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UEBER
DIE EINWIRKUNG DES MORPHINS
AUF DIE « *
ATHMUNG.
AUS DKM PHYSIOLOGISCHEN INSTITUTE ZU ERLANGEN.
VON
Dr. WILHELM FILEHNE,
A. O. PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT ERLANGEN.
MIT 2 TAFELN.
COLUMBIA UNIvfRpiTY
DEPARTMENT OF PUYSLOLOf
College of Physicians änd$u«geoi
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NEW YORK
LEIPZIG,
DRUCK VON J. B. HIRSCHFELD.
1879.
UEBER
DIE EINWIRKUNG DES MORPHINS
AUF DIE
ATHMUNG.
AUS DEM PHYSIOLOGISCHEN INSTITUTE ZU ERLANGEN.
VON
Dr. WILHELM FILEHNE,
A. O. PR0EE33OR AN" DER UNIVERSITÄT EKLAHGBN.
MIT 2 TAFELN.
LEIPZIG,
DRUCK VON J. B. HIRSCHFELD.
1879.
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Separatabzug
aus dem Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. X. u. XI. Bd.
U eber die Wirkung des Morphins auf die Athrnung besteht unter
den Autoren und in den Lehrbüchern eine fast vollständige Ueber-
einstimmung. Alle geben eine Verlangsamung der Athmung an,
welche auf einer Abnahme der Erregbarkeit des Athmungscentrums
beruht. Namentlich ist dies von Gscheidlen l) zuerst betont. Ihm
schliessen sich Leichtenstern2), von Boeck und Bauer3), so-
wie in neuester Zeit Witkowski4) in der Hauptsache an. Leich-
tenstern hatte ausserdem auch eine bedeutende Abnahme der
Athemgrösse, d. h. des inspirirten Volums in der Morphinnarkose
ermittelt und auch diese als Folge der Erregbarkeitsverminderuug
angesehen. Im Anschlüsse an diese Erfahrung und an die Beob-
achtung von Boeck 's5), dass eine wenn auch sehr geringe Ver-
minderung des Eiweissumsatzes unter dem Morphineinflusse statt-
habe, konnte man daran denken, dass durch das Morphin eine Ver-
minderung des Stoffwechsels der stickstofffreien Substanzen resp. eine
Verringerung der CO2- Bildung verursacht werde; deshalb prüften
von Boeck und Bauer die CO-2-Ausscheidung während der Mor-
phinwirkung; sie fanden, dass diese und also der Stoffwechsel der
N-freien Substanzen überhaupt durch das Morphin nicht direct be-
einflusst würden. Wo sich Abweichungen von der Norm zeigten,
da waren sie durch das Auftreten oder Fehlen von Muskelthätigkeit
1) Unt' rs. a. d. physiol. Labor, in Würzburg. II. (1869) S. 1.
2) ' itscbr. f. Biolog. Bd. VII. ( 1871) S. 197. (S. 219 ff.)
3) 7* id. Bd. X. (1874) S. 336. (S. 339 ff.)
4) Archiv f. experimeut. Pathol. u. Pharmakol. Bd. VII. (1877) S. 247. (S. 258).
5) Zeitscbr.f. Biolog. Bd. VII. (1871) S. 418. (S. 420 ff.)
Filehne, Einwirkung d. Morphins auf <i. Atliuiung. 1
verursacht oder es stand doch dieser Erklärung wenigstens nichts
im Wege. Somit schien die Einwirkung des Morphins auf die Ath-
mung eine äusserst einfache zu sein. Der Stoffwechsel resp. der
durch denselben bedingte Athmungsreiz wurde nicht geändert und
die in der Athmung zu beobachtende Veränderung, — die Verlang-
samung, — war ausschliesslich auf Erregbarkeitsverminderung des
Athmungscentrums zu beziehen. Der Gedanke, dass die Einwirkung
des Morphins auf die Athmung den erwähnten Vorstellungen wohl
nicht ganz entsprechen möchte, kam mir bei Gelegenheit meiner
Untersuchungen über das Cheyne - Stokes'sche Athmungsphänomen.1)
Dort hatte ich mitgetheilt, dass man mittelst grosser Gaben Morphin
und kleiner Mengen Aether oder Chloroform bei Kaninchen und
Hunden eine periodische Athmuug herbeiführen könne.
Für das Verständniss der Wirkung, die Morphin und Anaesthe-
tica auf die Athmung ausüben, erschien es wünschenswerth, dieser
Erscheinung genauer nachzugehen, als ich es damals gethan hatte.
Sehr bald zeigte sich, dass die Darreichung der Anaesthetica zur Er-
zeugung jener Athmungsveränderung überflüssig sei und es schränkte
sich daher die Untersuchung auf die Morphinwirkung ein. Bald er-
kannte ich auch, dass die periodische Athmung nur in frühen
Stadien der Vergiftung zu Stande kommt, dass hierbei die Frequenz
in toto vermindert ist, und dass zuweilen in diesen frühen Stadien
nur die Frequenzabnahme aber keine Periodicität zu beobachten ist.
In späteren Stadien, resp. nach grösseren Dosen, nahm die Fre-
quenz dann wieder zu und eine etwa bestehende Periodicität
verschwand. An dieses Stadium schloss sich später die Agone, d. h.
ein allmähliches Erlahmen der Athmung bis zum Tode an.
Dem entsprechend zerfällt die folgende Mittheilung im Wesent-
lichen in drei Hauptabschnitte : 1. Die Wirkung des Morphins im frü-
hen Stadium (verlangsamte, periodische Athmung); II. seine Wirkung
im späteren Stadium (rhythmische Athmung); 111. die Agone.
I. Frühes Stadium (periodische resp. verlangsamte Athmung).
In den Veröffentlichungen über das klinische Cheyne-Stokes-
sche Phänomen hatte ich neben anderen Argumenten jene experi-
mentelle Erzeugung einer periodischen Athmung als Stütze einer von
mir aufgestellten Theorie aufgeführt und hatte die im Experimente
gefundene Periodicität auf die gleichen Vorgänge bezogen, von wel-
chen meiner Ansicht nach das klinische Phänomen abhängig war.
1) Berl.klin. Wochenschr. lS7J.No. 13 u. 14. Ebenda No. 33 u. 35.
Nach meiner wie ich glaube genügend begründeten Auffassung
beruht das klinische Phänomen auf einer periodisch wiederkeh-
renden dyspnoischen Innervation der Hirngefässe. Die hierbei ent-
stehende Contraction der Hirngefässe führt eine zuerst zunehmende
Auäniie der Medulla oblongata herbei, wodurch das in jenen patho-
logischen Fällen schwer erregbare Athmungscentrum in zunehmendem
Grade erregt wird; die auf diese- Weise veranlasste Athmung arte-
rialisirt dann das Blut, und in Folge davon hört die Erregung des
vasomotorischen Centrums auf. Jetzt erschlaffen die Hirnarterien all-
mählich und geben dem verhältnissmässig gut arterialisirten
Blute mehr und mehr Zutritt zum Respirationscentrum, und daher
nimmt die Athmung allmählich ab, bis endlich Apnoe eintritt. Diese
Apnoe dauert so lange, bis wieder der Reiz der Venosität so weit
angewachsen ist, dass er eine Erregung des vasomotorischen Cen-
trums herbeiführt, worauf sich das Spiel wiederholt.
Der Drehpunkt der ganzen Theorie ist, wie man sieht, folgende
Voraussetzung: die Athmung kommt nicht dadurch zu Stande, dass
die Venosität des Blutes direct für sich allein den Reiz liefert»
sondern letztere provocirt auch noch indirect die Athmung, indem
sie zunächst eine Innervation der Hirngefässe und damit Anämie der
Medulla oblongata herbeiführt. War diese Voraussetzung richtig, so
besagte sie mit anderen Worten, dass in jenen Fällen das Respira-
tionscentrum im Vergleich zum vasomotorischen Centrum
eine Einbusse seiner Erregbarkeit erlitten habe (wobei die abso-
lute Höhe der Erregbarkeit der beiden Centra durchaus gleichgültig
bleibt). Eine so vorgeschrittene Venosität des Blutes, die eben schon
eine Erstickungsinnervation der Hirnarterien zu veranlassen im Stande
ist, kann sich in jenen pathologischen Fällen entwickeln, ohne dass
das Athmungscentrum, wie dies in der Norm geschieht, durch recht-
zeitiges In-Action-treten die Schädlichkeit vorher entfernte. Es rea-
girt also der Gefässapparat prompter als das Athmungscentrum.
In der Beweisführung für die Richtigkeit meiner Auffassung
hatte ich angeführt, dass bei Thieren mit periodischer Athmung am
Ende der Athempause ein Steigen des Drucks eintrete, welches bis
zur Akme der Athemperiode andauere, und dass der Druck von da
an bis zur Pause wieder absinke. Ein solcher Befund entspricht,
wie man sieht, den von mir behaupteten Arterien-Innervationen. Aber
freilich ein wirklicher Beweis für die Richtigkeit meiner Theorie
liegt in dieser Erfahrung nicht. Denn auch ohne Contraction der
Hirnarterien könnte sehr wohl eine allgemeine Drucksteigerung, z. B.
durch Contraction anderer Arterien statthaben und dann würde im
— 4
Gegentheil ein vermehrter Blutzufluss zum Hirn stattfinden, — dann
fiele meine Theorie. Immerhin war aber das Stattfinden einer all-
gemeinen Gefässinnervation ein ferneres Indicium dafür, dass die
von mir angenommene und anderweitig wohl genügend nachgewie-
sene besondere Innervation der Arterien der Medulla oblongata eben-
falls Platz greife. Jene Beobachtung über das Verhalten des Blut-
drucks periodisch athmender Thiere hatte ich mittelst eines einfachen
Quecksilbermanometers gemacht; der graphischen Methode konnte
ich mich damals aus äusseren Gründen nicht bedienen. So blieb
denn eine gewisse Ungenauigkeit und Unvollständigkeit bestehen,
die ich jetzt bei erneuter Untersuchung beseitigt habe.
Zu den Versuchen dienten dies Mal ausschliesslich grosse Ka-
ninchen. Als die zur Herbeiführung einer periodischen Athmung ge-
eignetste Dosis erwies sich mir nach genauerem Probiren 0,05 bis
0,1 (salzsauren) Morphins. Die beste Applicationsweise ist Ein-
spritzung in die Venen (die subcutane Einführung leistet zwar das-
selbe, kostet aber mehr Morphin). Unmittelbar nach der Einspritzung
ist die Athmung stets eine Zeit lang stark verlangsamt. In weitaus
der grössten Mehrzahl der Fälle ist sie hierbei von vornherein pe-
riodisch, d. h. eine Gruppe auf einander (übrigens auch verlangsamt)
folgender Athemzüge ist von einer ähnlichen vorhergehenden und
einer folgenden Gruppe durch eine grössere Pause getrennt. Diese
Verlangsamung resp. Periodicität der Athmung ist eine vorüber-
gehende Erscheinung. Meist dauert sie nur kurze Zeit etwa 10
bis 15 Minuten, die längste Dauer, die ich sah, betrug etwa eine
Stunde. Je mehr die Dosis 0,1 übersteigt, um so kürzer ist die
Erscheinung. Wenn die Respiration wieder regelmässiger und häu-
figer zu werden beginnt, so kann durch fernere Darreichung von
Morphin das Phänomen nicht mehr hervorgerufen werden.
Am häufigsten zeigt sich die periodische Respiration so, dass
auf Pausen von etwa 5 — 15 — 20 Secunden 2 — 3 ziemlich gleiche
durch kleinere Pausen von 2 — 3 Secunden getrennte Athemzüge auf-
treten. Uebergänge bis zu wohl ausgebildeten Cheyne-Stokes'schen
Phänomenen (langsames Zu- und später Abnehmen der einzelnen
Athemzüge an Tiefe) finden sich oft. Häufiger tritt unter diesen
Fällen das Decrescendo als das Crescendo deutlich hervor. Die
Pausen können sich bis zu 3 Minuten und darüber ausdehnen.
Die Versuche wurden nun in folgender Weise durchgeführt: Es
wird eine Canüle in die eine Vena jugularis geführt ; Kymographion-
Canüle in die Carotis der anderen Seite; Tracheotomie und Ein-
führen einer gegabelten Glascanüle in die Trachea; Herstellung der
Verbindung der Carotis mit einem F ick 'sehen Federkymographion,
dessen Hebel auf einer Trommel mit berusstem Papiere zeichnet:
Umfang der Trommel 50 Centimeter, Umdrehungsgeschwindigkeit
1:1', also 1 Centimeter == 1,2 Secunden. Die eine Gabelung der
Trachealcanüle wurde mit einer Marey'schen Trommel (tambour ä
levier) verbunden, dessen Hebel genau senkrecht unter dem des Ky-
mographions zeichnete. Darauf wurde die stets frisch bereitete .Mor-
phinlösung eingespritzt und alsbald mit der Kegistrirung begonnen.
Aus der Zahl der so gewonnenen Curven lege ich einige vor. Drei
Keinen sind zu unterscheiden:
A. Von Thieren, die ausschliesslich nach der vorher besprochenen
Weise behandelt waren;
B. Von Thieren, denen ausserdem noch die beiden Vagi vorher
durchschnitten waren;
C. Von Thieren, die unmittelbar vor der Morphininjection eine
Lösung von 4 Mgrm. Atropinum sulphuricum injicirt bekom-
men hatten.
Beschreibung der Curven der Reihe A (Tafel Vü und VEt. Fig. 1-9).
Fig. 1. Im Allgemeinen zeigt sich Folgendes: Während der Pause
sinkt der Druck zuerst ab, kurz vor dem Ende der Pause hebt er
sich wieder und erreicht erst jenseits der Mitte der Athmung sein
Maximum, um von dieser wieder zur Pause hin in der vorigen Weise
abzusinken. Die Pulsfrequenz ist im Allgemeinen am grössten, 3 in
der Secunde, wann der Druck am niedrigsten ist, also während des
grössten Theiles der Pause; kurz vor dem Beginn der Athmung sinkt
die Frequenz auf 1,3 (in der zweiten Periode); während des ersten
Athemzuges findet eine weitere Verlangsamung auf 1,1 statt; im
zweiten Athemzuge steigt die Frequenz auf 1,7, im dritten auf 1,9
und zur Pause wieder auf 3,0. Die geringste Frequenz fällt auf
den Gipfel der Druckcurve. Doch ist hier zu bemerken, dass auf
dem Gipfel gerade dort, wo die stärkste Verlangsamung statthat,
eine sattelförmige Einziehung der Curve besteht. Die inspiratori-
schen Einziehungen der Druckcurve sind ebenfalls deutlich ausge-
prägt. Ferner sehen wir, dass die absoluten Höhen des Drucks
in der gleichen Phase zweier verschiedener Perioden durchaus un-
gleich sind. Es entsprechen z. B. in der zweiten Periode die abso-
luten Höhen des höchsten Drucks zufällig gerade denjenigen Höhen,
welche in der ersten Periode der niedrigste Druck einnahm — kurz
es besteht zwar innerhalb jeder Periode ein bestimmtes Verhältniss
der Höhen, aber jede Periode ist unabhängig von der anderen.
6 — -
Dort, wo die Frequenz am geringsten resp. der Druck am höch-
sten ist, sind die einzelnen Herzelevationen am höchsten.
Analoge Verhältnisse, wie die eben erwähnte Curve, wenn auch
minder ausgesprochen, bietet die von einem anderen Thiere stam-
mende Curve Fig. 2. Das Absinken des Drucks in der Pause, die
Erhebung der Curve kurz vor Beginn der Athmung, der Gipfel über
der ganzen Athmuugsreihe , die sattelförmige Einziehung auf dem
Gipfel zur Zeit der grössten Pulsverlangsamung , die Frequenzände-
rungen des Pulsschlages — Alles ist hier ebenso wie in der ersten
Curve, wenn auch weniger deutlich charakterisirt. Fig. 3 und 4
stammen von einem dritten Kaninchen, welches zeitweilig ausgespro-
chener in Cheyne Stokes'scher Form athmete, d. h. es kamen nach
einer längeren Pause (die nicht in die Figur aufgenommen ist) zuerst
kaum wahrnehmbare Athemzüge ; die Athmung nahm dann an Tiefe
zuerst zu und dann wieder allmählich ab ; in Fig. 3 ist dies zum Theil
gut ausgesprochen. Auch diese Curven zeigen die an den vorigen
Curven erörterten Eigenthümlichkeiten. Dass die Curven nicht immer
ganz nach dem erörterten Schema laufen, zeigt Fig. 5 (von einem
anderen Thiere). Hier stellt gewissermaassen die Athmungscurve die
zweite Hälfte einer ganz echten Cheyne- Stokes'schen Periode dar. —
Die Athmung beginnt sehr stürmisch und geht dann decrescendo. Hier
läuft die Blutdruckscurve anders als in den bisherigen Fällen. (Wäh-
rend einer Pause von etwa einer Minute hatte die Druckcurve von
gleicher Höhe und Puslfrequenz, wie sie auf der Figur am linken
Ende zu sehen ist, allmählich sich gesenkt während ebenso allmählich
die Frequenz abnahm bis die Curve zu dem [rechten] Anfangspunkte
unserer Figur gelangte.) Hier sehen wir die Curve unter fernerer ge-
ringer Frequenzabnahme (bis zu 1,7 Pulsschlag in der Secunde) sich
um ein Geringes senken, dann bleibt sie mit einer Frequenz von 1,6
Pulsschlag in der Secunde eine kurze Strecke horizontal und steigt
vom ersten Athemzüge an ziemlich schnell, während sofort die Fre-
quenz auf das Doppelte geht; kurz nach dem dritten Athemzüge ist
der Druck auf seiner höchsten Höhe, die Frequenz ist auf 3,0 ge-
stiegen; im weiteren Verlaufe der abnehmenden Athmung sinkt die
Curve dann wie die früheren Curven, während die Frequenz schliess-
lich auf 3,7 in der Secunde steigt.
Noch stärker ausgesprochen sind diese Vorgänge in Fig. 6 und
7, welche, von einem anderen Thiere geliefert, eine Form zeigen,
die mit zu den häufigsten gehört.
Bei Fig. 6 sieht man vor der ersten Respirationsphase, die nur
aus einem Athemzüge besteht, den Druck steigen und hinter der
Respiration fallen. Bei der zweiten Athmungsphase ist dies Ver-
halten schon nicht mehr zu erkennen und bei der dritten, sehr
dyspnoischen „Solitär"-Respiration hat sich das Verhältniss umge-
kehrt: hier steigt der Druck hinter der Inspiration. Von da ab fällt
der Druck stetig bis zur nächsten Inspiration, hinter welcher er —
was jedoch nicht mehr auf diese Figur gelangte — wieder beträcht-
lich stieg. Am auffallendsten gestaltet sich die Pulsfrequenz. Sie
ist überall sehr stark vermindert. Nur 2 — 4 Secunden hinter jeder
Respiration zeigt der Puls einige Beschleunigung und an diesen Stellen
sieht man jedesmal ein Ansteigen des Blutdrucks. Gegen Ende der
Pause und über den solitären Athemzügen ist die Verlangsamung am
grössten. In der Pause nach der dritten Athmung ist dies am meisten
ausgesprochen; dort kommt es zu Herzstillständen von 2 Secunden
Dauer. Wie die Curve sich nach einer solchen Verzögerung gestaltet,
davon liefert Fig. 7 ein Bild. Hinter der ersten grösseren Pause
mit sinkendem Drucke und mehr und mehr angehaltener Herzaction
kommt ein einziger tiefer Athemzug; alsbald beschleunigt sich die
immer noch stark verzögerte Herzaction etwas und der mittlere
Druck hebt sich etwas. Ohne dass der mittlere Druck sänke tritt
aber im weiteren Verlaufe der neuen Pause eine neue sehr starke
Verzögerung des Herzschlages ein, die mit dem Eintritte einer zuerst
stark dyspnoischen allmählich aber decrescendo verlaufenden Ath-
mungsperiode eine Unterbrechung erfährt. Gleichzeitig mit dieser
hebt sich dann die Frequenz in ziemlich schnell zunehmendem Maasse,
und es steigt der Druck bedeutend an; gegen Ende der Athmung
(dieses Stück der Curve ist nicht mehr wiedergegeben) sank der
Druck wieder ab.
Fig. 8 stellt die von demselben Thiere in dem späteren Sta-
dium der Vergiftung gelieferte Curve dar, von der im Abschnitte II
(späteres Stadium) unserer Mittheilung noch die Rede sein wird.
Eine Vermittlung zwischen diesen zwei letzten Experimenten und
den früheren bildet die Fig. 9, welche von einem anderen Thiere
stammt. Die Athmung hat hier denselben Decrescendocharakter wie
in der vorigen Figur. Die Druckcurve, die nur äusserst geringe
Schwankungen zeigt, lässt diese Schwankungen ganz im Sinne un-
serer ersten Curven verlaufen, d. h. vor Beginn der Athmung sieht
man ein geringes Steigen, ausgedrückt durch ein vermindertes Ein-
sinken der Curve in den dem Athmungseintritt (der zweiten Periode)
vorhergehenden Diastolen; ebenso sind die Diastolen während der
Athmungsperiode abgeflacht, und zwar entsprechend der decrescendo-
verlaufenden Athmung erst mehr dann weniger abgeflacht ; die inspi-
ratorische Druckerniedrigung ist über jeder Inspiration durch ein
Tieferwerden der diastolischen Einschnitte ausgedrückt. Das — aller-
dings sehr geringe — Ansteigen des Drucks kennzeichnet sich auch
dadurch, dass an den drei Herzelevationen , welche der ersten In-
spiration vorhergehen, die Fusspunkte derselben eine aufsteigende
Linie bilden. Das Verhalten der Pulsfrequenz ist ebenfalls nach
unserem früheren Schema; nur ragt die Verlangsamung, die vor Be-
ginn der Athmung ähnlich wie in der vorigen Figur ausgesprochen
ist, auch wie in unseren ersten Curven noch in die Athemperiode
hinein. Auch die Veränderungen der Pulsfrequenz sind keine sehr
bedeutenden: 1,7 (in der Secunde) vor und ebensoviel während des
Beginns der Athmung und von da ab bis zur Pause zunehmend, wo
die Frequenz 2,1 (in der Secunde) beträgt. Ich würde bei der Ge-
ringfügigkeit aller Veränderungen diese Curve gar nicht vorgelegt
haben, wenn sie nicht, wie vorher bemerkt wurde, den Uebergang
zwischen den vorigen und den früheren Curven zu bilden geeignet
wäre, und wenn mir nicht daran gelegen wäre zu zeigen, neben wie
äusserst geringfügigen Veränderungen im Gefässsysteme eine perio-
dische Athmung ablaufen kann.
Reihe B (von vagotomirten Thieren). (Tafel VTII. Fig. 10—15.)
Diese Versuchsreihe wurde angestellt, weil ich schon früher ge-
funden hatte l), dass jene Pulsverlangsamung kurz vor oder inmitten
der Athmung auf einer Erregung des Vaguscentrums beruhe und
ausbleibe, wenn man die Vagi durchschneidet, während die Periodi-
cität der Athmung auch nach dieser Operation fortbesteht.
Zwar sinkt, wie ich früher (1. c.) schon bemerkte, der Werth
dieser Blutdruckuntersuchungen in Anbetracht der Thatsache, dass
diese vagotomirten Thiere sich meistens sehr ungeberdig während
der periodischen Athmung benehmen, ja häufig sogar während
der Athmungsperiode heftige Erstickungskrämpfe haben, wo-
durch schon an und für sich Blutdrucksteigerung herbeigeführt wird.
Indessen gibt es doch Fälle (und zwar besonders solche mit kurzen
Pausen), in denen diese Uebelstände sich nicht geltend machen und
solchen sind die folgenden Curven entnommen.
Fig. 10 und 11 von ein und demselben Thiere. Fig. 10 zeigt
Pausen von 6 Secunden und Athemperioden von zwei oder drei
Athemzügen ; die Dauer einer ganzen Athmungsperiode ist meist eben-
1) Berliner kiin. Wochenschr. 1874. No. 13. auf S. 449.
9
falls 6 Secunden (einmal 12 Secunden). Jedesmal während des
ersten Athemzuges und zwar nach Beginn der Inspiration l) steigt der
Druck steil an und erreicht, bald vor, bald nach dem zweiten Athem-
zuge, sein Maximum, um dann zur Pause hin abzusinken. Die Puls-
frequenz bleibt überall gleich. Sattelförmige Einsenkungen sind nir-
gends zu bemerken.
In Fig. 1 1 ist die durchschnittliche Dauer der Pausen 5—6 Se-
cunden, die der Athmungsperioden verschieden: die erste, aus zwei
Athemziigen (von denen der erste der bedeutendere) bestehend, dauert
5, die zweite und dritte, aus je drei decrescendoverlaufenden Re-
spirationen zusammengesetzt, dauern 10 Secunden. Auch hier steigt
jedes Mal mit dem ersten Athemzuge der Druck. Kurz hinter dem
stark dyspnoischen ersten Athemzuge erreicht der Druck sein Maxi-
mum und fällt während der decrescendo gehenden Athmung und
während der Pause. Ausserdem lässt sich überall die inspiratorische
Druckerniedrigung erkennen. Während auch hier die Pulsfrequenz
im Allgemeinen durchaus ungeändert bleibt, sehen wir über dem
Beginne der zweiten Pause zur Zeit einer noch bestehenden Druck-
steigerung eine Arrhythmie, wie sie bekanntlich bei hohem Druck
auch nach Vagusdurchschneidung gelegentlich zu beobachten ist. An
der Stelle dieser Arrhythmie geht der Druck auf ganz kurze Zeit
etwas herunter.
Fig. 12 von einem anderen vagotomirten Thiere zeigt dieselben
Verhältnisse, auch hier fehlen jene sattelförmigen Vertiefungen, welche
die Curven der ersten Reihe an den Stellen der Pulsverlangsamung
boten; auch hier ist eine kleine Arrhythmie mit schnell vorüber-
gehender, geringer Drucksenkung. Wenn schon in den vorigen Cur-
ven der im Vergleich zu den Curven der Reihe A späte Eintritt
der Blutdrucksteigerung auffiel, so gilt dies noch mehr von der fol-
genden Curve, Fig. 13, eines anderen Thieres. Dies zeigte Respi-
rationspausen von 1 — 2 Minuten, also sehr lange Pausen.
Zum Verständniss dieser Curve sei bemerkt, dass dieselbe die
Zeit von mehr als einer Trommelunidrehung wiedergibt, so dass
sie rechts eine Strecke weit doppelt ist. Bei 0 ist der Beginn der
Registrirung, nachdem die Athempause bereits eine halbe Minute ge-
dauert hatte. Von 0 bis * lief die Athmungslinie als Horizontale,
1) In den Figuren 10 — 12 ist in Folge ungünstiger Einstellung des Apparates
der Beginn der Inspirationen nur schwer oder gar nicht zu erkennen , trotzdem
sie dyspnoisch waren Der Uegiun ist l — 2 Ctm. nach rechts von den exspira-
torischen Erhebungen zu setzen.
10
(d. h. die Pause dauerte fort); zu dieser Strecke gehört die untere
der beiden über ihr verzeichneten Druckcurven. Nach weiterer An-
dauer der Pause über das Zeichen * hinaus beginnt im letzten Drittel
eine zuerst zu- später abnehmende Athmung, deren Fortsetzung dann
wieder rechts zu suchen ist, wo sie bis * decrescendo verläuft (es
handelt sich in unserer Figur ja um einen abgerollten Cylinder-
mantel); zu dieser Strecke gehört die obere Druckcurve.
Bezogen auf die Athmungscurve sehen wir nun an der Blut-
druckcurve Folgendes: Die Frequenz der Pulsschläge (der Herzele-
vationen) ist überall die gleiche. Gegen das Ende der Pause senkt
sich die Curve etwas; über der ersten schon bedeutend dyspnoischen
Inspiration sieht man kein Steigen, aber auch keine inspiratorische
Drucksenkung, wie sie bei so angestrengten Inspirationen sonst sich
zu zeigen pflegt; dagegen kommt mit der nun folgenden forcirten
Exspiration eine starke, vorübergehende exspiratorische Druckstei-
gerung; sobald diese abgelaufen ist, liegt die Druckcurve etwas
höher als vorher. Die nächste Inspiration gibt wieder keine Einzie-
hung der Druckcurve, im Gegentheil, diese steigt sogar sanft an;
sie wird durch die nächste Exspiration in die Höhe getrieben und
steigt von hier an bis über die nächsten zwei Athemzüge allmählich
an um von da mit der descrescendo gehenden Respiration nach und
nach zur Pause hin wieder abzusinken.
In dieser Curve dauerte es 6 Secunden ehe auf den ersten Athem-
zug die ausgesprochene und andauernde Drucksteigerung eintrat.
Noch auffallender gestaltete sich die Sache bei einem anderen
Thiere in den Curven Fig. 1 4 und 1 5. Es handelt sich hier um ein Thier,
welches ganz ungewöhnlich -lange Pausen in seiner Athmung zeigte,
Pausen zwischen 3 und 4 Minuten. Auch hier folgt erst etwa 6 Se-
cunden nach der ersten Inspiration eine deutliche Drucksteigerung.
Die Sache wird hier, obwohl die Verspätung die gleiche ist, auf-
fallender als in der vorigen Curve, weil hier in diesem Zeitpunkte
die kurzdauernde Athemperiode bereits vorüber ist. Der Druck steigt
hier sehr bedeutend und steil und die Stellen des höchsten Drucks
zeigen in den ersten 15 — 30 Secunden zum Theil nicht unbeträcht-
liche Arrhythmie; im weiteren Verlaufe, während meist der Druck
etwas zu sinken beginnt (die zwischenliegenden 2 — 3V2 Minuten
konnten auf die Trommel nicht mit aufgenommen werden) regelt sich
die Herzaction wieder und erreicht dann die A n f ä n g e unserer Cur-
ven auf der rechten Seite, d. h. der Druck ist gesunken, die Herz-
action wieder regelmässig. Ueber der Athmungsperiode bleibt die
Linie horizontal; inspiratorische Einziehungen sind nicht zu sehen.
11
Reihe C (atropinisirte Thiere). (Tafel Vm. Fig. 16—18.)
Die Durchschneidung der Vagi hat uns zwar in den Stand ge-
setzt die Pulsverlangsamung zu vermeiden und deren Einfluss auf
den Blutdruck zu umgehen; sie bot aber die zu Beginn des vorigen
Abschnitts erörterten Unbequemlichkeiten und hat ausserdem die un-
nöthige Complication, dass gleichzeitig mit dem Herzvagus, an dessen
Eliminirung uns ausschliesslich gelegen ist, auch der Lungenvagus
durchschnitten wird, wodurch oft jene uns unbequemen dyspnoischen
Krampfanfälle hervorgerufen wurden. In der dritten Versuchsreihe
sollte dieser Uebelstand vermieden werden. Zwei Wege standen
uns hierzu offen. Entweder benutzten wir die neuerdings von Stei-
ner1) angegebene Methode den Herzvagus isolirt zu durchschneiden,
oder wir lähmten den Herzvagus durch (das für unsere Zwecke am
meisten geeignete) Atropin. Ich wählte wegen ihrer absoluten Zu-
verlässigkeit die letztere Methode. Ueberdies war ich auch begierig
zu erfahren, wie bezüglich der durch Morphin bewirkten periodischen
Athmung das Atropin sich verhalten würde, welches ja sonst in so
vielfacher Beziehung antagonistischen Einfluss auf Morphinvergiftung
ausübt.
Fig. 16 und 17 von demselben und Fig. 18 von einem anderen
Thiere, die beide mit 4 Milligramm Atropinum sulphuricum unmittel-
bar vorher vergiftet waren, zeigen, dass das Atropin jene Morphin-
wirkung auf die Athmung nicht verhindern kann. Namentlich Fig. 1 7
zeigt sehr hübsch decrescendo verlaufende kurze Respirationsperioden
(3. und 4. Periode). Die Druckschwankungen sind zwar nicht sehr
ausgesprochen aber doch unverkennbar. Namentlich deuten schon
bei flüchtiger Betrachtung die verschieden hohen Herzelevationen die
Zeiten an, in denen das Herz gegen niedrigeren Druck mit normaler
und in denen es gegen erhöhten Druck mit verstärkter Kraftent-
wicklung ankämpft. Dass das Atropin seine Schuldigkeit gethan
hatte, bewies der Umstand, dass selbst noch nach Beendigung des
Versuchs die Pupille ad maximum erweitert und der Herzvagus
gegen die stärkste faradische Reizung unempfänglich war.
In Fig. 16 ist daher über der 2., 3. und 4. Exspiration eine
Arrhythmie (während Drucksteigerung) zu statuiren (wofür auch die
Niedrigkeit der Elevationen spricht) und nicht etwa eine auf Vagus-
wirkung beruhende Pulsverlangsamung. In Fig. 1 7 kommt es ein-
mal zur Drucksteigerung, ohne dass die Athmuug eintritt. Betrachten
1) E. du Bois-Reymond's Aren. f. Physiol. 1878. S. 218.
12
wir den Gang der in den vorliegenden drei Curven ausgedrückten
Druckschwankungen genauer, so ergibt sich, das jedesmal vor dem
Beginn der Athmung, also zum Schlüsse jeder Pause, der Druck zu
steigen beginnt. Während der Athmung nimmt der Druck zuerst
zu, dann ab und sinkt zur Pause weiter ab. Sattelförmige Vertie-
fungen kommen nur bei eintretender Arrhythmie sonst aber nicht zu
Stande. Die Fälle der Arrhythmie abgerechnet bleibt hier, wie nach
Vagusdurchschneidung , die Pulsfrequenz bei erhöhtem wie niedri-
gerem Drucke stets die gleiche.
Vergleichende Erörterung der Curven.
Den Curven der Reihen A und C ist gemeinschaftlich das Steigen
des Drucks im Beginne der Athmung und das Absinken desselben
im Beginne der Athmungspause. Alle Curven der Reihe A bieten
das Maximum der Pulsfrequenz, sobald die Athmung aufgehört hat,
während entweder kurz vor oder gerade zur Zeit der stärksten Ath-
mung eine mehr oder weniger beträchtliche Pulsverlangsamung zu
Tage tritt. An den Stellen der Pulsverlangsamung ist die Druck-
curve jedesmal verhältnissmässig erniedrigt. Wenn diese Frequenz-
verminderung auf dem Gipfel der Druckcurve sich zeigt, so resultirt
eine sattelförmige Einziehung; tritt sie vor Ansteigen der Curve, also
vor Beginn der Athmung schon ein, so fehlt jene sattelförmige Ein-
ziehung ; dafür kann dann die Curve am Orte der Pulsverlangsamung
kurz vor dem Beginne der Athmung tiefer zu liegen kommen als
sie sonst sich präsentirt. In vielen Fällen trotz dieser Verlangsamung,
namentlich aber wo kurz vor Beginn der Athmung keine oder we-
nigstens eine nur unbedeutende Pulsverlangsamung zu Stande kommt,
steigt die Curve schon vor dem Beginne der Respiration.
Es kann von vornherein für Jemand, der öfter kymographische
Curven gesehen hat, keinem Zweifel unterliegen, dass die Einzie-
hungen und Erniedrigungen der Druckcurve im Gebiete der Puls-
verlangsamung ausschliesslich auf die Verminderung der Herzarbeit
zu beziehen ist. Bewiesen wird die Richtigkeit dieser Auffassung
durch die Curven der zweiten und dritten Reihe. Sobald der Vagus
durchschnitten ist oder seine Endigungen durch Atropin gelähmt sind,
so sehen wir erstens die Pulsverlangsamungen ausbleiben und zweitens
jene Einziehungen und Erniedrigungen ebenfalls fehlen. Jene Ein-
ziehungen waren also dadurch entstanden, dass das seltener schla-
gende Herz eine geringere Arbeit leistete, und die Pulsverlangsamung
war durch eine Erregung des Vaguscentrums entstanden. Ueber die
13
Ursache dieser centralen Erregung des Vagus werden wir weiter
unten zu sprechen haben.
Welche Deutung haben wir aber dem Absinken des Drucks *
nach Aufhören der Athmung zu geben, und wie ist das Ansteigen
des Drucks vor oder mit Beginn der Athmung aufzufassen V Vom
Standpunkte meiner im Eingange dieser Mittheilung recapitulirten
Theorie aus ist die Erklärung ja eine sehr einfache: das Absinken
erfolgt hier (wie bei jeder Apnoe) in Folge der vorhergegangenen
Ventilation; durch die Arterialisation des Blutes lässt die Erregung
des vasomotorischen Centrums allmählich nach und darum erschlaffen
die Gefässe, sinkt der Druck. Das Ansteigen des Drucks vor oder
gleichzeitig mit dem Beginne der Athmung und bis zur oder über die
Mitte der Athmung hinaus ist der Ausdruck der von mir behaupteten
oder gar erwiesenen dyspnoischen Gef ässinnervation , welche durch
die zunehmende Venosität des Blutes veranlasst wird, da das schwer
erregbare Athmungscentrum jene Venosität aus eigenem Antriebe nicht
beseitigt und erst indirect durch den Hirnarterienkrampf dazu ver-
anlasst wird. Wo gleichzeitig mit der Athmung der Druck steigt,
da würde ein Anhänger meiner Theorie die Erregung des respirato-
rischen Centrums und die Erzeugung der dyspnoischen Gefässinner-
vation als gleichzeitig entstehend sich vorstellen: die verhältniss-
mässige Einbusse des respiratorischen Centrums an Erregbarkeit
im Vergleiche zur Erregbarkeit des Gefässsystems würde er in diesen
Fällen als gering annehmen. Ist aber einmal gleichzeitig mit der
Erregung der Athmung auch eine dyspnoische Innervation der Hirn-
arterien erfolgt, so wird — nach der Ansicht des Anhängers meiner
Theorie — das Thier nach dem ersten Atbemzuge noch so lange
fortathmen bis der Gefässkrampf vorüber ist und dann käme Apnoe
mit Absinken des Drucks.
Keinem kann diese Erklärung plausibler als mir selbst erschei-
nen. Und doch kann ich einen derartigen Cirkelschluss nicht gelten
lassen. Denn wenn diese Beobachtungen eine wirksame Stütze meiner
Theorie abgeben sollen, so darf das Erkennen der nächsten Ursachen
nicht aus der Theorie abgeleitet werden. Die eben erörterte Erklä-
rung muss sich entweder thatsächlich als richtig erweisen lassen,
oder aber es steht misslich mit der Verwerthung uuserer Beobach-
tungen für meine Theorie. Für die vorliegende Untersuchung wäre
eine derartige Uebertragung doppelt unzulässig; denn die physiolo-
gische Gleichwerthigkeit der durch Morphin herbeigeführten periodi-
schen Athmung und des klinischen Cheyne - Stokes'schen Phänomens
wäre gerade erst zu beweisen, wenn es erlaubt sein soll die Theorie
14
dieses auf jene anzuwenden. Und dies wäre zu verlangen selbst unter
dein Zugeständniss, dass jene Theorie unantastbar richtig sei. Unsere
Beobachtungen vertragen sich mit der eben auseinandergesetzten
Erklärung, aber es fragt sich, ob sie uns zur Annahme dieser Er-
klärung zwingen. Auf die Gefahr hin unsere eigene frühere
Arbeit zu zerstören, wollen wir daher jetzt unparteiisch an eine ex-
perimentelle Kritik unserer Curven gehen.
Jenes Absinken zur Pause erfolgt, obwohl (bei intacten Vagis)
die Pulsfrequenz sogar zunimmt und auch sonstige Zeichen oder Ver-
anlassungen einer abnehmenden Herzarbeit nicht vorliegen, und be-
deutet also eine Abnahme des Gefässtonus. An eine Ermüdung
des vasomotorischen Apparates kann nicht gedacht werden: kann
man ja doch bei curarisirten und gleichzeitig morphinisirten Thieren
durch Athmungsuspension anhaltende Drucksteigerungen 1—4 Minuten
hindurch hervorrufen.
Aber auch im concreten Falle lässt sich experimentell das un-
richtige jener Annahme einer Ermüdung des Gefässapparates nach-
weisen.
Bei einem Thiere, welches längere Zeit eine periodische Ath-
mung mit kurzen Perioden gezeigt hatte, wird während der Respi-
ration die Trachealcanüle verstopft und es resultirt eine Curve, in
welcher weder das vasomotorische noch das respiratorische Centrum
ermüdet. Trotzdem die Herzaction seltener, die geleistete Arbeit
also kleiner wird, hält sich der Druck minutenlang hoch, ja er steigt
sogar später noch. Dem Thiere wird wieder Luft zugeführt und als-
bald sind wieder die kurzen Athmungsperioden mit den sie beglei-
tenden Druckschwankungen da. Dem Thiere werden beide Vagi
durchschnitten; die noch stärker verlangsamte Athmung bleibt pe-
riodisch; nach dem ersten Athemzuge einer solchen aus zwei bis
drei Athemzügen bestehenden Periode wird die Trachealcanüle wieder
verschlossen, worauf eine Curve entsteht, die unter minutenlanger
Fortdauer einer äusserst heftigen unperiodischen Athmung ein enorm
starkes continuirliches Steigen des Drucks zeigt, welches nur durch
die besonders stark ausgeprägten inspiratorischen Einziehungen vor-
übergehende Unterbrechungen erleidet. Weder das Athmungscentrum
noch das vasomotorische Centrum ermüden hier; sie lassen nicht
eher (bis zu einer gewissen Grenze) in ihrer Thätigkeit nach, als
bis sich das Thier für seine Bedürfnisse satt athmen kann.
Es war also das Absinken im Beginne der bisherigen (bei freiem
Luftzutritt) Pausen (und ebenso das Aufhören der Athmung) keine
Folge der Ermüdung.
15
Da das Nachlassen des Drucks und das Aufhören der Athmung,
so lange die Athmung nicht von uns behindert war, stets parallel
erfolgten und beide in Wegfall kamen, als wir den Luftzutritt ver-
hinderten, so muss wohl ein Causalnexus zwischen beiden bestehen.
Aber welcher? Drei Möglichkeiten liegen vor: Entweder Hess das
Sinken des Drucks die Athmung aufhören, oder das Aufhören der
Athmung erniedrigte den Druck oder drittens waren beide von einem
dritten Momente abhängig. Wir wollen diese drei Möglichkeiten
prüfen, und zuerst zu ermitteln suchen, ob Sinken des Blutdrucks an
sich eine bestehende Athmung vermindern oder gar sistiren kann.
Den Blutdruck schnell zu erniedrigen haben wir viele Mittel.
Bei einem Kaninchen comprimire ich ganz sanft und allmählich
die Bauchorta. Hierbei steigt der Blutdruck allmählich und das Thier
athmet nach einiger Zeit ganz gleichmässig. Wenn ich dann (ohne
das Thier zu erschüttern oder durch plötzliches Fortnehmen der com-
primirenden Hand zu erschrecken) die Passage durch die Aorta wieder
freigebe, so sehe ich am Kymographion ein Sinken des Drucks, das
ich beliebig steil und beträchtlich herstellen kann — und jedesmal
werden bei Sinken des Drucks die Athmungen häufiger und stär-
ker. (Die Erniedrigung des Drucks ist keine bleibende; schon nach
etwa 2—5 Secunden kommt eine Reaction gegen die Erniedrigung,
wobei der Druck über den Mitteldruck hinaus steigt. Die Erklärung
hierfür liegt nahe: es wird das vasomotorische Centrum durch das
plötzliche Absinken des Drucks ebenso erregt wie das respiratorische.)
Dass bei Abnahme des Blutdrucks durch Verbluten eine Zunahme
der Athmung verursacht wird, ist ja allseitig bekannt.
Ich habe ferner durch Depressorreizung bei Kaninchen Druck -
Senkung erzeugt und fand dieselbe stets von Zunahme der Athmung
selbst von Dyspnoe begleitet. (Auch von S. Mayer schon ange-
geben.)
So viel geht aber aus den angeführten Versuchen hervor: eine
Druckabnahme sistirt nie die Athmung, sondern verstärkt sie; — so
wäre denn die erste der oben ausgesprochenen Möglichkeiten erledigt.
Die zweite Möglichkeit, einen Causalnexus zwischen Absinken
des Drucks und Aufhören der Athmung herzustellen, besteht in der
Annahme, dass das Aufhören der Athmung den Druck erniedrige.
Auch der Gedanke hieran muss fallen gelassen werden. Wenn man
bei Thieren, die aus irgend einem Grunde spontan nicht athmen und
die mau künstlich respirirt, die künstliche Athmung suspendirt, so
fällt bekanntlich der Druck nicht nur nicht, sondern er steigt sogar.
Jede Methode ferner, die Athmung zu hemmen (faradische Reizuug
— 16
des centralen Vagusendes, Trigeminusreizung durch Elektricität oder
durch reizende auf die Schleimhaut der Nase treffende Dämpfe u. s.w.)
sind stets von Drucksteigerung begleitet. Das Aufhören der
Athmuug kann also in unseren Curven die Drucksenkung nicht ver-
ursacht haben. So bleibt denn nur noch die dritte oben erwähnte
Möglichkeit übrig: Die Druckerniedrigung ist abhängig von einem
dritten Factor, der gleichzeitig auch das Aufhören der Respiration
bedingte. Aber das einzige Gemeinsame, was periodisch wiederholt,
in den Experimenten der drei Reihen sich zwischen dem vorgän-
gigen Erheben und dem nunmehrigen Absinken des Drucks ereignet
hat, — war die Athmung. Die vorgängige Athmung muss
also die Ursache sein sowohl für das Absinken des Drucks,
als auch für das Aufhören der Athmung.
Einen solchen Zustand, der aus dieser Veranlassung eintritt,
nennt man aber Apnoe. In jeder Apnoe hört in Folge vorher-
gegangener Athmung erstens die Athmung auf und wird zweitens der
Blutdruck erniedrigt — Beides, weil diejenige Venosität des Blutes,
welche zur Erregung des respiratorischen und des vasomotorischen
Centrums hätte hinreichen können, durch die vorgängige genügend
reichliche Ventilation beseitigt worden ist.1)
Es bleibt also nichts weiter übrig: wir müssen sowohl das
Aufhören der Athmung als auch die sich hieran schliessende Druck-
senkung für eine apnoische Erscheinung erklären. Diese Erklärung
ist allerdings identisch mit der oben vom Standpunkte meiner Theorie
aus angedeuteten Erklärung.
1) Selbstverständlich ist hier der Ausdruck „Apnoe" nicht zu identificiren
mit „vorzüglicher Arterialisation des Blutes". Je niedriger die Erregbarkeit des
Athmungscentrums ist, um so geringere Grade von Arterialisation des Blutes ge-
nügen schon, um das Centrum unerregt zu lassen. Wir verstehen also unter
Apnoe denjenigen Zustand eines Warmblüters, in welchem er aus Mangel an
Reiz nicht athmet. Durchaus zu verwerfen aber ist es, wenn einzelne Kli-
niker den Ausdruck Apnoe bald in diesem Sinne, bald aber auch, und zwar ohne
irgend welche Unterscheidung, promiscue für Athmungshemmung (in Folge ein-
wirkender hemmender Reize) und für Asphyxie (Fehlen der Athmung in Folge
erloschener Erregbarkeit) gebrauchen. Wenn also von Boeck (Lehrb. d. In-
toxic. von Ziemssen's Handbuch S. 539) sagt: „Diese Abnahme der Thätigkeit
des Respirationscentrums kann bis zu völliger Apnoe führen und dadurch Er-
stickungstod herbeiführen", so ist dies durchaus unzulässig; Apnoe kann nie Er-
stickung herbeiführen. — Ferner sei hier ein- für allemal bemerkt, dass wir den
Reiz, welcher im Respirations-, Vasomotions- , Vaguscentrum u. s. w. zur Ent-
stehung kommt, sobald das Blut einen gewissen Grad von Venosität erreicht, der
Kürze wegen öfters „Blutreiz" nennen werden, womit keineswegs gesagt sein
soll, dass ich dem venösen Blute eine direct reizende Wirkung zuschreibe.
— 17 —
Welches kann aber die Ursache der Drucksteigerung sein, welche
kurz vor oder gleichzeitig mit dem Beginne der Athmung sich zeigt
und eine Zunahme des Gefässtonus bedeutet, da sie bei gleichblei-
bender, ja sogar bei verminderter Herzarbeit auftritt. Da diese .Stei-
gerung sehr häufig vor Beginn der Athmung auftritt, so kann hier
an ein directes Causalverhältniss zwischen Athmung und Blutdruck
überhaupt nur in dem Sinne gedacht werden, dass die Druckstei-
gerung die Ursache der Athmung sein könnte, nient umgekehrt. Aber
die experimentelle Prüfung zwingt uns alsbald diese Vorstellung auf-
zugeben. Ein Kaninchen (womöglich dasselbe, welches uns eiue pe-
riodische Athmung in Folge von Morphinvergiftung zeigte) wird künst-
lich rcspirirt bis eben Apnoe auftritt; alsdann wird sofort die Aorta
comprimirt, — der Druck steigt viel höher als vorher, aber das Thier
athmet nicht. Schnell wird noch einmal in gleicher Weise künst-
lich respirirt, während die Aorta comprimirt und der Druck hoch
bleibt. Gleichzeitig mit dem Aufhören der künstlichen Respiration
lasse ich mit der Compression nach: der Druck sinkt und das
Thier fängt trotz der vorgängigen Ventilation sofort zu athmen an
— es entsteht keine Apnoe. Also Drucksenkung erzeugte Athmung,
Drucksteigerung selbst weit über die Höhe hinaus, bei welcher auf
unseren Curven die Athmung eintrat, veranlasste aus der Apnoe heraus
keine Respiration. Folglich konnte auch die Drucksteigerung in
unseren Curven nicht die Ursache des Wiederbeginns der Athmung
gewesen sein. Wir betrachteten die eventuelle Wirkung des Drucks
als solchen. Ich habe um meiner Theorie keinen Vorschub zu
leisten nicht erörtert, dass das Ansteigen des Drucks von Umständen
begleitet sein kann, welche demselben sehr verschiedene Bedeutung
für die Athmung verleihen können. Denn entweder 1. betheiligen
sich die Arterien der Medulla oblongata bei jener allgemeinen Ge-
fässverengerung nicht, und dann würde der höhere Druck mehr Blut
zur Medulla führen und es war zu untersuchen, wie dies auf das
Athmungscentrum wirkt, oder 2. sie betheiligen sich stärker oder gar
früher als die übrigen, es vermindert sich der Blutzufluss zur Me-
dulla, — dies ist die Behauptung, die meiner Theorie zu Grunde
liegt und von der wir vorläufig absehen wollten; oder endlich 3. die
Betheiligung der Arterien der Medulla ist eine mittlere; die Blut-
zufuhr wird dann, da nach den Ludwig'schen Untersuchungen (Sla-
vianski) unter solchen Umständen die Strömungsgeschwindigkeit
des ganzen Kreislaufs wächst und bei den bekannten besonderen
Verhältnissen im Innern der Schädel kapsei erst recht wachsen muss,
sich wie bei der eisten Möglichkeit verhalten, d. h. zunehmen oder
ifilehne, Einwirkung d. Morphins auf d. Athmung. 2
18
wenigstens nicht abnehmen. Im vorstehenden Texte und im nächst-
folgenden sind der grösseren Unparteilichkeit wegen nur solche Vor-
aussetzungen gemacht, die den Möglichkeiten 1. und 3. angehören.
Doch wird sich später zeigen, dass unsere Ermittlungen auch dann
noch giltig bleiben, wenn factisch das Verhalten sub 2 vorliegen
sollte. Die Unabhängigkeit des Athmungseintrittes vom Druck als
solchem liess sich übrigens schon aus den Curven selber ableiten:
denn öfters trat die Drucksteigerung unverkennbar etwas spät ei-
erst ein als der erste Athemzug, konnte also unmöglich seine Ur-
sache gewesen sein. Dies geht auch aus der Betrachtung der Fig. 1
hervor, auf der die Blutdruckcurve der zweiten Periode so viel tiefer
als in der ersten liegt, dass das Thier hier in der zweiten Periode
bei derselben absoluten Höhe des Drucks athmet, bei der es in der
ersten apnoisch war. Wenn nun weder die Drucksteigerung die
Ursache der Athmung ist, noch der umgekehrte Causalnexus besteht,
so muss auch hier nach einem dritten Factor gesucht werden, der
die Ursache beider Erscheinungen ist. Das einzige Ergebniss, das
dem Eintritt beider Erscheinungen periodisch jedesmal vorherging,
war das Ablaufen des Gewebs-Gaswechsels bei fehlender Ath-
mung. Das Fehlen der Athmung bei Weitergehen des Gewebs-
Gaswechsels, oder mit anderen Worten: die zunehmende Venosität
des Blutes ist schlechterdings der einzige Factor, der für beide Er-
scheinungen verantwortlich gemacht werden kann, sowohl für die
Drucksteigerung als für den Wiederbeginn der Athmung. Dass aber
zunehmende Venosität Athmung erzeugt und den Blutdruck steigert,
ist ja nichts Neues.
So gestaltet sich die Deutung unserer sämmtlichen Curven der
Reihe B (vagotomirte Thiere) und C (Atropin) nunmehr sehr einfach
und ohne jede Hypothese, sobald man sich begnügt, die Erschei-
nungen auf die nächsten Ursachen zurückzuführen: Gegen das Ende
einer apnoischen Pause nimmt die Venosität des Blutes zu ; in Folge
hiervon steigt der Druck und es beginnt, zuweilen gleichzeitig
mit der Drucksteigerung, häufig aber später, bei durchschnittenen
Vagis früher als dieselbe, die Athmung, welche das Blut so gut
arterialisirt, dass unter Erlöschen der Athmung eine apnoische Druck-
senkung entsteht. Diese Apnoe dauert so. lange bis der fortschrei-
tende Sauerstoffverbrauch in den Geweben das Blut so weit venös
gemacht hat, dass das Spiel von vorn beginnt.
Aber die eigentliche, die letzte Ursache, durch die jene Pe-
riodicität überhaupt zu Stande kommt, haben wir nicht erörtert;
wem die Sache mit dem Vorstehenden genügend erklärt erscheinen
— 19
sollte, der würde in grosse Verlegenheit kommen, wenn er ausein-
andersetzen sollte, warum denn nicht jedes normale Säugethier pe-
riodisch athmet.
Unsere Curven haben gezeigt, dass häufig schon vor der Erre-
gung des respiratorischen Centrums, mindestens aber gleichzeitig mit
derselben, eine dyspnoische Erregung des Gefässsystcras statthat,
und da bei einem normalen Thiere derartiges nicht vorkommt, son-
dern vielmehr das respiratorische schon erregt wird, bevor es aus
irgend welchen Gründen zu einer dyspnoischen Gefässinnervation
kommt, so ist zweifellos bewiesen, dass das respiratorische Centrum
durch das Morphin im Vergleiche zum vasomotorischen Apparat
eine Einbusse erlitten hat. (Wie gross die Einbussen beider waren
ist gleichgiltig.) Wieso aber jene Differcnzveränderung der Erreg-
barkeiten zu periodischer Athmung führe, ist ohne Weiteres noch
nicht zu verstehen.
Indessen wollen wir uns vorläufig dabei beruhigen, die näch-
sten Ursachen der Erscheinungen ermittelt zu haben. Versuchen
wir es nun, auch für die Curven der Reihe A die Deutung bis zu
dem gleichen Punkte zu führen.
Sehen wir hier zunächt nur das Verhältnis« zwischen Athmung
und Pulsfrequenz an und vernachlässigen wir vorläufig ganz und gar
die Beziehung zwischen Pulsfrequenz und Blutdruck (resp. zwischen
Pulsfrequenz und Gefässinnervation).
Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet gestaltet sich die
Sache überraschend einfach. Der Leser wolle die einzelnen Curven
der ersten Reihe (Fig. 1 — 0) anschauen. So mannigfach ihre Con-
figu rationell sind, so gross die oben beschriebenen Verschiedenheiten
sind, - so zeigen sie eines doch ganz durchgehend: Die grösste
Pulsverlangsamung ist dort wo das Maximum der Athmung ist; wo
die Athmung mit dem tiefsten Athemzuge einer decrescendo ver-
laufenden Serie beginnt, da ist das Maximum der Pulsverlangsamung
am Ende der Pause hart vor und über dem ersten Athemzuge; wo
die Athmungscurve sich symmetrisch präsentirt, da fällt das Maxi-
mum der Verlangsamung in die Mitte u. s. w.
Kurz, — wo der dj-spnoische Zustand des Blutes am grössten
ist, da ist die Pulsverlangsamung ebenfalls am grössten; und dort,
wo wir nach den weiter oben gegebenen Auseinandersetzungen das
Befinden des Thieres als am meisten vom dyspnoischen Zustande
entfernt betrachten mussten, d. h. etwa gegen die Mitte der Pause,
dort ist die Pulsfrequenz am grössten. Diese Verhältnisse gelten
für sämmtliche Curven der ersten Reihe.
20 —
Wenn wir ferner aus den Versuchen mit Vagusdurchschneidung
erfahren haben, dass jene Pulsverlangsamung auf centraler Vagus-
wirkung beruhe, so hat es jetzt keine Schwierigkeit mehr, die Ur-
sache jener Erregung des Vagustonus anzugeben.
Auch hier, wie in der Abwägung der Causal-Beziehung zwischen
Athmung und Blutdruck, kann eine ausschliessliche Abhängig-
keit der Pulsverlangsamung von der Athmung, oder letzterer von
der Pulsverlangsamung durchaus nicht statuirt werden. Da die Puls-
verlangsamung oft eintritt, bevor das Thier athmet, so kann die
maximale Athmung die Pulsverlangsamung auch dort nicht bedingen,
wo sie gleichzeitig erscheinen. Ausserdem kann man aber überhaupt
durch maximale Athmung keine derartigen Pulsverlangsamungen er-
zeugen; im Gegentheil nimmt im Experimente im Allgemeinen die
Pulsfrequenz der Warmblüter bei Verstärkung der Athmung zu. Auf
der anderen Seite kann man aber das Eintreten des Respirations-
maximums auch nicht durch die Pulsverlangsamung allein erklären,
da ja die gleiche Periodicität bestehen bleibt, auch wenn es nach
Vagusdurchschneidung nicht mehr zu Pulsverlangsamung kommt.
( Freilich wird die durch die Pulsverlangsamung bewirkte Beeinträch-
tigung der Circulation die Dyspnoe verstärken.) Vorbehaltlich der
Erwägung, ob die Gefässinnervation resp. der Blutdruck nicht einen
nennenswerthen Einfluss auf das Verhalten der Pulsfrequenz ausübt,
werden wir daher auch bezüglich der Beziehung zwischen Puls
und Athmung zu der Annahme geuüthigt, dass jener dritte Factor
beide gleichmässig beherrsche — dass die von uns beobachtete Er-
regung des Vaguscentrums ebenfalls eine dyspnoische ist und dass
die Abnahme dieser Erregung zur Pause hin die Folge der Eu- resp.
Apnoe ist. Es verhält sich also der Puls hier ganz so wie bei einem
künstlich respirirten (und zu spontaner Athmung irgendwie | beider-
seitiger Pneumothorax, Curare u. s. w.J unfähig gemachten) Thiere
wo das Herbeiführen des dyspnoischen Zustandes (durch Aussetzen
der Athmung) Pulsverlangsamung bedingt, während im eu- resp.
apnoiscben Zustande die Frequenz zur Norm zurückkehrt. Bekannt-
lich ist auch in diesem Falle die Pulsverlangsamung die Folge einer
Erregung des Vaguscentrums.
Anscheinend complicirter gestaltet sich in den Curven der ersten
Reihe (Fig. 1 — 9) das Verhältnis« zwischen Blutdruck und Puls-
frequenz, die sich bei einer flüchtigen Betrachtung der Curven in
ihrer gegenseitigen Beziehung an gar keine Regel zu halten scheinen.
Aber auch hier lässt sich die Betrachtung sofort vereinfachen
Denken wir uns die Blutdruckcurve in ihre zwei Componenten auf-
21
gelöst: nämlich in die Curve der peripherischen Widerstände (resp.
der Gefässinnervation) und in die Curve der geleisteten Herzarbeit,
sofern sie durch die Pulsfrequenz bestimmt ist. Die erstere Curve
ist uns gegeben durch die Curven der zweiten und dritten Reihe,
in denen die Herzaction keine Verlangsamung und daher die Herz-
arbeit keine Verminderung (sondern im Gegentheil eine durch das
Wachsen der Ansprüche provocirte Steigerung) erfuhr. Die Curve
der Herzarbeit, sofern sie durch die Pulsfrequenz bestimmt wird,
erfährt dann überall dort eine Vertiefung wo die geringste Frequenz
statthat. Die Zeit der bedeutendsten blutdruck erniedrigen den
Vertiefung dieser Curve ist der Moment des grössten Athmungsbe-
dürfnisses. Derselbe Moment ist aber auf der anderen Seite auch
der Zeitpunkt der höchsten blutdrucksteigernden Gefässinnervation;
je nach der individuellen Leistungsfähigkeit der beiden vielleicht
auch durch das Gift in verschiedenem Grade tangirten Mechanismen
wird daher die resultirende factische Blutdruckscurve in den Curven
der ersten Reihe sich im Momente des dyspnoischsten Blutzustandes
auf dem Gipfel oder in der Tiefe befinden müssen. So wäre denn
das wechselnde Ortsverhältniss der Pulsverlangsamung auf der Blut-
druckcurve durchaus klar und ebenso wird die blutdruck steigernde
Wirkung der später zunehmenden Pulsfrequenz während des Abfalls
der Athmung und zur Pause hin bald über die blutdrucke r niedri-
gende Wirkung der nachlassenden Gefässinnervation siegen, bald
gegen sie unterliegen, und im Allgemeinen wird und muss ein Ab-
fallen der Curve hinter dem Punkte des dyspnoischsten Momentes
um so ausgesprochener sein, je ausgesprochener ein Ansteigen der
Curve zu diesem Zeitpunkte hin stattgefunden hatte. Denn wenn
vorher die Gefässinnervation trotz der verminderten Herzarbeit den
Druck steigerte, so wird das nachherige Aufhören ihrer Kraftleistung
auch mehr ins Gewicht fallen als die Zunahme der Pulsfrequenz und
daher der Druck trotz des Ansteigens letzterer doch sinken (s. Fig. 1).
Andererseits sind auch die Fig. 5 7 leicht zu verstehen, wo der
Wegfall der den Blutdruck so entscheidend herabdrückenden Puls-
verlangsamung den Druck trotz nachlassender Arteriencontraction
sofort in die Höhe gehen lässt.
Bei der innigen Verknüpfung, die zwischen den nervösen Centren
besteht, welche die Innervation des Herzens, der Gefässe und des
Athmungsmechanismus versehen, bei der bekannten Wechselwirkung
die fortwährend unter ihnen im physiologischen Zustande statthat,
22
wäre es unrichtig anzunehmen, dass mit den Innervationen, die wir
bisher abgehandelt haben, die Sache vollständig erschöpft sei. So
wird, wie im physiologischen Zustande, auch in unseren Versuchen
ein Ansteigen des Druckes an und für sich, unabhängig von der Be-
schaffenheit des Blutes eine Pulsverlangsamung bewirken (wenn die
Vagi unversehrt sind). Ein Theil der Pulsverlangsamung im dys-
pnoischen Momente wird also auf Rechnung einer etwa bestehenden
Drucksteigerung zu bringen sein. Oft ist aber gerade dann der Druck
gar nicht erhöht, also in diesem Falle auch nicht die Ursache der
Pulsverlangsamung; so ist also die wesentliche Ursache der Puls-
änderung nicht in den Aenderungen des Drucks zu suchen. Der-
artiger unwesentlicher Beeinflussungen wären noch mehrere zu finden.
Aber wir wollen uns begnügen, den wesentlichen Einflüssen nach-
gespürt zu haben. Der bemerkenswertheren dieser nebensächlichen
Einflüsse ist übrigens schon oben im Texte gedacht worden, so des
den Eintritt der Athmung begünstigenden Einflusses, den das Sinken
des Blutdrucks ausübt, sobald eine bedeutende Pulsverlangsamung
gegen Ende der Pause die Arbeit des Herzens sehr stark vermindert
und manches Andere.
Ueber den Unterschied der Curven bei vag-otomirten
und bei atropinisirten Thieren.
Die Versuche der Reihe B (Vagusdurchschneidung) und C (Atropin)
waren unternommen worden um jene Pulsverlangsamung zu elimi-
niren, die sich in den Curven der Reihe A in so bedeutender Weise
geltend gemacht hatte und, wie wir wussten, auf einer Erregung des
Vaguscentrums beruhte. Niemand wird erwarten, dass jene beiden
Eingriffe, Vagusdurchschneidung und Atropinvergiftung , auf unsere
Curven gerade nur den einen von uns erstrebten Einfluss haben
werden, nämlich die Herzaction vom Vaguscentrum unabhängig zu
machen; auf gewisse Unterschiede konnte man wohl gelasst sein.
Die Erfahrung zeigte aber, dass diese Unterschiede doch über Er-
warten gross sind. Wie weit eine gewisse principielle Ueberein-
stimmung zwischen den beiden Curvenreihen besteht, haben wir im
Vorangehenden erörtert. -Wenden wir uns jetzt zu den Unterschieden.
Die Curven der Athmung sowohl als des Blutdrucks der atro-
pinisirten Thiere sind durchaus symmetrisch. Der Druck steigt jedes-
mal vor dem Beginne der Athmung und sinkt von der Mitte der
Athmungsperiode an ab.
Anders verhält es sich bei den vagotomirten Thieren. Das An-
23
steigen des Drucks, bezogen auf den Beginn der Athniung, erfährt
hier eine bedeutende Verzögerung (bis 6 Secunden) und die völlige
Harmonie der beiden Curven ist hier nicht vorhanden.
Woher rührt diese Verzögerung, die nach Atropin nicht zu
Stande kommt?
Die Ursache muss selbstverständlich in der Verschiedenheit der
beiden Eingriffe gelegen sein. Und in der That diese Verschieden-
heit ist keine unbedeutende. Durchschneiden wir doch im Vagus
noch so manche Fasergattung, welche Atropin intact lässt, beispiels-
weise die Fasern, welche mit dem Athmungscentrum in Verbindung
stehen. Sollte vielleicht hier die gesuchte Ursache zu finden sein?
Gewiss nicht. Vagusdurchschneidung verlangsamt die Athmung, ver-
zögert den einzelnen Athemzug, verzögert also auch, wofür selbst
unsere Curven sprechen, den Eintritt der Athmung, verlängert die
Pause; je mehr aber die Athmung verzögert ist, um so früher müsste
relativ die Drucksteigerung eintreten, da diese ja, wie wir be-
wiesen, direct nicht abhängig vom Eintritt der Athmung ist. Und
nun findet das Umgekehrte statt. Die Durchschneidung der das
respiratorische Centrum beeinflussenden Vagusfasern kann also an
der in Rede stehenden Verzögerung der Blutdrucksteigerung nicht
schuld sein. Wir müssen jetzt daran denken, ob die Ursache hierzu
nicht vielleicht darin gelegen ist, dass wir Fasern im Vagus durch-
schnitten haben, welche in Beziehung zum vasomotorischen Centrum
stehen. Nun lehrt die Physiologie, dass im Vagus der Kaninchen
sogenannte pressorische Fasern existiren, d. h. solche, deren Erre-
gung reflectorisch eine Blutdrucksteigerung verursacht. ( Der De-
pressor war in unseren Versuchen unverletzt.) Diese Fasern würden
sich eigentlich in nichts von anderen sensibelen Fasern unterscheiden,
denen ja die gleiche Fähigkeit zukommt. Ob diese Fasern einen
Tonus besitzen oder nicht, darüber gibt die Physiologie keinen Auf-
schluss.
Um hierüber Klarheit zu bekommen, atropinisirte ich ein Kanin-
chen, mass den Blutdruck und durchschnitt beide Vagi. Der Blutdruck
sank etwas. Voreilig wäre es, hieraus einen Tonus jener im Vagus ent-
haltenen Fasern zu erschliessen. Da wir durch Rossbach wissen, dass
der Vagus (am Halse) vasomotorische Fasern für gewisse Abdominalgefässe
enthält, so kann jenes geringe Sinken des Drucks sehr wohl durch eine
Lähmung jener Gefässc bedingt sein. Als ich weder sah, wie ich der
Sache schnell beikommen könnte und da andererseits ich mich nicht zu
weit seitwärts verlieren wollte, so brach ich die Sache hier ab und be-
schloss in meinem Kaisonnement und ferneren Experimenten mit beiden
Möglichkeiten zu rechnen — sowohl an den Fall des Vorhandenseins
als des Fehlens eines Tonus jener Fasern zu denken.
— 24
Nehmen wir an, jene Fasern hätten einen Tonus. Dann würde
die Durchschneidung derselben eine Verminderung des Drucks be-
wirken (die freilich in den meisten Fällen durch die Befreiung des
Herzens von den Fesseln des Vaguscentrums tibercompensirt wird).
Die ganze Druckcurve würde etwas niedriger kommen, als sie ohne
die Existenz jener tonisch erregten Fasern sein würde, — aber eine
Verspätung der Drucksteigerungeu ist so nicht möglich. (Die gleiche
Schlussfolgerung wäre zu ziehen bezüglich der [Ross bach' sehen]
vasomotorischen Fasern des Vagus; auch die Durchschneidung dieser
kann die Druckcurve in toto niedriger stellen aber ihren Verlauf,
ihre Form nicht ändern.) Nehmen wir an jene pressorischen (cen-
tripetalen Fasern hätten keinen Tonus: in diesem Falle muss es
gleichgiltig sein, was mit ihnen gemacht wird. Es ist aber noch
ein dritter Fall möglich und von vornherein sehr plausibel. Sie
könnten für gewöhnlich in Ruhe sein und unter gewissen Umständen
in Erregung kommen. Für unsere Verhältnisse wäre daran zu den-
ken, ob im Beginne und auf der Höhe des dyspnoischen Stadiums
nicht die Erregung des vasomotorischen Centrums zum Theil eine re-
flectorische sei und durch Erregungen bedingt werde, welche in jenen
Fasern verlaufen, sobald ihre (vermuthlich in den Lungen gelegenen)
Endigungen von venösem Blute umspült werden. Dann — sollte
man meinen — könnte durch den Fortfall dieser Erregungsquelle
wohl eine Verzögerung der Erregung im vasomotorischen Centrum
zu Stande kommen. Bei genauerer Ueberlegung ergibt sich aber,
dass in dieser Form der Gedanke nicht festgehalten werden kann.
Der Fortfall eines Erregungszuwachses müsste die Curvenerhebung
in toto abflachen; wenn wir aber die Curven der zweiten Reihe
(Tafel VIII. Fig. 10 -15) betrachten und sie mit den übrigen Curven
vergleichen, welche von Thieren mit intacten Vagis geliefert wurden,
so fällt im Gegentheil auf, — und das kommt jetzt zum ersten Male
zur Sprache — , dass die Druckerhebung eine besonders hohe, be-
deutende ist. Das vereint sich nicht mit der Annahme, es sei
ein Erregungszuwachs fortgefallen. Und doch, dass die centripetalen,
pressorischen Vagusfasern bei der Blutdrucksteigerung betheiligt seien,
welche bei ungenügender Ventilation des Blutes entsteht, — dieser
Gedanke muss etwas Richtiges enthalten.
Sehen wir uns noch einmal die Curven Fig. 10 — 15 genauer an
und vergleichen wir sie mit den übrigen, ob wir nicht noch einen
durchgehenden Unterschied entdecken können, der uns vielleicht auf
die richtige Fährte bringen möchte. Ich vermag nichts anderes zu
entdecken, als dass die Erhebung der Curve bei den vagotomirten
25
Thicren eine wesentlich steilere ist als bei den übrigen. Nament-
lich gilt dies bei Vergleichung ersterer mit denen der atropinisirtcn
Thiere. Später und steiler — das ist der Unterschied.
Im Laufe unserer Untersuchung hatten wir schon mehreremale
die Uebereinstimmung zu erkennen Gelegenheit gehabt, die in un-
seren Versuchen zwischen den Vorgängen der Athmung und denen
der Gefässinnervation besteht. Sollte von diesem Gesichtspunkte aus
nicht ein besseres Verständniss auch für die uns augenblicklich be-
schäftigende Erscheinung zu gewinnen sein?
Nach Vagusdurchschneidung tritt die Athmung später und
heftiger auf als in der Norm. Sollte vielleicht der Vagus zum
vasomotorischen Centrum in einer gleichen oder doch ähnlichen Be-
ziehung stehen, wie zum respiratorischen Centrum? Und könnte dies
das „Später und steiler" der Druckcurve nicht ganz gut erklären V
Nehmen wir vorläufig an, diese Vorstellung wäre richtig und
sehen wir nach, ob sie alles wirklich erklären kann. Erst wenn sie
diese Probe bestanden hat, wird es sich verlohnen, sie experimentell
auf ihre thatsächliche Richtigkeit zu prüfen.
Die Reizung der sogenannten inspiratorischen Fasern des Vagus
führt, so lange sich das Athmungscentrum im Zustande der Reiz-
freiheit, der Apnoe befindet, bekanntlich keine Erregung desselben
herbei; dies geschieht erst, wenn das Blut einen gewissen, übrigens
sehr niedrigen Grad von Sauerstoffmangel hat, alsdann — also wenn
der Reiz im Athmungscentrum sich zu regen beginnt, beschleu-
nigen die auf den Vagusfasern von der Peripherie herkommenden
Erregungen den Erguss der Erregung des Athmungscentrums und
da jene Vorgänge von nun an fortbestehen bleiben, so tritt dieser
frühe Erguss immer Wieder ein und der Reiz staut sich im Centrum
nie zu einer grossen Höhe auf. Zu dieser Aufstauung kommt es
aber, sobald jene Fasern durchschnitten sind. Daher verzögert sich
erstens von nun an die Entladung, und wenn sie kommt so ist sie
bedeutender.
Wenn die centripetalen (sogenannten) pressorischen Fasern des
Vagus zum vasomotorischen Centrum in ähnlicher Beziehung stünden,
so müsste auch hier die durch das Venöswerden des Blutes in dem
vasomotorischen Centrum veranlasste Erregung früher und in fort-
während bescheidenem Maasse stattfinden, so lange jene Fasern in-
tact sind, — die Erregung müsste sich dagegen aufsammeln und
plötzlich mit der ganzen aufgestauten Kraft ausströmen, sobald die
Erregungen jener Fasern, welche früher den Erguss begünstigten,
ihm nicht mehr zugeführt werden. Da die Höhe des Blutdrucks (bei
26
gleichbleibender Herzaction) der Ausdruck des vasomotorischen Er-
regungszustandes ist, so würde die Druckcurve für sich allein sehr
gut erklärt sein. Die Verspätung der Drucksteigerung wäre zurück-
zuführen auf die Verspätung der vasomotorischen Innervation. Die
grössere Steilheit könnte in Parallele gesetzt werden zu der steilen
und dyspnoischen Inspiration, die nach Vagusdurchschneidung aut-
tritt. Es könnte sehr wohl sein, dass bei intactem Vagus immer
eine allmähliche Entladung des ja nebenbei stets noch tonisch
fungirenden vasomotorischen Centrums stattfände, gewissermaassen
in Form einer Woge, während diese Erregung nach Vagustrennung
in Form eines Stosses zu Stande käme. Wenn diese Vorstellung
richtig ist, so muss natürlich die Verspätung des Beginnes der Er-
regung noch grösser erscheinen. Denn wenn schon das Maximum
der Erregung nach Vagusdurchschneidung später fällt, als bei in-
tactem Nerven, so muss die Steilheit des Ansteigens zu diesem Ma-
ximum im ersten Falle den Beginn der Curvenerhebung noch ferner
verzögern. Und diese weitere Verzögerung wäre offenbar der Grund
für die relative Verspätung der Druckerhebung im Vergleich zum
Beginne der Athmung, bei welcher schon unter physiologischen
Verhältnissen in Anbetracht der rein rhythmischen Action des re-
spiratorischen Centrums eine Verzögerung des Erregungsergusses be-
steht, wodurch die vasomotorische Innervation einen Vorsprung be-
käme, den sie nach Vagustrennung wieder verlöre. Schliesslich
würden wir uns aber auch dabei beruhigen, dass die Verknüpfungen
des Vagus mit den beiden Centren, so ähnlich sie auch sind, doch
von der Art sind, dass das eine Centrum (das vasomotorische) bei
intactem Nerven eine grössere Erleichterung des Erregungseintrittes
erführe als das andere. Die relative Verzögerung der Drucksteige-
rung in unseren Curven im Vergleich zum Athmungsbeginn ist übri-
gens jedenfalls zum Theil eine nur scheinbare. Fehlte dort, wo
im Beginne der Athmung die Druckcurve horizontal läuft, wirklich
die neue Gefässinnervation noch, so müssten die stark dyspnoischen
Inspirationen (inspiratorische) Einziehungen der Druckcurve verur-
sachen. Diese sind aber nicht zu sehen, während die exspirato-
rischen Erhebungen oft recht auffallend ausgesprochen sind
Also hat während jener Inspirationen eine Zunahme der Gefässinner-
vation stattgehabt. Die Druckcurve als Resultirende zweier in ent-
gegengesetztem Sinne wirkenden Kräfte konnte dabei sehr wohl hori-
zontal bleiben, ja sich möglicherweise sogar senken und doch war
die Innervation gestiegen.
Ausserdem und hauptsächlich aber darf man nicht vergessen,
27
dass der Eintritt einer Drucksteigerung als Signal für die Erregung
des vasomotorischen Centrums nickt gleichwertkig gesetzt werden
darf der Bedeutung der Inspiration als Signal des Erregungsergusses
im respiratorischen Centrum. Ein verschwindend kleiner Zeitraum
liegt zwischen der Erregung des letzteren und dem Eintritte der In-
spiration. Ganz anders beim Blutdruck. Abgesehen von der grös-
seren Langsamkeit, mit welcher in der glatten Muskelfaser die Con-
traction zu Stande kommt — benutzen wir hier als Signal eine viel
später liegende Erscheinung. Nicht den Moment der Contraction
der glatten Muskelfaser registriren wir, sondern erst den Augenblick,
wo in Folge der Arbeit mehrerer hierauf folgender Herz-
systolen der Blutdruck zu steigen beginnt. Denn nicht die Con-
traction der kleinsten Arterien als solche steigert ja den Blutdruck,
sondern das bei nun verengten Abflussröhren weiter arbeitende Heiz.
Der Moment der Erregung des vasomotorischen Centrums muss also
um mehrere Herzschläge rückwärts von jener Stelle statuirt wer-
den, an welcher der Druck steigt. Nimmt man hierzu noch die
oben erörterte durch die dyspnoischen Inspirationen bewirkte Ver-
deckung einer früheren Drucksteigerung, so ist — unter Zugrunde-
legung der vorläufig angenommenen Verknüpfung des Vagus
und des vasomotorischen Centrums — alles genügend erklärt.
Selbstverständlich kann ein plötzliches Aufwärtsschnellen,
ein r u c k w e i s e s Steigen der Druckcurve nicht statthaben. Es
sind die glatten Muskelfasern nicht im Stande sich ruckweise zu
contrahiren und wenn sie dies selbst könnten, so würde doch nur
die einzelne Faser, oder allenfalls gewisse Arterien sich ruckweise
contrahiren können; bei dem weit verästelten Gebiete der Aorta wird
die Verengerung des Gesammtquerschnittes doch keine so ganz plötz-
liche sein können. Aber auch wenn diese so ruckweise sich her-
stellte, so würde doch der Druck nicht anders als in unseren Curven
wachsen können, denn — wie oben auseinander gesetzt ist — nicht
die Verengerung des Strombettes als solche ist die nächste Ursache
der Drucksteigerung, sondern die auf diese folgende Herzaction;
es könnte also nur stufenweise mit jeder Systole der Druck etwas
wachsen, selbst wenn die Verengerung ruckweise entstände. Dass
diese Betrachtungsweise richtig ist, geht aus Versuchen hervor, in
denen der Druck in der bisherigen Weise registrirt wurde, und dann
plötzlich die Aorta, dicht unter ihrem Durchtritte durch das Zwerch-
fell, comprimirt wurde; auch hier steigt der Druck trotz plötz-
licher Verengerung des Abflussrohres ganz wie in unseren Curven
(bei vagotomirten Thieren). Die gleiche Form bekommt man auch,
28
wenn man das vasomotorische Centrum direct elektrisch stark reizt,
— wie dies in zahlreichen publicirten Curven aus derartigen Ver-
suchen zu erkennen ist.
Unsere Erklärung umschliesst also vollständig die beobachteten
Thatsachen; sie wäre eine völlig befriedigende, wenn nur ihre Grund-
lage weniger hypothetisch wäre. Die Grundlage unserer Erklärung
war aber, wie man sich erinnern wird, die Annahme, dass die
centripetalen , sogenannten pressorischen Fasern in einem ähnlichen
Verhältniss zum vasomotorischen Centrum stehen, wie die sogenannten
inspiratorischen Fasern desselben Nerven zum respiratorischen. So
plausibel diese Annahme ist, so misslich ist es, sie zur Grundlage
einer Erklärung von Thatsachen zu machen, aus denen sie selber
erst abgeleitet ist.
Prüfen wir sie daher auf ihre Richtigkeit. Ich übergehe jene
halb-beweisenden Versuche, mit denen man in der Regel derartige
Prüflingen beginnt, und wende mich gleich zu demjenigen Versuch,
den ich für den beweiskräftigsten halte, um die Frage zu entscheiden.
Einem Kaninchen werden beide Vagi durchschnitten ; Kymographion-
versuch; das centrale Ende des einen (r.) Vagus wird jetzt mittelst In-
ductionsströmen eines du Boi s-Reymo nd 'sehen Schlittens gereizt; von
unwirksamen Stromstärken beginnend, verstärke ich die Stromstösse bis
die Athmung häufig und oberflächlich zu werden beginnt. Hierauf wird
die Reizung beendet und das T hier künstlich respirirt, sodass massige
Apnoe besteht (3 — 4 Secunden nach dem Aufhören der künstlichen Ath-
mung beginnt das Thier spontan zu respiriren). Während der künstli-
chen Athmung oder unmittelbar nach Aufhören derselben, also im Be-
ginne der apnoischen Pause reize ich mit derselben Stromstärke, das Thier
macht keine Athembewegung. Die Blutdruckcurve zeigt Folgendes: Dort
wo das Thier spontan athmete stieg während der Reizung der Druck an
zugleich mit der Beschleunigung und Verflachung der Athmung. Dagegen
blieb auf Reizung in der Apnoe diese Steigerung des Drucks ebenso aus,
wie die Athembewegungen, auch der soweit verstärkte Reiz, dass er am
spontan athmenden Thiere Athmungsstillstand bewirkte, erhöhte den Druck
während der Apnoe nicht.
Damit ist die Aehnlichkeit der Einwirkung des Vagus auf die
beiden Centra zur Genüge klargethan. Wo sich ferner bei einem
morphinvergifteten Thiere (mit durchschnittenen Vagi) periodische
Athmung zeigte, Hess sich durch gelinde Vagusreizung die Verspä-
tung sowohl als auch die Steilheit der Druckerhebung ebenso be-
seitigen, wie das Einsetzen der Athmung mit Dyspnoe. Um diese
Erfahrungen bereichert, können wir nunmehr in der That die oben
mit allem Vorbehalte gegebene Erklärung dreist adoptiren.
So wären denn auch die von den vagotomirten Thieren gelie-
ferten Curven, wie mir scheint, durchaus genügend erklärt.
29
Woher rührt die PeriodicitUt der Athmung; 1
So klar auch die Verhältnisse gestellt werden konnten, die dem
einzelnen Curvenabschnitt seine Form verliehen, so ist die Ursache
der Periodicität der Athmung bis hierher noch keineswegs klar ge-
worden. Denn da wir gesehen haben, dass die Drucksteigerung nicht
die Ursache der Athmung und die Drucksenkung nicht die Ursache
der Apnoe ist, so muss man sich mit Recht fragen, welche sonstigen
Vorgänge denn das Thier dazu zwingen sich von Zeit zu Zeit in
Apnoe zu versetzen und dann zum Schluss dieser Apnoe nicht, wie
jedes normale Individuum am Schluss einer irgendwie bewirkten
Apnoe rhythmisch die Athmung wieder zu beginnen, sondern sich
durch eine besonders ausgiebige Athmung auf längere oder kürzere
Zeit wieder apnoisch zu machen.
Dass der Antrieb hierzu nicht von dem gleichmässig und stetig
im Thierkörper ablaufenden Sauerstoffschwund herrühren könne, und
dass hierfür ebensowenig die durch das Morphin verursachte Ver-
minderung der Erregbarkeit des respiratorischen Centrums für sich
allein verantwortlich gemacht werden kann, habe ich bereits früher
(a. a. 0. 1874) dargethan. Folgende Betrachtung wird in aller Kürze
die hierbei in Frage kommenden Verhältnisse illustriren.
Die Erregbarkeit sei beliebig stark vermindert und es sei auf
irgend welche Weise eine Apnoe herbeigeführt. Von jetzt an wird
die Veuosität des Blutes zunehmen; wenn sie jenen Grad erreicht
hat, bei welchem im normalen, unvergifteten Thiere der Mechanis-
mus der Athmung zu spielen beginnt, so bleibt bei unseren Thieren
alles ruhig. Die Veuosität steigt weiter und erreicht endlich eine
solche Höhe, dass das morphiuvergiftete Ceutrum erregt wird, und
jetzt muss, allerdings mit sauerstoffärmerem Gesammt-Arterien-Blute
der Mechanismus spielen, ganz wie in der Norm. Heftiger zu re-
agiren, so dass das Thier sich selbst relativ apuoisch macht, dazu
liegt gar keine Veranlassung vor.
Betrachten wir den letzten Athemzug einer längeren Athmungs-
periode, an welchen sich eine minutenlange Apnoe schliesst, so müssen
wir uns sagen , dass dieser absolut gar nicht von dem Gaszustände
des Blutes abhängig sein kann. Der winzige arterialisireude Einfluss
dieses letzten oft unglaublich kümmerlichen Athemzuges kommt gegen
den sich anschliessenden minutenlangen Sauerstoffverbrauch gar nicht
in Betracht. Obwohl der Blutreiz wächst, kommt es jetzt auf längere
Zeit nicht mehr zur Athmung, also kann der letzte Athemzug auch
nicht vom Blutreiz verursacht gewesen sein. Dass diese Vorstel-
30
lung richtig ist, lässt sich experimentell beweisen. Wenn ich zu
einer Zeit, wo die energischsten Athemzüge bereits vorüber sind,
also im Decrescendo, die Trachealcanüle verschliesse , so dass die
letzten Athemzüge keine Luft mehr zuführen, so tritt keine Dyspnoe
ein, sondern die Athmung erlischt, wie sonst. Die letzten Athemzüge
sind also nicht durch den Blutreiz veranlasst gewesen.
Dass an eine Ermüdung des Athmungscentrums nicht gedacht
werden darf, geht aus den Versuchen hervor, in denen wir den Luft-
zutritt im Beginne einer Respirationsperiode behinderten, wo dann
die Athmung in normaler Weise sich (auf gewisse Zeit) als uner-
müdlich zeigt, und ist wie ich an den früheren (a. a. 0.) Stellen
zeigte a priori absolut unzulässig, da eine periodisch vorübergehende
Ermüdung unfehlbar in kurzer Zeit zu tödtlicher Erstickung führen
müsste. Alle nervösen Mechanismen unseres Körpers mögen Ermü-
dung und Erholung zeigen können und selbst ein massiges Ausruhen
des Herzens mag zeitweilig vertragen werden können, — die Ermü-
dung des Athmungscentrums aber ist der Tod.
Der letzte Athemzug der Athmungsperiode ist also nicht durch
den Gaszustand des Gesammtblutes bedingt gewesen ; das Thier hat
hier vielmehr noch geathmet, obwohl sein Gesammtblut bereits
apnoisch war (ä. h. sein Athmungscentrum nicht mehr erregen
konnte; wie gering oder gross die Erregbarkeit dieses Centrums im
concreten Falle ist, bleibt gleichgiltig). Es muss also ein Reiz hin-
zugekommen sein, der das Thier zu athmen zwang, trotz mangelnden
Blutreizes und dessen Aufhören dem Eintritte der Pause zu Grunde
lag. Und je mehr die Athmung unserer Thiere sich dem Cheyne-
Stokes'schen Typus näherte , d. h. einen zuerst zu- , später abneh-
menden Charakter zeigte, um so mehr musste dieser accessorisehe
Reiz von vornherein zuerst zu- und später abnehmen, um beim Be-
ginne der Pause aufzuhören. Ein Warmblüter kann überhaupt durch
den blossen Blutreiz nie apnoisch werden.
Wenn z. B. wir Menschen auf unsere Athmung nur den natür-
lichen Blutreiz einwirken lassen, so werden wir nie apnoisch; sobald
wir aber zu diesem vorhandenen Reize noch den Reiz unseres Willens-
impulses zufügen, so wird die Athmung stärker und wenn wir diesen
neuen Reiz aufhören lassen, sobald der Gaszustand des Blutes für
sich allein keine Athmung mehr bedingen würde, — so entsteht
Apnoe.
Dass ein durch Morphin schwer betäubtes Individuum, Kaninchen
oder Mensch, diesen Reizzuwachs nicht durch einen Willensimpuls
liefert, liegt auf der Hand. Welche andere Mittel hat nun aber der
31
Organismus um unabhängig vom Gaszustande seines Blutes einen
Reizzuwachs für die Athmung zu liefern'?
Die Erfahrung gibt uns hierüber Mehreres an. Um bei apnoi-
schem Blute Athmung zu erzeugen resp. bei normalem Blute eine
verstärkte Athmung zu veranlassen, gibt es viele Mittel: Verbluten-
lassen, Herzstillstand, Zuklemmen der Hirngefässe, plötzliche Ernie-
drigung des Blutdrucks, z. B. durch Depressorreizung u. a.
Alle diese scheinbar so verschiedenen Eingriffe haben das Ge-
meinsame, dass sie die Blutzufuhr zur Medulla oblongata vermindern
und ausschliesslich dadurch, dass sie eine plötzliche, das Athmungs-
centrum reizende Anämie desselben erzeugen, erregen sie es. Denn
was nützt es dem Athmungscentrum, dass das Blut apnoisch ist, wenn
es das Blut nicht oder nicht in genügender Menge erhält! Abgesehen
vom Willen und energischen von aussen her einwirkenden Hautreizen
(von denen in unseren Fällen nicht die Rede sein kann) gibt es, so
weit unsere heutige Kenntniss reicht, keinen die Respiration bei
apnoischem Blute erzeugenden Eingriff, der nicht in die Kategorie
der eben erörterten gehörte, der nicht durch Verminderung des Blut
Zuflusses zur Medulla oblongata jene Wirkung ausübte. Sehen wir
uns darauf hin unsere Curven an.
In der That finden wir Beispiele von Athmungseintritt bei Cir-
culationsverhältnissen, die den erörterten entsprechen. In Fig. 5 sehen
wir die Athmung eintreten bei stark erniedrigtem Drucke und ver-
langsamter Herzaction, ebenso in Fig. 7. Noch mehr sprechen in
dieser Beziehung die Curven der vagotomirten Thiere, die alle von
erniedrigtem Drucke aus ihre Athmung beginnen lassen. Nun, nie-
driger Druck treibt weniger Blut ins Gehirn so scheint die Er-
klärung ja einfach! Aber bereits oben haben wir ja so genau den
Beweis liefern können, dass die Athmung vom Druck als solchem
in unseren Versuchen ganz unabhängig ist. Man sehe nur noch
Fig. 1 — 4 an, wo die Athmung bei bereits gestiegenem und noch
steigendem Druck beginnt, und blicke auf die von den atropinisirten
Thieren gelieferten Curven Fig. 10 - 18. Wie soll hier, wo der
Druck, also die Triebkraft a tergo steigt, wie kann hier weniger
Blut zur Medulla oblongata kommen? Und gerade dann, wo in diesen
Figuren der Druck, also die Triebkraft, sinkt, soll der Zuwachsreiz
ja aufhören, soll mehr Blut zum Athmungscentrum fliessen!
Die Drucksteigerung ist, wie wir gezeigt haben, durch eine Cou-
traction peripherischer Gefässe bedingt; soll unter diesen Umständen
bei steigender Triebkraft weniger Blut als vorher in die Arterien
der Medulla oblongata kommen, so müssen diese sich schlechterdings
32
stärker verengen, als dies durchschnittlich die übrigen Körper-
arterien thun. Dass der hierdurch bedingte Reiz mit Aufhören der
Gefässinnervation, also bei sinkendem Drucke ebenfalls aufhört, ver-
steht sich dann von selbst. Die im Vergleich zu den übrigen Arte-
rien promptere Contraction der Hiruarterien im Beginne der Athmung,
bleibt für unsere in dieser Arbeit mitgetheilten Versuche nur eine
Annahme, zu der wir aber mit aller Nöthigung und ohne Mög-
lichkeit eines Ausweges gedrängt sind. Wir sind also zu einer Er-
klärung der durch Morphin in unseren Versuchen veranlassten perio-
dischen Athmung gelangt, welche durchaus übereinstimmt mit meiner
für das klinische Cheyne-Stokes'sche Phänomen aufgestellten Theorie;
so ist es denn wohl gestattet beide Phänomene, das klinische und
das experimentelle, von einem Gesichtspunkte nunmehr zu betrachten.
Wir haben hierzu um so mehr ein Recht, als bekanntlich Traube
beobachtete, dass die Darreichung von Morphin bei solchen Patienten
das Cheyne-Stokes'sche Phänomen hervorruft, welche in Folge ihrer
Erkrankung zu demselben disponirt sind. Da ich ferner bezüglich
des klinischen Phänomens die besondere Betheiligung der Hirnar-
terien weiter verfolgt habe durch Beobachtungen an den Fontanellen
kleiner in Cheyne-Stokes'scher Form athmender Kinder, sowie durch
Beseitigen der Erscheinung mittelst eines gefässlähmenden Medica-
ments (Amyluitrit1)), so ist auch für unsere Morphinversuche die
hervorragende Betheiligung der Arterien der Medulla oblongata an
der nachgewiesenen vasomotorischen Innervation über das Stadium
der Hypothese hinaus.
Teleologisch betrachtet ist es eine sehr zweckmässige und mit
anderen Steuerungen des Organismus übereinstimmende Vorrichtung,
wenn die bei Erstickungsgefahr auftretende Arteriencontractiou gerade
im Gebiete des Athmuugscentrums besonders stark ausgesprochen ist
und durch stärkere frühzeitige Erregung gerade dieser Stelle eine
heftigere Athmung erregt, wodurch der Erstickungsgefahr entgegen
gearbeitet wird.
1) Seit jeuer Veröffentlichung ist der Einfluss des Amyluitrits auf das Cheyne-
Stokes'sche Phänomen durch Claus (Zeitschr. f. Psychiatrie. Bd. 32. S. 437) be-
stätigt worden. Diese Mittheilung Claus's liefert ausserdem eine werthvulle
Ergänzung, indem sie zeigt, dass das Amyluitrit nur bei Gefasslähmung jenen
Kinnuss auf das Phänomen ausübt. Es blieb nämlich in einem Falle, in welchem
das A. an den sphygraographischen Curven die für völlige Gefasslähmung charakte-
ristischen Veränderungen nicht veranlasste, das Phänomen bestehen, während
dasselbe in einem anderen Falle unter Gebrauch jenes Mittels aufhörte, wo als
Zeichen eingetretener (lefäss Wirkung die Spannung der Radialarterie niedrig und
gleich blieb, während sie sich vor der Inhalation zum Schlüsse der Pause erhöht hatte
33
Zu meiner früheren Theorie der periodischen Athmung würde
ich jetzt noch den Zusatz machen, dass zu deren Zustandekommen
es schou genügt, wenn die Arterien der Medulla oblongata gleich-
zeitig mit der Erregung des Athmungscentrums erregt werden;
eine vorhergehende Contraction wird die Erscheinung verstärken
und mag bei den ausgeprägten Fällen auch statthaben; sie ist aber
nicht unerlässlich und vielleicht auch nicht immer vorhanden.
Nachtrag zu dem vorhergehenden Abschnitte.
Es sind seit dem Erscheinen meiner letzten Veröffentlichung
über das Cheyne-Stokes'sche Phänomen von C. Biot zwei Arbeiten ')
erschienen, die eine sehr interessante graphische Darstellung des
Pulses und der Respiration eines im Cheyne-Stokes'schen Typus
athmenden Patienten enthalten. Die Uebereinstimmung jener Curven
mit den von mir früher mitgetheilten , sowie der in dieser Arbeit
vorgelegten Thatsachen ist eine vollständige. Biot gebührt das Ver-
dienst die beiden Curven bei diesem Phänomen als der erste über
einander gesetzt zu haben. Auch in seinen Curven sieht man ganz
wie in unserer Fig. 1 die Pulsfrequenz am äussersten Ende der Pause
und während des Ansteigens der Athmung abnehmen und dann bis
weit in die Pause hinein wieder steigen. Aus der Form des ein-
zelnen Pulses der sphygmographischen Curve — der Patient litt an
Aorteniusufficienz — lässt sich demonstriren, dass während der Pause
zur Zeit der grössten Pulsfrequenz die peripherischen Widerstände
für den Blutabfluss aus den Körperarterien geringer waren, als zur
Zeit der Pulsverlangsamung resp. zur Zeit der Respiration: es ist
nämlich die Figur des Pulsus celer, wie er der Aorteninsufficienz
zukommt, nur in der Pause excl. deren Ende ausgesprochen, da-
gegen nicht während der Athmung; hieraus lässt sich entnehmen,
dass das herzdiastolische Absinken des Drucks während der Apnoe
leichter zu Stande kommt als während der Athmung. Man sieht:
die Uebereinstimmung zwischen den Biot' sehen Curven mit meinen
früheren und jetzigen Angaben ist eine vollständige. Wenn trotzdem
Biot gerade diese Beobachtungen als besonders beweisend gegen
meine Auffassung ins Treffen führt, so sind hieran rein sprachliche
Missverständnisse schuld. Biot dehnt in seiner Berichterstattung
das, was ich vom äussersten Ende der Pause und der beginnenden
Respirationsperiode gesagt habe, auf die ganze Pause aus, und, was
ich vom Ende der Respirationsperiode und dem grössten Theil der
1) Lyon medical l^TH; Etüde clin. et exp. s. la respir.de Ch.-St. Paris 1876.
Fileline, Einwirkung d. Morphins auf d. Athmung. !{
34
Pause gemeldet habe, lässt er mich von der Respirationsperiode aus-
sagen. Die Folge hiervon ist natürlich, dass er das Gegen theil von
dem gefunden zu haben glaubt, was ich berichtet hatte. Ein wei-
teres Missverständniss ist, dass er mich eine übermässige Arteriali-
sation des Blutes (suroxygenation) während der Pause, die ich als
eine apnoische bezeichne, annehmen lässt. In Wirklichkeit habe
ich aber stets nur eine so weitgehende Arterialisation in der Apnoe
verlangt, dass das Athmungscentrum durch den Blutreiz nicht erregt
wird. Wo diese Erregbarkeit durch Krankheit oder Gift sehr er-
niedrigt ist, da wird das Arterienblut schon recht venös sein können
und trotzdem in Bezug auf diesen niedrigen Erregbarkeitsgrad re-
lativ gut arterialisirt sein und deshalb Apnoe verursachen.— Einige
andere Irrthümer habe ich neuerdings bereits an einem anderen Orte1)
besprochen. —
Anderer Natur ist ein Angriff, der meiner Theorie von Seiten
J. Hein's2) zu Theil wurde. Hein sah eine 70jährige an Fettherz
leidende Patientin in Cheyne-Stokes'scher Form athmen und consta-
tirte, dass das Bewusstsein (wie dies schon oft gesehen wurde) wäh-
rend der Pause getrübt oder gar erloschen war, während der Ath-
mungsperiode dagegen wieder erwachte. Dies scheint Hein unver-
träglich mit meiner Theorie zu sein, und gerade dieser Punkt ist es
ausschliesslich, der Hein veranlasst, sich von meiner Theorie abzu-
wenden und eine neue Erklärung zu versuchen. Nach meiner Theorie
wäre, meint Hein, während der Athmuug ein verminderter Zufluss
eines sogar schlechter arterialisirten Blutes für das Gehirn zu er-
warten — und gerade da bestand ein leidliches Bewusstsein; und
während der Pause, also wann nach meiner Auffassung gutes Blut
reichlich zum Hirn fliesst, erlosch das Bewusstsein. Auf den ersten
Blick scheint dies allerdings sehr bedenklich. Und doch ist dieser
Fall für mich sehr begreiflich. Ein somnoleutes Individuum wird,
wenn ich es ungestört lasse, in Schlaf versinken; dagegen sofort er-
wachen, sobald ich es durch Verschluss von Mund und Nase in
Erstickungsgefahr bringe. Was Wunder, wenn jene somnoleute Pa-
tientin Hein's in Schlaf verfiel, sobald ihr (relativ) apnoisches Blut
ihr Ruhe liess; dagegen erwachte, sobald ihr Erstickung drohte?!
— Dass diese Auffassung durchaus berechtigt ist, geht aus jenem
höchst interessanten Falle hervor, von welchem E w a 1 d a) berichtete.
1) Revue mensuelle de med. et de chir. 187S. No. 9.
2) Wiener med. Wochenschr. 1877. No. 14, 15
'6) Beil. klin. Wochenschr. 1874. No. 14 (in der Discussion über meine .Mit-
theilung in der Berl. medic. Ges.).
35
Dieser Fall betraf einen Mann, welcher bei vollem Bewusstsein
Cheyne-Stokes'sche Athmung hatte und .seine klaren Empfindungen
mittheilen konnte. Er erzählte, dass er sich während der Pause
(nach mir: Apnoe) sehr wohl befinde; mit der Athmung steige in
ihm eine Beängstigung auf, die während der Athmung sich steigere
und erst wieder schwinde, wenn er nicht mehr so zu athmen brauche.
Hätte jener Mann Neigung zur Somnolenz gehabt, so würde er natür-
lich eingeschlafen sein, wo er sich behaglich, und aufgewacht sein,
wo er sich geängstigt fühlte, — ganz so, wie es bei Hein's Pa-
tientin der Fall war.
Was nun die Erklärung betrifft, die Hein im Gegensatz zu mir
von dem Phänomen überhaupt gibt, so wird der Leser, der sich für
diese Streitfrage interessirt, und die Arbeit Hein's durchliest, sofort
sehen, dass Hein eigentlich nur seine Auffassung darüber ausein-
andersetzt, wie, bei gegebener Cheyne-Stokes'scher Athmung, das
Individuum wirth schattet; wieso es aber zu einer periodischen Ath-
mung überhaupt kommt, darüber schweigt Hein. Oben hatten wir
unsere Curven zuerst auch nur. in dieser Weise discutirt; wir hatten
uns zuerst nur um das Wie des Haushalts gekümmert, und erst
als wir dies in genügender Weise erörtert hatten, schritten wir zur
Ermittlung der letzten Ursache. Dass Hein bei seiner rein theore-
tischen Erörterung auch die Form des Haushalts sich anders vor-
stellte, als wir dies nach directen Beobachtungen thun müssen, er-
ledigt für mich die Sache vorläufig, und ich muss den sich hierfür
noch interessirenden Leser auf das Original verweisen und ihn bitten
mit den Erörterungen Hein's, sofern sie durch das Vorstehende
ihm noch nicht ganz erledigt scheinen sollten, auch meine in den
mehrfach citirten Abhandlungen vorgelegten Erwägungen zu ver-
gleichen.
II. Späteres Stadium (rhythmische Athmung-).
Wenn die von mir im Abschnitte I erwähnten Thiere eine Zeit
lang in periodischer Form und wie man aus den Curven sieht in
einer in toto verlangsamten Folge geathmet hatten (auf grössere Zeit-
räume bezogen war die Frequenz zu ' -t - ' 20 der Norm gesunken),
so trat später und namentlich nach Darreichung grösserer Dosen
wieder eine rhythmische Athmung auf mit einer wieder beschleu-
nigten, zuweilen sogar der normalen fast oder ganz gleichen Fre-
quenz (s. Tafel VII. Fig. 8 als Fortsetzung von 6 und 7); zu dieser
Zeit ist der Blutdruck und die Herzaction anscheinend ganz normal.
Dieses Verhalten der Athmung war überraschend und musste bei
36
weiterem Verfolgen entweder für die Morphinwirkung oder für die
Theorie der periodischen Athmung, ja der Athmung überhaupt, neue
Gesichtspunkte geben. Die Toxikologie lehrt, dass mit weiterer Läh-
mung (Erregbarkeitsverminderung) die Respirationsfrequenz abnimmt.
Gscheidlen1) gibt ausserdem an, dass Morphin die Athmung pro-
gressiv verlangsame. Was sollen wir von jener späteren Beschleu-
nigung bei normaler Circulation nach grossen Morphingaben
denken? Sollte später und bei grösseren Gaben eine Steigerung der
Erregbarkeit des respiratorischen Centrums eintreten ? Die Frage war
nach der üblichen Auffassung mit Ja (oder überhaupt gar nicht) zu
entscheiden. Jedoch wollte mir diese Steigerung bei der sonst fort-
schreitend betäubenden, lähmenden Wirkung des Morphins nicht glaub-
lich erscheinen. Ich suchte daher eine anderweitige mehr oder we-
niger exacte Methode, die Erregbarkeit des Athmungscentruras zu
bestimmen.
Wo auch immer wir die Erregbarkeit eines (besonders nervösen)
Organes zu bestimmen suchen, da bemühen wir uns festzustellen,
wie gross der Reiz sein muss um jenes Organ eben zu
erregen. Diese Methode wollen und müssen wir auch im vor-
liegenden Falle anwenden. Und hier sind wir in der glücklichen
Lage gar nicht erst einen künstlichen Reiz einführen zu müssen.
Wir können viel vortheilhafter hier verfahren und die Stärke des
factisch vorhandenen Reizes bestimmen, der ja zur physiologi-
schen Erregung eben ausreicht. Hierdurch sind wir dem Athmungs-
centrum gegenüber in viel günstigerer Lage als in anderen Fällen,
wo wir einen fremden, den physiologischen Verhältnissen femste-
henden (z. B. elektrischen) Reiz einführen müssen. Die Erregbarkeit
des Athmungscentrums ist ermittelt, sobald wir die Grösse des Reizes
kennen, welcher es eben erregt; — und da dieser Reiz der
Blutreiz ist, so haben wir nur nöthig den Gaszustand
des Blutes zu bestimmen, bei welchem das Athmungs-
centrum eine normale (nicht dyspnoische) Athmung voll-
führt. Da ferner unsere Thiere in jenem Stadium spontan eine
anscheinend normale Athmung darboten, so war nur der Gas-
zustand des Carotis-Blutes unserer Thiere zu ermitteln,
um sofort die Erregbarkeit des Centrums zu kennen. Je besser ar-
terialisirt das Carotis-Blut, um so höher war die Erregbarkeit, und
umgekehrt. So naheliegend diese Betrachtung eigentlich ist, so war
doch in den Vorstellungen der Toxikologen der Glaube an die lei-
1) Untersuchungen a. d. phys. Labor, in Würzb. II. (I%9) S. 1 ff.
37
stungs vermindernde Wirkung einer Erregbar k ei ts Verminderung
s«) fest, dass bei gleichbleibender Leistung an eine Vermin-
derung der Erregbarkeit gar nicht gedacht wurde. Wir sind
jetzt dagegen zur Erörterung der Frage genöthigt, ob trotz normaler
Leistung (bezüglich Frequenz und Tiefe) nicht doch eine Verminde-
rung der Erregbarkeit in unserem Falle vorliege und wenden uns
mit dieser Frage an den Gaszustand des Blutes.
Mit derjenigen Reizgrösse, welche der Gaszustand des Blutes bei
normaler Athmung repräsentirt, ist offenbar das Maass des minimalen,
zur Erregung eben hinreichenden Reizes bereits überschritten.
Dies schliesse ich aus der Art des Eintritts der Athmung nach vor-
gäugiger Apnoe. Dieser Eintritt findet bei unvergiftetetem Thiere
nie, bei morphinisirtem nicht immer in der Weise statt, dass mit
dem Schlüsse der Apnoe normale Athmung beginnt, sondern wie für
normale Thiere Traube-1) zuerst mittheilte, in der Weise, da^s
kaum bemerkbare durch sehr geringe Abflachungen des Zwerchfells
verursachte Athemzüge auftreten, die in normaler Frequenz wieder-
kehrend allmählich stärker werden, bis sie die normale Tiefe er-
reicht haben. Der minimale , zur Erregung eben hinreichende Reiz
wird also durch jenen Gaszustand schon repräsentirt, welchen das
Blut hatte, als die ersten kaum bemerkbaren Athemzüge auftraten.
Bei den anatomischen Verhältnissen der Respirationsorgane mögen
diese gerade noch zur Ventilation der Nasenhöhle oder der Trachea,
nicht aber zur Ventilation der bei der Sauerstoffaufnahine in Frage
kommenden Alveolen hingereicht haben; daher steigt der Reiz so
weit an bis jene Tiefe der Athemzüge erreicht ist, bei welcher der
Reiz constant erhalten werden kann. Man könnte daher die normale
Athmung als den durch die anatomischen Verhältnisse bedingten
physiologischen niedrigsten Grad der Dyspnoe ansehen. Da jene
ersten, ganz oberflächlichen Respirationen wie Traube zeigte, fort-
bleiben, wenn die Vagi durchschnitten sind, so muss ihr Eintritt,
was a priori zu vermuthen steht, auf jenen bekannten den Erguss
der Erregung des Athemcentrums begünstigenden Einfluss des Vagus
zu beziehen sein. Da ferner nach einer längeren (unter Aussetzen
der künstlichen Athmung bestehenden) Apnoe die respiratorischen
Fasern längere Zeit durch die Athembewegungen der Lunge nicht
gezerrt, also durch diese nicht gereizt wurden, so beweist die trotz-
dem vorhandene tonische Erregung derselben, dass diese letztere
nicht, wie ziemlich allgemein angenommen wird, ausschliesslich auf
1) Ges.Beitr. Bd. 1. B. 152.
38
der mechanischen Zerrung der Vagusendigungen durch die Athembe-
wegungen der Lunge beruhen kann. Vielmehr muss man, glaube ich,
mit Traube, der übrigens den Beweis auf diese Weise nicht führte l),
annehmen, dass auch die Vagusendigungen in der Lunge durch die
Venosität des Blutes gereizt werden und zum Schluss einer
Apnoe den Erguss der Erregung des respiratorischen Centrums be-
schleunigen, sobald dieses letztere ebenfalls nicht mehr von absolut
apnoischem Blute gespeist wird. Der Unterschied dieser Auffassung
von der Reflextheorie, welcher auch Traube anhing, liegt auf der
Hand. Für die „Selbststeuerung" der Athmung wird man ja wohl
die abwechselnde Reizung der Vagusendigungen durch mechanische
Zerrung nicht entbehren können. Für die tonische Erregung könnte
man höchstens noch eine übrigens nie hierfür beschuldigte perma-
nente Zerrung heranziehen, welche dadurch veranlasst würde, dass
die Lungen über ihr natürliches Volum ausgedehnt sind. Indessen
hat es doch sein Missliches, sich vorzustellen, dass die in ihrem
Wachsthum unbeschränkten Nerven sich während des ganzen Lebens
nicht adaptiren sollten, sondern fortwährend gezerrt blieben; ferner
wäre es unverständlich wie diese permanente gleichmässige Zer-
rung einen Reiz bilde und eine tonische Erregung verursache. Vom
teleologischen Gesichtspunkte aus muss es sehr zweckmässig er-
scheinen, dass das respiratorische Centrum in der Gestalt der Vagus-
fasern gewissermaassen Fühlfäden besitzt, mittelst welcher es sich
von der Beschaffenheit des Blutes, das ihm später zugeführt werden
soll, zu einer Zeit schon unterrichten kann, während welcher das
Blut sich noch in der Lunge befindet, also an einem Orte, an wel-
chem das Athmungscentrum dasselbe sofort verbessern (stärker ar-
terialisiren) kann, sobald es ihm nicht gut genug zu sein scheint.
Nach dieser Auffassung will es mir auch leichter (als nach der Zer-
rnngstheorie) begreiflich erscheinen, warum nach Durchschneidung
nur eines Vagus gar keine, nach Durchschneidung beider eine so
beträchtliche Veränderung des Athmungsrhythmus entsteht. Wir haben
also gesehen, dass die Reizgrösse, welche durch den Gaszustand des
Blutes bei normaler Athmung dargestellt wird, schon etwas grösser
ist, als der minimale zur Erregung eben hinreichende Reiz. Nichts
destoweniger wollen wir der Bequemlichkeit wegen und in Anbe-
tracht des geringfügigen Fehlers, den Gaszustand des Blutes bei (an-
scheinend) normaler Respiration als Maassstab für die Erregbarkeit
des Athmungscentrums betrachten.
1) Den Versuch dies zu beweisen s. Ges. Beitr. Bd. 1. S. 2*0 ff.
— 39
Das Blut als solches, abgesehen vom Gaszustande, scheint in
sännntlichen Stadien und Graden der Morphinvergiftung keine ele-
mentaren Veränderungen zu erfahren. Venöses Blut des Thieres wird,
mit Luft geschüttelt, prompt hellroth und das beispielsweise nach
einer künstlichen Apnoe hellrothe Blut wird bei Erstickung in nor-
maler Weise dunkel. Wir dürfen daher, und namentlich in Anbe-
tracht dessen, dass das Thier durch reichliche Lufteinblasungen in
Apnoe zu bringen ist und bei spontaner Respiration wie ein nor-
males Thier athmet, die Farbe des Blutes als einen ungefähren
Maassstab seines Gaszustandes ansehen.
Ich habe in Folge dessen bei Thieren in den verschiedenen
Stadien und Graden der Vergiftung Blut aus der Carotis entnommen
und auf die Farbe desselben geachtet. (Für eine ungefähre Orienti-
rung genügt übrigens die Farbe der ja sehr durchscheinenden Ka-
ninchen - Carotis.) Folgendes ist das Ergebniss: Mit fortschreitender
Vergiftung wird die Farbe des Carotis - Blutes unverkennbar etwas
dunkler. Es ist die Farbe zu jener Zeit wo die Athmung wieder
rhythmisch und anscheinend normal ist, dunkler als in der Norm
(und dunkler auch als zur Zeit des ersten Stadiums, d. i. der ver-
langsamten resp. periodischen Athmung). Trotz normaler Fre-
quenz und Tiefe der Athemzüge war also die Erregbar-
keit des respiratorischen Cent rums im späteren Stadium
der Vergiftung geringer als in der Norm.
Bemerkenswerth ist — und wir kommen hierauf noch zurück ,
dass im späteren Stadium (rhythmischer Athmung) das Carotis- Blut
andauernd die gleiche Farbe bot, während im Stadium der periodi-
schen Athmung das Blut einen periodischen Farbenwechsel
zeigte. Auf der Höhe der Athmung war es am meisten hellroth,
zum Schlüsse der Pause wurde es dunkler. Wenn die Pausen lang
waren (mindestens 10 -15 Secunden, am schönsten bei der Dauer
von einer Minute und darüber), so war dieser Farbenwechsel durch
die Carotiswand hindurch ein sehr auffallender und es bedurfte der
Blutentnahmen nicht. Wie sehr auch diese periodischen Farbenver-
änderungen im Sinne der Auffassung sprechen^ die ich im ersten
Theile dieser Abhandlung entwickelt habe, brauche ich wohl nicht
erst auseinanderzusetzen. —
Die Farbe des Blutes hatte also für ein mit fortschreitender Ver-
giftung paralleles, stetiges Abnehmen der Erregbarkeit gesprochen.
Doch wollte ich es bei der Betrachtung der Farbe allein nicht be-
wenden lassen. Bevor ich mich aber entschloss, eine gasanalytische
Untersuchung anzustellen und so ein zahlenmässiges Resultat zu
40
erstreben, suchte ich nach einem Verfahren, um die Erregbarkeits-
verhältnisse in einfacher und dabei überzeugender Weise auschaulich
zu machen.
Unter der Voraussetzung, dass das Blut als solches durch das
Morphin keine elementare Aenderung erfährt und dass nebenbei auch
der Sau erstoffv erbrauch in den Geweben (des ruhenden Körper»)
keine wesentliche Aenderung durch das Gift erleidet, — war das
gesuchte Verfahren nicht schwierig zu finden. Die erstere Voraus-
setzung trifft ja für Alkaloide überhaupt zu. Die zweite Bedingung
ist ebenfalls, wie aus den Versuchen von v. Boeck und Bauer1)
hervorgeht, für das Morphin erfüllt, falls das in Vergleich gezogene
Normalthier keine geringere oder grössere Muskelaction zeigt als das
vergiftete (wenn z. B. beide Thiere ruhig sind). Unter diesen Um-
ständen war mein Gedankengang folgender. Wenn ich Thiere, deren
respectiven Athmungscentren die verschiedensten Erregbarkeiten be-
sitzen, gründlich apnoisch mache, und bei allen im selben Momente
die künstlichen Lufteinblasungen unterbreche, so wird, falls in allen
der gleiche Sauerstoffverbrauch (resp. die gleiche CO2 -Bildung) statt-
hat, — dasjenige Thier zuerst aus der (apnoischen) Respirationslosig-
keit in Athmung verfallen, welches das am meisten erregbare Ath-
mungscentrum besitzt. Mit anderen Worten: Aus der Leichtigkeit
mit welcher wir (NB. wenn die beiden obigen Voraussetzungen zu-
treffen!) bei einem Thiere Apnoe erzeugen können und aus der Dauer
der Apnoen können wir Schlüsse auf die Höhe der Erregbarkeit
machen. Je leichter zu erzeugen und je länger an Dauer
die Apnoen sind, um so niedriger ist die Erregbarkeit
des respiratorischen Centrums und umgekehrt.
Die Versuche zeigten, dass bei einem Thiere durch künstliche
Einblasungen eine Apnoe um so leichter zu erzielen und um so länger
dauernd ist, je weiter vorgeschritten die Vergiftung mit Morphin,
resp. je grösser die Dosen waren. In jenem späteren Stadium mit
anscheinend normaler Athmung war eine verhältnissmässig kleine
Reihe von mittleren Einblasungen, die am normalen Thiere gar keine
oder höchstens eine 2 — 3 Secunden dauernde Apnoe erzeugt hatte,
schon hinreichend, um 30 Secunden dauernde Apnoen zu bewirken.
Ja selbst bei Thieren, denen beide Vagi durchschnitten waren, hatte
es dann gar keine Schwierigkeit Apnoen von 30 Secunden herbei-
zuführen, während unvergiftete vagotomirte Kaninchen bekanntlich
ziemlich schwer in Apnoe zu bringen sind.-)
1) Zeitschrift f. Biologie. 1874. S. 336.
2) Diese Erfahrung widerlegt von neuem die auch sonst schon als irrig er-
41
Die Experimente leisten was wir brauchten und ich habe des-
wegen geglaubt auf gasanalytische Untersuchung des Blutes in die-
sem Falle verzichten zu dürfen. Für vergleichende Bestimmung
wird auch bei anderen Giften diese Methode genügen. Aber selbst-
verständlich müssen jene beiden Voraussetzungen: -- Gleichbleiben
des Sauerstoffverbrauches und Fehlen elementarer Veränderungen des
Blutes — erfüllt sein und die spontane Athmung des vergifteten
Thieres muss im Typus der normalen Athmung ablaufen. Denn
wenn wie bei der Nitro benzolvergiftung das Thier Dyspnoe hat und
diese, wie ich neuerdings fand, auf einer elementaren Aenderung des
Blutes beruht, wodurch letzteres die Fähigkeit Sauerstoff aufzunehmen
mehr und mehr verliert, so dass die gasanalytische Untersuchung
eine Verminderung des 0- Gehaltes bis zu \\-, des normalen trotz
verstärkter Athmung ergibt, so ist selbstverständlich Apnoe über-
haupt nicht zu erzielen und daher die eben benutzte Methode auch
dann nicht zu benutzen, wenn, bei schwächerer Vergiftung mit sol-
chen Substanzen, Apnoe noch herzustellen wäre. Und bei Giften,
welche den Sauerstoff verbrauch, die Gewebeathmung, verändern,
müsste diese Veränderung erst genau bekannt sein, ehe man die er-
örterte Methode der vergleichenden Erregbarkeitsbestimmung anwen-
den wollte.
Ich verkenne freilich nicht, dass den beiden von mir benutzten
Schätzungsmethoden eine nicht unbeträchtliche Ungenauigkeit an-
haftet, und dass namentlich die Apnoen in Folge des geringen Muskel-
tonus der vergifteten Versuchsthiere zu gross ausfallen. Aber beide
Methoden zusammen schienen mir für den vorliegenden Fall vor-
läufig zu genügen. Hoffentlich wird bald ein Untersucher die exactere
Methode der Gasanalyse für die uns beschäftigende Frage anwenden.
Jedenfalls hoffe ich gezeigt zu haben , dass einzig und allein d e r
Gaszustand des Blutes den Maassstab für die Erregbarkeit ab-
geben kann und dass die bisherige allgemein verbreitete Anschauung
über diesen Punkt unrichtig ist.
Es hat sich also herausgestellt, dass eine anscheinend normale
oder fast normale Athmungsleistung kein Beweis dafür ist, dass die
Erregbarkeit nicht vermindert ist, und dass sogar eine verlangsamte
Athmung (im ersten Stadium) bestehen kann bei relativ noch hoher
Erregbarkeit, während bei weiterer Ahnahme der Erregbarkeit die
Athmung wieder frequenter wird.
wiesene Brown-Sequard' sehe Auffassung, nach welcher die Apnoe eine durch
die Vagi vermittelte, reflectorische Hemmung des Athmuugsmechanismus sei und
uach Vagusdurchschneiduug ausbleibe.
42
Ist es denn so auffallend, dass trotz abnehmender Erregbarkeit
die Leistung nicht abnimmt? Wenn wir über die Sache etwas ge-
nauer nachdeDken, so müssen wir uns sogar sagen, dass die Sache
gar nicht anders sein kann. Wenn die Erregbarkeit die Leistung
bestimmte, so würde mit abnehmender Erregbarkeit und demgemäss
abnehmender Leistung, die Sauerstoffaufnahme (resp. CCVAbgabei
geringer werden müssen. Da aber der Sauerstoffverbrauch (resp.
die CO2 -Bildung) der Voraussetzung nach normal bleiben, so
würde beispielsweise in jeder Minute ein bestimmter Bruchtheil des
Bedürfnisses ungedeckt bleiben und von Minute zu Minute addirte
sich Deficit zu Deficit, d. h. das Individuum müsste in kurzer Zeit
ersticken. Dazu könnte es ja natürlich nicht kommen, denn mit
dem Deficit stiege auch der Reiz; er würde eine stärkere Athmung
verursachen und so käme das Gleichgewicht zwischen Verbrauch und
Zufuhr wieder zu Stande. So sinkt also die Leistung nicht mit der
Erregbarkeit. Es unterscheidet sich ein Individuum mit einem minder
erregbaren Athmungscentrum von einem normalen nur dadurch, dass
sein Carotis-Blut etwas venöser ist.
Zwei Einwände werden mir gemacht werden, der eine prakti-
scher, der andere theoretischer Natur.
Der Praktiker wird mir entgegenhalten, dass man bei Menschen
stets eine Abnahme der Athemfrequenz nach Morphin constatire und
dass dies im Widerspruch stehe zu dem, was ich soeben entwickelt
habe. Hierauf wäre zu erwidern, dass die Thatsache richtig sei
aber ein Widerspruch nicht bestehe. Denn wenn Morphin, welches,
wie ich zugebe, die Erregbarkeit vermindert, gleichzeitig auch die
Frequenz herabsetzt, so folgt hieraus nicht, dass die Frequenzver-
minderung die Folge des Sinkens der Erregbarkeit ist und es folgt
nicht, dass die Frequenzabnahme gleichbedeutend sei mit einer Ver-
minderung der Leistung. Die Leistung ist die Lüftung des Blutes.
Die Frequenzverminderung hat damit gar nichts zu thun. Wenn nur
die einzelnen Athemzüge eine Spur tiefer sind als vorher, so wird
die Alveolenluft unverhältnissmässig stärker ventilirt und dies com-
pensirt eine ganz bedeutende Frequenzabnahme. Aus letzterem Grunde
würde auch eine Abnahme der Athmungsgrösse, d. h. des in der
Zeiteinheit inspirirten Volums für die Bestimmung der Erregbarkeit
nicht zu verwerthen sein. Die Frage jenes mich interpellirendeu
Praktikers muss jetzt also so lauten: Warum vermindert sich nach
Morphin die von der Erregbarkeit unabhängige Frequenz beim Men-
schen, und warum habe auch ich im ersten Stadium stets, und im
späteren Stadium doch wenigstens häufig eine Verminderung der Fre-
43 —
quenz? Zum Tbeil liegt dies offenbar an der Muskelerschlaffung und
der hierdurch bedingten Verminderung des Athembedürfnisses, die
ja tiberall eine Frequenzabnahme der Athmung bewirkt. Doch reicht
dies nicht aus, denn auch mit vollständig erschlafften Muskeln ru-
hende Menschen zeigen jene Verlangsamung. Seit den Arbeiten
Rosenthal's wissen wir, dass die' in dem automatischen respira-
torischen Centrum zu Stande kommenden Erregungen sich eine Zeit
lang aufstauen, ehe sie sich ergiessen und dass der Erguss durch ge-
wisse ankommende Erregungen begünstigt, beschleunigt, durch andere
erschwert, verspätet werden kann, ohne dass die Summe der Leistung
des Centrums sich ändert. Nun wohl, wenn Morphin die Ath-
mung verlangsamt, so wird dies, da es wie wir gesehen haben, un-
abhängig von der Erregbarkeit geschieht, entweder darin seinen Grund
haben, dass die verspätenden Einflüsse gestärkt oder darin, dass
die beschleunigenden Einflüsse geschwächt werden. Es wäre leicht,
den Beweis zu führen , dass. ersteres nicht der Fall ist , — ich ver-
zichte aber auf diesen Beweis, da der Leser eine stärkende Wirkung
des Morphins nicht annehmen wird. So bleibt die lähmende, d. h.
schwächende Wirkung auf die beschleunigenden Vorrichtungen. Es
wird also auf irgend eine Weise das Athmungscentrum entweder un-
empfindlicher gegen diese beschleunigenden Einflüsse, oder diese Ein-
flüsse werden schwächer, oder beides findet statt, oder aber auch
jener hypothetische Widerstand (Rosenthal) wird grösser, so dass
der Reiz sich mehr anstauen muss, bevor die Erregung sich ergiesst.
— Offenbar ist hier Folgendes zu bedenken.
Bekannt ist der beschleunigende Einfluss, den viele Gemüths-
bewegungen auf die Athmung ausüben. Bekannt ist ferner, dass
man am Athmen es hören kann, ob Jemand bei wachem Zustande
in vollkommenster Ruhe daliegt, oder ob er schläft: im Schlafe ist
die Athmung verlangsamt und etwas tiefer. Aus alledem scheint
hervorzugehen, dass das normal (wach) fungirendc Grosshirn (auch
abgesehen von etwaiger Muskelaction) einen beschleunigenden Ein-
fluss auf die Athemfrequenz ausübt. Wir dürfen uns dann nicht wun-
dern, wenn diese Beschleunigung mit fortschreitender Betäubung und
Lähmung des Grosshirns mehr und mehr fortfällt.
Indessen haben Versuche mir gezeigt, dass auch dieser Fortfall
der Grosshirnthätigkeit nicht das wesentliche Moment für die Ver-
langsamung der Athmung ist. Kaninchen, denen das Grosshirn fort-
genommen war, zeigten, sobald ihnen 0,01 — 0,02 Morphin, mur. in
die Vene injicirt war, dieselbe bedeutende Verlangsamung der Ath-
mung wie normale. Dass es auch nicht eine Abschwächung der im
44
Vagus ankommenden Besehleuuigungsimpulse ist, welche zu beschul-
digen ist, geht daraus hervor, dass der Versuch auch nach beider-
seitiger Vagusdurchschneidung den gleichen Erfolg gibt, wie auch
schon Gscheidlen an vagotomirten , aber sonst intacten Thieren,
die Frequenzabnahme beobachtete. Die Ursache dieser ist also
weder im Grosshirn noch in den Vagusendigungen zu suchen. So-
nach muss wohl durch das Morphin jener hypothetische Widerstand
(Rosenthal) als vergrössert, der Erguss der Erregung als er-
schwert angenommen werden und dies ganz unabhängig von der
„E r r e g b a r k c i t". Denn im späteren Stadium, nach grösseren Dosen
sehen wir jenen Widerstand trotz weiter abnehmender Erregbarkeit
wieder abnehmen, den Erguss der Erregung erleichtert werden. Es
hat meiner Meinung nach keine Schwierigkeit, alle diese Vorgänge
als Lähmungen, als Verminderung vitaler Processe aufzufassen.
Die Abnahme der Erregbarkeit fügt sich dieser Annahme leicht; die
anfängliche Zunahme des physiologischen Widerstandes kann als eine
durch Morphin bedingte Trägheit der Processe aufgefasst werden;
die spätere Abnahme des Widerstandes bei grösseren Dosen als ein
(wie Wundt und Witkowski bei anderer Gelegenheit sagen)
Schwinden der Fähigkeit, Kräfte aufzuspeichern.
Von dieser am Athmungscentrum gewonnenen Anschauung aus
gewinnen wir einen Gesichtspunkt für die Beurtheilung der Vorgänge
an den Reflexapparaten. Auch dort finden wahrscheinlich analoge
Dinge statt, wie im Athmungscentrum. Die Abnahme der Reflexe
im ersten Stadium ist wohl auch durch die berührten zwei Factoren
zu erklären : I . Abnahme der Erregbarkeit und 2. Zunahme des phy-
siologischen Widerstandes. Die Steigerung der Reflexerreg-
barkeit des Thieres im späteren Stadium bei grossen Dosen
kann (und muss wahrscheinlich) ausschliesslich auf Verminderung des
physiologischen Widerstandes bezogen werden (was schon Ringer
und Witkowski thun) während die „Erregbarkeit" der reflex-
vermittelnden Zellen weiter sinkt. Trotz Sinken der vitalen
Vorgänge in den Reflexzellen, steigt die Reflexerreg-
barkeit des Thieres. Es ist dies eine Auffassung, die zwar in
der Hauptsache mit der von Witkowski1) geäusserten überein-
stimmt, aber doch — wie ich hier nicht weiter ausführen will —
eine Erweiterung enthält und namentlich die Uebereinstimmung der
Wirkung, welche das Morphin auf sämmtliche Centralapparate aus-
übt, herzustellen geeignet ist. — Es verdient beachtet zu werden,
1) a.a.O.S.251.
45
dass beim Menschen eine Beschleunigung der Athnning im späteren
Stadium bei grösseren Dosen (schwerer Morphinvergiftung) eben-
sowenig beschrieben ist, als die Steigerung der „Reflexerregbar-
keit". Dieser Gegensatz zwischen der Morphinwirkung bei Men-
schen und Kaninchen (u. a. Säugethieren) ist offenbar nur ein schein-
barer. Der Mensch stirbt in Folge der Erregbarkeits-vermindernden
Wirkung des Morphins zu einer Zeit schon, wo der physiologische
Widerstand in dem Athmungscentrum und den Reflexzellen noch nicht
wesentlich vermindert ist. Vielleicht werden sich aber auch bei ge-
nauerer Beobachtung, sobald die Aufmerksamkeit sich gerade auf
diesen Punkt richtet, Zeichen abnehmenden physiologischen Wider-
standes in Athmungscentrum und Reflexzellen auch beim Menschen
ermitteln lassen.
Bei den oben erwähnten Versuchen mit (traumatischer) Abtragung
des Grosshirns bin ich auf eine Beziehung des Mittelhirns zum Ath-
mungscentrum gestossen , die ich nicht weiter verfolgt habe , über
die ich aber bei dieser Gelegenheit, soweit ich Positives beobachtete,
berichten möchte.
Sobald ich das Grosshirn abtrug, folgte für einige Secunden eine
Beschleunigung der Athmung, die dann alsbald nachliess und einer
Frequenz Platz machte, die eben so gross oder etwas geringer war
als vor der Operation (NB. wenn das Thier aufgebunden und tra-
cheotomirt war und ihm beide Vagi durchschnitten waren, diese Ein-
griffe hatten die Frequenz schon stark herabgedrückt; wurden jene
Eingriffe nicht vorgenommen, so war eine etwas bedeutendere Fre-
quenzabnahme nach Grosshirnexstirpation zu beobachten). Jene kurz
vorübergehende, meist auch von Bewegungen des Thieres be-
gleitete Beschleunigung ist wohl auf die Reizung zu beziehen, welche
die Durchschneidung der cerebralen Beschleunigungsnerven ausübt.
Berührt man jetzt mit einem spitzen Gegenstande die vorderen Vier-
hügel, oder dringt man in dieselben mit einem halbstumpfen Gegen-
stande oberflächlich ein, so ändert sich die Athmung nicht, sobald
man aber in der Richtung auf die Crura cerebri tiefer eindringt, so
steigt die Athmungsfrequenz mit dem Eintritt motorischer Erschei-
nungen bedeutend an (von 50 auf 200) und bleibt lange Zeit er-
höht. Auch diese beschleunigte Athmung ebenso wie die Zwangs-
stellungen und sonstigen motorischen Reizerscheinun-
gen werden durch Darreichung von Morphin (Einspritzung in die
Vene) 0,01 — 0,02 alsbald reducirt resp. aufgehoben (die Respirations-
frequenz sank z. B. von 200 auf 40, die Zwangsstellungen hörten
auf u. s. w.). Diese Beziehung des Mittelhirns zum respiratorischen
46
Centrum weiter zu verfolgen habe ich nicht unternommen. Es ist
aber schon jetzt auf den Unterschied zwischen der kurz dauernden
(wenige Secunden) Beschleunigung nach Grosshirnabtrennuug und der
viertelstundenlangen Beschleunigung nach Mittelhirnverletzung auf-
merksam zu machen, sowie auf das Parallelgehen dieser letzteren
Beschleunigung mit den durch den gleichen Eingriff bewirkten mo-
torischen R e i z u n g s erscheinungen hinzuweisen. —
Um Hierhergehöriges soweit als möglich zu berühren, möchte
ich auch der beim Menschen unmittelbar nach Morphingenuss häufig
zu beobachtenden, übrigens ganz kurz vorübergehenden und nur ge-
ringen Beschleunigung der Athmung gedenken. Aus dem weiter oben
Erörterten ist zu vermuthen, dass man auch sie nicht als eine Folge
der durch Morphin (zuerst etwa im Sinne eines Zuwachses; geän-
derten Erregbarkeit betrachten darf. Vermuthlich ist sie der Aus-
druck beginnender cerebraler Verwirrung, wodurch der beschleuni-
gende Einfluss des Grosshirns zunächst vergrössert wird; zum Theil
wird aber eine verstärkte Muskelaction als Ursache zu beschuldigen
sein, die ihrerseits die Folge der psychischen Unruhe ist.
Wenn es mir gelungen ist, dem Praktiker mit meinen Ausein-
andersetzungen zu genügen, so muss ich jetzt dem Einwände begegneu,
der mir aus theoretischer Erwägung sicher gemacht werden würde,
wenn ich ihn hier nicht im Voraus discutire.
Das Athemcentrum, wird gesagt werden, veranlasst die Athem-
züge, es hat aber dann später keinen Einfluss auf das was zwischen
dem Blute und dem eingeathmeten Sauerstoffe sich ereignet. Das
Blut sättigt sich aber vollständig mit Sauerstoff in der Lunge und
daher muss es zu einem grösseren Zeitiutervall bis zum nächsten
Athmungsbedürfniss bei gesunkener Erregbarkeit kommen, als in
der Norm.
Diesem Einwände liegt eine durchaus unrichtige, darum aber
doch nicht seltene Vorstellung zu Grunde. Nach dieser unrichtigen
Vorstellung strömte das durch eine Inspiration gut arterialisirte Blut
von der Lunge zum Herzen und von da zur Medulla oblongata und
nun fehlt dort die Erregung; inzwischen wird der Sauerstoff der
Lungenluft verbraucht und wenn das Carotis -Blut anfängt venöser
zu werden, so kommt jedesmal wieder eine Inspiration u. s. w. So
ist der Vorgang aber glücklicherweise nicht. Wäre es so, so würden
wir aus Dyspnoe und Apnoe, also aus Cheyne-Stokes'scher Athmung
gar nicht mehr herauskommen. Denn im Momente unseres Athmungs-
bedürfnisses würden wir zunächst inspiriren, hierdurch aber nicht,
wie wir es so dringend nöthig haben, das Blut in den Capillareu
— 47
unserer Medulla oblongata arterialisiren , sondern das Blut in den
Lungencapillaren, das doch noch um die Länge eines halben Kreis-
laufes also 10—12 Secunden von der Einwirkung auf das verlängerte
Mark entfernt ist. Diese qualvollen 10 — 12 Secunden würden wir
mit zunehmender Dyspnoe athmen müssen bis dann allmählich das
gut arterialisirte Blut ankäme, und wir unter Abnahme der Athmung
in Apnoe versänken u. s. f. Unser Organismus aber hat sich besser
eingerichtet. Wo keine Cheyne-Stokes'sche, sondern eine rhythmische
Athmung besteht, da sieht man durch die Carotis stets gleiches
Blut fliessen und der Wechsel von Inspiration und Exspiration ändert
nichts; hierdurch bleibt der Reiz beständig gleich und die durch
diesen Reiz bewirkte Athmung kann gleichmässig, — rhythmisch -
bleiben. Sobald wir nämlich durch reichliche willkürlich verstärkte
Athmung den Sauerstoffgehalt (Partiardruck) der Luft in den Lungen-
alveolen für längere Zeit sehr gross gemacht haben, so sättigt sich
jedes durch die Lungencapillaren schwimmende rothe Blutkörper-
chen mit Sauerstoff vollständig und dann, so lange diese Verhält
nisse dauern ist der Reiz für das Athmungscentrum gleich Null. Hört
jetzt die willkürliche Ventilation auf, so nimmt der ü- Gehalt der
Lungenlnft allmählich ab und erst wenn jenes niedrige Minimum von
0- Gehalt (Partiardruck) erreicht und an einzelnen Punkten bereits
überschritten ist, bei welchem noch das rothe Blutkörperchen sich
sättigen kann, tritt eine Aenderuug ein. Jetzt passireu minder ge-
sättigte Blutkörper die Lunge und treffen in der Vena pulm»»nalis
und im linken Herzen mit ihren reicher bedachten Genossen zusam-
men und mischen sich. Vielleicht übertragen auch die reicheren
ihren 0 auf die ärmeren Körperchen, wie sie dies anderen O-ärmeren
Geweben gegenüber thun. Jedenfalls resultirt eine gleichmässige
Durchschnittsmischung. Sobald diese allmählich die zum Reize nö-
thige Venosität erreicht, setzt sich der Athemmechanismus in Gang,
welche den 0- Gehalt der Alveolenluft immer um jenes Minimum
herum schwanken lässt, bei welchem noch Sättigung stattfindet, so
dass zeitweilig (kurz nach der Inspiration) die rothen Blutkörper sich
sättigen können, zeitweilig aber (etwas später, sobald der 0 ausge-
nutzt ist) nicht. In den Capillaren schon, dann in der Vena pulino-
nalis und im linken Ventrikel vollzieht sich die Mischung, vielleicht
auch ein O-Ausgleich, und so strömt in die Carotis stets gleiches und
zwar nicht völlig arterialisirtes Blut. Dass der Sauerstoffgehalt
der Alveolenluft in der That um jenes Minimum herum schwanken
niuss, bald darüber, bald darunter und nicht anhaltend darüber blei-
ben kann, liegt eben in der Natur des Athemmechanismus; sobald
— 48
er einige Zeit andauernd sich darüber erheben wollte, so würde
das Blut sich vollständig mit 0 sättigen und es träte Apnoe ein
und die Ventilation hörte auf. Hierdurch entsteht jenes Balanciren
um den Grenzwerth herum. Ist nun die Erregbarkeit des Athmungs-
centrums geringer, so setzt sich der Mechanismus erst etwas später,
d. h. bei etwas venöserem Blute in Gang und da diejenigen Blut-
körperchen, welche kurz nach der Inspiration, also wenn der O-Gehalt
der Alveolenluft oberhalb des erforderlichen Minimums ist, sich voll-
ständig sättigen können, nachher mit im Vergleich zur Norm sehr
armen Genossen ihren Reicbthum zu theilen haben, so bleibt die Ge-
sammtheit eben arm, d. h. ärmer als in der Norm. Es wirthschaftet
also der Organismus andauernd mit venöserem A ortenblute und dieses
gibt einen gleichbleibenden Reiz, der eine gleichmässige anscheinend
normale Athmung veranlasst, welche den Gasverbrauch von nun an
vollständig deckt.
So dürfte denn wohl auch das theoretische Bedenken beseitigt
sein.
Nachdem wir nunmehr durch neue Mittel die alte Behauptung
bestärkt haben, dass durch Morphin die Erregbarkeit des Athmungs-
centrums progressiv sinkt, gewinnt die Thatsache, dass die periodi-
sche Athmung nur im ersten Stadium sich beobachten lässt und später
einer rhythmischen wieder Platz macht, ein neues Interesse. Denn
wir sehen von Neuem und zwar thatsächlich erwiesen, dass eine
blosse Verminderung der Erregbarkeit an und für sich, wie früher
geglaubt wurde, nicht genügt um periodische Athmung zu erzeu-
gen; sonst müsste ja in den späteren Stadien erst recht periodische
Athmung sein.
Für uns hat das Verschwinden der periodischen Athmung nichts
Befremdendes. Sie muss ja verschwinden, sobald die fortschreitende
Vergiftung die Erregbarkeit des vasomotorischen Centrums so weit
vermindert hat, dass jene ursprüngliche Differenz in der Erregbar-
keit dieses und des respiratorischen Centrums nicht mehr besteht, so
dass der Reiz zur Athmung nur noch vom Gaszustande des Blutes
geliefert wird und nicht mehr von Schwankungen der Blutzufuhr zum
Athmungscentrum. Dass die Erregbarkeit (nicht zu verwechseln
mit der Leistung) des vasomotorischen Centrums wirklich progressiv
abnimmt, lässt sich leicht zeigen: Es dauern die durch reichliche
künstliche Athmung veranlassten (apnoischen) Drucksenkungen länger
an als vorher.
49
C. Die Agone.
Sobald die Agone eintritt, gestalten sich diese Dinge ganz anders
Dann nimmt die Leistung des Athemcentrums ab; die Atbmung
wird seltener und verhältnissmässig flacher und während gleichzeitig
die Triebkräfte für die Blutcirculation (Blutdiuck, Heizleistung) ab-
nehmen erlischt die Athmung, bei noch einigerinaassen pulsirendem
Herzen. Das Blut wird zusehends venöser.
Hier scheint die Klippe zu sein, an welcher meine ganze Auf-
fassung von der Einwirkung des Morphins auf die Athmung scheitern
muss. Es wirkt ja natürlich das Moiphin jetzt nicht anders, als es
vorher gewirkt hat, die Erregbarkeit des respiratorischen Centrums
sinkt einfach weiter: — warum nimmt denn jetzt mit einem Male
auch die Leistung ab, von der mit so viel Nachdruck gesagt ist,
sie sei unabhängig von der Erregbarkeit?
Ein genaueres Erwägen der Lebensbedingungen des Athmungs-
centrums führt uns aber zur Erkenntniss, dass diese Beobachtung
durchaus nicht im Widerspruche zu der früher erörterten Auffassung
steht, sondern im Gegentheil sich willig unterordnet.
Der Spielraum innerhalb dessen die Erregbarkeit des Athmungs-
centrums in Folge einer Vergiftung sinken kann ohne die nöthigsten
vitalen Leistungen zu beeinträchtigen, ist kein unbegrenzter. Je mehr
die Erregbarkeit sinkt, um so venöser wird das Blut. Es gibt aber
eine Grenze, über welche die Venosität nicht gehen darf, wenn die
Restitution des die Lebensvorgänge bedingenden Stoffverbrauchs noch
möglich sein soll. Sobald die Erregbarkeit so weit gesunken ist,
dass das Blut, um den erforderlichen Reiz zu liefern, jenseits dieser
Grenze venös ist, so treten Folgen auf, die (direct) unabhängig von
der Giltwirkung sind und deren nächste Ursache die asphyktische
Beschaffenheit des Blutes ist. Dann sinkt unabhängig von der Gift-
wirkung mehr oder weniger schnell die Erregbarkeit und die Lei-
stungsfähigkeit des Athmungscentrums, — dann geht es aber auch
zum Tode. Dies ist das Stadium, in welchem unter glücklichen Um-
ständen, d. h. bei der Grenzdosis des Giftes, die Thiere durch künst-
liche Athmung zu retten sind, welche man meiner Meinung nach auch
bei Morphinvergiftung von Menschen, — sobald Agone droht, — be-
nutzen sollte. —
Einer interessanten Form der Agone entstammen die Curven
Tafel VHI. Fig. 19 und 20. Sie betreffen ein vagotomirtes Thier,
welches 0,2 Morphin schlechter vertrug als andere Kaninchen. Hier
sieht man vereinzelte kräftige Athemzüge, die durch grössere Pausen
Fileune, Einwirkung d. Morphins auf d. Athuiuiiü- i
50
getrennt sind. Die Blutdruckscurve zeigt hinter der Athmung ein
Ansteigen; auf der Curve werden von hier an die Herzelevationen
wieder deutlich, die zum Schlüsse der Pause und über der Athmung
sich gar nicht mehr markiren. Dann sinkt allmählich der Druck,
die Herzelevationen werden wieder undeutlich und verschwinden u. s. f.
In Fig. 20, welche etwas später als 19 gewonnen ist, sind die Herz-
elevationen noch unbedeutender. Mit der zufühlenden Hand konnte
man über der Brust das Schwächerwerden des Herzschlages eben-
falls constatiren. Die Erklärung dieser Erscheinungen ist leicht. Die
Athmung tritt ein, weil erstens das Blut venöser geworden ist und
zweitens weil in Folge Erlahmens der Triebkräfte (Sinken des Druckes
bei schwächer werdendem Herzschlage) die Blutzufuhr zur Medulla
oblongata sich vermindert. Dieser Athemzug verbessert das Blut,
stärkt vorübergehend die Circulationsorgane und führt eine relative
Apnoe herbei, der durch Venöserwerden des Blutes und Erlahmen
der Circulationsorgane wieder ein Ende gemacht wird u. s. f. Hier
haben wir wieder eine Athmungsform vor uns, bei welcher das Blut
keine constante Zusammensetzung behält, sondern es wechseln dys-
pnoische und relativ apnoische Beschaffenheit des Blutes, wovon
man sich direct überzeugen kann durch Betrachten der Farbe der
Carotis resp. des Blutes. Das Wesen dieses periodischen Wechsels
in Blutbeschaffenheit und Athmung ist aber ein ganz anderes, als das
in dem ersten Stadium: hier ist es das periodische Sinken der
Triebkräfte, eine paralytische Abnahme der Erregungen,
welche weniger Blut in das verlängerte Mark gelangen lässt, wäh-
rend dort eine Zunahme von Erregungen, Contractionen von Hirn-
arterien (und eventuell bei intacten Vagis Erregung von Hemmungs-
mechanismen) den Blutzufluss sogar bei steigenden Triebkräften
vermindern.
Die Curven Fig. 19 und 20 geben offenbar auch ein Bild jener
Vorgänge, welche bei so vielen sterbenden Menschen in der Agone
stattfinden. Wie oft sieht man hier vereinzelte seltene und dabei
tiefe, selbst dyspnoische Athemzüge, die vermuthlich auf dem glei-
chen Zusammentreffen des doppelten Reizes, der Venosität und des
sinkenden Druckes, beruhen, wo das Sinken des Druckes gerade
die Folge der übermässigen Venosität ist und wo jeder Athemzug
die ersterbende Circulation vorübergehend wieder belebt.
Schluss.
Für die ärztliche Anwendung des Morphins bei Dyspnoen
lässt sich von dem Standpunkte aus, auf den wir durch unsere Un-
51
tersuchung gelangt sind, einiges aussagen und ich betrachte es als
einen erfreulichen Beweis für die Zulässigkeit unserer Anschauung,
dass erfahrene Praktiker längst in dem zu präcisirenden Modus das
Morphin anwenden , während meistens in den Lehrbüchern der Ma-
teria medica das Morphin als ein sehr bedenkliches Mittel bei Dys-
pnoen genannt ist. Wie mir scheint, kann man folgende zwei Regeln
aufstellen :
1. Wo die Athemnoth bei einem Kranken darauf beruht, dass
zu wenig Blut in die Medulla oblongata strömt, während ein Hin-
derniss für die Arterialisation in der Lunge nicht besteht, - - da ist
die Anwendung des Morphins in Dosen, welche die Athmung auf
den normalen Typus reduciren, durchaus zulässig und sogar
empfehlenswerth.
2. Wo dagegen die Athemnoth dadurch erzeugt ist, dass der
Arterialisation des Blutes in der Lunge ein Hinderniss entgegensteht,
welches nur durch verstärkte Athmung compensirt oder verringert
werden kann, — da ist das Morphin nur mit aus s erster Vor-
sicht anzuwenden.
Die Regel 1. umfasst alle Fälle mit Circulationsstörungen , vom
pericardialen Erguss bis zu den Compensationsstttrungen der Klappen-
fehler und sonstiger zu compensatorischer Herzhypertrophie führender
Leiden. Die Regel 2. gilt den Larynx- und Trachealstenosen, den Zu-
ständen von suffocativem Bronchialkatarrh und sonstigen Affectionen,
welche den Luftzutritt zu den Alveolen erschweren. Die Begründung
dieser beiden Regeln ist folgende. In den unter 1. zu nennenden
Circulationsstörungen, in denen zu wenig Blut zur Medulla oblongata
fliesst, ist dies Blut absolut apnoisch, da die geringe Blutmenge bei
ihrem Durchgang durch die Lungencapillaren in Folge der verstärkten
Athmung sich vollständig mit 0 sättigen musste, — was ich nirgend
erörtert finde. Dieselbe absolut apnoische Beschaffenheit des Blutes
wäre aber auch durch eine nur massig verstärkte Athmung zu erreichen.
Ja, in Anbetracht dessen, dass die durch die Lunge strömende Blut-
menge vermindert ist und dass sie langsamer durch die Lun-
gencapillaren fliesst, würde zur absoluten O-Sättigung desselben ver-
muthlich schon eine normale Athmung ausreichen. Die Dyspnoe
ist also ganz nutzlos und sogar schädlich, weil sie eine verhäng-
nissvolle Erschöpfung des Nervensystems, eine Ermüdung der Athem-
muskeln herbeiführen kann und weil sie in Folge vermehrter Muskel-
leistung und allgemeiner Unruhe einen grösseren Athmungs bedarf
erzeugt. Diese Dyspnoe bis zu annähernd normaler Athmung zu
reduciren ist daher in keiner Weise schädlich und in mehrfacher
4*
52
Beziehung nützlich. Dass dies durch Morphin gelingt, lehrt die täg-
liche Erfahrung am Krankenbette. Vom Standpunkte unserer Auf-
fassung aus ist diese Verminderung der Leistung durch Morphin durch-
aus begreiflich. Der Reiz, bedingt durch ungenügende Zufuhr eines
apnoischen Blutes ist ein gegebener und durch die Athmung unbe-
einflusster. Sobald die Erregbarkeit des Athmungscentrums durch
Morphin verringert wird, muss dieses durch den constant bleibenden
Reiz weniger erregt werden, als vorher. Wo also der Reiz nicht
durch dieVenosität des Blutes bedingt wird, sondern durch die
Athmung unbeeinflusst "bleibt, da nimmt die Leistung
zunächst mit der Erregbarkeit ab.
Rechnen wir jetzt noch die Erleichterung hinzu, die wir dem
Patienten durch Beseitigung der Athemnoth verschaffen, so wird
unsere Regel 1. wohl als genügend gerechtfertigt erscheinen.
Ganz anders liegt die Sache für die unter 2. zu rechnenden
Fälle mit behindertem Lungen-Gas Wechsel. Hier ist die
Dyspnoe eine compensatorische. Jeder Nachlass der Athmungsarbeit
würde an und für sich eine Verschlechterung des Blutzustandes her-
beiführen. Bedenken wir noch, dass die Einführung von Morphin
ebenfalls an und für sich (in Folge der Verminderung der Erregbar-
keit des Athemcentrums) ein Venöserwerden des Blutes veranlasst,
so würde schon hieraus sich die Berechtigung unserer Regel 2. er-
geben. Die Erfahrung zeigt überdies, dass jene Dyspnoen durch
Morphin überhaupt nicht völlig gehoben werden (Fälle von indi-
recter Wirkung, z. B. durch Beseitigung eines Bronchialkrampfes
u. ä. abgerechnet). Wir würden also nur die Psyche entlasten,
den Gaszustand des Blutes etwas verschlechtern und die Dyspnoe
nicht beseitigen. Auch diese verhältnissmäsige Machtlosigkeit des
Morphins diesen Dyspnoen gegenüber ist leicht begreiflich. Eliminirt
werden die psychischen Einflüsse, verringert wird der Muskeltonus
und damit der Athmungsbedarf ebenfalls, und so mindert sich die
Dyspnoe etwas. Da aber auch hier der Reiz durch die Venosität
des Blutes bedingt wird, so gilt auch für diese Fälle, dass (Asphyxie
abgerechnet) die Erregbarkeitsverminderung die Leistung nicht pro-
portional herabsetzt: Dyspnoe besteht weiter und die einzige Folge
einer weiteren Erregbarkeitsverminderung ist die Zunahme der Ve-
nosität. So glaube ich also vorbehaltlich des Machtwortes der Praxis,
die Regel 2. genügend gerechtfertigt zu haben. —
Bezüglich der Theorie der Morphinwirkung wäre vielleicht noch
zu erwägen, wie weit unsere Ergebnisse in Einklang stehen mit dem
sehr interessanten Schema Witkowski's. Witkowski zieht näm-
— 53 —
lieh eine Parallele zwischen der Morphinwirkung und einer Schicht
weisen, beim Grosshirn beginnenden Abtragung des Centralnerven-
systems. Im Grossen und Ganzen ist dieser Vergleich ja zweifellos
zutreffend. Selbstverständlich aber wird wohl Witkowski selber
diesen Vergleich nicht allzu wörtlich nehmen, denn bei fortschreiten-
der Vergiftung zeigen sich weiter abwärts gelegene Abschnitte schon
ergriffen bevor die höher gelegenen gänzlich eliminirt sind. So er-
fahren im ersten Stadium die spinalen Reflexe eine Abschwächung,
bevor die Zeichen einer maximalen Wirkung auf das Grosshirn aus-
gesprochen sind; so lässt sich, wie ich aus persönlicher Mittheilung
durch Herrn Rosenthal erfahre, ein leidliches Fungiren des Gross -
hirns noch constatiren , wenn bei Kaninchen auf energische Reizung
eines sensiblen Nerven kein Schreien mehr erfolgt '), während nicht
vergiftete Kaninchen gereizt noch schreien, wenn ihnen das Gross-
hirn abgetragen ist: es ist also der das Schreien vermittelnde, ver-
muthlich im Mittelhirn gelegene Centralapparat früher gänzlich, ge-
lähmt, als das Grosshirn. Auch unsere Erfahrungen, nach denen das
Athemcentrum früher resp. stärker zuerst von der Giftwirkung er-
griffen wird, als die ihm benachbarten, zum Theil sogar höher ge-
legenen Centren der Vasomotion, des Herzvagus (und, wie ich früher
zeigte, auch der Pupillenerweiterung und der „Krämpfe"), zeigt dass
die im Ganzen durchaus zutreffende Witkowski 'sehe Regel nicht
schematisirt werden darf. So leidet ferner im späteren Stadium das
vasomotorische Centrum, wie wir sahen, wieder verhältnissmässi-
mehr als das Athmungscentrum. Bei dieser Gelegenheit will ich
auch einen irrigen, von mir früher geäusserten Gedanken -) erledigen.
Damals sagte ich: „Es wäre denkbar, dass die beim Cheyne-
Stokcs'schen Phänomen sich documentirende Differenz zwischen der
Erregbarkeit des vasomotorischen und derjenigen des respiratorischen
Gesammt-Apparates sich entwickelte, während das vasomot* iri-
sche und respiratorische Centrum gleiche Einbussen ihrer Erreg-
barkeit erfahren hätten. Hierzu wäre nur erforderlich, dass die jenen
Centren gehorchenden peripherischen Endorgane (Athemmuskeln resp.
Ringmusculatur der kleineren Arterien) eines verschiedenen Mini-
mums der zugeleiteten Erregung bedürfen, um eben die ihnen ob-
liegende Leistung auszuführen".
1) Dass Kaninchen auch nach operativer Entfernung des Grosshirns noch
schreien, nach Morphinisiruug aher trotz erhaltenem Grosshirn dies nicht mehr
thuu, erwähnt Rosenthal in d. Anm. S. 54 seiner Schrill: ^Bemerkungen über
d. Thätigk. d. autom. Nervencentra u. s. w. Erlangen 1S75.
2) Berl. klin. Wochenschr. 1S74. No. 35.
54
Dieser Gedanke muss aufgegeben werden. Abgesehen von allen
Erwägungen sprechen eigens von mir zur Prüfung dieser Idee ange-
stellte Versuche gegen dieselbe. Es genügt, um vom Phrenicus aus
das Zwerchfell zu Contractionen zu bringen, ein viel schwächerer
Reiz, als um vom Hals Sympathicus aus Gefässverengerung und Pu-
pillenerweiterung zu erzwingen. (Durch Einschaltung von 10000
S.-Einheiten Widerstand in den den Nerven enthaltenden Kreis suchte
ich mich von etwaigen Ungleichheiten des elektrischen Widerstandes
der übrigens fast gleich dicken Nerven unabhängig zu machen.) Der
Unterschied war beträchtlich: 250 Mm. Rollcnabstand beim Phrenicus,
110 beim Hals-Sympathicus in einem Falle.
Es ist also das Athmungscentrum im ersten Stadium der Mor-
phinvergiftung in Wirklichkeit für stärker betroffen anzusehen, als
die benachbarten Centren.
Anhangsweise will ich noch erwähnen, dass die von Witkowski
geäusserte Vermuthung: die von Gscheidlen im ersten Stadium
gesehenen und von ihm als directe Morphinwirkung gedeuteten Er-
regungen des vasomotorischen und des Vaguscentrums möchten wohl
indirecte Erregungen sein, — durchaus das Richtige trifft. Führt
man nämlich bei jenen Vorkommnissen eine massige künstliche Ath-
mung aus, so nimmt der Druck sofort ab und die Pulsfrequenz zu.
Jene vorher beobachtete Drucksteigerung und Pulsverlangsamung
kommt also dadurch zu Stande, dass das Blut in Folge einseitig ge-
sunkener Erregbarkeit des Athemcentrums venöser geworden ist und
dadurch eine Erregung der minder geschädigten beiden anderen Cen-
tren (Vagus- und Vasomotionscentrum) veranlasst. Bei von vorn-
herein bestehender, nicht apnoisirender künstlicher Athmung treten
jene Erregungen nie auf.
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Filehne
üeher die einwirkuns des morphins