende r. Ibbenbüren. Statutenentwurf und Programm 
wird den Mitgliedern der bisherigen Freien Vereinigung dem¬ 
nächst zugehen. 

Leber die Aussichten im ärztlichen Beruf. Leber die Aus¬ 
siebten im ärztlichen Beruf sind in der letzten Zeit vielfach Er¬ 
örterungen iu der Presse angestellt worden. Die Aerzte weisen 
auf den großen Ueberttuß hin, während große Krankenkassen¬ 
verbände, die an einer weiteren Zunahme der Aerztezahl ein. 
wenn auch nicht berechtigtes, so doch für den Sachkundigen be¬ 
greifliches Interesse haben, neuerdings direkt zum Studium der 
Medizin auf fordern. Zu diesem Kampf dev Meinungen sei aut 
zwei gewichtige Stimmen hin gewiesen, denen man genügende 
Vertrautheit und sachliches Urteil wohl kaum absprechen kann: 
der Direktor im kaiserlichen statistischen Amt. kaiserl. Geh. Reg.- 
Rat Dr. Zacher, hebt, im Reformlflatt für Arbeiterversiche- 
rung (1908. Kr. 19) die Ueberfüllung des ärztlichen Berufes als 
Grund für die Kotlage des ärztlichen Standes ausdrücklich hervor. 
Zu der gleichen Auffassung gelangt man durch die neueste Ver¬ 
öffentlichung des bekannten Medizinalstalistikers Dr. Fnedr. 
p r i n z i n g, der in der Deutschen med. W ochenschrift“ seine 
durch amtliche Zahlen gestützte Beweisführung bezüglich des 
Aerzteüberflnsses mit den Worten schließt: „Ich kann nicht um¬ 
hin, das harte Wort, auszusprechen; daß ich cs für leichtsinnig 
halte, den Abiturienten das Medizinstudium wegen eines angeblich 
eintretenden Aerztemangels zu empfehlen.“ Ein 'entscheidendes 
Wort zu der Frage, ob Aerztemangel oder -Überfluß vorhanden ist, 
spricht schließlich die Statistik der Universitäten, nach welcher 
die Zahl der Medizinstudierenden in den 1 e t z ton d r e i 
J a h r e n u m m ehr als 36 % z u ge n o m m e n hat; das 
Ergebnis dieser Vernienrung wird sieh in den nächsten Jahren, 
etwa vom Jahre 1913 ab, empfindlich bemerkbar machen. Ange¬ 
sichts dieser Thatsache und jener gewichtigen Urteile maßgeben¬ 
der Sachverständiger können den aus den Krankenkassenkreisen 
hervorgellenden Versuchen, trotz des zurzeit bestellenden und 
nachweislich für die nächsten Jahre zu erwartenden Ueberfiusses 
an Aerzten den Abiturienten das Studium der Medizin als aus- 
sichtsvoll zu empfehlen, sachliche Beweggründe wohl kaum noch 
zu gebilligt werden. Das Mißverhältnis zwischen Nachfrage und 
Angebot im ärztlichen Beruf ist. schon zurzeit so groß, daß zum 
Beispiel allein durch die Stellenvermittelung des ärztlichen wirt¬ 
schaftlichen Verbandes im letzten Jahre mehr als 2000 junge 
Aerzte nach geeigneter B eschäftigung suchten. _ 

F. J±_. Hoppen ul. H. JFiselier I 

Patentanwälte 

Berlin SW* 13, Neuenburgerstraße 15 
_ Amt IV, 718. _ 

— Verlaß: Gustav Ehrke Zeitscliriftenverlag, Berlin W. 9. 

Bucbdruckerei, Berlin SW. 13. 






TTnr 



5A . " , • Herausgege en von 

Prof: Dj.A. Albu, Berlin, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Anton, Halle a. S., Prof. Dr. P. Bergell, Berlin, Prof. Dr. A. Bickel, Berlin, Prof. Dr. L. Blum- 
reiiih, Berlin, Prof. Dr. E. Braatz, Königsberg.,Prof. Dr. C. Bruhns, Berlin, Prof. Dr, G. Burckhard, Würzburg, Prof. Dr. A. Dührssen, Berlin, Prof. 
Dr:E. Enderleii, Würzbürg, Prof. Dr. R. Eschweiler, Bonn, Geh. Med.-Rät Prof. Dr. C. A. Ewald, Berlin, Prof. Dr. E. Friedberger, Berlin, Prof. Dr. P. Gerber, 
Königsberg,, Reg.-Rat Prof. Dr. Jul. Glax, Abbazia, Prof. Dr. K. Helbing, Berlin, Prof. Dr. M. Henkel, Greifswald, Prof. Dr. K. Herxheimer, Frank¬ 
furt 4 ^ ^ ' W W» t~. ,. :£■’.* n _ a _r>°„r r\_ v u~i_«„t i^:„T tWP n,- ft ßorli'n Drr,f Hr M Knonnen 

Berlin,- 

Breslau;^ö^^l-MPröf. Dr.^HTpfänamtieirKiel[ Geh’Reg’-Rat Prof Dr. B. Proskauer, Berlin, Prof. Dr.' L. C. Rehn, Frankfurt a. M., Prof. 
Dr. K. Ritter,. Greifswald, Prof. Dr. H. Rosin, Berlin, Pröf. Dr. Th. Rumpf, Bonn, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. H. Senator, Berlin, Prof. Dr. H. Schlange, 

• 'Hannöver;' Profi i>r. Ad, Schmidt, Halle ä; S., Geh. Med.-Rat Prof. Dr. H. Schmidt-Rimpler, Halle a. S., Prof. Dr. med. et phil. R. Sommer, Gießen 
Profi Dr. G, Sultan, Berlin, Prpf. Dr. A. Tietze, Breslau, Prof. Dr. P. G. Unna, Hamburg, Geh. Med.-Rat. Prof. Dr .H. Unverricht, Magdeburg, Prof. 
Dr.. 0. Vulpius,Heidelberg; Prof. Dr. H. Walther, Gießen, Profi Dr. F. Wesener, Aachen, Prof. Dr. G. Winter, Königsberg, Prof. Dr. E. Ziemke, Kiel. 

Verlag und Expedition: 



- • Redaktion: • 

' Dr.' med. et phil. H. Lungwitz, Berlin S. 14; Dresdenerstr 44. 

Telephon: Amf IV, 11773. 


Gustav Ehrke Zeitschriftenverlag, Berlin W. 9, Köthenerstr. 44. 
Telephon: Amt VI, 3020. 


Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte 

der Ostsee und der Medizinisch-biologischen Gesellschaft. 


11. Jahrgang. Berlin, 1. November 1908. Nr. 44. 


Die „Therapeutische Rundschau" erscheint jeden Sonntag und Kästet vierteljährlich 2 M., einzelne Nummer 20 Pf. Zu beziehen durch den Verlag, sowie samt!. 
Buchhandlungen'und Postämter, Inserate werden für die 4 gespaltene Zeile oder deren Raum mit 50 Pf. berechnet. Beilagen nach Ueberemkunit. Reklamezelle l.cü w i*ci 
größeren Aufträgen wird Rabatt gewährt. 

• Nachdruck ist ohne Genehmigung der Redaktion nickt gestattet. 


Inhalt. 


Originalien: 

Oscar Vulpius, Heidelberg: Die Behandlung des angebore¬ 
nen Klumpfußes. . 645 

Priedr. Dessauer, Aschaffenburg: Probleme und Methode 
, der Tiefenbestrahlung mit Röntgenstrahlen . . . . . . 647 

H. Scliaef er, Wernigerode • a. H.: Verbrechen Jugendlicher 

und, Geisteskrankheit ..... . ..649 

Referate: _ '' 

A'- LaqueurT^erlmr^Physikalische Therapie ...... 651 

Willi-. BaetZner, Berlin: .Stauungs- und Saugtherapie . . 652 

K. Försterling, Mors: Röntgentherapie . ... . . . . 653 

H. E. Schmidt, Berlin: Radiotherapie . . . ... . . 654 

■ A. Stoffel, Heidelberg: Orthopädie.654 

, G. Flatäu, Beilin: Neurologie und Psychiatrie.655 

F. von-der Velden, Frankfurt a. M., W. Esch, Bendorf 


am Rhein: Varia . W& 

Mitteilungen über Arzneimittel: 

W. Krüger, Magdeburg: Referate.. • ■ ■ • 657 

W. Krüger, Magdeburg: Neuerschienene Arzneimittel . . . 6,57 

Technische Neuerscheinungen: 

M. Plien, Berlin: Blutstillungszange nach Blunk.65S 

Bücherbesprechungen. 658 

Alexander Pilcz, Leipzig und "Wien: Spezielle gerichtliche 
Psychiatrie für Juristen und Mediziner (Reh: E. Ziemke. Kiel) 6.>s 
Albrecht Freili. von Notthaft, Leipzig: Die Legende von 

der Altertumssyphilis (Ref.: J. Baum, Berlin).6.9) 

Bresgen: Die Elektrolyse mit langen Nadeln zur Behandlung 
vonVersehwellung des Haseninnern (Bef.: M. Halle, l’har- 

lottenburg 1 ).6,59 

Allgemeines.659 


ORIGINALIEN. 

Aus der Prof. Dr. Vulpius sehen orthopädisch-chirurgischen Heilanstalt 
in Heidelberg. 


Die Behandlung des angeborenen Klumpfusses. 

Von Prof. Dr. Oscar Vulpius. 

Die Klumpfußtherapie schien innige einer erfreulichen 
Entwicklung der letzten Jahrzehnte zu einem so gut wie 
definitiven Abschluß gelangt zu sein. 

Ganz.unerwartet wurde auf dem Deutschen Orthopäden- 
Kongreß des vergangenen Frühjahrs dieses Kapitel der 
orthopädischen Therapie Gegenstand lebhafter Erörterungen, 
und es folgte eine. Reihe von Publikationen, welche zur 
Ueberraschung Vieler zeigten, daß die Ansichten über die 
richtige Behandlungsweise, über den Zeitpunkt, zu dem 
die Behandlung beginnen soll, ja geradezu über alle wich¬ 
tigen Prinzipien- und -Detailf ragen einander geradezu dia¬ 
metral gegenüberstehen. Auf den praktischen Arzt muß 
.ein solcher Widerstreit anreizend wirken, und es dürfte 
-deshalb für die Leser dieser Wochenschrift nicht uner¬ 


wünscht sein, orientiert zu werden über die Methoden, 
welche trotz jüngst erhobenen Widerspruchs sich in meiner 
Klinik herausgebildet und bewährt haben bei der Behand¬ 
lung des ersten Tausend von Klumpfüßen, und an denen 
twir darum festhalten bei dem zweiten Tausend, mit dem 
•wir söit einigen Jahren schon beschäftigt sind. 




Ich erwähne diese Zahlen nur, um meine Berechtigung 
darzutun, in dieser Sache den Herren Kollegen in der all¬ 
gemeinen Praxis Ratschläge zu er!eilen. 

Wann sollen die angeborenen Klumpfüße in 
B e h a n d lung ge n o m m e n w e r d c n ? 

Ganz unzweifelhaft so früh als möglich. Dieses 
,,möglich“ ist bedingt, einmal durch den Zustand des Neu¬ 
geborenen. Wir werden ein an sich schwaches Kind nicht 
durch schmerzhafte Manipulationen schädigen dürfen, in 
jedem Falle aber auch bei gut entwickeltem Falienion das 
Ende des ersten Lebensmonates abwarlen ! 

Eine weitere wesentliche Bedingung sind die sozialen 
Verhältnisse der Eltern. Da eine im ersten Lebensvierlel- 
jalir eingeleitete Therapie fast lägliche Inanspruchnahme 
des Arztes nötig macht, so wird man hei Annen lieber 
etwas länger zuwarten, um dann bei «dem drei bis vier 
Monate alten Kind energischere und darum rascher zum 
Ziel führende Mittel anzuwenden. 

Mit dem Ende des ersten Lebensjahres aber soll die 
Kur in allen wesentlichen Punkten beendigt sein, damit von 
den ersten Gehversuchen an eine normale Belastung des 
Fußskelettes zustande kommt. Es ergibt, sich aus dem 
Gesagten, daß wir ältere Klumpfußkinder ungesäumt in Be¬ 
handlung nehmen müssen. Fnd hinzuzufigen wäre nur 
noch, daß eine obere Altersgrenze, zwar nicht bestellt, daß 
aber die Erfolge um so unvollkommenere werden, je 
schwerer die knöcherne Deformität des Fußes, je er- 


Qriginal from 

UNIVERSITf OF MICHIGAN 













THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 44 


04G 

lieblicher die sekundären Weichteilveräiiderungen am l nter- 
schenkel sind. 

Wie soll die Reh a 11 d 1 u n g d u r c h g e f (i h r t 
wer d e n ? 

Es wurde vorhin schon angedeutet, daß wir Methoden 
von verschiedener Intensität und Wirkung besitzen. 

Enter ihnen ist das tägliche Jtedressieren mit nach¬ 
folgender Bindenwicklung die mildeste. Eine Hand um¬ 
faßt den Unterschenkel bis zu den Knöcheln, diese 
vor Einknickung schützend, die andere Hand führt den 
Fuß aus der Adduktion in Abduktion, aus der Supination 
in Pronation, aus der Equinusstellüng in Hackenfußposition 

Wir fühlen, wie allmählich die elastischen Widerstände 
nac-blassen, die Siel lungskorrekt ur vollkommener wird. 
Leicht läßt sich nach 8 14 Tagen der Fuß nach jeder 

Sitzung auf eine einfache Nachtschiene befestigen, die, 
während des größeren Teiles des Tages getragen, den je¬ 
weiligen Redressionserfölg festhält. 

Wir behandeln jeden Klumpfuß des ersten Lebensjahres 
in dieser Weise vor, soweit es irgend möglich ist. Und 
zwar richtet sieh die Dauer dieser Vorbereitung nach dem 
Alter dos Patienten und nach der Schwere der Deformität. 

W ährend der ersten drei bis vier Lebensmonate kommt 
eine andere Behandlung überhaupt nicht in Betracht, später 
wird die Periode der täglichen Behandlung auf 1 4 Wochen 

bemessen. 

Vom zweiten Lebensjahre an ist diese Vorbereitung nur 
hei besonders schweren Fällen notwendig, wenngleich sie 
auch hier mit Vorteil angewendet wird. 

Hat das tägliche Redressement die Deformität sozu¬ 
sagen erweicht, so folgt in einer einzigen, bei hochgradiger 
Deformität in wiederholter Sitzung das gewaltsame Redres¬ 
sement in konzentrierterer Anwendung als bisher. 

Wir charakterisieren diese Manipulation als ,,model¬ 
lierendes“ Redressement, und wollen damit sagen, daß wir 
kein rohes Durchbrechen der Weichteil- und Knoclienwider- 
slände anstreben, sondern ein beinahe künstlerisches Uni¬ 
formen des Fußes ohne Zerreißen und Frakturieren. Die 
Weichteilüberdehnung soll es ermöglichen, daß die ein¬ 
zelnen Skeletteile in normale Lagebeziehungen zueinander 
gebracht werden und durch dauerndes Fixieren dieser 
Korrektur bezw. Ueberkorrektur im Verband eine Rück¬ 
bildung ihrer Konfiguration zur Norm erfahren. 

Auch wenn die anfänglich geübten täglichen Redressie- 
rimgen anscheinend 1 adellose* Stellungskorrektur zustande 
gebracht haben, sollen wir auf den oben beschriebenen 
letzten Ansturm, der allerdings meist die Narkose erwünscht 
macht, nicht verzichten. Nur auf diese Weise wird der Er¬ 
folg ein dauernder sein. Und ferner empfiehlt es sich, 
ebenso ausnahmslos nach Beendigung des modellierenden 
Sohhißredressements die subkutane Achillotenotomie aus 
Zufuhren. Der einfache und harmlose Eingriff schützt gegen 
das stets drohende Rezidiv des Spitzfußes. 

Edie wir den Gipsverband anlogen., muß es uns gelingen, 
ohne jegliche Kraftanwendung den Fuß in Plalt llackenfuß- 
slellung überzuführen. Die Anlegung des festen Verbandes 
erfordert allerdings einige l ehmig, um einerseits Decubitus, 
andererseits sein Abrutschen zu vermeiden. Gleichmäßige 
und sparsame Wattepolsterung, exaktes Umwickeln der 
Gazebindeniinterlage und gute Gipsteclmik führen uns an¬ 
standslos zwischen Scylla und (’harybdis hindurch. Wer 
bei Kindern auf den Gipsverband gänzlich verzichten zu 
müssen glaubt, gibt damit ohne weiteres zu, daß er ihn 
nicht anzulegen versteht. 

Allerdings empfiehlt cs sich, auch wenn die hei der 
erster: Sitzung erzielte Position eine Wiederholung dos 
modellierenden Redressements unnötig erscheinen läßt, den 
Gipsverband mindestens einmal behufs Kontrolle zu 
wechseln. 


Wie lange soll die Fixafinnsperiode bemessen werden? 
Kürzere Zeit als zwei Monate lasse ich den Verband auch 
hei leichteren Fällen kaum je tragen, meist aber 4 Mo¬ 
nate. Etwas zu viel des Guten richtet keinesfalls Schaden 
an, ein zu wenig kann unseren Erfolg völlig zu schänden 
machen. 

Und nun noch die Nachbehandlung! 

Dieselbe muß wie alles Gute den Stempel der Einfach¬ 
heit tragen, ebenso wie die bisher geschilderte Klumpfuß- 
Therapie. Wer mit komplizierten Schienenhülsenapparaten, 
mit besonders nach Modell gefertigten Naehlsehienen u. dgl. 
nachzubehandeln nötig hat, der begeht ganz unzweifelhaft 
den prinzipiellen Fehler, daß er die Nachbehandlung ein- 
leitct, ehe die Behandlung richtig zu Ende geführt ist. 

Die Verbandperiode darf erst dann als abgeschlossen 
gellen, wenn der Fuß ohne jede Nachhilfe in Ueberkorrektur 
stehen bleibt und aktive Abduktion und Dorsalflexion ohne 
gleichzeitige Supination wenigstens andeutungsweise mög¬ 
lich ist. 

Setzt man auf den Sc hienerihülsenap parat und andere 
Bandagen das Vertrauen, daß sie einen zurückgebliebenen, 
wenn auch kleinen Rest der Klumpfußdeformität vollends 
beseitigen werden, so wird dies Vertrauen ganz gewiß 
schnöde getäuscht. Zu allen Unbequemlichkeiten des 
Apparattragens muß der Patient noch die gewisse Aussicht 
in Kauf nehmen, daß er einem Rezidiv in des Wortes eigent¬ 
licher Bedeutung ,,entgegengeht“. Massage und leichte 
Gymnastik, eine einfache Nachtschieue aus Stahlsohle und 
Außenschiene, ein richtig und stark gebauter Schnürschuh 
ohne jede Schiene das ist alles, was wählend der 
nächsten Monate noch anzuwenden ist. 

Führt diese wenn wir die Achillotenotomie ab¬ 

rechnen unblutige Behandlung, vorausgesetzt, daß sic 
kunstgemäß geübt wird, regelmäßig zu völliger Heilung? 

Diese Frage ist bisher häufig mit übergroßem Optimis¬ 
mus bejaht worden, während .reichliche Erfahrung und 
gründliche Nachuntersuchung ein anderes Ergebnis liefern. 

Für weitaus die meisten Fälle kann allerdings behauptet 
werden, da'ß die plantigrade Fußstellung sich erzielen und 
dauernd erhalten läßt. Spurlos verschwindet freilich die 
Deformität häufig nicht. 

Der Calcaneus bleibt mangelhaft gebildet, namentlich 
sein Processus posterior, und die Folge davon ist eine deut¬ 
liche Atrophie der Wade. 

Auch läßt sich oft die Beweglichkeit des Sprunggelenkes 
nicht in vollem Umfang erzielen. Trotz dieser Residuen 
dürfen wir uns doch mit gutem Gewissen der Erfolge freuen, 
unsere Patienten werden mit Hilfe der unblutigen Therapie 
andauernde Sohlengänger, denen man die einstige Defor¬ 
mität kaum oder gar nicht anmerkt. 

Aber es gibt aush Ausnahmen von dieser gewiß er¬ 
freulichen Regel, Ausnahmen, die sich schon zu Beginn 
und während der Behandlung präsentieren, und solche, die 
durch stets erneute Rezidive ihre rebellische Natur dartun. 

Diese Ausnahmefälle sie mögen immerhin 10 bis 
15 Prozent der Klumpfüße darstellen wegzuleugnen, zü 
übersehen und ohne individualisierende Berücksichtigung 
mit den gleichen Mitteln zu behandeln wie das Gros unserer 
Patienten, ist natürlich ein Fehler, der zu Mißerfolgen führen 
muß, ein ebensogroßer Fehler wie die kritiklose Anwendung 
blutiger Orthopädie hei allen Klumpfüßen. 

Bei einiger Erfahrung und Hebung läßt sich hei der 
ersten Untersuchung oder zu Beginn des Redressements 
schon sagen, ob das unblutige Bedressieren den vollen Sieg 
bringen wird. Auf alle Fälle muß aber versucht werden, 
mit Hilfe desselben so viel als möglich von der Deformität 
zu beseitigen, um einen möglichst kleinen Anteil derselben 
dem Messer zu überantworten. 

Es handelt sich bei solchen hartnäckigen Fällen um 
hochgradige Knochendeformität., insbesondere des Talus, 
und zwar sowohl im Bereich des oberen wie des unteren 




kjTT 






THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


047 


1908 


Spninggelenkos. Es isl unmöglich, die nach vorne* verbreiterte 
Rolle des in Kquiuus stehenden Talus in die Malleoleu- 
gabel hineinzuzwängen oder den rechtwinklig abgeknirklcn 
\ orderfuß in die Längsachse des Calcaneus zu stellen, 
ohne zugleich eine Subluxation zu erzeugen. Oder aber es 
isl nicht zu erzwingen, daß das Fersenbein in eine ge¬ 
nügende Abduktionslage hinübergedrängt wird. 

Alle Weichteildehnung, wie kunstgerecht sie geübt 
werde, zerschellt nutzlos an den deformen Klippen der 
Fußwurzel. Hier gilt es, am Skelett den Hebel anzusetzen. 

Häufig genügt die Aushöhlung des Talus, um ihn, natür 
lieh unter einiger Zerquetschung seiner Rinde, richtig in die 
Malleolengabel einzusetzen, manchmal muß das Sprung¬ 
bein exstirpiert, selten ein Keil aus dem Tarsus reseziert 
werden. Die Durchmeißelung oder Infraktion des äußeren 
Malleolus vermag ebenfalls Hutes zu leisten. Ich begnüge 
mich damit, diese kleinen Operationen eben zu nennen, da 
ihre Ausübung wohl meisl dem praktischen Arzt nicht ge¬ 
läufig isl. 

Ist es doch mehr Zweck dieser kurzen Skizze, dem Prak 
tiker Direktiven für sein Verhalten, sein Beraten und Han¬ 
deln zu geben, als in Einzelheiten einzugehen, die schlie߬ 
lich doch durch Beschreibung nicht zu lehren, nur durch 
spezialistische Uebung zu erlernen sind. 


Probleme und Methode der Tiefeiibestralilung 
mit Röiitgeiistrahlen. 

Von Direktor Friedr. Dessauer, Ingenieur, Aschafi'enburg. 

Vortrag auf dem Internat. Kongreß für Elektrologie und Radiologie, 
Amsterdam. 

Meine Herren I Wer von Ihnen die Entwicklung des 
Röntgen Verfahrens vom Beginne an tätig miterlebte, wird 
sich der Zeil erinnern, da durch Freund und Schiff 
in Wien die X-Strahlen mit Bewußtsein therapeutisch zum 
ersten Male angewendet wurden, die Röntgentherapie be¬ 
gründet wurde. Damals mußte ein kurzer Enthusiasmus 
einer weitverbreiteten Abneigung, einer Feberskepsis 
weichen, und es bedurfte der langjährigen Bausteinarbeit 
vieler Untersucher, der Radiotherapie das Feld zu erobern, 
das ihr gebührt. 

Heute steht sie nun groß da, und ein besonders be 
deutungsvolles Ergebnis isl es, daß es ihr gelang, einzelne 
Formen oberflächlich liegender Kankroide und manche Sar 
kome wirksam zu bekämpfen. 

Eine der Grundlagen der Radiotherapie ist die diffe¬ 
rente Reaktion verschiedener Zellen auf gleiche Größen 
des therapeutischen Agens. Man weiß, daß protoplasma 
reiche juvenile Zellformen, welche häufig das pathologische 
Gewebe bilden, dem Ansturm der X-Strahlung eher erliegen, 
als Vollreife Organzellen. Liegen beide Zellgruppen an der 
Oberfläche, so daß sie gleichmäßig von der X-Strahlung 
gehoffen werden, so kann es in einzelnen Fällen gelingen, 
die pathologischen Keime zum Schwund zu bringen, ohne 
daß die Haut, die gesunde Hingebung überhaupt merkbar 
reagiert. 

Schon vor vielen Jahren hat man daran gedacht, in der 
Tiefe auch Wirkungen der X-Strahlung zu entfalten. Isl 
doch das Problem unendlich verlockend, nachdem man weiß, 
daß in einzelnen Fällen gerade die schlimmsten Krankheits¬ 
formen mit ihren protoplasmareichen Zellen sieh als sensibel 
erwiesen haben. Aber das Problem ist nicht einfach, der 
.Weg zur Lösung mühsam. 

Die erste größere Abhandlung über diese Frage findet 
sich Ende des Jahres 1904 in den „Fortschritten auf dem 
Gebiete der Röntgenstrahlen“ von Per l h e s. Perthes ha! 
eine Untersuchung angestellt zur Bestimmung der Durch¬ 
lässigkeit menschlicher Gewebe für Röntgenstrahlen. Bei 
Gelegenheit dieser Untersuchung probierte er, wie tief die 




X-Strahlung wirke, und kam zu einem negativen Resultat. 
Dieses Resultat faßt er mit den Worten zusammen: 

„Bei Bestrahlung des Körpers sinkt die Intensität der 
Röntgenstrahlen von der Körperoberfläche nach dem Körper 
innern zu rasch ab. Bei Verwendung von mittelweichen 
Röhren ist in 1 cm Tiefe nur 50 60 Proz., in 2 cm Tiefe 

nur 35 45 Proz., in 3 cm Tiefe nur 20—30 Proz. der 

ursprünglichen Intensität vorhanden. Die Intensitäts¬ 
abnahme erfolg! langsamer bei Verwendung harter Röhren, 
aber auch in diesem Falle sinkt die Intensität irn 4, cm 
unter 40 Proz., im 5: cm unter 25 Proz. des ursprünglichen 
Wertes herab.“ 

Danach erschien die Sache aussichtslos. Denn wenn 
eine pathologische Zellenanhäufung sich auch nur einige 
Zentimeter in die Tiefe erstreckte, so müßte man, um ihr 
zu schaden, der gesunden Oberfläche ein Vielfaches an 
Strahlung zuführen, und man war sicher, mehr zu schaden 
als zu nützen. 

Das Problem isl aber, wie erwähnt, sehr verlockend. 
Winkt doch, wenn auch aus großer Ferne, die Hoffnung, 
daß wir vielleicht in einzelnen. Fällen bei malignen Tu¬ 
moren etwas würden ausrichten können — ich denke, es 
ist uns jedenfalls die Pflicht auferlegf, in dieser Richtung 
nicht sieben zu bleiben. 

Ich stellte mir damals — Ende 1904 - das Problem, 

physikalisch so weit zu ko m men, d a ß man i n 
der Tiefe genau so bestrählen könne, w i e j e t z t 
auf der Oberfläche der Haut. Das scheint beim 
ersten Blick unmöglich zu sein; denn es gibt drei Hinder¬ 
nisse, von denen jedes einzelne scheinbar diese Möglichkeit 
a priori ausschließt. Das erste Hindernis isl das Gesetz von 
der Quadratabnahme der X-Strahlen-Intensitäl. Bei der Be¬ 
strahlung wird ein doppelt soweit von der X-Strahlenquelle 
entfernter Gegenstand nur 1 / 4 der X-Strahlung erhalten, 
genau wie im Lichte. Das zweite Hindernis isL die Tat 
Sache, daß gerade die weichsten Strahlen, die am wenigsten 
in die Tiefe dringen, die größte Einwirkung auf die Zelle 
haben und daß schon aus diesem Grunde die Oberfläche 
bei der gewöhnlichen Bestrahlung durchschnittlich zehnmal 
mehr bekommt als die Tiefe. Das dritte Hindernis ist die 
differente Absorption der einzelnen Organe des mensch¬ 
lichen Körpers. Die Organe des menschlichen Körpers ab¬ 
sorbieren ungleiche Mengen der X-Strahlen, wie jede Hont 
genaufnahme beweist. 

Ich verhehle mir dabei nicht, daß vom medizinischen 
Standpunkte aus vieles eingewandt werden kann, selbst wenn 
wir das Problem lösen. Man kann sagen, daß wir nicht 
wissen, wie manche tief gelegenen Organe, insbesondere, 
wie die Drüsen auf die Einflüsse der Strahlen reagieren 
würden. Man kann auch darauf hinweisen, daß wir nicht 
wissen, ob die Natur fähig ist. die in der Tiefe zerstörten 
Gewebeschichten zu resorbieren. Aber in erster Linie ist 
das Problem ein physikalisches und nur mit der physikali¬ 
schen Seite der Sache habe ich mich zunächst zu beschäfti¬ 
gen. Das erste ist, d a ß w i r in d e r T i e f e ü b e r 
ha u p t h e s t ra hlen k ö iiiien. S o d a n n e r s t ko m m I 
die Frage, was eintril.I., dann erst kommt die vor 
sichtige medizinische Fragestellung. Und ganz sicher läßt 
sich diese medizinische Fragestellung mit Vorsicht so ein 
leiten, daß man damit beginnt, solche Fälle mit Tiefen 
bestrahlung zu behandeln, bei denen jetzt die X-Strahlung 
nur einen teil weisen Erfolg hervorbringt. 

Das physikalische Problem ist heute gelost. Wenn ich 
die Resultate meiner vierjährigen Arbeit vorwegnehmen soll, 
so möchte ich sagen : es ist heute p h y s i k a 1 i sch 
zweifei 1 o s m ö glich, an tief gelegenen Stellen 
ein ebenso großes M a ß v o n X - S t r a h 1 u n g z u 
a p p 1 i z i er en, wie es die Oberfläche der Haut dabei 
empfängt. Dieses würde genügen, die Elektivwirkung zur 
Geltung zu bringen. Aber es ist außerdem auch möglich, 
fast in allen Fällen mehr, das Doppelte oder Dreifache an 


Original from 

^Üf 



648 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 44 


■i 


X-Strahlung an eine tief gelegene Stelle zu bringen, als | 
es die Oberfläche erhielt. 

Die Erklärung für diese Möglichkeit nehmen wir am 
besten aus der Optik. 

Auch beim Lichte gilt das Gesetz, daß es im Quadrat 
der Entfernung abnimmt, daß also eine im doppelten Ab¬ 
stand beleuchtete Ebene nur 1 4 der Beleuchtung erfährt. 

Dieses Gesetz der quadratischen Abnahme gibt aber 
auch gleichzeitig die Möglichkeit einer homogenen Beleuch¬ 
tung. Es ist praktisch gleichgültig für den Grad der .Be¬ 
leuchtung, ob ein 2 m entfernter Körper nun noch um 
1 cm auf 2,01 in entfernt wird. 1 cm bedeutet nichts im. 
Vergleich zu dem Totalabstand von 2 m. Wir können also 
sagen, in dem Abstande von 2 m von einer Lichtquelle 
ist das Licht praktisch auf die Tiefe von 1 cm homogen. 

Die Erscheinung, daß bei einer gewissen Tiefe die Menge 
des auflreffenden Lichtes praktisch die gleiche ist, wenn 
das Gebiet einen genügenden Gesamtabstand von der Licht¬ 
quelle hat, bezeichnen wir als räumliche Ho möge - 
n i t ä t. 

Wird in die Entfernung von 2 m von der Lichtquelle 
ein Glaswürfel von vielleicht 1 cm Kantenlänge gebracht, 
der aus reinem farblosen Glase besteht, so können wir 
zwar nicht von dem Körper sagen, daß er kein 
Licht absorbiere, denn sonst würde er nicht sicht¬ 
bar sein. Aber wenn wir von seiner Kantenwirkung ab- 
sehen, so können wir wohl sagen, daß alle seine Teile gleich¬ 
viel Licht absorbieren. Sowohl räumlich, denn seine Tiefe 
macht im Vergleich zur Distanz nichts aus, als auch spezi¬ 
fisch, denn der Glaskörper ist in allen seinen Teilen gleich 
und absorbiert im Verhältnis auch in allen seinen Teilen 
gleichviel. 

Diese letztere Eigenschaft bezeichnen wir als die 
spezifische Homogenität. Wir meinen damit, daß 
alle Teile des Glaskörpers gleichviel Licht absorbieren. 

Um nun mit Röntgenstrahlen in der Tiefe ebenso be¬ 
strahlen zu können, wie jetzt auf der Haut, müssen wir 
zwei Forderungen erfüllen: wir müssen den Körper räum¬ 
lich und spezifisch homogen durchstrahlen, d. h. mit anderen 
Worten, er soll gegenüber der X-Strahlung sich so ver¬ 
hallen, wie der Glaskörper sich gegenüber dem Lichte ver¬ 
hielt. Die Dimensionen des zu beeinflussenden Gebietes 
müssen verhältnismäßig klein sein zum Abstand der Rönt¬ 
genröhren und es muß eine Strahlung benutzt werden, 
welche den Körper so durchdringt, daß seine Teile, seine 
Organe ungefähr gleichviel Strahlung absorbieren. 

Bei einer gewöhnlichen Röntgendurchleuchtung absor¬ 
bieren die Organe des menschlichen Körpers ungleich- 
viel. Darauf beruht ja die diagnostische Verwendung: 
die Knochen erscheinen als tiefschwarze Schatten, das 
Fleisch ist durchstrahlt, erscheint hell. Durchleuchten wir 
mit Röhren verschiedener Härte, dann bemerken wir, daß 
die Differenz der Absorption um so geringer wird, je härtere 
Röhren wir einschalten. Tatsächlich hat ja die Unter¬ 
suchung des spezifischen Gewichtes der Organe im mensch¬ 
lichen Körper gezeigt, daß sie nur sehr wenig differiert, daß 
die Knochen und manche Gewebe nur sehr wenig spezifisch 
schwerer sind als das Wasser und einige Organe sehr wenig 
spezifisch leichter als das Wasser. Durch Benutzung von 
außergewöhnlich penetranten Strahlen gelangen wir denn 
auch tatsächlich zu einer Durchdringung, bei der Knochen 
und Weichteile nur noch um einige Prozent in der Ab¬ 
sorption differieren. 

Man kann harte Röntgenröhren von spezieller Kon¬ 
struktion, wie meine Versuche ergaben, lange mit. gewöhn¬ 
lichen Induktoren, wesentlich besser und viel länger mit 
speziell dafür gebauten Induktoren betreiben. Ich habe 
viele Untersuchungen darüber gemacht, wie der Charakter 
der Strahlung und die Lebensdauer der Röhre von der Art 
der Hochspannungsentladung abhängt, welche durch die 
Röhre hindurchgeht. Auf diesem Wege hin ich dazu ge¬ 


langt, harte Röhren mehrere hundert Stunden lang, im 
täglich etwa zehnstündigen Dauerbetrieb funktionieren zu 
lassen. Dieses gelang mir bereits im Jahre 1905. Ich meine 
die Versuche, die ich in der Klinik von Exzellenz Prof. 
Dr. V. Czerny in Heidelberg machte. 

Es gibt nun noch ein sehr wesentliches Mittel, um die 
spezifische Homogenität zu erhöhen. Diese Mittel sind die 
sogenannten Strahlenfilter oder Strahlentransformatoren. 
Nach den Arbeiten von Sagnac wissen wir, daß die 
X-Strahlung Sekundärstrahlung bildet. Diese Sekundärstrah- 
lung ist verschieden je nach dem Körper, in dem sie ent¬ 
steht. Ich habe viele Körper untersucht. Man kann sie in 
positive und negative Transformatoren einteilen, je nach¬ 
dem die in ihnen entstehende Sekundärstrahlung härter oder 
weicher ist als die hineingeleitete X-Strahlung. Die meisten 
Metalle sind negative Strahlentransformatoren, viele orga¬ 
nische Körper, ferner insbesondere auch Glas sind positive 
Strafelentransformatoren. Solche verwenden wir bei 
unseren Versuchen, indem wir sie zwischen die Strahlen¬ 
quelle und den menschlichen Körper bringen. Sie filtrieren 
etwa vorhandene, weniger penetrierende Strahlen ab und 
geben eine sehr penetrante, Strahlung. 

Um die Strahlenmenge möglichst zu erhöhen, verwende 
ich stets gleichzeitig mehrere Röhren, 2, 4, 6, die durch 
kombinationsweise geschaltete Induktoren gleichzeitig mit 
sehr geringem Stromverbrauch in Tätigkeit gesetzt werden. 
Mit solchen Anlagen gelingt es, den Körper so zu durch¬ 
strahlen, daß er im ganzen noch einen schwachen Schatten 
auf den Leuchtschirm wirft, ohne daß sich Einzelheiten da¬ 
bei differenzierten. Ja man kann 2, 3 oder 4 Menschen 
hintereinander in den Weg der Strahlung stellen. Sie 
werfen zusammen einen ziemlich gleichmäßigen trüben 
Schatten, werden demnach alle kräftig durchdrungen, ähn¬ 
lich wie der Glaswürfel vom Lichte. 

Es ist zweckmäßig* bei der Bestrahlung der einzelnen 
Körperteile die Wirkung nacheinander von verschiedenen 
Seiten eintreten zu lassen. Zu diesem Zwecke wird man 
das Objekt so verlagern, daß es immer andere Seiten der 
Strahlenquelle zukehrt, oder aber man wird die Strahlen¬ 
quellen an verschiedenen Seiten des Objektes anordnen. 

Auf diese Weise ist es auch möglich, der Tiefe viel 
mehr, als der Oberfläche an Strahlung zuzuführen. Nehmen 
wir als Beispiel den Fall eines mediastinalen Sarkomes. 
Wir lassen zunächst die Strahlung von vorne nach hinten 
durch den Körper hindurchtreten, und zwar durch eine 
davorgestellte starke Bleiwand, welche eine Oeffnung, ein 
Diaphragma besitzt. Die Strahlung geht dann homogen 
in Form eines Kegelstumpfes ventro-dorsal durch den 
Körper hindurch und trifft dabei das zu beeinflussende 
Gebiet. Danach ordnen wir unsere Bleiwand seitlich an, 
bestrahlen sie z. B. sinistro-dextral. Dann wird an einer 
Stelle eine Ueberkreuzung der beiden Strahlenwege statt¬ 
finden und dort wird die doppelte Strahlungsmenge wirken. 

Die physikalische Grundlage der Homogenbestrahlung 
habe ich bereits zu Beginn des Jahres 1905 in der ,,Medi¬ 
zinischen Klinik“ unter dem Titel „Beiträge zur Bestrahlung 
tiefliegender Prozesse" veröffentlicht(1). Vom Herbste 1905 
bis zum Frühjahr 1906 habe ich in der Klinik des Herrn 
Prof. Dr. V. Czerny, zunächst zur Kontrolle der physi¬ 
kalischen Momente, solche Bestrahlungen durchgeführt und 
damit die physikalische Möglichkeit der Sache einwandfrei 
daigetan. Die physikalischen Ergebnisse legte ich im 
Januar 1907 der deutschen physikalischen Gesellschaft (2) 
vor, in deren Verhandlungen sie erschien. In der Zwischen¬ 
zeit bin ich mit größter Aengstlichkeit, der großen Gefahr 
einer solchen Tiefenbestrahlung wohl bewußt., Schritt für 
Schritt vorangegangen. Ich kann wohl heute sagen, daß 
das Problem physikalisch und technisch endgültig gelöst 
ist. Wir können mit verhältnismäßig einfachen und billigen 
Apparaten in die Tiefe pro Stunde 1, auch 2 und in einigen 
Fällen auch mehrere Kienböck sehe Einheiten applizie- 



WTrnrHfflT 






1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


649 


ren. Am besten gehl die Tiefenbestrahlung mit den speziell 
dafür konstruierten Apparaten und Röhren. Sie läßt sich 
auch einigermaßen improvisieren. 

Damit ist die Möglichkeit für ihre medizinische Ver¬ 
wertung gegeben. Ich möchte aber die Bitte an alle die¬ 
jenigen richten, welche Versuche mit dieser Methode zu 
machen beabsichtigen, sich der großen Gefahren bewußt 
zu bleiben, welche sie möglicherweise in sich birgt. Nur 
unter der ängstlichen Ueberwachung und Messung und in 
engbegrenzter Auswahl der Fälle, sollte die Bestrahlung 
erfolgen. Bei Erkrankungen der Extremitäten ist die Sache 
ja verhältnismäßig einfach. Das betreffende Organ wird 
in ein Filtergehäuse gebracht und der übrige Körper sorg¬ 
fältig vor der X-Strahlung behütet. Schwieriger wird die 
Strahlung in der Tiefe, am Rumpf und am Kopfe, und hi«*r 
ist äußerste Sorgfalt geboten. Sowohl zu starke, wie zu 
schwache Bestrahlung kann große Gefahr mit sich bringen. 

Ich erkläre mich gern bereit, nachdem die Methode 
der Tiefenbestrahlung auf dem letzten Röntgenkongreß 
gegen meinen Willen von dritter Seite zu früh an die 
Oeffentlichkeit gekommen ist, bei diesbezüglichen Arbeiten, 
soweit ich kann, mit Rat und Tat zu helfen. 

Ich weiß genau, daß eine solche verfrühte Anwendung 
des Verfahrens Rückschläge bringen muß, und ich weiß, daß 
man viele medizinischen Einwände gegen die Sache machen 
kann, aber vielleicht wird sie sich doch in dem einen oder 
anderen Falle als brauchbar erweisen; vielleicht wird es 
möglich sein, manche tiefliegenden Prozesse Leukämie, 
Morbus Basedowii und andere Drüsenerkrankungen, ferner 
Tumoren — zu bekämpfen und vielleicht auch der Metastasen¬ 
bildung vorzubeugen, die in LvmpK- und Blutbahn trans¬ 
portierten Keime zu treffen. Und wenn unter tausend von 
Fällen einige mit dieser Methode gebessert werden können, 
so ist die aufgewandte Mühe reichlich belohnt. 

In diesem G'öbiete, mAvöWhem Physiker. Arzt und Tech¬ 
niker Schulter an Schulter kämpft, sind viele Probleme 
vorhanden, deren Lösung zuerst in der Arbeitssphäre des 
Physikers liegt. Seine Aufgabe ist es, die Grundlagen für 
eine solche Methode zu geben und eventl. die technische 
Möglichkeit zu ihrer Ausführung. Weiter geht meine Pflicht 
nicht. Aber ich darf mit dem Wunsche schließen, daß aus 
dieser gemeinschaftlichen Arbeit von Physik und Technik, 
die ich Ihnen nach vierjähriger Vorbereitung übergebe, 
wenigstens ein bescheidenes Resultat für die Medizin her¬ 
vorgehen wird. 

Literat m*. 

1. Dessaurer: Beiträge zur Bestrahlung tiefliegender 
Prozesse. Med. Klinik. 1905, Heft 21 u. 22. 

2. Dessauer: Eine neue Anwendung der Röntgeustrali- 
len. Verhandlungen der deutschen physikalischen Gesellschaft, 
1907, IX. Jahrg., Nr. 3. 

3. Dessauer: Eine neue Anordnung zur Röntgenbestrah¬ 
lung. Archiv f. physik. Medizin und nied. Technik, 1907, II., 
Heft 3 u. 4. 

4. Dessauer und Krüger: Die Nachbehandlung ope- 
rirter Karzinome mit homogener Bestrahlung. Berliner kl in. 
Wochenschrift, 1908, XL 

5. Sommer: Feber Homogenbestrahlung. Röntgenkalen¬ 
der 1908. 

6. Sommer: Feber das Problem der homogenen Tiefen¬ 
bestrahlung in der Röntgentherapie. Zeitsehr. f. neuere physik. 
Medizin, 1908, II. Jahrg., Nr. 8. 

7. Dessau e r: Ziele der Röntgentechnik. Verhandlungen 
der deutschen Röntgengesellschaft, 1905. 

8. Dessauer: Strahlungsenergien und Krankheiten. 
Deutsche Revue, 1905. 

9. Dessauer: Eine neue Anwendung der Rönt genstrahl eil. 
Deutsche Revue, 1908. 

10. F ranze: Homogenbestrahlung. Deutsche Aerzte-Ztg., 
August 1908. 

11. Eine neue Anwendung der Röntgenstrahlen. Münch, 
med. Wochenschrift, 1908, Heft 24 u. 32. 


Verbrechen Jugendlicher und Geisteskrankheit. 

Von Dr. H. Schaefer, 

Oberarzt a. D. der Irrenanstalt Friedrichsberg in Hamburg, 
Wernigerode a. H. 

Das ernsteste Zeichen unserer Zeit ist die fort¬ 
schreitende Zunahme der Verbrechen bei den Jugendlichen, 
ja bei den Schulkindern. Die der letzteren mahnen so laut, 
daß die »Wiener Lehrerschaft mit einem ganz neuen An¬ 
träge hervorgetreten ist, an jeder Schule besondere Neben¬ 
klassen für die verbrecherischen Kinder einzurichten. Die 
Idee ist gut, aber nicht die Bezeichnung „Disziplinar- 
klassen“. Sie trägt die Anschauung in sich, als ob alle 
diese Kinder „nicht wollten“, und die ist falsch; viele von 
ihnen „können nicht“. Es ist außerordentlich schwer, das 
Verständnis dafür beizubringen. Es geschieht auch nichts 
dafür, das Interesse wird nicht erweckt. Es ist ganz falsch, 
zu glauben, es sei eine neue Idee, eine Theorie, ein politisch 
sophistisches Konstruktum, viele der jugendlichen Ver¬ 
brecher seien unzurechnungsfähig (d. h. ifian könne ihnen 
keine Strafe zu rechnen) wegen krankhaften Geistes¬ 
zustandes. Die Idee ist uralt (nicht von Lombroso), es ist 
keine Theorie, sondern wissenschaftliche Tatsache. Wie 
dachte Goethe darüber? Wie viele von heut: „Daß man 
aus Schwäche und übertriebener Liberalität überall mehr 
nachgebe als billig, so auch, um dem Verbrecher au der 
Strafe v o rhei zu helfen. ‘ ‘ Nach diesen Worten lobte sein 
Leibarzt einen jungen charakterfesten Physik us, 
der nicht der Richtung angehöre. Nun aber Socrates? 
Moralisch sein heißt begreifen, vorausgesetzt, daß eine sitt¬ 
liche Belehrung stattfindet; wird die Belehrungg nicht be¬ 
griffen, dann liegt kranke Anlage vor, findet aber Be¬ 
lehrung nicht statt, dann braucht kranke Anlage nicht vor¬ 
zuliegen. Viel mehr Einsicht wie bei Goethe. Socrates 
sprach auch vom „großen Unverstand“ und meinte damit 
die auffälligen Formen geistiger Störung, welche die Menge 
— ganz wie heut nur erkennt, während sie die un¬ 
auffälligen nicht versteht. 1 ) 

Die krankhafte Anlage, welche bei den Jugendlichen 
allein in Betracht kommt, nennen wir heut Schwachsinn. 
Damit ist aber nicht das gemeint, was die Laien so be¬ 
zeichnen, welche nur die sinnfälligen Formen darunter ver¬ 
stehen. Nun, was dann? Die Unfähigkeit, die Morallehren 
zu begreifen. Was heißt denn das? 

Die häufigste Unsittlichkeit ist die Lüge. Ein kleines 
Kind von drei Jahren lügt. Es ist sich bewußt, daß es 
wissentlich die Unwahrheit sagt, d. h. es keimt den Mecha¬ 
nismus der Lüge. Es hat aber keine Ahnung, daß die Lüge 
etwas Verbotenes ist. Das normale Kind von zwölf Jahren 
weiß, daß es mit der Lüge etwas Unrechtes tut, wird rot, 
wenn es zur Rede gestellt wird. Es weiß das auswendig 
infolge der Belehrung in Haus und Schule, infolge von 
Bestrafungen. Doch weiß es aber noch nicht, was eine 
Lüge ist. Die meisten Kinder wissen es noch nicht, wenn 
sie die Schule verlassen, mit 14 Jahren. Erst nach dieser 
Zeit, vielleicht mit 16 Jahren, auch später, kommen sie zur 
E i n s i c h t d e r V e r w e r f 1 i c h k e i t d er L ü g e a n s i c h , 
gehen sie a us eigener Urteilskraft ihr placet zu deren 
Unsittlichkeit, Strafbarkeit, haben sittliches Bewußtsein 
hinsichtlich der Lüge, Schuldbewußtsein, d. h. wissen nun, 
was eine Lüge ist. Was für die Lüge, gilt auch für den 
Meineid, den Diebstahl, den Betrug, die Unterschlagung, 
Brandstiftung, Gefährdung, den Mord. Durch § 56 St. G. 
hat die Gesetzgebung angenommen und ausgesprochen, daß 
auch bei normalen Jugendlichen unter Umständen es bis 
zur Vollendung „des 18. Jahres dauern kann, ehe sie das 
Uliterscheidungsvermögen für Recht und Unrecht (d. h. 
kriminell) .haben. Der Paragraph bewilligte gerade aus 
diesem Grunde Straflosigkeit, obwohl die Täter wissen, daß 

1 ) Dr Schaefer: Der moralische Schwachsinn. C. Mar hold, 
Halle a. S., 1906. 






650 THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. Nr. 44 


sie Unrecht (moralisch) getan haben. Die Unterscheidung 
von Recht und Unrecht, das Vermögen, welches schon das 
zwölfjährige Kind besitzt, bedeutet aber noch nicht sittliche 
Einsicht. Leider aber verwechseln das Juristen und Aerzte 
in der Praxis in den meisten Fällen. 

Beim Schwachsinnigen nun bleibt das Gehirn in seiner 
Entwicklung stehen, es bleibt auf einer Stufe stehen, welche 
$ 56 meint, es gelangt zur Unterscheidung (auswendig ge¬ 
lerntes Wissen), aber nicht zur Einsicht (eigenes Urteil). 
Eltern schwachsinniger Kinder begreifen das am Kinde, 
sobald sie von selbst (selten) oder mit Hilfe die Diagnose 
stellen. 

Viele werden nun sagen: das will ich alles unter¬ 
schreiben. auch Goethe würde es gesagt haben. Sie werden 
aber fragen: wie kann ich denn wissen, ob jemand die 
sittliche Einsicht hat? Das erfahre ich, wenn ich Urteils¬ 
schwäche auf rein verständlichem, nicht moralischem Ge¬ 
biet, feststelle. Ein Beispiel. Fan Mädchen von 1(5 Jahren 
ist des Diebstahls angeklagl. Es ist nicht konfirmiert 
worden. Die Mutter hat mehrfach versucht, aber vergeblich, 
das Kind in einer Erziehungsanstalt unterzubringen, weil 
sie mit ihm nichts ausrichten konnte. Der Vater befindet 
sich seit Jahren als epileptischer Schwachsinniger in einer 
Irrenanstalt. Das Mädchen ist in der vierten Klasse ab¬ 
gegangen, das Schulwissen ist dementsprechend mangelhaft. 
Das an sich besagt nichts. Aber es beantwortet die Frage: 
Was ist der Papst, wo wohnt er? Der Papst ist der Pastor 
und wohnt in der Kirche! ,Es erhielt drei Monate. Das 
ist eine Schwachsinnige. Wer so urteilsschwach ist, kann 
die Moral nicht begreifen. So liegen die Fälle, welche die 
Irrenärzte meinen. Genau dasselbe hat Socrates gemeint. 
Er würde den „charakterfesten“ Physikus anders bezeichnet 
haben. 

Was soll nun die Bestrafung solcher Unglücklicher? 
Einmal ist sie gesetzwidrig, denn diese Menschen befinden 
sich in einem Zustande krankhafter Seelenstörung, durch 
welchen die freie Willensbestimmung ausgeschlossen ist 
(§ 51 St. G.), d. n. es fehlt ihnen die sittliche Einsicht, 
die Grundbedingung freier sittlicher.Entscheidung. Wer ein¬ 
mal die Moral begriffen hat und dann ein Verbrechen be¬ 
geht. der ist ein richtiger Verbrecher, nicht aber der, dei 
niemals soweit mit seinem Begreifen gekommen ist. Dann 
nutzt aber die Strafe auch nichts. Da der Mensch solcher 
Geistesauffassung an Einsicht nicht gewinnt, kann sie ihn 
nicht bessern, der Begriff Ehrgefühl ist ihm fremd. Ab 
schreckend wirkt aus denselben Gründen die Strafe auch 
nicht Der Mangel des sittlichen Bewußtseins beruht auf 
der Unfähigkeit, mit höheren Begriffen zu arbeiten. Letztere 
sind abstrakt, wie Pflicht, Ehre, Schuld, Werl des Lebens, 
Liebe gegen die Angehörigen, die Nächsten, das Vaterland. 
Der Schwachsinnige arbeitet aber meist gut mit konkreten 
Begriffen. Er kann ein tüchtiger Sportsman sein, mit 
Eleganz einen Hasen tot schießen, er kann bei spezifischer 
Beanlagung tadellos ein Gemälde kopieren und raffiniert 
ein Verbrechen begehen. Die Unfähigkeit, mit abstrakten 
Begriffen zu arbeiten, bedingt Urteilsschwäche. 

Diese Urteilsschwäche bringt es mit sich, daß sich der . 
Schwachsinnige leicht fremde Urteile aufdrängen läßt, leicht 
zu verführen, zu benutzen ist. Ebenso führt dieselbe zu 
phantastischer Auffassung, d. h. einseitiger. Besonders ent¬ 
steht letztere in den Entwickelungsjahren, in denen sich 
das Gefühl der Persönlichkeit geltend macht, sich die Be¬ 
griffe höherer Art erst entwickeln. Indianer-, Detektiv 
gesi hichten, Berichte über Verbrechen gemeiner und poli¬ 
tischer Art verwirren die Begriffe Ehre, Heldentum und 
bestimmen den Schwachsinnigen zu Verbrechen. Daraus 
ist der moderne Typus der verbrecherischen Phantasten, be¬ 
günstigt durch den Geist der Zeit, entstanden. Die Ver¬ 
kennung der krankhaften Anlage ist von unheilvoller Be¬ 
deutung. Sie verhindert, daß man. trüb genug Vorbeugen 
lernt, psychiatrische Hygiene treibt. Daran fehlt es noch 


ganz. Der Psychiater steht heut immer am Ende. Sind 
ein oder mehrere Verbrechen begangen worden, dann er¬ 
klärt er, es liegt Geisteskrankheit vor. Die Zukunfft muß 
darauf bedacht sein, die psychiatrischen Kenntnisse vor¬ 
her zu verwerten, auf den Schulen, iu den Rettungs¬ 
anstalten. Vor allem ist es erforderlich, daß die Rechts 
lehrer sich mehr mit Psychiatrie vertraut machen, daß ge 
riehfliehe Medizin im juristischen Examen von einem Ge- 
richtsarzt geprüft, wird. Unsere Zeit der Verbrechen drängt 
immer mehr, sich mit so ernsten und schwerwiegenden 
Dingen zu beschäftigen. 

Die Wiener Lehrerschatt will mit ihrem Vorschläge von 
Diszipliuarklassen vorbeugend wirken. In diese Neben¬ 
klassen sollen alle die Schüler versetzt werden, welche sitt¬ 
lich defekt sind und der sittlichen Erziehung Widerstand 
entgegensetzen. Einmal soll dadurch die Ansteckung der 
guten Schüler verhindert, dann aber der Erziehung der 
schlechten eine besondere' Sorgfalt gewidmet werden. 

Welcher Art sind nun die Kandidaten für diese Neben 
k lassen? 

Sie teilen sieb in drei Gruppen. Die erste umfaßt die 
Verwahrlosten, normal veranlagte Kinder, welche aber im 
Haus nicht nur keine sittliche Erziehung genießen, sondern 
denen das Gute, was die Schule an ihnen fördert, durch die 
Art und das Beispiel der Eltern noch verdorben wird. Die 
zweite Gruppe setzt sich zusammen aus Schwachsinnigen, 
aus Kindern, die von Hause aus sittlich unerziehbar sind, 
denen im Haus und in der Schule eine gute, ja die beste 
Erziehung zuteil wird. Es sind die eigentlich unerzre- 
baren Kinder, ln der dritten Gruppe finden wir die trau 
rigsten Elemente, bei denen beides zutrifft, V erwahrlosung 
und Schwachsinn. 

An allen diesen Kindern wird ein rein disziplinäres 
Regime nichts zustande bringen. Alle Mühe an den normal 
veranlagten Verwahrlosten wird durch die Gegenarbeit im 
Hause zu schänden gemacht werden. Hier kann nur Entfer¬ 
nung aus dem Hause und Unterbringung inFürsorgeerziehung 
helfen. An den Schwachsinnigen mit und ohneErziehung wird 
eine intensivere Disziplinierung keine Resultate zeitigen, 
weil sie die Morallehren nicht begreifen können. Es sind 
geborene Verbrecher. Bei den verwahrlosten Schwach¬ 
sinnigen ist natürlich ebenfalls die Entfernung aus dem 
Hause angezeigt, Für die gedachten Nebenklassen bleiben 
dann nur die Kinder der zweiten Gruppe übrig. 

Uni aber die Kinder der drei Gruppen voneinander 
scheiden zu können, ist es ganz unerläßlich, daß neben 
anderweitigen Erhebungen ihr Geisteszustand festgesetzt 
wird. Dieser Aufgabe ist nur ein zuverlässiger Psychiater 
gewachsen. Ist das geschehen und sind die Unerziehbaren 
(die Voraussetzung der Erziehung in Haus und Schule trifft 
zu) den Nebenklassen zugewiesen, daun- weiß der Lehrer, 
mit wes Geistes Kindern er zu tun hat, so gul wie der 
Lehrer der llilfsschulklassen. Er wird damit die richtige 
Methode der Behandlung finden und sich selbst viel Mühe 
und Arbeit ersparen. Man wirtf in diesen Klassen in inten¬ 
siverer Weise das sittliche Bewußtsein zu erwecken suchen, 
aber nicht durch strammere Disziplinierung, sondern durch 
l eingehendere häufigere Belehrungen, mit eigenartig pädago¬ 
gischer Diplomatie beigebracht. Die llauptmittel gegen die 
Schwachsinnigen sind Aufsicht und Leitung. Rationell wird 
es daher sein, die Schüler über die gewöhnliche Stunden¬ 
zahl hinaus möglichst lange unter Aufsicht zu 
behalten. Ganz besonders ist das überall da zu empfehlen, 
wo man den Nachmittagsunterricht aufgegeben hat. Ist 
diu häusliche Aufsicht nicht genügend, dann verwildern die 
Kinder in den langen Nachmittagen. In den Ueberstunden 
wird man mit ihnen spazieren gehen, mit ihnen spielen, 
mechanische Arbeiten verrichten. In Anstalten machen ver¬ 
brecherische Schwachsinnige oft genug den besten Ein¬ 
druck, arbeiten' fleißig, weil sie sich wegen der leichten 
Bestimmbarkeit leiten lassen.. Auf diese Weise wird man, 



TTTWnT 






1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


651 


wenn auch niemals volle, so doch gewisse befriedigende 
Resultate erzielen. 

Die Aufsicht muß nun nach der Schule, besonders bei 
der großen Masse der Volksschüler fortgesetzt werden. Zu 
dem Zweck muß ein Arbeitsnachweis geschaffen werden. 
Man wird vermeiden, mehrere Lehrlinge hei demselben 
Lehrherrn unterzubringen. Die Erfahrung hat gelehrt, daß 
dadurch leicht das verbrecherische Komplott gezüchtet wird. 

Bei manchen wird sich aber zeigen, und dieser Tat¬ 
sache muß frei ins Gesicht gehlickt werden, daß alle Er 
ziehungsbestrebungen vergeblich sind. Dann bleibt nur ein 
Weg übrig, der in die Irrenanstalt, die dauernde Entfernung 
dieser antisozialen Mitglieder aus der Gesellschaft. Auch 
der Armee werden auf diese Weise viele unbrauchbare 
Elemente ferngehalte 11 . 

Die Disziplinarklassen werden kommen, sie müssen 
kommen, aber unter anderem Namen, meinetwegen Nebeu- 
kiassen A. Manche Verbrecherlaufbahn ward damit im An¬ 
fang abgeschabten, ■werden. 

Sehr viele Schwachsinnige zeigen sich aber auf der 
Schule noch nicht so schlimm. Erst wenn sie ins Lehen 
treten, wenn dessen Verführungen sie anziehen, in dem 
.Maße, wie dessen Aufgaben sie abstoßen^ zeigen sie sich 
sittlich defekt, verbrecherisch. Hinzu kommt die entsitt¬ 
lichende Wirkung des Alkohols. Viele von ihnen werden 
dann in Rettungsanstalten untergebracht. An keiner solchen 
Anstalt aber nimmt mail heute die Gelegenheit wahr, psychia¬ 
trische Untersuchungen vorzunehinen. Man gellt, allein 
davon aus, daß diese Jugendlichen moralisch verdorben 
sind, daß sie sich mit bösem Willen für das Schlechte 
entschieden haben, und man sucht daher mittelst religiöser 
Unterweisungen sie zu belehren. Die Erfolge stellen sich 
nicht, oder nur in ganz vereinzelten Fällen ein. Man ist 
verzweifelt, ratlos, ohne je daran zu denken, daß alle Er¬ 
ziehungsmaßnahmen gar nicht begriffen werden können, 
daß man es mit Menschen zu tun hat, die auf kindlicher 
Entwicklungsstufe des Gehirns stehen geblieben sind. Ein 
nicht geringer Teil stellt schwere gewalttätige Verbrecher, 
das Gros die Vagabunden, die wegen unzähliger Diebstähle 
bestraft werden, ohne daß die Strafen die geringste Wirkung 
ausüben. Die weiblichen schwachsinnigen Jugendlichen 
verfallen en masse der Prostitution. Man prüfe nur die 
Intelligenz der Prostituierten, und man wird finden, daß sich 
hei der größten Zahl Schwachsinn feststellen läßt, daß sie 
dauernd in Irrenanstalten oder Arbeitshäuser gehören. Man 
darf nicht einwenden, für die Menge habe man keinen Platz. 
Je mehr bekannt wird, daß dauernder Aufenthalt in solchen 
Anstalten droht, um so mehr werden sich geistig Normale 
von dieser Laufbahn abschrecken lassen. 

Immer mehr kommen wir zur Einsicht, daß falsche 
Humanitätsbestrebungen dazu beigetragen haben, daß Ver¬ 
brechertum zu begünstigen. Gerade den Irrenärzten mißt 
man darin besondere Schuld bei. Sie stehen in Wirklich¬ 
keit weit ab von ihr. Der Kampf gegen das Verbrecher¬ 
tum, zu allen Zeiten lebendig, schwierig, muß mit ver¬ 
schiedenen Waffen gleichzeitig geführt werden. Schon 
dringt aber immer mehr das Rewußtsein in weite Kreise, 
daß gerade eine große Anzahl von Verbrechen von Geistes¬ 
kranken begangen werden, von Leuten, die schwachsinnig 
geboren sind. Wird man auf die Irrenärzte hören, dann 
wird man dazu kommen, diese Vernunftlosen früh zu er 
kennen und sie der Verbreeherlaufbalm zur rechten Zeit 
zu entziehen. 


REFERATE. 

Physikalische Therapie. 

Referent: Dr. A. Laqueur, leitender Arzt des physikalisch-thera¬ 
peutischen Institutes am Rudolf Virchow-Krankenhause, Berlin. 

1. Der Einfluß warmer Hader auf die Viskosität des Blutes. 

Von Dr. W alte r II e J3. Wien. klin. Komisch., 1908, Nr. 38. 

2. Praktische Erfahrungen mit elektrischen Lolitamiin- 
büdern. Von C\ B r e x o n d o r f f. Zeitsdhr. f. neuere physik. 
Med., 1908, Nr. 19. 

3. lieber Sarasonsehe Ozetbäder. Von Dr. E. M ii 1 1 e r. 
Münch, med. Woehenschr.. 1908, Nr. 30. 

4. Ueber Sarasonsehe Ozetbäder bei Arteriosklerose. Von 
Dr. S <• h n ii t g e n. Therapie d. Gegenw., 1908, Nr. 8. 

5. Moussierende Sauerstoffbäder. Von Prof. E. S o ni m e r. 
Zeitsehr. f. neuere physik. Med., 1908. Nr. 18. 

6. Ueber künstliche Schwefelbäder. Von Dr. F. Klop- 
stock. Münch, med. Wochensehr., 190S. Nr. 30. 

7. Die Indikationen des Tliiopinolbades. Von Dr. D i e - 
sing. Med. Klinik, 1908, Nr. 31. 

1. Verfasser untersuchte die Veränderungen, die 35° ('. 
warme Biider von 10—15 Minuten Dauer auf die Viskosität des 
Blutes ausübten; cs fand sich in der Mehrzahl der Fälle eine 
Vor m i u d e r u n g der Viskosität, doch betrug dieselbe im 
Maximum nicht mehr als 15% des ursprünglichen Wertes. Die 
Verminderung der Blutviskosität durch die warmen Bäder beruht 
offenbar auf Anregung der Zirkulation in den per i- 
]> here n G e f äßgebiet e n; je besser daselbst der Blut¬ 
umlauf vor sich geht, um so möhr werden die trotz vorsichtiger 
Blutentnahme oft höher gefundenen Viskositätswerte des Ka¬ 
pillarblutes denen des arteriellen Blutes gleich. Man hat sieh 
also die Veränderungen der Viskosität, durch Bäder nicht als 
auf geheimnisvollem Wege zustande gekommene vorzustellen, 
sondern darf sie einfach als exaktes Kriterium für die Beein¬ 
flussung der Zirkulation betrachten. 

2. Die vor einigen Jahren von Stange r eingeführten 
elektrischen Lohta n n i n b ii rl e r haben noch keine aus¬ 
gedehnte Verbreitung gefunden, scheinen aber nach dem vor¬ 
liegenden Bericht einen großen therapeutischen Wert zu besitzen. 
Es werden die Bäder in Holzwannen gegeben, deren Längsseiten 
mit beweglichen PlatterTelektroden versehen sind; im Badewasser, 
dessen Temperatur 28—30° R. betragen soll, werden 4 kg eines 
gerbstoffhaltigen Extraktes von verschiedenen Rindenarteu auf¬ 
gelöst, dann wird der galvanische Strom in üblicher Weise durch 
die Badeflüssigkeit geleitet. Die Beweglichkeit der Elektroden 
erlaubt hierbei eine eventuelle besondere Berücksichtigung der 
erkrankten Teile. 

Verf. hat nun mir diesen Bädern in einer Reihe von Fällen 
von akutem und chronischem Gelenkrheumatismus, und nament¬ 
lich auch bei Gicht sehr gute Erfolge erzielt, die in ausführ¬ 
lichen Krankengeschichten geschildert wurden. Bedenkt man 
allerdings, wie oft sich auch in hartnäckigen Fällen von Dicht 
durch einfache systematische Anwendung von warmen Bädern 
gute Resultate erreichen lassen, so scheint die spezifische \\ ir- 
kung der elektrischen Lohtanninbäder in solchen Fällen nicht 
über jeden Zweifel erhaben; immerhin kann man annehmen, daß 
die schmerzstillende Wirkung ries elektrischen Stromes auch hier¬ 
bei eine Rolle spielt. Zweifellos ist das der Fall in den mitge¬ 
teilten Fällen von neuralgischen Erkrankungen und von 
t a b i s c h e n S c li m e r z e n. die durch diese Räder geheilt resp. 
sichtlich gebessert wurden. Bemerkt sei noch, daß den elek¬ 
trischen Lohlanninhädern auch eine anregende Wirkung auf die 
Verdauungstätigkeit und die Polentia eoeundi zuzukommen 
scheint. 

3—5. Die vorliegenden drei Publikationen geben überein¬ 
stimmend ein günstiges Bild von der therapeutischen Wirkung 
der Saraso n sehen O z e t- oder m oussieren d e n Sa u e r- 
stoffbäder. Es werden diese Bäder in der Weise hergestellt, 
daß 300 g Natriumperborat-Salz im Badewasser aufgelöst werden, 
wozu dann noch. 15 g Manganborat kommen, das, als Katalysator 
wirkend, den Sauerstoff aus dem Persalz in Freiheit setzt. Der¬ 
selbe entwickelt sieh in Form kleiner, lebhaft moussierender Bläs¬ 
chen, die auf dem Körper sieh ansetzen und das Gefühl eines 
angenehmen Prickelns auslÖsen. Die Bläschen sind kleiner als 
die Olasbläschen im COs-Bade und können vermöge ihrer größe¬ 
ren Zahl daher einen stärkeren sensiblen Hautreiz auslösen als 





um v en, i i u 







652 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 44 


jene. Dagegen fehlt beim Sauerstoff bade die nach dem ( 
Kohlensäurebade so regelmäßig auftretende charakteristische Er- ( 
w eite r u n g d e r H autgef ä ß e. Es bleibt nach einem 
0/.etbade die Haut blaß und bei kühlerer Temperatur des Bade- t 
wassers — in der Regel wendet man dasselbe 33—36 0 C'. 'warm ( 
an— empfinden die Patienten öfters zu Anfang ein leichtes 
Frösteln. Im übrigen wird aber das Ozetbad subjektiv sehr an¬ 
genehm empfunden, übereinstimmend rühmen die Autoren die 
a nreg e n d e und andererseits schlaf befördernde W ir- 
kung dieser Bäder. 

Praktisch uncl theoretisch von Wichtigkeit ist, da 11 die Ozet- 
Bäder n icht wie die Kohlensäurebäder bliitdrutjkerhöhend wir¬ 
ken, sondern im Gegenteil, speziell bei Erkrankungen, die mit er¬ 
höhtem Blutdruck einhergelien, druck b er absetzen d. 

Dem entsprechen die günstigen therapeutischen Erfolge, die na¬ 
mentlich bei arteriosklerotischen Zirkulationsstörun- , 
gen durch die Sauerstoffbäder erreicht wurden; sowohl Linderung 
der Dyspnoe, Besserung des Schlafes und des Allgemeinzustandes, 
als auch Herabsetzung des Blutdruckes während des Bades und 
z. T. erhebliche V e r m i n d e r u n g d e r Puls f r e q*u e n z 
wurden in solchen Fällen beobachtet. Außer den mit Druck- 
steigerung einhergehenden Herz- und Gefäßerkrankungen »bilden 
Emphysem, nervöse Aufregungszustände, nervöse Schlaflosigkeit, 
Tachykardie, Morbus Basedowii, Nephritis chronica, Tabes die 
hauptsächlichsten Indikationen der Ozetbäder (S o m m e r). 

Das wichtigste Moment bei der Wirkungsweise der Sauer¬ 
stoff bä der bildet der durch die Bläschen bedingte sensible 
II aut reiz. Daß der Sauerstoff als solcher durch Resorption 
zur Wirkung kommt oder durch Einatmung aufgenommen zur 
Wirkung beiträgt, ist nicht anzunehmen. Dagegen ist es von 
Bedeutung, daß der bei den C-Os-Bädern nie ganz vermeidbare 
Uebelstand, daß durch E i n a f m u n g des Gases unangenehme ; 
Zufälle (Schwindelanfälle, Kongestionen etc.) entstehen, hier 
naturgemäß wegfällt. In dieser Beziehung bedeuten entschieden 
die Ozetbäder einen Fortschritt gegenüber den Kohlensäurebädern, 
mit deren Indikationen sie sich übrigens, wie wir sehen, durchaus 
nicht überall decken. Bedauert wird von den Autoren nur der 
bisherige hohe Pieis der Bäder (4 M. pro Bad). Für Anstalten, 
Krankenhäuser etc. empfiehlt daher S c h n ü t g e n den Gebrauch 
der sog. „Perlbäder“-Apparate. die sich für Sauerstoff wie für 
Kohlensäure verwenden lassen: hingegen haben die Ozetbäder 
den Vorzug, in jeder Haushaltung ohne Apparat verwendbar 
zu sein. 

fi. Yerf. berichtet über Versuche, die im Krankenhaus© 
Friedrichshain zu Berlin mit T h i o p i n o 1 - Bädern angestellt 
worden sind; das Thiopinöl besteht, aus einer Verbindung von 
S c h w e f e 1 (vorzugsweise Sulfiden) mit ätherischen Nadelholz- 
ölen und wird, gewöhnlich in einer Menge von 125 g, dem Bade¬ 
wasser zur Bereitung eines Schwefelbades zugesetzt; vor son¬ 
stigen Schwefelbädern haben die Thiopinolbäder vor allem den 
Vorzug, daß hier der lästige Schwefel wasserst, off geruch fast völlig 
wegfällt und die Badewanne und sonstige metallenen Gegenstände 
mangels des freien Schwefelwasserstoffes nicht angegriffen wer¬ 
den können. Bei suba k u t e m und c h r o n i s c h e m G e - 
1 e n k r h e u m a t i s m u s. ferner besonders bei g o n o r r li o i - 

s c h e m (Je 1 e n k r li e u m a t i s m u s. sowie auch bei ver¬ 

schiedenen Nervenleiden wurden gute Erfolge mit den Thiopinol- 
bädern erzielt. Verf. führt die Heilwirkung vor allem auf den 
hyperämisierenden und anregenden Effekt zurück, den das 
Thiopinol auf die Haut ausübt. Daß dabei resor- 

b i er t e r Schwefel eine llolle spielt, hält er für un¬ 

wahrscheinlich ; wenigstens konnte durch Untersuchung des vor 
und nach einem Thiopinolbade gelassenen Urins eine wesentliche 
Vermehrung des Schwefelgehaltes nicht nachgewiesen werden. 
Eine größere Beweiskraft käme jedoch nach Ansicht des Refe¬ 
renten diesen Versuchen erst dann zu, wenn auch der Schwefel¬ 
gehalt in der Gesamt- T a g e s m e n g e des Urins bestimmt 
worden wäre; wenigstens konnte Referent in einem Falle eine 
deutliche Vermehrung des Schwefelsäuregehalts des Urins (im 
Verhältnis zum N.-Gehalt bestimmt) an den Thiopinol-Badetagen 
festst eilen, und auch von N a g e 1 s c h m i d t liegen ähnliche Be¬ 
obachtungen vor. 

Den genannten Indikationen des Thiopinolbades möchte lief, 
noch die chronische Blei v e r g i f t u n g zufügen, wo die Er¬ 
folge ineist sehr gute sind. 

7. D i e s i n g behandelte mit Trypanosomen infizierte 
Hunde mit Thiopinolbüdern und konnte dadurch einen lang¬ 
sameren Verlauf der Krankheit erzielen; er führt das darauf 
zurück, daß der resorbierte Schwefel einerseits das Hämoglobin i 


in den Blutkörperchen bindet und dadurch deren Auflösung ver¬ 
zögert, andererseits das durch die Krankheitserreger bereits frei¬ 
gewordene zirkulierende Hämoglobin zu Sulf-Iiämoglobin redu¬ 
ziert und dadurch die schädigenden Wirkungen des freien Hb. 
(Fiebersteigerung) hintanhält. Ferner erwies sich bei Piroplas- 
mosis canis die Kombination von Sublimatinjektionen mit Thio- 
pinolbädern als vorteilhaft. Auf Grund dessen empfiehlt 
!•) i c s i n g auch bei der S y p h i 1 i s die Verbindung von Hg- 
Kuren mit Thiopinolbädern, ähnlich wie das in Schwefel¬ 
thermen schon lange geschieht. 


Stauung«- und Saugtherapie. 

Referent: Dr. Wilh. Baetzner, Assistenzarzt der Königl. chir 
Universitätsklinik, Berlin. 

1 Lieber die Behandlung akut entzündlicher Erkrankungen 
mit künstlicher Hyperämie (auf Grund von 500 Fällen). Von 

Stabsarzt Dr. Blech er Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 93, 
Heft 4 u. 5. 

2. Zur Behandlung der Arthritis gonorrhoica der großen 
Gelenke mittels Staunngshyperämie. Von Dr. W i 1 h. B a e t z - 
n e r. Deutsche Zeitschr. f. Chirurgie, Bd. 93. 

3. Die Behandlung der puerperalen Mastitis mit Saugappa- 
raten. Von Privatdozent Dr. Zange m eist c r. Deutsche 
med. Wochenschrift, 1908, Nr. 6. 

4. Kritische und experimentelle Beiträge zur Frage der 
Verwendbarkeit der B i e r sehen Stauung bei Hirnhautentzün¬ 
dungen. Von Dr. Stursber g. Münch, med. Wochenschrift, 
1908. Nr. 20. 

5. Experimentelle L ntersuehnngen über den Einfluß der 
Saugbehandlung auf lokale Entzündungsherde. A r on Dr. Paul 
F r a n g e n h e i m. L a n g e n b e c k s Archiv, Bd. 85, Heft 3. 

6. Die Wirkung der Siauttngshyperämie im Tierexperiment. 

Von Dr. Paul Frau g e n li e i m. Münch, med. Wochcnschr.. 
1908, Nr. 24. 

1. Blech e r berichtet über seine Erfahrungen bei der 
Hyperämiebehandlung akut entzündlicher Erkrankungen auf 
Grund eines reichlichen kasuistischen Materials aus der Stra߬ 
burger Klinik. 

Nach einigen einleitenden Worten über die von ihm geübte 
Technik, bei der er sich ganz an die B i e r sehen Vorschriften 
hält, kommt er auf die allgemeinen Wirkungen der künstlichen 
Hyperämie zu sprechen. Den Hauptvorteil der Hyperämiebehand¬ 
lung sieht er in der schnellen Schmerzlinderung, in der raschen 
Begrenzung und Sistierung der Eiterung und endlich in der be¬ 
schleunigten Ausstoßung des Sequesters. Große Inzisionen sind 
nicht notwendig, die Tamponade ist bei der ausspülenden Wir¬ 
kung der Stauung überflüssig, und so ist das Endresultat eine 
kleine Narbe, bessere Funktion und schnellere Heilung. 

Dieser Kritik der allgemeinen Vorteile, die die Ifyperämie- 
behandlung bietet, schließt sich nun die Besprechung der einzel¬ 
nen Erkrankungsformen besonders bezüglich ihres klinischen 
Verlaufes und ihrer Prognose unter Anführung ausführlicher 
Krankengeschichten an. Unter den 123 Furunkeln, die je nach 
ihrer Lokalisation mit Saugglas oder Binde behandelt wurden, 
bieten die 9 Oberlippen- und 13 Gesichtsfurunkel besonderes In¬ 
teresse; alle sind ohne Inzision unter Kopfstauung zur Aus¬ 
heilung gekommen. 

Von 17 Leistendrüsenentzündungen sind 16 ausgeheilt; drei 
davon ohne Inzision, die Heilungsdauer war abgekürzt. 

Von den 105 Panaritien sind besonders bemerkenswert die 
16 ossalcn, von denen 8 ohne Sequesterbildung ausheilten. Von 
7 Sehnenscheidenentzündungen, die mit kleinen seitlichen, die 
Sehnenbänder schonenden Inzisionen behandelt wurden, sind 3 
mit voller Beweglichkeit, ausgeheilt. Die besten Bedingungen 
für Erhaltung der Sehe sieht B. in der starken serösen Durch- 
trünkung der Gewebe und im Fortfall der Tamponade, was eine 
Austrocknung der Sehne verhindert. 

Von 3 Fällen von Osteomyelitis wurde nur 1 günstig beein¬ 
flußt. Die eitrigen Bursitiden dagegen bilden ein dankbares Be¬ 
handlungsobjekt; ebenso die Gelenkeiterungen, von denen meh¬ 
rere mit voller Funktion ausheilten. 

Bei Streptokokkeneiterungen sind die Erfolge der Hyper¬ 
ämiebehandlung keine so guten. Die Streptokokken sind gegen¬ 
über der Stauwirkung widerstandsfähiger, die durch sie hervor¬ 
gerufenen Krankheiten verlaufen im allgemeinen schwerer; 







1908 THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 655 



häufig sind sie kompliziert durch das sekundäre Erysipel, das B. 
7 mal gesehen hat und auf Veränderungen der Lymphspalten und 
Bahnen zurückführt. 

Allgemeine Sepsis ist hei der Staubehandlung nie beobachtet. 
B. sieht hierin eine mechanische Wirkung der Stauung, die durch 
Absperrung der Blut- und Lymphgefäße eine große Bedeutung 
für die Verhütung der Allgemeininfektion hat. 

Zum Schluß empfiehlt B. die prophylaktische Stauung, da 
er mit derselben bei 60 frischen Verletzungen nur 7 mal eine 
Wundeiterung eintreten sah. 

2. Die Behandlung gonorrhoischer Gelenkentzündungen 
mittels Stauungshyperämie hat noch nicht die Beachtung und 
Verbreitung gefunden, die sie verdient. Baetzner hat die 
therapeutischen Erfolge der Stauung bei Trippergelenken, na¬ 
mentlich im Gegensatz zu der früher üblichen Methode der Im- 
mobilisiruDg an dem reichen Material der kgl. chirurgischen Uni¬ 
versitätsklinik (Geh.-Rat Bier) einer Kritik unterzogen und 
empfiehlt auf Grund seiner Erfahrungen eine viel ausgedehntere 
Verwendung der passiven Hyperämie bei gonnorrhoischen Ar¬ 
thritiden. 

Diese Behandlungsmethode ist auch für den praktischen Arzt 
um so mehr zu empfehlen, da ihre Durchführung auch ambulant 
möglich und sehr einfach ist, und auch die Technik keine besonde¬ 
ren Schwierigkeiten bietet. 

Die 6 cm breite, dünne, durchsichtige Gummibinde wird ober 
halb des erkrankten Gelenkes in sich nicht vollständig deckenden 
Touren angelegt. Bei der Schulterstauung verwendet man einen 
weichen, fingerdicken, mit Filz umfütterten Gummischlauch, der 
ringförmig geschlossen', weit über die erkrankte Schulter gezogen 
und durch Gurtbänder am Abgleiten verhindert wird. 

Binde und Schlauch liegen dann gut, wenn keinerlei 
Schmerzempfindung vorhanden, ein feurig rotes, heißes Oedem 
auftritt und der Puls gut fühlbar bleibt. Blaufärbung und Kalt¬ 
werden der gestauten Extremität müssen vermieden werden. Die 
Staubinde bleibt am zweckmäßigsten 20—22 Stunden liegen, 
danach 2 Stunden Suspension zwecks Ablaufs des Oedems. 

Kürzere Stauzeiten geben keine guten Resultate. 

Die Dauerstellung ist ganz ohne Gefahr; die kleinen Epi- 
1 heldefekte unter dem Seliulterring, die Blasenbildungen am 
Rande der Binde können durch gute Hautpflege (Pudern. Ab¬ 
waschen mit Spiritus) vermieden werden; die hier und da an der 
Konstriktionsstelle beobachtete zirkuläre Muskelatrophie ver¬ 
schwindet, so bald die Binde fortfällt. Die Stauung ist nicht zu 
früh auszusetzen, im allgemeinen erst, wenn man keine heiße 
Stauung mehr erreicht, was nach dem Abklingen der Entzün- 
diingserscheinungen gewöhnlich der Fall ist. Dann sind ener¬ 
gische Massage und Hcißluftbehaiidlung am Platze. 

Der klinische Verlauf der gonorrhoischen Gelenkeutzün 
düngen ist unter der Stauung ein sehr milder. 

Die enorme Schmerzhaftigkeit, unter der das Allgemein¬ 
befinden, besonders der Schlaf leidet, weicht sofort .unter der 
Staubinde. 

Die entzündlichen Erscheinungen treten weniger heftig auf, 
Rötung, Schwellung und Oedeme verschwinden auffallend rasch 
und machen normalen Verhältnissen Platz. Die hervorragend 
schmerzlindernde Wirkung der passiven Hyperämie ermöglicht 
frühzeitig aktive und passive Bewegungen und beseitigt so die 
unheilvollen Folgen der Immobilisierung. 

Die hervorstechendsten Vorteile der Staubehandlung sind die 
wesentliche Verkürzung der Krankheitsdauer und die besseren 
funktionellen Resultate. 

Die beste Prognose haben die Fälle, die ganz frisch, d. h. in 
den ersten Krankheitstagen unter Staubehandlung gesetzt wor¬ 
den. Von 13 Fällen dieser Art sind alle mit voller Funktion in 
der Zeit von 8 Tagen bis 6 Wochen ausgeheilt. 

Aber auch die vernachlässigten Fälle haben noch eine gute 
Prognose. 

Unter 27 Fällen, die nach 10 Tagen bis 21 Wochen unter 
Staubehandlung kamen, sind 12 mit voller Funktion. 9 mit ganz 
geringer Bewegungsbeschriinkung ausgeheilt. Nur 6 zeigen eine 
größere Einbuße der Funktion, jedoch nur ungefähr bis zur 
Hälfte der normalen. 

Die Behandlungszeit betrug 6 Tage bis 3 Monate. Ankylosen 
sind unter den 40 Fällen überhaupt nicht beobachtet worden, was 
um so bemerkenswerter ist, da 28 Fälle unter dem Bilde der phleg¬ 
monösen Form verliefen. 

Die klinischen Details des Berichtsmaterials sind aus einer 
tabellarischen Uebersicht. und den beigefügten ausführlichen 
Krankengeschichten ersichtlich. 


3. Zangemeister berichtet über die Erfolge des Bi e r- 
schen Saugverfahrens bei puerperaler Mastitis. 

Bei ganz frischen Entzündungen der Brustdrüse im Verlauf 
der ersten zwei Wochen des Puerperiums kann Z. auf Grund 
seiner Erfahrungen die Anwendung der Saugglocke nicht emp¬ 
fehlen. Eine Schmerzlinderung wird zwar erreicht, aber das 
Infiltrat erscheint nach dem Saugen größer, die Vereiterungs¬ 
gefahr ist erhöht. 

Bei eitriger abszedierender Mastitis, bei denen der Entzün¬ 
dungsprozeß nicht mehr weiter um sich greift, bietet das Saug¬ 
verfahren Vorteile. Man kommt mit kleinen Stichinzisionen aus, 
die üblichen großen Radiärseimitte sind überflüssig. 

4. Stursberg hat zur Feststellung der Art des Druek- 
ablaufs und des Verhaltens der Liquorsekretion bei Kopfstauung 
eine Reihe Tierversuche angestellt. 

Er fand sofort nach Anlegen der Kopfstaubinde ein schnelles 
Ansteigen des Drucks. Die erreichte Druckhöhe bleibt nicht 
lange auf ihrer ursprünglichen Stärke, sinkt aber auch nicht 
innerhalb einer Stunde zum Normalwert zurück. Nach Abnahme 
der Binde sinkt der Druck rasch zum ursprünglichen Wert oder 
unter denselben zurück. 

In praktischer Hinsicht läßt die Kopfstauung bei menin- 
gitiseben Erkrankungen keine allzu großen therapeutischen Hoff¬ 
nungen zu. 

Die Anwendung der Kopfstauung ist ein sehr bequemes 
Hilfsmittel, um bei diagnostischen Lumbalpunktionen eine aus¬ 
giebige Flüssigkeitsentleerung herbeizuführen. 

5. Frangenheim berichtet über die Wirkung der 
Saugbeliandlung auf experimentell erzeugte geschlossene Abszesse 
bei Kaninchen. 

Diese durch Eiterungen erzeugten Abszesse hatten die Nei¬ 
gung, spontan zurückzugehen, während sie unter der Saugung 
sich vergrößerten. In der Kapsel der gesaugten Abszesse fand 
sich allemal ein sehr starkes regeneratives Infiltrat. 

F. überträgt die Ergebnisse seiner Tierversuche zur prak¬ 
tischen Nutzanwendung auf beginnende Entzündungen und kann 
die geschlossene Saugung bei denselben nicht empfehlen, da nicht 
vorauszusehen ist, ob nicht eine örtliche Verschlimmerung die 
Folge der Behandlung sein wird. 

6. Bei einer weiteren Reihe von Tierversuchen kommt F. 
zu dem Ergebnis, daß die Stauungsliyperämie im Tierexperiment 
nicht in nennenswerter Weise bakterizid wirkt, und daß es nicht 
oft gelingt. Knochenmarks- uud Gelenkeiterungen in günstiger 
Weise zu beeinflussen. Eine charakteristische Eigenschaft der 
Stauungshyperämie ist die vermehrte Eiterbildung und die Hin¬ 
terlassung von Infiltraten in der Umgebung der Eiterherde, welch 
letztere auf eine starke Bindegewebsneubildung zuriiekzu- 
füliren sind. 


Röntgentherapie. 

Referent: Dr. Försterling. dirig. Arzt des Krankenhauses 
Bethanien, Mors. 

1. Ueber Blenden und Schutzvorrichtungen im Rörifgen- 
verfahren. Von Prof. Sommer. Zeitschr. f. neuere physik. 
Med.. 1908, S. 331. 

2. Ueber Röntgeniiiomentaufnulimcn mit den bisher ge¬ 
bräuchlichen Apparaten. Von Dr. G r o e d e 1, Nauheim, und 
Ingenieur Fr. Horn. Münch, med. Wochensehr., 1908, Nr. 11. 

3. Die Behandlung kranker Nägel mit Röntgen strahlen. 
Von Dr. Karl Schindler. Deutsche med. Woehenschr., 
1908, Nr. 21. 

4. Ueber Intensiv - Induktoren und Momentaufnahmen. 

Von Fr. Dessaue r. Zeitschr. f. neuere pliysik. Med.. 1908, 

S. 568. 

5. Ein neuer orthodiagraphischer Durehleuehtungsapparat. 

Von Dr. Bar dachzi. Deutsche med. Woehenschr., 1908, 
Nr. 37. 

6. Die Herzdarstellung mittels Röntgenstrahlen. Von Dr. 
D a v i d s o li n. Deutsche med. Woehenschr.. 1908, Nr. 37. 

7. Die Röntgentherapie der Basedowschen Krankheit. Von 
Dr. Schwarz. Wien. klin. Woehenschr,, 1908, Nr. 38. 

8. Zur Röntgentherapie der Hautkrankheiten. A on Dr. 
Z i n s s e r. Med. Klinik, 1908, Nr. 38. 

1. Bringt allbekannte Tatsachen, die wohl nur für den sehr 
unerfahrenen Anfänger bestimmt, sind, aus dem Gebiete des 
Blendenscliutzes fr Patient und Arzt. Daß die Meßapparate bei 



654 


THERAPE C TISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 44 


therapeutischen Bestrahlungen ebenso notwendig sind wie die 
Schutzvorrichtungen, dürfte doch kaum stimmen. Eine genaue 
und nur leidlich zuverlässige Meßart für Röntgenlicht besitzen 
wir doch noch nicht, sobald wir von den Haütverbrennungen 
absehen. 

2. Yerf. bringen mehrere gute Röntgenaufnahmen vom 
Thorax, die mit gewöhnlichem Instrumentarium (60 cm In¬ 
duktor) hergestellt sind in V 15 Sekunde, 1 Sekunde und bei 2 ni 
Abstand in 2 Sekunden. Sie glauben deshalb, daß das Rosen- 
t h a l sehe Spezialinstrumentarium nichts weniger als einen 
Fortschritt bedeute. 

3. Bei Bestrahlung verschiedener Nagelerkrankungen 
(Onychromykosis, Psoriasis und Ekzem) hat Yerf. nach langer, 
vergeblicher medikamentöser Therapie überraschend gute Hei¬ 
lung erzielt durch Röntgenstrahlen. Er beschreibt die Technik 
der Bestrahlung ausführlich: es ist eine Dosis erforderlich, die 
eine deutliche Reaktion der Flaut hervorruft; kleinere Dosen 
scheinen nicht zu wirken. 

4. Zusammenstellung dessen, was an .Yorteil bisher bei 
diesen Arten zustande gekommen ist. Dabei wird vor allem (mit 
Recht) hervorgehoben, daß die sogen. Momentaufnahmen durch- J 
weg schlechte Bilder gewesen sind. Dagegen sei der Yorteil der 
kurzen Exposition unverkennbar, zumal da dabei die Bilder gleich 
gut wie früher werden. Es ist dies erreicht durch \ erbesserung 
der Röhren und durch größere sekundäre Stromstärken und gün¬ 
stige Entladungskurven. 

5. Beschreibung eines einfachen Apparates, der sowohl zur 
Durchleuchtung wie Orthodiagraphie dient. Näheres ist im 
Original nachzulesen. 

C. Yerf. empfiehlt warm die Teleröntgenographie für Herz¬ 
untersuchungen, um dadurch die Anschaffung eines teuren Ortho- 
diagraphen zu vermeiden. Die Bilder bei Entfernung von I 72 
bis 2 V 2 m seien fast genau der Natur entsprechend. 

7. Verf. bringt die Erfolge, die er mit Röntgeustrahlen 
hei 40 Basedowkranke.L erzielt hat. Sie betragen bezüglich 
der Pulsfrequenz und der nervösen Symptome ca. 90%. also ein 
sehr gutes Resultat. Bestrahlt wird in 14 tägigen Intervallen 
von vorn und beidep Seiten (so daß also jede Hautpartie nur 
alle 6 Wochen belichtet wird), und zwar unter Verwendung der 
Perthes sehen Strahlenfilter. Die Wirkung beruht auf einer 
Herabsetzung der Drüsenfunktion der Thyreoidea. 

8. Nach Referierung von 7 Fällen schwerer Röntgen- ^ 
Schädigungen (darunter eine Armamputation bei einer Schwester 
wegen Röntgenkarzinom) beschreibt Yerf. seine Bestrahlungs¬ 
weise. Er ist nicht für einmalige Applikation einer großen Dosis, 
sondern für mehrere Bestrahlungen in genügenden Zwischen - 
räumen. Es werden dadurch die gleichen Erfolge erreicht und 
Schädigungen so gut wie ganz vermieden, zumal alle Me߬ 
verfahren heute noch sehr mangelhaft sind. 


Radiotherapie. 

Referent: Dr. H. E. Schmidt, ehern. Oberarzt am Universitäts¬ 
institut für Lichtbehandlung. Berlin. 

1. Eine neue Anwendung der Röntgenstrahlen. A on 

friedlich Dessauer. Münch, med. Woehenschr., 1908, 
Nr. 24. a _ 

2. Kasuistischer Beitrag zur Röntgentherapie der han- 
kroidc und der Karzinome. \ on Dr. H. E. Schmidt. Denn. 
Zeitschr.. 1908. Bd. 15, Heft 8. 

3. Falsche Wege in der Röntgentherapie. Yon Dr. Fl. E. 
Schmid t. Zeitschr. f. d. ärztl. Praxis, 1908. 

4. Zur Bestimmung der Strahlen dosen, welche bei den ein¬ 
zelnen zur Röntgenbehandlung geeigneten Erkrankungen er¬ 
forderlich sind. Yon Dr. 11. E. Schmidt. Therap. Monats¬ 
hefte, September 1908. 

1. Der Verfasser schildert die von ihm angegebene Anord¬ 
nung zur Durch stra h 1 u n g des ganzen Körpers mittels ab¬ 
norm harter Röntgenröhren aus großerEntfernung(H o m o g 0 n- 
bestralilung). Referent hält die Begründung der Methode 
für falsch, die Methode selbst für gefährlich (cf. unter 3) [!| 

2. Heilung durch Röntgenbestrahlung konnte nur bei Kan- 
kroiden der Oesiehtshaut. ohne regionäre Drüsenschwellung er¬ 
zielt werden, und zwar in 75% der Fälle; von diesen ist die 
Hälfte längere Zeit beobachtet und rezidivfrei befunden worden, 
darunter Fälle über 4 Jahre lang. 


Es gibt seltene Fälle von Kankroid, die gegen Röntgen¬ 
behandlung refraktär sind, ohne daß man einen sicheren Grund 
dafür angeben könnte. Jedenfalls ist ihre Absorptionsfähigkeit 
für Röntgenstrahlen zu gering. Bei den eigentlichen Karzinomen 
der Haut und anderer Organe kommt die Röntgenbehandlung nur 
dann in Frage, wenn es sieli um inoperable Fälle handelt. Viel¬ 
fach ist eine Besserung (Aufhören der Schmerzen. Vernarbung 
von Ulzeratiopen, Resorption von lentikulären Hautmetastasen) 
zu erzielen; eine II eilung konnte in keinem Falle beobachtet 
werden. Schleimhaut-Karzinome verschlimmern sich meist unter 
R ön t genbeh a n d lun g. 

3. Der Verfasser warnt vor der Anwendung der ..Ilomogen- 
hcstrahlung“ (cf. unter 1) [!]. Die Methode beruht auf einer 
falschen Voraussetzung, da nicht die mangelnde Penetrations- 
kiaft der X-Strahlen, sondern die mangelnde „Radiosensibilität“ 
d. h. die ungenügende Absorptionsfähigkeit der betv, patho¬ 
logischen Gewebe daran schuld ist, wenn die Röntgenbehandlung 
bei manchen Erkrankungen versagt. 

Die Methode ist gefährlich, da hochempfindliche normale 
Organe (Hoden, Ovarien, Milz, Knochenmark u. a.) durch dieso 
Bestrahlungsart geschädigt werden müssen. 

4. Der Verfasser empfiehlt seine k o m b i n i e r t e Du- 
s i e r u n g s m etho d e, die im wesentlichen darin besteht, daß 
jede Röhre mittels des Radiometers von S a b o 11 r a u d und 
X 0 i r e dosimet risch geprüft, dann immer o li ne direktes 
Dosimeter, aber stets unter gleichen Betriebsverhältnissen, 
welche durch Milliamperemeter und parallele Funkenstreeke kon¬ 
trolliert werden, benutzt wird. Die Methode hat eine Kraftprobe 
gelegentlich der Behandlung der Schöneberger Mikrosporiefalle 
glänzend bestanden. Der Verfasser gibt ferner die bei den ein¬ 
zelnen Erkrankungen in Frage kommenden Stralilendosen an. 


Orthopädie. 

Referent: Dr. A. Stoffel, Heidelberg, Oberarzt der 
Vulpius’schen Klinik. 

1 . Betrachtungen über die Behandlung des Genu varum 
infantile, mit besonderer Berücksichtigung des O-Beinkorrektions¬ 
apparates. Von Dr. R. Z u e 1 z e r, Potsdam. Zeitschrift für 
orthopüd. Chirurgie, Bd. 20. 

2. Einige technische Neuerungen. Von FI. G o eli t.. Halle. 
Ibidem. 

3. Hernien als Unfall folgen. Von Ader hol dt und 

A. Silberstein, Bcrlin-Charlottenburg. Ibidem. 

4. Der tragbare Heilapparat bei der Skoliose. Von 
P. MÖ h r i n g, Kassel. Ibidem. 

5. Eine neue unblutige Methode zur Behandlung der Syu- 
daktylie beim Neugeborenen. Von II. I! o r 11 u 11 g, Graz. Ibidem. 

6. Prophylaxe der Verkrüppelung. Von L. Rosenfeld, 
Nürnberg. Ibidem. 

7. Skolioseiibehandlung im Hause. Von K. G e r s o n, 

Srhlachtensee. 'Ibidem. 

1. Zur Korrektion des Genu varum infantile bedienen wir 
uns der operativen Maßnahmen (Osteotomie), der Gipsverbände 
und der portativen Apparate, Während die beiden erstcren nur 
in ganz bestimmten Fällen zur Anwendung gelangen, eignen sich 
die letzteren für die große Mehrzahl der O-Beinverkrümmungen. 

Der von Z. konstruierte Apparat besteht aus einem Brett, in 
das die verkrümmten Beine 2 mal täglich 2 Stunden — bei 
schweren Fällen eventuell länger — eingespannt werden. Wäh¬ 
rend die Knie durch eine Gummibinde einander genähert wer¬ 
den, werden die Füße durch einen gepolsterten Klotz auseinander- 
gehalten und die Knie durch ein Stahlblech fixiert. 

Will man auch eventuell bestehende Fußdeformitäten — 
Klumpfuß oder Plattfuß — günstig beeinflussen, so wird ein 
winkliger, giebeldachähnlicher Fußsehlitten, gegen den sich die 
Füße anstemmen, bei gegeben. 

2. a) Ein Gipsbindentisch zur Aufbewahrung der 
fertigen Gipsbinden und zu ihrer weiteren Präparierung. Der 
sehr stabile, auf Rollen laufende Tisch weist auf: 

<7.) zwei Deckelkasten aus vernickeltem Messingblech zur Auf¬ 
nahme der Gipsbinden, 
ß) vor diesen zwei einzelne Wasserbehälter, 
y) auf der rechten Seite eine breite Auflage. Außerdem liegen 
links und rechts unter der Tischplatte 
J) zwei geräumige Schubkästen. 







1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


665 


In den \\ asserbeliältern befindet «ich 2—3 cm über dem 
Hoden ein Drahtsieb, damit die eingelegten Binden von allen 
Seiten vom \N asser uintspült werden können. 

b) Eine S c h u 1 I e r - A r m schien e aus hartem Mag- 
naliumblecli, mit der wir dem Schultergelenk durch verschiedene 
W inkelstellung der Schiene jede notwendige Stellung geben 
können. Die Schiene, deren Konstruktion im Originalartikel 
nachgelesen werden muß, eignet sich zur Behandlung aller 
schwereren Entzündungszusfcändo im Bereich des Schulter¬ 
gelenks, die eine Ruhigstejlimg des Gelenkes erfordern, und bei 
denen Kontrakturen vermieden Werden müssen. 

c) Plattfußeiälagen aus W a 1 k 1 e d e r. Die aus 
teilgarem IIartleder gefertigte Ledersohle wird über dem Gips- 
tnodell gearbeitet und durch metallene Unterlagen verstärkt. Es 
muß individualisierend vorgegangen werden: der eine Patient 
verträgt eine elastische Einlage, der andere nur eine starre, der 
eine geht besser mit unverkürzten Sohlen, der andere, wenn die 
Sohlen nur bis an den Ballen reichen. Auch die Höhe des Ab¬ 
satzes muß ausprobiert werden. Braucht ein Patient elastische 
Absätze, so fügt G. in die Mitte der Höhe des Absatzes eine 
Gummieinlage ein. 

13. Verfasser unterziehen an der Hand von 20 Fällen die 
Entscheidungen der Schiedsgerichte und des Reichsversicherungs- 
amtes einer kritischen Prüfung und kommen zu dem Schlüsse, 
daß diese beiden Instanzen viel zu wenig Wert auf den objek¬ 
tiven Nachweis der traumatischen Entstehung des Leidens legen, 
sondern meistens zugunsien des klagenden Arbeiters entscheiden. 
Dadurch wird der Rentcnsueht Vorschub geleistet. Die Schieds¬ 
gerichte müßten mißtrauischer sein und nur in seltenen Fällen, 
wenn wirklich der Nachweis der traumatischen Genese der Er¬ 
krankung streng durchgeführt ist, den Zusammenhang bejahen. 

4. M ö h r i n g verwirft die bisher üblichen Korsette und 
empfiehlt seinen Stützapparat, dem folgende Vorteile anhaften 
sollen: starke adressierende und Stützkraft, Vermeidung jedes 
schädlichen Druckes, große Bewegungsfreiheit. Haltbarkeit, Ein¬ 
fachheit und Billigkeit. Er findet Verwendung bei: Skoliose, 
Kyphose. Tuberkulose, überhaupt bei allen Erkrankungen der 
Wirbelsäule. Der Apparat besteht aus .einem Beckengürtel, zwei 
Rückenstäben und den Achselstücken. Als Druckmittel dienen 
Gummigurte, als HRfspelotten auch Bandstahllederplatten. 

5. Die zwischen zwei Fingern bestehende Haut,brücke wird 
durch eine Klemme allmählich durchgequetscht. Der Apparat 
besteht aus zwei dreiseitigen Prismen, die durch zwei mit feinen 
Schiaubengewinden versehenen Bolzen bis zur Berührung zweier 
Längskanten genähert werden können. Hei* eine Bolzen wird 
am proximalen Pol der Hautbrücke durchgestoßen, der andere 
kommt an die Fingerspitzen zu liegen. Durch Schrauben wer¬ 
den die Prismen einander genähert, die Haut wird langsam 
durchgequetscht. Nekrose darf nicht auftreten. Nach einigen 
Wochen ist die Ilautbrücke,papierdünn und kann mit der Schere 
durchtrennt werden, oder man läßt die Klemme, liegen, bis sie 
al>fällt. 

0. Während bei den angeborenen Deformitäten die Prophy¬ 
laxe nur in ganz bestimmten Punkten, z. B. durch Hygiene der 
Schwangerschaft, etwas zu leisten vermag, ist ihr Wirkungsgebiet 
bei den erworbenen ungleich größer. Kennen wir die Ursachen 
der Deformität, so kennen wir auch in den meisten Fällen die 
Bahnen, die die Prophylaxe zu gehen hat. Als Ursachen der 
erwcibenen Deformitäten sind anzuführen: 

1 . Krankheiten (Tuberkulose, Osteomyelitis. Tumoren, 
Rachitis, Osteomalazie etc. etc.); 

2 . Traumen; 

3. Funktionsstörung' durch Arbeit und Lebnnsgewohnheit 
( Bel astungsdeformi täten). 

Bei der Tuberkulose kommt- die Allgemeinbehandlung haupt¬ 
sächlich in Betracht. Viele Knochen- und Gelenktuberkulosen 
können unter dem Einfluß des Höhenklimas, der Sonnenlicht- 
therapie, des Aufenthaltes an oder auf der See zur Heilung ge¬ 
bracht werden. Sol- und Thermalquellen. Landkolonien und 
Walderholungsheime sind weitere Heilfaktoren. 

Die Prophylaxe der Rachitis hat auf gute Ernährung 
(Mutterbrust), frische Luft, gute hygienische Wohnverhältnisse 
etc. zu schauen. 

^ iel kann die Prophylaxe auf dem Gebiete der Skoliose 
leisten; frühzeitige ärztliche Behandlung ist anzustreben. 

Orthopädisch-chirurgische Hilfe kann namentlich in Krüp¬ 
pelheimen geleistet werden, deren zahlreiche Errichtung sehr be¬ 
fürwortet werden muß. 



7. Um ein Rezidiv nach der Anstaltsbehandlung zu ver¬ 
hüten, empfiehlt Gerson häusliche korrigierende Lagerungen 
auf einem Brett und redressierende Uebungen, alles Manipulatio¬ 
nen, die keinen Kostenaufwand verursachen. 


Neurologie und Psychiatrie. 

Referent: Dr. G. Flatau. Nervenarzt, Berlin. 

1. Ueber Neurasthenie-Behandlung. Von A. Eulenburg, 
Berlin. Therapie d. Gegenwart. 1908. 

2 . Zur diätetischen und pharmazeutischen I'pilepsicbehaud- 
lung in der ärztlichen Priyatpraxis. Med. Klinik, 1908. Nr. 32. 

3. Verbesserung des peripherischen zentripetalen Neurons 
hei Tabes dorsalis durch die Frcnkelsche l ebungstherapie. Von 
Dr. D. De V r i e s - R c i 1 n i g h. Therapie d. Gcgenw., 1908, 
S. 359. 

1 . Eulenburg wendet sich mit Recht gegen die von 
der F r e u d sehen Schule ausgehende Ansicht, daß die eigent¬ 
liche Neurasthenie eine sehr seltene Erkrankung sei, daß die mit 
Angst, und Phobien einhergehendjen Formen abzntrennen und 
einer besonderen psychoanalytischen Kur zu unterwerfen seien. 
Er hat allerdings die monosymptomatischen Neurasthenien mit 
dem Stigmen der Angst und Phobie abgesondert und als Psych- 
asthenia angiophrenica bezeichnet; die sexualen Neurasthenien 
mit psychischer Impotenz abzusondern, hält Verf. für praktisch 
falsch. Mit Anlehnung an R o s e n b a c h s Ausführungen wird 
konstitutionelle Nervosität» die auf Grund fehlerhafter Ver¬ 
anlagung zu Regulationsstörungen führt, sowohl von der tempo¬ 
rären Erschöpfbarkeit wie der vorwiegend auf psychischem Gebiet 
sich zeigenden Willensschwäche (psychomotorische Regulations¬ 
störung) unterschieden. Einer Behandlung sind alle drei For¬ 
men zugänglich, sie muß der Hauptsache nach eine psychische 
sein. Natürlich kann keine der modernen Richtungen ein Mo¬ 
nopol beanspruchen, weder die logisch-didaktische Methode nach 
D u b o i s, noch die analytische Methode der Schule F r e u d s. 
Gegen die Einseitigkeit und die zu weit gehenden Schlüsse dieser 
hätte Verf. nach des Referenten Ansicht energischer Front 
machen dürfen. Alle Faktoren dürfen zur Erzielung der Wieder¬ 
herstellung zum Lebenskampf bei dem Neurastheniker in An¬ 
wendung kommen. Ruhekuren und Liegekuren für die schweren 
Frschöpfungsformen mit Ueberreizung. daran schließt sieh 
zweckmäßig eine geregelte Beweguugs-, Beschäftigungs-, Arbeits¬ 
therapie: Sport, Gartenarbeit etc. haben daran Teil. Dem Sport 
kommt nach Eulenburg eine besondere Wichtigkeit zu: Berg¬ 
steigen mit vorsichtiger Dosierung. Schwimmen. Rudern: Reiten 
und Fechten haben zugleich den Vorteil einer psychischen Be¬ 
einflussung von Angstempfinduneen. Die Wirkung der Kuren 
an der Seeküste ist noch nicht genügend bekannt und erforscht : 
insbesondere gilt das von den Winterkuren an der Ost- und Nord¬ 
see. Der therapeutische Wert der Schiffsreisen ist gewiß groß, 
ihre Anwendung scheitert aber häufig an äußeren Umständen. 
Auf die hydriatischen Kuren einzugehen, würde den Rahmen 
des Referates überschreiten, ebenso soll nur darauf hingewiesen 
werden, daß alle Formen der Elektrotherapie vom Verfasser ge¬ 
würdigt werden. 

Die medikamentöse Therapie soll nicht die Hauptrolle spielen, 
aber man kann ihrer nicht völlig ent raten, Nährmittel sind öfter 
notwendig. Als Neurotonica sind Kombinationen von Eisen. 
Phosphor. Arsen. China zu nennen. Lecithin wird empfohlen. 
Bekannt und beliebt sind Phytin, Glidine, Sanatogen. Bei man¬ 
chen Formen ist Svrupus Colae (Hell) von Nutzen, dann die Sto- 
maehiea. ferner F e 1 1 o w s und Eggers Hypophosphite. Eine 
große Rolle spielen Brom und Baldrian und deren Derivate. Mit 
Recht, wird die übermäßige Fleischnahrung perhorresziert und 
vom Alkohol abgeraten. Für einzelne Symptome, wie die Pho¬ 
bien. Platzangst, für die psychische Impotenz ist vorwiegend der 
psychische Einfluß des Arztes von Nutzen. Eine besondere Be¬ 
sprechung wird der Examenangst gewidmet, die oft gerade gut 
vorbereitete Prüflinge befällt. Hier soll man mit „sanfter Ge¬ 
walt“ das Hinausschieben der Termine verhindern. 

2 . Verfasser hält zwar die salzarme Diät bei Epileptikern 
für angezeigt, meint aber, daß speziell bei der B a 1 i n t sehen 
Kostnorm der Kalorienwert zu gering sei und große Milchmengen 
den Appetit verderben. Er hält daher eine Anreicherung der 
Kost mit weißem Fleisch, Kalb. Geflügel. Reis, Süßspeisen, für 
erforderlich, natürlich unter Vermeidung von Fleischbrühen, 





656 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 44 


Fleischextrakten, scharfen Gewürzen. Es müsse eben eine blande, 
reizlose (Ref. schlägt vor, reizarme zu sagen) Kost, aber von ge¬ 
nügendem Nährwert, seiu. Der Ersatz von Salz im Brot durch 
Brom (Bromopan von Bali nt) ist zu empfehlen, von Nutzen 
sind die Spasmositzwiebacke von Schnitzer, Stettin. Ref. 
hat auf die letzteren auch in ein^r Arbeit aufmerksam gemacht 
und schon vor Jahren betont, daß eine laktovegetabile Diät von 
genügendem Nährwert sich wohl durchführen lasse, wenn man 
Nährpräparate von. Pflanzeneiweiß hinzufügt, z. B. Roborat.. 

Von den Medikamenten steht Brom an erster Stelle, und 
zwar in der Form des Bromipins, letzteres wird nur zu oft in 
zu geringer Dosis gegeben. Unter 2 Eßlöffel pro Tag wird kaum 
hin reichen. Andere empfehlenswerte Präparate sind Bromglidine 
und. neuerdings Sabromin. Theoretische Erörterungen führten 
zur Empfehlung des Cerebrins; L i o n will damit große Erfolge 
erzielt haben. Verfasser konnte in 25 Fällen keine Heilung kon¬ 
statieren. Immerhin wurden 11 Fälle recht günstig beeinflußt. 
6 gaben keinen Erfolg, 8 einen nicht genügenden. 

Jedenfalls hält Verf. mit Recht dafür, die Prognose nicht so 
schwarz zu stellen, da doch durch Brom und geeignete psychische 
und körperliche Diät eine Anzahl Heilungen erzielt, wurden. 

3. Die kompensatorische Uebungstherapie ist eine bahnende 
Behandlung. Die periphere Neurone weisen die Verlangsamung 
der Leitung auf, welche im wesentlichen die Ursache der tabi- 
schen Ataxie ist; die Einübung erfolgt unter Kontrolle des Ge¬ 
sichtssinnes und führt unwillkürlich zu einer Beschleunigung 
bzw. Verkürzung der Reaktionszeit; in manchen Fällen wird 
auch eine Uebung der Sensibilität am Platze sein. 


Varia. 

Eine Wunderheilung in Lourdes. Von E. Dossenhei- 
m e r. Aerztl. Rundschau, 1908, Nr. 39. 

D. versieht die Heilung der Veronika Sperling, 
wahrscheinlich einer schweren Hysterika, und die Propaganda, 
die in katholischen Blättern damit getrieben wird, mit treffenden 
Glossen. 

In ähnlichem Sinne hat die „Ortsgruppe München des Deut¬ 
schen Monistenbundes“ in Nr. 34 der „Münch. Neuesten Nach¬ 
richten“ ein ganzseitiges Inserat eingerückt, in dem es u. a. heißt; 
„Wir müssen die Behauptung aufstellen, daß die Dinge in Lour¬ 
des unter religiösem Deckmantel sich zu einem geschäftlichen 
Unternehmen ausgewachsen haben, das ohne jede tatsächliche 
Berechtigung aus der Leichtgläubigkeit, Unerfahrenheit und dem 
Heilungsbedürfnis zahlloser Unglücklicher materiellen Vorteil 
zieht.“ 

Zugegeben — aber Leute vom Geistesumfang der Veronika 
Sperling, und es gibt ihrer in allen Schichten genug, brau¬ 
chen ein Lourdes, mag es nun in Dresden oder sonstwo liegen 
und die wundertätige Grotte durch einen Wasserleitungshalm 
öder magische Handauflegungen ersetzt sein ; 0 h a r c o t selbst 
hat manche Kranke mit gutem Erfolg nach Lourdes geschickt, 
und ein erfahrener Leiter einer Nervenheilanstalt sagt mit Recht: 
„Manche Leute sind so verrückt, daß sie nur mit etwas Verrück¬ 
tem geheilt werden können.“ 

Die körperlichen Strafen in der Schule. Von Dr. E d m, 
F o r s t e r. Umschau 1908, Nr. 38. 

Daß in der Schule die Prügelknaben gewöhnlich die mehr 
(►der weniger Schwachsinnigen sind, ist bekannt, neu indessen, 
was F. über den Erfolg von Kursen berichtet, die zur Aufklärung 
der Lehrer über geistige Abnormitäten in verschiedenen Städten 
abgehalten worden sind. Die Lehrer sind dadurch in kurzer Zeit 
ganz entsetzlich klug geworden und stellen die prächtigsten, mit 
seltenen Fachausdrücken gezierten Diagnosen; dies ist nicht 
schlimm, ernsthafter aber, daß manche Lehrer nun ihre Schüler 
über nervöse Symptome unterrichten, dieselben in sie hineinexa¬ 
minieren und so zu Zentren psychischer Ansteckung werden. Das 
ist entschieden schlimmer, als wenn sie gelegentlich einen 
Schwachsinnigen prügeln. F. schlägt nun vor, man solle die 
Unterweisung der Lehrer unterlassen und das Prügeln verbieten; 
aber gegenüber renitenten Elementen, für die das Gegenteil der 
Regel; 

Nur des Geistes Kraft allein 
Schneidet in die Seele ein 
zu trifft, ist es schwerlich ganz zu entbehren. 

F. von der Velden. 


Kritische Bemerkungen zu den technischen Neuerungen in 
der Hydrotherapie. Von Dr. B. Buxbaura. Bl. f. klin. Hy¬ 
drotherapie, 1908, Nr. 8. 

Buxbaura betont, daß die von findigen Therapeuten fort¬ 
während erdachten und „wissenschaftlich begründeten“ neuen 
hydrotherapeutischen „Methoden“ vielfach nichts anderes dar¬ 
stellen als Modifikationen der altbewährten Applikationsformen 
und oft genug eine unzweckmäßige Vermehrung und Kompli¬ 
kation der brauchbaren, erprobten und allen Anforderungen ge¬ 
nügenden Technik bedeuten. 

Technische Neuerungen sind aber zu begrüßen, wenn sie 
den Herzenswunsch aller (?) Therapeuten, mit den einfachsten 
und in jedem Haushalt anwendbaren Behelfen auszukommen, er¬ 
füllen helfen. Modifikation einer Technik ist allerdings auch 
dann als ein Fortschritt zu betrachten, wenn sie uns in die Lage 
versetzt, dem suggestiven Teil der Therapie Rechnung zu tragen. 

Escli. 

Prostitution und Reglementierung. Von C. Kop p. Mün¬ 
chener med. Wochenschrift, 1908, Nr. 36. 

K o p p igt ein Gegner der Art, in der die Polizei sich der 
Prostitution annimmt, und zugleich ein Gegner des Abolitionis- 
mus, dessen üble Folgen er an dem Beispiel Norwegens schildert. 
Er fordert zunächst Aenderung der Gesetzgebung, die sich selbst 
widerspricht und es dulden muß, daß sie überall übertreten wird, 
wo eine einigermaßen wirksame Kontrolle der Prostitution be¬ 
steht. Die Bordelle sollen als das geringere Uebel wieder offi¬ 
ziell geduldet und durch tägliche Untersuchung, Verbot der Ver¬ 
abreichung von Alkohol und Schutz der Insassinnen gegen Aus¬ 
beutung saniert werden. Den Lokalbehörden soll bis zu einem 
gewissen Grade überlassen werden, wie sie die Sache regeln wol¬ 
len, da die örtlichen Verhältnisse sehr verschieden sind. Die 
zwangsweise Einschreibung hält K. für unentbehrlich, doch soll 
sie nur nach gerichtlichem Urteil erfolgen; außerdem soll es. 
rechtlich möglich seiu, auch nicht unter Kontrolle stehende Per¬ 
sonen der Untersuchung und Behandlung zwangsweise zuzufüh¬ 
ren. Die Untersuchungen sollen häufiger und gründlicher durch¬ 
geführt - werden. Die; Hospitalbehandlung muß erleichtert und 
der Absehub Kranker in die Heimat, der doch nur zur Rückkehr 
in die Stadt führt, abgeschafft werden. 

Daß diese Aenderungen die Kosten vermehren und doch nur 
ein mäßiges Resultat zeitigen werden, darüber ist K o p p nicht im 
Zweifel. Auch erwartet er von ihnen keine Einschränkung der 
Prostitution, sondern nur eine Verminderung ihrer Gefahren. 

Wie viel besser waren doch die Zeiten, ehe die Syphilis nach 
Europa kam! Der „Hurenwaibel“ der alten Zeit hatte nur dafür 
zu sorgen, daß seine Schutzbefohlenen keinen allzu starken öffent¬ 
lichen Anstoß erregten, die gesundheitliche Frage existierte für 
ihn nicht, und das ganze Prostituiertenproblcm befand sich, mit, 
heute verglichen, im Stande der Unschuld. Gesellschaftliche 
Aechtung, Heuchelei und Lüge sind erst mit der gesundheitlichen 
Gefahr in die rPostituttion eingezogen, und die Menschheit hat es 
in den 400 Jahren auch nicht vermocht, sich der neuen Situation 
in befriedigender Weise anzupassen. Wer kann wissen, ob je¬ 
mals die Monogamie unter den christlichen Völkern zur vorherr¬ 
schenden Form der Ge'fechlechtsgemeinschaft geworden wäre, 
wenn damals die Prostitution schon so gefährlich gewesen wäre. 

F. von der Velden. 

Impfung und Ekzem. Von P. Schenk. Med. Klinik, 1908, 
Nr. 37. 

Schenk teilt die in seiner Tätigkeit als Impfarzt gemach¬ 
ten Erfahrungen an ekzematösen Impflingen mit. Personen mit 
empfindlicher. Haut bekommen nach der Impfung oft Papeln, 
Bläschen und Nebenpusteln, und ein ganz geringes Ekzem, sogar 
Intertrigo, kann sich nach der Impfung zu einer schweren, selbst 
tötlichen Hautaffektion auswachsen. (Gerät die Haut bei Ek¬ 
zematösen so sehr in erhöhte Aktivität, so gewiß, wenn auch in 
geringerem Grade, bei Gesunden; danach hätte das Volk ver¬ 
mutlich recht, in dem nach Schenk der Glaube sehr verbreitet 
ist., daß bei den Schutzpocken Giftstoffe durch die Haut ausge- 
schieden werden.) 

S eh e n k ist der Ansicht, daß man durch Deckung der Impf¬ 
stelle und de^ Ekzems mit Verbänden unangenehme Zufälle ver¬ 
hindern könne, daß es aber doch sicherer sei, Ekzematöse nicht zu 
impfen. Darin, daß hierdurch die Erfolge dex Pockenbekämp¬ 
fung nicht in Frage gestellt werden, wird ihm jeder Recht geben. 




1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


657 


Bayern und Württemberg schließen die mit Ausschlag behaf¬ 
teten Kinder ausdrücklich von der Impfung aus, Sachsen über¬ 
läßt die Entscheidung dem Arzt. Preußen hilft sich seit 1907 
mit einer besonderen „Verhaltungsvorschrift für die Angehöri¬ 
gen der Impflinge“, welche verhindern sollen, daß die geimpften 
Stellen und danach ein Ekzem des Impflings oder anderer Kin¬ 
der berührt werden. 

Für die durchschnittliche Mutter ist eine sol<;)ie Vorschrift, 
selbst wenn sie imstande ist, in den Sinn des amtlichen Deutschs 
einzudringen, vollständig wertlos. I)a schon sovitd Mißstimmung 
gegen die Zwangsiinpfung besteht, täte wohl Preußen recht, sich 
dem Vorgang Bayerns und Württembergs anzuschließen. (Ref.) 

F. von der Velden. 


Mitteilungen über Arzneimittel. 

Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. Ein neues Pliosphoilebertranöl. Von Dr. II ugoKorte. 
Deutsche med. Wochenschr., 1908, Nr. 41. 

2. Ein Beitrag zum Kapitel „Kresolseife und Kresolseifen- 
lösung“. Von Dr. Rapp. Apothekerztg., 1908, Nr. 80. 

3. Ueber Scbwefelbalsain. Von Dr. Franz Nagel¬ 
st* h m i d t. Therapeutische Monatshefte, Oktober 1908. 

4. Ein Beitrag zur Wirkung des Baldrians. Von Dr. R u d. 
Heinrich. Aerztl. Rundschau, 1908, Nr. 42. 

1. Infolge der Schwierigkeit der Dispensation des Phosphors 
in Lebertran halten sich die Apotheken Stammlösungen vorrätig; 
diese verändern sich aber in ganz kurzer Zeit merklich. Verf. 
fahcf Differenzen von 30 —80% des vorgeschriebenen Phosphor¬ 
gehalts. In zweijähriger Arbeit ist cs K. gelungen, ein allen An¬ 
sprüchen entsprechendes Phosphoröl herzustellen. Da Alkohol 
die Oxydation des Phosphors (sein Leuchten) unterdrückt, hat K. 
Phosphorlösungen mit 5% Gehalt an Alkohol hinaugesetzt. Aber 
es zeigte sich nach Monaten, daß der Phosphorgehalt um zirka 
10% heruntergegangen war. Er hat dann Versuche, mit Limonen 
angestellt. Dieses ist ein Terpen, das sich ki verschiedenen 
Oelen findet. Ein Zusatz von 1% Limonen bewirkte, daß der 
Phosphorgehalt der Oele kaum vermindert wurde. Die mit Li¬ 
monenzusatz hergestellten Oele sind monatelang haltbar, auch 
wenn sie in hellen Gläsern aufbewahrt werden. Das Präparat 
des Verfassers: „Ol. jecor. phosphorat. anticatalysat.“ wird von 
seiner Firma Dr. Körtet Oo., Hamburg 15. unter dem Namen 
Phosrhachit in den Verkehr gebracht in der gewöhnlichen Do¬ 
sierung 0,01 : 100,0 zum Preise von 1 M. 

2 . Bekanntlich bietet weder der Liquor Cresoli saponatus 
des Deutschen Arzneibuches noch die durch den Ei;laß des preußi¬ 
schen Ministeriums vorgeschriebene Neue Kresolseife einen voll¬ 
wertigen Ersatz für Lysol in bakterizider Hinsicht. Die Ver¬ 
öffentlichungen von Proskauer, Schneider, Selig¬ 
mann, Schottelius führten verschiedene Gründe an, die 
die Ursache der geringeren bakteriziden Eigenschaft der beiden 
Seifen sein sollten. Die Versuche des Verfassers bezweckten, die 
neue Kresolseife des Ministerialerlasses bakteriologisch nachzu¬ 
prüfen, ferner verschiedene Mischungsverhältnisse der drei 
isomeren Kresole mit den einzelnen Kresolen selbst auf ihre bak¬ 
terizide Wirkung hin zu vergleichen und schließlich dem wahren 
Unterschiede zwischen Lysol und den verschiedenen Ivresolseifen- 
priiparaten auf den Grund zu kommen. Das Ergebnis dieser Ver¬ 
suche geht dahin, daß der genaue Unterschied in der Desinfek- 
tionswirkung bei den verschiedenen Kresolseifenlösungen im Ver¬ 
gleiche mit Lysol nicht nur in einem erstklassigen Kresole, das 
die drei Isomeren enthält, sondern auch in dem richtigen Seifen¬ 
zusatz zu suchen ist. Denn durch Zusatz von Leinölseife, noch 
mehr durch einen solchen von Harzseife kann die Desinfektions¬ 
ki aft. gegenüber einem gewöhnlichen Oelseifenzusatze erhöht 
werden. Dr. R. behält sich vor, über eine brauchbare Vorschrift 
von Liquor Cresoli saponatus, welche dem Originalpräparate 
Lysol gleichwertig erscheint, später zu berichten. 

3. ln der Finsenklinik in Berlin hat Dr. N agejschmidt 
Versuche mit einem von Prof. Erdman n entdeckten Präparat 
gemacht, das reich an einem dreiatomigen Schwefel (Sa ana¬ 
log dem Ozcn, Oa) ist und Thiozon genannt werden soll. Es 
stellt eine dunkelbraune, dickflüssige, wohlriechende Lösung dar, 



die dem Thiopinol nach Ansicht des Verfassers deshalb über¬ 
legen ist, weil sie chemisch genau definiert, also dosierbar ist, 
weil sie die Haut nicht reizt und viel angenehmer riecht (nach 
Lavendelöl). Außerdem kann man, da das Präparat organische 
und anorganische ßchwefelverbindiingen enthält, nach Belieben 
jede derselben oder dieselben gemischt zur Anwendung bringen. 
N. ließ gegen Krätze eine Salbe nach folgender Formel her- 
stellen: Rp. Ihiozon 10,0, Palmkernseile 60,6, Lanolin, Vaselin 
aä 20,0. 50 g davon genügen für eine einmalige Einreibung. 
Die Scabies heilte, soweit sie unkompliziert war, in ca. 2 Tagen 
ab, das Jucken verschwand häufig sofort. Zur Einleitung und 
zum Schluß der Behandlung wurde ein warmes Vollbad gegeben, 
dem 50 g Thiozon zugesetzt waren. Dabei entsteht in dem 
Badewasser eine milchige Trübung, ähnlich wie bei künstlichen 
Schwefelbädern. Doch riecht dieses Schwefelbad nach Lavendelöl 
und auch nach stundenlangem Stehen niemals nach Schwefel¬ 
wasserstoff. Die Badewanne wird in keiner Weise angegriffen. 
Blanke Kupfer- oder Xickehvannen bekommen einen leichten 
dunklen Anflug, der aber bei dem üblichen Reinigen ohne weiteres 
verschwindet.. Das Bad, in dem sich der Patient beliebig lange 
aufhalten kann, wird angenehm empfunden und reizt die Haut 
nicht. N. hat ca. 300 Bäder gegeben, ohne Unannehmlichkeiten 
zu bemerken. Neben der Thiozonsalbe und dem unyermischten 
Thiozon kann man noch weitere Präparationen herstellen: man 
kann das Thiozon z. B. mit gleichen Teilen Glyzerin, ohne daß 
ein Ausfällung eintritt, mischen, 10 oder 20 pröz. Thiozon- 
Glyzerinlösungen herstellen. Diese sind emulsionsartig und ge¬ 
statten eine bequeme Anwendung in der Gynäkologie. X. hat 
mit Ol. Cacao dreiprozentige Vaginalkugeln vorteilhaft bei go¬ 
norrhoischen Perimetritiden und Adnexerkrankungen angewandt. 
N. hat die Schwefelausscheidung im Thiozonbade festgestellt und 
beobachtet, daß die Ausscheidung der Gesamtschwefelsäure im 
Urin deutlich gesteigert ist. Leider ist das Präparat zurzeit 
noch nicht im Handel erhältlich. Es muß weiteren Unter¬ 
suchungen überlassen bleiben, ob sich das Präparat bewährt und 
allen Ansprüchen genügt. 

4. Als wirksames Agens der Baldrianwurzel werden ver¬ 
schiedene Bestandteile angesehen, von Kionka und L i eh¬ 
re c h t das Valeriansäuredimethylamid, das von der Firma 
Meister, Lucius & Brüning unter dem Namen Valyl 
in den Handel gebracht wurde, von Romberg und Tap¬ 
peiner das ätherische Oel, das Borneol. Nach Verfassers Be¬ 
obachtungen irritiert sowohl das erstgenannte Präparat als auch 
das beide Substanzen enthaltende, von der Firma Riedel her¬ 
gestellte Bornyval, obwohl sie in Gelatinekapseln gegeben wer¬ 
den, die Magenschleimhaut. Außerdem ist es zweifelhaft, ob die 
genannten Präparate die volle Wirkung der Baldrianwurzel ent¬ 
falten können, da sie ja nur eine oder zwei Komponenten der 
Droge enthalten. L T m nun eine gleichmäßige Zusammensetzung, 
die haltbar und in ihrer Wirkung immer gleich ist, zu erzielen, 
hat die Firma Chemische Fabrik Helfenberg i. S. ein Prä¬ 
parat in den Handel gebracht, das ein Destillat aus der Bai- 
drianwurzel zugleich mit den Blättern der Pfefferminze dar¬ 
stellt und Valofin genannt wird. Dasselbe ist eine helle, äthe- 
tische Flüssigkeit mit dem Geruch und Geschmack des Baldrians. 
H. kennt das Präparat seit 3 Jahren und hat unangenehme 
Nebenerscheinungen, vor allem solche von seiten des Magen- 
Darmkanals nie bemerkt. Man gibt täglich 3- bis 4/nal 15 bis 
25 Tropfen, am besten in heißem Zuckerwasser. H. bestätigt die 
günstigen Erfahrungen, die von anderer Seite mit diesem Bal¬ 
drianpräparat gemacht wurden. 

Dr. W. lv r i'i gor, Magdeburg. 


Neuerscliienene Arzneimittel. 

1. Jodival. 

■ ( a -Mon o jodi sov al er i anyl h ar n st o ff.) 

Formel: (CHs)* CH . CHJ . CO .-NH . CO . NHa. 

Eigenschaften. Das Jodival stellt weiße, schwach 
bitter schmeckende Nädelchcn dar, die fast unlöslich in kaltem 
Waser sind, leichter löslich in heißem Wasser, Aether und 
Alkohol. Der Schmelzpunkt liegt bei 180°. Der Jodgehalt be 
trägt 47%. 

Indikationen: Die Anwendung des Jodivals entspricht 
allen Indikationen für die der Jodalkalien. Außerdem soll man 
mit Jodival eine kräftige Jodwirkung bei Erkrankungen des 
Nervensystems erzielen können, während die Jodalkalien eine 
direkte Wirkung auf das Nervensystem deshalb nicht ausüben, 
weil sie dort nicht abgelagert werden. 




THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


K «* i) t r a i 11 d i k u t i o n e n: Diese entsprechen elneiiiails 
den Judiden. 

Thar in a k o 1 o g i s e li e s: Nach den Untersuehuiigen 
von Prof. v. d. Eeekliout liegt die letale Dosis des Jodivnls 
beim Kaninchen bei 0,7—0,8 g pro Kilo Tier. Die Vergiftung 
ist eine Jodwirkung. Während die Jodalkalien fast völlig aus- 
geschieden werden in den ersten 24 Stunden, hält nach .lodival- 
gebrauch die Ausscheidung von Jod in den ersten 48 Stunden 
gleichmäßig an. Das Jodival passiert den Magen ungelöst und 
linzersetzt. Erst im Darm wird es als 2 m atriunisalz gelöst und 
nach der Resorption sowohl im Fettgewebe des Organismus als 
auch im Nervensystem abgelagert (v. ,d. Velde u). Von hieraus 
findet die allmähliche Abspaltung des Jods in der vorgenannten 
Weise statt, 

N eben Wirkungen: Das Jodival ist frei von Magen - 
und Darmreizungen. Wegen der langsamen Abspaltung des Jods 
tritt Jodismus nur selten und nur in geringem Maße auf. 

Dosierung und Darreichung: Im allgemeinen 
ha tsieh eine Darreichung von dreimal täglich 0,3 Jodival als 
ausreichend erwiesen. Kinder erhalten geringere Dosen. Die 
Tabletten läßt man in kaltem Wasser zerfallen und so einnehmen. 

Rezeptformeln: 

Rd. Jodival 0,3 | Tertiäre Lues. Spätstad. d. se- 

D. Tal. Dos. X I kund. Lues. Arteriosklerose. 

S 3 X tfil 1 Pulv i Asthma - Exsudative Prozesse. 

Rp. Ta bl. Jodival Orig.-Packg. 0,3 Im besonderen Gehirnlues. 

Dos. XX (Preis M. 2,—) Gehirnarteriosklerose u. s. u. 

Rp. Jodival 0,3 \ 

Diuretin 0,5 I 

Mf. p. D. Tal. Dos. XX j Arteriosklerose. 

S. 3 X tgl. 1 Pulv. in I 

Wasser od. in Oblaten. 

Literatur: Prof. v. d. Eeckho u t (Heidelberg. Phar- 
mak. Institut). Archiv f. exp. Path. u. Pharm., 1907, Rd. 57. 
Priv.-Doz. Dr. v. d. Velden, Düsseldorf. Vortrag auf der 
Naturforscherversammlung, 1908. 

Firma: K n o 1 1 & C o., Chem. Fabrik. Ludwigshafen 
am Rhein. W. K r ü g e r , Magdeburg. 

2. Valisan. 

Eigenschaften: »Schwach und angenehm aromatisch 
riechende, milde schmeckende I lüssigkeit mit einem Bromgehalt 
von 25,0%. 

Indikationen: Entsprochen denen anderer Brompräpa¬ 
rate. Wegen der gleichzeitigen Anwesenheit von Bornyval sehr 
für neurasthenische Zustände und nervöse Beschwerden ge¬ 
eignet. Es entfaltet eine ausgesprochene sedative V irkung. 

Pharmakologisches: Das Präparat stellt, eine Ver¬ 
bindung des Broms mit dem Bornyval dar, welch letzteres die 
Bestandteile der Baldrianwurzel, nämlich Borneol (64.3% ) und 
Isovalcriansaure (35,7%) enthält. Zur Steigerung der beruhigen- 
<lcn Wirkung wurde das Bornyval chemisch mit Brom verbun¬ 
den. Das Produkt dieser Verbindung, genannt Valisan. enthält 
25,2 % Brom. 48,3% Borneol und 26,5 % Isovaleriansäure. \\ ie 
Tierversuche ergeben haben, wurden große Dosen (10 g Einzel- 
dosis) gut vertragen. , . , 

Nebenwirkungen wurden am »Stadt» Ivrankenhausc 
Charlottenburg-Westend (Prof. G ra w i t /.) nicht beobachtet 
Wegen des besseren Geschmacks und der besseren Bekömmlichkeit 
wurde das Valisan dem Bornyval vorgezogen. 

Dosierung und D arrcic h u n g: Das V alisnn kommt 
in Gelatineperlen zu 0,25 g in den Handel. 

Literatur: Assistenzart Dr. M a e d o r (Inn. Abteilg. 
d. Krankenhauses Charlottenhurg-Westend; Prof. Dr. C« r a - 
witz): Valisan, ein neues Sedativum. Therapeutische Monats¬ 
hefte. Oktober 1908. _ « v 

Firma: Chemische Fabrik auf Aktien (vormals E. Sehe- 
r i n g), Berlin. W. Krüger. 


entsprechen 


( Tertiäre Lues. Spätstad. d. se- 
kund. Lues. Arteriosklerose. 
I Asthma. Exsudative Prozesse. 
I Im besonderen Gehirnlues. 
* Gehirnarteriosklerose u. s. w. 


Technische Neuerscheinungen. 

Blutstllluiigszange nach Blunk. 

Das Instrument soll ein Unterbinden oder Abdrehen 
blutender Gefäße überflüssig machen; einfaches kurzes Er¬ 


fassen soll die endgültige 131 ul Stillung bewirken. Dies wird 
dadurch zu erzielen versucht., daß die Maulteile des In¬ 



st rinnen les fest aneinander vorbeigleiten und so gewisser¬ 
maßen die mit ihnen erfaßten Gefäße schaben, wobei die 
äußere Gefäßhaut unversehrt bleibt, ^ 

während die Innenkante durch- 
trennt und von der Durch* \ mW 

trennungsstelle distal und proximal »Ow 

aufgerollt in das Gefäßlumen ge- 1<)1 

schoben wird, so daß letzteres au \ 

zwei Stellen verstopft, wird. Die 
Wirkung ist älso eine völlig andere, II \1 

als die der bisher zu gleichem /IDR P.W 

Zweck konstruierten Angiotribe, ^^11 iljyt 

die durch möglichst starken Druck /yyU 
eine ausgebreitete Zertrümmerung ff || No 3 11 li 

der Gefäßinnen häute bewirkten. Die 11 )1 ‘ \ /] 

Anwendungsweise derHluLslillungsr 

zange ist eine sehr einfache; alle 

blutenden Gefäßstümpfe werden nacheinander mit dem¬ 
selben Instrument direkt, erfaßt und abgequetscht. Zwecks 
isolierter Abquetschung kann man nicht isolier! liegende 
Gefäße mit einer sehmalmäuligen Ar- 
lerienklemme fassen und vorziehen, um 
sie,dann da abzuquelschen, wo man beim 
Unterbinden die Ligatur Anlegen würde, 
Indessen isl auf isoliertes Erlässen beim 
Abquetschen keineswegs das Gewicht zu 
legen, wie beim Unterbinden. Ilaupt- 
vorzüge des Instrumentes, abge¬ 
sehen von der großen Bequemlichkeit, sind folgende: 
schnellerer Verlauf der Operation, kein Fremdkörper (Liga¬ 
tur) bleibt in der Wunde; die Infektionsgefahr isl geringer, 
da weniger mit den Fingern in derselben manipuliert zu 
werden braucht; schnell zu vollziehende Blutstillung hei 
UnglücksfäUen mit schnell und leicht zu desinfizierendem 
Instrument. 

Die Firma Rudolf Blunk, Hamburg, stellt das lnstru 
meid in drei verschiedenen Größen her. (Aerztl. Poly¬ 
technik, Heft 9.) M. Plien, Berlin. 


Biicherbesprechungen. 

Spezielle gerichtliche Psychiatrie für Juristen und Mediziner, 
Von Prof. Dr. Alexander P i 1 c z. Leipzig und Wien 1908. 
Preis 5 M. 

Es sind die einzelnen Formen geistiger Störungen unter Her¬ 
vorhebung der forensisch wichtigen Gesichtspunkte in einer auch 
•für Laien verständlichen Weise kurz und prägnant geschildert. 
Nur der sogenannte moralische Schwachsinn findet eine etwas ein¬ 
gehendere Erörterung. Ueberall ist dabei das Wesentliche der 
Symptomatologie und die Beziehung der einzelnen Krankheits- 


«1 

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V.J* 



wlvcr 




mos 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


059 


form zur Strafrechts- und Zivilgosetzgcbung sowie ihre Bmirtei- 
Iii nin t’oro ausreichend berücksichtigt worden. Die praktisrhe 
Brauchbarkeit des Buche* wird dadurch erhöht, daß den einzelnen 
J\ rankheil stypen kurze Beisipele forensischer Fälle an gefügt 
worden sind, welche zur Illustration ihrer gerichtlichen .Beurtei¬ 
lung dienen. Das Buch wird nicht allein dem juristischen Laien 
zur Orientierung über die geistigen Erkrankungen Krimineller 
dienen können, sondern auch seinen Zweck in der Hand des vor 
Gericht tätigen Sachverständigen erfüllen, der sieh schnell die 
wichtigsten Erscheinungen geistiger Krankheiten'und ihre foren¬ 
sische Beurteilung ins Gedächtnis rufen will. 

Prof. Ernst Zierake - Kiel. 

Die Legende von der Altertumssypliilis. Medizinische und 
textkritische Untersuchungen von I)r. Al brecht Freih. von 
X o t thn f i t. Leipzig 1907, Verlag von W i 1 h e I m Engel- 
m a n n. 

Das Buch N o t t h a f f t s ist eine neue Stütze, für die immer 
mehr sich Geltung verschaffende Anschauung, daß die Syphilis 
aus Amerika importiert ist, wie schon Scheu he und Bloch 
dargelegt haben, daß aber sämtliche Hypothesen und Belegstellen, 
welche eine Syphilis des Altertums beweisen oder wahrscheinlich 
machen sollen, auf Irrtum oder Willkür der Ausleger beruhen. Es 
ergieht sich daraus, daß es nie eine Altertumssyphilis gegeben hat. 
daß dieselbe eine Legende war. J ul i u s Bau m - Berlin. 

Die Elektrolyse mit langen Nadeln zur Behandlung von Ver¬ 
schwellung des Naseiiinnern. Von l)r. B r e s g e n. Sonder - 
ahdruck aus der „Therapeutischen Rundschau, 1908, Xr. 7 u. 8. 

Br es gen hält die Elektrolyse für ein sehr empfehlens¬ 
wertes Verfahren bei der Behandlung von Verschwellung des 
Naseninnern, besonders bei tuberkulös Erkrankten oder in Fällen, 
wo sonst ein besonders schonendes Vorgehen angezeigt ist. ln 
eingehendster Darstellung, unter fast überreicher Zitierung sei¬ 
ner früheren Arbeiten und entsprechenden Hinweise legt Verf. 
die von ihm gebrauchte Methode dar, so ins Einzelne gehend, daß 
jeder mir ein wenig mit der rhinologiselien Technik Vertraute, 
das Verfahren jederzeit zu verwenden imstande sein muß. 

Der Elektrolyse wird im allgemeinen für das heregte Gebiet 
heute nicht mehr die Bedeutung zuerkannt, wie noch vor wenigen 
Jahren. Man zieht im allgemeinen das schnellere und auch wohl 
erfolgreichere, oft auch mehr konservierende operative Vorgehen 
vor. Dennoch gibt es i alle, bei denen die Elektrolyse ihren Wert 
behält, und dann dürfte mancher, der selten von ihr Gebrauch 
macht, die peinlich eingehende Darstellung in dieser Arbeit an¬ 
genehm empfinden. M. Halle, Uharlottcnburg. 


Allgemeines. 

Am 18. Oktober d. J. tagte in Cölh a. Rh. eine Versammlung 
von Aerzten, welche Anhänger und Freunde der Hetolbchandluug 
der Tuberkulose nach Länderer sind. Nach einem Referat 
der Herren W e i ß m a n n, Lindenfels, und GroBkopf, Osna¬ 
brück, und nach eingehender Diskussion, an welcher sich die 
Herren S e h r o h e , Mainz, Möller. Baden. R o c h a , 
Gladbeck. \\ ohlsecker, Bruckardrot, t er Iv u M e , En¬ 
schede, und D e i t e r m a n n , Horst, beteiligten, wurde 


NATÜRLICHES 



KARLSBADER 


SPRUDELSALZ 


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istdas allein echte Karlsbader 

Vor Nachahmungen und Fälschungen wird gewarnt. 


Das Bessere ist auch das Billigere! Da das Nährfett Fucol 
bei soust gleichwertigen therapeutischen Eigenschaften energischer als 
Lebertran wirkt, machen sich bei Gebrauch des erstcrcn and» die Heil¬ 
erfolge um so schneller bemerkbar. Schon aus diesem Grunde verdient 
Fucol — besonders in der Kassenpraxis — den Vorzug. Der General- 
Vertrieb: Karl Fr. Tüllner, Bremen. 


beschlossen, eine ..Freie ärztliche Gesellschaft zum Studium 
der Tuberkulose mit besonderer Berücksichtigung der Iletnl- 
hehandlung“ zu gründen. Zum Geschäftsführer wurde Wei ß- 
mann, Lindenfels, gewählt. Die Gesellschaft wird eine plan¬ 
mäßige, wissenschaftliche Bearbeitung der Heilbehandlung sieh 
zur Aufgabe machen und beabsichtigt in ihrer Geschäftsführung 
einen Mittelpunkt zu schaffen für alle praktischen und wissen¬ 
schaftlichen Fragen, welche das Hetol bet reifen. 

Ein eingehender Bericht über die Versammlung in Cöln wird 
in Kürze im Druck erscheinen und wird allen Interessenten durch 
den Geschäftsführer, Dr. Weiß mann in Lindenfels (Oden¬ 
wald), zugesandt. 

Die nächste Versammlung der neuen Gesellschaft wird im 
Frühjahr 1909 in Cassel stattlinden. 

Sicherstellung der Aerztehilfe. LTnter vorstehendem Titel 
bringt die „Deutsche Krunkenkassen-Zeitung“, 1908, Nr. 2, einen 
längeren, keineswegs ganz objektiv gehaltenen Aufsatz, der die 
üblichen Seitenhiebe gegen den Leipziger Verband enthält und in 
dem Vorschlag gipfelt, daß sich staatliche Verwaltungen, Berufs¬ 
genossenschaften, Landes Versicherungsanstalten dadurch von der 
,,Willkür der Aerztevereinigungen“ emanzipieren sollen, daß sie 
gleich der Militärverwaltung junge Medizinstudieren.de ganz oder 
teilweise auf ihre Kosten auf der Universität ausbilden und sic 
dafür verpflichten sollen, nach vollendeten Studien eine Anzahl 
von Jahren gegen ein vorher fixiertes Gehalt zu dienen. Wenn 
der Verfasser auch einsieht, daß sich die Söhne aus besseren Krei¬ 
sen nicht zu solchen Abkommen hergeben werden, so ist er doch 
der Meinung, daß an geeigneten Kandidaten gar kein Mangel sein 
werde. —, Es scheint ihm demnach unbekannt zu sein, daß an 
Militärärzten permanenter Mangel herrscht. — Feber seine Zn- 
kunftspläne enthalte ich mich jeder Aeußerung; an maßgebender 
Stelle mag man über sie zur Tagesordnung übergehen und nicht 
die Hand dazu bieten, das akademische Proletariat, das jetzt schon 
da ist, noch weiter zu vermehren. Der ungeheure Zudrang der 
Abiturienten zur Medizin gibt ohnehin sehr zu denken und erfüllt 
uns mit Sorge für die Zukunft des einstens so hoch angesehenen 
ärztlichen Standes. 

AbeT gegen gewisse Ausführungen des Art ikclsehreibers ist 
entschieden Front zu machen. Er sagt, der überwiegende Teil der 
Kosten des medizinischen Studiums werde ohnehin nicht von den 
Studierenden, sondern von der Allgemeinheit, vulgo dem Staate, 
beglichen. Er fährt fort: „Woraus für diese ohne weiteres das 
Recht herzuleiten ist. ärztliche Hilfe zu angemessenen Preisen zu 
beanspruchen. Hierbei ist ferner zu berücksichtigen, daß einem 
nicht geringen Teile unserer Aerzte das Studium durch Stipendien 
ermöglicht wurde und von der Möglichkeit einer zweckent¬ 
sprechenden Organisation und eventuell einem Ausbau des Sti¬ 
pendienwesens wird es abhängen, ob man die hochakute Aerzte- 
frage noch einmal wird zu einer für die Allgemeinheit glück¬ 
lichen Lösung bringen können 

Der Verfasser hat nur insofern Recht., als die Unterhaltung 
der medizinischen Unterrichtsinstitute, die Besoldung der Pro¬ 
fessoren keineswegs allein durch die Studiengelder der Studie¬ 
renden gedeckt werden kann. Aber wie ist‘s mit der persönlichen 
Unterhaltung des jungen Mannes während seiner Studienzeit? 
Die geht doch bei mehr als 90% auf die eigene Kappe. — Die 
Stipendien, die an Mediziner vergeben werden, sind zu zählen: 
jeder Stipendiatenephovus wird uns bestätigen, daß bei der Ver¬ 
teilung dieser Erdengüter die Angehörigen der medizinischen Fa¬ 
kultät am schlechtesten wegkommen. Die meisten Stipendien 
erhalten die Theologen; dann kommen die Philologen resp. Lehr¬ 
amtskandidaten. L. R o d e. (A, V. R„ 1908, Xr. 4.) 

Die Uehertragbarkeit bösartiger Geschwülste betrifft eine 
Sonderausstellung im Kaiserin Friedrich-Hause, die Herr Ober¬ 
arzt Dr. Sticke r mit den Präparaten veranstaltet, welche 
kürzlich bei dem „Internationalen Chirurgen-Kongreß in Brüssel* 4 
allseitiges Interesse erweckten. Die Ausstellung ist unentgeltlich 
zugängig vom 2fi. bis 31, Oktober, nachmittags von 1 i>4—Uhr. 
und vom 2. bis 7. November, vormittags von 10 bis 1 Uhr. 


F. A. Hoppen n, R. .Fisolier 
Patentanwälte 

Berlin SW. 13* Neuenburgerstraße 15 
Amt IV. 718. 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. R. Lunawitz, Berlin S — Verlag: Gustav Ehrke Zeit9chriltenverlag, Berlin W. 9. 
Druck von Carl Marschner Buchdruckerei, Berlin SW. 13. 





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und die flrminiusqu«lk in Lippjspringe. 

Die Arminiusquelle in Lippspringe wurde im Jahre 1907 von fast 7000 Lungen¬ 
kranken — gegen ca. 6000 im Jahre 1905 — besucht. Eine Reihe von Versicherungs¬ 
anstalten. Vereinen, Gemeinden, Stiftungen usw. schickte Kranke mit bestem 
Erfolge; z. B. die Versicherungsanstalt Westfalen liess in den letzten Jahren 
jährlich 600 Versicherten eine Kur an der Arminiusquelle zuteil werden, lieber 
die hier in freier Kur erzielten ausserordentlichen Heilerfolge vergleiche die 
Jahresberichte der Landesversicherungsanstalt Westfalen. Der Jahresbericht 
des Barmer Vereins für Gemeinwohl pro 1904 sagt z. B.: „Bei dem Vergleich der 
Kurerfolge von Lippspringe mit den anderen Kurorten bezw. Anstalten für Lungen¬ 
kranke steht Lippspringe an erster Stelle.“ — Der neu entstandene Kurbrunnen 
steht mit der seit 70 Jahren bewährten Arminiusquelle und deren Verwaltung nicht 
in Verbindung. - Jede weitere Auskunft erteilt die Brunnen-Administration der 
Lippspringe, "Westf. (Bahnstation)., Armimusquellei 


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Genaue Diätvorschriften sind zu geben. 

Taxpreis 1 gr = 10 Pf. 10 gr = 0,95 M-. 

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UNIVERSITY OF MICHIGAN 


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'<• \ ;' * ' ' ’ Herausgegeben von 

Prol Dr. Albu, Berlin, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Anton, Halle a. S., Prof. Dr. P. Berge», Berlin, Prof. Dr. A. Bickel, Berlin, Prof. Dr. L. Blum- 
: reich, Berlin' Prof. Dr. E. Braatz, Königsberg, Prof. Dr. C. Brahns, Berlin, Prof. Dr. G. Burckhard, Würzburg, Prof. Dr. A. Döhrssen, Berlin, Prof. 
, Dr. E. Enderlen, Würzburg, Prof. Dr. R. Eschweiler, Bonn, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. A. Ewald, Berlin, Prof. Dr. E. Friedberger, Berlin, Prof. Dr. P. Gerber, 
. Königsberg Reg-Rat'Prof. Dr. Jul. Glax, Abbazia, Prof/Dr. K. Helbing, Berlin, Prof. Dr. M. Henkel, Greifswald, Prof. Dr. K. Herxheimer, Frank¬ 
furt a. M., Prof. Dr. P. .Heymann, Berlin, Prof. Dr. A. Hildebrandt, Berlin, Prof. Dr. K. Holzapfel, Kiel, Prof. Dr. A. Jesionek, Gießen, Prof. Dr. G. Jochmann, 
Berlin, Prof. Dr. M. Koeppett, Berlin, Prof. Dr. A. Kollmann, Leipzig, Prof. Dr. J Kocks, Bonn, Prof. Dr. G. Köster, Leipzig, Geh. Med.-Rat Pror. 
Dr 0. Küstner, Breslau, -Prof. Dr. H. Lenhartz, Hamburg, Prof. Dr. M. Lewandowsky, Berlin, Prof. Dr. G. Meyer, Berlin, Prof. Dr. M. Mosse, Berlin. 
ProLT)r. v E. Opitz, Düsseldorf, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. K. Partsch, Breslau, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. H. Pfannenstiel, Kiel, Geh. Reg.-Rat Prof Dr. 
B, Proskauer, Berlin, Prof. Dr. L. C. Rehn, Frankfurt a. M., Prof. Dr. K. Ritter, Greifswald, Prof. Dr. H. Rosin, Berlin, Prof. Dr. Th. Rumpf, Bonn, 
.Prof. Dr. H. Schlange, Hannover,. Prof. Dr. Ad. Schmidt, Halle a. S., Geh. Med.-Rat Prof. Dr. H. Schmidt-Rimpler, Halle a. S., Prof. Dr. W. Scholtz, 
- Königsberg i. Pr., Prof. Dr. E. Schulze, Greifswald, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. H. Senator, Berlin, Prof. Dr. med. et phil. R. Sommer, Gießen, Prof. 
Dr G. Sultan, Berlin, Prof. Dr. A. Tietze, Breslau, Prof. Dr. P. G. Unna, Hamburg, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. H. Unverricht, Magdeburg, Prof. Dr. 
Ö. Vulpius, Heidelberg, Prof. Dr. H. Walther, Gießen, Prof. Dr. F. Wesener, Aachen, Prof. Dr. G. Winter, Königsberg, Prof. Dr. E. Ziemke, Kiel. 

Redaktion: || Verlag und Expedition: 

Dr. med. et phil. H. Lungwitz, Berlin S. 14, Dresdenerstr. 44. ji Gustav Ehrke Zeitschriftenverlag, Berlin W. 9, Köthenerstr. 44. 

Telephon: Amt IV, 11773. . 11 Telephon: Amt VI, 3020. 

Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte 

der Ostsee und der Medizinisch-biologischen Gesellschaft. 


II. Jahrgang. 


Berlin, 8. November 1908. 


Nr. 45. 


Die „Therapeutische Rundschau“ erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2 M, einzelne Nummer 20 PL Zu beziehen durch den Verlag, M_nue samtl. 
Buchhandlungen und Postämter. Inserate werden für die 4 gespaltene Zeile oder deren Raum mit 50 Pf. berechnet. Beilagen nach Uebereinkunft. Reklamezelle i.oü M Bei 
größeren Aulträgen wird Rabatt gewährt. 

Nachdruck ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. _ 


Inhalt. 


Originalien: 

M. Mosse, Berlin: Ueber den Zusammenhang von Blutarmut 

• und Magenbeschwerden. 

Bugen Reh fisch, Berlin: Praktische Erfahrungen über die 
medikamentöse Behandlung Herzkranker. 

Referate: 

-’E. Küster, Freiburg i. Br.: Bakteriologie ^. 

- C. Bachem, Bonn: Pharmakologe 5 . .. 

J. Ibrahim, München: Kinderheilkunde. 

G. Flatau, Berlin: Neurologie und Psychiatrie. 

G. Abelsdorff, Berlin: Augenheilkunde. 


L. Lipman-Wulf, Berlin: Urologie. 

Mitteilungen über Arzneimittel: 

G. Bachem, Bonn: Referate. 

Technische Neuerscheinungen: 

Asch, München: Gastrotrib (Ref.: M. Plien. Berlin.) . . . 

Bücherbesprechungen:.. 

Edmund Saalfeld, Berlin: Kosmetik, ein Leitfaden für 

praktische Aerzte (Ref.: J. Baum, Berlin;. 

Paul Albrecht, Halle a S.: Fritz Reuters Krankheit . . . 

E. Sommer, Zürich: Emanation und Emanationstherapin . . 

Allgemeines. 


ORIGINALIEN. 

Aus dem medizinisch-poliklinischen Institut der Universität Berlin 
(Dire ktor: Geheimrat Prof. Dr. Senator). 

Ueber den Zusammenhang von Blutarmut und 
Magenbesehwerden. 

Von Prof. M. Mosse, Berlin. 

Wenn ich in den folgenden Zeilen einige Bemerkungen 
über die Erkennung und Behandlung der Magen- 
beschwerden Anämischer machen möchte, so will 
ich zunächst von vornherein betonen,, daß natürlich nicht 
die Absicht vorliegen kann, eine alle Einzelheiten des 
Themas erledigende, umfassende Abhandlung zu liefern. 
Es sollen vielmehr nur die wesentlichsten, hauptsächlich 
die Differentialdiagnose betreffenden Punkte des Gegen¬ 
standes erörtert werden, besonders, um darauf hinzuweisen, 
daß eine schematische Therapie der Magenbeschwerden 
anämischer Personen in der Praxis schädlich und unange¬ 
bracht ist, daß- es vielmehr bei der Beurteilung eines jeden 
Falles darauf ankommt, sich zu fragen, in welchem Zu¬ 
sammenhänge die Anämie mit den Mageüb es chwer den steht 
und tob überhaupt ein solcher Zusammenhang vorhanden ist. 

Naturgemäß wird es zuerst darauf ankommen, festzu¬ 
stellen, ob tatsächlich eine Anämie besteht und zweitens, 
oh die von dem Kranken geäußerten Magenbeschwerden 
ihren Grund in krankhaften Veränderungen der Beschaffen¬ 
heit oder der Tätigkeit des Magens haben. 

.Was zunächst den ersten Punkt anbelangt, so lehrt die 
Erfahrung, daß sehr häufig in der Praxis die Diagnose 
einer „Blutarmut“ gestellt wird, ohne daß eine solche vor¬ 


liegt und daß umgekehrt auch höhere Grade von Anämie 
leicht übersehen werden können. Das liegt daran, daß die 
Diagnose der Anämie nicht einfach auf Grund von blassem 
Aussehen der Patientin — handelt es sich doch zumeist 
um weibliche Kranke — gestellt werden darf. Blasses Aus¬ 
sehen der Haut kann vorliegen, ohne daß wirklich eine 
Blutarmut vorhanden ist, d. h. ohne daß eine Herabsetzung 
der Zahl der roten Blutkörperchen (Anämie) oder Herab¬ 
setzung des Hämoglobingehalts des Blutes ohne \ ennin- 
derung der Erythrozytenzahlen (Chlorose) besteht. Es ist 
nun in der Praxis nicht erforderlich, in jedem einzelnen 
Falle eine genaue Bestimmung der Zahl der roten Blut¬ 
körperchen zu machen; was aber in jedem Falle, iri dem 
die Diagnose der Blutarmut in Betracht kommt, untersucht 
werden sollte, das ist der Hämoglobingehalt des Blutes. 
Hierzu genügt für die Zwecke der Praxis die T a 11 q u i s t - 
sehe Hämoglobinskala 1 ), die es jedem Arzte ohne weitere 
Vorbildung und Uebung ermöglicht, in wenigen Minuten 
und mühelos den Gehalt des Blutes an Hämoglobin fest¬ 
zustellen. 

Wenn man sich dieses einfachen Untersuchungsmittels 
bedient, so wird man auch in denjenigen Fällen zum Ziele 
kommen, in denen eine Blutarmut nur scheinbar vorliegt. 
Solche Fälle sind jedem erfahrenen Praktiker bekannt. Sie 
beruhen, wie Sahli ausführt, in den meisten Fällen auf 
veränderten Zirkulationsbedingungen der Gesichtshaut. Ich 
verweise — um nicht aus dem Sahli sehen Lehrbuch 
der Untersuchungsmethoden sätzeweise abzuschreiben — 

■ auf die betreffenden Ausführungen in diesem Buch. 

r) Sie ist für 4 M. erhältlich; Alleinvertreter für Deutsch¬ 
land ist Otto Enslin, Berlin, Karlstr. 32. 


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662 


THERAPEUTISCHE RÜNBSÖÄÖj^ 



Solchen Zuständen einen besonderen Namen zu geben, 
erscheint mir überflüssig. Strauß hat von „Pseudo¬ 
anämie“ gesprochen — eine Bezeichnung, für deren all¬ 
gemeine Verwendung ich mich. nicht erwärmen möchte. 
Spricht man doch auch nicht von „Pseudokarzinom“ des 
Darms, wenn wir Tumoren fühlen, die durch Rizinus ver¬ 
schwinden oder von einem „Pseudokarzinom“ des Oeso¬ 
phagus bei Krampfzuständen der Hysterischen! Und dabei 
ist die Diagnose in jenem Fall durch die Untersuchung des 
Hämoglobingehalts des Blutes »schneller gemacht als im 
letzteren Falle durch das Abführmittel. 

Weiterhin ist in jedem einzelnen Falle zu fragen und 
nach Möglichkeit festzustellen, ob es sich wirklich um 
Magen beschwerten handelt oder ob diese nur vorgetäuscht 
werden durch anderweitige Affektionen. Differentialdiagno¬ 
stisch kommen vor allem chronisches Gallenblasenleiden 
mit Gallensteinkolik sowie beginnende Leberzirrhose in 
Betracht, ferner Wanderniere und endlich Magenstörungen 
bei Herz- und Nierenkranken. In jedem Falle 
ist auf das Vorhandensein einer epigastrischen 
Hernie zu untersuchen. Natürlich hat man sich auch 
zu vergewissern, ob etwa eine beginnende Tabes mit gastri¬ 
schen Krisen vorliegt. Denkt man nur an alle diese Affek¬ 
tionen, so wird es verhältnismäßig einfach sein, allein per 
exclusionem das Vorhandensein einer wirklichen Krankheit 
des Magens festzustellen. Am häufigsten dürften wohl noch 
Gallensteinkoliken ohne Ikterus mit Magenkrankheiten 
verwechselt werden. Erhebt man indessen eine genauere 
Anamnese, die das anfallsweise, im ganzen unabhängig von 
der Nahrungsaufnahme auf tretende, mit Frost oder Ritze 
verlaufende Schmerzgefühl feststellt, die ergibt, daß es 
sich häufig um fettleibige Frauen handelt, die auf Befragen 
oft angeben, daß sie den ersten Anfall im Wochenbett, 
oder bald nach ihm gehabt haben, daß die Anfälle ebenso 
stark wie die Wehenschmerzen seien —- dann wird - es 
in weitaus der größeren Mehrzahl der Fälle nicht schwer 
sein, eine Gallensteinkolik zu diagnostizieren, auch ohne 
daß Ikterus während oder nach den Anfällen auftrat. Da¬ 
zu ergibt die objektive Untersuchung zumeist Schmerz¬ 
haftigkeit der Gallenblasengegend auch außerhalb des An¬ 
falls. Lokalisierung des Schmerzgef\?hls nach der Gegend 
links vom Nabel spricht nicht gegen Gallensteinkolik. — 

Ist nun festgestellt, daß sowohl eine Anämie — oder Chlo¬ 
rose — vorliegt und daß die Magenbeschwerden nicht auf 
eine anderweitige Affektion zu beziehen sind, so kann der 
Zusammenhang zwischen der Blutarmut und den Magen¬ 
beschwerden sich so gestalten, daß entweder die Blut¬ 
armut primär und die Magenbeschwerden sekundär auf- 
t re teil oder daß die Blutarmut eine Folge der Magen- 
erkrankung ist oder daß sowohl Blutarmut wie Magen¬ 
beschwerden Folgezustände einer dritten Affektion sind. 

Anlangend das primäre Vorhandensein der Blutkrankheit, 
so sind die Veränderungen der Magentätigkeit verschieden, je 
nachdem es sich um einfache Anämie, um Chlorose oder um 
perniziöse Anämie handelt. Bei der primären chronischen 
Anämie sind die Veränderungen des Magenchemismus keine 
eindeutigen, bald bestehen normale Werte der freien II CI 
und der Gesamtazidität, bald zu hohe, J)ald zu niedrige 
Werte. Im Gegensatz hierzu sind die Magenbeschwerden der 
Chlorotisehen fast stets auf Superazidität und gesteigerte 
Sekretion zurückzuführen, so daß es sich in praxi für diese 
Fälle erübrigt, eine Untersuchung des Mageninhalts - yor- 
zunehmen. Dagegen muß in jedem Falle, in dem-bei einer 
Chlorotisehen Verdacht auf Magengeschwür besteht, die 
Untersuchung der Fäzes auf Blut vorgenommen werden, 
um so das Vorhandensein der sogenannten „okkulten“ Blu¬ 
tungen festzustellen -- mit Methoden, auf die hier nicht 
näher eingegangen werden soll. Ebenso eindeutig liegen 
die Verhältnisse bei der sogenannten perniziösen Anämie 
im Sinne Ehrlichs, d. h. einer Anämie, die nur durch 
mikroskopische ^Untersuchung de§ Blutes erkannt,werden. 


kann und bei der diese Untersuchung das Vorkandenleih 
mehr, oder minder zahlreicher Megalozyten (d. JK. abnorm 
großer roter Blutkörperchen) und Megäloblasten (d.h.großeY 
kernhaltiger roter Blutkörperchen mit geijin g en Affinität 
des Kerns zum Kernfarbstoff) ergibt. 'Bei dieser perniziösen 
Anäinie im Sinne von Ehrlich sind also die Ma&en- 
veränderungen sekundären Natur; sie äußern: sich'.klinisch 
stets in einer Hypochlorhydrie und Subazidität. •, <’ 

In einer zweiten Reihe von Fällen ist der Zusammen¬ 
hang von Blutarmut und Mageriaffektion ein derartiger, daß 
sich im Anschluß oder auf Grund des Magenleideris die Anä¬ 
mie sekundär entwickelt. Die Fälle von Ulcus ventneulUbei 
Chlorose bilden den Uebergang zu der vorigen Gruppe, da 
naturgemäß das Auftreten einer Blutung die schon be¬ 
stehende mangelhafte Beschaffenheit des Blutes noch ver¬ 
schlechtert. Dagegen gibt es Anämien, die Folgezustände 
chronischer Gastritis sind. Besonders führt die Achylie 
zu sekundärer einfacher Anämie, die indessen mit der 
perniziösen Anämie nicht verwechselt werden darf. Die 
Tatsache, daß von manchen Autoren hier nicht streng genug 
differenziert wird, darf nicht zu einer Verwischung 
des Bildes führen: Achylie veranlaßt sekundäre einfache 
Anämie, umgekehrt ist perniziöse Anämie — wie ausein¬ 
andergesetzt — mit Herabsetzung der Säurewerte ver¬ 
bunden. Ich habe viele Fälle von. Subaziditäten, Achlor- 
hydrien, Achylien untersucht — ohne das Bild der perni- x 
ziösen Anämie, wohl aber" das der einfachen sekundären^ 
Anämie zu finden! Dasselbe gilt für die Fälle von Mageh- 
karzinom, auch dieses führt wohl zu einfacher, aber nicht 
zur perniziöser Anämie im Sinne Ehrlichs! 

Endlich wären diejenigen Krankheiten anzuführen, die 
sowohl zu einer Veränderung der Blutbeschaffenheit jund 
zu einem veränderten Chemismus des Magens führen 
können, bei denen also sowohl Blut- wie Magenkrankheit 
Folgeerscheinungen „einer »dritten Affektion. sind., Das ist 
naturgemäß eine große Reihe von Krankheiten, zunächst 
die fieberhaften Krankheiten, die zur Anämie führen und 
mit Subaziditäten einhergehen, dann eine Zahl chronischer, 
zum Siechtum führender Krankheiten, besonders die Tuber¬ 
kulose in ihren verschiedenen Formen, chronische Nephri¬ 
tis u. a. m. Besonders ist auch an die Helminthiasis zu 
erinnern, die sowohl Magenstörungen hervorruft, wie Ver-. 
änderüngen des Blutes, und zwar sowohl einfache sekundäre ' 
Anämie, wie perniziöse (Anchylostomum duodenale), wie 
auch das Bild der eosinophilen Leukozytose (Trichi- 
nosis u. a.). — . * ' 

Ziehen wir einen Schluß aus den angeführten Tatsachen, 
so ergibt sich eine große Mannigfaltigkeit des Bildes. In 
jedem Falle von Anämie mit Magenstörungen ist festzu- 
stellen, welches die primäre, welches die sekundäre Krank¬ 
heit ist, ob überhaupt ein Zusammenhang vorliegt und 
welches die Art der krankhaften Beschaffenheit des Blutes, 
welches die Störung des Magenchemismus ist. ln einer 
Reihe von Fällen ist die mikroskopische Untersuchung des > 
Blutes, in einer anderen Mageninhaltsuntersuchung erfor¬ 
derlich! Daß hier jeglicher Schematismus schädlich sein 
kann, lehrt die Ueberlegung, welcher Art im Einzelfalle 
die Behandlungsweise sein muß, die einzuschlagen 
ist. Diese hier einigermaßen erschöpfend zu behandeln, 
würde zu weit führen; eine solche Darstellung würde einem 
Grundriß der Therapie der Magenkrankheiten überhaupt 
entsprechen. Nur an wenige Punkte sei erinnert! Zunächst 
an die Tatsache, daß für ausgesprochen chlorotische Per¬ 
sonen das beste Heilmittel Bettruhe von naturgemäß ver¬ 
schieden langer Dauer ist. Hiermit kann vorteilhaft die 
Behandlung der Hypersekretion und Superazidität (eiweiß- 
und fettreiche Diät, Vermeidung von scharfen, geräucherten, 
gepökelten Speisen, Kaffee, Alkohol etc.) Hand 'in Hand, 
gehen. Was dann die perniziöse Anämie anbelangt, so 
wird es in jedem Falle gut sein, auf die Magenstörungen - 
Rücksicht zu nehmen und die Diät entsprechend der ver-» 


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1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU 


608 


minderten oder ganz aufgehobenen Salzsäuresekretion ein¬ 
zurichten, also eine im ganzen ciwciß- und fettarme Diät 
unter Darreichung großer Mengen von Salzsäure mit oder 
ohne Pepsin vorzuschreiben. Liegt ein primäres Magen- 
leiden vor. so ist dieses diätetisch und medikamentös zu 
behandeln und die sekundäre Anämie zunächst nicht zu 
beeinflussen und nicht etwa durch Arsen- oder Eisen¬ 
präparate die an sich schon gestörten Magenfunktionen even¬ 
tuell noch mehr zu schädigen. Sind Magen- und Blut¬ 
krankheit Folge einer anderen Affektion, so ist nach Möglich¬ 
keit diese zu beeinflussen (Tuberkulose, Helminthiasis etc.). 
Auch für diese gilt der Satz, daß auf die gestörte Magen¬ 
funktion so weit wie irgend möglich Rücksicht zu nehmen ist 
und daß man nicht in der Absicht, die Blutbeschaffenheit 
bessern zu wollen, durch weitere Schädigung der Magen¬ 
tätigkeit einen Circulus vitiosus schafft. 

Für das hier besprochene Gebiet ist ganz besonders die 
Forderung aufzustellen, daß die Therapie nicht blind irgend¬ 
ein gerade ins Auge fallendes Symptom betreffen soll, daß 
wir dagegen häufig nur Symptome zu bekämpfen in der 
Lage sind, wobei wir uns aber immer bemühen müssen, die 
Diagnose der Grundkrankheit zu sichern! 


Praktische Erfahrungen über die medikamen¬ 
töse Behandlung Herzkranker. 

Von Dr. Eugen Rehflseh, Spezialarzt f. Herzkrankheiten, Berlin. 

Während die physiotherapeutischen Maßnahmen nur 
eine allmähliche Besserung in dem Befinden Herzkranker 
anzustreben vermögen, hat die Darreichung von Medika¬ 
menten die Aufgabe, in kürzester Frist dem Kranken 
Hilfe zu bringen. Dieses ideale Ziel läßt sich in der Tat 
erreichen, wenn für die Anwendung eines bestimmten 
Arzneimittels eine ganz präzise Indikation vorliegt, und 
der Erfolg scheint um so sicherer, wenn die durch irgend 
ein Leiden gesetzten Störungen einen einheitlichen Typus 
aufweisen, d. h. auf eine einzige Ursache zurückzulühren 
sind. Leider aber handelt es sicli in der Mehrzahl der 
Fälle nicht um die Erkrankung des Herzens allein, 
sondern um eine gleichzeitige Affektion anderer 
Organe, wie etwa der Nieren, der Leber, des Zentral¬ 
nervensystems. Hierzu kommt, daß wir oft die sonst so 
manifeste Erkrankung des Herzens auf eine unbekannte 
Ursache zurückführen müssen, auf eine Noxe, deren 
eigentliches Wesen, deren Chemismus wir nicht durch¬ 
dringen können. Im allgemeinen aber bietet die medi¬ 
kamentöse Therapie eine durchaus dankbare Aufgabe, im 
besonderen, wenn es gelingt, schon die allerersten Sym¬ 
ptome eines Herzleidens ausfindig zu machen, die 
ersten Anfänge einer gestörten Funktion zu erkennen. 

Nun beherrscht, wie wir wissen, seit Dezennien die 
Digitalis die gesamte Herz-Therapie oder stellt doch zum 
mindesten so im Vordergründe jeglicher Behandlung, daß 
es mir ratsam scheint, liier einmal in aller Kürze sowohl 
die Indikationen für eine Digitalisbehandlung als auch die 
Wirkungsweise dieser Droge, die erst gerade in den letz¬ 
ten Jahren experimentell pharmakologisch ergründet 
wurde, zu besprechen. 

Der Angriffspunkt für die Digitaliswirkung sind so¬ 
wohl das nerz seihst als auch das Gefäßsystem. Das Herz 
antwortet mit erhöhter Arbeit, indem es sich einmal reich¬ 
licher von den Vorhöfen aus mit Blut füllt, dann aber, 
indem sein Kontraktionsvermögen zunimmt, wodurch ein 
höherer systolischer Druck erreicht wird. Aus diesen 
beiden Faktoren muß notwendigerweise ein größeres 
Schlagvolumen resultieren, d. h. in jeder Systole fördert 
das Herz eine größere Quantität seines Inhalts. Nun ist 
aber, wie eingehende Untersuchungen gezeigt haben, die 


Steigerung des Blutdrucks nach Digitalis nicht nur die 
Folge der vermehrten Herzarbeit allein, sondern, und hier 
kommen wir auf den zweiten Angriffspunkt der Digitalis 
zu sprechen, auch der erhöhten Kontraktion der Gefäße 
und im besonderen derer im Splanchnikiisgebiet. Jetzt 
würde aber sicherlich durch die vermehrte Herzarbeit 
im Verein mit der Kontraktion der Gefäße oft ein so 
hoher Blutdruck erzielt werden, daß er namentlich bei 
brüchigen, arteriosklerotisch veränderten Arterien eine 
Gefahr für den Patienten involvieren könnte, wenn nicht 
diesem drohenden Ueberdruck durch zwei Momente vor¬ 
gebeugt würde. Einmal dadurch, daß sich in gewissem 
Sinne regulatorisch einige Gefäßbezirke nicht kontra¬ 
hieren, sondern vielmehr erweitern, und zweitens, daß 
bald beim Beginn einer Digitaliswirkung infolge von 
Vagusreizung eine Verlangsamung der Schlagfrequenz 
eintritt. Infolge davon erleben wir es häufig, daß trotz 
i Digitalis keine sichtliche Blutdrucksteigemng erfolgt, 
i während wir wohl ihre therapeutische Wirkung Schritt 
für Schritt verfolgen können. 

Zunächst tritt als charakteristische Digitaliswirkung, 
wie erwähnt, eine Pulsverlangsamung ein. Da sich nun 
in der längeren Diastole die Kammern besser füllen 
können, werden die Vorhöfe leer, und die großen Venen, 

1 die infolge der Stauung in den Arterien bisher unter hohem 
Druck standen, werden sieh nun um so ergiebiger in 
dieselben ergießen. Weil aber bisher bei dem in¬ 
suffizienten Herzen infolge der Stauung in den Venen 
und in den Capillaren eine große Blutmenge überhaupt 
! für die Zirkulation ausgeschaltet blieb, und infolgedessen 
] ein geringeres Blutquantum, als nötig wäre, die Gewebe 
j und also auch die Herzgefäße selbst durchströmte, 

I mußte es zur Unterernährung des Herzmuskels kommen, 
die sich sowohl durch eine mangelhafte Triebkraft als 
auch durch das Auftreten von Arhythmien dokumen¬ 
tierte. Da aber nun durch die Digitalis eine größere Herz¬ 
arbeit geleistet wird, so reguliert sich die Zirkulation in 
dem Sinne, daß aus dem überfüllten Venensystem in die 
leeren Arterien geschöpft wird mit dem sichtbaren Er¬ 
folge, daß die Oedeme schwinden und die Diurese reich¬ 
licher auftritt. Jetzt ist aber der Herzmuskel selbst auch 
besser mit Blut versorgt, und infolgedessen müssen auch 
; die Unregelmäßigkeiten des Herzschlages aufhören. 

I Naturgemäß läßt sich nicht jede Arhythmie durch Digi- 
j talis beseitigen, sondern nur diejenige, die durch eine Un- 
I terernährung des Herzmuskels hervorgerufen wurde. Aus 
diesem Grunde können reflektorische Arhythmien, wie 
etwa eine Tachykardie neurogenen Ursprungs oder Extra- 
i systolen, die infolge von Magenstörungen auftreten, durch 
Digitalis nicht korrigiert werden, wohl aber Extrasystolen 
i als direkter Ausdruck einer Herzinsuffizienz oder Stö¬ 
rungen im Leitungsvermögen des Herzens, die durch einen 
Pulsus deficiens charakterisiert sind, oder auch schließlich 
! ein Herzaltemans, ein wichtiges Symptom der gestörten 
| Kontraktilität des Herzens. 

Ebenso wenig wird es uns aber gelingen, eine vor- 
I handene Stauung durch Digitalis zu beseitigen, wenn diese 
nicht ihre letzte Ursache in der eigentlichen Herzschwäche 
hat, sondern etwa auf eine primäre Nephritis, eine Leber¬ 
zirrhose oder gar auf mechanische Hindernisse zurück¬ 
zuführen ist, sei es, daß ein Lungensarkom die obere Hohl- 
vene komprimiert oder eine adhäsive Pericarditis die 
Vena eava inferior abschnürt. 

Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die Indikation 
für die Digitalis da gegeben ist. wo wir es mit einer pri¬ 
mären Insuffizienz des Herzens zu tun haben, gleichgültig 
i durch welche Ursache sie bedingt ist, ob sie durch Arterios- 
I klerose, Infektion oder Dilation durch Ueberarbeitung her- 
| vorgerufen wird, daß in den oben angeführten Fällen da¬ 
gegen, deren Vielseitigkeit hier natürlich nicht ersehöp- 






664 THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. Nr. 45 


fend behandelt, werden kann, die Digitalis kontraindiziert 
ist, weil sie unwirksam bleibt. 

Nun ist es selbstverständlich nicht gleichgültig, wel¬ 
ches Digitalispräparat wir in dem einzelnen Fall zur An¬ 
wendung bringen. Da der Gehalt an wirksamen Stoffen 
in den Digitalisblättern je nach Zeit und Gegend ein 
schwankender ist und bis zu 200% variieren kann, bemüht 
man sich jetzt, ebenso wie wir die Wirkung der Heil¬ 
sera nach Einheiten bestimmen, auch für den therapeuti¬ 
schen Effekt einer Digitalisbehandlung einen pharma¬ 
kologisch einheitlichen Maßstab aufzustellen. Wir beur¬ 
teilen den Wert eines Digitalispräparates nach seinem Ge¬ 
halt an Froscheinheiten und verstehen darunter jenes 
Quantum Digitalis, das notig ist, um das Herz eines 
Frosches von 3Ö—40 g Gewicht innerhalb 30 Minuten in den 
systolischen Herzstillstand überzuführen. Sind beispiels¬ 
weise 0,02 g Digitalispulver erforderlich, um bei einem 
Frosche systolischen Herzstillstand zu verursachen, so ent¬ 
hält 1 g dieses Pulvers 50 Froscheinheiten. Es hat sich 
nun aus einer großen Reihe von Versuchen herausgestellt, 
daß der therapeutische Effekt eines Digitalispräparates 
dem Verbrauch eines Aequivalentes von 15—20 Froseli- 
einbeiteh pro die entspricht. Da 1 g eines guten Pulvers, 
wie oben erwähnt, 50 Einheiten enthält, so wird eine Dosis 
von 0,3 g Digitalispulver pro die das erforderliche Quan¬ 
tum sein. Nun wäre es für die Praxis von außerordent¬ 
lichem Werte, Wenn alle in Betracht kommenden Digi¬ 
talispräparate auf ihren pharmakologischen Wirkungs¬ 
wert nach Froscheinheiten geprüft und bestimmt werden 
könnten. Allein dieses Postulat läßt sich eben nicht leicht 
erfüllen. Jedenfalls besitzen wir aber heut schon in den 
Fol. digital, pulv. titr. (nach Fo cke) ein Präparat von 
bestimmtem Gehalt wirksamer Substanz, und zwar von 
dem Werte von 50 Frosclieinheiten für 1 g. Leider ist 
dieses Präparat noch nicht in allen Apotheken vorrätig, 
ebensowenig wie die hochwertige, gleichfalls genau ti¬ 
trierte Digitalistinktur der Marke S. u. Z. Wohl aber 
haben sich die titrierten Dialysate der Digitalis (Golaz 
und Bürger) schnell in die Praxis eingeführt. Ist ihr 
Wirkungswert auch nicht nach Froscheinheiten bestimmt, 
so enthalten die Präparate doch einen konstanten Glykosid¬ 
gehalt und haben schon aus diesem Grunde die unzuver¬ 
lässige Tiuetura digitalis so ziemlich aus 'der Rezeptur 
verdrängt. In neuerer Zeit ist das Digipuratum (Extract. 
Digitalis depuratum-Knoll) in den Handel gelangt. Je 
eine Tablette entspricht einem Wirkungswerte von 0,1 g 
starkwirkender Folia Digitalis. Da sein Gehalt an wirk¬ 
samer Substanz ein dauernd gleichmäßiger ist, so dürfte 
es sich den Golaz und B ii r g e r sehen Dialysaten eben¬ 
bürtig an die Seite stellen. 

Sehen wir hier von der weiteren Besprechung der 
reinen Digitaliskörper wie des Digitoxin, des Digitalen 
und des Digitalein ab, die sich nur schwer in der Praxis 
haben einbürgern können, weil die Grenzen zwischen the¬ 
rapeutischer und Gift Wirkung zu nahe beieinander liegen, 
so möchte ich vor allem zwei Präparate hier noch erwäh¬ 
nen, die eine außerordentliche Verbreitung in der Be¬ 
handlung Herzkranker erlangt haben. Zunächst hat sich 
das Digalen es ist dies Digitoxinum solubile in Glyze¬ 
rinwasser gelöst — vorzüglich in der Praxis bewährt. Wir 
wenden das Präparat sowohl per os an, und zwar 3 mal 
täglich 20 Tropfen, als auch intramuskulär und intravenös. 
Nur schmerzen die intramuskulären Injektionen etwas, und 
der Effekt der intravenösen Injektion klingt schnell ab. 
Aus diesem Grunde wären wir zu häufiger intravenöser 
Applikation gezwungen. Habe ich mich aber entschlos¬ 
sen, ein Medikament intravenös zu injizieren, so wähle 
ich lieber das Strophantin um Boeliringer. Wer längere 
Z dt mit diesem Präparat gearbeitet hat, und seine sicht¬ 
bare W irkung schon oft nach einer Viertelstunde beobach¬ 


ten konnte, wird ihm vor allen anderen Medikamenten den 
Vorzug geben. Freilich ist bei seiner intravenösen In¬ 
jektion eine conditio sine qua non, daß kein Tropfen des 
Präparates neben die Vene in das Unterhautzellgewebe 
gerät, da gerade dieses Glykosid so außerordentlich 
schmerzhaft ist, daß durch eine ungeschickte Injektion 
mehr Schaden als Nutzen gestiftet wird. Wo aber die 
Venen deutlich zu tage liegen, ist der Eingriff leicht und 
sicher. Wie beim Aderlaß wird vorher der Oberarm mit 
einem Guiumischlaueh umschnürt, die Injektionsstelle 
antiseptisch gereinigt, das Präparat aus der Ampulle mit 
der Spritze aspiriert und dann die Kanüle allein ein- 
gestochen. Man hat die Gewißheit, wirklich im Lumen 
des Gefäßes zu sein, wenn Blut aus der Kanüle abfließt, 
eventuell scheue man sich nicht, eine andere Injektions¬ 
stelle zu wählen, dann erst injiziere man. Die in den Han¬ 
del kommenden Ampullen der Marke Boeliringer enthal¬ 
ten I g Flüssigkeit mit einem Gehalt von 1 mg Strophan¬ 
thin. Man begnüge sich anfangs nur V 2 — 2 /.-i Spritze zu 
injizieren. Bei Wiederholungen kann ohne Gefahr der 
ganze Inhalt einer Ampulle eingespritzt werden. Die 
Wirkung tritt ziemlich schnell ein, und in schwersten 
Fällen von Angina pectoris habe ich schon nach wenigen 
Minuten Erleichterung gesehen. Nur muß man die Ge¬ 
wißheit haben, daß in den letzten drei Tagen kein anderes 
Digitalispräparat gebraucht worden ist, da sonst leicht 
sehr schwere toxische Erscheinungen auftreten können, 
und die einzelnen in der Literatur mitgeteilten Todesfälle 
sind zum Teil auf die Außerachtlassung dieser Vorsicht 
zurückzntüliren. Eine V iederholung der Injektion 
braucht, da seine Wirkung länger andauert als die des 
Digalen, erst nach 2—3 Tagen zu erfolgen. Die Anwen- 
dung gerade dieses Mittels ist dort indiziert, wo wir eine 
schnelle und sichere Wirkung erwünschen. 

Gehe ich nunmehr von dieser rein theoretischen Be¬ 
trachtung zur eigentlichen Behandlung über, so kann sich 
diese naturgemäß nur nach dem Grade der Herzinsuffi¬ 
zienz richten. V ie die alltägliche Erfahrung lehrt, 
stellen jene Patienten das Hauptkontingent, die den Arzt 
mehr aus subjektiven Beschwerden konsultieren, als daß 
es der Untersuchung ohne weiteres gelänge, gröbere pa¬ 
thologische Veränderungen nachzuweisen. Die Kranken 
klagen meist über leichte Ermüdung, über Atemnot nach 
geringeren Anstrengungen und über Schmerzen in der 
Gegend der Herzspitze. Wer diese Fälle häufig gesehen 
hat, weiß, daß es sich 11111 die Anfänge einer Herzinsuffi¬ 
zienz handelt, und eine genauere Untersuchung läßt auch 
objektiv eine Trias von Erscheinungen erkennen, der wir 
immer wieder begegnen. Der erste Ton an der Spitze ist 
unrein, der zweite Pulmonalton akzentuiert, und im Rönt¬ 
genbilde erscheint der linke untere Herzrand in einem 
größeren konvexen Bogen. Hierzu tritt sehr häufig eine 
Herabsetzung des maximalen Blutdrucks. Noch aber ist 
die Leber nicht vergrößert, noch besteht keine Herzdila¬ 
tation. Wir sehen eben erst den allerersten Beginn der 
Zirkulationsstörung, der Herzschwäche vor uns. 

Es wäre hier natürlich durchaus nicht verkehrt, die 
Behandlung sogleich mit Digitalispräparaten zu beginnen. 
Allein wir kommen in diesem Stadium mit minder diffe¬ 
renten Mitteln aus. Sehe ich von der Verordnung von 
Bädern und sonstigen diätetischen Vorschriften an dieser 
Stelle ab, weil nicht zum Thema gehörig, so leistet uns 
gerade bei derartigen Patienten die Tinct. Strophantin 
ausgezeichnete Dienste. Ich lasse von dem Mittel 3 mal 
täglich 6 Tropfen nehmen, etwa 5—C Tage lang. Der 
Erfolg ist in den meisten Fällen ein prompter. Das Me¬ 
dikament wird dann für drei Tage ausgesetzt, um wieder¬ 
um ebenso lange gebraucht zu werden. Da bei sehr vielen 
Patienten gerade dieser Kategorie eine große psychische 
Unruhe sich bemerkbar macht, so verbindet man die 





TTlW 




T LiERA P E ü TISCH E R UN DSCI iAü . 


1908 

Tinct. Stroplianti am besten mit Tinct. Valerian. aeth. im 
Verhältnis von 1: 2. Bei einer Rezeptur von Tinct. Stroph. 
10 und Tinct. Valerian. aeth. 20 läßt man 3 mal täglich 20 
Tropfen in Wasser nach dem Essen nehmen, und wenn man 
den oben angegebenen Turnus innehält, so ist nach einem 
Gebrauch von 30 g der Medizin ein genügender therapeu¬ 
tischer Erfolg erreicht. In den Fällen, in denen das Mittel 
zu Darmstörungeii führt, muß es durch andere Präparate, 
wie Convallaria majalis, Adonis vernalis ersetzt werden. 

Etwas anders gestaltet sich die Behandlung, wenn 
bereits eine nachweisbare Dilatation des Herzens vorhan¬ 
den ist und auch die Leber vergrößert erscheint. TI«er 
müssen wir natürlich unterscheiden zwischen der aku’cn 
Dilatation nach Ueberanstrengungen, wie wir sie häutig 
nach großen Bergtouren, nach allzu langem Schwimmen 
oder Rudern beobachten konnten, und den chronischen 
Sckwäehezuständen mit Dilatation. Bei der ersteren Ka¬ 
tegorie ist unbedingte Bettruhe von etwa 14 tägiger 
Dauer am Platze. Inwieweit außerdem eine medikamen¬ 
töse Behandlung erforderlich ist, hängt von dem einzel¬ 
nen Fall ab. ln den Zuständen chronischer Herzschwäche 
mit Herzerweiterung dagegen kommen die eigentlichen 
wirksamen Digitalispräparate in Betracht. Wir haben 
hier die Wahl zwischen Digitalispulvern, dem Digalen, und 
den Dialysaten von G o 1 a z und B ü i ge r. \ on dem 
Digitalis!nfus sehe ich seit längerer Zeit ganz ab, da nach¬ 
gewiesenermaßen seine Wirksamkeit sich um so mehr ab- 
schwächt, je länger die Arznei im Gebrauch ist. Dazu 
kommt, daß die wirksame Substanz eines Infuses, wie 
schon früher erwähnt wurde, großen Schwankungen unter¬ 
liegt. Nun sind naturgemäß die Pillen oder Pulver aus 
Digitalisblättern auch nicht immer konstant in ihrem Ge¬ 
halt an Glykosiden, im Gegensatz zu den oben genannten 
titrierten Pulvern. Allein eine größere Erfahrung hat 
gezeigt, daß man mit der Verabfolgung von 3 mal 
täglich 0,1 g Digitalispulver — in Pillen oder Pul¬ 
vern -— die richtige Dosis anwendet. Die Wirkung 
tritt natürlich erst nach 24 Stunden auf. Es 
empfiehlt sich dann nach 3 Tagen auf 2 Pillen pro 
die herabzugeben. Hält man daran fest, daß innnerhalb 
vier Tagen nicht mehr als 1 g Digitalispulver verbraucht 
werden darf, so ist man eigentlich vor jeder toxischen 
Wirkung gesichert. Zwei Pillen täglich können daun 
längere Zeit hindurch ohne Gefahr genommen werden. 
Hält man daran fest, nicht mehr aks 3 g Digitalispulver 
für 30 Pillen zu verschreiben, so brauchen die Patienten 
nicht öfter als wöchentlich 1—2 mal kontrolliert zu wer¬ 
den. Wendet man noch die Vorsicht an, die Kranken auf¬ 
zufordern, bei eintretender Febclkeit oder Erbrechen das 
Mittel auszusetzeu und sieh dann dem Arzt vorzustellen, so 
steht einem längeren Gebrauch des Präparates mit kür¬ 
zeren Intervallen von 5—6 Tagen nichts im Wege. Nach 
2—3 tägigem Gebrauch der Pillen oder Pulver, die man 
immer nach den Mahlzeiten einnelinien läßt, muß der volle 
Erfolg sich bemerkbar machen, d. h. der Puls muß ver¬ 
langsamt, die Diurese reichlicher werden. 

Mit gleichem Effekt können aber das Digalen und die 
oben erwähnten Dialysate verabfolgt werden. Von dem 
Digalen läßt man am besten 3 mal täglich 20 Tropfen bis 
zum Auftreten einer reichlichen Diurese nehmen. Von 
den Dialysaten empfiehlt es sich, in den ersten drei Tagen 
mindestens 3 mal täglich 15 Tropfen, in den darauffolgen¬ 
den nur je 10 Tropfen nehmen zu lassen. Gewöhnt man 
sich, nur eine Quantität von 10 g des Dialysates zu ver¬ 
schreiben. und wendet noch obendrein die bereits erwähn¬ 
ten Kautelen an (bei Uebelkeit das Mittel auszusetzen), so 
bedürfen auch diese Patienten keiner öfteren Kontrolle. 

Voraussetzung bei der Anwendung der Digitalis ist 
allerdings, daß die Pulszahl nicht herabgesetzt ist; die 
Frequenz darf im allgemeinen nicht weniger als 60 be¬ 


tragen. Dagegen bietet ein irregulärer Puls, solange die 
Frequenz hoch ist, keine Kontraindikation; hierbei ist es 
gleichgültig, welcher Art die Arhythmie ist, ob es sieb 
um Extrasystolen oder Störungen des Leitungsvermögens 
handelt. Nun ist es nicht uninteressant, auf den Gegen¬ 
satz zwischen Tierexperiment und Behandlung an dieser 
Stelle hinzuweisen. Wir wissen, daß die Digitalis sowohl 
im Tierexperiment Extrasystolen, als auch durch Vagus¬ 
reizung Ueberleitungsstöruiigen zwischen Vorhof und 
Kammer hervorrufen kann. Feuer lehrt auch die Beob¬ 
achtung, daß nach einer kumulativen Digitaliswirkung 
in der Behandlung Herzkranker sehr oft Arhythmien auf- 
treten, die zumeist als Extrasystolen charakterisiert sind. 
Aus diesen Gründen glaubte man bei derartigen Arhyth¬ 
mien den Gebrauch der Digitalis verbieten zu müssen. 
Aber abgesehen davon, daß es ohne gleichzeitige Auf¬ 
nahme von Arterien- und Venenpuls in sehr vielen Fällen 
unmöglich ist zu bestimmen, welche Art von Arhythmien 
vorliegt, im übrigen aber diese Untersuchungsmethoden 
keineswegs Gemeingut aller Praktiker sein können und zu 
sein brauchen, habe ich häufig genug nach Digitalis gerade 
j die oben erwähnten Formen der Arhythmien schwinden 
sehen; es ist dies ja, wie eingangs erwähnt wurde, eine der 
i Hauptwirkungen der Digitalis, durch Verbesserung der 
! Zirkiilationsbedingungen den Herzrhythmus zu korri¬ 
gieren. Es genügt, bei der Behandlung der Digitalis sieb 
an die Vorschrift zu halten, das Mittel dann auszusetzen, 
wenn eine bedeutende Verlangsamung der Frequenz sich 
bemerkbar macht, da erst in diesem Stadium die oben 
erwähnten Arhythmien zum Ausdruck gelangen. 

Somit bildet, wie aus dem Gesagten hervorgellt, ei¬ 
gentlich nur eine ausgesprochene Bradykardie eine Kon- 
traindikation für die Digitalis, abgesehen natürlich auch 
von einer ausgesprochenen Idiosynkrasie gegen dieses 
Mittel, die man hin und wieder beobachten kann. In 
diesen beiden Fällen müssen wir dem Herzen auf L T m- 
wegen zu Hilfe kommen durch Anwendung der sogenann¬ 
ten Gefäßmittel, d. h. der Koffein- und Tlieobromin-(Diu- 
retin-) Präparate. Das Koffein bewirkt durch Erregung 
des Vasokonstriktorenzentrums eine Kontraktion der peri¬ 
pheren Gefäße; gleichzeitig tritt aber eine Erweiterung 
der Koronararterien auf. Da durch die konstringierende 
Wirkung des Koffein eine nicht unerhebliche Blntdmck- 
steigerung stattfindet, so ist das Mittel dort indiziert, wo 
wir keinen hoben Blutdruck vor uns haben. Das 
Tlieobromin verursacht, wie es scheint, lediglich eine 
Disiatation der Gefäße, so vor allem der Koronar¬ 
arterien, und da eine größere Durchblutung des 
Herzens die beste Gewähr für seine Erholung bietet, so 
sind die genannten Mittel in erster Linie da am Platze, 
wo wir die Digitalis nicht anwenden können. Wie aber 
die Koronargefäße, so erweitern sich auch die Nieren 
kapillaren, und so erzielen wir im Besonderen durch das 
Tlieobromin die große Diurese. Eine ganz besondere Stel¬ 
lung nimmt unter diesen Mitteln das Theoein ein. Ist das¬ 
selbe auch eigentlich lediglich ein Diuretikum, so kann ich 
mich des Eindrucks nicht erwehren, daß bei seiner Ein¬ 
wirkung sich noch andere Effekte, vielleicht reflektori¬ 
scher Natur geltend machen. In wiederholten Fällen 
habe ich Tlieociu hei Angina pectoris angewandt, nicht 
etwa in dem kritischen Augenblick der höchsten Herzangst, 
in dem schnelle Hilfe nottut, sondern bei den Patienten, 
die über dauernde Schwere in der Brust klagen. Schon 
nach einer Dosis von 0,3 g siebt mail wiederholt die Be¬ 
klemmung schwinden und eine erhebliche subjektive Er¬ 
leichterung eintreten. Da das reine Theoein leicht Magen- 
störungpn hervorruft, so empfiehlt es sich, das Tlieociu. 
natr. acet. in Dosen von 0,3 g 3 mal täglich für zwei Tage 
zu gehen, um eine prägnante Wirkung kervorzurufen. 
Nach längerer Panse kann das Mittel wiederholt werden. 


Original frem 

SfTY -0 F fflf G Hl GA N 





(6 THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU, 

loh komme schließlich zu jenen Zuständen von Herz¬ 


schwäche,, die ich als die schwersten bezeichnen möchte. 
Auch in der Ruhe besteht Dyspnoe, Schwere auf der Brust, 
die Zirkulationsstörungen haben oft ihre Höhe erreicht, 
wir finden Oedeme an den Beinen, Ergüsse in den freien 
Höhlen. Hier haben wir zu unterscheiden, ob sofortige, 
augenblickliche Hilfe nottut, oder ob wir auf den ge¬ 
wünschten Erfolg noch einige Tage warten können. In 
den letzter *n Fällen, doch den relativ leichteren, kann ich 
die titrierten Digitalispulver in der oben angegebenen 
Dosis nicht wann genug empfehlen. Hierbei ist es gleich¬ 
gültig*, ol) wir. wie meist bei der chronischen Myocarditis, 
infolge von Klappenfehlern einen niedrigen Blutdruck 
finden, oder ob die Radialarterie, wie bei der Arterioskle¬ 
rose mit komplizierender Nephritis, einen hohen Grad von 
Spannung aufweist. Man hat sich früher gescheut, wie 
das bereits oben erwähnt wurde, bei hohem Blutdruck Di¬ 
gitalis zu geben, beherrscht von der Vorstellung, durch 
weitere Erhöhung der Herzarbeit eine Apoplexie zu ver¬ 
schulden. Allein seitdem wir wissen, daß gerade in diesen 
Fällen häufig der periphere Blutdruck herabgesetzt wird, 
während er wohl im Splanchnikusgebiet steigen kann, bie¬ 
tet der gespannte Puls keine Kontraindikation mehr für 
die Anwendung der Digitalis. Will man besonders vor¬ 
sichtig sein, so empfiehlt es sich, die Digitalis mit dem 
Diuretin zu verbinden, das, wie wir wissen, gefäßerwei¬ 
ternd wirkt. Häufig sehen wir aber den gewünschten Er¬ 
folg ausbleiben, wenn die Oedeme besonders stark ent¬ 
wickelt sind, oder der Aszites eine beträchtliche Höhe er¬ 
reicht hat. Dagegen tritt die Wirkung mit ziemlicher 
Sicherheit auf, wenn wir durch eine Punktion für die 
Beseitigung der Pleura- oder Peritonealergüsse gesorgt 
haben. So lange aber diese hydropisclien Ansammlungen 
in größerem Umfange vorhanden sind, bilden sie ein me¬ 
chanisches Hindernis für die Fortbewegung des Blutes, 
und in diesen Fällen kann auch das sonst wirksamste Me¬ 
dikament nichts nützen. 

Bei jenen Patienten dagegen, hei denen wir für eine 
augenblickliche Erleichterung sorgen möchten, kommen 
eigentlich nur zwei Präparate in Betracht: das Strophan¬ 
thin und das Digalen. Da letzteres Mittel, innerlich ge¬ 
nommen, erst spät seine Wirkung entfaltet, so sind wir 
zur intramuskulären oder intravenösen Injektion gezwun¬ 
gen. Nun müßten dieselben aber, falls wir eine sofortige 
Wirkung erzielen möchten, Öfter am Tage wiederholt wer¬ 
den, was sicherlich nicht ohne größere Mühewaltung ge¬ 
schehen kann. Aus diesem Grunde wende ich da, w*o 
schnelle Hilfe erwünscht ist, das Strophanthin Boehringer 
an. Eine intravenöse Injektion unter den Kautelen, die ich 
oben eingehend besprochen habe, bringt schon nach kür¬ 
zester Zeit (eine Viertelstunde) Erleichterung. Seine 
Nachwirkung hält lange vor, und eine Wiederholung ist 
meist erst nach zwei Tagen erforderlich. Ich habe in ein¬ 
zelnen Fällen demselben Patienten 20—30 Injektionen 
innerhalb mehrerer Wochen mit ausgezeichnetem Erfolge 
machen können. Eine nachteilige Wirkung habe ich bei 
häufiger Verwendung des Mittels nie beobachtet. 

Den gefahrvollsten, oder besser gesagt, den qualvoll¬ 
sten und bedrohlichsten Zustand einer Herzschwäche er¬ 
leben wir in dem An falle einer Angina pectoris. Sind wir 
in der Lage, bei dem Patienten eine geeignete Vene zur 
Injektion zu finden, so rate ich ohne Bedenken zu einer 
Sti’ophanthineinspritzung; es empfiehlt sich, gleichzeitig 
auch Morphium zu injizieren. Finden wir keine passende 
Vene oder ist auch das Präparat nicht zur Stelle, so kann 
nur eine Morphium in jek t i on nützen. Jede Scheu vor An¬ 
wendung dieses Mittels muß überwunden werden, und in 
den äußerst seltenen Fällen, in denen der Patient nicht 
mehr erwacht, können wir die Gewißheit haben, daß der 
Kranke auch so den Anfall nicht mehr überlebt hätte. Wer 


Nr. 45 

genügend Erfahrung besitzt ,wird mir zugestehen, nach 
Morphium noch nie einen Todesfall erlebt zu heben, falls 
es sich um die ersten Attacken einer Angina pectoris ge¬ 
handelt hat. Da, w T o sie sich in kürzeren Intervallen ge¬ 
häuft haben, kann wohl gelegentlich nach einer Morphium¬ 
injektion der Exitus eintreten, nur hat das Medikament 
daran keine Schuld. 

Wichtig erscheint es mir aber, den Patienten resp. 
dessen Angehörigen mit den Maßnahmen bekannt zu 
machen, die geeignet sind, dem Kranken Erleichterung 
zu schaffen, bis der Arzt selbst zur Stelle ist. Ich lasse 
zunächst 15—20 Tropfen einer 1 proz. Morphiumlösimg 
geben, die natürlich immer vorrätig sein muß, hierauf 
30 ätherische Baldriantropfen und dann lange Zeit hin¬ 
durch, bis der Anfall vorüber ist, die Hände in heißes 
Wasser tauchen resp. heiße Umschläge bis hinauf zum 
Ellbogengelenk machen. Reflektorisch findet dann wohl 
eine Erweiterung der Koronargefäße statt, und in nicht 
zu schweren Fällen gellt der Anfall schneller vorüber resp. 
w ird er leichter ertragen. 

Ist aber das Morphium beim Anfall einer Angiua pec¬ 
toris ein unentbehrliches Mittel, so sind wir zur Anwen¬ 
dung dieses Medikamentes hin und wieder auch dann ge¬ 
zwungen, wenn die Patienten durch schwere Schlaflosig¬ 
keit gequält werden. Es hieße den Kranken unnötig lei¬ 
den lassen, wollten wir hier mit dem Morphium zögern, 
da gerade durch die Agrypnie, durch das ruhelose Umher¬ 
wälzen in den Nächten das Herz zu starker, außergewöhn¬ 
licher Arbeit (Muskeltätigkeit) gezwungen wird und ihm 
so die zu seiner wesentlichen Arbeit nötigen Kräfte un¬ 
nütz entzogen werden. Freilich muß man hier individuali¬ 
sieren und vor allein die Angaben der Patienten auf ihre 
Wahrheit prüfen. In den leichteren Fällen genügen 
abends vor dem Einschlafen 2 Eßlöffel einer Morphium- 
Brommedizin (0,1 g Morphium auf 200 g der Mixt, ner- 
vina); andernfalls müssen Morphiumtropfen verabfolgt 
werden, an deren Stelle bei schwer Leidenden die Mor- 
phiuminjektion treten muß. Von einer günstigen Wir¬ 
kung des Kodein habe ich mich auch in ziemlich reich- 
' liehen Dosen nicht überzeugen können, und vor der An¬ 
wendung des Veronal möchte ich an dieser Stalle geradezu 
warnen, im besonderen dann, wenn Hoffnung vorhanden 
ist, den Patienten doch wieder zur Gesundheit, zur Auf¬ 
nahme seiner gewohnten Tätigkeit zurückführen zu kön¬ 
nen. Die wiederholten Gaben von Veronal führen nach 
meinen nicht gerade spärlichen Erfahrungen zu starker 
Blutdrucksenkung, zu ausgesprochener Herzschwäche. Da 
natürlich, wo der Patient doch nicht mehr zu retten ist, 
bleibt die Wahl des Schlafmittels dem Ermessen des Arztes 
überlassen. 

Im allgemeinen dürfte es für die Behandlung einer 
mehl* oder minder ausgesprochenen Herzschwäche gleich¬ 
gültig sein, welches ihre primäre Ursache w r ar, ob ein 
Klappendefekt, eine Infektion oder die Arteriosklerose 
ätiologisch in Betracht kommt. Wir werden naturgemäß 
und speziell in den Frühstadien der Herzschwäche um so, 
besser für unsere Kranken sorgen können — und die Be¬ 
handlung ist ja eine allgemeine und nicht nur eine medi¬ 
kamentöse — wenn uns die letzte Ursache des Leidens be¬ 
kannt wird. Bei der Myocarditis luetica, die gar nicht so 
selten zur Beobachtung kommt, werden wir dann noch 
eine Schmierkur für angezeigt halten, wenn der Kräfte¬ 
zustand ein leidlich guter ist, wofür wir sowohl an dem 
ganzen Aussehen des Patienten, als auch im besonderen 
an der Hohe des Blutdruckes und an den lauten Herztönen 
genügend Anhaltspunkte haben. Sonst sind wir auf die 
Darreichung des Jods angewiesen. Ebenso werden wir 
bei der Arteriosklerose neben der Digitalis mit bestem Er¬ 
folge das Jod anwenden. Nur müssen wir uns hei der 




11)08 


THERAPEUTISCHE RtJXDSCHAl . 


Diagnose einer Arteriosklerose von dem gesamten klini¬ 
schen Eindruck leiten lassen und nicht damit zögern, weil 
wir noch keine arteriosklerotische Radialarterie fühlen. 
Wir wissen jetzt, daß die pathologische Veränderung an 
den peripheren, sichtbaren Arterien noch lange Zeit auf 
sich warten lassen kann, während die Angiosklerose in 
dein weitesten anatomisch-pathologischen Sinne des Wor¬ 
tes in den nicht zugänglichen Gefäßen des Splanehnikus- 
gebietes bereits weite Verbreitung gefunden hat. Hier ist 
je früher desto besser das Jod am Platze, nicht etwa, weil 
wir annehmen, mit ihm einen arteriosklerotischen Prozeß 
aufhalten oder gar heilen zu können, sondern in der An¬ 
nahme, daß durch das Jod die Viskosität des Blutes her¬ 
abgesetzt Werden kann. Wird dasselbe dünnflüssiger, so 
wird es um so länger die feinsten Kapillaren durchfließen 
und für eine genügend gute Ernährung der Gewebe sor¬ 
gen können. 

Man beginnt die Jodtherapie am besten mit einer 
2 proz. Jodnatriumlösung, 2 mal täglich einen Eßlöffel in 
Wasser, steigt allmählich auf 2 1 5 und 3/c der Lösung. Ich 
lasse das Medikament drei Wochen nehmen und dann 
14 Tage aussetzen. Wer Gelegenheit hat, Patienten über 
mehrere Jahre hin zu beobachten, kann sich dem Eindruck 
nicht verschließen., daß sich die Kranken unter dem Jod¬ 
gebrauch zum mindesten subjektiv wohler fühlen. Da, 
wo das Jod in alkalischer Verabreichung nicht vertragen 
wird, empfiehlt sich entweder die Darreichung von 3 mal 
täglich 2 Sajodintabletten (Sajodin ist ein Calciumsalz der 
Jodhehensäure) oder des 10- oder 25 prQz. Jodipins; es ist 
dies eine Verbindung des Jod mit Sesamöl; jetzt gelangen 
auch die Jodipintabletten mit 0,5 g Jod in den Handel. 
Recht gute Erfolge sehen wir auch von dem Joglidine, das 
eine Eiweißverbindung des Jods darstellt mit dem Vorteile, 
daß das Jod nur sehr allmählich vom Eiweiß abgespalten 
wird und zur Resorption gelangt. Hierdurch wird sicher¬ 
lich die so häufig auftretende Magenstörung vermieden. 
Bedauerlicherweise ist gerade dieses brauchbare Präparat 
etwas teuer, da 20 Tabletten Jodglidine mit 0,5 g Jod¬ 
gehalt 3 Mark kosten. Bei einem täglichen Bedarf von 
4—6 Tabletten bei vorgeschrittener Arteriosklerose wird 
die Verwendung für Minderbemittelte etwas kostspielig. 
Nur muß man sich bei der Joddarreichung, gleichgültig 
in welcher Form, immer bewußt bleiben, daß es gelegent¬ 
lich, so namentlich bei der Nephritis, wo seine Ausschei¬ 
dung sicher erschwert ist, auch mitunter zu einem Hyper¬ 
jodismus im Körper mit seinen Gefahren kommen kann. 

Abgesehen von diesen mehr oder minder chronischen 
Zuständen einer Herzschwäche, verlangt nur noch die 
akute Eadocarditis eine kurze Besprechung, sei es, daß 
sie im Gefolge eines akuten Gelenkrheumatisnnus oder 
während einer Scarlatina oder Diphtherie au ft ritt. Wenn 
irgendwo, so ist liier eine exspektative Therapie zum min¬ 
desten innerhalb der ersten Tage am Platze, allerdings 
unter Anwendung aller sonstigen diätetischen und hygie¬ 
nischen Maßnahmen. Hier beißt es; quieta non movere, 
und die Applikation eines Eisbeutels genügt, um die er¬ 
höhte Frequenz herabzusetzen, die Entzündungsprodukte 
an dem Endokard auf das Günstigste zu beeinflussen. 
Bleibt aber der Blutdruck niedrig, erscheinen die Gefäße 
schlecht gefüllt, so sind hier Koffein oder auch 
Strychnininjektionen zu empfehlen. Dieselben greifen 
in ihrer Wirkung nicht direkt am Cor selbst an, 
sondern durch Erregung des Vasomotorenzentrums 
verursachen sie eine Kontraktion der peripheren Ge¬ 
fäße. Nun ist es für das Herz nicht gleichgültig, 
ob es seinen Inhalt in ein Gefäßsystem entleert, dessen 
Tonus stark herabgesetzt ist, oder ob ihm von dieser 
Seite eine gewisser Widerstand entgegengesetzt wird. Der 
durch die Kontraktion der Gefäße infolge der Strychnin¬ 
injektion erhöhte Druck im arteriellen System gibt für 


das Herz gleichsam einen physiologischen Stimulus ab, 
sich energischer zu kontrahieren, und so sehen wir denn 
in der Tat nach einigen Injektionen, die mehrere Tage 
hintereinander in einer Dosis von %—1 mg, je nach dem 
Alter der Patienten, gegeben werden, die Herzkraft sich 
wesentlich lieben. Sind die ersten stürmischen Erschei¬ 
nungen vorüber und entwickeln sich infolge Nach lassen s 
der Herzkraft Oedeme, so sind dann die oben erwähnten 
Digitalispräparate je nach der Intensität der Symptome 
am Platze. Auch hier ist bei drohendem Kollaps die Stro¬ 
phanthininjektion nicht warm genug zu empfehlen. Die¬ 
selbe hat mehr oder minder den Kampher, der gerade 
liier seine Domäne hatte, verdrängt aus dem einfachen 
Grunde, weil ihre Wirkung sicherer und vor allem nach¬ 
haltiger ist. 

Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch kurz die Be¬ 
deutung des Oxaphors, es ist dies eine 50 proz. alkoholische 
Lösung des Oxykamphers, hervorheben. Sowohl bei chro¬ 
nischer, als auch im besonderen bei der akuten Endo- und 
Myocarditis kann es zu starken dyspnoischen Zuständen 
kommen. Da, wo wir aus irgendwelchen Motiven kein 
Morphium geben möchten, hat sich der Oxykampker gut 
bewährt. Er setzt die Erregung des Atmungszentrums 
herab, vertieft jede einzelne Atmung ganz wesentlich und 
vermindert aus diesem Grunde die Respirationsfrequenz. 
Daß hierdurch dem Herzen wesentlich geholfen wird, ist 
ohne weiteres einleuchtend. Man verschreibt dieses Kam- 
pherpräparat am besten in Lösung mit der Beigabe irgend 
einer geringen Quantität eines Weines (Oxaphor 6, in. 
Xerense 20, Aq. dest. ad 100). Im Verlaufe eines Abends 
läßt man zwei Eßlöffel, und falls die Dyspnoe in der Nacht 
fortdauert, noch einen dritten nehmen. Da jedoch leicht 
eine Gewöhnung an das Mittel eintritt, so kann man es 
selten mehr als an zwei Tagen hintereinander geben. 

Zum Schluß möchte ich noch einiges über die medi¬ 
kamentöse Behandlung der Herzneurosen erwähnen. Wir 
sind gewöhnt, eine Herzneurose zu diagnostizieren, wenn 
wir im Gegensatz zu den subjektiven Beschwerden der Pa¬ 
tienten, die sich meist in Klagen über starke Erregbar¬ 
keit und Schmerzen in der Herzgegend äußern, trotz ein¬ 
gehender Untersuchung keine Anhaltspunkte für eine 
anatomische Veränderung des Herzens finden. Ich 
brauche an dieser Stelle nicht zu erwähnen, mit welchen 
diagnostischen Schwierigkeiten hier der Arzt häufig zu 
kämpfen hat. Es wäre daher angezeigt, nur dann von 
Herzuenrosen zu sprechen, wenn wir einen Anhalt däfür 
haben, daß lediglich die nervösen Apparate des Herzens 
in ihrem physiologischen Verhalten gestört sind. Aus 
diesen Gründen dürften alle Neurosen sekundärer und re¬ 
flektorischer Natur sein, sei es, daß sie als Teilerscheinung 
einer organischem oder lediglich funktionellen Erkrankung 
des Zentralnervensystems, wie hei der Neurasthenie 
und Hysterie, sei es, daß sie eine Reflexerscheinung 
bei Affektionen eines viszeralen Organs, des Magendarm¬ 
oder tles Genitalapparates auftreten. Eine besondere 
Stellung nehmen dann noch die Tntoxikationsiieurosen des 
Herzens ein, zu denen wir wohl auch mit gutem Recht die 
Kardiopathien beim Basedow zählen dürfen. Die Herz- 
neurosen äußern sich, abgesehen von der allgemeinen Er¬ 
regbarkeit des ganzen Nervensystems, im wesentlichen in 
Herzschmerzeil, in Tachykardien, Bradykardien und 
Arhythmien. Selbstverständlich können wir dieser reflek¬ 
torischen Herzneurosen nur Herr werden, wenn es gelingt, 
das Organ zur Heilung zu bringen, von dem die Altera¬ 
tionen des Cor ausgelöst werden. So habe ich häufig eine 
Arhythmie beseitigen können, nachdem eine chronische 
Metritis, Erkrankungen der Nase, geheilt waren, oder ein 
geeignetes Bandwurmmittel die Darmbescbwerden beendet 
hatte. Am häufigsten äußern sieh die Herzneurosen in 
Tachykardien, und schon der negative Erfolg eines guten 



668 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr 4', 


Digitalispräparates zeig:!, daß die Herzbeschleunigung ner¬ 
vöser Natur war. In ähnlicher Weise können wir diffe¬ 
rentielldiagnostisch die mvogene von der neurogenen 
Bradykardie unterscheiden. Da letztere nur von einer 
Erregung des Vagus herrühren kann, sei sie zerebraler, 
peripherer od u* reflektoischer Natur, so muß sie schwin¬ 
den, wenn die Vagusfasern des Herzens unwirksam ge¬ 
macht werden. Dies erreichen wir durch eine Atropin¬ 
injektion von 1 mg. Hiernach tritt eine Lähmung dei 
Vagusendigungen des Herzens auf. Tritt nach einer sol¬ 
chen Einspritzung keine Beschleunigung des Herzschlages 
ein, so können wir mit Sicherheit annehmen, daß keine 
Herzneurose vorliegt, sondern daß ernste Myokardstörun- 
g'en vorhanden sind. Man hat auch sonst versucht, das 
Atropin therapeutisch zu verwenden, in den Fällen, in 
denen begründete Annahme vorlag, daß die vorhandene 
Arhythmien durch Vagusreizung hervorgerufen wurden. 
Allein der Erfolg ist immer nur ein vorübergehender. Da¬ 
gegen können hin und wieder Atropininjektionen bei dem 
M o r g a g n i - Adam - Stokes sehen Symptomen- 
komplex versucht werden, wenn das Krankheitsbild darauf 
hinweist, insbesondere durch Auftreten häufiger Krämpfe, 
daß die Ursache resp. der Sitz der primären Erkrankung 
nicht im Herzen selbst, sondern im Zentralnervensystem 
anzunehmen ist. Die Bradykardie, hei der oft nur lo—20 
Schläge in der Minute gezählt werden, läßt nach, das Herz 
erholt sich von der Vagusbelastung, und bei genauer Be¬ 
obachtung können solche Injektionen täglich wiederholt 
werden. Hebt sich die Frequenz nach einer Atropininjek¬ 
tion nicht, so ist das Herz seihst, und wie Erfahrungen 
gelehrt haben, die Verbindungsbahn zwischen Vorhof und 
Ventrikel, das H i ssche Bündel, Sitz der Erkrankung. 

Im Gegensatz zu den oben erwähnten Reflexneurosen 
stehen die eigentlichen psychogenen Herzneurosen bei der 
Neurasthenie und Hysterie. Abgesehen von den liydriati- 
schen Maßnahmen wirken hier die Baldrianpräparate am 
besten, sei es, daß wir 3 mal täglich zwei Bornyval¬ 
perlen oder 3 mal täglich 10 Tropfen Validol verordnen. 
Recht guten Erfolg habe ich auch von dem Baldrianinfus 
in Verbindung mit einem Brompräparat gesehen, von dem 
3 mal täglich ein Eßlöffel verabfolgt wird. (Mf. Rad. Va- 
lerian. 10 :180, Kal. brom. 5, Syr. amygd. ad 200.) 

Recht quälend sind häufig die Hcrzselnnerzen in der 
Gegend der Herzspitze. Wir werden sie selten finden bei 
schwer Herzkranken. Diese klagen meist über ein Oppres- 
sionsgefühl in der ganzen Brust und verlegen die Sclimerz- 
empfindung mehr in die Gegend des Ursprungs der großen 
Gefäße. Nun möchte ich nicht behaupten, daß die an der 
Spitze des Herzens auftretenden SclimerzeiTsich lediglich 
hei Neurosen finden. Sie sind mir in einer überraschen¬ 
den Mehrzahl der Fälle da aufgefallen, wo es sich um die 
ersten Anfänge einer beginnenden Herzinsuffizienz han¬ 
delt, und es ist schon möglich, daß sie im Herzen selbst, 
durch noch so geringe Entzündungsprozesse verursacht, 
ihren Ursprung haben und nach außen projiziert wer¬ 
den (He ad). Sie quälen nach meiner Erfahrung den 
Patienten mehr, als daß sie irgendwie ein alarmierendes 
Symptom bedeuten. Meist aber sind sie doch typisch für 
die Herzneurose. Hier kommt man am besten mit lokaler 
Therapie aus, sei es, daß man eine 2—3 proz. Mentholsalbe 
oder ebenso starken Menthölspiritus verordnet. 

Für die Behandlung der Herzneurosen beim Basedow 
in allen seinen Formen lassen sich bedauerlicherweise 
keine einheitlichen, kausal begründeten therapeutischen 
Gesichtspunkte aufstellen. Stehen nur die nervösen Be¬ 
schwerden im Vordergründe, so heißt es individuell jeden 
Fall beurteilen und behandeln. Im allgemeinen kann ich 
hier das M o e b i u s sehe Antithyreoidin empfehlen, sei es 
in Form des Serums, 3 mal täglich 10—20 Tropfen in 
irgendeiner Limonade, oder in Form von Tabletten, 3 mal 


täglich 1—2 Tabletten. Mail geht dann allmählich wieder 
auf die Anfangsdosis zurück. Ebenso gute Dienste hat 
mir auch vereinzelt das Rhodagen, 2 mal täglich Yj Tee¬ 
löffel, geleistet. Leider sind beide Präparate sehr teuer. 
Mit aller Vorsicht können wir aber auch das Jod, sei es als 
Jodnatrium oder als Jodglidine, anwenden. Bei ausge¬ 
sprochener Tachykardie heim Basedow habe ich häufig 
mit gutem Erfolge die Ti net. Jodi, 3 mal täglich 2 Tropfen 
in Wasser nach dem Essen verordnen können. Nur ist 
heim Jod die sorgfältigste Beobachtung deswegen am 
Platze, weil hei gewissen Formen des Basedow anschei¬ 
nend das Jod im Uebermaß im Körper zurückgehalten wird, 
und wir durch eine solche Medikation die Krankheit di¬ 
rekt fördern würden. Hat sich dagegen beim Basedow 
eine eigentliche Herzaffektion etabliert mit beginnender 
Insuffizienz, dann bleibt auch hier nur eine Therapie übrig, 
die Digitalis. 


REFERATE. 

Bakteriologie. 

Referent: Privatdozent Dr. E. Küster, Freiburg i. B. 

1. Eston, Subeston, Form es, ton und deren bakterizide Eigen¬ 
schaft. Von Blasius. ITyg. Rundschau.. 1908.'Nr. 16. 

2. lieber die hygienische Bedeutung von Protozoen im 
Wasser und über das Verhalten von Filtern gegenüber Protozoen. 
Von 11 a c e t. t o. Hyg. Rundschau, 1908, Nr. 17. 

3. Antiformin zur Anreicherung des Tuberkelbazi lTus im Aus¬ 
wurf, Stuhl. Urin usw. Von Hüne. Uvg. Rundschau, 190S 
Nr. 18. 

4. Zur Gefahr der Reinjektion von Heilserum. Von U m - 

1) o r. Therapie der Gegenwart, Oktober 1908. 

1. Neuerdings werden von den Chemischen Werken von 
F r ied lande r, Berlin, eine Reihe pastenförmiger Präparate 
unter dem Namen Esten“, „Subeston“ und „Formeston“ in. den 
Handel gebracht, die aus basischer essigsaurer Tonerde, Ameisen¬ 
säure und Aluminiumsulfat bestehen und bei Hyperhidrosis, De¬ 
kubitus, Frostschäden, Entzündungen, Katarrhen etc. Verwen¬ 
dung finden sollen. Sie sollen ein Ersatz der essigsauren Ton¬ 
erde sein und eine trockene Behandlung gestatten. Bl. hat die 
bakterientötende Kraft dieser Mittel in gesättigter Lösung (dest. 
Wasser als Lösungsmittel) untersucht und gefunden - , daß Strepto¬ 
kokken schon in einigen Minuten, Py ozy aneusb azil 1 en von Form¬ 
eston mit Aluminiumsulfat in 5 Minuten, von Formeston allein 
erst nach 30 Minuten, von den übrigen erst nach 2—3 Stunden 
abgetötet werden. Staphylokokken wurden von allen Präparaten 
erst nach 24 Stunden vernichtet. Für Diphtheriebazillen waren 
Zeiten von 2—10 Minuten erforderlich. Dabei befanden sich die 
zum Versuch dienenden Bazillen unter ungünstigen Lebensbedin¬ 
gungen, denn destilliertes Wasser wirkt allein schon bakterien¬ 
schädigend. Ich kann also dem Verfasser nur zustimmen, wenn 
er sagt, daß die bakteriziden Eigenschaften der geprüften Prä¬ 
parate sich in bescheidenen Grenzen halten. Für die praktische 
Verwendbarkeit gestatten sie kein Urteil zu fällen, hier kann nur 
die praktische Anwendung selbst oder derselben möglichst gleich- 
kommende Versuche am Tierkörper die Entscheidung bringen. 

2 . Der Autor fand in dem Nachweis von Protozoen im Wasser 
einen brauchbaren Maßstab für die hygienische Beurteilung, denn 

a) Oberflächenwasser ist durch das Vorhandensein von zahl¬ 
reichen Protozoenarten charakterisiert. 

b) Grundwasser ist protozoenfrei; ein etwaiges Vorkommen 
von Protozoen deutet hier mit Sicherheit darauf hin, daß ent¬ 
weder eine Verunreinigung durch Oberflächenwasser stattgefun¬ 
den oder aber, daß die überliegenden Bodenschichten schlecht fil¬ 
trieren. 

c) Gute Filter sind protozoendicht. Werden von einem Filter 
Protozoen durchgelassen, so steht die Größe der gefundenen Pro¬ 
tozoen zum Kaliber der Filterporen in einem direkten Verhält¬ 
nis. Werden Protozoen im Filtrat nachgewiesen, so ist ein sol¬ 
ches Filter unbrauchbar, denn die viel kleineren Wasserkeime 
werden dann sicher nicht zurückgeh alten. 






1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU 


609 


Als Kulturmedium für den Nachweis von Protozoen benutzte 
Verfasser ein steriles Infus von 40,0 Kopfsalat auf 1000 Brun¬ 
nenwasser. Der Nachweis kann in jedem bakteriologischen La¬ 
boratorium leicht durchgeführt werden. 

3. Aptiformin ist eine Mischung von Liq. Xatr. hyperehlor. 
1,0 und Liq: Kal. caust. 1,5; es hat die Eigenschaft, in 2—3 proz. 
Lösungen in wenigen Minuten Sputum zu homogenisieren und 
die darin enthaltenen Bazillen mit Ausnahme der Tuberkelbazil¬ 
len aufzulösen. Dabei wird die spezifische Färbbarkeit, Waehs- 
tumsfähigkeit und Virulenz der fuberkelbazillen kaum gestört, 
und deshalb ist Antiformin ein vorzügliches Mittel, um 'Tuberkel¬ 
bazillen nachzuweisen: man löst das Sputum etc. auf, zentri¬ 
fugiert und untersucht den Bodensatz direkt mit spezifischer I är- 
bung, durch Kulturverfahren oder im Tierversuch. Verwendet 
inan stärkere Konzentrationen des Antiforminzusatzes als 2- bis 
4 proz. so muß man den Bodensatz vor weiterer Verarbeitung mit 
destilliertem Wasser wiederholt, auswaschen. Das Zentrifugieren 
kann man dadurch umgehen, daß man die Sputumlösung 24 Stun¬ 
den in einem Spitzglas absitzen läßt. Von 50 ccm Sputum erhält 
man so wenig Sediment, daß man dasselbe auf zwei Objektträgern 
gut ausstveichen, färben und mikroskopisch untersuchen kann. 
Sollte sich das Verfahren in der Praxis bewähren, so wären wir 
im Nachweis der Tuberkelbazillen ein gewaltiges Stück vorwärts- 
gekommen. 

4. Angeregt durch die in Nr. 38 besprochene Beobachtung 
Kleinperers über einen Fall von Anaphylaxie berichtet N. 
von einem ähnlichen Falie. Bei einem 22 jährigen Mädchen tra¬ 
ten auf Injektion von 1000 I.-E. Diphtherieheilserum nach zwei 
Stunden schwere Erscheinungen: Herzkollaps. 40". universelle 
Urticaria etc. auf. Patientin hatte vor zwei Jahren schon eine 
Heilseruminjektion erhalten mul schon be*i dieser ersten Gabe 
Zeichen von Serumkrankheit geboten. Es handelt sich also 
offenbar um eine Patientin, die gegen Pferdeseruni eine natür¬ 
liche Idiosynkrasie besitzt, und die prompt einsetzenden Erschei¬ 
nungen nach der zweiten Injektion können als echte Anaphylaxie 
auf gef aßt werden. Al i t Hecht weißt I . darauf hin. daß solche 
Fälle zu den größten Seltenheiten gehören. Wenn schon auf 
eine erste Einspritzung sieh Serumkrankheit zeigt, ist eine zweite 
Injektion mit demselben Serum von noch stürmischeren, ja lebens¬ 
bedrohenden Erscheinungen begleitet, und es ist eine schwierige 
Frage, zu entscheiden, ob in einem solchen lalle die Nichtanwen¬ 
dung einer spezifischen Serumbehandlung oder das Auftreten der 
Anaphylaxie die größere Lebensgefahr bedeutet. 


Pharmakologie. 

Referent: Privatdozent Dr. C. Bachem. Bonn. 

L Beitrag zur Kenntnis der drucksteigernden Substanzen. 

Von (L C o m e s s a t t i. Münch, med. Wochenschr., 1908, Nr. 37. 

2. Tetanie und Phosphor Vergiftung. Von K. W i r t h. Wien. 
kl in. Wochenschr., 1908, Nr. 3S. 

1. C. beschreibt eine neue Reaktion der Adrenalins, die darin 
bestellt, daß 3- -4 Tropfen einer Adrenalinstammlösung mit 6 bis 
S ccm destilliertem Wasser und einigen Tropfen einer 1—2 prom. 
Sublimatlösung eine lang anhaltende diffuse Kotfärbung in eini¬ 
gen Minuten bervorrufen. Diese Sublimatreakt.ion des Adrena¬ 
lins ist eine spezifische und hat den Wert einer differentiellen 
Reaktion. Letztere ist .-ehr empfindlich, denn 0.0025 g : 1000 g 
verdünnt, geben noch einen positiven Befund. Diese Reaktion 
gibt uns auch eine Erklärung der Tatsache, daß Nebennieren von 
gesunden Menschen in Sublimatlösung eingelegt, eine rötliche 
Färbung erzeugen, die nach 2—3 maliger Erneuerung der Flüs¬ 
sigkeit schwindet, während Nebennieren von Nephritikern eine 
bedeutend stärkere Färbekratt haben. Deshalb ist man, nach C., 
zu dem Schluß berechtigt, daß die Nebenniere von Nephritikern 
bei einer Hyperplasie des Nebennierenmarkes eine viel größere 
Adrenalinmenge als die Nebennieren der gesunden oder nicht 
nephritischen Individuen enthalten. Legt man Nebennieren- 
r i n d e n Substanz in Sublimat, so tritt (entgegen der Marksub¬ 
stanz) keine Rotfärbung auf. obwohl die Nebennierenrinde mit 
der Marksubstanz einige übereinstimmende physiologische Er¬ 
scheinungen zeigt. Man darf vielleicht annehmen, daß die Neben- 
niereririnde eine chemische Substanz enthält oder sezerniert, die 
dem Adrenalin innig verwandt ist und wahrscheinlich eine Vor¬ 
stufe desselben darstellt. 

2. W. batte Gelegenheit., eine bis dahin gesunde Frau zu be¬ 
handeln, die im Verlauf einer Phosphorvergiftung (Zündhölzer) 


| Tetanie bekam. Die Krämpfe traten mit Beginn der ikterischen 
j Verfärbung der Haut, sowie der Ausscheidung von Urobilin und 
Uiobilinogeii auf, erreichten bald ihren Höhepunkt und klangen 
dann wieder ab, Ikterus und Urobilin verloren sich langsamer. 
Verf. glaubt, daß die Tetanie die Krankheitssymptome eingeleitet 
habe und als erstes Symptom der ablaufenden Krankheit wieder 
schwindet. Auf der Höhe der Erkrankung zeigten sich auch 
Azeton und Azetessigsäure sowie Azetongeruch aus dem Munde. 
Die Krämpfe, die hauptsächlich in den beiden oberen Extremi¬ 
täten auftraten und mit Schmerzen verbunden waren, dauerten 
10—20 Minuten bei freiem Bewußtsein. 

Gegen den Phosphor treten die übrigen ätiologischen Mo- 
j mente — Dilatatio ventriculi und Autointoxikation durch Azeton 
| — au Bedeutung für das Krankheitsbild zurück. 


Kinderheilkunde. 

Referent: Priv.-Doz. Dr. J. Ibrahim. München. 

1 . Zur Aetiologie des Asthmas bei Kindern. Von A. S t e g- 
m a n n. Medizin. Klinik, 1908, S. 1113. 

2 . Lieber periodische Azetonämie bei größeren Kindern. Von 
R. H ecke r. Münch, ined. Wochenschr., 1908, S. 1485. 

3. Karottensuppe bei Ernährungsstörungen der Säuglinge. 
Von E. M o r o. Ibidem, S. 1637. 

4. Ueber die Behandlung scharlachkranker Kinder Von 
K. O p penheime r. Ibidem, S. 1691. 

1 . In einem sehr lesenswerten und durch die detaillierte 
Schilderung seiner drei Fälle besonders wertvollen Aufsatz betont 
Stegmann die große Bedeutung, die dem p s y c hische n 

| Moment beim Asthma der Kinder zukommt. Wenn 
auch wohl nicht anzunehmen ist, daß alle Fälle von Asthma bron¬ 
chiale als ätiologisch ganz gleichartig anzusehen sind, so dürften 
gerade bei Kindern öfter echte Asthmaanfälle als Teilerscheinung 
einer nervösen Veranlagung — Hysterie, wenn man das Wort 
hierfür anwenden will — unter dem Einfluß ungeeigneten 
Milieus, auftreten. Die* übergroße Aengstliclikeit der Eltern, die 
übertriebene Verzärtelung des als schwerkrank angesehenen Kin¬ 
des, die mit den raffiniertesten Mitteln angestrebte Vermeidung 
jeglicher Erkältungsmöglichkeit, die Unterordnung der ganzen 
Umgebung unter die Rücksichtnahme auf Bedürfnisse und Willen 
des Kindes, bei dem jede Erregung verhütet werden soll, alle 
diese Faktoren, die besonders dann uneingeschränkt zur Wirkung 
kommen, wenn es sich um einzige Kinder handelt, wirken zu¬ 
sammen, «las nervöse Leiden, wenn es einmal in Form des Asthma¬ 
anfalls aufgetreten ist, in vollster Blüte zu erhalten. Wenn es 
! in solchen Fällen gelingt, die Kinder zu beruhigen, sei es ohne 
oder, wie Verf. es tat, mit Hypnose, und gleichzeitig die Um¬ 
gebung des Kindes zu richtigem Verhalten zu veranlassen, jede 
Aengstliehkeit. jede besondere Rücksicht, jedes Gespräch über die 
i Krankheit in Gegenwart des Kindes zu vermeiden, so kann das 
i Leiden in kürzester Zeit geheilt werden. Der wesentlichste und 
i sicherlich der weitaus schwierigere Teil der Behandlung liegt 
hier in der Beeinflussung der Eltern. Sehr bezeichnend sind die 
I in einen Fall mehrfach eingetretenen Rezidive, denen stets eine 
neu erwachte Aengstliehkeit der Eltern zugrunde lag. die ihre Be- 
* denken vor dem Patienten nicht zu verbergen vermocht hatten. 

2. Das rekurrierende (periodische, z y - 
; k 1 i s c h e) Erbrechen mit Azetonämie (A zeton- 
1 urie) ist ein in Deutschland bisher nur wenig bekannt ge¬ 
wordenes, vielleicht nur noch zu wenig gewürdigtes Krankheits¬ 
bild. das in der amerikanischen, englischen und französischen 
Literatur schon längere Zeit eine große Rolle spielt. Hecker, 
der selbst einige Fälle beobachtete, gibt folgende Schilderung 
ihrer wichtigsten Symptome: „Die Kinder, meist Knaben jen¬ 
seits der Säuglingsperiode, erkranken in periodischen Zwischen¬ 
räumen jeweils ganz plötzlich mit heftigem, unstillbarem, jeder 
diätetischen und medikamentösen Behandlung trotzendem Er¬ 
brechen. das anfangs alimentär, später schleimig, gallig, selbst 
blutig wird, ln kürzester Zeit tritt starker Kräfteverfall auf, die 
Kinder machen einen elenden, schwerkranken, oft recht beängsti- 

: genden Eindruck mit ihren eingefallenen, umränderten Augen, 
I der spitzen Nase, der auffallenden Blässe des Gesichtes, der all¬ 
gemeinen Schwäche. Sie können nichts, auch nicht das kleinste 
, Schlückchen Wasser bei sich behalten und leiden infolgedessen an 
quälendem Durst. Der Stuhl ist angehalten oder diarrhoiscli; 
} das Abdomen eingesunken oder tympanitisch. Nachdem dieser 
Zustand einen halben bis drei Tage gedauert hat, hört das Er- 



m 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr 45 


brechen meist ebenso plötzlich, wie es gekommen ist, ohne erkenn¬ 
bare Ursache auf, und nach einer kurzen, oft kaum bemerkbaren 
Rekonvaleszenz erfreuen sich die Kinder wieder besten Wohlseins. 
Charakteristisch ist nun, daß während der ganzen Dauer der 
Attacke und oft schon vor Beginn derselben die Exspirationsluft 
den charakteristischen säuerlich-obstartigen Geruch nach Azeton 
hat, während im Urin reichlich Azeton, Azetessigsäure und 
Oxybuttersäure nachzuweisen sind, Körper, welche entweder zu¬ 
gleich mit dem Erbrechen wieder schwinden oder noch kurze Zeit 
nachher nachweisbar bleiben können.“ 

Die beiden Erscheinungen: Azetonänne und Erbrechen stehen 
in einem gewissen Zusammenhang miteinander. Hecker selbst 
glaubt, daß das Primäre nicht das Erbrechen, sondern die Bildung 
der Azetonkörper ist und ist geneigt, das Erbrechen als ein Aus¬ 
scheidungssymptom zu betrachten. Die Lehre von der Patho¬ 
genese des eigenartigen Krankheitsbildes ist bisher über den 
Rahmen von Hypothesen noch wenig hinausgekommen. 

Zur Therapie äußert sich H ecke r folgendermaßen: 
„Im akuten »Stadium mag man. dem Vorschlag F i s c h 1 s folgend, 
immerhin eine Suggestivtherapie versuchen (Verkündigung ev. 
Vorbereitung einer Kochsalzinfusion u. ähnl.). Einer absoluten 
Nahrungsentziehung in den ersten 2 Tagen kann sich vorsichtige 
Darreichung einer kompendiösen fett- und eiweißarmen Nahrung 
anschließen. Nützlich haben sich als Trockenkost kleine Stücke 
Schokolade und gebähtes, trocken gekautes Weißbrot erwiesen. 
Alkalien in Form von Natrium biearbonicum messerspitzenweise 
und Karlsbader Wasser haben sich bei einem mehr chronisch ver¬ 
laufenen Fall entschieden wirksam gezeigt. In der anfallsfreien 
Zeit empfiehlt sich systematische Behandlung deo Gesamtorganis- j 
mus durch Hydrotherapie, Luftbäder, Gymnastik; im Hinblick 
auf den Blutbefund (Leukopenie n. a.) speziell heiße Wickel, 
heiße Abreibungen. Ferner fleischarmes Regime mit Ausschluß 
blähender und allzu voluminöser Speisen. Zeitweiliger Gebrauch 
von Salzsäurepepsin. 

3. 11 o r o empfiehlt als vorübergehende Diät, speziell bei 
schweren akuten Ernährungsstörungen der Säuglinge an Stelle 
der einfachen Tee- oder Wasserdiät eine Karottensuppe, 
über deren Zubereitung er folgendes angibt: 

500 g Karotten werden abgeschält, (abgeschabt); der Rück¬ 
stand (375 g) wird zerkleinert und mit Wasser so lange einge¬ 
kocht, bis die Gesamtmasse etwa 200 ccm beträgt. (Dauer ca. 

*2 bis :v i Stunde.) Die eingekochte "Masse wird nun durch ein 
feinstes Drahtsieb, auf dein fast kein Rückstand bleibt, in 1 Liter 
Fleischbrühe gedrückt und 6 g Kochsalz zugefügt. Die Brühe 
wird aus 500 g Rindfleisch (und Knochen) hergestellt. (Kalt an¬ 
setzen!) Die Karottensuppe soll täglich frisch bereitet und an 
einem kühlen Orte aufbewahrt werden. Ihre Preis ist relativ 
hoch; seine Höhe wechselt je nach der Jahreszeit. 

Die Karottensuppe wurde bei akuten Erkrankungen im Sta¬ 
dium der schwersten Störungen, der Intoxikationserscheinungen 
im Sinne Finkeistein s, durch mehrere Tage als alleinige 
Nahrung gegeben. M oro sali dabei in 1—3 Tagen die schweren 
Koliapserscheinungen, Unruhe. Bewußtseinsstörungen, abnorme 
Atmungstypen, Turgor- und Tonusverluste, Blässe, insbesondere 
auch Erbrechen und Abführen verschwinden; die Entfieberung 
erfolgte sehr prompt (nur ausnahmsweise nach mehr als 24 Stun¬ 
den) und die Temperattirkurve wurde geschnitten von der steil 
anstrebenden Gewichtskurve. 

Bei chronischen Ernährungsstörungen, Atrophikem mit 
und ohne dyspeptische Erscheinungen wurde fast ausnahmslos ein 
steiler Gewichtsanstieg auf Verabreichung der Karottensuppe 
festgestellt, gleichzeitig Besserung des Allgemeinzustandes und 
Rückgang der sog. Magendaxmsymptome, besonders des Er¬ 
brechens und der Soorinfektionen. Die chronisch ernäbrungs- 
gestörten Kinder wurden längere Zeit, bis zu '3 Wochen, aus¬ 
schließlich oder vorwiegend mit Karottensuppe gefüttert; mit 
dem Gewichtsanstieg, der wohl nur als Wasserretention, vermittelt 
durch den Salzgehalt, der Nahrung, zu deuten ist, stellten sich 
öfters Oedeme ein, die beim Uebergang auf Milchmischungen 
unteT mäßigem Gewichtsrückgang wieder schwanden; doch gelang 
die Milchernährung nach der Karottensuppeperiode viel besser 
als vorher. Die Stühle waren zahlreich, kopiös, breiig, meist ge¬ 
ruchlos und von gelber oder rötlichgelber Farbe. 

Den Hauptvorzng gegenüber einfachen Salzlösungen, die wie 
wir an dieser Stelle berichteten, auch von erheblichen Nutzen bei 
der Behandlung der Ernährungsstörungen im Säuglingsalter sein 
können, erblickt M o r o darin, daß die Karottensuppe dem Säug¬ 
ling das Gefühl der Sättigung verschafft, daß sie ein völliges 
Leerlaufen des Darmes vermeidet, den Organismus seiner Ver- I 


dauuugsfunktionen nicht entwöhnt, daß sie ferner eine radikale 
Umstimmung der Darmflora bewirkt und dadurch auch den Ge¬ 
fahren der endogenen Infektion wirksam entgegenarbeitet. 

Die Karottensuppe wurde auch jüngsten Säuglingen (zwei 
Wochen) gegeben. f 

Üeber die Indikationen und Kontraindikationen der neuen 
Nahrung äußert sich Moro folgendermaßen: „Oie vorläufigen 
Indikationen der Karott.ensuppendiät scheinen uns namentlich 
gegeben durch den toxischen, von Exsikkation begleiteten Sym- 
ptomenkomplex bei akuten Ernährungsstörungen und durch die 
auf Nährstoffintoleranz beruhende Flaschenkinderdyspepsie. Er¬ 
nährungsstörungen. die erfolgreich durch zweckmäßige Milch- 
verdünnungen behandelt werden können, erübrigen selbstver¬ 
ständlich das Vorgehen mit Karottensuppe. — Unzulässig er¬ 
scheint uns, die ausschließliche Karottensuppendiät fortzusetzen, 
wenn die Wässerung des Körpers zu beträchtlichen Oedemen ge¬ 
führt hat. Auch die durch ausschließliche oder vorwiegende 
Kohlehydraternährung bedingten Schädigungen (Mehlnähr- 
schaden nach (’zern y und K e 1 1 e r) möchte ich, trotzdem mir 
darüber spezielle Beobachtungen fehlen, in den Bereich der Kon¬ 
tra i n dikationen einbeziehen. 1 ‘ 

4. Op p e n h e i m e r erörtert zwei wichtige Fragen, die bei 
der Scharlachbehandlung sich immer aufdrängen: 1. Sollen Bäder 
gegeben werden? 2. Wie soll die Diät geregelt werden. Bezüg¬ 
lich der Biider steht O p p e n h e i m e r auf einem völlig ableh¬ 
nenden Standpunkt, ihm gilt als eine der wichtigsten Grund¬ 
sätze bei der Scharlachbehandlung die Vermeidung jeder Erkäl¬ 
tungsmöglichkeit, die eine Nephritis provozieren könnte. Nicht 
nur Bäder und kalte Stammumschläge sind deshalb zu unterlassen, 
sondern das Kind soll auch bei der Untersuchung niemals ganz 
entblößt werden, und laue Waschungen sind nur in der Weise 
gestattet, daß Glied um Glied rasch abgewaschen und sofort 
tüchtig abgetrocknet und wieder bedeckt wird. 

Bezüglich der Diät ist für Oppenhei m e r der Gesichts¬ 
punkt, der Nieren Schonung gleichfalls der wichtigste, und er ver¬ 
bietet daher konsequent die Darreichung von Fleisch, Fleisch¬ 
speisen und Eiern (auch als Zusatz zu Mehlspeisen). Eine Bett¬ 
ruhe von 5—6 Wochen hält Verf. schließlich auch für zweck¬ 
mäßig oder notwendig. Unter diesem Regime hat er bei mehr 
als 150 Scharlachkranken niemals eine Nierenentzündung ent¬ 
stehen sehen. 


Neurologie und Psychiatrie. 

Referent: Dr. G. Flatau. Nervenarzt, Berlin. 

1. Die Behandlung der nervösen Unfallkranken. Von Nerven¬ 
arzt Dr. Froehlick, Berlin. Therapie d. Gegenwart. 1908, 
pag. 408. 

2. Balkenstich bei Hydrozephalien, Tumoren und bei Epi¬ 
lepsie. Von Prof. A nton und v. Bram a n n, Halle. Münch, 
med. Wochenschrift, 1908, Nr. 32. 

1. Es wird versucht, dem praktischen .Arzte die Richtungs- 
linien für die Therapie der nervösen Unfallkranken zu geben; 
schwere Fälle deiart mögen immerhin dem Spezialisten auf die¬ 
sem Gebiet reserviert bleiben. Das allerwichtigste ist die erste 
chirurgische Behandlung, später spielen sich die Klagen und Be¬ 
schwerden mehr auf dem seelischen Gebiet ab; die Diskrepanz 
zwischen der Schwere des Unfalles und den Folgezuständen er¬ 
klärt Verf. durch eine besondere Disposition des Materials: ner¬ 
vöse Veranlagung, Rentenbegehrung, Alkohol. Die psychische 
Behandlung hat etwa bei der ersten Untersuchung einzusetzen. 
Eine Anstaltsbehandlung ist durchaus nicht immer notwendig. 
Die Kopfschmerzen können durch faradische Behandlung (fara- 
discher Strom) oder Galvanisation (bis 2 M.-A.) beeinflußt wer¬ 
den, doch darf das Elektrisieren nicht zur Gewohnheit werden, 
sondern eine allmähliche Entwöhnung Platz greifen. Eine größere 
Bedeutung hat noch die Hydrotherapie. Stets muß der Arzt die 
Zuversicht auf Heilung zu erwecken wissen, insbesondere das 
Symptom des Schwindels und der Kopfschmerzen verlangt diese 
Psychotherapie. Vorsichtige Ausdrucksweise in der Besprechung 
der Prognose ist von großer Bedeutung. Hier ist die frühzeitige 
Rentcnerledigung ebne schroffe Uebergänge zu beachten, Ver¬ 
meidung von Nachuntersuchungen, Abfindung. Schließlich wird 
auf die Prophylaxe, Hebung des sittlichen Niveaus Wert zu legen 
sein. 

2. 5 , i mehrte Elüssigkeitsansammlung in den Gehirnhöhlen 
führt zu erheblichen Ernährungsstörungen, die die einzelnen 




1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU 


671 


Teile in verschiedener Weise betreffen, je nach der arteriellen 
Blutversorgung' und dem Verlauf und dem Lumen der Haupt- 
venen. Zur Retention führt entweder die Verlegung der Ab- 
fuhrstellen des Liquor oder Entzündungen der Gehirnhäute, der 
Gehirnsubstanz, oder es kommt durch irgendeinen Reiz zu ver¬ 
mehrter Flüssigkeitsabsonderung. 

Ventrikelpunktion nd Lumbalpunktion sind als dekompres- 
sive Mittel bisher anee\ mdl worden. Die Verfasser schlagen 
nun vor, durch ein stumpfes Instrument den Balken zu eröffnen 
am rechten Gehirnteil, und zwar entsprechend einer Stelle, die 
erlaubt, unter Schonung der Arteria cerebr. ant. in den Seiten 
Ventrikel zu gelangen. Das Instrument zur Eröffnung soll hohl 
sein, damit man den Erfolg kontrollieren kann. Die Oeffnung 
ermöglicht eine Kommunikation mit dem Subduralrauni. Einge- 
ga 11 gen wird durch eine Trepanationsöffnung seitlich der Sagittal- 
nalit.. 

Die Technik der Operation wird an 4 Fällen besprochen. Die 
Operation wurde stets ohne Nachteil vertragen. Folgende In 
dikationen wurden angenommen: 

1. Hydrozephalus. 

2. Tumoren mit Hydrozephalus und Stauungspapille, 

3. Gehirnhypertrophie (( Ref.). 

4. die Fälle des Pseudotumors im Sinne X o n n e s. 

Augenheilkunde. 

Referent: Privatdozent Dr. G. AbelsdorlL Berlin. 

1. Die I’alliativtrepanatioii bei Stauungspapille. _ Von E. 
v. II i p p e 1. Münch, med. Wochenschrift, 1908, Nr. 37. 

2. Neues Heilungsverfahren beim Herpes corneae febrilis. 
Von E. Ammann. Archiv f. Augenheilk.. Bd. LX1. S. 194. 

3. Vosikantien in der Augenheilkunde. Von F. V eit- 
lauer. Wochenschrift L Therapie u. Hygiene des Auges. 
Bd. XII, Heft 3, S. 21. 

1. Auf Grund eines kritischen Literaturstudiums empfiehlt 
v. H. die Trepanation bei Stauungspapille, da sie in der Mehr¬ 
zahl der Fälle die Stauungspapille zur Rückbildung bringt, ln 
der Mehrzahl der Fälle ist. zu spät operiert worden, da die Aus¬ 
sichten für die Erhaltung bezvv. Besserung des Sehvermögens nur 
bei Frühoperation günstige sind. Die Operation kann nicht, nur 
zur Beseitigung der Stauungspapille, sondern zu völliger Heilung 
führen, weil es sich trotz klinischer Tiimorsvmptome um chroni¬ 
schen Hydrozephalus, Pseudotumor (N ou n e). akute oder chro¬ 
nische Hirnschwellung (R eich a r d t), Meningitis serosa han¬ 
deln kann. Wenn auch die unmittelbare Gefahr des operativen 
Eingriffes durch gewisse Vorsichtsmaßregeln wie Chloroform 
(nicht Aether), zweizeitige Operation, Kokainisierung der Dura, 
Vermeidung osteoplastischer Methoden herabgesetzt werden kann, 
so ist sie doch nicht gering zu veranschlagen. Wenn der Tumor 
mit einiger Wahrscheinlichkeit lokalisiert werden kann, so ist 
im allgemeinen an der entsprechenden Stelle, sonst in der rechten 
Scheitelgegend zu trepanieren. 

2. Um die Ileihmgsdauer des Herpes corneae febrilis abzu¬ 
kürzen. empfiehlt Verfasser, die Herpesfiguren in ganzer Ausdeh¬ 
nung mit rotglühender elektrischer Glühschlinge leicht zu kau- 
terisieren. Eine Reihe von Krankengeschichten veranschaulicht 
den prompten Erfolg des Verfahrens. 

3. W e i 11 a u e r empfiehlt in Fällen von langwieriger C. on- 
junctivitis und Keratitis plilytaenulosa außer der üblichen Be¬ 
handlung Emplastrum cantliaridatum perpetuum vor oder hinter 
dem Ohr des erkrankten Auges anzuwenden. Nach W. s Erfah¬ 
rungen ist es besonders zur Linderung des Blepharospasmus, der 
Lichtscheu und des Schmerzes geeignet. 

Urologie. 

Referent: Spezialarzt Dr. L. Lipman-WulL Berlin. 

1. Instrumente für die Irrigations -1 retliroskopie. Aon 
Hans Goldschmid t, Berlin. Folia urologica, 1908. Bd. 2, 

Heft 6. . . • . 

2. Zur Frage Nephrotomie oder Pyelotomie bei aseptischem 
Nierensteinschnitt. Von J. Borelius, Lund, Schweden. 
Folia urologica, 190S, Bd. 2, Heft 6. 

3. Ein Fall einer durch eine pyeLo-ureteralc Klappe ver- 
ursachten intermittierenden Hydroneplirose, durch Klappen- 





schnitt geheilt. Von BölavonRihmer. Folia urologica, 1908, 
Bd. 2, Heft 6. 

4. Valeur eomparee des diverses prostatectomie. Von 
F. C a t h e 1 i n, Paris. Folia urologica, 1908, Bd. 2, Heft 6. 

5. Die physiko-clicmisehe Untersuchung für die funktionelle 
Nierendiagnostik vor der Operation durch den Ureterenkathete- 
rismus. A^on T. T a w ak a, Tokio. Zeitschr. f. Urologie, 1908, 
Bd. 2, Heft 10. 

6. Mein verbessertes Ureter- und Operationszystoskop. A on 
L. C asper, Zeitschr. f. Urologie, 1908, Bd. 2. Heft 10. 

7. Apparat zur bequemen Ausführung der Spülprobe und 
zur Spülbehandlung des Bulbus urethrae. A r on Karl U 11 m a n n. 
Zeitschr. f. Urologie, 1908, Bd. 2, Heft 10. 

8. Ueher die Beziehungen der papillomatösen Wucherungen 
des Blasenhalses und der hinteren Harnröhre zum Mechanismus 
der Harnentleerung und zur sexuellen Neurasthenie. A on Ernst 
R. W. Frank, Berlin. Zeitschr. f. Urologie, 1908. Bd. 2, 
lieft 10. 

9. Ueher üakteriurie. A r on F r a n z IV e i s z, Budapest. 
Zeitsehr. f. Urologie, 1908. Bd. 2. Heft 10. 

1. Die vom Verfasser konstruierten Instrumente zur Be- 
leuchtung der vorderen und hinteren Harnröhre bilden wolil den 
größten Fortschritt der letzten Jahre. Sind wir doch hierdurch 
erst in den Stand gesetzt worden, hauptsächlich*über die Abän¬ 
derungen in der hirfteren Harnröhre, über die Pars membranacea, 
den Colliculus seminalis, die Pars prostatiea exakte Diagnosen 
zu stellen. Die Form und Handhabung dieser Instrumente wer¬ 
den als bekannt vorausgesetzt. G old Schmidt hat sich nun 
bemüht, diese zu verbessern und vor allem an ihnen 
Vorrichtungen angebracht, um unter beständiger Kontrolle des 
Auges therapeutische Eingriffe vorzunehmen. Das Einbringen 
von Aetzmitteln kann nur geschehen nach Absaugung des im 
Fenster des Instrumentes befindlichen Wassers, während durch 
eine ein geschobene Röhre die Aetzmittel an die richtige Stelle 
gebracht werden. Ferner wird ein durch einen Mechanismus 
auf zu richtendes galvanokaust isclies Messer zur A ornahme von 
therapeutischen Maßnahmen, wie Zerstörungen von M ucherun- 
gen. werden eine glühend zu machende Platinschlinge, elektro¬ 
lytische Methoden unter ständiger Kontrolle des Auges anzu- 
wenden versucht. Ein entsprechend konstruiertes mit Fuß- 
platte und Schlauch versehenes Irrigationsgefäß dient der Kon- 
trollierung des Wasserdrucks. Um allen Anforderungen zu ge¬ 
nügen, muß bei der Methode der Irrigationsurethroskopie die 
Lichtquelle verschiedenartig angebracht werden. Für die all¬ 
gemeine Orientierung in der Urethra posterior eignet sich am 
besten die Beleuchtung von hinten. Für die Urethra anterior 
muß die Lampe sich neben dem Objektiv des Sehrohrs befinden. 

2. Die Nephrotomie ist in jedem Fall brauchbar bei asep¬ 
tischer Steinniere, die Pyelot omie in einer gewissen, doch ziem¬ 
lich großen Zahl von Fällen. Der gefährlichere Eingriff ist die 
Nephrotomie wegen der nicht sicher vorzubeugenden Nach¬ 
blutungen. In allen brauchbaren Fällen wird man daher der 
Pyelotomie den Vorzug geben. Bei genügender Technik ist auch 
die Pyelotomiewunde gut heilbar. Ist der !Stein nicht allzugroß 
und im Nierenbecken fühlbar, so ist die Pyelotomie zu wählen, 
allerdings muß die Niere bei der Operation beweglich und gut 
vorzuziehen sein. Das Röntgenbild kann vor der Operation gute 
Anleitung zur Wahl der Operation geben. Eine sichere Ent¬ 
scheidung wird man jedoch erst an der vorgelagerten Niere 
treffen. 

Verfasser hat bei 9 Kranken 4 mal Pyelotomie, 5 mal Nephro¬ 
tomie ausgeführt. 

3. Patient, ein 33jähriger Manu, litt seit 3 Jahren an links¬ 
seitigen Nierenkoliken. Die Untersuchung mittels Palpation, 
Röntgen strahlen und Ureterenkatheterismus schloß Steine, Wan¬ 
derniere, Striktur als Ursache aus. Alan mußte ein klappen- 
artiges Hindernis annehmen, Die Operation bestätigte'diese An¬ 
nahme. Die Klappe wurde mittels Pyelotomie freigelegt und bis 
zum tiefsten Punkte durchschnitten, die 2 Lamellen der Klappe, 
wie bei der typischen Phimosenoperation versorgt, die Becken¬ 
wand in 2 Etagen vernäht ; dräniert wurde vom Parenchym her. 

Glatte Heilung, welche seit 11 Monaten besteht. Nach zwei 
Atonaten wurde mit Kystoskop und Indigokarminprobe die gute 
Funktion der linken Niere bewiesen. 


A r er fass er glanbt. daß diese Klappen aus embryonalen Fal¬ 
ten entstehen. 




672 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 45 


Trotz der ausgezeichneten Erfolge bei Anwendung des peri¬ 
nealen Weges und trotz der mittelmäßigen Resultate der supra- 
pubisehen Prostatektomien spricht Verfasser die F r e y e r sehe 
Methode doch als die Methode der Wahl an. Diese ist schneller 
und leichter auszuführen und sicherer in ihren späteren Resul¬ 
taten. Die perineale Operation ist sicher gefahrloser, sie birgt 
aber für die Zukunft solche Unannehmlichkeiten in sich, daß die 
Sectio alta und suprapubische Methode ihr vorzuziehen ist. 
Folgende Regeln sind für die Praxis zu befolgen: Bei kleiner, 
vernarbter oder vereiterter Prostata macht man die perineale 
Prostatektomie. Bei sehr großer Prostata führe man die hypo¬ 
gastrische, transvesikale Prostatektomie aus. Ist die Prostata 
besonders nach der Blase hin sehr groß, soll die kombinierte Pro¬ 
statektomie gemacht werden. Bei Prostatahypertrophie mit 
Steinen kommt Litliotripsie in Frage. Jeder Eingriff soll da¬ 
gegen bei Proätatakarzinom unterbleiben. 

5. Im ganzen wurden 37 Fälle untersucht. Es waren mei¬ 
stens Tuberculosis renalis. ferner Pyonephrosis, Nierenzyste, Li- 
thiasis usw. Nach Bestimmung der Nierenfunktion mit den be¬ 
kannten Methoden, wie Feststellung der Harnmenge, spezifisches 
Gewicht. Gefrierpunkt, elektrisches Leitungsvermögen, Eiwei߬ 
gehalt. Zuckermenge nach Phloridzinin.iektion, wurden in 17 Fäl¬ 
len 14 Nephrektomien, 3 Nephrotomien ausgeführt, zwei Ne- 
phrektomierte sfarben nach der Operation im Kollaps. Sind im 
Harn der gesunderen Niere geringe Eiweißmengen (0,3 
bis 0,6%), spärliche hyaline und gekörnte Zylinder, so 
bildet dies keine Kontraindikation für die Entfernung 
der anderen. Diese geringen Eiweißausscheidungen er¬ 
klären sich durch toxische Einwirkungen vom Krankheitsherde 
aus und verschwinden nach Entfernung der erkrankteu Niere 
allmählich aus dem Harn. Für die Beurteilung der Nierenfunk- 
tion spieleu Anamnese, Inspektion und Palpation eine unter¬ 
geordnete Rolle. Harnfarbe, Harntrübung und mikroskopische 
Harnuntersuchung sind schon wichtiger, ergeben jedoch keine 
sicheren Anhaltspunkte. Die Viskosität und Azidität des Harns 
läßt sich bei der Funktionsprüfung nicht genau feststellen. Es 
erfolgt jedoch sicher eine Erniedrigung im erkrankten Harn. Die 
Differenz der Viskosität beträgt durchschnittlich 114 s. g. c., die 
Differenz der Azidität durchschnittlich 0,34 mg/cc.. Die Wich¬ 
tigkeit der funktionellen Nierendiagnostik besteht nicht nur für 
die Nierenchirurgie, sondern auch für die Beurteilung- von Bauch- 
tumoren und für viele Gebiete der inneren Medizin, wie Nephri¬ 
tis, Diabetes mellitus, iusipidus etc, 

6 . Das neue I’reterzystoskop zeigt eine geeignete Kombina¬ 
tion des Casper sehen mit dem A 1 b a r ra n sehen und hat 
durch Anwendung einer federnden !8ckarnierlampe eine gewisse 
Aehnlichkeit mit der schon früher von Kollmann, N i t z e 
und Ringleb gebrauchten beweglichen Lampe. Beibehalten 
ist die verschiebbare Rinne, angenommen von Alba r ran der 
aufrichtbare Finger. Das Instrument hat 21 Charriere und ist 
für 2 Katheter Nr. 5 oder einen Nr. 7 eingerichtet. Beim Her¬ 
ausziehen des Zystoskops und Liegenlassen der Katheterschiene 
^treckt sich die Lampe so, daß sie mit Schiene und Zj r stoskop eine 
gerade Fläche bildet. Die Ureteren-Katheter bleiben unverrückt 
an der Stelle liegen, an die man sie hingeführt hat. Ferner wird 
das Instrument benützt, um medikamentöse Lösungen, z. B. Re- 
soicin, auf bestimmte Stellen der Blase zum Zwecke von 
Schrumpfung und Verödung von Tumoren zu bringen. Man 
benutzt statt des Ureterkatlieters eine biegsame Platiniridium- 
Tiadel. Bei Anwendung der doppelläufigen Schiene kann man 
durch die zweite Rinne eine kleine Zange führen, die den Tumor 
während des Einstechens der Nadel fixiert. Das von Casper 
konstruierte Operationszystoskop leistet ihm schon seit Jahren 
gute Diente. Die galvanokaustische Schlinge hat sich ihm als 
überflüssig erwiesen, er arbeitet nur noch mit der kalten 
Schlinge, da die Blutungen hierbei ebenso groß oder gering sind, 
wie bei Benutzung der kaustischen. Es gehören zum Instrumen¬ 
tarium für intrevesikale Operationen folgende Teile: 

I. Zystoskop mit hohlem Mandrin, es ist so ein gewöhnliches 
Spülzystoskop. 

II. galvanokaustischer Brenner. 

III. scharfe Kürette, 

IV. Fremdkörperzange, 

V. Instrument mit kalter Schlinge. 

\ 1. Instrument mit kalter Schlinge und darüberliegender 
Pinzette zum Ergreifen und Heranziehen von Tumoren, 

7. Das von Jadassohn zur Bestimmung der Lokali¬ 
sation der Gonorrhoe eingeführte Verfahren wird entweder mit¬ 
tels elastischen Katheters und hochgehängten Irrigators bei lang¬ 


samer Steigerung des Drucks ausgeführt, um so den Tonus des 
Gompressor urethrae behufs Abschluß zwischen vorderer und hin¬ 
terer Harnröhre stetig zu erzielen, oder mit der llaiuklruckspritze 
bei kurzen Stößen zwecks reflektorischer Steigerung des Kom- 
pressortonus. Bei der öfteren Füllung der Spritze bedingt das 
Auslassen des Katheters zuweilen Verschiebungen, bei deren Re¬ 
gulierung oft unbeabsichtigt der Sphincter externus überschritten 
wird. Daher ist Assistenz bei Ausführung der Methode not¬ 
wendig. Diesen technischen Schwierigkeiten sucht U 11 - 
m a n n durch folgende Spülvorrichtung zu begegnen. Eine mit 
der Spülflüssigkeit angeiullte Literflasche steht auf der einen 
Seite durch Schlauch mit einem Ballongebläse, auf der anderen 
mit einem Ausflußschlauch in Verbindung, an dem der in die 
Harnröhre einzuführende Katheter befestigt ist. Bei Druck auf 
den Ballon entweicht durch die Komprimierung der Luft die 
Flüssigkeit in den Ausflußschlauch und Katheter. Der Arzt 
fixiert den Katheter mit der linken Hand, die rechte Hand übt 
einen ganz leichten periodischen Druck auf den liallon aus, hier¬ 
bei kann die Prozedur der Harnröhrenwaschung ohne Unter¬ 
brechung fortgeführt und vollendet werden. Die rechte Hand 
des Arztes besorgt abwechselnd die Kompression des Ballons und 
damit die stoßweise Eintreibung der Flüssigkeit in die Harn¬ 
röhre und die Verschiebung und Entleerung der zum Aufsaugen 
der Spülflüssigkeit verwendeten Gläser. Durch die stoßweise Ein¬ 
treibung der kalten Flüssigkeit, welche von halber Minute zu 
halber Minute unter stärkeren Druck gesetzt wird, gelingt es 
auch recht gut, den Kompressor in dem nötigen spastischen Tonus 
zu erhalten. 

8 . Die vom Verfasser beobachteten Fälle zeigten papillo- 
matöse Wucherungen. Zottenpolypen am Blasenausgange und 
in der Pars prostatica. Diese polypösen Wucherungen rufen 
Blutungen hervor, ferner gehen kleine Geschwulstzotten ab. 
Durch Einzwängen von Geschwülstelien in die Blasenmiindung 
kommt es zu Urinverhaltungen, Reizersclteinungen am Blasen- 
lials, Harndrang: bei vorhandener Obstipation und Epitliel- 
abschilferungen am Blasenhals und am Trigouum entsteht durch 
Ansiedelung von Bact. coli Cystitis. Es treten Irritationen und 
Neuralgien auf, die sogenannte Neurasthenie scxualis, als Folge¬ 
erscheinung von polypösen Wucherungen der hinteren Harnröhre, 
besonders am Samenhügel und in dessen Umgebung. Eine er¬ 
folgreiche Therapie ist nur denkbar, wenn der Grund des Lei¬ 
dens, die Geschwülste, entfernt werden. Verf. bedient sieb zu 
dem Zwecke des Kitze- () her 1 ä n d e r sehen Urethroskops 
und der Valentin-Lampe. Durch Anbringen einer Absaugevor¬ 
richtung wird verhindert, daß das Gesichtsfeld durch Blut oder 
Urin verdunkelt wird. Bei Wucherungen im Blasenhals operiert 
man in Beckenhochlagerung. Die Eingriffe werden unter Lokal¬ 
anästhesie, bei Neigung zu Blutungen unter Zusatz eines 
Hämostatikums ausgeführt. Für die nötige Antisepsis sorgt 
man durch innere Antisepticis, bei Operationen jenseits des 
Orificium internum urethrae bediene man sich der nachträglichen 
Ausspülungen mit Höllensteinlösüng. Als Instrument verwendet 
F r a n k die Zange, die Schlinge und ein nach Art des S c* h r ö t- 
t e r sehen Kehlkopfringniessers gebautes Instrument. Die Me¬ 
thode hat sich in einer Reihe von ausführlich dargestellten 
Fällen bewährt, 

9. Bakteriurie ist eine durch Bakterien hervorgerufene 
Trübung des frisch gelassenen Harns ohne entzündliche Erkran¬ 
kung der Harnwege. Bei dem vom Verfasser beobachteten 
35jährigen Kaufmann blieb diese Trübung nach abgeheiltem 
Tripper bestehen, und zwar verhinderte sie noch nach einem 
Jahre seine Aufnahme in eine Lebensversicherung. Die Allge¬ 
meinsymptome dieser Erkrankung äußern sich in Mattigkeit, 
Kopfschmerzen, Fieber, daneben manchmal in lokalen Urethral¬ 
und Vesikalschmerzen ohne nachweisbaren Grund. Die Bak- 
teriurie hat chronischen Verlauf, zeigt sich oft jahrelang nicht, 
kehrt wieder und kann jahrelang bestehen oder ständig bleiben. 
Diagnose wird gestellt, mit freiem Auge aus den glitzernden 
Opalisieren und dem ekelerregenden Geruch des Urins, rnikro- 
skepisch durch das massenhafte Vorhandensein von Bakterien 
ohne erkenntliche Elemente, Leukozyten, Epithelien, durch posi¬ 
tiven Kulturausfall. Prognosis ist im großen und ganzen un¬ 
günstig, Heilung kann jedoch Vorkommen. Es hängt dies von 
der Art der Infektion ab. Zweifelhaft ist die Prognosis, wo die 
Trübung durch die Prostata hervorgerufen wird, bei Verbindung 
von Prostata mit Rektum ist dieselbe absolut schlecht, doch gilt 
dies nur quoad sanationen, nicht quoad vitam. Die Bakteriurie 
ist auf geschlechtlichem Wege nicht übertragbar, daher Ehe¬ 
konsens zu erteilen. Man muß bei dieser Erkrankung genau die 




1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


673 


eventuellen urethralen, prostatischen Veränderungen ermitteln, 
'dann die Harn- oder Beckenerkrankungen zu eruieren trachten. 
Therapeutisch ist das Grundübel zu beseitigen. Urethritis, Cy- 
stitis, Prostatitis, Spermätozystitis, Strikturen können nach ihrer 
Behandlung die Bakterienausscheidung noch wesentlich beein¬ 
flussen. Lokalbehandlung mit Arg. nitr.-Instillationen oder 
Waschungen mit 1 — 5°/oo Sublimat-, llg-Oxycyanatlösungen. Harn- 
deeinflzientien, Urotropin, Helmitol, Hetralin. Neuerdings zu 
empfehlen die autovakzine Injektionstherapie des die Krankheit 
verursachenden und so gezüchteten Bazillus. 


Mitteilungen über Arzneimittel. 

Referate. 

Referent: Privatdozent Dr. C. Bachem. Bonn. 

1. Erfahrungen über Mer gal in der Augenheilkunde. Von 

Meß m er. Therap. Monatshefte, 1908, Nr. 10. 

2. Jodglidin in der Lucstheiapie. Von T h. M a y e r. Therap. 
Monatshefte, 1908, Nr. lü. 

1 . Mergal ist ein internes Antisyphilitikum und stellt eine 
Verbindung von cholsaurem Quecksilberoxyd und ■ Albuminum 
tannicum dar; es kommt in Kapseln in den Handel. M. faßt seine 
Erfahrungen in folgende Sätze zusammen: 

Das Mergal wird mit Sicherheit vom Körper aufgenommen 
und das in ihm enthaltene Quecksilberoxyd entfaltet eine inten¬ 
sive Wirkung. Mergal hat nie Verdauungsstörungen gemacht, 
der Appetit der Kranken war stets gut. Eine 
Quecksilbervergiftung ist ausgeblieben, der 
Urin war frei von Eiweiß. Die Anwendung 
des Mergals ist sehr leicht und bequem und emp¬ 
fiehlt. sich besonders in der Privatpraxis. Mit 
gutem Erfolge ilt, das Mergal bei infektiösen 
Iridozyklitiden gebraucht worden. Bei den 
Iridozyklitiden aus unbekannter Ursache hat es 
den Verlauf der Entzündung günstig beein¬ 
flußt. Das Präparat ist als Antiluetikum 
brauchbar. Man kann sich bei Neuritis nervi V~j 

optici davon überzeugen, daß die Entzündungs- 
Symptome durch Mergal günstig beeinflußt 
werden. Ob es mit dem Inunktions- und In- 
jektionsverfahren als Antiluetikum in Konkur¬ 
renz treten kann, darüber will Verfasser ein 
endgültiges Urteil noch nicht abgehen. Bei 
tabischer Sehnervenatrophie, bei post- und parasvphilitisehen Er¬ 
krankungen des Auges hat. Mergal keinen Schaden gestiftet. 

2 . Jodglidin ist. eine Jodeiweißverbindung, die durch Jodieren 
des nukleinfreien Pflanzeneiweißes Glidin gewonnen wird: das 
Jod ist, in dieser Form fest gebunden und es tritt keine Zer¬ 
setzung des nativen Eiweißes ein. M. hat auf der Lass a r sehen 
Klinik das Mittel mit gutem Erfolg bei einer großen Reihe von 
Lueskranken angewandt. Die Dosis betrug pro die meist 1,5 bis 
2,5g Jodglidin: diese Dosierung (in Tabletten) erwies sich als 
ausreichend. Das Präparat wurde von den Kranken gern ge¬ 
nommen. der Jodgeschmack ließ sich durch Darreichung von 
Milch leicht, verdecken. Vcrf. sieht in dem Jodglidin ein in hand¬ 
licher Form zu administrierendes, leicht zu nehmendes und den 
klinischen Ansprüchen voll genügendes Präparat auch für die 
Spätluesbehandlung. 


Technische Neuerscheinungen. 

Gastrotrib 

von Dr. Ach, München. 

Die Magenquetschzange (Gastrotrib) setzt sich aus zwei 
vierkantigen, glatten Stäben zusammen, die an der Be¬ 
rührungsfläche aufgerauht sind. Der untere Stahlstab trägt 
am vorderen Ende den männlichen Teil des Schlosses — 
einen schmalen, nach oben und hinten umgebngenen Bügel, 
der zwischen zwei Branchen des oberen Hebels weib¬ 
licher Schießteil eingreift. Am hinteren Ende der beiden 


Hebel befindet sich ein weiteres Schloß, ein sogen.. Sperr- 
verschluß, der ein Sichöffnen der Zange verhindert. Ein 
Exzenterhebel kann von hinten über den Sperrverschluß 
auf die Zange geschoben werden, und durch leichten Druck 
auf denselben werden die beiden Hebel der Zange völlig 
geschlossen und dazwischenliegendes Gewebe durchge- 
quetseht. 

Die Anwendung geschieht folgendermaßen: Nach 
Durchtrennung des Omentum minus und des Ligamentum 
gastrocolicum und Unterbindung der Gefäße an der großen 
und kleinen Kurvatur wird der untere Hebel durch die 
Oeffnung des Lig. gastrocolicum hinter dem Magen nach 
oben und zur Oeffnung des Omentum minus herausgeführt, 
so daß der Magen auf dem Hebel liegt, worauf dieser in die 
gewünschte Richtung (Resektionslinie) gebracht wird. Als¬ 
dann wird der andere Hebel aufgesetzt und nach Verhaken 
des Schlosses das hintere Ende gesenkt und dem männlichen 
Hebel soweit genähert, daß der hintere Sperrverschluß eben 
geschlossen werden kann. Die beiden Hebel stehen nun 
noch soweit im Winkel auseinander, daß der dazwischen¬ 
liegende Magen noch nicht gequetscht wird. Nun wird 
der Exzenterhebel auf die Zange geschoben; ein leichter 
Druck auf denselben quetscht Schleimhaut und Muskularis 
des Magens durch, während die Serosaflächen erhalten 
bleiben und fest aufeinandergepreßt werden. Der Exzenter¬ 
hebel wird dann heruntergenommen, ohne daß der Sperr¬ 
verschluß geöffnet wird. Nach Anlegen einer Magenklemme 
am abfallenden Magenteil nahe an der Quetschzange wird 




zwischen beiden der Magen- durchtrennt. Bei liegender 
Zange folgt dann der Verschluß des kardialen Magenteiles 
mit fortlaufender Matratzennaht ; nach Fertigstellung der¬ 
selben wird die Quetschzange abgenommen. Meist tritt 
nun keine Blutung auf, so daß weitere Unterbindungen nicht 
nötig sind. Die aufeinandergepreßte hintere und vordere 
Serosafläche ragt über die Matratzennaht wie ein schmales 
Band vor und läßt sich durch eine fortlaufende seromusku¬ 
läre Naht leicht einstülpen; eine dritte Nahtreihe er¬ 
übrig! sich. 

Der Vorteil des Verfahrens liegt darin, daß die Operation 
um ca. 15 Minuten abgekürzt wird, da man beim Durch- 
quc-lschen des Magens keine. Blutstillung braucht, ferner 
keinen so dicken Wulst wie früher einzustülpen hat und 
man mit den beiden fortlaufenden Nähten auskommt. 

Hergestellt wird das Instrument von der Firma 
S I i e f e n li o f e r, München, Karlsplatz. 

(Münch, med. Wochensc.hr., Nr. 37). 

M. Plien, Berlin. 

Biickerbesprechimgen. 

Kosmetik, ein Leitfaden für praktische Aerzte. Von Ed¬ 
mund Saalfeld - Berlin. Berlin 1908, Verlag von Julius 
S p ring e r. 

Die Kosmetik ist leider immer noch die Hauptdomäne des 
Kurpfuschers. Auch der praktische Arzt sollte sich mit diesem 


Original frorn 


um 






674 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 45 


von den Aerzten vielfach ganz vernachlässigten Gebiet der ärzt¬ 
lichen Kunst beschäftigen. In einem kurzen Leitfaden bringt 
Saalfeld alles, was den Bedürfnissen des ärztlichen Praktikers 
entspricht, in klarer und übersichtlicher Weise ohne weitschwei¬ 
fige theoretische Erörterungen. Das Büchlein ist wärmstens zu 
empfehlen. J. Baum- Berlin. 

Fritz Reuters Krankheit. Eine Studie von Dr. med. Paul 
Al b r e c h t, Oberarzt an der Provinzial-Heilanstalt zu Treptow 
a. d. Ilega. Halle a. S. 1907. Carl Marhold, Verlagsbuch¬ 
handlung. ' 

Dem Beispiel Möbius’ folgend, haben manche andere 
Forscher bedeutende Männer zum Gegenstand ärztlicher und ins¬ 
besondere psychiatrischer Untersuchung gemacht. Und so hat auch 
Verf. als großer Reuterverehrer unserem Herzen den Menschen 
Reuter nähergebracht. In dieser sehr interessanten Studie 
wendet Verf. sich gegen die übliche Auffassung, daß R e u t e r 
ein Gewohnheitstrinker gewesen sei, er befreit ihn gleichsam da¬ 
durch von dem Makel, der ihm anhaftet; von einer Schuld, einem 
Laster kann nicht die Rede sein. Auch die von Adolf Wil- 
brandt in seiner Biographie zu Reuters nachgelassenen 
Schriften ausgesprochene Meinungs, daß R euter an einer Neurose 
des Magens und der Speiseröhre gelitten habe, ist eine irrige. 
Reuter litt an periodischer Trunksucht, an Dipsomanie. Seine 
langjährige Festungshaft ist nur als ein auslösendes Moment für 
ein schwereres Auftreten seiner Krankheit aufzufassen, die letzte 
Endursache dürfte wohl eine endogene Veranlagung bilden, ob¬ 
wohl der Nachweis einer erblichen Belastung nicht sicher zu 
führen ist. v. R u t k o w s k i, Berlin. 


Emanation und Emanationstherapie. 

m e r, Zürich. München 1908, G m e 1 i n. 


Von Prof. E. S o i 
08 Seiten. 


Das Buch des durch seine Arbeiten über Röntgen- und Ra¬ 
diumstrahlung bekannten Verfassers bringt gründliche Mit¬ 
teilungen sowohl über den physikalischen wie ärztlichen Teil der 
Frage und zeichnet sich durch anerkennenswerte Objektivität aus. 
Referent glaubt allerdings, daß man in der Zurückhaltung gegen¬ 
über den Segnungen des Radiums noch weiter gehen dürfe, und 
kann sich nicht überzeugen, daß. mit dem Radium etwas erreicht 
werde, was nicht auch auf anderem Wege ebenso gut oder besser 
erreichbar ist. Von wem sein Publikum verlangt, daß er stets das 
Neueste feilhalte, wird gut tun, sich mit dem Buch bekannt zu 
machen und besonders dankbar für des Verfassers Mitteilungen 
über zuverlässige und schwindelhafte Radiumpräparate sein. 

F. von den Yelden. 


Allgemeines. 


Reklamesündeu. Unter dieser Ueberschrift habe ich in 
Nr. 43 dieser Wochenschrift einen Artikel veröffentlicht, der die 
Art und Weise, deren sich die Firma Max Elb, G. m. b. H. in 
Dresden, zum Vertriebe ihrer Silvana-Essenzen bedient, kritisch 
beleuchtet. Die Firma bemüht sich nunmehr, den Eindruck, den 
mein Artikel gemacht hat, abzuschwächen, indem sie an die Re¬ 
daktionen der medizinischen Zeitschriften Mitteilungen versen¬ 
det, die die Vertriebsart der Silvana-Essenzen beschönigen sollen. 
Dieses Zirkular ist freilich so ungeschickt wie nur möglich ab¬ 
gefaßt, und ich hätte keine Veranlassung, dasselbe vor dem Pa¬ 
pierkorb zu bewahren, wenn nicht ein Satz darin enthalten wäre, 
der meinen Artikel aufs treffendste illustriert. Herr Dr. 
Zucker, der, wie es scheint, der Inhaber der Firma Max Elb 
ist, schreibt: 

„Um das Publikum zu einer rationellen Hautpflege mit 
häufigem Baden zu veranlassen, mußten wir etwas stark auf¬ 
tragen. Hier heiligt wirklich der Zweck das Mittel.“ 

Herr Dr. Zucker läßt sich sehr ausgiebig in die Karten 
sehen. Er verrät ganz freimütig, daß er einem jesuitischen 
Grundsatz vom Range des zitierten huldigt. Nach dieser Er¬ 
klärung brauchen wir uns allerdings über nichts mehr zu wundern 
— auch darüber nicht, daß die soziale Hygiene wieder einmal 
zum Schlachttier eines angegriffenen Fabrikanten herabgewür¬ 
digt wird. Ich werde auf die Sache noch zurückkommen. 

L u n g w i t z. 


Unverträgliche Arzneimischungen. 

Eine Zusammenstellung von unverträglichen Kompositionen 
ihrer pharmazeutischen Präparate, soweit sie in der Praxis Vor¬ 
kommen können, haben die Höchster Farbwerke veröffentlicht. 
Wir lassen diese für unsere Leser wichtige Zusammenstellung 
hier folgen: 

Acidum acetylo-salieyli c u m cave; freie Säuren, 
Eisensalze, Alkalien. 

Albargin cave: Chloride, Tannin. 

Antipyrin cave: Tannin, Jod, Chinin, Eisensalze, Calomel, 
Spiritus aetheris nitrosi. 

A ntipyrinum salicylicum cave: freie Säuren; vide 
Antipyrin. 

A r g o n i n vide Albargin. 


Telegramm! 


Die vom Kommerzienrat Aust bezw. Kathreiners Malzkaffee-Fabriken, 
München, durch falsche Angaben bei der Staatsanwaltschaft Berlin erwirkte 

Beschlagnahme 

meiner Broschüre „Kathreiners Entlarvung“, welche die Konkurrenzmanöver 
gegen den coffeinfreien „Kaffee Hag “ aufdeckt, ist vom Amtsgericht in Bremen 

aufgehoben 

worden. Die Verteilung ist also erlaubt. Man verlange die Broschüre gratis 
in Kolonialwarenhandlungen. 

Johs. Surmann, Direktor 
der Kaffee=Handels-Aktiengesellschaft, Bremen. 











TherapeutischeRundschau 

Wochenschrift für die gesamte Therapie des praktischen Arztes. 

p«-, a <<L r. .• ~ . Herausgegeben von 

reich. Berlin, Prof’. Dr. ft BorufUu, d Bernn Pr prof D Dr G ’E An B 0 raaIi a König^berg 0 Geh Me^R^t'p ^n"’ Pr °R Df A ' Bicke1, Berlin ' Prof - Dr. L. Blum- 
Berlrn, Prof Dr G. Burckhard, Würzburg Prof Dr A Dührssen Berlfn Prof P w- v -^ ramann . Halle a. S. Prof. Dr. C. Bruhns, 

Prof. Dr. C. A. Ewald, Berlin, Prof Dr. E. Friedberger Be lh Prof Dr P Gerher P ' p U ?n Ur ?' Pl ' of , Dr ^ R - Eschweiler. Bonn, Geh. Med.-Rat 

Heidelberg, Prof. Dr. K. Helbing, Berlin ProfDr M Henkd Greifsvraki Pr ?f' D . r t , * u * - ® la *> Abbazia, Prof. Dr K. Hammer. 

Prof. Dr.A. Hildebrandt, Berlin. Prof. Dr K. Ho zap^ M„ Prof. Dr. P. Heymann, Berlin 

Prof. Dr. A. Kollmann. Leipzig, Prof. Dr J Kocks Bonn Prof Dr «El u’ • r °r ? r H Berlln - Prof Dr. M. Koeppen, Berlin 

r il" e M ha , rt n Hamburg, Prof Dr. M. Lewandowsky,' Berlin Prof Dr G Meyer’ B^rMn^Pro^D^M Pr °£ p P* lner ’ Br “lau, Prof. Dr. 
Geh Med.-Rat Prof. Dr. K. Partsch, Breslau. Geh. Med-Rat Prof Dr H PfannensHe 'kW ViB, ^dTd B t erl r ' n ' „ r °i Dr E - Düsseldorf, 

L. C. Rehn Frankfurt a M , Prof. Dr. K. Ritier, Greifswald Prof Dr H. Rosm Be Mn Prof Dr TU S feSj‘ f P S f Dr r B t P r oskauer - Berlin. Prof. Dr! 
Prof Dr. Ad. Schmidt, Halle a. S , Geh. Med.-Rat Prof. Dr H. Schmidt-Rimpler Halle a ’s Prof Dr w R ’srH P n P / of ' PL* 1 ' Scflla "ge, Hannover, 

sssvkt. r«r-P» af® käs» ssarsfe ää 

Heidelberg. Pro,. D, H. W„ih,r. OM... PM De >. A«i,“pS Ä &i£ &%£* Wtt SÜt^KU 

Redaktion: .. ’ 

Dr. med. et ph«. H. U, Dresdeners,r 44. Gustav Ehrke 9 , Kötheners(r . 4 , 

n ». . f| A ’ Telephon: Amt Vf, 3020 

Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte 
_der Ostsee und der Medizinisch-biologischen Gesellschaft. earzte 


II. Jahrgang. 


Berlin, 15. November 1908. 


Nr. 46. 


ft: Ä N "« S'« 

Nachdruck ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. 


Originalen: 

H. Rosin, Berlin: Zur Lehre von der Ervthrocvtosis meo-alo- 

splenica.\ . c>77 

Peter König: Zur Therapie der Dottergangsfistel .... 0711 
Hans Lungwitz, Berlin: Par nobile fratrum: Lactagol — Jod- 

vasogen. to ^ 

Referate: . 680 

Otfried 0. Fellner, Wien: Die Asepsis in der Gynäkologie 683 
Ar u Dermatologie und Svphilidologie . . . G83 

M. Dalle, Charlottenbutg: Hals-. Nasen- und Ohrenkrankheiten 684 
M. Hirsch, Kudowa: Balneologie . eoe 

p Tvinoin . T-i- 


m D ri . P . 0ltl ’ i bba ?. ia: Klimatotherapie und Thalassotherapie '. 087 

M. Peltzer. Steglitz: Militärmedizin.689 

M. Peltzer, Steglitz: Soziale Medizin. 609 

OBIGINALIEN. 


Zur Lehre von der Erythrocytosis megalo- 
splenica. 

(Polycythämie; Polyglobulie mit Milztumor.) 

Von Prof. Dr. H. Rosin, Berlin. 

Oktober 1908 stellte sich mir eine Patientin 
von O- Jahren mit folgenden Angaben vor: 

Vor fünf Jahren sei sie erkrankt mit starken Kon¬ 
gestionen zum Kopfe, Sdiwindelanfallen und Scliweiß- 
ausbrüchen. Sie sei von diesen Beschwerden nahezu all- 
tag-lich sein- belästigt worden, habe hochrot ausgesehen 
und die Rötung des Gesichts und der Augen als Brennen 
sehr unangenehm empfunden. Dazu sei bald eine Reihe 
von Beschwerden hinzugetreten: erstens Anfälle von hefti- 
gem linksseitigen Flimmerskotom mit folgendem starken 
halbseitigen Kopfschmerz auf der entgegengesetzten Seite. 
Solche Anfalle kamen viermal im Laufe der fünf Jalire 
'°i . , rner wurden fünfmal stundenlang dauernde Herz- 
palpitationen, die mit unregelmäßigem Pulse und starkem 
Schwachegefühle (ohne Polyurie) einliergingen, in diesem 
Zeitraum beobachtet. Der letzte Anfall im letzten Som- 
mer währte 5 Stunden, die früheren dauerten 7—8 Stun¬ 
den. Im letzten. Jahre hat sieli dann noch eine dritte Er- 


Inhalt. 

.Mitteilungen über Arzneimittel: 

}Y- E^ger. Magdeburg: Referate. iwn 

67/1 W. Ivrüger, Magdeburg: Neuerschienene Arzneimittel ! ‘ ‘ 690 

rechnische Neuerscheinungen: 

680 .. Nacke ’ Berlin: Perforatorium (Ref.: M. Plien. Berlin) . . 691 

Riicherbesprechungen:. ((|) 

583 | Veckenstedt: Der Kopfschmerz als häutige Folge von W 

I ““/^«Duignosedtef . M. HaUc. Oharlottenburg) . (181 

A. Krücke, München: Aerzthches Vademekum und Taschen- 
585 I kalender f»r 1809 (Ref.: E-ch. Bendorf a. Rh.) 081 

587 Therapeutisches Jahrbuch, XVIII. Jahrgang (R f f. : W Kr üeer' 

389 j Magdeburg). ° ’ «ui 

>89 I Allgemeines. ... 

lieh. Im Urin sei im letzten Jahre etwas Eiweiß und sehr 
viel Harnsäure gefunden worden. 


V as die bisherige Behandlung aJi belangt, so habe Pa- 
tientmim vergangenen Jahre noch vor den oben genann¬ 
ten Kohkanfallen — nn Sanatorium Wittelsbach in Mün¬ 
chen — unter Behandlung von Friedrich Müller 
gestanden Dort sei die Diagnose Polycythämie gestellt 
und über 10 Millionen rote Blutkörperchen in 1 ccm Blut 
gezahlt sowie eine Milzgeschwulst gefunden worden. Die 
Behandlung war eine vorwiegend hydrotherapeutische Im 
letzten .Jahre habe sie wegen der Nierenbeschwerden 
Karlsbad besucht. 


Zurzeit fühle sie sich verhältnismäßig beschwerdefrei 
bezüglich der Kongestionen und des Schwindels, dagegen 
beunruhige sie die Nierenkolik, die zuletzt im September 
nach der Karlsbader Kur aufgetreten sei. 

Die Untersuchung der Patientin ergab nun folgendes: 
Es handelte sieh imi eine wenig gut ernährte, etwas ma¬ 
gere brau. Das Aussehen der Haut und der Schleimhäute 
bot nichts besonders Abnormes. Zwar war die Gesichts¬ 
haut ein wenig gerötet, die Conjunctiva leicht injiziert 
es wurde aber jede auffällige Röte vermißt. Nirgends am 
Körper ausgedehnte, besonders geschlängelte Venen, keine 
\ ancen, keine Oedeme. 

Unter den inneren Organen fiel zunächst ein sehr 
großer Milzturaor auf. Er war auf Druck nicht schmerz- 


w “ rd “- - *■ »•«<« -»A te m "5,,“.;) 















678 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 46 


der Mammillarlinie ca. 6 cm unter dem Rippenbogen her- j 
vor, während sie nach oben im Verlaufe absoluter Dämp- | 
fung bis zur normalen Stelle (unterer Rand der i 
6. Rippe) ging. Sie war zwar glatt, doch etwas druck- j 
empfindlich und der untere Rand stumpf. Nach links hin j 
verjüngte -sie sich rasch, so daß der linke Leberlappen 
keine besondere Vergrößerung erkennen ließ. 

Weiterhin fiel cs auf, daß man beide Nieren abtasten j 
konnte; die linke Niere ließ sich trotz der großen Milz un¬ 
ter ihr und etwas nach außen fühlen, sie war abnorm be¬ 
weglich, fühlte sich etwas groß an und lag etwas ver¬ 
schoben, so daß der obere Pol nach vorn getreten war. Sie 
war auf Druck recht schmerzhaft, bei der Atmung nicht 
verschieblich. Die rechte Niere war ebenfalls als beson¬ 
ders groß unter der Leber zu fühlen, zwar in richtiger , 
Lage, aber beweglich und mit der Leber bei der Atmung 
etwas verschieblich. Auch sie war auf Druck etwas emp¬ 
findlich. 

Das Herz zeigte bei der Untersuchung mittels starker i 
Perkussion eine geringe Verbreiterung nach rechts; bei j 
mittelstarker Perkussion ging die absolute Dämpfung nur 
bis zur linken Sternallinie, die relative aber bis fast zum j 
rechten Sternalrande; bei leiser Perkussion sogar bis ca. j 
2 cm nach rechts von der rechten Sternallinie. Nach links ; 
hin waren die Verhältnisse normal, dabei war die Dämp¬ 
fungsfigur trotz ihrer Breite wenig hoch, so daß man eine 
Drehung der Längsachse des Herzens nach der Horizontalen I 
zu wohl annehmen konnte. Spitzenstoß schwach an nor¬ 
maler Stelle. Ziemlich reine, nirgends äccentuierte Töne. 
Puls weich, 88. An den übrigen Organen fand sich nichts j 
Besonderes, nur die rechte Lungenspitze über der Clavicula 
zeigte bronchiales Exepirum namentlich hinten, wie so 
häufig auch bei sonst klinisch gesunden Personen. 

Der Urin enthielt etwas Eiweiß, mit Esbach nicht he- | 
stimmbar, da der große Harnsäurereichtum eine Verdim- 1 
nung notwendig machte, der verdünnte Urin aber kein j 
meßbares Sediment ausfallen ließ; doch überschritt die 
Menge sicher nicht 0,1 pro Mille. Das Sediment zeigte zahl¬ 
lose Kristalle von Harnsäure, einige wenige hyaline resp. i 
fein granulierte Zylinder, ziemlich reichlich ausgelaugte j 
rote Blutkörperchen und nicht wenige Nieren- und Nie- j 
renbeckenepitheilen, sowie Leukozyten, dazu runde Plat¬ 
ten- und Vulvaepithelien. Spektroskopisch war Blut j 

nicht nachweisbar, auch nicht mit Guajakharz, wohl aber 
mit der Heller sehen Probe. Außerdem fand sich ein 
nur schwacher Urobilinstreifen bei P. 

Die Blut Untersuchung ergab nun folgendes über¬ 
raschende Ergebnis: Die Zahl der roten Blutkörperchen 
war keineswegs vermehrt, sondern, wie zu erwarten war, 
normal. Zwei Untersuchungen ergaben nur 3,5 Millionen 
im Kubikzentimeter. Um so auffälliger war die enorme 
Vermehrung der weißen. Es waren einmal 48 000, ein¬ 
mal 52 000 zu zählen. Daneben zahlreiche Blutplättchen. 
Ohne die vorauf gegangene Anamnese hätte das frische 
Blutpräparat auf den ersten Anblick die Diagnose Leu¬ 
kämie stellen lassen. Von dieser Diagnose mußte jedoch 
nach Färbung des Präparates (Eosin-Methylenblau) Ab¬ 
standgenommen werden. Denn das Blutbild entsprach weder 
dem der lymphatischen, noch dem der myelogenen Leukä¬ 
mie. Es überwogen, wie auch im gesunden Blute, die poly¬ 
nukleären neutrophilen Leukozyten im Gesamtbild. Es 
waren ca. 80'. zu zählen, die übrigen 20% der weißen 
Blutkörperchen freilich ließen eine Verschiebung von der 
Norm deutlich erkennen. Ganz auffallend gering war 
die Zahl der Lymphozyten, die bis ungefähr auf ein Zehntel 
ihres normalen Vorkommens, bis auf 2% zurückgedrängt 
waren, dafür zeigten sich recht reichlich eosinophile Zel¬ 
len zu etwa 12%, und unter ihnen fielen große mononukle¬ 
äre, also unreife Elemente auf, die etwa ein Zehntel der 
eosinophilen Zellen nusmachten. Der Rest der 8 r /< Zellen 
bestand etwa zur Hälfte aus dicht gekernten Mastzellen, 


zur Hälfte aus großen einkernigen Elementen mit zum Teil 
grsnulationslösem Protoplasma, die man wohl als unreife 
Myelozyten allzusprechen hat. 

Hätte mir nicht die noch genauer zu besprechende 
Anamnese zu Gebote gestanden, die mir einen diagnosti¬ 
schen Anhaltspunkt gab, so wäre es mir schwer gefallen, 
eine einheitliche Erklärung für den scheinbar so ver¬ 
schiedenartigen, ja widerspruchsvollen Organbefund zu 
geben. Denn es fand sich 1. eine harnsaure Diathese, bei 
der Nierenkoliken vorkamen, 2. eine Leberschwellung, 
3. Zeichen von Herzmuskelschwäche, 4. ein Milztumor ohne 
Drüsentumoren mit einem Blutbefund, der sich im wesent¬ 
lichen als eine enorme, sonst nie beobachtete Leukozytose 
charakterisieren ließ. Neben den kolossal vermehrten Leu¬ 
kozyten aber waren doch noch in dem Rest der weißen Ele¬ 
mente abnorme Vermehrungen von Mastzellen und Eo¬ 
sinophilen, ferner das Auftreten von Myelozyten zu beob¬ 
achten, während die Lymphozyten außerordentlich ver¬ 
mindert erschienen. Alles in allem eine absonderliche 
Störung des weißen Blutbildes. 

Allein die Anamnese gab die nötige Aufklärung. Es 
waren mehrere Jahre hindurch die Erscheinungen der Ery- 
throcytosis megalnsplenica (Polyeythämie) voraufgegan¬ 
gen. Im Münchener Sanatorium waren 10 Millionen rote 
Blutkörperchen gezählt worden. Damals bestand auch 
ein charakteristischer Symptomenkomplex: hochgradige 
dunkle Rötung der Gesichtshaut und der Schleimhäute, 
Schwindel und Kongestionen, Kopfschmerz und Flimmer¬ 
skotom. Dieser Zustand hat bis in die letzte Zeit hinein 
angedauert. Zurzeit aber — und das erscheint mir das 
Bemerkenswerteste und bisher nicht Beobachtete zu sein 
— befindet sich die Patientin in einem Zustande völliger 
Remission der Vermehrung des roten Blutbildes. Die Zahl 
der roten Blutkörperchen ist eher vermindert, dement¬ 
sprechend das Aussehen normal. Schwindel, Kongestionen 
sind zurzeit nicht vorhanden, kurz jedes Symptom, was auf 
Erythrozytose schließen ließe, fehlt zurzeit. 

Dafür ist die Zahl der weißen Blutkörperchen enorm 
vermehrt, um so mehr, als es sich um eine Leukozytose, 
nicht etwa um ein leukämisches Bild handelt. Denn im 
letzteren Falle hätte sich eine viel größere Vermehrung 
jener bekannten, zum Teil pathologischen Elemente unter 
den Leukozyten gezeigt und die Polynukleären wären um¬ 
gekehrt zurückgedrängt worden. 

Eine so hochgradige Leukozytenvermehrung ist bisher 
niemals und eine annähernd so hohe nur in wenigen der 
bisher beschriebenen (ca. 40) Fälle mitgeteilt worden. Es 
handelt sich um die Fälle von M o n t a r d, M a r t i n und 
Lefus (3.1 000), von Tiirck (26 700 und 23 000), von 
\Y eintra u d (30 000, 21 700, 36 800), von R e e k z eh 
(22 000, 25 600). Auch der Milztumor gehört zu den grö¬ 
ßeren der hei der vorliegenden Krankheit beobachteten. 
In einigen dieser Fälle ist bekanntlich Milztuberkulose fest¬ 
gestellt worden. Bei unserer Patientin sprach sonst nichts, 
auch nicht der Lungenbefund für Tuberkulose. 

Ob die starke Leukozytose ein günstiges Zeichen, etwa 
eine Unterstützung des Heilungsvorganges bedeutet, wage 
ich ebensowenig anzunehmen, wie überhaupt, daß die Pa¬ 
tientin schon auf dem Wege der Heilung und nicht nur in 
einem augenblicklichen Remissionszustande sich befindet. 

Schließlich noch ich übergelle an dieser Stelle die 
Leber- und Nierenschweilung sowie die Herzstörungen 
eine kurze Bemerkung über die Harnsäureausscheidung, 
die Nierenkoliken und das Eiweiß. Auch in anderen Fäl¬ 
len von Erythrozytose wurde eine Uratdiathese beobachtet, 
und W e i n t r a u d weist mit Recht darauf hin, daß diese 
aus der Vermehrung der Leukozyten, d. h. des Kern¬ 
zerfalls, ebenso wie bei Leukämie, zu erklären ist. Auch 
hier stehe ich nicht an, den Nierengries mit der enormen 
Leukozytose in Verbindung zu bringen, das heißt den er¬ 
höhten Nukleinzerfall dafür verantwortlich zu machen. 




THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


679 


1908 


Die Schmerzen im linken Hypochondrinm könnten jedoch 
auch auf den Milztumor bezogen, nicht etwa auf eine 
Konkrementbildung zurückgeführt werden. Denn alle 
Fälle mit Milztumor klagten über Schmerzen in der Milz¬ 
gegend. Die Eiweißausscheidung freilich braucht nicht 
mit der Konkrementbildung (als Nierenreizung) in Verbin¬ 
dung zu stehen. Sie ist fast ausnahmslos beobachtet wor¬ 
den. Auffällig ist nur in unserem Falle ihr Fortbestand 
trotz Besserung des roten Blutbildes. Daß endlich das 
Knochenmark sich zurzeit in einem gereizten Zustande be¬ 
findet, beweist das, wenn auch geringgradige Vorkommen 
sonst nicht vorhandener Myelozyten im Blute. 

Auf die Therapie der Erkrankung hier einzugehen, 
erübrigt sich, da unsere Kenntnisse noch völlig negative 
sind, und da die neuesten Beobachtungen Senators (Er¬ 
höhung des respiratorischen Quotienten) und Lo m mels 
(mangelnde Bindung des Sauerstoffes an das Hämoglobin) 
aus äußeren Gründen nicht .nachgeprüft werden konnten. 
Doch soll noch einmal ausführlich nach weiterer Beob¬ 
achtung auf den Fall zurückgekommen werden; bietet er 
doch durch den Zustand der Remission mit gleichzeitiger 
enormer Leukozytose eine eigenartige neue Tatsache. 


Aus der Heimstätte in Berlin N. 20. Drontheimer Str. 39 
(leitender Arzt: Dr. med. Bruno Bosse, Frauenarzt und Chirurg.^ 


Zur Therapie der Dottergangsfistel. 

Von cand. med. et phil. Peter König. 

Während der ersten aclil Wochen seines intrauterinen 
Lebens bestreitet der Embryo einen Stoffwechsel bekannter 
maßen aus dem Nahrungs Vorräte, der ihm im Dotter¬ 
sacke oder Nabelbläscbeu (das ist der sich nicht 
weiter entwickelnde Teil der Keimblase) zu Gebote steht. 
Zu diesem Zwecke findet sich zwischen dem Anhangs 
gebilde Dottersack und der durch Differenzierung des Kopf- 
und Schwanzendes gewonnenen l’rdarin höhle des em¬ 
bryonalen Leibes eine Kommunikation: der Dottergang 
(Duct. omphalo-entericus, -mesentericus, vitello-intestinaiis) 
Hier bildet sich auch der erste fötale Kreislauf in Gestalt 
der Aa. und V v. omphalo-mcsaraicae, die den 
Nahrungsstofl der Dotterblaso dem Embryo zuführen. Nach 
Ausbildung der Pia een 1a (2. fötaler Kreislauf) macht 
das nunmehr überflüssige und verbrauchte Nabelbläschen 
mit seinem Dottergang eine retrograde Entwicklung durch: 
beide Organe obliterieren in der Kegel und zwar soweit, daß 
man an der reifen Nachgeburt nur noch ein weißliches 
Bläschen zwischen Amnion und Chorion und allenfalls 
(Ahlfeld) einen ebensolchen Strang in der Nabelschnur 
finden kann. 

Diese normale regressive Metamorphose der Dotter¬ 
blase und des Dotterganges durch fortschreitende Entwick¬ 
lung des Plazentarkreislaufs und allmählichen Schluß der 
Bauchdecken des Embryo wird relativ häufig dadurch ge¬ 
stört, daß der Dottergaug ganz oder teilweise persistent 
bleibt. Durch solche Regressionsanoinalieu entstehen dann 
Entwicklungshemmungen und Mißbildungen. 

Meckel hat zuerst vor ca. 100 Jahren diese Verhält¬ 
nisse studiert; nach ihm wird die häufigste (2 Prozent 
aller Leichen) Form der Mißbildung als MeckelscheS 
Divertikel bezeichnet.: es ist ein dem Dünndarm etwa 
Vj l 1 3 m oberhalb der 1 le-ozoeka 1 k 1 appe ineist gegen 
über dem Mesenterialansatze aufsitzendes, nicht selten 
am Ende erweitertes, handschuhfingerförmiges, frei in der 
Bauchhöhle flottierendes Anhängsel, das eine Länge von 
2 1 / 2 14 30 cm und einen Durchmesser von l l ,' 4 - f> cm 

haben kann. 

Seitdem sind noch allerlei sekundäre biologische und 
entzündliche Prozesse aufgedeckt worden, welche die Mi߬ 


bildungen soweit komplizieren können, daß Roth (Virch. 
Areh. Bd. 86, pag. 371) je nach dem Grade, dem Sitze, 
der Ausdehnung und je nach dem Verhältnisse derselben 
zum Ductus omphalomesaraicus folgende Einteilung hat 
aufstellen können: 

1. Das g e w ö h n 1 i c h e M e ekel sehe D i v e r t i k e 1; 
es liegt: 

a) in der Bauchhöhle, innerhalb deren es frei endigt 
als ligamentöser Fortsatz oder als mehrere frei 
flottierende Fäden, 

b) seltener in einem Bruchsacke, 

c) sehr selten ititramesenterial. 

2. Das adhärente Divertikel; die Verwachsung 
mittels seines blinden Endes oder eines Stranges 
(Resl der Vasa omphalomesaraica) findet sich ge¬ 
wöhnlich am Nabel. 

3. Das o f f e ne D i ver t i k e 1; es mündet am Nabel 
aus 

a) als offenes Divertikel im engeren Sinne, 

b) überragt von einem kleinen Wandprolaps, 

c) überragt von einem roten, hohlen Anhänge, 

d) kompliziert durch sekundären Darmprolaps. 

4. Das Divertikel ist der Ausgangspunkt von 
Retentionsge sc h w ü I s t e n (EtiterokysLomen), 
wobei 

a) die Kommunikation mit dem Darm erhalten. 

b) unterbrochen ist. 

Anmerkung: In dieser Aufstellung isi der ähnlichen, 
am Nabel vorkommenden, aber vom Uraeiius ausgehenden Ano¬ 
malie, der Vrachusfistel, nicht gedacht worden; sie kann 
entweder komplett oder inkomplett sein, je nachdem sie mit der 
Blase kommuniziert oder nicht. 

Jede der au {geführten Spielarten, die das Schicksal in 
seiner Laune dem Dottergange verleiht, bat seine besondere 
Pathologie und bietet dem Arzte ebensoviel Gelegenheit, 
seine diagnostische und therapeutische Kunst zu zeigen, 
wie dem Forscher wissenschaftlich Interessantes. Für den, 
der sich näher über das Schicksal des Dottergauges orien¬ 
tieren will, möge der Hinweis auf die ausführliche Arbeit 
von Dr. A. 1) r e i f u ß , Das D i v e r t i c u 1 u rn i 1 e i genügen 
(Zentralblatt für die Grenzgeb. der Med. u. Chir., 1905, 
VIII. Bd.), eine Schrift, die in übersichtlicher Weise über 
alles Wissenswerte berichtet und deren besonderer Wert 
in dem sorgfältigen Literaturverzeichnisse liegt, welches 
die Jahre 1700—1905 umfaßt. 

Wenn wir dieser Literatur unsererseits einen neuen Fall 
hinzuzufügen wagen, so geschieht es nur, um für die Fälle 
von Dottergangsfistel am Neugeborenen eine ganz bestimmte 
operative Therapie in Vorschlag zu bringen, welche ge¬ 
eignet ist, bereits in frühester Jugend allen zukünftigen 
Eventualitäten durch Radikaloperation die Spitze abzu- 
brechen. 

Unser neugeborenes Kind, Erich H., zeigte seit dem 
spontanen Abfall des Nabelschnurrestes am Nabel eine 
hochrote, lximbeerartige, anfangs erbsen-, später nußgroße, 
kuglige Geschwulst, die mit spärlichem, nicht riechendem, 
etwas schleimigem Sekret, bedeckt war. Auf dem Tumor, 
der übrigens das Kind nicht genierte, fand sich niemals 
etwas für Fäces oder zersetzten Urin Charakteristisches 
vor. Der Tumor war bei Betastung von außen sammetweich, 
bei Kompression zwischen zwei Fingern gab er eine gewisse 
Resistenz: bei genauerer Betrachtung seiner Basis zeigte 
es sich, daß er aus dem ziemlich engen Nabelring knopf- 
förmig hervorragte. Auf seiner Kuppe trug er eine Delle: 
eine mittelfeine Knopfsonde sank beim Aufsetzen auf diese 
Delle, ohne wesentlichen Widerstand zu finden, etwa 5 bis 
6 cm weit in einen engen Kanal, um dann Hai! zu machen. 
Um die Geschwulst herum hatte sich ein Ekzem gebildet, 
wie es durch Mazeration auf der Oberhaut hervorgerufen 
zu werden pflegt. 





HfGAN- • - 



680 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 46 


Bei der Diagnose mußte man — ganz abgesehen von 
den von vornherein auszuschließenden Nabelgranulomeii 
imd Abdominalabszeßfisteln — denken an 1. eine offene 
Dottergangsfistel, 2. eine offene Urachusfistel, 3. eine 
Magendivertikelfistel. Die Abwesenheit von Harn und 
saurem Magensaft ließ nur die erste Möglichkeit offen. 
Die Differentialdiagnose wurde also zugunsten des offenen 
M e c k e 1 sehen Divertikels mit sekundärem Schleimhaut¬ 
prolaps gestellt (siehe die R o t h sehe Einteilung 3 cj. Eigen 
tümlich blieb nur dabei, daß in selbst mehrwöchiger 
Beobachtung keine Spur von Darminhalt auf dem Tumor 
bemerkt worden war. 

Es wurde sofort ein blutiger Eingriff in Aussicht ge¬ 
nommen, aber wegen der zarten Konstitution des Neuge¬ 
borenen und wegen absoluten Mangels jeglicher Beschwer¬ 
den seitens der Verdauungsorgane aufgeschoben. Mittler 
weile wurde das Kind mit antiseptischer Salbe (Arg. nitr. 
c. balsamo peruv.) verbunden und an der Mutterbrust mit 
gutem Erfolge großgezogen. 

Am 2. Mai 1908, in der 12. Lebenswoche des Kindes, 
wurde zur Operation (Dr. Bosse) geschritten. In 
Aethertropfnarkose bei offener Maske wurde nach gehöriger 
Desinfektion der Nabel in Wetzsteinform Umschnitten. Es 
blutete kaum, so daß Unterbindungen nicht nötig wurden. 
Nachdem die Faszie erreicht war, wurde der dünne Stiel 
der Geschwulst stumpf isoliert. Es erwies sich, daß der¬ 
selbe sich durch den eben linsengroßen Nabelring ins Ab¬ 
domen fortsetzte. Ein ovoider Schnitt durch Faszie und 
Peritoneum in einiger Entfernung vom Nabelring eröffnete 
vorsichtig die Bauchhöhle, zum Teil auf der untergeschobe¬ 
nen Kochersonde. Nunmehr bot sich folgendes Bild: Der 
Umschnittene, mit einer Kornzange elevierte Nabeltumor 
stand durch einen 5 cm langen Strang mit dem Dünndarm 
in Verbindung. Eine Knopfsonde drang jetzt unschwer von 
der Höhe der Geschwulst durch den Strang in den Dünn¬ 
darm nach aufwärts und abwärts ein; bei nicht angespann¬ 
tem Strang dagegen machte sie vor der Einmündung des¬ 
selben in die Dünndarmschlinge Halt. Hier zog sich näm¬ 
lich ein strafgespanntes, 3 mm breites, gefäßloses Mesente- 
riolum vom Mesenterialansatz des Dünndarmes zum Diver¬ 
tikel hinüber. Nunmehr wurde mittels der kleinen 
Zwei fei sehen Quetschzange zur Appendixainpulation der 
Nabeldarmgang kurz über seiner Insertionsstelle am Dünn¬ 
darm zum ersten Male und einige mm peripheriwärts davon 
zum zweiten Male durchgequetscht und nacheinander jede 
Quetschfurche mit einem kräftigen Seidenfaden ligiert; 
die Durchtrennung befolgte mit scharfem Skalpell 
zwischen den zwei Ligaturen. Der am Dann zu¬ 
rückgebliebene Duktusstumpf wurde mit drei feinen 
Seidennähten in die Dünndarmwand eingestülpt und 
übernäht. Danach Reposition der prohibierten Darm¬ 
schlingen durch den 3 cm langen Bauchdeckenschnitt 
und Schluß desselben mittels durchgreifender Seidenknopf¬ 
nähte. Kollodium verband. 

Post Operationen! erholte sich das Kind bald, nahm 
bald darauf gierig die Brust und erlitt in den nächsten 
Tagen keinen Gewichtsverlust. Kein Fieber. Heilung per 
primam, so daß am achten Tage die Nähte der Bauch¬ 
decken entfernt werden konnten. 

Durch den Operationsbefund charakterisiert sich also 
der vorliegende Fall als ein offen gebliebenes und in die 
Nabelschnur hineinreichendes Meckelsches Divertikel, 
welches ganz nach Analogie des allgemein geläufigeren 
und bekannteren Darmanhanges, der Appendix, sein eigenes 
Mescnteriolum besaß. Bei der Geburt war die Nabelschnur 
in der üblichen Weise von der Hebamme unterbunden 
worden, ohne daß etwas Besonderes an derselben auffiel. 
Erst nach Eintrocknung und dem Abfall des Nabelschnur¬ 
restes sahen die Wochenpflegerinnen die Abnormität, die 
sie nicht deuten konnten. Anfangs klein, vergrößerte sich 
der himbeerfarbene Tumor bis zu einer konstanten Größe j 


unter dem Einfluß der Bauchpresse, indem die ganze Dicke 
der Wand, nicht die Schleimhaut allein prolabierte. Ei» 
weiteres Nachziehen von Dünndarmwand, wie es sonst wohl 
öfter unter Bildung eines Spornes vorkommt, wurde wahr¬ 
scheinlich durch das Mesenteriolum verhindert, welches 
am oralen Rande des Divertikulum auch eine scharfe Ab¬ 
knickung verursachte, so daß nicht einmal Dünndarminhalt 
die enge Stelle passieren konnte. Das Divertikel entsprang 
mehr dem Mesenterial an satz. Einen besonderen Ventil¬ 
mechanismus sahen wir hier nicht. Daß es sich um Dünn¬ 
darmwand handelte, wurde mikroskopisch verifiziert. 

Die Therapie der D o 11er gan gsf i s te 1 ist ; nach 
der Literatur zu urteilen, bisher eine bedenklich vielseitige 
gewesen. Mit mehr oder minder großem Erfolge hat man 
versucht, durch Aetzungen, Kompressionsverbände oder 
Kauterisation der Fistelränder und des Wandprolapses 
selbst die Fistel zu schließen. Schleimhautprolapse wurden 
auch abgebundeu oder mit dem Skalpell abgetragen. Andere 
wiederum Umschnitten den Nabel in den oberen Schichten 
und versuchten durch eine einfache Naht die Fistel zu be¬ 
seitigen usw. Alle diese recht harmlosen, aber dafür auch 
nicht radikalen Eingriffe belassen die Materia peccans in 
der Bauchhöhle und dem Nabelringe. Und der Träger diesei 
Mißbildung läuft für sein ganzes späteres Leben Gefahr, 
einen zunehmenden Darmprolaps durch weitere Umstülpung 
des Divertikels, einen Nabelbruch, eine Inkarzeration des 
Dünndarms und Ileus, einen Volvolus durch Knotenbildung, 
einen hochsitzenden Anus praeternaturalis an der Stelle, 
Zystenbildung, eine Divorticulitis, ganz ähnlich der Appen- 
dicitis, eine herniöse Einklemmung usw. zu bekommen, 
wahrlich Gefahren und Folgezustände, welche schwer genug 
sind, lim eine Radikalope r a t i o n so früh wie möglich 
als zulässig erscheinen zu lassen. Eine nach Obliteration der 
Nabelschnurgefäße unter aseptischen Kautelen in Aether 
tropf narkose ausgeführte Laparotomie hat dagegen 
selbst in diesem zarten Alter ein so geringes Risiko, daß 
man sie getrost wagen kann, wie der vorstehende Fall zeigt. 
Es kommt einem dabei zugute, daß man in der Linea alba 
fast, ohne Blutvergießen operieren kann und daß man in der 
kleinen, auf dem Prinzipe der Doyenschen aufgebauten 
Z w e i f e 1 sehen Dannquetsche ein Instrument besitz!, 
welches Darmdurchtrennungen gestattet, ohne daß eine Spur 
von Kot das Peritoneum zu berühren braucht. Wir stehen 
auf Grund dieser Erfahrung nicht an, die Radikaloperation 
als unbedenklich anzusehen. S t i e rl i n 1897 und Kör te 
1898 (beide in der Deutschen mediz. W'ochenschr.) haben 
zuerst diese radikale Therapie angebahnt; Alsberg hat sie 
mit Recht als ,,prophylaktische Resektion“ bezeichnet; die 
technischen Schwierigkeiten, die er halle, sind durch das 
oben geschilderte Verfahren behoben ; wir ziehen die Ex¬ 
zision des Nabels 1. als Prophylaktikum vor und 2. aus dem 
Grunde, weil nur sie einen vollendeten Feberblick über die 
intrabdominellen Verhältnisse schafft und beim Eindringen 
in die Bauchhöhle mit einiger Sicherheit außerhalb des Be¬ 
reichs der pathologischen Stellen führt. 


Par nobile fratrum: Lactagol — Jodvasogen. 

Von Hans Lungkwitz, Berlin. 

Kaum war mein Artikel, der den Wert, und die Vertriebs¬ 
weise des Lactagols gebührend beleuchtete, in Nr. 42 
dieser Wochenschrift erschienen, als sich ein gewisser 
Herr Hesse bei mir meldete. 

Dieser Herr Hesse kam mit geschlossenem Visier, und 
ich war einigermaßen überrascht, als er sich im Laufe des 
Gesprächs a s ein Abgesandter der Firma Pearson & C o. 
in Hamburg entpuppte und mich nach allen Regeln der 
Kunst zu bearbeiten versuchte. Unter den wenigen Herren, 
die bei derartigen Gelegenheiten als Parlamentäre überhaupt 




1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


681 


in Frage kommen, ist Hesse nicht der ungeschickteste; 
ich kann ihn durchaus empfehlen! 

Nachdem mir Herr Hesse in eindrucksvollen Worten 
auseinandergesetzt hatte, welch schweren Fehler ich be¬ 
gangen habe, eine so angesehene Firma wie Pearson 
& Co. anzugreifen, welch großen Einfluß ein gewisser Herr 
E s t e r m a n n , der Geschäftsführer hei Pearson . auf die 
beiden Verbände der rhemisch-pharmaz. Fabriken habe, wie 
eng der Süden mit dem Norden in der Lactagolfrage liiert sei, 
wie sehr ich den Tadel meines Verlegers (II) verdiene 
usw. usw., nachdem ich durch die schwere Wucht all dieser 
Auslassungen mürbe geworden sein konnte (wie Hesse 
wohl glaubte), ging mir allmählich die Sonne seines väter¬ 
lichen Wohlwollens auf, und ich erfuhr, daß die Firma 
Pearson & Co. ev. geneigt wäre, mir reuigem Sünder zu 
verzeihen, ja in ihrer Güte sogar noch feurige Kohlen auf 
mein Haupt zu sammeln in Form von Inseraten! Die 
Bemerkung am Fuße meines Laetagol-Arlikels, daß ich 
über ein zweites Präparat noch berichten wolle, schien 
Herrn Hesse besonders zu kitzeln; es lag ihm offenbar so 
viel daran, daß dieser zweite Artikel nicht erschiene, daß 
er es auf eine Abfuhr auf seinen diskreten Versuch, mich 
durch Inserate zu gewinnen, ankommen ließ. Die Ab¬ 
fuhr bezog er denn auch eine zweite darauf von meinem 
Herrn Verleger, an den er sich als die Instanz gewandt hatte, 
die am besten in der Lage sei, mich kirre zu machen. 

Ich berichte über diesen Vorfall aus zwei Gründen. 
Einmal um offen an den Pranger zu stellen, auf welche 
Methode die Firma Pearson & C o., d. i. fi s te r m a n n 
einem erfolgten Angriffe zu begegnen und einem weiteren 
aus dem Wege zu gehen versucht. Die Art und Weise, wie 
die Herrschaften auf meinen Artikel reagierten, ist charak¬ 
teristisch und interessant. Ein Angegriffener pflegt sich doch 
zu verteidigen! Warum findet die Firma Pearson 
& Co. kein Wort zur Abwehr, nachdem sie sich 
in ihrer Lactagol - Broschüre und in ihrem Hebanimen- 
Kalender nicht gerade als mundfaul erwiesen hat, 
wo sie ad majorem Lactagoli gloriam predigt? Ver¬ 
teidigen Sie sich doch, Herr Estermann, 
wennSiekön nen!--Ja, wennSie können! Hinc- 
i 11 a e lacrimae! SjV können nicht! Sie wür¬ 
den sich b 1 a m ieren, wenn Sie versuchen w ü r - 
den, meine Kritik auf dem allein richtigen 
W ege zu entkräften! Ei freilich, ein kluger Geschäfts¬ 
mann macht solch unangenehme Sachen lieber durch ein 
paar Tausend Mark für Inserate im Stillen ah. Virtus post 
mim mos! 

Darf man Sie, Herr Ester mann, fragen, ob Sie im 
Verkehr mit Redakteuren und Verlegern so wenig oder so 
gute Erfahrung (in Ihrem Sinne!) zu verzeichnen haben, 
daß Sie es' wagen, uns mit einem solchen Kuhhandel vor 
die Augen zu treten? Oder haben Sie etwa geglaubt, 
bei uns ein besonders leichtes Spiel zu haben? Ein guter 
Menschenkenner scheinen Sie nicht zu sein, auch fehlt 
es Ihnen noch an Personenkenntnis ! Sie müssen sich besser 
orientieren, Herr Estermannl 

Also die Sache liegt so: eine Verteidigung ist nicht 
möglich; eine Abstellung der von mir gebrandmarkten Aus¬ 
wüchse ebenfalls nicht sonst müßte und würde Lactagol 
in den Orkus hinabfahren, und das kann sich die Firma 
Pearson & Co. vorläufig nicht antun. Um Vogel-Strauß- 
Politik zu treiben, dazu ist die Sache zu ernst. Bleibt 
nur der Weg, den E ster m a n n einschlug. Da er nicht zum 
Ziele führte, benutzte Estermann seinen Einfluß 
aufdiechemischelndustrie, um zu versuchen, 
meiner Zeitschrift das Leben sauer zu 
mac hen. Die Firma Pearson & Co. „verteid i gt“ 
sich also, indem sie sich rächt!! 

Ich habe nämlich u. a. erfahren, daß Estermann in 
einem Zirkular auf meinen „ S c h m ä h a r t i k e 1 “ 
hin weist in einem Zusam m e n hange, dess en 


Kombination deutlich genug sein dürfte. Oder 
hat Estermann für meine Zeitschrift und mich Reklame 
machen wollen? Oder vielleicht gar für Lactagol? 

Ich denke allerdings zu hoch von der chemischen Indu¬ 
strie, als daß ich Herrn E ster m a n n zu dieser famosen Pa¬ 
rade beglückwünschen könnte. Er scheint den Finnen im all¬ 
gemeinen ein schlechtes Gewissen zuzutrauen, wenn er ge¬ 
wissermaßen an sie appelliert, eine Zeitschrift schlecht zu he 
handelt), die gegen unreelle und unsaubere Geschäftsprak¬ 
tiken Front macht und wertlose Präparate gebührend kenn¬ 
zeichnet. Mit einer solchen Bloßstellung wird er sich wenig 
Dank erwerben! Die chemischen Fabriken mögen die Frage 
beantworten, ob sie durch eine Bundesgenossenschaft mit 
der Firma Pearson & (’o. ihr Ansehen und ihre Position 
verbessern oder verschlechtern! 

Nun, mein Sorge soll das nicht sein. Meine Sache ist 
es vielmehr, bei dieser Gelegenheit ich komme jetzt 
auf den zweiten Grund meiner Mitteilung zu sprechen — 
corain publico die Frage an die Firma Pearson & Co. 
zu richten, ob sie wirklich auch nur einen Moment so naiv 
war, zu glauben, daß wir uns bestechen ließen, 
ja daß wir überhaupt ein Inserat des Lactagols in 
unsere Zeitschrift aufgenommen hätten, nachdem ich den 
wahren Wert des Präparates und die unverantwortliche Ver¬ 
triebsweise gekennzeichnet hatte. Wenn die Firma Pear¬ 
son & Co. wirklich so kindlich war, so sei ihr hier wieder¬ 
holt, was ich ihrem Vermittler bereits gesagt habe: ich 
diene der Wahrheit. Für mich gißt es keine 
k r u m m en Pfade und keine Schlei c h w e g e! I ch 
sehe das Amt, zu dem ich berufen bin, auch als ein Richter¬ 
ain t an, das mich befugt, nach den Gesetzen, die mir die 
Wahrheit, die Wissenschaft und die Ehre vorschreiben, 
mitzuhelfen an der Säuberung des Arzneimittel-Marktes von 
allerlei Unrat, der schon allzu lauge gen Himmel stinkt. 
Wenn Sie, Herr Philipsohn oder Estermann oder 
Hesse, glauben, daß ich mich in diesen Bestrebungen, 
durch plumpe Versuche nach Art des vorgefallenen irre oder 
kirre machen lasse; so sind Sie gewaltig auf dem Holzwege. 
Ich weiß, daß ich bei meinen Bestrebungen nicht nur die 
Aerzle, sondern (wie mir eine maßgebende amtliche Per¬ 
sönlichkeit neulich schrieb) die ernsthafte chemische 1 Indu¬ 
strie und die Apotheker hinter mir habe. 

Nicht nur das Lactagol verdient ,,die geradezu vernich¬ 
tende Kritik“ (cf. Referat in der Apothefcer-Ztg., Nr. 85), 
die ich ihm habe zu teil werden lassen, — ich will sofort 
den Beweis erbringen, daß die Firma Pearson & Co. mit 
einem zweiten Präparat das Vertrauen der Aerzle und Apo¬ 
theker schon seit langem mißbraucht und, auf die leider 
notorische Indolenz und die Unmöglichkeit eingehender 
Kritik seitens des beschäftigten Praktikers reflektierend, eine- 
falsch deklarierte Spezialität, die noch dazu höchst über¬ 
flüssigist, in den Handel bringt. Ich meine das Jodvasogen. 
Die Firma ist vor Jahren gewarnt, worden — nicht von 
medizinischer, sondern von pharmazeutischer Seite. Be¬ 
reits im Jahre 1905 ist ihr in der Apoth.-Ztg. 51 und 59 und 
in diesem Jahre in der Pharm. Ztg. Nr. 52 etc. die Unrichtig¬ 
keit ihrer Angaben über Jodvasogen nachgewiesen worden. 
Aber das hat sie nicht weiter geniert. Es ist traurig, daß es 
Pearson & Co. möglich war, die Aufdeckung Ad. Korn- 
d ö r f e r s , F. Z e r n i k s u. a. stillschweigend zu übergehen; 
es ist sehr bedauerlich, daß die damals angeregte Frage nicht 
in weiteren Kreisen bearbeitet und erledigt wurde, am b e - 
sc h ä mendsten aber i s t es , daß die Fir ma un- 
e n t w e g t ihre falschen Angaben weiter b e i - 
behielt noch dazu, wie es scheint, unbe¬ 
schadet ihrem Ansehen ! Man muß sich bloß fragen, 
wo da das kaufmännische Ehrgefühl bleibt, wenn man 
schon vom moralischen absieht! Was soll man von einer 
Firma denken, die auf den mehrfach mit vollem Rechte 
erhobenen Vorwurf falscher Deklarierung überhaupt nicht 


I from 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU 


Nr. 4(5 


682 


reagiert, die auf einen mit demselben Rechte gegen Lactagol 
gerichteten Angriff mit einem Bestechungsversuch ant¬ 
worte! ! Wirkt das Gebahren einer solchen Firma, die noch 
dazu eine führende Rolle zu spielen scheint, nicht geradezu 
depravierend auf die chemisch-pharmazeutische Industrie? 

Wer eine Originalpackung 6%iges Jodvasogen in die 
Hand nimmt, findet auf dem Etikett die folgende Zusammen¬ 
setzung angegeben: 

Vasogeni 94 °/ 0 
Jodi 6 °/ 0 

Jeder normale Mensch wird nun annehmen, daß im 
Jodvasogen 6% Jodum (resublün.) enthalten sei, aber die 
Präparate der Firma Pearson & Co. darf man nicht 
mit gewöhnlichem Verstände ansehen, das vertragen ßic 
nicht! Nach Korndörfers, Zer n'ik s u. a. Unter¬ 
suchungen. die zum Ueberfluß durch weitere demnächst er¬ 
scheinende Analysen bestätigt werden, enthält Jodva¬ 
sogen keineSpurfreiesJod, sondern f a s t a 11 e s 
J o d a n A m m o n i u m gehn n d e n (bis auf 0,18 °/ 0 , das an 
Fettsäuren gebunden ist). Der Nachweis ist sehr leicht zu 
führen: weder erzeugt Jodvasogen auf der Haut echte Jod¬ 
flecke, noch gibt es die Stärkereaktion. Und trotzdem 
schreibt Pearson unentwegt auf seine Eti¬ 
ketten: Jodi 6 °/ 0 ! 

Die gen. Autoren haben dann weiterhin den positiven 
Nachweis erbracht, daß das Jod als Jodammonium im Jodva¬ 
sogen enthalten ist. Es erübrigt sich, an dieser Stelle auf die 
chemischen Methoden des Nachweises einzugehen: es ge¬ 
nügt, zu sagen, daß sie einwandfrei sind und einwandfreie 
übereinstimmende Resultate lieferten. Und trotzdem 
schreibt Pearson & Co. unentwegt auf die Eti¬ 
ketten: Jodi 6 0 0 ! Vielleicht wird Pearson sagen, das 
Jodvasogen werde in der Tat aus 94°/ 0 Vasogen und 6°/o 
Jod hergestellt und wird mit Hilfe dieses Kniffs sich aus 
der Affäre zu ziehen versuchen. Ich kann mir zwar denken, 
daß er sich auch gegen diesen Angriff nicht verteidigen wird, 
aber möglich ist der Einwand eventl. auch von anderer Seite. 
Daher will ich gleich jetzt bemerken, daß es natürlich gleich¬ 
gültig ist, welche Ingredienzien Pearson zu seinem Jodva¬ 
sogen verwendet falsch deklariert bleibt das Präparat 
trotz alledem, weil es eben nicht freies Jod, sondern fast, 
ausschließlich Jodammonium enthält. Es ist nun mal nicht 
zu ändern: P. läßt sich auch beim Jodvasogen 
Dinge zu schulden kommen, die ihn ebenso 
sehr i e sein beruh m t es Lactagol b 1 o ß s t e 11 e n 
und aufs äußerste diskreditieren. 

Ist man unter diesen Umständen noch geneigt, der 
Firma Pearson & Co. irgend etwas zu glauben? Wer 
möchte auf die Wahrheit der Behauptung schwören, die im 
Prospekt, zu lesen ist : ,,Die Vasagene sind oxygenierte und 
mit Sauerstoff trägem angereicherte Kohlenwasserstoffe (Va¬ 
seline)“? Ich würde es nicht riskieren, zumal diese oxy- 
genierten Kohlenwasserstoffe „durch. Behandeln von Va¬ 
selinöl mit flüssigem Sauerstoff erhalten werden“ sollen. 
Ich vermute, daß sich die Firma Pearson & Co. die 
Herstellung wesentlich erleichtert.. Wer wird sich denn 
so abplagen, mit flüssigem Sauerstoff noch dazu! Herr 
Estermannweiß doch, wie leicht er sich damit die Finger 
verbrennen kann ! Es ist ja viel einfacher und harmloser, 
freilich weniger imponierend als flüssiger Sauerstoff, wenn 
inan Vaselinöl, Spiritus, Salmiakgeist und 
Oe 1 säure mischt. Man erhält bekanntlich auf diese 
Weise das Vasoliment Roch - Bedall der Apotheker, 
das eine ganz verzweifelte brüderliche Aehnlichkeit 
mit dem „oxygenierten“ Vasogen zeigt. Prof. Kobert 
glaubt auch nicht an das ,,Vaselinum oxy- 
genatum,“ denn auf Seite 132 seiner Pharmakothera¬ 
pie stehl zu lesen: ,,Durch Zusatz wohl von etwas ölsaurem 
Ammoniak zu Paraffinöl entsteht das Vasogen, welches 
sich dem Vaselinöl ähnlich verhält. Dem Prospekt nach 
soll es oxygeniertes Vaselin sein.“ 


In Arnolds bekanntem ,,Repetitorium der Chemie“ 
ist Vasogen als ein Gemenge von Paraffinöl (-Vaselinöl) 
mit Ammoniumoleat“ gekennzeichnet. 

Also auch über das Vasogen seihst finden wir höchst 
unklare und unglaubwürdige Angaben der Firma. Was 
sagen Sie dazu, Herr P h i 1 i p s o h n und E s t e r m a n n ? 

Aha, richtig 1 Notlügen Fabrikgeheimnis! Da haben 
wir die Bescherung. Das Fabrikgeheimnis als Mantel des 
stolzen Spaniers! Was braucht jeder Neugierige zu wissen, 
was drunter steckt! Was geht es Arzt, Apotheker, Publikum 
an, wofür Pearson IM. pro 30g sich bezahlen läßt! 
Das Fabrikgeheimnis ist allein schon nahezu 1 AI. pro 
Flasche oder bei 40°/ 0 Apotheker-Rabatt nahezu COPfg. 
wert! 

So wollen wir denn doch nicht rechnen! Sie dürfen 
uns ruhig verraten, ob und wie Sie Ihr Vaselinöl „mit 
Sauerstoff imprägnieren“. Die Lüftung dieses Fabrikgeheim- 
nisses dürfte Ihnen keinen Abbruch tun. Wir wissen so 
wie so schon, daß) das Vasoliment der Apotheken, her- 
gestellt aus Paraffinöl, Spiritus, Ammoniak und Oelsäure, 
verblüffende Aehnlichkeit mit Ihrem Vasogen hat, und 
es besteht, auch nicht der Schatten eines Grundes, weshalb 
die Aerzte Ihr Vasogen anwenden sollen anstatt das Vasoli- 
ments. Der Spezialität und Ihrem Geldbeutel zu Liebe doch 
sicher nicht. Leider ist die Tatsache noch nicht genügen! be¬ 
kannt mögen diese Zeilen dazu beitragen, die Kenntnis zu 
verbreiten — daß V a s o g e n u n d s p e z i e 1J o d v a s o gen 
z u d e n d u r c h a us e n t b e h r 1 i c h e n S p e z i a 1 i t. ä t. e n 
gehört , gegen die seit längerer Zeit schon mit Recht von 
Seiten der Aerzte und besonders der Apotheker polemi¬ 
siert wird. AL E. ist es eine Mißachtung des 
A e r z t e - u n d A p o I h e k e r s t a u d e s , w e n n Spe¬ 
zi a 1 i t ü t e n a u f d e n Al a r k t ge b r a c h 1 w e r <1 e n , 
die in jeder A p o t h e ke a u f R e z e p t hin her ge¬ 
stellt w e r cl (Mi k ö n n e n ; es ist das einer „kleinen“ 
Firma nicht zu verzeihen, eine große Firma wie Pearson 
& Co. aber verdient dafür gehängt zu werden! 

Alan darf dazu nicht außer acht lassen, daß in dem 
Jod vasoliment Jod. resubl. wirklich enthalten isl, während 
im Jodvasogen trotz der Angabe des Fabrikanten kein freies 
Jod aufzufinden ist! 

Würde man also vergleichende Versuche über die thera¬ 
peutische Wirksamkeit beider Präparate anstellen, so würde 
wohl auch in dieser Beziehung das Jodasogen gegenüber dem 
Jodvasoliment den Kürzeren ziehen — eine Ueberlegung, 
die durch die brieflichen Mitteilungen eines unserer bedeu¬ 
tendsten Universitätsprofessoren verifiziert wird: 

Die Firma Pearson & Co. beschert uns 
also im Jodvasogen eine falsch deklarierte 
und v ö 11 i g überflüssige Spezialität. Ich 
will noch bemerken, daß sie den Apotheker insofern 
benachteiligt, als er an der Spezialität 40 Pf., an dem nach 
Rezept hergestellten Jodvasoliment aber etwa das Doppelte 
verdient. 

Ich resümiere: Lactagol isl wertlos und sein Ver¬ 
trieb mehr wie anfechtbar. Jodvasogen ist falsch desig¬ 
niert und als Spezialität unberechtigt. Weitere pharma¬ 
zeutische Präparate — außer einer „Wasserstoffsuperoxyd“- 
—• Zahnpaste mit dem klassischen Namen „Allnn“ bietet 
die Firma den Aerzten nichts. 

Ich frage: soll man einer solchen Firma Vertrauen 
schenken? Soll man eine solche Firma durch Verordnung 
der gekennzeichneten Präparate unterstützen was sage 
ich unterstützen! — ihr die Kasse füllen ? 

Sollen wir es noch weiter mit ansehen, daß sich eine 
Firma und sei sie finanziell noch so gut fundiert — 
erdreistet, uns Aerzte wie die Apotheker zu Narren zu 
halten, sich erdreistet, die ehrliche Wissenschaft und die 
kaufmännische Noblesse zu knebeln? 

Jeder einzelne Kollege mag sich die Frage vorlegen und 
beantworten. Ich weiß, daß die Antwort im gleichen Sinne 








1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


683 


lauten wird wie die meinige, diktier! von einer flammenden 
Entrüstung und grollender Bitterkeit über die in meinen 
beiden Artikeln beleuchteten Geschäftsprinzipiell einer 
Firma, die noch dazu die Kühnheit hat, sich zu den ersten 
zu rechnen. Von der ehrlichen chemischen Industrie aber 
erwarte ich, daß sie ihre Maßnahmen trifft, um sich nicht 
durch Gleichgültigkeit gegenüber den g'egeiselten Aus¬ 
wüchsen zu kompromittieren. 


REFERATE. 

Die Asepsis in der Gynäkologie. 

Sammelreferat 

von Di. Olfried O. Fellner, Wien. 

Die Händedesinfektionsmetkode mit der Alkohol-Aether-Sal¬ 
pe t e r s ä ur emi schun g natfh Schum bürg ist zwar eine sehr ein¬ 
fache, schnelle und schonende, es bleibt jedoch nach Groß- 
mann der Desiufektionseffekt weit hinter anderen Methoden 
zurück. Der Keimgehalt der Hände ist ein sehr großer. Die 
Fürbringer sehe Methode liefert nach gründlichster Ent¬ 
fernung des Seifenspiritus vor der Sublimatwaschung gute Re¬ 
sultate. Die Keimverminderung beträgt über 99%. Allein der 
Zeitverbrauch, über 20 Minuten, ist ein großer. 

Das Verfahren mit Sublimatalkohol nach Engels gibt sehr 
günstige Resultate, 98—99% Keimverminderung, Jodbenzin 97 
bis 99% Keimverminderung, einmal sogar absolute Sterilität der 
Hände. Sublaminalkohol reizt aber die Hände sehr stark. Bei 
Verwendung der letzten Methode treten aber keine Reizerschei¬ 
nungen auf, auch fällt der Zeitverbrauch weg. Doch ist das Ben¬ 
zin feuergefährlich. 

Bei der üblichen Desinfektionsmethode ist nach L. Heus- 
n e r nicht dem Sublimat, sondern dem Alkohol die stärkste des- 
infektorische Kraft zuzuschreiben. In eiligen Fällen reicht eine 
5 Minuten lang dauernde Waschung mit 90 proz. Spiritus aus. 
von Mikulicz empfahl den Seifenspiritus. Absoluter Al¬ 
kohol hat keine desinfizierende Kraft. Sehr stark bakterizid wir¬ 
ken die Dämpfe von siedendem 5 proz. Spiritus. Wahrscheinlich 
ist die Trocknung und Härtung der Haut das wichtigste. Ben¬ 
zin ist ein gutes Desinfektionsmittel, doch ergiebt sich, daß bei 
der Kleiderreinigung mit Benzin Baeterium coli und Diphtherie¬ 
bazillen, ebenso Milzbrandkeime nicht absterben. Der Zusatz von 
Jod erhöht den bakteriziden Wert, und so kann man mit Jod¬ 
benzin eine Keimfreiheit von annähernd 80% erreichen. Aber die 
Reizung der Haut ist eine sehr starke. Ein Zusatz von 20 bis 
25% Paraffin wirkt mildernd, doch darf man nicht abwechselnd 
Quecksilbersalze anwenden, weil dieselben tagelang an der Haut 
haften bleiben und beim Zusammentreffen mit Jod das heftig 
reizende Quecksilberjodid bilden. Empfehlenswert ist es auch, 
die Patientin nicht auf dem Tisch zu operieren, wo sie vorberei¬ 
tet wurde, weil das Jodbenzin nach dem Rücken der Patientin 
herunterläuft, und hier, da es nicht verdunsten kann, ähn¬ 
liche Reizerseheiiningen wie ein Zugpflaster veranlaßt. Vor¬ 
herige Wasserwasclmng ist unzweckmäßig, ebenso der Gebrauch 
von Bürsten und Nagelkratzern. Die Schlußabspülurig wird nicht 
mit Jodbenzin, sondern mit 96 proz. Alkohol besorgt. Seide wie 
Rohkatgut gibt man 48 Stunden in absoluten Alkohol, hierauf 
14 Tage in eine Lösung von 1 Teil Jod in 100 Teile Benzin und 
schließlich in 2 proz. Jodparaffin. 

Fies s ler und Iwase versuchten zunächst, die Hand¬ 
schuhe, um das Verkleben zu verhindern, innen und außen mit 
Talk einzupudern und legten sie dann 30 Minuten in den Dampf- 
ßterilisationsapparat. So werden zwar die Keime getötet, nicht 
aber die Sporen mit voller Sicherheit. Die Methode hat den 
Nachteil, daß während der Operation bei Verletzung der Hand¬ 
schuhe sich eine kleine Wolke von Talk auf das Operationsfeld 
niedersenkt. Sie stellten daher ein Aufschwemmung von Talk 
in Wasser und Alkohol her und bespülten die Handschuhe innen 
und außen mit dieser Flüssigkeit. Dann wurden sie gut entleert, 
und darauf horizontal in den Dampf topf gebracht. Nach dem 
Herausnelimen zeigte es sieh, daß die mit der Alkoholaufschwem¬ 
mung behandelten Handschuhe überall einen gleichmäßig dün¬ 
nen Belag von Talk hatten. Nirgends ist da eine Verklebung 
vorhanden. Die ausgeführte bakteriologische Untersuchung er¬ 
gab vollkommene Sterilität. 


Nach V eit ist die beste Methode der Handschuhdesinfek¬ 
tion das Auskochen durch 5 Minuten. Ferner kann man sie steril 
in Glyzerin mit sich führen. Um noch mehr Zeit zu ersparen, 
schlägt Veit vor, die Handschuhe auf eine Minute in 8 proz. 
Formaldehyd einzulegen. Sie sind dann absolut steril. Nach 
dem Ausziehen müssen sie natürlich in Sublimatlösung abge¬ 
spült werden. 

Auch das Gaudanin ist nach Hannes kein Schutz gegen 
Hautinfektion. Alles, was mit dem zu operierenden Kranken 
in Berührung kommt, wird in strömendem Dampf keimfrei ge¬ 
macht. Einen Tag vor der Operation erhält die Patientin zwei 
Bäder, dann einen Umschlag mit 2 proz. Formalin. Vor der Ope¬ 
ration wird sie durch einen gummibehandschuhten Arzt gereinigt, 
und zwar mit warmem Lysol, Wasser, Bürste und Ammoniaksoda- 
seife. Die Bauchhaut wird dann mit Aether und Alkohol ge¬ 
trocknet, darauf kommt Jodtinktur, dann Gaudanin und schlie߬ 
lich Talk. Für den Arzt gilt vollständige Abstinenz und Be¬ 
nutzung von Gummihandschuhen. Unter diesen muß die Hand 
mit heißem Wasser, Seife, Bürste, Alkohol und Lysol gereinigt 
werden. Auf den Kopf kommt eine Mütze, vor den Mund und 
über den Bart eine Binde. Man benutze sterile Mäntel mit lan¬ 
gen Aermeln und schließe Manschette und Handschuhe mit einem 
sterilen Gummiring ab. Die behandschuhte Hand wird mit 2 proz. 
Lysol abgespült (das macht die Hand allzu schlüpfrig). Die ste¬ 
rilisierten Instrumente werden in 3 proz. Karbol auf bewahrt. Als 
Beweis für die Tauglichkeit der Methode führt H. an, daß er 25 
Kaiserschnitte ohne Infektion ausgeführt hat. 

W ithaue r verwendet eine 12 proz. spirituöse Lösung von 
Jotliion zur Desinfektion der Bauehdecken und der äußeren Ge¬ 
nitalien. Nach Abseifung, Benützung von Alkohol und Subli¬ 
mat wird mit steriler Watte abgetrocknet. Hierauf wird mittels- 
Wattebäusebchen Jotilion aufgetragen. Dieses reizt die Haut 
nicht. 

K. Franz empfiehlt Licht als Desintizienz. Wenn dieses 
eine desinfektorisclie Wirkung auf Bakterien im Gewebe erzie¬ 
len soll, so muß ein Licht verwendet werden, das viele kurzwellige 
Strahlen, insbesondere die ultravioletten, enthält. Die Uviol- 
lampe scheint dazu geeignet. F. stellte Versuche an Kaninchen 
an. Ausnahmslos blieben bei tötliehen Dosen von Streptokokken¬ 
kulturen, die einzelnen Tieren in genauester Abmessung beige¬ 
bracht wurden, die bestrahlten Tiere länger am Leben als die- 
nicht bestrahlten. Die Bestrahlungsdauer soll 15 bis 20 Minu¬ 
ten währen. Unter diesen Bedingungen schädigt die Uviollampe 
die Bakterien im Gewebe. 

Literatur. 

1. A. Fiessler und Y. J wase: Zur Sterilisation und 
Verwendung der Gummihandschuhe. Münch, med. V ochenschr., 

1908, Nr. 33. 

2. M. Großmann: Versuche über Händedesinfektion 
unter besonderer Berücksichtigung der von Heusner empfoh¬ 
lenen Jodbenzinmethode. Münch, med. Wochenschr., 1907, Nr, 43. 

3 . W. Hannes: Die moderne Asepsis bei der gynäkologi¬ 
schen Laparotomie. Heilkunde, November 1907. 

4. L. II e usner: L T eber einige neue Desinfektionsmethoden. 
Zentralblatt für Gyn., 1908, Nr. 38. 

5. Veit: Ilandscliuhdesinfektion. Verein der Aerzte, Halle, 
März 1908. 

6 . K. Withauer: Jotliion als Haut desintizienz bei Ope¬ 
rationen. Zentralblatt für Gyn., 190S, Nr. 31. 

7. K. Franz: Licht als Desintizienz. Zentralblatt für Gyn.. 

1908, Heft 1. 


Dermatologie und Sypliilidologie. 

Referent: Spezialarzt Dr. Jul. Baum. Berlin. 

1 . Bericht der Gesellschaft zur Bekämpfung der Lepra in 

Kurland. J. Sadikoff. Petersburger med. Wochenschrift, 

1908, Nr. 37. 

2. Weitere Ergebnisse der Quecksilberschnupfungskur. Carl 
Cronquist. Archiv f. Dermatol., Bd. 91, S. 287. 

3. Jodglidin in der Luestberapie. Von Theodor Mayer. 
Ther. Monatshefte, Oktober 1907. 

4. Ueber Lungentuberkulose als Todesursache bei Lupus vul¬ 
garis. Von Hugo F orehhanime r. Areh. f. Dermatologie, 
Bd. 92. 




6H4 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 4*5 


5 . Ein Beitrag zur Behandlung der liigiiinaibuboiien. Von 

Fr. J ensseii. Arch. f. Dermatologie. Bd. 92. 

6. Hygiene de la peau et de ehevelure. Von LucienJac- ; 
q u e t. Annales d’hygiene publique, September 1908. 

7. Ein Beitrag zur Kenntnis der Mikroorganismen der Kopf- , 
haut. Von T i e c h e. Arch. f. Dermatologie. Bd. 92. 

1. Aehnlieli wie in Livland und Esthland besteht auch in 
Kurland ein Lepraverein, der im wesentlichen aus fast samt- i 
liehen Aerzten Kurlands besteht und den Zweck hat, die Le- ; 
prösen zu isolieren, um eine Weiterverbreitung dieser schreck- j 
liehen Krankheit zu verhindern und so mit der Zeit ein Ver¬ 
schwinden der Krankheit zu erreichen. Was die Behandlung 
betrifft, so ist mit den sog. spezifischen Mitteln wie Gurjun- [ 
balsam. Thyrecidin, Ol. Gynocardii nichts erreicht worden. Am 
meisten scheint eine antiseptische, roborierende und dabei die 
bestehenden Symptome bekämpfende Behandlungsmethode zu j 
leisten. Zwei in solcher Weise behandelte Fälle sind bisher von 
130 geheilt entlassen worden. 

2. Zu den alten und seit langer Zeit geübten Methoden der 
Hg-Einverleibung bei Lues in Form der Einreibung, Injektion, 
Darreichung per os sind neuerdings wieder verschiedene neue 
Methoden hinzugekommen, wie z. B. Einverleibung per va-ginam, 
Inhalation durch Maske, die mit Hg imprägniert wird etc. 

€ r onquist hat eine große Reihe von Füllen in der Weise 
behandelt, daß er ein Quecksilberpräparat, früher Hg-Kreide, 
jetzt ein Pulver ..Rhinomercan“, das 40% metallisches Hg ent¬ 
hält. schnupfen läßt. 4—5 mal täglich muß der Patient dies 
Pulver schnupfen; es reizt fast gar nicht die Nase. Mit dem 
Erfolg ist Cronquist zufrieden. 

3 . Wenn wir Jodkali in größeren Mengen zu geben gezwun¬ 
gen sind, so sind gewisse unangenehme Nebenwirkungen von 
seiten der Haut und der Schleimhäute unvermeidlich. Die Phar- 
makochemie hat daher immer wieder Mittel auf den Markt ge¬ 
bracht, die bei genügend starker Wirkung diese unliebsamen 
Nebenerscheinungen möglichst vermeiden. Zu diesen gehört das 
Jödglidin, eine Jodei weiß Verbindung. Es ist dies ein dunkel- 
gelbes. geruchloses und nicht unangenehm schmeckendes Pulver. 
Dargereicht wird es am besten in Tabletten ä 0,5 (entsprechend 
0,05 Jod), 3—6 Tabletten täglich. Die Jodwirkung tritt prompt 
.e‘.n. und das Mittel wird gern genommen. 

b Lange bevor man die tuberkulöse Natur des Lupus kannte, 
wußte man, daß Lunuskrauke häufig an Tuberkulose sterben. 
Erst die neueren Untersuchungen haben ergeben, daß Lupus in 
bedeutend höherem Grade als alle anderen Formen von peripherer 
Tuberkulose zu einer allgemeinen Infektion disponiert. Um¬ 
gekehrt ist es jedoch sehr selten, daß ein Patient mit Lungen¬ 
tuberkulose nachträglich Lupus akquiriert; in diesem Fall ist er 
gewöhnlich gutartig. — Da die Lungentuberkulose häufig im 
frühen Stadium des Lupus auf tritt, ist stets der Allgemeinzustand 
des Patienten genau zu kontrollieren. Im übrigen schließt 
F o r c h h a m m e r seine Arbeit damit, daß der Lupus trotz un¬ 
serer großen Fortschritte in der Therapie, besonders mit Rück¬ 
sicht auf seine Komplikation mit Lungentuberlailose, die ernst¬ 
hafteste aller peripheren Tuberkulosen ist. 

5. J e n s s e n beschreibt die an dem von A r n i n g geleiteten 
allgemeinen Krankenhaus Hamburg geübte Methode der Bubo- 
behandlung. Mit einem spitzen, zweischneidigen Skalpell wird 
ein kleiner 3—4 mm langer Einstich gemacht. Durch leisen 
Druck wird durch diese Oeffnung der Eiter herausbefördert. Dann 
wird die Wundhöhle mittels einer langen abgestumpften Nadel 
mit 5% Karbolwasser ausgespült, bis alle Gewebsfetzen entfernt 
sind. Das Karbolwasser, das anästhesierend wirkt, wird durch 
leichten Druck wieder entfernt und die Wundhöhle mit 10% 
Jodoformglyzerin angefüllt. Die kleine Punktion soff nuDg wird 
dann mit Jodoformgaze und Pflasterverband geschlossen. In 
manchen Fällen sind 2—o Punktionsöffnungen anzulegen. Am 
Abend des Operationstages tritt häufig Temperatursteigerung 
auf. die am nächsten Tag wieder verschwindet. Gewöhnlich ist. 
ein Verbandwechsel am 2. Tag nach der Punktion nötig und 
von nun an wird der Verband täglich gewechselt ; der Inhalt 
der Wundhöhle herausgedrückt, bis sich nur noch seröse Flüssig¬ 
keit entleert. Reste des Jodoformglyzerins sind mitunter noch 
am 6. Tag beigemengt. Mit dieser Methode gelang es von 195 
Bubonen 12S in durchschnittlich 12 Tagen zu heilen. In man¬ 
chen Fällen läßt die Methode im Stich und es sind radikalere 
Eingriffe nötig. 

6. J a c q u e t bespricht in seiner sehr interessanten und 
geistreichen Arbeit die Ursachen des frühzeitigen Haarausfalls. 
Er ist ein entschiedener Gegner der Anschauung, daß derselbe 


durch Bakterien der Kopfhaut bedingt ist. Diese Bakterien sind 
nur Parasiten der Kopfhaut, ohne ätiologische Bedeutung. Der 
Haarausfall ist bedingt durch die starken formativen Reize, 
denen die Kopfhaut durch übermäßige Kongestionen nach dem 
Kopf ausgesetzt ist. Sie tritt vorzugsweise bei geistigen Ar¬ 
beitern auf und ist eine Begleiterscheinung der fortschreitenden 
Zivilisation; sie findet sich fast nie bei Naturvölkern. Durch 
nervöse Einflüsse, die von den (Jehirnzentren ausgehen, kommt es 
zunächst zu einem gesteigerten Haarwachstum, und nach und 
nach durch die Hyperfunktion der Kopfhaut zu einer Erschöpfung 
derselben. In mehreren Fällen konnte der Autor eine degenera- 
tive Neuritis der Kopfhaut feststellen. In sehr vielen Fällen 
besteht Hyperästhesie, und Pruritus der Kopfhaut infolge dieser 
nervösen Veränderungen. Begleiterscheinung der zuerst auf¬ 
tretenden übermäßigen Erregung'der Kopfhaut ist die stärkere 
Funktion der Kopfhaut in Form der Schuppenbildung und der 
Drüsenabsonderung, bis es nach dem bekannten Gesetz der Er¬ 
regung schließlich zur Funktionsstörung und Atrophie der Kopf¬ 
haut und ihrer Drüsen kommt. Eine zweckmäßige Behandlung 
des Haarausfalls muß also vor allem für eine Dekongestionierung 
der Kopfhaut- sorgou. J a c q u e t empfiehlt ganz besonders 
morgendliche kalte Waschungen des Körpers und Massage der 
Kopfhaut. Die antiparasitäre Therapie bekämpft nicht die 
Grundursachen. 

7. Auch T i e c h e kommt auf Grund mikroskopisch bakte¬ 
riologischer Untersuchungen zu dem Ergebnis, daß die von S a - 
bourau d und anderen als Ursache des Haarausfalls ange- 
schuldigteli Bakterien wahrscheinlich keine ätiologische Rolle 
spielen, sondern harmlose Bewohner der Kopfhaut, Nosoparasiten, 
sind; er schließt sich in dieser Hinsicht der Auffassung von 
J acquet an. 


Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiteii. 

Referent; Spezialarzt Dr. M. Hall©. Charlottenburg. 

1. Die Anwendung der Lokalanästhesie bei der Operation 
adenoider Vegetationen. Von Dr. Fritz Hutter. Wiener 
med. Wochenschr,, 1908. Nr. 41. 

2. Zur operativen Behandlung der Nasenscheidewanddefor¬ 
mitäten. Von Prof. Dr. Kretschmarin. Münch, med. 
Wochenschr., 1908, Nr. 4L 

3. Die submuköse Septumoperation. Von Dr. Halle. 
Zeitschr. f. Laryngologie. Chinologie und ihre Grenzgebiete, 
1908, Autoreferat. 

4. Von dem Luftröhren-Scliildknorpelschnitt, bei Kehlkopf¬ 
krebs. Von Prof. E. J. M o u r e. Archiv f. Laryngologie, 1908, 
Bd. 21, Heft 2. 

5. Zur Weiterentwicklung der Lehre von der Ozaena. Von 

Dr. Maximilian Steiner. Ibidem. 

1. Für die Operation der adenoiden Vegetationen beschreibt 
Hutter eine neue Methode der lokalen Anästhesie, oder rich¬ 
tiger, er zeigt, wie man die sonst gebrauchte Injektionsmethode 
behufs lokaler Anästhesie auch hier anwenden kann. Er in¬ 
jiziert mittels langer Kanüle 25 ccm einer 5 proz. /1-Eucain- 
lösung mit 5 Tropfen Adrenalinzusatz in den Tumor dicht 
an seiner Basis und hat dann in einer Reihe von Fällen 
schmerzlos operieren können. 

Es ist durchaus möglich, daß dies Verfahren bei ängst¬ 
lichen Erwachsenen oder einer Anzahl von Kindern zum guten 
Ziele führt. Im allgemeinen aber ist zu berücksichtigen, daß 
der Eingriff seihst, wenn nicht brüsk vorgegangen wird, von 
vielen Kindern als gar nicht sehr schmerzhaft angegeben wird. 
Nur der starke (oft zu starke?) Druck wird als unangenehm 
bezeichnet. Bei vielen Erwachsenen und verständigen Kindern 
läßt sich nach vorherigem Hinweis auf kommende geringe 
Unannehmlichkeiten und freundlichem Zureden die Operation 
ohne nennenswerten Widerstand ausführen; lokale Pinselungen 
durch die Nase mit 10°/o Novocain leisteten nur gute Dienste. 
Anders bei sehr ängstlichen Erwachsenen und Kindern, die 
ohne Sträuben und Schreien nicht einmal die vorsichtigste 
und schmerzloseste Untersuchung zulassen. Bei diesen verzich¬ 
tet Hutter ja auch selbst auf sein Verfahren, das das wich¬ 
tigste Moment, den Chok, nicht ausschließen kann. Und dieses 
fordert, wie ich gelegentlich näher zu begründen gedenke, ge¬ 
bieterisch eine leichte, etwa Bromäthernarkose, welche sicher 
: den Patienten nicht annähernd so angreift, wie der für viele un- 




mm 







1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


685 


vergeßliche C'hok, unter dem Arzt und Patient oft noch viele 
Jahre zu leiden haben. Gefahren, die nicht vermeidbar wären, 
kommen hei richtiger Ausführung kaum oder doch fast nie¬ 
mals vor. 

W io sehr daher jede Fortbildung der lokalen Anästhesie 
zu begrüßen ist, hier scheint sic uns nur bei großer Aus¬ 
wahl der Fälle anwendbar. 

2. Die \\ ahl der zweckmäßigsten Methoden für die Behand¬ 
lung der Deformitäten der Nasenscheidewand beschäftigt seit 
Jahren die Rhinologen. Nachdem allmählich anerkannt ist, 
daß die Durchgängigkeit der Nase für freie Respiration für 
den ganzen Organismus von allergrößter Bedeutung sein muß. 
suchten die Autoren eifriger weiter nach Wegen, welche er¬ 
lauben, unter Schonung der für die Respiration wichtigen 
Septumschleimhaut die oft exzessiven Deformitäten des Sep¬ 
tums zu beseitigen, welche oft zu schweren Respirations- 
störungen führen, oft sich erst indirekt bemerkbar machen 
durch Kopfschmerz, Asthma, Reize auf das Auge, das Ohr. 
Larynx, Bronchien und dergl. 

Kretschmann glaubt für schwere Fälle den von 
R o u g c angegebenen, von Lossen, Lö w e , Winkler 
und anderen beschrittenen Weg empfehlen zu sollen, 
der von der Umschlagsfalte der Oberlippe, aus zwischen 
den beiden Eckzähnen den unteren Rand der Apertura 
pyrifonnis freilegt und erlaubt, von hier aus auf das 
Septum überzugehen. Er glaubt, daß in schweren Fällen 
nur dieser Weg einen guten und breiten Ueberbiiek gewähr¬ 
leiste, und daß eine Reihe von hochgradigen Deformitäten nur 
auf diesem Wege genügend sicher beseitigt werden könnten. Er 


selbst erwähnt eine Reihe, schwerer Bedenken, die gegen sein 
Verfahren erhoben werden können, als da sind: Allgemein- 
narkose mittels K u h n scher Methode, große* Wunde nach dem 
Munde zu und dadurch größere. Infektionsmöglichkeit: starke 
Reaktion der Weichteile, insonderheit starke Schwellung der 
Oberlippe, Blutungen und dergl. Er glaubt aber, daß diese 
Nachteile zum Teil auch der nasalen Methode anhaften, daß 
diese ebenfalls meist eine Narkose verlange und auf mancher¬ 
lei "\ orteile der oralen Methode verzichten müsse. 

3. Halle hat in einer etwa gleichzeitigen Arbeit sich be¬ 
sonders warm für die submuköse nasale Methode ausgesprochen, 
die von Krieg, B ö n n i g h a u s, Menzel, K i 11 i a n. 
Freer u. a. propagirt worden ist. Die von vielen betonten 
Schwierigkeiten, durch die enge Nasenöffnung bezw. einen 
kleinen durch die Schleimhaut operiren zu müssen, glaubt er in 
allen Fällen durch zweckmäßige Schnittführung beseitigen zu 
können. Diese Schnittführung ist dieselbe für alle Varianten 
der Deformität, und in einer recht großen Zahl von sehr schweren 
und komplizierten Fällen genügte sie vollständig zur Erreichung 
idealer Resultate. Auch Subluxationen des Septum cartilagi- 
neum lassen sich vom seihen Schnitt her beseitigen. Immer 
muß die Schleimhaut erhalten werden, immer ein tragendes 
Knorpelgerüst für den Nasenrücken zur Erhaltung* der Form. 
Zweckmäßig war es in allen Fällen bei großen Resektionen 
des Septums, größere Stücke des Knorpels oder Knochens nach 
Verschmälerung und Gradestellung wieder in die Schleimhaut - 
lasche zu implantieren, um ein Flattern der losen Membranen 
zu verhüten und eine schnelle Konsolidierung des Septums zu 
•erzielen. 

Narkose war nur durch übergroße Aengstlichkeit der 
Patienten bedingt, unter 500 Fällen nur dreimal. Auch Kinder 
von 10 Jahren ließen die Operation ohne* Schwierigkeit für 
hinreichend Geübte ausführen. Die Zeit der Operationsdauer 
schwankt zwischen 7 und 20 bis höchstens 30 Minuten; die 
Operation ist absolut schmerzlos durchführbar. 

Aus allen diesen Gründen kanu Referent, auch wenn er 
zum Teil in eigener Sache das Wort führt, die Berechtigung 
der oralen Methode nicht anerkennen. Wenigstens müßte sie 
für ganz verschwindend seltene Fälle Vorbehalten bleiben, die 
von der Nase aus nicht operabel sind. Solche hat Referent 
bisher nicht gesehen, auch scheinen sie ihm nach seinen Erfah¬ 
rungen kaum denkbar. Alle von Kretschmann erwähnten 
Schwierigkeiten lassen sich unschwer von der Nase aus bewäl¬ 
tigen. Dagegen soll gern anerkannt werden, daß der orale 
V'eg für manche Formen von Tumoren, hauptsächlich wohl 
maligner Natur, sehr gangbar erscheint. 

4. Entgegengesetzt der Ansicht hervorragender Chirurgen, 
welche bei Larynxkarziuom im allgemeinen die halbseitige- 
oder totale Exstirpation des Kehlkopfes empfehlen, halten viele 
Lniyngologen, u. a_ B. Frankel und S e m o n , eine Exstir¬ 



pation des Tumors nach Thyreotomie bis weit ins Gesunde hin¬ 
ein für in vielen Fällen ausreichend. Moure, der sich um 
die Indikationsstellung und Technik der Thyreotomie sehr ver 
dient gemacht hat, hält ebenfalls das konservierende Verfahren 
für viele, zumal für Anfangsfälle, für zweckmäßig und beschreibt 
das von ihm verwandte Verfahren. 

Während von den meisten Operateuren die Trendelen - 
b u r g sehe oder Hahn sehe Tamponkanüle benutzt wird zur 
Verhinderung der Blutung in die Trachea, hält Moure di« 
von ihnen bedingte Schleimhautreizung für bedenklich und 
prädisponierend für Infektionen. Er vermeidet das Eintreten 
des Blutes in die Luftwege durch Eröffnung der Trachea, 
erst nach exaktester Blutstillung. Dann macht er die. Thyreo¬ 
tomie mittels von ihm beschriebener Scheere. 

Einzelheiten der Technik lassen sich nicht im Referat wieder- 
geben. Moure ist überzeugt davon, daß er manchem Patien¬ 
ten eine schwere, verschlimmernde Operation, wie sie die par¬ 
tielle oder totale Laryngeotomie darstellt, erspart hat. 

5. Die Frage der Ozaena, die noch immer so viele ungelöste 
Rätsel birgt, sucht Steiner klären zu helfen auf Grund von 
34 aufs exakteste untersuchten Fällen. Seine Ergebnisse decken 
sich i*m allgemeinen mit den bisher bekannten. Doch sind Ein¬ 
zelheiten interessant genug, sie zu rekapitulieren und zu wei¬ 
teren Untersuchungen anzuregen. 

Er fand, daß die Ozaena in 2 /s seiner Fälle Individuen 
unter 20 Jahren betraf, etwa ähnlich war das Verhältnis 
zwischen weiblichem und männlichem Geschlecht zu ungunsten 
des weiblichen. In 53°/o der Fälle zeigte das Gesicht kon¬ 
genitale, charakteristische und tiefgreifende Abweichungen von 
dem normalen Gesicht. An der Atrophie ist hauptsächlich 
die untere Muskel beteiligt (außerdem exzessive Breite des 
Nasenlumens ? Ref. >. 

In 12 von 34 Fällen war Tuberkulose, Skrofulöse, Lucs 
beim Patienten oder seinen nächsten Angehörigen festzustellen. 

Hypertrophische Tonsillen fand Steiner selten. Adenoide 
me (kommen aber öfters vor. Ref.) ln ö Fällen war ein Neben¬ 
höhlenempyem vorhanden. Es kommt also die sogenannte ge¬ 
nuine Form der Ozaena vor, die F r ä n k e 1 sehe und die G rün - 
waldsche, bei der ein Empyem zu Grunde liegt. (Ob dieses 
Empyem in seinen Fällen als ursächlich oder nebenhergehend 
anzusehen ist. darüber äußert sich Verf. nicht. Ref. > 

Endlich glaubt Steiner, daß sich im Anschluß an um¬ 
fassende Nasenoperationen, welche die Nasenhöhle stark er¬ 
weitern, häufig eine Ozaena entwickelt. 

Ls sei unbestritten, daß solche Fälle Vorkommen. Gewöhn¬ 
lich wird es sich dann aber um stark anämische oder dys¬ 
trophische Individuen handeln. In sehr vielen Fällen von 
kombinierten Empyemen der Nebenhöhlen ist man gezwungen, 
sehr umfangreiche Eingriffe in der Nase vorzunehmen, welche 
notgedrungen eine weite Höhle schaffen müssen, auch bei kon¬ 
servativstem Vorgehen, aber kaum jemals schließt, sich an 
solchen Eingriff eine Ozaena. Ja, bei den auf Empyemen ba¬ 
sierenden Fällen von Ozaena wird nach Grünwald die weite 
Nase durch Eröffnung der Nebenhöhlen noch erweitert, und oft 
mit sehr zufriedenstellendem Erfolge. 

Die Weite der Nase ist sonach wohl ein wichtiges Sym¬ 
ptom, vielleicht sogar ein wesentlicher ätiologischer Faktor. 
Doch gehören sicher wichtige andere Momente dazu, um eine 
Ozaena entstehen zu lassen. 


Balneologie. 

Referent: Dr. M. Hirsch. Badearzt in Kudowa. 

Die 17. Jahresversammlung des Allgemeinen Deutschen Bäder- 
Verbandes. 

Der Allgemeine Deutsche Bäderverband tagte unter zahl¬ 
reicher Beteiligung vom 28. September bis 1. Oktober in Bad 
Oeynhausen. 

Herr Oberingenieur Dessa u e r, Aschaffenburg, machte die 
„Physikalischen Grundlagen der Medizin“ zum Gegenstand seines 
Vortrages; in einer faszinierenden Weise hat er einep Ueberbiiek 
über die Auffassung der Medizin gegeben, die jeden gebildeten. 
Menschen interessieren mußte. Wir hören von ihm die gro߬ 
artige Auffassung, die da.s klassische Altertum von dem Wesen 
der Medizin hatte, indem es sich auf den Boden der Natur¬ 
beobachtung stellte; wir hören den Rückfall der Medizin Ln die 


final fmm 

v -n pr hki****"-'* ** 








686 


THEKAPEQTISCHE RUNDSCHAU 


Nr. 46 


starre Finsternis des Mittelalters, jener trüben Zeit der Kultur¬ 
geschichte der Menschheit; wir hören von dem Aufblühen der 
Auffassung von dem Wesen der Medizin in der Renaissance, in 
der Zeit, der beginnenden Freiheit des (leistes; wir hören ferner 
die Fortschritte der Medizin, die wir dem rastLosen Aufschwung 
der Technik zu danken haben, die vielleicht mit der Erfindung die 
Technik Gutenbergs einsetzte; wir hören, wie die Evolution 
der Chemie auf die Medizin einwirkte und die weitere Epoche, 
die Auffassung von der Zusammengehörigkeit von Stoff und 
Energie. Unserem Zeitalter gibt er das Prädikat des Zeitalters 
der Entwicklung des medizinischen Könnens auf den Grundlagen 
physikalischer Erkenntnisse. Was er von der Strahlung, und 
zwar von dem Lichte der Sonne, der Elektrizität, der Röntgen¬ 
bestrahlung und der Radioaktivität gesprochen, war so klar und 
schön, daß ein Referat darüber nicht möglich ist. Solche Gedan¬ 
ken muß man im Original lesen. 

In den Ort der Tagung führt uns der Badekommissar Herr 
Bergassessor Landschütz, Oeynhausen, mit dem Vortrage 
,,Die Kurmittel des Bades Oeynhausen“ ein. Oeynhausen, das 
erste königliche Bad der preußischen Monarchie, wurde im Jahre 
1830 gegründet, als man Bohrversuche zur Aufschließung eines 
Steinsalzlagers machte und an Stelle des erhofften Steinsalzlagers 
eine Heilquelle fand, deren Wert sich immer steigender Anerken¬ 
nung erfreut. Die Quelle ist eine kohlensaure Thermalsole. Im 
Laufe der Zeit wuchs die Zahl der Quellen auf fünf, die jetzt 
5 Badehäuser speisen uud jährlich 18 000 Kranken Hilfe bringen. 
Im Laufe der Zeit wurden die Kurmittel weiter ausgebaut, es 
wurden Inhalatorien, Gradierwerke, Gehbahnen, ein mediko- 
meclianisches Institut und ein Kurpark von riesiger Ausdehnung 
und prachtvoller Schönheit angelegt. 

Im Anschluß an diesen Vortrag-sprach Herr San.-Rat Dr. 
Rohden. Oeynhausen, über die Anwendung der Kurmittel, des 
Bades Oeynhausen“, deren Wert er in einer fast 40 jährigen 
Praxis, die er als Schüler des unvergeßlichen Baineologen 
B raun begonnen, schätzen gelernt hat. Welch wunderbare Er¬ 
folge konnte er bei organischen und funktionellen Nervenkrank¬ 
heiten sehen, bei Erkrankungen der Zirkulationsorgane, der Ge¬ 
lenke und Knochen, bei gewissen Frauenkrankheiten usw. Wie 
viele Kranke, die gelähmt nach Oeynhausen gekommen waren, 
sah er gesund oder wenigstens so gebessert, daß sie bewegungs¬ 
fähig waren, dankerfüllt den Kurort verlassen. 

Herr Geheimrat Dr. Michaelis, Bad Rehburg, machte 
die „Bedeutung des Klimas in der Behandlung der Tuberkulose“ 
zum Gegenstand seines Vortrages. Er kennt kein bestimmtes 
Klima, das der Tuberkulose nützlich oder schädlich ist. Für ihn 
hat das Klima mir einen psychischen Wert. Das Klima ist immer 
da schlecht, wo Menschen unter schädlichen Verhältnissen in zu 
großer Zahl zusammen leben. Klimatisch können diese Gegen¬ 
den die größten Gegensätze in sich fassen. Nicht, das Klima 
einer Gegend ruft die Tuberkulose hervor, sondern die sozialen 
Verhältnisse. Für die Therapie ist es sehr wichtig, mit dem heu¬ 
tigen Schematisieren des Klimas zu brechen. Nicht Kälte oder 
Wärme, nicht die Höhe eines Ortes, sondern andere Faktoren 
müssen maßgebend sein. Vortragender schlägt vor, von einem 
erregenden und einem schonenden Klima zu sprechen und das 
schonende Klima da in Anwendung zu bringen, wo die Lungen 
gereizt, sind, das anregende da, wo der Stoffwechsel zu träge ar¬ 
beitet. 

Herr Rittmeister D o m m e s, Badekommissar in Harzburg, 
hatte das Thema „Der Fremdenverkehr der deutschen Bäder und 
seine Statistik“ zum Gegenstand seiner Ausführungen gemacht. 
Ad diesen verwaltungstechnisch außerordentlich interessanten 
Vortrag schloß sich eine sehr große Diskussion an, in der weit¬ 
gehendste Vorschläge jeder Art gemacht wurden. 

Herr Dr. Scheibe, Badearzt in Stehen, sprach über „Kur 
und Vergnügen“. Es war nicht uninteressant, die Ausführun¬ 
gen des Vortragenden anzuhören, der eine scharfe Kritik an die 
Art und Einteilung der Vergnügungen in den Kurorten anlegte, 
die oft genug die Nerven aufregten und beunruhigten. Aber 
auch ihre Notwendigkeit wurde von ihm wohl gewürdigt, denn 
der Patient dürfte keineswegs Langeweile empfinden und könnte 
unmöglich den ganzen Tag mit der Kur ausfüüen. Von den Ver¬ 
gnügungen sollte man die städtischen mehr in den Hintergrund 
stellen und solche Vergnügungen bevorzugen, die der Gesundheit 
■dienlich seien, vor allem gemeinsame Spaziergänge, denn schlie߬ 
lich soll ein Badeort in erster Reihe Kurort sein, dann erst das 
Vergnügen pflegen. 

Den Schluß der ersten Sitzung bildete der \ ortrag von Herrn 
Dr. Hirsch, Badearzt in Ivudowa, über „Licht- und Schatten¬ 


seiten der physikalischen Heilanstalten in den Kurorten“. Zu¬ 
nächst hob Vortragender hervor, wie eng die Balneologie mit der 
physikalischen Therapie verknüpft sei, und wie sehr die Balneo¬ 
logie, der älteste Teil der physikalischen Therapie, ihr als Muster 
und Vorbild gedient habe und wie andererseits die Balneologie 
durch die Einführung und Entwicklung der physikalischen Be¬ 
handlungsmethoden gefördert worden sei. Sie hätte ein gut Teil 
dazu beigetragen, die Balneologie zu einer Wissenschaft und die- 
Baineologen zu wissenschaftlicher Aerzten zu machen und diu 
langersehnte Fühlung der Balneologie mit der Klinik ermöglicht. 
Die physikalischen Kliniken seien die gegebenen Zentralen für 
die balneologisclie wissenschaftliche Arbeit. Die Vorzüge der 
physikalischen Heilanstalten in den Kurorten seien zahlreich. 
Sie unterstützten die Badekur, sie wirkten psychisch auf den 
Kranken ein, sie ermöglichten auch manche Kur, die der Kranke 
zu Hause sich aus Mangel an Zeit nicht leisten kann. Aber auch 
die Schattenseiten zeigten sich bei den physikalischen Heilanstal¬ 
ten in den Kurorten, die zum Teil nicht unbedenklich sind. Sa 
empfiehlt Vortragender unbedingt, die physikalischen Heilanstal¬ 
ten unter die Aufsicht eines Arztes zu stellen, der seine ganze Zeit 
und Arbeitskraft nur dieser Tätigkeit widmet. Er empfiehlt fer¬ 
ner, auch die natürlichen Bäder von einem Arzte bewachen zu 
lassen. Der größte Fehler in der Gründung physikalischer Heil¬ 
anstalten in Kurorten sei der, daß man hier und da versucht, die 
Indikationen des Kurortes durch künstliche Bäder zu erweitern. 
Er liest dazu aus einem Prospekt charakteristische Stellen vor 
und wendet sich an die Badeverwaltungen, dafür zu sorgen, daß 
diese Unsitte nicht allgemein wird. Die Indikationen eine& 
Bades seien einzig und allein abhängig von seinen Quellen, von 
seinen Bädern. 

Herr Prof. Dr. Kaiser, Gießen, gibt in seinem Beitrage 
„Die Mineralquellen des rheinischen Schiefeigebirges“ einen 
wunderbaren Ueberblick über die geologische Entstehung dieser 
Landschaft als den Ueberrest eines hochalpinen Gebirges und 
zeigt, wie das Gestein allmählich im Laufe der Zeit einen Um- 
wandlungsprofceß erleidet, teils von der Oberfläche, teils vom 
Erdinnern; er zeigt, wie sich die Faltungen und Senkungen ge¬ 
bildet haben und wie das Vordringen des Meeres an die leisen 
gewirkt hat. Schließlich zeigt er die Entstehung der vulkani¬ 
schen Gebilde. Aus all dem aber folgt, daß die geologischen 
Verhältnisse gewisse Provinzen von Mineralquellen unterschei¬ 
den lassen, daß die chemische Verschiedenheit der Quellen sich 
mit den verschiedenen geologischen Formationen deckten und 
gibt Erklärungen über die Entstehungen der Gase in den Bädern. 

Herr Dr. S i e b e 11, Badearzt in Flinsberg, erörterte wieder 
einmal die Ferienfrage. Die Ferien seien für eine ganze Reihe 
von Bädern identisch mit der Hochsaison. In der kurzen Ferien¬ 
zeit seien die Bäder von Kurgästen überflutet und im übrigen 
Teil des Sommers oder gar des Jahres leer. Der gleichzeitige 
Beginn der Ferien schaffe eine ganze Revolution in dem Bade 
und in der Eisenbahn. Der Vortragende hält es für ratsam, viel¬ 
leicht in den benachbarten Gebieten den Beginn der Ferien nicht 
zu gleicher Zeit ein setzen zu lassen. Dadurch würde der plötz¬ 
liche Andrang vielleicht vermieden werden. 

Den Schluß der Tagesordnung bildete die Uebersicht des 
Herrn Höfrat Dr. Röchling, Misdroy, über allerlei Tages¬ 
fragen und ihre Kritik. An das Unglück in Westerland knüpfte 
er einen Ueberblick über die Unfälle in Seebädern an, die neben¬ 
bei bemerkt, weder absolut noch proportional im entferntesten 
an die Zahl heranreicht, die vielleicht der Müggelsee und andere 
Binnenseen an Opfern fordern. Die Anwendung eingreifender 
Kurmethoden mit und ohne ärztliche Verordnung wurde dabei 
besprochen und getadelt, daß heute doch noch zu viel ohne ärzt¬ 
liche Verordnung gebadet wird. Zum Schluß hebt er die Tätig¬ 
keit des deutschen Ausschusses für die gesundheitlichen Einrich¬ 
tungen in deutschen Kur- und Badeorten hervor, dem ja zum 
großen Teil auch Vorstandsmitglieder des Bäderverbandes ange¬ 
hören. 

Von den Besichtigungen sei die des Bades hervor gehoben* 
die einen ganzen Nachmittag in Anspruch nahm. Es wurden 
dabei die fünf Badehäuser gezeigt, deren Einrichtung musterhaft 
zu nennen sind. Es wurde der große Sprudel in vollster Tätig¬ 
keit demonstriert, wie er die Massen seines wertvollen Heilwaasers- 
über 15 m hoch emporschleuderte. Das neue prachtvolle Kur¬ 
haus in allen seinen Teilen, sowie der ganze Park und die neu¬ 
erworbenen Anlagen wurden eingehend besichtigt. Alles machte 
einen wundervollen Eindruck; besonders gefiel die Rücksicht¬ 
nahme auf die Rollstühle, deren sich die gelähmten Patienten in 
Menge bedienen, durch die Anlegung sauf taufsteigender Wege. 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


r 


1908 


687 


Die Besichtigung des Kurparkes und der ueuen Anlage am See 
war, zumal der Himmel sein heiterstes Gesicht zeigte, ein ange¬ 
nehmer Spaziergang. 

Am nächsten Tage erfolgte ein Ausflug nach dem Hermanns¬ 
denkmal und den Exsternsteinen. Oeynhausen und seine Tage 
werden den .1 eilnehmern in angenehmster Erinnerung bleiben 
und gern w'erden alle, die diesen Kongreß mitgemacht haben, in 
Erwartung eines ebenso schönen wissenschaftlichen und geselli¬ 
gen Programms das nächste Jahr sich in Rübezahls Reich nach 
Plinsberg begeben. 


Klimatotlierapie und Thalassotherapie. 

Referent: Kaiser!. Rat Dr. Tripold. Abbazia (Winter). 

Warmbad Villach (Sommer). 

1. Zur K1 imatotherapie und Balneotherapie der Neurasthenie 
und verwandter nervöser Zustände. Von Geh. Med.-Rat Prof. 
Dr. A. E ulen b u r g, Berlin. Zeitsehr. f. Balneologie, Klima¬ 
tologie und Kurort-Hygiene, 1908, Nr. 1. 

2. Luftveränderung („changc oi air‘‘) im jugendlichen und 
mittleren Alter. Von Dr. F. P a r k e s W e b e r, London. Ibidem. 

3. I eher klimatische I nterstützung von Entfettungskuren. 

A on Prof. P. E. Richter, London. Ibidem. 

4. Ueber die klimatische Behandlung der Lungentuberkulose. 
Von Geh. Med.-Rat Prof. H. Senator, Berlin. Zeitsehrift_f. 
Balneologie. Klimatologie und Kurort-Hygiene, 1908, Nr. 2. 

’>• Der Heilwert der Ostsee. Von San.-Rat Dr. Lange, 
Heiligendamm. Dr. Margulie s, Kolberg. und Hofrat Dr. 
R o c li I i n g, Misdroy. Zeitschrift f. Balneologie. Klimatologie 
u. Kurort-Hygiene, 1908, Nr. 3. 

6 - Spitzbergen — ein Kurort für Lungentuberkulose. Von 
Staatsrat Dr. llung e, Kronstadt i. Rußland. Ibidem. 

7. Unter welchen Bedingungen können sieh Herz- und Kreis¬ 
laufkranke in Höhenlagen auf halten. Von Prof. Dr. G iovanni 
G a 1 1 i, Rom. Zeitschr. f. Balneologie, Klimatologie u. Kurort- 
Hygiene. 1908. Nr. 4. 

8 . Südafrika als Kurgebiet l'iir Europäer. Von Prof. Dr. 
K. Do v e. Jena. Zeitschr. f. Balneologie, Klimatologie u. Kur¬ 
ort-Hygiene. 1908, Nr. 5. 

9. Das Heufieber und seine Klimatotlierapie. Von Dr. 
A. V olff-Eisner, Berlin. Ibidem. 

1. Verf. leitet seinen Aufsatz mit der Darlegung ein. daß 
für den Neurastheniker Ortswechsel, Reisen. Ausspannen wert¬ 
volle Heilbehelfe sind. 

Hauptziele für die Erholung werden im allgemeinen die 
G e b i r g e und das M e e r sein, aber nicht nur im Sommer, der 
eigentlichen Reisezeit, sondern auch im Frühjahr. Herbst und 
während des V inters. Gebirg sauf ent halte bewähren 
sich laut reichster Erfahrung sowohl bei leichtester Nervosität, 
wie auch bei schwerer Neurasthenie. 

Hauptfajktoren für die Wirksamkeit sind das Höhenklima 
an sich, die Bergwanderungen und ein maßvoll betriebener Win¬ 
tersport. Man unterscheidet v o r- oder subalpine Regionen 
und II oehgebirgsTcgionen (letztere von 1300 m auf¬ 
wärts). 

\\ ährend liir viele Nervöse schon die Mittelgebirgs- und Vor¬ 
alpengebiete genügend anregend wirken, eine Reihe von Leiclit- 
und Schwernervösen überhaupt nur diesen lvlimaten gewachsen 
sind, dagegen im Hochgebirge an andauernden Herz- und Atem¬ 
beschwerden, allgemeiner Aufgeregtheit, Angst und Schlaflosig¬ 
keit leiden, bewähren sich Hochgebirgskuren vielfach glänzend bei 
jugendlichen Neurasthenikern ohne Heredität und mit kräftiger 
Konstitution, bei Ilomikranie. Ilystero-Neurasthenie, leichter 
Hysterie und Melancholie, ferner bei nervösem Asthma (oft auch 
nicht. Ref.) und besonders bei Basedow scher Krankheit. Auch 
Herzneurosen werden des öfteren günstig beeinflußt. Sehr be¬ 
herzigenswert für manche Nervenkranke ist der Wink Eulen- 
b u r g s , nicht brüske dem Hochgebirge zuzusteuern, sondern in 
Etappen. 

Der Aufenthalt am Meere bleibt vorzugsweise solchen 
NervenKranken Vorbehalten, deren überreiztes, geschwächtes und 
erschöpftes Nervensystem dringend nach längerer Ruhe und 
Schonung verlangt. Hierbei wirksam: das Seeklima, die See¬ 
bäder. Bezüglich des Seeklimas unterscheiden wir auch wieder 
ein sedatives und ein exzitierendes (je nach großer oder geringer j 
Luftfeuchtigkeit). Zu betonen ist, daß an der Meeresküste viel 
Aveniger Drang zu Bewegung vorwaltet als im Gebirge. 


Endlich scheidet Verf. eine Gruppe Nervenkranker aus, 
welche er unbedingt nur für Sanatoriumsbehandlung, 
und zwar in Mittelgebirgslage, geeignet hält; es sind dies sehr 
schlaffe oder hochgradig reizbare, körperlich und seelisch nieder¬ 
gedrückte, wenig aktions- und widerstandsfähige Naturen. 

2. Weber erkennt 3 Faktoren der Luft- und Ortsverände¬ 
rung die Haupt Wirksamkeit zu: dem reichlicheren Luftgenusse. 
der erhöhten Muskeltätigkeit, dem Entriicktsein aus dem gewöhn¬ 
lichen Alltagsleben. Insbesondere sind es neurasthenisehe und 
dyspeptische Beschwerden, die durch Luftveränderung oftmals 
überraschend schnell verschwinden. (Ref. möchte aber noch ganz 
besonders auf manche ßronchialkatarrhe hinweisen, die — viele 
Wochen dauernd — in wenigen Tagen durch Luftveränderung 
prompt beseitigt werden. Auch kann Ref. nicht unbemerkt 
lassen, daß der englische Autor vorzugsweise nur über sein Vater¬ 
land und Deutschland spricht, Tirol nur erwähnt und die anderen 
herrlichen österreichischen Alpenländer: Salzburg, Kärnten, 
Steiermark. Ober- und Nieder Österreich, deren unzählige Luftkur¬ 
orte, Bäder und Sommerfrischen weitberühmt sind, verschweigt.) 

3. Es ist erwiesen, daß die Erhöhung des Stoff- und Kraft¬ 
umsatzes durch die Mineralwässer recht geringfügig ist. Da¬ 
gegen wirkt das II ochgebirgskl.ima entschieden steigernd 
auf die Verbrennungsprozesse im Körper. Zunahme des Sauer¬ 
stoffverbrauches und der Ivolilensäureausscheidung im Hoch¬ 
gebirge u n d z w a r a u c h i n d e r R u h e. Dieser gesteigerte 
Stoffwechsel hält wochenlang nach einem Hocligcbirgsaufentlialte 
noch in der Ebene an. Besonders Avertvoll ist aber noch die Tat¬ 
sache. daß im Gebirge auch Eiweißansatz zustande kommt. 

Aehnliche Verhältnisse beobachtet man an der See. Die 
Wiikung des Ilochgebirgsklinias und der dabei in Betracht kom¬ 
menden Faktoren wird noch erhöht durch den Gebrauch von 
glaubersalzhaltigen (Tarasp) und Eisenquellen (St. Moritz). Doch 
ist zur Erzielung von Fetteinschmelzung kalorienarme Kost er¬ 
forderlich. 

4. Schon C e 1 s u 3, G a 1 e n u s, A n t y 11 u s, Aetius 
haben klimatische Kuren. Klimawechsel, Aufenthalt in Aegypten. 
Süditalien, sowie Seereisen bei Schwindsüchtigen empfohlen. Der 
Glaube an die Heilkraft des Klimas erhielt sich auch im Mittel- 
alter und in der Neuzeit. Erst in der allerneuesten Zeit macht 
sich besonders in Deutschland — eine geringere Bewertung 
der Klimakuren unter den Aerzten geltend im Zusammenhänge 
mit der Propaganda für die Errichtung von Lungenheil¬ 
stätten in der Heimat der Patienten. Bei aller 
Würdigung des eminenten Wertes dieser Heilstätten bleibt jedoch 
die Heilkraft von Klimakuren unangefochten, ja sie wird durch 
die neuesten Untersuchungen von J acque t. N. Zuntz und 
A. L ö w y nebst ihren Mitarbeitern, von D u r i g und Stühe- 
1 i n wissenschaftlich einwandfrei begründet. 

Die V irksamkeit des Klimas beruht nicht auf einer einzelnen 
Eigenschaft, sondern auf der Gesamtheit seiner Faktoren (Luft¬ 
druck. Temperatur, Reinheit, Feuchtigkeit. Ozongchalt der Luft, 
Grad der Belichtung, Windrichtung und Windstärke, Elektrizität 
der Atmosphäre). 

Die wichtigsten in Betracht kommenden lv 1 i m a l y p e n 
sind das H o e h g e b i r g s k 1 i m a, das subalpine K 1 i m a. 
das feuchtwarme Tal-od er K esselkli m a, das S e e k 1 i m a 
und das W ü s t e n- u n d Steppe n k 1 i m a. 

I. I) a s II o c h g e b i r g s k 1 i m a — in Höhen zwischen 
900—2000 m — ist charakterisiert durch Verdünnung, Reinheit, 
verhältnismäßige Kühle und Trockenheit der Luft und starke Be¬ 
lichtung. Seine Gesamt Wirkung besteht in starker Anregung 
aller körperlichen Funktionen, ganz besonders des Stoffwechsels, 
der Blutbildung, sowie der Leistungsfähigkeit der Muskeln und 
des Nervensystems, in Zunahme des Sauerstoffverbrauchs und der 
Kolilensüureausscheidimg, endlich in Eiweißansatz. 

Das Hoehgebirgsklima ist kräftigen d, erfrischend 
und a b li ä r t e n d. es erfordert aber auch eine gewisse Wider¬ 
stands- und Anpassungsfähigkeit. Geeignet für eine Hoch- 
gebirgskur sind Lungentuberkulose des ersten Stadiums und im 
Uebergange zum zweiten Stadium und die sog. Prophylaktiker. 
Die Kur soll im Sommer, spätestens im Herbst begonnen werden, 
dann erst mag die Ueberwinterung im Hochgebirge angeschlossen 
werden. In zweifelhaften Fällen empfiehlt sich eine Vorkur in 
subalpinen Lagen. 

Kontraindikationen sind: Vorgeschrittene Stadien, Kompli¬ 
kationen mit Kehlkopf-. Herz- und Gefäß- und Nierenleiden, be¬ 
trächtliche Neigung zu Blutungen, höheres Fieber, große Erreg¬ 
barkeit des Nervensystems. 




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688 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 46 


Orte: Arosa, Leg Avants, Beatenberg, Engelberg, Leysin, 
St. Moritz, Davos, Gossensaß, Semmering, Schmecks (in Ungarn). 
•Sommerkurorte: Fliins, Höchenschwand, Igls, Seewis, Wiesen, | 
Zuoz, Toblacli u. a. 

II. Das subalpine Klima — zwischen 300 und 900 m Seehöhe | 
— nähert sich in höheren Lagen mit seinen Eigenschaften dem | 
Hochgebirgsklima, während die niederen Lagen schon den Ueber- ; 
gang zum feuchtwarmen Tal- oder Kesselklima bilden. 

Es wirkt noch immer mehr weniger anregend und vermöge ; 
gewisser örtlicher Vorzüge (Vcgetations- bzw. W aldreichtum und ! 
Staubfreiheit) reizhindernd. 

Tuberkulöse über das erste Stadium hinaus können noch viel¬ 
fachen Nutzen aus dieser Klimatype ziehen. 

Orte: Altenbrak, Andreasberg, Badenweiler, St. Blasien, | 
Blankenhain, Falkenstein, Görbersdorf, Neudorf, Reiboldsgrün, 
Schömberg, Wehrawald, Wölfeisgrund; für den Sommer geeignet: 
Berchtesgaden, Bürgenstock, Garmisch, Heiden, Kreuth, Reichen- ] 
hall, Reinerz, Weißenburg (Gmunden, Ischl, d. Ref.) und viele i 
andere. 

III. Das feuchtwarme Tal- oder Kesselklima steht im schärf- j 
sten Gegensätze zum Hochgebirgsklima, es wirkt reizmildernd, j 
beruhigend, erschlaffend, paßt also besonders für schwächliche, | 
leicht fiebernde, bluthustende Lungenkranke, welche Neigung zu 
trockenem Reizhusten mit spärlicher Absonderung und Kompli¬ 
kationen von seiten des Kehlkopfes haben. 

Orte (im Sommer): Baden-Baden. Ems, Gleichenberg, Lipp- 
springe, Soden, Wiesbaden u. a.; (im W inter): Arco, Box, 1 ade- 
nabbia, Gardone, Görz, Gries, Locarno, Lugano, Meran, Montreux, 
Pallanza (Pau, Territet, Vevey, d. Ref.). 

(Abbazia gehört nicht hierher, wie Senator irrtümlich an¬ 
gibt, da es doch unmittelbar am Adriatischen Meere liegt. D. Ref.) 

IV. Das See- oder Meeresklima weist je nach der geographi¬ 
schen Lage große Verschiedenheiten auf. Man unterscheidet ein , 
trocken kühles Seeklima, in seinen 'Wirkungen dem Hoch- j 
gebirgsklima ähnelnd, repräsentiert durch die Nord- und Ostsee- j 
bäder. Dieselben werden vorzugsweise im Sommer besucht, doch j 
können die gut eingerichteten Anstalten in Misdroy, Norderney, j 
Wyk. Müritz und Zoppot auch zur Ueberwinterung dienen. 

Als Hauptrepräsentanten des feuchtwarmen. See- (Insel- und j 
Küsten-) Klimas gelten Madeira und Teneriffa. Sie sind W inter- 
stationen par excellence, gestatten aber auch in ihren höheren 
Orten den Aufenthalt im Sommer. 

Zwischen den genannten Seeklima-Extremen liegen die 
mittelfeuchtwarmen und mitteltrockenwarmen Seeklimate. Zu 
ersteren gehören: Abbazia, Arcachon, Algier, Ajaccio, Biarritz, 
Catania. Palermo, Malaga, Venedig, Lussinpiccolo, die Orte 
der Riviera di Levante; zu den trockeneren Orten zählen: die 
Kurplätze der Riviera di Ponente. 

Mittel feuchtkühle Seeplätze sind Bornemouth, Hastings, 
Veutnor. 

Senator widmet dann noch eine warme Empfehlung den 
Seereisen, insbesondere den „Schiffs-Sanatorien“. 

V. Das W üsten- und Steppenklima. Es zeichnet sich aus 
durch große Wärme, größte Lufttrockenheit, Klarheit der Luft, 
starke Besonnung (und minimalste Niederschläge, d. lief.). 
Tuberkulöse, welche im Sommer in subalpinen Klimaten leben, 
dürften im Winter mit Nutzen Aegypten (Helouan, Assuan, 
Luxor — Nilf ährten) auf suchen. 

In neuerer Zeit wird auch Biskra in Algerien zum Winter¬ 
aufenthalte empfohlen, auch liest man von geeigneten Orten in 
den Steppen Süd-Rußlands und Amerikas. 

Zum Schlüsse seiner Abhandlung betont S. mit Nachdruck 
die Wichtigkeit der hygienisch-diätetischen Maßregeln; er er¬ 
kennt den hohen Wert der Heil- und Pflegestätten, Sanatorien, 
an und empfiehlt die Errichtung von \ olksheilstätten im alpinen 
oder subalpinen Klima und an der Ost- und Nordsee. 

5 . Anknüpfend an die W'orte G 1 a x’: „während Griechen und 
Römer vorwiegend dem Meerwasser und seinem hohen Salzgehalt 
eine besondere Heilkraft zuschrieben, gewinnt im Norden die An¬ 
sicht, daß die Seeluft der wichtigste therapeu¬ 
tische Faktor ist, immer mehr die Oberhand“, berichtigen 
die Verfasser zunächst drei Irrtümer, die noch vielfach über die 
Beschaffenheit und Bewertung der Seeluft im Umlaufe sind. Sie 
beweisen, daß die Seeluft nicht salzhaltig ist, daß der höhere 
Luftdruck an der See die hohe Bedeutung nicht besitzt, die ihm 
zugeschrieben wird, daß endlich auch mit dem Ozongehalte über¬ 
triebene Vorstellungen verbunden sind. Das W T e s e n 11 i e li e 
ander Seeluft ist vielmehr ihre Reinheit, ihre Staubfreiheit, 
Keimannut, ihre Lichtfülle, lebhaftere Bewegung, ihr größerer 
Feuchtigkeitsgehalt und geringere Wärmeschwankung. Die Ver¬ 


fasser heben hervor, daß die Luft an der Ostsee staubfreier sei 
als an und in der Nordsee, daß die Luftfeuchtigkeit an der Ost¬ 
see größer, die Luft wärme in den Sommermonaten höher sei als 
an der Nordsee, diese höheren mittleren Monatstemperaturen 
lediglich durch höhere Abendtemperaturen bedingt seien. 

In der Kombination von See- und Waldluft dürfte der größte 
klimatische Vorzug der Ostseebäder zu erblicken sein. Für die 
Eignung der Ostseeküste zu Lungenheilstätten tritt Professor 
Kobert energisch ein. 

Endlich lehrt vielfache Erfahrung, daß erregbare und 
schwächliche Neurastheniker, namentlich wenn sie an Verdau¬ 
ungskrankheiten leiden, das Nordseeklima nicht vertragen, da¬ 
gegen an der Ostsee rasch Erholung finden (A 1 b u). 

6. B u n g e knüpft an die N o r d e n s k j ö 1 d sehe Expedi¬ 
tion 1S72/73 nach Spitzbergen an und bestätigt aus eigener Be¬ 
obachtung die wunderbar angenehme Empfindung, die man beim 
Atmen der reinen transparenten Luft von Spitzbergen hat. \erf. 
teilt mit, daß Lungentuberkulose auf Spitzbergen, wie überhaupt 
im Hochnorden, nicht vorkommt, daß Erkältungen dort überaus 
selten sind und daraus resultierende Katarrhe dev Respirations¬ 
organe einen ungewöhnlich milden und raschen Verlauf nehmen. 
Ein Plitisiker, der noch dazu schwer arbeiten mußte, genas auf 
Spitzbergen vollkommen. 

B. möchte daher Tuberkulöse zur Kur nach Spitzbergen 
senden — natürlich nur während des Sommers. Verbindung ist 
von Tromsö aus durch 2 mal 24 Stunden Dampferfahrt gegeben. 
Zur Anlage eines Sanatoriums würde sich der ITorksund, am 
, Südwestende von Spitzbergen, empfehlen. Hühner, Schweine, 
Kühe gedeihen auf Spitzbergen ganz gut, nur das Futter müßte 
1 ihnen ztigeführt werden. 

7. G a 11 i hielt sich durch drei Sommer in M a s i n o im 
Veltlin — ca. 1200 Meter über dem Meere — auf und be¬ 
obachtete dort eine Anzahl von Herzkranken. Zwei Patientinnen 
mit Herz-Neurosen befanden sich in dieser Höhe sehr wohl. Eine 
60 jährige Dame mit Arteriosklerose und Aorteninsuffizienz ver¬ 
lor die Oedeme, doch kann Galli selbst nicht sagen, ob eine 
wirkliche Besserung ein getreten ist. Hingegen erzielte ein 
56 jähriger Mann mit Arteriosklerose, Aortengeräuschen, Arhyth¬ 
mie, Stauungsödemen, Stauungen in Leber und Magen und 
Oligurie, eine ganz hervorragende Besserung, doch blieb die 
Arhythmie bestehen. Galli teilt dann noch weitere Fälle von 
Myokarditis, Mitralstenose, Polysarcia mit ausgesprochener 
Besserung im Höhenklima mit. Aber nicht jeder Gebirgsaufent- 
halt. wird gut vertragen: Bedingungen für Erfolg sind \\ ind- 
stille und geringe Temperaturs c h w a n k u n g e n 
zwischen Tag und Nacht; auch sollen die Patienten Gelegenheit 
haben, häufig Vollbäder von 32— 34° C. — 10 Minuten lang 

zu nehmen. Die Kuren sind im Hochsommer zu gebrauchen. 

8. Aus der glänzenden Darstellung und Analysierung der 
klimatischen Verhältnisse Südafrikas durch D o v e seien die mar¬ 
kantesten Momente wie folgt hervorgehoben. 

Südafrika besitzt in seinen mittleren und südlichen Breiten 
einen derartigen Ausgleich der in den extremen Monaten herr¬ 
schenden Mitteltemperaturen, daß es zu den mildesten Ländern 
der Welt gezählt werden kann, zu den Ländern mit ewigem 
I Frühling. 

Der Sommer in den inneren Hochlandschaften Südafrikas. 
(Oktober bis März) ist nicht wärmer, als im Tieflande von.Nord¬ 
westungarn, zeichnet sich aber durch große Lufttrockenheit aus, 
wodurch die Hitze nicht unangenehm empfunden wird (38% reL 
Luftfeuchtigkeit während des heißesten Monats in Kimberley). 

I Die Nächte sind angenehm kühl. 

Der Winter (Juni bis August) gestattet zufolge der inten¬ 
siven Sonnenstrahlung reichlich sechsstündiges Liegen im 
Freien; tägliche Maxim u 16—19° C. (im Schatten) während des 
kältesten Monats; die mittlere Wintertemperatur dortselbst ist 
vergleichbar der eines milden Septembertages in Deutschland. 
Das Winterhalbjahr ist in Südafrika (mit Ausnahme einer 
schmalen westlichen Zone) zugleich die Trockenzeit. 

Sonnenscheindauer und -Intensität wie in der M üste. 

Die Sonnenscheindauer beträgt in Berlin im Jahre: 
1667 Stunden — 37% der möglichen Dauer, im Dezember und 
Januar nur 16% der möglichen Dauer, dagegen in Kenil- 
worth bei Kimberley im Jahre r 3426 Stunden — 78,6% 
der möglichen Dauer, in den 3 Wintermonaten bis zu 83,2% der 
möglichen Dauer. 

Die bisherigen Mitteilungen beziehen sich auf da9 Hochlandl 
des inneren Südwestafrika und auf die milden, lufttrockenen! 
! Striche der Südwest- und Südküste. 





1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


689 


hin tropisches Klima ohne dessen Schattenseiten besitzt da¬ 
gegen die Natalküste, die sich überdies durch Freisein von Ma¬ 
laria üuszeichnet. 

Als weitere Annehmlichkeiten, die Südafrika bietet, hebt 
\eifasser hervor: die hohe Kulturstufe dieses Gebietes. die Be¬ 
siedelung mit Engländern, Holländern und Deutschen, endlich 
auch die dem Nordeuropäer zusagende Zubereitungsart der 
Speisen. 

Als hochwichtiges Moment ist der Umstand in Betracht zu 
ziehen, daß die Seereise nach Südwest-Süd-Afrika durch das 
milde, sonnige Gebiet der beiden Passate führt, die Seereise also 
schon an und für sich von eminentem Heilwerte sein kann. 

9. Das Ileulieber ist keine so seltene Krankheit, wie viel¬ 
fach angenommen wird; sie bleibt oft unerkannt. 

Das Heufieber beruht auf der Resorption des körperfremden 
Eiweißes der Pollen, ist eine Eiweißüberempfindlichkeitskrank- 
lieit. Gibt nun auch die Serumtherapie (Pollantiu und Grami- 
ii(l) des ölteren gute Resultate, so versagt sie ganz in schweren 
Fällen, die nach wie vor auf das Fernhalten der Pollen, auf 
Klimatotherapie angewiesen bleiben. Man spricht von i m m u - 
n e n Orten. Ein Ort an sich ist gewöhnlich nicht heufieber¬ 
immun, sondern kann es zu einer bestimmten Zeit sein und ist es 
zu einer anderen Zeit keineswegs. 

Man unterscheidet ferner absolut immune Orte (die 
Gegenden des ewigen Lises der beiden Polarregionen und das 
hohe Meer) und relativ immune Orte. 

Von letzteren erfreut sich Helgoland eines großen 
Rufes. Aber auch auf diesem Eilande sieht man Ileufieber auf- 
treten bei Aufenthalt im Oberlande, bei Westwind, bei Südost- 
und Ostwind, wo von /km 30 Kilometer entfernten Festland 
noch immer Pollenkörner herüber ge weht kommen. Immerhin 
verdient Helgoland als Heufieberstation den Vorzug vor allen 
Nord- und Ostsee-Orten. 

Schwer Heufieberempfindliche benutzen auch die von 
W o 1 f f - E i s n e r so genannte „temporäre Immunität“, welche 
südliche und nördliche Gegenden gegenüber dem Wohnsitze der 
Kranken durch \ egetationsverfrühung und Vegetationsverspfe- 
tung haben. 

Da das Heu lieber keine einheitliche, durch eine Pollenart 
erzeugte Krankheit ist, spricht man von sogen. Vor- und Nach¬ 
läufern. 

Vor Gebirgsorten mit häufigen Winden — aus dem Tale 
i'inporstreichend — muß gewarnt werden; in dieser Hinsicht ist 
das Oberengadin zu empfehlen, das Unterengadin zu widerraten. 

Grundsatz bleibt,- wiesen arme resp. wiesen freie, waldreiche 
Orte zu wählen. 

(Auch A b b a z i a ist eine vorzügliche Station für Heu fieber¬ 
kranke, da es keine iesen, noch Felder, wohl aber eine pracht¬ 
volle Lorbeer-, Buchen- und Steineichen-Vegetation besitzt und 
an einem wenig bewegtem Meere liegt. (Siehe Gl ax: Die 
Klimatotherapie des Heufiebers. Zentralblatt t'. physik. Therapie, 
k. 11. Heft. Trip old: Das Sommerklima von Abbazia. Ver- 
handl. des IV. österr. Balnoologeu-Kongresses 190-1: Mitteilungen 
des Heufieb^rbunde» Der Ref.) 

W.-E. empfiehlt die quantitative Bestimmung der Pollen- 
cmpfindlicbkeit durch Anstellen der Konjunktivalprobe mit 
Pollenextrakt zum Zwecke der Differentialdiagnose und der Wahl 
des speziell geeigneten Pollenserums (Pollantiu, Graminol). 

Wertvoll erweist sich auch die Herstellung eines pollen¬ 
freien Raumes speziell zum Aufenthalte hei Nacht. (Totaler 
Toilettewechsel vor Betreten des Raumes, Benutzung von Wäsche, 
die durch Zentrifugierung und erhitzte Röhren, nicht im Freien, 
getrocknet wird. Lüftung nicht durch offene Fenster, sondern 
durch pollensichere Schutzfenster [Glaswolle]). 

(Schluß folgt.) 


Militärmedizin. 

Referent: Generaloberarzt a. D. Dr. M, Peltzer. Steglitz. 

1 . 1 ruppen- und spitalsärztliche Beobachtungen über 
Trachom und Follikularkatarrh. Von Regimentsarzt Dr. 1h inr. 
F r a c h t in a u n. Der Militärarzt, 19(18, Nr. 20. 

2. Fangobehandlung bei gonorrhoischen Arthritiden. Von 
Stabsarzt der ungar. Landwehr Dr. Emil Binder. Ibidem. 

3. Neurasthenie in der Armee. Von G r a n j u x. (Caducee 
1908, p. 249.) Ibidem. Referat von R.-A. Mann. 

4. lieber Schlaf zustande. Von Oberstabsarzt Dr. Müll e r, 
Güstrow. Deutsche militärärztl. Zeitschr,, 1908, Heft 19. 


& Die übertragbare Genickstarre im VI. Armeekorps wäh¬ 
rend der .Jahre 1904/05 und 1905/06. Von Dr. Bergei, Stabs¬ 
arzt im Inf.-Regt. Nr. 111. (Schluß.) Ibidem, S. 816. 

L Unter Anführung eigener Erfahrungen und differentiell¬ 
diagnostischer Hinweise macht F. darauf aufmerksam, daß ein 
feil der in den Lazaretten als Trachom diagnostizierten Binde- 
hauterkrankungen sich erfahrungsgemäß hinterher oft als ein un¬ 
schuldiger f*ollikularkatarrh lieraussrtellt, der unter günstigen 
hygienischen Bedingungen von selbst heilt, während eine längere 
Lazarett- oder Revierbehandluug fast nie zu einem dauernden 
Eriolg führt, weil die hygienischen Verhältnisse bei der Truppe 
die Krankheit leicht wieder auf Hackern lassen. Er empfiehlt 
daher eine längere Beurlaubung. Die Tatsache ist bekanht, die 
Schwierigkeit ist nur die, die geeigneten Fälle stets mit Sicher¬ 
heit herauszufinden. Im übrigen sei hierbei auf das Referat über 
„Bekämpfung der Granulöse“ von Kreisarzt a. I). Med. Rat Dr. 
Gohn in Nr. 36 dieser Zeitschrift verwiesen. 

2 . B> berichtet über 3 Fälle gonorrhoischer Gelenkerkran 
kuugen bei Soldaten als Beweis dafür, laß, wo andere Mittel 
nicht zum Ziele führen, sich oft noch die Fangobehandlung als 
nutzbringend erweist. Dem \ orgetragenen zufolge scheint sieb 
diese in der Tat zu empfehlen. 

3. Daraus, daß die Zahl der Neurastheniker in der Armee 
eine äußerst geringe sei. zieht Gr. den Schluß, (lies habe seinen 
Grund wohl darin, daß die militärische Disziplin und das 
kameradsehaftlche Zusammenleben den zur Neurasthenie, dieser 
durch Willensschwäche charakterisierten Krankheit. Disponierten 
eine feste Stütze und die notwendige Leitung gewährt. So 
richtig dies an sich ist, so ist doch nach unseren Erfahrungen 
die Neurasthenie trotzdem in der Armee nicht so ganz selten. 
Prof. Regis beobachtete bei Neurasthenikern eine günstige 
M irkung infolge einer Uebung. 

4. Krankhafte Schlafsucht, bei der der Kranke aber immer 
noch leicht erweckt werden kann, kommt ohne weitere Er¬ 
scheinungen bei Neuropatlffschen vor, während anfallsweise auf¬ 
tretende Zustände von längerer Dauer, die einen tiefen, natür¬ 
lichen Schlaf Vortäuschen, meist nui bei Störungen des Zentral¬ 
nervensystems. am häufigsten bei der Hysterie, beobachtet werden 
und auf solche Störungen schließen lassen, ln der Armee sind 
deiartige Schlafzustände bisher anscheinend nur verhältnismäßig 
selten vorgekommen, so daß es. wie Oberstabsarzt M ii 11er be¬ 
merkt, angezeigt sein dürfte, jeden vorkommenden neuen Fall 
zu veröffentlichen. Ref. bemerkt hierzu, daß er den von M. 
als allgemein bekannt angeführten „schlafenden Ulanen“ s. Z. 
in der obengenannten Zeitschrift seihst beschrieben hat. Außer¬ 
dem hat. er vor kurzem in den „Fortschritten der Medizin“ über 
einen weiteren derartigen Fall aus Amerika referiert. In den 
beiden von Oberstabsarzt Müller beschriebenen zwei Fällen 
schlief der eine Kranke 8 Wochen, der andere 7 Tage. Bei er- 
sterem handelte es sich augenscheinlich um Katatonie, hei letzte¬ 
rem um Hysterie. Ersterer kam in eine Irrenanstalt und ver¬ 
blödete. letzterer wurde vollständig geheilt. 

ö. Die Zahl der während der Jahre 1904/05 und 
1905/06 beim AI. Armeekorps vorgekommenen Fälle von Genick¬ 
starre betrug im ganzen 2S. Davon sind gestorben 16 = 57.1%. 
wieder dienstfähig geworden 9 = 32.2% — ein gewiß beachtens¬ 
wertes Ergebnis —, dienstunfähig geworden 3= 10,8%. Es 
ließen sich zwei Gruppen unterscheiden: Erkrankungen, die bin¬ 
nen kurzem, von V 2 Tag bis 2 Wochen, zum Tode führen, und 
solche mit protrahiertem Verlauf und günstigerer Prognose. Zur 
ersten Gruppe gehörten 14 Fälle, zur zweiten die übrigen, von 
denen nur 2 starben. Therapeutisch ist zu bemerken, daß die 
vorgenommenen Lumbalpunktionen nicht das geleistet haben, was 
vielfach von ihnen erwartet wurde (wie denn auch R i e g e r. 
..Die übertragbare Genickstarre im Kreise Brieg“, kliu. Jahr¬ 
buch. 15. Band, nicht gerade glänzende Ergebnisse erzielt hat). 
Erfolge wurden nur in 3 Fällen erzielt, und zwar in 1 Falle, 
welcher 4 mal, in einem anderen, welcher 2 mal, und in einem 
dritten, welcher 1 mal punktiert wpr. Im ganzen war 18 mal 
punktiert wotden. 


Soziale Medizin. 

Referent: Generaloberarzt a. D. Dr. M. Peltzer, Steglitz. 

1 . Zur Frage der Hittuiigskästen bei Eisen bah nunfälleu. Von 
Prof. A. Freiherrn v. Eiseisberg und Dr. J. Ros in a n i t. 
Wiener med. Wochenschr., 1908, Nr. 42. 

2 . Die soziale Medizin als besonderer Unterriehtsgegenstand. 
\ r on Prof. Dr. Maximilian S t e r n b e r g. Wien. Referat 


I from 

TTÖf-MfeHfGAN- 




690 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 46 


für den VIII. internationalen Arbeiterversichernngskongrcß in 
Rom 1908. Wiener med. Wochensclir., 1908. Nr. 42. 

3 . Vermietung gesundheitsschädlicher Wohnungen ein V er- 
stoß gegen die guten Sitten. Med. Reform, 1908. Nr. 38, S. 458. 

1. Wenn irgendwo, wird schleunigste erste ärztliche Hilfe bei j 
größeren Eisenbahnunfällen verlangt ?— man denke nur an das 
letzte Berliner Hochbahnunglück —, und wenn irgendwo, wird die 
Kritik herausgefordert, wo diese Hilfe versagt . Die nach den Verf. 
bei den deutschen, holländischen, belgischen, französischen, russi¬ 
schen und ungarischen Bahnen seit Jahren gelöste Frage, ob die 
Züge Rettungsapparate mitführen sollen, harrt in Oesterreich 
auffallenderweise noch der Lösung. (Wenn wir nicht irren, 
haben unsere Eisenbahnen auch ganze Rettungswagen, die nach 
Bedarf schnell überall hingesandt werden können.) Die vorhan¬ 
denen älteren Rettungskästen sind seit 30 Jahren unverändert 
geblieben, die größeren wiegen mit Inhalt 161 kg, die kleineren 
40. Unter diesen Umständen stellen die Verf. mit dem Endziel 
einer möglichsten Erleichterung zunächst die Prinzipien fest, 
nach denen nach ihrer Ansicht heutzutage derartige Kästen ein¬ 
zurichten und auszustatten sind, um dann zum Schluß einen 
hiernach von Zdarsky- Lilienfeld aus Fournierholz herge¬ 
stellten, durch Zeichnungen auch seines Innern veranschaulichten 
leichten, tragbaren, praktischen Koffers als Einheitstype vorzu¬ 
schlagen. Uns will fast scheinen, als seien diese Prinzipien viel¬ 
leicht, doch etwas zu radikal. Sie lauten kurzgefaßt: keine In¬ 
strumente zu operativen Eingriffen, weil diese an der Unfallstelle 
oder im Rettungswagen möglichst zu vermeiden sind, keine Des¬ 
infektionsmittel und Waschvorrichtungen, vielmehr, da die Auf¬ 
gabe der ersten Hilfe fast stets nur in der Anlegung eines asep¬ 
tischen Transportnotverbandes besteht, nur Behelfe zu provisori¬ 
schen Wund- und Schienenverbänden, diese aber reichlich und in 
tadellosem Zustande. Gegen die Begründung ist an sich gewiß 
nicht viel einzu w t enden, wir haben nur das Gefühl, daß, wenn 
man aus einem Rettungskästen alle Instrumente usw. entfernt, 
dieser sich zwar sehr leicht hersteilen läßt, im gegebenen Falle 
aber doch manches vermissen lassen wird, weil Krankenhäuser 
und Chirurgen, wie in einem als Beispiel angeführten Fall, nicht 
immer in der Nähe sind. Die Verf. sprechen von dem ..Ersten ; 
internationalen Kongreß für Rettungswesen in Frankfurt 
(Juni 1. J.)“. Der erste derartige Kongreß fand 1876 in Brüssel 
statt. Referent war auf ihm Kommissar des preuß. Kriegs¬ 
ministeriums. 

2. Die allgemeine Erkenntnis, daß der größte Teil der Medi¬ 
ziner die Hochschule ohne Kenntnis der sozialen Medizin ver¬ 
läßt, daß beispielsweise jemand ein vortrefflicher Kliniker und 
doch kein Versicherungsarzt sein kann, so daß bereits Kranken¬ 
kassen. Versicherungsanstalten, ärztliche Vereine und Versiche¬ 
rungsfachmänner mehrfach Abhilfe verlangt haben, hat 1901 die 
staatliche Arbeiterunfallversicherungsanstalt für Nieder-Oester¬ 
reich veranlaßt, offiziell den Wunsch auszusprechen. daß den 
jungen Medizinern über die wesentlichsten Bestimmungen der so¬ 
zialen Versicherungsgesetze Unterricht erteilt werden möge. 

3. Eine bemerkenswerte Entscheidung hat. nach der „Medizin. 
Reform“ a. a. O. die II. Zivilkammer des Landgerichts in Darm- 
stad t gefällt. Eine Firma hatte einem Arbeiter eine behördlicher- j 
seits nach dem hessischen Wohnungsaufsichtsgesetz wegen j 
Feuchtigkeit, mangelhafter Beleuchtung und unzureichenden 
Aborts usw\ für unbewohnbar erklärte Wohnung vermietet. 
Nach Zustellung des polizeilichen Räumungsbeschlusses ließ sich 
der Vermieter von der Ehefrau des Arbeiters, die zu der Zeit 
allein w'ar. ein Schriftstück unterschreiben, daß er, der Ver¬ 
mieter, die Wohnung gekündigt habe, nur damit er, w'ie er sagte, 
nicht bestraft würde; die Familie könnte ruhig wohnen bleiben. 
Später blieb der Mieter die Miete schuldig, und der Wirt klagte. 
Die Klage wmrde abgewdesen. Das Rechtsgeschäft sei nach § 118 
des BGB. nichtig, weil Vermieter gegen die guten Sitten ge¬ 
handelt habe, indem er den Mieter veranlaßte, ein Mietsverhältnis 
fortzusetzen, über dessen IJnwördigkeit er belehrt vor. 


Mitteilungen über Arzneimittel. 

Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. Was leistet gegenwärtig die innere Behandlung der 
Syphilis? Von Dr. Köhler. Fortschr. der Med., 1908, Nr. 21. 


2. Resultate mit meinem neuen Verfahren der Cred6isierung 
der Neugeborenen in der Anstalts- und Hebammenpraxis. Von 
Dr. II. H e 11 e n d a 11. Med. Klinik, 1908, Nr. 42. 

1. Dr. Köhler hat im letzten Jahre 42 Fälle von Lucs, die 
alle Stadien betrafen, mit Mergal behandelt und gute Erfolge 
erzielt. Er fand, daß das Mergal gut vertragen wird, daß die 
Resorption und Ausscheidung des Hg leicht und schnell und pro¬ 
portional der gereichten Quecksilbermenge erfolgt, und daß es 
gegen jede Form und jedes Stadium der Syphilis wirksam ist. 
In einigen Fällen fand er nach über 14 Tagen, in einem Falle 
noch nach 24 Tagen Spuren von Quecksilber im Urin. Wenn 
auch der eine Patient lieber nach deni Essen, der andere lieber 
auf nüchternen Magen das Mittel nahm, so vertrugen sie doch 
alle Mergal gut, bis auf drei, die stets heftige Koliken bekamen, 
die nach Aussetzen des Präparates sistierten. K. schlägt vor, das 
gallensaure Quecksilberoxyd nicht in gelatinierten Kapseln, son¬ 
dern in keratinierten Pillen in den Handel zu bringen; denn die 
Gelatinekapseln sind für manche Menschen immer noch zu groß. 
Ob nach Mergalgebrauch Recidive schneller und öfters auftreten 
als bei Schmier- und Spritzkuren, kann K. wegen Kürze der Be¬ 
obachtungszeit noch nicht entscheiden. 

2. Wenn auch in Anstalten die Morbidität der blennorrhoi- 
schen Kinder von 10 auf 0,1% heruntergegangen ist, so ist doch 
noch bei 31% aller blinden Kinder (gegen 50% vor dem 0 red e- 
schen Verfahren) der Verlust des Augenlichtes auf eine während 
der Geburt erworbene Augeneiterung zurückzuführen. Denn die 
Einträufelung von Argent. nitric. ist noch nicht obligatorisch 
eingeführt, da die Frage des C rede scheu Verfahrens noch viel 
umstritten ist. Die gegen die Höllensteineinträufelung erhobe¬ 
nen Einwände hat H. dadurch zu beseitigen gesucht, daß er eine 
l proz. Argentumlösung in Ampullen zu 0,5 ccm luitdiclit ein¬ 
schließen ließ. Nach Abbrechen in vorgemerkten Riefen wird 
die Flüssigkeit in eine gewöhnliche Augenpipette übertragen, 
aus der sie durch ein Wattefilter langsam heraustropft. Dadurch 
wird vermieden, daß zuviel Argentum ins Auge geträufelt wird, 
was bei dem C r e d e sehen Verfahren mit dem Glasstäbchen und 
mit einer Augenpipette oder dem Hebammeutropfglase leicht 
geschehen kann. Ferner wird durch den an der Ampulle befind¬ 
lichen Wattebausch eine zeitliche Begrenzung und genaue Ver¬ 
abfolgung des Tropfens ermöglicht, eine Berührung der Horn¬ 
haut, wüe sie mit dem Glasstab bei ungeschickter Manipulation 
möglich ist, vermieden. Die Gefahr der Verdunstung der Höl¬ 
lensteinlösung wUd durch den luftdichten Abschluß in der Am¬ 
pulle verhütet. Es ist also dadurch eine Zersetzung oder stärkere 
Konzentration oder Verunreinigung unmöglich gemacht. Um 
zu vermeiden, daß beim Abbrechen des Ampullenhalses Glas¬ 
splitter an den Fingern Zurückbleiben, welche ins Auge gelan¬ 
gen könnten, muß man vor der Einträufelung die Finger mit 
einem Handtuch abwischen. Mit seiner Methode hat H. an 1000 
Fällen Versuche anstellen lassen sow 7 ohl in Anstalten wie in der 
Praxis. Dieselben haben ergeben, daß in keinem Falle 
eine primäre Gonoblennorrhoe auftrat. Demnach 
genügt eine 1 proz. Argentumlösung. Nur in 2 Fällen kam es 
zu einer sekundären Gonoblennorrhoe. 892 Augen blieben völlig 
reaktionslos. Bei 95 Augen trat ein Argentumkatarrh ein; doch 
verliefen alle diese Reizungen ohne nachteilige Folgen. Die 
bisherigen Nachteile, daß das Glas zu hart und der Wattebausch 
zu fest war, sind jetzt bei der Herstellung behoben. Luftblasen 
werden vermieden, wenn man den Ampulleninhalt langsam in die 
Pipette gelangen läßt. H. glaubt den Beweis erbracht zu haben, 
daß sein Verfahren nur Nutzen bringen kann und empfiehlt des¬ 
halb die obligatorische Credeisierung nach dieser Methode. Die 
Viktoriaapotheke in Berlin SW., Friedrichstr, 19. liefert 1 Kar¬ 
ton mit 10 Ampullen zu 2.— M. 

Neuerschienene Arzneimittel. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

Diplosa!. 

Formel: OH CeH, COO CbH OOOH. 

Eigenschaften: Diplosal ist ein weißes Kristallpulver 
vom Schmelzpunkt 147 °, das sich in kaltem Wasser und verdünn¬ 
ten Säuren fast gar nicht löst.. In verdünnten Alkalien ist es 
unter allmählicher Aufspaltung in Salizylsäure sehr leicht lös¬ 
lich. Das Präparat ist ein Salizylsäureester der Salizylsäure und 
enthält diese in konzentrierter Form, ja es enthält noch mehr 
Salizylsäure als diese selbst, da es aus zwei Molekülen derselben 
unter Austritt eines Wassermoleküls entstanden ist. Demnach 
enthalten 100 Teile Diplosal 107 Teile Salizylsäure. 





THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


1908 


691 


Indikationen: Das Diplosal findet da Anwendung, wo 
auch SaiizylPräparate verordnet werden, und ist besonders da 
zu empfehlen, wo eine Salizylwirkung ohne Schädigung des Or¬ 
ganismus durchaus erwünscht ist. Da das Diplosal eine sehweiß- 
treibende Wirkung nicht besitzt, ist sein Erfolg in solchen Fül¬ 
len, wo dieses erwünscht ist, beeinträchtigt (Arthritis defor- 
mans). In allen Fällen wurde es gut vertragen: auch bei fort¬ 
gesetzter Anwendung hoher Tagesdosen (bis zu 6,0 g) zeigen sich 
keine üblen Nebenerscheinungen. Bei der Behandlung des akuten 
Oelenkrheumatisinus trat prompte Entfieberung und Besserung 
der Gelenkerscheinungen ein. 

Pharmakologisches: Da das Diplosal in verdünnten 
Säuren fast unlöslich ist, so passiert es den Magen beinahe un¬ 
verändert und ist infolgedessen so gut wie ohne Reizwirkung auf 
die Magenschleimhaut,. Erst im Darme erfolgt seine Resorption, 
wo es sich im alkalischeu Darmsaft löst und allmählich in Sali¬ 
zylsäure aufspaltet, die nunmehr ihre Wirkung entfaltet. 

Dosierung und Darreichung: Diplosal wird zu 
0,5—1,0 g, eventuell mehrmals täglich verabfolgt. Tagesdosis 
3,0—6.0 g. 

Rezept for m e 1: 

Rp. Diplosal 1,0 g. Tal. dos. No. X. 

oder: 

1 Originalröhrchen mit 20 Tabletten zu 0.5 g (= 1.— M.) 
oder • 

1 Originalkarton mit 50 Tabletten zu 0,5 er (— 2,35 M.). 

Literatur: O. Min k o w s k i: ..Zur medikamentösen 
Therapie der akuten Gelenkrheumatismen.“ Therapie d. Gegen¬ 
wart, September 1908. 

Firma: Boeh ringer *V S ö h n e. Mannheini-W aldhof. 


Technische Neuerscheinungen, 

Perf Oratorium. 

Nach Dr. Nacke, Berlin. 

Das Instrument besteht aus einer 24 cm langen. 14 mm 
dicken Röhre, die am einen Ende eine aus 3 spitzen Pris¬ 
men zusjtmmengesetzte Spitze trägt. Durch die Röhre wird 



ein fester Metallstab eingeiührt; wird dieser um seipe 
Längsachse vorgedreht, so bewirkt er eine Oeffnung der 
Spitze in der Weise, daß eine der Außenflächen der drei 
Prismen als scharfe Schneide schräg nach außen gestellt 
wird. Die Anwendungsweise des Instruments ist folgende: 
Mit der geschlossenen Spitze wird die entsprechende 
Knochenpartie des kindlichen Schädels durchbohrt, etwa 
1 1 / L . cm tief; dann wird das Instrument etwas zurückge¬ 
zogen und die Spitze geöffnet, worauf es wie ein Korken¬ 
zieher unter leichtem Druck und einmaliger Drehung um 
die Längsachse in den Schädel eingebohrt wird; dabei wird 
aus letzterem eine kreisrundes Stück ausgeschnitten. Die 
Vorzüge des Instruments sind: 1. die sichere Einführung 
ohne Verletzungsgefahr für die eigene Hand und die Ge¬ 
bärende; 2. der kreisrunde Ausschnitt aus dem Schädel, 
der’ein besseres Ausräumen und Ausspülen des Schädels 
gestattet, als beim vierzipfeligen Ausschnitt mit dem 


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Vor Nachahmungen und Fälschungen wird gewarnf. J 


| schereinörmigen Perforatorium und ein sicheres Anlegen 
des Kranioklast ermöglicht; 3. die schnelle und für die 
Enthirnung ausreichende Eröffnung des Schädels an sehr 
harten oder für die Perforation ungünstig gelegenen Partien 
des kindlichen Schädels. Fabrikant: H. W i n d 1 e r, Berlin, 
Friedrichstraße. M. Plien, Berlin, 


Bücherbesprechungen. 

Der Kopfschmerz als häufige Folge von Nasenleiden und 
seine Diagnose. Von Dr. V eckenstod t. Würzburger Ab¬ 
handlungen aus dem Grenzgebiete der praktischen Medizin, 190S. 
VIII. Bd v Heft 8. 

Mehr und mehr verschaffen glänzende therapeutische Erfolge 
der Rhinologie das ihr gebührende Ansehen. Welche hervor- 
i ragende Rolle die Nase oft bei Kopfschmerz spielt, darauf macht 
Veckenstedt in klarer Darstellung aufmerksam und zeigt, 
wie man oft jahrelang bestehenden Kopfschmerz durch einen ein¬ 
fachen Eingriff dauernd beseitigen kann. Bei seiner Einteilung: 
der lokale, neuralgische, zerebrale Kopfschmerz, lassen sich Wie¬ 
derholungen in den einzelnen Abschnitten nicht vermeiden. Den- 
r.cch stören sie kaum, da dieselben AfFektionen dann von ver¬ 
schiedener Seite beleuchtet werden. Glücklich sind auch die 
wiederholten anatomischen Hinweise auf Beziehungen zu benach¬ 
barten Nerven- und Gefäßgebieten, welche dem weniger Geschul¬ 
ten das Verständnis des kausalen Zusammenhanges näher brin¬ 
gen. M. Halle, Charlottenburg. 

Aerztliehes Vademekum und Taschenknlender für 1909. 

XV. Jahrg. Von Dr. A. K r ü c li e. München. G m e 1 i n. 186 S. 
Kleinoktav. Preis M. 2,—. 

Das bekannte Vademekum ist. auch dieses Jahr wieder in ver¬ 
besserter und erweiterter Form erschienen. Es enthält viele fin¬ 
den Arzt wichtige Daten, die er sich sonst mühsam zusammen- 
suchen müßte, in übersichtlicher Form angeordnet, ferner Fieber- 
tabellen und weißes Papier, was ersetzt werden kann, Diätkuren, 
Nothilfe, Gesetzeskunde. Aerztetaxen für Bayern, Preußen, Würt¬ 
temberg etc. Esch. 

Therapeutisches Jahrbuch, XVIII. Jahrgang. Leipzig und 
Wien. 1908. Franz Deutricke. 4 M. • 

Das von Dr. med. Ernst Nitzeinadel in Schneeberg 
i. S. zusammengestellte und geordnete Jahrbuch bringt im 
18. Jahrgang kurze diagnostische, therapeutische und pharma- 
j kologisclie Angaben, die der Verfasser der deutschen medizini¬ 
schen JournallitAratur, wie sie das Jahr 1907 brachte, unter¬ 
nommen hat. In der ersten Abteilung werden einige diagnosti¬ 
sche Neuerungen angegeben, die im Laufe des vorigen Jahres für 
die Urinuntersuchung. Färbung von Mikroorganismen usw. ver¬ 
öffentlicht wurden. Dabei wurde aber nur auf das für den Prak¬ 
tikei wirklich Brauchbare Rücksicht, genommen. Dasselbe gilt 
für die therapeutischen Notizen. Auch von den neuen Arznei¬ 
mitteln fanden nur diejenigen Erwähnung, die infolge ihrer 
Brauchbarkeit ihren Platz in unserem therapeutischen Schatz be¬ 
hauptet. haben. Am Schlüsse einer jeden Angabe linden sich 
kurze Notizen, an welcher Stelle man das Original nachlesen 
kann. Wenn der Verfasser sich als Leitsatz das Motto aufgestellt 
hat: Priinum non nocere, so muß man zugeben, daß die diagnosti¬ 
schen, therapeutischen und pharmakologischen Angaben im all¬ 
gemeinen nur das bringen, was auf Grund exakter Untersuchun¬ 
gen und Erfahrungen als brauchbar angesehen werden kann. 
Wer sich über die letzten Neuheiten schnell orientieren will, dem 
kann das Buch gern empfohlen werden. 

Dr. K r ü g e r, Magdeburg. 

Nicht durch die Tagesblätter, soudern allein auf-Grund seiner 
effektiven Vorzüge bei der Behandlung von Skröpliulose und Rhachitis 
soll das Nährfett Fucol sich seiue Stellung im Arzneischatze erringen. 
Diesen Weg der Einführung wird jeder Praktiker billigen. Man ver¬ 
ordne Orig.-Flaschem ä V 2 Liter ä Mk. 2.—. Der General -Vertrieb: 
Karl Fr. Töllner, Bremen. 

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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 46 


Allgemeines. 

Verein der Badeärzte an der Ostsee. 

Einladung zur IX. J a h r e s v e r s a m m lu n g am 
Sonntag, den 6. Dezember 1 9 0 8, vormittags IIV 2 Uhr. 
in. Bureau des Verbandes deutscher Ostseebiider, Berlin NW,, 
Unter den Linden 76a, Eingang Neue Wilhelmstraße. 

Beiträge zur Tagesordnung, welche nach dem 
21. November er. den Herrn Kollegen xugestellt werden wird. 

Verantwortlicher Redakteur: Dr. 11. Lungwitz. Rerlin S. 

Druck von Carl Marsehner 


bitte ich bis zu genanntem Tage an den Unterzeichneten gütigst 
einsenden zu wollen. 

Nach der Sitzung findet, wie alljährlich, ein gemeinsames 
Mittagessen (Gedeck 2,00) in dem Weinrestaurant von Junker, 
i Neue Willielmsstr. 5 (neben dem Versammlungslokale), statt. 

Um recht rege Beteiligung an der Jahresversammlung bittet 
mit kollegialem Gruß 

Der Vorstand. 

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Berlin SO. 26. Waldemarstr. 55. 

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Herausgegeben von 

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re'ch. Berlin, Pn* Dr. H Boruttau, Berlin, Prof Dr. E. Braatz, Königsberg. Geh. Med.-Rat Prof. Dr. v. Bramann, Halle a S PrrfDr C L R™h«“ 
Pr C m n P r° * G ia o Ur< i kha !?' Prof> Dr A * Dührssen ’ Berlin, Prof Dr. E. Enderlen, Würzburg, Prof. Dr R. Eschweiler Bonn Geh^ted tot 

akJ' 9 rC * A * £ E ^ a,d ’ Berlin, Prof. Dr. A. Fränkel, Berlin, Prof. Dr. E. Friedberger, Berlin, Prof. Dr. P. Gerber. Königsberg Reg-Rat Prof Dr ‘luffii« 
Abbazia, Prot Dr. K. Hammer Heidelberg, Prof. Dr. K. Helbing, Berlin, Prof. Dr. M. Henkel, Greifswald, Prof. Dr. K.^Herxheimer Frankfurt*i* M * 
P f M H J ymann ’ Ber, ; n ’ Prof - Dr - A. Hildebrandt, Berlin, Prof. Dr. K. Holzapfel, Kiel, Prof. Dr. A. Jesionek, Gießen Prof Dr 0 Jochmann Rer^n’ 
Pro ^, D ;- M Koeppen .Berlin, Prof. Dr. A. Kollmann, Leipzig, Prof. Dr. J Kocks, Bonn, Prof. Dr. G. Köster Le W? Geh Med Ra^Prof n r ’ 

0. Kustner, Breslau, Prof. Dr. H. Lenhartz, Hamburg, Prof Dr. M. Lewandowsky, Berlin Prof Dr G Meyer Berlin Prof Dr M m«LIr v' 

Prok Dr E. Opitz Düsseldorf, Geh Med.-Rat Prof. Dr. K. Partsch, Breslau, Geh."Med,Rat Prof. Dr H Reg Rat Prof Dr' 

B. Proskauer, Berlin, Prof. Dr. L. C. Rehn, Frankfurt a. M„ Prof. Dr. K. Ritter, Greifswald Prof Dr H Rosin Ber n Pmf ör Th g p.flv p ° 

P ™ f ; D K r H-. Schlange Hannover, Prof. Dr. Ad. Schmidt, Halle a. S. f Geh. Med.-Rat Prof. Dr. H. Schmidt-RimpIe^Hille a S Pro^D^ W^Scholtz’ 
Königsberg i Pr., Prof. Dr. E. Schnitze, Greifswald, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. H. Senator, Berlin, Prof. Dr E Sommer Zürich Prof n? mS .f ln’ 
R. Sommer, Gießen. Prof. Dr. 0. Sultan. Berlin, Prof. Dr. A. Hetze, Breslau, Prof Dr. P. 0. Unna, Hamburg gT Ld -RatH , f 

Magdeburg. Prof. Dr. 0. Vu.pius, Heidelberg. Prof. Dr. H. Walther, Gießen, Prof. Dr. F. Wesener Äafhen? ProF Dr O Winter Königsberg 

Prof. Dr. E. Ziemke, Kiel. 6 


Redaktion: Verlag und Expedition: 

Dr. med. et phil. H. Lungwitz, Berlin S. 14, Dresdenerstr 44. Gustav Ehrke Zeitschriftenverlag, Berlin W. 9, Köthenerstr 44 

Telephon: Amt IV, 11773. I! Telephon: Amt VI, 3020. 

Offizielles Organ des Schwarzwaldbäderfages, des Vereins der Aerzfe in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte 

der Ostsee und der Medizinisch-biologischen Gesellschaft. 


II. Jahrgang. 


Berlin, 22. November 1908. 


Nr. 47. 


u U, Dic " T ! le n a ? e “. ,isch , e R "nd sc hau“ erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2 M., einzelne Nummer 20 PI Zu beziehen durch den Verl.e ,„„^7". 

" erdcn '“ r d,e J|;eSpal,ene Zei,c <*>""' mit 50 Pf - ‘•erechnei. Beilagen „ach UeberlkunÄkTaÄ' 3Rl" toi 

Nachdruck Ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. 


Originalien: 

A. Mo eil er, Berlin: Coffein freier Kaffee bei der Behandlung 
Lungenkranker . 093 

J. Sadger, Wien-Gräfenberg: Die Hvdriatik des Morbus 

Brightii. 694 

Referate: 

K. Helbing und P. Roeder. Berlin: Cliirurgie.698 

E. Meyer, Charlottenburg: Lungenkrankheiten.699 

E. Rehfisch, Berlin: Herzkrankheiten. -.699 

M. Pickardt, Berlin: Magen-, Dann- und Stoffwechselkrank¬ 
heiten .701 

.T. Ibrahim, München: Kinderheilkunde.701 

F. Trip old: Klimatotherapie und Thalassotherapie .... 703 


ORIGINALIEN. 

Coffei'nfreier Kaffee bei der Behandlung 
Lungenkranker. 

Von Prof. Dr. A. Moeller. 

Spezialarzt für Liuvgenkrankheiten in Berlin. 

Angeregt durch eine Publikation von Professor 
B o r u I t a u ! ) über die Frage der wirksamen Kaffeebestand- 
teile, worin er neben Tierversuchen mitteilt, daß er beim 
Selbstversuch nach der Aufnahme auch extrastarker Dekokte 
(20 :100 Wasser) von „coffeinfreiem Kaffee“ die sonst ge¬ 
wohnte e r regen d e Wirkung geradezu auffällig ver¬ 
mißt habe und auch von anderer unbeeinflußter Seite 
gehört habe, daß Wachhalten zur Arbeit bei vorhandener 
hrmüdung durch Absud des coffeirifreien Kaffees nicht 
zu erzielen sei, sowie daß durch seine Versuche nachge 
wiesen sei, erstens, daß sich durch fabrikmäßiges Ver¬ 
fahren tatsächlich so weitgehende Entziehung des 
Coffeins erzielen läßt, daß der betreffende Kaffee in den 
praktisch in Betracht kommenden Aufgüssen keine Coffein¬ 
wirkung äußert, zweitens, daß die erregende Wirkung des 
Kaffees n u r a uf <1 as C o f f ei n znrückzuführen sei, habe 
ich bei mehreren 1 u n g e n k r a n keil P a t i e n t. e n , die an 
den Genuß des Kaffees so gewöhnt waren, daß sie den- 

*) Prof. Dr. Boruttau: Zur Frage der wirksamen Kaffee- 
bestandteile. Zeitschr. f. physikal. u. diät. Therapie, Juni 1908. 


Inhalt. 

Mitteilungen Über Arzneimittel: 

593 W. Krüger, Magdeburg: Referate 

Bücherbesprechungen:. 


^ ail j u . nt Roepke: Lehrbuch der spezifischen Diagnostik 
und Therapie der Tuberkulose (Ref.: Ernst Moyfel*. Char¬ 
lottenburg) .. 

B re LH er und Marhold: Die Willensfreiheit in moderner, 
theologischer, psychiatrischer und juristischer Beleuchtung 
nebst eine Abwehr gegen den Oberstaatsanwalt P. (Ref & : 

G. Fla tau, Berlin). 


Allgemeines 


selben nicht mehr entbehren zu können glaubten, aber nach 
der Einnahme desselben stets starkes, sie sehr belästigendes 
und beunruhigendes Herzklopfen bekamen. Versuche mit 
der Darreichung von coffeinfreiem Kaffee gemacht. 

Bekanntlich verursacht die chronische Tuberkulose be¬ 
sonders in ihren späteren Stadien eine wesentliche B e - 
s c h I e u n i g u n g d e r Herztätigkeit, und zwar nicht 
nur bei den fiebernden, sondern auch bei den fieberlosen 
Kranken. Diese vermehrte Herztätigkeit ist oft auch hei 
luberkulosesuspekten Personen, bei denen später Tuber¬ 
kulose ausbrach, beobachtet worden. 

Die objektive Untersuchung des Herzens ergibt oft 
systolische Geräusche über den Klappen. Selbst wenn die 
Kranken ruhen, wie man sie ja zwecks Heilung der er¬ 
krankten Lungen viel Liegekur machen läßt, kann man 
bei ihnen eine mitunter oft recht beträchtliche über die 
Norm vermehrte Pulsfrequenz konstatieren. Die 
Patienten selbst empfinden diese beschleunigte Herz¬ 
tätigkeit vielfach als sehr beunruhigendes und stark be¬ 
lästigendes Herzklopfen, verbunden mit einem unange¬ 
nehmen Druck der Herzgrube und dem Gefühl einer großen 
Beängstigung. Es ist oft so stark, daß die Kranken Furcht 
haben, sich abends zum Schlafen niederzulegen, weil sie 
vor starkem Herzklopfen nicht einschlafen können; ja mit¬ 
unter pocht es so laut, daß sie wegen des starken Tones 
keinen Schlaf finden können. Sie behelfen sieh oft damit, 
daß sic eine laut gehende Uhr, die ihre Herzschläge über¬ 
tönt, in ihrem Schlafzimmer halten, ihr Schlafzimmer in 
der Vorderfront des Hauses möglichst zur ebenen Erde ein- 





















694 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 47 


richten, damit der Straßenlärm durph das offen gelassene 
Fenster eintritt, und sie somit nicht ständig das beängsti¬ 
gende Herzklopfen hören. 

Doch nicht nur subjektiv unangenehm ist das Herz¬ 
klopfen, sondern man muß auf Grund vielfacher Beobachtun¬ 
gen annehmen, daß eine solche Palpitatio cordis doch meist 
vom prognostischen Standpunkte aus betrachtet, wenn sie 
dauernd und in hohem Grade auftritt, als ein Signum mali 
ominis zu betrachten ist. Sodann auch ist zu berück¬ 
sichtigen, daß durch den erhöhten Druck die Gefahr einer 
Lungenblutung besteht. 

Aus diesen Ausführungen ergibt es sich, daß es bei 
der Behandlung der Lungentuberkulose von enormem 
Werte ist, den Kranken G e n u ß mittel zu geben, die 
ihrem Blutzirkulationsapparat keinen weiteren Schaden zu¬ 
fügen können. 

Ist nun schon in der Ruhe die Pulszahl ca. 100 pro 
Minute, so vermehrt sie sich bei körperlichen Leistungen 
und auch bei Nahrungsaufnahme noch mehr; ganz be¬ 
sonders aber leiden die Kranken unter dieser ihnen äußerst 
lästigen und beängstigenden Pulsvermehrung bei den 
Einnahmen der üblich e n G e n u ß m i 11 e 1, wie der 
alkoholhaltigen Getränke, des Tabaks und des Kaffees. 

Insbesondere beim G e n u ß des letzteren klagten viele 
meiner Patienten über diese sie belästigenden Folge¬ 
erscheinungen. Den Kaffee ganz zu vermeiden ist 
für viele, insbesondere für zahlreiche weibliche Patien¬ 
ten, die sich jahrelang daran gewöhnt haben, nahezu un¬ 
möglich. Es ist also beim Genuß des gewöhnlichen Kaffees 
Vorsicht anzuempfehlen. 

Fragen wir uns nun, was verursacht beim Kaffeegenuß 
die erhöhte Pulsfrequenz, so finden wir als Ursache dafür 
das im Kaffee enthaltende Alkaloid, das Coffein, was 
sich experimentell beweisen läßt. 

Es war also, um den an Kaffeegenuß gewöhnten Pa¬ 
tienten einen weiteren Genuß gestatten zu können, die Auf¬ 
gabe zu lösen, dem Kaffee diesen schädlichen Stoff, der 
in gerösteten Bohnen bis zu 1,16 Prozent enthalten ist, 
zu entziehen, ohne Geschmack und Aroma des Kaffees 
zu ändern. 

Es wurden viele dahinzielende Versuche angestellt, 
doch ließen sie sich im großen alle nicht durchführen, 
bis endlich der Chemiker Wimmer 2 ) ein Verfahren, den 
sog. Aufschließungsprozeß, fand, wodurch es mit Hilfe von 
Extraktionsmitteln möglich war, die Zellen in den Bohnen 
zu öffnen und durch nunmehriges Eindringen der Extrak¬ 
tionsstoffe die Coffeinsalze zu zerlegen. Wenn nun die 
so vorbehandelten Bohnen mit Coffeinlösungsmitteln, wie 
Aether, Chloroform, Benzol extrahiert werden, so gelingt 
es, ihnen das Coffein bis auf Spuren zu entziehen, während 
alle jene, den angenehmen Geschmack und das Aroma 
bedingenden, Bestandteile, wie Kaffeegerbsäure, Zucker 
etc., dem Kaffee erhalten bleiben. Der verschwindend kleine 
Bruchteil Coffein, welcher nach diesem Verfahren noch 
im Kaffee bleibt (man berechnet in einer Tasse Kaffee von 
125 ccm, hergestellt aus 5 g Kaffee, noch ca. 0,005 g) ist 
kaum nennenswert und kann keine schädliche Wirkung 
mehr ausüben. Der coffeinfreie Kaffee behält die äußeren 
Eigenschaften des gebrannten Bohnenkaffees; außer dem 
Coffein geht nur noch ein wenig von einer wachsartigen 
Masse verloren. 

Ich habe nun in jüngster Zeit mehrfach Ver¬ 
suche mit diesem von der Bremer Kaffee-Handels- 
A.-G. in den Handel gebrachten Kaffee ,,Hag“ an¬ 
gestellt bei lungenkranken Patienten, die nach dem Genuß 

( 2 “Coffeinfi'eier Kaffee.“ Vortrag, geh. auf der 12. Versammlung 
der Chemiker Deutschlands. Zeitschi’, f. öffentl. Chemie 1907, H. 22. 


vom gewöhnlichem Kaffee unangenehme Roizersehei- 
n u n gen, wie vermehrte und verstärkte Puls f r e q u e n z 
und Blutandrang nach dem Kopf hatten, sowie auch 
bei Patienten, die an Tachykardie litten; ich berück¬ 
sichtigte dabei Fälle von Anfangsstadicn wie auch vorge¬ 
schrittene Erkrankungen, von letzteren fiebernde und nicht 
fiebernde. Der größte Teil der Kranken empfand die nach 
dem Genuß des c o f f e i n h a 11 i g e n Kaffees auftretende 
noch stärkere Herzaktion als sehr beunruhigend und be¬ 
ängstigend. Ich ließ den coffeinfreien Kaffee stels in 
gleicher Stärke hersteilen, wie bei dem früher be¬ 
nutzten gewöhnlichen Kaffee und auch in gleicher 
Quantität nehmen. Sämtliche Palienten teilten mir mit, 
daß der coffeinfreie Kaffee ebenso gut schmecke, wie der 
gewöhnliche Kaffee und ein sehr angenehmes Getränk sei, 
das von dem coffeinhaltigen Kaffee nicht zu unterscheiden 
sei; und sie zögen diesen neuen Kaffee vor, weil bei seinem 
Genuß die unangenehmen Begleit- und Folgeerscheinungen, 
die Reizwirkungen, ganz ausblieben; insbesondere die so 
lästige Herzbeschleunigung nicht aufträte. Auch das Ge¬ 
fühl des Blutandranges nach dem Kopf blieb bei der Mehr¬ 
zahl aus. 

Vergleichende Experimente, die ich bei zwei Patienten 
mit coffeinhaltigem und coffeinfreiem Kaffee anslellte 



/W\aaaaaaaa/ia^. 

vor dem Versuch 
2 Tassen coffeinl: 



AAf*MA/\AA 

V 4 Stunde nach dem Versuch 
1 Kaffees ( 20 : 100 Wasser). 


(beide erhielten beide Male die gleiche Quantität und in 
gleicher Stärke hergestellte Proben von beiden Kaffeesorten), 
ergaben, daß A t m 1111 g und K r e i s 1 a u f nach dem Ge¬ 
nuß des coffein haltigen Kaffees gesteigert (bei einem 
wurde die Pulsation irregulär) wurden; insbesondere wurde 
die A t m u n g flacher und beschleunigt; während nach 
dem Genuß des coffeinfreien Kaffees keinerlei Diffe¬ 
renzen gegenüber dem Verhalten vor dem Versuch 
zu konstatieren waren. 

Hiernach empfehle ich meinen Patienten, die den 
Kaffeegenuß nicht entbehren zu können glauben, zumal 
da viele, denen ich Schokolade oder Kakao anstatt des ge¬ 
wohnten Kaffees empfohlen habe, bald dieser Präparate über¬ 
drüssig werden und wieder zum Kaffeegenuß zurückkehren 
zu müssen meinen, den coffeinfreien Kaffee ,,Hag“ als Er¬ 
satzmittel, und wie ich bisher beobachtet habe, mit außer¬ 
ordentlich günstigem Erfolg. 


Die Hydriatik des Morbus ßriglitii. 

Von Dr. J. Sadgrer, Wien-Gräfenberg. 

Beim Morbus Brightii von Wasserkur zu sprechen, 
scheint den meisten Aerzten ganz ungeheuerlich. Sie lassen 
allenfalls heiße Bäder oder ZiemSsens heiße Einwicklun¬ 
gen gelten, von kühlen oder vollends kalten Prozeduren 
wenden sie sich mit Entsetzen ab. Das hat zwei Gründe, von 
welchen der eine ganz unberechtigt ist., der zweite bis zu 
einem gewissen Grade Beachtung heischt. Der erste 
unberechtigte ist die Furcht vor Erkältung und dieser letzte¬ 
ren fälschliche Identifikation mit Kälte. Weil die Erkältung 




THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU: 


1908 


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mitunter Ursache akuter Nephritiden ist, weil man ferner in 
einzelnen Fällen beobachtete, freilich ausschließlich bei da¬ 
zu Disponierten und Versagen der normalen Reaktion, daß 
V 4 —1 ständige kalte Bäder Eiweiß, ja selbst Zylinder im 
Harne zur Folge hatten, darum scheute man a priori zurück 
vor kalten Prozeduren bei Morbus Brightii. Berechtigter ist 
der zweite Einwand. Die Haut der Nephritiker reagiert 
auf Kältehydriatik schlecht, was aber für den geschulten Arzt 
keine unübersteiglichen Hindernisse setzt. Man vergesse 
nur nie, worauf ich schon hier nachdrücklichst verweise, 
auf Erzwingung voller Reaktion zu achten, womöglich bis 
zu Warm- und Rotwerden der Haut durch entschlossene 
thermische und mechanische Reize. 

Ehe ich auf die spezielle Hydriatik eingehe, seien erst 
einige allgemeine und historische Gesichtspunkte voran¬ 
geschickt. Man glaubte lange an einen gewissen Antago¬ 
nismus zwischen äußerer Haut und inneren Organen, so 
auch den Nieren. Würde z. B. das Strombett der Raut 
durch irgendwelche Reize ad maximum erweitert, so sollte 
damit eine Kontraktion der Gefäße innerer Organe einher¬ 
gehen, eine dekongestionierende Wirkung demnach. Nur 
trifft dies leider just für die Nieren nach neueren Forschun¬ 
gen keineswegs zu, vielmehr besteht zwischen ihnen und 
der äußeren Körperbedeckung ein gewisser Parallelismus. 
Erweitern oder verengern sich die Hautgefäße, so tun es 
die Gefäße der Nieren auch. Damit fällt diese theoretische 
Voraussetzung für unser therapeutisches Vorgehen weg. 
Hingegen hielt eine andere Annahme bisher Stich, daß 
nämlich die Haut, wenn ihre Energie entsprechend ge¬ 
stachelt wird, die Funktionen der Nieren bis zu einem 
gewissen Grade übernehmen kann, also vikariierend für 
diese eintritt. Es kann ganz sicher die Wasser- und Koch¬ 
salzausscheidung der Haut in sehr beträchtlichem Maße 
erhöht werden, in geringerem die Stickstoff-Elimination und 
wohl auch der Toxine, von welchen wir nur freilich zur 
Stunde noch nichts wissen. Wenn es wahr ist, wie die 
neueste Lehre lautet, daß an den Oedemen die mangelhafte 
Kochsalzausscheidung Schuld trägt, dann wäre die ver¬ 
mehrte Hautperspiration von größter Bedeutung. Nur finden 
die Chancen unserer Erfolge dadurch eine ganz beträcht¬ 
liche Einschränkung, daß erstens ein gewisser Antagonis¬ 
mus besteht zwischen Schweiß und Diurese, so daß bei einem 
vermehrten Schwitzen die Niere dann wenigef an Wasser 
ausscheidet und zweitens erfahrungsgemäß auch die ange¬ 
strengteste Hauttätigkeit auf die Dauer nicht genügt, die 
Funktion der Niere vollständig zu ersetzen. Immerhin ist 
ihre Ersatztätigkeit weitaus die bedeutsamste für die Er¬ 
haltung des Lebens, das die Insuffizienz der Niere bedroht. 

Dasjenige Symptom, das den Kranken gewöhnlich zum 
Arzte treibt, sind die Oedeme, die seine Leistungsfähigkeit 
so beträchtlich herabsetzen. Darum waren bereits im Alter¬ 
tum die Bemühungen der Aerzte darauf gerichtet, sie durch 
Schweißerzeugung wirksam zu bekämpfen, wie Lieber¬ 
meis ter in seiner grundlegenden Arbeit 1 ) ausführt. Schon 
Celsus riet, gegen Anasarca Insolationen an. Man 
setzte die angeschwollenen Teile den direkten Sonnen¬ 
strahlen aus und verhüllte nur den Kopf, oder es wurde 
der Kranke mit Sand bedeckt, der vorher an der Sonne 
stark erhitzt worden war; oder man rief durch Einwicklung 
in vorher stark erwärmte Felle Schweiß hervor (also 
Trockenschwitzpackung); auch wurden hydropische Kranke 
in Backöfen oder Schwitzstuben gebracht, was eine primi¬ 
tive Form der Heißluftbehandlung darstellt. Warme Bäder 
empfahl erst später Aetius, während Umschläge, Kata- 
plasmen und Pflaster schon frühzeitig in hohem Ansehen 
standen. Daneben sah schon Celsus die mehr weniger 
vollständige Abstinenz von flüssiger Nahrung als erforder¬ 
lich an, ja einzelne Autoren verlangten noch obendrein 

l ) lieber die Anwendung der Diaphorese bei chronischem 
Morbus Brightii. Prager Vierteljahrsschrift, 1861. 


TTZTTroTTTv 


längeres Hungern. In neuerer Zeit nahm die diaphoretische 
Methode durch B rights Entdeckung einen glänzenden 
Aufschwung und wurde besonders durch Osbornc und 
Forget und endlich vor allem durch Liebermeister 
gefördert. Der Letztgenannte machte Versuche mit heißen 
Bädern und kam zum Schlüsse, daß „namentlich ein Bad, 
dessen Temperatur allmählich bis zu einem möglichst hohen 
Grade gesteigert wird, das sicherste Mittel sei, um die 
Temperatur des ganzen Körpers beträchtlich über die Norm 
zu erhöhen. Ich hatte bei den an mir selbst angestellten 
Versuchen die Erfahrung gemacht, daß nach einem solchen 
Bade, solange die Temperatur des Körpers noch nicht zur 
Norm zurückgekehrt war, eine Neigung zu profusen 
Schweißen bestand. Wurden nach einem heißen Bade die 
Kranken in wollene Decken eingewickelt, so erfolgte eine 
äußerst profuse Schweißsekretion; gewöhnlich sickerte 
durch drei wollene Decken, in welche der Kranke einge¬ 
wickelt war, und durch den Strohsack, auf welchem er lag, 
soviel Schweiß hindurch, daß große Quantitäten in einem 
untergelegten Gefäß aufgefangen werden konnten 2 ). Diese 
Beobachtungen haben mir die Ueberzeugung verschafft, daß 
' auf diese Weise einem Menschen größere Quantitäten von 
Wasser entzogen werden könnten, als nach jeder anderen 
Melhode, und daß, wenn überhaupt die Diaphorese eine 
wirksame hydragoge Methode sei, gerade dies Verfahren 
den sichersten Erfolg liefern müsse! Das Bad wurde mit 
38° C. begonnen und die Temperatur durch langsames Zu¬ 
fließen von warmem Wasser allmählich auf 40—42, ja selbst 
43° gesteigert, so warm, als es der Kranke eben noch 
aushielt, Dauer des Bades 1 / 2 — 3 / 4 —1 Stunde, so lange er es 
vertragen würde, dann folgte ein Nachschwitzen in wollenen 
Decken bis zu 2 1 / 2 Stunden. 

Im Jahre 1867 trat Z i e m s s e n mit einem neuen Ver¬ 
fahren hervor. (,,Die methodisch-diaphoretische Behandlung 
des Hydrops“, Deutsches Areh. f. klin. Med v 2. Bd.) Zur 
Schweißerzeugung benützte er die ,,P r i e ß 11 i t z sehe Ein¬ 
wicklung, jedoch mit dem Unterschiede, daß das leineneLaken 
in heißes, statt in kaltes Wasser getaucht ist. In der Ein- 
wicklung blieb Patient 2—3 Stunden. Der Erfolg entsprach 
der gehegten Erwartung: die Schweißsekretion war fast 
jedesmal eine sehr reichliche. Freilich, daß ;ler Erfolg 
der einfachen Warmwassereinpackung dem des heißen Bades 
nicht gleichkommen würde, war von vornherein anzuneh- 
men.“ ln späteren Jahren, als die physikalische Therapie 
immer komplizierter und eleganter wurde, gab es gar bald 
noch manche „Verbesserung“, z. B. Dampfkasten- und 
Dampfwannenbäder, Sand-, Heißluft-, Sonnen- und elek¬ 
trische Lichtbäder, mit welchen Prozeduren man zum Teil 
an die Tradition des Altertums anknüpfte. Das Urteil über 
diese möchte ich Carl vo n Noorden überlassen, der in 
einer seiner letzten Publikationen schreibt: „Ich habe den 
Eindruck und auch einige zahlenmäßige Belege, daß man 
mit dem freilich umständlicheren älteren Verfahren den 
Zweck, eine vikariierende Hauttätigkeit auszulösen, sicherer 
und nachdrücklicher erreicht. Wir fanden öfters, daß gerade 
ödematöse Nierenkranke dabei doppelt und dreifach so¬ 
viel an Gewicht verloren wie bei der Anwendung der Hoiß- 
luftapparate. Letztere sind aber zweifellos bequemer, 
schonender und daher häufiger anwendbar.“ End ich wurden 
schon seil, langem zur Hautpflege indifferent warme 
Wannenbäder von 34 35° C. gegeben. Strass er und 

Blumenkranz, die deren Wirkung in jüngsten Tagen 
genau studierten 3 ), kamen zum Resultat, daß unter ihnen 

2 ) Wer die Geschichte der Hydriatik kennt, wird hier un¬ 
willkürlich an V i n c e 11 z Prießnit /. erinnert, der bis 1840 
alle chronisch Kranken gleichfalls in Wolldecken stundenlang 
trocken schwitzen ließ; auch von diesen wird ganz das nämliche 
berichtet über das Du ic lischwitzen der Decken und des Stroh¬ 
sacks und das Auffangen des Schweißes in untergestellten Ge¬ 
fäßen. 

;1 ) Die Wirkung indifferenter und schweißtreibender Bäder 
bei Nephritis. Bl. f. klin. Hydrotherapie, 1907, No. 8. 

Original fmm 


l._J | ’ij | V 



696 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 47 


die Diurese sich gewaltig hebt Kochsalz- und Stickstoff¬ 
ausscheidung erheblich zunimmt (bei wechselndem Ver¬ 
halten der Eiweißelimination), daß also die indifferenten 
Bäder die Niereninsuffizienz als solche günstig beeinflussen. 

,,Unsere eigene Erfahrung sowie diejenige von Kollegen, 
die gelegentlich unsere Methode versuchten, sprechen dafür, 
daß die systematische Anwendung protrahierter, indifferen¬ 
ter Bäder oft von gutem Erfolge begleitet ist, und daß durch 
Kombination derselben mit einer salzarmen oder salzfreien 
Diät nephritische Schwellungen meist sicher und schnell 
zum Verschwinden gebracht werden können.“ 

Von Leube und Strauss sind gegen die Oedein- 
behandlung mit Schwitz Prozeduren theoretische Bedenken 
erhoben worden. Beide sehen die hydropischen Schwellun¬ 
gen als eine Selbsthilfe des Organismus Vtn. Die Stoff¬ 
wechselprodukte, die die kranke Niere nicht, entfernen 
könnte, würden dann in den Oedemen deponiert und un¬ 
schädlich gemacht, gelangten jedoch mit dem Schwinden 
derselben wieder in die Blutbahn und könnten da urämische 
Anfälle wachrufen. Diese theoretischen Bedenken hat die 
Praxis jedoch nicht sanktioniert. So schreibt z. B. 
Matth es in seinem Lehrbuch: ,,Ich kann nur sagen, daß 
ich bisher niemals einen Nierenkranken infolge eines 
Schwitzbades habe urämisch werden sehen. Auch habe 
ich nicht den Eindruck gehabt, daß ein bereits Urämischer 
durch ein Schwitzbad in seinem Zustande wesentlich ver¬ 
schlimmert wurde.“ Dieser Gegensatz der Meinungen er¬ 
klärt sich vielleicht daraus, daß man jetzt die Indikationen 
für das Schwitzen weitaus präziser stellt, z. B. bei Schrumpf¬ 
niere und bei JJebergang in diese die Diaphorese unter¬ 
läßt und sie auch nicht mehr derart forciert, wie es L i e b e r - 
meist er tat, dessen Kranke dann hiervon oft stundein 
langen Kopfschmerz und Herzbeschleunigung bekamen. 
Endlich ist zu beachten, daß wir heute vielfach die Schwitz¬ 
prozeduren durch das indifferente Bad ersetzen, welches 
nach Noorden „bei Nephritikern breitester Anwendung 
fähig und kaum jemals kontraindiziert ist, wenn man auch 
über seine Bedeutung als Heilfaktor noch kein endgültiges 
Urteil abgeben kann.“ Man kann es heute ganz allgemein 
aussprechen: Schwitzprozeduren, welcher Art immer, sind 
überhaupt nur bei Oedemen statthaft, direkt, kontraindiziert 
bei Schrumpfniere und Uebergang in diese und endlich 
vielfach zu ersetzen durch das harmlose indifferente Bad. 
Schrumpfnieren Und die Uebtu’gangsformen zu diesen sind 
die eigentliche Domäne der Kaltwasserkur. Hat doch selbst 
ein Nichthydriater wie Carl von No orden vor kurzem 
noch geschrieben: „Ich glaube, daß jeder Arzt, der über 
die erfrischenden und die Zirkulation anregenden Kalt¬ 
wasserprozeduren bei Schrumpfniere einige Erfahrungen 
gesammelt hat, Bedenken tragen wird, bei dieser Krankheit 
wieder zu heißen Bädern zurückzukehren. Außer der 
Schrumpfniere gehören vor allem noch die harmlosen juve¬ 
nilen Albuminurien zur Domäne der Kaltwasserprozeduren. 
Hier würden heiße Bäder und Schwitzprozeduren sicher 
nutzlos, eher schädlich sein. Die auf Abhärtung und Er¬ 
frischung, auf Besserung der Blutzirkulation und der Blut¬ 
bild ung hinzielenden Kaltwasserprozeduren leisten dagegen 
vortreffliche Dienste. Schließlich möchte ich auch die nach 
Ablauf einer akuten Nephritis oft noch Monate und Jahre 
zurückbleibenden Albuminurien als geeignetes Terrain für 
die Kaltwasserprozeduren in Anspruch nehmen.“ 

Ich komme nun zu einem der allerwichtdgsten Heil¬ 
mittel, das, anwendbar bei allen wie immer bedingten 
Formen von Hydrops, nicht selten geradezu lebensrettend 
wirkt, ich meine die strengstens durchgeführle Milchkur 
nach Philipp Karell 4 ). Ich will dessen Begeln, die 
noch heute absolut mustergültig, in Kürze hörsetzen. Ver- 


4 ) Von W i n t e r n i I z neuerdinge einem größeren Publi¬ 
kum zugänglich gemacht. — P h i 1 i p p K a r e 11: 1 eher Milch¬ 
kuren. Bl. f. klin. Hydroth., 1900, No. 7 u. 8. 


abreichl. darf anfangs überhaupt nur Milch werden, und 
zwar slets abgerahmt, in welcher Form sie am leichtesten 
verdaulich isl, während fette Milch leicht Borborygrpi und 
Durchfälle erzeugt. Man mag sie lau oder kall verordnen, 
nach Wunsch des Kranken, doch isl sie stets in kleinen 
Schlucken, langsam und gut eingespeichelt zu genießen. 
Entscheidend jedoch für den Erfolg sind drei Momente: 
man muß die Milch slets in ganz kleinen Dosen, 3 4 mal 

täglich und in regelmäßigen Intervallen geben. Man lasst* 
z. B. den Kranken um 8 Uhr früh, um 12 Uhr mittags. 4 Uhr 
nachmittags und 8 Uhr abends je 60 200 Gramm Milch 

trinken, wobei man immer-mit der kleinsten Dosis von 
60 Gramm (4 Eßlöffel) anfangen soll. Auf Wunsch des 
Kranken kann die Stunde der Mahlzeit geändert werden, 
doch ist an den gleichen vierstündigen Zwischenräumen 
ganz unverrückbar festzuhalten. Wenn der Patient die 
Milch gul verdaut, was sich durch konsistente Sliihle doku- 
mentiert, erhöht man allmählich die Dosis bis zu 2 und 
3 Litern täglich. Bei ausgesprochenem Durst isl Wasser 
oder Selters gestattet, bei ausgesprochenem Hunger in der 
2. oder 3. Woche eine altbackene Semmel, eventuell noch 
einmal täglich statt der Milch eine Milchsuppe mit Grütze. 
Eine solche Kur kann nach 5- 6 Wochen modifiziert wer¬ 
den, indem man die Milch nur dreimal täglich nehmen läßt 
und mittags eine Mahlzeit hinzufügt, deren Beschaffenheit 
dem Endziel der Kur entspricht. 

W i n t e r n i t z ergänzt nun aus seinen Erfahrungen 5 ): 
„Bei Kindern und jugendlichen Individuen muß man im 
allgemeinen in kürzeren Zwischenräumen die Einzeldosis 
wiederholen. Hier sind drei- und selbst, nur zweistündige 
Pausen mitunter erforderlich,“ während beim Erwachsenen 
meist eine 3 4 mal täglic he Dispensation genügt. Auch er 

beginnt mit ganz kleinen Dosen von 50 -100 ccm. „Doch 
war ich Öfters gezwungen, wenn bei etwas größerer Menge 
sich nach Ablauf des Intervalls noch Zeichen unvollkomme¬ 
ner Verdauung der vorangegangenen Dosis, Avifstoßen, 
Magendruck oder Schmerz zeigten, die zu reichende Menge 
noch zu verringern und die Zeitintervalle noch zu ver¬ 
kürzen. So mußte die Milch nur löffelweise und in stünd¬ 
lichen und selbst halbstündigen Zwischenräumen gegeben 

werden.“.Die Dosis, mit der ich in den schwersten 

Fällen von Hydrops beginne, bestimme ich mit 60—80 ccm 
und lasse diese Menge 2 3 stündlich wiederholen. Ich 

mache es von dem Einflüsse auf die Verdauung und Harn- 
sekretion abhängig, ob der Kranke den zweiten oder selbst 
noch mehrere Tage der Kur bei derselben Menge gehalten 
wird. Nimmt die Harnabsonderung rapid zu, so kann schon 
am dritten Tage jede Einzeldosis um die gleiche Quantität 
vermehrt werden. Ich gebe dann 90 und selbst 100 ccm 
als Einzelration, womit dann etwa 1 Liter Milch in 24 Stun¬ 
den eingeführt wird. So wird allmählich je nach einigen 
Tagen die Einzeldosis erhöht, wenn sehr großes Nahrungs- 
bedürfnis sich geltend machen sollte. Ich sah öfters Kranke 
4- 6 Liter Milch in 12 Stunden verbrauchen und keinerlei 
. Verdauungsbeschwerden darbieten. Selbst bei so großen 
Dosen habe ich 3- 4 ständige Intervalle genügend befunden. 
Bei kardialen und renalen Hyaropsien gestalte ich durch 
einen und selbst zwei Wochen nur ganz ausnahmsweise 
zu der einen oder anderen Milchportion irgendeine andere 
Nahrung, wie eine dünne Schnitte gebähten Weißbrotes 
öder Grahambrot. Auch davon sah ich wiederholt eine 
Verminderung der Diurese. Auf eine gute Mundpflege soll 
man bei der strengen Milchkur ganz besonders achten. 
Häufig Mundspülungen mit frischem Wasser oder einem 
natürlichen Sauerbrunnen oder einem Absud oder kaltem 
Aufguß von getrockneten Heidelbeeren, Frukt. Vaccini Myrt.., 
der mir überhaupt ein ausgezeichnetes Mittel zur Mund¬ 
pflege scheint, genügen dieser Anzeige. Ein anderes, manch- 

5 ) Physikalische u. diätetische Behandlung des Hydrops. IV. 
Bl. f. klin. Hydroth., 1907, Nr. 1. 



1908 THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. ^ 


mal lästiges Symptom, das bei Milchkuren fast regelmäßig 
aultritt, ist recht hartnäckige Konstipation. Eine kleine 
Menge Bitterwasser Hunyadi, Pülnaer oder Saratica — 
4 6 Eßlöffel, lauwarm am Abend genommen, oder Irri¬ 

gationen beseitigen meist diese subjektiv und objektiv un¬ 
angenehme Komplikation. Oefters beseitigte ich die Hart¬ 
leibigkeit bei der Milchkur durch einen gebratenen Apfel, 
den «ich am Morgen vor der ersten Milchportion verordne.“ 

Nach 40jähriger Erfahrung spricht Winternitz es 
aus, daß sich ihm die strenge Milchkur oft als lebensrettend 
bewiesen habe, daß deren Anzeigen viel weiter gehen, als 
bisher angenommen wurden, und daß sie endlich Hy- 
dropsien, welchen Ursprung immer, weit prompter beseitige, 
als sämtliche pharmazeutischen Diuretika. Einen vollkomme¬ 
nen Fehlschlag habe er wenigstens in bezug auf die Diurese 
und Hydrops niemals gesehen. ,,Die öfters vorkommende 
Idiosynkrasie gegen Milch wird bei Schwerkranken meist 
leicht überwunden, wenn man ihnen die Wichtigkeit und 
Notwendigkeit dieser Maßregel verständlich zu machen be¬ 
müht ist und wenn man möglichst kleine Einzeldosen an¬ 
fangs reicht und diese genau nach der Uhr wie ein Medi¬ 
kament einverleibt. Ich sah oft Patienten auf diese Weise 
eine strenge Milchkur durchmachen und schließlich enorme 
Milchquantitäten aufnehmen und verdauen, die anfangs ganz 
refraktär schienen. Ich muß nochmals mit Kare 11 darauf 
verweisen, daß die Gefahren der Unterernährung bei wirk¬ 
lich Schwerkranken, deren Verdauung darniederliegt, die 
von dem Zugeführten gewiß nur minimalste Teile assimi¬ 
lieren, durch eine so vollständige Nahrung, wie es die Milch 
ist, auch bei quantitativ ungenügender Menge größeren 
Nutzen haben werden als von jeder anderen Ernährungs¬ 
weise, bei der nicht durch die Nahrung selbst der Indi¬ 
kation der Enwässertung gleichzeitig entsprochen wird. 
Längst ist auch die verläßliche Erfahrung gemacht, daß 
zahlreiche akut und auch chronisch Kranke sich durch 
lange Zeit, wohl befanden bei einer Nahrungsmenge, die 
nicht die Hälfte des für Gesunde beanspruchten Kalorien¬ 
bedarfes decken konnte.“ 

Und nunmehr zur speziellen Hydriatik der einzelnen 
Formen. Gehen wir von der akuten Nierenentzündung aus 
und nehmen wir als Beispiel einerseits etwa die Scharlach¬ 
nephritis, andererseits jene im Gefolge einer schweren Er¬ 
kältung. Für die erste ist zu sagen: je prompter und recht¬ 
zeitiger die Wasserbehandlung des Scharlachs, wie über¬ 
haupt der Infektionskrankheiten einsetzt, desto wahrschein¬ 
licher wird die Vermeidung sämtlicher Komplikationen, auch 
der Nephritis. Trat aber ohne Wasserbehandlung oder trotz 
derselben eine fieberhafte Nierenentzündung auf 0 ), dann 
hören wir beileibe mit der üblichen Halbbäderantipyrese nicht 
auf, um so minder, als jene vermutlich bloß Wirkung von 
Toxinen ist, deren Elimination durch Bäder, wie wir wissen, 
gefördert wird. Die einzige Rücksicht, welche wir üben, 
ist, die Halbbäder höher zu temperieren, etwa 32— 29°, und 
den Mangel des thermischen Reizes durch kräftiges Frottie¬ 
ren zu ersetzen. Kommt es zur Nephritis ohne oder nur 
mit geringem Fieber, doch starken Oedemen, dann sind 
die schweißtreibenden Prozeduren indiziert, wie heiße 
Wannenbäder, Dampfkasten-, Wannendampf-, Heißluft-, 
elektrische Licht- oder Sandbäder. Nur halten wir an der 
Regel fest, alle Schwitzprozeduren nicht übermäßig aus¬ 
zudehnen und auch nicht allzuheiß zu nehmen. Wir ver¬ 
ordnen z. B. Lieber m e i s t e r s heißes Bad, mit 38 0 be¬ 
ginnend und rasch bis zu 40, höchstens 41 0 steigernd, 
nicht länger als 1 j (bei Erwachsenen bis zu höchstens 1 / 3 ) 
Stunde mit Nachschwitzen in Wolldecken (1 2 Stunden), 

weil heiße Bäder von dieser Dauer noch als Herztonikmn 
und durch mächtige Erweiterung der Hautgefäße entlastend 
wirken, während hei Verlängerung dieses Bades über eine 

®) Die so häufige febrile Albuminurie bedarf keiner beson¬ 
deren hydriatischen Behandlung. 


halbe Stunde diese Wirkungs ins Gegenteil umschlägt. 
M a 11 h e s beschreibt in seinem Lehrbuch die rasche Heilung 
einer Erkältungsnephritis durch ein paar Schwitzbäder. 
Kinder, die an Scharlachnephritis mit Oedemen leiden, wer¬ 
den an der Wiener Poliklinik 10 Minuten im Dampfkasten bei 
45- 50° C. belassen, dann eingewickelt und dunsten eine 
Stunde und länger im Bette nach. Endlich sind auch die 
indifferenten Bäder von 34- 35° und 1 l 1 / 2 ständiger Dauer 

bei der akuten Nephritis (selbst der hämorrhagischen) stets 
anwendbar, besonders dann, wenn wenig oder keine Oedeme 
vorhanden. Am praktischsten dünkt mich der Vorschlag 
Strassers 7 ): Falls Oedeme vorhanden sind, gebe man 
abwechselnd indifferente Bäder bis zu 1 Stunde und 
schweißtreibende Bäder; bestehen jedoch keine Oedeme, 
so genügt das täglich einmalige indifferente Bad. Daneben 
stets die strengste Milchdiät, von der ich oben ausführlich 
sprach. 

Bei der subakuten und chronischen Nephritis und vor 
allem bei der Schrumpfniere tritt ein neues Moment in den 
Vordergrund. Die Rücksicht auf das Herz, dessen Hyper¬ 
trophie und erhöhte Tätigkeit im wesentlichen die Insuffi- 
I zienz der Nieren kompensiert. Ein zweiter Gesichtspunkt, 

| welcher uns leitet, ist dann die hier doppelt nötige Ab- 
' härtung, wobei wir auf die besonders schlechte HauI- 
! reaktion und die große Temperaturempfindlichkeil des Ne- 
! phrilikers außerdem Acht haben müssen. Wir wissen, bei 
akuter Nierenentzündung werden Kälteapplikationen über¬ 
haupt nicht vertragen, vermutlich wegen der Miterkrankung 
der Hautgefäße. Bei den chronischen Formen ist dies in 
solchem Maße nicht der Fall. Immerhin ist die Schwierig¬ 
keit der Reaktion sehr wohl zw beachten und die letztere 
auf jede Art zu erzwingen 8 ). Zunächst, was ausnahmslos zu 
' geschehen hat, durch möglichst kräftige Friktionen während 
und nach den Kühl Prozeduren, so daß die Haut direkt rot 
| und warm, nicht bloß trocken wird, sodann durch eine nicht 
' seltene Vorwärmung der später kühl zu behandelnden Haut. 

Die eigentlich abhärtenden Kühlprozeduren geben wir immer 
; nur kurz und flüchtig und meiden auch um der hohen 
Empfindlichkeit der Kranken willen ganz kalte Grade, 
i Nehmen wir z. B. die leichteren Formen der chronischen 
Nephritis, die außer einer Albuminurie weder objektive, 
noch subjektive Beschwerden haben. Da können wir mit 
15° Teilabreibungen (sehr gut ausgewundenes Tuch!) be¬ 
ginnen, später zu 22 20° Ganzabreibungen übergehen, in 

der häuslichen Praxis, wo weder Behelfe noch ein gesehul- 
i tes Personal vorhanden, auch kurze Uebergießungen vom 
Nacken aus (14°) verordnen oder ein kurzes Tauchbad von 
20—18° und 1 Minute Dauer, oder endlich kurze Douehen, 
u. z. entweder eine kühle von 20 18" oder wechselwarmen 

Regen, der aber auch nie unter diese Grade heruntergehen 
; soll. Nur selten ist es nötig, was ja auch bloß in An- 
: stallen möglich wäre, in welchen man sich doch nicht 
: Monate und Jahre aüfhalten kann, jenen kühlen Prozeduren 
i eine eigene Vorwärmung vorauszuschicken in Form eines 
Dampfkaste*ns, Dampfwannenbades, elektrischen Lichtbades 
üsw. von kurzer Dauer nur bis zu guter Erwärmung, nie 
bis zum Schwitzen, und gleichzeitig angelegtem Herzkühler. 
Eher zu empfehlen, doch bloß bei schon trainierter Haut, 
ist kurze Vorwärmung durch Wännestauung in der feuchten 
Einpackung (etwa 1 / 2 -- 3 / 4 Stunde). Vorstehende Behand¬ 
lung genügt auch völlig für die zyklischen, resp. orthotischen 
Albuminurien bei jugendlichen Individuen. 

7 ) Physikalische Therapie der Krankheiten der Nieren- und 
Harnwege. Heft 25 der Phys. Therapie in Einzeldarstellungen. 

8 ) Wo sich eine subakute Nephritis an eine akute Entzün¬ 
dung anschließt, kommt noch dazu, daß man die letztere aus¬ 
schließlich mit heißen und Schwitzprozeduren behandelt hat. 
ohne, wie es sonst in der Hydriatik üblich, mit einer Kälte¬ 
applikation zu schließen. Das setzt eine besondere Verweich¬ 
lichung der Haut, eine Verminderung der so nötigen Gefäß- 
gymnastik und damit eine erhöhte Neigung zu allen Erkäl¬ 
tungen. 


Original from 

DF MirHIGAN 





698 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 47 


Nur wenig modifiziert isl auch die Behandlung der 
schwereren Formen der chronischen Nephritis, wo, sagen 
wir, vorläufig noch keine Oedeme und urämische Erschei¬ 
nungen auftraten. Auch hier sind wieder Teil- und Ganz¬ 
ahreihungen, Begießungen und Douchen, sämtlich mit etwas 
höheren Graden, wie oben beschrieben, auch Halbbäder von 
28—25° und 3 Minuten Dauer, die Hauptprozeduren, denen 
wir nur gern eine etwas . längere Vorwärmung voraus¬ 
schicken bis zu leichtem Schwitzen, z. B. Dampfkasten 
oder Dampfbadewanne (stets mit eingelegtem Herzkühler!) 
bis zu 25 Minuten. Immerhin ist auch da mit Rücksicht 
auf das Cor extreme Hitze und forciertes Schwitzen stets 
zu vermeiden. Strasser hat bei dieser Form die syste¬ 
matische Anwendung indifferenter Bäder nachdrücklichst 
empfohlen, die eine Temperatur von 34—35° C. haben, 
1 iy 2 Stunden währen und von einer einstündigen Bett¬ 
ruhe gefolgt sein sollen. 

Sehr wichtig ist endlich die Behandlung der Oedeme 
und urämischen Erscheinungen bei chronischer Nephritis. 
Wir wissen zunächst ganz allgemein, daß unseren kühlen, 
Ionisierenden Prozeduren mit ihrer Wirkung auf das Herz 
und Gefäßsystem ein nicht geringer prophylaktischer Wert 
gegen das Entstehen beider Symptome zukommt. Treten 
aber trotzdem Schwellungen auf, dann braucht man keines¬ 
wegs wie bei den Oedemen der akuten Nephritis auf jede 
kalte Prozedur zu verzichten, ja, man <soll es gar nicht, 
da die Herztonisierung jetzt unsere vornehmste Rücksicht 
ist, zumal dies Organ die Minderleistung der Nieren aus- 
gleichen muß. Zunächst verordnet man also dem Kranken 
frühmorgens im Bette eine 15° Teilabreibung mit sehr gut 
ausgewundenem Tuche. Zur Entfernung der Oedeme 
müssen wir zwar zu Schwitzkuren greifen (Heißluft-, Dampf¬ 
kasten-, Dampfwannenbäder usw., immer mit eingelegtem 
Herzkühler), lassen den Kranken bis zu sanftem 
Schwitzen in den Apparaten, hierauf 1 / 2 —1 Stunde im Bett 
nachdunsten, zum Schluß aber kommt dann stets die Ab¬ 
kühlung mit etwas höheren Graden, wie oben beschrieben, 
z. ß. also 20° Uebergießungen oder kurzen, ebenso tempe¬ 
rierten Douchen mit folgendem kräftigsten Trockenfrottieren 
und ein wenig Bewegung in freier Luft. Erlaubt der Zu¬ 
stand des kranken Herzens die Bewegung nicht mehr, so 
geben wir die Kühlung sofort nach dem Schwitzen und 
lassen dann erst im Bett nachdunsten. Das Schwitzen darf 
stets nur gelinde sein, darum sind heiße Bäder und heiße 
Laken wie bei der akuten Nierenentzündung am besten 
zu meiden. Nicht selten sind wir durch unangenehme Herz 
Sensationen, wie Oppressionsgefühle, Beklemmungen, 
steigende Unruhe direkt genötigt, den Dampfkasten oder 
die Heißluftbehandlung auf den Unterkörper einzuschränken, 
natürlich mit gleichzeitig anliegendem Herzkühler, ja hei 
hochgradiger Herzschwäche können sich Schwitzprozeduren 
überhaupt verbieten. Doch bleiben uns auch da noch die 
Teilabreibungen sowie der Herzkühler, die wir beide auch 
zweimal täglich verordnen mit einer durchaus befriedigen¬ 
den Wirkung. 

Zur Bekämpfung des akuten urämischen Anfalls sind 
seit langem nebst Exzitantien und Aderlässen auch ganz 
kurze heiße Bäder (so warm sie eben noch vertragen wer¬ 
den, also etwa 40—43°, und von .höchstens 5- 10 Minuten 
Dauer) mit kalten Uebergießungen und eventuell noch kalte 
Klystierc gebräuchlich. Was die chronisch-urämischen Er¬ 
scheinungen betrifft, so ist deren Behandlung im allge¬ 
meinen keine andere, als die des zugrunde liegenden chro¬ 
nischen Morbus Brightii auch. Neben der Allgemeinthera 
pie, die immer zu erfolgen hat, müssen wir obendrein häufig 
symptomatisch zu Felde ziehen, um den armen Kranken 
wenigstens einige Linderung zu verschaffen, wenn unsere 
Bemühungen da auch nicht selten von nur geringem Erfolge 
gekrönt sind. Solche symptomatische Kurverordnungen sind 
beispielsweise hei starken Kopfschmerzen heiße Fußbäder 
von 1 j Stunde (nach je 5 Minuten warmes Wasser zugießen) 


bei fleißig gewechselten kalten Kopfumschlägen, ,,das 
W i n t e r n i tz sehe Magenmittel“ (Stammumschlag mit ein¬ 
gelegten heißen Schlauch auf die Magengegend) nebst Leib¬ 
binde bei Uebelkeit, Brechneigung oder heftigem Singultus, 
Leibbinde nebst warmen oder Wechsel warmen Sitzbädern 
(35° 10 Minuten, dann 25° 2 Minuten) gegen den Durchfall, 
indifferente Bäder mit Kleie- oder Leimzusatz gegen das 
Hautjucken, kurze Halbbäder von 2—3 Minuten und 28 
bis 25° gegen verschiedene zerebrale Symptome, gegen 
welche sich besonders kühlere Uebergießungen (20°) des 
Nackens im Halbbad nützlich erweisen. Hingegen ist von 
den durch Strasser eingeführten längeren indifferenten 
Bädern bei chronisch-urämischen Phänomenen und, wie ich 
jetzt, gleich vorwegnehmen will, auch bei der Schrumpf¬ 
niere abzuraten, da sie gewöhnlich nicht vertragen werden 
und mindestens keinen Nutzen stiften, auch nach den Er¬ 
fahrungen Strassers selbst. 

Für die Behandlung der Schrumpfniere endlich bleibt 
nach allem, was ich bisher schon verbrachte, wenig mehr 
zu sagen. Sie nähert sich in der allgemeinen und sympto¬ 
matischen Therapie der Behandlung des chronischen Mor¬ 
bus Brightii, nur daß die Kräftigung des Herzens hier noch 
wichtiger wird. Wir verordnen also wieder Teil- und Ganz¬ 
abreibungen, Begießungen, Douchen und Herzkühler, end¬ 
lich. was auch symptomatisch sehr günstig wirkt, kurze 
Halbbäder von 28—25° und 2—3 Minuten Dauer und 
schicken wohl auch den Kühlprozeduren eine Vorwärmung 
voraus. Erwähnen wir noch den Nutzen einer geeigneten 
Herzgymnastik, sowie der Verminderung der Flüssigkeits¬ 
zufuhr, so haben wir ziemlich alles erschöpft, was sich 
Vorbringen ließe. 


REFERATE, 

Chirurgie. 

Referenten: Prof. Dr. Helbing’ und Dr. P. Roeder, Spezial¬ 
ärzten, Berlin. 

1. Beitrag zur Therapie des Yolvulus der Flexura sigmoidea. 

Von Dr. Kleinber g. St. Petersburg, med. Woehensehr., 1908, 
Nr. 37. 

2. Die therapeutische Anwendung des Sonnenlichtes in der 
Chirurgie. Von Dr. B e r n h a r d. Zeitsehr. f. Balneologie, 
Klimatologie und Kurort-Hygiene, 1908, Nr. 2. 

3. Ueber die Rindfleischsehe Methode der Behandlung von 
Varieen an den unteren Extremitäten. Von Dr. Rung e. 
Straßburger med. Ztg., 1908. 

4. Klinische Beobachtungen nach Fulgurationsbehandlung 
maligner Tumoren, Von Dr. Kurt S c h u 1 t z e. Deutsche 
med. Woehenschr., 1908, Nr. 41. 

5. Zur Behandlung des Karbunkels. Von Dr. G r a s m a n u. 
Deutsche med. Woehenschr., 1908, Nr. 42. 

G. Ueber chirurgische Sehnellaufnahmen. Von Dr. G i 1 - 
m e r. Münch, med. Woehenschr., 1908, Nr. 42. 

7. Die operative Beeinflussung einseitiger Lungenphthise 
durch totale Brustwandinobolisicrung und Lungenentspaniiuug. 
Von P. L. Friedric h, Marburg. Arch. f. klin. Chir., Bd. 87, 
Heft 3. 

8. Die Nierenentkapselung bei chronischer Nephritis. Von 

Prof. G a 11 i, Modena. Arch. f. klin. Chir., Bd. 87, Heft 3. 

1. In 7 Fällen von tiefsitzendem Yolvulus der Flexura sig- 
moidea gelang es, durch Einführung einer elastischen Schlund¬ 
sonde in den schlitzförmigen engen Eingang des torquierten 
Darmes unter Leitung des ins Rektum eingeführten Fingers die 
strangulierte Darmschlinge durch öfters wiederholte Darmein¬ 
gießungen zur Lösung zu bringen. Neben den hohen Eingießun¬ 
gen in den Darm empfiehlt sich also bei dem genannten Leiden 
immer der Versuch, unter der Leitung des' Fingers einen elasti¬ 
schen Schlauch über das Hindernis hinaus in die gedrehte Darm¬ 
schlinge einzufüliren. IT. 

• 2. Bernhard, welcher in St. Moritz schon seit vielen 
Jahren die Insolation bei chirurgischen Krankheiten versucht 





1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


699 


hat, tritt wieder für die Behandlung mit direkter Sonnenbestrah¬ 
lung ein bei schlecht heilenden, mit schlaffen Granulationen ver¬ 
sehenen Wunden, ferner bei Epitheltransplantationen und bei 
Tuberkulose und Karzinom der Haut. Interessant ist und für 
die Beeinflussung des durch die Lufttrockenheit noch intensiver 
wirkenden Sonnenlichtes spricht, die von B. gemachte Beobacht¬ 
ung, daß sowohl der Lupus wie auch das Hautkarzinom im 
Engadin zu den größten Seltenheiten gehört, obgleich die chirur¬ 
gische Tuberkulose und das Karzinom sonst dort ein recht häufi¬ 
ges Leiden darstellt. H. 

3. R. sieht in der Rindfleisch sehen Methode, bei der 

durch mehrfache spiralige Umschneidung des Unterschenkels die 
Venen häufige Unterbrechung erfahren, den Nachteil einer sehr 
langen Behandlungsdauer, da die Spiralsehnittwunden tamponiert 
werden und sich durch Granulationsbildung schließen sollen. Er 
möchte sie deshalb nur für die extrem schweren Fälle reserviert 
wissen, bei welchen eine vollständige Ausschälung der Vari¬ 
kositäten unausführbar erscheint. H. 

4. Die Erfahrungen, welche Schul tze an vier in¬ 

operablen Mammakarzinomen mit der Fulgurationsbehandlung ge¬ 
macht hat, sind sehr wenig ermutigend und gestatten keine große 
Erwartungen mehr von dieser Behandlungsweise. Es ließ sich 
weder eine wesentliche Tiefenwirkung, noch eine elektive Wir¬ 
kung auf die Karzinomzellen nach weisen, alle vier Fälle zeigten 
neben der durch Fulguration behandelten, gut granulierenden 
Wunde bald eine schnelle Aussaat von Karzinomknoten in der 
umgebenden Haut oder Lymphdrüsenmetastaseu. TI. 

5. G. empfiehlt wieder die wohl von allen Chirurgen in 
geeigneten Fällen geübte Methode des tiefen Kreuzschnittes über 
dem Karbunkel mit Abpräparierung der vier Hautzipfel bis ins 
Gesunde. Durch nachherige Tamponade mit in heiße Borsalizyl- 
lösung getauchten Tupfern wird die Blutung am besten gestillt. 

H. 

6. Die Erfolge des Internisten bei der Moment-Röntgeno- 

graphie haben G. veranlaßt, auch bei chirurgischen Aufnahmen 
die Expositionszeit möglichst abzukürzen. Man kann, ohne ein 
besonderes Instrumentarium, bei Expositionszeiten von V\ 2 —5 
Sekunden gute Bilder erzielen, wenn man nur die primäre Strom¬ 
stärke und Spannung genügend erhöht. Röhren mit kleinen, 
dünnen Metallantikathoden, ebenso die Wasserkühlröhren sind 
unbrauchbar. Dagegen bewähren sich die Röhren, bei welchen 
ein dicker Metallklotz als Antikathode angebracht ist. Zwei 
Tafeln mit 15 Abbildungen illustrieren ‘die Güte der Röntgen¬ 
bilder. H. 

7. Nach Würdigung der bisher angewendeten Methoden zur 
Beeinflussung, der einseitigen Phthise, wie Stickstoffpneumothorax 
und Thoraxresektion von Spengler, Davos, geht F. zur Be¬ 
schreibung seiner eigenen Methode über, die sieh von der S p e n- 
g 1 e r sehen dadurch unterscheidet, daß er in jedem Falle die 
II. bis X. Rippe vom Sternal- bis zum Wirbelsäulenansatz exst.ir- 
piert. im ganzer ca. 140—160 cm Knochen, um ein völliges Zu¬ 
rücksinken der kranken Lnnge mit der Kostalplenra zu erreichen. 
Frappant sind seine Resultate, die drei Krankengeschichten illu¬ 
strieren. aus denen hervorgeht, daß lange anhaltendes Fieber ver¬ 
seil windet, die Auswurfmenge auf den 10. bis 20. Teil zurückgeht 
uml die Bazillen aus dem Sputum verschwinden. Besondere Be¬ 
achtung verdient nach der Operation das Herz, welches in jedem 
Felle Insuffizienzerscheinungen bietet, hervorgerufen durch die 
veränderten Druekverhältnisse. Die Einzelheiten der Technik, 
die einen großen Teil des Erfolges ausmaclit. müssen im Original 
nachgelesen werden. Im großen ganzen deckt sie sieh mit der 
Schede sehen Thorakoplastik. 

8. Bei einem 19jährigen Patienten, den G. der doppelseitigen 
Dekapsulation nach Edebohls unterwarf und den er bis zu 
seinem Tode zu beobachten und zu obduzieren Gelegenheit hatte, 
kommt er zu dem Ergebnis, daß der nephritische Prozeß durch 
(U 11 Eingriff nicht. aufgehalten wird. Es bildete sich bis zu dem 
20 Monate nach der ersten Entkapselung — die Operation wurde 
an beiden Nieren in einem Intervall von 6 Woehen ausgeführt — 
erfolgten Tode des Patienten eine feste, derbe Kapsel um die 
Niere, die eine Arterialisierung, wie sie Edebohls annahm, 
ausschließen mußte. Bemerkenswert war nur nach der Operation 
Zunahme der Diurese und vermehrte Ausscheidung von Harnstoff, 
fernerhin subjektives Wohlbefinden des Patienten (was aber 
nichts besagen will, da bei der chronischen Nephritis häufiger 
auch ohne Operation oft recht lange Remissionen anzutreffen 
sind), so daß er 2—3 Monate nach der Operation schwere Arbeit 
verrichten konnte. Eine ausführliche Literatur ist der Arbeit 
beigefügt. 


Lnngenkranklieiten. 

Referent: Dr. Ernst Meyer, Charlottenburg, Assistent an der 
Kgl. Universitätspoliklinik für Lungenleidende zu Berlin. 

1. Neuere Gesichtspunkte bei der Behandlung der Lungen¬ 
tuberkulose. Von H 11 g o W e b e r. Beiträge zur Klinik der 
Tuberkulose, Bd. 10, Heft 3. 

2. Uebcr gefährliche Folgen der Calmettesehen Ophthalmo¬ 
reaktion. Von P. Schrump f. Münch, med. Woclienschr., 
1908, Nr. 43, S. 2225. 

3. Frühdiagnose und Behandlung der Broncliiektasie. 
Münch, med. Woclienschr., 1908, Nr. 43. S. 2231. 

4. Heber den Wert der Röntgendiagnostik zur Erkennung 
von Lungenkrankheiten. Von Paul Krause. Vortrag bei 
dem ärztl. Fortbildungskurse in Erfurt. 

1. Weber ist der Ansicht, daß bei der Behandlung der 
Lungentuberkulose auf die Verkalkung und den Fettansatz Wert 
zu legen ist. Der Fettansatz entsteht aber nur bei genügender 
Kohlensäureproduktion im Körper. Die Kohlensäureproduktion 
im Körper ist aber bei einigen Krankheiten vermindert, z. B. 
bei Pulmonalstenose, deshalb gehen auch fast alle hiermit be¬ 
hafteten Kinder an Schwindsucht zugrunde. Auch Diabetiker, 
bei denen ein Teil der Nahrung nicht in Kohlensäure umgesetzt, 
sondern als Zucker ausgeschieden wird, gehen oft an Phthise zu¬ 
grunde. Bei schlecht funktionierendem Magen tritt ebenfalls 
keine Heilung der Tuberkulose ein. In der Lävulose besitzen 
wir einen Stoff, der selbst von Diabetikern zu Kohlensäure ver¬ 
brannt wird Da dieselbe aber nur in der Praxis aurea verwandt 
werden kann, benutzt man an ihrer Stelle mit gutem Erfolg 
trockenen Malzextrakt von L i e b e. W eher sah von seiner An¬ 
wendung oft großen Nutzen, besonders wenn er es in Verbindung 
mit Calcium hyperphosphorosum mischte. An der Hand einiger 
Krankengeschichten sucht Weber seine Erfolge darzutun und 
empfiehlt dringend die Nachprüfung. 

2. Verfasser beobachtete einige Fälle, bei welchen die mit 
allen Vorsichtsmaßregeln mit 1 jiroz. Tuberkulin angestellte 
Ophthalmoreaktion schwere dauernde Schädigungen bei vorher 
ganz gesunden Augen zur Folge hatte. Er warnt dringend vor 
der Anwendung, da erstens im Falle einer Schädigung der Pat. 
sicher mit Erfolg den Arzt haftpflichtig machen könnte, und da 
man außerdem bei positivem Ausfall eventuell therapeutische 
Tuberkulininjektionen wegen der oft wieder aufflackernden Re¬ 
aktion nicht vornehmen könnte. Jedenfalls sei dringend zu emp¬ 
fehlen, die Patienten vorher auf die eventuelle Gefahr aufmerk¬ 
sam zu machen. 

3. Bei Bronchiektasien findet man oft schon beim Beginn 
der Erkrankung die sogenannten ,.D i 11 r i e h sehen Pfropfe“ 
im Sputum, die grauweißliche Körnchen sind und aus Detritus. 
Bakterien, Fettsäurekrystallen und im Zerfall begriffenen Eiter¬ 
körperchen bestehen. Zur Behandlung der Bronchiektasien emp¬ 
fiehlt Verfasser 4 mal täglich 60 Tropfen folgender Mischung 
in Kognak und Milch eine Stunde nach dem Essen zu geben. 

Rezept: 


Balsami Gurjuni . . 

. . 5,0 

Balsami peruviani 

. . 15,0 

Alcoliol absolut. 

. . 10.0 

Tinct. Helianthi amiui . 

. . 20.0 

OL Terebinthinae rectif. 


Mvrthol. 

. ää 7,5 


4. Die Röntgenuntersuchung hat sich bei der Diagnose der 
Lungenkrankbeiten einen wichtigen Platz gesichert. Aufschlüsse 
gibt sie bei der Frühdiagnose der Lungentuberkulose besonders 
bei Infiltrationen. Auch bei vorgeschrittenen Prozessen und bei 
Bronchialdrüsen tuberkulöse leistet sie wichtige Dienste. Auch 
bei der Diagnose von Kavernen, krupÖser Pneumonie, Bronchi¬ 
ektasien, Pleuraergüssen, Echinokokken und Pneumothorax bildet 
die Röntgenuntersuchung eine wichtige Ergänzung zu den übri¬ 
gen klinischen Untersuchungsmethoden. 


Herzkrankheiten. 

Referent: Spezialarzt Dr. Rehflseh, Berlin. 

1. Moderne Herzmittel. Von Geh. Med.-Rat Prof. W. H i s , 
Berlin. Therapie der Gegenwart, Oktober 1908. 

2. Ueber den Einfluß der chronischen Digitalisbehandlung 
auf das normale und pathologische Herz. Von Prof. Dr. M. 
C 1 o e t t a. Therapie der Gegenwart. Oktober 1908. 


Original frorn 







700 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU, 


Nr. 47 


3. Frauen herz und Klimax. Von Prof. P. M. P o p o f f, 
Moskau. Therapie der Gegenwart, Oktober 1908. 

4. Beiträge zur Frage der akuten Herzerweiterung. Von Dr. 
Hornung. Berliner klin. Wochenschrift, 1908. Nr. 39. 

^ 0 ^ Qr die Behandlung der Herzkrankheiten mit oszillieren¬ 
den Strömen. Von Prof. L)r. Rumpf, Bonn. Vortrag in der 
Sektion für innere Medizin auf der Naturforscherversammlung 
in C-öln, am 21. September 1908. (Autoreferat.) 

^ erfasser bespricht eine Reihe moderner Herzmittel, deren 
\\ irkiingswert pharmakologisch nach der Bestimmung von Frosch- 
einheiten festgestellt wurde. Sie besitzen vor den übrigen Prä¬ 
paraten den Vorzug eines konstanten Gehalts wirksamer Sub¬ 
stanz. Ob die Verwendung der reinen Stoffe, wie z. B, des Stro^ 
phanthins, den Gebrauch der galenisehen Präparate überflüssig 
und entbehrlich machen wird, bezweifelt Verfasser, da erstere 
meist intravenös gegeben werden und fast immer in maximaler 
Dosis. Aus diesem Grunde dürfte es schwer gelingen, etwa auf¬ 
tretende Intoxikationen, die sich vorher nicht berechnen lassen, 
zu beseitigen, während wir beim Gebrauch der galenisehen Prä¬ 
parate. deren Einzeldosis nur eine relativ geringe Menge wirk¬ 
samer Substanz enthält, immer in der Tage sind, bei etwaigen 
Unzuträglichkeiten das Mittel auszusetzen. 

2 . Seitdem durch K u ß m a u 1. X a u n y n und G roedel 
die chronische Digital istherapie eingeführt ist. treten immer wie¬ 
der Bedenken, auf, ob nicht etwa durch den dauernden Gebrauch 
dieser Mittel infolge der konstanten Drucksteigerling im arte¬ 
riellen Gebiet ein nachteiliger Einfluß auf die Gefäße ausgeübt 
\\ ird und Zustände geschaffen werden, die den arteriosklerotisch 
veränderten Arterien gleich wären. Aus diesem Grunde hat Ver¬ 
fasser bei einer großen Zahl von Kaninchen Untersuchungen an¬ 
gestellt. Er injizierte den Tieren oft zwei Jahre lang subkutan 
Digitalis in immer größeren Dosen. Bei der Sektion ließen sich 
jedoch keine anatomisch-pathologischen Veränderungen in den 
Gefäßen nach weisen ; hieraus folgt, daß nach dieser Richtung hin 
ein chronische Digitalistherapie keinen Schaden verursacht. 

Verfasser ging aber in seinen Untersuchungen noch weiter: 
Bei aseptisch gehaltenen Operationen durchstieß er bei einigen 
Versuchstieren die Aortenklappen. Hierdurch wurde eine Aor- 
teninsuffizienz erzielt und gleichzeitig entwickelte sich eine Endo¬ 
karditis. Diese so operierten Tiere behandelte Verfasser zum 
I eil mit Digitalis, zum Teil ohne dieses Medikament. Es stellte - 
sich nun heraus, daß die mit Digitalis injizierten Tiere eine viel 
größere Leistungsfähigkeit aufwiesen als die Kontrolltiere. Im 
Besonderen ergab sich bei Tötung der Tiere nach 2—4monatiger 
Beobachtung, daß die Hypertrophie und Dilatation der Herzen 
der behandelten Tiere in viel geringerem Grade ausgesprochen 
waren als bei den übrigen. Auf Grund dieser Experimente glaubt 
^ erf. annehmen zu können, daß bei diesen Ventilstörungen und 
auch bei der Endokarditis die Digitalis das Herz außerordentlich 
schützt, und daß Herzhypertrophie und Dilatation sich nur ge¬ 
rade soweit entwickeln, als es die physikalischen Anforderungen 
erheischen, während ohne die Digitalis sich sensible und motori¬ 
sche Einflüsse geltend machen, die das ohnedies zu starker Arbeit 
gezwungene ITerz schädlich beeinflussen. Ob sich im Gegensatz 
zu der bisher gültigen Anschauung, bei der akuten Endokarditis 
von einer aktiven Therapie abzusehen, die nunmehr versuchte 
Digitalisbehandlung auf Grund der Versuche C 1 o e t t a s be¬ 
währen wird, müssen erst weitere Beobachtungen entscheiden. 

3. Das Herannallen der Klimax beeinflußt nicht nur die psy¬ 
chische Sphäre der Frau, sondern in sehr vielen Fällen auch den 
Zirknlationsapparat. Verfasser unterscheidet drei Kategorien 
von ITerzstörungen, die durch die Klimax hervorgerufen werden. 
Zu der ersten Gruppe gehören diejenigen, hei denen die subjekti¬ 
ven Beschwerden im Vordergründe stehen, hei denen das Herz 
aber anatomisch gesund ist. Hier helfen hydriatisehe Prozeduren 
am besten. Die Frauen der zweiten Kategorie klagen vor allem 
über heftige Schmerzen in der Herzgegend, die entweder reine 
Interkostalneuralgien darstellen, dann flndet man bei der Unter¬ 
suchung auch Schmerzpunkte an der Wirbelsäule und in der 
Axillarlinie, oder durch eine Affektion des Plexus cardiasus oder 
coronarius verursacht werden. Die Schmer/an fälle können in 
ihrer Schwere häufig eine. Angina pectoris Vortäuschen. Neben 
der Hydrotherapie hat hier eine besonders geregelte Diät Abhilfe 
zu schaffen. Die dritte und schwerste Form finden wir bei jenen 
Frauen, deren Herzen während der Klimax dilatiert sind. Nach 
derselben geht die Dilatation zurück. Gerade bei diesen Frauen 
ist eine eingehende Behandlung notwendig, damit nicht aus der 
vorübergehenden Herzerweiterung eine chronische werde. 


4. ln einer Reihe von Fällen konnte Verfasser eine akute 
Herzerweiterung bei Patienten feststellen, die an chronischen 
Kreislaufstörungen litten und sich in seiner Beobachtung be¬ 
fanden. Als Gelegenheitsursache kamen sowohl Alkohol als auch 
körperliche Ueberanstrenguiigen, Tnfektionskrankln iten und 
Blutverlust in Befracht. Unter geeigneter Behandlung bildete 
sieh die Dilatation auch wieder zurück. 

5. R u in ]> f hat seine Untersuchungen über die Einwirkung 
oszillierender Ströme, welche er in die Therapie der Herzkrank¬ 
heiten eingeführt hat, auf ein .größeres Material ausgedehnt und 
erweitert, wobei naturgemäß die m odorue D i a g n o s t, i k 
eine eingehende Berücksichtigung erfuhr. Außer den altbewähr¬ 
ten Methoden wurde auch die Orthodiagraphie nach Moritz 
und mit dessen Untersuchungstiseh zur Kontrolle herangezogen. 
R. spricht dieser einen wesentlichen Vorzug vor der Perkussion 
in ihren wertvollen neueren Modifikationen (Orthoperkussion, 
Schwellenwertperkussiou usw.) zu, soweit es sich um die Feststel¬ 
lung genauer Grenzen handelt. 

Im ganzen wurden 68 Fälle mit oszillierenden Strömeu be¬ 
handelt, von welchen 39 eine subjektiv und objektiv günstige, 
zum, Teil überraschend günstige, Beeinflussung erfuhren. Aber 
diese Erfolge waren nach der Art der Erkrankung wesentlich ver¬ 
schieden. Frische Fälle entzündlicher Herz¬ 
affektion eignen sich nicht zu der betreffenden Behänd» 
lung; abgelaufene Endokarditis, Ix oronar Skle¬ 
rose bieten keine Gegenindikationen, erheischen aber in der 
Anwendung eine gewisse Vorsicht; doch erfuhren von 6 Fällen 
nur 2 eine hochgradige Besserung. Vielleicht noch u n g ü n s t i- 
g e r sind die Erfolge bei Herzaffektion mit N e p h r i - 
t i s. Die Erscheinungen und Folgen der letzteren erfuhren 
keine Aenderung. Die Urinausscheidung stieg nicht an. Von 
8 derartigen Fällen zeigten' 4 keinen Erfolg, bei den übrigen war 
er nur vorübergehender Art. Die wesentlichsten Er¬ 
folge wurden bei II e r z d i l a t a t i o n m it und b h n e A r - 
t e r i o sklerose erzielt. Je weniger diese ausgesprochen und 
je geringer die Blutdruckerhöhttng nach Riva-Rocci sich er¬ 
wies, um so günstiger war das Resultat. Unter 12 Fällen mit 
gleichzeitiger deutlicher Arteriosklerose wurde bei 6 Fällen ein 
guter, bei 3 Fällen ein mittelguter Erfolg erzielt; bei einigen Fäl¬ 
len war der direkte Erfolg überraschend, aber er war kein dauern¬ 
der. Unter 28 Fällen ohne wesentliche Arteriosklerose war der 
Erfolg in 23 Fällen ein guter bis sehr guter, in 5 Fällen ein mit¬ 
telguter. Im Gegensatz zu den letztgenannten Fällen waren die 
Resultate bei den mehr nervösen Erscheinungen weniger günstig, 
am besten noch bei Morbus Basedow und verwandten Formen. 

Der Erfolg bestand einmal in dem Schwinden der sub¬ 
jektiven Beschwerden, K u r z 1 u f t i g k e i t. Herzklopfe n, 
1) r u c k auf d e r B r u s t, Angstgefühlen, Schlaf¬ 
losigkeit, sodann in einer A b n a h m e der Atem- und Puls¬ 
frequenz, teilweise in einem R ü e k g a n g des gesteigerten Blut¬ 
drucks und in einem Rückgang der perkutorisch und 
orthodiaglaphisch nachgewiesenen Herzver- 
größerun g. Einzelne Fälle sind seit Jahren in ihrem Be¬ 
rufe wieder tätig, andere, mußten prophylaktisch ihre Tätigkeit 
einschränken. 

Die oszillierenden Ströme wurden täglich oder jeden zweiten 
Tag in der Dauer von 6—10 Minuten während sechs Wochen, teil¬ 
weise auch etwas länger angewandt. Der Strom wird von einem 
Induktor genommen, der bei 2 Amp. Stromverbrauch eine Fun- 
kenlänge von 50—80 mm gibt und mit einer Mindestspannuug von 
10—12 Volt, gespeist wird. Von dem einen Pol des Induktors 
gebt die Leitung in eine belegte Flasche mit dünnem Glasboden, 
die als Elektrode verwendet wird. Der zweite Pol wird auf den 
Fußboden geleitet. 

R. demonstrirt die orthodiagraphischen Aufnahmen von einer 
größeren Zahl seiner Fälle vor und nach der Behandlung, welche 
die V e r k 1 e i n e r u n g d e s II e t z e n s d e u 11 i c h z e i g e n. 

Zum Schluß berührt R. kurz die Wirkung der Ströme, die er 
auch auf dem Röntgenschirm demonstrieren konnte, wobei die 
Schlagfolge des Herzens mit einigen starken Kontraktionen 
a b n a h m und dann der Herzschatten sich verklei- 
n cr'te, Erscheinungen, die der Vortragende einer Wirkung auf 
den X T . vagus zu schreibt. R. hat weiterhin am Tierherz und be¬ 
sonders am freigelegten liundeherz (unter Atmung in dem 
Brau e r sehen Ueberdruckapparat) die Einwirkung der Ströme 
auf das Herz verfolgt und konnte teilweise eine Verlangsamung 
der Herzschläge, teilweise eine Verkleinerung des Herzens direkt 
nach weisen. Er hat die Aktion des Herzens kinematogra- 




1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


701 


1 hi sch ohne Einwirkung und unter Einwir¬ 
kung oszillierender Ströme aufnehmen lassen und 
hollt. diese Bilder in einer Sitzung demonstrieren zu können. Im 
allgemeinen handelt cs sich um eine tonisierende Wirkung; ohne 
(lall eine Reizerschein ung der Nerven und Muskeln au ft ritt, er¬ 
fährt in einem einseitig du rehström teil Bein der Patellarreflex 
eine deutliche Steigerung gegenüber der nicht durehströmten 
Seite. 

Am 24. September demonstrierte Prof. I)r. R u m p f die os¬ 
zillierenden Ströme und eine kineinatographisehe Aufnahme der 
Herzreizung bei einem lebenden Hunde mit freigelegtem Herzen 
bei B raue r scher Ueberdruckatinung. Autoreferat . 


Magen-, Darin- und Stoffwechselkrankheiten. 

Referent; Spezialarzt Dr. M. Piekardt, Berlin. 

1. Carcinoma ventrieuli ex Achylia. Ein Beitrag zur 
Aetiologie des Magenkarzinoms. Von Dr. A. Alexander. 
Münch, med. Wochensehr., 1908. Nr. 40. 

2. Zur Behandlung der chronischen Obstipation. Von Dr. 

V. Liebmann. Wiener kl in. Wochenschr.. 1908, Nr. 39. 

3 lieber Entfettung durch reine Milchkuren. Von 

E. Moritz. Münch, med. Wochenschr., 1908. Nr. 30. 

1. Während das 1 leus pylori fast allgemein als prädispo¬ 
nierend für das Karzinom angesehen wird, wird zwischen der 
Gastritis chronica und der Achylia gastrica einerseits und einem 
Neoplasma andererseits fast, stets ein Zusammenhang geleugnet. 
\erf. gibt die Krankengeschichte eines Falles, der ihm beweist, 
daß eine Aehylie in eine maligne Degeneration übergeführt hat. 
Ein 47 jähriger Mann stand seit fünf Jahren wegen einer als 
nervös angenommenen Aehylie in Behandlung; er klagte Pe¬ 
rioden weise über mehr oder minder starke dyspeptische Beschwer¬ 
den, die nach einiger Zeit der Behandlung wieder zurftekgingen, 
so daß Patient wieder arbeitsfähig wurde. Sein Körpergewicht 
blieb ziemlich konstant. Vor einiger Zeit erschien er wieder mit 
ähnlichen Beschwerden w ie früher, aber mit einem Tumor in 
der Magengegend. Chemismus wie früher; kein okkultes Blut. 
Nach einiger Zeit Sondieruiigshindernis an der Kardia: Häma- 
temesis. Durchbruch des abszedierten Tumors durch die Bauch- 
deekeu. 

Er war also anscheinend plötzlich wieder erkrankt, wie das 
bei Karzinomen zwar nicht in der Regel, aber doch oft bei älteren 
Leuten vorkommt, so daß bei Fehlen der genauen Vorbeobach¬ 
tung ein Zusammenhang zwischen der Aehylie und dem malignen 
Tumor entgangen wäre. 

Obgleich nun Verf. eine andere Annahme als die seine für 
gekünstelt hält, glaubt Relerent ihr doch widersprechen zu 
müssen, weil auf keine Weise auszuschließen ist, daß beide 
Affekt ionen nebeneinander sicli entwickelt haben — wie das 
z. B. bei Ulcus und Gastritis doch sicher vorkommt —. oder 
daß zu Beginn der Aehylie schon anatomisch, aber noch nicht 
klinisch der Beginn des Karzinoms sich abgespielt hat : Fälle 
von fünfjährigem Bestehen von Neoplasmen sind in der Literatur 
als mindestens wahrscheinlich bekannt. Es ist auch nicht ein- 
zusehen; warum angesichts der so großen Zahl von durch viele 
Jahre beobachteten Aehylien so relativ selten ein Karzinom fol¬ 
gen soll. 

Therapeutisch allerdings wird man von Aehylikern eine 
dauernde Kontrolle verlangen müssen. 

2. Verfasser hält die übliche Einteilung der Formen der 
chronischen Obstipation in atonische und spastische nicht für 
genügend; es gibt — natürlich abgesehen von der Behinderung 
der Defäkation aus anatomischen Ursachen — noch andere 
Gründe. Nachdem ihm bei Patientinnen mit Ptose der Bauch- 
oingeweide — Magen, Darm, bisweilen auch Nieren — auf ge¬ 
lallen war. daß nach Anlegung einer Bandage der Stuhl sich 
besserte, untersuchte er eine große Anzahl von Frauen systema¬ 
tisch auf den Zusammenhang von Obstipation und Senkungen 
und fand einen solchen nicht selten. (Das ist auch als nicht 
unbekannt anzusehen ; so hat z. B. C u r s e h m a n n ausdrück¬ 
lich darauf hingewiesen. Ref.) Uebe-rraschend war. daß eine 
einfache, gutsitzende Bandage mit Pelotte schon in ganz wenigen 
lagen die Beschwerden hob. Durch radiographische Aufnahmen 
konnte L. sich überzeugen, daß das Querkolon um wenigstens 
1 cm durch die Bandage gehoben wurde, so daß kleine Knickun¬ 
gen des Organs ausgeglichen werden konnten, die das Passage¬ 
hindernis bildeten. 


3. Wie schon Jacob aus der Lenhartz sehen Abteilung 
in Hamburg vor einiger Zeit mitgeteilt hatte, eignet sich die 
Milch als brauchbares Mittel bei Entfettungskuren. Der Grund 
liegt darin, daß sie durch ihre Masse sättigt, aber nur dann das 
Bedürfnis an Nährstoffen des Körpers befriedigt, wenn sie in 
großen Mengen genommen wird. (Zur Ernährung eines Er¬ 
wachsenen wären etwa 5—6 1 pro Tag nötig. Ref.) M. geht 
so vor: Je nach der Körpergröße des Kranken werden ihm 2L 
bis 1 1 -i 1 Vollmilch täglich gegeben. Die Menge wird folgender¬ 
maßen berechnet: Man subtrahiert die Zahl IUI) von der Körper- 
Ringe des Kranken — in Zentimetern - - und multipliziert diese 
Zahl mit 25. Beispiel: Größe t NO cm; 80X25 — 2000 ccm. Das 
entspricht einem Kalorienangebot von 16,2 pro Kilo. Will man 
milder verfahren, gibt man — entsprechend 17 oder 18 Kalorien 

— 2100 oder 2200 ccm. Der durchschnittliche Gewichtsverlust 
ist ca. 160—240 g pro die. Hierbei dominiert in den ersten Tagen 
der \erlust an Wasser; der Gewichtsverlust kann bis zu 1 Kilo 
in den ersten Tagen betragen. Umgekehrt können auch bei Rück¬ 
kehr zur gemischten Kost in wenigen Tagen mehrere Kilogramm 
angesetzt werden, die auch nur auf Wasser bezogen werden 
können. Die Milch wird in der Regel in 5 Portionen getrunken; 
die eine oder andere Portion kann auch als saure Milch gegeben 
werden. Im allgemeinen wird sie gekocht gegeben, besonders, 
wenn die Qualität nicht absolut tadellos ist; sie darf aber auch 
roh getrunken werden. Die Milch — eventuell mit W’asserzusat/ 

— bleibt aber die einzige Nahrung. 

Die Vorzüge der Kur, für deren Erfolge M. Beispiele an- 
fül»rt, sind nach ihm folgende: Sie ist die einfachste, bequemste 
und billigste; sie ermöglicht dem Arzt auf leichteste Weise eine 
Individualisierung je nach dem zu behandelnden Patienten und 
stellt an die Anstelligkeit des Patienten in bezug auf Befolgung 
der Vorschriften die geringsten Anforderungen. Quälender 
Hunger pflegt bei der Milchkur trotz der geringen Nahrungs¬ 
zufuhr nicht aufzutreten. Durstgefühl fehlt überhaupt. Be¬ 
sonders geeignet ist die Milchkur hei Komplikationen von seiten 
des Herzens und der Nieren. Herzbeschwerden pflegen bald nach¬ 
zulassen; erhöhte Pulsspannuug wird bald geringer; vermehrte 
Pulsfrequenz geht häufig zurück. 

Fälle, iu denen — natürlich warnt M. vor eehabloncmnäßiger 
Anwendung und empfiehlt Sammeln von Erfahrungen — die Kur 
ausgesprochen unbekömmlich ist. hält Verf. für Ausnahmen. 


Kinderheilkunde. 

Referent: Priv.-Doz. Dr. J Ibrahim. München. 

1. Die Behandlung der Skrofulöse. Von O. Sol t m a u n. 
Deutsche Med. W'ochenschr.. 1908, S. 1497. 

2. Geber Behandlung mit Pyoeyanase bei Diphtherie, 
Scharlach und Anginen. Von Saar. Ibidem, S. 1541. 

3 Zur Behandlung der Sehädelimpression der Neugeborenen. 
Von S e h e f f z e k. Ibidem, 8. 1554. 

4. Die Behandlung des Säuglingsekzems nach Finkeistein. 
Von O. Mendelss o h n. Ibidem, S. 1808. 

Die Behandlung des Keuchhustens. Von E. Feer. 
Ibidem. S. 1753. 

6. Zystoskopie und Ureterenkatheterisnius in der Kimler- 

praxis. Von E. Portner. Deutsche Med. Wochenschr.. 1908. 

S. 1851. 

1. In einem klinischen Vortrag über die Behandlung 
der Skrofulöse erläutert S o 1 t m a n n zunächst seine Auf¬ 
fassung dieses Symptomenkomplcxes als auf vererbter, nicht 
bazillärer Tuberkulose beruhend, einer toxischen Tuberkulose, da¬ 
durch entstanden, daß die Umsetzungsprodukte der Tuberkel¬ 
bazillen das Plazentafilter passieren, während die Bazillen selbst 
durch die Plazenta zurückgehalten werden. 

Die Prophylaxe gegen echte tuberkulöse Infektion soll im 
frühesten Säuglingsalter beginnen; natürliche (AmmenErnäh¬ 
rung der bedrohten Kinder steht im Vordergrund der Ma߬ 
nahmen; die Ilvgien? der Kinderstube und der näheren Um¬ 
gebung des Kindes muß eingehend geprüft und in richtiger Weise 
geregelt .werden, „Man entferne den Säugling aus dem Dunst¬ 
kreis der mütterlichen Atmosphäre, wenn die Mutter phthisisch 
ist, dulde nicht aus sentimentalen Ilumanitätsrüeksichten in der 
Umgebung suspekte oder erkrankte Dienstboten, Pflegerinnen 
oder Kinderfräuleins. Das Schlafzimmer des Säuglings soll wo¬ 
möglich nach Süden oder Osten liegen, trocken, gut ventiliert, 
täglich frisch aufgewaschen sein, und bei beschränktem W'ohn- 

Qriginal from 

5fPf OF MICHIGAN 



702 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 47 


raum sorge man vor allem dafür, daß der Säugling nicht aus j 
konventionellen Rücksichten der Geselligkeit auf ein dumpfes, 
wenig belichtetes und wenig besonntes Zimmer angewiesen 
wird. Das beste Zimmer in der Wohnung muß unter solchen 
Umständen das Kinderzimmer sein. Das ist zwar alles bekannt, 
aber gerade deswegen muß man es den Leuten immer wieder 
sagen.“ Jenseits des Säuglingsalters spielt die richtige gemischte 
Ernährung auch eine große llolle. 

Für die Allgemeinbehandlung sind See- und Solbäder 
unentbehrlich. Seebäder sind nicht geeignet für Kinder unter 
zwei Jahren und für solche, bei denen Affekt ionen der Augen 
und Ohren vorherrschen. Erethische Individuen schicke man 
an die Ostsee, lasse warm baden im Spätsommer, torpide an die 
Nordsee, „wo das Seebad in dem Zusammenwirken von Seeklima 
und Seebad, in der niederen, aber gleichmäßigen Temperatur, 
in dem geringen Unterschied zwischen Tag und Nacht, in dem 
thermischen Reiz des Bades, dem mechanischen des Wellen¬ 
schlages und chemisch-physikalischen des Salzes mit dem er¬ 
wärmenden Einlluß des Golfstromes, mit Ebbe und I lut und 
höherem Salzgehalt, (2— 4%), den Höhepunkt seiner maritimen 
Wirkung durch Anregung des Stoffwechsels erreicht.“ Beson¬ 
ders wichtig ist es ferner, die Kur mehr zu verlängern als es 
meist üblich ist. S oltmann hält einen drei- bis viermonati- 
gen Aufenthalt im Hospiz für ebenso nötig wie eine Wieder¬ 
holung zwei bis drei Jahre hintereinander, wenn der Kurerfolg 
einigermaßen einen Dauererfolg verbürgen soll. Er plädiert 
für die Errichtung schwimmender Sanatorien. In den Solbädern 
schätzt Soltiuann ganz besonders den Einfluß der Inhala¬ 
torien und Gradierwerke, speziell wenn rezidivierende Katarrhe 
des Nasenrachenraums, der Ohren, Nase, des Kehlkopfes und der 
Bronchien vorhanden sind. 

A rzneilich stehen neben dem Lebertran Eisen. Jod und 
Arsen zur Verfügung. Der Lebertran findet nur bei der erethi- 
schen Skrofulöse Anwendung. Bei der pastösen Skrofulöse ist, 
er zwecklos und wird oft schlecht, vertragen. Die Eisenpräparate 
sind auch besonders bei der erethischen Form von W ert. Mit 
Arsen sei man vorsichtig; die meisten anämischen skrofulösen 
Kinder vertragen es nicht gut. wenn ihre Verdauung nicht intakt 
ist. — Adenoide Wucherungen, die bei skrofulösen Kindern nach 
der Exstirpation oft rezidivieren, entferne man nur, wo sich ein 
ausgesprochener „adenoider Typus“ mit seinen schädlichen Rück¬ 
wirkungen auf Thorax, Ohr, Sprache, Nervensystem entwickelt. 
— l)j t . lokalen Erscheinungen der Skrofulöse an Haut und 
Schleimhäuten müssen nebenbei lokal behandelt werden, doch 
darf die Allgemeinbehandlung über der symptomatischen nie iu 
den Hintergrund gerückt werden. 

2. S a a r hat mit P y ocyanase an der K raus sehen 
Klinik in Berlin gute Erfolge erzielt. Er kommt zu folgendem 
Urteil: Die Pyocyanase ist entsprechend ihrer experimentell 
studierten bakteriziden Eigenschaft ein ausgezeichnetes lokal 
wirkendes Mittel zur Behandlung von Anginen, die durch Strep¬ 
tokokken, Slaphylokokken und Diphtheriebazillen hervorgerufen 
sind. Da eine giftbindende (antitoxische) Wirkung auf das 
Diphtherietoxin nicht zu den Eigenschaften der Pyocyanase zu 
gehören scheint, so ist die .Pyocyanase neben dem Heilserum an- 
zu wenden. Jedoch ermöglicht die Pyocyanaseanwendung viel¬ 
leicht eine geringere Dosierung des Heilserums. Bei erwachse¬ 
nen Diphtheriekranken macht die Pyocyanäsebehandlung bei 
rechtzeitiger Anwendung die Serumtherapie überflüssig. Drei 
Fälle von Angina Plaut-Vincenti wurden durch das Mittel sehr 
schnell geheilt. 

3. S c h e f f z e k betont, daß Schädelimpressionen bei Neu¬ 
geborenen. namentlich nach operativen Entbindungen den Erfolg 
der Wiederbelebungsversuche beeinträchtigen, da sie fine Raurn- 
beengung für das Gehirn bedeuten. Jede tiefere Impression 
führe zu einer dauernden Deformität des Schädels. Die Beseiti¬ 
gung der Schädelimpression gelingt mit dem Korkzieher in allen 
Fällen, am leichtesten sofort nach der Geburt, doch auch noch 
12 und 24 Stunden danach. Ein besonders geeigneter Korkzieher 
wird von Hermann Härtel in Breslau geliefert. 

4. 1 )ie Behandlung des Säugling sc k z e m s 
in i t, der Finkeisteins c li e n S u p p e ist z. Z. Gegen¬ 
stand zahlreicher Kontroversen. Die Herstellung dieser Nah¬ 
rung, die im wesentlichen eine Milchnahrung darstellt, in der 
der größere Teil der Molke durch Haferschleim ersetzt, ist., wurde 
bereits an dieser Stelle ausführlich mitgeteilt. M e n d c 1 s s o h n 
berichtet aus der dermatologischen Abteilung des Rudol I-\ irchow- 
Krankenhauses in Berlin über gute Erfolge in drei Fällen. Be¬ 
merkenswert ist allerdings, daß,mit der Heilung des Ekzems ein 


starker Gewichtsverlust. (1 kg und mehr) bei allen drei Kindern 
einherging. Verl, sali darin kein bedenkliches Symptom, da 
offenbar die Kinder bei dem Salzmangel der Nahrung reichlich 
Wasser aus den Geweben abgeben. Das Aussehen und Allgemein¬ 
befinden der Kinder wurde durch den Gewichtsverlust nicht 
alteriert; sie wurden im Gegenteil sogar munterer und sahen 
gesünder und frischer aus. Verf. glaubt, daß gerade die schroffe 
Salzentziehung durch ihre Wirkung auf die Ursache des Ekzems 
der wesentliche Faktor ist. 

Da andere Autoren bei Säuglingsekzemen jede Wirkung der 
Finkeistein sehen Diät vermißten (0 z e r n y. F e e r, ganz 
kürzlich W i t z i n g e r an der P f a u n d 1 e r sehen Klinik), ist 
wohl mit F e e r anzunehmen, daß man die Säuglingsekzeme nicht 
alle auf eine Stufe stellen darf, und es wird wohl eine dankbare 
Aufgabe sein, die Gruppe von konstitutionellen Säuglingsekzemen 
klar differentialdiagnostisch zu umgrenzen, welche für die F i n - 
k e 1 s t e i nsche Therapie geeignet sind. 

5. In einem durch reiche persönliche Erfahrung wie durch 
Kritik gleich ausgezeichneten klinischen Vortrag erörtert Feer 
die B ehandhng des K e u c h h ustens. Die Prophylaxe 
wird eingehend erörtert, dabei speziell betont, daß schon sehr 
viel geleistet ist. wenn cs gelingt, die Infektion über die ersten 
zwei bis drei Jahre hinauszuschieben, da die Todesfälle bei 
Keuchhusten fast nur die ersten drei bis vier Jahre betreffen (die 
Hälfte oder mehr das erste Lebensjahr). Oft sind Erwachsene 
die Infektionsübermittler, die viel häufiger, als man gewöhnlich 
annimmt, an Pertussis erkranken, auch wenn sic schon als Kinder 
die Krankheit durchgemacht haben; der Keuchhusten verläuft bei 
ihnen atypisch, ohne eigentliche Anfälle, und wird meist nicht 
erkannt. 

Besonders gefährdet sind Rachitiker und Kinder mit spas- 
mophiler Diatliese. Psyche und Nervensystem sind überhaupt 
auf den Verlauf der Erkrankung, die Zahl der Anfälle etc. von 
großem Einfluß, eine überängstliche Umgebung daher oft schäd¬ 
lich. Aeltere Kinder können dazu erzogen werden, den kommen¬ 
den Anfall willkürlich zu unterdrücken, z. B. durch tiefe Atem¬ 
züge. (Aehnlich dürfte wohl auch die Wirkung des oft mit 
Erfolg anwendbaren bekannten, von F eer nicht erwähnten 
KeuchhuStenhandgriffes zu erklären sein, der im Vorschieben 
oder VoVziehen des Unterkiefers besteht. Ref.) 

Obenan in der Behandlung steht die A e r o t. h e r a p i e. 
Orts- und Klimawechsel sind an sieh ohne Nutzen. Der Genuß 
reiner Luft ist die Hauptsache, bei Fieberfreilleit und gutem 
Wetter im Freien, bei Schwerkranken und an rauhen Tagen im 
Hause. Der Kranke soll das beste Zimmer in der W ohnung 
haben, möglichst für sich allein. Man sorgt Tag und Nacht für 
eine gute Ventilation (ohne Zug!), im Winter erhält man dabei 
durch ausgiebige Heizung die gewünschte Temperatur (16 bis 
20° C.). Wichtig ist dabei die Feuchthaltung der Luft durch 
nasse Tücher, Wasserschalen etc. Von höchster Bedeutung ist 
peinliche Reinhaltung der Zimmerluft, Verhütung von Staub, 
feuchte Reinigung des Fußbodens etc.. Fernhaltung katarrhalisch 
affizierter Personen; sehr vorteilhaft ist das bekannte Zwei¬ 
zimmersystem. — Die Hydrotherapi e kommt hauptsäch¬ 
lich bei Komplikationen seitens des Bronchialsystems in Betracht, 
doch läßt Feer auch bei Freisein der Bronchien abends einen 
nassen Brustwickel machen (wann, später ev. auch mit zimmer- 
gestandenem Wasser) und gut, mit Wolltuch zugedeckt, 2—-4 
Stunden liegen, und sieht hiervon eine günstige Wirkung auf die 
Nachtanfälle. Bei Komplikationen rät er bei jüngeren Kindern, 
bei schlechtem Kräftezustand und mangelhafter Zirkulation zu 
heißen Bädern (37° C„ rasch auf 40—42 ° erhöht) und heißen 
Brustwickeln mit nachfolgender rascher naßkalter Abreibung 
oder kaltem Nackenguß. 

M e d i k a m entös empfiehlt F eer im Beginn ein Chinin 
präparat, etwa Euchinin. oder Bromoform, ev. Thymuspräparate 
(Dialysat, Golaz gegen Keuchhusten, oder Pertussin Täschner), 
bei schweren und häufigen Anfällen Godein. — Ueber die Do¬ 
sierung dieser Mittel macht Feer folgende Angaben: Chinin 
kann man Kindern leicht in Form der Z i m m e r sehen Chinin¬ 
perlen (ä 0,1 Chinin, sulf.) in Milchsuppe oder Brei verabfolgen. 
Man gibt im ersten Jahre 2—3 mal täglich 1 Perle, sodann 2 mal 
täglich soviel Perlen, wie das Kind Jahre zählt, ohne über 1,0 
bis 1,2 g pro die hinauszugehen. Euchinin 3 mal täglich soviel 
Dezigramme, wie das Kind Jahre zählt, bis zu 1,5 pro die. Chi- 
ninum tannicum in zwiefach größerer Dose wie Chinin, nicht 
über 2 g im Tage. — Vom Dialysat Golaz (Originalflasche ä 10 g) 
gibt man jüngeren Kindern zweimal einen Tropfen, später zwei¬ 
mal 2—3 Tropfen, älteren Kindern zweimal zwei, später zweimal 




THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


1.908 


709 


4 J ropfern. Von Pertussin Täschner (Originalflasche ä 250 g) 
gibt man 3—4 mal täglich einen Kaffeelöffel bis einen Eßlöffel 
Öromöförm darf man nur geben, wo die Eltern intelligent sind 
und das Fläschchen in gut verschlossenem Schrank aufbewahren 
da sonst Vergiftungen möglich sind. Säuglinge von 3—6 Mo- 
naten erhahen 3 mal 1—2 Tropfen, von 7—12 Monaten 3 mal 
-—4 J ropfen, altere Kinder 3—4 mal täglich soviel Tropfen, als 
Jahre plus ~ 4 Tropfen, also /. 13. ein 3jähriges Kind 3—4 mal 
o-7 J ropfen. Maximum für ältere Kinder ist 4 mal 12 Tropfen 
l)ie Impfen gibt man in Zuckerwasser nach den Mahlzeiten 
< odein phosphoric. gibt man in wässeriger Lösung, in drei bis 
vier Dosen, mit, 1 Jahre etwa 1—2 mg pro die, mit 2 Jahren 
3—o mg, mit 3 Jahren 1 cg, mit 6 Jahren 3 cg. lief, hat auch 
von erheblich höheren Codeindosen bei vorsichtigem Vorgehen 
nie einen Schaden, dagegen oft ausgezeichnete Erfolge bei Keuch¬ 
husten gesehen. 

6. Zystoskopie und Ureterenkotherismus werden bei Kin¬ 
dern bislang noch sehr selten ausgeführt, da die technischen 
Schwierigkeiten erhebliche sind. Daß auf diesem Gebiet Fort¬ 
schritte zu verzeichnen sind, ist sehr erfreulich. Die diesbezüg- 
liehe Mitteilung von Port ne x sei auch namentlich wegen 
mancher technischer Einzelheiten der Beachtung empfohlen. 

\ cM-1. kommt zu folgenden Schlußsätzen: 

Blasen- und Nierenleiden sind beim Kinde viel seltener als 
beim Erwachsenen, aber auch schwieriger zu diagnostizieren, 
denn die Klagen der Kinder sind — abgesehen vom Blasenstein 
— ganz unbestimmt und erlauben ebenso wie die klinische Be¬ 
obachtung nur selten eine genaue Lokalisation der Erkrankung. 
Ohne sie ist aber eine erfolgversprechende Therapie unmöglich. 
Deshalb empfiehlt sich die Anwendung der Zystoskopie und des 
Ureterenkatheterismus. Sie ist jedoch auf die unbedingt not¬ 
wendigen 1' alle zu beschränken. Die Beobachtung des Urin¬ 
sediments dient dabei in der Kinderpraxis zweckmäßig als Weg¬ 
weiser. Es scheiden für zystoskopische Untersuchungen aus: 
L Fälle mit Blasen- oder Nierenbeschwerden, aber ohne patho¬ 
logisches Urinsediment. Hier ist Beleuchtung der Blase und 
Trennung der Nierenurine nutzlos. 2. Fälle von Hämaturie, die 
durch den Nachweis von anderweitigen Blutungen oder von Zy¬ 
lindern als Teilerscheinung einer der häufig vorkommenden hä¬ 
morrhagischen Diathesen oder einer Nephritis erkannt werden. 
3. lalle von Pyurie, bei denen durch Behandlung (ev. Silber¬ 
nitrat waschungeil der Blase) eine fortschreitende Besserung er¬ 
zielt wird 

Bestehen bei Fällen von. Hämaturie und Pyurie nach läng¬ 
stens vier Wochen noch diagnostische Zweifel, so müssen und 
können sie durch Zystoskopie und Ureterenkatheterismus gelöst 
werden. Beim Mädchen ist Zystoskopie und Ureterenkatheteris- 
mus vom vollendeten ersten Jahre an, beim Knaben Zystoskopie 
vom zweiten Jahre ab, Ureterenkatheterismus vom achten Jahre 
an möglich. Die Benutzung besonders dünner, trotzdem brauch¬ 
barer Instrumente (Zystoskop Cli. 12, Ureterenzystoskop Oh. 17) 
ist beim Mädchen wünschenswert, beim Knaben notwendig. Die 
zystoskopisclien Methoden sind für das Kind gefahrlos, erfordern 
aber Narkose. An den Ureterenkatheterismus schließen wir bei 
chirurgischen Nierenleiden die funktionelle Nierendiagnostik. 


Klimatotlierapie und Thalassotherapie. 

Referent: Kaiserl. Rat Dr. Tripold, Abbazia. 

(Schluß.) 

11. Ueber den Heilwert der Seereisen. Von Dr. A. Cast i- 
glioni und Dr. Karl Moser. Triest. Ibidem. 

12. Thalassotherapie auf Schiffen. Von Dr. H. Pauli. 
Karlsruhe. Ibidem. 

13. Das Klima Madeiras. Von Dr. Mafif red Fritz, Bad 
Wildungen. Ibidem. 

14. Die Bedeutung der Abkühlung und der Feuchtigkeit für 
die Entstehung von Krankheiten. Von Dr. M. Meyer, 
Bernstadt. 

15. Ueber Klima und Heihuizeigen Aegyptens. Von Dr. L a - 
«I u e u r, Wiesbaden. Ztschr. f. phys.-diät. Ther., XI, Heft 6. 

10. Biologische Gesichtspunkte auf dem Gebiete dt*r Klimato- 
therapie. Von Dr. Z. v. D alma d y, Tatrafüred (Alt-Schmecks). 
Ztschr. f. phys.-diät. Ther., Oktober 1908. 

11. Die Verfasser, erprobte Fachmänner im ärztlichen Schiffs¬ 
dienste, preisen den kurativen \\ ert von Seereisen auf zweck¬ 


dienlich ausgestatteten Schiffen durch klimatisch günstige Meer¬ 
gebiete. 

Im besonderen erweist sich die Seereise angezeigt bei Neu¬ 
rasthenikern, sowohl des Kindes-, Pubertäts- als auch des 
späteren Alters, insbesondere ist es die Schlaflosigkeit, 
die prompt beseitigt wird, während der Allgemeinzustand des 
Neurasthenikers, insbesondere die psychische Depression durch 
die gleichzeitig tonisierende und beruhigende Wir¬ 
kung der Seeluft auf das günstigste beeinflußt wird. Neben dem 
Losgelöstsein von allen störenden, quälenden, erregenden Ein¬ 
flüssen des Alltagslebens, neben den über jeden Zweifel erhabenen 
günstigen klimatischen Verhältnissen auf hoher See ist es die 
su ggestive Kraft des Meeres, die krankhafte Gefühle, 
Stimmungen, Schwäche beseitigt. 

Dann sind es Appetitlosigkeit, A t. o n i e des 
Magens und Darmes, welche durch eine Seereise auf 
das günstigste beeinflußt werden. Die Seeluft regt, den Appetit 
mächtig an, die stete, wenn auch unmerkliche Erschütterung, 
hervorgebracht durch die Sehiffsbewegung, versetzt die Bauch¬ 
organe in kontinuierliche A ibration. übt gleichsam eine moleku¬ 
lare Massage u^d bringt habituell Obstipierte zu normaler Darm¬ 
funktion. Der Aufenthalt auf hoher See ist ferner angezeigt 
bei anämischen, chloroti sehen und 1 y m h a - 
t i sehe n Individuen, wie hei Menschen mit Disposi tion 
für Phthise. (Die beträchtliche Erhöhung der Erythro¬ 
zytenzahl und des Hämoglobingehaltes hat Malassez nach- 
ge wiesen). 

Uebenaschend schnelle Genesung finden oft auf dem Meere 
Kranke mit chronischer P n e u monie, mit hartnäckigen 
pleuritisch en Exsudaten, ebenso solche mit lang¬ 
wierigen Eiterungen. Für alle k a tarrhalische n 
Affektionen des Respirationstraktes gilt wohl 
der Aufenthalt auf hoher See als souveränes Heilmittel. (Gleich¬ 
mäßige Feuchtigkeit der Luft, geringe Temperaturschwankun- 
gen, absolute Reinheit der Seeluft.) 

Asthmakranke werden oftmals gebessert: sehr zweck¬ 
dienlich erweist sicli die Atm-ungsmethodik: Einatmen gegen den 
AV ind, Ausatmen mit dem Winde. 

Heufieberkranke bleiben auf hoher See mit absoluter 
Sicherheit anfallfrei. 

Ein wichtiges Bereich der Thalassotherapie bilden die 
Herzkrankheiten, insbesondere die A f f e k t i o n e u 
d e s H er z m u skel s. Erleichterung der Herzarbeit durch den 
ferhöhten Tonus der Gefäße, durch die Hyperämisicrung der 
Haut. Endlich ist das Hochseeschiff die ideale Erholungsstätte 
für Rekonvaleszente aller Art. 

12. A^ ir verdanken dem Verfasser höchst interessante Klima¬ 
studien von der Nordsee und dem nördlichen Eismeere, wie auch 
vom Mittelmeere. 

A erfassers Mitteilungen beziehen sich auf die sogen. Ver- 
gnügungsreisen der Hamburg-Amerika-Linie — in Deutschland 
kurzweg Hapag genannt. 

[Das genaue Seitensfiick hierzu sind die Reisen mit der 
Thalia“ des österr. Lloyd. D. Ref.] 

A r o r z ii g e der Meeresluft, die auf dem Lande nir¬ 
gends angetroffen werden, sind: die fast absolute Freiheit von 
Staub, die absolute Reinheit von Keimen, der Reichtum an 
Sauerstoff, Ozon, Kochsalz (?). Wasserdampf, die Konstanz ihrer 
relativen Feuchtigkeit, ihre hervorragend starke Radioaktivi¬ 
tät (?). 

[Dagegen schreibt Sommer im Jahrbuch der Leistungen 
und Fortschritte auf dem Gebiete der physikalischen Medizin,, 

I. Jahrgang, 1908: 

..An der See ist der Aktivitätsgehalt der Luft gleich 

Null* und ..Fluß- und Meerwasser besitzen sozusagen keine 

Radioktivität“. D. Ref.] 

Die Küstenluft weist die A r orzüge der Luft auf hoher See 
niemals im vollen Umfange auf. „Ozeanität“ und ..Kontinen¬ 
tal! tät“ stehen sich scharf gegenüber. 

Das AVescn der Ozeanität ist. der milde Ausgleich der Tem¬ 
peratur — keine Temperaturstürze, sondern sanftes, kaum merk¬ 
liches Ineinanderfließen du Temperatursehwankungen — dann 
die Konstanz und der Grad der Lufthewegung. 

Die Nordlandfahrten der Hapag führen durch die Nordsee, 
das europäische Xorlraeer, Teile des ' nördlichen Eismeeres 
zwischen der deutschen und holländischen Nordwest-, der eng¬ 
lischen Ostküste, den Orkney-, Ftfröer-Inseln, Island, Spitzbergen, 
der norwegischen und jütischen A\ r estküste. Ausgangs- und 



th: 


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vjm v 




704 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 47 


Endpunkt ist Hamburg. 1 Notdlättd fahrt im Juni, 6 Fahrten 
im Juli und August. 

Während die Teinperaturmittel an der englischen und ! 
schottischen Ostküste im Juli und August zwischen 12,5 und 
15,6 0 C. liegen, sind sic auf Spitzbergen in diesen Monaten 
4.4—4,6° C. Der Temperaturabfall vollzieht sich auf der langen 
Seereise ganz allmählich. 

Sehr groß sind die Schwankungen zwischen den mittleren 
Monatsext.remeu um Kontinent, sie betragen 20 und mehr Grade 
Celsius in Deutschland, 16,2—14,2° 0. auf Helgoland, dagegen 
nur mehr 5° C. in Thoorhavn. Vestmannö und Grimsey. 

Gewitter- und Sthrmtage sind in *den nördlichen Meer¬ 
gebieten seh r selten ; dagegen weisen diese eine stärkere Bewöl¬ 
kung auf als Mitteleuropa (nahezu Dreiviertelbewölkung gegen 
Halbbewölkung am Kontinent). 

Das wichtigste Charakteristikum des P o 1 a r klimas, in 
welches die Hapagreisen noch hineinführen, ist die gänzliche Ab¬ 
wesenheit der Sonnenstrahlung im Winter, das sehr schiefe Ein¬ 
fallen der Sonnenstrahlen im Sommer. 

Verfasser rühmt dann noch speziell das Sommerklima auf 
Spitzbergen. [Vergleiche auch B u n g e. Ref. in dieser Zeit¬ 
schrift.] 

Während des Winters (Januar bis Mai) führen die Ilapag- 
reisen nach dem Mittelmeer, wo der Winter subtropischen Cha¬ 
rakter hat und reichste Gelegenheit zu Aerotherapie auf den 
Hochseeschiffen gegeben ist. Palermo weist in 1.0 Jahren einen 
Schneetag auf. (Abbazia hat seit 1903 keinen Schneefall gehabt. 
D. Ref.) 

Der Winter ist im Mittelmeer charakterisiert durch milde 
Temperaturen, häufige Regen und vermehrte Winde. 

Sind schon die Januartemperaturen (kältester Monat) in 
Genua, Nizza, Ajaccio, Palermo, Alexandrien: 8,0, 8,3, 10,2, 10,9, 
15,6° C., so werden noch höhere Werte auf hoher See erreicht: 
11,5—16° C., während Deutschland im Januar durchschnittlich 
Frosttemperaturen hat. 

Das Charakteristikum des Mittelmeerregens ist seine 
Kürze und Heftigkeit. 

Die Winde des Mittehneeres -interessieren uns nur im Sinne 
der Seekrankheit. Mistral und Bora, die gefürchteten kalten 
Lokalwinde, sind nur Küsten winde, fehlen ganz auf hoher See. 
Dagegen spielt der Scirocco eine beachtenswerte Rolle. Ver¬ 
fasser glaubt den warmen Regen wind des Mittelmeeres außer 
Betracht lassen zu sollen, er führt weiter an, daß der sahara¬ 
geborene, glühend heiße, staubführende Scirocco^ der den Men¬ 
schen sehr unangenehm beeinflußt, im Winter sehr selten, häufig 
dagegen im Sommer verkommt. (Ref. muß jedoch herorheben, 
daß schwere Sciroccostürme das Mittelmeer von Aegypten her 
bis an die adriatischen Küsten heimsuchen können, häufig im 
Spätherbste, aber auch gar nicht, so selten im Januar, Februar 
und März. Diese Stürme sind durchaus nicht heiß, aber doch so 
heftig, daß sie bei der größten Mehrzahl der Schiffspassagiere 
SchifFskrankheit, hervorrufen.) 

Andererseits erfreut sich das Mittelmeer reichlichster Wind¬ 
stillen. 

Konstanz und hoher Grad der relativen Feuchtigkeit geben 
der Mittelmeerluft schon ozeanisches Gepräge. 

Ein Vorzug der Hapagfahrten ist das zeitweilige Anlaufen 
des Festlandes, wodurch den Reisenden Abwechselung geboten 
wird. 

24 Literaturangaben über Seereisen und einschlägige 
Meteorologie. 

13. Zahlreiche Lungenkranke vertragen den Aufenthalt im 
Hochgebirge nicht, die von den Staubwolken der Automobile er¬ 
füllte Luft der Riviera eignet sich auch nicht für kranke Lungen, 
und so möge man sich wieder der „glücklichen Inseln“, der 
Madeira-Inselgruppe und der Kanaren erinnern. So der Ver¬ 
fasser. 

Madeira und die Kanaren liegen im Bereiche des Nordost¬ 
passat. 

Madeira ist eine Insel vulkanischen Ursprungs mit steilen 
Küsten. Der räumlich ausgedehnteste Strand liegt iu der Bay 
von Funchab der Hauptstadt der Insel, die allein als Aufenthalt 
für Kranke in Betracht kommt und sich von der Küste bis auf 
700 Meter Höhe hinaufzieht. 25 jährige Beobachtungen haben 
ergeben, daß die aus nördlichen Richtungen wehenden Winde 
das Ueberpe wicht haben; sie sind warm, mit. W asserd am pf- völlig' 
oder annähernd gesättigt. Sobald sie auf die steil aufragende 
Xf rdküste der Insel anprallen, werden sie in die Höhe gedrängt, 
kühlen dabei stark ah und scheiden den Wasserdampf in Wolken 


und Niederschlägen aus. Nähert sich der Passat der stark 
besonnten Südküste, wird er von den warmen Luftmengen in die 
Höhe geschleudert und bildet dann in großer Höhe einen feinen 
Zinusfilz. der die Strahlen der Sonne mildeit. 

Die aus südlicher Richtnug wehenden Winde führen oft zu 
liegen- und Gewitterbliduug. 

Der „L’este“ ist ein von der Sahara ausgehender trockener 
Ostwind, der aber Madeira sehr selten erreicht, in seinen unter¬ 
sten Schichten überdies durch das Streichen über den Ozean mit 
Feuchtigkeit an gereichert, wird. 

Es ist wichtig, zu wissen, daß Madeira m ä ß i g t r o c* k e ti 
ist, eine relative Feuchtigkeit von 67,8% besitzt, während 
Teneriffa schon 77% Durchschnittsfeuchtigkeit aufweist. 

Geradezu ideal sind die Temperaturverhältnisse Madeiras. 
Schnee gibt es in Funchal nie. Mittlere Jahrestemperatur: 
18,6° C. Der kühlste Monat, (Februar): lö,4 0 0. Der wärmste 
Monat (August): 22,6° C. Jahresschwankung demnach 7,2° ('. 

(Nicht -allzu glänzend gestalten sich die Monats- und Tages¬ 
schwankungen der Temperatur mit 9—10® C. bezw. J3.f , denn 
Abbazia weist eine Monatssehwankung von 5,6—7.1 ® C. in 
den Wintermonaten, eine Tßgesschwaukung von nur 4,4—5,5 0 C. 
auf. 1). Ref.) 

Geringe Bewölkung, seltene, kurz dauernde Regen, jährliche 
Regenmenge nur 689 mm; 79 Regentage im Jahre, davon 
58 Regentage im Winter. (Abbazia hat im 20 jährigen Durch¬ 
schnitt 103 Regentage im Jahre, 53 Regentage vom November 

bis 1. Mai. D. Ref.) _ 

Die Luft in Madeira ist außerordentlich rein, frei von jeg¬ 
lichem Staub. • Straßen und Wege durchwegs gepflastert. 

Madeira eignet sich für Lungenkranke, die der Schonung 
bedürfen, für Bronchitikev, Asthmatiker, chronisch Nierenkranke 
und Rekonvaleszente. Nach der Statistik von M i ttermeyer 
und Goldschmidt sind zahlreiche, auch schwer Tuberkulöse 
geheilt worden und dauernd gesund geblieben. 

4 Literaturangaben. 

14. Der Glaube an einen ursächlichen Zusammenhang zwischen 
der Wetterlage und dem Auftreten von Krankheiten ist erhalten 
geblieben — trotz Bakteriologie. Man unterscheidet zwei Haupt¬ 
strömungen der Luft: eine äciuatorische und eine polare; erstere 
fließt nach den Polen zu ab, während die kalte und schwere 
Polarluft an der Erdoberfläche gegen die Tropen zu streicht. Die 
Drehung der Erde bringt es mit sich, daß diese Strömungen nicht 
Nord-Süd-Strömungen, sondern Nordost- (kalt) und Südwest- 
(warm) Ströme sind. Diese Strömungen — in den Tropen über¬ 
einanderlaufend — fließen in unseren Breiten häufig neben¬ 
einander und durchdringen sich oft. Der warme Südweststrom 
läuft über große Meere, führt daher Feuchtigkeit mit sich, 
während der kalte Nordoststrom über weite Strecken des Kon¬ 
tinents weht und daher Trockenheit bringt. Diese Hauptströme 
in Verbindung mit lokalen Berg- und Küsten winden, die Sonnen¬ 
strahlung, physikalische Beschaffenheit des Terrains (trocken 
oder wasserreich, bebaut oder bewaldet,) sind maßgebend für die 
Luftfeuchtigkeit. 

In der Hauptsache unterscheiden wir vier Wärme- und 
Feuchtigkeitsstadien: 1. warm und trocken, 2. warm und feucht, 
3. kalt und trocken, 4. kalt und feucht. 

Der menschliche Körper, der in allen Ivlimaten zu leben ver¬ 
mag, zeigt in seinem Verhalten gewisse Reaktionen den einzelnen 
vier Witterungstypen gegenüber. 

Der Aufenthalt in trockenwarmer Luft hat eine wold- 
tätige. anregende Einwirkung auf den Körper. (Reichliche Ab¬ 
gabe von Wasserdampf durch Haut und Lungen, von Abfall¬ 
stoffen, des Stoffwechsels [Harnstoff, Salze, Gifte], rasches Ver¬ 
dunsten des Schweißes.) 

Anders bei feuchtwarmer Luft. (Zurückbleiben von reich¬ 
lichen Wasser- und Wärmemengen im Körper, reichliche Bildung 
lästigen Schweißes, der nicht, verdunsten kann; Neigung zu 
Hitzschlag beim Gehen und angestrengter Arbeit.) 

Trockenkalte Luft wirkt auf die Schleimhäute reizend, 
ätzend, direkt verwundend. 

Feuchtkalte Luft stellt die höchste Potenz von Klimaschäd¬ 


lichkeit dar: 

Sie wirkt durch Wegfall des Sonnenscheins (der den Stoff¬ 
wechsel steigert, die Blutbildung befördert, die Gemütsstimmung 
freundlich beeinflußt, pathogene Keime vernichtet), ferner durch 
direkten Angriff der Kälte zunächst auf die Peripherie des 
Körpers (kalte Hände und Füße), in weiterer Folge auf die 
Gesamtblutverteilung (innere Kongestion) und auf die Darm- 
funktion. Bei feuchtkalter Luft beobachten wir häutig niedere 





1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


705 


Barometerstände, welchen bei plötzlichem Eintritte nach j 
Lahuse n und L a 1» in a n n e in erheblicher Einfluß auf i 
Magen-Darmtrakt, Lungen und Gefäßsystem zukommt. Man 
kann also zusammenfasaend sagen, daß die feuclitkalte Luft stark 
abkühlend, die Hautatmung hemmend, gemütsverstimmend, 
Schleimhaut reizend und reflektorisch anschoppend wirkt. 

.15. Die physiologischen Wirkungen des ägyptischen Klimas 
beruhen in erster Linie auf der Entlastung des Nieren- und 
Herzkreislaufes durch die erhöhte Tätigkeit des Hautorgans. 

Es ist der früher beliebten Riviera vorzuziehen, weil die letztere | 
zu große Temperaturschwankuiigen, mangelhafte Heizeinrich¬ 
tungen, viel Staub etc. aufweist. 

Kairo, das zum Teil noch ähnliche Mängel zeigt, sollte 
nur als TJebergangsstadium benutzt werden, damit Schwerkranke 
sich an die trockene Luft und starke Besonnung Aegyptens 
gewöhnen. Der eigentliche — auf mehrere Monate zu berech¬ 
nende — Aufenthalt ist in Heluan, Luxor oder Assuan zu 
nehmen. Ersteres besitzt außerdem noch starke warme Schwe¬ 
felquellen. 

Indiziert ist Aegypten für Nierenleiden, Gelenkrheumatis¬ 
mus mit ausgeglichenen Herzfehlern, jüngere Lungenkranke im 
Anfangsstadium, ohne Fieber unid Kavernen, Urner für Asthma, 
Neurasthenie, Diabetes. 

Die Kur beginnt am besten im November in Kairo, um 
Weihnachten in Luxor etc.; von da kehrt man im März in 
Etappen über Heluan, Ramseh, Sizilien, Neapel nach den mitt¬ 
leren Breiten zurück. 

Aegyptens Heilanzeigen sollten nicht überschätzt und die 
Kontraindikationen sorgfältig überlegt werden. 

W. Esc h, Bendorf a. Rh. 

16. Der Mensch zeigt zwar eirte auffallend große Akkommo¬ 
dationsfähigkeit an die verschiedenen Arten des Klimas, jedoch 
geht letzteres nicht wirkungslos an ihm vorüber. Es wirkt 
weniger aufs Individuum, als auf die Art. Während die art- 
bildenden Kräfte des Klimas sich aus den charakteristischen 
Verschiedenheiten der Fauna und Flora der einzelnen Gebiete 
ohne weiteres ergeben, müssen wir nach Verf. hinsichtlich 
der Wirkungen auf das Individuum zwei Arten von Klima¬ 
wechsel unterscheiden: 

a) den kurzdauernden Klimawechsel. 

Er wird vom Organismus nur wie eine Anomalie des Hei¬ 
matklimas aufgefaßt und bringt lediglich die Akkommo¬ 
dation in Bewegung. Die Veränderungen im Stoffwechsel, 
im Wärmehaushalt, im Kreislauf, in der Atmungsmechanik, die 
sieh dabei ergeben, bezeichnet Verf. als die primäre oder 
physikalische Klimawirkung. Sie stellt die gewöhnliche 
Art der Klimatotherapie dar. Neben ihm möchte er aber noch 
auf die Wichtigkeit der Wirkungen 

b) des langdauernden Klimawechsels 
hinweisen, die er sekundäre, biologische nennt. „Wo die 
durch den Klimawechsel bedingten Veränderungen die Ano¬ 
malien des heimatlichen Klimas an Dauer oder zeitlicher Ver¬ 
teilung iibertreffen und dadurch mit. den. von Simo n als „mne- 
mische“ Eigenschaften des Organismus bezeichnten Erschei¬ 
nungen und Vorgängen in Konflikt geraten, da entfaltet der 
Klimawechsel eine tiefgreifende Wirkung, die als die inneren 
Krankheitsursachen verändernd (und artumstimmend) betrach¬ 
tet werden muß. 

Er illustriert das an dem Umstande, daß im zweiten Jahre 
des Klimawechsels statt der Eingewöhnung, die man nach der 
herrschenden Meinung erwarten müßte, vielmehr eine lieber - 
empfindlichkeit eintritt. Europäer z. B.. die das erste Jahr 
selbst in den heißesten Tropen mit erstaunlicher Frische durch¬ 
leben, bemerken im zweiten oder dritten Jahre die schäd¬ 
lichen Wirkungen des Klimas (Huggard), um diese Zeit 
erst tritt auch die Tropenneurasthenie, der „Tropenkoller“, auf. 

Umgekehrt müsse sich aber auch in gewissen Fällen eine 
günstige Wirkung des Klimawechsels auf ererbte Anlagen 
zeigen. Diesem Gegenstände sollten die Aerzte in Zukunft 
eine größere Aufmerksamkeit als bisher schenken. 

(Wenn auch die Ausführungen des Verfassers eines gewissen 
Interesses nicht entbehren, so erscheint ihre praktische Ver¬ 
wertbarkeit doch einigermaßen problematisch.) 

\Y. Esc h, Bendorf a. Rh. 


Mitteilungen über Arzneimittel. 

Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger. Magdeburg. 

1. Das Eulatin, ein neues Keuckliustemnittel. Von Dr. 
L. F r i c d m a n n. Med. Klinik, 1908, Nr. 43. 

2. Bemerkungen zur pharmakodynainischen Wirkung des 
Aristolöls. Von Dr. Daxenberger. Die Heilkunde, 1908, 
S. 369. 

3. Ueber ein neues Keuchhustenmittel wird von Fried- 
m a n n berichtet. Es handelt sich um das von dem Chemischen 
Institut Dr. L. O e s t r e i c h e r, Berlin W. 30, hergestellte 
Eulatin, das ein weißes, fast geruchloses, leicht säuerlich 
schmeckendes Pulver darstellt, und das als ein amidobromben- 

| zoesaures Dimethylphenvlpyrazolon anzusehen ist. F. gab es 
; in Einzelgaben von 0,1—0,5 g 3—4 mal täglich als Pulver oder 
unter Zusatz von wenig Himbeersaft als Schüttelmixtur. Nur 
in exzessiv schweren Fällen, im Stadium spasmodicum, wurden 
zeitweise Narkotika hinzugesetzt. Die Kinder, auch ganz junge 
Säuglinge, vertrugen es ohne jede Nebenwirkung. F. glaubt, 
daß durch das Mittel das Sekret verflüssigt und die Husten- 
1 anfalle günstig beeinflußt werden. Ferner übt es eine krampf- 
widrige Wirkung aus. Bei heruntergekommenen Kindern scheint 
durch den Gehalt an Benzoesäure die Herzkraft gehoben zu wer¬ 
den. Am günstigsten gestaltet sich die Behandlung, wenn das 
Mittel im Beginne der Krankheit gegeben wird: diese wird da¬ 
durch wesentlich abgekürzt. Auf der Höhe der Erkrankung 
1 machte sich eine sedative Beeinflussung entschieden bemerkbar. 

‘ Die zu Vergleichszwecken mit den üblichen Keuchhustenmitteln 
behandelten Kinder zeigten nur geringe oder keine Besserung. 

2. Zur Prüfung, ob Aristolöl selbst steril ist, hat D a x e n- 
berger eine frisch bereitete 10 proz. Lösung auf Agarplatten 
ausgegossen und völlige Keimfreiheit des Oeles festgestellt. Un¬ 
verschlossen aufbewahrtes Oel bleibt aber nicht steril; jedoch 
kommen die hineingeratenen Keime nicht zur Vermehrung und 
scheinen sogar allmählich abzusterben. Fernere Versuche er¬ 
gaben, daß in dem 30 proz. Aristolöl die Mikroorganismen länger 
am Leben bleiben, als an der Luft, da in letzterer die völlige Aus¬ 
trocknung schneller vor sich geht als in der Oelschicht. Nun 
wirken die meisten pulverförmigen Antiseptika erst beim oder 
durch das Hinzutreten der Wundsekrete. Welche Vorgänge sich 
dabei abspielen, wissen wir nicht. Jedoch ist bekannt, daß selbst 
die starken Antiseptika, wie Sublimat und Karbolsäure, ihre 
antiseptische Wirkung einbüßen, wenn man sie in öliger Ver¬ 
bindung anwendet. Nur das Jod macht darin eine Ausnahme 
(Jodoformemulsionen!). Die Jodwirkung geht nicht verloren, 
kommt vielmehr in milderer Form zum Ausdruck. Daher kommt 
es, daß auch das Aristol seine Vernarbungstendenz und schmerz¬ 
stillende Wirkung in öliger Verbindung nicht verliert, ja sogar 
sie noch 'eklatanter hervortreten läßt. Allerdings kann das 
Aristolöl nicht, den Anspruch eines Antiseptikums im strengen 
Sinne machen, sondern nur eines absolut sterilen, jederzeit be¬ 
reiten Jodöllösung. Denn es unterliegt keinem Zweifel, daß das 
Aristol durch Abspaltung von Jod in statu nascendi wirkt. 
Die Versuche auch anderer Autoren haben aber ergeben, daß die 
Resorption von Jod nur eine äußerst langsame ist. Daher 
fehlen, auch bei endermaler Anwendung des Aristolöls (10 g), 
jegliche Jodvergiftungserseheinungen. Verfasser hält es für 
ausgeschlossen, daß bei einigermaßen vernünftiger Anwendung 
Schaden gestiftet werden kann. 


Bücherbesprechungen. 

Lehrbuch der spezifischen Diagnostik und Therapie der Tu¬ 
berkulose. Von Dr. Bandelier und Dr. R o e p k e. II. Auf¬ 
lage. Würzburg 3 909. Verlag von C u r t K a b i t z s c h. Preis 
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Im vorliegende Buche besprechen die Verfasser in klarer und 
ausführlicher Weise die verschiedenen Arten der Tuberkulose¬ 
diagnose mittels Tuberkulin, wobei sie die subkutane Injektion, 
die Methoden von Pirquet, Calmetto etc. etc. nacheinan¬ 
der würdigen. Auch bezüglich der Tuberkulinbehandlung ist in 
I den» Buche alles Wissenswerte enthalten. Die Autoren besprechen 


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Verantwortlicher Redakteur: Dr. H. Lungwitz, Berlin S. — Verlag: Gustav Ehrke Zeitsc hriftenverlag, Berlin W. 9. 
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die Behandlung mit Alt- und Neutuberkulin, Mamiorekserum und 
den übrigen bekannten Tuberkulinen, sowie dem Behring- 
sclicn Heilmittel. Einige vorzügliche Bilder und Kurven vervoll¬ 
ständigen das Werk. Das vorliegende Buch ist für den prakti¬ 
schen Arzt, der sich mit der Diagnose und Therapie der Tuber¬ 
kulose beschäftigt, ein sehr zu empfehlendes Nachschlagewerk. 

Dr. Ernst M e y e r, Charlottenburg. 

Die Willensfreiheit in moderner, theologischer, psychiatri¬ 
scher und juristischer Beleuchtung, nebst eine Abwehr gegen den 
Oberstaatsanwalt P. Von J oh. B r e ß 1 e r. Halle a. S., Carl 
M a rhol d. 

Der Begriff der freien Willensbestimmung ist kein juristi¬ 
scher allein und soll der Arzt die Grundlagen beurteilen, so darf 
er vor der Bestimmung des Begriffes nicht Halt machen. Es 
werden die Definitionen von theologischer, medizinisch-psychia¬ 
trischer und juristischer Seite vorgeführt. Es wird gezeigt, wie 
schließlich in allen dreien der deterministische Standpunkt zu 
seinem Rechte kommt. Aus dem Determinismus folgt nicht ohne 
weiteres der Zwang, die Begriffe der Schuld und Strafe aufzu¬ 
heben, sondern es ist wohl möglich, den Determinismus mit den 
Grundanschaivungen der Strafrechtspflege zu vereinigen. 

Die interessante Studie wird zur Lektüre vom Referenten 
lebhaft empfohlen. G. F 1 a t a u, Berlin. 


Allgemeines. 


Quamvis sint sub aqua .... Im Novemberheft des „Ge¬ 
sundheitslehrers“ wird schon wieder Puro attackiert, und zwar 
von Dr. Neust ätter, München; er benutzt die Gelegenheit, 
um auch mich einmal anzurempeln, da ich in Nr. 35 d. W. die 
Puro-Affäre kritisch beleuchtet habe und zu einem für die Zu¬ 
kunft. des Puro günstigen Ergebnis gekommen bin. Für die¬ 
jenigen unserer Leser und Mitarbeiter, die das Heft zufällig etwa 
in die Hände bekommen haben, möchte ich bemerken, daß es 
erstens nicht wahr ist, daß Sonderdrucke meines Puro-Artikels 
in Kouverts der ..Therapeutischen Rundschau 1 * versandt worden 
sind (bis auf die wenigen, die ich persönlich an Kollegen ver¬ 


VA/ ist das allein echte Karlsbader 

L Vor Nachahmungen und Fälschungen wird gewarnt.^ 


schickt habe)* Es ist ferner nicht wahr, daß ich, um die Redaktion 
der „Th. U.“ zu erhalten, meine Erklärung im „Aerztl. Vereins!)!.“ 
hetr. einige vor Jahren erfolgte Publikationen in populären 
Zeitschriften, die ohne mein Wissen z. T. nachgedruckt worden 
zu sein scheinen, veröffentlicht hätte. Mein Redaktionsvertrag 
ist ain 30. November 1907 unterzeichnet worden. Die Erklärung 
im ,,Aerztl. Vereinsbl.“ datiert vom 28. Januar 1908 und wurde 
veranlaßt durch eine Besprechung mit Dr. S i e f a r t im Januar. 

Was die Purofrage angeht, so bestätigen mir die zahlreichen 
beifälligen Aeußerungen aus Aerztekreisen (letzthin wieder von 
einer sehr hochstehenden amtlichen Persönlichkeit) die Richtig¬ 
keit meiner Auffassung und der Prognose, die ich gestellt habe. 
Ob wohl Herr Dr. Neust ätter sich endlich mal über Puro 
beruhigen wird? Lungwitz. 

Die „Zeitschrift für neuere physikalische Medizin“ stach 
uns wegen ihres höchst sonderbaren, ja direkt auffälligen Re¬ 
daktionsbetriebes schon seit langem in die Augen. Uebbr kurz 
oder lang m u ß t e der Zeitschrift der Prozeß gemacht werden. 
Daß dies freilich in einer so. wuchtigen, zerschmetternden Form 
geschehen würde, wie in der Broschüre Sur m a n n s, des Di¬ 
rektors der Bremer Kaffee-Handels-Aktien-Gesellschaft, war nicht 
vorauszusehen. Die Broschüre dürfte so allgemein verbreitet 
sein, daß wir es uns sparen können, die schweren Anschuldigun¬ 
gen gegen Dr. Zickel, den Verleger Kaufmann und Kom¬ 
merzienrat Aus t, Direktor der Kathreinerfabriken, anzuführen. 
Sie ist ein lehrreiches Beispiel dafür, mit welchen Mitteln heut¬ 
zutage der Konkurrenzkampf geführt wird. Uns interessiert 
natürlich am meisten der schwere Angriff auf die Ehre Dr. 
Zickels. Sollte sich auch nur ein kleiner Teil der Beschuldi¬ 
gungen als wahr heraussteilen, so wird Dr. Zickel gut tun, 
auf den ,,Flügeln der Morgenröte“ sich mit seiner Zeitschrift 
an das Ende der Welt zu begeben. 

Die Krankenpflege-Sammlung im Kaiserin-Friedricli-Hause, 

j die einzige bisher vorhandene Sammlung dieser Art, soll nun¬ 
mehr auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Unter 
Leitung Sr. Exzellenz des Wirklichen Geheimen Rats Prof. Dr. 

I v. L eyde n und des Kustos der Sammlung, Dr. P. Jacob- 
| s o li n, werden im Laufe des Winters mehrere Demonstrationen 
! derselben statt finden, zu denen der Eintritt für jedermann un- 
| entgeltlich ist. Die erste Demonstration ist auf Sonntag, den 
1 15. November, 12—1 Uhr mittags, festgesetzt. 


Jeder deutsche Arzt wird es bestätigen, daß nicht die 
Empfehlungen in Tagesblättern, sondern nur selbst gesammelte Erfahrun¬ 
gen die zuverlässigste Basis für ein neu einzuführendes Mittel sind. Das 
aus Algen hergcstollte Nährfett Fucol will nur auf letzterem Wege sich 
eine Stellung im Arzneischatze erringen. Original-Flasche ä */ 2 Liter 
Mk. 2,—. General-Vertrieb: Karl Fr. Töllner, Bremen. 


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Behandlung rhachitischer Erkrankungsformen. 

Aerztl. Rundschau No. 48. 

Therapie der Gegenwart, März 1908. 

Abhandlung, Prospekte, sowie Bemusterung des Fabrikates 

durch Dr. Hoffmann & Köhler, Harburg. 













TherapeutischeRundschau 

Wochenschrift für die gesamte Therapie des praktischen Arztes. 


Herausgegeben von 

Fror Dr. A. Albu, Berlin, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Anton, Halle a. S., Prof. Dr. P. Bergeil, Berlin, Prof. Dr. A. Bickel, Berlin Prof Dr L Blum- 
Berit B Prnf n ’n r ° f r °R Lh B °H U m U ’ R erli ". Pr0 / r ? r - E ‘ n ?,. raa(z ' Königsberg, Oeh. Med -Rat Prof. Dr. v. Bramann, Halle a. S. Prof. Dr C. Bruhns, 
Pm nr P r i D p ,M R Ur ^ kha o ’ , W “ rzb , urg c [ r ? f , D :- A : Dubrs f e ". Berlin, Prof Dr. E. Enderlen, Würzburg, Prof Dr R. Eschweiler, Bonn, Geh. Med.-Rat 
Ahh • o A < E n i’ B „ erlln ' Prof - Dr ' A ' Frankel - Berlin, Prof. Dr. E. Friedberger, Berlin, Prof. Dr. P. Gerber, Königsberg Reg-Rat Prof Dr Jul Glax 
Abbazia, Prof. Dr. K. Hammer. Heidelberg, Prof. Dr. K. Helbing, Berlin, Prof Dr. M. Henkel, Greifswald, Prof. Di. K. Herxheimer, Frankfurt a M 

Pra Dr M Kn^nn.n’ r® 1 " 1 ,-"’ p™. D A A - H| WeJ> ran<lt . Berlin, Prof Dr. K. Holzapfel, Kiel, Prof. Dr. A. Jesionek, Gießen, Prof. Dr G. Jochmann, Berlin', 

a ro LP. r M. Koeppen, Berlin, Prof. Dr. A. Kollmann, Leipzig, Prof. Dr. J Kocks, Bonn, Prof. Dr. G. Köster, Leipzig Geh Med -Rat Prof Dr 

0. Kustner, Breslau Prof. Dr. H. Lenhartz, Hamburg, Prof. Dr. M. Lewandowsky, Berlin. Prof. Dr. G. Meyer, Berlin Prof Dr M Mosse Berlin 

Proh Dr E. Opitz, Düsseldorf, Geh Med.-Rat Prof. Dr. K. Partsch, Breslau, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. H. Pfannenstiel, Kiel Geh Reg-Rat Prof Dr 

S er ,n ’ P ™ f * Dr ' L n C *, Rc J ln ' A Frankfurt a M ’ Prof - Dr - K. Ritter, Greifswald. Prof. Dr. H. Rosin, Berlin. Prof. Dr Th Rumpf Bonn' 
Prof. Dr. H. Schlange, Hannover, Prof Dr. Ad. Schmidt, Halle a. S., Geh. Med.-Rat Prof. Dr. H. Schmidt-Rimpler, Halle a. S. Prof. Dr VV Scholtz’ 
Königsberg 1 . Pr Hofrat Prof. Dr M. Schottelius, Freiburg i. B., Prof. Dr. E. Schultze, Greifswald, Geh. Med.-Rat Prof Dr H. Senator, Berlin Prof’ 
Dr. E. Som i ner * Rurich Prof. Dr. med et phil. R. Sommer, Gießen, Prof. Dr. G. Sultan, Berlin, Prof. Dr. A. Tietze, Breslau Prof Dr P ö. Unna 
Hamburg, Geh. Med.-Rat Prof. Dr H. Unyemcht, Magdeburg, Prof. Dr. 0. Vulpius, Heidelberg, Prof. Dr. H. Walther, Gießen Prof' Dr! F. Wesener 

Aachen, Prof. Dr. G. Winter, Königsberg, Prof. Dr. E. Ziemke, Kiel. 

Redaktion : Verlag und Expedition : 

Dr. med. et phil. H. Lungwitz, Berlin S. 14, Dresdenerstr. 44. Gustav Ehrke Zeitschriftenverlag, Berlin W. 9, Köthenerstr 44. 

Telephon: Amt IV, 1177.3. Teienhnn- Amt VI 


Keaannon : Verlag und Expedition : 

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Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte 

der Ostsee und der Medizinisch-biologischen Gesellschaft. 


II. Jahrgang. 


Berlin, 29. November 1908. 


Nr. 48. 


Rll ” T J e o a ?- eu . tisc, ' 1 e Rundschau- erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2 M. einzelne Nummer 20 Pf Zu beziehen durch den Verla? sowie sämtl 
grfiß er en* A u ft rügen' 1 wir^Raba ^ g e währt ° " ^ d ' e 4gespa,tene Ze,le oder deren Raum mi1 50 ^rechnet. Beilagen nach Uehereinkunlt. Reklamezeiü’ 1,50 M. Be 

Nachdruck ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. 


Originalien: 

G. Anton, Halle a. S.: l’eber eine eigenartige Gebirnerkrankung 
mit Chorea, Myasthenie, ecrebellärer Ataxie und langsam fort¬ 
schreitender Demenz. 

L. und A. Apostolides, »Smyrna: Leber Aetiologie und Be¬ 
handlung des Asthma bronchiale. 

Referate: 

E. Solms. Charlottenburg: Frauenkrankheiten und Geburtshilfe 

G. Flatau. Berlin: Neurologie und Psychiatrie. 

M Peltzer, Steglitz: Militärmediziu *. 

W. Esch, Bendorf a. Rh.: Biologische Therapie. 

W. Esch, Bendorf a. Rh.: Varia. 


Inhalt. 

Mitteilungen über Arzneimittel: 

A. Scharff, Magdeburg: Ein Beitrag zur Therapie der Rachitis 

, W. Krüger. Magdeburg: Referate. 

W. Kriiger, Magdeburg: Xeuerschienene Arzneimittel . . . 

711 Technische Neuerscheinungen: 

.__.So.laro. Mailand: Ein-neuer elastischer Darmschließer (Reh: 

717 M. Plien. Berlin)' V. ... . 

718 Bücherbesprechungen: 

719 Clouston: Gesundheitspflege des Geistes (Ref.: v. Rutkow>ki. 

719 Berlin). 

720 Allgemeines. 


ORIIjINALIEN. 

Aus der psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Halle a. >. 

lieber eine eigenartige Gehirnerkrankung mit 
Chorea, Myasthenie, eerebellärer Ataxie nml 
langsam fortschreitender Demenz. 1 ) 

Von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Anton. 

Die Erkrankung betraf ein 14 jähriges Mädchen, über 
welches aus der Vorgeschichte folgendes zu erwähnen ist: 

Bei der Gehurt bestand ein Ausschlag mit verschieden 
großen Bläschen, welche mit strahliger Narbenbildung ver¬ 
heilten. Das Kind lernte etwa mit dem zweiten Jahre 1 
sprechen und laufen. Auffällig war ein müdes, mattes 
Wesen, besonders hei Bewegungen. 

In der Schule lernte sie wie die anderen Kinder, doch 
schlief sie nach kurzer Anstrengung müde ein. Im zweiten 
Schuljahre fiel sie auf durch Grimassen, durch Unarten, 
besonders beim Essen durch unmanierliches Gebaren. 
Oberdrein wurde sie „successive fauler“. Im Verlaufe der 
weiteren Jahre liel auf ein breitspuriger, unbeholfener, 
trippelnder Gang. Auch die Hände wurden, besonders bei 
der zweiten Dentition, eigenartig ungeschickt; sie ließ die 
Gegenstände häufig fallen; die vorliegenden Schriftproben 
zeigen eine allmähliche Verschlechterung der Schrift. 

9 Nach einem auf dein Kongresse mitteldeutscher Psvchiater und 
Nervenärzte in Halle a. 8. (25. Oktober 1908) gehaltenen Vortrage. 


\ on den mehrfachen klinischen Befunden seien fol¬ 
gende hervorgehoben (vom März 1906 angefangen); 

Die Körperlänge 121 cm entsprach der Länge eines 
achtjährigen Kindes; der Knochenbau sehr grazil, sehr 
vvohlgefonnt, aber nicht nach Kindertypus, sondern lang¬ 
beinig. Die Schädelmaße entsprachen der Körpergröße; 
der Schädel war wohlgeformt. Das Auge leicht geschlitzt 
(mongoloid)’. 

\ on körperlichen Befunden ist zu erwähnen, daß.sich 
nn Harn durchschnittlich 5 Prozent Zucker fanden. 

Lähmungen und Paresen waren im Anfänge nicht vor¬ 
handen. wohl aber große Ermüdbarkeit; beim Sprechen 
war auffällig Wiederholung der ersten Silben also 
Stottern - und choreatische Bewegungen. Die willkür¬ 
lichen Bewegungen erfolgten verlangsamt, von vielfachen 
-Uitbewegungen begleitet. 

Die Körperbalance war etwas gestört; beim Vorwärts¬ 
schreiten und beim Lmdrehen erfolgten trippelnde Be¬ 
wegungen (Gangstottern). Dies war besonders auffällig 
beim Herabsteigen von der Treppe. Auch beim Aufsitzen 
und Aufstehen erfolgten zunächst mehrere ruckartige Be 
wegungen. Die Arme schlugen zunächst mehrmals gegen 
das Belt, dann erfolgte das Aufsitzen mit Stütze der Arme. 
Beim Umdrehen im Bett erfolgten ausfahrenfre Bewegungen 
an Armen und Beinen. Das Seitwärtsschreiten war sehr 
unvollkommen; nach rechts erfolgloser als nach links. 

Der Tonus des Muskeln wechselte häufig, die Sehnen¬ 
reflexe waren deutlich gesteigert. 1 

Vom psychischen Befunde; Die kleine Kranke 
ist. geordnet, orientiert, beurteilt ihren Zustand zutreffend, 





















710 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 48 


trifft im Verkehr mit Menschen die richtige ^Auslese; sie 
bevorzugt den Verkehr mit Kindern von 7 8 Jahren. 

Während der Unterredung sind auffällig choreatische Be¬ 
wegungen ; beim Sprechen bewegen sich die Kiefer über¬ 
mäßig, und es kommt oft zum A u f r e i ß e n des M u n - 
des. Die gestellten Fragen erfaßt sie rasch und antwortet 
zutreffend. Die Erinnerung an das Erlernte ist relativ gut 
erhalten. Sie schildert und kritisiert auch zutreffend ihren 
früheren Aufenthalt. In die neue Umgebung hat sie sich 
relativ rasch eingelebt und zeigt richtigen, abgestuften Ver¬ 
kehr. Besonders auffällig ist die rasche E r m ii düng 
beim Gespräche und beim Spiele ; der psychische Zustand 
ist dementsprechend stark wechselnd, meist freundlich zu¬ 
gänglich, aufmerksam, voll treffender Bemerkungen, nach 
längerer Anstrengung aber matt, träge, mit deutlich retar¬ 
diertem Gedankengang. 

Nach temporärem Aufenthalt zu Hause klagte der Vater 
besonders über das Z a p p ein beim Laufen, über das 
Zittern der Hände, über das lebhafte M umlauf reißen. Beim 
Niedersetzen auf den Nachttopf vollzieht sie eine „furcht¬ 
bare Zappelei“. Besonders wird geklagt über ihre ,,\\ illens- 
losigkeit und Trägheit, während der Verstand viel 
besser sei“. 

Ab und zu zeigt sich eine e i g e n a r t i g e , k i n d 1 i c h e 
Erotik: Sie klammert sich an männliche Individuen, 
entblößt sich mit Vorliebe auch vor kleinen Knaben, be¬ 
schmiert ihr Hemd mit dem Menstruationsblute anderer 
Kranker; belästigt erotisch die Mitkranken. Bei Diät ohne 
Brotzufnhr wurde das Kind matt, schläfrig, und es trat 
starke Eisenchlorid-Reaktion auf, letztere ver¬ 
schwand bei Zufuhr von Kohlenhydraten. Die diversen 
Proben auf die vermutete Pankreaserkrankung fielen nega- 
tiv aus. An den Kiefern hat sich allmählich dauernde 
Luxation des Kiefergelenkes herausgebildet. 

0 b d u k t i o n s b e f u n d e : Das G e h i r n wog 

1017 Gramm, es fanden sich keine Verwachsungen der 
Meningen vor. An der Basis bestehen vielfache knotige 
Verdickungen der Arterienrohre. Am auffälligsten war 
eine Erweichung der linken oberen Stirn- 
w i nd u ng bei Fortbestand der Rindensubstanz. Diese Er¬ 
weichung ergriff stellenweise auch die mittlere Stirn¬ 
windung. sie reichte vorn bis nahe zum Stirnpole, rück 
wärts bis zu 2 cm vor der oberen Zentralwindung. W eiter- 
hin fiel auf eine Vers c h m ä 1 e r u n g der Brücken- 
arme und eine Verflachung und Atrophie des Pons. Die 
Aorta zeigte an der Innenwand stellenweise strahlige Ver¬ 
dickungen. An der Leber war ein ganz auffälliger Be¬ 
fund, der hier nur in Schlagworten referiert wird. Auffällige 
knotige Lappenbildung im ganzen Leberbereiche, Höcker 
von Stecknadel* bis Bohnengröße, also der Befund, wie er 
entspricht der sogenannten j u v e n i 1 e n knotig e n h v - 
p e r trophische'n Lebercirr h ose. Die Bindegewebs- 
entwicklung war aber keineswegs stark hervortretend, viel¬ 
mehr trat die knotige Hypertrophie des Parenchyms mehr 
in den Vordergrund. Die irreguläre Anordnung der Leber¬ 
läppchen und ihre Beziehung zu den Gefäßen, aber auch 
die atypische Anordnung der Leberzellen selbst gestatten 
den Schluß, daß hier schon vielfache Regeneration und 
Neubildung des Parenchyms vor sich ging, wie er bei ju¬ 
venilen Lebererkrankungen und Entwicklungsstörungen der 
Leber erwiesen ist. 

Mikroskopische Durchschnitte durch das Gehirn 
zeigten folgendes: Der Linsenkern ist im mittleren 
Anteile des Putarnen erweicht, teilweise auch die Capsula 
externa. Letztere ist im linken Gehirn (wohl durch die 
Erweichung der 1. Stirnwindung) stärker degeneriert. Die 
partielle L i n s o n k e r n e r w eichuugistfastsy m m e - 
t r i s < h auf beiden Seiten. Am Kleinhirn ist auffällig, 
daß die Substanz des Hemisphärenmarkes auf Hämatoxy- 
linschnitten beiderseits symmetrisch leie 111 e Flecken 


zeigt (ähnlich den Flecken, wie sie F ors t e r - F i s c h e r bei 
senilen Gehirnen nachweisen). Diese Stellen zeigen wenig 
Fasern und kleinzellige Infiltration, außerdem aber kleine 
nekrotische Stellen, die sich bis in die Marksubstanz des 
Kleinhirnlamellen fortsetzen. Die Gefüßchen in der Klein¬ 
hirnsubstanz sowie im Großhirn sind stark verdickt. Die 
Bindearme waren nicht nachweisbar reduziert. 

Dem geschilderten Falle wurde kurz ein interessanter, 
wesentlich ähnlicher Fall hinzugefügt, welcher auf der 
Klinik des Herrn Prof. Sommer in Gießen studiert, 
wurde. 

Die klinischen Symptome waren selbst bis auf die 
eigenartigen Charakterzüge und die kindliche Erotik die¬ 
selben. Auch in diesem Falle fand sich die eigenartige 
L eher v e r ä n d e r u n g, welche vom Obduzierenden (Geh. 
Rat B o s t r o e m) angesprochen wurde als „s t a t i o n ä r g e - 
w o r deue großknotige C i r r h ose i m a n a t o m i - 
s c h en S i n n e o h n e die S y m p t o m e der Leb e r - 
c i r r h o s e“. 

Noch mehr Gemeinschaftliches fand sich bei drei Ge¬ 
schwistern, welche Prof. Homen (Archiv f. Psychiatrie u. 
Neurologie) untersuchte, ln allen drei Fällen bestand pro¬ 
gressive Demenz, doch nicht Paralyse. Weiterhin schwere 
Bewegungsstörungen, besonders in Rumpf- und Körper 
balance, Aufreißen des Mundes, zittrige, ausfahrende Be¬ 
wegungen, außerdem aber auch rasche Ermüdung. Die 
Befunde wurden kurz resümiert: 

Nach den obigen Mitteilungen läßt sich zunächst nicht 
leugnen, daß der geschilderte Krankheitskomplex öfter 
vorkommt und vielleicht eine typische Gehirn- 
erkrank u n g darstellt, welche gleichzeitig die eigen¬ 
artige Leberveränderung der sogenannten juvenilen Cirrhose 
mit knotiger Hyperplasie aufweist. Es liegt hier eine eigen¬ 
artige Beziehung v o r z w i s c h e n E r k r a n k u n g 
innerer 0 rgane eine r s e i t s und dos G ehir nes 
o d e r einzelner G e h i r n a n teile andererseil s. 

Von vornherein muß allerdings gegenwärtig sein, daß 
die gleiche Ursache, nämlich die Syphilis, im Ge¬ 
hirn mit Vorliebe ergreift die Stirnhirnteile, das Kleinhirn 
und den Gefäßbaum, durch dessen Erkrankung offenbar 
die Endarterien im Linsenkerne zum Verschlüsse kamen. 
Doch ist dabei nicht zu leugnen, daß Art und Ort der Ge¬ 
hirnerkrankung von inneren Organen aus beeinflußt wei¬ 
den kann. 

Gerade die Leberfunktion mit ihrem mächtigen Ein¬ 
fluß auf den Gesamtstoffwechsel dürfte modifizierend auf 
die Gehirnerkrankung selbst wirken. Als Beispiel für 
toxische Wirkung möge dienen die von Eduard Hoff¬ 
man ii und Koliku nachgewiesene, symmetrische Er¬ 
weichung des Linsenkernes bei Kohlenoxydgasvergiftung. 

Im vorliegenden Falle ist außerdem nicht von der Hand 
zu weisen, daß die Lebererkrankung mit der vor¬ 
handenen Diabetes u n d m i t. d e r s c h w e r e n 
M y a s t h e n i e in Zusam in e n h a n g steht. 

Am Schluß soll nicht unbemerkt bleiben, daß die Mark- 
fasersubstanz des Gehirnes relativ schwerer gelitten hat 
als die Rinde, was von mir mittels meiner Gehirnniessungs- 
melhode mit Planimeter kontrolliert wurde, und daß auch 
die lokalen Erweichungen fast ausschließlich das Gebiet der 
Marksubstanzen, nicht die Rindensubstanz betrafen. Es 
wird dadurch der Gesamtzustand des Gehirnes ahn - 
1 i c he r d e n G reise n v e r ä n d e r u nge n als denen der 
Paralyse. 

Wenn für das geschilderte Symptomenbild ein Name 
bestehen muß, so würde ich vorschlagen: 

D e m e n t i a c h o r e o - a s t h e n i c a. 





1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU, 


711 


Aus dem Hopital Civil Ottoman, Smyrna. 

Ueber Aetiologie und liehaiidlung des Asthma 
bronchiale. 

Von DDr. L. und A. Apostolides. 

Wir wollen uns hier mit derjenigen Gesundheitsstörung 
beschäftigen, die man ,,idiopathisches Asthma bronchiale“ 
nennt und bei der, wie G ro be r 1 ) sagt, in Anfällen Atemnot 
eintritt, welche die Organe des Körpers außerhalb der An¬ 
fälle vollkommen intakt läßt. Diese Bemerkung reicht aus, 
das echte Asthma bronchiale von dem kardialen Asthma, 
dem Asthma dyspepticum (von dem Heuasthma ganz zu 
schweigen) und von der großen Menge der hier in Betracht 
kommenden Affektionen, in denen durch die Untersuchung 
jede andere organische Erkrankung (Herz-, Lungen-, Nieren¬ 
affektionen) nicht auszuschließen ist, zu scheiden. Auch 
wollen wir hier von jenen primären neurasthenischen Be¬ 
schwerden, welche Asthma Vortäuschen können, absehen 
und die Behandlung aller Arten von Reflexasthma, welche 
sich nach der anderen »Seite hin eng an das heute von 
uns zu erörternde Thema anschließt, soll hier ganz unbe¬ 
rücksichtigt bleiben. 

Wir müssen dabei ausdrücklich bemerken, daß wir 
uns auf die praktischen, speziell der Therapie dienenden 
Maßnahmen beschränken und nur wenige Worte der Ur¬ 
sache des Asthma und den Mitteln zu seiner Verhütung 
schenken möchten. 

Diesen Betrachtungen legen wir die Erfahrung, welche 
wir an uns seihst da der eine von uns das Unglück 
hat, an diesem qualvollen Uebel zu leiden und an einer 
Anzahl klinischer Fälle gewinnen konnten, zugrunde; wir 
können wohl behaupten, daß wir im Laufe der Jahre fast 
alle in der neueren Zeit gegen diese Erkrankung emp¬ 
fohlenen Behandlungsweisen und Heilmittel mehr oder we¬ 
niger genau kennen gelernt haben. Die Resultate seien 
im folgenden ausführlicherweise zusammengestellt. Bevor 
wir aber auf die Behandlung des Asthma bronchiale über¬ 
gehen, möchten wir im voraus leicht die Aetiologie dieser 
Erkrankung berühren. 

Es sei gleich hier betont, daß, trotz der Arbeiten vieler 
A utoren (S t ö r k , W e b er, Cursc h m a n n , F r ä n z e 1, 
Strümpell, Brügelmann) über dieses Thema, unsere 
ätiologischen Kenntnisse noch nicht aufgeklärt sind und in 
der Literatur eine auch einigermaßen befriedigende Ueber 
einstimmung nicht existiert. 

Welche Stellung in der Pathologie nimmt die Er¬ 
krankung ein? 

Die meisten Autoren beschreiben sie unter den Lungen 
kränklichen, obwohl sie heutzutage hierin übereinstimmen 
daß Asthma bronchiale eine ,,Neurose“ (Bulbärasthma) sui 
generis ist. Combv 2 ) rechnet es den Stoffwechselkrank¬ 
heiten zu, obschon er seinen nervösen Ursprung nicht leugnet. 
Endlich spricht S t. r ü m pell von einer idiopathischen Bron¬ 
chiolitis nervösen Ursprunges; andere — zu denen vorzüg¬ 
lich die Rhinologen gehören wollen von einer derartigen 
,.Neurose“ nichts wissen und nehmen nur ein von einer 
Nasenaflektion ausgehendes Reflexasthma an. Wir sind 
weit davon entfernt, die Meinung, daß die Nasenaffektionen 
die bedeutendste, ja die wichtigste Rolle bei dem Asthma 
spielen, zu teilen, und möchten uns gern den Autoren an¬ 
schließen, welche das Asthma bronchiale als eine „Vagus¬ 
neurose“ ansprechen (Grober, Fürbringer, P. Bon- 
n i e r, (’o m b v , B r i s s a u d). Worin aber die eigentliche 
Ursache besteht, ist wenigstens nach unseren jetzigen Kennt¬ 
nissen uns vollständig unbekannt. 

l ) Artikel Asthma in dem Diagnostisch-Therapeutischen Lexikon, 
von Bruhns, Bum u. a„ 1. Band, 190G. 

5 ) Comby: Traite des Maladies de l’enfance. Combv- 
U rauch er, 2. Ed., 1904., Yol. 1. 


Noch weniger begründet ist Landouzys Anschauung, 
nach welcher immer hinter dem echten Bronchialasthma 
eine Tuberkulose existiert. Nicht nur die ätiologischen 
Faktoren dieser Erkrankung sind des näheren noch unbe¬ 
kannt, sondern auch über den Mechanismus der Entstehung 
des Asthmaanfalles sind die Meinungen noch immer diver- 
genl. Es müssen hier diesem Punkt, der seit einigen Jahren 
die Pathologen beschäftigt hat, über den aber heute noch 
ivein völlig abschließendes Urteil besteht, einige Worte ge¬ 
widmet werden. 

Biermer faßte den Asthmaanfall als eine diffuse 
Bronchioiärstenose (Bronchiolarkrampf) auf, Cur sch¬ 
ul a ll n nimmt eine spezifische Störung der Bron¬ 
chiolen an und bezeichnet es als ,, Bronchiolitis ex¬ 
sudativa“ mit charakteristischem Auswurf: C ursch¬ 
mann sehe Spiralen, Leydensche Asthma - Kristalle, 
Flimmerepithelien im Sputum; ein nervöses Moment könne 
wohl nicht ganz ausgeschaltet werden; Gerüche, Medika¬ 
mente können auslösend wirken. S t r ü m pell bemerkt da¬ 
bei, daß man die bei dem Asthmaanfall auftretenden plötz¬ 
lichen Sekretionsstörungen in Analogie zur Colica mucosa 
des Darmes setzen könne, die auch durch Krampf und 
Sekretionsveränderungen gekennzeichnet sei. Wir können 
die Anschauung Strümpells als die richtigste anerkennen, 
doch glauben wir, daß der Zwerchfellkrampf eine wichtige 
Holle spielt, obgleich diese Theorie nichl mehr als haltbar 
gilt. Beziehungen zur Sache sind häufig vorhanden. 

Da man also über die unmittelbare Ursache und das 
eigentliche Wesen des idiopathischen Asthma noch so gul 
wie gar nichts kennt, so stellt es keine ätiologische Einheit 
dar. Betrachten wir die verschiedenartigen Verhältnisse, 
unter welchen das Asthma beobachtet wird (von dem symp¬ 
tomatischen Asthma, welches nur als Folgeerscheinung von 
bereits bestehenden anderweitigen Krankheitszuständea an- 
zusehen ist, ganz zu schweigen), so ist zu bemerken, daß 
es zwei Gruppen ursächlicher Momente gibt: 1. prädispo¬ 
nierende und 2. veranlassende, akzessorische. Die 
ersteren fallen viel schwerer ins Gewicht als die gelegent¬ 
lichen, ja sie genügen vielfach für sich allein, um einen 
Asthmazustand hervorzurufen. Zuerst ist es hervorzuheben, 
daß Asthma in solchen Familien vorkommt, bei welchen 
.eine erhebliche Disposition zu Nervenkrankheiten, Arterio¬ 
sklerose, Diabetes, Gicht, echter Migräne, Nierensteinen vor¬ 
handen ist. Diese Tatsache hatte ersl T r o u s s e a u bemerkl. 
Man weiß, daß alle diese Erkrankungen zu der Familie der 
Stoffwechselanomalien gehören, die Bouchard als mala¬ 
dies par ralentissement de ia nutrition bezeichnet hal. 
B r i s s a u d sagt 3 ), daß jeder Asthmatiker ein großer Neuro- 
pathiker ist. In der großen Mehrzahl der Fälle handelt es 
sich um erblich belastete Individuen, für welche der Begriff 
einer angeborenen konstitutionellen Disposition zum Asth¬ 
ma nicht ganz zu entbehren ist. Doch hat die klinische 
Erfahrung uns gewisse äußere Lebensverhältnisse kennen 
gelehrt, die man nach unseren jetzigen Kenntnissen als 
Gelegenheitsursachen ansehen darf. Solche sind: un¬ 
passende Nahrung, insbesondere überreichlicher Genuß von 
Eiweißstoffen, starker Fleischverbrauch, alkoholische Ge¬ 
tränke; welche all ■ auch zu den obengenannten Krankheiten 
führen. Die Fettleibigen sind also besonders disponiert. 
Deshalb findet man Asthma vielfach bei reichen Leuten; 
freilich kommt es auch bei Patienten der letzten Klassen 
nicht, selten vor. 

Psychische Affekte, geistige Ueberanslrengungen, Er¬ 
kältungen, Durchnässungen werden dann mit als Gelegen 
heitsursache angegeben und können bei Prädisponierten 
den Ausbruch eines echten Asthmas hervorrufen. 

Von besonderem Interesse sind namentlich die Lungen- 
erkranklingen: wiederholte Bronchitiden, Emphysem, Bron- 

3 ) B rissaud: Asthma. 1 11 Traite du M&decine. C h a r e o t, 
Bouchard, B r i s s a u d . 2. Ed., Paris. 



712 THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. Nr. 47 



chopneumonien, echte Pneumonia crouposa können Asth¬ 
maanfälle herbeiführen. Von großer praktischer Wichtig¬ 
keit sind die bei Nasenaffekt innen häufig auftretenden Asth¬ 
maanfälle, die ein echtes Asthma bronchiale vortäuschen 
können. Hierher gehören auch die verschiedenen Arten des 
Reflexasthmas, die durch Magen-, Darmbeschwerden ver¬ 
anlaßt werden. In der Praxis ist die Beurteilung oft ziem¬ 
lich schwer, ob ein vorliegender Fall als Asthma bronchiale 
oder Reflexasthma aufzufassen sei, weil es mehr Fälle 
von echtem Asthma bronchiale gibt, bei welchen die eigent¬ 
liche primäre Ursache nicht klar ist. Schon lange ist das 
Asthma stomachicum bekannt, und wir kennen eine Reihe 
von Fällen von Magen - Asthmafällen, die den Charakter 
des richtigen Bronchialasthmas an sich tragen. Die Patho¬ 
genese dieses Asthma ist nicht ganz klar. Viele Autoren 
weisen auf die direkte neurotische Beziehung hin, in wel¬ 
cher die Medulla oblongata (N. vagus) zu den abdomi¬ 
nalen Viscera (Plexus solaris) steht. Auch ist an die Mög¬ 
lichkeit zu denken, daß das Blut durch gebildete Toxine 
(Ptomaine), welche vom Darm aus resorbiert würden, 
toxisch verändert, wird. Diese Produkte der Fäulnis, (Pto¬ 
maine) aus den Exkrementen sich entwickelnd, können, 
wenn sie massenhaft produziert und nicht rechtzeitig durch 
die Fäces eliminiert sind, auf nervösem Wege asthma¬ 
tische Dyspnoe verursachen 4 ). (B ouch a r d.) 

Gegenüber den bis jetzt, besprochenen Fällen bleiben 
noch ziemlich zahlreiche Fälle übrig, bei welchen wir gar 
keine von den obengenannten Ursachen auffinden und 
welche unter der allgemeinen Bezeichnung des idiopa¬ 
thischen Bronchialasthmas zusammengefaßt wer¬ 
den können; doch ist es wohl berechtigt, auch hierbei an 
analoge Entstehungsursachen wie in den bisher besproche¬ 
nen Fällen zu denken, welche sich nur dem direkten Nach¬ 
weise bis jetzt entziehen. 

Wir können das Gebiet der Ursachen des Bronchial¬ 
asthmas nicht verlassen, ohne einer sehr merkwürdigen, 
in ihrem Wesen noch nicht aufgeklärten und von den Lehr¬ 
büchern noch nicht berührten Tatsache zu gedenken. Ich 
meine, die Beziehung zwischen Asthmaanfällen und Mor¬ 
phium. Es ist von Fi lehne schon bemerkt und von uns 
vollkommen festgestellt, daß eine Morphiuminjektion bei 
einigen Personen auch Asthmaanfall herbeiführen könne. 
Diese Tatsache verdient, der großen praktischen Wichtig¬ 
keit wegen, um so mehr bekannt zu werden, als die Behand¬ 
lung der Asthmaanfälle in Morphiuminjektionen besteht. 
Wir beschränken uns hier auf die einfache Erwähnung 
dieses Faktums, da wir weiter darauf zurückkommen 
werden. 

Was nun das Alter anlangt, so dürfen wir erwähnen, 
daß das gemeine Bronchialasthma nur in seltenen Fällen 
bei Kindern auftritt. 

Wir gehen nun zur Besprechung der eigentlichen The¬ 
rapie des Asthmas bronchiale über. Aus allen bisherigen 
Auseinandersetzungen geht als wichtiges Resultat hervor, 
daß in der Therapie des sogenannten Bronchialasthmas die 
Prophylaxe eine große Beachtung verdient und sehr 
wirksam sein muß. Zunächst dürfen wir darauf hinweisen, 
daß zur zweckmäßigen Einleitung einer erfolgreichen Thera¬ 
pie die Erfüllung der Indicatio causalis durch möglichst ein¬ 
gehende Untersuchung der übrigen Organe des Körpers 
notwendig ist. Ergibt die Untersuchung, daß irgend 
ein organisches Leiden vorliegt, so muß dieses selbstver¬ 
ständlich behandelt werden. Auch darf man niemals außer 
acht lassen, daß Nasenaffektionen einen Asthmaanfall her¬ 
beiführen können, und muß die betreffenden Schädigungen 
rechlzeilig entfernen. Doch schränkt Kays er (Breslau) 
die Erfolge der Nasenbehandlung etwas ein mul glaubt, 

4 ) jn manchen Fällen ist aber gar kein Katarrh im Spiel, son¬ 
dern eine „Neurastlienia gas tri ca“, die Teilerscheinuög einer 
universellen Neurasthenie ist und offenbar auf direkt neurotischem 
Woge neuropathisches Asthma vermittelt. (A postolides juu.). 


daß ein psychischer Effekt bei der Behandlung auch eine 
Holle spiele; fast derselben Meinung ist auch V ii r b ring e r. 

Für Kinder wie für Erwachsene ist in den letzten Jahren 
vieles über die Behandlung der Tonsillarhypertrophie ge¬ 
schrieben worden, wir glauben, obschon Fanatiker auch 
dafür eingetreten sind, die Abtragung der Tonsillen an raten 
zu müssen, und empfehlen in bezug darauf die neuerdings 
in der ,,Deutschen Med. Woch.“ erschienene Arbeit 
E. Barths 5 ). 

Was die eigentliche Therapie des Asthmas anlangt, so 
kann man die des Zustandes in der Zwischenzeit der An¬ 
fälle von der des Anfalles selbst trennen. Bezüglich der 
erste re n wollen wir hier noch einmal betonen, daß da 
die eigentliche Ursache dieser Erkrankung noch nicht be¬ 
kannt ist, auch noch keine auf die Beseitigung der 
Erkrankungsursache gerichtete rationelle Therapie existiert. 
In erster Linie sind die Diätkuren anzuordnen. Da das 
idiopathische Bronchialasthma sehr oft hei neuropatbischen 
und gichtischen Individuen vorkommt, und namentlich letz¬ 
tere Erkrankung als Stoffwechselanomalie angesehen wird, so 
dürfen die gegen diese Krankheiten empfohlene Diätkuren 
auch für das komplizierende Bronchialasthma gelten. Die 
Durchführung also einer laktovegetabilen Diät ist vielfach 
empfohlen werden. Ihre günstige Wirkung läßt sich nicht leug¬ 
nen. Die wissenschaftlichen Nachprüfungen Huehards 
haben ergeben, daß die nukleinarme und alkalische Pflanzen¬ 
nahrung die Toxinbildung im Körper am wenigsten be¬ 
günstigt 6 ). Durch reine Pflanzennahrung und Milchdiät sind 
in einzelnen Fällen von uns bedeutende Besserungen erzielt 
worden. 

Derselbe Autor hat schon bemerkt, daß der übermäßige 
Fleischgenuß nicht nur eine Dyspnoe (die sogenannte loxi- 
alimentäre Dyspnoe) herbeiführen, sondern den Ausbruch 
eines Asthmaanfalles veranlassen könne. Derartige Fälle 
hat H u c h a r d 7 ) mitgeteilt. 

ln gleichem Sinne spricht sich Gautier 3 ) in seinem 
bekannten Werke .a.u#.., DeLpeutspvßcbe)Hl rät Huchard 
die laktovegetabile Diät dringend an, welche eine Scho¬ 
nung der eiweißverarbeitenden Organe und die Beseitigung 
der etwa aufgehäuften Eiweißderivate, welche zur Bildung 
der Ptomaine führen, bewirkt. Huchard beruft sich auf 
Serie ca, welcher wie bekannt ein Jahr lang absolut 
kein Fleisch genossen und sich dabei wohlbefunden hatte, 
,,Agiliorem mihi animum esse credebam.“ 

Die laktovegetarische Diät, alkalisiert das Blut (nach 
Gautier), beschleunigt die Verbrennung (Oxydation) und 
vermindert die Toxinbildung, eignet sich also besonders 
für die gichtischen Diathesen. 

Indes ist diese Anschauung von anderen Autoren nicht 
anerkannt 9 ). Ohne auf zu viele Einzelheiten hier einzu¬ 
gehen, möchten wir nur hierbei mit Ebstein 10 ) bemerken, 
daß der Vegetarismus u. a. besondere Organisationsverhält- 
nisse des Darmes vorausselzl und daß man dem Vegetaris¬ 
mus unrecht tut, wenn 'man ihn generell als eine für die 
Menschen unzureichende Ernährungsweise bezeichnet; 
daß andererseits Uebertnäß von rohem Fleisch 

nicht zuträglich ist, ist durch die ärztliche 

Erfahrung so und so ofl beobachtet, daß daran 
nicht gezweifelt werden kann. Wir dürfen aber keine fana¬ 
tischen Vegetarier sein, und die Vorsicht in dieser Bezie¬ 
hung darf man nach unserer, auf besondere Erfahrungen ge- 


5 ) E. Barth: Feber die Physiologie der Tonsillen und die 
Indikation zu ihrer Abtragung. Deutsche Med. Woch., 1907, Nr. 49. 

") Huchard Gonsultations nnklieales, 2. Ed., 1906, Paris. 

T ) Huchard: Traitcment de la dyspnee ptomainique noe- 
turne et de l’asthme, Soe. de therapeut., 1895: auch: Maladies du 
Coeur et des raisseaux, 2. Ed., 1904, Paris. Vol. 1—8, 1899—1904. 

H ) A r. G a u t i e r: L’aliment et los rögimes, 2. Ed., 1904, Paris. 

°) Ji u d. St ä hol in: Leber vegetarische Diät. Schweizer 
Corresp. Blatt, 1906, Nr. 13. 

10 ) W. Ebstein: Die vegetarische Diät als Volksernährung 
und als Heilmittel. D. Medizin. Wochensehr., 1907, Nr. 4, 


Dl 





1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


713 


stützten Ansicht gar nicht übertreiben, selbst auf die Ge¬ 
fahr hin, daß etwa die üble Kehrseite sich früher oder später 
einstelle. Die Ernährung kann also eine gemischte bleiben 
und aus magerem weißen Fleische, Fisch, Fleischbrühe, 
grünem Gemüse, Ei, Brot etc. bestehen. Mindestens ebenso 
wichtig wie die Regelung der Ernährung ist die Ueber- 
wachung der Getränke. Starker Kaffee, Tee, Kakao sind stark 
cinzuschninken, Alkoholika streng zu vermeiden, höch¬ 
stens leichtes Bier und leichte Weine sind in geringer 
Menge gestattet. Die Kranken dürfen nicht zu viel rauchen. 
Den innerlichen Gebrauch der alkalischen Mineralwässer 
raten wir dringend an. Selbstverständlich eignet sich diese 
Diäl besonders für kräftige, gichtische Individuen und na¬ 
mentlich für Arteriosklerotiker; es ist fast überflüssig zu 
betonen, daß man die verschiedenen Idiosynkrasien (Dia¬ 
lysen) berücksichtigen und demgemäß die Diätkur regeln 
muß. 

ln besonders hohem Ansehen steht die Verhütung vor 
Erkältungen und Durchnässungen, deren Bedeutung in der 
Aetiologie hervorgehoben ist; die Kranken müssen sich 
warm halten. Brüsker Wetterwechsel, rauhe und trübe 
Tage, staubbeladene Winde sind sehr schädlich und müssen 
vermieden werden. Zu erwähnen ist noch, daß Klima¬ 
änderung, besonders Aufenthalt an der See von Nutzen 
ist, obschon hier die individuelle Qualifikation berücksich¬ 
tigt werden muß. Vermeidung übermäßiger Bewegungen, 
des Bergsteigens, aller Aufregungen (sexueller Exzesse! 
ist zu empfehlen. Gebirgsgegenden sind streng verboten. 
I ür bring er empfiehlt, die Ebene und das Mittelgebirge 
zu wählen. 

Die Durchführung aller dieser hygienischen Maßregeln 
stößt oll aus äußeren Gründen auf die größten Schwierig¬ 
keiten. 

Durch monatelange Fortsetzung dieser Maßregeln haben 
wir jahrealte Fälle, die alle mögliche Kuren ohne Erfolg 
durchgemacht hatten, noch zur Heilung gebracht. 

Aus dem, was über die Aetiologie gesagt ist, ergibt 
sich, daß Magenaffektionen auch Asthmaattacken bedingen 
können. Die Behandlung also der bestehenden Magenbe- 
schwerden soll eine wichtige Rolle bei der Therapie des 
Bronchialasthmas spielen, ln bezug darauf ist die Berück¬ 
sichtigung allgemeiner und spezieller hygienischer Ma߬ 
regeln von großer Wichtigkeit. ,,Morborum fere omnium 
causa est stomachi infirmitas.“ 

V ir kommen nun auf den wichtigsten Punkt der Be¬ 
handlung, nämlich auf die medikamentöse Therapie des 
Bronchialasthmas außer den Anfä 11en. Bedauer¬ 
licherweise ist uns, trotz der Erweiterung unserer therapeuti¬ 
schen Maßnahmen in der neueren Zeit, für dieses Leiden gar 
kein sicheres Mittel bekannt, welches eine sichere Heilung der 
Erkrankung herbeizuführen imstande sei. Doch gibt es 
einige Mittel, die auf das Leiden in verschiedener Weise 
günstig einwirken, die Häufigkeit der Anfälle vermin¬ 
dern und deshalb den Ruf der ,,Specifica“ gewonnen haben. 
Bei einer Durchsicht der zahlreichen gegen diese Er¬ 
krankung empfohlenen Heilmittel, auf welche im einzelnen 
einzugehen keinen Zweck hatte, haben wir nur die drei 
Medikamente J o d , A r s e n und B e 11 a d o n n a zu erwäh¬ 
nen, da sie uns wirkliche günstige Erfolge gegeben haben, ob¬ 
zwar sie uns auch oft im Stich gelassen haben. Unter diesen 
Medikamenten nimmt das von Alters her empfohlene Jod : 
kaliuni und seine Präparate den ersten Rang ein und er¬ 
freut sich einer besonderen Beliebtheit und ausgedehnteren 
Anwendung als „Specificum“ wegen seiner antibronchi- 
tischeu Wirkung und Erleichterung der Expektoration und 
der Atembeschwerden; deshalb gewinnt es heutzutage mehr 
und mehr an Boden. Es handelt sich hier nicht um die 
Fälle, wo irgend ein Verdacht auf Syphilis vorliegt und wo 
mit Jodkalium ein Versuch gemacht werden muß, sondern 
um diejenigen Fälle von genuinem echten Asthma bron¬ 
chiale. Hier gilt, was auch bei anderen chronischen Krank¬ 




heiten zu beachten ist, daß je eher mit der Jodtherapie 
eingegriffen wird, um so mehr die Behandlung Erfolg ver¬ 
spricht. 

In den meisten Fällen kommt man mit Jodkalium resp. 
Jodnatrium aus. Wir geben -es in einfacher Lösung von 
V 2 gr bis, wenn es gut vertragen ist, 2 2\\, gr pro die. 

Niemals waren wir gezwungen, die übliche Dose von 2 l / 2 gr 
zu überschreiten. Man muß mit dem Jodgebrauch wenig¬ 
stens monatelang (mit einzelnen Unterbrechungen), ja jahre¬ 
lang fortfahren, wenn ein Nutzen erzielt werden soll. 
Mit ein paar Wochen ist hier nichts getan. Viele Autoren 
empfehlen das Jodkalium resp. -Natrium in Verbindung mit 


Opiumpräparaten zu geben. 

Rp. Kalii jodati.10,0 

Tinct. Lobeliae .... 20,0 

Tinot. Althaeae .... 10,0 

Extr. Thebaici.0,25 

Syr. Cort. aur.100,0 

Aq dest.ad 300,0 


Ds. Anfangsl Eßlöffel voll, dann 2 Eßlöffel, nach der 
Mahlzeit zu nehmen, 2—3 Eßlöffel pro die. 

Die Darreichung der Jodpräparate nach der Mahlzeit 
wird sehr gut vertragen. 

Eine gute Darreichungsweise ist folgende: 

Rp. Kalii jodati (resp. Natrii) . . 12,0 

Tinct. Lobei. infl.20,0 

Tinct. Opii benzoic.10,0 

Ds.: 5 Tropfen morgens und abends zu nehmen. 

Die Beifügung des Lobelia infl. ist hier sehr zweck¬ 
mäßig. 

Natrii jodati . . . 0,15 

Terebenth.0,05 

Opii bruti .... 0,01 

Mf. Pilul. D. Tal. No. XXX. S. 1—3 Pillen pro die. 

Diese Dosis soll, wenn sie nicht gut vertragen wird, 
vermindert oder das Mittel eine Zeitlang ganz ausgesetzt 
werden. 

Nach anderen Autoren scheint das Jodrubidium vor 
dem Jodkalium den Vorzug besserer Wirkung, besonders 
bei Arteriosklerotikern zu besitzen. Wir haben keine Er¬ 
fahrung darüber. Dagegen haben wir Jodlithium bei gich¬ 
tischen Asthmatikern vielfach angewandt und gute Resul¬ 
tate gesehen. Wir verschreiben: 


Lithii jodati.6,0 

Tinct. Lobeliae.15,0 

Extr. Thebaici.0,20 

Natr. arsenicos.0,05 


Aq. dest, Syr. Cort. aur. ana . 100,0 
Ds. 2 Eßlöffel pro die. 

Da es bekannt ist, daß einzelne Patienten eine Idiosyn¬ 
krasie gegen Jod haben, bei anderen der Magen oder die 
Nieren versagen, so müssen wir noch eine Reihe anderer 
Jodpräparate versuchen, deren Wirksamkeit aber in meh¬ 
reren Fällen zweifelhaft ist. Solche Präparate sind: Jo- 
done Robin (10—20 Tropfen 2mal täglich), Protiode 
Cremy (15—20 Tropfen 2 mal tägl.) in Frankreich. J o t h i o n, 
J o d g 1 i d i n e , J o d i p i n und S a j o di i in Deutschland. Mit 
großem Nutzen haben wir die ersteren (Jodone und Protiode) 
angewandt und empfehlen sie zu weiteren Versuchen. In¬ 
dessen nach reichlicher Erfahrung sind wir zu der Leber 
zeugung gelangt, daß nur das Sajodin das wirkliche Ersatz 
mittel des Jodkalium sein kann, welches in Form von Ta¬ 
bletten ä 0,5 g (3—6 pro die) genommen, sehr gut vertragen 
und anstandslos genommen wird. 

Wir haben auf das 25°/ 0 ige Jodipin (Jod mit Sesamöl) zu¬ 
erst große Hoffnungen gesetzt, da es das einzige Jodpräparat 
wäre, welches wir subkutan verwenden könnten, bald aber 
haben wir es wegen der Schmerzhaftigkeit und der geringen 
Wirksamkeit wieder verlassen. 

Neuerdings hat uns die Firma A. C o g n e t 
(Paris) ein organisches Jodpräparat, „Tiodine" Cognet 

Original from 

1 ■' ^•“•' WflVERSJTY OF MICHIGAN 










714 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 48 


(Thiosinamiftäthyljodid C (; SN 2 H 13 ) in Form von Ampullen | 
zur subkutanen Injektion zugesandt. Alle diese 
Jodpräparate, das Jodkalium inbegriffen, haben uns bei 
einem nicht geringen Prozentsatz von Bronchialasthmatikern 
glänzende, auf anderem Wege nicht erreichbare Erfolge | 
und bei Kindern definitive Heilungen gegeben, doch müssen 
wir gestehen, daß sie auch in vielen Fällen versagt haben. 

Ungeteilte Anerkennung genießt heutzutage auch das 
Arsen allein oder besser in Verbindung mit Jod. Gewöhn¬ 
lich geben wir Liqu. Fowleri (2 6 Tropfen zu jeder Mahlzeit) i 

und steigen bis 25 Tropfen pro die und zurück. Da nun 
erfahrungsgemäß größere Dosen Arsen von Nutzen sein 
können, diese aber vom Magen oft schlecht vertragen 
werden, so hat man in den letzten Jahren die subkutane 
Einverleibung vorgenommen, welche die Darreichung per os j 
verdrängt, da ihre Resultate schnellere und sichere sind ; ge¬ 
wöhnlich machen wir Gebrauch von N a t r i u m k a k o d y 1 i - 
cum in 5—10° 0 iger Lösung, welches in zugeschmolzenen j 
Glasampullen steril ä 1 ccm erhältlich ist. Wir beginnen immer 
mit 5 0 ö iger Lösung (d. h. 0,05 Natr. kakodyl. pro dosi) i 
und machen eine Einspritzung jeden Tag, sechs Tage lang, | 
dann machen wir von der lO^igen Lösung (0,10 Natr. 
kakodyl.) wieder ß Injektionen sechs Tage lang und setzen i 
darauf das Mittel 12 Tage aus. Mit Arsengebrauch fahren ! 
wir drei Monate lang fort und machen immer auf je j 
12 Arsentage Unterbrechungen von 12 Tagen. Wir haben 
unter strenger Beachtung aller antiseptischen Kautelen un¬ 
angenehme Begleiterscheinungen nie beobachtet. Wir 
können auch das Arrhenal (0,05 Arrhenal pro Injektion 
und pro die) statt des Natr. kakodyl. empfehlen, z. B. 

Rp. Ampullae Arrhenal. ä 0,05 Nr. XII. Eine Injektion 
pro die. 

Besser ist das Arrhenal per os zu geben, z. B. 

Rp. Solution. Arrhenali Clin (Paris). 12 Tropfen 2 mal 
täglich zu nehmen. 

Mit dem neuerdings vielfach empfohlenen A t o x y 1, wel¬ 
ches in der Therapie menschlicher und tierischer Trypanoso¬ 
menkrankheiten und Syphilis eine große Bedeutung ge¬ 
wonnen hat, haben wir bei Asthma zu geringe Versuche 
angestellt, um darüber berichten zu können. 

Zum Schluß sei es uns gestattet, noch ein Arzneimittel 
zu erwähnen, da es früher des Rufes eines Asthmamittels 
sich erfreut hatte und noch heutzutage von autoritativen 
Seiten (von Noorden) empfohlen wird; ich meine das 
Atropin. Daß die Belladonna gegen die Asthmaattacken 
sehr nützlich ist, können wir nicht leugnen, daß sie aber 
mit Jodpräparaten in der Therapie des Asthmazustandes 
außerhalb der Attacken konkurrieren könnte, wollen wir nicht 
glauben. Wiederholt haben wir sie nach von Noordens 
Vorschrift in Anwendung gezogen, ohne imstande zu sein, 
ihr eine ausgesprochene antiasthmatische Wirkung zuzu- 
schreiben. Doch weitere Versuche sind sehr berechtigt. 
Dies gilt auch von der ganzen Reihe der früher als ,,Speci- 
fica“ angesprochenen (Brom, Baldrian, Natrium nitrosum, 
Nitroglyzerin, Grind, robusta etc.) und der neuerdings emp¬ 
fohlenen Mittel wie Pyrenol, Benzosalin etc. Wenn sie 
einen Nutzen stiften, so bedeutet dies die Ausnahme. 

Dieulafoy empfiehlt die Darreichung von Jodpräpa 
raten in Verbindung mit Arsen- und Belladonnapräparaten. 
Er verordnet z. B. Jodkalium 15 Tage lang, und Belladonna 
(Extr. Beilad., Folia Beilad. pulv. ää 0,20 Mf. pil. No. XX. 
I). 1 täglich) mit Arsen die übrigen Tage des Monates. Aehn- 
]ich ist unsere Behandlungsweise; wir geben subkutan 
12 Tage lang Natr. kakod. und in den Unterbrechungszeiten 
resp. zu gleicher Zeit Jodpräparate resp. Belladona. 

A. Strümpell (Breslau) empfiehlt neben der Jodbe- 
handlung eine von ihm in den letzten Jahren mit bestem 
Erfolge durchgeführte methodisch-diaphoretische Behand¬ 
lung mit elektrischen Glühlichtbädern. 

Bei besser situierten Kranken wird man zu¬ 

weilen die Frage, ob der Besuch eines Kur¬ 


ortes angebracht sei, zu erörtern haben. Wir 
müssen hier bei den ungeklärten Widersprüchen in den 
Berichten unserer Klienten, die diese Kurorte besucht haben, 
mul der unbestimmten Meinung der Autoren sehr vorsichtig 
sein. Nichtsdestoweniger ist man berechtigt, wenn es sich 
um wohlhabende Asthmatiker handelt, die Kurorte zu emp¬ 
fehlen, da sie bei geeigneter diätetischer Verpflegungsmög- 
lichkeit nur Gutes leisten können. Auch wird bekanntlich 
die Anordnung der zweckmäßigen Diät und Lebensweise 
von vielen Kranken an den Kurorten viel besser befolgt 
als zu Hause. Unter den Kurorten hat sich Mont-Dore (in 
Frankreich) den größten Ruf bei der Behandlung des Asthma 
bronchiale erworben. La n d ou z y u ) empfiehlt Eau arseni- 
cale de Mont-Dore, Bourboule, Eaux-Bonnes und sagt, daß 
sie die besten Kurorte sind. Feber die deutschen Kurorte 
haben wir bisher keine große Erfahrung. 

Von der Hydrotherapie hat man nicht vieles zu er¬ 
warten, doch muß man sie nicht vernachlässigen. Gas ton 
Ly on sagt, daß die Kaltwasserbehandlung gute Dienste lei¬ 
sten kann, und rät sie bei den jungen Asthmatikern drin¬ 
gend an. Fürbringer | Berlin j 12 ) ist der Meinung, 
daß die milderen Prozeduren zu den erfreulichsten Besse¬ 
rungen führen und besonders den neuropathischen Asth¬ 
matikern zuträglich sind. 

Wir wollen dieses Kapitel nicht schließen, ohne darauf 
aufmerksam zu machen, daß selbstverständlich eine Kräfti¬ 
gung der Widerstandskraft und des Allgemeinbefindens an- 
gestrebl werden muß. Dazu eignen sich neben Chinin, 
Eisen, Glyzerophosphaten etc. zwei Präparate, welche wir 
mit glänzenden Erfolgen immer angewandt haben. Diese 
sind J o d f e rratos e , n nd A r s e n f e r r a I o s e von der 
Firma (’. F. Boehring e r & Söhne, Mannheim-Waldhof. 

Wir verschreiben z. B.: 

Rp. Jod-Ferratose (Syr. ferratin. jodati) 
lag. unam origin. 

Ds.: 3—4 mal täglich. 1 Eßlöffel. 

Es ist bei der großen Hartnäckigkeit der Erkrankung 
kein Wunder, daß die verschiedensten Mittel probiert und 
angepriesen werden und daß selbst geradezu lächerliche 
Vorschläge auftauchen. Trotzdem wird man in der Not 
immer wieder einen Versuch mit Jodkalium resp. Arsen, 
oder besser mit beiden, bisweilen auch mit Belladonna 
machen müssen. 

Gehen wir nun zur T h e r a p i e de s A s t h in a - 
anfalles über. Zunächst ist eine Reihe von 
hygienischen und diätetischen Maßregeln, welche 
auch bei den Krankheiten der oberen Luft¬ 
wege empfohlen sind sowohl für das Kind als für 
den Erwachsenen zu geben. Unter diesen ist zunächst die 
Bettruhe hervorzuheben; schon bei leichteren Attacken soll 
man wenigstens das Zimmer hüten. Insbesondere Kinder 
sollen in gleichmäßiger, nicht über 1(1° R. hinausgehender 
Zimmertemperatur gehalten werden, wobei darauf zu sehen 
ist, daß (die Luft oft erneuert wird. Aufenthalt in über 
hitzten Räumen, brüske Bewegungen, Aufregung durch Be¬ 
suche, langes Sprechen und Zuhören, Genuß von Tabak ist 
strengstens zu vermeiden. Sehr wichtig ist die 
Regelung der Diät. Streng zu vermeiden sind alle 
solche Nahrungsmittel, welche reizend einwirken und große 
Anforderungen an die Verdauungstätigkeit stellen können. 
Starke Weine und Spirituosen, sowie Biere sind im all¬ 
gemeinen zu untersagen. Zum Getränke eignet sieb am 
besten Wasser mit etwas Alkalizusatz. Dann haben wir 
immer mit aller Sorgfalt nach irgend einem ursächlichen 
Moment zu forschen, welches vielleicht der Therapie zu- 

11 ) L a. u d o u z y: Cours tberapeutique de la iäeulte, 1899—1901. 

12 ) Fürbring e r: Ueber Aetiologie und Behandlung: des 
Asth. broncli. Therapie der Gegenwart, 1907. Nr. 3. 






THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


gänglich ist (Asthma dyspepticum, Obstipation etc.). In 
allen Fällen, wo die Indicalio causalis nicht ausführbar 
oder ihre Beobachtung allein nicht genügend ist, 
kommen diejenigen Mittel in .Betracht, welche 
der Indicatio symptomatica entsprechen. Im An¬ 
fangsstadium kann man guten Erfolg von der äußeren 
Antiphlogose und den ableitenden Mitteln z. B. lokaler 
Applikation von trockenen Schröpfköpfen, Sinapismen, war¬ 
men Fußbäder u. dgl. erzielen. Bei kräftigen, vollblütigen 
Individuen dürfte ein Versuch mit Blutentziehung (Appli¬ 
kation von blutigen Schröpfköpfen) gerechtfertigt sein. Bei 
Kindern eignen sich warme ev. kalte Einschläge auf die 
Brusl. Die Verordnung von drastischen Abführmitteln ist 
in geeigneten Fällen von entschiedenem Nutzen: Vorzugs¬ 
weise Tinct. Jalapae comp., 20 30 gr Infus. Sennae, 

Glaubersalz usw. 

Außer diesen äußeren Mitteln kommt bei der Behand¬ 
lung des Asthmaanfalles eine Anzahl innerer Mittel in Be¬ 
tracht. welche teils symptomatisch wirken, teils sich den 
Huf einer spezifischen Wirksamkeit erworben haben. Alle 
diese Mittel verdanken ihre Empfehlung nur der Empirie 
oder Spekulation, von den kritiklosen Reklamen ganz abge¬ 
sehen, und greifen die Krankheit nicht kausal an. Weit 
entfernt davon, die Unsumme all dieser Mittel auch nur dem 
Namen nach aufzuführen, wollen wir nur Belladonna-, Stra- 
moniiim-, Hyoszyamus-, Opi um präparate herausgreifen, weil 
sie mit Kokain oder Kaliumnitrat gemischt die wichtigsten 
Bestandteile der berühmten Geheimmittel, Räucherungen 
oder Zigaretten, „Antiasthrnatica“ zusammenselzen. Die 
meisten dieser Asthmamittel haben wir an uns selbst wie 
an einer Anzahl von Fällen geprüft; unser summarisches 
Urteil darüber ist, daß ihre Wirkung von geringerer Wichtig¬ 
keit im Vergleiche zu den anderen (Opiumpräparaten) ist, 
wir möchten aber nicht sagen, daiß sie bei der Behandlung 
des Anfalles ganz wirkungslos bleiben, wie es Für- 
b r i ng e r 13 ) behauptet. Von einigen dieser Asthmazigaretten 
und Räucherpulvern haben wir bei Qualvollen Paroxysmen 
vielfach Linderung der Atemnot und eine Erleichterung des 
allgemeinen Befindens beobachten können. Diese Resul¬ 
tate aber waren nicht so eklatant, wie sie in den Pro¬ 
spekten und der Reklame-Literatur angegeben werden, ob¬ 
gleich die Patienten damit zufrieden waren. Hier stehen 
Dr. Wasserzugs (Frankfurt) Zematone-Zigaretten gegen 
Asthma (welche aus Grindelia 30 gr, Stechapfel 12 gr, Ler 
chensehwamm 8 gr, Mohn 5 gr, Salpeter 22 gr zusammen¬ 
gesetzt sind) obenan ; diese brachten, wie es A p o s t o 1 i d e s 
senior an sich selbst bemerkt batte, immer eine Linderung 
des Anfalles. Dies kann nicht suggestive Wirkung sein, 
da wir auch bei Kindern dasselbe Resultat beobachtet 
haben. Die Wirkung das Zigarettenrauches kann man durch 
die Annahme eines örtlichen narkotischen Einflusses auf 
die respiratorische Schleimhaut leicht erklären. Mit einer 
allgemeinen pharmakodynamischen Wirkung können wir 
uns nicht einverstanden erklären. Der Erwähnung bedürfen 
auch die Neu me i ersehe Poudre anti-asthmatique, welche 
aus folgendem zusammengesetzt ist: Datura Stramonium, 
Herba et Radix Brachycladi, Kali nitric., Natr. nitros., Kali 
jodal., Sacch. album. Lobelia inflata, und seine Asthma- 
Zigarillos, welche stall der Papier-Umhüllung eine Pflan¬ 
zenblattumhüllung (Nicotiana labacum) tragen; ferner das 
antiasthmatische Pulver und die Zigaretten Clerys, die 
1) ’ E s p i Cs Zigaretten etc. etc. Wir wollen einige Formulae 
von den berühmtesten Zigaretten geben. 

T r o u s s e a u s Zigaretten : 

Rp. Fol. Strammonii . . . 30,0 

Extr. opii aq. 2,0 

Aq. destillat.25,0 

M. f. Zigaretten No. XXX. 

w ) Fürbringer: Ueber Aeliologie des Asthma bronciale. 


D ’ E s p i c s Zigaretten: 

Rp. Fol. Belladonnae . . . 0,30 

„ Hyoszyam. 

„ Stramraon. . . . ää 0,15 
„ Phellaudri aq. . . 0,05 
Extr. opii gummös. . . . 0,13 

Aq. lauroceras.q. s. 

Apostolides jun. hat von folgendem Rezept guten Er¬ 
folg gesehen: 

Kalii nitric.3,0 

Pulv. Fol. Datura 
Pulv. Fol. Belladonn. 

Pulv. Fol. Hyoscyuam . . ää 5,0 

(Zu Fomentationen.) 

Warnen müssen wir aber von einem allzu fortgesetzten 
Gebrauch dieser Mittel, da wir wiederholt heftige Kopf¬ 
schmerzen lind Uebelkeit bemerkt haben. 

Was die Inhalationstherapie anlangt, so kommt eine 
Anzahl von Medikamenten in Betracht, unter denen die 
Alkalien in erster Linie stehen werden. Man glaubte, damit 
die Asthmakrystallen geradezu lösen und den Asthmaanfall 
koupieren zu können. Leider hat die tägliche Erfahrung 
bewiesen, daß man nicht darauf warten kann. Dagegen 
scheint uns die innerliche Darreichung von reichlichen 
Mengen alkalischer Wässer von Vorteil zu sein, weil sie 
durch Anregung der Diuese nicht nur die auch bei den 
einfachen Katarrhen zur Aufnahme gelangenden Toxine 
möglichst rasch entfernen, sondern auch auf die Sekretimi 
einen entschieden günstigen Einfluß ausüben. Darauf be¬ 
ruht die Anwendung der Diuretika; in vielen Fällen er¬ 
weisen sich als zweckmäßig das Theobromin oder seine 
löslichen Salze Diuretin und Agurin. Zuweilen haben wir 
das von Prof. H u c h a r d empfohlene ,,Santheose“ resp. San- 
theos-Koffein (viermal täglich 0,5), welches reines Theobro¬ 
min ist, wirksam gefunden. Die mangelhafte Ausscheidung 
der Stoffwechselprodukte beeinflußt das Zentralnerven¬ 
system und damit, auch das Respirationszentrum und ver¬ 
größert die Dyspnoe. Milde alkalische Mineralwässer sind 
immer nützlich, und den Patienten sollte empfohlen wei¬ 
den. während des Asthmaanfalles ad libidum eine der zahl¬ 
reichen Alkali-Quellen (Vichy etc.) oder künstliche Mineral¬ 
wasser zu benutzen. 

Den verhältnismäßig geringsten Nutzen haben wir von 
den anderen Inhalationsmedikamenten (Aether, Chloro¬ 
form etc.) erhalten. Doch scheint uns Pyridin den Anfall 
zu lindern. Bei manchen Fällen hat es versagt und nur 
Kopfweh und Ekel hervorgerufen. Wir lassen 3 5 g Pvri- 

dinum puriss. auf einem Teller bei einer Zimmertemperatur 
von 20°—25° verdunsten. In einer Stunde ist es verdampft. 
Der Pal. bleibt neben dem Pyridin-Teller 20 30 Minuten 

im Zimmer. Die Prozedur wird 2 3mal im Tage wieder¬ 
holt werden. Das Amylnitrit scheint bei sehr vollblütigen 
Individuen als gefährlich kontraindiziert. Ein milderer und 
weniger gefährliches Mittel ist Amylium valerianicum intern 
0,15 p. dos. in Gelatinekapseln mehrmal täglich Das 
A e t. h y 1 i u m b r o m a t. u m 4 5 Tropfen (in Ampullen) zur 

Inhalation alle 3- 4 Stunden ist. sehr ratsam. Apostoli¬ 
des jun. hat das Aet hy 1 i u m j o d a t u m zu Inhalationen 
bei Asthmaanfällen sehr wirksam gefunden. Die Pat. verspür¬ 
ten immer eine bedeutende, nur durch das Morphium zu er 
setzende Erleichterung. Die Expektoration nimmt zu und 
wird leichter. Es darf also nicht im Anfang des Anfalles 
gegeben werden. Sehr ermutigende Resultate haben wir 
an uns selbst erzielt, wenn wir die von Prof. Huchard 
empfohlene Kombination in Gebrauch gezogen haben: 

Aethylii jodati . . . 25 g 

Chloroformii .... 5 g 

S. Inhalationen in Zwischenräumen von 20 Minuten bis 
2 Stunden je nach Wirkung und Bedarf wiederholt werden. 






T7T7 




716 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 48 


Für b ringer hat die besten Erfolge mit folgender 


Lösung erzielt: 

Rp. Solut. Cocain, mur. . . . 0,80 

Aq. destillatae. 90,0 

Morph, mur.0,10—0,20 

Aq. amygd. amar. . . . 10,0 


S. Ein Kinderlöffel mit 2 Eßlöffeln Wassers zum 
Inhalieren. 

Wir haben auch darin ein sehr schätzbares Palliativuin 
gefunden. Statt Kokain kann man Alypin anwenden. In 
manchen Fällen hat auch diese Lösung keine merkliche 
Wirkung. In einigen Fällen jedoch, in denen andere Mittel 
(mit Ausnahme des Morphiums) vollkommen versagen, be¬ 
einflußt die lokale Applikation von Alypin in Form von 
Nasen-Tampons nach der Vorschrift von Fr. Tauszk die 
Symptome. Die von uns benutzten Nasen-Tamponade ist 
eine lOproz. Alypin Lösung. Apostolides jun, hat diese 
zweimal mit guten Erfolgen angewandt. Die Pat. waren 
für einen großen Teil des Tages von den wesentlichen Be¬ 
schwerden befreit und waren damit so zufrieden, daß sie 
kein anderes Mittel wollten. Niemals aber gelang es, den 
Anfall zu kupieren. Die Alypin-Tamponade wurde zwei¬ 
mal bis dreimal täglich angewandt. Bei Einführung des 
Tampons in beide Nasenöffnungen setzte eine bedeutende 
Erleichterung ein; vielleicht handelte es sich um Reflex- 
asthma. Im allgemeinen wirkt Alypin nur so kurze Zeit, 
daß bei der dadurch allzuhäufig nötig werdenden Appli¬ 
kation Intoxikationerscheinungen eiritreten können. Natür¬ 
lich muß man mit diesem Mittel bei Kindern vorsichtig 
sein (F ranz Jaus z k). 

\\ enn eine oder mehrere der schon beschriebenen Ma߬ 
nahmen sich nur teilweise wirksam erweisen, den Anfall zu 
beeinflussen, kann die lindernde Wirkung unterstützt werden 
durch innerliche Verabreichung von einigen Medikamenten, 
welche den Ruf der Asthmamittel von altersher haben. 
Diese sind; Belladonna, Grindelia robusta, Euphorbia pilu- 
lifera, Quebracho blanco, Lobelia iuflata. Dazu gehört auch 
das ganze Heer der neueren ,,Nervi na“, als Asthmamittel 
gepriesen (Pyrenol, ßenzosaliu, Uxaphor etc.), welche uns 
keine durchschlagend« 1 Wirkung gegeben halten. Doch 
scheint, die Anwendung bei den lange dauernden Anfällen 
wenigstens lindernd zu wirken. 

Wir gebrauchen mit Erfolg Extr. fluid. Quebracho 
blanco 10 Tropfen 3—5 mal täglich), dessen günstige 
Wirkung auf die Dyspnoe Prof. Huchard seit 1886 
erwiesen hat. Besser und schneller beeinflußt es die Atem¬ 
not, wenn es mit Euphorbia pilulif. gegeben wird. 

Extr. fluid. Quebracho blanco . . 10,0 
Extr. fluid. Euphorbiae pilulif. . . 6,0 
Ds. 15 Tropfen mehrmal täglich. 

Wir haben diese zwei antidyspnoisehen Mittel in .Ver¬ 
bindung mit den übrigen Expektorantien (Grindelia ro- 
busla. Lobelia inflata etc.) vielfach mit Erfolg verwendet. 


Decoct. Seneg. (3,0 :100,0) . . . 100,0 

Thict. Lobeliae 

Tinct. Grindel, rob. . . . . ää 20,0 

Spirit vin.50,0 

Extr. fluid. Quebracho 
Extr. fluid. Euphorb. pilulif. 

Tinct. Belladonnae.ää 4,0 

Ds. 1 Eßlöffel 3stündlich. 

Bei Kindern eignet sich: 

Aq. tillae.100,0 

Aq. aurant.30,0 

Aether sulf. 1 ? 0 

Tinct. Lobeliae 
Tinct. Grindel, rob. 

Tinct. Belladonnae.XX gtt. 

Extr. fluid. Quebracho blanco . ää X gtt. 


Ds. Kinderlöffel weise. 

Weniger bestimmt möchten wir uns für die Verwendung 
anderer Medikamente aussprechen; weder vorn Pyrenol, 
noch vom Methylatropinum brornatum haben wir unzwei¬ 
deutige Erfolge erzielt. 


Wir bedauern sehr, uns dem Urteil aller jener nicht 
anschließen zu können, welche dem Pyrenol eine kräftige, 
fast spezifische Wirkung bei Asthma bronchiale zuschreiben. 
Eine kupierende Wirkung wurde in keinem Falle beobachtet. 
Doch verdient das Mittel weitere Versuche. 

Von besonderer Bedeutung ist die antiaslhmatische 
Wirkung des Oxaphor, welches eine 50 prozentige alka¬ 
lisch«' Lösung des Oxykampfers ist. Man gebe es allein 
oder besser in Verbindung mit den anderen Asthmamitteln. 
Zu den obigen Rezeptformeln kann man 1 — l l / 2 g Oxaphor 
hinzufügen. Im allgemeinen wird man den Anforderungen 
des Stadiums der Expektoration durch diejenigen (Mittel 
gerecht, welche den zähen, klebrigen Schleim lösen und 
seine Herausbeförderung erleichtern. Zweckdienlich ist in 
diesem Betracht die innerliche Darreichung von Grindel, 
rob. (Tinct. Grind, rob. 20 30 Tropfen), Tinct. Lobelia 
infl. (20 35, 40 Tropfen), Aether sulfur. mit Belladonna; 
Aether sulf. 1 g, Extr. bellad. 0,05 ccm, Aq. laurocer. 
lüg. Aq. dest., Syr. cort. aur. aa 60 g), obgleich ihre Wirkung 
sehr verschieden und problematisch ist. Doch ist eine 
Erleichterung der Expektoration und ein Nachlassen der 
Atemnot, nicht zu verkennen. 

Unter allen den gegen den Aslhmaanfall empfohlenen 
Mitteln erobern und erhalten sich unstreitig den ersten 
Platz Opiumderivate, welche die wirklichen antiasthma¬ 
tischen Mittel sind. Obgleich die oben besagten Mittel 
nach unserer und anderer Erfahrung gerade bei den milde¬ 
ren Formen immer erstaunlich bedeutende Erleichterung 
und bisweilen eine Kupferung des Anfalles gewähren, ist 
doch hei schweren Anfällen die Anwendung von Opium 
derivaten erforderlich. Hier steht das Morphium obenan. 
Nach 10—15 .Minuten nach einer subkutanen Injektion von 
Morphium mur. 0,005- 0,01 läßt der Asthmaanfall nach 
und verschwindet. Leider tritt der Anfall wieder auf, und 
man ist gezwungen, die Injektionen 2-3 mal pro die zu 
wiederholen. 

Bei längerem Gebrauch des Mittels müssen die Dosen 
gesteigert werden. Einer von unseren Patienten brauchte 
0,13 g pro die, um eine eüpnoisclie Wirkung zu erzielen. 
Eine vorsichtige Zurückhaltung beim längeren Gebrauch 
des Morphiums ist natürlich stets notwendig. Mit Recht 
bemerkt Strümpell dabei, daß man nicht zu leicht zu 
Morphiumeinspritzungen greifen und sich entschließen soll, 
den Kranken die Morphiumspritze selbst in die II and zu geben. 
Anstatt Morphium hat man neuerdings andere Üpium- 
derivatc versucht und angewandt, nämlich: Codeinum 
phosphoricum, Dionin, Heroin. Das erste eignet sich für 
den Asthmaanfall gar nicht, dagegen haben einige Autoren 
Dionin als Ersatz des Morphiums angewandt. Dionin ist, 
bekanntlich eine Aethylverbiudung des Morphiums, welche 
dem letzteren gegenüber den Vorzug der relativen Ungiftig¬ 
keit besitzen soll. Wir haben Dionin in subkutaner Ein¬ 
verleibung (von 0,01, resp. 0,02 viermal täglich) vielfach 
angewendet und bemerkt, daß es der Morphiuminjektion 
an Sicherheit und Raschheit der Wirkung entschieden nach¬ 
sieht. Niemals aber haben wir unangenehme Neben¬ 
wirkungen bei der Anwendung größerer Dosen (0,151) 
beobachtet. 

Unter den Ersatzmitteln des Morphiums isl Heroin, 
resp. Heroin hydrochlor., in entsprechenden Dosen (0,005 
bis 0,01 pro die) angewandt, das beste. Heroin ist ein 
Morphincliessigsäureester, sein lösliches Salz Heroin hy¬ 
drochlor. bewährt sich vortrefflich, subkutan angewandt, 
zur Beseitigung der asthmatischen Anfälle als Ersatz für 
Morphium, dem gegenüber es viele Vorteile besitzt. Solche 
sind nach C ombema le 14 ) (Lille) und Moir 15 ) u. a. an- 


14 ) C o m bemale & H u r i e z: Quelques observatious clin. 
sur la valeur therapeutique de l’Heroine. Echo Medical du Nord, 
1902, Nr. 17. 

lö )Moir: Therapeutics of Heroin, hydrochl. its advantages 
OYer niorphinc. Therapist, 1902, Nr. 3. 










1908 


THEKAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


717 


Haltende intensive Wirkung auf die Respirationsorgane, ge 
ringe Dosen bei überlegenem Effekt, keine psychische Er¬ 
regung nach der Injektion, sehr viel geringere (Jefahr der 
Angewöhnung. Uebereinstimmend mit den meisten Autoren 
haben wir die ausgezeichnete Wirkung des Heroin, hydro- 
ehlor. auf Beseitigung der Atemnot hervor. Immer gelang 
es uns, bei Anwendung einer subkutanen In¬ 
jektion von Heroin. hydrochloricum (0,005, bis¬ 
weilen 0,01) ausgezeichnete Erfolge zu erzielen: 
Nachdem der eine von uns sich von der Wirksamkeit des 
Mittels überzeugt hatte, wendet er immer zur Linderung 
seines Asthma Heroin, hydrochlor. 0,01 subkutan an und 
ist sehr zufrieden damit. Die durch Heroin erzielten Er¬ 
folge übertreffen die durch Morphium bei weitem. Nur muß 
man erwähnen, daß Heroin viel mehr toxisch als Morphium 
ist. Alle diese Momente lassen es als Ersatz des Morphiums 
bei der Behandlung der Attacken hervorragend geeignet 
erscheinen. Was die innerliche Anwendung von Opium¬ 
präparaten anbetrifft, so stehen sie der subkutanen An¬ 
wendung an Sicherheit viel nach und sind nur in leichteren 
Anfällen mit. sichtlichem Nutzen zu verwenden. Hierzu 
eignet sich Dionin am besten. Rp. Dionin-Tabletten ä 0,03. 
S. 3—4mal täglich ; auch Dionin 0,3, Aq. amygd. am. 15,0 g. 
S. 3mal bis 4mal täglich 10 Tropfen. Für Kinder: Dionin 
0,01—0,05, Aq. dest. 75,0, Sir. Rubi Idaei 25,0. S. 3 stündlich 
1 Kinderlöffel voll. Heroin, hydrochlor. kann in Verbindung 
mit Alypiti auch per os gegeben werden. Tauszk hatte 
diese Verbindung verwandt. Besonders wertvoll wäre ja, 
für den Praktiker die Beobachtung, daß Morphiuminjektion 
bei prädisponierten Individuen asthmatische Anfälle ver¬ 
ursachen könne. Diese Tatsache ist zuerst von F i 1 e h n e 
wahrgenommen worden, aber später wieder der Vergessen¬ 
heit anheimgefallen. Neu ist folgende Bemerkung, welche 
wir hier milteilen; es ist uns nicht gelungen, in der uns 
zugänglichen Literatur ähnliche Berichte aufzufinden. So 
lange nämlich A p o s t o I i d e s sen. sich der Ohnmacht und 
der Unsicherheit der übrigen Mittel wegen zur Morphium- 
resp. Heroininjektion (0,01) entschloß, bemerkte er, daß 
sein Asthmaanfall schnell für diesen Tag nachließ, den 
nächsten Tag aber wieder ein neuer Anfall auftrat; eine 
neue Injektion brachte Erleichterung. Nach 16 Stunden 
begann aber wieder ein Anfall usw., während 4 5 Tage, 

so lange er tlie Morphiuminjektionen fortsetzte. Hätte er 
die Morphiuminjektion beiseite gelassen und die Diuretika 
benutzt, so kehrte der Anfall nicht mehr zurück. Diese 
Beobachtung könnte sich auf zwei verschiedene Momente 
zurückführen lassen; einmal auf eine Fortsetzung des im 
Beginn kupierten Asthmaanfalles oder zweitens auf eine 
Intoxikation durch Morphium analog, wie es bei Urämie 
der Fall ist. Die erstere Hypothese ist nicht richtig, 
da niemals der ohne Morphium behandelte Anfall eine so 
hartnäckige Dauer hat. Diese Tatsache ist bei den echten 
Asthmaattacken unbekannt, ln einem anderen Falle war 
der Asthmaanfall am Ende, als wir uns entschlossen, dem 
Fat. Morphium einzuspritzen. Pat. schlief die ganze Nacht 
ruhig, den nächsten Morgen erwachte er ohne Asthmaanfall. 
Nach, 3 Stunden fing ein neuer heftiger asthmatischer An¬ 
fall an, der an Intensität an einen schweren Anfall vor 
3 Tagen erinnerte. Wir glauben, daß man berechtigt ist, 
diesen Anfall dem Morphium zuzuschreiben, um so mehr, da 
er wieder durch Diuretika und übrige Mittel schnell kupiert 
wurde. Aehnliche Fälle haben wir drei beobachtet. Ist 
hier die Rede von Hysterie oder Neurasthenie ? Wir können 
es nicht glauben. 

Am Schluß sei erwähnt, daß von vielen Autoren sub¬ 
kutane Injektionen von Atropin (0,0005 0,003) gegen 
Asthmaanfall vielfach empfohlen wurden. Wir haben 
Atropin stets in Verbindung mit Opiumpräparaten (Mor¬ 
phium) angewandt, um die toxischen Eigenschaften zu ver¬ 
mindern, und immer gute Erfolge erzielt. Die von 
uns angewandte Dose war Morph, mur. 0,01, Atropin, sulf. 
0,00025 pro lnjekt., 1 ccm Aq. dest. 


Sauerstoffinhalationen u. dgl. Respirationsbehandlung 
sind bei uns immer ohne Erfolg geblieben, und deshalb 
haben wir sie aufgegeben. 

Resümee: Alles in allem möchten wir uns dahin 
äußern, daß die Behandlung des Anfalles mit Narcotica, 
zumal die subkutane Einverleibung von Morphium, resp. 
Heroin, "hydrochl. das erste sichere Asthmamittel ist, welches 
ausgezeichnete Dienste leistet und nur selten versagt, und 
das nur den Nachteil hal, zu Morphiomanie zu führen und 
bei einigen nervösen Individuen Asthmaanfälle zu ver¬ 
ursachen. Außerdem darf, besonders in der Privatpraxis, die 
protrahierte physikalisch-diätetische Behandlungsweise nie¬ 
mals außer acht bleiben. 

Dem Heroin, hydrochlor. ist subkutan appliziert wegen 
der weit rascheren Wirkung in minimalen Dosen (0,005 pro 
dosi, zweimal täglich) der Vorzug vor den übrigen Opium¬ 
derivaten (Dionin, Codein, Morphium) zu geben. 


REFERATE. 

Fraueukraiiklieiteii und Geburtshilfe. 

Referent: Spezialarzt Dr. E. Solms, Charlottenburg. 

1. Ueber Geburtshilfe in Anstalten und außerhalb derselben. 

Von F. S c haut a. Wiener klin. Wochenschr.. 1908. Nr. 45. 

2. Zur Behandlung der Plaeenta praevia. Von B. K r ö n i g. 
Frei bürg. Zentralblatt f. Gynäkologie, 1908, Nr. 46. 

3. Zur Frage der Anästhesierung des Geburtsaktes. Von 
Dr. L A. Bruck. Allgem. Medizin. Zentralztg., 1908, Nr. 44. 

4. Zur Behandlung der NacJigeburtspcriode. Von Dr. P. 
B a u m in. Med. Klinik, 1908, Nr. 4L 

1. Schauta fordert, daß genau so wie die Gynäkologie 
die Geburtshilfe in öffentlichen oder privaten Kliniken ausgeübt 
werde. Nur dort ist 1. die Asepsis und Antisepsis gesichert, die die 
chirurgische Geburtshilfe verlangt, 2. ein spezialärztlicher Per 
mauenzdienst bei der Gebärenden garantiert uud 3. die Exakt¬ 
heit der Ausführung der Operation ermöglicht. Rechtzeitige 
Aufnahme müßten mindestens all die Fälle finden, deren phy¬ 
siologischer Geburtsverlauf nach der zu diesem Zwecke einge- 
führten Schwangerschaftsuntersuchung fraglich ist. Da die Zahl 
der privaten Entbindungsanstalten zu gering ist. müßten große, 
arm und reich zugängliche Entbindungsanstalten erbaut werden. 
Die Asepsis bleibt außerhalb der Anstaltsbehandlung fraglich, 
weil einmal ITebamme und Arzt untersucht haben, dann, weil das 
käufliche sog. sterile Verbandzeug nicht keimfrei ist. Durch den 
spezial ärztlichen Permanenzdienst werden Fehldiagnosen einge¬ 
schränkt. weiter die Polypragmasie, die Platz greifen muß, wenn 
der Arzt zu früh gerufen wird. Den Vorteil einer Anstaltsbe¬ 
handlung vor der in Privathäusern beweisen die Statistiken. 

2. Es ist das Verdienst F ehlings, als erster den Unter¬ 
schied in der Behandlung der geburtshilflichen Fälle in Anstalten 
und in Privathäusern klar ausgesprochen zu. haben. Yerf. legt 
nun an der Hand der Behandlungsmethoden bei Plaeenta praevia 
klar, wie verschieden hierbei die Indikationsstellung zu einem 
Eingriff ausfäilt. Die hohe Mortalität bei Plaeenta praevia ist 
nicht durch Sepsis, soudern durch schwere Blutungen bedingt. 
Diese können dadurch entstehen, daß infolge der Entfaltung des 
unteren Uterinsegmentes, in dem die Plazenta sitzt, Zerreißungen 
auf treten. Da das untere Uterinsegment zu stark gedehnt war, 
genügt dann die postpartale Kontraktion derselben nicht mehr 
zur Kompression der zerrissenen Gefäße. Aus diesem Grunde rät 
K r öu i g, zu Beginn der Geburt zu operieren. Während außer 
halb der Anstaltsbehandlung nur die Wendung oder Hystereuryse 
die therapeutischen Verfahren darstellen, die eine Mortalität der 
Mütter von 6—10% und der Kinder von 60—80% aufweisen, so 
läßt, sich diese hohe Mortalität in der Klinik durch Einfügung 
neuer operativer Methoden verringern. Zu Beginn einer aseptisch 
geleiteten Geburt kann der vaginale Kaiserschnitt mit alleiniger 
Spaltung der vorderen Uteruswand Platz greifen, wenn die Pla¬ 
eenta praevia hinten sitzt und der klassische, wenn die vorliegende 
Plazenta vorn ist (!). Bei schwer zu stillenden Blutungen rät 
K r ö n i g weiter die supravaginale Amputation vorzunehmen(!). 

3. Verf. verwendet zur Anästhesierung des Geburtsaktes 
Scopolamin-Morphium. Auf Grund von 10 Fällen kommt der 

Original from 

A 




TIS THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. Nr. 48 


st lbe zur Empfehlung’ des Seopolamin-Morphiuru-Dämmerschlafes. 
Ohne sehiidliehe Nebenwirkungen wird der Ueburtsakt schmerz¬ 
los. In Intervallen von 2—4 Stunden wird 2—5 mal V*V bis 
1 Spritze des Riedel sehen Seopomorphins intramuskulär in¬ 
jiziert. 

4. Die Naehgeburtsperiode besteht aus zwei Phasen. Den 
ersten Abschnitt stellt die Lösung der Placenta und ihr Uerab- 
gleiten aus dem Uteruscavum in das ersohlaffte, gedehnte untere 
Uterinsegiuent und Seheidengewölbe dar. Die Phase ist beendet, 
wenn der Uterus sieb verkleinert, steigt und in der Wehenpause 
platt wird. Durch Eindrücken oberhalb der Symphyse wird dann 
Oie Nabelschnur nicht mehr in die Scheide zurückgezogen. Im 
zweiten Abschnitt, der Nachgeburtsperiode wird die gelöste Pla¬ 
zenta durch ihre Eigenschwere, die Elastizität der Scheide und 
die Rauch presse herausbefördert. Als Substitut einer mangel¬ 
haften Rauchprcsse tritt hier der bekannte 0 r e d e sehe Hand¬ 
griff ein. Seltener erfolgt das Exprimicren der Plazenta durch 
Eindrücken oberhalb der Symphyse. Nach vorzeitigen Ex¬ 
pression «versuchen, in der ersten Phase, entstehen Blutungen in¬ 
folge partieller Plazentarablösung oder durch Zurückbleiben von 
Plazentarfeilen. Allgeineinhin müssen bei Blutungen in der Nach¬ 
geburtsperiode die Plazenta resp. zurückgelassene Plazentarteile 
exprimiert oder manuell gelöst werden. Weiter kann es bluten, 
wenn der Uterus nach der Seite, nach oben oder unten verlagert 
ist. Diese mangelhafte Kontraktion des Uterus wird durch Nor¬ 
mallagerung desselben beseitigt. Bei Blutungen ex atonia uteri 
hilft oft das Halten des Uterus von vorn und oben, das-die Pla- 
zentarste Ile komprimiert, oder das Zusammenschieben der Ge¬ 
schlechtsteile im kleinen Becken durch Druck von den Bauch- 
declccn her auf den Uterus und die Aorta, Blutet es trotzdem 
noch, gleichgültig ob cx atonia, aus Rissen etc., so bleibt die 
1) ü h r s s e n sehe Utcrusvaginaltamponade das Allheilmittel. 


Neurologie uml Psychiatrie. 

Referent: Dr. G. Fla tau, Nervenarzt, Berlin. 

1 1 "ober die Behandlung der Epilepsie mit Borax. Von Pri¬ 
vatdozent Dr. 0 e r u m, Kopenhagen. Med. Klinik, 1908, Nr. 41. 

2. Einige Anhaltspunkte zur Behandlung der Schlaflosigkeit. 

Von Prof. Karl Lechner. Wiener med. Wochenschrift, 
1908, Nr. 40. 

3. Technik der Ischiasbehandlung durch Injektionen. Von 

Dr. 0 ersou. Med. Klinik, 1908, pag. 032. 

4. Tabes und Paralyse im Lichte der neueren Syphilisfor- 
schnng. Von F ritz Besser. Berliner klin. Wochenschrift, 
1908, Nr. 39. 

5. Zur Symptomatologie der Epilepsie. Von M. H re-ß lei. 
Psychiatrisch-neurologische Wochenschrift. 1908, Nr. 30. 

1. Die Boraxbehandlung der Epilepsie ist nicht unbekannt in 
Deutschland, wie Verfasser annimmt, aber sie wird wenig geübt ; 
G owers und andere haben sie lebhaft empfohlen, auch in Ab¬ 
wechselung mit Bromkali gegeben; bis zu 8 g pro die werden ge¬ 
geben. Man hat die Wirkung in Verminderung des Fettansatzes, 
in der antifermentativen Wirkung gesehen. An störenden Ne 
heu Wirkungen fehlt es nicht. Verfasser berichtet von eigenen 
guten Erfolgen, Referent glaubt nicht, daß es gelingen wird, die 
Boraxbehandlung neu zu beleben. 

2. L. unterscheidet Störungen des Vorschlafes: 1. schlechtes 
Einschlafen mit Funktionsstörungen des Schlafapparates wäh¬ 
rend des Einschlafens* 2. ungenügende Schläfrigkeit, mit dissi 
milatcrischen Stoffwechselstörungen, bei der das Schlafbedürfnis 
störenden Ermüdung; ferner als Störungen des Nach¬ 
schlafes: 3. schlechtes Erwachen mit Funktionsstörungen des 
Schlafapparates beim Erwachen, 4. krankhafte Munterkeit mit 
assimilatorischen Stoffwechselstöruugen im Verlauf der Schlaf- 
Erholung. Jede der Gruppen verlangt eine besondere Therapie. 
Ad 1 meist hygienisch-diätetische Behandlung mit robörierenden 
Maßnahmen. Galvanisation. L e d u c scher Gleichstrom. Brom. 
Neuronal. Psychotherapie. 

Ad 2. En genügende Schläfrigkeit, oft im G reisenalter, bei 
Arteriosklerose, Lues gefunden, erfordert entsprechende Kuren, 
dodsalze, Nitrate. Von Medikamenten llypnotika aus der Chlo- 
ral-, Hedonal-, Dormiol-, Isopralgruppe. Oft sind Bettruhe, milde 
Diät. Packungen von Nutzen. 

Die Störungen zu 3 und 4 erfordern ganz besonders Psycho¬ 
therapie, Hypnose.* Die pathologisch maßlose Munterkeit durch 


lebhafte Traumhalluzinationen mit Bewegung hervorgerufen, 
kann zu kriminellen Handlungen führen. Solche Kranke bedür¬ 
fen der Narkotika und meist auch strenger Aufsicht. 

3. Die Ischias ist den bisherigen Formen der Therapie um so 
eher zugänglich, je frischer sie ist. Chronische Formen erfahren 
durch sie wohl Besserung, aber keine Heilung. Letztere 

führt die Injektionstherapie herbei. Bekannt ist der Aus¬ 

bau des S c h 1 e i c h sehen Verfahrens durch Injektion von 
100 ecm einer Lösung E u k a i n-/f 0.1. Natr. chlorat. 0,8, Aq. 
dest. ad 100. Krause nahm Stovain, und zwar Adrenalin 
(1:1000) glitt, 5- 10. Stovain 0,1—0.2, Sol. Natr. chlorat. 
0.8:100. Zur Technik macht G. folgende Angaben, eine sterile 
Spritze muß injektionsfertig vorhanden sein. Aufbewahrung in 
Seifenspiritus unter luftdichtem Verschluß. Vor der Injektion 
Reinigung mit Alkohol. 2. Bereitung der Lösung: 2 Tabletten 
Sal. anacsthetieum 11 enthaltend Cocain 0,1 Morphium 0,025, 
Natr. chlorat. 0,2, werden in 100 g abgekoehten Wassers gelöst, 

davon 5 g auf gekocht und in die Spritze gefüllt. 3. Aufsuchen 

der Injektionsstelle: Druckpunkt an der Austrittsstelle, zu fin¬ 
den zwischen dem dritten und vierten inneren Abschnitt einer 
Linie, die die Rima ani mit dem Trochanter verbindet: Des¬ 
infektion der Haut und Fixierung des Punktes. Spritze mit der 
ca. 5 ein langen Kanüle senkrecht einstechen, bis der Nerv er¬ 
reicht ist. was sich durch Zucken des Patienten bemerkbar macht. 
Spritze langsam entleeren. Zweiter Druckpunkt unterhalb des 
Glutäus näher dem Tuber iscliii. kurze Kanüle notwendig. Ein 
weiterer brauchbarer Punkt an der Pcronousumschlagstelle. ln 
veralteten Fällen noch weitere Druckpunkte. Zu erhoffen ist 
nur etwas bei dev rheumatischen Ischias. Die gonorrhoische und 
syphilitische Ischias bedürfen anderer Mittel. 

4 Die Beziehungen zwischen Tabes, Paralyse und Syphilis 
sind viel engere, als den bisherigen Annahmen entspricht; während 
die Spätprozesse interstitieller Natur an den inneren Organen 
wie der Leber häufig intra vitam nicht erkannt werden, und erst 
auf dem Sektionstisch zur Kenntnis kommen, machen naturgemäß 
diese Prozesse im Zentralnervensystem viel schneller Symptome, 
die in vivo diagnostiziert werdet*. Unterstützt, wird die Annahme 
einer Spätsyphilis ohne Symptome durch den positiven Ausfall 
der W a s s e r m a n n sehen Reaktion bei scheinbar gesunden 
Menschen, die Syphilis gehabt haben. ‘Eine positive Reaktion 
kann durch spezifische Behandlung in eine negative verwandelt 
werden. Daher deutet eine positive Reaktion stets auf zurzeit 
bestehende Syphilis. Bei Paralytikern reagierten von 23 Fällen 
21 positiv, 2 negativ, beide erwiesen sicli bei näherer Betrachtung 
als unsicher in der Diagnose. Bei Verdacht der Paralyse spricht 
daher eine negative Reaktion gegen diese. Antisyphilitische Be¬ 
handlung kann den Prozeß aufhalten, aber nicht zur Regeneration 
der verloren gegangenen Elemente führen, da diese erst sekundär 
degenerieren, während der primäre Prozeß in den Meningen zu 
suchen ist. 

Anders bei Tabikern. Hier reagierten ca. 50% positiv; er¬ 
klärt wird das durch die Annahme, daß die tabische Erkrankung 
sieh über lange Jahre hinzieht, während deren der syphilitische 
Prozeß ausheilt. Der Anfangsprozeß ist eine Leptomeuingitis 
fibiosa als Residuum eines syphilitischen Prozesses. Die paren¬ 
chymatösen Prozesse am Rückenmark sind sekundärer Natur und 
können progredient bleiben, auch wenn die primären Prozesse 
zum Stillstand gekommen sind. 

Verfasser kommt zu folgenden Schlüssen: Syphilitiker, die 
in spätesten Jahren nach der Infektion eine negative Serum¬ 
reaktion zeigen, laufen nicht Gefahr, an Paralyse zu erkranken; 
von den Syphilitikern ohne Krankheitserscheinungen geben die 
Hälfte die \V a s s e r m a n n sehe Reaktion positiv. Aus diesen 
rekrutieren sich die Tabiker und Paralytiker. Unter diesen Ge¬ 
sichtspunkten mahnt, ein positiver Ausfall bei Spätsyphilitikern 
zu- einer Behandlung und zu dauernder Kontrolle, ob das Virus 
noch aktiv ist. Auf diese Weise wird es gelingen, die Zahl der 
Tabes und Paralyse akquirierenden Syphilitiker herabzusetzen. 

5. Eine manische Aura ist selten bei der Epilepsie. Breß- 
1 e r beobachtete 2 solcher Fälle. Obgleich die zeitliche Orientie¬ 
rung schwieriger ist, als die örtliche, kommen bei Epileptischen 
postparoxysmale Dämmerzustände vor, in denen die örtliche 
Orientierung gestört ist, die zeitliche ungestört (sehr selten!). 
Auch in zwei anderen Fällen klimakterischer depressiver Psy¬ 
chose wurde diese Umkehrung von B. gesehen. 





THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


710 


1908 


Militärmedizin. 

Referent: Generaloberarzt a. D. Dr. M. Peltzer, Steglitz. 

1. Der Feldscherer und der „Chirurgus“ von den Frieden- 
zianischen Zeiten bis zum Ende der Befreiungskriege. Von Ge¬ 
neralarzt N iebergall. Divisionsarzt der 38. Division. Dtsch. 
militärärztl. Zeitsehr., 1908, Heft 20. 

2. Behandlung des Fußschweißes mit Formol. Von Viel a. 
Aus areh. med. Beiges, 1908, Heft 4—6. Referat v. Hahn. 
Stettin. ibidem, S. 882 u. 883. 

3 Hefewund verband. Von P l a n t i e r. Areh. med. Belg.. 
1908. Referat v. Hahn, Stettin. Ibidem. 

4. Milzruptur. Splenektomie. Heilung. Von Lava 1. Aus 

le Caducee, 1908. Nr. 7 12. Ibidem. Referat v. II ah n. Stettin. 

5. Einfaches Mittel zur Entlarvung simulierter einseitiger 
•Amblyopie. Von Roche. Ibidem. 

0. Hobe Fleischtableiten. Ibidem. 11 a li n. Stettin. 

1 Wir haben wahrend einer langen Dienstzeit manches über 
die Entwicklung unseres Militärmedizinalwesens bis zu seinem 
heutigen Stande gehört und gelesen, entsinnen uns aber kaum 
eines Vortrages oder eines Buches, das uns in kurzen Zügen ein 
so anschauliches Bild aus jener Zeit gegeben hätte, von der X. 
auf Grund eines umfangreichen Quellenstudiums berichtet und 
die mit Notwendigkeit den Grund legen mußte, auf welchem wir 
heute fußen. \\ enn das Militärheilwesen der Friederizianischen 
Zeit trotz der Anstrengungen des großen Königs zu seiner He¬ 
bung seiner Aufgaben nicht gewachsen war. so lag die letzte 
Ursache einzig und allein in der damals noch bestehenden Treu 
nung der Medizin von der Chirurgie, die. von den Universitäten 
abgesehen, endgültig erst durch die an» 2. 8. 1795 unter Friedrich 
Wilhelm III. erfolgte Errichtung der medizinisch-chirurgischen 
Pepiniere, der heutigen Kaiser-Wilhelms-Akademie, beseitigt 
wurde. Feldscheer und Kompagniechirurg war nur auf dem 
Boden einer Trennung möglich, deren letzte Reste im Zivil¬ 
medizinalwesen erst viel später, 1852, fielen. Wenn sieh heute 
dieselbe Trennung wiederholt, so ist der Grund, der damals da¬ 
für geltend gemacht wurde, daß nämlich e i n Mensch nicht beide 
Gebiete beherrschen könne, zwar auch heute noch derselbe und 
dennoch ein anderer — ein Gedanke, dessen weitere Ausführung 
wohl auf der Hand liegt. 

2. Viela pinselt den Schweißfuß am 1. Tage dreimal mit 
Formollösung 1 : 3, am 2. Tage mit einer solchen 1 : 2 und am 

3. Tage mit der reinen Lösung. Bei empfindlichen Füßen fängt 
er mit Lösungen 1: 10 bis 1:30 an. Entstehen Schmerzen, so 
wird die Lösung abgewaschen und eine schwächere aufgetragen. 
Zur Sicherung des Erfolges wird alle 8 Tage einmal reines For¬ 
mol aufgepinselt. 

3. P 1 a n t i e r hat jetzt 7 Jahre lang bei jedem Grade von 
Verbrennung einen Hefeverband angelegt und dabei nie Eite¬ 
rung, üblen Geruch oder schlechte Narbenbildung gesehen. Nach 
sorgfältiger Desinfektion werden sterilisierte Gazebinden mit ge¬ 
trockneter oder frischer, mit lauem Wasser zu einer Paste ver¬ 
arbeiteten Hefe imprägniert, das Glied wird mit diesen bedeckt. 
Schon nach wenigen Minuten soll fast jeder Schmerz auf hören. 

4. Ein Soldat war zwischen zwei Wagen geraten. In der 
Bauchhöhle fanden sich zwei Liter Blut, die Milz war zerrissen. 
Blut und Milz wurden entfernt, Heilung in kurzer Zeit. Die Milz 
war eine große Malariamilz von 400 g Gewicht (normal 200). 

5. Die von Roche in den ...Ynnal. d’oculistique"*, Jan. 1908, 
angegebene Methode zur Entlarvung, der Simulation einseitiger 
Blindheit beruht darauf, daß ein Einäugiger nur im Laufe einer 
geraden Linie, welche den Hornhaufcmittelpunkt seines Sehauges 
mit einem Punkt verbindet, nicht aber seitwärts von dieser irrt. 
Man legt einen etwa 30 qcm großen weißen Papierbogen in 
Augenhöhe des zu Untersuchenden wagerecht so hin, daß ein 
Hand des Bogens die Nasenwurzel berührt, legt 25 cm von diesem 
Rande ein Brot- oder Papierkügelchen und läßt nun mit der 
Spitze eines senkrecht zur Unterlage gehaltenen Bleistiftes nach 
ihr stoßen. Wird sie getroffen, so ist binokulares Sehen vorhan¬ 
den. Ein Einäugiger stößt vor oder hinter sie, nie rechts oder 
links. Um den Zufall auszuschalten, muß der Versuch wieder¬ 
holt werden. Seit, dem Prismaverfahren von A. v. G r a e f e sind 
zahlreiche hierher gehörige Methoden angegeben, sie führen alle 
zum Ziel, wenn einseitige Amaurose simuliert, wird. Schwierig 
wird die Sache bei der häufiger simulierten Amblyopie. 

6. Die rohen Fleischt abletten von D a v i d - R a b o t in 
Courbevoie sollen ohne Antiseptikum nur mit einem Zusatz von 
Zucker und Cacao hergestellt, und unbegrenzt haltbar sein, und 
ungefähr wie eine Schokoladetablette schmecken. Trifft dies zu, 


so würden sie eine, ausgedehnte Verwendung nicht nur in der 
Armee, sondern auch für den Sport usw. finden können. Jede 
Tablette wiegt 12,5 g und soll 12,5 p frischen Fleisches ent 
sprechen. 


Biologische Therapie. 

Referent: Dr. W. Esch, Bendorf a. Rh. 

1. Neurasthenie hei Auloiiiioxikafiou. Von Dr. J. Orbi- 
I son T li o m a s. The Amerie. journ. of med. sc., April 1908. und 
i Ztschr. f. phys.-diät. Therapie, 1908, Nr. 10. 

2. Ucberernälimiig als Krankheitsursache. Von Dr. M. 
L a b b e. Trib. med., 1908, und Fortschr. d. Med.. 1908. Nr. 27. 

3. L eber die diabetische Azidose. Von Dr. J. B a e r. Ther. 
Monatshefte, 1908, Nr. 6. 

4. Ein weiterer Beitrag zur Diätregcliing etc. des Diabetes. 
Von Prof. Lenne. Ther. d. Gegenwart, 1907, Nr. 0. 

5. Uehor lakto-vegetabile Diät. Von Dr. M ö i n i e heu. 
Xorsk Mag. f. Laegevid. 1907. Nr. 4, und (ebenso wie 4) Ztschr. 
f. phys.-diät. Therapie, XL. lieft S. 

6. Zur Enuresis nocturna. Von Dr. E. X e t e r. Med. Kli¬ 
nik, 1907. Nr. 37, und Fortschr, d. Med., 1908, Nr. 29. 

7. Feber Begleiterscheinungen der chronischen Obstipation 
im Kindesalter. Von Dr. E. Net er. Mannheim. Aerztl. 
Hündisch., 1908. Nr. 44. 

Gegenüber den durchaus einseitigen, aber gemäß Rosen- 
bachs ,.Gesetz des Kontrastes“ natürlich mit großem Beifall 
aufgenommenen Ausführungen Bu rlu reau x (Bull uied. 
1908), der die Verstopfung als irrelevant und die Annahme 
der durch sie herbeigeführten Aut.oinroxikatiou für unhaltbar er¬ 
klärt, seien noch einige Arbeiten angeführt, ‘die diese neueste 
,,exakte Feststellung“ auf ihren wahren Wert zurückführen. 

1. Orbis on Thomas sieht mit Bouchard die Auto¬ 
intoxikation als eine wesentliche Quelle der Neurasthenie an. 
In sieben Fällen von starker Neurasthenie mit hereditärer Be¬ 
lastung. Angstvorstellungen etc., fand er abnorme Fäulnispro¬ 
zesse in den Eingeweiden. starke Vermehrung des Indikans 

; bei spärlicher Urinsekretion. Die eingeschlagene kausale Be¬ 
handlung war von gutem Erfolg. 

2. Die Ueberernährungstherapie (die für den denkenden 
Arzt schon a priori als schädlich wirkend feststand V wird 

I neuerdings von M. Labbe einer kritischen Prüfung unter 
, zogen. Er betont, daß sie als üble Folgen nach sieh ziehe: 
Magendruck, Magenerweiterung. Verstopfung als Folge der er¬ 
lahmenden Peristaltik, weiche, übelriechende Stühle, Hyper¬ 
trophie der Leber, Cholämie, Schlafsucht nach dem Essen. 
Schlaflosigkeit und Unruhe bei Nacht, ferner Migräne, neur- 
I asthenische Zustände etc. 

Die Kot- und Harnanalyse demonstriert die St offwechsel - 
Störungen ad oculus. 

3. Nach B a e r sind die organischen Fettsäuren nicht die 
einzigen Quellen der unverbrennlichen Säuren, wie z. B. der 
Oxybuttersäure etc., durch die 'die Azidose-Schädigung des 
diabetischen Organismus bedingt wird; vielmehr enthalten auch 
die Eiweißkörper reichlich Material, aus dem jene ent¬ 
stehen können. 

In den Fällen, wo selbst Einfuhr von 3<> 10 g Xatr. bicarb. 

den Harn weder alkalisch macht., noch die Zuokerausscheidung 
wenigstens in Proportion zur Kohlehydratzufuhr bringt, ge¬ 
lingt es, durch E i n s c h r ä n k u n g d e r E i w e i ß n a h r u n g 
neben derjenigen der Kohlehydrate schnell, alkalischen Urin 
und Absinken der Zuckerausscheidung zu erreichen. 

4. Lenne erhebt wiederholt die Forderung, daß der Dia¬ 
betiker an Eiweiß das M i n d e s t in a ß erhalten soll, mit 
dem er sein Gleichgewicht he rs teilen und behaupten kann, 
weil durchaus nicht immer das Uebermaß an Kohlehydraten. 

, sondern ebenso häufig die Eiweißnahrung schädlich wirkt. Er 
I demonstriert den entscheidenden Einfluß des Eiweißkcstmaßes 
j auf die diabetischen Erscheinungen an drei Fällen. Vergl. 
i hierzu die in Nr. 34 referierte Arbeit von K o l i s r li. (lief.) 

5. M ö i u i c h e n führt, u. a. aus, daß viele Stoffwechsel - 
i Störungen auf überreicher Eiweißzufuhr beruhen; die eiwei߬ 
bearbeitenden Organe werden überanstrengt, in den Säften häu¬ 
fen sich Spaltungsprodukte der Eiweißkost. 

Vegetarische Ernährung läßt jene Organe zur Ruhe 
kommen und befördert so die Weiterzersetzung und Aussehei- 




720 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 48 


düng der unvollkommen gespaltenen Derivate. Außer solchen 
Stoffwechselanomalien, wie Gicht etc., kann vegetarische Diät 
Gutes leisten bei plethorischen Zuständen und Fettsucht. Bei 
Arteriosklerose und Fettsucht ist u. a. auch die Herabsetzung 
der Viskosität des Blutes von Vorteil. Ferner werden diejeni¬ 
gen Nervenleiden, Haut-, Darm-, Nieren- und Blasenleiden, 
welche auf die in der Fleischnahrung enthaltenen oder durch 
sie entstehenden Purine etc. zurückzuführen sind, ebenso wie 
Diabetes, Alkoholismus etc. durch laktovegetarische Diät günstig 
beeinflußt. — Den Kausalzusammenhang zwischen übermäßiger 
Fleischzufuhr und Verstopfung haben u. a. besonders Meyer, 
Bernstadt, und II ünerfauth nachgewiesen. (Vergl. Ref. in 
der Tlierap. Rundsch., Nr. 18 und 37.) 

6. Nach Neters Untersuchungen beruht die Enuresis 
nocturna oft auf einer veränderten Harnbeschaffenheit, die 
durch Anwesenheit teils überreichlicher normaler, teils patho¬ 
logischer Substanzen bedingt ist. In 'einem Falle konnte eine 
lange Zeit erfolglos behandelte Enuresis allein durch Ver¬ 
bieten der Fleisehnahrung und Verordnung vegetabilischer Kost 
völlig geheilt werden. Dieses Regime empfiehlt sieh nament¬ 
lich bei Superazidität des Harns in Verbindung mit Natr. 
bicarb., citric. oder phosphor., 0,5—1,0 täglich vor dem Schlafen¬ 
gehen, ev. täglich 1—3 Eßlöffel Karlsbader Brunnen. 

7. Einleitend beklagt N e t e r den Umstand, daß die Schu¬ 
lung unseres klinischen Blickes heute xlurch die Bevorzugung 
gewisser neugewonnener Hilfswissenschaften nicht ohne 
Schaden für unser ärztliches Können in hohem Maße beeinbräch- 
tigt werde. 

So sei auch die ungenügende Wertschätzung, die heute der 
Bedeutung der chronischen Obstipation, besonders des Ivindes- 
alters, zu teil wird, nur darauf zurückzuführen, daß wir nicht 
mehr so gut und so gründlich zu beobachten gewohnt seien wie 
früher, und darum den Zusammenhang jenes Leidens mit so vielen 
anderen Affcktionen nicht mehr so erkennen und würdigen, wie 
die früheren Aerzte. 

Die Bahnen, über die die Wirkung der Obstipation auf andere 
Organe vermittelt wird, sind wohl verschieden, bald hämatogener, 
bald nervöser (reflektorischer) Natur, auch andere Wege können 
eingeschlagen werden; so gibt z. B. die Beobachtung Neters, 
daß ein bei einem 3 jährigen Mädchen mit chronischer Obstipation 
bestehender Fluor albus gleichzeitig mit jener gehoben wurde, 
zu der Frage Veranlassung, o b nicht au c h der bei 
anämischen und cliloro tischen M ädchen o f t 
bestehende Fluor ebenso Folge der Obsti¬ 
pation sein könne wie die B 1 u t v e r ä n d e r u n g 
s e 1 b * 1 (vgl. hierzu die einschlägigen Beobachtungen von 
(I rawitz, der schwere Anämien durch vegetarische Diät zur 
Heilung brachte, lief.). 

Aelmlich ist. auch eine mangelhafte Entwickelung, Appetit¬ 
losigkeit, Magerkeit, Anämie (bezw. Dysämie), die man oft bei 
einseitig mit „kräftiger K o s 1 '* e r n ä h r t e u 
K i nder n gleichzeitig mit Obstipation beobachtet, darauf 
zurückzuführen, daß die Ausnutzung der Nahrung im Intestinal- 
trakt mehr oder weniger beeinträchtigt ist und daß infolge der 
stagnierenden Fäkalmassen abnorme Zersetzungsvorgänge und 
Verdauungsstörungen auftreten, weiterhin noch Autoin- 
to xikation, die das Blut selbst oder die blutbildenden 
Organe schädigt. Wenn auch die einschlägigen 
T o x i n e größtenteils noch nicht genauer be¬ 
kannt sind, so können wir doch der Vorstel¬ 
lung von der Resorption solcher Stoffe nicht 
e n t r a t e n . besonders in den Fällen, w o w i r u n s 
d i e W irkung der Koprostase au f e n t f e r n t. g e - 

I e g e n e 0 r g a n e f a s t n u r a u f h am a t o g e n e m W ege 
e r k 1 ä r e n k önnen. wie das namentlich bei manchen 

II an 11 e i d e n der Fall ist. Leider wurde nach Vorgang von 
Hebra der Zusammenhang zwischen HautafFektiorien und Ver¬ 
dauungsvorgängen bisher allzusehr vernachlässigt. Das zeigt sieh 
in erster Linie bei den verschiedenen Urticariaformen, besonders 
der Urticaria chronica, Lichen urtieatus oder Strophulus, ferner 
bei einer Reihe von Ekzemfällen etc. 

Weiterhin bestellt ein Zusammenhang zwischen den Ver¬ 
dauungsvorgängen und gewissen nervösen Prozessen, von der 
einfachen Unruhe beginnend bis zu den schwersten eklamptischen 
Zuständen. Kopfschmerz, Pavor nocturnus, Neurasthenie können 
nicht nur bei neuropathisch belasteten Kindern durch Obstipation 
ausgelöst werden, sondern auch primär durch chronische Auto- 
intoxik&lioji entstehen. 


Zu warnen ist vor dem beliebten „Viel Milch trinken“ bei 
anämischen Kindern, da die Milch vielfach verstopfend wirkt und 
so die Obstipation mit ihren Folgen noch erhöht. 


Varia. 

Heber Bergabsteigen (Absteigekur). Von Dr. F. Ben¬ 
derski, Kiew. Ztsclir. f. phys.-diät. Ther., XI. Heft 8. 

Während bei Neigung zu Appendizitis, rasch entzündlichen 
Prozessen im Leibe überhaupt, bei Gastro-, Euteroptose, Des- 
census der weiblichen Sexualorgane, Magen-, Darmgeschwüren, 
Hernien etc. die Erschütterung beim Absteigen zu meiden 
ist, könnte sie da, wo die Bauchorgane geübt (und die Brust- 
organe geschont) werden sollen, als gutes mechanotherapeuti¬ 
sches Mittel verwandt werden (besonders in den Kurplätzen, 
wo man Steigerung der Peristaltik erstrebt: Marienbad, Ivissin- 
gen. Tarasp etc.). Derartige Patienten, die ihre Brustorgane 
schonen müssen, würden die Treppe mit dem Lift, den Berg 
zu V agen „nehmen“, um alsdann die Absteigekur anzutreten. 

Die ersterwähnten Patienten könnten nötigenfalls, bei In¬ 
dikation zur Uebung der Brustorgane, umgekehrt eine „reine 
Steigekur“ durchmachen. 

Ueber den Einfluß COs-haltigei* Bäder auf den Blutdruck 

Nierenkranker. Von H ii r t e r, Assistent an der Akademie f. 
prakt. Medizin zu Cöln (Abt. M a 11 h e s). Ztschr. f. phys.-diät. 
Therapie, XII, Heft 7. 

Hürter kommt zu dem Ergebnis, daß man bei Nieren¬ 
kranken durch fortgesetzte COs-Bäder eine dauernde nen¬ 
nenswerte Abnahme des pathologisch gesteigerten Druckes uicht 
erzielen könne, daß aber auch keine Steigerung erheblichen 
Grades durch sie zu befürchten sei. 

Ueber die Wirkung der Sauerst off Inidcr. Von Dr. T o r n a i, 
Ass. d. II. med. Klinik zu Budapest (Ketly). Ibidem. 

Die OOa-Bäder haben gewisse Nachteile (nicht ganz zu ver¬ 
meidende Einatmung des Gases, Reizsymptome infolge ungleich¬ 
mäßiger Entwicklung derselben etc.), die den Sauerstoffbädern 
abgehen. Letztere wirken jenen analog durch den Reiz der 
sich entwickelnden Gasbläschen auf die Hautnerven und re¬ 
flektorische Beeinflussung der IIerzarbeit., nach W i n t e r n i t z 
besonders durch die rhythmische Kontraktion der Hautmus¬ 
keln, „Pulsation des II u tehins o n scheu Hautherzens“. Er¬ 
folge wurden berichtet bei Ilypertension der Blutgefäße, organi¬ 
schem und nervösem Herzleiden. Aortenkrankheiten, Arterio¬ 
sklerose. Nierenleiden, Neurasthenie, Schlaflosigkeit, Kopf- 
drück etc. 

Subjektiv wirkten sie bei T.’s Patienten beruhigend, schlaf- 
machend, appetitanregend. Objektiv fand er Abnahme des Blut¬ 
druckes, die bis zu. zwei Stunden anhielt, Sinken und Rhyth¬ 
mischwerden des Pulses. Einfluß auf die Atmung war nur 
insofern festzustellen, als dyspepsisehe Beschwerden und Zya¬ 
noseerscheinungen verschwanden. 

Zur liydria tischen und diätetischen Behandlung der Cholera. 

Von Prof. Dr. W. Wintern i t z. Bl. f. klin. Hydrother., 190S, 
Nr. 9. 

Winternitz tritt nochmals energisch für die Kaltwasser¬ 
behandlung der Cholera ein. Sie wurde bereits in Nr. 2 der 
„Ther, Rundsch.“ nach den Ausführungen von W.’s Schüler 
Sadgei beschrieben. Hier sei nur nochmals daran erinnert, 
daß sie in kräftigen, kalten Abreibungen, Sitzbädern und Leib¬ 
binden besteht, wodurch eine arterielle Fluxion zum Hautorgan 
hervorgerufen wird, die die k o p i ö s e Transsudation des 
Blutwass e r s aus den toxisch gelähmten Darmgefäßen und 
die so entstehende W a sserverar m u n g des Körpers zum 
Auf hören bringt. 

Der letzteren ist nach W. der größte Teil des Symptomen- 
komplexes der Cholera zuzuschreiben. Die durch obige Behand¬ 
lung erzielte arterielle Fluxion, die Steigerung der Herzkraft, 
des Gefäß- und Gewebstonus, die Erhöhung des Blutdrucks 
stellen die gestörte Zirkulation wieder her, während man das 
durch heiße Prozeduren, subkutane Infusionen etc. nicht er¬ 
reichen kann. 

W. weist außerdem noch auf den Umstand hin, daß es bei 
der heftigen Hamburger Epidemie trotz der Flucht, von Hun- 
derttausenden, die den Keim wohl über ganz Europa verstreu¬ 
ten, zu keiner Verbreitung der Krankheit gekommen sei. Es sei 





1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


721 


also offenbar neben dem Infektionskeim noch ein Zweites er¬ 
forderlich, um die Krankheit hervorzurufen. 

Der Schutz des Magens gegen die SelbslVerdaimng, nebst 
einein \ orschlng zur Hehnndliing des I leus ventrieuli. Von Dr. 

M. K a t u 1 n s t e i n, Berlin. Berliuer klin. Woebensehr.. 1908, 
Nr. 39. 

Die Versuche Katzensteins ergaben, daß die lebende 
Zelle als solche dem natürlichen Magensafte im eigenen Magen 
nicht widerstehen kann (lebendes Gewebe, das Tieren in den 
Magen gebracht wurde, fiel der Verdauung anheim ). Dagegen 
zeigten andere Versuche, daß die den Magensaft produzieren¬ 
den bezw. dauernd von ihm umspülten Gewebe nicht von ihm 
angegriffen werden; ferner, daß auch die lote Magenschleim¬ 
haut einen Stoff enthalten muß, der. der peptischen Wirkung 
des Magensaftes zu widerstehen vermag. in der Annahme, 
daß dieses „Antipepsin“ beim Magengeschwür in zu geringer 
Menge vorhanden sei, hat K. eine entsprechende organthera- 
peutische Behandlung mit gutem Erfolge angewandt. Esch. 


Mitteilungen über Arzneimittel, 

Ein Beitrag zur Therapie der Rachitis. 

Von Dr. med. A. Schärft, Magdeburg. 

Der herannahende Winter stellt den Arzt wieder von 
neuem vor die Aufgabe, sich mit der Behandlung der 
Rachitis zu befassen. Es ist ja eine bekannte Tatsache, 
daß die Mehrzahl der Rachitisfälle in der kalten Jahres¬ 
zeit anfängt. So beobachtete z. B. Adam (Beiträge zur 
Rachitis, Diss., Göttingen 1901), daß von 103 Fällen 85 
in den kalten Spätherbst- und Wintermonaten anfingen, 
während in den Sommermonaten nur wenige Fälle zur 
Behandlung kamen. Es liegt dies offenbar an dem günstigen 
Einfluß, den Sonnenlicht und Aufenthalt in frischer Luft 
auf die körperliche Entwicklung* des Kindes im allgemeinen 
und besonders auch auf den Knochenbau haben. Für 
den Arzt ergibt sich daraus die Forderung, alle Kinder, 
besonders aber die rachitischen, möglichst viel an die 
Irische luilt. bringen zu lassen, vor allem, wenn sie dabei 
zugleich Sonnenschein genießen können. Eine zweite eben¬ 
so wichtige Rolle spielt die Ernährung der Kinder. Die Tat¬ 
sache ist ja schon wiederholt festgestellt worden, daß Rachi- 
lis selten bei Brustkindern, häufig bei künstlich ernährten 
Kindern beobachtet wird. Dabei ist es weniger eine zu* 
mangelhafte Ernährung, welche die Rachitis hervorruft, 
denn die Rachitis findet sich sogar häufig bei zu gut ge¬ 
nährten, überfütterten Kindern, als vielmehr eine Einseitig¬ 
keit der Ernährung, besonders eine zu lange Zeit hindurch 
fortgesetzte einseitige Milchfütterung. Aus diesem Grunde 
ist bei der Behandlung der Rachitis künstlich ernährter 
Kinder zu reichlicher Milchgenuß zu verbieten und ge¬ 
mischte Kost zu empfehlen. Daß dabei vor Kartoffelfütte 
rung zu warnen ist, braucht eigentlich wohl kaum be¬ 
sonders hervorgehoben zu werden. Der schädliche Ein¬ 
fluß der Kartoffelfütterung liegt wohl daran, daß Kartoffeln 
viel Kaliumsalze enthalten, die nach den Untersuchungen 
S i f 1 l e r s (Vergleichend-therapeutische Versuche bei Rachi¬ 
tis, Münch, med. Wochenschr. 1907, Nr. 29) geradezu er¬ 
weichend auf die Knochen wirken. Bei Brustkindern tritt, 
auch wenn sie lange Zeit gestillt werden, weniger leicht 
Rachitis ein. Nach Dibbelt (Die Pathogenese der Rachi¬ 
tis, Münch, med. Wochenschr., 1908, Nr. 37) liegt dies daran, 
daß die Frauenmilch zwar weniger Kalksalze enthält, wie 
Kuhmilch, daß aber die Ausnützung eine weit bessere ist. 
Außerdem läßt sich der Kalkgehalt der Frauenmilch durch 
kalkreiche Nahrung, besonders Kuhmilch erhöhen. Nach 
meinen Erfahrungen ist es aber auch bei Brustkindern 
zweckmäßig, schon frühzeitig neben der Muttermilch ge¬ 
mischte Kost geben zu lassen. Jedenfalls läßt sich dadurch 


der Rachitis, die ja oft erst nach dem Entwöhnen eintritt, 
Vorbeugen. 

Mil den allgemeinen hygienischen und diätetischen Vor¬ 
schriften werden wir aber nur in den leichten Fällen be¬ 
ginnender Rachitis auskommen. Diese bekommen wir aber 
leider nur selten zu sehen, meistens werden uns schon 
länger bestehende, schwerere Fälle zur Untersuchung und 
Behandlung gebracht, ln allen diesen Fällen läßt, sich ein 
günstiger Erfolg nur erzielen, wenn neben der physikalisch- 
diätetischen auch die medikamentöse Behandlung zur An- 
J Wendung kommt. Am idealsten wäre es nun natürlich, 

I wenn wir die Rachitis kausal behandeln könnten, aber das 
I ist ja ohne Zweifel leider bisher nicht möglich, da wir 
| wohl wissen, daß die Rachitis auf einer Störung des Kalk¬ 
stoffwechsels beruht, aber nicht, wie diese Stoffwechsel¬ 
störurig zustande kommt. Darum sind auch alle Versuche 
einer sogenannten kausalen Behandlung gescheitert, und 
man ist immer wieder zur symptomatischen Behandlung 
zurückgekehrt. Es würde mich hier zu weit führen, wenn 
ich alle Mittel, die gegen Rachitis empfohlen sind, liier be¬ 
sprechen wollte: Nur das will ich hervorheben, daß von 
allen Mitteln am meisten der Phosphorlebertran, der zuersl 
von Kassowitz vor fast 25 Jahren in die Therapie ein¬ 
geführt wurde, eine günstige Wirkung gezeigt hat. Seine 
Verordnung ist aber nicht ganz unbedenklich, da er auch 
in dem von Kassowitz angegebenen und heute noch 
meistens verordneten Verhältnis von 0,01 Phosphor : 100,0 
Lebertran giftig wirken kann. Ist doch schon nach Ein¬ 
nehmen von 6 Teelöffel voll (innerhalb 3 Tage) von diesem 
Phosphorlebertran eine Vergiftung beobachtet worden, die 
nach weiteren 4 Tagen zum Exitus führte. (Franko: 
Akute Vergiftung nach Phosphorlebertran. Diss., Halb' 
1901. ) Der Phosphorlebertran hat ferner den Nachteil, sehr 
schlecht zu riechen und zu schmecken und daher nur un¬ 
gern genommen und oft schlecht vertragen zu werden. Im 
Sommer wird er leicht ranzig und ist dann überhaupt nicht 
zu gebrauchen. Man hat daher schon wiederholt versucht, 
Ersatzmittel zu finden, von denen aber nach den Unter¬ 
suchungen Sittlers (a. a. ().) nur die Präparate der 
Au dein säure, besonders Natr, nuclein. 0,2 0,3 kombi 

niert mit Natr. glvcerino. phosphor. 0,1 0,25 oder Natr. 

nuclein. 0,1 und Calc. glycerino-phosphor. 0,05 eine gute 
Wirkung zu haben schienen. 

Ich habe nun im letzten halben Jahr Gelegenheit ge¬ 
habt, ein neues Präparat zu versuchen, welches ebenfalls 
diese wirksamen Stoffe, nämlich Nucleine und Lezithin 
(Glyzerinphosphorsäure), also den Phosphor in organischer 
Bindung enthält, ferner aber Lebertran in einer leicht ver¬ 
daulichen und resorbierbaren Form. Dieses Mittel 
ist das Rachisan, das von der chemischen 

Fabrik von Dr. Degen u. Kuth, Düren i. Rh., her- 
gestellt wird. Die genaue .Zusammensetzung des Mittels 
ist in der Arbeit von Lungwitz in der ..Therapie der 
Gegenwart“, März 1908, beschrieben worden. Ich will hier 
! nur erwähnen, daß das Rachisan außer Lebertran, Nuclein 
und Lezithin noch Eisen und Jod enthält, wodurch die 
Anämie und der Lymphatismus der rhachitisehen Kinder 
günstig beeinflußt werden soll. 

Bei dieser Zusammensetzung des Rachisans ließ sich 
von vornherein erwarten, daß damit gute Erfolge zu er¬ 
reichen wären, und meine Beobachtungen haben denn auch 
diese Erwartung bestätigt. So fand ich in allen Fällen 
eine ziemlich beträchtliche Zunahme des Körpergewichts, 
z. B. in Fall I nach 4 Wochen 1 kg, nach 8 Wochen 2 kg, 
nach 4 Monaten 3,5 kg, Fall II nach 5 Monaten 3,25 kg! 
Fall IV nach 3 Monaten 2,5 kg, Fall V nach 3 Monaten 
kg, Fall Y I nach 8 \\ oclien l,o kg. In den übrigen 
! Fällen waren genaue Wägungen von den Eltern unterlassen 
; worden, doch gaben die Eltern an, daß die Kinder sehr 
! zugenommen hätten. Die vorher blassen Wangen röteten 
j sich, nur bei zwei Kindern fand, sich trotz sonstiger Besse- 








722 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 48 


rmig noch blasse Gesichtsfarbe. Die Schweiße nahmen 
zunächst ab, um später ganz zu verschwinden; nur ein 
Kind halte auch später noch eine leichte Neigung zum 
Schwitzen. Die Drüsenschwellungen wurden geringer, wenn 
sie auch nicht ganz verschwanden. Der Stuhlgang wurde 
regelmäßig, ln den Fällen, wo vorher hartnäckige Obsti¬ 
pation bestand, die häufiger Gebrauch von Abführmitteln 
erforderte, waren nach Anwendung von Rachisan solche 
nicht mehr nötig. Die Dentition ging leichter vor sich, bei 
drei Kindern, die hei Beginn der Behandlung überhaupt 
noch keinen Zahn hatten, kamen während der Behandlung 
2, bezw. 8, bezw. 8 Zähne zum Durchbruch,, ebenso brachen 
bei den Kindern, die schon einige Zähne, aber schwer 
vorher bekommen hatten, nach Verabfolgung von Rachisan 
mehrere neue Zähne leicht durch. Nur hei einem Kinde 
mit sehr schwerer Rachitis, das jetzt V) Monate alt ist und 
seit 3 Monaten Kachisan bekommt., hat sich Ins jetzt noch 
kein Zahn gezeigt. Dieses Kind macht auch noch keine 
Anstalten zu stehen oder zu gehen, während bei allen übrigen 
vermerkt ist, daß sie anfangen zu stehen und zu gehen. 
Die Kinder, die schon vor Beginn der Behandlung stehen 
und gehen konnten, aber leicht dabei ermüdeten, konnten 
nach kurzer Zeit spielen und umherlaufen, ohne immer 
gleich danach zu verlangen, getragen zu werden, ln drei 
Fällen von ausgesprochener Craniotabes waren nach Ge¬ 
brauch weniger Flaschen die Knochen des Hinterkoptes 
fest geworden. Regelmäßig konnte beobachtet werden, daß 
der vorher unruhige Schlaf ruhiger wurde und nächtliches 
Aufschrecken unterblieb. In vier Fällen, bei denen vorher 
wiederholt Krämpfe aufgetreten waren, blieben diese fort. 
Vertragen wurde das Mittel gut, die meisten Kinder nahmen 
es sogar gern. Nur bei einem Kinde gelang es nicht, die 
Verordnung von Kachisan durchzusetzen, weil dieses Kind, 
wie die Eltern angaben, jedesmal Erbrechen bekam. Vorher 
hatte es Scotts Emulsion bekommen und angeblich auch 
danach regelmäßig erbrochen. Ich glaube allerdings, daß 
die Ellern aus einem anderen Grunde das Rachisan nicht 
weiter gaben. Wie ich nämlich später erfahren habe, haben 
sic hinter meinem Rücken einen homöopathischen Arzt 
konsultiert und dessen Mittel gegeben. Ich möchte hier 
nebenbei bemerken, daß das Kind dieser homöopathischen 
Behandlung seine völlige Erblindung zu verdanken hat. Das 
Kind bekam nämlich infolge von Krämpfen beiderseits 
Katarakt. Der auf meinen Rat zugezogene Augenarzt riet, 
sobald der Star reif war, zur Operation. Stall dessen ver¬ 
suchten es die Eltern, auf Rat des homöopathischen Arztes, 
abzuwarten und homöopathische Mittelchen zu geben. Als 
das Kind dann endlich nach mehreren Monaten wieder zum 
Augenarzt kam, mußte dieser, wie er mir kürzlich mitteilte, 
feststellen, daß nun die zentrale Sehschärfe verloren ge¬ 
gangen war. Aligesehen von diesem einen Fall wurde das 
Kachisan stets gern genommen. Ich habe es von den 
meisten Kindern den ganzen Sommer hindurch nehmen 
lassen, nur in zwei Fällen mußte es vorübergehend ausge¬ 
setzt. werden, als die Kinder die übliche Sommerdiarrhoe 
bekamen. Erwähnen muß ich noch, daß eines der mit. 
Kachisan behandelten Kinder gestorben ist. Es handelt 
sich um ein 1 Jahr altes uneheliches Kind, das nicht nur 
schwerste Rachitis, sondern auch noch Skrofulöse und 
hereditäre Syphilis (Knochenauftreibung am linken Hume¬ 
rus, multiple Knochenabszesse) hatte und bisher einseitig 
mit Milch und Breien ernährt worden war. Nacht achtwöchi¬ 
ger Behandlung mit Rachisan war eine erhebliche Besse¬ 
rung aller Symptome eingetreten, cla erkrankte das Kind 
in den heißen Augusttagen an Brechdurchfall, dem der 
schwache Körper in Zeit von nicht ganz 2 Tagen erlag. 
Gegen derartige interkurrente Erkrankungen kann selbstver¬ 
ständlich das Kachisan auch nicht schützen. 

Ich habe das Rachisan zunächst nur bei Kindern in 
den ersten beiden Lebensjahren verordnet, und zwar in 
10 Fällen, die ich bereits mehrere Monate lang beobachten 


konnte. In den letzten Wochen habe ich es aber auch hei 
älteren Kindern, besonders solchen mil rachitischen 
Knochen Verkrümmungen (Kyphoskoliose, Genu valgurn, Fes 
valgus usw.) angewendet, doch kann ich über die Erfolge 
noch nicht berichten, da die Beobachtungszeit noch zu kurz 
ist. Auch die Zahl der übrigen bisher behandelten Fälle 
ist ja verhältnismäßig eine kleine, was sich aber dadurch 
erklärt, daß ja in den Sommermonaten immer nur wenige 
Rachitisfälle zur Behandlung kommen und daß ich nur 
schwere Fälle für die Rachisanhehandlung auswählte, wo¬ 
bei ich noch erwähnen muß, daß in allen Fällen (da es 
sich ja um Versuche handelte] die bisherige Ernährung, 
auch wenn sie unzweckmäßig war, beibehalten wurde. 
Wenn ich trotzdem schon jetzt über meine Erfahrungen mit 
Rachisan berichte, so geschieht dies deswegen, weil oben 
jetzt die Rachitissaison vor der Tür steht und es mir 
darum wünschenswert erschien, die Herren Kollegen gerade 
jetzt auf ein brauchbares Mittel gegen die Rachitis auf¬ 
merksam zu machen. Ich setze jedoch inzwischen meine 
Versuche mit Rachisan fort und hoffe, im nächsten Jahre 
ausführlich über eine größere Zahl damit behandelter Fälle 
berichten zu können. 

Nachtrag bei der Korrektur: Auch bei 
den seit Anfang September wegen rachitischen Knochen 
Verkrümmungen behandelten Kindern konnte bei den regel¬ 
mäßigen Nachuntersuchungen eine günstige Wirkung des 
Rachisans festgestellt werden. Meinem eigenen 4 jährigen 
Jungen habe ich seit etwa drei Wochen Rachisan gegeben, 
das er gern nimmt, und gut verträgt. Ebenso war die 
Wirkung auf Appetit und Stuhlgang eine gute. 


Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger. Magdeburg. 

1. Geber Isopralordination bei Herzkranken. Von Dr. 

Peters. Deutsche med. Wochenschr., 1908. Nr. 44. 

2. Coffeinfreier Kaffee. Von Dr. W. U a b e n h o r s t und 
Xahrungsmittelchemiker V a r g e s. 

3. Geber Guajakol - Perdynainin. Von Dr. H. B 1 o e h 
Sonderabdr., Prag, Med. Wochenschr., 1908, Nr. 25. 

1. Wer die Literatur über Isopral, das in letzter Zeit viel 
genannte Schlafmittel, aufmerksam verfolgt hat, dein wird es 
nicht entgangen sein, daß die Ansichten über die Wirkung dieses 
Hypn-ctikums auf das Herz sehr auseinandergehen. Während 
die einen Dyspnoe, Schwindel, arhythmischen Puls usw. bei Herz 
kranken beobachteten, fanden andere Autoren, daß das Isopral 
inline jede Nebenwirkung auf das Herz war, ja sogar, daß es eine 
„digitalisähnliche Wirkung" ausübe. Aus einigen Beobachtun¬ 
gen von Dr. Peters über die Wirkung des lsoprals bei Herz¬ 
neurose, Aortenstenose, Koronarsklerose. Mitralinsuffizienz usw. 
geht hervor, daß Isopral in therapeutischen Gaben weder den 
Herzmuskel noch den Klappehapparat, weder die Herznerven 
noch das Gefäßsystem oder den Blutdruck ungünstig beeinflußt. 
1\ beobachtete prompten, schmerzstillenden und beruhigenden 
Ei folg. Wegen seiner von Nebenwirkungen freien Eigenschaft 
hält P. das Isopral „für ein allen Anforderungen in durchaus 
befriedigender Weise gerecht werdendes Hypuotikum“. 

2. LTm die Frage zu entscheiden, ob der coffeinfreie Kaffee 
der Aktiengesellschaft Bremen fremde chemische Bestandteile, 
insbesondere Ammoniak, Benzol, Salzsäure, Schwefelsäure ent¬ 
hält, haben Dr. W. Raben borst und der Nahrungsmittel - 
Chemiker V arg es fVPfund- Originalpakete des „(’offeinfreien 
Kaffees Hag“, Marke Rettungsring, aus drei verschiedenen Ge¬ 
schäften entnommen und untersucht. Sie fanden, daß der Kaffee 
einen reinen angenehmen Kaffeegesehmaek hatte. Er enthielt 
0,13% Coffein. Alle drei Proben waren von künstlichen Kaffee¬ 
holmen frei und frei von künstlicher Färbung. Die Bohnen 
waren gleichmäßig geröstet, von schöner, brauner Farbe und 
von angenehmem, aromatischem Geruch. Die chemische Unter¬ 
suchung ergab das Resultat, daß die Werte denen eines reinen 
normalen Kaffees entsprechen. Fremde chemische Bestandteile 
waren nicht nachweisbar, ebensowenig ein anormaler Gehalt der 
im reinen Kaffee vorhandenen Bestandteile, was Benzol, Ammo¬ 
niak. Aetzalkalien, Phosphorsäure. Salzsäure und Schwefelsäure 
betrifft.. 






1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


723 


3. Dr. Hl och referiert in einem kurzen Artikel über seine 
Erfahrungen mit Guajakol-Perdynamin. Dasselbe ist eine Kom¬ 
bination von Cuajakol mit Perdynamin, welches besonders in 
seiner Zusaniensetzung mit Lezithin bekannt ist und bei Rachitis, 
Skrophulose, Schwächezuständen gern verwendet wird. Das Per¬ 
dynamin ist ein reines Hünioglobinpräparat, eine dunkle, wohl¬ 
schmeckende likörartige Flüssigkeit, die gern genommen und gut 
vertragen wird, ln der Kombination mit Perdynamin ver¬ 
schwindet der Geschmack des Guajakols fast vollständig, so dal! 
das Präparat anstandslos genommen, auch bei wochenlangem Ge¬ 
brauch gut vertragen, niemals erbrochen wurde. Bei einer Reihe 
verschiedener Lungenerkrankungen sah H 1 o c* h gute Erfolge. 
Er wandte das Guajakol-Perdynamin derart an, daß er Kindern 
bis zu 10 Jahren 2 oder 3 Kaffeelöffel in Milch oder Wein, Er¬ 
wachsenen ebensoviele Eßlöffel verordnete. Er hebt besonders 
den appetitanregenden Einfluß des Mittels hervor und empfiehlt 
es den Kollegen zur Nachprüfung. Das Präparat wird von 
II. Ha r k o w s k i . Berlin O. 27. Alexanderst r. 22, in den Handel 
gebrach t. 


Neuerschieuene Arzneiinittel. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

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(leichtlösliches Veronal). 

Natriumsalz der Diaethylbärbit.ursäure. 

Eigenschaften: Das Veronal-Natrium ist in Wasser 
sehr leicht löslich (1 : 5), auch in kaltem Wasser. 

1 n d i k a t i o neu: wie die des Yeronale. 

P h a rmakologisches: Nach den Untersuchungen 
von S t e i n i t z und W i n t e r n i t z wirkt das Natriurasalz 
der Diät hylbarbitursäure schneller, als diese allein. Ueber die 
Gründe habe ich erst kürzlich an dieser Stelle berichtet. Da das 
Präparat sich leicht in Wasser löst, ist auch die rektale An¬ 
wendung möglich. Diese wird besonders in physiologischer 
Kochsalzlösung sehr gut vertragen. 

1) o s i e r u n g n n d D a r r e i c h u n g: Veronal-Natrium 
wird in Pulverform, in Lösung oder in Tabletten zu 0,5 g an 
gewendet. Die Tabletten haben einen Zusatz von Kakao, um 
den schlechten Geschmack zu verdecken. 

R e z c p t f o r in ein: 

Rp. Veronal-Natr. . 0,3—0.5 

D. tal. dos. No. X. 

S. 1 Pulver in Zuckerwasser z. n. 


Veronal-Natr. . 


0,5 

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\ chlorat. . 


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Fabrik: E. M e r e k . Darmstadt, und Farbenfabriken 
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Technische Neuerscheinungen, 

Ein neuer elastischer Darmschließer. 

Von Dr Solaro. Mailand. 

Derselbe hat im allgemeinen dieselbe Form und Größe, 
wie die allgemein üblichen, gekrümmten aus Metall, nur 
ist eint 1 der beiden Zungen breit gehalten und fensterartig 
durchlöchert und weist in der Milte eine Fuge auf, in die 
die zweite schmale Zunge beim Schließen eingreift und über 
die Oberfläche der ersteren durchgreilt. Die gefensterte 
Zunge wird mit einem an der Spitze geschlossenen Gummi- 

Nicht veröffentlicht werden die in großer Zahl eingelaufenen 
medicinischen Gutachten über Fucol. so günstig sie auch immerliuiteu 
mögen. Ein Versuch überzeugt besser als tausend Anpreisungen. An 
Stelle des unappetitlichen Lebertrans verordne man eine (>rig.-Flasche 
ä 1 2 Liter Fucol ä Mk. 2.—. 

General-Vertrieb: Karl Fr. Töllner, Bremen. 

Verantwortlicher Redakteur: Dr. H. Lungwitz, Berlin Ss. 

Druck von Carl Marschner 


schlauch überzogen. Das Darmstück bleibt so doppelt ge- 
, schlossen 1. durch Eingreifen der schmalen Zange in die 
| gefensterte bis über deren innere Oberfläche und die so 
erfolgte Knickung und entsprechende Unterbrechung in der 
Kontinuität des Darmlumens; 2. durch den leichten, aber 
elastischen Druck, der auf die Darmwand nicht im ge¬ 
ringsten quetschend einzuwirken vermag. 

M. Plien, Berlin. 


Biicherbesprechungen. 

Gesundheitspflege des Geistes. Von Prof. Clouston. Mit 
\ orw-ort und Anmerkungen von Prof. A u g. F o r e 1. München 
1908, Ernst Reinhardt sehe Verlagsbuchhandlung. 

Das Buch verfolgt den praktischen Zweck, einige der be¬ 
kannten, als sicher angenommenen Tatsachen aus dem Gebiete 
I der Anatomie und Physiologie des Gehirnes in eine volkstümliche 
Sprache zu fassen, und die Folgerungen aus diesen Tatsachen 
in bezug auf geistige Besserung durch physiologische, psycholo¬ 
gische und medizinische Begriffe und Anschauungen auszudehnen. 
Hierzu hat F o r e 1 in Form von Anmerkungen teils erläuternde, 
teils berichtigende Anmerkungen gegeben. Das 17. Kapitel: Der 
Alkohol und andere narkotische Genußmittel in ihrem Verhältnis 
zur Hygiene des Geistes hat F o r e 1 selbst geschrieben. — In 
19 Kapiteln wird dem Laienpublikum der Bau und die Verrich¬ 
tungen des Gehirns in ihrer Verbindung mit der Seelenkunde 
klargelegt, und daraus leitet der Verfasser die Regeln zu einer 
gesunden Hygiene des Geistes ab. Als echter Engländer geht der 
Verfasser durchaus praktisch vor. Als alter Praktiker gibt er 
uns die Regeln, nach denen er selbst seine Lebensführung ge¬ 
staltet hat. Besonders interessant ist das 10. bis 15. Kapitel: 
Die Kindheit von der Geburt bis zum 7. Jahre, Knaben- und 
Mädchenalter zwischen 7 und 15 Jahren, Jugend zwischen 15 und 
25 Jahren etc., in denen er die geistigen Fälligkeiten der ver¬ 
schiedenen Lebensalter schildert und dementsprechend Regeln zur 
Gesundheitspflege des Geistes gibt. Verfasser hat die verschiede¬ 
nen Abschnitte des menchlichen Lebens psychologisch sehr scharf 
beobachtet und sehr eingehend und richtig beschrieben. Alles in 
allem: es ist ein Buch, dessen Kapitel ein jeder Gebildete mil 
großem Interesse und hohem Genuß lesen wird. 

v. Ii u t. k o w s k i, Berlin. 


Allgemeines. 


Bekanntmachung. 

Die Diphtherie-IIeilsera mit den Kontrolinummern 878—891 
aus den Höchster Farbwerken, 118, 121—125 aus der Merck- 
sehen 1 abrik in Darmstadt, 101 107 aus dem Serumlaboratorium 

,,Ruete EnociT* in Hamburg sind, soweit sie nicht bereits früher 
wegen Abschwäehung etc. eingezogen sind, vom 1. Oktober d. J. 
ab wegen Ablaufs der staatlichen Gewährdauer zur Einziehung 
bestimmt. 

Desgleichen ist das Liphtherie-lleilsenim mit der KontroÜ- 
nummer aus der M e r e k sehen Fabrik in Darmstadt wegen Ab 
Schwächung zur Einziehung bestimmt. 

Flaschen mit diesen Kontrolinummern dürfen hinfort nicht 
mehr in den Apotheken abgegeben werden und können nach der 
Vereinbarung mit den betreffenden Laboratorien bei kostenfreier 
Einsendung kostenlos gegen einwandfreies Serum eingetauseht 
werden. 

Berlin, den 22. Oktober 1908. 

Der Polizeipräsident. 

I. A.: Rebling. 


xÜF isfdas allein echfe Karlsbader IkZiUj 

Vor Nachahmungen und Fälschungen wird gewarnl. 


— Verlag: Gustav EUrke Zeitschriftenverlag, Berlin W. 9. 
Buehdruckerei, Berlin SW. 13. 


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Therapeutische Rundschau 

Wochenschrift für die gesamte Therapie des praktischen Arztes. 

Herausgegeben von 

Prof. Dr. A. Albu, Berlin, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Anton, Halle a. S., Prof. Dr. P. Bergell, Berlin, Prof. Dr. A. Bickel, Berlin, Prof. Dr. L. Blum, 
reich, Berlin, Prof. Dr. H. Boruttau, Berlin, Prof Dr. E. Braatz, Königsberg, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. v. Bramann, Halle a. S., Prof. Dr. C. Bruhnst 
Berlin, Prof Dr. G. Burckhard, Würzburg. Prof. Dr. A. Dührssen, Berlin, Prof Dr. E. Enderlen, Würzburg, Prof. Dr. R. Eschweiler, Bonn, Geh. Med.-Ra, 
Prof. Dr. C. A, Ewald, Berlin, Prof. Dr. A. Frankel, Berlin, Prof. Dr. E. Friedberger, Berlin, Prof. Dr. P. Gerber. Königsberg, Reg.-Rat Prof. Dr. Jul. Glax- 
Abbazia, Prof. Dr. K. Hammer, Heidelberg, Prof. Dr. K. Helbing, Berlin, Prof. Dr. M. Henkel, Greifswald, Prof. Dr. K. Herxheimer, Frankfurt a. M., 
Prof. Dr. P. Heymann, Berlin, Prof. Dr. Ä. Hildebrandt, Berlin, Prof. Dr. K. Holzapfel, Kiel, Prof. Dr. A. Jesionek, Gießen, Prof. Dr G. Jochmann, Berlin, 
Prof. Dr. M. Koeppen, Berlin, Prof. Dr. A. Kollmann, Leipzig, Prof. Dr. J Kocks, Bonn, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. 0. Küstner, Breslau, Prof. Dr. 
H. Lenhartz, Hamburg, Prof. Dr. M. Lewandowsky, Berlin, Prof. Dr. M. Mosse, Berlin. Prof. Dr. E. Opitz, Düsseldorf, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. 
K. Partsch, Breslau, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. H. Pfannenstiel, Kiel, Prof. Dr. L. C. Rehn, Frankfurt a. M , Prof. Dr. K. Ritter, Greifswald. Prof. Dr. 
H. Rosin, Berlin, Prof. Dr. Th. Rumpf, Bonn, Prof. Dr. H. Schlange, Hannover, Prof. Dr. Ad. Schmidt, Halle a. S., Geh. Med.-Rat Prof. Dr. 
H. Schmidt-Rimpler, Halle a. S.. Prof. Dr. W. Scholtz, Königsberg i Pr, Hofrat Prof. Dr. M. Schottelius, Freiburg i. B., Prof. Dr. E. Schultze, Greifs¬ 
wald, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. H. Senator, Berlin, Prof. Dr. E Sommer, Zürich. Prof. Dr. med. et phil. R. Sommer, Gießen, Prof. Dr. G. Sultan, 
Berlin, Prof. Dr. A. Hetze, Breslau, Prof. Dr. P. G. Unna, Hamburg, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. H. Unverricht, Magdeburg, Prof. Dr. 0. Vulpius, 
Heidelberg, Prof. Dr. H. Walther, Gießen, Prof. Dr. F. Wesener, Aachen. Prof. Dr. G. Winter, Königsberg, Prof. Dr. E. Ziemke, Kiel. 
Redaktion : . Verlag und Expedition: 

Dr. med. et phil. H. Lungwitz, Berlin S. 14, Dresdenerstr 44. Gustav Ehrke Zeitschriftenverlag, Berlin W. 9, Köthenerstr. 44. 

Telephon: Amt IV, 11773. Telephon: Amt VI, 3020. 

Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte 

der Ostsee und der Medizinisch-biologischen Gesellschaft. 


II. Jahrgang. Berlin, 6. Dezember 1908. Nr. 49. 


Die „Therapeutische Rundschau“ erscheint jeden Sonntag und kostet vierteljährlich 2 M., einzelne Nummer 20 Pf. Zu beziehen durch den Verlag, sowie säintl 
Buchhandlungen und Postämter. Inserate werden für die 4 gespaltene Zeile oder deren Raum mit 50 Pf. berechnet. Beilagen nach Uebereinkunft. Reklamezeile 1,50 M. Be 

größeren Aufträgen wird Rabatt gewährt. 

Nachdruck ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. 


Inhalt. 

Mitteilungen über Arzneimittel: 

725 W. Krüger, Magdeburg: Referate.737 

W. Krüger, Magdeburg: Xeuerschienene Arzneimittel . . . 737 

727 Technische Neuerscheinungen: 

729 Behm, Berlin: Scheidenspültrichter (Ref.: M. Plien, Berlin) 738 

Bücherbesprechungen: 

730 Böhm und Oppel: Taschenbuch der Mikroskopischen Technik 

731 (Ref.: R. Oestreich, Berliu).: . . 738 

732 H. Lohnstein und Th. Lohnstein: Medizinalkalender und 

733 Rezept-Taschenbuch 1909 (Ref.: W. Krüger, Magdeburg) . . 733 

734 Aerzte und Patienten mit Röntgenstrahlen durchleuchtet (Ref.: 

734 Krüger. Magdeburg).738 

735 Allgemeines .738 

730 Berichtigung .739 


ORIGINALIEN. 

Aus der chirurg. Universitätsklinik Berlin. 

Ueber die Behandlung der Mastitis. 

Von Prof. Dr. R. Klapp. Berlin. 

Seit der Einführung des Saugverfahrens in die Be 
handlang mastitischer Prozesse sind jetzt vier Jahre ver¬ 
flossen. ln diesem Zeitraum hat man genügende praktische 
Erfahrungen mit dieser Art der Behandlung gemacht, und 
die Resultate sind in einer größeren Reihe von Arbeiten 
niedergelegt. Hauptsächlich haben sich neben den ohirur¬ 
gischen Kliniken die Frauenkliniken über die Verwertung 
der Hyperämiebehandlung geäußert. Aber auch Aerzte, die 
in der allgemeinen Praxis stehen, haben ihre Erfahrungen 
mitgeteilt. 

Es liegt, mir fern, hier im Rahmen dieser Arbeit eine 
umfangreiche Literaturübersicht zu geben und überhaupt 
auf speziellere Dinge einzugehen. Ich will vielmehr die 
Hauptfragen herausgreifen und will versuchen, ein Bild 
davon zu geben, welche Erfahrungen mit der Behandlung 
gemacht sind. 

Wer vorurteillos die neue Literatur über die Mastitis¬ 
behandlung verfolgt hat, dem kann nicht ein Gegensatz 
entgangen sein, der zwischen den Veröffentlichungen von 
chirurgischer und gynäkologischer Seite zutage tritt. Vor 
allem die letzteren scheinen hier und da mit der Saug 
behandlung der Mastitis keine durchaus günstigen Erfah¬ 


rungen gemacht, zu haben, während die Chirurgen sie fast 
ausschließlich üben und sie, wie z. B. Perthes in dem 
neu erschienenen Lehrbuch der Chirurgie von W i 1 ms und 
Wulls fein, für die beste zurzeit vorhandene Methode 
erklären. Ebenso ist aus den Kreisen der praktischen 
Aerzte eine Reihe von Veröffentlichungen hervorgegangen, 
die beweisen, daß sie diese Form der Behandlung der früher 
geübten hei weitem vorziehen. 

Diese verschiedenen Beurteilungen erklären sich wohl 
am besten aus der Verschiedenheit des Materials. Dem 
Chirurgen gehen fast, ausschließlich Fälle von eitriger 
Mastitis zu, und sie bekommen Stauungsmastitis nur selten 
zu sehen, während in der Frauenkliniken bei weitem mehr 
Stauunggmastitiden Vorkommen, da ja die Patientinnen nach 
der Geburt, nur etwa vierzehn Tage in der Klinik behalten 
werden. Daß diese Annahme richtig ist, geht aus der Lite¬ 
ratur hervor. So beobachtete Fehling an der Stuttgarter 
Hebammenanstalt unter 3738 stillenden Frauen 119 mal 
Mastitis gleich 3,18 °/ 0 , von denen nur 23 gleich 0,6 °/ 0 
resp. 19,3° /0 der Mastitiden zur Vereiterung kamen. In 
Basel kamen in der Fe h 1 i n g sehen Klinik auf 2875 stil¬ 
lende Frauen nur 0,7 °/ 0 eitrige Mastitis : in Halle erkrankten 
von 878 stillenden Frauen 1,93 % an beginnender Mastitis 
und 0,56°/ 0 an eitriger Mastitis. Olshausen zählte an 
der Hallenser Klinik unter 972 Wöchnerinnen 31 Masti¬ 
tiden gleich 3,18° 0 , und von diesen waren nur 6 eitrige 
Mastitiden gleich 0,64°/ 0 der Mastitiden. Aus dieser Zu¬ 
sammenstellung, die sich leicht noch vervielfachen ließe, 
geht hervor, daß die Frauenärzte, zum mindesten aber die 
Frauenkliniken wohl recht viele Mastitiden zu sehen be- 


Originalicn: 

R. Klapp. Berlin: Feber die Behandlung der Mastitis . . . 

C4-Stille, Stade: Die Herabsetzung der körperlichen Entwicklung 

«ler Landbevölkerung. 

Hans Lungwitz, Berlin: Der Fall Pearsoü. 

Referate: 

C. Bachem. Bonn: Pharmakologie. 

Piuczower, Berlin: Hygiene. 

W. Esch, Bendorf a. Rh : Serumtherapie. 

K. Hel hing und P. Roeder, Berlin: Chirurgie . . 

E. Meyer, Charlotteuburg: Lungenkrankheiten. 

M.Pickardt, Berlin: Magen-, Darm-und Stoffwechsel ki ankheiton 

J. Ibrahim, Miiachen: Kinderheilkunde. 

G. Tugendreich. Berlin: Siiuglingsfürsorge. 


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726 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 49 


kommen, daß eitrige Mastitiden ihnen aber nur selten zu¬ 
gehen. 

Aus dieser Verschiedenheit des Materials läßt es sich 
zum Teil erklären, weshalb die Ansichten auseinander 
gehen. Die meisten Erkrankungen an puerperaler Mastitis 
kommen arn Ende des ersten Monats des Puerperiums vor. 
Ihn diese Zeit, haben die Wöchnerinnen die Frauenkliniken 
längst verlassen und suchen erfahrungsgemäß die chirur¬ 
gischen Kliniken häufiger auf als die Frauenkliniken. 

ich möchte mich im folgenden zunächst mit der eitrigen 
Mastitis befassen, da auch unsere Erfahrungen darüber 
größer sind als über <1 io einfachen Stauungsmaslitiden. 

Wir gehen bei den eitrigen Mastitiden folgender¬ 
maßen vor: Jeder nachweisbare Abszeß wird sofort nach 
außen geöffnet. Dabei bevorzugen wir kleinere Schnitte, 
vergrößern dieselben jedoch, wenn es sich als notwendig 
erweist. Diese kleinen Eingriffe können -unter Chloräthyl¬ 
spray oder lokaler Anästhesie vorgenommen werden. Tam¬ 
ponade oder Drainage der Wunde wird nicht ausgeführt. 
Es ist unbedingt notwendig, daß der Einschnitt physika¬ 
lisch günstig liegt, d. h. der Eiter muß durch den Schnitt 
aus seiner Höhle völlig herausfließen oder herausgesogen 
weiden können. Dabei isl es oft nötig, daß man noch 
einen zweiten, oder einen dritten kleineren Schnitt hinzu 
fügt, nachdem man sich durch Einführung einer Sornl» 
vou der Ausdehnung der Höhle überzeugt hat. Nur wenn 
mau so vorgeht, kann man sicher sein, bei der späteren 
Sangbehandlung den Eiter gründlich herauszubefepmmeii. 

I in allen Mißverständnissen entgegenziifrelen, betone ich es 
nochmals, daß wir auf gründlichste Entleerung aller In- 
feklionssloffe das allergrößte Gewicht legen. Aus den Ver¬ 
öffentlichungen von Gynäkologen ersieht man, daß immer 
wieder versucht wird, die Abszesse durch Saugbehandluug 
zur Resorption und Rückbildung zu bringen, und das halten 
wir für gänzlich zwecklos. Meiner Erfahrung nach ver¬ 
größern sie sich mit großer Eile, wenn sie ungeöffnet 
bleiben und der Saugbehandlung ausgeselzl werden. Zu 
dem entzündlichen (Jedem kommt noch das Oedeifi der 
Saugbohandhmg, und dieses dringt nicht nur in die Ge- 
webe ein, sondern es wird auch in die Abszeßhöhle (»in¬ 
treten. Dadurch wird der Abszeß seröser, aber er wird 
größer. Fad so ist es kein Wunder, wenn man unter den 
Veröffentlichungen auch solche findet, in denen über Ver¬ 
größerung von Abszessen geklagt wird. Nach unseren Er¬ 
fahrungen, ebenso wie nach den Erfahrungen vieler anderer, 
kann das nur beruhen auf zu spätem Eröffnen, auf fehler 
hafter Technik in der Eröffnung der Abszesse resp. in der 
Handhabung der Saugbehandlung. 

Nachdem der Abszeß in dieser Weise an-physikalisch 
günstiger Stelle mit radiär zur Mamille gelegenem' Schnitte 
eröffnet ist, beginnen wir mit der Saugbehandlung, und zwar 
setzen wir entweder eine große, die ganze Brusl umfassende 
Saugglocke auf oder auch ein kleineres Saugglas auf die 
Abszeßgegeud. Dieses letztere Saugglas muß jedoch weit 
über den Enlzündimgsboreieh herübergreifen, da sonst 
Schmerzen entstehen. Schon bei der ersten Anwendung 
des Saugglases kann man beobachten, ob die Schnitte an 
geeigneter Stelle liegen, so daß der Eiter der Saugbehand¬ 
lung gut folgen kann. Die Saugbehaudlung selbst wird, 
wie das früher schon häufig beschrieben worden ist, so 
ausgeführt, daß der Saugapparat immer etwa fünf Minuten 
sitzen bleibt, tun dann für einige Minuten abgeiLOmmen 
zu werden. Die ganze Sitzung beschränken wir jetzt meist 
auf etwa zwanzig Minuten. Die Grade der Euftverdünniing 
sollen so groß sein, daß eine gute Stauung entsteht, die 
jedoch nicht so groß ist, daß Schmerzen oder ein un 
behagliches Gefühl von Druck auflroten. Der Verband be¬ 
steht in einem großen Salbeulappen, der eine irrelevante 
Salbe enthält (dazu brauchen wir eine Mischung von Lano¬ 
lin und Vaselin), ferner eine Waltelageu- und Binden 
ein Wicklung. 


Wenn es sich um Fälle handelt, bei denen der Abszeß 
ziemlich tief liegt, dann ist es zweckmäßig, wie z. B. auch 
H a r t m a n n , S t i c h und andere angegeben haben, noch 
eine Drainröhre in den Abszeß zu führen und darüber das 
Saugglas anzulegen. Tut man das nicht, so saugen sieh 
bei tiefer liegenden Abszeßhöhlen die Wmidränder lippen¬ 
förmig zu. 

Liegen die Abszesse retromammär, so sehe ich von 
der Verwendung der Saugbehandlung ganz ab. Es ist bei 
solchen Fällen ganz außerordentlich schwer, für genügende 
Ableitung der Infeklionsstoffe zu sorgen, und cs empfiehlt 
sich dann, von einem im oberen Quadranten liegenden 
Schnitte zu einem unterhalb der Brust liegenden ein großes 
Drain durchzuziehen. Bei diesen Fällen vou retromam¬ 
märer Abszeßbildung kommen ja auch die Fragen nicht 
in Betracht, welche uns die Saugbehandlung bei Brust- 
drüseneilerimgen sonst als sehr wünschenswert erscheinen 
lassen, nämlich die Erhaltung der Funktion dos Drüsen¬ 
gewebes. Denn das Drusengewobe bleibt bei den retromam¬ 
märem Abszessen, welche in der eben angegebenen Weise 
geöffnet und (trainiert weimn, gänzlich verschont von 
Schnitten oder Narben. Es isr nun in solchen Fällen nicht 
ganz Jeicht, sofort die Diagnose auf (»ine retromammäre 
Eiterung zu stellen. Wenn es sieh um wirklich klassische 
Fälle von retromammären Eiterungen handelt, so fällt die 
außerordentlich große Vortreibung der kranken Brust auf, 
ohne daß die Brustdrüse selbst bei seitlichem Zusammen¬ 
pressen schmerzhaft ist. Schmerzen entstehen erst, wenn 
man die Brust gegen den Rumpf andrückt. Die Fluktuations- 
priifung läßt bei solchen Fällen meistens leider im Stich, 
aber die entzündlichen Erscheinungen und das Fieber 
weisen auf eine entzündliche Affektion der Brust hin, 
während wir keinen Anhalt für die Annahme einer ge¬ 
wöhnlichen Mastitis haben. 

Während nun in den meisten Veröffentlichungen, 
welche seit dem Bekannt werden der Saugbehandhmg bei 
einiger Mastitis erschienen sind, ausgesprochen wird, daß 
man diese Behandlung der früher geübten vorzieht und 
mit. dem Erfolge auf das Höchste zufrieden ist und sie 
als die beste zurzeit übliche Methode der Behandlung an¬ 
sieht, hat vor allen Dingen Zangemeister in letzter 
Zeit einige schlechte Erfahrungen mit dem Verfahren ge 
macht. Er hat den Eindruck gewonnen, daß das Verfahren 
bei eitriger Mastitis um so eher versagt, je frischer der Enl- 
ziindungsprozeß noch ist. Dort, wo die Entzündungen noch 
weiter fort schreiten, besonders in den Fällen, die einen 
ausgeprägt serpiginösen Charakter hätten, begünstige es 
die eitrige Einschmelzung nicht nur, sondern auch das 
Weil erkriechen des Prozesses. Fr erwähnt einige Fälle 
dieser Art, allerdings ohne die Krankengeschichten anzu- 
führen, wo man nach Anwendung des Verfahrens ziemlich 
zahlreiche ausgedehnte Inzisionen machen mußte, die man 
unter Umständen mehrfach vertiefen oder vermehren mußte, 
(»he der recht bedrohliche Prozeß zum Stillstand kam. Da 
Zangemeister mir von 17 Fällen spricht, die er der 
Saugbehandlung unterwarf, und unter denen man nur elf 
veieiterte Mastitiden sah, so scheinen seine Erfahrungen 
mit dieser Behandlung noch keine recht großen zu sein. 
Und ich möchte glauben, daß der Gegensatz, der bei ihm 
gegenüber den meisten anderen Veröffentlichungen hervor- 
tritt, nach der außerordentlich großen Zahl von günstig 
verlaufenen Fällen sich am besten erklären läßt durch 
Fehler in der Technik, wie sic jedem Vorkommen, der mit 
einer neuen Behandlung noch nicht geübt ist. Schließlich 
darf hian von keiner Behandlung zu vitel verlangen, und ich 
erinnere da an manche Fälle, die auch bei dem früheren 
oft. sehr radikalen Vorgehen ohne weiteres nicht zur Aus 
heilung kamen. So kenne ich aus mündlicher Ueberliefe- 
rung einige recht schwere Fälle, in denen trotz radikalster 
Behandlung nach Barden ha neu der eitrige Prozeß 
monatelang angehalten bat. 





THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


727 


1908 


Ueber die eitrige Mastitis liegen zurzeit so viele günstige 
Erfahrungen vor, daß ich darüber die Akten im allgemeinen 
für geschlossen halte. Die wenigen nicht befriedigenden 
Fälle werden sich bei fortschreitender Beherrschung der 
Technik auch weiterhin vermindern. 

Eine Frage möchte ich noch kurz streifen, die auch 
auf die Behandlung der eitrigen Mastitis Bezug hat, das ist 
die Frage der Milchentleerung. Bekanntlich stehen viele 
Gynäkologen auf dem Standpunkt, daß das Kind sofort 
abgesetzl werden müßte, sobald eine Mastitis eint ritt, ja, 
daß man die Milchsekretion möglichst hemmen müsse. 
Diese Autoren sind selbstverständlich auch Gegner der 
Entleerung der Milch durch ein kleines Milchsaugglas und 
sind der Ansicht, daß die Entleerung der Milch die 
Tätigkeit der Drüse und damit den entzündlichen Prozeß 
wieder anfaehe. Dieser Standpunkt wird von den meisten 
Chirurgen nicht geteilt. Wir sind zu sehr gewöhnt, auf 
Stauungen von Drüsensekreten die Infektion folgen zu 
sehen. Man braucht nur an die Stauung der Galle, an 
die des Harns etc. zu erinnern, um daran zu denken, daß 
in der Tal meistens Stauung d<*s Sekrets den günstigsten 
Boden für die Ansiedlung der Infektion abgibt. \\ ir haben 
deshalb hei der Mastitis niemals* die Milchentleerung be¬ 
kämpf!, sondern sie sogar meist befördert und regelmäßig 
zu mehreren Malen am Tage vornehmen lassen. Die Brust¬ 
drüse bleibt dabei in Funktion, und während derselben 
Laktationsperiode kann das Kind ruhig weiter genährt 
werden. Ich weiß, daß die Mehrzahl der Aerzte unserem 
Vorgehen gefolgt und mit den Resultaten sehr zufrieden 
ist. Daß die Milchstauung sehr häufig der erste Schritt 
zur Etablierung einer eitrigen Mastitis ist, kann ich mit 
einer Reihe von Krankengeschichten belegen, aus denen 
hervorgehl, daß die Frauen erkrankten, wenn sie das Kind 
absetzen mußten, nicht wegen Erkrankung der Warze etwa 
oder der Brust, sondern wegen Erkrankung der Kinder 
oder wenn sie aus selbstsüchtigen Gründen das Kind nicht 
mehr nähren wollten. 

Diese Frage der Milchentleerung leitet mich über zu 
einigen kurzen Bemerkungen über die Stauungsmastitis, 
ln dieser Frage müssen wir uns auf die Gynäkologen be¬ 
rufen, da diese die größten Krankenzahlen zu sehen be¬ 
kommen und behandeln. Hier scheinen die Ansichten be¬ 
züglich der Verwendung und des Wertes der Saugbehand- 
hing erheblich auseinander zu gehen. Auf der einen Seite 
wird das Kind sofort abgesetzt, die Milchentleerung mög¬ 
lichst vermindert, antiphlogistisch behandelt und die Brust 
hochgebunden ; auf der anderen Seite entleert man die Milch 
ruhig weiter oder vielleicht noch intensiver als früher und 
behandelt die erkrankte Brust mit dem Saugglas. Für beide 
Methoden der Behandlung gibt es Fürsprecher, und es läßt 
sich zurzeit wohl noch kein sicheres Erteil darüber fällen, 
welche Behandlung der anderen überlegen ist. 


Die Herabsetzung der körperlichen Entwicklung 
der Landbevölkerung. 

Von San.-Rat Dr. G. Stille. Stade. 

Ein Erlaß des preußischen Ministeriums ordnet an, 
daß Erfahrungen darüber gesammelt werden sollen, ob eine 
Herabsetzung der körperlichen Entwicklung der Landbe¬ 
völkerung mit der Zunahme der Molkereien beobachtet wor¬ 
den ist und ob durch den Verkauf der Vollmilch das 
Milchbedürfnis des eignen Haushalts nicht mehr genügend 
berücksichtigt wird. 

Es muß also jedenfalls in gewissen Bezirken eine \ er- 
schlechterung der Körperentwicklung stattgefunden haben. 
Das wird sich am deutlichsten hei den Ergebnissen des 
Heeres-Ergänzungsgeschäfts bemerklich machen; und gerade 
die Verminderung der Diensttauglichkeit wird es in erster 


Linie 'sein, die die Regierung veranlaß! hat, eine Erfor¬ 
schung der Ersuchen zu veranstalten. 

IJeberblickt man die Ergebnisse des Heeres-Ergänzungs- 
geschäftes während einer Reihe von Jahren, so steht man 
vor mehrfachen Rätseln. Von 1896 bis 1904 hat sich die 
Zahl der Tauglichen im Deutschen Reich kaum verändert. 
Vorausgesetzt, daß die Anforderungen gleich geblieben sind, 
hat sich der Durchschnittszustand des Ersatzes nicht ver¬ 
schlechtert; wohl aber finden sich auffallende Verschie¬ 
bungen. in den einzelnen Aushebungsbezirken. Der gün¬ 
stigste Bezirk ist stets Ostpreußen gewesen und ist es bis 
jetzt geblieben. Aber während die Zahl der Tauglichen von 
je 100 Abgefertigten 1896 und 1897 nicht weniger als 68,99 
und 70,68 betrug (Reichsdurchschnitt 59,64,. betrug sic 
1903 und 1904 nur noch 66,6 und 63,8 (bei einem Reichs¬ 
durchschnitt von 53,9). Ebenso ist in Pommern der Pro¬ 
zentsatz der Tauglichen von 60,8 und 58,77 auf 56,3 und 
55,8 gesunken ; ferner in Schleswig-Holstein, das in den 
beiden erstgenannten Jahren mit 56,09 und 55,61 Prozent 
Tauglicher noch über dem Reichsdurchschnitt stand, in den 
letztgenannten Jahren auf 50,3 und 50,2. Desgleichen trat in 
Hessen-Nassau ein Sinken von 55,55 und 54,25 auf 52,9 
und 52,7 ein. Die entgegengesetzte Erscheinung, also eine 
Zunahme der Tauglichkeitsziffer, findet sich in geringem 
Grade in Hannover, nämlich von 52,42 und50,88 auf 52,9 
und 55,7; in viel erheblicherem Maße im Großherzogtum 
Hessen von 50,43 und 50,75 auf 56.1 und 57,1 und am 
stärksten in der Provinz Sachsen, nämlich von 49,01 und 
50,74 auf 58,3 und 57,5. 

Wie sich diese auffallende Erscheinung — wenigstens 
zum Teil erklärt, werden wir sogleich besprechen. E. E. 
hängt sie nicht von der Entwicklung des Molkereiwesens 
ab. So weit wir beobachten konnten, wird in jedem ordent¬ 
lichen Haushalte auf dem Lande so viel Milch zurückbe- 
halten, als für den eignen Bedarf, namentlich aber für die 
Kinderernährung nötig ist. Ens scheinen andere Ersachen 
die minder gute körperliche Entwicklung der Landbevöl¬ 
kerung, die sich vielerorts unleugbar zeigt, hinreichend zu 
erklären. Die folgenden halten wir für die wichtigsten: 

1. Das schwerwiegendste Moment sehen wir in der Er¬ 
scheinung. daß seil etwa sechzig Jahren eine Aus- und Ab¬ 
wanderung der Landjugend in immer wachsendem Maße 
stattgefunden hat. War es in den ersten Jahrzehnten dieser 
Periode besonders die Auswanderung, zumal nach den \ er- 
einieten Staaten, so ist diese jetzt gering geworden. Dafür 
aber fließt nun ein immer größerer Teil der ländlichen Ju¬ 
gend den Großstädten zu, lim hier einer unvermeidlichen 
Entartung wenn nicht in der ersten, so doch sicher in 
der zweiten oder dritten Generation anheim zu fallen. 
Gerade der körperlich und geistig gesundeste, leistungs¬ 
fähigste Teil der Jugend verläßt das Land ; alle mehr oder 
weniger ungünstig Entwickelten bleiben dort zurück und 
werden die Erzeuger einer Nachkommenschaft, die nicht 
so viele tüchtige Kräfte enthält, wie in früherer Zeit. 

Es ist bekannt, daß aus den östlichen Provinzen, vor 
allem Ostpreußen, ein besonders starker Abfluß der Jugend 
nach den Großstädten (Berlin) und dem industriellen Westen 
stattfindeE Daraus erklärt sich in erster Linie der Rück¬ 
gang der Mililärtaugtichkeit in dieser Provinz, obwohl in 
ihr die Landwirtschaft eine so überwiegende Rolle spielt. 
Dieselbe Ursache gilt wohl für Pommern; und auch Schles¬ 
wig-Holstein hat. eine starke Abwanderung. Befanden sich 
doch am 1. Dezember 1905 in Hamburg nicht weniger als 
120 000 Schleswig-Holsteiner, während die ganze Provinz 
nur 1500 000 Einwohner zählte. 

2. Als zweite sehr bedenkliche Erscheinung kommt 
hinzu, daß jetzt weit mehr Säuglinge künstlich ernährt 
werden als früher. Zum Teil geschieht es aus Gründen 
der Bequemlichkeit; zum bei weitem größeren aber, weil 
die Frauen immer weniger imstande sind, ihrer Mutterpflicht 
zu genügen. Es ist, wenn auch vielleicht noch nicht völlig 



728 THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. Nr. 49 



sicher bewiesen, doch sehr wahrscheinlich, daß diese he 
unriihigende Erscheinung mit der zunehmenden Alkohol- 
Verseuchung des ganzen Volkes in Zusammenhang sieht. 
(Bunge). 

ln früherer Zeit kannte man, wenigstens in den uns aus 
eigner Anschauung bekannten Gegenden, auf dem Lande 
kaum eine künstliche Ernährung mit der Flasche. War die 
Mutter vorübergehend oder dauernd am Stillen verhindert, 
so gab wohl eine Nachbarin aushilfsweise den unentbehr 
liehen Trank; man ging dann möglichst bald dazu über, 
das Kind mit in Wasser oder Milch und Wasser aufge¬ 
weichtem Zwieback oder altbackenen Semmeln zu ernähren. 
In der Gegenwart kennt jede Frau die Technik des ,,Bud 
dclns“ (d. h. der Ernährung mit der Flasche [Buddel)!, 
und nur zu viele Kinder werden vom Tage der Geburt an 
auf diese unzweckmäßige Weise ernährt. Dadurch steigt 
nicht allein die Säuglingssterblichkeit, sondern es wird zu¬ 
gleich das Entstehen von Rachitis begünstigt; und zweifel¬ 
los wird eine Schwächung der gesamten Konstitution ange¬ 
bahnt, die bei vielen Menschen nie wieder ausgeglichen 
wird. 

3. Die ganze Ernährung der Landbevölkerung ist we¬ 
niger gut, als in der Vergangenheit und zwar namentlich 
in folgenden Punkten: 

a) Bis vor wenig Jahrzehnten lebte man in den meisten 
Gegenden Deutschlands auf dem Lande zum bei weitem 
größten Teil von Vegetabilien. Fleisch war ein Luxus, 
den man sich nur an Festtagen, und bei feierlichen Gelegen¬ 
heiten, wie Hochzeiten und Beerdigungen erlaubte. Diese 
Kost machte die Menschen kräftig und gegen Strapazen 
aller Art ausdauernd und zähe. Jetzt dagegen ißt man 
auch auf dem Lande weit mehr Fleisch (wenn auch noch 
längst nicht so viel, wie in den Städten). Die Gutsbe¬ 
sitzer und Bauern sind gezwungen, ihren Leuten ,,kräftige 
Kost“ d. h. möglichst viel Fleisch zu geben; andernfalls 
gehen ihnen Arbeiter und .Dienstboten fort und bringen 
die ,,geizigen“ Herrschaften in üblen Ruf, so daß sie schwer 
wieder Leute bekommen. 

Es ist ja nicht verwunderlich, daß im ganzen Volke 
das Fleisch im Rufe steht, das kräftigste aller Nahrungs¬ 
mittel zu sein; ist doch seit Menschenaltern von der medi¬ 
zinischen Wissenschaft diese Lehre gepredigt worden. Zu 
verwundern aber ist es, daß heutigen Tages noch die Mehr¬ 
zahl der Aerzte an diesem Glauben festhält. Die For¬ 
schungen C h i 1.1 e n d e n s in Amerika, H i n d h e d e s. in 
Dänemark, sowie Balz’ Berichte aus Japan, die Erfah¬ 
rungen, die man an den japanischen Soldaten gemacht 
hat, die Ueberlegenheit der Vegetarier bei sportlichen Wett¬ 
kämpfen, die unzählige Male, namentlich auch in Deutsch¬ 
land festgestellt ist, sollte doch jeden denkenden Medi¬ 
ziner überzeugen, daß die Lehren, die Moleschott und 
Voit, s.Z. über den Wert der Fleischnahrung aufgestellt 
haben, unhaltbar sind. Es ist hohe Zeit, daß sich richtigere 
Anschauungen Bahn brechen; nur wenn die Aerzte auf¬ 
hören, Schwächlichen, Kränklichen, Rekonvaleszenten usw. 
das Fleisch als notwendiges Stärkungsmittel zu empfehlen, 
ist eine baldige Aenderung der Volksmeinung zu erhoffen 
Und jeder Arzt, der es mit seiner Klientel gut meint, sollte 
vor allem darauf dringen, jdaß die Kinder mit möglichst 
fleischloser Kost aufgezogen werden. 

h) Der Genuß von Kaffee und kaffeeähnlichen Ge¬ 
tränken ist immer mehr an die Stelle der früher gebräuch¬ 
lichen Suppen aus Milch mit Mehl, Grütze, Graupen u. dergl. 
getreten. Das ist bereits vor der Entwicklung des modernen 
Molkereiwesens und unabhängig davon geschehen. Doch 
ist es nicht unmöglich, daß die Entstehung der vielen Mol¬ 
kereibetriebe hier und da in mäßigem Grade verschlimmernd 
eingewirkt hat. Auch hier müssen es die Aer-zte 'für ihre 
imabweisliche Pflicht erkennen, den Eltern immer und 
immer wieder einzuprägen, daß sie ihren Kindern gegen¬ 
über unverantwortlich handeln, wenn sie ihnen anstatt Milch 


und mit Milch bereiteten Suppen Kaffee und Tee geben. 
Jedermann muß wissen, daß er sich an seiner Nachkommen 
schalt versündigt, wenn er ihr diese Nervengifte nicht 
fern hält. 

c) Selbstverständlich gilt das Gesagte in noch höherem 
Grade vom Alkohol. Leider sind es wieder gerade die 
Aerzte gewesen, die lange Jahre hindurch zwar den Schnaps 
bekämpft, aber das Bier bei Vermeidung grober Exzesse 

als völlig unschädlich und zuträglich empfohlen haben. 
Das hat. dazu mitgewirkt, daß das Bier in den Gegenden, wo 
es vor fünfzig Jahren nur ausnahmsweise genossen wurde, 
alle anderen Getränke fast, verdrängt hat. Und viele Eltern 
sind unverständig genug, ihren der Schule noch nicht ent¬ 
wachsenen Kindern den Genuß des geliebten Gerstensaftes 
zu erlauben. Das muß natürlich die verderblichsten Folgen 
haben; jeder Arzt hat wohl Gelegenheit gehabt, solche Fälle 
zu beobachten, in denen das körperliche und geistige Ge¬ 
deihen des Nachwuchses durch Biergenuß schwor geschä¬ 
digt worden ist. 

d) Vormals wurde besseres Brot genossen, als heutzu¬ 
tage. Man bereitete das Schwarzbrot, welches einen Haupt¬ 
bestandteil der täglichen Kost bildete, aus ungesiebtem 
(rauhem) Roggenmehl. .letzt geht das allgemeine Streben 
dahin, Brot aus möglichst feinem, weißem Mehl zu ge¬ 
nießen. In Wirklichkeit ist das Brot aber um so wertloser, 
je sorgfältiger man alle Kleienbestandteile entfernt hat. Es 
ist also kein Fortschritt, sondern ein zu beklagender Rück¬ 
schritt der Ernährung, wenn man die Kinder jetzt nur feine 
Semmel genießen läßt. Denn es fehlen darin die wichtigen, 
für den Aufbau des Körpers unentbehrlichen Salze, die 
früheren Generationen den kräftigen Körperbau gaben. 

e) Nicht überall, aber doch in vielen Orten genießt 
man jetzt welches Trinkwasser, wo man früher hartes hatte. 
C. Rose 1 ), hat in eingehenden und mühsamen Unter¬ 
suchungen festgestellt, daß 'in solchen Bezirken große Zahn¬ 
verderbnis herrscht, und die Körperentwicklung mangel¬ 
hafter wird. Auch diesem Punkte wird man in Zukunft 
Aufmerksamkeit schenken müssen. 

4. Daß die jetzige Art des Schulbetriebes, der die Kinder 
von frühem Alter an zwingt, einen sehr großen Teil des 
Tages im Zimmer zu sitzen, einen ungünstigen Einfluß 
auf die körperliche Entwicklung ausüben muß, scheint uns 
unleugbar zu sein. Noch vor wenig Jahrzehnten pflegten 
die Kinder auf dem Lande in vielen Gegenden nur im 
Winter die Schule zu besuchen. Die Ergebnisse dieser 
Einrichtung sind nach dem Zeugnis älterer Leute, min¬ 
destens für einigermaßen begabte Kinder, nicht schlecht 
gewesen. Wir maßen uns nicht an, zu entscheiden, ob es 
nicht heute noch genügen würde, wenn man die Landkinder 
nur ,acht ’Wintersemester unterrichtete. Daß die körper¬ 
liche Entwicklung sehr günstig beeinflußt werden würde, 
wenn die Landkinder wieder den ganzen Sommer in freier 
Luft zubringen könnten, ist sicher anzunehmen. Will oder 
kann man nicht den ganzen Sommer preisgeben, so sollte 
doch die Ferienzeit jedenfalls bedeutend verlängert werden. 

Wir verkennen den Wert einer guten Schulbildung auch 
für die Landbevölkerung durchaus nicht, doch scheint man 
ihn im allgemeinen zu überschätzen. Man bedenkt u. E. 
nicht genug, daß ein begabter Mensch auch mit geringen 
Schulkenntnissen im Leben vorwärts zu kommen versteht. 
Merkt er, daß ihm in seinem Berufe gewisse ihm fehlende 
Kenntnisse nützlich sein würden, so weiß er Mittel zu 
finden, sie sich anzueignen. Andererseits helfen einem 
schwach Veranlagten die eingepaukten Schulkenntnisse 
recht wenig; er weiß sie nicht richtig anzuwenden und zu 
verwerten, ganz abgesehen davon, daß er das Eingebläute 
meistens in sehr kurzer Zeit vergißt. Jedenfalls aber sollte 
eine bessere Geistesbildung nicht auf Kosten der korper- 


S. dessen Werk: „Erdsalzarmut'und Entartung.“ 1908, bei 
Jul. Springer. 




1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


729 


liehen Entwicklung erzielt werden. Denn die gesunde Fort¬ 
pflanzung, die Zukunft des ganzen Volkes hängt von der 
kräftigen Körperbeschaffenheit der Landbewohner ab. Eine 
übermäßige Pflege des Intellekts, wie sie ja in den Städten 
und bei den höher Gebildeten unvermeidlich ist, läßt sich 
nur auf Kosten der Körperkonstitution erreichen. Ein Volk, 
das die höchstmögliche Entwicklung der Geisteskräfte er 
strebt, und dabei der körperlichen Gesundheit und Kraft 
nicht die genügende Aufmerksamkeit schenkt, gleicht einem 
Manne, der sich nicht, mit dem Zinsgenuß begnügt, son¬ 
dern sein Kapital angreift, um in der Gegenwart glänzender 
leben zu können, auf Kosten seiner eignen und der Kinder 
Zukunft. 

Die besprochenen ungünstigen Einflüsse scheinen uns 
völlig ausreichend, die mancherorts beobachtete minder gün¬ 
stige Entwicklung der Landbevölkerung zu erklären. Die 
sich immer weiter ausbreitende Molkereiwirtschaft hat 
nach unsern Beobachtungen keinen oder doch nur einen ver¬ 
schwindend kleinen Anteil an der Konstitutions-Verschlech¬ 
terung der Landbewohner. Es ist jedoch nicht unmöglich, 
daß es Gegenden gibt, in denen eine ungünstige Einwirkung 
der Molkereien sich bemerklich macht. Es würde erwünscht 
sein, wenn die Kollegen, die dergleichen beobachtet haben, 
ihre Erfahrungen veröffentlichten. 


Der Fall Pearson & C«. 

Von Hans Lungwitz, Berlin. 

„Der Fall Pearsons & Co.“ sollte die Leberschrift eher 
lauten; denn der Stolz der großen Firma in Hamburg scheint 
einen starken Stoß erhalten zu haben, wenn sie keinen 
anderen Ausweg mehr findet, als sich in den Inseratenteil 
der Zeitschriften zu retten. Dahin werde ich ihr allerdings 
nicht folgen; diese Zufluchtsstätte sei „ihr gewährt. Von 
dort aus mag sie in seitenlangen „Aufklärungen“ ihr Blick¬ 
feuer spielen lassen — zur Freude der V erleger und zum 
Ergötzen und Erstaunen der Leser, die genau wissen, 
welche Bedeutung den „Aufklärungen“ der Firma 
Pearson & Co. zukommt Gleich der erste Schuß 
aus der Pearson scheu Kleinkinderkanone erweckte 
als Widerhall vielstimmiges Gelächter neben neuer 
starker Entrüstung. Ungeschickt, Herr Ester mann, 
und nicht einmal ungefährlich für Ihre Firma! Ich ge¬ 
stehe Ihnen offen, daß Sie mich arg enttäuschen. Ich 
habe Sie doch in meinen beiden Ihrer Firma gewidmeten 
Artikeln energisch genug ermahnt, meine Kritik auf dem 
allein richtigen Wege zu entkräften (wenn Sie dazu in der 
Lage wären) und nun schlagen Sie schon wieder einen 
Weg ein, der selbst im Zeitalter der unbegrenzten Möglich 
keiten und Unmöglichkeiten niemals zum Ziele führen wird. 
Hätten Sie doch in den Semestern Ihres medizinischen 
Studiums sich etwas mehr mit der Prognostik beschäftigt! 
Die wenigen Semester werden freilich dazu nicht ausge¬ 
reicht haben! 

Auch meinen gutgemeinten Rat, sich besser zu orien¬ 
tieren, schlagen Sie scheint’s in den \\ ind. „In den letzten 
Wochen,“ schreiben Sie in Ihren „Aufklärungen“, „hat ein 
Herr Dr. H. Lungwitz . . . zwei gehässige Schmähartikel 
gegen unsere Firma erlassen.“ . . .Ein Herr Dr. 11. Lu n g - 
w i 1 z. Als ob es noch 1 mehrere Acrzte meines Namens gäbe ! 
Sie müßten doch wissen, daß es nur einen einzigen gibt, 
der so heißt wie ich, Und der bin ich selber. Sie sollten, 
auch darüber orientiert sein, daß es keinen Zweck hat, 
den Namen meiner Zeitschrift zu verheimlichen; es weiß 
ja. doch jeder, daß ich die Th. R. redigiere und daß die 
Th. R. den gerechten Kampf gegen die Präparate der Firma 
Pearson & Co. und andere Wechselbälge chemischer 
Kunstfertigkeit führt. Und dann gar der Ausdruck „ge¬ 
hässige Schmähartikel“! Sie wagen sich weit vor. Ich 


glaube fast, daß Sie diese Worte in der Sektlaune expekto- 
riert haben, eine Stimmung, in der man sich gelegentlich 
auch über seine „Würde“ täuschen soll! 

• Den Passus 1 und 2 der Pearson sehen „Auf¬ 
klärung“, in denen die Firma bestreitet, mir einen Mittels¬ 
mann gesandt zu haben und für Lactagol in kurpfusch * 
rischer Weise Reklame zu machen, will ich übergehen; 
es ist dieser Dinge in meinen beiden Artikeln in Nr. 42 
und 4G ausführlich genug gedacht worden. Ich erhalte 
meine Ausführungen daselbst, für die ich Zeugen und 
Schriftstücke beibringen kann, voll aufrecht. Nur möchte 
ich nicht verfehlen, die „Aerzte und Behörden“ dazu zu 
beglückwünschen, daß laut „Aufklärung“ die Firma Pear¬ 
son & Co. in gleicher Front mit ihnen gegen die Ifnsitte, 
Säuglinge künstlich zu nähren, kämpft. Ich habe ja die 
Art und Weise, wie die Firma in ihrer Lactagol-Reklame 
unsere Bestrebungen, die Mütter zum Stillen zu veranlassen, 
unterstützt, deutlich genug in Nr. 42 dieser Wochenschrift 
beleuchtet Es ist wahr, daß die Mütter in der Reklame¬ 
broschüre der Firma, Pearson & Co. zum Selbststillen 
aufgefordert werden, aber ich möchte denjenigen sehen, 
der behaupten will, daß der Zweck der Broschüre der sei, 
die Mütter zum Stillen zu veranlassen, und nicht vielmehr 
der, Lactagol anzupreisen. Ein Blick in die Broschüre 
genügt, um zu erkennen, daß sie weiter nichts als ein 
Hoheslied auf Lactagol enthält. 

Nun, wir wissen’s ja und haben’s erst kürz¬ 
lich wieder erlebt, daß manche Fabrikanten (z. B. 
auch Max Elb in Dresden mit seinen Silvana- 
Essenzen) sich nicht genieren, ihre anfechtbare und ma߬ 
lose Reklame mit Hinweisen auf die soziale Hygiene zu 
verbrämen, ja die soziale Hygiene zu ihrem Schlachttier 
herabzuwürdigen (cf. Th. R„ Nr. 45). Daß auch Pearson 
& C o. auf „diesem nicht mehr ungewöhnlichen Wege“ sich 
ins Freie zu retten versucht, habe ich erwartet. 

Nicht erwartet aber habe ich, was die Firma Pear¬ 
son & Co. im dritten Abschnitt ihrer „Aufklärung“ zu 
sagen wagt. Dieser lautet so: 

„Es ist unwahr, daß unser Jodvasogen falsch deklariert 
ist (!!). Als wir vor etwa zwei (!) Jahren durch eine Publi¬ 
kation von Zernik darauf aufmerksam gemacht wurden, 
daß die Bezeichnung .,Jodi resubl.“ für das im \ asogen 
enthaltene, an die Komponenten desselben gebundene Jod 
Anlaß zu Mißverständnissen (sic!!) gebe, haben wir den 
Zusatz „resublimati“ sofort (!!!) weggelassen. Zu einer 
Täuschung über die Form des Jods im Jodvasogen hatten 
wir um so weniger Veranlassung, als die therapeutische 
Wirkung dieses seit nahezu 15 Jahren bewährten Präparates 
hiermit in gar keinem (!) Zusammenhänge steht.“ 

Hätte die Firma Pearscrti bisher noch einen Schallen 
von Hoffnung gehabt, sich aus der unangenehmen Affäre 
zu ziehen, so hat sie sich hiermit endgültig jeden Ausweg 
verrammelt. Ich habe in der letzte n \\ oc he i n 
mehreren Apotheken eine R e i hc^ Original¬ 
packungen Jodvasogen gekauft. Keine dieser 
Packungen Jodvasogen ist richtig deklariert. 

Auf den Originalpackungen des „10prozenligcn“ Jod- 
vasogens ist zu lesen: 

Vasogeni 90 
Jod i resubl. 10. 

Auf den Originalpackungen des „0 prozentigeil“ Jod 
vasogens ist zu lesen : 

Vasogeni 94 
Jodi 6. 

Und auf einer Kassenpackung: 

Vasogeni 94 
Jodi resubl. 6. 

Die sämtlichen Packungen sind zum Teil in 
den letzten Wochen, durch die Handelsgesellschaft 
deutscher Apotheker bezogen worden. Ich habe über- 


Driginal from 



730 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 49 


liaupt keine anders oder richtig deklarierte Packung 
Jodvasogen in den Apotheken erhalten können. 

Mir fehl! eine dichterische Begabung, um einen Dithy¬ 
rambus auf die Kühnheit der Firma Poarson & Cd. 
zu schmieden, mit der sie alle Aerzte und Apotheker als 
Dummköpfe und Ignoranten allerersten Banges hinstellt. 
Schiller würde ausrufen: ..Das war ein Heldenstück, Oc- 
tavio!“ Ist es jemals dagewesen, daß ein Fabrikant ab¬ 
streitet, sein Präparat falsch zu deklarieren, während es 
ich will nur von mir sprechen - überhaupt unmöglich 
isl, eine riehtig deklarierte Packung käuflich zu erhalten!! 
Dir Firma Pearson hafs vollbracht. ..Das Unbeschreib¬ 
liche,^. hier ist’s getan.“ Die Tatsache ist so hahnebüchen, 
so unerhört, daß nun allerdings die Szene zum Tribunal 
werden und der Stab über eine mit solchen Mitteln ar¬ 
beitende Firma gebrochen werden muß. Jetzt muß aus 
dem „ Falle Pearson“ ein ..Fall Fear so ns“ werden; 
denn welcher Arzt, welcher Apotheker wird noch ein 
Fünkchen Vertrauen zu einer Firma haben, die durch ihre 
,,Aufklärung“ der AVahrheit mit eisernen Fäusten ins Ge¬ 
sicht. schlägt. 

Wie kann die Firma weiter behaupten, daß sie seit der | 
Z e r n i k s c h e n X e r ö f f e n 11 i c h u n g , die übrigens ! 
nicht zwei, sondern drei Jahre z u r ü c k 1 i e gt I 
(Apoth.-Zeitung 1905, Nr. 59), den Zusatz „resübl.“ 
sofort (!!) weggelassen habe, w ä h r e n d e r n o c h 
j e t z t (n a c h m e h r a 1 s 3 J a h r e n! 11 a u f d e n P a c k n n- 
gen zu finden ist! Aber auch ohne diesen Zusatz 
ist Jodvasogen doch falsch deklariert*; denn wenn die Firma 
auch bloß ,,Jodi b“ schreibt, muß man annehmen, daß 
freies Jod damit gemeint ist, und kein Arzt oder Apotheker 
oder Chemiker, überhaupt kein Mensch wird an dieser 
Signatur die wahre Zusammensetzung erkennen können. 

Wenn man schon geneigt wäre, die viele Jahre fort- I 
gesetzte falsche Deklaration des Jodvasogens zu verzeihen 
nämlich dann, wenn der Fabrikant sofort nach Erschei- 
nen der K o r n d ö r f e r sehen und Z e r n i k sehen Veröffent¬ 
lichungen die wahre Zusammensetzung auf die Etiketten 
geschrieben und die falsch deklarierten Packungen einge¬ 
zogen hätte , nun kann es keinen Pardon mehr geben, 
nachdem Pearson & Co. seinen Feldzug gegen Fug und 
Bechl durch einen ganz unbegreiflichen Coup gegen die un¬ 
bezwingbare Feste der Tatsachen krönt. 

I ns Aerzte besonders geht der famose Schjußsatz der 
,,Aufklärung“ an. Nach Pearsons Meinung ist es also 
für die therapeutische Wirkung gleichgültig, oh im Jod¬ 
vasogen freies Jod oder Jodammonium, also Jodalkali ent 
halten ist. Die Firma hat doch sicher ihren medizinischen 
Berater wir wollen nicht hoffen, daß er Ester mann 
heißt! Es ist sicher anzunehmen, daß die Firma die Un¬ 
richtigkeit dieser Ansicht kennt. Warum blamiert sie sich 
also so gründlich durch die Aeußerung derselben ? „Daran 
erkenn’ ich den gelehrten Herrn.“ 

Es ist natürlich ein gewaltiger Unterschied, ob ein 
Patient mit einem Medikament, das freies Jod enthält, Ein¬ 
reibungen macht oder mit einem, das lediglich Jodammo¬ 
nium und eine Spur Jodfettsäure enthält. Viel bedenk¬ 
licher aber isl der innere Gebrauch eines falsch deklarierten 
Jodpräparates. Es ist ausgeschlossen, daß Pearson 
& f o. nicht weiß, wie völlig verschieden Dosierung und 
\\ irkung des freien Jods von der des Jodalkalis oder der 
Jodfetisäuren ist. Ich garantiere, daß cs der Firma Pear- 
snn iV ( o. nicht gelingen wird, den Karren dadurch aus 
dem Dreck zu ziehen, daß sic den alten Gaul, 
den si< davorgespannt hat, als einen Vollbluthengst an¬ 
preist. I'nd ich protestiere im Namen aller Aerzte aufs 
energischste dagegen, daß die Firma bei ihren Versuchen, 
den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, weiter die Tatsachen 
auf den Kopf stellt. 

Eine Frage möchte ich der Firma noch vorlegen. 
Warum befindet sich, wie Korndörfer festgestellt hat 


(Apoth.-Ztg. 1905, Nr. 54), ein b r a u n o r F a r b stoff im 
Jodvasogen? .Wenn sich in dem Präparat Jodum resubl. 
oder Jod schlechthin befände, wozu dann der braune Farb¬ 
stoff? Jod färbt doch allein braun!! Es muß der Firma 
bei der Herstellung des Präparates doch von Anfang an 
schwer gefallen sein, ihm eine Farbe zu geben, die man 
nach den Angaben auf dem Etikett erwarten muß. Sonst 
hätte man sofort gemerkt, wie genau die Deklaration mil¬ 
der Zusammensetzung übereinstimmt, zumal dann, wenn, 
wie ich es gesehen habe, das Jodammonium auskristallisiert 
und am Boden und an den Wänden des Gefäßes sitzt! 
Ich empfehle der Firma, falls sic noch weiter Jodvasogen 
i fabrizieren sollte, und die Aerzte nicht vorziehen, Jod- 
vasolimenl anzuwenden, zur Braunfärbung ihres Präparates 
Jod zu verwendend Besser aber ist es, wenn sie das 
Produkt, „ungefärbt“ in den Handel bringt, nicht bloß, was 
den Farbton, sondern auch was die Deklaration angeht, 
damit sie nicht in den Verdacht kommt, den braunen Farb¬ 
stoff aus unerlaubten Gründen zugesetzt zu haben. 


REFERATE. 

Pharmakologie. 

Referent: Privatdozent Dr. C. Bachem. Bonn. 

1. Zur Kasuistik der durch Kockelskürner hervorgerufenen 
V ergiftiingcn. V on E. II o m a. Wiener kliu. VVoehenschr., 1908, 
Nr. 45. 

-• Ueber das Verhalten des Bromglidine im Organismus. 
A on II. B orut t a u. Deutsche med. Wochensclir., 1908, Nr. 44. 

3. Pharmakologie des Broms und seiner Verbindungen. Von 

E. 13 u e i g i. Korrespondenzbl. f. Schweizer .Aerzte, 1908, Nr. 21. 

1. Im vorliegenden Falle handelt es sich um eine Frau, die. 
in der Absicht, ihre Stuhlverstopfung zu vertreiben, ebenso wie 
ihr Mann, je eine halbe Bohne von Koekelskörnern genommen 
hatte. Bei beiden trat bald nachher großes Unwohlsein auf. 
M ährend der Mann noch seinen Dienst versehen konnte und nur 
starken Durchfall zeigte, hatte die Frau Kopfschmerzen, Schwei߬ 
ausbruch. Zittern, Schwindel und OhymachtsanfäUe, Erbrechen 
und Durchfall; in der folgenden Nacht verschlimmerte sieh der 
Zustand unter krampfartigen Schmerzen. Der hinzugerufene 
Arzt fand die Gesichtsfarbe blaß, Lippen leicht livid. Puls klein 
und frequent, Pupillen eng, Atmung etwas erschwert, in der rech¬ 
ten Bauchgegend krampfartige Schmerzen. Da die Frau schon 
erbrochen hatte, wurde von einer Magenspülung abgesehen und 
Analeptica und lokale feuchtwarme Umschläge verordnet. Am 
dritten Tage konnte die Patientin geheilt entlassen werden. 

Diese Krankengeschichte ruft uns die krampferregende Wir¬ 
kung der Kockeiskörner, die bei uns zum Fisehköder dienen, ins 
Gedächtnis zurück. Die Wirkung ist bedingt durch ein Alkaloid, 
Pikrotoxin, das auch hei Tieren nachgewiesenermaßen tonisch- 
klonische Krämpfe hervorruft.. Die aus der Droge bergest eil t'o 
Tinktur wurde gegen äußerliche Parasiten (Läuse) angewandt, 
doch hat. sich dieselbe bei innerer Anwendung als sehr giftig 
erwiesen. 

2. Im Bromglidine (Verbindung eines Pfianzeneiweißes mit 
Brom) wird das Brom ebenso ausgesehieden wie das des IJrom- 
kaliums, nur daß die Ausscheidung gleich zu Beginn stärker 
einsetzt. Auch die physiologische Wirkung scheint im Verhältnis 
zum Bromgehalt intensiver zu sein. Die Versuche wurden teils 
an Menschen, teils an Tieren (Kaninchen) angestellt. 

3. In dieser (als Vortrag gehaltenen) Abhandlung macht 
der Berner Pharmakologe zunächst einige Angaben, die sich auf 
das V orkommen von Brom im Organismus beziehen; ob sieh 
wirklich Brom in tierischen Organen (Schilddrüse) befindet, 
hält 13. für sehr fraglich. Des weiteren beschreibt Verf. das 
typische Bild der Bromvergi flung bei Tieren und bespricht die 
Ausscheidung des Broms, die im Gegensatz zu Jodsalzen sehr 
langsam vor sich gehl. Das Brom kann sodann bei entsprechen¬ 
der Zuführung' das Chlor des Körpers ersetzen, eine Tatsache, 
deien sich die Therapeuten zielbewußt bedienen, wenn sie eine 
antiepileptisehe Kur mit Brom bei gleichzeitiger Kochsalz¬ 
en tziehung einleiten. Die Frage, ob das Brom eine besonders 




1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


731 



starke Affinität zur Gehirnsubstanz hat, hält B. zwar für wahr¬ 
scheinlich. indes stehen noch genaue Versuche hierüber aus. 

Als zweckmäßiges Brompräparat empfiehlt sich, selbst bei 
Herzkranken, das Kalium brornatum. während die übliche 
Mischung der drei offiziellen Brorasalzc: Kalium-, Natrium- und 
Amnionium bromat.mu für die Verwendung sinnlos isr. 

Von den zahlreichen organischen Brompräparaten (Bro- 
mokoll, Bromeigon usvv.) muß man verlangen, daß die unange 
nehmen Nebenwirkungen auf Magen und Darm vermieden wer¬ 
den, ohne daß die sedativen Bronieigenschaften auf das Zentral¬ 
nervensystem wegfallen oder vermindert werden: ferner soll das 
Brom in den Körper in einer Verbindung ein geführt werden, die 
im Organismus deponiert wird und dann langsam Brom abspaltet: 
endlich soll der Bromeffekt mit der Wirkung eines anderen Arz¬ 
neimittels, /.. B. irgendeines Narkotikums der Fettreihe, vereint . 
zur Geltung kommen. 

Verf. hat selbst eine Methode ausgearheitet, mit Hilfe deren 
es gelingt, das im Harn abgeschiedene anorganische und orga 
irische Brom voneinander getrennt zu bestimmen. 

Weitere Veröffentlichungen über dieses Arzneimittel slellt 
Buergi in Aussicht. 


Hygiene. 

Referent: Dr. E. Pinczower. Berlin. 

1. L'eber die Brauchbarkeit des BrillantgrUn-Typinisiiähi- 
bodens. Aus dem hygienischen Institut der Universität Berlin. 
Von I\ y p k e - B u r e h a r d i, Bitburg. Hygienische llundsch.. 
1908. 18. Jahrg. Nr. 21. 

2. Der Einfluß hoher Wärmegrade auf den arbeitenden 
Organismen. Nach Versuchen in Salzbergwerken. Von Dr 
IT. L i e f nr a ii n und Dr. M. Kloster m a n n. Zeitsehr. für 
Hygiene u. Infektionskrankheiten. Bd. 61. He.lt 1, S. IIS 

3. Die Trinkwasserdesiiifektion durch Wasserstoffsuperoxyd. | 
Aus dem hygienischen Institut, der Universität Wien Von Dr 
Heinrich Reichel. Zeitsehr. f. Hygiene u. Infektions 
krapklleiten, Bd. 61 Heft 1, S. 49. 

4. I nt ersuch mtgen über das Mittagessen in verschiedenen 
Wirtschaften Berlins. Aus dem hygienischen Institut dev l uiver- 
sität Berlin. Von Karl K i ß k a 1 t, Berlin. Arch. f. Hygiene. 
1908, Bd. 66, Heft 3. S. 243. 

5. l'eber den Salzsiiuregelndt des Magensaftes bei Ancliy- 
h'stomiasis^ Unter besonderer Berücksichtigung seiner Be¬ 
ziehung zu Anämie und Appetit. 5 on Dr. 1' a n z o 5 o s h i d a. 
Formosa. Arch. f. Schiffs- u. Tropen-Hygiene, 1908, Nr. 21. 
S. 683. 

6. Bau und Arten der Gattung Lamblia. Aus dem kgl. In¬ 
stitut f. Infektionskrankheiten Berlin. Von Marinestabsarzt 
W. Bensen. Zeitselir. f. Hygiene u. Infektionskrankheiten, 
Bd. 61, Heft 1. S. 109. 

7. Ein Fall von rapide tötlieh verlaufender Katatonie bei 
einem Neger nach einer Lnisteubruchoperation. Aus den Re¬ 
gierungshospitälern in Duala. Von Regietungsarzt Dr. E. L u - 
benau. Arch. f. Schiffs- u. Tropen-Hygiene, 1908. Heft 21. 
S. 69S. 

1. Verf. hat den von Oouradi angegebenen Nährboden 

(2% Peptontleischcxtrakt Agar mit 3% Säuregehalt. Zusatz von 
Brillantgrün krystall. extra rem u. Pikrinsäure) — speziell mit 
der Drigalski-Platte - verql ' untersucht. Aus den quan¬ 

titativen Bestimmungen geht > i \< • daß eine erhebliche W aelis- 
tumshemmung für Baeterium Coli auf der Griinplatte sialtfand. 
Proteus. Pyocyaneus und Fluorescens verhalten sieh aut beiilen 
Platten gleich. Auch für Paratyphus bestehen identische W aehs- 
tumsbedingungen. Subtilis und Faeeal. alkalig. wachsen auf der 
Conradiplat-te gar nicht, auf der lhigalski s])iirlieh. Be¬ 
züglich der Ernte von Typhuskeimen fand \ert. ungotähre 
Gleichwertigkeit beider Nährböden. Die Versuche sind mit 
Bakterienrcinkultul'en angestellt; oh die beobachtete W achstums- 
henmumg von Coli auch bei Anwendung von Stühlen eintritt, 
soll später untersucht werden. 

2. Klimatische und physiologische Beobachtungen in drei 
Salzbergwerken in der weiteren Umgebung Halles angestellt, 
hatten als Ergebnis, daß die Luft in den Salzbergwerken keine 
erhebliche Verunreinigung aufwies. Ihr Feuchtigkeitsgehalt 
schwankte zwischen 40 und 50%. Die Luft führte viel Salz¬ 
staub. Die festgestellten Temperaturen waren nicht sehr hoch. 


Bei Lufttemperatur von 21". 24°. 29° waren die bei den Ar 
beitem gemessenen Temperaturen 36,75° bezw. 36,8" be/.w. 36,9". 
Die Resultate stehen nicht ganz im Einklänge mit denen F 1 ü g - 
e e s und seiner Schüler, die eine höhere W ärmestauung in 
Kohlenbergwerken konstatieren. 

Die Unterschiede führen Neid, auf die erheblichen 1 nter- 
schiede in der Luftfeuchtigkeit zurück. Dort wo eine genügende 
! Luftbewegung schwer erreichbar ist, schützt die Trockenheit der 
j Luft den Körper in hohem Maße gegen die Wärmestauung. — 
Ueber eine Berufskrankheit unter den Arbeitern der untersuchten 
| Bergwerke ist nichts bekannt geworden. 

3. Das schon häufig zur Sterilisierung von Trinkwasser und 
Milch vorgeschlagene Wasserstoffsuperoxyd ist nach S c li ü d e r s 
Methode — Untersuchung der gesamten zum Versuch verwandten 
VVassermasse auf die eingesäten Keime -— geprüft. Verwendet 
wurden Typhus- und Coliba/illen. Sehr groß ergab sich die des¬ 
infizierende Kraft nicht. Die Ablötung von Coli gelang nicht 
in 10 Minuten bei Verwendung von 1 % Ha Os. Staphylokokken 
wurden erst von einer 8 proz. Lösung in 10 Minuten völlig ge¬ 
tötet. Verf. zieht aus seinen Resultaten die praktisch wichtige 
Folgerung, daß zur wirksamen Trinkwasserdesinfektion in kurzer 
Zeit sehr große Dosen, hei längerer Einwirkung sehr geringe 
erforderlich sind. Fiir 24 Stunden genügen 0.5 pro Mille: für 
kürzeste rationelle Desinfektion sind 6 Stunden mit 1.5 pro Mille 
II 2 O 2 , für kürzeste praktisch mögliche 3—4 Stunden mit o pro 
Mille. Das unz.ersetzte Ha O* muß wegen der Göschmacksyer- 
schlechterung, die das Wasser durch diese Mengen W asserstoff- 
suptrocyd erfährt, in den letztgenannten 2 Fällen durch ein 
steriles Katalasepräparat entfernt werden. 

4. Aus verschiedenen Speiseanstalten verschiedenen Ranges 
bezog Verf. Mittagessen. Sie wurden auf ihre chemische Zu¬ 
sammensetzung und ihren energetischen Wert hin geprüft. Der 
Kalorien wert, des Mittagsmahls ergibt sich für eine Volksküche 
(keine Wohltätigkcitsaustalt) 1260. für 2 Restaurants, in denen 
Kutscher und Arbeiter verkehren, 960 und s 70. in einem sog. 
besseren Restaurant (Studenten. Kaufleute) 1030. Für Aliin- 
chener Handwerker hat v. V o i t und Forste r angegeben, daß 
sie mit der Mittagsmahlzcit die Hälfte ihres Kalorienbedarfs 
decken. Rechnet man den Gesamt-Kalorienhedarf mit 3000. s ( , 
gilt das für den Berliner Einwohner nicht. - Die Art der Ver¬ 
teilung der Kalorien auf die einzelnen Nahrungshestandteile 
war folgende: ln der Volksküche fallen auf Kohlehydrate 73.3. 
auf Fett 13,0. auf Eiweiß 13,1%, in der Arheiterwirtsehaft. auf 
Kohlehydrate 61,7, Fett 22.S. Eiweiß 10.5%. in der Kutseliev- 
wirtsebaft Kohlehydrate 16.9%. Fett 67%. Eiweiß 16.1% ; auch im 
Restaurant überwiegt das Fett. Die schätzungsweise angegebene 
Grammzahl Eiweiß pro die — bei Annahme von 3000 Kal. pro die 
— wäre bei der Kost der Kutseherwirtsehaft 117. der Arbeiter¬ 
wirtschaft 115. der Volksküche 96, dos Restaurants (bei Kalorien¬ 
bedarf von 2700) 128. Autor kommt nach Vergleichen mit den 
früheren Untersuchungen über Volksernälirung /um Schluß, 
daß seit den Untersuchungen Voits eine bi> zum Jahre 1895 
währende Verbesserung der Ernährung statigeliabi habe. Sch¬ 
lier habe sich die Ernährung trotz. Erhöhung der Preise für die 
Portionen verschlechtert. Die gegenwärtig ermittelten Zahlen 
gleichen denen V oi t s. deren Eiweißgehalt letzterer nicht für 
genügend erachtete. 

5. Es wurden in Taihoka auf Formosa über 138 Fälle von 

Ancliylostomiasis beobachtet und bei 101 Patienten der Magen 
srft untersucht. E w a 1 d - S a h l i schcs Prohef rühstüek. Be¬ 
stimmung der Milchsäure nach U f f e I in a n 11 , der . Salzsäure 
nach G ii 11 z b u r g und M int z. Der Durchschnittswert 
(OlPat.) war für freie Salzsäure 0.1354%. fiir die Gesamt- 
aciditäl (101 Pat.) 48,09 Säuregrad. Die normalen Zahlen, be¬ 
tragen fiir Japan 0.09—0,17% bezw. 54 55 Grad. Im einzelnen 

ergibt sieh, daß bei den Ancliylostomumkrankeu die Gesamt¬ 
em idität meistens normal, die 1 lyperaeidität seltener, Subaeidität. 
noch seltener ist. Bezüglich der freien Säure, die sich auch 
meistens als normal herausstellt, ist ermittelt, daß die Fälle von 
Subaeidität häufiger sind als die von Hyperacidität. Anämie 
und Gehalt an freier Salzsäure scheinen bei Ancliylostomiasis 
einander umgekehrt proportional zu sein. Der Appetit nimmt 
mit dem Gehalt an freier Säur© ah. 

6. Verf. gibt eine Beschreibung der verschiedenen Arten 
von Lamblia, Lamblia intestinalis (Megastoma enterieum), 
häufig in großen Mengen bei chronischer Diarrhoe des Menschen 
gefunden, die sieh von Lamblia muris und Lamblia cuniculi 
unterscheiden läßt. 


Original from 

R5ft¥©F-MICHIGAN 





782 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 49 


7. Krankengeschichte eines Negers, cler nach B a ssini 
operiert wurde; am 2 Tage nach der Operation traten deutlich 
die Symptome geistiger Störung auf, es wurde Katatonie 
diagnostiziert. Tod nach 15 Stunden. Die Sektion ergab keiue 
Spur von Peritonitis. Oeliirnbefund: Chronische fibröse Lepto- 
meningitis, Oedeni der Hirnhäute, einige punktförmige Blutun¬ 
gen in der weißen Substanz des Hinterhirns und Kleinhirns. 


Serumtherapie. 

Referent: Dr. W. Esch, Bendorf a. Rh. 

1. Die therapeutische Wirksamkeit des Alttuberkulins. Von 
Dr F. Köhler. Ztschr. f. ärztl. Fortbildg, 1908, Nr. 14. 

2. Klinische Erfahrungen mit Marinorekserum. Von dem - 

selben. Deutsche med. Wochenschr., 1908, Nr. 28. 

3. Tuberkulosetherapie. Von Dr. dekCam p. Berl. klin. 
Wochenschr., 1905, Nr. 44. 

4. Betrachtungen über Tuberkulin. Von San.-Rat Dr. 
Meissen, Hohenhonnef. Ztschr. f. Tuberk., Bd. X, II. 4. 

5. Tuberkulinproben und Tuberkulinkureii. Von dem¬ 
selben. Ibid., Bd. XIII, H. 3. 

6. Heber die Spezilitiit des Tuberkulins. Von DDr. A z u a 
und Covisa. Rev. d. Med. u. Cir. pract., 1908, ref. Münch, 
med. W., 1908, Nr. 43. 

7. Ueber die Reaktion der Konjunktiv» auf Tuberkulin. 
Von Dr. J. E p p e n h e i m. Med. Klin., 1907. Nr. 36. 

8. Die Bedeutung der Konjunktivalreaktion nach 400(1 
klinischen Beobachtungen. Von Dr. A. W o 1 f f - E i s n e r , 
Berlin. Münch, med. Woch., 1908, Nr. 45. 

9. Besitzt die Ophthalmoreaktion den Wert einer spezif. 
Reaktion? Von S. Purjesz. Klausenburg. Wiener med. 
Woch., 1908. Nr. 32-34. 

10. Obligatorische Serumtherapie? Eine Bemerkung zur Ber¬ 
liner Diphtheriedebatte. Von Dr. Esch. Fortsehr. d. Med., 
1908, Nr. 29. 

1. Gegenüber der hohen Wertschätzung, die dem Alttuber¬ 
kulin von seiten Bandeliers und Röpkes zuteil wird, weist 
Köhler, ähnlich wie v. S t r ü m p e 1 1 , auf die Unberechen¬ 
barkeit und die unsichere Wirkung des Mittels hin und betont, 
dal3 es noch eingehender Forschung und Arbeit bedürfe, ehe es 
bei Lungentuberkulose als sicher wirksam bezeichnet werden 
könne. 

2. Nach Köhlers Beobachtungen an 60 Tuberkulösen 
waren die Wirkungen des Marmorekserums sehr ungleichmäßig, 
sowohl hinsichtlich des Lungenbefundes und des Gewichtes als 
auch in bezug auf das Allgemeinbefinden; 7 mal trat Hämoptoe, 
3 mal Diarrhoe auf, 12 Patienten bekamen Fieber. Der Autor 
kommt zu dem Schluß, daß von einem zuverlässigen Heilmittel 
nicht gesprochen werden kann. 

3. Nachdem u. a. S c h ü 1 e , Meissen, S c h r ö d e r sich 
gegen die Tuberkulinbehandlung ausgesprochen haben, berichtet 
auch dein (’ a m p von durch sie herbeigeführten Schädigungen, 
die sich in intensiver erschleehterung des Allgemeinbefindens, 
Hervor treten der Nachtsehweiße auch außerhalb der Reaktionen, 
hämorrhagischer Nephritis usw. zeigten. Die Aussichten für eine 
aktive Immunisierung durch artverwandte Tuberkelbazillen sind 
sehr gering. Auch die verschiedenen antitoxischen und anti- 
bazillären Sera haben keine durchschlagende Wirkung gehabt. 
Es kommt also, da ein spezifisches Verfahren nicht existiert, vor 
allem die allgemeine hygienisch-diätetische Beeinflussung der 
Phthise in Betracht. 

4. \ on Einwänden gegen die Tuberkulinbehandlung nennt 
M e i s s e n die bedenklich große Zahl der Tuberkulinpräparate, 
die U n z u 1 ä n g 1 i c h k c i t. d e r T ierversuche, die 
bestenfalls, wahrscheinlich aber auch nur unter manchen Ein¬ 
schränkungen, beweisen, daß man durch gleichzeitige oder vorher¬ 
gehende Behandlung Tiere gegen k ii n s 11 i c h e Infektion 
schützen kann. 

Darüber aber, ob das Tuberkulin auch schon bei länger wirk¬ 
samer Infektion oder bei n a t ii r l i c h entstandener Tuberkulose 
heilend wirkt, sagen sie nichts aus, trotzdem diese 
Fragen beantwortet seinsollten, bevormanzu 
Versuchen an kranken Menschen übergeht. 

Verfasser meint, daß man zu sehr von der Voraussetzung 
ausgehe, daß das Tuberkulin helfen rn ii ss e und daß der mangel¬ 
hafte Erfolg nur in cler ungenügenden Zusammensetzung und 
Anwendung liege. Vielmehr solle man sich die Frage vorlegen, 


ob es überhaupt angäugig sei, den Organismus durch vermehrte 
Zufuhr der betreffenden Krankheitsgifte zur genügenden Er¬ 
zeugung von Schutz- und Heilstoffen zu zwingen. 

Aber auch der praktische Erfolg habe die theoretischen Be¬ 
denken nicht entkräftet. Auf Grund langjähriger Erfahrungen 
an Tausenden von Kranken sagt Meissen mit B r e h m e r: 
„Ich habe nicht das Glück, die Nachwirkungen sehen zu können, 
ilit meine Kollegen von ihren Mitteln rühmen.“ Reine Ver¬ 
suche am Menschen vermögen wir ja kaum anzustellen, weil wir 
niemals bloß das Mittel amvenden. Selbst dann, wenn es zu 
Hause und nicht wie meist, in einem Sanatorium, Krankenhaus 
oder Kurort genommen wird, nehmen wir unwillkürlich noch eine 
ganze Reihe anderer Maßnahmen hinzu, vor allem eine gesund¬ 
heitsgemäßere Regelung der Lebensweise. 

Da auch ohne Spezifika beträchtliche Erfolge vielfach er¬ 
reicht werden, so kann auch der wohlwollendste nüchterne Be¬ 
urteiler beim Tuberkulin höchstens zu einem Vielleicht gelangen 
Betr. Meissners Auffassung der Stadieneinteilung wolle 
man das Referat S. 390 vergleichen. S. 21.0 der „Th. R.“ wurde 
bereits die Schlußbemerkung der Arbeit zitiert, wo es heißt: 
Die Ansicht, daß es gegen jede Krankheit ein 
b e s t i m m t e s M i t 1 e 1 g e b e n müsse, e n t s p r i c h t f r e i - 
lieh u n s e r e n W ii n s c h e ii , s i e ni a g a b e r a u c h e i i. 
R es t d e s n a i v e n W underglaubens alter Zeiten 
sein, den wir sonst so gern bespötteln. Vielleicht wird sich 
ergehen, daß man die Tuberkulose nicht durch ein Mittel, sondern 
durch ein Verfahren zur Heilung bringen muß: Die ..aktive 
Immunisierung“ wird wohl besser durch Hebung der Widerstands¬ 
kraft mittels hygienisch-diätetischen Maßnahmen als durch 
„spezifische Mittel“ erzielt. 

5. M e i s s e n faßt das Ergebniß seiner Beobachtungen über 
Tuberkulinproben und Tuberkulinkuren in seinem Vorträge 
folgendermaßen zusammen: 

a) Die Abnahme der Tuberkulose-Sterblichkeit beruht nicht 
auf einer Abnahme der tuberkulösen 1 n f e k t i o n , sondern auf 
Verminderung der tuberkulösen E r k r a n k u n g infolge der 
sozialhygienischen und -politischen Fortschritte. Tuberkulöse 
Infektion und tuberkulöse Erkrankung sind zu trennen; zur Ent¬ 
wicklung der letzteren gehören allermeist auslösende Momente. 

b) Die subkutane Tuberkulinprobe ist ein sehr feines 
Reagens für beide. Sie ist n i c h t g a n z u ngef ä h r 1 i c h 
und überdies für die klinische Diagnose im allgemeinen zu f e i n. 
Für diese eignet sie sich nur iri solchen Fällen, wo die auftretende 
lokale Reaktion dem Auge oder Ohr zugänglich ist. 

c) Die k u t a n e Tuberkulinprobe steht an Empfindlichkeit 
der subkutanen kaum nach. Sie eignet sich durch ihre Einfach¬ 
heit und Gefahrlosigkeit ganz besonders zu Untersuchungen über 
die Verbreitung der tuberkulösen I n f e k t i o n , um die Ergeb¬ 
nisse der p a t h o 1 o g i s e Ii e n A n a t o m i e zu ergänzen und 
dadurch zu richtigeren Vorstellungen über die Entstehung der 
Tuberkulose zu gelangen. 

d) Die k o n j u n k t i v a 1 e Tuberkulinprobe ist bei rich¬ 
tiger Ausführung ganz unbedenklich f ? s. u.) Sic eignet sich an¬ 
scheinend zu p r ognostis c h e n Zwecken, d. h. zur Be¬ 
urteilung der Widerstandsfähigkeit des tuberkulös erkrankten 
Organismus: Fehlende oder sehr schwache Reaktion bei mani¬ 
fest. e r L u n g e n t u b c r k u lose ist fast stets von übler 
Vorbedeutung, positiver Ausfall bedeutet mit großer Wahrschein¬ 
lichkeit, daß der Organismus noch kampffähig ist und mit Unter¬ 
stützung hygienisch-diätetischer Maßnahmen vielleicht, zum Siege 
gelangen kann (vgl. dazu unter 8 f). 

e) Das Tuberkulin ist kein erwiesenes Heilmittel der Tuber¬ 
kulose. Seine Anwendung erfordert sorgfältige Ueberwaclniug, 
wie sie im allgemeinen nur in Anstalten und Krankenhäusern 
möglich ist: sie sollte nur in ausgewählten Fällen versucht 
werden nach einem Verfahren, das sich auf die zweifellos vor¬ 
handene hyperämisieren de, anregen d e Wirkung au f 
die tuberkulösen Herde stützt, auf die streitige immunisierende 
Wirkung aber verzichtet. 

6. A /. u a fand folgendes: Von 12 sicher Tuberkulösen gaben 
9 Opht.balmo-, 10 Kutireaktion. von 16 Nicht tuberkulösen geben 
8 erstcre, 10 letztere: 2 Lepröse, bei denen die genannte Unter¬ 
suchung nichts Tuberkulöses ergab, reagierten auf beide Ver¬ 
fahren positiv. Er hält, die Tuberkulinreaktionen bei Kindern für 
wertvoller als bei Erwachsenen, die Kutireaktion für feiner und 
weniger gefährlich als die Ophthalmoreaktion. 

Oovis'a fand von 7 Lungentuberkulosen alle positiv, von 
11 chirurgischen 8. von 4 Nichttuberkulösen 3 positiv. Er hält 
die Reaktion für nicht spezifisch. 






1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


738 


7. E p p e n li e i m sieht die Methode als brauchbar für die 
ärztliche Praxis an — obwohl es sicher Tuberkulöse gibt, die 
selbst auf 4 proz. Tuberkulinlösung nicht reagieren (!), und ob¬ 
wohl auch klinisch gänzlich unverdächtige I 4 älle reagiert haben. 
Bei letzteren könnte allerdings latente Tuberkulose vorliegen. 

Im allgemeinen werde man aus dem positiven Ausfall nur 
einen Anhalt dafür gewinnen, daß irgendwo im Körper ein tuber¬ 
kulöser Herd vorhanden sei, ohne daß dadurch bewiesen werde, 
daß eine fragliche Erkrankung, zu deren Klärung die Reaktion 
angestellt wurde, auf Tuberkulose beruhe. (!) 

8. Wolff-Eisner, der Erfinder der Kon junktival- 

reaktion, kommt in seiner neuesten Arbeit zu folgenden 
Schlüssen: . 

a) Die Subkutan- und Kutanmethode sind spezifische Reak¬ 
tionen; da sie auch latente Tuberkulose anzeigen, sind sie für die 
klinische Diagnostik nur mit Einschränkung verwertbar. 

b) Die positive Konjunktivalreaktion zeigt aktive Tuber¬ 
kulose an. 

c) Ihr Auftreten bei klinisch Gesunden macht diese 
dringend suspekt. 

d) Ihr negativer Ausfall bei manifester Tuberkulose hat 
eine prognostisch ungünstige Bedeutung. 

e) Die negativen Reaktionen werden mit dem Fortschreiten 
der Erkrankung immer häufiger. 

f) Aus einer positiven Konjunktivalreaktion ist kein Schluß 
auf eine günstige Prognose zu ziehen, sondern nur aus der 
sogen, kutanen Dauerreaktion. 

g) In für das Leben indifferenten Gewebsteilen von z. B. 
Bindegewebe, kann man Rezeptoren schaffen, die Tuberkulin an 
sich ziehen und die Giftwirkung lokalisieren. Diese Beobach¬ 
tung läßt sich therapeutisch verwerten. (Das „Simplex sigilhim 
veri“ haben diese Methoden — negativer Ausfall ist einerseits 
günstig, andrerseits ungünstig, ebenso der positive! — jedenfalls 
nicht für sich. Ref.) 

9. Purjesz kommt auf Grund einer ausgedehnten Ver¬ 
suchsreihe, die u. a bei vielen tuberkulös infizirten Tieren stets 
negativ ausfiel, zu dem Ergebnis, daß die Ophthalmoreaktion 
n i c h t. spezifisch sei. 

10. Als Ergebnis der Diphtheriedebatte' der Berl. med. Ge¬ 
sellschaft vom 17. VI. 1908 wurde in der Fachpresse berichtet., mit 
Hilfe des Serums sei die Mortalität von 50 auf 11.9% herab¬ 
gedrückt, es sei also „durch die brutale \\ ucht. der Zahlen nach¬ 
gewiesen, daß die Diphtherie zu den von der modernen 5\ issen- 
schaft. ü b e r w undenen Krankheiten gehöre und die Anwen¬ 
dung des Serums sei demgemäß ebenso selbstverständliche Pflicht 
des Arztes wie die der Asepsis/* 

Gegenüber dieser Erhebung einer therapeutischen Maßnahme 
zum absoluten Dogma weist E. zunächst darauf hin, daß die aus 
langen Zeiträumen berechnete allgemeine Durclisclmitts- 
diphtheriemortalität ohne Serum nicht mehr wie 20% betrage, 
daß bei dem Heruntergehen der Mortalität seit 1895 verschiedene 
mit,wirkende Umstände zu berücksichtigen seien, wie z. B. Aende- 
vungen des Materials, der Berechnung, der Behandlung, endlich, 
daß bei ei n er Mortalität von 11.9% ü b c r h a u p t 
n i c h t v o n e i n o r „ii b e r w u n d e n e n“ K r a n k h e i t 
gesprochen werden d ü r f e. 

Selbst, wenn man von den 63 Todesfällen obiger Statistik 
21 „zu spät Gespritzte“ abzielie, bleiben immer noch 8% Mor¬ 
talität. Ein solcher Abzug jedoch und noch vielmehr das weiter¬ 
hin proponierte Nicliteinbeziehen der Mischinfektionen. Kompli¬ 
kationen, sekundären Verlaufsanomilien usw. wäre doch wohl 
nur dann angängig, wenn ähnliche „Hilfen“ auch der \ or- 
Serum-Statistik zugute kämen. 

Was nun die viel angeführte „allein aussphlag* 
g e b e n d e B e o b acht u n g a m K r anh n b e t t“ betreffe, 
so sei zu betonen, daß z w ar wohl eine gewisse Beei n - 
f lussung des K r a n kheitspf ozesses, nicht aber die 
spezifische Wirkung des Serums beim M e n s c he n , d. h. 
also seine V n e r s e t. z 1 i c h k e i t bei diesem unbestritten fest- 
stehe. Denn gerade nach den neuesten einschlägigen Arbeiten 
(Z a n gemeister, Deutsch m ann 1 ), P r e d t e - 
t, s c h e n s k y 2 ), M eine r a ), Salu s 4 ) etc.) werde die Wirkung 
der für den Menschen artfremden Sera nicht auf deren Spezifität, 
sondern auf ihre Eigenschaft als Fremdstoffe, als Leukostimu- 
lantien zurückgeführt, (wie ja auch nach den in der Fachpresse 
niodergelegten Beobachtungen das spezifische Diphtherie- 


serum bei Scharlach, Masern, Ozaena, Keuchhusten, Erysipel, 
Phlegmone, Meningitis, Milzbrand, Tuberkulose und außerdem 
auch noch bei einer großen Zahl von Augeninfektionen günstig 
wirke!). 

Aus diesen Gründen sei die in Berlin quasi geforderte Ein¬ 
führung der obligatorischen Serumtherapie der Diphtherie, das 
Wort von der überwundenen Diphtherie als nicht unbe¬ 
denklich zu bezeichnen, und das um so mehr, als e9 scheine, daß 
man wieder mit einem bösartigeren Auftreten der Diphtherie, als 
es in den letzten 15 Jahren der Fall war, werde rechnen müssen, 
indem aus Köln eine Mortalität von 3 2 % seit 

1. Januar 1 9 0 8 berichtet wurde, trotz Injek¬ 
tion von bis zu 8000 Einheiten 5 ). 


Chirurgie. 

Referenten: Prof. Dr. K. Helbing* und Dr. P. Roeder. Spezial- 
iirzte, Berlin. 

1. Beitrag zur Fulgurationsbehandlung maligner Tumoren. 

Von Dr. K u rt Sc h u 1 t z e, Berlin. Münch, med. Wochenschr., 
1908, Nr. 43. 

2. Atropin bei Hcrnia incarcerata. \ on Dr. Rabl (Murtoa, 
Australien.) Münch, med. Wochenschr., 1908, Nr. 43. 

3. Behandlung des Hydrops genu traumaticus. Von Dr. 
Hart leib, Bonn. Münch, med. Wochenschr.. 1908, No. 43. 

4. Milzbrand und seine Behandlung. Von San.-Rat B a r - 
la'ch. Neumünster. Med, Klinik, 1908, No, 44. 

5. Ueber aseptische Darmoperationen. \ on L. M o s z k o - 
wicz, Wien. Wien. klin. Wochenschrift., 1908, No. 46. 

1. Die Resultate, die Schultze aus der Chirurg. Universi¬ 
tätsklinik uns vorlegt, sind nichts weniger als ermutigend. In 
keinem von den 12 Fällen war das Fortschreiten des Karzinoms 
aufzuhalten; im Gegenteil hate man in einigen Fällen den Ein¬ 
druck. als würde das Wachstum des Tumors durch die Fulguration 
noch angeregt Natürlich lassen diese 12 Fälle, zu denen aus¬ 
schließlich inoperable Tumoren ausgewählt wurden, uoeli keinen 
definitiven Schluß zu: man muß erst die Ergebnisse anderer 
Praktiker auf diesem Gebiete abwarten. Auf jeden Fall ist die 
Arbeit, die eine eingehende Beschreibung des Apparates und der 
Technik bringt, recht lesenswert. 

2. Rabl hat bei frischen eingeklemmten Hernien Atropin¬ 
injektion angewendet und dadurch durch die Brüche, die jedem 
Taxisversuch Widerstand leisteten, spontan zuriiekgehen sehen. So 
injizierte er einem 3 jährigen Knaben 3 mg (!) Atropin, welcher, 
nachdem er 6 Stunden deliriert hatte, in Schlaf verfiel und gesund 
wurde. Erwachsenen gab er bis zu 6 mg. -- Wahrscheinlich han¬ 
delte es sich zum Teil um angeborene Brüche, auf der anderen 
Seite um solche mit weitem Bruchring; es ist schwer anzunehmen, 
daß das Atropin bei Brüchen mit engem Bruchring, bei denen der 
Darm fest umschnürt ist, Erfolg haben könnte. 

3. Hartleib» der sich selbst, durch ein Trauma eine seröse 
Synovitis (sollte es nicht vielleicht ein Hämarth ros gewesen 
sein) zuzog, beschreibt eingehend die Art seiner Behandlungs¬ 
methode. die er vorn einfachen heißen Umschlag über Sohwainm- 
kompiession, Heißluftbehandlung bis zur Massage ausprobiert 
hat. die aber immer wieder ein Rezidiv brachten, da er zu früh¬ 
zeitig die Bettruhe aufgäb und das Knie namentlich beim 1 roppen- 
steigen überanstrengte. \\ enn er glaubte, daß durch Arassage nach 
Heißluftbehandlung Ekzeme durch Infektion durch die Hände dos 
Wärters entstehen, weil die Poren infolge der Hitze geöffnet 
geöffnet seien, so ist dies doch auch etwas gesucht; bekanntlich 
entstehen ja solche auch bei empfindlicher Haut durch einfache 
thermische oder chemische Reize. Im übrigen kann man dem 
Yerf. Glück wünschen, daß er trotz seiner Behandlung gesund 
geworden ist. 

4. Barlach, der seit dreiundeinhalb Dezennien Erfahrun¬ 
gen gesammelt hat über die Behandlung des Milzbrandkarbunkels, 
teilte diese im folgenden mit. Leichte Fälle im Beginn werden mit 
antiseptischen Umschlägen — Sublimat oder essigsaurer Tonenh 
— zur Heilung gebracht, schwere dagegen mit Oedeni und aus¬ 
gedehnten Erysipel in der Umgebung bedürfen eines kleinen, 
nicht sehr schmerzhaften Eingriffes. Die Pustel wird 
mit einem scharfen Messer ohne Druck gespalten und 
ringsherum mit dem spitzen Thermokauter durch eine Rinne von 


') 2 ) 3 ) Münch, med. Wochenschr., 1908, 1906, 1903. 
4 ) Med. Klinik, 1907 und 1908. 


') Münch, med. Wochenschr., 1908, Nr. 38. 





734 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 40 


der Umgebung isoliert. I nterstiitzt wird diese Behandlung 
durch Einspritzung weniger Tropfen Jodtinktur an der Grenze 
iles Erysipels und der gesunden Haut, eventuell aueli in die ent¬ 
zündete Haut selbst, B. hat seit S Jahren keinen einzigen Fall 
verloren. Wieht.ig ist außerdem absolute Bettruhe und Feber 
waehung. da plötzliche Verschlimmerungen eintreten können, die 
bei An Wendung geeigneter Maßregeln unschwer zu beseitigen 
sind. 

5. Die von K o z t o w z e w zuerst angegebene, aber von M. 
erst ausgearbeitete und am Menschen bereits in 15 Fällen er¬ 
probte Methode verdient wegen ihres tatsächlichen Fortschrittes 
in der Technik nähere Beleuchtung. Sie beruht darauf, daß in 
den Darmklemmen, die man zum Abklemmen des Darmes bei 
Resektionen benutzt, 2 Stäbchen sich befinden, die an ihren 
Enden durch Klammern zusammengehalten werden können und 
nach Abnahme der Klemmen den Darm völlig verschließen. Nach 
Wegnahme des zu resezierenden Darmstückes werden die beiden 
Stäbchen durch eine Zange zusammengebracht und nunmehr die 
beiden Darmendeu über den Stäbchen durch eine seroinuskuläre 
Naht vereinigt. Danach erfolgt Hrrausziehen der Stäbchen und 
Verschluß der beiden Testierenden Lücken durch eine Sehnürnaht, 
darüber kommt, eine Serosanaht. Jetzt genügt ein leichter Druck 
mit. dem Finger, indem man den Darm invaginieijt; die bis jetzt 
noch verschlossenen Enden zu offnen. So ist eine Inli/.icnmg 
des Operationsgebietes mit Darminhalt ausgeschlossen. Auch 
Sehleimhautblutungen sind nicht zu befürchten, da der Dann 
völlig zu einem pergamentpapierdünnen Blatt zusammen ge¬ 
quetscht worden ist. Die Methode verdient weitgehendste Be¬ 
achtung und Nachprüfung. 


Lungeukrankhciten. 

Referent: Dr. Ernst Meyer, Charlottenburg, Assistent au der 
Kgl. Universitätspoliklinik für Lungenleidende zu Berlin. 

1. Abortive Pneumonien. Von Käppeli seu. Münch, 
med. Wochenschr., 1908, Nr. 46, S. 2391. 

2. Ueber interne Anwendung von Tuberkulin und tuber- 
ku Unähnlich eil Präparaten. Von A. Mo eil er. Münch, med. 
Wochenschr.. 1908, Nr. 45, S. 2324. 

3. Alkohol und Tuberkulose. Von A. W e i c h s e 1 b a u in. 
Oesterreich. Aerzte-Ztg., 1908, Nr. 21, S. 387. 

4. Ueber die symptomatische Behandlung der Lungentuber¬ 
kulose. Von H. Senator. Therapie der Gegenwart, Novem¬ 
ber 1908, .S. 481. 

5. Eine neue Behandlung von Bronchialasthma. Von Otto 
G ü n z e 1. Berk klin. Wochenschr., 1908, Nr. 45, S. 2021. 

1. Bei einer großen Anzahl von Pneumonien sah Käppeli 
eine günstige Beeinflussung durch Antifebrin. Er gab dies 
zweistündlich in Dosen von 0,25 g, bis es zu einem starken 
Schweißausbruch kam. Dann erhielt der Pat. zweistündlich 
1 Eßlöffel einer 2—4 proz. Lösung von Natr. salic. bezw. Coff. 
catr. salic. — In fast allen Fällen trat eine erstaunlich schnelle 
Besserung ein. 

2. Während man bisher mit Tuberkulin, welches per os ge¬ 
geben war, keine Resultate erzielt hatte, versuchte M o e 1 1 e r 
dies mit großem Erfolg. Er gab das Tuberkulin zu diagnostischen 
Zwecken in den sog. Geloduratkapseln, welche sich bekanntlich 
nicht im Magen, sondern erst im Darme lösen. Er hatte hierbei 
genau die gleichen Reaktionen, als wie bei der subkutanen In¬ 
jektion. Auch bei der Tuberkulintherapie verordnete, er Tuber¬ 
kulin bezw. Bazillenemulsion in Geloduratkapseln mit gutem Er¬ 


folg. Er gab hier 

Tuberkelbazillen-Emulsion .... 0,0002 ccm 

(“— Tuberkelbazillen-Substanz . . . 0,001 mg) 

Timothein . 0,0001 ccm 

C-alc. formic.0,01 g 


in Kapseln gefüllt. 

die er mit dem Namen Tuberoidkapseln belegte. Er läßt meistens 
zuerst jeden zweiten Tag eine Kapsel nehmen und nach etwa 
3 AYbchen täglich eine. Hierbei ist. darauf zu sehen, daß durch 
geeignete Diät das gesunkene Körpergewicht gehoben wird. Be¬ 
sonders geeignet soll diese Behandlung bei Kindern mit ge¬ 
schlossener Drüsentuberkulose (Skrofulöse) sein. Fiebernde 
Phthisiker wurden nach Darreichung des Mittels oft entfiebert. 
Besonders empfehlenswert soll cs bei der Behandlung von tuber¬ 


kulösen Schwängern sein, wo das Mittel oft die Einleitung des 
künstlichen Abortes unnötig macht. 

3. \\ e i e h s e ] 1> a ii m stellt den Alkohol als ein die Tuber¬ 
kulose ungünstig beeinflussendes Mittel hin. Alkoholiker erliegen 
viel leichter der Tuberkulose als Abstinente. Auch an Tierver¬ 
suchen ist der sehiidliehe Einfluß des Alkohols auf die Tuber¬ 
kulose naehgewiesen. Die Darreichung von Alkohol in den 
Lungenheilstätten ist unbedingt zu verwerfen. Zur erfolgreichen 
Bekämptung der Tuberkulose gehört unbedingt eine energische 
Stellung gegen den Alkoholgenuß und die jetzt bestehenden 
Trinksitten. 

4. Bei dem Suchen nach einer spezifischen Behandlung der 
Tuberkulose hat man nach Senators Ansicht die symptoma¬ 
tische Behandlung mit Unrecht allzusehr in den Hintergrund 
gestellt. Zuerst bespricht Verf. die Behandlung des Bluthustens, 
wobei er Narkotika, wie Dionin, Codein, Heroin und Morphium, 
empfiehlt. Wohltuend wird von vielen Patienten die Anwendung 
von Kälte empfunden. A on den Adstringenti;.*n hält S e n a t. o r 
bei Lungenblutungen nicht viel, ebenso von Senate cormitmn, 
Ilydrnstis und den übrigen besonders bei l terushlutungen ge- 
bräuchHellen Mitteln. Wenig mehr Nutzen verspricht sich Verf. 
von Adrenalin und Balsamiris, dagegen empfiehlt er sehr Gelatine, 
besonders subkutan oder auch eventuell per rectum gegeben. Auch 
vom Abbinden der Glieder sah er in verzweifelten Fällen noch 
Nutzen. Bei stürmischer Herztätigkeit wird noch gern Digalen 
angewandt. l ieber und Nachtschwei ße werden zweckmäßig 
durch Waschungen und lauwarme Bäder bekämpft. Bei hart¬ 
näckigem Eieber bevorzugt S e ii a t. o r Guajakolpinselungen. so¬ 
wie Maretin. Pyramiden etc., warnt aber vor »Salizylsäure und 
ihren Salzen. Zur Beseitigung der Nachtsehwe'ißo dienen Ab¬ 
reibungen mit Essigwasser und flüssiger Formalinsc.ife. in 
schweren Fällen Atropin, Eumydrin, Aqariein, Dormiol und 
Bromural, das zugleich noch beruhigend wirkt. Bei der Behand¬ 
lung der Diarrhöen stellt in erster Linie die Diät, leichte Speisen 
wie Reis. Tapioca, Mondamin etc. etc., Hoidclherrwein, Eichel¬ 
kakao, warme Lcibumsehläge, Emser Kessclbrunncn. Außerdem 
gibt Verf. noch innerlich Opium, Argentum nitrieum. Bismuth, 
Cortex Cascarillae und Radix Colombo. 

5. Die meisten Medikamente, welche hei der Asthmabehand- 

lung angewandt werden, dienen zur Herabsetzung der Nerven- 
reizbarkeit. In gleicher Weise soll der intermittierende Gleieh- 
strmn wirken, durch den man z. B. wie durch Kokain eine lokale 
Anästhesie hervorrufen und auch schmerzlindernd bei Neuralgien 
etc. wirken kann. Günzel wendet bei der Asthmabehandluiig 
einen aus 18 Trockenelementen bestehenden Apparat an. in dem 
der Gleichstrom 14 000 mal in der Minute unterbrochen wird. 
Die positive Doppelelektrode wird auf die Kehlkopfgegend. die 
negative auf die Brust des Asthmatikers gesetzt. Schon nach 
einer Anwendung von 5—10 Minuten Dauer trat Beruhigung 
der Atmung ein: Heilung des Anfalls sah G ii u z el schon nach 
- 4 Sitzungen in stündlichen Intervallen. Diese Methode 

wurde mit Erfolg überall da angewandt, wo es sieh um reines 
Bronchialasthma ohne Komplikationen handelte. Auch bei Reiz- 
husten. Heuschnupfen. Migräne, Angina pectoris sah Günzel 
von der Anwendung des Apparates günstige Erfolge. Der 
Apparat kostet 100 Mk. und wird hergestellt von Leopold 
B a t s c h i s in Naumburg a. d. Saale. 


Magen-, Darin- und Stoffwechselkrankheiten. 

Referent: Spezialarzt Dr. M. PickaFdt* Berlin. 

1. Beitrag zur Therapie des 'Magcnkarzinnms durch Atoxyl. 

\ on Dr. M arteil. All gern. med. Zentralztg., 1908. Nr. 46. 

2. Beitrag zur internen Gallenstcintherapie. Von San. Rat 
Hr. 5. B p c k. Deutsche med. Wochenschr.. 1908. Nr. 45. 

3. Ein A orschlag belmfs Ernährung hei der Oesophngus- 
dilatation. Von Dr. Einhorn. Zeitschr. f. diätetische und 
physikalische Therapie. 1908, Heft 8. 

1. A crf. teilt folgenden merkwürdigen Fall mit: Ein 
57 jähriger Mann, der seit, zwei Jahren an Magenbeschwerden 
leidet, nahm in den letzten 14 Tagen vor Beginn der Behandlung 
8 Kilo ab und klagt über dauernde Magen- und Kiickenschmeiv.ru 
mit. starkem Schwäehegefühl. Uebelkeit und Brechreiz. Im 
Epigastrium ein hühnereigroßer Tumor. Verf. ordiniert mehr¬ 
mals täglich die Einreibung eines Atoxylseifencrenies (Atoxyl 
0,5. Sapo, üngt. 50,0), so, daß, im ganzen 150 g Creme mit 1,5 g 






1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


735 


Atoxyl verbraucht werden. Nach der vierten Woche ist der Pat. 
schmerzfrei: der Allgemeinzustand läßt allerdings noch z\i wün¬ 
schen übrig. Während vor Beginn der Behandlung Obstipation 
bestand, beginnen am 5, Tage Entleerungen von stark fötidem 
Geruch, breiiger Konsistenz, mit Schleimbeimengungen. Letztere 
lassen allmählich nach und verschwinden; die Entleerungen 
werden allmählich fester. An Stelle des harten Tumors ist eine 
weiche nachgiebige Stelle vorhanden, welche sich palpatoriscli 
in nichts von den umgehenden Muskeln unterscheidet, Patient 
ist, bezüglich der Möglichkeit, eines Rezidivs, in Behandlung. Die 
blaugrüne Farbe der beschriebenen Entleerungen rührt nach 
Verf. von dem die Basis des Atoxyls-Moleküls bildenden 
Anilin her. 

Hierzu sind folgende kritischen Bemerkungen nicht zu unter¬ 
drücken: 1. Ist nicht bewiesen, daß der „Tumor“ ein Magen- 
karziiiom war. 2. Wäre zu beweisen, daß Atoxyl durch die Haut 
resorbiert wird und eventuell in welchen Mengen. 3. Irrt sich 
der Verf., wenn er annimmt, daß das Atoxyl ein Anilinderivat 
ist; das ist von E h r 1 i ch längst widerlegt. 

Die theoretischen Erklärungen bedauert Referent, als ihm 
unverständlich nicht wiedergehen zu können. 

2. Verf. hat experimentell und praktisch ein ihm unter 
der Bezeichnung „Gallisol“ übergebenes Mittel — die quan¬ 
titative Zusammensetzung wird vom Erfinder geheim gehalten; 
es ist in der Hansa-Apotheke zu Berlin verkauft — geprüft, das 
Gallensteine abtreiben soli. F- besteht aus Schwefelleber. Ri¬ 
zinusöl, Birkenteer, Spiritus viui und Pfefferminzöl. 

Spiritus dient nur als Lösungsmittel. Pfefferminz als Ge- 
schmackskorrigens; die anderen drei Konsistuenten sind Phar¬ 
maka. welche imstande sind, alte Darmkatarrhe ,die oft durch 
Fortpflanzung auf die Gallenblase Ursache der Entstehung der 
Gallensteine sind, günstig zu beeinflussen. Von der schwarz- 
braunen Flüssigkeit werden täglich 3 mal 25—30, bei sehr kräf¬ 
tigen Menschen 35 Tropfen empfohlen: bei Obstipation soll man 
einen abführenden Tee vorhergeben. Nach Verbrauch von zwei 
Flaschen gebe man von einer dritten nur zweimal, von einer 
vierten nur einmal täglich. Nach wenigen Tagen treten in vielen 
Fällen Koliken ein, welche nicht mit Morphium, sondern nur mit 
Bettruhe und heißen Ivataplasmen zu behandeln sind. 

Verf. hat nun an einer Hündin — nur an einer, was keines¬ 
wegs genügen dürfte. Ref. — mit einer Gallenblasenfistel Ver¬ 
suche angestellt, aus denen hervorgeht, daß das Gallisol ein. 
Cholagogum ist, das aber nicht nur eine Vermehrung der Flüs¬ 
sigkeit. sondern auch der festen Bestandteile bewirkt, so daß 
keine Eimlickung der Galle statt findet. Von den das Mittel 
zusammensetzenden Substanzen wirken besonders eholagog die 
Schwefelleber und das Rizinusöl, weniger das Ol. Oadini. 
Schwefel und Teeröl wirken desinfizierend und die Zersetzung 
hemmend auf die Galle und den Darminhalt. 

Was die klinische Seite anlangt, so gibt Verf. an. daß von 
den dreißig von ihm behandelten Patienten 26 ihre Anfälle ver¬ 
loren haben, so daß sie sieh zurzeit für geheilt halten. Von 
den übrigen Patienten haben einige die Kur nach den ersten 
Koliken abgebrochen, andere sind operiert worden; einige sind 
nach Karlsbad gegangen; bei wieder anderen war die Ursache 
der Beschwerden L<»berkolik auf anderer Basis. 

3. Eine relativ selten verkommende Erkrankung ist die Di¬ 
latation des Oesophagus. Sie charakterisiert sich durch Schmer¬ 
zen und Völlegefühl hinter dem Sternum. Erbrechen größerer 
Massen, die Schleim enthalten und denen die Magensäuren und 
-Fermente fehlen: ebensolche Massen fördert auch die nicht bis 
zur Cardia geführte Sonde heraus, während sie, bis in den Magen 
vorgeschoben, durch die Magen Sekretion veränderte Massen 
zyitigt. Die Röntgenuntersuchung zeigt einen breiten, starken 
Schatten - — nach Wismuthbrei-Eingabc hinter dem Stermun. 

Tu diesen Fällen leidet die Ernährung außerordentlich, weil 
die Oesophagusmuskulatur nicht, kräftig genug ist. die Speisen 
durch die Cardia in den Magen in genügender Menge zu beför¬ 
dern. E. gibt hierfür folgende einfache Vorrichtung an: Ein 
weicher Schlauch von 30 mm Durchmesser und 54 cm Länge ist 
mit einer großen Zahl gröberer Oeffnungen vom untersten Ende 
bis auf 18 cm hin versehen: außerdem ist der Schlauch mit zwei 
Marken, bei 43 und 54 cm, gekennzeichnet und mit einem Man¬ 
drin bewaffnet. Der Drainagesehlauch wird gleich nach der 
Einnahme der flüssigen oder halbflüssigen Nahrung vom Pat. 
selber mittels Mandrin in den Magen eingeführt und dann nach 
Entfernung des Mandrins zwischen 43 bis 54 cm für eine halbe 
bis eine Minute hin und her geschoben und dann wieder heraus¬ 
gezogen. Es fließt dann Oesophagusinhalt in die oberen Löcher. 


I durch diese in den Schlauch und durch diesen aus den unteren 
I Löchern in den Magen. (Es ist aber nicht recht einzusehen, 
I warum nicht ein gewöhnlicher, in den Magen eingeführter 
I Magenschlauch mit aufgesetztem Trichter dasselbe leistet. Ref.) 


Kinderheilkunde. 

• Referent: Priv.-Doz. Dr. J. Ibrahim. München. 

1. lieber Paradysenterie und gleichartige Erkrankungen de* 
Kindesalters. Von W. Knöpfelmacher. Med. Klinik, 1908, 
S. 1293. 

2. l eber Komplikationen und Serumtherapie bei Meningitis 
cerebrospinalis epidemica. Von St. \V e i ß - E d e r. Ibidem. 
S. 1337. 

3. Bemerkungen zur Technik der intralumbalen Anwendung 
des Meningokokkenheilserums. Von E. Levy. Ibidem, Nr. 40 
und 41. 

4. Die Serunibehandlung der epidemischen Cerebrospinal- 
meningitis. Von Oh. H. D t u n ii. The Journal of tlie Amer. 
Med. Assoc., 1908, II, S. 15. 

5. Die Behandlung der Meningokokkenmeningitis mit deui 
Flexnerschen Serum. Von F r. S p. C h u r c h i 11. Ibid.. S. 21. 

6. Eine Analyse von 40(1 Fällen von epidemischer Meningitis, 
die mit Serum behandelt wurden. Von S. F 1 ex n e r und J. W. 
J o b 1 i n g. Ibidem. S. 269. 

7. Epidemisch auftretende Kinderlähmung. Von M. A 11 e n 
Star r. Ibidem, S. 112. 

1. Knöpfelmacher bespricht, eine wichtige Gruppe 
von Verdauungskrankheiten, die Säuglinge und ältere Kinder 
betreffen können, über deren infektiöse Aetiologie im Gegensatz 
zu vielen anderen Verdauungsstörungen kein Zweifel herrschen 
kann. Es handelt sich um Krankheitsbilder, die früher unter 
dem Namen der E n t. e r i t i s follicularis bezeichnet wur¬ 
den, die sich durch meist hochfebrilen akuten Beginn und durch 
die zahlreichen, oft unter Tenesmen entleerten schleimig-eitrigen, 
nicht selten blutigen Stühle kennzeichnen. Bei der Autopsie fand 
Verf. in zwei Fällen den Enddarm und die Flexura sigmoidea 
übersät mit flachen, großen, z. T. konfiuierendon Geschwüren; 
vereinzelte follikuläre Geschwüre fanden sich auch im Colon 
ascendens und transversum. 

Erschien es schon früher wahrscheinlich, daß spezifische Er¬ 
reger hier im Spiele sind, da oft gruppenweise Erkrankungen 
und speziell Spitalsendemien vorkamen, so haben die bakterio¬ 
logischen Forschungen der letzten Jahre mit Sicherheit dargetan, 
daß einzelne derartige Epidemien (J c h 1 e) als echte Dysenterie 
aufzufassen sind, verursacht durch den S h i g a - K ruse sehen 
Dysenteriebazillus. — K n ö p f e 1 m a c h e r s Untersuchungen 
haben gezeigt, daß die Mehrzahl dieser rhurartigen Erkrankungen, 
welche ohne eigentlichen Dysenterieherd zur Beobachtung kom 
men. auf der Infektion mit einem anderen Krankheitskeim be¬ 
ruht. nämlich mit dem B a c i 11 u s d y s e n t e r i a c F 1 e x n e r. 
der sich vor allem dadurch von dem anderen Dysenteriestamm 
unterscheidet, daß er keine wahrnehmbaren Toxine bildet. Auch 
Varietäten des F 1 e x n e r bazillus wurden gefunden, so daß für 
diese Krankheitsgruppe der gewählte Name P a r a d y s o n - 
terie sehr zweckmäßig erscheint. Hinsiehtlieh bakteriologi¬ 
scher Einzelheiten sei auf das Original verwiesen. Die bakterio¬ 
logische Diagnose des Einzelfalles hat insoferne Bedeutung, als 
in Fällen echter Shiga - Kruse scher Dysenterie ein bereits 
erprobtes antitoxisches Serum mit gutem Erfolg verwendet wor¬ 
den kann, welches gegen die Paradysenterie keine Wirkung ent¬ 
faltet.. 

Das therapeutische Vorgehen gestaltet sieh nach Knöpf el- 
maehers Vorschlägen folgendermaßen: -Jedes Kind, welches 
schleimig-eitrig-blutige Entleerungen hat. muß isoliert werden, 
da die Erkrankung durch die Entleerungen selbst und durch alles, 
was mit ihnen in Berührung kam, übertragen werden kann. Die 
Entleerungen werden desinfiziert (Chlorkalk. Lysol, Sublimat 
usw.), desgleichen alle Gebrauchsgegenstände, die Hände der 
Pflegerin, des Arztes etc. In allen Fällen echter Shiga- 
K ruse dysenterie wird das Serum in großen Mengen angewandt 
(20 ccm ein- bis mehrmals im Tage): in allen sehr schweren 
Fällen, namentlich solchen, die mit toxischen Symptomen einher¬ 
gehen. soll das Ergebnis der bakteriologischen Untersuchung 
nicht abgewartet werden, sondern von vornherein Dysentcric- 
.serum zur Anwendung kommen, obwohl wir wissen, daß cs nur 
dann einen Effekt haben kann, wenn echte Dysenterie besteht. 


Origißa l-frcm 

^^WfYERSfTY OF MICHIGAN 






I 


736 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 49 


Im übrigen richtet sich die Behandlung gegen die lokale Erkran¬ 
kung des Colon Zu Beginn wird ein Abführmittel gegeben 
(Ol. Ricini oder Calomel). Vom ersten oder zweiten Tage an 
wendet Vei t*. Eingüsse au, und zwar Stärkeklysmen oder Klysmen 
mit Acidum tannicum (1—2%) oder Argent. nitric. (1 : 5000 Aq.) 
oder Liq. Plumbi acetici [subaeet] (10 : 1000 Aq.). Intern Tan¬ 
ninpräparate (Tannigen. Tannalbin. Tannopin u. a.) in 3—4 
täglichen Dosen von 0J2—0,5, je nach dem Alter des Kindes. Die 
Herzkraft erfordert besondere Beachtung und veranlaßt ev. In¬ 
jektionen von physiologischer Kochsalzlösung, die Anwendung 
von Digalen und von Kampher. — Wichtig ist ferner die Diät, 
In den ersten Tagen wird nur Tee gegeben; siud die ersten 2 bis 
3 Krankheitstage vorüber, so wird auf kohlehydratreiche ver¬ 
dünnte Milch, am best en L i e b i g sehe oder Keller sehe 
Malzsuppe übergegangen. 

Nach des Ref, Erfahrungen ist in solchen Fällen das Rizinus¬ 
öl als Abführmittel dem Calomel durchaus vorzuziehen. Unter 
den Tanninpräparaten hat sich im bei längerer Fieberdauer spez. 
auch das Chininum tannicum bewährt. 

*2. bis fi. Die fünf Arbeiten berichten übereinstimmend 
gute Erfolge von der intraduralen Anwendung des Meningo- 
kokkcnscrums; speziell die amerikanischen Berichte über 
das F 1 e x n e r sehe Serum lauten sehr günstig. Dem Ref. sind 
gegenteilige Berichte in der Literatur bisher noch nicht bekannt 
geworden; es scheint hier in der Tat ein Heilmittel gefunden zu 
sein, das dem Diphtherieheilserum an die Seite zu stellen ist. 
W ie dieses entfaltet es seine günstigen Wirkungen besonders 
augenfällig dann, wenn es am ersten oder zweiten Krankheitstage 
zur Anwendung kommt, andererseits vermag es auch in schweren 
und in chronisch verlaufenen Fällen oft noch das Krankheitsbild 
zu wenden. 

Es sei hier besonders auf den Aufsatz von Lev i hingewiesen, 
der eine solche Fülle technischer Details und beachtenswerter 
V itike enthält, daß auf eine auch nur annähernde Wiedergabe 
an dieser Stelle verzichtet werden muß. In manchen Punkten 
stimmen seine Ratschläge mit kürzlich, hier mitgeteilten Erfah¬ 
rungen amerikanischer Autoren (,D u n n) überein. Hervorge¬ 
hoben sei. daß Verf. dringend empfiehlt!, zur Injektion Spritzen 
von 20 —40 ccm Inhalt zu benützen, da eine Injektion der in der 
Regel benötigten Mengen von 30—40 ccm mit kleineren Spritzen, 
die mehrmals nachgefüllt werden müssen, nicht leicht ist, und 
in (len Pausen, bis die geleerte Spritze wieder gefüllt ist, ein 
großer Teil des Serums aus der Kanüle wieder abfließen kann. 

- I m ein nachträgliches Aussickern des Serums unmöglich zu 
machen, und auch, um zu erreichen, daß das im Vergleich zum 
Liquor cerebrospinalis spezifisch schwerere Serum zum Gehirn 
abfließt, wendet "\ erf. die B e c k e n h o c h 1 a g e r u n g an, die 
für sehr wichtig hält. Eine zu brüske Umlagerung kann 
Kollapserscheinungen im Gefolge haben. Verf. läßt zunächst den 
Patienten einige Minuten in Horizontallage mit hohlem Rücken 
und manueller Kompression der Stichöffnung liegen, um ihn dann 
'•rst in erhöhte Beckenlage umzubetten. Die Lumbalpunktionen 
mit in schließender Seruminjektion sind so lange täglich zu wieder¬ 
holen. bis eine endgültige Besserung eingetreten ist, die nur er¬ 
schlossen werden kann aus dem übereinstimeinnd befriedigenden 
Y< i halten von Fieber, makroskopischem Verhalten des Liquors 
und Allgemeinbefinden (subjektive Beschwerdefreiheit, Verlangen 
nach fester Nahrung). Bemerkenswert ist schließlich die For¬ 
derung des Verfassers, daß die Behandlung der Genickstarre- 
kranken in geeignet gelegenen Krankenhäusern zentralisiert wer¬ 
den st Ile. Hierfür spricht außer den technischen Schwierigkeiten 
der intraduralen Serumbehandlung auch die Schwierigkeit, ge¬ 
eignetes Serum in genügender Menge überall bereit zu halten, da 
der Gehalt des Serums an wirksamen Immunkörpern außerordent¬ 
lich schnell abnimmt, so daß es nach 3 Monaten schon nicht mehr 
verwendet werden soll. Da ferner die Aussichten der Serumbe¬ 
handlung um so besser sind,»je früher sie eingeleitet wird, die 
Erkrankung aber bei der Genickstarre außerordentlich schnell 
verläuft, empfiehlt. Y erf. die Genickstarrekränken wie Verun¬ 
glückte mit Umgehung aller zeitraubenden Formalitäten sofort 
in die hierfür bestimmten Krankenhäuser zu überführen. 

7. Allen St a r r berichtet über die bemerkenswertesten 
Ergebnisse der Beobachtung einer großen Epidemie v o n 
spinaler K i n d c r 1 ä h m u n g (Poliomyelitis anterior 
acuta), welche New York im Sommer und Herbst 1907 heim 
suchte und mehr als 2000 Einzelfälle aufwies. Die vielen inter¬ 
essanten klinischen Einzelheiten mögen im Original eingesehen 
werden. Das Initialstadium wird in der Regel bei sporadisch 
auftretenden Fällen selten richtig gedeutet werden können, da¬ 


\m 


gegen wohl in Epidemien, die ja in den letzten Jahren z. B. die 
modischen Länder mehrmals heimsuchten, während Deutschland 
von einem epidemischen Auftreten des Leidens, soweit man dies 
aus der Litteratur schließen kann, verschont blieb. Nur aus dem 
Jahre 1898 liegt eine diesbezügliche Mitteilung von Z a p p e r t 
von, die Wien betrifft, und aus dem gleichen Jahre eine solche von 
Auerbach, die eine kleine Epidemie in Frankfurt a. AL 
schildert. 

Hinsichtlich der Behandlung gibt Starr folgende Rat¬ 
schläge: Im Initialstadium auf den Rücken trockene Schröpf¬ 
köpfe von kurzer Dauer, aber zwei- bis dreimal täglich, um die 
Kongestion zu bekämpfen. Eisschlauch auf die Wirbelsäule kann 
die gleiche Wirkung entfalten und Schlammbäder mit kühlem 
Wasser oder Wasser mit Alkohol können das Fieber einigermaßen 
niederhalten. In der Regel leiden die Kinder in diesem Stadium 
erhebliche Schmerzen und bedürfen eines beruhigenden Nüttels 
(Acetanilid, Antipyrin oder Phenacetin in geeigneter Dosis), 
auch Pulvis Doweri kann Verwendung finden. Die Kinder müssen 
möglichst ruhig gehalten werden. Ein wirksames Laxans soll 
gegeben werden, und die Ernährung soll in den ersten zwei oder 
drei Tagen nur aus Milch bestehen. Nach Untersuchungen von 
C us hing, die Starr bestätigen konnte, geht bei Verab¬ 
reichung von Urotropin Formaldehyd in die C’erebrospinalllüssig- 
keit über. Star r rät in Hinblick darauf, im akuten Stadium 
der Poliomyelitis vom Urotropin in angemessener Dosis Gebrauch 
zu machen, so lange Fieber besteht. Auch Salizylpräparate kön¬ 
nen mit Nutzen gegeben werden. 

Nach Ablauf des Initialstadiums, wenn die Schmerzen ge¬ 
schwunden sind, soll zwei Wochen lang von jeder Medikation 
Abstand genommen und dann zum Strychnin gebrauch übergegan¬ 
gen werden, womit man bis zu den höchsten Dosen gehen soll, die’ 
sich ohne Schaden verabreichen lassen, natürlich in langsamer 
Steigerung der täglichen Menge. Daneben findet Massage- 
behandlung und Elektrotherapie statt, und ein- oder zweimal täg¬ 
lich ein warmes Bad von halbstündiger Dauer. Wichtig ist ganz 
besonders, der Entstehung von sekundären Deformitäten vorzu¬ 
beugen. die infolge falscher Lagerung. Bettdeckenbelastung etc. 
leicht entstehen. Später tritt die orthopädische Behandlung in 
ihr Recht. 

Für ganz wertlos erklärt Star r die elektrische Behandlung 
des Rückenmarks selbst. Nur die lokale Anwendung der Elek¬ 
trizität. auf die einzelnen Muskeln kann Nutzen bringen. 

Von Interesse ist die, zuerst von W i c k m a n n mitgeteilte 
und von A. S t a r r bestätigte Tatsache, daß im Verlauf der¬ 
artiger Poliomyelitisepidemien völlige Heilungen Öfter zur Be¬ 
obachtung kommen. 


Säuglingsfürsorge. 

Referent: Dr. Gustav Tugendreich, leitender Arzt der städt. 

Säuglingsfürsorgestelle V in Berlin. 

1. Unterricht in der Säuglingspflege für Mütter uiul ältere 
Mädchen. Von II e r r m a ii. Ar eh. of. Pcdiatries, August 1908. 

2. Moderne Säuglingspflege und -Fürsorge. Von K 1 o s e. 
Wiener klin. Wochenschr., 1908, Nr. 23/24. 

1. Die Lösung des Problems, die Säuglingssterblichkeit her¬ 
abzudrücken, liegt nach der Ansicht des Verf. in der Erziehung 
des Publikums, in der Belehrung der Mütter. Auf Grund diese»; 
Ueberzeugung wurden in New York vom ärztlichen Departement 
Unternchtskurse in der Säuglingspflege eingerichtet; diese fan¬ 
den auf den Ferienspielplätzen statt, die die meisten öffentlichen 
Schulen im Sommer einrichten. 

Beachtenswert ist die Bemerkung des. Verfassers, daß die 
Kurse bei den jungen Mädchen entschieden erfolgreicher waren, 
als bei den Müttern, die zu sehr auf ihre eigene Klugheit pochen. 
Der Verf. empfiehlt, diese Kurse regelmäßig während der regulären 
Schulzeit abzuhalten, damit alle Mädchen davon profitieren. 

2. K 1 o s e kommt nach einem Ueberblick über die bestehen¬ 
den einschlägigen Verhältnisse in Deutschland und im Auslande 
zu der Forderung, daß staatliche Institute errichtet werden, in 
welchen den Müttern schon vor ihrer Niederkunft, aller Rat, 
dessen sie bedürfen, erteilt wird. Und zwar soll sich dieser Rai 
nicht nur auf ärztliche Fragen beschränken, sondern auch rein 
menschliche beantworten und zu lösen suchen. 






1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


737 


Mitteilungen über Arzneimittel. 

Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

2. Eubomyl bei Erkrankungen des Nervensystems. Von Dr. 
X i n g h e r. Wien, Klin. Rundseil., 1908, Nr. 39. 

3. Ueber das neue Migriinemittel Meligrin. Apothekerztg.. 
1.908, Nr. 84, 88. 

4. Eine Kontroverse über Plejapyrin. Pharmaz. und Apo¬ 
theker-Zeit g., 1908, Nr. 91. Pharm. Zeitg.. 1908, Nr. 92. 

2. Eubornyl ist nach dem Bericht von Dr. Z i n g h e r eine 
Kup])elung des Bornyvals mit Brom, ein bromicrter lsovalerian- 
säure-Borneolester, der zu 33 % % in Spiritus gelöst ist. Eubornyl 
stellt eine wasserklare Flüssigkeit von stark aromatischem Geruch 
und Geschmack dar, die in Wasser unlöslich ist und sich an der 
Luft bräunlich färbt. Aus der Zusammensetzung geht schon die 
Wirkungsweise des Mittels hervor. Z i n g h e r wandte das Mittel 
bei Hysterie und Neurasthenie mit gutem Erfolge an. Eubornyl 
wird in Tropfen (dreimal täglich 20 Tropfen) oder in Pillen 
(täglich 3 Stück) von der Firma L ii d y & Co. in Burgdorf 
(Schweiz) in den Handel gebracht. 

3. Nach der ,,Apotheker-Zeitung“ (1908, Nr. 84 und 88) 
wird das Migränemittel Meligrin. welches die Firma II <> e c k e r t 
& M i c h a 1 o w s k y in Berlin in den Handel bringt, angeblich 
durch Verdichtung von Dimethyloxychinin mit Methylphenyl- 
acctamid hergestellt. Es bildet ein weißes Pulver von bitterem, 
etwas brennendem Geschmack, das sich sehr leicht in W asser 
löst. Das Meligrin soll einen Ersatz des Migränin, das nur auf 
ärztliche Verordnung abgegeben werden darf, darstellen. In der 
,,Apotheker-Zeitung“ äußert sich nun U e i n h o 1 d Albert 
dahin, daß zunächst die chemische Bezeichnung des einen Be¬ 
standteiles. Metylphenylacetamid. durchaus nicht korrekt ist. was 
er begründet. Außerdem läge im Meligrin gar keine Amidver¬ 
bindung vor, da beim Erhitzen mit Natronlauge keine Spur von 
Ammoniak entsteht. Dagegen bleiben nach dein Ausschütteln mit 
Aether kleiue Kristalle zurück, die sich als Phenyldimetliyl- 
pyrazolon erwiesen. Aus diesem Grunde dürfe Meligrin nicht im 
Handverkauf abgegeben werden. 

4. In ähnlicher Weise wird auch das neue Migränemittel 
Plejapyrin angegriffen, das von Dr. \ oswinkel (Berlin) in 
den Handel gebracht wurde und laut Prospekt durch Konden¬ 
sation gleicher Moleküle Benzamid und Pheiivldimethylpyrazolon 
gewonnen sein soll. W ie in Nr. 88 der ..Süddeutsch. Apotheker- 
Zeitung“ ausgeführt wird, ist das Plejapyrin -- ebenso wie 
das Meligrin — keine einheitliche chemische N erbindung. da es 
freies Dimethylplienylpyrazolon enthalte, und dürfe aus letzterem 
Gründe im Handverkauf nicht abgegeben werden. Gegen diese 
Behauptung wendet sich Dr. ^ oswinkel in einem längeren 
Artikel („Pharmaz. Zeitg.“. 1908, Nr. 92). in welchem er nach- 
zuweisen sucht, daß im Plejapyrin tatsächlich ein neuer Körper 
vorliege. Seine Beweisgründe hier anzuführen, würde deii 
Rahmen eines Referates überschreiten. Nur soviel sei erwähnt, 
daß eine Verbindung mit sehr labilen Eigenschaften vorliege, die 
durch Kochen mit Wasser oder Spiritus in ihre Komponenten 
zerlegt werden könne. Dies sei um so leichter der Fall," wenn 
man chemische Agentien. wie Pikrinsäure, einwirken lasse, wie 
es der Verfasser jenes abfälligen Artikels getan habe. Dann 
werde die Verbindung genau so gespalten, als wenn man Soda 
mit Salzsäure übergieße. — Ob durch diese Argumentationen die 
geäußerten Bedenken gegen den Handverkauf des Plejapyrin be¬ 
seitigt werden, bleibe dahingestellt. Jedenfalls hat die „Pharmaz. 
Zeitg.“ recht, wenn sie sagt: „Die Veröffentlichung beweist in 
interessanter Weise, daß man auch ohne amtliche Untersuchungs¬ 
anstalt über den Charakter jedes auf den Markt kommenden 
chemischen Präparates sehr prompt und sicher unterrichtet wird. 
Dafür sorgt schon die liebe Konkurrenz.“ 


Neuerscliienene Arzneimittel. 

Referent: Dr. W. Krüger. Magdeburg. 


• Eupliyllin. 

F ormel: 

I. CH, — NH 2 . C 7 E s N, 0 2 . II. CH, — NH 2 . C 7 H s N, 0, 


I 


ch,-nh 2 .c 7 h 8 n 4 o 2 


Eigen scli a f t >• n: Das Eupliyllin isl eine kristallinische, 
iveille Verbindung von alkalischer Reaktion und auiztifassen als 
ein Salz des amphoteren Theophyllins mit Aetliylendiamim Es 
besteht aus gleichen Teilen des primären und sekundären Salzes 
(s. obige Formel). Der Theophyllingehalt beträgt 78%. Dfs 
Euphyllin ist in kaltem Wasser leicht und völlig löslich. \\ ie 
auch die anderen Doppelsalze des Theophyllins wird das Euphyl¬ 
lin durch Kohlensäure in seine Komponenten zerlegt. 

Indikationen : Das Euphyllin ist ein Diureticum und 
wird bei Oedemen gegeben, die auf primäre Schwächezustände 
des Herzens zurückzuführen sind, oder wo inkompensierte 
Klappenfehler oder Insuffizienz des myokarditischen Herzens 
vorliegt. Sind die Stauimgserscheinungen die Folge einer Er¬ 
krankung der Nieren, so wirkt das Euphyllin gut. wenn die Er¬ 
krankung des Nierenparenchyms nicht zu weit vorgeschritten 
ist. Es wirkt also ähnlich wie das Theophyllin und seine be¬ 
kannten Doppelsalze. Eine Schädigung der Nieren durch 
Euphyllin wurde nie beobachtet. Bei Herzschwäche ist eine 
gleichzeitige Anwendung eines Cardiaeums angebracht. Noch 
günstigere Erfolge sieht man, wenn z. B. Digitalispräparate 
etwa 2 Tage vor dem Euphyllin gegeben werden. Dann trifft 
die Digitaliswirkung mit der des Euphyllin zusammen und der 
Effekt ist ein gesteigerter. Die Wirkung des Euphyllin setzt 
rasch ein : man gibt es etwa 4 Tage, in denen zuweilen ganz er¬ 
hebliche Urinmengen abgehen. Ein Nachteil des Mittels ist der, 
daß es nicht nachhaltig wirkt, und daß mau es etwa nur 4 Tage 
mit Erfolg anwenden kann. Es wirkt aber auch bei wieder¬ 
holten Applikationen; dann ist es'jedoch notwendig, zwischen¬ 
durch eine kurze Pause eintreten zu lassen. 

Dosierung und Darreichung: Infolge der großen 
Löslichkeit des Euphylüns wirkt cs bei innerlicher Darreichung 
prompt. Aber es kann auch rektal und intramuskulär verabfolgt 
werden — ein Vorzug vor den anderen Diureticis, da diese bei 
Stauungen im Bereiche des Magendarmtraktus schlecht vertragen 
werden, wenn man sie per os gibt. 2 ccm einer 24 pro/.. Lösung 
sollen genügen, um eine sehr reichliche Diurese zu erzielen. Dr. 
Des sauer. Assistenzarzt an der 1. iuneren Abteilung des 
Krankenhauses Urban, hat mit Euphyllin Versuche augestellt 
und hält die rektale Anwendung für elue Applikationsart, die 
große Vorteile bietet, da die Wirkung stets prompt und sicher, 
dabei von Nebenerscheinungen frei war. Die intramuskuläre 
Anwendung eignet sich hervorragend für Urämiker oder Leute 
in benommenem Zustande, bei denen innerliche oder rektale Ein¬ 
verleibung des Mittels unmöglich ist. Entzündungen der Haut. 
Abszesse oder besondere Schmerzhaftigkeit nach den Injektionen 
wurden nie beobachtet. Euphyllin ist bisher das einzige Mittel, 
das intramuskulär verabreicht werden kann. 

Für die Einverleibung per os gibt man mehrmals täglich 
0,1—0.2. Muskuläre Injektionen werden 3—4 mal täglich vor¬ 
genommen. Zu Klysmen nimmt mail 0,25 g. 

R e z e p t f o r in ein: 

Rp. Solut. Euphyllin . . L0 160.0 

Tct. Cort. Aurant. 

Sir. spl. .... äa 20,0 
1). S. 2 stündl. 1 Eßl. 


Zur intramuskulären Injektion bringt die Fabrik sterile, ge¬ 
brauchsfertige Ampullen ä 2 ccm — 1 ccm enthält 0,24 Euphyllin 
— in den Handel. Preis einer Schachtel von 6 Stück — 3,50 M. 
Oder man verordnet: 

Rp. Sol. Euphyllin . . 2,4/10,0 

D. S. 3 Injekt. 

Als Klysma ordiniert man: 

Rp. Euphyllin .... 1.0 

solv. in aq. q. s. 

Decoct. Salep. . ad. 120,0 
1). S. Zu 4 Klysmen. 

oder: 

Rp. Euphyllin solut. . . 1,0/100,0 

D. S. Die Hälfte in einer Klystierspritze voll Haferschleim. 


Es werden auch Suppositorien ä 0,36 g Euphyllin in Ori¬ 
ginalpackung (10 Stück zu 3.50 M.) abgegeben. 

Literatur: Dr. P. D e s s a u e r. Therapeutische Mo¬ 
natshefte, 1908, Heft S. 

Firma: Chemische Werke vorm. Dr. H c i n r i c h B y k, 

Berlin-Charlot tenburg. 



THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 40 


738 


Technische Neuerscheinungen. 

Sch ei denspültric liter 

nach Dr. Behm, Berlin. 

Dieser Scheidenspültrichter soll nicht nur zum Schutz 
bei Heißwasserspülungen oder bei die äußeren Genitalien 
reizenden Spülungen dienen, sondern für jede Art Schei¬ 
denspülungen, wobei er durch Aufstauung der Spülflüssig¬ 
keit in der Scdieide bewirkt, daß diese sich völlig entfaltet 
und die Flüssigkeit in alle Falten der Schleimhaut eindringt. 
Weiter kann der Spüldruck als mechanisch wirkender Heil- 
laktor für eine Reihe von Erkrankungen in der Umgebung 
des Uterus herangezogen werden, durch Heben und Senken 
des Irrigators und Verengen des Abflußschlauches läßt sich 
der Druck der aufgestauten Wassersäule in weitem Um¬ 
fange variieren. Der leicht zerlegbare Scheidenspültrichter 
besteht aus 2 Teilen, einem Hartgummi-Schutztrichter und 
einem doppelläufigen Glasspülrohr mit größerem Zufluß 
und geringerem Abflußrohr. Er vereinigt die Vorzüge der 
Heiß-Spülbirnen mit denen der Heißwasser-Spülspiegel, 
ohne die Nachteile beider zu besitzen. Besondere Vorzüge 
sind die folgenden: Am Schluß der Spülung ist der Abfluß 
der aufgestauten Flüssigkeit leicht vollständig zu bewerk¬ 
stelligen durch Herausziehen des Spülrohres, während de» 
Schutztrichter noch in seiner Lage festgehalten wird. 
V egen der konischen Verjüngung genügt eine Größe für 
alle Fälle, es wird keine größere Schleimhautfläche, wie bei 
weit eingeführten Spiegeln, der Einwirkung der Spül¬ 
flüssigkeit entzogen. Der Trichter ist billig und wenig zer¬ 
brechlich, die einzelnen Teile lassen sich leicht ergänzen. 
Er kann zweckmäßig zu jeder Art von Klystieren verwandt 
werden; um die Klystierflüssigkeit zurückzuhalten, drückt 
man den Trichter fest gegen den Sphinkter ani, damit kann 
man auch bei schlaffem Schließmuskel größere Mengen 
1 1 üssigkeiten vom Darm aus zur Aufnahme bringen. Eine 
vollständige Desinfektion des ganzen Apparates mit heißem 
Sodawasser ist leicht zu bewerkstelligen. (Fabrikant 
M Pech, Berlin.) M. Plien, Berlin. 


Bücherbesprech ungen. 


/.ungen, Verbesserungen und Ausmerzungen von Veraltetem sind 
in den einzelnen Abschnitten, besonders im pharmakologischen 
Teile, vorgenommen worden. Neu ist der Abschnitt über zu 
vermeidende Arzneimisebungen. Sehr zu begrüßen ist die Neu¬ 
erung, daß die Preise für die Arzneistoffe für das Jahr 1909! 
die naturgemäß bei Fertigstellung des Kalenders, die ja einige 
Monate vor dem Jahresschluß erfolgen soll, noch nicht auf ge¬ 
nommen werden konnten, sofort nach Erscheinen der Arznei¬ 
taxe für 1909 zusammengestellt und den Abnehmern des Kalen¬ 
ders kostenlos zugesandt werden sollen. Damit kommt die Redak¬ 
tion vielfachen Wünschen nach. Im übrigen kann ich den Ka¬ 
lender, den ich seit Jahren gebrauche und als überaus zweck¬ 
mäßig befunden habe, alle Kollegen sehr empfehlen. 

V . K r ü g e r , Magdeburg. 

Aerzte und Patienten mit Röntgonstrahlcn durchleuchtet. 

Voll einem praktischen Arzte. Verlag von Benno Konegen, 
Leipzig. Preis geh. 5 M., geh. 6 M. 

Das 238 Seiten starke Buch ist eine überaus gelungene* 
Satire auf das Leben und Wirken des Arztes. Vielleicht ist 
„Satire“ zuviel gesagt. Denn es ist nicht eine Spottrede, ein 
Spottgedicht aut die Schwächen unseres Standes. Vielmehr wor¬ 
den in nüchterner Prosa, aber mit feinem Witze alle Seiten des 
ärztlichen Berufes beleuchtet, unsere Schwächen uns rücksichts¬ 
los vorgehalten, ohne daß die guten Seiten vernachlässigt wer¬ 
den also ein Spiegelbild des Arztes, ein Rudi, in welchem jeder 
Arzt, wenn er ehrlich ist, an irgendeiner Stelle sein eigenes Ich 
in so glänzenden Farben gemalt findet, als ob das Gelesene nur 
für ihn geschrieben wäre. Vielleicht wird der eine schmunzeln, 
der andere entrüstet sein, je nachdem er sich unter den (luten 
oder Bösen entdeckt. Das ist aber nicht die Absicht des Ver¬ 
fassers, die vielmehr dahiugekt, für die praktischen Aerzte einzu¬ 
treten, für ihre treue Pflichterfüllung unter oft schwierigen Ver¬ 
hältnissen, für ihre stille Tätigkeit, die oft genug weder von 
den Patienten, noch vom staatlichen Organen, noch von höher¬ 
gestellten Kollegen anerkannt wird. Da kann jeder Arzt und 
jeder Patient lernen; denn auch für diese ist das Buch ge¬ 
schrieben . Auch ihre Schwächen sind gegeißelt, und die Absicht 
des \ erfasers geht dahin, sie möchten zu der Erkenntnis kom¬ 
men, was sie an den. praktischen. Aerzten, ihren nächsten Helfern 
in Krankheit, und Not' besitzen, damit sie lernen, ihr Verhalten 
ihnen gegenüber einzurichten — nicht in klingender Münze, son¬ 
dern in wirklicher Anerkennung des vom Arzte Geleisteten. Nur 
so wird das Verhältnis von Patient zu Arzt ein anderes, wieder 
ein besseres. Und der Kritiker muß anerkennen, daß «las Werk 
eben von einem Manne geschrieben wurde, der aus der Fülle 
reicher Erfahrungen schöpfte und unbekümmert, ob er Freude 
oder Mißgunst erregte, seiner Feder freien Lauf ließ und sich 
und seine lieben Kollegen gleichsam „mit Röntgeustrahlen durch¬ 
leuchtete“. Das Buch kann jedem Kollegen empfohlen werden. 

Dr. K r ü g e r, Magdeburg. 


Taschenbuch der Mikroskopischen Technik. Von Böhm u. 
Oppel. 6. Auflage, München u. Berlin, 1908. Verlag von R. 
Oldenbourg. 

Die knappe und durchweg klare Darstellung, die Vollständig- 
des Inhalts, die besondere Erläuterung gerade der schwierigeren 
Gebiete, die 1 ebersichtliehkeit und kompendiöse Form erklären 
den Erfolg, welches dem Werk zuteil geworden ist. Die vor¬ 
liegende jüngste Auflage liefert außerdem ein möglichst um¬ 
lassende Berücksichtigung zu neueren Methoden und kann als I 
zuverlässiger Ratgeber allen denjenigen, welche sich mit mikros¬ 
kopischen und embryologischen Untersuchungen (Mensch, Wir¬ 
beltiere) beschäftigen, empfehlen werden. 

R. Oestreich (Berlin). 

Mediziualkalcnder und Rezept-Taschenbuch 1909. Heraus- 
gegeben von der Redaktion der „Allgem. med. Central-Ztg.“ 
Dr. IL L o li n s t e 1 n und Dr. T h. L o h nste i n. 16. Jabrg. j 
Preis 2 M. Verlag von Oscar C o b 1 e n.t z , Berlin W, 30. 

Der 16. Jahrgang des bekannten Medizin&l-Kalenders ist • 
nach Plan, Inhalt, Anordnung und äußerer Ausstattung unver¬ 
ändert geblieben. Die im Laufe der Zeit notwendigen Ergün- j 


Aus der Praxis für die Praxis berichten unabhängig von einander 
Aerzte über die mit FucoJ, einem aus Meeralgen hergestellten 
.Nährfett, erzielten überaus günstigen Erfolge. Fucol ist nicht allein 
leichter zu nehmen, sondern wirkt auch schneller und energischer als 
Lebertran. Orig.-Flasehen ä 1 ? Liter kosten Mk. 2,—. Obenerwähnte 
Abhandlungen kostenfrei durch Karl Fr. Tolluer, Bremen. 


Allgemeines. 


Zum Kampfe zwischen der deutschen Aevztescliaft und dem 
Anbande Deutscher Lebensversicherungs-Gesellschaften faßte 
die am 8. November zusammen getretene Vertnmeosmänner-Ver¬ 
sammlung des Leipziger Verbandes der Aerzte Deutschlands ein¬ 
stimmig folgenden Beschluß; 

,,Die am 8. November in Leipzig versammelten Ver¬ 
trauensmänner stimmen dem bisherigen Vorgehen ihres Ver¬ 
bandsvorstandes in dem Konflikte mit dem Verbände Deut¬ 
scher Lebensversicherungsgesellschafteu zu und erklären aus¬ 
drücklich, daß sie ihren Vorstand auch weiterhin nach besten 
Kräften unterstützen werden, solange der Kampf währt. 

Da sie aber in voller Febereinstimmung mit ihrem Vor¬ 
stände einen befriedigenden, friedlichen Ausgleich des 
Kampfes für wünschenswert- halten, so sind sie auch jetzt 
noch zu entsprechenden Verhandlungen bereit.“ 


NATÜRLICHES 



nsi 


ist das allein echte Karlsbader 

[ Vor Nachahmungen und Fälschungen wird gewarnl-. 


■SPRUDELSALZ 

feas 





TherapeutischeRundschau 

Wochenschrift für die gesamte Therapie des praktischen Arztes. 

Herausgegeben von 

Prof. Dr. A. Albu, Berlin, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. 0. Anton, Halle a. S., Prof. Dr. P. Bergell, Berlin, Prof. Dr. A. Bickel, Berlin, Prof. Dr. L. Blum¬ 
reich, Berlin, Prof. Dr. H. Boruttau, Berlin, Prof Dr. E. Braatz, Königsberg, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. v. Bramann, Halle a. S, Prof. Dr. C. Bruhns, 
Berlin, Prof. Dr. G. Burckhard, Würzburg, Prof. Dr. A. Dührssen, Berlin, Prof. Dr. E. Enderlen, Würzburg, Prof. Dr. R. Eschweiler, Bonn, Geh. Med.-Rat 
Prof. Dr. C. A. Ewald, Berlin, Prof. Dr. A. Frankel, Berlin, Prof. Dr. E. Friedberger, Berlin, Prof. Dr. P. Gerber. Königsberg, Reg.-Rat Prof. Dr. Jul. Glax, 
Abbazia, Prof. Dr. K. Hammer. Heidelberg, Prof. Dr. K. Helbing, Berlin, Prof. Dr. M. Henkel, Greifswald, Prof. Dr. K. Herxheimer, Frankfurt a. M., 
Prof. Dr. P. Heymann, Berlin, Prof. Dr. A. Hildebrandt, Berlin, Prof. Dr. K. Holzapfel, Kiel, Prof. Dr. A. Jesionek, Gießen, Prof. Dr. G. Jochmann, Berlin, 
Prof. Dr. Kausch, Berlin, Prof. Dr. M. Koeppen, Berlin, Prof. Dr. A. Kollmann, Leipzig, Prof. Dr. J Kocks, Bonn, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. 0. Küstner, 
Breslau, Prof. Dr. H. Lenhartz, Hamburg, Prof. Dr. M. Lewandowsky, Berlin, Prof. Dr. M. Mosse, Berlin, Prof. Dr. E. Opitz, Düsseldorf, Geh. Med.-Rat 
Prof. Dr. K. Partsch, Breslau, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. H. Pfannenstiel, Kiel, Prof. Dr. L. C. Rehn, Frankfurt a. M., Prof. Dr. K. Ritter, Greifswald, Prof. Dr. 
H. Rosin, Berlin, Prof. Dr. Th. Rumpf, Bonn, Prof. Dr. H. Schlange, Hannover, Prof. Dr. Ad. Schmidt, Halle a. S, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. 
H. Schmidt-Rimpler, Halle a. S., Prof. Dr. W. Scholtz, Königsberg i Pr., Hofrat Prof. Dr. M. Schottelius, Freiburg i. B., Prof. Dr. E. Schultze, Greifs¬ 
wald, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. H. Senator, Berlin, Prof. Dr. E. Sommer, Zürich, Prof. Dr. med. et phil. R. Sommer, Gießen, Prof. Dr. G. Sultan, 
Berlin, Prof. Dr. A. Tietze, Breslau, Prof. Dr. P. G. Unna, Hamburg, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. H. Unverricht, Magdeburg. Prof. Dr. 0. Vulpius, 
Heidelberg, Prof. Dr. H. Walther, Gießen, Prof. Dr. F. Wesener, Aachen, Prof. Dr. G. Winter, Königsberg, Prof. Dr. E Ziemke, Kiel. 
Redaktion: _ Verlag und Expedition: 

Dr. med. et phil. H. Lungwitz, Berlin S. 14, Dresdenerstr 44. Gustav Ehrke Zeitschriftenverlag, Berlin W. 9, Köthenerstr. 44. 

Telephon: Amt IV, 11773. Telephon: Amt VI, 3020. 

Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte 

der Ostsee und der Medizinisch-biologischen Gesellschaft. 

II. Jahrgang. Berlin, 13. Dezember 1 008 . Nr. 50. 


Die „Therapeutische Rundschau“ erscheint jeden Sonntag und kostet jährlich 8 M.. für das Ausland 10 M. einzelne Nummer 20 Pf. Zu beziehen durch den Verlag, 
sowie sämti. Buchhandlungen und Postämter. Inserate werden für die 4 gespaltene Zeile oder deren Raum mit 50 Pf. berechnet. Beilagen nach Uebcreinkunft Reklamezeile 
1,50 M. Bei größeren Aufträgen wird Rabatt gewährt. 

_N achdru c k ist ohn e Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. 


Originalen: 

II. Eschweiler, Bonn: Therapeutische Sünden in der Oto- 

Rhinologie. 

K. Lengfellner, Berlin: Beitrag zur Lösung der Schuh¬ 
leistenfrage ... 

A. Stephan, Wiesbaden: Feber .Jodvasogen .. 

Referate: 

O.. Fellner, Wien: Gonorrhoe des Weihes. 

E. Küster, Freiburg i. B.: Bakteriologie. 

M. Halle, Charlottenburg: Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten 

M. Peltzer. Steglitz: Soziale Medizin .. 

E. Margulies, Kolberg: Bericht über den 4. internationalen 

Kongreß für Thalassotherapie in Abbazia. 

W. Esch, Bendorf a. Rh., und F. von den Velden. Frank¬ 
furt a. M.: Varia.. 


Inhalt. 

Mitteilungen über Arzneimittel: 

W. Krüger, Magdeburg: Referate.. 752 

741 W. Krüger, Magdeburg: Neuerschienene Arzneimittel . . . 752 

! Technische Neuerscheinungen: 

743 Ach. München: Automatischer Bauchdeckenhalter.753 

74f‘» Büeherbesprcelmngcn: 

B res gen: Die Erkrankung der Atemwege und ihre Heilung 
"47 | durch die Kurmittel Wiesbadens auch während der Winter- 

747 monate (Ref.: Max Halle, Charlottenburg).733 


74-s Bing: Ohrenheilkunde, zwölf Vorlesungen für Studierende und 

749 i Aerzte (Ref.: M. Halle, Charlottenburg).753 

v. Liebennann: An die akademischen Burger und Abiturienten 

750 j höherer Lehranstalten. Zur Aufklärung in sexuellen Fragen 

(Ref : v. Rutkowski, Berlin).754 

751 Allgemeines.754 


ORIGINALIEN. 


Therapeutische Sünden in der Oto-llhinologie. 

Von Prof.*Dr. R. Eschweiler in Bonn. 

In den ärztlichen Fortbildungskursen, in den Lehr¬ 
büchern und in den in Mode gekommenen Fortbildungs 
artikeln der medizinischen Wochenschriften wird Bedeu¬ 
tendes geleistet, um dem praktischen Arzt das für ihn 
Wichtige aus den Spezialfächern in knapper und doch zur 
Orientierung genügender Form zu bringen. Aber diese Vor 
schritten bewegen sich in ausschließlich positiver Richtung: 
sie geben an, was geschehen soll, und betonen nicht, was 
nicht geschehen soll. Es dürfte daher zweckmäßig sein, 
einige Punkte zu berühren, in denen erfahrungsgemäß sehr 
häufig fehlerhafte therapeutische Anordnungen getroffen 
werden. 

1. Nasen bl ute n. 

Vielfach wird hier vom Arzte verordnet oder wenig¬ 
stens geduldet, daß während der Blutung kalte oder ad¬ 
stringierende Flüssigkeiten durch die Nase geschnauft 
werden, z. B. Eiswasser und Essigwasser. Vor diesen 
in Laienkreisen sehr beliebten Hausmitteln ist dringend 
zu warnen. Man erreicht, dadurch nur eine Loslösung von 
Gerinnseln und Thromben, die die Blutstillung einleiten, 
und unterhält geradezu die Blutung. Mancher, der sich 
so geholfen hat, wird einwenden, daß er auf diese Weise 
doch zum Ziel gekommen sei ; es ist aber zu entgegnen, 


daß ohne Aufschnauben des Wassers die Blutung noch 
rascher gestanden haben würde. 

Da die blutende Stelle meist vorn am Septum liegl 
an dem sogenannten Locus KieseJbachii so genügt zur 
momentanen Blutstillung last immer die digitale Kom¬ 
pression der Weichteile der Nase. Man muß kräftig zu¬ 
fassen, alle Weichteile bis zum Rand der knöchernen Nase 
zwischen Daumen und Zeigefinger fassen und mindestens 
fünf Minuten komprimieren. Wenn man so die Blutung 
vorläufig gestillt hat, so kann zur definitiven Blutstillung 
die blutende Stelle mit dem rotglühenden Galvanokauter 
kauterisiert werden eine Manipulation, welche natürlich 
Fertigkeit irr* Rhinoskopieren voraussetzt. Vielfach wird 
man tamponieren müssen, damit man den Patienten ohne 
Sorge allein lassen kann, oder wenn die Kompression nicht 
zur Blutstillung hinreicht. Der T a m p o n d a r f d a n n 
nicht zu früh e n tf e r n t w e r d e n. Ich habe öfters 
beobachtet, daß durch täglichen Tamponwechsel die 
Blutung unterhalten wurde und die Patienten sehr herunter¬ 
kamen. Wenn der Tampon gut sitzt, so zeigt sich das 
daran, daß er schon nach 24 Stunden anfängt, blaßrol 
zu werden. Nach zwei Tagen ist er, wenn keine neue 
Blutung erfolgt ist, weiß, und nun erst darf man au die 
Entfernung denken. Man zieht ihn dann mit leichter Hand 
heraus, soweit er sich ohne Gewalt und ohne Blutung 
lösen läßt. Nirgendwo darf der herausgezogene Tampon 
streifen von frischem Blut gerötet sein. Wenn noch nicht 
alles aus der Nase herausgezogen werden kann, so wird 
der Streifen dicht am Nasenloch ahgeschnillen und am 


frorri 
























THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


nächsten Tage wieder ein Versuch zur Entfernung gemacht, 
und so dauert es oft vier oder mehr Tage, bis der ganze 
Tampon heraus ist. 

Zu verwerfen ist ferner der Gebrauch von Eisenchlorid¬ 
watte. Zwar ist die Blutstillung etwas energischer, als 
bei Verwendung von Gaze, aber man verschorft sich die 
Nasenschleimhaut so sehr, daß die Heilung nachher oft 
wochenlang dauert und das Herausfinden der Blutungs¬ 
quelle zwecks endgültiger Stillung durch den Galvanokauter 
für lange Zeit unmöglich wird. 

2. D i e Webersche Nasendo u c h e. 

Das harte Urteil vieler Autoren : „Weg mit der W e b e r 
schon Douche I“ beruht zum größten Teil darauf, daß oft 
Mißbrauch mit diesem schätzenswerten Mittel getrieben 
wird. Teils ist es indikationsloser Gebrauch, teils fehler¬ 
hafte Technik. Zur Reinigung der Nase von eilrigem und 
schleimigem Sekret, sowie von Borken gibt es kein wirk¬ 
sameres Mittel als die Spülung mit dem Irrigator und der 
Nasenolive. Voraussetzung für die Verordnung ist natür¬ 
lich eine vorherige Untersuchung der Nase, um feslzu- 
steilen, ob beide Nasenseiten durchgängig sind; bei Kindern 
außerdem eine Exploration des Nasenrachenraumes, weil 
das Vorhandensein adenoider Vegetationen eine Kontraindi¬ 
kation für die Nasendouche abgibt. Die ersten Sitzungen 
müssen unter ärztlicher Leitung gemacht werden, damit der 
Patient die Kautelen beobachten lernt, welche zur Ver¬ 
meidung von Schaden notwendig sind. Das ist in erster 
Emic die Beschränkung des Wasserdruckes. Nie darf der 
Wasserspiegel im Irrigator mehr als 30 cm über Nasenhöhe 
stehee.. Läuft bei dieser Druckhöhe das Wasser nicht be¬ 
quem durch die Nase, so darf unter keinen l mständen durch 
Heben des Irrigators der Druck gesteigert werden. Während 
des Durchlaufens des Wassers durch die Nase darf der 
Patient nicht sprechen und nicht schlucken, und nach Be¬ 
endigung der Douche darf er während einer Stunde noch 
nicht mit Heftigkeit die Nase schneuzen. Wird gegen einen 
dieser Punkte gefehlt, so ist. allerdings das Mittelohr in Ge¬ 
fahr durch Eindringen von Wasser und Nasenschleim infi- 
ziert zu werden. 

3. \\ ä r m e o d e r K ä I te bei Otitis ni e di a a c u ta ? 

Die Anwendung der Wärme, speziell des feuchtbleiben¬ 
den Verbandes bei der akuten Mittelohrentzündung kann 
nicht ohne weiteres als fehlerhaft bezeichnet werden. Den¬ 
noch wird in der hausärztlichen Behandlung ohrkranker 
Kinder unserer Erfahrung nach zu viel Gebrauch von ihr 
gemacht, ln den meisten Fällen steigert die Applikation 
von Wärme die Heftigkeit der Entzündung, d. h. führt zu 
einer Vermehrung der Schmerzen, während die Eisblase 
sehr wohltuend wirkt und vor allem ein Kupieren fies 
Krankheitsprozesses ermöglicht, ln erster Linie soll da¬ 
her der Hausarzt bei Mittelohrentzündung nicht Wärme, 
sondein Kälte anwenden. Am besten die Eisblase, in Er¬ 
mangelung einer solchen l mscbläge mit stets erneuerten 
kalten Kompressen. Wenn die Schmerzen geschwunden 
sind, wird zunächst gar nichts gemacht, sondefp der Kranke 
nur vor schädigenden äußeren Einflüssen geschützt. Das 
oft noch sehr unangenehme Gefühl von Völle und Druck 
im Ohr darf nicht zu einem vorzeitigen Gebrauch der Luft- 
(Imirhe verleiten. Erst wenn der kurze Hammerfortsalz 
aus dem entzündeten Trommelfell wieder auftaucht, kann 
sparsamer Gebrauch vom P o 1 i 1 z e r schon Ballon gemacht 
wc rden. Einzelne Patienten vertragen eile Lufteinblasung 
überhaupt nicht, sondern reagieren sofort wieder mit 
Schmerzen auf dieselbe. Man muß also streng individuali¬ 
sieren und nur dann Lufteintreibungen machen, wenn da¬ 
durch die Hörschärfe sich hobt und das subjektive Be¬ 
finden sich bessert. 

4. Die Pölitz e r s c h e Luft d o u c h e. 

Die Luftdouche nach Politzer ist bei ihrer Zweck¬ 
mäßigkeit und leichten Handhabung so recht geeignet, auch 


von Niehl-Spezialisten gebraucht zu worden; aber manch¬ 
mal wird sie gar zu sehr als Universalmittel gebraucht. 
Vor allem ist es fehlerhaft, ohne otoskopische Diagnose 
Lufleinblasimgeh ins Mittelohr vorzimehmen. Auch wenn 
nach der Beschreibung des Patienten ein einfacher Mittel¬ 
ohrkatarrh vorzuliegen scheint, ist nur dann das Po¬ 
litzer sehe Verfahren anzuwenden, wenn die Konstatie¬ 
rung des objektiven Befundes die subjektiven Klagen des 
Patienten belegt. Auch intelligente Kranke, sogar Aerzte 
können das Druckgefühl im Ohr bei Verstopfung durch 
einen Zeruminalpfropf von demjenigen bei Irommelfell- 
einziehuug nicht unterscheiden. Es isl also auf die Schil¬ 
derung der Beschwerden ein sehr geringer diagnostischer 
Wert zu legen. 

Durchaus zu verwerfen ist ferner, daß der Politzer¬ 
ballon dem Laien für sich oder seinen Angehörigen in die 
Hand gegeben wird. Wenn der Laie einmal die wohl¬ 
tätige Wirkung einer Lufteinblasung beim Mittelohrkatarrh 
kennen und schätzen gelernt hat, so ist er versucht, jedes¬ 
mal bei Wiederkehr des Druckgefühls eine Lufteinlreibung 
zu machen. Ein zu häufiger Gebrauch kann aber nicht nur 
den Katarrh zur Entzündung und Eiterung heranzüchten, 
sondern auch zu einer verhängnisvollen Erschlaffung des 
Trommelfells führen. 

Daß die Mutter dem Kinde Lufteinblasungen macht, 
ist unstatthaft. Es fehlt ihr, die nicht, das Mittelohr des 
Kindes auskultieren kann, jedes Kriterium für die Stärke 
der Lufteinlreibung. Sie wird und das ist meist der 
Fall entweder zaghaft sein und bei der in der Heget 
starken Tubeustenose gar nicht das Mittelohr ventilieren, 
oder sie wird zu starke Einblasungen machen und dadurch 
das Ohr schädigen. 

5. A u s s p ü 1 c n d e s 0 h r s. 

Was vom Po 1 i t z e r sehen Verfahren gilt, das ist auch 
von dem indikationslosen Ausspritzen des Ohrs zu sagen. 
Dem Wunsche des Patienten, „mal eben das Ohr ausge¬ 
spritzt zu bekommen“, wird von vielen Kollegen zu leicht 
willfahrtet. Ehe man ausspritzt, soll man sioh vergewissern, 
ob auch wirklich ein Zeruminalpfropf vorhanden ist, und 
ferner, ob keine trockene Trommelfellperforaliun besteht. 
Wenn man beim Ausspülen infolge einer alten Perforation 
Wasser ins Mittelohr bringt, kann man eine akute Exazer¬ 
bation der Eiterung erleben. Bei Ansammlung tronkner 
Epidennisschollen im Gehörgang, oder gar bei trocknem 
Cholesteatom des Mittelohrs kann durch Quellung der 
Epithelmassen ein ganz bedrohlicher Zustand, der unter 
Umständen sofortiges Operieren erfordert, herbeigeführt 
werden. Wenn man also einen Zeruminalpfropf diagnosti¬ 
ziert, so vergewissert man sich durch Erhebung der Anam¬ 
nese, ob man mit einem sonst gesunden Ohr zu tun hat. 
Wenn die Angaben des Patienten keim 1 völlige Aufklärung 
schaffen, so ist es zweckmäßig, die Pölitz e r sehe Luft¬ 
douche zu machen, um auf Perforationsgeräusch zu fahn¬ 
den. Wenn letzteres vorhanden ist, so muß der Pfropf 
instrumentell entfernt werden. 

D i e 0 h r s p r i t z e d a r f k e i n e n o 1 i v e n f ö r m i - 
g e n o d e r a n d e r Spitz e v e r d i c. k I e n A n s a t z 
haben. Der olivenförmige Ansatz reicht nicht weit genug 
in den Gehörgang, um tiefsitzende Massen herauszuholen 
und birgt vor allem die Gefahr, daß man bei der Ein¬ 
führung den Gehörgang abschließt und durch den \\ asser- 
druck das Trommelfell zersprengt oder gar eine schwere 
Labyrinthschädigung verursacht. 

Der Spritzenansatz muß spitz, aber nicht scharf sein. 
Wer mit einem solchen Ansatz eine Trommelfellverletzung 
zu machen fürchtet, soll lieber gar nicht ausspritzen. 

(>. () h r u ntersu c h u n g bei f i e b e rnd e n K i n d e r n. 

Die Erhebung eines Ohrbefundes bei fiebernden. Kin¬ 
dern sollte strenggenommen niemals unterlassen werden, 
I auch wenn das Fieber aus anderer l rsaehe erklärt ist. 



1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


748 


Bei Kindern, welche» ohne nachweisbare Ursache fiebern, 
isl aber die Ohnmlersurhung unbedingt erforderlich, widri 
gc-nl'alls sich der Arzt der Gefahr ansselzi, (»in Kind an 
Ohisensis zn verlieren, (lanz kleine Kinder wissen bekannt¬ 
lich den Schmerz noch nicht zu lokalisieren und machen 
infolgedessen^keine zuverlässigen Angaben. Hei größeren 
s( hulpflichtigen Kindern habt» ich schon erlehl, daß sie 
hoch fieberten, jeden Ohrschmerz nui Hefragen leugneten, 
und daß die Ohruntersuchung eine durch Parazentese In- 
slätigte Eitei verhalluiig hinter dem Trommelfell ergab. Ein ■ 
derailige kindliche Dissimulation isl vor allem bei den 
jungen zu erwarten, welch«* schon einmal Ohrschmerzen 
lesp. eine schmerzhafte Ohrbohandlung (Trornmelfellstich) 
duichgornacht haben. Da die Oloskopie bei Kindern doppelt 
schwer ist, so wird der Hausarzt vielfach nicht in der Lag:* 
sein, seihst die* Diagnose zu stellen. Ein einfaches Hilfs- 
miltel, um auch ohne Konsultation sich zu orientieren, isl 
bei älteren, schulpflichtigen Kindern die Prüfung des Sprach 
gehois. Wenn mit jedem Ohr Eliisterzahlen auf zwei bis 
drei Meter Entfernung gehört werden, darf man im allge 
meinen einen akuten eitrigen Prozeß im Mittelohr aus- 
schiießen. Den umgekehrten Schluß darf man natürlich 
nullt machen, da auch ein Katarrh oder alte Narben im 
Trommelfell an der Schwerhörigkeit schuld sein können. 


Beitrag zur Lösung der Schuhleisten frage. 

Von Dr. med. Karl Lenglellner. Chirurg u. Orthopäde, Berlin, 
früher Assistent der Hoffaschen Klinik. 

Die Zeiten sind längst vorüber, wo der Arzt von 
Sehuhwerk nichts zu verstehen brauchte; der inten¬ 
sive Z u s a m in e n li a u g z w i sehe 11 F u ß d e f o r - 
m i t ii teil u n d .s c li 1 e c h t. c m Sch u h w erk liegt 
d e r m a ß en deutlich a u f d e r H a n d , daß von 
großer Rückständigkeit zu sprechen ist, wenn jemand das 
schwierige Arbeiten auf dem Gebiete der Schuhwerk¬ 
herstellung als eines Arztes unwürdig ansieht. Im Gegen¬ 
teil, die Menschheit wird künftighin mit vollem Recht ver¬ 
langen, daß die Aerzte hierin Bescheid wissen und geben. 
Ebenso aber, wie es nicht gleichbedeutend ist, ob jemand 
am Tage 10 Füße oder 100 Füße zu sehen bekommt, so ist 
auch ein Wissen auf dem Gebiete des Schuhwerkes Sache 
großer Erfahrung und reicher Praxis. Die Grund- 
1 a g e f ii rein richtiges S c h u It w erk b i 1 d e t 
s e 1 1) s t v erst ii n d 1 i c li e in r i e h t i g e r Leiste n. 
Meine weitgehenden Arbeiten berechtigen mich, darüber 
ein endgültiges Resultat mitzuteilen; ich glaube kaum, daß 
daran je noch künftighin zu rütteln sein wird. Will man 
über die Beschaffenheit des Leistens urteilen, so sind dabei 
A Orderpartie, \\ ölbungsteil und Fersenteil zu besprechen. 
Sodann kommen noch in Betracht die Randpartien eines 
Leistens, die Sprengung, die Leistenachse, ferner der Unter¬ 
schied von individuellen und fabrikmäßigen Leisten. 

Nie i m L e b e n w i r d es d a z u k o in m en, daß 
f a 1) r i k m ä ß i g e s S e h u h w t» r k aus de r Welt 
z u s e h a f feil sei n w i r d; i n f o 1 g edessen ist 
es geradezu eine soziale F r a ge, eine n m ö g - 
liehst e r f o 1 g r e i c h e n K o m p r o m i ß z w i - 
sehe n w i s s e n s c h a f 11 i e h e n F o r d e r u n g e n 
u n d I a 1) r i k m ä ß i ger D a r s t e 11 ii n g z u s c h 1 i e •• 
ß e n. 

Hier soll zunächst im allgemeinen von der Beschaffen¬ 
heit eines Leistens die Rede sein, und es sollen die Mög¬ 
lichkeiten dargelegt werden, welche überhaupt bei Refor¬ 
mierung eines Leistens sinngemäß in Betracht kommen. 

Auf Grund eines überreichen Materials kann ich 
meine Behauptung von früher nur wiederholen, daß der 
Plattfuß der Zukunftsfuß ist und daß jeder Mensch mit 


einer Senkung des Fußgewölbes zu rechnen hat, der eine 
mehr, der andere weniger. Die Statistik hat, wenn sie 
nicht im höchsten Grad unvollkommen und nutzlos sein 
will, heutzutage unbedingt mit dem von mir einge¬ 
führten Begriff „Senkfuß“ zu rechnen. Dadurch wird das 
Bild ein vollkommen anderes, und niemand wird sich 
wundern, daß ich als erste Bedingung eines richtigen 
Leistens ('ine richtig aiisgearbeitete Leistenwölbung stellte. 

In einer grundlegenden Abhandlung in der „Med. 
Klinik“ habe ich die längst anerkannten Gesetze dar¬ 
gelegt; es bedarf also nur eiuei kleinen Rekapitulation. 
Die Leistenreformieriingen erstreckten sich früher nur auf 
FonpenveiMilderungen. Von der so wichtigen Leistenwöl¬ 
bung war bisher nichts oder mir eine ganz undefinierbare 
Einhöhlung vorhanden, die an ganz unzweckmäßiger 
Stelle ihren Anfang und ihr Ende nahm. Von einer 
W ö 1 h u n g , di e eine r F u ß Wölbung g 1 e i c h - 
k a in , vv a r n i e li t s z u s e b e n. D i e F e r s e n p a r t i e 
w a r d u r e li w e g s z u 1 a n g und zu breit g e - 
| arbeitet, das all m ii li 1 i c h e E i n s d t z e n u n d 
A b k 1 i n g e n d e r F u ß w ö 1 1> u n g , e h e n s o a u c h 
(1 i e g a n z e innere F u ß w ö 1 b u n g blieben u n - 
b e rücksi c h t i g t. Daß diese Leistenwölbung und die 
darüber gebaute Sehuhwölbung von größtem Einfluß war, 
zeigte folgender Versuch. Ich ließ für ein und denselben 
Fuß zwei Schuhe bauen, den einen nach gewöhnlicher 
Herstellung-weise mit bequemem Ballenmaße, den anderen 
mit knappem Ballenmaße, aber mit ausgearbeiteter Seknli- 
wölbung. Beim Anziehen verursachte der Schuh mit 
weitem Bqllenmaß Druckschmerzen an Zehen und Ballen, 
während der Schuh mit knappem Ballenmaß. aber ausge¬ 
arbeiteter Sehuhwölbung nicht die geringsten Schmerzen 
bereitete. Die Lösung des Rätsels lag auf der Hand. 
V ird ein Leisten gebaut, der eine richtige Fußwölbung 
besitzt, und wird eine Sehuhwölbung hergestellt, die dieser 
Leistenwölhung entspricht, so spielt die breite Spitzenform 
eine nebensächlichere Rolle, wenn nur ein richtiges Ballen- 
und Ballen-Kleinzehenmaß genommen wurde. Durch 
d i e d e r Leiste n w ö 1 b u n g © n t s p r e c h e n d e 
S c li u h w ö 1 b u u g w i r d d c* r F u ß v erhindert, 
s i c li b e i j e d e m Schritt zu s e h r n a e h v o r n e 
zu bewegen und zu verlängern, ferner wird 
er verhindert, sich zu verbreitern, was stets Hand in Hand 
mit der Verlängerung gellt und Ursache für die Druck¬ 
schmerzen gibt. Dadurch, daß man mit dieser Verschie¬ 
bung des Fußes rechnete, erstreckten sich die ganzen 
Reformbewegungen dahin, für diese Vorwärtsbewegung 
des Fußes möglichst viel Spielraum zu lassen, und man 
baute die Spitzenpartie, um von vornherein Unannehmlich¬ 
keiten vorzubeugen, immer breiter und plumper. Die 
Leisten Wölbung berücksichtigt — kann man der Leisten- 
spitze mit gutem Gewissen ein ästhetisches Aussehen 
geben, natürlich ist eine sehr spitze Form ausgeschlossen. 
Bei allen Menschen also, die überhaupt nur einige Anlage 
zum Einsinken der Wölbung haben, ist diese Hemmung 
des Vorwärtsgleitens des Fußes eine notwendige. Ich gehe 
aber sogar weiter und behaupte, daß dieselbe für jeden 
Fuß nötig ist. Jeder, auch der normalste Fuß, zeigt seine 
Vorwärtsbewegung und ist dadurch naturgemäß im Sehuh¬ 
werk gewissen Gefahren ausgesetzt. Auf der einen Seite 
stellt fest, daß heutzutage das Sehuhwerk für jeden Men¬ 
schen notig ist. auf deY anderen Seite steht ferner fest, daß 
das Sehuhwerk, wenn es nicht richtig angefertigt ist, eine 
große Gefahr, auch für den gesunden Fuß bildet; daraus 
resultiert \on vornherein bereits die größte Vorsicht. 

Was die Fersenpartie des Leistens betrifft, so wurde 
dieselbe bisher stets zu breit gearbeitet; gerade die Ferse 
bedarf eines festen Haltes. Um die Beschaffenheit dos 
Tersenteiles eines Leistens näher zu beschreiben, greife 
ich auf meinen Gipsleimleisten zurück (Centralblatt für 


Original ffo-m 



744 THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. Nr. 50 


Chirurgie, Nr. 34, 1007). Während heim bisherigen 
Leisten Ferse, Wölbungsteil und Ballen beinahe in einer 
geraden Linie lagen, sieht man bei meinen Gipsleimleisten, 
daß die Ferse des Leistens entsprechend der menschlichen 
Ferse ein abgerundetes Ganze bildet, daß sie einen Teil 
des Leistens bildet, der durch sein Hervortreten sofort 
dokumentiert, daß er seine selbständige Berechtigung hat. 

Beim alten Leisten befindet sich die Ferse im gleichen 
Flächenniveau, wie alles übrige. Von einem Ueberragen 
derselben ist keine Bede. Darin liegt schon ein Grund¬ 
fehler des alten Leistens. Es ist von Wichtigkeit, die 
Fersenpartie des Leistens so auszuarbeiten, daß sich die 
Ferse genau so differenziert, wie an dem von mir. vor 
Jahresfrist angegebenen Gipsleimleisten. Die Ferse muß 
sich von dem anschließenden Fußgewölbe genau differen¬ 
zieren; sie muß, wenn der Leisten am Boden stellt, tiefer 
als derselbe stehen, was sie auch tut, wenn sie ent¬ 
sprechend der menschlichen Fußferse geformt ist. Ein 
wirkliches Leistengewölbe muß einen aufsteigenden und 
absteigenden Ast haben. Beide Aeste müssen entwickelt 
sein, wenn von einem Gewölbe die Bede sein soll. Darin 
aber, daß bisher der aufsteigende Ast mehr oder minder 
gar nicht entwickelt war, auch wenn die Wölbung mehr 
oder minder ausgearbeitet war, lag der zweite Grund¬ 
fehler des alten Leistens. Dadurch, daß der Fersenteil 
nicht entsprechend der Fußferse gearbeitet war, differen- 
zieite sich am Leisten die Fersenpartie nie von dem Beginn 
der Wölbung, und eben dadurch, daß Ferse und Beginn 
der Wölbung in einer Fläche lagen, wußte man erstens 
nicht, wo hört die Fersenpartie auf, wo beginnt die Wöl¬ 
bung, zweitens ging dadurch der so hochwichtige auf¬ 
steigende Ast verloren. Durchwegs ist nun a u e h 
bei sämtlichen Leisten zu bemerken, daß 
die Fe r sehpartie überall viel zu lang ge¬ 
arbeitet ist; ferner ist d a d urch, daß di e 
Ferse v o 11 k o m men f 1 a c li g e h a lt e n ist, von 
e i n e m aufsteigenden Ast keine Be d e. Denkt 
man sich nun unter eine so gearbeitete Leistenfersenpartie 
noch einen Lederabsatz, so bildet der Fersenteil den Berg 
und die Wölbung bereits das Tal, anstatt daß die Ferse das 
so tief wie möglich gelegene Tal wäre und von hier aus 
der Aufstieg erfolgen würde. Es ist also ganz klar und 
unabweisbar, daß die Ferse am Leisten so abgerundet und 
differenziert erscheinen muß, wie sie sich am Fnßmodell 
zeigt. Dies war mir bereits vor einem Jahre klar, und 
darnach fiel auch der Holzleisten aus. Der Gipsleimleisten 
zeigt genau, daß die Fersenpartie verhältnismäßig kurz 
ist, trotz ihrer Kürze aber in zwei Teile zerfällt: erstens 
in den Calcaneusteil oder den knöchernen und den prä- 
calcanealen Teil oder den fleischigen. Dieser Teil bildet 
die Grenze zwischen Fersenteil und Wölbung, d. h. dem 
aufsteigenden Ast derselben, und ist von großer Wichtig¬ 
keit. In diesen fleischigen Teil kann ein Hauptstützpunkt 
beim Auftreten im Schuhwerk erfolgen. Verfolgt man 
dieses Prinzip, so sind die so häufig vorkommenden Fersen¬ 
schmerzen stets verchwunden. Daß d er C a 1 c a neus 
a 1 s Knoche n f ü r sich ei n v o m S c li ö p fer b e - 
a b s i c li t i g t e r spezieller St ii t. z p u nkt sei n 
soll, ist keineswegs anzune h m e n , den n 
n u r zu lei c h t ist z u b e w e i s e n , d a ß unse r 
C a1e a n e us einstens viel,höher o b e n a 1 s 
Sprunggelenk t h r o nte und von seinem er¬ 
habenen St a n d e , de n 3 r j e t z t 11 o c h bei de n 
vierbeinigenTierenei n n i in m t, u in s o in e h r 
11 a o h 11 n t e n wanderte, als die vorderen Ex- 
1 r e m i t. ä t e n s i c h zu speziellen Greif o r g a - 
n e 11 , di e li intere 11 E x t r e in i t ä t e 11 sieh z u 
speziellen G e h o r g a n e n entwickelte n. 
Meine embryologischen Untersuchungen beweisen haar¬ 
scharf, daß es ein Stadium in der menschlichen Embry¬ 


ologie gibt, das dein vierbeinigen Dasein in .-jeder Be¬ 
ziehung entspricht. Genau ist sodann der Uebergang zur 
aufrechten Haltung zu verfolgen. In den Fällen, wo die 
Pfannenverhältnisse nicht rasch genug mit den von 
eine m v o< n m i 1* w ä h r e n d der ganze n PI n t - 
wickel u 11 g a n g* e 11 o 111 m e n e n Wachst u m s - 
u ii d E ntwickelungszent r u m beabsichtig- 
t e n Bewegungen, hier also mit ei n e r 
S t r e c k ung z u m a u f rechte n Gange, g 1 e i - 
e h e 11 S c h ritt h a 11 e 11, haben wir als deutlichen Be¬ 
weis die kongenitale Hüftgelenksluxation vor unseren 
Augen. Die Möglichkeit derselben ist noch in einem 
späteren Stadium gegeben, nämlich beim selbständigen 
Eingreifen der Muskulatur. Der Unterschied besteht in 
der Biclitung, nach welcher der Kopf luxiert. G e n a n 
zu verfolgen ist ein Stadium d e r u n ter e 11 
Extremit ä t b e i m E m b r y o , w o die Extre m i - 
tat eine gestreckte Linie bildet. Zehen und 
Oberschenkelkopf liegen in einer geraden Linie. Nun 
kommt die Zeit, wo sich der Fersenknochen allmählich in 
Form eines hochliegenden Sprunggelenkes bemerkbar 
macht, wie es z. B. bei den Pferden der Fall ist. Es be¬ 
ginnt nun ein Kürzerwerden und Ineinanderschieben der 
Knochen, bis wir den Caleaneus ziemlich tief und die 
Spitzfußstellung und etwas später die Klumpfußstellung 
( 4—7 Monate) des Fötus sehen. All dies sind v o m 
W achstumsze n t r u m u n d v o m Eütwic k e - 
lungszentrum, welches ich a 11 nehme, be¬ 
absichtigte Bewegunge n. Der Caleaneus tritt 
sodann noch tiefer, und es steht für mich fest, daß jedes 
ausgetragene neugeborene Kind in einer Fußstellung zur 
Welt käme, welche einer, wenn auch sehr geringen Dorsal¬ 
flexion mit tiefstehendem Caleaneus und Supinations¬ 
stellung entspräche. Bekanntlich aber kommen die reifen 
Kinder fast alle mit forcierter Dorsalflexion zur Welt, was 
durch das Anpressen der Uteruswand ohne jeden Zweifel 
bedingt ist. Durch jede Dorsalflexion natürlich ist, wenn¬ 
gleich Supinationsstellung vorhanden ist, eine Abflachung 
der Sohlenverhältnisse bedingt. Wenn ich zugebe, daß 
abgesehen von den Fällen mit angeborenem Plattfuß, und 
das sind keineswegs so verschwindend wenig, eine Beihe 
von Kindern mit gutem Gewölbe zur Welt käme, so wird 
dies eben durch die starke Darsalflexion verhindert. 
Jedes neugeborene Kind hat m einer An¬ 
sicht nach einen Plattfuß insofern, als 
bei Belastung keine W ö 1 b 11 n g vorhanden ist. 
Im unbelasteten Zustand zeigt eine Beihe von Kindern 
bei der Geburt Wölbung, eine Beihe derselben er¬ 
hält die Wölbung nach Woeben und Monaten. 
E in z i e 111 1 i c li e r P r o z e n t s a t z d e r K i n d e r 
k o m mt ohte Zweifel mit platte m F u ß e z u r 
Welt. I c li unters c beide li i e r zwisclie 11 a n - 
g e borene m Plattfuß u 11 d verstehe d a r 11 n - 
ter einen Plattfuß, der bereits durch die 
Entwickelung (K e i m a 11 1 a g e , W a c h s t u m s - 
u n (1 E ntwickelungszent r u 111 s e i n f 1 11 ß) b e - 
(1 i 11 g t i s t, u n d eine n d u r c li d i e D o r s a 1 f 1 e x i o 11 
bedingte n P 1 a 11 fuß, d e r n a e h A u f h ö r e 11 
des Druckes der Uterus wand seine Wöl¬ 
bung w i e d e 1* g e w i 11 n t. Die ganze Entwickelung 
des Fußes aber zeigt genau, daß wir es beim Fußgewölbe 
nicht mit einem regulären Gewölbe zu tun haben, sondern 
einen gewölbeartig angeordneten Knochenkomplex, dessen 
gewölbeartige Anordnung durch die auf embryologisch 
und phylogenetisch früheren Stufe notwendige Anordnung 
bedingt war und aus der Senkung des ganzen Komplexes 
resultiert. Würde es sich um ein wirkliches von der Natur 
beabsichtigtes Gewölbe bandeln, so würde die Anordnung 
des Unterschenkels zum Gewölbe eine ganz andere sein. 
Demgemäß darf man aber auch nicht erstaunt sein, wenn 





1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


745 


«las Eiusinken des Gewölbes immer mehr überliandnehmen 
wird und der Zukunftsfuß der platte Fuß sein wird. Ein 
paar hundert Jahre machen in der Entwickelung wenig 
aus, wohl aber ein paar tausend Jahre, wenigstens bei 
Kleinigkeiten. So stellen denn auch ältere Volksstämme 
als die Deutschen bereits ein viel ansehnlicheres Kontin¬ 
gent beim platten Fuß als wir. Wie der weitere Plan der 
Natur verläuft, wenn alle Füße platt sind, ist schwer 
vorauszusagen. Wohl dürften die Absichten wieder auf 
eine Verkürzung der Fußfläche hinausgehen. — Um wieder 
zum eigentlichen Thema zurückzukehren (— die Ab¬ 
schweifung hielt ich zum Verständnis für sehr wichtig —) 
muß der Calcaneus von vornherein als Stützpunkt beim 
Auftreten angenommen werden. Ohne Zweifel war bei 
seiner Wanderung von oben nach unten unangenehm, daß 
er sich nur wenig mitnehmen konnte, was ihm bei seiner 
Landung am Boden als Unterlage dienen konnte und ihn 
gegen die Unbillen des Bodens schützte. Denn er war in 
seiner früheren Funktion Muskelhalter und Stützer, und 
bedurfte dazu keiner besonderen Fettpolster. Diese 
vermißt er nun auch in seiner neuen Würde. Leider sieht 
man bei vielen Füßen den Calcaneus in ganz bedenklicher 
Blöße hervortreten. Besser daran ist der präcalca- 
neale Teil; ich verstehe darunter den Teil, wo die 
Sohlenmuskulatur und -Bänder ansetzen. Hierher kann 
beim Schuhwerk der Druck verlegt werden. Diese Absicht 
kann beim Leisten dadurch verwirklicht werden, daß dem¬ 
entsprechend weggenommen wird. Auf die Wichtigkeit 
dieser Tatsache kam ich dadurch, daß es sich zeigte, daß bei 
Fersenschtnerzen eine Einlage dann nutzte, wenn ich den 
Fersenteil lief ausbeulte und den aufsteigenden Schenkel 
des Einlagengewölbes steil Ansteigen ließ. Um aber eine 
derartige Einlage über einem Gipsmodell anzufertigen und 
genau anzupassen, mußte bei den Modellen (gewonnen durch 
den Ho ffa - Lengfellner sehen Gipsbreiabdruck) 
der Teil, der dem präcalcanealen Teil entsprach, korrigiert, 
d. h. herausgenommen werden. Diese Korrektur hat sich 
ebenso wie die an dem Gipsleim leisten bereits vor Jahres¬ 
frist angewandte Ballenkorrektur sehr bewährt. Durch 
das Tiefsitzen der Ferse, durch die Steilheit des aufsteigen¬ 
den Wölbungsschenkels wird verhindert, daß der Fuß bei 
jedem Schritt nach vorn rutscht. 

Der Zweck eines Leisten s, d e r n a ch mei¬ 
nen Prinzipiellgeformt ist, besteht d a rin, 
d u r e li d i e genannten He m m n n g s v o r r i c li - 
t, u n g e n d e n F u ß a m s t a r kem Rutschen z u 
ve rhin d e rn n n d d a d urch die Zehen zu e n t - 
lasten, sodann die Knochenstützpunkte 
(Fersen und Ballen), die so häufig das 
g r o ß e S c li m erzenskiud d a r s t e 11 e n , von 
der alleinigen U n t erst ii t z un g s a u f g ab e zu 
h e f r e i e n u n d die Drucklast m e h r z u ver¬ 
teilen mit Berücksichtigung der Fleisch- 
]> a v t i e n. In allen Fällen, wo es sieh um eine Senkung 
des Fußgewölbes handelt, ist die Unterstützung der Wöl¬ 
bung ein unbedingtes Postulat. Bei ganz gesunden Füßen, 
wo man nur ein zu starkes Rutschen vermeiden will, 
könnte man an eine isolierte Ballenhemmung denken. Be¬ 
züglich der differenzierten, tiefliegenden Ferse möchte ich 
noch erwähnen, daß die Fälle mit verkürzter oder ge¬ 
schrumpfter Achillessehne, ferner diejenigen mit Spitz- 
fußanlage erst dann die tifef erliegen de Fersenpartie ver¬ 
tragen können, wenn die Fußste'llung korrigiert ist. W a s 
die Leistens p r e n g u n g anlangt, so kan n 
dieselbe entschieden eingesclir ü n k t w e r - 
d e n. Es ist ein Unsinn, einen möglichst klassischen 
Schuh unterbau zu erstreben, wie dies gerade in jüngster 
Zeit fabrikmäßig geschieht. Die Sprengung darf nur eine 
mäßige sein, wenn der Leisten orthopädisch sein soll. 

N ii n n o e h e i n i g e W orte ü l> e r d i e Leiste n- 


a c hse oder Leisteulini e. Diese Linie müßte einer 
Fußlinie entsprechen, wie sie zum Beispiel Professor 
M e y e r konstruierte. Es ist aber meines Erachtens un¬ 
nütz aufgeweudete Zeit, darauf versessen zu sein, eine 
Normalfußlinie zu finden. Alle bisher mühsam gefunde¬ 
nen Linien, entbehren meiner Prüfung nach der Berech¬ 
tigung. Auch die oben erwähnte Professor Mey er¬ 
sehe Linie ist weit davon entfernt, das Ideal einer Normal¬ 
fußlinie darzustellen. Selbst wenn sie durch die Mitte des 
Fersenbeins und nicht durch die Mitte der Ferse ginge, 
wäre sie immer noch nicht richtig. Diemenschlichen 
Füße s i n d b e,st ä n d i g v e r ä n dernden Ent¬ 
wickelungen unterworfen, nicht zwei 
menschli c he Füße gleichen s i c h a b s o 1 u t, 
j a m e i s t i s t d e r U n terschied der zwei F ii ß e 
des gleichen I n d i v i d u n ms ei n v e r h ä 11 n i s - 
mäßig sehr großer. Es wäre Unsinn, einem Fuß 
eine lierausgeknobelte Normal-Fuß- und Leistenlinie aufzu¬ 
oktroyieren. Davon kann manches traurige Lied gesungen 
werden. Meines Erachtens kommt es nur auf ein zn be¬ 
rücksichtigendes Moment an, nämlich auf das Verhältnis 
des Vorderfußes zürn Hinterfuß. Es wäre also die Frage, 
muß der Vorderteil des Leistens winkelig verschoben gegen 
den Hinterteil sein und in welchem Sinne? Bekanntlich 
ist ja die sogenannte rationelle Form die, hei welcher der 
Vorderteil erheblich nach innen strebt. Ist nun z. B. diese 
Form berechtigt? Ja, für diejenigen Füße, wo die Fu߬ 
linie damit harmoniert. Dies ist aber meiner Statistik 
nach — und ich dürfte wohl momentan über das größte 
Fußmaterial verfügen — nur in einem kleinen Bruchteil 
der Fall. Für alle anderen Fiiße bildet diese Form ein 
Nonsens. Auch hei dem kleinen Bruchteil der Füße, der 
für die rationelle Form passend wäre, muß man sich vor¬ 
sehen, daß nicht der dabei so oft begangene Beobachtuugs- 
fehler unterläuft, nämlich die winkelige Verschiebung des 
Vorderfußes zum Hinterfuß sich durch eine winklige Stel¬ 
lung des ganzen Fußes zum Unterschenkel im Sinne einer 
Drehung im Taloeruralgelenk Vortäuschen zu lassen. Die 
Erklärung für all diese Trugschlüsse liegt in der falschen 
Deutung der meisten Fußdeformitäten begründet. All die 
Theorien über den Plattfuß z. B. sind samt und sonders 
nur dazu da, Unklarheit in die Sache zu bringen. Ich habe 
mit Recht den Plattfuß den Zukunftsfuß genannt. Darin 
liegt die Erklärung des Plattfußleidens. Ich will damit 
sagen, die P1 a 11 f u ß d e f o r tu i t ä t ist w eite r 
nichts als ein Fußentwickehi ngsst a cl i u m, 
d a s a u fG rnnd d e r E n t w i c k e1ung s v o r g äuge 
a 11 mählich beialle n M e n s c hen mit Sicher¬ 
heit e i n t r i 11. Es ist eines der vielen Dege¬ 
nerationszeichen, welche de m U e b e r g a n g 
zum aufrechten Gange folgten, und es ist 
unmöglich zu leugnen, d a ß m i t de m auf¬ 
rechten G a n g u nd d er Vergr ö ß e r ung des 
Gehirns die Degeneration des K ör pe r s 
ihren A n f a n g na h m. Hat man individuelles Ma߬ 
schuhwerk anzufertigen, so ist die Achsenfrage so wie so 
erledigt. Man gibt dem Stiefel einfach die Achse, welche 
der einzelne individuelle Fuß zeigt. Bei fabrikmäßigem 
Schuhwerk und Militärschuhwerk z. B. wird es sieh nur 
um eine gerade x\ehse in meinem Sinne handeln, d. h. es 
wird keine winklige Verschiebung des Vorderfußes zum 
Hinterfuß vorhanden sein dürfen. Bei Kinderschuhen ist 
das gleiche zu berücksichtigen. Der Umstand, daß die 
Kinder so vielfach nach einwärts gehen, ist nur auf Stel- 
1 u n g s - Anomalie des Fußes zurückzuführen, die daher 
rührt, daß eine gewisse fötale Stellung der Beine beibe- 
halten wurde. Nur in den allerseltensten Fällen handelt 
es sich hierbei um winklige Verschiebung des Vorderfußes 
zum Hinterfuß, 




THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. Nr. oO 


Aus dem unalytiMilieu Lfjliomtorimn der Ilirseh- Apotheke in Wieshnden. 

lieber Jodvasogen. 

Von Dr. A. Stephan. 

Seil einer Reihe von Jahren werden von der Firma 
r'rai'son Co. in Hamburg Yasogenpräparate in den 
Handel gebracht, von welchen die Firma angibt, daß sie 
oxv genierte Kohleiwasserstoflc seien. Letztere hätten die 
heivoi ragende Eigenschaft, daß sie mit Wasser emulgier- 
har seien und infolgedessen sehr leicht von der Haut resor 
hiel t würden. Die Mischung der \ asogene mit den ver¬ 
schiedenen. Arzneimitteln wurde von genannter Firma nicht 
der Rezeptur der Apotheke überlassen, sondern die genannte 
Firma brachte 17 verschiedene Yasogene in den Handel 
und bemerkte auf den Etiketten den ITozeulgehalt der be¬ 
treffenden Medikamente. Jodvasogeu ist bezeich¬ 
ne 1 : Y a.s ogeii 9 0 , .1 o d i res u b I i m a l i 1 0. Jeder 
Arzt muß heim Lesen des Etikettes anuehmen, daß das 
Jodvasogeu aus 9ö°/ 0 Yasogen und 10°/,, resubliiniertem, 
also freiem Jod besteht. 

l eherall findet man auch in der \ asogenliteratur die 
Auffassung, daß das Yasogen freies Jod enthält, welches 
sehr schnell resorbiert wird bezw. sieh verfluchtet, so daß 
die Jodfärbung nach kurzer /eil vollständig verschwindet 
(vcrgl. die Artikel von Dr Leist i ko w in den Monats¬ 
heften für praktische Dermatologie, Bd. 19, 20 und 23j. 

Es wurde daher das Jodvasogeu der stark färbenden 
Jodtinktur vorgezogen, ferner auch als Ersatz für Jodsalze 
empfohlen. 

D i e A c r z t e s i n d a b e r d u r c h d i e A u g a b e u 
der E irma Pearson & Co. i r r e g e f ii h r t w o r d e n , 
denn we de r bes teh I Yasogen aus o xy gen i er 
ten Kohlenwasserstoffen, noch enthält das 
Yasogen eine Spur Jod, wie die Resultate der nach¬ 
stehend mitgeteillen Fntersuchungen ergehen. Das Jod 
vasogen wird also unter fa 1 s <* li e r D e k 1 a ra t i o n in den 
Handel gebracht,. Fm die Täuschung vollständig zu machen, 
ist dem Jodvasogeu durch Z usatz eines F ar b s t o f f e s 
eine der Jodtinktur ähnliche Farbe gegeben werden. Von 
der aufsehenerregenden Erfindung, welche den Vorzug hat, 
daß das Jod keine färbenden und reizenden Eigenschaften 
mehr haben soll, bleibt nichts übrig, als eine gefärbte 
A m in o n i a k s e i f e , w e lebe A m m o n i u m j o d a I u m 
enthält. Nach Arznei faxe 10,0 gleich 30 Pfg. Also das 
bekannte oder vielmehr in Vergessenheit geratene Eini 
mcnlum jodatum (Ammonium jodatum 10, Limentum sapo- 
ualum caniphoratum 90) in etwas veränderter Form und 
irreführender Bezeichnung. 

Wiederholt wurde der Firma Pearson *Y Co. in der 
1 bann. Zig. und der Apoth.-Zfg. vorgehalten, daß das Jod- 
vasogen kein freies Jod enthalte. Die Firma brachte darauf 
die Ausrede, daß freies Jod im Yasogen nicht haltbar sei. 
dasselbe lagere sich an die organischen Substanzen an. 
Ich hielt es deshalb für angebracht, eine ausführliche I nter 
Eichung von Jodvasogeu vorzuuehmen, die nachstehende 
Resultate ergeben hat: 

O u a 1 i I a I i v e Br ii f u u g. 

Ai lud: Beim Schütteln des Judvasugens 10°, 0 mit 
Stärkckleister entstand keine Blaufärbung. Mit Wasser und 
Phloiofoini geschüttelt, blieb das Chloroform farblos, erst 
der Zusatz von Schwefelsäure färbte das Chloroform rot. 
Freies Jod war also in dem Präparat nicht enthalten. 

Jodvasogeu wurde mit verdünnter Schwefelsäure ver- 
. < :zl, das abgeschiedene Oel in A et her gelöst und solange 
•mit Wasser znsammei(gesehüttolL bis die Flüssigkeit auf 
\g\ T (). nicht mehr reagierte. Das von Aether befreite Oel 
gab beim Erhitzen mit konzentrierter Schwefelsäure keine 
Joddämpfe ah. (iebumlenes Jod war somit nicht vor¬ 
handen. 

Jodvasogeu wurde mit Wasser geschüttelt und das 
Filtrat abgedampfl. E blieb ein weißes Salz zurück. 


welches mit Kalilauge erwärmt Ammoniak entwickelte und 
mit AgNO a die Jodreakti m gab. 

Aus Vorstehendem geht hervor, daß im Jodvasogeu, 
welches nach dem Etikett aus 90° 0 Yasogen und 10° 0 
ri sublimiertem Jod bestehen soll, weder freies noch ge¬ 
bundenes Jod enthalten war. Das Präparat ent¬ 
hielt nur J o-d wasserst o f f s ä u r e . a n V in m o - 
ii i a k gebunden, das Ammonium jodatum des Arznei¬ 
buches. 

B; O e 1 s ä u r e u n d V a s e 1 i u ö 1 : Das bei der Prüfung 
auf gebundenes Jod isolierte Oel wurde mit alkoholischer 
Kalilauge verseift und mit Wasser verdünnt. Das von der 
Seifenlösung getrennte Fnverseifbare deutet infolge seiner 
‘Fluoreszenz und seiner Fnwrseifbafkcit auf Vaselinöl. 

Die Seifenlösung wurde mit Schwefelsäure zerlegt., mit 
Act her ausgeschüttelt und von dem nach dem Abdampfen 
des Aethers hinterbliebenen Oel die Jodzahl und die Sälire¬ 
zahl bestimmt, ferner die Elaidinprobe angestellt. 

Jod zahl. 0,247 Yerseifbares wurden mit der chemi¬ 
schen Jodlösung versetzt und nach 6 Stunden mit Natrium¬ 
thiosulfat titriert. Es wurden verbraucht 1,9 ccm Na¬ 
triumthiosulfat; 1 ccm Natriumthiosulfat entsprach 0,1 IS 
Jod. Die gefundene Jodsalbe beträgt demnach 90,77. Nach 
Hager schwankt die Jodzahl der Oelsäure je nach Rein¬ 
heit zwischen 72 bis 90. 

S ä u r e z a h 1. 2,537 Y erseifbares gebrauchten zur Neu- 
tialisation 8,0 ccm alkoholischer Kalilauge n 1. Die Säure- 
zahl isl demnach 177. Nach Hager liegt dieselbe zwischen 
185 und 202. 

Dit E I a i d i ii p r o b e ergab ein positives Resultat. Das 
Yeiseifbare des Jodvasogens charakterisiert sich demnach 
als Oelsäure. 

(■) Alkohol. Etwas Jodvasogen wurde vorsichlig 
der Destillation unterworfen, das Destillat gab beim Er- 
wärmen mit Kalilauge und Jod die Jodoiorhireakliun. 

D) Ammoniak. Beim Erwärmen mit Kalilauge ent¬ 
wickelte Jodvasogen einen starken Animoniakgeruch. 

I) e m n a c h b e s t e h I .1 o d v a sog en a u s A m m o - 

n i u m j o d a t u m , Oelsäure, Vaselin ö I u n d A m- 

m o n i a k. 

O u an t i t a t i v e Pr ii f u n g. 

A i J o <1 w a s s e r s t o f f s ä u r e. 10,00 Jodvasogen 10° 0 

wurden mit Säure und Aether versetzt, dann mit Wasser 
ausgeschüüelt, bis dasselbe keine Silbernitratreaklion mehr 
gab. Das ausgeschüttelte Wasser wurde auf 500 ccm auf- 
gefüllt, davon 50 ccm mit Natriunmitrit und Schwefel¬ 
kohlenstoff versetzt. Das ausgeschiedene Jod wurde mit 
Natriumthiosulfat titriert. Es wurde ein Jodwasserstoff- 
säuie-Ciehalt. im Mittel von 9,80° /0 entsprechend 11,1 0 0 
NH r J ermittelt. 

B) Oelsäure und Va sei in öl. 28,00 Jodvasogen 
wurden wie hei A) behandelt. Das ausgeschiederus in Aether 
gelöste Oel wurde durch getrocknetes Natriumsulfat vom 
Wasser befreit, danach der Aether verdunstet und der Rück 
stand gewogen. Er betrug 19,700 gleich 70,36%. Darauf 
wurde der Rückstand mit alkoholischer Kalilauge verseift, 
abgedampfl und mit getrockneten Natriumsulfa! ge¬ 
mischt, bis eine krümelige Masse entstand. Letztere wurde 
im Soxhlet-Apparat mit Petroläther erschöpfend extrahiert. 
Der Pelrolätherrückstand des Fnverseifbaren betrug 7,08. 
Demnach ergab sich ein (iehall von 25,28% Y’aselinöl. 
Der (iehall an Oelsäure ergib! sich aus der Differenz zu 
45,08° 0 . Der Trockenrücksland von 5,010 Jodvasogen (be- 

i siebend aus Oelsäure, Yaselinül und Ammonium iodalum 
11,1%) betrug 4,055 gleich 80,9%. 

C) 47,00 Jodvasogen mit Phosphorsäuro und Wasser 
versetzt, wurden der Destillation unterworfen. Das Destil¬ 
lat wurde zur Entfernung der ühergegangenen Fettsäure 
mit gebrannter Magnesia geschüttelt, filtriert und wiederum 
destilliert. Das spezifische (Jewicht von 125 ccm Destillat 
betrug 0,993 g, woraus sich ein Alkoholgehalt (90 Yolumeu- 
Piozeul) von 14,5 ° 0 ergab. 





THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


747 


1908 


!); Ammoniak. Das nach B) zum Ausschütteln vor 
wendete Wasser, welches den gesamten Ammoniak ent¬ 
hielt, wurde auf 250 ccm anUjefüllt, davon 50 ccm mit 
Kalilauge und Wasser versetzt und destilliert. Der Am 
moniak wurde in vorgelegter Salzsäure aufgefangen, die 
19,(5 ccm Normal-Kalilauge entsprach. Zur Neutralisation 
der Säure wurden 10,5 ccm Normalkalilauge gebraucht. 
Die Differenz 9,1 ccm entsprach einem Ammoniakgehall 
von 2,76 °/ 0 . An Jodwasserstoffsäuro ist 1,3 n / 0 Ammoniak 
gebunden, mithin an Oelsäure 1,4(5 ‘Vo¬ 
ller Ascherückstand von 2,025 Jodvasogen betrug 0,005, 
entsprechend 0,24 °/ 0 . Er bestand hauptsächlich aus Eisen 
oxyd. Nach meinen vorstehenden Untersuchungen setzt 
sich das Jodvasogen wie folgt zusammen: 

A m m o n i u m j od a t u m 11,1 °o, 0 e 1 s ä u r e r u n d 
45 (, /o. V a s e I i n ö 1 r u n d 25 o, o . Spiritus rim d 15 o/o . 
A m m o n i a k an 0 e 1 s ä u r e gehunde n 1,5 °/o. Asch* 
0,24 o/o. 

R e s o r p t i o n s v e r s u c h e m i t J o d.p r ä p a r a t e n. 

Die Versuche wurden in der Weise angestellt, daß di- 
Jodpräparate 10 Minuten lang auf dem Arme eingerieben 
wurden. Der Urin wurde während der nächsten 24 Stunden 
in getrennten Portionen gesammelt und auf Anwesenheit 
von Jod bezw. Jodsalzen untersucht Zur Feststellung 
wurde der Urin angesäuert und mit Natriuninitrit versetzt, 
darauf mit Schwefelkohlenstoff ausgeschüttelt. 

1. Jodvasogen lOprozentig 5 g verrieben. Sämtliche 
Urinproben waren vollständig frei von Jod. 

2. Jodkalisalbe 5 g. Dasselbe negative Resultat. 

3. Vasolimentum jodatum lOprozentig 5 g verrieben. 
Nur der nach 10 Stunden entleerte Urin enthielt geringe 
Mengen Jod. 

4. Jodneol, ein neues freies Jod enthaltendes Präparat 
von Apotheker Buer, Berlin. Nur der nach 12 Stunden 
erdleerk Urin enthielt geringe Mengen Jod. 

5. 1 g Jodkali jper os gegeben. Sämtliche Urinproben 
gaben starke Jodreaktion. 

Die Resorption des Jodvasogen steht also hinter der 
des Vasolimentum jodatum wesentlich zurück. 

Zuin Schluß möchte ich noch bemerken, daß der Apo¬ 
theker, der doch gesetzlich für die von ihm abgegebenen 
Arzneimittel verantwortlich ist, keinesfalls Jodvasogen mit 
falscher Inhaltsbezeichnung abgeben darf. Er ist unbe¬ 
dingt verpflichtet, die falsche Deklaration auf Flasche und 
Karton richtigzustellen, sowie den beigelegten Prospekt zu 
entfernen. 


REFERATE. 

Gonorrhoe des Weibes. 

Sam melreferat 

von Frauenarzt Dr. Otfried O. Fellner. Wien. 

Men des de Leon untersuchte 22 Kinder mit Ausfluß. 
10 von ihnen boten sehr heftige Erscheinungen dar, von diesen 
hatten 8 Gonokokken, bei den 2 anderen fand man sehr viele 
Epithelzelten. Von 12 Fällen mit schwachen Erscheinungen hat 
teil 0 Staphylokokken in Reinkultur. Kontrolluntersuchungen- 
zeigten das Fehlen dieser Mikroorganismen. Man sollte also die 
gonorrhoischen Kinder von den mit Staphylokokken behafteten 
trennen. 0,5 proz. Chlorzinkirrigationen leisteten bei den go¬ 
norrhoischen Fällen Ausgezeichnetes, bei den anderen erreichte 
man mit. 0,5 proz. Zinksulfat die besten Resultate. 

E. Net er berichtet von einem Jlljährigen Mädchen, das 
seit mehr als einem Jahre an Fluor litt. Es bestand hartnäckige 
Obstipation. N. leitete eine diätetische Behandlung ein. Es 
schwand die Obstipation und mit ihr der Fluor und der Inter¬ 
trigo. Zweimal im Laufe des Herbstes zeigte sich etwas Fluor, 
stets im Anschluß an ein Rezidiv der Operation. Ein Abführ¬ 
mittel beseitigte den Fluor. 

Star y empfiehlt bei Zervikalgonorrhoe Instillationen von 
Natrium lygosyuatum, das ist. ein Kondensationsprodukt von 


Saliz\ laldehyd und Azeton. Die Erfolge waren ausgezeichnete, 
da die Gonokokken dauernd aus dem Sekrete verschwanden. 

Pyozyanase bei weiblicher Gonorrhoe versuchte J. H o f - 
bau er mittels Wattestäbchen bzw. mittels Spritze, und in der 
Urethra mittels Katheters]»ritze. Er achtete darauf, daß die 
Pyozyanase mindestens 2(1 Minuten verblieb. "Verwandt wurde 
zum Teil unverdünnte Pyozyanase. Einen geringen Zusatz von 
Essigsäure hält 11. für vorteilhaft. Die Gonokokken schwanden 
rasch aus dem Sekret. Sobald aber eite l nterbrechung in der 
Behandlung statt fand, kehrten sie solort wieder. Ls scheint also 
die Pyozyanase nur auf die oberflächlichen Schichten, nicht in 
die Tiefe zu wirken. 

Eine Patientin F ii t h s war 8 Wochen wegen einer chroni¬ 
schen Urethritis behandelt worden. Es bestanden doppelseitige 
Adnexerkrankungen und spitze Kondylome. Die Urethra er¬ 
schien namentlich hinter der äußeren Mündung sackartig aus- 
gestülpt. F. spaltete nach der Vagina zu. Verabreichung harn¬ 
treibender Mittel. Der Ausfluß veränderte sich und enthielt 
keine Gonokokken mehr. Die Wunde schloß sich spontan. In 
einem zweiten Falle war selbst Kürettage ohne Erfolg gewesen. 

F. führte ebenfalls die Inzision aus. Es entleerte sich später nur 
wenig helles Sekret ohne Gonokokken. Im dritten Falle lagen 
Adnexe und Urethritis vor. Sackartige Ausbuchtung hinter der 
Mündung. Inzision. Gonokokken verschwanden aus der Ure¬ 
thra und dem Sekret. F. glaubt nicht, daß sich eine Striktur 
bilden werde. Es handelt sich nicht um die von F e 1 I n e r be¬ 
schriebenen urethralen Eiterungen. 

Unmittelbar nach der Entbindung fand A. B a u e r bei 
einem 23 jährigen Mädchen, welches seit 0 Jahren prostitutiert. 
ist, das Gebiet der Vulva und des Dammes durch eine in der 
Mitte zweigeteilte Geschwulstmasse eingenommen. Diese ist 
mannskopfgroß. Die beiden Hälften der Geschwulst entsprechen 
im wesentlichen den Schamlippen, sie sind in ihrer Ausdehnung 
ungleich großhöckerig. An der Oberfläche findet man zahlreiche 
schmutzige Borken. Die Natur des Tumors wird ersichtlich aus 
den Teilen, die am Damme nach dem After liegen. Dort sprin¬ 
gen die Ränder des Tumors spitz und vielfach gezähnt vor. Es 
handelt sich um spitze Kondylome - . Die angeratene Operation 
verweigerte die Patientin und übte ihr Gewerbe weiter aus. 

Literatur. 

1. A. Bauer: Spitze Kondylome von besonderer Größe. 
Monatsschrift f. Geburtshilfe. September 1908. 

2. Hof bauen Einige Versuche zur therapeutischen Ver¬ 
wertbarkeit der Pyozyanase bei weiblicher Gonorrhoe. Zentral¬ 
blatt für Gynäkologie, 1908, Nr. 6. 

3. Füth: Operative Behandlung hartnäckiger Urethritiden 
beim Weibe. Folia nrologica, Oktober 1907. 

4. M en d e s d e Leon: Beitrag zur Aetiologie und Patho¬ 
logie der Vulvovaginitis der kleineu Mädchen. Nederl. Tijdschr. 
vor Genesk., Dezember 1907. 

5. E. Net er: Zur Pathogenese des Fluor albus. Münch, 
ined. Wochenschrift. 190S, Nr. 2. 

G. Star y: Therapie der Zervikalblennorrhoe. Casop. lek. 
cesk, Nr. 22. 


Bakteriologie. 

Referent: Privatdozent Dr. E. Küster, Freiburg i. B. 

1. Bemerkungen zur Technik der intralumbalen Anwendung 
des Meningokokkenheilserums (Kollo - Wasser manu). Von 
Lev y-, Essen. Med. Klinik. 1908, Nt*. 40 u. 4L 

2. Zur bakteriologischen Technik. Von E. S e h o t t e 1 i u s. 
Münch, med. Woehensehr., 1908. Nr. 42. 

3. Beitrag zur Sermuthorapic der Meningitis cerebrospinalis 
epidemica. Von O. Orth. Münch, med.* Wochensehr., 1908, 
S 2183. 

4. Weitere serodiagnostische Untersuchungen bei Syphilis. 
Von Grosz und Volk. Wiener klin. Woehensehr., 1908. 

S. 1522. 

5. Ueber die Wirkung von atoxylsaurem Quecksilber bei 
Spirochätenkrankheiteil, insbesondere bei der experimentellen 

Syphilis. Von U h 1 e n h u t h und Al a n. teuf e 1. Med. Klinik, 
1908. S. 1651. 

1. Nach einem Üeberblick über die Statistiken der verschie¬ 
denen Autoren über Mortalität bei GeniekstarrefälliMi, die mit 
oder ohne Serum behandelt waren, geht L. dazu über, daß der 
Grund für die Mißerfolge bei Serumbehandlung in der Art der 
subkutanen Anwendung zu suchen sei. Der Hauptsitz der Mo- 

Origirial from 






748 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 




Nr. 50 


ningokokken bei der Genickstarre ist in den zarten Häuten von 
Gehirn und Rückenmark. Hier hinein muß also das Serum 
dringen, um eine Wirkung entfalten zu können, und dieses finde! 
nur bei der direkten Injektion in den Dura sack statt. Er emp¬ 
fiehlt daher die intralumbale Injektion von Kolle-Wasser- 
mann-Serum. die ihm sehr gute Resultate lieferte, denn er hatte 
bei 29 mit Antiserum behandelten Fällen nur 10,34 % Mortalität, 
und rechnet man auch noch die hohe Mortalität von 10 nicht 
spezifisch behandelten Fällen (von 90%) dazu, so ergibt sich für 
die Stadt Essen dennoch eine Gesamtmortalität von nur 30,7%, 
während die Mortalität im Landkreis Essen über 60% betrug. 
Solche Zahlen, die auch dem Skeptiker einleuchten müssen, 
ließen sich jedoch nur durch eine subtile Technik erzielen. Diese 
ist durchaus nicht einfach. Bietet schon die einmalige Lumbal¬ 
punktion eines Pat. gewisse Schwierigkeiten, so erfordert die 
tägliche für längere Zeit zu wiederholende Punktion, besonders 
wenn Verwachsungen der Rückenmarkshäute eingetreten sind, 
ganz besondere TJebung. Grundbedingung ist, daß bei der Punk¬ 
tion reichlich Liquor abfiießt, nicht etwa wenige Kubikzenti¬ 
meter blutig-seröser Flüssigkeit. Die abgezapfte Lumbalflüssig- 
keit wird darauf durch injiziertes Serum ersetzt; durch Becken¬ 
hochlagerung wird das Vordringen des spez. schwereren Anti¬ 
serums im Rückenmarkskanal ermöglicht. Einzelheiten müssen 
Jin Original nachgelesen werden, dessen Lektüre jedem Arzte zu 
empfehlen ist, da ja sporadische Genickstarrefälle überall in 
Deu tschl a n d v o rk ommen. 

Abgesehen von der Schwierigkeit der Technik, kommt noch 
der Umstand erschwerend in Betracht, daß das Serum in etwa drei 
Monaten bei der Aufbewahrung seine Wirksamkeit einbüßt. Der 
einzelne Arzt kann also davon keinen Vorrat halten. Da nun 
jedes Zuwarten bei der Genickstarre den Wert der ganzen Be¬ 
handlung in Frage stellen kann, so ist dem Vorschlag Lev y s , 
die Behandlung zu zentralisieren, zur Zeit' nur beizupflichten. 
In Städten ist dies verhältnismäßig leicht durchzuführen, auf 
dem Land wird es kaum zu erreichen sein, zum mindesten große 
Schwierigkeiten haben. Vielleicht gelingt es, ein haltbareres 
spezifisches Serum zu finden; bei Verwendung von Kolle- 
Wassermann-Serum muß wenigstens ein leicht erreichbares 
Zentraldepot mit einem ständigen Vorrat von wirksamem Serum 
eingerichtet werden. Hierfür sind nach meiner Ansicht in erster 
Linie die staatlichen und städtischen Untersuchungsämter, die 
jetzt überall eingerichtet sind, in Vorschlag zu bringen, von dort 
aus könnten auch eventuell die Lumbalpunktionen und Serum¬ 
in jeklionen vorgenommen oder doch den behandelnden Aerzten 
die nötigen praktischen Anleitungen gegeben werden. 

2. Eine Reihe speziell menschenpathogener Keime: Me¬ 
ningokokken, Iufluenzabazillen, Keuchhustenerreger, Gonokokken, 
Streptokokken wachsen gut und differenzierbar nur auf Men¬ 
sehenblutagarnährboden. Bisher hot die Beschaffung von Men¬ 
schenblut in genügender Menge immer große Schwierigkeiten. 
Es verdient daher folgender Vorschlag des Autors besondere Be¬ 
achtung. 

Man reinigt das Nagelglied des linken Mittelfingers mit 
Alkohol, staut das Blut, durch Lmwicklung des Fingers mit einer 
kleinen Binde, bestreicht die gereinigte Stelle mit Kollodiumnnul 
sticht mit einer feinen Glasspitze, die man sich durch Ausziehen 
einer Glaskapillare leicht herstellen kann, durch die Kollodium- 
sehicht hindurch in den Finger wiederholt ein; ist die Spitze 
rocht dünn, so sind diese Einstiche fast schmerzlos. Das reich- 
reich hervorquellendc Blut bleibt, auf der Kollodiumunterlage 
steril, man läßt es in ein flüssig gemachtes Agarkulturrohreheu 
direkt eintroepen. Etwa 8 gtt genügen. Durch Neigen des 
Röhrchens wird das Blut iin Agar gleichmässig verteilt und dar¬ 
auf dieser flüssig Blutagar in dünner Schicht auf Schrägegar- 
röhrchen oder Agarplatten, ausgegossen und zum Erstarren ge¬ 
bracht. Auf diese Weise kann man jederzeit sich rasch sehr gut 
brauchbare Blutagarnährböden herstellen. 

3. Orth behandelte 2 Fälle von Oerebrospinalmeningitis 
mit A r o n s o n schein polyvalentem Antistreptokokkeiiserum. 
Bei dem ersten Fall wurde jeweils durch Lumbalpunktion Liquor 
abgelassen und dann subkutan Serum injiziert.. Ein sicht¬ 
barer Erfolg, der dem Serum hätte zu geschrieben werden müssen, 
trat nicht ein. Darauf wurde das gleiche Serum i n t. r a 1 u m b a 1 
(2 ccm) gegeben und Beckenhochlagerung durchgeführt: es trat, 
eine fast momentane Beeinflussung der Temperatur und eine 
Besserung do^ Allgemeinbefindens ein. Die Injektion mußte 
zwar mehrfach mit Intervallen von einigen Tagen wiederholt 
werden, aber der Heilerfolg war nicht zu verkennen. Ein zweiter 
Fall wurde von Anfang an intralumbal behandelt und verlief 


ebenfalls günstig. Wenn auch 2 Fälle keine großen Rückschlüsse 
gestalten, so erscheint mir doch hier einwandsfrei festgestellt, 
daß auch mit Aronsonserum bei epidemischer Meningitis sich 
Erfolge erzielen lassen. 

4. Wenn auch die theoretische •Grundlage der Serodiagnose 
der Lues der Kritik nicht standzuhalten vermochte, so hat sich 
die Reaktion doch praktisch bewährt. Nur bei Framboesia, Lepra 
und einigen Fällen von Diabetes, Malaria und Neoplasmen wurde 
(außer bei Lues) positive Reaktion gefunden. Interessant ist, 
daß man bei Luetikern durch Lecithineinspritzung die positive 
Reaktion zum Schwinden bringen kann, ohne daß die Krankheit 
.selbst dadurch günstig beeinflußt wurde. Die Autoren nehmen 
des weiteren Stellung zu einigen Neuerungen in der Technik 
der Reaktion und bringen endlich ihre Gesamtresultate: „Der 
negative Ausfall ist nicht imstande, den für eine spezifische Er¬ 
krankung sprechenden klinischen Befund zu erschüttern. So 
wenig ilpn im diagnostischen Kalkül eine Valenz zuerkannt wer¬ 
den darf, so bedeutungsvoll und richtunggebend für Diagnose 
und Therapie kann ein positiver Befund sein.“ 

5. In einer vorläufigen Mitteilung berichten die Autoren 
über ihre therapeutischen Resultate mit atoxylsaurem Queck¬ 
silber. Das Präparat ist ein wirksames Schutz- und Heilmittel 
für die Hühnerspirillose.. Es hat einen durchschlagenden Erfolg 
bei experimenteller Kaninchensvphilis, es wirkt auch günstig bei 
Rekurrenzinfcktion der Ratten und bei Trypanosomiasis; im 
Reagenzglas tötet es Trypanosomen und Spirochäten energisch 
ab. Es wäre sehr zu wünschen, daß die begonnenen therapeuti¬ 
schen Versuche beim Menschen ein entsprechend günstiges Re¬ 
sultat lieferten. 


Hals-, Nasen- und Olirenkranklieiten. 

Referent: Spezialarzt Dr. M. Halle, Charlottenburg. 

1. Histologische Untersuchungen zur Kenntnis der Ent¬ 
stehung der Taubheit infolge von angeborener Syphilis. Von 
Er. Otto Mayer. Archiv f. Ohrenh., Bd. 73, Heft 3/4. 

2. Sind „Totalaufgemeißelte“ kriegsdicnsttaiiglicht Von 

Dr. Zeman, ebenda. 

3. Zur Kenntnis der primären Mitteluhrdiphtherie. Von 

Dr. S t e i n. Zeitschr. f. Ohrenheilkunde, Bd. 56, Heft. 4. 

4. Experimentelle Untersuchungen über die Entstehung der 
Kehlkopltiiberkulose. Von Dr. A 1 b r echt , ebenda. 

5. Ueber die operative Behandlung der eitrigen Meningitis 
bei Uahyrintlieitcrungen. Von Dr. W i t t m a a e k. Münchener 
med. Wochensehr., 1908, Nr. 47. 

1. Das wichtige pathologisch-anatomische Substrat für die 
Entstehung der Taubheit auf syphilitischer Basis sucht Mayer 
beizubringen. Im Gegensatz zum klinischen Symptomenbild war es 
bisher nicht genügend sidhergestcllt. Verfasser untersuchte 
Schläfenbeine hereditär syphilitischer Kinder, die möglichst bald 
post mortem herausgenommen und fixiert wurden. Er nahm an. 
„daß bei Kindern, die mit ausgebreiteten luetischen Veränderun¬ 
gen behaftet waren, und die infolge der Schwere der Infektion 
zugrunde gingen, doch manchmal dieselben Veränderungen im 
Gehörorgan, nur vielleicht in noch früheren Stadien, zu finden 
sein würden, wie bei solchen, die im Pubertätsalter ertaubt sind, 
und die dann nach Jahren zur Obduktion gelangten.“ 

Sein Material bestand aus elf Schläfenbeinen, die möglichst 
Irisch dem Körper entnommen und eingelegt wurden. Die 
Einzelheiten des Befundes lassen sich nicht kurz referieren. Das 
Ergebnis faßt M ayer in drei Sätzen zusammen des Inhalts, daß 
sieh bei hereditär luetischen Kindern spezifische entzündliche 
Prozesse an den Meningen abspielen, die einliergehen mit einer 
spezifischen interstitiellen Entzündung des Acusticus. Diese Ent¬ 
zündung pflanzt sieh in das innere Ohr fort. Die Ertaubung 
erfolgt wahrscheinlich durch Exazerbation einer latenten menin- 
gitischen Reizung. 

2. Verfasser kommt zu folgenden Schlüssen: 

Diensttauglich ist. wer 

1. die vorgeschriebene Hörschärfe besitzt ,(2 m für akzen¬ 
tuierte Flüsterspraehe, mindestens 6 m für das gesunde Ohr) bei 
Intaktheit des statischen Apparates, 

2. keine retroaurikulären Oeffnungen hat, 

3. bei wem die Operation erfolgreich war, 

4. wenn die Operationshöhle allseitig von Knochen um¬ 
geben ist. 


Digiitizeö b 

UNIVERSPTY^OF-Ü 




1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


749 


Beiderseitig „radikal“ Operierte sind i nun er als dienst¬ 
untauglich anzusehen. 

3. Den bisher bekannten drei Fällen von primärer Diphtherie 
des Mittelohrs fügt Verfasser drei selbst beobachtete zu. Ith An¬ 
schluß an Schnupfen trat eine Mittelohrentzündung mit hohem 
Fieber auf, Druckschmerz auf den Warzenfortsatz, Erbrechen, 
ln der Tiefe beider Gehörgänge fanden sich „weiße, schwammige, 
leicht zerreiBliche Massen“, die von einem Tage zum anderen 
n ach gewachsen waren. An denselben wurden Diphtheriebazillen 
ltachgewiesen. Verfasser nimmt an, daß der Schnupfen den 
Boden vorbereitete, auf dem sich die Diphtheriebazillen an¬ 
siedeln konnten. Alle Patienten erhielten Seruminjektionen. 
Alle drei heilten ohne weitere Komplikationen. 

4. Die Aetiologie der Kehlkopftuberkulose ist noch immer 
nicht geklärt. Als sicher gilt, daß primäre Kehlkopf tuberkulöse 
sehr selten ist, daß sie sich vielmehr meist au eine bestehende 
Lungentuberkulose anschließt. Von hier werden nach der An¬ 
nahme der Autoren die mit Bazillen durchsetzten Schleimmassen 
gegen die Schleimhaut der hinteren Larynxwand und der Ar.v- 
knorpcl geschleudert, welche oberflächlich lädiert wird und dann 
die Einwanderung der Bazillen gestattet. Gegen diese Theorie 
lassen sich gewichtige Bedenken erheben, und so sind als weitere 
Infektionswege die Blut- und die Lymphbahnen bezeichnet wor¬ 
den. A 1 b r e c h t versuchte deswegen, durch Tierexperimente 
Uber die Entstehung der Kehlkopf tuberkulöse Klarheit zu 
schatten. 

Er tracheotomierte das Tier, bestrich mit ge'rauhter Sonde 
mehrmals die hintere Larynxwand, nachdem die Sonde mit 
infektiösem Material beschickt war. Es gelang iyif diesem Wege 
fast regelmäßig, Tuberkulose des Kehlkopfs zu erzeugen, und 
zwar von den leichtesten bis zu den schwersten Formen. Auch 
eine Infektion auf dem Wege des Blutstroms gelang dem Ver¬ 
fasser, doch nur unter besonders günstigen, praktisch kaum in 
Frage kommenden Verhältnissen. Auf dem Wege der Lymph- 
bahn gelang es ihm nicht, Tuberkulose des Kehlkopfes zu erzeu¬ 
gen, doch sind hier seine Versuche nicht eindeutig. 

Als wichtiges Resultat dieser Arbeit ist wohl festgestellt, 
daß in der Tat der Hauptweg der Infektion der durch Kontakt 
ist, während die anderen praktisch seltener in Frage kommen. 

5. Die lange herrschende TIeberzeugung, daß eine eitrige 
Meningitis immer den Tod des Patienten bedeutet, kann, wenig¬ 
stens für die otogen entstandene Meningitis — 1 die bei weitem 
häufigste Ursache — nicht mehr aufrecht erhalten werden. 
Nachdem durch die Arbeiten Jansens, Neu m a n n s , 
Alexanders u. a. das Ueber greifen der Eiterung vom 
Labyrinth durch Porus acusticus internus und Aquäductus 
vestibuli auf die Meningen nachgewiesen war, ergab sich auch 
der Weg zur Hilfe, nämlich eine breite Freilegung des Laby¬ 
rinths und Spaltung der Dura, um dem entzündeten Prozesse 
einen breiten Abfluß zu verschaffen. 

Dieser hauptsächlich von der Wiener Schule vertretenen 
Anschauung schienen eine Zeitlang die wenig ermutigenden 
Resultate zu widersprechen. Nachdem man sich aber zu einem 
möglichst frühzeitigen Eingriff entschloß, wurden die Erfolge 
verblüffend gut. W i t t. m a a c k , der selbst angibt, mit großer 
Skepsis an dieser Operation herangegangen zu sein, berichtet 
über zwei glänzende Heilungen in Fällen, die fraglos früher ver¬ 
loren gewesen wären. Er eröffnete das Labyrinth nach der N e u 
in a n n sehen Methode, legt die Dura in der hinteren und mitt¬ 
leren Schädelgrube frei und spaltete sie von dem Sinus siginoi- 
deus bis zum Porus acusticus internus. Als bestes Mittel zur 
Sicherung des geeigneten Zeitpunktes bezeichnet er die Lumbal¬ 
punktion. Ergibt diese eitriges Punktat oder zeigt sich bei 
wiederholter Funktion ein Fortschreiten der Trübung, so ist die 
Spaltung der Dura indiziert. 


Soziale Medizin. 

Referent: Generaloberarzt a. D. Dr. M. Peltzer, Steglitz. 

1. Honorierung klinischer Arbeiten. Med. Reform, 1908, 
Nr. 40. Artikel „Die freie Vereinigung der med. Fachpresse“. 

2. Seminar für soziale Medizin. Ibid., kleine Mitteilungen. 

3. Zur Reform des Krankenversiehopungsgesetzes. Pro¬ 
phylaxe Wohnungshygiene. Von Dr, R. L e li n li o f f. Ibidem. 
Nr. 41. 


4 Zentralkomitee der Auskuiiftsstelleii fiir Alkoholkranke 
in Berlin und Provinz Brandenburg. Ibidem, Nr. 41, kleine Mit¬ 
teilungen. 

5. Mutterschaftsversieherung. Von Dr. med. Alton- 

Fischer, Karlsruhe i. B. Ibidem, Nr. 42. 

0. Zur sexuellen Aufklärung der Jugend. Ibidem, Nr. 42, 
S. 507. 

7. Gewerbliche Bleivergiftungen in der ungarischen Ton- 
wareuindustrie. Von Dr. II e i n r. P a c k, Magyrarfalu. Ibidem, 
Nr. 43. 

S. Aerzte als Zeugen beim Strafgericht. Ibidem, Nr. 43. 
kleine Mitteilungen. 

9. Kurpfusehereigesetz. Ibidem, Nr. 43, kleine Mitteilungen. 

10. Fürsorge für erkrankte unbemittelte Schulkinder, ibid.. 
Nr. 44, S. 531. 

11. Eröffnung des neuen Säuglings- und Mutterlieinis in 
Charlottenburg. Ibidem, Nr. 44. S. 532. 

12. Die Säugliugsklinik des Komitees zur Errichtung eines 
Säiiglingskrankenhauses in Charlottenburg. Ibidem, Nr. 44. 
kleine Mitteilungen. 

13. Säuglingsfiirsorge in Schömberg. Von Rab'n o\v, 
Med. Reform, 1908, Nr. 45. 

14. Kinderheim in Offenbach. Ibidem, kleine Mitteilungen. 

15. Mutterschutz in Oesterreich. Ibidem. 

16. Aerztliche Ethik in Amerika. Von Dr. K e e, ( in- 
cinnati. Aerztl. Central an zeiger, 1908, Nr. 45. 

1. Die neuerdings. mehrfach erörterte Frage der Hono¬ 
rierung klinischer Arbeiten und ärztlicher Gutachten über neue, 
von den Fabriken versandte Mittel wurde auch in der General¬ 
versammlung der freien Vereinigung der med. Fachpresse am 
24. IX. zu Köln unter Vorsitz Posners verhandelt. Das Er¬ 
gebnis läßt sich im allgemeinen kurz dahin zusammenfassen, «laß 
gegen eine Honorierung wirklich solider, nicht nur der Reklame 
dienender Arbeiten nichts einzuwenden ist. In dieser Beziehung 
zweifelhafte, ihnen zugehende Arbeiten sollen die Redaktionen 
zurückweisen. Ehrlich wies auf die oft sehr kostspielige expe¬ 
rimentelle Prüfung neuer Arzneimittel hin. Er selbst hat von 
den Fabriken nie ein Honorar verlangt oder erhalten, v. N o o r- 
ilen hat sich öfter eine Summe für den Freibettfonds in dm 
ihm unterstellten Krankenhäusern ausbedungen. 

2. Wir referierten kürzlich über den von verschiedenen 
Seiten ausgesprochenen Wunsch nach sozialem Unterricht der 
jungen Mediziner. Unterm 19. IX. hat der Kultusminister An¬ 
weisung ergehen lassen, Medizinalpraktikanten das Seminar liir 
soziale Medizin in Berlin zu empfehlen. 

3. In Gemäßheit eines Erlasses des Ministers iiir Handel 
und Gewerbe vom 26. VIII. ist es den Krankenkassen unter der 
Geltung des gegenwärtigen Krankeuversicherungsgesetzes nicht 
mehr gestattet, Gelder für Wohnungsenqueten aufzuwenden, also, 
wie Leun ho ff hinzufügt, Prophylaxe zu treiben. L be- 
trachtet daher den Erlaß als Material für die künftige Umge¬ 
staltung des genannten Gesetzes. 

4. Auskunfts- und Fürsorgestellen für Alkoholkranke, in 
denen jedoch eine ärztliche Behandlung nicht stattflndet, betinden 
sifih in Berlin: in der Poliklinik für Nervenkranke der Charite. 
Alexanderufer (Montags und Donnerstags 5—7 l hr) für X. und 
NW., Linkstraße 11 (Freitags 6—8) für W. und SW.. Gonnann- 
straße 13 (Mittwochs 6—8) für O. und NO. Kranke in Behand¬ 
lung eines Arztes haben von diesem einen Ueberweisungssehein 
an die Fürsorgestellen mitzubringen. 

5. Das Mutterschaftsversicherungsproblem wird zurzeit 
mehrfach erörtert. In dem Artikel „Mutterschaftsversicherung. 
Zu den Verhandlungen des Deutschen A ereins liir Armenpflege 
und Wohltätigkeit in Hannover am 17. und 18. IX.“ bespricht 
Dr. A 1 f. F i s c h e r , Karlsruhe, ein Buch zu diesem Thema, aul 
das hiermit hingewiesen sei. Es ist dies die soeben erschienene 
Schrift von Dr. A 1 i c e S a 1 o m o n : „Mutterschutz und Mutter¬ 
schaftsversicherung.“ (84. Heft der Schriften des genannten 
Vereins.) 

6. Ueber die Steilung der Schule zur sexuellen Aufklärung 
der Jugend nahm der Rektoren tag der Provinz Sachsen in Halle 
nach einem Vortrage des Stadtarztes und Universitätsprofessor* 
Dr. v. Drigalski Leitsätze an, die uns das Richtige diesem 
modernen Thema gegenüber zu treffen scheinen. Die in Gro߬ 
städten notwendige, sonst erwünschte Aufklärung im letzten 
Schuljahr soll die Erziehung durch die Schule ergänzen, die 
Dinge unbefangen und zugleich zurückhaltend behandeln, auf 
verschiedene Entwicklungsstufen der Hörer berechnet sein, ihre 
ethischen und menschlichen Empfindungen berücksichtigen, nicht 


Original frorri 

■8tffVE RSITY-OF-MICHIGA N 



750 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 50 


die Sinnlichkeit und Neugierde erregen, durch einen Arzt er¬ 
folgen, und nur in gesundheitlichen Ermahnungen (auch vor 
dem Alkohol) bestehen. Die allgemeine Annahme und Verbrei¬ 
tung dieses Programms dürfte gewissen neuzeitlichen radikalen 
Aufklärungsbestrebungen einen Damm entgegensetzen. 

7. Unter dem unter obiger Nr. 7 erwähnten Titel ist kürz¬ 
lich im Verlag der Ungarischen Gesellschaft für gesetzlichen Ar¬ 
beite rschulz ein Buch von Dr. A d albert C h y z e r. Chefarzt- 
Stellvertreter der ungar. Staatsbahnen, erschienen, das Dr. 
H. Pa cli a. a. O eingehend und lobend bespricht. W in selbst 
haben hier mehrfach über gewerbliche Bleivergiftungen referiert, 
erwähnt sepmach P a e h aus dem C li y / e r sehen Buch das Vor¬ 
kommen von Blei in Kleidern und Bettwäsche, so von 0.243 g 
im Rock eines 5 jährigen Knaben (mit. Bleisaum), in der Mütze 
desselben (0,0144), im Rock eines Töpfers (3,90). im Polster¬ 
überzug eines schwer bleikrauken Mädchens (0,0897). im gesam¬ 
ten Wiegeninhalts eines Säuglings (ca. 2.0). 

8. Infolge einer Eingabe der Wiener Aerztekammer an das 
Oberlandesgericht, Prozesse, in denen Aerzte vernommen werden 
sollen, als erste am Vormittag auzusetzen, hat. der Präsident 
dieses Gerichts unter gewissen Einschränkungen, die auch den 
Wünschen anderer Rechnung tragen, tunlichste Berücksichtigung' 
in Aussicht gestellt. 

9. Wir referierten s. Z. über den Entwurf eines Kur- 
pfuseliereigesetzes und behielten uns Stellungnahme dazu vor. 
.letzt verlautet, da 13 in Preußen von den Provinzialbehörden ein 
so umfangreiches gutachtliches Material eingegaugen ist, daß 
seine Bearbeitung noch Monate beanspruchen wird. Erst dann 
kann es an das Reichsamt des Innern gelangen, was vor Ende 
des Jahres nicht zu erwarten ist. Da der Gesetzentwurf dann 
noch den Bundesrat durchlaufen muß, kann er im Reichstag 
nicht vor dem Winter 1909 beraten werden. 

10. Die Charlottenburger Arniendirektion hat den Stadt¬ 
ärzten mitgeteilt, daß ihnen erkrankte unbemittelte Schulkinder 
unmittelbar zugeführt oder überwiesen werden können. Bisher 
mußten die Eltern erst den Armenkommissionsvorsteher auf¬ 
suchen und von ihm einen Schein zur freien Behandlung erbitten. 
Infolgedessen unterblieb die Behandlung häutig überhaupt. 

11. In Oharlottenburg hat der Verein ..Säuglingsheim“, 
dessen Säuglings- uud Mutterheim sich bisher in Schöneberg in 
Mietsräumen befand, sein neues Heim im eigenen Gebäude. West¬ 
end. Platanenallee, eröffnet. Es gewährt 40 Säuglingen und 
deren unverehelichten oder eheverlassenen Müttern für je drei 
Monate nach der Entbindung unentgeltlich Unterkunft und 
Pflege. Das Mütterheim nimmt ferner 40 Mütter mit ihren Kin¬ 
dern gegen Zahlung von monatlich 20 Mk. für die Mutter und 

5 Mk. für das Kind ohne Zeitbeschränkung auf. Schwangere 
können auch schon vor der Entbindung, die im Krankcnhause 
erfolgt, aufgenommen werden, ebenso Säuglinge ohne Mütter. 
Die Stadt zahlt 0000 Mk. Zuschuß. 

12. Die Säuglingsklinik des Komitees zur Errichtung eines 
Näuglingskrankenliauses in Charlotten bürg, Christstraße 9, die 
vor einem Jahr mit vorläufig 16 Betten eröffnete, hat sich jetzt 
auf 29 erweitert. Verpflegungssatz für Unbemittelte 2,50, sonst 

6 Mark. 

13. Die am 1. V. 07 in Schöneberg bei Berlin, Ebersstraße 2. 

eröffnete Säuglingsfürsorgestelle hat. bis 31. XII. 07 200 Brust - 
iiixl 131. Flaschenkinder, zusammen 331, versorgt. Davon waren 
310 ehelich, bei der Aufnahme 107 im . 1 .. 43 im 2., 28 im 3., 
22 im 4., 28 im 5. Lebensmomit, 43 waren 1 2 Jahr und darüber. 
Gestorben sind 12. davon nur 1 (Frühgeburt) an Verdauungs¬ 
störung. Ausgeschieden sind 66 (8 Brust- und 58 Flaschen¬ 

kinder). Es wurden bis jetzt nur gesunde Säuglinge auf¬ 
genommen. diese sollen vor Erkrankungen durch fehlerhafte Er¬ 
nährung geschützt werden. Zu diesem Zweck werden bedürftige 
Mütter, um ihnen das Stillen zu erleichtern, vor und nach der 
Geburt durch Verabfolgung von Milch und Geld, sowie Stellung 
einer ganz oder teilweise freien H.auspflege während der ersten 
14 Tage nach der Entbindung unterstützt, außerdem werden 
ihnen Stillprämien in Form von Sparkassenbüchern gewährt. Es 
erhielten 163 Brustkindermütter zur Fortsetzung des Stillens 
10 703 Liter Milch für 2061,40 M. 191 Mütter erhielten zu¬ 
sammen 1142,50 M Für 12 Sparkassenbücher wurden 81 M. aus¬ 
gegeben. 9(1 Mütter, die nicht stillen konnten, erhielten 5528 3 /4 
Liter Milch für 1784 M. Von den Müttern zurückerstattet wurden 
428.21 M. Die Gesaintkosten betrugen einschließlich der Ge¬ 
hälter für 1 Ililfsarzt, t Schwester und Miete, aber außer Bureau- 
kosten. 6439.13 M. Organe sind der Leiter (Stadtarzt für 5\ olil- 
fahrt»pflege), dessen Ililfsarzt. die Fiirsorgescbwester und Damen 


als ehrenamtliche Mitarbeiterinnen. Weitere Fürsorgern nricli- 
tuugen, wie eine Entbindungsanstalt, mit Schwangeren- und 
Säuglingsheim, werden erwogen. 

14. Anfang November dieses Jahres ist. in Offenbach ein 
städtisches Kinderheim (Krippe für Kinder von 6 Wochen l>K 
3 Jahren, und eine Kleinkinderschule für Kinder von 3 bis 
6 Jahren) für Kinder, die den 'Pag über unbeaufsichtigt sind, 
ohne Unterschied der Konfession eröffnet. Das Pflegegeld be¬ 
trägt 20 Pfg. täglich. Für die Nacht, für Sonn- und Feier- und 
andere 'Tage, an denen die Kinder nicht in die Krippe gebracht 
werden, wird ihnen die nötige Milch gekocht mitgegeben. 

15. Der österreichische Bund für Mutterschutz bereitet eine 
Petition an das Abgeordnetenhaus des Reichsrats vor, in der er 
die Notwendigkeit des Mutterschutzes darlegt und aus Anlaß der 
bevorstehenden Reform der Arbeiterversicherungsgesetze um Ein¬ 
führung einer allgemeinen Mutterschaftsvcrsicherung (obliga¬ 
torische Ruhe und Unterstützung 6 Wochen vor und 6 Wochen 
nach der Entbindung, Angliederung an die Krankenversicherung) 
bittet. Wir erinnern hierbei m is* Referat über „Mutterschafts- 
Versicherung“ von I)r. AlfonsFischer, K&msiüI::? i. B. 

16. Tn St. Franzisko soll es Regel sein, daß der Arzt für 
jedes Rezept vom Apotheker Prozente erhält, in Gincinnnati ist 
jede Assoziation zwischen Arzt und Apotheker richterlich für un¬ 
gesetzlich und gerne in schädlich erklärt worden. England hat 
gegen diese und ähnliche gegen die ärztliche Ethik verstoßende 
Unsitten jüngst die prevention of corruption act erlassen. 


Bericht über den 4. internationalen Kongreß 
für Thalassotherapie in Abbazia.*) 

Von Dr. E. Margulies, Kolberg. 

Meine Herren! Ueber den vierten internationalen Kongreß 
für Thalassotherapie, zu dem Sie mich zu delegieren die 
Freundlichkeit, hatten, ist ein Bericht von II e 11 11 i g bereits in 
der ..Deutschen medizinischen Wochenschrift“ erschienen, und 
wird ein von mir abgetaßtes kurzes Referat in der neubegrün¬ 
deten Zeitschrift für Balneologie, Klimatologie und Kurort¬ 
hygiene im Januarheft abgedruckt werden. Außerdem soll der 
ausführliche Kongreßbericht, wie mir mitgeteilt wurde, mög¬ 
lichst schnell zur Ausführung gebracht werden. Ich werde mich 
daher nur auf einige kurze Bemerkungen beschränken, von denen 
ich annehmen darf, daß sic gerade für uns Ostseeärzte ein beson¬ 
deres Interesse bieten. 

Da käme in erster Reihe in Betracht das Referat von 
11 a o he r 1 e i 11 - Wyk „über die Anzeigen und Gegenanzeigen 
der Seebadekur bei der Behandlung von Fällen der Chlorose und 
Anämie“, ln vielen Iland- und Lehrbüchern, deren sieh Medizin- 
studierende wie Aerzte bedienen, herrscht noch heute die Mei¬ 
nung vor, daß der Seeaufenthalt, für Blutarme und Bleich- 
süchtige ungeeignet, wäre. Demgegenüber können wir uns eben¬ 
so wie alle Diskussionsredner des Kongresses den aus Blut- 
untersuchungetr an 80 Kindern und Erwachsenen gezogenen 
Schlüssen anschließen, daß d c r A u f enthalt an der See 
f ü r A n ä m i s e li c wie C h 1 o 1 1 o t i s c h e in der Re g e 1 
r e c h t gute E r f o 1 g e a u f z u w e i s e n hat; haben doch 
die Untersuchungen eine Steigerung des Ilämoglobingehaltes 
und Vermehrung der roten Blutkörperchen ergeben. Bei kräfti¬ 
gen Individuen und leichter Anämie sind auch k a 1 t. e Seebäder 
angezeigt, sonst aber w a r m e Bäder v o r z u z i e h e 11 . Gegen¬ 
anzeigen kommen eigentlich nur für schwerste Fälle mit großer 
allgemeiner Schwäche. Herzbeschwerden usvv. in Frage, auch 
steigert sich bisweilen eine mit der Anämie verbundene Nervo¬ 
sität an der See und bedingt eine Gegenanzeige der Seebadekur. 

Aus der Diskussion möchte ich eine Mitteilung besonders 
hervorheben, nach welcher Professor Adolf loewy bei der 
diesjährigen Fortsetzung seiner physiologischen Untersuchungen 
am Seegestade die überraschende Feststellung gemacht haben 
soll, daß das Seeklima den Blutdruck nicht steigert, sondern 
herabsetzt. Wenn unsere ersten Autoritäten so häufig den 
Patienten mit nachweisbarer Arteriosklerose den Seeaufenthalt 
verbieten, befürchten sie wahrscheinlich die bisher vermutete 
blutdrucksteigernde Wirkung desselben; wir haben aber ganz 
besonders oft schnell eintretendes Wohlbefinden bei Arterio- 

*) Vorgetragen in der IX. Jahresversammlung des \orpihs 
der Badeärzte an der Ostsee am 6. Dezember 1908. 






1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


751 


sklcrotikcrn beobachten können, das durch die Feststellung 
Loevyu wohl seine beste Erklärung linden dürfte. Es wird 
daher unsere Aufgabe sein, die diesbezüglichen Veröffent¬ 
lichungen des bekannten Forschers aufmerksam zu verfolgen, 
bisher herrschenden Vorurteilen entgegenzutreten und das grolle 
Gebiet der mit Arteriosklerose verbundenen Krankheitszuständ© 
für den Aufenthalt an der See zu erschließen. 

Irn weiteren Verlaufe der ersten Sitzung teilte Mol, 
Scheveningen. seine Erfahrungen über die Behandlung der 
Tuberkulose au der Nordseeküste mit. Das Klima der hollän¬ 
dischen Nordseeküste eignete sich sowohl im Sommer als im 
Winter sehr gut für die Behandlung der Lungentuberkulose, und 
cs ließe sich ein deutlicher Unterschied zwischen den Sommer¬ 
und Winterkuren nicht nachweiseu. Lungenkranke sollten i n 
einig -e r E n t f e r n u n g v o m Strande in g e s c h ii t. z - 
t e r L a g e verbleiben. Auch vorgeschrittene Fälle könnten von 
dem Aufenthalt an der Nordsee großen Nutzen ziehen, wenn nur 
der Allgemeinzustand ein leidlicher wäre. Daß Bluthusten und 
Fitber von dem Seeklima liervorgerufen würden, ließe sich durch 
die Erfahrung nicht bestätigen. — Meine Herren! Wenn der 
Windschutz neben dem Seeklima bei der Behandlung der 
Lungentuberkulose eine Rolle spielt, so darf die Ostsee- 
k ii s t e mit ihren Waldungen und Höhenzügen der Nordsee¬ 
küste nicht hinangesetzt werden; diesem Oedankengange hat. vor 
mehr als ,1 aliresfrist Robert gelegentlich der Studienreise, 
durch die Ostseebäder beredten Ausdruck verliehen, ihn haben 
Röchling, Lange und ich in der Arbeit: „Der Heilwert 
der Ostsee“ nachdrücklich vertreten, und auch Hennig ist in 
einem Vortrage in Abbazia für Schaffung von Lungenheilstätten 
an der Ostseeküste eingetreten. 

Am zweiten Verhandlungstage ist zunächst der Einfluß der 
Scebadekur auf Frauenkrankheiten behandelt worden. Die hier¬ 
zu bestellten Referenten waren leider beide nicht erschienen, und 
so äußerte sich der durch sein Oewaltinst.rument in Aerztekreisen 
wohlbekannte Prof, ß oss i , Oenua. zuerst zu der Frage und 
meinte, daß die Seebadekur als konservative Behandlungsmethode 
um so mehr zu berücksichtigen sei. als sich heutzutage eine Ab¬ 
kehr- von der operativen Polypragmasie bemerkbar machte. Es 
bestände ein prinzipieller Unterschied zwischen den südlichen 
und nördlichen Meeren, und er hielte nach seinen Erfahrungen 
die südlichen für kranke Frauen für mehr geeignet. Der in 
Abbazia als Frauenarzt praktizierende Dr. K urz konnte in 
seinem Vortrage auf Grund längerer Beobachtung von ca. 400 
gynäkologischen Fällen bestätigen, daß die südlichen Seebäder 
bei der Behandlung von Frauenkrankheiten in vielen Fällen mit 
Erfolg angcwemlct werden könnten. Sie übten einen günstigen 
Einfluß aus bei nervösen Zuständen, die sich im Gefolge von 
Frauenleiden zeigten, eine kräftigende Wirkung bei Schwäche- 
z.uständcn sowie in der Rekonvaleszenz nach Operationen, sie 
zeigten einen resorptionsfördernden Einfluß bei den chronisch 
entzündlichen Affektionen, hätten bei Lageveräiiderungen der 
Gebärmutter eine ruflockernde und die Korrektur bedeutend er¬ 
leichternde Wirkung, zeigten einen gewissen lleileffekt bei Men- 
struationsr.nomalien. bei Myomen — und öfter eine günstige Be¬ 
einflussung des Klimakterium. Bei gewissen Fällen von Frauen¬ 
krankheiten wäre die Seeheilkunde allerdings entweder kontra- 
indiziert. oder käme höchstens, falls eine chirurgische Behand¬ 
lung notwendig würde, als Vorbereitung im Sinne einer Kräf¬ 
tigung des Organismus . vor einer Operation in Betracht. -- 
II e n n i g will auch an der Ostsee — in Cranz vielfach gün¬ 
stige Beeinflussung der verschiedenartigsten Frauenkrankheiten 
gesehen haben; die Behandlung von Frauenleiden würde dort 
besonders unterstützt durch das Vorhandensein einer großen 
Warmbadcanstalt, in der Mineralmoorbädcr von einer in der Nähe, 
gewonnenen guten Moorerde verabreicht würden. 

Meine Herren! Dem Studium des Einflusses der Seebadekur 
auf Frauenleiden werden wir Ostseeärzte um so größere Auf¬ 
merksamkeit zu wenden müssen, als unter den fünf Themen, über 
die bei dem nächsten Kongreß verhandelt werden soll, auch diese 
Frage wieder gestellt worden ist. Wir werden aber gut tun. auch 
Spezialärzte im Binnenlamlc. besonders aber Forscher an den 
Universitäten, zur Mitarbeit in diesem wie in allen anderen 
Punkten nach Möglichkeit, mit heranzuziehen. Haben sie doch 
ein größeres Material, ferner größere Vertrautheit mit der 
wissenschaftlichen Behandlung derartiger Fragen, endlich wird 
den Resultaten ihrer Arbeiten größere Objektivität zuerkannt. 

Auf Anregung von II an s L e y d e n , Berlin, fand die Frage 
der schwimmenden Sanatorien au diesem und dem dritten Sit 


züngstage sehr ausführliche Besprechung. Bassengo, 
Berlin, D i e m , Wien, und Castiglioni. Triest, lieferten 
interessante Beiträge über die Indikationen zur Seeheilkunde aut 
Hochseeschiffen, über den Heilwert der Seereisen und über den 
Bau, die Einrichtung und Leitung derartiger Kurschiffe. G 1 a x 
äußerte berechtigte Bedenken wegen der hohen Kosten derartiger 
Kuren, die nur für besonders Begüterte in Betracht kommen 
könnten. Da war es für die Vertreter der Ostsee eine große 
Freude, daß L i n de m a n n , Zoppot, darauf Hinweisen konnte, 
daß die Frage an der Ostsee in bescheidenem Maße diesen Som¬ 
mer gelöst sei. In der Danziger Bucht hätte in den warmen 
Sommermonaten ein Schiff mit 24 Kurbedürftigen täglich meh¬ 
rere Stunden lang gekreuzt, was sich mit geringen Mitteln er¬ 
zielen ließ, und die Resultate wären sehr befriedigend gewesen. 

Am letzten Verhandlungstage haben sich die Vorträge sehr 
gedrängt und mußten zum Teil stark verkürzt zu Gehör gebracht 
werden. Wenn G lax, der auch erst au diesem Tage zu seinem 
Referate „Feber die verschiedenen Meeresklimate und die Be¬ 
dingungen ihrer Wirksamkeit“ gelangte, nur einen Teil seiner 
tiefgründigen Arbeit verlesen hat, so kann er sicher sein, daß sich 
wohl alle Thalassotherapeuten dem Studium seiner Arbeit noch 
nachträglich unterziehen werden. Wir Ostseeärzte schulden ihm 
aber besonderen Dank, daß er trotz der Abkürzung seines Re¬ 
ferates nachdrücklich hervorgehoben hat, daß die klimatischen 
Verhältnisse unserer nördlichen Meere in keiner Weise Berechti¬ 
gung gewähren, den Heilwert der Nordsee höher zu stellen als 
den der Ostsee. 

Auch äußerlich hat die Ostsee diesesmal besonders gut ab- 
gesehnitten. Dem aus 9 Mitgliedern bestehenden Präsidium, in 
welchem der ewig jugendliche Altmeister Exzellenz v. L e y d e n 
den Ehrenvorsitz. und Professor G lax den Vorsitz führte, ge 
hörten zwei Ostseeärzte an. Und dem vom Vertreter des Ostsee- 
bäderverbandes gestellten Anträge, bei der Wahl des nächsten 
Kongreßortes, falls 1) e u t s c h 1 a n d berücksichtigt würde, die 
Einladung des Ostseebades (Kolberg) der des Nordseebades 
(Westerland-Sylt) vorzuziehen. wurde von der Kommission und 
von der Schlußversammlung stattgegeben. 

Ihren Verein, meine Herren, bitte ich. bei dem fünften inter¬ 
nationalen Kongreß für Seeheilkunde nach Kräften mitzuwirken 
und halte es für selbstverständlich, daß wo auch immer der 
Kongreß stattfinden mag — der Vorsitzende Ihres Vereins, der 
gleichzeitig der ärztliche Berater des Ostseebäderverbandes und 
Mitglied des permanenten internationalen Komitees für Tha¬ 
lassotherapie ist. der Leiter des nächsten Kongresses sein wird. 

Möge der nächste Kongreß dahin führen, daß dem Heilwert 
der Ostsee endlich die ihm gebührende Würdigung zuerkannt 
wird. 


Varia. 

Der Magen als Exkretionsorgan. 

Mit diesem interessanten Kapitel der Physiologie beschäfti¬ 
gen sich zwei Arbeiten, die hier kurz erwähnt werden sollen: 

1. Ausscheidung von Chloroform durch den Brechakt. Von 
Dr. Gelpke, Liestal. Korr. f. Seliw. Aerzte. 1908, Nr. 13. 

2. Ueber die Aetiologie und Therapie des Schwangerschafts- 
erbrechens. Von Dr. S c li w a r z e u b a c h. Zürich. Ibidem, 
1908. Nr. 14. 

1. Gelpke führt folgendes aus: Ebenso, wie subkutan bei 
gebrachtes Morphin und Brechweinstein vom Magen ausge- 
sch jeden und erbrochen werden (M a g e n die. He r m a n n), 
und wie hei manchen akuten Krankheiten, bei Migräne, Ne¬ 
phritis, Tabes, Sepsis, sowie bei Gravidität oft Erbrechen (und 
Diarrhöe) eintritt, ist auch das Brechen nach Chloroformnar¬ 
kose als ein Exkretionsakt des Magens aufzufassen, dem stellen¬ 
weise, ähnlich wie Nieren, Haut, Lungen die. Aufgabe zu 
fällt, den Organismus zu entgiften. 

Der Nachweis von Chloroform in den erbrochenen, vor Ver¬ 
dunstung geschützten Massen gelingt durch Zusatz von einem 
Tropfen Anilm und etwas Natronlauge zu dem filtrierten 
Mageninhalt, dann Kochen: Es tritt ein charakteristischer, 
stechender Geruch nach Isonitril auf. (Bunge.) 

2. Nach S c h warzenbach handelt es sich bei der Hy 
peremesis gravidarum um einen Intoxikationszustand. Gei dem 
das betreffende Gift in dem Magen ausgesehieden wird und 
liier durch die Heizung der Schleimhaut «.Ins Erbrechen auregt: 


Original from 



75*2 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 50 


Boi uüchlemem Magen, der das lütt in konzentriertem Zustande 
enthält, reagieren die Frauen besonders heftig auf Nahrungs¬ 
zufuhr, während das Frühstück behalten wird, wenn die Schwan¬ 
geren vorher irgendeine Flüssigkeit genommen und diese er¬ 
brochen hat. Ergo: Oefter kleine Mahlzeiten unter suggestivem 
Zureden. W. Esch. 

Ein Fall von erworbenem Myxödem. Von A. II e r z. 
Wiener med. Wochejischr., 1908, Nr. 39. 

Bei dem »45 jährigen Manne hatte sich ohne ersichtlichen 
Grund Myxödem entwickelt, daß sich unter der Behandlung mit 
Sdjhdkldrüsentabletten in einem Vierteljahr bis auf geringe Reste 
zui iickbildete. Die Stiekstoffausscheiduiig vermehrte sieli wäh¬ 
rend der Behandlung auf das 2—*2 Va fache, die mydriatische Wir¬ 
kung des Serums auf das Froschauge verschwand, das Körper¬ 
gewicht nahm um 30 Pfund ah. Leichte Symptome von Tetanie 
wurden beobachtet und überdauerten die Behandlung. 

F. von den Velde n. 


Mitteilungen über Arzneimittel. 

Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. Erfahrungen über Anwendung von Isoform als Streu¬ 
pulver, Gaze, Zahnpaste (Saluferin-Zahupaste) etc. Von Dr. 

Sichert. Therap. Monatshefte, Nov. 1908. 

2. Bromvalidol. Von Dr. G. S e h w e r s e n s k i. Ibidem. 

3. leber Sabromin. Von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Eule n- 
1) u r g. Med. Klinik, 1908, Nr. 45. 

4. Erber Jod- und Broinglidine-Tahletlen. Von Prof. 
D i e t t r i c h. Pharmaz. Zentralhalle, 1908, Nr. 46. 

1. An der Breslauer Klinik für Haut- und Geschlechtskrank¬ 
heiten hat Dr. Sichert das Isoform als Streupulver, Gaze, 
Zahnpaste etc. angewendet. Er bespricht die chemische Be¬ 
schaffenheit des Präparates, seine Wirkungsweise, sein Anwen¬ 
dungsgebiet und seine Kon.traindikationen in einem kurzen Ar¬ 
tikel, dem wir folgendes entnehmen: Das 1905 von v. M i k u 1 i c z 
in die Therapie eingeführte Isoform ist ein Parajodoanisol und 
kommt, durch die C li c mische F a b r i k a m V o r g e b i r g e 
in Bonn a. Rh. in dt n Handel als Pulvis Es o f o r m i i , eine 
Mischung ää von Parajodoanisol mit Calc. phosphor. Infolge 
seiner großen Desinfektionskraft ist Isoform gegenüber den an¬ 
deren Wu ndstreupulvcm nicht so indifferent gegen die Gewebe 
und erfordert daher auch eine andere Anwendungsweise als diese. 
Während es für die normale Haut völlig indifferent ist, ätzt es 
bei W enden. Granulationen-etc. die Gewebe oberflächlich etwa 
wie Karbolsäure oder Jodtinktur. Reines Isoform wird deshalb 
nur bei verschmierten, unreinen Wunden mit starker Eiter¬ 
sekretion angewendet. Söbald letztere abgenommen hat, wird ein 
imliffeient.es Streupulver angewendet. Die Hauptindikationen 
für reines Isoform sind ferner Furunkel, Eleera cruris und mollia, 
ferner Pyozyaiieusinfektionen. Nach Reinigung der Wunden 
kann man statt der Verdünnungen (Iso form 2— o%), Streupulver 
etc. auch Isoformgaze auflegen. Diese kommt als 10-, 3- und 
1 proz. in den Handel und stellt einen ausgezeichneten, geruch¬ 
losen und desinfizierenden Verbandstoff dar. Die 1 0 p r o z. 
1 s o f o r m g a z e wendet man bei stark verunreinigten Wunden 
an. Auf reinen Granulationsflächen wirkt sie leicht ätzend und 
verschmierend. Der Vcrf. hält besonders die liölierprozentige 
Gaze für steril. Falls man doch eine Sterilisation für wünschens¬ 
wert hält, soll diese nicht mehr als zweimal vorgenommen wer¬ 
den, da die Gaze ea. % ihres Isoformgehaltes einbüßt. Um die 
Umgebung von W unden vor einer Reizung mit Isoform zu 
schützen, ist es zweckmäßig, dieselbe mit Salbe zu bedecken. 
5 0 p r o z. I s o f o r m - G 1 y z e r i n dient zum Bedecken und 
zum Schutz der Hände gegen Infektion (bei Operationen) und 
hat weder bei Verf. noch bei seinen Kollegen irgendeine Reizung 
der Haut hervorgerufen. Zur Prophylaxe und Therapie der 
Stomatitis nicreurialis empfiehlt S. die S a 1 u f e r i n - Z a h n - 
p a s I < mit einem Gehalt von 5% Isoform (X o r d d e u 1; s c li e 
(’ h i ui. W’ e rke. B e rl i n). Dieselbe hat sich bei Hunderten 
vor: Patienten der Breslauer Klinik aufs beste bewährt. Bei 
Stomatitis ulcerosa wurde reines Isoform aufgestreut, bei Ulze- 


rationen des Zahnlleisehsuumcs 10 proz. Isoformbrei aufgelegt 
(Zusammensetzung: Isoform. 2,0, Glycerin. 8,0, Mucilag. Gumm. 
4,0, Bol. alb. 10,0), oder es wurde der Raum zwischen Wange 
'und Zahnreihe mit 1—3 proz. Isoformgaze tamponiert. 

2. Dr. S c h wersenski, der im Jahre 1897 das Validol, 
den Valeriansäuremethylester des Menthols, in die Therapie ein¬ 
führte, hat behufs Verstärkung der beruhigenden Baldrian¬ 
wirkung — er glaubt, daß der Baldrian eine ionisierende-, 
daneben aber auch belebende, „animierende“ Wirkung entfalte 
dem Validol das Bromnatrium hiuzugefiigt. Denn die notwen¬ 
dige, mehrfach verwendete chemische Verbindung von Brom und 
Baldrian, die Bromvaleriansäure, erscheint ihm gänzlich unwirk¬ 
sam. Nach dem Rezept: Natr. bromat. 1,0, Magnes ust, 0,1, 
Validol gtt. V., hat er von den vereinigten C-hiniiifabriken 
Z i m in e r A 0 o. in Frankfurt a. M. Tabletten herstellen lassen. 
Die Kombination erwies sich als besonders günstig gegen ner¬ 
vöse Ueberreiztheit durch Berufsarbeit und hartnäckige hyste¬ 
rische Zustände heim Beginn des Klimakterium. S c h. gab täg¬ 
lich eine Tablette in einem halben Glase Wasser. Damit erzielte 
er wohltuende Beruhigung ohne Ermüdung. Zwei Tabletten auf 
einmal erzielten erquickenden Schlaf ohne jede Nachwirkung. 
Durch die Auflösung der Tabletten wird das Wasser milchig, 
opaleszierend, und hat einen leicht salzigen, erfrischenden 
Geschmack. Die Tabletten sind leicht löslich. Eine Preisangabe 
fehlt, 

3. ln einer kurzen Publikation berichtet Geheimrat E u 1 e n- 
hurg über seine Erfahrungen mit Sabromin, das er seit März 
dieses Jahres an insgesamt 14 Krankheitsfällen verschiedener 
Herkunft angewendet und studiert hat. Er benutzte ausschlie߬ 
lich die von der Firma F r. B a y e r & C o. hergestellten Tabletten* 
zu 0,5 g und gab 0,5 -1 g in Einzeldosen, über 3,0 (6 Tabletten) 
als Tagesdosen nicht hinaus. Die Tabletten wurden nach der 
v. M e r i n g sehen Vorschrift eine Stunde nach den Mahlzeiten 
gereicht; sie wurden zerkaut oder zerstoßen in Wasser genom¬ 
men. ihr sie geschmacklos sind, wurden sie ohne Widerwillen 
genommen. Bei der angegebenen Dosis bat E. gastro-iutesti- 
nale Störungen nie gesehen, auch nach längerem Gebrauch 
das Auftreten von Bromismus nicht bemerkt. Nur,einmal beob¬ 
achtete er eine leichte Bromakne. Die Krankheitszustämle, 
gegen die er Sabroinin reichte, waren idiopathische Epilepsie, 
Neurasthenie. Angstneuroso, Hysterie, psychische Depressions- 
zustände. Während in den letztgenannten Krankheitsfällen das 
Sabromin gute Resultate zeitigte, wies es bei sechs Fällen von 
Epilepsie mir Palliativwirkungen auf. Nur in einem Falle setz¬ 
ten die epileptischen Anfälle ganz aus und träten auch fünf 
Monate nach Beginn der Krankheit nicht wieder ein. Nach E.'s 
Erfahrungen verdiente aber Sabromin insofern den Vorzug vor 
anderen Brompräparaten, besonders den Bromalkalien, als klei¬ 
nere Dosen notwendig waren, um gleiche Effekte zu erzielen, wie 
mit jenen. Dieser Umstand, ferner der Mangel an Neben¬ 
erscheinungen, vor allem an Bromismus, und nicht zuletzt der 
nicht zu hoho Preis des Mittels lassen dasselbe zu allgemeiner 
und prolongierter Verwendung geeignet erscheinen. 

4. Prof. Diettrich in Heidelberg hat Jod- und Brom- 
glidine-Tabletten verschiedener Herkunft, teils von der Firma 
selbst (Dr. K 1 o p f er in Dresden-Leubnitz), teils aus verschie¬ 
denen Apotheken untersucht, um festzusteilen, oh der Gehalt an 
Jod bezw, an Brom den in den Prospekten gemachten Angaben 
entspricht. Die Untersuchungen ergaben, daß die Tabletten, die 
eine bräunliche Farbe besaßen und zwischen den Fingern leicht 
zerbröckelten, bei einem Gewicht von 0,77—0,88 g (für Jod- 
glidine) und 0,844—0,885 g (für Bromglidine) den von der Fabrik 
angegebenen Gehalt an Jod (=0,05 g) und an Brom ( = 0,06 g) 
besassejn. Es konnte weder freies Jod noch freies Brom nacli- 
gewiesen werden. 

Neuerschienene Arzneimittel. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

Camphosan. 

Eigen 9-c ha f t, e n: Camphosan ist eine Lösung von 
15 Teilen neutralem Kampfersäuremethylester in 85 Teile» 
reinem Santalol. Der neutrale Kampfersäuremethylester wird 
durch Methylieren der offizinellen Reelitskampfersäure mittels 
Dimethylsulfat in alkalischer Lösung dargestellt. Er bildet ein 
wasserklares, farbloses Oel und hat einen schwach aromatischen 
Geruch mul kühlend bitteren Geschmack. In Wasser ist er un¬ 
löslich, in Gelen und deren Lösungsmitteln ist er leicht löslich. 




1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


1 5S 


Das reine terpenfreie Santalol, der chemisch reine, wirksame 
Bestandteil des ostindischen Saudeiholzöles, ist ein klares Del 
mit den bekannten Eigenschaften. Das sich aus diesen beiden 
Bestandteilen zusammensetzende Camphosan bildet gleichfalls 
eine klare ölige Flüssigkeit, die einen schwach aromatischen, an 
Kampfer und .Sandelöl erinnernden Geschmack besitzt und in 
Aether, Alkohol, Chloroform leicht, in W asser unlöslich ist. 

Indikationen: Camphosan w.ird angewendet in Fällen, 
bei denen durch Verweilkatheter oder häutiges Katheterisieren 
die Gefahr einer Infektion bestellt., also besonders bei Prostati¬ 
kern, bei denen cs sich als vorzügliches Adjuvaus und Heilmittel 
bewährt. Ferner ist es indiziert bei Entzündungen und Katarrhen 
der Harnröhre, der Blase und des Nierenbeckens; endlich bei 
Gonorrhoe. 

P h a r m a k olo. gische s: Die Wirksamkeit des Campho- 
sans beruht einerseits auf dem Gehalt au Kampfersäure, die ein 
müdes, dabei nachhaltig wirkendes, leicht anregendes und des¬ 
infizierendes Adstringens ist. und infolge des Methylierens diese 
Eigenschaften in erhöhtem Maße besitzt. Außerdem wirkt es 
anästhesierend. Seine Wirksamkeit beruht andererseits auf 
seinem Gehalt an Santalol, dem wirksamen Gehalt des Sandel¬ 
holzöles, dessen günstige Wirklingen auf die Schleimhäute der 
IIamwege in kleinen Dosen seit alterslier bekannt sind. 

Dosierung und Darreichung: Das Camphosan 
kommt in elastischen Gelatine-Kapseln zu je ca. 0,3 g in den 
Handel. Man gibt 3—5 mal täglich 2 Kapseln. Eine Original¬ 
sehachtel enthält 32 Kapseln. 

Firma: J. D. Riedel, A.-G., in Berlin N. 


Technische Neuerscheinungen, 

Automatischer Bauchdeckeiihalter. 

Von Dr. Ach. München. 

Das Instrument besteht aus zwei großen Armen, von 
denen jeder an seinem Ende einen löffelartigen Haken mit. 
leicht auslösbarer Fixation trägt. Am anderen Ende weisen 
die Arme eine runde Platte mit dem Schloßteil auf; das 
Schloß ist so konstruiert, daß dasselbe in jeglicher \\ inkel- 
stellung der Arme durch Sperrung stehen bleibt; durch 
Druck auf einen an demselben angebrachten Knopf wird 
die Sperrung aufgehoben. Zwischen den Armen liegt ein 
dritter, löffelartiger Haken, der durch ein bewegliches rhom¬ 
bisches Gestell an den beiden Armen fixiert ist. Die Kon¬ 
struktion ermöglicht eine weitgehende Bewegungsfähigkeit 
dieses dritten Löffels; einesteils geht derselbe bei Oeffnung 
der beiden Arme mit, d. h. er bewegt sich von selbst 
auf das Schloß zu; andernteils kann man, wenn diese 
Bewegung zu gering erscheint, denselben durch einfachen 
Druck weiterhin nach dem Schloß zu verschieben. Dieser 
Bauchdeckenhalter ist auch als Wundsperrhaken (sogen, 
stummer Assistent) zu verwerten, indem man statt der löffel- 
artigen Rahen kurze Krallen oder scharfe rechenartige 
Haken einsetzt. Fabrikant: S t i e f e n h of e r , München, 
Karlsplatz. M. Plien, Berlin. 


Biicherbesprechungen. 

Die Erkrankungen der Atem wege und ihre Heilung durch die 
Kurmittel Wiesbadens auch während der W intemionate. A on 

Maxi m i 1 i a n B r e s g e n. Wiesbaden 1.908, \ erlag Al o r i t z 
<V AI ü n z e 1. 

Der Umstand, daß Bresgen seine Arbeit für Aerzte und 
Kranke bestimmt hat, ist. wohl die Veranlassung, daß er die Er¬ 
krankungen der Atemwege, sein durch die Wortstellung als sol¬ 
ches bezeiehnetes llaupttheina, nur ganz oberflächlich behandelt.. 
Das .Wertvolle der Arbeit liegt einmal in dem Nachdruck, mit 
welchem Bresgen hier wie, stets für die Bedeutung der Nase 
als ätiologischem Faktor bei den Erkrankungen der Atem wege 
eint ritt. Ferner bringt er einen hübschen historischen Uüber¬ 
blick über die Bewertung Wiesbadens als Badeort, seit dem Jalu*« 1 


1010. höbt die bessere Würdigung der Quellen im allgemeinen 
und der \Yiesbadeuer Thermalquelle im besonderen nach der 
Kenntnis der Radioaktivität hervor, vergißt aber auch nicht, die 
Temperatur des Kochbruuncns und seinen geringen Kochsalz¬ 
gehalt als wichtige Faktoren gebührend zu betonen. 

Die Kur soll keine» kurze (2—4 wöchige) sein, sondern sich 
möglichst auf 0 Wochen und länger erstrecken. Da die \\ irkung 
der Quellen die gleiche im Sommer und Winter ist, so soll eine 
notwendige Kur nicht des \\ inters wegen aufgeschoben werden, 
zumal der Kranke nach der Kur seiner früheren Beschäftigung 
schneller und besser nachgehen kann, weil er in adäquaten kli¬ 
matischen Verhältnissen gelebt hat. 

Als besonders wertvolle An wendungs weise der Quelle befrach¬ 
tet Autor das Trinken derselben, das Gurgeln mit geringen Al en¬ 
gen in bestimmter vorgeschriebener W eise und das Bad. A on 
der Inhalation hält er nicht viel, wohl sehr mit. Recht. 

Daß Bresgen keine Umgrenzung der Indikationen für 
dieses bestimmte Gebiet angegeben hat, liegt wohl an den teil¬ 
weise für Kranke geschriebenen Arbeit. Dennoch hätte vielleicht 
darauf einiger Wert gelegt werden müssen. Zu beachten ist 
ferner, daß Erkrankungen der Atemwege, die auf einem Nasen¬ 
leiden basieren, überall durch Beseitigung desselben geheilt 
werden können. Für diese und viele andere Leiden dürfte Wies¬ 
baden in gleicher Weise wie eine Anzahl anderer namhafter 
Bäder, die Haupterfolge in der Beseitigung der mehr oder min¬ 
der schweren sekundären Störungen erzielen, wobei für bestimmte 
Fälle Wiesbaden gewisse große Eriolge besitzt. 

Auf eins scheint es mir wichtig, einmal nachdrücklich hin¬ 
zuweisen. Seit. Entdeckung des Radiums, seiner therapeutischen 
Bedeutung und der Radioaktivität zahlreicher Quellen, wird 
neben ihren bisher bekannten Bestandteilen auf die Emanation 
von Radium als ihrem spezifischen Heilfaktor besonders 
hingewiesen. Nicht daß Bresgen das vorzugsweise für Wies¬ 
baden täte! Er betont ja genügend die Wichtigkeit anderer Eigen¬ 
schaften. Auch soll der Wert, der Radioaktivität gewiß nicht 
herabgesetzt werden. Aber wie, wenn morgen nachgewiesen 
wird, daß noch andere bisher unbekannte Stoffe existieren, welche 
den Quellen ihren besonderen AVcrt verleihen. Die Alügliehkeit. 
ja die Wahrscheinlichkeit dürfte unter dem Zeichen der neuen 
Entdeckungsära ja weniger als je bestritten werden können. 
Wird dann wieder jede Quelle den neu gefundenen Stoff als wert¬ 
vollen Bestandteil und spezifisch für ihre Erfolge bezeichnen 
müssen! ? 

Dem Radium gebührt neben vielem anderen das Verdienst, 
die Quellen wieder in den früheren Stand der Wertschätzung zu¬ 
rückgeführt zu haben, nachdem man lange glaubte, mau könne 
sie auch ebenso gut daheim trinken oder ihnen überhaupt, nur ge¬ 
ringe Wirkung zuerkannte. Allenfalls wurde noch die Löslösung 
von der Berufsarbeit als wichtig für die Badereise anerkannt. 
Heute ist die Stellung der Badeorte in der Therapie gefestigter 
als seit langem und manche neue Entdeckung dürfte weiter zu 
ihrer W ertschätzung beitragen. Um so mehr aber soll man sich 
hüten, nach der anderen Seite zu übertreiben. 

Dr. M a x H a 11 e, Charlottenburg. 

Ohrenheilkunde, zwölf Vorlesungen für Studierende und 
Aerzte. Von Prof. Albert Bing- Wien. Grau m ü 1 1 e r. 
Wien und Leipzig. 

In zweiter Auflage ist das Lehrbuch der Ohrenheil¬ 
kunde von B i n g erschienen. Der Verfasser nennt es allerdings 
nicht ..Lehrbuch“, da er nur eine kurze Uebersicht über das um¬ 
fassende Gebiet der Ohrenheilkunde geben will, um dem Studie¬ 
renden und Praktiker eine durch die Vorlesungsform besonders 
bequeme Orientierung zu ermöglichen. Dennoch enthält das Buch 
wohl alles, was für die Praxis notwendig ist. Auf Lite- 
-raturangaben hat. B i n g fast ganz verzichtet. Für den wissen¬ 
schaftlichen Arbeiter, dem dieselben unentbehrlich sind, ist das 
Buch ja auch nicht gedacht. Sonst aber enthält es eine Fülle von 
Anregungen, selbständigen Gedanken, wertvollen Hinweisen, die 
Eigenart und die Erfahrung des Autors besonders hervor¬ 
treten lassen. Ueberall ist besonders auf Verhältnisse der Praxis 
hingewiesen, sind einfache und bequeme Hilfsmittel angegeben, 
wird neben Diagnose auch die Therapie und Prognose eingehend 
gewürdigt. Wenn man überhaupt etwas auszustellen haben 
konnte, so wäre es der Umstand, daß die Wichtigkeit, der Nase 
und des Nasenrachenraumes für die Entstehung der Ohrerkran¬ 
kungen noch mehr hätte betont, sein dürfen. 

Das Buch wird sieh zu den alten viele neue Freunde erwer¬ 
ben. Al. 11 alle- (’harlottenhurg. 


Original from 





754 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 50 


An dir akademischen Bürger und Abiturienten höherer Lehr¬ 
anstalten. Zur Aufklärung in sexuellen Fragen. Verfaßt von 
Pr. L. v. L i e b e r m a n n. Halle a. S. 1908. Carl M a r h o 1 d, 
Verlagsbuchhandlung. 

\ erfasser fordert während der Entwicklungsjahre voll¬ 
kommen sexuelle Abstinenz, weil sonst die besonders während 
der Zc-ii der Entwicklung überanstrengten Fortpflanzungs- 
Organe Ursache einer vorzeitigen Impotenz werden können. Audi 
dient der Samen nicht nur zur Befruchtung, sondern er enthält 
auch Stoffe, die wieder in den Kreislauf des Blutes und von dort 
in verschiedene Organe gelangen, und für eine kräftige, männ¬ 
liche Entwicklung des Körpers von größter Bedeutung sind. Im 
zweiten Kapitel gibt. \ erfasser in gemeinverständlicher Weise 
eine Beschreibung der Oonorrhoe und der Lues, um am Schluß 
seiner Arbeit als Schutz gegen Geschlechtskrankheiten peinlichste 
Sauberkeit und den Gebrauch von Präservativen zu empfehlen. 

v. Rutkowski, Berlin. 


Allgemeines. 

Bericht über die IX. Jahresversammlung des Vereins der Bade» 
ärzte an der Ostsee am 0. Dezember 1908. 

Nach der Begrüßung der anwesenden Herren durch Herrn 
Hof rat Dr. Röchling erfolgte die Verlesung des Jahres¬ 
berichts durch Herrn San.-Rat Dr. R h o d e . in dem des Ver¬ 
lustes des Herrn Aled.-Rats Pr. v. M ii n c li o w durch den Tod 
gebührend gedacht und die Neuaufnahme der Herren San.-Räte 
Dr H c n ii i g und Dr. K o ß vv i g vermeldet wurde. Heber 
mehrere interessante 1 agesfragen berichtete sodann Herr Hof- 
rat Dr. R ö c b 1 i n g , so über die Frage der Gründung einer 
Baineologischen Zentralstelle, über den Vorstandswechsel in der 
Balneologischeu Gesellschaft, über den bekannten Unfall auf 
Sylt (der dadurch zu erklären ist, daß das Publikum in seiner 
Aufregung den Schwimmer an der Leine, an die er angebunden 
war, zurückzog, noch ehe er den mit den Wellen kämpfenden 
Badegast erreicht hatte), über die Aufstellung von Warnungs¬ 
tafeln usw. usw. R. erklärte es ferner — unter dem Beifall der 
Anwesenden — für sehr wünschenswert, wenn sich speziell die 
Berliner Kollegen für die Ostsee noch mehr als bisher inter¬ 
essieren würden. Leber die Indikationen und den Heilwert der 
Ostsee unterrichtet eine vor kurzem erschienene Broschüre, auf 
ilie auch an dieser Stelle aufmerksam gemacht werde. Besonders 
nachdrücklich wies der Herr Vortragende darauf hin, daß die 
allgemein verbreitete Annahme, die Nordsee sei die ,,stärkere“ 
Schwester der Ostsee bezüglich ihrer Einwirkung auf den Or¬ 
ganismus. falsch sei. 

Der nächste Punkt der Tagesordnung war die Aussprache 
über den Plan eines Zusammenschlusses der Ost- und Xordsee- 
badeärzte zu einer Deutschen Gesellschaft für Seeheilkunde 
(Thalassotherapie) unter Hinzuziehung binnenländischer Inter¬ 
essenten. Nach lebhafter Diskussion einigte man sich dabin, 
daß der Verein der Badeärzte an der Ostsee der Klee zur Grün¬ 
dung einer solchen Gesellschaft sympathisch gegen überstehe, auf 
jeden Fall aber seiije Selbständigkeit bewahren wolle. Der Vor¬ 
stand wurde gebeten, sieh' mit dieser Angelegenheit weiter zu 
befassen. 

Den Bericht des Herrn Dr. M a r g u 1 i e s , der am Erschei¬ 
nen verhindert war, verlas Herr San.-llat Dr. Rhode; er ist 

im Referatenteil dieser Nummer abgedruckt. 

Dr. L u n g w i t z bat sodann die Versammlung, ihr offizi¬ 
elles Organ intensiver als bisher zu benutzen und sich durch 

Abfassung wissenschaftlich und praktisch wichtiger Arbeiten 
reger an der medizinischen Publizistik zu beteiligen. Als offizi¬ 
elles Organ wurde die „Therapeutische Rundschau“ weiterhin 
beibehalten. 

Die weiteren Punkte der Tagesordnung (Bericht des Kassen- 
t'ührers Dr. Pa u Isen und der Kassenprüfer, Vorstandswahl. 
Verschiedenes) erledigten sich rasch ohne Debatte. Sämtliche 


Selbst Dr. Standke’s wohlschmeckender Lebertran, das 

angenehmste Präparat seiner Art, wird nicht so gern genommen wie 
Fucol. Uebcrdies wird er vielfach in unlauterer Weise nachgeahmt. Man 
gebe daher dem durch D. R. p. geschützten Fucol den Vorzug und ver¬ 
ordne Orig.-Flaschen ä V 2 Liter ä Mk. 2.—. General - Vertrieb: Karl 
Fr. Töllner, Bremen. 


Herren, die bisher dem Vorstand angehört batten, wurden wieder- 
gewählt. L u n g w i t z. 

Zeitschrift für Stadt Hygiene, ln dieser Woche noch wird 
eine neue Zeitschrift mit dem angegebenen Titel das Licht, der 
Welt erblicken. Man mag auf dem Standpunkte stehen, daß die 
Literatur reich genug ist, um nicht Bedürfnis nach neuen 
Schätzen zu haben, und mancher stellt neuen Zeitschriften prin¬ 
zipiell skeptisch gegenüber. \\ ir wollen indes nicht wünschen, 
daß sieh infolge einer solchen Skepsis die Verleger schlafen 
| legen und einen sehr wichtigen Teil ihres Berufes, nämlich den 
i des Erfindertums, der Erzeugung neuer Literatur vernachlässi- 
S gen oder überhaupt auf geben. Der neuen Zeitschrift dürfte 
selbst von skeptischer Seite ein besserer Willkomm geboten wei¬ 
den. Sic hat schon vor Erscheinen des Probeheftes ein lebhaftes 
Interesse erweckt, wie ich verraten darf. Es sei hier ein Ab¬ 
schnitt der ,.Einst und Jetzt“ Übersollriebenen Eiuführungswortc 
abgedruekt r 

..Wie ungeheuer wichtig diese Bestrebungen der Stadt¬ 
hygiene sind, braucht nicht angeführt zu werden, ln unserer 
Zeit des fast absoluten Subjektivismus vereinigen sieh die die 
Sicherheit der Gesamtheit wie des einzelnen anstrebenden Bür¬ 
ger der Stadt und des Staates zu einem großen Heere, das mit 
erfolgreichen Waffen um Güter von höchst sozialer Bedeutung 
kämpft. Der kalte Egoismus, ein Zeichen des Deutschen, geht 
unter im Nationalgefühl. Auch wir wollen mithelfen am natio¬ 
nalen Werk. Die Spälten unserer Zeitschrift stellen’jedem offen, 
der zu den Problemen der Stadthygiene etwas Brauchbares bei¬ 
zutragen hat, der Vorschläge und Anregungen gibt und Erfah¬ 
rungen not teilen kann, durch welche die Wissenschaft und die 
Praxis zu kritischer Erwägung herausgefordert wird. Wir 
wissen, daß die Zahl gleichgesinnter Bürger nicht gering ist. 
und wir fordern alle auf, unsere Bestrebungen durch Mitarbeit 
auf den verschiedenen Gebieten der Stadthygiene zu fördern 
und zu unterstützen.‘‘ 

Das erste lieft, das Interessenten kostenlos zur Verfügung 
stellt, hat folgenden Inhalt: 

Einst und Jetzt.. Ein Wort zur Einführung. Dr. L' 1. D ö r r, 
Charlottenburg: Die Müllanalyse und ihr praktischer Wert für die 
Miillvorbrcmiuiig. Branddirektor E f f e n b e r g c r, Hannover: 
Etwas über die Müllabfuhr. Stadtbaurat Hache, Gbiwitz: 
Die Kanalisation der Stadt Gleiwitz. Dr. nied. et pliil. 11. L u n g- 
witz, Berlin: Zur Verbilligung und Verbesserung der Ernäh¬ 
rung in öffentlichen Anstalten. Dr. med. L. S c h a p s , Friede¬ 
nau: Die Säuglingsfiirsorgesteilen der Stadt Berlin, ihre Ein¬ 
richtungen und Ziele. Ger.iehtscbemiker P. Lohmann, Gr.- 
Lichterfelde: Bleihaltige Kinderspiel waren. 

Zahlreiche ..erste Kräfte“ haben ihre Mitarbeit zugesagt. Es 
besteht kein Zweifel, daß die Monatsschrift in kommunalen 
Kreisen, in den Kollegien der Städte, bei Technikern, Inge¬ 
nieuren. Architekten, nicht, zuletzt aber auch bei den Aerzten. 
namentlich den beamteten, lebhaftes Interesse finden wird. 

Redakteure: Ingenieur Dr. C 1. Dör r, Charlotten bürg, und 
ich. \ erlag: G usta v E h r k e , Zeitschriftenverlag, Berlin 
\\ . 9, Köthenerstr. 44. Preis: das einzelne Heft 1,25 M., dahres- 
i abonnement (12 Hefte): 12 M. L u n g w i t z. 

Der 80. Halncologeiikongreß wird unter Leitung von Herrn 
Geh.-Rat Prof. Dr. B r i eg e r (Berlin) vom 4. bis 8. März 1901) 
in Berlin tagen. Vorträge haben bereits zugesagt die Herren 
Prof. Bickel (Berlin), Geh.-Rat Rrieger (Berlin), Prof. 
Blumenthal (Berlin), Ilofrat I) e t. e r m a n n (St. Blasien), 
Geh.-Rat E u l e n b u r g (Berlin), Geh.-Rat E w a 1 d (Berlin). 
Privatdozent F r anke n h ä u s e r (Berlin), Oberarzt F ü r - 
stenberg (Berlin), Prof. (I r a w i t z (Charlottenburg), Prof. 
G o t t s c h a 1 k (Berlin), Privatdozent G u t z in a n n (Berlin). 
Privatdozent Grube (Neuenahr), Dr. Hirsch (Kudowa), 
Prof. H o 11 ii n d e r (Berlin). Dr. 1 m in e 1 m a n n (Berlin), 
Prof. Kl ap p (Berlin), Dr. Leder man n (Berlin), San.-Rat 


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kation, sowie sich die ersten Anzeichen einstellen, ist der Erfolg, wie uns von allen 
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Prof Dr Ph. Biedert, Straßburg i. E, Prof. Dr. L. Blumreich, Berlin, Prof. Dr. H. Boruttau, Berlin, Prof Dr. E. Braatz, Königsberg. Geh. Med-Rat Prof 
Dr v. Bramann, Halle a. S , Prof. Dr. C. Bruhns, Berlin, Prof. Dr. G. Burckhard, Wiirzburg, Prof. Dr. A. Dührssen, Berlin, Prof Dr. E. Enderlen, Würzburg, 
Prof.Dr R.Eschweiler, Bonn. Prof. Dr. A. Frankel, Berlin, Prof. Dr. E. Friedberger, Berlin, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. P. Friedrich, Marburg, Prof.Dr.P.Gerber, 
Königsberg, Reg.-Rat Prof. Dr. Jul. Glax. Abbazia, Prof. Dr. K. Hammer, Heidelberg, Prof. Dr. K. Helbing, Berlin, Prof. Dr. M, Henkel, Greifswald, Prof. 
Dr. K.HerxheJmer, Frankfurt a.M.. Prof. Dr. P. Heymann, Berlin, Prof. Dr. A. Hildebrandt, Berlin, Pj-of. Dr. K. Holzapfel, Kiel, Prof. Dr. A. Jesionek, Gießen, 
Prof. Dr. G. Jochmann, Berlin, Prof. Dr. Kausch, Berlin, Prof. Dr. M. Koeppen, Berlin, Prof. Dr. A. Kollmann, Leipzig, Prof. Dr. J Kocks, Bonn, Geh. 
Med.-Rat Prof. Dr. 0. Küstner, Breslau, Prof. Dr. H. Lenhartz, Hamburg, Prof Dr. M. Lewandowsky, Berlin, Prof. Dr. M. Mosse, Berlin, Prof. Dr. E. Opitz, 
Düsseldorf, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. K. Partsch, Breslau, Prof. Dr. L, C. Rehn, Frankfurt a. M., Prof. Dr. K. Ritter, Greifswald, Prof. Dr. 
H. Rosin, Berlin, Prof. Dr. Th. Rumpf, Bonn, Prof. Dr. H. Schlange, Hannover, Prof. Dr. Ad. Schmidt, Halle a. S., Geh. Med.-Rat Prof. Dr. 
H. Schmidt-Rimpler, Halle a. S., Prof. Dr. W. Sclnltz, Königsberg i Pr., Hofrat Prof. Dr. M. Schottelius, Freiburg i. B., Prof. Dr. E. Schultze, Greifs¬ 
wald, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. H. Senator, Berlin, Prof. Dr. E. Sommer, Zürich, Prof. Dr. med. et phil. R. Sommer, Gießen, Prof. Dr. G. Sultan, 
Berlin Prof Dr A. Tietze, Breslau, Prof. Dr. P. G. Unna, Hamburg, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. H. Unverricht, Magdeburg, Prof. Dr. 0. Vulpius, 
Heidelberg, Prof. Dr. H. Walther, Gießen, Prof. Dr. F. Wesener, Aachen, Prof. Dr. G. Winter, Königsberg, Prof. Dr. E. Ziemke, Kiel. 

Redaktion: Verlag und Expedition: 

Dr. med. et phil. H. Lungwitz, Berlin S. 14, Dresdenerstr 44. Gustav Ehrke Zeitschriftenverlag, Berlin W. 9, Köthenerstr. 44. 

Telephon: Amt IV, 11773. Telephon: Amt VI, 3020. 

Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte 

der Ostsee und der Medizinisch-biologischen Gesellschaft. 


II. Jahrgang. 


Berlin. 20. Dezember 1908. 


Nr. 51. 


Die Therapeutische Rundschau“ erscheint jeden Sonntag und kostet jährlich 8 1W. für das Ausland 10 M , einzelne Nummer 20 Pf. Zu beziehen durch den Verlag, 
sowie sämti. Buchhandlungen und Postämter. Inserate werden für die 4gespaltene Zeile oder deren Raum mit 50 Pi. berechnet. Beilagen nach Uebereinkunft. Reklamezelle 
1,50 M. Bei größeren Aufträgen wird Rabatt gewährt. 

Nachdruck ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet.__ _ _ 


Originalien: 

C. Helbing. Berlin: Zur Diagnose und Therapie der ange¬ 
borenen Hüftgelenksverrenkung .. 

J. Quadflieg, Bardenberg bei Aachen: Ein Beitrag zur Haut- 

waschung mit „nur Alkohol“ nach Schumburg . . . . . 

F. Bachmann, Harburg a. Elbe: l'cber eine bisher wenig be¬ 
achtete Beziehung zwischen Fleischnahrung und Krankheit . 

Referate: 

G. Abelsdorff. Berlin: Augenheilkunde . .. 

K. Helbing und P. Boeder, Berlin: Chirurgie . . . . . 

E. Solms, (Jharlottenburg: Frauenkrankheiten und Geburtshilfe 

L. Lipman-Wulf, Berlin: Urologie. 

M. Peltzer, Steglitz: Militärmedizin .. 

W. Esch, Bendorf a. Rh.: Biologische Therapie. 


Inhalt. 

Mitteilungen über Arzneimittel: 

W. Krüger. Magdeburg: Referate.703 

757 W. Krüger, Magdeburg: Neuerschienene Arzneimittel . . . 709 

Technische Neuerscheinungen: 

759 Rücklauf-Spritze für die Harnröhre (Ref.: M. Plien, Berlin) . 70!» 

Krautschneider, Innsbruck: Ein neuer Injektipnsapparat 

701 „Injektor“ (Ref.: M. Fiel, Berlin).709 

Biicherbcsprechuiigeu: 

Wilmanns: Feber Gefängnis-Psychosen (Ref.: Med.-Rat Dr. 

702 Hofimann, Berlin). 770 

762 Reinmöller: Das deutale Empyem des Antrum Highmori 

703 (Ref.: Peltzer, Steglitz). 770 

704 Sokolowsky: Beobachtungen über die Psyche der Menschen- 

700 affen (Ref.: Peltzer. Steglitz.77<> 

767 Allgemeines.770 


ORIGINALIEN. 

Zur Diagnose und Therapie der .angeborenen 
Hüftgelenksverrenkung. 

Von Professor^Dr. med. Carl Helbing’. Berlin, 
ln der Häufigkeitsskala der angeborenen Verrenkungen 
steht die Hüftgelenksverrenkung obenan. Die Häufigkeit 
dieses Gebrechens und der Umstand, daß es sich meist 
uni prächtig entwickelte, sonst ganz gesunde und lebens¬ 
frohe Mädchen handelt, macht die Aufgabe, das Leiden 
zu heilen, zu einer außerordentlich segensreichen. 

Da die Krankheit eine exquisit erbliche ist, 
so finden wir das meiste Verständnis und das 
größte Entgegenkommen gerade bei den Müttern unse¬ 
rer Patienten, welche selbst mit dem genannten Leiden 
behaftet, ungeheilt durchs Leben gehen resp. watscheln 
müssen. Das Gebrechen stellt aber keineswegs nur einen 
kosmetischen Fehler dar, sondern beeinflußt von seltenen 
Ausnahmen abgesehen die Gehfähigkeit bei den älteren 
Patienten in außerordentlich hohem Maße. Während bei 
unseren kleinen Patienten das Ermüdungsgefühl beim länge¬ 
ren Gehen sich nur selten bis zu wirklichen Schmerzen 
steigert, sehen wir bei den erwachsenen Frauen oft uner¬ 
trägliche Hilft- und Knieschmerzen auftreten, durch die 
unseren armen Patienten das Gehen zur Qual wird. Denn 
es kommt an dem luxierten Gelenke sehr häufig späterhin 
zu chronisch-arthritisehen Vorgängen, die mit der Arthritis 
deforinans große Aehnliclikcit besitzen. 


Bei diesen bekannten Tatsachen ist es um so erfreu¬ 
licher, daß unsere Erfahrungen bei der Behandlung des in 
Rede stehenden Gebrechens, insbesondere die jetzt nahezu 
vollendete Technik des Gipsverbandes ganz vorzügliche Re¬ 
sultate gezeitigt haben. Die guten Resultate stellen, 
wie ich an einer kurzen Statistik zeigen werde, 
jetzl nicht mehr wie früher die Ausnahme dar, 
sondern die Regel. Mit den Privatpatienten meines ver¬ 
storbenen Chefs, des Herrn Geheimrat Hof l’a. und den der 
Cniversilätspoliklinik für orthopädische Chirurgie zuge¬ 
gangenen Kranken mit angeborener Hüftgelenksverrenkung 
verfügen wir bis zum Juni 11)04 über 714 Fälle, von welchen 
442 einseitig, 272 doppelseitig waren. Das Ergebnis der 
Nachuntersuchung dieser Fälle ist folgendes: Anato¬ 
mische Heilungen haben wir hei Heranziehung unserer 
Gesamtstatistik von 714 Fällen bei den einseitigen 80 °o, 
hei den doppelseitigen 10 o/o. Diese Zahl der anatomisch 
geheilten Fälle erscheint auf den ersten Blick recht gering. 
Berücksichtigt man jedoch, daß bei der Gesamtstatistik 
auch alle die Fälle der früheren Zeit eiubezogen sind, 
bei welchen eine Behandln ng oder wenigstens eine un 
blutige überhaupt besser unterblieben wäre, und ferner die 
Zeiträume, in welchen man bezüglich der Technik noch 
keine so festen Grundlagen hatte wie heute, so stellt sich 
der Prozentsatz schon nicht mehr so ungünstig. Es zeigt 
sich nämlich, daß das Operationsresiillat am meisten he 
einflußt wird durch das Lebensalter der Patienten, in wel¬ 
chem die Behandlung eingeleitet, wird. Scheiden wir /.. B. 
(aus unserer Statistik) alle Kinder mit doppelseitiger Yer- 

/. ‘ . Original from 





















• 758 



renkung, welche nach dem 5. Lebensjahre, und 
diejenigen mit einseitiger Luxation, welche nach dem 
8. Lebensjahre noch einer unblutigen Behandlung unter¬ 
worfen worden sind, aus, so stellt sich der Prozentsatz 
der Heilungen ganz anders. Bei einseitigen Luxationen er¬ 
zielten wir bis zum Jahre 1904 70 °/o, bei doppelseitigen 
25 o/o anatomische Heilungen. Seit dieser Zeit hat sich 
entsprechend der »größeren Erfahrung und besseren Be¬ 
herrschung der Technik der Prozentsatz der Heilungen noch 
gehoben; doch bin ich nicht imstande, mit statistischen 
Zahlen aus den letzten vier Jahren dies zu belegen. 

Die Statistik wird um so besser, je mehr sie nur die 
in früher Jugend behandelten Kinder berücksichtigt. Es 
läßt sich deshalb der Satz formulieren, daß die Resul¬ 
tate der unblutigenReposit'ionum so idealere 
sind, je früher das Leide n in Behandlung ge¬ 
nommen wird. Für uns gibt es überhaupt kaum eine 
Altersgrenze nach unten, welche die Behandlung kontra¬ 
indizieren könnte, seitdem wir gelernt haben, durch Ver¬ 
stärkung des Gipsverbandes mittels Wasserglas auch bei 
einjährigen Kindern einen gegen Durchnässung genügend 
widerstandsfähigen Verband herzustellen. 

Da eine anatomische Heilung des Gebrechens mit 
idealer Funktion eben nur bis zu einer gewissen Alters¬ 
grenze mit Sicherheit zu erwarten ist, so gewinnt die recht¬ 
zeitige Erkennung des Leidens eine ganz besondere Be¬ 
deutung. Aus diesem Grunde hängt gerade von den ersten 
Beratern der kleinen Patienten, den praktischen Aerzten, 
durch frühzeitige sichere Diagnose des genannten Ge¬ 
brechens das Wohl und Wehe der mit dem Leiden behafteten 
Kinder ab. 

Gewöhnlich macht sich das Leiden erst dann bemerk¬ 
bar, wenn die Kinder ihre ersten Gehversuche vornehmen. 
Da zu dieser Zeit alle Symptome noch nicht sehr ausge¬ 
sprochen sind, so ereignet es sich sehr häufig, daß bei den 
kleinen Kindern, besonders wenn sie noch mit starkem 
Fettpolster ausgestattet sind, das Leiden gar nicht erkannt, 
und der schon jetzt vorhandene watschelnde Gang oder das 
leichte Hinken entweder auf das große Gewicht oder auf 
Rachitis geschoben wird. Tatsächlich besteht ja auch bei 
Kindern mit rachitisch verbogenen Oberschenkeln ein 
watschelnder Gang. Wenn man sich aber die Mühe gibt, 
das Kind nackt zu untersuchen, so ist auch in diesem frühen 
Alter die Schwierigkeit der Diagnosenstellung nicht zu groß. 

Handelt es sich um eine einseitige Luxation, so läßt 
sich eine geringe Verkürzung des luxierten Beines fest¬ 
stellen, außerdem fällt bei sorgfältiger Betrachtung der 
vorderen Oberschenkelflächen immer ein H o c h s t a n d d e r 
A d d u k t o r e n f a 11 e auf, der immer den Verdacht einer 
kongenitalen Luxation auf dieser Seite nahelegt. Hat man die 
Verkürzung und den Hochstand der Adduktorenfalte fest¬ 
gestellt, so versäume man in keinem Falle die Sicherstellung 
der Diagnose durch das Röntgenbild. Alle anderen 
Symptome, die sich bei etwas älteren Kindern mit Leichtig¬ 
keit feststellen lassen, sind hier nur mehr oder weniger an¬ 
gedeutet. Je älter die Kinder sind, desto leichter wird die 
Diagnosensfellung, da mit der weiteren Belastung des 
luxierten Beines der Kopf allmählich höher tritt. So gelingt 
bald der Nachweis der leeren Beckenpfanne. Bekanntlich 
fühlt man die Resistenz des normal gelagerten Schenkel¬ 
kopfes in der Leistenbeuge da, wo die großen Gefäße des 
Ligamentum Poupartii kreuzen. Dringt man mit den Fingern 
an diese Stelle in die Weichteile ein, so vermißt man die 
normale Resistenz des Schenkelkopfes. Dieses Symptom, 
welches den positiven Beweis für eine kongenitale Luxation 
abgibt, ist mit absoluter Sicherheit nur dann vorhanden, 
wenn der Kopf aus seiner ursprünglichen Subluxations- 
stcllung am oberen Pfannenrande — eine Stellung, die 
meist bis zum Ende des ersten Lebensjahres stabil bleibt 
— etwas nach hinten tritt. Da der Nachweis der leeren 
Gelenkpfanne, wie gesagt, bei Säuglingen schwieriger zu 


;eh rhi'fedfÄ 
„sich* 


erbringen ist; so können sehr, oft '^er^eohse 
Coxa vara Vorkommen. Diese Schwierigkei 
aber durch die Anfertigung eines Röntgen-Bild^ Immer be¬ 
seitigen. Mit dem Höhertreten des Kopfes verläßt auch 
der Trochanter major seinen Ort, und die veränderte Lage 
dieses Knochenvorsprungs läßt sich exakt mit Hilfe der 
Roser-Nelatonschen Linie feststellen. Es ist jedoch 
nicht gleichgültig, in welcher Stellung des Oberschenkels 
zum Becken die Bestimmung der Roser-Nölatonsehen 
Linie vorgenommen wird; nur bei rechtwinklig gebeugtem*, 
adduziertem und leicht nach innen rotiertem Oberschenkel 
steht der Trochanter major in der Verbindungslinie der 
Spina anterior superior mit dem Tuber ischii. 

Der Nachweis des höherstehenden Trochanters ist 
selbstverständlich kein absolut sicheres Kriterium für eine 
vorhandene Luxation, denn bei allen Erkrankungen, die mit 
einer Verkleinerung des Sc henkelhals winkeis (Coxa vara) 
einhergehen, findet es sich, ohne daß der Kopf die Pfanne 
verlassen hat. 

Zur Diagnose der kongenitalen Luxation gehört deshalb 
auch der Nachweis der fehlerhaften Lage des Kopfes. Dieses 
Symptom läßt sich erst dann wahrnehmen, wenn der Kopf 
über den Darmbeinkamm hinweg nach hinten getreten ist 
und nun der Hinterfläche der Beckenschaufel aufliegt. Bei 
einseitigen Luxationen finden wir einen derartigen Hoch¬ 
stand des Kopfes meist erst vom 4. Lebensjahre ab. Wir 
bezeichnen eine solche Hüftgelenks Verrenkung als Luxatio 
iliaca. 

Wir können uns den luxierten Schenkelkopf besonders 
deutlich fühlbar machen, wenn wir bei gebeugtem Ober¬ 
schenkel rotierende Bewegungen desselben nach innen vor¬ 
nehmen. Dabei wird der Schenkelkopf • vom Os ilii ab¬ 
gehebelt. 

Schließlich sei noch eines Symptoms gedacht, das von 
Trendelenburg zwar für die kongenitale Hüftgelenks¬ 
luxation angegeben, aber keineswegs dafür pathognomonisch 
ist; denn es findet sich bei allen Hüftgelenkserkrankungen, 
die mit Hochstand des Trochanters, des Insertionspunktes 
der pelvi trochanteren Muskeln einhergehen, also z. B. 
bei Coxa vara, bei schlechtgeheilten Schenkelhalsfrakturen 
oder Arthritis deformans. 

Wenn man einen Menschen auffordert, sich auf ein 
Bein zu stellen und das andere in Knie und Hüfte ad maxi- 
mum zu beugen, so hebt er die freie Gesäßhälfte, über eine 
Horizontale. Bei der kongenitalen Hüftgelenksluxation da¬ 
gegen sind die gedehnten Hüft-Beckenmuskeln nicht im¬ 
stande, das Becken in dieser Stellung zu fixieren, und es 
sinkt die freie Beckenhälfte unter die Horizontale. 

Wie oben schon erwähnt, nehmen wir die Behandlung 
der kongenitalen Hüftgelenksluxation so früh als möglich 
in Angriff, kommen aber sehr selten in die Lage, vor dem 
ersten Lebensjahre die Einrenkung vorzunehmen. 

Von den älteren Behandlungsweisen, die für uns nur 
ein historisches Interesse haben, können wir hier absehen, 
nachdem uns Lorenz in der unblutigen Reposition des 
Hüftgelenkes den Weg gezeigt hat, der in den meisten 
Fällen zu einem gelungenen Resultate führt. Ich nehme 
auch Abstand, die Technik dieser Methode hier zu schil¬ 
dern, da ihre Ausführung eine spezialistische Ausbildung 
verlangt. Ist die Reposition gelungen, so ist es die wich¬ 
tigste Aufgabe, den reponierten Kopf für längere Zeit in 
seiner Stellung zu erhalten. Wir erreichen dies am besten 
durch den Gipsverband. Dieser muß das ganze Becken 
und den Oberschenkel bis über die Kondylen hinaus um¬ 
fassen und aufs exakteste an die Knochenvorsprünge, also 
an die Darmbeinschaufel und die Oberschenkelkondylen 
anmodelliert sein. Während wir früher prinzipiell den 
Oberschenkel in rechtwinkliger, manchmal sogar spitz¬ 
winkliger Abduktion, leichter Hyperextension und Außen- 
rotation fixiert haben, geben wir jetzt dem Oberschenkel 
die Stellung zum Becken, in welcher keine spontane Re- 


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1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


759 


luxation erfolgt. Calot wählt eine Abduktions- und 
Flexionsstellung von 70° und gibt der indifferenten Ro¬ 
tation den Vorzug. Wenn es auch sicher Fälle gibt, in 
denen bei dieser Femurstellung die Reposition dauernd er¬ 
halten bleibt, so stellen diese Fälle nach unseren Er¬ 
fahrungen sicher die Ausnahme dar. Die Abduktions¬ 
stellung läßt sich allerdings in vielen Fällen reduzieren, 
dagegen können wir nur selten auf die leichte Ilyperexten- 
sion verzichten. Man soll diese aber auch nicht über¬ 
treiben, da sonst manchmal der Kopf zu weit nach vorn 
rückt und späterhin eine Subluxationsstellung nach vorn 
einnehmen kann. Auch die Abduktionsstellung soll man, 
wenn sie nicht für das Erhaltenbleiben der Reposition er¬ 
forderlich ist, nicht übertreiben. Abduktionsslellung über 
den rechten Winkel hinaus bis zum spitzen Winkel machen 
die Nachbehandlung oft recht schwierig und zeitigen oft 
schwer zu bekämpfende Abduktionskontrakturen. 

Wir lassen den fixierenden Verband 3—4 Monate lang 
liegen und verzichten auf jede Nachbehandlung. 

Man fürchte sich nicht vor den längere Zeit persistie¬ 
renden Abduktionsstellungen des Reines nach Abnahme 
des Gipsverbandes. Sie verschwinden, wenn man die Kinder 
herumgehen läßt, im Zeitraum eines halben Jahres ganz 
von selbst. 

Die Frage, oh man bei doppelseitigen Hüftgelenks¬ 
luxationen beide Hüften gleichzeitig einrenken soll oder 
die zweite erst. 1/2 Jahr nach Behandlung der ersten, ist 
noch unentschieden. Die zweizeitige Methode hat den Vor¬ 
teil, daß die Kinder während der ganzen Behandlung herum¬ 
gehen können, jedoch den Nachteil, daß sie fast ein Jahr 
erfordert und zwei Narkosen beansprucht. 

Ich habe bisher der gleichzeitigen Behandlung beider 
Hüften wegen des abgekürzten Heilverfahrens den Vorzug 
gegeben. 


Aus dem Knappscbaftskrankenhause zu Bardenber g bei Aachen 

Ein Beitrag zur Hautwaschuiig 
mit „nur Alkohol“ nach Schumburg. 

Von Chefarzt Dr. med. J. Quadllieg. 

Von jeher ist man bestrebt gewesen, eine ideale Haut¬ 
desinfektion sowohl der Hände des Operateurs als auch 
des Operationsfeldes zu erzielen. Viele Wege hat mau 
hierfür eingeschlagen. doch hatte uns keiner bisher an das 
Ziel unserer Wünsche gebracht. Nicht nur die Chirurgen 
und Gynäkologen, sondern alle Aerzte sind sehr inter¬ 
essiert, eine ideale Hautdesinfektion zu besitzen. Wir 
sehen, wie man in der neuesten Zeit bestrebt ist, mög¬ 
lichst die komplizierte Desinfektion der Haut zu verein¬ 
fachen. 

Während uns H e 11 s n e r für die Anwendung seines 
Jodbenzius zu begeistern sucht, hat D o e d e r 1 e i 11 sich 
l>estrebt, die Hautdesinfektion durch Einführung des Gau- 
daniiis zu vereinfachen. K 1 a p p und D o e 11 i t z haben 
uns mit den Vorteilen des Cliirosoters bekanntgemacht, 
anderseits W ederhake mit Jodtetraehlorkohlenstoff 
und mit seiner Jodkautschuklösung. 

Halten wir nun einen kurzen Ueberblick über alle 
bisher angewandten Desinfektionsinethoden der Haut, so 
sehen wir, daß heutzutage vorzugsweise zwei Methoden um 
den Vorrang gestritten haben: ich meine die Für¬ 
bringer sehe und die A h 1 f e 1 d sehe Hautdesinfek- 
tionsmethode. 

Diese beiden Methoden habe ich auch hinreichend in 
einer langjährigen, chirurgischen Tätigkeit kennen und 
schätzen gelernt, ich muß aber bemerken, daß beiden Me¬ 
thoden, wie auch anderseits Vielfach nachgewiesen, manche 
Mängel anhaften. 


Während meiner fast 12 jährigen Assistentenzeit habe 
ich meist die Fürbringer sehe Methode benutzen 
müssen. 

Seit dem Jahre 1904 habe ich bis anfangs März 1908 
ausschließlich die A h 1 f e 1 d sehe Methode angewandt. 

Von März 1908 bin ich dazu übergegangen, die „Nur 
Alkohol-Methode nach Sc li um bürg allein zu ver¬ 
wenden. 

Ich erlaube mir nun, in folgendem meine Erfahrungen 
über diese drei Methoden in Kürze niederzulegen. Wenn 
ich auch für die S c h 11111 bürg sehe Methode nur eine 
geringe Spanne Zeit der Erfahrung für mich habe, so ist 
diese doch so günstig ausgefallen, daß ich mich berechtigt 
halte, schon jetzt hierüber eine kleine Mitteilung zu 
machen. 

Die Fürbringe r sehe Methode setzt sich bekannt¬ 
lich aus drei Teilen zusammen, nämlich aus Waschung 
mit heißem Wasser mit Seife und Bürste, ferner aus Ver¬ 
wendung von Alkohol und nachfolgender Sublimat¬ 
wasch ung. Anfangs wandte Fürbringer nur heißes 
Wasser, Seife, Bürste und Sublimat an. Später fügte er 
die Alkoholwaschung als zweiten Akt der Waschung ein, 
indem er, anfangs die bakterizide Eigenschaft des Alko¬ 
hols leugnend, nachher demselben bei seiner Methode vor¬ 
züglich die antiseptische Aeußerung zuschrieb, jedoch 
konnte er sich nicht von der nachträglichen Sublimat- 
waschung freimachen. 

Diese Methode nun, von mir viele Jahre benutzt, bat 
vorzugsweise den Nachteil, daß sie die Hände des Opera¬ 
teurs zu sehr angreift, indem sie Risse mehr oder 
weniger intensiver Art der Haut verursacht. Diese Risse 
in der Haut werden natürlich eine Prädilektionsstelle zur 
Ansiedelung von Bakterien. 

Anderseits führt die Methode leicht Ekzembildung 
herbei. Schon mancher, der gern die chirurgische Tätig¬ 
keit ausschließlich üben wollte, hat dieses Fach verlassen 
müssen, weil er stets an hartnäckigem Ekzem der Hände 
litt, bedingt allein nur durch die Fürbringer sehe Me¬ 
thode. Derartiger Kollegen erinnere ich mich. 

Es ist ja außerdem klar, daß die ständig angewandte 
Bürste ein fortwährendes Trauma für die Haut bildet. 
Durch das lange Seifen der Haut wird dieselbe sehr auf¬ 
geweicht und leicht durch Bürsten verletzt. Dann wirkt 
auch das Sublimat leicht artifiziell-ekzematös. 

Endlich ist die Methode, wie vielerseits bewiesen, nicht 
imstande, die Haut definitiv keimfrei zu machen. Diese 
Methode verließ ich nun anfangs 1904 wegen der ihr an¬ 
haftenden Mängel. 

Ich wandte jetzt ausschließlich bis März 1908 die 
A h 1 fei d sehe Methode an, die sogenannte „Heißwasser- 
Alkohol-Methode“. Zuerst wurden die Hände 10—15 Mi¬ 
nuten gründlich mit Seife, Bürste, heißem Wasser be¬ 
handelt, alsdann der Seifenschaum in sterilem Wasser ab¬ 
gewaschen, hierauf 3—5 Minuten mit 50% Alkohol ge¬ 
waschen. Die Haut des Operationsgebietes wurde anfangs 
so behandelt, daß am Tage vor der Operation die betreffen¬ 
den Hautpartien einige Minuten gründlich abgeseift, 
rasiert, mit 1% Lysol- oder 0,1% Sublimatlösung einige 
Minuten gewaschen und hierauf ein 1% Formalinlösung- 
Umschlag gemacht wurde. 

Dieses ganze Verfahren der Desinfektion der Hände 
und des Operationsfeldes hat mich niemals befriedigt, da 
ich manchmal Eiterungen trotz peinlichster Asepsis be¬ 
obachten mußte. Diese beiden Desinfektionsmethoden von 
Fii r b r i n g e r und A b 1 f e 1 d werden nicht dauernd 
alleinherrsehend werden, da ihnen viele Mängel anhaften, 
und sie vor allem nicht geeignet sind, die Bakterien der 
Haut zu vernichten. Endlich glaube ich, daß wir durch 
Generaloberarzt Professor Dr. Scliu m b 11 r g, Straßburg, 
eine Methode kennen gelernt haben, die imstande ist, die 

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760 


Hautbakterien festzulegen oder die Kehnabgabefähigkeit 
der Haut während der Operation fast aufzulieben. 

Schon seit langer Zeit'haben die Chirurgen zu Wund¬ 
verbänden angeblich mit Erfolg Rotwein und 
„Kampferwein‘‘ benutzt. 

Später wies Koch nach, daß sowohl der absolute als 
auch der verdünnte Alkohol keine oder kaum bakterizide 
Kraft haben. Es konnte also von einer Desinfektionskraft 
des Alkohols nicht die Rede sein. 

Worin besteht denn nun die Wirkung des Alkohols? 
Zweifellos die wichtigste Eigenschaft desselben ist seine 
schrumpfende und härtende Wirkung auf die Haut, so daß 
die Keimabgabe fast aufgehoben wird. 

Professor Scliu mbürg, der Erfinder der Hände¬ 
waschung „Nur mit Alkohol“, wies bereits 1906 im Archiv 
für klinische Chirurgie nach, daß die bisherigen Desinfek¬ 
tionsmethoden bezüglich des Keimgehaltes des Desinfek¬ 
tionsfeldes versagten. Seine weiteren fleißigen Forschun¬ 
gen bestätigten, daß dem chirurgischen Seifen die „reine 
Alkoholwaschung“ vorzuziehen sei. 

K o 11 e bestätigte die Erfahrungen Schn m burgs 
vollauf, wie auch T a v e 1, daß es ein für die Hände ange¬ 
nehmes Verfahren sei, welches selbst bei langdauernden 
Operationen ein Aufweichen der Hände verhütet und ein 
äußerst keimarmes Operationsfeld liefert.- 

Auch v. He r f f - Basel berichtet „Im Kampf gegen 
das Kindbettfieber“ (Ein Mahnwort an Aerzte, Sammlung 
kl mich er Vorträge, begründet von Richardvon Volk- 
m a n n, Nr. 487, Gynäkologie Nr. 177) nur über günstige 
Resultate mit dieser „Nur Alkoholwascliung“. Er benutzt 
Vs Alkohol und Vs Azeton und hat sich durch bakteriolo¬ 
gische Versuche von der Keimarmut der Hände überzeugt. 
Alkoholazeton wirkt außerordentlich entwiekelungshem- 
mend auf Keime der Tiefe und der Oberfläche der Haut. 

Ohne Zweifel, sagt er, ist diese Art der Reinigung 
eine ganz ausgezeichnete und zuverlässige Schnelldesinfek¬ 
tion der Hände, die alles Wünschbare leistet. 

Ebenso günstig berichtet über die Schu m bürg•• 
sehe Methode Abel, Straßburg. 

Meißner, Tübingen (Beiträge zur klinischen Chi¬ 
rurgie, 58. Band, Heft 1, schreibt über die vorzüglichen 
Resultate mit der „reinen Alkoholwaschung“ an der dor¬ 
tigen königlichen chirurgischen Klinik im Vergleich zu 
den früheren Methoden nach F ü r b r i n g e r und A h 1 - 
ftld: 

Keine Schädigung der Haut wurde beobachtet. Fünf 
Minuten langes Waschen, oft wiederholt, wurde gut ver¬ 
tragen. Er meint, die Resultate der v. B r u n s sehen 
Klinik seien unter dieser Methode bessere geworden. 

Statt des von Schumb u r g zuerst empfohlenen 
96V Alkohol benutzt man am besten, weil auch am billig¬ 
sten, den 90% Brennspiritus, der stets überall leicht zui 
Hand ist. Den 96% Alkohol kann man nach erneutei 
Destillation wieder benutzen, während man den benutzten 
90% Brennspiritus noch zu Brennzwecken verwenden 
kann. 

Schu m b u r g benutzte stets als Zusatz %% Sal¬ 
petersäure oder zur besseren Härtung der Haut 1% For¬ 
mal in. Wer noch viel sicherer arbeiten will, kann, so 
schreibt er, nach der Alkoholwaschung noch seine Hände 
in 10% Wasserstoff Superoxydlösung tauchen. Dieses neue 
Verfahren ist zweifellos imstande, dauerndes Eigentum 
des Praktikers zu werden. Auch für die Hebammenpraris 
dürfte es sich sehr empfehlen. 

Für die Kriegschirurgie muß natürlich dieses höchst 
einfache und billige Verfahren von großer Bedeutung 
sein, und es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß sie sieh 
dasselbe aneignen wird. 

Ich benutze nun schon seit 8 Monaten in unserem 
Knappseha ftskrankenhau>se ausschließlich diese neue 

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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU, 


S cli u m b u r g sehe Methode der „Nur Alkoliolwaschuh^k; 
loh handelte bei Anwendung der Methode folgendermaßen': 

In der ersten Zeit setzte ich dem 96% Alkohol; der 
erst nach etwa 2 Monaten dem billigeren 90% Brenn¬ 
spiritus weichen mußte, stets %% Salpetersäure zu. Dahn 
unterließ ich jeden Zusatz, nachdem ich .eine bedeutende 
Trockenheit durch Salpetersäure empfand. ■ 

Bevor ich in den Operationssaal trete, ‘wasche ich 
meine Hände zuweilen etwa r A Minute mit warmem Wasser 
und Seife und trockene dieselben sorgfältig — notig ist es 
nicht — alsdann verwende ich Sorgfalt auf* die Nagel¬ 
reim gung (nach-von Her ff sogar überflüssig) . x 

Alsdann findet im Operationssaal selbst „Nur Alkohol- 
wasehung“ statt, die 3—5 Minuten dauern soll. Für je 
2 Personen stehen je 2 Schüsseln zur Hand, von denen die 
eine 90% Rrennspiritns ohne Zusatz mit nicht sterilisierten 
Wattebäuschen enthält, während über der leeren zweiten 
Schüssel die beiden Personen ihre Hände und Arme mit 
den getränkten Wattebäuschen waschen. So geschieht 
es im aseptischen und im septischen Operationssaal. 

Bei septischen Operationen pflege ich die Hände noch 
mit Chirosoter zu bedecken. 

Die gebrauchten Wattebäusche fallen nach genügender 
Benutzung in die zweite Schüssel, um den Brennspiritus zu 
eventuellen Brennzwecken aufzufangen. So findet aller¬ 
dings eine große Ersparnis statt. 

Sind die Hände während der Operation mit Bißt oder 
Eiter bedeckt, so tauchen wir dieselben in warmes, nicht 
sterilisiertes Wasser, spülen sorgfältig alles ah, um als¬ 
dann wieder, wenn notwendig, zur 8—5 minütlichen 
Alkoholwaschung nach vorherigem Abtrocknen der Hände 
mit „nicht sterilisiertem Handtuch“ zu schreiten. 

Wirklich ein höchst primitives Verfahren der Hände- 
wascliungT'.. h " ry/ 

Das Operationsgebiet selbst pflege ich für die zu¬ 
künftige Operation in folgender Weise zu behandeln: 

Abends vor der Operation erhält der Patient ein Voll¬ 
bad, wenn angängig. Das Operationsgebiet selbst wird 
gründlich mit Wattebäuschen abgeseift, rasiert, dann ab¬ 
getrocknet, piit 90% Brennspiritus 3 Minuten gewaschen, 
hierauf mit Alkoholumschlag bis zum Operationsmorgen 
versehen. Jedes andere Verfahren habe ich seit Monaten 
verlassen. 

. Mit diesen beiden Verfahren der Händewaschung und 
der Behandlung des Operationsgebietes habe ich nur aus¬ 
gezeichnete Resultate gehabt, so daß ich dieses Verfahren 
angelegentlichst empfehlen möchte. „Das Einfachste ist 
das Bestei“ 

Von einer bakteriologischen Prüfung des Verfahrens 
konnte ich wohl absehen. weil es bereits hinreichend von 
autoritativer Seite geschehen war. 

Bei allen aseptischen und septischen Operationen hat 
die S c h u m b u r g sehe Methode ausschließlich Verwen¬ 
dung gefunden zu meiner größten Befriedigung. 

Mit Meißner, Tübingen, sage auch ich, unsere Heil¬ 
resultate sind bessere geworden. 

Während ich hei der Ahlfeldschen Methode 
„häufig“ Eiterung der aseptischen Wunden t beobachtete, 
ist das jetzt fast kaum vorgekommen. 

Ich sage nochmals', ich sehe mit großer Befriedigung 
auf unsere jetzigen Resultate herab, auf die zahlreichen, 
glücklich verlaufenen Lapafatomien, Herzniotomien und, 
Radikaloperationen von Hernien und so weiter. Es .würde 
über den Rahmen dieses kleinen Aufsatzes hinausgehen, 
würde ich mich in Einzelheiten verlieren. Vor der An¬ 
wendung des 90% Brennspiritus werden vielleicht manche 
Kollegen odoris eaiisa zurfiekschrecken. An diesen kleinen 
liebelst and 'des unangenehmem Ger ueh ete gewöhnt - man ' 
sich bald! . < ‘ . v ^ 

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1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


761 


Zum Schlüsse möchte ich. veranlaßt durch meine 
günstigen Erfahrungen, besonders die Fachkollegen auf¬ 
fordern, das neue Verfahren zu prüfen, um es nach gründ¬ 
licher Prüfung dauernd in Besitz zu nehmen. 


Ueber eine bisher wenig beachtete Beziehung 
zwischen Fleischnahrung und Krankheit. 

Von Kreisarzt Dr. F. Bachmann, Harburg a. Elbe. 

Bekanntlich bestehen zurzeit noch große V idersprüche 
in der Bewertung der tierischen Nahrungsmittel, speziell 
des Muskelfleisches. 

ln den maßgebenden Lehrbüchern der Hygiene wird 
meist noch an der Forderung von 118 bis 130 Gramm Ei¬ 
weiß festgehalten, von welchem etwa der dritte Teil aus 
dem „leicht verdaulichen“ und „die Verdauung in hohem 
Grade anregenden,“ gebratenen Muskelfleisch gedeckt wer¬ 
den solle. Wenn auch in letzter Zeit, wohl durch An¬ 
regung der bekannten Versuche in der Yale-Universität, 
diese Forderung der täglichen Eiweißmenge etwas herab¬ 
gesetzt worden ist, so darf man hiervon noch keinen Er¬ 
folg für die Ernährung der großen Masse des Volkes er¬ 
warten, welche nach wie vor wenigstens danach streben 
wird, sich möglichst viel von der als gesündest bezeichneten 
Kraftnahrung zu beschaffen, und sei es auch mit unver¬ 
hältnismäßigem Geldaufwande. Zum mindesten ist dieses 
bei der hiesigen Bevölkerung der Fall. Solange Unsere 
maßgebenden Hygieniker, wie Prof. Rubner, lehren, daß 
es doch geratener sei, etwas mehr Eiweiß zu genießen, als 
weniger, wobei von ihm bekanntlich das Bild gebraucht 
wird, daß man eine Brücke doch lieber stärker baut als 
schwächer, und daß ein Körper jedenfalls bei Ernährung 
mit einem Eiweißminimuin viel gefährdeter sei als ohne 
ein solches („Volksemähnmgsfragen, S. 41-und 118), so¬ 
lange wird auf dem Woge der Belehrung durch Tages¬ 
zeitungen und Zeitschriften, sowie durch das Beispiel der 
Armen- und Krankenpflege stets noch eine täglich gereichte 
beträchtliche Menge von fettfreiem Rindfleisch, roh oder 
gebraten, als beste Nahrung seinen Platz behaupten. 

Demgegenüber muß aber daran erinnert werden, daß 
seit undenklichen Zeiten der Kern der hygienischen Lehren 
aller Priester, Priesterärzte und Aerzte, Religionsstifter, Phi¬ 
losophen, Gesetzgeber in der eindringlichsten Warnung vor 
dem Fleischgenuß bestand. Nie und nimmer hat man in 
alten Zeilen Fleisch als Kraftnahrung angesehen. Wie 
Robert Springer in seinem Buche „Enkarpa, Kultur¬ 
geschichte der Menschheit im Lichte der pythagoräischen 
Lehre“ (Hannover 1884) uns deutlich vor Augen führt, 
zieht sich die Lehre der Schädlichkeit des Fleischgenusses 
wie ein roter Faden durch die gesamte Menschheits¬ 
geschichte: je weniger Fleisch man genösse, um so größer 
sei der Schutz vor Krankheit, um so leistungsfähiger Körper 
und Geist, um so zufriedener, glücklicher und länger ver¬ 
liefe das menschliche Leben. Dieses ist der Grundton, 
der durch die gesamte Kuhurgeschichte geht: werden die 
hygienischen Gebote gehalten, so gedeiht das Volk, geraten 
sie in Vergessenheit, so tritt Verfall ein. Die Fleisch- 
Schlemmerei fehlt niemals unter den Symptomen der Vötker- 
Entartung, war meist sogar die erste Erscheinung, jder 
andere nur folgten. — 

Es ist. der exakten Medizin um die Mitte des vorigen 
Jahrhunderts Vorbehalten geblieben, diese uralte und be¬ 
sonders auch von der klassischen Medizin des griechischen 
und römischen Altertums gelehrte hygienische Lehre zu 
bekämpfen. Wie dieses Massen-Experiment ausgelaufen ist, 
darüber sind die heutigen Ansichten bekanntlich noch 
ebenso geteilt, wie die Anschauungen über Segen oder Un¬ 
segen der europäischen Zivilisation seit der Zeit des 
Materialismus. 


Was die Erfahrung uns lehrte, bezw. wie diese Er¬ 
fahrungen gedeutet werden können oder müssen, dieses 
will ich hier aber nicht erörtern. Wohl möchte ich aber 
einige wenig beachtete Tatsachen anführen, welche die 
neuere biologische Ernährungslehre gezeitigt hat. 

Im 15. Vortrage des 11. Bandes des Lehrbuchs der 
Physiologie von G. v. Bunge, Ausgabe von 1901, heißt 
es 'S. 234: 

„Wir haben gesehen, daß die Regeneration der Peptone zu 
Eiweiß in der Darmwand meist keine ganz vollständige ist. 
Ein Teil der Peptone geht gewöhnlich bei der Verdauung un¬ 
verändert in das Blut über. W ir müssen uns fragen: VN as 
ist das weitere Schicksal und die Bedeutung dieses Teiles? 
Wir müssen vor .allem fragen: Warum geht dieses Peptou 
nicht in den Harn über, da das künstlich ins Blut gebrachte 
doch sofort diesen Weg einschlägt? Hofmeister mußte diese 
Tatsache auffallen, denn nach seiner Berechnung war die Pep¬ 
tonmenge, welche nach subkutaner Injektion ins Blut gelangte 
und in den Harn überging, weit geringer als die Peptonmengen, 
welche im Blute verdauender Tiere gefunden werden und nicht 
in den Harn übergehen. Das vom Darm aus ins Blut gelangte 
Pepton verhält sich also anders, als das auf irgendeinem ande¬ 
ren Wege dorthin gelangte. Zur Erklärung dieser Tatsache 
nimmt Hofmeister an, daß das vom Darm aus ins Blut 
gelangte Pepton nicht im Plasma, sondern in den Lymphzellen 
enthalten sei. Die Gründe, die ihn zu dieser Annahme be¬ 
wegen, sind folgende: 1. Im Eiter befinden sich bedeutende 
Peptonmengen, und zwar sind sie dort vorherrschend oder viel¬ 
leicht sogar ausschließlich in den Eiterzellen — die ja mit 
den Lymphzellen, den farblosen Blutkörperchen oder Leuko¬ 
zyten identisch sind — enthalten. 2 . Bei der Untersuchung des 
Blutes eines verdauenden Tieres erwies sich das Serum als 
peptonfrei, während die oberste Schicht des Blutkueliens — 
welche stets die Hauptmenge der Leukozyten enthält — 0,09% 
Pepton enthielt. 3. Der prozentische Peptongehalt der Milz — 
die bekanntlich sehr reich an Leukozyten ist — wurde stets 
höher gefunden als der des Blutes vom selben Tiere-. L Das 
adenoide Gewebe, welches bei nüchternen und hungernden Tieren 
eiue mäßige Zahl Lymphzellen enthält, ist bei verdauenden 
Tieren strotzend von denselben erfüllt. 5. Die Zellen im adeno¬ 
iden Gewebe verdauender Tiere zeigen mehr Kernteilungsfiguren 
als bei nüchternen Tieren. 

Schließlich hat Hofmeisters Schüler J. Pohl gezeigt, 
daß während der Verdauung eiweißreicher Nahrung die Zahl 
der Leukozyten im Blute wächst, nicht aber während der Re¬ 
sorption von Kohlehydraten, Fetten, Salzen und M asser. Pohl 
hat ferner gezeigt, daß dieser Zuwachs von Leukozyten aus 
der Darmwand stammt. Denn die Zahl der Leukozyten war 
stets in den Darmvenen weit größer als in den entsprechen¬ 
den Darmarterien.“ 

Von der Bedeutung und Tätigkeit der weißen Blut¬ 
körperchen sagt. v. B. aber folgendes (ibidem, S. 291): 

„Ueber die Funktionen der Lymphzellen, der Leukozyten, 
ist noch wenig Sicheres bekannt; doch zweifelt niemand daran, 
daß ihnen eine wichtige Bedeutung zukommt. V ir wissen, daß 
sie durch die Kapillarwand austreteu können und die Gewebe 
durchwandern. Wir sehen sie überall in großer Zahl auf treten, 
wo schädliche Stoffe sich bilden, Fremdkörper, Gifte oder Mi¬ 
kroorganismen in die Gewebe eindringen, so bei der Entzündung 
und bei pathologischen Prozessen aller Art, die mit Gewebs¬ 
zerfall einhergehen. Es scheint, daß sie die Aufgabe haben, 
die Zerfallprodukte zu beseitigen, die schädlichen Stoffe un¬ 
schädlich zu machen. Feste Partikel, auch eingedrungene Mi¬ 
kroorganismen, sieht man sie mit ihrem Protoplasmaleibe um¬ 
schließen. Es ist wahrscheinlich, daß sie auch flüssige und 
gelöste Stoffe aufnehmen und umwandeln. Ihre Rolle bei der 
Eiweißresorption, bei der Regeneration der Peptone zu Eiweiß 
in der Darmwand und beim Transport der Peptone, welche als 
solche ins Blut, gelangen, habe ich bereits erwähnt.“ 

Es wird uns demnach wohl nichts übrig bleiben 
so wenig derartige Anschauungen von „unreiner Nahrung“ 
sowie von „Blutverunreinigung“ in unsere heutige Medizin 
passen als diese vitale Eiweißverarbeitung des Organis¬ 
mus baldigst zu adoptieren und somit die Wieder-Auf- 
nahme lange Zeit perhorresziert gewesener Anschauungen 
in unser medizinisches Denken ernstlich in Betracht zu 





762 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 51 


ziehen. Unzweifelhaft wird hier doch gelehrt., daß die 
Einverleibung von Eiweißstoffen als ein dem Organismus 
wenigstens teilweis schädlicher Vorgang anzusehen sei, da 
er ja die Schutztruppe der Leukozyten im 
hohen Grade herausforderit. Bei diesem Kampfe 
fällt aber bekanntlich stets eine große Anzahl derselben 
ihren Feinden zur Beute, und diese Leichname müssen 
von dein Organismus in möglichst unschädlicher Weise 
beseitigt werden. 

Als gangbare Wege einer solchen Beseitigung kommen 
in Betracht : 1. Verfettung, 2. vermehrte Fibrinbildung im 
Blute (Viskosität), mit ihren weiteren Stadien, nämlich 3. der 
vermehrten Tätigkeit, aller Drüsen. Schließlich als ein 
bereits ins pathologische Gebiet fallender Ausgang : 4. Ent¬ 
zündung und Eiterung sowie Exudatbildung. 

Ist ein Körper auf der Höhe seiner Abwehrleistung, 
so bedeutet für ihn die Fleischnahrung vielleicht keine 
Schädlichkeit, wenigstens bis zu einer gewissen Menge, 
die natürlich individuell verschieden ist. Sind aber Stö¬ 
rungen vorhanden, z. B. durch mangelhaften hygienischen 
Reiz von Drüsenfunktionen, so kann allerdings auch eine 
verhältnismäßig geringe Fleischmenge, besonders bei Kin¬ 
dern oder Kranken, praktisch als krankmachende Schäd¬ 
lichkeit in Frage kommen. 

Selbstverständlich ist. dieser letztere Fall vor allem 
gegeben bei Anwesenheit von eitererregenden Bakterien 
an gefährdeten Stellen, wie z. B. an den Tonsillen, im Blind¬ 
därme, Mittelohr usw., sowie bei schon vorhandenen ent¬ 
zündlichen oder mit Eiterbildung einhergehenden Prozessen, 
wo eine, übermäßige Produktion von Leichen weißer Blut¬ 
körperchen mit gleicher Notwendigkeit den krankhaften 
Prozeß nähren muß, wie zugeführtes Brennmaterial einen 
Feuerherd. 

Sollte sich dieser von mir seit langen Jahren als 
N e k r o z y te n - Theo r i e gelehrte Zusammenhang be¬ 
stätigen, so müßte notwendigerweise das neue, biologische 
Kriterium für die Bewertung unserer Nahrungsmittel lauten: 
ln welchem Grade beteiligen sich die Leukozyten, und in 
welchem Umfang entsteht Nekrozytose? Selbstverständ¬ 
lich müßte dann unsere gesamte Medizin in Pathologie, 
Therapie und Hygiene einer erneuten Kritik unterzogen 
werden, und ich zweifle nicht, daß alle ihre Lehren seit 
Virchows Zeit einer bedeutenden Veränderung anheim¬ 
fallen würden. 


REFERATE. 

Augenheilkunde. 

Referent: Professor Dr. G. AbelsdorfL Berlin. 

L Weitere Erfahrungen mit partieller Sehnenüberpflanzung 
an den Augenmuskeln. Von II u m in e 1 s li e i m. Arch. für 
Augenheilkunde, LXII, 1, S. 71. 

2. lieber den Nutzen des Neu-Tuberkulins (Bazillen¬ 
emulsion) bei der Tuberkulose des Auges. Von H. Davids, 
v. CI raefes Arch. f. Ophthalm., LXIX, 2, S. 231. 

3. Uober gefährliche Folgen der Calinetteseheu Ophthalmo¬ 
reaktion. Von Schrumpf. Münch, med. Wochenschr., 
1908, N.r 43. 

1 . Hummel shei m hat bei einer Patientin mit Abdu¬ 
zenslähmung ohne nachweisbare Aetiologie, nachdem dieselbe 
8 Monate lang innerlich und elektrisch ohne Erfolg behandelt 
worden war, die zugewandten Hälften des Kectus superior und 
inferior nahe der Insertionsleiste des Abduzens angeheftet. Durch 
die Operation wurde eine ausgiebige Abduktionsfähigkeit des ge¬ 
lähmten Auges wieder hergestellt und die störenden Doppelbilder 
beseitigt. Fünf Monate später trat aber eine Beweglichkeits¬ 
beschränkung nach oben im Sinne einer Parese des Rectus supe¬ 
rior auf. • Wegen des späten Auftretens nach der Operation 
glaubt Verf. die traumatische Genese dieser Parese der nasalen 


Hälfte des Rectus superior ausschließen zu können; er glaubt 
vielmehr, dieses Verfahren der Sehnentransplantation, das in der 
Chirurgie und Orthopädie vortreffliche Resultate erzielt, auch 
für gewisse Fälle von Augenmuskellähmung empfehlen zu 
können. 

2 . Von den drei Tuberkulinpräparaten, dem Alt-Tuberkulin 
(T. 0.), dem Neu-Tuberkulin (T. R.), und der Bazillenemulsion, 
einer Aufschwemmung pulverisierter Tuberkelbazillen in Wasser 
und Glyzerin, die von Koch 1901 bekannt gegeben wurde, wurde 
das letzte Präparat in der Göttinger Universitätsaugenklinik in 
10 Fällen erfolgreich benutzt. Bei verschiedenen Formen tuber¬ 
kulöser Keratitis hellte sich die Hornhaut auffallend auf. auch 
bei der Tuberkulose der Bindehaut ließ das Präparat nicht im 
Stich, wenngleich hier zum Abschluß des Heilverfahrens die 
Kauterisation notwendig wurde. Bei Iristuberkulose schwanden 
die Knötchen prompt. Es wurden durchschnittlich 40—50 In¬ 
jektionen gemacht und mit einer Dosis von Viooo mg Bazillen¬ 
emulsion begonnen, die in der Regel allmählich bis auf 1 mg ge¬ 
steigert wurde. Nach den Erfahrungen der Göttinger Klinik 
schützt die Bazilleneitiulsion besser als die beiden anderen Tuber- 
kulinpräparate vor Rezidiven. Bei einer Beobachtungszeit von 
1—2 Jahren trat nur in einem Falle ein Rückfall ein, in dem 
im wesentlichen 1\ R. zur Anwendung kam und nur bei den 
letzten sieben Spritzen versuchsweise die Bazillenemulsion ge¬ 
geben wurde. 

3. \\ ährend bisher nur über Schädigungen bereits kranker 
Augen nach Einträufelung von Tuberkulin in den Konjunktival- 
sack berichtet wurde, beobachtete S. in zwei Fällen nach Ein¬ 
träufelung eines Tropfens 1 proz. Alttuberkulinlösung eine sehr 
starke Reaktion mit Beteiligung der Kornea, die dauernde, das 
Sehvermögen schädigende Trübungen zurückließ. Die Gesund¬ 
heit beider Augen war vor der Einträufelung festgestellt 
worden! 


Chirurgie. 

Referenten: Prof. Dr. K. Helbingr und Dr. P. Roeder, Spezial¬ 
ärzte, Berlin. 

1 . Ueber typhöse Pyonephrose. Von Dr. Meyer und 
S c hr ei n e r , Straßburg. Mitteilungen a. d. Grenzgebieten 
d. Med. u. Chir., Bd. 19, Heft 3. 

2 . Zur ‘künstlichen Blutleere der unteren Körperhälfte 
nach Moni bürg. Von Dr. A x h a u s e n . Berlin. Deutsche med. 
Wochenschr.. 1908, Nr. 49. 

3. Uliterchlorigsaures Natron als Desinfiziens. Von 
Dr. H artu n g . Kiel. Dtsch. Aerzte-Ztg., 1908, Heft 23. 

4. Die Behandlung veralteter Knieseheibenbrüche. Von 
Dr. Wrede, Königsberg. Med. Ivlin., 1908, Nr. 47. 

5. Ueber Krebsforschung und Krebsbehandlung. Von 
Dr. T a u t z s c her, Mitau. Petersburger med. Wochenschr., 
1908, Nr. 46. 

6 . Zur Frage der Contusio abdominis gravis und der Indi¬ 
kation zur Operation. Von Prof. Lauen st ein, Hamburg. 
Prag. med. Wochenschr., 1908, Nr. 47. 

7. Zur operativen Behandlung der Lungenemphyscms. Von 
Dr. Stic h , Bonn. Dtsch. med. Wochenschr., 1908, Nr. 49. 

L Verff. beschreiben einen Fall von einer wahrscheinlich an¬ 
geborenen Hydronephrose, die ursprünglich von Bact. coli in¬ 
fiziert, gelegentlich eines Typhus abdominalis mit diesen Bazillen 
infiziert wurde. Allmählich überwucherten diese die Coli- 
bazillen, so daß nach der Operation, die acht Jahre nach der 
mutmaßlichen Typhuserkrankung erfolgte und in Entfernung 
der kranken Nieren bestand, eine Reinkultur von Typhus¬ 
bazillen aus dem Nierenbeckeninhalt gezüchtet werden konnte. 
Der sicherlich interessante und zum guten Ende geführte Fall 
bedarf aber deswegen noch besonderer Erwähnung, weil, wie 
ausdrücklich in der Arbeit vermerkt wird, Ureterenkatheteris- 
mus und Cystoskopie nicht vorgenoinmen wurden. „Da die 
Harnsekretion stets normal vor sich ging,“ so heißt, es weiter, 
„obgleich die linke Niere schon seit mehr als zehn Jahren de¬ 
generiert war, so durfte die rechte Niere als gesund und normal 
funktionierend angesehen werden.“ Ja, woher wußte man etwas 
von dem Vorhandensein einer rechten Niere? Konnte es sich 
nicht ebensogut um eine Solitärniere, eventuell mit zwei Nie¬ 
renbecken, das eine gesund, das andere krank, handeln, wie es 
bereits beobachtet worden ist. Das hätte man eventuell auch 





1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


768 


erst feststellen können nach Durchtrennung des Gefäßstieles 
und Ureters, und dann wäre es zu spät gewesen. Sei man doch 
zufrieden, daß man Mittel und Wege hat, solchen Irrtümern 
aus dem Wege zu gehen, zumal ps bei der Frau überhaupt das 
Einfachste vom Einfachsten ist. Man muß sich oft genug, da 
wo man Licht haben möchte, mit Mutmaßungen begnügen. 

2. Bei der Bedeutung, die das Thema beansprucht, und der 
noch geringeren Anzahl der Fälle, die bis auf einen von Mom- 
burg selbst stammen, ist der vom Verf. mitgeteilte Fall von 
besonderer Wichtigkeit, Es handelt sich um einen Mann mit 
tuberkulöser, fistulöser Coxitis, dem Resektion und später die 
Exartikulation in der Hüfte keine Heilung brachten; es blieben 
immer wieder Fisteln zurück, die auf eine Erkrankung des 
Beckenknochens hindeuteten. Da der Kranke sehr schwach war 
und ejnen größeren Blutverlust nicht überstanden hätte» so ent¬ 
schloß man sich zur Abschnürung der unteren Körperhäifte. 
Mit einem fingerdicken Drainschlauch wurde in der Taille — 
in Narkose — der Leib so fest umschnürt, bis der Femoralis - 
puls unterdrückt war. Nunmehr konnte man mit fast völliger 
Blutleere operieren. Um die kranken W eichteile zu entfernen, 
wurde rücksichtslos vorgegangen: Große Gefäßlumina, absolut 
leer, wurden durchschnitten, isoliert und einzeln unterbunden; 
im ganzen lag der Schlauch 45 Minuten, Keine Nachblutung. 
Keine Störung des Allgemeinbefindens. Siehe, ein eklatanter Er¬ 
folg. Aber, wie Verf. selbst sagt, ob nicht doch üble Folgen 
möglich sind, darüber kann nur die Erfahrung entscheiden. 

3. Verf. empfiehlt das unterchlorigsaure Natron als wertvolles 
Desinfiziens bei infizierten Wunden, besonders bei Pyozyaneus. 
Die Wirkung ist eine sehr intensive, da das Chlor, nur locker 
gebunden, sich leicht abspaltet. — Dieselben Erfolge erzielt 
man übrigens bei Anwendung von ^proz. Chlorkalklösung, die 
durch ihren Gehalt an unterchlorigsaurem Kalk in derselben 
Weise wirkt und ebensowenig giftig ist, wie das erstgenannte 
Mittel. 

4. Veraltete Kniescheibenbrüche mit Funktionsstörung bedür¬ 
fen der Operation. Gelingt es, beide Bruchenden durch Naht zu 
vereinigen, so ist das der idealste Zustand. Bei größerer Dia- 
stase gelingt es, nach Abmeißelung der Tuberositas tibiae diese 
samt Lig. patellae und Bruchstücke nach oben bis zum proxi¬ 
malen Bruchende zu verschieben und anzuheilen. Ist auch dies 
nicht ausreichend, so tritt die Plastik in ihre Reellte. W. be¬ 
schreibt einen solchen Fall, der dadurch geheilt w T urde, daß aus 
dem Quadrizepsmuskel ein Lappen mit Basis am oberen Bruch - 
ende herausgeschnitten, nach unten umgeschlagen und^mit. dem 
unteren Bruchende und dem Lig. Patellae durch Naht ver¬ 
einigt wurde. Nach vier Monaten konnte Patient Kniebeugen 
bis etwas unter 90° machen. 

5 . Der Vortrag, den Verf. auf dem Kurländischen Aerztetage 
hielt, gibt einen kurzen Ueberblick über das bisher Erreichte 
auf dem Gebiet der Krebsforschung. Wenn er auch nur allge¬ 
mein Bekanntes bringt, so führt er einem doch wieder vor 
Augen, daß man zwar schon viel erreicht hat, aber von der 
Lösung des Problems noch weit entfernt ist. Ausgehend von 
der pathologisch-anatomischen Grundlage des Krebses, daß er aus 
dem Epithel hervorgeht und das umgebende Gewebe verdrängt, 
berichtet er auch über die von Martin und Czerny mitge- 
teilten Fälle von Spontanheilung, die aber nur ganz ausnahms¬ 
weise beobachtet worden sind. Wichtig ist die Tatsache, daß 
man sich bis jetzt nicht von der Infektiosität des Krebses hat 
überzeugen können. T. berichtet dann weiter über die an 
Tieren mit Erfolg versuchten Uebertragungen von Tumoren, die 
uns aber, was die Entstehung anlangt, auch nicht weiter ge¬ 
bracht haben. Er geht auf die Cohnheimschc Theorie in der 
embryonalen Keimanlage ein, auf die Ribbertsche, daß das 
Karzinom nur aus histogenetischen Erscheinungen zu erklären 
sei, tut dann die bazillären Entdeckungen von A d a m k i e - 
wicz, Schul 1 e , Doyen etc. als haltlos ab und geht dann 
zur Therapie über, die ausschließlich nur in möglichst früh¬ 
zeitiger Operation bestehen kann, wenn sie Erfolg haben soll. Er 
verlangt nach Operabilitätsstatistiken, wenn man einen richtigen 
Ueberblick über die Heilerfolge bekommen will. 

8 . Darmverletzungen erst zu operieren, wenn bereits peri- 
tonitische Zeichen in Erscheinung treten, gibt eine schlechte 
Prognose. Es kommt darauf an, möglichst bald nach dem 
Trauma die Indikation zu stellen. Drei Fälle, die l—4 Stunden 
nach dem Unfall operiert wurden, sind glatt geheilt. Wenn 
man dabei selbst einmal einen Kranken operiert, der keine 
Darmzerreißung hat, so ist das ohne Bedeutung bei einwands- 
frei durchgeführter Asepsis. Im übrigen muß man sich bemühen, 


die Symptome zu erkennen, die eine Verletzung der Eingeweide 
wahrscheinlich machen. Da ist in erster Linie die Art und 
Weise des Traumas zu nennen: Einwirkung auf den mittleren 
Teil des Leibes, schwere direkte Gewalteinwirkung etc. Kann 
der Kranke sich z. B. aus der Horizontalen ohne Gebrauch der 
Arme auf richten oder gleichzeitig beide Beine von der Unter¬ 
lage erheben, so kann man eine Verletzung mit ziemlicher 
Sicherheit ausschließen. Aber jedenfalls: in dubio pro operatione. 

7. Den acht bisher in der Literatur bekannten Fällen von 
Lungenemphysem fügt St. einen weiteren hinzu, an dessen Hand, er 
die Aetiologie des Emphysems bespricht, soweit sie differential- 
diagnostisch für die Indikation zum chirurgischen Eingriff von 
Bedeutung ist, und die bisher mit dieser Operation gemachten 
Erfahrungen beleuchtet. Zur Operation geeignet sind nur die¬ 
jenigen Fälle, in denen es sich um einen primären krankhaften 
Prozeß handelt, in dessen Gefolge eine Verknöcherung und da¬ 
mit eine Starre des Thorax eintritt. Dieser Fall betrifft einen 
44jährigen Maurer, der an schwerer Dyspnoe litt, so daß er 
kaum einige Schritte zu gehen vermöchte. Sein Thorax war faß- 
förmig, und die Rippenknorpel der obersten Rippen waren ver¬ 
dickt fühlbar. Vitale Kapazität betrug 16(M). Nach erfolg¬ 
loser Behandlung auf der inneren Station wurde er operiert, 
indem die Knorpel der ersten bis sechsten Rippe zuerst auf der 
einen Seite subchondral reseziert und danach das Perichondrium 
weggenommen wurde, und neun Wochen nach der ersten Ope¬ 
ration ebenso auf der anderen Seite. Patient erholte sich sicht¬ 
lich; Atemnot und Husten sind kaum mehr bemerkbar: die 
Lungengrenzen sind in die Höhe gerückt, die Herzdämpfung ist 
größer geworden, die Lungengrenzen um 2 cm verschieblich - 
alles in allem ein bemerkenswerter Erfolg. 

Frauenkrankheiten und Geburtshilfe. 

Referent: Spezialarzt Dr. E. Solms, Charlottenburg. 

1 . Zur Aetiologie der puerperalen Wundinfektion. Von 

M a x H e n k e 1. Zeitschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie, 

1908 ,Nr. G3, Heft 1. 

2. Der Scheideninhalt Schwangerer. Von Zweite 1. 
Archiv für Gynäkologie, 1908, Nr. 86, Heft 3. 

3 . Was ergeben die bei Tieren angestelltenMischinfektions- 
versuche mit Scheiden- und Lochialsekret? Von Konräd. 
Archiv für Gynäkologie, 1908, Nr. 8(>, Heft 3. 

4. Die Therapie der Plazenta praevia. Von Henkel. 
Archiv für Gynäkologie, 1908, No. 86, Heft 3. 

1 . Zur Aetiologie der puerperalen Wundinfektion. Von 
gen als Eingangspforte der Infektion nur die Genitalien ansah, 
die, regionär, auf dem W ege der Kontaktinfektion durch die 
touchierende resp. helfende Hand der Aerzte und der Hebammen 
oder durch Autoinfektion von den der Vulvovagmalpartie oder 
deren Umgebung adhärenten Keimen infiziert werden, ist uns 
jetzt von Henkel zur Erklärung des Modus der Infektion 
auch der Weg der hämatogenen und lymphogenen Infektion 
nähergebracht worden, daß nämlich im Anschluß an eine kaum 
beobachtete Angina Bakterien ins Blut gelangen und sich in den 
puerperal wunden Genitalien etablieren, um dort eine Fieber er¬ 
zeugende echte puerperale Erkrankung hervorzurufen. I eher 
diesen wichtigen Abschnitt der Pathologie der W ochenbetts- 
erkrankungen schreibt Henkel in der sub 1 angeführten Arbeil 

Trotz des relativ kleinen Materials in Greifswald hat \ erf. 
in kurzer Zeit drei Fälle beobachtet, wo die Infektion, durch 
Sektion erwiesen, mit Sicherheit auf eine vorausgegangene An¬ 
gina zurückgeführt werden konnte. 

Nach seiner Ansicht wären dibse Fälle von anderer Seite 
als solche durch Autoinfektion gedeutet worden, um so mehr 
noch, als in zwei Fällen innerlich nicht untersucht war. Das 
Touchieren der Gebärenden bedingt nach seinen Erfahrungen 
keine so große Gefahr, als wie immer geschildert wird, denn 
eine Infektion hängt nicht allein von der Anwesenheit von 
Keimen ab, die ja normalerweise in der Scheide von Schwange¬ 
ren, Gebärenden oder Wöchnerinnen, allerdings in geschwächter 
Virulenz, Vorkommen, sondern auch von den Schutzkräften des 
Organismus. Beim Touchieren müssen nur die Finger der rite 
desinfizierten Hand bei gespreizter Vulva eingeführt werden, 
damit nicht die virulenten Hautkeime in die Scheide verschleppt 
werden. Wenn auch die Uterushöhle in den ersten Tilgen post 
partum eine große Wunde darstellt, weiter in der Scheide 


Original frorri 



764 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 51 


Keime vorhanden sind, so kommt es doch nicht zur Infektion, 
weil die abgeschwächten Scheidenkeime nicht aszendiferen. Erst 
etwa vom vierten Tage ab, im Spätwochenbett, aszendieren 
diese, die sich inzwischen infolge der Beimengung des alkali¬ 
schen Lochialsekrets reichlich vermehrt haben; dann aber ist 
eine Infektion nicht mehr gefährlich, weil sich bereits ein Gra¬ 
nulationswall im Uterus gebildet hat. Daher sind die Tempera- 
turstcigerungen im Spätwochenbett nicht so zu fürchten wie 
die im Frühwochenbett, wo noch kein ‘ Grauulationswa.il gebil¬ 
det ist. Sind mal Bakterien im Früh Wochenbett in die Gebär¬ 
mutterhohle gelangt durch intrauterine Manipulationen, durch 
aus der Zervix heraushängende Eihautreste usw. — so kommt 
es doch nur selten zur Infektion, weil einmal noch die Keime 
durch das Scheidensekret abgeschwächt sind, dann weil der Kör¬ 
per Schutzstoffe besitzt. Um eine Infektion festzustellen, beweist 
nichts die Anwesenheit von Keimen in den Genitalien, denn 
oft finden sich Mikroorganismen, Streptokokken, Staphylo¬ 
kokken, Kolib&zillen bei normal verlaufenden Fällen. Beweisend 
sind nur, auch für die Schwere der Infektion, Keime, die aus 
dem Blute gezüchtet sind, das, intravenös entnommen, auf Agar 
verimpft wird. Finden sich hämolytische Streptokokken, so ist 
die Prognose infaust, die dubiös ist, wenn nur eine geringere 
Zahl von Keimen sich entwickelt hat. 

-• Die saprophytäre Eigenschaft der Scheidenkeime resp. ihre 
verminderte Virulenz beruht nach D ö derlei n auf dem Selbst- 
reinigungsvermögen der Scheide, das zum größten Teil durch 
die saure Reaktion des Scheidensekretes bedingt ist. Nach Veit, 
hat dic*\ irulenzverminderung der Keime ihre einfache Erklärung 
in dem nicht zusagenden sauren Nährboden und in dem Ueber- 
wuchern der saprophy tischen Scheidenkeime über die patho¬ 
genen. Da bisher nur bekannt war, daß diese wichtige saure 
Reaktion durch Milchsäure hervorgerufen wird, hat Zweifel 
in der sub 2 angeführten Arbeit das Sekret bei Schwangeren che¬ 
mischuntersucht und gefunden, daß dies vermehrt ist, u. zw. ent¬ 
hält es Milchsäure in einer Konzentration von 3—5°/ 0ü . Chemisch 
und mikroskopisch ließ sich nach weisen, daß es sich um die Gä¬ 
rungsmilchsäure handelt, die von den D ö d e r 1 e i n sehen Schei¬ 
denbazillen, höchstwahrscheinlich aus dem Glykogen des Scheiden¬ 
sekrets, gebildet wird. In Konsequenz der der Milchsäure zu- 
diktierten V irksamkeit, pathogene Keime nicht aufkommen zu 
lassen, betont Zwe i f e 1 weiter, daß dieser Gehalt an Milchsäure 
verringert ist, wenn Schwangere oder Gebärende, besonders 
mit klaffender Vulva, gebadet hatten. Deshalb empfiehlt Verf. 
■in Stelle der Bäder Brausebäder und Waschungen der äußeren 
Geschlechtsteile mit sterilisierbaren Tüchern, weiter Spülungen 
mit physiologischer Kochsalzlösung, die Milchsäure zu 3 bis 5% 0 
aufgelöst enthält. Große Statistiken würden den Erfolg er¬ 
bringen. 

3. Weiter hat Konrad mit Injektionen von Scheiden- resp. 
Lochia lsekreten in der sub 3 angeführten Arbeit bei Tieren, 
die sich verschieden tierpathogen verhalten, Versuche ange¬ 
stellt, um in hakterio- und serologischer Hinsicht zu sehen, 
wie sich die mischinfizierenden Keime bei verschiedenen Tier- j 
arten verhalten, ob ein Antagonismus einzelner Keime in Er¬ 
scheinung tritt oder gar eine Virulenzsteigerung. Als Resultat i 
ergab sich die Unzulänglichkeit der Tierversuche, um dieses 
Problem zu lösen. 

4. In dem sub 4 angeführten Thema schildert Henkel die 
Mortalität der Mütter bei Placenta praevia in der Klinik auf 
li- 10%, außerhalb derselben auf 20%, die der Kinder auf 
.bei exspektativem Verhalten sogar auf 84%. Wegen dieser 
hohen Mortalitätsziffern gehören Patienten mit Placenta praevia, 
sobald als diese sich durch Blutungen — Zeichen der Wehen¬ 
tätigkeit kenntlich macht, in die Klinik; denn nur dort ist 
ärztlicher Permanenzdienst und Gelegenheit zum sofortigen 
operativen Eingreifen. Blutet es bei geschlossenem Zervikal - 
kanal, so ist die Wendung indiziert, die mit einem Finger vor¬ 
genommen werden muß, falls sich der Muttermund nicht soweit 
dilatieren läßt, daß er für zwei Finger durchgängig wird. 
Bei gleichzeitiger Rigidität der Zervix kommt an Stelle derWeu- 
dung der vaginale Kaiserschnitt in Frage, der zur Vermeidung 
protrahierter Blutungen und zur Abkürzung der Geburtsdauer, 
die eine Infektionsgefahr in sich birgt, beiträgt. Handelt es 
sich, wie zumeist, um eine Fohl- oder Frühgeburt, so ist nur 
<*in kleiner Schnitt im vorderen 1 tcrinsegment not, wenn gleich¬ 
zeitig der nachfolgende Kopf perforiert wird. Die Verwendung 
fies B ossischon I terusdilatators ist zu gefährlich, da es 
leicht dabei zu Einrissen kommt. — Henkel hat gefunden, 


daß in vielen Fällen von Abort die Ursache in einer Plazenta 
praevia zu suchen ist. Liegt eine PI. zentralis vor, so geht 
der Abort vor sich, iu den anderen Fällen, bei PL praevia 
marginalis oder lateralis läßt sich derselbe aufhalten. Damit 
werden aber die Schwangeren nur einer Katastrophe entgegen¬ 
geführt, die beseitigt ist, wenn bei Praeviaahorten nicht so 
konservativ behandelt wird. Draußen in der Praxis steht dem 
praktischen Arzt zur Stillung Von Blutungen bei PI. praevia 
mit geschlossenem Zervikalkanal die Blasensprengung, die meist 
nicht genügt, da sie oft weitere Blutungen zuläßt, und die 
Tamponade resp. Einführung eines Kolpeurynters in die Scheide 
zur Verfügung. Da es schwer ist, die Kolpeuryse richtig 
auszuführen, bleibt nur die Scheidentamponade, die nach vor¬ 
herigem Katheterismus mit Binden, die mit 2 proz. Alaunlösung 
angefeuchtet sind, am besten geschieht. Ist die Blase bereits 
gesprungen, was meist bei schon zum Teil eröffnetem Zervikal- 
kanal geschieht, so kann sich die Patientin trotz der Scheiden- 
tamponafle in die Uterushöhle hinein verbluten. Deshalb kommt 
hier nur die Wendung resp. die Metreuryse in Frage. Da ein¬ 
mal schon bei der Einführung des Metreurynters Blut ver¬ 
loren geht, weiter dann bei der oft notwendigen Wendung, so 
sieht Henkel in dem einmaligen Eingriff der Wendung allein 
die hilfebringende Operation des praktischen Arztes. Für die 
Wendung bei nur für einen Finger durchgängigem Zervikal¬ 
kanal gibt Henkel den Rat, die Blase mit einem spitzen In¬ 
strument, mit einem Blasenstecher, einer halben Kugelzange, zu 
sprengen und etwas Fruchtwasser abzulassen, weiter dann nach 
dem Verfasser einen Fuß mit einem Finger in den Zervikalkanal 
hineing-eleitet hat, die Zehen mit einer Ivornzange zu fassen 
und zum Muttermund herauszuleiten, während die äußere Hand 
die V endung vollendet. Ist das Kind bis zu den Schultern 
ausgestoßen, so ist die Extraktion anzuschließen, aber acht 
zu geben, daß bei der Entwicklung des Kopfes die Zervix 
nicht einreißt. Bei starrer Zervix inzidiert. der Verfasser die¬ 
selbe in der Mittellinie, oder wartet, während die in den Mund 
der Frucht eingeführten Finger dem Foetus Luft zuführeu. 
Kommt es in der Nachgeburtsperiode zu Blutungen aus Rissen, 
so ist nach Entfernung der Plazenta die Uterovaginaltamponade 
am Platze. Steht trotzdem nicht die Blutung, so empfiehlt 
es sich, den tamponierten Uterus zu eleviercn, stark zu ante- 
flektieren und ihn in dieser Situation durch Scheidentamponade 
und eine Binde um den Leib zu fixieren. Blutet es trotzdem 
weiter, auch ex atonia uteri, so kommt die 24stüudige Ab¬ 
klemmung beider Uterinac in Fragte, die durch zwei seitlich vom 
Uterus von der Scheide her angelegte Muzeuxklemmen erfolgt. 


Urologie. 

Referent: Spezialarzt Dr. L. Llpman-Wulf, Berlin. 

1. Cystoskopie und Ureterenkatheterismus in der Kinder - 
praxis. Von Dr. Ernst P o r t n e r , Berlin. Deutsche medi¬ 
zinische Wochenschr., 1908, Nr. 43. 

2. lieber kindliche Blasentninoren. Von Dr. Rumpel. 
Deutsche medizinische Wochenschr., 1908, Nr. 43. 

3. Zur Pathologie und Therapie der Pyelitis. Von Prof. 
Dr. Oasper. Medizinische Klinik, .1908, Nr. 40. 

4. Experimentelle Untersuchungen über den Einfluß der 
Röntgenstrahlen auf die Prostata des Hundes. Von Privat¬ 
dozenten Dr. Leopold Freu n d und Dr. Otto Sa c h s 
(Wien). Zeit sehr, für Urologie, 1908, Bd. 2, Heft 11. 

5. Zur Endoskopie der Urethra. Von Alfred Roth¬ 
schild, Berlin. Zeitsehr. für Urologie, 1908, Bd. 2, lieft 11. 

6. Ucber die Wertlosigkeit der Provokation. Von Dr. O r - 
lowski, Berlin. Zeitsehr. für Urologie, 1908, Bd. 2, Heft 11. 

7. Ein neues Operationscystoskop. Von Dr. A r t, u r 
S t r au 0 , Barmen. Zeitsehr. für Urologie, 1908, Bd. 2, Heft 11. 

8. Ein Fall von Kreuzung der Ureteren bei Nieren- 
tuberculose. Von Dr. R ober t, L ich tenstein, Wien. 
Zeitsehr. für Urologie, 1908, Bd. 2, Heft 11. 

9. lieber Cystemiiereii. Von Dr. E ugen B i r k e s . Basel. 
Folia urologica, 1908, Bd. 3, Heft 1. 

10. Ueber Prognose mul Therapie der Niereutumoren. Von 
Prof. \\ . K r ö n 1 e i n , Zürich. Folia Urologien, 1908 Bd 3. 
Heft 1. 



1008 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


765 


11. Iiitoruo ai metode tli diugnosi dellu fun/.ioiialitä renale 
»eile ucfropatie di competcn/a ohirurgiea. Per Dr. Leo- 
]i a r du Do m i u i e L Folia urologica, 1908, Bd. 3, Heft 1. 


1. Bei Kindern ist es schwer, Blasen- und Nierenleiden zu 
diagnostizieren, denn die Angaben der kleinen Patienten sind 
ganz unbestimmt und erlauben keine Schlüsse auf die genaue 
Lokalisation des Leidens. Alleinige Ausnahme bilden die Blasen- 
steine. Deshalb ist die Cystoskopie und der Ureteren-Katheteris- 
nius geboten. Sie sind jedoch nur auf die durchaus notwendigen 
Fälle zu beschränken, bei denen wir ein pathologisches l rin- 
sediment finden. Aus scheiden die Fälle mit normalem Lrinsedi- 
ment, Fälle von Hämaturie, die als Teilerscheinung einer hä¬ 
morrhagischen Diathese erkannt werden. Fälle von Pyurie, 
die durch Spülungen mit, Silbernitrat 1:1000 zur Heilung ge 
langen. Bestehen bei vierwöchiger Dauer von Pyurie 
und Hämaturie noch diagnostische Schwierigkeiten, so ist die 
Cystoskopie und der Uretorenkatheterismus vorzunehmen. Beim 
Mädchen ist die Einführung der Instrumente möglich vom ersten 
Jahre an, bei Knaben Cystoskopie vom zweiten Jahn* an, Ure- 
terenkatheterismus vom achten Jahre an. Man benutze dünne 
Instrumente: Cystoskop Charriere 12, Ureterencystoskop Char- 
riere 17. Während beim Knaben dickere Kaliber nicht einfühl 
bar sind, gehen sie zur Not durch die weibliche Harnröhre, die 
selbst bei kleinen Mädchen bis zur Stärke eines'kleinen Fingers 
dehnbar ist. Zur Vornahme der Cystoskopie ist. bei Kindern 
Narkose unbedingt erforderlich. Diese muß tief genug sein, 
um den Blasenreflex aufzuheben, der später als der Korneal- 
reflex auftritt, sonst sind störende Blutungen infolge Pressens* 
zu befürchten. Die Blase hält, zur Vornahme der Cystoskopie 
ca. 10t) ccm Flüssigkeit. An den Ureterenkatheterismus schließe 
man bei chirurgischen Nierenleiden die funktionelle Xieren- 
diagnostik. Diese vom Verfasser aufgestellten Grundsätze wer¬ 
den durch zahlreiche mitgeteilte Beispiele erhärtet. 

2. Geschwülste der Blase im Kindesalter gehören zu den 
Seltenheiten. Verf. beobachtete eine Geschwulst bei einem drei¬ 
jährigen Knaben. Dieser hatte bei bis zur Nabelhöhe reichen¬ 
der Blase ein dauerndes Harnträufeln. Die Cystoskopie ergab 
Balkenblase; der ganze Blasenhals war von einem Konglomerat 
rundlicher Tumoren eingenommen, die meisten waren anscheinend 
gestielt, von der Größe eines Kirschkernes bis zur Haselnuß, 
andere hatten mehr traubenartige Form. Neben dem linken 
Nabel fand sich ein angeborenes Divertikel. Sectio alta; die 
Geschwülste wurden mittels M u z e u x scher Zange gefaßt, nach 
Spaltung der Schleimhaut gelang ihre teils scharfe, teils stumpfe 
Auslösung. Das Bett wurde mit dem Paquelin verschorft. 
Schluß der Blase, Dauerkatheter. Bei der Rekonvaleszenz vor¬ 
übergehendes Auftreten einer Blasenfistel. Nqch drei Monaten 
bestand ungestörte Funktion der Blase. Die histologische Unter¬ 
suchung der Geschwülste ergab Myxofibrom. Dieser am Leben¬ 
den beobachtete Fall beweist, daß man es bei Blasentumoren 
im frühesten Kindesalter mit einem einheitlichen Krankheits¬ 
bild mit charakteristischen Symptomen zu tun hat. 

3. Besprechung einiger Fälle von Pyelitis, hei denen sämt¬ 
lich eine Infektion die Ursache der Erkrankung war. Die Art 
und Quelle der Infektion und der Verlauf der Krankheit waren 
jedoch verschieden. Im ersten Falje handelte cs sieh um Strepto¬ 
kokkeninfektion, die Gelegenheitsursache war das Wochenbett. 
Im zweiten Falle ging die Erkrankung von einem parametriti- 
schen Exsudat aus. Der dritte Fall war eine typische Pyelitis 
grippalis acuta; zur Zeit der Behandlung lag eine Mischiufektion 
vor, es waren viele Arten von Mikroorganismen im Harn. Im 
Fall 4 wurde die Pyelitis durch den Gonokokkus hervorge¬ 
rufen, und im fünften Falle wurde Bact. coli in Reinkultur 
aus dem Nierenharn gezüchtet. Zum Teil rief die Erkrankung 
akute fieberhafte, zum Teil chronische Zustände hervor. Dies 
erklärt sich daraus, daß der Grad der Infektiou und die Virulenz 
der Bakterien nicht immer die gleichen sind. Die Diagnose 
wurde gestellt mit Hilfe der funktionellen Nierenprüfung von 
Richter und Casper. Wenn die Symptome keinen Zweifel 
über die Diagnose lassen, wie hier bei Fall 2, kann man von 
instrumenteller Untersuchung absehen. Prognostisch ist die 
Mehrzahl aller Pyelitischen günstig quoad vitam, zweifelhaft 
quoad restitutionem. 

Die übliche Behandlungsmethode der Pyelitis besteht in 
heißen Umschlägen oder Thermophor auf die ergriffene Nieren- 
Partie, Narkotika, Chinin, Salizylsäure, Antipyrin etc., Salol 
oder Urotropin als Versuch, das Nierenbecken vom Blut aus 
zu desinfizieren, blande Diät, regelmäßige Stuhlentleerung. Dazu 
empfiehlt Casper zur Auswaschung des Beckens Trinken 


großer Flüssigkeitsmengen, 6—10 Liter täglich, und zwar ab¬ 
wechselnd dünnen Tee, Milch, Zitronen-, Himbeerliiuonade, 
Bouillon, Mineralbrunnen. Unter dieser Trinkkur besserten sich 
resp. heilten Fall 2 und 3. Führen diese Maßnahmen nicht 
zum Ziel, so versuche man Ausspülungen des Nierenbeckens 
mit Uretereukatheter mit Arg. nitr . Lösung 1 :1000 bis 1: 300. Die 
frappante Wirkung ergab sich bei Fall 4 und 5. Recidive können 
durch abermalige Spülungen beseitigt werden. Die Spülungen 
empfehlen sich nur, wenn Gonokokken, Bact. coli oder EiL*r- 
bazillen die Ursache sind. Kontraindiziert sind sie bei Pye¬ 
litis infolge von Tuberkulose, Pyelonephritis und gleichzeitig 
vorhandenem Stein. Bei Fällen mit drohenden Symptomen, 
Schüttelfrösten, Verfall des Patienten, mache man die Nephro¬ 
tomie; für den glänzenden Erfolg dieses Eingriffes bietet Fall 1 
ein Beispiel. 

4. Die Versuche wurden an drei Hunden angestellt. Die 
in Morphin-Chloroformnarkose befindlichen Tiere wurden in 
Seitenlage gebracht, der Schweif gegen den Rücken aufgeschla 
gen und dort befestigt. Dem Perineum gegenüber, in einer 
Distanz von 25 cm Antikathodenhautabstand, war mittels eines 
Stativs die Röntgenröhre befestigt, welche bis auf ein 2 cm 
im Durchmesser großes Loch zum Durchlässen des Normal- 
strahlenbündels mit Bleigummi vollständig abgedeckt war. Der 
Normalstrahl war gegen die Prostata gerichtet. Dauer der Ex¬ 
position 30—75 Minuten. Die Versuche ergaben, daß je nach 
der Dauer und Intensität der Röntgenbestrahlung in der 
Prostata, und zwar zunächst in den Drüsenepithelien der Drüsen¬ 
schläuche, des weiteren in dem angrenzenden Bindegewebe Ver¬ 
änderungen entzündlicher und degenerativer Natur auftraten. 
Je nach der Dauer der Einwirkung sind diese Veränderungen 
schwächer oder stärker ausgeprägt; es kann zur vollständigen 
Nekrose des Drüsenepithels kommen. Alle diese \ eränderungeu, 
sowohl die entzündlichen als die generativen, treten herdweise 
auf. Nach den histologischen Untersuchungen im dritten Ver¬ 
such folgt der entzündlichen Infiltration des Gewebes eine 
Schrumpfung des Organs. Allerdings lassen sich die beim Hunde 
gefundenen Resultate nicht ohne weiteres auf den Menschen 
übertragen, denn die beim Hunde zu passierenden W eich teile 
sind wesentlich dünner als beim Menschen. Ferner ist zu be¬ 
rücksichtigen, ob die pathologisch veränderte, hypertrophische 
Prostata durch Röntgenstrahlen ebenso verändert wird, als die 
normale. Es ist allerdings anzunehmen, daß das durch Vermeh¬ 
rung der drüsigen Elemente voluminöser gewordene Organ in 
ähnlicher Weise beeinflußt werden dürften. Die Beantwortung 
dieser für die Therapie der Prostatahypertrophie des Menschen 
wichtigen Frage ist jedenfalls durch diese kleine ^ ersuchsreihe 
nicht gelöst. Es sind hierzu noch weitere Studien notwendig. 

5. Verfasser vermißt an dem G o 1 d s c h m i d t scheu l reth.ro- 
skop die Wiedergabe der natürlichen Farben der Schleim¬ 
haut, zumal in der Pars anterior erscheint dieselbe in einem 
nicht ganz befriedigenden Graurot. Ferner ist die therapeutische 
Aktionsfreiheit mit dem durch die Optik abgeschlossenen Instru¬ 
ment eine begrenzte. Für die vordere Harnröhre sucht er 
diese Mängel zu beseitigen durch Verbindung der älteren Endo¬ 
skopie mit derjenigen von Goldsc h m i d t. Er hat ein \ erbin- 
dungsstück konstruiert, durch das er den Lichtträger des Endo¬ 
skops von Leiber- Kasper auf den Tubus des Endoskops 
von Goldschmidt aufsetzen kann. Ist mit dem Irrigations- 
urethroskop von Goldschmidt die vordere Harnröhre unter¬ 
sucht, so wird die in ihrer Farbe noch zu studierende Melle 
fixiert. Die Borirrigation wird geschlossen, die Optik ent¬ 
fernt. der Tubus ausgewischt. Darauf setzt \ erfasser das mit 
dem Verbindungsstück armierte Casp ersehe Endoskop auf den 
Tubus auf. Man erhält so in natürlichen Farben das Bild der 
entsprechenden Schlcimhautstelle. V ir sähen die Schleimhaut 
beiderseits sich durch die länglichen, seitlichen Fenster des 
Tubus hineindrängen ohne Zerrung und Dehnung. Daher er¬ 
scheinen die Farben natürlicher als bei dem am Ende offenen 
Tubus. Therapeutische Maßnahmen lassen sich hierbei leicht 
vornehmen. Auch das Vulentinlämpehen läßt sich durch das 
Verbindungsstück in den Tubus erbringen, doch nimmt dasselbe 
bei dem Kaliber des G o lds c h m i d tsehen Urethroskops von 
24 Charriere verhältnismäßig zu viel Platz im Lumen weg. 
Auf diese Weise sind gute, direkt sichtbare endoskopische Bilder 
zu erhalten und mit denjenigen des Irrigationsuretkroskops ohne 
Wechsel des Tubus zu vergleichen resp. letztere zu ergänzen. 

(i. Um festzustelleu, ob die Gonorrhoe bereits geheilt ist, 
pflegt man eine der üblichen provokatorischen Reizungen der 
Harnröhre vorzunehmen. Zeigen sich in dem auf diese \\ eise 


I 








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THERAPEUTISCHE EUPTbSOffiSLÜ.’ /' '" & 




*: 


jgppgglp 


.hervorgerufenen Sekret keine Gonokokken mehr, so erklärt 
man die Gonorrhoe für ahgelaufen. Verfasser zeigt durch einige 
Beispiele die Wertlosigkeit der Provokation^ da das Erscheinen 
der Gonokokken durch Auf brechen eines latenten Schlupfwin¬ 
kels nach Beizung ein rein zufälliges Ereignis ist. Von 46 Fällen 
akuter Gonorrhoe mit Bezidiv nach einer 'durchschnittlich zwei¬ 
tägigen provokatorischen Beizung erfolgte die Gonokokken- 
positivität nur in -acht Fällen sofort nachher, in sechs Fällen nach 
6—7 Tagen, in den übrigen nach 2—5 Tagen. Es ist sonach 
die Provokation in jedem Falle überflüssig, nach Ansicht des 
Verfassers sogar schädlich. Man kann sich nicht verhehlen, 
„daß eine Anzahl schwerster chemischer und mechanischer Beize 
einem zyklisch erkrankten und eben erst gesundeten Gewebe 
nicht dienlich sein kann“. Eine Beihe von Nachkatarrhen mit 
schleimig-eitriger (Sekretion sind wohl auf derartige forcierte 
provokatorische Beizungen zurückzuführen. Es soll daher zur 
Feststellung des Ablaufes der akuten Gonorrhoe an Stelle der 
Provokation ein espektatives Verhalten treten. 

7. Der vom Verfasser bereits früher konstruierte Katheter- 
löffel zur Ausschabung der männlichen Harnblase bei chroni¬ 
scher Cystitis ohne deren Eröffnung ist von der Firma Beiniger, 
Gebbert & Schall mit einem Cystoskop versehen worden. Da¬ 
durch ist seine Leistungsfähigkeit bedeutend erhöht und sein 
Indikationsgebiet erweitert. Es ist nicht nur bei schwerer 
chronischer Cystitis zur Ausschabung der Blase, sondern auch bei 
kleinen, gutartigen Tumoren und ulzerösen Prozessen zu 
verwenden. 


Patienten ist bei dieser Operation, beider der Tod auf dem Oper* ; 
rationstisch doch 5 immerhin nicht ausgeschlossen werden kann, : 
die Lumbalanästhesie nicht * empfehlenswert. v . 

Die zweckmäßigste Operationsmethode ist der retro- oder 
para-peritoneale Flankenschnitt. Das Gr ego i’r esche Radikal - 
verfahren ist zu verwerfen. 

11. Zur Feststellung einer Diagnose über die funktionellen 
Leistungen beider Nieren-verfahre man folgendermaßen: Nach 
den verschiedenen Untersuchungen im Gesamtharn Ausführung 
des Nierenkatheterismus, gesondertes Aufsammeln der Harn- 
mengen während 24 Stunden, chemische, mikroskopische und' 
kulturelle Untersuchung dieser Harnmengen, um die patho¬ 
logisch-anatomische Diagnose zu stellen. Man bestimme dann 
die Menge des Harns, das spezifische Gewicht, den Gefrier¬ 
punkt, die absolute und relative Menge an Harnstoff und 
Chlortiren; hieraus findet man die molekulare Diurese. Gleich¬ 
zeitig bestimmt man den Gefrierpunkt des Blutes und zieht 
die Formel von L. Bernard. Hierdurch findet man die 
funktionelle Fähigkeit jeder einzelnen Niere. Weniger wichtig 
sind nach den Erfahrungen des Verfassers die Phloridzinprobe, 
die Methylenblau- und Indigokarminprobe. 


Militärmedizin. 


8 . Bei einem jungen Mädchen bestand schwere, destruierende Beferent: Generaloberarzt a. D. Dr. M. Peltzep, Steglitz. 

Tuberkulose der linken Niere die stark vergrößert und schmerz- l. Selbstherzustellende Lederstreckverbände. Von Dr. 

halt durch Palpation zu fühlen war. Trotzdem sezermerte der Erle r. (Aus der chirurgisch-gynäkologischen Klinik des Stabs- 

linke Ureter normalen Urin während der rechte nicht auf- aiztes a . D. Dr. E r 1 e r zu Treptow a. B.) Deutsche militär- 

lind bar war. Dies zeigte sich auch nach suprapubischer Blasen- ärztliche Zeitschr 1908 Heft 21 

erö£fnung und Anlegung einer Blasenfistel zur Ruhigstellung ' 2 . Beitrag zur Frage der Dienstfähigkeit und Rentenhöhe 

der Blase nachdem ein Dauerkatheter nicht vertragen worden nach Blinddarmoperation. Von Stabsarzt Dr. F. Becker, 

war. in ach der Exstirpation der erkrankten linken Niere trat Mainz Ibidem 

wiederum nur aus dem linken Harnleiter Harn aus. Die rechte 3 / Ue ber d ' ie Behandlung des Furunkels mittels der Bier- 

leie wai, wie die Autopsie m vivo ergab, völlig intakt und sehen Stauungshyperämie. Von Stabsarzt Dr. F i 1 b t y, Allen- 

.konnte nur die (Jiielle der Harnsekretion sein. Daraus ergabt stein Ibidem 

sich als Schlußfolgerung daß der Harnleiter der rechten Niere 4. Die Behandlung des eingewachsenen Nagels mit Eisen- 

in dm linke Blasenhalfte mundete, die abgeschlossene linke c hl 0 rid. Von Stabsarzt Dr- Lehmann, 11/147, komm. z. städt. 

Niere und deren wahrscheinlich obhterlörter' Ureter m die Krankenhause, Frankfurt a. M. Ibidem. 

rechte Blasenhalite, deren Schleimhaut stark entzündet war. l. So groß die Vorteile sind, welche die abnehmbaren Ver- 

Ls bestand also eine komplette Kreuzung der Ureteren. Nur bände vor den zirkulär unverrückbar geschlossenen haben, so 

durch die Freilegung beider Nieren war es m diesem Falle steht ihnen der Nachteil gegenüber, daß Aenderungen in der Ex¬ 
gelungen, die Krankheitsverhältnisse richtig zu erkennen, den tensionsstellung, genügendes Nachpassen an größere Schwankun¬ 
tuberkulosen Herd zu eliminieren und der Patientin das Leben gen im Umfange der verletzten Gliedmaßen und die Kontrolle 

zu retten. Die Methoden der funktionellen Nierendiagnostik der Bruchstelle,bei ihnen schwer möglich ist. Die bisher ver- 

ießen weg-en der Kreuzung der Lreteren hier im Stich. wendeten Hülsen Schienenapparate aus Zelluloid, geleimter Zellu- 

J. Ls besteht zwischen Cystennieren und Nierencysten kein i 0S e, orthopädischem Waschleder, sind kunstvolle, für den Ein- 

l'nterschied. Es gibt keine gemeinsame Erklärung, die im- zelfall gearbeitete Modellapparate, die Bardenheuer sehen 

stände ist, alle Fälle auf eine gemeinsame Aetiologie zufückzu- portativen Federextensionsapparate sind für allgemeine Anwen- 
iiihren. Nach unseren heutigen Kenntnissen kann die Cysten- düng nicht einfach und handlich genug und bieten Schwierig- 

mere nui gering therapeutisch beeinflußt werden. Radikale Ope- keiten für Reparatur und Transport. Dasselbe gilt für den in 

lakonen nützen in der Mehrzahl der Fälle gar nichts, ver- drei Größen vorrätig zu haltenden H e s sJ n g sehen Kriegs- 

schlimmern im Gegenteil die Erkrankung. Operationen sind apparat. Die von E r 1 e r in seiner Klinik erprobten, von K a h- 

mdiziert bei bestehender Hämaturie, heftigem Schmerz, Span- n e m a n n, Berlin, in seinem. Prospekt aufgenommenen, a. a. 0. 

nungs- und Druckgefühl, Eiterung. Jedoch soll man von der unter Beifügung zahlreicher Abbildungen beschriebenen Chrom- 

Nephrektomie abstehen und mit der Inzision und Abtragung lederstreckverbände sollen alle diese Nachteile vermeiden und ge- 

der oberflächlichen Cysten auskommen, eventuell kann der Sek- wissermaßen ein zukünftiges Normalverfahren sowohl für den 

tionsschnitt, wenn die Cysten mehr nach dem Kelche zu gelegen Praktiker als auch für das Feld darstellen. Näheres siehe im 

sind, gemacht werden. Die funktionelle Nierenprüfung ist, Original. 

wenn irgend möglich, zur Indikationsstellung auszuführen. Be- 2. Bei Behandlung der Appendicitis ist für die Armee die 

sonders ist auf die Narkose zu achten. ^ Frage wichtig, ob mehr Operierte oder mehr Nichtoperierte 

10. Krönlein hat von 1885 1908 25 Fälle von Nieren- dienstfähig bleiben, wobei natürlich auch die Frage der Dienst- - 

tumoren operiert. Außer einem Fall von Nierenechinokokkus, beschädigung eine große Bolle spielt. Einen wichtigen Beitrag 

bei dem durch breite, extraperitoneale Eröffnung des Sacks zur Beurteilung dieser Frage liefert die von Stabsarzt Becker 

Heilung erzielt wurde, wurde bei allen die Nephrektomie ge- beigebrachte und verarbeitete Statistik. Wir verweisen bei dieser 

macht. Die Operationsmortalität betrug 8% bei etwa 25 Fällen, Gelegenheit auf das Referat über die von Stabsarzt Braunbe- 

boi 22 malignen Tumoren 9°/o. Es war unmöglich, bei den schriebene, in der Jenaer Klinik geübte Narbenkorrektur, 

malignen Tumoren vor der Operation zu entscheiden, oh es sich 3. In Allenstein wurden im Berichtsjahr 1906/07 sämtliche 

um Karzinom, Sarkom oder Hypernephrom handelte. Es können Furunkel in jedem Stadium mit der von Klapp in der Münch, 
bei polycystischen Nierentumoren Fälle Vorkommen, bei denen med. Wochenschr., 190h, Nr. 16, beschriebenen Saughyperämie 

die Unterlassung der Operation eine Unterlassungssünde ist. behandelt, kein einziger wurde- inzidiert. ‘ Die Erfolge waren 

Verfasser beobachtete eine Dauerheilung von 10 Jahren. Die überraschend gut, die„ Behandlungsdauer wurde abgekürzt, Nar- 

Prognose der Nierentumoren ist eine ungünstige, Rezidive sind ben blieben aus. Gesichtsfurunkel bilden eine Ausnahme, 

die Regel. Doch sind Dauerheilungen beobachtet worden, so 4. Nach der von Prof. Rehn angegebenen und in seiner 

bei einer vor 23 Jahren an Nierenkarzinom operierten Frau. Klinik seit 15 Jahren geübten Methode wird mit einem Watte- 

Die zweckmäßigste Narkose ist die Aethernarkose. Wegen der Stäbchen unverdünntes Eisenchlorid tief und gründlich sowohl 

seelischen Marter des bei vollem Bewußtsein zu operierenden auf äen eingewachsenen Nagel selbst als auch auf den umgeben- 


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Original fro-m 

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1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


767 


oen entzündlichen Wall aufgetupft. Die Methode soll niemals 
versagen, richtig angewendet (weites Schuhwerk!), nie länger 
als 14 Tage dauern und meist ambulant möglich sein. 


Biologische Therapie. 

Referent: Dr. W". Esch, Bendorf a. Rh. 

1. „Akne.“ Von Prof. Dr. Unna, Hamburg. Med. Klinik, 
1908, Nr. 46. 

2. lieber autotoxische und alimentäre Dermatosen. \ on 
Dr. Ullmann, Wien. Vgl. Ref. „Tber. Mon“, 1907, Nr. 9. 

3. Zur Lehre vom Ekzem. Von Prof. v. Düring. Münch, 
med. WocheDSchr., 1907, Nr. 36. 

4. Ueber gastrointestinal entstandene Anämie. Sammel¬ 
referat. Von Dr. Samuely. Med. Klinik, 1907, Nr. 27.^ 

5. Zur enterogenen Entstehung schwerer Anämien. Von 
Prof. Dr. Grawitz. Berl. klin. Wochenscfir., 1901, Nr. 24. 

In Nr. 37 der Th. R. wurden einige Arbeiten referiert, 
die den Zusammenhang von Organleiden mit 
allgemeinkörperlichen Störungen, Stoffwechsel¬ 
anomalien, Autointoxikationsvorgängen behandelten. Nachdem 
nun neuerdings wieder Unna sich (in seiner bis auf diesen 
Punkt praktisch sehr wertvollen Arbeit) ausdrücklich auf den 
exakten anatomisch - lokalistischen Standpunkt gestellt 
hat (s. u.), sollen im Anschluß an seine Ausführungen noch 
einige biologisch denkende Aerzte zu Wort kommen. 

1. Unna betont zunächst, daß zwischen Akne juvenilis und 
rosacea scharf unterschieden werden müsse. Erstere sei eine 
Affektion der Pubertät und schon in den mittelschweren Fällen 
durchaus nicht so harmlos, wie sie vielfach noch angesehen werde, 
weil sie oft enorme Hautveränderungen verursache. „Von den 
Follikeln aus kann sich eine toxische Wirkung weithin in die 
Lederhaut, ausbreiten, die die tiefen Anhänge der Oberhaut zer¬ 
stört, die Lederhaut dagegen zu einer progressiven Granulations¬ 
wucherung anregt. Es handelt sich mithin um einen infektiösen 
Keim, der in der Oberhaut seinen Sitz hat; die pathologische 
Veränderung kommt von außen, die Akne ist mithin 
keine auf dem Blutwege entstehende und sich 
von hier aus, von innen her. in der Haut aus¬ 
breitende Krankheit» wie der populäre Glaube so gern 
annimmt.“ — 

(Demgegenüber sagt Je ansei me [vgl. Th. R., S. 552]: 
„Die Akne ist das Resultat von Funktionsstörungen der Talg¬ 
drüsen und von den sie begleitenden Entzündungsvorgängen. 
Diese Erscheinungen sind aber durchaus nicht als ein rein lokales 
Leiden aufzufassen, was manche Aerzte immer noch glauben, 
sondern sie stehen mit sexualen, gastrointestinalen 
und allgemeinen Stoffwechselstörungen im 
Zusammenhang, während Parasiten bei ihnen nur eine sekundäre 
Rolle spielen.“) 

Unna verschließt sich anscheinend gegen die heute fastallge¬ 
mein anerkannte Tatsache, daß die Mikrobien, um überhaupt „pa¬ 
thogen“ wirken zu können, einen Körper vorfinden müssen, der, 
statt,,im Rahmen des Physiologischen“, nur unter den vonU. so an¬ 
schaulich geschilderten abnormen Erscheinungen auf sie reagie¬ 
ren kann, d. h. also einen Organismus, der an Widerstandskraft 
eingebüßt hat, der Disposition für krankhafte Reaktionen 
besitzt. Die entsprechende Konstitutionsanomalie kommt aber 
allerdings „auf dem Blutwege“ zustande. Warum die Akne¬ 
disposition gerade in der Pubertätszeit besonders häufig vor¬ 
kommt, das bedarf noch der näheren Erforschung (erhöhte 
Drüsentätigkeit 0; jedenfalls wird ein junges Men¬ 
schenkind mit „gute m“, normal zirkulieren¬ 
dem Blut keine Akne bekommen.) 

U. betont dann des weiteren, daß die Mitesser, das patlio- 
gnomonische Zeichen für die Akne juvenilis, hornige, durch 
Hyperkeratose entstandene und durch „Hornfarbe“ gelb bis 
schwarz verfärbte Hohlkörper seien, die Talg enthalten kön¬ 
nen und u. a. einen weiße ,Kulturen bildenden Kokkus, be¬ 
herbergen, den er als „Erreger“ der (stets nur e n d o folli¬ 
kulären) Akne anspricht. 

Bei der Behandlung müsse die punktuelle, vom Arzt auszu¬ 
übende Komedonenquetschung etc. mit einer flächenhaften Horn¬ 
schichtverdünnung und Follikeleröffnung Hand in Hand gehen. 


Das letztere wird erreicht durch, von den Patienten vorzuneh¬ 
mende abendliche Einreibungen mit Pulv. cutifricius. 

Marmor pulveris. grossi 

Sapon. medic. pulv. ää, ev. mit 10% Schwefel 

und Waschungen mit Natronsuperoxydseife 

(M i e 1 c k , Hamburg); außerdem müssen Deckpasten be¬ 
nutzt werden, besonders bei entzündlichen Erscheinungen, z. B. 
Lycopodii cuticolor. (eosinat.) - - • 5,0 

Sulfur, praecip.2,0 

Euccerini . a( l 20,0 

Mf. Past. sulf. cuticolor c. lycopod., eventl. mit Zusatz von 
Zinkoxyd, bei leichteren Fällen genügt ein 10 proz. Sulfur-Ly- 
copodiumpuder, während in ganz schweren Fällen, die nachts 
Bedeckung mit Hg-Karbolguttaplast erfordern, tagsüber in der 
Raste statt Sulfur Hg. praee. alb. genommen wird. 

Von innerlichen Mitteln nennt U. Schwefel, Arsenik. Hefe. 
Die verschiedenen Strahlenarten haben bisher wenig Erfolg. Die 
bei A. rosacea angewandten Schälkuren sind bei der juvenilis 
konti aindiziert, ebenso die Teerpräparate. Der diätetischen Be¬ 
handlung steht U. skeptisch gegenüber, Maßnahmen zur Blut- 
und Zirkulationsverbesserung übergeht er, seiner oben erwähnten 
Anschauung entsprechend, völlig. 

2. Die ätiologisch-prophylaktische Richtung unserer Zeit, 
so führt Ullmann aus, hat den Begriff der Autointoxikation, 
der auf allen Gebieten der praktischen Medizin seit uralten 
Zeiten vorhanden ist, wieder modern gemacht. Speziell in der 
Dermatologie hat die neuerdings wieder mehr gewürdigte alte 
Erfahrungstatsache, daß bei vielen Hautaffektionen die gesamte 
äußere Medikation völlig wirkungslos bleibt, während eine 
Aenderung der Ernährung s- und Lebensweise 
oft von sofortigem Erfolge gekrönt wird, in Verbindung mit der 
Erkenntnis der relativen Wertlosigkeit der morphologischen 
Diagnose für das Verständnis der Krankheit und für die einzu¬ 
schlagende Behandlung es allmählich dahin gebracht, die 
Hebra sehe Richtung zu einer Revision ihrer Anschauung zu 
veranlassen. Sie mußte nämlich immer mehr einsehen, daß nicht 
alle pathologischen Erscheinungen an der Haut nur äußeren 
Reizen allein ihren Ursprung verdanken, wie Hebra 
meinte, sondern daß es eine große Zahl von Dermatosen gibt, 
die teils ohne jede äußere Ursache entstehen .teils aber erst dann 
zum Ausbruch gelangen, wenn bestimmte äußere Irritationen mit 
inneren Ursachen kombiniert einwirken. 

Der Einblick in die Aetiologie derartiger Dermatosen ist 
nun aber schwierig, weil liier zahlreiche ursächliche Momente 
verschiedenster Art. zusammenlaufen. Krankhafte hereditäre 
Anlage bewirkt in Verbindung mit der Summe aller im Lauf 
des Lebens einwirkenden Schädlichkeiten das,, was wir Dispo¬ 
sition nennen. Hierzu treten nun die Noxen, die teils direkt von 
außen, teils indirekt im Wege des Stoffwechsels die Haut reizen, 
in ihrer Ernährung stören, sie zur Ansiedelung ubiquitärer 
Keime prädisponieren und so zur auslösenden I rsache für 
die betreffende Dermatose werden. 

Diese Kompliziertheit der ursächlichen Faktoren macht es 
begreiflich, daß gerade exakte Forscher sich nicht gern in so 
weitsehichtige Fragen einlassen und den Weg zur Entwirrung 
doch eher mittels des Mikroskops etc. zu finden hoffen, was Kli¬ 
ma n n , ähnlich wie v. Düring, besonders im Hinblick auf 
Unna und J adassohn bedauert. 

Ueber manche dieser Schwierigkeiten scheint nun der von 
Senator in die Medizin wieder neu eingeführte Begriff der 
Autointoxikation hinweghelfen zu können, und deshalb bemühen 
sich manche Schulen, die französische mit B r o c q an der Spitze, 
die Dermatologie nach diesem Gesichtspunkt umzuformen. 

Nachdem man schon früher die bei den altbekannten Stoff¬ 
wechselanomalien: Diabetes, Urämie, Cholämie etc. auftretenden 
Hautaffektionen auf die betreffenden, im Blute kreisenden toxi¬ 
schen Substanzen zurückgeführt hatte, wurde der Begriff der 
Autointoxikation ursprünglich als Ausdruck für die Resorptions¬ 
erscheinungen bei krankhaften Darmgärungen angewandt, von 
Bouchard aber auf die Resorption aller, innerhalb der 
Körperökonomie auitretenden Verbrauchsstoffe ausgedehnt, dann 
auch auf die Resorption von Produkten verschiedenartiger in¬ 
fektiöser Prozesse in- und außerhalb des Darmtrakts, die aber 
doch nicht den Charakter einer ektogenen Infektion besitzen, 
erweitert. In den letzten Jahren endlich wurden ganz besonders 
noch jene Stoffwechselanomalien mit einbezogen, die durch 
Störungen in der sog. inneren Sekretion Zustandekommen. 

Die konkreten Tatsachen, die diesem weitgefaßten Begriff 
der Autointoxikation zugrunde liegen, sind aber leider noch 


Original from 

SfTYOF- MICHIGAN 





768 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 56 


wenig zahlreich, und die Forschung hat auf diesem Gebiete noch 
manches zu klären. Sie muß zunächst die schädlichen Stoffe 
selbst, dann den Ort ihrer Entstellung, das Material für ihre 
Bildung kennen lernen. 

Die unbestritten wichtigste, weil häutigste Quelle liegt wohl 
im Verdauungsprozeß, in den aus den Nahrungsstoffen entstehen¬ 
den Toxinen. Ü 1 1 m a n n möchte aber auf Grund seiner Be¬ 
obachtungen weniger die Produkte der gesteigerten Darmfüulnis 
(aromatische Körper, Iudoxyl-Skatoxyl. Oxysäuren, Diamine) 
anschuldigen, die zuerst 8 i n ger und F r e u n d bei gewissen 
Dermatosen im Harn nachgewiesjen haben; vielmehr führt er 
die bei manchen Personen bestehende Neigung zu spontanen 
akuten und chronischen Ekzemen, Urticaria, Pruritus etc. auf 
eine Intoxikation durch verringerte Oxydations¬ 
vorgänge im intermediären Stoff w eclise 1 
zurück. 

Zum Schluß spricht U 11 m a n n den Wunsch aus, es möge 
eine spezielle Enquete von Forschern der verschiedensten Diszi¬ 
plinen und Richtungen das bisher über die Autointoxikation 
Erforschte zusammen fassen und kritisch verwerten. 

3. v. D ii r i n g gibt zunächst einen kurzen TTeberblick über 
die Geschichte der Bezeichnung „Ekzem“, wobei er ebenso wie 
U 1 1 m a n n II e b r a s rein lokalistisehe Stellungnahme beklagt. 
Er selbst bekennt sich zur Klasse derjenigen Autoren, die am 
Bläschen als unabänderlichem kardinalen Ekzemsymptom fest- 
lialten, dafür aber das Ekzem als Krankheitseinheit, als Krank¬ 
heit sui gejieris überhaupt fallen lassen. Er bestreitet, daß es 
eine einheitliche Ekzemursache gebe und kann sich auch durch 
U ii n a nicht von der parasitären Natur des Ekzems überzeugen 
lassen. „Ekzematisation“ kann als Folge aller möglichen Reize 
bei jedem Menschen auf treten, sie verschwindet aber 
normaliter spontan mit dem A u f höre n de r 
U rsache, zu einer Krankheit sui generis, autonom wird sie 
erst dann, wenn sie bei Prädisponierten in zyklischer 
Weise in Erscheinung tritt. Auch hier entsteht sie nie spontan. 
Ist aber einmal ein Individuum „Ekzematiker“, so ist der aus¬ 
lösende Reiz zur Ekzematisation nicht immer sicht- und nach¬ 
weisbar. Die Prädisposition zum Ekzem kann angeboren und 
erworben, die auslösenden Reize können alle möglichen chemi¬ 
schen, physikalischen, traumatischen, toxischen, auto.toxi- 
sehen seih. 

Deshalb habe die Therapie ihr Augenmerk nicht allein tauf 
die ekzematisierte Haut fläche zu richten, wie Unna will, viel¬ 
mehr sei die ganze Lebensweise der Kranken, Beschäftigung, 
Wohnung. Kleidung, Toilettegewohnheiten, Essen, Trinken, Ver¬ 
dauung zu berücksichtigen. Wenn es auch bei dem Stande ,j.m- 
sercr biochemischen Kenntnisse oft nicht gelinge, eine Ursache 
zu finden, so werden in vielen Fällen doch zweckentsprechende 
Vorschriften in Verbindung mit einer unterstützenden äußeren 
Behandlung Heilung bringen. Wie sehr U n n a im Unrecht sei, 
gehe u. a. auch daraus hervor, daß letztere vielfach auch ohne 
Lokaltheiapie, einfach durch einen Wechsel des Orts, der Er¬ 
nährung etc. zustande kommt (s. o. U 11 m a n n). 

\\ as den alimentären Faktor in der Ekzemätiologie 
betrifft, so erklärt v. I). es für unzulässig, aus gewissen laien¬ 
haften Verallgemeinerungen den Schluß zu ziehen, daß alle ein¬ 
schlägigen, von nüchtern denkenden Aerzten berichteten Beob¬ 
achtungen falsch seien. Unsere Kenntnisse der physiologischen 
und pathologischen Biochemie sind noch so mangelhaft, daß wir 
uns bescheiden müssen, ätiologische Beziehungen auch dann gel¬ 
ten zu lassen, wenn uns die Erklärung in allen Einzelheiten un¬ 
möglich ist. Und wenn Unna von einer, quasi unabhängig 
vom Organismus (!) bestehenden „lympho-, akantho- und kera- 
tophilen Haut“ spricht, so erscheinen die Bezeichnungen skro¬ 
fulöse, seborrhoische, neurotische etc. Konstitution mindestens 
ebenso wertvoll. Zum Schluß geht Verf. noch kurz auf die hoch¬ 
interessanten Wechselbeziehungen zwischen Erkrankungen der 
Haut und denjenigen innerer Organe ein (die ja neuerdings be¬ 
sonders von C z e r n y , F i n k e 1 s t e i n , F eer bearbeitet 
worden sind: Ekzemtod, exsudative Diathese etc. Ref.) 

4. Von der Erwägung geleitet, daß die anatomische 
Blutuntersuchung uns in der Erforschung von Ursache und 
Wesen der Anämie nicht weiterbringt, haben bereits einige 
Forscher sich von den morphologischen zu den biochemischen 
Studien gewandt und als Ursache einer Anzahl von Anämien 
t o x i s c h e, hämolytisch wirkende Schädlichkeiten verantwort¬ 
lich gemacht, so z. B. Hunter, Harker, Stengel, G. A. 
E w a 1 d. 


Gewisse, durch die Beherbergung von Darmparasiten er¬ 
zeugte Anämien führten sodann die Autoren Isaak, van 
d e n V e 1 d e ii , T a 1 1 q v i s t zu Untersuchungen über gastro¬ 
intestinale hämolysierende Toxine als Ursache: idiopathischer 
Anämien, ln der Tat gelang es, aus der Körpersubstanz von 
Bothriocephalus u. a. einen lipoidartigen Körper zu isolieren, der, 
per os oder subkutan einverleibt, stark hämolytisch wirkt. Die 
dadurch erzeugte experimentelle Anämie unterschied sich in 
keiner Hinsicht von den schweren chronischen Anämien der 
Menschen. Da nun. T a 1 1 q v i s t ebenso wirkende lipoide 
Stoffe auch aus einzelnen Teilen des menschlichen Darmtraktus 
gewinnen konnte und dieselben in den entsprechenden Organen 
Anämischer in vermehrtem Grade vorhanden waren, so erscheint 
sein Schluß berechtigt: 

Die Aetiologie einer Anzahl von Anämien liegt in einer pri¬ 
mären, im Darm erfolgenden krankhaften Bildung und Aus¬ 
schwemmung hämolytischer Lipoidstoffe. 

So sind ja auch Digestionsstörungen in mehr oder weniger 
hohem Grade nicht selten Vorboten und später regelmäßige Be¬ 
gleiter der Anämie. 

5. Eine Stütze findet Tallqvists Anschauung u. a. in 
der Arbeit von G r a w i t z. G. suchte die infolge fehlerhaften 
Abbaus des Eiweißmoleküls (und dadurch ermöglichter Wuche¬ 
rung saprophytischer und pathogner Mikroorganismen) im Ver¬ 
dauungstrakt entstandenen Toxime, die von dort zur Resorption 
gelangen und bei disponierten Individuen als Blutgift wirken, 
durch geeignete, vorwiegend vegetabile Kost, Magendarmspülun¬ 
gen etc. zu beseitigen und erzielte auf diese Weise gute Erfolge. 
— Aehnliches berichtet soeben N icolaysen (Norsk. Mag. f. 
Laegevid-, Nr. 10 [Ref.]). 


Mitteilungen über Arzneimittel. 

Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

1. Ueber Aperitol, ein neues Abführmittel. Pharm. Zentral- 
zeitung, 190.8, Nr. 45. 

2. Regeiierin. Pliarm az. Ztg., 1908, Nr. 88. 

3. Ucber ein neues Santolpräpurat, das „ThyresoV. Von 
Dr. Born e in a n n. Med. Klinik, 1908, Nr. 48. 

1. Von der Aktiengesellschaft J. D. Riedel in Berlin wird 
ein neues Abführmittel, namens Aperitol, in den Handel ge¬ 
bracht, das ein weißes, kristallinisches Pulver und ein Gemisch 
gleicher Teile von Isovaleriansäureester und von Essigsäureester 
des Phenolphthalein darstellt. Es ist geschmack- und geruchlos 
und in Wasser Unlöslich. Bei dem Aperitol gelangt neben der 
bekannten abführenden Wirkung des Phenolphthaleins die 
beruhigende der Baldriansäuregruppe im Dickdarm zur Wir¬ 
kung, die eine milde und schmerzlose ist. Die Dosis von 0,4 g 
bewirkt nach zwölf Stunden eine einmalige reichliche Darm¬ 
entleerung, die einer normalen entspricht. Da keine Gewöhnung 
an das Mittel eintreten soll, kann es längere Zeit hindurch 
gegeben werden. Die Firma bringt Aperitol in Gestalt von 
Bonbons in den Handel, die je 0,2 g enthalten. Mali gibt zwei 
Bonbons und kann bei zu schwacher Wirkung oder bei Bett¬ 
lägerigen bis drei oder vier Bonbons steigen. 

2. Rege ne rin (flüssig) ist nach der „Pharmaz. 
Ztg.“, 1908, Nr. 88, ein Ovo-Lezithin-Mangan-Eisen-Präparat. 
eine klare, rötlich-braune Flüssigkeit von aromatischem 
Geschmack. Davon erhalten Kinder dreimal täglich einen 
Kaffeelöffel, Erwachsene einen Eßlöffel kurz vor oder während 
der Mahlzeit. Die Tabletten- und Pulverform besteht aus je 
14°o Natriumglycerinophosphat und Eisenlaktat und 72°,<> 
L e u b e schem Magenpulver. Dieses wurde zwecks Anregung und 
Förderung der Verdauung statt der Arottiatika der flüssigen 
Form hinzugesetzt. Man gibt dreimal täglich 1—2 Messerspitzen 
voll bezw. 1—2 Tabletten mit den Mahlzeiten. 

3. Ueber das neue Santalolpräparat Thyresol berichtet Dr. 
B o r n e m a n n. Er hat es 9 Monate hindurch augewendet, und 
äußert, sich über die guten Eigenschaften äußerst befriedigt. 
Denn das Thyresol weise nicht die Mängel der sonst üblichen 
Balsamika, nämlich Belästigung des Magens, der Nieren und 
der Blase, auf; dies beruht wohl zum Teil darauf, daß das Thy¬ 
resol eine ätherartige Verbindung des Santalols ist und nicht eine 
ersterartige, wie bei anderen Balsamicis. Die esterartige wird 





1908 


THERAPEUTISCHE RÜNDSCÖAÜ. 


im 


aber durch Spaltung im Organisnfus wieder in Santalol zerlegt, 
und dieses reizt. Das Thyresol erscheint als gepaarte Glykuron- 
saure im Ilarn. Da es ferner keine freie Hydroxylgruppe ent¬ 
hält, reizt es den Magen in keiner Weise und kann Monate hin¬ 
durch gegeben werden, ohne Aufstoßen oder Appetitlosigkeit zu 
erzeugen. Hei allen Krankheiten, die häufiges und schmerzhaftes 
Urinieren hervorrufen, also besonders bei akuter Gonorrhoe, 
eignet sich das Mittel vorzüglich, da es den l rindrang mildert 
lind die Schmerzen wesentlich herabsetzt. Eine gonokokken- 
tötende Eigenschaft kommt dem Thyresol nicht zu. Nur bei 
empfindlichen Patienten hat B. eine leichte Nierenreizung be¬ 
merkt, die nach Aussetzen des Präparates sofort verschwand. Die 
Thyresoltablette stellt nach B. eine glückliche Kombination mit 
einem mild wirkenden Abführmittel dar; denn sie enthält 
Magnesia earbonica. B. gab 3—4 mal täglich 2 Stück. Die In¬ 
dikation, ol) Tablette oder Gelatineperle, wird sich also nach 
einer etwa vorhandenen Obstipation richten. 


Neuerscliieuewe Arzneimittel. 

Referent: Dr. W. Krüger. Magdeburg. 

Allosan. 

(Allophansaureester des Santalol.) 

Formel: NH 2 . CO . NH . CO . OCir, H 23 . 

Ei gen sc haften: Allosan ist ein weißes Pulver von an¬ 
genehm mildem, aromatischem Geruch, völlig geschmacklos und 
durchaus luftbeständig. Es ist eine Veresterung des Santalols 
durch Allophansäure, einer Säure, die im Jahre 1849 von 
L i e b 1 g und Wähler entdeckt und gewissermaßen durch 
O verlac h wieder entdeckt, d. h. der Vergessenheit entrissen 
wurde (Berl. klin. Wochenschr.. 1908, Nr. 30). Die Bedeutung 
der Allophansäure besteht nach den experimentellen physiologi¬ 
schen Versuchen Overlaehs darin, daß schlecht schmeckende, 
schlecht riechende, stark ätzende Körper durch Veresterung mit 
ihr in feste, geschmack- und geruchlose resp. reizlose verwandelt 
werden können. Die Allophansäure zerfällt, nach den Beobach¬ 
tungen ihrer Entdecker, im Organismus in Kohlensäure und 
Harnstoff. 

Pharmakologisches: Das Allosan ist völlig reizlos 
gegenüber der Mundhöhle, Magendarmkanal und Nieren und 
wird ohne jede Reaktion vom Darm abgespalten. Es fehlen ihm 
also der unangenehme, kratzende Geschmack und die reizende 
Wirkung des Santalols. Die beiden Komponenten (Kohlensäure 
und Harnstoff), die im Körper vom Santalol als Bestandteile der 
Allophansäure abgespalten werden, sind ohne jede medizinische 
Wirkung. Nach ca. IV 2 —2 Stunden erfolgt die Ausscheidung 
des Santalol im Urin. 

Indikation e n: Die Wirkung des Allosans liegt auf 
Grund seines hauptsächlichen Bestandteiles, des Santalols. der 
wirksamen Substanz des ostindischen Sandelholzöles, auf der 
Hand. Es dient also dazu, den Ablauf einer gonorrhoischen 
Urethritis neben der Lokalbehandlung günstig zu beeinflussen. 
Es wirkt sekretionsbeschränkend und mildert resp. beseitigt die 
Schmerzen. Mehr leisten andere Balsamika auch nicht. 

Dosierung und Darreichung: Infolge der 

Allophansäure-Veresterung bedarf es keiner besonderen Ein¬ 
hüllung oder Keratinierung. Man gibt dreimal täglich 1.0 g. 
kann aber ohne Bedenken 3 mal 2,0 g verabreichen. 

L i t e r a t u r: G. Sieh wersenski: ..Allosan. der 

Allophansäureester des Santalol.“ Berl. klin. \\ ochenschr.. 1908, 
Nr. 43. 

F i r m a: Vereinigte Chininfabriken Z i m m e r Ar 0 o., 
Frankfurt a. M. 


Technische Neuerscheinungen. 

Rücklauf-Spritze für die Harnröhre. 

Das Instrument besteht aus einer Röhre aus Metall, die 
in einer ballonförmigen Olive endigt. In deren Innerem 
ergießt sich die durch die Röhre a zufließende Fliissig- 



SpülfRissigkeit längs der Schleimhäute von 
hinten nach vorn in der Harnröhre zu er¬ 
zeugen. also eine richtige Ausspritzung vor¬ 
zunehmen. Durch einen Gunimischlauch 
kann das Instrument leicht mit einem Irri¬ 
gator in Verbindung gebracht werden; Ab- 
schraubbarkeit der Olive erleichtert die 
Säuberung und Desinfektion. Fabrikant: 
P. Bet h ge, Berlin, Kruppstraße. 

M. Piien, Berlin. 



Ein neuer Injektionsapparat 
„Injektor“. 

Von Dr. Krautschneider, Innsbruck. 

Bei dein Apparat ist ein technisch ein¬ 
faches und allen aseptischen Anforderungen 
entsprechendes Prinzip zur Anwendung ge¬ 
bracht. Patronen aus papierdünnem Zinn 
werden in einen Metallzylinder gegeben und 
dort durch einen Bajonettverschluß festge¬ 
halten; nach Aufsetzen der Nadel wird 
durch Drehung einer am anderen Ende des 
Zylinders befindlichen Schraube die Pa¬ 
trone langsam und gleichmäßig zusammen 
gequetscht und dadurch die Flüssigkeit in¬ 
jiziert. Eine am Zylinder angebrachte 
Teilung ermöglicht genaue Dosierung; ein 
Verlust an Injektionsflüssigkeit kann nicht 
stattfinden. Alle Teile des Apparates sind 
auskochbar;-die Füllung der Patronen kann 
leicht und aseptisch geschehen, so daß in 
wenigen Minuten eine einwandfreie In¬ 
jektion möglich ist. Die Drehung der Kom¬ 
pressionsschraube erfolgt sehr langsam, 
dementsprechend auch die Injektion; da¬ 
durch wird eine Zerreißung des Gewebes, 
in das injiziert wird, vermieden und da¬ 
mit auch die Schmerzhaftigkeit der Injek¬ 
tion herabgesetzt. Von besonderem \ orteil 
ist auch die gesichert langsame Injektion 
für bestimmte Zwecke, wie intravenöse In¬ 
jektion, Lumbalanästhesie, Injektion von 
Luft ist beim Injektor ausgeschlossen. Für 
jode Injektion kommt eine neue Patrone zur 
Verwendung; nach erfolgter Injektion kann 
sofort, ohne Reinigung des Apparates durch 
Einfuhren einer neuen Patrone jede andere 
Injektion vorgenommen werden. 

Der Injektor wird hergestellt von der 
Firma E vens & Pi s to r, Kassel. 

M. Piien, Berlin. 


Driainal from 




770 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 51 


Bücherbesprechungen. 


Ueber Gefänguiß-Psychosen. Von Karl W ilmauu.». 
Heidelberg. Verlag: Carl Marhold* Halle a. S., JL90S 
Gr. 8°. 65 Seiten. Preis 1,20 M. 

Die Arbeit bringt uns zunächst die Literatur von ihren An¬ 
fängen über dieses Kapitel bis jetzt, wo Sief er t und Bon- 
h o e f f e r das Thema weiter gefördert haben. Verf. bringt in 
Tabellen sein Material und bespricht eingehend vor allen Dingen 
die Dementia praecox. Hier kommt er zu dem Schlüsse, daß diese; 
Krankheit durch die Strafhaft auch bei Personen erzeugt werden, 
könne, die unter Umständen davon verschont geblieben seien. Auf 
die Aeußerungen der Psychose ist die Versetzung in ein anderes; 
Milieu von Einfluß. Weiter erörtert Verf. ausführlich die Epi¬ 
lepsie* den Begriff derselben und meint, daß bei vielen Fällen eine 
Unterscheidung zwischen eigentlicher Epilepsie und epileptoider 
Entartung sehr wohl möglich sei. 

Die Krankheit der inhaftierten Epileptiker hätte sich in 
keiner Weise unterschieden von den Störungen, die man bei frei-' 
lebenden Epileptikern zu sehen gewöhnt sei. Endlich spiele, die 
Degeneration eine große Rolle. Unter Entartung versteht Verf. 
die Summe der minderwertigen Variationen des Menschen auf 
geistigem und körperlichem Gebiete — minderwertig oft vom 
Standpunkte des Individuums, stets im Hinblick auf die Rasse. 

Heftige Schicksalsschläge, Ueberanstrengung usw. usw. kön¬ 
nen die mannigfachen Aeußerungen der Entartung zum Ausdruck 
bringen oder steigern, ebenso natürlich kann dies auch die Haft 
tun. 

Verf. spricht dann von den akuten, tobsuchtsartigen Reaktio¬ 
nen, die der Gefangene oft in den ersten Tagen der Haft zeigt, 
eine Erfahrung, die ich nur bestätigen kann, und auf die ich auch 
in meiner Gefängnishygiene hingewiesen habe (Vierteljahrs¬ 
schrift für gerichtliche Medizin, 1906). 

Große Schwierigkeiten pflegt zu machen die Abgrenzung der 
akuten Haftpsychosen von der bewußten Vortäuschung geistiger 
Störung. Auch das unterschreibe ich vollkommen und verweise ’ 
auf einen Aufsatz im Groß sehen Archiv, 1906. 

Ueber Entwicklung der chronischen Psychosen spricht Verf. 
sich dahin aus, daß die langjährige Isolierhaft, der Mangel jeder* 
geistigen Anregung zu unfruchtbarem Grübeln, zur Bildung hypo¬ 
chondrischer Ideen, zur Entstehung von Beeinträchtigungswahn 
usw. und somit zur Psychose führen kann. Eine offene Aussprache 
ist für den Gefangenen nicht möglich; mit seinen Mitgefangenen 
darf er sich nicht unterhalten, die Beamten sieht er meist mit- 
Mißtrauen an, sie genießen oft nicht sein Vertrauen, und so kann 
eine Korrektur seiner Gedanken nicht erfolgen. 

Was die Formen der Geisteskrankheit angelit, so sind diese 
im freien Leben und in der Strafanstalt klinisch völlig gleich¬ 
wertig. 

\ erf. wünscht endlich mit Recht, daß die Strafanstaltsärzte 
dieses angeschnittene Thema weiter bearbeiten und hofft, daß sie, 
die ja die Entstehung und Entwicklung der Psychosen am besten 
verfolgen können, ihre Erfahrungen der Allgemeinheit nutzbar 
machen. Med.-Rat. Dr. H o f f m a n n - Berlin. 


Das dentale Empyem des Antrum Highmori. Von Dr. med. 
Jo h s. Alb. Reinmölle r, Arzt und Zahnarzt in Rostock i M. 
\ erlag von G. R. Leopol d’s Universitätsbuchhandlung (P. 
Behrens) in Rostock. 4,-^ M. 

Es ist in neuerer Zeit, besonders vom wirtschaftlichen Stand¬ 
punkte aus, die Frage erörtert worden, ob es sich empfiehlt, daß 
sich der praktische Arzt der Zahnheilkunde zuwendet — vom 
wissenschaftlichen Standpunkte. aus möchten wir sie 
nach Kenntnisnahme des vorliegenden Buches auf das Entschie¬ 
denste bejahen, insofern dieses, soweit unsere Kenntnis der Ver¬ 
hältnisse reicht, eine Bereicherung der Zahnheilkunde darstellt., 
wie sie nur von einem Mediziner und praktischen Arzt, der zu*- 


NATÜRLICHES 


KARLSBADER 


SPRUDELSALZl 


SALZ 


istdas allein echte Karlsbader 

Vor Nachahmungen und Fälschungen wird gewarnt-. 



gleich Chirurg ist, ausgehen kann. Aus diesem Grunde, und weil 
wir aus eigener Erfahrung wissen, w'as ein Empyem des Antrum 
Highmori bedeutet, glauben wir die Schrift nicht nur allen Zahn¬ 
ärzten, sondern auch allen Aerzten, die sich mit Zahnheilkunde 
oder Muudkrankheiten beschäftigen, angelegentlich empfehlen 
zu sollen. R. untersucht auf Grund eines reichen Materials die 
Frage, ob das Empyem häufiger, wie vielfach behauptet wird, na¬ 
salen oder nicht vielmehr dentalen Ursprungs sei, wobei er sich 
für letzteres entscheidet, bespricht eingehend die Symptomatolo¬ 
gie sowie die Differentialdiagnosc unter Benutzung der modern¬ 
sten Hilfsmittel (Radiographie und Elektrizität) und ebenso die 
Therapie, das Eine wie das Andere unter steter Beifügung von 
Belegen aus seiner offenbar umfangreichen und lehrreichen 
Praxis. Das Buch ist außerdem mit einer Reihe von Abbildungen 
im Text sowie 5 größeren Tafeln zur Veranschaulichung ver¬ 
schiedener Operationsverfahren als Anhang und einem Literatur¬ 
verzeichnis ausgestattet, so daß der Ladenpreis von 4,— M. nicht 
zu hoch erscheint. P e 1 t z e r, Steglitz. 

Beobachtungen über die Psyche der Menschenaffen. Von 

Dr. Alexander Sokolowsky, zoologischem Assistenten 
im Hagenbe ck sehen Tierpark in Stellingen. Frankfurt a. M. 
1908, Neuer Frankfurter Verlag. 78 Seiten. Preis 1,50 M. 

v Ein höchst interessantes und jedem, auch dem nicht auf 
monistischem Standpunkte stehenden Freunde der Tierseele zur 
Lektüre warm empfohlenes Buch, das der Verlag mit mehreren 
Textabbildungen sowie mit 9 Tafeln nach photographischen Auf¬ 
nahmen ausgestattet hat. Was den Inhalt betrifft, so läßt sich 
dieser kurz dahin zusammenfassen, daß zwar die morphologischen 
Verhältnisse der Menschenaffen bisher durch zahlreiche Gelehrte 
gründlich erforscht sind, die Erforschung der seelischen Eigen¬ 
schaften dieser Tiere aber nur wenig dadurch gefördert ist. Ver¬ 
fasser hatte nun durch seinen Beruf als zoologischer Assistent 
im Hagenbeck sehen Tierpark zu Stellingen Gelegenheit, eine 
größere Anzahl lebender Gorillas, Schimpansen und Orangs in 
der Gefangenschaft auf ihr Seelenleben zu beobachten, und schil¬ 
dert in dem vorliegenden Buche die Ergebnisse dieser seiner Be¬ 
obachtungen, wobei er die Entstehung der verschiedenen Charak¬ 
tere bei den verschiedenen Menschenaffen biologisch auf die von¬ 
einander abweichende Lebensweise derselben zurückführt. Das 
Ergebnis seiner Forschungen und Beobachtungen gipfelt darin, 
daß Affe und Mensch sowohl morphologisch als auch psycholo¬ 
gisch nur graduell voneinander entfernt, im übrigen aber diver¬ 
gierende Glieder eines aus einheitlicher Basis hervorgegangenen 
Entwicklungsganges sind. Das Eins t. H ä c k e 1 gewidmete 
Buch wird mit einem Vorworte dieses eingeleitet. 

P e 1 t z e r, Steglitz. 


Allgemeines. 


Bekanntmachung. 

Aaclulem der Vorstand des Leipziger Verbandes durch ein 
beinahe bis über die Grenze des Möglichen und Zulässigen hinaus¬ 
gehendes Entgegenkommen versucht hatte, den Kampf mit dem 
Verbände der Lebensversicherungen sofort zu beendigen, den 
Lebensverband aber selbst durch ein so weites Entgegenkommen 
nicht zufrieden zu stellen war, bleibt uns, um zu einem ehren¬ 
vollen Frieden zu gelangen, nichts anderes übrig, als daß wir alle 
treu zu uns haltenden Kollegen im ganzen Reiche auffordern, 
für Lebensversicherungs-Gesellschaften 

keinerlei Zeugnisse, 

seien es vertrauensärztliche, Unfall-, Kranken- oder Invaliditäts¬ 
zeugnisse, bei Sterbefällen keine Berichte über die letzte Krank¬ 
heit. Todesursache und Behandlung auszustellen und Anfragen 
oder Briefe der Lebensversicherungen unbeantwortet zu lassen, 
die dadurch für das Publikum und die Versicherungs-Gesell¬ 
schaften entstehenden Schwierigkeiten und Unbequemlichkeiten 


\x- r r 4 : i U 1 - /1C ^uusuuoiuung, weicnes dieser beulen 

Nährfette den Vorzug verdient, wird keinem Praktiker schwei; fallen, 
bucol wirkt bei Skrofulosis und Rachitis schnell und?|energisch und 
schmeckt angenehm. Der Lebertran besitzt diese Eigenschaft nur in 
bescheidenem Maaße. Fucol kostet in Orig -Flaschen ä >/ 2 Liter Mk. 2.-. 
General A ertrieb: Karl Fr. Töllner, Bremen. 


0000000009 


1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


771 


werden wesentlich dazu beitragen, bei der Gegenpartei das Frie- 
densbediirfnis zu fördern. 

Schließlich teile ich der deutschen Aerzteschaft hierdurch 
mit, daß der Vorstand des Verbandes in seiner letzten Sitzugn 
beschlossen hat, erst dann wieder mit dem Lebensverband in 
Verhandlungen zu treten, wenn dieser 

1. ihn dazu direkt und unter Ausschaltung jeder Mittelsperson 

dazu auf fordert, und 

2. bei dieser Aufforderung erklärt, daß er 

a) von vornherein auf alle und jede Maßregelung irgend 
eines Arztes verzichtet, 

b) eine wesentlich größere als die am 4. Dezember in Berlin 
vereinbarte Honorarerhöhung zugesteht und 

c) seine Unterhändler mit schriftlicher Vollmacht zu bin¬ 
denden Abmachungen für alle Gesellschaften versehen 
hat. 

Kollegen in Stadt und Land! 

J e t z t 1 i e g t e s n u r a n u n s u n d u n s e r e r Einig¬ 
keit, ob wir einen ehrenvollen Frieden er¬ 
ringen oder eine Niederlage erleiden sollen. 

Kleine Mitteilungen. 

Was verschenkt der Amateur zum Weihnaehtsfeste? Natur¬ 
gemäß wird der Amateur mit Vorliebe seinen Angehörigen und 
Verwandten Geschenke „eigener Fabrikation“ zum Weihnachts 
feste überreichen. — In den Fabrikaten der N. P. G. sind ihm 
da ja auch mannigfaltige. Papiere an Hand gegeben (N. P. G. 
Bromsilber, Lenta-Gaslicht. N. P. 0. Celloidin, Aristo, „Fmera“, 
N. P. G. Selbsttonend, N. P. G. Pigment, Brompigment, Ozo- 
brom), um äußerst wirkungsvolle und dennoch in Ausführung 
verschiedenartige Bilder herzustellen. — Ist er indessen nicht 
in der Lage, mit eigenen Erzeugnissen aufzuwarten, so wird 
er doch, im Interesse seiner guten Lichtbildkunst, vor allen 
anderen Geschenken solchen den Vorzug geben, die ebenfalls 
auf photographischem Wege hergestellt sind bezw. in enger Be- 


Wer treu und ehrlich zu seinem Stande hält, der wird unserer 
Aufforderung Folge leisten! Einer für alle, alle für einen! 

Für dien Vorstand des Verbandes der Aerzte Deutschlands: 

Dr. Har t m a n n. 

Leipzig, den 15. Dezember 1908. 

Krankenpflegesammlung im Kaiserin Friedrich - Hause 

(Luisenplatz 2—4, am Neuen Thar). Die zweite öffentliche, und 
unentgeltliche Vorführung der Sammlung fand unter Leitung 
der Herren Prof. v. Leyden und Dr. J acobsohn am Sonn¬ 
tag. den 13. Dezember, mittags 12 Uhr, statt. Die Demonstration 
war wiederum mit einem allgemein verständlichen Vor trage 
aus dem Gebiete der Krankenpflege verbunden. 

Der II. internationale Kurs der gerichtlichen Psychologie 
und Psychiatrie findet unter Leitung von Prof. Sommer in 
Gießen vom 13. bis 18. April 1909 statt. Außer dem genannten 
werden vor tragen Prof. Mi ttermaier und Dannemann, 
Gießen, sowie Prof. Aschaffenburg, Cöln. Vorläufige 
Anmeldungen ohne bindende Verpflichtung an Prof. Danne¬ 
mann, Gießen. 

ziehung mit der Photographie stehen. — Da bietet ihm denn, 
die N. P. G. eine enorme Auswahl in Bromsilber-Kunstblättern 
'die berühmtesten Gemälde und Skulpturen aller Zeiten, patri¬ 
otische Porträts, schöne Frauen- und Kinder-, Städte- und Land¬ 
schaf tsbilder usw.), ferner prächtige Kunstmappenwerke (Men¬ 
zel, Busch, Paczka, Alt-Berliner Typen, Hamburg, Marmorbild- 
werke und Schwertertanz (Olga Desmond), Stereoskope nebst 
Bildern usw. usw. 

Da die Zeit drängt, so verlange man die postwendende Zu¬ 
sendung illustrierter Prospekte von der Neuen Photographischen 
Gesellschaft, A.-G. Steglitz. 

Der Bezug kann durch alle Buch- und Kunsthandlungen er¬ 
folgen; auch werden die Kunst-Handlungen zur Besorgung gern 
bereit sein. 


Verantwortlicher Redakteur: Dr. FL Lungwitz. Berlin S. — Verlag: Gustav Ehrke Zeitschriftenverlag, Berlin W. 9. 
Druck von Carl Marschner Buchdruckerei, Berlin SW. 13. 


In allen Krankheitsfällen 

ist Kathreiners Malzkaffee ein durchaus empfehlenswertes Getränk wegen 
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Prof. Dr A. Albu, Berlin, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Anton, Halle a. S., Prof. Dr. P. Bergell, Berlin, Prof. Dr. A. Bickel, Berlin, Geh. Obeimeü-Rat 
Prof Dr Ph. Biedert, Straßburg i. E., Prof. Dr. L. Blumreich, Berlin, Prof. Dr. h. Boruttau, Berlin, Prof Dr. E. Braatz, Königsberg, Geh. Med.-Rat Prot. 
Dr. v. Bramann, Halle a. S . Prof. Dr. C. Bruhns, Berlin, Prof. Dr. G. Burckhard, Würzburg, Prof. Dr. A. Dührssen, Berlin, Prof Dr. E. Enderlen, Würzburg. 
Prof Dr R.Eschweiler, Bonn, Prof. Dr A. Fränkel, Berlin, Prof. Dr. E. Friedberger, Berlin, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. P.Fnedrich, Marburg, Prof Dr. P.Gerber, 
Königsberg Reg.-Rat Prof. Dr. Jul. Glax. Abbazia, Prof. Dr. K, Hammer, Heidelberg, Prof. Dr. K. Helbing, Berlin, Prof Dr. M. Henkel, Greifswald, Prot. 
Dr. K. Herxheimer, Frankfurt a.M.. Prof. Dr. P. Heymann, Berlin, Prof. Dr. A. Hildebrandt, Berlin, Prof. Dr. K. Holzapfel, Kiel, Prof. Dr. A. Jesionek, Gießen, 
Prof. Dr G. Jochmann, Berlin, Prof Dr. Kausch, Berlin, Prof. Dr. M. Koeppen, Berlin, Prof. Dr. A. Kollmann, Leipzig, Prof. Dr. J Kocks, Bonn Geh, 
Med -Rat Prof. Dr 0. Küstner, Breslau, Prof. Dr. H. Lenhartz, Hamburg, Prof Dr. M. Lewandowsky, Berlin, Prof. Dr. M. Mosse, Berlin, Prof. Dr. E. Opitz, 
Düsseldorf, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. K. Partsch, Breslau, Prof. Dr. L. C. Rehn, Frankfurt a. M., Prof. Dr. K. Ritter, Greifswald, Prof. Dr, 
H. Rosin, Berlin Prof. Dr. Th. Rumpf, Bonn, Prof. Dr. H. Schlange, Hannover, Prof. Dr. Ad. Schmidt, Halle a. S., Geh. Med.-Rat Prof. Dr. 
H. Schmidt-Rimpler, Halle a. S„ Prof. Dr. W. Scholtz, Königsberg i. Pr., Hofrat Prof. Dr. M. Schottelius, Freiburg i. B„ Prof. Dr. E. Schultze, Greifs¬ 
wald Geh Med -Rat Prof. Dr. H. Senator, Berlin, Prof. Dr. E. Sommer, Zürich, Prof. Dr. med. et phil. R. Sommer, Gießen, Prof. Dr. G. Sultan, 
Berlin Prof Dr. A. Tietze, Breslau, Prof. Dr. P. G. Unna, Hamburg, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. H. Unverricht, Magdeburg, Prof. Dr. 0. Vulpius, 
Heidelberg, Prof. Dr. H. Walther, Gießen, Prof. Dr. F. Wesener, Aachen, Prof. Dr. G. Winter, Königsberg, Prof. Dr. E. Ziemke, Kiel. 

Redaktion: || Verlag und Expedition: 

Dr. med. et phil. H. Lungwitz, Berlin S. 14, Dresdenerstr 44. Gustav Ehrke Zeitschriftenverlag, Berlin W. 9, Köthenerstr. 44. 

Telephon: Amt IV, 11773. ! Telephon: Amt VI, 3020. 

Offizielles Organ des Schwarzwaldbädertages, des Vereins der Aerzte in Deutschen Nordseebädern, des Vereins der Badeärzte 

der Ostsee und der Medizinisch-biologischen Gesellschaft. 


II. Jahrgang. Berlin, 25. Dezember 1908. Nr. 52. 


Die „Therapeutische Rundschau“ erscheint jeden Sonntag und kostet jährlich 8 M, für das Ausland 10 M einzelne Nummer 20 Pi. Zu beziehen durch den Verlag 
nti. Buchhandlungen und Postämter. Inserate werden für die 4gespaltene Zeile oder deren Raum mit 50 Pf. berechnet. Beilagen nach Uebereinkunft. Reklamezelle 


sowie sämti. Buchhandlungen 

1,50 M. Bei größeren Aufträgen wird Rabatt gewährt. 

Nachdruck ist ohne Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. 


Inhalt. 


Origiuftlien: 

G. A. Wollenberg. Berlin: Zur Behandlung der Knochen¬ 
cysten .773 

H. Offergeld, Diabetes und Gravidität . . ..775 

Referate: 

O. Fellner, Wien: Physikalische Therapie der Erkrankungen 

der weiblichen Sexualurgaae.. ... . . (( 7s0 

C. Bachem, Bonn: Pharmakologie .......... 781 

.1. Ibrahim: München: Kinderheilkunde.781 

.1, Baum, Berlin: Dermatologie und Syphilis.783 

M. Pickardt, Berlin: Magen-, Darm- und Stoffwechselkrank¬ 
heiten .784 

Medizinisch-biologische Gesellschaft .784 


Mitteilungen über Arzneimittel: 

W. Krüger. Magdeburg: Referate.708 

W. Kriiger, Magdeburg: Neuerschienene Arzneimittel . . . 700 

Büeherbesprechungen: 

Lenhard, Dannemann, Osswald, Kulimann: Die Für¬ 
sorge für- gefährliche Geisteskranke (Ref.: E. Ziemke. 

Berlin).780 

Schill: Dr. G. Beeks Therapeutischer Almanach (Ref.: 

W. Krüger, Magdeburg).787 

Dessauer und Wiesner: Leitfaden des Röntgenverfahren 
(Ref.: H. E. Schmidt, Berlin).787 


ORIGINALIEN. 

Zur Behandlung der Knochencysten. 

Von Dr. Gustav Albert Wollenberg\ Privatdozent für 
orthopädische Chirurgie au der Universität Berlin. 

Unter den nicht-parasitären Cysten des menschlichen 
Knochensystems spielen die aus der Ostitis fibrösa 
hervorgegangenen, bei jugendlichen Individuen oft nach 
Verletzungen, oft. ohne jede erkennbare Ursache auftretenden 
Höhlen, deren Lieblingssitz die Metaphyse der langen 
Röhrenknochen darstellt, eine immer bedeutender werdende 
Rolle, gegenüber welcher die Theorie der Cystenbildung 
aus erweichten Chondromen mehr zurücktritt. Mikulicz 
wollte dieses Leiden von anderen nichtparasitären Höhlen¬ 
bildungen abgrenzen, deren wichtigste Typen die Paget- 
sehe Knochenkrankheit und die Recklinghausen sehe, 
durch Tumorbildung gekennzeichnete Krankheit, darstellen, 
und gab ihm den Namen ..Osteodvstrophia cystica“. 

Diese eigenartige Erkrankung, deren Ursache noch 
dunkel ist, hat ein großes praktisches Interesse, da sie leicht, 
infolge der Verdünnung der Corticalis, zu Spontanfrakturen 
führt; ja, gar nicht so selten ist die Spontanfraktur erst der 
Anlaß zu einer Röntgenuntersuchung, welche an dem bis¬ 
her scheinbar völlig gesunden Menschen das Vorhanden¬ 
sein einer Cyste aufdeckt (v. Brunn, Tietze). Ich 
nehme Gelegenheit, einen hierher gehörenden Fall dem 
Leserkreise dieses Blattes kurz zu skizzieren, um besonders 


einige therapeutische Erörterungen an denselben zu 
knüpfen: 

Erich F., 6J4 Jahr alt, wurde im Oktober 1907 in die 
Hof fasche Klinik gebracht, da er seit einiger Zeit das 
linke Bein beim Gehen schonte, ja, zuweilen sogar deutlich 
mit demselben hinkte. Eine Ursache für diese Erscheinung 
wußten die Eltern nicht anzugeben, speziell war eine \ er 
letzung irgendwelcher Art nicht bekannt geworden. Der 
von gesunden Eltern stammende Junge war sonst immer 
gesund gewesen. 

Die Untersuchung ergab nun bei gesunden inneren 
Organen — freie aktive Beweglichkeit des linken Hüft¬ 
gelenkes, die Trochanterspitze stand in der Roser- Ne- 
la ton sehen Linie; Femurkopf an normaler Stelle nach¬ 
weisbar; Trendelenburgsches Symptom negativ. Beim 
Gehen machte sich eine gewisse Schonung des linken Beines 
deutlich bemerkbar. Die Palpation des Femur ergab nun 
eine starke, spindelförmige Anschwellung seines proximalen 
Endes, von der Längsausdehnung annähernd einer Hand¬ 
breite. Das Röntgenbild (Fig. 1) zeigt eine oben bis an 
die Epiphysenlinie des Trochanter major und bis an den 
Ansatz des Schenkelhalses heranreichende flaschenförmige 
Auftreibung des Femur mit stark verdünnter Wandung. 
Auch die Gegend des kleinen Trochanter ist in den Prozeß 
einbezogen; hier ist die Corticalis ein wenig stärker. In 
der Mitte der schattenarmen Auftreibung sieht man einige 
undeutliche Unregelmäßigkeiten. 

Die Diagnose wurde auf Kuocliencyste infolge von Osti¬ 
tis fibrosä oder infolge von Erweichung eines Chondroms 



















THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU, 


gestellt. Eine maligne Neubildung wurde wegen der scharfen 
Begrenzung der Höhle gegen den Schenkelhals wie gegen 
den Femurschaft ausgeschlossen; auch fehlte iede ueriostale 
Knochenbilduns. 

Ich operierte den Knaben, indem ich nach Abhebelung 
des unveränderten Periostes ein großes Fenster aus der 


Als Gegenstück zu diesem Falle will ich hier jedoch 
einen anderen anführen, welchen ich früher beobachtet 
habe: 

Bei einem Mädchen, ungefähr im gleichen Alter stehend 
wie dieser Knabe, wurde an der gleichen Stelle des Ober¬ 
schenkels eine gleiche Cyste durch Röntgenstrahlen nach¬ 
gewiesen (über die Röntgenaufnahmen verfüge ich leider 
nicht). Da die Corticalis noch nicht so stark verdünnt war, 
riet mein ehemaliger Chef, Albert Iloffa., zum Ab¬ 
warten. Als uns nach einem Jahre das Mädchen wieder 
vorgestellt wurde, fanden wir zu unserer größten Ueber- 
raschum* die Cyste auf der Röntgenplatte vollkommen ver¬ 
schwunden, den vorher kranken Knochen fast ganz zur 
Norm zurückgekehrt I 

Also, diese Cystenbildungen heilen auch 
s p o n t. a n aus. Diese Erfahrung schreibt uns daher unser 
therapeutisches Handeln streng vor: Sobald die 
Corticalis noch genügend kräftig ist, kann man zuwarten, 
ob sich Spontanheilung einstellen wird; die Kontrolle 
müßte durch Röntgenuntersuchungen in bestimmten Inter¬ 
vallen durchgeführt werden. Zeigt der Prozeß in dieser 
Zeit Fortschritte, d. h. vergrößert sich die Höhle, verdünnt 
sich die Corticalis weiter, so ist die Operation angezeigt. 
Ich möchte jedoch auch in den Fällen, in welchen Spontan¬ 
heilung einzutreten scheint, vorschlagen, dem Patienten eine 
leichte Hülse aus Zelluloid oder anderem Material anzu¬ 
fertigen, damit, die Gefahr einer Spontanfraktur möglichst 
ausgeschaltet wird. Aus demselben Grunde halte ich es 
auch für wichtig, die Patienten nach Heilung der Operations- 
wunde noch möglichst lange, d. h. bis die Röntgenunter¬ 
suchung wieder einen kräftigen Knochen ausweist, eine 
solche Schutzhülse tragen zu lassen. Denn die Spon¬ 
tan f ra k t u r stellt eine der folgen sch wers I. e n 
Komplikationen der Knochencysten dar, sie 
m u ß daher unter alle n U m ständen v e r h ü t e t 
werden. 

Da aber, wie anfangs erwähnt, die Spontanfraktur oft 
das erste deutliche Symptom der Knochencyste darstellt, 
kann nicht dringend genug darauf hingewiesen werden, daß 
man sich auch in Fällen geringer und vager Beschwerden, 


Fig. 1. 

papierdünnen seitlichen Corticalis herausschnitt. So konnte 
ich die ganze Cyste, welche eine blutig-seröse Flüssigkeit 
enthielt, und deren Wand mit glattem, rotbraunem, samt¬ 
artigem Gewebe austapeziert war, in voller Ausdehnung 
übersehen. In der Mitte der Cyste zog sich ein Reste 
einzelner Knochenbälkchen enthaltendes gleichartiges Ge¬ 
webe wie eine ausgespannte Schnur in der Längsrichtung 
von einem Ende zum anderen. Nach sorgfältiger Aus¬ 
räumung der Höhle mit dem scharfen Löffel, bis überall 
der nackte Knochen bloßlag, ließ ich die Höhle voll Blut 
laufen und machte, ohne zu tamponieren, die Naht (d er 
Weichteile. 

Anlegung eines Geh-Gipsverbandes, der, mit Gehbügel 
zur Entlastung des wenig tragfähigen erkrankten Knochens 
versehen, 6 Wochen liegen blieb. 

Heilung per primam. Nach 6 Wochen wird der große 
Verband mit einer kleinen Gipshose vertauscht, die das 
Becken und den linken Oberschenkel bis zum Knie umfaßt. 

Die von mir ausgeführte histologische Untersuchung 
des exzidierten resp. ausgelöffeltcn Gewebes, auf weiche 
ich hier nicht näher eingehen will, ergab das typische Bild 
der Ostitis fibrosa mit mächtigen alten und neuen Blutungen. 

Am 13. Juli 1908, also ca. 8 Monate nach der Operation, 
habe ich den Patienten wiedergesehen. Die klinische Unter¬ 
suchung ergab keinerlei pathologischen Befund; der Junge 
kann, ohne zu ermüden, laufen, wie jeder andere Knabe 
seines Alters. Der Gang ist frei von jedem Hinken. Die 
aktive und passive Beweglichkeit des Gelenkes ist ohne jede 
Einschränkung. Das jetzt aufgenommene Röntgenbild (Fig. 2) 
ergibt nun, daß die spindelige Auftreibung vollständig ver¬ 
schwunden ist; der Verlauf der jetzt sehr kräftigen Corti¬ 
calis des Femur ist vielmehr ein ganz gerader; an der Außen¬ 
seite ist die Corticalis umkleidet von einer deutlichen 
periostalen Knochenneubildung, und zwar dort, wo bei der 
Operation das Fenster in den Knochen geschnitten wurde. 
Von der Knochenhöhle sind nur noch minimale Reste zu 
sehen. Der ganze Oberschenkel ist seit der Operation gut 
gewachsen, was man besonders ans der Vergrößerung der 
Epiphysen des Kopfes und des großen Trochanters erkennt. 

Wir sehen also auch in unserem Falle die allgemeine 
Erfahrung bestätigt, daß diese Höhlenbildungen im 
Knochen infolge einer fibrösen Ostitis ledig¬ 
lich durch die Exkochleation der Cysten- 
wand radikal geheilt werden, ja daß fast eine 
Restitutio ad integrum in relativ kurzer Zeit erzielt wirdl 


wie sie an den Gliedmaßen jugendlicher Individuen nicht 
selten zutage treten, nicht so leicht mit einer negativ aus¬ 
fallenden klinischen Untersuchung beruhigen darf, sondern 
das so unentbehrliche Hilfsmittel, welches wir in den Rönt- 
genstrahlen besitzen, rechtzeitig zur Anwendung bringen 
muß. 








1908 THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. _ 775 


Was die Operation selbst betrifft, so stellt sie einen 
einfachen und harmlosen Eingriff dar; die große Höhle 
kann man plombieren, oder auch, wie ich es in meinem 
Falle tat., unter dem Schedeschen Blutschorf heilen 
lassen, einwandsfreie Asepsis vorausgesetzt. 


Diabetes und Gravidität. 

Von Dr. Heinrich Offergeld, Frauenarzt in Frankfurt a. M.-Sa. 

Wenn bislang das Auftreten einer Schwangerschaft bei 
einer diabetischen Frau als ein sehr seltenes Vorkommnis 
erachtet wurde, so waren wir nach Hofmeiers Unter¬ 
suchungen in dem Glauben befangen, daß die bekannten 
nekrotischen und atrophischen Vorgänge in den Ovarien 
und dem Endometrium hierfür anzuschuldigen seien. Es 
haben jedoch neuere Untersuchungen gezeigt, daß viel öfter 
als bislang angenommen wurde, Diabetische in allen Formen 
und Phasen der Erkrankung gravid werden können. Man 
muß daher sich mit dieser Tatsache abzufinden suchen, 
und zu ergründen trachten, wie die gegenseitige Beein¬ 
flussung beider Zustände zum Wohle für Mutter und Kind 
zu regulieren sei. Wenn wir hierzu die Ansichten berufener 
Vertreter hören, so ergibt sich ein ganz gewaltiger Unter¬ 
schied in der Beurteilung dieser Komplikation, je nachdem 
der betreffende Autor sich mehr mit der internen Disziplin 
oder der geburtshilflichen Tätigkeit beschäftigt. Im allge¬ 
meinen kann man sagen, daß die Internisten der Schwanger¬ 
schaft einer diabetischen Frau sehr wenig Interesse ent¬ 
gegenbringen, und die allenfallsigen Gefahren für sehr ge¬ 
ring erachten. Einer unserer besten Diabetesforscher, von 
N o o r d e n, leugnet in seiner Monographie so ziemlich über¬ 
haupt jede ungünstige Beeinflussung des diabetischen Grund¬ 
leidens. Auf dem diesjährigen Kongreß für innere Medizin, 
wo bekanntlich das interessante Thema der wechselseitigen 
Beeinflussung gynäkologischer und interner Krankheiten 
zur Verhandlung stand, hat Lenhartz die Frage ganz 
kurz gestreift, während der gynäkologische Referent sich 
hierüber ausschwieg. Lenhartz sagte wörtlich: „Vom 
Diabetes weiß man, daß er die Konzeption erschwert, bis¬ 
weilen Sterilität bedingt, Aborte und Frühgeburten be¬ 
günstigt und ganz auffallend häufig in der Menopause be¬ 
ginnt.“ Sonst kann man in den verschiedenen Hand- und 
Lehrbüchern der inneren Medizin vergeblich suchen, wenn 
man über diese Fragen sich orientieren will. Ganz anders 
dagegen urteilen die Geburtshelfer, welche ohne Ausnahme 
das Auftreten von Diabetes in der Schwangerschaft und 
die Konzeption einer diabetischen Frau für höchst unglück¬ 
liche Ereignisse erachten. Der Grund für diese Meinungs¬ 
verschiedenheiten ist durch unsere Zeitverhältnisse bedingt. 
Der Internist bekommt die leichten Fälle zu sehen, bei denen 
noch am ehesten Schwangerschaft auftritt und die in einem 
gewissen Prozentsatz der Fälle glücklich verlaufen. Sobald 
jedöch die Frau ihre Schwangerschaft bemerkt, besonders 
aber, wenn gegen Mitte derselben die subjektiven Symptome 
zunehmen, so wird sie diese Steigerung ihrer Beschwerden 
nur allein ihrer Gravidität zuschieben, und unter Verlassen 
ihrer bisherigen Hilfe nunmehr ihr einziges Heil beim Gynä¬ 
kologen suchen. Erst recht geschieht das natürlich, wenn 
bedrohliche Erscheinungen erfolgt, sind, und so kommt es, 
daß wir die Mehrzalil und besonders die schweren Fälle 
zur Beobachtung und zum definitiven Ausgang zu sehen 
bekommen. Dieser Widerspruch gibt sich so recht deutlich 
zu erkennen, wenn man die einzelnen Fälle durchsieht, 
so z. B. hat Lecorche, welcher die innere Abteilung 
des Krankenhauses „Hotel Dieu“ in Paris leitete, wesentlich 
viel bessere Resultate als die übrigen Beobachter. Wir 
werden daher zweifelsohne erst dann zu richtigen Schlüssen 
kommen, wenn diese Komplikation der Gravidität gemein¬ 
sam bearbeitet wird. 


Ich habe im 86. Bande des „Archiv für Gynäkologie“ 
unter gleichzeitiger Mitteilung eigener Beobachtungen ins¬ 
gesamt 63 Fälle aus der Weltliteratur zusammengestellt; 
inzwischen ist diese Zahl noch um einige vermehrt worden. 
Es hat sich dabei ergeben, daß der Diabetes eine ebenso 
verhängnisvolle Erscheinung in der Gravidität, ist, wie er 
durch eine solche ungünstig beeinflußt wird. Es kann 
keinem Zweifel unterliegen, daß in einer gewissen Zahl 
der Fälle es sich nicht um einen echten Diabetes gehandelt 
hat, sondern nur um eine vom Zustande der Gravidität ab¬ 
hängige Glykosurie, denn letztere ist nur ein Symptom des 
Diabetes, beide sind vollkommen getrennte Erscheinungen. 
Denn wir müssen mit allem Nachdruck als Mindestforde¬ 
rung für den Diabetes die Fortdauer der Erscheinungen 
auch nach Aufhören der Schädlichkeit verlangen; schwindet 
mit dem Zurückgehen der Noxe auch die Zuckerausschei¬ 
dung, so haben wir es nur mit einer Glykosurie zu tun, 
welche als eine ganz prägnante Erscheinung im Verlaufe 
aller möglichen Schädlichkeiten, die den Organismus treffen, 
aufzutreten pflegt. So z. B. kennen wir die Glykosurie 
im Verlaufe der Nervenkrankheiten, bei \ergiftungen mit 
Strychnin und Kohlenoxydgas, nach Narkosen, selbst nach 
der Medullaranästhesie, ja sogar nach subkutanen Frak¬ 
turen. Hiermit hat der echte Diabetes nichts zu tun, denn 
die ihm zugrunde liegende primäre Hyperglykämie über¬ 
dauert die die einfache Glykosurie bedingenden Störungen. Es 
hat sich aus meiner Aufstellung ergeben, daß 51.67°/o 
die Kinder intrauterin abstarben und nach ver¬ 
schieden langer Zeit, teils frischtot, teils verschieden hoch¬ 
gradig mazeriert ausgestoßen wurden. Von den lebend 
geborenen Kindern sind zirka 50 % frühester 

Jugend gestorben, teils an Lebensschwäche, teils an der 
gleichen diabetischen Grundkrankheit, teils auch an den 
Folgen des gar nicht so selten bei diabetischen Kindern 
vorkommenden Hydrozephalus. Hinsichtlich der spontanen 
Unterbrechung der Schwangerschaft kommt nach Gau- 
dards Aufstellung der Diabetes mit 33°/ 0 der Fälle un¬ 
mittelbar hinter den Infektionskrankheiten. 

Was das Schicksal der Mutter angeht, so scheint die 
Geburt, als solche durch die diabetische Grundkrankheit 
nicht, beeinflußt zu werden. Die in den einzelnen Be¬ 
obachtungen gelegentlich mitgeteilten Störungen lassen sich 
auch zwanglos auf andere Weise erklären. 

Die meisten Autoren berichten, daß die Geburt sich 
durchaus normal abspielte, was um so auffallender ist, 
als es sich in mehreren Fällen um die sogenannte schwere 
Form des Diabetes handelte, bei welcher die Kräfte auf 
das äußerste erschöpft zu sein pflegen. Beachtenswert ist. 
immerhin die Tatsache, daß bei diabetischen Frauen sich 
öfters Hydramnios vorfindet, als sonst. Das von Mc. C 1 i n - 
tock angegebene Verhältnis von 3 :28 der Erst- zu Mehr¬ 
gebärenden entspricht nicht dem Verhältnis dieser bei dia¬ 
betischen Frauen, welches ich von 11 :51 fand. In diesem 
Fruchtwasser werden in einer gewissen Anzahl von Fällen 
Kohlenhydrate nachgewiesen; normalerweise findet man 
dextrosehaltiges Fruchtwasser in der Säugetierreihe nur 
bei der Kuh und beim Schaf. Sollte sich beim Menschen 
noimalerweise keine Dextrose in direkt nachweis¬ 
barer Menge im Fruchtwasser finden, so hätten 
wir durch ihren Nachweis wenigstens bei der Ge¬ 
burt ein absolut sicheres Mittel in der Hand, die auf rela¬ 
tiver Leberinsuffizienz beruhende Glykosurie der Schwan¬ 
geren von dem echten Diabetes zu unterscheiden, falls die 
andern Untersuchungsmethoden uns hierüber nicht hätten 
aufklären können. An Hand der mit Hydramnios einher¬ 
gehenden Fällen läßt sich aber zeigen, daß die Kompli¬ 
kationen der übermäßigen Fruchtwassermengen sich bei 
Diabetischen nicht, besonders häufig finden, denn daß nach 
dem plötzlichen Abgänge des Fruchtwassers sich durch 
Lösung der Nachgeburt oder durch Nabelschnurvorfall und 
regelwidrige Kindslage verursachte Störungen nachweisen 


Tro 


■CTT 



776 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 52 


ließen, darüber findet man in den Berichten nichts er¬ 
wähnt. Noch ein anderer Punkt verdient der Erwähnung. 
Ebensowenig wie abundante Blutungen bei Hydramnios auf¬ 
trete n, ist die kreißende Diabetika in erhöhtem Maße der 
Infektion ausgesetzt, denn unter allen Beobachtungen findet 
sich überhaupt nur eine Erkrankung an Sepsis; auch dieser 
Fall ist absolut nicht einwandsfrei, da es im Verlaufe der 
Geburt zu sehr gefährlichen Eingriffen gekommen war, 
nach denen erfahrungsgemäß häufig Infektion auftritt. Es 
ist daher durchaus unbewiesen, daß bei Diabetischen sich 
im Anschluß an die Entbindung leichter infektiöse Pro¬ 
zesse entwickeln. Wir müssen diese Tatsache um so mehr 
würdigen, als sie unter Umständen für unser therapeu¬ 
tisches Handeln mitbestimmend sein kann, und sie dem 
alten Erfahrungssatze widerspricht, wonach das diabetische 
Gewebe leichter als gesundes zur Infektion neige. 

Hat also die Geburt an sich keine besondere Folgen, 
so kann sie doch unter Umständen verhängnisvoll werden, 
als sie den Ausbruch des diabetischen Koma zu begünstigen 
imstande ist; andererseits müssen wir aber auch an der 
Tatsache festhaiton, daß zu jeder Zeit bei einer diabetischen 
Frau dieses Verhängnis auftretcn kann. Im ganzen erfolgt 
in zirka 30 % der Fälle das Koma, welches alle¬ 
mal bis auf ganz verschwindende Ausnahmen in den Tod 
überging; bei den ganz wenigen Ausnahmefällen erfolgte 
zwar vorübergehende Besserung, ob jedoch Heilung ein¬ 
trat, ist ungewiß, da diese Fälle nicht länger beobachtet 
wurden. Das Koma selbst setzte leils schon vor Beginn 
der Wehen ein, so daß die Geburt an sich unter vollkomme¬ 
ner Bewußtlosigkeit vonstatten ging, teils erfolgte es 
während der Geburt, wobei diese selbst schon verschieden 
weit vorgeschritten war. Interessant ist die Tatsache, daß 
mit Vorliebe bei abgestorbenen Kindern sich das Koma 
einstellt, so daß im allgemeinen beim lebenden Kinde die 
Prognose günstiger zu stellen ist als beim toten. 

ln den meisten Fällen verläuft das Wochenbett normal, 
zumal sind fieberhafte Erkrankungen, wie schon erwähnt, 
nicht zu verzeichnen. Dagegen kann sich gelegentlich eine 
sehr langandauernde Rekonvaleszenz anschließen, in 
welcher die Frauen nicht so recht zu Kräften kommen ; 
auch sind Störungen in der Rückbildung der Genitalien 
verzeichnet worden, wobei der Uterus lange vergrößert und 
weich blieb und die vorher normale Periode Störungen 
aufwies. In sehr seltenen Fällen nur ist die Mutter im¬ 
stande, ihr Kind zu nähren, ein Umstand, der zum Teil mit 
für die hohe Sterblichkeitsziffer der Kinder anzu¬ 
schuldigen ist. 

Eine besondere Komplikation des Puerperium ist wegen 
ihrer Spätfolge besonders zu erwähnen, das ist das Auf¬ 
treten der Tuberkulose bei diabetischen Wöchnerinnen. 
Die auch sonst nicht so seltene Komplikation der Tuber¬ 
kulose und des Diabetes scheint sich besonders häufig im 
Puerperium einzustellen, denn viele Autoren berichten uns, 
daß sich schon in den ersten Tagen des Wochenbettes die 
sicheren Zeichen einer Bronchitis bemerkbar machten, die 
ungemein hartnäckig allen Eingriffen trotzte. Der wahre 
Charakter trat sehr bald zutage: unter Verfall der Kräfte 
traten bei im allgemeinen blühendem Aussehen sehr bald 
ausgedehnte Infiltrationen des Lungengewebes und später¬ 
hin Kavernen auf; diese Lungentuberkulose führte allemal 
in wenigen Monaten zum Tode. Außer dieser gefürchteten 
Komplikation haben wir als weitere Todesursache, die aber 
erst nach dem Puerperium auftritt und alsdann noch sehr 
viele Opfer fordert, den Fortbestand des diabetischen Grund- 
leidens zu erwähnen, welches in weiteren 14 Fällen inner¬ 
halb der nächsten zwei Jahre nach der Entbindung durch 
Eintritt des Koma zum Tode führte. 

Wenn ich daher zusammenfasse, so ergibt sich, eine 
wie schwere Komplikation der Gravidität die Zuckerkrank¬ 
heit ist. Es starben unter 57 Frauen direkt im Koma 
17 gleich 30°/ 0 ; 14 erlagen in den nächsten 30 Monaten 


nach der Entbindung entweder dem Diabetes selbst oder 
seiner Komplikation, der Lungentuberkulose; von den 
restierenden 20 ist das endgültige Schicksal unbekannt. 
Est ist also die Gesaintmortalität nach 2 % Jahren 
mindestens 50%, nämlich bei 57 Beobachtungen 28 
Todesfälle. Von den Kindern dieser 57 Geburten starben 
schon 29 gleich 51 (, / H intrauterin ab, 6 weitere (10,6°/ 0 ) 
gingen in den ersten Lebenstagen infolge der schlechten 
Entwicklung zugrunde, und endlich erlagen noch 7 in 
den ersten Jahren an den Folgen des Hydrozephalus, des 
Diabetes oder der Polyurie, das Schicksal der letzten 15 
ist unbekannt. 

Es sind also von diesen 57 Kindern mindest 38 
gleich 66%% nicht, am Lehen geblieben. Die Prognose 
ist daher für Mutier und Kind durchaus ernst, sie wird bei 
abgestorbenen Kindern für erstere direkt ungünstig da unter 
diesen 25 Fällen 17 mal der baldige Tod im Koma erfolgte. 

Es entsteht nun für uns die Aufgabe, nachzuforschen, 
ob wir uns mit diesen schlechten Resultaten begnügen 
müssen, ob wir also der ungünstigen Einwirkung des Dia¬ 
betes auf die Schwangerschaft schutzlos preisgegeben sind, 
oder ob wir es in der Hand haben, durch unsere thera¬ 
peutischen Eingriffe die Chancen für das mütterliche und 
kindliche Leben zu bessern. 

Daß gerade zur Zeit der Schwangerschaft und des 
Wochenbettes Zucker ausgeschieden wird, ist eine bekannte 
Tatsache; mit letzterer Erscheinung haben wir uns hier 
nicht zu befassen, weil es sich hier allemal um die Laktose 
handelt. Die Zuckerausscheidung in der Schwangerschaft 
belrifft die Dextrose, und man begegnet ihr relativ häufig, 
wenn man sich daran gewöhnt, in jedem Falle daraufhin 
zu untersuchen; als Ursache für diese Erscheinung haben 
wir die durch die Gravidität gesetzten Veränderungen im 
Organismus der Frau anzuschuldigen, Abweichungen von 
der physiologischen Norm der arbeitenden Parenchymzellen, 
die wahrscheinlich durch die Anwesenheit der hochgradig 
wirksamen Plazentarfermente bedingt sind. Mil Vorliebe 
scheint die Leber in Mitleidenschaft gezogen zu werden, 
denn wir finden sehr häufig zur Zeit der Schwangerschaft 
eine Ansammlung feinster Fetttröpfchen in ihr. Dieses Organ 
ist aber von der größten Wichtigkeit für den Stoffwechsel 
der Kohlenhydrate im Tierkörper, wenn es auch wahr¬ 
scheinlich die Anregung zur Regulation von außen erfährt. 
Mit diesen histiologischen Veränderungen geht eine ein¬ 
greifende Störung in der Lieberfunktion einher, denn es 
haben einwandsfreie Versuche gezeigt, daß die von ge¬ 
sunden Frauen verarbeitete Zuckermenge von ihnen zur 
Zeit der Schwangerschaft nicht verbrannt wird, sondern 
daß ein Teil hiervon zur Ausscheidung gelangt. Die normal 
funktionierende Leber ist in ihrer Arbeitsleistung reduziert, 
sie ist ,,relativ insuffizient“ geworden. Da nach der Ge¬ 
burt diese Erscheinung wieder schwindet, so hat die rela¬ 
tive Leberinsuffizienz der Schwängern mit dem eigentlichen 
Diabetes gar nichts zu tun. Anders verhält es sich mit der 
sogenannten alimentären Glykosurie, welche bei gewissen 
Personen nach der Aufnahme einer zwar größeren, aber 
dennoch innerhalb der normalen Grenzen sich bewegenden 
Zuckermenge auftritt. Diese ebenfalls auf Leber-Insuffi¬ 
zienz beruhende Erscheinung ist dauernd und wird von 
interner Seite als die unmittelbare Vorstufe des Diabetes 
bezeichnet, was man von der Glykosurie der Schwängern 
nicht behaupten darf, weil sie nach der Entbindung von 
selbst schwindet lind bislang kein Fall existiert, wo sie 
als Vorstufe des Diabetes aufgetreten ist. Die eigentliche 
Ursache für das Auftreten des Diabetes in der Schwanger¬ 
schaft ist uns noch genau ebenso unbekannt, wie wir 
Sicheres in der Diabetes-Aetiologic überhaupt nicht wissen. 

Wir können also zur Zeit der Schwangerschaft gerade 
so wenig eine zielbewußte ätiologische gegen die Grund¬ 
krankheit gerichtete Therapie einschlagen, wie außerhalb 
der Gravidität, sondern sind im allgemeinen gezwungen, 



1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


777 


das bekannte diätetisch - medikamentöse Regime einzu- 
schlagen, wie außerhalb der Gravidität. Letztere hat zwar 
insofern einen Einfluß auf die Behandlungsweise, als sie 
die bekannten Maßnahmen etwas modifizieren kann, die 
eine inehr in den Vordergrund rückt, die andere dagegen 
zurücktreten läßl, wenn sic auch eine strenge Kontraindi¬ 
kation für keine der bekannten Maßnahmen abgibt. 

Es lehrt, die klinische Erfahrung, daß man von Anfang 
an den Verlauf und die weitere Entwicklung eines mit 
Gravidität komplizierten Diabetes nicht vorher bestimmen 
kann, denn wenn auch zumeist der Diabetes in der Schwan¬ 
gerschaft weitere Fortschritte macht und einen maligneren 
Charakter annimmt, so gibt es doch Ausnahmen von dieser 
Regel. Daher kann in der Behandlung des Diabetes zur 
Zeit der Schwangerschaft nur eine ganz individuelle Thera¬ 
pie am Platze sein, jedes schablonenhafte Wirtschaften ist 
vom Bösen. Wir müssen unsere jeweiligen Entscheidungen 
von Fall zu Fall und hierbei wieder verschieden zu ver¬ 
schiedenen Zeiten treffen, da ein starres Festhalten an 
dem entworfenen Plane nur üble Komplikationen herbei¬ 
führen kann. 

Die sogenannten leichten Fälle, die mit geringer Zucker¬ 
ausscheidung, kaum merkbarer Störung des Allgemein¬ 
befindens und noch gut erhaltenem Toleranzvermögen ver¬ 
bunden sind, sind die, welche im weiteren \ erlaufe der 
Schwangerschaft ihren milden Charakter bewahren und 
nicht fortschreiten, wo sich ganz besonders keine diabetische 
Azidose und keine Nephrose einstellt, diese zwar seltenen 
Fälle sind nach den bekannten internen Maßnahmen pu 
behandeln, und unser Streben hat dahin zu gehen, daß 
unter Zunahme der Toleranz bei gutem Allgemeinbefinden 
die Glykosurie dauernd schwindet, oder auf das zulässige 
Minimum reduziert wird. Nach den gleichen Grundsätzen 
sind auch diejenigen Fälle zu behandeln, wo die Toleranz¬ 
werte geringer sind und schwerere Allgemeinsymptome be¬ 
stehen, kurz diejenigen Fälle, die man als mittelsehwere 
bezeichnet, und die bekanntlich schon eine ausgesprochene 
Vorliebe besitzen, in die schweren überzugehen. Nun gibt 
es aber auch Diabeteskranke, deren Toleranz-Vermögen sehr 
stark reduziert ist, die sich in schlechtem Allgemeinzustand 
befinden und wo neben der Störung im Haushalte der 
Kohlehydrate ebenso eingreifende im Eiweißstoffwechsel 
bestehen, das sind die als schwer bezeichneten Fälle. 

Die Ohnmacht der internen Therapie bei der schweren 
Form des Diabetes und der Erfahrungssatz, daß diese sich 
bei bestehender Gravidität häufig vorfinden, hat Anlaß ge¬ 
geben, die verhängnisvolle Kette des Circulus vitiosus an 
der am leichtesten angreifbaren Stelle zu sprengen. Das 
ist natürlich die Gravidität, und man entschloß sich an¬ 
fangs um so leichter zu diesem Eingriff, als man in der 
V orstellung lebte, daß der Fötus durch seine Stoffwechsel¬ 
produkte den mütterlichen Organismus schädige. ln 
Wahrheit wird aber der ganze Einfluß des Kindes darin 
bestehen, daß es zunächst für den Aufbau seines Organis¬ 
mus auf die Nährsubstanzen der Mutter angewiesen ist 
und dieser nun Nährmaterial entzieht, was hierbei um so 
mehr ins Gewicht fällt, als die diabetische Gravida ihre 
eigenen Bedürfnisse nur aus den Eiweißsubstanzen und 
dem Fette bestreiten kann und daher zu einer Art von 
Unterernährung gezwungen wird; andererseits aber können 
die Plazentrarfennente eine schwere Schädigung der den 
Kohlehydratstoffwechsel regulierenden Organe bedingen 
oder das Hauptdepot dieser Substanzen, die Leber, schädi¬ 
gen; das ist. natürlich um so mehr möglich, wenn schon 
vor Eintritt der Schwangerschaft die diabetogenen Organe 
erkrankt waren. Infolgedessen ist lebhafter Streit ent¬ 
flammt, ob es überhaupt zweckdienlich ist, die Schwanger¬ 
schaft bei Diabetes zu unterbrechen. Die Internisten 
äußern sich zu dieser Frage nicht; die Geburtshelfer sind 
geteilter Ansicht; anfangs wurde der Eingriff sehr häufig 


unternommen, ohne daß die Prognose sich besserte, dann 
tiat die natürliche Reaktion auf, und heute stehen wir 
auf dem Standpunkte, daß wir ihn unter gewissen Umstän¬ 
den empfehlen. Ich will nur Klein Wächters Ansicht hier 
Raum geben, weil er den Wendepunkt in unseren therapeu¬ 
tischen Anschauungen bezeichnet; er schreibt: ,,Die künst¬ 
liche Unterbrechung der Schwangerschaft an sich ist durch¬ 
aus nicht als ein bedeutungsloser Faktor anzusehen, selbst 
wenn sie unter allen aseptischen und antiseptischen Kau- 
telen vorgenommen wird, und dadurch dem Eintritt einer 
Infektion vorgebeugt wird, sondern als eine schwere Kom¬ 
plikation, welche auf das vorhandene konstitutionelle Lei¬ 
den sehr ungünstig einwirkt.“ Wir fahren am besten, wenn 
wir vom geburtshilflichen Standpunkte aus die Fälle hin¬ 
sichtlich ihrer Schwere zwar nach den gleichen Gesichts¬ 
punkten betrachten, wie wir es auch außerhalb der Schwan¬ 
gerschaft tun, aber auch den bisherigen Verlauf in dieser 
und ganz besonders in etwa vorhergegangenen Schwanger¬ 
schaften mit in Rechnung setzen, so also legen wir be¬ 
stimmte Indikationen für die Primipara und Multipara fest. 
Was überhaupt den Zeitpunkt des Eingriffes angeht, so 
müssen wir hier zunächst unterscheiden, oh wir die Frau 
so zeitig in Behandlung bekommen und der Fall so schwer 
verläuft, da.ß wir imstande sind und uns berechtigt fühlen, 
den künstlichen Abort zu machen. Tritt dagegen eine dieser 
beiden Tatsachen erst in späterer Zeit, sagen wir einmal 
jenseits des vierten Monates auf, so kann es sich nur mehr 
um die Einleitung der künstlichen Frühgeburt handeln. Als 
oberster Leitsatz für diesen Eingriff hat zu gelten, daß wir 
nur Rücksicht auf das schwer bedrohte mütterliche Lehen 
nehmen, und uns um das Schicksal des Kindes nicht 
kümmern, denn es lehrt die Erfahrung, daß die Kinder 
zumeist doch verloren sind, und daß die Prognose für die 
Mutter sich nur dann bessert, wenn wir den als ersprie߬ 
lich erkannten Eingriff bald zur Ausführung bringen. Es 
wäre daher durchaus verkehrt, bei den unkomplizierten 
Diabetesfällen, das heißt allemal da, wo weder Becken- 
anomalien, noch übermäßige Mengen an Fruchtwasser vor¬ 
liegen, durch die Einleitung der künstlichen Frühgeburt 
ein lebensfähiges Kind zu erhoffen oder die für das mütter¬ 
liche Leben erforderliche Einleitung der künstlichen Früh¬ 
geburt so lange hinausznschieben, bis das Kind zur extra¬ 
uterinen Existenz fähig ist. 

Wenn ich jetzt zur Besprechung der Indikationen über¬ 
gehe, so haben wir, so weit es sich um das geburtshilfliche 
Interesse handelt, bei einer Primipara dann in den ersten 
Monaten die Schwangerschaft zu unterbrec hen, .wenn der 
anfangs leichte Diabetes seinen Charakter ändert, und unter 
Zunahme der subjektiven Klagen und Schlechterwerden 
des Allgemeinbefindens ein bedeutendes Sinken des Tole¬ 
ranzwertes für Kohlehydrate eintritt, was sich sehr schnell 
durch einen konstanten durch die Wage nachweisbaren 
Gewichtsverlust dokumentiert. 

Bei der Mehrgebärenden bestehen natürlich die gleichen 
Bedingungen zu Recht, aber über diese hinaus sind wir 
meiner Ansicht nach verpflichtet, noch prophylaktisch ein- 
zügreifen, wenn wir wissen, daß in einer der vorhergehenden 
Schwangerschaften schwere Störungen aufgetreten sind, da 
die Erfahrung lehrt, daß mit jeder erneuten Schwanger¬ 
schaft die diabetische Grundkrankheit zu exazerbieren 
pflegt. Es handelt sich hierbei ganz besonders um die 
Intoxikatiönserscheinungen, die diabetische Azidose verge¬ 
sellschaftet mit. Albuminurie und Zylindurie (toxische 
Nephrose), wenn auch diese Erscheinungen nach der Ent¬ 
bindung wieder schwanden. Sodann gehört hierzu die im 
Puerperium aufgetretene Bronchitis und Tuberkulose und 
endlich mit Rücksicht auf den Ausgang, wenn in einer der 
vorhergegangenen Schwangerschaften das Kind intrauterin 
abstarb, selbst wenn die diabetischen Erscheinungen sich 
nach der Entbindung besserten, erst recht natürlich, wenn 
sie in der neuen Schwangerschaft Zunahmen. 


liäl flW 


■I 










778 THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. Nr. 52 


Ueber die Technik des Eingriffes sei nur in Kürze 
gesagt, daß man mit möglichster Schonung vorzugehen hat, 
da bekanntlich Diabetische auf jede körperliche und 
seelische Störung empfindlicher reagieren als Gesunde. 
Wegen der größeren Neigung zu Infektionen dürfte sich 
die Einleitung mit Dilatatoren eher empfehlen, als die mit 
Laminaria und Jodoformmulltamponade. Ist hinreichende 
Erweiterung erzielt, so kommt die Ausräumung in Frage 
mit dem Finger oder dem Löffel, wobei man ohne Narkose 
auszukommen trachtet. Im allgemeinen gilt, noch die 
Regel, daß eine Allgemeinnarkose bei Diabetischen von 
größeren Gefahren begleitet sei; jedenfalls wäre dem Aether 
der Vorzug zu geben, weil das Chloroform Fettinfiltration 
der Leber hervorruft und dieses Organ, sei es nun primär, 
sei es sekundär, beim Diabetes erkrankt ist. Trachten wir 
also danach, ohne Narkose auszukommen, so dürfen wir 
auch hierin nicht zu weit gehen, denn es lehrt die Er¬ 
fahrung, daß jeglicher körperlicher Schmerz und jegliche 
seelische Aufregung das so sehr gefürchtete Koma herauf¬ 
zubeschwören imstande ist. Inwieweit die neueren Nar¬ 
kosebestrebungen gerade für Diabetiker sich eignen, läßt 
sich noch nicht sagen, weil hierüber Erfahrungen noch 
nicht vorliegen. Es beweisen jedenfalls die Todesfälle dia¬ 
betischer Frauen nach lumbaler Anästhesie, über welche 
Füth berichtet hat, daß auch diese Methode bei Diabeti¬ 
schen nicht gefahrlos ist; über die Anwendung des Scopola- 
min-Morphium-Dämmerschlafes ist nichts bekannt ge¬ 
worden. Da es also keine Narkose-Anwendung gibt, die 
ohne Gefahr für Diabetiker wäre, so müssen wir in jedem 
einzelnen Falle abwägen, ob und zu welcher Betäubungs¬ 
art wir uns entschließen sollen. Wir brauchen hier nicht 
gar zu zaghaft zu sein, denn, wenn wir rechtzeitig den Abort 
vornehmen, befinden sich die diabetischen Frauen noch 
in einem guten Zustande, der uns schon ein Wagnis unter¬ 
nehmen lassen darf. 

Eingehender sind die Indikationen für die künstliche 
Frühgeburt, abzuhandeln, welche, wie gesagt, nur im Inter¬ 
esse der Mutter liegen kann, und auf das kindliche Leben 
keine Rücksicht nimmt. Wir müssen bedenken, daß in 
den späteren Monaten die künstliche Unterbrechung der 
Schwangerschaft stets einen größeren Eingriff bedeutet, über 
den wir uns vorher Rechenschaft ablegen müssen, inwie¬ 
weit wir damit den mütterlichen Interessen dienen, und 
welche Gefahren wir damit in den Kauf nehmen. Ich sehe 
ab von allen den Komplikationen, die im Verlaufe einer 
Schwangerschaft bei Diabetischen eintreten können, und 
unser Handeln zu beeinflussen imstande sind, wie z. B. 
räumliche Mißverhältnisse und exzessive Menge von Frucht¬ 
wasser, wodurch die höchsten Grade von Atemnot momen¬ 
tan bedingt sein können; diese Zustände sind von der Grund- 
krankheit, unabhängig, und auch unabhängig von ihr so 
zu behandeln, wie auch sonst. Bei der diabetischen Frau 
ist zunächst dann die künstliche Frühgeburt einzuleiten, 
wenn aus irgend einem Grunde der richtige Moment zur 
Y'ornahme des künstlichen Abortes verpaßt worden ist, 
ferner wenn es sich zeigt, daß wider Erwarten der anfangs 
milde Fall bei weiterem Fortbestand der Gravidität progre¬ 
dient wird und einen maligneren Charakter annimmt, das 
heißt, wenn dauernd Glykosurie auftritt, die subjektiven 
Symptome zunehmen, das Toleranzvermögen ständig her¬ 
untergeht und unter stetiger Abnahme des Gewichtes ein 
Verfall der Kräfte ein tritt. Zu diesem Zeitpunkte bietet, 
die künstliche Frühgeburt noch die besten Chancen, da 
der mütterliche Organismus sich im großen und ganzen 
in den physiologischen Grenzen bewegt, und mit Aus¬ 
nahme der Kohlehydrate der Abbau der übrigen Nährmittel 
genau so statthat, wie in gesunden Tagen. 

Dieser eben geschilderten Unterernährung leistet nun 
der Organismus verschieden lange Stand, bis zuletzt aus 
noch unbekannter Ursache „der Abbau der Eiweißkörper 
gerade in die Bahnen hingeleitet wird, welche zur/?-Oxy- 


Buttersäure führen“, (v. Noorden), aus welcher sich nach 
Naunyn Azeton und Acetessigsäure bilden, indem die noch 
brennbare Substanz durch Oxydation unter Wasseraustritt 
zerlegt wird; die Diazetsäure spaltet sich alsdann inAzeton- 
und Kohlensäure. 

CH 3 — CH (OH) - CH 2 -C0 2 H+0 = CH 8 - CO - CH ? C0 2 H-fH 2 0 
ß- Oxy buttersäure Acetessigsäure 

CHg - CO - ch 2 - co 2 h = ch 3 - CO - CH S -I- co 2 

Diacetsäure Aceton 

Es liegt, bekanntlich das Charakteristische der diabeti¬ 
schen Azidose darin, daß sie eine unverkennbare Tendenz 
zum Fortschreiten besitzt, dergestalt, daß dem Auftreten 
des Azeton sehr bald auch das Erscheinen der übrigen 
Substanzen nachfolgt.. Wenn auch bei geeigneter Behand¬ 
lung, mitunter sogar von selbst, in der diabetischen Azi¬ 
dose Remissionen auftreten, so hält sie für gewöhnlich viel 
länger stand, als die Azidose bei kachektischen Zuständen 
und schwindet für gewöhnlich erst, sobald sich hochgradige 
Kachexie einstellt. Damit soll keineswegs gesagt sein, daß 
die diabetische Azidose nicht für längere Zeit, oder auch 
dauernd schwinden kann, nur ist dieser Verlauf seltener. 
Mit dem Auftreten der diabetischen Azidose beginnen für 
die schwangere, diabetische Frau erst recht die Gefahren, 
wenn es sich auch an Hand einzelner Fälle nicht leugnen 
läßt, daß selbst jetzt, noch ein günstiger Ausgang eintreten 
kann. Alle klinischen Tatsachen und die Ergebnisse des 
Experimentes beweisen, daß die diabetische Azidose eine 
schwere A r ergiftung des Organismus darstellt, der bald 
weitere Schädlichkeiten folgen, die besonders die Leber 
und die Nieren betreffen, Organsysteme, die schon an sich 
durch die Gravidität in höherem Grade belastet, sind, als 
zur sonstigen Zeit. Daher ist es zu dieser Zeit unbedingt 
angezeigt, im Interesse der Mutter die Schwangerschaft 
zu unterbrechen, wenn die diabetische Azidose manifest, 
wird, und bei längerem Bestehen der Allgemeinzustand 
sich auffällig verschlechtert. Der Entscheid zu diesem Ein¬ 
griff wird uns zu dieser Zeit nicht, schwer fallen, einmal 
sterben erfahrungsgemäß die Kinder in diesem Zustande 
fast alle intrauterin ab, und sodann befindet sich zu dieser 
Zeit die Mutter noch so leidlich gut, daß sie den Eingriff 
der Frühgeburt eher überstehen wird_, als die normale 
Ausstoßung in späteren Monaten oder auch die künst¬ 
liche Unterbrechung zu einer Zeit, wo sie stärker herunter¬ 
gekommen ist. Wenn Ko rach schon ohne Auftreten von 
Acet-Essigsäure die Unterbrechung der Schwangerschaft im 
Interesse der Mutter fordert., so fürchte ich nur, daß wir 
uns allzuoft zu diesem Eingriff entschließen. Andererseits 
dürfen wir auch nicht, zu lange zögern, denn bei längerem 
Bestand der diabetischen Azidose treten konstante Nieren¬ 
veränderungen auf, wie man ja bekanntlich durch Ein¬ 
verleibung von Azeton Albuminurie und Zylindurie zu er¬ 
zeugen vermag. Nach meinem Dafürhalten ist das Auf¬ 
treten der toxischen Nephrose, welche sich klinisch zuerst 
durch Eiweiß im Harn bemerkbar macht, wozu später sich 
Form-Elemente hinzugesellen können, rler allerletzte Mo¬ 
ment zur Vornahme der künstlichen Frühgeburt, wenn wir 
noch mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf einen 
günstigen Erfolg hoffen, denn es lehrt die Erfahrung, daß 
der Diabetes, sobald einmal mehrere Organsysteme er¬ 
griffen sind, sich sehr schnell zum schlechten wendet. Da 
natürlich in jedem Falle gelegentlich einmal eine vorüber¬ 
gehende Albuminurie auftreten kann, welche später wieder 
schwindet, so haben wir auch hier wiederum in dem All¬ 
gemeinbefinden der Frau einen zuverlässigen Maßstab, der 
zusammen mit der Azidose und mit der Nephrose, wenn 
beide Erscheinungen konstant bestehen und sich durch 
unsere therapeutischen Maßnahmen nicht bessern, unser 
Handeln uns vorschreibt. 

Gerade bei längerer Zeit, bestehender Azidose pflegt, mit 
besonderer Vorliebe das diabetische Koma aufzutreten, 
wenn auch keineswegs das konstante Fehlen der Azidose 




1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU, 


779 


vor der Katastrophe schützt; da wir, wie vorhin erwähnt, 
die Ursache für die diabetische Azidose in einem gesteiger¬ 
ten abnormen Zerfalle der Protein-Substanzen zu erblicken 
haben, so neigen die Untersucher jetzt dazu, als letzte 
Ursache für das Auftreten des Koma weniger die hypo- 
tetische Säurevergiftung des Organismus und das Aus¬ 
bleiben ihrer Neutralisation durch die Ammoniumsalze an¬ 
zuschuldigen, als vielmehr die durch die Unterernährung 
bedingte Schädigung und Schwächung der nervösen Zentral- 
Apparate anzunejimen, welche dann zu irgendeiner Zeit, 
sei es nun spontan, sei es, was häufiger vorkommt, jrn 
Anschluß an irgendeine außergewöhnliche, sich aber in 
den normalen Grenzen haltende Arbeit oder psychische 
Erregung insuffizient werden, so daß der Zusammenbruch 
des Nervensystems erfolgt; dieser Zustand geht für ge¬ 
wöhnlich nach verschieden langer Dauer in den Tod über. 
Diese gefürchtetsle Komplikation des Diabetes, welche in 
sehr vielen Fällen die direkte Todesursache ist, vermögen 
wir in den sogenannten schweren Fällen mit unseren thera¬ 
peutischen Maßnahmen nicht zu verhindern, und die 
Unterbrechung der Gravidität hat nur insofern Sinn, als 
wir eben durch Ausschaltung der einen Ausgabequelle für 
die Mutter ihre chronische Unterernährung und die damit 
verbundene sekundäre Störung anderer Organsysteme 
hintenan zu halten hoffen. Darum eben müssen wir, wenn 
wir überhaupt in der künstlichen Frühgeburt ein Mittel 
erblicken, welches der diabetischen Frau von Nutzen sein 
kann, diesen Eingriff rechtzeitig unternehmen, sowie ich 
es vorhin auseinandergesetzt habe. 

Hinsichtlich der Technik dürfte der Bougie-Methode 
oder dem intrauterinen Ballon insofern der \ orzug ge¬ 
bühren, als beide Eingriffe ohne Narkose ausführbar sind 
und den natürlichen Hergang imitieren. Nachteilig ist ein¬ 
mal die lange Dauer, welche bis zur Fruchtausstoßung ver¬ 
gehen kann, und ferner die schmerzhafte Wehenarbeit; 
rascher kommen wir zum Ziele mit. der Dilatation nach 
Bossi oder dem sogenannten vaginalen Kaiserschnitt, 
diesen unschätzbaren Vorteilen steht aber entgegen, daß 
wir bei diesen Eingriffen zu irgendeiner Art Betäubung 
unsere Zuflucht nehmen müssen, was bekanntlich der 
diabetische Organismus wenig gut verträgt. 

Er fragt sich nun noch zum Schlüsse, wie wir uns verhal¬ 
ten sollen, wenn bei einer diabetischen Gravida das Koma 
aultritt. Da erfahrungsgemäß für gewöhnlich das Koma in 
den .Tod übergeht, und ganz besonders sich an Hand, der 
in der Literatur niedergelegten Fälle nicht der Nachweis 
erbringen läßt, daß eine Frau in diesem Zustande sich 
dauernd wieder erholte, so kann das Koma meinem Dafür¬ 
halten nach an sich unser Handeln nicht bestimmen. Von 
irgendwelchem Eingriff im Interesse des Kindes ist Ab¬ 
stand zu nehmen, weil im Koma selbst die Kinder alle 
zugrunde gehen, daher kann nur die Rücksicht auf die 
Mutter uns zum eventuellen Handeln verleiten. Treffen wir 
eine diabetische Gravida im komatösen Zustande an, so 
haben wir uns zunächst davon zu überzeugen, ob und 
wie weit die Fruchtausstoßung bereits im Gange ist, denn 
es lehrt die Erfahrung, daß sehr häufig im Koma Wehen 
auftrelen, wie auch umgekehrt das Koma sich mit Vor¬ 
liebe in der Geburt, wohl durch die psychische Erregung 
und die körperliche Arbeit bedingt, einzustellen pflegt. Er¬ 
gibt die Untersuchung noch einfachen Schwangerschafts¬ 
befund, so rate ich von jedem Eingriffe ab, weil das Koma 
als solches, nicht die zufälligerweise vorhandene Schwan¬ 
gerschaft den Ausgang bestimmt, wir haben alsdann die 
bekannten inneren Mittel zu versuchen, deren Erfolg aber 
auch höchst zweifelhaft ist. Finden wir dagegen, daß die 
Fruchtausstoßung im Gange ist, so hat unser Streben dahin 
zu gehen, die Geburt auf die schonendste Weise schnell 
zu Ende zu führen, unter alleiniger Rücksichtnahme auf 
die Mutter, nicht auf das Kind. Lieber die Art der hier 
in Frage kommenden Eingriffe läßt sich natürlich keine 


Regel aufstellen, da diese ganz verschieden sein müssen., 
nach dem jeweiligen Stande der Fruchtausstoßung. 

Weil erfahrungsgemäß das Koma während oder un¬ 
mittelbar nach der Entbindung mit Vorliebe einzutreten 
pflegt, so haben wir mit dieser Tatsache zu rechnen, wenn 
wir uns zur Einleitung der künstlichen Frühgeburt ent¬ 
schließen. Gerade die hierbei unvermeidlichen seelischen 
Erregungen können im Verein mit der körperlichen Leistung 
bei dem Geburtsakte bei noch relativ gutem Wohlbefinden 
zum Zusammenbruche der krankhaft ernährten und insuffi¬ 
zienten nervösen Zentralorgane führen. Zwar geht eine 
jede diabetische Gravida mit Naturnotwendigkeit einmal der 
Fruchtausstoßung und der mit ihr verbundenen Gefahren 
entgegen. Diese sind natürlich, ganz allgemein geredet, in 
ihrer Größe und Bedeutung proportional der Dauer und 
der Schwere der Gehurt; aus diesem Grunde hat Schöffe- 
lius in Vorschlag gebracht, die Schwangerschaft vor dem 
normalen Ende zu beendigen, um den heruntergekommenen 
Diabetischen eine längere Tragzeit und größere Geburts¬ 
leistung zu ersparen. Inwieweit diese Indikation zu Recht 
besteht, ist noch eine unentschiedene Frage; wir müssen 
uns, mögen wir den Eingriff von irgendwelchem Gesichts¬ 
punkte unternehmen, stets vor Augen halten, daß wir mit 
der künstlichen Herbeiführung der Fruchtausstoßung die 
Gefahren eines Ausbruches des Koma mit in den Kauf 
nehmen. So sehr dieser Faktor mit zu berücksichtigen ist 
bei dem Entschlüsse zum Eingriff, ebensowenig darf^ uns 
aber die Furcht vor dem eventuellen Ausbruche des Koma 
hindern, die Schwangerschaft zu unterbrechen, wenn wir 
diesen Eingriff als den mütterlichen Interessen dienend 
erkannt haben. 

Gelingt es mit unseren "Maßnahmen, die Frau glücklich 
über alle ihr drohenden Gefahren hinwegzubringen, so 
haben wir dem Puerperium noch unsere besondere Auf¬ 
merksamkeit zu widmen. Gerade bei Diabetischen dürfte 
sich sehr das frühzeitige Aufstehenlassen empfehlen, weil 
im allgemeinen eine Bettruhe von Zuckerkranken sehr 
schlecht ertragen wird. Sind wir aus irgend einem Grunde 
gezwungen, diese innehalten zu lassen, so haben wir durch 
aktive und passive Bewegungen, sowie durch Massage die 
gewohnte Muskelarbeit zu ersetzen. Zudem empfiehlt sich 
noch das frühzeitige Aufstehenlassen, um der Bronchitis 
zu begegnen, welche sich häufig im Puerperium einzu¬ 
stellen pflegt; ihretwegen ist aber die diabetische Wöchne¬ 
rin sorgfältig vor jeglicher Erkältung zu schützen, denn 
es lehrt die Erfahrung, daß in den meisten Fällen diese 
anscheinend harmlose Bronchitis den Boden für die Spitzen¬ 
tuberkulose vorbereitet, welche gerade im Anschluß an 
eine Entbindung unter den Diabetischen noch sehr viele 
Opfer fordert. Ob es irgendwelche zuverlässige Mittel gibt, 
welche diese gefürchtete Spät-K'omplikation zu verhindern 
imstande sind, ist ungewiß. Das Stillen ist unter allen Um¬ 
ständen zu verbieten, da hierbei die Frauen zu sehr her¬ 
unterkommen, andererseits muß aber gerade den lebend 
geborenen, ausgetragenen Kindern diabetischer Mütter die 
beste Nahrung und sorgsamste Pflege zuteil werden, wenn 
sie dem Leben erhalten bleiben sollen. 

Für das Spätwochenbett ist besonders auf eine gute 
Rückbildung der Genitalien zu achten, da in einigen Fällen 
Subinvolution mit allen ihren Folgezuständen und Störun¬ 
gen beobachtet wurde; es dürfte sich daher gerade bei 
Diabetischen mit Rücksicht, hierauf der längere Gebrauch 
von Secale-Präparaten und heißen Spülungen empfehlen. 

Bevor wir eine diabetische Puerpara in interne Be¬ 
handlung oder häusliche Pflege entlassen, muß ihr noch 
der Kat erteilt werden, mit allen Mitteln eine erneute 
Schwangerschaft zu verhindern, weil das diabetische Grund¬ 
leiden erfahrungsgemäß in jeder erneuten Schwangerschaft 
zu exazerbieren pflegt und der günstige Ausgang dieser 
Gravidität keine Gewähr bietet, daß es in den folgenden 
ebenso gehen wird. 



780 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 52 


Literatur. 

Ausführliche Angabe in meinem Artikel: Archiv für Gynä¬ 
kologie, Bd. 86, 1, S. 160 ff., 1908. 
v. No orden: Die Zuckerkrankheit und ihre Behandlung. 
Verlag: Aug. Hirschwald, Berlin. 1906. 

Gaudard: These de Paris, 1889. 

M’Clintok: Clinic. mein, on diseases of women, 1863. 
Le cor che: Du diabete sucre chez la femme. Editeur 
Delahay et Lecroisnier, Paris. 1886. Annales de gynecolo- 
gie, 1886. 

Füth: Deutsche Medizinische Wochenschrift, 1903, No. 4 
und 5, S. 65 ff., 82 ff. 

Schottel ius: Münchener Medizinische Wochenschrift, 
1908, No. 18, S. 957. 

I\ lein w ä chter: Zeitschrift für Gynäkologie und Ge¬ 
burtshilfe, Bd. 38, S. 191, und Wiener medizinische Presse, 
1904, No. 51. 

Kor ach: Schwangerschaft und innere Krankheiten. Ver¬ 
lag B. Konegen, Leipzig, 1908. 


REFERATE. 

Physikalische Therapie der Erkrankungen der 
weiblichen Sexualorgane. 

Sammelreferat 

von Dr. Otfried O. Fellner, Wien. 

Bei allen chronisch entzündlichen Erkrankungen der Adnexe 
soll man nach Fehling zunächst eine konservativ sympto¬ 
matische Behandlung durchführen. Es soll nur unter bestimm¬ 
ten Indikationen operiert werden,.und zwar nur dann, wenn trotz 
genügend langer konservativer Behandlung die Schmerzen nicht 
aufhören, wenn durch die Beschwerden Arbeitsunfähigkeit be¬ 
dingt, ist. oder wenn durch die Verwachsungen der Adnexe eine 
fixierte Betroflexion entstanden ist. Ganz anders steht es mit 
der Behandlung eitriger Adnexe, die durch Gonokokken, Strepto¬ 
kokken und Coiibakterien bedingt wird, liier ist ein zu starker 
Konservativismus entschieden schädlich. Wenn trotz strenger 
Bettruhe und Spitalsbehandlung keine Rückgangserscheinungen 
ein treten, wenn die Tumoren an Größe nicht abnehmen, und 
die Beschwerden dieselben bleiben, ist zu operieren. Wenn trotz 
Bettruhe und Behandlung das Fieber anhält und der Tumor 
wächst, ebenso. F. verwirft die Inzision von der Scheide aus, 
wo schwere Verwachsungen mit Netz, Bauchwand. Dünn- und 
Dickdarm vorliegen, und vor allem da, wo noch anhaltendes 
Fieber besteht. Er hat so 166 Operationen eitriger Adnexe mit 
6.7% Mortalität durch geführt. 

P. Prot ante r empfiehlt Mineralwasserspülungen, speziell 
kohlensäurehaltige, und zwar soll man das Wasser nicht durch 
Kochen erwärmen lassen, sondern durch Dampfeinlauf. Er be¬ 
nützt einen eigenen Irrigationsapparat aus Hartglas, der dem 
doppelläufigen, birnenförmigen von Hasse und A. Pincus 
ähnelt. Im allgemeinen beginnt man die Injektionen mit 37° 
und steigt. selbst bis zu 5.0°. Durch Anpressen der eiförmigen 
Mutterrohres an die \ ulva kann man den Wasserdruck beliebig 
verstärken. Angezeigt' ist das Verfahren bei allen Entzündungs¬ 
prozessen, hei chronischer Metrltis, Amenorrhoe und infantilem 
Uterus. Die Applikation soll höchstens durch 6 bis 8 Wochen 
durchgeführt werden. P. erwähnt ferner die guten Erfolge, 
die er durch Kombination von Franzensbader Moorbädcr-lleiß- 
wasserspülungen und Massage erzielt hat. Es ist ferner ganz 
zweifellos, daß nachgcwieseue Radioaktivität der Mineralquellen 
auch bei diesen vaginalen Duschen irgendeine Rolle spielt. 

Nach Zangemeister begünstigt bei ganz frischen Ent¬ 
zündungen ira Verlauf der ersten 2 Wochen die Saugbehahd- 
lung ein Fortschreiten des Prozesses, und die eitrige Einschmel¬ 
zung der entzündeten Abschnitte. Sie sollte daher beschränkt 
sein auf diejenigen eitrigen Fälle, in welchen der Entzündungs¬ 
prozeß nicht mehr weiter um sich greift. Die Saugbehandlung 
verkürzt nicht die Dauer der Heilung. Sie eignet sich daher für 
Fälle frischer puerperaler Mastitis nicht. Wo die Mastitis nicht 
mehr fortschreitet, gestattet die Saugbehandlung, sich auf kleine 
Einschnitte zu beschränken. 

Mittels eines Döppelspiegels nach IT. Fischer wird eine 
Saug Wirkung rings um die Portio bewirkt, während die Portio 


selbst und der Muttermund freibleibt. Der Nachteil der alten 
Methode ist der, daß sich beim Saugen die Portio schon nach 
wenigen Sekunden tief in das Saugglas hineinzieht, und häufige 
Wiederholung gewiß eine künstliche, hypertrophische Elongation 
der Portio zur Folge hat. Die Portio ist während des Saug¬ 
aktes frei zur Spülung und zur Behandlung mit Instrumenten. 
F. sah Besserung der dysffienorrhoischen Beschwerden und gün¬ 
stige Beeinflussung parametraner Exsudate. 

Gute Dienste leistete W i t t h a u e r s Vibrationsmassag ■ 
in Fällen von Dysmenorrhoe, wo das vordere Scheidengewölbe 
schmerzhaft war. W. weist ferner auf den Zusammenhang 
zwischen Sympathicismus und Parame.tritis chronica und dem 
Globus liystericus hin. Durch Vibrationsmassage, eventuell auch 
der höheren Abschnitte der Bauchnerven, ist hier Heilung 
möglich. 

Nach G al 1 a t i a findet durch Mittelhochlagerung zunächst 
eine verbesserte Abfuhr des venösen Blutes statt. Durch den 
Druck der sich dem Scheidcngcwölbe sanft anschmiegenden Tam¬ 
ponade werden die dem Scheiden ge wölbe aufliegenden Gebilde 
gegen die Bauchdecken gehoben. Nach Entfernung der Vor¬ 
richtungen kommt es zur Erweiterung der Gefäße, zu erhöhter 
Leukozytose und hiermit zur erhöhten Resorption. Jeden Tag 
frische Tamponade nach Auswischen der Cervix mit Jodtinktur. 
Die Mittelhcclilagerung bleibt während der ganzen Behandlungs- 
daucr bestehen. Die Belastung durch den Schrotbeutel findet 
2 mal täglich durch zwei Stunden statt. Sorgfältige Temperatur¬ 
messungen. Unter 11 Fällen von Parametritiden puerperalen 
Ursprungs 9 Heilungen und 1 Besserung. 15 Fälle von peri- 
parametraner Exsudatbildung im Anschluß an eine Adnex - 
erkrankung. In 6 Fällen kein Erfolg, in 4 Besserung, 4 operiert, 
ein Fall Heilung in 25 Tagen. 3 Fälle von Pelveoperitonitis mit 
Heilung, Die Dauer der Belastungslagerung beträgt insgesamt 
21 Tage pro Person. Auch in diagnostischer Hinsicht hatte 
die Belastungslagerung guten Erfolg. Die Bedeutung der Me¬ 
thode liegt darin, daß die durchschnittliche Behandlungsdauer 
abgekürzt wird. 

Bei einer Patientin Fetzers wurde wegen präklimakte¬ 
rischer Blutungen die Vaporisation vorgenommen. Da hierauf 
wehenartige Schmerzen auf traten, und eine Atresie des Uterus 
konstatiert wurde, nahm F, 5 Monate später den Uterus heraus. 
Das untere Drittel des Uterus war atretiseh, im oberen Drittel 
und in der Tube fand sich Blut. Die Tube war derart verdünnt, 
daß anscheinend eine Perforation drohte. 

Nach C r a m e r kann es schon in den ersten Tagen von der 
beginnenden Abstoßung des Schorfes zu einer septischen Infek¬ 
tion der nekrotischen Massen kommen. In dem referierten Fall 
stieg die Temperatur am 3. Tage nach der Atinokansis auf 39,1. 
Am 9. Tage wurde die Operation ausgeführt. Die Uteruswand 
erwies sich als brüchig. Der unterste Teil des Uterus war durch 
das Exsudat so im Beckenboden fixiert, daß seine Entfernung 
nicht durchführbar war. Zentrale Unterbindung der Gefäße. 
Exitus. 

Schulter dilaliert stets zunächst bis Nr. 13, kürettiert. 
und tupft dann gründlich auch mit Adrenalin aus. Er vaporisiert 
50—45 Sekunden bei 125°. Bei jugendlichen Frauen in gebär- 
fähigem Alter ist jedenfalls die Vaporisation nur auf strikteste 
Indikation und nur mit äußerster Vorsicht, d. h. einer Einwir¬ 
kungsdauer von 5 bis höchstens 20 Sekunden, erlaubt. Bei My¬ 
omen ist das Verfahren nicht nur unzuverlässig, sondern auch 
gefährlich. Bei durch Pruritus komplizierten Katarrhformen 
des höheren Alters ist die völlige Obliteration zu empfehlen. 

Die primären Resultate mit der Vaporisation an der Kieler 
Klinik waren nach Frankenstein entschieden gute. Der 
Prozentsatz der durch die Vaporisation verursachten primären 
Schädigungen ist, gering und bei sorgfältiger Auswahl der Fälle 
durchaus vermeidbar. Es wird sich natürlich empfehlen, das von 
den meisten Autoren nur zur Bekämpfung präklimakterischer 
und klimakterischer Blutungen reservierte Verfahren nicht bei 
jüngeren Frauen anzuwenden. Nur ausnahmsweise und wohl 
nur bei vorliegender Judikat in vital is ist die Vaparisation bei 
jugendlichen Personen am Platze. Ebenso ist sie bei Myom nur 
ausnahmsweise bei kleinen und nur ganz interstitiell gelegenen 
Knoten zuzulassen. Die Dauerresultate sind durchaus zufrieden¬ 
stellend. Die subjektiven Folgen der Vaporisation sind sicher 
ohne weiteres den verstümmelnden Operationen überlegen. 

Literatur. 

L II. Gramer: Todesfall nach Athmokausis. Monats¬ 
schrift f. Geburtsh., März 1908. 



1908 THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 781 


2. H. Fehling: Zur Behandlung der eitrigen Adnexe, 
Beiträge z. Geburtsh., 12. Bd., 3. H. 

3. F e t z e r : Vaporisation des Uterus. Med. natu rwisseriseh. 
Verein, Febr. 1908. 

4. FL Fischer: Ein Doppelscheidenspiegel, zugleich 
zum Saugen und Spülen. Münch, med. Wochenschr., 28, 1908. 

5. K. Frankenstein : Ueber klinische Erfahrungen 
mit der Vaporisation. Monatsschr. f. Geburtsh., Oktober 1908. 

6. E. G a 11 a t i a : Ueber Mittelhochlagerung und Staffel¬ 
tamponade; Gynäkol. Kundschau, 1908, 4. 

7. P. Prof ante r : Beitrag zur konservativen Therapie 
von Frauenkrankheiten. Wiener klin. V ochenschr., 1908, 26. 

8. L. F. Schalter : Die Leistungsfähigkeit der Vapori¬ 
sation in der Praxis und ihre Grenzen. Deutsche med. Wochen¬ 
schrift, 1908, 32. 

9. K. W i t t ha u er: Weitere Mitteilungen über Vibra¬ 
tionsmassage. Therap. Monatsh., Febr. 1907. 

10. Zangemeister: Behandlung der puerperalen 
Mastitis mit Saugapparaten. Deutsche med. Wochenschrift, 
1908, 6. 


Pharmakologie. 

Referent: Privatdozent Dr. C. Bachem, Bonn. 

1. Nitritvergiftung durch Bismutum subnitricum. Von 

J. Nowak und C. G u e t i g , Berl. klin. Wochen sehr., 1908, 
Nr. 39. 

2. Ein Beitrag zur Kenntnis der Wirkungsweise des Jod¬ 
kaliums. Von J. Zwintz, Wien. klin. Wochenschr., 1908, 
Nr. 20. 

1. Verff. hatten Gelegenheit, einen tötlich endenden Fall 
einer Vergiftung mit Bismutum subnitricum bei einem 44 jähri¬ 
gen Manne zu beobachten. Nach vorheriger Irrigation wurde 
zur Prüfung der Funktionsfähigkeit mittels Röntgenstrahlen 
einer (früher angelegten) Anastomose zwischen Flexnra sigmoi- 
dea und Ileum ein rektaler Einlauf von 4 Eßlöffel Bismutum 
subnitricum in zwei Liter Wasser gemacht. Sofort nach der 
Durchleuchtung, die nur wenige Minuten in Anspruch nahm, 
wurde das Wismut wieder abgelassen; es erfolgte. Stuhlgang, und 
außerdem wurde noch der Darm mit viel Wasser nachgespült. 
Einige Stunden später wird Patient sehr unruhig, hat öfter 
Stuhlgang, zeigt zyanotische Verfärbung, Schüttelfrost und Tem¬ 
peratur von 40°. Auf Anruf reagiert er nicht. Puls 96, Atmung 
stertorös. Magendarmspülungen, Sauerstoffinhalationen, Venä- 
sectio (die schokoladebraunes Methämoglobinblut zutage 
fördert) und Kochsalzinlus ionen sind ohne sichtlichen Erfolg. 
Etwa 18 Stunden nach der Wismutdarreichung trat der Tod ein. 

Um über die Ursache dieser Vergiftung sich Aufklärung 
zu verschaffen, experimentierten die Verfasser an Tieren. Wäh¬ 
rend nun Hunde und Kaninchen gegen alle verabreichten Dosen 
Bismutum subnitricum immun erschienen, geläng es hei Katzen 
leicht, das typische Bild der Nitritvergiftung ihit diesem Mittel 
hervorzurufen. Nach mehrstündiger Latenzperiode setzten fast 
plötzlich die Krankheitssymptome (große Mattigkeit, Diarrhöe, 
Erbrechen, Zyanose ohne hochgradige Dyspnoe, Methämoglobin¬ 
ämie) ein und führten nach kurzer Krankheitsdauer zu Tode 
oder relativ rasch zur völligen Genesung. Da, wie gesagt, Hujn.de 
und Katzen gegen Bismut. suhbitr. wenig empfindlich sind und 
auch Menschen nur selten damit vergiftet werden, war die Frage 
näher zu untersuchen: Wie entstehen die Nitrite (denn diese 
bedingen offenbar allein die Vergiftung)? Uebereinstimmend 
mit den Ergebnissen anderer Autoren gelang es zu zeigen, daß 
gewisse Bakterien aus Bismutum subnitricum Nitrite bilden 
können; dasselbe gelingt mit den Fäzes von Tieren und Men¬ 
schen. Es ist also stets die Möglichkeit zur Nitritbildung im 
Darm gegeben; allerdings soll dies nur in beschränktem Maße 
stattfinden. Andererseits soll eine Entgiftung im Darm eintreten 
können (durch Um Wandlung von Ammoniak und Stickstoff ( ?]). Die 
Verwandlung der Nitrate zu Nitrite durch reduzierende Bak¬ 
terien scheint sich in den unteren Darmpartien _ abzuspielen. 

Es sei noch darauf hingewiesen, daß in diesem Falle das 
post mortem entnommene Blut zuerst zwar schokoladenbraun 
war, aber in kurzer Zeit wieder die Farbe des Oxyhämoglobins 
angenommen hatte, so daß dieses . (und das noch in der Leiche 
vorhandene Blut) spektroskopisch nichts von einer Nitritvergif¬ 
tung verriet. Die daraus resultierende Möglichkeit eines nega¬ 


tiven Obduktionsbefundes wird, wie Verff. hervorheben, künftig¬ 
hin berücksichtigt werden müssen. 

Die Literatur und Besprechung der übrigen, bisher bekannten 
Fälle von Vergiftung durch Bism. subnitr. sind beigefügt. 

(An Stelle des Bismut. subnitr. nimmt man zweckmäßig 
andere Wismutsalze zu röntgenologischen Zwecken. Von diesen 
hat sich bereits das Bismutum carbonicum in der Praxis be¬ 
währt [Ref.]). ! . ' ; . 

2. Auf intraperitoneale Jodkaliuminjektion zeigte sich eine 
Blutdrucksenkung, die peripheren Ursprungs ist, da sie nach 
Durchschneidung des Halsmarkes bestehen blieb. Nach Unter¬ 
bindung der Art. thyreoidea sup. und der Art. laryng. inf. ergab 
sich heim narkotisierten Tier eine Blutdrucksteigerung. In 
einer zweiten Reihe von Versuchen wurde die Vena thyreoidea 
auf der einen Seite abgebunden, auf der anderen Seite geöffnet 
und das ausfließende Blut gemessen. Nach Injektion von Jod¬ 
kalium betrug die Menge des abgeflossenen Blutes das zehn- 
bis fünf zehnfache des normalen. Wurden solchen Tieren die 
Ovarien entfernt, so zeigte sich keine Vermehrung des Blut- 
ausflusses und keine Aenderung des Blutdrucks. Von Wichtig¬ 
keit war auch die Qualität des Tieres. Während geschlechtsreife 
Tiere die geschilderten Erscheinungen boten, mißlangen die Ver¬ 
suche bei ganz jungen Kaninchen. Eine weitere Beobachtung 
war die: Wurden einem Tiere die Ovarien entfernt und war 
die Schilddrüse bei der Operation von normaler Größe, so zeigte 
sich nach 16 Tagen, daß das Tier im Vergleich zu Kontroll- 
tieren stark abgemagert und keine Spur einer Schilddrüse zu 
entdecken war. Gleich Huch ar d setzt auch Z. die Blut¬ 
druckänderungen in eine Beziehung zur Tätigkeit der Schild¬ 
drüse, wenn er sagt: „Wie ich zeigen konnte, bewirkt das Jod¬ 
kalium nur heim blutdruckschreibenden Tier eine Blutdruck- 
Senkung. Denken wir uns das Jodkalium als Agent provocateur 
und als solches einen vermehrten Zufluß zur Thyreoidea bewir¬ 
kend, wie ich zu zeigten vermochte, so wäre wohl anzunehmen, 
daß mit der vermehrten Durchströmung des Organes auch eine 
vermehrte innere Sekretion erfolgt, welche demnach zu der Blut¬ 
druckssenkung im Sinne Huchards führt.“ 

Die Blutdrucksenkung nach Jodkalium ist demnach eine 
— im weitesten Sinne des Wortes — Funktion der Schilddrüse. 


Kinderheilkunde. 

Referent: Priv.-Doz. Dr. J. Ibrahim, München. 

1. Ueber die Behandlung interner und chirurgischer Tuber¬ 
kulose mit dem Antituherkuldseserum von Marmorek. Von 
O. Grüner. Wiener klin. Wochenschr., 1908, S. 1317. 

2. Ueber Intubation und Tracheotomie. Von A. Baer, 
Straßburger med. Zeitung, 1908, S. 199. 

3. Erfahrungen mit der Intubation bei diphtherischer 
Larynxstenose. Von F r. L o t s c h. Jahrbuch f. Kinderheilkunde, 
1908, Bd. 68, S. 427. 

4. Die idiopathischen Krämpfe (Spasmophilie) des frühen 
Kindesalter. Von E. F e e r. Correspöndenzbiatt f. Schweizer 
Aerzte, 1908, Nr. 22, S. 713. 

5. Ueber Schwefelwasscr-Trinkkuren beim Kinde. Von 

O. Heubner. Therap. Monatshefte, 1908, S. 605. 

1. Im Gegensatz zu anderen Antoren spricht G r ü n e r sich 
über den therapeutischen Wert des M a r m o r e k sehen Tuber - 
kuloseserums sehr ablehnend aus. Er hat folgende Erfahrungen 
gemacht: . 

Weder bei Lungen- noch • hei Knochentuberkulose im Kindes¬ 
alter entfaltet das Serum eine zuverlässige Heilwirkung. Das 
Serum ist auch bei länger andauernder Anwendung nicht im¬ 
stande, das Auftreten frischer Krankheitsherde, z. B. in vorher 
gesunden Gelenken und Knochen, sowie das Auftreten frischer 
skrofulöser Symptome (speziell Conjunctivitis phlyctaenulosa) 
zu verhindern. 

Bei tuberkulöser Meningitis vermag das Serum auch bei 
intraduraler Injektion und bei Anwendung wiederholter, sehr 
hoher subkutaner Dosen (bis 100 ccm) Verlauf und tötlichen 
Ausgang der Krankheit nicht zu beeinflussen. — Ein günstiger 
Einfluß des Serums auf den Allgemeinzustand der behandelten 
Patienten ließ sich in keinem Falle in überzeugender Weise 
feststellen. — Es besteht kein prinzipieller Unterschied in der 
Wirkungsweise des Serums auf den Krankheitsverlauf hei sub¬ 
kutaner und rektaler Applikation. 


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782 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 52 


Das Marmoreksche Serum ist in hundertfacher Menge 
nicht imstande, die Kutanreaktion auf Tuberkulin aufzuheben 
oder abzuschwächen. — Auch in hunderttausendfacher Menge 
mit Tuberkulin gemischt, vermag das Serum die subkutane 
Stichreaktion bei Tuberkulösen weder aufzuheben, noch auch nur 
abzuschwächen. Diese Tatsache spricht, ohne beweisend zu 
sein, gegen eine spezifische Wirksamkeit des M a r m o r e k sehen 
Antituberkuloseserums. 

2. Baer steht auf dem wohl allgemein akzeptierten Stand¬ 
punkte,. daß Intubation und Tracheotomie keine sich feindlich 
gegenüberstehende Operationen sind, sondern sich gegenseitig 
ersetzen und ergänzen sollen. Die Tracheotomie hält er für 
indiziert: 

a) wenn die Intubation nicht ausreicht (absteigender Croup, 
starke Pharynxstenose); 

b) wo die Intubation technisch nicht möglich ist (z. B. Spas¬ 
mus glottidis); 

c) bei Lungenkomplikationen; 

d) bei sog. sekundärer Diphtherie. 

Bei Säuglingen wähle man, da beiden Operationen eine 
schlechte Prognose zukommt, die Intubatic::. In der Privat¬ 
praxis kann die Intubation, aber wohl nur als provisorische! 
Operation, weitgehende Verwendung finden. 

3. Lotsch, der sich in seinem Aufsatz eingehender spe¬ 
ziell mit der Intubation beschäftigt, betrachtet als einzige 
strikte Kontraindikation der Intubation bei Larynxstenose ledig¬ 
lich Hindernisse in den oberen Luftwegen bis zur Glottis. Dazu 
gehören z. B. hochgradige Angina faucium, Abschluß des Ca- 
vum pharyngo - nasale, Retropharyngealabszeß, gangränöse 
Rachenentzündungen. 

4. Feer bespricht unter Mitteilung mehrerer Kranken¬ 
geschichten in ausgezeichnet klarer Weise den heutigen Stand 
unseres Wissens vom Wesen der idiopathischen Krämpfe 
des frühen Kindesalters, die nach den Forschungen der 
letzten Jahre in der überwiegenden Mehrzahl eine Ausdrucks- 
form einer allgemeinen Diathese, der Spasmophilie oder spas- 
mophilen Diathese darstellen. Unter Spasmophilie versteht man 
einen krankhaften Zustand, der sich kennzeichnet durch gal¬ 
vanische und mechanische Uebererregbarkeit der peripheren Ner¬ 
ven und durch die Neigung zu gewissen klonischen und toni¬ 
schen, lokalen oder allgemeinen Krämpfen. Als objektive Kenn¬ 
zeichen der Spasmophilie kommen in Betracht das Trousseau- 
sc’he Phänomen (am wenigsten häufig), das Fazialisphä- 
nomen, auf dessen Prüfung der Praktiker sich meist be¬ 
schränken muß, und das Feer als verläßliches diagnostisches 
Kriterium betrachtet. Das sicherste und schärfste Zeichen ist 
die galvanische Uebererregbarkeit, der Eintritt der 
K. Ö. Z. und der A. Ö. Z. unter 5 M.-A., unter Verwendung 
der S ti n t z i n g sehen Normalelektrode am N. medianus in der 
Ellenbeuge. Auf Grund der spasmophilen Diathese entwickeln 
sich die manifesten Krämpfe in drei Typen, die kombiniert 
auftreten können: Glottiskrämpfe, Eklampsie und Tetanie. Auf 
die von Feer kurz erörterten ätiologischen Beziehungen der 
Erkrankung zu familiärer Anlage, Lebensalter, Jahreszeit, Ra¬ 
chitis und Ernährung 1 kann hier nicht näher eingegangen wer¬ 
den. Bezüglich der Pathogenese bekennt sich Feer als An¬ 
hänger der Wiener Lehre, daß die kindliche Spasmophilie in 
Beziehung zu den Epithelkörperchen steht. 

Als beste Prophylaxe müssen wir die natürliche Ernährung 
des Säuglings ansehen, sonnige Wohnung, viel Aufenthalt im 
Freien. Bei künstlicher Ernährung ist Ueberfütterung zu ver¬ 
meiden, sowohl ein Uebermaß von Kuhmilch, als auch ein¬ 
seitige Mehlfütterung. Die Feststellung von Fazialisphänomen 
oder elektrische Uebererregbarkeit bei einem scheinbar gesun¬ 
den Kinde muß uns, auch ohne daß Krämpfe vorhanden sind 
oder waren, veranlassen, nach ursächlichen Schädlichkeiten in 
Wohnung und Ernährung zu suchen und sie bestmöglichst zu 
entfernen. 

Bei manifest gewordener Spasmophilie erweist sich die 
Frauenmilch als bestes Heilmittel, unter der die Symptome, 
hauptsächlich die Krämpfe, meist rasch verschwinden. — Ist 
man auf künstliche Ernährung angewiesen, so ist knappe Kost 
sehr wichtig. Man reduziert dabei die Milch, auch für ältere 
Säuglinge, auf ein kleines Maß, zunächst nicht mehr als % bis 
Vs Liter im Tage, und gibt daneben Schleim oder Mehl und 
Griesbrei, nach Möglichkeit auch Obst und Gemüse. 

Zur Zeit von Eklampsie oder Spasmus glottidis muß man 
energischer Vorgehen. Man verabfolgt einige tüchtige Dosen Ka- 
lomel, setzt das Kind ein bis zwei Tage auf eine reine Tee¬ 


oder Wasserdiät und geht dann für vilr bis sieben Tage auf 
reine Schleim-Mehlernährung über (ohne Fleischbrühe, leicht 
gesalzen). Hierbei ergibt sich oft eine ausgezeichnete Wirkung, 
indem die Krämpfe rasch aufhören, for allem der Spasmus 
glottidis der Ueberfütterten. Sicherlich kann man auf diese 
Weise öfters tötliche Glottiskrämpfe verhüten. Nach etwa acht 
Tagen geht man dann vorsichtig wieder zu kleinen, langsam 
steigenden Milchzusätzen über, am ersteü Tage nicht über 50 g. 
Gleich nach dem Hungertag wird mit Phosphorlebertran¬ 
darreichung (V 2 Milligramm pro die) begonnen, dem oft eine 
gute Wirkung zukommt und der, wenigstens«, in einer beträcht¬ 
lichen Anzahl von Fällen, die Erregbarkeit unverkennbar herab - 
setzt. — Es gibt leider auch eine Anzahl von Fällen, bei denen 
diese Maßnahmen, unter denen man oft schwere Erkrankungen 
ausheilen sieht, nicht zum Ziele führen. ,,Im allgemeinen rea¬ 
gieren die fetten und überfütterten Kinder am ehesten günstig 
auf die angegebene Behandlungsmethode. Am schwersten sind 
die Fälle zu beeinflussen, welche an manifester Tetanie und an 
Hypertonien leiden. Hier liegt gewöhnlich eine chronische Er¬ 
nährungsstörung, oft mit begleitender Darmaffektion, häufig 
mit Mehlüberfütterung, zu Grunde. Längere Mehldiät ist da 
ohne Nutzen. Das Leiden bessert sich-allmählich und heilt, wenn 
es gelingt, durch sorgfältiges Vorgehen mit steigenden Milch¬ 
mengen die Ernährungsstörung zu heben und eine Körper- 
Zunahme des atrophischen Patienten zu erzielen.“ 

„Gegen den Anfall von Spasmus glottidis sind wir macht¬ 
los ; er geht auch meist, ohne Schaden vorüber. In sehr schweren 
Fällen wäre künstliche Atmung zu versuchen. Bei wirklichem 
Atmungsstillstand sind aber alle Mittel fruchtlos, auch Intu¬ 
bation und sofortige Tracheotomie, da der Tod an Herzlähmung 
erfolgt. Bei sehr heftigen, häufig wiederholten eklamptischen 
Anfällen hilft vorübergehend Chloroforminhalation, auch 
Chi oral in großen Dosen, von dem man ein bis zweimal im 
Tage 0,5 g im Klysma schon im Säuglingsalter geben kann. 
Auch bei häufigen 'bedrohlichen Glöttisspasmen kann Ch i oral, 
über die schlimmsten Tage weghelfen. Bei hohem Fieber wirkt 
oft ein Bad von 35° C., rasch auf 33—32° abgekühlt, und Kälte 
auf dem Kopf vorteilhaft.“ 

Bef. möchte darauf hinweisen, daß nach Finkeiste .in 
speziell die Kombination von. Phosphorlebertran mit Roh- 
milch gute Resultate liefert, eine Tatsache, von der er sich 
mehrfach überzeugen konnte. Es wäre ein Versuch mit Roh- 
milch, vielleicht speziell bei den von Feer als besonders refrak¬ 
tär geschilderten Mehlüberfütterungsfällen in Betracht zu ziehen, 
wenn Frauenmilch nicht zur Verfügung steht. 

5. Heubner weist darauf hin, daß die Mineralquellen in 
der Behandlung kranker Kinder eine häufigere und vielseitigere 
Anwendung verdienen, als es zurzeit üblich ist, und empfiehlt 
speziell Schwefelwasser-Trinkkuren bei chroni¬ 
schen Rachenkatarrhen der Kinder vom dritten oder 
vierten Lebensjahre an. Kinder, die an dieser Affektion leiden, 
sind meist bei gutem Allgemeinbefinden anhaltend appetitlos; 
sie erbrechen auch häufig die Nahrung, und zwar nicht, wie 
Magenkranke auf der Höhe der Verdauung, sondern während 
des Essens, besonders wünn sie trotz ihres Widerwillens gegen die 
Nahrungsaufnahme zum Essen gezwungen werden. Gleichzeitig 
besteht gewöhnlich eine ' erhebliche Stuhlträgheit, ferner oft 
ein besonders morgens auffallender, unangenehm fader, ja fauli¬ 
ger Geruch aus dem Munde bei fehlender Zahnkaries. Die Zunge 
zeigt, namentlich auf dem Zungengrunde, einen dicken, schmie¬ 
rigen, grauen oder graugelblichen Belag. Die Tonsillen können, 
unverändert sein. Am meisten verändert zeigt sich die hintere 
Rachen wand. Sie ist immer wie auf gelockert, von schwammi¬ 
gem Aussehen, grauer, auch graugelblicher Färbung und un¬ 
ebener Oberfläche, teils durch allgemeine Wulstung der Schleim¬ 
haut, teils durch die Anschwellung der Lymphfollikel, die der 
Oberfläche einen gekörnten Habitus verleihen. Die Schleimhaut 
ist von ziemlich zähem, grauem Schleim überzogen, oder man 
sieht, wie ein zäher, gelbeitriger Schleim von den nasalen 
Partien des Pharynx langsam herunterfließt. — Auch die seit¬ 
lichen Partien des Rachens befinden sich in ähnlichem Zu¬ 
stande. — Die in solchen Fällen von Heubner mit sehr be¬ 
friedigendem Erfolg angewandten Trinkkuren wurden meist vier 
bis sechs Wochen lang fortgesetzt. [Jeden Morgen wird nüch¬ 
tern im Bett ein Weinglas (150 g) cf.es Schwefelwassers (Weil- 
b ach er oder Gurei geler Wasjser) kühl getrunken, dann 
nach der Morgentoilettje ein zweites. 120 Minuten oder eine halbe 
Stunde später wird das erste Frühstück gereicht. Unter Um¬ 
ständen läßt man auch abends vor dem Abendessen noch ein 


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UNIVERSfTY OF MICHIGAN 




1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


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Glas trinken. Bei sehr jungen Kindern wird die Dosis erheb¬ 
lich herabgesetzt. Die Kur kann nach einem halben Jahre 
wiederholt werden. — Acht kurze Krankengeschichten illu¬ 
strieren die Erfolge der Behandlung. Bei einem ö /i Jahre alten 
Kinde wurden täglich 15 g gegeben. Eine neunte Kranken¬ 
geschichte illustriert die Erfolglosigkeit der Kur in Fällen, 
bei denen nicht die katarrhalische Affektion die Hauptsache 
ist, sondern eine abnorme Reizbarkeit des Nervensystems dem 
Syndrom zugrunde liegt. 


Dermatologie und Syphilis. 

Referent: Spezialarzt Dr. Jul. Baum. Berlin. 

1. Was leistet zur Zeit die Wassermannsehe Reaktion für 
die Praxis. Von F ritz II ohne. Mediz. Klinik, 1908, Nr. 47. 

2. Eine einfache Methode der Serumdiagnose der Syphilis. 
Von N. Tschernogubow. Berl. klin. Wochenschr., 1908. 
Nr. 47. 

3. Ergebnisse der von mir angegebenen Präzipitations- 
rcaktion bei Syphilis. Von E. K la usne r. Prager med. 
Wochenschr., 1908, Nr. 46. 

4. Ueber die klinische Verwertbarkeit der Komplement- 
binduugsreaktion für die Serodiagnostik der Syphilis. Von 

Franz B a 11 n e r. Deutsche med. Wochenschr., 5. XI. 1908. 

5. Arsenic in diseases of the skin; with observations on 
sodium cacodylate and Atoxyl. Von M. B. Hart zell. Iournal 
of the americ., med. Journal, 31. X. 1908. 

6. A eontribution to the subjeet of sypliilitic prophylaxis 
by the use of calomel ointment. Report of a case. Von A b r. 
L. W o b a r s t. Medical Record, 24. X, 1908. 

7. Fälle von Tätowierungskeloiden. Von Eduard We- 
1 a n d e r. Nord. med. Ark., 1908, Abt. II, Nr. 8. 

8. Capsulae geloduratae mit Quecksilberjodid-Jodkalimn. 
Von Max Joseph. Dermat. Centralbl., Oktober 1908. 

9. Ueber Thyresol, ein neues Sandelölpräparat. Von Paul 
Richter. Berl. klin. Wochenschr., 1908, Nr. 45. 

10. Ueber einige spezielle Melanodermien der Tubereulösen. 
Von VignoTo-Lüta'ti. Arch. f. Dermatol., Bd. 92. 

11. Die Mikrosporie und Makro.sporie der Kinderköpfe. Von 
F. Glaser. Berl. klin. Wochenschr., 1908, Nr. 45. 

1. Der Ausfall der W a s s e r_m a n n sehen Seroreaktion, so 
bedeutungsvoll er in diagnostischer Hinsicht, ist für die pro¬ 
gnostische Bewertung des Krankheitsbildes ungeeignet. Nach 
den bisherigen Erfahrungen berechtigt nichts zu der Annahme, 
aus dem starken oder schwachen Ausfall der Reaktion Schlüsse 
auf den schwereren oder leichteren Verlauf des Leidens zu ziehen. 
Selbst aus dem negativen Ausfall der Reaktion wird man eine 
besondere Art der Erkrankung nicht Voraussagen können. Für 
den Ehekonsens spielt daher die Reaktion keine Rolle, der kli¬ 
nische Verlauf ist in diesem Fall entscheidend. Natürlich werden 
wir eine Person mit positiver Reaktion im späteren Verlauf der 
Lues mehr im Auge behalten als bei negativer Reaktion, da diese 
Patienten möglicherweise das Kontingent der späteren Tabiker 
und Paralytiker stellen. Man wird jedenfalls einen solchen Pat. 
energisch behandeln und die positive Reaktion in eine negative 
umzuwandeln versuchen, was in einer Anzahl von Fällen gelingt. 

2. Tschernogubow publiziert eine neue Methode der 
Serumdiagnose der Syphilis. Sollte sich ihr Wert bestätigen, so 
würde sie durch ihre Einfachheit der Wassermann sehen 
vorzuziehen sein. Man arbeitet bei dieser Methode nicht mit dem 
Serum, sondern dem vollständigen nicht inaktivierten Blut, 
braucht nur ganz geringe Mengen Blut (V 2 ccm) und keinen 
Tierstall. Im übrigen muß die genaue Methodik im Original 
nachgelesen werden. 

3. E. Klausner fand, daß nach Zusatz von 0,2 ccm 
frischem, möglichst, rein abgesetztem Blutserum zur dreifachen 
Menge destillierten Wassers in einer großen Zahl von Luesfällen 
nach mehreren Stunden Trübung ,dann Flockenbildung eintritt; 
schließlich sammelt sich nach 3 —12 Stunden am Boden des 
Reagenzglases ein Präzipitat von oft mehreren Millimetern 
Höhe an. Diese Reaktion tritt nach den bisherigen Erfahrungen 
Klausners in 85% der Sklerosen, in 100% florider Sekundär- 
fälle und in 80% florider tertiärer Lues auf. Nach starker 
merkurieller Behandlung verschwindet die Reaktion meist völlig. 
— Diese Reaktion ist jedoch nicht spezifisch für Lues, sondern 
findet sich auch bei Typhus, Pneumonie, Tuberkulose, Rhino- 


sklerom, Scharlach und Masern. Praktisch, in Frage kommen 
von diesen Affektionen bei der Differentialdiagnose nur Tuber¬ 
kulose und Rhinosklerom. In diesen Fällen kann die Reaktion 
nicht verwertet werden. AuffallcnderweiBe reagierten jedoch 
auch von 23 Psoriatikern 2 positiv, und auch das Serum von 
einem Falle von Mycosis fungoides. Die Reaktion tritt bei 
Primäraffekten schon ein, wenn die Wassermann sehe noch 
negativ bleibt. Sie ist besonders dann beweisend, wenn bei Ver¬ 
dacht auf Lues die anfangs negative Reaktion plötzlich stark 
posjtiv wird. — Wenn diese Reaktion also auch nicht so spezifisch 
ist, wie die Wassermann sehe, so hat sie doch einen ge¬ 
wissen Wert. 

4. Nach den Erfahrungen der Autoren ist die Wasser¬ 
mann sehe Reaktion nicht absolut spezifisch. Für das hämo¬ 
lytische System verwandten sie statt Hammelblut Rinderblut 
ungefähr mit demselben Ergebnis. 

5. Kakodylsaures Natrium und Atoxyl besitzen keine thera¬ 
peutischen Eigenschaften, welche nicht auch die arsenige Säure 
enthält. Jedoch ist Atoxyl wegen seiner Löslichkeit und gerin¬ 
gen Reizung zur subkutanen Injektion sehr zu empfehlen. Man 
muß bei jedem längeren Arsengebrauch auch an die möglichen 
Nebenwirkungen denken, vor allem Arsenkeratose mit nachfol¬ 
gendem Karzinom. 

6. Zwei Männer hatten in derselben Nacht mehrmals eine 
Frau mit luetischen Papeln an den Labien koitiert. Der eine 
von beiden wurde mit der Metschnikoff sehen Kalomel- 
salbe mehrfach eingerieben, und zwar zum erstenmal 6 Stunden 
nach der Infektionsmöglichkeit. Dieser blieb frei von Lues; der 
andere, der nicht in dieser Weise behandelt war, akquirierte 
Lues. Wolbarst betrachtet diesen Fall als Beitrag zur Frage 
der Verhütung der Syphilis, ohne diese Behandlungsmethode als 
sicher hinzustellen. 

7. W eiander beobachtete in 3 Fällen, daß Keloide an 
den mit Rot tätowierten und nicht an den mit Blau tätowierten 
Stellen auftraten. Das Rot bestand aus Zinnober, das sicherlich 
nur als mechanischer, nicht als chemischer Reiz gewirkt hat. Der 
Zinnober lag in Form von spitzen, krystallähnlichen Stücken, 
die blaue Farbe in Form von diffusen Klumpen ohne scharfe 
Kanten unter der Haut. Für das Auftreten von Keloiden scheint 
bei einer disponierten Person entweder ein größerer Eingriff in 
der Haut, eine wirkliche Verletzung oder eine anhaltende Ein¬ 
wirkung einer Reizung erforderlich. 

8. Die Kombination von Hydrargyr. bijodatum mit Kalium 
jodatum, wie sie von R i c 6 r d angegeben worden ist, w.ar lange 
Zeit fast in Vergessenheit geraten, bis durch Penzoldt und 
andere wieder auf sie hingewiesen wurde. Leider wird diese 
Medikation nicht immer gut vertragen, besonders wegen der Rei¬ 
zung der Magenschleimhaut. Viel besser wird sie vertragen in 
Form der Rumpel sehen Dünndarmkapseln. Das sind in For¬ 
malin gehärtete Gelatinekapseln, die den Namen Gelodurat- 
kapseln führen. (Referent hat diese Kapseln vielfach mit dem¬ 
selben Resultat verordnet.) 

9. Richter empfiehlt ein neues Sandelölpräparat, Thy- 
resol. das in Tropfenform oder als Perlen oder Tabletten in den 
Handel gebracht ist. 

10. V i g n o 1 o - L u t a t i beobachtete bei Tuberkulösen 
3 Fälle von Pigmentanhäufung am Hals, die von dem Leuko¬ 
derma lueticum sich nicht unterscheiden lassen. Schon früher 
sind solche Fälle von F ournieru. a. bei Tuberkulose beschrie¬ 
ben worden, sind jedoch zu wenig bekannt geworden. Sie sind 
deswegen wichtig, weil im allgemeinen das Leukoderm am Hals 
als für Lues pathognomonisch gilt. In den beobachteten Fällen 
waren die Nebennieren intakt. Ferner ließ sich ein stärkeres 
Auftreten des Pigments bei jeder Verschlimmerung des Allge¬ 
mein zustandes beobachten. 

11. Es gibt eine Form der Makrosporie des Kopfes, d. h. 
eine Affektion, welche durch die gewöhnlichen Trichophytonpilze 
erzeugt wird, welche in ihrem Aussehen der in der jüngsten Zeit 
in Berlin mehrfach beobachteten Mikrosporie vollständig gleicht. 
Auch hier findet man scharf umschriebene Herde, denen jedes 
Zeichen der Entzündung fehlt. Die Haare auf dem umschriebe¬ 
nen Herd sind als kurze Haarstümpfe zu sehen, die sich leicht 
ausziehen lasser. Es sind keine Knötchen, Bläschen oder 
Pusteln vorhanden, sondern nur feine weiße Schüppchen. Nur 
die mikroskopische und bakteriologische Untersuchung läßt eine 
sichere Diagnose zu. 

Bei Aufhellung der Haare mit 30% Kalilauge zeigt das 
Mikrosporie folgende Eigenschaften: Das Haar ist von einem 


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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


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dichten Mantel kleiner, ungeordnet nebeneinander liegender 
Sporen umgeben. Die Sporen liegen so dicht nebeneinander, daß 
sie sich gegenseitig abplatten; sie sind deutlich nur außerhalb 
des Haares gelagert; denn bei mittlerer Einstellung verschwinden 
sie und kommen bei tiefer Einstellung wieder zum Vorschein. 
Die im Haar verlaufenden, kurzen Myzelien können nur durch 
intensives Kochen mit Kalilauge sichtbar gemacht werden. Das 
Makrosporiehaar dagegen zeigt Sporenketten im Haar und 
Myzelien außerhalb des Haares. Außerdem sind die Sporen zwei- 
bis dreimal größer als die Mikrosporen. 


Magen-, Darm- und Stoffwechselkrankheiten. 

Referent: Spezialarzt Dr. M. Pickardt, Berlin. 

1. Ucbei den Eiweißumsatz bei Entfettungskuren. (Mit 
besonderer Berücksichtigung der sogen. Kartoffelkur.) Von Prof. 
Dr. P. F. 11 i ch te r. Deutsche med. Wochensehr., 1908, Nr. 49. 

2. Zur Behandlung des l T lcus ventriculi. Von Dr. 11 ans 
Elsner. Therapie der Gegenwart, 1908, Heft 2. 

3. Die Elektrolyse bei narbiger Verengerung des Oesophagus. 
Von A. W. Zuberb ii h 1 e r. Berl. kiin. Wochenschr., 1908, 
pag. 796. 

1. Bei Entfettungskuren gilt heutzutage mit Recht als Be¬ 
dingung, daß der Eiweißbestand des Körpers dabei keinen Scha¬ 
den leide und daß die Einschmelzung sich lediglich auf den 
Fettreichtum beschränke. Daß das durchaus möglicht ist, ist 
durch Stoffwechselversuche schon vor längerer Zeit nachgewiesen 
worden, und als Basis zur Erreichung dieses Zieles erkannt, daß 
man erstens nicht nur in quantitativer Hinsicht vorsichtig zu 
Werke gehen müsse, d. h. nicht brüsk und zu stark einschränken, 
sondern in allmählichem Uebergang und vor allem nicht unter 
ein gewisses Maß, das wohl individuell verschieden ist, in der 
Menge der Nahrungsmittel heruntergehen dürfe, sondern auch, 
daß in qualitativer Beziehung gewisse bestimmte Rücksichten zu 
nehmen sind. Es ist nämlich bei Entfettungskuren darauf zu 
achten, daß viel Eiweiß zu geben ist oder an Stelle desselben 
ein sogen. Eiweißsparmitte), und zwar als deren vorzüglichstes: 
Kohlenhydrate, welche liier den Fetten überlegen sind. Die Koh¬ 
lenhydrate sind aus praktischen Gründen insbesondere in den¬ 
jenigen Fällen zu verwerten, in welchen aus anderen Gründen 
eine Erhöhung des Eiweißkonsums nicht erwünscht ist: bei 
Gicht, Nephritis. Arteriosklerose. Iii diesen Fällen bewährt sich 
die sogenante Kartoffelkur, das ist dasjenige Diätregime, bei 
welchem die Sättigung hauptsächlich durch zu mehreren Mahlzei¬ 
ten des Tages in größeren Mengen verabreichte Kartoffeln erfolgt, 
so daß für anderes relativ wenig Appetit übrig bleibt ; der. Nähr¬ 
wert der Kartoffeln mit ihren ca. 80% Wasser ist nämlich gering 
und bisher wesentlich überschätzt worden. 

Verf. hat nun bei Patienten, bei denen* aus oben genannten 
Gründen eine eiweißarme Kost indiziert war, Stoffwechselver¬ 
suche angestellt und konstatieren können, daß auch bei dieser 
Form der Entfettung, der Kartoffelkur, es gelang, den Eiweiß- 
bestand des Organismus aufrechtzuerhalten, so daß die recht er¬ 
hebliche Abnahme des Körpergewichts hauptsächlich auf Kosten 
des Fettes erfolgt. 

2. Der klassischen Ulcusbehaiidlung nach Leube- 
Z iemsse n , deren Wesen in einer vorsichtig vorwärtsschrei- 
tenden Diät von flüssigen über breiförmige zu festen Nahrungs¬ 
mitteln besteht, hat vor einigen Jahren Len har tz in Ham¬ 
burg zum Vorwurf gemacht, daß sie erstens eine Unterernährung 
fördere, zweitens auf die meist bestehende Hyperazidität nicht 
genug Rücksicht nehme und schließlich durch übermäßige Ein¬ 
fühlung von Flüssigkeit (Milch) einer Atonie des Magens Vor¬ 
schub leiste. L. gibt aus allen diesen Gründen — selbst unmittel¬ 
bar nach frischen Blutungen — von vornherein größere Mengen 
von Eiweiß in Form von Eiern und geschabtem Fleisch und setzt 
die Milchmengen erheblich herab. Zwischen den für und gegen 
diese Empfehlung plädierenden Autoren steht Sen a t o r mit 
seiner hauptsächlich aus Gelatine, Fett, Sahne und Zucker be¬ 
stehenden Kost. Zwischen allen diesen widerstreitenden Re¬ 
gimes vermittelt ein anderes von E. aufgestelltes, dessen Basis 
das bekannte Präparat Hygiama bildet. Seine Patienten erhalten 
vom ersten Tage nach der Blutung an eine Abkochung von Hy¬ 
giama nach folgendem Schema: am ersten Tage Milch 200, Hy¬ 
giama 20, Zucker 20, am zweiten 400, 40, 20, am dritten 600, 60, 
30. am vierten 800, 80, 30, am fünften 1000, 100, 30; dann Butter, 



Sahne, Zwieback, Eier etc. Diese Kost ersetzt kalorisch die 
Milch sehr gut, ist reizlos, wird gut. vertragen und ist genügend 
eiweißreich. Dazu werden größere Mengen Alkali in Form von 
Natron bicarbonieum oder Magnesia usta gegeben — drei bis 
vier Teelöffel täglich —, um die überschüssige Säure zu binden. 

Verf. hat mit dieser Anordnung, von der natürlich unter Um¬ 
ständen Variationen erlaubt sind, günstige Erfahrungen ge 
macht, wie auch einige angeführte Krankengeschichten be¬ 
weisen. 

3. Obgleich diese Art der Behandlung wohl ausschließlich 
von spezialistischer Seite ausgeführt werden dürfte, sei auf sic 
als eine erfolgversprechende aufmerksam gemacht, die eventuell, 
wenn die Thiosinaminbehandlung versagen sollte, vor der Ope¬ 
ration vorzuschlagen ist. Das Verfahren beruht darauf, daß 
durch den konstanten Strom am positiven Pol in den Geweben 
die Säuren, am negativen die Alkalien niedergeschlagen werden 
und letztere durch Verbindung mit Sauerstoff in statu nascendi 
— aus dem Wasser der Gewebe — sich zu Aetzalkalien verbind *n; 
diese bewirken eine Zerstörung der Gewebe an Ort und Stt Ile.. 
Verf. beschreibt zwei Fälle von Stenose des Oesophagus, die als 
narbige im Oesophagoskop festgestellt wurden, ln einem Fall 
war die Ursache Ulzeration nach Scharlach — eine sehr seltene 
Komplikation —, im anderen Aetzungen nach Oonamen suicidii 
mit Ammoniak. Jn wenigen Sitzungen, in denen für einige Mi¬ 
nuten der eine Pol an die Narbe, der andere auf das Sternum 
appliziert wurde, war ösophagoskopisch eine Erweichung und 
fortschreitende Nachgiebigkeit der Narbe zu konstatieren, so daß 
eine fortlaufende Bougierung die Elektrolyse ablösen konnte. Im 
ersteren Fall besonders war der Erfolg ein eklatanter, indem an 
Stelle der vor der Behandlung nur möglich gewesenen Ernährung 
durch Flüssigkeiten eine feste, den kalorischen Anforderungen <>nt- 
sprechende Diät treten konnte, welche eine Gewichtszunahme von 
ea. 25 Pfund und als Konsequenz davon eine schnelle körperliche 
Entwicklung, die stark zurückgeblieben war, zur Folge hatte. 


Medizinisch-biologische Gesellschaft. 

Wie in der Nr. 43 dieser Zeitschrift kurz berichtet, wurde, 
fand am 17. Oktober im Kurhause zu Wiesbaden eine Gene¬ 
ralversammlung der Freien Vereinigung biologisch-denkender 
Aerzte statt, welche von 22 Mitgliedern besucht war. Von den 
zur Versammlung als Gäste eingeladenen Wiesbadener Aerzten 
waren neun erschienen. 

Nach einem kurzen Bericht über die Vorgeschichte der 
Fr. V., gegeben von Dr. Bach mann, wurden folgende Vor¬ 
träge gehalten: 

Dr. F albender, Ibbenbüren: „Ueber die Bedeutung bio¬ 
logischer Anschauung für die Therapie.“ 

Dr. Bach m a n n , Harburg: ,,Der Wert der Biologie für die 
Vol ks w ohl f ah r t. “ 

Dr. K 1 e i n s c h r o d , München : „Die Eigengesetzlichkeit des 

Lebens.“ 

Da die Gegenstände der Vorträge verwandte waren, so 
wurde nach Schluß des dritten Vortrages eine gemeinsame De¬ 
batte abgehalten. Dieselbe hatte das Ergebnis, daß die Mehr¬ 
zahl der Anwesenden die Meinung vertrat, daß unsere heutige 
gesamte Medizin, Therapie sowohl als Hygiene, noch lange nicht 
genügend vom biologischen Gedanken befruchtet sei, und daß 
daher eine wissenschaftliche Bestrebung im Sinne der bisherigen 
Fr. V. geradezu ein Bedürfnis sei. Da jedoch die Form der 
Vereinigung keinen genügend engen Zusammenschluß noch Aus¬ 
sicht auf wirklich erfolgreiche Tätigkeit gewährleiste, so be¬ 
schloß die Versammlung die Begründung einer Medizinisch- 
biologischen Gesellschaft. 

In den Vorstand derselben wurden gewählt: 

Dr. B a. c h m a n n als Vorsitzender; 

Dr. PIsch als stellvertretender Vorsitzender; 

Dr. Kleinschrod als Schriftführer; 

Dr. F a ß b e n d e r als Kassenführer. 

Da die Begründung eines eigenen Vereinsorgans vorläufig 
aus finanziellen Gründen aussichtslos erschien, zudem die Ueber- 
zahl der vorhandenen Fachzeitschriften nicht noch vermehrt 
werden sollte, so wurde beschlossen, die „Therapeutische Rund¬ 
schau“ als solches beizubehalten. 

Die Bildung einer medizinisch-biologischen Sektion der Na¬ 
turforscher- und Aerzte-Versammlung oder eines sonst geeignet 
erscheinenden Kongresses wird dem Vorstande überlassen. 




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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


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Mitgliedsbeiträge sollen entsprechend den Geschäftsunkosten 
des Vorstandes seinerzeit erhoben werden. 

Begrüßungstelegramme waren von mehreren Mitgliedern, so¬ 
wie vom „Verein abstinenter Aerzte deutschen Sprachgebietes “ 
eingelaufen und wurden unter Beifallsbezeugungen verlesen. 

Schließlich beschloß die Versammlung, der am 23. Oktober 
zu Wiesbaden tagenden 2. Generalversammlung der Vereini¬ 
gung der Hoteliers und Restaurateure deutscher Bade- und 
Kurorte einen Antrag mit Bezug auf die Reform der Wirts¬ 
hauskost zuzusenden. Die Ausarbeitung und Abwendung des 
Schreibens übernahm das Vereinsmitglied San.-Rat Dr. Haupt 
aus Soden i. T. 

Nach Schluß der Sitzung hielt eine gemeinschaftliche Abend¬ 
mahlzeit, welche ihrer Form und Zusammensetzung nach einer¬ 
seits .den fl eiseh gc* w oh n ten Esser und Weintrinker nicht ent¬ 
täuschte, andererseits aber auch dem halben und ganzen Vege¬ 
tarier und Abstinenten volle Befriedigung brachte, die aus den 
fernsten Gegenden Deutschlands und der Schweiz, leider nur zu 
so kurzem Zusammensein, herbeigeeilten Kollegen noch einige 
Stunden in anregender Unterhaltung beisammen. 

Der neugewählte Vorstand hat es als seine dringendste Auf¬ 
gabe betrachtet, das Verhältnis zu dem „Aerzteverein für physi¬ 
kalisch-diätetische Therapie“ zu regeln. Bekanntlich gehören 
eine Anzahl von Kollegen beiden Vereinen gemeinsam an. Nun 
hat ein Berliner Arzt, Dr. Klein (der selbst nie Mitglied der 
Fr. V. war), unsere Bestrebungen in einem Artikel des „Archivs 
für physikalisch-diätetische Medizin“' angegriffen und uns unter 
beleidigenden Ausdrücken verdächtigt, wir meinten es nicht 
ernst, mit unserer Reform der Medizin, sondern wollten eine 
solche Bewegung sogar heimlich unterdrücken. Grund zu 
solchen Verdächtigungen konnte dem betr. Herrn offenbar nur 
unsere Mäßigung in der Reformarbeit .gegeben haben, auf welche 
wir selbst den größten Wert legen, die aber manchem Hei߬ 
sporn find Radikalen nicht gefallen mag. 

Diese Angelegenheit ist den Lesern der „Therap. Rund - 
s c h a u “ ja aus der Nr. 22 dieses Jahres bekannt. Die in dieser 
Nummer veröffentlichte Entgegnung auf den Iv.’schen Artikel, 
von Dr. Bach m a n n . enthielt bekanntlich die Aufforderung 
an die Archiv-Redaktion, zu erklären, daß der unschöne Angriff 
des Dr. K. von dem genannten Verein gemißbflligt werde. Eine 
solche Erklärung ist aber bisher ausgeblieben. Aus diesem 
Grunde hat die M. b. G. nun die gemeinsamen Mitglieder direkt 
aufgefordert, sich zur erwähnten Angelegenheit zu erklären. 
Selbstverständlich wird von den Mitgliedern der M. b. G. auch 
gefordert werden, daß sie, mögen sie in wissenschaftlichen 
Fragen denken, wie sie wollen, sich zu dem Grundsatz bekennen 
sollen: 

Die Krankheitsbehandlung den Aerzten! 

Es darf also künftighin kein Zweifel darüber gelassen wer¬ 
den, daß die M. b. G. keine Mitglieder dulden wird, welche in 
Sachen der IvrankenbehaJidlung gemeinsame Sache mit der 
Laien-Naturbeilkunde machen. 

Das Ergebnis des Rundschreibens an die betr. Aerzte steht 
zurzeit noch aus. 

Um schließlich unsere Bestrebungen nochmals zu präzi¬ 
sieren, sei folgendes betont: 

Die M. b. G. ist ein zu wissenschaftlichen Zwecken ge¬ 
bildeter Aerzteverein, welcher aus der Ueberzeugung heraus 
entstanden ist, daß — allgemein ausgedrückt — die neuen 
Ergebnisse der biologischen Naturwissenschaf¬ 
ten notwendig auch veränderte Grundlagen für 
die gesamte Heilkunde erfordern, daß aber die 
Ueberzeugung .von dieser Notwendigkeit bei den Aerzten noch 
sehr wenig verbreitet sei, indem vielfach die heutige Medizin 
als in ihren Grundvesten begründet und nur in nebensächlichen 
Punkten reformbedürftig angesehen werde. 

TA enn nun weiterhin die Entgegnung laut werden sollte, 
wie dieses ja bereits mehrfach geschah: ,,AA v as will denn die 
biologische Vereinigung? Biologisch denkende Aerzte sind wir 
ja alle!“ so antwortet die M. b. G. darauf: Aerzte, die sich 
prinzipiell der Biologie verschließen würden, gibt es allerdings 
heutzutage nicht mehr; aber es muß doch eingestanden werden, 
daß erstens das biologische Denken für sehr viele Aerzte nur 
eine Phrase darstellt, da es auf ihre Therapie und Prophylaxe 
bisher kaum einen Einfluß ausgeübt hat; und zweitens, daß bei 
einer weiteren großen Anzahl, ja sicherlich der großen Mehr¬ 
zahl aller Aerzte, unter Biologie noch die alte, rein mecha¬ 
nistische Biologie verstanden wird, welche sich doch als völlig 
unfruchtbar erwiesen hat. Wir fordern daher als Ergebnis der 




modernen Naturwissenschaft und Philosophie das Bekenntnis: 
Der Versuch, den Gesetzen des Lebens unter 
alleiniger Zuhilfenahme der mechanistischen 
Erklärungsweise näher zu kommen, muß als ge¬ 
scheitert aufgegeben werden! AATr müssen alle Le¬ 
benserscheinungen, also auch Krankheit und Heilung, als etwas 
Eigenartiges, nicht ohne weiteres durch Physik, Chemie usw. 
Erklärbares anerkennen, wenn auch die entsprechenden vi¬ 
talen Gesetze noch nicht bekannt sind. 

Wegen der praktischen Wichtigkeit dieser Fragen geht es 
aber nicht, an, immer erst auf die „einwandfreien Ergebnisse 
der exakten Forschung““ zu warten, sondern wir müssen schon 
jetzt, wenn auch empirisch, mehr „dem Leben dienen“, wie 
Kollege Kost-Pausa in seinen vortrefflichen biologischen Be¬ 
trachtungen in Nr. 22 dieser Zeitschrift sagte, d. li. vor allein 
die Selbsterhaliungs- und Heiltätigkeit des Organismus in Pa - 
thologie, Therapie und Hygiene in gebührender AA'eise beachten 
und verwerten, insonderheit an Stelle der nur allzu modernen 
einseitigen lokalistischen, mechanistischen und antibakteriellen 
eine konstitutionelle und biologische Heilkunde 
erstreben. 

So hoffen wir, durch diese V erjünguug der Medizin auf 
naturwissenschaftlicher Grundlage, welche gleichzeitig auch eine 
AA iedergeburt. im Sinne des altklassischen Hippokratismus be¬ 
deutet, nicht nur eine Ueberbrüekung der tiefen, in das heutige 
Volksleben einschneidenden Kluft •zwischen natürlichem und 
übergelehrtem Denken herbeizuführen, sondern sehen hier auch 
die wahren Quellen informatorischer Bestrebungen für eine 
vertiefte, innerlichere Volkskultur. 

AA er sich unseren Anschauungen im großen und ganzen an¬ 
zuschließen vermag, wird hiermit aufgeforderl, seinen Beitritt 
zur M. b. G. zu erklären. Die bisherigen Mitglieder der Fr. Ab 
werden solange als Mitglieder der M. h. G. angesehen, als sie 
nicht ihren Austritt erklären. 

Um die Herausgabe der zu AATesbaden gehaltenen Vorträge 
und einiger anderen, bereits im Manuskript vorliegender Aufsätze 
zu ermöglichen, wird um Subskription gebeten. Der Band soll 
etwa 3 Mark kosten. 

Als eine der nächsten Aufgaben der M. b. G. wird empfohlen, 
sich dahin zu äußern, auf welche AVeise eine Refo r m d e v 
Ernährung in Kranken 1 und Irrenanstalten er 
strebt werden könne, d. h. wie auf die maßgebenden Kreise am 
erfolgreichsten ein Einfluß dahin ausgeübt werden könne, daß 
wenigstens die hauptsächlichsten, in den Sanatorien unserer 
Richtung vollauf erprobten Formen der Ernährung den Kranken 
bald zu gute kommen. 

Schließlich wird gebeten, der Redaktion der „Therapeuti¬ 
schen Rundschau“ im neuen Jahre recht zahlreiche Beiträge 
zukommen zu lassen. 

I. A.: 

Dr. Kleinschrod - München, 

Schriftführer der M. - b. Gesellschaft. 


Mitteilungen über Arzneimittel, 

Referate. 

Referent: Dr. W. Krüger. Magdeburg. 

2. Klinisch-therapeutische Versuche mit Medinal. A on Dr. 
F r i t z M u n k. Ibidem. 

3. I eher die Anwendung des Guajaoetins und Sullacetins 
bei Bronchitis und tuberkulösen Prozessen. Von Dr. M a r go¬ 
nin e r. Fortsclir. d. Med., 1908, Nr. 30. 

4. I eher die Entwicklung der Kreosottherapie und die An¬ 
wendung des Guajakolalbumiuates (Histosan) bei Lungen¬ 
kranken. A T on Dr. Rieh. Rosen. Reichsi-Med.- Anzeiger 
1908, Nr. 24. 

2. Weniger günstige Resultate mit Medinal. als sie uns bis¬ 
her zu Gesicht kamen, werden aus der Ziehen sdien Klinik 
\on Assistenzarzt Dr, Munk berichtet. Es zeigte sich nämlich, 
daß das Medinal in der Psychiatrie als Schlaf- und Beruhigungs- 
mittoi bei subkutaner Injektion, die ja sonst vor anderen IIvp- 
noticis einen großen Vorzug bedeuten würde, nicht sicher wirkte 
und jedenfalls die dominierende Stellung des Hyoszins nicht 
übernehmen konnte. §elbst Injektionen von 1.0 Medinal vor- 



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THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


Nr. 52 


mochten eine Beruhigung nicht herbeizuführen. Schlaf trat 
nach den Einspritzungen verschiedentlich, oft aber erst nach 
mehreren Stunden, ein. Mit Recht macht M. darauf aufmerk¬ 
sam, daß man bei Anwendung höherer Dosen gezwungen ist, 
größere Flüssigkeitsmengen, eventuell auch stärkere Kanülen 
zu verwenden. Das Einstechen, die Spannung der Haut bezw. 
der Reiz der stärkeren Lösung verursachen aber erhebliche 
Schmerzen, und man kann sich vorstellen, daß aufgeregte Kranke 
durch die Einspritzungen noch erregter werden, besonders wenn 
diese schmerzhaften Injektionen schon öfter gemacht sind und 
die Kranken beim Anblick der Spritze in die größte Angst und 
Aufregung geraten. Bei der Darreichung per os mußte oft 
1,0 g Medinal gegeben werden, wo früher V 2 g Yeronal genügt 
hatte. Ein Vorteil soll nur der bessere Geschmack des Me- 
dinals sein. 

3. Dr. Margoniner hat die von der Fabrik v a n G e m- 
ber & Dr. Fehlhaber, Berlin-Weißensee, in den Handel ge¬ 
brachten Kreosotpräparate Guajacetin und Sullacetin einer kli¬ 
nischen Prüfung unterzogen. Bei der Herstellung des ersteren 
gingen die Fabrikanten von Brenzkatechin aus. Dieses, ein 
Dihydroxylbenzol, ist ein bitterer, sehr giftiger Stolf. Durch 
Einfügen der Azetylgruppe gelangte man zum Guajacetin, 
dessen Natronsalz der im Gebrauche befindliche Arzneikörper ist. 
Das Sullacetin ist die Kalium-Natriumverbindung der Brenz- 
katechinmonazetsäure und der Guajakolsulfosüure. Beide Prä¬ 
parate kommen in Tablettenform in den Handel, von denen das 
Sullacetin das billigere ist (20 Tabletten ä 0,5 g = 1 M.). Das 
Guajacetin ist noch recht teuer, ein Grund, weshalb es bisher 
noch keinen rechten Boden fassen konnte. Keine der sonst den 
Kreosotpräparaten anhaftenden Klagen, wie Brennen im Munde, 
Aufstoßen, übler Geruch oder Geschmack, wurde von den 
Patienten angegeben. Dagegen besaßen beide Mittel, das stär¬ 
kere Guajacetin mehr als das Sullacetin, eine eminent schleim¬ 
lösende Wirkung, die M. auf die von Gern ü n d angegebene 
Hyperleukozytose bezieht. Außer der expektorierenden Wirkung 
scheinen sie sich auch als Stomaehica und Antifermentativa zu 
bewähren. Ob man sie monatelang ohne Schädigung des Patien¬ 
ten reichen kann, kann M. nicht entscheiden, da ihm darüber 
Erfahrungen fehlen. 

4. In einer zweiten Arbeit wird von Dr. Rosen in Berlin 
dem Histesan das Wort geredet. Dabei verbreitet sich der Autor 
gleichzeitig über die Kreosottherapie und ihre Entwicklung. Das 
Verfahren, mit Kreosot gegen die Phthise zu Felde zu ziehen, 
wurde von Sommerbrodt inauguriert, der zuerst 3 Kapseln 
ä 0,05 Kreosot, dann in allmählicher Steigerung 3 X 7, ja sogar 
3X9 Kapseln verordnete. Statt des Kreosots suchte man nach 
Ersatz; aber auch das Guajakol zeigte Reizwirkungen auf 
Magen- und Darmschleimhaut. Es folgten das Guajakolkarbonat 
(oder Kresotal), Sanguinal-Pillen, Pneumiu, Thiokol. Das unter 
dem Namen Histosan von der Fabrik chemischer und diätetischer 
Produkte Schaffhausen auf den Markt gebrachte' Präparat 
ist ein Triguajakolalbuminat. Da das Histosan günstig auf die 
Expektoration wirkt, wird nach Verf. der Hustenreiz ganz er¬ 
heblich gemildert, und man kann die Narkotika entbehren. Das 
Histosan wurde 3 mal täglich in Pulvern zu 0,5 g gegeben. Die 
meisten Patienten nahmen ohne weiteres das Pulver trocken 
nach der Mahlzeit, einige empfindliche Kranke nahmen es wegen 
Kratzens im Halse in Oblaten oder in Brotkrume. Gern wurde 
der Histosan-Sirup genommen, eine kolloidale Lösung des pulver- 
förmigen Guajakolalbuminats; dieser wurde kaffeelöffelweise 
gegeben. Langsamer als die expektionserregende Wirkung des 
Mittels zeigte sich die sekretionsbeschränkende, die aber nach 
längerem Gebrauch immer eintrat. Dazu eignet sich besonders 
das Histosan, weil es auf die Dauer Widerwillen nicht erregt. 
Hand in Hand mit dem Nachlassen von Husten und Auswurf 
ging bei den Kranken R, ? s fast immer die Besserung des Appetits, 
Zunahme des Körpergewichts und Hebung des Kräftegefühls. 

Neuerschienene Arzneimittel: 

Referent: Dr. W. Krüger, Magdeburg. 

Medinal solubile. 

(Mononatriumsalz der Diäthylbarbitursäure.) 

Eigenschaften: Medinal solubile ist ein weißes, kri¬ 
stallinisches Pulver, das sich in kaltem Wasser im Verhältnis 
1:6 löst (Diäthylbarbitursäure nur 1:145). Anstatt dieser 
20 proz. Lösungen können durch Lösen in warmem Wasser auch 




30 proz. hergestellt werden, die haltbar sind. Dieselben sind 
sämtlich von alkalischer Reaktion. Ihr Geschmack (Vz g in 
Wasser gelöst) ist angenehmer als der der Diäthylbarbitursäure. 
Versuche haben auch ergeben, daß Medinal solubile bei innerlicher 
Anwendung schneller und sicherer wirkt als gleich große Dosen 
von Diäthylbarbitursäure. Die günstigste Wirkung tritt ein, 
wenn der Magen wenig oder keine Saure enthält. Deshalb emp¬ 
fiehlt es sich, daß die Kranken die Abendmahlzeit früh nehmen 
und ca. 4 Stunden nachher das Schlafmittel erhalten. 

Indikationen: Das Medinal wird überall da gegeben, 
wo man eine beruhigende oder hypnotische Wirkung erzielen 
will (also analog dem Veronal). Bei beginnendem Delirium tre¬ 
mens und bei Morphiumentziehungskuren empfiehlt sich die sub¬ 
kutane oder rektale Anwendung. 

Pharmakologisches: Die günstigste Wirkung des 
Medinals bei wenig Säure oder völligem Fehlen derselben im 
Magen erklärt sich daraus, daß das Natriumsalz durch die Salz¬ 
säure verändert und im Darm wieder zu seiner früheren Zusam¬ 
mensetzung umgcstaltet wird. Dieser ganze Prozeß iällt fort, 
wenn der Magen ganz oder ziemlich säurefrei ist, und das Mono¬ 
natriumsalz der Diäthylbarbitursäure kann dann schneller in 
Wirkung treten. Dieser Vorgang ist von W internitz stu¬ 
diert worden (Ueber Veronain atrium, Med. Klinik, 1908, Nr. 31). 
Der weitere Vorteil des Medinals vor der Diäthylbarbitursäure 
ist der, daß dem Organismus die Ueberführung der letzteren in 
das Alkalisalz, die im Darm vor sich geht, erspart bleibt, weil das 
Medinal ja schon alkalisch ist. Daraus erklärt sich die schnellere 
Resorption desselben, die schon in den obersten Darmabschnitten 
vor sich geht. Selbst wenn der Magen reich an Säure ist, wo¬ 
durch eine Abspaltung der Diäthylbarbitursäure hervorgerufen 
wird, so findet, doch keine Ausfällung derselben statt, sondern sie 
bleibt in Lösung. Durch die beschleunigte Aufnahme und Aus¬ 
scheidung wird eine kumulativ toxische Wirkung vermieden. 
Wegen der leichten Löslichkeit ist. auch rektale und subkutane 
Anwendung des Medinals notwendig. Bei der ersteren ist die 
Wirkung noch rascher und intensiver, als bei der Aufnahme 
per os. Subkutan zeigt das Präparat weniger eine schnelle, als 
eine außerordentlich intensive Wirkung. •Abszesse wurden von 
S t e i n i t z nie beobachtet. 

Dosierung und Darreichung: Medinal wird zu 
0,5—1,0 g in Pulverform oder in Tabletten verabfolgt. Es darf 
stets nur in Lösung gegeben werden. Die Tabletten sind in 
Zuckerwasser oder in süßem Wein zu nehmen. 
Rezeptformeln: 

Innerliche Anwendung. 

Rp. Medinal sol. Schering 0,3—0,5—0,75—1,0 
D. tal. dos. No. X. 

S. 1 Pulver in einem Glase Wasser (Zuckerwasser, süßer Wein) 
gelöst, 3—4 Stunden nach dem Abendessen zu nehmen. 

Rp. Tabl. Medinal solub. 0,5 g. 

D. tal. dos. No. X. Originalpackung Schering. 

Rektale Anwendung: 

Rp. Medinal solub. Schering 0,3—0,5 g. 

S. in etwa 5 ccm Wasser aufzulösen und mit einer kleinen 
Klystierspritze in den Mastdarm zu spritzen. 

Subkutane Anwendun g: 

Rp. Medinal sol. pulv. Schering .... 1,5 

Aq. dest.ad 15,0 

S. 5 ccm zur subkutanen Injektion. 

Literatur: Dr. Steinitz: lieber die therapeutische 
Verwendung leicht löslicher Schlafmittel aus der Veronalgruppe. 
Therapie der Gegenwart, Juli 1908. 

Firma: Chemische Fabrik aut Aktien (vorm. E. Sche¬ 
ring), Berlin N., Müllerstr. 170/171. 


Bücherhesprechungen. 


Die Fürsorge für gefährliche Geisteskranke. Referat, er¬ 
stattet von Reg.-Rat Direktor L e n h a r d, Prof. Dr. Daune- 
m a n n, Oberarzt Dr. O s s w a 1 d, Anstaltsarzt Dr. Kuli m a n n. 
Juristisch-psychiatrische Grenzfragen, VI. Bd., Heft 2. Verlag 
Carl M a r h o 1 d , Halle a. S. 

Die Frage, in welcher Weise die gefährlichen, namentlich 
die kriminellen Geisteskranken am zweckmäßigsten untergebracht 
werden sollen, beschäftigt seit langer Zeit die beteiligten Kreise. 
In den vorliegenden Referaten finden wir die Ansicht erfahrener 


) 






1908 


THERAPEUTISCHE RUNDSCHAU. 


787 


Verwaltungsbeamter und Psychiater niedergclegt. Lenha rd 
tritt für die Adnexe von Irrenabteilungen an Strafanstalten ein 
und sieht die Vorteile dieses Systems u. a. in einer möglichst 
schnellen Evakuierung der Kranken, die gleichzeitig eine bessere 
Prognose gewährleistet und in der Verhütung des nachteiligen 
Einflusses, der durch häufige Versetzungen der Erkrankten in 
und aus Irrenanstalten resultiert. Dannemann spricht sich, 
wenigstens für Hessen, für die Errichtung eines festen Hauses 
bei der neuen Gießcner Irrenanstalt aus, wodurch eine reinliche 
Scheidung geschaffen und alle Elemente aus der Strafanstalt ra¬ 
dikal entfernt werden, deren Behandlung selbst in noch so freien 
Adnexen mit Unzuträglichkeiten verknüpft ist. Osswald 
warnt vor einer T'eberhäufung deT gewöhnlichen Irrenanstalten 
mit kriminellen Elementen, die ja bekanntermaßen ernste Be 
triebsstörungen im Gefolge haben kann. Kulimann hält eine 
Verteilung der geisteskranken Gefangenen in Hessen auf die viel 
Irrenanstalten für empfehlenswert. 

Prof. Ernst Ziemke - Kiel. 

Dr. G. Becks Therapeutischer ALmanach. llerausgegeben 
von Generaloberarzt Dr. Schill in Dresden. 35. Jahrgang 
19U8, 1. Semesterheft. Verlag von Benno Konegen. Preis 
2,— M. 

An therapeutischen Ratgebern, Almanachs usw. ist wahrlich 
kein Mangel. Wenn aber ein derartiges Buch seit 35 Jahren er¬ 
scheint, so muH es doch Freunde haben, deren Wünschen und 
Neigungen es entspricht. Der Zweck des Buches ist in der Ein¬ 
leitung treffend bezeichnet. Daselbst heißt es: „Der therapeuti¬ 
sche Almanach.will dem praktischen Arzte in der Praxis 

ein treuer Ratgeber sein. Er soll dem vielbeschäftigten Arzt 
in Stadt und Land, welcher nicht in der Lage ist, zahlreiche me¬ 
dizinische Zeitschriften durchzustöbern, um daraus sein thera¬ 
peutisches Rüstzeug zu ergänzen und zu vervollkommnen, thera- 
I eutische Ratschläge und Behandlungsmethoden zugänglich 
machen, deren Zweckmäßigkeit aus einer größeren Zahl mitge- 
teilter Erfolge, mögen dieselben von einem Einzelnen an einem 
größeren Material oder von verschiedenen Beobachtern, festge- 
stellt worden sein, bei unbefangener Beurteilung einleuchtet.“ 
Diesen Grundsätzen entsprechend bringt der Almanach keine 
bloße Rezeptsammlung, sondern berücksichtigt jede wissenschaft¬ 
lich begründete therapeutische Richtung, wobei er auf Indikatio¬ 
nen und Kontraindikalionen eingeht, die durch die Medikation 
hervor gerufenen Erscheinungen anführt, auf die zu beobachtende 
Diät hin weist usw. Am Ende einer jeden Notiz stehen kurze 
Literaturangaben, die das Nachlesen der üriginalartikel ermög¬ 
lichen. Der „Therapeutische Almanach“ bringt Notizen aus dem 
Gebiet der gesamten Medizin, aus dem der Gynäkologie und Chi¬ 
rurgie jedoch nur soweit, als sie für den praktischen Arzt von 


Interesse sind und in den Bereich seiner Tätigkeit fallen. In¬ 
folgedessen wurden solche Angaben lortgelassen, die eine kompli¬ 
zierte Behandlungsmethode, ein großes Instrumentarium oder 
spezialistische Ausbildung benötigen. Es wäre zu wünschen, daß 
in künftigen Auflagen Notizen, die nicht die Therapie betreffen, 
z. B. reine Prinzipienfragen, ob es richtig oder falsch ist, daß 
die deutschen Lebensversicherungsgesellschaften Antragsteller 
mit chronischer Ohreiterung ablehnen, oder Ausführungen über 
gesetzliche Bestimmungen über die Berechtigung der Aerzte zu 
operieren, oder über Warenhausdiebstähle etc., fortgelassen wer¬ 
den. Denn sie entsprechen meines Erachtens ebenso w r enig der 
Tendenz des Buches, wie Notizen über die famose Paracelsus- 
Scblafbinde, besonders wenn unterlassen wird, vor derselben zu 
warnen. Die Paracelsus-Schlafbinde verkörpert doch alles an¬ 
dere, bloß keine „wissenschaftlich begründete therapeutische 
Richtung“. Ueberhail.pt scheint mir aus gleichem Grunde die 
Aufnahme von Geheimmitteln in ein therapeutisches Taschenbuch 
unzweckmäßig. Denn der vielbeschäftigte praktische Arzt könnte 
übersehen, wes Geistes Kind er vor sich hat, und ein derartiges 
Präparat seinen Patienten verschreiben. Trotz dieser Ausstel¬ 
lungen hat aber der „Therapeutische Almanach“ so viele \ orzüge 
und bietet so reiche Anregungen für den Praktiker, daß man ihm 
die Anschaffung des Buches empfehlen kann. 

Dr. W. K r ü g e r, Magdeburg. 

Leitfaden des Röntgenverfahrens. Von Dessauer und 
W i e s n e r. Mit 113 Abbildungen und 3 Tafeln. Dritte umge¬ 
arbeitete und vermehrte Auflage. Verlag von O t t o N e m n i c h, 
Leipzig 1908. 

Das Buch zerfällt in einen physikalischen, einen technischen 
und einen medizinischen Teil. In letzterem, der etwa ein Drittel 
des ganzen Werkes ausmacht, wird die innere Diagnostik 
von Holzknecht, die chirurgische Diagnostik 
von LI o f f a und B 1 e n c k e , die Röntgentherapie von 
II olzknecht abgehandelt. Der physikalische und technische 
Abschnitt stammt größtenteils von Dessauer , einige Kapitel 
sind von W i e s n e r (Technik des Aufnahmeverfahrens), Hil¬ 
de b r a n d (Stereoskopie) und H oM m a n n (Orthodiagraphie) 
bearbeitet. Das Buch gibt einen guten Ueberblick über das ge¬ 
samte Röntgenverfahren und ist besonders dem zu empfehlen, 
der sieh für physikalisch-technische Details interessiert. 

H. E. Schmidt, Berlin. 


Berichtigung. Daß die „Kleinen Mitteilungen“ auf S. 771 
der Nr. 50 d. W. im redaktionellen Teil abgedruckt wurden, be¬ 
ruht :uf einem Mißverständnis des Druckers. 


Kleine Mitteilungen. 

Kropper Heilanstalten. Die Anstalten nehmen Gemütskranke 
und Nervenkranke, Alkoholisten und Morphinisten, Direktions¬ 
lose und Charakterschwache auf. Die einzelnen Gruppen können, 
genau nach ihrer Eigenart, .gesondert von den anderen sorgfältig 
von zwei in cler Psychiatrie und Nervenheilkunde gründlich er¬ 


fahrenen Aerzten -behandelt werden. Das Ganze trägt mehr 
einen familiären Anstrich. Viel Wert wird auf freiwillige Ar¬ 
beit in Feld und Garten, in Buchbinderei und Handwerkstätton 
gelegt. Leichte Psychosen können noch versuchsweise in offe¬ 
nen Häusern behandelt werden. Die Pensionspreise sind äußerst 
gering. Ueber alle Einzelheiten erteilt Direktor Dr. Binde¬ 
rn a n n , Kropp i. Schleswig, jederzeit gern eingehende Auskunft. 



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