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Full text of "Über das sogenannte erkenntnisproblem"

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über das sogenannte 

Erkenntnis Problem. 



Von 



Leonard Nelson. 



,fBi lit lehon ein gtoüM und nötiger Beweii der Klogbeit 
odw ändcht, ni wiaen, wm man TtmÜnfUger Welae fingen 
loUe. Denn wenn die Frage an lifh nngereimt iit, vnd nnnAnge 
Antworten Terluigt, to hat aie, außer der Beeehlmang de«en, 
der sie aufwirft, bisweilen noch den Nachteil, den anbehntaamen 
Anhörer derselben ra angereimten Antworten in Terleiten, und 
den belaelienswerten Anblick sn geben, daS Einer (wie die Alten 
sagten) den Bock melkt, der Andere ein Sieb nnterh&lt/* 

KANT, Kritik der reinen Yemnnft. (Trannendeatal« 
Logik, Elnleitang m.) 



Göttingen 

Vandenhoeck & Buprecht 

1908. 



V --J 



Sonderdruck aus den „Abhandlungen der Fria'schen Schule", II. Band, 4. Heft 



h^^^ 










^; 



„Die Yttnianft muß tleh in aUen Üirea ÜBtanMhnumgeil 
der Kritik unterwerfen nnd kenn der Freiheit denelben doreh 
kein Verbot Abbmeh tnn, ohne doh eelbet n lehaden nnd einen 
ihr nachteiligen Verdacht aaf sieh an liehen. Da irt nnn niehto 
ao -wichtig in Ansehanff doe Nntiena, niehta ao helÜg, daa aidi 
dieeer prüfenden and mnaternden Darehanchnnff, die kein An- 
aeben der Peraon kennt, entalehen dürfte. Anf dieeer Freiheit 
beraht aosar die Eziatena der Vemonft, die kein dlktatoriaehe« 
Anaehen hat, aondem deren AnaBpmeh jedeneit niehta ala die 
Einatimmnnff freier Bürger iat, deren Jeglicher aeine Bedenk- 
lidikeiten, Ja aogar aein Teto, ohne Zurückhalten mnß iofiem 
können.** 

KANT, Kritik der reinen Vernunft. (Die DlaalpUn der 
reinen Vemonft in Anaehnng ihiee polemlaehen Gebnuieha.) 



Vorworte 



Die vorliegende Schrift geht in ihren G-nmdgedanken nicht 
über das in meiner Abhandlung über „die kritische Methode* Dar- 
gelegte hinaus. Was sie bietet, ist lediglich die ausführlichere 
Erläuterung einiger dort aufgestellter Sätze, an deren objektiver 
Begründung und Formulierung ich zwar nichts zu ändern habe, 
die aber infolge der Kürze der Darstellung, die mir im Interesse 
der Geschlossenheit und Übersichtlichkeit der Beweisführung ge- 
boten schien, noch nicht den wünschenswerten Grrad der Deutlich- 
keit und Überzeugungskraft erhalten zu haben scheinen. Dies gilt 
insbesondere von dem Satze, den ich in die Behauptung der 
Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie zusammengefaßt habe. Von derj 
Beurteilung dieses Satzes hängt die Entscheidung über alle weiteren^ 
noch strittigen Punkte ab. 

Es war freilich vorauszusehen, daß dieser Satz nicht so leicht 
Zustimmung finden würde. Stürzt er doch, wenn es mit ihm seine 
Bichtigkeit hat, das ganze stolze Gebäude einer Wissenschaft 

27* 






416 L- Nelson: Über das sogenannte £rkenntnisproblem. [4 

nm, die sich rühmt, hinsichtlich der Festigkeit und Tragfähigkeit 
ihrer Grondlagen allen sonstigen Schöpfungen des Menschengeistes 
überlegen zu sein. Gegen jenen Satz haben denn auch mit sel- 
tener Einmütigkeit die Vertreter der angegriffenen Wissenschaft 
ihre Polemik gerichtet. Dabei ist indessen, wie ich feststellen 
mxxßj eine Widerlegung des von mir gegebenen Beweises bisher von 
keiner Seite auch nur versucht worden. Entrüstung, daß ich es 
„gewagt" habe, die „Meister" der in Frage gezogenen Wissen- 
schaft anzugreifen, psychologische Betrachtungen über mein „Un- 
vermögen", mich „auch nur vorübergehend in den Standpunkt und 
die Fragestellung der modernen Erkenntniskritik zu versetzen^ ^ 
oder endlich vornehmes Stillschweigen bei den „Meistern" selbst, 
diese und noch gewisse andere, besser auch meinerseits mit Still- 
schweigen zu übergehende Kampfesmittel sind es, auf die sich 
meine Gegner bisher beschränkt haben. 

Ich habe keinen Anlaß, in der vorliegenden Schrift auf diese 
Polemik zurückzukommen. Ich wende mich an diejenigen, die die 
Rechte der formalen Logik und Mathematik anerkennen und denen 
die „sozial-ethische Humanität" auch in der Wissenschaft nicht 
eine Sache der Beteuerung, sondern der Betätigung ist. Ich wende 
mich an diejenigen, die es „wagen^, selbst zu denken und Gründen 



* Vielleicht bietet die vorliegende Schrift meinem Kritiker, dem die Frage 
Kopfzerbrechen macht, „woher" mein besagtes Unvermögen „stamme", einen 
Fingerzeig zur Auflösung derselben. Übrigens ist dieses Unvermögen nicht „so 
stark", wie er annimmt, wenn er meint, daß es mich hindere, mich „auch, nur 
vorübergehend" in die erkenntnistheoretische Fragestellung zu versetzen. Vielmehr 
gestehe ich, mich früher selbst sehr lebhaft, wenn auch allerdings „nur vorüber- 
gehend", in diese Fragestellung „versetzt" zu haben und noch heute die kostbare 
Zeit zu bedauern, die ich damals vernünftigen Studien zu Gunsten fruchtloser 
Spekulationen über ein Scheinproblem entzogen habe. 



6] Vorwort. 417 

höhere Aatorität beizulegen als den Worten eines noch so geprie- 
senen ^jMeisters**, — 

Der breite Raom, den im Folgenden, trotz des eben Gesagten, 
die Polemik einnimmt, erfordert noch einige Worte der Erläntemng. 
Der Irrtnm, ge^en den sich diese Schrift wendet, hat seinen Nähr- 
boden nicht in einer historisch zufälligen, vorübergehenden Zeit- 
erscheinnng, sondern, analog einer optischen Täuschung, erzeugt 
er sich mit psychologischer Notwendigkeit und Natürlichkeit immer 
von neuem, wo die philosophische Reflexion zu einer gewissen 
Stufe der Bildung entwickelt ist. Und so, wie man gewisser op- 
tischer Täuschungen nur Herr werden kann auf Grund mannig- 
facher, oft wiederholter und ermüdender Versuche, so wird es auch 
nicht gelingen, in unserem Falle die Quelle des Irrtums zu ver- 
stopfen, wenn man sich mit einer einmaligen Feststellung des 
Fehlers begnügt, sondern es ist erforderlich, ihn in zäher Arbeit 
in alle die vielfachen Erscheinungsformen zu verfolgen, unter denen 
er sich in seinen Folgen leicht auch dem geschärften Blicke des 
durch Kritik Gewarnten entzieht.* Im Dienste einer solchen 
kritischen Reinigungsarbeit stehen die polemischen Kapitel der 
vorliegenden Schrift. An keiner Stelle ist mir die Polemik Selbst- 
zweck, vielmehr dienen die beurteilten Lehren ausschließlich als 
epische Repräsentanten der verschiedenen möglichen Gestaltungen, 
denen der erkenntnistheoretische Proteus sich darstellt. Dabei 
bin ich, um die immanente Methode der Kritik möglichst zu ihrem 
Rechte konmien zu lassen, bestrebt gewesen, eine jede typische 
Form der Erkenntnistheorie für sich einer besonderen Prüfung zu 
unterwerfen und dabei die eigene Grundansicht nicht vorauszu- 



' So fällt F. Bon, nachdem er Angriff auf Angriff gegen die „Dogmen der 
Erkenntnistheorie^ gehäuft hat, am Ende selbst wieder in die biologische Form 
der Erkenntnistheorie zurück. 



418 L- Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. 6] 

setzen, sondern jedesmal erst wie ein neues Ergebnis ans der 
Untersuchung hervorgehen zu lassen. Die einzelnen Kapitel bilden 
daher größtenteils selbständige, von dem Zusammenhang mit dem 
Ganzen unabhängige und daher auch für sich verständliche Ab- 
handlungen. 

Demselben Zwecke wie diese polemischen Kapitel dienen auch, 
wennschon in etwas anderer Weise, die im dritten Teile nieder- 
gelegten historischen Untersuchungen. Durch die Mitteilung der- 
selben hoffe ich zugleich auch den Historikern der Philosophie 
einen Dienst zu leisten. Sie enthalten den Nachweis, wie sich an 
der Hand eines höchst einfachen methodischen Leitfadens Licht 
und Ordnung in eine der chaotischsten Perioden der Philosophie- 
geschichte bringen läßt. Aber freilich, so fruchtbar eine solche 
von methodischen und kritischen Maximen geleitete Betrachtungs- 
weise für die Greschichte der Philosophie ist, so steht ihr doch 
das noch immer unbesiegte Vorurteil entgegen, als sei umgekehrt 
die Einsicht in die philosophische Wahrheit erst aus der Kenntnis 
der Geschichte der Philosophie zu schöpfen, und als verlange die 
historische ObjeJctivität, daß der Geschichtsschreiber sich aller kri- 
tischen Bewertung seines Gegenstandes enthalte. Allerdings setzt 
jede solche Bewertung schon den Besitz einer eigenen philoso- 
phischen Ansicht seitens des Geschichtsschreibers voraus; aber 
den durch diesen Umstand bedingten Gefahren für die Objektivität 
der historischen Darstellung entgeht man nicht dadurch, daß man 
sich des eigenen philosophischen Urteils enthält, sondern allein, 
indem man sich und dem Leser von den maßgebenden eigenen An- 
sichten gewissenhafte Rechenschaft ablegt. Denn einerseits ist 
die Anwendung solcher subjektiven Maßstäbe überhaupt unvermeid- 
lichj weil ohne sie der Historiker nicht einmal zu einer Auswahl 
seines Stoffes gelangen könnte, und weil ferner eine Einsicht in 



7] Vorwort 419 

die Fortschritte der bisherigen Entwickelong das einzige Ziel ist| 
das unser toissenschaftUehes Interesse an der Geschichte bestimmt« 
Andererseits bleibt ja bei einem solchen beurteilenden Verfahren 
die Objektivität der Darstellung vollkommen gewahrt, wenn der 
Geschichtsschreiber sich nur bescheidet, seinem histariseJ^en Urteil 
keine weitere Verbindlichkeit beizumessen als dem zu Grunde lie« 
genden phihsophischen. Das erste hat in dem Maße Objektivität, 
als das zweite auf Objektivität, d. h. auf wissenschaftliche Be« 
gründung Anspruch machen kann. Eine über diese hypothetische 
G^tung hinausgehende historische Objektivität giebt es nicht. Es 
.wird deshalb, dem gewöhnlichen Vorurteil ganz entgegen, gerade 
diejenige Art der Geschichtsschreibung die objektivste sein, die 
am bestimmtesten die subjektive Ansicht des Darstellers hervor- 
treten läßt. Oder welchen wissenschaftlichen Wert hätte eine 
historische Darstellung, deren „Objektivität nur in einer Ver- 
schweigung und Verschleierung der subjektiven Prinzipien besteht, 
von deren Wahrheit oder Falschheit auch die Verbindlichkeit oder 
Nichtverbindlicbkeit der gesamten Darstellung abhängt? ^ Wer 
sich also nicht schon eine eigene Kenntnis der philosophischen 
Wahrheit zutraut, wer nicht mit Spinoza, sagen kann: ;,äcio me 
veram intelligere philosophiam^, der enthalte sich aller Bemühun- 
gen um die Geschichte der Philosophie. 



^ In seiner Abhandlung über „Geschichte der Phüosophio*' (Festschrift fiUr 
E. Fischer, Heidelberg 1904, Bd. II, S. 198) schreibt Windeldand, nachdem er 
(S. 184 ff.) die Geschichte der Philosophie für das „Organen" und die „Quelle^ 
des philosophischen Wissens erklärt hat: „Je ausgesprochener und schärfer dio 
maßgebende Meinung ist, um so parteiischer, ungerechter und unbrauchbarer wird 
die geschichtliche Darstellung als solche.^ Mir scheint das Gegenteil dieser Be- 
hauptung richtig zu sein: Je ausgesprochener und schärfer die maßgebende 
Meinung ist, um so unparteiischer, gerechter und brauchbarer wird die geschicht- 
liche Darstellung als solche. 



420 L- Nelson: Ober das sogenannte Erkenntnisproblem. [g 

Was nan aber die Art der Kritik selbst betrifft, so giebt es 
überhaupt zwei Methoden, nach denen sich eine kritische oder 
polemische Untersnchong führen läßt. Entweder man fragt nach 
der Zolässigkeit der Voranssetzangen^und Methoden, nach der Kon- 
sequenz und inneren Haltbarkeit eines Lehrgebäudes, oder aber 
man prüft es an seinen Ergebnissen und äußeren Leistungen, an 
seiner Fruchtbarkeit für die Losung bestimmter, in ihrer Bedeu- 
tung anerkannter Probleme. Ich habe mich in den folgenden 
Untersuchungen ausschließlich der ersten Methode der Kritik be- 
dient. Sie ist die in einem wissenschaftlichen Streite allein ent- 
scheidende, da der anderen stets nur die Bedeutung einer argu- 
mentatio ad hominem zukommt. 

Es ist indessen nicht ohne Interesse und Nutzen, nach Voll- 
endung jener ersten Art der Prüfung auch die zweite anzuwenden 
und sich also in unserem Falle die Frage vorzulegen : Welches 
sind die gesicherten Ergebnisse der mehr als hundertjährigen Arbeit 
der Erkenntnistheoretiker? Was hat die auf Erkenntnistheorie 
gegründete Philosophie geleistet zur Lösung der eigentlichen philo- 
sophischen Probleme, der Probleme der Ethik und Religionslehre, 
der Pädagogik und Politik ? Ja auch nur der Grrundprobleme der 
theoretischen Wissenschaften, der Physik, der Biologie und der 
Psychologie ? Es genügt, diese Frage zu stellen, um die Verlegen- 
heit und Ohnmacht ins Licht zu setzen, in der sich die Erkenntnis- 
theorie gegenüber allen ernsten die denkende und handelnde Mensch- 
heit bewegenden Problemen befindet. Mag der Erkenntnistheore- 
tiker diese Probleme als „metaphysische? von sich weisen: sie 
werden durch eine verächtliche Benennung nicht aus der Welt ge- 
schafft, und die Menschheit wird nicht aufhören nach ihrer Lösung 
zu suchen. Kann sie dabei von der Erkenntnistheorie noch irgend 



9] Vorwort. 421 

welche Hilfe erwarten?^ Kann man sich noch länger darüber 
täuschen, daß die auf diese Disziplin gesetzten HofFnnngen auf das 
kläglichste gescheitert sind?' 

Die Geschichtsschreiber der Philosophie erzählen uns, daß eben 
darin der große Fortschritt der Philosophie seit Kant bestehe, 
daß die Metaphysik verlassen nnd an ihre Stelle die Erkenntnis- 
theorie gesetzt worden sei. Ich gestehe, in diesem angeblichen 
großen Fortschritt nichts anderes zu finden als die Ersetzung alter 
Scheinprobleme durch ein neues, und ich lasse mich auch durch 
den magischen Klang des Namens „Erkenntnistheorie*' hierüber 
nicht in die Irre leiten. Wann wird dieses Zauberwort endlich 
aufhören, seine faszinierende Wirkung auf die G-eister auszuüben? 

In wunderlicher Selbsttäuschung hat man den Verzicht auf 
alles Metaphysische, diese sogenannte „Selbstbescheidung^ der 
Erkenntnistheorie, als einen heroischen Akt der Resignation und 
als eine wissenschaftliche Großtat gepriesen. Man berauscht sich 
an der eigenen Erhabenheit über metaphysische Vorurteile, und 



' Das überaus lYenige, was hinsichtlich dieser Probleme seit der Herrschaft 
der Erkenntnistheorie geleistet worden ist, das ist nicht dank dem erkenntnis- 
theoretischen Prinzip)' sondern dank der Inkonsequenz der Erkenntnistheoretiker 
zu Stande gekommen. Selbst die Ethik ist, so paradox es erscheinen mag, in 
eine unfruchtbare Wüste leerer, aller Anwendung auf das Leben sich versagender 
Spekulationen verwandelt worden. Die nach erkenntnis theoretischer Methode ver- 
fahrende Ethik muß sich ja, um nicht etwa in Metaphysik zu verfallen, auf die 
Untersuchung der Frage beschränken, welches der Grund der Verbindlichkeit sitt- 
licher Pflicht überhaupt sei ; eine Frage, von der jeder Unbefangene einsehen muß, 
daß, da alle Verbindlichkeit ein Pflichtgebot schon voraussetzt, ihre Auflösung 
nur durch Vollendung eines unendlichen Begressus möglich, die Aufgabe selbst 
also unlösbar und widersprechend ist. 

* Dieses Argument soll kein Beweis der Verfehltheit der erkenntnistheore- 
tischen Methode sein, wohl aber sollte es uns gegen diese Methode mifltrauisch 
machen und uns veranlassen, einer gründlichen Prüfung ihrer inneren Haltbarkeit 
unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden. 



422 L* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [10 

während man sich immer tiefer in die Sklaverei des erkenntnis- 
theoretischen Dogmas verstrickt, wähnt man den höchsten Gipfel 
geistiger Freiheit erstiegen zu haben. Traurige Verblendung 
des sich selbst allen Anforderungen des Lebens entfremdenden 
Gelehrtenstolzes ! Wohl hat, wie jede wissenschaftliche Wahrheit, 
so auch die philosophische ihren Wert in sich selbst, unabhängig 
von aller praktischen Anwendung. Aber welches ist denn die 
Wahrheit, deren Erforschung die Aufgabe der Philosophie bildet? 
Ist und bleibt es nicht, solange dieser Name nicht zum Spott 
werden soll, die Wahrheit über Wert und Ziel des menschlichen 
Lebens, freilich auch der Wissenschaft, soweit sie im Ganzen 
dieses Lebens ihre Stelle hat? Was ist also jene vermeintliche 
wissenschaftliche Resignation in Wahrheit anderes als die endgül- 
tige Absage der Philosophie an die schon in der Bedeutung ihres 
Namens eingeschlossenen und durch die Geschichte geheiligten 
Rechte und Pflichten? 

Zu welchen verhängnisvollen Folgen für die Gesamtkultur 
diese Verblendung führen muß, darauf habe ich an anderer Stelle 
aufmerksam gemacht. ^ Diese Folgen werden aber der Wissen- 
schaft selbst verderblich werden. Während die wissenschaftliche 
Forschung das Gebiet der für das Schicksal unserer Kultur be- 
deutungsvollsten Fragen mehr und mehr vernachlässigt, während 
Zeit, Kraft und Aufmerksamkeit der besten Kopfe spekulativen 
Scheinproblemen und Hirngespinsten zugewendet ist, bemerkt man 
nicht, wie die von der Philosophie verlassenen Gebiete von ande- 
ren Mächten in Besitz genommen werden, wie Schritt für Schritt 
der zurückweichenden Wissenschaft Vorurteil und Aberglaube auf 



^ In meiner Abhandlung: „Ist metaphysikfreie Naturwissenschaft möglich?^ 
Kapitel X. 



11] Vorwort. 423 

dem Fuße folgen. Wir stehen am Anfange einer Entwickelung, 
die das Werk der mehrhnndertjährigen wissenschaftlichen Be- 
freiungsarbeit wieder rückgängig macht. An die Stelle der 
wisscnsclmfilichen Metaphysik wird die ntcA^ - wissenschaftliche, 
d. h. der Mystizismus treten, und die der wissenschaftlichen Füh- 
rung beraubte Kultur wird d^m Despotismus der Vorurteile und 
des Aberglaubens zur Beute werden. Und wenn dann später ein- 
mal die Erkenntnistheoretiker aus ihrem Rausche erwachen sollten, 
dann werden sie erkennen, daß sie nicht das Fundament der Metü" 
physikj sondern das der Wissenschaft zerstört haben.* 



' Ich bin, wie ich aas einer schon vor fünfzig Jahren erschienenen Schrift 
ersehe, nicht der erste, der vor diesen Gefahren warnt In seinem geistvollen 
Werke über Bacon hat Charles de Be^^usat, freilich ohne gerade die Er- 
kenntnistheorie im Auge zu haben, die Kulturfeindlichkeit der sich selbst mißver- 
stehenden antimetaphysischen Aufklärungsbestrebangen seiner Zeitgenossen mit 
scharfem Blicke erkannt und gegen ihre verderblichen Folgen seine warnende 
Stimme erhoben. Was er vorausgesagt hat, das hat längst begonnen sich zu ver- 
wirklichen. Ich kann es mir nicht versagen, seine eigenen Worte hier anzuführen : 

„Si la raison, si la science d^sertc ces plages vastes et brillantes oü la 
Philosophie a marquä ses traces, le gros de Thumanitä ne les abandonne pas. 
Toutes ces choses, que par Pexamen et la m^ditation nous cherchions k connattre 
en les d(^gageant de Terreur et de l'iUusion, ne disparaissent pas k volonte de 
Tesprit humain. EUes y restent du fait de la tradition, si ce n'est plus du droit 
de la science. Elles s'y conservent et s'y d^veloppent sous la forme que leur 
donnent l'imagination, Tirr^flexion, la passion et Phabitude ; le präjugd renaft k la 
place de la vdrit^. Dans ce champ dont Part d^aisse la culture, repoussent k 
l'^tat sauvage, priv^es peu k peu de leurs fleurs perfectionnäes et de leurs fruits 
les meilleurs, toutes ces plantes qu^on n'extirpe pas en les ndgligeant, et la tra- 
dition des si^cles de t^nöbres reprend de l'audace et de Tempire devant une 
science qui s' intimide, devant une raison qui abdique. L'empirisme sans Philo- 
sophie rend le sceptre et la vie au dogmatisme sans philosophie; Tautorit^ se 
rel^ve \k oü avait triomph^ l'examen, et l'oeuvre de la renaissance est d^truite. — 
Tel est le terme fatal vers lequel marche cette ^cole scientifique qui se croit 
Textröme gauche de la science." („Bacon", Livre IV, Chap. IV.) 



424 L- Nelson : über das sogenannte Erkenntnisproblem. [12 

Wie wenig Grund die heatige Erkenntnistheorie hat, sich über 
die vorkantische Metaphysik zu erheben, kann wohl nicht treffen- 
der bewiesen werden als durch die Tatsache, daß sich die von 
Kant über die letztere ausgesprochenen Urteile Wort für Wort 
auch auf die erstere anwenden lassen: 

„Meine Absicht ist, alle diejenigen, so es wert finden, sich 
mit Erkenntnistheorie zu beschäftigen, zu überzeugen, daß es un- 
umgänglich notwendig sei, ihre Arbeit vor der Hand auszusetzen, 
alles bisher Geschehene als ungeschehen anzusehen und vor allen 
Dingen zuerst die Frage aufzuwerfen, ,ob auch so etwas, als Er- 
kenntnistheorie, überall nur möglich sei^ 

„Ist sie Wissenschaft, wie kommt es, daß sie sich nicht, wie 
andere Wissenschaften, in allgemeinen und dauernden Beifall setzen 
kann? Ist sie keine, wie geht es zu, daß sie doch unter dem 
Scheine einer Wissenschaft unaufhörlich groß tut, und den mensch- 
lichen Verstand mit niemals erlöschenden, aber nie erfüllten Hoff- 
nungen hinhält ? Man mag also entweder sein Wissen oder Nicht- 
wissen demonstrieren, so muß doch einmal über die Natur dieser 
angemaßten Wissenschaft etwas Sicheres ausgemacht werden ; denn 
auf demselben Fuße kann es mit ihr unmöglich länger bleiben. Es 
scheint beinahe belachenswert, indessen daß jede andere Wissen- 
schaft unaufhörlich fortrückt, sich in dieser, die doch die Weisheit 
selbst sein will, deren Orakel jeder Mensch befragt, beständig auf der- 
selben Stelle herumzudrehen, ohne einen Schritt weiter zu kommen. 

„Auf die Auflösung jener Aufgabe nun kommt das Stehen und 
Fallen der Erkenntnistheorie, und also ihre Existenz gänzlich an. 
Es mag jemand seine Behauptungen in derselben mit noch so 
großem Schein vortragen, Schlüsse auf Schlüsse bis zum Erdrücken 
aufhäufen, wenn er nicht vorher jene Frage hat genugtuend be- 
antworten können, so habe ich Recht zu sagen: es ist alles eitle 
grundlose Philosophie und falsche Weisheit. 



13] Vorwort. 425 

„Alle Erkenntnistheoretiker sind demnach von ihren Geschäften 
feieirlich und gesetzmäßig so lange suspendiert, bis sie die Frage: 
Wie ist Erkenntnistheorie möglich? genugtuend werden beant- 
wortet haben. Denn in dieser Beantwortung allein besteht das 
Ejreditiv, welches sie vorzeigen müssen, wenn sie im Namen der 
reinen Vernunft etwas bei uns anzubringen haben. In Ermange- 
lung desselben aber können sie nichts anderes erwarten, als von 
Vernünftigen, die so oft schon hintergangen worden, ohne alle 
weitere Untersuchung ihres Anbringens abgewiesen zu werden. 

„Es ist aber eben nicht so was Unerhörtes, daß nach langer 
Bearbeitung einer Wissenschaft, wenn man Wunder denkt, wie 
weit man schon darin gekommen sei, endlich sich jemand die Frage 
einfallen läßt, ob und wie überhaupt eine solche Wissenschaft 
möglich sei. Denn die menschliche Vernunft ist so baulustig, daß 
sie mehrmalen schon den Turm aufgeführt, hernach aber wieder 
abgetragen hat, um zu sehen, wie das Fundament desselben wohl 
beschaffen sein möchte. Es ist niemals zu spät, vernünftig und 
weise zu werden ; es ist aber jederzeit schwerer, wenn die Einsicht 
spät kommt, sie in Gang zu bringen. 

„Zu fragen, ob eine Wissenschaft auch wohl möglich sei, setzt 
voraus, daß man an der Wirklichkeit derselben zweifle. Ein 
solcher Zweifel aber beleidigt jedermann, dessen ganze Habseligkeit 
vielleicht in diesem vermeinten Kleinode bestehen möchte; und 
daher mag sich der, so sich diesen Zweifel entfallen läßt, nur 
immer auf Widerstand von allen Seiten gefaßt machen. Einige 
werden in stolzem Bewußtsein ihres alten und eben daher für 
rechtmäßig gehaltenen Besitzes, mit ihren erkenntnistheoretischen 
Kompendien in der Hand, auf ihn mit Verachtung herabsehen; 
andere, die nirgend etwas sehen, als was mit dem einerlei ist, was 
sie schon sonst irgendwo gesehen haben, werden ihn nicht ver- 



426 L- Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [14 

stehen, and alles wird einige Zeit hindurch so bleiben, als ob gar 
nichts vorgefallen wäre, was eine nahe Veränderung besorgen oder 
hoffen ließe. 

„Soviel ist gewiß: wer einmal Kritik gekostet hat, den ekelt 
aof immer alles dogmatische Gewäsche, womit er vorher ans Not 
vorlieb nahm, weil seine Yemnnft etwas bednrfte nnd nichts 
Besseres zn ihrer Unterhaltung finden konnte. Die Kritik ver- 
hält sich zur gewohnlichen Schal-Erkenntnistheorie gerade wie 
Chemie zar Alchemie, oder wie Astronomie zar wahrsagenden 
Astrologie. Ich bin dafür gut, daß niemand, der die Gnmdsätze 
der Ejritik durchgedacht and gefaßt hat, jemals wieder zn jener 
alten and sophistischen Scheinwissenschaft zurückkehren werde; 
vielmehr wird er mit einem gewissen Ergötzen auf eine Meta- 
physik hinaussehen, die nunmehr allerdings in seiner Gewalt ist, 
auch keiner vorbereitenden Entdeckungen mehr bedarf, und die 
zuerst der Vernunft dauernde Befriedigung verschaffen kann." 



Inhalt 

Erster Teil: Die ünmSglichkeit der Erkenntnistheorie. 

Einleitimgr. 

1. Der Streit um die Fortbildung der Kantischen Philosophie. 

2. Vorschlag, die Wurzel dieses Streits in der den Streitenden gemeinsamen 
erkenntnistheoretischen Problemstellung zu suchen. 

I. Allgemeiner Beweis der Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 

3. Beweis der Unlösbarkeit des erkenntnistheoretischen Problems. 

4. Unmöglichkeit, aus der Unbegründbarkcit der Objektivität auf die Subjektivität 
zu schließen. Unmöglichkeit einer teilweise positiven, teilweise negativen Ent- 
scheidung. 

5. Unmöglichkeit, aus dem Widerspruch der Leugnung irgend welchen Wissens 
auf das Vorhandensein irgend welchen Wissens zu schließen. 

Anmerkung zam I. Kapitel. Über den Untersehled der analytiseh^ 
und synthetischen Urteile. 

6. Einfuhrung der Unterscheidung. Begriff und Wesen. 

7. Begriff und Wortbedeutung. Unveränderlichkeit des Inhalts der Begriffe. Un- 
möglichkeit der Verwandlung synthetischer Urteile in analytische. Vollstän- 
digkeit der Einteilung. 

8. Analytische Natur der Definitionen und Schlüsse. 

9. Sind sämtliche Prämissen eines Urteils analytisch, so ist das Urteil selbst 
analytisch, und umgekehrt. 

n. Das Gesetz als erkenntnistheoretisches KjitfiriniQ. 

10. Zweck der folgenden Untersuchungen. 

11. Natorps Argument gegen die psychologische Methode der Erkenntnistheorie 
beweist zu viel. 

12. Unzulässigkeit des Versuchs, von der JErJcenntnia auszugehen, wenn die 
Gegenständlichkeit überhaupt in Frage gestellt ist. 

13. Unmöglichkeit, die Beziehung der Erkenntnis auf den Gegenstand aus einem 
Abstraktionsakt zu erklären. Ursprünglichkeit dieser Beziehung. 

14. Unterschied des Verhältnisses der Erkenntnis zum Gegenstande vom Verhältnis 
der Erscheinung zum Gesetz. Gesetzmäßigkeit ist lediglich ein negatives 
Kriterium der Wirklichkeit. Das positive Kriterium der Wirklichkeit ist die 
Anschauung. Das Verhältnis der Erkenntnis zum Gegenstande ist nicht das 
Verhältnis der unvollständig bestimmten Erkenntnis zur vollständig bestimmten. 

15. Mittelbarkeit aller Erkenntnis durch Begriffe. Urteil und Vergleichongsformel. 



428 ^' Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [16 

III. Der transzendentale Beweis als erkenntnistheoretlsehes Kriterinm« 

16. Zergliederung des von £. Marcus versachten Beweises der Analogieen der 
Elf abrang. 

17. Petitio principii des Beweises. Zweideutigkeit des Ausdrucks „Möglicbkeit der 
Erfabrung**. 

18. Der Satz vctn der Gesetzmäßigkeit der Erfabmngsobjekte ist analytiscb; der 
Satz von der Gesetzmäßigkeit der Realitäten der Wabmebmung ist syntbetiscb 
und aus dem ersten unableitbar. 

19. Der Begriff der Erfabrung als transzendentaler Beweisgrund. Das metapby- 
siscbe Element des allgemeinsten ErfabrungsbegrifFs. Willkürlicbkeit der 
Determination jedes engeren ErfabrungsbegrüSs. 

20. Unmöglicbkeit, von den metapbysiscben Bedingungen der g^d>enen Er- 
fahrung auf die metapbysiscben Bedingungen aller möglichm Erfabrung zu 
scbließen. 

IT. Die Erldenz als erkenntnistheoretlsehes Kriterium. 

21. Petitio principii der Argumentation Meinongs für die EWdenz als Wabrbeits- 
kriterium. 

22. Die Evidenz der Halluzinationen und Träume. 

23. Der Ausweg einer objektiven Definition der Evidenz bebt die Anwendbarkeit 
des Begriffs der Evidenz auf. 

24. Die Unmöglichkeit, jedes Urteil auf ein anderes Urteil zurückzufahren, beweist 
nicht die Zulässigkeit von Urteilen, die sich nicht auf eine andere Erkenntnis 
gründen. 

T. Der blologisehe Torteil als erkenntnistheoretlsehes Kriterium. 

26. Der biologische Torteil als Kriterium und als Bedeutung der Wahrheit. 
SiMMELs Argumentation zu Gunsten der zweiten Annahme. 

26. Die Möglichkeit dieser Annahme widerspricht ihrem Inhalt 

27. Unmöglichkeit, mit den Worten „Wahrheit ist Nützlichkeit ** einen Sinn zu 
verbinden. 

28. Relativität des Nützlichkeitskriteriums. Unabhängigkeit der Wahrheit von der 
Zeit. 

29. Widerspruch des biologischen Wahrbeitskriteriums. 

Tl. Das ,,transzendente Sollen** als erkenntnistheoretisehes Kriterium. 

30. Die teleologische Erkenntnistheorie. 

81. Zweifache Interpretation: Das Gefordertsein eines Urteils als Kriterium und 
als Bedeutung seiner Wahrheit 

82. RiCKEBTs Erkenntnistheorie als Beispiel der zweiten Annahme. Konsequenzen 
dieser Annahme. 



17] Inhalt. 429 

83. Widersprach in Bicesbts Begriff des „Bewußtseins überhaupt". Begriff und 
Gegenstand. 

84. Das Verhältnis des Erkennens zum Erkannten ist von dem Verhältnis des 
Erkennenden zum Erkannten zu unterscheiden. Die notwendige Verschieden- 
heit der Erkenntnis von ihrem Gegenstande steht daher mit der Möglichkeit 
der Selbsterkenntnis, d. h. der Identität von Subjekt und Objekt, nicht in 
Widerspruch. 

85. Die Lehre von den „Forderungen" als Bedeutung der Wahrheit beruht auf 
einer Zirkeldefinition. 

36. Die Lehre von den „Forderungen'* als Kriterium der Wahrheit enthält einen 
Widerspruch. 

37. Die teleologische Erkenntnistheorie hat zur Voraussetzung die psychologische 
Annahme der Identität von Erkenntnis und Urteil. Die Abhängigkeit des 
Urteils vom Willen ist eine Tatsache der inneren Erfahrung. Es giebt aber 
Erkenntnisse, die nicht in Urteilen bestehen, z. B. die Wahrnehmungen. 

38. Der Bestimmungsgrund Tür das Fällen eines Urteils ist von der Richtschnur 
für den Inhalt des Urteils zu unterscheiden. Weder das eine noch das andere 
besteht in einer Forderung. Die Richtschnur für den Inhalt des Urteils Uegl^ 
in der unmittelbaren Erkenntnis. Aus dem Verbot eines Urteils läßt sich 
nicht auf das Gebot des widersprechenden Urteils schließen. 

39. Die Annahme der Identität von Erkenntnis und Urteil hat die Unerkennbarkeit 
des teleologischen Wahrheitskriteriums zur Folge. 

40. Die Annahme eines vom Urteil verschiedenen „Gefühls" oder „Erlebens" der 
Forderung kann diese Schwierigkeit nicht beseitigen, hebt vielmehr die Mög- 
lichkeit der teleologischen Erkenntnistheorie auf. 

ABmerlnisg zum VI. Kapitel. Der erkenntnistheoretlsehe Idealismiis. 

41. Verbalmethode der Rickertschen Lösung des „Problems der Transzendenz". 

42. Der „Satz der Immanenz" beruht auf einer Verwechslung von Inhalt und 
Gegenstand. 

43. Inhaltlosigkeit des Begriffs des „Bewußtseins überhaupt". 

44. Widerspruch des methodischen Prinzips, „nichts unbewiesen hinzunehmen". 

45. Analoge Fehler bei Liffs. 



AbhaadlufftB der FriM*ieheB 8ch«le. IL Bd. 28 



430 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [lg 

Zweiter Teil: Das Problem der Vemuiiftkritik. 

TU. Der Batz des Omndes. (Erkenntnlstlieorie und Do^niatlsmaB.) 

46. Scheinbare Alternative zwischen Erkenntnistheorie and Dogmatismus. 

47. l'nvollständigkeit dieser Disjunktion. Der Satz des Grandes gilt lediglich von 
Urteilen, nicht von Erkenntnissen überhaupt. Das Postulat der Begründung 
widerspricht daher nicht der Annahme von Erkenntnissen, die keiner Be- 
gründung bedürfen. 

48. Vemunftwahrheit und Verstandeswahrhcit Das Faktum des Selbstvertrauens 
der Vernunft ist die entscheidende Instanz gegen den Skeptizismus, die selbst 
einer Begründung weder fähig noch bedürftig ist 

Till. Das Hiime-Kaiitlselie Problem. (ErkenntniBtheorie nnd Yernanft- 
kritlk.) 

49. Die Begründung der Verstandeswahrheit als alleinige Aufgabe der Wissen- 
schaft. Bcgriif der Metaphysik. 

60. Unvermeidlichkeit und Bedeutung des IIume-Kantischen Problems: Der Grund 
der metaphysischen Urteile liegt weder in der Anschauung noch in der 
Reflexion. Die unmittelbare Erkenntnis der reinen Vernunft. Ihre faktische 
Aufweisung als Aufgabe der Kritik der Vernunft. 

51. Zurückfuhrung des erkenntnistheoretischen Vorurteils auf die Annahme der 
Vollständigkeit der Disjunktion zwischen Anschauung und Reflexion als Er- 
kenntnisqnellen. 

52. Die beiden kritischen Maximen. 

IX. Die Modalität der krltlsehen Erkenntnis. 

53. Unmöglichkeit einer demonstrativen Begründung der metaphysischen Urteile. 
Notwendigkeit, die den Grund der metaphysischen Urteile enthaltende Er- 
kenntnis zum Gegenstande einer wissenschaftlichen Untersuchung zu machen. 
Psychologische Natur dieser Untersuchung. 

54. Modalische Ungleichartigkeit von Grund und Begründung im Falle der Meta- 
physik. Die kritische Begründung enthält nicht den Grund der metaphysischen 
Urteile. 

X. Daa transzendentale and das psyehologlstisehe Torarteil. 

55. Die Erkenntnistheorie muß den Grund der durch sie zu begründenden Urteile 
enthalten. 

56. Erkenntnis und Erkenntnisgrund sind hinsichtlich der Modalität gleichartig. 
Die psychologische Natur der Erkenntnistheorie ist daher mit der Apriorität 
der durch sie zu begründenden Sätze unvereinbar. Auf Grund des erkenntnis- 
theoretischen Vorurteils ist folglich der Widerspruch zwischen Transzenden- 
talismus und Psychologismus unvermeidlich. 



19] Inhalt. 431 

67. Mit der Beseitigong des erkenntnistheoretisrhen Vorarteils verschwindet dieser 
Widerspruch. Der Satz Ton der modalischen Gleichartigkeit von Erkenntnis 
und Erkenntnisgrund ist zufolge § 54 auf die Kritik unanwendhar. Schematische 
Darstellung der Entstehung des Widerspruchs und seiner Auflösung. 

58. Terminologische Bemerkungen. 

XL Beispiele der „dogmatiselieii Prftmisse^* in der antipsyehologiBtisehen 
Ar^unentation bei Natobp, Fbiqi und üussebl. 

59. Verwechslung von Grund und BegrOndung hei Natorp. 

60. Derselbe Fehler bei Frege. Angeblicher Zirkel der „psychologischen Logik". 

61. Derselbe Fehler bei Husserl. Beweis und Deduktion. 

XII. HuBBEBLs phänomenologriselie Methode und die intellektuelie An- 
sehauang. 

62. Die phänomenologische Methode verfährt tatsächlich psychologisch. 

63. Anerkennung der modalischen Ungleichartigkeit von Inhalt und Gegenstand 
der Kritik bei Husserl. Unzulässigkeit der Beschränkung der Kritik auf 
bloße Deskription. Der Gegenstand der Kritik läßt sich (zufolge § 53) nicht 
durch unmittelbare Selbstbeobachtung, sondern nur vermittelst einer psycho- 
logischen Theorie aufweisen. 

64. Weitere Gründe gegen Husserls Beschränkung der Kritik auf bloße Deskription. 

65. Die Annahme der Anschaulichkeit der unmittelbaren philosophischen Erkenntnis 
macht zwar ein theoretisches Verfahren der Kritik entbehrlich, hebt aber zu- 
gleich die Notwendigkeit der Kritik überhaupt auf. 

XIII. BICKKBT8 TranszeudentaUsmaB als Beispiel eines yersteekten 
Psyeholoslsmiis. 

66. Transzendentalismus ist notwendig versteckter Psychologismus. 

67. Beispiel: Rickerts Lehre vom Willen als logischer Voraussetzung aller 
Wahrheit. 

XIV« Lipps' „Omndwlssensehaft^^ Der Begriff des Denkgesetzes. 

68. Verwechslung von Grund und Begründung in Lipfs* Begriff der „Grund- 
wissenschaft**. 

69. Psychologistische Konsequenzen dieses Fehlers, erläutert an Lipfs' ästhetischem 
Subjektivismus. 

70. Die logischen Gesetze sind nicht „psychische Naturgesetze". Naturgesetz und 
Norm. Hypothetische Form und exakte Geltung der Naturgesetze. 

71. Die logischen Gesetze sind nicht Normen. Es lassen sich zwar auf die logischen 
Gesetze Normen für das Denken gründen, aber in diesem Sinne haben nicht 
nur alle mathematischen und naturwissenschaftlichen Gesetze, sondern auch 
alle To^ffoc^enwahrheiten normative Bedeutung. 

28* 



432 L* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [20 

72. Die ßestimmnngsgründe des logischen Denkens liegen nicht in den logischen 
Gesetzen, sondern in unserer Erkenntnis dieser Gesetze. 

73. Die logischen Gesetze können mit Recht „Denkgesetze** heißen, weil wir uns 
ihrer nur durch Denken bewußt werden. Folgen dieser Erklärung für die 
richtige Bestimmung des Verhältnisses der Psychologie zur Philosophie. 

74. Inhalt und Gegenstand der metaphysischen Erkenntnis. Reflexion und Vernunft. 
Stumpfs Ansicht über das Verhältnis der Psychologie zur Erkenntnistheorie. 

75. Selbsttätigkeit und Willkürlichkeit. Rezeptivität und Spontaneität. 



Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 

XV. Die erkenntnistheoretisclieii Voraassetziingreii des fornmlen Idea- 
llsmiu. 

76. Die beiden Kantischen Beweise des transzendentalen Idealismus. 

77. Die vier Voraussetzungen des ersten Beweises. 

78. Die metaphysische Natur dieser Voraussetzungen. 

79. Der introjizierte Widerspruch dieser Voraussetzungen. 

XVI« Die Aussehliessangr des PrSformationssystems. 

80. Die zweite Voraussetzung. Der FiscHER-TBENDELENBURGschc Streit. 

81. Kants Verwechslung des Verhältnisses der Erkenntnis a priori zur Erfahrung 
mit ihrem Verhältnis zum Gegenstande. 

82. Das Argument von der Möglichkeit des Irrtums und das Argument von der 
„Notwendigkeit** der Kategorieen. 

83. Introjizierter Widerspruch des formalen Idealismus. Doppelsinn des Terminus 
„Präformationssystem** bei Kant. Das Argument vom „Zirkel** des Präfor- 
mationssystems beweist zu viel und trifft jede Erkenntnistheorie als solche. 

84. Grafenoiessers Wiederholung des Kantischen Fehlers. 

XVII. Form und Ctogenstand. 

85. Der Unterschied des Empirischen und Rationalen betrifft nicht das Verhältnis 
der Erkenntnis zum Gegenstande. Zweideutigkeit des Wortes „Gegenstand**. 

86. Kants Beantwortung der Frage: Wie ist reine Mathematik möglich? Zwei- 
deutigkeit des Terminus „Form**. 

XVin. Die dogrmatisehe Disjunktion der Wahrheitskriterien. 

87. Ursprung des formalen Idealismus aus der Disjunktion zwischen Logik und 
Empirie als Wahrheitskriterien. 

88. Zweideutigkeit des Ausdrucks „Objektivität** bei Kant. 



21] Inhalt. 433 

X£K. Der tnasieHdentele Beweif. 

89. Das Kriterium der „objektiven" Deduktion. 
dO. Zirkel des transzendentalen Beweises. 

91. Logizistische Voraussetzung des Beweises. 

XX. Die subJektiYe Dednlction. 

92. Kants Schluß von der Nicht-Anschaulichkeit der metaphysischen Erkenntnis 
auf ihren logischen Ursprung. Becks „Standpunkt des ursprünglichen Vor- 
stellens". 

93. Zweideutigkeit des Terminus „synthetisches Urteil aus bloßen Begriffen". 

XXI. Der Begriff der transzendentalen Logik. 

94. Die Annahme, die Kritik beweise die metaphysischen Grundsätze, schließt 
die Behauptung der Apriorität der Kritik ein und ft'hrt zur Hineinziehung 
der Kritik in das System. 

95. Der Begriff der transzendentalen Logik enthält eine Verwechslung des In- 
halts der kritischen Erkenntnis mit ihrem Gegenstande. 

96. Dieser Fehler hat zur Konsequenz die Preisgabe der kritischen Methode. 

97. Der methodische Standpunkt der Preisschrift vom Jahre 1763 und der Grund 
von Kants späterer Meinungsänderung. 

XXn. Zusammenfassende Kritik der Yon Kart Tersuehten AoflSsung des 
numesehen Problems. 

98. Tatsächliche Übereinstimmung Kants mit Humes metaphysischem Skepti- 
zismus. Maimons „kritischer Skeptizismus^. 

99. Eigentliche Bedeutung ?on Kants „empirischem Realismus^. 

XXnL Die Antinomieen- und Ideenlehre. 

100. Kritische Formulierung des Problems der Objektivität. 

101. Die vollständige Bestimmung des Gegenstandes und das Ding an sich. 

102. Kants zweiter Beweis des transzendentalen Idealismus durch die Auflösung 
der Antinomieen und sein Verhältnis zum ersten Beweise. 

103. Der negative Ursprung der Ideen. 

104. Kants Ableitung der Ideen aus der Form der Yemunftschlüsse. Der „trans- 
zendentale Schein". 

105. Kants Auflösung der kosmologischen Antinomie. 

106. Kants Lehre vom regulativen Gebrauch der Ideen in der Naturwissenschaft. 

XXIY. Die mSgliehen Fortbildungen der Kantiselien Plülosophie« 

107. Aufgaben für die Fortbildung der kritischen Philosophie. 

108. Die psychologischen Prämissen der Kantischen Spekulation. Widerspruch 



434 L* Nelson: Über das sofi^enannte Erkenntnisproblem. [22 

zwischen je einer dieser Prämissen and der Konsequenz aas den übrigen. 
Schema. 

109. Ableitang der hieraus sich ergebenden Fortbildungsmöglichkeiten. 

XX Y. Das MlssYerstllndnis Jacobib. 

110. Jacobts Kritik des formalen Idealismus. 

111. Konsequenz dieser Kritik. 

112. Jacobis Verkennen der kritischen Methode. 

113. Methode und Weltansicht. Kritizismus und Idealismus. 

114. Der von Jacobi übersehene wirkliche Grund des Kantischen Fehlers. 

XXYI. Das Relnholdsche MissrerstSndiils. 

115. Reinholds Bedeutung für die Geschichte der Erkenntnistheorie. 

116. Die „Elementarphilosophie". 

117. Unmöglichkeit eines gemeinschaftlichen Grundsatzes der Logik und Metaphysik. 

118. Unmöglichkeit einer Zurückführung der metaphysischen Grundsätze auf logisch 
höhere Prinzipien. 

119. Logisches und konstitutives Fundament einer Wissenschaft. Das logische 
Fundament der Metaphysik liegt in den Grundsätzen der Metaphysik selbst; 
ihr konstitutives Fundament liegt nicht in einer anderen Wissenschaft, son- 
dern in der unmittelbaren Erkenntnis. Weder das logische noch das kon- 
stitutive Fundament der Metaphysik liegt also in der Kritik. 

120. Das Verkennen dieser Tatsache führt zur logischen Überordnung der Kritik 
über die Metaphysik. Ursprung der Reinholdschen „Elementarphilosophie'' 
aus diesem Fehler. 

121. Beispiele für das Verkennen der modalischen Ungleichartigkeit von Kritik 
und System bei Reinhold. Seine Verwechslung von Inhalt und Gegenstand 
der Kritik. Psychologistische Konsequenz dieses Fehlers. 

122. Das erkenntnistheoretische Vorurteil bei Reinhold. Logischer Dogmatismus 
der „Elementarphilosophie''. 

123. Die Reinholdsche Elementarphilosophie als erster Versuch einer Systemati- 
sierung des bei Kant stehen gebliebenen Vorurteils. 

XXTH. Die Konseqaenzen des Beinholdsclien MissYerstSndnlsses« 

124. Die beiden entgegengesetzten Auflösungen des Widerspruchs in der metho- 
dischen Idee der Reinholdschen Elementarphilosophie: Die transzendentale 
und die psychologische Erkenntnistheorie. 

125. Die psychologischen Prämissen dieser entgegengesetzten methodischen Maximen. 
Vergleichung mit § 109. 



23] Inhalt 436 

XXYIII. Die Systematisierimg des transzendentBleB Yonirteils bei 
Fichte. 

126. Ursprang der Methode der Wissenschaftslehre aus dem Reinholdschen Miß« 
Verständnis. Ursprung ihres Inhalts aus dem Jacohischen Mißverständnis. 

127. FiCHTEs Argumentation für die Apriorität der Kritik. Verwechslung von 
Grund und Begründung in dieser Argumentation. 

128. Verwechslung von Kritizismus und Idealismus. Proklamierung der dogma- 
tischen Methode. 

129. Weitere Fehler in Fichtes idealistischer Argumentation. 

130. Verwechslung des Verhältnisses von Erkenntnis und Gegenstand mit dem 
Verhältnis von Geist und Materie. 

131. Fichtes Fiktion der Einerleihcit des Seins und Angeschautwerdens hei Be- 
stimmungen der Intelligenz. 

132. Verwechslung von Inhalt und Gegenstand in Fichtes Begründung des 
Idealismus. 

133. Der logische Dogmatismus als stillschweigende methodische Voraussetzung 
der Fichteschen Spekulation. Konsequenzen dieser Voraussetzung: die Be- 
hauptung der Abhängigkeit der Erkenntnis vom Willen und die teleologische 
Wendung der Erkenntnistheorie. Versteckter Psychologismus der Fichteschen 
Philosophie. 

134. Fichtes Ausweg aus dem Psychologismus: die Fiktion der intellektuellen 
Anschauung. Ursprung dieser Fiktion aus der Voraussetzung, daß das kon- 
stitutive Prinzip der Philosophie in der Selbsterkenntnis liege. Stellung dieser 
Fiktion zur Kantischen Lehre. 

135. Das erkenntnistheoretische Vorurteil. Angebliche Identität von Erkenntnis 
und Gegenstand in der Selbsterkenntnis. 

136. Weitere Beispiele der Verwechslung des Verhältnisses von Erkenntnis und 
Gegenstand mit dem Verhältnis von Intelligenz und Materie. 

137. Kritik der Fichteschen Lösung des erkenntnistheoretischen Problems. 

138. Nichtigkeit des erkenntnistheoretischen Idealismus. 

139. Die erkenntmstheoretische VerbaLnethode, erläutert an Beispielen. 

140. Fichtes Nachfolger. Die „neukantische^ Schule. 

XXDL Die SystemfttiBleniiig des psyeliolosristifclien Vorurteili bei 
Behiki. 

141. Ursprung des Empirismus Benekes aus der dogmatischen Disjunktion zwischen 
anschaulicher und reflektierter Erkenntnis. 

142. Ursprung des Psychologismus Benekes aus dem Reinholdschen Mißverständnis. 

143. Benekes Urteilstheorie. Verwechslung von Inhalt und Gegenstand, sowie 
von Vergleichongsformel and Urteil. 



436 L- Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [24 

144. Widerlegung der Argumentation, alle Erkenntnis gr&nde sich auf innere 
Wahrnehmung. 

145. Benekes empiristischer Begründungsversuch der Möglichkeit allgemeiner 
Urteile beruht auf der Verwechslung von Begriff und Wortbedeutung. 

146. Introjizierter Widerspruch dieser Begründungsweise. 

147. Der Versuch, die mathematischen Urteile auf Induktion 2U gründen, scheitert 
an der Unendlichkeit des Umfangs der mathematischen Subjektsbegriffe. Die 
strenge Allgemeinheit eines Satzes beweist seinen nicht-empirischen Ursprung, 
und zwar auch dann, wenn der Umfang des Subjektsbegriffs ein endlicher ist. 
Aller Induktion liegen als Bedingung ihrer Möglichkeit gewisse allgemeine 
Obersätze zu Grunde, die ihrerseits nicht auf Induktion beruhen. Introji- 
zierter Widerspruch dos Empirismus. 

148. Kritik der Annahme, die Allgemeinheit philosophischer Urteile beruhe auf 
der Unmöglichkeit ihr Gegenteil zu denken. Die Ausschließung eines dem 
allgemeinen Urteil widersprechenden Fürwahrhaltens aus dem Umfang des 
Begriffs „ Denken ** verschiebt das Problem, ohne es zu lösen. 

149. Kritik der Erklärung des „Seins** durch die Möglichkeit des Wahrgenommen- 
werdens. 

150. Bestätigung des in § 57 aufgestellten allgemeinen Schemas durch die Er- 
gebnisse des dritten Teils. 

XXX. Die Beseitigangr des erkenntnlstheoretlselieii Torarteils durch 
Fries* psychologiBehe Yernunftkritik. 

151. Geschichtliche Bedeutung von Fries' Abhandlung „Über das Verhältnis der 
empirischen Psychologie zur Metaphysik". 

152. Die Unbeweisbarkeit der metaphysischen Prinzipien. 

153. Die Schranken des regressiven Verfahrens. 

154. Psychologische Natur der Kritik. 

155. Kritik und System. 

156. Unentbehrlichkeit metaphysischer Voraussetzungen für die Kritik und der 
dadurch entstehende Schein des Zirkels. Deduktion und Induktion. 

157. Grund der Überlegenheit der psychologisch-kritischen Methode über jede dog- 
matische: „Der einzige Standpunkt der Evidenz für spekulative Dinge**. 

158. Erkenntnistheoretische Einwände. Der „gesunde Menschenverstand". 

159. Das Humesche Problem und die assoziationspsychologische Theorie. 

160. Unzulänglichkeit der Kantischen Kriterien der Apriorität für die Theorie der 
Vernunft 

161. Beweis der Unmöglichkeit, das Gesetz der Erwartung ähnlicher Fälle auf das 
Gesetz der Assoziation zurückzuführen. 

162. Fries' Auflösung des Humeschen Problems durch den psychologischen Beweis 
der Existenz einer nicht-anschaulichen unmittelbaren Erkenntnis. 



25] Inhalt. 437 

163. Der Grundsatz des Selbstvertrauens der Vernunft. Die Widerlegung des 
metaph3r8ischen Skeptizismus. 

164. Die Beseitigung des formalen Idealismus. Kritik der Eantischen Lehre von 
den praktischen Postulaten und vom Primat der praktischen Vernunft 

165. Fkies' Deduktion des Prinzips der Idecnlehre. 

Sehliiss. Torschlag, dareh eine geeignete Methode die philosophlsehen 
Streitigkeiten in wissensehaftliehe Bahnen za lenken. 

166. Folgerungen aus den historischen Ergebnissen des dritten Teils: 1) Ab- 
weisung aller Versuche, auf die Eantische Philosophie in ihrer historisch 
vorliegenden Form zurückzugehen; 2) Abweisung aller Versuche, den bereits 
vorliegenden Fortbildungen der Eantischen Philosophie eine neue hinzuzufügen. 
Notwendigkeit, zwischen den vorliegenden Fortbildungsweisen eine Entscheidung 
zu treffen. 

167. Vom Gebrauch der Sprache in der Philosophie. 

168. Forderung einer von den metaphysischen und psychologischen Überzeugungen 
des Einzelnen unabhängigen Untersuchung, welche Voraussetzungen zur Be- 
gründung eines fraglichen Satzes notwendig und hinreichend sind. Analogie 
mit der axiomatischen Methode in der Mathematik. Beispiele für die Wich- 
tigkeit einer solchen axiomatischen Behandlung der Philosophie. 

169. Forderung, die nach der Lösung dieser Aufgabe bleibenden metaphysischen 
Probleme an der Hand der äquivalenten psychologischen Probleme zu erörtern. 
Bedeutung der hiermit geforderten Untersuchungsweise als negativen Erite- 
riums. Unabhängigkeit ihres Wertes für die Philosophie von der hier vor- 
getragenen Ansicht über die positive Bedeutung der psychologischen Eritik 
für die Philosophie. 



Anhang I. Über die Definition der Logik und eine gewisse Schwierigkeit 
in der Unterscheidung analytischer und synthetischer Urteile. 

170. Mängel der Eantischen Definition des analytischen Urteils. 

171. Unzulänglichkeit der bisherigen Verbesserungs versuche. 

172. Definition durch die Urteilsform. 

173. Leitfaden für die Deduktion der logischen Grundsätze. 

174. Die logischen Grundsätze als positive Eriterien aller analytischen Urteile. 

Anhang H. Üher den formalen Idealismas in der Kantischen Ethik 
und Ästhetik. 

175. Gemeinschaftlicher Ursprung der Eantischen Erkenntnistheorie und Ethik 



438 L- Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. |26 

aas der dogmatischen Disjunktion zwischen Logik und Empirie als Kriterien 
der Objektivität. 

176. Logizistische Konsequenz der dogmatischen Disjunktion der Objektivitäts- 
kriterien für die Kantische Ethik. 

177. Ausgleichung des logizistischen Fehlers durch die Einführung der „Typik". 

178. Ursprung des ästhetischen Idealismus Kants aus dem allgemeinen formalen 
Idealismus. Grund des Fehlens des immanenten Objektivitätskriteriums in 
der Kantischen Ästhetik. 

Anhang III. Über einige Mängel der kritisehen Methodenlehre bei Fbibs. 

179. Fries' Verhältnis zum Psychologismus im allgemeinen. 

180. Notwendigkeit, bei dem Streit um die kritische Methode auf die Frage der 
Möglichkeit der Erkenntnistheorie zurückzugehen. 

181. Sinn der Friesschen Bezeichnung der Reflexion als „künstlicher Selbst- 
beobachtung*'. 

182. Zweideutigkeit dieser Friesschen Terminologie. 

188. Folgen dieser Zweideutigkeit: ein fehlerhafter Beweis bei Fries. 

184. Psychologistische Konsequenzen dieses Fehlers. 

185. Notwendigkeit einer strengen begrifflichen Trennung zwischen dem regressiven 
Verfahren der Abstraktion und der psychologischen Deduktion. 

186. Überblick über die notwendigen Verbesserungen. 



Erster Teil: 



Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 



„Wo die Sohiuken nnMrar mögUchen Erkeniitnii aelir 
eng», der Anrelx tum Urtoiton nofi, der Sokeia, der sich dar- 
bietet, iehr betrfl(;lioh ind der loehlÄU ans dem Irrtum erheblich 
irt, dähetdu Neg^atire der Untenreieang, welohee bloB dam 
dient, um iina Tor Irrtflmem xa Teirwabren, noch mehr Wiehti^eit 
ali manche podtite Belehrung, daduch unser Erkonntnis Zawaeha 
bekommen könnte.** 

KANT. Kritik der reinen Yemonft, naanendentale Me- 
thodeniehre, 1. nanpstOck. 



Emleitong. 

1. Es ist ein von den Geschichtssclireibern der Philosophie 
schon oft hervorgehobenes Verhängnis, daß gerade diejenige Lehre, 
die in den Angen ihres Urhebers sowohl als anch in denen seiner 
Zeitgenossen wie noch keine andere dazn berafen schien, den ewigen 
Frieden in der Philosophie herbeizuführen, mehr als irgend eine 
vor oder nach ihr aufgetretene dahin gewirkt hat, die Anarchie 
der Schnlmeinnngen zu fördern und anabsehbaren Streit zu stiften. 
Nicht minder merkwürdig aber muß die Tatsache erscheinen, daß 
fast ein jeder, der an diesen nicht endenden Streitigkeiten teil- 
genommen hat und noch teilnimmt, von dem unzweifelhaften Rechte 
durchdrungen ist, mit dem die kritische Philosophie ihren Beruf 
als Friedensstifterin verkündete. So viel besprochen dieses histo- ^ 
rische Schauspiel sein mag, so wenig scheint es bisher eine befrie- 
digende Erklärung gefunden zu haben. Und doch muß es offenbar 
einen tiefliegenden, mit dem eigentümlichen Wesen der Eantischen 
Philosophie auf das Innigste zusammenhängenden Grund haben. 

Während der die Kantische Philosophie um die Wende des 
18. Jahrhunderts auf lange Zeit hinaus betreffende Streit sich 
wesentlich -auf die aus den Resultaten der Vemunftkritik zu zie- 
henden Eonsequenzen, insbesondere auf die Frage des „Dinges an^ 
sich*', bezog, so liegt der Kernpunkt des heute herrschenden Streits 



442 L- Nelsou: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [30 

in der Frage der Methode. Ohne Zweifel äußert sich in dieser 
Verschiebnng der Streitfrage ein Fortschritt der wissenschaftlichen 
Entwickelang; denn es liegt auf der Hand, daß die Entscheidung 
der Resultate von der für ihre Gewinnung einzuschlagenden 
Methode ganz und gar abhängig sein muß. 

So wie nun die gegenwärtige Verfassung der Wissenschaft 
sich darstellt, zeigt sie uns eine deutliche Scheidung zweier großer 
methodischer Ansichten, die wir nach der üblichen Benennung als 
„Transzendentalismus" und „Psychologismus" einander gegenüber- 
stellen können. Was mit diesen Namen gemeint ist, weiß ein jeder, 
der die philosophische Litteratur unserer Tage auch nur ober- 
flächlich kennt : auf eine nähere Charakteristik beider werden wir 
später eingehen. 

2. Ein Versuch, die Quelle dieses Streits in einer beiden Par- 
teien gemeinschaftlichen Voraussetzung zu suchen, ist meines 
Wissens bisher nicht unternommen worden oder doch jedenfalls 
noch nicht gelungen. Und doch wäre es, gelänge dieser Versuch, 
nicht das erste Mal, daß die Auflösung eines heftigen und anhal- 
tenden wissenschaftlichen Streits gerade in der Aufdeckung eines 
von den Streitenden gemeinsam begangenen Irrtums zu finden ist. > 
Überall, wo zwei widerstreitende Ansichten sich gegenüberstehen, 
die, so oft auch dem einen oder anderen Teile eine Widerlegung 
des G-egners gelungen zu sein scheint, mit der gleichen Folge- 
richtigkeit ihre Behauptungen aufrecht zu erhalten vermögen, 
überall da kann man auf G-rund des bloßen Faktums des Streits 
einen verborgenen beiden Teilen gemeinschaftlichen Fehler ver-^ 
muten. Ein solcher wird in allen den Fällen zu Grrunde liegen, 
wo die einander widerstreitenden Ansichten nur unter einer ge- 
wissen, von beiden zugestandenen Voraussetzung in wirklichem 



31] Erster Teil: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 443 

Widerspruche stehen; denn überall da muß mit der Aufhebung 
der Voraussetzung auch der Widerspruch ihrer Folgen ver- 
schwinden. 

Es entsteht also die Frage, ob sich nicht eine den entgegen- 
gesetzten methodischen Ansichten in der heutigen Philosophie ge- 
meinschaftlich zu Grunde liegende Voraussetzung auffinden läßt. 
Dies scheint bei der herrschenden Anarchie und der völligen 
Divergenz in den ersten Schritten auf den ersten Blick aussichts- 
los. Allein, so unversöhnlich sich die beiden genannten metho- 
dischen Grundansichten gegenüberzustehen scheinen, so können 
doch die zunächst in die Augen fallenden Differenzen dem tiefer 
Blickenden eine beiden gemeinschaftliche Eigentümlichkeit nicht 
verbergen. Diese besteht in der zugleich mit der Entstehung des 
Streits, nämlich durch das Auftreten Kants herrschend gewordenen 
Richtung des Phüosophierens, die man allgemein als die „ erkenntnis- 
theoretische ^ bezeichnet. So heftig auch der Streit im einzelnen 
geführt wird, das eine gilt von allen Streitenden als zugestanden : 
daß einer jeden im engeren Sinne philosophischen Untersuchung 
die Bearbeitung der „Erkenntnistheorie" vorauszugehen habe. Nur 
darüber besteht Meinungsverschiedenheit, ob diese Erkenntnistheorie 
als eine der Psychologie angehörige Disziplin zu gelten habe oder 
nicht. 

So paradox es also auf den ersten Blick erscheinen mag, einen 
herrschenden Streit dadurch beilegen zu wollen, daß man das ein- 
zige von dem Streit unberührt Gelassene und als unerschütterlich 
feststehend Angenommene in Zweifel ziehen und womöglich als 
verfehlt erweisen will, so ist doch gerade dies hier unsere Absicht, 
und der Erfolg der Untersuchung mag zeigen, mit welchem 
Rechte. 



444 L- Nelson: Ober das sogenannte Erkenntnisproblem« [32 



I. 

Allgemeiner Beweis 
der Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 

3. Die ErJcenntnistlieorie ist — nach allgemeinem Sprachge- 
brauch — die Wissenschaft, die die Untersuchung der objektiven 
Gültigkeit der Erkenntnis überhaupt zur Aufgabe hat. Die Stellung 
dieser Aufgabe setzt voraus, daß man an der objektiven Gültig- 
keit der Erkenntnis zweifelt, d. h. daß ihr Vorhandensein ein 
Problem bildet. Ich behaupte nun, daß eine wissenschaftliche Auf- 
lösung dieses Problems unmöglich ist. 

Angenommen nämlich, es gäbe ein Kriterium, das zur Auf- 
lösung des Problems dienen könnte. Dieses Kriterium würde ent- 
weder selbst eine Erkenntnis sein, oder nicht. 

Nehmen wir an, das fragliche Kriterium sei eine Erkenntnis. 
Dann gehörte es gerade dem Bereiche des Problematischen an, 
über dessen Gültigkeit erst durch die Erkenntnistheorie entschieden 
werden soll. Das Kriterium, das zur Auflösung des Problems 
dienen soll, kann also keine Erkenntnis sein. 

Nehmen wir also an, das Kriterium sei nicht eine Erkennt- 
nis. Es müßte dann, um zur Auflösung des Problems dienen zu 
können, bekannt sein; d. h. es müßte selbst Gegenstund der Er- 
kenntnis werden können. Ob aber diese Erkenntnis, deren Gegen- 
stand das fragliche i^jriterium ist, eine gültige ist, müßte ent« 
schieden sein, damit das Elriterium anwendbar ist. Zu dieser Ent- 
scheidung müßte aber das Kriterium schon angewendet werden. 

Eine Begründung der objektiven GiiUiglceit der Erkenntnis ist also 
unmöglich. 

4. Aber läßt sich nicht aus dieser Unmöglichkeit auf das 
Nicht- Vorhandensein der objektiven Gültigkeit schließen und auf 



331 Erster Ted: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 44% 

solchem Wege eine negative Entscheidung des Prohlems herbei- 
führen ? Keineswegs ; denn von der Unmöglichkeit, die Gültigkeit 
eines Satzes (hier der Behauptung der objektiven Gültigkeit der 
Erkenntnis) zu erweisen, kann nicht auf die Ungültigkeit dieses 
Satzes geschlossen werden. 

Aber vielleicht ließe sich zeigen, daß unserer Erkenntnis teiU 
weise objektive Gültigkeit zukommt und teilweise nicht? Auch dies 
ist unmöglich. Denn man nehme an, es gäbe ein Kriterium zur 
Entscheidung, ob eine Erkenntnis (z. B. die fragliche Behauptung 
von der teilweisen Gültigkeit unserer Erkenntnis) in die Klasse 
der gültigen oder in die der ungültigen gehört. Dies Kriterium 
müßte, um anwendbar zu sein, erkannt werden können. Um aber 
zu wissen, daß diese Erkenntnis des Kriteriums eine gültige ist, 
müßte ich das Kriterium schon angewendet haben. 

Wollte man, um diese Widersprüche zu vermeiden, vorschlagen, 
zur Prüfung der Erkenntnis des Kriteriums ein neues, d. h. von 
ihm verschiedenes Kriterium anzuwenden, so wäre damit nichts 
gewonnen. Denn auch dieses Kriterium müßte, um anwendbar zu 
sein, erkannt werden, und diese Erkenntnis würde, um als gültig 
angenommen zu werden, wieder ein weiteres Kriterium voraus- 
setzen, so daß wir auf einen unendlichen Regreß geführt wären. 
Dieser Regreß müßte vollendet vorliegen, ehe irgend eine Er- 
kenntnis als gültig angenommen werden könnte. Die Annahme 
der Vollendung eines unendlichen Regressus schließt aber einen 
Widerspruch ein. 

B. Man hat versucht, die objektive Gültigkeit wenigstens 
einiger unserer Erkenntnisse dadurch zu erhärten, daß man in der 
Annahme ihrer Unmöglichkeit einen Widerspruch suchte : Wer be- 
hauptet, keine gültige Erkenntnis zu besitzen, der spricht mit dieser 
Behauptung eine Erkenntnis aus, für die er objektive Gültigkeit 

AbbABdluageii d«r Friii*«diMi Sditüe. U. Bd. ^^9 



446 ^* Nelson: Über das sogenannte ErkenntnIsproblenL [34 

in Ansprach nimmt, nnd widerspricht insofern sich selbst. — Aber 
die Annahme 

A. X besitzt keine gültige Erkenntnis 

hat nnr znr Folge, daß X selbst von der Geltung dieser Annahme 
keine Erkenntnis haben kann; denn hätte er diese Erkenntnis, so 
besäße er in ihr eine objektiv gültige Erkenntnis. Nicht die An- 
nahme A, sondern die Annahme 

B. X besitzt eine gültige Erkenntnis von A 

enthält einen Widerspruch. Und ans diesem Widerspruch folgt 
nicht, daß der die Ungültigkeit seiner Erkenntnis Behauptende 
eine gültige Erkenntnis besitzt; es folgt nicht die Falschheit des 
Satzes A, sondern lediglich die Falschheit des Satzes B. — Anders 
ausgedrückt : Wer zu wissen behauptet, daß er nichts wisse, wider- 
spricht sich allerdings; aber hieraus läßt sich nicht schließen, daß 
er irgend etwas wisse, sondern nur, daß er dieses^ was er zu wissen 
vorgiebt, nicht wisse. 

Und wie sollte es anders sein, da doch aus dem Prinzip des 
Widerspruchs nie andere als analytische Sätze ableitbar sind, der 
Satz aber, wir besäßen objektiv gültige Erkenntnis, da er ein 
Faktum behauptet, offenbar synthetischer Natur ist. 



Anmerkung zum I. Kapitel: 

Über den Unterschied der analytischen und synthetischen 

Urteile. 

6. Da sich die folgenden Ausführungen mehrfach auf die eben 
herangezogene Unterscheidung der analytischen und synthetischen 
Urteile stützen, wird es zweckmäßig sein, einige Bemerkungen zur 



35] Erster Teil: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 447 

Reehtfertigang dieser heute noch nicht allgemein anerkannten 
Unterscheidung einzufügen.^ 

Ein Urteil, dessen Prädikat schon im Begriff des Subjekts ent- 
halten ist, heißt analytisch; jedes andere Urteil heißt synthetisch. 
Wenn ich von einem Dreieck sage, daß es drei Seiten hat, so 
spreche ich ein analytisches Urteil aus; denn das Merkmal der 
Dreiseitigkeit liegt bereits im Begriff des Dreiecks, und ein Dreieck, 
das nicht drei Seiten hätte, kann ohne inneren Widerspruch nicht 
gedacht werden. Sage ich hingegen von einem Dreieck, daß es 
gleichseitig ist, so spreche ich ein synthetisches Urteil aus; denn 
das Merkmal der Gleichseitigkeit liegt nicht im Begriff des Dreiecks, 
sondern kommt als etwas Neues zu ihm hinzu, xmd ein ungleich- 
seitiges Dreieck kann sehr wohl als möglich gedacht werden. 

Kant führt als Beispiel eines analytischen Urteils an: Alle 
Körper sind ausgedehnt; als Beispiel eines synthetischen aber: 
Alle Körper sind schwer. Da hat man nun gefragt, ob denn nicht 
die Schwere eine ebenso allgemeine und notwendige Eigenschaft 
der Körper sei wie die Ausdehnung. Wenn sie dies nämlich sei, 
so gehöre sie offenbar ebenso notwendig zum Wesen des Körpers 
wie diese. Das Urteil: „Alle Körper sind schwer" sei also in 
genau demselben Maße analytisch wie das Urteil: ;,Alle Körper 
sind ausgedehnt^. Hierauf antworten wir, daß es sich nicht um 
die Frage handelt, was als allgemeine und notwendige Eigenschaft 
zum „Wesen" des Körpers gehört, sondern allein, was zu seinem 
Begriff gehört. Der Begriff aber ist weit weniger als die Gesamt- 
heit aller dem Subjekt notwendig zukommender Eigenschaften ; er 
enthält vielmehr allein diejenigen dem Subjekt notwendig zu- 

^ Ich schließe mich dabei an die denselben Gegenstand behandelnden Aos- 
führongen meiner Abhandlang „Kant und die Nicht-Euklidische Geometrie^ an. 
(13. Sonderheft der astronomischen Zeitschrift „Weltall", Kapitel m.) 

29* 



448 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [36 

kommenden Eigenschaften, die zu dessen eindeutiger Bestimmnng 
erforderlich und hinreichend sind, d. h. diejenigen, durch die es 
definiert ist. Zu solchen definierenden Merkmalen des Körpers 
gehört aher seine Schwere nicht. Wäre die Schwere ein den 
Körpern als solchen vermöge ihres Begriffs zukommendes Merkmal, 
so hätte sie sich von selbst verstehen müssen xmd hätte nicht erst 
im Laufe der wissenschaftlichen Erfahrung entdeckt zu werden 
brauchen. In der Tat besaßen die Alten noch keine Vorstellung 
von der Schwere der Himmelskörper, vielmehr hat man dieselbe 
erst durch Newtons Entdeckung der allgemeinen Gravitation kennen 
gelernt. Auch kommt die Schwere einem Körper nicht an und 
für sich zu, wie es doch sein müßte, wenn sie ein schon im Begriff 
des Körpers enthaltenes Merkmal wäre ; sondern sie ist eine rela- 
tive Eigenschaft und findet nur statt, sofern mehrere Körper in 
Wechselwirkung mit einander treten. 

7. Man hat fernerhin behauptet, die Unterscheidung zwischen 
analytischen und synthetischen Urteilen sei schwankend und unbe- 
stimmt, indem dasselbe Urteil bald als analytisch, bald als synthe- 
tisch betrachtet werden könne ; ein Urteil, das für den einen ana- 
lytisch sei, könne sehr wohl für den anderen synthetisch sein; ja 
derselbe Mensch könne ein und dasselbe Urteil heute als synthe- 
tisch, morgen als analytisch ansehen.' Man ist sogar soweit ge- 
gangen, zu behaupten, bei der gehörigen Entwickelimg unserer 
Begriffe verwandelten sich alle Urteile in analytische, so daß es 
für eine vollkommene Erkenntnis überhaupt keine synthetischen 
Urteile mehr geben könne. — Wir wollen diesen Einwand an einem 
Beispiel prüfen. Betrachten wir das Urteil: Der Walfisch ist ein 



' So soll es sich z. B. nach Wellstein mit den Axiomen der Geometri« 
verhalten. (Enzyklopädie der Elementar-Mathematik, Band II, Seite 181.) 



37] Erster Teil: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 44g 

Säugetier. Für den Zoologen, der etwa auf einer Naturforscher- 
Yersammlong seine XJntersnchongen über die anatomische Be* 
schaffenheit der Walfische vorträgt, ist das Merkmal Säugetier 
bereits analytisch im Begrijff des Walfischs enthalten. Nehmen 
wir aber etwa an, unter den Zuhörern des Zoologen befinde sich 
ein Bauer, der, auf dem Lande aufgewachsen, sich bisher bei dem 
Worte Walfisch stets eine Art Fisch vorgestellt hat, nun aber 
erfahrt, daß der Walfisch, gerade wie andere Säugetiere, lebendige 
Junge zur Welt bringt. Diese Erfahrung ist für ihn etwas Neues, 
und das Urteil „Der Walfisch ist ein Säugetier^ ist für ihn, indem 
er es hört, synthetisch. Damit aber, so argumentiert man weiter, 
hat sich zugleich sein Begriff vom Walfisch verändert, es ist ein 
neues Merkmal hinzugetreten ; der Begriff hat sich also erweitert, 
und in Zukunft ist auch für den Bauern das Urteil ein analytisches. 
Der hieraus gegen die Kantische Einteilung abgeleitete Ein- 
wand ist sehr leicht zu widerlegen, wenn man sich nur die Mühe 
nimmt, das Urteil von seinem sprachlichen Ausdrucke, dem Satee, 
zu unterscheiden. Die Kantische Einteilung spricht von Urteilen 
und den in ihnen auftretenden Begriffen, nicht aber von dem 
grammatischen Satze und den ihn bildenden Worten. Ein xmd der- 
selbe Satz kann natürlich sehr verschiedene Urteile ausdrücken, 
je nachdem, welche Begriffe man mit den Worten verbindet. Die 
Ausdrücke : Ein Begriff verändert, entwickelt oder erweitert sich, 
sind im übrigen höchst ungenau und zum mindesten irreführend. 
Nicht ein Begriff, sondern xmsere Erkenntnis erweitert sich; ein 
Begriff ist, wenn er einmal gebildet ist, etwas absolut Feststehen- 
des und Unveränderliches. Wohl aber können Worte ihre Be- 
deutung ändern, indem sie nämlich bald für den einen, bald für 
den anderen Begriff, bald für einen engeren, bald für einen weiteren, 
als Ausdruck dienen. Je nachdem also das Wort „ Walfisch^ einen 



450 L* Nelson: Ober das sogenannte Erkenntnisproblem. [38 

engeren oder weiteren Begriff bezeichnet; kann der Satz ;,Der 
Walfisch ist ein Säugetier^ bald ein synthetisches, bald ein ana- 
lytisches Urteil ausdrücken. Die angebliche Verwandlung von 
synthetischen Urteilen in analytische ist also eine Fabel. ^ 

8. Alle Definitionen sind nach dem Vorangehenden analytische 
Urteile. Denn die Definition ist nichts anderes als die vollständige 
Zergliederung des Begriffs. Aber auch alle Schlüssej durch die 



^ Einen noch schlimmeren Fehler soll die Kantische Einteilung nach Coutu&at 
enthalten. („La philosophie des math^matiqaes de Eant^ in der Revue de m^ta- 
physique et de morale, 1904, S. 323.) Dieser Logiker behauptet nämlich entdeckt 
zu haben, daß die fragliche Einteilung überhaupt nicht vollständig sei Er hat 
aber dabei übersehen, daß er, um diesen Einwand zu erheben, erst den logischen 
Grundsatz vom ausgeschlossenen Dritten hätte widerlegen müssen. Nach diesem 
Satze läßt sich neben den beiden Fällen, daß ein Prädikat im Subjektsbegriff 
enthalten ist, und dem, daß es nicht in ihm enthalten ist, keine weitere Möglich- 
]|:eit denken. Vielmehr muß die Einteilung als ebenso vollständig angesehen werden 
wie die, daß ein Punkt entweder auf einer gegebenen Geraden liegt oder daß er 
nicht auf ihr liegt. Nach Coütürat soll der Fall der partikulären Urteile, also 
der Urteile von der Form: Einige S sind P, das Gegenteil beweisen. Sie sollen 
einen Fall darstellen, wo das Prädikat weder im Subjektsbegriff liegt noch außer 
ihm. Betrachten wir das Schulbeispiel: Einige Menschen sind tugendhaft. Daß 
der Begriff der Tugend nicht in dem des Menschen enthalten ist, dürfte klar sein ; 
denn wäre er in ihm enthalten, so wären eben nicht nur einige, sondern alle 
Menschen tugendhaft. Oder sollte Couturat der Ansicht sein, daß der Begriff 
der Tugend im Begriff einiger Menschen enthalten, im Begriff anderer Menschen 
aber nicht enthalten ist ? Ich wenigstens muß gestehen, daß ich mit einer solchen 
Behauptung keinen Sinn verbinden könnte. Denn es giebt nicht einen Begriff 
einiger Menschen und einen anderen Begriff anderer Menschen, sondern es giebt 
nur einen einzigen, nämlich allgemeinen, Begriff des Menschen^ außerdem aber 
alle die Einzelwesen, die unter den allgemeinen Begriff des Menschen fallen, d. h. 
denen der Begriff Mensch als Merkmal zukommt, die, wie man sagt, den Umfang 
des Begriffs Mensch bilden. Unter diesen Einzelwesen, den Menschen, zeichnen 
sich nun einige dadurch aus, daß ihnen uußer dem Merkmal Mensch auch noch 
das Merkmal Tugendhaft zukommt, während es den anderen fehlt. Einem Wesen 
als Merkmal zukommen heißt aber nicht : im Inhalt eines Begriffs enthalten sein. 
Es ist also hier dem Logiker passiert, daß er den Inhalt mit dem Umfang des 
Begriffs verwechselt hat . 



39] Erster Teil: Die Unmöglichkeit dex Erkenntnistheorie. 451 

wir zam Beweise eines Satzes gelangen, sind analytische urteile, 
Der Schloß ist ein hypothetisches Urteil, nämlich die Ableitnng 
eines Urteils aus anderen Urteilen, und zwar mn£ diese Ableitnng 
so bescha£Pen sein, daß die in dem abgeleiteten Urteil enthaltene 
Behauptung ihren hinreichenden Grund in den Prämissen hat, aus 
denen sie abgeleitet wird. Ein Schluß, der dieser Bedingung nicht 
genügte, dessen Schlußsatz also mehr behauptete, als in den Prä- 
missen enthalten war, wäre ein Trugschluß. Die Ableitung, d. h. 
der Schluß selbst, ist also ein analytisches Urteil, nämlich ein 
solches, in dem die Prämissen das Subjekt und die Abfolge des 
Schlußsatzes aus ihnen das Prädikat bilden. 

9. Da jeder Schluß Prämissen voraussetzt, so müssen, damit 
überhaupt ein Schluß möglich sein soll, irgend welche Prämissen 
als nicht wieder beweisbarer Ausgangspunkt gegeben sein. Sind 
die Prämissen eines Lehrsaiees analytische Urteile^ so ist der Lehr* 
Satz selbst ein analytisches ürteü} Kommt aber unter den Prämissen 
eines Lehrsaiees auch nur ein synthetisches ürteü vor, so ist der Lehr-* 
satB synthäisch. Denn wenn die Lehrsätze auch durch rein ana- 



' Hieraus folgt, daß es unmöglich ist, ein synthetisches ürteü auf analytische 
surüekzuführen. Es ist vielleicht nicht übermässig, für diesen Satz, dessen 
Wichtigkeit aus dem Inhalt der folgenden Kapitel erhellen wird, einen förmlichen 
Beweis zu g^ben. 

Sollte ans bloß analytischen Urteilen ein synthetisches ableitbar sein, so 
müßte an irgend einer Stelle in der Beweiskette ein Schloß auftreten, dessen beide 
Prämissen noch analytisch, dessen Schlußsatz aber synthetisch wäre. Daß es 
einen solchen Schluß nicht geben kann, läßt sich so zeigen. Jeder Schluß er- 
fordert einen Mittelbcgriff, d. h. einen Begriff, der im Obersatz als Subjektsbegriff, 
im Untersatz als Prädikat auftritt, und vermittelst dessen im Schlußsatz das Sub- 
jekt des Untersatzes unter das Prädikat des Obersatzes subsumiert wird. Sind 
nun beide Prämissen analytisch, so ist nicht nur der Oberbegriff (das Prädikat 
des Obersatzes) im Mittelbegriff, sondern auch der Mittelbegriff im Untejbegriff 
(dem Subjekt des Untersatzes) enthalten. Folglich ist auch der Oberbegriff im 
Unterbegriff entbluten '^ d. h. der Schlußsatz muß selbst ein analytisches Urteil sein. 



452 li. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [40 

lytische Urteile erschlossen werden, so dienen doch diese analy- 
tischen Urteile nur zur Vermittelang ; und der Grand der Gültig- 
keit der Lehrsätze liegt nicht in den Schlüssen, vermütelst deren 
sie abgeleitet werden, sondern einzig und allein in den Prämissen, 
aus denen sie abgeleitet werden. 



n. 

Das Qesetz als erkenntnistheoretisches Kriterium. 

10. Den im I. Kapitel geführten Beweis der Unmöglichkeit 
der Erkenntnistheorie wird man vielleicht für trivial erklären. 
Mit dieser Erklärung wäre ich völlig einverstanden. Doch wird 
man nicht leugnen können, daß die bewiesene Trivialität von den 
bisherigen Erkenntnistheoretikern ohne Ausnahme übersehen worden 
ist. Daß der dem Beweise zu Grunde gelegte Begriff der Er- 
kenntnistheorie kein willkürlich erdachter ist, sondern in der Tat 
dem entspricht, was die Vertreter der gleichnamigen Wissenschaft 
im Sinne haben, mag an der Hand einer Kritik mehrerer Beispiele 
aus der neueren erkenntnistheoretischen Litteratur dargelegt 
werden. Die Einzelheiten dieser Kritik werden zagleich zur Er- 
läuterung und Bestätigung des Eillgemeinen Beweises dienen. 

Daß noch niemand das erkenntnistheoretische Problem in seiner 
Reinheit zum Thema einer wissenschaftlichen Untersuchung ge- 
macht haben kann, das ist, eben infolge der dargelegten Unmög- 
lichkeit einer solchen Untersuchung, selbstverständlich. Aber daß 
dies „Problem" durch Mißverständnisse in die Bearbeitung anderer, 
an sich berechtigter Fragen von den Erkenntnistheoretikern hin- 
eingezogen worden ist und dadarch den Wert ihrer Arbeiten mehr 



41] Erster Teil: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 463 

oder weniger illosorisch gemacht hat und noch macht, das wird 
ans dem Folgenden hervorgehen. 

Ich wähle als erstes Beispiel die Abhandlung: ,, Über objek- 
tive und subjektive Begründung der Erkenntnis*^ von Natorp, einem 
der Entschiedensten unter den Vertretern der Forderung einer 
objektiven Begründung der Erkenntnis*. 

11. „Logik, als die Theorie der Erkenntnis,* so charakterisiert 
Natorp die Aufgabe dieser Wissenschaft, „will die gesetzmäßige 
Verfassung darlegen, wodurch Erkenntnis eine innere Einheit 
bildet. Diese Einheit ist noch nicht gewährleistet durch die bloße 
innere Widerspruchslosigkeit . . . , sondern sie muß den Gregen- 
stand, genauer: das allgemeine Verhältnis der Erkenntnis zum 
Gegenstande betreifen.*' 

Natorp wendet sich von vornherein gegen die Möglichkeit 
einer psychologischen Lösung dieser erkenntnistheqretischen Aufgabe. 
Er hat aber nicht bemerkt, daß seine gegen eine psychologische 
Bearbeitung der Erkenntnistheorie gerichteten Argumente nur in- 
soweit stichhaltig sind, als sie — seiner Absicht entgegen — die 
Möglichkeit aller Erkenntnistheorie überhaupt treffen. 

„Im^ Gegenstande soll dasjenige liegen, was die Wahrheit der 
Erkenntnis ausmacht."' — Wie anders soll ich denn den Gegen- 
stand mit der Erkenntnis vergleichen, als indem ich ihn erJcenne, 
wie also soll ich etwas über die Wahrheit der Erkenntnis aus- 
machen, wenn ich sie nicht schon von vornherein voraussetzen 
will? Hierauf haben wir bei Natorp keine Antwort gefunden. 

„Wissenschaft erhebt nicht nur, sondern rechtfertigt mit der 
Tat den Anspruch einer durchaus autonomen Geltung and Be* 



> PhUosophische Monatshefte, Band XXIII, 1887, S. 2579. 
« S. 267. » S. 266. 



454 L. Nelson : Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [42 

gründung, indem sie ihre objektiven Fundamente in Grestalt von 
Grundbegriffen und Grnindsätzen bloßlegt. Der Mathematiker, der 
Physiker, der die Natur seiner Wissenschaft recht begreift, wird 
es nicht bloß entbehrlich finden, sondern grundsätzlich ablehnen, 
den Gres etzes grond der Wahrheit seiner Erkenntnisse in der Psycho- 
logie zu suchen; er wird über -dieselbe nur seine eigene, nicht eine 
fremde Wissenschaft als Richterin anerkennen. *** 

Wird nach diesen Worten der Mathematiker und Physiker 
keine fremde Wissenschaft als Richterin über die Wahrheit seiner 
Erkenntnisse anerkennen, so auch nicht die Erkenntnistheorie. 
Und in der Tat muß diese Erkenntnistheorie entbehrlich sein, 
wenn auch ohne sie die Wissenschaft „den Anspruch einer durch-* 
aus autonomen Geltung nicht nur erhebt, sondern rechtfertigt". 
Was soll es unter diesen Umständen heißen, daß die „Theorie der 
Wahrheit** diese „autonome Gresetzgebung der objektiven Wahr- 
heit, welche die Wissenschaften behaupten,** y^gewiß machen^ 
solle ?^ Ist die behauptete Selbstgewißheit der wissenschaftlichen 
Prinzipien ein Beweis der Entbehrlichkeit und Verfehltheit ihrer 
psychologischen Begründung, so ist sie auch ein solcher für die 
Entbehrlichkeit und Verfehltheit ihrer Begründung überhaupt. 
Oder welchen Sinn sollen wir mit der Forderung verbinden, etwas 
„autonom** Geltendes, also durch sich selbst Gewisses, „gewiß**, zu 
j^machen^ ? 

Nehmen wir jedoch an, daß die autonome Geltung der Grund- 
lagen einer Wissenschaft nicht hinreicht, um diese Grundlagen 
einer erkenntnistheoretischen Begründung zu überheben, so gilt 
dies auch von den Grundlagen der „Erkenntnistheorie** genannten 
Wissenschaft. Es bedürfte also einer Erkenntnistheorie höherer 

» S. 266. « S. 266. 



43] Erster Teil: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 465 

Ordnung. Eine Konsequenz^ die, da von dieser Erkenntnistheorie 
höherer Ordnung dasselbe gilt, auf einen Regressus /ührt, dessen 
UnvoUendbarkeit zur Folge hätte, daß es überhaupt keine objektiv 
begriindete Erkenntnis geben konnte. 

12. Weiterhin lesen wir: „Objektive Gültigkeit bedeutet eine 
Gültigkeit, unabhängig von der Subjektivität des Erkennens.* 
jjWas diese Geltung positiv bedeute, und wie sie zu begründen 
sei, das ist die Frage. "^ Also die Frage, wie die objektive Gül- 
tigkeit zu begründen sei, wird erörtert. Die Frage, ob sie zu be- 
gründen sei, wird nicht erst aufgeworfen. Daß diese Frage zu 
bejahen sei, wird vielmehr ohne Erwähnung als selbstverständlich 
vorausgesetzt. Daß etwa unmittelbar angenommen werden könnte, 
daß die Gegenstände unabhängig von unserem Erkennen bestehen, 
diese Annahme erscheint für Natorp von vornherein ausgeschlossen : 
„Das Ansichsein des Gegenstandes ist selber ein Rätsel.*** Und 
er begründet dies folgendermaßen : „Verständen wir, was es heißt: 
der Gegenstand ist an sich da, unabhängig von aller Subjektivität, 
mid wird dann, durch das Erkennen, imserer Subjektivität ange- 
ei^et, so läge in der Erkenntnis der Gegenstände, in der Gegen- 
ständlichkeit der Erkenntnis eben kein Problem. **' Also das ist 
das Erste, aller Untersuchung voratis als feststehend Angenom- 
mene: Das Verhältnis der Erkenntnis zum Gegenstande ist ein 
Problem. 

Ist aber das „Ansichsein des Gegenstandes** für Natorp ein 
„Rätsel", so ist offenbar das Erkennen selbst kein Rätsel für ihn. 
Denn vom Gegenstande, „der ja eben in Frage ist**, soll der Aus- 
gang nicht genonmien werden, wohl aber von der Erkenntnis. 
„Anders als in der Erkenntnis ist uns ja kein Gegenstand ge- 

* S. 267. « S. 268. » 5. 26$. 



456 L. Nelson: Ober das sogenannte Erkenntnisproblem. [44 

geben.''' Dieser Satz ist gewiß richtig, sofern er das analytische 
Urteil ausspricht: Anders als durch unsere Erkenntnis yermogen 
wir keinen Gegenstand zu erkennen. Aber verhält es sich denn, 
wenn wir die Eriefintnis erkennen wollen, hierin anders? Ist uns 
die Erkenntnis andos gegeben als in einer (natürlich von der ge- 
gebenen verschiedenen) Erkenntnis? Ist diese Frage zu verneinen, 
SQ ist nicht einzusehen, warum die Erkenntnis weniger ein Rätsel 
sein soll, als irgend ein anderer ^^ Gegenstand^. Wird andererseits 
überhaupt irgend eine Erkenntnis als möglich und gültig zuge- 
standen, — wie hier die Erkenntnis der Erkenntnis selbst, — 
warum soll es dann nicht angehen, sich zur Lösung des im ;,G^gen* 
stände^ liegenden Rätsels geradezu an eine Erkenntnis des Gegen- 
standes selbst zu machen, statt erst den Umweg über die Er- 
kenntnis seiner Erkenntnis einzuschlagen? Dem Unbefangenen 
wenigstens liegt wohl nichts näher als die Annahme, daß die im 
Gegenstande steckenden Rätsel nicht anders als durch das Er- 
kennen des Gegenstandes gelöst werden können, da dieses Erkennen 
eben das einzige ist, wodurch die uns bisher unbekannten Eigen- 
schaften des Gegenstandes bekannt werden können. Nichts 
anderes als gerade dieses Erkennen ist ja aber die von allen ein- 
zelnen "Wissenschaften — von jeder in ihrem Gebiete — geleistete 
Arbeit. Warum nun sollen diese Wissenschaften zur Ergründung 
der Wahrheit nicht genug sein? Und wenn sie hierzu unver- 
mögend sind, warum soll die ;,Erkenntnistheorie*^ hier mehr ver- 
mögen ? 

13. Natorps Antwort auf diese Frage soll offenbar in den fol- 
genden Überlegungen enthalten sein: 

„Es wurde gesagt, Erkenntnis stelle den Gegenständ sich 

» S. 268. 



45] Erster Teil: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 457 

gegenüber als unabhängig von der Subjektivität des Erkennens. 
Darin, wie diese ünabkängigkeit zu verstehen and wie sie zu be- 
gründen sei; muß offenbar die Angel des Problems liegen. 

„Zu verstehen ist sie allein vermöge einer Abstraktion, soviel 
wird sofort klar sein. j^Gegenstände sind ja wirklich uns nur ge4 
geben in der Erkenntnis, die wir von ihnen haben. Wird gleich- 
wohl, eben in dieser Erkenntnis, der Gregenstand angesehen als 
unabhängig von der Subjektivität des Erkennens, so ist dies auf 
keine andere Weise verständlich, als indem von der Subjektivität, 
vom Verhältnisse des Vorgestellten zum Vorstellenden, als dem 
Inhalt seines subjektiven^ Erlebens, abstrahiert wird.^^ 

„Indessen kann die bloße, durch den tatsächlichen Vollzug 
bewiesene Möglichkeit der Abstraktion von der Subjektivität nicht 
auch schon das Recht und die Notwendigkeit derselben begründen 
sollen. Der Anspruch der objektiven Greltung ist durch sie wohl 
in seiner tatsächlichen Bedeutung erklärt, aber nicht auch schon 
als zu Recht bestehend erwiesen. Es fragt sich also weiter : durch 
welche bestimmenden Gründe die Abstraktion von der Subjektivität 
in derjenigen Erkenntnis, die man gegenständlich nennt, nicht allein 
möglich, sondern notwendig ist."* 

In diesen Darlegungen handelt es sich zunächst um die Frage 
der Erklärung, und ferner um die der Begründung eines vorher 
festgestellten Sachverhalts. Dieser Sachverhalt wird durch den 
Satz ausgesprochen, „Erkenntnis stelle den Gegenstand sich gegen- 
über als unabhängig von der Subjektivität des Erkennens." Offen- 
bar kann Natorp mit diesem Satze nichts anderes aussprechen 
wollen als eine Tatsache der Seljbstbeobachtung. Es ist nicht un- 
wichtig dies zu bemerken; denn in^em Natorp die Selbsbeobach- 

» S. 269. > S. 270. 



458 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [46 

tnng als ein Kriterium der Wahrheit in Anspruch nimmt, betritt 
er bereits das vorher yon ihm selbst ausgeschlossene Gebiet der 
Psychologie. Lassen wir indessen einmal dieses Kriterium zu, so 
ist gewiß gegen den eben genannten Satz nichts einzuwenden. — 
Anders steht es mit der Art, auf die Natorp diese Tatsache ^ver- 
ständlich'' machen will. Diesem Erklärungsversach liegt offenbar 
eine falsche Selbstbeobachtung zu Grunde. 

Daß nämlich die Erkenntnis sich Gegenstände gegenüberstelle 
als unabhängig von der Subjektivität des Erkennens, das ist eine 
durchaus wesentliche Eigentümlichkeit einer jeden Erkenntnis als 
solcher. Von Abstraktion kann aber erst da die Rede sein, wo 
bereits irgend welche Erkenntnis vorliegt; es wäre andernfalls un- 
verständlich, wovon eigentlich abstrahiert werden sollte, und was 
eigentlich durch diese Abstraktion gefunden werden sollte, da 
doch der mit dem Worte „Abstraktion^ bezeichnete Akt nicht in 
einem Schaffen irgend welcher Inhalte besteht, sondern nur in dem 
Absondern und Herausheben schon gegebener. 

Daß es mit dieser angeblichen Abstraktion eine eigene Be- 
wandtnis hat, scheint Natorp übrigens selbst gefühlt zu haben, da 
er gesteht, daß sich „diese Abstraktion tatsächlich auf ganz un- 
reflektierte Weise vollzieht".' Eine Abstraktion, die nicht Sache 
der Reflexion ist, wäre doch jedenfalls eine ganz eigenartige und 
von allem, was man sonst unter dem Worte „Abstraktion" zu ver- 
stehen gewohnt ist, verschiedene Abstraktion; woraus ersichtlich 
ist, daß durch die Bezeichnung des fraglichen Sachverhalts als 
„Abstraktion" nur der Bedeutungsumfang eines Wortes erweitert, 
nicht aber etwas zur Erklärung des Sachverhalts geleistet sein 
kann. 

> S. 269. 



47] Enter Teil: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 469 

Was ans die Selbstbeobachtimg als ursprünglich in jeder Er- 
kenntnis als solcher enthalten zeigt, das kann nicht durch die 
Annahme eines Abstraktionsaktes erklärt werden, und so verhält 
es sich mit der Assertion der Gegenständlichkeit des beim Er- 
kennen Vorgestellten. Dcls Problem, wie eu der Subjektivität des 
JErkennens der Gegenstand hineuTcomme, ist also für eine richtige 
Selbstbeobachtung gar nicht vorhanden. Folglich beruht auch das 
Problem, wie der zur Erklärung dieses Hinzukommens angenom- 
mene Abstraktionsakt zu rechtfertigen sei, auf bloßer Täuschung. 
Denn das Faktum, dessen Recht begründet werden soll, existiert 
nicht. Natorp ist also hier durch eine falsche Selbstbeobachtung 
zu einer falschen Problemstellung veranlaßt worden. — 

14. Wenn dennoch im weiteren Verlaufe seiner Untersuchung 
eine Lösung der gestellten Frage geboten zu werden scheint, so 
entsteht dieser Schein nur dadurch, daß der ursprünglich vorge- 
setzten Frage eine inhaltlich ganz andere untergeschoben wird. 

Mit ßecht unterscheidet Natorp zweierlei, das in jeder Er- 
kenntnis mit einander gegeben und mit einander verbunden vor- 
kommt: das Erkennen, als die Tätigkeit des Subjekts der Er- 
kenntnis, imd das durch die Erkenntnis Ernannte oder jsu Erkennende.^ 
Es ist klar, daß es eben dieses zweite ist, was nach dem allge- 
meinen Sprachgebrauch das „Objekt^ oder der „Gregenstand" der 
Erkenntnis genannt wird. Sonach wäre es die Aufgabe der Er- 
kenntnistheorie, das Verhältnis des zu Erkennenden zum Erkennen 
zu ermitteln. Aber Natorp gibt dem Worte „G-egenstand" alsbald 
einen anderen Sinn : „Die Beziehung der Erscheinung zum Gesetze 
muß die in aller Erkenntnis ursprüngliche Beziehung auf den 
Gegenstand erklären ^'^ „Der Gegenstand bedeutet positiv dasGe- 

> S. 260. « S. 259. 



460 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [48 

setz.**^ Aber hier müssen wir fragen, ob denn niclit bei der Er- 
kenntnis beider, des Gesetzes sowohl als auch der nnter dem Ge- 
setze stehenden Erscheinung, jene zwei Stücke: Erkennen als 
Tätigkeit, und das durch diese Erkannte oder zu Erkennende, zu 
unterscheiden seien. Es gibt ein Erkennen des fallenden Steines 
ganz ebenso wie es ein Erkennen des Fallgesetzes gibt. Das Ver- 
hältnis des Erkennens zum Erkannten ist also offenbar ein ganz 
anderes als das der Erscheinung zum Gesetze. 

Indem Natorp Bestimmungen dieses zweiten Verhältnisses auf 
das erste überträgt, entsteht die Illusion, als sei durch seine Dar- 
legungen irgend etwas zur Lösung des erkenntnistheoretischen 
Problems geleistet. 

Der Anlaß zu dieser Froblemverschiebung liegt in der falschen 
Verwertung einer an sich richtigen Beobachtung. Es ist nämlich 
allerdings wahr, daß in unserem Erkennen eine Subsumtion des 
Besonderen, nämlich der Tatsachen der sinnlichen Wahrnehmung, 
unter das Allgemeine, nämlich die Gesetze, stattfindet. Wir be- 
gnügen uns nicht mit einem regellosen Aneinanderreihen der uns 
bei dieser oder jener Gelegenheit kommenden Wahrnehmungen, 
sondern wir suchen, insbesondere in der Wissenschaft, den Zu- 
sammenhang der Tatsachen als einen gesetzmäßigen zu begreifen. 
Und insofern \^ir die Gesetzmäßigkeit aller Gegenstände der Wahr- 
nehmung voraussetzen, bedienen wir uns dieser Gesetzmäßigkeit 
als eines Kriteriums, indem wir einer Erscheinung, die sich dieser 
allgemeinen Gesetzmäßigkeit nicht einfügt, objektive Realität ab- 
sprechen.' Aber eine positive Ableitung des Individuellen der Er- 



» S. 271. 

' Um Mißverständnissen vorzubeugen, bemerke ich ausdrücklich, daß es 
sich hier lediglich um eine Beschreibung des psychologischen Tatbestandes 
handelt. 



49] Enter Teil: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 461 

BcheinuDgen aas dem allgemeinen Gesetz ist mmiöglich, mid in der 
Tat bedienen wir uns — im Leben wie in der Wissenschaft — 
der vorausgesetzten Gresetzmäßigkeit lediglicb als eines negativen 
Kriteriums aller Erkenntnis von Erscbeinungen. Das positive 
Kriterium der Wirklichkeit suchen wir jederzeit nur in der An- 
schaüung; wobei wir das Kennzeichen der Anschauung nie in das 
Verhältnis zum Gegenstande, sondern allein in gewisse subjektive 
Beschaffenheiten der Vorstellung setzen, nämlich in das von be- 
grifflicher Vermittelung unabhängige Bewußtsein ihrer ursprüng- 
lich assertorischen Natur. Jede Vorstellung, die diese subjektive 
Beschaffenheit zeigt, gilt uns als objektiv gültig, wofern sie nicht 
mit der anderweitig gegebenen Gesetzeserkenntnis unverträg- 
lich ist^ 



* Diese Bemerkung kann dazu dienen, einen neuerdings von Scheleb gegen 
E[ant erhobenen Einwand zu beseitigen, der, wenn er zuträfe, nicht allein die 
Kantische Philosophie, sondern auch die gesamte Naturwissenschaft und alles 
menschliche Denken überhaupt vernichten müBte. (»Die transzendentale und die 
psychologische Methode**, S. 65, 82.) Schelers Einwand, der sich gegen das 
Postulat der Gesetzmäßigkeit alles Wirklichen richtet, beruht auf der Yerwechs- 
Itmg dieses Postulats mit einem allgemeinen positiven Kriterium der Wirklichkeit. 
Das positive Kriterium der Wirklichkeit liegt jedoch auch für Kant lediglich in 
der Wahrnehmung. Allerdings „unterscheidet nicht der besondere Inhalt oder die 
Intensität das durch eine Halluzination oder durch einen Traum erregte Bild von 
einer Wahrnehmung** (S. 50), sondern dieser Unterschied wird erst durch das 
verschiedene Verhältnis beider zum Gesetze bestimmt. Aber hieraus folgt nicht, 
daß Jede Beobachtung ihren Anspruch auf Objektivität und Realität solange zu- 
rückzustellen hat, bis sich ihr Inhalt aus schon gefundenen Naturgesetzen heraus 
erklären läßt.** (S. 82.) Träfe dies zu, so wäre freilich „die Auffindung eines 
neuen Naturgesetzes unmöglich**, da in diesem Falle aller Beobachtungsinhalt so 
hmge „für Fiktion zu gelten** hätte, als er nicht schon auf gegebene Gesetze zu- 
rückgeführt ist. In der Tat findet gerade das Umgekehrte statt: daß nämlich 
jede Beobachtung ihren Anspruch auf Objektivität und Realität so lange be- 
wahrt, bis sich ihre Unvereinbarkeit mit schon gefundenen Naturgesetzen heraus- 
stellt. 

Der Fehler beruht auch hier nur auf dem Vorurteil, als sei die Assertion 
etwas erst mittelbar zur Subjektivität der VorsteUung Hinzuzubringendes. 

Abhudlangen dar FriM*ickMi Schale. IL Bd. 30 



462 ^* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [50 

^Die gesetzmäßige Anffassmig des Erscheinenden gilt als die 
gegenständlicli wahre'' sagt Natorp\ and er hat darin recht, falls 
er hier unter „gelten** ;,als gültig angeno mmen werden** versteht. 
Ob nämlich, was als gültig oder wahr angenommen wird, auch 
gültig oder wahr seij das ist eine Frage für sich, nämlich gerade jene 
Frage, die durch die Erkenntnistheorie erst entschieden werden sollte. 
— Auf keine Weise aber folgt aus dem eben Festgestellten, daß 
„der Gegenstand das Gesetz bedeutet**, solange wir unter „Gegen- 
stand^ das im Erkennen Erkannte verstehen. Wir können wohl 
die Erkenntnis der einzelnen Erscheinungen als eine unvollständige 
bezeichnen, insofern sie noch nicht ihre Unterordnung unter die 
Erkenntnis des„(ifiaetzes gefunden hat, und wir können dement- 
sprechend die vermittelst dieser Unterordnung gewonnene Er- 
kenntnis des gesetzmäßigen Zusammenhangs der Erscheinungen als 
die vollständige und insofern eigentliche Erkenntnis bezeichnen. 
Auch können wir in Analogie hierzu den Gegenstand dieser voll- 
ständigen Erkenntnis den eigentlichen, nämlich durch vollständige 
Erkenntnis bestimmten, Gegenstand nennen, im Gegensatze zu der 
unvollständigen Bestimmtheit des Gegenstandes der bloßen Wahr- 
nehmungserkenntnis. Aber wir dürfen dann nicht übersehen, daß 
die Erkenntnis des allgemeinen Gesetzes für sich, sofern sie ihre 
Anwendung auf die Wahrnehmungserkenntnis noch nicht gefunden 
hat, ebensowenig als eine vollständige Erkenntnis zu gelten hat 
wie die bloße Wahrnehmungserkenntnis. Und wir dürfen dement- 
sprechend auch den Gegenstand dieser isolierten Gesetzeserkenntnis, 
d. h. das Gesetz selbst, ebensowenig einen bestimmten oder eigent- 
lichen Gegenstand nennen wie den Gegenstand der isolierten 
Wahmehmungserkenntnis, d. h. wie die Erscheinung. In der 

» S. 269. 



51] Erster Teil: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 463 

wecliselseitigen Bestimmung von Wahrnehmungs- und Gesetzes- 
erkenntnis liegt für uns das Kriterium der Gegenständlichkeit der 
Erkenntnis. Aber das EriteriuiDi der Gegenständlichkeit ist nicht 
zu verwechseln mit dem Gegenstande selbst. Das Verhältnis der 
unvollständig bestimmten Erkenntnis zur vollständig bestimmten 
Erkenntnis ist nicht zu verwechseln mit dem Verhältnis der Er- 
kei^tnis zum Gegenstande. Und der Zusammenhang der Erschei- 
nungen nach dem Gesetze ist nicht zu verwechseln mit dem Ge- 
setze selbst. Nur wer diese Verwechslungen begeht, kann meinen, 
durch eine Untersuchung der „Beziehung der Erscheinung zum Ge- 
setze^ „die in aller Erkenntnis ursprüngliche Beziehung auf den 
Gegenstand erklären** zu können.^ 

„Subjektivität**, so erklärt Natorp, „bedeutet das Verhältnis 
des Vorgestellten zum Vorstellenden, sofern es von ihm vorge- 
stellt wird, .... sie bedeutet das unmittelbare Verhältnis eum Ich.^^ 
Aber schon vier Sätze später heißt es: „Es giebt überhaupt nichts 
Anderes, wodurch der Begriff der Subjektivität sich positiv be- 
stimmen ließe, als das Erscheinen.^ Wer sieht nicht, daß dies zwei 
ganz heterogene Definitionen der Subjektivität sind und daß was 
von der Subjektivität im zweiten Sinne gilt, darum noch keines- 
wegs auf die Subjektivität im ersten Sinne Anwendung findet. 
„Steht dies fest,** so schließt Natorp aus dem zuletzt genannten 
Satze, ;,so ist wohl unmittelbar ersichtlich, wiefern im Begriff des 
Gesetzes die Subjektivität überwunden ist.** Gewiß, es ist un- 
mittelbar ersichtlich, daß das Gesetz kein Erscheinen ist; eine 
Entdeckung, zu der wir freilich des Umwegs über die Definition 



« S. 259. Vgl. auch S. 275 : „Somit ist das Verhältnis des Subjektiven und 
Objektiven in der Erkenntnis ubtrhau]^ zu erklären durch das Verhältnis des 
Eingtlnen und Aügemeinm,*^ 

» S. 273. 

30* 



464 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [52 

der Subjektivität nicht bedurft hätten. Aus dem analytischen Satze 
aber, daß das Gesetz kein Erscheinen ist, wird man nicht im Ernste 
schließen wollen, daß das Gesetz ein anderes Verhältnis zum Ich 
hat als die Erscheinung. 

15. Indessen, Natorp macht noch einen weiteren Versuch, die 
Objektivität des Wahrnehmungsgegenstandes zu vernichten. „Das 
Einzelne^, sagt er^, „ist jederzeit nur zu charakterisieren durch 
allgemeine Bestimmungen.*' Und: „Zu fassen ist es, wenn über- 
haupt, doch nur, indem es in Begriffen bestimmt wird ; jede solche 
Bestimmung aber geschieht aus dem Standpunkte des Allgemeinen.^' 
Diesen Sätzen liegt wieder eine mangelhafte Selbstbeobachtung zu 
Grunde. Ohne Zweifel Mnnen wir das Einzelne durch Begriffe, 
bestimmen, aber wir tun dies nur, wenn wir urfei/en.-^ Das Urteil 
aber ist stets eine mittelbare Erkenntnis, der eine unmittelbare Be- 
stimmung des Gegenstandes schon vorhergehen muß. Der Begriffe 
durch den wir im Urteil erkennen, ist eine für sich problematische 
allgemeine Vorstellung. Diese allgemeine problematische Vorstel- 
lung kann zwar durch Verbindung anderer ebenfalls allgemeiner 
und problematischer Vorstellungen gebildet sein; aber jede der- 
artige synthetische Begriffsbildung (Determination) setzt in letzter 
Linie irgend welche nicht wieder synthetisch gebildete Begriffe 
als ursprüngliche Elemente der Determination voraus; und diese 
sind, wie die Selbstbeobachtung lehrt, durch Abstraktion aus irgend 
welchen nicht allgemeinen und nicht problematischen, sondern indi- 
viduellen und assertorischen Vorstellungen abgeleitet. Eine solche 
nicht allgemeine und nicht problematische Vorstellung ist die un- 
mittelbare Erkenntnis, die man Anschauung nennt. Diese An- 
schauung und die eigentümliche Art der Bestimmung des Gegen- 

» S. 280. « S. 281. 



53] Enter Teil: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 466 

Standes darch sie ist von Natorp völlig verkannt worden. Wenn 
er sagt: „Gegeben ist das Konkrete äet Erscheinung nur als erst 
ßu bestimmendes, bestimmbares X^\ so ist dies zwar insofern richtig, 
als der G-egenstand eine Bestimmung durch allgemeine Gesetze er- 
fordert ; aber die Erscheinung ist darum doch nicht etwas schlecht- 
hin unbestimmtes, sondern nur etwas unvollständig, nämlich nur 
durch Anschauung, Bestimmtes, Natorp aber meint, die Erscheinung 
sei „gegeben nur im Sinne einer gestellten Aufgabe, nicht aber 
als 'ein Datum der Erkenntnis, woraus Anderes, noch unbekanntes 
sich bestinmien ließe'' ^ „Es giebt*' für ihn „überhaupt kein anderes 
Organen der Erkenntnis'' als den Begriff.' Ist diese Behauptung 
psychologisch gemeint, so widerspricht sie, wie wir gesehen haben, 
dein offenkundigen Tatsachen der Selbstbeobachtung. Mit diesen 
letzteren ist sie nur zu vereinen, wenn man sie auf den (§ 14, 
Schluß) erwähnten Satz zurückführt, durch den alle Vorstellung 
von Erscheinungen aus der Sphäre des objektiv Gültigen durch 
Definition ausgeschlossen wurde. Sie besagt aber in diesem Falle 
nichts anderes, als daß wir das Wort „Erkenntnis" nicht auf indi- 
viduelle, sondern nur auf allgemeine Bestimmungen anwenden 
sollen, sinkt also zum Range einer bloßen terminologischen Fest- 
setzung herab. Soll der Satz einen Inhält haben, soll er etwas 
hedeuten^ so kann er nur einen psychologischen Sachverhalt be- 
zeichnen wollen. Alsdann aber entsteht die gewichtige Frage, 
wie wir in den Besitz von Begriffen, als des einzigen Organons 
der Erkenntnis, kommen können, oder, wenn die Begriffe als etwas 
ursprünglich Gegebenes angenommen werden sollen, tvie Erkenntnis 
aus bloßen Begriffen möglich sei. Eine Frage, die Natorp keiner 
Erwähnung, geschweige denn einer Antwort gewürdigt hat. Aus 

* S. 282. « S. 282. • S. 283. 



466 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [54 

bloßen Begriffen entspringen nur analytische Urteile, darch diese 
ist aber keine positive Bestimmung des Gegenstandes möglich. 
Solange also nicht die Kunst erfunden ist, aus bloß analytischen 
Urteilen synthetische abzuleiten, sind wir berechtigt, jeden Versuch 
einer Erkenntnis aus bloßen Begriffen als ein in sich widersinniges 
Unternehmen von der Hand zu weisen.^ 



^ Vielleicht ist Natorp der Ansicht, daB es überhaupt keine (in dem von 
uns definierten Sinne) synthetischen Urteile gibt. Das maß in der Tat so 
scheinen, wenn er in seiner „Logik'' (S. 20) als synthetisches Urteil die Begriffs- 
determination definiert und als analytisches deren Umkehrung. Hierbei ver- 
wechselt er jedoch das, was wir als synthetische Begriffsbildung bezeichneten, mit 
dem, was man seit Kant synthetisches Urteil nennt. Auch die Determination ist 
ein analytisches Urteil Wenn es richtig wäre, daß, wie Natorp an derselben 
Stelle behauptet, „das verneinende Urteil das UrteU der Verschiedenheit bedeutet, wie 
das bejahende die einfache Identitätssetzung'', so könnte es in der Tat keine syn- 
thetischen Urteile geben; eine Konsequenz, die freilich die Möglichkeit einer Er- 
kenntnis durch Urteile überhaupt aufheben müßte. Das verneinende Urteil be- 
deutet indessen so wenig das Urteil der Verschiedenheit, wie das bejahende die 
Identitätssetzung. Wenn ich urteile, „7 ist eine Primzahl", so will ich damit 
sagen, daß die Zahl 7 in die Sphäre des Begriffs Primzahl gehört, nicht aber, daB 
die Begriffe 7 und Primzahl identisch seien, denn das wäre falsch und würde zur 
Folge haben, daß der Begriff der 3, die ja auch eine Primzahl ist, mit dem der 7 
identisch wäre. Ebenso bedeutet das Urteil „10 ist nicht eine Primzahl **, daß die 
Zahl 10 nicht in die Sphäre des Begriffs Primzahl gehört, nicht aber, daß die Be- 
griffe 10 und Primzahl verschieden seien, denn dies würde zur Folge haben, daß 
alle Begriffe, die von einem bestimmten Begriff verschieden sind, als Prädikate von 
den Gegenständen aus der Sphäre dieses Begriffs vemeifU werden müßten, so daß 
z. B. aus der Verschiedenheit der Begriffe 3 und Primzahl das falsche Urteil 
folgte: „3 ist nicht eine Primzahl". — Natorps Fehler besteht also in der Ver- 
wechslung der Urteile mit bloßen Vergletchungsformeln. 

Diese Verwechslung hat von jeher die größte Verwirrung in die Nach- 
kantische Philosophie gebracht. Das ganze dialektische Spiel der Fichteschen 
Wissenschaftslehre mit dem „Ich" und der Schelling-Hegelschen Identitätsphilo- 
sophie mit dem „Sein = Nichts" beruht auf diesem Fehler. In der Tat: „Ich 
= Ich", denn jedes Ding ist mit sich selbst identisch. „Ich" bin aber „Philo- 
soph". „Philosoph" ist aber nicht = Ich. Und so kann man folgerichtig, wenn 
man Urteil und Vergleichungsformel nicht zu unterscheiden versteht, neben den 



56] Enter Teil: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 467 



m. 

Der transzendentale Beweis 
als erkenntnistheoretisches Kriterium. 

16. Wir gehen zur Prüfang eines anderen erkenntnisiheore- 
tischen Versachs über. Ich wähle den von E. Mabcüs angestellten 
Yersnch, den £antischen Gredanken eines „transzendentalen Be- 
weises^ der sogenannten metaphysischen Grandsätze auszu- 
führen.^ 

Der Anspruch auf Exaktheit, den dieser Beweis erhebt, ver- 
anlaßt uns, ehe wir an seine Prüfung gehen, festzustellen, welche 
Bedingungen wir überhaupt an einen „Beweis^ zu stellen haben. 
Ein Beweis ist kein Plausibelmachen irgend welcher Art, sondern 
verdient nur dann seinen Namen, wenn der zu beweisende Satz 
vermittelst rein syllogistischer Operationen auf eine bes tinrn jite 
Zahl angebbarer Prämissen zurückgeführt ist. Es ist nicht erfor- 
derlich, daß diese syllogistischen Operationen bei der Beweisfüh- 
rung sämtlich explicite ausgesprochen werden, aber es muß mög- 
Ikh sein, den Beweis syllogistisch zu zergliedern, derart, daß die 
genannte Bedingung erfüllt wird. 

Die Sätze, die Mabcüs zu beweisen unternimmt, sind die 



Satz „Ich bin Ich*< den anderen „Ich bin Nicht-Ich'' stellen und daraus mit Hegel 

fden Schloß ziehen, daß die formale Logik im Irrtum ist 
Vkx^i^io^ „Kants Revolutionsprinzip. Eine exakte Lösung des Eant-Humeschen £r- 
* Kenntnisproblems, insbesondere des Problems der Erscheinung und des Ding an 
sich.« Herford, 1902. 



468 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [56 

„apriorischen Sätze, welche die Organisation der Natur zum G-egen- 
stände haben, ^^ nämlich das Kausalgesetz, das Substanzialgesetz 
und das £ommerzialgesetz, d. h. die drei Eantischen „Analogieen 
der Erfahrung". Es entsteht also zunächst die Frage: Welches 
sind die Prämissen, auf die die genannten Sätze durch den 
Beweis zurückgeführt werden? Eine Formulierung dieser Prä- 
missen treffen wir bei Marcus nicht an. Wir müssen also ver- 
suchen, sie durch Zergliederung der Beweisführung selbst aufzu- 
suchen. 

Der Beweis ist, wie Seite 50 und an anderen Stellen aus- 
drücklich hervorgehoben wird, indireJct. Wir sollen also von der 
Annahme ausgehen, der zu beweisende Satz sei falsch, um die 
Konsequenzen aus dieser Annahme zu ziehen. Um dann den in- 
direkten Beweis schlußkräftig zu machen, ist es erforderlich, zu 
zeigen, daß diese Konsequenzen auf einen Widerspruch führen. 
Dieser Widerspruch kann cntjsLßder ein innerer, in diesen Konse- 
quenzen selbst gelegener Widerspruch sein : in diesem Falle genügt 
die formale Logik als Kriterium der Wahrheit des zu beweisenden 
Satzes; odej aber der Widerspruch liegt nicht in diesen Konse- 
quenzen selbst, sondern in ihrer Unvereinbarkeit mit irgend einer 
anderweit feststehenden, dem Beweise zu Grunde gelegten Voraus- 
setzung, sagen wir z. B. mit einem mathematischen Axiom oder mit 
irgend einer Tatsache der Erfahrimg. In diesem Falle ist die for- 
male Logik kein hinreichendes Kriterium der Wahrheit des zu 
beweisenden Satzes, oder, was dasselbe besagt, die in Frage 
stehende ;,Grewißheit", auf die der Satz zurückgeführt wird, ist 
synthetischen Charakters. — Wir haben zu prüfen, welcher dieser 
möglichen Fälle vorliegt. 



S. U. 



57] Enter Teil: Die ÜDmöglichkeit der ErkeDntnistheorie. 469 

Das Beweisthema wird unter dem Namen des „Gesetzes der 
Erlialtong des dynamischen Charakters^ in den Satz zusammen- 
gefaßt, daß Realitäten unter festen ausnahmslosen Regeln stehen, 
d. h. daß sie das einmal beobachtete Verhalten unter gleichen Um- 
ständen stets wieder betätigen.^ Welches ist nun die Konsequenz, 
die aus der Annahme der Falschheit dieses Satzes gezogen wird? 
Diese Konsequenz lautet: 

„Gresetzt, die apriorische Regel von der Erhaltung des dyna- 
mischen Charakters hätte in der Natur keine Gültigkeit, so 
würde kein Wissen von einem Naturdinge, d. h. keine Erfahrung 
möglich seih.*** 

Was haben wir hier unter „Wissen" zu verstehen? 

;,Von einem Dinge etwas unsseUf bedeutet so viel wie, von 
einem Dinge eine Aussage machen können, die zu jeder Zeit, da 
ich sie mache, richtig ist.*" Demgemäß unterscheidet Marcus den 
Wahmehmungsbegriff vom Erfahrungsbegriff. Die Wahrnehmung 
geht nur auf individuelle Fälle, die Erfahrung lehrt Allgemein- 
gültiges. 

Nach dieser Definition des Wissens oder der Erfahrung ist 
die angeführte Konsequenz zweifellos richtig; ich fürchte aber 
sehr, daß sie uns einem Beweise des Gesetzes von der Erhaltung 
des dynamischen Charakters schwerlich näher bringen wird: denn 
der Nachsatz wiederholt nur in anderen Worten den Inhalt des 
Vordersatzes. Wir haben damit nichts weiter gewonnen als eine 
Umschreibung für den analytischen Satz: Gesetzt, die Realitäten 
ständen nicht unter allgemeinen Regeln, so ließen sich keine all- 
gemeinen Regeln über die Realitäten aufstellen. 

Gehen wir indessen weiter zu der Frage über: Welcher 

» S. 16. » S. 17. » S. 17. 



470 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [58 

Widersprach läßt sich ans der aufgestellten Konsequenz ableiten? 
Welchen inneren (logischen) Widersprach schließt die Annahme 
ein, daß wir za keinem ,, Wissen^ gelangen können, daß wir nnsere 
Wahrnehmungen nicht zur Bildung von Erfahrungen verwerten 
können? Oder, falls diese Annahme keinen inneren Widerspruch 
einschließt, welche „Gewißheit^ läßt sich dann anfuhren, mit der 
diese Annahme unvereinbar wäre? Giebt es vielleicht irgend ein 
Axiom der Mathematik, oder etwa eine Erfahrungstatsache, wo- 
durch sich die genannte Annahme widerlegen läßt? 

Die Möglichkeit eines inneren (logischen) Widerspruchs der 
betrachteten Annahme zieht Mabcüs, soviel wir sehen, nicht in Be- 
tracht. Und mit Recht; läge nämlich ein solcher innerer Wider- 
spruch vor, so wäre der zu beweisende Satz analytisch, er wäre 
also ein logischer, nicht aber ein metaphysiscJier Satz.^ — Es bleibt 
also nur die zweite Möglichkeit zu erwägen. Aber gerade hier 
lassen uns die Ausfährungen von Mabcüs gänzlich im Stich. 

Es ist, wie gesagt, zuzugeben, daß wenn der zu beweisende^ 
Satz falsch wäre, wir keine Erfahrung (in dem vorhin definierten 
Sinne) machen könnten. Es ist ferner zuzageben, daß sich dies 



1 Man könnte vielleicht geneigt sein, auf Grund des folgenden Gedankens 
einen logischen Widerspruch in der fraglichen Annahme zu suchen: Wer (wie 
z. B. Ostwald in den Annalen der Naturphilosophie, Band I, S. 61) die Mög- 
lichkeit allgemeiner Aussagen bestreitet, wer also behauptet, daß keine allgemeine 
Aussage möglich sei, der stellt mit dieser Behauptung selbst eine allgemeine Aus- 
sage auf und widerspricht insofern sich selbst. — Aber der Fall liegt hier nicht 
anders als bei dem in § 5 erörterten „Widerspruch". Nicht die Annahme 

A. Allgemeingültige Aussagen sind für X unmöglich, 
sondern die Annahme 

B. X stellt die allgemeingültige Aussage A auf 

enthält einen Widerspruch. Und aus diesem Widerspruch folgt wiederum nicht 
die Möglichkeit allgemeingültiger Aussagen für X, sondern nur die Unmöglichkeit 
der allgemeingültigen Aussage A für X. 



59] Erster Teil: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 471 

^gänzlich a priori einsehen^ läßt^, denn diese Einsicht ist ein 
analytisches Urteil, und als solches selbstverständlich a priori 
gewiß. Es darf also mit Recht behauptet werden, daß der zu be- 
weisende Satz durch Erfahrung niemals widerlegt werden kann; 
denn nur, wenn er gilt, ist überhaupt Erfahrung möglich. Wenn 
es also bei Mabcus heißt': 

ijErgo läßt sich einsehen, daß es keine Natur giebt, die unsere 
apriorischen Sätze widerlegt. Folglich werden sie stets bestätigt 
oder es wird überhaupt nichts erkannt", 
so können wir auch hier noch zustimmen, vorausgesetzt, daß das 
Wort „erkennen** in demselben Sinne gebraucht ist wie das vor- 
her definierte Wort „wissen" oder „erfahren". Wenn es aber 
unmittelbar darauf heißt: 

„Diese Einsicht ist der Grund unserer Vorstellung von ihrer 
Notwendigkeit", 
so können wir diese Schlußfolge nicht als zwingend an- 
erkennen. Hier fehlt ja noch der Nachweis, daß etwas erkannt 
wird, oder, nach der obigen Formulierung, daß wir v^irklich ein 
Wissen haben, oder d<Jiß Erfahrung möglich ist. Dieser Satz ist 
die versteckte Prämisse, unter deren Voraussetzung allein die 
Folgerung, und somit der Beweis überhaupt, stattfindet. 

17. Wir haben also die Natur dieser Voraussetzung zu prüfen. 
Ihre Gewißheit gründet sich entweder auf Erfahrung, oder sie 
steht a priori fest, wenn sie überhaupt etwas gelten soll. Offen- 
bar muß die Voraussetzung a priori feststehen, wenn der zu be- 
weisende Satz selbst a priori gelten soll. Das Prinzip, das der 
Beweisführung a priori zu Grunde liegen müßte, wäre also der Satz : 
;,Erfahrung ist möglich." 

» S. 19. « S. 26. 



472 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [60 

Wenn wir in diesem Satze an Stelle des Wortes „Erfahrung^ 
seine Definition einsetzen, so lantet er: 

„Es ist möglich. Aussagen von allgemeiner Grültigkeit za machen.' 

Nun war aber vorher festgestellt worden, daß dieser Satz das 
Gresetz der Erhaltung des dynamischen Charakters zar logischen 
Voraussetzung hat. Die Prämisse, auf die der Beweis dieses Gre- 
setz zurückfiOirt, schließt also die Voraussetzung der Grültigkeit 
eben dieses Gesetzes bereits in sich. Der Beweis beruht also auf 
einer petitio principii. 

Wollte aber Marcus, um diesem Mißstand zu entgehen, auf die 
Apriorität des Prinzips der Möglichkeit der Erfahrung verzichten 
und sich statt dessen auf die mrkliche Erfahrung berufen^, so wird 
ein empirisches Faktum zur höchsten Instanz in der transzenden- 
talen Beweisführung gemacht.^ Alsdann aber tritt der Einwand 
in Eraft, daß aus empirischen Prämissen keine apodiktischen 
Schlußsätze folgen; womit gezeigt ist, daß in diesem Falle die 
Apodiktizität des zu beweisenden Satzes nicht begründet, sondern 
aufgeboben würde. 

Was hier das Triftige dieses Einwandes so leicht verkennen 
läßt, ist dieses. Aus der Wirklichkeit einer Sache läßt sich aller- 
dings anf ihre Möglichkeit schließen. Eine Anwendung dieser 
Schlußweise auf den vorliegenden Fall, um die Möglichkeit der 
Erfahrung zu erhärten, ist indessen, so unverfänglich sie erscheinen 
mag, nur vermöge einer quaternio terminorum möglich. Wenn 
wir nämlich vom Faktum der Erfahrung sprechen, so kann damit 
nur gesagt sein, daß wir wirklich Aussagen machen, die auf all- 
gemeine Gültigkeit Anspruch machen. Ob aber dieses Faktum 

^ Wozu er S. 54 geneigt scheint. 

' S. 74 erklärt Mabcus selbst den Satz von der WtrklkhkeU der Erfahrung 
für einen empirischen. 



61] Enter TeO: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 473 

unter den von Marcus definierten Begriff der Erfahmng fallt, d. h. 
ob diese Aussagen wirklich allgemeingiiltig sind, hierüber kann 
uns kein Faktum belehren; denn Fakta können für sich überhaupt 
nicht als Erkenntnisgrund allgemeiner Wahrheiten dienen. Um 
also von dem Faktum der gegebenen Erfahrung auf die Möglichkeit 
der von Marcus definierten Erfahrung schließen zu können, müßten 
wir zuvor die Gültigkeit der gegebenen Erfahrung sichergestellt 
haben. Diese hängt aber, nach dem früher Festgestellten, von der 
Gültigkeit des Gesetzes der Erhaltung des dynamischen Cha- 
rakters ab. Sie schließt mithin gerade das Problem ein, das durch 
den transzendentalen Beweis erst gelöst werden sollte. Der Zirkel 
im Beweise kann also auch hier nicht fraglich sein.^ 

18. Wenn wir hiernach nochmals den Gang der Beweisführung 
überblicken, so*finden wir das eigentlich Irreführende schon in der 
Darstellung des Beweisthemas selbst. Dieses wird nämlich (Seite 14) 
folgendermaßen formuliert: 

„Jene apriorischen Sätze, welche die Organisation der Natur 
zum Gegenstande haben, sind in der Tat absolut richtig.^ 

Diese Formulierung muß von vornherein unser Mißtrauen er- 
wecken. Wenn der Mathematiker einen Satz beweist, so ist sein 

' In der Tat hätte Maecus bei genauer syllogistischer Zergliederung seiner 
Beweisführung mehrfach die Voraussetzung nicht nur des Gesetzes von der Er- 
haltung des dynamischen Charakters, sondern sogar besonderer metaphysischer 
Gesetze, so z. B. der Analogieen der Erfahrung selbst, angetroffen. Ich will hier 
nur auf zwei solche Fälle aufmerksam machen, die Seite 24 vorkommen. Dort 
tritt der Schluß auf: „Wenn das Gesetz der Erhaltung des dynamischen Charak- 
ters auch nur in einem Falle ungültig wäre, so müßte das ganze übrige Gefüge 
der jenem Gesetz untertoarfenefi Natur, durch eine solche Revolution beeinflußt 
werden." Dieser Schluß ist nur zulässig unter Voraussetzung der dritten Analogie 
der Erfahrung. — Gleich darauf wird daraus, daß das Auftreten ungesetzlicher 
Elemente der Kontinuität der Erfahrung widersprechen würde, auf die Unmög- 
lichkeit ihres Auftretens geschlossen, — ein Schluß, der natürlich nur unter 
Voraussetzung des Prinzips der Kontinuität zulässig ist. * 



474 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [62 

Beweisthema dieser Satz selbst nnd nicht der Satz, daß dieser 
Satz richtig ist.^ In der Tat, wenn wir weitei; prüfen, was hier 
„absolut richtig" heißen soll, so finden wir, daß durch den Zusatz 
dieser Worte nicht nur, wie es scheinen könnte, eine terminolo- 
gische Variation des zu beweisenden Satzes eingeführt ist, sondern 
daß damit dem ursprünglich vorgesetzten Beweisthema ein inhalt- 
lich ganz anderer Satz untergeschoben wird. So wird z. B. 
(Seite 25) das Resultat des Beweises dahin ausgesprochen, daß 
jene „apriorischen Sätze** „evident richtig sind in Relation zur 
Erfahrung**. Hiernach haben wir unter der ^jRichtigkeit** jener 
Sätze ihre Gültigkeit für alle Erfahrung zu verstehen. Es genügt 
aber, auf das in § 16 über den Erfahrungsbegriff Festgestellte zu 
verweisen, um ersichtlich zu machen, daß in der genannten For- 
mulierung wirklich eine Verschiebung des Beweisthemas statt- 
findet, indem durch diese Formulierung den synthetischen Grund- 
sätzen der Metaphysik (den Analogieen der Erfahrung) ein leerer 
analytischer Satz untergeschoben wird. Da bei Marcus dieser 
analytische Satz nirgends von den eigentlich zu beweisenden Sätzen 
unterschieden wird, so entsteht der Schein, als ob mit dem Be- 
weise dieses in Wahrheit analytischen Satzes ein Beweis für die 
Analogieen der Erfahrung geliefert wäre. Und da der Beweis 
dieses analytischen Satzes sich durch eine bloße Zergliederung des 
Erfahrungsbegriffs, also a priori, führen läßt, so scheint es schließ- 
lich, als ob die Analogieen der Erfahrung selbst a priori abge- 
leitet wären. 

Diese Zweideutigkeit des Beweisthemas zieht sich durch die 



^ Wäre nämlich das letztere, so müßte zur Vollständigkeit des Beweises 
auch der Satz bewiesen werden : Der Satz, daß dieser Satz richtig ist^ ist richtig.; 
nnd so fort ohne Ende. 



631 Erster Teil: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 475 

ganze Darstellung. Hierfür nur ein Beispiel. Seite 22 wird das 
Resultat des Beweises so ausgesprochen: 

;,E8 ist also keineswegs Zufall oder eine verhärtete Gewohnheit 
(Dogma), wenn wir an die Natur mit der bestimmtesten Voraus« 
Setzung herangehen, daß in ihr das Verhalten eines jeden Dinges 
unter festen ausnahmslos gültigen Regeln steht. ^ 

Was haben wir hier unter „Natur* zu verstehen? Seite 54 
wird ;,Natur** definiert als der Inbegriff der Realitäten, von denen 
wir Erfahrung machen. Erfahrung sollte sich aber von der bloßen 
Wahrnehmung gerade dadurch unterscheiden, daß in ihr über die 
Kenntnis einzelner Realitäten die Einsicht in die Regeln hinzutritt, 
unter denen das Verhalten dieser Realitäten steht. Also schließt 
auch der Begriff- der Natur den der Regelmäßigkeit bereits in sich, 
und der obige Satz ist insofern analytisch. Als solcher läßt er 
sich allerdings auf „logische Einsicht* gründen. 

Daß wir aber irgend einen Grund haben, an die RealUäten der 
Wahrnehmung mit der Voraussetzung heranzugehen, daß ihr Ver- 
halten unter festen Regeln steht, das ist durch den Beweis des 
obigen Satzes noch keineswegs dargetan und läßt sich auch auf 
keine Weise aus ihm ableiten. Denn der Satz von der Gesetz- 
mäßigkeit der Realitäten der Wahrnehmung ist synthetisch, wäh- 
rend der Satz von der Gesetzmäßigkeit der Erfahrungsobjekte 
analytisch ist ; und synthetische Sätze können aus bloß analytischen 
niemals folgen. — Trennt man jedoch nicht sorgfaltig genug diese 
beiden Sätze, so verleiht die Selbstverständlichkeit dieses formalen 
(nämlich tautologischen) Satzes jenem in Wahrheit logisch unab- 
leitbaren (nämlich metaphysischen) Satze eine trügerische logische 
Evidenz, die ihm, seinem richtig verstandenen Inhalt nach, durch- 
aus nicht zukommen kann. — 



476 L- Nelson : Über das sogenannte Erkenntnisproblem. rg4 

19. Ich schließe an diese Kritik eine Bemerkung allgemeinerer 
Natnr, die zur Beurteilung transzendentaler Beweise überhaupt 
nützlich sein kann. 

Ich hatte gesagt, der Satz: 

;,Die Gresetzmäßigkeit der Realitäten der Wahrnehmung ist 
eine Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung^ 
sei ein richtiger, nämlich analytischer Satz, da er den Grrund 
seiner Gültigkeit im Begriffe der Erfahrung selbst habe. Der 
Satz enthält also eine logische Zergliederung des Erfahrungsbe- 
griffs. Es liegt nun der Versuch nahe, durch eine analoge, aber 
weitergehende Zergliederung auch für die besonderen metaphysischen 
Gresetze den Nachweis zu führen, daß sie Bedingungen der Mög- 
lichkeit der Erfahrung sind. Einen solchen Versuch macht Marcus 
fiir die drei Analogieen der Erfahrung. Es leuchtet ein, daß die 
Beurteilung eines derartigen Versuchs wesentlich von der Frage 
abhängen wird, welchen Erfahrungsbegriff man der Zergliederung 
zu Grunde zu legen hat, d. h. wie man die Erfahrung definieren 
solle. Hier steht nun zunächst soviel fest, daß, wenn wir über- 
haupt einen vom bloßen Wahmehmungsbegriff verschiedenen Er- 
fahrungsbegriff bilden wollen, zu seinem Inhalt der Begriff einer 
allgemeinen Gesetzmäßigkeit notwendig gehören muß, da sein In- 
halt ohne dies mit dem des Wahrnehraungsbegriffs zusammenfallen 
würde. Der Begriff der allgemeinen Gesetzmäßigkeit der Reali- 
täten der Wahrnehmung ist aber nicht nur notwendig, sondern 
auch hinreichend^ um einen vom bloßen Wahrnehmungsbegriff ver- 
schiedenen Erfahrungsbegriff* zu konstituieren. Da jedoch alle 
■wirkliche Erfahrung nicht nur auf der Voraussetzung einer allge- 
meinen Gesetzmäßigkeit der Realitäten der Wahrnehmung, sondern 
auf der Voraussetzung besonderer metaphysischer Gesetze beiruht, 
die aus jenem allgemeinen Prinzip der Gesetzmäßigkeit-überhaupt 



66] Enter Tefl: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 477 

logiscli nnableitbar sind, so können wir in den Inhalt des Erfahrongs- 
begrifPs auch derartige besondere metaphysische Gesetze aufnehmen 
und dadurch den Begriff der Erfahrang individualisieren. 

Zur Abkürzung des Ausdrucks will ich das zur Definition des 
ersten, allgemeinsten Erfahrungsbegriffs erforderliche Prinzip der 
allgemeinen Gesetzmäßigkeit der Realitäten der Wahrnehmung als 
das metaphysische Element des „allgemeinsten^ Erfahrungsbegriffs, 
oder, kürzer noch, als das „metaphysische Minimum des Erfahrungs- 
begriffs ^ bezeichnen. 

Nunmehr ist klar, daß keins der besonderen metaphysischen 
Gesetze durch logische Zergliederung des allgemeinsten Erfahrungs- 
begriffs als Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung abgeleitet 
werden kann. Vielmehr muß der zur Ableitung eines solchen be* 
sonderen Gesetzes vorausgesetzte Erfahrungsbegriff hinreichend 
individualisiert sein, um in seinem Inhalt das abzuleitende G-esetz 
bereits zu enthalten. Mit anderen Worten: Man muß das frag- 
liche Gesetz schon vorher in die Definition des Erfahrungsbegriffs 
hineingelegt haben, um es durch logische Zergliederung nachträg- 
lich aus ihm herausziehen zu können. Verhält es sich aber so, 
so können wir uns die Ableitung und Zergliederung sparen, denn 
wir müssen ja von vornherein wissen, was wir auf solche Weise 
ableiten können und was nicht, da es nur von unserem eigenen 
Belieben abhängt, wie weit wir bei der Determination des Er- 
fahrungsbegriffs in der Individualisierung gehen wollen. 

Was wir eigentlich suchten, war nun aber offenbar nicht etwas, 
dessen So- oder Anderssein in unserem Belieben steht, sondern 
etwas von unserem Belieben schlechterdings Unabhängiges, nämlich 
die Antwort auf die Frage, welches die metaphysischen Gesetze 
seien, unter denen die Realitäten der Wahrnehmxmg stehen. Der 
Entscheidungsgrund für diese Frage kann offenbar nicht in einer 

AbkaadloBfMi dar Fiie8*Mk«i Sohale. IL Bd. 31 



478 L. Kelson: Über das sogenannte firkenntnisproblem. Ißß 

willkürlichen Definition liegen, sondern wir müssen über die De^ 
finition hinaasgehen zu einem der Willkür entzogenen Kriterium,! 
nach dem sich unsere Definition vielmehr ihrerseits zu richten hat. 
20. Hier bietet sich nun der Versuch an, dies Kriterium in 
der wirklichen Erfahnmg zu suchen. Wir kommen damit auf die 
Aufgabe, die metaphysischen Voraussetzungen der uns historisch 
vorliegenden Naturerkenntnis aufzusuchen. Diese Aufgabe hat es 
nicht mehr mit der Zergliederung eines willkfirUch gebildeten Be- 
griffs zu tun, sondern mit der Zergliederung faktisch gegebener Er- 
kenntnisse. Zu einem Beweise der metaphysischen Gesetze kann 
indessen auch dieses Verfahren nicht taugen. Denn die fraglichen 
metaphysischen Gesetze sind die logischen Voraussetzungen der 
Daten, die den Ausgangspunkt dieses Verfahrens bilden ; sie können 
also nicht ihrerseits als logische Folgen aus diesen Daten abge- 
leitet werden. Wir konmien vielmehr auf diesem Wege in der 
y Tat nur zu einer regressiven Aufweisung der fraglichen meta- 

physischen Voraussetzungen. 

Aber selbst bei solchem Vorbehalt werden wir die Ansprüche 
dieser Methode noch sehr einzuschränken haben. Denn es ist 
offenbar, daß eine bloße, wenn auch noch so weitgehende Zer- 
gliederung der gegebenen Erfahrung nicht zu einer Erweiterung 
des Gültigkeitsbereichs der aufgewiesenen metaphysischen Gesetze 
über die gegebene Erfahrung hinaus berechtigen kann. Zwischen 
der Aufweisung der metaphysischen Bedingungen der wirklich 
gegebenen Erfahrung und der gesuchten Einsicht in die Bedingun- 
gen aller überhaupt möglichen Erfahrung liegt daher noch eine 
Kluft, die durch keine logische Schlußfolgerung überbrückt werden 
kann. Was sollte auch wohl alle überhaupt mögliche Erfahrung 
an die Bedingungen binden, an die wir die uns historisch, also 
zufällig gegebene, wirkliche Erfahrung gebunden finden? Aus 



67] Enter Tefl: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 479 

dem Umstand, daß gewisse Prinzipien Bedingungen der gegebenen/ 
Erfahrung sind, läßt sich weder schließen, daß sie hinreichende,} 
noch anch nur, daß sie notwendige Bedingungen aller möglichen | 
Erfahrung sind. In dßc Ableitung allgemeingültiger, d. h. von 
der Beziehung auf die gegebene Erfahrung unabhängiger Erfahrungs- 
bedingungen gelangen wir auch auf diesem Wege nicht über das 
metaphysische Minimum des Erfahrungsbegriffs hinaus. — 

Hiermit haben wir ein ganz allgemeines Kriterium zur Be- 
urteilung transzendentaler Beweisversuche gewonnen. Wird uns 
nämlich ein beliebiger derartiger Beweis vorgelegt, so brauchen 
wir ihn nur an der Hand der vorstehenden Bemerkung durchzu- 
gehen, um mühelos den wunden Punkt zu finden. Denn dieser 
wunde Punkt muß allemal in dem Übergang von den Bedingungen 
der gegebenen Erfahrung zu denen der überhaupt möglichen Er- 
fahrung liegen. Der salto mortale dieses Übergangs kann sich 
aber nur durch eine versteckt zu Grrunde gelegte willkürliche De- 
finition des Erfahrungsbegriffs verbergen. Es gilt also im beson- 
deren Falle nur, diese Definition aus den Elementen der Beweis* 
führung herauszuziehen, um den Zirkel des Beweises in die Augen 
springen zu lassen. 



IV. 
Die Evidenz als erkexintnistheoretisches Kriterium. 

21. Unter den von psychologischer Seite unternommenen er- 
kenntnistheoretischen Versuchen nimmt die auf Descabtes zurück- 
gehende und von der „common sense^-Philosophie der schottischen 
Schule verteidigte Lehre von der Evidenz als dem Ejriterium der 

31* 



480 L- Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. |68 

Wahrheit noch heute die wichtigste Stelle ein« Es sei daher anf 
einen der neuesten Versache, dieses Kriterium zn rechtfertigen, 
mit einigen Worten eingegangen. Diesen Yersnch finden wir bei 
Meinonq. Meinonq geht von dem Satze ans, alle Erkenntnis be- 
stehe in Urteilen.^ Da ihn nun die Tatsache des Vorkommens 
falscher urteile darauf hinweist, daß wir eines besonderen Krite- 
riums für die Wahrheit eines Urteils bedürfen, so wird er auf die 
Frage geführt, woran sich erkennen läßt, ob es überhaupt wahre 
Urteile giebt, und ob, wenn dies der Fall ist, ein gegebenes Urteil 
zu der Elaase der wahren gehört. Es muß, so argumentiert er, 
erstens Urteile geben, „in deren Natur es liegt, wahr zu sein*', 
und wir müssen eweitens fähig sein, „solchen Urteilen diese ihre 
Wahrheitsnatur mit Hülfe von Urteilen von eben solcher Natur 
anzusehen^, falls wir nicht auf alles Erkennen überhaupt ver- 
zichten wollen.' 

Wie will nun Meinonq entscheiden, ob diese Bedingungen er- 
füllt sind? Er beruft sich hier auf die „Erfahrung", die uns 
lehren soll, daß die erste Bedingung ganz, die zweite nahezu er- 
füllt ist. Aber ehe wir uns hierauf einlassen, können wir schon 
im voraus folgende allgemeine Bemerkung machen. Mkinong defi- 
niert: „Wahr ist ein Urteil, dessen Objektiv Tatsache ist**', wobei 
er unter „Objektiv** dasjenige versteht, was im Urteil von einem 
Objekt ausgesagt wird. Aus dieser Definition folgt, daß man, 
um sich von der Wahrheit eines Urteils überzeugen zu können, 
sein Objektiv kennen müßte. Diese Kenntnis kann aber nach 



^ „Es giebt kein Erkennen und kann keines geben, das nur Vorsiellen und 
nicht auch oder vielmehr zunächst Urteüen wäre.** („Über die Erfahrungsgrund- 
lagen unseres Wissens**, Berlin 1906, S. 18.) 
> A. a. 0. S. 82. > Ebenda. 



69] Enter Teil:- Die ünmögliehkeit der Erkeimtiiistheorie. 481 

Heikokg nur durch das Urteil erlangt werden.^ Man müßte also 
schon wissen, daß das Urteil wahr ist, nm es mit seinem Objektiv 
vergleichen zu können. Die Feststellung der Wahrheit eines 
Urteils wäre folglich unmöglich. 

Die Berufung auf ein anderes Urteil würde hier nichts nützen; 
denn sie würde nur auf die Frage nach der Wahrheit dieses Urteils 
fuhren, eine Frage, deren Losung an der eben dargelegten Un- 
möglichkeit scheitern muß, falls man nicht wiederum auf ein 
anderes Urteil zurückgreifen will, womit man auf einen unend- 
lichen Regreß geführt würde. 

Man kann sich dies auch so klar machen: Damit es möglich 
sein soll, die erste der beiden von Meinonq aufgestellten Bedin- 
gungen als erfüllt nachzuweisen, muß die zweite bereits als er- 
füllt varausgeseM werden. Die zweite kann aber offenbar nur 
dann als erfüllt vorausgesetzt werden, wenn die erste bereits als 
erfüllt vorausgesetzt wird; woraus ersichtlich ist, daß die Auf- 
gabe, auch nur die erste als erfüllt nachzuweisen, schlechterdings 
unlösbar ist. Wenn also Meinonq dennoch eine solche Nachweisung 
versucht, so wissen wir im voraus, daß dieselbe nur auf eine 
petitio principii hinauslaufen kann. — 

Meinono beruft sich nun auf die psychologische Tatsache, daß 
gewisse Sachverhalte ihrer Einfachheit wegen „einleuchten^, kom- 
pliziertere hingegen dies nicht tun. Urteile über einen Sachver- 
halt der ersten Art nennt er evidente, und er erklärt es für ein 
evidentes Urteil, daß ein evidentes Urteil nicht falsch sein kann. 
Hieraus zieht er den Schluß, daß die erste der genannten Bedin- 
gungen im evidenten Urteüe erfüllt ist. 

1 A. a. 0. 8. 32. 



482 ^' Nelson: Über das sogenumte Erkenntnisproblem. [70 

Betrachten wir diesen Gedankengang etwas naher. Wie be- 
gründet Meinong den Satz, daß ein evidentes urteil nicht falsch 
sein kann? Durch die Behauptung, daß dieser Satz selbst ein 
evidentes Urteil sei. Nehmen wir — unter Vorbehalt — an, diese 
Behauptung sei richtig. Wir haben dann, wenn wir den zu er- 
weisenden Satz 

A. Ein evidentes Urteil kann nicht falsch sein 
mit A bezeichnen, den Satz 

B. Der Satz A ist ein evidentes Urteil. 

Folgt hier nun der Satz A aus dem Satze B? Offenbar nicht; 
denn zu dieser Schlußfolgerung fehlt die zweite Prämisse. Diese 
zweite Prämisse konnte nur in der Voraussetzung bestehen, daß 
evidente Urteile nicht falsch sein können, in dem Satze also, der 
gerade erst erwiesen werden soll. Das Vorliegen einer petitio 
principii kann also nicht zweifelhaft sein. 

22. Meinono kommt zu diesen Feststellungen bei seinen er- 
kenntnistheoretischen Untersuchungen über die „Wahrnehmung^. 
Er bedarf hier eines Ejriteriums der Wahrheit, weil er die Wahr- 
heit zu den definierenden Merkmalen der „Wahrnehmung* zählt. 
Ohne dieses Merkmal nämlich, meint er, lasse sich die Wahrneh- 
mung nicht von den Halluzinationen der gewöhnlichen Art unter- 
scheiden. Da er nun das psychologische Kriterium der Wahrheit 
in der Evidenz findet, so sieht er sich zu der Behauptung ge- 
zwangen, daß Halluzinationen evidenzlos seien,^ und er schebt 
dieselbe Eonsequenz auch auf die Träume ausdehnen zu wollen.' 
Aber eben diese Konsequenz hätte ihn an der zu Grunde liegen- 
den Voraussetzung irre machen sollen ; denn diese Konsequenz 
widerspricht den Tätsachen. Sagt er doch selbst, daß die normale 

» S. 36. « S. 42. 



71] Erster Teil: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 483 

Halluzination, von der psychologischen Seite betrachtet^ mit der ge« 
wohnlichen Wahrnehmung durchaus auf gleiche Linie zu stellen 
sei.^ Über diesen Satz mag man sonst denken wie man wolle; 
gerade in Bezug auf das „Evidenz^ genannte psychologische Er- 
lebnis kann seine Richtigkeit keinem Zweifel unterliegen. Denn: 
daß der halluzinierte Sachverhalt sich dem Bewußtsein unmittelbar 
aufdrängt, daß sich das Bewußtsein um diesen Sachverhalt nicht 
etwa „erst mit Hilfe von einfacheren oder komplizierteren Be- 
gründungen oder Beweisen ergiebf *, — das ist durchaus erforder- 
lich, wo überhaupt von einer Halluzination gesprochen werden soll. 
Und beim Traume verhält es sich nicht anders. — Es ist also 
nicht nur unrichtig, daß die Evidenz ein notwendiges, sondern 
auch, daß sie ein hinreichendes Kriterium der Wahrheit bildet. — 

23. Wenn man, wie mitunter geschieht^, das Merkmal der 
Wahrheit, d. h. der Tatsächlichkeit des Objektivs, bereits in den 
BegrüF der Evidenz aufnimmt, dann entfällt natürlich die hier ge- 
gebene Kritik. Aber man darf alsdann nicht übersehen, daß ein 
solcher Begriff der Evidenz psychologisch unanwendbar ist. Denn 
da sich ja die Tatsächlichkeit des Objektivs nicht unabhängig von 
unserer Erkenntnis ermitteln läßt, ist es unmöglich, jemals zu 
entscheiden, ob ein Urteil evident ist oder nicht. 

Es steht also jedenfalls Folgendes fest : Entweder der Begriff 
der Evidenz schließt das Merkmal der Wahrheit ein: dann ist es 
unmöglich, zu entscheiden, ob ein Urteil evident ist. Oder aber 
gEvidenz^ bedeutet lediglich ein psychologisch konstatierbares 
Bewußtseinserlebnis: dann ist es unmöglich, festzustellen, daß ein 
evidentes Urteil wahr ist. — In keinem Falle kann die Evidenz 
als ein Kriterium der Wahrheit gelten. 

* S. 17. ' S. 35. > So z. B. bei Hüssebl, „Logische Untersuchon- 

gen«, Band I, S. Uf., 190 f., 238 ; Band II, S. 649, 699. 



484 L- Nelson: Ober das sogenannte Erkenntnisproblem. [72 

24. Wie kann man sich aus diesen Schwierigkeiten heraus- 
finden ? Nur dadnrch, daß man das Vorurteil aufgiebt, Erkenntnis 
könne nur in Urteilen bestehen. Meinong erklärt sich gegen die 
Annahme, ;,daß Überzeugungskraft und Berechtigung eines Urteils 
nicht in ihm selbst, sondern in einem anderen Urteil liege^.^ Nun, 
diese Annahme muß natürlich schon daran scheitern, daß sie auf 
den (in § 21 angedeuteten) unendlichen Regressus führt und somit 
zur Folge hätte, daß es überhaupt kein berechtigtes Urteil geben 
könnte. Aber folgt hieraus, daß es Urteile geben muß, die ihre 
Berechtigung ans sich selbst nehmen; Urteile, ;,in deren Natur es 
liegt, wahr zu sein^? Unter der Voraussetzung, das Urteil sei 
die einzige Art der Erkenntnis, allerdings. Aber solche Urteile, 
die ihre Berechtigung ans sich selbst nehmen, giebt es gar nicht. 
Jedes Urteil enthält eine zu einer bloßen Vorstellung hinzutretende 
Assertion, wie dies Meinong auch von seinem sogenannten Wahr- 
nehmungsnrteil fordert. Und da muß man jederzeit die Frage zu- 
lassen: worauf gründet sich diese Assertion? woher nehmen wir 
das Recht zu solcher Assertion? Ohne ein hier maßgebendes 
Kriterium bliebe es ja unserer Willkür überlassen, ob wir eine 
bestimmte Vorstellung mit einer Assertion verbinden oder nicht. 
Auch lehrt schon die Erfahrung, daß selbst das Gebiet der best- 
bewährten und anscheinend evidentesten Urteile der Möglichkeit 
des Irrtums ausgesetzt ist. Giebt es ein Urteil, das dem Unbe- 
fangenen gewisser und einleuchtender scheinen könnte, als daß 
jede Fläche zwei Seiten hat? Wer das Urteil für wahr halten 
würde, würde sich dennoch irren. Und in diesem Irrtum hat sich 
die Mathematik bis vor nicht langer Zeit befunden. 

Wir müssen also für jedes Urteil einen Grund seiner Berech- 
tigung fordern. Andererseits hatte sich gezeigt, daß dieser Grund 

^ S. 41. 



73] Erster Tefl: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 486 

nicht immer wieder in anderen [Jrteilen gesncht werden kann. 
Es bleibt also nnr übrig, Erkenntnisse anzunehmen, die nicht in 
Urteilen bestehen. — Darin hat also Meinonq recht, daß die Be- 
rechtigang eines Urteils nicht notwendig in anderen Urteilen liegen 
müsse; aber er hat Unrecht, wenn er hieraas schließt, daß es Ur- 
teile geben müsse, die ihre Berechtigung nicht %iner anderen Ur- 
kenntnis entlehnen. Die unmittelbare Erkenntnis und nichts 
anderes bildet den von Meinono vermißten |,Ersatz für die Evidenz 
in der Erkenntnistheorie''; sie bildet das Korrektiv gegen den 
Irrtum, über das, wie er meint, „positive Vorschläge noch aus- 
stehen^.^ 



Der biologische Vorteil 
als erkenntnistheoretisches Kriterium. 

26. Neben der im engeren Sinne psychologischen Erkenntnis- 
theorie tritt in neuerer Zeit mehr und mehr eine Bichtung in der 
Philosophie hervor, die darauf ausgeht, die Ergebnisse der allge- 
meinen Biologie und Entwickelungsgeschichte für das Erkenntnis- 
problem nutzbar zu machen. Der konsequenteste Versuch in dieser 
Bichtung ist ohne Zweifel der von Simmel unternommene. SupiEL 
will den Wahrheitsbegriff restlos auf biologische Elemente zurück- 
führen. Die Nützlichkeit, der Vorteil im Kampf ums Dasein soll 
nach ihm nicht nur eine Begleiterscheinung des wahren Denkens 
sein; sondern, was man Wahrheit des Denkens nennt, soll im 
Grunde selbst nichts anderes bedeuten, als die Eigenschaft ge- 
wisser Vorstellungen, die darin besteht, daß die durch diese Vor- 



486 L* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [74 

stellimgeii veranlaßten Handlimgen uns im Kampf tims Dasein 
forderlich sind. „Wahre^ Yorstellongen sind Idemach solche, 
die sich den praktischen Interessen der Lebenserhaltung forderlich 
erweisen. 

SnocEL geht von einer Erörterung der Auffassung aus, nach 
der der biologisch^ Vorteil nur eine begleitende Eigenschaft des 
auch an und für sich „wahren'' Yorstellens sein soll, und legt 
sich die Frage vor, ob man nicht für die in dieser Hypothese 
„enthaltene Zweiheit: einerseits die praktischen vitalen Bedürfnisse, 
andererseits die ihnen gegenüberstehende, objektiv erkennbare 
Welt — ob man für diese nicht ein einheitliches Prinzip finden 
könnte''; ob sich nicht für „diese beiden anscheinend gegenseitig 
unabhängigen Elemente, die äußere Realität und die subjektive 
Nützlichkeit" eine gemeinschaftliche . „tiefer gelegene Wurzel" 
finden läßt.^ Dieses einheitliche Prinzip, diese tiefer gelegene 
Wurzel entdeckt er in dem Selektionsprozeß, durch den diejenigen 
Vorstellungen, die sich als Motive nützlicher Handlungen erweisen, 
gezüchtet und erhalten und eben dadurch zu „wahren" Vorstellungen 
gemacht werden.* 

Worin besteht aber eigentlich der „Dualismus"', den die 
Simmelsche Hypothese beseitigen will? G-ehören etwa die „prak- 
tischen vitalen Bedürfnisse" nicht zur „objektiv erkennbaren Welt" ? 
Ist die „subjektive Nützlichkeit" unserer Handlungen nicht eben- 
sogut ein Gegenstand unseres Vorstellens wie alle andere „Realität" ? 
Man mag immerhin die dem individuellen und gattungsmäßigen 



' „Über eine Beziehung der Selektionslehre zur Erkenntnistheorie." (Archiy 
für systematbche Phüosophie, Band I, S. 35.) 

* Eine ausführliche Kritik dieser Ansicht findet man in meiner Abhandlung 
über „metaphysikfreie Naturwissenschaft'S Kapitel YIII: „Das Prinzip der Denk- 
(^konomle**. * S. 86. 



75] Erster Teil: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 487 

menfichlichen Leben angehorigen und seine Bedürfnisse regelnden 
Umstände zusammenfassend als „innere Realität^ bezeichnen und 
ihnen alles Übrige als „äußere Realität^ gegenüberstellen. Beide 
Klassen dieser Einteilung bleiben ganz innerhalb des Gebietes der 
den Gegenstand unseres Yorstellens und Denkens ausmachenden 
Welt ; denn auch unsere Bedürfnisse und deren Befriedigung lernen 
wir auf keine andere Weise kennen als dadurch, daß sie zum 
Gegenstande unseres Yorstellens oder Denkens werden. Es ist 
also nicht einzusehen, wie die von Simmel konstatierte „Zweiheit'' 
in erkenntnistheoretischer Hinsicht von Belang werden könnte. 
Der Dualismus, an dem Simmel Anstoß nimmt, ist vielmehr, scheint 
uns, gar nicht vorhanden. 

26. Wenn nun Simmel die Frage, „ob der Wahrheitsbegriff es 
verträgt, die dem Vorstellen gegenüberstehende Objektivität ab- 
zustreifen,^^ durch seine Hypothese in bejahendem Sinne beant- 
worten zu können meint, so übersieht er, daß diese Hypothese 
ohne die Voraussetzung einer solchen Objektivität selbst nicht 
möglich wäre. Der angebliche Dualismus, der durch diese Hypo- 
these beseitigt werden sollte, tritt vielmehr in dem Inhalt dieser 
Hypothese auf, und zwar hier in der Form eines Widerspruchs. 
Die Welt, „wie sie logisch-theoretisch für uns existiert,** soll durch 
die Denkformen erzeugt sein, die durch unsere „nach evolutio- 
nistischer Notwendigkeit" geformte „Konstitution" bestimmt wer- 
den; „die Nützlichkeit erzeugt für uns die Gegenstände des Er- 
kennens", und zu diesen Erzeugnissen der Nützlichkeit sollen auch 
die logischen Gesetze gehören.' — Woher weiß denn Simmel von dem 
Zuchtwahlprozeß, der die logischen Gesetze schafft; woher weiß 
er von der „Konstitution", die imsere Denkformen bestimmt; wo- 

» S. 86. « S. 46, 



488 L* Nelson: Ober das sogenannte Erkenntnisproblem. [76 

her weiß er von der Nützlichkeit, die die Gegenstände des Er- 
kennens erzengt; woher weiß er von dem Nerven- nnd Mnskel- 
yorgang^, der die Willenshandlnng ermöglicht nnd znr Befriedigung 
der subjektiven Triebe nnd Bedürfiiisse führt; woher endlich weiß 
er von den „nntermenschlichen physisch-psychischen Organisa- 
tionen^, von den „Nervenapparaten^ und der j^Sinnesausstattnng'' 
der verschiedenen Tierarten ?* Woher anders weiß er alles dieses 
als eben darch sein Erkennen? Setzt nicht seine Hypothese, die 
durch den Inhalt alles dieses Wissens „wahrscheinlich" gemacht 
werden soll', die Objektivität dieses Wissens und Erkennens vor- 
aus? Sind die biologischen Betrachtungen, auf die sich seine 
Hypothese stützt, keine „logisch-theoretischen", und setzen diese 
Betrachtungen nicht die „logischen Gesetze" voraus? Was be- 
gründet den Vorrang, den das Vorstellen und Denken des biolo- 
gischen Erkenntnistheoretikers vor dem Vorstellen und Denken 
eines Geometers oder Astronomen beansprucht? 

27. Oder soll vielleicht die Wahrheit, auf die die biologische 
Erkenntnistheorie Anspruch macht, selbst nur in der Nützlichkeit 
besteheui die sie für die Befriedigung unserer praktischen Be- 
dürfnisse hat? Will SiMMEL mit seiner Hypothese nichts weiter 
sagen, als daß er sich, indem er sie niederschreibt, „in der für seine 
Umstände günstigsten Weise verhält"*? 

In diesem Falle haben wir es nicht mehr mit einer erkenntnis- 
theoretischen Lehre zu tun, sondern lediglich mit einer persönlichen 
Mitteilung aus der Individualpsychologie des Autors. Als solche 
könnte man sie sich gern gefallen lassen, wenn nicht der mißliche 
Umstand bestände, daß sie auch noch in dieser Form mehr be- 
hauptet, als nach ihrem eigenen Inhalt für zulässig gelten kann. 

» S. 37. • S. 40. » S. 40. * S. 41. 



77] Enter Teil: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 489 

Nach der fraglichen Theorie bedeutet nämlich ein Satz von 
der Form „J. ist B^ soviel wie „Es ist nützlich, zu denken, Ä 
sei B.^ Wenden wir dies auf die Simmelsche Hypothese „Wahr- 
heit ist Nützlichkeit^ an, so ergiebt sich als die Bedeutung dieser 
Hjrpothese der Satz : Es ist nützlich, zu denken, Wahrheit sei 
Nützlichkeit. Nun kann aber dieser letztere Satz, um mit der 
Theorie in Einklang zu bleiben, selbst nichts anderes bedeuten, 
als daß es nützlich sei, seinen Inhalt zu denken ; daß es also nütz- 
lich sei, zu denken, es sei nützlich, zu denken, Wahrheit sei 
-Nützlichkeit. Dieser nunmehr ausgesprochene Satz aber kann 
wiederum nach der Theorie nur den Sinn haben, daß es nützlich 
sei, seinen Inhalt zu denken. Man sieht ohne weiteres, daß dies 
Verfahren, da es sich bei jedem Satze wiederholt, auf eine unend- 
liche Seihe von Aussagen führt, die vollständig vorliegen muß, 
wenn es möglich sein soll, mit der Behauptung der Simmelschen 
Hypothese einen Sinn zu verbinden. Ehe diese Aeihe nicht voll- 
endet ist, haben wir zwar eine bestimmte Reihe von Worten, aber 
keinen Gedanken vor uns. Da aber die Vollendung einer unend- 
lichen Reihe einen Widerspruch einschließt, so folgt, daß es un- 
möglich ist, mit den Worten „Wahrheit ist Nützlichkeit^ einen 
Sinn zu verbinden.^ 



^ In seiner neueren Schrift „PhUosophie des Geldes** (2. Aufl. 1907) legt sich 
SiMMEL selbst Bedenken vor, die den hier erhobenen sehr ähnlich sind. Ich 
kann aber in seiner Beantwortung derselben nichts finden, was die hier vorge- 
gebrachten Einwände entkräften könnte. Zweierlei indessen von diesen neueren 
Ausftkhmngen Simmels erscheint erwähnenswert Einmal nämlich findet sich 
onter den behandelten Bedenken auch das uns sehr treffend erscheinende gegen 
die Möglichkeit einer Erkenntnistheorie überhaupt. (S. 82.) Stmmel hält dieses 
Bedenken jedoch nicht für stichhaltig; gerade sein „relatiyistisches Erkenntnis- 
prinsip'', meint er, werde von ihm nicht getroffen, denn „der Relativismus könne 
das radikale Zugeständnis machen, daß es dem Geiste allerdings möglich sei, sich 
jenseits seiner selbst zu stellen**, — eine Behauptung, für die Simmel freilich 



490 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [78 

28. Und wie steht es mit der weniger radikalen Behauptung, 
nach der Nützlichkeit mit Wahrheit nicht identisch sein, sondern 
nur, als eine begleitende Eigenschaft wahrer Vorstellungen, das 
Kriterium der Wahrheit bilden soll? Dieser Ansicht stehen von 
vornherein mehrere Bedenken im Wege. Zunächst ist diese ;,Nätz- 
lichkeit*^ etwas völlig Unbestimmtes, theoretisch gar nicht Faß- 
bares. Nützlich kann ein Ding nur sein in Beziehung auf einen 
Zweck, zu dessen Realisierung es ein Mittel bildet Es hängt also 
von der Willkür des einzelnen Erkenntnistheoretikers ab, was er 
als Zweck, und infolgedessen auch, was er als Nützlichkeit defi- 
nieren will. Damit wäre aber auch die Entscheidung darüber, was 
wahr und was falsch ist, der Willkür des Einzelnen überlassen« 
Was für den einen nützlich ist, kann ferner für den anderen 
schädlich sein. Die Annahme, daß das Gebet eines Priesters Kranke 
heilen könne, kann dem Priester sehr vorteilhaft, dem Kranken 
aber höchst gefährlich werden. Es bedarf auch keiner besonderen 
Begründung, daß, was heute nützlich ist, morgen schädlich, ja daß 
unter Umständen zu einer bestimmten Zeit dieselbe Sache derselben 
Person in einer Hinsicht schädlich, in anderer forderlich sein kann. 
Ist aber, was nützlich ist, wahr, was schädlich ist, falsch, so folgt. 



keinen anderen Grund beibringt, als daß unserem Geiste die Fähigkeit gegeben 
sei, „sich selbst zum Objekt zu machen, sich selbst wissen zu können**. (S. 83.) 
Femer aber ist bemerkenswert die Deutlichkeit, mit der Simmel erkennen l&ßt, 
wie seine gesamte Theorie aus der einen Grundvoraussetzung hervorgeht, daß £r^ 
kenntnis nur in Urteüen möglich sei. Es ist nach ihm eine „unserem Geiste 
eigene Notwendigkeit, die Wahrheit durch Beweise zu erkennen" (S. 68), die 
„Axiome** haben „nicht die logische Dignität des Bewiesenen, sie sind nicht in 
demselben Sinne für uns wahr, wie dieses es ist** (S. 67), „über jedem Urteil, das 
wir fallen, steht ein höheres, das entscheidet, ob jenes recht hat**. (S. 83.) Da 
für das Ganze der durch die logische Beweiskette zusammenhängenden Urteile 
nach dieser Voraussetzung nicht wieder eine logische Beurteilung möglich ist, so 
wird die Eonsequenz unvermeidlich, daß für die Beurteilung dieses Ganzen kein 
anderer Maßstab bleibt als der des praktischen Wertes. 



79] Enter Teil: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 491 

daß dieselbe Annahme heute wahr und morgen falsch, ja zu der- 
selben Zeit wahr und falsch sein kann. Anch muß es, entsprechend 
den Graden der Nützlichkeit oder Schädlichkeiti Grade der Wahr- 
heit geben. Die Wahrheit eines Satzes kann zn verschiedenen 
Zeiten und an verschiedenen Orten verschieden groß sein, sie kann 
zu- und abnehmen wie der Barometerstand. 

Wendet man etwa ein, wahr sei nur dasjenige, was nicht nar 
zu dieser oder jener Zeit, sondern immer, nicht nar diesem oder 
jenem, sondern jedem Menschen, nicht nur in dieser oder jener, 
sondern in aller Einsicht nützlich ist, so verwickelt man sich nur 
in noch viel größere Absurditäten. Macht man nämlich selbst die 
Fiktion, daß es ein derartig universelles Nützliches überhaupt giebt, 
so bliebe doch die Entscheidung darüber, was als dieses Nützliche 
anzusprechen sei, jederzeit der Zukunft überlassen, und der letzte 
Mensch müßte gestorben sein, ehe es möglich wäre, daß sich 
irgend etwas als wahr erweisen könnte, ehe sich also auch nur 
das Eine als wahr behaupten ließe, daß, was wahr ist, nütz- 
lich seL^ 



^ „Absard" sind alle diese Konsequenzen deshalb, weU sich schlechterdings 
kein Sinn mit ihnen yerbinden läßt. Es l&ßt sich aber kein Sinn mit ihnen yer- 
binden, weU dem Begriff der Wahrheit die Zeitlosigkeit wesentlich ist. Man sagt 
wohl im täglichen Leben, eine Aassage über ein Ereignis sei „noch nicht** oder 
„nicht mehr** wahr, und diese Aosdracksweise hat ihren guten Sinn, wenn man 
sie nar recht versteht. Sagt man z. B., der Satz „Straßburg ist eine französische 
Stadt** sei zwar vor dem Jahre 1871 wahr gewesen, seitdem aber falsch, so ist 
eine solche Aussage nur ein ungenauer Ausdruck dafür, daß dem genannten Satze 
die 2ieitbe8timmung fehlt. Jede Aussage über einen in der Zeit stattfindenden 
Sachverhalt muß eine Zeitbestimmung enthalten; wo eine solche nicht explicite 
ausgesprochen wird, ist im allgemeinen zu ergänzen: „zu jeder Zeit**. Enthält 
eine Aussage diese erforderliche Zeitbestimmung, so ist diese Aussage entweder 
wahr schlechthin oder falsch schlechthin, nicht aber zu einer Zeit wahr, zu einer 
anderen falsch. Streng genommen darf man daher nicht einmal sagen, ein Urteü 
sei „za jeder Zeit wahr". Man kann mit einer solchen Redeweise viehnehr nur 



492 L' Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [80 

29. Aber es bedarf nicht einmal derartiger Erwägungen zur 
Widerlegung der Möglichkeit eines biologischen Wahrheitskriteriams. 
Denn anch für denjenigen, der in der Nützlichkeit nicht die Wahr- 
heit selbst, sondern nur ihr Eriterinm sieht, würde die Anwend- 
barkeit dieses Kriteriums die YoUendong eines anendlichen Re- 
gressus voraussetzen. Wer nämlich nach diesem Kriterium die 
Wahrheit einer Annahme feststellen wollte, der hätte die Auf- 
gabe, sich von der Nützlichkeit dieser Annahme zu überzeugen. 
Wie kann er das aber, da er, um diese Überzeugung zu gewinnen, 
nur vor die weitere Aufgabe gestellt wäre, sich von der Nütz- 
lichkeit dieser Überzeugung zu überzeugen, was wieder nur durch 
die Losung der entsprechenden weiteren Aufgabe geschehen konnte, 
imd so fort ins Unendliche. An der widersprechenden Forderung 
der Vollendung einer unendlichen Ercihe scheitert also unter allen 
Umständen das biologische Wahrheitskriterium. 



VL 

Das „transzendente Sollen" 
als erkenntnistheoretisches Kriterium. 

30. Der eben aufgedeckte Widerspruch ist nicht nur der biolo- 
gischen Form der Erkenntnistheorie eigentümlich; an ihm muß viel- 
mehr jeder Versuch scheitern, der darauf ausgeht, die Selbständig- 
keit und Eigenart der Objektivität des Erkennens aufzulösen und 
auf irgend etwas Sonstiges zurüchsuführen. Das liegt in der Natur 

sagen wollen, entweder, das Urteil sei wahr: dann ist diese Wahrheit etwas 
schlechthin Zeitloses; oder aher, der im Urteil aasgesagte Sachverhalt finde zu 
jeder Zeit statt: dann betrifft diese Zeitbestimmung nicht die Wahrheit des Ur- 
teils, sondern seine Materie. 



81] Erster Teil: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 493 

der Sache, und keine noch so künstliche Dialektik wird jemals 
etwas daran ändern. Wir wollen, om dies ganz deatlich za machen, 
noch einen anderen Versuch dieser Art besprechen. Es ist dies 
der Versuch, die Begriffe der Wahrheit und des Seins auf die 
praktischen Begriffe von Zweck und Wert zurückzuführen; ein 
Versuch, der von dem zuletzt besprochenen der biologischen Er- 
kenntnistheorie nur dadurch unterschieden ist, daß er an die Stelle 
der individuellen und gattungsmäßigen Triebe und Bedürfnisse 
allgemeine, der Zufälligkeit der Lebensumstände entzogene Forde- 
rungen setzt, die, als kategorisch geltende Normen, nicht mit der 
Unbestimmtheit imd Relativität des Nützlichkeitskriteriums be- 
haftet sind. 

Dieser Versuch liegt für denjenigen, der einmal in der er- 
kenntnistheoretischen Fragestellung befangen ist, sehr nahe. Man 
kommt zu ihm durch den folgenden Gedankengang: 

Urteilen ist nicht lediglich Vorstellen, wenngleich Vorstellungen 
dem Urteil zu Grunde liegen. Zum Urteil gehört außer einer 
Verbindung von Vorstellungen noch eine zu dieser Vorstellungs- 
verbindung hinzutretende Assertion. Diese Assertion ist es, die 
auf „Wahrheit" Anspruch erhebt, und nur sofern dieser Anspruch 
zu Recht besteht, erkennen wir durch das Urteil. Wie wir aber 
im Urteil die Vorstellungen verbinden, das hängt zunächst ledig- 
lich von unserer eigenen Willkür ab. Es muß also, wenn wir 
durch das Urteil erkennen wollen, irgend ein Prinzip geben, durch 
das der Wille bestimmt wird, gewisse Vorstellungsverbindungen 
zu bevorzugen und unter allen möglichen Urteilen eine Einschrän- 
kung zu treffen, derart, daß den einen die Assertion zuerteilt, den 
anderen aber verweigert wird. Ein solches den Willen bestim- 
mendes Prinzip kann aber nur eine Forderung sein. Forderungen 
sind also das Elriterium der Wahrheit der Urteile, und, da wir 

jkbhudlniigeii d«r FxiM*flcbea Sohnle. IL Bd. 32 



. 494 L« Nelson : Ober cUia sogenannte Erkenntnisproblem. [82 

nur dnrcli diese letzteren die Wirklichkeit erkexmesy mittelbar auch 
der Wirklichkeit. 

31. Dieses Ergebnis — wir wollen es, der Kürze halber, als 
die „teleologische Erkenntnistheorie^ bezeichnen — läßt nun weiter- 
hin eine zweifache Interpretation zu. Man kann näsüich, ähnlich 
wie wir dies beim biologischen Walirheitskriteriam gesehen haben, 
entweder dabei stehen bleiben, in dem Gefordertsein eines Urteils 
ein bloßes Kennzeichen seiner Wahrheit zu sehen, ohne die von der 
Forderung unabhängige Existenz der durch das Urteil erkannten 
Objekte in Zweifel zu ziehen imd in dem Urteil selbst etwas 
anderes zu sehen als das Mittel, dieses an und für sich vorhandene 
Objekt zu erkennen. — Oder aber man kann den weiteren Schritt 
tun und die Behauptung aufstellen, die Wahrheit eines Urteils 
bedeute nichts anderes, als daß die Forderung bestehe, das Urteil zu 
fällen. Der in einem Urteil „4 ist ^^ ausgesagte Sachverhalt 
besteht hiernach gar nicht unabhängig von dem Gefordertsein des 
Urteils; sein Stattfinden bedeutet vielmehr für den konsequenten 
Vertreter dieser Lehre gar nichts weiter, als daß die Forderung 
besteht, zu urteilen, Ä sei B. Ein Gegenstand Ä existiert, das 
soll lediglich heißen: das Urteil „^ existiert^ ist gefordert. 
Existenz ist somit ein Urteilsprädikat und nichts anderes; eine 
von den Urteilsforderungen unabhängige Existenz giebt es nicht. 

Beide Auffassungen finden wir in der gegenwärtigen Litteratur 
vertreten. Wir werden kaum fehlgehen, wenn wir Lipps als Ver- 
treter der ersten, Rickert als Vertreter der zweiten nennen. Frei- 
lich fehlt es, wie wir hinzufügen müssen, bei Lipps nicht an er- 
heblichen Eonzessionen an die radikalere Auffassung. 

32. Dieser letzteren giebt Rickert unzweideutigen Ausdruck, 
wenn er sagt: 

aWahrheit ist nichts anderes als die Anerkennung de» 



g3] Erster Teil: Die Unmöglichkeit der Er&enntnistheorie. 495 

Sollens.*^* »Das ,Seiende* oder die , Wirklichkeit* sind lediglich 
zusammenfassende Namen für das als so oder so seiend Beor- 
teilte. . . • Das Sein ist nichts, wenn es nicht Bestandteil eines 
Urteüs ist." 

Hier darf billig folgende Frage anfgeworfen werden: Wer 
,soll^ denn eigentlich arteilen? An wen richtet sich die Porde- 
nmg des Sollens? Wir wollen nicht so weit gehen, zn behaupten, 
daß es keinen Sinn habe, von einer Forderung zu sprechen, wenn 
nicht die Existenz irgend welcher Subjekte feststeht, an die die 
Forderung ergeht.* Das aber wird man schwerlich leugnen wollen, 
daß wenigstens die Möglichkeit solcher Subjekte nicht ausgeschlossen 
werden darf, wenn es Sinn haben soll, von dem Bestehen einer 
Forderung zu sprechen. Oder welchen Sinn hätte eine Forderung, 
in deren Natur es läge, sich an niemand zu richten ? Es muß also 
wenigstens die Denkbarkeit der Existenz eines Subjekts feststehen, 
ehe es Sinn hat, von einer Forderung zu sprechen. Die Existenz 
eines solchen Subjekts kann nun aber nach den eben angeführten 
£ickertschen Sätzen nichts anderes bedeuten als das Prädikat des 
Urteils „urteilende Subjekte existieren". Wer soll nim dies Urteil 
fallen? Offenbar niemand, da die Existenz eines urteilenden Sub- 
jekts selbst erst durch das Urteil möglich wird. Das Rickertsche 
Sollen ist also in der Tat eine Forderung, zu deren Begriff es ge- 
hört, von niemand etwas zu fordern. 



< „Der Gegenstand der Erkenntnis/ (Tübingen und Leipzig, 2. Auflage, 1904, 
S. 118.) 

• S. 120.' 

' Man vergleiche die Sätze von Lipps : .,Eine Forderung ist jederzeit einmal 
die Forderung von etwaSf d. h. da, wo eine Forderung besteht, giebt es jederzeit 
etwas, das fordert, oder einen fordernden Gegenstand. Zum anderen ist sie 
jederzeit eine an jemand ergehende Forderung.' (Archiv für die gesamte 
Psychologie, Bd. IX, S. 94 f.) 

32* 



496 L* l^elson: Über das sogenannte Erkemitnisproblem. [84 

33. Schwierigkeiten solcher Art gegenüber sucht Riceert sich 
zu helfen mit der Einfuhrnng seines Begriffs des ^Bewußtseins 
überhaupt*'. Aber mit diesem Begriff verwickelt er sich nur in 
neue Widersprüche. „Das Bewußtsein überhaupt ist das Subjekt, 
das bleibt, wenn wir das individuelle theoretische Ich ganz als 
Objekt denken."^ Es soll also durch diesen Ausdruck „nicht mehr 
das Individuum, sondern lediglich das^ bezeichnet werden, „was 
von keinem Standpunkte aus Objekt werden kann".* Hier wird 
natürlich jedermann fragen, wie Bickkbt ein Wissen von etwas 
haben und gar ein ganzes Buch über etwas schreiben kann, was 
per definitionem „von keinem Standpunkte aus Objekt werden 
kann". Und er legt sich diese Frage gelegentlich selbst vor. 
Aber was antwortet er? „Nicht das erkenntnistheoretische Sub- 
jekt selbst, sondern nur sein Begriff" werde in diesen erkenntnis- 
theoretischen Erörterungen zum Objekt gemacht.' Nun betont 
zwar RicKERT wiederholt, daß sein „Bewußtsein überhaupt" „keine 
Realität", sondern nur eine „Abstraktion", nur ein „Begriff" sei.^ 
Aber der Unterschied, der jederzeit zwischen einem Gegenstande 
und dem Begriff dieses Gegenstandes besteht, verschwindet auch 
dann nicht, wenn der Gegenstand selbst ein Begriff ist, und es ist 
daher genau zu unterscheiden, ob eine bestimmte Aussage sich auf 
einen Begriff Ä oder auf den Begriff des Begriffs A bezieht. 
Riceert vergleicht seinen Begriff des Bewußtseins überhaupt mit 
den mathematischen Begriffen, indem er hervorhebt, daß auch 
„deren Inhalt sich auf keine Wirklichkeit bezieht".* Nun wohl, 
ein gleichschenkliges Dreieck z. B. ist gewiß nichts Wirkliches in 
dem Sinne, daß es sich mit den Sinnen wahrnehmen ließe, sondern 
ein nur vermöge gewisser Abstraktionen vorzustellendes Gebilde. 

' S. 144. * S. 45 f. Ebenso S. 25 unten. > S. 154. 

* S. 29. 149. » S. 155 



861 Erster Teil: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 497 

Nichtsdestoweniger aber sind die Eigenschaften des gleichschenk- 
ligen Dreiecks auf das strengste zu unterscheiden von den Eigen« 
Schäften des Begriffs des gleichschenkligen Dreiecks. Der Mathe- 
matiker beweist den Satz: Die Basiswinkel des gleichschenkligen 
Dreiecks sind gleich. Hat es aber einen Sinn, zu sagen: Die 
Basiswinkel des Begriffs des gleichschenkligen Dreiecks seien 
gleich? Offenbar so wenig, wie ein Begriff überhaupt dreieckig 
sein kann. — Nun ist es gewiß erlaubt, auch über den Begriff 
eines Begriffs Aussagen zu machen, etwa die Aussage, daß er 
widerspruchsfrei ist, oder daß er einen anderen Begriff als Merk- 
mal enthält, oder daß er einen erfüllten oder leeren Umfang hat. 
Wenn aber Sickert beispielsweise sagt, das Bewußtsein überhaupt 
sei ein urteilendes, nicht ein bloß vorstellendes Bewußtsein^ so ist 
der Gregenstand dieser Aussage das Bewußtsein überhaupt, nicht 
der Begriff des Bewußtseins überhaupt, und es wird daher mit 
dieser Aussage in der Tat das zum Objekt gemacht, was als 
dasjenige definiert war, das nriemdls zum Objekt gemacht werden 
kann. 

34. Der Fehler, der Rickebt zu seiner Einführung des „Be* 
wußtseins überhaupt^ veranlaßt hat, ist übrigens leicht zu über- 
sehen. Er kommt hierzu durch die Fragestellung: „Was bleibt 
als Subjekt übrig, wenn das individuelle Ich als Objekt angesehen 
wird?"* Bei der Beantwortung dieser Frage macht er ohne 
weiteres die Voraussetzung, daß das individuelle Ich sich nicht 
selbst als Objekt erkennen könne, daß also dasjenige Subjekt, das 
das individuelle Ich zum Objekt hat, ein von diesem individuellen 
Ich verschiedenes sein müsse. „Selbstwahmehmung oder Selbst- 
beobachtung im strengen Sinne sind widerspruchsvolle Be- 

» 8. 147. • S. 146. 



498 L* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [8g 

griffe. ^^ Diese Annahme aber ist völlig nngerechtfertigt und nur 
durch folgende Verwechslung entstanden. Die Erkenntnis eines 
Objekts ist jederzeit von dem Objekt der Erkenntnis verschieden, 
und zwar auch in dem Falle, wo das Ich selbst Objekt der Er- 
kenntnis wird. Unterscheidet man nun nicht scharf genug zwischen 
der Erkenntnis und dem Subjekt der Erkenntnis, verwechselt man 
den Gegensatz des Erkennens und des Erkannten mit dem Gegen- 
satz des Erkennenden und Erkannten, so muß man folgerichtig zu 
der Behauptung der notwendigen Verschiedenheit von Erkennendem 
und Erkanntem, von Subjekt und Objekt der Erkenntnis gelangen, 
also zu der Behauptung der Unmöglichkeit der Identität von Sub- 
jekt und Objekt, zur Leugnung der Möglichkeit einer Selbster- 
kenntnis. Und so scheint dann die Möglichkeit, das individuelle Ich 
zum Gegenstande der Erkenntnis zu machen, ein überindividuelles 
Ich vorauszusetzen. Die Verwechslung des Erkennens mit dem 
Erkennenden aber vollzieht sich bei Rickert durch die Zweideutig- 
keit, in der er das Wort „Bewußtsein" gebraucht.* 

35. Der Widersinn in den ersten Grundlagen dieser Lehre 
läßt sich am einfachsten folgendermaßen darlegen. Riceerts vor- 
hin zitierter Satz: „Wahrheit ist nichts anderes als die Anerken- 
nung des Sollens^ kann, sofern er selbst auf Wahrheit Anspruch 
erhebt, nichts anderes bedeuten als das Urteil: „Es soll ge- 
urteilt werden: Wahrheit ist nichts anderes als die Aner- 



^ „Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildong.** (Tübingen o. 
Leipzig, 1902.) S. 171. 

^ Derselbe Fehler kommt bei Lipps vor: „Das gegenwärtige Ich ist nicht 
Gegenstand. ... Es kann nicht Objekt sein, da es das Subjekt ist für alle Ob- 
jekte." (Psychologische Untersuchungen, 1. Band, 1. Heft, Leipzig 1905, S. 43.) 
— Umgekehrt wird Seite 17 geschlossen: „Fällt demgemäß hier das Erlebte in 
das erlebende Ich hinein, so fällt eo ipso auch das Erleben und das Erlebte im 
Ich zusammen.'' 



87] Erster Teil: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 499 

kennnng des Sollens.^ Was aber heißt: „Es soll genrteilt 
werden^? Nach Rickert offenbar nichts anderes als: „Es soll 
gearteilt werden: ,Es soll gearteilt werden/^ Und so fort 
in einer anendlichen Keihe, die wiederom vollendet vorliegen 
möBte, ehe es möglich wäre, mit dem Satze „Wahrheit ist nichts 
anderes als die Anerkennang des SoUens" einen Sinn zn ver- 
binden. 

Der Grand der ünvermeidlichkeit dieses anendlichen Regressos 
läßt sich leicht einsehen. Der Aasdrack j,A existiert^ wird von 
Bjckert darch den Satz definiert: i^Es soll gearteilt werden: A 
existiert.^ Es maß aber immer möglich sein, für einen definierten 
Aasdrack seine Definition einzasetzen; denn nar vermöge dieser 
Definition hat ja der Aasdrack einen Sinn. Nnn kommt in dem 
Satze: „Es soll gearteilt werden: A existiert^ der Aasdrack 
„existieren*' vor. Setzen wir also, am ans den Sinn des Satzes 
klar zn machen, für den Aasdrack „existiert^ seine Definition ein. 
Wir erhalten dann den Satz: „Es soll gearteilt werden: ,Es soll 
gearteilt werden: A existiert/" Indem wir dieses Verfahren 
wiederholen, erhalten wir darch fortgesetzte Einsetzung der De- 
finition in den zaletzt gewonnenen Satz eine nnvoUendbare Reihe 
von Aassagen, deren jede erst darch die nächstfolgende ihren Sinn 
erhält. Die UnvoUendbarkeit dieser Reihe hat zur Folge, daß der 
Versach, sich den Sinn der Rickertschen Erklärung der Existenz 
klar zn machen, xmaasführbar ist. Und dies rührt daher, daß die 
Erklärung keinen Sinn hat Sie hat aber keinen Sinn, weil sie 
eine Zirkeldefinition ist, d. h. eine solche, in der der zu erklärende 
BegrifP selbst vorkommt. 

36. Und wie steht es mit der Auffassung, nach der die Wahr- 
heit eines Urteils in der Forderung nicht ihre Bedeutung, sondern 
nur ihr Kriterium hat? Um zu wissen, daß ein Sachverhalt S 



500 L- Nelson: Über das sogenannte ErkenntnisproUenu [gg 

stattfindet, mnß ich hiernach wissen, daß die Forderung besteht, 
zn arteilen, S finde statt. Um also beispielsweise za wissen, daß 
das Kriterinm der Wahrheit eines Urteils in einer Forderung be- 
steht, muß ich wissen, daß die Forderong besteht, zn nrteilen: ^Das 
Kriterium der Wahrheit eines Urteils besteht in einer Forderung.* 
Wie aber kann ich dieses wissen? Woher weiß ich, daß der eben 
ausgesprochene Satz über das Bestehen der Forderung wahr ist ? Nor 
daher, daß ich weiß : es besteht die Forderung, diesen Satz als wahr 
zu beurteilen. Von dem Bestehen dieser Forderung aber kann ich 
wiederum nur wissen, insofern ich weiß, daß die Forderung be- 
steht, zu urteilen, es bestehe diese Forderung. Und so fort wieder- 
xmi in einem unendlichen Regressus, der vollendet vorliegen mfißte, 
wenn es möglich sein sollte, zu wissen, daß das Kriterium der 
Wahrheit eines Urteils in einer Forderung besteht. — 

37. Wir wollen vorerst noch etwas bei dem (in § 30 darge- 
legten) beiden Auffassungen gemeinschaftlichen Grrundgedanken ver- 
weilen. Dieser Gedanke hat zur wesentlichen Voraussetzung die 
— bewußt oder unbewußt zu Grunde gelegte — Annahme, Er- 
kenntnis könne nur in Urteilen bestehen.^ Und wer diese Annahme 
zugiebt, der wird sich in der Tat den dargelegten Konsequenzen 
schwerlich entziehen können. Das Urteil hängt nämlich in zwei- 
facher Hinsicht vom Willen ab. Erstens, insofern es im Bereiche 
unserer Willkür steht, welche Vorstellungen wir im Urteil mit- 
einander verbinden. Und zweitens, weil wir nur insofern wahre 
Urteile fällen, als es in unserer Absicht liegt, nicht nur dieses 
oder jenes zu denkettj sondern durch das Urteil zu erkennen. Er- 
kenntnis durch Urteile ist nur dadurch möglich, daß wir erkennen 



» Vgl. Ltpps: Psychologische Untersuchungen, Band 1, Heft 1, S. 62, 121; 
RiCKERT: Der Gegenstand der Erkenntnis, S. 103, 106, 164, 169. 



89] Erster Teil: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 501 

wollen^ setzt also in der Tat einen Willen zur Wahrheit als Be- 
dingong ihrer Möglichkeit voraus. 

Aber die Frage ist: worauf gründet sich unser Wissen von 
der Abhängigkeit des Urteils vom Willen? Niemand kann dieses 
Wissen aus einer anderen Quelle schöpfen als aus seiner eigenen 
inneren Erfahrung. Wir finden diese Abhängigkeit des Urteils vom 
Willen als eine Tatsache in unserem Innern. Niemand kann eine 
logische Notwendigkeit oder ein metaphysisches Argument nam- 
haft machen, das uns zu ihrer Annahme zwingen könnte. Es ist 
wichtig, dies festzuhalten, um sich nicht darüber zu täuschen, daß 
es eine psychologische Beobachtung ist, die man der Erkenntnis- 
theorie zu Grunde legt, wenn man diese auf die Behauptung der 
Abhängigkeit des Urteils vom Willen gründet. Wer aber die 
Psychologie als zuständige Instanz in erkenntnistheoretischen Din- 
gen anerkennt, darf nicht zugleich von der Annahme ausgehen, 
daß Erkenntnis nur in Urteilen bestehen könne. Ja wer auch nur 
soviel zngiebt, daß die Erkenntnistheorie sich mit den Tatsachen 
der inneren Erfahnmg nicht in Widerspruch setzen darf, wird diese 
Annahme fallen lassen müssen. Denn die innere Erfahrung zeigt 
uns als Tatsache das Vorkommen von Erkenntnissen, denen die 
erwähnten dem Urteil wesentlidien Eigenschaften fehlen. Solche 
Erkenntnisse sind z. B. die sinnlichen Wahrnehmungen. In der 
sinnlichen Wahrnehmung liegen nicht verschiedene Vorstellungen, 
die schon vor der Wahrnehmung vorhanden waren und in der 
Wahrnehmung nur mit einander verbunden werden, wie es doch 
sein müßte, wenn die Wahrnehmung ein Urteil sein sollte. Und 
in der Wahrnehmung läßt sich nicht eine bloße Vorstellungsver- 
bindung von einer zu dieser hinzutretenden Assertion unterscheiden, 
was doch auch der Fall sein müßte, wenn die Wahrnehmung ein 
Urteil wäre. Auch hängt die Wahrnehmung nicht vom Willen ab. 



502 ^' Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [90 

— Daß aber trotzdem die Wahmehmnng eine ErJcenntnis ist, das 
ist daraus ersichtlicli, daß sie sieh von „bloßen Vorstellnngen^ aufs 
deutlichste durch den ihr eigentümlichen assertorischen Charakter 
unterscheidet. Bloße Erinnerungsbilder und Phantasievorstellungen 
sind problematisch und weder wahr noch falsch; Wahrnehmungen 
dagegen enthalten eine Assertion, wenngleich es nicht möglich ist, 
diese Assertion, wie beim Urteil, von dem übrigen G-ehalt der 
Wahrnehmung zu isolieren.^ 

38. Die Verwechslung von Erkenntnis und Urteil ist also der 
fundamentale Fehler auch der teleologischen Erkenntnistheorie. Denn 
mit dem Satze, Erkenntnis sei nur in Urteilen möglich, fallt auch 
der Satz von der Abhängigkeit alles Erkennens vom Willen. Wir 
werden, wenn vnr dies beachten, auch dem „Gefühl der Urteils- 
notwendigkeit", wie es Rickert, und dem „Erleben der Forderun- 
gen", wie es Lipps nennt, eine ganz andere Bedeutung geben müssen. 
Das angebliche Gefühl des Sollens, das angebliche Erleben von 
Forderungen ist nur das Ergebnis einer mangelhaften Selbstbe- 
obachtung. Bei genauerer Beobachtung finden wir vielmehr Fol- 
gendes. Angenommen, ich blicke aus dem Fenster hinaus und 
werde gefragt, ob der Himmel augenblicklich bewölkt sei, und ich 



^ Wer es vorzieht, die Wahrnehmong auch als „Urteil'' zu hezeidhneti^ kann 
natürlich daran nicht gehindert werden. Nor wird er aus dieser Bezeichnung 
nicht schließen dürfen, daß der Wahrnehmung irgend eine Eigenschaft zukommt, 
die dasjenige Gebilde charakterisiert, das der sonst übliche Sprachgebrauch als 
Urteü bezeichnet. Vielmehr wird er streng zwischen zwei gänzlich verschiedenen 
Klassen von „Urteilen*' zu unterscheiden haben; nämlich zwischen solchen, die 
eine willkürliche Verbindung von Begriffen und eine zu dieser Verbindung hinzu- 
tretende Assertion enthalten, und solchen, die weder vom Willen abhängen, noch 
Begriffe enthalten und zu denen z. B. die Wahrnehmungen zu rechnen sind. — 
Es ist aber jederzeit ratsam, eine schon im gewöhnlichen Sprachgebrauch liegende 
Unterscheidung nicht ungenutzt zu lassen, statt ohne Not zu Mißverständnissen 
und Verwechslungen Anlaß zu geben. 



91] Erster Teil: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 603 

antworte mit dem Urteil: Ja, der Himmel ist bewölkt. Was er- 
kbe ich hierbei? Zimächst die darch die Frage in mir angeregte 
Absicht, zn antworten, d. h. den Willensentschlaß, den dem Fra- 
genden problematischen Sachverhalt darch ein wahres Urteil za 
entscheiden. Hierbei fühle ich mich genötigt, der Yerbindong der 
Vorstellimgen des Himmels nnd der Bewölktheit die Assertion zn 
erteilen. Und was nötigt mich hierzn? Die in meiner sinnlichen 
AnschannDg enthaltene unmittelbare Erkenntnis des fraglichen 
Sachverhalts in Verbindung mit meiner Absicht, der Wahrheit ge- 
mäß zn urteilen. Denn dieses „der Wahrheit gemäß urteilen" ist 
nicht anders möglich als durch die Assertion derjenigen Vor- 
Stellungsverbindung, die eine mittelbare Wiederholung dessen ent- 
hält, was mich die unmittelbare Anschauung als wahr erkennen läßt. 

Von einer „Forderung" kann hierbei nur insofern die Rede 
sein, als mein Entschluß, ein wahres Urteil über einen Gegenstand 
zu fällen, zufolge des eben G-esagten nur durch die Vollziehung 
und Assertion einer ganz bestimmten Vorstellungsverbindung 
ausführbar ist, also die Forderung dieser Vollziehung und Assertion 
in sich schließt. Aber diese Forderung ist nicht^ die kategorische 
Forderung, ein bestimmtes Urteil zu fällen, sondern die nur hypo- 
thetische Forderung, die sich etwa formulieren läßt: Wenn ich 
ein wahres Urteil über einen Gegenstand fällen will, so bin ich 
genötigt, eine Assertion derjenigen Vorstellungsverbindung zu voll- 
ziehen, durch deren Assertion meine unmittelbare Erkenntnis des 
Gegenstandes mittelbar wiederholt wird. Die in diesem Satze 
formulierte Notwendigkeit kann nur in sehr übertragenem Sinne 
als eine „Forderung" bezeichnet werden. Denn diese Notwendig- 



1 Wie BiCKEBT (Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildong, S. 697) 
behauptet 



504 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [92 

keit ist keine praktische, sondern eine rein logische, nämlich ana- 
lytische, da der Nachsatz nichts weiter enthalt als eine Explizie- 
rang dessen, was darch den Vordersatz bereits gegeben ist. Aller- 
dings wird durch den Vordersatz ein Zweck bezeichnet; aber dieser 
Zweck ist ein solcher, den ich mir durch einen eigenen Willens- 
entschluß vorsetze, nicht ein unabhängig von meinem Willen ge- 
forderter. Daß ich also überhaupt urteile, ist lediglich Sache meiner 
Willkür, nicht Sache einer durch eine Forderung oder ein Sollen 
begründeten Pflicht.^ Und die Richtschnur dafür, toie ich urteile, 



^ Man yergleicbe bierzn die folgenden S&tze von Lipps (Archiv für die ge- 
samte Psychologie, Band IX, S. 94): 

„Ich ,kannS wenn ich die UrteUe fUle, die ich als Prämissen eines Schlosses 
bezeichne, das Schlaßurteil f&Uen, ich ,kann' es aber auch unterlassen. Aber ich 
darf nicht ein gegenteUiges SchloßorteU f&llen. Statt nun zu sagen, ich darf das- 
selbe nicht fäUen, sage ich auch, es ist mir verboten, es zu fällen. Jedes Ver- 
bot aber ist eine Forderung oder ein Gebot, oder genauer gesagt, es ist die Kehr- 
seite einer Forderung oder eines Gebotes; ist mir verboten, mich zu bewegen, so 
ist mir geboten oder es ist von mir gefordert, daß ich in Ruhe bleibe. So nun 
ist auch, wenn mir verboten ist, ein UrteU zu fällen, das einem anderen Urteüe 
widerspricht, von mir gefordert, daß ich jenes erstere UrteU fälle. ** 

Diese Sätze enthalten mehrere Fehler der Selbstbeobachtung. Warum „darf^ 
ich „nicht** ein gegenteUiges Schlußurteü fällen? Auf diese Frage kann offenbar 
nur geantwortet werden: weü das gegenteilige SchlußurteU falsch wäre. Diese 
Antwort läßt sogleich erkennen, daß das „Nicht-Dürfen" nur hypothetisch gflt, 
nämlich nur fiir demjenigen, der richtig urteilen toill. 

Femer ist jedes Verbot allerdings eine Forderung; nämlich die Forderung, 
das nicht zu tun, was verboten ist. Die Forderung, etwas zu unterlassen, d. L 
es nicht zu tun, schließt aber an sich niemals die Forderung ein, etwas anderes 
zu tun. Um die positive Forderung einer Handlung h aus dem Verbot einer 
Handlung a abzuleiten, dazu gehört stets noch die weitere Voraussetzung, daß 
überhaupt eine von beiden Handlungen, a oder &, stattfinden solle. In unserem 
Falle also: Ist mir verboten, ein Urteü a zu fällen, so enthält dieses Verbot 
zwar die Forderung, das UrteU a nicht zu fäUen, nicht aber die Forderung, das 
dem Urteil a widersprechende Urteil h zu fällen. Diese letzte Forderung setzt 
vielmehr, um aus dem Verbot des UrteUs a abgeleitet werden zu können, die 
weitere Forderung voraus, daß überhaupt über den fraglichen Sachverhalt gewrteUt 



93] Erster Teil: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 505 

wird ebensowenig durch eine Forderung oder durch ein Sollen ge- 
geben, sondern vielmehr ausschließlich durch den Inhalt meiner 
unmittelbaren Erkenntnis. Auch hängt dieser Inhalt nach dem 
bereits Erörterten nicht von meinem Willen ab. Von meinem 
Willen hängt lediglich ab: einmal, daß ich überhaupt urteile, und 
femer, daß ich mich in meinem Urteile nach meiner unmittelbaren 



ioerden 8olL Ohne Voraussetzung der Forderung, hier überhaupt zu urteilen 
l&fit sich aus dem Verbot des Urteils a schlechterdings nicht das Gebot des 
Urteils b ableiten; denn das fragliche Verbot wird auch im Falle der Urteils- 
efUhaÜung nicht übertreten. 

Das Irrefuhrende, das im Falle des Urteilens so leicht dazu verleitet, von 
dem Stattfinden eines Verbots auf das Stattfinden eines positiven Gebots zu 
schließen, liegt in folgendem Umstand. Zwei Urteile von der Form „S ist P*' 
und nS ist nicht P'* stehen allerdings in kontradiktorischem Gegensatze, so daß 
aus der UngüUigheit des einen auf die OüUigkeit des anderen geschlossen werden 
kann und umgekehrt. Die Handlung a aber, die im Fällen des Urteils „iS ist P** 
besteht, steht keineswegs in kontradiktorischem Gegensatze zu der Handlung &, 
die im Fällen des widersprechenden Urteils besteht. Aus dem Unterlassen der 
Handlung a kann nicht auf das Tun der Handlung h geschlossen werden, sondern 
es können beide Handlungen unterbleiben. Und so ist es auch unstatthaft, aus 
der Forderung der Unterlassung von a die Forderung des Tuns von b abzuleiten. 
Ein Widerspruch besteht auch hier stets nur zwischen dem Gefordertsein von a 
und dem Kicht-Gefordertsein von a ; nicht aber zwischen dem Gefordertsein von a 
und dem Gefordertsein von b. Dies wird leicht übersehen, und so wird man dazu 
geführt, den kontradiktorischen Gegensatz zweier Urteile für einen kontradikto- 
rischen Gegensatz des Gefordertseins dieser Urteile zu nehmen und so aus dem 
Verbot der Fällung eines Urteils das Gebot der Fällung des widersprechenden 
Urteils ableiten zu wollen. Ist mir verboten, mich zu bewegen, so ist mir freilich 
geboten, mich nicht zu bewegen; und ist mir geboten, mich nicht zu bewegen, 
so ist von mir gefordert, in Ruhe zu bleiben; denn dies sind alles nur verschie- 
dene Ausdrücke für dieselbe Sache. Analog müssen wir sagen: Ist mir verboten, 
ein Urteil zu fällen, das einem anderen Urteil widerspricht, so ist mir geboten 
oder es ist von mir gefordert, das Urteil nicht zu fallen; nicht aber: es ist von 
mir gefordert, das widersprechende Urteil zu fällen. Wer auf die letztere Weise 
schließt, könnte ebensogut folgendermaßen schließen : Ist mir verboten, im Nicht- 
Bancher-Wagen zu rauchen, so ist mir geboten, im Raucher- Wagen zu rauchen. 
Tertium non daturl 



506 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [94 

Erkenntnis richte, daß ich in Über einstimm ang mit dem in ilir 
Enthaltenen urteile. Ich tue aber dieses letztere danmii weil 
^wahr urteilen^ für mich nichts anderes heißen kann als: so 
urteilen, daß das Urteil eine Erkenntnis ausspricht, d. h. also, 
daß es den Inhalt einer unmittelbaren Erkenntnis wiederholt. 

Indem diese zwei Dinge : einerseits der Bestimmungsgrund 
zum Urteilen überhaupt, andererseits die Richtschnur für den Inhalt 
des Urteils, nicht gehörig unterschieden werden, kommt die Ver- 
wechslung zu stände, durch die der Wert des Urteils zum Krite- 
rium seiner Wahrheit gemacht wird. Allerdings hat das Urteil 
einen Wert für den Urteilenden. Aber das Kriterium der Wahr- 
heit des Urteils liegt nicht in diesem Werte, sondern in der 
unmittelbaren Erkenntnis, die durch das Urteil wiederholt wird. 
Der Wert des Urteils ist daher ein für seine Wahrheit völlig 
unwesentliches Moment. 

39. Dieser Fehler aber ist eine notwendige Folge jenes anderen 
der Verwechslung von Erkenntnis und UrteiL Denn wenn die 
Richtschnur für den Inhalt des Urteils nicht immer wieder in 
anderen Urteilen liegen soll, — was auf den schon früher erör- 
terten unendlichen Regreß führen würde, — so kann, unter der 
Voraussetzung, daß Erkenntnis nur in Urteilen besteht, diese 
Richtschnur zuletzt nur eine solche sein, die nicht selbst in einer 
Erkenntnis liegt. Es bleibt daher nichts übrig, als sie in dem 
den Willen bestimmenden Wert des Urteils zu suchen. 

Aber hier muß die Frage gestellt werden: Woran erkennen 
wir denn diesen Wert, der ein Urteil vor seinem kontradiktorischen 
Gegenteil auszeichnet ? Offenbar nicht wieder durch Urteile ; denn 
dies würde uns nur auf den unendlichen Regreß zurückführen. Giebt 
es aber keine andere Erkenntnis als das Urteil, so folgt, daß wir 
diesen Wert überhaupt nicht zu erkennen vermögen. Können wir ihn 



95] Erster Teil: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 507 

aber nicht erkennen, so kann er auch nicht als Kriterium der 
Wahrheit dienen. An dieser Stelle liegt der innere Widerspruch 
der teleologischen Erkenntnistheorie. 

40. Diesem Widerspruch sucht der teleologische Erkenntnis- 
theoretiker zu entgehen, indem er das fingierte „Gefühl des SoUens" 
oder das „Erleben der Forderung^ einführt. Dieses Gefühl oder 
Erleben soll eingestandenermaßen kein Urteil sein.^ Aber mit 
diesem Zugeständnis ist bereits der ganzen Theorie der Boden ent- 
zogen. Denn entweder dieses Gefühl oder Erleben soll eine Er- 
kenntnis sein: dann fallt der Satz, daß Erkennen nur in Urteilen 
möglich ist; der Satz also, der der ganzen Theorie als Ausgangs- 
punkt gedient hat und ohne dessen Zugrundelegung diese Theorie 
gar nicht hätte zu stände kommen können. Oder aber dieses Ge- 
fühl oder Erleben soll Jceine Erkenntnis sein: dann ist das Sollen 
oder die Forderung unerkennbar, und es fällt daher der Satz, daß 
das Kriterium der Wahrheit im Sollen oder in der Forderung 
liegt; der Satz also, der den wesentlichen Inhalt der in Frage 
stehenden Theorie ausmacht. 

Dieser Widerspruch bleibt bestehen, mag man in dem Ge- 
fordertsein eines Urteils nur das Kriterium oder auch die Be- 
deutung seiner Wahrheit sehen. 



Anmerkung zum VI. Kapitel: 
Der erkenntnistheoretische Idealismus. 
41. Noch in einer weiteren Hinsicht kann uns die Kritik der 
ßickertschen Erkenntnistheorie lehrreich sein. Die typischen Trug- 
schlüsse nämlich, die zu allen Zeiten idealistische Lösungsversuche 



* Man vgl. z. B. Lirrs, Psychologische Untersachuogen, Bd. 1, Heft 1, S. 85. 



508 L* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [96 

des „Erkenntnisproblems^ begünstigt haben, sind bei Rickebt nicht 
wie sonst so häufig durch eine verschwommene und unklare Dar- 
stellungsweise verschleiert, sondern treten bei ihm in so durch- 
sichtiger Form hervor, daß es sich lohnt, an dem Beispiel seiner 
Erkenntnistheorie auch diesen Fehler zu erörtern. 

Als das „Grundproblem der Erkenntnistheorie" definiert Rickebt 
natürlich das „Problem der Transzendenz".^ Er geht dabei aus 
von dem Satze : „Die transzendente Existenz der Dinge ist nicht un- 
mittelbar gewiß, sondern, wenn sie angenommen wird, erschlossen."' 
„Wenn sie aber erschlossen ist, so muß die Erkenntnistheorie 
prüfen, auf welche Gründe dieser Schluß sich stützt."' Worauf 
stützt aber Rickert die Behauptung, daß die transzendente Existenz 
der Dinge „nicht unmittelbar gewiß" sein könne? Wir finden 
hierfür keine andere Begründung als die im folgenden Satze aus- 
gesprochene: „Wir stellen fest, daß alle ,Dinge' aus Bestandteilen 
zusammengesetzt sind, die man als Zustände des Bewußtseins auf- 
fassen kann, und daß ohne weiteres nichts verbürgt, daß die Dinge 
noch etwas anderes sind."* „Wir finden", sagt er an anderer 
Stelle, „daß aUes, was wir erfahren oder erleben, aus Bewußtseins- 
vorgängen besteht."* 

Was versteht Rickert in diesen Sätzen unter „Bewußtsein"? 
Es ist wichtig, zu beachten, daß er sich auf das Entschiedenste 
dagegen verwahrt, mit diesem Ausdruck etwas Psychisclies be- 
zeichnen zu wollen. „Von dem psychologischen Subjekt ist dieses 
Bewußtsein sorgfältig zu unterscheiden."* „Das individuelle Ich 
ist mit dem erkenntnistheoretischen Subjekt und deni Bewußtsein, 
als dessen Inhalt die Welt gelten kann, so wenig identisch, daß 

» Der Gegenstand der Erkenntnis, S. 16. ' S. 19. » S. 19. * S. 19. 
^ Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begrifisbüdong, S. 165. 
• Grenzen d. n. B. S. 172. 



97] Erster Teil: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 509 

es für dieses Subjekt lediglich ein Objekt unter anderen Objekten 
ist."^ »Aas dem Satze, nach dem jede uns bekannte Wirklichkeit 
ein BewußtseinsYorgang ist, darf nicht geschlossen werden, daß 
sie ein psychischer Vorgang ist.''* 

Was ist denn nun aber das „Bewußtsein^, als dessen Inhalt 
die Welt zu gelten hat? Es ist nach Eicejcbt „nur der Name für 
alle in der Erfahrung gegebene Wirklichkeit"*, es ist „nichts 
anderes als das allen immanenten Objekten Gremeinsame. Es ist 
gewissermaßen [?] nur ein anderer Name für das einzige uns un- 
mittelbar bekannte Sein.'^^ 

Setzen wir also diese Definition in den vorhin angeführten 
Satz ein, der die G-rundlehre des erkenntnistheoretischen Idealismus 
ausspricht. Dieser Satz lautet dann: 

„Wir stellen fest, daß alle ,Dinge* aus Bestandteilen zu- 
sammengesetzt sind, die man als Zustände der in der Erfahrung 
gegebenen Wirklichkeit auflFassen kann, und daß ohne weiteres 
nichts verbürgt, daß die Dinge noch etwas anderes sind. Wir 
finden, daß alles, was wir erfahren oder erleben, aus Vorgängen 
des einzigen uns unmittelbar bekannten Seins besteht." 

Bei dieser Formulierung — die sich von der Eickertschen 
lediglich dadurch unterscheidet, daß wir die von Eickebt gegebene 
Definition an die Stelle des definierten Wortes gesetzt haben — 
wird die idealistische Tragweite des Satzes einigermaßen proble- 
matisch. Was „stellen*^ wir denn eigentlich in diesem Satze „fest"? 
Was „finden" wir in ihm? Wir „finden" in der Tat nichts 
anderes als einen neuen Namen für eine alte Sache: nämlich den 
Namen „Bewußtsein", der im gewöhnlichen Sprachgebrauch etwas 
Psychisches bezeichnet, für etwas Nicht-Psychisches. Wir sprechen 



» Grenzen d. n. B. S. 174. « Ebenda S. 174. » Ebenda S. 175. 

* Gegenstand d. K S. 29. 

AbhudlutMi d«r Friw*ic)iaB Scknlt. n. Bd. 33 



510 L- Nelson : Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [98 

den idealistisch klingenden Satz aus, daß alles nns bekannte Sein 
nur Bewußtseinsinhalt ist, verstehen aber dabei unter „Bewußt- 
sein'* das uns bekannte Sein. Wir „finden" also wirklich nichts 
anderes, als daß alles uns bekannte Sein nur das uns bekannte 
Sein ist. Sollte mit dieser „Feststellung" wirklich eine Lösung 
der „erkenntnistheoretischen Grundfrage" angebahnt sein? 

RiCKERTs „idealistische" Lösung des Erkenntnisproblems ist 
nichts als ein Spiel mit Worten. Es wird die Frage gestellt: 
„Existiert eine vom erkennenden Bewußtsein unabhängige Wirk- 
lichkeit?"^ Die Antwort lautet: „Wird der Begriff des Bewußt- 
seins so gefaßt, wie er in der Transzendentalphilosophie allein 
gefaßt werden darf, so giebt es keinen Grund, der uns zur An- 
nahme einer transzendenten Wirklichkeit zwingen könnte."^ Be- 
weis : Wir stellen fest, daß es keinen Grund giebt, der uns zu der 
Annahme zwingen könnte, es gäbe ein anderes Sein, als dasjenige, 
zu dessen Annahme wir einen Grund haben. Dieses Sein, zu dessen 
Annahme wir einen Grund haben, d. h. alles erkennbare oder be- 
kannte Sein, möge „Bewußtsein" genannt werden. Dann folgt un- 
mittelbar, daß es keinen Grund giebt, der uns zu der Annahme 
eines vom Bewußtsein unabhängigen (transzendenten) Seins zwingen 
könnte; und der Satz: „Die Welt ist Bewußtseinsinhalt"' ist un- 
widerleglich bewiesen. 

Auf solche Weise läßt sich mühelos alles Beliebige beweisen. 
Ein Geograph werde gefragt, ob es in der Gegend des Nordpols 
bewohnbares Festland gebe. Die erkenntnistheoretische Methode 
nachahmend, wird er etwa antworten können: Die bisher unter- 
nommenen Expeditionen, die den Zweck hatten, die Gegend des 
Nordpols zu erforschen, haben kein Ergebnis zu Tage gefördert, 



Gegenstand d. £. S. 8. < Ebenda S. 86. ' Ebenda S. 86. 



99] Erster Teil: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 511 

das zu einer bejahenden Beantwortung der Frage berechtigen 
könnte. Aber diese Expeditionen waren völlig überflüssig, denn 
die Frage läßt sich ohne alle Mühe auf dialektischem Wege ent- 
scheiden. Wird nämlich der Begriff des bewohnbaren Festlandes so 
gefaßt, wie er in der Polarforschung allein gefaßt werden darf, 
.80 giebt es keinen Grrund, der uns zum Zweifel an der Tatsache 
zwingen könnte, daß es in der Gegend des Nordpols bewohnbares 
Festland giebt. Wir setzen zu diesem Zwecke einfach fest, daß 
unter dem Ausdruck „bewohnbares Festland^ nicht das verstanden 
werden soll, was nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch dar- 
miter zu verstehen ist, sondern vielmehr jeder Teil der Erdober- 
fläche. Aus dieser Festsetzung folgt unmittelbar und unwider- 
leglich, daß es in der G-egend des Nordpols bewohnbares Festland 
geben muß. — 

42. Der eigentliche Fehler, der der Rickertschen Argumenta- 
tion zu Grunde liegt, ist aber noch ein anderer. Erst aus ihm 
läßt sich verstehen, wie Rickert auf den dargelegten Trugschluß 
verfallen ist. Rickert stellt den „Satz der Immanenz'^ auf, „wo- 
nach alles, was für mich da ist, unter der allgemeinsten Bedingung 
steht, Tatsache meines Bewußtseins zu sein," und er schließt daran 
die Frage, mit welchem Rechte man einen Gegenstand annimmt, 
„der nicht Bewußtseinstatsache oder Bewußtseinsinhalt ist*.^ »Daß 
jedes unmittelbar gegebene Objekt, also auch die Körperwelt, so 
weit wir sie erfahren haben, notwendig zu denken ist in Bezug 
auf ein Subjekt, das ist ein Satz, der in keiner Erkenntnistheorie 
gänzlich fehlt, und gegen den sich auch kaum etwas wird einwenden 
lassen. Wird nun aber dieses Subjekt, wie üblich, mit dem Be- 
wußtsein gleichgesetzt, so folgt daraus auch, daß die gegebenen 



' Ebenda S. 19 f. 

33^ 



512 L. Nelson: über das sogenannte Erkenntnisproblem. [IQO 

Körper nur für ein Bewußtsein oder als Vorgänge ,im' Bewußtsein 
existieren."^ — Man beachte das in beiden Zitaten vorkommende 
„oder**. Lassen wir die Worte „oder Bewußtseinsinhalt" und „oder 
als Vorgänge ,im' Bewußtsein" weg, so behalten wir lediglich eine 
Tautologie übrig. Was kann der Satz: Etwas ist „für mich da" 
anderes heißen als: Etwas ist Tatsache meines Bewußtseins. Und 
was enthält der Gedanke: „Ein Objekt ist mir unmittelbar ge- 
geben" oder: „Ich habe es erfahren" anderes als eine Art, das 
fragliche Objekt in Bezug auf ein Subjekt zu denken. Keines- 
wegs aber bedeutet der Ausdruck: „Etwas ist Tatsache meines 
Bewußtseins", daß dieses Etwas Inhalt meines Bewußtseins sei. 
Und keineswegs hat die Aussage : „Mir ist ein Objekt unmittelbar 
gegeben" oder „Ich habe etwas erfahren" denselben Sinn wie die 
Aussage: Etwas geht in meinem Bewußtsein vor. Wenn jemand 
sagt: „Daß die Sonne jetzt scheint, ist Tatsache meines Bewußt- 
seins", so meint er damit nicht, daß der Sonnenschein ein Vor- 
gang in seinem Bewußtsein sei. Sondern er will damit sagen, daß 
er einen Gegenstand, (den Sonnenschein,) auf eine bestimmte 
Weise erkennt, nämlich so, daß ihm der Besitz dieser Erkenntnis 
unmittelbar gewiß ist. Will man hier den (ursprünglich räum- 
lichen Verhältnissen entnommenen) Ausdruck „in" anwenden und 
von einem Inhalt des Bewußtseins sprechen, so kann man, wenn 
man sich klar ausdrücken will, nur das Erkennen des Sonnen- 
scheins, nicht aber den Sonnenschein selbst, einen „Inhalt^ des Be- 
wußtseins nennen. 

Der Satz also, daß alles, was für ein Bewußtsein da ist, nur 
ein Vorgang in dem Bewußtsein sei, dieser Satz ist so wenig tau- 
tolologisch, daß er vielmehr eine rein dogmatische Behauptung 



Grenzen d. n. B., S. 166 f. 



101] Erster Teil: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 513 

ausspricht, die sich nur scheinbar, nämlich nur durch Verwechslung 
mit jenem als tautologisch erwiesenen und daher allerdings unbe- 
zweifelbaren Satze rechtfertigen läßt. Diese Verwechslung aber 
ist keine andere als die von Gegenstand und Inhalt der Erkenntnis. 

43. Hat man einmal diese Verwechslung begangen, so drängt 
die Eonsequenz freilich sogleich zu dem folgenden weiteren Schritte. 
Auch die psychischen Vorgänge sind ja, soweit wir sie erkennen, 
für unser Bewußtsein da. Sind aber auch sie, wie nach der An- 
nahme alles, was Objekt der Erkenntnis werden kann, nur Inhalt 
des Bewußtseins, so folgt, daß die Möglichkeit der Erkenntnis des 
Psychischen ein erkennendes Subjekt voraussetzt, das selbst nicht 
ein Psychisches sein kann. Denn dasjenige Bewußtsein, dessen 
Inhalt die als Objekt erkennbare Welt ist, kann nicht selbst dieser 
als Objekt erkennbaren Welt angehören. Es kann daher weder 
durch physische noch durch psychische Prädikate bestimmt werden; 
und so bleibt schließlich kein noch so leerer Begriff zur Bestim- 
mung des „erkenntnistheoretischen Subjekts" oder des „Bewußt- 
seins überhaupt" im Gegensatze zum Objekt oder „Bewußtseins- 
inhalt" übrig. Die einzige Konsequenz hieraus ist aber die, daß 
der Begriff dieses erkenntnistheoretischen Subjekts überhaupt 
keinen Inhalt haben kann, daß also, deutlicher gesprochen, der 
Ausdruck „erkenntnistheoretisches Subjekt" oder ^Bewußtsein über- 
haupt" gar kein Ausdruck für einen Begriff, sondern ein sinnloses 
Wort ist 

44. RicKERTs Formulierung des „Grundproblems der Erkennt- 
nistheorie": mit welchem Rechte man einen Gegenstand der Er- 
kenntnis annimmt, „der nicht Bewußtseinstatsache oder Bewußt- 
seinsinhalt ist*', vereinigt also durch das „oder" zwei ganz ver- 
schiedene Fragen. Die erste Frage, die sich nach Riceebt auch so 

aussprechen läßt: ;,Mit welchem Rechte nimmt man einen Gegen- 



514 ^- Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [102 

stand an, der nicht für ein Bewußtsein Gregenstand ist?'' — diese 
Frage wird man nicht im Ernst als das G-nindproblem einer 
Wissenschaft betrachten wollen, da, wie nicht mehr des näheren 
gezeigt zn werden braucht, der Satz „einen Gegenstand annehmen'' 
ja bereits dasselbe besagt wie der andere: „etwas zum Gegenstand 
für ein Bewußtsein machen". 

Die andere Frage aber, die von Bickebt mit dieser ersten ver- 
mengt worden ist, und die man mit ihm auch so aussprechen kann: 
„Existiert eine vom erkennenden Bewußtsein unabhängige Wirk- 
lichkeit?"* — diese Frage bedarf, wenn man nur Inhalt und 
Gegenstand der Erkenntnis zu unterscheiden weiß, ebensowenig 
einer besonderen Wissenschaft zu ihrer Beantwortung wie die 
erste. Die Beziehung auf etwas, was nicht selbst Inhalt der Er- 
kenntnis ist, sondern von dem Erkanntwerden unabhängig existiert, 
diese Beziehung ist dem Begriff des Erkennens wesentlich, xmd 
das Recht ihrer Annahme leugnen wollen, hieße : die Tatsache des Er- 
kennens selbst leugnen. Allerdings, beweisen läßt sich dieses Recht 
nicht ; aber es ist ein dogmatisches Vorurteil, daß der Beweis ein 
notwendiges, oder auch nur, daß er ein hinreichendes Kriterium 
der Wahrheit sei, — ein Vorurteil, das freilich überall da unver- 
meidlich ist, wo man von der Annahme ausgeht, Erkenntnis könne 
nur in Urteilen bestehen. In dem Rickertschen „Prinzipe", „nach 
dem die Erkenntnistheorie nichts unbewiesen hinnehmen darf"', 
spricht sich dieses widersinnige Vorurteil unzweideutig aus. 
„Widersinnig" deshalb, weil jeder Beweis zu seiner Möglichkeit 
xmbeweisbare Prämissen voraussetzt, so daß, wenn nur das wahr 
wäre, was sich beweisen läßt, überhaupt nichts wahr wäre, also 
auch nicht der Satz, daß nur das wahr sei, was sich beweisen läßt. 



Gegenstand d. £. S. 3. * Ebenda S. 132. 



103] Erster Teil: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 515 

Übrigens giebt ja gerade Riceebt die Unabhängigkeit der 
Existenz der erkannten G-egenstände für das Erkennen des indivi- 
dnellen Bewußtseins zu xmd bestreitet sie nur für das überindi- 
vidnelle Bewußtsein. Wir haben aber bereits gesehen, daß er 
nur durch Mißveirständnisse und Verwechslungen veranlaßt 
worden ist, dieses überindividuelle Bewußtsein überhaupt einzu- 
führen-^ — 

45. Ganz ähnlich finden wir es bei Lipps. Lifps untersucht 
die Frage, wie die logischen G-esetze (zu denen er das Kausalgesetz 
rechnet) „gefunden** werden*, und er giebt die Antwort, die lo- 
gischen G-esetze werden nicht in ;,denkender Betrachtung", son- 
dern durch ;, unmittelbares Erleben** gefonden^ Diese Antwort 
führt ihn zu der weiteren Frage, wie es überhaupt möglich sei, 
G-esetze zu erleben. ;, Jedes Erlebnis ist ein einzelnes; und Ge- 
setze sind etwas Allgemeines. Wie nun kann das in einem Mo- 
mente Erlebte etwas Allgemeines sein oder allgemeine Giltigkeit 
haben? Ich mache auf die Wichtigkeit dieser Frage aufmerksam. 
Ohne ihre Beantwortung giebt es keine Logik. **^ Diese Frage nun 
soll gelöst werden durch die Einführung des „reinen** oder „über- 
individuellen^ Ichs. Die Erlebnisse des individuellen Ichs sollen 
nichts weiter sein als eine Stelle der „Selbstentfaltung oder Selbst- 
objektivierung*' des überindividuellen Ichs oder „Weltbewußtseins**.* 
Lipps sagt: 

„Giebt es nun aber nichts außer diesem Ich, dann sind auch die 
Gegenstände, die es setzt, nicht außerhalb seiner gesetzt, sondern 



^ Auf eine weitere in der Rickertschen Problemstellung enthaltene folgenreiche 
Verwechslung gehe ich hier nicht ein. Vgl. darüber E. Blumenthal: „Über den 
Gegenstand der Erkenntnis^ in den Abhandlungen der Friesschen Schule, Bd. 1, 
S. 346 ff., 367 f. 

* ,,Inhalt und Gegenstand; Psychologie und Logik'*, S. 641. 

> Ebenda S. 542. « Ebenda S. 542. » Ebenda S. 667. 



516 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [104 

es setzt sie in sich Hiermit ist die Frage, was Denkgesetze 

seien, wie sie G-esetze der Gregenstände und zugleich Gesetze des 
G-eistes sein können, erst eigentlich beantwortet. Sie sind Gesetze 
des überindividnellen Ich, das als solches alle Gegenstände in sich 
faßt. Darum sind sie zugleich Gesetze der Gegenstände. Meint 
man, es sei nicht so, die Identität von G-egenständen und ,Be- 
wußtsein^ die ich damit statuiere, finde nicht statt, dann beant- 
worte man die Frage, wie das G-esetz der G^enstände mit den 
G-esetzen des G-eistes identisch sein, und wie der Geist über die 
Natur entscheiden oder der Gesetzgeber der vom individuellen Be- 
wußtsein unabhängigen Wirklichkeit sein könne. ''^ 
Mit diesen Erklänmgen scheint uns überaus wenig zur 
Lösung der aufgeworfenen „Frage" geleistet zu sein. Wir finden 
als Tatsache die Erlebnisse unseres individuellen Ichs vor, und 
unter diesen Erlebnissen auch solche von Gesetzen. Ein Problem 
vermögen wir in diesem Sachverhalt nicht zu erblicken. Sieht 
man indessen in dem Erleben von G-esetzen ein Rätsel, will man 
seine Möglichkeit zum Thema eines wissenschaftlichen Problems 
machen, so ist es gewiß kein geringeres Bätsei oder Problem, wie 
es möglich sei, daß durch Selbstentfaltung eines überindividuellen 
Ichs das zu stände kommt, was uns als das Erleben eines Gesetzes 
erscheint. Die Frage, wie das uberindividuelle Ich der vom indi- 
viduellen Ich unabhängigen Wirklichkeit G-esetze vorschreiben 
könne, mag immerhin (wenn man überhaupt eine derartige Frage 
aufwerfen will) damit beantwortet werden, daß diese Wirklichkeit 
mit dem überindividuellen Ich identisch sei. Durch eine solche 
Antwort wird das Rätsel, wie die Gesetze dieser Wirklichkeit 
vom individuellen Ich erkannt werden können, nicht im mindesten 



' Ebenda S. 664 f. 



105] Erster Teil; Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. 517 

begreiflich; denn die Wirklichkeit hört darum^ weil sie mit einem 
aberindividuellen Ich identisch ist, nicht auf, vom individuellen Ich 
unahhänfjig zu sein. Und gerade die Erkenntnis des individaellen 
Ichs war die Tatsache, die zn der ursprünglichen Fragestellung 
Anlaß gegeben hatte und deren Möglichkeit erklärt werden 
sollte.* 



1 Vgl. auch S. 645, 

Es ist vielleicht nicht ohne Interesse, darauf hinzuweisen, daß der Begriff 
des „erkenntnistheoretischen Suhjekts** (wie schon der mit ihm identische des 
«reinen Ich*' bei Fichte) von dem Typus der paradoxen Begiffsbildungen Büssells 
ist und daß sich daher die aufgewiesenen, in seinem Gefolge auftretenden Sinn- 
losigkeiten und Widersprüche auf jene allgemeine Form von Widersprüchen zu- 
rückführen lassen. (Vgl. K. Grellino und L. Nelson: „Bemerkungen zu den 
Paradoxieen von Russell und Bürali-Forti*' in den Abhandlungen der Fries'schen 
Schule, Bd. 11, S. 301 ff., S. 314 Anmerkung.) Das erkenntnistbeoretische Subjekt 
ist nämlich definiert als dasjenige Subjekt, das alle Subjekte erkennt, die sich nicht 
selbst erkennen. Angenommen also, es erkennt sich selbst: dann gehört es, nach 
der Definition, zu den Subjekten, die sich nicht selbst erkennen; es erkennt sich 
also nicht selbst. Angenommen aber, es erkennt sich nicht selbst : dann gehört es, 
nach der Definition, zu den Subjekten, die es erkennt ; es erkennt sich also selbst. 

Ich verdanke diese „artige Bemerkung*' einem mündlichen Hinweis meines 
Freundes Grellino. 



Zweiter Teil: 



Das Problem der Vemunftkritik. 



.flu philoaophia pon, qults «rt Metaphjaiea, in qo« 
nsns intelleetaa drea prüwipia «rt realia, h. e. eonoeptos 
renim et relationiim piimitiTi atque ipsa axiomaia per ipsnin 
inteDeetam punun primitiTe dantar, et, qaoniam non annt inhütiiat 
ab erroribu non sunt immnnia, Methodaa anterertit om- 
nem aoientiam et qnidqnid tentatnr ante haiaa pneoept», probe 
exeuaa et ilnnlter atabUita, temere ooneeptnm et inter Taoa mentia 
Indibria xeiietendtun Yidetor.** 

KANT, De mnndi eenMbUii atqoe IntelUgibiUa forma et 
prisetpiia, { 28. 



vn. 

Der Satz des Qrundes. 
CErkenntnistheorie und DogmatismnsO 

46. Das Ergebnis des ersten Teiles legt xms zwei Fragen 
nahe. Erstens die Frage, welches der Umstand ist, der immer 
von neuem in der G-eschichte der Philosophie zu der erkennt- 
nistheoretischen Fragestellung Anlaß gegeben hat und noch 
giebt. Und zweitens die Frage, welche Konsequenzen sich für 
die Philosophie aus unserer Ablehnung der Erkenntnistheorie er- 
geben. Die Antwort auf die zweite Frage scheint sich von 
selbst aufzudrängen. Bedeutet die Ablehnung der Erkenntnis^ 
theorie nicht die Proklamierung des offenbaren Dogmatismus? 
Es ist in der Tat höchst charakteristisch, daß von derjenigen 
Seite, von der gegenwärtig am lebhaftesten an der tradi- 
tionellen erkenntnistheoretischen Behandlung der Philosophie ge- 
rüttelt wird, bereits ganz unbedenklich die Rückkehr zur dogma- 
tischen Spekulation als einzig konsequentes Verfahren gefordert 
wird.^ Diese so naheliegende und scheinbar unabwendbare Konse- 

^ Vgl. Ludwig Busse, Philosophie and Erkenntnistheorie, 1. Abteilung, 
Leipzig, 1894. 



522 L- Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [HO 

qnenz führt uns sogleich zur Beantwortung der ersten der eben 
aufgeworfenen Fragen. Die durch die gesamte Geschichte des 
menschlichen Denkens bestätigte Erfahrungstatsache der Trüglich- 
keit aller dogmatischen Spekulation ist es, was immer wieder die 
Berechtigung eines allgemeinen Mißtrauens gegen die Baulust einer 
ohne Selbstkritik philosophierenden Vernunft zur Evidenz bringt 
und die Erkenntnistheorie als ein unentbehrliches wissenschaft- 
liches Erfordernis erscheinen läßt. Und diese Forderung erscheint 
so natürlich, daß sie den Widerspruch, den sie in sich birgt, über- 
sehen läßt. Was bleibt uns also, wenn wir diesen Widerspruch 
einmal erkannt haben, übrig, als in die Arme des Dogmatismus 
zurückzukehren, so wenig dieser auch zu größeren Hoffnungen be- 
rechtigt als sein Widerpart, die Erkenntnistheorie? 

47. Revidieren wir noch einmal die Disjunktion, auf die sich 
diese Alternative gründet. Was ist es, ganz allgemein gesagt, was 
den Dogmatismus unannehmbar macht? Offenbar die keiner Dis- 
kussion unterliegende Möglichkeit des Irrtums. Und wie will uns 
die Erkenntnistheorie gegen den Irrtum schützen? Offenbar indem 
sie keine Erkenntnis zuläßt, ohne sie zu begründen. Und so beruft 
sich von jeher die Erkenntnistheorie gegen den Dogmatismus auf 
den Satz des G-rundes und das aus ihm fließende Postulat der Be- 
gründung aller Urteile. Der Dogmatiker aber beruft sich hier- 
; gegen auf die unwiderlegliche Behauptung, daß die Forderung, alle 
j Erkenntnis zu begründen, auf einen Eegreß führt, dessen UnvoU- 
! endbarkeit die Möglichkeit aller Begründung aufheben muß. 
Worauf beruht also der Widerspruch beider Maximen? Auf nichts 
anderem als auf der von beiden Seiten stillschweigend gemachten 
Annahme der Identität von Erkenntnis und Urteil^ einer Annahme, 
deren Irrigkeit wir wiederholt dargetan haben. Diese Annahme 



111] Zweiter Teil: Das Problem der Vernunftkritik. 523 

führt zu einer Verkennung der eigentlichen Bedeutung des Satzes 
vom Grunde, indem sie den Geltungsbereich dieses Satzes über die 
Urteile hinaus auf die Erkenntnis überhaupt ausdehnt. Das Ur- 
teil ist eine mittelbare Erkenntnis, setzt also eine andere Er- 
kenntnis als seinen Grund voraus : das liegt im Begriff des Ur- 
teils. Identifiziert man jedoch Erkenntnis und Urteil, so bleibt 
nur übrig, den letzten Grund aller Urteile im Gegenstande zu 
suchen, und/man erhält an Stelle der Aufgabe der Zurückführung 
der Urteile auf die unmittelbare Erkenntnis^ das Problem des Ver- 
hältnisses der Erkenntnis zum Gegenstande. 

Berichtigen wir diese Mißdeutung des Satzes vom Grunde, so 
gewinnen wir die Möglichkeit eines Verfahrens, das uns gestattet, 
kein Urteil ohne Begründung anzunehmen, ohne uns doch in den 
unmöglichen unendlichen Regreß der Begründung zu verwickeln. 
Denn mit der Zurückführung der Urteile auf die ihnen zu Grunde! 
liegende unmittelbare Erkenntnis ist dem Postulat der Begrün-/ 
düng Genüge geleistet; unser Verfahren wird also von dem dog-l 
matischen Bedenken ebensowenig getroffen wie von dem erkenntnis-l ( 
theoretischen.^ 

Am übersichtlichsten läßt sich der logische Zusammenhang 
dieser verschiedenen methodischen Maximen durch das folgende 
Schema darstellen. 



^ Sieht man nicht sowohl auf die methodische Forderung als auf die Aus- 
fahrung der Erkenntnistheorie, prüft man sie also an ihren Leistungen^ so ist 
klar, daß alle Erkenntnistheorie selbst nur ein verkappter Dogmatismus sein 
kann. Denn da die Erkenntnistheorie die Annahme der Identität von Er- 
kenntnis und ürteü mit dem Dogmatismus teüt, die aus dieser Annahme ent- 
springende Forderung eines unendlichen Regressus der Begründung aber unmög- 
lich erfnUen kann, so muß sie, wenn auch ohne Bewußtsein, jederzeit irgend 
welche Urteüe ohne Begründung voraussetzen, d. h. sie muß allemal auf, wenn 
auch versteckten, dogmatischen Annahmen, beruhen. 



524 



L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. 



[112 



it» BrkMsteis lü «ia UrtaU. 



Rkhtin Pi 
rtoU äd tu 



JOm DitoU ad tiara Qmi hibw. 



Blektif« Pitmw. 
HMt jad« BrkwBBtnli kann ciaw 




Pklttb« Eoiia*9acB> 

e firk«>nt>la noi «iacD Gniad 

(EfktaDtniilbeoriel 



Nu dte aittolban Erktutab b«tatt ta OiteUn. 

48. Bezeichnen wir die unmittelbare Erkenntnis knrz als Ver- 
nunfterkenntnis, die mittelbare Erkenntnis durch Urteile als Re- 
flexions- oder Verstandeserkenntnis, ^ und entsprechend die Über- 



* Diese Terminologie rechtfertigt sich durch den Sprachgebrauch. Jeder- 
mann, der ein einigermaßen gebildetes Sprachgefühl besitzt, macht einen Unter- 
schied im Gebrauche der Worte „Vernehmen** und ,, Verstehen** ; er wendet das 
erste an, um den Akt eines unmittelbaren Au£fassens von Gegenständen zu be- 
zeichnen, einen Akt, den er bestimmt von jeder begri£flichen Verarbeitung des 
Aufgefaßten unterscheidet. Man spricht von „Verstandesbildung**, um damit einen 
höheren oder geringeren Grad der Kunst dieser begrifflichen Verarbeitung zu be- 



113] Zweiter Teil: Das Problem der Vernunftkritik. 525 

einstimmung der nnmittelbaren Erkenntnis mit dem Gegenstande 
als VemunflwahrheU , die Übereinstimmmig der mittelbaren Er- 
kenntnis mit der unmittelbaren Erkenntnis als Verstandesioahrheit, 
so können wir den gemeinscbaftlichen Fehler der erkenntnistheo- 
retischen and der dogmatischen Methode auch so bezeichnen: er 
bemht auf der Verwechslung der Verstandeswahrheit ^mit der 
Vemonftwahrheit. Das Kriterium; das uns zur Exitik unserer I 
Erkenntnisse zur Verfügung steht, liegt in letzter Linie in der! 
unmittelbaren Erkenntnis; diese kann nicht mit dem Gegenstande 
verglichen werden. Aller Rede über Irrtum und Wahrheit liegt 
die unmittelbare Erkenntnis als letzte Voraussetzung zu Grunde; 
alle Versuche, diese unmittelbare Erkenntnis des Irrtums zu ver- 
dächtigen oder ihre objektive Gültigkeit zu begründen, sind daher 
gleich unmöglich. Denn aller Zweifel sowohl wie alle Begründung 
ist selbst nur auf Gnmd der unmittelbaren Erkenntnis möglich. 
Das Faktum des Selbstvertrauens der Vernunft ist die entschei- 
dende Instanz gegen allen Skeptizismus , die selbst einer 
Begründung nicht nur nicht fähig, sondern auch gar nicht be- 
dürftig ist. 

Die Unterscheidung von Reflexion und Vernunft befreit uns 
somit von dem Fehler der Erkenntnistheorie, ohne uns in den 
anderen des Dogmatismus zurückfallen zu lassen. 



zeichnen; Vernunft hingegen schreibt man einem Wesen schlechthin zu oder 
spricht sie ihm schlechthin ab, ohne ein Mehr oder Weniger derselben anzu- 
nehmen. „Vernunft*' hat jeder Mensch und unterscheidet sich eben dadurch von 
dem „unTemünftigen Tiere'', „Verstand" dagegen „ist stets bei wenigen nur 
gewesen". Man sagt : jemand habe „den Verstand verloren", wenn man ihm das 
Vermögen des klaren Denkens absprechen will; niemals aber: jemand habe „die 
Vernunft yerloren". (Die BiefUigkeU der hier als Beispiele angeführten S&tze 
kommt für uns natürlich nicht in Frage, es handelt sich allein darum, den ver- 
schiedenen Sinn festzustellen, in dem die Worte „Verstand** und „Vernunft** tat- 
sftchlich gebraucht werden.) 

Abkttdhag •& im Trte*aeb«n 8«kBl«. U. Bd. 34 



526 L. Ndson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [114 



vm. 

Das Hmne-Kantische Froblem* 
(Erkenntnistheorie und VemonftkritikO 

49. Fassen wir nonmehr die so gestellte Aufgabe der Be- 
gründung der Verstandeswahrheit näher ins Auge, so muß so- 
gleich auffallen^ daß es gerade diese Aufgabe ist, deren Bearbeitung 
von jeher das Thema dller menschliehen Wissenschaft gebildet hat. 
Wissenschaft, sei es mathematische oder empirische oder sonst eine, 
ist ja nichts anderes als systematische Begründung von Urteilen, 
d. h. Zurückführung der einem Wissensgebiet angehSrigen Urteile 
. auf Grundurteile und, vermittelst dieser, auf unmittelbare Er- 
;' kenntnis. Eine Begründung dieser unmittelbaren Erkenntnis selbst 
aber kann, wie wir dargetan haben, kein Thema irgend einer 
V Wissenschaft bilden. Was bleibt also für die Philosophie übrig? 
Soviel steht nach unseren bisherigen Betrachtungen von vorn- 
herein fest: einen höheren Grad von Gewißheit, von „Voraus- 
setzungslosigkeit^ als irgend eine Einzelwissenschaft kann auch 
Philosophie nicht beanspruchen, und wenn sie sich nicht bescheidet, 
innerhalb des allgemeinen Bereiches der Verstandeswahrheit eben- 
falls nur den Rang einer Einzelwissenschaft einzunehmen, so wird 
sie auf den Titel einer Wissenschaft verzichten müssen. Wo läßt 
I sich aber innerhalb des BereicEes der !EIinzelwissenschaften ein 
/ Sondergebiet ausfindig machen, das die Philosophie für sich in An- 
; sprach nehmen könnte? 

Die Geschichte der Philosophie kann uns diese Frage beant- 



115] Zweiter Tefl: Das Problem der Yemniiftkritik. 627 

Worten. Die altere Philosophie wenigstens, die noch nicht voni 
der Anmaßung der Erkenntnistheorie erfüllt war, alle Wissen- \ 
Schaft zu meistern, hatte jederzeit ein gesondertes Teilgebiet unter ' 
den Wissenschaften für sich in Anspruch genommen. Dieses G-e- 
biet, das von jeher den Namen Metaphysik geführt hat, existiert 
auch heute noch xmd bedarf der wissenschaftlichen Bearbeitung, 
so wenig auch hinsichtlich der begrifflichen Formulierung und Ab- 
grenzung seines Inhalts Einigkeit bestehen mag. Der Nam e zwar 
ist heute allgemeiner Mißachtung verfallen, aus dem alleinigen 
Grunde jedoch, daß man mit ihm den Begriff einer dogmatischen 
Wissenschaft zu verbinden sich gewohnt hat und dabei die Voll- 
ständigkeit der Alternative zwischen dogmatischer und erkenntnis- 
theoretischer Spekulation nicht in Zweifel zog. Indessen,, der 
Name ^Met aphysik " bezeichnet ursprünglich gar nicht, eine metho- 
dische Maxime, sondern den Inhalt einer Wissenschaft; und ehe 
nicht eine bessere Bezeichnung für diesen Inhalt vorgeschlagen 
wird, wird man gut tun, sich des alten Namens zu bedienen. 
Dieser Inhalt nun ist zu verschiedenen Zeiten verschieden be- 
schrieben worden. Die präziseste Definition, die historisch vor- 
liegt, ist ohne Zweifel die von Kant herrührende: Metaphysik ist! 
das System der synthetischen urteile a priori aus reinen Begriffen, 
Das Merkmal „synthetisch" unterscheidet die Metaphysik von der 
formalen Logik (dem System der analytischen Urteile), das Merk- 
mal „a priori^ von der Erfahrungswissenschaft, und das Merkmal 
„aus reinen Begriffen*' von der Mathematik (dem System der syni 
thetischen Urteile 'aus der Konstruktion der Begriffe). Diese 
E^antische Definition bedarf hier um so weniger einer ausdrück- 
lichen Rechtfertigung, als gerade die Erkenntnistheorie, solange 
sie nicht selbst ihre wissenschaftliche Selbständigkeit preisgeben 
will, sich ihrem Inhalte nach weder der formalen Logik, noch der 

34* 



528 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [Hg 

Erfahrüngswissenschaft, noch auch der Mathematik nnterordnen 
lassen kann, mithin sich notwendig der durch Aosschließong dieser 
Wissenschaften definierten Disziplin beizählen maß, sie mag den 
Namen ;,Metaphysik" billigen oder nicht. 

50. Wenden wir das Postulat der Begründung der Urteile auf 
den so bestimmten Inhalt der Metaphysik an, so erhalten wir die 
Aufgabe: den Grrund der den Inhalt dieser Wissenschaft bildende n) 
Urteile aufzuweisen. Es ist dies das von Hume gestellte Problem, ' 
das von Kant in die Formel gebracht worden ist: Wie sind 
synthetische Urteile aus reinen Begriffen möglich? Dies Problem 
hat denn auch mehr oder weniger deutlich im Mittelpunkte des 
Interesses aller neueren Spekulation gestanden^ und es ist nur 
durch Mißverständnis mit der Aufgabe einer Begründung der ob- 
jektiven Gültigkeit der Erkenntnis, dem sogenannten „Erkenntnis- 1 
problem", verwechselt worden. 

Die eigentümliche Bedeutung dieser Kantischen Fragestellung 

und die Schwierigkeit ihrer Auflösung ist leicht deutlich zu machen. 

(Das Problem fordert, recht verstanden, die Zurückführung der 

\ metaphysischen Urteile auf eine unmittelbare Erkenntnis. Als 

I unmittelbare Erkenntnis gilt im allgemeihen die Anschauung. Die 

anschauliche Erkenntnis hat den Vorzug unmittelbarer Klarheit und 

Evidenz, und diese unmittelbare Klarheit und Evidenz sichert den 

mathematischen und empirischen Wissenschaften alle die Vorteile, 

die ihnen jederzeit der Metaphysik gegenüber zugestanden worden 

sind. Denn die Metaphysik kann sich für die Begründung ihrer Ur- 1 

teile auf keine Anschauung berufen. Andererseits sollen die Urteile 

der Metaphysik synthetische sein, d. h. sie sollen eine Verb^dung / 

von Begriffen enthalten, können also ihren Grund nicht in bloßen 

Begriffen haben. Denn Urteile, die ihren Grund in bloßen Begriffen 

haben, sind analytische, und aus analytischen Urteilen lassen sich 



117] Zweiter Teil: Dm Problem der Vemanftkritik. 529 

synthetische nicht ableiten.^ Die eigentümliche. Schwierigkeit, mit 
deren AoflSsnng die Möglichkeit der Metaphysik als Wissenschaft y ^ 
steht und fällt, liegt also in der Aufgabe, dne Erkenntn is aufzu-^v"^ 
weisen, die nicht anschaulich u nd doch unmittelbar ist^ — E ine 
solche Erkenntnis würde zum unterschiede von der unmittelbaren 
Erkenntnis der Anschauung und von der mittelbaren Erkenntnis 
der Reflexion ein e un mitülbare^£ iimtfMiß..der reinen Vernunft heißen 
können. Da sie den letzten G-rund alles metapliysischen Wissens 
enthalten muß, bedarf sie selbst keiner weiteren Begründung; ^ ^ 
vielmehr würde mit ihrer faktischen Aufweisung das Geschäft der 
Begründung aller metaphysischen Erkenntnis abgeschlossen sein. 

Die Begründung metaphysischer urteile hat von Kant den Namen 
„Kritik der reinen Vernunft" erhalten. Wir wollen diesen Namen 
der kürzeren Bezeichnung wegen beibehalten, obgleich er unserer 
Unterscheidung von Vernunft und Reflexion keine Rechnung trägt. 

51. Der Fehler, der der erkenntnistheoretischen Problemstel- 
lung zu Grunde liegt, läßt sich jetzt vollständig aufklären. Er 
besteht in dem Vorurteil, alle Erkenntnis entspringe entweder der *^ ^ 
Reflexion oder der Anschauung. In der Tat entzieht sich der 



^ Der Orund der metaphysischen Urteile liegt also weder in der Anschauung 
-^Mch in Begriffen. Es scheint daher kein anderes bestimmendes Prinzip dieser 
/ Art Ton Urteilen übrig zu bleiben als die WiUiyxli^ieit der BegrifTsverbindung. 
Auf dieser Schwierigkeit beruht eigentlich der philosophische Skeptizismus. Seine 
Konsequenz ist, daß es überhaupt keine metaphysische Wahrheit giebt, daß viel- 
mehr, was sich als solche ausgiebt, lediglich ein Produkt willkürlicher Satzung 
(Konvention) ist, — eine Konsequenz, die bekanntlich schon von den griechischen 
Sophisten gezogen worden ist 

Die hier zu Grunde liegende Schwierigkeit ist in der Tat dieselbe, die dem 
Hnme-Kantischen Problem zu Grunde liegt. Wir können dieses Problem geradezu 
so formulieren: Die Begriffsverbindung im Urteil ist willkürlich. Was aber Er- 
kenntnis sein soll, kann nicht von unserer Willkür abhängen. Wie ist also durch 
iciükürliche Begriff werbindung Erkenntnis möglich? Dies ist die Formulierung, 
die Fbiss in seiner Yemunftkritik dem Problem gegeben hat. 



532 L- Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [120 

Hierin liegt nichts Paradoxes, wenn nor gehörig zwischen der 
Begründung der metaphysischen Urteile und ihrem Gründe unter- 
schieden wird. Der Grund einer Erkenntnis a priori kann in der 
Tat nur wieder in einer Erkenntnis a priori liegen. Und so liegt 
auch der G-rund der metaphysischen Urteile nicht in der Erfah- 
rung, sondern in einer Erkenntnis a priori, nämlich in der un- 
mittelbaren Erkenntnis der reinen Vernunft. Die Begründung der 
metaphysischen Grundurteile enthält diesen Grund nicht in sich, 
sondern sie weist nur sein Vorhandensein auf. Und diese Auf- 
weisung ist nur durch innere Erfahrung möglich. 

Die metaphysische Erkenntnis ist eine Erkenntnis allgemeiner 
Gesetze, und allgemeine Gesetze werden a priori erkannt. Die 
Erkenntnis der allgemeinen Gesetze ist aber nicht selbst wieder 
ein allgemeines Gesetz, sondern ein individuelles Faktum. Indivi- 
duelle Fakta aber werden a posteriori erkannt. Also wird auch 
das Faktum der unmittelbaren metaphysischen Erkenntnis nicht 
a priori, sondern a posteriori — und zwar als ein inneres Faktum 
nur durch innere Erkenntnis a posteriori, d. h. durch innere Er- 
fahrung — erkannt. 



X. 

Das transzendentale und das psychologistische Vorurteil. 

55. Nach diesen Feststellungen sind wir im Stande, den in 
der heutigen Philosophie herrschenden Streit um die transzenden- 
tale und die psychologische Methode zu beurteilen und zu ent- 
scheiden. 

Eine empirische Begründung rationaler Erkenntnisse, so hatten 



121] Zweiter Teil: Das Problem der Yerounftkritik. 533 

wir eben gesehen, ist in der Kritik der Vernunft darom möglich, 
weil die Kritik den Grand der zu begründenden Erkenntnisse 
nicht zum Inhalt, sondern zum Gegenstande hat. Ganz anders 
stellt sich dies Verhältnis bei der Erkenntnistheorie dar. Es 
folgt notwendig aas dem Begriffe der Erkenntnistheorie, daß diese 
Wissenschaft den obersten Erkenntnisgrnnd aller darch sie za 
begründenden Erkenntnisse selbst enthalten maß. Angenommen 
nämlich, die ersten Erkenntnisgründe irgend welcher von der Er- 
kenntnistheorie za begründenden Erkenntnisse gehörten nicht der 
Erkenntnistheorie selbst an. Dann wäre es die Aufgabe der Er- 
kenntnistheorie, diese ihr nicht angehörigen Erkenntnisgründe zu 
begründen. Eine solche Begründang ist aber unmöglich; denn 
wäre sie möglich, so wären diese Erkenntnisgründe nicht die 
ersten. Soll also überhaupt eine Erkenntnistheorie möglich sein, so 
muß sie auch die ersten Erkenntnisgründe aller von ihr eu begründen- 
den Erkenntnis enthalten, 

56. Es ist eine unmittelbare Folge dieses Satzes, daß die Er- 
kenntnistheorie, sofern sie die Begründung von Erkenntnissen 
a priori enthalten soll, selbst eine Wissenschaft aus Erkenntnissen 
a priori sein muß. Denn Erkenntnis und Erkenntnisgrund müssen 
hinsichtlich der Modalität gleichartig sein.^ Ist aber die Erkennt- 
nistheorie eine Wissenschaft aus Erkenni^sen a priori, so kann 
ihre Quelle nicht in der inneren Erfahrung liegen. Verwechselt 
man also Kritik mit Erkenntnistheorie, so wird man schließen 
müssen, daß die Kritik keine Wissenschaft aus innerer Erfahrung 
sein könne. („Transzendentales Vorurteil.^) 



^ Dieser Satz folgt analytisch aas dem Begriff der Modalit&t. Die Aposte- 
rioritftt oder Aprioritftt eines Urteüs hängt nach der Definition dieser Begriffe 
dayon ab, ob das Urteil seinen Erkenntnisgrand in der Erfahrung hat oder 
niclit. 



534 L* Nelson: Ober das sogenannte Erkenntnisproblem. [122 

Geht man andererseits von der Erwägung aus, daß die Kritik 
Erkenntnisse znm Gregenstande hat, so wird man nicht nmhin 
können, ihr den Charakter einer Erkenntnis aas innerer Erfahrung 
zuzuschreiben. Man wird daher, die Kritik mit der Erkenntnis- 
theorie verwechselnd, den Grund der zu begründenden philoso- 
phischen Erkenntnis in innerer Erfahrung suchen. Liegt aber der 
Grund einer Erkenntnis in der inneren Erfahrung, so kann diese 
Erkenntnis nicht selbst eine rationale Erkenntnis sein. Die ge- 
samte Philosophie verwandelt sich daher nach dieser Schlußweise 
in empirische Psychologie. („Psychologistisches Vorurteil.") 

57. Hiermit haben wir den eigentlichen Ursprung des Streits 
um den ;, Psychologismus" aufgedeckt. Es ist der Nachweis er- 
bracht, daß dieser Streit seine letzte Wurzel im Begriff der Er- 
kenntnistheorie selbst hat. Und es ist damit zugleich der Nach- 
weis erbracht, daß der Widerspruch zwischen Transzendentalismus 
und Psychologismus eine auf dem Boden des erkenntnistheoretischen 
Vorurteils unauflösbare Antinomie enthält. Wer den inneren 
Widerspruch in der Aufgabe der Erkenntnistheorie einmal durch- 
schaut hat, den kann das Phänomen dieses nun schon so lange 
währenden Streites nicht verwundem, und er begreift zugleich, 
daß alle Mühe, ihn zum Austrag zu bringen, vergeblich bleiben 
muß, solange die den beiden streitenden Teilen gemeinschaftliche 
Grundvoraussetzung nicht aufgegeben wird. Läßt man aber die 
fehlerhafte Problemstellung der Erkenntnistheorie fallen, beschränkt 
man sich auf die Aufgabe der Kritik der Vernunft, so ist ohne 
weiteres ersichtlich, daß die Kritik durch die beiderseitigen Schluß- 
folgerungen gar nicht berührt wird. Denn da die kritische Be- 
gründung der philosophischen Urteile den Grund dieser Urteile 
nicht selbst enthält, so findet der Satz von der modalischen Gleich- 
artigkeit von Erkenntnis und Erkenntnisgrund auf die Kritik 



123] Zweiter Teil: Dm Problem der VernuDftkritik. 535 

überhaapi keine Anwendung. Mithin kann ebensowenig von der 
Apriorität der zn begründenden Sätze aaf die Apriorität der 
Kritik geschlossen werden, wie von der Aposteriorität der Kritik 
auf die Aposteriorität der za begründenden Sätze. Und so ist 
mit der Aufhebung der Verwechslung von Grund und Begründung 
dem Streite jeder Boden entzogen. — 

Wir können die gegebene Ableitung und Auflösung dieser 
„erkenntnistheoretischen Antinomie^ durch das folgende Schema 
veranschaulichen. 



Df» IiMk wlkllt tai 




Dw Of«B4 4«r philoMpUMktB Otui- 
- w Utlt ia 4«r iaawtB kMn— 

(PivSohicMMiMi ▼•nrtaU.) 



Rkktfa« Kmhmmu: 

Di« Irttfk «Btkilt ■kkk 4«B ana4 4w pka«M»klMh» QnakUm, 

(SyüMi «ad bltUt da4 «agl«tokutlc.) 



586 L- Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [124 

68. Zur Verhütung von Mißverständnissen können die folgenden 
terminologischen Bemerkungen dienen. Versteht man unter ;, Trans- 
zendentalismus" die Maxime einer Begründung der Philosophie von 
der Art, daß der Grund der zu begründenden Urteile nicht in der 
Psychologie gesucht wird, so ist der Transzendentalismus im B.echte. 
Aber es ist wichtig, darüber klar zu sein, daß die hiermit gekenn- 
zeichnete Maxime nicht, wie bisher allgemein angenommen worden 
ist, mit der psychologischen Natur der geforderten Begründung 
im Widerspruch steht. Versteht man daher unter „Psychologis- 
mus '^ die Behauptung der psychologischen Natur der Kritik, so 
sind Transzendentalismus und Psychologismus keine G-egensätze, 
sondern stehen durchaus im Einklang. — Aber es erscheint rat- 
sam, diese Bezeichnungsweise zu vermeiden, da es heute allgemein 
üblich ist, die beiden Termini zur Bezeichnung entgegengesetzter 
methodischer Maximen zu benutzen.^ Wenn wir uns auch in der 
gegenwärtigen Litteratur vergeblich nach einer präzisen Definition 
der fraglichen Termini umsehen, so ist doch soviel klar, daß die sich 
zum Transzendentalismus bekennenden Autoren mit diesem Worte 
die Behauptung der Unmöglichkeit einer psychologischen Begrün- 
dung der Philosophie, also die in unserem Schema als „transzen- 
dentales Vorurteil" definierte Konsequenz zum Ausdruck bringen 



' Bei Kant ist der Ausdruck „transzendental" mehrdeutig. Von den beiden 
hier in Betracht kommenden Eantischen Definitionen dieses Terminus geht die 
eine (Kritik der reinen Vernunft, Einleitung) auf das, was wir durch das Wort 
„kritisch" bezeichnet haben, ohne über die Modalität dieser kritischen Erkenntnis 
etwas auszusagen. Die andere (Transzendentale Logik, Einleitung, U) enthält 
über den Inhalt der ersten hinaus die Behauptung der Apriorität der kritischen 
Erkenntnis und schlieBt daher die Voraussetzung ein, die wir als „transzenden- 
tales Vorurteil" bezeichnet haben. — Näheres hierüber findet man in meiner 
Schrift „J. F. Fries und seine jüngsten Kritiker", insbesondere Kapitel V, 
S. 288 und 297. (Im 2. Heft des I. Bandes der Abhandlungen der Friesschen 
Schale.) Vgl. auch im dritten Teil dieser Schrift Kapitel XXI. 



125] Zweiter Teil: Das Problem der Vemunftkritik. 637 

wollen; während andererseits nach dem herrschenden Sprachge- 
brauch das Wort „Psychologismus^ zugleich die Konsequenz der 
Einordnung der gesamten Philosophie in die Psychologie andeuten 
soll und infolgedessen von denjenigen, die sich einer klaren Aus- 
drucksweise befleißigen, nur zur Bezeichnung der in unserem 
Schema als „psychologistisches Vorurteil^ definierten Eonsequenz 
verwendet werden sollte. 



XL 

Beispiele der „dogmatischen Prämisse" in der antipsycho- 
logistischen Argumentation bei Natorp, Frege und Husserl. 

59. Das Fehlen der eben gemachten Unterscheidungen ist der 
Hauptmangel der gegenwärtigen philosophischen Litteratur, soweit 
sich diese überhaupt mit einer Behandlung methodologischer Fragen 
befaßt. Dieser Mangel verbirgt sich durch den unverfänglich er- 
scheinenden Grebrauch von Schlagwörtern, deren Zweideutigkeit 
dem Leser meist so wenig bemerkbar wird, wie dem Autor. Wir 
brauchen, um dies durch Beispiele zu belegen, nur die bereits 
kritisierte AbhandluDg von Natorp aufzuschlagen. G-leich zu An- 
fang wird hier diese Zweideutigkeit in die Fragestellung hinein- 
gelegt, durch die Formulierung: „ob die Methode jener Grund- 
legung der Erkenntnis objektiv oder subjektiv sein müsse". ^ Was 
wir hier unter „Grundlegung" zu verstehen haben, darüber sagt 
uns Natorp nichts. Indessen läßt sich bald aus dem unterschieds- 
losen Gebrauch der Worte „Grund" und ;,Begründung" ersehen, 

> A. a. 0. S. 260. 



538 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [126 

daß wir es hier mit gar keinem irgend wie klaren Begriffe zn 
tun haben. Unbestimmte, teils bildliche Ansdruckei wie „Wurzel^ ^ 
„Dependenz'', „Grundlage"*, „Prinzip"', „Fundament*, „Grnmd- 
wissenschaft"^, verschleiern diese Unklarheit. Besonders instruktiv 
als Beleg für unsere Behauptung erscheint Natorps Äußerung, daß 
bei der Beantwortung der „Frage nach dem G-rund der Gegen- 
ständlichkeit" „jeder B.ekurs auf das Subjekt des Erkennens, auf 
die Art der Beteiligung des Bewußtseins dabei, . . . von vornherein 
als iistißaöig sig &XXo ydvog erscheinen" müsse.* Warum Natorp 
eine solche (ißxißaöig für unstatthaft hält, wird sogleich ersicht- 
lich: „Das Begründende muß nicht nur nicht, sondern kann gar 
nicht einem anderen ydvog angehören, wie das, was begründet 
wird."' Was ist hier mit dem „Begründenden" gemeint? Der 
Grund oder die Begründung? Meint Natorp den Grund, so ist der 
Satz zweifellos richtig; denn Grund und Begründetes müssen aller- 
dings demselben ydvog der Modalität angehören. Aber die Konse- 
quenz, die Natorp aus dem Satze zieht, bezieht sich vielmehr auf 
die Begründung] und sein Beweis, daß diese Begründung nicht 
psychologisch verfahren könne, beruht daher auf einer quatemio 
terminorum.^ 



» S. 261. « S. 262. » S. 264. * S. 266. » S. 262. 

• S. 263. 

' £s ist beachtenswert, daß Natobp die fragliche (iBtdßacig, wenn er sie 
auch für die erkenntnistheoretische Begründung ablehnt, doch an und für sich 
für möglich erklärt. In seiner „Einleitung in die Psychologie^ (Freiburg, 
1888, S. 119 ff.) fordert er eine der „objektiven Grundwissenschaft** oder „Funda- 
mentalphilosophie** entsprechende psychologische Untersuchung der subjektiven 
Qrundlagen der in jener „objektiven Grundwissenschaft** abgeleiteten Erkennt- 
nisse. Ja er geht so weit, von der hiermit geforderten „subjektiven Grundwissen- 
schaft** (S. 124) eine „Bestätigung der durch die objektive Kritik herausgestellten 
Grundgestalt des wissenschaftlichen Bewußtseins** zu erwarten. (S. 129.) Die 
geforderte «psychologische Nachweisong erbringt eine unverftchtUche subjektive 



127] Zweiter Teil: Das Problem der Vemunftkritik. 539 

60. Selbst Freoes im aUgemeinen einwandfreie Polemik gegen 
das, was er die ,, psychologische Logik^ nennt, bleibt nicht frei 
von diesem Fehler.^ Frege kommt bei dieser Polemik folgerichtig 
zur Proklamiemng einer rein dogmatischen Methode, — einer Me- 
thode, deren bereits zn Tage getretene Mißerfolge gerade recht 
geeignet erscheinen, die Unentbehrlichkeit der Kritik (einer not- 
wendigerweise psychologischen Wissenschaft) darzutnn.^ Fregk 
sagt': „Ich halte es für ein sicheres Anzeichen eines Fehlers, wenn 
die Logik Metaphysik and Psychologie nötig hat, Wissenschaften, 



Yergewissening der Vollzähligkeit der in objektiver Kritik heraasgestellten Grund- 
gestalten'. (S. 128.) — So nahe Natorp hier dem von uns begründeten metho- 
dischen Standpunkt der psychologischen Vernunftkritik kommt, so verhindert ihn 
doch das oben widerlegte Vorurteil, die Bedeutung und Fruchtbarkeit des ihm 
vorschwebenden Gedankens zu erkennen. Die Rolle einer Begründung der „ob- 
jektiven Grundgesetze' soll nach wie vor allein der angeblichen rein objektiven 
Kritik vorbehalten bleiben (S. 119 f.), wobei er nicht bedenkt, daß ja jede objek- 
tive Begründung eines Gesetzes nur in der Angabe eines allgemeineren Gesetzes 
besteht, daß also die Forderung einer objektiven Begründung von Grundgesetzen 
•einen klaren Widerspruch einschließt. Und auf der anderen Seite unterscheidet 
Natobp wiederum nicht scharf genug zwischen subjektiver und objektiver Be- 
gründüng, um den Fehlschluß auf die modalische Gleichartigkeit beider zu ver- 
meiden und so wenigstens für die „subjektive Grundwissenschaft' zu einer rich- 
tigen Problemstellung zu gelangen. Vielmehr glaubt er, „einen reinen apriorischen 
Teil der Psychologie absondern, und diesen der PkUosophie^ als subjektive 
Korrelatanfgabe zur reinen, objektiven Kritik der Erkenntnis, zuweisen' zu müssen. 
(S. 124.) 

Übrigens hat der methodische. Vorschlag einer solchen „subjektiven Grund- 
wissenschaft' als einer „Probe' und „Ergänzung' (S. 128) der „objektiven Ana- 
lyse der faktisch gegebenen wissenschaftlichen Erkenntnisse' (S. 120) nicht die 
von Natorp angenommene „Neuheit' (S. 124). Vielmehr ist dieser Vorschlag, wie 
wir im dritten Teile zeigen werden, in weit klarerer Weise von Fbies im Jahre 
1798 gemacht und in seiner „Neuen oder anthropologischen Kritik der Vernunft' 
(1807) auch ausgefüJirt worden. 

* Grundgesetze der Arithmetik, (Jena, 1893, 1903,) Band I, Vorwort, S. XIV flf, 

' Man vergleiche das Nachwort zum II. Bande, S. 253 ff. 

» Band I, Vorrede S. XK. 



540 L- Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [128 

die selber der logischen G-randsätze bedürfen. Wo ist denn hier 
der eigentliche IJrboden, auf dem alles mht?'' — Der Satz: „die 
Logik hat Psychologie nötigt ist zweideatig. Denn die Frage ist: 
Wofür hat die Logik Psychologie nötig? Für die Begründung 
oder für den Grund ihrer Sätze? Diese Zweideatigkeit versteckt 
sich hinter dem bildlichen Ansdrack ;,Urboden". 

Freoe sieht offenbar in dem Versuch einer psychologischen 
Begründung der Logik einen Zirkel. Und in der Tat setzt die 
Psychologie bereits ihrerseits die logischen Grrundsätze voraus.^ 
Dieser Umstand würde jedoch nur dann einen Zirkelschluß in der 
Begründung zur Folge haben, wenn diese Begründung ein 
Beweis sein sollte ; denn nur in diesem Falle würde der Grund der 
logischen Sätze in der Psychologie liegen, und die logischen Ge- 
setze würden zu Folgesätzen der Psychologie gemacht. 

61. Auch in Hüsserls Polemik gegen den „Psychologismus** 
beeinträchtigt das Fehlen dieser Unterscheidung die Strenge der 
Beweise. Husserl erklärt die „psychologische Begründung der 
Logik** für „absurd**.^ Das Hauptargument hierfür entnimmt er 
dem Umstände, daß die Sätze der Psychologie empirische sind, die 
der Logik aber apodiktische. Es sei eine „Unzuträglichkeit**, „daß 
Sätze, welche sich auf die bloße Form beziehen, erschlossen werden 
sollen aus Sätzen eines ganz heterogenen Gehalts*^.' Aber dieses 
Argument träfe nur den, der die logischen Sätze aus psycholo- 
gischen beweisen wollte ; denn allerdings würde ein solcher Beweis- 
versuch, da er die psychologischen Sätze als Gründe der logischen 

^ Das hier und im Folgenden über die logischen Grundsätze Gesagte bleibt 
auch richtig, wenn man den Terminus „logisch^ nicht auf seine formale Bedeu- 
tung einschränkt, sondern auch das von uns „metaphysisch" Genannte darunter 
befaßt. 

' Logische Untersuchungen (Halle 1900, 1901) Bd. I, S. 63. 

* Ebenda S. 166. Vgl auch S. 169 und 178. 



129] Zweiter Teil: Das Problem der Vemanftkritik. 541 

in Anspruch nehmen müßte; an der modalischen üngleichartigkeit 
der angeblichen Prämissen und Schlußsätze scheitern. Damit ist 
jedoch die Möglichkeit einer psychologischen Begründung der lo- 
gischen Grrundsätze noch keineswegs ausgeschlossen. Grrundsätze 
können nicht bewiesen werden, das liegt in ihrem Begriff; also ist 
ein solcher Beweis auch mit psychologischen Mitteln nicht zu 
führen. Wohl aber giebt es eine kritische Deduktion der logischen 
Grundsätze, und diese ist, da sie den Grrund der zu begründenden 
Sätze nicht enthält, sehr wohl auf psychologischem Wege 
möglich. 

Man vergleiche hierzu auch die folgende Stelle bei Husserl: 
^Hier gilt es vielmehr darauf hinzuweisen, daß das sozusagen 
Tatsächliche der Tatsache zur Sinnlichkeit gehört, und daß der Ge- 
danke, durch Hilfe der Sinnlichkeit rein kategoriale Gesetze zu 
begründen — Gesetze, die von aller Sinnlichkeit, also Tatsächlich- 
keit eigens abstrahieren und bloß über Vereinbarkeit, bezw. Un- 
vereinbarkeit der kategorialen Formen generelle und evidente Aus- 
sagen machen — die klarste (lerdßccöig slg &XXo yivog darstellt.^^ 
Was ist hiermit anderes gesagt, als daß Inhalt und Gegen- 
stand einer empirischen Begründung rationaler Erkenntnisse hin- 
sichtlich der Modalität ungleichartig sind? Eine Widerlegung 
eines solchen Begriindungsverfahrens kann man in dieser Fest- 
stellung nur dann suchen, wenn man die stillschweigende Voraus- 
setzung hinzunimmt, daß die Begründung einer Erkenntnis mit 
dieser Erkenntnis gleichartig sein müsse. Eine Begründung dieses 
Satzes aber ist bei Hüsserl nicht zu finden. Jedenfalls genügt es 
nicht, sich zur Entscheidung dieser Frage auf Sätze zu berufen 
wie den, daß „Wahrheiten, die rein im Inhalt" gewisser „Begriffe 



' Band H, S. 671. 
AklmdluffMi dar MM*ieb«B B«k«le. IL Bd. 35 



542 . L* NelBon: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [130 

gründen, . . . ihren Heimaisort nicht hahen können in den Wissen- 
schaften vom matter of fact, also anch nicht in der Psychologie*'.^ 
Soll hier anter dem ,, Heimatsort ^ der Grund verstanden werden, 
so ist der Satz völlig einwandfrei, aher er kann in diesem Falle 
nicht als Argument gegen die Möglichkeit einer psychologischen 
Begründung der Logik gelten. Soll aber der „Heimatsort^ die 
Begründung bedenten, so ist der Satz eine unbegründete Be- 
hauptung, die nur die dogmatische Bestreitung der Möglichkeit 
einer psychologischen Begründung der Logik mit anderen Worten 
wiedergiebt. 



xn. 

Husserhs phänomenologische Methode und die intellektaelle 

Anschauung. 

62. Infolge des Fehlens dieser Unterscheidung zwischen Grund 
und Begründung einerseits, Beweis und Deduktion andererseits, 
bleibt schließlich der Begriff des „Psychologismus" bei Hüsserl 
ziemlich unbestimmt. Warum — so muß man nach den erwähnten 
„antipsychologistischen^ Darlegungen fragen — warum ist es 
nicht „Psychologismus*^, wenn Hüssebl selbst im zweiten Bande 
seiner „Logischen Untersuchungen* eine „Phänomenologie der 
Denk- und Erkenntniserlebnisse" als „Voraussetzung für die zu- 
verlässige und letzte Festlegung der allermeisten, wo nicht aller 
objektiv-logischen Unterscheidungen und Einsichten" in Anspruch 
nimmt?* Man mag den „Deskriptionen" der Denk- und Erkennt- 
niserlebnisse, die den Lihalt der „Phänomenologie" bilden sollen,* 



1 Band I, S. 160. » Band H, S. 8f. » Ebenda, S. 18. 



131] . Zweite; Teil: Das Problem der Vernonftkritik. 543 

den Namen „Psychologie'' verweigern^; hören sie daxnm auf, der 
inneren Erfahmng anzugehören, — also einer Erkenntnisart, die 
nach den angeführten Argumentationen Husserls infolge ihrer Un- 
gleichartigkeit mit der rein logischen Erkenntnis für eine Begrün- 
dung dieser letzteren nnbraachbar sein sollte? 

Die „phänomenologische Fnndiemng der Logik'' oder die „Er- 
kenntnistheorie" hat nach Husserl znr Aufgabe eine „deskriptive 
Analyse der Erlebnisse nach ihrem reellen Bestände".* Woher 
also erhalten wir die Sätze der Phänomenologie, wenn nicht aus 
der Selbstbeobachtung oder der inneren Wahrnehmung? Hüssebl 
selbst sagt: „Während Gegenstände angeschaut, gedacht, mitein« 
ander in Beziehung gesetzt, unter den idealen Gesichtspunkten 
eines Gesetzes betrachtet sind u. dgl., sollen wir unser theore- 
tisches Interesse nicht auf diese Gegenstände richten . . ., sondern 
im Gegenteil auf eben jene Akte, . . . und diese Akte sollen wir 
nun in neuen Anschauungs- und Denkakten betrachten, sie analy- 
sieren, beschreiben, zu Gegenständen eines vergleichenden und 
unterscheidenden Denkens machen."' — Also die Akte, in denen 
sich die logischen Erkenntnisse vollziehen, sollen hier zum Gegen- 
stände der Erkenntnis gemacht werden, und zwar hinsichtlich ihres 
j^reellen Bestandes*^. Man vergleiche hierzu die andere Erklärung : 
„Es ist ein wesentlicher, schlechthin unüberbrückbarer Unterschied 
zwischen Idealwissenschaften und Realwissenschaften. Die ersteren 
sind apriorisch, die letzteren empirisch. '^^ Mögen also auch die 
Erkenntnisakte, die den Gegenstand der phänomenologischen Unter- 



^ Obgleich dies mit Hussebls eigenem Sprachgebrauch schwer zu vereinen 
w&re, da er bei seiner Polemik gegen die psychologische Begründung der Logik 
unter „Psychologie^ „die empirische Wissenschaft von den psychischen Tatsachen 
aberhaapt'' Tersteht (Band I, S. 170.) 

« Bd. n, S. 17, 20 f. » S. 10. * Bd. I, S. 178. 

35* 



644 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblenu [132 

snchung bilden, rein rationaler Natur sein, so sind doch diejenigen 
Erkenntnisakte, die den Inhalt der phänomenologischen Unter- 
suchnng bilden, da sie nicht wie jene auf allgemeine Gesetze, son- 
dern auf individuelle Tatsachen (den „reellen Bestand^ gewisser 
„ Erlebnisse '') gerichtet sind, durchaus empirischen Charakters, 
nämlich der inneren Wahrnehmung angehorig. 

63. Diese Konsequenz der modalischen üngleichartigkeit 
zwischen der logischen Erkenntnis selbst und der „phänomenolo- 
gischen Fundierung der Logik '^ ließe sich nur umgehen, wenn man, 
wie dies Fichte tat, den empirischen Charakter der inneren An- 
schauung leugnen und zu der Annahme einer intellektuellen Selbst- 
anschauung greifen wollte. Und in der Tat findet man bei Hussebl 
die Annahme einer der sinnlichen koordinierten, „kategorialen An- 
schauung^ vertreten.^ Aber uns ist keine Stelle begegnet, an der 
er eine solche intellektuelle Anschauung für die phänonienologisclie, 
d. h. auf die Erkenntnisakte gerichtete Erkenntnis in Anspruch 
nimmt. Vielmehr sagt er ausdrücklich: „Die Vorstellung als psy- 
chisches Erlebnis, gleichgiltig, ob sie sinnlich oder kategorial ist, 
gehört in die Sphäre des ,inneren Sinnes*." Er weist mit klaren 
Worten das Vorurteil zurück, daß die innere Anschauung, die einen 
nicht-sinnlichen Erkenntnisakt zum G-egenstande hat, selbst eine 
nicht-sinnliche Erkenntnis sein müsse: „Das Wahrnehmen eines 
wie immer beschaffenen Aktes oder Aktmomentes oder Aktkom- 
plexes heißt ein sinnliches Wahrnehmen. . . . Die Materie des 
Wahrnehmens steht in keinem Notwendigkeitszusammenhang mit 
der Materie des wahrgenommenen Aktes. . . . Dieselben psychischen 
Momente, welche in innerer Wahrnehmung sinnlich gegeben sind, 
können .... eine kategoriale Form konstituiren.^' 



* Bd. n, S. 476 ff., 614 flf., 684. « Bd. II, S. 649ff. 



133] Zweiter Tefl: Das Problem der Yemmiftkritik. 545 

Diese Worte sprechen den Unterschied von Inhalt nnd Gegen^ 
stand der kritischen Erkenntnis nnzweideutig aus. Was Hussebl 
von der psychologischen Kritik noch trennt, ist lediglich der Um- 
stand, daß bei ihm der Begriff der Deduktion fehlt und daß ihm 
infolgedessen in Ermangelung einer dem Beweise koordinierten 
Begriindungsmethode die bloße Berufung auf die innere Wahrneh- 
mung übrig bleibt. Daß ein solches Verfahren sich nicht selbst 
genug ist, ergiebt sich aus der Tatsache, daß der Grund der von 
HtJSSKBL „logisch^ genannten Urteile (zu denen die von uns „meta- 
physisch* genannten gehören), obgleich eine unmittelbare Erkennt- 
nis, doch ursprünglich dunkel ist, d. h. nicht für sich, sondern nur 
durch Vermittelung der Beflexian zum Bewußtsein kommt und in- 
folgedessen kein Gegenstand direkter Selbstbeobachtung werden 
kann. Vielmehr bedarf es einer psychologischen Theorie^ um die 
Existenz und Beschaffenheit jener unmittelbaren philosophischen 
Erkenntnis festzustellen. Hüsserl aber erklärt ausdrücklich, seine 
Phänomenologie solle keinerlei theoretische Wissenschaft sein^ und 
gerade auf diese Erklärung beruft er sich, um den Verdacht des 
Psychologismus abzuwehren : Nicht die Psychologie als theoretische 
Wissenschaft, sei das „Fundament der reinen Logik", sondern ledig- 
lich gewisse ;,Deskriptionen, welche die Vorstufe für die theore- 
tischen Forschungen der Psychologie bilden". „Die Notwendigkeit 
einer solchen psychologischen Fundierung der reinen Logik, nämlich 
einer streng deskriptiven, kann uns an der wechselseitigen Unab- 
hängigkeit der beiden Wissenschaften^ der Logik und Psychologie, 
nicht irre machen."* 

64. Gegen diese Einschränkung der Kritik auf bloße Deskrip- 
tion lassen sich noch weitere Einwendungen erheben. 

1) Ich erwähne nur kurz das Bedenken, ob eine solche Ein- 

« 8. 20. ' S. 18. 



546 L* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [134 

schränkang überhaupt durchführbar ist, ob nicht vielmehr jeder 
Satz der Phänomenologie bereits eine Anwendung der zu ,,fundie- 
renden^ Gesetze auf das bloße Material der inneren Wahrnehmung 
einschließt, und dies um so mehr, wenn die Phänomenologie nicht 
nur eine „Betrachtung**, sondern auch eine „Analyse**, »Ver- 
gleichung** und ^Unterscheidung** der Erkenntnisakte enthalten 
soll. (Man vergleiche den in § 62 zitierten Satz aus Band 11, 
Seite 10.) 

2) aber bemerken wir, daß die „Unabhängigkeit** der Logik 
von der Psychologie, wenn sie im streng logischen Sinne verstanden 
wird, durchaus nicht zur Voraussetzung hat, daß die Kritik (oder 
Phänomenologie) frei von aller Theorie und auf bloße Deskription 
eingeschränkt bleibt. "Worauf es, um diese Unabhängigkeit auf- 
rechtzuerhalten, ankommt, ist lediglich dies, daß die allgemeinen 
logischen Gesetze nicht selbst als Folgesätze der Kritik (oder 
Phänomenologie) abgeleitet werden. Und diese Bedingung ist 
auch dann erfüllt, wenn die Kritik die logischen Gresetze aus einer 
psychologischen Theorie der Vernunft dedueiert (nach dem von uns 
in den Kapiteln VIII und IX angegebenen Verfahren). 

3) Setzt man freilich, wie dies Hüsserl offenbar tut, voraus, 
alle psychologische Theorie sei notwendig genetisch^ so ist aller- 
dings klar, daß eine psychologische Theorie in diesem Sinne für 
die Lösung der Aufgabe der Kritik durchaus unbrauchbar sein 
muß. Aber diese Voraussetzung ist unbegründet. Warum soll sich 
die Theorie aus innerer Erfahrung hierin anders verhalten als die 
Theorie aus äußerer Erfahrung? Es mag in der Psychologie 
schwieriger sein, aber auch sie vermag sich über eine bloß ent- 
wickelungsgeschichtliche Betrachtung der Assoziation und Reflexion 
zu einer Theorie der Vernunft zu erheben, gerade so wie in der 



136] Zweiter TeO: Das Problem der Yemunftkritik. 547 

Astronomie die Gravitationstheorie unabhängig ist von der Eüt^ 
wickelongsgeschichte des Sonnensystems. 
4) HüssERL sagt: 

„Die reine Phänomenologie stellt ein Gebiet neutraler For- 
schungen dar, in welchem verschiedene Wissenschaften ihre 
Wurzeln haben. Einerseits dient sie zur Vorbereitung der 
Psychologie als empirischer Wissenschaß. Sie analysiert und be- 
schreibt die Yorstellungs-, Urteils-, Erkenntniserlebnisse, die in 
der Psychologie ihre genetische Erklärung, ihre Erforschung nach 
empirisch-gesetzlichen Zusammenhängen finden sollen. Anderer- 
seits erschließt sie die ,Quellen', aus denen die Grundbegriffe und die 
idealen Gesetze der reinen Logik ,entspringenS und bis zu welchen 
sie wieder zurückverfolgt werden müssen, um ihnen die für ein er- 
kenntniskritisches Verständnis der reinen Logik erforderliche 
,Elarheit und Deutlichkeit' zu verschaffen.^^ 
Wird in diesen Sätzen nicht das Wort „Wurzel" in zwei 
ganz verschiedenen Bedeutungen gebraucht? Wie sollen wir den 
Ausdruck, die Phänomenologie „erschließe" die „Quellen", aus denen 
die Prinzipien der reinen Logik „entspringen", verstehen, wenn 
nicht in dem Sinne, daß die Phänomenologie den Erkenntnisgrund 
der logischen Prinzipien zum Gegenstande habe? Hat aber die 
Phänomenologie diesen Grund der logischen Prinzipien zum Gegen- 
stände, so kann sie nicht selbst den Grund der logischen Prinzipien 
enthalten. Gerade in dieser Beziehung des Grundes steht aber die 
Phänomenologie zu dem, was Husserl an dieser Stelle Psychologie 
nennt. Und gerade und ausschließlich zufolge dieser Beziehung 
der Phänomenologie zur Psychologie gilt es, daß die Psychologie 
eine empirische Wissenschaft ist. Denn eine Wissenschaft ist em- 
pirisch, wenn sie ihren Grund in der (sinnlichen) Wahrnehmung 

' S. 4. 



548 L- Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [136 

hat; mcht aber, wenn sie „gesetzliche Zusammenhänge'' zu er- 
forschen hat. Denn gesetzliche Zusammenhänge bilden den Gegen- 
stand der Mathematik und Logik so gut wie den der Psychologie. 
Nicht also, wieHüsSERL meint, durch Beschränkung der Kritik auf 
bloße Deskription and durch Ausschließung aller Theorie läßt sich 
die systematische Unabhängigkeit der Logik von der Empirie mit 
der Möglichkeit der Kritik in Einklang bringen, sondern allein durch 
den Hinweis, daß die kritische Begründung den Grund der logischen 
Prinzipien nicht zum Inhalt hat. 

65. Der Umstand aber, der vor allen Dingen gegen die Be- 
schränkung der Kritik auf bloße Deskription entscheidend ist, liegt, 
wie schon hervorgehoben, in der Nicht-Anschaulichkeit der den 
Grund der philosophischen Urteile bildenden Erkenntnis, d. h. in 
ihrer ursprünglichen Dunkelheit. Es ist ein Vorurteil, daß der 
Unmittelbarkeit der Erkenntnis die Unmittelbarkeit des Bewußt- 
seins um die Erkenntnis entsprechen müsse. Dieses Vorurteil aber 
ist kein anderes als die bereits § 50 f. von uns als falsch erkannte 
Voraussetzung, alle Erkenntnis entspringe entweder der Reflexion 
oder der Anschauung. Diese Voraussetzung wird von Husskrl aus- 
drücklich vertreten. 

HussERL erkennt die Unterscheidung zwischen dem Urteil und der 
Anschauung (die er mit der „Wahrnehmung" identifiziert) deutlich 
an: „Die Wahrnehmung, welche den Gegenstand giebt und die Aus- 
sage, die ihn mittelst des Urteils . . . denkt und ausdrückt, sind völlig 
zu sondern."^ Auch die Mittelbarkeit aller derjenigen Urteile, die 
sich nicht auf sinnliche Wahrnehmung gründen, findet bei ihm An- 
erkennung. Jedes Urteil weist zurück auf eine unmittelbare Er- 
kenntnis, in der es seine „Erfüllung" findet. Soweit besteht volle 



S. 493. 



137] Zweiter Teil: Das Problem der Yernunftkritik. 549 

Übereinstimmung zwischen Hüssbhls Phänomenologie und der psy- 
chologischen Kritik: „Wenn ... die neben den stofflichen Mo- 
menten vorhandenen, ,kategorialen Formen' des Ausdrucks nicht in 
der Wahrnehmung, sofern sie als bloße sinnliche Wahrnehmung 
verstanden wird, terminieren, so . . . muß jedenfalls ein Akt da 
sein, welcher den kategorialen Bedeutungselementen dieselben 
Dienste leistet, wie die bloße sinnliche Wahrnehmung den stoff- 
lichen.*** Aus dieser Feststellung schließt aber Husserl unmittelbar 
auf die Existenz einer nicht-sinnlichen, „kategorialen Anschauung** : 
„In der Tat können wir auf die Frage, was das heißt, die 
kategarial geformten Bedeutungen fänden Erfüllung, . . . nur ant- 
worten: es heiße nichts Anderes, als . . . der Gregenstand mit diesen 
kategorialen Formen sei • . « nicht bloß gedacht, sondern eben 
angeschaut, bezw. wahrgenommen.^^ »Wir werden daher ganz all- 
gemein zwischen sinnlicher und Jcategorialer Anschauung unter- 
scheiden . . . müssen.**' „In solchen Akten liegt das Kategoriale 
des Anschauens und Erkennens, in ihnen findet das aussagende 
Denken, wo es als Ausdruck fungiert, seine Erfüllung ; die Mög- 
lichkeit vollkommener Anmessung an solche Akte bestimmt die 
Wahrheit der Aussage als ihre Richtigkeit.*** 
Man sieht ohne weiteres, daß dem in diesen Sätzen ausge- 
sprochenen Schlüsse die stillschweigende Voraussetzung zu G-mnde 
liegt, alle unmittelbare Erkenntnis sei Anschauung. 

Nun konnte man allerdings geneigt sein, den Widerspruch, in 
den sich die zuletzt zitierten Sätze mit der Tatsache der Nichi- 



» S. 614. « S. 614 f. • S. 616. 

< S. 618 f. Vgl. auch S. 634, sowie S. 21 die folgende Formalierang der 
Aafgabe der Phänomenologie : „Die reinen Erkenntnisformen and Gesetze will sie 
dorch Rückgang aaf die adäqaat erfüllende Anschaaang zor Klarheit and Deut* 
lichkeit erheben.* 



560 li- Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [138 

anschaalichkeit der philosophischen Erkenntnis verwickeln, ledig- 
lich im Wortlaut zu suchen. Man könnte versuchen, das in ihnen 
vorkommende Wort ,, Anschauung" als ein Synonym für das zu 
betrachten, was wir „unmittelbare Erkenntnis" nennen, so daß 
diese Sätze nur auf eine Umschreibung für unsere Behauptung der 
Existenz einer nicht-sinnlichen (intellektuellen) unmittelbaren Er- 
Jcenntnis hinausliefen. Nach einem solchen Sprachgebrauch könnte 
man mit Eecht sagen, jede Erkenntiiis sei entweder Urteil oder 
Anschauung.^ Dann aber hätte man außer dem Unterschiede sinn- 
licher und nicht-sinnlicher (oder intellektueller) Anschauung noch 
den weiteren Unterschied zu berücksichtigen zwischen unmittelbar 
bewußten Anschauungen und solchen, die uns nur durch Reflexion (im Ur- 
teil) jsum Bewußtsein kommen. Leider findet aber dieser letztere, über- 
aus wichtige Unterschied bei Hussebl, soweit wir sehen, keine Be- 
achtung ; und schon dieser eine Umstand, sowie auch seine früher^ 
erwähnte Lehre von der Evidenz aller wahren Erkenntnis, sprechen 
gegen diese Auslegung. Was aber diese letztere vollends unan- 
nehmbar macht, ist Hussbrls Beschränkung der Kritik auf bloße 
Deskription unter Ausschließung aller Theorie. Diese Beschrän- 
kung setzt, wie wir (§ 63) gezeigt haben, notwendig die Anschau- 
lichkeit (in dem von uns definierten Sinne) der philosophischen Er- 
kenntnis voraus. Diese Voraussetzung hat aber nicht nur die Ent- 
behrlichkeit eines theoretischen Verfahrens der Kritik zur Folge, 
sondern muß in ihrer Konsequenz jegliche Kritik der Vernunft über^ 
haupt illusorisch machen und auf einen uneingeschränkten Dogma- 
tismus zurückführen, da eine Erkenntnis, die uns unmittelbar be- 

* In dieser Weise ließe sich z. B. ungezwungen die Äußerung Hussekls 
interpretieren, da.ß, „wenn wir dem Denken das Anschauen gegenübersetzen, nnter 
dem Anschauen nicht das bloße sinnliche Anschauen verstanden werden^ könne. 
(S. 638.) 

•§ 23. 



139] Zweiter Teil: Das Problem der Vemanftkritik. 551 

Wüßt ist; nicht einer besonderen Wissenschaft zu ihrer Aafweisnng 
bedarf. Und endlich müßte sogar die Frage aufgeworfen werden, 
ob oder warum denn nicht, wenn alle unmittelbare Erkenntnis 
Anschauung sein soll, die Reflexion überhaupt entbehrlich sei. Kommt 
uns alle Erkenntnis unmittelbar zum Bewußtsein, so bedürfen wir 
keiner Reflexion mehr^ um uns irgend welcher Erkenntnisse bewußt 
zu werden. 



xnL 

Rickerts Transzendentalismas als Beispiel eines versteokten 

Psychologismus. 

66. Wenn ein Forscher wie Freoe aus Abneigung gegen die 
psychologische Methode selbst wieder ein rein dogmatisches Ver- 
fahren einschlägt, so ist ein solches Vorgehen durchaus folgerich- 
tig. Das Verfahren aber, das gewöhnlich von den Antipsycholo- 
gisten eingeschlagen wird: die Möglichkeit psychologischer Kritik 
zu bestreiten und dann, statt alle Kritik überhaupt zu verwerfen, 
eine nie W-psychologische Kritik zu unternehmen,* — dieses Ver- 
fahren entbehrt durchaus aller logischen Konsequenz. Denn aus | 
unseren Darlegungen (Kapitel IX) geht hervor, daß es nicht eine 
Alternative zwischen psychologischer und nicht-psychologischer 
Kritik, sondern nur eine solche zwischen psychologischer Kritik] 
und Dogmatismus geben kann. Die notwendige Folge hiervon ist, 
daß alle Begründungsversuche einer nicht-psychologischen Kritik, 
wie sie den sogenannten Transzendentalismus kennzeichnen, genau 

^ Dieses Verfahren findet bei Husserl nur scheinbar statt. Die „phänomeno- 
logische'' Methode ist, wie wir gesehen haben, seiner eigeneq Se^chireibang zu* 
folge, eine in onserem Sinne psychologische. 



562 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [140 

betrachtet stets nur durch versteckte Einfühning psychologischer 
Erkenntnismittel möglich sind, so daß der vorgebliche Antipsycho- 
logismus der TranszendentaJisten selbst nichts anderes als ein ver- 
kappter Psychologismns sein kann. Eine Tatsache, die durch die 
kritischen Ausführungen unseres ersten Teiles vollauf bestätigt 
wird. Der Naditeil, der mit der Verkennung der psychologischen 
Natur solcher „transzendentalen^ Argumentationen verbunden ist, 
trat in den dort besprochenen Beispielen deutlich zu Tage: Wo 
die Beobachtung nicht bewußt als Kriterium anerkannt wird, ihre 
Ergebnisse vielmehr mit spekulativen Einsichten vermengt werden, 
da wird naturgemäß eine methodische Anwendung dieses Kriteriums 
erschwert, wo nicht unmöglich gemacht. Man verliert die Mög- 
lichkeit, Fehler der Selbstbeobachtung zu erkennen und zu berich- 
tigen. Unter dem Vorwande, gar nicht psychologisch genieint zu 
sein, werden fehlerhafte Sätze eingeführt, die in der Tat nur 
insofern nicht als psychologisch gelten können, als sie mit den 
Tatsachen der Selbstbeobachtung nicht in Einklang zu bringen 
sind. 

Wir erinnern zum Beweise hierfür nur an die im VI. Kapitel 
besprochene Erkenntnistheorie Rickerts. Dieser verfährt so, daß 
er von einem ausgesprochenermaßen das individuelle Bewußtsein 
betreffenden und somit offenbar psychologischen — übrigens fal- 
schen — Satze ausgeht, daß er dann diesem Satze das Gepräge 
einer logischen Notwendigkeit zu geben sucht, um ihn schließlich 
mit Berufung auf diese Notwendigkeit auf das überindividuelle 
„Bewußtsein überhaupt" zu übertragen und auf solche Weise zu 
einer „logischen Voraussetzung** alles Wissens zu stempeln. Wir 
wollen, um hierüber jeden Zweifel zu zerstreuen, noch mit einigen 
Worten auf ßiCKERTs Lehre vom Willen als logischer Vorausset;sung 
aller Wahrheit eingehen. 



141] Zweiter Teil: Das Problem der Vemanftkritik. 553 

67. RiCKERT sagt: »Von dem Begriff der Wahrheit ist der Ge- 
danke, daß das wahr Genannte das ist, was . . . für das erkennende 
Subjekt Wert hat, begrifflich nicht loszulösen, und so schließt die 
Konstatierung einer jeden Tatsache in einem Urteil, das auf Wahr- 
heit Anspruch macht, bereits die Stellungnahme zum Wahrheits- 
wert und seine Anerkennung durch das erkennende Subjekt ein.^^ 
Das Richtige, was diesem Satze zu Grunde liegt, besteht in der 
Beobachtung, daß die Anerkennung des Wahrheitswertes des Ur- 
teils eine psychologische Bedingung für das wirkliche Zustande- 
kommen des Urteils ist. Aber diese psychologische Bedingung der 
Entstehung des Urteils verwechselt Rickeet mit einer logischen 
Bedingung der Gültigkeit des Urteils. Für ihn bildet der Begriff 
eines „wertenden Subjekts*' „die logische Voraussetzung jedes Für- 
wahrhaltens". „Die Anerkennung des Wahrheitswertes ist die 
logische Voraussetzung jeder Wissenschaft." Der Wille zur Wahr- 
heit „ist daher das letzte ,a priori* jeder Wissenschaft".* „Das 
Wort Sein hat nur als Urteilsprädikat einen Sinn, und insofern 
ist der Wille, der den Wahrheitswert überhaupt anerkennt, die 
logische Voraussetzung aller Existenzialurteile."' Nach Riceurt 
„zwingt uns eine rein theoretische Unter suchxmg des Erkennens, 
wie des logischen Denkens überhaupt, noch hinter die logische 
Notwendigkeit zurückzugehen und in dem ein Sollen anerkennenden 
Willen das zu sehen, worin die logische Notwendigkeit selbst 
erst ihren ,Grund* hat." „Erst in dem das Sollen seiner selbst 
wegen anerkennenden Willen" können wir nach Riceebt „das letzte 
Fundament des Erkennens sehen, für das dann keine Begründung 
mehr möglich ist".* 



^ Die Grenzen der naturwissenschaftlichen BegriffshUdong, S. 665. 
• 8. 669ff. » S. 683. * 8. 69a 



664 L. Nelson: Über das sogenannte firkenntnisproblem. [142 

Die Trugschlüsse, die diesen Sätzen zu Grunde liegen, sind 
offensichtlicli. Indem Rickest die psychologischen Bealgriinde des 
Urteilens mit den logischen Gründen der Wahrheit des Urteils 
verwechselt, treibt er selbst den Fehler auf die Spitze, den er zu 
widerlegen vorgiebt: die Yermengnng psychologischer Gesichts- 
punkte mit logischen. Der Wille zur Wahrheit ist nicht mehr 
und nicht weniger eine „logische Voraussetzung jeder Wissen- 
schaft^ wie etwa das Essen und Trinken nnd alle übrigen leib- 
lichen und seelischen Verrichtungen, deren Ausbleiben die Unmög- 
lichkeit, Urteile zu fallen und Wissenschaft zu treiben, zur Folge 
haben würde, weil ohne sie der Mensch überhaupt nicht leben, ge- 
schweige denn sich wissenschaftlich betätigen könnte. Wer wird 
aber von der Möglichkeit Hunger und Durst zu stillen die Wahr- 
heit irgend welcher Urteile abhängig machen wollen. — Natürlich 
sträubt sich Riceert aufs lebhafteste gegen die Zumutung, seine 
Argumentationen hätten es in irgend einer Hinsicht mit psycho- 
logischen oder psychophysischen Fragen zu tun. „Der Wille, der 
das transzendente Sollen anerkennt^ und der selbst der Grund 
aller logischeu Notwendigkeit sein soll, „hat mit irgend welchem 
Wünschen oder individuellen Wollen nichts gemein".* „Es kann 
sich hier nicht etwa um die Aufstellung einer psychologischen 
Theorie handeln, da jede derartige Theorie bereits das voraussetzen 
muß, was durch sie erst begründet werden soll."* Gewiß: jede 
psychologische Theorie muß bereits die logische Notwendigkeit 
sowie die Möglichkeit des Erkennens überhaupt voraussetzen. Aber 
man muß schon sehr gutgläubig sein, um auf Rickerts Behauptung 
einzugehen, daß die „Erkenntnistheorie" oder „Wissenschaftslehre" 



» S. 683. 

« S. 672. Vgl. auch S. 666 und 685, sowie S. U: „Wir müssen vor AUem 
darauf hinweisen, daß Erkenntnistheorie in unserem Sinne nkht Psychologie ist** 



143] Zweiter TeO: Das Problem der Vernonftkritik. 565 

dieser Yoraussetzimg entraten kann. Sagt doch Rickert selbst: 
„Das einzige den Intellekt absolut zwingende Eriterinm, das wir 
bei dem Versuch einer logischen Deduktion der überempirischen 
wissenschaftlichen Voraussetzungen haben, ist die Aufzeigung des 
Widerspruchs, der in jeder Leugnung dieser Voraussetzungen 
steckt. **! 
Das Kriterium der Eickertschen Erkenntnistheorie soll also 
in der Unmöglichkeit des Widerspruchs liegen; d. h. doch wohl 
in der logischen Notwendigkeit, also in demjenigen, was durch 
diese Theorie erst begründet werden soll. Grerät also nach Rickkst 
der „Psychologismus" notwendig in einen Zirkel*, so tut dies erst 
recht der Fsychologismus Rickerts. Denn die Rickertsche Er- 
kenntnistheorie ist Psychologismus, wenn man recht hat, die Ver- 
wechslung der Realgründe der Entstehung eines Urteils mit den 
logischen Gründen seiner Wahrheit „Psychologismus" zu nennen. 
Ohne die psychologische Beobachtung der Abhängigkeit des Ur- 
teils vom Willen hätte Rickert nie dazu gelangen können, den 
Willen in seine Erkenntnistheorie einzuführen; wenngleich er 
natürlich hinterher, um den Schein des Psychologismus zu vermei- 
den, die psychologische Natur dieser Beobachtung leugnen mußte. 
Denn auch der an sich richtige Satz von der Abhängigkeit des 
Urteilens vom Willen läßt sich durchaus nicht auf das von Rickert 
angegebene Elriterium gründen, daß „in seiner Leugnung ein Wider- 
spruch steckt"^ Die Leugnung dieses Satzes ist ohne jeden Wider- 
spruch durchführbar; der Satz läßt sich schlechterdings nicht auf 
eine angebliche logische Notwendigkeit, sondern ausschließlich auf 
psychologische Beobachtung gründen. Was aber hier die psycho- 
logische Beobachtung zeigt, ist nicht eine Abhängigkeit des Er- 
Jcennens überhaupt vom Willen, sondern nur eine solche des Erkennens 

» S. 693. * S. 686. 



566 ^- Nelson: Über das sogenannte £rkenntnisproblem. [144 

durch Urteile; und schon aus diesem Grunde ist der Satz von dem 
Willen als „letztem Fundament des Erkennens^ falsch* 

RicKEBTS Begründung dieses Satzes enthält also eine drei- 
fache Verwechslung : 1) begeht er die psychologische Verwechslung 
der Abhängigkeit des Urteils vom Willen mit der angeblichen 
Abhängigkeit alles ErJcennens vom Willen; 2) verwechselt er die 
faktisch-psychologische Natur des Satzes von der Abhängigkeit 
des Urteils vom Willen mit einer logischen Notwendigkeit; und 3) 
verwechselt er die Ursache der Entstehung des UrteUs mit dem 
Grunde seiner Gültigkeit. 



XIV. 

Lipps' „Ghnindwissenschaft". Der Begriff des Denkgesetzes. 

68. Schließlich dürfen wir die neuerdings von Lipps angestellten 
Betrachtungen über die uns beschäftigende Frage nicht übergehen. 
In seiner Schrift: „Lihalt und Gegenstand, Psychologie und Logik' 
stellt sich Lipps die Aufgabe, den Begriff der Logik zu bestimmen 
und ihr Verhältnis zur Psychologie klarzulegen. Das Wort ,,Logik^ 
wird dabei in einem sehr weiten Sinne gebraucht und, wie es 
scheint, als gleichbedeutend mit dem Ausdruck „Metaphysik". 
„Logik" soll die „Wissenschaft vom Denken^ sein \ trotzdem aber 
nicht zur empirischen Psychologie gehören'. Logik soll es mit 
der „Frage nach den Erkenntnisquellen" zu tun haben, sie soll 
erkennen, „wie Erkenntnis entsteht und was ihr Wesen ist".' 
Wie können wir aber das Denken und Erkennen anders erkennen 
als durch innere Erfahrung? „Logik'^, sagt Lipps, ist „ Wissen- 

^ Inhalt und Gegenstand, Psychologie und Logik, S. 556. 
» 8. 662. » 8. 667. 



145] Zweiter Tefl: Das Problem der Yemanftkritik. 557 

Schaft vom Apriorischen", sie „weist die apriorische Gesetzmäßig- 
keit anf^.^ Diese Erklärung ist zweideutig. Was soll hier der 
Gregenstand der Logik sein? Die a priori erkennbaren Gesetze? 
Oder die apriorische Erkenntnis der Gresetze? Man muß wohl 
das letztere vermuten, wenn man liest: »Logik ist die Wissen- 
schaft, die aus allem Denken und Erkennen das Apriorische 
herauslöst.*** Wenn aber die Wissenschaft vom apriorischen Er- 
kennen die Logik sein soU, welcher Wissenschaft gehört dann 
das apriorische Erkennen selbst an? Ist andererseits die Unter- 
scheidung apriorischen und empirischen Erkennens nicht eine psy- 
chologiscJie? Greht sie auf den Gegenstand der Erkenntnis oder 
nicht vielmehr auf den Ursprung oder die ErkenntnisgueJte? Wie 
anders also soll die Herauslösung des Apriorischen aus dem Er- 
kennen vor sich gehen als durch psychologische Untersuchung des 
tatsächlich in der inneren Erfahrung vorzufindenden Erkennens? 
Oder folgert Lipps aus der Apriorität der Erkenntnis, die nach 
seiner Definition den Gegenstand der Logik bildet, die Apriorität 
der Erkenntnis, die ihren Inhalt bildet? 

Aber Lipps hat wiederum mit dem „Denken** und „Erkennen** 
gar nicht das im Auge, was nach dem gewöhnlichen Sprach- 
gebrauch unter diesen Ausdrücken zu verstehen ist, sondern viel- 
mehr das Denken und Erkennen des „überindividuellen Ich**.' Nun 
wohl, wird man sagen, dann versteht es sich, daß, da wir durch 
innere Erfahrung stets nur unser individtielles Ich erkennen, die 
Logik, als Wissenschaft vom ü&mndividuellen Ich, nicht zur 
empirischen Psychologie gehören kann. Doch fast scheint es mit- 
unter, als solle der Ausdruck, „überindividuelles Ich** bei Lipps 
nur den Wert einer anderen Bezeichnung für das ^^Apriorische** 



* S. 667. • S. 667. » S. 567. 

IbkaBdliBfftB dtr M«*fekM Schalt. H. B4» < 36 



558 ^- Nelson: Über das sogenannte Srkenntnisproblem. tl4ß 

habeiiy so daß der Gegensatz des Empirischen and Apriorischen 
identisch wäre mit dem des Individuellen und Überindividaellen. 
Den Satz, daß Logik „ans allem Denken und Erkennen das 
Apriorische herauslöst", setzt Lipps fort mit den Worten: „und 
damit aus dem denkenden individuellen Ich das äberindividuell 
und überzeitlich denkende Ich'. Und nachdem Lipps erklärt hat, 
Logik stelle die apriorischen Quellen und die apriorische Gesetz- 
mäßigkeit der Erkenntnis auf, fährt er fort: „Die Logik, so 
können wir dies auch ausdrücken, zeigt den von der Zufälligkeit 
des Individuums unabhängigen denkenden Geist oder sie ist die 
Darstellung des reinen Verstandes/ Hiernach scheinen in der 
Tat die Ausdrücke „a priori" und „überindividuell" Synonyma zu 
sein, ebenso wie die entsprechenden „empirisch" und „individuell". 
Verhält es sich aber so, dann giebt es ja für das, was „über- 
individuell" ist, gar kein anderes Eriterium als die Apriorität; 
und sofern diese ein psychologischer Begriff ist, wird auch die 
Wissenschaft vom Überindividuellen eine psychologische sein müssen. 
Lipps findet es anders: 

„Die Wissenschaft von dem, was alle Erkenntnis erst zur Er- 
kenntnis macht, dürfen wir die reine Wissenschaft nennen. . . . 
Diese ,reine* Wissenschaft ist, als solche, zugleich die erste 
Wissenschaft, die fjtQcatri q>do6oq>uc^. Dann sind die Logik und 
weiterhin die reine normative Ästhetik und Ethik Disziplinen 
dieser ,reinen' oder ,ersten' Wissenschaft. Ihnen stehen gegenüber 
die empirischen Wissenschaften."^ 
Hier hat Lipps offenbar Folgendes verkannt. Logik soll aus 
allem Erkennen das Apriorische „herauslösen". Die „logische" 
Erkenntnis, die das Apriorische aus der Erkenntnis herauslite^, 

^ S. 558. 



147] Zweiter Tefl: Das Problem der Temnnftkritik. 559 

darf hier nicht verwechselt werden mit der apriorischen Erkenntnis, 
die dnrch die „logische^ Erkenntnis herausgelöst wird. Die aprio- 
rische Erkenntnis bildet nach Lipps' Definition den Gegenstand der 
Logik. Offenbar hat er diese apriorische Erkenntnis im Auge, wenn 
er von dem spricht, was alle Erkenntnis erst zor Erkenntnis macht. 
Und offenbar vermengt er dieses, was alle Erkenntnis erst zur 
Erkenntnis macht, mit der Erkenntnis von dem, was alle Erkennt- 
nis erst zur Erkenntnis macht, d. h. er verwechselt das, was er 
als den Gregenstand der Logik definiert hat, mit dem Inhcdt dieser 
Wissenschaft, wenn er die Wissenschaft „von" dem, was alle Er- 
kenntnis erst zur Erkenntnis macht, als die „reine^ und „erste^ 
Wissenschaft bezeichnet. Er halt die Wissenschaft, die die apri- 
orischen Grründe der Erfahrungswissenschaften zum Gegenstande 
hat, selbst für den apriorischen Grund dieser Wissenschaften. 
Diese Verwechslung zeigt sich schon darin, daß er die fragliche 
Wissenschaft einerseits als „Logik^ und weiterhin auch als „Meta- 
physik" bezeichnet, während er ihr an anderer Stelle geradezu 
den Namen „Kritik der Vernunft** giebt.* „Metaphysik" soll die 
fragliche Wissenschaft heißen, weil sich ihr Begriff mit dem 
Aristotelischen der XQantj fpiXoöotpCa decke; weil sie „die Wissen- 
schaft vor allen anderen Wissenschaften", weil sie die j^Grund- 
Wissenschaft' sei ' In diesem letzten Ausdrucke verrät sich wieder 
aufs deutlichste die fehlerhafte Identifizierung von Grrund und 
Begründung. Wird die kritische Begründung der Erfahrungs- 
wissenschaften, d. h. die Aufweisung ihrer apriorischen Grründe, 
mit diesen Gründen selbst verwechselt, so muß die Kritik als 
eine apriorische Wissenschaft erscheinen und kann daher natürlich 
nicht der Psychologie zugerechnet werden. Diese Konsequenz 

1 8. 669. < 8. 6681 

36* 



568 ^- Nebon: Über das sogenannte Srkenntnisproblem. M4g 

habeiiy so daß der Gegensatz des Empirischen and Apriorischen 
identisch wäre mit dem des Individuellen und Überindividnellen. 
Den Satz, daß Logik „aus allem Denken und Erkennen das 
Apriorische herauslöst", setzt Lipps fort mit den Worten: „und 
damit aus dem denkenden individuellen Ich das überindividuell 
und überzeitlich denkende Ich**. Und nachdem Lipps erklärt hat, 
Logik stelle die apriorischen Quellen und die apriorische Gesetz- 
mäßigkeit der Erkenntnis auf, fährt er fort: „Die Logik, so 
können wir dies auch ausdrücken, zeigt den von der Zufälligkeit 
des Individuums unabhängigen denkenden Geist oder sie ist die 
Darstellung des reinen Verstandes/ Hiernach scheinen in der 
Tat die Ausdrücke „a priori" und „überindividuell" Synonyma zu 
sein, ebenso wie die entsprechenden „empirisch" und „individuell". 
Verhält es sich aber so, dann giebt es ja für das, was „über- 
individuell" ist, gar kein anderes Kriterium als die Apriorität; 
und sofern diese ein psychologischer Begriff ist, wird auch die 
Wissenschaft vom Überindividuellen eine psychologische sein müssen. 
Lipps findet es anders: 

„Die Wissenschaft von dem, was alle Erkenntnis erst zur Er- 
kenntnis macht, dürfen wir die reine Wissenschaft nennen. . . . 
Diese ,reine' Wissenschaft ist, als solche, zugleich die erste 
Wissenschaft, die ^xgcatri q>iXo6oipia^. Dann sind die Logik und 
weiterhin die reine normative Ästhetik und Ethik Disziplinen 
dieser ,reinen' oder ,ersten' Wissenschaft. Ihnen stehen gegenüber 
die empirischen Wissenschaften."^ 
Hier hat Lipps offenbar Folgendes verkannt. Logik soll aus 
allem Erkennen das Apriorische „herauslösen". Die „logische" 
Erkenntnis^ die das Apriorische aus der Erkenntnis herauslcte^, 

^ S. 558. 



147] Zweiter TeÜ: Das Problem der Vemanftkritik. 559 

darf hier nicht verwechselt werden mit der apriorischen Erkenntnis, 
die durch die „logische^ Erkenntnis herausgelöst wird. Die aprio- 
rische Erkenntnis bildet nach Lipps' Definition den Gegenstand der 
Logik. Offenbar hat er diese apriorische Erkenntnis im Auge, wenn 
er von dem spricht, was alle Erkenntnis erst zur Erkenntnis macht. 
Und offenbar vermengt er dieses, was alle Erkenntnis erst zur 
Erkenntnis macht, mit der Erkenntnis von dem, was alle Erkennt- 
nis erst zur Erkenntnis macht, d. h. er verwechselt das, was er 
als den Gegenstand der Logik definiert hat, mit dem Inhalt dieser 
Wissenschaft, wenn er die Wissenschaft „von*' dem, was alle Er- 
kenntnis erst zur Erkenntnis macht, als die „reine" und „erste" 
Wissenschaft bezeichnet Er hält die Wissenschaft, die die apri- 
orischen Gründe der Erfahrungswissenschaften zum Gegenstande 
hat, selbst für den apriorischen Gnmd dieser Wissenschaften. 
Diese Verwechslung zeigt sich schon darin, daß er die fragliche 
Wissenschaft einerseits als „Logik" und weiterhin auch als „Meta- 
physik" bezeichnet, während er ihr an anderer Stelle geradezu 
den Namen „Kritik der Vernunft" giebt.^ „Metaphysik" soll die 
fragliche Wissenschaft heißen, weil sich ihr Begriff mit dem 
Aristotelischen der tcqAxi^ fpiloöofpia decke; weil sie „die Wissen- 
schaft vor allen anderen Wissenschaften", weil sie die j,Grund- 
Wissenschaft^ sei. ' Li diesem letzten Ausdrucke verrät sich wieder 
aufs deutlichste die fehlerhafte Identifizierung von Grund und 
Begründung. Wird die kritische Begründung der Erfahrungs- 
wissenschaften, d. h. die Aufweisung ihrer apriorischen Gründe, 
mit diesen Gründen selbst verwechselt, so muß die Kritik als 
eine apriorische Wissenschaft erscheinen und kann daher natürlich 
nicht der Psychologie zugerechnet werden. Diese Konsequenz 

' 8. 669. > 8. 6681 

36* 



660 I«* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [148 

zieht Lipps, indem er sagt: ;,Wie die Grondlage aller Wissen- 
schaften, so ist diese Wissenschaft insbesondere auch die G-rond- 
lage der empirischen Psychologie."^ "Wie ist es dann aber mög- 
lich, daß die fragliche Wissenschaft, „ausgehend vom individuellen 
Bewußtsein" „zum reinen Bewußtsein führt" ?^ Wenn sie vom 
individuellen Bewußtsein ausgeht, so geht sie von psychologischen 
Feststellungen aus. Was führt sie dann aber über das psycho- 
logische Ausgangsgebiet hinaus'i Lipps operiert häufig bei seinen 
„psychologischen Untersuchungen" mit . „metaphysischen Folge- 
rungen"'. Wie ist es aber möglich, aus psychologischen Sätzen 
metaphysische zu folgern? Sollte dies geschehen können, so 
würde ja umgekehrt die Psychologie zur „Grundwissenschaft" der 
Metaphysik gemacht, und es würde nicht die Metaphysik die 
Grundwissenschaft der Psychologie sein können. 

69. In der Tat finden wir diese umgekehrte — unzweifelhaft 
psychologistische — Auffassung in der jüngsten methodologischen 
Publikation von Lipps wieder in den Vordergrund gerückt. Euer 
wird die „normative Ästhetik", die nach dem vorhin Zitierten 
eine Disziplin der Metaphysik sein sollte, ausdrücklich als eine 
Disziplin der Psychologie in Anspruch genommen. Das haupt- 
sächliche Argument hierfür entnimmt Lipps seiner teleologischen 
Erkenntnistheorie.* Wie nämlich die Wahrheit eines Urteils 
darauf beruhen soll, daß das Urteil von uns gefordert sei, so soll 
die Schönheit eines Gegenstandes darauf beruhen, daß von uns 



' S. 669. 

' Man beachte auch den Satz: ,,Und das indimdtMt Bewustsein ist es, in 
dem das reint gefunden wird." (S. 669.) 

' So z. B. Psychologische Untersuchungen, Bd. I, Heft 1, S. 125. 
* Vgl. das yr. Kapitel des ersten Teils dieser Schrift. 



149] Zweiter Teil: Das Problem der Yemnnftkritik. 561 

gefordert sei, den Q-egenstand auf gewisse Weise zu werten.^ Ist 
also Ästhetik „die Wissenschaft vom Schonen" *, so hat sie die 
Frage zu beantworten, worin das ästhetische Werten bestehe. 
Da aber das Werten nur „im Bewußtsein*^ vorkommt, also nur 
auf Grund psychologischer Betrachtung erkannt werden kann, so 
folgt, daß die Ästhetik zur Psychologie gehört. 

Diese Argumentation hat den Fehler, daß sie zu viel beweist. 
Denn auf dieselbe Weise ließe sich beweisen, daß jede Wissen- 
schaft zur Psychologie gehört. Die Berechnung einer Kometen- 
bahn beispielsweise ist nach Lipps „wahr", wenn sie von uns 
gefordert ist. Da aber das Rechnen nur im Bewußtsein vorkommt, 
so würde folgen, daß das Berechnen von Kometenbahnen eine 
Aufgabe der Psychologie ist. 

Der Ursprung des Fehlers läßt sich leicht angeben: Setzen 
wir mit Lipps voraus, die Schönheit eines Gegenstandes bestehe 
in der Forderung, von uns auf gewisse Weise gewertet zu werden, 
so kommt zwar das Werten nur im Bewußtsein vor, ist also „ein 
psychisches Vorkommnis und als solches ganz gewiß Gegenstand der 
Psychologie"', nicht aber gilt dies von der Forderung^ zu werten, 
von dem also, was (nach Lipps) die Schönheit, und mithin den 
Gegenstand der Ästhetik, ausmacht. 

Lipps selbst sagt: „An sich gewiß sind diese Forderungen 
nichts als eben Forderungen."* Aber indem diese Forderungen 



* „Psychologie und Ästhetik", im Archiv für die gesamte Psychologie, 
Bd. IX, 8. 96. 

' S. 99. — Wir lassen hier die Frage dahingestellt, ob eine solche Wissen- 
schaft überhaupt möglich ist. ' S. 97. 

* S. 97. Man beachte aof derselben Seite den folgenden Satz : „Das Schöne 
ist dasjenige, was fordert, in bestimmter Weise ästhetisch gewertet za werden. 
Und daß es dies fordere, dies sagt nicht, daß die ästhetische Wertung geschehe, 
daß diese psychologische Tatsache zustande komme." 



562 ^' Nelson: Über das «ogenannte Erkeimiaisproblem. |160 

,erlebt" werden, sollen sie aufhören, „bloße Forderungen zu sein", 
sollen sie zu „Bestimmungsgründen für das tatsächliche ästhetische 
Werten" werden, wenn auch „nicht zu den einzigen Bestimmungs- 
gründen".^ Wir mögen dies — unter Vorbehalt — zugeben, 
mögen also unmerhin mit Lipps sagen : „Die Psychologie hat auch 
mit den Gegenständen zu tun, freilich nur sofern sie eben das 
individuelle Bewußtsein mitbestimmen, oder von dieser Seite her 
letracktä*' *, — so ist doch diese „Betrachtung" des schonen Gregen- 
standes eine andere als die der Ästhetik zur Aufgabe gemachte. 
„Die ästhetische Frage lautet ja : Was macht den schonen Gregen- 
stand schon?"' Was aber den G-egenstand schön macht, ist nach 
Lipps die Forderung y ihn auf gewisse Weise zu werten; eine 
Forderung, die nach Lipps' ausdrücklicher Erklärung von dem 
wirklichen Stattfinden der Wertung unabhängig besteht und an 
und für sich das individuelle Bewußtsein nicht zu bestimmen 
braucht. Den Gegenstand betrachten, sofern er das individuelle 
Bewußtsein bestimmt, ist also etwas anderes, als den Gegenstand 
betrachten, sofern er schön ist. Und nur diese letzte Betrachtungs- 
weise sollte die ästhetische, nur jene sollte die psychologische sein. 
Die psychologistischen Konsequenzen des dargelegten Fehlers 
machen sich bei Lipps selbst unverkennbar geltend. Lidern der 
Inhalt des ästhetischen Wertens mit seinem Gegenstande ver- 
wechselt wird, wird Lipps folgerichtig zu der Behauptung gefuhrt, 
daß das ästhetische Objekt erst durch die ästhetische Wertung 
geschaffen werde, also gar nicht außerhalb des menschlichen Geistes 
bestehe.* Es ist hier nicht der Ort, das Recht oder Unrecht des 
ästhetischen Subjektivismus zu entscheiden, aber wir müssen aus 
der vorstehenden Erörterung den Schluß ziehen, daß die ihm von 

> S. 97. « S. 99. • S. 99, * 8. 101 £ 



151] Zweiter Teil: Das Problem der Vemonfikritik. ^3 

Lipps gegebene BegrBndtmg fehlerhaffc ist.^ Begeht man aber ein- 
mal die dargelegte psychologistische Verwechslnng von Inhalt and 
Gegenstand, so ist die Konsequenz eines aneingeschränkten psycho- 
logischen Sabjektiyismas allerdings anabwendbar.' 



> Lipps versncht übrigens noch eine andere Begründang, die indessen ihr 
Ziel ebensowenig erreicht. Er argumentiert hier folgendermaßen: 

„Was ist das ästhetische Objekt? Ist es der von mir onterschiedene Gegen- 
stand? Ein solcher ist das mir Gegebene .... Wenn eine Melodie schön ist, 
ist diese Melodie das von mir Gehörte? Wenn eine Dichtung, ein plastisches 
Bildwerk schön ist, ist diese Dichtung, dies plastische Bildwerk das von mir 
sinnlich Wahrgenommene? Darauf lautet die Antwort: Gegeben sind mir, wenn 
ich eine Melodie höre, die Töne und ihre zeitlichen Intervalle. Aber die Melodie 
ist weder die Töne, noch die zeitlichen Intervalle, sondern sie ist das Ganze, das 
ich aas dem mir sinnlich gegebenen Material geistig schaffe; zu dem ich die 
Töne zusammenfasse and verwebe. Ebenso entsteht das dichterische oder plastische 
Kunstwerk in mir durch ein mannigfaches geistiges Tun, in welchem ich das 
sinnlich gegebene Material /ormef^ .... Dieser so geschaffene Gegenstand erst 
ist schön. Nicht einen mir gegebenen, sondern einen von mir geschaffenen 
Gegenstand .... meine ich also, wenn ich von einem ästhetischen Objekt rede.^ 
(S. 101.) 

Da Lipps hier unter „gegeben'^ „sinnlich-wahrgenommen** versteht, so besagt 
die Behauptung, der schöne Gegenstand sei mir nicht gegeben, lediglich: er sei 
nicht sinnlich wahrgenommen. Hieraus kann man nicht schließen, daß der schöne 
Gegenstand nicht außer mir besteht; es sei denn, daß man die Voraussetzung 
macht, daß das ausschließliche Kriterium der Objektivität in der sinnlichen Wahr- 
nehmung liege. Diese Voraussetzung wird in der Lippsschen Argumentation still- 
schweigend eingeführt, indem dem Terminus „gegeben^ anstelle der erst festge- 
setzten Bedeutung die der objektiven Existenz substituiert wird. Nur durch diese 
unerlaubte Substitution erhält die Entgegensetzung „nicht gegeben, sondern ge- 
schaffen** einen Sinn. — Der tiefere Grund dieses Fehlers liegt in einem psycho- 
logischen Irrtum, der uns später (§ 75) noch zu beschäftigen haben wird. 

' Ln»ps bleibt daher auf halbem Wege stehen, wenn er, um dem Widersinn 
dieser Konsequenz zu entgehen, gewisse realistische Einschränkungen seines 
Idealismus festzuhalten sucht Er will nämlich daran festhalten, daß ein Kunst- 
werk auch dann weiter besteht, wenn kein Mensch in der Lage ist, es ästhetisch 
zu werten, und dies wird dadurch begründet, daß zur Möglichkeit eines Kunst- 
werks zweierlei gehöre: erstens das sinnlich Gegebene, und zweitens der mensch- 
liche Geist Das Zusammenwirken beider lasse das Kunstwerk aktuell entstehen. 



562 L* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [160 

,erlebt" werden, sollen sie aufhören, „bloße Forderungen zu sein", 
sollen sie zu „Bestimmungsgriinden für das tatsächliche ästhetische 
Werten" werden, wenn auch „nicht zu den einzigen Bestimmungs- 
gründen".^ Wir mögen dies — unter Vorbehalt — zugeben, 
mögen also immerhin mit Lipps sagen : „Die Psychologie hat auch 
mit den Gegenständen zu tun, freilich nur sofein sie eben das 
individuelle Bewußtsein mitbestimmen, oder von dieser Seite her 
hetrachtd^*y — so ist doch diese „Betrachtung" des schonen Gregen- 
standes eine andere als die der Ästhetik zur Aufgabe gemachte. 
„Die ästhetische Frage lautet ja : Was macht den schonen Gregen- 
stand schon?"' Was aber den G-egenstand schon macht, ist nach 
Lipps die Forderung^ ihn auf gewisse Weise zu werten; eine 
Forderung, die nach Lipps' ausdrücklicher Erklärung von dem 
wirklichen Stattfinden der Wertung unabhängig besteht und an 
und für sich das individuelle Bewußtsein nicht zu bestimmen 
braucht. Den Gegenstand betrachten, sofern er das individuelle 
Bewußtsein bestimmt, ist also etwas anderes, als den Gegenstand 
betrachten, sofern er schön ist. Und nur diese letzte Betrachtungs- 
weise sollte die ästhetische, nur jene sollte die psychologische sein. 
Die psychologistischen Konsequenzen des dargelegten Fehlers 
machen sich bei Lipps selbst unverkennbar geltend. Lidem der 
Lihalt des ästhetischen Wertens mit seinem Gegenstande ver- 
wechselt wird, wird Lipps folgerichtig zu der Behauptung gefuhrt, 
daß das ästhetische Objekt erst durch die ästhetische Wertung 
geschaffen werde, also gar nicht außerhalb des menschlichen Geistes 
bestehe.* Es ist hier nicht der Ort, das Recht oder Unrecht des 
ästhetischen Subjektivismus zu entscheiden, aber wir müssen aus 
der vorstehenden Erörterung den Schluß ziehen, daß die ihm von 

> S. 97. • S. 99. • S. 99. * 8. 101 £ 



151] Zweiter Teil: Das Problem der Vemonftkritik. ^3' 

LiPFS gegebene Begr&ndtmg fehlerhaft ist.^ Begeht man aber ein- 
mal die dargelegte psychologistische Verwechslnng von Inhalt und 
Gregenstand, so ist die Konsequenz eines uneingeschränkten psycho- 
logischen Subjektivismus allerdings unabwendbar.' 



> Lipps versncht übrigens noch eine andere Begründang, die indessen ihr 
Ziel ebensowenig erreicht. Er argumentiert hier folgendermaßen: 

„Was ist das ästhetische Objekt? Ist es der von mir unterschiedene Gegen- 
stand? Ein solcher ist das mir Gegebene .... Wenn eine Melodie schön ist, 
ist diese Melodie das von mir Gehörte? Wenn eine Dichtung, ein plastisches 
Bildwerk schön ist, ist diese Dichtung, dies plastische Bildwerk das yon mir 
sinnlich Wahrgenommene? Darauf lautet die Antwort: Gegeben sind mir, wenn 
ich eine Melodie höre, die Töne und ihre zeitlichen Interyalle. Aber die Melodie 
ist weder die Töne, noch die zeitlichen Intervalle, sondern sie ist das Ganze, das 
ich aus dem mir sinnlich gegebenen Material geistig schaffe; zu dem ich die 
Töne zusammenfasse und verwebe. Ebenso entsteht das dichterische oder plastische 
Kunstwerk in mir durch ein mannigfaches geistiges Tun, in welchem ich das 
sinnlich gegebene Material /omte' .... Dieser so geschaffene Gegenstand erst 
ist schön. Nicht einen mir gegebenen, sondern einen von mir geschaffenen 
Gegenstand .... meine ich also, wenn ich von einem ästhetischen Objekt rede.^ 
(S. 101.) 

Da Lipps hier unter „gegeben'^ „sinnlich-wahrgenommen'^ versteht, so besagt 
die Behauptung, der schöne Gegenstand sei mir nicht gegeben, lediglich : er sei 
nicht sinnlich wahrgenommen. Hieraus kann man nicht schließen, daß der schöne 
Gegenstand nicht außer mir besteht; es sei denn, daß man die Voraussetzung 
macht, daß das ausschließliche Kriterium der Objektivität in der sinnlichen Wahr- 
nehmung liege. Diese Voraussetzung wird in der Lippsschen Argumentation stiU- 
schweigend eingeführt, indem dem Terminus „gegeben^ anstelle der erst festge- 
setzten Bedeutung die der objektiven Existenz substituiert wird. Nur durch diese 
unerlaubte Substitution erhält die Entgegensetzung „nicht gegeben, sondern ge- 
schaffen** einen Sinn. — Der tiefere Grund dieses Fehlers liegt in einem psycho- 
logischen Irrtum, der uns später (§ 75) noch zu beschäftigen haben wird. 

' Lipps bleibt daher auf halbem Wege stehen, wenn er, um dem Widersinn 
dieser Konsequenz zu entgehen, gewisse realistische Einschränkungen seines 
Idealismus festzuhalten sucht Er will nämlich daran festhalten, daß ein Kunst- 
werk auch dann weiter besteht, wenn kein Mensch in der Lage ist, es ästhetisch 
zu werten, und dies wird dadurch begründet, daß zur Möglichkeit eines Kunst- 
werks zweierlei gehöre: erstens das sinnlich Gegebene, und zweitens der mensch- 
liche Geist Das Zusammenwirken beider lasse das Kunstwerk aktuell entstehen. 



564 L- Nelson: über das sogenannte Erkenntnisproblem. [i&2 

70. Lipps will die Tragweite der angeführten Argumentationen 
nicht auf die Ästhetik beschränken. Diese dient ihm vielmehr nur 
als Beispiel ; das behauptete Verhältnis, in dem sie zur Psychologie 
stehen soU, will er in gleicher "Weise für die Logik und für die 
Ethik gelten lassen. Betrachten wir daher dies Verhältnis noch 
einmal bei der Logik, von der Lipps hier ausdrücklich erklärt, daß 
er sie nicht im formalen Sinne verstanden wissen will.* Wir lesen : 



Die „Existenz des Kunstwerks^ soll darin bestehen, „daß etwas gegeben ist, das 
fordert zum Kunstwerk gestaltet zn werden und daß der menschliche Geist da 
ist, der fordert, daß aus diesem Gegebenen dies Kunstwerk gestaltet werde. ** 
(S. 103.) — Die Inkonsequenz dieser Argumentation springt in die Augen. Die 
Existenz einer Melodie besteht in der Forderung einer gewissen Folge von Tönen^ 
vom menschlichen Geiste auf gewisse Weise gewertet zu werden. Aber wie steht 
es mit dem „Gegebensein'' dieser Töne? Und wie mit dem „Dasein** des „mensch- 
lichen Geistes*^? Besteht die Existenz der Melodie nur in einer Forderung, be- 
stehen dann die Töne und der menschliche Geist auf andere Weise als vermöge 
analoger Forderungen? Oder welchen Vorzug haben die Töne und der mensch- 
liche Geist in dieser Hinsicht vor der Melodie? Lipps selbst scheint einen solchen 
Vorzug keineswegs behaupten zu wollen, wenn er sagt: das Urteil „Die Rose ist 
rot, auch wenn ich nicht an sie denke** gebe lediglich „zu verstehen, die Rose 
fordere, als rot gedacht zu werden**. „Die Tatsächlichkeit des Rotseins einer 
Rose . . . besteht ... in einer Forderung.** (S. 102.) Was bleibt aber von der 
„Rose**, wenn ich von ihrem Rotsein absehe, — was ist also dasjenige, was 
„fordert, als rot gedacht zu werden**? Etwa die Gestalt, Masse oder Größe des 
Gegenstandes? Aber deren Tatsächlichkeit kann ja nach Lipps auch nichts 
anderes bedeuten, als daß die Forderung besteht, sie zu denken. Und nicht anders 
steht es mit der Tatsächlichkeit der Töne, und nicht anders mit der des mensch- 
lichen Geistes. Entweder also man nimmt Gegenstände an, deren Tatsächlichkeit 
unabhängig von dem Gefordertsein gewisser Urteile oder Wertungen besteht : 
dann hat Lipps keinen Grund angegeben, warum nicht auch ästhetische Gegen- 
stände von dieser Art sein können. Oder aber Lipps gründet seinen ästhetischen 
Subjektivismus auf die allgemeine erkenntnistheoretische Behauptung, Gegenstände 
existierten nur vermöge der Erfüllung gewisser Forderungen, so fuhrt dies auf 
einen uneingeschränkten Subjektivismus, der keinen Raum läßt für irgend ein 
Gegebenes, das im Unterschiede von ästhetischen Gegenständen objektiv existieren 
könnte. (Daß diese erkenntnistheoretische Lehre auf Widersprüche fuhrt, ist im 
VI. Kapitel gezeigt worden.) 
» S. 108. 



X53] Zweite Teil: Das Problem der Ternanftkritik. Sgg' 

„Logik ist die Lelire von den Gresetzen des Denkens, d. h. des 
TJrteilens. Aber wir wissen von dem, was das Wort Urteilen be- 
sagt, nur ans uns, d. h. aus unserem individuellen Bewoßtsein. Die 
Logik ist demnach nichts ohne die Feststellung, was denn das 
einzig im individuellen Bewußtsein auffindbare Urteilen sei. Und 
diese Feststellung ist zweifellos eine Aufgabe der Psychologie.* 
Was sollen wir uns unter diesen „Gesetzen des Denkens" vor- 
stellen, die den Gegenstand der Logik bilden? Etwa Gesetze, 
nach denen unser Denken abläuft, so wie die Bewegungen der 
Planeten nach den Gesetzen der Himmelsmechanik? Anscheinend 
meint es Lipps nicht so; denn er hebt selbst hervor, daß die 
logischen Gesetze „JVbrwen" seien, „wie wir urteilen sollen^^ 

Freilich macht Lifps diese Charakteristik der logischen Gesetze 
(und allgemeiner der „Gesetze der reinen Vernunft"* überhaupt, 
also auch der ethischen und ästhetischen) als „Normen" dadurch 
sofort wieder illusorisch, daß. er die Behauptung hinzufügt, auch 
die Naturgesetze der Physik und Psychologie seien Normen. Er 
gründet diese Behauptung auf den Satz: „Solche Naturgesetze 
sagen nicht, was in der physischen Welt geschieht oder zu ge- 
schehen pflegt. Kein Korper ist je absolut so gefallen, wie es das 
Fallgesetz vorschreibt." ' Diesem Satze liegt eine heute sehr all- 
gemein verbreitete Verwechslung zu Grunde. Ein Naturgesetz 
sagt in der Tat nicht aus, was irgend wo oder irgend wann tat- 
sächlich geschieht. Das FaUgesetz bliebe auch dann gültig, wenn 
nie und nirgend in der Welt das Fallen eines Körpers stattfände. 
Trotzdem aber gilt das FaJlgesetz für jeden wirklich vorkommen- 
den Fall, und zwar mit absoluter Genauigkeit. Jedes Naturgesetz 
ist ein hypothetischer Satz, der aussagt, daß unter bestimmten 

» S. 108. « S. 110. » S. 113. 



g66 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [154 

Bedingungen bestimmte Folgen eintreten. Die Geltmig des Ge- 
setzes ist also von dem Eintreten oder Nicht-Eintreten dieser 
Folgen anabhängig; denn es behauptet nur die Eonsequenz des 
Nachsatzes, der die Folgen angiebt, (tus dem Vordersätze, der die 
Bedingungen angiebt. So sagt das Fallgesetz aus, daß der von 
einem Körper in einem konstanten Eraftfelde zurückgelegte Weg 
dem Quadrat der Zeit proportional ist; oder, wenn man sich so 
ausdrucken will, es „schreibt" dies „vor". Und von dieser „Vor- 
schrift" kann, wenn sie überhaupt besteht, kein Körper jemals im 
mindesten abweichen. — Ob jemals der von einem Körper zurück- 
gelegte Weg dem Quadrat der Zeit proportional ist, das ist eine 
völlig andere Frage; denn dies hangt davon ab, ob die Bedingung 
(die Konstanz des Kraftfeldes) erffiUt ist, und hierüber sagt das 
Fallgesetz gar nichts aus. 

Indem Lipps auf solche Weise den Unterschied zwischen Natur- 
gesetzen und Normen aufhebt, kommt er schließlich wieder zu der 
Folgerung, daß die logischen Gesetze als Normen des Denkens 
(und ebenso die ethischen und ästhetischen Normen) „psychische 
Naturgesetze" seien.^ Nun kann man allerdings mit einem gewissen 
Recht sagen, daß ein Gesetz wie das des Widerspruchs oder auch 
das Kausalgesetz ein Naturgesetz des Denkens sei; in dem Sinne 
nämlich, in dem alles in der Natur — also auch das zur psychischen 
Natur gehörige Denken — diesen Gesetzen unterworfen isi Keinem 
Gegenstande kommen widersprechende Merkmale zu: also auch 
keinem Gedanken. Jede Veränderung hat eine Ursache : also auch 
jede Veränderung in unserem Denken. Hiervon ist aber eine 
andere Bedeutung dieses Ausdrucks genau zu unterscheiden; die- 
jenige nämlich, in der man darunter die Behauptung versteht : wir 

* & 113. 



166] Zweiter Teil: Das Problem der Yemanftkritik. 567 

können keinen Gregenstand denken, dem widersprecbende Merkmale 
zukommen; wir können keine Veränderong denken, die keine Ur- 
sache hat. In diesem Sinne sind die logischen G-esetze gewiß nicht 
Naturgesetze des Denkens. Denn wären sie es, so wäre ein Ver- 
stoß gegen sie unmöglich, wie er doch in jedem Falle vorkommt, 
wo ein Mensch Widersprechendes behauptet oder wo jemand an 
ein Wunder glaubt. 

71. Sind also die logischen G-esetze Nonnen des Denkens? 
Wir haben bereits früher^ gezeigt, daß die Geltung einer Wahr- 
heit sich nicht auf eine Forderung, wie wir urteilen sollen, redu- 
zieren läßt. Dies gilt ohne weiteres auch von der Geltung der 
logischen Gesetze. Diese sind also gewiß nicht Normen, wie wir 
urteilen sollen. — Natürlich bestreiten wir damit nicht, daß sich auf 
die logischen G-esetze solche Normen gründen lassen, nämlich fiir 
denjenigen, der richtig denken tvilL Aber eine solche Norm ist 
nicht das logische Gesetz selbst, sondern die Vorschrift, nichts zu 
denken, was dem logischen Gesetze nicht gemäß ist. Und, wie 
wir bereits betonten, entsprechen Normen in diesem Sinne nicht 
etwa vorzugsweise den logischen G-esetzen, sondern in völlig gleicher 
Weise allen G-esetzen fiberhaupt. Auf jedes mathematische, physi- 
kalische, chemische oder sonstige G-esetz läßt sich eine entsprechende 
Vorschrift für das Denken gründen. Und nicht nur von allen Ge- 
setzen gilt dies, sondern ganz allgemein von jeglicher Wahrheit als 
solcher, also auch von den To/^ocAen- Wahrheiten. Die Tatsache, 
daß der Westfälische Friede im Jahre 1648 geschlossen worden 
ist, darf von keinem Denken, das auf Wahrheit Anspruch erheben 
will, negiert werden : hierin haben wir eine Norm, die der anderen 
völlig entspricht, daß ein Denken, das auf Wahrheit Ansprach 



1 Im YI. Kapitel 



S68 ^' Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [1&6. 

erheben will, einem Gegenstande nicht widersprechende Merkmale 
zuschreiben darf. 

In dem übertragenen Sinne also, in dem sich der normative 
Charakter der logischen Gesetze behaupten läßt, ist jede Wahrheit 
eine Norm, ein „Gesetz des Denkens"; denn ein Urteil, das ihr 
gemäß ist, ist richtig, ein solches, das ihr widerspricht, falsch. 
Lipps' Beweis für die psychologische Natur der Logik beweist also 
wieder zu viel : Wäre er richtig, so würde er die Konsequenz ein- 
schließen, daß jede "Wissenschaft ein Zweig der Psychologie sei. 
Der Satz z. B., daß Quecksilber das spezifische Gewicht 13 hat, 
ist genau ebenso ein Gesetz des Denkens im Lippsschen Sinne wie 
der Satz des Widerspruchs oder das Kausalgesetz. Denn jedes 
Urteil, das ihm widerspricht, ist falsch. Folgt aber daraus, daß 
man, um den Sinn jenes Satzes zu verstehen oder um sich von 
seiner Wahrheit zu überzeugen, eine psychologische Untersuchung 
über das Wesen des Denkens anstellen muß? 

72. Aber Lipps will nicht nur beweisen, daß die Logik eine 
psychologische Untersuchung des Urteilens voraussetze, sondern 
auch umgekehrt, daß eine psychologische Untersuchung des Urteilens 
eine Untersuchung der logischen Gesetze voraussetze : 

„Die logischen Gesetze sind Normen, wie wir urteilen sollen. 
Aber auch dies ,Sollen' hat in uns zugleich treibende Kraft. Und 
diese ist die eine der Komponenten in unserem tatsächlich vor- 
kommenden Urteilen. Es ist darum unmöglich, daß diese Seite 
des psychischen Lebens, die wir das im Individuum vorkommende 
Urteilen nennen, verstanden werde, ohne daß wir die Gesetze der 
Logik kennen. Dies heißt : die Psychologie schließt die Logik als 
notwendigen Bestandteil in sich."^ 

> S. 108. 



157] Zweiter Teil: Das Problem der Yemunftkritik. 569 

Hier gilt derselbe Einwand wie vorher. Was Lipps von den 
logischen Gesetzen sagt, läßt sich nach derselben Argamentations- 
weise ohne weiteres auf alle Gesetze der Mathematik und Natnr- 
wissenschaft, ja, wie gezeigt, auch auf aJle Tatsachenwahrheiten 
übertragen. Nach dieser Argnmentationsweise sind die genannten 
Tatsachen, daß Quecksilber das spezifische Gewicht 13 hat und daß 
der Westfälische Friede im Jahre 1648 geschlossen worden ist, 
„Komponenten in unserem tatsächlich vorkommenden Urteilen". 
Es wäre also unmöglich, daß die „Seite des psychischen Lebens, 
die wir das im Individuum vorkommende Urteilen nennen," ver- 
standen werde, ohne daß wir wissen, daß Quecksilber das spezifische 
Gewicht 13 hat und daß der Westfälische Friede im Jahre 1648 
geschlossen worden ist; d. h. die Psychologie schlösse die Chemie 
und Geschichte als notwendigen Bestandteil in sich. 

Mag man übrigens die logischen Gesetze für Normen halten 
oder nicht, so dürfen wir doch in keinem Falle diesen Gesetzen 
eine „treibende Kraft" zuschreiben und sie als „Komponenten in 
unserem tatsächlich vorkommenden Urteilen" betrachten. Einem 
Gegenstande eine Kraft oder reale Wirksamkeit irgend welcher 
Art zuschreiben, das, heißt: diesen Gegenstand als Ursache der 
Yerändung eines anderen Gegenstandes denken. Dieser Gedanke 
schließt die Annahme eines Gesetzes ein, dem gemäß die Ver- 
änderung des zweiten Gegenstandes von dem ersten abhängt. Ein 
solcher Gedanke ist daher auf Gesetze selbst nicht anwendbar, 
denn er führt die widersinnige Konsequenz bei sich, nach der das 
Gesetz zu einem realen Dinge hypostasiert würde. Das Gesetz 
ist nicht selbst eine Ursache von Veränderungen, sondern (wenn 
es ein Naturgesetz im physikalischen Sinne ist) nur die allgemeine 
Form der Wirksamkeit solcher Ursachen. 

Auch bei Gesetzen unzweifelhaft noimativen Charakters wie 



570 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [168 

den ethiscilen verhalt es sich nicht anders. Nicht ein ethisches 
Gebot als solches, sondern allein unsere Anerkennung des Gebotes 
vermag unseren Willen zu bestimmen. Analog ist der Bestimmimgs- 
gmnd des ästhetischen Wertens nicht der schone Gegenstand oder 
die Forderung, ihn auf gewisse Weise zu werten ; und ebensowenig 
liegt der Bestimmnngsgnmd des logischen Denkens in den logischen 
Gesetzen oder in irgend welchen Forderungen, logisch zu denken. 
Sondern dieser Bestimmungsgrund liegt allemal in unserer Erkenntnis 
der Gesetze oder Forderungen. Je nach dem Grade der Deutlich- 
keit dieser Erkenntnis einerseits und je nach der Zahl und Stärke 
entgegenwirkender Bestimmungsgründe andererseits wird unser 
tatsächliches Denken, Wollen und Werten in größerer oder 
geringerer Übereinstimmung mit den entsprechenden logischen, 
ethischen und ästhetischen Gesetzen stehen. — Diese Erkenntnis 
kann, da sie eine Erkenntnis allgemeiner Gesetze ist, nicht der 
Erfahrung entnommen sein. Als Kriterium der Richtigkeit des 
tatsächlichen Denkens kann sie andererseits nicht diesem tat- 
sächlichen Denken entnonmien sein. Sie muß also unabhängig von 
aller Erfahrung sowohl als auch von allem tatsächlichen Denken 
ursprünglich in unserem Yorstellungsvermogen als solchem gegründet 
sein. D. h. dieses Kriterium ist das, was wir die unmittelbare 
Erkenntnis der reinen Vernunft nannten.^ 

73. Die logischen Gesetze sind also weder Normen des Denkens, 
noch sind sie Naturgesetze des Denkens in dem spezifischen Sinne, 
daß das Denken ihnen in irgend einer anderen Weise unterworfen 
wäre als die Gegenstände der physischen Natur. Trotz alledem 
hat die Bezeichnung dieser Gesetze als „Denkgesetze^ ihren guten 
Sinn. Die von Lifps „logisch^ genannten Gesetze — die wir, um 

' YgL § 60. 



169] Zweiter Teil: Das Froblem der Vemunftkritik. S71 

mit unserer Terminologie in Übereinstimmung zu bleiben, lieber 
„metaphysische^ nennen wollen — sind nämlich solche, deren wir 
uns nur im Denken (durch Reflexion) bewußt werden^ d. h. die nur 
G-egenstand einer nicht-anschaulichen Erkenntnis sein können. Dies 
nnd nichts anderes ist die eigentümliche Beziehimg der fraglichen 
Gresetze zum Denken. Haben wir diesen Gesichtspunkt einmal 
erfaßt, so werden wir auch das Verhältnis der Psychologie zur 
Metaphysik richtiger beurteilen. Die Erkenntnis, die den Inhalt 
der metaphysischen Urteile bildet, hat ihren G-rond nicht in der 
Anschauung, ist also hinsichtlich ihrer Gültigkeit auch von aller 
inneren Anschauung und mithin von aller psychologischen Er- 
kenntnis unabhängig. Da aber eine nicht-anschauliche Erkenntnis 
eine solche ist, die uns nicht unmittelbar zum Bewußtsein kommt, 
so können die fraglichen Urteile nicht dadurch begründet werden, 
daß wir sie unmittelbar mit der ihnen zu'G-runde liegenden Er- 
kenntnis vergleichen, sondern wir müssen, um eine solche Yer- 
gleichung anzustellen, die den G-rund der zu begründenden Urteile 
bildende Erkenntnis erst zum Gegenstande einer wissenschaftlichen 
Untersuchung machen. Eine wissenschaftliche Untersuchung, die 
Erkenntnisse zum Gegenstande hat, ist aber eine psychologische. 

Dieser Umstand allein ist es, der der Psychologie ihre Be- 
deutung für die Metaphysik (und für die Philosophie überhaupt) 
giebt: Nicht der Grund, sondern die Begründung der Metaphysik 
gehört der Psychologie an. 

74.. Auf diesen Satz geht im Grunde auch Lipps' Darstellung 
aus, aber infolge der dargelegten Fehler gelingt es ihm nicht, eine 
klare Formulierung des Sachverhalts zu gewinnen. Die Identi- 
fizierung von Erkenntnis und Urteil läßt ihn die unmittelbare Er- 
kenntnis verfehlen und veranlaßt ihn dadurch, den Grund der 
metaphysischen Urteile im Gegenstande (oder indessen „Forderungen^) 



572 L* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [160 

zu suchen nnd so die allgemeinen metaphysischen Gesetze mit der 
unmittelbaren Erkenntnis dieser Gesetze zu verwechseln. Daher 
die mystische Vorstellung, nach der diesen Gesetzen eine reale, 
den Ablauf der psychischen Begebenheiten mitbestimmende Wirk- 
samkeit („treibende Kraft") zukommen soll. Daher femer die 
mystische Vorstellung von einer „überindividuellen Vernunft" oder 
einem „reinen Ich", das einerseits eine dem individuellen Ich 
„immanente Tatsache" und als solche ein Gegenstand der Psycho- 
logie sein soU^, andererseits aber zugleich mit dem Inbegriff der 
allgemeinen Gesetze identisch sein soll, die den Gegenstand der 
Metaphysik bilden.* Und daher endlich die Bezeichnung der meta- , 
physischen Gesetze als „Gesetze des Geistes"' oder als „psychischer 
Naturgesetze".* 

Wie nahe Lipps trotz dieser Fehler gelegentlich der richtigen 
Losung kommt, kann man aus der Stelle ersehen, an der er den 
folgenden Einwand behandelt: „Besteht nicht ein absoluter Unter- 
schied zwischen der Frage nach dem, was ist, und der Frage nach 
dem, was sein soll, also zwischen Tatsache und Norm? Wie kann 
dann die Psychologie, die doch Wissenschaft von Tatsachen ist, 
normative Wissenschaft sein?"* Lipps antwortet: „Gewiß sagt die 
Psychologie nicht, was sein soll, in dem Sinne, daß sie selbst 
normierte, d. h. daß sie oder daß der Psychologe irgend jemand in 
der Welt Vorschriften machte Aber ... so gewiß die Psycho- 
logie nicht normiert, d. h. Vorschriften giebt, so gewiß berichtet 
sie von den Tatsachen, die den Namen ,Norm' tragen. . . Das 
Normieren überläßt die Psychologie . . . der Vernunft. Und die 
Psychologie ist ja nicht etwa die Vernunft. Aber sie ist eine 

> 8. 109, 112. • Ebenda. » S. 107. * S. 113 f. Aucli als 

„reine" oder „aligemeine" „Tatsachen'' werden diese Gesetze bezeichnet (S. 114.) 
* S. 112. 



161] Zweiter Teil: Das Problem der Yemunftkritik. 573 

Wissenschaft von der Vernunft, obzwar nicht von der Vernunft 
allein; und eben damit ist sie Wissenschaft von Normen. ^^ 

Hierzu ist zunächst zu sagen, daß, wenn man zugiebt, daß die 
Psychologie nicht normiert, man die Psychologie nicht „normativ" 
nennen sollte, da diese Benennung nach dem üblichen Sprachge- 
brauch gerade die hier von Lipps abgelehnte Ansicht ausdrückt, 
nach der die Psychologie „selbst normierte". 

Im übrigen aber wird in diesen Worten deutlich die Vernunft 
als Gegenstand der Psychologie bezeichnet und als solcher vom 
Inhalt dieser Wissenschaft unterschieden. Es bleiben nur zwei 
wesentliche Mängel, die der richtigen Verwertung dieser Einsicht 
im Wege stehen. Erstens fehlt die Unterscheidung zwischen der 
ErJcefintnis der „Vemunftgesetze" und diesen Gesetzen selbst, 
und so bleibt der Gebrauch der Worte „Vernunft" und „Norm" 
zweideutig. Besonders das letzte Wort kann ebensowohl auf 
die metaphysischen Gesetze selbst als auch auf die Erkenntnis 
dieser Gesetze gehen.* Nur in dieser zweiten Bedeutung darf 
man „die Vernunft und ihre Normen" als „Tatsache" bezeichnen 
und sagen, daß die Psychologie eine „Wissenschaft von der 
Vernunft" oder eine „Wissenschaft von Normen" sei. Lipps 
unterscheidet diese beiden Bedeutungen nicht, und so bleibt er 
trotz der Trennung von Inhalt und Gegenstand der Psychologie 
in der psychologistischen Verwechslung des Gegenstandes der 
Psychologie mit dem Gegenstande der Metaphysik befangen. 

Damit hängt eng der aweite Mangel zusammen, der in dem 
Fehlen der Unterscheidung von Urteil und Erkenntnis (oder von 



» S. 112. 

' Auf die „Erkenntnis dieser Gesetze**, wenn man diese Erkenntnis als 
unmittelbare Yom Urteü unterscheidet und als Kriterium oder Erkenntnisgnmd 
der Gültigkeit der Urteile betrachtet. 

▲bhudlnasea dar FriM*ich«]i Bobnle. IL Bd. 37 



574 L« Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. . [162 

mittelbarer nnd unmittelbarer Erkenntnis) besteht. Dieser Mangel 
hat znr Folge, daß es Lifps an jedem Kriterium fehlt, um die* 
jenigen Tatsachen unter den Gegenständen der Psychologie, denen 
er den Namen „Norm^ giebt, von den anderen zu unterscheiden, 
die durch die ersteren normiert werden sollen. Ohne ein solches 
Kriterium aber bleibt in der Forderung psychologischer Kritik 
(oder, wie Lipps es nennt, eines psychologischen Berichts über die 
Tatsachen, die den Namen Norm tragen,) eine schlechthin unlös- 
bare Faradoxie: Einerseits wird gefordert, die Gültigkeit aller 
Urteile an der Hand gewisser Normen zu prüfen, die sich unter 
den dem individuellen Ich immanenten Tatsachen psychologisch 
auffinden lassen sollen; andererseits wird vorausgesetzt, alle Er- 
kenntnis bestehe in urteilen. Die Normen sollen also einerseits 
psychische Tatsachen sein, andererseits aber können sie weder 
dem tatsächlichen Erkennen noch dem tatsächlichen Wollen und 
Werten angehören, — denn alles dieses soll ja erst durch die 
Normen normiert werden, — können also überhaupt nicht unter 
den psychischen Tatsachen vorkommen. Die genannte Forderung 
und die genannte Voraussetzung schließen sich also gegenseitig 
aus. Nur durch Unterscheidung von Reflexion und reiner Vernunft 
ist diese Faradoxie zu lösen, nur auf Grund dieser Unterscheidung 
besteht die Möglichkeit einer psychologischen Kritik und damit 
einer Kritik überhaupt.^ 

75. Diese Unterscheidung wird nicht eher Anerkennung finden, 
als bis der heute noch allgemein herrschende Fehler verbessert 



^ Auch die Darlegungen Stumpfs über ^Psychologie und Erkenntnistheorie'' 
(Abbandlungen der phüologisch-philosophischen Klasse der Königl. Bayerischen 
Akademie der Wissenschaften, IX. Band, S. 465 ff.) gründen sich auf die fehler- 
hafte Identifizierung Yon Erkenntnis und Urteil. Nach Stumpf ist die ,,Unter- 
Buchung des Ursprungs der Begrifft*^ eine Aufgabe der Psychologie, ,,die Auf- 
suchung der allgemeinsten unmittelbar einleuchtenden Wcihrheittn dagegen Sache 
der Erkenntnistheorie'*. (8. 501.) Diese unmittelbaren Wahrheiten sollen (nach 



163] Zweiter Teil: Das Problem der Vemanftkritik. 575 

sein wird, der in der Verwechslung von Selbsttätigkeit und Will- 
kürlichkeit besteht. Willkürlichkeit ist nur eine besondere Art 
der Selbsttätigkeit; freilich diejenige, die am unmittelbarsten ins 
Bewußtsein fallt. Der reinen Vernunft gehört die ursprüngliche 
Selbsttätigkeit im Erkennen; die Willkürlichkeit im Erkennen 
durch Urteile ist das ausschließliche Eigentum der Reflexion. Lipps 
dagegen schließt unmittelbar von der Selbsttätigkeit auf Willkür- 
licbkeit. So sagt er z. £. : „Das überindividuelle Ich an sich weiß 
nichts von Bezeptivität. Es ist reine Aktualität, oder reine Tätig- 
keit. Wir können diese auch, wie alle bewußte Tätigkeit, Willens- 
tätigkeit nennen. Dann ist das reine Ich Wille. "^ 



Seite 508) Urteile sein. Folgerichtig erklärt daher Stumpf die „Frage nach den 
Bedingungen der Möglichkeif^ dieser Urteile für unstatthaft: 

„Jede weitere Untersuchung könnte sich nur auf die psychologischen Be- 
dingungen erstrecken, unter welchen UrteUe dieser Art im Bewußtsein auftreten. 
Die bezüglichen Vorstellungen müssen da sein, die Fähigkeit der Abstraktion 
allgemeiner Begriffe muß vorhanden sein, die Aufmerksamkeit muß die erforder- 
liche Intensität und Richtung haben u. s. w. Aber keine noch so sorgfaltige 
Beschreibung aller Glieder des psychologischen Mechanismus wird uns die Evidenz 
noch evidenter, die unmittelbare Erkenntnis noch unmittelbarer machen, keine 
uns auch nur eine Einsicht gewähren, wie und warum sie und zwar gerade diese 
und keine anderen als Grundlage unsres Denkens möglich sind. Entweder man 
liefert Prämissen zur logischen Begründung des Urteilsinhalts — dann waren jene 
Erkenntnisse nicht wirklich unmittelbare — oder man liefert psychologische Be- 
dingungen des Urteilsprozesses, dann hat man das Feld der Erkenntnistheorie 
verlassen und ist im eigentlichsten Sinne in ein &IX0 yivog von Untersuchungen 
übergegangen. Ein Drittes giebt es nicht.** (S. 503.) 

Diese Sätze lassen erkennen, daß Stumpf keine andere Begründung anerkennt 
als den Beweis und daß er andererseits keine andere psychologische Untersuchung 
anerkennt als die genetische. Es giebt aber allerdings ein „Drittes**, nämlich eine 
Untersuchung, die sowohl eine Begründung ist als auch psychologisch verfährt, 
die aber weder ein Beweis ist, noch genetisch verfährt, nämlich die psychologische 
Deduktion, d. h. die Aufweisung einer dem unmittelbaren Urteil zu Grunde liegenden 
unmittelbaren Erkenntnis, 

^ Inhalt und Gegenstand; Psychologie und Logik. S. 664. 

37* 



576 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [164 

Dieser Irrtum hat bei Lipps sehr wichtige Folgen. Erstens 
macht er -- aus dem angegebenen Grunde — die Lippssche Psycho- 
logie zu einer Verwertung für die Zwecke der Vernunftkritik von 
vornherein unfruchtbar. Zweitens aber giebt er noch zu einem 
weiteren rein psychologischen Fehler Anlaß. Dieser Fehler besteht 
in der Identifizierung des Gregensatzes von Denken und Wahrnehmen 
mit dem Gegensatze von Spoi^taneität und Rezeptivität. Die 
Selbstbeobachtung zeigt uns in dem „Haben von Empfindungs- 
inhalten" so wenig ein „rezeptives" Verhalten, ein „Affiziert-Sein"* 
wie im „Denken". Der Unterschied ist nur der, daß das Haben 
von Empfindungsinhalten kein Akt der WillJcür ist. Lipps aber 
setzt von vornherein voraus, daß alle „Tätigkeit" im Erkennen 
„Tätigkeit der Zuwendung der Aufmerksamkeit" oder, wie er sagt, 
„Auffassungstätigkeit" ist.* Damit ist das Gebiet der „Tätigkeit" 
natürlich auf die bloße Reflexion eingeschränkt, und der Schluß 
wird unvermeidlich, daß die Sinnes Wahrnehmung ein „rezeptives 
Erlebnis" ist. Denn allerdings „trägt das Haben von Empfindungs- 
inhalten nichts von Aktualität in sich", wenn man unter Aktualität 
lediglich Willkürlichkeit versteht.^ 

Allerdings müssen wir nach dem Kausalgesetze, wie für jede 
Veränderung, so auch für das Eintreten der Sinneswahmehmungen 
eine Ursache voraussetzen. Und da wir diese Ursache i\icht nur 
nicht in unserer Willkür, sondern überhaupt nicht unter den 
Gegenständen der inneren Erfahrung antreffen, so können wir sie 
nur in einer äußeren Anregung suchen. Dieses Angeregtwerden 



» Ebenda, S. 617. 

< Ebenda, S. 521. 

' Einen besonders deutlichen Ausdruck findet diese fehlerhafte Disjunktion 
zwischen Passivität und Willkürlichkeit bei Wvndt: „Nicht unmittelbar durch 
WillensYcrgänge beeinfluBt werden . . . eben dies ist uns das Ejriterium eines 
passiven Erlebnisses. ** (Grundriß der Psychologie, § 17, 5. Aufl. S. 301.) 



165] Zweiter Teil: Das Problem der Yemanftkritik. 577 

zu der wahrnehmenden Tätigkeit, nicht die Wahrnehmung selbst, 
ist ein rezeptives Verhalten. Und so setzt allerdings die Möglich- 
keit der Sinneswahmehmung eine Rezeptivität des Greistes, eine 
Empfänglichkeit für äußere Anregungen voraus; aber wir finden 
diese Eezeptivität nicht in der unmittelbaren Selbstbeobachtung 
vor, sondern nehmen sie nur im Zusammenhange der Erfahrung 
auf Grund eines Schlusses aus dem Kausalgesetze an. 

Daraus nun, daß Lipps den Irrtum begeht, einerseits die "Wahr- 
nehmung selbst für ein rezeptives Verhalten, für ein „Affiziert- 
Sein" durch den „Gregenstand" zu halten, andererseits die Spon- 
taneität der Erkenntnis a priori auf die Willkürlichkeit der Re- 
flexion einzuschränken, erklärt sich seine (§ 69 besprochene) An- 
nahme von der ausschließlichen Objektivität der sinnlichen Wahr- 
nehmung, eine Annahme, die wir nach Kant kurz als „formalen 
Idealismus" bezeichnen können. In der Tat, wenn man von der 
Voraussetzung ausgeht, alle Erkenntnis a priori sei ein Produkt 
unserer Willkür, alle Erkenntnis a posteriori hingegen ein Produkt 
des affizierenden Gegenstandes, so wird der von Lipps zur Be- 
gründung seines ästhetischen Subjektivismus benutzte Schluß von 
der Apriorität auf die Subjektivität unvermeidlich. Diese Voraus- 
setzung erscheint für Lipps infolge des dargelegten Irrtums so 
selbstverständlich, daß er sie geradezu zur Definition der Apriorität 
benutzt: „Das, was in der Erfahrung uns zuteil wird, ist das 
Aposteriorische, das von der Erfahrung Verschiedene, aus dem 
denkenden Ich oder dem Geiste zu ihr £[inzutretende müssen wir 
dann das Apriorische nennen."* 



Ebenda, S. 552. 



Dritter Teü; 



Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 



,,W«iiii diees Be1iiitHMi1t«it immer gebmueht wird, wenn 
man, ehe der Beweit noeb r^antht wird, luror weialieh bei lich 
SV Rate geht, wie und mit welehem Grande der Hoffkinng man 
wohi eine solehe Brweiterang dueh reine Yernonft erwarten 
könne, nnd wober man, in dervleiohen Falle, dieee Einsioliten, 
die nieht aas B^grilfen entwiekeit werden können, denn her- 
nehmen wolle: 80 kann man «leh riel irhweie nnd dennoch 
fhwhtlose Bemflhnnfen eraparen, indem man der Yernonft 
nichts lomntet, waa olfenbar über ihr Yeimögen geht, oder 
vielmehr lie, die, bei Anwandhingen ihrer apekiüatiTen Er- 
ireiteningmacht rieh nieht gerne einaohriaken liftt, der Dia- 
lipUn der EnthaMiamkelt nnterwirft.'' 

KANT, Kritik der reinen Yernnnft. (Die Diasiplin der 
reinen Yernnnft in Aneehnng ihrer BeweiN.) 



XV. 

Die erkenntnistheoretisGhen 
Voraussetzungen des formalen Idealismus. 

76. Wir kommen auf die in der Einleitung aufgeworfene 
Frage zurück. Es handelt sich darum, in der Eigentümlichkeit 
der Kantischen Philosophie die Erklärungsgründe für die Divergenz 
ihrer mannigfachen Fortbildungsversuche zu finden. Diese Gründe 
lassen sich insgesamt auf den einen zurückführen, daß Kant, der 
Erfinder der Kritik der Vernunft, die Aufgabe dieser Wissenschaft 
nicht hinreichend scharf gefaßt hat, um eine Verwechslung mit 
der Aufgabe der Erkenntnistheorie (einer Theorie der Möglichkeit 
der Erkenntnis überhaupt) auszuschließen. Der Beweis dieser 
Behauptung soll den Inhalt der folgenden E^apitel bilden. 

Die Hauptlehre der Kantischen Philosophie bildet der ^trans- 
zendentale Idealismus", d. h. die Lehre von der Unmöglichkeit 
einer positiven Erkenntnis der Dinge an sich. Für diese Lehre 
hat Kant zwei ganz verschiedene Begrfindungsmittel. Das eine, 
das zur eigentlichen Einführung der Lehre dient und von Kant 
überall an die Spitze gestellt worden ist, beruht auf dem Ge- 
danken, daß wir „von den Dingen nur das a priori erkennen, was 
wir selbst in sie legen^.^ Da nämlich aller Erfahrung gewisse 



> Kritik der reinen Vomunfty Vorrede zwt iweiien Ausgabe. 



582 L« Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [170 

Erkenntnisse a priori als ihre Farm, d. L als eine Bedingung ihrer 
Möglichkeit, zn G-rande liegen, so folgt nnter Yoraassetznng des 
eben angeführten Satzes, daß die Gregenstande aller möglichen 
Erfahrung keine Dinge an sich sein können. 

Das andere Begründnngsmittel, das neben dem ersten oft über- 
sehen worden ist, liegt in der Anflösong der Antinomieen. Die 
Antinomieen entstehen durch die Voraussetzung, die G-egenstände 
der Erfahnmg seien Dinge an sich. Indem nämlich auf G-rund * 
dieser Voraussetzung den G^enständen der Erfahrung gewisse 
Prädikate beigelegt werden, die mit dem Begriffe eines Dinges an 
sich notwendig verbunden sind, gerät man in Widersprüche mit den- 
jenigen Eigenschaften der Gegenstände der Erfahrung, die ihnen 
auf Grund ihrer rein-anschaulichen oder mathematischen Form 
zukommen. Die Auflösung dieser Widersprüche führt daher auf 
den Satz, daß die Gegenstände der Erfahrung keine Dinge an sich 
sein können. 

77. Fassen wir die erste Beweismethode näher ins Auge. Es 
leuchtet ohne weiteres ein, daß sie eine bestimmte Theorie über 
das Verhältnis der Erkenntnis zum Gegenstande voraussetzt. Diese 
Theorie ist, wie man leicht findet, in den Eantischen Sätzen ent- 
halten: 

„Es sind nur zwei Fälle möglich, unter denen synthetische 

Vorstellung und ihre Gegenstände zusammentreffen, sich auf 
einander notwendiger Weise beziehen, und gleichsam einander 
begegnen können. Entweder wenn der Gegenstand die Vor- 
stellung, oder diese den Gegenstand allein möglich macht. 
Ist das Erstere, so ist diese Beziehung nur empirisch, und 
die Vorstellung ist niemals a priori möglich.''^ 



< Kritik der reinen Vemonft, § 14 (Übergang zur transzendentalen Deduktion 
der Kategorieen). 

Um yer^^leiclie hiersa aacb die fo]|;enden S&tse ans dem Briefe an Mabcxjs 



171] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 588 

Diese Sätze vorausgesetzt, folgt die za beweisende Lehre 
onwiderleglich. Dinge an sich sind Dinge, die unabhängig von 
jeder Art, wie sie erkannt werden, bestehen. Hängt also bei Er- 
kenntnissen a priori der Gegenstand, seiner Möglichkeit nach, von 
der Erkenntnis ab, so folgt, daß die Q-egenstände von Erkennt- 
nissen a priori keine Dinge an sich sein können. 

Aber wie steht es mit diesen Sätzen selbst ? Mehrere Voraus- 
setzungen sind in ihnen enthalten. Zunächst die Annahme, daß 
die Beziehung zwischen Erkenntnis und Gregenstand von der Art 
ist, daß entweder der Gegenstand die Erkenntnis oder die Er- 
kenntnis den Gegenstand möglich macht. Diese Annahme enthalt 
eigentlich wieder zwei Voraussetzungen: 

1) die Voraussetzung, daß das Verhältnis der Erkenntnis zum 
Gegenstande ein katisales ist; 

2) die Voraussetzung, daß dieses Eausalverhältnis ein unmittd- 
bares ist, d. L daß keine gemeinschaftliche Ursache fdr die 
Übereinstimmung von Erkenntnis und Gegenstand mög- 
lich ist. 



H£RZ vom 21. Februar 1772 : 

„Ich frag mich nämlich selbst: auf welchem Grande berohet die Beziehung 
desjenigen, was man in uns VorsteUung nennt, aaf den Gegenstand? Enthält die 
Vorstellaog nar die Art, wie das Sabjekt von dem Gegenstande affiziert wird, so 
ist's leicht einzusehen, wie sie diesem als eine Wirkung ihrer Ursache gemäß sei 
und wie diese Bestimmung unsres Gemüts etwas vorstellen d. i. einen Gegenstand 
haben könne." [Kant schreibt „er" statt „sie" und „seiner" statt „ihrer" ; ein 
offenbares Versehen, wie ich mit 0. Meterhof (Yierte^ahrsschrift für wissen- 
schaftliche Philosophie, 1907, S. 437) annehme.] „Die passiven oder sinnlichen 
Vorstellungen haben also eine begreifliche Beziehung auf Gegenstände . . . Ebenso : 
wenn das, was in uns Vorstellung heißt, in Ansehung des Objekts aktiv wäre, 
d. i. wenn dadurch selbst der Gegenstand hervorgebracht würde, so würde auch 
die Konformität derselben mit den Objekten verstanden werden können," 
(Kants gesammelte Schriften, Akademie-Ausgabe, Band X, S. 124 f.) 



584 ^' ^^011 : Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [172 

Wie kommt nim Eant von diesen beiden Yoranssetznngen zu 
dem Satze, daß bei Erkenntnissen a posteriori der Gegenstand die 
Erkenntnis, bei Erkenntnissen a priori die Erkenntnis den Gegen- 
stand möglich mache ? Zu diesem Schritte gehören weitere Voraus- 
setzungen. "Wir finden sie in Kants Lehre vom Verhältnisse der 
Sinnlichkeit zum Verstände: 

„Unsre Erkenntnis entspringt aus zwei Grundquellen 
des Gemüts, deren die erste ist, die Vorstellungen zu empfangen 
(die Rezeptivität der Eindrücke), die zweite, das Vermögen, 
durch diese Vorstellungen einen Gegenstand zu erkennen: 
(Spontaneität der Begriffe) . . . Wollen wir die Bejseptivität 
unseres Gemüts, Vorstellungen zu empfangen, sofern es auf 
irgend eine Weise affiziert wird, Sinnlichkeit nennen, so ist 
dagegen das Vermögen, Vorstellungen selbst hervorzubringen, 
oder die Spontaneität des Erkenntnisses, der Verstand.^^ 
Kaih* sieht also in der Sinnesanschauung ein passives Verhalten, 
eine Vorstellungsweise, die „nur die Art enthält, wie wir von 
Gegenständen affiziert werden". Er nennt sie daher „eine Vor- 
stellung, so wie sie unmittelbar von der Gegenwart des Gegen- 
standes abhängen würde''.' Erkenntnisse a priori hingegen sind 
nach ihm von der Art, daß sie „vor dem Gegenstande selbst vor- 
hergehen".' — Die gesuchten, zu den Sätzen (1) und (2) noch 
hinzukommenden Voraussetzungen sind also die folgenden beiden : 
3) Bei Erkenntnissen a posteriori geht der Gegenstand der 
Erkenntnis vorher. 



> Transzendentale Logik, Einldtong, I. 
' Prolegomena, § 8. 

> Ebenda. — Für die Kritik der Lehre TQn der Passivität der sinnlichen 
Yorstellongen verweise icb auf § 75. 



173] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 585 . 

4) Bei Erkenntnissen a priori geht die Erkenntnis dem Gegen- 
stande vorher. 

78. Fragen wir nun zuerst: Wie verhalten sich diese Voraus- 
setzungen zu einander? Offenbar kommt die zweite zu der ersten 
und ebenso jede der beiden übrigen zu den vorhergehenden als 
etwas völlig TJnableitbares hinzu. "Wir können femer feststellen, 
daß keine dieser Voraussetzungen sich auf eine analytische Not- 
wendigkeit gründen kann. (1) und (2) enthalten Aussagen über 
das Stattfinden eines Kausalverhältnisses^ und Kausalverhältnisse 
können — nach Kants eigenen Nachweisungen — niemals durch 
analytische Urteile erkannt werden. Ebenso gründet sich (3) auf 
das Kausalgesetz.^ Was (4) betrifft, so kann diese Voraassetzong 
deshalb nicht analytisch sein, weil die Erkenntnis a priori lediglich 
negativ, als die nicht-empirische Erkenntnis definiert ist* und sich 
aus dieser Definition, die auf die ErkenntnisgueZZe geht, kein Schluß 
auf das Verhältnis zum Gegenstande ziehen läßt. — Aber diese 
Voraussetzungen können aach keine empirischen Urteile sein. Denn 
die Allgemeinheit, in der sie aufgestellt werden und für den 
Kantischen Beweis auch in Anspruch genommen werden müssen, 
kann — ebenfalls nach Kants eigenen Nachweisungen — nicht 
auf Erfahrung gegründet werden. Alle vier Voraussetzungen sind 
also synthetische Urteile a priori. Und zwar müssen sie, da sie 
sich offenbar nicht auf Anschauung gründen lassen, metaphysiscJie 
Urteile sein. 

79. Wir wollen nicht den Einwand erheben, daß die Kritik 
der Vernunft eine petitio principii begeht, indem sie sich von 
vornherein auf metaphysische Urteile stützt, deren Möglichkeit 



> Vergl. § 75. 

' Kritik der reinen Vemonft, Einleitung, I. 



586 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [174 

sie doch erst untersuchen will. Aber da es die Aufgabe der 
Kritik ist, die metaphysischen Urteile zu begründen, so müssen 
wir die Frage aufwerfen, ob denn die fraglichen metaphysischen 
Yoraussetzxmgen von der Kritik begründet werden. Es bedarf 
nur eines Blicks auf die Tafel der von der Kritik begründeten 
metaphysischen Urteile, — es sind deren acht, die sogenannten 
Grundsätze des reinen Verstandes oder die Prinzipien der Mög- 
lichkeit der Erfahrung, — um sich zu überzeugen, daß die Frage 
verneint werden muß. Die fraglichen Voraussetzungen sind hier- 
nach unzulässig. — Aber noch mehr: sie führen auf einen Wider- 
spruch. Sie enthalten nämlich Aussagen über das Verhältnis der 
Dinge an sich zu unserer Erkenntnis^, setzen also, da sie sich 
nicht auf Erfahrung gründen können, die Möglichkeit voraus, über 
Dinge an sich a priori etwas auszusagen. Grerade diese Möglich- 
keit wird aber durch die Annahmen (1), (2) und (4) ausgeschlossen.^ 
Dieser Widerspruch ist oft bemerkt worden. Die reinen 
Verstandesbegriffe oder Kategorieen liegen, als Bedingungen der 



* Dies könnte bei (3) zweifelhaft erscheinen. Daß aber auch hier der 
affizierende Gegenstand das Ding an sich bedeutet, geht aus vielen Erklärungen 
Kants hervor. Ich nenne nur die folgenden: „Das sinnliche Anschauungsvermögen 
ist eigentlich nur eine Rezeptivität, auf gewisse Weise mit Vorstellungen affiziert 
zu werden . . . Die nichtsinnliche Ursache dieser Vorstellungen ist uns gänzlich 
unbekannt (Kritik der reinen Vernunft, Kehrbachsche Ausgabe, S. 403.) „Die 
Gegenstände, als Dinge an sich, geben den Stoff zu empirischen Anschauungen, 
(sie enthalten den Grund, das Vorstellungsvermögen, seiner Sinnlichkeit gemäß zu 
bestimmen).** („Über eine Entdeckung, nach der alle neue Kritik der reinen Ver- 
nunft durch eine ältere entbehrlich gemacht werden soll.** S. 56.) Vgl. ebenda 
S. 64, wo die Sinnlichkeit erklärt wird als die „Art, wie wir von einem an sich selbst 
uns ganz unbekannten Objekt affiziert werden." Ähnlich Prolegomena, § 82 und 36. 

Was die Voraussetzung (4) betrifft, so werden wir sie im XVII. Kapitel 
einer besonderen Prüfung unterziehen. 

* Die Annahme (3) ist nur erforderlich, um den Kantischen Idealismus als 
„formalen'* einzuschränken und um den Satz zu begründen, daß die Gegenstände 
unserer Erkenntnis in transzendentaler Hinsicht Erscheinung und nicht Schein sind* 



175] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 587 

Möglichkeit aller Urteile, auch jedem Urteile über die Dinge an 
sich zn Grunde. Sprechen wir von einem Dinge an sich, so wenden 
wir damit schon die Kategorie der Substanz an; nennen wir es 
die Ursache unserer Empfindungen, so unterwerfen wir es der 
Kategorie der Kausalität; schreiben wir ihm Existenz zu, so 
wenden wir die Kategorie der Existenz an. Die Behauptung, alle 
Vorstellungen a priori seien nicht auf Dinge an sich anwendbar, 
führt also notwendig auf Widersprüche. 

Zur Beseitigung dieses Widerspruchs scheinen zwei Wege 
ofPen zu stehen. Die Annahme des formalen Idealismus hat zur 
Folge die Unvereinbarkeit der Annahme von Dingen an sich mit 
dem Satze der Kritik, daß gewisse Prinzipien a priori Bedingungen 
der Möglichkeit aller Urteile sind. Man hat daher, wenn man 
diesen Satz der Kritik aufrechterhalten will, die Wahl, entweder 
die Annahme von Dingen an sich (und damit natürlich, bei Auf- 
rechterhaltung von (3), auch von Erkenntnissen a posteriori * ) oder 
aber den formalen Idealismus fallen zu lassen. Die meisten Nach- 
folger EüLNTS haben den ersten Weg eingeschlagen. Aber aus 
unseren Untersuchungen geht deutlich hervor, daß auf solche 
Weise der Kantische Fehler nicht beseitigt, sondern nur in seine 
Konsequenzen verfolgt wird.* Wir werden hierauf im XXV. 
Kapitel zurückkommen. 



^ Hieraus erklärt sich der nachkantische Rationalismus. 

' Streng genommen müssen wir sagen: Die genannten Sätze (1) bis (4) 
stehen nicht unter einander in Widerspruch, sondern nur die Annahme unseres 
Wissens um den Inhalt dieser Sätze enthält einen Widerspruch. Nicht daß Dinge 
an sich a priori unerkennbar seien, sondern nur, daß wir wissen^ die Dioge an 
sich seien a priori unerkennbar, widerspricht sich. Denn : hätten wir ein solches 
Wissen, so besäßen wir in ihm eine Erkenntnis a priori der Dinge an sich, näm- 
lich die, daß eine Erkenntnis a priori der Dinge an sich unmöglich sei 

Hieraus ergiebt sich, daß sich aus dem konstatierten Widerspruch nichts 



588 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [176 



XVL 
Die AnsBchliessung des Pr&formationssystems. 

80. Von den vier anf^ezählten Voraossetzaugen des formalen 
Idealismns ist die zweite dnrch den bekannten Streit zwischen 
Trendei^enbürq lind Euno Fischer Gegenstand vielfacher Diskussionen 
geworden. Wir wollen ihr einige Betrachtangen widmen, die, 
wie uns scheint, zur Beilegung der tatsächlich unausgetragen ge- 
bliebenen Streitfrage dienen können. 

Der Vorwurf Trekdelenburgs, Kaut habe bei seiner Begründung 
des formalen Idealismus die Möglichkeit einer prästabilierten 



weiter schließen l&ßt, als daß es anmöglich ist, zu wissen, die Dinge an sich seien 
a priori unerkennbar. Es folgt also aus jenem Widersprach nichts anderes, als 
daß der formale Idealismas ein anbegründbares Dogma ist. 

Es verhält sich mit dem hier festgestellten Widersprach nicht anders als in 
den § 5 and § 16 Anmerkung (S. 470 des ersten Teils) erörterten Fällen. Auch 
der § 33 aufgedeckte Widerspruch ist von derselben Art. (Das bekannte Paradoxon 
des lügenden Kreters gehört ebenfalls hierher.) Wir stoßen in allen diesen Fällen 
auf eine besondere Art von Widersprüchen, deren Eigentümlichkeit ich noch 
nirgends in der Litteratur hervorgehoben finde, obgleich es, wie die betrachteten 
Beispiele zeigen, zur Vermeidung naheliegender und oft wiederholter Irrtümer 
äußerst wichtig ist, sie als solche zu erkennen and von dem Sachverhalt, den 
man sonst schlechtweg als „Widerspruch <* bezeichnet, sorgfältig zu unterscheiden. 
Zur Erleichterung dieser Unterscheidung empfiehlt es sich, eine besondere Be- 
zeichnung für die in den genannten Fällen auftretende Art von Widersprüchen 
einzuführen. Ich nenne sie, in Ermangelung eines passenderen Namens, „introjizierte 
Widersprüche^. Eine Aussage A über ein Subjekt X enthält dann und nur dann 
einen introjizierten Widerspruch, wenn die Möglichkeit der Aussage .^ für X 
einen gewöhnlichen Widerspruch enthält. — Wir werden im Folgenden noch 
weiteren Beispielen derartiger introjizierter Widersprüche begegnen. 

Man konnte geneigt sein, Widersprüche dieser Art dadurch zu beseitigen^ 



177] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 689 

Harmonie übersehen, war nnzatrefPend. Sowohl in dem, damals 
freilieh noch wenig bekannten Briefe an Mabcüs Herz vom 21. Fe- 
bruar 1772 als auch in der Kritik der reinen Yernonft selbst, 
sowie in den Prolegomenen geht Kakt auf diese Möglichkeit ein. 
Wir wollen zaerst die Stelle ans der Kritik der reinen Vernunft 
ins Auge fassen. Sie befindet sich im § 27 der zweiten Ausgabe. 
Dort heißt es von den Kategorieen: 

„Nim sind nur zwei Wege, auf welchen eine notwendige 
Übereinstimmung der Erfahrung mit den Begriffen von ihren 
Gegenständen gedacht werden kann: entweder die Erfahrung 
macht diese Begriffe, oder diese Begriffe machen die Erfahrung 
möglich. Das Erstere findet nicht in Ansehung der Kategorieen 
(auch nicht der reinen sinnlichen Anschauung) statt; denn 
sie sind Begriffe a priori, mithin unabhängig von der Er- 
fahrung (die Behauptung eines empirischen Ursprungs wäre 



daß man jedesmal die fragliche Aussage A mit einer Einschränkong versieht, 
wonach die Aussage A selbst von den in ihr für unzulässig erklärten Aussagen aus- 
genommen wird. Z. B. : „Alle aUgemeinen Sätze mit Ausnahme dieses Satzes sind 
unzulässig.** Hier entsteht aber die Frage: welcher Satz soll hier der ausge- 
nommene sein? Der ursprüngliche, der zu dem Widerspruch Anlaß gab, oder 
der neue, schon mit der Ausnahme versehene ? Im ersten Falle wäre der ursprüng- 
liche Satz Ä, als ausgenommener, richtig, gälte also ohne Ausnahme. £s wäre 
folglich der neue Satz falsch, und wir hätten denselben Widerspruch wie vorher. 
— Im zweiten FaUe kämen wir auf einen Satz von der folgenden Form: „Alle 
Sätze der angegebenen Art mit Ausnahme des Satzes : ,alle Sätze der angegebenen 
Art mit Ausnahme dieses Satzes sind unzulässig* sind unzulässig." Man sieht 
hier leicht, daß bei fortgesetzter Einsetzung des auszunehmenden Satzes an stelle 
des Wortes „dieses" eine unendliche Reihe von Ausnahmen zu bilden ist. Die 
Unvollendbarkeit dieser Reihe beweist die Unmöglichkeit, mit dem in Frage stehenden 
Einschränkungsverfahren einen Sinn zu verbinden. ~ (Vgl E. Grelling und 
L. Nelson: „Bemerkungen zu den Paradozieen von Russell und Bu&ali-Fobti" 
§ 9 bis 12, in den Abhandlungen der Fries'schen Schule, Band n, S. 318 ff., wo 
man ähnliche Beispiele introjizierter Widersprüche angegeben findet.) 

AbhandloogM der FriM*KlMii Sehale. U. Bd. 38 



690 ^' Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [178 

eine Art von generatio aequivoca). Polglich bleibt nur das 
Zweite äbrig (gleichsam ein System der Epigenesis der reinen 
Vernunft): daß nämlich die Eategorieen von Seiten des Ver- 
standes die Gründe der Möglichkeit aller Erfahrung überhaupt 
enthalten." 
Gleich darauf spricht Eant von dem Vorschlage eines „Mittel- 
weges" „zwischen den zwei genannten einzigen Wegen". Nach 
diesem Mittelwege, dem „Präformationssystem der reinen Vernunft", 
wären die fraglichen Prinzipien „subjektive, uns mit unserer 
Existenz zugleich eingepflanzte Anlagen zum Denken, die von 
unserm Urheber so eingerichtet worden, daß ihr Gebrauch mit 
den Gesetzen der Natur, an welchen die Erfahrung fortläuft, 
genau stimmte^. — Man sieht, daß die Ablehnung dieses Mittel- 
weges mit der zweiten der oben von uns formulierten Voraus- 
setzungen der Kantischen Erkenntnistheorie identisch ist. 

81. Wer aber hier genauer zusieht, wird finden, daß die zwei 
j^genannten^ Wege solche waren, die nicht eine Erklärung des 
Verhältnisses der Erkenntnis a priori zum Gegenstände^ sondern eine 
Erklärung ihres Verhältnisses zur Erfahrung enthalten, daß also 
Kant bei seiner Ausschließung des Präformationssystems, ohne es 
zu bemerken, einem wohlbegründeten Urteile über das Verhältnis 
der Erkenntnisse untereinander ein dogmatisches Urteil über das 
Verhältnis der Erkenntnis zum Gegenstande unterschiebt. 

Daß Kant diesen Fehler ¥rirklich begeht, läßt sich noch deut- 
licher aus einer entsprechenden Stelle der Prolegomena ersehen. 
An dieser Stelle (§ 36) heißt es : 

„Selbst der Hauptsatz, der durch diesen ganzen Abschnitt 
ausgeführt worden, daß allgemeine Naturgesetze a priori er- 
kannt werden können, führt schon von selbst auf den Satz, 
daß die oberste Gesetzgebung der Natur in uns selbst, d. i. in 



179J Dritter Teil: Die Geschiclite der Erkenntnistheorie. 591 

unserm Verstände liegen müsse, and daß wir die allgemeinen 
Gesetze derselben nicht von der Natnr vermittelst der Er- 
fahrung, sondern umgekehrt, die Natur ihrer allgemeinen 
Gesetzmäßigkeit nach, bloß aus den in unserer Sinnlichkeit 
und dem Verstände liegenden Bedingungen der Möglichkeit 
der Erfahrung suchen müssen ; denn wie wäre es sonst möglich, 
diese Gesetze, da sie nicht etwa Segeln der analytischen Er- 
kenntnis, sondern wahrhafte synthetische Erweiterungen der- 
selben sind, a priori zu erkennen? Eine solche und zwar 
notwendige Übereinstimmung der Prinzipien möglicher Erfahrung 
mit den Gesetzen der Möglichkeit der Natur kann nur aus 
zweierlei Ursachen stattfinden: entweder diese Gesetze werden 
von der Natur vermittelst der Erfahrung entlehnt, oder um- 
gekehrt die Natur wird von den Gesetzen der Möglichkeit 
der Erfahrung überhaupt abgeleitet und ist mit der bloßen 
allgemeinen Gesetzmäßigkeit der letzteren völlig einerlei. Das 
erstere widerspricht sich selbst, denn die allgemeinen Natur- 
gesetze können und müssen a priori (d. i. unabhängig von aller Er- 
fahrung) erkannt und allem empirischen Gebrauche des Verstandes 
zum Grunde gelegt werden, also bleibt nur das zweite übrig,*' 
Daraus also, daß es sich widerspricht, daß die Erkenntnis der 
allgemeinen Gesetze der Natur aus der Erfahrung entlehnt wird, 
wird hier geschlossen, daß die oberste Gesetzgebung der Natur 
„in uns selbst^ liegen müsse. Es ist klar, daß Eant bei diesem 
Schlüsse von der Aprioritäi auf die Idßdlität das Verhältnis der 
Erfahrung zur Erkenntnis a priori mit dem Verhältnis des Gegen- 
standes zur Erkenntnis identifiziert hat. 

82. Ziehen wir nun die Gründe in Betracht, aus denen Kant 
gegen das Präformationssystem entscheidet. Diese Gründe sind: 
erstens^ „daß bei einer solchen Hypothese kein Ende abzusehen ist, 

38* 



592 L* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [180 

wie weit man die Yoranssetzang vorbestimmter Anis gen zu finf- 
tigen Urteilen treiben möchte^; nnd etoeitenSj „daß in solchem 
Falle den Eategorieen die Notwendigkeit mangeln würde, die ihrem 
Begriffe wesentlich angehört**.* 

Das erste dieser beiden Argumente finden wir noch deutlicher 
ausgesprochen in der Anmerkung zu der eben zitierten Stelle der 
Prolegomena : 

„Da sich doch oft auch trügliche Grundsätze einmischen, . . . 
so sieht es bei dem Mangel sicherer Kriterien, den echten Ur- 
sprung von dem unechten zu unterscheiden, mit dem Gebrauche 
eines solchen Grundsatzes sehr mißlich aus, indem man niemals 
sicher wissen kann, was der Geist der Wahrheit oder der Vater 
der Lügen uns eingeflößt haben möge." 
Es ist also die Möglichkeit des Irrtums, auf die sich dieses 
Kantische Argument stützt. Nun ist allerdings klar, daß die 
fragliche Annahme, wenn sie nicht die Möglichkeit des Irrtmns 
überhaupt ausschließen will, für sich noch kein Kriterium enthält, 
um „den echten Ursprung von dem unechten zu unterscheiden". 
Aber dieser Umstand kann, solange die Annahme nicht den An- 
spruch erhebt, ein solches Kriterium zu enthalten, kein Grund 
ihrer Verwerfung sein. Daß übrigens die Kantische Annahme ein 
solches Kriterium ebensowenig zu liefern vermag, werden wir im 
XIX. Kapitel zeigen. 

Das zweite Argument wird folgendermaßen begründet: 

„Z. B. der Begriff der Ursache, welcher die Notwendig- 
keit eines Erfolgs unter einer vorausgesetzten Bedingung 
aussagt, würde falsch sein, wenn er nur auf einer beliebigen 
uns eingepflanzten subjektiven Notwendigkeit, gewisse empi- 



Kritik der reinen Vemonft, 2. Ausgabe, § 27. 



181] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 593 

rische Vorstellimgen nach einer solchen Begel des Verhält- 
nisses zu verbinden, beruhete. Ich würde nicht sagen können: 
die Wirkung ist mit der Ursache im Objekte (d. i. notwendig) 
verbxmden, sondern ich bin nur so eingerichtet, daß ich diese 
Vorstellung nicht anders als so verknüpft denken kann . . .^^ 
Hierzu ist Folgendes zu bemerken. Wenn ich, nach der frag- 
lichen Annahme, so organisiert bin, daß ich einen Satz „Ä ist J5^ 
für wahr halten muß, so schließt diese Annahme zugleich ein, daß 
ich den Satz „ J. ist JB* tatsächlich für wahr halte. Die Kantische 
Behauptung : Ich würde nicht sagen können, Ä sei JB, sondern ich 
sei nur so eingerichtet, denken zu müssen, Ä sei B, schließt also 
einen Widerspruch ein. 

Man vergleiche zu diesem „nur* das „bloß" im Schlußsatze 
desselben Paragraphen : „Zum wenigsten konnte man mit niemandem 
über dasjenige hadern, was bloß auf der Art beroht, wie sein 
Subjekt organisiert ist.* Dieses „nur* und „bloß* widerspricht 
der vorausgesetzten Annahme, daß der Gebrauch der fraglichen 
Prinzipien „mit den Gesetzen der Natur, an welchen die Erfahnmg 
fortläuft, genau stimmte.* Kants Schluß: „Alsdann ist alle unsere 
Einsicht, durch vermeinte objektive Gültigkeit unserer Urteile, 
nichts als lauter Schein* ist also falsch. 

Konnte ich übrigens nicht wissen, wie das Objekt beschaffen 
ist, so wäre nicht einzusehen, wie ich wissen könnte, wie ich „ein- 
gerichtet* bin; denn auch dieses letztere Wissen enthielte einen 
Satz, der auf objektive Gültigkeit Anspruch erhebt. Man müßte 



^ Dieses Argument gegen die „Zuflucht zu einer prästabilierten Harmonie*' 
findet sich übrigens auch schon in der Vorrede zu den „metaphysischen Anfangs- 
gründen der Naturwissenschaft" (S. XIX, Anmerkung) : ,,Denn auf diese kommt 
doch jene dtjektwe Nottoenddgkeit nicht heraus» welche die reinen Verstandes- 
b^;riffe clianÜEterisiert'* u. s. w. 



594 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [182 

yiBlmehr nach Kants Argomentationsweise sagen : Ich konnte nicht 
sagen : Ich bin so eingerichtet, denken zu müssen, Ä sei J5, sondern 
nur: Ich bin nur so eingerichtet, denken zu müssen, ich sei so 
eingerichtet, denken zu müssen, A sei B. und so fort in einer 
unendlichen Beihe, so daß überhaupt keine Aussage möglich wäre.^ 
Man könnte nun vielleicht noch in EjLirrs Sinne antworten: 
Der bloße Umstand, daß wir genötigt seien, unsere Erkenntnis 
als gültig zu denJceUj erlaube nicht den Schluß, daß sie auch 
wirklich gültig seij und wenn auch unter den angenommenen um- 
ständen eine objektive Gültigkeit unserer Erkenntnis durchaus 
möglich sei, so beruhe sie doch, wo sie etwa stattfinde, nur auf 
einer zufälligen Übereinstimmung unserer Erkenntnis mit den 
Gegenständen ; Eakt habe daher insofern recht, als sich im frag- 
lichen Falle die objektive Notwendigkeit der Eategorieen nicU 
einsehen ließe. — An dieser Argumentation ist soviel richtig, daß 
aus der subjektiven Notwendigkeit, eine gewisse Sache zu denken, 
nicht auf die objektive Notwendigkeit dieser Sache geschlossen 
werden kann. Den Eategorieen würde daher im angenommenen 
Falle allerdings eine gewisse Notwendigkeit fehlen; aber diese 
vermißte Notwendigkeit ist lediglich die analytische Notwendig- 



^ Der Satz : „Ich bin nur so eingerichtet, daß ich nicht anders denken kann, 
als A sei 3*% enthält einen introjizierten Widerspruch . 

Ein besonders charakteristisches Beispiel eines solchen Widerspruchs giebt 
Kant selbst in seiner Lehre vom „transzendentalen Schein'' der Ideen. Ich führe 
nur folgende Stelle ans der Kritik der UrteUskraft (§ 76, Anmerkung) an: 

„Man wird bald inne: daß ... der Verstand ... die Gültigkeit jener 
Ideen der Vernunft nur auf das Subjekt, aber doch allgemein für alle yon dieser 
Gattung, d. i. auf die Bedingung einschränke, daß nach der Natur unseres (mensch- 
lichen) ErkenntnisTermögens oder gar überhaupt nach dem Begriffe, den toir uns 
Yon dem Vermögen eines endlichen vernünftigen Wesens überhaupt madien 
können, nicht anders als so könne und müsse gedacht werden: ohne doch zu 
behaupten, daß der Grund eines solchen Urteils im Objekt liege." . ^^ 



L83] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 596 

keit des Beweises. Die objektive Notwendigkeit der Eategorieen 
iiräre damit durchans nicht aufgehoben; ihre Greltung wäre zwar 
mie logisch-eufällige, könnte aber nichtsdestoweniger eine meta" 
ihysisch-yiotwendige sein nnd als solche auch ohne Beweis, unmittelbar 
eingesehen werden. Wir werden im XIX. Kapitel zeigen, daß diese 
netaphysische Notwendigkeit der Eategorieen in der Tat die 
dnzige ist, die „ihrem Begriffe wesentlich angehört". Die Einsicht 
Ji die objektive Notwendigkeit der Eategorieen wäre nnmöglich 
lur unter der Voraussetzung des empirischen Ursprungs derselben. 
Mehr als dieser negative Satz vom nicht-empirisehenVvs^vxmg der 
Eategorieen läßt sich aus der Berufung auf jene Notwendigkeit 
licht gewinnen; für die positive Bestimmung dieses Ursprungs 
3edarf es anderer Eriterien. 

83. Die Annahme, daß unserer Erkenntnis, wenigstens teil- 
weise, transzendentale Wahrheit zukommt, muß in einem bestimmten 
[Jmfange jeder Erkenntnistheorie zu Grrunde liegen. Und so muß 
luch die idealistische Erkenntnistheorie Eants diese Voraussetzung 
nachen, um nur ihren ersten Ausgangspunkt festhalten zu können. 
3enn, wenn Eant den formalen Bedingungen der Erfahrung trans- 
^ndentale Bealität abspricht, so muß er, zwar nicht für die for- 
nalen Bedingungen der Erfahrung, wobl aber für die diesem Urteil 
(6er die formalen Bedingungen der Erfahrung zu Grunde liegen- 
1^1 erkenntnistheoretischen Voraussetzungen uneingeschränkte 
;ranszendentale Wahrheit in Anspruch nehmen. Bezeichnet man 
lie Annahme der transzendentalen Wahrheit solcher Voraus- 
letzungen als „Präformationssystem", so liegt also das Präfor- 
nationssystem dem formalen Idealismus selbst zu Grunde.^ 



^ Die Bestreitung des Präformationssystems schließt daher (nach dieser 
{edentong des Wortes) einen introjizierten Widersprach ein. 



596 L- Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. |^184 

Etwas anderes freilich als diese nnvermeidliche Inansprach- 
nähme transzendentaler Wahrheit für irgend welche Annahmen ist 
das unternehmen, diese Behanptong der transzendentalen Wahr- 
heit auf den Satz zu gründen, „daß ein Geist, der nicht irren 
noch betrügen kann," uns diese Annahmen „ursprünglich einge- 
pflanzt habe'^.^ Bezeichnet man — nicht die Inanspruchnahme 
transzendentaler Wahrheit für unsere Erkenntnis, sondern diese 
Begründungsweise der transzendentalen Wahrheit als „Präformations- 
system", so muß das Präformationssystem allerdings zurückge- 
wiesen werden. Denn dies System bewegt sich in einem offen- 
baren Zirkel. Woher anders sollen wir von dem Geiste, der uns 
die Erkenntnis ursprünglich eingepflanzt hat, sowie von seiner 
Unfehlbarkeit wissen, wenn nicht vermöge unserer Erkenntnis, 
deren Verläßlichkeit also schon von dem Präformationssystem 
vorausgesetet werden muß und nicht erst durch dieses System he- 
gründet werden kann. 

Dieses Argumentes bedient sich auch Ejlnt in dem mehrfach 
erwähnten Briefe an Mabcüs Herz, um die theologische Begründung 
der Erkenntnistheorie zu widerlegen. Er spricht hier von Crusius* 
Annahme „gewisser eingepflanzter Segeln zu urteilen und Begriffe, 
die Gott schon so, wie sie sein müssen, um mit den Dingen za 
harmonieren, in die menschliche Seele pflanzte, von welchen 
Systemen man . . . das letzte die harmoniam praestabilitam 
intellectualem nennen konnte*', und er fügt hinzu: „Allein der 
Dens ex Machina ist in der Bestimmung des Ursprungs und der 
Gültigkeit unsrer Erkenntnisse das Ungereimteste was man nur 
wählen kann, und hat außer dem betrüglichen Zirkel in der 
Schlußreihe unsrer Erkenntnisse noch das Nachteilige, daß er jeder 



^ Prolegomena/.§ 36, Anmerkung. 



186] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 597 

Grille oder andächtigem oder grüblerischem Hirngespinst Vorschnb 
giebt." 

So richtig diese Bemerkung ist, so beweist sie doch für Kants 
Zwecke zn viel. Wer sich die Darlegungen unseres I. Kapitels 
zu eigen gemacht hat, wird nämlich leicht bemerken, daß der von 
Kamt hervorgehobene Zirkel der theologischen Begründung der 
Erkenntnistheorie seinen Grand nicht, me Kant meint, in der 
theologischen Form dieser Begründung hat, sondern aus der Natur 
der Aufgabe einer erkenntnistheoretischen Begründung überhaupt 
entspringt. Nicht sowohl eine besondere Form der Erkenntnis- 
theorie, sondern vielmehr jede Erkenntnistheorie als solche, also 
auch die von Kant versuchte, muß an diesem Zirkel scheitern.^ 



^ Diese allgemeine Bedeutung des erkenntnistheoretischen Zirkels und also 
die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie als solcher scheint Kant sp&ter selbst 
bemerkt zu haben. Man lese die folgende Stelle ans der „Logik*' (Einleitung VU) : 
„Wahrheit, sagt man, besteht in der Übereinstimmung der Erkenntnis mit 
dem Gegenstande. Dieser bloßen Worterklärung zufolge soll also mein Er- 
kenntnis, um als wahr zu gelten, mit dem Objekt übereinstimmen. Nun kann 
ich aber das Objekt nur mit meinem Erkenntnisse yergleichen, dadurch daß ich 
es erkenne. Meine Erkenntnis soll sich also selbst bestätigen, welches aber zur 
Wahrheit noch lange nicht hinreichend ist. Denn da das Objekt außer mir und 
die Erkenntnis in mir ist, so kann ich immer doch nur beurteilen : ob meine Er- 
kenntnis Yom Objekt mit meiner Erkenntnis Yom Objekt übereinstimme. Einen 
solchen Zirkel im Erklären nannten die Alten Ditüele. Und wirklich wurde 
dieser Fehler auch immer den Logikern yon den Skeptikern vorgeworfen, welche 
bemerkten: es verhalte sich mit jener Erklärung der Wahrheit ebenso, wie 
wenn jemand vor Gericht eine Aussage tue und sich dabei auf einen Zeugen 
berufe, den niemand kenne, der sich aber dadurch glaubwürdig machen wolle, 
daß er behaupte, der, welcher ihn zum Zeugen aufgerufen, sei ein ehrlicher 
Mann. — Die Beschuldigung war allerdings gegründet. Nur ist die Auflösung 
der gedachten Aufgabe schlechthin und für jeden Menschen unmöglich.^ 
Auf den ersten Blick scheint es, als hätten wir hier einen klaren Beweis für 
die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie vor uns. Und es erscheint rätselhaft, 
wie Kant die Konsequenz, die sich aus dieser Unmöglichkeit für seine eigenen 
erkenntnistheoretischen Spekulationen ergiebt, übersehen konnte. Allein, bei 



592 L- Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [180 

wie weit man die Yoranssetzang vorbestimmter Anlagen zu ünf- 
tigen Urteilen treiben mocbte*'; und zweitens, „daß in solchem 
Falle den Eategorieen die Notwendigkeit mangeln würde, die ihrem 
Begriffe wesentlich angehört*'.* 

Das erste dieser beiden Argumente finden wir noch deutlicher 
ausgesprochen in der Anmerkung zu der eben zitierten Stelle der 
Prolegomena : 

„Da sich doch oft auch trügliche Grundsätze einmischen, . . . 
so sieht es bei dem Mangel sicherer Kriterien, den echten Ur- 
sprung von dem unechten zu unterscheiden, mit dem Gebrauche 
eines solchen Grundsatzes sehr mißlich aus, indem man niemals 
sicher wissen kann, was der Geist der Wahrheit oder der Vater 
der Lügen uns eingeflößt haben möge.^ 
Es ist also die Möglichkeit des Irrtums, auf die sich dieses 
Kantische Argument stützt. Kun ist allerdings klar, daß die 
fragliche Annahme, wenn sie nicht die Möglichkeit des Irrtums 
überhaupt ausschließen wiU, für sich noch kein Kriterium enthält, 
um „den echten Ursprung von dem unechten zu unterscheiden". 
Aber dieser Umstand kann, solange die Annahme nicht den An- 
spruch erhebt, ein solches Kriterium zu enthalten, kein Grund 
ihrer Verwerfung sein. Daß übrigens die Kantische Annahme ein 
solches Kriterium ebensowenig zu liefern vermag, werden wir im 
XIX. Kapitel zeigen. 

Das zweite Argument wird folgendermaßen begründet: 

„Z. B. der Begriff der Ursache, welcher die Notwendig- 
keit eines Erfolgs unter einer vorausgesetzten Bedingung 
aussagt, würde falsch sein, wenn er nur auf einer beliebigen 
uns eingepflanzten subjektiven Notwendigkeit, gewisse empi- 



Kritik der reinen Vemonft, 2. Ausgabe, § 27. 



181] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 593 

rische Vorstellimgen nach einer solchen Regel des Verhält- 
nisses zu verbinden, beruhete. Ich würde nicht sagen können: 
die Wirkung ist mit der Ursache im Objekte (d. i. notwendig) 
verbunden, sondern ich bin nur so eingerichtet, daß ich diese 
Vorstellung nicht anders als so verknüpft denken kann . . ."* 
Hierzu ist Folgendes zu bemerken. Wenn ich, nach der frag- 
lichen Annahme, so organisiert bin, daß ich einen Satz j,A ist B^ 
für wahr halten muß, so schließt diese Annahme zugleich ein, daß 
ich den Satz „^ ist B^ tatsächlich für wahr halte. Die Kantische 
Behauptung : Ich würde nicht sagen können, A sei J5, sondern ich 
sei nur so eingerichtet, denken zu müssen, A sei J5, schließt also 
einen Widerspruch ein. 

Man vergleiche zu diesem „nur'' das „blöß^ im Schlußsatze 
desselben Paragraphen : „Zum wenigsten könnte man mit niemandem 
über dasjenige hadern, was bloß auf der Art beroht, wie sein 
Subjekt organisiert ist." Dieses »nur" und „bloß" widerspricht 
der vorausgesetzten Annahme, daß der Gebrauch der fraglichen 
Prinzipien „mit den Gesetzen der Natur, an welchen die Erfahrung 
fortläuft, genau stimmte.^ Kants Schluß : „Alsdann ist alle unsere 
Einsicht, durch vermeinte objektive Gültigkeit unserer Urteile, 
nichts als lauter Schein" ist also falsch. 

Könnte ich übrigens nicht wissen, wie das Objekt beschaffen 
ist, so wäre nicht einzusehen, wie ich wissen könnte, wie ich „ein- 
gerichtet^ bin; denn auch dieses letztere Wissen enthielte einen 
Satz, der auf objektive Gültigkeit Anspruch erhebt. Man müßte 



^ Dieses Argament gegen die „Znflacht zu einer prästabilierten Harmonie*' 
findet sich übrigens auch schon in der Vorrede zu den „metaphysischen Anfangs- 
gründen der Naturwissenschaft" (S. XIX, Anmerkung) : ,,Denn auf diese kommt 
doch jene a^tktwt Nottßenddgkeit nicht heraus» welche die reinen Verstandes- 
begriffe chanücterisiert'* u. s. w. 



594 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem, [182 

viBlmehr nach Kants Argomentationsweise sagen : Ich könnte nicht 
sagen : Ich bin so eingerichtet, denken zn müssen, Ä sei B, sondern 
nur: Ich bin nur so eingerichtet, denken zu müssen, ich sei so 
eingerichtet, denken zn müssen, Ä sei B. und so fori^ in einer 
unendlichen Beihe, so daß überhaupt keine Aussage möglich wäre.^ 

Man könnte nun vielleicht noch in EjLirrs Sinne antworten: 
Der bloße Umstand, daß wir genötigt seien, unsere Erkenntnis 
als gültig zu denken, erlaube nicht den Schluß, daß sie auch 
wirklich gültig sei, und wenn auch unter den angenommenen Um- 
ständen eine objektive Gültigkeit unserer Erkenntnis durchaus 
möglich sei, so beruhe sie doch, wo sie etwa stattfinde, nur auf 
einer zufälligen Übereinstimmung unserer Erkenntnis mit den 
Gegenständen ; Kant habe daher insofern recht, als sich im frag- 
lichen Falle die objektive Notwendigkeit der Kategorieen nicht 
einsehen ließe. — An dieser Argumentation ist soviel richtig, daß 
aus der subjektiven Notwendigkeit, eine gewisse Sache zu denken, 
nicht auf die objektive Notwendigkeit dieser Sache geschlossen 
werden kann. Den Kategorieen würde daher im angenommenen 
Falle allerdings eine gewisse Notwendigkeit fehlen; aber diese 
vermißte Notwendigkeit ist lediglich die analytische Notwendig- 



^ Der Satz : „Ich bin nur so eingerichtet, daß ich nicht anders denken kann, 
als A sei B**, enthält einen introjizierten Widerspmch. 

Ein besonders charakteristisches Beispiel eines solchen Widerspruchs giebt 
Kant selbst in seiner Lehre Yom ,, transzendentalen Schein'* der Ideen. Ich führe 
nur folgende Stelle ans der Kritik der Urteüskraft (§ 76, Anmerkung) an: 

„Man wird bald inne: daß . . . der Verstand ... die Gültigkeit jener 
Ideen der Vernunft nur auf das Subjekt, aber doch allgemein für alle von dieser 
Gattung, d. i. auf die Bedingung einschränke, daß nach der Natur unseres (mensch- 
lichen) Erkenntnisvermögens oder gar überhaupt nach dem Begriffe, den wir uns 
von dem Vermögen eines endlichen vernünftigen Wesens überhaupt machen 
können, nicht anders als so könne und müsse gedacht werden: ohne doch zu 
behaupten, daß der Grund eines solchen Urteils im Objekt liege." < ^ 



183] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 596 

keit des Beteeises. Die objektive Notwendigkeit der Eategorieen 
wäre damit dnrchans nicht aufgehoben; ihre G-eltong wäre zwar 
eine logisch-zufällige, könnte aber nichtsdestoweniger eine meta" 
physisch-'notwendige sein und als solche auch ohne Beweis, unmittelbar 
eingesehen werden. Wir werden im XIX. Kapitel zeigen, daß diese 
metaphysische Notwendigkeit der Eategorieen in der Tat die 
einzige ist, die „ihrem Begriffe wesentlich angehört". Die Einsicht 
in die objektive Notwendigkeit der Eategorieen wäre unmöglich 
nor nnter der Voraussetzung des empirischen Ursprungs derselben. 
Mehr als dieser negative Satz vom nicht-empirischen Ursprung der 
Eategorieen läßt sich aus der Berufung auf jene Notwendigkeit 
nicht gewinnen; für die positive Bestimmung dieses Ursprungs 
bedarf es anderer Eriterien. 

83. Die Annahme, daß unserer Erkenntnis, wenigstens teil- 
weise, transzendentale Wahrheit zukommt, muß in einem bestimmten 
Umfange jeder Erkenntnistheorie zu Grunde liegen. Und so muß 
auch die idealistische Erkenntnistheorie Eants diese Voraussetzung 
machen, um nur ihren ersten Ausgangspunkt festhalten zu können. 
Denn, wenn Eant den formalen Bedingungen der Erfahrung trans- 
zendentale Eealität abspricht, so muß er, zwar nicht für die for- 
malen Bedingungen der Erfahrung, wohl aber für die diesem Urteil 
über die formalen Bedingungen der Erfahrung zu Grunde liegen- 
den erkenntnistheoretischen Voraussetzungen uneingeschränkte 
transzendentale Wahrheit in Anspruch nehmen. Bezeichnet man 
die Annahme der transzendentalen Wahrheit solcher Voraus- 
setzungen als „Präformationssystem^, so liegt also das Präfor- 
mationssystem dem formalen Idealismus selbst zu Grunde.^ 



* Die Bestreitung des Präformationssystems schließt daher (nach dieser 
Bedeutong des Wortes) einen introjizierten Widersprach ein. 



596 L* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [184 

Etwas anderes freilich als diese unvermeidliche Inanspruch- 
nahme transzendentaler Wahrheit für irgend welche Annahmen ist 
das Unternehmen, diese Behauptung der transzendentalen Wahr- 
heit auf den Satz zu gründen, „daß ein Greis t, der nicht irren 
noch betrügen kann,^ uns diese Annahmen „ursprünglich einge- 
pflanzt habe^.^ Bezeichnet man — nicht die Inanspruchnahme 
transzendentaler Wahrheit für unsere Erkenntnis, sondern diese 
Begründungsweise der transzendentalen Wahrheit als ;,Präformations- 
system^, so muß das Präformationssystem allerdings zurückge- 
wiesen werden. Denn dies System bewegt sich in einem offen- 
baren Zirkel. Woher anders sollen wir von dem Geiste, der uns 
die Erkenntnis ursprünglich eingepflanzt hat, sowie von seiner 
Unfehlbarkeit wissen, wenn nicht vermöge unserer Erkenntnis, 
deren Verläßlichkeit also schon von dem Präformationssystem 
vorausgesetzt werden muß und nicht erst durch dieses System be- 
gründet werden kann. 

Dieses Argumentes bedient sich auch Eai^t in dem mehrfach 
erwähnten Briefe an Marcus Herz, um die theologische Begründung 
der Erkenntnistheorie zu widerlegen. Er spricht hier von Crusius' 
Annahme „gewisser eingepflanzter Regeln zu urteilen und Begriffe, 
die Gott schon so, wie sie sein müssen, um mit den Dingen zu 
harmonieren, in die menschliche Seele pflanzte, von welchen 
Systemen man . . . das letzte die harmoniam praestabilitam 
intellectualem nennen konnte'', und er fügt hinzu: ^Allein der 
Deus ex Machina ist in der Bestimmung des Urspnmgs und der 
Gültigkeit unsrer Erkenntnisse das Ungereimteste was man nur 
wählen kann, und hat außer dem betrüglichen Zirkel in der 
Schlußreihe unsrer Erkenntnisse noch das Nachteilige, daß er jeder 



Prolegomena,'.§ S6| Anmerkung. 



186] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 597 

Grrille oder andächtigem oder grüblerischem Hirngespinst Vorschub 
giebt.« 

So richtig diese Bemerkung ist, so beweist sie doch für Kants 
Zwecke zu viel. Wer sich die Darlegungen unseres I. Kapitels 
zu eigen gemacht hat, wird nämlich leicht bemerken, daß der von 
Kant hervorgehobene Zirkel der theologischen Begründung der 
Erkenntnistheorie seinen Grrund nicht, wie Kant meint, in der 
theologischen Form dieser Begründung hat, sondern aus der Natur 
der Aufgabe einer erkenntnistheoretischen Begründung überhaupt 
entspringt. Nicht sowohl eine besondere Form der Erkenntnis- 
theorie, sondern vielmehr jede Erkenntnistheorie als solche, also 
auch die von Kamt versuchte, muß an diesem Zirkel scheitern.^ 



^ Diese dllgemeine Bedeutung des erkenntnistheoretischen Zirkels und also 
die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie als solcher scheint Kant später seihst 
bemerkt zu haben. Man lese die folgende Stelle aus der „Logik" (Einleitung VII) : 
„Wahrheit, sagt man, besteht in der Übereinstimmung der Erkenntnis mit 
dem Gegenstande. Dieser bloßen Worterklärung zufolge soll also mein Er- 
kenntnis, um als wahr zu gelten, mit dem Objekt übereinstimmen. Nun kann 
ich aber das Objekt nur mit meinem Erkenntnisse vergleichen, dadurch daß ich 
es erkenne. Meine Erkenntnis soll sich also selbst bestätigen, welches aber zur 
Wahrheit noch lange nicht hinreichend ist Denn da das Objekt außer mir und 
die Erkenntnis in mir ist, so kann ich immer doch nur beurteilen: ob meine Er- 
kenntnis vom Objekt mit meiner Erkenntnis yom Objekt übereinstimme. Einen 
solchen Zirkel im Erklären nannten die Alten Bialele, Und wirklich wurde 
dieser Fehler auch immer den Logikern von den Skeptikern vorgeworfen, welche 
bemerkten: es verhalte sich mit jener Erklärung der Wahrheit ebenso, wie 
wenn jemand vor Gericht eine Aussage tue und sich dabei auf einen Zeugen 
berufe, den niemand kenne, der sich aber dadurch glaubwürdig machen wolle, 
daß er behaupte, der, welcher ihn zum Zeugen aufgerufen, sei ein ehrlicher 
Mann. — Die Beschuldigung war allerdings gegründet. Nur ist die Auflösung 
der gedachten Aufgabe schlechthin und für jeden Menschen unmöglich. ** 
Auf den ersten Blick scheint es, als hätten wir hier einen klaren Beweis für 
die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie vor uns. Und es erscheint rätselhaft, 
wie Kant die Konsequenz, die sich aus dieser Unmöglichkeit für seine eigenen 
erkenntnistheoretischen Spekulationen ergiebt, übersehen konnte. Allein, bei 



598 ^- Nelson. Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [186 

Unterscheiden wir also genau zwischen jenen beiden Begriffen 
des Präformationssystems, — der Behauptung transzendentaler 
Wahrheit einerseits und der theologischen Begründung dieser Be- 
hauptung andererseits, — so zeigt sich, daß wir nicht aus der Un- 
gereimtheit des zweiten auf die Verfehltheit des ersten schließen 
dürfen. Denn man kann — ohne allen Widerspruch — die trans- 
zendentale Wahrheit irjend welcher Erkenntnisse behaupten und 
zugleich jeden Versuch einer Begründung dieser transzendentalen 
Wahrheit abweisen. Und dies Verhalten ist nicht nur widerspruchs- 
frei, sondern erweist sich als unumgänglich notwendig, sobald man 
sich nur darüber klar ist, daß die transzendentale Wahrheit eine 
erste und notwendige Voraussetzung alles Erkennens überhaupt ist. 



näherer Prüfung hinterlassen diese Kantischen Sätze doch eine gewisse Unklarheit 
über den Inhalt dessen, vas Kant eigentlich als das thema probandi betrachtet 
wissen wollte. Der Zirkel einer jeden erkenntnistheoretischen Begründung, d. h. 
eines jeden Beweisversuchs für die ÜbereinsHtntnung der Erkenntnis mit dem 
Gegenstande, wird in ihnen zwar deutlich anerkannt: es ist hingegen nicht be- 
stimmt ersichtlich, welchen Schloß Kamt aas der Feststellung dieses Zirkels ziehen 
will. Er scheint den Ursprung des Zirkels in „jener Erklärung der Wahrheit" 
selbst zu suchen, während er doch in der Tat nur in der Verwechslung jener 
Erklärung (Definition) mit einem Kriterium der Wahrheit zu finden ist Kamt 
scheint, selbst noch in dieser Verwechslung befangen, aus der Untauglichkeit 
jener Erklärung ofo eines erkenntnistheoretischen Kriteriums auf die UnStatt- 
haftigkeit der Erklärung zu schließen. Er scheint den Fehler jener „Skeptiker** 
zu wiederholen, die aus der ünbeweisbarkeU der Übereinstimmung von Erkenntnis 
und Gegenstand auf ihr Nicht-Vorhandensein schlössen. Während der aufge- 
wiesene Zirkel in Wahrheit die Bedeutung hat, die Unlösbarkeit des erkenntnis- 
theoretischen Problems überhaupt zu beweisen, benutzt Kamt ihn nur, um die 
Unmöglichkeit einer positiven Entscheidung des Problems, einer ^.Bestätigung'^ der 
Erkenntnis durch sich selbst, zu beweisen. Und gerade, weU Kamt hier die volle 
Tragweite seiner eigenen Sätze nicht erkennt und also zu wenig beweist, bekommt 
seine Argumentation auf der anderen Seite den Fehler, zu viel zu beweisen, indem 
sie die Unmöglichkeit, die Realität des aufgestellten Begriffs der transzendentalen 
Wahrheit zu beweisen, schon für die Nichtigkeit dieses Begriffs selbst nimmt und 
so zum erkenutnistheoretischen Idealismus führt, in diesem abe^ selbst eine — 
nämlich negoHve ^ Lösung des Problems zu gebep beansprucht. 



187] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 599 

Dadurch, daß Kant es unterließ, diese beiden Lehrbegriffe des 
Präformationssystems zn unterscheiden, ist er veranlaßt worden, 
auf Grund des Widersinns des zweiten den ersten ungeprüft mit 
zu verwerfen. Trendelenbürgs Behauptung der Lückenhaftigkeit 
der Kantischen Beweisführung besteht also zu Recht, so sehr auch 
sein eigener Versuch, diese Behauptung zu rechtfertigen, als miß- 
lungen zu betrachten ist. 

84. Die ünvollständigkeit der Kantischen Disjunktion, daß 
„nur zwei Falle möglich^ seien, indem „entweder der Gegenstand 
die Yorstellong oder diese den Gegenstand allein möglich mache'', 
ist übrigens schon lange vor Trendelenbürg von Fbies erkannt 
worden. Fries sagt in der Vorrede zur zweiten Auflage seiner 
„Neuen Kritik der Vernunft **: 

„Woher wissen wir denn, ob nicht irgend eine dritte höhere 
Ursache möglich sei, welche die IJbereiiistimmung zwischen Vor- 
stellung und ihrem Gegenstand bestimmt, indem sie beide mögUch 
macht? Wäfe aber dies, so könnten allerdings die Dinge a priori 
so angeschaut werden, wie sie an sich sind. Dieser Kantische 
Beweisgrund für die Idealität von Raimi und Zeit wird also 
wohl verworfen werden müssen." 
Und im § 102 der Neuen Kritik heißt es: 

„Kant setzt in seinem ersten Beweise, daß wir durch Sinnes- 
anschauungen die Dinge nicht erkennen, wie sie an sich sind, 
voraus : die Unmöglichkeit, Dinge an sich durch reine Anschauung, 
oder überhaupt durch Erkenntnisse a priori zu erkennen, weil 
wir damit Ansprüche darauf machen, den Gegenstand zu be- 
stimmen, ohne daß er uns als gegenwärtig in der Erkenntnis 
gegeben ist. Wir müssen aber vielmehr sagen, wenn es Dinge 
giebt, deren Existenz an sich selbst allgemeinen Gesetzen unter- 
worfen ist, wie wir es in der Natur finden, so kann es ja auch. 



600 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [188 

wohl eine Vernonfk; wie die nnsrige, geben, welche dieses Gresetz 
antizipiert, ehe sie alle FäUe der Anwendung kennt.'' 

GrRAFENGiEssER, ein Schüler von Fries, hat versucht, in dieser 
Frage für die Kantische Beweisführung einzutreten und die Ein- 
würfe von Fries zu widerlegen. Es lohnt sich, mit einigen Worten 
auf diesen Versuch einzugehen, weil er das Bestechende des 
Eantischen Gredankens in besonders hellem Lichte erscheinen läßt. 
GrRAFENGiESSKRs Argumentation stellt sich nämlich bei näherer Be- 
trachtung als eine bloße Wiederholung des Kantischen Fehlers 
heraus. Über die eben an erster Stelle zitierten Sätze von Fries 
äußert er sich folgendermaßen: 

„Hier erscheint mir die Ansicht von Fries nicht zutreffend. . • 

Kant meint nämlich, um über die Beschaffenheit eines Dinges 

an sich oder über sein Verhältnis zu anderen Dingen etwas zu 

bestimmen, dazu sei seine Gregenwart, seine Existenz notig. 

Diese erkennen wir aber nicht a priori.'' „Dies, meine ich, 

kann ihm doch nicht bestritten werden.''^ 

In dieser Argumentation ist offenbar der entscheidende Satz 

„Diese erkennen wir aber nicht a priori'' eine petitio principii. 

Grapengiesser argumentiert weiter: 

„Was für eine dritte höhere Ursache sollte denn das sein? 
Wo sollten wir sie suchen ? In uns oder außer uns ? Wenn außer 
uns, so wäre unsere Bestimmung nicht a priori und notwendig; 
wenn aber in uns, so bliebe die Sache dieselbe, denn wir wären 
es wieder, welche die Beschaffenheit des Gegenstandes bestimmten. 
Aber möchte jemand sagen: die dritte Ursache könnte über uns 
sein. Über uns? Wie ist das zu verstehen? Wird damit nur 



1 Kants Lehre von Raum und Zeit ; Kuno Fischer und Adolf Trenoelenburg. 
Jena, 1370, S. «1. 



189] Dritter Teil: Die Geschiclite der Erkenntnistheorie. 601 

eine andere Stelle im Baum, in der Außenwelt gemeint, dann 
ist das ,über uns' nichts Anderes, als ,außer uns^ Ist das ,über 
uns' aber im idealen Sinne gemeint, soll die dritte, höhere 
Ursache die göttliche sein; so emiddere ich: diese Annahme 
gehört nicht hierher; wir wollen hier eine natürliche Er- 
scheinung auch natürlich erklären ; aus göttlicher Ursache können 
wir gar nichts erklären, wir dürfen hier nicht gleichsam den 
deus ex machina herbeirufen. Die Annahme einer solchen dritten 
höheren Ursache käme auf den sogenannten Occasionalismus oder 
des Leibniz prästabilierte Harmonie hinaus; aber diese beiden 
Hypothesen hat Fries selbst anderer Orten verworfen,"^ 
Hier wird wieder in dem Satze ;,Wenn außer uns, so wäre 
unsere Bestimmung nicht a priori und notwendig'' das zu Be- 
weisende vorweggenommen. Wenn aber Gtbapekgikssek sagt : „Wir 
wollen hier eine natürliche Erscheinung auch natürlich erklären", 
so ist darauf zu erwidern, daß zuvor die Frage zu erwägen ge- 
wesen wäre, ob eine solche Erklärung des Verhältnisses der Er- 
kenntnis zum Gregenstande überhaupt möglich ist. Legt man ein- 
mal mit Kam die Voraussetzung der kausalen Natur dieses Ver- 
hältnisses zu Grunde, so bleibt jedenfalls die Annahme einer 
gemeinschaftlichen Ursache der Über ein Stimmung von Erkenntnis 
und Gregenstand eine den beiden anderen Fällen logisch gleich- 
wertige Möglichkeit; und ehe nicht die Entscheidbarkeit dieser 
Disjunktion überhaupt feststeht, kann daher auch nicht von der 
Unerkennbarkeit einer gemeinschaftlichen Ursache auf ihr Nicht- 
Vorhandensein geschlossen werden. Wenn Fries „anderer Orten" 
einen idealen Erklärungsgrund für die Übereinstimmung von Er- 
kenntnis und Gregenstand verworfen hat, so hat er dies nicht getan, 

> A. a. 0., S. 63. 



602 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [190 

um einen natürlichen Erklärongsgrund an seine Stelle zn setzen, 
sondern weil er das Verhältnis von Erkenntnis und Gegenstand 
überhaupt nicht als ein kausales betrachtet wissen wollte. 

Zu der zweiten der vorhin zitierten Stellen der Friesschen 
Kritik bemerkt Gtrapengiesser: 

„Aber dies wäre ja der Weg der Induktioni den wir mit 

Recht in Erforschung der Naturgesetze verfolgen. Die Induktion 

führt für sich doch nicht zur Notwendigkeit und Allgemeinheit.''^ 

Auch dieses Argument beruht auf einer petitio principii. Denn 

welchen Grrund haben wir, anzunehmen, daß allgemeine Gresetze, 

unter denen das Dasein der Dinge an sich stände, nicht a priori 

erkannt werden könnten? Diese Behauptung galt es ja gerade 

zu beweisen. 



XVIL 
Form und Gegenstand. 

85. Die Eantischen Voraussetzungen (1) und (2) enthalten für 
sich noch kein Kriterium, um zu entscheiden, ob im besonderen 
Falle die Erkenntnis Ursache des Gregenstandes oder der Gregen- 
stand Ursache der Erkenntnis ist. Nach dem metaphysischen 
Grundsatze der Kausalität kann dies Kriterium nur im Zeitver- 
häUnis liegen. In der Tat bedient sich Kant, ohne hiervon aus- 

* A. a. 0., S. 64. 



191] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 603 

dräcklich ßechenschaft abzulegeo, dieses Kriteriums. Seine Art, 
dieses Eriterinm anzuwenden, haben wir in den Voraussetzungen 
(3) und (4) formuliert. Für den Beweis der Idealität des Raumes 
und der Zeit, wie er in der transzendentalen Ästhetik geführt 
wird, ist hier die Voraussetzung (4) entscheidend. Um ein Urteil 
über die Gründe zu gewinnen, die BIant zu dieser Voraussetzung 
gefuhrt haben, wollen wir die Erklärung der Möglichkeit der 
Mathematik betrachten, wie sie in den Paragraphen 8 und 9 der 
Prolegomena dargestellt wird. Um uns aber diese Beurteilung zu 
erleichtern, wird es gut sein, einige Bemerkungen vorauszuschicken. 

Der Unterschied des Empirischen und Rationalen geht auf 
den Erkenntnisgrund der Urteile und betrifft nicht das Verhältnis 
zum Gegenstande. Man sagt wohl: Eine Erkenntnis a priori ist 
eine solche, die wir haben, auch ohne daß uns der Gegenstand 
gegeben ist. Aber dieses „Gegebensein^ des Gegenstandes darf 
nur so verstanden werden, daß es das Wahrgenowmenwerden be- 
deutet, und die Erklärung besagt daher nichts anderes, als daß 
Erkenntnisse a priori solche seien, die uns unabhängig von der 
Wahrnehmung zukommen oder die nicht auf Wahrnehmung ge- 
gründet sind. 

Es ist hier wichtig, die Erkenntnisse rein a priori von ihrer 
Anwendung auf den einzelnen, empirisch gegebenen Fall zu unter- 
scheiden, um sich durch eine gewisse Zweideutigkeit des Wortes 
„Gegenstand" nicht irreführen zu lassen. Dieses Wort bezeichnet 
nämlich einmal das empirisch bestimmte Einzelding, dann aber 
auch, in allgemeinerer Bedeutung, das in einer Vorstellung Vor- 
gestellte überhaupt, was also, im Falle der Erkenntnisse a priori, 
auch ein allgemeines Gesetz sein kann. Nehmen wir das Wort in 
der ersten Bedeutung, so ist die Erkenntnis a priori in der Tat 
eine solche, die uns vor der Vorstellung des Gegenstandes zukommt; 



304 ' L. Nelson: Über das sogenannte firkenntnisproblem. [192 

nehmen wir es aber in der zweiten Bedeutung, so hat auch jede 
Erkenntnis a priori unmittelbar ihren Gegenstand bei sich. 

Nach der ersten Bedeutung des Wortes hat das Problem: 
Wie ist es möglich^ Gegenstände a priori zu erkennen? die Be- 
deutung der Frage: Wie ist es zu verstehen, daß die Einzeldinge, 
die wir a posteriori erkennen, den Gesetzen gemäß sind, die wir 
unabhängig von der Erfahrung (a priori) erkennen? Und auf 
diese Frage kann nur die Antwort erteilt werden: Darum, weil 
die Erkenntnis a priori selbst erst Erfahrung möglich macht. 
Jeder Gegenstand möglicher Erfahrung steht unter den Bedingungen 
der Gesetze, die wir a priori erkennen, weil er, ohne diesen Be- 
dingungen gemäß zu sein, gar nicht Gegenstand der Erfahrung 
werden könnte. Dies können wir auch so ausdrücken: Die Er- 
kenntnis a priori kann sich darum auf Gegenstände der Erfahrung 
beziehen, weil wir durch sie in der Tat nichts anderes erkennen, 
als die notwendige Fwm der Gegenstände der Erfahrung. 

Was wir hier die Form eines Gegenstandes nennen, das ist 
nach der zweiten Bedeutung des Wortes „Gegenstand^ seihst ein 
Gegenstand, nämlich der Gegenstand der Erkenntnis a priori. Es 
kann also sehr wohl etwas, was in der einen Bedeutung des Wortes 
ein Gegenstand ist, in der anderen Bedeutung des Wortes die bloße 
Form eines Gegenstandes sein. 

Kant hat bei der Erörterung seiner Frage : „Wie ist Erkenntnis 
a priori möglich?^ diese beiden Bedeutungendes Wortes „Gegen- 
stand^ nicht scharf genug auseinandergehalten und ist dadurch 
veranlaßt worden, den vorhin (§ 81) dargelegten Fehler zu be- 
gehen und eine Frage, die im Grunde nur das Verhältnis der 
Erkenntnisse untereinander betrifft, mit einer Frage zu verwechseln, 
die auf das Verhältnis der Erkenntnis zum Gegenstande geht. 
Ohne es zu bemerken, schiebt er der Auflösung der einen Frage 



193] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 605 

die der anderen unter. Auf die Frage: Wie ist die Überein- 
stimmimg der Erfahrimg mit der Erkenntnis a priori möglich? 
antwortet er richtig: Dadurch, daß die Erkenntnis a priori den 
Grnnd der Möglichkeit der Erfahmng enthalt. Aber die in 
diesem Satze festgestellte Abhängigkeit der Erfahrung von der 
Erkenntnis a priori verwechselt Kant mit der Abhängigkeit der 
Katur, d. h. des Gegenstandes der Erfahrung, von der Erkenntnis 
a priori. 

86. Daß dieser Fehler in der Tat nur durch die Zwei- 
deutigkeit des Wortes „Gegenstand" veranlaßt worden ist, läßt 
sich deutlich aus der schon erwähnten Stelle der Prolegomena 
ersehen. Auf die Frage: Wie ist reine Mathematik möglich? 
antwortet Kant hier mit der Aufweisung der reinen Anschauung, 
in der die mathematischen Begriffe konstruiert werden. Er fahrt 
dann fort: 

„Allein die Schwierigkeit sc^int bei diesem Schritte eher 
zu wachsen, als abzunehmen. Denn nunmehr lautet die Frage: 
wie ist es möglich^ etwas a priori anguschauen? Anschauung ist 
eine Vorstellung, so wie sie unmittelbar von der Gegenwart 
des Gegenstandes abhängen würde. Daher scheint es unmöglich, 
a priori ursprünglich anzuschauen, weil die Anschauung, als- 
dann ohne einen weder vorher, noch jetzt gegenwärtigen Gegen- 
stand, worauf sie sich bezöge, stattfinden müßte, und also nicht 
Anschauung sein könnte. Begriffe sind zwar von der Art, daß 
wir uns einige derselben, nämlich die, so nur das Denken 
eines Gegenstandes überhaupt enthalten, ganz wohl a priori 
machen können, ohne daß wir uns in einem unmittelbaren 
Verhältnisse zum Gegenstande befanden. . . Allein wie kann 
Anschauung des Gegenstandes vor dem Gegenstande selbst 
vorhergehen? 

AbhudlnngtB dtr FriM*fektB Seknle. H. Bd. 39 



304 ' L. Nelson: Über das sogenannte £rkenntnisproblem. [192 

nehmen wir es aber in der zweiten Bedeutung, so hat auch jede 
Erkenntnis a priori unmittelbar ihren Gegenstand bei sich. 

Nach der ersten Bedeutung des Wortes hat das Problem: 
Wie ist es möglich, Gegenstände a priori zu erkennen? die Be- 
deutung der Frage: Wie ist es zu verstehen, daß die Einzeldinge, 
die wir a posteriori erkennen, den Gesetzen gemäß sind, die wir 
unabhängig von der Erfahrung (a priori) erkennen? Und auf 
diese Frage kann nur die Antwort erteilt werden: Darum, weil 
die Erkenntnis a priori selbst erst Erfahrung möglich macht. 
Jeder Gegenstand möglicher Erfahrung steht unter den Bedingungen 
der Gesetze, die wir a priori erkennen, weil er, ohne diesen Be- 
dingungen gemäß zu sein, gar nicht Gegenstand der Erfahrung 
werden könnte. Dies können wir auch so ausdrücken: Die Er- 
kenntnis a priori kann sich darum auf Gegenstände der Erfahrung 
beziehen, weil wir durch sie in der Tat nichts anderes erkennen, 
als die notwendige Fwm der Gegenstände der Erfahrung. 

Was wir hier die Form eines Gegenstandes nennen, das ist 
nach der zweiten Bedeutung des Wortes „Gegenstand^ selbst ein 
Gegenstand, nämlich der Gegenstand der Erkenntnis a priori. Es 
kann also sehr wohl etwas, was in der einen Bedeutung des Wortes 
ein Gegenstand ist, in der anderen Bedeutung des Wortes die bloße 
Form eines Gegenstandes sein. 

Kant hat bei der Erörterung seiner Frage : „Wie ist Erkenntnis 
a priori möglich?^ diese beiden Bedeutungendes Wortes „Gegen- 
stand^ nicht scharf genug auseinandergehalten und ist dadurch 
veranlaßt worden, den vorhin (§ 81) dargelegten Fehler zu be- 
gehen und eine Frage, die im Gnmde nur das Verhältnis der 
Erkenntnisse untereinander betrifiPt, mit einer Frage zu verwechsalii, 
die auf das Verhältnis der Erkenntnis zum Gegenstande geht. 
Ohne es zu bemerken, schiebt er der Aaäösung der einen WwBgß 




193] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 605 

die der anderen unter. Auf die Frage: Wie ist die überein- 
stimmnng der Erfahrung mit der Erkenntnis a priori möglich? 
antwortet er richtig: Dadurch, daß die Erkenntnis a priori den 
Grrand der Möglichkeit der Erfahrung enthalt. Aber die in 
diesem Satze festgestellte Abhängigkeit der Erfahrung von der 
Erkenntnis a priori verwechselt Eant mit der Abhängigkeit der 
Natur, d. h. des Gegenstandes der Erfahrung, von der Erkenntnis 
a priori. 

86. Daß dieser Fehler in der Tat nur durch die Zwei- 
deutigkeit des Wortes „Gegenstand^ veranlaßt worden ist, läßt 
sich deutlich aus der schon erwähnten Stelle der Prolegomena 
ersehen. Auf die Frage: Wie ist reine Mathematik möglich? 
antwortet Kant hier mit der Aufweisung der reinen Anschauung, 
in der die mathematischen Begriffe konstruiert werden. Er fährt 
dann fort: 

„Allein die Schwierigkeit sc^int bei diesem Schritte eher 
zu wachsen, als abzunehmen. Denn nunmehr lautet die Frage: 
wie ist es möglich, etwas a priori ansuschauen? Anschauung ist 
eine Vorstellung, so wie sie unmittelbar von der Gegenwart 
des Gegenstandes abhängen würde. Daher scheint es unmöglich, 
a priori ursprünglich anzuschauen, weil die Anschauung, als- 
dann ohne einen weder vorher, noch jetzt gegenwärtigen Gegen- 
stand, worauf sie sich bezöge, stattfinden mußte, und also nicht 
Anschauung sein könnte. Begriffe sind zwar von der Art, daß 
wir uns einige derselben, nämlich die, so nur das Denken 
eines Gegenstandes überhaupt enthalten, ganz wohl a priori 
machen können, ohne daß wir uns in einem unmittelbaren 
bV^erbältnisse zum Gegenntande befanden. . . Allein wie kann 
Anschaimnff des Gegenstandes vor dem Gegenstande selbst 
^vorhergehen? 




606 L. Nelson : Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [194 

^Müßte nnsere Anscbauung von der Art sein, daß sie Dinge 
vorstellte, so wie sie an sich selbst sind, so würde gar keine An- 
schaumig a priori stattfinden, sondern sie wäre allenial empirisch. 
Denn was in dem Gregenstande an sich selbst enthalten sei, 
kann ich nur wissen, wenn er mir gegenwärtig und gegeben 
ist. ... so würde doch dergleichen Anschauung nicht a priori 
stattfinden, d. i. ehe mir noch der Gregenstand vorgestellt würde ; 
denn ohne das kann kein Grund der Beziehung meiner Vor- 
stellung auf ihn erdacht werden. . .^^ 
Versteht man hier unter dem „Gregenstande'' das empirisch 
bestimmte Einzelding, so ist es allerdings richtig, daß die reine 
Anschauung sich in keinem „unmittelbaren Verhältnisse zum Gregen- 
stande'' befindet, sie muß vielmehr, „vor dem Gregenstande selbst 
vorhergehen", sie findet statt, „ehe mir noch der Gegenstand 
vorgestellt" wird. „Was in dem Gegenstande an sich selbst ent- 
halten sei", kann ich daher nach dieser Bedeutung des Wortes 
„Gegenstand" in der Tat nicht durch reine Anschauung wissen. 
Hiermit ist aber die Frage, wie unsere Anschauung beschaffen 
sein müßte, um die Dinge vorzustellen, „so wie sie an sich selbst 
sind", gar nicht berührt. Diese Frage betrifft das Verhältnis der 
Erkenntnis zum Erkannten als solchem. Bezeichnet man dieses 
in einer Erkenntnis Erkannte als den Gegenstand der Erkenntnis, 
so befindet sich auch die reine Anschauung „in einem unmittel- 
baren Verhältnisse zum Gregenstande", sie muß durchaus nicht „vor 
dem Gegenstande vorhergehen", sie findet keineswegs statt, „ehe 
mir noch der Gegenstand vorgestellt" wird, und es liegt daher in 
ihrer Apriorität kein Grund, die Beziehung auf den Gegenstand 
anders zu beurteilen als im Falle der empirischen Erkenntnis. 



> Prolegomena, § 8 f. 



196] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 607 

Diese Zweidentigkert übertragt sich bei Kant auf den Terminus 
„Form^. Einerseits bezeichnet Eiüt den Raum als die Form der 
äußeren Erscheinungen oder als den „Grund der Möglichkeit aller 
äußeren Erscheinungen ihrer Form nach^^, andererseits aber heißt 
ihm auch die reine Anschauung des Raumes eine „Form der 
Sinnlichkeit^ oder eine „formale Anschauung^'. Indem nun diese 
beiden Begriffe der „Form", der objektive und der subjektive, 
nicht genügend unterschieden werden, entsteht der Schein, als 
beweise die Abhängigkeit aller äußeren Erscheinungen von einem 
„formalen" Grrunde ihrer Möglichkeit (den a priori erkannten 
allgemeinen Gesetzen der Mathematik und reinen Naturwissen- 
schaft) eine Abhängigkeit der Natur von den subjektiven Bedin- 
gungen unseres Erkennens, und die Apriorität erscheint als ein 
Kriterium der Idealität.^ 



^ Prolegomena, § 13. ' Ebenda. 

' Daß die speziellen geometrischen Argumente, die [Kant zur Bestätigung 
seines formalen Idealismus hinzufügt, (Prolegomena, § 12 f.) in der Tat nur Be- 
weise für die Anschaulichkeit, nicht aber für die Idealität der mathematischen 
Erkenntnis enthalten, ist schon von Gauss bemerkt vorden. (Vgl. Gauss' Werke, 
Bd. n, S. 177.) 

Trotzdem übrigens Gauss die Eantische Lehre von der Idealität des Raumes 
ablehnt, so ist er doch selbst auch ein Anhänger des formalen Idealismus. In 
einem Briefe an Bessel (vom 9. April 1830, Briefwechsel, S. 497) schreibt er: 
„Nach meiner innigsten Überzeugung hat die Raumlehre zu unserm Wissen 
a priori eine ganz andere Stellung wie die reine Größenlehre; es geht unserer 
Kenntnis von jener durchaus di^enige vollständige Überzeugung von ihrer Not- 
wendigkeit (also auch von ihrer absoluten Wahrheit) ab, die der letzteren eigen 
ist; wir müssen in Demut zugeben, daß wenn die Zahl bloß unseres Geistes 
Produkt ist, der Raum auch außer unserm Geiste eine Realität hat, der vrir 
a priori ihre Gesetze nicht vollständig vorschreiben können." 

Indem Gauss hier den geometrischen Idealismus ablehnt, bekennt er sich 
doch zugleich zu der Lehre von der Idealität der Zahl. Er lehnt aber jenen ab, 
weil wir, wie er meint, dem Räume seine Gesetze nicht vollständig a priori vor- 
schreiben können; er nimmt diese an, weil sich die reine Größenlehre vollständig 
a priori begründen lasse. Er ist also geometrischer Realist nur darum, weil er 

39* 



608 L* Kelson : Über das sogenaDnte ErkenntnisprobleiiL [196 



XVHL 
Die dogmatische Disgunktion der WahrheitskriteriexL 

87. Der Fehler, der Kamt zu seinem formalen Idealismus ge- 
führt hat, hat aber noch einen anderen nnd tieferen Grund. Um diesen 
zu verstehen, muß man die historische Stellung Kants zu seinen 
Vorgängern berücksichtigen. Diese hatten — wenn wir die 
Kantische Terminologie anwenden wollen — sämtlich angenommen, 
daß alle Urteile a priori analytisch, also alle synthetischen Urteile 
empirisch seien.^ Sie hatten somit die Disjunktion zwischen Logik 
und Empirie als Kriterien der Wahrheit für eine vollständige 
gehalten. Der entscheidende Schritt Kamts über seine Vorgänger 
hinaus war nun die Entdeckung, daß sich die Urteile der Mathe- 
matik diesem überlieferten Schema nicht einordnen lassen, die Ent- 



geometrischer Empirist ist, und er ist arithmetischer Idealist nur darum, weü er 
arithmetischer Apriorist ist. Das Kriterium der Idealität liegt also für ihn, gerade 
vie für Kant auch, in der Aprioritat-, d.h. er übernimmt den formalen Idealismus 
als solchen. 

^ Es ist dies der wissenschaftliche Ausdruck für die Annahme, die seit der 
Aristotelischen Einteilung der Erkenntnisse in solche des vo^£ und solche der 
ata^ai£ die Geschichte der Philosophie beherrscht. Es ist dieselbe Annahme, 
die in der Leibnizschen Klassifikation der Wahrheiten in viritis de raison und 
vtrües de faxt ihren klassischen Ausdruck gefunden hat und die auch der 
Humeschen Unterscheidung von relcUions of ideas und matters offact zu Grunde liegt. 

Man vergleiche Kants Brief an Beinhold vom 12. Mai 1789: „Es wird 
mehrmalen von den Gegnern gesagt: die Unterscheidung synthetischer Urteile 
von analytischen sei sonst schon bekannt gewesen. Mag es doch! Allein, daß 
man die Wichtigkeit derselben nicht einsähe, kam daher, weil man alle Urteile 
a priori zu der letzteren Art und bloß die Erfahrungsurteile zu den ersteren 
gerechnet zu haben scheint; dadurch denn aller Nutze verschwand.* 



197] Dritter Tefl: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 609 

decknng also, daß es synthetische urteile a priori giebt.^ Er 
fand femer, daß solche synthetischen Urteile a priori aller Erfahrung 
als Bedingungen ihrer Möglichkeit zu Grunde liegen, blieb 
aber bei dieser Entdeckung stehen, ohne bestimmt genug aus 
ihr die Konsequenz auf die ünvoUständigkeit der überlieferten 
Disjunktion der Wahrheitskriterien zu ziehen. Dies hatte zur 
unmittelbaren Folge, daß er den — weder auf Empirie noch auf 
Logik zurückführbaren — synthetischen Prinzipien a priori die 
Anwendbarkeit auf Dinge an sich abstreiten mußte. Andererseits 
aber zwang ihn die Tatsache der in aller wirklichen Erfahrung 
stattfindenden Unterscheidung zwischen Schein und Wahrheit zu 
dem Versuche, diese Unterscheidung von der Beziehung auf den 
Begriff des Dinges an sich loszulösen und auf eine nur immanente 
Beziehung der Erkenntnisse auf einander zu gründen. Die dieser 
Unterscheidung zu Grrunde liegenden Kriterien fand er nun in 
den von ihm entdeckten synthetischen Prinzipien a priori.* „Als- 
dann sagen wir: wir erkennen den Gegenstand, wenn wir in 
dem Mannigfaltigen der Anschauung synthetische Einheit bewirkt 
haben.**« 



^ Für die Würdigung dieser Entdeckong^yerweise ich auf meine „Bemer- 
kungen über die Nicht-Euklidische Geometrie und den Ursprung der mathe- 
matischen Gewißheit^. (Abhandlungen der Fries'schen Schule, Neue Folge, Band I> 
Heft 2 und 3.) 

* Man vergleiche etwa den Satz der Prolegomena '-„... daß, da Wahrheit 
auf allgemeinen und notwendigen Gesetzen, als ihren Kriterien beruht, die Erfah- 
rung bei Bebklet keine Kriterien der Wahrheit haben könne, weil den Erschei- 
nungen derselben (von ihm) nichts als a priori zum Grunde gelegt ward, woraus 
denn folgte, daß sie nichts als lauter Schein sei, dagegen bei uns Raum und 
Zeit (in Verbindung mit den reinen Verstandesbegriffen) a priori aller möglichen 
Erfahrung' ihr Gesetz vorschreiben, welches zugleich das sichere Kriterium ab- 
giebt, in ihr Wahrheit von Schein zu unterscheiden.^ (Reclamsche Ausgabe, S. 166.) 

' Kritik der reinen Vernunft, Kehrbachsche Ausgabe, S. 119. 



610 L* Nelson: Über du sogenannte Erkenntnisproblem. [198 

88. BSerans ergiebt sich, daß man sorgfältig zwischen zwei 
ganz verschiedenen Betrachtangsweisen der Erkenntnis bei Kant 
unterscheiden maß, die in seinen Schriften ohne deutliche Scheidung 
neben einander hergehen. Dies zeigt sich vielleicht am klarsten 
in der Doppeldeutigkeit, mit der er Ausdrücke wie „subjektiv" 
und „objektiv", besonders aber den Terminus „Erscheinung" ge- 
braucht. Auf der einen Seite haben die formalen Bedingungen 
der Erfahrung, und mit ihnen die Erfahrungsurteile selbst, „nur 
subjektive*' Grültigkeit und erstrecken sich „nur" auf „Erschei- 
nungen^, insofern sie keine Anwendung auf Dinge an sich zulassen. 
Auf der anderen Seite aber sind es dieselben formalen Bedingungen 
der Erfahrung, ;, welche es eben machen, daß das Erfahrungsurteil 
objektiv gültig ist."^ Von dieser Seite betrachtet, bedeutet der 
Terminus „Erscheinung" nicht wie vorher einen Gegensatz zum 
Dinge an sich; sondern „der unbestimmte Gegenstand einer empi- 
rischen Anschauung heißt Erscheinung"*, im Gegensatze zu dem 
durch synthetische Prinzipien a priori bestimmten Gegenstände 
der Erfahrung. Wir haben also bei Kant zwei ganz verschiedene 
und einander entgegengesetzte Kriterien der Objektivität zu unter- 
scheiden. Einerseits die Beziehung der Vorstellungen auf die der 
Empfindung zu Grunde liegenden Dinge an sich, andererseits die 
Bestimmung der Vorstellungen durch die formalen Bedingungen 
der Erfahrung. Was von dem einen Gesichtspunkte als das 
eigentlich Subjektive zu betrachten ist, gerade das ist es, was von 
dem anderen aus betrachtet Objektivität ermöglicht. Und umgekehrt. 



* Prolegomena, § 18, S. 77. » Kritik der reinen Vernunft, S. 48. 



199] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 611 



Der transzendentale Beweis. 

89. Wir wollen anf diese Verhältnisse noch etwas naher ein- 
gehen. Kamts eigentliches Problem ist die Möglichkeit synthetischer 
Urteile a priori. Dieses Problem hat zwei ganz verschiedene 
Seiten. Einmal handelt es sich dabei am die Möglichkeit im 
Sinne der objektiven Gültigkeit. Andererseits handelt es sich 
nm die subjektive Möglichkeit im psychologischen Sinne. Dem- 
entsprechend unterscheidet Kint selbst^ bei der Anflosong seines 
Problems eine objektive und eine subjektive Deduktion. Bleiben 
wir zunächst bei der objektiven. 

Welches ist für Kjlnt das Kriterium der ^objektiven Möglich- 
keit"? Das einzige Kriterium der Objektivität synthetischer 
Vorstellungen ist ihm auf Grund der übernommenen Disjunktion 
die Empirie. „Was in dem Gegenstande an sich selbst enthalten 
sei, kann ich nur wissen, wenn er mir gegenwärtig und gegeben 
ist.^* Dieses ,,könnte aber nur empirisch geschehen".' Der einzig 
bändige Schluß aus dieser Voraussetzung ist die Verneinung der 
Möglichkeit synthetischer Urteile a priori — das Wort „Möglich- 
keit^ im objektiven Sinne genommen. Und so schließt auch Kant: 
^Die ganze reine Vernunft enthält in ihrem bloß spekulativen 



> K. d. r. y., Vorrede zur ersten Ausgabe. * Prolegomena, § 9. 

« K. d. r. V., S. 126. 



612 li- Nelson: Über das sogenannte Erkennimsproblem. [200 

G-ebrauche nicht ein einziges direkt synthetisches Urteil aus 
Begriffen.«^ 

Wenn nnn Kant dennoch eine objektive Begründung seiner 
synthetischen Prinzipien a priori unternimmt, so kann dieses 
Unternehmen bei ihm nur auf den Versuch hinauslaufen, die 
Geltung der zu begründenden Prinzipien auf das logische Kriterium 
zurückzuführen. Die Gültigkeit der fraglichen Prinzipien soll 
nach Kant darauf beruhen, daß nur vermittelst ihrer Erfahrungs- 
urteile möglich sind. Von dem Erkenntniswert dieser Ehrfahrungs- 
urteile wird dabei abgesehen: unsere gesamte Erfahrung hat — 
eben zufolge ihrer Abhängigkeit von synthetischen Prinzipien 
a priori — keine Gültigkeit für Dinge an sich, wohl aber ist 
innerhalb des Erfahrungsgebietes eine Scheidung zwischen Wahr- 
heit und Schein möglich. Die zu dieser Scheidung erforderlichen 
Kriterien liefern uns gerade die synthetischen Urteile a priori, 
als „Prinzipien der Möglichkeit der Erfahrung ''. Diese können 
also deshalb nicht als Schein verworfen werden, weil vermittelst 
ihrer allein der Begriff der wissenschaftlichen Wahrheit definiert 
werden kann. ;,Erkenntnis a priori hat nur dadurch Wahrheit, 



» K. d. r. V., S. 664. 

In demselben Sinne ist es, wenn Kant (E. d. r. V., S. 580) sagt, Hume habe 
von dem Grandsatze der Kausalität „ganz richtig" bemerkt, „daß man seine 
Wahrheit auf gar keine Einsicht, d. i. Erkenntnis a priori fuße, daß daher auch 
nicht im Mindesten die Notwendigkeit dieses Gesetzes, sondern eine bloße all- 
gemeine Brauchbarkeit desselben in dem Laufe der Erfahrung und eine daher 
entspringende subjektive Notwendigkeit, die er Gewohnheit nennt, sein ganzes 
Ansehen ausmache.^ Vgl. auch Prolegomena § 27, wo es heißt, Hume beliaupte 
„mit Becht^y „daß wir die Möglichkeit der Kausalität durch Vernunft auf keine 
Weise einsehen''. Die reinen Yerstandesbegriffe und Grundsätze sind „für sich 
gar keine Erkenntnisse, sondern bloße Gedankenformen ^ (K. d. r. Y., S. 217)', 
„willkürliche Verbindungen, ohne objektiTe Realität*' und ohne „die mindeste 
Bedeatung**. (Prolegomena, § 30 ff.) 



2011 Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 618 

daß sie nichts weiter enthält, als was znr synthetischen Einheit 
der Erfahrung überhaupt notwendig ist."^ „Die Möglichkeit der 
Erfahrnng ist also das, was allen unseren Erkenntnissen a priori 
■objektive Realität giebt."* Und so sind die synthetischen Grund- 
sätze des reinen Verstandes „nicht allein a priori wahr, sondern 
sogar der Quell aller Wahrheit".' 

90. Dies ist der Grrnndgedanke, auf dem Kants „transzenden- 
taler Beweis" der metaphysischen G-rundsätze beruht. Wir haben 
bereits im III. Kapitel eine allgemeine Kritik dieses Verfahrens 
gegeben. Wir entnehmen den dortigen Ausführungen das Resultat, 
daß der „transzendentale Beweis" nur als eine regressive Äufweisung, 
nicht aber als eine Begründung der metaphysischen Grundsätze 
betrachtet werden darf, daß er vielmehr, wenn er mit d^m Anspruch 
einer solchen auftritt, auf einen Zirkel hinausläuft. Nehmen wir 
den Terminus „Möglichkeit" in dem Ausdruck „Bedingungen der 
Möglichkeit der Erfahrung^ im logischen Sinne, so liegt das 
Kriterium dieser Möglichkeit in der Definition des Erfahrungs- 
begriifs, und das Resultat des Beweises kann lediglich in einer 
analytischen Wiedergabe dieser Definition gefunden werden. In 
der Fassung dieser Definition muß daher schon die petitio principii 
des Beweises liegen. Nehmen wir aber den Terminus „Möglich- 
keit^^ im synthetischen Sinne, d. h. im Sinne der Kategorie der 
Möglichkeit, so liegt das Kriterium der Möglichkeit in den Erkennt- 
nissen a priori, zu denen die abzuleitenden metaphysischen Grrund- 
sätze selbst gehören. Diese müssen also für den Beweis schon 
vorausgesetzt und können nicht erst durch ihn abgeleitet werden. — 
In keinem Falle liefert der Beweis mehr als den analytischen 



K. d. r. V., S. 155. » K. d. r. V., S. 154. 

K. d. r. V., S. 222. 



614 L* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [202 

Satz, daB gewisse Prinzipien in einem G-ebiet gelten, das selbst 
erst durch diese Prinzipien definiert ist.^ 

Diese Verlegenheit scheint übrigens Eakt selbst gefühlt zu 
haben; ja er spricht sie geradezu aus, wenn er von dem metaphy« 
sischen Grundsätze der Kausalität sagt: 

„Er heißt aber Grundsat b und nicht Lehrsatz^ ob er gleich 
bewiesen werden muß, darum, weil er die besondere Eigenschaft 
hat, daß er seinen Beweisgrund, nämlich Erfahrung, selbst zuerst 
möglich macht und bei dieser immer vorausgesetzt werden 
muß.«« — 

91. Nehmen wir — unter Vorbehalt — einmal an, es gäbe 
ein einwandfreies Verfahren, von gewissen G-rundsätzen zu 
beweisen, daß sie Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung 
sind. Was würde aus einem solchen Beweise für den Geltungs- 
wert dieser Sätze folgen? Kant sagt von ihnen, sie seien 

„sichere Grundsätze, aber gar nicht direkt aus Begriffen, 
sondern immer nur indirekt durch Beziehung dieser Begriffe 



^ In dieser Weise ist auch die cbarakteristiscbe Darstellung zu beurteUen, 
die Kant selbst in einem Brief an Garve (vom 7. August 1783) von seiner 
Methode giebt. Es sei, sagt er hier, der Kritik eigentümlich, 

„aus dem bloßen Begriffe eines Erkenntnisvermögens (wenn er genau be- 
stimmt ist) auch alle Gegenstande, alles was man von ihnen wissen kann, ja 
selbst was man über sie auch unwillkürlich, obzwar trüglich zu urteilen ge- 
nötigt sein wird, a priori entwickeln zu können/ 

Eine solche Entwicklung wird allerdings a priori möglich sein, „wenn** 
zuvor der „Begriff des Erkenntnisvermögens'' hinreichend „genau bestimmt ist^. 
Ist nämlich diese Bedingung einmal erfüllt, so ist jene Entwickelung auf rein 
logischem Wege möglich; denn sie beschränkt sich auf die analytische Wieder- 
holung dessen, was durch Definition schon in den „Begriff des Erkenntnis- 
▼ermögens** hineingelegt war. In dieser Definition sind ja bereits alle Entschei- 
dungen der Kritik antizipiert; wir würden also, wollten wir das Geschäft der 
Kritik auf jene Entwickelung a priori beschränken, das eigentliche Problem schon 
vor Beginn unserer Arbeit als gelöst annehmen. 
» K. d. r. V., S. 664. 



Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 616 

aaf mögliche Erfahrung; da sie denn, wenn diese vorausgesetzt 
wird, allerdings apodiktisch gewiß sein, an sich selbst aber 
(direkt) a priori gar nicht einmal erkannt werden können. 
So kann niemand den Satz: alles, was geschieht, hat seine 
Ursache, aus diesen gegebenen Begriffen allein gründlich ein- 
sehen. Daher ist er kein Dogma, ob er gleich in einem 
anderen Gesichtspunkte, nämlich dem einzigen Felde seines 
möglichen Grebrauchs, d. i. der Erfahrung, ganz wohl und 
apodiktisch bewiesen werden kann,*** 

In diesen Worten verrät sich aufs deutlichste die Tendenz, 
die metaphysischen Urteile dem traditionellen Schema von Logik 
und Empirie als Wahrheitskriterien einzuordnen. Die Empirie 
versagt als Kriterium gegenüber der Apodiktizität der metaphy- 
sichen Sätze. Und so versucht Eai^ das andere, logische Kri- 
terium zu ihrer Begründung nutzbar zu machen. In der Tat, 
wenn es gelingt, die metaphysischen Grrundsätze als logische Be- 
dingungen der Erfahrung zu erweisen, so ist der hiermit bewiesene 
Satz: ^Die metaphysischen Grundsätze sind logische Bedingungen 
der Erfahrung^ ein apodiktisch gewisser Satz. Aber dieser Satz 
ist ein analytischer, nicht selbst ein metaphysischer Satz. Durch 
seinen Beweis werden also auch nicht, wie Kant sich ausdrückt, 
die metaphysischen Grundsätze „apodiktisch gewiß". Die Gewiß- 
heit der metaphysischen Sätze wird durch diesen Beweis gar nicht 
berührt; nur ihre „Beziehung auf mögliche Erfahrung" wird durch 
den Beweis ;,gewiß", nur das Stattfinden dieser „Beziehung" wird 
„apodiktisch bewiesen", nicht die Grundsätze selbst. — Der Satz 
„Alles, was geschieht, hat seine Ursache^ kann freilich „aus diesen 
gegebenen Begriffen allein" nicht ;,gründlich eingesehen^ werden. 

> Ebenda. 



616 L. NeUion: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [204 

Aber nicht deshalb, weil er eines Beweises bedürfte, am gewiß 
zu sein, sondern daram, weil er ein synthetischer Satz ist, synthe- 
tische Sätze aber niemals aas den in ihnen enthaltenen Begriffen 
allein eingesehen werden können. Eakts Argamentation schließt 
offenbar die logizistische Voraassetzang ein, nur analytische Urteile 
könnten ohne Beweis a priori gewiß sein. Wäre aber diese Voraas- 
setzang richtig, so könnten synthetische Urteile a priori aach 
durch einen Beweis niemals Gewißheit erlangen. Denn dieser Be- 
weis müßte irgend welche erste Prämissen haben, deren Gewißheit 
nicht wieder aaf Beweisen berahen konnte. Sind non diese Prä- 
missen, als anbeweisbare and doch gewisse Sätze, nicht synthetisch, 
so können es aach nicht die aas ihnen za beweisenden Schlaßsätze 
sein. Denn aas bloß analytischen Sätzen folgen niemals synthe- 
tische.^ 



* YgL Kritik der Urteilskraft, g 65 Anmerkung, wo Kant seine logizistische 
Voraassetzang geradezu ausspricht: 

„Ein vernünftelndes Urteil (Judicium ratiocinans) kann ein jedes heißen, 
das sich als allgemein ankündigt ; denn sofern kann es zum Obersatze in einem 
Yemunftschlusse dienen. Ein Yemunfturteil (Judicium ratiocinatum) kann da- 
gegen nur ein solches genannt werden, welches als der Schlußsatz von einem 
Yemunftschlusse, folglich als a priori gegründet, gedacht wird.** 

Hiermit ist unzweideutig Folgendes gesagt : Ein Yemunfturteil unterscheidet 
sich von einem vernünftelnden dadurch, daß es „gegründet" ist Da nun ana- 
lytische Urteile ihren Grand jederzeit in ihrem eigenen Subjektsbegriffe bei sich 
führen, so kann der Unterschied nur bei synthetischen Urteilen in Betracht 
kommen. Sofem diese nun auf Allgemeinheit Ansprach machen, können sie nicht 
empirisch gegründet sein. Sollen sie also, als Yemunfturteile, überhaupt ge- 
gründet sein, so ist dies nur dadurch möglich, daß sie betoiesen werden. D. h. sie 
können keine Grandurteile sein, sondem müssen „als Schlußsatz in einem Yer- 
nunftschlnsse** gedacht werden. 



206] Dritter tefl: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 617 



XX. 

Die Bubjekttve Dedtiktion. 

92. Nan bleibt es freilich richtig, daß wir metaphysische Ur- 
teile niemals „für immittelbar gewiß ausgeben^ dürfen. „Wenn 
zu dem Begriffe eines Dinges eine Bestimmung a priori synthetisch 
hinzukommt, so muß von einem solchen Satze, wo nicht ein Beweis, 
doch wenigstens eine Deduktion der Rechtmäßigkeit seiner Be- 
hauptung unnachlaßlich hinzugefügt werden,"^ „weil der Satz sonst 
gleichwohl den größten Verdacht einer bloß erschlichenen Behaup- 
tung auf sich haben würde".' Denn einem synthetischen Urteile 
kann „an ihm selbst weder die Wahrheit, noch der Irrtum ange- 
sehen werden^.' Es entsteht also die Frage: 

„Wo ist hier das Dritte, welches jederzeit zu einem syn- 
thetischen Satze erfordert wird, um in demselben Begriffe, die 
gar keine logische (analytische) Verwandtschaft haben, mit 
einander zu verknüpfen?"* 
Auf diese Frage (die den eigentlichen Inhalt des Humeschen 
Problems ausmacht) können wir nicht antworten: Dieses Dritte 
ist die Möglichkeit der Erfahrung.^ Denn wenn es wahr ist, daß 
die metaphysischen Grrundsätze den Grrund der Möglichkeit der 
Erfahrung enthalten, so kann nicht umgekehrt die Möglichkeit 
der Erfahrung den Grund der metaphysischen Grrundsätze ent- 
halten. — Nach unseren Untersuchungen kann der fragliche Grund 



» K. d. r. V., S. 215 f. « S. 160. » S. 153. * S. 238. 

» S. 165, 221. 



61g L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [206 

oder das „Dritte^, das jederzeit zur Möglichkeit synthetischer 
Sätze erfordert wird, nur eine unmittelbare Erkenntnis, nnd zwar, 
als Grnnd metaphysischer Sätze, eine nicht- anschauliche unmittelbare 
Erkenntnis sein.^ Diese nicht- anschauliche unmittelbare Erkenntnis 
mußte Kant verfehlen, da er an der Disjunktion, alle Erkenntnis 
sei entweder Anschauung oder Urteil, festhielt. Er mußte auf 
Grund dieser Disjunktion die metaphysische Erkenntnis, da sie 
als metaphysische sich nicht auf Anschauung gründen ließ, auf 
die bloße Reflexion zu gründen suchen und so zu seinem trans- 
zendentalen Beweisversuche kommen. 

93. Hieraus erklärt sich zugleich eine gewisse Zweideutigkeit, 
die dem Terminus „synthetisches Urteil aus bloßen Begriffen^^ bei 
£ant anhaftet. Unterscheidet man nicht scharf zwischen der Er- 



* Am n&chsten scheint dieser Auflösung des Problems unter Kants unmittel- 
baren Schülern Sigismtjnd Beck gekommen zu sein. Der „Standpunkt des ur- 
sprünglichen Yorstellens", den Beck als letzes Kriterium aller philosophischen 
Wahrheit geltend macht, ist in der Tat recht verstanden der Standpunkt der 
unmittelbaren Erkenntnis. Aber so klar auch Beck seinen „Standpunkt des ur- 
sprünglichen Yorstellens" von dem Standpunkte der Reflexion zu unterscheiden 
weiß, 80 hindern ihn doch zwei Fehler, diese Einsicht für eine wirkliche Fort- 
bildung der Yemunftkritik fruchtbar zu machen. Erstens nämlich verfällt er, in 
der traditionellen Disjunktion der Erkenntnisquellen befangen, dem dem Logizis- 
mus entgegengesetzten Fehler: er übersieht die ursprüngliche Dunkelheit der un- 
mittelbaren Erkenntnis der reinen Vernunft, er behandelt sie wie eine Art An- 
schauung, auf deren Standpunkt man sich nur zu „versetzen" brauche, um nach 
Belieben dieses oder jenes philosophische Urteil einzusehen. Er bleibt also an 
dem Punkte stehen, wo die schwierigste Aufgabe der Kritik erst anfängt, nämlich 
die Aufgabe, den Bestand jener unmittelbaren Erkenntnis vermittelst einer Theorie 
der Vernunft abzuleiten. — Zweitens aber fehlt ihm die strenge Trennung der 
Sätze, die dem philosophischen System angehören, von den Sätzen der Kritik] so 
daß es bei ihm zu keiner Klarheit darüber kommt, ob sein „ursprüngliches Vor- 
stellen" den Qrund der Prinzipien des Systems oder den der Prinzipien der Kritik 
enthalten soll. (Vgl. 8. Beck: „Einzig möglicher Standpunkt, aus welchem die 
kritische Philosophie beurteilt werden muß" und „Grundriß der kritischen Philo- 
sophie", 1796.) 



207] Dritter Tefl: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 619 

kenntnis selbst und dem Bewaßtsein um die Erkenntnis, so scheint 
ein synthetisches urteil aas bloßen Begriffen ein solches zu sein, 
das seinen Grund in bloßen Begriffen hat, was einen offenbaren 
Widerspruch einschlösse, da alle Urteile, deren Grund in bloßen 
Begriffen liegt, analytische sein müssen. In der Tat bedeuten die 
Worte „aus bloßen Begriffen'^ recht verstanden lediglich, daß die 
metaphysischen Urteile ihren Grund nicht in der Anschauung haben, 
d. h. daß uns die metaphysische Erkenntnis nur durch Begriffe^ 
nämlich nur im Urteil, zum Bewußtsein kommt. 

Aus dieser bei Ejlnt nicht aufgeklärten Zweideutigkeit er- 
klären sich die gewöhnlichen Mißverständnisse, auf Grund deren 
noch gegenwärtig gegen den Eantischen Begriff des synthetischen 
Urteils aus bloßen Begriffen polemisiert wird.* Es ist, wie man 
aus dem hier Dargelegten ersieht, nichts weiter nötig, als diesen 
Begriff von seiner Zweideutigkeit zu befreien, um die Tatsache 
einer nicht-anschaulichen unmittelbaren Erkenntnis als die Be- 
dingung der Möglichkeit metaphysischer Urteile sicher zu stellen. 

Die Aufgabe der Zurückführung der metaphysischen Grund- 
urteile auf die unmittelbare Erkenntnis der reinen Vernunft weist 
uns offenbar auf das Problem der „subjektiven Deduktion'^ zurück. 
Diese subjektive Deduktion, die bei Kant nur eine mehr vor- 
bereitende und untergeordnete Kolle spielt, rückt somit in den 
eigentlichen Mittelpunkt der Vernunftkritik.* 



^ Man vergleiche z. B. L. Busse: „PhUosophie und Erkenntnistheorie" 
S. 148 ff.: „Synthetische Urteile a priori sind, weü in sich widerspruchsvoll, un- 
mögUch.« (S. 154.) 

* Eine ausführlichere Kritik der Eantischen Deduktionenlehre habe ich in 
meiner Schrift „J. F. Fries und seine jüngsten Kritiker" gegeben. Ich verweise, 
um Wiederholungen zu vermeiden, auf das dort Ausgeführte. (Abhandlungen der 
Friesischen Schule, Neue Folge, Band I, S. 276 bis S. 313, insbesondere S. 279 
—297 und S. 307—313.) 



620 L* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [208 



XXI. 
Der Begriff der transzendentalen Logik. 

94. Unter der Yoraussetzung, die Kritik enthalte einen 
Beweis der metaphysischen Grandsätze, wird die Annahme unver- 
meidlich, die Kritik enthalte zugleich den Grund der metaphy- 
sischen G-rondsätze. Diese Annahme aber zieht die weitere nach 
sich, daß die Kritik hinsichtlich der Modalität mit den dnrch sie 
begründeten Prinzipien gleichartig, also selbst eine rationale 
Wissenschaft sein müsse. Der Unterschied von Kritik und System 
wird dadurch verwischt, und Erkenntnisse, die tatsächlich der 
inneren Erfahrimg entstammen, selbst also nur einer der Philosophie 
in systematischer Hinsicht untergeordneten Sphäre angehören, 
werden als die höchsten Gründe des philosophischen Wissens in 
Anspruch genommen. 

95. Dieser Fehler, der auf die Gestaltung der nachkantischen 
Philosophie bestimmend gewirkt hat, mußte durch K^nts trans- 
zendentale Beweisversuche veranlaßt werden. Er kommt bereits 
in dem Kantischen Terminus der „transzendentalen Logik'^ zum 
Ausdruck. Diese Wissenschaft soll sich hinsichtlich ihrer Aufgabe 
in zweifacher Weise von der formalen — oder, wie Kant sagt, 
„allgemeinen reinen^' Logik unterscheiden. Einmal, insofern sie 
nicht wie diese „von allem Inhalt der Erkenntnis abstrahiert"', 
und femer, insofern sie „auch auf den Ursprung** der Erkenntnis 
geht, „dahingegen die allgemeine Logik mit diesem Ursprünge der 



» K. d. r. V., S. 79. 



209] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 621 

Erkenntnis nichts zn tnn hat^.^ Diese beiden unterscheidenden 
Merkmale werden in dem Aasdmck ,,transzend6ntal^' zusammen^ 
gefaßt. 

Hiermit kommt in den Terminus der transzendentalen Logik 
eine verhängnisvolle Zweideutigkeit. Auf der einen Seite soll 
die transzendentale Logik eine „Wissenschaft des reinen Ver- 
standes- und Yemunfterkenntnisses, dadurch wir Gegenstände 
völlig a priori denken," sein* und die ^^Elemente der reinen Ver- 
standeserkenntnis" vortragen'. Sie soll also, wie die formale 
Logik, eine rationale Wissenschaft sein, mit dem Unterschiede 
jedoch, daß die formale Logik lediglich analytische, die transzen- 
dentale aber Hur synthetische Urteile aus reinen Begriffen enthält. 
Die transzendentale Logik wäre hiemach identisch mit der Meto- 
physik. — Auf der anderen Seite aber soll die transzendentale 
Logik den Ursprung „des reinen Verstandes- und Vemunfterkennt- 
nisses'^ bestimmen. „Nur die Erkenntnis, daß diese Vorstellongen 
gar nicht empirischen Ursprungs sein, und die Möglichkeit, wie 
sie sich gleichwohl a priori auf Gegenstände der Erfahrung 
beziehen können, kann transzendental heißen."^ Hiemach wäre 
die transzendentale Logik eine Wissenschaft, die metaphysische 
Erkenntnisse nicht zum Inhalt, sondern zum Gegenstande hat. Sie 
enthielte eine Erkenntnis nicht der metaphysischen Gesetze, 
sondern der Erkenntnis der metaphysischen Gesetze, wäre selbst 
also eine Wissenschaft aus innerer Erfahrung. 

Daß Kjlst die Heterogeneität dieser Begriffsbestimmungen 
seiner transzendentalen Logik verkannt hat, geht schon daraus 
hervor, daß er bei der Einfuhrung des Terminus „transzendental" 
die Erkenntnis, „daß und wie gewisse Vorstellungen lediglich 



> S. 80. . « S. 80. » S. 84. * S. 80. 

AbhftBdliugai d« Irtoi^Mhn Sehnle. U. Bd. ^ 



622 L* NelBon: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [210 

a priori angewandt werden oder möglich seien", selbst als ein« 
^Erkenntnis a priori" bezeichnet.^ 

96. Es ist leicht einzusehen, daß dieser Fehler in seinen Kon- 
sequenzen auf eine völlige Preisgabe aller Vorteile der kritischen 
Methode führen muß. Diese Methode ist dadurch charakterisiert, 
daß sie nicht von der Aufstellung der Grundsätze der gesuchten 
Wissenschaft ausgeht, sondern ein vorbereitendes Verfahren ein- 
schlägt, das sich die Auffindung und Begründung der Griundsätze 
des Systems erst zum Ziele macht. Die Kritik ist daher der 
systematischen Darstellung der kritisierten Wissenschaft gerade 
entgegengesetzt. Wird nun die Kritik, indem man ihre Methode 
mit einem Beweisverfahren verwechselt, selbst für eine rationale 
Wissenschaft gehalten, die sich von der kritisierten nur dadurch 
unterscheidet, daß sie deren höhere logische Grründe enthält, so 
tritt unvermerkt der Inhalt der Kritik an die Spitze des Systems ; 
es wird die Aufgabe der Kritik, aus einem „obersten Grundsatz" 
den Inhalt des Systems nach dogmatischer Methode abzuleiten. 

97. Daß durch ein solches Verfahren der eigentliche Zweck 
der Kritik durchaus verfehlt werden muß, hat Kant selbst ge- 
legentlich ausgesprochen. In der „Einleitimg" zur „Untersuchung 
über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie 
und der Moral^ findet sich die merkwürdige, bisher, wie es scheint, 
wenig beachtete Stelle: 

„Welche Lehrart wird aber diese Abhandlung selber haben 
sollen, in welcher der Metaphysik ihr wahrer Grad der Gewiß- 
heit, samt dem Wege, auf welchem man dazu gelangt, soll ge- 
wiesen werden? Ist dieser Vortrag wiederum Metaphysik, so 
ist das Urteil desselben ebenso unsicher als die Wissenschaft bis 



S. 80. 



211] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntniatheorie. 62ä 

dahin gewesen ist, welche dadurch hoffet, einigen Bestand und 
Festigkeit zu bekommen, und es ist alles verloren. Ich werde 
daher sichere Erfahrungssätze und daraus gezogene unmittelbare 
Folgerungen den ganzen Inhalt meiner Abhandlung sein lassen/ 
Man wird diese Stelle nicht mit der Bemerkung für abgetan 
halten, daß sie einer „vorkritischen^ Schrift angehört. Denn gerade 
in dieser Schrift wird zum ersten Male die kritische Methode gegen 
die dogmatische ins Feld geführt, und man wird sogar finden, 
daß Kant erhebliche Partieen aus ihr mit fast wortlicher Über- 
einstimmung in die entsprechenden Kapitel der transzendentalen 
Methodenlehre herübergenommen hat. G-erade vom Jahre 1763 an 
sollte man die kritische Periode der Kantischen Schriften datieren. 
Es erhebt sich aber die Frage, welche Gründe Kant bewogen 
haben mögen, die an der zitierten Stelle ausgesprochene und be- 
gründete Überzeugung wieder fallen zu lassen. (Denn an der 
Tatsache dieser Meinimgsänderung kann kein Zweifel sein.) Die 
Antwort auf diese Frage ergiebt sich, wenn man beachtet, daß 
in der Preisschrift vom Jahre 1763 als wesentliches Merkmal der 
kritischen Methode nur das regressive Verfahren der logischen 
Zergliederung beschrieben wird, -^ ein Verfahren also, das über 
die faktische Aufweisung der metaphysischen Grundsätze nicht 
hinauszugehen gestattet. Daß durch eine solche regressive Auf- 
weisung die quaestio juris der fraglichen Grundsätze nur mehr 
vorbereitet als beantwortet wird, daß also die Aufgabe, den Grund 
der Gewißheit dieser Sätze zu ermitteln, noch eine andere Methode 
erfordert, dieser Einsicht konnte sich Kant auf die Dauer nickt 
verschließen. Insbesondere mögen es die Angriffe Humes gegen 
die Metaphysik gewesen sein, aus deren Studium Kant die Über- 
zeugung geschöpft hat, den Empiristen einen Beweis der meta- 
physischen Grundsätze schuldig zu sein. Denn da er an der von 

40* 



624 L* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. 

HuM£ vorausgesetzten Disjunktion festhielt, alle Erkenntnis sei 
entweder Anschauung oder Urteil, so muBte er offenbar den Grrund 
der Gewißheit einer Erkenntnis, deren nicht-anschaulichen Ur- 
sprung er erkannt hatte, in der Reflexion, und dementsprechend 
ihr Begründungsmittel im Beweise suchen. Die Einsicht aber, daß 
Erkenntnisse a posteriori nicht Prinzipien eines solchen Beweises 
werden können, zwang ihn dazu, die Ansicht von der empirischen 
Natur der Eriük fallen zu lassen. 



xxn. 

Zusammenfassende Kritik der von Kant versuchten 
Auflösung des Humeschen Problems. 

98. Legen wir uns, um das Bisherige zusammenzufassen, die 
Frage vor: Worin besteht eigentlich die Kantische „Auflösung 
des Humeschen Problems '^P Diese Frage ist keineswegs einfach 
zu beantworten. Wir haben nämlich gesehen, daß Eant unbe- 
denklich an der traditionellen Disjunktion der Wahrheitskriterien 
festgehalten hat. In dieser Disjunktion sind aber die Prämissen 
des Humeschen metaphysischen Skeptizismus so vollständig ent- 
halten, daß Ejlnt, ohne eine Inkonsequenz zu begehen, nicht zu 
einer Ablehnung dieses Skeptizismus gelangen konnte. Der Hu- 
mesche Skeptizismus besteht nämlich, auf die Form eines logischen 
Schlusses gebracht, in dem folgenden Argument: 

Alle Wahrheit beruht entweder auf empirischen oder auf 
logischen Kriterien. 

Nun lassen sich aber metaphysische Urteile weder auf Em- 
pirie noch auf Logik gründen. 

Folglich sind alle metaphysischen Urteile grundlos. — 



213] Dritter Tefl : Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 625 

Wenn also E[ant, der den Obersatz stillschweigend von Hühe 
übernimmt nnd den Untersatz durch seine Einfühmng des Begriffs 
des „synthetischen Urteils a priori* nur noch scharfer formuliert, 
trotzdem „weit entfemf ist, Hüme „in Ansehung seiner Folge- 
rungen Grehör zu geben ''^ wenn er vielmehr die Humesche Folge- 
rung für ;,übereilt und unrichtig^ erklärt^, so erscheint diese 
paradoxe Stellungnahme zunächst als ein psychologisch schwer 
verständliches Rätsel.' Die Lösung dieses Rätsels liegt in dem 
bereits (§ 91) erörterten Irrtum Bjlnts, als habe man es nach der 
Reduktion der Allgemeingültigkeit der metaphysischen Grundsätze 
auf ihre Grültigkeit für Gegenstände möglicher Erfahrung in den so 
entstehenden reduzierten Sätzen noch mit metaphysischen Urteilen 
zu tun. Durch diesen Irrtum veranlaßt konnte er beispielsweise 
glauben, in dem Satze: „Der Grundsatz der Kausalität ist eine 
Bedingung der Möglichkeit der Erfahrmig* oder: „Jede Verände- 
rung, als Gegenstand möglicher Erfahrung beurteilt, hat eine Ur- 
sache^ ein hinreichendes Äquivalent für den metaphysischen Grund- 
satz der Kausalität zu finden. Und er konnte so zu der paradoxen 
Vorstellungsweise kommen, wonach ein und derselbe Satz in der 
einen Hinsicht als grundlos und willkürlich, in der anderen als 
notwendig wahr und apodiktisch bewiesen gilt. In Wahrheit 
haben wir es hier mit zwei ganz verschiedenen Urteilen zu tun. 
Das eine, nach dem Prinzip der Möglichkeit der Erfahrung redu- 
zierte Urteil ist, als analytisches^ allerdings apodiktisch beweisbar, 
kann aber, wie wir gesehen haben, eben darum nicht als ein Aqui- 



' Prolegomena, Einleitung. 

' Der Widersprach in dieser SteUongnahme Kants tritt dadurch noch schärfer 
hervor, daß Kant wiederholt ausdrücklich das Recht und die ünvermeidlichkeit 
der Humeschen Schlußfolgerung anerkennt. (Vgl. die in § 89 Anmerkung S. 612 
angeführten Stellen.) 



626 L> Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [214 

valent des metaphysischen Urteils gelten. Das andere, metaphy- 
sische Urteil, anf das allein sich die Hnmesche Argumentation 
bezog, bleibt auch bei Kant dem Skeptizismus preisgegeben; die 
Folgerang Hühes ist also keineswegs aufgehoben, sie kann viel- 
mehr auch nach Eant weder als „übereilt'' noch als „unrichtig'' 
gelten. 

Betrachten wir, zur Bestätigung dieser Darstellung, Kants 
ausführliche Auseinandersetzung mit Hüme in der Kritik der 
praktischen Vernunft.^ Der entscheidende Satz ist hier der 
folgende*: 

„Aus meinen Untersuchungen aber ergab es sich, . . . daß, 
obgleich bei Dingen an sich selbst gar nicht abzusehen ist, ja 
unmöglich ist einzusehen, wie, wenn A gesetzt wird, es wider- 
sprechend sein solle, By welches von A gaxiz verschieden ist, 
nicht zu setzen, (die Notwendigkeit der Verknüpfung zwischen 
A als Ursache und B als Wirkung,) es sich doch ganz wohl 
denken lasse, daß sie als Erscheinungen in einer Erfahrung auf 
gewisse Weise (z. B. in Ansehung der Zeitverhältnisse) not- 
wendig verbunden sein müssen und nicht getrennt werden können, 
ohne derjenigen Verbindung zu widersprechen, vermittelst deren 
diese Erfahrung möglich ist, in welcher sie Gregenstände und 
uns allein erkennbar sind.'' 
Der Gegensatz, der hier zwischen dem Grundsatze der Kausa- 
lität als einem Gesetze für Dinge an sich und demselben Grund- 
satze als einem Gesetze für Erscheinungen festgestellt werden 
soll, ist nur den Worten nach vorhanden. Im ersten Falle, heißt 
es, enthalte die Annahme der Ungültigkeit des Gesetzes keinen 
Widerspruch; im zweiten aber widerspreche sie einer Bedingung 

' S. 61ff. * S. 64f. 



216] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 627 

der Möglichkeit der Erfahrimg. Dies ist kein G-egensatz; denn 
das Eriterimn der Unmöglichkeit der fraglichen Annahme ist in 
beiden Fällen ein verschiedenes : das eine Mal wird es in den Satz 
des Widerspruchs gesetzt, das andere Mal in die Möglichkeit der 
Erfahrung. Es ist also nichts weiter gesagt, als daß das Kausal- 
gesetz, auf Dinge an sich bezogen, nicht logisch notwendig, auf 
Erscheinungen bezogen aber eine Bedingung der Möglichkeit der 
Erfahrung sei. Bei dieser Fassxmg des Satzes fällt aber sofort 
in die Augen, daß die Worte „bei Dingen an sich selbst*' und 
„als Erscheinungen'* ganz belanglos sind; denn der Satz bleibt 
auch richtig, wenn man diese Worte wegläßt. 

Sehen wir aber näher zu, welches die Bedingung ist, der, 
nach dem zweiten Teile des Satzes, die Annahme der Ungültigkeit 
des Kausalgesetzes widersprechen soll, so zeigt sich, daß es keine 
andere sein kann als das positive Eoinsalgesetz selber. Denn nnr 
sofern dieses selbst zu den Bedingungen der Möglichkeit der Er- 
fahrung gehört, ist keine Erfahrung möglich, die ihm widerspräche. 
Der zweite Teil des Satzes sagt also im Grrunde nur aus, daß die 
Annahme der Ungültigkeit des Kausalgesetzes der Annahme seiner 
Gültigkeit widerspreche. Dieser Satz ist analytisch und als solcher 
nach dem Satze des Widerspruchs einzusehen. Wollen wir also 
den Inhalt des Kantischen Gedankens auf einen logisch korrekten 
Ausdruck bringen, so müssen wir dem metaphysischen Grundsatze 
der Kausalität den nach dem Prinzip der Möglichkeit der Erfah- 
rung reduzierten Satz gegenüberstellen und können dann mit Recht 
behaupten, daß nur der erste, nicht aber der zweite ohne Wider- 
spruch verneint werden könne. Und da ist denn klar, daß durch 
diese Feststellung die Humesche Schlußfolgerung in keiner Weise 
erschüttert wird. 

Der von Ejlnt gegen Hukbs schottische Gegner gerichtete 



628 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [216 

Vorwurf, daß sie „den Punkt seiner Aufgabe verfehlten", muß 
daher in dem dargelegten Sinne auch gegen Kant selbst erhoben 
werden. Es läßt sich Wort für Wort als eine Kritik auf seinen 
eigenen Losungsversuch anwenden, wenn wir bei ihm lesen: 

„Es war nicht die Frage, ob der Begriff der Ursache . . . 
in Ansehung der ganzen Naturerkenntnis unentbehrlich sei, denn 
dieses hatte Hüme niemals in Zweifel gezogen." „Es war ja 
nur die Rede von dem Ursprünge dieses Begriffs, nicht von der 
Unentbehrlichkeit desselben im Gebrauche; wäre jener nur aus- 
gemittelt, so würde es sich wegen der Bedingungen seines Ge- 
brauches und des Umfangs, in welchem er gültig sein kann, 
schon von selbst gegeben haben. "^ 
Die Kantische Auflösung beschränkt sich, wie wir gesehen 
haben, auf den Beweis des Satzes, von dem Kant hier erklärt, 
daß HuME ihn niemals in Zweifel gezogen habe. Der transzenden- 
tale Beweis bezieht sich ja ausschließlich auf die „Unentbehrlich- 
keit in Ansehung der ganzen Naturerkenntnis ^ und läßt die Frage 
„von dem Ursprünge" voUig unberührt.* — Die Ansätze zu einer 



^ Prolegomena, Einldtang. 

' Eine klare Einsiclit in diesen noch heute so vielfach verkannten Sachverhalt 
findet sich schon hei Salomon Maimon. Maimon, der sich seihst einen ,,kritischen 
Skeptiker^ nennt, erkennt die Sätze der reinen Mathematik als synthetische Urteüe 
a priori an, hält aber den metaphysischen Grundsätzen der reinen Naturwissen- 
schaft gegenüber die Position Hümes aufrecht. Ich führe einige Stellen an: 

„Wenn auch Herr Kant bewiesen hat, daß wir diese Formen nicht von 
der Erfahrung haben abstrahieren können, weü nämlich Erfahrung erst dadurch 
möglich wird: so kann ihm David Hume (oder sein Stellvertreter) dieses alles 
gerne zugeben. Er wird sagen : der Begriff von Ursache ist nicht in der Natur 
unsers Denkens überhaupt, . . . auch nicht in der Erfahrung . . . gegründet ; 
folglich giebt es auch keine eigene Erfahrungssätze (die Notwendigkeit aus- 
drücken)." (Versuch über die TranszendentalphUosophie, 1790, S. 73. Vgl. 
ebenda S. 42 und 47, sowie S. 418: „Gesetzt, daß eine synthetische Regel über- 



217] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 629 

wirklichen Auflösung des Problems befinden sieb vielmehr an der 
Stelle, wo Kant selbst sie am wenigsten suchte, nämlich in der 



haupt in den Wahrnehmungen zu ihrer chjektiven Realität notwendig wäre, so 
ist doch keine bestimmte Begel dazu notwendig. **) 

,,Die kritische Philosophie kann also hier nichts mehr ton, als zeigen, 
daß zur Möglichkeit der Erfahrung überhaupt, in dem Sinne worin sie das 
Wort Erfahrung nimmt, allgemeine synthetische Grundsätze und hinwiederum 
zur Bealität (Beziehung auf ein Objekt) dieser Grundsätze, Erfahrung als Fak- 
tum vorausgesetzt werden müsse. D. h. sie muß sich im beständigen Zirkel 
herumdrehen." („Über die Progressen der Philosophie", 1793, S. 61.) 

„Kant legt in seiner Philosophie die Möglichkeit der Erfahrung überhaupt 
zum Grunde. Die Prinzipien der Transzendentälphiloaqphie haben nur als Be- 
dingungen des Erfahrungsgebrauchs ihre Bealität Er setzt also Erfahrung als 
Faktum voraus. Ein Skeptiker aber, der Erfahrung selbst in Zweifel zieht, 
wird auch die Bealität dieser Prinzipien bezweifeln." (Philosophischer Brief- 
wechsel, S. 191.) 

,,Eant setzt Erfahrung (den Gebrauch synthetischer Sätze, die Notwendig- 
keit und Allgemeingültigkeit ausdrücken) von Gegenständen der Wahrnehmung 
voraus, und beweist die Realität der reinen Begriffe und Sätze als Bedingungen 
der Erfahrung. Diese haben also bloß eine hypothetische BeäHtät*^ (Ebenda, 
S. 203.) 

„Durch alles, was Sie aufgestellt und bewiesen haben, haben Sie nichts 
mehr getan, als daß Sie die Merkmale des Begriffs von objektiver Erfahrungs- 
erkenntnis, wodurch sie von subjektiver Erfahrungserkenntnis unterschieden 
wird, bestimmt angegeben haben. Ob aber dieser bestimmte Begriff objektive 
Bealität^ d. h. einen Gebrauch hat? ist eine andere Frage, die Sie ganz unbe- 
rührt gelassen haben. ... Sie zeigen z. B. daß eine Veränderung in der Er- 
scheinung^ nur dem Gesetze der Kausalität gemäß gedacht, objektiv heißen kann. 
Dieses hat allerdings seine Richtigkeit. Aber die Frage ist : giebt es eine solche 
Veränderung? Ja, sagen Sie, weil wir im Denken die objektive von der siib- 
jektiven Veränderung, durch das PrädikcU der Kausalität (was in jener gedacht 
wird, in dieser aber nicht) unterscheiden. Aber damit ist die von mir aufge- 
worfene Frage ganz und gar nicht beantwortet. Wir haben noch immer mit 
einem bloß gedachten Objekte und der sich darauf beziehenden Erkenntnis zu 
tun." (Kritische Untersuchungen über den menschlichen Geist, 1797, S. 153 f.) 

„. . . so bestehet Alles, was Herr Kant bewiesen hat, also bloß darin, daß 
sich diese beide wechselweise voraussetzen, d. h. um ein wirkliches Entstehen zu 
denken, muß man das zu entstehende Ding in Ansehung eines andern Dinges 
in einer Folge nach einer Regel denken^ and auch umgekehrt, und dieses wird 



630 L- Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [218 

^subjektiven Deduktion'', von der er erklärt, sie „gebore nicbt 
wesentlicb zu seinem Hauptzwecke*'.^ 

99. Durcb diese Betracbtung rückt aucb die Kantiscbe Lebre 
von der zweifacben Objektivität in ein belleres Liebt. Kant unter- 
scbeidet „transzendentale'' und „empiriscbe" Realität Die for- 
malen Bedingungen der Erfabrung baben transzendentale Ideali- 
tät, aber empiriscbe Realität. Sie gelten, wie Kant es darstellt, 
nicbt für „Dinge an sieb", wobl aber für „Erscbeinungen". Jenes 
babe Hume eingeseben, dieses aber verkannt und daber falscblicb 
auf die Ungültigkeit der fraglicben Prinzipien überbaupt gescblossen. 
Greben wir dem Gedanken, den Kant bier zum Ausdruck bringen 
wollte, auf den Grund, so läßt er sieb auf eine andere, sebr viel 
einfacbere Formel bringen, wobei allerdings seine Tragweite eine 
wesentlicbe Einscbränkung erfäbrt. Wir baben es nämlicb bier 
zunäcbst gar nicbt mit zwei Bereicben von Objekten zu tun, die 
sieb, als Erscbeinung und Ding an sieb, durcb ibren Realitätswert 
unterscbieden und in deren einem ein Satz wabr sein könnte, der 
im anderen falscb wäre. Sondern wir baben es mit zwei inbaltlicb 
verscbiedenen Säteeii zu tun, von denen der eine scblecbtbin grund- 
los ist, der andere aber scblecbtbin objektiv gilt. Dies ist Kant 



ihm Niemand streitig machen. Die Frage ist aber hier nicht nach der logischen 
Beziehung dieser Gedanken aufeinander, sondern nach ihrem reellen Gebrauche, 
und dieses ist eben, was nicht zugegeben werden kann. Und da also der Be- 
griff von Ursache in Beziehung auf bestimmte Gegenstände der Erfahrung keine 
Realität hat, so hat auch der Begriff von Ursache überhaupt, als eine Abs- 
traktion davon keine Realität.^ (Philosophisches V^örterbuch, 1791, S. 167. 
Vgl. auch „Philosophisches Journal", 1797, S. 167 ff.) 

Es muß als ein entschiedenes Verdienst Maimons um den Fortschritt der 
kritischen Metaphysik bezeichnet werden, zuerst mit Schärfe und Nachdruck auf 
diesen wesentlichen Mangel in der Eantischen Behandlung des Problems hinge- 
wiesen zu haben. 

> E. d. r. V., Vorrede zur ersten Ausgabe. 



219] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 631 

nicht klar geworden. Nicht zwei verschiedene Begriffe der Ob- 
jektivität sind es, nach denen ein Urteil bewertet wird, sondern 
zwei Urteile sind es, die nach einem und demselben Objektivitats- 
begriff bewertet werden. Und zwar hat diese Objektivität ihr 
£j*iteriam nach wie vor in der dogmatischen Disjunktion von Logik 
und Empirie. Nach diesem Kriterium ist das metaphysische Urteil 
ungültig, das nach dem Prinzip der Möglichkeit der Erfahrung 
reduzierte Urteil aber logisch-notwendig. 

Man kann zwar, um der Kantischen Darstellung einen mög- 
lichst klaren Sinn unterzulegen, den Ausdruck „empirische Reali- 
tät'' überall, wo er in dem hier erörterten Zusammenhange vor- 
kommt, im Sinne der folgenden Festsetzung interpretieren: Von 
einem metaphysischen Prinzip, das als solches schlechthin ungültig 
ist, soll gesagt werden, es habe „empirische Realität'', wenn das 
entsprechende, nach dem Prinzip der Möglichkeit der Erfahrung 
reduzierte Urteil gültig, nämlich logisch-notwendig ist. Aber es ist 
wohl zu beachten, daß wir hiermit lediglich eine terminologische 
Festsetzung getroffen, nicht aber etwa einen neuen Begriff der 
Objektivität eingeführt oder gar ein von den Dingen an sich ver- 
schiedenes Gebiet der Realität entdeckt haben. Um einem solchen 
Mißverständnisse vorzubeugen, empfiehlt es sich, die Anwendung 
der Ausdrücke „Idealismus" und „Realismus" — obgleich wir 
ihnen den eben angegebenen zulässigen Sinn unterlegen können 
— in diesem Zusammenhange lieber völlig zu vermeiden. 



630 L* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [218 

^subjektiven Deduktion*', von der er erklärt, sie „gebore nicbt 
wesentlicb zu seinem Hauptzwecke '^.^ 

99. Durcb diese Betracbtung rückt aucb die Kantiscbe Lebre 
von der zweifacben Objektivität in ein beileres Liebt. Kant unter- 
scbeidet „transzendentale" und „empiriscbe" Realität Die for- 
malen Bedingungen der Erfabrung baben transzendentale Ideali- 
tät, aber empiriscbe Realität. Sie gelten, wie Kant es darstellt, 
nicbt für „Dinge an sieb", wobl aber für „Erscbeinungen". Jenes 
babe Huhe eingeseben, dieses aber verkannt und daber Mscblicb 
auf die Ungültigkeit der fraglicben Prinzipien überbaupt gescblossen. 
Greben wir dem Gedanken, den Kant bier zum Ausdruck bringen 
wollte, auf den G-rund, so läßt er sieb auf eine andere, sebr viel 
einfacbere Formel bringen, wobei allerdings seine Tragweite eine 
wesentlicbe Einscbränkung erfäbrt. Wir baben es nämlicb bier 
zunäcbst gar nicbt mit zwei Bereicben von Objekten zu tun, die 
sieb, als Erscbeinung und Ding an sieb, durcb ibren Realitätswert 
unterscbieden und in deren einem ein Satz wabr sein könnte, der 
im anderen falscb wäre. Sondern wir baben es mit zwei inbaltlicb 
verscbiedenen Sateeii zu tun, von denen der eine scblecbtbin grund- 
los ist, der andere aber scblecbtbin objektiv gilt. Dies ist Kant 



ihm Niemand streitig machen. Die Frage ist aber hier nicht nach der logischen 
Beziehung dieser Gedanken aufeinander, sondern nach ihrem reellen Gebrauche, 
und dieses ist eben, was nicht zugegeben werden kann. Und da also der Be- 
griff von Ursache in Beziehung auf bestimmte Gegenstände der Erfahrung keine 
Realität hat, so hat auch der Begriff von Ursache überhaupt, als eine Abs- 
traktion davon keine Realität^ (Philosophisches Wörterbuch, 1791, S. 167. 
Vgl auch „Philosophisches Journal^, 1797, S. 167 ff.) 

Es muß als ein entschiedenes Verdienst Maimons um den Fortschritt der 
kritischen Metaphysik bezeichnet werden, zuerst mit Schärfe und Nachdruck auf 
diesen wesentlichen Mangel in der Eantischen Behandlung des Problems hinge- 
wiesen zu haben. 

1 E. d. r. V., Vorrede zur ersten Ausgabe. 



219] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 631 

nicht klar geworden. Nicht zwei verschiedene Begriffe der Ob- 
jektivität sind es, nach denen ein Urteil bewertet wird, sondern 
zwei Urteile sind es, die nach einem und demselben Objektivitäts- 
begriff bewertet werden. Und zwar hat diese Objektivität ihr 
£[riteriam nach wie vor in der dogmatischen Disjunktion von Logik 
und Empirie. Nach diesem Kriterium ist das metaphysische Urteil 
ungültig, das nach dem Prinzip der Möglichkeit der Erfahrung 
reduzierte Urteil aber logisch-notwendig. 

Man kann zwar, um der Kantischen Darstellung einen mög- 
lichst klaren Sinn unterzulegen, den Ausdruck „empirische Reali- 
tät" überall, wo er in dem hier erörterten Zusammenhange vor- 
kommt, im Sinne der folgenden Festsetzung interpretieren: Von 
einem metaphysischen Prinzip, das als solches schlechthin ungiätig 
ist, soll gesagt werden, es habe „empirische Realität", wenn das 
entsprechende, nach dem Prinzip der Möglichkeit der Erfahrung 
reduzierte Urteil gültig, nämlich logisch-notwendig ist. Aber es ist 
wohl zu beachten, daß wir hiermit lediglich eine terminologische 
Festsetzung getroffen, nicht aber etwa einen neuen Begriff der 
Objektivität eingeführt oder gar ein von den Dingen an sich ver- 
schiedenes Gebiet der Realität entdeckt haben. Um einem solchen 
Mißverständnisse vorzubeugen, empfiehlt es sich, die Anwendung 
der Ausdrücke „Idealismus" und „Realismus" — obgleich wir 
ihnen den eben angegebenen zulässigen Sinn unterlegen können 
— in diesem Zusammenhange lieber völlig zu vermeiden. 



632 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [220 



xxm. 

Die Antinomieen- und Ideenlehre. 

100. Im XV. Kapitel hatten wir zwei verschiedene Kantische 
Beweise für den transzendentalen Idealismus angeführt. Es bleibt 
uns daher noch die Aufgabe, unsere Kritik der ersten Beweisart 
mit dem Inhalt der zweiten Beweisführung zu vergleichen. 

Fassen wir zunächst die Aufgabe eines solchen Beweises in 
ihrer Allgemeinheit ins Auge. Diese Aufgabe betrifft das Ver- 
hältnis unserer Erkenntnis zu den Dingen an sich. Nun ergab 
sich aus dem ersten Teil xmserer Untersuchungen, daß die An- 
nahme von Dingen an sich nicht wissenschaftlich begründä werden 
kann. Aber aus unseren Untersuchungen ging zugleich hervor, 
daß eine solche Begründung gar nicht erforderlich ist, da vielmehr 
die Voraussetzung einer Beziehung unserer Erkenntnis auf Dinge 
an sich Qine aller Erkenntnis als solcher zu Grunde liegende 
faktiscJie Voraussetzung ist. Wissenschaftlich diskutierbar bleibt 
allein die Frage, ob diese Beziehung unserer Erkenntnis auf Dinge 
an sich von der Art ist, daß wir nicht nur über die Existens, 
sondern auch über die Beschaffenheit der Dinge an sich positive 
Aussagen zu machen vermögen. Freilich läßt sich diese Frage, 
so wenig wie irgend eine andere, durch Vergleichung unserer Er- 
kenntnis mit den Dingen entscheiden, sondern auch für ihre Be- 
antwortung sind wir auf eine nur innere Vergleichung unserer 
Erkenntnisse untereinander angewiesen. Die in dieser Frage ge- 
stellte Aufgabe scheint hiemach die paradoxe Forderung einzu- 
schließen, durch eine nur innere Vergleichung der ErkentUnisse 



221] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 633 

etwas über das Verhältnis des Erkenntnis znm Gegenstände aosza- 
macben, also auf kritischem Wege eine Frage zu beantworten, die 
gänzlich aoßerhalb des Bereichs der Kritik der Yemnnft liegt. 

Wenn nun aber auch eine Elritik unserer Erkenntnis-über- 
haupt unmöglich ist, so ist doch die Gültigkeit einer Erkenntnis 
insofern einer Begründung fähig, als diese Erkenntnis auf eine 
andere, unmittelbare Erkenntnis zurückgeführt werden kann, deren 
Objektivität unabhängig von aller Begründung vorausgesetzt wird. 
Wenn es also möglich sein soll, irgend ein Urteil über das Ver- 
hältnis unserer Erkenntnis zu den Dingen an sich zu fallen, so 
muß es in unserer unmittelbaren Erkenntnis irgend eine wenn 
auch noch so allgemeine Vorstellung von dem, was ein Ding an 
sich ist, geben. Eine solche Vorstellung giebt es in der Tat: es 
ist die Vorstellung von der vollständigen Bestimmtheit alles 
Mannigfaltigen der empirischen Anschauung durch synthetische 
Einheit. Diese für sich ganz formale und allgemeine Vorstellung 
ist die Grundvorstellung der reinen Vernunft selbst. Sie enthält 
daher das oberste Kriterium der Objektivität für alle anderen 
möglichen Vorstellungen. Dieses Kriterium dient daher auch zur 
kritischen Entscheidung unserer Frage; wir sind also für die Be- 
antwortung dieser Frage nicht auf die unmögliche Vergleichung 
mit dem Gegenstande angewiesen. Auch zur Auflösung des 
scheinbar höchsten objektiven Problems vergleichen wir nur unsere 
Vorstellungen untereinander; wobei allerdings diejenige Vor- 
stellung, die uns bei dieser Vergleichung als oberstes Kriterium 
dient, selbst jeder weiteren Begründung entbehren muß, aber, 
kraft des Faktums des Selbstvertrauens der Vernunft, auch ent- 
behren kann. 

Die kritisch gestellte Frage lautet also: Ist eine vollständige 



634 L- Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [222 

Bestimmung des Gehalts unserer Erkenntnis durch die Grundvor- 
stellung der reinen Vernunft möglich? 

101. In § 88 hatten wir zwei Bedeutungen des Worts ;, Ob- 
jekt^ bei Kant unterschieden: den Begriff des der Empfindung zu 
Grunde liegenden affizierenden Objekts, und den Begriff des durch 
synthetische Einheitsprinzipien bestimmten Gegenstandes der Er- 
fahrung. Legen wir den zweiten dieser Begriffe zu Grunde, so 
erhalten wir, je nachdem wir die „Bestimmung" des Gegenstandes 
als eine mehr oder weniger fortgeschrittene betrachten, ver- 
schiedene Stufen der Objektivität der Erkenntnis. Diese Stufen 
können wir uns in eine Reihe gebracht denken, derart, daß wir 
von dem noch durch keinerlei synthetische Einheitsprinzipien be- 
stimmten Material der Sinnesanschauung ausgehend zu immer 
weitergehender Bestimmtheit dieses Materiales fortschreiten. Der 
Begriff des Endgliedes dieser Reihe wäre der Begriff einer voll- 
ständigen Bestimmung des Gegenstandes. Ob sich dieser Begriff 
realisieren läßt, d. h. ob eine vollständige Bestimmung des Gegen- 
standes durch unsere Erkenntnis möglich ist, das ist eine Frage, 
die durch die bloße Widerspruchslosigkeit des Begriffs eines solchen 
Endgliedes noch keineswegs entschieden ist. Eine Erkenntnisi die 
bis zu dieser vollständigen Bestimmung des Gegenstandes durch- 
gedrungen wäre, hätte die höchste denkbare Stufe der Objektivität 
erreicht, sie wäre die einzige keinerlei subjektiven Beschränkungen 
mehr unterworfene, sondern unbeschränkte oder „absolute" Er- 
kenntnis. Der Gegenstand, als Gegenstand einer solchen absoltden 
Erkenntnis, kann im engeren und eigentlichen Sinne „Gegenstand^ 
heißen und im Unterschiede von allem, was sich als Gegenstand 
einer irgend wie subjektiv beschränkten Erkenntnis darstellt, 
„Ding an sich" genannt werden. Die eben aufgeworfene Frage 



223] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 635 

ist daher identisch mit der Frage, ob ans eine Erkenntnis von 
Dingen an sich möglich seL 

102. Die Beantwortung dieser Frage ist in dem zweiten 
Kantischen Beweise des transzendentalen Idealismus enthalten, der 
in der Anflösang der Antinomieen besteht. Die Äntinomieefi sind 
Widersprüche, die dadurch entstehen, daß man, unter der Voraus- 
setzung, eine positive Erkenntnis der Dinge an sich zu besitzen, 
die Gegenstände der Erfahrung nach Prinzipien beurteilt, die nur 
auf Dinge an sich Anwendung finden. Diese Prinzipien, die 
i,Ideen'', sind keine anderen als die der uttbeschränkten syntheti- 
schen Einheit. Jeder Gegenstand möglicher Erfahrung ist, als 
solcher, an die reinanschaulichen mathematischen Formen des 
Raumes und der Zeit gebunden und steht dadurch in einer Reihe 
von Bedingungen, deren Unendlichkeit die Möglichkeit einer Vol- 
lendung des empirischen Regressus ausschließt. In diesem Wider- 
spruch zwischen der durch die mathematische Form der Sinnes- 
anschauung geforderten UnvoUendbarkeit der Reihe der Bedingungen 
und der durch die Grundvorstellung der reinen Vernunft geforderten 
Vollendung der Reihe besteht die Antinomie. Und so kann die 
Auflösung der Antinomie nur dadurch erfolgen, daß man die ihr 
zu Grunde liegende Voraussetzung einer positiven Erkenntnis der 
Dinge an sich aufhebt.^ 



* Wir können hier die von Kant fiir die einzelnen Thesen *and Antithesen 
gesehenen Beweise außer Betracht lassen. Man erkennt nämlich leicht, daß der 
angegebene allgemeine Grund der Antinomie von der Schlüssigkeit dieser Beweise 
unabhängig ist und daß daher auch seine Beurteilung nicht von einer Prüfung 
dieser Beweise abhängig gemacht werden darf. Die hinreichende Voraussetzung 
für das Zustandekommen der Antinomie liegt in der dem unkritischen Denken 
geläufigen Verwechslung der Begriffe „Natur" und „Welt". Natur ist der Inbe- 
griff der Gegenstände möglicher Erfahrung; Welt ist das absolute Ganze aller 
existierenden Dinge. Durch die Verwechslung dieser Begriffe entsteht die An- 



636 L- Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [224 

Diese Losung hat Kant gegeben, wenngleicli er den Ursprung 
der Antinomie nicht bis auf ihre letzten, hier angedeuteten Gründe 
verfolgt hat.^ Kants zweiter Beweis des transzendentalen Ideaüs- 
mus bleibt also frei von dem erkenntnistheoretischen Fehler des 
ersten, oder er läßt sich wenigstens von diesem Fehler befreien, 
und es bleibt zu bedauern, daß er diesen Beweis nicht allein ge- 



nahme einer „Sinnenwelt" als eines absoluten Ganzen aller existierenden Dinge 
in Raum und Zeit. Ans dieser Annahme entspringen notwendig eine Reihe 
einander widersprechender Aassagen, jenachdem man die Folgerangen aas der im 
Natorbegriffe enthaltenen Voraassetzong der UnencUiehkeit oder aas der im Welt- 
begriffe enthaltenen Voraassetzong der TotaJität zieht. Der Ursprang der An- 
tinomie liegt also weder, wie es häafig dargesteUt wird, in dem mathematischen 
Begriffe der Unendlichkeit, noch, wie andere mißverständlich meinen, in der Idee 
der Welt, sondern allein in der Anwendung dieser beiden Begriffe auf einen and 
denselben Gegenstand. Läge der Widersprach wirklich in einem jener Begriffe, 
so würde er allerdings nicht dadurch gelöst werden können, daß wir mit Kant 
annehmen, die Natur sei nur Erscheinang. Da er aber in der Tat nur in der 
Verwechslung jener Begriffe liegt, so wird er durch diese Kantische Annahme 
nicht etwa nur (wie man in den Darstellungen und Kritiken der Kantischen An- 
tinomieenlehre zu lesen pflegt) „aus den Dingen in deren Erscheinung yerlegt**, 
sondern wirklich aufgeh(^en] denn diese Annahme t^ nichts anderes als die Auf- 
hebung jener Verwechslung. 

^ Da Kamt die reine Vernunft nicht bestimmt von der Reflexion unter- 
scheidet, so scheint es nach seiner Darstellung zuweilen, als seien die Antinomieen 
Widersprüche in der reinen Vernunft selbst. Aber schon die Tatsache ihrer Aaf- 
lüsung darch die Kantische Kritik beweist, daß dem nicht so sein kann; denn 
für die Aaflösung eines Widerspruchs in der anmittelbaren Erkenntnis der reinen 
Vernunft selbst besäßen wir gar kein Kriterium. Und so entscheidet schließlich 
auch Kant selbst, daß bei den Antinomieen „kein wirklicher Widerspruch der 
Vernunft mit ihr selbst« vorliegt. (K. d, r. V., S. 667.) Vgl auch S. 668: „Auf 
solche Weise giebt es eigentlich gar keine Antithetik der reinen Venmnft'' und 
S. 520: „Die Ideen der reinen Vernunft können nimmermehr an sich selbst dia- 
lektisch sein, sondern ihr bloßer Mißbrauch muß es allein machen, daß uns von 
ihnen ein trüglicher Schein entspringt; denn sie sind uns durch die Natur unserer 
Vernunft aufgegeben und dieser oberste Gerichtshof aller Rechte und Ansprüche 
unserer Spekulation kann unmöglich selbst ursprüngliche Täuschungen und Blend« 
werke enthalten. <* 



Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 637 

braucht, daß er ihm vielmehr nur die Bolle einer far das Ganze 
seiner Lehre unwesentlichen Bestätigong des anderen, falschen 
Beweises znerteilt hat.^ Es ist wichtig, sich dies vor Angen zu 
halten, da, genau zugesehen, die Beweisgründe der beiden Beweis- 
arten einander gegenseitig ausschließen, so daß die erste Beweisart 
in ihren Konsequenzen den Grundgedanken der zweiten aufheben 
muß, wie sich dies auch bei den meisten Nachfolgern Eants gezeigt 
hat. Ist nämlich, wie die erste Beweisart annimmt, Apriorität 
ein Kennzeichen der transzendentalen Idealität, so muß diese 
Idealität auch von den der Antinomieenlehre zu Grunde liegenden 
idealen Prinzipien behauptet werden, womit das für die zweite 
Beweisart erforderliche Kriterium hinfallig wird. 

103. In der Tat fehlt es bei Kant an einer kritischen 
Begründung der Ideen. „Ideen^ sind notwendige Vorstellungen, 
deren Gegenstände in keiner möglichen Erfahrung gegeben werden 
können. Wollen wir nun den Ursprung der Ideen richtig beur- 
teilen, so müssen wir genau unterscheiden zwischen der meta- 
physischen Grundvorstellung der synthetischen Einheit, wie sie 
der unmittelbaren Erkenntnis angehört, und der Art, wie wir 
uns dieser Vorstellung vor der Reflexion bewußt werden. Jene 
Grundvorstellung erscheint vor dem Bewußtsein unter der Form 
der metaphysischen Grundbegriffe oder Kategorieen. Der positive 
Gebrauch dieser Kategorieen in der Erfahrung ist aber beschränkt 



^ Wie sehr bei Kant der falsche erkenntnistheoretische Gesichtspunkt vor- 
waltet, kann man aus der Stelle der Prolegomena ersehen, an der er seinen 
Idealismus als den „formalen'' dem des Bebkelet gegenüberstellt und Ton ihm 
sagt, er sei „lediglich dazu, um die Möglichkeit unserer Erkenntnis a priori von 
Gegenständen der Erfahrung zu begreifen, welches ein Problem ist . . ." (S. 166.) 
„Der Idealismus . . . war nur als das einige Mittel, jene Aufgabe aufzulösen, in 
den Lehrbegriff aufgenommen worden (wiewohl er denn auch noch aus andern 
Gründen seine Bestätigung erhielt)/ (S. 168.) 

Abhudhuicni dar FriM^ieliai S«k«le. IL Bd. 41 



638 L« Nelson: Ober das sogenannte Erkenntnisproblem. [226 

durch die UnvoUendbarkeit der mathematischen Form der Er- 
fahrung. Wollen wir uns daher der metaphysischen Grundvor- 
stellung selbst, so wie sie unabhängig von der Beschränktheit 
ihres empirischen Grebrauchs in der Vernunft liegt, bewußt werden, 
so kann das nur dadurch geschehen, daß wir die Schranken, die 
in der mathematischen Form des empirischen Gebrauchs der Kate- 
gorieen bestehen, aufgehoben denken. Die Begriffe, die wir da- 
durch erhalten, sind die Ideen. 

104. Aus dem Fehlen der für eine richtige Begründung der 
Ideen unentbehrlichen Unterscheidung zwischen Reflexion und 
unmittelbarer Erkenntnis erklären sich die Mängel der Kantischen 
Ideenlehre. Wir müssen zunächst zwischen der von Kant ver- 
suchten Ableitung der Ideen aus der Form der Yemunftschlüsse 
und seiner E^ritik des Geltungsanspruchs der durch diese Ableitung 
gewonnenen Begriffe unterscheiden. "Was das erste betrifft, so 
wird Kant durch die Analogie mit dem Parallelismus der Tafeln 
der Urteilsformen und der Kategorieen geleitet. Wie er das 
System der Kategorieen durch ein regressives Verfahren an der 
Hand des Systems der Urteilsformen auffindet, so will er durch 
ein analoges Verfahren das System der Ideen vermittelst des 
Systems der Schlußformen ableiten. Gegen diesen Versuch muß 
von vornherein geltend gemacht werden, daß der Schluß nur eine 
besondere Form des Urteils darstellt, nämlich das analytische 
hypothetische Urteil, und daß deshalb der Leitfaden der Schluß- 
formen auf keine Begriffe führen kann, die nicht bereits im System 
der Kategorieen durch den Leitfaden der Urteilsformen aufgewiesen 
sind. Wenn dennoch eine solche Aufweisung bei Kant zu gelingen 
scheint, so beruht dies, wie man bei näherer Betrachtung findet, 
vielmehr auf dem selbständigen Hinzukommen eines neuen Prinzips. 



227] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 639 

Dieses Prinzip, das »oberste Prinzip der reinen Vernunft** \ ist 
der G-randsatz von der Totäliiät der Reihe der Bedingungen^ oder 
von der Unmöglichkeit eines unendlichen Regressus. 

Was aber die objektive Gültigkeit der Ideen betrifft, so kann 
diese nach Eant nur vermöge eines Schlusses behauptet werden, 
der sich als dialektisch erweist und seinerseits aus einem unver- 
meidlichen ,, transzendentalen Schein** entspringen soll. Diese Dar- 
stellung ist fehlerhaft. Beruhte nämlich die Annahme der objek- 
tiven Gültigkeit der Ideen wirklich auf einem transzendentalen 
Schein, so besäßen wir ja gar kein Mittel, diesen Schein auf- 
zudecken. £[ants Lehre vom transzendentalen Schein und seine 
darauf gegründete £ritik der Ideen enthält daher einen introji- 
zierten Widerspruch.' 

105. Ich will mich hier auf den Abschnitt der transzenden- 
talen Dialektik beziehen, der „Kritische Entscheidung des kosmo- 
logischen Streits der Vernunft mit sich selbst** überschrieben ist. 
Kant argumentiert dort* folgendermaßen: 

Gegenstände der Sinne sind uns als bedingt gegeben; mithin 
ist die regressive Reihe der Bedingungen zum gegebenen Bedingten 
der Erfahrung aufgegeben. Der Schluß hieraus auf das Gegebensein 
der Reihe der Bedingungen und somit auf die Realität der Idee 
der absoluten Totalität des Regressus ist unzulässig; denn er 
würde voraussetzen, daß die Gegenstände der Sinne als Dinge 
an sich gegeben sind, was gegen den in der transzendentalen 
Ästhetik aus der Apriorität von Raum und Zeit geführten Beweis 
der Idealität der Sinnenwelt ist. 

Diesen Beweis der transzendentalen Ästhetik müssen wir 



^K. d.r.V., 8.271. « S. 270, 286, 841 f., 346 f. 

» Vgl § 82, letzte Anmerkung. * K. d. r. V., S. 405 ff. 

41* 



640 L. Nelson : Über das sogenannte Erkenntnisproblem. 

aber verwerfen; wir können nicht eine Vergleichung unserer Er- 
kenntnis mit dem Gregenstande anstellen, um etwas über dessen 
Realität oder Idealität auszumachen, sondern wir können nur 
durch Vergleichung unserer Erkenntnis mit unserem Begriff von 
einem Dinge an sich entscheiden, ob dieser Begriff auf unsere 
Erkenntnis Anwendung findet oder nicht. Diesen Begriff von 
einem Dinge an sich haben wir aber nur durch die Idee; wir 
haben also gar kein von der Idee unabhängiges Kriterium dafür, 
ob wir es in der Erfahrung mit Dingen an sich zu tun haben 
oder nicht, um nach Anwendung dieses Kriteriums — wie Kant 
will — erst die Anwendbarkeit der Idee auf unsere Erkenntnis 
zu entscheiden. Kant schließt so : Die Gegenstände der Erfahrung 
sind nur Erscheinungen; folglich ist die regressive Reihe der 
Bedingungen nicht gegeben,* sondern nur aufgegeben; es findet 
also keine Totalität des Regressus statt. Wir müssen aber viel- 
mehr umgekehrt schließen : In der Erfahrung findet keine Totalität 
des Regressus statt; also ist in der Erfahrung die regressive 
Reihe der Bedingungen nicht gegeben, sondern nur aufgegeben, 
und folglich hat es die Erfahrung nur mit Erscheinungen zu tun. 
106. Kant ist bei dieser negativen Kritik der Ideen nicht 
stehen geblieben. In seiner Lehre vom regulativen Gebrauch 
der Ideen versucht er, ihnen eine positive Bedeutung für die 
Erfahrungserkenntnis wiederzugeben. Aber das Verkennen des 
Unterschiedes der Reflexion von der unmittelbaren Erkenntnis 
hat ihn hier wieder zu einem eigentümlichen Fehler verleitet. 
Indem er nämUch die positive Grundlage der Ideen in der un- 
mittelbaren Erkenntnis, wie sie in der Tat der Möglichkeit der 
Naturwissenschaft zu Grunde liegt, mit den Ideen selbst ver- 
wechselte, wie sie lediglich der Reflexion angehören und zufolge 
ihres negativen Ursprungs aller Naturwissenschaft entgegengesetzt 



229] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 641 

sind, geriet er anf seine Darstellang der Ideen als regulativer 
Prinzipien der Naturwissenschaft Kant giebt hier dem „Grundsatz 
der reinen Vernunft" die Bedeutung einer „Regel, welche in der 
Reihe der Bedingungen gegebener Erscheinungen einen Regressus 
gebietet, dem es niemals erlaubt ist, bei einem schlechthin Unbe- 
dingten stehen zu bleiben".* Die Synthesis in der Reihe der 
Erscheinungen ist unvollendbar, und die Annahme, den Ideen der 
vollendeten Synthesis entspreche ein Objekt, entsteht für die 
spekulative Vernunft nur durch einen „transzendentalen Schein". 
Aber es ist die Aufgabe der Wissenschaft, so zu forschen, „oZä 06" 
die Synthesis in der Reihe der Erscheinungen vollendbar wäre, 
und unsere Naturerkenntnis der Vollständigkeit (in der Be- 
stimmung des Gegenstandes), die die Idee fordert, „so nahe wie 
möglich zu bringen".' — Der Grundsatz der reinen Vernunft 
erscheint schließlich bei Kant als eine logische Maxime, zu 
gegebenen Urteilen die Prämissen zu suchen und auf diese Weise 
systematische Vollständigkeit hinsichtlich der Prinzipien in der 
Wissenschaft anzustreben. 

Hierbei hat Kant offenbar die metaphysischen Prinzipien der 
synthetischen Einheit der unmittelbaren Erkenntnis mit den 
logischen Prinzipien der analytischen Einheit des Systems ver- 
wechselt. So vereinigt seine Lehre von den Ideen als Prinzipien 
der systematischen Einheit ganz Heterogenes und einander Wider- 
sprechendes. Die Regel, die gebietet, die empirische Synthesis 
der Vollständigkeit „so nahe wie möglich" zu bringen, fordert 
etwas Widersinniges, da die Form dieser empirischen Synthesis 
die Vollständigkeit geradezu ausschließt, so daß sich gar kein 
Abschluß der empirischen Synthesis denken läßt, dem man mehr 



* K d. r. V., S. 413. « Prolegomena, S. 116, 136. 



642 ^' Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblera. [230 

oder weniger nahe kommen könnte. Die Kegel aber, die gebietet, 
den Regressus über jede empirische Grenze hinaus fortzusetzen, 
entspringt gerade ans der XJnvoUendbarkeit der mathematischen 
Form der Erfahrung und ist also der Idee gerade entgegengesetzt. 
Die Metaphysik bedarf der Ideen, wie Kant selbst einmal 
bemerkt, „nicht zum Behufe der Naturwissenschaft, sondern um 
über die Natur hinauszukommen".* Für die unmittelbare Erkenntnis 
liegt allerdings der positive Grundgedanke der durchgängigen 
objektiven synthetischen Einheit der Möglichkeit seines beschränkten 
Gebrauchs in der Naturwissenschaft zu Grunde : die Beschränkung 
der Kategorie durch das mathematische Schema wäre nicht möglich 
ohne Voraussetzung der unbeschränkten Kategorie selbst. Für 
die Reflexion gilt aber gerade das umgekehrte Verhältnis: die 
Bildung der spekulativen Idee ist nur möglich durch den Gedanken 
der Negation der Schranken der wissenschaftlichen Erkenntnis. 
Vor der Reflexion muß deshalb die Wissenschaft der Möglichkeit 
der Idee schon zu Grunde liegen. Kant nun, der den der unmittel- 
baren Erkenntnis angehörigen Grund der metaphysischen Prinzi- 
pien gleichsam selbst in die Reflexion verlegte, mußte beides ver- 
mengen und erhielt so ideale Prinzipien an die Spitze der Natur- 
wissenschaft; eine logische Teleologie mußte sich in sein System 
einschleichen. Zu dem ursprünglichen Grund und der von aller 
Reflexion unabhängigen Selbständigkeit der idealen Überzeugungs- 
weise konnte er sich nicht hindurchfinden. Dadurch aber verfehlte 
er zugleich den Mittelpunkt der ganzen Kritik der Vernunft 
Seine Lehre führte so nur auf einen kritisch unauflösbaren Zwie- 
spalt; es steht bei ihm der Anspruch der spekulativen Vernunft 
an naturgesetzliche Bedingtheit dem der praktischen Vernunft an 



1 E. d. r. y., S. 290, Amnerkong. 



231] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 643 

Freiheit gegenüber, ein Zwiespalt, den er nnr dogmatisch, durch 
den Machtspmch vom Primat der praktischen Vernunft, entscheiden 
kann. 



XXIV. 

Die möglichen Fortbildangen der Eantischen Philosophie. 

107. Überblicken wir die dargelegten Mängel der Kantischen 
Kritik, so finden wir, daß es eigentlich drei Fehler sind, die einer 
Verbesserung bedürfen: erstens, logisch j die mangelhafte Durch- 
bildung der Methode, zweitens, psychologisch, die falsche Beurteilung 
der Reflexion, und drittens, metaphysisch, die fehlerhafte Begrün- 
dung des transzendentalen Idealismus und die damit zusammen- 
hängenden Fehler der Ideenlehre. Der erste Fehler beruht auf 
der ungenügenden Durchführung der Trennung des kritischen vom 
systematischen Gesichtspunkt, der zweite auf der dogmatischen 
Disjunktion der Erkenntnisquellen, der dritte auf dem Vorurteil 
des formalen Idealismus. Eine richtige Fortbildung der Kantischen 
Philosophie hat daher zur Aufgabe erstens die strenge Durchführung 
der kritischen Methode im Sinne der subjektiven oder psycholo- 
gischen Deduktion, zweitens, für diese Deduktion selbst, eine 
befriedigendere Auflosung des Humeschen Problems durch eine 
erfahrungsmäßig begründete Theorie der Vernunft, und drittens 
die Beseitigung des formalen Idealismus und seine Ersetzung durch 
die Lehre von der nur schrankenverneinenden Bedeutung der 
Ideen.^ 



^ In der Tat betraf der Anstoß, den schon anter Kants Zeitgenossen die 
Tieferblickenden an seinem Phüosopheme nahmen, gerade die hier gekennzeich- 



644 L* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [232 

Die angefahrten Fehler lassen sich, wie ans unserer Zer- 
gliederung der Yoranssetzongen der Elantischen Spekulation hervor- 
geht, zuletzt alle auf den einen zurückführen, daß Kant die 
Reflexion nicht von der unmittelbaren Erkenntnis zu unterscheiden 
wußte. Und doch führt gerade der Verfolg seiner eigenen Ent- 
deckung, der Entdeckung der synthetischen Urteile a priori aus 
reinen Begriffen, notwendig auf diese Unterscheidung. Vor dieser 
Entdeckung konnte man mit Recht meinen, mit der Disjunktion 
der Erkenntnisquellen in Anschauung und Reflexion auszukommen. 
Ist aber einmal die Möglichkeit synthetischer Urteile a priori aus 
reinen Begriffen festgestellt, so führt die Frage nach dem Grunde 
dieser Möglichkeit von selbst auf die Annahme einer weder der 
Reflexion noch der Anschauung gehörenden Erkenntnisart, d. h. 
auf die Annahme einer unmittelbaren Erkenntnis der reinen Ver- 
nunft. 

108. Dieser Schluß auf die Existenz einer nicht-anschaulichen 
unmittelbaren Erkenntnis ruht, genau betrachtet, auf drei von 
einander unabhängigen Voraussetzungen. Diese Voraussetzungen, 
deren jede eine psychologische Tatsache ausspricht, lassen sich 
kurz in folgender "Weise formulieren: 

1) "Wir sind im Besitz metaphysischer Urteile. 



neten Momente. Wir haben schon (§ 92 und 98 Anmerkung) auf die Verdienste 
Maimons und Becks hingewiesen, yon denen der erste die Unzulänglichkeit der 
Methode des transzendentalen Beweises klar erkannte und auf diese Erkenntnis 
seine Fortbildungsbestrebungen gründete, während der zweite die Eantische Theorie 
der Synthesis durch die Lehre Tom „ursprünglichen Vorstellen^ zu ergänzen 
suchte und damit in der Tat den Punkt traf, hinsichtlich dessen die Kritik einer 
psychologischen Fortbildung bedurfte. Was das dritte, metaphysische Moment 
betrifft, so war es Jacobi, der zuerst die Unhaltbarkeit des formalen Idealismus 
durchschaute. Wir werden auf die Argumentation Jacobis noch ausführlich ein- 
zugehen haben. 



233] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 646 

2) Die reflektierte Erkenntnis ist mittelbar. (Die Reflexion 
enthält nicht den Grund synthetischer Urteile.) 

3) Das Bewußtsein um die metaphysische Erkenntnis ist nur 
durch Reflexion möglich. (Wir besitzen keine intellektuelle 
Anschauung.) 

Aus Satz (2) folgt, daß die Reflexion nicht den Grund der 
metaphysischen Urteile enthalten kann. Aus Satz (3) folgt, daß 
die in den metaphysischen Urteilen ausgesprochene Erkenntnis 
keine Anschauung sein kann. Steht also, nach Satz (1), die Tat- 
sache metaphysischer Urteile fest, so folgt, daß dieselben ihren 
Grund nur in einer weder reflektierten noch anschaulichen Er- 
kenntnis haben können. Es folgt also der Satz 

4) Der Ghnmd der metaphysischen Urteile liegt in einer nicht- 
anschaulichen unmittelbaren Erkenntnis. 

Die Sätze (1), (2) und (3) sind von Kaitt bestimmt anerkannt 
worden. Dies ergiebt sich für (1) aus seiner Lehre von den Grund- 
sätzen der reinen Naturwissenschaft^, für (2) aus seinem Beweise 
der Unmöglichkeit eines logischen Kriteriums materialer Wahrheit ^ 
für (3) aber aus seiner ausdrücklichen Leugnung einer intellek- 
tuellen Anschauung.' Wenn Kant dennoch bei der Disjunktion, 
alle Erkenntnis sei entweder Anschauung oder Urteil, stehen 



^ „Wir sind wirklich im Besitz synthetischer Erkenntnis a priori, wie dieses 
die Yerstandesgrondsätze, welche die Erfahrung antizipieren, darton.^ (K. d. r. Y., 
S. 581.) 

* K. d. r. V., S. 81 f.; Logik, Einleitung Vn. Vgl. auch die Streitschrift 
gegen Eberuabd („Üher eine Entdeckung^ u. s. w.) S. 108: „Die Aufgabe wird 
nie aafgelöset, wenn man die Bedingungen der Erkenntnis, wie die Logik tat, bloß 
von Seiten des Verstandes in Anschlag bringt.^ Und E. d. r. V., S. 266 . „Synthe- 
tische Erkenntnisse aus Begriffen kann der Verstand also gar nicht yerschaffen.^ 

3 Man sehe z.B. E. d. r. V., S. 661, 663 f.; 685 f.; die Streitschrift gegen 
Ebebhakd, S. 54 („Alle unsere Anschauung ist sinnlich^); die Preisschrift über 
die Fortschritte der Metaphysik seit Leibniz, S. 28 f. 



646 L. Nelson: Ober das sogenannte I^rkenntnisproblem. [234 

geblieben ist, so hat dies, wie wir gesehen haben, seinen Grand 
lediglich darin, daß er nicht streng genng an dem Satze (2) fest- 
gehalten hat. Neben den faktischen Voraussetzungen (1) bis (3) 
steht also bei Eant die dogmatische Voraussetzung: 

4 a) Alle Erkenntnis ist entweder Anschauung oder Urteil.' 
Von den Sätzen (1), (2), (3), (4 a) führen je drei auf eine Kon- 
sequenz, die mit «dem jeweils vierten in Widerspruch steht, wie 
dies durch das folgende Schema veranschaulicht wird. Der Versuch, 
das historisch vorliegende Kantische Lehrgebäude von seinen 
inneren "Widersprüchen zu befreien und aus seinen eigenen Voraus- 
setzungen heraus weiter zu entwickeln, ist daher nur unter Ver- 
zicht auf irgend einen dieser vier Sätze möglich. 

109. Will man also an der dogmatischen Disjunktion (4 a) 
festhalten, so ist es notwendig, eine der drei faktischen Voraus- 
setzungen aufzugeben. Man muß also entweder Kants eigentliche 
Entdeckung (1) preisgeben und zu dem, vorkantischen Empirismus 
zurückkehren. Oder aber man sucht den Empirismus zu vermeiden 
und hat dann die Wahl, einen der Sätze (2) oder (3) fallen zu 
lassen : d. h. man muß entweder den Versuch des logiscJien Dog- 



^ Man yergleiche die in § 77 zitierte SteUe: „Unsere Erkenntnis entspringt 
ans zwei Grundquellen des Gemüts^ a. s. w. Und noch deutlicher K. d. r. Y. 
S. 88 : „Es giebt aber, außer der Anschauung, keine andere Art zu erkennen, als 
durch Begriffe^ und: „Da keine Vorstellung unmittelbar auf den Gegenstand geht, 
als bloß die Anschauung«. Vgl. auch K. d. r. V., 8. 261 : „Weil wir nun außer 
diesen beiden Erkenntnisquellen [Sinn und Verstand] keine andere haben''. Ebenso 
in der Preisschrift über die Fortschritte der Metaphysik seit Leibniz S. 81: 
„Weil es schlechterdings unmöglich ist, sein Erkenntnis über den gegebenen Begriff 
zu erweitem, ohne irgend eine Anschauung unterzulegen.« Und in der Streitschrift 
gegen Eberhard S. 106: „Das Prinzip synthetischer Urteile überhaupt, welches 
notwendig aus ihrer Definition folgt, . . . nämlich : Daß sie nicht anders möglich 
sind, als unter der Bedingung äner dem Begriffe ihres Subjekts untergelegten 
Anschauung.*^ 



235] 



Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 



647 



matistnus^ ans bloßer Logik Metaphysik zu machen, erneuern oder 
aber mit dem Mystizismus den Besitz intellektueller Anschauung 
behaupten. 

Will man sich jedoch mit den Tatsachen (1), (2), (3) nicht in 
Widerspruch setzen, so ist es notwendig, die dogmatische Dis- 
jimktion (4a) aufzugeben; d. h. man ist gezwungen, die Existenz 
einer nicht-anschaulichen unmittelbaren Erkenntnis als konstitutiven 
Prinzips der Metaphysik anzuerkennen. — Es leuchtet ein, daß 
das Schicksal der Kritik der Vernunft an diese vierte Möglichkeit 
gebunden ist. 




648 L« Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [236 

Hiermit haben wir die logisch möglichen nnd damit zugleich 
auch die historisch aofgetretenen Fortbildongsversnche der Kant- 
ischen Philosophie abgeleitet. Es ist bekannt, daß der erste, 
empiristische von Gt. E. Schulze, Beneee nnd ihren Nachfolgern, 
der zweite logizistische, in seiner reinsten Form von Heoel, der 
dritte, mystische, von Schellino, nnd endlich der vierte, kritische, 
von Fbies nnd seinen Schülern ausgebildet worden ist. 



XXV. 
Das Missverständnis Jacobis. 

110. Es war natürlich, daß der erste Anstoß zn einer Um- 
bildong der Eantischen Philosophie von einer Ej*itik desjenigen 
Bestandteils derselben ausging, der sowohl in der litterarischen 
Erscheinungsform dieser Philosophie am augenfälligsten zur G-el- 
tung kam als auch der Weltansicht des Philosophen ihr charakte- 
ristisches Grepräge aufgedrückt hatte und daher am unmittel- 
barsten die Aufmerksamkeit der Zeitgenossen auf sich ziehen mußte. 

Das Verdienst, die Unzulänglichkeit des formalen Idealismus 
zuerst erkannt zu haben, gebührt Friedrich Heinrich Jagobi. In 
seiner Abhandlung „Über den transzendentalen Idealismus ^^ setzt 
Jacobi an der Hand einer vergleichenden Erörterung verschiedener 
Stellen aus der Kritik der reinen Vernunft mit unübertrefflicher 
Klarheit auseinander, daß es dem „Geiste des Kantischen Systems 
zuwider' sei, Dinge an sich als Ursachen unserer Empfindungen 



1 Beilage zu der Schrift „David Hume über den Glauben, oder Idealismus 
und Realismus", 1787. 



237] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 649 

voranszusetzen. „Ich frage :^, sagt er, ^wie ist es möglich, die 
Voraussetzung von G-egenständen, welche Eindrücke auf unsere 
Sinne machen, und auf diese Weise Vorstellungen erregen, mit 
einem Lehrbegriffe zu vereinigen, der alle Gründe, worauf diese 
Voraussetzung sich stützt, zu nichte machen will?"* Das Gewicht 
dieser Frage ist von den meisten Kantianern damaL'ger und gegen- 
wärtiger Zeit unterschätzt worden. Man hat gewöhnlich geant- 
wortet : Wenn Kant von den Eindrücken der Dinge auf das Gemüt 
spreche, so sei dies lediglich eine an die populäre Auffassungs- 
weise anknüpfende Ausdrucksweise, die für den philosophischen 
Gehalt seiner Lehre belanglos bleibe; übrigens seien diese Dinge 
nicht die „Dinge an sich", denn auf diese sei die Kategorie der 
Kausalität allerdings nicht anwendbar, sondern die Gegenstände 
der physischen Natur, die, im Zusammenhange der Erfahrung 
beurteilt, allerdings als Ursachen unserer Empfindungen zu be- 
trachten seien.' Wie sehr diese Antwort das Triftige des Jacobischen 
Einwandes verfehlt, ist aus den Erörterungen unseres XV. Kapitels 
ersichtlich. Wie haben dort gezeigt, daß die Annahme einer 
kausalen Beziehung der Dinge an sich zu unseren Vorstellungen 
eine integrierende Voraussetzung der Kantischen Beweisführung 
bildet, so daß ohne die buchstäbliche Geltung dieser Voraussetzung 
dem formalen Idealismus eine wesentliche Prämisse fehlen würde. 
Jacobi behält also recht mit seiner Behauptung, der von ihm 
aufgedeckte Widerspruch sei für den ICantischen Philosophen un- 



» Werke, Band II (1815), S. 307. 

' So schon J. Schultz: „Prüfaog der Kantischen Kritik der reinen Ver* 
nunft" (2. Teil, 1792, S. 288), S. Maimon: „Versuch über die Transzendental- 
philosophie^ (1790, S. 419), „Versuch einer neuen Logik oder Theorie des 
Denkens'' (1794, S. 346 f., 354 f., 877) und S. Beck (im Brief an Kant Tom 
20. Juni 1797; Kants Schriften, Akademie- Ausgabe, Bd. XU, S. 164). Ähnlich 
auch Afelt: „Ernst Reinhold und die Kantische Philosophie*^ (1840, S. 16)» 



650 ^' Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [238 

venneidlich, weil man j^ohne jene Voranssetzung in das System 
nicht hineinkommen, und mit jener Voraussetzung darin nicht 
bleiben" könne^ ; — er behält recht mit dieser Behauptung, voraus* 
gesetzt f daß man mit ihm als den eigentlichen „ Geist ^ des Kantischen 
„Systems" den formalen Idealismus betrachtet. Gerade an dieser 
stillschweigenden Voraussetzung Jacobis haben die Anhänger Kants 
fast ohne Ausnahme festgehalten. 

111. Was bleibt also übrig, wenn man an dem formalen 
Idealismus festhalten will? Es bleibt nichts übrig, als diese Lehre 
von der Kantischen Begründung unabhängig aufzustellen, d. h. sie 
nicht mit Kant als einen Lehrsatz der Kritik zu betrachten, 
sondern als selbständigen Ausgangspunkt, als Axiofn, dem ganzen 
Lehrgebäude jsu Grunde zu legen. Läßt man aber die jener Be- 
gründung wesentliche Voraussetzung der Dinge an sich als Ursachen 
der Empfindung fallen, so fällt zugleich die Voranssetzung jeg- 
licher Beziehung unserer Erkenntnis auf Dinge an sich. Eine 
solche Beziehung darf nicht einmal mehr problematisch angenommen 
werden, will man nicht mit dem zu Grunde gelegten Satze in 
Widerspruch geraten. Der Idealismus hört damit auf, ein ledig- 
lich formaler zu sein; er muß sich auch auf die gesamte Materie 
der Erkenntnis erstrecken. Auf diese Konsequenz hat Jacobi 
bereits aufmerksam gemacht: ;,Der transzendentale Idealist muß 
also den Mut haben, den kräftigsten Idealismus, der je gelehrt 
worden ist, zu behaupten."* 

112. Worin die wirkliche Schwäche der Jacobischen Argu- 



» S. 304. 

^ S. 810. — Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, daß Jacobi selbst mit 
der Hinweisung auf diese Konsequenz nur eine argumentatio ad hominem gegen 
den Eantischen Idealismus beabsichtigte, und nicht etwa eine Aufforderung, diese 
Konsequenz wirklich durchzuführen. 



239] Dritter Teil : Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 661 

mentation liegt, kann nach unseren früheren Darlegungen nicht 
zweifelhaft sein. Sie liegt in Jacobis Ansicht von dem, was er 
als den eigentlichen „Geist" der Kantischen Philosophie bezeichnet. 
Dieser ,,6eist" einer Philosophie liegt niemals in einem einzelnen, 
wenn auch noch so wichtigen und für die Weltansicht entschei- 
denden Eesultate, sondern zunächst ausschließlich in der metho- 
dischen Grundansicht, die der Einzelne von der Aufgabe des 
Philosophierens überhaupt hat und die ihn bei diesem Philosophieren 
leitet. Und mehr als bei irgend einem anderen Philosophen gilt 
dies bei Kant. Der leitende Grundgedanke und der wahre „Geist" 
der Kantischen Kritik ist die von Kant erfundene Methode des 
Philosophierens. Jacobi aber sucht diesen „Geist" in einem ein- 
zelnen — rücksichtlich der Methode zufalligen — Resultat des 
Kantischen Philosophierens. Und indem er die Konsequenzen aus 
diesem Resultate entwickelt, gelangt er zu einer Wendung, die 
dem wahren Geiste der Kritik der reinen Vernunft ganz zuwider 
ist. Diese Wendung kommt, wir wir sahen, auf die Forderung 
zurück, von einem bestimmten Satze axiomatisch auszugehen, auf 
eine Forderung also, die der Eßtischen Forderung des kritischen 
Verfahrens gerade entgegengesetzt ist. 

113. Indessen liegt hier noch ein besonderer Grund vor, der 
schon viele verleitet hat, den von Jacobi beschriebenen Weg zu 
betreten, und der wohl auch für Jacobi selbst der Anlaß seines 
Mißverständnisses geword^a ist. Der Kritizismus der Kantischen 
Methode schließt nämlich die Forderung ein, die Wahrheit der zu 
begründenden] Erkenntnisse niemals in ihrem Verhältnisse zum 
Gegenstande zu suchen-, er fordert eine durchaus subjektive Be- 
gründung, in dem Sinne, daß die Kritik sich auf eine Vergleichung 
der Erkenntnisse untereinander zu beschränken habe. Diese aus- 
schließliche Subjektivität des der Kritik eigentümlichen Stand- 



652 L* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [240 

pnnktes der Benrteflasg verleitet nmi leicht zu der Meinmig, als 
sei der Idealismas der Eantischen Weltansicht nicht ein rfick- 
sichtlich der Eantischen Methode zufälliges Ergebnis ihrer An- 
wendung, sondern eine bereits in der Forderung der kritischen 
Methode eingeschlossene Yoranssetzang. Man verwechselt die 
methodische Forderung, den Grrund der Wahrheit einer Erkennt- 
nis nicht in der Bealität ihres Gegenstandes zu suchen, mit dem 
idealistischen Satze, daß den Gregenständen die von der Erkennt- 
nis unabhängige Bealität abzusprechen seL Und so muß auf 
Grrund dieser Verwechslung von Methode und Weltansicht die 
Annahme von Dingen an sich von vornherein mit der Befolgung 
eines kritischen Verfahrens unvereinbar erscheinen. Aus dieser 
Verwechslung erklären sich im letzten Grunde alle die Angriffe, 
die — auch xmabhängig von den Einwendungen Jacobis — wieder 
und wieder gegen den Eantischen Begriff des Dinges an sich 
gerichtet worden sind und die insgesamt darauf hinauslaufen, die 
Zulassung dieses Begriffs als eine Inkonsequenz und einen Abfall 
von dem wahren Geiste der Eritik darzustellen. 

Wer sich einmal von der diesen Angriffen zu Grunde liegenden 
Verwechslung von Methode und Weltansicht befreit hat, wird 
leicht einsehen, daß die beliebte Bestreitung der Dinge an sich 
so weit entfernt ist, eine Eonsequenz des kritischen Verfahrens 
zu bedeuten, daß sie vielmehr umgekehrt mit ihrer axiomatischen 
Postulierung einer idealistischen Weltansicht nur auf die Prokla- 
mierung des offenbarsten Dogmatismus hinausläuft. Wenn dieser 
den Namen des Eritizismus usurpierende Idealismus vor irgend 
einem sonstigen Dogma etwas vorauszuhaben scheint, so hat dieser 
Anschein schlechterdings keine andere Ursache als die von uns 
dargelegte Verwechslung. 

114. Wenngleich also Jacobi einen von Eam« begangenen Wider- 



241] Dritter Teil: Die Geschiclite der Erkenntnistheorie. 663 

sprach richtig erkannt hat, so hat er doch den Ursprung dieses 
Widerspruchs an einer falschen Stelle gesucht. Der eigentliche 
Grund des Kantischen Fehlers liegt, wie wir im XV. Kapitel 
gezeigt haben, darin, daß Kant sein kritisches Verfahren mit einer 
falschen erkenntnistheoretischen Problemstellung bemengt hat und 
dadurch auf das Vorurteil des formalen Idealismus geführt worden 
ist. Wollen wir also den Kantischen Fehler beseitigen, so dürfen 
wir nicht nach Jacobis Forderung den formalen Idealismus in seine 
Konsequenzen verfolgen, sondern wir müssen vielmehr diesen 
formalen Idealismus selbst verwerfen. Zu dieser Verbesserung 
hat uns Kant selbst das Mittel an die Hand gegeben : wir brauchen 
nur seine kritische Methode rein anzuwenden, um zu erkennen, 
daß einerseits nicht die Annahme der Dinge 'an sich den Wider- 
spruch erzeugt, sondern vielmehr die Annahme des verschieden- 
artigen kausalen Verhältnisses der Dinge an sich zur Form und 
zur Materie unserer Erkenntnis, und daß andererseits die Ver- 
werfung dieser Annahme durchaus nicht die Aufhebung der Lehre 
des transzendentalen Idealismus, sondern nur die Aufhebung eines 
falschen Begründungsmittels dieser Lehre zur Folge hat. 



XXVL 

Das Beixiholdsche Missverst&ndiiis. 

115. Ich wende mich nun zu einer Betrachtung derjenigen 
Schrift, die neben der eben besprochenen Jacobischen mehr als 
irgend eine andere die Gestaltung der nachkantischen Philosophie 
entscheidend beeinflußt hat. Es ist dies die Schrift Karl Leonhabd 
Beinholds „Über das Fundament des philosophischen Wissens^ 

Abluuidliing«B dtr FriM*fc]i«n Schule. IL Bd. 42 



666 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [244 

solcJie keine Erklärung zuläßt, durch sich selbst einleuchtet, und 
eben in dieser Eigenschaft geschickt ist, das letete angebliche 
Fundament alles Erklärens abzugeben."^ — Vermöge dieses Fun- 
damentes soll es denn auch möglich werden, „die Übereinstimmung 
der Vorstellungen mit den realen Objekten" streng zu beweisen. 
Der in der Kantischen Kritik versuchte „Beweis der objektiven 
Wahrheit^ bedarf nämlich der Ergänzung, da er von dem Prinzip 
der Möglichkeit der Erfahrung ausgeht, dieses Prinzip aber 
seinerseits einer Zurückführung auf höhere Prinzipien bedarf. 
So ist die ;, Wissenschaft des Vorstellungsvermögens" nicht allein 
„die wissenschaftliche Quelle der Prinzipien für alle Teile der 
abgeleiteten Philosophie", der reinen und angewandten, der speku- 
lativen und praktischen, der formalen und der materialen,* sondern 
es erscheinen unter ihren streng erwiesenen Lehr- und Folgesätzen 
auch „die Kantischen Begriffe von der Erfahrung und ihrer Mög- 
lichkeit und dem syntlietischen Urteile a priori^, „und die Grund- 
Sätze der Kritik werden zu wissenschaftlichen Folgesätzen der 
Elementarphilosophie".' — 

117. Die Fehler in der hier skizzierten Idee der „Elementar- 
philosophie" treten bei der Klarheit der Reinholdschen Darstellung 
deutlich zu Tage. Ein solcher Fehler ist zunächst die Forderung 
eines gemeinschaftlichen Grundsatzes der Logik und der Meta- 
physik. Ein solcher Grundsatz müßte entweder analytisch oder 
synthetisch sein. Analytisch kann er nicht sein; denn aus einem 
analytischen Urteile lassen sich keine synthetischen ableiten und 



* S. 78. — Man vgl auch Reinholds „Versuch einer neuen Theorie des 
menschlichen Vorstellungsvermögens*', S. 258 : „Nachdem ich meinen Satz aus der 
in der Theorie des Vorstellungsvermögens einzig gültigen Prämisse, nämlich dem 
Beumßtaein^ erwiesen habe. . . ." 

« S. 117 f. • S. 136. 



246] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 657 

folglich aach nicht die Grnmdsätze der Metaphysik. Er kann 
aber auch nicht synthetisch sein; denn jeder Folgesatz, unter 
dessen Prämissen auch nur ein synthetisches Urteil vorkommt, ist 
selbst synthetisch; die Gmndsätze der Logik sollen aber analy- 
tische sein. Es kann also Iceinen gemeinschaßlichen GrundsaU der 
Logik und der Metaphysik gAen. 

Aüch ist die Forderung eines einzigen Grrundsatzes der Philo- 
sophie schon aus dem einfachen Grunde nichtig, daß jeder SchluB 
zwei Prämissen erfordert, aus einem einzigen Q-rundsatze sich also 
gar nichts ableiten, geschweige denn eine ganze Wissenschaft ent- 
wickeln läßt. 

118. Es giebt aber nicht nur keinen gemeinschaftlichen Grund- 
satz der Metaphysik und der Logik, sondern es ist überhaupt 
keine Zurückführung der Grundsätze der Metaphysik auf logisch 
höhere Prinzipien möglich. Freilich kommt es vor, daß ein Satz, 
der in einer bestimmten Wissenschaft ein Grundsatz ist, im 
Gebiete einer anderen Wissenschaft bewiesen werden kann. Aber 
bei den Grundsätzen der Metaphysik findet diese Möglichkeit 
nicht statt. Denn von welcher Art sollten die Prämissen sein, 
aus denen ein Beweis metaphysischer Grundsätze geführt werden 
könnte? Diese Prämissen wären entweder analytische oder 
synthetische Urteile. Analytisch können sie nicht sein; denn aus 
analytischen Urteilen folgen nur wieder analytische, die Grund- 
sätze der Metaphysik sollen aber synthetische Urteile sein. Die 
fraglichen Prämissen müßten also (wenigstens zum Teil) selbst 
synthetische Urteile sein. Als solche wären sie entweder rational 
oder empirisch. Rational können sie nicht sein; denn unter den 
rationalen synthetischen Urteilen sind die metaphysischen Grund- 
sätze selbst die allgemeinsten. Empirisch können die Prämissen 
aber auch nicht sein; denn kein Folgesatz aus empirischen 



666 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [244 

solclie keine Erklämng zuläßt, dnreh sich selbst einleuchtet, und 
eben in dieser Eigenschaft geschickt ist, das Utete angebliche 
Fundament alles Erklärens abzngeben."* — Vermöge dieses Fon- 
damentes soll es denn auch möglich werden, „die Übereinstimmung 
der Vorstellungen mit den realen Objekten" streng zu beweisen. 
Der in der Eantischen Kritik versuchte „Beweis der objektiven 
Wahrheit^ bedarf nämlich der Ergänzung, da er von dem Prinzip 
der Möglichkeit der Erfahrung ausgeht, dieses Prinzip aber 
seinerseits einer Zurückführong auf höhere Prinzipien bedarf. 
So ist die ;, Wissenschaft des Vorstellungsvermögens" nicht allein 
„die wissenschaftliche Quelle der Prinzipien für alle Teile der 
abgeleiteten Philosophie", der reinen und angewandten, der speku- 
lativen und praktischen, der formalen und der materialen,* sondern 
es erscheinen unter ihren streng erwiesenen Lehr- und Folgesätzen 
auch „die Eantischen Begriffe von der Erfahrung und ihrer Mög- 
lichkeit und dem synthetischen Urteile a priori^, „und die Grund- 
sätze der Kritik werden zu wissenschaftlichen Folgesätzen der 
Elementarphilosophie".' — 

117. Die Fehler in der hier skizzierten Idee der „Elementar- 
philosophie" treten bei der Klarheit der Reinholdachen Darstellung 
deutlich zu Tage. Ein solcher Fehler ist zunächst die Forderung 
eines gemeinschaftlichen Grundsatzes der Logik und der Meta- 
physik. Ein solcher Grundsatz müßte entweder analytisch oder 
synthetisch sein. Analytisch kann er nicht sein; denn aus einem 
analytischen Urteile lassen sich keine synthetischen ableiten und 



^ S. 78. ^ Man vgl. auch Reinholds j^Yersuch einer neuen Theorie des 
menschlichen Vorstellongsvermögens*', S. 258 : „Nachdem ich meinen Satz aas der 
in der Theorie des Vorstellungsvermögens einzig gültigen Prämisse, nämlich dem 
Bewvßtsein, erwiesen habe. . . ." 

« S. 117 f. • S. 136. 



246] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 657 

folglich auch nicht die Grundsätze der Metaphysik. Er kann 
aber auch nicht synthetisch sein; denn jeder Folgesatz, anter 
dessen Prämissen auch nur ein synthetisches urteil vorkommt, ist 
selbst synthetisch; die Grundsätze der Logik sollen aber analy- 
tische sein. Es kann also keinen gemeinschaftlichen Grundsatz der 
Logik und der Metaphysik gAen. 

Auch ist die Forderung eines einzigen Grundsatzes der Philo- 
sophie schon aus dem einfachen Grunde nichtig, daß jeder SchluB 
zwei Prämissen erfordert, aas einem einzigen Grundsatze sich also 
gar nichts ableiten, geschweige denn eine ganze Wissenschaft ent- 
wickeln läßt. 

118. Es giebt aber nicht nur keinen gemeinschaftlichen Grund- 
satz der Metaphysik und der Logik, sondern es ist überhaupt 
keine Zurückfiihrung der Grandsätze der Metaphysik auf logisch 
höhere Prinzipien möglich. Freilich kommt es vor, daß ein Satz, 
der in einer bestimmten Wissenschaft ein Grundsatz ist, im 
Gebiete einer anderen Wissenschaft bewiesen werden kann. Aber 
bei den Grundsätzen der Metaphysik findet diese Möglichkeit 
nicht statt. Denn von welcher Art sollten die Prämissen sein, 
aus denen ein Beweis metaphysischer Grundsätze geführt werden 
könnte? Diese Prämissen wären entweder analytische oder 
synthetische Urteile. Analytisch können sie nicht sein; denn aas 
analytischen Urteilen folgen nur wieder analytische, die Grund- 
sätze der Metaphysik sollen aber synthetische Urteile sein. Die 
fraglichen Prämissen müßten also (wenigstens zum Teil) selbst 
synthetische Urteile sein. Als solche wären sie entweder rational 
oder empirisch. Rational können sie nicht sein; denn unter den 
rationalen synthetischen Urteilen sind die metaphysischen Grund- 
sätze selbst die allgemeinsten. Empirisch können die Prämissen 
aber auch nicht sein; denn kein Folgesatz aus empirischen 



658 L. Nelson: Über das sogenannte Erkonntnisproblem. [246 

Prämissen kann ein rationales Urteil sein. Die Grundsätze der 
Metaphysik sind also auch in keiner anderen WissenscJiafl beweisbar.^ 
119. Wie ist nun aber Reinhoij) auf die widersprechende 
Forderung seiner „Elementarphilosophie" gekommen? Der Grmnd 
hierzu liegt in seinem Mißverständnis dessen, was er das „analy- 
tische" Verfahren der Kritik nennt. Allerdings gehört es zur 
Aufgabe der Kritik, durch eine logische Zergliederung die höchsten 
und allgemeinsten Voraussetzungen aller philosophischen Sätze 
aufzufinden, derart, daß nach dieser Auffindung das System der 
Philosophie nach progressiver Methode, d. h. vom Allgemeinsten 
zum Besonderen fortschreitend, aufgestellt werden kann. Versteht 
man daher unter dem Ausdruck „Fundament der Philosophie^ den 
Inbegriff derjenigen Grundsätze, die die allgemeinsten Voraus- 
setzungen bilden, von denen alle übrigen philosophischen Sätze 
logisch abhängen, so kann man mit Recht sagen, die Kritik habe 
auf analytischem Wege zu dem Fundamente der Philosophie auf- 
zusteigen. Der Ausdruck ;,Fundament der Philosophie" hat aber 
noch eine andere Bedeutung, die auch bei Rkinhold eine Rolle 
spielt, von ihm aber mit der eben angegebenen verwechselt worden 
ist. Der Ausdruck bedeutet nämlich nicht nur den Inbegriff der 
höchsten logischen Voraussetzungen philosophischer Urteile, — 



^ Es mag immerhin, wie Reinhold annahm, möglich sein, diejenigen Sätze, 
die Kant als Grundsätze der Metaphysik aufgestellt hat, aus höheren Prinzipien 
abzuleiten. Gelänge dies, so wäre jedoch nicht ein Beweis der metaphysischen 
Grundsätze geliefert, sondern es hätte sich nur gezeigt, daß die bewiesenen Sätze 
fälschlich für metaphysische Grundsätze gehalten worden sind. 

Man erkennt übrigens leicht, daß die dargestellten methodischen Fehler und 
Rückschritte bei Reinhold nur auf Grund eines völligen Nichtverstehens des 
Unterschieds der analytischen und synthetischen Urteile möglich waren. Vergleicht 
man die yon Reinhold in seiner „Theorie des Vorstellungsyermögens" (S. 439 f.) 
gegebene Darstellung dieses Unterschieds, so zeigt sich in der Tat, daß er das 
synthetische Urteil mit der synthetischen Begriffsbildung yerwechselt. 



247] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 659 

welche Yoranssetzangen nichts anders sind als die philosophischen 
Grundarteile selbst, — sondern auch den G-rund der Gewißheit philo- 
sophischer Urteile überhaupt. Dieser Grund der Gewißheit philo- 
sophischer Urteile überhaupt kann natürlich nicht selbst in philo- 
sophischen Urteilen bestehen, er muß vielmehr den allgemeinsten 
philosophischen Urteilen schon zu Grunde liegen. Nach § 118 
kann er auch nicht unter den Urteilen einer anderen Wissenschaft 
zu suchen sein. Er muß daher der unmittelbaren Erkenntnis 
angehören. Nach dem so verstandenen ;,Fundament" des philo- 
sophischen Wissens kann deshalb bei der Aufgabe des vorhin 
betrachteten logischen Regressus der Kritik gar nicht die Frage 
sein. Denn dieser Regressus ist mit der Auffindung der allgemeinsten 
philosophischen Urteile abgeschlossen, und erst wenn nach dem 
Grunde der Gewißheit dieser letzteren gefragt wird, kommt das 
„Fundament^ in der zweiten, eben erklärten Bedeutung des Wortes 
in Betracht. In der logischen Bedeutung des Wortes gehört das 
Fundament der Metaphysik selbst zum System der Metaphysik, 
und ebenso das Fundament der Logik zum System der Logik. In 
der anderen Bedeutung aber, in der man es passend zur Unter- 
scheidung von dem logischen Fundament das konstitutive nennen 
kann, gehört das Fundament der Metaphysik nicht selbst zum 
System der Metaphysik, das der Logik nicht selbst zum System 
der Logik. Denn das ;,Fundament" einer Wissenschaft liegt 
in dieser Bedeutung des Wortes überhaupt in keiner Wissenschaft, 
sondern jederzeit nur in der unmittelbaren Erkenntnis. Und nur 
in dieser Bedeutung des Wortes ist die Frage nach einem Fundamente 
metaphysischer Grundsätze statthaft; denn der Begriff eines 
logischen Fundaments metaphysischer Grundsätze schließt (nach 
§ 118) einen Widerspruch ein. 

In der Tat ist die Frage nach dem konstitutiven Fundament 



660 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [248 

des philosophischen Wissens das eigentliche Problem der Kritik 
der Vernunft; sie ist nichts anderes als die Elantische Frage 
nach dem Grunde der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori. 
Aber es ist wohl zu beachten, daß tcedcr das logische noch das 
konstitutive Fundament der Metaphysik in der Kritik liegt. Das 
logische gehört, wir wir gesehen haben, dem System der Meta- 
physik selbst an, das konstitutive aber liegt in gar keiner Wissen- 
schaft, sondern gehört der unmittelbaren Erkenntnis an. 

120. Dieser Unterschied des logischen und des konstitutiven 
Fundaments ist von Reinhotj) übersehen worden, und dieses Über- 
sehen ist der wesentliche Grund aller der fehlerhaften Problem- 
stellungen, die sein Begriif der Elementarphilosophie in sich ver- 
einigt. Die erste und wichtigste Folge dieses Fehlers ist das Ver- 
kennen der Ungleichartigkeit des Verhältnisses, in dem die beiden 
Aufgaben der Kritik: die Auf Weisung des logischen und die des 
konstitutiven Fundaments der Metaphysik, zum System der Meta- 
physik stehen. Die Lösung der ersten dieser beiden Aufgaben 
geschieht in der Tat durch eine Umkehrung der logischen Ordnung, 
die den Sätzen im System der Metaphysik zukommt. Die Lösung 
der zweiten aber unterscheidet sich vom System nicht sowohl 
durch die andersartige Richtung des Fortschreitens im Zusammen- 
hang der einzelnen Sätze, als vielmehr hinsichtlich des Gehalts 
der Sätze selbst. Das erste Verfahren nimmt seinen Ausgang 
von einzelnen gegebenen philosophischen Gesetzen und geht von 
diesen zu den allgemeinen logischen Bedingungen ihrer Gültigkeit 
fort. Das zweite Verfahren hingegen setzt nicht etwa den 
logischen Regressus über die durch das erste aufgefandenen all- 
gemeinsten philosophischen Gesetze hinaus fort, (denn wäre eine 
solche Fortsetzung des logischen Regressus möglich, so wären 
jene Gesetze ja noch nicht die allgemeinsten,) sondern es fragt 



249] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 661 

nach dem GrruTide der Möglichkeit der Urteile, die die Erkenntnis 
jener allgemeinsten Gesetze enthalten. Der Übergang von dem 
ersten Verfahren zum zweiten ist daher zngleich ein Übergang 
in das Gebiet einer ganz anderen Erkenntnisart. "Während 
nämlich die erste TJntersnchnng philosophische Gesetze zum Gegen- 
stande hat, hat die zweite Untersuchung die Erkenntnis dieser 
Gesetze zum Gegenstände, gehört also selbst nicht einer philo- 
sophischen Erkenntnisart, sondern der inneren Erfahrung an. Die 
Sätze der inneren Erfahrung aber sind nicht den philosophischen 
Grundurteilen iibergeordnete, sondern, in systematischer Hinsicht, 
weit untergeordnete Sätze, da sie, wie alle Erfahrungssätze, selbst 
erst einem Anwendungsgebiete der philosophischen Grundsätze 
angehören. 

Das Übersehen der Ungleichartigkeit dieser beiden Unter- 
suchnngsarten mußte Reinhold zu dem Vorurteil verleiten, als 
hätte es die Kritik bei ihrer Begründung der Möglichkeit der 
synthetischen Urteile a priori mit einer Fortsetzung des logischen 
Regressus über die Grundsätze der Metaphysik und Logik hinaus 
zu tun. Durch dieses Mißverständnis der Aufgabe der Kritik 
aber mußte er veranlaßt werden, den Begriff einer neuen Wissen- 
schaft zu bilden, die in systematischer Hinsicht noch über den 
Systemen der Metaphysik und der Logik steht; und die meta- 
physischen und logischen Grundsätze mußten ihm als logische 
Folgesätze dieser gemeinschaftlichen Fundamentalwissenschaft oder 
„Elementarphilosophie" erscheinen. Er mußte den Fehler begehen, 
in der Wissenschaft, die das konstitutive Fundament der Philo- 
sophie zum Gegenstande hat, und deren Erkenntnisart tatsächlich 
der inneren Erfahrung angehört, das konstitutive Fundament der 
Philosophie zu suchen. 

121. Um sich davon zu überzeugen, daß Reinhold diesen Fehler 



662 L* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [250 

wirklich begeht, braucht man nar die Erklänmg anzasehen, die 
er selbst von seiner Elementarphilosophie giebt. Da heißt es: 

„Diese durch Kant nicht aufgestellte Wissenschaft müßte sich 
von der durch ihn aufgestellten Metaphysik dadurch unter- 
scheiden, daß diese die Wissenschaft der a priori bestimmten Merk- 
male eigentlicher Objehte; jene aber Wissenschaft der a priori 
bestimmten Merkmale bloßer Vorstellungen wäre."^ 
Hier wird ganz deutlich eine Wissenschaft, die Vorstellungen 
zum Gregenstande hat, also der inneren Erfahrung angehört, als 
eine Erkenntnis a priori beschrieben. Es wird völlig übersehen, 
daß die „bloßen Vorstellungen" nur eine besondere Art „eigent- 
licher Objekte" bilden, selbst also der Klasse dieser Objekte nicht 
übergeordnet, sondern vielmehr untergeordnet sind. Am deut- 
lichsten aber geht das Verkennen dieser fistdßaö^g slg £AAo yevog 
aus Folgendem hervor. Reikhold erklärt, man habe früher immer 
den Begriff des Dinges, inwiefern man darunter das Denkbare 
überhaupt verstand, für den allgemeinsten gehalten. Diese Annahme 
sei jedoch irrig; denn der Begriff des Denkens sei ein zusammen- 
gesetzter Begriff, das Denken sei nur eine besondere Art des 
Vorstellens, der allgemeinste Begriff sei daher vielmehr der einer 
Vorstellung oder eines Bewußtseins.' Es ist offenbar, daß hier 
eine Verwechslung von Inhalt und Gregenstand vorliegt, eine Ver- 
wechslung, die durch die Zweideutigkeit des Wortes „Vorstellung" 
begünstigt wird. Das Denken mag nur eine besondere Art des 
Vorstellens sein; ist nicht das Vorstellen selbst wieder nur eine 
Art psychischer Tätigkeit, also nur ein der Sphäre des Denkbaren 
oder der Dinge überhaupt ganz' untergeordnetes Ding? In dem 
Übergang vom Begriffe eines Dinges zu dem einer Vorstellung 

» S. 70. « S. 92 f. 



251] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 663 

findet nicht, wie Ricinhold meint, ein Rückgang zum Allgemeineren 
statt, sondern umgekehrt eine wesentliche Einschränkung der 
Allgemeinheit des Begriffs auf einen engen Teil seiner Sphäre. 
Es wird dabei nicht ein philosophischer Begriff auf einen all- 
gemeineren zurückgeführt, sondern, durch die unvermerkte Ver- 
wechslung von Inhalt und Gregenstand, ein allgemeiner philoso- 
phischer Begriff auf einen besonderen empirischen. 

Daß auf diese Weise das „Fundament" der Philosophie in das 
Gebiet der inneren Erfahrung verlegt wird, findet sich implicite 
anerkannt in Reinholds Behauptung, das Fundament der Elemen- 
tarphilosophie liege in einer „Tatsache des Bewußtseins", die 
„durch sich selbst einleuchtet" und die „durch Vergleichung des- 
jenigen, was im Bewußtsein vorgeht," erkannt werde.* Berück- 
sichtigt man dies, so stellt sich die Reinholdsche Idee der Ele- 
mentarphilosophie als ein unzweideutiger Psychologismus dar, — ein 
Psychologismus, dessen empiristischen Konsequenzen man nur 
solange auszuweichen hoffen kann, als man die empirische Natur 
der inneren Anschauung verkennt, d. h. als man die mystische 
Voraussetzung einer intellektuellen Anschauung macht.* 

122. Daß der tiefere und eigentliche Grund der aufgedeckten 
Reinholdschen Fehler in der Verwechslung der Aufgabe der Ejitik 
mit der unmöglichen Aufgabe der Erkenntnistheorie zu suchen 



* S. 78. — Ganz unzweideutig äußert sich Reinhold hierüber in seinen 
„Briefen über die Kantische Philosophie" (Bd. ü, 1792, S. 25): Der kritische 
Philosoph halte sich „an die bloße Zergliederung der notwendigen and aUgemeinen 
Gesetze der vorstellenden Kraft, die er durch Reflexion über die zur innem 
Erfahrung gehörigen Tatsachen des Bewußtseins kennt.*' 

2 Auf diese Voraussetzung werden wir später (§ 133 f.) genauer eingehen. 
Reinhold selbst verfährt insofern noch ganz naiv, als er sich keinerlei Bedenken 
über die genannten Konsequenzen seines Verfahrens hingiebt. 



gg4 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [252 

ist, läßt sich aus seiner eigenen Darstellung leicht nachweisen.^ 
In dieser Beziehung ist sehr charakteristisch, was Reinhou) im 
Anschluß an Hubie sagt Er erkennt hier an, daß „jeder mögliche 
Beweis der objektiven Wahrheit eine Vergleichung der Vorstellung 
mit dem von ihr verschiedenen Objekte voraussetzen würde, die 
gleichwohl nur durch Vorstellungen geschehen müßte" und die 
„folglich nie zwischen Vorstellung und einem solchen Objekte, 
das keine Vorstellung ist, angestellt werden könnte".* Aber was 
schließt Reinhold aus diesem richtig erkannten Widerspruch eines 
solchen Beweises? Nicht etwa, wie man erwarten sollte, auf die 
Verkehrtheit der Forderung eines j,Beweise$ der objektiven Wahr- 
heit^, d. h. auf die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie, sondern 
vielmehr auf die Unmöglichkeit der objektiven Wahrheit selbst. 
D. h. er stellt selbst eine Erkenntnistheorie auf, die von der Un- 
möglichkeit, die Annahme eines vom Vorstellen unabhängigen 
Objekts zu beweisen, auf die Falschheit dieser Annahme schließt. 
Er fährt nämlich fort: 

„In wiefeme also unter Wissen das Bewußtsein der Über- 
einstimmung der Vorstellung mit den von bloßen Vorstellungen 
verschiedenen Objekten verstanden wird, in sofeme ist kein 
Wissen möglich."' 
Dieser Schluß setzt offenbar stillschweigend als zweite Prä- 
misse die Annahme voraus, daß ein Wissen um etwas Unbeweis- 
bares unmöglich ist; es liegt ihm also die widersinnige Voraus- 
setzung des logischen Dogmatismus zu G-runde, daß nur das wahr 



^ Daß die Aufgabe der OBrkenntnistheorie die Forderung einschließt, die 
Erkenntnistheorie müsse das konstitutive Fundament aller zu begründenden Ur- 
teile in sich enthdUent ist in § 55 bewiesen worden. 

« S. 45f. 

' S. 47. Vgl. auch die Formuliehung des Problems der Kritik S. 63. 



253] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 665 

sei, was sich beweisen läßt. Berücksichtigt man diese methodische 
Yoraassetzimg, so stellt sich die Idee der Elementarphilosophie 
als der Versuch dar, ans bloßer Logik Metaphysik zu machen. 
Nun ist das Wissen eine TatsacJie der inneren Erfahrung und 
mithin etwas auf logischem Wege Unableitbares. Eine logizistische 
Metaphysik muß daher, wenn sie konsequent verfährt, die Mög- 
lichkeit jeglichen Wissens bestreiten und also notwendig idealistisch 
ausfallen. Und so sieht sich Reuchold in der Tat durch seine 
methodische Voraussetzung zu der eigentümlichen Konsequenz 
gedrängt, den Begriff des Wissens oder des Erkennens als einen 
in sich widerspruchsvollen Begriff darzustellen. Nur durch will- 
kürliche TJmdeutungen des Ausdrucks wird es möglich, diese Kon- 
sequenz zu verschleiern. Sie liegt bestimmt anerkannt in dem 
Reinholdschen Satze : „Durch die sinnliche Vorstellung, den Begriff 
und die Idee ist nicht darum kein Ding an sich erkennbar, weil 
die sinnliche Vorstellung, der Begriff und die Idee ihrer Eigen- 
iümlichkeiten wegen zur Erkenntnis des Dinges an sich untauglich 
sind, sondern weil durch keine Vorstellung^ in wiefeme sie eine 
Vorstellung überhaupt ist, ein Ding an sich erkennbar ist."^ 

123. Zusammenfassend können wir sagen, daß die Reinholdsche 
Elementarphilosophie sich als der erste Versuch einer Systemati- 
sierung des bei Kant stehen gebliebenen Vorurteils (4 a) erweist.* 
Bei Kant selbst steht dieses Vorurteil noch im Hintergrunde seiner 
Untersuchungen, ohne daß der Widerspruch, in dem es zu den 
großen Entdeckungen der Kritik steht, klar hervortritt. Bei 



» S. 76. — Vgl. „Theorie des VorsteUungsvermögenB« § XVII (S. 244): „Dem 
Begriffe einer Vorstellung überhaupt widerspricht die Vorstellung eines Dinges 
an sich; d. h. kein Ding an sich ist Yorstellbar.*' Und S. 488: „Das Ding an sich 
ist dasjenige außer uns, . . . das sich weder anschauen noch denken läßt" 

« Vgl. § 108. 



666 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [254 

Reinhold kommt zwar dieser Widerspruch auch noch nicht deutlich 
zum Bewußtsein, macht sich aber bereits als treibendes Moment 
seiner Spekulation geltend, indem in seiner Elementarphilosophie 
nicht mehr, wie bei Kant, ein Widerstreit kritischer und dog- 
matischer Spekulation stattfindet, sondern nnr noch ein solcher 
der verschiedenen Formen des Dogmatismus untereinander; eines 
Dogmatismus, der, als methodisches Prinzip, den bei Eant neu 
hervortretenden Kritizismus bereits wieder völlig verdrängt hat. 
Ist also bei Reinhold die Systematisierung des dogmatischen Vor- 
urteils soweit fortgeschritten, daß das eigentliche Unternehmen 
der Kritik der Vernunft wieder rückgängig gemacht worden ist, 
so zeigt uns die Greschichte bei seinen Nachfolgern das weitere 
Fortschreiten dieser Systematisierung in ihren verschiedenen, 
möglichen Einzelformen, die — als Empirismus, Mystizismus und 
logischer Dogmatismus — von der ;,Elementarphilosophie", in der 
sie alle im Keime enthalten sind, wie einzelne Fäden von einem 
Verknotungspunkte auslaufen. 

Wie sich diese Entwickelung in ihren verschiedenen Stadien 
übersehen läßt, soll im Folgenden näher gezeigt werden. 



xxvn. 

Die Eonsequenzen des Beinholdschen Missverständnisses. 

124. Der Widerspruch in der methodischen Grundidee der 
Eeinholdschen Elementarphilosophie, der ihrem Erfinder selbst ent- 
gangen war, konnte seinen Nachfolgern nicht verborgen bleiben. 
Die Beseitigung dieses Widerspruchs konnte, solange man an jener 
Grundidee überhaupt festhalten wollte, ~ allgemein betrachtet — 



266] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 667 

auf zwei Wegen versucht werden. Unter der Voraussetzung, die 
Elementarphilosophie enthalte den Grund der von ihr zu be- 
gründenden Erkenntnisse, kann man, nach dem Prinzip der 
modalischen Gleichartigkeit von Erkenntnis und Erkenntnisgmnd, 
entweder von der Feststellung der Apriorität der abzuleitenden 
metaphysischen Grundsätze ausgehen und von hier aus die 
Konsequenz auf die Apriorität der Elementarphilosophie weiter 
entwickeln. Oder aber man kann von der Feststellung der 
psychologischen Natur der „Wissenschaft des Yorstellungs Vermögens" 
ausgehen und von hier aus die Konsequenzen auf die Aposteriorität 
der durch sie zu begründenden Sätze weiter entwickeln. Der 
erste Weg ist der von Fichte in seiner „Wissenschaftslehre* 
betretene; den zweiten haben besonders Beneee, der jüngere 
Reinhold und ihre Nachfolger eingeschlagen. Die Verfolgung des 
ersten Weges führt uns auf die Geschichte des transzendentalen 
Vorurteils, die des zweiten auf die Geschichte des Psychologismus. 
Beiden einander entgegengesetzten Fortbüdungsversuch&n aber liegt als 
gemeinscliafüiche Voraussetzung die Beinholdsche Frcblemstellung einer 
EtenientarphUosophie als Erkenntnistheorie zu Grunde, d. h. die Idee 
einer Wissenschaft, die das konstitutive Fundament der PhilosopJde 
zum Inhalt hat.^ 

125. Vergleichen wir hiermit die im XXIV. Kapitel gegebene 
TJbersicht der Fortbildungsmoglichkeiten der Kantischen Philosophie 
hinsichtlich ihrer psychologischen Voraussetzungen. Die eben 
genannte erkenntnistheoretische Problemstellung hatten wir (in 
§ 51) auf das Verkennen der unmittelbaren Erkenntnis der reinen 
Vernunft zurückgeführt und somit auf die psychologische Hypo- 
these, alle Erkenntnis sei entweder Anschauung oder Urteil. Wir 



' Man vergleiche das Schema in § 57. 



668 ^' Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [266 

hatten drei verschiedene mit dieser Hypothese (4 a) vereinbare 
Fortbildongsweisen der Kantischen Philosophie unterschieden. 
Die eine, empiristisehe, deckt sich mit dem zweiten eben ange- 
gebenen Wege, dem des Psychologismus. Der andere eben ange- 
gebene Weg, der in der Verfolgung des transzendentalen Vor- 
urteils besteht, läßt zwei verschiedene Formen zu, die in der Tat 
in der Fichteschen Wissenschaftslehre noch ungetrennt neben 
einander hergehen und erst von Fichtes Nachfolgern in ihrer 
Eigenart ausgebildet worden sind. Das transzendentale Vorurteil 
besteht nämlich nur in der Behauptung der Apriorität der die 
metaphysischen (und logischen) Grundsätze begründenden Wissen- 
schaft und läßt es daher für sich noch unbestimmt, welcher der 
nach der Disjunktion (4 a) zulässigen Erkenntnisquellen (der An- 
schauung oder der Reflexion) diese Wissenschaft zugewiesen 
werden soll. Die Entscheidung hierüber kann daher auf dem 
Boden des transzendentalen Vorurteils entweder nach der Maxime 
des Mystizismus oder nach der Maxime des logischen Dogmatismus 
getroffen werden. Dieser zweifachen Möglichkeit entsprechen die 
Fortbildungen, die die Fichtesche Philosophie einerseits bei 
ScHELUNO, andererseits bei Hegel gefunden hat.^ 

> Wir können daher an der Hand der in § 57 und § 108 aufgestellten 
Schemata den Stammbaum der von Kant ausgehenden PhUosopheme in folgender 



Weise darstellen. 




Kant 








Reinhold 
(Erkenntnistheorie) 




Fries 
(Kritizismus) 




Fichte 
(Transzendentalismus) 


Beneee 
(Psychologismos) 


SCHELLWO 

(Mystizismus) 




Hegel 
(Logiseher Dogmatismns) 







257] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 669 



xxvm. 

Die Systematisierazig des transzendentalen Vorurteils 

bei Fichte. 

126. Bei dem erneuten Ansehen, zu dem die Fichtesche 
Philosophie bei den Transzendentalisten unserer Tage gelangt ist, 
erscheint es nicht überflüssig, das im Vorangehenden über diese 
Philosophie ausgesprochene urteil im einzelnen zu begründen. 

Es bedarf nur einer geringen Kenntnis der Schriften Fichtes, 
um zu erkennen, daß seine Lehren, die er selbst überall als die 
Durchführung des recht verstandenen Kantianismus bezeichnet^, 
vielmehr nur auf eine Entwickelung der Konsequenzen aus dem 
von Reinhold übernommenen Mißverständnis hinauslaufen. Das 
Selbständige liegt bei ihm lediglich in dem Bemühen, den naiven 
Psychologismus des Reinholdschen Ausgangspunktes zu ver- 
schleiern und transzendental zu verkleiden. Kritiklos nimmt 
er die Reinholdsche Forderung eines obersten Grundsatzes der 
gesamten Philosophie auf*, sucht aber den analytischen Rückgang 
zu demselben noch über den von Reinhold aufgestellten „Satz des 
Bewußtseins" hinaus fortzusetzen. Mit Recht bemerkt er nämlich, 



^ „Ich habe von jeher gesagt, und sage es hier wieder, daß mein System 
kein anderes sei als das Kantische. ** (Werke, Bd. I, S. 420. Yergl. auch S. 419). 

^ „Nach Kant machte Reinhold sich das unsterbliche Verdienst, die 
philosophierende Yemunft darauf aufmerksam zu machen, daß die gesamte 
Philosophie auf einen einzigen Grundsatz zurückgeführt werden müsse.^ (Werke^ 
Bd. I, S. 20.) 

▲bkaBdlniigM d«r VriM^MlitB Sckils. IL Bd. 43 



670 I'* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [258 

daß der Begriff der Vorstellung „nicht der höchste Begriff aller 
in nnserm Gremüte za denkenden Handinngen sei^.^ Er sucht 
daher das fragliche Prinzip noch höher, nämlich im Begriffe einer 
„Tathandlung" überhaupt, die jedoch, da von der „ Wissenschafts- 
lehre ^ die Kategorieen erst abzuleiten, nicht aber schon voraus- 
zusetzen sind, nur als ein bloßes Tun ohne Tuendes, als ein 
Handeln ohne Handelndes, also ohne alle Beziehung auf ein zu 
Grunde liegendes Subjekt, verstanden werden soll. Dieses „Tun" 
identifiziert Fichte mit dem ^Ich". Im Ich aber fallen Subjekt 
und Objekt der Erkenntnis zusammen. Aus dieser Identität von 
Subjekt und Objekt im Ich „geht die ganze Philosophie hervor; 
durch sie wird die Frage vom Bande des Subjekts und Objekts 
auf einmal für immer beantwortet, indem sich zeigt, daß sie gleich 
ursprünglich in der Ichheit verbunden sind." * Der oberste 
Grundsatz ist daher der Satz „Ich = Ich".* Vermöge dieses 
höchsten Prinzips soll es der Wissenschaftslehre gelingen, „allen 
möglichen Wissenschaften^ „nicht die Form allein, sondern auch 
den Gehalt" zu geben.* Und so erscheint, wie schon bei 
Eeinhold, auch die Logik als eine erst aus der Wissenschafts- 
lehre abzuleitende Disziplin: „Es muß jeder logische Satz, und 
die ganze Logik aus der Wissenschaftslehre bewiesen werden. . . 
Also entlehnt die Logik ihre Gültigkeit von der Wissenschafts- 
lehre."* — Und wie Fichte sich in methodischer Hinsicht durch 
das Eeinholdsche Postulat eines obersten Grundsatzes der ge- 
samten Philosophie bestimmen läßt, so wird andererseits das 



' Ebenda, S. 9. ' Bd. n, S. 442. 

* „Durch den soeben aufgestellten Grandsatz aller Philosophie ist die 
ganze Phüosophie selbst gegeben: die letztere ist nichts anderes als eine yoU- 
ständige Analyse des ersteren." (II, S. 443.) 

* I, S. 66. * I, S. 68. 



259] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 671 

ResultcU seiner Philosophie durch die blinde Unterwerfung unter 
das idealistische Postulat Jacobis bestimmt. Aus der Vereinigung 
dieser beiden Postulate erklärt sich die Gestaltung der „Wissen- 
schaftslehre" hinsichtlich ihrer Methode und ihres Inhalts. Dies 
ergiebt sich am einfachsten aus einer Betrachtung der ersten 
„Einleitung in die Wissenschaftslehre'' aus dem Jahre 1797. 

127. Fichte geht hier von folgendem Gedanken aus. Die 
„Selbstbeobachtung" läßt uns einen unterschied zwischen zweierlei 
Yorstellungsarten „wahrnehmen". Es giebt Vorstellungen, die 
von unserer Freiheit abhängig erscheinen, xpiä es giebt solche, die 
vom Gefühle der Notwendigkeit begleitet sind. Die zweiten sind 
diejenigen, die wir auf eine von uns unabhängige Wahrheit beziehen. 
Die ersten sind von dieser Beziehung frei; zu ihnen gehören z.B. 
die Phantasievorstellungen. Es erhebt sich nun die Frage: 

„Welches ist der Grund des Systems der vom Gefühle der 
Notwendigkeit begleiteten Vorstellungen, und dieses Gefühls der 
Notwendigkeit selbst? Diese Frage zu beantworten ist die 
Aufgabe der Philosophie." „Das System der von dem Gefühle 
der Notwendigkeit begleiteten Vorstellungen nennt man auch 
die Erfahrung." „Die Philosophie hat sonach den Grund aller 
Erfahrung anzugeben." ^ 
Bleiben wir zunächst bei diesen Sätzen stehen. Es ist ohne 
weiteres klar, daß das Wort ;,Erfahrung" hier in einem sprach- 
widrigen Sinne gebraucht wird. Nach dem üblichen Sprachgebrauch 
wird die Erfahrung der apodiktischen oder notwendigen Erkenntnis 
entgegengesetzt. Die Notwendigkeit aber, von der Fichte an der 
angeführten Stelle spricht, bedeutet lediglich den Gegensatz zur 
Willkür und sagt über die Modalität der Erkenntnis gar nichts 

1 I, S. 423. 

43* 



672 L. Nelson : Über das sogenannte Erlenntnisproblem. [260 

aus. Was er „Erfahrung^ nennt, umfaßt daher alle Erkenntnis 
überhaupt, die apodiktische so gut wie die empirische. Dieser 
Umstand wäre für die Richtigkeit der Resultate belanglos, wenn 
sich nicht bald aus dem weiteren Fortgange der Untersuchung 
zeigte, daß Fichte wirklich diese verschiedenen Wortbedeutungen 
verwechselt. Während nämlich nach der sprachüblichen Wort- 
bedeutung Apriorität und Aposteriorität kontradiktorische Gegen- 
sätze sind, findet Fichte es durchaus nicht anstößig, eine und 
dieselbe Erkenntnis sowohl a priori als auch a posteriori zu 
nennen. ^ Vorläufig haben wir nur zu beachten, daß nach Fichtks 
bisherigen Festsetzungen der Begriff der Erfahrung alle Vor- 
stellungen umfaßt, deren Inhalt nicht willkürlich bestimmbar, 
sondern auf Wahrheit bezogen ist, kurz alle Erkenntnis als solche. 
Das von Fichte der Philosophie gestellte Problem ist also : den 
Grund edler Erkenntnis anzugeben. 

„Der Grund", so argumentiert nun Fichte weiter, „fallt 

außerhalb des Begründeten; beides, das Begründete und der 

Grund, werden, wiefern sie dies sind, einander entgegengesetzt, 

an einander gehalten, und so das erstere aus dem letzteren 

erklärt.« 2 

Sehen wir hier ab von der Zweideutigkeit des Ausdrucks 

„erklären", der es unbestimmt läßt, ob die Ableitung aus dem 

„Grunde" kausal oder logisch verstanden werden soll, so ist doch 

jedenfalls an dieser Bemerkung soviel richtig, daß der Grund 

einer Erkenntnis von dieser Erkenntnis selbst unterschieden 

werden muß. Was folgt aber hieraus für unsere Frage ? Offenbar 

dies, daß der anzogebende Grund aller Erkenntnis nicht selbst 



» I, S. 447. Vergl. auch II, S. 474 ff. 
• I, S. 424 f. 



261] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 673 

eine Erkenntnis sein kann. Diesen Schloß zieht aber Fichte 
keineswegs, sondern er schließt ans dem Worte „Erfahrnng*^ : 
„Nnn hat die Philosophie den Grnnd aller Erfahrung anzu- 
geben ; ihr Objekt liegt sonach notwendig außer aller Erfahrung^ ; 
wobei er, ohne es zn bemerken, der von ihm definierten Wort* 
bedeutung die sprachübliche unterschiebt, so daß sein Schluß 
vielmehr auf die Modalität der philosophischen Erkenntnis geht. ^ 
Aber selbst wenn wir von der Fehlerhaftigkeit dieser 
quatemio terminorum absehen, so würde doch für die Modalität 
der Erkenntnis, die nach Fichtes Definition der Philosophie 
eigentümlich ist, noch gar nichts folgen. Es würde vielmehr nur 
folgen, daß das Objekt der philosophischen Erkenntnis (der anzu- 
gebende ;.Grund^) nicht in einer empirischen Erkenntnis gesucht 
werden darf. Fichte aber schließt auf die Apriorität der philo- 
sophischen Erkenntnis selbst: 

„Der Weg dieses Idealismus geht von einem im Bewußtsein 
Vorkommenden zu der gesamten Erfahrung. Was zwischen 
beiden liegt, ist sein eigentümlicher Boden. Es ist nicht 
Tatsache des Bewußtseins, gehört nicht in den Umfang der 
Erfahrung; wie könnte so etwas je Philosophie heißen, da ja 



' Daß dem so ist, ergieht sich unzweideutig aus den unmittelbar folgenden 
YTorten : 

„Dieser Satz gilt für alle Philosophie und hat auch, bis auf die Epoche 
der Kantianer und ihrer Tatsachen des Bewußtseins, und also der inneren Er- 
fahrung, wirklich allgemein gegolten.'^ 

Offenbar will Fichte hier den Kantianern nicht vorwerfen, daß ihre Philo- 
sophie Erkenninis (im Gegensatze zu willkürlicher Erdichtung), sondern daß sie 
empirische Erkenntnis (im Gegensatze zu rationaler) ist. — Vgl. auch S. 428, 
wo vom ,,System des Idealismus^ gesagt wird, daß es nicht „einen Teil der Er- 
fahrung'' bilde. 



g74 ^' Nelson: Ober das sogeoannte Erkenatnisproblem. 

diese den G-rand der Erfahrung aufzuweisen hat, aber der 
' Grund notwendig außerhalb des Begründeten liegt/** 

Die in diesen Worten hervortretende Vermengung des Objekts 
der Philosophie mit ihrem Inhalt ist die zweite quaternio termi- 
norum des für die Fichtesche Methode entscheidenden Fehl- 
schlusses. Die Wurzel des transzendentalen Vorurteils, die Ver- 
wechslung von Grund und Begründung, tritt in ihr offen zu 
Tage. 

128. Zur Lösung des gestellten erkenntnistheoretischen 
Problems stehen nun nach Fichte zwei Wege offen. „In der Er- 
fahrung ist das Ding, dasjenige, welches unabhängig von unserer 
Freiheit bestimmt sein, und wonach unsere Erkenntnis sich richten 
soll, und die Intelligene, welche erkennen soll, unzertrennlich ver- 
bunden.^ ^ Je nachdem vm nun von dem einen oder dem anderen 
abstrahieren, erhalten wir eine „Intelligenz an sich" oder ein 
^Ding an sich" als Erklärungsgrund der „Erfahnmg''. Nach 
diesen beiden Erklärungsarten unterscheidet Fichte „Idealismus" 
und „Dogmatismus". „Nach dem ersten Systeme sind die von 
dem Gefühle der Notwendigkeit begleiteten Vorstellungen Produkte 
der ihnen in der Erklärung vorauszusetzenden Intelligenz; nach 
dem letzteren, Produkte eines ihnen vorauszusetzenden Dinges 
an sich."* Man sieht deutlich, daß hier der methodische Begriff 
des Kritizismus völlig verloren gegangen und durch die Postu- 
lierung eines bestimmten philosophischen „Systems" verdrängt 
worden ist. Daß dieses „System" nur axiomatisch postuliert und 
nicht kritisch begründet werden kann, führt Fichte selbst des 
weiteren aus: Zwischen den beiden genannten Erklärungsweisen 

* I, S. 448. • I, S. 426. » S. 426. 



263] Dritter Teil: Die Qeschichte der Erkenntnistheorie. 675 

„ist kein Entscheidungsgrund aus der Yemnnft möglich ; denn es 
ist nicht von Anknüpfang eines Gliedes in der Reihe, wohin allein 
Vemnnftgründe reichen, sondern von dem Anfange der ganzen 
Reihe die Rede, welches, als ein absolut erster Akt, lediglich von 
der Freiheit des Denkens abhängt. Er wird daher durch Willkür, 
und da der Entschluß der Willkür doch einen Grund haben soll, 
durch Neigung und Interesse bestimmt.^ ^ 

129. Indessen, bei dieser Erklärung bleibt Fichte nicht stehen, 
sondern er sucht doch nach einer theoretischen Begründung des 
„Idealismus^. Er beruft sich hier zuerst auf einen „merkwürdigen 
Unterschied", der zwischen dem „idealistischen" und dem „dog- 
matischen" Erklärungsgrunde bestehen soU^: 



»•*■ 



„Alles, dessen ich mir bewußt bin, heißt Objekt des 
Bewußtseins. Es giebt dreierlei Verhältnisse dieses Objekts, 
zum Vorstellenden. Entweder erscheint das Objekt als erst 
hervorgebracht durch die Vorstellung der Intelligenz, oder, als 
ohne Zutun derselben vorhanden: und, im letzteren Falle, ent- 
weder als bestimmt auch seiner Beschaffenheit nach; oder als 
vorhanden lediglich seinem Dasein nach, der Beschaffenheit nach 
aber bestimmbar durch die freie Intelligenz." 

Das erste Verhältnis soll stattfinden bei lediglich erdichteten 
Gegenständen, das zweite bei „einem Gegenstande der Erfahrung", 
das dritte bei dem „Ich an sich". 

In dieser Bestinunung kommen wieder mehrere Fehler vor. 
Erstens sind hier von neuem die vorhin unterschiedenen Be- 



> S 432 f. > S. 427. 



ß76 L* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [264 

dentungen des Wortes Erfahrung verwechselt. Verstehen wir, 
nach PicHTEs ursprünglicher Erklärung, unter ;,Erfahrung^ alle 
Erkenntnis als solche, so ist auch das „Ich an sich^, sofern es 
^Objekt des Bewußtseins" oder der „Vorstellung^ ist, entweder 
eine Erdichtung oder ein Gegenstand der Erfahrung. Soll es also 
keine Erdichtung sein, so kann das Verhältnis des Ich an sich 
zur Vorstellung nicht ein anderes sein als bei Gegenständen der 
Erfahrung überhaupt. "Wenn Fichte dies dennoch annimmt, so 
liegt der Grund dafür nur in einem zweiten Fehler, und zwar 
einem Fehler der Selbstbeobachtung. Er beruft sich nämlich für 
diese Annahme darauf, daß ich ;,mich mit Freiheit bestimmen 
kann, dieses oder jenes zu denken." 

„Daß ich mir gerade so bestimmt erscheiue und nicht 
anders, gerade als denkend, und unter allen möglichen Gredanken 
. gerade das . . . denkend, soll . . . abhangen von meiner Selbst- 
bestimmung: ich habe zu einem solchen Objekte mit Freiheit 
mich gemacht. Mich selbst an sich aber habe ich nicht 
gemacht. . . Ich selbst also bin mir Objekt, dessen Beschaffen- 
heit unter gewissen Bedingungen lediglich von der Intelligenz 
abhängt, dessen Dasein aber immer vorauszusetzen ist.''^ 

Man sieht ohne weiteres, daß, was Fichte hier die Freiheit 
der Selbstbestimmung nennt, nichts anderes ist als die Wül- 
Jcürlichkeit. Die Willkürlichkeit der Reflexion erlaubt mir, bald 
dieses, bald jenes zu denken; ich bestimme mich also z. B. durch 
Willkür zu dem Gedanken A. Stelle ich mich nun vor als eine 
den Gedanken A denkende Intelligenz: welches der drei nach 
Fichte möglichen Verhältnisse des Objekts zur Vorstellung liegt 

» S. 427. 



265] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 677 

dann vor? Das Objekt der Vorstellung ist die den Gedanken A 
denkende Intelligenz. Ist hier die vorgestellte Beschaffenheit des 
Objekts, nämlich der Gedanke Ä^ durch die Vorstellung hervor- 
gebracht, deren Objekt sie ist? Offenbar so viel oder so wenig, 
wie die Viereckigkeit des mir vor Augen liegenden Papiers, auf 
dem ich schreibe, durch mein Vorstellen seiner Viereckigkeit 
hervorgebracht wird. Fichte hat sich hier durch die Unbestimmt- 
heit des Ausdrucks „Abhängigkeit von der Intelligenz" verleiten 
lassen, die Abhängigkeit einer inneren Beschaffenheit vom Willen 
mit einer Abhängigkeit derselben vom Vorgestelltwerden zu 
verwechseln. 

130. Aus allediesem zieht nun Fichte den Schluß, daß das 
„Objekt des Idealismus", nämlich das „Ich an sich", vor dem 
Objekt des „Dogmatismus" (dem Dinge an sich) den Vorzug habe, 
„als etwas Reales wirklich im Bewußtsein" vorzukommen, daß es 
„im Bewußtsein nachzuweisen ist"\ aber „nicht als Gegenstand 
der Erfahrung", sondern „als etwas über alle Erfahrung Er- 
habenes". Unter dem Ausdruck „Gegenstand der Erfahrung" 
kann hier nur der Gegenstand der äußeren Erfahrung gemeint 
sein; die Entgegensetzung von „Intelligenz" und „Ding" wäre 
sonst unverständlich, da die Intelligenz so gut wie jedes äußere 
Ding zum Gegenstand der Vorstellung gemacht werden kann und 
z. B. in FiCHTEs Ausführungen wirklich gemacht wird. Und in 
der Tat substituiert Fichte bald der Entgegensetzung von Ich 
und Ding die von „Geist" und „Materie", und er zieht den 
Schluß: „Der konsequente Dogmatiker ist notwendig auch Mate- 
rialist."^ Was ist also der eigentümliche „Vorzug'^', den Fichte 

» S. 428. « S.;431. » a 428. 



678 ^* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [266 

dem „idealistisclien^ Erklamngsgrnnde gegenüber dem ^^dogma- 
tischen^ nachrfilunt ? Es bleibt an diesem ;, Vorzug^ nichts anderes, 
^ daß der idealistische Erklärongsgrond in der Intelligenz, der 
andere nicht in der Intelligenz, sondern in der Materie liegt. 
Die Behauptung des Vorzugs des idealistischen Erklärungsgrundes 
giebt also, genau zugesehen, nur die Behauptung dieses Erklarungs- 
grundes selbst mit anderen Worten wieder und fügt ihr nicht 
das Greringste an Gründen hinzu. — In der Tat ist der Satz von 
der Kachweisbarkeit des idealistischen Erklärungsgrundes „im 
Bewußtsein^ in jeder anderen als tauiologischen Bedeutung falsch. 
Daß Fichte diesem Satze eine höhere Bedeutung beimessen zu 
dürfen glaubt, hat keinen anderen Grund als die Verwechslung 
des Gegensatzes zwischen Intelligenz und Materie mit dem Gegen- 
satze zwischen Erkenntnis und Gegenstand. Man beachte die Axt 
seiner Begründung des Satzes ^^Das Ding an sich ist eine bloße 
Erdichtung^ : 

„Es kommt nicht etwa in der Erfahrung vor: denn das 
System der Erfahrung ist nichts Anderes als das mit dem 
Gefühle der Notwendigkeit begleitete Denken."^ 

Was besagt dieser Satz anderes als die Trivialität, daß das- 
jenige, was Gegenstand eines gewissen Denkaktes ist, nicht Inhalt 
dieses selben Denkaktes sein kann? Verhalt es sich denn in 
dieser Hinsicht mit dem „Ich an sich" irgend wie anders? Das 
„Ich an sich" ist ein gewisser Gegenstand unseres Denkens, es 
ist also nicht Inhalt dieses Denkens und folglich, wenn man unter 



^ S. 428. — „Das Ding an sich", heißt es weiter, „wird zur völligen 
Chimäre; es zeigt sich gar kein Grund mehr, warum man eins annehmen sollte; 
und mit ihm f&llt das ganze dogmatjiiche Qeb&ade zusammen." (S, 431.) 



267] Dritter Teil: Die Qeschichte der Erkenntnistheorie. 679 

„Bewußtsein^ dieses Denken versieht, ebenso wenig „im Bewußt- 
sein nachzuweisen'^ wie das „Objekt des Dogmatikers^. Wenn 
also nach Fichtes Annahme alles . nicht „im Bewußtsein^ Nach- 
weisbare „bloße Erdichtung^ ist, so ist auch das „Ich an sich^ 
bloße Erdichtung. 

131. Aber es soll noch einen weiteren Grund geben, weshalb 
der „Idealismus^ dem „Dogmatismus* vorzuziehen ist. Wer näm- 
lich nur einmal den richtigen philosophischen Standpunkt ein- 
genommen hat, der „findet^ nach Fichte „nichts weiter, als daß er 
sich vorstellen müsse^ er sei frei und es seien aoßer ihm bestimmte 
Dinge". ^ Bei diesem Gedanken der „bloßen Vorstellung" könne 
man aber nicht stehen bleiben, es müsse vielmehr etwas vom Vor- 
stellen unabhängiges hinzugedacht werden. Dieses sei der „Grund 
der Vorstellangen" oder „das ihnen Entsprechende". Nun könne 
dieser Grund entweder im „Ich" oder im „Dinge" gesucht werden, 
immer aber nur in einem dieser beiden. Eine Begründung dieser 
Behauptung ist bei Fichte nicht zu finden. Nach ihrer dogmatischen 
Aufstellung wird nun weiter der Versuch gemacht, zu zeigen, daß 
„der Dogmatismus gänzlich unfähig ist, zu erklären, was er zu 
erklären hat". „Und dies entscheidet über seine üntauglichkeit."^ 
Fichte beruft sich hier auf das, „was das unmittelbare Bewußt- 
sein" über die Vorstellung „aussagt", auf das, „was sich nur 
innerlich anschauen läßt", auf das, „was jeder, der nur einen festen 
Blick in sich geworfen, schon längst gefanden haben muß". Und 
was ist dieses? 

„Die Intelligenz, als solche, sieht sich selbst zu; und dieses 
sich selbst Sehen ist mit allem, was ihr zukommt, unmittelbar 
vereinigt, und in dieser unmUtelharen Vereinigung des Seins und 

> S. 432. • S. 436. 



680 ^ Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [268 

des Sehens besteht die Natur der Intelligenz.^ ^^Bestlmmimgen^ 
„sind in mir nur, inwiefern ich ihnen zusehe: Zusehen und Sein 
sind unzertrennlich vereinigt."* 
Also die innere Anschauung soll uns lehren, daß alle Be- 
stimmungen, die der Intelligenz zukommen, auch unmittelbar von 
der Intelligenz angeschaut werden. — Nun ist klar, daß sich der 
inneren Anschauung niemals andere Bestimmungen der Intelligenz 
zeigen können als solche, die, indem sie sich ihr zeigen, angeschaut 
werden. Aber dies besagt nicht, daß es keine anderen Bestimmungen 
der Intelligenz giebt als solche, die unmittelbar dadurch, daß sie der 
Intelligenz zukommen, angeschaut werden. Gerade diese unbegrün- 
dete und durch innere Anschauung unbegrundbare Annahme aber ist 
der Inhalt der Fichteschen Behauptung. Aber diese Annahme ist nicht 
nur unbegründbar durch innere Anschauung, sondern sie ist nachweis- 
lich falsch, weil in sich widersinnig. Das innere Anschauen soll mit 
allem, was der Intelligenz zukommt, unmittelbar vereinigt sein; Be- 
stimmungen sollen nur in mir sein, wiefern ich ihnen zusehe. Nun 
ist aber offenbar dieses innere Anschauen oder Zusehen selbst 
eine der Intelligenz zukommende Bestimmung; das innere An- 
schauen fände also nur unter der Bedingung statt, daß es selbst 
innerlich angeschaut würde. Und da von diesem wie von jedem 
inneren Anschauen wieder dasselbe gilt, so müßte eine unvollend- 
bare Reihe von Anschauungsakten, deren jeder seiner Möglichkeit 
nach durch das Stattfinden des nächstfolgenden bedingt wäre, 
vollzogen sein, ehe auch nur die Möglichkeit einer einzigen der 
Intelligenz zukommenden Bestimmung realisierbar wäre, unter 
der Fichteschen Voraussetzung wären folglich überhaupt keine 
der Intelligenz zukommenden Bestimmungen möglich. 

' S. 486 f. 



269] DriUer Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 681 

132. Diese Fiktion von der Einerleiheit des Seins und des 
Angeschantwerdens in der Intelligenz drückt Fichte so aus, daß 
die Intelligenz, was sie sei, yfür sich selbst^ sei.^ Von einem 
^Dinge'^ dagegen könne man nicht sagen, daß es „fiir sich selbst" 
sei, was es sei, „sondern es muß noch eine Intelligenz hinzugedacht 
werden, für welche es sei; dahingegen die Intelligenz notwendig 
für sich selbst ist, was sie ist, und nichts zu ihr hinzugedacht zu 
werden braucht."* 

Diese Begründung ist wiederum nichts als eine Erschleichung. 
Die Frage, „/u> wen*^ ein Ding sei, kann dem Zusammenhange 
nach nur den Sinn der Frage haben, für wessen Erkenntnis das 
Ding da sei, d. h. wem es erkennbar sei. Natürlich kann auf diese 
Frage nur geantwortet werden: „Für Erkennende", oder: „Nur 
für Intelligenzen*'. Um aber hieraus mit Fichte schließen zu 
können, daß Dinge nicht unabhängig von Intelligenzen existieren 
können, müßte zuvor gezeigt sein, daß jedes Ding notwendig für 
irgend etwas sein müsse, d. h. daß nichts existieren könne, ohne 
erkannt zu werden. Diese Nachweisung fehlt bei Fichte. Sein 
Satz, Dinge seien nur für Intelligenzen da, sagt also nur insofern 
etwas Richtiges aus, als er den Sinn der Tautologie hat: Dinge 
können erkannt werden nur von Erkennenden. Fichte jedoch meint 
mit dieser nichtsbesagenden Tautologie einen Beweis für den idea- 
listischen Satz geliefert zu haben, daß alle Dinge hinsichtlich 



» S. 435. 

* S. 436. — „Den Gedanken", sagt Fichte an anderer Stelle (I, S. 19), 
„von einem Dinge, das nicht nur von dem menschlichen Yorsteliungs -Vermögen, 
sondern von aller und jeder Intelligenz unabhängig, Realität und Eigenschaften 
haben soll, hat noch nie ein Mensch gedacht, so oft er es auch vorgeben mag, 
and es kann ihn keiner denken; man denkt allemal sich selbst ais Intelligenz, die 
das Bing zu erkennen strebt, mit hinzu,^ 



682 L« Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem/ [270 

ihrer Existenuf yon dem Yorgestelltwerden dnrch eine Intelligenz 
abhängig seien oder daß es keine Dinge an sieb giebt.^ 

133. Überblicken wir die hier benrteilten ilchteschett Lehren 
hinsichtlich ihrer methodischen Voranssetzongen, so finden wir in 

* Man yergleiche auch die .Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre", 
wo es (I, S. 500 f.) Ton den „Dingen" heißt: 

„Wie sollen sie denn für sich selbst sein; da es im Begriffe des Dinges 
liegt, daß es bloß sei, nicht aber für dasselbe sei?*' „Man kann vom Ich nicht 
abstrahieren ... Zu allem, was im Bewußtsein vorkommend gedacht wird, muß 
das Ich notwendig hinzugedacht werden; in der Erklärung der Gemütsbe- 
stimmungen darf nie Tom Ich abstrahiert werden, oder, wie Kant es ausdrückt: 
alle meine Vorstellungen müssen begleitet sein können, als begleitet gedacht 
werden von dem : Ich denke . . . H&tte man ihn [diesen Satz] nur eher bestimmt 
gedacht, so würde man des Dinges an sich l&ngst entledigt sein; denn man 
würde gesehen haben, daß, was wir auch denken mögen, wir in ihm das Denkende 
sind, daß sonach nie etwas unabhängig Ton uns vorkommen könne, sondern 
alles notwendig sich auf unser Denken beziehe.** 

Der erste der eben zitierten Sätze enthält nichts weiter als eine willkürliche 
Einschränkung des Gebrauchs des Wortes „Ding** auf den Umfang desjenigen, 
was nicht von sich selbst erkannt wird; so daß sowohl die Behauptung, das Ich 
sei kein Ding, als auch die andere, Dinge seien „nur für ein Ich** da, lediglich 
eine terminologische Festsetzung wiedergeben. Der Rest des Zitierten macht den 
Grundfehler Fichtes, die Verwechslung von Inhalt und Gegenstand, besonders 
deutlich: Daraus, daß alles im Bewußtsein Vorkommende nur durch Beziehung 
auf ein Ich möglich sei, wird geschlossen, daß alle Gegenstände des Bewußtseins 
nur durch Beziehung auf ein Ich möglich seien. — In noch plumperer Gestalt 
tritt derselbe Trugschluß in der „Bestimmung des Menschen** zu Tage (II, S. 239) : 
„Von dir also habe ich keine Einwendungen zu fürchten gegen die ent- 
schlossene Aufstellung des Satzes, daß das Bewußtsein eines Dinges außer uns 
absolut nichts weiter ist als das Produkt unsers eignen Vorstellungsvermögens,*^ 
„Keine Einwendungen gegen den kühneren Ausdruck desselben Satzes : daß wir 
bei dem, was wir Erkenntnis und Betrachtung der Dinge nennen, immer und 
ewig nur uns selbst erkennen und betrachten, und in allem unserm Bewußtsein 
schlechterdings von nichts wissen, als von uns selbst, und unsem eignen Be- 
stimmungen.** 

Der erste, „entschlossen** aufgesteUte Satz ist eine leere Tautologie. Der 
zweite dagegen ist nicht ein „kühnerer Ausdruck desselben Satzes**, sondern ent* 
steht aus dem ersten lediglich durch das Wortspiel, daß an Stelle des ,Bewufit« 
Beins eines Dinges außer uns** das „Ding außer uns** selbst gesetzt wird. 



271] Dritter Teü: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 688 

ihnen zunächst einen unverkennbaren logischen Dogmatismus. 
Dieser äußert sich schon in dem Postulat, aus einem einzigen, 
und zwar analytischen Satze das gesamte Wissen abzuleiten; 
sodann aber auch besonders deutlich darin, daß die dem logischen 
Dogmatismus unvermeidliche Konsequenz, nach der der Willkür 
der Reflexion die letzte Entscheidung über die Grundsätze des 
Systems überlassen bleibt ^ von Fichte ausdrücklich anerkannt 
und vertreten wird.* Aber, wie wir gesehen haben, bleibt er doch 
bei dieser Konsequenz nicht stehen. Schon die Einsicht in diese 
alles Wissen aufhebende Konsequenz selbst nötigt ihn, sich alsbald 
nach einer unmittelbaren Erkenntnis umzusehen, als nach einem 
Begründungsmittel, ohne dessen Vorweisung er auch nicht zu 
seinen ersten Voraussetzungen den Eingang finden könnte.' Weit 



> Vgl. § 50 Anmerkung. 

' Man vergleiche hierzu außer dem in § 128 Zitierten auch die „Zweite £in- 
leitong** (I, S. 508 f.), wo aosdrückUch als einziges Begründongsmittel der Beweis 
hingestellt und alle Möglichkeit einer Verständigung über die ersten Prämissen 
des Beweises abgelehnt wird, sowie die „Bestimmung des Menschen^ (II, S. 253 ff.), 
wo aus der Unbeweisbarkeit dieser ersten Prämissen geschlossen wird, daß „im 
bloßen Wissen kein Grand liegt, unsere Vorstellungen flir mehr zu halten, als fOr 
bloße Bilder*', nnd daß der Grund, warum wir sie dennoch fOr mehr halten und 
„ihnen etwas unabhängig Ton aller Vorstellung Vorhandenes zu Grande legen,** 
nicht in „Vemunftgründen**, sondern nur in einem „Interesse** liegen könne. Es 
„ist kein Wissen, sondern ein Entschluß des Willens, das Wissen gelten zu lassen.** 
' Fichte geht in diesem Gedankenzusanunenhange so weit, die Leerheit der 
Reflexion unzweideutig anzuerkennen: 

„Ich weiß, daß jede Torgebliche Wahrheit, die durch das bloße Denken 
herausgebracht, nicht aber auf den Glauben gegründet sein soll, sicherlich 
falsch und erschlichen ist, indem das durchaus durchgeführte bloße und reine 
Wissen lediglich zu der Erkenntnis führt, daß wir nichts wissen können; weiß, 
daß ein solches falsches Wissen nie etwas Anderes findet, als was es erst 
durch den Glauben in seine Vordersätze gelegt hat.** (II, S. 254.) 

Da aber Fichte, wie aus diesen Worten hervorgeht, das „Denken** (oder 
„Wissen**, als welches er es hier, der Jacobischen Darstellongsweise folgend, dem 
„Glauben** entgegensetzt,) auf den Umfang der heweisbann Urteile einschränkt. 



684 L- Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [272 

entfernt, den von ihm selbst geforderten logischen Dogmatismos 
durchzuführen y maß er sich gleich zu Beginn anf die „Selbst- 
beobachtnng^ berufen, die uns einen bestimmten Unterschied 
zwischen zweierlei Vorstellungsarten ;, wahrnehmen^ lassen solL 



so gelangt er auch mit seiner Lehre Tom „Glauben^ nicht über die Willkürlichkeit 
der Reflexion hinaus. Denn da dieser Glaube das Gebiet der „Vordersätze" des 
beweisenden „Denkens*' umfaßt, kann er keine unmittelbare Erkenntnis enthalten, 
sondern bleibt ein Produkt der Willkür; vir kommen mit ihm nur auf die wider- 
sinnige Fiktion, nach der ein Satz wahr wäre, weil wir wünschen, er möchte wahr 
sein. (Vgl. II, S. 256 : «Ich nehme es nicht an, weil ich muß, sondern ich glaube 
es, weil ich will'' oder IV, S. 26: „Ich ioiU selbständig sein, darum halte ich 
mich dafür. **) 

Zwar sucht Fichte den relativistischen Eonsequenzen dieser Lehre dadurch 
auszuweichen, daß er den Willen, von dem jener „Glaube** abhängt, durch all- 
gemeine praktische Gesetze bestimmt sein läßt: 

„Die praktische Vernunft ist die Wurzel aUer Vernunft. Die Handels- 
gesetze für vernünftige Wesen sind unmittelbar gewiß : ihre Welt ist gewiß nur 
dadurch^ daß jene gewiß aind^ (II, S. 263.) 

„Ohne was es überhaupt keine Pflicht geben könnte, ist absolut wahr; 
und es ist Pflicht, dasselbe für wahr zu halten . . . Das Kriterium aller theore- 
tischen Wahrheit ist nicht selbst wieder ein theoretisches, sondern es ist ein 
praktisches, bei welchem zu beruhen Pflicht ist . . . Die einzige feste und letzte 
Grundlage aller meiner Erkenntnis ist meine Pflicht.** (IV, 165 ff.) 

Aber er bemerkt nicht, daß mit diesem Schritte alle vorhergegangenen Be- 
mühungen seiner Erkenntnistheorie wieder illusorisch gemacht werden und das 
ursprüngliche Problem nur verschoben wird. An die Stelle der Frage: Wie 
kommen wir zum Wissen um das Dasein von Dingen? tritt nunmehr die Frage: 
Wie kommen wir zum Wissen um Handelsgesetze? Es ist somit durch alle 
Bemühung nichts weiter gewonnen, als daß an die Stelle einer spekulativen Kate- 
gorie eine praktische gesetzt ist. Das Problem lag nach Fichte gar nicht im 
Begriffe des „Dinges**, oder dies doch nur insofern, als das Ding etwas außer 
unserer Vorstellung sein, das Wissen jedoch auf den Bereich der Vorstellungen 
eingeschränkt sein sollte. Dieses „außer unserer Vorstellung** findet aber bei den 
„Handelsgesetzen** ebenso statt wie vorher bei den Dingen, und es ist daher 
keinerlei Grund vorhanden, weshalb von jenen eher als von diesen ein unmitUl- 
bares Wissen möglich sein soll. Das eigentliche Problem steht also am Ende der 
Untersuchung genau so ungelöst da wie am Anfang. 



273] Dritter Teil: Die Gesc&icEte der Erkenntnistheorie. 685 

(§ 127.) Und auch im weiteren Fortgange trägt er kein Bedenken, 
sich auf das Zeugnis des „unmittelbaren Bewußtseins^ zu berufen; 
auf das, „was sich nur innerlich anschauen läßt^, auf das, „was 
jeder, der nur einen festen Blick in sich geworfen, schon längst 
gefunden haben muß^. (§ 131.) Wie ist es aber möglich, der 
Philosophie die geforderte Apriorität (§ 127) zu wahren, wenn 
gleich die ersten Sätze, von denen sie ausgeht, der „Selbstbeob- 
achtung^ oder der „inneren Anschauung^ entnommen werden 
müssen? Offenbar kann Fichte der Eonsequenz eines radikalen 
Psychologismus und Empirismus auf keinem anderen Wege zu 
entgehen hoffen, als indem er die empirische Natur jener Selbst- 
beobachtung bestreitet; d. h. nur durch die mystische Fiktion 
einer intelleJctuellen Anschauung. Diese Fiktion führt Fichte mit 
Entschlossenheit durch in seiner „Zweiten Einleitung in die Wissen- 
. Schaftslehre". ^ 

134. Achtet man hier auf die Begründungsweise, mit der Fichte 
seine Behauptung des „Faktums*' ^ einer intellektuellen Anschauung 
einführt, so wird man unsere Darstellung des Weges, der ihn auf 
diese Fiktion führen mußte, bestätigt finden. Die Anschaulichkeit 
der fraglichen Erkenntnisweise wird nämlich überall ohne weiteres 
als die der unmittelbaren Selbsterkenntnis eigentümliche voraus- 
gesetzt,' ebenso wie andererseits die Behauptung ihres intellektuellen 
Charakters ohne weiteres als durch den Begriff einer philosophi- 



^ „Diese intellektuelle Anschanong ist der einzige feste Standpunkt für alle 
Philosophie. . . Meine Philosophie wird hier ganz anabhängig von aller Willkür.^ 
(S. 466 f.) » S. 465. 

' „Dieses dem PhUosophen angemutete Anschauen seiner selbst im Voll- 
ziehen des Aktes, wodurch ihm das Ich entsteht, nenne ich intellektuelle An- 
schauung. . . Jeder, der sich eine Tätigkeit zuschreibt, beruft sich auf diese 
Anschauung.^* (S. 463.) 

▲bhandlnogcB der Fzi«i*MhtB Sebsl«. IL fi4. 4A 



686 L* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [274 

sehen Erkenntnis bedingt angenommen wird.^ Der ganzen Argu- 
mentation, die die Vereinigung des Anschanlichen mit dem In- 
tellektuellen in einer Erkenntnisweise bezweckt, liegt also die 
stillschweigende Voraussetzung des transzendentalen Vorurteils 
zu Grunde, daß die philosophische Erkenntnis ihr konstitutives 
Prinzip in der Selbsterkenntnis hat. Ist dieses Vorurteil einmal 
zu Grunde gelegt, so bedarf es in der Tat nur der Hinweisung 
auf die tatsächliche Anschaulichkeit der unmittelbaren Selbst- 
erkenntnis einerseits und auf die tatsächlich intellektuelle Natur 
der philosophischen Erkenntnis andererseits, um eine intellektuelle 
Anschauung als das konstitutive Prinzip der Philosophie geltend 
zu machen. Das Resultat widerspricht freilich den psychologischen 
Tatsachen. Denn diese lehren, daß die anschauliche Selbsterkennt- 
nis eine sinnliche, und das Bewußtsein xmi die unmittelbare philo- 
sophische Erkenntnis kein unmittelbares, sondern ein durch JRe- 
flexion vermitteltes ist. Aber durch das zu Grunde liegende 
transzendentale Vorurteil werden diese Tatsachen der Beobachtung 
des Philosophen entrückt, und an ihrer Stelle erscheint die Fik- 
tion einer besonderen die Anschaulichkeit der Selbsterkenntnis 
mit der intellektuellen Natur der philosophischen Erkenntnis ver- 
einigenden Erkenntnisart.^ 



^ So z. B. wenn Fichte sich (S. 465) darauf beruft, daß sinnlieh nur die 
zeitliche Folge der Vorstellungen, nicht aber die reale Abhängigkeit der einen 
von der anderen erkennbar sei, oder wenn er sich (S. 467 f.) auf den ratlonakn 
Ursprung der Begrifife von Tugend und Recht beruft und auf die Unmöglichkeit, 
die „Unterlage der Konstruktion dieser BegrifTo^ in einer anderen als rationalen 
Erkenntnis zu suchen. Die „unmittelbare** Erkenntnis, die die Unterlage jener 
Begriffe bilden soll, denkt er sich aber sofort als eine „unmittelbare Afisdiauung^, 
— Ebenso, wenn er Ton dem Bewußtsein um den kategorischen Imporati? sagt: 
„Dieses Bewußtsein ist ohne Zweifel ein unmittelbares, aber kein sinnliches*' 
(S. 472), um dieses „Bewußtsein** als eine intellektuelle Anschauung zu erweisen. 

' Was Fichte anführt, um zu zeigen, daß seine Annahme einer intellek* 



275] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 687 

135. Die erkenntnis theoretische Fragestellung, durch die 
dieses Vorurteil zuletzt veranlaßt ist, tritt bei Fichte klar zu 
Tage. Auf sie wollen wir noch etwas naher eingehen. Sie zeigt 
sich gleich zu Anfang in seiner Formulierung der Aufgabe der 
Wissenschaftslehre : 



tuellen Anschaumig mit der Kantischen Verwerfung dieser Annahme dorchaos im 
Einklang stehe, and um so die Behauptung der Identität seiner Philosophie mit 
der Kantischen aufrechterhalten zu können, ist durchaus sophistisch. Er be- 
hauptet, daß „in beiden Systemen mit demselben Worte ganz Terschiedene Be- 
griffe ausgedrückt werden**: 

„In der Kantischen Terminologie geht alle Anschauung auf ein Sein; 
intellektuelle Anschauung wäre sonach das unmittelbare Bewußtsein . . . des 
Dinges an sich. . • Die intellektuelle Anschauung, von welcher die Wissen- 
schaftslehre redet, geht gar nicht auf ein Sein, sondern auf ein Handeln.** 
(S. 471 f.) 

Woraus folgt denn aber, daß das „Handeln** nicht auch ein „Sein** im 
Kantischen Sinne sein kann? Wenn Fichte freilich die Worte „Sein** und „Ding** 
willkürlich auf die Bedeutung eines ät^eren Seins und eines äußeren Dinges 
einschränkt, so geht die von ihm behauptete intellektuelle Anschauung allerdings 
nicht auf ein Sein und auf Dinge. Dadurch hört diese intellektuelle Anschauung 
aber nicht auf, unter den Ton Kant mit demselben Ausdruck bezeichneten Begriff 
zu fallen. Kant sagt: 

„Das Bewiißtsein seiner Selbst (Apperzeption) ist die einfache Vorstellung 
des Ich, und, wenn dadurch allein alles Mannigfaltige im Subjekt selbst- 
tätig gegeben wäre, so würde die innere Anschauung intellektuell sein.** 
(Allgemeine Anmerkungen zur transzendentalen Ästhetik, ü.) 

Gerade dies aber, daß durch die einfache Vorstellung des Ich allein aUes 
Mannigfaltige im Subjekt selbsttätig gegeben werde, gerade dies ist es, was 
Fichte behauptet. Er sagt z. B.: 

„Welches ist denn der Inhalt der Wissenschaftslehre in zwei Worten? 
Dieser: die Vernunft ist absolut selbständig. Alles sonach, was sie ist, muß 
in ihr selbst begründet sein und nur aus ihr selbst . . . erklärt werden.** (S. 474.) 
Die Wissenschaftslehre giebt „eine systematische Ableitung des gesamten Be- 
wußtseins vom reinen Ich.** Nur was der Philosoph „so als Bewußtsein ab- 
gdeitet hat, ist für ihn Bewußtsein, und alles übrige ist und bleibt nichts. 
Sonach bestimmt ihm die Ableitbarkeit vom Selbstbewußtsein den Umfang 
dessen, was ihm als Bewußtsein gilt.** (S. 477.) 

44* 



ggg L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [276 

„Die Frage, die die Wissenschaftslehre zu beantworten hat, 
ist folgende: woher das System der vom Gefühle der Notwen- 
digkeit begleiteten Yorstellongen? oder: wie kommen wir daza, 
dem, was doch nor subjektiv ist, objektive Gültigkeit beizu- 
messen? . . . Wie kommen wir dazu, ein Sein anzunehmen?^ 
„Sie fragt nach dem Grunde des Prädikats vom Sein überhaupt.^ ^ 
Eine Fragestellung, der offenbar die fehler];Lafte psychologische 
Annahme zu Grunde liegt, als seien uns unmittelbar nur unsere 
eigenen Vorstellungen gegeben, zu denen die Objektivität erst 
mittelbar durch die Reflexion hinzugebracht werde.^ Und nichts 
als ein weiterer psychologischer Fehler ist die Weise, in der 
Fichte das gestellte Problem aus einer Betrachtung des Verhält- 
nisses der Erkenntnis zum Gegenstande in der Selbsterkenntnis 
zu lösen unternimmt. In der Selbsterkenntnis nämlich soll die 
dem Problem zu Grunde liegende Schwierigkeit wegfallen, da, wie 
er meint, hier Identität zwischen Erkenntnis und Gegenstand 
bestehe : 

Wer sich selbst denkt, „wird dieses Handeln hoffentlich 
von dem entgegengesetzten j wodurch er Objekte außer sich denkt, 
unterscheiden können und finden, daß in dem letzteren das 
Denkende und das Gedachte entgegengesetzt sein, sonach seine 
Tätigkeit auf etwas von ihm selbst verschiedenes gehen soll, 
da hingegen in dem Geforderten das Denken und das Gedachte 
dasselbe sein, und sonach seine Tätigkeit in sich selbst zurück- 
gehen soll."' 

Allerdings sind in der Selbsterkenntnis Subjekt und Objekt, 
Denkendes und Gedachtes, identisch; der Akt des Denkens aber 
ist von dem Gedachten (die Erkenntnis von ihrem Objekt) ebenso 



1 S. 455 f. ' Man vgl. das ZiUt zu Anfang des § 131. > S. 462. 



277] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 689 

verschieden wie im Falle einer äußeren Erkenntnis. Einzig and 
allein durch die Verwechslung des Verhältnisses des DenJcenden 
zum Gedachten mit dem Verhältnis des Denkens zum Gedachten 
entsteht für Fichte der Schein, als sei das Verhältnis der Erkennt- 
nis zum Gegenstande im Falle der Selbsterkenntnis ein anderes 
und begreiflicheres als in irgend einem anderen Falle,^ 

136. Diese Verwechslung ist zugleich der Grund der schon 
erörterten Identifizierung des Verhältnisses der Erkenntnis znm 
Gegenstande mit dem Verhältnis der Intelligenz zur Materie oder 
des Ich zum Nicht-Ich. Das Ich kann Gegenstand der Erkenntnis 
werden so gut wie jedes Außending, und es ist daher unrichtig, 
wenn Fichte behauptet, daß wenn von allen Gegenständen der 
Erkenntnis abstrahiert werde, das Ich als ein „Nicht-Objekt** 
übrig bleibe.' Diese Fichtesche Behauptung selbst macht ja das 
Ich zu ihrem Gegenstande und widerlegt sich daher selbst.' 

Dieser Fehler äußert sich schon darin, daß Fichte seine er- 
kenntnistheoretische Fragestellung, ohne den Unterschied zu be- 
merken, bald auf das Verhältnis der Vorstellung zu ihrem Objekt, 



^ Die hier von Fichte begangene Verwechslung ist dieselbe, die wir (§ 84) 
bei RiCKEBT gefunden haben. Während aber Fichte aus der Identität des 
Denkenden und Gedachten in der Selbsterkenntnis auf die Identität von Erkennt- 
nis und Qegenatand schließt, macht Rickert den entgegengesetzten Fehlschluß, 
indem er aus der Verschiedenheit von Erkenntnis und Gegenstand auf die Un- 
möglichkeit der Selbsterkenntnis schließt 

' „Das, was nach dieser Abstraktion übrig bleibt, ist das Ich überhaupt, 
d. h. das Nicht-Objekt. ** „Wenn gesagt wird: ich bin das Denkende in diesem 
Denken ; setze ich mich ' dann etwa nur anderen Personen außer mir entgegen ; 
setze ich mich nicht vielmehr allem Gedachten entgegen? . . . Indem ich mich als 
das Vorstellende vom Vorgestellten unterscheide, unterscheide ich mich dann bloß 
von anderen Personen, oder unterscheide ich mich von allem Vorgestelltem, als 
solchem? (S. 502 f.) 

> Die Behauptuhg enthält einen introjizierten Widersprach. 



690 L* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [278 

bald auf das Verhältnis des Ich zu den „Dingen außer ons^ be- 
zieht. Man vergleiche z. B. mit den schon zitierten Stellen die 
folgende : 

„Meines Erachtens ist die Frage, welche die Philosophie za 
beantworten hat, folgende: wie hangen unsere Vorstellungen 
mit ihren Objekten zusammen? ... In jeder Wissenschaft wird 
vorausgesetzt, daß unseren Vorstellungen Dinge außer uns ent- 
sprechen; und diese Voraussetzung ist die Bedingung der Mög- 
lichkeit aller Wissenschaft: die Philosophie soll diese Voraus- 
setzung erhärten; durch sie sonach wird unser Vorstellen erst ein 
Wissen.^ „Welches ist der Grund unserer Behauptung, daß 
unseren Vorstellungen etwas außer uns entspreche ? Diese Auf- 
gabe, die eigentliche Aufgabe aller Philosophie, nimmt die 
Wissenschaftslehre auf."* „Dos Ding soll etwas sein außer mir 
dem Wissenden. Ich bin das Wissende selbst, Eins mit dem 
Wissenden. — Es entsteht über das Bewußtsein des erstem die 
Frage: wie kann, da das Ding nicht von sich weiß, ein Wissen 
vom Dinge entstehen; wie kann, da ich nicht selbst das Ding 
bin, noch irgend eine seiner Bestimmungen, da alle diese Be- 
stimmungen desselben lediglich in den Umkreis seines eigenen 
Seins fallen, keineswegs aber in den des meinigen, ein Bewußt- 
sein des Dinges in mir entstehen? Wie kommt das Ding herein 
in mich? Welches ist das Band zwischen dem Subjekte, Mir, 
und dem Objekte meines Wissens, dem Dinge? Diese Frage 
findet in Absicht meiner nicht statt. Ich habe das Wissen in 
mir selbst, denn ich bin Intelligenz. . . Es bedarf hier keines 
Bandes zwischen Subjekt und Objekt; ... ich bin Subjekt und 
Objekt.«« 

» II, S. 435. « U, S. 440. » ü, S. 226. 



279] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 691 

137. Wie lost nnn Fichte das gestellte Problem? Diese 
Losung liegt in dem Satze: 

„Das Bewußtsein des Gegenstandes ist nur ein nicht dafür 
erkanntes Bewußtsein meiner Ereeugung einer Vorstellung vom 
Gegenstände.*^ ^ 
Der Begriindang dieses Satzes wollen wir noch etwas genauer 
nachgehen. Wir finden sie am deutlichsten dargestellt im „zweiten 
Buche" der „Bestimmung des Menschen". Die für diese Begrün- 
dung wesentlichen Sätze sind die folgenden: 

(1) „Du hast ein Bewußtsein deines Sehens, Fühlens u. s. w. 
und dadurch nimmst du den Gegenstand wahr." 

(2) „Konntest du ihn nicht wahrnehmen auch ohne dieses 
Bewußtsein? — Keinesweges • , . du weißt etwas, nur in wiefern 
du weißt — daß du dieses etwas weißt: — es kann in dem 
letzteren nichts vorkommen, was nicht in dem erster en liegt."* 

(3) „Ich fühle mich affiziert auf diejenige Weise, die ich 
rot, blau, glatt, rauh, nenne ; du solltest . . . nicht für Eigen- 
schaften des Gegenstandes ausgeben, was doch nur deine eigene 
Modifikation ist." „Ich empfinde sonach nur mich selbst, und 
meinen Zustand, nicht aber den Zustand des Gegenstandes." 

(4) „Wenn es ein Bewußtsein des Gegenstandes giebt, so 
ist dasselbe wenigstens nicht Empfindung, oder Wahrnehmung; 
so viel ist klar." • 

(5) „Fassen wir daher gleich diese Frage . . . : wie magst 
du überhaupt dazu kommen, mit deinem Bewußtsein, das doch 
unmittelbar nur Bewußtsein deiner selbst ist, aus dir heraus- 
zugehen, und zu der Empfindung, die du wahrnimmst, ein Em- 

1 II, S. 221. » n, S. 201, » n, 8.204. 



692 L. Nelson: Über da« sogenannte Erkenntnisproblem. 

pfandenes und Empfindbares hinzuzusetzen, das du nicht wahr- 
nimmst?" 

(6) „Ich bin affiziert, dies weiß ich schlechthin : diese meine 
Affektion muß einen Grand haben: in mir liegt dieser Grund 
nicht) sonach außer mir. So schließe ich schnell, xmd mir un- 
bewußt; und setze einen solchen Grund, den Gegenstand.^ ^ 

(7) „Aber woher die Notwendigkeit und Allgemeinheit, mit 
der du deine Sätze, so wie hier den Satz vom Grunde, aus- 
sagst ?** „Alles Zufallige, dergleichen hier meine Affektion war, 
hat einen Grund, heißt: ich habe von jeJier einen Grund hinzu- 
gedacht^ xmd jeder, der nur denken wird, wird gleichfalls genötigt 
sein, einen Grund hinzuzudenken,^ 

(8) „Du siehst sonach ein, daß alles Wissen lediglich ein 
Wissen von dir selbst, . . • und daß dasjenige, was du für ein 
Bewußtsein des Gegenstandes hältst, nichts ist als ein Bewußt- 
sein deines Setzens eines Gegenstandes.^* — 

Satz (1) ist zweideutig, indem das Wort „dadurch" sowohl 
auf „Bewußtsein", als auch auf „Sehen, Fühlen u. s. w." bezogen 
werden kann. In der Tat nehme ich den Gegenstand wahr, indem 
ich ihn sehe, fühle u. s. w., nicht aber durch das Bewußtsein um 
das Sehen, Fühlen u. s. w. 

Satz (2) schließt den bereits in § 131 widerlegten Fehler ein. 
Wenn ich etwas nur weiß, inwiefern ich weiß, daß ich dieses etwas 
weiß, so kann ich auch das Wissen, daß ich dieses etwas weiß, 
nur haben, inwiefern ich weiß, daß ich weiß, daß ich dieses etwas 
weiß, und so fort; so daß ich überhaupt zu keinem Wissen ge- 
langen könnte, weil diese Reihe kein Ende hat. 

Satz (3) widerspricht der Selbstbeobachtung. Ich fühle nicht 

» U, S. 212. « 8. S. 221 f. 



281] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 693 

mich rot; blaa, glatt oder ranh, sondern den Gegenstand dranßen. 
Mich selbst fühle ich dabei entweder gar nicht, oder aber, im 
Falle, daß ich das Bewußtsein anf mich selbst lenke, finde ich 
mich dabei beteiligt lediglich als wahrnehmend, nämlich den roten, 
blanen, glatten oder rauhen Gegenstand wahrnehmend, nicht aber 
als „affiziert^. Hinterher, wenn ich mich als wahrnehmend ge- 
funden habe, kann ich, da ich den Zustand der Wahrnehmung als 
einen ohne mein Zutun eingetretenen erkenne, diesen Zustand als 
einen von außen her bewirkten denken, und dadurch zum Begriffe 
des Affiziert-Seins kommen. Bie bloße Wahrnehmung des Roten, 
Blauen, Glatten oder Rauhen enthält von alledem nichts.^ 

Die Behauptung (4) beruht folglich auf ungenügender Selbst- 
beobachtung. 

Die in (5) ausgesprochene Frage läßt sich daher gar nicht 
stellen ; denn die Voraussetzung, von der sie ausgeht, ist lediglich 
Fiktion. 

Satz (6) soll nun erklären, wie wir zu der Vorstellung des 
Gegenstandes außer uns kommen. Diese Erklärung begeht aber 
eine petitio principii, indem sie durch die Annahme, der Grund 
der angeblich vorgefundenen Affektion liege „außer mir", das 
Abzuleitende vorwegnimmt. 

Satz (7) soll die idealistische Behauptung (8) rechtfertigen, 
nach der der angeblich erschlossene Gegenstand kein Ding an sich 
ist. Dieser Zweck wird aber nicht erreicht. Denn etittoeder ich 
(und ebenso „jeder" andere)* bin wirklich genötigt, den Grund 
der Affektion zu denken : dann denke ich (und jeder andere) diesen 



» Vgl. § 75. 

' Woher weiß dies Fichte, wenn er nur den Zustand seines eigenen Be- 
wußtseins wahrnehmen kann ? Wir haben hier wieder einen introjizierten Wider- 
sprach vor uns. 



694 L* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. 

Grund tatsächlich^ und denke nicht etwa nnr, ich sei genötigt^ 
diesen Grund zu denken. Das in (6) beschriebene Denkverfahren 
läßt sich also auch von dem Philosophen nicht umgehen, und dieser 
wird wohl oder übel das Dasein Jlußerer Gegenstände denken 
müssen und sich nicht über die Annahme des verhaßten Dinges 
an sich erheben können. — Oder aber der Satz in (6) „Diese meine 
AflFektion muß einen Grund haben" j^heißt^ wirklich nichts anderes 
als „Ich habe von jeher einen Grund hinzugedacht u. s. w.", ich 
denke also, indem ich jenen Satz denke, wirklich nnr das in diesem 
Ausgesagte: dann führt der in (6) beschriebene Prozeß nicht zn 
dem Resultat des „Setzens^ eines Gegenstandes außer mir. Dieser 
Denkprozeß würde vielmehr folgendermaßen ausfallen: „Ich bin 
affiziert, dies weiß ich schlechthin. Ich habe von jeher einen 
Grund zu meinen Affektionen hinzugedacht und habe schnell und 
unbewußt geschlossen, daß diesen Affektionen ein Gegenstand 
außer mir entspreche. Jetzt, wo ich einsehe, daß ich nur vor- 
schnell so geschlossen habe, — wo ich weiß, daß mein Bewußtsein 
des Gegenstandes nur ein nicht dafür erkanntes Bewußtsein meiner 
Erzeugung einer Vorstellung vom Gegenstande war, werde ich 
nicht mehr für Eigenschaften des Gegenstandes halten, was doch 
nur meine eigene Modifikation ist. Ich weiß also schlechthin: ich 
bin affiziert, aber diese Affektion hat ihren Grund nicid in einem 
Gegenstande außer mir." ^ 



^ Man vergleiche hierzu die folgende Stelle aus der „Zweiten Einleitung in 
die Wissenschaftslehre"* (S. 491): 

„Es ist ohne Zweifel unmittelbares Faktum des Bewußtseins : ich fühle 
mich so und so bestimmt. Wenn nun die oft belobten Philosophen dieses Gte- 
fühl erklären wollen, sehen sie denn nicht ein, daß sie dann etwas daran 
hängen wollen, das nicht unmittelbar im Fakto liegt; und wie können sie dies, 
ohne durch Denken, und zwar durch Denken nach einer Kategorie; hier nach 
dem Satze des Bealgrundes? Wenn sie nun nicht etwa eine unmittelbare 



2831 Dritter Teil: Die Geschichte der ErkenDtnistheorie. 695 

138. Die Nichtigkeit der idealistischen Losung des erkenntnis- 
iheoretischen Problems läßt sich übrigens ganz allgemein durch 
eine höchst einfache Betrachtung einsehen. Unter dem »reinen 
Ich^^y als dessen Erzeugnis das Seih gelten soll, dürfen wir nach 
Fichte nicht das persönliche Ich des Individuums verstehen. Ganz 
natürlich, denn die sonst unvermeidliche psychologistische Kon- 
sequenz mit ihren solipsistischen Absurditäten liegt offen zu Tage. 
Auch der Gedanke der „Persönlichkeit**, auch der Gedanke 
.Meines Seins** entsteht also nach dieser Lehre auf keinem anderen 



Anschauung des Dinges an sich und seiner Verhältnisse haben, was wissen sie 

denn über diesen Satz anderes, als daß sie genötigt sind, nach ihm zu denken? 

Sie sagen sonach nichts weiter aus, als daß sie genötigt sind, ein Ding als 

Grund hinzuzudenken. . . Ihr Ding ist durch ihr Denken hervorgebracht . ." 

Ist denn das „Tun" und „Handeln** des Ich nicht etwas durch Kategorieen 

Gedachtes ? Steht sonach Fichtes Erklärung der Yom Gefühle der Notwendigkeit 

begleiteten Vorstellungen aus dem Handeln des Ich nicht ganz auf einer Stufe 

mit der von ihm verspotteten Annahme des Dinges an sich ? Dann kann auch er 

seine Erklärung nicht für wahr halten, sondern er dürfte nur sagen, er sei ge- 

nötigt, sie für wahr zu halten. Vielmehr nicht einmal dies, sondern er müßte 

sagen, er sei nur genötigt^ zu denken, er sei genötigt, so zu denken. Und so fort 

ohne Ende, so daß überhaupt keine Aussage zulässig wäre. (Fichtes Behauptung 

enthält den in § 82 erörterten introjizierten Widerspruch.) 

Wenn Fichte Einwänden dieser Art dadurch zu entgehen hofft, daß er sein 
Ich als ein bloßes Tun ohne Tuendes, als ein Handeln ohne Handelndes erklärt, 
so übersieht er, daß diese Erklärung nicht, wie er will, ein Denken des Ich ohne 
Kategorieen ist, sondern der widersinnige Versuch, das Ich nach einer Kategorie 
zu denken, die in eben diesem Gedanken aufgehoben gedacht werden soll Ein 
Versuch, der sich wohl in Worte fassen und hinschreiben, bei dem sich aber 
schlechterdings nichts denken läßt. Der Begriff des Tuns enthält die Kategorie 
des Accidcns, und diese Kategorie gehört dem Moment der BeUUion an und 
schließt analytisch die Beziehung auf ein Subjekt ein. Entweder also man be- 
stimmt das Ich überhaupt nicht durch Kategorieen, dann ist man gezwungen, bei 
der bloßen Anschauung stehen zu bleiben; oder aber man denkt es durch den 
Begriff des „Tuns**, dann hat man es eo ipso durch einen Belationsbegriff als 
„Tätiges ** bestimmt: man täuscht sich also mit Worten, wenn man nach Auf- 
hebung dieser Relation noch einen Gedanken übrig zu behalten glaubt 



696 L. Nelson: Über dM sogenannte Erkenntnisproblem. [284 

Wege als der einer äußeren Realität S nnd es folgt, daß „der Zu- 
sammenhang dieses Außer-nns mit uns selbst nur ein Zusammenliang 
in unseren Gedanken ist". * Im Gesamtgebiete des durch das 
,,reine Ich'' erzeugten „Seins'' haben wir sonach gewisse „denkende 
Wesen"' von gewissen nicht-denkenden Wesen oder „Dingen" zu 
unterscheiden.^ Nicht von diesen selbst erst durch das Denken 
des reinen Ich erzeugten individuellen denkenden Wesen hängen 
sonach die äußeren „Dinge" ab, sondern allein von jenem nicht- 
individuellen „reinen" Ich. — Macht man sich dies klar, so ist 
ohne weiteres ersichtlich, daß das ursprüngliche Problem, das zur 
Aufstellung dieser idealistischen Lehre Anlaß gegeben hatte und 
durch sie gelost werden sollte, sich nunmehr in anderer Form 
von neuem erhebt. Es erhebt sich nämlich die Frage: Wie 
hängen die Vorstellungen des durch das reine Ich erzeugten 
„denkenden Wesens" mit ihren Objekten, den außer ihnen 
befindlichen Dingen, zusammen? Das Ding soll etwas sein außer 
dem Vorstellenden; es entsteht über das Bewußtsein des ersteren 
die Frage: wie kann, da das Ding nicht von sich weiß, ein 
Wissen vom Dinge in dem vorstellenden Wesen entstehen; wie 
kann, da das vorstellende Wesen nicht selbst das vorgestellte 
Ding ist noch irgend eine seiner Bestimmungen, ein Bewußtsein 
des Dinges in dem vorstellenden Wesen entstehen? wie kommt 
das Ding in das vorstellende Wesen herein?* — Die Schwierigkeit 
ist hier dieselbe wie im Falle der ursprünglichen Problem- 
stellung. 



1 II, S. 244 f, « n, S. 238. » D, S. 243. 

* „Jenes denkende, geistige Wesen, jene IntelUgenz, . . . was kann sie selbst 
nach diesen Grundsätzen sein, als ein Produkt meines Denkens, etwas bloß und 
lediglich Erdachtes.** (U, S. 242.) 

■ Vgl. die in § 136 zitierte Formulierung des Fichteschen Problems. 



286] Dritter Teil: Die Gesciüchte der Erkenntnistheorie. 697 

Nach der Schlnßweise des erkenntnistheoretischen Idealismus 
ließe sich dies „Problem" nicht anders lösen als dnrch den Satz, daß 
das Bewußtsein des vom vorstellenden Wesen vorgestellten Dinges 
nur ein nicht dafür erkanntes Bewußtsein der Ereeugung einer 
Vorstellung vom Dinge ist.^ Der Zusammenhang des vorgestellten 
Dinges mit dem vorstellenden Wesen erwiese sich also als ein 
Zusammenhang innerhalb der Gedanken des vorstellenden Wesens ; 
und wir hätten wieder im Gesamtgebiete des durch das denkende 
Wesen Erzeugten denkende Wesen höherer Ordnung und nicht- 
denkende Dinge höherer Ordnung zu unterscheiden. 

Diese Lösung unseres Problems aber giebt sofort wieder 
Anlaß zu dem weiteren Problem: Wie hangen die Vorstellungen 
des durch das denkende Wesen erzeugten denkenden Wesens 
höherer Ordnung mit ihren Objekten, den außer ihnen befindlichen 
Dingen höherer Ordnung, zusammen? Wie kann, da das Ding 
höherer Ordnung nicht von sich weiß, ein Wissen von diesem 
Dinge in dem vorstellenden Wesen höherer Ordnung entstehen? 
Wie kommt das Ding höherer Ordnung in das vorstellende Wesen 
höherer Ordnung herein? 

Man sieht, daß die Lösung dieses Problems auf die Annahme 
eines durch das denkende Wesen höherer Ordnung erzeugten 
denkenden Wesens dritter Ordnung führt, dessen Verhältnis zu den 
von ihm verschiedenen Dingen wieder dasselbe Problem einschließt. 
Und so muß jede „Lösung" eines derartigen „Problems" zu der 
Erneuerung desselben Problems in dem durch die Lösung definierten 
Gebiete höherer Ordnung Anlaß geben. Es ist nicht nötig, diese 
Reihe von ;,Lösungen" hier weiter zu verfolgen. Jede dieser 
Lösungen giebt uns das zu lösende Problem rein zurück, und es 



Vgl. FiCHT£s Lösung § 137. 



700 I^* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [288 

begleiteten Vorstellungen bezeichnet. Um nnn die gestellte Auf- 
gabe zu losen, wird festgesetzt, daß das System der vom G-efüble 
der Notwendigkeit begleiteten Vorstellungen „Erfahrung'' genannt 
werden soll. Da nun offenbar der Grund außerhalb des Begründeten 
liegt, so ist nichts weiter notig, als der durch Definition fest- 
gesetzten Bedeutung des Wortes „Erfahrung'' die von ihr gänzlich 
verschiedene sprachübliche Bedeutung zu substituieren, um den 
gesuchten Satz zu erhalten, daß dem Objekt der Philosophie 
Apriorität zukomme. 

Oder es sei der idealistische Satz zu beweisen, daß es keine 
Dinge an sich geben könne. Zu diesem Beweise genügt die Vor- 
aussetzung, daß ein Ding nur dann erkannt werden kann, wenn 
eine erkennende Intelligenz vorhanden ist. Diesen keinem Zweifel 
unterliegenden analytischen Satz kann man nämlich in der Form 
aussprechen, daß ein Ding nur „für" eine Intelligenz dasein könne. 
Nun verbindet der Sprachgebrauch mit dem Ausdruck „nur für 
eine Intelligenz dasein" den Begriff der ÄbhängigJceü von einer 
Intelligenz. Die Substitution dieser sprachüblichen Bedeutung des 
Ausdrucks an Stelle der vorher eingeführten genügt, um ohne 
weiteres aus dem vorausgesetzten Satze den zu beweisenden 
hervorgehen zu lassen, daß es keine Dinge an sich geben könne. 

Oder schließlich, es handle sich darum, zu beweisen, daß die 
Persönlichkeit frei, d. h. nicht von der Natur abhängig ist. Nun 
war vorher der Satz abgeleitet worden, daß die Natur kein Ding 
an sich, sondern ein bloßes Produkt der Intelligenz ist, ein Satz, 
in dem der Ausdruck „Intelligenz" als etwas Nicht- Persönliches 
definiert war. Da nun nach dem Sprachgebrauch derselbe Ausdruck 
die Persönlichkeit bezeichnet, ist es nur erforderlich, von der fest- 
gesetzten Bedeutung des Ausdrucks zu der sprachüblichen über- 
zugehen, um den gewünschten Beweis zu erhalten, daß die Natur 



Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 701 

lediglich ein Produkt der Persönlichkeit, diese letztere also von 
der Natur unabhängig oder frei ist. — 

140. Ich würde mich bei diesen Wortspielen nicht aufhalten, 
wenn nicht die Tatsache bestünde, daß ihnen noch heutigen- 
tages von hochgeachteten Männern eine „vollendete Klarheit"^ 
und „eine überragende und für absehbare Zeit unvergängliche Be- 
deutung^ zugeschrieben wird.' Die Bücksicht auf diese Tatsache 
ließ es angezeigt erscheinen, dem Gregenstande dieses Kapitels eine 
ausführlichere Behandlung zu widmen als seinem wahren Werte 
angemessen wäre. Das Ergebnis unserer Prüfung rechtfertigt es, 
wenn wir über diejenigen, die auf der von Fichte eingeschlagenen 
Bahn weiter fortgeschritten sind, desto kürzer hinweggehen und 
unsere Betrachtungen über die Greschichte des transzendentalen 
Vorurteils abbrechen, auch ohne dasselbe in seine weiteren Aus- 
prägungen zu verfolgen. Die Wülkürlichkeit der Dialektik, die 
schon das Fichtesche Philosophieren in so hohem Maße charakteri- 
siert, steigert sich bei den Nachfolgern zu solcher Schrankenlosig- 
keit, daß diese ein wissenschaftliches Interesse nicht mehr bieten 
und eine auf die fortschreitende Klärung der Probleme gerichtete 

» W. Windelband, Geschichte der Philosophie, 2. Aufl. 1900, S. 472. 

> II. RiCKERT, S. 124 des 2. Bandes der Festschrift für Kuno Fischer : 
„Die Philosophie im Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts''. 

In der Tat heraht z. B. Bickerts vielbewunderte Widerlegung des Natura- 
lismus ausschließlich auf einer Wiederholung des zuletzt dargelegten Fichteschen 
Sophismas. Man vergleiche z. B. die eben genannte Schrift oder auch seine 
„Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung''. Hier heißt es S. 681: 
„uns Individuen muß jedes Naturgesetz als etwas von uns schlechthin Unab- 
hängiges erscheinen, das so wenig in seiner Geltung an uns gebunden ist, daß 
wir vielmehr von ihm abhängen, und wir denken in keiner Weise daran, das 
Recht dieser Überzeugung in Frage zu stellen. Im Gegenteil, diese Voraussetzung 
soll die erkenntnistheoretische Deduktion begründen.** Das BesuUcU der „erkennt- 
nistheoretischen Deduktion** lautet: „Unter philosophischen Gesichtspunkten ist 
die ,Natnr* selbst nur ein Ergebnis menschlicher Kulturarbeit** (S. 692.) 

AUudlnngMi dtr Fiiit*ic]i6B Bekvl«. IL B4. 45 



702 li* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [290 

Greschichtsschreibung an ihnen vorübergehen daxf.^ — Was aber 
die anfänglich im Gegensatze gegen diese Dialektik erfolgte soge- 
nannte Bückkehr zur Kantischen Philosophie betrifft, so läuft 
dieselbe auf nichts weiter als eine Wiederholung des Keinholdschen 
Mißverständnisses hinaus und schließt daher (infolge der Beibe- 
haltung des erkenntnistheoretischen Vorurteils) bei einer konse- 
quenten Entwickelung alle jene dialektischen Lehren in sich, von 
denen sie uns zu befreien vorgiebt. Was also den angeblichen 
,, Neukantianismus" von der nachkantischen Dialektik unterscheidet, 
ist nichts weiter als Inkonsequenz. In der Tat hat dieser „Neu- 
kantianismus" längst einer Erneuerung des schon einmal abgehan- 
delten Streits zwischen Transzendentalismus und Psychologismus 
Platz machen müssen, und sein Name hat heute keine andere 
Bedeutung mehr, als die Unsicherheit auch des historischen Urteils 
seiner Vertreter an den Tag zu legen. Diese Schule hat nichts 
geleistet als längst verworfene Scheinlösungen zu erneuern und 
längst erkannte Wahrheiten zu verschleiern. Sie hat keine Stelle 
in der Geschichte der Elärung der Probleme, sondern nur in der 
Geschichte ihrer Verdunkelung. Die durch sie eingeleitete Be- 
wegung bietet nichts grundsätzlich Neues, sie gleicht vielmehr 
einer Kreisbewegung, in der jeder scheinbare Fortschritt nur dazu 
dient, uns wieder auf den Ausgangspunkt zurückzuführen.* 



^ Ich freue mich, in diesem Punkte mit einem der enthusiastischsten Verehrer 
dieser Dialektik, A. Drews, übereinzustimmen, der in der Einleitung zur Neu- 
ausgabe von ScHELLiNGs Werken (Leipzig, 1908) ausführlich erklärt, daß hier an 
die Stelle einer „rein yerstandesmäßigen*' Bearbeitung der Phüosophie das Ideal 
getreten sei, „die Phüosophie als Kunst zu üben**. 

' Man vergleiche zur» näheren Erläuterung dieses Urteüs meine „kritische 
Methode*', § 27 und Anhang, sowie meine Rezension von Cohens „Logik** in den 
Göttingischen gelehrten Anzeigen, 1905, Nr. 8. Da bisher noch keine Gegengründe 
gegen die dort mitgeteüten ausführlichen Beweise vorgebracht worden sind, so 
kann ich darauf verzichten, dieselben hier um neue zu vermehren. 



Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 701 

lediglich ein Produkt der Persönlichkeit, diese letztere also von 
der Natur unabhängig oder frei ist. — 

140. Ich würde mich bei diesen Wortspielen nicht aufhalten, 
wenn nicht die Tatsache bestünde, daß ihnen noch heutigen- 
tages von hochgeachteten Männern eine „vollendete Klarheit^ ^ 
tmd „eine überragende nnd für absehbare Zeit unvergängliche Be- 
deutung" zugeschrieben wird.* Die Bücksicht auf diese Tatsache 
ließ es angezeigt erscheinen, dem Gregenstande dieses Kapitels eine 
ausführlichere Behandlung zu widmen als seinem wahren Werte 
angemessen wäre. Das Ergebnis unserer Prüfung rechtfertigt es, 
wenn wir über diejenigen, die auf der von Fichte eingeschlagenen 
Bahn weiter fortgeschritten sind, desto kürzer hinweggehen und 
unsere Betrachtungen über die Geschichte des transzendentalen 
Vorurteils abbrechen, auch ohne dasselbe in seine weiteren Aus- 
prägungen zu verfolgen. Die Willkürlichkeit der Dialektik, die 
schon das Fichtesche Philosophieren in so hohem Maße charakteri- 
siert, steigert sich bei den Nachfolgern zu solcher Schrankenlosig- 
keit, daß diese ein wissenschaftliches Interesse nicht mehr bieten 
und eine auf die fortschreitende Klärung der Probleme gerichtete 

* W. Windelband, Geschichte der Phüosophie, 2. Aufl. 1900, S. 472. 

> H. RiCKERT, S. 124 des 2. Bandes der Festschrift für Kuno Fischer : 
„Die Philosophie im Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts''. 

In der Tat beruht z. B. Rickerts vielbewunderte Widerlegung des Natura- 
lismus ausschließlich auf einer Wiederholung des zuletzt dargelegten Fichteschen 
Sophismas. Man vergleiche z. B. die eben genannte Schrift oder auch seine 
^Grenzen der naturwissenschaftUchen Begriffsbildung**. Hier heißt es S. 681: 
„uns Individuen muß jedes Naturgesetz als etwas von uns schlechthin Unab- 
hängiges erscheinen, das so wenig in seiner Geltung an uns gebunden ist, daß 
wir vielmehr von ihm abhängen, und wir denken in keiner Weise daran, das 
Recht dieser Überzeugung in Frage zu stellen. Im Gegenteil, diese Voraussetzung 
soll die erkenntnistheoretische Deduktion begründen.*' Das Resultat der „erkennt- 
nistheoretischen Deduktion** lautet: „Unter philosophischen Gesichtspunkten ist 
die ^atur' selbst nur ein Ergebnis menschlicher Kulturarbeit** (S. 692.) 
AMndh»f«i dir Fiiit*ic]i6B Bekvl«. IL B4. 45 



704 L* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [292 

Aus dieser Anerkennung der Leerheit der Reflexion ergiebt sich 
für Bkneke unmittelbar, daß, wie jede wahre Wissenschaft, so 
auch die Spekulation, „weil aus nichts auch nichts werden kann", 
„zuletzt aus der Erfahrung schöpfen^ müsse und „daß eine Philo- 
sophie a priori, in der Form von Begriffen wie in der Form von 
Anschauungen, ein leeres Phantom^ sei.^ Eine Schlußweise, die, 
wie man leicht bemerkt, die Vollständigkeit der Disjunktion 
zwischen Empirie und Reflexion als Erkenntnisquellen zur still- 
schweigenden Voraussetzung hat. 

Diese Schlußweise wiederholt sich mehrfach. So wird z. B. 
in der „Logik"* ausdrücklich aus der Unmöglichkeit, einen neuen 
Inhalt des Vorstellens durch bloßes Denken zu gewinnen, gefolgert, 
ein solcher Lihalt müsse „in einer unmittelbaren Anschauung oder 
Wahrnehmung gegeben sein". Hier haben wir also unzweideutig 
neben den beiden richtigen Voraussetzungen der Mittelbarkeit der 
Reflexion und der sinnlichen Natur der Anschauung die dogma- 
tische Disjunktion zwischen Reflexion und Anschauung, und als 
Konsequenz aus der Vereinigung dieser dogmatischen mit jenen 
beiden faktischen Prämissen den Empirismus. 

Diesem Empirismus entspricht es, wenn Beneke, Reflexion und 
Vernunft verwechselnd, die Annahme einer reinen Vernanft für 
gleichbedeutend mit der Annahme angeborener Begriffe oder Sätze 
hält. Indem er sich daher mit vollem Recht gegen diese letzte 
Annahme wendet, glaubt er zugleich jene erste Annahme widerlegt 
zu haben. Durch diesen Trugschluß wird Bkneke der Begründer 
des Satzes, daß der Mensch keine Vernunft besitze, jenes Dogmas, 



Denkens" (Berlin, Posen und Bromberg, 1832) S. XIV: „daß durch o/Zm Denken, 
als solches, nur eine Zergliederung oder Aufklärung, aber durchaus kein neuer 
Inhalt des Vorstellens gewonnen werden könne. ** 
* S. 66 f. » Logik, S. 68. 



293] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnifitheorie. 705 

das noch heute von den meisten Psychologen als die wichtigste 
Entdeckung ihrer Wissenschaft gepriesen and als unantastbares 
Heiligtum verteidigt wird.* 

142. Was nun Benekes methodische Verbesserungsvorschläge 
betrifft, so lassen diese als ihren G-rand das Beinholdsche Miß- 
verständnis, die Verwechslung des Inhalts der kritischen Erkennt- 
nis mit ihrem Gregenstande, deutlich wiedererkennen. ),Nur unalh 
hängig von der Erfahrung also konnte Kai^^t zur Erkenntnis der 
reinen Anschauungsformen und der Kategorieen gelangt sein"*, 
sagt Beneke mit Berufung auf Kants Behauptung des rationalen 
Ursprungs aller philosophischen Erkenntnis. Offenbar verwechselt 
er hier die Erkenntnis, die den Inhalt der reinen Anschauungs- 
formen und Kategorieen ausmacht, mit derjenigen Erkenntnis, die 
diese letzteren zum Gegenstande hat. Die erstere ist allerdings 
unabhängig von der Erfahrung, nicht aber darum auch die zweite. 
Nur die erstere kann im strengen Sinne philosophisch genannt 
werden, die zweite gehört ausschließlich der Elritik an.' 



^ „Man hat bisher fast dnrchgehends angenommeD, die metaphysischen Be- 
griffe and Sätze seien in dieser oder jener Art schon ursprünglich fertig im 
menschlichen Geiste gegeben. . . . Aber diese Annahme ist dorchaos unhaltbar. 
Eine urspriknglich gegebene Vernunft ist in keiner Art psychologisch zu recht- 
fertigen. Die Vernunft ist überall nicht am Anfange, sondern am Ende: sie ist 
die Gesamtheit der höchsten normal entioickellen psychischen GebildCy oder eigent- 
lich das Ideal derselben, zu welchem die geistige Entwickelung hinstrebt, ohne 
doch dasselbe jemals zu erreichen. ** („Systeih der Metaphysik und Religions- 
phüosophie'', Berlin 1840, S. 28 f.) 

„Qegen Kant haben wir schon früher bemerkt, daB der ganze angeborene 
Verstand mit seinen Kategorieen ein bloß Erdichtetes ist. ursprünglich hat der 
Mensch gar keinen Verstand." (Ebenda, S. 282.) 

Vgl. über die Nicht-Existenz der Vernunft auch Benekes „Neue Psychologie** 
(Berlin, Posen und Bromberg, 1845) S. 248 f. 

3 „Kant und die philosophische Aufgabe unserer Zeit**, S. 80. 

> Besonders deutlich kommt diese Verwechslung von Inhalt und Gegenstand 



706 ^* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [294 

Auf Grund dieser Yerwechslong mnßte Beneke, da er als die 
Quelle der Kritik die innere Erfahrung erkannte, einen Wider- 
spruch in dem Kantischen Unternehmen finden, Erkenntnisse a priori 
durch Kritik zu begründen. So referiert er über Kants Kritik: 
„Die philosophischen Prinzipien sollen rein a priori gefunden werden, 
und doch stützt sich die Deduktion der Kategorieen auf die . . . 
Erfahrung . . ."^ Der Ausdruck „Die philosophischen Prinzipien 
sollen rein a priori gefunden werden** enthält die dem Beinhold- 
sehen Mißverständnis zu Grunde liegende Zweideutigkeit, indem 
er sowohl die richtige Behauptung der Apriorität der philosophischen 
Erkenntnis selbst ausdrücken kann als auch die falsche Behauptung 
der Apriorität derjenigen Erkenntnis, deren Gegenstand die philo- 
sophische Erkenntnis ist. Indem Beneke infolge der Verwechslung 
dieser beiden Bedeutungen des Ausdrucks den Versuch einer empi- 
rischen Begründung rationaler Erkenntnisse widersprechend findet, 
schließt er folgerichtig aus dem Umstände, daß die Begründung 
der philosophischen Erkenntnis der inneren Erfahrung angehört, 
auf den falschen Satz, daß die philosophische Erkenntnis selbst 
eine Erkenntnis aus innerer Erfahrung sei.^ Das diesem Schlüsse 
zu Grunde liegende Vorurteil liegt klar zu Tage: es ist das Vor- 
an der folgenden Stelle der „Neuen Psychologie'' (S. 91 f) zum Aosdmck: 

«Der metaphysische Begriff ist ja auch Phänomen für die Seelenlehre. . . 
Welchen metaphysischen Begriff man uns auch entgegenbringen mag; immer 

stellen wir die Frage, ob nicht derselbe ein psychickta Phänomen sei Ganz 

dasselbe macht sich denn auch in Hinsicht aUer iihfigen philosophischen Wissen- 
schaften geltend: die Psychologie ist eben so Grundwissenschaft für die Logik, 
die Moral, die Rechtsphilosophie, die Religionsphilosophie a. s. w. : aus dem ein- 
fachen Grande, weil auch die Gegenstände aller dieser in der menschlichen Seele 
sich finden und erzengt werden, and also auch nicht anders, als nach deren 
Entwickelungsgesetzen, tiefer erfaßt und begriffen werden können. '^ 
^ „Kamt und die philosophische Aufgabe unserer Zeit**, S. 65. 
' „Die Metaphysik darf keine andere Grundlage erhalten als die innere 
Erfahrung, Die philosophische Spekulation muß ganz und gar ausgetrieben 



295] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 707 

urteil, daß die kritische Begründung der plulosophischen Erkennt- 
nis den Grund dieser Erkenntnis entliaUe.^ 

Und 80 glaubt denn Bekeke mit dieser empiristischen Kon- 
sequenz aus seiner psychologistischen Interpretation der Kant- 
ischen Kritik* nur den „Kantianismos in seiner vollen Reinheit^ 
herausgestellt zu haben: „die wahre Kantisclie Lehre **, „KA^'TS 
Lehre, nicht seinem Buchstaben nach, sondern seinem Geiste nach^.' 



werden, wo es wahre Wissenschaft gilt . . . Gewiß wird zuletzt die jetzt unter- 
drückte J^a^ru9}^^hilosophie den Sieg davon tragen . . . Die Psychologie ist 
zum Mittelpunkte zu machen für die gesamte Philosophie. ** (S. 88f.) „Die ge- 
samte Philosophie ist also nichts anderes als eine angewandte Psychologie . . • 
Die einzig gültige Methode der Philosophie ... ist ihre Begründung auf Erfah- 
rung.*' (S. 91.) „Das ist es ehen, was wir wollen, daß die Philosophie ebenfalls 
J^o^run^^wissenschaft werde: nicht Wissenschaft der äußeren Erfahrung . . ., 
sondern Wissenschaft der inneren Erfahrung." (S. 98.) — VgL Benekes „Neue 
Psychologie** S. 94 : „Die Logik ... ist eine angewandte Psychologie,*^ 

^ Man vergleiche über diesen „höchst verhängnisvollen Selbstwiderspruch** 
Kants auch Benekes „System der Metaphysik** S. 20 ff.: 

„Ohne Zweifel kommt es auch für diese [die Kritik der Vernunft] auf 
tatsächliche Wahrheiten an. Die Grundkräfte des Geistes, die Grenzen und 
Quellen der menschlichen Erkenntnis sollen nicht, wie sie unter diesen oder 
jenen Voraussetzungen gedacht werden könnten, sondern wie sie wirklich sind, 
dargestellt werden; und so hätte also Kant, wenn er hätte konsequent bleiben 
wollen, seine Aufgabe nur auf der Grundlage der inneren Erfahrung, oder 
durch die empirische Psychologie ausführen können. Aber im Widerspruche 
hiemit hält er auf der anderen Seite eben so fest an der zu seiner Zeit fast 
allgemein verbreiteten Ansicht, daß die Philosophie die ,Vemunfterkenntnis aus 
Begriffen* sei Dieselbe soll also in keiner Art auf Anschauungen oder auf 
Erfahrungen begründet werden dürfen: auf innere eben so wenig als auf 
äußere/* „Die Kritik der Vernunft also, welche die tiefste Grundlage auch 
für die metaphysische Erkenntnis bildet, soll lediglich ,au8 Begriffen* abgeleitet 
werden. Aber wie sind wir denn im Stande, der Existenz des in ihr Behaup- 
teten gewiß zu werden?** 

' Gerade wie Fichte mit der entgegengesetzten rationalistischen Konsequenz 
des transzendentalen Vorurteils. 

' S. 89. — „Kants Philosophie war, ihrem tiefsten Grunde nach, ein kräf- 
tiger Anlauf hiezu.** (Ebenda.) — „Wir müssen also, im Gegensatze mit Kants 



708 L* Nelson: Ober das sogenannte Erkenntnisproblem. [296 

143. Eine ausführliche, von historischen Betrachtungen un- 
abhängige Darstellung seiner Erkenntnistheorie giebt Beneke in 
der Schrift „Erkenntnislehre nach dem Bewußtsein der reinen 
Vernunft".^ Er geht hier von einer allgemeinen Untersuchung 
des Urteils aus, als deren Ergebnis er den Satz gewinnt, das 
Urteil sei eine Gleichsetzung gleicher Geistestätiglieiten. Sein Aus- 
gangsbeispiel ist das Urteil „Diese Lilie ist weiß"; die wesent- 
lichen Sätze seiner Argumentation sind folgende: 

(1) „Zuerst: Was ist das Subjekt des vorliegenden Urteils? 
Wir antworten : eine völlig einzelne Anschauung , . . wie ich, 

, als Urteilender, sie in diesem Augenblicke in mir trage. "^ 

(2) „Was ist femer das Prädilcat des Urteils? Offenbar 
auch eine Anschauung . . . Das Wort ,weiß* bedeutet eine be- 
stimmte Art der anschauenden Tätigkeit des menschlichen Greistes, 
und ich sage im Grunde durch das Urteil ,diese Lilie ist weiß' 
nichts weiter aus, als: indem ich die Anschauung dieser Lilie 
in mir habe, ist mit und in ihr die Anschauung weiß in mir."' 

(3) „Diese beiden Tätigkeiten setze ich nun zwar nicht 
völlig, aber doch zum Teil, nämlich insofern gleich, als die eine 
in der anderen enthalten ist, xmd dies sage ich in dem Urteile 
ans: diese Lilie ist weiß.^^ 

Li diesen Sätzen kommen mehrere Fehler der Selbstbeobach- 
tung vor. Das Subjekt des fraglichen Urteils ist eine gewisse 
weiße Lilie. Da aber offenbar, wenn man nicht Lihalt und Gregen- 
stand der Erkenntnis vermengen will, die Tätigkeit meines An- 



eigener Ausführung, an der Grundtendenz der Kantischen Kritik festhalten.** 
(Metaphysik, S. 22.) 

> Jena, 1820. » S. 10. » S. 11. * S. 12. 



297] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 709 

schauens der weißen Lilie nicht selbst als eine weiße Lilie zu 
betrachten ist, so folgt, daß Satz (1) falsch ist. 

Ebenso werden in Satz (2) Lihalt und Gegenstand verwechselt. 
Das Wort „weiß" bedeutet eine bestimmte Farbe und nicht eine 
anschauende Tätigkeit des menschlichen Geistes. — Wenn ich 
femer eine weiße Lilie anschaue, so sind in mir durchaus nicht 
zwei zu vergleichende Geistestätigkeiten: eine Anschauung der 
Lilie und eine Anschauung des Weiß, sondern eine ungeteilte An- 
schauung der weißen Lilie. Am Gegenstande kann ich wohl unter- 
scheiden und vergleichen: die weiße Farbe und das übrige der 
Lilie Zukommende, nämlich ihre Gestalt, Größe u. s. w. ; aber 
diesen verschiedenen Bestandtdlen des Gegenstandes entsprechen 
nicht etwa ebenso viele anschauende Tätigkeiten in mir. Wenn ich 
z. B. eine anders gefärbte Lilie anschaue, so habe ich nicht neben 
einer der früheren gleichen Anschauung der lAlie eine von der 
früheren verschiedene Anschauung der Farbe, sondern ich habe 
eine einzige, von der früheren verschiedene Anschauung eines 
Gegenstandes, unter dessen Bestandteilen ich allerdings die mit 
den entsprechenden des früher angeschauten Gegenstandes iden- 
tischen von den mit den früher angeschauten nicht-identischen 
unterscheiden kann. Lidem ich aber eine derartige Unterscheidung 
und Vergleichung der Bestandteile des Gegenstandes vornehme, 
höre ich bereits auf, ihn lediglich anzuschaffen. Eine solche 
Unterscheidung und Vergleichung setzt Abstraktion voraus und 
gehört lediglich der Reflexion an. Durch Abstraktion gelange ich 
zur Unterscheidung der weißen Farbe von den übrigen Eigen- 
schaften der Lüie, und ich kann dann, nach Vollziehung dieser 
Abstraktion, eine Vergleichung der durch die Abstraktion ge- 
wonnenen Begriffe vornehmen. Aber eine Vergleichung der Be- 
griffe ist bei weitem noch kein Urteil. Das ßesoltat der Ver- 



708 L* Nelson: Ober das sogenannte Erkenntnisproblem. [296 

143. Eine ausführliche, von historischen Betrachtungen un- 
abhängige Darstellung seiner Erkenntnistheorie giebt Benkee in 
der Schrift , Erkenntnislehre nach dem Bewußtsein der reinen 
Vernunft".* Er geht hier von einer allgemeinen Untersuchung 
des Urteils aus, als deren Ergebnis er den Satz gewinnt, das 
Urteil sei eine Gleichsetzung gleicher Geistestätigheiten. Sein Aus- 
gangsbeispiel ist das Urteil ^ Diese Lilie ist weiß"; die wesent- 
lichen Sätze seiner Argumentation sind folgende: 

(1) „Zuerst: Was ist das Subjekt des vorliegenden Urteils? 
Wir antworten : eine völlig einzelne Anschauung . . . wie ich, 

. als Urteilender, sie in diesem Augenblicke in mir trage. "^ 

(2) „Was ist femer das Prädilcat des Urteils? Offenbar 
auch eine Anschauung . . . Das Wort ,weiß* bedeutet eine be- 
stimmte Art der anschauenden Tätigkeit des menschlichen Greistes, 
und ich sage im Grunde dnrch das Urteil ,diese Lilie ist weiß' 
nichts weiter aus, als: indem ich die Anschauung dieser Lilie 
in mir habe, ist mit und in ihr die Anschauung weiß in mir."' 

(3) „Diese beiden Tätigkeiten setze ich nun zwar nicht 
völlig, aber doch zum TeU, nämlich insofern gleich, als die eine 
in der anderen enthalten ist, und dies sage ich in dem Urteile 
aus: diese Lilie ist weiß."* 

Li diesen Sätzen kommen mehrere Fehler der Selbstbeobach- 
tung vor. Das Subjekt des fraglichen Urteils ist eine gewisse 
weiße Lilie. Da aber offenbar, wenn man nicht Lihalt und Gegen- 
stand der Erkenntnis vermengen will, die Tätigkeit meines An- 



eigener Ausführung, an der Grundtendenz der Eantischen Kritik festhalten.** 
(Metaphysik, S. 22.) 

' Jena, 1820. » S. 10. » S. 11. * S. 12. 



297] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 709 

schauens der weißen Lilie nicht selbst als eine weiße Lilie za 
betrachten ist, so folgt, daß Satz (1) falsch ist. 

Ebenso werden in Satz (2) Inhalt und Gegenstand verwechselt. 
Das Wort „weiß" bedeutet eine bestimmte Farbe und nicht eine 
anschauende Tätigkeit des menschlichen Geistes. — Wenn ich 
femer eine weiße Lilie anschaue, so sind in mir durchaus nicht 
zwei zu vergleichende Geistestätigkeiten: eine Anschauung der 
Lilie und eine Anschauung des Weiß, sondern eine ungeteilte An- 
schauung der weißen Lilie. Am Gegenstande kann ich wohl unter- 
scheiden und vergleichen: die weiße Farbe und das übrige der 
Lilie Zukommende, nämlich ihre Gestalt, Größe u. s. w. ; aber 
diesen verschiedenen Bestandtdlen des Gegenstandes entsprechen 
nicht etwa ebenso viele anschauende Tätigkeiten in mir. Wenn ich 
z. B. eine anders gefärbte Lilie anschaue, so habe ich nicht neben 
einer der früheren gleichen Anschauung der lAlie eine von der 
früheren verschiedene Anschauung der Farbe, sondern ich habe 
eine einzige, von der früheren verschiedene Anschauung eines 
Gegenstandes, unter dessen Bestandteilen ich allerdings die mit 
den entsprechenden des früher angeschauten Gegenstandes iden- 
tischen von den mit den früher angeschauten nicht-identischen 
unterscheiden kann. Lidern ich aber eine derartige Unterscheidung 
und Vergleichung der Bestandteile des Gegenstandes vornehme, 
höre ich bereits auf, ihn lediglich anzuschaffen. Eine solche 
Unterscheidung und Vergleichung setzt Abstraktion voraus und 
gehört lediglich der Reflexion an. Durch Abstraktion gelange ich 
zur Unterscheidung der weißen Farbe von den übrigen Eigen- 
schaften der Lilie, und ich kann dann, nach Vollziehung dieser 
Abstraktion, eine Vergleichung der durch die Abstraktion ge- 
wonnenen Begriffe vornehmen. Aber eine Vergleichung der Be- 
griffe ist bei weitem noch kein Urteil. Das ßesoltat der Ver- 



710 I>- Nelson : Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [298 

gleicliimg der Begriffe „Lilie" und „weiß" wäre nicht eine Gleich' 
Setzung, sondern, im Gegenteil, eine Unterscheidung. Wenn das 
Urteil „Die Lilie ist weiß" eine Gleicbsetzung der Begriffe „Lilie" 
und „weiß" sein sollte, so wäre es fälsch, denn diese beiden Begriffe 
sind sehr wesentlich verschieden; das Urteil müßte also viel- 
mehr lauten : Die Lilie ist nickt weiß. — In Wahrheit handelt das 
fragliche Urteil so wenig von dem Begriff wie von der Änschau-- 
ung der Lilie, sondern vielmehr von einem Gegenstände, der unter 
den Begriff „Lilie" fällt oder dem der Begriff „Lilie" als Merkmal 
zukommt; und das Urteil sagt aus, daß dieser Gegenstand auch 
unter den Begriff „weiß" fallt oder daß ihm der Begriff „weiß" 
als Merkmal zukonmit.^ 

Benekes Behauptung, das Urteil sei eine Gleichsetzung gleicher 
Geistestätigkeiten, enthält also zwei Fehler: erstens eine Ver- 
wechslung von Inhalt und Gegenstand, und zweitens eine Ver- 
wechslung von Urteil und Vergleichungsformel. 

Daß die Benekesche Erklärung auf Widersinn fuhrt, läßt 
sich auch schon durch folgende Erwägung einsehen. Beneke sagt*: 
j, Bejahung ist die Eigenschaft eines Urteils, insofern es eine Gleich- 
setzung gleicher Geistestätigkeiten bezeichnet ; Verneinung, insofern 
in ihm ungleiche Geistestätigkeiten als ungleich neben einander 
gestellt werden." Nun sagt Beneke selbst an anderer Stelle', 
„daß keine Gleichsetzung vollkommen sein kann", da es auf die 
„Gesichtspunkte" der Vergleichung ankomme. Die Folge hiervon 
wäre, daß es gradweise Abstufungen der Gleichheit geben müßte ; 
und man käme auf diese Weise zu der absurden Vorstellung eines 
stetigen Übergangs zwischen bejahendem und verneinendem Urteil. — 
Auch müßte, wenn der Sinn des Urteils in einer Aussage über 



Vgl. § 15 Anmerkung, 8, 466. » S. 178. » S. 74. 



299] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 711 

Gleichheit oder Ungleichheit bestünde, aus der Richtigkeit eines 
Urteils notwendig die seiner Umkehrong folgen, was eine offenbare 
Ungereimtheit ist. 

144. Ans seiner Erklärung des Urteils folgt für Beneke ohne 
weiteres die Notwendigkeit einer psychologistischen Wendung der 
Erkenntnistheorie, d, h. einer Lehre, nach der alle Erkenntnis 
ihren Grund letzten Endes in der inneren Wahrnehmung hat. 
Sein Beweis ist hier, genau betrachtet, folgender: 

(1) „Alles Urteilen besteht in Gleichsetzung gleicher Geistes- 
tätigkeiten. "^ 

(2) „Nun ist aber jede Erkenntnis ein Urteil.*** 

(3) Folglich besteht alle Erkenntnis in Gleichsetzung gleicher 
Geistestätigkeiten.' 

(4) Um Geistestätigkeiten gleich zu setzen, muß ich sie 
erkannt haben.* 

(5) Das Erkennen von Geistestätigkeiten geschieht durch 
innere Wahrnehmung.* 

(6) Folglich giebt es keine Erkenntnis „t;or der inneren 
Wahrnehmung** . ® 

Man sieht leicht, einmal, daß der ganze Beweis — abgesehen 
von der nachgewiesenen Irrigkeit des Satzes (1) — mit der bereits 
mehrfach von uns widerlegten Annahme (2) hinfällig wird, nach 
der jede Erkenntnis ein Urteil ist; dann aber auch, daß die dem 
Beweise zu Grunde liegende Argumentation auf einen Zirkel 
hinausläuft, da, was von jeder Erkenntnis gelten soll, auch von 
der inneren Wahrnehmung gelten müßte, so daß jede innere Wahr- 
nehmung zu ihrer Möglichkeit bereits eine andere innere Wahr- 
nehmung voraussetzen würde, womit wir auf den alle Erkenntnis 

» 8 61, 73. 2 S. 61. » 8. 61. * 8. 62. » 8. 60. 

• 8. 62 ff. 



712 L* Nelson: Über das sogenannte Erkcnntnisproblem. [300 

aufhebenden unendlichen Regreß gefuhrt wären. — Der Beweis 
läßt sich hiemach am einfachsten aas seinen eigenen Prämissen 
folgendermaßen widerlegen : 

Alle Erkenntnis besteht in Grleichsetzong gleicher Geistes- 
tätigkeiten. (Nach 3.) 

Die innere Wahrnehmung ist Erkenntnis. (Nach 5.) 

Folglich besteht die innere Wahrnehmung in Gleichsetzung 
gleicher Geistestätigkeiten. 

Um Geistestätigkeiten gleich zu setzen, muß ich sie erkannt 
haben. (Nach 4.) 

Folglich gieht es Erkenntnisse j^vor der inneren Wahr- 
nehmung^. — 

146. Wahmehmungsurteile sind stets singulare Urteile. Ist 
also die Wahrnehmung die einzige Art der unmittelbaren Er- 
kenntnis, so entsteht für die empiristische Erkenntnistheorie das 
Problem, die Möglichkeit allgemeiner Urteile zu erklären. Beneke 
hebt diese Schwierigkeit hervor: ,,Der Grund, warum man ge- 
wöhnlich die Annahme einer von der Wahrnehmung unabhängigen 
Erkenntnis ... für notwendig hält, ist vorzüglich der, daß man 
die Entstehung eines absolut allgemeinen Urteils auf dem Wege 
der Erfahrung für unbegreiflich ansieht."* Diese Schwierigkeit 
will Beneke mit Hülfe seiner Urteilslehre heben. Nach dieser soll 
der allgemeine Satz auf einer vorhergegangenen Vergleichung 
aller Einzelfälle beruhen und sich so in der Tat auf lauter sin- 
gulare Urteile zurückführen lassen. 

Die Begründung dieser Behauptung liegt in folgender Argu- 
mentation. Angenommen, ein Mensch, der no6h keine anderen als 
weiße Lilien kennen gelernt hat und auf Grund seiner bisherigen 



8. 53 f. 



301] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 713 

Erfahrung das Urteil fällt „Alle Lilien sind weiß", lernt später 
eine Feuerlilie kennen. Hält er nun an der bis dahin dem Worte 
^Lilie^ gegebenen Bedeutung fest, wonach dieses lediglich auf die 
Gestalt, nicht aber auf die Farbe des Gregenstandes geht, so wird 
er allerdings sein Urteil einschränken und auf die Allgemeinheit 
desselben verzichten müssen. Er kann aber auch die Allgemeinheit 
seines Urteils aufrechterhalten: indem er nämlich die Bedeutung 
des Wortes „Lilie" dahin einschränkt, daß dieselbe nicht nur die 
Gestalt, sondern auch die weiße Farbe umfaßt; denn in diesem 
Falle kann eine Pflanze, die nicht weiß ist, überhaupt nicht als 
Lilie gelten, und das Urteil behält daher absolute Allgemeinheit. 
Nach der Kantischen Bezeichnung — meint Bexeke — erhält also 
ein Urteil dadurch absolute Allgemeinheit, daß wir sein Prädikat 
in die „Vorstellung** seines Subjekts unveränderlich aufnehmen, 
d. h. daß wir „das Urteil aus einem synthetischen zu einem ana- 
Ifftischen machen".* Die Gültigkeit der allgemeinen Urteile beruht 
hiemach wirklich auf einer Vergleichung edler Fälle; der FoH- 
ständigjceit der Reihe der verglichenen Einzelfälle sind wir darum 
gewiß, weil wir selbst diese Reihe tcillkürlich abschließen und dabei 
festsetzen, daß von den noch nicht verglichenen Fällen „nur die 
in den so begrenzten Kreis noch aufuehmbar*' sein sollen, „welche 
mit den schon verglichenen übereinstimmen**.^ 



* S. 22 ff. 

' S. 26 f. — „Wir schUeßen, nachdem wir in einer Anzahl geistiger Tätig- 
keiten zwei Elemente stets mit einander verbunden gefunden haben, zum Behuf 
der Bildung eines allgemeinen Urteils alle Tätigkeiten, welche diesen ungleich sein 
sollten, willkürlich aus; und das absolut allgemeine Urteil ist nichts anderes, 
als die analytische Wiederholung der Handlung, vermöge welcher wir die Ver- 
bindung zweier Geistestätigkeiten mit dem Namen bezeichnen, welchen wir früher 
nur der Einen von ihnen gaben.** (S. 28 f.) 

Man erkennt leicht die nahe Verwandtschaft dieser nominalistischen 
Erklärongsweise Benekes mit den Lehren gewisser modemer Empiristen. Ich 



714 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. 

Wir bemerken dieser Argumentation gegenüber znnächBt, daß 
sie auf der Verwechslang der Woribedeutung mit dem Begriffe 
bemht. Wir können wohl die Bedeutnng eines Wortes willkürlich 
ändern, nicht aber den Inhalt eines Begriffs; wir können durch 
einen und denselben sprachlichen Satz erst ein synthetisches, dann 
ein analytisches Urteil aasdrücken, niemals aber ein „urteil aus 
einem synthetischen za einem analytischen machen^.^ 

146. Der Prozeß, der Bkneeb vorgeschwebt hat, müßte richtig 
vielmehr so beschrieben werden, daß wir sagen: An die Stelle 
eines in allgemeiner Form falschen syntJietischen Urteils („Alle 
Pflanzen von lilienartiger Gestalt sind weiß") kai^ ein richtiges 
atudytisdies Urteil treten („Alle weißen Pflanzen von lilien- 
artiger Grestalt sind weiß"). Dies ist in der Tat immer mög- 
lich; aber es bleibt ein großer Irrtam, in dem hiermit be- 
schriebenen Prozeß die Grandlage aller wirklich allgemeinen 
Urteile za suchen. Denn die auf solche Weise entstehenden 
„allgemeinen Urteile" erweisen sich, wenn man sich nicht 
durch sprachliche Einkleidungen täuschen lassen will, insgesamt 
als leere Tautologieen. Beruhten wirklich alle allgemeinen Ur- 
teile, wie es nach dieser Ansicht sein müßte, auf bloßen Wort- 
Definitionen, so wäre es nicht nur überflüssig, sondern sogar 
widersinnig, sich bei dem Versuche aufzuhalten, ein allgemeines 
Urteil zu begründen. Habe ich ein allgemeines Urteil von der 
Form „Alle Ä sind £", so beruht seine Gültigkeit nach Benekes 
Ansicht einfach darauf, daß ich nichts „^" nenne j was nicht B 
ist, und jede Induktion, wie sie auch Beneee selbst weiterhin for- 
dert, wäre entbehrlich. 



erinnere nur an die Darstellung der geometrischen Axiome als „däfinitions d^goiste*' 
bei PoiNCARt. 

^ Man Yergleiche die ausführlidie Widerlegung dieses Irrtums in 9 7. 



303] Dritter Teil: Die Geschichte der ErkenDtnistheorie. 715 

Beachtet man dies, so sieht man sofort, daß die fragliche von 
Benkke vorgetragene Lehre den TcUsachen widerspricht. Wenn 
z. B. Beneke seinen Satz aufstellt: 

Alle allgemeinen Urteile entstehen durch willkürliche Aus- 
schließung aller noch nicht verglichenen Fälle aus der Subjekts- 
sphäre, 
so will er mit diesem (allgemeinen !) Satze eia synthetisches Urteil 
aussprechen, d. h. ein Urteil, in dem das Subjekt (eine gewisse 
Klasse von Urteilen) nicht erst durch das Prädikat definiert ist. 
In der Tat sind die Urteile, von denen der Satz spricht, durch 
die Form ihrer Quantität (die Allgemeinheit) definiert, und keines- 
wegs durch die Art ihrer Entstehung.^ Wollte er wirklich unter 
„allgemeinen Urteilen" nur solche verstehen^ die auf die im Prä- 
dikat angegebene Art entstanden sind, warum bemüht er sich dann, 
seinen Satz durch Berufung auf Beispiele und weitläufige Induk- 
tionen aus naturwissenschaftlichem, mathematischem und philo- 
sophischem Gebiete zu begründen? Es würde ja genügen, zu 
sagen, er wolle nur solche Urteile „allgemein" nennen, von denen 
die aogegebene Entstehungsweise schon feststehe. Und entsprechend 
bei seinen aaderen allgemeinen Behauptungen, wie z. B., daß alle 
Urteile auf Gleichsetzung gleicher Geistestätigkeiten beruhen oder 
daß alle Urteile ihren Grund in der Wahrnehmung haben.' 

147. In der Tat führt Beneke diese Erklärnngsart der Ent- 



^ Die fragliche Behauptung Benekes enthält also einen introjizierten Wider- 
spruch. 

' Vgl. S. 52: ^^Auf Wahrnehmung also gründet sich in diesem FaUe unsere 
Erkenntnis . . . Wie sollen wir nun dazu kommen, zu entscheiden, oh Wahr- 
nehmung eben so alle anderen Erkenntnisse oder vielleicht gerade nur diese zu 
Erkenntnissen macht? Offenbar nur dadurch, daß wir alle Erkenntnisse in uns 
wie diese untersuchen. Finden wir sie durch Wahrnehmung bedingt: so können 
wir das bisher nur einzelne Urteü allgemein aussprechen . . ." 



716 L' Nelson Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [304 

stehung allgemeiner Urteile gar nicht durch, sondern er beruft 
sich schon bei dem ersten Beispiel aus geometrischem Gebiete, das 
er heranzieht, auf die „Induktion". Die Allgemeinheit des Urteils, 
daß in jedem Dreieck die Winkelsumme zwei Rechte beträgt, 
gründet er nicht etwa auf eine Wort-Definition des Dreiecks, 
sondern auf eine angeblich wirkliche Vergleichung aller Fälle, 
Er behauptet nämlich, daß wir erst an einem speziellen Dreieck 
den Satz mit Hülfe der Konstruktion der Parallelen zu einer Seite 
durch eine Ecke beweisen, dann aber dieses Verfahren in Gredanken 
;,an allen möglichen Dreiecken mit absoluter Vollständigkeit voll- 
ziehen", indem wir z. B. „die Endpunkte der Grundlinie festhalten 
und die Spitze des Dreiecks von der einen Seite zur anderen im 
Halbkreise herumbewegen, zugleich für jede auf diese Weise ent- 
stehende Lage der Schenkel die den Beweis anschaulich machende 
Parallellinie ziehen",^ so daß die Allgemeinheit des Urteils „auf 
absoluter Vollständigkeit der Induktion" beruht.* 

Die Unzulänglichkeit dieser Erklärung ist leicht zu erkennen. 
Wenn wir auch von den uns heute geläufigen Bedenken gegen 
den Beweis aus der Parallelenkonstruktion absehen, (die nur 
auf die versteckte Berufung auf einen anderen allgemeinen Satz 
hinausläuft,) wenn wir weiterhin auch davon absehen, daß die 
durch „Herumbewegen" der Dreiecksspitze entstehende Reihe von 
Lagen der Schenkel eine stetige, also der sinnlichen Wahrnehmung 
schlechterdings unzugängliche ist, so ist doch klar, erstens, daß 
die Aufgabe, für „jede" auf diese Weise entstehende Lage der 
Schenkel die Parallellinie zu ziehen, unendlich viele Konstruktionen 
fordert, also unausführbar ist; so daß, wenn wir für die Auf- 
stellung des allgemeinen Satzes auf die Ausführung aller dieser 

» S. 36 f. ' S. 38. 



306] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 717 

Eonstruktionen angewiesen wären, es niemals zur Bildung jenes 
Satzes hätte kommen können.^ Zweitens aber ist klar, daß, selbst 
wenn diese Aufgabe lösbar wäre, damit der Satz noch keineswegs 
allgemein begründet wäre, sondern nur für eine eng beschränkte 
Klasse von Dreiecken, — beschränkt erstens hinsichtlich der Größe 
des Flächeninhalts, zweitens hinsichtlich der Ltige im Raum und 
drittens hinsichtlich der Zeit, während der die Induktion angestellt 
wird. Die Unabhängigkeit des Betrages der Winkelsumme vom 
Flächeninhalt des Dreiecks könnte auf induktivem Wege nur durch 
Vollendung einer weiteren unendlichen Reihe von Beobachtungen 
festgestellt werden. Ebenso würde die Erweiterung des für einen 
bestimmten Ort Festgestellten auf jeden beliebigen Ort eine dritte 
unendliche Reihe von Beobachtungen erfordern; und schließlich 
wäre auf induktivem Wege eine Ausdehnung der bisherigen Beob* 
achtungsergebnisse nicht einmal auf eine endliche Zukunft, ge- 
schweige denn auf alle Zeit, möglich, da sich Zukünftiges nicht 
sinnlich wahrnehmen oder beobachten läßt. 

Die strenge ÄUgenieinheit eines Satzes beweist also seinen nicht* 
empirischen Ursprung.^ Man. könnte zwar noch einwenden, daß 



^ Dies hat Beneke in einem anderen Falle sehr wohl eingesehen. S. 109 
(Es ist hier Yon der Aufgabe die Rede, zu beweisen, daß der Mittelpunkt einer 
Kreissehne, die auf einer anderen Sehne desselben Kreises in deren Mittelpunkt 
senkrecht steht, der Kreismittelpunkt ist) heißt es: 

„Nun würde es gar keine Schwierigkeit haben, durch Anschauung dar- 
zutun, daß alle vom gefundenen Punkte gezogenen Linien in dem vorliegenden 
Falle einander gleich sind; und für jeden gegebenen Fall ließe sich . . . die- 
selbe auf Anschauung gegründete Sicherheit hervorbringen. Aber hierdurch 
erhielten wir immer nur komparative Allgemeinheit: der möglichen Sehnen in 
einem Kreise sind unendlich viele, und es läßt sich kein Mittel angeben, die 
Induktion für die Anschauung absolut zu vollenden." 

' Ist dies einmal festgestellt, so ist ohne weiteres klar, daß die empiristische 
Orundbehanptung, alle Erkenntnis gründe sich auf Wahrnehmung, die Möglichkeit 
allgemeiner Erkenntnisse aufhebt, also einen introjizierten Widerspruch einschließt 
A bhaBdlnogen der Fricfl^Mlien Sehole. IL Bd. 46 



718 li* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [306 

nach nnseren Nacliweisimgen dies nur für solche Sätze be- 
hauptet werden dürfe, in denen die Sphäre des Subjektsbegriffs 
eine unendliche Menge von Gegenständen umfaßt. In der Tat ist 
es möglich, alle Fälle eines allgemeinen Satzes zu beobachten, 
wenn diese Allheit eine endliche ist. Aber es ist wichtig, zu be- 
achten, daß auch in einem solchen Falle die Beobachtung für sich 
nicht zu dem allgemeinen Satze berechtigt und daß daher jede 
Induktion über den Bereich der bloßen Beobachtung notwendig 
hinausgeht. Denn woher wissen wir, daß wir schon alle Gegen- 
stände aus der Sphäre des Subjektsbegriffs beobachtet haben? 
Dieses Wissen, ohne das der allgemeine Satz immoglich wäre, 
kann nicht ans der Beobachtung stammen; denn diese läßt stets 
nur einzelne Fälle erkennen, durch sie können wir daher nie 
wissen, ob es außer den beobachteten Gegenständen nicht noch 
weitere geben kann, die unter denselben Subjektsbegriff fallen. 
Will ich z. B. den Satz „Alle Planeten bewegen sich in derselben 
Richtung um die Sonne ^ durch Induktion begründen, so genügt es 
nicht, die Bewegung der einzelnen Planeten zu beobachten, sondern 
ich muß zu den einzelnen Beobachtungen noch als Obersatz der In- 
duktion die Voraussetzung hinzanehmen, daß die beobachteten Plane- 
ten die Sphäre des Begriffs „Planet" erschöpfen. Je nach dem Gewiß- 
heitsgrad einer solchen der Induktion zur Gewährleistung ihrer Voll- 
ständigkeit unvermeidlichen Voraussetzung hat auch das Resultat der 
Induktion einen höheren oder geringeren Grad der Gewißheit. — 
Wir bemerken noch, daß die Mathematik ohne die strenge 
Allgemeinheit ihrer Sätze als Wissenschaft unmöglich wäre. Denn 
die Möglichkeit der mathematischen Wissenschaften beruht auf 
dem Verfahren, gewisse allgemeine Sätze, z. B. über Punkte und 
Linien, auf spezielle Fälle, z. B. auf bestimmte einzelne Punkte 
und Linien, anzuwenden. Gelten nun jene Sätze nicht in strenger 



307] Dritter Teü: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 719 

Allgemeinheit für den gan/sen Umfang ihres Subjektsbegriffs, so 
können wir ans ihnen keinen Schluß ziehen. Denn wir können 
dann nicht wissen, ob die bestimmten einzelnen Punkte und Linien 
zu demjenigen Teil der Sphäre des Subjektsbegriffs des allgemeinen 
Satzes gehören, für den der Satz erfüllt ist, oder zu demjenigen 
Teil, für den der Satz nicht erfüllt ist. Es wäre also keine 
Unterordnung des Einzelfalles unter die Obersätze, und daher 
überhaupt keine Wissenschaft aus den Obersätzen möglich. 

148. Noch anders schließlich sucht sich Bexeke bei den philo- 
sophischen Urteilen zu helfen. Die Allgemeingültigkeit soll hier 
in der subjektiven Notwendigkeit, das im Urteil Ausgesagte zu 
denken, ihren Grund haben. Hier heißt es: 

„Fällen wir z. B. das Urteil : Alles Seiende ist in der Zeit: 
so ist das eben so nur ein identisches Urteil. Die Berufung 
auf die Unmöglichkeit, ein andres Sein als eben in der Zeit im 
anschaulichen Denken zu voUziehn, ist nichts anderes als die 
Steigerung des einzelnen Urteils . . . zum allgemeinen durch 
die absolute Vollständigkeit in Vergleichung aller Fälle, die 
uns dadurch möglich wird, daß wir es nur mit Tätigkeiten des 
menschlichen Geistes zu tun haben. ^ ^ 

Diese Erklärung vereinigt widersprechende Behauptungen, 
Wenn die Bedeutung des Satzes „Alles Seiende ist in der Zeit" 
auf den anderen zurückgeht, daß es dem menschlichen Geiste un^ 
möglich ist, das Gegenteil zu denken, so kann das ausgesprochene 
Urteil nicht ein „identisches" sein. Denn was der menschliche 
Geist über das Sein zu denken genötigt ist, können wir nach 
Bexekes eigenen Darlegungen nur aus der Erfahrung wissen.* Im 



* S. 39 f. 

' Die Erklärung beruht femer auf einer Zirkeldefinition, analog der in § 85 
besprochenen, enthält aber überdies einen introjizierten Widerspruch. Vgl. § 82. 

46* 



720 L« Nelson: Über das sogenannte Crkenntnisproblem. 

übrigen bleibt es unerfindlich, mit welchem Rechte Beneke die 
Unfähigkeit des menschlichen Geistes, eine Sache zu denken, 
als ein Kriterium der Unmöglichkeit dieser Sache betrachtet. 
Und noch mehr, auf welche Weise können wir denn dieser Un- 
möglichkeit, das Gegenteil des fraglichen Satzes zu denken, gewiß 
werden? Alle Erkenntnis vom menschlichen Geiste ist zunächst 
eine durchaus innere] woraus soll nun folgen, daß was mir zu 
denken versagt ist, auch jedem anderen Menschen zu denken un- 
möglich sein wird? Haben sich nicht tatsächlich Philosophen ge- 
funden, die das Gegenteil des Benekeschen Satzes nicht nur zu 
denken für möglich gehalten, sondern es wirklich selbst gedacht 
haben? Und woraus folgt, daß, was uns bisher zu denken nicht 
möglich war, uns auch in alle Zukunft zu denken unmöglich 
sein wird? 

Nach der (in § 145) beschriebenen, von Beneke angegebenen 
Yerbalmethode der Bildung allgemeiner Sätze hat dies alles frei- 
lich keine Schwierigkeit: Wir beschränken einfach die Bedeutung 
des Wortes „Denken" auf diejenigen Fälle, die dem Satze „Das 
Denken eines nicht-zeitlichen Seins ist anmöglich" genügen. Sollte 
also ein Philosoph, wie z. B. Eant, ein nicht-zeitliches Sein den- 
noch für möglich halten, so würden wir einem solchen Philosophen 
das „Denken" absprechen, und die Allgemeinheit des Benekeschen 
Satzes bliebe aufrechterhalten. Freilich wäre damit für unser 
eigentliches Problem nicht das Geringste gewonnen; denn das 
Urteil, um das es sich für Beneke handelt, ist dieses: „Es ist 
unmöglich, ein nicht-zeitliches Sein anzunehmen.^ Dieses Urteil 
ist falsch^ wenn es irgend jemand giebt, der die Annahme eines 
nicht-zeitlichen-Seins macht, und daran wird nichts geändert, wenn 
wir dieser uns unbequemen Annahme den Natnen „Denken" ver- 
weigern. 



309] Dritter Teil : Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 721 

Vielleicht wäre es mehr in Benekes Sinn, den fraglichen 
Satz anf eine Definition des ^^menschlichen Geistes^ zurückzuführen. 
Wir hätten uns dann mit der Erklärung zu helfen, daß derjenige, 
der ein nicht-zeitliches Sein annähme, (wie Platon und Kaot,) kein 
Mensch wäre; und es wäre also mit dem Satze „Alles Seiende 
ist in der Zeit'' weder etwas über das Seiende ausgesagt, noch 
auch nur entschieden, ob es überhaupt so etwas wie das hier als 
„menschlicher Geist" Definierte giebt; es wäre vielmehr nur die 
Festsetzung getroffen, daß diejenigen Wesen, die alles Seiende als 
zeitlich denken, den Namen „Mensch" erhalten sollen. — Die 
ganze Philosophie wäre nach dieser Auffassung nichts anderes als 
eine Sammlung sonderbarer Namengebungen. Und aller Streit in 
der Philosophie wäre nur ein Streit um Worte. 

149. Es ist nichts als eine Konsequenz aus der im Vor- 
stehenden kritisierten psychologistischen Grundauffassung, wenn 
Beneke den Begriff des „Seins" durch den des Erkanntwerdens 
und somit, da alle Erkenntnis auf Wahrnehmung beruhen soll, 
durch den des Wahrgenommenwerdens ersetzen zu können glaubt. 
Er sagt: 

„Diesen [den räumlich und zeitlich ausgedehnten] Dingen 
nun und den Tätigkeiten des Geistes, insofern sie wahrgenommen 
werden, schreibt die menschliche Vernunft ein Sein zu, . . . sie 
versteht unter einem Seienden nichts als was wahrgenommen 
wird oder doch sich wahrnehmen läßt."^ „Wirklichkeit ist die 
Eigenschaft, welche dem Substrat einer Wahrnehmung beigelegt 
wird, eben insofern es als Substrat einer (wirklichen oder mög- 
lichen) Wahrnehmung gedacht wird.^' 
Offenbar hat Beneke selbst dunkel die Undurchführbarkeit 

»S.66f. «S. 180. 



722 L- Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [310 

des rein empiristischen Standpunktes gefühlt; er wäre sonst bei 
dem alten Satze „esse = percipi** stehen geblieben und hätte 
seine Erklärung nicht durch den Zusatz eingeschränkt : ;;Oder doch 
sich wahrnehmen läßt^ und „einer wirklichen oder möglichen^. In 
der Tat ist mit diesem Zusatz der Empirismus bereits im Prinzip 
durchbrochen. Denn wo finden wir die Kriterien der „Möglichkeit" 
des Wahrgenommen Werdens ? Diese Kriterien können offenbar 
nicht in der wirJdichen Wahrnehmung liegen. Sie können aber 
auch nicht in der Existenz des Gegenstandes liegen, denn diese soll 
ja selbst erst durch die Möglichkeit des Wahrgenommenwerdens 
definiert sein. Es sei z. B. gefragt, wie viele Monde der Erde 
existieren. Nach dem Zeugnis der wirMichen Wahrnehmung 
müßten wir bald sagen: einer, bald auch: keiner. Wir müssen 
uns also zwecks einer eindeutigen Antwort an die mögliche Wahr- 
nehmung wenden. Auf die Frage aber, wie viele Monde wahr- 
genommen werden iönnen, dürfen wir nicht antworten: so viele, 
wie existieren, nämlich einer; denn wie viele existieren, das soll 
ja erst festgestellt werden, und zu dieser Feststellung fehlen uns 
noch die Kriterien. Wir sind also in der Tat an irgend eine 
Erkenntnisart verwiesen, die nicht in der Wahrnehmung besteht, 
wenn wir mit dem Ausdruck „Möglichkeit des Wahrgenommen- 
werdens" einen Sinn verbinden sollen. Diese nicht-empirische Er- 
kenntnis, die uns als Kriterium der Möglichkeit dienen soll, müßte 
entweder analytisch oder synthetisch sein, und im zweiten Falle 
entweder anschaulich oder nicht-anschaulich. D. h. wir können 
diese Kriterien entweder in der Logik oder auch in der Mathe- 
matik und Metaphysik suchen. Nun widerspricht es weder einem 
logischen noch irgend einem mathematischen oder metaphysischen 
Satze, anzunehmen, daß sich null, eins, zwei, drei oder irgend 
eine andere beliebig große oder kleine Zahl von Monden wahr- 



311] Dritter Teil: Die Geschlclite der Erkenntnistheorie. 723 

nehmen lassen. Sollte also das existieren; dessen Wahmehmnng 
im logischen, mathematischen oder metaphysischen Sinne m5glich 
ist, so existieren sowohl null als auch jede andere Zahl von 
Monden der Erde; das heißt es existiert Widersprechendes. Oder 
aber, falls nichts Widersprechendes existieren soll, so existiert 
nichts ; denn es fehlt jedes Einschränkungsprinzip, durch das unter 
den unendlichen einander ausschließenden Möglichkeiten eine als 
„wirklich^ bestimmt würde; es sei denn, daß wir wieder aus dem 
Gebiete der bloßen formalen Gesetze der Logik, Mathematik und 
Metaphysik hinausgehen und uns an die toirkliche Wahrnehmung 
zurückwenden wollen. In diesem Falle aber kämen wir auf eine 
der in § 131 angeführten analoge Absurdität zurück. Wenn die 
Wirklichkeit eines Dinges das Wahrgenommenwerden dieses Dinges 
bedeutet, so kann auch von einer wirklichen Wahrnehmung nur 
geredet werden, insofern darunter das Wahrgenommenwerden der 
Wahrnehmung zu verstehen ist, und so fort in einer unendlichen 
Reihe, in der jedes Glied erst durch das nächstfolgende definiert ist, 
wie dies die Natur einer Zirkeldcfinition notwendig mit sich bringt.^ 
150. Die Ergebnisse der beiden letzten Kapitel zusammen- 
fassend können wir sagen : Wie wir bei Fichte (§ 127) den Fehl- 
schluß von der Apriorität des Grundes auf die Apriorität der 
Begründung fanden, so finden wir bei Bexeke (§ 142) den ent- 
gegengesetzten Fehlschluß von der Aposteriorität der Begründung 
auf die Aposteriorität des Grundes. Beiden entgegengesetzten 
Fehlschlüssen liegt dasselbe von Reikhold übernommene erkennt- 



^ Der Fehler, den Beneke hier begeht, läßt sich sehr einfach angeben: er 
besteht in der Verwechslung des Krüeriums für ein Merkmal mit der Definition 
dieses Merkmals. Das Kriterium der Existenz üegt aUerdings in der Wahr- 
nehmung, aber Existenz bedeutet darum doch nicht Wahrgenommenwerden. Wir 
haben bereits mehrfach Beispiele dafür angetroffen, daß der Versuch einer De- 
/initton der Existenz auf Widersinn führt, und wir erkennen hier, daß dies auch 
dann gut, wenn zu der Definition das Kriterium benutzt wird. 



724 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [312 

nistheoretische Vorurteil zu Grunde, daß die kritische Begründung 
den Grund der zu begründenden Sätze enthalte. Die dem trans- 
zendentalen und dem psychologistischen Vorurteil gemeinschaft- 
liche Behauptung der modaüschen Gleichartigkeit von Kritik und 
System (Begründung und Begründetem) ist eine unausweichliche 
Konsequenz dieses erkenntnistheoretischen Vorurteils.^ 

Aber der Rationalismus Fichtes beschränkte sich nicht allein 
auf seine Kritik und System vermengende „Wissenschaftslehre",* 
und ebenso beschränkte sich der Empirismus Bexekes nicht auf 
seine Kritik und System gleicherweise vermengende „Erkenntnis- 
lehre" ; sondern es zeigte sich bei Fichte ein schlechthin allgemeiner 
Eationalismas, bei Bekeke ein schlechthin dllgemeiner Empirismus. 
Auch diese Erscheinung hat ihren tieferen Grund: man braucht, 
um ihn zu finden, nur den Satz, daß die Erkenntnistheorie den 
Grund aller von ihr verschiedenen Erkenntnis enthalten müsse', 
mit dem anderen zu verbinden, wonach jede Erkenntnis mit ihrem 
Grunde hinsichtlich der Modalität gleichartig sein muß.* Es ist 
eine notwendige Folge dieser Sätze, daß aUe transzendentale Er- 
kenntnistheorie, wenn sie in konsequenter Form auftritt, schlecht- 
hin rationalistisch, alle psychologische Erkenntnistheorie, wenn sie 
in konsequenter Form auftritt, schlechthin empiristisch verfahren 
muß. Dieses Gesetz wird durch die Geschichte der Erkenntnis- 
theorie bei den unmittelbaren Nachfolgern Kants ebenso bestätigt 
wie durch die erkenntnistheoretischen Lehren der Gegenwart.* 

^ Vgl. § 124 f., sowie das Schema in § 57. Unsere historischen Darlegungen 
bUden eine genaue Verifikation dieses Schemas. 

« Vgl. § 126. » Vgl. § 55. * Vgl. § 56. 

' So erklärt sich das historische Phänomen, daß der in der nachkantischen 
Philosophie entstandene Streit zwischen Transzcndentalismus und Psychologismus 
eine Erneuerung der vorkantischen Streitfrage zwischen Rationalismus und Empi- 
rismus mit sich gebracht hat. 



313] Drittes Kapitel: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 725 



XXX. 

Die Beseitigung des erkenntnistheoretischen Vorurteils 
durch Pries' psychologische Vernunftkritik. 

151. Es bleibt uns noch übrig, einen Blick auf die historische 
Erscheinungsform zu werfen, in der zuerst der geläuterte Kriti- 
zismus das erkenntnistheoretische Vorurteil im Prinzip überwanden 
und dadurch den Widerstreit der transzendentalen und der psy- 
chologischen Erkenntnistheorie aufgelöst hat. 

In seiner philosophischen Erstlingsschrift, der im Jahre 1798 
im dritten Bande von Carl Christian Erhard Schmids „Psychologi- 
schem Magazin^ ^ erschienenen Abhandlung „Über das Verhältnis der 
empirischen Psychologie zur Metaphysik" hat Jakob Friedrich Fries 
diese Aufgabe gelöst. Durch ihr Thema, sowie durch ihre philo- 
sophiegeschichtliche Bedeutung reiht sich diese Abhandlung un- 
mittelbar als eine Fortsetzung und Ergänzung an die Kantischen 
„Untersuchungen über die Deutlichkeit der Grundsätze der natür- 
lichen Theologie und der Moral" an: sie bildet ein vollwertiges 
Seitenstück zu dieser Kantischen Preisschrift. Ja, ich glaube mich 
keiner Übertreibung schuldig zu machen, wenn ich behaupte, daß 
eine unparteiische und gründliche Geschichtsschreibung diese Fries- 
sche Abhandlung als das Bedeutsamste anerkennen wird, das über- 
haupt in der Geschichte der Philosophie seit dem Erscheinen der 
Kantischen Schriften bis auf den heutigen Tag geleistet wor- 
den ist. 



^ Wie alle in diesem Magazin enthaltenen Arbeiten anonym. 



726 L- Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [314 

Wenn man, wie dies in den exakten Wissenschaften üblich 
ist, auch den Beweis der ünlosbarkeit eines Problems als einen 
möglichen Fall seiner Lösnng gelten läßt, so muß gesagt werden, 
daß in der in Rede stehenden Friesschen Abhandlung das „Er- 
kenntnisproblem" seine Lösung gefunden hat. Denn, wollen wir 
die heutige Ausdrucksweise anwenden, so müssen wir, um den In- 
halt jener Arbeit zu bezeichnen, sagen : sie erbringt den Beweis der 
Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. Sie beweist und erklärt 
die ünlosbarkeit einer Aufgabe, an deren Lösung sich die heutige 
Philosophie noch ebenso hartnäckig, aber auch ebenso vergeblich 
müht wie die damalige.^ 

152. Mit bewunderungswürdigem Scharfblick faßt Fbies so- 
gleich den für alle methodischen Streitigkeiten in der Philosophie 
entscheidenden Punkt ins Auge: das Verhältnis der Kritik zum 
System. Er unterscheidet drei Möglichkeiten: 

A) Die Prinzipien der Metaphysik werden entweder als Lehr- 
sätze aus einer anderen systematischen Wissenschaft ent- 
lehnt und werden also in dieser progressiv bewiesen; oder 

B) sie werden regressiv, d. h. „durch einen Übergang vom Be- 
sonderen zum Allgemeinen bewiesen" und sind also durch 
Induktion erweislich; oder endlich 



^ Ich kann mich in diesem Kapitel kurz fassen, da ich mich bereits mehr- 
fach über das hier zu behandelnde Thema geäußert habe. Um mich möglichst 
wenig zu wiederholen, ziehe ich es Yor, den Leser auf meine früheren Dar- 
stellungen zu verweisen und mich auf eine genauere Betrachtung derjenigen 
Punkte zu beschränken, auf die ich bisher noch nicht mit der für die Zwecke 
dieser Schrift erforderlichen Ausführlichkeit eingehen konnte. Ich bitte mit dem 
Folgenden zu vergleichen : den Anhang meiner Abhandlung über die „kritische 
Methode", sowie die Abhandlung „Jakob Friedrich Fries und seine jüngsten 
Kritiker^ (Abhandlungen der Fries'schen Schule, Neue Folge, Band 1, Heft 2) 
und den Aufsatz „Inhalt und Gegenstand, Grund und Begründung^, Kapitel YII 
bis Schluß. (Im 1. Heft des 2. Bandes derselben Abhandlungen.) 



316] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 727 

C) sie sind nnerweislich und lassen sich nur nach einer Eegel 
aM/weisen, die für die logische Unabhängigkeit nnd Voll- 
ständigkeit ihres Systems die Gewähr enthalten mnß.^ 

Daß der erste Fall nicht statt finden kann, wird folgender- 
maßen bewiesen. Die metaphysischen Prinzipien könnten, da sie 
selbst rationale Erkenntnisse sind, nnr in einem System ans ratio- 
Fialen Erkenntnissen bewiesen werden. Nun sind aber die meta- 
physischen Prinzipien schon die allgemeinsten rationalen Erkennt- 
nisse überhaupt. Sie sind folglich in keiner anderen systemati- 
schen Wissenschaft beweisbar. 

Daß auch der zweite Fall nicht statt finden kann, wird so 
bewiesen. Der Schluß vom Besonderen auf das Allgemeine ist nur 
dann anwendbar, wenn das Besondere für sich unmittelbar gültig 
ist. Dies ist aber nur bei empirischen Erkenntnissen der Fall; 
denn bei Erkenntnissen a priori liegt der Gültigkeit des Beson- 
deren jederzeit schon die des Allgemeinen zu Grxmde. Die Prin- 
zipien der Metaphysik müßten also im Falle B auf empirische Er- 
kenntnisse zurückgeführt werden. „Aus einer empirischen Er- 
kenntnisart läßt sich aber überhaupt keine Erkenntnis a priori 
ableiten: denn aus bloß assertorischer Gewißheit folgt niemals 
eine apodiktische; alle Erkenntnis a priori muß aber apodiktisch 
gewiß sein."* Die Prinzipien der Metaphysik können also nicht 
durch Induktion begründet werden. 

Es bleibt also nur die Möglichkeit, die metaphysischen Prin- 
zipien als unerweisliche anzuerkennen und sie als solche nach einer 
Begel aufzuweisen. 

153. Woher erhalten wir aber eine solche Regel? 

Bei Erkenntnissen a priori liegt, wie bemerkt, der Gültigkeit 



A. a. 0. S. 169. 2 8. 170 ff. 



728 L- Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [316 

des Besonderen stets die des Allgemeinen zu Grande. Wenn es 
sich aber nicht um den Erweis der Gültigkeit, sondern nm die 
Anfweisting des Inhalts von Erkenntnissen a priori handelt, so 
können wir nicht vom Allgemeinen anfangen, sondern wir müssen 
umgekehrt nur vom Besonderen ausgehen, das sich dem Bewußt- 
sein zuerst darbietet, um durch Zergliederung seiner Voraus- 
setzungen regressiv zum Allgemeineren aufzusteigen. Dies war 
das sichere Ergebnis von Kants methodologischen Untersuchungen 
gewesen, das durch die Erkenntnis der ursprünglichen Dunkelheit 
der metaphysischen Prinzipien ein für allemal festgestellt war. 
Aber diese Kantische Entdeckung bedarf einer Ergänzung. Denn 
„die bloße Zergliederung für sich setzt sich keine Grenzen, es ist 
immer ungewiß, ob ich darin nicht noch weiter fortgehen kann. 
Ja noch mehr, man nehme sogar an, das Urteil sei ein solches 
letztes, also unerweislich ; so fragt sich, worauf beruht die Gültig- 
keit desselben, wodurch kann es sich bewähren? Als philosophi- 
sches Prinzip soll es ganz auf Begriffen beruhen, es findet also 
keine Berufung auf Anschauung statt. Wodurch will man es denn 
aber rechtfertigen, wenn es angefochten wird?^* 

154. „Hier ist der Ort, wo xms die psychologische Unter- 
suchung unsrer Erkenntnisse allein weiter helfen kann."* Natür- 
lich; denn da eine objektive Begründung von Grundurieüen unmög- 
lich ist, so bleibt nur übrig, entweder auf alle Kritik der frag- 
lichen Prinzipien überhaupt zu verzichten, oder aber sie hinsicht- 
lich ihres subjektiven Ursprungs in der Vernunft aufzuweisen. 
„Erkenntnisse a priori sind nämlich, indem sie unabhängig von 
allem aus Wahrnehmung Entsprungenen statt finden, subjektiv 
im Gemüt nur möglich, wiefern sie aus solchen Bestimmungen 

> S. 174. • S. 175. 



317] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 729 

desselben entspringen, welche für onsre Erfahrungen anmittelbare 
Grundbeschaffenheiten des Gemüts sind; die ihm daher schlecht- 
hin und beharrlich zukommen. Die Prinzipien der Erkenntnis 
a priori müssen sich daher aus den Beschaffenheiten des Gemütes 
als des erkennenden Subjektes allein, unmittelbar und vollständig 
erklären und ableiten lassen."* 

„Hierdurch erhalten wir nun alles, was gesucht wurde. Können 
wir nämlich die Natur des erkennenden Gemütes hinlänglich er- 
gründen, so muß sich daraus eine Regel ergeben, durch welche 
sich nicht nur bestimmt, was Prinzipien der philosophischen Er- 
kenntnis sind, sondern nach welcher wir dieselben vollständig in 
einem System darstellen können. ""^ 

Die gesuchte „Eegel" liegt also in der Psychologie, und die 
Kritik der Vernunft muß als eine Wissenschaft aus innerer Er- 
fahrung bearbeitet werden. Dies folgt notwendig daraus, daß der 
Gegenstand der Kritik in Erkenntnissen besteht, wiefern diese 
nämlich „subjektiv als zu Gemütszuständen gehörig^ betrachtet 
werden', und daß Erkenntnisse als solche nur durch innere Er- 
fahrung erkennbar sind.^ 

IBB. Das Verhältnis der Psychologie zur Philosophie ist durch 
diese Unterscheidung von Inhalt und Gegenstand der Kritik klar 
und eindeutig festgestellt: „Ihr Gegenstand sind Erkenntnisse 
a priori, ihr Inhalt aber meist empirische Erkenntnisse. Die Urteile, 



» S. 175. 

' S. 176. — Fries läßt bereits die ganze Tragweite seiner Entdeckung 
durchblicken, indem er hinzufügt: ^, Dabei läßt sich endlich noch bemerken, daß, 
indem wir nur von Betrachtung der metaphysischen Erkenntnisse ausgingen, die 
letztem Resultate doch meist von aller Erkenntnis a priori überhaupt gelten, also 
auch auf Logik oder wohl gar Mathematik anwendbar, vieUeicht ersterer auch 
nützlich wären.'' (S. 176j 

» S. 101. * S. 177 f. 



730 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [318 

welche den Inhalt der Ej*itik ausmachen, sind nur assertorisch: 
apodiktische gehören zum Gegenstand derselben. So erkenne ich 
z. B. a priori und mit apodiktischer Gewißheit, daß alle Ver- 
änderungen eine Ursache haben: allein das Dasein dieses Grund- 
satzes unter meinen Erkenntnissen und die Art, wie er im Sub- 
jekt gegründet ist, welches letztere in den Inhalt der Kritik 
gehört, kann ich doch nur assertorisch aus innerer Erfahrung er- 
kennen."* „Eigentlich philosophisches Erkenntnis ist jederzeit 
apodiktisch: das assertorische, psychologische gehört nur in die 
Kritik, nicht in das System der Philosophie."* 

Man bemerkt leicht, wie durch den angeführten Beweis der 
Unmöglichkeit eines rationalen Beweisgrundes metaphysischer Prin- 
zipien der Transzendentalismus, und wie durch den analogen 
Beweis der Unmöglichkeit einer induktorischen Kritik der Psycho- 
logismus beseitigt wird. 

Und so gelingt es Fiues, in einer meisterhaften Analyse der 
zeitgenössischen Philosophie die in dieser herrschende Yermengung 
psychologischer und metaphysischer Prinzipien aufzudecken und den 
Irrweg zu beleuchten, der mit Notwendigkeit auf diese Vermen- 
gung hatte führen müssen.* Es gelingt ihm mit ebenso wenigen 
wie klaren Worten die Wurzel des transzendentalen Vorurteils 
bei Fichte bloßzulegen, es als eine Konsequenz aus dem Reinhold- 
schen Mißverständnis abzuleiten und dieses wieder bis auf seinen 
ersten Anlaß, die Zweideutigkeit der Begriffsbestimmung des Trans- 
zendentalen in der Kritik der reinen Vernunft zurückzuführen.* 



»S. 181. « S. 182. »S. 187 ff. 

* S. 184 ff. — Fries faßt diese Gedanken später einmal folgendermaßen zu- 
sammen : 

;,Kants Entdeckung der kritischen Methode für die Phüosophle bezeichnet 
die £poche, in der die subjektive Wendung der Spekulation zuerst gelang. Sie 



319] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 731 

166. Fries kommt schließlich seinen Kritikern zuvor und 
antizipiert selbst den häufigsten Einwand, mit dem man später 
seine Lehren zu bestreiten gesucht hat: 

„Allerdings ist es ein schwieriges Verhältnis, welches daraus 
entsteht, daß ich mich, nach meiner Erkenntnis a priori, empi- 



bedarfte als Vorbereitung, mehr noch als Kant es selbst erkannte, die moderne, 
▼orzüglich von Locke ausgehende Ausbildung der Psychologie, welche wir den 
Engländern verdanken. Diese Psychologen wandten die Untersuchung zuerst mit 
Erfolg auf das Innere des Geistes zurück, aber ihr ganz empirisches Verfahren 
vernichtete alle Philosophie, wie Hume dies deutlich ausgesprochen hat. Kant 
dagegen gelang es zuerst bei dieser subjektiven Wendung doch das Philoso- 
phieren selbst im Auge zu behalten, die Philosoplde durch jene Psychologie 
auszubilden. So geschickt Kant aber auch diesen Vorteil zu benutzen wußte, so 
sah er doch den Grund desselben nicht ganz durch. Er fand seine kritische Me- 
thode nur durch eine logische Rückrechnung, indem er aus der Vcrgleichung der 
Philosophie mit Mathematik abnahm, daß die synthetische Methode der letztern für 
Philosophie gar nichts tauge, daß in der Philosophie vielmehr alles auf geschickte 
Zergliederungen der analytischen Methode ankomme. Dies setzte ihn allein schon 
in den Stand ein Verfahren in Anwendung zu bringen, dessen Kegeln er selbst 
noch nicht auf den einfachsten Ausdruck zu bringen wußte. Durch diesen Vor- 
teil der zergliedernden Methode der Kritik ist es in die Gewalt der Schule ge- 
kommen, die Philosophie regelmäßig nach und nach auszubilden, ohne bei jedem 
Fortschritt auf gut Glück ein neues System wagen zu müssen. Mögen in Kants 
metaphysischen Behauptungen noch so viel einzelne falsche Ansichten sein, so ist 
das doch nur Nebensache. Die unfehlbare Methode haben wir durch ihn ge- 
wonnen, und eine immer ausgebildetero Anwendung derselben wird uns allmählich 
auch von jenen Fehlern befreien. 

„Auf die genaue Kenntnis der Methode kommt hier also alles an. Darin 
findet sich aber bei Kant noch ein bedeutender Mangel. Durch seine nur logi- 
schen Vergleichungen der Methoden ist ihm die anthropologische Bedeutung seiner 
eignen Methode nicht klar geworden, in seinem Ausdruck des Transzendentalen 
hat er vielmehr das Metaphysische der objektiven Spekulation wieder mit dem 
Psychologischen einer bloßen Kenntnis der menschlichen Vernunft und ihrer Erkennt- 
niskraft verwechselt, wodurch denn leicht der dem Englischen gerade entgegen- 
gesetzte Fehler der Reinholdisch-Fichtischen Spekulation veranlaßt werden konnte : 
die empirische Psychologie in Philosophie, d. h. in Metaphysik zu verwandeln.'* 
(„Tradition, Mystizismus und gesunde Logik, oder über die Geschichte der Philo* 
Sophie." In Daub und Cbeüzers „Studien**, Bande, S. IS ff.) 



732 L* Nelson: Über das sogenannte £rkenntnu»p4«,. 

risch erkenne. Ich setze hier voraas nicht etwa bloß die lo- 
gischen Regeln des Denkens, sondern, da ich nnr aus der 
Erfahrung schöpfen kann, notwendig auch die metaphysischen 
Gesetze einer möglichen Erfahrung überhaupt, von denen es 
doch eben scheint, als sollten sie erst bewiesen werden. Die 
Erkenntnis a priori ist aber hier nicht nach ihrer Gültigkeit in 
Urteilen, sondern nach ihrer Beschaffenheit als meiner Erkennt- 
nis, als zu den Zuständen meines Gemüts gehörig, psychologischen 
Grundsätzen unterworfen.* Es wird also in der Tat hier nicht 
unternommen, die Prinzipien und Grundsätze unsrer notwendigen 
und allgemeinen Erkenntnis zu erweisen: denn das könnte nur 
dadurch geschehen, daß sie von noch höheren und allgemeineren 
Gesetzen abgeleitet würden, welches bei Prinzipien gar keine 
Anwendung fände, außer dem daß aus empirischen Obersätzen 
wohl niemand einen apodiktischen Schlußsatz zu ziehen hoffen 
wird.«« 
Die Behauptung eines Zirkels' in der kritischen Deduktion 



^ Man vergleiche hierzu die folgenden Stellen aus der „Neuen Kritik der 
Vernunft** : 

„Es giebt für jede Erkenntnis einen zweifachen Standpunkt der Betrach- 
tungi ... ich kann jede Erkenntnis einmal subjektiv, wiefern sie meine Tätigkeit 
ist| und dann objektiv, in Bücksicht ihres Gegenstandes betrachten.** „Auch 
unser philosophisches Wissen wird also . . . von einem anthropologischen Qe- 
sichspunkt aus betrachtet werden können. Ja diese anthropologische Ansicht der 
philosophischen Erkenntnis ist eben für Philosophie von entscheidender Wichtig- 
keit** (Einleitung, 2. Aufl. S. 87 f.) 

„ Vorstellung und alle ähnlichen Worte . . . sind darin zweideutig, daß man 
unter Vorstellung eben so wohl das Vorstellen, die Tätigkeit des Geistes, als 
das Vorgestellte, den Gegenstand des Vorstellens, versteht .... Wir müssen 
also das Vorgestellte, das Objektive der Vorstellung, immer genau vom Vor- 
stellen, als der Tätigkeit des Geistes, unterscheiden.** (§ 10, 2. Aufl. S. 70.) 

• S. 182 f. 

' Man vergleiche über diesen Schein des Zirkels auch „Reinhold, Fichte 



321] Dritter Teil: Die Geschic&te der ErkenntniBtheorie. 733' 

beraht also auf der irrigen Yoraussetzung, als bezwecke diese 
Deduktion einen Beweis der metaphysischen Grandsätze ; sie beruht 
auf der Verwechslung der DeduJction mit der Induktion^ oder, wie 
wir es auch ausdrücken können, auf der Verwechslung der Kritik 
mit der Erkenntnistheorie. Mit der Abweisung dieser Verwechs- 
lung wird der wieder und wieder gegen die Friessche Kritik er- 
hobene Vorwurf des Psychologismus hinfällig.^ Nichts zeigt evi- 
denter, wie fern Fmes der psychologistischen Denkweise steht, als 
der lakonische Nebensatz, in dem er diese Denkweise als eine 
keiner näheren Erörterung mehr bedürftige Illasion streift: „außer 
dem daß aus empirischen Obersätzen wohl niemand einen apodik- 
tischen Schlußsatz zu ziehen hoffen wird." Durch die in der 
Eütik vorkonmienden Untersuchungen, sagt er an anderer 
Stelle, wird „auf keine Weise ein Teil der Seelenlehre in die Philo- 
sophie hinübergezogen."' — Man kann sagen: Frees bedient sich 
selbst des gegen ihn gerichteten Arguments, um durch dasselbe 
den Psychologismus zu widerlegen. 

157. Allein, hier erhebt sich eine neue Schwierigkeit. Man 
kann nämlich auf Grund des Zugeständnisses der ünentbehrHchkeit 
metaphysischer Voraussetzungen für die Kritik die Frage auf- 
werfen, warum es unter solchen Umständen noch des Umwegs über 
die psychologische Kritik bedürfe, um zum System der Meta^ 
physik zu gelangen. Läßt sich die Zugrundelegung metaphy- 



und Schelling'' S. 211 f.; „Polemiscbe Schriften'' S. 326 f.; „Neue Kritik der Yer* 
nunft«, Einleitung, 2. Aufl. S. 26 f. 

» Vgl. auch „System der Metaphysik", § 11, S. 43: „Die psychische An- 
thropologie oder Wissenschaft von der Natur des menschlichen Geistes steht dem 
System nach nur durch die unten zu bezeichnende metaphysische innere Natur- 
lehre mit der Philosophie in Verbindung und tritt so in das System der ange- 
wandten Philosophie ein. Allein der Methode nach sind die Verhältnisse anders.'' 

» S. 239. 
AbhuidliuigMi der AriM^fokea Sckvl«. H. Bd. 47 



734 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [322 

sischer Yoraussetzimgen doch nicht umgehen, warom soll es dann 
nicht erlaubt sein, das System dieser Voraussetzungen frei von 
aller empirischen Beimischung unmittelbar aufzustellen? Die Mög- 
liclilceit der fraglichen psychologischen Untersuchungen mag zuge- 
geben werden; die Behauptung aber, daß sie für die Metaphysik 
notwendig seien, scheint sich nicht aufrechterhalten zu lassen. 

Von einer klaren Beantwortung dieser Frage hängt in der 
Tat das ganze Schicksal des Exitizismus ab. Eine solche Ant- 
wort suchen wir in der Kantischen Kritik vergeblich. So sehr 
man die Vorteile anerkennen muß, die die Kantische Kritik der 
Philosophie gebracht hat, so bleiben doch nach E^ants eigener Dar- 
stellung diese Leistungen seiner Methode ein Rätsel. Bei Fiues 
finden wir die Erklärung dieses Rätsels. Sie besteht in dem ein- 
fachen Hinweis auf die Tatsache, daß alle eigentlichen Schwierig- 
keiten der Spekulation nicht sowohl den Gehalt des philosophi- 
schen Wissens betreffen, als vielmehr nur die systematische Form, 
die dieses Wissen erhalten muß, um zur Wissenschaft zu werden. 
Und so führt Fries die Notwendigkeit der psychologischen Kritik 
auf die schon von Kant in anderem Zusammenhange wohl be- 
merkte Tatsache zurück, daß man jene Schwierigkeiten umgehen 
kann, wenn man an die Stelle der abstrakten Handhabung der 
metaphysischen Prinzipien ein Verfahren setzt, das von diesen 
Prinzipien nur einen Gebrauch in concreto macht, so wie ein 
solcher in der gewöhnlichen Erfahrung jederzeit vorkommt. 

„Darin liegt eigentlich alle Schwierigkeit der Philosophie, 
daß sich über das, wonach sie zu oberst fragen muß, nur durch 
die künstlichsten Abstraktionen sprechen läßt, bei denen fast 
jedem das sichere Urteil ausgeht und nur willkürliche Ge- 
danken-Assoziation übrig bleibt. Doch findet sich der Vorteil 
dabei, daß nur die isolierte Behandlung jener metaphysischen 



323] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 736 

Gegenstände so schwierig ist, in der Anwendung gehen wir im 
Leben täglich damit um ohne alle Schwierigkeiten. Nur das 
macht die Schwierigkeit, daß m^ gerade abgesondert von 
solchen Gresetzen sprechen will. Nur das Abstrahieren und Aus- 
sondern bringt unser Urteil ins Schwanken. Es könnte uns 
also hier geholfen werden, wenn man ein Mittel fände, uns in 
Rücksicht dieser metaphysischen Überzeugungen zu orientieren, 
ohne daß wir uns bei ihrer Berichtigung einzig auf das Ge- 
lingen des schweren Experimentes verließen, jene Abstraktionen 
zu bilden und unter einander zu kombinieren. Wenn wir näm- 
lich einen Weg fänden, auf dem wir uns in Bücksicht jener Abs- 
traktionen und ihrer Verhältnisse orientieren könnten, ohne 
diese Abstraktionen selbst zu behandeln. Ein solcher Weg zeigt 
sich in der durchaus subjektiven Wendung der Spekulation. 
Anstatt objektiv durch den Verstand die allgemeinsten Formen 
der Vemünftigkeit unserer Erkenntnis aus dieser heraus zu 
skelettieren, bleiben wir nur subjektiv bei der innem Selbstbe- 
obachtung unserer Vernunft, und sehen zu, wie die Erkenntnis 
als ihre Tätigkeit notwendig organisiert sein muß. An die 
Stelle jener schweren Abstraktionen stellen wir also nur eine 
einfache Erfahrungswissenschaft, die ein wenig besser als bisher 
bearbeitet werden müßte. Dieser unser Vorschlag macht den 
Erfolg unserer Spekulationen gar nicht vom Gelingen oder Miß- 
lingen einzelner Abstraktionen und ihrer Kombination abhängig 
und gewährt uns den großen Vorteil, daß wir unsere Ansichten 
vorsichtig durch allmähliche Korrektionen vollkommen machen 
können, dagegen bei der andern Art zu philosophieren jeder 
einzelne bedeutende Fehler in der Abstraktion gleich das ganze 



47^ 



736 L* Nelson : Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [324 

System verfälscht und jede Aufweisung eines solchen Fehlers 
das ganze System umwirft.^ ^ 

„Die Theorie der Vernunft, welche wir hier aus anthropo- 
logischen Prinzipien entwickeln, gewährt den Vorteil, daß sie 
in Sachen der höchsten Spekulation Entscheidung liefert, ohne 
daß wir uns auf die größten Schwierigkeiten des Spekulierens 
selbst einzulassen brauchen. Sie ist physikalische Theorie, und 
gründet sich also auf Erfahrung und innere Anschauung, die, 
wenn sie gleich als innere Anschauung schwer mitteilbar ist, 
doch immer weit festere Beurteilungen zuläßt, als die höchsten 
Abstraktionen der Spekulationen selbst. Wenn wir uns ohne 
anthropologische Beihülfe daran wagen, über ganz allgemeine . 
spekulative Dinge zu urteilen, über das Wesen und die Not- 
wendigkeit in den Dingen überhaupt, über die Freiheit, oder ob 
die Gottheit mit Spinoza, als das letzte Seiende, oder mit Leibniz 
als das letzte Denkende vorauszusetzen sei, so werden wir dar- 
über unmittelbar wenig festes Urteil haben. Wiewohl wir uns 
auf einer Seite wohl bewußt sind, solche Dinge seien gar nicht 
nach Wahrscheinlichkeit zu entscheiden, so fühlen wir doch auf 
der andern Seite, daß wir uns mehr in Worten verwirren als 
urteilen, und können leicht bemerken, daß die widerstreitenden 
Urteile des einen und anderen eben daher kommen, weil mehr 
unbestimmte Assoziationen als die Wahrheit unser Urteil leiten. 
Dies rührt natürlich daher, weil jene hohen Abstraktionen so 
schwer zu schematisieren sind, und der innere Sinn in ihnen 
so wenig Stoff behält, den die Eeflexion sicher fassen könnte, 
daß unsere Kombination hier leicht mehr Spiel mit Worten als 
Urteil aus Begriffen wird. Das Unsicherste ist hier die Korn- 



^ „Tradition, Mystizismus und gesunde Logik", a. a. 0. S. 8 ff. 



325] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 737 

bination der einzelnen Abstraktionen, and eben diese wird nns 
durch die anthropologische Behandlung ungemein erleichtert, wir 
erhalten hier in der Theorie der Vernunft, welche den Ursprung 
jeder einzelnen abstrakten Form nachweist, eben durch diesen 
Ursprung eine feste Stelle für sie und können nun ihre Ver- 
hältnisse zu andern Abstraktionen erfahrungsmäßig bestimmen, 
so daß die allgemeinen Urteile selbst dann nur leichtes Resultat 
werden. Es wird z. B. nach dem Gesetz der IQiusalität: jede 
Veränderung ist eine Wirkung, gefragt, so vergleiche ich nicht 
beide Begriffe, um die Wahrheit des Gesetzes auszumittejn, 
sondern die Theorie zeigt mir schon im Großen, in welchem 
Verhältnis reine Zeitbestimmungen und Kategorieen in unsrer 
Vernunft stehen, und daraus ergiebt sich die Gültigkeit und 
der Fall der Anwendung der einzelnen Gesetze dann von 
selbst«^ 



* Neue Kritik § 96. (Bd. 11, 2. Aufl. S. 72 f.) Fries fährt fort: 

,,Üherhaapt ist die Behandlung der höchsten Abstraktionen so unbestimmt 
und schwankend, daß fast kein Philosoph zu einem bestimmten System anders 
gelangt, als daß er (oft sich selbst unbewußt) eine psychologische Hypothese über 
die Theorie der Vernunft voraussetzt, nach der er die Wahrheit in spekulativen 
Dingen in oberster Instanz prüft und aburteilt. Diese Hypothesen sind am Ende 
alle von zweierlei Arten; einseitiger Empirismus und einseitiger Bationalismus. 
Im Streite gegen diese beiden sind wir dann auch eigentlich genötigt worden, 
die höchsten Prinzipien unserer Theorie der transzendentalen Apperzeption durch 
Induktionen aus innerer Erfahrung abzuleiten." 

Man vergleiche hierzu auch noch die folgende Stelle: 

„Mit den abstrakten Formen ist am schwersten zu denken, unvermeidlich 
wird die Philosophie immer das Spielzeug leerer Spitzfindigkeiten oder mystischer 
Träumereien bleiben, wenn ihr nicht eine eigne Hülfe geleistet wird, um sie die 
Bedeutung der AhstrakUanen verstehen zu lehren. Diese Hülfe kommt ihr von 
der gehörig ausgebildeten Anthropologie. Die Selbsterkenntnis der Vernunft 
leitet allmählich eine Kenntnis ihrer eigenen innem Tätigkeiten ein, wodurch uns 
auch für die Gedankenformen eine Stelle ihres Urspi-ungs in unserm Geiste ge- 
zeigt wird. Dadurch erhalten wir eine philosophische Topik, durch die uns die 



738 ^* Nelson: Über das sogenannte Erkcnntnisproblem. [326 

Voreilig genug hatte Herbart gemeint, durch den bloßen Hin- 
weis auf jene Abhängigkeit der Psychologie von metaphysischen 
Voraussetzungen die Kritik der Vernunft widerlegt zu haben: 
„Was nun vollends das Unternehmen anlangt, erst die Grenzen 
des menschlichen Erkenntnisvermögens auszumessen, und dann die 
Metaphysik zu kritisieren: so setzt dieses die ungeheure Täuschung 
voraus, als ob das Erkenntnisvermögen leichter zu erkennen sei, 
denn das, womit Metaphysik sich beschäftige. Es liegt aber vor 
Augen, daß alle Begriffe, durch die wir unser Erkenntnisver- 
mögen denken, selbst metaphysische Begriffe sind.*'* ;,Die zer- 
gliedernde Methode der Blritik", so antwortet ihm Fries, „wird 
durch diese metaphysischen Begriffe im Gebrauch der Tatsachen 



Mühe erspart wird, mit den allgemeinsten Begriffen selbst erst reflektierend die 
philosophischen Grandurteile zn erzengen, indem wir diese Abstraktionen schon 
nach ihrer Stelle in unserer Vernunft allein gesetzmäßig zu verbinden im 
Stande sind." 

„Dieses Verhältnis der Anthropologie zur Philosophie wurde erst in neuerer 
Zeit seit Locke und Leibniz besser verstanden, und uns ist es aufbehalten ge- 
blieben, zu versuchen, ob wir ihm vollständige Deutlichkeit zu geben vermöchten. 
Psychologie ist freilich seit jeher in der Philosophie mit behandelt worden, aber 
nie auf diesen Zweck hin. . . . Doch liegt auch dies anthropologische Verhält- 
nis der Spekulation, dem Einzelnen gleichsam unbewußt, wenigstens seit der 
Eleatischon Schule mit in der Geschichte der Philosophie. Dahin gehört aller 
Streit darüber, ob man dem Sinne zu trauen habe, oder dem Verstände, oder 
keinem von beiden ; dahin gehören alle Versuche, zu einer Theorie des Erkennens 
zu gelangen. Aber . . . erst die neuere Zeit hat die richtige Stelle dieser Unter- 
suchungen, daß sie nämlich psychologischer Art wären, einsehen lernen. Die alte 
Philosophie hielt diese Untersuchungen immer für metaphysisch, selbst Kant hat 
diesen Irrtum noch nicht ganz vermieden. Von der Vermeidung desselben hängt 
aber alle Klarheit in der Philosophie ab, denn diese Anthropologie ist es allein, 
in der die Philosophie durch wirkliche Erweiterung unsrer Erkenntnis Fortschritte 
macht, indem die Abstraktion hier selbst wieder Gegenstand der Beobachtung, 
nämlich der innem Erfahrung, wird." („Tradition, Mystizismus und gesunde 
Logik", a. a.O. S. 37 f. Ähnlich auch „Geschichte der Philosophie", Bd. I, S. 22 ff.] 

^ Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie. 



327] Dritter Teü: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 739 

der philosophischen Anthropologie so wenig gehindert, als der ge- 
meine Menschenverstand in der Bearteilnng des leichtesten Ge- 
schäftes dadurch, daß er in seinen Urteilen beständig die Kate- 
gorieen anwendet." ^ 

In eben diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn Fries in der 
Einleitung zu seiner „Neuen oder anthropologischen Kritik der 
Vernunft^ ' erklärt, der Standpunkt dieser anthropologischen Kri- 
tik sei „der einzige Standpunkt der Evidenz für spekulative Dinge*^. 

158. Wer sich freilich von dem erkenntnistheoretischen Vor- 
urteil durchaus nicht losmachen kann, der wird auch hier noch 
den Einwand erheben: eine solche kritiklose Berufung auf die 
„Erfahrung" sei dem Philosophen durchaus nicht gestattet, denn 
sie laufe darauf hinaus, den „gesunden Menschenverstand" zum 
obersten Richter in spekulativen Dingen einzusetzen. Allein, wer 
so spricht, täuscht sich durch die Unklarheit seiner eigenen 
"Worte ; für die wissenschaftliche Diskussion müssen wir eine weit 
bestimmtere Sprache verlangen. Der Grund der Gültigheit unserer 
philosophischen Behauptungen soll keineswegs in der Erfahrung 
oder in den Urteilen des „gesunden Menschenverstandes" gesucht 
werden; darin sind wir mit jenen Erkenntnistheoretikern einig. 
Aber worin liegt denn nun positiv dieser Grund? Das ist ja 
eben erst die Frage. Eine Frage, deren Beantwortung wir nicht 
voreilig durch einen philosophischen Machtspruch vorwegnehmen 
dürfen. Um aber die Antwort auf diese Frage zu suchen^ haben 
wir ja gar nichts anderes, wovon wir ausgehen konnten, als die 
gewöhnliche und unphilosophische Erfahrung, und wir können, 
wenn wir die philosophische Bildung unserem Verstände erst zu 



* Polemische Schriften, Anhang I, S. 327. 

• 2. Aufl., S. 37. 



740 L* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [328 

geben saclien, nicht so verfahren, als ob wir sie schon besäßen; 
-wir haben also zunächst noch gar kein anderes Denkmittel als 
unseren mehr oder weniger gesund entwickelten Verstand. Es 
steht uns ja noch immer frei, hinterher diese erfahrungsmäßige 
Untersuchung selbst wieder der Kritik zu unterwerfen und zu 
prüfen, welches die ihr stillschweigend und ohne Bewußtsein zu 
Grunde gelegten philosophischen Voraussetzungen sind, und ob 
dieselben sich mit denen decken, die die Deduktion aufgewiesen 
hat. Mehr vermögen wir in der Wissenschaft überhaupt nicht, 
als die innere Widerspruchslosigkeit zwischen unseren Erkennt- 
nissen zu sichern: wer von der Philosophie darüber hinaus noch 
etwas fordert, der setzt voraus, daß es für den Philosophen einen 
Standpunkt außer unserer Erkenntnis gebe, von dem aus sich 
ein Urteil über die Objektivität derselben fällen ließe. Er bedenkt 
aber nicht, daß dieses Urteil ja auch wieder Erkenntnis sein 
müßte, daß er sich also mit seiner Forderung selbst widerspricht. ^ 



^ Vgl. Neue Kritik § 70 f. und besonders aus § 127 die folgende Stelle: 
„Aber dieses angebliche Thema der Phüosophie [das Verhältnis der Er- 
kenntnis zum Gegenstande] ist gar kein Thema für eine Theorie, überhaupt nicht 
für eine Wissenschaft. Vielmehr gehört alle Theorie und alle wissenschaftliche 
Form nur den Abstufungen der subjektiven Gültigkeit und der empirischen Wahr- 
heit ; jenes höchste modalische Verhältnis in unsrer Erkenntnis hingegen kann gar 
keiner Theorie unterworfen werden. . . . Dieses Verhältnis ist subjektiv ein erstes 
Vorausgesetzes bei allem Erkennen; es ist aber gerade das keiner Entwickelung 
Fähige, was an die Spitze keines Systems gehört. Wo erkaunt wird, wird ein 
Gegenstand erkannt, das liegt in der Natur des Erkennens; wir können aber 
durchaus nie gleichsam Erkenntnis und Gegenstand zur Vergleichung neben ein- 
ander stellen, um zu beurteilen, ob die Realität des einen der Vorstellung in der 
andern Wahrheit gebe oder nicht. Selbst in dem einfachen Bewußtsein : Ich bin, 
bleibe ich nur der Gegenstand, dessen ich mir durch meine subjektive Tätigkeit 
bewußt werde, ohne hier das Verhältnis des Einen zum Andern überwinden zu 
können. Ja es läßt sich sogar zeigen, daß wir, wie wir uns auch wenden, nicht 
einmal im Stande sind, uns eine Vernunft auszudenken, wenn sie auch noch so 
viel vollkommner wäre als die unsrige, wenn sie auch |in der Tat das wahre 



329] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 741 

Was an dem angeführten Einwände richtig ist, kommt auf 
die triviale Bemerkung zurück, daß das kritische Verfahren durch 
die Anknüpfung an die Erfahrung nicht vor Irrtum gesichert ist. 
Aber werden wir wohl besser vor der Gefahr des Irrtums ge- 
schützt sein, wenn wir uns mit der Spekulation blindlings über 
alle Erfahrung erheben? Der Möglichkeit zu irren ist das mensch- 
liche Donken in keiner seiner Äußerungen überhoben; es bleibt 
uns also nichts übrig, als unter den zur Lösung einer Aufgabe 
möglichen Verfahrungsweisen diejenige anzuwenden, bei der wir 
hoffen können, der Gefahr des Irrtums im geringsten Grade aus- 
gesetzt zu sein. In dem uns angehenden Falle haben wir aber 
nur die Wahl, entweder kritiklos aufs Geratewohl ein metaphy- 
sisches System aufzubauen oder aber von der gemeinen Erfahrung 
ausgehend uns erst allmählich zu den philosophischen Abstrak- 
tionen zu erheben. Welchem von diesen Wegen aber wohl der 
Vorzug zu geben ist, dafür könnte uns schon die Geschichte einen 
deutlichen Fingerzeig geben. Wer nicht in dem anmaßlichen 
Wahne lebt, durch die bloße Kraft des eigenen Denkens das leisten 
zu können, was die mehrtausendjährige Arbeit der größten Denker 
nicht zu leisten vermocht hat, der wird entweder alle Philosophie über- 
haupt aufgeben oder er wird es auf dem zweiten Wege versuchen.^ 



Wesen der Dinge, wie sie an sich sind, erkennte, welche sich selbst dessen zu 
versichern im Stande wäre. . . . Für jede einzelne £rkenntnistätigkeit ist das 
Sein des Gegenstandes ein solches Äußeres, mit dem wir also nur durch diese 
Tätigkeit in Berührung kommen, ohne es je neben dieselbe zur Vergleichung 
stellen zu können. Die ganze Aufgabe also, die objektive Gültigkeit unsrer Er- 
kenntnis nur durch die Übereinstinmiung des Gegenstandes mit der Erkenntnis 
nachzuweisen, ist unrichtig gestellt, und alles Pochen darauf: man solle und wolle 
in der Philosophie von keiner andern als einer höchsten, absoluten Wahrheit und 
ihrem Gesetze hören, entspringt nur aus Unkunde der Theorie der menschlichen 
Vernunft." (Bd. D, 2. Aufl. S. 190 ff.) 

^ „Worauf wollen wir uns berufen, wenn wir hoffen, in unsern Arbeiten 



742 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [330 

159. So viel von der Fortbildung der philosophiBchen Me- 
thode bei Frus. 

Wir hatten (§ 107) gefunden, daß sich die Aufgaben für eine 



glücklicher zu sein als jene ganze Vorzeit? Doch wohl nicht auf unsere stär- 
kere Denkkraft, mit der wir allen Denkern früherer Zeiten überlegen sein wollen ? 
Doch wohl noch weniger auf unsorn bessern, frommen Willen, wie einige be- 
schränkte Köpfe voraussetzen? Einzig eine neue Methode, welche wir dem Miß- 
lingen der frühem Versuche ablernen können, kann uns zu bessern Erwartungen 
berechtigen, und warum soll diese gerade die kritische sein? Weil jede andere 
Methode das Bilden der Abstraktionen als etwas voraussetzt, das sich von selbst 
giebt, da dies doch eben im philosophischen Wissen das allein Schwierige ist. 
Das ist eben das Eigentümliche der kritischen Methode, daß sie dieses Ausbilden 
des Abstrahierens zu ihrem Hauptgeschäft macht und daß sie sich am Ende doch 
noch von der Gefahr befreit, durch Fehler im Abstrahieren dem Irrtum preis- 
gegeben zu bleiben, indem die Probe ihrer Deduktionen nicht auf philosophischen 
Abstraktionen, sondern nur auf der Selbsterkenntnis der Vernunft, d. h. auf Be- 
obachtungen beruht." (System der Logik, § 126, 3. Aufl. S. 423. Vgl. auch 
Neue Kritik § 103 (2. Aufl. Bd. II, S. 103), wo die Deduktion als das „Kunst- 
stück" beschrieben wird, „welches gleichsam als Rechenprobe der vorhergehenden 
Analysis folgt«.) 

„Werfen wir noch einmal die Frage auf: Was wollen wir denn mit unserm 
ganzen Philosophieren? Die erste Antwort war: Der Philosophie ihre Form geben 
und sichern. Der Inhalt derselben liegt zerstreut und oft genug verkannt in den 
gemeinsten Erfahrungen, in dem Verstandesgebrauch des gemeinen Lebens. Dieser 
soll aber durch das Philosophieren und mit der wissenschaftlichen Form Sicher- 
heit und Festigkeit erlangen. Woher nehmen wir nun die ersten Gründe dieser 
Festigkeit und Sicherheit? Indem wir erst anfangen zu philosophieren, haben 
wir nichts als eben diese gemeine Erfahrung, woraus wir schöpfen können, in ihr 
müssen diese letzten Gründe schon vorhanden sein, wenn sie gleich sehr verbor- 
gen liegen, und eben sie aus dieser Dunkelheit heraus zu heben, um sie nachher 
brauchen zu können, damit das ganze Gebäude durch sie Haltung bekomme, dies 
ist die einzige Bemühung der Kritik der Vernunft. 

„Die ganze Absicht unsers PhUosophierens kann nur die sein, eine allge- 
meine Erklärung der in der gemeinen Erfahrung vorkommenden Phänomene 
des philosophischen Wissens zu geben. Für diese Erklärung haben wir aber 
auch wieder keinen andern Standpunkt als den der gemeinen Erfahrung; was in 
dieser unmittelbar gewiß ist, davon können wir allein ausgehen, denn aus dem 
Kreise unsers eignen Wissens werden wir uns nie heraus zu heben vermögen, 



331] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 743 

wissenschaftliche Fortbildung der Kantischen Philosophie auf diese 
drei zurückführen ließen: Erstens die psychologische Wendung 
der Kritik der Vernunft und die strenge Trennung von Kritik 



sondern mit allen unsem Erklärungen nur so viel erlangen, dieses Wissen mit 
sich selbst in Übereinstimmung zu bringen." (^^R^inhold, Fichte und Schelling", 
S. 269 f.) 

„Der Kritizismus besteht in dem Vorschlag, von der gemeinen Erfahrung 
selbst aus sich das Gebiet der Spekulation erst zu erringen, den gemeinen Ver- 
standesgebranch erst zum spekulativen zu erheben, ehe man sich des letzteren 
bedient. Auf dem Gebiete des gemeinen Verstandesgebrauches sind wir ja aber 
alle einig, und seine Wahrheit, sie mag nun absoluter Schein oder Wahrheit oder 
was sonst sein, gilt uns allen als empirische Wahrheit. Hier ist also Skep- 
tizismus gar nicht anzubringen, und somit ist durch den Kritizismus der Weg 
gezeigt, den jeder zur Spekulation selbst gehen kann; bloße Skepsis gegen einen 
einzelnen Versuch der Art ist sehr unbedeutend, da es eines jeden Sache wäre, 
wenn er sich damit beschäftigen will, einen bessern Weg anzuzeigen. Denn daß 
der Vorschlag des Kritizismus überhaupt tunlich sei, folgt unmittelbar daraus, 
daß wir ja nichts außer dieser gemeinen Erfahrung besitzen, woraus auch irgend 
eine unabhängige Spekulation gebildet werden könnte, und folglich irgend ein 
richtiges Resultat über Spekulation auf diesem Wege notwendig erhalten werden 
muß. Meistenteils prahlt der Skeptizismus nur mit der Kunst sich nicht über- 
zeugen zu lassen, ohne zu bedenken, daß er diese mit jedem gemein hat, der 
nicht denken kann, oder nicht denken will, und daß an Tatsachen zu zweifeln, 
nur ein Beweis von Unwissenheit sein kann. Kritik aber ist Erfabrungswissen- 
schaft, und beruft sich nur auf Tatsachen der innem Erfahrung, welche jeder 
selbst nachbeobachten oder berichtigen kann, wenn er die Mühe nicht scheut." 
(Ebenda S. 218.) 

Vgl. hierzu Neue Kritik § 80 (I. Band, 2. Aufl., S. 389 f.): 
„Die meisten Philosophen halten es für Unrecht, ihre Spekulation öffentlich 
mitzuteilen, sie meinen, es zieme sich nur, das vollendete System der öffentlichen 
Prüfung vorzulegen. Dadurch aber wird gerade der richtige Gesichtspunkt der 
Beurteilung ganz verschoben. Evidenz fehlt den Anfängen eines philosophischen 
Systems unvermeidlich, weil sie die höchsten Abstraktionen sind, das Publikum 
kann also nur entweder die handwerksmäßige Brauchbarkeit der Resultate für 
Theologie, Politik oder Medizin zum Maßstab der Beurteilung nehmen, oder die 
sogenannte Konsequenz, nach der man oft das lächerliche Lob austeilen hört: 
der Mann behauptet freilich die größten Absurditäten, aber er bleibt sich doch 
konsequent." 



742 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblera. [330 

159. So viel von der Fortbildnng der philosophischen Me- 
thode bei Fehs. 

Wir hatten (§ 107) gefunden, daß sich die Aufgaben für eine 



glücklicher zu sein als jene ganze Vorzeit? Doch wohl nicht auf unsere stär- 
kere Denkkraft, mit der wir allen Denkern früherer Zeiten überlegen sein wollen ? 
Doch wohl noch weniger auf unsern bessern, frommen Willen, wie einige be- 
schränkte Köpfe voraussetzen? Einzig eine neue Methode, welche wir dem Miß- 
lingen der frühem Versuche ablernen können, kann uns zu bessern Erwartungen 
berechtigen, und warum soll diese gerade die kritische sein? Weil jede andere 
Methode das Bilden der Abstraktionen als etwas voraussetzt, das sich von selbst 
giebt, da dies doch eben im philosophischen Wissen das allein Schwierige ist. 
Das ist eben das Eigentümliche der kritischen Methode, daß sie dieses Ausbilden 
des Abstrahierens zu ihrem Hauptgeschäft macht und daß sie sich am Ende doch 
noch von der Gefahr befreit, durch Fehler im Abstrahieren dem Irrtum preis- 
gegeben zu bleiben, indem die Probe ihrer Deduktionen nicht auf philosophischen 
Abstraktionen, sondern nur auf der Selbsterkenntnis der Vernunft, d. h. auf Be- 
obachtungen beruht" (System der Logik, § 1261, 8. Aufl. S. 423. Vgl. auch 
Neue Kritik § 103 (2. Aufl. Bd. II, S. 103), wo die Deduktion als das „Kunst- 
stück" beschrieben wird, „welches gleichsam als Rechenprobe der vorhergehenden 
Analysis folgt".) 

„Werfen wir noch einmal die Frage auf: Was wollen wir denn mit unserm 
ganzen Philosophieren? Die erste Antwort war: Der Philosophie ihre Form geben 
und sichern. Der Inhalt derselben liegt zerstreut und oft genug verkannt in den 
gemeinsten Erfahrungen, in dem Verstandesgebrauch des gemeinen Lebens. Dieser 
soll aber durch das Philosophieren und mit der wissenschaftlichen Form Sicher- 
heit und Festigkeit erlangen. Woher nehmen wir nun die ersten Gründe dieser 
Festigkeit und Sicherheit? Indem wir erst anfangen zu philosophieren, haben 
wir nichts als eben diese gemeine Erfahrung, woraus wir schöpfen können, in ihr 
müssen diese letzten Gründe schon vorhanden sein, wenn sie gleich sehr verbor- 
gen liegen, und eben sie aus dieser Dunkelheit heraus zu heben, um sie nachher 
brauchen zu können, damit das ganze Gebäude durch sie Haltung bekomme, dies 
ist die einzige Bemühung der Kritik der Vernunft. 

„Die ganze Absicht unsers Philosophierens kann nur die sein, eine allge- 
meine Erklärung der in der gemeinen Erfahrung vorkommenden Phänomene 
des philosophischen Wissens zu geben. Für diese Erklärung haben wir aber 
auch wieder keinen andern Standpunkt als den der gemeinen Erfahrung; was in 
dieser unmittelbar gewiß ist, davon können wir allein ausgehen, denn aus dem 
Kreise unsers eignen Wissens werden wir uns nie heraus zu heben vermögen, 



331] Dritter Teil: Die Gescliichte der Erkenntnistheorie. 743 

wissenschaftKche Fortbildung der Kantischen Philosophie anf diese 
drei zurückführen ließen: Erstens die psychologische Wendung 
der Kritik der Vernunft und die strenge Trennung von Kritik 



sondern mit allen unsern Erklärungen nur so viel erlangen, dieses Wissen mit 
sich selbst in Übereinstimmung zu bringen." (,,Reinbold, Fichte und Schelling", 
S. 269 f.) 

„Der Kritizismus besteht in dem Vorschlag, von der gemeinen Erfahrung 
selbst aus sich das Gebiet der Spekulation erst zu erringen, den gemeinen Ver- 
standesgebrauch erst zum spekulativen zu erheben, ehe man sich des letzteren 
bedient. Auf dem Gebiete des gemeinen Verstandesgebrauches sind wir ja aber 
alle einig, und seine Wahrheit, sie mag nun absoluter Schein oder Wahrheit oder 
was sonst sein, gilt uns allen als empirische Wahrheit Hier ist also Skep- 
tizismus gar nicht anzubringen, und somit ist durch den Kritizismus der Weg 
gezeigt, den jeder zur Spekulation selbst gehen kann; bloße Skepsis gegen einen 
einzelnen Versuch der Art ist sehr unbedeutend, da es eines jeden Sache wäre, 
wenn er sich damit beschäftigen will, einen bessern Weg anzuzeigen. Denn daß 
der Vorschlag des Kritizismus überhaupt tunlich sei, folgt unmittelbar daraus, 
daß wir ja nichts außer dieser gemeinen Erfahrung besitzen, woraus auch irgend 
eine unabhängige Spekulation gebildet werden könnte, und folglich irgend ein 
richtiges Resultat über Spekulation auf diesem Wege notwendig erhalten werden 
muß. Meistenteils prahlt der Skeptizismus nur mit der Kunst sich nicht über- 
zeugen zu lassen, ohne zu bedenken, daß er diese mit jedem gemein hat, der 
nicht denken kann, oder nicht denken will, und daß an Tatsachen zu zweifeln, 
nur ein Beweis von Unwissenheit sein kann. Kritik aber ist Erfabrungswissen- 
schaft, und beruft sich nur auf Tatsachen der innem Erfahrung, welche jeder 
selbst nachbeobachten oder berichtigen kann, wenn er die Mühe nicht scheut." 
(Ebenda S. 213.) 

Vgl. hierzu Neue Kritik § 80 (I. Band, 2. Aufl., S. 389 f.): 
„Die meisten Philosophen halten es für Unrecht, ihre Spekulation öffentlich 
mitzuteilen, sie meinen, es zieme sich nur, das vollendete System der öffentlichen 
Prüfung vorzulegen. Dadurch aber wird gerade der richtige Gesichtspunkt der 
Beurteilung ganz verschoben. Evidenz fehlt den Anfängen eines philosophischen 
Systems unvermeidlich, weil sie die liöchsten Abstraktionen sind, das Publikum 
kann also nur entweder die handwerksmäßige Brauchbarkeit der Resultate für 
Theologie, Politik oder Medizin zum Maßstab der Beurteilung nehmen, oder die 
sogenannte Konsequenz, nach der man oft das lächerliche Lob austeilen hört: 
der Mann behauptet freilich die größten Absurditäten, aber er bleibt sich doch 
konsequent." 



744 L* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [332 

und System, zweitens die Anflostmg des Hnmeschen Problems 
durch die erfahrungsmäßige Aufweisung einer nicht-anschaulichen 
unmittelbaren Erkenntnis, und drittens die Beseitigung des for- 
malen Idealismus xmd die spekulative Begründung der Ideen, Wir 
werden im Folgenden zeigen, daß Fries nicht nur die erste dieser 
Aufgaben, sondern auch die beiden anderen gelöst hat. 

Durch die Anwendung seiner veränderten Methode ist es 
Fries gelungen, den psychologischen Grundfehler der Kantischen 
Kritik aufzudecken und zu verbessern. Diese Verbesserung, der 
größte Fortschritt, der in der Philosophie nach Kakt gemacht 
werden konnte, besteht in der Entdeckung der nicht-anschaulichen 
unmittelbaren Erkenntnis. Auf diese Entdeckung kommt für die 
Beurteilung der Friesschen Kritik alles an, auf sie müssen wir 
daher etwas näher eingehen.^ — Wir betreten damit das Gebiet 
der Psychologie selbst. 

Die Anschauung erklärt Fries als diejenige unmittelbare Er- 
kenntnis, deren wir uns unmittelbar^ d. h. ohne Beihülfe der Re- 
flexion, beun^ßt werden.^ Eine nicltt-anschavliche unmittelbare Er- 
kenntnis wäre daher eine solche, die zwar ihren Grund nicht in 
der Reflexion hat, uns aber doch nur durch Yermittelung der Re- 
flexion zum Bewußtsein kommen kann. Wie kann man sich von 
dem Vorhandensein einer solchen Erkenntnisart überzeugen? Eine 
solche Erkenntnis kann es jedenfalls dann nicht geben, wenn die 
noch heute herrschende psychologische Theorie im Rechte ist, die 
von der Annahme ausgeht, daß Anschauung und Reflexion die ein- 
zigen dem menschlichen Geiste möglichen Erkenntnisarten sind. 



' Vgl. zum Folgenden zunächst Neue Kritik § 54 f. 

' Neue Kritik § 52. — Diese Erklärung deckt sich mit dem gewöhnlichen 
Sprachgebrauch. 



333] Dritter Teil : Die Gescbicbte der Erkenntnüstheorie. 745 

Daß diese Theorie auf Schwierigkeiten führt, hat freilich schon 
HuME bemerkt. Er findet diese Schwierigkeiten in der Tatsache 
gewisser metaphysisch genannter Urteile, die sich ohne weiteres 
nicht auf die nach der Theorie möglichen Erkenntnisqaellen za- 
rückführen lassen. In dieser Schwierigkeit besteht das Hnmesche 
Problem. Wenn es sich also beweisen ließe, daß das Hnmesche 
Problem mit den Mitteln der herrschenden psychologischen Theo- 
rie unlösbar ist, so wäre damit die Existenz einer weder anschaa- 
liehen noch reflektierten, also einer nicht-anschaulichen unmittel- 
baren Erkenntnis erwiesen. 

Die zu prüfende psychologische Theorie darf keine anderen 
Vorstellungen kennen als solche, die entweder unmittelbar den 
Sinnen angehören oder durch Vermittelxmg von Assoziation und 
Eefiexion aus den ersteren hervorgegangen sind. Die Reflexion 
darf aber hier nicht als ein selbständiges und von der Assoziation 
unabhängiges Erkenntnisvermögen betrachtet werden, sondern sie 
besteht in der tviükürlichen Leitung des Vorstellungsverlaufs, wo- 
bei der Wille nicht gesetzlos in die Assoziation eingreift, sondern 
selbst nur als ein nach den Gesetzen der Assoziation wirkender 
Paktor auftritt.* Die Erklärungsgründe der fraglichen Theorie 
beschränken sich also zuletzt auf zwei : Sinn und Assoziation, und 



^ In diesem Punkte finden wir Fries ganz auf dem Boden der modernen 
Theorie. Man vergleiche Neue Kritik § 55: 

„Diese Willkürlichkeit ist nur in sehr uneigentlicher Bedeutung Freiheit; 
sie . . . ist ehenso notwendig bestimmt als jede Tätigkeit der innern Natur." 
(2. Aufl. Bd. I, S. 258.) „Das Grundgesetz des willkürlichen Vorstellens . . . ist 
nämlich nur ein besonderer Fall des allgemeinen Gesetzes der Assoziation, dessen 
Einfluß durch Gewohnheit erhöht worden ist.' Vermöge der Einheit der Handlung 
in aller meiner innern Tätigkeit assoziiert sich auch das Wollen mit dem Vor- 
stellen, und der Grad der Stärke einer Vorstellung hebt sich, sobald der Wille 
sich auf sie richtet, und sie mir zum Zwecke macht.*' (S. 268 f.) 



746 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [334 

es ist die Aufgabe der Theorie, anf diese beiden Prinzipien alle 
Tatsachen der inneren Erfahrung zurückzuführen. 

160. Die Kantische Kritik hat hier ein einfaches Kriterium, 
um sich des nicht-sinnlichen Ursprungs einer Erkenntnis zu ver- 
sichern: ,, Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit sind sichere 
Kennzeichen einer Erkenntnis a priori."^ In der Tat, hierin 
stimmen wohl noch alle überein, daß die Sinne für sich nicht 
mehr erkennen lassen als zufällige und einzelne Tatsachen und 
daß daher allgemeine und notwendige Wahrheiten, d. h. Gesetze 
im strengen Sinne des Wortes, nicht a posteriori erkannt werden 
können.* Aber die Frage ist: Gielt es solche allgemeinen und 
notwendigen Erkenntnisse? Läßt es sich zeigen, daß wir im Be- 
sitze auch nur einer solchen Erkenntnis sind, so wäre damit der 
Beweis der Existenz einer eigenen nichtsinnlichen Erkenntnis- 
quelle, der Existenz einer „reinen Vernunft" erbracht. Diesen 
Beweis meinte EIant in der Tat führen zu können: „Daß es der- 
gleichen notwendige und im strengsten Sinne allgemeine, mithin 
reine Urteile a priori, im menschlichen Erkenntnis wirklich gebe", 
sei „leicht zu zeigen^. Es genüge hierfür, sich auf die Sätze der 
Mathematik zu berufen oder auf den selbst im gemeinsten Ver- 
standesgebrauche vorkommenden Grundsatz der Kausalität. „Auch 
könnte man, ohne dergleichen Beispiele zum Beweise der Wirk- 
lichkeit reiner Grundsätze a priori in unserem Erkenntnisse zu 
bedürfen, dieser ihre Unentbehrlichkeit zur Möglichkeit der Er- 
fahrung selbst, mithin a priori dartxm."' 



» Kritik der reinen Vernunft, 2, Aufl. Einleitung II, 
« Vgl. § 147 dieser Schrift. 

' Kritik der reinen Vernunft, a. a. 0. Vgl auch Kritik der praktischen 
Vernunft, S. 110: 

„In Ansehung der theoretischen [Vernunft] konnte das Vermögen eines reinen 



336] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 747 

Die Tragweite dieser Argamentation ist gewöhnlich sehr 
überschätzt worden. Die Behauptung, die es zu beweisen gilt, 
ist eine psychologische; wir werden also auch einen psychologisch 
strengen Beweis für sie fordern müssen. Als ein solcher kann 
aber die Kantische Argumentation nicht betrachtet werden. Das 
van Yjim benutzte Kriterium der ÄprioritcU kann in der TJworie der 
Vernunft nicht zugelassen werden. Allgemeinheit und Notwendig- 
keit eines Urteils sind nämlich keine empirisch konstatierbaren 
Tatsachen. Was sich durch innere Beobachtung feststellen läßt, 
ist lediglich der Anspruch eines Urteils auf Allgemeinheit und 
Notwendigkeit. Die Behauptung beispielsweise, der Grundsatz 
der Kausalität sei ein allgemeines und notwendiges Urteil, giebt 
lediglich die Behauptung der Gültigkeit dieses Urteils wieder, ist 
also selbst nicht ein psychologisches, sondern ein metaphysisches 
Urteil. 

Diese Schwierigkeit muß man wohl beachten, wenn man sich 
das Geschäft der Kritik nicht zu leicht machen und zu berech- 
tigten Einwänden Anlaß geben wilL Mit Recht hat man gegen 
das Verfahren der Kantischen Kritik den Einwand eines Zirkels 
erhoben. Kant begründet die Apodiktizität der Mathematik durch 
den Satz, daß die mathematischen Urteile sich auf eine „reine 
Anschauung" gründen, die als solche eine formale Bedingung aller 
möglichen sinnlichen Erkenntnis sei. Aber auf die Annahme der 
Existenz einer solchen reinen Anschauung kommt er ja erst durch 
einen Rückschluß aus der schon vorausgesetzten Apodiktizität der 
mathematischen Urteile. — Die Selbstbeobachtung kann hier nie 
mehr zeigen als den Anspruch des mathematischen Urteils auf 



Vemunfterkenntniases a priori durch Beispiele aus Wissenschaften ganz leicht 
und evident bewiesen werden." 



748 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [336 

apodiktische Geltung, und von der Feststellung dieses Anspruchs 
ist kein Rückschlaß auf den rationalen Ursprung des Urteils mög- 
lich. Ob dieser Anspruch zu Recht besteht, das ist erst die Frage, 
durch deren Beantwortung sich das Urteil begründen ließe; die 
Apodiktizität darf also für seine Begründung nicht vorausgesetzt 
werden. 

Was aber das Argument von der Unentbehrlichkeit der Grund- 
sätze a priori zur Möglichkeit der Erfahrung betrifft, so liegt 
auch hier eine Täuschung vor. Kant bemerkt selbst, daß dies ein 
Argument „a priori" sei; die Apriorität desselben beruht jedoch 
nur darauf, daß es analytisch aus dem Begriff der Erfahrung ge- 
zogen ist. Und als analytisches Urteil mag die Argumentation 
zugegeben werden; sie verschiebt aber nur die Frage, denn sie 
stützt sich auf eine willkürliche Definition der ,jErfabrung", wäh- 
rend doch erst gezeigt werden müßte, daß wir wirJcUch so 
etwas wie das hier j^Erfahrung^ GenamUe hesiisen. Diese Frage 
läßt sich psychologisch nicht entscheiden, da eine solche Ent- 
scheidung wiederum ein Urteil über die apodiktische Geltung der 
nach jenem Sprachgebrauch zur Erfahrung gehörigen „Kegeln" 
einschließen würde. ^ 



1 Vgl. § 17 ff. dieser Schrift. 

In scharfsinniger Weise hat bereits Maimon die Schwäche dieser Eanti- 
schen Beweisführung erkannt. In seinen „Kritischen Untersuchungen über den 
menschUchen Geist" (S. 55) sagt er: 

,, Absolute Notwendigkeit und Allgemeinheit . . . sind keine Kriterien, 
woran wir Erfahrung in der strengen . . . Bedeutung, als Objekt erkennen, 
sondern bloße Merkmale, woran wir ihren Begriff erkennen, und von andern 
unterscheiden können. Denn da die nicht absolute Notwendigkeit und Allge- 
meinheit, die mit Erfahrung in der andern Bedeutung verknüpft ist» einer Ver- 
steigerung fähig ist, so können sie zu einem solchen Grade steigen, daß ihre 
Folgen (in Bestimmung des Erkenntnisvermögens) mit den Felgen der absoluten 
Notwendigkeit und Allgemeinheit einerlei, und also auch ihre Gründe mit ein- 



3371 Dritter Teil: Die GescMchte der Er&enntnistEeorie. 749 

161, Es bleibt uns also für die psychologische Prüfung der 
Frage kein anderer Ausgangspunkt übrig als die Untersuchung 
des faktischen Anspruchs gewisser Urteile auf apodiktische Gel- 
tung. Hier giebt nun gewöhnlich ein weiteres Mißverständnis der 
Untersuchung eine schiefe Richtung. Hüme hatte den Versuch ge- 
macht, unsere Kausalurteile auf die Erklärungsgründe der empi- 
ristischen Theorie zurückzuführen, indem er sie aus einer gewohn- 
heitsmäßigen Erwartung ähnlicher Fälle ableitete und so als ein 
Produkt der Assoziation erklärte. Indem man nun über die Rich- 
tigkeit dieser Erklärung streitet, sind doch Freunde und Gregner 
in der Voraussetzung einig, daß wenn es mit der Humeschen Zu- 
rückführung der Kausalurteile auf das Gesetz der Erwartung 
ähnlicher Fälle seine Richtigkeit habe, auch dem Postulat einer 
empiristischen Erklänmg Genüge geleistet sei; daß also umge- 
kehrt der Apriorismus mit der Behauptung stehe und falle, daß 
aus dem Gesetz der Erwartung ähnlicher Fälle die Möglichkeit 
der Kausalurteile nicht erklärt werden könne. So allgemein diese 
Voraussetzung angenommen worden ist, so leicht läßt sich/ doch 
zeigen, daß sie falsch ist. Ich behaupte nämlich, daß noch 
niemand das Phänomen der Erwartung ähnlicher Fälle in einer 
dem empiristischen Postulat genügenden Weise erklärt hat. 
Ja ich behaupte, daß eine solche Erklärung schlechterdings un- 



ander verwechselt werden können, so daß wir ein quid pro quo (subjektive 
zur objektiven Notwendigkeit, und komparative zur absoluten Allgemeinheit) 
machen: und so lange dieser Zweifel nicht gehoben wird, können wir dieses 
Faktum bloß problematisch annehmen/' 

In der Tat geht Maimon hinsichtiich der metaphysischen Prinzipien wieder 
auf HuMEs assoziationspsychologischen Erklärungsversuch zurück. Vgl. „Versuch 
über die Tranzendentalphilosophie" , S. 72 if.; „Philosophisches Wörterbuch", 
S. 166 f., 173 f.; „Ober die Progressen der Philosophie", S. 51 ff.; „Versuch einer 
neuen Logik oder Theorie des Denkens", S. 419, 432. 

Abhudlimgu d«r MM^ieken Seliide. DL Bd. 48 



760 L* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [338 

möglich ist. Der Beweis für diese Behauptimg ist sehr leicht za 
fahren.* 

Das Q-esetz der Erwartung ähnlicher Fälle soll ein Q-esetz 
der Assoziation sein. Was ist Assoziation? Ohne uns hier auf 
eine sabtile Erörterung der Assoziationsvorgänge einzulassen, 
können wir doch Folgendes als allgemein zugestanden annehmen : 
Assoziation ist eine Verbindung der Vorstellungen von der Art, 
daß wenn die Vorstellung eines Gegenstandes Ä in einer gewissen, 
näher zu definierenden Beziehung zu der Vorstellung eines Gegen- 
standes B steht, das Eintreten der Vorstellung von Ä das Ein- 
treten der Erinnerung an B zur Folge hat. So soll nun durch 
die häufig wiederholte Beobachtung der Aufeinanderfolge zweier 
Erscheinungen Ä und B zwischen den Vorstellungen beider Er- 
scheinungen eine Assoziation gestiftet werden, die dazu führt, daß 
wir bei einer erneuten Beobachtung von A auch das Eintreten 
von B erwarten. Allein, das Eintreten einer Erscheinung er- 
warten heißt nicht: sich an diese Erscheinung erinnern. Die Er- 
wartung enthält die Annahme der Realität eines wenn auch künf- 
tigen Ereignisses. Die Gewißheit dieser Annahme mag noch so 
gering sein, so xmterscheidet sie sich doch wesentlich von der nur 
problematischen Vorstellung, wie sie die bloße Erinnerung kenn- 
zeichnet. 

Der hier entscheidende Unterschied läßt sich nicht, wie Hüme 
wollte, in einen bloß graduellen verwandeln. Hüme suchte das 
Merkmal, das die Erkenntnis von bloßen Vorstellungsbildern unter- 
scheiden sollte, in der Intensität der Devilichkeit der Vorstellun- 



^ Vgl. zum Folgenden meine Abhandlung „Ist metaphysikfreie Naturwissen- 
schaft möglich?**, Kapitel I bis VI und VUI. (Abhandlangen der Friesischen 
Schule, Bd. ü, Heft 3.) 



339] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 761 

gen. Nach dieser Erklärung könnte man denn meinen, einen 
Übergang von der einfachen Erinnerung zor Erwartung herstellen 
zu können, indem man eine mit der Wiederholung der beobach- 
teten Aufeinanderfolge wachsende Deutlichkeit des Erinnerungs- 
bildes annimmt. Aber diese Hypothese widerspricht den Tat- 
sachen der Selbstbeobachtung. Das Erinnerungsbild kann zu be- 
liebiger Intensität der Deutlichkeit gesteigert werden, ohne den 
Erwartungscharakter anzunehmen, und es kann umgekehrt das un- 
deutlichste Erinnerungsbild mit dem Charakter der Erwartung be- 
haftet sein. — Davon ganz zu schweigen, daß selbst das wirk- 
liche Bestehen einer solchen Beziehung noch nichts für die Iden- 
tität der in dieser Beziehung stehenden Erscheinungen beweisen 
konnte.^ 

Das Gesetz der Erwartung ähnlicher Falle läßt sich also auf 
das Gesetjs der Ässojsiaiion nicht eurückführen. 



» Vgl. Neue Kritik § 94 (2. Aufl. Bd. U, S. 71 f.): 

„Beide Verbindungswelsen , die subjektive der Assoziation und die objek^» 
tive synthetische Einheit der Vernunft sind aber doch durchaus verschiedener 
Natur: so eng Wort und Gedanke assoziiert sein mögen, so wird doch dadurch 
nie die entfernte synthetische Vereinigung ihrer Gegenstände mehr angenähert 
werden. Worte werden diesem Verhältnis keine große Deutlichkeit geben, weil 
wir keine anschauliche Form für die Vereinigung des zugleich Gegebenen in 
unsem innem Tätigkeiten haben; ^wer sich aber selbst beobachtet, der wird 
finden, daß die Einheit unsrer innem Tätigkeit in beiden Fällen sich auf ganz 
verschiedene Weise anwendet. Bei der Einheit der Erkenntnis der Vernunft ist 
gleichsam von dem Ganzen ihrer extensiven Größe die Rede, wie alle Teile in 
einer Form des Ganzen zusammenfallen müssen, wobei auf den Grad der Leb- 
haftigkeit der Vorstellungen gar nichts ankommt, sondern alles nur auf ihr neben 
einander liegen in dem Ganzen. Das Spiel der Assoziationen hingegen hat es 
gerade nur mit der intensiven Größe und ihrer Einheit zu tun, indem ein Ganzes 
des Grads der Lebhaftigkeit sich in jedem Augenblick an alle innem Tätigkeiten 
verteilt, die Assoziationen haben es denn auch nur mit diesem Wechsel der 
Lebendigkeit und seiner Verteilung an die einzelnen gleichzeitig lebhaften Tätig- 
keiten zu tun." 

Afi* 



762 L* Nelson : Über das sogenannte Erjkenntnisproblem. [340 

Auch die entwickelimgsgeschichtliche Betrachtungsweise ver- 
mag an diesem Ergebnis nichts zu ändern. Denn die Tatsache 
der Yererbxmg irgend welcher Eigenschaften kann für sich nicht 
das Entstehen einer völlig neuen Eigenschaft erklären, und auch 
das Prinzip der natürlichen Zuchtwahl dient wohl zur Erklärung 
der Steigerung der Intensität einer einmal vorhandenen Eigen- 
schaft, aber in keinem Falle kann es das Auftreten einer spe- 
jsißsch neuen Qualität erklären. Für alle Entwickelungsgeschichte 
ist die qualitative Variation ein erstes Vorauszusetzendes, für die 
Theorie selbst Zufälliges und ünableitbares. 

Diese Erörterung wird es deutlich gemacht haben, daß durch 
das Pochen auf die Zurückführbarkeit der Kausalurteile auf das 
Gesetz der Erwartung ebenso wenig für den Empirismus geleistet 
wird wie durch das Bestreiten dieser Zurückführung für den 
Apriorismus. Die Möglichkeit der Erivartung setzt selbst bereits die 
ÄnnaJime einer objeJUiven Verknüpfung voraus. Diese Annahme liegt 
der gewohnheitsmäßigen Erwartung ähnlicher Fälle zwar nur 
dunkel zu Grrunde, aber diese Tatsache genügt doch, um auch das 
abstrakte wissenschaftliche Kausalurteil als eine nur dem Grrade 
der Deutlichkeit nach von jener Annahme unterschiedene und also 
aus ihr entwickelte Vorstellungsweise erkennen zu lassen; sie ge- 
nügt aber auch andererseits, um die Belanglosigkeit dieser Zurück- 
führung für die Behauptung des empirischen Ursprungs unserer 
Verknüpfungsurteile zu erweisen. ^ 



» Vgl. Neue Kritik § 95 (2. Aufl. Bi II, S. 74 f.): 

„Sonst verteidigt sich der Empirismus großenteils nur apagogisch gegen die 
Ansprüche der Vernunft, wo dann oft beide TeUe in der gemeinschaftlichen Vor- 
aussetzung unrecht haben. . . . Hume streitet hauptsächlich damit, da£ er 
zeigt: alle unsre Anwendung allgemeiner Gesetze entlehnt sich durch Induktion 
nur aus der Erfahrung ; man könne also alle Voraussetzung der Notwendigkeit, wie 
sie in unserm Geiste vorkonunt, eben so gut nur durch Gewohnheit erklären (wir 



3411 Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 763 

Der Grund, der es unmöglich macht, das Gesetz der Erwar- 
tung auf das Gesetz der Assoziation zurückzuführen, läßt sich 
nunmehr sehr einfach bezeichnen. Das Gesetz der Assoziation ist 
nur ein Gesetz für die Verbindung der Vorstellungen; die Erwar- 
tung enthält aber die Vorstellung einer Verbindung. Und es ist 
klar, daß die Vorstellung der Verbindung zweier Gegenstände 
etwas völlig anderes ist als die bloße Verbindung der Vorstellun- 
gen dieser Gegenstände.^ 

Hiermit ist bewiesen, daß das Hmiesche Problem mit den Mitteln 
der herJUhnmlichen psychologischen Theorie nicht lösbar ist. 



setzen yorans, das werde erfolgen, was wir gewohnt sind, erfolgen zu sehen). 
Diese Einwendung psychologisch aasgedrückt sagt: Was ihr mit eurer Theorie 
der Vernunft zu erklären sucht, das läßt sich ehen so gut durch bloße EinbU- 
dungskraft erklären, die doch bekanrUlich ein war sinnlichts Vermögen ist. Hier 
liegt der Fehler, auf den ich aufmerksam machen will, in der letzten Voraus- 
setzung. Hätte HuME richtiger beobachtet, so hätte er bemerken müssen, daß 
seine von Impressionen belebte Erkenntniskraft entweder nicht einmal Einbil- 
dungskraft (intensive Einheit ihrer Tätigkeit), oder zugleich auch Vernunft als 
Quell der Notwendigkeit (extensive Einheit ihrer Tätigkeit) besitzen müsse. Dies 
konnte ihm aber freilich (so lange Vernunft und Reflexion nicht gehörig ge- 
schieden werden) nicht klar werden/' 

^ „Notwendige objektive synthetische Einheit ist die ursprüngliche Vereini- 
gung mannigfaltiger Erkenntnisse zu einer Erkenntnis selbst, sie ist die Identität der 
Apperzeption in mannigfaltigen Vorstellungen. Wir müssen zuerst diesen Begriff 
noch näher entwickeln. Verschiedene Vorstellungen können in zufälliger sub- 
jektiver Verbindung sein, ohne dadurch zu einer Vorstellung zu werden. Der- 
gleichen subjektive Verbindungen giebt es sehr viele; ein geläufiges Beispiel ist 
die bloße Assoziation von Vorstellungen, etwa Wort und Gedanke in der Sprache, 
welche beide für mein Bewußtsein zwar immer verbunden sind, aber doch ohne 
irgend in eine Vorstellung zusammen zu gehen, ohne zu einer identischen Apper- 
zeption vereinigt zu werden. Wenn ich hingegen nach einander die verschiedenen 
Anlagen, die Gebüsche, Rasenplätze u. s. w. eines Gartens betrachte, und nun in 
die ganze Vorstellung des Gartens zusammenfasse, so ist dies objektive Verbin- 
dung. Durch bloße subjektive Verbindung kommt nie objektive synthetische 
Einheit zu stände, letztere soll nämlich nicht nur eine Verbindung in meinen 



754 ^* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [342 

162. Man sieht leicht, daß diese Beweisführang von der me- 
taphysischen Voraussetzung der objektiven Grültigkeit unserer 
Urteile über notwendige Verknüpfung keinerlei Gebrauch macht. 
Wir gehen lediglich von der Tatsache des in jenen Urteilen ent- 
haltenen Anspruchs auf Apodiktizität aus und untersuchen die 
Q-ründe seiner psychologischen Möglichkeit ohne alle Rücksicht 
auf die Frage seiner objektiven Gültigkeit. Wir finden dann, ent- 
gegen der herkömmlichen Auffassung der Psychologen, daß Sinn 
und Assoziation zur Erklärung dieses Anspruchs nicht hinreichen, 
daß vielmehr die Möglichkeit der bloßen Vorstellung einer not- 
wendigen Verknüpfung (welche Möglichkeit durch das FaJctnm 
feststeht und also nicht bezweifelt werden kann) nicht stattfinden 
könnte, wenn es nicht in unserer Erkenntnis eine eigene vom 
Sinn verschiedene Quelle für diese Vorstellung gäbe.^ 

Daß nun aber die Vorstellung der notwendigen Verknüpfung 
nicht etwa auf einer (von der sinnlichen verschiedenen, also in- 
tellektuellen) Anschauung beruhen kann, folgt daraus, daß sie uns 
ja nicht unmittelbar zum Bewußtsein kommt, daß wir vielmehr 
der Reflexion bedürfen, um sie von ihrer ursprünglichen Dunkel- 



Vorstellungen, sondern eine Vorstellung verbundener Objekte enÜuUten. Dieses 
fordert denn nicht nur Hinzukommen der einen Erkenntnis zur andern, sondern 
wirkliche Einheit des Erkennens, Vereinigung zu einer Erkenntnis, so daß jede 
einzelne Erkenntnis nur als Teüerkenntnis in die ganze Erkenntnis fällt.'* (Neue 
Kritik § 91, 2. Aufl. Bd. II, S. 48 f.) 

' „Wir weisen aus dem Vorkommen der Vorstellungen in unserm Geiste 
auf, daß diese Hypothese: alle unsre Erkenntnis nur durch sinnliche Eindrücke 
zusammenfließen zu lassen, gar nicht erklärt, was wirklich da ist. Nicht nur die 
in Anspruch genommene Notwendigkeit in der Anwendung, sondern selbst der 
leere Begriff der Notwendigkeit, der leere Gedanke des Ist, als der Kopula im 
Urteil nur im A ist A aufgefaßt, wäre in einer solchen nur sinnlichen Erkenntnis- 
kraft unmögUch." (Neue Kritik § 95, 2. Aufl. Bd. II, S. 74.) 



343] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 7&6 

heit zu befreien.^ Daß sie aber auch nicht aus der Reflexion 
entspringen kann, folgt daraus, daß die Reflexion nur in der will- 
kürlichen Trennung und Wiederverbindung anderweit gegebener 
Vorstellungen besteht, selbst also keine neuen Erkenntnisse er- 
zeugen kann.^ 



^ „Im Gegensatze gegen diese Organisation können wir uns eine Yemonft 
denken, welche den ganzen Inhalt ihrer Wahrheit, ihre transzendentale Apper- 
zeption ohne Dunkelheit übersähe, für welche das Ganze ihrer Erkenntnis eine 
Anschauung w&re, und die nicht erst, wie wir, das Gesetz der Notwendigkeit 
ihrer Erkenntnis durch Reflexion zu erraten nötig hätte. Eine solche Vernunft 
brauchte keinen diskursiyen Verstand, sie wäre rein intuitives Vermögen, ihre 
Erkenntnis wäre intellektuelle Anschauung. Das Gesetz unsrer Wahrheit: die 
Einheit der transzendentalen Apperzeption, welche wir erst mühsam suchen 
müssen, läge ihr mit einem Blicke offen, ihre Erkenntnis wäre das Vorbild der 
Wahrheit, wovon unser Verstand nur ein Nachbild besitzt. Es ist aber Irrtum, 
wenn Rationalisten in der Philosophie uns selbst diese intellektuelle Anschauung 
zumuten wollen, denn dies forderte Vernichtung des dunkeln Vorstellens über- 
haupt." (Neue Kritik § 96, 2. Aufl. Bd. II, S. 79.) 

' „In jedem Urteil . . . setzen wir willkürlich Begriffe als Subjekt und Prä- 
dikat zusammen, und verbinden sie; nachher fragen wir erst, ob das Urteil wahr 
oder falsch sei. Hier enthält das Fürwahrhalten die abgeleitete Synthesis der 
Reflexion, die auf Apodiktizität Anspruch macht, die unmittelbare Einheit und 
Verbindung hingegen enthält das Gesetz der WährTieitf nach dem unser Fürwahr- 
halten richtig oder Irrtum ist." (Neue Kritik § 93, 2. Aufl., S. 67.) 

„Sowohl Analysis als Synthesis sind Funktionen des reflektierenden Ver- 
standes; allein zur Analysis ist sich die Reflexion selbst genug, Synthesis hin- 
gegen kann sie sich selbst nicht geben, deswegen läßt sich das Rätsel der Spe- 
kulation aussprechen: wie ist Synthesis a priori möglich? . . . Die beiden 
Gmndhandlungen der Reflexion sind Abstraktion und Kombination, d. h. Trennung 
und Wiederzusammensetzung des Getrennten, vor beiden voraus muß uns aber 
erst die ursprüngliche Verbindung der unmittelbaren Erkenntnis gegeben werden, 
ohne die weder Abstraktion noch Kombination möglich wäre. (Ebenda S. 70.) 

„Man kann leicht bemerken, daß die Kantische Theorie hier nicht leistet, 
was von ihr gefordert werden sollte. . . . Worin liegt nun die Unvollständig- 
keit der Kantischen Ansicht? ... Er verwechselte den denkenden Verstand 
als Reflexionsvermögen mit der unmittelbaren Vernunft, er kannte das nur wie- 
derholende Wesen der Reflexion nicht. . . . Kants Fehler in dieser ganzen 
Ansicht unsrer Vernunft läßt sich auch durch das charakterisieren, was wir an 



766 L- Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [344 

So haben wir denn in der Tat ein „ganz erfahrangsmäßiges, 
von allem Verdacht spekulativer Täuschungen befreites Krite- 
rium ''^y um die Existenz einer nicht-anschaulichen unmittelbaren 
Erkenntnis zu beweisen und dadurch das Faktum der reinen Ver- 
nunft sicher zu stellen.* Dieser Beweis enthalt die Auflösung des 
Hunieschen Problems, 

163. Was ist nun aber mit dieser psychologischen Entdeckung 
für die Philosophie gewonnen? Für die objektive Gültigkeit irgend 
welcher metaphysischer Urteile folgt aus der dargestellten Unter- 
suchung gar nichts. Aber wer ihr das zum Vorwurf macht, der 
hat ihren Zweck noch nicht verstanden. Mit der objektiven Gül- 
tigkeit haben wir es in der Kritik überhaupt nicht zu tun, und 
von einer „Begründung" irgend welcher Urteile durch Kritik kann 
nur insofern die Rede sein, als die objektive Gültigkeit der un- 
mittelbaren Erkenntnis, auf die die fraglichen Urteile durch die 
Kritik zurückgeführt werden, bereits unabhängig von dieser Zu- 



mehreren Orten gerügt haben, Selbsttätigkeit der Erkenntniskraft ist ihm immer 
Willkürlichkeit derselben, d. h. Reflexion. (So z. B. K. d. r. Y. S. 130.) 

„Die Kantische Synthesis, so wie er sie in ihren Formen aufstellt, und in 
den Grundsätzen des Verstandes entwickelt, ist nichts als ein Akt des Re- 
fiexionsvermögens, eine Wiederholung, deren Original er nicht kennt. Seine Syn- 
thesis ist die Handlung des Verstandes, eine Vorstellung zu der andern hinzu zu 
setzen, und beide in einem Bewußtsein zu vereinigen (E. d. r. V. S. 133), was 
nur die Reflexion tut. Was in der unmittelbaren Erkenntnis unsrer Vernunft 
nicht schon verbunden ist, das wird sich durch jene Synthesis nicht als objektive 
synthetische Einheit der Erkenntnis vorstellen lassen. £[ant aber versucht seine 
Theorie der Verbindung, ohne auf diese unmittelbare Erkenntnis Rücksicht 
zu nehmen.^ (Ebenda, S. 63 if.) 

» Neue Kritik § 90. (2. Aufl. Bd. II, S. 43.) 

' Vgl. § 108 dieser Schrift. Eine genauere Vergleichung dieser Fries- 
schen Theorie der Vernunft mit Kants „subjektiver Deduktion'' findet man in 
meiner Abhandlung „Jakob Friedbich Fbies und seine jüngsten Kritiker.* 
Vgl. in dem Kapitel VI „Fries' Theorie der Vernunft und der psychologische 
Tatbestand« S. 307 bis 313. 



345] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkennt nistheorie. 757 

ruckfülirüiig vorausgesetzt wird. Für das Recht dieser Voraus- 
setzung hat die Kritik nicht einzustehen. Sie geht von der psy- 
chologischen Feststellung aus, daß diese Voraussetzung faktisch 
and untrennbar mit dem Inhalt der unmittelbaren Erkenntnis ver- 
knüpft ist und daß aller Zweifel, den die nachträgliche Reflexion 
etwa an der Geltung der unmittelbaren Erkenntnis anbringt, sich 
selbst nur durch seine Übereinstimmung mit der unmittelbaren 
Erkenntnis legitimieren könnte, also die Wahrheit dieser letzteren 
schon voraussetzen müßte. Nur der Inhalt, nicht die Objektivität 
der unmittelbaren Erkenntnis bildet den Gegenstand der Kritik 
Der Hinweis auf jenes Faktum des „Selbstvertrauens der Ver- 
nunft*' ist daher der oberste Grundsatz, den die Kritik stillschwei- 
gend allen ihren Deduktionen zu Grunde legt und durch dessen 
Zugrundelegung sie sich das Recht sichert, ihre Aufgabe auf eine 
Vergleichung der Urteile mit der unmittelbaren Erkenntnis zu be- 
schränken. Diese unmittelbare Erkenntnis selbst wieder einer 
Kritik zu unterwerfen, das überläßt sie getrost denen, die mit 
dieser Aufgabe einen Sinn zu verbinden wissen.* 



^ „Der höchste subjektive Grundsatz aller menschUchen Beurteilangen ist der 
Grundsatz des Selbstvertrauens der menschlichen Vernunft: jeder Mensch hat das 
Vertrauen zu seinem Geiste, daß er der Wahrheit empfänglich und teUhaft sei. . . . 
Er ist als subjektiver höchster Grund aller menschlichen Behauptungen nur ver- 
kannt worden durch das Yorurteü einer objektiven Begründung unsrer Erkenntnis. 
. . . Indessen auch die . . . geforderte, gänzlich subjektive Begründung aller 
menschlichen Erkenntnis zugegeben, könnte doch scheinen, als ob wir durch das 
Vorkommen skeptischer Philosopheme unmittelbar widerlegt wären, da in diesen 
ja die Fähigkeit der menschlichen Vernunft, zur Wahrheit zu gelangen, |;eleugnet 
wird. Wir weisen aber diese Skeptiker aus demselben Grunde zurück. ... In 
der Tat giebt dieser Skeptizismus eigentUch die zwei richtigen Nachweisungen, 
daß die Anschauung keine objektive Begründung der Wahrheit einer Erkenntnis 
gewähre, und daß das Reflexionsvermögen aus sich selbst keine Erkenntnis geben 
könne; allein dabei beachtet er nicht, daß er das Vertrauen der denkenden Er- 



758 L. Nolson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [346 

Hiernacli können wir beurteilen, was wir mit dem psycholo- 
gischen Existenzbeweis der unmittelbaren Erkenntnis der reinen 



kenntniskraft auf ihre eigne Wahrhaftigkeit 'selbst voraussetze, indem er es 
leugnet.« (Neue Kritik § 89, 2. Aufl. Bd. H, S. 37 ff.) 

„Die Wahrheit, welche durch die Begründung unsrer Erkenntnisse erst ge- 
wonnen wird, besteht gar nicht unmittelbar in der objektiven Gültigkeit der Er- 
kenntnisse, sie ist nicht jene transzendentale Wahrheit derselben, sondern wir 
müssen sie von der letztem unterscheiden und können sie Wahrheit des Bewußt- 
seins oder empirische Wahrheit nennen. Diese Wahrheit . . . vergleicht nicht 
die Erkenntnisse mit ihren Gegenständen, sondern nur unsre Yorstellnngen unter 
einander. Wenn wir Gründe von Erkenntnissen in Anschauung, Erinnerung oder 
Urteil angeben, so zeigen wir damit nur, daß gewisse Verbindungen unsrer Vor- 
stellungen wirklich Erkenntnisse seien. Dabei aber setzen wir die eigentüm- 
lichen Merkmale einer Erkenntnis nicht in ihre objektive Gültigkeit, sondern in 
gewisse subjektive Beschaffenheiten derselben als unsrer Vorstellungen, welche 
durch die Selbstbeobachtung bestimmt werden können. 

„Demgemäß gebe ich ... zu, daß alle dogmatische Metaphysik und auch 
die Kantische Kritik den Fehler gemacht habe : eine Begründung der transzenden- 
talen Wahrheit oder der objektiven Gültigkeit unsrer Erkenntnisse zu suchen. 
Ich sage . . .: eine solche Begründung ist für den Menschen ganz unmöglich. 

„Allein ich sage weiter, dieses Ergebnis darf nicht skeptisch, nicht Zweifels- 
lehre und nicht Aufschiebung unsers Urteils genannt werden. Sondern im Gegen- 
teil, unsre Selbstbeobachtung weist aus, . daß es die unbedingte allem vorausge- 
nommene Entscheidung unsers Urteils sei. 

„In jedem vernünftigen Geist lebt das unbedingte Selbstvertranen an die 
Wahrhaftigkeit seiner erkennenden Urteilskraft, durch welches allein ich mich 
selbst zum Zweifeln und zum Aufschieben eines Urteils berechtigt halten kann. 

„Dem Verdacht, daß der gesunde menschliche Geist verrückt oder ein bloßer 
Träumer sei, steht einzig der ursprüngliche Glaube an unsre Wahrhaftigkeit ent- 
gegen, von dem sich kein Mensch los machen kann. Die Begründung der objektiven 
Gültigkeit unsrer Erkenntnisse ist also gar keine taugliche Aufgabe für den Men- 
schen und hat nur durch Irrtum für die Aufgabe der Metaphysik gehalten werden 
können. Und dieser Irrtum lag in der Verwechselung der transzendentalen 
Wahrheit mit der empirischen.^ (Polemische Schriften, Anhang II : „Über die 
Aufgabe der anthropologischen Kritik der Vernunft^, S. 852 ff.) 

„Der Grund dieser skeptischen Einwendungen liegt immer in der Verwech- 
selung des Irrtums mit Unvernunft. Das Geschäft der Philosophie ist, die Vernunft 
in der Selbsttätigkeit ihres Denkens vor Irrtum zu sichern, sie hat aber keines- 
weges vor, ein Narrenhaus in eine Akademie der Wissenschaften umzuwandeln. 



347] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 759 

Vemanft eigentlich gewonnen haben. Wir haben zwar nicht ein 
«nzelnes metaphysisches Urteil, wohl aber die Möglichkeü der 
Metaphysik überhaupt deduziert. — Was hiermit geleistet ist, ist 
nicht mehr und nicht weniger als eine allen Anforderungen wis- 
senschaftlicher Strenge genügende Beseitigung der eigentlichen 
Quelle des philosophischen Skeptizismus. Der eigentliche philoso- 
phische Skeptizismus ist nämlich durch den Hinweis auf den (intro- 
jizierten) Widerspruch des allgemeinen Skeptizismus noch keines- 
wegs widerlegt. Der philosophische Skeptizismus kann die Mög- 
lichkeit wahrer Urteile im allgemeinen zugeben, dabei aber die 
Möglichkeit der Metaphysik bestreiten; er erkennt die demon- 
strierbare Wahrheit an, aber er bestreitet die Möglichkeit meta- 
physischer Urteile, indem er sich auf das Fehlen einer ihnen zu 
Grunde liegenden Anschauung beruft und auf die Unmöglichkeit, 
durch willkürliche Reflexion notwendige Wahrheiten zu erkennen.^ 
Dieser Skeptizismus ist daher nur durch die faktische Aufweisung 
einer nicht-anschaulichen und zugleich von der Willkür der Re- 
flexion unabhängigen Erkenntnis zu widerlegen. — Es kann sich 



Aller Streit der Philosophen setzt für den, der daran TeU nehmen will, eine 
richtig organisierte Vernunft voraus und sucht diese vor Irrtum zu wahren: Irr- 
tum aher ist nur ein Fehler der Reflexion, ein Fehler im Gebrauch der gesunden 
Yemunft, Narrheit dagegen ist ein Fehler der unmittelbaren Organisation der 
Vernunft selbst, Krankheit der Vernunft. Das Spiel des Skeptizismus beschäftigt 
sich nun beständig mit der Wahrheit: man kann für den Einzelnen nicht a priori 
beweisen, daß er wache, für das Menschengeschlecht überhaupt den Verdacht 
nicht a priori widerlegen, daB es von Narrheit befallen sei, sondern darüber ist 
ein Jeder de facto seiner eignen Überzeugung überlassen. So lange die Vernunft 
sich nicht kund gegeben hat, wäre es nicht unmöglich, daß sich Narrheit an ihrer 
Stelle fände. Dieser Punkt kann es von allen am meisten klar machen, wie keine 
Philosophie mit ihren Wahrheiten rein a priori zu völliger Evidenz kommen kann, 
wenn sie sich nicht auf eine erfahrungsmäßige anthropologische Untersuchung 
gründet.« (Neue Kritik § 128, 2. Aufl. Bd. II, S. 198 f.) 

* Vgl. den zweiten Teil dieser Schrift, § 50 Anmerkung. 



758 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [346 

Hiernacli können wir beurteilen; was wir mit dem psycholo- 
gischen Existenzbeweis der anmittelbaren Erkenntnis der reinen 



kenntniskraft auf ihre eigne Wahrhaftigkeit 'selbst voraussetze, indem er es 
leugnet.« (Neue Kritik § 89, 2. Aufl. Bd. H, S. 37 ff.) 

„Die Wahrheit, welche durch die Begründung unsrer Erkenntnisse erst ge- 
wonnen wird, besteht gar nicht unmittelbar in der objektiven Gültigkeit der Er- 
kenntnisse, sie ist nicht jene transzendentale Wahrheit derselben, sondern wir 
müssen sie von der letztem unterscheiden und können sie Wahrheit des Bewußt- 
seins oder empirische Wahrheit nennen. Diese Wahrheit . . . vergleicht nicht 
die Erkenntnisse mit ihren Gegenständen, sondern nur unsre Vorstellungen unter 
einander. Wenn wir Gründe von Erkenntnissen in Anschauung, Erinnerung oder 
Urteil angeben, so zeigen wir damit nur, daB gewisse Verbindungen unsrer Vor- 
stellungen wirklich Erkenntnisse seien. Dabei aber setzen wir die eigentüm- 
lichen Merkmale einer Erkenntnis nicht in ihre objektive Gültigkeit, sondern in 
gewisse subjektive Beschaffenheiten derselben als unsrer Vorstellungen, welche 
durch die Selbstbeobachtung bestimmt werden können. 

„Demgemäß gebe ich ... zu, daß alle dogmatische Metaphysik und auch 
die K<mHsehe Kritik den Fehler gemacht habe : eine Begründung der transzenden- 
talen Wahrheit oder der objektiven Gültigkeit unsrer Erkenntnisse zu suchen. 
Ich sage . . .: eine solche Begründung ist für den Menschen ganz unmöglich. 

„Allein ich sage weiter, dieses Ergebnis darf nicht skeptisch, nicht Zweifels- 
lehre und nicht Aufschiebung unsers Urteils genannt werden. Sondern im Gegen- 
teil, unsre Selbstbeobachtung weist aus, , daß es die unbedingte allem vorausge- 
nommene Entscheidung unsers Urteils sei. 

„In jedem vernünftigen Geist lebt das unbedingte Selbstvertrauen an die 
Wahrhaftigkeit seiner erkennenden Urteilskraft, durch welches allein ich mich 
selbst zum Zweifeln und zum Aufschieben eines Urteils berechtigt halten kann. 

„Dem Verdacht, daß der gesunde menschliche Geist verrückt oder ein bloßw 
Träumer sei, steht einzig der ursprüngliche Glaube an unsre Wahrhaftigkeit ent- 
gegen, von dem sich kein Mensch los machen kann. Die Begründung der objektiven 
Gültigkeit unsrer Erkenntnisse ist also gar keine taugliche Aufgabe für den Men- 
schen und hat nur durch Irrtum für die Aufgabe der Metaphysik gehalten werden 
können. Und dieser Irrtum lag in der Verwechselung der transzendentalen 
Wahrheit mit der empirischen.^ (Polemische Schriften, Anhang II : „Ober die 
Aufgabe der anthropologischen Kritik der Vernunft^, S. 852 ff.) 

„Der Grund dieser skeptischen Einwendungen liegt immer in der Verwech- 
selung des Irrtums mit Unvernunft. Das Geschäft der Philosophie ist, die Vernunft 
in der Selbsttätigkeit ihres Denkens vor Irrtum zu sichern, sie hat aber keines- 
weges vor, ein Narrenhaus in eine Akademie der Wissenschaften umzuwandeln. 



347] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 759 

Vemanft eigentlich gewonnen haben. Wir haben zwar nicht ein 
•einzelnes metaphysisches Urteil, wohl aber die Möglichkeit der 
Metaphysik überhaupt deduziert. — Was hiermit geleistet ist, ist 
nicht mehr und nicht weniger als eine allen Anforderungen wis- 
senschaftlicher Strenge genügende Beseitigung der eigentlichen 
Quelle des philosophischen Skeptizismus. Der eigentliche philoso- 
phische Skeptizismus ist nämlich durch den Hinweis auf den (intro- 
jizierten) Widerspruch des allgeineinen Skeptizismus noch keines- 
wegs widerlegt. Der philosophische Skeptizismus kann die Mög- 
lichkeit wahrer Urteile im allgemeinen zugeben, dabei aber die 
Möglichkeit der Metaphysik bestreiten; er erkennt die demon- 
strierbare Wahrheit an, aber er bestreitet die Möglichkeit meta- 
physischer Urteile, indem er sich anf das Fehlen einer ihnen zu 
Grunde liegenden Anschauung beruft und auf die Unmöglichkeit, 
durch willkürliche Reflexion notwendige Wahrheiten zu erkennen.^ 
Dieser Skeptizismus ist daher nur durch die faktische Aufweisung 
einer nicht-anschaulichen und zugleich von der Willkür der Re- 
flexion unabhängigen Erkenntnis zu widerlegen. — Es kann sich 



Aller Streit der Philosophen setzt für den, der daran TeU nehmen will, eine 
richtig organisierte Vernunft voraus und sucht diese vor Irrtum zu wahren: Irr- 
tum aber ist nur ein Fehler der Reflexion, ein Fehler im Gebrauch der gesunden 
Vernunft, Narrheit dagegen ist ein Fehler der unmittelbaren Organisation der 
Vernunft selbst, Krankheit der Vernunft. Das Spiel des Skeptizismus beschäftigt 
sich nun bestandig mit der Wahrheit: man kann für den Einzelnen nicht a priori 
beweisen, daß er wache, für das Menschengeschlecht überhaupt den Verdacht 
nicht a priori widerlegen, daB es von Narrheit befallen sei, sondern darüber ist 
ein Jeder de facto seiner eignen Überzeugung überlassen. So lange die Vernunft 
sich nicht kund gegeben hat, wäre es nicht unmöglich, daß sich Narrheit an ihrer 
Stelle fände. Dieser Punkt kann es von allen am meisten klar machen, wie keine 
Philosophie mit ihren Wahrheiten rein a priori zu völliger £videnz kommen kann, 
s^enn sie sich nicht auf eine erfahrungsmäßige anthropologische Untersuchung 
gründet« (Neue Kritik § 128, 2. Aufl. Bd. II, S. 198 f.) 

^ Vgl. den zweiten Teil dieser Schrift, § 50 Anmerkung. 



760 L- Nelson : Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [348 

im übrigen nur noch daram handeln, zu untersuchen, welches die 
einzelnen Prinzipien sind, die vermöge der Gresamtorganisation un- 
serer Erkenntnis aus der aufgewiesenen Grrundvorstellung der 
reinen Vernunft — Fries nennt sie die „formale Apperzeption" 
— entspringen. Die Grewißheit der Geltung dieser Prinzipien er- 
giebt sich, wenn sie einmal deduziert sind, von selbst, indem das 
Selbstvertrauen der Vernunft sich ohne alles Zutun der Speku- 
lation auf alle in der unmittelbaren Erkenntnis gegründeten Prin- 
zipien überträgt.^ 



^ „Die Annahme einer solchen ursprünglichen formalen Apperzeption ist 
der oberste Punkt einer Theorie der Spontaneität der Erkenntniskraft, und somit 
das höchste Prinzip der Anthropologie, von dem die Theorie der Vernunft aus- 
gehen muß.'' (Neue Kritik § 92, 2. Aufl. Bd. II, S. 60.) — „Diese Verhältnisse 
sind das höchste Resultat der subjektiven Untersuchung des Erkennens, durch 
sie müssen wir die Geheimnisse aller Spekulation entschleiern; sie sind schwer 
yerständlich zu machen, weil das Vorurteil der objektiven Begründung so leicht 
den Blick von unserer Untersuchung wieder abzieht." (Ebenda § 98, Bd. II, S. 62.) 

„Welche Modifikationen müssen diese Einheitsvorstellungen vermöge der be- 
sonderen Natur der menschlichen Erkenntniskraft erhalten? Hierauf antwortet 
die Ausführung der Lehre, indem sie aus der Natur der menschlichen, erkennenden 
Vernunft alle spekulativen Formen der Eategorieen und Ideen ableitet (§ 89, 
S. 42.) — „Unsre wirkliche Erkenntnis entsteht so, daß einzelne materiale Er« 
kenntnis zur formalen Apperzeption hinzukommt; der letzteren können wir uns 
für sich nicht bewußt werden, weil sie nur eine Bedingung für jedes zu gebende 
Material ist ; sobald aber wirklich Gehalt der Erkenntnis gegeben ist, so muß ihr 
die formale Apperzeption anhängen, sich an ihr zeigen. ** „Jede einzelne Er- 
kenntnis ist eine materiale Bestimmung der transzendentalen Apperzeption, und 
giebt eine materiale Bestimmung der formalen, aber nicht jede ist eine Ursprung^ 
liehe rMxUriale Bestimmung^ denn dazu gehört, daß sie durch das Wesen der Ver« 
nunft selbst gegeben sei, also zu ihren unveränderlichen beharrlichen, aber eben 
darum auch immer nur formalen Tätigkeiten gehöre, welche eben so wenig als 
die formale Apperzeption selbst für sich bestehen können, sondern nur bei Ge- 
legenheit sinnlicher Anregungen sich zeigen. Dies sind die Erkenntnisse a priori 
Diese können also nur dadurch entstehen, daß mit dem Vermögen der ursprüng- 
lichen formalen Apperzeption andere ursprüngliche Vermögen der Vernunft zu- 
sammenkommen, welche ihm dann, sobald die Tätigkeit der Vernunft einmal an- 



349] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 761 

164. Wir können die psychologische Kritik hier nicht in ihre 
einzelnen Aasführnngen verfolgen. Es bleibt nns nnr noch übrig, 
den Weg anzuzeigen, anf dem Fbqs von den Grundsätzen seiner 
Theorie der Vernunft ans zur Verbesserung des Grundfehlers der 
S^antischen Metaphysik gelangt. Dieser Fehler, der formale Idea- 
lismus, war, wie wir (§ 87) gezeigt haben, für EIant eine unver- 
meidliche Konsequenz seines Festhaltens an der traditionellen An- 
nahme der Vollständigkeit der Disjunktion zwischen Logik und 
Empirie als Wahrheitskriterien. Mit der Aufweisung der unmittel- 
baren Erkenntnis der reinen Vernunft ist die Unvollständigkeit 
dieser Disjunktion bewiesen und damit zugleich das metaphysische 
Dogma des formalen Idealismus hinfällig gemacht.^ Die Kantische 



geregt ist, durchgängige materiale Bestimmungen geben. ** (§ 97, S. 85 £f.) — 
„Diese unabhängige Erkenntnis a priori enthält demnach alle Prinzipien der Ein- 
heit in unsrer Erkenntnis, ihr müssen alle Formen der mathematischen anschau- 
lichen, der analytischen logischen und der synthetischen Einheit in Kategorie 
und Idee gehören ; und es wird die weitläufigste Aufgabe der Deduktion, aus dem 
Verhältnis des sinnlichen Materials zur formalen Grundvorstellung in der Ein- 
heit der transzendentalen Apperzeption alle jene Formen abzuleiten.'' (§ 100, 
S. 91.) 

^ Vgl. hierzu die in § 84 besprochenen Einwendungen Grapengiessers. 

Wenn Vaihinger (Kommentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft, Bd. II, 
S. 307) Fbies' Äußerung (Neue Kritik, 2. Aufl., Bd. I, S. XXIV), er finde den 
Kantischen Fehler bei niemand noch richtig beurteilt, mit dem Hinweis berichtigen 
zu müssen glaubt, daß schon vierzig Jahre vor Fries von Anderen der Kantische 
Fehler richtig beurteilt worden sei, so scheint er übersehen zu haben, daß Fries 
selbst schon 23 Jahre vor der genannten Äußerung den Kantischen Beweisfehler 
nicht nur berichtigt, sondern auch die Unzulänglichkeit der von den Früheren an 
dem Beweise geübten Kritik dargelegt hat. („Wissen, Glaube und Ahndung", 
1805, S. 41 bis 47.) 

Man vergleiche über diesen Gegenstand auch Fries' Neue Kritik, § 102 
(2. Aufl., Bd. II, S. 97 if.) ; „Tradition, Mystizismus und gesunde Logik**, a. a. 0. 
S. 16; Polemische Schriften, S. 321; Geschichte der Philosophie Bd. II, S. 583. 

Man lasse sich übrigens dadurch nicht irre führen, daß Fries die Bezeich- 
nung „idealistisch** bisweilen auch für die kritische Methode beibehält. Dieser 



760 L- Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [34g 

im äbrigen nur noch darnm handeln, zu nntersnchen, welches die 
einzelnen Prinzipien sind, die vermöge der Gresamtorganisation un- 
serer Erkenntnis aus der aufgewiesenen Grrundvorstellung der 
reinen Vernunft — Fries nennt sie die „formale Apperzeption" 
— entspringen. Die Grewißheit der Geltung dieser Prinzipien er- 
giebt sich, wenn sie einmal deduziert sind, von selbst, indem das 
Selbstvertrauen der Vernunft sich ohne alles Zutun der Speku- 
lation auf alle in der unmittelbaren Erkenntnis gegründeten Prin- 
zipien überträgt.^ 



^ „Die Annahme einer solchen ursprünglichen formalen Apperzeption ist 
der oberste Punkt einer Theorie der Spontaneität der Erkenntniskraft, und somit 
das höchste Prinzip der Anthropologie, von dem die Theorie der Vernunft aus- 
gehen muß.'' (Neue Kritik § 92, 2. Aufl. Bd. II, S. 60.) — „Diese Verhältnisse 
sind das höchste Resultat der subjektiven Untersuchung des Erkennens, durch 
sie müssen wir die Geheimnisse aller Spekulation entschleiern; sie sind schwer 
verständlich zu machen, weil das Vorurteil der objektiven Begründung so leicht 
den Blick von unserer Untersuchung wieder abzieht." (Ebenda § 93, Bd. II, S. 62.) 

„Welche Modifikationen müssen diese Einheitsvorstellungen vermöge der be- 
sonderen Natur der menschlichen Erkenntniskraft erhalten? Hierauf antwortet 
die Ausführung der Lehre, indem sie aus der Natur der menschlichen, erkennenden 
Vernunft alle spekulativen Formen der Eategorieen und Ideen ableitet.'' (§ 89, 
S. 42.) — „Unsre wirkliche Erkenntnis entsteht so, daß einzelne materiale Er« 
kenntnis zur formalen Apperzeption hinzukommt; der letzteren können wir uns 
für sich nicht bewußt werden, weil sie nur eine Bedingung für jedes zu gebende 
Material ist; sobald aber wirklich Gehalt der Erkenntnis gegeben ist, so muß ihr 
die formale Apperzeption anhängen, sich an ihr zeigen. ** „Jede einzelne Er- 
kenntnis ist eine materiale Bestimmung der transzendentalen Apperzeption, und 
giebt eine materiale Bestimmung der formalen, aber nicht jede ist eine ursprüng- 
liche maUriale Bestimmung, denn dazu gehört, daß sie durch das Wesen der Ver« 
nunft selbst gegeben sei, also zu ihren unveränderlichen beharrlicben, aber eben 
darum auch immer nur formalen Tätigkeiten gehöre, welche eben so wenig als 
die formale Apperzeption selbst für sich bestehen können, sondern nur bei Ge- 
legenheit sinnlicher Anregungen sich zeigen. Dies sind die Erkenntnisse a priori. 
Diese können also nur dadurch entstehen, daß mit dem Vermögen der Ursprung« 
liehen formalen Apperzeption andere ursprüngliche Vermögen der Vernunft zu- 
sammenkommen, welche ihm dann, sobald die Tätigkeit der Vernunft einmal an- 



349] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 761 

164. Wir können die psychologische Kritik hier nicht in ihre 
einzelnen Aasführnngen verfolgen. Es bleibt ans nur noch übrig, 
den Weg anzuzeigen, anf dem Fbies von den Grundsätzen seiner 
Theorie der Vernunft aus zur Verbesserung des Grundfehlers der 
Somtischen Metaphysik gelangt. Dieser Fehler, der formale Idea- 
lismus, war, wie wir (§ 87) gezeigt haben, für Kant eine unver- 
meidliche Konsequenz seines Festhaltens an der traditionellen An- 
nahme der Vollständigkeit der Disjunktion zwischen Logik und 
Empirie als Wahrheitskriterien. Mit der Aufweisung der unmittel- 
baren Erkenntnis der reinen Vernunft ist die Unvollständigkeit 
dieser Disjunktion bewiesen und damit zugleich das metaphysische 
Dogma des formalen Idealismus hinfällig gemacht.^ Die Kantische 



geregt ist, durchgängige materiale Bestimmungen geben. ** (§ 97, S. 85 £f.) — 
„Diese unabhängige Erkenntnis a priori enthält demnach alle Prinzipien der Ein- 
heit in unsrer Erkenntnis, ihr müssen alle Formen der mathematischen anschau- 
lichen, der analytischen logischen und der synthetischen Einheit in Kategorie 
und Idee gehören ; und es wird die weitläufigste Aufgabe der Deduktion, aus dem 
Verhältnis des sinnlichen Materials zur formalen Grundvorstellung in der Ein- 
heit der transzendentalen Apperzeption alle jene Formen abzuleiten." (§ 100, 
S. 91.) 

^ Vgl. hierzu die in § 84 besprochenen Einwendungen Grapenoiessbrs. 

Wenn Yaihikoer (Kommentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft, Bd. II, 
S. 307) Fbies' Äußerung (Neue Kritik, 2. Aufl., Bd. I, S. XXIV), er finde den 
Kantischen Fehler bei niemand noch richtig beurteilt, mit dem Hinweis berichtigen 
zu müssen glaubt, daß schon vierzig Jahre vor Fries von Anderen der Kantische 
Fehler richtig beurteilt worden sei, so scheint er übersehen zu haben, daß Fries 
selbst schon 23 Jahre vor der genannten Äußerung den Kantischen Beweisfehler 
nicht nur berichtigt, sondern auch die Unzulänglichkeit der von den Früheren an 
dem Beweise geübten Kritik dargelegt hat. („Wissen, Glaube und Ahndung", 
1805, 8. 41 bis 47.) 

Man vergleiche über diesen Gegenstand auch Fries' Neue Kritik, § 102 
(2. Aufl., Bd. II, S. 97 if.) ; „Tradition, Mystizismus und gesunde Logik**, a. a. 0. 
S. 16; Polemische Schriften, S. 321; Geschichte der Philosophie Bd. II, S. 583. 

Man lasse sich übrigens dadurch nicht irre führen, daß Fries die Bezeich- 
nung „idealistisch** bisweilen auch für die kritische Methode beibehält. Dieser 



762 L- Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [350 

Lehre von den Ideen und von den Dingen an sich bedarf hiernach 
einer wesentlichen Umgestaltung. 

Das Hauptproblem der kritischen Metaphysik ist die Auflo- 
sung des Widerstreits zwischen dem notwendigen Naturalismus 
der theoretischen Vernunft und den Ansprüchen der praktischen 
Vernunft an die Realität der Ideen. Zur Auflösung dieses Wider- 
streits bietet sich der transzendentale Idealismus der Kantischen 
Antinomieenlehre an. Aber dieser transzendentale Idealismus 
führt für sich nicht weiter als bis zu dem Satze, daß die Natur- 
form unserer Erkenntnis nur die Form einer subjektiv beschränk- 
ten Erkenntnisweise ist und für die Dinge an sich keine Realität 
haben kann. Dieser Satz läßt die Realität der Ideen noch völlig 
unausgemacht; es folgt aus ihm nur soviel, daß die Annahme der 
letzteren den Grundsätzen der theoretischen Vernunft nicht wider- 
spricht.^ 



Sprachgebraacb steht bei ihm nicht in Widersprach mit der ünterscbeidong von 
Kritizismus und Idealismus, sondern er ist ihm nur eine andere Art, die ,,8ub- 
jektivc Wendung der Spekulation" zu bezeichnen. In diesem metiMdischen Sinne 
ist es zu verstehen, wenn Fries von dem „notwendigen Idealismus aller Spe- 
kulation" („Wissen, Glaube und Ahndung", S. 119) oder von „einer richtigen 
idealistischen Wendung der Spekulation" (Neue Kritik § 71, Bd. I, 2. Aufl., S. S54; 
ähnlich auch § 70, S. 348) spricht 

^ „Dieser erste Schritt [der Beweis des transzendentalen Idealismus] dient 
nur, um der natürlichen Ansicht der Dinge ihr Unrecht zu beweisen, wenn sie 
sich für die vollständige Wahrheit geben will; wir müssen noch ... die Rechte 
der Idee selbst sichern." (Neue Kritik § 129, 2. Aufl., Bd. II, S. 201.) 

„So aber sind die Ideen der Freiheit und Ewigkeit nur mögliche Gedanken, 
welche die Vernunft sich gleichsam mit willkürlicher Reflexion entwirft, nur um 
ihre eignen Schranken zu erkennen, sie erzeugt sie nur durch Negation des- 
jenigen, was ihre Erkenntnis beschränkt, wiefern sie an einen Sinn gebunden 
ist. und diese Negation der Schranken in der Idee der absoluten Realität ist 
in der Tat der einzige Inhalt, den wir unsrer spekulativen Idee Yenchaffen 
können. Wie kommen wir nun dazu, diesen willkürlich entworfenen Gedanken 
SU hypostasieren, und dem, was wir uns selbst ausgedacht habeui einem bloßen 



361] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 763 

Zur Begründung der Ideen verweist nns die Kantische Philo- 
sophie auf die Kritik der praktischen Yemnnft. Hier soll die 
Realität der Ideen als ein praktisches Postulat, d. h. als eine zwar 
theoretisch unerweisliche, aber in praktischer Hinsicht notwendige 
Voraussetzung erwiesen werden. Dieses Verfahren kann indessen 
nur als regressive Äufweisuvg der Ideen betrachtet werden. Ohne 
eine vorhergehende spekulative Begründung der Ideen ließe sich aus 
dieser Aufweisung vielmehr nur umgekehrt schließen: Wenn die 
Gültigkeit unserer praktischen Überzeugungen wirklich von der 
Annahme der Eealität der Ideen abhängt, und diese Annahme ist 
grundlos, so werden wir auch die Grundlosigkeit unserer prakti- 
schen Überzeugungen einräumen müssen. Dieser skeptischen Kon- 
sequenz hat Kant nichts entgegenzusetzen als die Behauptung vom 
Frimat der praJUiscJien Vernunft Diese Behauptung aber ist bei 
ihm ein Dogma, das sich weder auf spekulative noch auf prak- 
tische Vernunftgründe stützen läßt, da zu seiner Begründung ein 
dritter Standpunkt außer oder über aller Vernunft erforderlich 
wäre, von dem aus sich der Rangstreit zwischen spekulativer und 
praktischer Vernunft entscheiden ließe. ^ 

165. Eine kritische Beseitigung dieses Zwiespalts kann also 
nur in einer spekulativen Begründung der Ideen gesucht werden. 
Diese Aufgabe — Fries bezeichnet sie selbst einmal als „das Mei* 
sterstück aller Philosophie"* — löst Fries im zweiten Bande seiner 
Kritik der Vernunft. Er entdeckt hier den von Kant übersehenen 
Unterschied zwischen der negativen Form der Ideen selbst und 



Noamen eines Daseins über die Natur hinaus Realität zu geben ?'' (Wissen, 
Glaube und Ahndung, S. 129.) 

^ Zur Kritik von Kants „moralischen Beweisen'' vergleiche man „Wissen, 
Glaube und Ahndung"", S. 67 ff., 72 ff., 155 ff., 164 f. 

' Wissen, Glaube und Ahndung, S. 180. 



764 L* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [352 

der positiven Grundlage der Ideen in der nnmittelbaren Erkennt- 
nis.* Wir können uns der positiven Grundvor Stellung der objek- 
tiven synthetischen Einheit, so wie sie unmittelbar der reinen 
Vernunft angehört, nur unter der Form einer doppelten Vernei- 
nung bewußt werden, indem wir die Schranken, an die der posi- 
tive Gebrauch der Kategorieen in der Erfahrung gebunden ist, 
nämlich TJnvollendbarkeit und Stetigkeit, aufgehoben denken. Da- 
durch gelangen wir zu der Idee der unbeschränkten oder voll- 
endeten Einheit, der „Idee des Absoluten**, welche die Grundform 
aller einzelnen Ideen ist.^ Es ist also eine und dieselbe Grundvor- 



^ „Wir müssen in Rücksicht der Deduktion der Ideen genau unterscheiden 
die positive Grundlage unsrer ganzen idealen Ansicht und die Formen des Aus- 
spruchs der Ideen vor der Beflexion, Jene positive Grundlage ist der Glaube an die 
Realität schlechthin , welcher das innerste Eigentum jeder vernünftigen Erkennt- 
niskraft ist; die Formen, unter denen wir uns vor der Reflexion allein die ideale 
Ansicht aussprechen können, entspringen hingegen nur aus der Negation der 
Beschränkung unsers sinnlichen Wissens. Wir wollen mit den Ideen das schlecht- 
hin Positive unsrer Erkenntnis fassen; der menschlichen Vernunft ist dies aber 
nur unter der Form einer doppelten Verneinung möglich.'' (Neue Kritik § 121| 
Bd. II, 2. Aufl., S. 173.) 

„Das Verhältnis ist gerade das Umgekehrte jener Frage; wir entwerfen 
uns nicht willkürlich die Ideen der Freiheit und Ewigkeit, und glauben nachher 
an die Realität des Phantoms, welches wir selbst geschaffen haben, sondern die 
Vernunft glaubt rein aus ihrem Wesen an die höchste Realität, und entwirft 
sich nachher jene Ide^ nur, um ihren Glauben aussprechen zu können.** „Der 
Glaube und die Realität der Idee geht im Wesen der Vernunft der Idee selbst 
vorher, und wir brauchen diese nur, um jene auszusprechen.** (Wissen, Glaube 
und Ahndung, S. 129 ff.) 

' „Die notwendige Einheit der Grundvorstellung legt sich an jede Erregung 
unsrer Erkenntnis, kann aber, so viel oder wenig der umfang der Anregung 
betragen mag, doch nie erfüllt werden. Das erste Gesetz der Einheit in unsrer 
Erkenntnis wird also ein Gesetz der Vollständigkeit schlechthin; hingegen die 
Form der Einheit an dem gegebenen Material muß immer eine Beschränkung 
zeigen. Durch diese Vollständigkeit stellen sich also die Formen der Idee denen 
der Natur gegenüber; dies kann aber nach dem Bewiesenen nur durch Vemei- 



353] Dritter Teü: Die Geschichte der Erkenntoistheorie. 765 

Stellung der reinen Vernunft, ans der die Natnrbegrüfe wie die 
Ideen entspringen; nnr sind die ersten von positivem Gebranche 
und hierbei durch die TJnvollendbarkeit der mathematischen Form 
ihres Schemas beschränkt, während die zweiten nur negative Be- 
griffsbildungen sind, durch die wir uns in Gredanken über die 
Schranken der Natur erheben.^ 



mmgen geschehen. Wir können die Vollständigkeit der idealen Einheit nur 
durch Verneinung der Beschränkungen an den Kategorieen denken. 

„Die oberste Form aller transzendentalen Ideen ist also die Idee der Ne- 
gation der Schranken, die Idee des Absoluten , und das Charakteristische der 
ideellen Vorstellungsweise wird Vorstellung des Realen durch verdoppelte Ver- 
neinungen.** (Neue Kritik, § 124, Bd. 11, 2. Aufl., S. 180 f.) 

' „Wir haben gesehen, daß die einzelnen Formen der Ideen, Totalität, das 
Absolute, Freiheit und Ewigkeit nur aus Verneinung der Schranken in den For- 
men der Kategorieen entstehen; es fragt sich jetzt, wie erhalten sie ihre An- 
wendbarkeit? Dadurch, daß in unsrer Vernunft eine GrundvorsteUung der ab- 
soluten Realität des Ewigen liegt, welche durch diese Formen des Unbeschränkten 
im Verhältnis gegen das Endliche, welches nur seine Erscheinung ist, ausge- 
sprochen wird. Wie aber läßt sich jene GrundvorsteUung des Seins an sich, als 
dem Endlichen zu Grunde liegend, in der Theorie der Vernunft ableiten? Ganz 
einfach aus dem obersten Verhältnis der anthropologischen Theorie der Vernunft. 
Jede Yemünftige Erkenntniskraft, welche die Form der ursprünglichen Einheit 
und Notwendigkeit in sich hat (wie wir dies erfahrungsmäßig von unsrer Ver- 
nunft nachgewiesen haben), muß jede Realität der Erkenntnis, welche sie aner- 
kennt, auf die vollständige Einheit und Notwendigkeit beziehen, es bildet sich 
also in ihr selbst jedem sinnlich gegebenen noch so beschränkten materialen Be- 
wußtsein die Form einer unbedingten Realität desselben an, durch die höchste 
Bedingung der Einheit der Vernunft selbst. Die Vernunft Ifat durch ihre eigen- 
t&mliche Form immer die vollendete Einheit in jeder ihrer Erkenntnisse liegen; 
wenn also gleich der nur sinnlich angeregte Gehalt der wirklichen Erkenntnis 
jene Form der UnvoUendbarkeit an sich hat, so fällt er doch in die ursprüng- 
liche Einheit jener Grundvorstellung, und muß daher als Erscheinung einer 
Beälität sMecMhin angesehen werden. 

„Es ist das oberste Verhältnis des formalen Grundbewußtseins unsrer Ver- 
nunft zu irgend einer materialen Erkenntnis, wodurch diese jederzeit die höchste 
Realität, wenn gleich nur als erscheinend und nicht rein als an sich gegeben 
Ab]iaiidlii]ig«B dtr MM*ioli«n Sebnle. O. Bd. 49 



766 L* Nelson : Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [354 

Das Kantische Gesetz der Immanenz aller menschlichen Er- 
kenntnis wird also dnrch diese Deduktion nicht durchbrochen. Es 
wird nicht eine positive Erkenntnis der Dinge an sich gefordert, 
es wird nicht eine Welt des Übersinnlichen neben oder über die 
Welt der Erfahrung gestellt, sondern es ist eine und dieselbe 
Welt der Gegenstände der Sinne, die wir das eine Mal positiv 
unter Naturgesetzen erkennen und das andere Mal negativ durch 
Ideen denken.^ Wenn wir aber die natürliche Ansicht eine sub- 



darin anerkennt, und so einen spekulativen Glauben in ihrem innersten Wesen 
hat an die bedingungsweise absolute Gültigkeit ihrer Erkenntnisse. 

„Kraft ihrer Yemünftigkeit liegt in jeder Vernunft ein spekulativer Glaube 
an das Sein ihrer Gegenstände an sich und die transzendentale Wahrheit ihrer 
Erkenntnis. Dieser spekulative Glaube ist das erste Vorausgesetzte jeder ver- 
nünftigen Erkenntnis, welches ihr mit dem Bewußtsein der Notwendigkeit un- 
mittelbar zukommt.« (Neue Kritik § ISO, Bd. II, 2. Aufl., S. 205 f.) 

„Gemeinhin setzen wir den Erscheinungen (Ph&nomenen) die Noumene oder 
Gedankendinge entgegen, erstere sind Gegenstände der Sinnesanschauung, Dinge 
in Raum und Zeit, letztere sind Gegenstände der Idee, welche nur der Verstand 
denkt, wie das Weltganze oder die Gottheit, wir nennen die Weltordnung der 
erstem Natur als Ordnung der Sinnenwelt, die der andern Ordnung der inteUi- 
gibein Welt, und da kommen diese Gedankendinge mit ihrer intelligibeln Welt 
nicht unmittelbar als die Dinge an sich vor. Vielmehr finden wir sie in nnserm 
Bewußtsein zunächst nur nach ganz willkürlichen Reflexionen, von denen noch 
die Frage wäre, ob sie irgend Bedeutung haben? Es sind nämlich die Noumene 
der Philosophen jene reflektierten Formen transzendentaler Ideen, von denen wir 
gezeigt haben, daß wir sie uns willkürlich bilden, indem wir in den gegebenen 
Verhältnissen der Natur die Schranken verneint denken. Jetzt können wir aber 
bemerken, daß die Idee des Seins an sich eben nur eine von diesen Formen ist, 
und daß wir mit ihr eben den Gebrauch dieser Formen überhaupt nachgewiesen 
und damit die Deduktion unsrer idealen Ansicht der Dinge vollendet haben. Die 
Ideen des Absoluten sind nämlich allerdings Eigentum der Reflexion, diese bildet 
sie sich nur durch Verneinung der Schranken ; sie sind aber eben in der Reflexion 
von notwendiger Anwendbarkeit, weil wir uns durch sie vor der innem Wieder- 
beobachtung die Verhältnisse des spekulativen Glaubens, das innerste Gesetz der 
Wahrheit unsers Geistes aussprechen.** (Ebenda, S. 207 f.) 

^ „Wenn es Realität in menschlicher Erkenntnis giebt, so ist diese nur 



355] Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 767 

jektiv beschrankte nennen und als solche der idealen unterordnen 
und so in der Tat einen „Primat der praktischen Vernunft" über 
die theoretische anerkennen, so berufen wir uns doch nicht auf 
eine Vergleichung von Erkenntnis und Gregenstand, sondern wir 
entscheiden auch hier noch nach kritischer Methode, indem wir 
eine jede Ansicht, natürliche wie ideale, auf ihre Gründe in der 
Vernunft selbst zurückführen und hier ihre Ansprüche einander 
selbst ausgleichen lassen.^ Mit der Realität der Ideen haben wir 



durch die Anschauung gegeben. Die Welt also, welche Gegenstand unsrer Er- 
fahrung ist, ist die einzige, von der wir auch nur Ideen haben können. . . . 
Wenn die Gedankenformen der Idee sich auch über das Gegebene der einzelnen 
Anschauungen erheben, so geschieht dies doch nur, um ein Ganzes derselben 
überhaupt zu denken, ohne sich je völlig von ihnen loszusagen, oder etwa das 
Übersinnliche als eine andere Welt zu erkennen; vielmehr ist das Höchste immer 
nur, daß wir eine ändert Ordnung derselben Welt denken.^ (Neue Kritik § 123, 
Bd. U, S. 179.) 

„Unsre Theorie der Vernunft zeigte uns, daß wir gar keinen andern Inhalt 
der Erkenntnis haben, als den aus der Sinnesanschauung ; wir haben keine andere 
Erkenntnis als die Erfahrung, alle unsre Erkenntnis bleibt immanent, und was 
wir über jene Sinnesanschauung besitzen, ist nur die Form der Notwendigkeit 
und Einheit, welche ohne jenen Inhalt eine leere, bedeutungslose Form wäre. 
Die Sinnesanschauung bleibt also doch unvermeidlich der Quell aller Realität in 
unsrer Erkenntnis; . . . Diese bedingte Realität unsrer Naturansicht muß also 
doch der Quell aller Wahrheit in unsrer Vernunft sein. Sollen wir von einem 
Ewigen, einem Sein der Dinge an sich sprechen können, so müssen wir auch 
dazu durch die Realität der Erfahrungserkenntnis gelangen." (Neue Kritik § 129, 
Bd. II, S. 201 f.) 

^ „Wie soll nun aber unser Standpunkt gewählt werden, um zu zeigen, daß 
unsre Naturerkenntnis nicht bloßer Schein sei, sondern daß ihr die höchste Rea- 
lität zu Grunde liege? So viel wissen wir, daß wir nicht im Stande sind, un- 
mittelbar das Ewige in seiner Reinheit zu erkennen, um geradezu durch Ver- 
gleichung den Streit zu entscheiden. Wir wissen, daß es unsrer Vernunft un- 
möglich ist, gleichsam aus sich selbst heraus zu treten zum Gegenstand und ihre 
Erkenntnis so mit diesem zu vergleichen. Der objektiv gemeinte Standpunkt der 
Untersuchung, die Übereinstimmung der Vorstellung mit dem Gegenstande hilft 
uns auch hier noch eben so wenig, als er uns irgend in einer positiven Unter- 

49* 



768 ^ Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [366 

es auch hier unmittelbar nicht za tun, sondern nur mit der Nach- 
weisung, daß der Griaube an die Realität der Ideen faktisch in der 
unmittelbaren Erkenntnis gegründet sei. — 

Fries beschließt seine Deduktion der Ideen mit den folgenden 
Worten, mit denen auch wir unsere Darstellung dieses „Meister- 
stücks aller Philosophie'^ abschließen wollen: 

,^iese unsre Lehre von den Ideen unterscheidet sich von der 
Kantischen darin, daß er keinen spekulativen Grlauben kannte, und 
er konnte diesen nicht finden, wegen der Unvollständigkeit seiner 
Lehre von der Begründung der Urteile, in welcher er nie über 
den Beweis hinausging. Er verwarf die spekulative Gültigkeit 
der Ideen, weil sich aus spekulativer Vernunft kein Beweis über 
sie führen läßt; er blieb damit nur bei der Eeflexion stehen, und 
drang nicht zu dem durch, was durch diese Reflexion beobachtet 
wird. . . . Wir hingegen können hier unsre subjektive Theorie 



snchnng der Wahrheit gevorteilt hat. Wir kamen zur Erfahmngserkenntnis, nnd 
konnten die Prinzipien ihrer Notwendigkeit in den Grundgesetzen der Natur auf- 
weisen, nicht dadurch, daß wir ihr Verhalten zu den Dingen selbst erhärteten, 
sondern dadurch, daß wir zeigten, jede menschliche Vernunft weiß ihrer Natur 
nach diese und diese Gesetze und muß nach ihnen urteilen. Eben so werden wir 
in Rücksicht der Gültigkeit der Ideen denselben Gang der Deduktion einschlagen 
müssen, indem wir zeigen: jede endUche Vernunft glaubt kraft der Organisation 
ihres Wesens notwendig an die ewige Realität des Seins an sich. . . . Unsre 
Stellung für die Deduktion der Ideen ist also die, daß wir zeigen, ein Jeder glaube 
notwendig an die ewige ReaUtät der Ideen. Es liegt nämlich unvermeidlich in 
der unmittelbaren Erkenntnis seiner Vernunft dieser Glaube, dessen wird er sich 
aber erst durch Reflexion mittelbar wieder bewußt; dabei kann er dann Fehler 
der Selbstbeobachtung begehen, und so selbst meinen und lebhaft meinen, er 
glaube von dem allen nichts, wiewohl dieser Glaube unmittelbar in ihm, wie in 
jedem Andern liegt. Kraft dieser Deduktion müssen wir uns also anheischig 
machen, jedem, der die Realität der Ideen leugnet, geradezu aufzuweisen, nicht 
etwa nur, daß sie dennoch wirklich Realität haben, sondern daß er selbst, er mag 
sagen, was er will, in der Tat doch auch ihre Realität glaube, und sich mit dem 
GegenteU doch nur selbst täusche. "^ (Neue Kritik § 130, Bd. U, S. 203 ff.) 



3671 Dritter Teil: Die Geschichte der Erkenntnistheorie. 769 

dorcfaaas vollenden, und zugleich jede objektive Wendung der Sache 
ablehnen. Jede Vernunft glaubt die Dinge an sich zu erkennen, 
nicht auf die Gefahr hin, sich zu irren, denn in Rücksicht dessen 
giebt es keinen Irrtum, sondern auf die G-efahr hin, kein Narr 
zu sein. 

„Das Resultat unsrer ganzen Lehre von der transzendentalen 
Wahrheit ist dann das höchste Lob der kritischen Methode in der 
Iliilosophie. Philosophieren heiße die willkürliche Tätigkeit im 
Selbstdenken; es werde gefragt: was wollt ihr mit diesem selbst- 
tätigen Denken? Wer sich auf die Antwort einläßt, sagt: Wahr- 
heit, die höchste Wahrheit, Übereinstimmung der Erkenntnis mit 
ihrem Gegenstande, des Objekts mit dem Subjekt! Gehen wir 
aber kritisch dem nach, was ihr wirklich tut oder auch nur tun 
könnt, so finden wir, daß ihr diese Wahrheit keinesweges wollt, 
sondern nur Ausbildung eurer Erkenntnis, möglichste Annäherung 
an das Ideal logischer Vollkommenheit im Erkennen, welches 
durch Beweisen, Demonstrieren und Deduzieren eurer Sätze er- 
reicht wird. Was ihr überdies zu suchen meint, das scheint euch 
nur so durch Verwechselimg der empirischen Wahrheit aus dem 
Verhältnis der Erkenntnis zur Vernunft mit transzendentaler 
Wahrheit aus dem Verhältnis der Erkenntnis zu ihrem Gegen- 
stande. 

„Wir haben den logischen Satz vom Grunde auf die Formel 
gebracht: jeder Satz muß einen zareichenden Grund in der un- 
mittelbaren Erkenntnis haben, denn er ist nur mittelbare Wieder- 
holung eines unmittelbar Gegebenen, man denkt ihn sich insge- 
heim nach transzendentaler Bedeutung aber eigentlich so: Jede 
wahre Erkenntnis muß ihren zureichenden Grund haben, denn das 
Sein des Gegenstandes ist der Grund, Wahrheit der Erkenntnis 
doch nur die Folge. Mit diesem Postulat aber können wir gar 



770 L« Nelson: Ober das sogenannte Erkenntnisproblem. [358 

nichts anfangen, diese Abhängigkeit der Erkenntnis von ihrem 
Gegenstande ist gar kein Thema einer wissenschaftlichen Unter- 
snchnng. Wer das Gegenteil behauptet, der fordert eine Theorie 
der Möglichkeit des Erkennens. Habt ihr euch denn aber auch 
gefragt, ob die Möglichkeit des Erkennens ein Thema für irgend 
eine Theorie sei? Wohl nicht! Denn sonst würdet ihr finden, 
daß das Erkennen nur als Qualität vor der inneren Erfahrung vor- 
kommt; für Qualitäten aber giebt es ja überhaupt keine Theorie, 
und am wenigsten für innere Qualitäten; nur quantitative Ver- 
hältnisse können Thema einer Theorie werden; ein solches ist aber 
das einer Erkenntnis und ihres Gegenstandes nicht/ ^ 



' Neue Kritik § 131. (Bd. U, S. 211 ff.) 



S c h 1 u s s. 

Vorschlag, durch eine geeignete Methode die philoso- 
phischen Streitigkeiten in wissenschaftliche Bahnen 

zu lenken. 

£^ yccQ Ttf^t, & &Qi,6tB KgitatVf tb (lii naX&g 
liytiv oi it4vov ilg a'btb toi^co nlrififiiligf &XXä 
xal Ttanöv ti ifinoist taig ipvxaCg. 

PlaTON, PhMdon 116 K 

166. Zum Schlüsse wird es gut sein, einige Folgerungen, die 
sich an die vorstehenden Darlegungen knüpfen und die für die Be- 
urteilung der gegenwärtigen Lage der Philosophie von Nutzen sein 
können, ausdrücklich zu ziehen. 

Das erste Ergebnis, das ich hier als festgestellt betrachte 
und dessen vollgültige Begründung in den Elapiteln XV bis XXIV 
zu finden ist, fasse ich in die Behauptung zusammen, daß das 
Philosophem Kants in seiner historisch vorliegenden Form auf 
Voraussetzungen beruht, deren innere Unvereinbarkeit es unmög- 
lich macht, bei diesem Philosopheme stehen zu bleiben. Zweitens 
aber behaupte ich, daß die Einteilung, die der im Vorangehenden 
gegebenen Übersicht über die verschiedenartigen Fortbildungs- 
versuche des Kantischen Philosophems zu Grunde liegt, eine voll- 
ständige und ausschließende ist.^ 



> Vgl. besonders Kapitel XXIV. 



772 L- Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [360 

Aas diesen Feststellangen ergiebt sich einerseits die Abwei- 
sung der vielfach ausgegebenen Parole „Zarück zu Kant", d. h. 
die Abweisung des Versuchs, auf die Kantische Philosophie zurück- 
zugehen, ohne diese Philosophie wieder im Sinne eines ihrer Nach- 
folger umzubilden, — eines Versuchs, von dem schon die Ge- 
schichte lehrt, daß er, so oft er auch angestellt worden ist, noch 
jedesmal nur von völlig ephemerem Erfolge war.* 

Andererseits aber ergiebt sich die Abweisung jeglichen Ver- 
suchs, die bereits aufgetretenen Fortbildungen der Kantischen 
Philosophie um eine neue zu vermehren oder auch zwischen den 
aufgetretenen, historisch vorliegenden Versuchen dieser Art irgend 
eine Vermittelung herzustellen. Alle Bemühungen, auf diesem 
Felde noch einen Ruhm der Originalität zu ernten, sind vergeb- 
lich, da alle hier möglichen Versuche bereits ihre Verwirklichung 
in der Geschichte gefunden haben und also alle Möglichkeiten er- 
schöpft sind. So sehr deshalb auch die Erfolglosigkeit aller bis- 
herigen Bemühungen, eine Einigung herbeizuführen, die Erwartung 
nahe legen mag, daß der Streit, der das beginnende Jahrhundert 
noch ebenso beschäftigt wie das vergangene, seine Schlichtung nur 
durch eine erst noch zu entdeckende, die alten Gegensätze in einer 
höheren Einheit aufhebende Philosophie finden werde, so ist doch 
aus unserer Darstellung gewiß, daß dieser Streit zwischen den 
schon bestehenden Parteien ausgetragen werden muß und nur 
durch den völligen Sieg der einen unter ihnen und die damit ver- 
bundene gänzliche Vernichtung aller übrigen sein Ende finden 
wird. 

Ohne also hier noch einmal zwischen diesen Parteien eine 
Entscheidung treffen zu wollen, können wir behaupten, daß von 

1 Vgl. § 140. 



361] Schluß. 773 

jeder Philosophie, die eine Fortbildang der Elantischen oder auch 
nnr eine Rücksichtnahme auf das Kantische Problem beabsichtigt, 
gefordert werden mnß, daß sie sich für einen der aufgezählten 
Standpanlcte entscheide, die nach ihren geschichtlich aasgeprägte- 
sten Formen durch die Namen Schellixq, Hegel, Beneke nnd Fries 
bezeichnet werden können. Wer dieser Forderung nicht Grenüge 
leistet, wird bereits durch die bloße Logik abgewiesen. — 

167. Sollte die Hoffnung, die gewiß ein jeder teilt, der irgend 
einen der hier zuletzt aufgeführten Standpunkte einnimmt, keine 
trügerische sein, — die Hoffnung, daß durch eine gesunde Fort- 
bildung der Kantischen Philosophie ihre Friedensverheißung in Er- 
füllung gehen werde, so sollte uns doch schon ein Rückblick auf die 
bisherige Greschichte dieser Philosophie (wie wir ihn hier gegeben 
haben) warnen, das erhoffte Ziel nicht durch unsere — der Philoso- 
phierenden — eigene Schuld noch fernerhin ohne Not hinauszurücken. 
Zweierlei könnte hier, nächst dem im vorigen Paragraphen Greforder- 
ten, geschehen, um nicht sowohl geradezu eine Verständigung herbei- 
zuführen, als vielmehr zunächst die einer solchen entgegenstehenden 
Hindernisse aus dem Wege zu räumen. Unter diesen Hindernissen 
sind nämlich einige, die nicht eigentlich aus der grundsätzlichen Ver- 
schiedenheit der philosophischen Überzeugungen, sondern aus der 
Nichtachtung höchst einfacher und naheliegender Q-ebote entspringen 
und denen entgegenzuarbeiten einem jeden an seinem Teile möglich 
ist, ohne dabei seinen Parteigrundsätzen irgend etwas zu vergeben. 

Ein solches Hindernis liegt, wie schon oft bemerkt worden 
ist, in dem Mangel eines feststehenden und einheitUchen Sprach- 
gebrauchs. So oft sich die Einsicht in die schlimmen Folgen 
dieses Fehlers bei unseren philosophierenden Schriftstellern geltend 
macht, so schnell wird sie meist wieder vergessen, so schnell 
macht sie wieder der Vorliebe für eine originelle Terminologie 



774 L- Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [362 

und den mannigfachsten Vergewaltigungen der Sprache Platz. Ich 
will hier nur auf den folgenden, bei den Erörterungen über diese 
Frage bisher nicht gehörig berücksichtigten Umstand aufmerksam 
machen. 

So nützlich in vielen Fällen die Neubildung eines Terminus 
sein mag, wo die der bisherigen Sprache zur Yerlügung stehenden 
Ausdrücke nicht zu genügen scheinen, so gefahrlich ist sie doch, 
wo sie nicht wirklich unentbehrlich ist, namentlich, wenn dabei 
ein Ausdruck Verwendung findet, der bereits in dem gewöhnlichen 
Sprachgebrauch vorkommt und in diesem eine ihm durch das Her- 
kommen gegebene Bedeutung besitzt. Führt man für einen solchen 
Ausdruck eine Definition ein, und sei es auch nur, um sich gegen 
die Unbestimmtheit zu sichern, die durch die dem gewöhnlichen 
Sprachgebrauch anhängenden Assoziationen erzeugt wird, so setzt 
man sich der Grefahr aus, bei dem späteren Grebrauch des defi« 
nierten Ausdrucks die ihm durch die Definition gegebene Bedeu- 
tung mit der ihm nach dem üblichen Sprachgebrauch zukommenden 
Bedeutung zu verwechseln und so unbemerkt Bestimmungen, die 
dem Gregenstande nach der einen Bedeutung des Wortes zukommen, 
auf den Gregenstand zu übertragen, dem sie nach der anderen Be- 
deutung des Wortes keineswegs zukommen. Eine wie reiche 
Quelle philosophischer Irrungen dieser Umstand bildet, wird man 
durch eine Vergleichung der in der vorliegenden Schrift behan- 
delten Beispiele ermessen.^ — Selbst das von dem feinsten Sprach- 
gefühl geleitete Bestreben, nur in vollster Übereinstimmung mit 
dem Sprachgebrauch zu definieren, schützt nicht vor der in dieser 
Fehlerquelle begründeten Grefahr. Denn welches Kriterium haben 
wir, um zu beurteilen, ob die Definition alle und nur alle die 



> Vgl. besonders die in § 139 angegebenen Beispiele. 



363] Schluß. 775 

Merkmale enthält, die der durch den Sprachgebrauch mit dem- 
selben Worte bezeichnete Begriff enthält? In anderen Wissen- 
schaften hat es hiermit keine Schwierigkeit, denn dort können 
wir jederzeit auf die Anschauung verweisen and dadurch jeden 
Zweifel darüber zerstreuen, von welchem Gegenstande die Bede 
ist. In der Philosophie aber, und auch in der Psychologie, ver- 
sagt dieses Yerständigungsmittel gänzlich. Denn die philosophi- 
sche Erkenntnis ist ihrem Wesen nach nicht-anschaulich, und der 
Psychologe kann sich zwar für die Richtigkeit seiner Sätze auf 
die Selbstbeobachtung berufen, die aber, eben weil sie /Selbstbeob- 
achtung ist, ein jeder nur in sich selbst findet, ohne ihren Inhalt 
einem anderen anders mitteilen zu können als vermittelst der 
Sprache. Halten wir uns nun hier nicht auf das Strengste an 
den allgemeinen Sprachgebrauch, so geben wir unbedacht das ein- 
zige Mittel der Verständigung preis. Dies geschieht aber not- 
wendig, sobald wir, statt dem Sprachgefühl zu folgen, von will- 
kürlichen Definitionen ausgehen. 

Den allgemeinen Sprachgebrauch also gilt es zu achten. Ge- 
rade unsere Sprache ist so reich und bietet so feine Abstufungen, 
daß schon allein derjenige, der über ein gebildetes Sprachgefühl 
verfügt, vor allerlei Begriffsverwechslungen geschützt ist, denen 
ein anderer leicht zum Opfer fällt, der in bloßem Vertrauen auf 
seinen eigenen Scharfsinn in einer eigens zu diesem Zweck ge- 
schaffenen Privat-Terminologie philosophiert. Ich erinnere, um 
dies mit Beispielen zu belegen, an die Anmerkung des § 48 über 
die Ausdrücke ;, Vernunft'' und „Verstand", sowie an die ebenso 
schon in unserer gewöhnlichen Sprache liegende Unterscheidung 
im Gebrauche der Worte ;,Grund" und „Begründung^, deren Be- 
achtung allein hingereicht hätte, um auf den Unterschied der ent- 
sprechenden Begriffe aufmerksam zu werden und dadurch den 



776 L- Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [364 

Hauptfehler der in dieser Schrift widerlegten Irrtümer zu ver- 
meiden. Ich erinnere femer auch an die Unterscheidung, die ein 
gesundes und philosophisch unbeirrtes Sprachgefühl zwischen „Gre- 
fiiW und ;,Empfindung^ macht, mit welcher Unterscheidung der 
Geist unserer Sprache gleichsam die grundlegende Entdeckung der 
Kantischen Ästhetik vorwegnimmt.^ 

Weiter aber sollte man sich in einer auf Wissenschaftlichkeit 
Anspruch erhebenden Darstellung nach Möglichkeit aller Bilder 
enthalten. Ich weiß wohl, daß ursprünglich die meisten, wo nicht 
alle Ausdrücke bildliche Bedeutung haben. Aber es ist ein großer 
Unterschied zwischen dem Grebrauch eines Ausdrucks, von dessen 
Bildlichkeit wir das Bewußtsein längst verloren haben, und einem 
bewußtertveise bildlichen Gebrauche eines Ausdrucks.* Nur diesen 
letzten gilt es zu vermeiden. Bekanntlich hinkt nämlich notwen- 
dig jedes Bild. So zweckmäßig daher auch ein Bild zur ErlätUe* 
rung einer anderweit gegebenen Begriffsbestimmung sein mag, so 
kann es doch diese letztere niemals ersetzen, wenn sie von Viel- 
deutigkeiten frei bleiben soll. Derartige Vieldeutigkeiten führen 
nicht nur den Leser, sondern oft genug auch den Autor selbst in 
die Irre; sie nicht aufkommen zu lassen, ist ein einfaches Gebot 
der Wahrhaftigkeit schon im alltäglichen Gebrauche der Sprache, 
wie viel mehr also im wissenschaftlichen. 

Aus dem Gesagten erhellt zugleich, daß wo ivirklkh die Ein- 



> Man erkennt aus Überlegungen dieser Art die tiefe Bedeatang jener 
wenig beachteten nnd noch seltener verstandenen Warnungen, die Kant in 
der transzendentalen Methodenlehre (wie auch schon in den „Untersuchungen 
über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral**) 
über den Gebrauch der Definitionen in der Philosophie gegeben hat. 

' Man vergleiche z. B., um sich diesen Unterschied deutlich zu machen, 
das Wort „Grund" mit den Worten „Wurzel", „Urboden" nnd „Heimatsort". 
(Vgl. § 59, 60 und 61.) 



365] Schluß. 777 

führtuig einer neuen Terminologie erforderlich ist, man sich nicht 
scheuen sollte, zu Fremdwörtern zu greifen, da mit diesen noch 
keine störenden, aus einem früheren Gebrauche herstammenden 
Nebenbedeutungen verbunden sind.^ Es ist aber klar, daß solche 
Neubildungen nur dann erlaubt sind, wenn sich der fragliche Be- 
grifip aus Merkmalen zusammensetzt, die ihrerseits mit den Mitteln 
des allgemeinen Sprachgebrauchs bezeichnet werden können, da in 
letzter Linie alle Verständigung und Mitteilung nur mit seiner 
Hülfe möglich ist und wir also auch bei allen Definitionen schließ- 
lich auf ihn zurückgehen müssen.^ 

Zwar hat wirklich die allgemeine Sprachverderbnis in philoso- 
phischem Gebiete bereits einen so bedrohlichen Umfang angenommen, 



> Aas diesem Grunde erscheint mir z. B. der Vorschlag Calkers, an Stelle 
der von Kant geprägten Termini deutsche Ausdrücke einzuführen, nicht glück- 
lich. („Denklehre" für „Logik**, „Urgesetzlehre** für „Metaphysik**, „Vorweisung** 
für „Demonstration**, „Grundweisung** für „Deduktion**, „verbindendes ursprüng- 
liches Urteil** für „synthetisches Urteil a priori**, „einheitliche Vernehmung" für 
„formale Apperzeption**, „ewige Selbsttümlichkeit** für „intelligibler Charakter** 
u. s. w.) Vgl. F. Calker, Urgesetzlehre, Berlin, 1820. 

' Ein typisches Beispiel eines Verstoßes gegen die letzte Regel ist der in 
der erkenntnistheoretischen Litteratur immer mehr um sich greifende und schon 
heute geradezu epidemisch gewordene Mißbrauch des Ausdrucks: „das Apriori**. 
Da dieser Ausdruck noch niemals definiert worden ist, so hat er bisher überhaupt 
keine Bedeutung ; aber desto größer ist die Beliebtheit, deren er sich bei unseren 
erkenntnistheoretischen Schriftstellern erfreut. Der Grund dieser Beliebtheit ist 
leicht zu entdecken: es giebt keinen anderen Ausdruck, der so geeignet ist wie 
dieser, um das für die Sache Wesentliche zu verschleiern und dem Leser aus 
den Augen zu rücken. Sagte man nämlich: „Erkenntnis a priori**, so würde 
jeder Hörer und Leser wissen, daß es sich nicht um den Gegenstand, sondern 
um den Inhalt der Erkenntnis handelt. Da aber für die Erkenntnistheorie alles, 
auf die Nicht-Unterscheidung dieser Begriffe ankommt, so empfiehlt sich der un- 
bestimmtere Ausdruck: „das Apriori**. Denn bei diesem kann niemand wissen, 
was eigentlich gemeint ist, man kann also nach Belieben bald das eine, bald 
das andere hineindeuten und so alles beweisen und alles widerlegen, was sich 
nur irgend durch eine quatemio terminorum beweisen oder widerlegen läßt. 



780 L. Nelson : Ober das sogenannte Erkenntnisproblem. [368 

Geometrie und Arithmetik so mächtig gefordert und übrigens 
auch längst in der Physik erfolgreiche Anwendung gefunden hai.^ 

Mit so viel Recht wir nämlich von Kant gewarnt worden 
sind, uns nicht durch das Beispiel der Mathematik verleiten zu 
lassen, die in ihr damals allein bekannte und auch heute noch 
ihre systematischen Teile beherrschende Methode in der Philo- 
sophie nachahmen zu wollen, so hat sich doch infolge eines 
eigenartigen historischen Prozesses das Verhältnis der beiden 
Wissenschaften seit Kants Zeiten dadurch sehr verschoben, daß 
das von Kant für die Philosophie als unentbehrlich geforderte 
zergliedernde Verfahren zwar bis auf den heutigen Tag von der 
Mehrzahl der Philosophen verschmäht worden ist, dafür aber den 
Beifall der Mathematiker gefunden hat und in deren Händen ein 
zu solcher Vollkommenheit durchgebildetes wissenschaftliches 
Werkzeug geworden ist, daß nunmehr wiederum die methodisch 
vernachlässigte Philosophie bei ihrer Schwesterwissenschaft in die 
Lehre gehen kann xmd aus der Nachahmung der in den kritisch 
bearbeiteten Teilen derselben erprobten und bewährten Methoden 
den reichsten Gewinn ziehen würde. 

Wir wollen dies an einigen Beispielen erläutern. Neben dem 
schon gerügten Mißbrauch der Definitionen ist ein Kardinalfehler 
des unkritischen Philosophierens der durch leichtfertigen Gebrauch 
der indirekten Beweise entstehende Schluß aus unvollständigen Di^- 
junktionen. Nicht wenige der erkenntnistheoretischen Streitig- 



Weise klarzulegen sucht, daß sich sicher angeben läßt, welche Voraussetzungen 
zur Begründung jener Wahrheit notwendig und hinreichend sind.^ Man vergleiche 
auch die Charakteristik dieser Methode im „Schlußwort« der Hilbertschen Schrift 
> So beruht z. B., worauf ich an anderer Stelle hingewiesen habe, Helmholtz' 
Entdeckung des Gesetzes von der Erhaltung der Energie ausschließlich auf einer 
Anwendung derselben Methode. (Vgl. „die kritische Methode«, § 7.) 



369] ScMuß. 781 

keiten wären bald beseitigt, wollte man, durch die geforderte 
logiscljie Zergliederung veranlaßt, mißtrauischer gegen die Anwen- 
dung der indirekten Beweisart werden. Diese Beweisart ist nur 
da zulässig, wo man einen sicheren Überblick über alle Glieder 
der ihr jedesmal zu Grunde liegenden Disjunktion voraussetzen 
kann. Ein solcher Überblick ist aber erfahrungsgemäß in der Phi- 
losophie meist sehr schwer zu erlangen. Will ich eine Behauptung 
dadurch begründen, daß ich in der ihr entgegengesetzten Annahme 
einen Widerspruch aufzeige, so muß ich die Gewahr haben, daß 
die Sphäre der Möglichkeiten durch die zu widerlegende Annahme 
und die zu begründende Behauptung erschöpft ist. Insbesondere 
muß ich wissen, daß diejenige Voraussetzung^ gegen die das wider- 
legte Gegenteil verstößt, bereits unabhängig von der indirekten 
Beweisführung aus irgend welchen anderweit gegebenen Gründen 
feststeht. Widrigenfalls aus dem konstatierten Widerspruche mit 
demselben Eechte wie auf die vorgesetzte Behauptung, auf die 
Falschheit jener Voraussetzung geschlossen werden könnte. Die 
Nachfrage, inwieweit diese Bedingungen erfüllt sind, wird, wie 
unsere kritischen Untersuchungen zeigen, nur allzuleicht verab- 
säumt. Dies hat dann zur Folge, daß sich das Gegenteil der be- 
wiesenen Behauptung mit gleich gewichtigen Gründen verteidigen 
läßt. Beweist z.B. der Transzendentalist ^ Aiq Aprioriiät der Er- 
kenntnistheorie unter Berufung auf den unvermeidlichen Zirkel 
aller psychologischen Erkenntnistheorie, so bedenkt er nicht, daß 
der Psychologist mit derselben Bündigkeit die Notwendigkeit em- 
pirischer Erkenntnistheorie beweisen kann, indem er sich auf den 
notwendigen Zirkel aller rationalen Erkenntnistheorie beruft. 
Beide bemerken nicht, daß der Zirkel, den sie ihrem Gegner vor- 



» Vgl. z. B. § 67. 

Abhtndliingwi d«r Friw*Mh«n Schule. H. Bd. 50 



782 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [370 

werfen, der Erkenntnistheorie als solcher eigentümlich nnd von 
der Modalität ihrer Erkenntnisweise vöUig unabhängig ist, daß 
also der ganze Streit nichtig ist, ehe nicht über die Möglichkeit 
der Erkenntnistheorie überhaupt etwas aasgemacht ist. Man mag 
also die Möglichkeit der Erkenntnistheorie annehmen oder nicht, 
so zeigt doch die logische Zergliederong der Beweise, daß ohne 
Heranziehung weiterer Kriterien zwischen Transzendentalismus 
und Fsychologismus keine eindeutige Entscheidung möglich ist; 
mit welcher Einsicht denn allen übereilten Schlußfolgerungen der 
Boden entzogen ist. 

Man vergleiche auch, um weitere Beispiele zu haben, § 108 f., 
sowie den in § 16 ff. kritisierten indirekten Beweis. Auch die in 
§ 83 erörterte Kantische Argumentation gegen das Präformations- 
system bietet ein lehrreiches Beispiel. 

Oder man nehme den berühmten Streit über das Ding an 
sich. Der Idealist will die Annahme von Dingen an sich wider- 
legen, indem er zeigt, daß diese Annahme, wie jedes Urteü, auf 
der Anwendung von Prinzipien a priori beruht; ein Beweis, der 
natürlich nur unter der stillschweigenden Voraussetzung der Sub- 
jektivität aller Prinzipien a priori gilt. Der Widerspruch liegt also 
nicht in der Annahme der Dinge an sich, sondern nur in ihrer Un- 
vereinbarkeit mit dem Satze , daß Prinzipien a priori Bedingungen 
aller Urteile sind ; und auch dies nur unter der Voraussetzung des 
formalen Idealismus. Die Konstatierung dieses Widerspruchs ge- 
nügt folglich keineswegs zur Widerlegung der Annahme von Din- 
gen an sich; vielmehr ist diese Konstatierung hinsichtlich ihrer 
metaphysischen Konsequenzen durchaus vieldeutig, da ohne Zuhilfe- 
nahme anderer als rein logischer Kriterien auf Grrund des konsta* 
tierten Widerspruchs ebenso gut auf die Falschheit des Satzes, 
daß Prinzipien a priori Bedingungen aUer Urteile sind, also auf 



371] Schluß. 783 

den Empirismus, geschlossen nnd die Annahme der Dinge an sieh 
als za Recht bestehend angenommen werden kann, — nns aber auch 
nichts hindert, mit demselben Rechte beides: die Annahme der 
Dinge an sich und den Satz von der Bedingtheit aller Urteile durch 
Prinzipien a priori, aufrechtzuerhalten und dafür die Voraussetzung 
des formalen Idealismus fallen zu lassen. Alle drei Schlußweisen 
sind logisch gleichwertig, und ein Streit ist hier, solange nicht 
andere als logische Mittel herangezogen werden, unmöglich. Was 
uns die Logik hier lehren kann, ist dies und nur dies: daß die 
Annahme der Dinge an sich, der Satz von der Bedingtheit aller 
Urteile durch Prinzipien a priori und der formale Idealismus drei 
einander logisch gleichwertige Sätze sind, deren je einer mit 
der Eonsequenz aus den beiden anderen in Widerspruch steht, daß 
wir also, um ein widerspruchsfreies System zu erhalten, einen dieser 
Sätze fallen lassen müssen. Welchen wir aber fallen zu lassen 
haben, darüber entscheidet die Logik gar nichts.^ 

Die Vereinigung zu einer solchen axiomatischen Arbeitsweise 
wäre ein wesentlicher Schritt zur Verständigung auch über die 
Frage der inneren, formalen Übereinstimmung der einzelnen Phi- 
losopheme hinaus. Ist man einmal so weit, bei jedem der Dis- 
kussion vorliegenden Philosopheme übersehen zu können, welche 
Voraussetzungen ihm zu Grunde liegen, läßt sich genau angeben, 
welche Sätze zur Begründung eines bestimmten seiner Sätze not- 
wendig und hinreichend sind, so ist wenigstens so viel gewonnen, 
daß der Streit in geordnete und methodische Bahnen gelenkt ist. 
Auf diesem und keinem anderen Wege ist ein gegenseitiges Ver- 
stehen der Streitenden erreichbar, — ein Verstehen, das es jedem 



^ Wir vollen der Übersichtlichkeit wegen, auch dieses Beispiel durch ein 

50* 



?84 



L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. 



[372 



möglicli macht, nicht nur, wie heute üblich, über den anderen ab- 
zusprechen, sondern sich bestimmt sagen zu können, hinsichtlich 



Schema Teranschaolichen. 



ter OUc« 4B tUh. 




Bartnitaa« 
B«4iacClMtt «UcrDit 
PriuipiM a priwi. 



lit «Uw Dit«ll« iMnt 



Der Leser wird leicht bemerken, daß wir in diesem Schema das metaphy- 
sische Analogon zu dem methodischen Schema des § 57 and dem psychologischen 
des § 108 vor uns haben ond daß diese Schemata sich, historisch betrachtet, 
decken, in dem Sinne, daß der konsequente Transzendentalist zugleich der Ver- 
treter der „rationalistischen Eonsequenz'', der konsequente Psychologist zugleich 
der Vertreter der „empiristischen Konsequenz" ist, und umgekehrt, während der 
konsequente Kritizismus, wie wir ausführlich gezeigt haben, mit dem formalen 
Idealismus überhaupt unverträglich ist. (Man vergleiche den historischen Stamm- 
baum § 126 Anmerkung.) 



373] Schluß. 785 

welcher genau formnlierbarer Sätze er von dem anderen abweicht 
und welche Voraassetzangen er daher, wenn er den anderen wider- 
legen will, anzugreifen hat. Dieser Vorteil ist nicht gering ein- 
zuschätzen. Denn weiß man einmal klar und deutlich, worüber 
man eigentlich streitet, vermag man erst das Problem in eine 
präzise Formel zu bringen, so ist die erheblichste Schwierigkeit 
bereits überwunden. Die noch übrig bleibende, scheinbar schwerste 
Aufgabe erscheint nicht mehr unlösbar, wenn es gelingt, die Dis- 
kussion auf ein Gebiet zu übertragen, dessen Bearbeitung zwar 
nicht mehr mit rein logischen Mitteln möglich, aber doch auch 
nicht den eigentümlichen Schwierigkeiten einer unmittelbaren In- 
angriffnahme metaphysischer Probleme unterworfen ist. 

169. Daß und wie diese Forderung erfüllbar ist, ist in den 
Kapiteln VHI und IX dargelegt worden.^ Es ist dort gezeigt 
worden, daß es zu jedem metaphysischen Satze einen äquivalenten 
psychologischen Satz geben maß, nämlich einen Satz über die Gründe 
der Möglichkeit der in dem metaphysischen Satze ausgesprochenen 
Erkenntnis. Dieser psychologische Satz steht hinsichtlich seiner 
Gültigkeit zu seinem metaphysischen Äquivalent in einem Wechsel- 
Verhältnis von der Art, daß beide Sätze nur miteinander Anspruch 
auf gegründete Wahrheit erheben können oder miteinander als 
Vorurteil verworfen werden müssen. Ist dies richtig, so ist damit 
ein Mittel gewonnen, die Diskussion auf einen rücksichtlich meta- 
physischer Fragen neutralen Boden zu übertragen. Ist nämlich ein- 
mal ein metaphysisches Problem auf seinen präzisen logischen Aus- 
druck gebracht, so braucht man nur das äquivalente psychologische 
Problem zu formulieren, um die Streitfrage aus dem Bereiche will- 
kürlicher Machtsprüche und dialektischer Spitzfindigkeiten an die 



VgL besonders auch § 157 f. 



786 ^' Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [374 

Instanz der jedermann znr Beobachtong offen liegenden Tatsachen 
zn verweisen. — 

Aber selbst diejenigen, die die hier vorgetragene Ansicht 
über die positive Bedentnng der Psychologie für die Philosophie 
nicht teilen, werden sich zu gemeinschaftlicher Arbeit vereinigen 
können, soweit sie nur darüber einverstanden sind, daß der Philo- 
soph die Tatsachen der Erfahrung zu achten habe und ihnen 
wenigstens nicht widersprechen dürfe. Verhält es sich so, wie ich 
mich auf Grrmd des Inhalts der vorliegenden Schrift zu behaupten 
berechtigt glaube, daß nämlich die Lehren der gegenwärtigen 
Philosophie nicht frei von Widersprüchen gegen die Tatsachen 
der inneren Erfahrung sind und an diesen Widersprüchen scheitern 
müssen, so erwächst aus der Einsicht in diesen Sachverhalt die 
unerläßliche Aufgabe einer methodischen Klärung des Tatsachen- 
gebietes der inneren Erfahrung, dessen Kenntnis allein vor Fehlem 
bewahren kann, die, so unscheinbar sie in den Augen des Philo- 
sophen sein mögen, doch die wissenschaftliche ünbrauchbarkeit 
aller von ihnen beeinflußten Resultate zur notwendigen Folge 
haben. Und so erweist sich der negative Nutzen solcher Unter- 
suchungen, indem sie uns ein Mittel bieten, unter den Voraus- 
setzungen der einander widerstreitenden Philosopheme noch eine 
weitere Einschränkung zu treffen, als dies mit lediglich formal- 
logischen Mitteln möglich ist. Ein Mittel, dessen gewissenhafte 
Nutzbarmachung wenigstens so lange unumgänglich gefordert 
werden muß, als es an einem anerkannten positiven Rat zur Bei- 
legung der philosophischen Streitigkeiten noch fehlt. — 

Die kritischen Ausführungen der vorliegenden Schrift haben 
den Zweck, die Durchführbarkeit und Fruchtbarkeit dieser Methode 
an einer Reihe von Beispielen zu zeigen, die für den gegenwärtigen 
Stand der Philosophie von besonderem Interesse sind. Jedesmal 



375] Schluß. 787 

sind wir bei der !Eritik eines Philosophems so vorgegangen, daß 
wir dasselbe zimäclist einer axiomatiseben Untersuchung unter- 
warfen, die darauf abzielte, seine — sei es ausdrücklich oder 
stillschweigend — angenommenen Voraussetzungen zu zergliedern 
und die diesen zu Grrunde liegenden psychologischen Annahmen 
aufzudecken, um sodann diese letzteren durch eine Vergleichung 
mit den Tatsachen der Selbstbeobachtung hinsichtlich ihrer Zu- 
lässigkeit zu prüfen und dadurch eine zwar oft sehr mittelbare, 
aber desto zuverlässigere Entscheidung über den wissenschaftlichen 
Wert der betrachteten philosophischen Lehren zu gewinnen. Und 
so geben wir uns der Hoffnung hin, daß von unseren Ausführungen 
gerade die kritischen und polemischen dazu beitragen werden, dem 
philosophischen Farteiwesen zu steuern und uns dem Ziele einer 
planmäßigen, methodischen Arbeitsweise, wie sie längst in anderen 
Disziplinen üblich ist, auch in unserer Wissenschaft näher zu 
bringen. 



Anhang L 

Über die Definition der Logik 

und eine gewisse Schwierigkeit in der Unterscheidung 

der analytischen und synthetischen Urteile. 

170. Neben den im Texte (§ 6 ff.) widerlegten Bedenken gegen 
die Eantische Unterscheidung der analytisclien nnd synthetischen 
Urteile läßt sich noch ein anderer, tiefer gehender Einwand gegen 
diese Unterscheidung geltend machen. Ich bin in der Abhandlung 
selbst auf die diesem Einwand zu Grunde liegende Schwierigkeit 
nicht eingegangen, teils weil sie in der Litteratur meines Wissens 
keine Rolle spielt, teils auch, weil ihre Auflösung eine gewisse 
Kenntnis der psychologischen Biitik erfordert, wie ich sie in der 
Abhandlung nicht voraussetzen wollte. Es sei daher hier nach- 
träglich jene Schwierigkeit kurz besprochen. 

Kant definiert: Ein Urteil ist analytisch, wenn sein Prädikat 
schon im Sabjektsbegriff enthalten ist. ^ Was heißt hier „ent- 
halten", und was ist das Kriterium für dieses ;,Enthaltensein" ? 
Man konnte sagen: Im Subjektsbegriff „enthalten" sind alle die- 
jenigen und nur diejenigen Merkmale, die zu seiner Definition 
gehören. Allein, wenn man diese Erklärung genau nimmt, so 
müßten alle analytischen Urteile identische oder doch teilweis 



Kritik der reinen Yemonft^ Einleitung, lY. Prolegomena, § 2. 



790 L- Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [378 

identische Urteile sein; gegen den offenbaren Sinn der Eantischen 
Einteilnng.* 

Kant selbst nennt als das „Prinzip aller analytischen Ur- 
teile" den Satz des Widerspruchs.* Aus diesem Satze lassen sich 
jedoch nur negative Urteile ableiten. Auch ist Kant im Irrtum, 
wenn er den Satz des Widerspruchs als den allein zureichenden 
Grundsatz der Logik betrachtet.' Weder der Satz der Identität 
noch der Satz der Bestimmbarkeit oder des ausgeschlossenen 
Dritten noch auch der Satz der doppelten Verneinung lassen sieb 
auf ihn zurückführen. Sollen wir alle diese Sätze als synthetische 
betrachten? Und noch mehr, wie verhält es sich mit dem Satze 
des Widerspruchs selbst, ist er analytisch oder synthetisch? Wenn 
er als Kriterium der fraglichen Disjunktion zu Grunde liegen 
soll, so kann er dieser Disjunktion nicht selbst unterworfen 
werden; die Disjunktion zwischen analytischen und synthetischen 
Urteilen wäre also unvollständig, 

171. Man mochte nun vielleicht, um diesen Übelständen ab- 
zuhelfen, die folgende Definition vorschlagen: Analytische Urteile 
sind diejenigen, die sich auf die Qrundsätze der Logik zurückfuhren 



^ Kants Satz (Prolegomena, §2b): „Weil das Prädikat eines bejahenden 
analytischen Urteils schon vorher im Begriffe des Subjekts gedacht wird, so . . . 
wird sein Gegenteil, in einem analytischen, aber verneinenden Urteile, notwendig 
von dem Subjekte verneint^ ließe sich dann nicht mehr aufrechterhalten. 

' K. d. r. y., Analytik der Grundsätze, zweites Hauptstück, erster Ab- 
schnitt : „Von dem obersten Grundsatze aller analytischen Urteile. ** — Wir müssen, 
heißt es da, „den Satz des Widerspruchs als das allgemeine und völlig hinreichende 
Prinzipium aller analytischen Erkenntnis gelten lassen.** — Analog Prolegomena, 
§2b. 

* K. d. r. y., an der zuletzt genannten Stelle. — In seiner „Logik** fögt 
Kant allerdings dem Satze des Widerspruchs als weitere „Grundsätze** den „Sats 
des zureichenden Grundes** und den „Satz des ausschließenden Dritten' hinzu. 
(Einleitung, yu.) 



379] Anhang I: Über die Definition der Logik u. s. w. 791 

lassen.^ Mit dieser Erklärnng verwickeln wir uns jedoch in einen 
handgreiflichen Zirkel. Denn wir haben für die Logik keine 
andere Definition als die des Systems der analytischen Urteile. 
Wir Latten also die analytischen Urteile durch die Logik und 
diese wieder durch die analytischen Urteile erklärt. 

Allerdings sind auch andere Definitionen der Logik vorge- 
schlagen worden.* Insbesondere hat neuerdings die folgende Bei- 
fall gefunden: Die Logik, sagt man, sei „die Wissenschaft von 
allen Dingen." ' Diese Erklärung ist jedoch entweder geradezu 
falsch oder nichtssagend. Es ist gewiß wahr (und eben keine 
neue- Entdeckung), daß die Gesetze der Logik nicht allein von 
wirklichen, sondern auch von nicht - wirklichen Dingen gelten. 
Gelten sie aber auch, wie die Verteidiger der fraglichen Er- 
klärung behaupten, von den unmöglichen Dingen? Von den 
mathematisch und metaphysisch unmöglichen mag dies zugegeben 
werden; aber auch von den „logisch" unmöglichen, z. B. den 
widerspruchsvoll definierten? Off^enbar nicht. Vielleicht wendet 
man jedoch ein, diese letzteren seien eben darum keine eigent- 
lichen „Dinge". Das Nichtssagende dieser Antwort springt in 
die Augen. Denn wie entscheiden wir denn, ob etwas ein „Ding" 
ist oder nicht? Hier bleibt uns ja kein anderes Kriterium, als 
daß ein „Ding" alles das ist, was den Forderungen der Logik 
genügt. Wir bewegen uns also wieder im Zirkel, denn wir 



* So z. B. Fkege, „Grundgesetze der Arithmetik", S. 4. Ebenso Coütürat, 
„La Philosophie des math^matiques de Kant** in der Bevue de mötaphysiqne et 
de morale, 1904, S. 330. 

» Vgl. z.B. §70 ff. 

* Vgl. Itelson in der Bevue de m^taphysique et de monJe, 1904, S. 1038: 
„La Logiqae est la science de tous les objets räels ou non, possibles on im- 
possibles . . ." 



792 ^' Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [380 

müssen den Begriff der Logik schon voraussetzen und können 
ihn nicht erst auf den des Dinges zurückführen. 

Nun hat man zwar auch vorgeschlagen, auf eine Definition 
der Logik lieber zu verzichten und als „logische^ G-rundsätze die 
als solche in den Lehrbüchern überlieferten Prinzipien aufzu- 
stellen. Aber ein Blick in diese Lehrbücher sollte genügen, um 
die hoffnungslose Vieldeutigkeit und also auch Unbranchbarkeit 
dieses Leitfadens erkennen zu lassen. 

172. Die folgende Überlegung kann dazu dienen, uns auf 
den richtigen Weg zu leiten. Alle sind darüber einig, daß 
die Grundgesetze der Logik die allgemeinsten Wahrheiten über- 
haupt sein sollen, d. h. daß sie Bedingungen bilden, denen jedes 
auf Wahrheit Anspruch erhebende Urteil genügen muß. Aber 
auch darüber besteht Einigkeit, daß diese Bedingungen nicht hin- 
reichende, sondern nur notwendige sind. Die logischen Grrund- 
sätze sind also die negativen Kriterien der Wahrheit für jedes 
Urteil als solches. Ihr Ursprung kann folglich nur in demjenigen 
gesucht werden, was zu den wesentlichen Merkmalen des Urteils 
als solchen, d. h. zum Begriff des Urteils gehört, nicht in den 
Eigentümlichkeiten einer besonderen Urteilsgattung. Der Libegriff 
dessen, was erfordert wird, damit wir etwas dem Begriff des 
Urteils überhaupt unterordnen, d. h. das, was die definierenden 
Merkmale des Urteils ausmacht, ist aber die bloße Form des 
Urteils. Die analytischen Urteile werden also diejenigen sein, die 
aus der bloßen Form des Urteils entspringen. Und die allgemeinsten 
analytischen Urteile werden die Grundsätze der Logik sein.^ 

Zu demselben Ergebnis führt auch die folgende Überlegung. 



^ Durch diese Erklärung werden auch die von Frege, Grundlagen der Arith- 
metik, S. 100 herrorgehohenen Schwierigkeiten beseitigt. 



381] Anhang I: Über die Definition der Logik n. s. w. 793 

Die logischen Gesetze sollen „Denkgesetze" sein; d.h. der Ur- 
sprung der logischen Urteile soll im bloßen Denken liegen. 
Durch bloßes Denken läßt sich aber, wie wir wissen, der Grehalt 
der Erkenntnis nicht erweitern. Soll also trotzdem eine eigen- 
tümliche Yorstellnngsweise aus bloßem Denken möglich sein, so 
&ann der Ursprung derselben nur in demjenigen liegen, was der 
Reflexion unabhängig von allem Gehalt der Erkenntnis eigen- 
tümlich ist. Dies ist aber nichts anderes als die bloße Form des 
Urteils. Der ursprüngliche Grund der logischen Prinzipien kann 
also nur in der Urteilsform enthalten sein. 

173. Zur praktischen Anwendung dieser Erklärung bedarf 
es nun freilich einer genauen Kenntnis der Urteilsformen. Ohne 
mich hier auf eine nähere Begründung der Theorie der Urteils- 
formen einzulassen, will ich noch bemerken, daß die aufgestellte 
Erklärung zugleich den Vorzug hat, unmittelbar den Leitfaden 
für die Deduktion der logischen Grundsätze an die Hand zu geben. 
Die kritische Logik zeigt, daß das Urteil die Erkenntnis der Gegen- 
stände durch Begriffe ist. Zur vollständigen Urteilsform gehören 
daher die folgenden Momente: eine Form der Beziehung des Sub- 
jektsbegriffs auf Gegenstände (Quantität), eine Form des Prädi- 
katsbegriffs (Qualität), eine Form der Verknüpfung von Subjekt 
und Prädikat (Relation) und eine Form der Beziehung des Ge- 
halts des Urteils auf die unmittelbare Erkenntnis (Modalität).* 
Die Deduktion wird daher die Aufgabe haben, den Ursprung der 



^ Das Fehlen des hier angedeuteten Ableitongsprinzips bei Kant erklärt 
den Schein der Willklirlichkeit, den die Eantische Tafel der Urteilformen in den 
Augen der meisten seiner Kritiker bisher behalten hat. — Die beste mir bekannte 
Darstellung der Lehre von den Urteilsformen ist die in Apelts „Metaphysik** 
(§ 25 bis 30) gegebene. (Ich mache darauf aufmerksam, daß es dort S. 111 Zeile 18 
glimitierenden** statt „verneinenden** heißen muß.) 



794 L* Nelson: Über das sogenannte firkenntnisproblem. [382 

logischen Grandsätze aus je einem dieser Momente aufzuweisen. 
Wie dies geschehen kann, mag die folgende Übersicht andeuten. 
Das Moment der Quantität betrifft das Verhältnis des Allgemeinen 
zum Besonderen; der analytische dieses Verhältnis betreffende 
Grundsatz ist das dictum de omni et nullo. Das Moment der 
Qualität betrifft das Verhältnis der Position zur Negation; der 
analytische dieses Verhältnis betreffende Grundsatz ist der Satz 
der Bestimmbarkeit.^ Das Moment der Relation betrifft das Ver- 
hältnis des Subjekts zum Prädikat; der analytische dieses Ver- 
hältnis betreffende Grundsatz ist der Satz der Identität.* Das 
Moment der Modalität betrifft das Verhältnis des Urteils zur 
unmittelbaren Erkenntnis; der analytische dieses Verhältnis be- 
treffende Grundsatz ist der Satz des Grundes.* 

174. Man übersieht leicht, welche Bedeutung diese Sätze 
als die hinreichenden (positiven) Kriterien aller analytischen Ur- 
teile haben: der Satz der Identität als Prinzip der kategori- 
schen analytischen Urteile, das dictum de omni et nullo als 
Prinzip der hypothetischen analytischen Urteile (d. h. der Schlüsse) 
und der Satz der Bestimmbarkeit als Prinzip der disjunktiven 
analytischen Urteile. 

Der Satz des Grundes endlich ist (wie das Moment der Mo- 
dalität überhaupt) nicht von objektiver (philosophischer), sondern 



^ Der Satz des Widerspruchs und der Satz der doppelten Vemeinang sind 
als Folgesätze in dem Satze der Bestimmbarkeit enthalten. 

^ Dieser entspringt also aus dem Grundgedanken, daß was im Begriffe des 
Subjekts gedacht wird, im Prädikat wiederholt werden kann. Der gewöhnlich so 
genannte Satz der Identität ist also nur ein besonderer Fall dieses Satzes, näm- 
lich derjenige, in dem das im Subjektsbegriff Gedachte im Prädikat vollständig 
wiederholt wird. 

* Der methodische Grandgedanke dieser Deduktion findet sich schon bei 
Fbies: System der Philosophie, § 110 ff 



383] Anhang I : Über die Definition der Logik a. 8. w. 795 

nur von psychologischer Bedeutnng. £r könnte im Unterschied 
von den anderen logischen Grandsätzen ein Postulat genannt 
werden.^ 



* Die hier gegebene Auflösung der diskutierten Schwierigkeit bestätigt eine 
von Kehrt (Vierteljahrsschrift für wissenschaftiiche Philosophie, Bd. 11, S. 253f.) 
geäußerte Vermutung. Kerry bemerkt, daß der Satz des Widerspruchs nicht 
das hinreichende Kriterium für alle analytischen Urteile sein kann. £r will viel- 
mehr auch jedes Urteil analytisch genannt wissen, das „in derselben Weise, wie 
es sich Kant auf dem Satze des Widerspruchs beruhend denkt, von dem Gesetze 
der Identität abhinge.** Diesem letzteren wird femer noch der Satz des aus- 
geschlossenen Dritten angereiht, sowie einige weitere Sätze „von der Art wie der 
Satz des Widerspruchs**. Indem Kerry so die „logischen** Grundsätze durch 
einzelne Aufzählung einführt, vermeidet er den oben gekennzeichneten Zirkel, 
aber er erkauft diesen Vorteil durch den Mangel einer Definition der Logik 
und eines Prinzips, das die systematische Vollständigkeit der aufgezählten Grund- 
sätze gewährleisten könnte. Dieser Mangel tritt deutlich zu Tage, wenn Kerry 
(a. a. 0. S. 257) definiert : analytisch seien „alle diejenigen Urteile, welche aus 
den in ihnen zur Verwendung gelangenden Begriffen bloß mit Benützung der an- 
geführten logischen Gesetze sich ergeben**. Wie nahe trotzdem gerade Kerry 
der von uns gegebenen Auflösung kommt, zeigt seine Bemerkung, daß die „ange- 
führten** Sätze „ganz abgesehen von der Beschaffenheit des beurteilbaren Inhalts 
bloß das Beurteilen selbst . . . charakterisieren** und „demnach in psychologischer 
Beziehung sowohl untereinander, als mit dem Satze des Widerspruchs innig 
zusammenhängen**. Er nimmt eine „Verwandtschaft der Grundlagen** aller ana- 
lytischen Urteile an, und es „scheint** ihm „eine starke Präsumption dafür zu 
bestehen, daß mit den richtigen psychologischen auch die wertvollen logischen 
Distinktionen harmonieren werden**. 



Anhang IL 

Über den formalen Idealismus in der Eantischen Ethik 

und Ästhetik. 

175. Unsere Znrückfiihning des formalen Idealismas der 
Kantischen Erkenntnistheorie anf die Disjunktion zwischen Logik 
nnd Empirie als Wahrheitskriterien bewährt sich dadurch, daß 
sie geeignet ist, auch anf die praktische Philosophie Kants ein 
neues Licht zu werfen. Es muß zunächst einem jeden Kenner 
der Kantischen Ethik auffallen, daß sich in ihr dieselbe Zwei- 
deutigkeit des Terminus ;, Objektivität" wiederfindet, die den Ge- 
brauch dieses Wortes in der Kritik der reinen Vernunft charak- 
terisiert. Während nämlich Kant einerseits die für den moralisch 
guten Willen notwendige Bestimmung durch die bloße Form des 
G-esetzes jedem auf ein Oljekt gerichteten Literesse entgegensetzt^ 
gilt sie ihm andererseits als die allein objektive^ weil sie durch 
ihren apodiktischen Charakter allen sinnlichen und insofern sub- 
jektiven Triebfedern entgegengesetzt ist. 

Daß diese Analogie keine bloß zufallige ist, erkennt man 
leicht, wenn man sein Augenmerk auf die Begründungs weise 
richtet, durch die Kant seine Ausschließung aller vom Interesse 
an einem Objekt hergenommenen Triebfedern aus den moralisch 
zulässigen Bestimmungsgründen rechtfertigt. Das hier für ihn 
ausschlaggebende Argument besteht in der Behauptung, daß, wenn 



385] Anhang U: Über den formalen Idealismus in der Eantischen Ethik a. s. w. 797 

das Interesse an einem Objekt znm Grund der Willensbestimmnng 
gemacht würde, der „Bestimmnngsgrnnd der Willkür jederzeit 
empiriscli sein" müßte. Es könne nämlich „von keiner Vorstellung 
irgend eines Gregenstandes , welche sie auch sei, a priori erkannt 
werden, ob sie mit Lust oder Unlust verbunden, oder indifferent 
sein werde." ^ Dieser Argumentation liegt deutlich die Annahme 
zu Grunde, daß ein jedes auf ein Objekt bezogenes Werturteil empi^ 
tisch sein müsse. Fragt man nun, wie Kant zu dieser Annahme 
gelangt, so findet man die Antwort in dem Satze: 

„Die Lust aus der Vorstellung der Existenz einer Sache, 
so fem sie ein Bestimmungsgrund des Begehrens dieser Sache 
sein soll, gründet sich auf der Empfänglichkeit des Subjekts, 
weil sie von dem Dasein eines Gegenstandes abhängt; mithin 
gehört sie dem Sinne und nicht dem Verstände an." ^ 
Dieser Satz ist offenbar nichts anderes als die Übersetzung 
der von uns in § 77 aufgewiesenen Voraussetzungen des formalen 
Idealismus ins Praktische. Wie dort die Möglichkeit der jEr- 
kenntnis, so soll hier die Möglichkeit des Interesses (der „Lust") 
auf einem Kausalverhältnisse zum Gegenstande beruhen, und wie 
dort das theoretische, so soll hier das praktische Urteil ein empi- 
risches sein, wenn der Gegenstand „vor der praktischen Kegel 
vorhergeht." * Der formale Idealismus ist also die Grundvoraus- 
setzung nicht nur für die theoretische, sondern auch für die prak- 
tische Philosophie Kants. Aus der Anwendung der Disjunktion 



^ Kritik der praktischen Venunft, § 2, Lehrsatz I. — Vgl. auch § 4, Lehr- 
satz III : „Die Materie eines praktischen Prinzips ist der Gegenstand des Willens. 
Dieser ist entweder der Bestimmongsgrund des letzteren, oder nicht. Ist er der 
Bestimmungsgrand desselben, so würde die Begel des Willens einer empirischen 
Bedingung . . . unterworfen, folglich kein praktisches Gesetz sein.** 

> Kritik der praktischen Vernunft, § 3, Lehrsatz II. 

» K, d. p. V., § 2, Lehrsatz L 

AkkuidluftA d« riiM*iekMi 8«h«l«. IL Bd. 51 



Anhang IL 

Über den formalen Idealismus in der Kantischen Ethik 

und Ästhetik. 

175. unsere Zurückfuhrnng des formalen Idealismus der 
Kantischen Erkenntnistheorie auf die Disjunktion zwischen Logik 
und Empirie als "Wahrheitskriterien bewährt sich dadurch, daß 
sie geeignet ist, auch auf die praktische Philosophie Kants ein 
neues Licht zu werfen. Es muß zunächst einem jeden Kenner 
der Kantischen Ethik auffallen, daß sich in ihr dieselbe Zwei- 
deutigkeit des Terminus ;, Objektivität" wiederfindet, die den Ge- 
brauch dieses "Wortes in der Kritik der reinen Vernunft charak- 
terisiert. "Während nämlich Kant einerseits die für den moralisch 
guten "Willen notwendige Bestimmung durch die bloße Form des 
Gesetzes jedem auf ein Oljekt gerichteten Literesse entgegensetet^ 
gilt sie ihm andererseits als die allein objektive, weil sie durch 
ihren apodiktischen Charakter allen sinnlichen und insofern s%^- 
jektiven Triebfedern entgegengesetzt ist. 

Daß diese Analogie keine bloß zufallige ist, erkennt man 
leicht, wenn man sein Augenmerk auf die Begründungsweise 
richtet, durch die Kant seine Ausschließung aller vom Interesse 
an einem Objekt hergenommenen Triebfedern aus den moralisch 
zulässigen Bestimmungsgründen rechtfertigt. Das hier für ihn 
ausschlaggebende Argiunent besteht in der Behauptung, daß; wenn 



385] Anhang U : Über den formalen Idealismus in der Eantisclien Ethik o. s. w. 797 

das Interesse an einem Objekt zum Grund der "Willensbestimmung 
gemacht würde, der „Bestimmungsgrund der Willkür jederzeit 
empirisch sein" müßte. Es könne nämlich „von keiner Vorstellung 
irgend eines Gregenstandes , welche sie auch sei, a priori erkannt 
werden, ob sie mit Lust oder Unlust verbunden, oder indifferent 
sein werde." ^ Dieser Argumentation liegt deutlich die Annahme 
zu Grunde, daß ein jedes auf ein Objekt belogenes Werturteil empi- 
risch sein müsse. Fragt man nun, wie Kant zu dieser Annahme 
gelangt, so findet man die Antwort in dem Satze: 

„Die Lust aus der Vorstellung der Existenz einer Sache, 
so fem sie ein Bestimmungsgrund des Begehrens dieser Sache 
sein soll, gründet sich auf der Empfänglichkeit des Subjekts, 
weil sie von dem Dasein eines Gegenstandes abhängt; mithin 
gehört sie dem Sinne und nicht dem Verstände an." * 
Dieser Satz ist offenbar nichts anderes als die Übersetzung 
der von uns in § 77 aufgewiesenen Voraussetzungen des formalen 
Idealismus ins Praktische. Wie dort die Möglichkeit der Er- 
kenntnis^ so soll hier die Möglichkeit des Interesses (der „Lust") 
auf einem Kausalverhältnisse zum Gegenstande beruhen, und wie 
dort das theoretische, so soll hier das praktische Urteil ein empi- 
risches sein, wenn der Gegenstand „vor der praktischen Regel 
vorhergeht." ® Der formale Idealismus ist also die Grundvoraus- 
setzung nicht nur für die theoretische, sondern auch für die prak- 
tische Philosophie Kants. Aus der Anwendung der Disjunktion 



^ Kritik der praktischen Venonft, § 2, Lehrsatz I. — Vgl. auch § 4, Lehr- 
satz III: „Die Materie eines praktischen Prinzips ist der Gegenstand des Willens. 
Dieser ist entweder der Bestimmungsgrand des letzteren, oder nicht. Ist er der 
Bestimmongsgrund desselben, so würde die Regel des WiUens einer empirischen 
Bedingung . . . unterworfen, folglich kein praktisches Gesetz sein.^ 

' Kritik der praktischen Vernunft, § 8, Lehrsatz IL 

» K. d. p. V., § 2, Lehrsatz L 

Abhaadluiffii dar rri«*iek«ii S«h«le. IL Bd. 61 



798 L* Nekon: Über dAs sogenannte Erkenntnisproblem. [386 

zwischen Logik und Empirie als Kriterien der Objektivität auf 
das praktische Gebiet ergiebt sich als unmittelbare Folge die 
Unmöglichkeit einer Beziehung praktischer synthetischer Urteile 
a priori auf Objekte, und in dieser Folgerung ist bereits der 
Grundgedanke der Kantischen Ethik ausgesprochen: ^Alle prak- 
tischen Prinzipien, die ein Objekt (Materie) des Begehrungsver- 
mögens, als Bestimmungsgrund des Willens, voraussetzen, sind ins- 
gesamt empirisch und können keine praktische Gesetze abgeben.^ ^ 
176. Diese Analogie läßt sich noch weiter verfolgen. Wie 
nämlich^ Kant in der Kritik der theoretischen Philosophie den 
Versuch macht, die synthetischen Urteile a priori mit Hülfe des 
logischen Objektivitätskriteriums zu begründen, so unternimmt er 
denselben Versuch in der Kritik der praktischen Philosophie. 
Hier wie dort glaubt er aus dem bloßen Begriffe der Gesetz- 
mäßigkeit seine Prinzipien ableiten zu können. Das Kriterium 
der Moralität einer Maxime soll nämlich nach ihm darin liegen, 
daß sie, als allgemeines Gesetz gedacht, „mit sich selbst zusam- 
men stimmen könne. ^ ' Die Unzulänglichkeit dieses Kriteriums 
ist oft genug hervorgehoben worden. Die Widerspruchslosigkeit 
einer als allgemeines Gesetz gedachten Maxime ist für sich allein 
nur ein notwendiges, nicht aber ein hinreichendes Kriterium; und 
auch wenn man diese Widerspruchslosigkeit nicht auf die logische 
Möglichkeit der zum Gesetz verallgemeinerten Maxime beschrankt, 
sondern, wie Kai^t bei der Beurteilung der sogenannten unvoll- 
kommenen Pflichten^, auf die Übereinstimmung des Willens mit 
sich selbst ausdehnt, so giebt doch auch das so gefaßte Ejriterium 



^ Ebenda. ' Vgl Kapitel XIX. 

' Grundlegung zur Metaphysüc der Sitten, 2. Abschnitt. Reclamsche Axuh 
gäbe, S. 57. Vgl. K. d. p. V., § 4, Anmerkung. 
' Grundlegung, 2. Abschnitt, S. 59. 



387] Anhang II : Über den formalen Idealismus in der Eantischen Ethik a. s. w. 799 

für sich noch keine Entscheidung: denn es fehlt die Entscheidung 
darüber, welcher Maxime im Falle des Widerstreits zweier zum 
Gesetz verallgemeinerter Antriebe — und jeder Fall der An- 
wendung des Prinzips setzt einen solchen "Widerstreit voraus — 
wir zu folgen haben. Die Bedingung der Widerspruchslosigkeit 
(der Einstimmung des Willens mit sich selbst) fordert nur eine 
Entscheidung zwischen den (zum Gesetz verallgemeinerten) strei- 
tenden Maximen, giebt aber kein Kriterium an die Hand, zu Gunsten 
welcher von diesen entschieden werden soll,^ 

177. Tatsächlich ist E^ant selbst bei der leeren Form der 
Gesetzmäßigkeit auch in der Ethik nicht stehen geblieben. Ohne 
sich dessen bewußt zu sein, gleicht er den im Ausgangspunkte 
seiner Ableitung enthaltenen Fehler durch eine eigentümliche In- 
konsequenz im weiteren Fortgange wieder aus, wenn er in der 
„Typik der praktischen Urteilskraft" * die moralische Zulässig- 
keit einer Maxime auf die Bedingung einschränkt, daß wir sie als 
allgemeines Naturgesetz wollen können. Mit dieser Formulierung 
kommt in zweifacher Hinsicht eine Malerie in das Kantische 
Moralprinzip, im Widerspruch gegen die ursprüngliche Fest- 



^ Soll ich z. 6. y wenn ich in der Lage dazu bin , einem ohne Schuld Not» 
leidenden Hülfe leisten? Die Maxime der Verweigerung der Hülfeleistnng , als 
allgemeines Gesetz gedacht, widerstreitet meinem Bedürfnis, im Falle eigener Not 
die Hülfe anderer in Ansprach zu nehmen. Die entgegengesetzte Maxime der 
Hülfeleistung widerstreitet aber bereits an sich (falls sie nicht schon aus sinn- 
lichen Antrieben, etwa um den Anderen zu einer Gegenleistung zu verbinden, 
ausgeführt wird, von welchem Falle hier nicht die Rede ist) meiner sinnlichen 
Neigung, also gewiß auch dann, wenn sie als allgemeines Gesetz gedacht wird. 
Zum allgemeinen Gesetz erhoben schließen sich die beiden Maximen aus; aber 
als allgemeines Gesetz ist die eine so gut möglich wie die andere. Wie sollen 
wir also ohne ein weiteres Kriterium zwischen ihnen entscheiden? 

' E. d. p. y., S. 82 ff. Ebenso schon in den Formulierungen der „Grund- 
legong«' S. 81 ff., 55 ff. 

51* 



800 L* Nelson: Über das sogenannte £rkenntnisprobIem. [388 

Setzung. Erstens nämlich, insofern in dem ^wöllefi Jcönnen^ ein 
Eriteriom eingefäkrt wird, auf Grrond dessen die vorher offen ge- 
lassene Entscheidung möglich wird, und zwar ein Eriteriam, das 
uns zu dieser Entscheidung an unsere empirischen, von morali- 
schen Reflexionen unabhängigen Triebfedern verweist. Und zwei- 
tens insofern, als es jetzt nicht mehr lediglich auf die Möglich- 
keit einer praktischen Gesetzmäßigkeit , d. h. der Allgemeinheit 
einer Forderung, ankommt, sondern auf die Möglichkeit der allge- 
meinen Erfüllung oder Befolgung dieser Forderung. Denn dies 
liegt im Begriffe des Naturgesetjses.^ 

Der Gegensatz dieser Formulierung gegen die ursprüngliche 
Beschränkung des kategorischen Imperativs auf die bloBe Form 
der Apodiktizität fällt in die Augen, wenn man daran denkt, daß 
wohl mancher mit einem allgemeinen praktischen Gesetze zu- 
frieden sein würde, von dem er annehmen kann, daß es doch 
nicht allgemein befolgt werden würde, in das er aber keinesfalls 
einwilligen würde, wenn er mit Sicherheit zu erwarten hätte, daß 
es ausnahmslos Befolgung finden würde. Nun verwahrt sich zwar 
Eant mit Recht dagegen, daß durch diese „Typik" der Bestim- 
tnungsgrund des Willens in ein empirisches Prinzip gesetzt werde.^ 
Aber wenn auch die Reflexion darüber, was ich als allgemeines 
Naturgesetz wollen könne, nicht der Bestimmungsgrund, sondern 
allein das Kennjsfeichen der Moralität einer Maxime ist, so ist doch 
mit dieser Typik eine Bedingung eingeführt, der eine jede Maxime 



^ Wir würden also, am dieses Eriteriam auf den Fall des vorhin ange- 
führten Beispiels anzuwenden, nunmehr vor die Frage gestellt sein, ob wir, wenn 
uns die Wahl überlassen wäre, das Bestehen eines Naturgesetzes, wonach den 
ohne Schuld Notleidenden geholfen wird, oder das Bestehen eines Naturgesetzes, 
wonach den ohne Schuld Notleidenden die Hülfe versagt wird, vorziehen würden. 

» K. d. p. V., S. 8ö f. Vgl auch S. 41. 



389] Anhang II: Über den formalen Idealismus in der Kantischen Ethik u. s. w. 801 

genügen muß, um als moralisch zulässig zu gelten. Eine Be- 
dingung, die nicht allein in der bloßen Widerspmchslosigkeit der 
Maxime als eines allgemeinen praktischen Gresetzes besteht, son- 
dern, wie leicht einzusehen ist, bereits das von Kant als ein 
Äquivalent seiner ursprünglichen Formulierung angenommene Prin- 
zip der Würde der Person als eigene Materie in sich schließt. 

Erkennt man es also mit Kant als eine Bedingung der Mora- 
lität einer Handlung an, daß sie aus Achtung vor dem Gesetz 
geschieht oder daß sich der Wille durch die bloße Form der Ge- 
setzmäßigkeit bestimmen läßt, — welche Bedingung im Grunde 
nichts anderes ist als die Definition des moralisch guten Willens, 
— so ist es doch unmöglich, diese Bedingung selbst schon als 
den Inhalt des Gesetzes zu betrachten, das den Gegenstand der 
Achtung bilden soll. Vielmehr setzt diese Bedingung, wenn sie 
nicht auf eine Zirkeldefinition hinauslaufen soU, zu ihrer Möglich- 
keit bereits einen eigenen Inhalt für das Gesetz voraus, das sie 
zu achten gebietet. — 

178. Man könnte auf Grxmd dieser Analogie erwarten, jene 
zweifache Beurteilungsweise der Objektivität auch in der Kanti- 
schen Ästhetik durchgeführt zu finden. Allein, eine Betrachtung 
der „Kritik der ästhetischen Urteilskraft" lehrt, daß dieser Teil 
der Lehre ausschließlich von dem Gesichtspunkt des formalen 
Idealismus beherrscht bleibt und daß Kant die Paradoxie in der 
Annahme eines trotz der transzendentalen Idealität seines Gegen- 
standes objektiven Geschmacksurteils nicht zu überwinden vermocht 
hat. — Daß aber in der Tat der Kantische „Idealismus der ästhe- 
tischen Zweckmäßigkeit" nur eine unmittelbare Anwendung des 
allgemeinen formalen Idealismus enthält, geht klar daraus hervor, 
daß er bei Kant als ein einfacher Folgesatz des Prinzips des 
„ästhetischen Eationalismus" erscheint: 



802 li* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [390 

„Was aber das Prinzip der Idealität der Zweckmäßigkeit 
im Schönen der Nator . • . geradezu beweiset, ist, daß wir in 
der Beurteilung der Schönheit überhaupt das Richtmaß der- 
selben a priori in uns selbst suchen, . . . welches bei Anneh- 
mung des Realismus der Zweckmäßigkeit der Natur nicht statt 
finden kann; weil wir da von der Natur lernen müßten, was 
wir schön zu finden hätten und das Geschmacksurteil empiri- 
schen Prinzipien unterworfen sein würde." ^ 

„So wie die IdeoHUät der Gegenstände der Sinne als Er- 
scheinungen die einzige Art ist, die Möglichkeit zu erklären, 
daß ihre Formen a priori bestimmt werden können, so ist auch 
der Idealismus der Zweckmäßigkeit, in Beurteilung des Schönen 
der Natur und der Kunst, die einzige Voraussetzung, unter der 
allein die Kritik die Möglichkeit eines Geschmacksurteils, wel- 
ches a priori Gültigkeit für jedermann fordert, (ohne doch die 
Zweckmäßigkeit, die am Objekte vorgestellt wird, auf Begriffe 
zu gründen), erklären kann."* 
Daß Kant diesem formalen Idealismus in der Ästhetik nicht 
ebenso wie in der theoretischen Philosophie einen „empirischen 
Realismus" an die Seite gesetzt hat, daß er vielmehr die Apodik- 
tizität des Geschmacksurteils auf die Bedeutung einer bloß sub- 
jektiven Allgemeingültigkeit einschränkt und so als Ästhetiker in 
einem ;, empirischen Idealismus '^ befangen bleibt, dies hat seinen 
Grund darin, daß er das von ihm zunächst nur an der Hand 
theoretischer Beispiele gewonnene immanente Objektivitätskrite- 
rium, statt in die synthetischen Urteile a priori als solche, nur 
in diejenigen von ihnen gesetzt hatte, die von theoretischem Ge- 



1 Kritik der ästhetischen Urteüskraft, § 58. 
> Ebenda. 



391] Anhang 11 : Über den formalen Idealismus in der Eantischen Ethik a. 8. w. 803 

brauche sind, d. h. die „in bestimmte Begriffe gefaßt werden 
können^. Auf Grund dieses Kriteriums mußte für Kant die An- 
nahme der Objektivität des Gescbmacksurteils gleichbedeutend mit 
der Annahme erscheinen, das Geschmacksurteil lasse sich theore- 
tisch begründen.^ Da nun für Kant die Falschheit dieser An- 
nahme feststand, so sah er sich gezwungen, die Unmöglichkeit 
eines ^^objektiven Prinzips des Geschmacks^ zu behaupten. 

Es ist bekanntlieh das Verdienst Schillers, zuerst diesen 
Mangel der Kantischen Ästhetik erkannt und zu ergänzen ge- 
sucht zu haben.^ 



> VgL K. d. ü., § 34 f. 

' Vgl. aber diesen Gegenstand meinen Vortrag: „Über wissenschaftliche 



und ästhetische Naturbetrachtong". (Göttingen, 1908.) 



Anhang m. 

Über einige Mangel der kritischen Methodenlehre bei Fries. 

179. Auf die in § 156 angeführten umd ähnliche Stellen muß 
man sein Augenmerk richten, wenn man Fries' Verhältnis zum 
Psychologismus an der Hand seiner ausdriicklichen Erklärungen 
prüfen will.^ Solche Stellen sind freilich nicht zahlreich, und sie 
treten sehr zurück gegenüber den vielfachen und höchst ausfüh^ 
liehen Auseinandersetzungen mit dem Transzendentalismus. Es 
liegt im Charakter der Zeitgeschichte begründet, daß die Beur- 
teilung des letzteren die für Fries weitaus näherliegende und 
wichtigere Aufgabe sein mußte. Kaxts Hinneigung zum transzen- 
dentalen Vorurteil hatte bei den Nachfolgern die Entwickelung 
im Sinne desselben begünstigt und den Psychologismus vorderhand 
zurückgedrängt. Zu der Zeit von Fries' Auftreten herrschte der 
Transzendentalismus so sehr vor, daß zu einem polemischen Ein- 
gehen auf das psychologistische Vorurteil kein Anlaß bestand. 
Diese Tatsache muß man wohl beachten, um sich durch Fries' ein- 
seitige Gegnerschaft gegen das transzendentale Vorurteil und den 
mit diesem notwendig verbundenen Rationalismus nicht zu einer 
falschen Beurteilung hinsichtlich seiner Stellung zum Psychologis- 
mus verleiten zu lassen. In der Tat dürfte diese in Fries' kriti- 



* Eine ausführliche Prüfung solcher Art findet man in meiner Abhandlung 
„Jakob ("biedrich Fries und seine jüngsten Kritiker^, Kapitel I und IL 



393] Anhang III: Übor einige M&ngd der kritischen Methodenlehre u. 8. w. 805 

sehen Schriften zunächst ins Auge fallende and bis znletzt fast 
aasschließlich beibehaltene einseitige Polemik den Irrtum derer 
erklären^, die daneben die wesentlichen Unterschiede übersehen 
haben, die die Friessche Lehre von aUem Fsychologismns and 
Empirismus scheiden. 

180. Diese falsche Beorteilnng ist solange unvermeidlich, als 
man Eriks' Polemik gegen den Transzendentalismus einzig aus 
dem Gesichtspunkte des erkenntnistheoretischen Vorurteils be- 
trachtet. Denn dieses Vorurteil ist , wie wir (§ 55 f.) erkannt 
haben, mit der Annahme der AusschlieBlichkeit der Alternative 
zwischen Transzendentalismus und Psychologismus untrennbar 
verknüpft. Zu den Umständen, die den mangelnden historischen 
Erfolg der Friesschen Polemik veranlaßt haben, gehört daher 
vielleicht auch dieser, daß Pries selbst die Kritik des erkenntnis- 
theoretischen Vorurteils nicht nachdrücklich genug in den Vorder- 
grund gestellt hat, um dem aus diesem Vorurteil entspringenden 
grundsätzlichen Gegenargument von vornherein den Boden zu ent- 
ziehen. Sein Streit gegen den Transzendentalismus mußte so dem 
erkenntnistheoretisch eingestellten Blick als der Versuch einer 
Wiederholung des genugsam widerlegten Empirismus erscheinen.' 



* Ich sage „erklären," und nicht „entschuldigen^. 

^ Daher denn auch heute noch in den Lehrbüchern der Geschichte der Phi- 
losophie Fries, falls sein Name überhaupt Torkommt, unter dem Titel „Psycho- 
logismus" abgefertigt zu werden pflegt. Eine Auffassung, die dann freilich nicht 
ohne Grund zu geringschätzigen Urteilen über die Inkonsequenz Anlaß giebt, 
durch die der „Eklektiker" Fries weit hinter den „großen Systematiken!" zurück- 
bleibt und die seine Lehre als ein höchst unphilosophisches Mixtum compositum 
aus Kantschen, Jacobischen und ich weiß nicht welchen anderen Reminiszenzen 
erscheinen läßt. (Das Versagen der herkömmlichen geschichtlichen Klassifikationen 
gegenüber einer Lehre wie der Friesschen hat zu der Erfindung des Verlegen- 
heitsausdrucks „Halbkantianer" Anlaß gegeben, unter dem man, nach der neuesten 
authentischen Definition, „eine Reihe anbedeutenderer Denker" zusammenfaßt, 



j 



Anhang m. 

Über einige Mängel der kritischen Methodenlehre bei Fries. 

179. Auf die in § 156 angeführten umd ähnliclie Stellen muß 
man sein Augenmerk richten, wenn man Fries' Verhältnis zum 
Psychologismus an der Hand seiner ausdrücklichen Erklärungen 
prüfen will.^ Solche Stellen sind freilich nicht zahlreich, und sie 
treten sehr zurück gegenüber den vielfachen und höchst ausführ- 
lichen Auseinandersetzungen mit dem Transzendentalismus. Es 
liegt im Charakter der Zeitgeschichte begründet, daß die Beur- 
teilung des letzteren die für Fries weitaus näherliegende und 
wichtigere Aufgabe sein mußte. Kants Hinneigung zum transzen- 
dentalen Vorurteil hatte bei den Nachfolgern die Entwickelung 
im Sinne desselben begünstigt und den Psychologismus vorderhand 
zurückgedrängt. Zu der Zeit von Fries* Auftreten herrschte der 
Transzendentalismus so sehr vor, daß zu einem polemischen Ein- 
gehen auf das psychologistische Vorurteil kein Anlaß bestand. 
Diese Tatsache muß man wohl beachten, um sich durch Fries' ein- 
seitige Gegnerschaft gegen das transzendentale Vorurteil und den 
mit diesem notwendig verbundenen Rationalismus nicht zu einer 
falschen Beurteilung hinsichtlich seiner Stellung zum Psychologis- 
mus verleiten zu lassen. In der Tat dürfte diese in Fries' kriti- 



^ Eine ausführliche Prüfung solcher Art findet man in meiner Abhandlung 
„Jakob FRiEDRicn Fries und seine jüngsten Kritiker^, Kapitel I und II. 



393] Anhang III: Über einigo Mängel der kritischen Methodenlehre u. s. w. 805 

sehen Schriften zunächst ins Auge fallende and bis znletzt fast 
aasschlieBIich beibehaltene einseitige Polemik den Irrtum derer 
erklären*, die daneben die wesentlichen Unterschiede übersehen 
haben, die die Friessche Lehre von allem Psychologismus und 
Empirismus scheiden. 

180. Diese falsche Beurteilung ist solange unvermeidlich, als 
man Friks' Polemik gegen den Transzendentalismus einzig aus 
dem Gesichtspunkte des erkenntnistheoretischen Vorurteils be- 
trachtet. Denn dieses Vorurteil ist , wie wir (§ 55 f.) erkannt 
haben, mit der Annahme der Ausschließlichkeit der Alternative 
zwischen Transzendentalismus und Psychologismus untrennbar 
verknüpft. Zu den Umständen, die den mangelnden historischen 
Erfolg der Friesschen Polemik veranlaßt haben, gehört daher 
vielleicht auch dieser, daß Fries selbst die Kritik des erkenntnis- 
theoretischen Vorurteils nicht nachdrücklich genug in den Vorder- 
grund gestellt hat, um dem aus diesem Vorurteil entspringenden 
grundsätzlichen Gegenargoment von vornherein den Boden zu ent- 
ziehen. Sein Streit gegen den Transzendentalismus mußte so dem 
erkenntnistheoretisch eingestellten Blick als der Versuch einer 
Wiederholung des genugsam widerlegten Empirismus erscheinen.' 



* Ich sage „erklären," und nicht „entschuldigen". 

^ Daher denn auch heute noch in den Lehrbüchern der Geschichte der Phi- 
losophie Fries, falls sein Name überhaupt Torkommt, unter dem Titel „Psycho- 
logismus" abgefertigt zu werden pflegt. Eine Auffassung, die dann freilich nicht 
ohne Grund zu geringschätzigen Urteilen über die Inkonsequefiz Anlaß giebt, 
durch die der „Eklektiker" Fries weit hinter den „großen Systematikem" zurück- 
bleibt und die seine Lehre als ein höchst unphilosophisches Mixtum compositum 
aus Kantschen, Jacobischen und ich weiß nicht welchen anderen Reminiszenzen 
erscheinen läßt. (Das Versagen der herkömmlichen geschichtlichen Klassifikationen 
gegenüber einer Lehre wie der Friesschen hat zu der Erfindung des Verlegen- 
heitsausdrucks „Halbkantianer" Anlaß gegeben, unter dem man, nach der neuesten 
authentischen Definition, ,eine Reihe unbedeutenderer Denker" zusammenfaßt, 



g06 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntaiisproblem. [394 

Der Grand dieses Mangels liegt darin, daß Fries, wie es 
scheint, niemals den engen Zasammenhang bemerkt hat, in dem 
die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie mit der Notwendigkeit 
der Trennung von Kritik und System steht. So begnügte er sich 
seinen Gegnern gegenüber mit dem Vorwurfe der Verwechslung 
von Deduktion und Beweis, statt diesen Fehler auf seinen tieferen 
Grund, die Verwechslung von Grund und Begründung zurück- 
zuführen und so an der eigentlichen "Wurzel zu bekämpfen. So 
genau er selbst in der Anwendung diese Begriffe unterscheidet, 
so hat er doch ihren unterschied niemals ausdrücklich angegeben. 
Er hat dadurch dem Fehler, um dessen Widerlegung ihm zu tun 
war, eine Art Hintertür offen gelassen, durch die dieser sich, 
wenn er auf der einen Seite ausgetrieben war, von der anderen 
her immer wieder einschleichen konnte. 

Es ist, wie unsere axiomatischen Untersuchungen^ zeigen, 
durchaus notwendig, um hier etwas Sicheres auszumachen, zunächst 
auf die allgemeine Frage der Möglichkeit der Erkenntnistheorie 
zurückzugehen. Nur von der Entscheidung dieser Frage aus 
kann es dann möglich werden, diesem ganzen Streite ein Ende zu 
machen. 

181. Es kommt hinzu, daß Fries selbst in seiner Darstellungs- 
und Ausdrucksweise nicht immer diejenige Vorsicht beobachtet 
hat, zu der er wohl durch eine stärkere psychologistische und 
empiristische Gegnerschaft gezwungen worden wäre und durch 
die er sich vor aller Mißdeutung leichter hätte schützen können. 
Ich glaube mich nicht dem Vorwurf einer kleinlichen Tadelsucht 



„die zwar auch vom Kritizismns mehr oder weniger ausgehen, dann aber nach 
▼erschiedenen Seiten hin abschwenken und eine geeignete Oberleitong tat Dar« 
Stellung FiCHTEs büden^.) 
1 Vgl besonders § 168. 



395] Anhang III : Über einige Mängel der kritischen Methodenlehre u. s. w. 807 

auszusetzen, wenn ich auf diese Tatsache etwas näher eingehe. 
Kann es doch nur durch eine sorgfältige Hervorhebung und Aus- 
scheidung solcher Mängel verhütet werden, daß einmal auf Grund 
einer Einsicht in dieselben auch die scheinbar eng mit ihnen ver- 
knüpften, in Wahrheit aber von ihnen völlig unabhängigen Resul- 
tate der Lehre preisgegeben werden.^ 

Es finden sich nämlich in Fries* Schriften wirklich Äußerungen, 
die eine psychologistische Deutung nicht nur zulassen, sondern 
sogar zu fordern scheinen.^ Auf eine solche Ausdrucksweise habe 
ich bereits an anderer Stelle aufmerksam gemacht.^ Es ist die 
regelmäßig wiederkehrende Bezeichnung der Beflexion als einer 
Art der Selbstbeobachtung oder der inneren Erfahrung^ 

Diese Ausdrucksweise bedarf einer näheren Erläuterung. Sie 
hängt aufs engste zusammen mit Fries' Entdeckung des Verhält- 
nisses der Reflexion zur Vernunft. Einer mehrfach vorkonunenden 
irrtümlichen Auffassung gegenüber muß zunächst gesagt werden, 
daß Fries zu der genannten Bezeichnungsweise nicht gelangt, in- 
dem er von einer Untersuchung des Wesens der Selbstbeobachtung 
ausgeht und etwa dazu kommt, die Erkenntnisart dieser letzteren 
als eine nicht der Anschauung, sondern der Reflexion angehörige 



^ Ich gestehe, daß mir selbst die hier bezeichneten Mängel lange Zeit das 
Studium der anthropologischen Kritik sehr erschwert haben. Wenn ich daher 
diese Schwierigkeiten hier einer eigenen Prüfung unterziehe und die Art mitteile, 
wie ich mich mit ihnen abgefunden habe, so hoffe ich dadurch zugleich zukünf- 
tigen Lesern der Friesschen Schriften die Arbeit zu erleichtem. 

' Es ist merkwürdig, daß noch niemand von denen, die den Vorwurf des 
Psychologismus gegen Fries fortgesetzt aufrechterhalten, auf den Gedanken ge- 
kommen ist, von diesen überaus auffallenden Stellen Gebrauch zu machen und 
also die einzige Tatsache zu benutzen, die diesem Vorwurf wenigstens einen Schein 
des Rechtes geben konnte. 

' „Inhalt und Gegenstand, Grund und Begründung", § 1. (Abhandlungen der 
Fries'schen Schule, Bd. II, S. 86ff.) 



808 L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [396 

zu erklären; vielmehr nimmt Fries aasdrücklich eine der Reflexion 
nicht bedürftige Selbstbeobachtong, nämlich die Anschannng des 
inneren Sinnes, an^ und gelangt zu der fraglichen Behauptung 
gerade auf dem umgekehrten Wege, indem er das Wesen der Re- 
flexion zum Gegenstande seiner Untersuchung macht.^ Er findet, 
daß alles Reflektieren keine Erkenntnis erzeugt, sondern nur eine 
anderweit gegebene verdeutlicht, daß also die Reflexion, soweit 
sie nicht bloß die schon unmittelbar bewußte , d. h. anschauliche 
Erkenntnis in die Form von Urteilen bringt, nur ein Mittel ist, 
die fiir sich dunkle Erkenntnis der reinen Vernunft zum Bewußt- 
sein zu erheben. Der Gehalt, der über die Anschauung hinaus im 
Urteil sich findet, wird also durch das Urteil nicht sowohl er- 
zeugt als vielmehr nur zum Bewußtsein gebracht. Jedes Urteü 
toiederhöU nur eine, sei es unmittelbar bewußte, sei es ursprünglich 
dunkle Erkenntnis. Besäßen wir also keine andere unmittelbare 
Erkenntnis als die Anschauung, so bedürften wir keiner Re- 
flexion, denn diese würde nur die Wiederholung einer uns schon 
für sich selbst klaren Erkenntnis liefern.^ Es giebt aber eine 



» Vgl Neue Kritik § 22 (Bd. I, 2. Aufl., S. 112 f.): „Uns gehört zum innem 
Sinne ... die innere Selbstanschauung des Geistes in seinen veränderlichen Tätig- 
keiten." „Aufierdem wird der innere Sinn leicht mit der Keflexion' überhaupt, 
und besonders mit dem Gefühl verwechselt. Von beiden sprechen wir aber hier 
noch nicht. Die Reflexion ist eine willkürliche V orstellungsart , ... die eigent- 
lichen innem Sinnesanschauungen müssen unwillkürliche, sie müssen solche Vor- 
stellungen sein^ zu denen wir genötigt werden, welche also auf Empfindung be- 
ruhen. Mit der Reflexion liaben wir es also hier nicht zu tun." — Fries wendet 
sich also ausdrücklich gegen die ihm untergeschobene/Identifizierung der Selbst- 
beobachtung mit einer Art der Reflexion. 

* Nicht also ist, wie behauptet wird, für Fries „die Selbstbeobachtung 
selbst ein Werk der Reflexion", sondern es ist ihm umgekehrt die Reflexion eine 
Art der Selbstbeobachtung. 

? Vgl. Neue Kritik § 70 (Bd. I, S. 341) und § 87 (Bd. II, S. 8 f.) 



397] Anhang III : Über einige Mängel der kritischen Methodenlehre n. s. w. 809 

nicht-anscliauliche , für sich dunkle unmittelbare Erkenntnis, und 
um diese aufzuklären, bedarf es der Reflexion. In diesem Sinne 
nennt Fries die Reflexion das Vermögen der „künstlichen Selbst- 
beobachtung" S nämlich der Beobachtung — d. h. Bewußtmachung 
— derjenigen in uns liegenden Erkenntnis, die für sich dunkel ist 
und nicht unmittelbar wahrgenommen werden kann, sondern zu 
ihrer Aufhellung der Vermittelung des begrifflichen Denkens bedarf. 
Hält man sich streng an diesen ebenso klaren wie unanfecht- 
baren Sinn der Friesschen Bezeichnungsweise, so wird man sich 
leicht vor allen Mißdeutungen schützen können. Die Reflexions- 
erkenntnis ist keineswegs als solche eine psychologische oder 
überhaupt empirische, wie es die Friessche Bezeichnung bei Nicht- 
beachtung der eben gegebenen Erklärung nahe legen muß. 

182. Um dies noch genauer zu zeigen, will ich versuchen, 
das Zweideutige der Friesschen Bezeichnung an einigen Beispielen 
deutlich zu machen. An einer Stelle seiner Neuen Kritik der 
Vernunft* erklärt Fries, daß die philosophischen Erkenntnisse 
„nicht in der Reflexion, im Urteilen selbst bestehen, sondern 
diesem in der Vernunft als der Gegenstand zu Grunde liegen, 
der nur durch das Urteil beobachtet werden soll." 
Diese Darstellung erscheint mir mißverständlich und irreführend. 
Die in der Vernunft zu Grunde liegende philosophische Erkennt- 
nis ist als solche eine Erkenntnis a priori] ihr Gegenstand, d.h. 
das, was darch sie erkannt wird, sind die allgemeinen Gesetze 
der objektiven synthetischen Einheit im Dasein der Dinge über- 
haupt. Das Urteil kann folglich, sofern es diese philosophische 
Erkenntnis wiederholt, nicht eine empirische Erkenntnis sein, und 
sein Gegenstand kann kein anderer sein als der der unmittelbaren 



' Neue Kritik § 54 f. > § 54. (Bd. I, S. 256.) 



810 L- Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [398 

philosophischen Erkenntnis selbst, die ja ihrem Gehalte nach mit 
dem im Urteil Ausgesagten identisch ist. Der „Gregenstand", der 
durch das Urteil erkannt wird, besteht also in gewissen allge- 
meinen Gesetzen, keineswegs aber in der unmittelbaren philoso- 
phischen Erkenntnis dieser Gesetze. Diese Erkenntnis ist nicht 
der Gegenstand, sondern der Inhalt des Urteils. 

Man vergleiche hierzu auch Stellen wie die folgenden: 

„In der Wissenschaft ist diese unmittelbare Erkenntnis nur 
der Gegenstand, welchen wir erst künstlich in uns beobachten, 
und uns mittelbar wieder aussprechen.^ ^ 

„Das Urteil ist eine bloße Formel des Wiederbewußtseins 
unsrer Erkenntnisse, wodurch wir aber von den einzelnen Be- 
stimmungen des Assertorischen der innern Wahrnehmung zum 
Apodiktischen der vollständigen Selbstbeobachtung gelangen." * 
Hier wird also eine „apodiktische Selbstbeobachtung" ange- 
nommen, und da ist denn klar, daß, wenn wir es nicht mit einer 
contradictio in adiecto zu tun haben sollen, der Ausdruck „Selbst- 
beobachtung" in diesem Zusammenhange nur in einer sehr über- 
tragenen Bedeutung zu verstehen ist. 

Hierzu kommt noch Folgendes. Der Hauptsatz der Fries- 

schen Theorie der Reflexion ist: Die Reflexion ist für sich leer 

und dient nur zur Wiederholung anderweit gegebener Erkenntnisse. 

„Das Reflexionsvermögen kann für sich allein nichts zur 

Erkenntnis geben, aller Gehalt wird ihm nur durch ein anderes, 

nämlich durch die unmittelbare Erkenntnis der Vernunft.^* 

Dieser Satz ließe sich nicht aufrechterhalten, wenn wir wirk* 

lieh die Reflexion als eine Art der Selbstbeobachtung betrachten 

wollten. Denn in dieser Selbstbeobachtung erhielten wir ja einen 



§ 63. (Bd. I, S. 310.) 2 § 62. (Bd. I, S. 296.) « § 54. (Bd. I, S. 254.) 



399] Anhang DI : Über einige Mängel der kritischen Methodenlehre n. s. w. 811 

eigenen Gehalt zu der schon anderweit gegebenen unmittelbaren 
Erkenntnis hinzu; sie wäre selbst eine weitere unmittelbare Er- 
kenntnis, nämlich eine solche, durch die unsere sonst schon vor- 
handene Erkenntnis erkannt würde. Dieser Widerspruch kommt 
den Worten nach bei Fries selbst zum Ausdruck, wenn er an einer 
Stelle^ schreibt: 

„Das Denken ist also allerdings eine willkürliche Ausbil- 
dung unsers geistigen Lebens, • . . aber dem Vermögen nach 
wird dadurch nur das Vermögen der Selbsterkenntnis selbst 
fortgebildet, während alle andere Vermögen nur Gegenstände 
dieser Beobachtung bleiben.** 
Hier erscheint die Reflexion wirklich als ein eigenes Erkennt- 
nisvermögen, als die Quelle einer unmittelbaren Erkenntnis. Wie 
vereinigt es sich damit, wenn Fries* erklärt: „In alle diesen 
Dingen kann man durchaus zu keinem scharfen Endurteil kommen, 
wenn man nicht zuvor versteht, das bloß Instrumentale unsrer 
Reflexion von der unmittelbaren Erkenntnis zu trennen." 

(Mit alledem ist natürlich in keiner Weise die Möglichkeit 
einer Selbsterkenntnis durch Reflexion bestritten. Vielmehr giebt 
es eine innere Erfahrung im Unterschiede von bloßer innerer 
Wahrnehmung gerade so, wie es eine äußere Erfahrung giebt. 
Aber diese innere Erfahrung ist, eben wie die äußere auch, ein 
„Produkt des Verstandes aus Materialien der Sinnlichkeit" ', d. h. 
sie muß ihre Materie der Beobachtung des inneren Sinnes ent- 
lehnen und enthält eine Verknüpfung dieser Materie nach meta- 
physischen Gesetzen. Mit der bloßen Reflexion als solcher haben 
wir es daher hier gar nicht zu tun.) 



' § 65. (Bd. I, S. 274.) « § 64. (Bd. I, S. 314.) 

Kant, Prolegomcna § 34. 



3 



812 L- Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [400 

183. In der Tat scheint sich Fries selbst der Zweideutigkeit 
seiner Ausdrucksweise nicht hinreichend deutlich bewußt gewesen 
zu sein und durch dieselbe veranlaßt worden zu sein, einen über 
die formale Bedeutung seiner Bezeichnung hinausgehenden Gre- 
brauch von ihr zu machen. Er fügt nämlich dem oben (§ 164) 
wiedergegebenen Beweise der psychologischen Natur der Kritik, 
um das Resultat „noch einleuchtender zu machen^, einen anderen 
Beweis hinzu, der, wie er sich ausdrückt, „dasselbe nur allge- 
meiner sagt."^ „Alles Philosophieren," sagt er, „ist empirisches 
Denken, ja die Philosophie selbst ist Produkt desselben.* Und er 
begründet diesen Satz folgendermaßen: 

„Alle wissenschaftliche Darstellung besteht in Schlußketten 
und Unterordnungen von Begriffen. Begriffe und Schlüsse ge- 
hören aber zur mittelbaren logischen Vorstellungsart durch 
Merkmale oder Teilvorstellungen. Dieses Erkennen durch Merk- 
male setzt Reflexion und diese setzt innere Wahrnehmung der 
Vorstellungen voraus. Also beruht alle wissenschaftliche Er- 
kenntnis auf der innem Wahrnehmung der Vorstellungen, 
welche im empirischen Denken enthalten ist. Auch das Philo- 
sophieren ist also eigentlich nichts als ein inneres Wahrnehmen, 
ein Beobachten der im Gremüt verhandenen Erkenntnisse a priori, 
welche (die Prinzipien der analytischen Erkenntnisart ausge- 
nommen) selbst für sich ganz zur unmittelbaren, und nicht un- 
mittelbar der logischen, Erkenntnisart gehören.* 
Hier liegt das entscheidende Argument in den Worten: ^^Re« 
flexion setzt innere Wahrnehmung der Vorstellungen voraus." 



^ Über das Verhältnis der empirischen Psychologie zur Metaphysik, a. a. 0. 
S. 178. 

> Ebenda, S. 178 f. 



401] Anhang III: Über einige Mängel der kritischen Methodenlehre n. s. w. 813 

Der Zusammenhang macht es deutlich, daß Fries diese Behauptong 
auf die Tatsache der nur wiederholenden Natur der Reflexions- 
erkenntnis gründet und also in dem von uns dargelegten Sinne 
verstanden wissen will. Aber so verstanden schließt sie keines- 
wegs den psychologischen Charakter aller ßeflexionserkenntnis 
ein und läßt sich daher auch nicht für den von Fries versuchten 
Beweis in Anspruch nehmen. 

184. Das Bedenkliche dieser Beweisart läßt sich schon daraus 
erkennen, daß mit ihr zu viel bewiesen wäre. Es wäre nämlich 
nicht nur das „Philosophieren", sondern, nach Fries' eigenen 
Worten, „aKe wmenscJuifiliche JErJcennfnis^ überhaupt in psychologi- 
sche Erkenntnis verwandelt. Das Mißliche des Beweises liegt also 
gerade darin, daß er, wie Fries bemerkt, „dasselbe nur allgemeiner 
sagt". Denn diese Verallgemeinerung schließt den Psychologis- 
mus ein. 

Worauf es in diesem Zusammenhang besonders ankommt, ist, 
daß die scharfe Unterscheidung von Ejritik und System der Phi- 
losophie, von Inhalt und Gegenstand der Ejitik, durch die Kon- 
sequenzen dieser Beweisart wieder hinfällig gemacht würde. Das 
System der Philosophie besteht in Urteilen, diese sind ein Pro- 
dukt der Reflexion und müßten als solches auf innerer Wahr- 
nehmung beruhen. Nicht nur die Kritik, sondern die Metaphysik 
selbst gehorte hiemach in die Psychologie und würde zu einer 
empirischen Wissenschaft, in geradem Widerspruch zu den voran- 
gehenden Beweisen. — Der dem Beweise zu Grunde liegende irre- 
führende Gedanke ist dieser : Wir werden uns unserer Erkenntnis 
erst bewußt durch innere Wahrnehmung; folglich müssen wir, um 
zur Philosophie zu gelangen, unsere philosophische Erkenntnis 
zum Gegenstande innerer Wahrnehmung machen, d. h. wir müssen 
psychologisch verfahren. Aber in dem übertragenen Sinne, in 

Abhukdlniif 0B d«r Frtei^fehm Sekole. U. Bd, 62 



814 L* Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [402 

dem hier im Vordersatz das Wort „innere Wahrnehmung*' ge- 
braacht wird, würde ja schon das rein dogmatische Verfahren der 
Forderung einer psychologischen Methode genug tun: jedes philo- 
sophische Urteil beruhte ja als solcJies auf innerer Wahrnehmung, 
es genügte also, das System der philosophischen Urteile geradezu, 
ohne alle kritische Vorbereitung aufzustellen, um eine auf innerer 
Wahrnehmung beruhende Darstellung der Philosophie zu erhalten. 

Dieser zweite von Fries gebrauchte Beweis ' würde also nicht 
nur zu einem schrankenlosen Fsychologismus führen, sondern 
durch seine Konsequenz sogar die Forderung der kritischen Me- 
thode überhaupt illusorisch machen.^ Der andere (§ 15 i ange- 
führte) Beweis hingegen ist von diesem Fehler frei, er enthält 
allein die richtige Begründung der psychologisch -kritischen Me- 
thode. Er zeigt uns, daB diejenige Art von „Selbstbeobachtung'', 
die im bloßen Beflektieren enthalten ist, (faUs man hier überhaupt 
von einer solchen sprechen will,) für sich gerade nicld hinreicht, 
um zu einem begründeten System der Philosophie zu gelangen, 
daß diese Aufgabe es vielmehr erforderlich macht, die immittel- 
bare philosophische Erkenntnis im strengsten Sinne des Wortes 
zum Gegenstand einer anderen Erkenntnis zu machen. 

185. Durch die Verbesserung dieses Fehlers wird auch eine 
strengere begriffliche Trennung des regressiven Verfahrens der 
Abstraktion von der kritischen Deduktion notwendig als bei Fries 
anzutreffen ist.' Infolge des dargestellten Fehlers erscheint bei 
Fbies mehr oder weniger deutlich auch die Aufgabe der regres- 



^ Er wird anch sp&ter noch wiederholt. Yg]. „Reinhold, Fichte und Schel- 
ling"" S. 261; System der Metaphysik S. 105. 

' Es braucht wohl kaum noch ausdrücklich hervorgehoben zu werden, daß 
Fries niemals Konsequenzen dieser Art aus seiner Beweisführung gezogen hat 

» Vgl. § 163. 



403] Anhang III : Über einige Mängel der kritischen Methodenlehre n. s. w. 815 

siven Zergliederung als eine psychologische, wodurch die Grrenzen 
beider Verfahrungsarten sich verwischen. Man vergleiche in der 
Abhandlung: „Über das Verhältnis der empirischen Psychologie 
zur Metaphysik" den Satz: „AUe regressive Untersuchung ist 
also kritisch^, wo die „kritische" Untersuchung als eine solche 
definiert ist, deren Gegenstand Erkenntnisse sind, „wiefern sie 
subjektiv dem Gemüt gehören^. Und: 

„Diese vorläufige kritische Untersuchung ... ich nenne sie 

die Propädeutik einer Wissenschaft ... ist nun jederzeit eine 

empirische Wissenschaft." ^ 
Dieses Argument beweist wiederum zu viel, denn es würde 
auch die Induktion in ein psychologisches Verfahren verwandeln. 
Das regressive Verfahren der Abstraktion ist vielmehr seiner 
Aufgabe nach ein rein logisches. Sein Gegenstand sind nicht „Zu" 
stände des Gemüts^, sondern dieselben allgemeinen und notwen' 
digen Gesetze, von denen auch das System handelt; nur daß die 
regressive Untersuchung diese Gesetze nicht wie das System nach 
progressiver Methode ableitet, sondern „zergliedernd fortschreitet, 
von jedem Schluß zu seinem Prosyllogismus; sie sucht für das 
gegebene Besondere ein Allgemeines, und folglich für gegebene 
mannigfaltige Erkenntnisse Prinzipien, von denen die Wissen- 
schaft erst ausgehen kann."* — Man wird Fries' „Mathematische 
Naturphilosophie" oder Hilbebts „Grundlagen der Geometrie** 
nicht eine psychologische Untersuchung nennen können.' 



* A. a. 0. S. 160 ff. — So heißt es noch im „System der Metaphysik^ § 22 
(S. 104 f.): „Mit unsrer Nachweisong, daß beim Philosophieren nur die zerglie- 
dernde Methode förderlich sein könne, ist also zugleich entschieden, daß hier 
alles von dem Glück einer solchen anthropologischen Untersuchung der philo- 
sophischen Erkenntnis abhänge. ** 

' „Über das Verhältnis der empirischen Psychologie zur Metaphysik/ a. a. 0. 
S. 162 f. 

* Hiermit hängt es auch zusammen, daß Fbiss nicht überall den in § 160 

52* 



816 L- Nelson: Über das sogeDannte Erkenntnisproblem. [404 

186. Überblicken wir diese kritischen Betrachtungen, so zeigt 
sich, daß die Friessche Darstellung in zweifacher Weise einer Er- 
gänzung oder auch Verbesserung bedarf. Einmal ist es not- 
wendig, die Theorie der Reflexion von der ihr bei Feibs anhaf- 
tenden Zweideutigkeit zu befreien und die Folgen dieser Zwei- 
deutigkeit, insbesondere den angeführten fehlerhaften Beweis der 
psychologischen Natur der Kritik, zu beseitigen. Dann aber gilt 
es, den Widerstreit zwischen Transzendentalismus und Psycho- 
logismus als eine unmittelbar aus dem Begriff der Erkenntnis- 
theorie hervorgehende Antinomie abzuleiten und durch den Satz 
von der Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie aufzulösen. Bei 
dieser Darstellungsweise treten Transzendentalismus und Psycho- 
logismus von vornherein nur in Korrelation zu einander auf, und 
ßs wird dadurch zugleich auch die Einseitigkeit der Friesschen 
Darstellung vermieden. 

Nach diesen Grrundsätzen habe ich in meiner Abhandlung 



erörterten methodischen Fehler vermeidet. So, wenn er (Psychologisches Magazin, 
Bd. III, S. 215; System der Metaphysik, § 82, S. 416) das System der Prinzipien 
a priori als einen Leitfaden zur Übersicht über die geistigen Grundvermögen 
darstellt. 

Es mag übrigens darauf hingewiesen werden, daß die Aufgabe, zu gegebenen 
Schlußsätzen die Prämissen zu suchen, in dieser allgemeinen Form gar keine ein- 
deutige Lösung zuläßt. Logisch eindeutig ist nur die Aufgabe, eine Prämisse zu 
suchen, wenn außer dem Schlußsatz auch die andere Prämisse gegeben ist Jene 
Vieldeutigkeit pflegt bei der tatsächlichen Anwendung des regressiven Verfahrens 
durch die stillschweigende Hinzufügung gewisser einschränkender Bedingungen 
beseitigt zu werden : Die gesuchten Prinzipien sollen z. B. möglichst aUge- 
meiner Natur sein; sie sollen aber auch von uns für tcahr gehalten werden. 
Unter diesen einschränkenden Bedingungen können denn auch solche psycho- 
logischer Art vorkommen. So ist in der Tat das Kriterium des Fürwahrgehalten- 
werdens ein rein psychologisches. Durch die Anwendung solcher psychologischer 
Kriterien wird jedoch der grundsätzliche Unterschied der Abstraktion von der 
Deduktion nicht aufgehoben; denn während jene bei der bloßen Reflexion stehen 
bleibt, geht diese auf die unmittelbare Erkenntnis zurück. 



405] Anhang m : Über einige Mängel der kritischen Methodenlehre u. s. w. 817 

über „die kritische Methode und das Verhältnis der Psychologie 
zur Philosophie" den Versuch gemacht, durch eine neue Dar- 
stellung der fraglichen Lehren die Mängel der Friesschen Beweis- 
führung zu ergänzen und, wo es nötig war, zu verbessern, ohne 
doch an den Grrundgedanken und Ergebnissen dieser Beweisführung 
irgend etwas zu ändern. Das Verständnis dieser vielleicht etwas 
schwierigen methodischen Lehren hoffe ich durch die in der vor- 
liegenden Schrift gegebenen Erläuterungen wesentlich erleichtert 
zu haben. Diesem Zwecke dient einmal die in den Paragraphen 
51 und 62 sowie 55 bis 57 enthaltene sehr vereinfachte Ableitung 
und Auflosung der „erkenntnistheoretischen Antinomie"; dann 
aber auch die hinzugefügten umfangreichen polemischen und histo- 
rischen Ausführungen, die die Wichtigkeit und Fruchtbarkeit 
jener allgemeinen methodischen Grundsätze durch die Nachwei- 
sung erläutern sollen, wie alle bedeutenden Entdeckungen oder 
Irrtümer, Fortschritte und Rückschritte in der Philosophie im 
letzten Grunde nur aus methodischen Einsichten oder Fehlern 
hervorgehen. Zugleich hoffe ich durch die im historischen Teile 
durchgeführte Koordination von Transzendentalismus und Psycho- 
logismus die aus der erwähnten Einseitigkeit hervorgehenden 
Mängel des Schlußkapitels von Fries' Geschichte der Philosophie 
zu ergänzen. 

Wenn man mich also durch den Vorwurf zu widerlegen ge- 
sucht hat, daß ich in gevTissen Stücken von Fries abmclie^ und 
wenn man mir auf der anderen Seite gewisse bis ins Einzelne 
gehende, „nahezu wörtliche" Anlehnungen an Fries zur Last ge- 
legt hat, so hat es mit den behaupteten Tatsachen in beiderlei 
Hinsicht seine Richtigkeit. Aber der Hinweis auf diese Tatsachen 
trifft mich gar nicht. Ich habe nie den Anspruch erhoben, mit 
meiner Arbeit eine historische Darstellung der Friesschen Lehre 



818 L« Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. [406 

zu geben, und ich bestreite das Vorhandensein bestimmter Ab- 
weichungen so wenig, daß ich vielmehr der Überzeugung bin, eine 
strengere und von gewissen bei Fries nicht vermiedenen Fehlem 
freie Beweisführung geliefert zu haben. Aber ich bestreite eben- 
sowenig die behaupteten Anlehnungen, da es vielmehr meine Ab- 
sicht war, durch eine möglichst enge Anlehnung an Fries' Dar- 
stellung den Beweis zu erbringen, daß die wesentlichen Grrund- 
gedanken der Friesschen Lehre durch die erforderlichen Berichti- 
gungen in keiner "Weise berührt werden. 

Wenn ich in meiner früheren Abhandlung diese Änderungen 
— die übrigens mehr in Weglassungen als in Hinzufügungen be- 
standen — nicht ausdrücklich als solche kenntlich gemacht, son- 
dern mich mit dem allgemeinen Hinweis auf die Übereinstimmung 
der Grundgedanken begnügt habe, so geschah das einmal, weil 
ich bei der damals noch herrschenden völligen Vergessenheit der 
Friesschen Lehren kein Interesse für derartige relativ unwesent- 
liche Differenzen bei den Lesern voraussetzen konnte, und zwei- 
tens, um die schon an sich nicht geringen sachlichen Schwierig- 
keiten nicht noch durch eingehende historische Exkurse zu ver- 
vieKachen. — Es kann aber mit Recht eine nachträgliche Älit- 
teilung darüber verlangt werden, inwieweit und aus welchen 
Gründen meine Darstellung von derjenigen abweicht, die den 
fraglichen Lehren von ihrem ersten Urheber gegeben worden ist. 
Eine solche Rechenschaft abzulegen ist der Zweck dieses Anhangs. 



Register. 



(Die Zahlen bezeichnen die Seiten, nach der fortlaufenden Zählang der „Abhand- 
lungen^. — Man wird gebeten, sich beim Zitieren ebenfalls dieser allgemeinen 
Paginierung zu bedienen und nicht der am Innenrande der Seiten eingeklammerten 
Paginiemng des Sonderdrucks.) 



Absolute Erkenntnis 634. 

— Realität 764 if., 767 f. 

— Idee des A. 764 flf. 

Abstrakter und konkreter Gebrauch der 
metaphysischen Prinzipien 734 £f., 739 ff., 
778. 

Abstraktion als Bedingung des Urteilens 
709. 

— als Erklärungsgrund der Objektivität 
der Erkenntnis bei Natorp 457 ff. 

— und Deduktion 814 ff. 

s. a. Regressive Aufweisung. 

— und Determination 464. 

— und Induktion 815. 

— und Kombination 755. 
Ästhetik Kants 801 ff. 

— und Psychologie 560 ff. 
--- transzendentale 603, 639. 
Ästhetischer Idealismus (Subjektivismus) 

562 ff, 577, 801 f. 

— Objektivität 563 f., 801 ff. 

— Rationalismus 801 f. 

— Urteil 801 ff. 

— Zweckmäßigkeit 801 f. 

Affektion 576 f., 583 ff., 586, 649, 692 ff. 
Aktualität und Willkürlichkeit 575 f. 

— s. a. Selbsttätigkeit. 
Allgemeines und Besonderes 794. 

— und Einzelnes 459 ff. 

— Urteil 712 ff., 715 ff. 

— Widerspruch der Leugnung a. Wahr- 
heiten 470, 589, 717, 719. 



Allgemeing&ltigkeit als Kriterium der 
Apriorität 717 f., 746 ff. 

— objektive und subjektive 719 ff., 802. 

— Reduzierte A. metaphysischer Sätze: 
s. Reduktion. 

Analogieen der Erfahrung 468. 
Analysis und Synthesis 755 f. 
Analytische Methode der Kritik der Ver- 
nunft 654, 658, 669 f., 731. 
s. a. Regressive Methode. 

— Natur der Reflexion 755. 

s. a. Mittelbarkeit der Reflexion. 

Analytische und synthetische Einheit 641. 

— und synthetische Möglichkeit : s. Mög- 
lichkeit. 

— und synthetische Notwendigkeit 594 f. 

— und synthetische Urteile 446 ff., 466, 
608, 658, 713 f., 789 ff., 792 ff. 

Unmöglichkeit der Zurückführung 

synthetischer Urteile auf analytische 

451, 466, 475, 616, 657. 
Unveränderlichkeit der s. oder a. 

Natur eines Urteils 448 ff. 
Vollständigkeit der Einteilung der 

Urteile in a. und s. 450. 

— Kategorische, hypothetische und divi- 
sive a. Urteile 794. 

— Die Grundsätze der Logik als posi- 
tive Kriterien aller a. Urteile 794 f. 

Angeborene Begriffe 704 f. 
Anregung 676 f., 760. 
Anschauung: Begriff der A. 744. 



L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. 



[408 



Anschauung: innere 663, 680, 685 ff., 808. 

— intellektuelle 542, 544, 548 ff., 645, 
647, 663, 685 ff, 754 f. 

— reine 605 ff., 635, 747. 

— sinnliche 767. 

s. a. Wahrnehmung. 

— sinnliche Natur der A. 544, 550, 645, 
647, 686, 704. 

— als positives Kriterium der Wirklich- 
keit 461. 

— und Begriff 464. 

— und unmittelbare Erkenntnis 528 f., 
548 ff., 618, 685 f., 704, 744. 

— und Urteil (Reflexion) 464 f., 528 f., 
548 ff., 618 f., 624, 644, 704, 709 f. 

— Evidenz der A. 528. 

— Fehlen der A. als Verst&ndigungs- 
mittels in Philosophie und Psychologie 
775, 778. 

— des Baumes: s. Baum. 
Anthropologie: s. Psychologie. 
Antinomie, erkenntnistheoretische 534 f., 

816 f. 

— Kamts Auflösung der A. 582, 632 ff., 
635 ff., 762. 

— Ursprung der A. 635 f. 
Antipsychologistische Argumentation bei 

Natorp, Freoe und Husserl 637 ff., 
551. 

Apelt, E. f. 649, 793. 

Apodiktisch: Unmöglichkeit a. Schluß- 
sätze aus empirischen Prämissen 472, 
657 f., 727, 732 f. 

— s. a. Allgemein. 

— s. a. A priori. 

Apodiktizität des Geschmacksurteils 802. 

— s. a. Apriorität. 

Apperzeption 687, 737, 753, 755, 760 f. 
A priori und a posteriori 531 ff., 577, 

582 ff., 590 f., 603, 606, 672, 728 f., 

746 ff., 760 f., 777. 

— Prinzipien a priori der Möglichkeit 
der Erfahrung: s. Erfahrung. 

— Problem der Möglichkeit der Er- 
kenntnis a priori von Gegenständen 
604 f. 

— Synthetische Urteile a priori : s. Urteil. 
Apriorismus 749, 752. 

Apriorität der allgemeinen Naturgesetze 
590 f. 

— und IdeaHtät 591, 599 ff., 606 ff., 637. 



Apriorität: Kriterien der A. 717, 746 ff. 
Aristoteles' Disjunktion der Erkennt- 
nisquellen 608. 
Arithmetik : Axiomatische Methode in der 

A. 780. 

Assertion: Unmittelbarkeit der A. der 
Gegenständlichkeit beim Erkennen 459, 
461. 

— im Urteil 484, 493, 501 ff. 

— in der Wahrnehmung 501 ff. 
Assertorische und apodiktische Gewiß- 
heit: s. Empirisch. 

Assoziation 750. 

— und Erwartung 749 ff. 

— und Beflexion 745. 

— und Sinn als einzige firklärungsgründe 
der empiristischen Theorie 745 f. 

Assoziationsgesetze 745. 

Assoziationspsychologischer Erklärungs- 
versuch der Möglichkeit der Kausal- 
urteile 749 ff., 754. 

Aufweisung unbeweisbarer Prinzipien 
727 f. 

— s. a. Begressiv. 

Ausgangspunkt des Philosophierens 739 ff. 
Axiomatische Methode in Mathematik 

und Philosophie 779 ff., 783, 787, 806. 

Beck, S. 618, 644, 649. 

Bedeutung und Kriterium: s. Kriterium. 

Bedingung: Prinzip der Totalität der 

Beihe der B. 639. 

s. a. Totalität. 

Begriff: als allgemeine problematische 

Vorstellung 464. 

— und Anschauung 464. 

— und Gegenstand 496 f. 

— und Wesen 447 f. 

— und Wortbedeutung 449 f., 714. 

— eines Begriffs 496 f. 

— Bildung der B. durch Abstraktion 
und Determination 464. 

— Mittelbarkeit aller Erkenntnis durch 

B. 464 fi*. 

— Unmöglichkeit synthetischer Erkennt- 
nis aus bloßen B. 465 f., 619, 645. 

— Unveränderlichkeit des Inhalts der 
B. 449. 

Begriffsschrift 778. 

Begründung und Beweis 540 f., 575, 683. 

— und Grund: s. Grund. 



409] 



Register. 



Begründung und regressive Aufweisung 
(Abstraktion) 478, 613, 623, 728, 814 ff. 

— objektive und subjektive 453, 530, 
537 ff., 728, 757 ff., 760, 767 f., 768 f. 

— Notwendigkeit der B. aller Urteile 
484 f., 617. 

— Postulat der B. 522 ff., 526, 769 f. 

— Unmöglichkeit einer B. der objektiven 
Gültigkeit (transzendentalen Wahrheit) 
der Erkenntnis 444 ff., 522 f., 596, 598, 
756 ff., 769 f. 

— erkenntnistheoretische : s. Erkenntnis- 
theorie. 

— Möglichkeit empirischer B. rationaler 
Sätze : s. Modalische Ungleichartigkeit. 

— metaphysischer Urteile: s. Metaphy- 
sisch. 

— der Ideen 637 f., 744, 763 ff. 
Bejahung und Verneinung im Urteil 466, 

710, 794. 

Beneke, f. E. 648, 667 f., 703 ff., 773. 

Beobachtung: Unzulänglichkeit zur Be- 
gründung allgemeiner Urteile 717 f. 

Berkeley 609, 637. 

Beschränktheit unserer Erkenntnis 634 ff., 
642, 762, 764 ff. 

Bessel 607. 

Bestimmbarkeit: Satz der B. 790, 794. 

Bestimmtheit: Vollständige und unvoll- 
ständige B. der Erkenntnis 462 ff., 634. 

Bestimmung, materiale der formalen 
Apperzeption 760 f. 

Bestimmungsgrund des logischen Denkens, 
ethischen Wollens und ästhetischen 
Wertcns 570. 

— des moralisch guten Willens 796 ff. 
Beweis: Anforderungen eines B. 467. 

— und kritische Deduktion 540 f., 546, 
575, 732 f.. 806. 

s. a. Deduktion. 

— Demonstration und Deduktion 769. 

— indirekter: s. Indirekt. 

— progressiver 726, 778. 

— regressiver (Induktion) 726 f. 

— transzendentaler: s. Transzendental. 

— Unmöglichkeit eines B. metaphysischer 
Grundsätze 657 f., 726 f. 

— Vorurteil der Beweisbarkeit alles 
Wissens 514, 616, 664 f., 683 f. 

Bewußtsein und Erkenntnis 530, 545, 
548 ff., 619, 645, 808 f. 



Bewußtsein, mittelbares und unmittel- 
bares 530, 545, 548 ff., 571, 645, 686, 
744, 754, 808 f. 

— des Gegenstandes 512 ff., 682 ff., 691. 

— als Prinzip der Elementarphilosophie 
bei Reinuold (Satz des B.) 655 f., 
663, 669. 

— Tatsache des B. : s. Tatsache. 

— überhaupt 496 ff., 508 ff., 513, 515 ff., 
552. 

— s. a. Ich. 

— Zweideutigkeit des Wortes bei Rickbbt 
498. 

Bild: Verwerflichkeit der B. bei philo- 
sophischen Begriffsbestimmungen 776. 
Biologische Erkenntnistheorie 417, 485 ff. 
Blumenthal, E. 515. 
Bon, f. 417. 
Busse, L. 521, 619. 

Calker, f. 777. 
Cohen 702. 

Common-sense-Philosophie 479. 
COUTURAT 450, 791. 
Crusius 596. 

Deduktion und Abstraktion (regressive 
Aufweisung) 728 f., 814 ff. 

— und Beweis 541, 546, 675, 732 f., 740, 
742, 757, 760 f., 769, 806. 

— und Induktion 733. 

— der Grundsätze der Logik 793 f. 

— der Ideen 764 ff., 767 f. 

— objektive und subjektive bei Ej^nt 
611, 617, 619, 630, 643, 755. 

Definition : Analytische Natur der D. 450. 

— und Kriterium: s. Kriterium. 

— durch unendliche Satzreihen : s. Sinn- 
losigkeit. 

— der Existenz 499, 721 ff. 

— Allgemeine Urteile als versteckte D. 
714 f., 720 f. 

— Fehlerquelle willkürlicher D. in der 
Philosophie 774 ff. 

Demonstration 759, 769. 

Denken: s. Reflexion. 

Denkgesetz: als Gesetz, dessen wir uns 

nur im Denken bewußt werden 570 f., 

793. 

— als Norm des Denkens 565, 567 f. 
-— als Naturgesetz des Denkens 566 f. 



L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. 



[410 



Denkgesetz: Lipps' Begriff des D. 656 ff. 
Denknotwendigkeit 590, 594, 693 f., 719 ff. 

— s. a. Notwendigkeit. 
Descartes 479. 

Deskriptive Methode bei Husserl 542 ff., 
548. 

Unzulänglichkeit der d. M. für die 

Kritik 545 ff., 550. 

Determination (synthetische Begriffsbil- 
dung) 464, 466. 

— des Erfahrungsbegriffs 476 f. 

Deutlichkeit : Intensität der D. als unter- 
scheidendes Merkmal der Erkenntnis 
nach HUME 750 f. 

Dialektik, nachkantische 701 f. 

— transzendentale 639. 
Dialektischer Schein der Ideen 639. 
Dictum de omni et nuUo 794. 

Ding: Logik als Wissenschaft von allen 
D. 791. 

— an sich: Kants Beweise der üner- 
kennbarkeit der D. a. s. 581 ff., 762. 

Verhältnis unserer Erkenntnis zu 

den D. a. s. 632 ff.,. 639 f., 649 ff., 665, 

762, 766 f. 
Affektion durch das D. a. s. 586, 

649 f. 

und Erscheinung: s. Erscheinung. 

Streit über das D. a. s. 782 ff. 

AngeblicJier Widerspruch in der 

Annahme von D. a. s. 652 f., 665, 

681 f., 782 f. 
Widerspruch der Annahme, D. a. s. 

seien a priori unerkennbar 587, 649 f. 

s. a. Idealistisch. 

Disjunktion von Anschauung und Urteil 

als Erkenntnisarten: s. Erkenntnis. 

— von Logik und Empirie als Wahr- 
heitskriterien : s. Kriterium. 

— Schluß aus unvollständigen D. 780 ff. 
Disjunktives analytisches Urteil 794. 
Dogma: s. Vorurteil. 

Dogmatismus 521 ff., 530, 551, 622, 652, 
666, 734 ff., 741, 814. 

— logischer (Logizismus) 514, 646 ff., 
664 f., 666, 668, 683 f. 

Drews, A. 702. 

Dunkelheit: Ursprüngliche D. der meta- 
physischen Erkenntnis 531, 545, 548, 
550 f., 618, 728, 742, 754 f., 808 f. 

— 8. a. >Iittelbarkeit des Bewußtseins. 



Eindruck: s. Affektion. 

Einheit: Gmndvorstellung (metaphysi- 
sche) der synthetischen £. 633 ff., 637 f., 
642, 764 f., 809. 

— analytische (des Systems) und syn- 
thetische (der unmittelbaren Erkennt- 
nis) 641. 

— intensive und extensive 753. 

— objektive der Vernunft und subjektive 
der Assoziation 751, 753 f. 

— unbeschränkte (vollendete) 764 f. 
Einzelnes und Allgemeines 459 ff. 
Elementarphilosopliie 655 ff., 666 f. 
Empfindung 576, 649 f., 691 ff. 

— und Gefühl 776. 

Empirische und rationale Erkenntnis 603 f. 

— und transzendentale Realität (Ideali- 
tät) bei Kant 630 f., 801 f. 

— Werturteil 797 f. 

— Wahrheit: s. Wahrheit. 

— Möglichkeit e. Begründung rationaler 
Sätze : s. Modalische Ungleichartigkeit 

— Unmöglichkeit rationiJer (apodikti- 
scher) Schlußsätze aus e. Prämissen: 
s. Apodiktisch. 

— Unmöglichkeit e. Urteile von strenger 
Allgemeinheit 716 ff. 

Empirismus 646 ff., 663, 666, 685, 703 f., 
712 f., 717, 721 ff., 724, 737, 745 f., 
749, 752, 754, 783 f. 

— als Konsequenz des Psychologismus 
724, 784. 

Energie: Gesetz der Erhaltung der £. 

780. 
Entwickelungsgeschichte : Unableitbarkeit 

der qualitativen Variation für alle £. 

752. 
Entwickelungsgeschichtliche Psychologie 

546 f., 752. 

— s. a. Genetisch. 

Erfahrung und Wahrnehmung 469, 475 f., 
SU. 

— innere 531 f., 729 ff., 738, 743, 770, 
786 f., 81L 

und Reflexion: s. Reflexion. 

— wirkliche (gegebene) und mögliche 
478 f. 

— Möglichkeit der E. 471 ff., 613 ff^., 
746, 748. 

— Wirklichkeit der E. 472 f., 478, 
748 f. 



411] 



Register. 



Erfahrung: Prinzipien der Möglichkeit 
der E. 586 f., 604 f., 609 f., 612 ff., 
617, 625 ff., 655, 746, 748. 

— Der Begriff der E. als transzeüden- 
taler Beweisgrund 476 ff., 613 f., 748. 

— Metaphysisches Minimum des Erfah- 
rimgsbegriffs 476 f., 479. 

— Übereinstimmung der E. mit den Prin- 
zipien a priori 589 ff., 604 f. 

— Mißbrauch des Worts bei Fichte 
671 ff., 675 f., 700. 

Erinnerung und Erwartung 750 f. 
Erkenntnis: Assertion in der E. : s. 
Assertion. 

— Intensität der Deutlichkeit als angeb- 
liches Unterscheidungsmerkmal der E. 
gegenüber bloßen Vorstellungen 750 f. 

— als unauflösliche Qualität der inneren 
Erfahrung 770. 

— Tatsächlichkeit der E. 514, 632, 665, 

757 ff. 

s. a. Wissen. 

— Objektive und subjektive Betrach- 
tungsweise der E. 732. 

— absolute 634. 

— a priori und a posteriori : s. A priori. 

— empirische: s. Empirisch. 

— rationale: s. Rational. 

— unmittelbare 464 f., 485, 503 ff., 523 ff., 
528 ff., 575, 659 f., ()83, 685 f., 755 ff., 
769, 794, 808 ff. 

der reinen Vernunft (nicht-anschau- 
liche, metaphysische) 529 ff., 545, 548, 
550 f., 570, 574 f., 618 f., 637 f., 642, 
644 ff., 667, 686, 704 f., 744 ff., 755 f., 

758 ff., 808 ff. 

— Vernunft- und Reflexions- (Verstandes-) 
E. 524 f.. 529 f.. 574 f., 636 ff., 704, 
755 ff., 764 ff., 769. 

— und Urteil 464 f., 480 f., 484 f., 490, 
500 ff., 522 ff., 555 f., 571 f., 573 ff., 
711, 769, 793 f., 808 ff. 

— Mittelbarkeit aller E. durch Begriffe 
(Reflexion, Urteü) 464 ff., 645, 647. 

— Unmöglichkeit synthetischer E. aus 
bloßen Begriffen 465 f., 619, 645. 

— UnVollständigkeit der Disjunktion 
zwischen Anschauung und Urteil als 
Erkenntnisarten 528 ff., 548 ff., 618, 
624, 644 ff., 667, 704, 744 ff., 754 ff. 

-— und Bewußtsein: s. Bewußtsein. 



Erkenntnis und Ding an sich: s. Ding 
an sich. 

— und Gegenstand 453 ff., 459 ff, 508 ff., 
523 ff., 582 ff., 602 ff, 633, 664, 691 ff., 
740 f., 769 f., 797. 

Angebliche Identität von E. und 

G. 516 f. 

in der Selbsterkenntnis 497 f., 

688 ff. 

Unterschied des Verhältnisses der 

E. zum Gegenstande vom Verhältnis 
der Erkenntnis a priori zur Erfahrung 
590 f., 603 ff. 

vom Verhältnis der Erschei- 
nung zum Gesetze 459 ff. 

vom Verhältnis des Geistes zur 

Materie 677 f. 

vom Verhältnis des Subjekts 

zum Objekt 497 f., 688 ff., 740. 

Unmittelbarkeit der E. äußerer 

Gegenstände 688, 691 ff. 

— Inhalt und Gegenstand der £.: s. 
Inhalt. 

— Angebliche Unmöglichkeit der Iden- 
tität von Subjekt und Objekt der E. 
497 f., 689. 

— Ideal logischer Vollkommenheit im 
Erkennen 769. 

— Unvollständig und vollständig be- 
stimmte E. 462 ff. 

— Vorurteil, alle E. beruhe auf innerer 
Wahrnehmung 711 f. 

— s. a. Objektivität. 
Erkenntnisgrund: s. Grund. 
Erkenntnisproblem 413 ff. 

— s. a. Erkenntnistheorie. 
Erkenntnistheoretische Antinomie 534 f., 

816 f. 

— Idealismus 507 ff., 598, 695 ff. 

— Kriterien: s. Kriterium. 

— Methode in der Ethik 421. 

— Subjekt: s. Subjekt. 

— Voraussetzungen des formalen Idea- 
lismus 581 ff. 

— Vorurteil: n. Vorurteil. 
Erkenntnistheorie : Problem der E. 444 ff., 

459, 508, 513 ff., 528 ff., 667, 687 f., 
695 ff., 726, 769 f. 

— als Wissenschaft, die den Grand aller 
Erkenntnis enthalten soll 533, 664. 

8. a. Grund. 



L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. 



Erkenntnistbeorie als Wissenscbaft, die 
das konstitutive Prinzip der Pbilo- 
sophie zum Inhalt hat 667. 

— Allgemeiner Beweis der Unmöglichkeit 
der £. 444. 

— Ursprang der E. aus dem Vorurteil, 
alle Erkenntnis gehöre entweder der 
Anschauung oder der Reflexion an 
629 f. 

— Unendlicher Regreß der E.: s. Re- 
gressns. 

— Zirkel der E.: s. Zirkel. 

— Ergebnislosigkeit der bisherigen E. 
420. 

— Der Streit um die Methode der E. 
442 f. 

— Der Streit um die Möglichkeit der 
E. 415 fif. 

— und Dogmatismus 521 ff., 530. 

— und Metaphysik 420 ff., 527 ff. 

— und Psychologie: s. Psychologie. 

— und Vemunftkritik 626 ff., 630, 533 ff., 
681, 663. 668 f., 733, 756 ff., 769 f. 

~ s. a. Objektivität. 

— Geschichte der E. 679 ff. 

— Kants E. 682 ff. 

— Begründung der modernen E. durch 
Rbinhold 654, 668. 

— Benekes 708 ff. 

— FiCHTES 691 ff. 

— Fries' Beweis der Unmöglichkeit der 
E. 726 f., 729 f., 758 f., 769 f. 

Erscheinung und Ding an sich 626 f., 
630, 686, 639 f., 766 ff. 

— und Gesetz: s. Gesetz. 

— und Schein 686, 767 f. 

— Doppelsinn des Worts bei Kant 610. 
Ersdüeichung: Yerbalmethode der E. 

699 ff. 
Erwartung ähnlicher Fälle 749 ff. 

— und Assoziation 750 ff. 

— und Erinnerung 750 f. 

Ethik: Prinzip der Kantischen E. 796 ff. 

— Zirkel der erkenntnistheoretischen 
Methode in der E. 421. 

Etiiisch: s. Praktisch. 
Evidenz als erkenntnistheoretisches Eii- 
terium 479 ff. 

— der anschaulichen Erkenntnis 628. 

— der Halluzinationen und Träume 482 f. 

— irriger Urteile 484. 



[412 
789, 



Evidenz in spekulativen Dingen 
743, 759. 

— subjektiver und objektiver Begriff 
der E. 483. 

Existenz des ästhetischen Objekts 668 f. 

— der Dinge an sich 632. 

— transzendente 508 ff. 

~ als UrteUsprädikat 494 f., 499, 553. 

— Zirkel in der Definition der E. 499, 
723. 

— r Fiktion der Einerleiheit von Existenz 
und Angeschaut- (Wahrgenommen-) 
Werden (esse = percipi) 680 f., 721 ff. 

— für ein Bewußtsein: s. Für. 

Faktische Natur des Erkennens 614, 632, 
665, 757 ff. 

Faktum der Erfahrung 472 f., 478, 748 f. 

Fallgesetz 666 f. 

Fehlerquelle des Ausgehens von willkür- 
lichen Definitionen 774 ff. 

— des Gebrauchs indirekter Beweise 
780 ff. 

Fichte: Abhängigkeit von Jacobi 671, 
688. 

— Abhängigkeit von Reinhold 654, 
667, 669 f., 728 f. 

— Begriff der Philosophie 671 ff. 

— Reines Ich (Ich an sich) 617, 670, 
675 ff.. 689, 695 ff., 699. 

— Intellektuelle Anschauung 544, 685 ff. 

— Pflicht als Wahrheitskriterium 684. 

— Idealistische Trugschlüsse 675 ff., 
698 ff. 

— Angebliche Lösung des Erkenntnis- 
problems 691 ff. 

— Fiktion der Einerleiheit des Seins 
und Angeschautwerdens bei Bestim- 
mungen der Intelligenz 679 ff. 

— Mißbrauch des Wortes „Erfahrung* 
671 ff., 676 f., 700. 

— Proklamierung der dogmatischen Me- 
thode 674. 

— Logischer Dogmatismus 688 f. 

— Erkenntnistheoretisches Vorurteil 667, 
674, 686 ff., 724. 

— Transzendentales Vorurteil 667 ff., 
674, 686, 707, 723 f., 730 f. 

— Psychologismus 685. 

— Rationalismus 707, 724. 
.— Verbalmethode 699 ff. 



413] 



Register. 



Fichte : Verwechslung des Verhältnisses 
von Erkenntnis und Gegenstand mit 
dem von Geist und Materie 677 f.^ 
689 f. 

— Verwechslung von Inhalt und Gegen- 
stand 673 f., 682. 

— Verwechslung von Kritizismus und 
Idealismus 674. 

— Verwechslung von Urteil und Ver- 
gleichungsformel 466 f. 

Fischer, K. 688. 

Forderung zu urteilen als Kriterium der 
Wahrheit 493 ff., 503 ff. 

— zu werten als Kriterium der Schön- 
heit 660 ff. 

Form und Gegenstand 602, 604 f., 607. 

— und Materie praktischer Gesetze 
796 ff., 801. 

— im objektiven und subjektiven Sinn 
607. 

^- der ursprünglichen Einheit und Not- 
wendigkeit 765. 
s. a. Grundvorstellung. 

— des Urteils 638, 792 ff. 

— systematische, des philosophischen 
Wissens 734, 742. 

— Unvollendbarkeit der mathematischen 
F. der Sinnesanschauung 636, 638, 642. 

Formale Apperzeption 760. 

— Bedingungen der Erfahrung : s. Prin- 
zipien. 

— Idealismus: s. Idealismus. 
Formelsprache 778. 

Fortschritt in der Geschichte der Phi- 
losophie 419. 

Frege 637, 639 f.. 551, 791 f. 

Freiheit des Willens 698 f., 700 f. 

Fremdwörter in der philosophischen 
Terminologie 777. 

Fries' Beseitigung des erkenntnistheo- 
retischen Vorurteils 725 ff., 729 f., 
740 f., 768 ff., 769 f., 805. 

— Beweis der Unbeweisbarkeit meta- 
physischer Prinzipien 726 ff. 

— Deduktion der Ideen 763 ff. 

— Deduktion der logischen Grundsätze 
794. 

— Entdeckung der nicht-anschaulichen 
unmittelbaren Erkenntnis 744, 764 ff. 

*- Entdeckung des Unterschieds von 
Beweis und Deduktion 732 f., 806. 



Fries' Formulierung des Problems der 
Vemunftkritik 529. 

— Geschichte der Philosophie 817. 

— Grundsatz des Selbstvertrauens der 
Vernunft 757 ff. 

— Kritizismus 648, 668, 725 ff., 734 ff., 
773. 

~ Mängel der kritischen Methodenlehre 
bei F. 804 ff., 816 f. 

— angeblicher Psychologismus (und Em- 
pirismus) 733, 804 f., 807. 

— Theorie derBeflexion als künstlicher 
Selbstbeobachtung 807 ff. 

— — psychologistische Konsequenzen 
813 ff. 

— Theorie der Verbindung 761 ff., 756 f. 

— Trennung von Inhalt und Gegenstand 
der Kritik (Kritik und System) 729 ff. 

— ungenügende Trennung von Abstrak- 
tion und Deduktion 814 f. 

— Widerlegung des formalen Idealismus 
599 ff., 761. 

— Widerlegung des Psychologismus 727, 
780, 732 f. 

— Widerlegung des Transzendentalismus 
727, 730 ff., 804 f. 

— Übersehen des Zusammenhangs der 
Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie 
mit der Notwendigkeit der Trennung 
von Kritik und System 806. 

— und Herbart 738 f. 

— und HuME 752 f. 

— und Kant 725, 728, 730 f., 738, 743 f., 
765 f., 758, 761 ff., 768 f. 

— Abweichungen Nelsons von F. 816 ff. 
Für ein Bewußtsein dasein 511 ff., 681 f., 

700. 
Fundament des philosophischen Wissens 
655 ff., 658 ff. 

— logisches und konstitutives 658 ff., 
664, 667. 

Fundamental Wissenschaft 655, 661. 

— s. a. Grundwissenschaft. 

— s. a. Erkenntnistheorie. 

Oarve 614. 
Gauss 607 f. 

Gefühl der Urteilsnotwendigkeit 502 ff., 
507, 671, 688, 695. 

— und Empfindung 776. 
Gegenstand der Erkenntnis : s. Erkenntnis; 



L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. 



[414 



Gegenstand und Begriff 496 f. 

— und Form: s. Form. 

— und Inhalt: s. Inhalt 

— Bewußtsein des G. : s. Bewußtsein. 

— Zweideutigkeit des Wortes 603 ff. 

Geist (Intelligenz) und Materie 677 f. 

GemeinschaftUche Ursache der Überein- 
stimmung von Erkenntnis und Gegen- 
stand 588, 599 ff. 

s. a. Präformationssystem. 

Genetische Psychologie und Theorie der 
Vernunft 546 f., 575. 

— s. a. Entwickelungsgeschichtlich. 
Geometrie : Axiomatische Methode in der 

G. 780. 
Geometrische Axiome als versteckte De- 
finitionen 714. 

— Idealismus und Realismus 607 f. 

— Induktion als Begründungsmittel geo- 
metrischer Sätze nach Beneke 716 f. 

Geschichte der Erkenntnistheorie 579 ff. 

— der Philosophie in ihrem Verhältnis 
zur Philosophie 418 f. 

Geschmacksurteil 801 ff. 
Gesetz, logisches: s. Logisch. 

— praktisches 570, 797 ff. 
8. a. Normativ. 

— des Denkens: s. Denkgesetz. 

— als erkenntnistheoretisches Kriterium 
452 ff. 

— als negatives Kriterium der Wirklich- 
keit 460 f. 

— Unerkennbarkeit von G. durch die 
Sinne 746. 

— und Erscheinung 460 ff. 

— und Ursache 569 f. 

— Erkenntnis der G. nach Lipps 515 f. 

— der Erhaltung des dynamischen Cha- 
rakters bei Marcus 469. 

Gesunder Menschenverstand 739 f. 
Glaube, spekulativer 766, 768 f. 

— und Wissen nach Jacobi und Fichte 
683 f. 

Gleichartigkeit: s. Modalisch. 

Grad der Lebhaftigkeit von Vorstel- 
lungen: s. Deutlichkeit. 

Grapenoiesser 600 ff., 761. 

Grelling, K. 517, 589. 

Grund und Begründung 582, 534 ff., 538 ff., 
559, 571, 674, 706 f., 723 f., 775, 806. 

— Satz des G. 484 f., 521 ff., 769, 794 f. 



Grund, logischer und realer 554 ff. 

— der Gewißheit philosophischer Urteile 
659 ff. 

— metaphysischer Urteile 528 ff., 531 f., 
545 ff., 571 f., 617 ff., 644 ff., 657 ff., 
739, 745 ff., 749 ff. 

— aller Erkenntnis überhaupt (als Thema 
der Erkcnr.tnistheorie) 522 ff., 533, 
553 f.. 558 f., 672 ff., 769 f. 

— Modalität des G. einer Erkenntnis 
533, 620, 667. 

s. a. Modalische Gleichartigkeit. 

s. a. Schlußsatz. 

— s. a. Bestimmungsgrund. 
Grundsatz der reinen Vernunft (der 

Ideenlehre) 639, 641. 

— der reinen Naturwissenschaft 645. 

— der Logik: s. Logik. 

— metaphysische (des reinen Verstandes) 
586, 613 ff., 617 ff., 645, 657 f. 

— des Selbstvertrauens der Vernunft 
530, 757 f. 

— oberster, der Philosophie bei Rein- 
hold und Fichte 654 ff., 669 f. 

— Unmöglichkeit eines gemeinschaft- 
lichen G. für Logik und Metaphysik 
655 ff. 

Grundvorstellung der synthetischen Ein- 
heit (der reinen Vernunft) 633 ff., 637 f., 
760, 764 f. 

Grundwissenschaft 538 f., 556, 559 f. 

— s. a. Fundamentalwissenschaft. 

— s. a. Erkenntnistheorie. 
Gültigkeit: s. Objektiv, Objektivit&t, 

Wahrheit. 

Ualbkantiancr 805. 

Halluzination 461, 482 f. 

Harmonie, prästabilierte 588 f., 593, 596, 

601. 
Hegel 466 f., 648, 654, 668, 773. 
Helmholtz 780. 
Herbart 738. 
Herz, M. 582 f., 589, 596. 
HiLBERT 779 f., 815. 
Historische Objektivität 418 f. 
HuME-KANTisches Problem 526 ff., 617, 

624 ff, 643, 744 f., 749 ff., 756. 

— Annahme des nur graduellen Unter- 
schieds zwischen Erkenntnissen und 
bloßen Vorstellungen 750 f. 



415] 



Register. 



Hume: Assoziaiionspsychologischer Er- 
klärungsversuch der Möglichkeit der 
Kausalurteile 749 ff. 

— Empirismus 731, 749, 752 f. 

— metapliysischcr Skeptizismus 624, 628. 
~ Unterscheidung von relations of ideas 

und matters of fact 608. 

— und Kant: s. Kant. 

— und Reinhold 664. 
HussERL 483, 537, 541 ff. 
Hypothetisches analytisches Urteil: s. 

Schluß. 

Ich, individuelles und überindividuelles 
496 ff., 508 ff., 515 ff., 557 f.. 572,575, 
695 ff., 699. 

s. a. Bewußtsein-überhaupt. 

— an sich 675 ff. 

— reines 517, 572, 695 ff. 
s. a. Fichte. 

— als Tathandlung bei Fichte 670, 
695. 

Ideale und natürliche Weltansicht 766 f. 
Idealismus, erkenntnistheoretischer 507 ff , 
598, 695 ff. 

— formaler 577, 581 ff., 607 f., 637, 
643 f, 649 ff., 744, 761, 782 ff. 

— — Erkenntnistheoretische Voraus- 
setzungen des f. I. 581 ff. 

Ursprung des f. I. aus der dog- 
matischen Disjunktion zwischen Logik 
und Empirie als Wahrheitskriterien 
608 f., 761. 

Widerspruch des f. I. 586 ff. 

— — in der Kantischen Ethik und 
Ästhetik 796 ff., 801 f. 

— transzendentaler 581, 632, 635 ff., 
653, 762. 

— und Kritizismus 652, 674, 761 f., 784. 
Idealistische Trugschlüsse bei Fichte 

675 ff., 693 ff. 

bei RiCKERT 507 ff. 

Idealität und Apriorität: s. Apriorität. 

— empirische und transzendentale bei 
Kant 630 f., 801 f. 

Idee: Begriff der I. 635. 637. 

— Negativer Ursprung der I. 637 f., 640, 
642, 762, 764 ff. 

— Schrankenverneinende Bedeutung der 
I. 643. 

— Positive Grundlage der I. in der un- 



mittelbaren Erkenntnis 637 f., 640, 642, 
764 ff. 
Idee: Spekulative Begründung (Deduktion) 
der I. 637 f., 744, 763 ff. 

— Realität der I. 762 ff., 767 f. 

— des Absoluten 764 ff. 

— transzendentale 766. 

— und Kategorie 637 f., 764 f. 

— und Natur 642, 762 ff., 766 f. 

— Kants Ableitung der I. aus der Form 
der Vemunftschlüsse 638. 

— Kants Lehre vom regulativen Ge- 
brauch der L 640 ff. 

— Kants Lehre vom transzendentalen 
Schein der I. 594, 639, 641. 

— Kants Begründung der I. als prak- 
tischer Postulate 763. 

Ideenlehre 632 ff., 762 ff. 
Identität: Satz der L 790, 794. 

— der Apperzeption 753. 

— von Erkenntnis und Gegenstand: 8. 
Erkenntnis. 

— und Bejahung im Urteil 466, 710. 
Identitätsphilosophie 466. 
Immanentes Wiüirheitskriterium bei Kant 

609, 802. 
Immanenz: Gesetz der I. der mensch- 
lichen Erkenntnis 766 f. 

— Satz der I. bei Rickert 511. 
Imperativ, kategorischer 800 f. 
Indirekter Beweis der Analogieen der 

Erfahrung bei Marcus 468 f. 
Fehlerquelle des Gebrauchs der 

i. Beweisart in der Philosophie 780 ff. 
Individuell: Unableitbarkcit des I. aus 

dem Gesetz 460 f. 

— Ich: 8. Ich. 

Induktion 602, 714, 716 ff., 726 f., 762. 

— und Abstraktion 815. 

— und Deduktion 733. 

— Unmöglichkeit induktorischer Begrün- 
dung apodiktischer Urteile 716 ff., 
727. 

— Unmöglichkeit induktorischer Begrün- 
dung der Metaphysik 727, 730 ff. 

Inhalt und Gegenstand 512 ff., 531 f., 541, 
543 ff., 547, 557, 569 ff., 673, 662 f., 
673 f., 678, 682, 705 f., 708 ff., 777, 
809 f^ 813 f. 

des ästhetischen Wertens 562 f. 

der Kritik : s. Kritik und System« 



L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. 



[416 



Inhalt und Gegenstand der Kritik : s. a. 
Modalische Ungleichartigkeit 

— and Umfang eines Begriffs 450. 

— ünyer&nder&chkeit des I. der Be- 
griffe 449. 

Innere Anschauung: s. Anschauung. 

— Erfahrung: s. Erfahrung. 

— Sinn : s. Sinn. 

— Wahrnehmung: s. Wahrnehmung. 
Intellektuelle Anschauung : s. Anschauung. 
Intelligenz: s. Geist. 

Interesse 796 f. 

Introjizierte Widersprüche 688 f. 

— s. a. Widerspruch. 

Irrtum und Wahrheit 525, 741, 755. 

— und Unvernunft 758 f., 769. 

— trotz Evidenz 484. 
Itelson 791. 

Jacobi, f. H. 644, 648 ff., 671, 683. 

Kant: Kritische Methode 622 f., 651 f., 
730 f., 734. 

— Entgegensetzung mathematischer und 
philosophischer Methode 780. 

— Regeln über den Gebrauch der De- 
finitionen in der Philosophie 776. 

— UnVollständigkeit der Lehre von der 
Begründung der Urteile 768. 

— Methodischer Standpunkt der Preis- 
schrift über die Deutlichkeit der Grund- 
sätze der natürlichen Theologie und 
der Moral 622 ff. 

— Vermischung der Aufgaben der Ver- 
nunftkritik und der Erkenntnistheorie 
581, 653, 758. 

— Begünstigung des transzendentalen 
Vorurteils 804. 

— Unterscheidung analytischer und syn- 
thetischer Urteile 447 ff. 

— Mängel der Kantischen Definition des 
analytischen Urteils 789 ff. 

— Lehre vom Satz des Widerspruchs als 
Prinzip aller analytischen Urteile 790. 

— Hume-Kantisches Problem 526 ff., 617, 
624 ff., 643, 744 f, 749 ff., 756. 

— Entdeckung der synthetischen Urteile 
a priori 608 f., 644. 

— Beantwortung der Frage: Wie ist 
reine Mathematik möglich? 605 ff. 

— Definition der Metaphysik 527. 



Kant : Zweideutigkeit des Terminus „syn- 
thetisches Urteil aus bloßen BegräTen** 
618 f. 

-=- Definition der transzendentalen Er- 
kenntnis 536, 621, 731. 

— Transzendentale Logik 620 ff. 

— Transzendentaler Beweis 611 ff. 

— Logizistische Begründung der Meta- 
physik 612, 615 f. 

— Leitfaden der Urteilsformen zur Auf- 
findung des Systems derKategorieen 638. 

— Tafel der Urteilsformen 793. 

— Beweis der Unmöglichkeit eines lo- 
gischen Kriteriums materialer Wahr- 
heit 645. 

— Kriterien der Apriorität 746 ff. 

— Theorie der Synthesis 755 f. 

— Einteilung aller Erkenntnis in An- 
schauung und Urteil (Dogmatische Dis- 
junktion der Erkcnntnisquellen) 618, 
624, 644 ff., 665 f., 667. 

— Verfehlen der unmittelbaren Erkennt- 
nis der reinen Vernunft 618, 638, 
640 ff., 644, 667, 755 f., 768. 

— Leugnung intellektueller Anschauung 
645, 687. 

— Psychologische Voraussetzungen 645 f. 

— Zirkel in der Begründung der Apo- 
diktizität mathematischer Urteile 747. 

— Mängel der Kantischen Kritik der 
Vernunft 643, 731, 755 f., 768. 

— Dogmatische Disjunktion der Wahr- 
heitskriterien (Logik und Empirie) 
608 ff., 624 f., 631, 643, 761, 796 ff. 

— Unterscheidung von Schein und Wahr- 
heit 609 f., 612. 

— Immanentes Wahrheitskriterium 609, 
802. 

— Gesetz der Immanenz der mensch- 
lichen Erkenntnis 766. 

— Unterscheidung empirischer und trans- 
zendentaler Realität 630 f. 

— Zweideutigkeit des Terminus „Objek- 
tivität« 610, 630 f, 796. 

— Zweideutigkeit des Ausdrucks „Gegen- 
stand«" 604 ff. 

— Erkenntnistheoretische Voraussetzun- 
gen 582 ff. 

in der Ethik 797 f. 

— Beweis des Zirkels der erkenntnis- 
theoretischen Begründung 597 f. 



417] 



Register. 



Kant: Zweifache Begründung des trans- 
zendentalen Idealismus 681 f. , 682, 
635 flf., 653, 761 f. 

— Formaler Idealismus 577, 581 ff., 
607 ff., 637, 643, 761. 

in der Ethik u. Ästhetik 796 ff., 801 f. 

— Ausschließung des Pr&formationssy- 
Sterns 588 ff., 782. 

— Antinomieen- und Ideenlehre 632 ff., 
762 f., 768. 

Auflösung der Antinomieen 635 f. 

Ableitung der Ideen aus der Form 

der Vernunftschlüsse 638. 
Lehre vom transzendentalen Schein 

der Ideen 594, 639, 641. 
Lehre vom regulativen Gebrauch 

der Ideen in der Naturwissenschaft 

640 ff. 
Praktische Begründung der Ideen 

(Moralische Beweise) 763. 

— — Prinzip vom Primat der prak- 
tischen Vernunft 643, 763. 

— Ethik 796 ff. 

— Ästhetik 801 ff. 

— Der Streit um die Fortbildung der 
Kantischen Philosophie 441 ff., 646 ff., 
667 f. 

Notwendigkeit, diesen Streit zwi- 
schen den schon bestehenden Parteien 
auszutragen 772. 

— Unmöglichkeit, bei Kamts Philosophem 
stehen zu bleiben 646 f., 771 f. 

— Die möglichen Fortbildungen der Kan- 
tischen Philosophie 643 ff., 646 ff., 667 f. 

— Aufgaben einer kritischen Fortbildung 
der Kantischen Philosophie 643, 647, 
742 ff. 

— Stammbaum der von K. ausgehenden 
Philosopheme 668. 

— und Beneke 648, 668, 703 ff., 707. 

— und Fichte 668 f., 687. 

— und Fries: s. Fries. 

— und Gauss 607 f. 

— und HuME 612, 623 ff. 

— und Jacobi 648 ff. 

— und Reinhold 654 ff. 

— und Schiller 803. 

Kategorieen als Bedingungen der Mög- 
lichkeit aller UrteUe 586 f., 590. 

— Anwendung der K. in der Kritik der 
Vernunft 738 f. 

AbhAAdlaasta dar FriM*iehta Sclmle. IL Bd. 



Kategorieen: Schranken des Erfahrungs- 
gebrauchs der K. 637 f., 642, 764 f. 

— Übereinstimmung mit der Erfahrung 
589 ff 

— Ursprung der K. 589 ff., 595, 637. 
■— der Relation 695. 

— und Ideen: s. Idee. 

— und Urteilsformen (Leitfaden zur Auf- 
findung des Systems der K.) 638. 

Kategorischer Imperativ 800 f. 

— analytisches Urteil 794. 
Kausalgesetz 468, 515, 585, 614 f., 625 ff., 

737. 

Kausalurteil 749 ff. 

Kausalverhältnis zwischen Erkenntnis und 
Gegenstand nach Kant 583 ff., 601 f., 
602 f., 649 f., 797. 

Kerry 795. 

Konsequenz : Unzulänglichkeit als Wahr- 
heitskriterium 743. 

Konstitutives Fundament : s. Fundament. 

— Prinzip: s. Prinzip. 
Konventionalismus 529, 713 ff. 
Kosmologische Antinomie 639 f. 
Kraft und Gesetz 569 f. 

Kriterium und Bedeutung (Definition) 
463, 485, 490, 494, 507, 598, 723. 

— erkenntnistheoretisches 444 f. 

Die Evidenz als e. K. 479 ff. 

Das Gesetz als e. K. 452 ff. 

Der transzendentale Beweis als e. 

K. 467 ff. 
Das transzendente Sollen als e. 

K. (Teleologisches Wahrheitskriterium) 

492 ff. 

8. a. Pflicht. 

Der biologische Vorteil als e. K. 

485 ff. 

— Gesetzmäßigkeit als negatives K. der 
Wirklichkeit 460 f. 

— Anschauung als positives K. der Wirk- 
lichkeit 461. 

— Die Grundsätze der Logik als nega- 
tive K. aller Wahrheit überhaupt 792. 

als positive K. aller analytischen 

Urteile 794 f. 

— Unmöglichkeit eines logischen K. ma- 
terialer Wahrheit 645. 

— Dogmatische Disjunktion zwischen Lo- 
gik und Empirie als K. der Wahrheit 
608 ff., 611 f, 615, 624, 631, 761, 796 ff. 

53 



L. Nelson : Über das sogenannte Erkenntnisproblem. 



[418 



Kriterium: Fehlen eines K. der Wahr- 
heit bei der Annahme des Präforma- 
tionssystems 592. 

— der Moralität einer Maxime 798 if. 
Kritik der Vernunft 441, 619 flf., 629, 

619, 633, 647, 651 f., 658 ff., 725 ff., 
742 f. 

Zweifache Aufgabe der K. d. V., 

Aufweisung des logischen und des kon- 
stitutiven Fundaments der Metaphysik 
660 f. 

s. a. Abstraktion und Deduktion. 

Notwendigkeit derK. d. V. 734 ff., 

738 ff., 814. 

Psychologische Natur der K. d. V. 

631 ff., 551 f., 559 f., 571, 574, 621 ff., 
643, 706, 728 ff., 814. 

Paradoxie der Forderung psy- 
chologischer K. (empirischer K. einer 
rationalen Wissenschaft) 574, 706 f., 
731 f. 

Unentbehrlichkeit metaphysischer 

Voraussetzungen für die K. d. V. 732 ff. 

als theoretische (nicht deskriptive) 

Wissenschaft 545 ff., 550. 

und Erkenntnistheorie : s. Erkennt- 
nistheorie. 

und System (Inhalt und Gegen- 
stand der K.) 618, 620, 622, 660 f., 
726 ff., 729 ff, 806, 813, 815. 

s. a. Modalisch. 

Kritische Deduktion 541. 

s. a. Deduktion. 

— Logik 729, 793. 

— Mathematik 729, 780. 

— Metaphysik 762. 

— Maximen 530. 

— Methode: s. Methode. 

— Formulierung des Problems der Ob- 
jektivität 633 ff. 

— Skeptizismus Maimons 628. 
Kritizismus 530, 647 f., 666, 725 ff., 743, 

784. 

— und Idealismus: s. Idealismus. 
Künstliche Selbstbeobachtung: s. Selbst- 
beobachtung. 

Leerheit der Reflexion: s. Mittelbarkeit. 
Leibniz 601, 608, 736, 738. 
Leitfaden der Urteilsformen und der 
Schlußformen 638. 



LiPPS 494 f., 498, 500, 502, 504 f., 507, 

516 ff., 556 ff. 
Locke 731, 738. 
Logik: Definition der L. 789 ff. 

— Grundsätze der L. 790, 792 ff. 

— formale und transzendentale 620 f. 

— kritische 729, 793. 

— u. Metaphysik 527, 621, 645ff., 656f., 
778. 

— und Psychologie 539 ff., 566 ff., 564 ff., 
668 ff., 729, 794 f., 554 ff. 

nach LiPPs 556 ff. 

Logische und metaphysische Möglichkeit : 

s. Möglichkeit. 
Notwendigkeit: s. Notwendigkeit. 

— und psychologische Notwendigkeit: s. 
Psychologisch. 

— und metaphysische Sätze 470. 

— Dogmatismus 614, 646 ff., 664 f., 666, 
668, 683 f. 

s. a. Logizismus. 

— Fundament: s. Fundament 

— Gesetze als Naturgesetze des Denkens 
666 f., 570. 

als Normen des Denkens 565, 567 f. 

als Gesetze, deren wir uns nur im 

Denken bewußt werden 570 f., 793. 

— Grundsätze: s. Logik. 

— Teleologie bei Kamt 642. 

— Unmöglichkeit eines 1. Kriteriums ma- 
terialer Wahrheit 645. 

— Zergliederung : s. Regressive Methode. 
Logizismus 616, 648, 666. 

— ethischer 798 ff. 

— s. a. Logischer Dogmatismus. 

Maimon, S. 628 ff., 644, 649, 748 f. 

Marcus, E. 467 ff. 

Materiale Bestimmungen der formalen 

Apperzeption 760 f. 
Materie des moralischen Gesetzes 797 ff. 

— 8. a. Geist. 

Mathematik als Wissenschaft aus syn- 
thetischen Urteilen a priori 608 f. 

— und Metaphysik (Philosophie) 627, 
731, 778 ff. 

— kritische 729, 780. 

— Strenge Allgemeinheit der Sätze der 
M. 718 f. 

— Kants Erklärung der Möglichkeit 
reiner M. 605 ff. 



419] 



Register. 



Mathematik : Zirkel in Kants Begründung 

der Apodiktizität der M. 747. 
Mathematische Methode: s. Methode. 
Maximen, kritische 530. 
Meinono 480 flf. 
Metaphysik: Begriff der M. 527. 

— Konstitutives Prinzip der M. 647. 
s. a. Fundament. 

— Deduktion der Möglichkeit der M. 759. 

— Hauptproblem der kritischen M. 762. 

— der inneren Natur 733, 811. 

— und Erkenntnistheorie 420 ff., 527 ff. 

— und Kritik der Vernunft: s. Kritik. 

— und Logik: s. Logik. 

— und Mathematik: s. Mathematik. 

— und Psychologie 540 ff., 556 ff., 571 ff., 
706 f., 728 ff., 733, 738 ff., 785 f., 812 ff. 

Metaphysische und logische Möglichkeit: 
s. Möglichkeit. 

— und logische Notwendigkeit: s. Not- 
wendigkeit. 

— Begründung m. Urteile 528 ff., 531 f., 
540, 545 ff., 613ff., 617 ff., 622ff., 706f., 
726 ff., 756 f. 

Unmöglichkeit eines Beweises m. 

Grundsätze 657 f., 726 f. 
s. a. Transzendentaler Beweis. 

— Grund der m. Urteile: s. Grund. 
s. a. Unmittelbare Erkenntnis der 

reinen Vernunft. 

— Grundvorstellung : s. Grundvorstellung. 

— unmittelbare m. Erkenntnis 528 ff. 
s. a. Erkenntnis. 

— Mittelbarkeit des Bewußtseins um 
die m. Erkenntnis 530, 548 ff., 645, 
686, 744, 754, 808 f. 

s. a. Dunkelheit. 

— Psychologisches Äquivalent eines m. 
Satzes 785. 

— Beduktion der Allgemeingültigkeit m. 
Sätze durch das Prinzip der Möglich- 
keit der Erfahrung: s. Reduktion. 

— Minimum des Erfahrungsbegriffs 476 f., 
479. 

— Skeptizismus: s. Skeptizismus. 
Methode, axiomatische 779 ff., 783, 787. 

— kritische 622, 651 ff., 725 ff., 734 ff., 
738ff., 741 ff., 761 f., 767, 769, 804 ff., 
814 f. 

Die beiden Maximen der k. M. 

530. 



Methode, axiomatische: s. a. Regressiv. 

— mathematische und philosophische 731. 

— phänomenologische bei Husserl 542 ff. 

— transzendentale und psychologische 
(der Erkenntnistheorie) 442 f. 

s. a. Psychologismus und Trans- 
zendentalismus. 

— der Begründung von Urteilen 523 f. 

— der Polemik 420. 

— und Weltansicht 651 f. 
Methodenlehre, transzendentale : s. Trans- 
zendental. 

Meyerhof, 0. 583. 

Mittelbarkeit des Bewußtseins um die 
metaphysische Erkenntnis: s. Meta- 
physisch. 

s. a. Dunkelheit. 

— aller Erkenntnis durch Begriffe (Leer- 
heit der Reflexion) 464 ff., 645, 647, 
683, 703 f, 755, 757, 769, 808 ff. 

Modalische Gleichartigkeit von Erkenntnis 
und Erkenntnisgrund 533, 620, 667, 724. 
s. a. Schlußsatz. 

— Ungleichartigkeit von Inhalt und Gegen- 
stand der Kritik (Kritik und System, 
Grund und Begründung) 532 ff., 541 f., 
544 f., 547 f., 559 f., 620 ff., 660 ff., 
705 f., 724, 729 ff. 

Modalität der kritischen Erkenntnis 531 f., 
541. 

— eines Urteils 793 f. 
Möglichkeit: Kriterien der M. 722 f. 

— analytische (logische) und synthetische 
(metaphysische) 613, 722 f. 

— objektive und subjektive 611, 720. 

— Zweideutigkeit des Ausdrucks „M. 
der Erfahrung" 471 ff. 

s. a. Erfahrung. 

— des Wahrgenommenwerdens 722 f. 
Moralität : Kriterium der M. einer Maxime 

798 ff. 
Moralprinzip, Kantisches 798 ff. 
Mystizismus 647 f., 666, 668, 685. 

Natorp, P. 453 ff., 537 ff. 

Natürliche und ideale Weltansicht 766 f. 

Natur und Idee 642, 762 ff.^ 766 f. 

— und Welt 635 f., 766. 
Naturgesetz und Norm 565 f. 

— und Sittengesetz 799 f. 

— Apriorität der allgemeinen N. 590 f. 



L. Nelson: Über das sogeoannte Erkenntnisproblem. 



[420 



Naturgesetz : Exakte Geltung der N. 565 f. 

— Hypothetische Form aller N. 565 f. 

— Unabhängigkeit vom Individuum 701. 

— Die logischen Gesetze als N. des 
Denkens 566 f., 570. 

Naturwissenschaft und Idee 640 ff., 762. 
Negation: s. Verneinung. 
Nelson, L. 517, 589. 

— Abweichungen von Fries 816 ff. 
Neukantische Schule 702. 

Nominal istische Erklärung der Möglich- 
keit allgemeiner Urteile 712 ff., 720 f. 
Norm und Naturgesetz 565 f. 

— Logische Gesetze als N. des Den- 
kens: s. Logisch. 

Normative Ästhetik 560 ff. 

— Psychologie 572 ff. 

— s. a. Praktisch. 

Notwendige Verknüpfung : S.Verknüpfung. 

Notwendigkeit : analytische (logische) und 

synthetische (metaphysische) 594 f. 

— logische und psychologische 501, 554 ff. 

— objektive und subjektive 590, 592 ff., 
719 ff., 748 f. 

— und Willkürlichkeit 671. 

— als Kriterium der Apriorität 746 ff. 

— Gefühl der Urteilsnotwendigkcit 502 ff., 
671. 

— Unmöglichkeit des Begriffs der N. 
in einer nur sinnlichen Erkenntnis- 
kraft 754. 

— der Übereinstimmung der Erfahrung 
mit den Prinzipien a pnori 589, 592 ff. 

— 8. a. Denknotwendigkeit. 
Noumen 763, 766. 

Nützlichkeit als Wahrheitskritcrium : s. 
Biologisch. 

Objekt des Willens (Begehrungsvcrmö- 
gens^ 796 ff. 

— una Subjekt: s. Subjekt. 
Objektiv, das 480 f., 483. 

Objektive Gültigkeit bei Kant 610, 758, 

796 ff., 801 ff. 
Unmöglichkeit einer Kritik der 

0. G. der Erkenntnis 444 f., 740, 

756 ff., 769 f. 
s. a. Objektivität. 

— und subjektive Allgemeingültigkeit: 
s. Allgemeingültigkeit. 

Begründung: s. Begründung. 



Objektive und subjektive Betrachtungs- 
weise der Erkenntnis: s. Erkenntnis. 

Deduktion: s. Deduktion. 

Einheit: s. Einheit. 

Möglichkeit: s. Möglichkeit. 

Notwendigkeit: s. Notwendigkeit 

Objektivität, ästhetische 563 f., 801 ff. 

— ethische 796 ff. 

— historische 418 f. 

— der Kategoriecn 592 ff. 

— Unauflösbarkeit der 0. des Erkennens 
492 f., 688, 769 f. 

— Dogmatische Disjunktion zwischen 
Logik und Empirie als Kriterien der 
0. : s. Kriterium. 

— Vorurteil der ausschließlichen 0. der 
apodiktischen (rationalen) Erkenntnis 
462 ff. 

— Vorurteil der ausschließlichen 0. der 
sinnlichen Wahrnehmung 563, 577. 

— Unmöglichkeit, aus der Unbegründ- 
barkeit der 0. auf die Subjektivität 
zu schließen 444 f., 598, 664. 

— Oberstes Kriterium der 0. 633 f. 

— Kritisches Problem der 0. 633 ff. 

— Stufen der 0. 634. 

— Doppelsinn der 0. bei Kant 610, 
630 f., 796. 

— s. a. Wahrheit. 
Occasionalismus 601. 
Ostwald 470. 

Paradoxe Begriffsbildungen vomRüSSELL- 

schen Typus 517. 
Paradoxon des lügenden Kreters 588. 

— des Subjekts, das alle Subjekte er- 
kennt, die sich nicht selbst erkennen 
517. 

Parallelismus zwischen den Tafeln der 
Urteilsformen und der Kategorieen 638. 
Passivität und Willkürlichkeit 576. 

— der sinnesanschaulichen Erkenntnis 
nach Kant 584. 

Persönlichkeit 695, 699 ff. 

— s. a. Würde. 

Pflicht: Frage nach dem Grunde der 
Verbindlichkeit sittlicher Pflicht 421. 

— als Wahrheitskriterium bei Fichte 684. 

— s. a. Sollen. 
Phänomenologische Methode bei Husserl 

542 ff., 551. 



421] Register. 



Philosophie: Aufgahe der Ph. und ihr 
Verhältnis zu anderen Wissenschaften 
526 f. 

— Grund der Schwierigkeiten der Ph. 
734 if., 742. 

— als Wissenschaft und als Kunst 702. 

— Geschichte der Ph. : s. Geschichte. 

— s. a. Metaphysik. 
Philosophieren: Ausgangspunkt des Ph. 

739 if. 

— Zw eck und Aufgahe des Ph. 742, 7G9. 
Physik: Axiomatische Methode in der 

Ph. 780. 

POTNCARE 714. 

Polemik: Methoden der P. 420. 
Position: s. Bejahung. 
Postulat des Grundes 795. 

— praktisches 763. 

Prädikat und Subjekt im Urteil 794. 

Präformationssystem 588 ff. 

— Widerspruch der Bestreitung des P. 595. 

— Zweideutigkeit des Ausdrucks bei 
Kant 596, 598 f. 

Prämisse: Aufgabe, zu gegebenen Schluß- 
sätzen die Prämissen zu suchen 816. 
Prästabilierte Harmonie : s. Harmonie. 
Praktische Gesetze : s. Gesetz. 

— Postulate 763. 

— Urteile (WerturteUe) 797 f. 

— und theoretische Vernunft : s.Vemunft. 
Primat der praktischen Vernunft 643, 

763, 767. 
Prinzip des Geschmacks 802 f. 

— der Möglichkeit der Erfahrung : s. Er- 
fahrung. 

— der reinen Vernunft (der Idecnlehre) 
639 ff. 

— konstitutives, der Metaphysik (Philo- 
sophie) 647, 686. 

— 8. a. Fundament. 

Problem der Erkenntnistheorie: s. Er- 
kenntnistheorie. 

— der Kritik der Vernunft 519 ff., 528 f., 
660 f. 

— der kritischen Metaphysik 762. 

— Hume-Kantisches 526 ff., 617, 624 ff., 
643, 745, 749 ff., 756. 

— der Möglichkeit allgemeiner Urteile 
712 ff. 

— der Möglichkeit metaphysischer Ur- 
teile 745 ff., 749 ff. 



Problem der Möglichkeit synthetischer 
Urteile a priori 611, 660. 

— der Möglichkeit der Erkenntnis a 
priori von Gegenständen 604 f. 

— der Transzendenz 508. 

— Kritische Formulierung des P. der 
Objektivität 633 ff. 

Progressiver Beweis 726, 778. 

— und regressive Methode 815. 
Psychologie, deskriptive und theroetische 

545 ff. 

— genetische und Theorie der Vernunft 

546 f., 575. 

8. a. Entwickelungsgeschichtliche. 

— normative 572 ff. 

— Stellung im System 733. 

— und Ästhetik 560 ff. 

— und Erkenntnistheorie 453 f,, 457 f., 
501, 532 ff., 538 ff., 554 ff., 574 f. 

— und Logik: s. Logik. 

— und Metaphysik : s. Metaphysik. 
Psychologische Natur der Kritik der Ver- 
nunft: s. Kritik. 

— und logische Notwendigkeit 501, 554 ff. 

— Äquivalent eines metaphysischen Satzes 
785. 

— Kriterien bei der regressiven Auf- 
weisung der Prämissen zu gegebenen 
Schlußsätzen 816. 

— Unlösbarkeit des Humeschen Problems 
mit den Mitteln der herkömmlichen 
ps. Theorie 745, 749 ff., 753 f. 

Psychologismus 534 ff., 663, 667 ff., 685, 
702, 707, 711, 721, 724, 730, 733, 813 ff. 

— versteckter (des Transzendentalismus) 
551 f., 555. 

— Zirkel des P. 554 f., 781. 

— und Empirismus: s. Empirismus. 

— und Transzendentalismus 442 f., 534 ff., 
667 f., 702, 724 f., 730, 781 f., 784, 
804 f., 816 f. 

Psychologistische Logik und Ästhetik 
bei Lipps 560 ff. 

— Vorurteil: s. Vorurteil. 

Quaestio facti und quaestio juris 623. 
Qualität : Theoretische Unauflöslichkeit 
innerer Qu. 770. 

— des Urteils 793 f. 
Quantität des UrteUs 793 f. 



L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblein. 



[422 



Rationale und empirische Erkenntnis 608 f. 

— s. a. A priori. 

— 8. a. Empirisch. 
Rationalismus 724, 737, 765. 

— ästhetischer 801 f. 

— als Konsequenz des Transzendentalis- 
mus 724, 784, 804. 

— Ursprung des nachkantischenR. 587,724. 
Raum als Form der äußeren Erschei- 
nungen 607. 

— Anschaulichkeit und Idealität 607. 

— Realität des R. nach Gauss 607 f. 

— Unendlichkeit 636. 
Realismus, empirischer 681, 802. 
Realität, ahsolute 764 ff., 767 f. 

— empirische und transzendentale 630 f. 

— der Ideen: s. Idee. 

— Kriterien der R. : s. Wirklichkeit. 

— Sinnesanschauung als einziger Quoll 
der R. in unserer Erkenntnis 767. 

Reduktion der Allgemeingultigkeit meta- 
physischer Sätze durch das Prinzip der 
Möglichkeit der Erfahrung 625 ff. 

Reflexion : Analytische Natur der R. 755. 

— Leerheit und Mittelbarkeit der R.: 
s. Mittelbarkeit. 

— Willkürlichkeit der R. : s. Willkürlich- 
keit. 

— Unentbehrlichkeit der R. 545, 650 f., 
645, 754 f., 809. 

— und Assoziation 745. 

— und Selbstbeobachtung (innere Erfah- 
rung, Wahrnehmung) 807 ff., 812 ff. 

— und Vernunft: s. Vernunft. 

s. a. Erkenntnis. (Erkenntnis und 

Urteü.) 

— Fries' Theorie der R. 807 ff. 

— s. a. Urteil. 

Regressive Auf Weisung der metaphysischen 
Grundsätze als Bedingungen der Mög- 
lichkeit der Erfahrung 478 f., 613, 623. 

der Ideen als praktischer Postu- 

late 763. 

der Kategorieen am Leitfaden der 

Urteilsformen 638. 

und kritische Begründung (Abs- 
traktion und Deduktion) 623, 728, 814 ff. 

s. a. Begründung. 

— Beweis (Induktion) 726 f. 

— Methode der Kritik der Vernunft 658 ff., 
728, 731, 814 ff. 



Regressive Methode: s. a. Analytische Me- 
thode. 

s. a. Zergliedernde Methode. 

Regressus: Totalität des R.: s. Totalität 

— unendlicher, der erkenntnistheoreti- 
schen Begründung 445, 454 f., 481, 484, 
506, 522 f. 

der biologischen Erkenntnistheorie 

489, 492. 

der teleologischen Elrkenntnistheorie 

498 ff. 

der idealistischen Lösung des Er- 
kenntnisproblems 695 ff. 

der Annahme, alle Erkenntnis be- 
ruhe auf innerer Wahrnehmung 711 f. 

der Annahme der Identität von 

Sein und Angeschaut- (Wahrgenommen-) 
Werden („esse = percipi") 680, 723. 

der Annahme der Notwendigkeit 

des Wissens um das Wissen 692. 

der Frage nach dem Grunde der 

Verbindlichkeit sittlicher Pflicht 421. 

Reine Anschauung: s. Anschauung. 

— Ich: s. Ich. 

— Mathematik: s. Mathematik. 

— Vernunft: s. Vernunft. 
Reinhold, K. L. 608, 653 ff., 668 ff., 702, 

705, 723, 730 f. 

— der Jüngere 667. 
Relation des Urteils 793 f. 

— Kategorieen der R. 695. 
Relativität des biologischen Wahrheits- 
kriteriums 490 f., 493. 

Remusat, Gh. de 423. 

Rezeptivität 575 ff., 584. 

Richtigkeit: Identität der Behauptung 

eines Satzes mit der Behauptung seiner 

Richtigkeit 474. 
RiCKERT 494 ff., 507 ff., 551 ff., 689, 701. 
Russell 517. 

Satz und Urteil 449. 

Schein, transzendentaler 594, 639, 641. 

— und Wahrheit 609, 612. 

— s. a. Erscheinung. 
SCHELER 461. 

SCHELLING 466, 648, 654, 668, 702, 773. 

Schema der möglichen Annahmen über die 

Erkenntnisquelle der Metaphysik 647. 

— zur Ableitung und Auflösung der er- 
kenntnistheoretischen Antinomie 535. 



423] 



Schema zur Ableitung and Auflösung dos 
Widerspruchs zwischen Erkenntnis- 
theorie und Dogmatismus 524. 

— zum Streit über das Ding an sich 784. 

— mathematisches (der Kategorie) 642, 
765. 

SCHILLEB 803. 

Schluß: als analytisches hypothetisches 
UrteU 450 f., 638, 794. 

— vom Besonderen auf das Allgemeine 727. 
s. a. Induktion. 

— aus unvollständigen Disjunktionen 780 ff. 
Schlußsatz: Abhängigkeit der Modalität 

des Schlußsatzes von der der Prä- 
missen 472, 657 f., 727, 732 f. 
s. a. Modalische Gleichartigkeit. 

— s. a. Prämisse. 
ScHMiD, C. Chr. E. 725. 
Schottische Schule 479, 627. 
Schranken unserer Erkenntnis 634 ff., 

638, 642, 762, 764 ff. 

Schultz, J. 649. 

Schulze, G. E. 648. 

Sein: s. Existenz. 

Selbstbeobachtung: Angeblicher Wider- 
spruch im Begriff der S. 497 f., 689. 

— als Begründungsmittel der Kritik der 
Vernunft 735 ff., 742. 

— künstliche 809 f. 

— und Reflexion: s. Reflexion. 

— s. a. Innere Wahrnehmung. 
Selbstbewußtsein 687. 
Selbsterkenntnis 497 f., 685 f., 688 ff., 737, 

742. 

— und Reflexion: s. Reflexion. 
Selbsttätigkeit 667. 

— und Willkürlichkeit 575 ff., 756. 
Selbstvertrauen der Vernunft: s. Ver- 
nunft. 

SiMMEL 485 ff. 

Singulare Urteile 712. 

Sinn und Assoziation als einzige Er- 
klärungsgründe der empiristischen 
Theorie 747, 754. 

— Unmöglichkeit, allgemeine und not- 
wendige Wahrheiten durch die S. zu 
erkennen 746. 

— innerer 808, 811. 
Sinnenwelt 636, 766. 
Sinnesanschauung: s. Realität. 

— 8. a. Wahrnehmung. 



Sinnliche Anregung: s. Anregung. 

— Anschauung: s. Anschauung. 

— Beschränkti^eit unserer Erkenntnis 
765. 

s. a. Beschränktheit 

— Wahrnehmung: s. WaJimehmung. 

— Natur der anschaulichen Selbster- 
kenntnis 686 f. 

Sinnlichkeit und Verstand 584. 

Sinnlosigkeit von Definitionen durch un- 
endliche Satzreihen 489, 492, 498 ff., 
589, 723. 

Skeptizismus 525, 597 f., 743, 757 ff. 

— kritischer, Maimons 628. 

— metaphysischer (philosophischer) 629, 
624, 628, 759. 

— praktischer 763. 

Sollen, transzendentes, als erkenntnis- 
theoretisches Kriterium 492 ff., 553 f. 

Sophisten 529. 

Spekulation : Subjektive (idealistische) 
Wendung der S. 730, 734 ff., 743, 761 f. 

Spekulativer Glaube 766. 

— Verstandesgebrauch: s. Abstrakt. 

— und praktische Vernunft 642 f. 
Spinoza 419, 736. 
Spontaneität 584. 

— s. a. Selbsttätigkeit. 

Sprache : Regeln über den Gebrauch der 

S. in der Philosopliie 773 ff. 
Stumpf 574 f. 
Subjekt, erkenntnistheoretisches 497 f., 

513, 517. 

8. a. Bewußtsein überhaupt. 

~^ — g^ 9l Xch. 

— und Objekt 497 f., 670, 688 ff. 

— und Prädikat 794. 

Subjektive Wendung des Philosophierens 
durch die Kritik der Vernunft 651 f., 
730 f., 735 ff. 

— und objektiv: s. Objektiv. 
Subjektivismus, ästhetischer 562 ff., 677. 
Subjektivität 463. 

Synthesis: Theorie der S. bei Kant 644, 
755 f. 

— abgeleitete und ursprüngliche 755 f. 
Synthetische und analytische Urteile: s. 

Analytisch. 

— Begriffisbildung (Determination) 464. 
466. 

— Einheit: s. Einheit 



L. Nelson: Über das sogenannte Erkenntnisproblem. 



[424: 



Synthetiscbe Urteile a priori: s. Urteil. 

— Unmöglichkeit s. Erkenntnis ans 
bloßen Begriffen 465 f., 619, 645. 

System und Kritik: s. Kritik. 

— Analytische Einheit des S. 641. 
Systematische Form: s. Form. 

— Vollständigkeit 727, 729. 

Tätigkeit: s. Selbsttätigkeit. 

— s. a. Tun. 

Tatsache des Bewußtseins 655, 663, 673. 

Tatsächlichkeit des Erkenncns: s. Er- 
kenntnis. 

Teleologie: logische, bei Kant 642. 

Teleologische Erkenntnistheorie: s. Er- 
kenntnistheorie. 

Terminologie: Regeln für die philoso- 
phische T. 773 ff. 

Theoretische und ästhetische Urteile 802 f. 

— und deskriptive Psychologie: s. Psy- 
chologie. 

— und praktische Vernunft : s. Vernunft. 
Theorie der Vernunft: s. Vernunft. 

— Unmöglichkeit einer Th. für innere 
Qualitäten 770. 

Topik 737. 

Totalität der Reihe der Bedingungen 
635 f., 639 ff. 

— Idee der T. 765. 
Transzendentale Ästhetik 603, 639. 

— Apperzeption 737, 755, 760 f. 

— BeWtis 467ff., 611ff., 618, 620, 622 ff., 
644. 

— Dialektik 639. 

— Erkenntnis 536, 621 f. 

— Idealismus: s. Idealismus. 

— Idee 766. 

— Logik 620 f. 

— Methodenlehre 623. 

— und empirische Realität (Idealität) 630 f. 

— Schein: s. Schein. 

— Vorurteil: s. Vorurteil. 

— Wahrheit: s. Wahrheit. 
Transzendcntalismus und Psychologis- 
mus : s. Psychologismus. 

T- und Rationalismus: s. Rationalismus. 
Transzendentes Sollen als erkenntnis- 
theoretisches Kriterium 492 ff., 553 f. 
Transzendenz: Problem der T. 508. 
Traum und Wirklichkeit 461. 

— Evidenz der T. 482 f. 



Trendelenbuko 588, 599. 

Tun : Begriff des T. 695. 

Typik der praktischen Urteilskraft 799 f. 

Überindividuell : s. Ich. 
Übersinnlich 766 f. 

Unabhängigkeit des Gegenstandes von 
der Erkenntnis 457 f., 508 ff. 

— des ästhetischen Objekts von seiner 
Wertung 563 f. 

— der Naturgesetze vom Individuum 701. 

— der Logik von der Psychologie 546. 

— logische, eines Systems von Grund- 
sätzen 727. 

Unbeschränkte synthetische Einheit 635, 

638, 642. 
Unendlicher Regressus: s. Regressus. 

— Definitionen durch u. Satzreihen: s. 
Sinnlosigkeit 

— Unmöglichkeit empirischer Urteile mit 
u. Subjektsumfang 716 ff. 

Unendlichkeit der mathematischen Formen 
635 f., 764 f. 

— Widerspruchslosigkeit des mathemati- 
schen Begriffs der U. 686. 

Unlösbarkeit des erkenntnistheoretischen 
Problems 444, 597 f. 

— des Humeschen Problems mit den 
Mitteln der herkömmlichen psycholo- 
gischen Theorie 745, 749 ff., 758. 

Unmittelbare Erkenntnis: s. Erkenntnis. 
Unmittelbarkeit der Assertion der Gegen- 
ständlichkeit beim Erkennen 459, 461. 

— der Erkenntnis äußerer Gegenstände 
688, 691 ff. 

— der Erkenntnis und des Bewußtseins 
530, 548, 550 f., 686, 744. 

Ursache und Gesetz 569 f. 

— der Empfindung 576 f. 
Ursprüngliche Synthesis 755 f. 

— Vorstellen 618, 644. 

— materiale Bestimmungen der formalen 
Apperzeption 760 f. 

UrsprüDglichkeit : s. Unmittelbarkeit 
Urteil: Begriff des U. 793. 

— ästhetisches (Geschmacksurteil) 801 ff. 

— allgemeines 712 ff., 715 ff. 

Problem der Möglichkeit allge- 
meiner U. 712. 

— — Nominalistische (Konventionalisti- 
sche] Begründung a. U. 712S,, 715. 



426] 



Regtetor. 



Urteil, analytisches und synthetisches: 
8. Analytisch. 

— bejahendes und verneinendes 466, 710. 

— evidentes: s. Evidenz. 

— praktisches (Werturteil) 797 f. 

— singuläres 712. 

— synthetisches a priori 608 ff., 611 f., 
614 ff., 618 f., 765, 802. 

— Urteile, die ihren Grund weder in der 
Anschauung noch in Begriffen haben 
528 ff., 617 ff., 644 ff., 745. 

— Wahmehmungsurteil 712. 

— Abhängigkeit des U. vom Willen 484, 
493, 500 ff., 529, 555 f., 575, 755 f. 

— Abhängigkeit aller U. von Prinzipien 
a priori 586 f., 782 ff. 

— Assertion im U. 484, 493, 601 ff. 

— Begründung der U.: s. Begründung. 

— Unterschied zwischen dem Bestim- 
mungsgrund zum Fällen eines U. und 
der Eichtschnur für den Inhalt des 
U. 504 ff 

— als Gleichsetzung gleicher Geistes- 
tätigkeiten nach Beneke 708 ff. 

— und Anschauung: s. Anschauung. 

— und (unmittelbare) Erkenntnis : s. Er- 
kenntnis. 

— und Satz 449. 

— und Vergleichungsformel 466, 709 f. 

— und Vorstellung 493, 500 ff. 

— und Wamehmung: s. Wahrnehmung. 
Urteilsformen: s. Form. 
Urteilsnotwendigkeit 502 ff. 

— s. a. Forderung. 

Vaihinger 671. 

Variation: s. Entwickelungsgeschichte. 

Verbahnethode 699 ff., 720 f. 

— der Bildung allgemeiner Sätze 713 ff., 
720 f. 

Verbindung: objektive and subjektive 
751, 753. 

— ursprüngliche 755 f. 

— der Vorstellungen im Urteil 493, 
500 ff., 528 ff., 617, 765 f. 

— Theorie der V. 763 ff. 

— s. a. Einheit 

Vergleichungsformel und Urteil : s. UrteiL 
Verknüpfung, objektive (notwendige) 762, 

764. 

— s. a. Einheit 

AbhAAdlaBfra der FriM*ick«i Behito. IL Bd. 



Verneinung: Satz der doppelten Y. 790, 

794. 
•— s. a. Bejahung. 
Vernunft: Existenz der (remen) V. 704 f., 

746, 749 ff., 756, 758. 

— und Reflexion (Verstand) 624 f., 529 f., 
574 f., 636 ff, 704, 765 ff., 764 ff., 775, 
808 ff. 

— Grundvorstellung der reinen V. 633 ff., 
637 f., 760. 

— Unmittelbare Erkenntnis der reinen 
V.: s. Erkenntnis. 

— Kritik der V.: s. Kritik. 

— Oberstes Prinzip der reinen V. 639 ff. 

— Selbstvertrauen der V. 525, 530, 633, 
757 ff 

— Theorie der V. 646, 618, 643, 736 f., 
741, 747, 755 f., 760, 765. 

— Widerstreit zwischen theoretischer 
und praktischer V. 642 f., 762 f. 

— Primat der praktischen V. : s. Primat. 
Vemunftwahrheit 625. 

Verstand 624 f. 

•— und Sinnlichkeit: s. Sinnlichkeit 

— und Vernunft: s. Vernunft 

— Kants Begriff des V. 584. 

— als Gesetzgeber der Natur nach Kant 
591. 

— Gesunder Menschenverstand 739 f. 
Verstandeswahrheit 525 f. 
Vollständige Einheit und Notwendigkeit : 

s. Absolut. 
Vollständigkeit der Bestimmung des 
Gegenstandes 634, 641. 

— der Reihe der Bedingungen 636 f. 

— s. a. Totalität. 

— eines Systems von Grundsätzen 727, 729. 
Vorstellung und Erkenntnis : s. Erkenntnis. 

— und Gegenstand: s. Erkenntnis. 

— und Urteü 493, 600 ff. 

— und Wahrnehmung 601 f. 

— Zweideutigkeit des Wortes 662, 732. 
Vorurteil der Beweisbarkeit alles Wissens: 

s. Beweis. 

— alle Erkenntnis bestehe im Urteil 
464 f., 480 f., 484 f., 490, 600 ff., 622 ff., 
656 f., 671 f., 673 ff., 711. 

— alle Erkenntnis gehöre entweder der 
Reflexion oder der Anschauung an 
528 ff., 648 ff., 618, 624, 644 ff., 666 f., 

I 667 f., 704, 744 ff„ 764 ff. 

64 



L. Nelson: Über das sogenanate Erkenntnisproblem. 



[426 



Yorarteil: alle Erkenntnis beruhe auf 
innerer Wahrnehmung 711 f. 

— der Mittelbarkeit der Erkenntnis 
äußerer Gegenstände 688, 691 IT., 694 f. 

— der ausschließlichen Objektivität apo- 
diktischer (rationaler) Erkenntnis 462 flf. 

— der ausschließlichen Objektivität der 
sinnlichen Wahrnehmung 563, 577. 

— der Ausschließlichkeit von Logik und 
Empirie als Wahrheitskriterien 608 f., 
611 f., 615, 624, 631, 761, 796 ff. 

— erkeuntnistheoretisches (Annahme 
einer Wissenschaft, die das konsti- 
tutive Fundament der Philosophie ent- 
hält) 533 ff., 663 ff., 667, 686 ff., 690 ff., 
702, 706 f., 724 ff., 739 f., 756 ff., 769 f., 
781 f., 805 f. 

— das konstitutive Prinzip der Philo- 
sophie liege in der Selbsterkenntnis 
(die kritische Begründung enthalte den 
Grund der Philosophie) 661 ff., 667, 
686, 706 f. 

8. a. Grund und Begründung. 

— der modalischen Gleichartigkeit von 
Kritik und System (Grund und Begrün- 
dung): s. Modalische Gleichartigkeit 

s. a. Grund und Begründung. 

— psychologistisches 532, 534 ff., 702, 
724, 781, 805 f. 

s. a. Psychologismus. 

— transzendentales 532 ff., 535 f., 620 ff., 
667 ff, 686, 701, 707, 724, 781, 804 f. 

Die beiden Formen des t. V., 

Mystizismus und logischer Dogmatis- 
mus 668. 

s. a. Transzendentalismus. 

Wahrheit : Klassifikation der W. bei Ari- 
stoteles, LEifiNiz und HuME 608. 

— empirische 743, 758, 769. 

— transzendentale 595 f., 598, 758, 766, 
769. 

— Vernunft- undVerstandes-W. 52öf ., 769. 

— als Gefordertsein von Urteilen 494 ff., 
498 f. 

— biologische Erklärung der W. 485 ff. 

— Kriterien der W. : s. Kriterium. 

— Wert der W.: s. Wert 

— Zdtlosigkeit der W. 491 f. 

— und Intum: s. Irrtum. 

— und Schein: s. Schein. 



Wahrheit: s. a. Objektivität. 

— s. a. Richtigkeit 
Wahrnehmung, innere 543 f., 7ll f. 
— und Reflexion: s. Reflexion. 

— wirkliche und mögliche 721 ff. 

— Assertion der W. 501 f. 

— Erkenntnischarakter der W. 502. 

— Unmittelbarkeit der W. äußerer Gegen- 
stände 492 f. 

— Unterschied von Halluzinationen und 
Träumen 461, 482 f. 

— Vorurteil der ausschließlichen Objek- 
tivität der sinnlichen W. : s. Vorurteil. 

— und Erfahrung: s. Eh'fahrung. 

— und Rezeptivität 576 f., 584. 

— und Urteil 501 ff. 
s. a. Anschauung. 

— und Vorstellung 501 f. 
Wahrnehmungsurtäle 712. 
Wellstein 448. 

Welt und Natur 635 f., 766. 
Weltansicht, natürliche und ideale 766 f. 

— und Methode 651 f. 

Wert, als Kriterium der Wahrheit von 
Vorstellungen oder Urteilen 490, 493, 
506, 553 ff. 

Werten, ästhetisches 561 ff. 

Werturteil 797 f. 

Widerspruch: Satz des W., als Prinzip 
aller analytischen Urteile bei Kant 790. 

als Folge des Satzes der Bestimm- 
barkeit 794. 

als positives Kriterium der Wahr- 
heit bei Rickert 555. 

— logischer und metaphysischer 468, 470. 

— der Behauptung des Nicht- Wissens 
445 f. 

— der Lengnung der Möglichkeit ob- 
jektiv-allgemeingültiger Aussagen 470, 
589, 717, 719. 

— des biologischen Wahrheitskriteriums 
492. 

— des teleologischen Wahrheitskrite- 
riums 506 f. 

— des Begriffs des erkenntnistheoreti- 
schen Subjekts 496 f., 517. 

— introjizierter 588 f., 693. 

— — des Empirismus 717. 

der nominalistischen (konventiona- 

listischen) Erklärung der Möglichkeit 
allgemeiner Urteile 715. 



427J 



Register. 



Widersprach, introjizierter , der Lehre 
vom transzendentalen Schein bei Kant 
594, 639. 

des formalen Idealismus 586 f. 

— der Bestreitung des Pr&formations- 
sy Sterns 595. 

der Leugnung objektiven Wissens 

594, 60-4 f. 

Wille : Bestimmungsgrund des moralisch- 
guten W. 796 ff., 800 f. 

— als Voraussetzung der Wahrheit bei 
Fichte 675, 683 f. 

bei RiCKERT 552 ff. 

— Widerspruchslosigkeit des W. (Über- 
einstimmung des Sv. mit sich selbst) 
als Kriterium der Moralit&t bei Kant 
798 f., 801. 

Willktlrlichkeit der Heflexion (des Ur- 
teüs) 484, 493, 500 ff., 529, 555 f., 
676 f., 683 f., 745, 755 f., 808. 

— der Bildung allgemeiner Urteile 713,716. 

— und Freiheit 745. 

— und Selbsttätigkeit (Aktivität, Spon- 
taneität) 575 ff., 756. 

— Grundgesetz des willkürlichen Yor- 
stellens 745. 

Windelband, W. 419, 701. 
Wirklichkeit : Positive und negative Kri- 
terien der W. 460 f. 

— der Erfahrung: s. Erfahrung. 
Wissen 469. 

— des Nicht- Wissens 446. 

— Tatsächlichkeit des W. 665. 

— Angebliche Notwendigkeit des Wissens 
um das Wissen 692. 



Wortbedeutung und Begriff 449, 714. 
Würde der Person 801. 
WUNDT 576. 

Zahl : Idealität der Z. nach Gauss 607 f. 
Zeit: Unendlichkeit der Z. 636. 
Zeitlosigkeit der Wahrheit 491 f. 
Zergliedernde Methode 780, 815. 

— s. a. Methode. 

Zirkel der Erkenntnistheorie 444 f., 597 f., 
740, 781 f. 

— der erkenntnistheoretischen Methode 
in der Ethik 421. 

— der Annahme, alle Erkenntnis gründe 
sich auf innere Wahrnehmung 711. 

— der Definition der Existenz 499, 723. 

— des formalen Moralprinzips bei Kant 
801. 

— in Kants Begründung der Apodikti- 
zität der Mathematik 747. 

— angeblicher, der psychologischen Kritik 
540, 732 f. 

— des Psychologismus 554 f. 

— des transzendentalen Beweises 472 f., 
479, 613 f., 629. 

— der theologischen Begründung der 
transzendentalen Wahrheit 596 f. 

— der Zurückfahrung einer Wahrheit 
auf die Denknotwendigkeit ihres In- 
halts 719. 

Zweckmäßigkeit, ästhetische 801 f. 
Zweifel 525, 757 ff. 

— 8. a. Skeptizismus. 



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