^-otze, Hermann
Ueber den begriff der
Schönheit
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E]\ BEUHIFF DER SCHÖNHEIT.
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Abgedruckt aus den Göttinger Studien. 1845.
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DEM BEGRIFF DER SCHÖNHEIT.
Von
HERM ANN LOTZL.
Abgedruckt aus den Gültins'er Studien. 1845.
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bei Vandenhoeck und nuprecht.
1 8 4 5.
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University of Toronto
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Ueber
den Begriff der Schönheit '").
Von
H. liOtze. ^ ^^ ^
I.
Jedem Auge zugänglich, jedem unbefangenen Sinne ver-
ständlich berührt in den Gebilden der Natur die Scliönheit
unerschöpflich das lebendige Gemüth; und doch hat nicht
aus ihr, die selbst durch mancherlei Triebe der Sehnsucht
oder die Wonne der Befriedigung unterstützt dem Herzen
sich aufdrängt, sondern aus der Bewunderung der Kunst-
schönheit die wissenschaftliche Betrachtung des Schönen
ihre ersten Anregungen erhalten. Und dieser Gang der Er-
eignisse ist nicht wunderbar. Wo die Natur durch die
Grösse ihrer Gestalten und die Macht ihrer Kräfte zu über-
wältigen droht, da ruft sie zuerst den Geist zur Selbstver-
*) Diese Abhandlung, durch ihren Platz in einer Sammlung vcr-
schiedner Arbeiten räumlich beschränkt, und bestimmt, durch keinen
undeutschen Ausdruck der Sache eine ihr fremde Schwierigkeit zu ge-
ben, will nur eine durchaus elementare Einleitung zu den Kunstbe-
traciitungen sein, die in neuster Zeit Iheiis sehr werthvoll, theils über-
klug ausgebildet, jedenfalls auf einem Hoden ruhn, den zu betreten die-
sen Zeilen nicht gestattet war.
1*
theidigung auf, in deren noch frischem Geräusch und Kampf
die Nachforschung nach den stillwirkenden unabänderlichen
Gesetzen ihrer Bildungen verstummt; wo der beglückende
Einklang ihrer feineren Züge das Gemüth trifft, da werden
die angeregten Träume, ihrer eigenen Seligkeit gewiss, lie-
ber forlzuklingen suchen, und in eine reichhaltige Welt von
schönen Gestaltungen sich ausspinnen , als dass sie ihren
eignen Selbstgenuss unterbrechend, sich zu den Quellen zu-
rückwendeten, aus denen sie entsprangen. Und so linden
wir, dass wie die magnetischen Ströme sich gegenseitig her-
vorrufen, so auch das erste Anschauen und Geniessen der
Schönheit sogleich in eine schöpferische Fortbildung umge-
schlagen i=t, U; d nicht die schöne Natur selbst, weder die
des Landes, nocA die der Bewohner, sondern die Kunst-
weit, dieser erste Abglanz und W'iderschein jener innerlich
erlebten Naturbedeutung, hat zu der Anknüpfung denkender
Betrachtungen geführt. Gegenstand ernsthafterer Bestrebun-
gen wird für uns vorzugsweise das, was wir auf irgend
eine Weise an oder in uns selbst erleben können. Man
kann zweifeln, ob selbst die wirkenden Kräfte der äussern
Welt mit ihren Gesetzen ein Ziel unserer Untersuchungen
geworden wären, wenn wir nicht selbst eine Quelle von
Bewegungen und Veränderungen dieser Well wären; wenn
wir nicht, indem wir künstliche Vorrichtungen bauen, und
auf einander berechnete Räder und Getriebe gegen sich
spielen lassen, uns selbst als den innerlich wirkenden und
strebenden Geist in diese äusserlichen Veranstaltungen hin-
einzufühlen vermöchten. Auch das Schöne wurde dann Ge-
genstand des Nachdenkens, als das Gemüth sich selbst auf
seiner Schöpfung betraf und gleichzeitig die Ruhe bewahren
konnte, die der Betrachtung nothwendig ist. Wenn der
Trieb künstlerischer Darstellung schon gewaltet hat, und
die Leidenschaften der Furcht und Begehrung, die wohl
dem Urbilde gelten konnten, von dem künstlerischen Ab-
bild nicht mehr erregt werden ; wenn der Gehalt des Schö-
nen nicht mehr als ein unvermitleites Aeusseres , in seiner
fremden, abgeschlosseneu Fertigkeit drückendes erscheint,
dann Hegt es nahe , nicht blos die Gesetze des Verfahrens
zu suchen, nach denen der Geist Schönes bildet, sondern
auch den Verhältnissen nachzugehen, auf deren Vorhanden-
sein, abgesehn von dem Hergange der Verwirklichung, die
Schönheit des Schönen beruht.
Dennoch fehlte auch der ersten Ausbildung des mensch-
lichen Geschlechts eine eigenthümliche Deutung der natürli-
chen Schönheit nicht. Unmöglich musste ih»' nur dies sein,
den Grund des Schönen, Erhabenen oder Grauenhaften, das
in wechselnden Erscheinuui'en das Geraüth ergriff, in Ge-
stalt so einfacher und nackter Begriffe auszuspr-^chei^, wie
sie für eine wissenschaftliche Ansicht unserer Zeit die Grund-
lage bilden zu müssen scheinen. Fern von solchen Bestre-
bungen und unfähig zu ihnen , deutete jene Zeit das Gege-
bene, indem sie Neues schuf, was sie zu deuten vermochte.
Sie trennte nicht die lebendige Innigkeit des Gefühls, die
dem Eindruck des Schönen folgt, von den leblosen Formen
des Gegenstandes ab, der jenes hervorzubringen im Stande
war; alles Aeussere vielmehr mit verborgner Lebendigkeit
erfüllend, konnte sie Weh und Seligkeit des geniessenden
Geistes auf die genossene V^elt übertragen. Der schöne Ge-
genstand war nur darum schön, weil er beseelt dieselben
Bewegungen in sich geniessen konnte , die seine Betrach-
tung in anderen Gemüthern anklingen musste. So entging,
schaffend in ihren Deutungen, die alte Sagenlehre den Zwei-
feln der wissenschaftlichen Ansicht, die w'ohl auch gern
alles Entzücken des angeregten Gefühls mit in den schö-
nen Gegenstand verlegen möchte und doch sich eingestehn
muss, dass das Schöne in dieser Bedeutung nur in dem
geniessenden Geiste, aber nicht in den genossenen Verhält-
nissen der Dinge liegen kann, die den unschuldigen oder
verdienstlosen Anstoss zur Erzeugung seliger Lust gewäh-
ren. Und so finden wir, dass lebhaft für das Schöne be-
geisterte Ansichten auch in neuester Zeit fast immer geeilt
haben, alles Aeussere mit einer durchdringenden Lebendig-
keit zu begaben. Ohne sie schien es unmöglich, grade das,
was von dem Schönen allein einer übergreifenden Giltigkeit
würdig wäre, jenen von dem Gefühle unabtrennbaren Werth
und Selbstgenuss , auch ausser uns in den Gegenständen
wiederzufinden. Solche Bestrebungen werden immer die
Frucht haben , den Sinn für das Verständniss der einzelnen
Schönheiten zu schärfen. Denn die Bedeutung und der
Werlh innerer'. Regungen, der Kreis von Handlungen und
Aeusserungeu , zu dem sie in Liebe und Ilass , Sehnsucht
und Befi-iedigung hindrängen, selbst die feineren Züge der
gesan'^tepg.ErsclTieinung , in der das Innere des Gemülhs zu
Tage kommt, dies alles ist dem unbefangenen Sinne ver-
sländlich. Und wenn es ihm vergönnt ist, in dem Aeusse-
ren der Natur eine ähnlich strebende und empfindende Seele
vorauszuahnen, so wird die Sage, die dem lieblichen Natur-
gebilde eine ebenso liebliche Seele inwohnen, der grauen-
haften oder erhabnen Erscheinung einen ebenso gearteten
Willen unterliegen lässt, nicht bloss im Allgemeinen dadurch
die besondere Weise des erregten Gefühls andeuten. Viel-
mehr, indem sie jetzt diese einzelnen Geister zu einem le-
bendigen Ganzen gegenseitigen Handelns und Leidens verket-
tet, wird sie durch den Gang ihrer Schicksale oder die Her-
vorhebung weit verfiochtner Beziehungen jedem derselben
eine bestimmtere Färbung crtheilen, und so deutlicher die
Züge hervortreten lassen , auf deren noch unbcwusster Auf-
fassung vorher das angeregte Gefühl beruhte. Wir folgen
jedoch der Sagendichtung nicht weiter; sie fügte noch mehr
hinzu , indem sie der Reihe der Naturgeister geschichtliche
Ereignisse und allgemeine Erfahrungen des menschlichen
Lebens einflocht; für uns ist nur das Eingeständniss von
Werlh, das in allem ihren Thun liegt, dies nämlich, dass
das volle Schöne nirgends anders, als in der Erschütterung
des geniessenden Geistes, zu suchen sei.
Zwar auch die einfachen Empfindungen der Sinnlich-
keit, der Glanz des Lichtes und die Pracht der Farben sind
Nichts, was .abgewandt vom Bewusstsein an den Dingen
selbst haften konnte, sondern sie sind Erscheinungen, die
an äussern und Innern Ei^eignissen hangen, ohne von diesen
selbst uns eine Vorstellung zuzuführen. Aber wir wissen
nichts unmittelbar von den Wellen der Lichtströrae und
nichts von den Zuständen, die sie im Innern unsers eignen
Leibes hervorbringen; wir sind nicht im Stande, den Ge-
genstand, wie er ohne alle Sinnlichkeit für u.^is sein würde,
mit dieser seiner sinnlichen Erscheinung zu vergleichen; wir
fühlen uns endlich in diesem Allen hingegeben an eine an-
geborne Nothwendigkeit unserer Natur. Aus allfjä diesen
Gründen haftet für die unmittelbare Auffassung alles Sinn-
liche viel fesler an dem Gegenstande, zu dessen anhängen-
den Eigenschaften es gerechnet wird, als die Schönheit oder
Hässlichkeit an ihnen haften kann. Denn durch sie wird
uns der Gegenstand nicht gegeben, sondern bereits festste-
hend erweitert sich durch das werthgebende Urtheil des
Geschmackes sein Inhalt nur in sofern, als ihm die Kraft
zugetheilt wird , in seinem zufälligen Zusammenstoss mit
einem empfänglichen Gemüthe einen eigenthümlichen Zustand
der Lust zu veranlassen. Auch hier zwar drängen sich die
Gründe, durch deren Vermittlung die Lust dem Eindruck
folgt, nicht hervor, sondern das beglückende Ergebniss
scheint allein über dem Spiegel des Bewusstseins zu treiben.
Dennoch ahnen wir, dass nicht uns völlig verschlossene,
beständige Einrichtungen unsers Innern, sondern mehr oder
minder eines deutlichen Selbstbewusstseins fähige Strebun-
gen und Regungen des wahrhaft eigenen Geistes durch den
Eindruck des Schönen berührt werden. Wir ahnen über-
haupt, dass Alles, was einen Werth vom Bewusstsein er-
langen soll, die Seele nicht in Ruhe, sondern in einem le-
bendigen oder zurückij;ehaltnen Streben antreffen muss. Dies
theilt das Schöne mit dem Angenehmen , und schon Kanf,
8
dem die denkende Betrachtung des Schönen mehr verdankt,
als jetzt anerkannt zu werden pflegt, fand die Schönheit in
einer Angemessenheit der Verhältnisse des Gegenstands zu
dem Spiele unserer Erkenntnissvcrmügen. Während, was
den nothwendigen Gesetzen unsers Verstandes allein sich
fügt, keinen besondorn Dank von uns verdient, müssen wir
es als eine freie Gunst des Schicksals betrachten, wenn das
Gegebene noch ausserdem Beziehungen und Zusammenhänge
zeigt, durch die es unserm Wunsch nach Zusammenfassung
unter wenigeiV höhern Gedanken zuvorkommt. Eine Welt
wäre möglich, in der keine Gattungen als beherrschende
Gestalten der Mannigfaltigkeit sich zeigten, sondern alles
Einzelne vunverHcichbar neben einander stände; dass aber
anstatt' dieser für alle denkende Betrachtung spröden Welt
die sich selbst zu höhern Gipfeln zusammenschliessende
Welt der Erfahrung vorhanden ist, dies ist selbst ein Ge-
genstand der uneigennützigen Lust, die in ihrer Beziehung
auf das Einzelne, Mannigfaltige zu dem Gefühle der Schön-
heit sich umwandelt. Nicht also in dem blossen Zusam-
menstimmen des Eindrucks mit dem gleichgiltigen Ablauf
eines Erkenntnissvermögens bestand nach Kant das Schöne,
sondern in seinem Einklang mit einer strebenden, einem
Ziele nachjagenden Erkentniss.
Verlassen v^ir die Annahme der Seelenvermögen, so
sinkt mit ihnen ihr selbstständiger fortwährender Ablauf;
und nicht mehr dies von selbst ewig fliessende Spiel einer
Thätigkeit, sondern eine sich entwickelnde Heihe von Vor-
stellungen, Gefühlen oder Strebungen wird es jetzt sein,
mit deren Gefüge und Gliederung der neu einfallende Ein-
druck zusammenstimmen muss. Eine solche Ansicht scheint
mir jedoch nachholen zu müssen, was in Kants Lehre ver-
sucht, wenn auch nicht ausgeführt war. Hier nämlich lie-
gen ohne Zweifel die unterscheidenden Grenzen des Schö-
nen und des Angenehmen. Reichte es zur Schönheit des
Gegenstandes hin, dass sein Eindruck mit irgend einer Vor-
Stellungsreihe kampflos sich verschmelzen könne, so würde
die Schönheit , auf unsäglich verschiedene Vorstellungsreihen
bezogen, deren Vorkommen nur für den einzelnen Geist
gerechtfertigt ist, in dem sie sich entwickeln, einestheils
demselben Gegenstand bald zukommen bald nicht, andern-
theils jederzeit nur für jenen einen Geist vorhanden sein.
Der Schönheit aber schreiben wir Beständigkeit, und von
unserer Auflassung unabhängige Geltung zu; jene Merkmale
dagegen gehören dem Angenehmen wie dem Nützlichen.
Dieses, einem Gefüge der Vorstellungs- oder Gefühlsreihen,
den Umständen überhaupt sich anschliessend, die in dem
einzelnen Falle wohl in dem einzelnen Gemüthe ibfe hin-
länglichen Bedingungen haben, aber derei^^4uftriet^n idurch
keinen Zug ihres Wesens in die allgemeine Bestimmung des
Geistes aufgenommen ist, wird überall ein wechselndes Mass
ünden, und flüchtig wie die Stellung des Geistes, zu der
es in übereinstimmende Beziehung trat , geht auch diese
Lust des Einklangs selbst vorüber. Kant, als er den An-
spruch auf allgemeine Giltigkeit, den unser Geschmacksur-
theil nolhw endig machen muss , deutlich hervorhob , sah
richtig, dass nicht ein zufälliges, durch die allgemeinen Ge-
setze der Seelenwirkungen zwar gestattetes , aber nicht ge-
botenes Ereigniss das Ziel sein könne, worauf das Schöne
zu beziehen sei; ihm bot das Spiel eines Erkenntnissvermö-
gens, allen einzelnen Geistern durch ihre allgemeine Natur
eingegeben, ein festes und gemeinschaftliches Muster der
Vergleichung dar. Aber eben so sehr , als er jenen fort-
während gemachten Anspruch auf Allgemeingiltigkeit hervor-
hob, hätte er die nicht weniger fortwährende Vereitelung
seiner Erfüllung beachten sollen. Ist die wirkliche Beur-
theilung des Schönen eine vielfällig verschiedene, und macht
gleich wohl jedes Urtheil die Anforderung, für allgemein an-
erkennungswerth zu gelten , so kann nicht eine wirklich
unerschütterlich vorhandene Einrichtung unseres geistigen
Wesens der Spiegel sein, von dem die Strahlen des Gegen-
10
Standes zurückgeworfen werden. Die nämliche AUgeinein-
giltigkeit, die den Gesetzen des Denkens zukommt, müsste
auch hier sich zeigen; oder das Gefühl des Schonen müsste
mit der nämlichen Unveränderlichkeit sich an einen gege-
benen Eindruck knüpfen , mit der bei dem gleichen Gefüge
der Sinneswerkzeuge dieselbe Lichtwelle überall dieselbe
Farbenempfindung entstehen lässt. Aber die Beurlheilung
des Schönen schwankt mehr, als die manches sinnlich An-
genehmen, das eben, weil es sich auf die hervorragenden,
grösseren Umrisse leiblicher Thätigkeit und Bedürfnisse be-
zieht, hoffen darf, in allen Einzelnen dieselbe Vorbereitung
zu seiner Aufnahme zu finden. Eine allgemeine gleiche An-
lage •.nitni?^ füi\^*die Empfindung des Schönen giebt es that-
sächlich nicht; an einzelne Vorgänge im Geiste soll es sich
nicht knüpfen, um mit dem Angenehmen, das so eigensüch-
tigen Bedürfnissen schmeichelt, nicht widerrechtlich zusam-
menzufallen; was scheint näher zu liegen, als dass es sich
überhaupt auf einen nicht allgemein vorhandnen, aber vor-
handen sein sollenden Zustand unserer Strebungen bezieht,
der nur in einzelnen Bruchstücken verwirklicht, doch von
allen einzelnen Gemüthern als ein zu erreichendes Muster
gewusst wird ? Aber dieser Gedanke , der Verwechselung
des Schönen mit dem Angenehmen ausweichend, scheint es
zu nahe an das Gute zu rücken; obwohl genauer betrach-
tet, nicht das Schöne, sondern der dieses Schöne genics-
sendc Geist einer engeren Verwandtschaft zum Guten durch
ihn genähert scheint.
Der Verlauf unserer Vorstellungen wird ohne Zweifel
durch allgemeine, glcichgiltig über jeder besondern Gestalt
des Erfolges schwebende Gesetze bedingt; aber eben diese
bestimmte Endgestalt seiner Verwicklungen, die Geschwin-
digkeit seines Flusses und die Richtung, nach welcher hin
die einzelnen Vorstellungen und Strebungen einander her-
vorrufen oder hindern, diess alles kann nur von dem Wer-
Ihe abhängen, den wir einzelnen derselben zugestehn , und
11
durch welchen sie erst jene Stärke und jenen Gegensatz er-
halten, durch den sie später allgemeinen Gesetzen zufolge
ein Spiel des Verdrängens und Hervorlockens beginnen kön-
nen. Es ist unnüthig , hier die Quellen jener Werthverthei-
lung besonders zu betrachten ; sie mögen zum Theil selbst
in leiblichen Bedingungen liegen, noch mehr aber in dem
ursprünglich sittlichen Gehalt des Geistes, den wir nicht
umgekehrt aus einer zufallig gewordenen Verschlingung der
Vorstellungen ableiten dürfen, endlich in einär selbst schon
dem Gebiet freier Schönheit angehörigen Färbung und Nei-
gung der Thätigkeiten , die als Keim in dem Wesen der
Seele liegen mag, um an jedem spätem äussern Anstoss
sich folgerichtig zu entwickeln. Solche Bew/;ggründe v;»erden
an sich den Geist verleiten , zunächst das , als das ihm
Aehnhche, schön zu finden, in dessen Zusammenhangswei-
sen er die nämliche Stetigkeit oder Zerrissenheit, die näm-
liche Weichheit oder Strenge, Flüchtigkeit oder in sich zu-
rückkehrende Erinnerung, dieselbe Raschheit oder zögernde
Entwicklung der Uebergänge wahrnimmt, die dem Ablauf
seiner eigenen Vorstellungen, Gefühle und Bestrebungen
eigenthümlich sind. Und in der That wird auch bei den ge-
bildetsten Gemüthern die wirkliche Beurthcilung des Schö-
nen, der Geschmack in den Künsten immer den Einfluss
solcher Bedingungen in der eigenthümlichen Vorliebe für
manche einzelne Gattungen der Darstellung verrathen ; ja
noch mehr werden die volksthümlichen Ausbildungen der
Kunst sich auf eine solche in herrschenden Sitten und zur
Gewohnheit gewordnen Ansichten der Dinge gegebene Grund-
lage stützen.
Was so eigenthümlichen Vorurtheilen des Geschmackes,
die aus angeborner Stimmung des Gemüthes (liessen , sich
zuvorkommend anbequemt, kann im Allgemeinen nur für
ein Angenehmes gelten. Allein in vielfältigen Abstufungen
dürfen wir jenen Stimmungen selbst einen höhern oder nie-
deren Werth beilegen ; und während wir uns gern beschei-
12
den, dass manche Vorliebe für besonders geartete Kunstge-
nüsse auf einer zufälligen, vielleicht selbst übel geleiteten
Neigung unsers Geinüths beruhe, fühlen wir dagegen, dass
in andern Fällen ein umfassenderes und werlhvolleres , un-
bedingte Anerkennung verlangendes Streben in unserer Be-
urtheilung des Schönen mitgesprochen hat. So scheint sich
uns nun, während die gewohnten Bewegungen unsers Ge-
mülhes mehr und mehr sich jener Gestalt und Fügung an-
nähern , in dtr sie der höchsten und in der weitesten Be-
deutung heiligen Beslininiung des Geistes zu dienen vermö-
gen, allmählich auch der Werth des Gegenstandes, dessen
Eindrucke dem Ablauf solcher innern Ereignisse sich an-
schlibisst, von 'Öem einfachsten Angenehmen bis zu der
Würde der höchsten und unbedingten Schönheit zu stei-
gern.
Berühren wir jedoch auf diese Weise einen der Be-
trachtung der Kunst auch früher nicht fremden Gedanken,
dass nämlich alles Schöne seinen Werth und sein Wesen
vom Sittlichen oder Guten erhalte, so soll weder dieser
Salz in der Beschränktkeit seiner Bedeutung , noch in der
Unbestimmtheit gelten, in der er oft gelassen worden ist.
Wie kann das Schöne, so häufig in räumlichen und zeitli-
chen Verhältnissen aufblitzend, denen selbst keine bestimmte
vorbildliche Bedeutung zu geben ist, überhaupt einen Zu-
sammenhang mit Gesinnung und That des sittlichen Gemüths
haben '/
Gehen wir zunächst von demjenigen Guten aus, auf
welches unsere Betrachtung zuerst hinführte, so wird man
nicht läugncn, dass von der mehr oder weniger gleichmäs-
sigen Ausbildung sittlicher Vollkommenheilen in dem ein-
zelnen Gemüthe sich auch eine entsprechende Art des Ver-
laufes der Vorstellungen und des Wechsels der Gefühle und
Strebungen entspinnen wird. Je weniger vielleicht die äus-
sern Umstände des Lebens einer so eigenthümlichen Anlage
Veranlassung zur Entfaltung und zum übenden Selbstgenuss
13
geben, desto mehr wird das Gemüth das willkührliche
Reich der Kunst aufsuchen , um an selbstgeschaffenen Krei-
sen von Bedingungen die Macht seiner Stimmung und Hal-
tung zu prüfen' und sie sich zur Anschauung 'zu bringen.
Und so mögen auch rückwärts, wo sie sich irgend zeigen,
die Erscheinungen jeder Regsamkeit, des stetigen Flusses der
Veränderungen oder des plötzlichen Abbruchs und eines neu
aufstürmenden Anfangs, kurz alle jene Gestalten des üeber-
ganges, der Verschmelzung und der Gegensätze, die sich als
wichtige Mittel der Darstellung durch alle Künste ziehen, die
Erinnerung an einen eigenthümlichen sittlichen Zustand der
Seele und seinen Werth wiedererwecken. Die Go^S'alt der
herrschenden Strebungen trifft jedoch nicht allein den Ab-
lauf der Vorstellungen und Gefühle ; sie zeigt sich auch durch
angeborne Nothwendigkeit in äussern leiblichen Bewegun-
gen, die eine Brücke von dem geistigen Werthe des Gedan-
kens zu der sinnlichen Darstellung schlagen. Zwar auch
ohne dies würden einfache, strenge Zeichnungen im Räume,
an sich bedeutungslos, durch den wohlthuenden Wechsel der
Anspannung und Ruhe, den sie dem umlaufenden Auge ge-
währen, die ersten Spuren einer noch spielenden Schönheit
verrathen ; aber wer einmal seine eigene Stimme vom
Schmerz gebrochen fand und die bebende Anspannung der
Glieder in unterdrücktem Zorne fühlte, für den ist das sinn-
lich Anschaubare redend geworden, und was er selbst äus-
serlich kundzugeben genölhigt war, wird er unter jeder
ähnlichen fremdher dargebotenen Erscheinung wieder ver-
muthen. Man darf glauben, dass auf solchen Erfahrungen
am meisten unsere Beurtheilung schöner räumlicher Umrisse
beruht. Wenn es immer vergeblich gewesen ist, für die
Schönheit eines solchen Umrisses eine wissenschaftlich be-
rechenbare Bedingung zu finden, so rührt es daher, weil
er nicht durch sich selbst, sondern durch unsere Erinne-
rungen wirkt. Wer einmal eine theure Gestalt unter dem
Gewicht des Grams in wehmüthiger Ermattung sich beugen
14
und sinken sah , dem wird der ümriss solches Neigens und
Bengens, dem Innern Auge vorschwebend, die Ausdeutung
unendlicher räumlicher Gestalten vorausbeslimmen , und er
wird sich fruchtlos besinnen , wie so einfache Züge der
Zeichnung so innerliche Gefühle in ihm anregen konnten.
In den Verschlingungen der Klänge findet jeder sein Gcmülh
wieder und überschaut seine Bewegungen. Schwerlich ge-
schähe dies, triebe nicht eine Vorherbestimmung unserer
leiblichen Einrichtung uns an, durch Laute unsern Gefühlen
einen an sich unnützen äussern Ausdruck zu geben. Mit
den Klängen und ihrem Wechsel verknüpft sich so die Er-
innerung^ an üebergänge in Grösse und Art der Strebungen
und (Tefühle , dilrch die getrieben wir dieselben Laute bil-
den würden. Ja selbst das Andenken an das Mass und
die Anspannung leiblicher Thäligkeit in der Jlervorbringung
der Töne lehrt uns in diesen selbst, und ihrer Höhe und
Tiefe eine Andeutung grösserer oder geringerer Kraft, mu-
thigcj'cn oder nachlassenderen Strebens zu suchen. Die
räumlichen Verhältnisse der Baukunst, ihre strebenden Pfei-
ler und die breitgelagerten Lasten über ihnen würden uns
nur halb verständlich sein , wenn wir nicht selbst eine be-
wegende Kraft besässen, und in der Erinnerung an gefühlte
Lasten und Widci-stände auch die Grösse, den Werth und
das schlummernde Selbstgefühl jener Kräfte zu schätzen
wüssten, die sich in dem gegenseitigen Tragen und Getra-
genwerden des Bauwerks aussprechen. So bildet also das
leibliche Leben, mit Noth wendigkeil Inneres durch äussere
Erscheinungen auszudrücken treibend, einen Uebergang zum
Verständniss sinnlicher Gestalten und Umrisse, und selbst
das Sittliche, zunächst ein Gleichgewicht der Slrcbungen,
dann eine bestimmte Weise des Ablaufs innerer Ereignisse
bedingend , wird zuletzt in jenen sinnlichen Bildern Ver-
wandtes und Aehnliches auffinden können.
l'nd eben so finden wir auf der andei'n Seite, dass
die Erinnerung den Inhalt eines allgemeinen BegrifTes weder
15
seiner Geslalt noch seinem Werlhe nach anders festhalten
kann, als indem sie irgend ein einzelnes Beispiel versinnli-
chend an seine Stelle setzt, das freilich ebenso sehr in sei-
ner Einzelheit wieder aufgehoben werden muss. Nach dem
vorwiegenden , zugänglichen Beobachtungskreise wird der
Begriff des Thieres dem Einen diese, dem Andern eine
andere einzelne Thiergestalt annehmen, und nicht minder
werden wir die Vorstellung irgend eines Guten, Heiligen und
WerthvoUen nie anders fesseln können, als dass wir un-
serer Erinnerung das Bild irgend einer erhabenen oder se-
ligen Begehung darbieten, in deren erneutem Anschauen
jene Gefühle eine verjüngende Quelle finden^
So führen uns mannigfaltige Ueberlegungen dahin, schön
das zu nennen . dessen Eindruck nicht überhaupt nur mit
irgend einer Innern Ereignissreihe , sondern wesentlich mit
demjenigen Gefüge des Ablaufs übereinstimmt, das unsere
Vorstellungen und Strebun^en unter der alleinigen Herrschaft
unserer sittlichen Bestimmung annehmen. Und diese Mei-
nung erläutert noch einen Umstand, der ihr selbst zur rück-
wirkenden Ergänzung dient. Weit allgemeiner und jedem
Menschen zuzumuthen ist die richtige Beurtheilung des Sitt-
lichen als die des Schönen. Denn die letzlere setzt jene
Beweglichkeit des Gemüthes und der Einbildungskraft vor-
aus, die nicht nur im Stande ist, den nackt ausgesprochenen
sittlichen Wahrheilen sich zu unterwerfen, sondern die auch
in der Verhüllung äusserlicher sinnlicher Gestalten und Be-
gebenheiten mit feinfühlender Erkenntniss jene Anklänge
aufzuspüren vermag, die durch mancherlei Vermittlungen
auf das strenge Sittliche zurückdeuten. Eine solche Beweg-
lichkeit und Empfänglichkeit rechnen wir nicht zu den Pflich-
ten des Menschen. Von seiner Sittlichkeit verlangen wir
nur, dass sie seine Handlungen durch eine vernünftige Lei-
tung des Willens beherrsche: nicht, dass sie auch wisse,
wie in allem Seienden Verhältnisse wirken und aufblühn,
die von einem seienden Guten, nicht blos von einem Ziele
16
der Handlungen, Zeugniss geben. Doch urtheilcn wir nicht
allein so. Vielmehr, wenn ^\ir auch dem Willen der mit
der Erfüllung jener Vorschriften sein Ziel erreicht zu haben
meint, keinen Vorwurf machen, so schätzen wir doch den
Werth eines Lebens selbst, das recht und schlecht, den an-
kommenden Gelegenheiten folgend, einzelne sittliche Hand-
lungen erzeugte, geringer als ein anderes, das ausserdem
seine Stellung ,in der Welt und ihrer umfassenderen Ord-
nung begriff, und selbständig ausblickend, auch die Ereig-
nisse, einem Ziele gemäss, zu gestalten strebte, das in
jener einfachen inneren Gesetzgebung nicht verkündigt ist.
So meJRen wir denn, dass es für eine höhere Bedeutung
des geistigen Lebens nicht hinreiche, den allgemeinen, ge-
genstandlosen Anforderungen der Sittlichkeit allein zu genü-
gen, selbst nicht ihre vereinzelten Züge in einen gemeinsamen
Einklang des Gemüths zu vereinigen; vielmehr gilt es uns
selbst für einen höhern Ernst der Sittlichkeit, zugleich auf das
zu achten , was in den Ereignissen und dem Seienden lebt
und webt und einem späteren Ziele enlgegenreift ; und ein
leiser Schalten , wenn auch kein Tadel , fällt in unserer Be-
urtheilung auf das Gemüth zurück, das nach den W^orten
eines alten Dichters gut zu leben glaubt, wenn es still ver-
borgen lebte, ohne den Selbstgenuss seines innern Frie-
dens mit dem Bewusstsein seiner Stellung zu dem Ganzen
der Wirklichkeit zu vereinigen. Was wir hier dem thätigen
Geiste, das werden wir ähnlich auch dem empfänglichen zu-
muthen dürfen , und eine völlige Unfähigkeit zur Auffassung
der Schönheit, dieses Widerscheins des Sittlichen im Seien-
den, wird nur eine ähnliche ungleichmässigo Ausbildung
des sittlichen Geistes selbst zu verrathen scheinen.
Lassen wir nun diese erweiterte Ansicht vom Sittlichen
gelten, so wird es uns deutlich werden, dass nicht allein
dasjenige uns schön erscheint, das durch seine Gestalt Er-
innerungen an Handlungen und ihren sittlichen Gehalt in uns
erweckt, sondern auch das, was harmlos ein durchdringen-
17
des Walten natürlicher Kräfte und enie höheren Gesetzen oder
seiner eigenen Natur treue Entwickelung darstellt. Nicht
nur das Handeln füllt die menschliche Bestimmung aus;
auch der Erkenntniss mag ein Urbild vorschweben , in dem
die Mannigfaltigkeit des Gegebenen unter Beziehungen verei-
nigt ist, auf die selbst in unserer gewöhnhchen Beurtheilung
wenigstens ein Streiflicht der sittlichen Werthgebung fällt. Der
Gedanke der Einheit ist so einer jener Begriffe, von dem wir
einen gewissen Werth nicht trennen können, der ihm vielleicht
freilich eben so wenig an sich zukommen mag, als andern
Tbeilen der Erkenntniss, sondern der uns vielmehr nur den
Abglanz einer höheren Bedeutung vorführt_^ Ist d-5ch Ein-
heit selbst ein für sich leerer und anwendungsloser Begriff,
der seinen Sinn erst durch Angabe der Ganzheit, oder der
Beziehung, oder des Zweckes oder des Ursprungs erhält,
wodurch das Verschiedene vereinigt sein soll. Dies aber
eben ist die Natur des Schönen, dass es den bestimmten
Inhalt, von dem aus auf manche Gestalten und Verbindungs-
weisen ein hoher Werth übergieng , verschweigt, und oft
mit den Formen allein spielend, uns unvermerkt verlockt,
ihnen denselben Gehalt und die Würde desjenigen zuzule-
gen, dessen Erinnerung sie in uns anregen. Kunst und
Natur reizen daher auch durch Mittel, die an sich nur der
Erkenntniss anzugehören scheinen, durch Verknüpfung der
Mannigfaltigkeit zu durchblickenden Einheiten, durch den
Gang der Gesetze über dem hinfälligen Einzelnen , durch
die stille und unbefangene natürliche Entwicklung jedes
Keimes; und oft mag hier der nachsinnende Verstand die
Gründe in dem schönen Gegenstande nicht mehr finden, die
in ihm die Lust erregen: oft auch versetzt sich ein ahnen-
des Mitgefühl in diese Triebe der Entwicklung und macht
das fremde Ereigniss zu einem eignen , an dem es ohne
Theilnahme nicht mehr vorübergehn kann.
Wenn dies Spielen mit Gestalten, die einem höhern
Inhalte des Guten an sich zugehören, das Eigenthümliche
18
des Schünen ist, so erscheint es in einer niedrigeren Stel-
lung dem Ernste des Guten selbst gegenüber. Während
die Urbilder des Letzten zugleich Mahnungen und Forderun-
gen an das Bewusstsein stellen, lädt das Erste nur zum
Genüsse ein. Dennoch ist die Seligkeit des Schünen keine
eigensüchtige; aber es ist mehr mit dem Heiligen als mit
dem Guten verwandt. Das Gute, in einzelnen Handlungen
sich erschöpfend, hat seinen Werth der Gesinnung zwar in
sich selbst ; aber es erscheint auf ein einzelnes Verhältniss
bezogen, in dessen Festhaltung oder Aenderung der Ge-
winn ruht, den die sich vollziehende gute That der Ge-
saramthelit des Oaseins zubringt. Diese Nebenrücksicht hat
das Schöne von sich abzuhalten; ohne auf irgend einen
Zweck bezogen zu sein, dessen Erfüllung trotz aller Güte
der Gesinnung oft zu unbedeutend dem Ganzen der Welt
und dem Sinne des Weltlaufs gegenüber sein würde, hat
es nur eben die Gesinnung selbst, theils in der Bewegung
eines Gemüths, theils in den Gestalten des Seienden zu ei-
nem ruhenden Ergebniss gekommen darzustellen. W^ie die
älteste schöne Kunst der Griechen ihre Götter bildete, herr-
lich durch ihr eignes Wesen und Dasein, in sich versun-
ken, und von allem Lärm strebender, ausdrucksvoller Be-
ziehungen nach der übrigen Welt abgewandt, so verschmilzt
auch das Schöne in seiner höchsten Gestalt nicht mit dem
kämpfenden in einzelnen Thaten ringenden Guten, sondern
mit dem ruhenden Heiligen , das über der Erreichung aller
einzelnen Zwecke schwebend in ewiger Entfaltung nur die
Fülle seines eignen seligen Wesens entwickelt. Darum ist
die Pein des Sollens und der Zwecke von dem Schönen
genommen , und wenn es uns einerseits durch sein Spiel
an die Handlungen erinnert, in denen unsere kämpfende
Tugend sich bewähren kann, so ist es anderseits dieses be-
stehende Gute, das aus der Welt nie verschwindet, wie
lief auch ihre innern Gegensätze seiner aligegenwärtigen Er-
scheinung widerstreben mögen.
19
II.
Der Flüchtigkeit wechselnder Stimmungen , der Unbe-
ständigkeit vorübergehender Ereignisse , die das einzelne
Gemüth zufällig bewegen , haben wir das Schöne bis jetzt
entreissen können; allein das Bedürfniss, das uns auf diese
Weise das Schöne vom Angenehmen trennen hiess , treibt
uns noch weiter , auch hierin keine Befriedigung zu finden.
Muss alle Seligkeit und aller Genuss und Werth des Schö-
nen in den geniessenden Geist gelegt werden , was bleibt
dem schönen Gegenstande? Nur die Möglichkeit, in_ einem
ihm seihst zufälligen Zusammenstoss mit den^ Geiste die un-
schuldige Veranlassung zu dem Ablauf einer Gefühlsreihe zu
werden. Nicht der Gegenstand mehr wird schön sein in
dem Sinne , dass die Innigkeit des Werths , die wir bei
diesem Namen empfinden , ihm selbst zukäme ; sondern Ei-
genschaften und Verhältnisse von Eigenschaften, an sich so-
wohl als vor dem blos erkennenden Verstände völlig gleich-
giltig , bilden sein Wesen , und erst wenn ein äusserliches
Schicksal dieses Gleichgiltige in Berührung bringt mit dem
lebendigen Geiste, mag dieser so angeregt, die eigene Wär-
me seines Gefühls täuschend auch über das kalte Licht der
anregenden Gestalt verbreiten. Zweierlei ist es , was hier
uns beleidigt, beides mit ungleichem Rechte. Zuerst näm-
lich ist es eine häufig wiederkehrende Erscheinung , dass
der Gedanke einer geringern Würde sich mit alle dem ver-
knüpft, was sein Dasein nur im Geiste hat: fast rechnen
wir es nicht mehr zu dem Thatbeslande des Gegebenen mit.
Allein wenn wir auch unvermögend sind , unsern Vorstellun-
gen dieselbe Festigkeit und Unabhängigkeit des Daseins zu
geben , die den Dingen zukommt , so fällt doch das Gedachte
damit nicht ausserhalb des Weltalls, weil der Ort seines
Daseins das Bewusslsein ist , das sich aus andern Gründen
freilich der Welt, in der es mitbefasst ist, gegenüberzustel-
len pflegt. Wünschen wir daher unserer Vorstellung der
2*
20
Schönheit Giltigkeit. so ist es nicht nölhig, sie dadurch er-
zwingen zu wollen , dass wir sie als eine anhaftende Eicen-
Schaft wirklicher Dinge betrachten , sondern das Bedürfniss,
dessen Befriedigung wir mit Recht in jenem Wunsche ver-
langen, ist das einer Ablösung des Schönen von den zu-
fälligen Ereignissen unserer einzelnen Wirklichkeit und seiner
Zurückfuhrung auf ein im Laufe der Dinge an und für sich
wcrthvolles Yerhältniss. Wird der das Schöne geniessende
Geist innerlich zum Genüsse selbst durch ein allgemeines
Schicksal der Geister gelenkt, das diese Erscheinung einer
uneigennützig seligen Lust in ihm hervorhebt, so ist diese
Gilligke'it der Schönheit von nicht minderem Werth, als
wäre sie in einer wirklichen Beschaffenheit der äussern
Welt zu suchen. Ansichten solcher Art, die den Werth
alles Innerlichen verkennen, beruhen auf jener abgöttischen
Verehrung , die so Viele dem an sich werthlosen Begriffe
der Wahrheit zollen, anstatt dem Inhalte der Wahrheit; und
die deshalb auch im Stande ist, eine letzte allem zu Grund
liegende Wahrheit zu denken, deren Aussage jeder Würde
und Bedeutung entbehrt, ihrer Thatsächlichkeit und Unverän-
derlichkeit allein sich freuend. Von so verworrenen Anfän-
gen an kann man die dann fast von selbst sich verstehende
Voraussetzung machen, dass alles Erkennen dazu bestimmt
sei, der Wahrheit oder dem Wesen der Dinge nachzujagen;
ein Satz, der richtig ist, so lange Wahrheit und Wesen jenen
selbst schon werthvollen Kern der Wirklichkeil bezeichnen,
aus dem alles Gefüge der Welt allein bcgiiffen werden
kann, der aber widersinnig wird, indem er befiehlt, dasje-
nige, was da denke, solle sein Ziel darin sehn, ein Spie-
gel zu sein für dasjenige, was nicht denkt. So werden
denn zwei verschiedene Ansichten unsere Beurtheilungen
überhaupt beherrschen; die eine, die den Werth aller Ge-
danken nicht in ihrem Inhalte, sondern in der Gewissheit
richtiger Nachahmung eines andern sucht, die zweite, die
unbekümmert darum, ob ihre Begriffe ausser dem lebendi-
21
yeu Dasein im Geiste noch des todten Vorliandenseins der
Wirklichkeit geniessen, sich ihres Inhaltes und ihres Sinnes
erfreut, wie sie in eine für die lebendige Erkenntnlss aller
Geister bedeutungsvolle Reihe eintreten. So mag der Na-
turforscher immerhin uns das Dasein der Farben aus der
äussern Wirklichkeit hinwegstreiten und sie in das empfin-
dende Auge allein versetzen: unsere Sinnlichkeit wird sich
ihrer Täuschung nicht schämen; aus den Wellenbewegun-
gen des äussern Lichts bringt sie allerdings mit neuem An-
fange die Pracht der Farben hervor, aber überzeugt, in
ihrem Spiel und Einklang ein Höheres erreicht zu haben, als
die farblosen Bewegungen, die ausser uns der^unermesslichen
Raum durchkreuzen. Und so, möchten die Verhältnisse des
Gegenstands noch so gleichgiltig, noch so unähnlich dem
Eindrucke sein, den sie auf uns machen, so wird doch die
genossene Schönheit auch als blosses Ereigniss im Geiste,
ihre eigenthümliche Wahrheit und Berechtigung in sich tragen.
Mit anderem und besserem Rechte drängt sich uns der
zweite Zweifel auf. Ist nicht unsere Lust an der Schönheit
und unsere Vorstellung über sie von der Art, dass die Ge-
sammtheit unserer Weltansicht in unheilbare Verwirrung gerie-
ihe, wenn wir sie nur als ein Ereigniss in uns, nicht als in den
Dingen ihrem Wesen nach vorherbestimmt ansehn dürften ?
Können wir die Seligkeit des Genusses der übrigen Welt
entziehn, und welches eigenthümliche an sich werthvolle
Ziel sollte wohl das Seiende verfolgen, wenn es gegen
alle Schönheit gleichgiltig, diese nur vorübergehend in ei-
nem zufälligen Zusammenstoss mit dem empfindenden Geiste,
selbst dann noch scheinbar, erlangte? Gewiss, hängen wir
dem Gedanken der Schönheit nach , so meinen wir in ihr
das zu fassen , was als eigentlich belebender Kern alles
Seiende durchdringt, und nicht nur sie selbst würde in ih-
rem Werthe leiden, wenn sie diese Allgegenwärtigkeit nicht
besässe , sondern auch die Welt der Dinge w iderstreitet un-
scrm Gefühle, die aller inncrn regsamen Schönheit ledig wäre.
22
Auch hier zeigt sich eine schon früher bemerkte, und
später noch weiter zu betrachtende Erscheinung. Für uns
hat nur das nachhaltigen wahren Werlli, worein wir uns zu
versetzen , dessen Dasein wir mitfühlend nachzugeniessen
im Stande sind. So sehr ist unser Begriff von Schönheit
auf ein ahnendes und liebendes Mitgefühl fremder Entwick-
lung bezogen, dass uns eine Welt widersinnig erscheint, die
selbst trocken und bedeutungslos nur den künstlichen Vor-
kehrungen hinter den Wänden der Bühne zu vergleichen
wäre, durch die wir uns, wenn wir sie sorgsam verhüllen,
eine flüchtige, gern geglaubte Täuschung schaffen. Und
doch vv^rde eiije solche Ansieht noch dem Seienden mehr
zugestehn als jene, die ohne alle weitere Ableitung Ur-
theile der Billigung und Missbilligung auf Verhältnisse fallen
lassen, in deren Thatbestand keine Erkenntniss einen An-
spruch auf solche Beurtheilung nachweisen kann. Wir würden
wenigstens den Dingen nicht erst durch einen ihrer Natur
unwesentlichen Zufall der Berührung mit dem Geiste einen
Anflug der Schönheit zuschreiben, sondern von Anfang an
wäre ihre Gestalt und Einrichtung dazu geschaffen, wenig-
stens als Mittel zu einem Erfolge zu dienen, dessen Selig-
keit sie mitzuempfinden nicht vermöchten. Allein eine sol-
che Zusammcnschliessung der Dinge mit der Schönheit gc-
wiihrt kaum eine halbe Befriedigung; denn immer würde
ein fremder Geist und seine Gedanken über diesen leblosen
Mitteln schweben, und was sie leisteten, würde nicht ihrer
Natur freiwillig entquellen , noch jene liebevolle Thcilnahme
des Gemülhs auf sich ziehn , die so gern auf dem Gegen-
stande des schönen Gefühls verweilt.
Wir veilangen vielmehr ein Doppeltes. Nicht allein,
dass die Kräfte, die dem Gegenstande die schönen Verhält-
nisse geben, als seine eignen, ihm Dasein, Wesen und Ent-
wi(-kelung bestimmenden Thätigkeiton gelten, sondern auch,
dass die Schönheit, die in der unendlichen Mannigfaltigkeit
der Dinge ebenso mannigfach erscheint, doch als Eine, sie
23
alle belebende betrachtet werde ; so dass nicht zersplitterte
Uebereinstimmungen zwischen den Dingen und uns eben so
einzelne Schönheiten ergeben, wie etwa die Nützlichkeit der
Gegenstände jeder Vereinigung in einen gemeinsamen Be-
griff widersteht, da sie eben nur auf zufällige, vereinzelte
Beziehungen begründet ist.
Solche Bedürfnisse geben den Schein, als wären sie
am besten und leichtesten durch den dunklen Begriff eines
Ewigen und Unbedingten zu befriedigen, das in sich für die
Erkenntniss dit Merkmale eines über Gedanken und Wirk-
lichkeit gleichmässig übergreifenden Daseins , der durch die
mannigfaltigsten Erscheinungen nicht gebrochenen Einheit in
sich, und zugleich für das werthsetzende Gefühl die Be-
zeichnung der höchsten Würde zu vereinigen scheint. So
erschiene die Schönheit als einer der Züge, durch die sich
dies Unbedingte, ohne überall sich selbst zu verlieren, doch
in unendlich mannigfaltiger Gestaltung ausspricht, und Nichts
würde diesem Gedanken weiter fehlen als die Beairünduna;
seiner möglichen Giltigkeit und die Hinwegräumung der
Schwierigkeiten, die die Erkenntniss einem solchergestalt
gefassten Begriffe entgegensetzt. Es ist jedoch nicht nöthig,
alle diese Schw ierigkeiten hier zu berühren , denn es zeigt
sich sogleich, dass jenes Unbedingte, auf die Schönheit be-
zogen, weder als ein unendliches Seiende in Gestalt eines
Stoffes, noch als eine anhaftende Eigenschaft, ja selbst nicht
einmal als eine belebende und wirkende Kraft zu fassen
sein würde. Das Schöne zeigt sich überall nicht als Ge-
schehen selbst, sondern als die Gestalt eines Geschehens,
sei es nun, dass das Ereigniss selbst noch in seinem Wer-
den vor uns tritt, oder dass zum Gleichgewicht und zur
Ruhe gekommne Verhältnisse in unserer Auffassung sich w ie-
der in eine bewegte Zeitreihe auflösen oder uns veranlas-
sen, den Geschichten nachzudenken, deren Ablauf auf dem
ruhigen Spiegel der Erscheinung seine Spuren zurückgelas-
sen hat. Diese Betrachtung mildert die Schwierigkeiten un-
24
scM'cr Aufgabe. .Icdos eine Urbild des Schönen, jene Schön-
heit selbst, die ewig sich gleich, doch in der Mannigfaltig-
keit der schönen Gegenstande unendlich verschieden ist,
wird weder selbst ein Gegenstand, noch eine Eigenschaft,
noch eine Kraft sein, sondern ein Ereigniss oder Schicksal,
das dem Verscbiedncn auf höchst vcrschiednc Weise zu-
stosscn kann, ohne doch in dein, was seine eigenthümlichc
Natur ausmacht, in seinem Sinne und in der Bedeutung,
die ihm in der Reihe der Ereignisse zukommt, je verändert
zu werden. So wie die verschiedensten Stoffe der Natur,
ohne Widerspruch gegen ihr eigenthümliches Wesen, ge-
meinschaftlich di,',nselben Gesetzen der Bew'egung unterwor-
fen sind, so wird auch dieselbe Eine Schönheit sich über
die unbegrenzte Verschiedenheit der durch keine Gleichheit
der Merkmale oder der Verhältnisse zusammengehaltenen Dinge
erstrecken können, ohne als Schicksal gefasst, die Wider-
sprüche in sich zu hegen , die jeder andern Fassung unver-
meidlich anhaften. Soll daher das Wesen der Schönheit
der Erkenntniss näher gerückt werden, so muss man be-
denken , dass ihr Wesen in ihrer Bedeutung beruht. Darum
wird es von ihr keinen Begriff geben , der durch Merkmale
und deren Verknüpfungen ein unfehlbares Gesetz ihrer Ver-
zeichnung darböte, denn Merkmale sind gleichgiltig für sie;
es wird von ihr keine Vorstellung geben, welche sie als
eine unveränderliche Beschaffenheit eben so festhielte, wie
andere Vorstellungen etwa der sinnlichen Farben unwandel-
bar feststehn, denn jeder Hintergrund an dem sie er-
scheint, ist ihr gleichgiltig; sie wird selbst in der Anschau-
ung eines Verhältnisses nicht gefunden werden, denn aller
berechenbaren Verhältnisse spottet sie. Sie kann nur als
Gedanke gefasst werden; mit diesem Namen bezeichnet
die deutsche Sprache besser als mit dem fremdher entlehn-
ten Namen der Idee einen Inhalt, dessen einziger zusam-
menhaltender Kern in dem Sinne, der Bedeutung oder dem
Werthc besteht, der in unendlich verschiedenen durch keine
25
Gleichheit des äussern Ansehns oder der Entstehung zusam-
mengehaltenen Erscheinungen, in ihnen allen wesentlich
gleich bleibend, sich ausdrücken mag; einen Inhalt ferner,
der nicht ein ruhendes Dasein, aber auch nicht eine Bezie-
hung mit einem unveränderlichen Thatbestande, sondern ein
Schicksal ist oder ein Ereigniss , das um seines eignen We-
sens willen werthvoll, seine Bedeutung nicht von dem er-
hält, dem es zustüsst. Den Gedanken Gottes vermögen wir
von dem Begriff Gottes zu trennen , in dem ersten den
Sinn, den Werth und die Bedeutung der Beweggründe zu-
sammenfassend, die diesen Aufschwung unsers Gemüths zu
dem Höchsten veranlassen, und es selbst m seineir durch-
dringenden Gegenwart und dem Werth seiner Bedeutung
erfassend , mit dem letzten aber diesen Gehalt durch Mittel
der Erkenntniss so stützend , dass die Art seiner Wirklich-
keit und das feststehende Ganze unveränderlicher Eigen-
schaften daraus hervorgeht.
Das Bedürfniss , der Schönheit eine Wirklichkeit zu si-
chern, grösser als diejenige, die sie als eine Erscheinung
in dem einzelnen Geiste geniesst, hat uns auf diese Betrach-
tungen geführt. Wir können nicht ein Schönes an sich oder
die Schönheit selbst in Gestalt eines Gegebenen ausser uns
suchen, sondern dieses Eine, das in unendlicher Mannigfal-
tigkeit nie sich selbst verliert , konnte nur der Sinn eines
Geschehens , ein Gedanke sein. Zu diesem inhaltlosen Um-
riss , der nur fremdartige Voraussetzungen abwehren kann,
haben wir jetzt den eigenthümlichen Gehalt hinzuzusuchen.
Kein gleichgiltiges Ereigniss kann der Schönheit zu Grunde
liegen , sondern ein solches , dessen Gedanke selbst sich au
einer bedeutungsvollen Stelle unter jenen Urbildern alles Ge-
schehens vorfindet, die das Letzte und Höchste unserer ge-
sammten Erkenntniss bilden. Können wir zeigen , wie die
schönen Gestalten und die schönen Begebenheiten dazu be-
rufen sind , einen jener Zwecke zu erfüllen , die der ganzen
Welt gestellt sind , und ist so das Schöne noch in anderer
26
als der fi ülier belracbteteD Weise mit dem Guten zusammen-
zuscliliessen , so hat es in dieser seiner Bedeutung für das
Ganze der Welt jene übergreifende Giltigkeit und Wirklich-
keit , die ihm ein abgesondertes äusseres Dasein noch nicht
verschafTt hätte.
III.
Betrachtungen über das Schöne bedürfen in einer Zeit,
die wie die unsrige, genährt von den Anschauungen des
Alterthunis und durch eine eigne grosse Kunstenlwicklung
gehoben , von ^er Bedeutung der Schönheit auch wissen-
schaftlich durchdrungen ist, einer doppelten Nachsicht. Sie
vermögen einestheils nirgend ein Land aufzuschliessen , des-
sen Schätze noch ungeahnt wären , sondern müssen sich
begnügen , auf einem aus andern Gründen liebgewordenen
Wege zu einer Aussicht auf den Gegenstand zu führen , die
dann doch immer nur dem schon Sehenden geöfTnet sein
wird. Denn dies ist das Zweite, was jede wissenschaftliche
Betrachtung über das Schöne bitten muss ; dass man ihre
Aufgaben nicht mit denen der Kunst selbst verwechsle. Jede
BegrifTsbestimmung der Schönheit wird ihren Zweck erfüllt
haben, wenn sie von mancherlei Seiten her jenem Standorte
zustrebt und zuführt , von dem aus sich die Bedeutung der
Schönheit überblicken lüsst. Aber die Innigkeit und der
Werth der Schönheit wird in solchen Begriffen , da er selbst
über alle Begriffe hinausgeht , ebensowenig enthalten sein
können, als wir anderseits im Stande sind, das was unter
dem Begriffe bleibt , die sinnliche Anschauung z. B. der Far-
ben anders als dadurch zu verdeutlichen, dass wir die Reihe
der Bedingungen aufzählen, unter denen sie erscheint, und
so den Andern in den Stand setzen, das sonst Unmittheil-
bare zu eigner Anschauung in sich vviederzuerzeugen.
Uebcrlegen wir nun , wie das Seiende durch Theilnah-
ine an einem allgemeinen Zuge weltbeherrschender Schick-
27
sale schön sein könne, so scheint diesem die Frage über
den Zusammenhang der Dinge und den Inhalt jenes Schick-
sals vorauszugehn. Und hier gehen wir denn von der Ue-
berzeugung aus , dass jede Ansicht von einem schlechthin
Seienden oder einer Mehrheit wirklicher Wesen, aus deren
einmal vorhandener Natur alle Erscheinungen als Folgen zu
erklären w-ären , unhaltbar sei und dass wir vielmehr nur
demjenigen die Würde einer unbedingten Setzung und W^irk-
lichkeit zugestehen dürfen , das die beiden Forderungen
gleichzeitig erfüllt , sowohl unabhängig von uns seiend vor-
gefunden, als auch durch einen an sich werthvollen Gedan-
ken als noth wendiges Mittel seiner VerwJl-klichung voraus-
gesetzt zu werden. Ueberzeugt also , dass es keine Wirk-
lichkeit giebt, die nicht mit ausdrücklicher Rücksicht auf an
und für sich werthvolle Zwecke alles Seins angeordnet wäre,
sehen wir in allem Dasein und Geschehen eine Zweckvollen-
dung ; und wenn auch unser reines theilnahmloses Denken
den Begriff eines von aller höhern Beziehung entblössten nur
thatsächlich vorhandenen Daseins bilden kann, so verbieten
uns doch Beurtheilungsgründe , die jenem Denken freilich
nicht angehören , einem solchen BegrifTe Giltigkeit zuzuschrei-
ben. Jene Zweckvollendung aber hat drei Glieder; das er-
ste ist der werthvolle Sinn des Gedankens , der seiner ihm
nie ganz entgehenden Verwirklichung zustrebt; das zweite
die Reihe der wirkenden Ursachen , die jenen Sinn vollzie-
hen ; das dritte das Reich allgemeiner Gesetze , die gkich-
giltig für alle Gestalt bestimmter Erfolge , nur durch die
bestimmte Anordnung der wirkenden Kräfte , die ihnen ge-
horchen , zu diesem Ziele einer sinnvollen Erscheinung hin-
gelenkt-.werden. Zur Erfüllung eines Zweckes mag nun un-
ser Öönken wohl die nothwendigen Bedingungen ohne eine
fremde Zuthat feststellen ; wo aber der Zweck in Wirklich-
keit vollzogen werden soll , wird er nicht alle Eigenschaften
seiner Mittel benutzen können, sondern diese werden Seilen
haben , die in die Zweckbeziebung nicht eingehen , vielmehr
28
dieser yleichgiltig , doch nicht abgchallen worden können,
nach dem blossen Gebote der allgemeinen Gesetze in zufäl-
lige, selbst /Avcckwidrige Nebenwirkungen auszugehn. Dass
nun die Dinge jenen allgemeinen Gesetzen gehorchen , oder
dass sie mit denjenigen ihrer Eigenschaften , mit denen sie
in einer Zweckbezichung zu wirken berufen sind, sich die-
ser auch wirklich unterthan zeigen , dies ist Nichts , was
wir ihnen besonders danken; diese Uebereinslimmung viel-
mehr zwischen Stoff und Gedanken ist die erste Voraus-
setzung , ohne welche die Welt uns widersinnig erscheinen
würde. Wo dagegen jene von der Zweckbezichung unab-
hängigen Eigensoüaflen , Kräfte und Ereignisse , die ganze
Seitenverbreilung des Zufälligen , obwohl ihr keine Aufgabe
gestellt ist, dennoch sich in ihrer Gestalt, ihrem Benehmen
und ihrem Erfolge, dem Sinne jener höchsten Gedanken an-
schliesst, da linden wir überall den freien Genuss einer die
Nothweudigkeit überbietenden Schönheit. In ihr ist diese
vollständige Bändigung des Widerspruchs zwischen Stoff und
Gedanken eingetreten , die uns andeutet , dass selbst , wo
die Welt den innerlichen Zwiespalt des Seienden und des
Sollenden gefahrlos ertragen könnte, doch eine innigere Ver-
söhnung beider sich gebildet hat. Bedarf daher in der That
jeder Gedanke zu seiner Verwirklichung die Vermittlung ei-
nes unabhängig von ihm Seienden , so ist es die Schönheit,
die diese abhängige Schwäche verhüllt, und indem sie alle
Stützen der Verwirklichung mit dem Sinne des Gedankens
selbst verklärt , den letzten Erfolg als einen widerstandslos
aus sich selbst quellenden Trieb der Entwicklung , eine auf
sich selbst ruhende Gestalt darstellt. So wie die Baukunst
nun die Gebälke, die der Aufrichtung ihres Werks nöthig
sind, nicht verläugnet, sondern vielmehr andeutet, aber sie
SU in freien zwecklosen Gebilden sich verklären lässt, dass
das Ganze den Schein cjucllendor, lebendiger und natur-
wüchsiger Entwicklung annimmt, so wird jede Schönheit
überhaupt nur dann uns empfindbar werden , wenn ausser
29
dem Einklänge ihrer Verhältnisse, obwohl vielleicht nur durch
einen leise nebenherschwebenden Gedanken, die Erinnerung
an die Gefahr des überwundenen Zwiespaltes der unterwor-
fenen Mittel festgehalten wird.
Unsere Ansicht des Schönen scheint sich mithin auf die
Vorausanerkennung eines unbedingten Gegensatzes zwischen
Sein und Gedanken zu gründen , der eben um seiner Un-
mittelbarkeit willen eine besondere Versöhnung nöthig macht.
Und in der That sind der Betrachtung des Schonen Ansich-
ten nicht förderlich , die entweder durch Läugnung der selbst-
ständigcn Wirklichkeit des Stoffes das eine Glied dieses Ge-
gensatzes tilgen , oder die Versöhnung beider vergessend,
sie in eine zu weite Entfernung auseinander rücken. Ist
die ganze erscheinende Welt selbst nur eine Ausstrahlung
des denkenden Geistes , so kann die Schönheit nur noch
auf einem andern in dem Gebiete dieser allumfassenden
Geistigkeit selbst eingeschlossenen Gegensatze beruhen. Man
wird die schaffende Einbildungskraft des einzelnen Geistes
in ihrer natürlichen endlichen Bestimmtheit an die Stelle des
Seienden und einer allgemeinen geistigen Weltordnung ge-
genüber setzen und so , indem man in der Uebereinstimmung
dieser beiden die Quelle einer schönen Lust findet, im Gan-
zen zu der Beziehung zurückkehren müssen , die der obigen
Auffassung zu Grunde liegt. Allein eine solche Weltordnung,
nur von sittlichem Gehalte, und kein ursprünglich unabhän-
giges Dasein sich gegenüber erblickend , hat die Unbequem-
lichkeit der zweiten Ansicht. Auch unser Begriff von Gott
ist für die Betrachtung der Schönheit insofern nicht weit
genug ausgebildet, als sich aus seiner Heiligkeit zwar eine
sittliche , aber nicht die natürliche Welt vorausahnen lässt.
So überwiegend sind die Eigenschaften des göttlichen We-
sens nach dieser einen Seite hin dargestellt worden, dass
man jeden Grund vermisst , der von ihm als dem Schöpfer
grade zu diesen Gesetzen, grade zu diesen Erscheinungen
und Gestalten der Natur überführt , durch deren Schönheit
30
und ahnungsvolle Fülle wir doch umgekehrt 7ai seiner An-
schauung zurückgeleitel werden.
Dürfen aber nun die Voraussetzungen, die wir dieser
Betrachtung des Schönen vorausschickten , für mehr gelton,
als für eine zufällige Ansicht , geschickt vielleicht , die Ent-
stehung einer schönen Lust in uns zu beleuchten; dürfen
sie eine übergreifende Giltigkeit als Beziehungen des wirkli-
chen Seienden für sich in Anspruch nehmen? Vielleicht
nicht, vielleicht auch, dass dies überhaupt ihre Absicht
nicht war. Sprechen wir aus , dass ein Urgegensalz zwi-
schen dem Stoffe und dem Gedanken, der sich in ihm ver-
wirklichen soll, "stattfindet, so meinen wir nur diejenige
Ueberzeugung ausgesprochen zu haben , die menschlichem
Erkennen zunächst hegt, und an jenes Gefüge der Welt er-
innert zu haben , das allen Blicken umfassender Erfahrung
offen vorliegt. Mit überwältigender Deutlichkeit springt die-
ser Thatbestand im Zusammenhange der Dinge in die Augen,
dass nirgends . der Gedanke selbstthätig sich verwirklicht,
sondern hingegeben ist dem Treiben der Ursachen und dem
Glück ihrer angemessenen Vereinigung; dass jene Ursachen
ferner nicht aus den höchsten Zwecken selbst ihrem Sein
und Wesen nach fliessen können , obw ohl ihre Verbindungs
weise denselben zustreben mag; dass endlich auch die Ur-
sachen nicht mit zweckmässig wirkenden und der Lage der
Umstände sich anbequemenden Kräften , sondern allgemeinen
Gesetzen gehorsam thätig sind , die keine Theilnahme für die
Gestalt des Erfolges zeigen , den man ihnen abgewinnen kann.
Auf diese Züge im Zusammenhange der Dinge leitet uns die
Erfahrung aller Wissenschaften und des Lebens selbst; aber
diese vorhandene Verflechtung anerkennen ist noch ein An-
deres , tils sie mit den Bedürfnissen einer abgeschlossenen
Weltansicht in Verbindung bringen, oder den Wiegen nach-
spüren , auf denen Gedanke und Stoff sich zuerst begegnet
haben und in diese unauflösliche Verkettung zusammenge-
gangen sind. Das erste allein ist, was unsre Betrachtungen
31
erheischen; dies vorausgesetzt, wird uns die Schönheit ver-
ständlich sein ; das zweite ist eine Aufgabe höherer Art,
der Lehre von den göttlichen Dingen vorzubehalten und kei-
ner andern Entscheidung hier bedürftig als der, die eben
in der Erscheinung der Schönheit selbst liegt. Unser Er-
kennen nämlich mag wohl Fragen der Art aufwerfen, ob
denn in der That die Zwecke das Vorangehende , der
Stoff und seine Beziehungen das Nachfolgende sei , woher
und w ie der Gedanke zum Stoffe getreten sei , und warum
überhaupt dieses menschlichen Zwecken , den ohnmächtigen,
zunächst entlehnte Verhältniss des Zusammenhangs auch auf
die Gestalt des Weltalls übergetragen sei. Eine Verständi-
gung über die Schöpfung der Welt ist es , die solche Fra-
gen zu lösen hat : in unserm Zusammenhange ist es die
Schönheit selbst, die darauf eine Antwort gibt, indem sie
den tiefen seligen Werth solcher Verhältnisse hervorhebt,
der unmöglich wäre , wo nicht Zwiespalt und in dem Zwie-
spalte Versöhnung gegeben wäre ; der unmöglich sein wür-
de , wo jeder Gedanke , jeder Zweck der Welt widerstand-
los sich selbst vollzöge , und so alles , einer allmählig voll-
ziehenden Geschichte ebensow^ohl als einer zerstreuten man-
nigfachen Erscheinungswelt ganz unbedürftig, in das selbst-
genügsame Kreisen eines von Ewigkeit erfüllten Zweckes
und Begriffes übergienge. Die Schönheit ist so ein Vorbote
jener geahnten Versöhnung zwischen ßeziehungsgliedern, die
unserer Erkenntniss feindlich auseinanderstehen , und deren
Gegensatz doch nicht aufgegeben werden kann, ohne zu-
gleich die Quelle der Seligkeit zu vernichten, die aus seiner
Einigung entspringt.
Dürfen wir nun hier bei der Aufsuchung des Wesens
der Schönheit, wie billig auch der Stellung gedenken, in
der der geniessende Geist zu ihr steht, so finden wir ja,
dass wir nicht eine wohlerkannte Lösung aller Räthsel in
ihr noch einmal dargestellt sehn, sondern dass in ihr erst
32
die Gewissheit einer wirklichen, aber grossentheils noch
unbekannten Lösung uns erquickt.
Dass eine solche höhere und innigere Verschmelzung
des Stoffes und des Gedankens in einer gemeinschaftlichen
Wurzel stattfinde, dies ist eine der thcuersten und unaus-
tilgbarsten Hoffnungen des Geistes und auch sie beruht
nicht auf einer Nothwendigkeit, die in dem Gange unserer
reinen Erkenntniss gegeben wäre, sondern in jenen werth-
gebenden Gefühlen, die einer unmittelbaren Offenbarung ver-
gleichbar, auch dann noch eine Meinung verdammen, wenn
sie allen Anforderungen des reinen Denkens Genüge gelei-
stet hat. Aber diese Hoffnung ist nicht der deutlichste
Theil unserer Erkenntniss, vielmehr, wie viele Bedürfnisse
des Geistes, sucht er noch seine Befriedigung, die nicht in
einer blossen Versicherung solcher höhern Einheit liegen
kann. Jenen deutlichsten Theil bildet vielmehr grade jener
Zusammenhang der Weltordnung , den wir dem Schönen
zu Grund legen , jene wenn auch nicht unbedingte , wenn
auch nur scheinbare Trennung des Seienden von dem Ge-
danken und die Verwirklichung des Letztern durch die
nach allgemeinen Gesetzen zusammenstimmenden Ursachen.
Dass nun überall in dem Ganzen der Welt jene Ueberein-
stimmung der Zwecke mit den Erscheinungen und der Zu-
sammenfassung der Ursachen herrsche, dies allein ist un-
sere beständige Voraussetzung, allein sie muss vorläufig als
eine durch ihre eigne Klarheit, mit der sie aus der Ge-
sammtheit unserer Erfahrungen hervorspringt, glaubhaft ge-
machte, aber ihrem Zustandekommen nach unerklärte That-
sache betrachtet werden , deren weitere Aufhellung nur
einer Verständigung über die göttlichen Dinge vorzubehalten
ist. Zu der Anerkennung dieser Thatsache aber hat die
Geschichte der Gedanken bis jetzt in verschiedenen Gestal-
ten hingedrängt, und die gesammte Ausbildung der Natur-
wissenschaften würde sie , ohne fremdartige Einwirkung
längst ausser Zweifel gesetzt haben. Aber die Schwierig-
33
keiten, die sich erhoben, als man solche Ansichten mit
jenen Bedürfnissen des Geistes nach umfassender Einheit
des Höchsten vereinigen wollte, führten dahin, lieber wegen
dieses Bedürfnisses den Thatbestand zu verkennen, als ihn
mit demselben zu versöhnen.
Fragen von so weitgreifendem Inhalte können hier nicht
ihre Erledigung finden. Sie würden genau genommen , nichts
weniger umfassen, als jene Untersuchungen über Ursprung
und Sinn des Bösen und Unvollkommnen in der Welt, auf
die so viel geistige Kräfte bisher ohne nachhaltige Wirkung
verwandt worden sind. Das allgemeine Verhängniss , das
jeden werthvolien Zweck der Welt sich nur in endlichen Er-
scheinungen und in jener Verkettung ursächlichen Geschehens
verwirkhchen lässt, begründet die Möglichkeit, ja die Un-
ausbleiblichkeit störender Nebenwirkungen und eines theil-
weisen Misslingens. Haben wir der Schönheit diesen Beruf
zuertheilt, Stoff und Gedanken in einer unmittelbaren Ver-
söhnung aufzuweisen , so wird doch auch sie nicht ein all-
gemeines, sondern ein glückliches Ereigniss in der Welt
sein und die Hässlichkeit wird nicht fehlen , die uns zeigt,
wie Kräfte , die nur unter einem höhern Gedanken bezwun-
gen, ein Recht zum Dasein hatten, von diesem Zügel befreit
sich in selbständigen Wucherungen ihrer Macht ergehen.
Allein noch über den Nachweis dieser unausl)leiblichen Wirk-
lichkeit des Hässlichen hinaus hat man in neuerer Zeit auch
in einem andern Sinne von der Nothwendigkeit der Häss-
lichkeit gesprochen, als läge es in dem Begriffe der Schön-
heit, in dieses ihr Gegentheil umzuschlagen. Ich weiss
nicht, in wiefern diese Ansichten mit dem eben Erwähnten
übereinstimmen, in wieweit sie noch einen andern Gedan-
ken einschhessen mögen. Schwerlich meinen sie jedoch die
Nothwendigkeit des Daseins hässlicher Gegenstände zu er-
weisen, sondern durch einen jener Scheine, die sich so oft
zeigen , wenn mau Begriffe ablöst von dem , das ihr Träger
ist, hat sich die Täuschung einer innern Verwandtschaft
34
und eines gegenseitigen Zusammengehörens zweier Begriffe
gebildet, die nur durch das eigenthUmliche Wesen ihrer Trä-
ger zu einander in Beziehung slehn. Da wir nicht von ei-
ner Geschichte der Begriffe, werde sie selbst, wie sich ver-
steht, in dem widersprechenden Sinne einer zeitlosen Ge-
schichte gewonnen , sprechen können , so müssen wir das
geheimnissvolle Licht, das solche Ansichten auf dies Ver-
hültniss fallen lassen , durch eine andere weniger tief ein-
gehende Beteachtung zu ersetzen suchen. Hässlichkeit kann
keine Aufgabe des Weltinhaltes sein , eben so wenig jene
Selbständigkeit der Mittel den Zwecken gegenüber , aus der
sie hervorging. Aber dies Widerspenstige kann eine noth-
wendige Vorbedingung des Höheren sein. Wir finden die
Schönheit in solchen Uebereinstimmungen, die uns als glück-
licher Zufall erscheinen. Wäre sie allgemein , so würde sie
den Gegensatz gänzlich verdecken, in dessen Versöhnung sie
besteht. Allein eine so harmlose , durchaus von keinem
Widerspruch wissende Schönheit mag zwar in unbefangner,
unschuldiger Anmuth entzücken, aber nur, weil unser Be-
wusstsein die Erinnerung an überwundene Gefahren und
die Bitterkeit des Kampfs mit ihr zusammenhält. Alles Le-
bendige aber besteht weder in der Unwissenheit des Aeus-
sern , noch in der theilnahmlosen Stumpfheit, die ein todter
Stoff, seines ewigen Beharrens in jeder Gestalt immer gewiss,
den äussern Einflüssen entgegensetzt, sondern in der thäti-
gen Abwehr und der siegenden Festhaltung seiner Entwick-
lungen mitten im Kampfe. So soll auch das Schöne die
Wunde aufzeigen, die es heilt, und durch Ueberwindung
einer innern Anlage zur Hässlichkeit sich selbst den Glanz
der Erhabenheit geben , der der unbefangenen kampflosen
Schönheit nicht zusteht.
Hierdurch wird die Hässlichkeit nicht zu einem Ver-
neinten, zu einem blossen Mangel herabgedrückt. Im Ge-
gentheile bietet auch nach unserer Ansicht das Hässliche
viel leichter als das Schöne sich zu einer solchen inneren
35
Zusammenfassung seines Wesens dar, durch die es als eine
geschlossene, und in sich zusammengehörige Macht und
Thätigkeit erscheint.
Denn die Schönheit, nur in dem Sinne eines Schicksals
bestehend, das an Verschiedenem in durchaus ungleich-
artiger Weise sich vollzieht, wird schwer in eine anschau-
hche Einheit der Vorstellung zusammenschmelzen; die blind
wirkenden Kräfte der Natur aber, oder die eigensüchtigen
Regungen der Seele, aus deren selbständigem Treiben die
Hässlichkeit entspringt, lassen so leicht sich in die Anschau-
ung einer strebenden auf Zerstörung und zerstörende Schö-
pfungen siunenden Gesammtmacht vereinigen, dass wir nicht
wunderbar finden, wenn die Zeichnung dieses widerspensti-
gen Reiches oft gelungener sich zeigt als die des Guten,
und w-enn selbst wissenschaftliche Ansichten mit Vorliebe
dem Hässlichen mehr Bedeutung zugestehn, als ihm zu-
kommt. Ist nun die Erhabenheit die Ueberwindung einer
innern Gefahr der Hässlichkeit, so wird doch die erhabene
Erscheinung nicht selbst, sondern nur der geniessende Geist,
der seine Erinnerungen und seine eignen Voraussetzungen
mit ihr, der gegebenen, zusammenhält, die Beziehung der
Gegensätze und ihre Versöhnung vollziehen. Noch mehr als
das Schöne, wird daher das Erhabene nur in dem Geiste
als Stimmung auftreten, obwohl nicht überall dies Gefühl
der Erhabenheit bloss in dem Rückstoss bestehen wird, den
das Bewusstsein sittlicher unbedingter Befreiung von aller
Gefahr eines bedrohenden Missverhältnisses hervorbringt.
Auch dies jedoch bedarf, wie aller Inhalt des Schönen,
noch einer weitern Betrachtung. Bisher haben wir den Be-
ruf ins Auge gefasst, den die Schönheit als einen der ewi-
gen Gedanken der Weltordnung erfül^len soll. Aber diese
Bestimmung ist so in den einfachen Rahmen eines Begriffs
gespannt , während ihre Verwirklichung grade in der über-
quellenden Seligkeit ihren Werth hat, durch die sie mehr
ist, als Begriff. Grade weil die Schönheit nicht eine Er-
36
scheinung, sondern der Sinn eines allgemeinen Ereignisses
ist, wird der ganze Reichtbuin ihrer Tiefe erst dann er-
schöpft, wenn wir die unendliche Mannigfaltigkeit ihrer
Aeusserungsweisen betrachten. So wie jeder äussere Um-
stand, der eine Seele zur Entwicklung einer Thütigkeit
zwingt, diese Seele nicht ändert, aber doch sie durch die
Wirklichkeit und die Erinnerung an eine That bereichert,
deren Möglichkeit in ihrem Innern lag, so besteht auch das
Schöne der Schönheit , wenn wir so sagen dürfen , nicht
sowohl in dem einfachen Begriffe ihrer Bestimmung , als in
der unendlichen Mannigfaltigkeit ihrer Bewährung , die der
Lauf der Erscheinungen hervorlockt.
IV.
Lassen wir nun diesen Beruf der Schönheit gelten , eine
Versöhnung zwischen dem eigensinnigen Stoffe und dem
herrschenden Gedanken darzustellen , so zeigt sich auch,
dass in einer weiten , allmählich aufsteigenden Reihe von
Gestalten diese Bestimmung in sehr verschiedner Stärke und
Vollendung erfüllt werden mag. Wir meinen wohl gewöhn-
lich , wenn wir vom Schönen sprechen , es mit durchaus
reinlich abgeschnittenen Grenzen als etwas einzig in sich Zu-
sammengehöriges zu bezeichnen ; allein bei näherer Betrach-
tung zeigt sich, dass es vielmehr den höchsten Gipfel einer
Reihe bildet, die sich nach verschiednen Seiten in das an-
grenzende Gebiet des blos Angenehmen und des Guten ver-
liert. In der That, indem wir, die Schönheit als eine der
Aufgaben der wirklichen Welt ansehend, die Gestalten der
Wirklichkeit, in denen sie sich zeigen kann, überblicken,
finden wir bereits vor aller Zusammensetzung der Eindrü-
cke die einfachen sinnlichen Empfindungen der Farben und
der Klänge auf diesem zweifelhaften Gebiete. Dass beide
selbst den Bedingungen des leiblichen Lebens bald günstig
37
sich anschmiegen, bald entgegeustehn , ist gewiss; dennoch
mag der Eindruck, den eine reine, lichtvolle, gesättigte
Farbe ohne bestimmten räumlichen Umriss auf uns hervor-
bringt, mit Recht für mehr gelten, als ein bloss Angeneh-
mes. Indessen scheint in diesen Fällen allen die Wirkung,
die vielleicht die reine Bläue des Himmels auf unser Ge-
müth macht, weniger in dem zu liegen, was der Gegenstand
ist, als in dem, woran er erinnert; ja selbst in den Gesän-
gen der Vögel wird uns mehr der Ausdruck strebender Le-
bendigkeit gew innen , als die eigne Schönheit der grossen-
theils so reizlosen Klänge selbst. Gewiss liegt nun schon
in dieser Pracht der Sinnlichkeit die erste Ueberwindung
des todten Stoffes durch das Reich des Gedankens im
weitesten Sinne, allein diese Empfindungen, nur das ein-
fachste Mittel darbietend, durch welches jener Stoff dem
geistigen Leben unterworfen werden mag, bleiben zu sehr
mit ihm selbst verschmolzen, als dass sie, die zu versöh-
nenden Gegensätze deutHch zeigend, das Gefühl unzweifel-
hafter Schönheit erwecken könnten.
Dreierlei aber giebt es in aller Wirklichkeit, worauf
unsere Betrachtung achten muss. Zuerst jene allgemeinen
Anschauungen des Raumes, der Zeit und der Bewegung,
in die alles wahrnehmbare Geschehn der Erscheinungen
eingeschlossen ist. Sie stehn als ein verfeinerter Stoff den
wahrhaft werthvollen Gedanken der Welt gegenüber, und
so weit sie durch die Verbindungsweise ihrer Theile die Be-
ziehungen jener Gedanken abzubilden wissen, werden sie
auch der Schönheit und zwar jener freien Schönheit fähig
sein , die ohne einem bestimmten Zwecke genügen zu müs-
sen, sich des wechselreichen Spieles ihrer Angemessenheit
zum Ausdruck jedes höheren Gedankens freut. Aber die
Natur hat nicht nur diesen allen Erscheinungen gemeinsa-
men Boden; sie lässt auf ihm vielmehr die bestimmten,
durch innere Verwandtschaften geheimnissvoll bezogenen
Gestalten der einzelnen Gattungen auftreten; und so wer-
38
Jen ihre Erzeugnisse zugleich jener freien Schönheit hul-
digen , die in allseitigen Andeutungen spielt , zugleich
aber der Stelle angemessen sein müssen , die ihr wesentli-
cher BegrKf in der Entwicklungsreihe alles Seienden ein-
nimmt. So bildet sich die anhängende Schönheit , um
einen einfachen Ausdruck Kants zu benutzen. Aber ebenso
wenig wird endlich die Welt aus der gcschichtslosen Auf-
häufung dieser Gattungen bestehn , sondern der eigentliche
Kern ihres Werthes wird sich in der Gesammtheit der Er-
eignisse finden, die zwischen ihnen unerschöpflich geschehn ;
und an ihnen wird die Schönheit eine dritte Veranlassung
zur Entfaltung haben. In diesen verschiedenen Trägern der
Schönheit lassen sich leicht auch die Beziehungen, die sie
zu einzelnen Arten derselben, ja selbst zu verschiedenen Ar-
ten der Kunstschöpfung haben, voraus erblicken.
In der freien Schönheit, zu denen er freilich auch die Ge-
stalten der Blumen rechnete, sah Kant die eigentliche, von kei-
nem Einflüsse der verständigen Urtheilskraft getrübte Schön-
heit. Wir haben oben ihren Begrifl" enger beschränkt, und
zählen zu ihr nur räumhche Gestalten und zeitliche Verbin-
dungsweisen, die noch durch keinen Begriff einer Gattung
zu einem bestimmten Gliede der beabsichtigten Entwick-
lungsreihe des Seienden zusammengefasst, nur die unend-
liche Fähigkeit jener Anschauungen, dem Ausdruck der höch-
sten Gedanken zu dienen , darstellen. Sehen wir zu irgend
einer weitgreifenden Unternehmung der Menschen noch ge-
staltlose Mittel zusammengebracht, noch in keine Ordnung
verbunden , die uns den nächsten w irklichen Gebrauch ver-
anschaulichte, so erfreut sich doch unsere Einbildungskraft
vorgreifend an dem fliegenden Ueberblick möglicher Ergeb-
nisse, die diese Mittel ahnen lassen, und ohne noch Ziel
und Zweck deutlich zu sehen, fühlen wir uns doch in einer
Welt, in der überhaupt Mittel einem Zwecke sich ahnungs-
voll zudrängen. So wie vor dem Beginnen eines Lieds
einzelne versuchende Grilfe uns zuerst von der begefiwart
39
eines Reiches der Klänge überzeugen, die geordnet schlum-
mernd einer Unermesslichkeit reichen Ausdrucks enlgegen-
harren, so wird auch die freie Schönheit in den Spielen
räumlicher Gestalt und zeitlicher Verknüpfungen uns durch
diese aUgemeine Versicherung von der Versöhnung zwischen
Grundlagen und Zwecken erquicken.
An räumlichen Zeichnungen mag uns deshalb zwar auch
dies ergreifen, dass sie in ihrer eigenthümlichen Gestalt als
bildliche Darstellungen von Beziehungen sich zeigen, ohne
die auch . ein höherer Gedanke keine Erscheinung gew innen
könnte, und sie werden dadurch hauptsächlich sich zu ein-
fachen Bildern des Unsinnlichen verwenden lassen; allein
diese Bedeutung beruht zu sehr auf den Erinnerungen und
dem zufälligen Gedankengange des Gemülhs, als dass sie
näher mit der gezeichneten Gestalt selbst zusammenfiele.
Im Ganzen wird daher die freie Schönheit nicht die Herr-
schaft eines bestimmten Gesetzes über den Stoff darstellen,
sondern vielmehr durch Ebenmass überhaupt nur die
Herrschaft des Gesetzes im Allgemeinen.
Der Eindruck, den alles Ebenmässig- begrenzte im Ge-
gensatz hässlicher Verwirrung der Umrisse macht, bedeutet
uns überhaupt nur die Thatsache, dass der unenlschiedne,
nirgend von selbst sich abschliessende Stoff durch die hö-
here Gewalt des Gedankens in zusammenhaltende, scharfkan-
tige Begrenzungen gegossen ist, und nur so weit, als das
Regelmässige nicht bloss im Begriff zu erfassen ist, sondern
sich auch dem Anblick als entsprechendes Ebenmässiges
zeigt, wird es überhaupt die Lust des Schönen erwecken.
Dann aber um so mehr, je vielfacher die Theile sind, über
die sich beherrschend dieselbe Gestalt ebenraässiger Verbin-
dung erstreckt, und so wie die Schönheit eines einfachen
scharfgezeichneten Vielecks durch die einer Gruppe sich ver-
schlingender Vielecke überboten wird, so steigert und be-
festigt auch die Baukunst und die Kunst der Klänge den
40
einmal gewonnenen Eindruck durch die immer reicher, im-
mer tiefer in sich gegliederte, in sich selbst unendlich theil-
bare Wiederholung desselben Satzes oder des Schmuck-
werks, das zuerst einzelne Theile des Gebäudes verziert,
dann zur belebenden Seele des Ganzen wird. Indess wie
alle Schönheit einen überwundenen innern Gegensatz ver-
langt, so wird auch jedes ungestörte einfache Ebenmass zu
sehr die unbedingte Herrschaft aligemeiner Gesetze , nicht
jene zuvorkommende Einfügung eines selbständigen Stoffes
verrathen. Ohne daher in die Verwirrung der Gesetzlosig-
keit zurückzufallen , zeigen doch die lebenden Gestalten
nicht mehr jenes Ebenmass des Gesetzes, sondern das des
Sinnes. Verschiedenwerthig werden die äussern Umrisse,
und anstatt gleichlaufender Begrenzungen treten jene entge-
gengesetzten von rechts und links zusammenstrebenden oder
auseinanderweichenden Beugungen ein, die mit aller Gleich-
heit der Gestalt doch den entschiedensten Gegensatz der
Richtungen verbinden. Auch nicht nach allen Seiten hin
beherrscht dasselbe Gesetz die Ausdehnung, sondern ver-
schiedene Regeln, von dem hineinspielenden Sinne der Er-
scheinung abhängig, haben sich vereinigt, um in scheinba-
rer Unregelmässigkeit dennoch ein leicht wieder hervortre-
tendes, doch nicht allseitiges Ebenmass zu begründen. So
zeigt sich die freie Schönheit lebendiger ^Yesen; auch die
Kunst hat ihr nachgeahmt; und wenn sie in früheren Zeiten
einfach gleichlaufende Begrenzungen ihren Gebäuden gab,
so hat sie später in Grundriss, Seitenansicht und Höhe die-
ses Ebenmass zerstört, um es aus einer Anordnung wieder
zu gewinnen , welche die einzelnen Theile des Gebäudes
aus einer gemeinsamen Mitte nach aussen streben Hess,
jeden in Richtung und Grösse seinem eignen Sinne gemäss,
die hohen Bedachungen über der lebendigen Mitte, dem
Herzen des Gebäudes, die Thürme, nach oben aufrichtend,
ausser der Mitte , wie das Haupt des lebendigen Leibes,
41
nicht für das Leben des Ganzen , sondern für eine hinaus-
deutende Beziehung auf ein jenseitiges Ziel bestimmt.
Für die Deutung dieses , so wie alles andern Eben-
masses sind die Erscheinungen zeitlicher Bewegung noth-
wendig , und in ihnen hat Natur und Kunst eines der höch-
sten Mittel, freie Schönheit zu entfalten. Wie die Erfüllung
jedes Zweckes , wie jedes Geschehen nur möglich ist durch
den ewigen leisen Fluss der Zeit, indem jeder verschwin-
dende Augenblick der Gegenwart einen Theil der unendli-
chen Zukunft verwirklicht und dem Reiche der Vergangen-
heit zuweist, so liegt in allem Entstehen und Vergehen über-
haupt diese allseitige Hindeutung auf den Gang der Welt
und aller Seligkeit und Schmerzen , die er in sich schliesst.
Räumliche Bahnen mit dem zeitlichen Wechsel verbindend
lässt die Natur die himmlischen Körper allen Zauber eines
aufwachenden und allmählich schwindenden Glanzes , eines
ewigen Suchens und Findens über die irdische Welt aus-
strahlen , und hüllt diese in die Pracht ineinanderklingender
Farben , oder lässt in grösseren Zwischenräumen , nur der
Erinnerung bemerkbar , mit ihren Jahreszeiten auch das
Blühen und Keimen der Gewächse kommen und gehen. Und
hierin hat die Kunst nicht durch die Unmöglichkeit der Sa-
che , sondern durch ihre Unausführbarkeit gezw ungen , ihr
nicht folgen können. Kaum dass der Tanz einen schwachen
Versuch enthält , die ahnungsvollen Reize der verschlunge-
nen Bewegungen darzustellen; mit Farben aber bedeutungs-
voll zu spielen , wie mit den Klängen , müsste doch selbst
unserer Kunst möglich sein, wenn sie im Feuerwerk nicht
Farben , haftend an einem gleichgiltigen Stoff und ebenso
fremder räumlicher Form , sondern farbige Lichter , gestalt-
los aus dem Dunkel anschwellend und wieder verklingend,
in allen jenen Verhältnissen sich suchenden Eniklangs dar-
stellte , die Farben wie Tönen zukommen , und wenn sie
dies Spiel , was der Musik unmöglich ist , durch eben so
sinnige räumliche Bahnen des Kommens und Gehens vei-
42
stärkte. Töne sind der iXatur keine Mittel zur Entfaltung
freier Schönheit ; aber in ihrer reichen Gesammterscheinung
langen die Stimmen des säuselnden Laubes zur Erweckung
der Gefühle hin. Dagegen bemächtigt sich der Töne die
Kunst , und in ihren Verwandscliaften , ihrem Aufsteigen
und Niedersinken und allen jenen eilenden oder zögernden
Uebergängen und zauberischen Aehnlichkeiten wiederholt auf-
tauchender Verknüpfungen weiss die Musik die freie Schön-
heit des geistigen Lebens zur Erscheinung zu bringen. Man-
ches werthvolle Ereigniss des Innern Lebens wird gewiss
nur begriffen werden Jvönnen , wo der Mensch nicht seiner
selbst allein, sondern auch seiner bestimmten Stellung zu
allem Aeussern mitgedenkt. Allein eben so sehr , wie die
scharfe Zeichnung unserer eignen Gattung und die bestimm-
ten Umrisse! unserer Lebensverhältnisse uns eigenthümliche
Genüsse schaffen , ebenso hindern sie uns , mitzugeniessen,
was in fremdartigen Kreisen des Lebens sich gestalten mag.
Wir wissen nicht wie Fischen ist so wohlig auf dem Grund,
und die eigene Färbung, die andern Geschöpfen in ihrer
bestimmten leiblichen Einrichtung den Gesichtskreis ihres
Dichtens und Trachtens umzieht, ist uns undurchdringlich.
Diesen Bann weiss die Musik zu lösen. Unfähig, wie sie ist,
durch ihre allgemeinen Mitte! ein bestimmtes Ereigniss in
bestimmter Umgebung zu malen , befreit sie uns anderseits
von der Beschränktheit des Lebens , das durch Gattungsbe-
griffe unwiderruflich begrenzt ist, und in freier Schönheit
lehrt sie uns die Seligkeit und den Schmerz kennen , wie
beide als ein allgemeiner dahinschmelzender Geist alle Ge-
biete des Daseins durchwehn, und statt uns an die scharf-
kantig begrenzte Welt des Menschen zu binden , führt sie
uns vielmehr unendlich wechselnd in das Leben alles Le-
bendigen , ja selbst in die dumpfen Bebungen des Bewusst-
loscn mitfühlend ein. Die Natur schafft jedoch nicht nur
diese freien , sondern in dem Gebiete des Lebens auch an-
hängende Schönheiten , wenn gleich das Urbild der letztem
43
nicht überall selbstständig durch einen Begriff der Erkennt-
niss zu fassen ist. Nicht dies allein war ihre Aufgabe , dass
Leben , diese thatsächliche Versöhnung des herrschenden Ge-
dankens mit dem widerstehenden Stoffe, in irgend einem
Winkel der Welt neben andern Erscheinungen nur auch
verwirklicht werde : sondern welche Kreise äusserer Um-
stände auch dasein mögen , ihnen allen soll diese Lebendig-
keit abgewonnen werden. Und so bildet sich eine unendli-
che Mannigfaltigkeit der lebenden Geschöpfe , damit nirgend
eine Lage sei , deren Inhalt nicht durch irgend eine Weise
des Lebens genossen werde. Aber nicht alle äussern Ver-
hältnisse werden seiner Ausbildung gleich günstig sein, und
die Mannigfaltigkeit der Geschöpfe wird in einer Reihe all-
mählich erst durch viele Stufen der vollen Lebendigkeit sich
nähern. Ja selbst einzelne Gattungen der Gewächse und
Thiere wird es geben , in denen der Gedanke des Lebens,
zwischen zwei entschiedenen Gestalten schwankend , sich
noch nicht der Ungunst des Stoffes vollkommen entzogen
hat , sondern eine Hässlichkeit hervorbringt , die zwar im-
merhin ihre Bedeutung in der Verkettung der ganzen Reihe
hat , aber nicht desw egen abgeläugnet w-erden sollte , damit
man alles für schön erklären könne , was den Anforderun-
gen seiner Gattung vollkommen entspricht. W^ohl kann alles
nur in seiner Art schön sein , aber nicht deswegen ist es
schön, weil es diese Bestimmung seiner Art erfüllt. Der
Werth der Gattungen hängt selbst von der Kraft ab, mit der
sie die höheren allein werthvoUen Gedanken des Lebens in
der äussern Erscheinung zu verwirklichen verstehen. Weit
entfernt daher , dass Naturtreue und Richtigkeit der Gestal-
ten die einzige Aufgabe künstlerischer Nachbildung sein
könnte , hat vielmehr die Kunst die Pflicht , über die unbe-
dingte Schönheit der Naturgeschöpfe selbst bei der Wahl
ihrer Gegenstände zu richten, und so wenig sie leibliche Ver-
richtungen, deren die Natur sich bei der Verwirklichung ihrer
Gebilde nicht entschlagcn kann . nachahmt , so wenig darf
44
überhaupt die Wirklichkeil mancher Gallungsformen sie ver-
blenden, die dem Fortschritt der Naturentwickelung wesent-
lich, aber dennoch nicht schön sind. Ebenso sehr aber wird
es der Kunst Ireistehn, Gegenden zu betreten, die der Natur
um der Beständigkeit ihrer verwirklichenden Ursachen willen
unzugänglich sind. So wenig es für eine unberechtigte Aus-
schreitung gilt, von dem Gegebenen erkennend überzugehn
zu dem Uebersinnlichen , der Richtung nachfolgend , in der
das Sinnhche über sich hinausdeutet, so kann auch die
Betrachtung der wirklichen Naturgestalten eine Richtung ent-
decken, nach welcher hin alle ihre einzelnen Verhältnisse
streben, ohne doch das höchste Ziel einer solchen Reihe zu
erreichen. Warum sollte die Kunst , die , nichts wirklich
belebtes schaffend , über viele Hindernisse des Naturganges
hinwegschweben kann, dieses nirgends gefundene Urbild
nicht in ihrer Weise zu verwirklichen suchen? Ja selbst
zusammensetzen wird sie, was nie die Natur vereinigt, und
in jenen der alten Kunst so oft vorschwebenden Gestalten
der Hermaphroditen , in den mährchenhaftcn Thieren , ja
selbst in den geflügelten Engeln wird sie Wesen schaffen,
die der Natur völlig fremd und unmöglich sind; und doch
wird in jeder gelungenen Darstellung sich sogleich eine ge-
wisse Naturnothwcndigkeit der Bildung aufdrängen, die kei-
ne andere Art der Verschmelzung der Gliedmassen, kei-
nen andern Ansatzort der Flügel gestattet, als wie beide
der Künstler gewählt hat.
Indessen die blosse allgemeine Gestalt der Gattung will
weder die Natur noch die Kunst; sie wollen Einzelnes, le-
bendig Wirkliches bilden. Und hier ist wie die Natur, in-
dem sie ihren Gattungsbegriff den wirkenden Kräften zur
Darstellung überlässt, so auch die Kunst, indem sie das
Eigenthümliche der lebendigen Einzelheit nachahmt, in
Gefahr, Hässliches statt des Schönen zu bilden. Die Be-
stimmung alles Lebendigen ist nicht allein diese, den ge-
meinschaftlichen allgemeinen Begriff seiner Gattung auf das
45
Vollkommenste zur Erscheinung zu bringen, sondern überall
bildet die Leiblichkeit nur die nolhwendige Grundlage, die
die von der Seele vorausgesetzt, benutzt und in sich auf-
genommen wird. Daher wird keine bildende Kunst den
Menschen im Allgemeinen darzustellen streben; sie würde
damit nicht ein Urbild liefern in dem Sinne, dass dies das
letzte zu erreichende GHed in der ^eihe menschlicher Ent-
wicklungen wäre, sondern nur in dem, dass es die erste
unerlässliche Bedingung wäre, ohne welche alles Höhere
unerreichbar bliebe. Eben so würde sie irren, wenn sie
einen Zug dieser höheren geistigen Bestimmung einseitig
hervortreten und das gesammte Bild der Gestalt nur von
ihm durchdrungen sein liesse. Frömmigkeit, Treue, Gerech-
tigkeit und Standhaftigkeit finden sich nicht wie verschiedno
Thierarten neben einander in verschiedenen Gattungen der
Geschöpfe verwirklicht, sondern sind gemeinsame Aufgaben
eines einzigen Geschlechts , das schon früher mit mannigfal-
tigen natürlichen Richtungen der Gefühle und Neigungen
ausgestattet ist, ehe es jene Gipfel der Bildung zur vorherr-
schenden Beleuchtung seines Gemüths macht. Daher sind
alle jene Bildsäulen oder Gemälde, die auf den nackten
Umriss menschlicher Gestalt sogleich jenen höchsten Schim-
mer einer vollendeten Tugend übertragen, immer nur
Werke der von fremdartigen Bedürfnissen des Gemüths auf-
geforderten Kunst. Sich selbst überlassen wird die wahre
Kunst zwar auch nach einem Urbild der Menschheit in ei-
ner dieser bestimmten Richtungen streben, aber sie wird es
so mit natürlichen, angebornen Zügen ausstatten, dass we-
nigstens eine Erinnerung an die Richtung, in der der Geist
sich seiner nie fehlenden Naturbestimmlheit entrang, um
dem Höchsten seiner Bestimmung allein zu dienen , die
vollendete Gestalt noch umschwebt und so das ursprüng-
lich Natürliche, das wirklich Lebendige zum Urbild verklärt
wird, dieses aber aus jenem die Lebenskräfte zieht, mit
denen es sich an die wirkliche Welt anschliesst. Diese Auf-
46
j^abe haben die grossen Maler überall zu lösen gestrebt,
und selten zeigt die Mutter Gottes in ihren Bildern dem Be-
trachtenden ein Antlitz, das nie und nirgend entstanden,
von allein Anfang an eine naturnothwendige Heiligkeit be-
sessen hätte, sondern die Züge, unwillkührlich an einen
Stamm, eine Familie erinnernd, deuten auf die Natürlich-
keit zurück, die zu vollkommner Verklärung gelangt ist.
Diese Forderung, die an die Bildhauerei streng zu richten
ist, deren schwere Stoffe, und deren Unfähigkeit, durch
Hinzufügung einer erläuternden Umgebung die einzelne Ge-
stalt zu heben, sie von jeder Darstellung allzu leichter und
einfacher Gegenstände abhalten muss, darf auch an die
Malerei gerichtet werden. Nicht die erste beste scharf ge-
zeichnete Natürlichkeit, nicht die Darstellung überhaupt ei-
nes gesunkenen Lebens kann ihre Aufgabe sein, obgleich
alles Hässliche und Verzerrte einer selbstgefälligen Kunstfer-
tigkeit leichteren Spielraum zur Spiegelung ihrer Geschick-
lichkeit gibt ; überall vielmehr wird der Keim des Besseren
und die Trefflichkeit gleichmässiger innerer Ausbildung in
diese verkümmerten Gestalten hinein zu verfolgen sein, und
die Hebung des Gewöhnlichen wenigstens so weit, dass die
Möglichkeit schöner Entwicklung hervorbricht , muss das
Ziel auch dieser Kunst bilden. Da indess überhaupt Ueber-
windung des Stoffes durch den Gedanken die Schönheit be-
gründet, so ist es nicht ganz zu verdammen, wenn Kunst-
kenner besonders in der Malerei oft eben so grossen Werlh
auf die Eigenthümlichkeiten der Pinselführung und Farben-
gebung legen, als auf die Schönheit der Erfindung. In der
Malerei mehr als in andern Künsten gibt es eine Mannigfal-
tigkeit der Wege, den gestaltlosen Stoff zur Endwirkung zu
verbinden: und so mag die Grossartigkeit des Handhabens
der Mittel, selbst eine schöne Entwicklung des schaffenden
Gemüths, auch einen Theil der Bewunderung neben der
Schönheit des Bildes selbst für sich gewinnen.
Jedes wahrhaft schöne Werk der bildenden Kunst, wie
47
jede schöne Gestalt der Natur weist uns aber hinaus auf
die Gesammtheit der Welt, in der die Beziehungspunkte lie-
gen für alle jene geistigen Kräfte , die der Gestalt inwohnen,
so wie die Auflösungen der Missk.län£;e , die sie in sich
fühlt. Das wahre und höchste Feld der Schönheit ist die
Welt der Ereignisse , nicht die der Gestalten. Beobachtun-
gen der Natur im Kleinen lassen theils die ahnungsvollen
Reize freier Schönheit, theils die in sich beruhigte Vollkom-
menheit einzelner Gestellten erscheinen ; ihre Betrachtung im
Grossen führt überall zunächst zu dem Gefühle der Erha-
benheit , das sich immer an die Einfachheit der Gesetze und
Mittel knüpft, durch welche grosse Missklänge ausgeglichen,
oder eine unabsehbare Verwirrung der Mannigfaltigkeit in
ihrem scheinbaren Auseinanderweichen dennoch zusammen-
gelenkt wird. So haftet dieses Gefühl schon an dem An-
blick des Einförmigen und Grossen , hier fast immer durch
die Ahnung begründet , dass eine mannigfaltige Welt ihren
Untergang in diese Ruhe gefunden habe ; so knüpft es sich
noch mehr an die fortschreitende Erkenntniss der Gewalt,
mit welcher im Haushalt der Natur die verschiedenartigsten
Kämpfe widerstreitender Ereignisse zu einem einfachen und
bedeutungsvollen Ergebnisse zusammengezogen werden. Und
wo diese Einheit nicht zur Erscheinung wird , begleitet die-
selbe Erhabenheit die Voraussetzungen der Wissenschaft,
die die unendliche Mannigfaltigkeit überall quellenden Lebens
auf einen Grundstoff, ein ursprünglich Seiendes, einen ein-
zigen Alles durchströmenden Gedanken zurückführt. Allein
grade diese vollkomrane Alles umfassende Erhabenheit hat
die gefährliche Spitze , in ein höchstes Hässliches überzuge-
hen. Eine Zeitlang wohl wird sich mit jedem Fortschritt
der Erkenntniss, der scheinbaren Zwiespalt durch ein höhe-
res Gesetz bändigt , ein Gefühl der Befriedigung verbinden ;
verfolgen wir aber diese Bahn , sehen wir , wie selbst un-
sere eigenen Schicksale, die Bestrebungen, in denen wir
frei zu sein glauben , wie alle Verhältnisse unsers Geschlechts,
48
innerhalb deren für uns ein unerschöpfliches Spiel ahnender
Sehnsucht und Wonne aufging, wie Alles dies durch eine
verborgene Macht ebenfalls an unabänderliche , gleichgiltig
waltende Gesetze geknüpft ist , dann beginnt allmählich die
Stille der Erhabenheit uns zu still zu werden , und aus den
schönen Zügen , die die mit sich einige Natur uns zukehrt,
tritt durch einen plötzlichen Wechsel der Beleuchtung das
starre Gerippe der Nothwendigkeit hervor , auf das sie sich
stützen. Erfahrungen dieser Art hat wohl Jeder gemacht ;
es bedarf bei dem allen immer einer besondern Stimmung
des Gemüths, um sich auf dem Gipfel der Erhabenheit fest-
zuhalten und nicht in den Abgrund des Grauens zu fallen,
der daneben gähnt. Die Naturwissenschaften führen auf je-
nen , so wie an diesen , und selbst jene Weltansichten , die
in der Begeisterung für den unbedingten Urgrund der Welt
schwelgen , erscheinen oft plötzlich dem Gemüthe als eine
trostlose Oede, in der mit einer unerschöpflichen Triebkraft,
wie die wuchernden Gewächse in Sümpfen, oder das wilde
Fleisch in Geschwüren sich eine unendliche Mannigfaltigkeit
zwar entwickelt, aber in gährender Rastlosigkeit nur von
unten getrieben , ohne von aussen oder oben durch ein Ziel
gehoben und erlöst zu werden , dem diese bange Unruhe
zustrebte. Die Gründe so seltsamer Gemülhsbewegungen
sind nicht schwer zu finden. Es ist einestheils die Bangig-
keit , die das Bewusstsein erzeugt , das Letzte gefunden zu
haben , was hinter allen Erscheinungen ruht , und wonach
die Sehnsucht lauge , ihres eignen , jetzt ersterbenden Stre-
bens froh , gerungen hat. Ist nun das endlich Bekanntge-
wordne nicht von so hohem Werthe, dass auch ohne die
Aufstachelung eines noch unvollendeten Strebens die Seele
ihm ewige Theilnahme widmen kann , was bliebe ihr übrig,
als mit ihrem Streben auch selbst zu vergehn? Sie fühlt
diese Nothwendigkeit ihres eignen Unterganges, wo sie in
der Betrachtung der Welt nichts als jene Erhabenheit ewiger
und unerschütterlicher Gesetze im Strudel verworrener Er-
49
scheinungen findet. Sie findet, dass, wo nicht mehr in der
Welt wäre , dieser Anbh'ck die Mühe des Suchens täuscht,
die einer ganz andern Befriedigung für tiefere Bedürfnisse
nachging. Zu der Welt der Bewegungen und der Ereignisse
inuss eine Welt der Schmerzen und der Wonne kommen :
und nie wird jener Uebergang vom Erhabenen zum Grauen-
haften vermieden werden , wo jene einfache Welt des Be-
griffs und des Daseins als das letzte Wirkliche dasteht, das
nicht noch ausser sich selbst ein Ziel hat, dem es mit aller
seiner Erhabenheit dienen muss. Denn davor ergreift uns
ein gerechtes Grauen , dass irgend ein Seiendes , irgend ein
Gesetz , irgend ein kalter Gedanke allein das Letzte und
Erste sei , das in aller Welt zu Grunde liegt und sich ver-
wirklicht ; viel lieber geben wir dem Dasein , allen letzten
Abschluss fürchtend, ein fremdartiges Ziel noch ausser ihm,
damit es nach dem Masse seines Strebens , jenem Ziele sich
zu nähern , einen Werth erhalte , der in ihm selbst jiicht
gefunden wird.
Schon früher haben wir zugegeben , dass alles Schöne
sich auf die Fähigkeit des Geistes, Lust oder Unlust zu em-
pfinden beziehe. Aber damals hätten wir uns an dem Schö-
nen und allen werthNollen Gedanken der Welt zu versün-
digen geglaubt, wenn wir diesen Erfolg für den Zweck der
Schönheit angesehn, und ihren Beruf nur in die Befrie-
digung unserer eignen Sehnsucht gesetzt hätten. Viel-
leicht haben wir hiermit zu viel gethan und die Berech-
tioun" der Gefühle verkannt. Lassen wir ein Weltall in
höchst wechselnden , mannigfaltigen Erscheinungen jenen
erhabenen unerschütterlichen Gang befolgen, der geregelt
durch allgemeine ewige Gesetze in der Gestalt seiner Er-
gebnisse einem einzigen Gedanken wankellos entspricht,
doch nehmen wir zugleich an , dass wohl ein Geist die
Mannigfaltigkeit dieser Beziehungen denkend zu der Einheil
eines Bildes zusammenfasse, aber dass kein Herz in der
Welt sei, für welches das All lebendig sich bewege, wie
50
sollte in dieser Welt der Walirboit noch die Schönheit einen
Plnlz finden ? Gedanke und Sein würde so zusammenfallen,
dass zwar ein müssiger Vorstand vielleicht die Müglidikeit
des Andersseins ahnte, ohne diese Verschiedenheit bis zu
einem Gegensatze steigern zu künnen, dessen Begi'iir nicht
hloss die erkannte Weile, sondern die gefühlte Bitterkeit des
Unterschiedes cinschliesst. So wie die seiende Welt den
Geist voraussetzt, dessen selbsthewusstes Weben und Leben
die zerstreuten Beziehungen in eine stetige helle Anschau-
ung zusammenfasst und dadurch erst ihnen Wirklichkeit
gibt, so setzt die Schönluüt auch überall den fühlenden
Geist voraus, nicht um von ihm als schon vorhanden, nach-
erkannt zu werden , sondern um in seiner Berührung zu
cntstehn. Ist die Schönheit überhaui)t die Versöhnung des
Gedankens mit dem Seienden, so ist die wahrhafte höchste
Schönheil die Versöhnung des Seienden mit dem lebendigen,
freien Gedanken des fühlenden Geistes. Dieses Gemüth
aber, an das alles Schöne sich wendet, ist nicht das na-
türliche mit seinen ihm frcmdhcr angebornen Neigungen und
Leidenschaften, noch auch das allgemeine mit seinen bestän-
digen Galtungsmerkma en , sondern jenes wirkliche, das
wohl die eigenthümliche Kraft leidenschaftlicher Strebungen
in sich empfindet, aber auch den höchsten werthvollen bi-
hall als in seiner besondern Thätigkeit gegenwärtig, von
ihm sich durchdrungen fühlt. Und so indem das Gemüth
sich selbst als einen Theil der werthvollen Welt weiss, kann
es verlangen, dass das Dasein seinen Wünschen sich beuge,
und dass sich als letztes Ziel und als Kern aller Krhaben-
heit im Ablaufe der Dinge nicht der Begriff irgend einer Zu-
sammenstimmung und Ausgleichung, sondern die inhaltvolle
Seligkeit zeige, die aus dem Einklang der nolh wendigen
Weltordnung mit ewig berechtigten Wünschen und Strebun-
gen des Gemülhes hervorgeht. Nicht also , wie jene Erha-
benheit, betrachten wir irgend etwas als letzten Inhalt der
Well, dem nicht von selbst ein Werlh zukäme, der jede
51
weitere Nachforschung nach einem höheren Ziele ausschliesst.
Und diesen Inhalt meinen wir nicht in irgend einem Ge-
danken zu finden, der träumend sich nur in der seienden
Welt entwickelte, sondern in dem Glücke besteht er, das
der Versöhnung dieses Seienden selbst mit dem lebendigen
Herzen entspringt. An mancher Nebenfrage wollen wir
hier vorübergehen, helfend, dass kein Gemüth dieses Glück
mit dem vergänglichen Reize des Angenehmen verwechselt,
und überzeugt, dass nur deshalb manches Herz über die Se-
ligkeit selbst zu einem noch Höheren gelangen möchte, weil
es im Genüsse selbst durch die leise Erinnerung der Un-
reinheit seines Glücks überrascht wird, oder weil es vergisst,
dass neben der Betrachtung der Schönheit noch andere Bah-
nen des Gedankens laufen , denen dasselbe Ziel vielleicht
ernster, doch nicht minder werthvoU erscheint. Die wahre
höchste Versöhnung des Daseins mit dem Gedanken wird
nicht in der äussern Natur, sondern im Geiste vollzogen,
und er feiert sie, geniessend sowohl die Schönheit, als sie
schaffend. Für beides hat man oft eine eigenthümliche Fä-
higkeit des Geistes verlangt und geheimnissvoll angedeutet.
Dieses Geheimniss scheint offenbar zu sein und beruht in
jener engen Verschmelzung werthbestiinmender Gefühle mit
Begriffen der Erkenntniss , die uns oft selbst überrascht,
wo wir im reinen Denken zu sein glauben, und die in der
schönen Einbildungskraft gewohnte Wirkungen nur stärker
entfaltet. Entgegengesetzte Bewegungen im Räume werden
ausgeglichen, nicht versöhnt; und doch trägt schon hier die
Anschauung in den Begriff des Gegensatzes die Nebenbe-
slimmung einer nur fühlbaren Feindseligkeit hinein. Aller-
dings nun unterscheidet sich die Thätigkeit jener schönen
Einbildungskraft von dem Thun der gemeinen, die im
Dienste des Verstandes und sinnlicher Anschauung denselben
Namen trägt. Wenn die letztere das Weltall denkt, du ver-
bindet sie Mannigfaltiges unter Gesetzen zu einer Einheit
eines Gesammlbildes ; wo die erstere aber so anschauliche
4*
52
Geslallcn schafft, da empfindet sie zugleich den Schmerz
oder die Lust des Schaffens, wiederholt im Bilden selbst
die strebende Kraft der Mächte, die in Wirklichkeit Ihätig
sind, und wo sie wie jene, das Einzelne auf einander be-
zieht, fühlt sie den Druck und die Last mit, die jede lie-
ziehung auf diese Einzelnen wirft, die Spannung der Ein-
heit, die Lust uncrschüpilicher Ausbreitung, die Bitterkeit
der Gegensätze, die Seligkeit ihrer Uoberwindung. Und so
bildet sich im Geiste eine zurückgespiegelte urbildliche Welt
aus, in welcher das Gemülh alle ewigen und unverlierba-
ren Bedürfnisse mit dem erkennbaren Gange der erhabenen
Nothwendigkeit ausgeglichen hat; und diese Wellansicht ist
nicht nur die Beleuchtung, die jeden Genuss einer gegebe-
nen Schönheit vermittelt, sondern auch der lebendige Quell,
aus dem alle unsterblichen Gebilde schaffender Kunst her-
vorü;ehn.
Y.
Spricht man von der Schönheit im Allgemeinen , so
scheint es zuerst schwierig, dem Gedanken eines Urbilds
aller Schönheit, das wir in einzelnen Erscheinungen hin-
durchleuchten sehen, einen bestimmten Inhalt anzuweisen.
Denn die schonen Gestalten, ja selbst die Stoffe, in denen
sie ausgebildet sind, so wie die Ereignisse, sind so unver-
gleichbar verschieden, dass das in ihnen lebende Urbild
wenigstens nicht selbst eine eigenlhümliche Gestalt unter
einer Erscheinung verhüllen und zugleich offenbaren kann.
Die letzten Betrachtungen werden diese Schwierigkeit ge-
mindert haben. Die Schönheit an sich ist weder ein ei-
genlhümlich Seiendes, das als verhüllter Kern aus der
Schale der scheinbaren Dinge abgelöst werden könnte, noch
eine Eigenschaft, die dem Verschiedenartigsten mit immer
gleicher Anknüpfbarkeit sich darböte, sondern sie ist der
53
Siun des ganzen Weltalls mit aller seiner Seligkeit, zur Er-
scheinuug plötzlich ]\ommend an irgend einem Einzelnen,
das durch sprechende Züge sich entschieden in den Zusam-
menhang dieser Welt einreiht und allseitig durch leise aber
der Ahnung wenigstens erkennbare Beziehungen die Ge-
sammtheit der Fülle und des Reichthums anklingt, dessen
einer Theil es selbst ist. Und eben so wesentlich, als der
Schönheit dieser das Ganze umfassende Werth ist, ist ihr
auch dieses Eingehn in das Einzelne, das der grösste am
schwersten zu überwindende Feind des Gedankens ist ; ja
wir können sagen, dass zwar ein Reich der Wahrheit und
der ewigen Gesetze auch an sich gedacht werden möge,
ohne in eine unermessliche Einzelheit der Erscheinung ein-
zugehn; dass aber das Schöne an sich selbst nicht ein
Schönes, sondern nur ein Wahres sein würde, wenn nicht
sein Inhalt, sein Beruf sich in die Zersplitterung endlicher
Ereignisse und Gestalten dahingäbe, um hier, wo allein ein
wahrhafter Zwiespalt wahrhafte Versöhnung erheischt, eine
überall quellende Beseligung des vollendeten Sieges zu er-
werben.
Dass der wahrhafte Genuss der Schönheit erst von die-
ser gewonnenen Höhe einer ausgebildeten Weltansicht mög-
lich sei, wird am leichtesten dann zugegeben werden, wenn
wir die Verschiedenheit des erscheinenden Schönen berück-
sichtigen , in der auf äusserst mannigfaltige Weise auf die-
sen umfassenden Hintergrund hingedeutet wird , der allein
die einzelnen abweichenden Genüsse zusammenhält. Ebenso
er^ibt sich leicht, dass ein stufenweiser Fortschritt des
Schönen möglich sei, und dass nicht alle Erscheinungen
mit gleicher Kraft und Eindringlichkeit und in ebenso aus-
gebreiteter Ausdehnung dieses Urbild hervorrufen, das ih-
rer Auffassung überall entgegenkommt.
Es ist aus den vorigen Bemerkungen klar, dass nun
jene Weltansicht, von der Genuss und Erzeugung des Schö-
nen ausgeht, nicht selbst die wahre und vollständige Lö-
54
suny aller Hlilhsol der Welt enlballen luuss ; genug, wenn
sie eine Versländigung des Gemülbs ist, das sich die ge-
wisse Zuversicht ihrer vorhandenen Lösung gerettet und be-
festigt hat, wie seltsam auch die Beleuchtung sein mag, die
sie über das Ganze der Welt wirft, und wie abgelegen der
Ort, an dem sie den Schlüssel aller Geheimnisse vermu-
thet. Indess wie mannigfaltig auch die Weltansichten ver-
schiedner Zeiten und Volker sein mögen; so lassen sich
doch aus dem Hegriffc ihrer Aufgabe drei verschiedene Fär-
bungen der Ansichten hauptsächlich hervorheben , in denen,
entsprechend den Gestalten der Schönheit selbst, der Geist
bald unbefangen sich mit der Welt und ihrem Gange zu-
frieden und durch ihn selig getragen fühlt, bald den Wi-
derspruch hervorhebt, der in vielfachen Beziehungen Be-
stimnmng und Wirklichkeit trennt, sich sehnend nach sei-
ner Schlichtung , bald endlich mit dem Bewusstscin solcher
Gegensätze auch den Trost ihrer nicht jenseitigen , sondern
ewig sich vollziehenden Ausgleichung verschmilzt. Diese
Lagen des Gemüths der Völker gehören tbeils der Geschichio,
theils werden sie noch erwartet und zeigen sich nur in ein-
zelnen, ungeordnet vorauseilenden Anklängen. Aber auch
in der Geschichte sind sie weder einer strengen Zeitfolge,
noch einer folgerechten Entwicklung nach aus einander her-
vorgegangen, sondern wie ursprüngliche Anlage, äussere
Umgebung, Gewohnheiten des Lebens und Schicksale die
Völker bewegt, haben sich auch diese Standpuncte in un-
endlicher Mannigfaltigkeit der Schattirungen bald da bald
dort gezeigt. Aber nur sehr selten haben sich glückliche
Umstände zu ihrer so ebenmässigen Ausbildung vereinigt,
dass sie alle Gebiete des Lebens und der Kunst beherr-
schend, in so hoher Vollendung, wie in der griechischen
Welt, bis zu entfernten Zeiten hell und sprechend herüber-
leuchten.
Wie die Griechen geworden sind , was sie waren , ist
unscrn Blicken fast ganz entzogen. Bevölkert durch Ansie-
55
delungeu der verschicdenarligsleu Menschen , halle Griechen-
land im Gegensatze zu jenen Ländern , wo Völker von scharf
umschriebner Slammeigenthümlichkeit eben so zäh wie das
Gepräge der Nalur auch die einmal errungene ersle Stufe
der Bildung festhielten , einen Keim steten Fortschritts und
im Widerstreit sich entwickelnder Kräfte gehegt. Einge-
schlossen in ein kleines überall vom Meer umströmtcs Gebiet
empfanden die Bewohner weder die Schrecken der Wüste,
noch die Unhehnlichkeit jener masslosen Bevölkerung der
asiatischen Länder , in denen die unerschöpfliche Zeugungs-
kraft des Geschlechtes W^erth und Streben des Einzelnen in
seiner Schätzung herabsetzt. Die Geringfügigkeit des Völ-
kerverkehrs hatte die Räume der Erde noch nicht aufge-
schlossen , und das unermessliche Aussen , das in unserer
Zeit bald bang , bald erhebend über unsern Gedanken
schwebt , war dort noch eine enge Begrenzung , nach de-
ren nachbarlichen Küsten die Sagen die Spuren der ersten
Ansiedelungen verfolgten , auch sie so in den heimischen
Verband mit aufnehmend. Und so ruhte denn damals die
Erde als eine flache Scheibe unter dem heitern Himmel,
dessen glänzende Gestirne nicht Zeichen einer thcilnahmlosen
Unermesslichkeit , sondern der ewig waltenden Güte waren,
mit der der Kreis der Götter das Leben der Erde, das ein-
zige Leben, zu schützen und zu schmücken nicht müde ward.
Solche Zustände des Lebens und der Kenntnisse , wo freund-
liche Täuschungen die Fernen der Welt begrenzen , damit
das Gemüth ungeblendet von ihrem zweifelhaften Lichte,
bei sich traulich weile, können zu jenem eigenthümlichen
Selbstgenuss des Daseins mitgewirkt haben, der in allen
Theilen der Griechischen Weltansicht erheiternd hervorscheint.
Während andere Völker zum Theil tiefsinnige Gedanken über
den Zusammenhang der Welt, der Bedeutung des Begrifl's
allein folgend , in fratzenhaften Gestalten ausprägten , bilden
zwar einzelne Ungeheuer auch noch in dem Griechischen
Sacenkreise halb verschwimmende Randverzierungen , aber
55
alles wahilialt Wcrllnolle der gülUiehcii Welt ist in luensch-
liche Erscheiming und Gefühlsweise übergegangen , und er-
hebt theils die Menschheit zur Würde des Göttlichen , theils
nähert sie dieses jener überall herrschenden lleimallichkeit
der Auffassung. So \vie die Pflanze aus ihrem Keime alle
Theile ihrer Gestalt mit eigner inuohnender Triebkraft ent-
wickelt, und Wolken und Winde sie nie zu etwas anderm
machen, als ihre Beslinunung war, so ruht auch jedes ein-
zelne Gemüth völlig auf sich selbst , ein aus dem Ganzen
gegossenes Ganze , das zwar äussere Einflüsse in ihren Stru-
del reissen können, aber nicht in seinem wesentlichen Kerne
verändei'n. Mrgend hat die Griechische Kunst, was uns so
nahe liegt, versucht, den stufenweisen Einlluss äusserer Ge-
Avalten auf die Ausbildung des Gemütbs und Geistes ihrer
handelnden Gestalten nachzuweisen , sondern so wie sie sind,
sind sie immer gewesen und keine fremde Kraft hat andere
Spuren an ihier Sinnesart zurückgelassen als die des Schmer-
zes oder Zornes über vereitelte Bestrebungen, deren Missge-
schick doch die angeborne Neigung nicht von gewohnten
Bahnen zurückschreckt. In diesen Schranken angeborner
Natur liegt die Festigkeit der einzelnen Gestalten, und neid-
los finden Homers niedere Geister es ganz natürlich , dass
der schlechtere Mann dem Besseren gehorche. Diese Stim-
mung ist ohne Zweifel bald in den Bestrebungen des Ehr-
geizes untergegangen , die auch die Griechische Welt zu
bewegen begannen , aber inmier hat diese Ruhe einer frü-
heren Weltansicht wenigstens als Erinnerung auch über der
späteren Welt geschwebt , und die Händel des gewöhnlichen
Lebens haben nie einen Zugang in das Reich Griechischer
Kunst gefunden. Dieser gemeinsame Zug nun einer voll-
ständigen unbefangnen Befriedigung mit den natürlichen
Grenzen und Schicksalen des eignen Wesens und die Furcht-
losigkeit vor aller Veränderung desselben durch den Lauf
des Lebens durchzieht alle übrigen reichen Einzelheiten jener
Kunstanschauungen. Er zeigt sich, wenn selbst die Alles
56
in seinem Innersten umwandelnde und neu erschaffende Lie-
be dem Griechen nur als eine flüchtige Herabneigung eines
in sich wankellosen Gemüths zu dem Gegenstand heiterer
und freundlicher Begehrung erscheint, und nicht minder zeigt
er sich in allen jenen Begriffen der Verschuldung , die nicht
gestatten , Schuld der Absiebt und Unglück in der Verket-
tung der Ereignisse zu trennen, sondern die Gesammtheit
der Uebel überhaupt dem zurechnen , dessen Fuss arglos
auf dem Wege des Lebens einen unheimlichen Ort betrat,
aus dem dichtgesätes Elend mit unwillkührlicher Federkraft
craporsprang. Er zeigt sich endlich selbst in der Einfach-
heit der alles Reizes der Neuheit entbehrenden äussern La-
gen , in denen die Dichter ihre Gestalten uns vorführen , als
in sich werthvolle, der Aufregung durch ungewöhnliche An-
spannung unbedürftig.
Ja selbst die Leerheit jenes vielgefeierlen und dunkel
angedeuteten Schicksals , das über allem Geschehen schwebt,
bezeichnet den Geist der gesammten Ansicht , die befriedigt
von dem Leben und seinem Inhalt, nicht unruhig wurde,
wenn es immer so war , wie es in einem Augenblicke ist,
und die dem Gegenwärtigen nicht erst durch die Ahnung
eines fernen Zieles Werth geben zu müssen glaubte , dem
ein unergründliches Schicksal in gewaltigen Schwingungen
die Welt zuführt.
Die Gew alt , die es uns über unsere Neigungen und
Vorstellungen kostet , wenn wir uns in diese anspruchslose
Heiterkeit des Griechischen Lebens zurückdenken wollen,
überzeugt uns am besten , wie viele zurückgedrängte Wün-
sche und Bewegungen des Gemüths allmählich den starken
Bau dieser Weltansicht untergraben musstcn. Diese neue
Richtung , das Bewusstsein eines nicht von selbst versöhnten
Bruches des Daseins mit seiner Bestimmung , und zugleich
die ewig mit eingeschlossene Hoffnung der Erlösung hat eine
lange Zeit Leben und Kunst beherrscht. Man hat sich ge-
wöhnt, sie unter dem Namen der romantischen Weltansicht
58
bald mit dem C^hristcntlium , bald mit dem neuen Loben,
das aus den Trümmern der Römischen Herrschaft erwuchs,
zusammenzustellen ; allein in weit früherer Zeit zeigen die
Gesüni^c der Hebräer, und jene indischen Träume, die
durch seltsame Büssungen das menschliche Geschlecht gött-
liche Natur wiedererwerben Hessen, dieselbe Masslosigkeit
übergreifender Sehnsucht und das wechselvolle Zwielicht,
das von dem Gefühl eines zu versöhnenden Abfalls über
alle Erscheinungen ausfloss. Solchen Zeitaltern gehört die
Furcht der Verführung ; ein dem tageshellen Leben der
Griechen unbekannter Gedanke. Hier schlummern in dieser
zweideutigen Welt der Gewalten viele, die unbedacht und
arglos aufgerufen , nicht blos Schicksal und Elend , sondern
innere Vernichtung und Verdammniss über den Geist brin-
gen, der sich ihnen selbst willenlos ergab. Verschwunden
ist jene strenge und doch so milde Selbstständigkeit des
Geistes , die bei den Griechen keiner besondern Gewähr
bedurfte , sondern einfach aus dem gediegenen Einklänge
der Welt hervorging ; hier muss sie wiedergew onnen wer-
den durch die einzelnen glücklichen Zauber , die an irgend
einem vergessenen Orte der Welt ruhen , und zu denen
man hinabsteigen muss , um auf dunklen Irrwegen zu der
Anschauung des freudigen Tages zurückzukehren. So ist
hier weder Natur noch Leben mehr eine otrene Gegend,
sondern Alles hat Hinterhalte; und verlorne Stimmen, bald
der Angst , bald nahender Erlösung , schweifen vielfarbig
über diesem dunkeln Hintergründe. Vergangen ist die Freu-
de an dem gegenwärtigen Dasein und seiner heimischen
Breite , eine Hast der Entwicklung nach einem fernen Ziele
zu lehrt über die einzelnen Zierden des Lebens hinwegeilen,
und in der Bedeutung der Ereignisse, in denen das eigent-
lich werlhvoUe Schicksal der Welt zu Tage kommt , geht
der Antheil zu Grunde, der an der festgorundelen menschli-
chen Entwicklung abgeschlossener Gestalten genommen wer-
den könnte. Eine so kämpfende Ansicht mussle sich daher
59
auch dem Ghristenlhunie und seiner ruhigeren und gefasste-
ren Sehnsucht anschliessen , und nicht weniger angemessen
war es ihr, die heiligen Begebenheiten, die jenes feiert, zu
der stehenden göttlichen Welt ihrer KunstschOpfungen zu ge-
stalten , der nun noch die Liebe sich anschloss , die zaube-
risch alle natürlichen und sittlichen Reize und Gegenreize
des Lebens in sich verbindet.
Das Zeitalter solches Glaubens w»r kein Zeitalter der
Naturkennlniss ; als diese begann , halj^n jene Ansichten
grossentheils aus dem Glauben sich in die Kunstwelt zurück-
gezogen , und selbst hier erscheint ihr farbiges Spiel dem
nüchternen Geiste naturwissenschaftlicher und geselliger Auf-
klärung schon zu ^Yillkührlich , um noch lange mit dem
Geiste der Zeit getragen zu werden. Aber das dritte Glied
in der Entwicklung aller Weltansichten scheint der Geschichte
noch zu fehlen , und selbst die grossarligsten Kunstleistun-
gen der letzten Zeiten beruhen mit ihrem grösseren Gewichte
auf dem Geiste , den Alterthum und Mittelalter uns überlie-
fert haben.
Die Unendlichkeit des Raumes und der Zeit, die unsere
Anschauungen durchdringt , erlaubt uns nicht mehr jene
Häuslichkeit der Sage , die das ganze erscheinende Leben
an besondern Stellen, zu besondern Zeiten mit dem höhern
Leben ewiger Bedeutung zusammenhangen lässt , und zwi-
schen zwei begrenzten Endpuncten alle Geschichte einschal-
tet , unbekümmert um die Oede des Anfangs und des En-
des. Wir fühlen uns vielmehr genöthigt, diesen Zusammen-
hang und die Rückkehr des Irdischen zum Göttlichen als ei-
nen in Wahrheit ewigen und alle Wirklichkeit erfüllenden zu
denken ; was in früheren Ansichten als einmalige Thatsache
den wirren Weltlauf unterbrach , das wird zwar in seiner
Würde und Heiligkeit auch uns gelten können , aber nicht
ohne dass in dem scheinbar verwahrlostesten Treiben der
Wirklichkeit auch ein stetiges Band sich hindurchziehe , je-
dem einzelnen Gemülhe fortwährend ergreifbar. Was früher
59
als gespeiislerhafter Trug , als eine verführende Gewalt des
Aeussern erschien , wird sich iiullüsen in die ruhige Be-
trachtung der unzähligen notürlichen Bedingungen , von de-
nen das Leben des Einzelnen so wie das der Gesellschaft
abhängig ist , und so werden uns diese Aussichten in eine
klarere Unerinesslichkeit hinausweisen, als die war, in der
die Zeiten der Sehnsucht schwärmten. Jene bange Angst
des Gefallenseins wird deutlicher sich in die Schuld des
Gewissens und in jene Mängel natürlicher Bildung trennen,
die nur durch eine selbstlhätige Erhebung des Geistes , der
im Gefühl seiner Kraft ihrer spottet, ohne sie zu fürchten,
wahrhaft überwunden werden. Nach dieser Seite hin wird
die Kunst einem zärtlichen GemUthe die Ueberwindung eines
unredlichen Ekels zumuthen , der uns so oft sehnsuchtsvoll
nach einem höhern Ziele jagend , vergessen lässt , dass die
Lage , in der wir wirklich uns befinden , in der That von
tausend Einflüssen beherrscht wird , die zunächst weit von
jenem Ziele abzuführen scheinen. Aber indem sie diese An-
nmthung stellt, wird die Kunst auch mit dem tiefen. Glänze
des Humors , dessen Auftauchen schon in früheren Zeiten
eine Vorherverkündigung dieser Weltansicht war , in dem
scheinbar Gemeinen die Spuren des edlen Gehaltes zu be-
leuchten wissen , so wie sie anderseits die dunkeln Schatten
nicht verbirgt , die jedes irdische Licht dennoch im Strahl
einer höheren Flamme wirft. So wie die Geschichte der
neueren Zeit , unähnlich der traulichen Beschränktheit jedes
Stammes in seinen Grenzen , wie sie oft das Alterthum dar-
bietet , besonders durch den allseitigen Yölkerverkehr und
die Beziehungen einen sprechenden Zug erhält , die die
Schicksale der entlegensten Gebiete mit einander verknüpfen,
so strebt auch die Kunst einer Auffassung des Lebens zu,
in der keiner der Umstände, die auf seine Gestaltung wenn
auch entlegen und unscheinbar einwirken ', vergessen wird.
Nicht das Gcmülh , das unbefangen sich wie eine Pflanze in
seiner schönen Natürlichkeit entwickelt, nicht das Herz, das
60
an verzehrender Sehnsucht aus einer träumerisch ahnungs-
vollen abgefallnen Welt in den Ilimmel rathlos emporzuran-
ken sucht , sondern der Geist , der seiner Kräfte , seiner
Ziele , seiner Mittel sich ebenso bewusst ist , als der Welt,
der er sie zuwenden will , und der Stellung , die ihm viel-
fache Beziehungen in ihr anweisen , wird vorzugsweise der
Held des Lebens wie der Kunst sein müssen. Eine wahre
und edle Kunst freilich wird keine einzige Schönheit aus
sich verbannen , und so werden auch Gestalten der früheren
Wtltansichten fortleben und aufgenommen in diese umfas-
senderen Betrachtungen die gewohnte bald beschwichtigende
und mildernde, bald sanft aufregende Gewalt über alle Ge-
müther behaupten.
Die Erfüllung dieser Geschichten ist noch fern. Was
wir jetzt an Kunsterzeugnissen besitzen , die Natur , Staat,
Gesellschaft und wirkliches Leben in ein gemeinsames Bild
zusammenfassen , reicht an ^^ ahrer Tüchtigkeit des Sinnes
und der Gestaltung meist kaum bis an die Grenzen der
Kunst, und doch mag selbst dies mehr für die wüste, ge-
setzlose Verwirrung von Kräften gelten , die einem Werden
erst zustreben , als für ein Zeichen des gänzlichen Verfalls
und Unvermögens zur Ausbildung künstlerisch bedeutsamer
Wel lausichten.
Druck von E. A. llutli in (Jüttingen.
«aa^pI
3293
Lotze, Hermann
lieber den begriff der
Schönheit
PLEASE DO NOT REMOVE
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UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY