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Pohl, Carl
Ueber Lucian und seine
Stellung zim Christenthume
423>6
.?64
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Jahresbericht
über das
Königliche katholische 8t. Matthias -Gymnasium
zu Breslau
ffir das Schuljahr 1870— 1871
mit welchem
zur öffentlichen
Prüfung aller Glassen nnd zur Schlussfeier
am 14. 15. 16. August
ergebenst einladet
der Director des Gryinnasiums
Dr. Ant. Jos. Beisacker.
,, - Voran geht eiue wissenschaftliche Abhandlung:
^' Ueber Lncian und seine Stellung zum Christenthume. Vom Oberlehrer Dr. Carl Pohl,
Breslau,
I>ruck von Eobert jSTisclikowsky.
1871.
JUL 131967
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-nv ü?
lieber Lucian und seine Stellung' zum Christenthume.
Wi,
ie es eine offene Frage ist, ob die mitunter sehr auffallende Uebereinstimmung der philosophischen
Lehrsätze Senecas mit den Wahrheiten des Christenthums dem Zufalle oder dem Einflüsse der Pre-
digten und Briefe des Weltapostels Paulus zuzuschreiben sei ' ) ; so sind auch über die Stellung
Lucians zum Christenthume die Akten noch keineswegs als geschlossen anzusehen. Kaum über
einen andern Gegenstand gehen die Ansichten der Gelehrten weiter aus- und bunter durch einander.
Während die Einen ^) unsern Samosatenser als einen frivolen Spötter und hämischen Feind des Chri-
stenthums brandmarken; suchen Andere ^) ihn vor solchen Angriffen, die nur von einer voreiligen
Auslegung seiner Schriften herrührten, in Schutz zu nehmen, wenn sie nicht gar'*) in ihm einen gehei-
men Anhänger, einen bewussten oder unbewussten Apologeten des Christenthums erblicken. Noch
Andere^) schlagen den zwischen jenen extremen Meinungen sich schlängelnden Mittelweg ein. Es
lässt sich diese Erscheinung leicht aus dem Dilemma erklären, dass wir bei Fragen über den persön-
lichen Charakter Lucians und den seiner Zeit, über seine Glaubensansicht sowie über die Tendenz
und Glaubwürdigkeit seiner Schriften fast einzig und allein auf diese letzteren angewiesen sind, deren
Auffassung und Auslegung hinwiederum abhängig ist von dem Vorurtheile, von welchem man sich für
oder gegen den Verfasser hat einnehmen lassen. Nun giebt es aber unter den 80 erhaltenen Lucians
*) Hierüber handelt das in den Heidelberger Jahrbüchern der Literatur für 1854 Seite 13 ff. recensirte Werk:
„Saint Paul et Sdneque. Eecherches sur les rapports du philosophe avec l'apotre et sur Tinfiltration du Christianisme
naissant k travers le paganisme par Amad^e Fleury." Paris 1853.
2) An ihrer Spitze der Scholiast des Lucian und Suidas. Siehe weiter unten Anmerk. 12 u. 42. Nach ihm haben
das Verdammungsurtheil über Lucian ausgesprochen Daniel Peucer, Tobias Krebs, Heinr. Mücke, deren hierauf
bezügliche Abhandlungen bereits dem vorigen Jahrhunderte (Leipz. 1742, 69, 88) gehören. Ihnen schlössen sich an
Eichstädt, Augusti, anfänglich auch Tzschirner, Lehmann und andere, deren Hermann Kühn in seiner dem Programme
der Landesschule zu Grimma v. J. 1844 vorausgehenden commentatio erwähnt; zuletzt noch Emil Struve im Gör-
litzer Progr. 1849 und Adolf Plank in seinem im 4. Hefte der theolog. Studien und Kritiken 1851 erschienenen Auf-
sätze: „Lucian und das Christenthum."
3) Namentlich Burmeister in seiner ,, commentatio, qua Lucianum scriptis suis libros sacros irrisisse negatur."
Güstrow 1843 und der eben erst genannte Kühn.
4) Wie bereits Job. Phil. Treuner in seiner theologia Luciana 1697 und in neuerer Zeit Aug. Kestner in seiner
mit einem grossen Aufwände von Gelehrsamkeit und Scharfsinn verfassten Schrift: „Die Agape oder der geheime
Weltbund der Christen." Jena 1819.
ö) Zu ihnen möchte ich zählen den verstorbenen unvergesslichen Director unserer Anstalt Dr. August Wissowa
wegen seiner in den Programmen von 1848 u. 53 gelieferten aus Lucians Schriften geschupften Beiträgen zur Innern
Geschichte des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts, sowie den noch lebenden um Lucian hochverdienten Director
Julius Sommerbrodt, der am Schlüsse der allgemeinen Einleitung zu der von ihm besorgten Ausgabe „ausgewählter
Schriften des Lucian" die Stellung dieses Autors zum Christenthume ebenso kurz wie trefflich beleuchtet hat.
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II
Namen an sich tragenden zu verschiedenen Zeiten entstandenen verschiedenartigen Schriften nur zwei,
worin von den Christen und ihren Glaubenslehren Rede ist, nämlich: Philopatris, der Vaterlandsfreund,
und das Lebensende desPeregrinus. Indem erstgenannten Dialoge betheuert Triephon seinem Freunde
Kritias bei dem „hochwaltenden, ewigen Gotte, bei dem Sohne des Vaters und bei dem Geiste, der ausgehe
vom Vater, Eines aus Dreien und Drei aus Einem, er sei mit einem Galiläer bekannt worden, einem
Manne mit einer Glatze und einer grossen Nase, der in den dritten Himmel entrückt dort die schön-
sten Dinge gelernt, der ihn mittelst Wasser erneuert, auf den Weg der Seligen geführt und aus dem
Reiche der Gottlosen erlöst habe ;" er verspricht, seinen Freund, wenn er ihm zuhören wolle, auch
zu einem neuen, wahren Menschen zu machen und beginnt auf dessen Bereitwilligkeitserklärung
damit, ihm die Schöpfungsgeschichte fast übereinstimmend mit den Worten der Genesis zu erzählen :
„wie ein unvergängliches, unbegreifliches Licht die Finsterniss und die wüste Unordnung der Dinge
mit einem einzigen von ihm gesprochenen Worte gelöst, die Erde über den Wassern festgemacht und
den Himmel darüber gespannt, die Gestirne gebildet und ihnen ihren Lauf angewiesen, die Erde mit
Blumen geschmückt und den Menschen aus dem Nichts ins Dasein geführt habe ;" er setzt hinzu,
„dass dieser Liehtgott vom Himmel her die Gerechten und Ungerechten beobachte und eines Jeg-
lichen Thaten in ein Buch schreibe und Allen vergelten werde an dem Tage, den er dazu ausersehen."
Doch diesen Dialog können wir hier füglich ausser Acht lassen, weil seine Aechtheit aus Innern wie
äussern Gründen bezweifelt wird und Matthias Gessner's^) Vermuthung, dass derselbe von einem
Jüngern Lucian herrühre, an welchen noch ein Brief (der 32.) des Kaisers Julian vorhanden sei, bis-
her nicht widerlegt ist, vielmehr einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit für sich hat. Hiernach
wäre die Schrift nicht gegen die Montanisten '^)j sondern gegen die unter der Regierung des abtrünni-
gen Julian unzufriedenen Christen gerichtet, deren Glauben an den dreieinigen Gott, an die mosaische
Darstellung der Weltschöpfung und an eine ewige Vergeltung nur so gelegentlich (in Kp. 12, 13 u. 17)
verspottet wird. Es bleibt uns also nur die andere Schrift Lucians vom Lebensende des Peregrinus,
deren Aechtheit weniger in Zweifel gezogen wird, zur Betrachtung und Ausbeute für unsere Ansicht
übrig. Ehe ich diese näher entwickele, will ich den Inhalt der Schrift kurz referiren :
Lucian ruft seinem Freunde Kronios, dem die Schrift gewidmet ist, wie exaltirt entgegen: So
hat denn der erbärmliche Peregrinus ein seines Beinamens Proteus würdiges Ende gefunden! Nach-
dem er vorher alles Mögliche gewesen, ist er zuletzt zu Feuer gewordenl Zwar hat er sich nicht,
wie einst Empedokles von Niemandem gesehen in den Krater des Aetna, sondern bei dem besuchte-
sten aller griechischen Volksfeste vor Tausenden von Zuschauern in die Flammen eines eigens dazu
errichteten Scheiterhaufens gestürzt. 0 der hirnverbrannte, ehrsüchtige Geck! wirst Du sagen.
Und ich habe auch so gesprochen, ob ich gleich neben dem Holzstosse stand; aber die Menge, denen
der wahnwitzige Alte ein Gegenstand der Bewunderung war, hat mir das sehr übel genommen und
fast wäre ich nebst den Wenigen, die mit mir lachten, von den Cynikern ebenso zerrissen worden,
wie Aktäon von seinen Hunden. Nun lass Dir einmal den Hergang des abenteuerlichen Dramas
erzählen. Gleich nach meiner Ankunft in Elis schlendere ich nach dem dortigen Gymnasium, wo
*) Siehe dessen „dispwtatio de aetate et auctore dialogi Lucianei, qui Philopatris inscribitur" cp. 42 in der Leh-
raannschen Ausgabe des Lucian Bd. IX. p. 684.
7) Wie Kestner meint in der oben genannten Agape S. 418. Andere, wie Theodor Marcilius und Samuel Grell,
setzen, in dem Kap. 12 des Dialogs erwähnten Galiläer den Apostel Paulus oder gar den Heiland selbst erkennend,
die Abfassung in das erste christliche Jahrhundert unter die Regierung des Kaisers Claudius oder Nero. Da jedoch
die hier angebrachten Vergleiche, Anspielungen, bon mots sich in andern Dialogen Lucians wieder finden; so kann
nur ein apäterer, geschickter Nachahmer desselben für den Verfasser gehalten werden.
III
eben ein Cyniker, Theagenes mit Namen, sein triviales Tugendgeschwätz ableiert und auf alle Men-
schen weidlich schimpft. Wie er aber auf den Proteus kommt, da mag er des Lobes kein Ende
finden. Wie kann man, schrie er, einen so edlen Mann, der in Syrien gefangen lag, der seiner Vater-
stadt 5000 Talente schenkte, dessen Name herrlicher strahlt als die Sonne, der eitlen Ruhmsucht
bezüchtigen, weil er beschlossen hat, durch Flammen aus der Welt zu gehen? Hat nicht Herakles
ein Gleiches gethan? Ja, die grössten Wunderwerke der Welt sind der olympische Zeus und Pro-
teus; jenen hat Phidias, diesen die Natur geschaffen. Nun aber steigt dies Götterbild aus dem
Kreise der Menschen, von Flammen getragen, zu den Göttern empor, uns als Waisen verlassend **).
Auf diesen überspannten Lobredner, der zuletzt heulte und sich die Haare zerraufte, folgte ein
Anderer, gleichsam ein Demokrit auf den Heraklit. Der entwarf von dem säubern Götterbilde eine
ganz andere Charakteristik. Wollte man auch, sagte er, von seinen Jugendsünden ^) absehen ; so ist
es doch allgemein bekannt, dass er seinen Vater, einen sechzigjährigen Greis, weil er ihm zu lange
lebte, erdrosselt hat. Seitdem irrte er unstät und flüchtig von Land zu Land. Und so geschah es
denn, dass er auch die wundersame^") Weisheit der Christen kennen lernte, mit deren Priestern und
Schriftgelehrten er in Palästina Umgang gepflogen. Und bald brachte er es so weit, dass seine
Lehrer nur Kinder gegen ihn zu sein schienen. Er ward Prophet, Thiasarch , Synagogeus , kurz
Alles in Allem. Er legte ihre Schriften aus, verfasste selbst deren in Menge, so dass sie ihn sogar
für einen Gott ansahen, sich Gesetze von ihm geben Hessen und ihn zu ihrem Vorsteher ernanuten. —
Es folgt nun die vielfach beanstandete ^ ^), plötzlich auf Christus tiberspringende und den Zusammen-
hang scheinbar störende Parenthese: Sie verehren nämlich noch jenen grossen Men-
schen^^), der in Palästina gekreuzigt wurde, weil er dieses neue Mysterium in's
8) Dieser Passus: aXkcc vvv i^ av&Qcöncov sig &sovg t6 ayaXfia xovxo 0ip]6STCci, cxov[i£vov tnl zov TCVQog,
OQff ttvovg rjii&g yaraltitov — ist, beiläufig bemerkt, von einigen Auslegern als eine spöttische Anspielung
Lucians auf Christi Hinamelfahrt betrachtet worden, der bei Johannes XIV, 18 zu den über seinen nahen Hingang
trauernden Aposteln das Trostwort gesprochen: ovy, dtpi^aco vu&g oQqiavovg; doch ohne hinreichenden Grund,
Denn wenn bei Lucian die Lehrer und Häupter philosophischer Sekten von ihren Schülern und Anhängern an vielen
Stellen, ja selbst in dieser Schrift weiter unten „Väter" und diese von jenen „Kinder oder Söhne" genannt werden;
so kann es nicht auffallen, dass die ihres Vaters beraubten Kinder hier einmal „Waisen" heissen.
9) Dieselben sind im Vorhergehenden schonungslos aufgedeckt; ich habe sie Anstandshalber hier übergangen.
*0) Gleich bei diesem unschuldigen Epitheton geräth der Scholiast des Lucian so in Harnisch, dass er ausruft:
„&av(iaaTri fihv ovv, m (iiuqs, %al navxog insxsiva &avii,aiog, sl aal aol ivcplm ovzl nal ccXa'^övi, t6 kÜÄIos ccvt^g
CCVSTtiCKSTttOV V,al ä&f:CiTOV."
11) Man stösst sich hier an die Verbindungspartikel yovv, welche bei Lucian, wie sich durch viele Beispiele nach-
weisen lässt, nicht blos eine einschränkende, sondern gleich dem lateinischen quidem auch eine erläuternde Bedeu-
tung hat. Es ist daher nicht nöthig, wie vorgeschlagen worden, dafür yccQ zu setzen. Was nun den Zusammenhang
der Stelle: „zov [lEyaf yovv iyiaivov sti cäßovöiv ixvd'Qanov zov iv II«7MiGtiv'rj a.vaoy.o'kome&svza, bri %aivtjvzavt'r\v
zslezriv slgiqyaysv ig zov ßlov" mit dem Vorangehenden betriift; so lässt sich dieser nach meinem Bedünken am ein-
fachsten so auffassen: ,,Die Christen machten den Proteus, der immer höhere Weihen und Würden erlangt hatte, zu
ihrem Bischof (7r()0(rTa:T7js ist hier Zweifelsohne gleichbedeutend mit inloKOTtog). Sie handelten hierin ganz nach der
Vorschrift Christi, der die hierarchische Ordnung, namentlich den Episkopat in seiner Kirche eingesetzt hat und dem
sie noch heut ihre Ehrfurcht bezeigen. Einige Abschreiber Lucians, welche die Gedankeulücke nicht auszufüllen
vermochten, bezeichneten die angeführte Stelle als ein unächtes Einschiebsel; andere gingen in ihrem blinden Eifer
so weit, dass sie die ganze Schrift als eine gottlose in ihren Handschriften wegliessen, weil sie sich einbildeten, der
frivole Spötter müsse sich hier noch andere grobe Lästerungen gegen Christus erlaubt haben.
12) Sehr bestechend ist Gessner's Conjectur rov (läYOv statt röv (isyav. Sie entspricht gewiss der Vorstellung^
welche sich Lucian von Christus gebildet haben mochte, der ihn wohl mit Apollonius von Tyana oder mit Simon dem
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IV
Leben einführte. Der Lästerer fährt hierauf also fort: Damals ward denn nun auf Grund
dessen ^ ^) auch Proteus ergriffen und in's Gefängniss geworfen, ein Umstand, der am meisten dazu
beitrug, ihm für die ganze Folgezeit eine Berühmtheit zu verschaffen und seinen Hang zu wunder-
baren Abenteuern nährte. Die Christen versuchten alles Mögliche, ihn zu befreien, und da dies nicht
gelang, erwiesen sie ihm die sorgsamste Pflege. Mit Tagesanbruch schon sah man Matronen ^ *),
Wittwen und Waisen sein Gefängniss umlagern ; die Vornehmeren aber bestachen die Wächter und
brachten ganze Nächte bei ihm zu. Sodann wurden die räthselhaften Mahlzeiten hineingeschafft und
die heilige Lesung ^^) gehalten. Kurz der liebe Peregrin (so nannten sie ihn damals noch) war
ihnen nichts Geringeres, als ein neuer Sokrates*^). Selbst aus einigen Städten Kleinasiens ^ ^)
kamen Abgeordnete der christlichen Gemeinden, ihm Trost, Hülfe und gerichtlichen Beistand zu
gewähren. Denn diese Leute sind ungemein schnell bei der Hand, wenn es eine gemeinsame Ange-
legenheit gilt; sie sparen dann Nichts. So flössen denn auch damals dem Peregrinus Gelder von
allen Seiten zu, so dass seine Gefangenschaft ihm eine reiche Einnahme verschaffte. Es haben
sich nämlich die Unglücklichen eingeredet, dass sie an Leib und Seele (tö \ikv
Magier auf gleiche Stufe stellte. Natürlich muss dann der Artikel vor av&QConov wiederholt werden. Jedenfalls
hat der Scholiast dieselbe Lesart vor Augen gehabt. Dass Christus ein ,,Wunderthäter" genannt wird, lässt er noch
hingehen ; dass er aber schlechthin als „Mensch" bezeichnet wird, glaubt er rügen zu müssen und wenn er bei der
Gelegenheit Lucian auch nicht, wie oben, einen Kuchlosen, einen Blinden, einen Aufschneider schilt, so wirft er ihm
wenigstens einen „Windbeutel" an den Hals, indem er zu tov ccv&Qconov corrigirend hinzusetzt: xov aXrjQ'ri &s6v kccI
teXsLOV avd'QcoTtov, tov xov navxög, (ö l'^QS, noirjrrjv. Ich möchte jedoch mit Lehmann die handschriftliche Lesart
„TOV (i8'/av — av&QcoTtov" beibehalten. Lucian nennt Christum „den grossen Menschen" nicht aus Ueberzeugung
von "seiner Hoheit und gottmenschlichen Würde, — soweit war er in seiner Erkenntniss nicht vorgedrungen, — son-
dern um Effect zu machen, nach dem er als sophistischer Ehetor und gewandter Phrasendrechsler überall hascht. Zu
dem Ende stellt er hier einen doppelten Contrast auf. Der (isyccg wird im unmittelbar Folgenden ein avaßKoXo-
nie&elg genannt. Dem Ungläubigen dünkt natürlich das Kreuz eine Thorheit und dieser machen sich, nach seiner
Meinung, die Christen schuldig, indem sie einen Gekreuzigten als grossen Mann verehren. Aber auch zu dem im
Vorhergehenden abconterfeiten Proteus soll der fisyag contrastiren. Der Jünger ist ja nicht über dem Meister. Wenn
nun des Letzteren Grösse in der schmachvollen Erniedrigung am Kreuze endete, so darf sich Proteus auf seine Würde
als TiQOGtc'nrjg, die er bei den Christen erlangte, erst recht nichts zu Gute thun. Noch weniger haben die Christen
Ursache stolz darauf zu sein, dass sie einen solchen Wicht, wie Proteus, zum Bischof gemacht.
13) inl xovzcp d. h. weil er Christ und sogar Bischof war. Wahrscheinlich geschah dies zur Zeit -des Kaisers
Hadrian. Dabei hat man sich aus dem Zusammenhange zu dem xöxs 8rj zu ergänzen: wie früher einst Christus
ergriffen worden war.
14) Vielleicht waren es Diakonissinnen, die hier YQat'dia heissen; die dahinter erwähnten Vornehmen {ol iv
zeXei) aber Diakonen und Priester.
15) Die ÖHTtva Ttoi-nlXa und Xoyoi, Uqol deuten offenbar auf das eucharistische Opfer. Da die Christen selbst
davon nicht reden durften, so verbreitete man darüber allerhand Gerüchte; ja man beschuldigte dieselben, dass sie bei
ihren nächtlichen Zusammenkünften ein Kind tödteten, es brieten, mit Mehl bestreuten und ässen, zugleich mit
Brot, welches sie in das Blut des Kindes getaucht hätten. Wie die heil. Messe damals celebrirt wurde, davon kann
man nach den Worten des heil. Märtyrers Justinus auch in Stollberg's Geschichte der Religion Jesu Christi Th. VHI
S. 19 ff. die Beschreibung lesen.
lö) Es ist nicht anzunehmen, dass die Christen selbst ihrem des Glaubens wegen eingekerkerten Bekenner die-
sen Beinamen sollten gegeben haben. Lucian will nur die hohe Verehrung, welche Peregrinus bei den Christen
gcnoss und welche er oben als eine göttliche bezeichnet hat, aufs Neue persifliren.
17) Die Einkerkerung fand nämlich in Syrien statt, was bereits Kap. 4 gesagt und wiederum aus dem Folgenden
zu ersehen ist.
SXov) unsterblich sein und in Ewigkeit leben werden. Deshalb verachten sie
denn auch den Tod und tiberliefern sich demselben oft freiwillig. Zudem hat
sie ihr erster Gesetzgeber^^) überredet, sie wären alle Brüder unter einander,
sobald sie nur übergetreten, die hellenischen Götter verleugnet hätten und
dafür jenen gekreuzigten Sophisten^-') anbeten und nach seinen Gesetzen leb-
ten. Daher verachten sie alles Andere gleichmässig und betrachten es als
Gemeingut^^^), — Lehren, die sie auf Treue and Glauben ohne genaue Prüfung
angenommen haben. Wenn nun zu ihnen ein schlauer Betrüger kommt und die
Umstände zu benutzen weiss, so kann er in Kurzem ein reicher Mann werden,
die einfältigen Leute verhöhnend. — Uebrigens wurde Peregrinus von dem damaligen
Statthalter Syriens, der bald weg hatte, dass der Mensch ein Narr sei und den Tod des Nachruhmes
wegen gern erlitten hätte, bald wieder auf freien Fuss gesetzt. Er kehrte nun in seine Heimath^')
18) Wer unter diesem „ersten Gesetzgeber" hier zu verstehen sei, lässt sich schwer ermitteln. Man könnte
zunächst an Peregrinus selber denken, von dem es Kap. 11 heisst, dass die Christen ihn als Gesetzgeber ansahen
(vo(io9st7] }%Qävxo). Dann müsste das Epitheton TtQätaq im ironischen Sinne aufgefasst und auf die eben persiflirte
göttliche Verehrung des Peregrinus zurück bezogen werden. Dem steht jedoch das entgegen, dass hier von dem
Glauben der Christen überhaupt, nicht blos von der syrischen Gemeinde, an deren Spitze P. stand, die Rede ist.
Daher würde der Weltapostel Paulus besser in den Context passen. Von dessen Wirksamkeit unter den Heiden
konnte sich am ehesten einige Kunde erhalten und zu Lucians Ohren gedrungen sein. Aber in welchem Sinne und mit
welchem Rechte sollte Paulus grade der „erste" Gesetzgeber der Christen sein? Das Attribut wäre fast etwas frostig
und doch scheint auf demselben hier ein Nachdruck zu ruhen. Dies Bedenken schwindet, wenn noch weiter auf Christus
zurückgegangen wird, dafür tauchen aber andere auf. Christus predigte fast ausschliesslich den Juden, welchen er
doch nicht gebieten konnte, die „hellenischen" Götter abzuschwören und statt ihrer an den „Gekreuzigten" zu glau-
ben. Dieser letztere aber ist er offenbar selber und doch wird er in unserer Stelle mit dem ersten Gesetzgeber nicht
identifizirt, vielmehr von diesem deutlich unterschieden. Der Unterschied wird nicht auf-, sondern schärfer
hervorgehoben, wenn man Lehmann's Vorschlag „avtov 8e xov avea7ioloTtLß[isvov IkeIvov" zu lesen annimmt. Da
man nun mit der Stelle, welche aus der Feder eines über das Cliristenthum nur sehr oberflächlich und schlecht Unter-
richteten geflossen, einmal nicht ins Reine kommt; so habe ich mich im Verlaufe meiner Erörterung S. XI, wo ich
auf die Stelle eingehe, an die Meinung derer angeschlossen, welche sich unter dem „ersten" Gesetzgeber hier Moses
vorstellen. Der Zeit nach hat dieser allerdings hierauf die gegründetsten Ansprüche, so wenig auch das von ihm
hier Gesagte auf ihn passt.
i^j Eine ärgere Lästerung Christi, als diese, findet sich nirgends bei unserem Schriftsteller. Die Züchtigung, die
ihm dafür zu Theil geworden, werde ich weiterhin anführen. Siehe Anmerk. 42. Hier will ich nur auf den Contrast aufmerk-
sam machen, den derDeclamator mit den Worten ausdrückt: xov avsaKolomafiävov — itQos'nvvovGt. Einen Gekreuzig-
ten anziibeten schien natürlich dem Ungläubigen und den Gesinnungsgenossen unter seinen Zuhörern die lächer-
lichste Thorheit.
20) Nämlich ebenso als Gemeingut, wie Wasser und Luft. Da sich die ersten Christen als Brüder ansahen, so
hatten sie Alles gemeinschaftlich d. h. sie betrachteten das Ihrige als ein auch ihren Brüdern gehöriges Gut und theil-
ten den Aermeren davon nach Bedarf mit. Dass sie einem solchen Communismus huldigten, lesen wir in der Apostel-
geschichte Kap. 2 V. 44. Hier üben sie ihn praktisch an dem Gefangenen. Man braucht daher KOtvä nicht in der
schlechteren Bedeutung zu nehmen, welche das deutsche Wort „gemein" auch hat, noch dafür kevcc zu schreiben,
was in dem vorhergehenden zatacpQOVovaL von selbst liegt.
2') Es war dies die Stadt Parion in Mysien. Sie lag auf einer Halbinsel am Eingange des Hellespont in einer
Bucht. Unter Augustus erhielt sie eine römische Colonie und den Namen colonia Julia Pariana oder Pariana colo-
nia, wie man aus Münzen ersieht. Heut heisst sie Kamaris. Die Eltern unseres Peregrinus müssen wohlhabend
gewesen sein ; denn nachdem er die Hälfte seines Vermögens verzehrt hatte, waren doch noch Grundstücke im Werthe
von mehr als 15000 Thalern übrig. Hätte er, wie sein Jünger Theagenes prahlte, 5 Millionen besessen, so konnten
dafür nach der Meinung des Gegners (Kap. 14) Parion selbst und die fünf Nachbarstädte zusammengekauft werden.
VI
zurück, fand aber dort das Gerede wegen Ermordung seines Vaters noch so im Gange, dass er, um
den Leuten den Mund zu stopfen, den noch übrigen Theil seines Vermögens, Grundstücke im Werthe
von 15, nicht, wie mein Vorredner, der lächerliche Theagenes gesagt, 5000 Talente, der Stadt
gehenkte. Er zog dann zum zweiten Male im Lande umher, wobei er als genügendes Reisegeld die
Christen hatte ^^), welche ihn wie Trabanten begleiteten und an Nichts Mangel leiden Hessen. Und
eine Zeitlang wurde er so von ihnen gefüttert; als er aber auch deren Satzungen übertrat (man sah
ihn, glaub' ich, einmal etwas Verbotenes ^ ^ ) essen), schlössen sie ihn aus. Peregrinus, der nun nicht
wusste, wovon er leben sollte, wandte sich an den Kaiser, um von diesem den Befehl zur Heraus-
gabe der seiner Vaterstadt geschenkten Güter zu erwirken. Da er nichts ausrichtete, machte er
seine dritte Reise nach Aegypten zu dem Cyniker Agathobulos^*), wo er sich den Kopf halb schee-
ren Hess und die schamlosesten Dinge auf öffentlichem Markte trieb**), von hier nach ItaHen, wo
er auf den sanftmüthigsten der Kaiser ^*^) schimpfte, weil er wusste, dass er dabei nichts wagte, bis
der Stadtpräfekt seine Ausweisung aus Rom verfügte. Aber dies vermehrte grade seinen Ruhm
bei dem Pöbel, der ihn mit einem Musonius, Dio, Epiktet auf gleiche Linie stellte *'^). Er durchzog
jetzt Griechenland, Aufruhr predigend gegen die Römer. Wenn dies schon seinem Ansehen schadete,
80 machte er sich noch mehr unpopulär, als er die vom Sophisten Herodes Atticus*^) zu Olympia
grossmüthig angelegten Wasserleitungen tadelte, weil es dem Volke besser wäre, sich in Ertragung
des Durstes zu üben. Dies erregte, zumal Peregrinus selbst von jenem Wasser zuerst getrunken,
solche Erbitterung, dass der Maulphilosoph gesteinigt worden wäre, wenn er sich nicht in den Tem-
22j Ich habe die Stelle Ikuvcc icpöSia zovg XQiarucvovg sxcov wörtlich wiedergegeben. Lucian verspottet hier
nochmals die gutmüthige Einfalt der gastfreien Christen, welche dem Gauner so gut, wie baares Geld, waren.
23) äq)d"r} yap ti, mg olfiai, ie&icov tmv ano^^r/tcov ccvtoTg. Wahrscheinlich ass P., um sich der Verfolgung zu
entziehen, vom Götzenopferfleische. Dessen aber {sl8caX6&vvcz) sollten sich die Christen nach der Vorschrift des heil.
Petrus (Apostelgesch. XV, 29) eben so wie des Blutes [cctfia) und des Erstickten {nviyi-cöv) enthalten.
**) Ein Pliilosoph dieses Namens wird auch im 3. Kap. des Demonax unter den Lehrern des letzteren erwähnt.
26) Nach dem bereits von Antisthenes, dem Urvater der Cyniker, aufgestellte« Grundsatze „dass das starke Selbst-
bewusstsein den Weisen über alle Eücksichten erhebe, welche Sitte, Herkommen, Gesetz, Glaube für die Idioten
hingestellt haben" durfte er es. Daher unterscheidet Lucian die feinen, anständigen Cyniker von den schmutzigen,
plebejischen. Mit den ersteren, wie z. B. mit Demonax, war Lucian befreundet; die andern werden von ihm an
unzähligen Stellen mit unerschöpflichem Witze verspottet. Zu ihnen gehört auch unser Peregrinus.
26) Der ßaailtvg ngaoraTog kann wohl kein anderer, als Antoninus Pius gewesen sein.
2^) Der Stoiker C. Musonius Kufus lebte unter Vespasian und Titus als Zeitgenosse des Apollonius von Tyana;
von Dio Chrysostomos sind noch 80 Reden und Abhandlungen vorhanden; Epiktet ist uns durch seinen Schüler
Arrian näher bekannt worden. Obwohl Stoiker zollte er dem wahren Cynismus seinen Beifall. Selbstredend wird
diesen Männern Peregrin nur cum grano salis an die Seite gestellt, wie er oben ein Tiaivog 2:omQazrjg genannt ward,
28) Ich habe mir erlaubt, den Namen des Mannes in mein Referat aufzunehmen. Der Sprecher bei Lucian
bezeichnet ihn nur als einen avSQa nceiSsia Kai u^itöfiari 7tQov%Qvxa. Aus Philostratos im Leben der Sophisten
p. 551 erfahren wir, dass Herodes aus Marathon gebürtig, Lehrer Marc Aureis, Consul 143 n. Chr., Präfect der sog.
freien griech. Städte, ävf-ö'TjxE y.a.1 xm Ilv&iq) to TLv&oi axddiov xal rm Juro iv 'OXvfiitla vöcoq. Eine wie grosse
Woblthat diese Wasserleitung war, erhellt aus der Drohung, welche bei Aelian V. H. XIV, 18 ein Hen- gegen seinen
Sklaven auastösst, er werde ihn nach Olympia als Zuschauer schicken. Damals musste man nämlich, auf engen
Raum zusammengedrängt, bei glühender Sonnenhitze noch grossen Durst leiden, ohne ihn löschen zu können. Uebri-
gens tadelte P. nicht blos das Werk des Herodes, sondern griff auch ihn selbst an: ^itrjKolovQ-si rä'HQcodrj HaKwg
ayoQivmv avxbv r}(iißaQßa(fq) yXcÖTXt], Dieser gab auf wiederholte Schmähungen die gelassene Antwort: yej'ijpa-
KUfiBv av fitv ayo^svoav (le xaxws, iyat dk cchovcov.
vn
pel des Zeus geflüchtet hätte. Bei den nächsten Spielen lobte er den Gründer der Wasserleitung;
aber seine Künste waren einmal verbraucht und es wollte ihm nicht mehr gelingen, Staunen zu
erregen. So kam er endlich auf den verzweifelten Einfall des Scheiterhaufens und Hess bei den
olympischen Spielen ^^) bekannt machen, er werde sich am nächsten Feste in die Flammen stürzen,
um eine goldene Krone aufzusetzen einem goldenen Leben und um der Welt zu zeigen, wie man den
Tod verachten müsse. —
Ich breche hier ab mitten im Dialoge, dessen andere Hälfte nur Weniges enthält, was unserem
Zwecke entspricht. Nachdem der Unbekannte noch mancherlei Reflexionen angestellt über jenen
wunderlichen Einfall der Selbstverbrennung und darauf von dem wüthenden Vorredner Theagenes
als ein Verleumder gebrandmarkt war, erzählt Lucian selbst das Factum, dessen Augenzeuge er
gewesen, mit aller Umständlichkeit. Bemerkenswerth dürfte hierbei etwa noch das sein, dass die
Abschiedsrede, welche Proteus vor der versammelten Menge hielt, auf diese einen verschiedenartigen
Eindruck machte. Während die Einen ihn unter Thränen beschworen, er solle sich den Griechen
erhalten, forderten ihn Andere auf, seinen Entschluss auszuführen^**). Lucian war unter denen, die
da lachten. Schliesslich gesteht dieser seinem Freunde Kronios, er habe sich den Spass gemacht,
Schwachköpfen, die ihn um die Neuigkeit ausgefragt, den Bären aufzubinden, als wäre im Augen-
blicke, wo Proteus ins Feuer gesprungen, ein Erdbeben entstanden und mitten aus den Flammen ein
Geier aufgeflogen. Noch mehr Spass habe er gehabt, als ihm bald nachher auf dem Volksplatze ein
ehrwürdiger Greis, der Vieles von dem Proteus zu erzählen wusste, eidlich versicherte, wie er mit
eigenen Augen den Geier aus dem Scheiterhaufen habe emporsteigen gesehen.
In dem so eben mitgetheilten Referate habe ich die auf die Christen bezüglichen Stellen unseres
Dialoges in genauer Uebersetzung wiedergegeben und um sie den besonderen Rahmen gelassen, in
welchen sie Lucian eingeschlossen hat. Ehe wir nun zur Besprechung des Einzelnen übergehen,
möchte die Vorfrage zu beantworten sein, wie es um Lucians Glaubwürdigkeit stehe. In Bezug
daraufhat W. A. Passow im Meininger Programm 1854 auf eine überzeugende Weise dargethan,
dass Lucian als Zeuge eigener Erlebnisse und für gleichzeitige Ereignisse mit der gehörigen Vor-
sicht benutzt vollen Glauben verdiene ; dass dagegen, wo er vereinzelte Züge, Reden, Anekdoten u.
dergl. der Vergangenheit zu flüchtiger Benutzung heranzieht, die Genauigkeit des Geschichtsschrei-
bers bei ihm nicht zu suchen sei (S. 1 9). Nehmen wir dies Resultat, welches mir ein sicheres zu
29) Nach Eusebius war dies die 235. Feier der Spiele, welche 161 n. Chr. beginnt. Hiernach ist der ärgerliche
Vorfall wegen der Wasserleitung ins Jahr 157, der Tod des Peregrinus aber 165 zu setzen. Siehe den von Eckstein
geschriebenen Artikel „Peregrinus Proteus" in Ersch und Gruber's Encyklop. III, 16. S. 306.
30] Diese Verschiedenheit der Meinungen beunruhigte ihn ; er hatte nur die erstere zu vernehmen gehofft. Da
eine zahlreiche Volksmenge ihn nach Hause begleitete, schwoll ihm der Kamm wieder. Inzwischen befiel ihn ein
Fieber, welches die Ausführung des Vorhabens verzögerte. Schon gingen die Spiele zu Ende, da kündigte er die
Nacht an, in welcher seine Verbrennung Statt finden sollte. Bei Harpine, etwa 20 Stadien von Olympia, war der
Scheiterhaufen aus Kienholz und dürrem Eeisig in einer Grube errichtet. Sobald der Mond aufgegangen war, erschien
Peregrin, umringt von den vornehmsten Häuptern des Hundeordens, unter denen Theagenes gleich ihm eine Fackel
trug. Beide zündeten den Scheiterhaufen an, worauf P. seinen Mantel, Ranzen und Knüttel ablegte und in einem
Untergewande von schmutziger Leinwand da stehend eine Hand voll Weihrauch ins Feuer warf. Dann das Gesicht
gegen Mittag gewendet stürzte er sich in die Flammen. Vorher hatte er auserlesene Jünger als Todesboten an alle
namhaften Städte mit Sendschreiben geschickt, welche seine letzten Mahnungen und Vorschriften enthielten. Letz-
teres erinnert an das ähnliche Verfahren des heil. Ignatius. Siehe Rud. Fischer de ©soSgofioig, veteris ecclesiae
legatis. Coburg 1718.
VIII
sein scheint, zum Kriterium unseres Dialogs; so folgt, dass wir die Charakteristik des Peregrinus im
Ganzen als richtig und seine Todesart als verbürgte Thatsache ansehen, dagegen auf die Richtigkeit
der gelegentlich über die Christen eingestreuten Bemerkungen uns nicht verlassen dürfen. Was
Lucian vom Lebensende des Peregrinus erzählt, bestätigen die Angaben gleichzeitiger und späterer
Schriftsteller. Athenagoras, ein griechischer Philosoph aus Athen, der Anfangs zu Alexandria pla-
tonische Philosophie lehrte, später aber das Christenthum annahm, welches an ihm einen eifrigen
Vertheidiger fand, schrieb, durch eine vermuthlich 166 n. Chr., also schon im nächsten Jahre nach
dem Tode des Peregrinus (siehe meine Anm. 29) veranstaltete Gesandtschaft nach Rom veranlasst,
eine an den Kaiser Marc Aurel gerichtete Apologie der christlichen Religion, worin er auf die in
Rede stehende Thatsache als auf eine allgemein bekannte hinweisend sagt: xouxov os (sc. x^v llptuiEa)
oux a^vosTxE pi'jictvxa saoxöv eh "cö uüp Tispi xrjv 'OXaij-utav ^ ^). Tertullian, geb. zu Carthago um
160 und gest. um 217 n. Chr., früher Stoiker und Rhetor, dann der erste christliche Schriftsteller
in lateinischer Sprache, nennt (ad martyr, cp. 4) unter den Heiden, welche den Christen als Beispiele
der Todesverachtung dienen können, neben Heraklit, Empedokles auch unsern Peregrinus, qui non
olim rogo se immisit. Flavius Philostratus, zuerst Sophist in Athen, später in Rom lebend unter
Kaiser Septimius Severus bis Philippus, erzählt im Leben des Herodes Atticus cp. 13: ^Hv [xsv ^tip
X(ov o3x«) öappaXio)? cpiXoffocpouvxtüV 6 fipcoxeu? ouxo?, (bs xal k<; irup eotuxov cV 'OXujxTria pObai.
Ammianus Marcellinus, um die Mitte des 4. bis zum Anfange des 5. christl. Jahrhunderts lebend,
erwähnt im 29. Buche seiner rerum gestarum Kp. 1 §. 39 eines gewissen Simonides, qui Peregrinum
imitatus Protea cognomine, philosophum darum, qui quum mundo digredi statuisset, Olympiae quin-
quennali certamine sub Graeciae conspectu totius escenso rogo, quem ipse construxit, flammis ab-
sumtus est. Das Factum selbst aber fällt, wie gesagt, in's Jahr 165 n. Chr. ^^). — Doch wozu erst
historische Zeugnisse? Jeder, der nur den Eingang unseres Dialogs unbefangen liest, muss sofort
einsehen, dass von einem wirklichen Vorfalle Rede ist, der im Publikum grosses Aufsehn machte
und über welchen die entgegengesetztesten Ansichten herrschten. Lucian, als Gegner der gemeinen
Cyniker, denen er bei jeder Gelegenheit etwas anhängt, sucht natürlich die Reaction, welche durch
die masslose Bewunderung des Peregrinus hervorgerufen ward, seinerseits zu verstärken. Er ist
dabei so klug, dass er, während er die unleugbare Thatsache als gewesener Augenzeuge seinem
Freunde selber erzählt, die Charakteristik des Peregrinns Andern in den Mund legt; und zwar lässt
er, wie wir gesehen, die kurze Rolle des exaltirten Lobredners den Cyniker Theagenes spielen, wo-
gegen ein Unbekannter, doch jedenfalls ein Gesinnungsgenosse Lucians, die Kehrseite des Charak-
ters unseres Proteus herausdreht. Dass hierbei die Farben etwas grell aufgetragen werden, darf
nicht auffallen. Wir brauchen darum nicht sogleich an der Richtigkeit der Charakterschilderung im
Allgemeinen zu zweifeln, wenn auch Peregrinus, wie wir oben in dem Citate aus dem sehr wahrheits-
liebenden und unpartheiischen Ammianus Marcellinus gelesen, ein philosophus clarus genannt wird,
oder wenn Aulus Gellius, der das Ende seines ehemaligen Lehrers Peregrinus nicht mehr erlebt zu
'^) Legat, pr. Christian, cp. 22. Zugleich wird daselbst der dem Proteus in seiner Vaterstadt Parion errichteten
Orakel gebenden Bildsäule erwähnt. Dass Solches in Elis und im übrigen Griechenlande geschehen werde, hatte
Lucian Kap. 41 bereits prophezeit.
'2) Damit stimmt auch die in der 28. Anmerk. zuletzt angeführte Aeusserung des Herodes Atticus überein.
Derselbe wurde 7G Jahr alt und ist 101 oder 102 n. Chr. geboren, konnte sich also 157, wo er von Peregrinus
geschmäht wurde, schon zu den Alten rechnen. Lucian, als dessen Geburtsjahr gewöhnlich 120 angenommen wird,
zählte, als er die Selbstverbrennung des Proteus mit ansah, etwa 45 Jahre.
IX
haben scheint, in seinem Noct. Attic. XII, 11 über denselben Folgendes berichtet: „Als wir zu
Athen waren, haben wir den Philosophen Peregrinus, der nachher den Beinamen Proteus erhielt,
einen Mann von Ernst und Festigkeit (virum gravem et constantem) kennen gelernt, der sich ausser-
halb der Stadt in einer Hütte aufhielt. Da wir ihn häufig besuchten, so haben wir ihn viel Nützliches
und Schönes sagen hören, wovon wir uns besonders das gemerkt haben : Virum sapientem non pecca-
turum esse dicebat, etiamsi peccasse eum dii atque homines ignoraturi forent: non enim poenae aut
infamiae metu non esse peccandum, sed justi honestique studio et officio ^^). Dass Peregrinus seine
zahlreichen Verehrer hatte, die ihn im Leben hochpriesen und nach seinem Tode vergöttern würden,
leugnet Lucian selbst in unserm Dialoge keineswegs und beweist auch der Umstand, dessen Lucian
in einer andern Schrift^*) erwähnt, dass Jemand den Stock, welchen Proteus wegwarf, als er in die
Flammen sprang, mit einem haaren Talente gekauft habe und noch jetzt als Kleinod aufbewahre.
Ich würde mich bei den historischen Zeugnissen über Peregrin und seine Todesart nicht so lange
aufgehalten haben, wenn nicht ein um Lucian wohlverdienter Gelehrter ^^), an der verschiedenen
Beurtheilung unseres Cynikers Anstoss nehmend, die Vermuthung aufgestellt hätte, es möchte das
Ganze eine satirische Erfindung Lucians sein, der sich an den Cynikern sein Müthchen kühlen und
gelegentlich auch die christlichen Märtyrer verspotten wollte, deren Todesverachtung er gleichfalls
auf Rechnung ihres Wahnsinns und eitlen Fanatismus setzte. Wir wollen einmal die Möglichkeit
einer solchen Nebenabsicht bei Lucian zugeben, zumal der Flammentod des Bischofs Polykarp von
Smyrna, eines Schülers des Apostels Johannes, damals auch unter den Heiden viel von sich reden
machte, wie der heilige Kirchenlehrer Hieronymus ausdrücklich bemerkt^®). Die Sache gewinnt
sogar einen Anstrich von Wahrscheinlichkeit, wenn man auf gewisse Nebenumstände Gewicht legt.
Wie nämlich Lucian unsern Cyniker „Weihrauch" in den Scheiterhaufen streuen und aus diesem
einen „Geier" entfliegen lässt, welchen letzteren er freilich nur für ein Kind seiner Phantasie aus-
giebt; so berichtet die christliche Legende vom heiligen Polykarp, dass er von den um ihn sich
wölbenden Flammen nicht verzehrt, sondern nur wie Brot gebacken wurde und dabei einen W^ohl-
geruch wie Weihrauch verbreitet habe; dass endlich, als der Confector^^) dem heiligen Märtyrer
einen Dolch durch den Leib stiess, eine weisse Taube entflogen sei. Abgesehen davon, dass diese
Taube nur in einer Handschrift des Eusebius figurirt^®) und ihre Verwandtschaft mit dem
3-3) Wer äenkt hierbei nicht an das Horazisclie: „Oderunt peccare boni virtutis amore; tu nihil admittes in te for-
midine poenae!" Epp.I. 16, 52f. Vergl. Cicero de offic. III, Scxtr. Aneiner andern Stelle (VIII, fragm. 3) erzählt Gellius,
dass Peregrin einen vornehmen römischen Jüngling gescholten habe, weil er müssig da stand und in einem fort gähnte.
8*) An einen Ignoranten, der sich viele Bücher kaufte Kap. 14. Lucian unterlässt dabei nicht, seine Glossen zu
machen. Jener Stock würde vorgezeigt, wie von den Tegeaten die Haut des Kalydonischen Ebers, wie von den
Thebanern die Gebeine des Geryones oder wie von den Bewohnern von Memphis die Locken der Isis ; lieber aber
gönnte er ihn dem Ignoranten an den Kopf.
35) Ich meine den in meiner Anmerk. 2 zuletzt genannten würtembergischen Geistlichen Adolph Planck.
36) wars Kul VTio rmv iQ-vtiöv iv navvl xhitcp XnXste&ai.
37) So hiess Derjenige, welcher wilden Tliieren, die schon tödtlich verwundet waren oder deren Wuth den Zu-
schauern gefährlich zu werden drohte, den Garaus machte. Eusebius schreibt MOju-qofHtrtap.
38) Nur in der von Usher aufgefundenen Handschrift und zwar sowohl im griechischen Texte, wie in der latei-
nischen Uebersetzung. In der Stroth'schen Ausgabe des Eusebius, die mir zur Hand ist, lese ich blos: IfTj/l^s
TcXriQ^og (d'iiavog, ojj v.axaoßsGai x6 nvg xkI d^avyLctcai nävra xov '6%Kov. Das Volk wunderte sich nämlich, dass
einem fast hundertjährigen Greise das Blut in solcher Menge entströmte, dass davon der über und über brennende
Scheiterhaufen ausgelöscht wurde. Vielleicht hat ein Glossator zu i^rilQ'B den Zusatz gemacht Iti' ct^iaxeQccv „nach
der linken Seite hin" oder iisqI axiqva „um die Brust" — woraus dann die Taube tceqigxsqcc entstanden ist.
•i
X
Geier ^^) eine sehr problematische ist; so muss doch Jedem die ganze Vermuthung mindestens sehr
gewagt erscheinen. Wollte man in dieser Weise zwischen den Zeilen lesen, dann giebt es Nichts,
was Lucian nicht verspottet hätte ; wie denn auch wirklich Einige in dem gleichfalls aus Lucians
Phantasie hinzugefügten Erdbeben bei des Proteus Selbstverbrennung eine spöttische Anspielung
auf das bei der Kreuzigung Christi entstandene Erdbeben herausgelesen haben. Ich meine, dass
Jeder, der vorurtheilsfrei die in Rede stehende Schrift Lucians liest, kaum eine andere Ansicht
gewinnen wird, als die, wonach Lucian nichts weiter gewollt habe, als seinem Freunde Kronios das
Factum der Selbstverbrennung, das er selbst mit angesehen, umständlich schildern und dem Urtheile
der verständigen Minorität, zu welcher er gehörte, die Oberhand verschaffen über das der blinden
Verehrer und Vergötterer des cynischen Märtyrers. Hätte er den gewaltigen, ihm selbst ärgerlichen
Eindruck, den der Tod christlicher Märtyrer, eines Justinus, Ignatius, Polykarp etc. damals auf das
heidnische Publicum machte, durch seinen Spott schwächen oder verwischen wollen; so sehe ich
Nichts, was ihn hinderte, seinen Angriff auf die Christen mehr direct zu machen. Warum sollte er,
der gegen Zeus und alle Götter der Ober- und Unterwelt, wie gegen die berühmtesten Philosophen
aller Zeiten offen zu Felde zieht, gerade den Christen gegenüber seine Natur verleugnet und sie wie
eine Tig/erkatze mit einem plötzlichen Seitensprunge aus dem Versteck angefallen haben? Musste er
bei so verhüllten Anspielungen nicht fürchten, dass sie seinen Lesern entgingen oder unverständlich
blieben und so ihren Zweck verfehlten? Und wie? wenn selbst chronologische Gründe es verbieten,
den Geier des Peregrinus für eine Karrikatur der Taube Polykarps anzusdhen. Während jener,
wie mit Sicherheit angenommen werden darf, bereits im Jahre 165 sich verbrannte, erlitt der Heilige
den Märtyrertod erst am 23. Februar 167 oder gar den 25. April 169. Lucian bespricht aber den
Vorfall zu Olympia als eine frische Tagesneuigkeit unmittelbar nachdem er ihn mit angesehen, kann
also auf Etwas, das 2 oder 4 Jahre später geschehen sein soll, unmöglich schon damals ange-
spielt haben.
So sind wir denn bei der Frage über die Glaubwürdigkeit Lucians unvermerkt hineingerathen
in die über seine Stellung zum Christenthume. Um meine Ansicht hierüber vornweg auszusprechen,
so gilt mir Lucian als Belag für das Wort des Weltapostels „dass das Kreuz den Heiden eine Thor-
heit sei." L Corinth. 1, 23. Es kann daher nicht befremden, wenn gleich zu Anfang der in unserm
Dialoge auf die Christen bezüglichen Episode (Kap. 11) das Christenthum überhaupt eine baojxaaT^i
(Tocpia *") genannt wird. Es klingt dies Urtheil doch viel schonender, als wenn Tacitus im 15. Buche
der Annalen (Kp. 44), wo er der ersten Christenverfolgung unter Nero gedenkt, das Christenthum
als eine exitiabilis superstitio und als malum bezeichnet oder wenn Plinius Epp. X, 97 an den Kaiser
Trajan über dasselbe berichtet: Nihil aliud inveni, quam superstitionem pravam et imraodicam.
Wir wollen daher nicht sogleich bei dieser ersten Aeusserung Lucians über das Christenthum, ihn
3ö) Wenn Lucian die Sage der Christen von der Taube, die dem Scheiterhaufen des Polykarp entflogen, hätte
lächerlich machen wollen; so würde er sie gewiss nicht in einen Geier metamorphosirt haben. Gessner scheint mir
das Richtige getroffen zu haben, wenn er meint, der Geier spiele unter den Vögeln dieselbe hündische Kolle, wie die
Cyniker unter den Menschen.
*^) Damit stimmt genau überein, was wir bei Eusebius im 5. Buche der Kirchengeschichte am Ende des 1. Kap.
lesen. Nachdem er den Märtyrertod mehrerer Christen unter Marc Aurel im Jahre 176 geschildert, bemerkt er, ihre
Leichen seien von den Heiden in die Rhone geworfen worden, tVa, wg iltyov, msivoi firjöt llniSa G%(ä6iv avaata-
ascog, ji nSTCOi&otsg „^svrjv ziva v.ai v.aivriv aigäyovaiv rj^itv &Q/jaK£iav." Die letzten Worte sind selbstverständlich
auf das Christenthum überhaupt zu beziehen.
XI
einen Verruchten, einen Blinden etc. schelten, wie Solches der Scholiast an dieser Stelle thiit, weil
Jener die Schönheit des Christenthums nicht betrachten und schauen könne. Lucian mochte aller-
dings in seinem philosophischen Dünkel das Christenthum, das er aus den Quellen nicht kannte, wie
die meisten seiner Zeit- und Standesgenossen, als eine fanatische Sekte des Judenthum ansehen und
darum verachten oder vornehm ignoriren, zumal er von der die Welt überwindenden Kraft desselben
keine entfernte Ahnung hatte; aber er ist kein erbitterter Gegner desselben, wozu ihn Manche
stempeln wollen, sonst hätte er sich als solcher in seinen Schriften gewiss deutlicher entpuppt. Nir-
gends nennt er den Stifter des Christenthums ; nur in unserer Schrift bezeichnet er ihn periphrasi-
rend als einen {is^av av^ptuTrav •* ' ) und einen „gekreuzigten Sophisten," worüber der Scholiast in
solchen Zorn geräth, dass er den Verfasser als reif für die Hölle erklärt. Nun liegt aber das
Hämische des Spottes nur in der Antithese*^), nicht aber in den Ausdrücken an sich. Das Wort
„Sophist" \^enigstens hat weder ursprünglich, noch zu Lucians Zeiten eine schlimme Bedeutung; es
war damals ein Ehrentitel, der jedem Lehrer der Rhetorik und Philosophie zukam. Sokrates z. B.
im 21. Todtengespräche wird so genannt; sich selbst zählt Lucian am Ende seiner Schutzschrift für
den Aufsatz : „Die gedungenen Gelehrten" zu den bestbesoldeten Sophisten. Man kann also ihm,
der die göttliche Würde der Person Jesu Christi nicht anerkannte, in Bezug auf ihn den dem hebräi-
schen Rabbi entsprechenden Ausdruck wohl verzeihen. Die Ignoranz Lucians in Angelegenheiten
der Christen zeigt sich auch im ferneren Verlaufe seiner Mittheilungen über dieselben. Er sagt, ihr
„erster Gesetzgeber" habe sie überredet, dass sie alle Brüder wären. Er spricht aber hier nicht voa
Christus, der weiterhin deutlich unterschieden wird, sondern wahrscheinlich von Moses *^), und
begeht so einen doppelten Irrtham. Denn erstens sagt Christus ausdrücklich: „Ein neues Gebot
gebe ich euch, dass ihr euch einander liebet." Joh. 13, 34. Wie kann dies also schon von Moses
gegeben sein? ' Sodann betrachtet er das Christenthum gleichsam nur wie einen Ableger des Juden-
thums*'^). Davon zeugen auch die jüdischen Titel, welche Lucian den christlichen Lehrern und
Vorstehern ertheilt, indem er sie lepsi? und ^pafifiaxeis nennt. So sagt er auch, Peregrin wäre von.
den Christen zum oruvaYtüYeu? ernannt worden. Einen heidnischen Titel gar führt das Amt des
^iaaäpyj]<; (praesul chori, von öiaffo?), welches Peregrinus unmittelbar vorher bekleidet haben soll;
und fast naiv klingt es, wenn es bald nachher heisst, die Christen hätten ihn wie einen Gott verehrt
und einen „neuen Sokrates" genannt. So mengt der Freigeist Lucian verschiedene Religionen unter-
einander und redet vom Christenthume, wie der Blinde von der Farbe. Von ihm, dem Ungläubigen,
kann es uns daher nicht wundern, wenn er die Christen als unglückliche (xaxoSaijxqvsf) bedauert
wegen ihres Glaubens an die Unsterblichkeit*^} und an ein ewiges Leben. Was Lucian sonst noch
*1) lieber die Verschiedenheit der Lesart siehe oben Anmerk. 12.
42) Auch darüber ist in Anmerk. 12 u. 19 das Nähere gesagt. Die Fluchworte des Scholiasten lauten mit eini-
gen Weglassungen : otcc IrjQSts, w ■KOiväQars, ■narä xov amzrjgog Xqiötov, o's gs Kai xovxov ei^SHSV a&ccvaxa) naQocSwasi,
Koläast, — — yihoxs xijg aioaviov Ko).ä6Eag. Daher stammt wahrscheinlich die bei Suidas unter dem Artikel
AovKUtvog aufgezeichnete Sage, Lucian sei zur Strafe für seine Gotteslästerung von Hunden zerrissen worden,
43) Siehe Anmerk. 18.
44) Auch Lucians Zeitgenosse, der Leiharzt des Kaisers Marc Aurel, Galenua theilt diese Ansicht. An den beiden Stel-
len seiner Schrift de pulsuum diiferentüs II, 4 und III, 3, wo er der Christen erwähnt, nennt er sie ol ano MsavGov
«ai Xqioxov.
45) Die Worte seines Bedaijerns xo (isi/oXov^ u&dvazoi h'ctad'ai. »ai ßiujßsG^t xov asl XQovov gehen, wie man
sieht, auf die Unsterblichkeit des ganzen Menschen, nicht blos auf die schon von den alten Philosophen, am klarsten
2*
XII
über die Christen berichtet, enthält weiter nichts Anstössiges. Er stellt sie dar als leichtgläubige
Leute, die ohne irgend eine genaue Prüfung sich allerlei weiss machen lassen (avsu xivo? axpißous
iriffieo)? la xoiauxa 7:apa8£Sa[j,evoi); die sich daher auch leicht täuschen Hessen durch den zu ihnen
übergelaufenen Peregrin, dessen eitle Beweggründe sie nicht durchschauten, den sie sogar zu ihrem
TTpoö-Tcttr^c machten und so lange auf alle Weise unterstützten, bis sie sich genöthigt sahen, ihn aus
ihrer Gemeinschaft auszuschliessen.
Ich finde also in der famosen Schrift Lucians vom Lebensende des Peregrinus nichts weiter, als
einen Beweis dafür, dass der Verfasser die Lehren des Christenthums nicht ordentlich gekannt habe,
woraus ihm nicht einmal ein Vorwurf gemacht werden kann, da der Kanon der Schriften des neuen
Testamentes erst am Ende des zweiten Jahrhunderts, als Lucian vielleicht schon todt war, festge-
stellt und von den Christen selbst streng darauf gehalten wurde, dass ihre heiligen Bücher nicht in
die Hände der Heiden kamen. Daher sich denn auch die unsinnigsten Gerüchte verbreiteten*^),
als veranstalte man dabei Oueateia SeiTrva und O^oitcoosi'ou? [x-'Ssi?*'^). Der ersteren erwähnt auch
Lucian im 12. Kap. unseres Dialogs, nur dass er sie euphemistisch roixiXa SeTttv« d. i. coenae dubiae,
räthselhafte Mahlzeiten nennt und mit der „heiligen" Lesung spöttisch zusammenstellt. Dieselben
lügenhaften Gerüchte scheint schon Tacitus in der oben Seite X citirten Stelle geglaubt zu haben,
wenn er sagt, die Christen zu Neros Zeiten wären dem Volke ihrer Schandthaten wegen verhasst
gewesen: quos per flagitia invisos volgus Christianos appellabat. Ich frage schliesslich, ob heut zu
Tage, wo für das Christenthum eine 1 800jährige Dauer spricht und seine weltgeschichtliche Mission
ausser Zweifel gestellt ist, Ignoranten desselben noch so gelinde urtheilen, wie Lucian?
Man hat jedoch das Vorurtheil gegen ihn dadurch zu rechtfertigen gesucht, dass man auf die
Freundschaft hinwies, welche zwischen ihm und dem Epicureer Celsus, jenem erklärten Christen-
von Plato gelehrte Unsterblichkeit des Geistes, an welche Lucian, als halber Epikureer, nicht geglaubt hat. Es lässt
sich dies unter Anderem aus dem 10. Todtengespräche schliessen, wo ein bei der Ueberfahrt über den Styx wehkla-
gender Philosoph dem nach der Ursache fragenden Hermes zur Antwort giebt: er heule, nicht weil ihm der Gott sei-
nen 5 Pfund schweren struppigen Bart mit der SchifFsaxt als unnützen Ballast abgehauen, sondern weil er die Seele
für unsterblich gehalten. Deutlicher spricht Lucian seinen Unglauben durch Menippus aus, der auf Chirons Bemer-
kung, das unsterbliche Leben im Himmel komme ihm langweilig und einförmig vor, erwidert: das ewige Einerlei
werde auch hier zum Ekel, ein Uebergang aber in ein anderes Leben dürfte unmöglich sein. Siehe das 26. Todten-
gespräch. — Ungleich mehr bedauert Lucian die Christen wegen ihres Glaubens an die ccvccazuGig vsTigäv, welche
schon damals, als sie vom Apostel Paulus im Areopag zu Athen gepredigt wurde, dem Spotte Einiger nicht entging.
(Siehe Apostelgesch. XVH, 32.) Auch Lucian giesst dessen eine volle Schale aus über den Glauben an das Leben-
digwerden der Todten, wie er sich in den Sagen von Eurydike und Alkestis kund gab.
*6) Eins davon ist von mir in Anmerk. 15 erwähnt. Die Heiden Hessen sich dasselbe nicht ausreden, wie oft
und klar ihnen auch der darin liegende Unsinn und Widerspruch vorgestellt wurde. So legt z. B. die heil. Märtyrin
Blandina den Lästerern {rotg ßlaacfr/ftoig) die Frage vor : TTcag äv jcaiöia qiccyoisv ol toiovxoi, olg [ii^Sk odöyoav tatwv
atfta tpaytlv iiov; Euseb. V, 1 p. 257 ed. Stroth. VermutETTch" hätten" sie' ge^oftrS^s dasT^reisch und Blut 3^*"
Gottsohnes genossen werde; aber dass dies unter den Gestalten des Brotes und Weines geschehe, begriffen sie natür-
lich nicht und so fassten sie denn das Gehörte in der crassen Entstellung auf.
*'') Dem Thyestes wurde nach der bekannten Sage das Fleisch seiner eigenen Söhne von seinem Bruder Atreus,
der sich mit ihm scheinbar versöhnt hatte, vorgesetzt. Die Anwendung auf die Liebesmahle der Christen lag nach
der Vorstellung, welche sich die Heiden von ihnen machten und nach dem in der vorhergehenden Anmerk. besproche-
nen Gerüchte sehr nahe. Das andere nicht minder scheussliche Gerücht bezieht sich auf die blutschänderische Ver-
bindung, welche Oedipus mit seiner Mutter unbewusst einging. Den Christen muthete man dergleichen mit Absicht
zu, Off« fiijTf XaXslv ;t»JT£ voetf ^inig (Euseb. V, 1. p. 256.).
XIII
feinde, Statt fand. Doch dieser Beweis ruht auf sehr schwachen Füssen. Man folgert erstlich
jene Freundschaft blos aus dem Umstände, dass Lucian die Biographie des Lügenpropheten Alexander
von Abonuteichos dem Celsus dedicirt hat. Die Schrift selbst hat mit den Christen nichts zu schaffen;
letztere werden blos ein paar Male insofern erwähnt, als sie nebst den Epicureern und Atheisten
(denen sich Lucian gewiss selber beizählte) von dem Betrüger aus dem Tempel getrieben werden.
Dies gereicht aber den Christen mehr zur Ehre, als zur Schande. Denn der Gauner schliesst sie und
die Andern ja nur deshalb von seinen Mysterien aus, weil er sie für zu aufgeklärt hält und sich von
ihnen nicht will in die Karten sehen lassen. Aber auch zugegeben, Lucian, mit Celsus befreundet,
habe dessen Hass gegen die Christen getheilt, worin bekundete Celsus seinen Hass? In einer
verloren gegangenen Schrift, deren Inhalt wir aus der erhaltenen Widerlegung kennen, welche
sie durch den alexandrinischen Presbyter Origines gefunden hat. Sie führte den Titel aXr^-
Otj? X670? vermuthlich deshalb, weil damit die unglaublich klingenden Beschuldigungen gegen die
Christen vornherein als wahr bezeichnet werden sollten. Das Wunder der Menschwerdung Gottes
begreift Celsus natürlich nicht, weil er ein krasser Materialist und Freigeist ist; er spottet darüber,
dass die Christen Jesum für einen Gott hielten, da er doch einen sterblichen Leib gehabt*®) und
hält die Wunder Christi, die er als Thatsachen nicht leugnet, für ägyptisches Blendwerk u. s. w. Also
wohl ein glaubensloser Verntinftler und aus Ignoranz ein Spötter des Christenthums war Celsus und
dasselbe mag auch von seinem Freunde und Gesinnungsgenossen Lucian gelten; aber von boshafter
Verleumdung, von Hass und Erbitterung gegen das Christenthum dürften sich bei keinem von beiden
deutliche Spuren kaum nachweisen lassen. Beide sprechen so zu sagen nur die öffentliche Meinung
der heidnischen Philosophenwelt aus, welche, obwohl in sich selbst zerfallen, damals noch die meist
unter den Armen und Ungelehrten Propaganda machende neue Religion vornehm verachtete und ver-
höhnte. Halten wir diese Ansicht fest; so werden wir uns nicht wundern, warum Lucian, der wie
ein Titan den alten Götterhimmel stürmte und alle Erscheinungen seiner in starken Geburtswehen
liegenden Zeit beobachtete und bekrittelte, vom Christenthume so gut wie keine Notiz nimmt. Denn
selbst von seiner hier näher beleuchteten Schrift wird doch Niemand behaupten wollen, dass sie direct
gegen die Christen gerichtet sei. Nur Peregrinus, der fanatisch eitle, überspannte, durch Flammen
zu den Göttern aufsteigende Cyniker, soll an den Pranger gestellt werden: Hätte dieser nicht zufällig
bei den Christen eine vorübergehende, ihn stark compromittirende Rolle gespielt, so wäre es Lucian
nicht eingefallen, über die Satzungen und Gebräuche der von ihm verachteten jüdischen Sekte seine
nur Unwissenheit verrathenden, confusen Bemerkungen zu machen, und es wären daher solche in
den ächten Schriften Lucians überhaupt nirgends zu finden gewesen. — Gleichwohl hat man sich
bemüht, aus ihnen das und jenes herauszufischen, um ihren Verfasser als einen hämischen Christen-
feind zu charakterisiren. Mit welchem Erfolge? werden wir sogleich aus einigen Proben sehen. So
soll das 16. Todtengespräch zwischen Diogenes und Herakles, — wo jener sich wundert, dass dieser
als Zeus leiblicher Sohn gestorben und nicht begreift, wie der wahre Herakles im Himmel als Gemahl
der Hebe, sein Schattengebilde in der Unterwelt weilen und Alkmene zwei Heraklesse auf einmal
gebären konnte, den einen vom Amphitryo, den andern vom Zeus, die doch zusammen nur Einen
48) Wenn es dem Celsus scheint, sagt Origines, der unsterbliche Gott, das Wort, habe durch Annahme eines
sterblichen Leibes und einer menschlichen Seele eine Veränderung und Umbildung erfahren; so wisse er, dass das
Wort, welches das wesentliche Wort bleibt, nichts von dem leide, was der Leib oder die Seele leiden. Den Vorwurf
als beten die Christen mehr als Einen Gott an, widerlegt Origines mit den Worten Jesu: Ich und der Vater sind
Eins! Joh. 10, 30.
XIV
ausmachten, — eine Verspottung des christlichen Glaubens an die in der Person Christi vereinigte
Gottheit und Menschheit enthalten! Allein aus dem dritten Todtengespräche ersieht man deutlich,
dass es Lucian nur darum zu thun ist, sich über den griechischen Begriff eines Heros zu moquiren.
Menippus, hinter den sich Lucian versteckt, fragt nämlich dort den Trophonius : Sage mir, grosser
Prophet, was ist denn das — ein Heros? Mir ist es ein wahres Räthsel. Trophonius antwortet:
Ein aus Mensch und Gott zusammengesetztes Wesen. Sollte Jemand hier eine neue Anspielung auf
Christi Gottmenschlichkeit herauswittern, so verweise ich ihn auf den Schluss des vorigen Todten-
gesprächs, wo Diogenes, nachdem er seinen Spott auf die Spitze treibend, sogar einen dreifachen
Herakles ^^) herausgebracht, die Frage, wer er sei, so beantwortet: Des Diogenes aus Sinope Gebilde.
Er selbst ist zwar nicht im Kreise der unsterblichen Götter (Odyss. XI, 602) aber im Umgange mit
den Trefflichsten der Abgeschiedenen, wo er sich ,,über Homer und seine albernen Fabeleien" lustig
macht. Kann da wohl noch ein Zweifel über die Tendenz der Lucianeischen Todtengespräche obwalten?
Aber vielleicht ist Lucians „wahre Geschichte" eine bessere Fundgrube. Hier nun sollen die auf
dem Meere tanzenden Phellopoden oder Korkfüssler (H, 4) den auf dem galliläischen Meere wandeln-
den Heiland, die von Gold, Edelsteinen, Krystall etc. schimmernde Stadt auf dem Eilande der Seeligen
(II, 11.) das himmlische Jerusalem, die im Heere des Sonnengottes dienenden vom Schützen des
Thierkreises befehligten Wolkencentauren (I, 18) den Kampf des Erzengels Michaels mit dem Satan
in der Apokalypse parodiren ^"), Abgesehen davon, dass die vermeintlichen Anspielungen bei
näherem Lichte betrachtet als entfernte, kaum zutreffende erscheinen, wie sie ein gewandter Schrift-
steller nicht macht, spricht sich Lucian selbst in der Vorrede zu seiner Münchhauseniade Kapitel 2
über deren Zweck dahin aus, dass er es auf die alten Dichter, Geschichtschreiber und Philosophen,
welche uns Fabeln und Wunderdinge in Menge hinterlassen, gemünzt habe und setzt hinzu, er führe
ihre Namen blos darum nicht an, weil sie sich dem Leser bald genug selbst verrathen dürften. Diese
lassen sich denn auch wirklich unschwer nachweisen •^^), und somit fällt die gegen unsern Autor
erhobene Beschuldigung in Nichts zusammen. Nicht anders verhält es sich mit den auf das alte
Testament bezogenen Beispielen, welche bald auf den im Bauche des Walfisches weilenden Propheten
Jonas (I, 30), bald auf Aarons grünenden Stab (H, 41), bald auf den Durchzug der Israeliten durchs
rothe Meer (II, 43) hindeuten sollen. Ohne uns daher darauf näher einzulassen, wollen wir uns
weiter in den andern Schriften Lucians umschauen, ob sich etwa gravirendere Indicien gegen ihn
herausstellen. Da kommt uns denn im Lügenfreunde Kapitel 16 ein „Syrer aus Palästina" ent-
gegen, welcher Leute, die beim Anblicke des Mondes umfallen, die Augen verdrehen und Schaum
vor dem Munde haben, aufstehen heisst und sie gesund und für immer befreit von ihrem Uebel nach
Hause schickt, wofür er sich jedesmal eine schöne Summe zahlen lässt. Auf Befragen antwortet
nämlich der böse Geist in griechischer oder in einer ausländischen Sprache, worin er eben zu Hause ist,
wie und woher er in diese Menschen gekommen. Rückt nun der Mann mit Beschwörungen und, wenn
der Geist nicht gehorchen will, mit Drohungen heran; so fährt der Unhold aus dem Leibe. Nach
der Meinung des SchoUasten und Anderer soll unter dem Syrer Christus zu verstehen sein. Aber
*9) Es wundert mich, dass hierin noch Niemand einen Seitenhieb auf die christliche Trinitätslehre gespürt hat.
*o) Man hat die Wolkencentauren auch mit den vier lebenden Wesen der Apokalypse Kap. 4, 7 f. und mit den
Cherubim des Propheten Ezechiel I, 10 f. und X, 14 verglichen, obschon die Aehnlichkeit hier noch weniger auffällt.
61 j Was H. Kühn in der Anmerk. 2 erwähnton Abhandlung gcthan, und zwar auf eine sehr evidente und
anschauliche Weise.
XV
man tibersieht, dass die geschilderte Heilung der Besessenen in die Gegenwart des Erzählers gesetzt
wird, der dabei versichert, er habe selbst einmal einen solchen Geist ausfahren sehen, der ganz
schwarz und rauchig aussah. Auch an keinen Apostel oder christlichen Exorcisten ist hierbei zu
denken; denn diese spendeten die von dem Herrn umsonst empfangenen Gnadengaben nach seinem
Gebote ebenso umsonst aus, wie er selbst, — vielmehr an einen zu Lucians Zeiten herumziehenden
Quacksalber und Gaukler. Eben weil es solche Subjekte gab und ihre Zauberkünste nicht blos bei
der unerfahrenen Menge, sondern selbst bei hochgelehrten Philosophen Glauben fanden''^), schrieb
Lucian den Lügenfreund. Dass es aber neben Christus noch Andere gab, welche die Teufel aus-
trieben, geht aus der an die Juden gerichteten Frage des Heilandes hervor: „Wenn ich durch Beel-
zebub die Teufel austreibe, durch wen treiben denn eure Kinder sie aus? Luc. XI, 1 9. Ausser den Juden
befassten sich damit vielfach die Syrer, Babylonier, Chaldäer und Aegypter. — Verfänglicher klingen
ein paar Stellen aus der „Ueberfahrt." Die Hauptfigur dieses Dialogs ist ein Tyrann, Namens
Megapenthes, der schon unterwegs auf dem Transport dem Seelenspediteur Hermes viel zu schaffen
machte, indem er immer nach der Oberwelt zu entwischen suchte, ehe er an Charons Nachen gelangte.
In diesen will er durchaus nicht einsteigen, und da die Parze Klotho durch seine Bitten sich nicht
rühren lässt, verspricht er ihr, wenn sie ihn entliesse, seinen einzigen geliebten Sohn als Bürgen
seiner Wiederkehr zu stellen: ocviavSpov ufxTv dvi Ifioü Trapaooxrtu xov d'(aT:r^~6\/. Das soll nun wie-
der eine Anspielung sein auf Christus, der in der heiligen Schrift dYaTrrjXÖc xou i)£Ou xat [xeo-tx/js xuiv
dvöp(i)7:u)V, der eingeborene geliebte Sohn Gottes und der Mittler der Menschen, genannt wird. Aber
wird denn Christus ausschliesslich 6 d-(a7nrjx6; genannt? Heisst nicht z. B. Telemach in der Odyssee
II, 365. IV, 727 und 817 und Hektors Söhnlein in der Ilias VI, 401 gerade so und ist denn der
Unterschied zwischen ävtavSpo? und [ASffixr^? so unbedeutend? Hatte denn Gott Vater für die Men-
schen leiden wollen und dann statt seiner den Sohn als Bürgen oder Stellvertreter auf die Welt
geschickt? Ich glaube, an solche Dinge hat Lucian nicht im Traume gedacht, wohl aber an das von
ihm selbst verfasste 16. Todtengespräch, wo Diogenes auf des Herakles Erklärung, nicht er sei todt,
sondern sein Bild, antwortet: Ich verstehe, er hat dem Pluto dich als seinen Ersatzmann gestellt
(fiavödvo). dvxavopov ffs x(u riXouxcuvi irapsocuxEv dv{^' sauxoO) und du bist nun in seinem Namen todt.
Nebenbei dachte er vielleicht auch an Alkestis, die für ihren Gemahl Admetos, den Herrscher von
Pherä in Thessalien, sich dem Hades überlieferte. Doch kehren wir zu unserem Tyrannen zurück.
Derselbe wird weiterhin Kap. 23 vor den Richterstuhl des Rhadamanthus geschleppt und nackt von
diesem besichtigt. Da zeigen sich denn an seiner Seele eine solche Menge Brandwunden {axr(\iaxoi),
dass sie davon ganz schwarzblau ist. Hiermit soll der Apostel Paulus angestochen sein, der I. Timoth.
4, 2 von scheinheiligen Lügnern redet, die da gebrandmarkt sind in ihrem eigenen Gewissen (xexau-
TYjpiaffixsvoi xTjV tSiav ffuvetÖYjffiv), Es liegt jedoch auf der Hand, dass unserm Verfasser Plato vor-
geschwebt habe, der im Gorgias Kap. 80 die Seele des grossen Königs oder eines andern Dynasten
8ta}i.£[xa(ynYU)[X£V7jv xal ouXuiv [xecJxTjv uTto ETriopxiöiv xal dStxt'a? erblickt. Die Paulinischen Briefe
in Lucians Händen kann ich mir nicht denken. So Hessen sich noch mehrere Stellen ^^) aufbringen
ö2) Man lese nur , was im 5. Kapitel des Lügenfreundes von dem hochangesehenen ehrwürdigen Philosophen
Eukrates erzählt wird.
53) Eine solche ist ohen in Anmerk. 8 besprochen, andere beziehen sich wieder auf das alte Testament. So soll
die im Kap. 12 der „Syrischen Göttin" zu lesende Beschreibung der Deukalionischen Fluth, weil darin gesagt ist,
dass der Scythe Deukalion in den grossen Kasten seine Weiher und Kinder einsteigen liess und zuletzt selbst einstieg;
dass aber auch Schweine herbei kamen und Pferde und alle Arten wilder Thiere, Schlangen und Alles, was auf Erden
XVI
und an ihnen nachweisen, dass Lucian an Anderes eher, als an die Verspottung der heiligen Schriften
gedacht habe. Ich übergehe sie, um nicht weitläufig zu werden, und fasse mein ürtheil über Lucians
Stellung zum Christenthume nochmals dahin zusammen, dass er dasselbe nicht hinreichend gekannt,
am wenigsten aus den spärlich vorhandenen und unzugänglichen Quellen ; und da weder er selbst
ein Interesse für dasselbe hatte, noch auch ein solches bei seinen Lesern voraussetzte, so beobach-
tete er, der sonst allerlei in den Kreis seiner Besprechung zog, gleich den übrigen Profanschrift-
stellern vor und nach ihm über diesen Punkt ein Stillschweigen. Denn die wenigen Bemerkungen,
die er über die Christen und ihren Glauben im Lebensende des Peregrinus so gelegentlich einschiebt,
sind im Vergleich zu dem, was er sonst geschrieben, nur ein Tropfen am Eimer. Sie verrathen wohl
ein oberflächliches Wissen, das er vielleicht dem Verkehre mit Abtrünnigen oder den im Publicum
cursirenden vagen zum Theil unsinnigen Gerüchten verdankte, aber keine Erbitterung. Die einzel-
nen Ausdrücke darin sind an sich nicht verletzend, nur in ihrer Zusammenstellung etwas pikant und
wie Alles bei Lucian auf den Effect berechnet, der Ton ruhig, vom sardonischen Lächeln eines vor-
nehmen Bedauerns begleitet. Was die anderen Anspielungen betrifft, die man hie und da noch in
seinen Schriften gefunden hat; so kann sie der vorurtheilsfreie Leser als solche nicht anerkennen,
wofern er eben nicht zwischen oder hinter den Zeilen lesen will. Philologische Gründe streiten
dagegen; auch andere, die oben mit angedeutet sind. Wenn dessenungeachtet scharfsichtige Gelehrte
und Kenner Lucians in ihm einen tückischen Christenfeind erblickt haben ; so erkläre ich mir dies
daher, dass sie nicht sowohl nach dem objectiven Bestände des wirklich Gesagten und Vorliegenden,
als vielmehr nach der subjectiven Meinung, die sie sich von der Gesinnung des Autors gebildet,
geurtheilt haben. Diese dürfte allerdings keine besonders günstige und wohlwollende gegen die
Christen gewesen sein, — wie Hesse sich die auch bei dem Heiden und Ungläubigen, der die Christen
für einfältige Leute, für Thoren und Schwärmer ansah , voraussetzen! — aber er greift sie doch
nicht an, er thut ihnen nichts zu Leide, er behandelt sie viel schonender, als die in seinen Dialogen
figurirenden Gelehrten, Philosophen und Götter. —
Dabei bin ich jedoch weit entfernt, der Ansicht jener beizutreten, welche Lucian für einen zum
Christenthume Bekehrten, für einen geheimen Christen halten. Für diese Ansicht finde ich keinen
Anhaltepunkt, ihr steht Alles entgegen. Zwar hat Lucian den Bruch der alten und neuen Zeit offen
dargelegt und durch Niederreissung der heidnischen Götzentempel Platz geschaffen zum Aufbau
neuer Kirchen ; aber er that dies keineswegs mit Rücksicht auf, geschweige für das Christenthum.
lebte, von jeder Art ein Paar; dass Deukalion sie alle aufnahm und sie ihm Nichts zu Leide thaten, weil die Götter
Friede und Freundschaft zwischen ihnen stifteten, — eine Anspielung auf die Mosaische Erzählung von der Sündfluth
und der Arche Noas enthalten, obschon bei Weitem näher die Vermuthung liegt, Lucian habe die ganz Aehnliches
berichtenden vielbenutzten und verbreiteten Sagen der Griechen und die der Assyrier aus Berosus gekannt und vor
Augen gehabt. — Ein noch stärkerer Glaube gehört dazu, um mit Solanus anzunehmen, dass Lucian im 17. Kap. der
„Entlaufenen," wo er von den mit ihrem Knotenstock mössig herumziehenden, marktschreierischen, schwanzwedeln-
den, im Ueberflusse schwelgenden Hundephilosophen sagt, sie führen ein Leben, wie in der goldenen Zeit, wo der
Honig den Leuten vom Himmel in den Mund floss (rö ^iXi avxo ig zä Gröfiata ig^elv in toJ ovquvov), dabei an das
den durch die Wüste ziehenden Israeliten gespendete Manna gedacht habe. Dasselbe regnete ihnen ja nicht unmit-
telbar in den Mund, sondern sie musston es täglich frühzeitig in Körben aufsammeln. Bequemer hatten es nach der
Schilderung der alten Dichter die Menschen im Zeitalter des Kronos, da Honigbäche an ihnen vorbeiflossen, oder die
Einwohner der Stadt auf der Insel der Seeligen, denen es nach Lucians Angabe im 13. Kap. des 2. Buches der wahren
Geschichte auch nicht an Honigquellen fehlte. Noch andere Beispiele führt Kühn in seiner Programmenabhandlung
an, welche sich füglich übergehen lassen.
XVII
Er that dies, weil er mit dem alten unsinnigen Wüste aufräumen wollte, weil er alles Scbeinwesen,
allen Trug und Aberglauben hasste; er folgte dabei nur den Eingebungen seines Alles negirenden
Geistes, seinen destruetiven Tendenzen, ohne etwas Besseres an die Stelle zu setzen. In seinem
Hermotimos (Kap. 2) — um bei diesem Dialoge stehen zu bleiben — lässt er das Wort des alten
Dichters Hesiod (in den Werken und Tagen v. 288 ff.) wohl gelten, dass die Tugend auf ferner
steiler Höhe wohne, er findet das hohe Ziel des eifrigsten Strebens, das Gltick, das oben winkt, des
Schweisses werth (Kap. 5) ; aber noch ist Niemand auf den Gipfel gelangt, noch hat Niemand die
unbeschreibliche^'*) Wonne verkostet. Denn das Leben ist kurz und ungewiss, der Weg rauh,
schlüpfrig und getheilt. Den rechten weiss Niemand, obsehon Viele ^^) es vorgeben. Ein Führer
also, dem man sich anvertrauen könne, ist nicht zu finden. Will man nicht im Finstern tappen und
vom Zufall erwarten, dass er richtig leiten werde; so müsse man selbst wählen, selbst prüfen, wozu
Scharfsinn, geübte Denkkraft, unbestechliche Wahrheitsliebe gehören (Kap. 63). Das Ansehen eines
Lehrers, und sei er noch so berühmt, darf uns nicht imponiren. Ja, gäbe es einen Meister, der die
Kunst besässe, das Wahre mit unumstösslicher Gewissheit darzulegen und diese Kunst Andern mit-
theilen wollte, dann freilich wäre man aller Sorge und Mühe überhoben. — Ich frage hier: Würde
Lucian, wenn er jenen vermissten unfehlbaren Führer in Christo gefunden, wenn er an Den geglaubt,
der von sich sagte: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben," Joh. 14, 6, wenn er die Wun-
der, womit der Heiland sich als göttlichen Gesandten beglaubigte, nicht für Blendwerk gehalten und
das sündenfreie Leben des Gottmenschen kennen gelernt hätte ^^), sich wohl, wie er es im weiteren
Verlaufe des Dialogs thut, in das Labyrinth eines trostlosen Skepticismus gestürzt haben, worin er
zumal bei der Leugnung eines andern bessern Lebens'''^) jemals in den Besitz der Wahrheit, Tugend
und Glückseligkeit zu gelangen verzweifelte und denjenigen für den einzig wahren Philosophen
erklärte, der, nicht etwa wie Sokrates ironisch^*), sondern mit edlem Freimuth bekennen sollte, dass
er nichts wisse? Liess sich von diesem Freimuthe, den Lucian hier und anderwärts ■'' ^) selbst
*4) Gleichwohl folgt eine Beecbreibung der Güter auf der Tugendhöhe im 7. Kap. und der Tugendstadt im
22. Kap.
ö5) Die Prüfung aller philosophischen Systeme erfordere mehr, als ein Jahrhundert j sie reiche also hinaus über
die Grenze des längsten Menschenlehens. Kap. 48 u. 66. "
56) An nichts nahm Lucian grössern Anstoss, nichts erregte mehr seine Indignation und Spottlust, als die über-
all wiederkehrende Wahrnehmung, dass das Leben der Philosophen seiner wie der früheren Zeit mit ihren Lehren im
Widerspruch stand, dass sie, wie sehr sie auch die Verachtung des Reichthums, der Ehren, der Sinnenlust, die Züge-
lung der Leidenschaften empfahlen, doch selbst voll Habsucht, Ehrgeiz, Wollust und Jähzorn waren. Belagstellen
hierfür finden sich sowohl in dein hier oft erwähnten ,, Hermotimos," als auch besonders im „Fischer" und in andern
Schriften Lucians in grosser Menge.
5^) Wenn Jemand , spricht Lycinus (Lucian) zu Hermotimos Kap. 78, das Streben nach Glückseligkeit nicht
aufgiebt, trotzdem er voraussieht, er werde erst als Greis zum Genüsse derselben gelangen, weil er es dann in einem
andern Leben um so besser zu haben hofft; so komme ihm das grade so vor, als wenn Jemand die weitläufigsten
Ziirüstungen mache, um einmal bosser speisen zu können, inzwischen aber Hungers stürbe. ^
58) Der im 20. Todtengespräch verspottete Sokrates giebt hier Kap. 5 seibat zu, dass die Leute seine Aeusserung,
er wisse nichts, für blosse Ironie gehalten. Im folgenden Gespräche wird auch die vom Sokrates bewiesene Todes-
verachtung für eine blos scheinbare erklärt.
59) z, B. im Fischer, wo Lucian sich vor dem Tribunal der Wahrheit als nuQ^riaiaarrig (Freimund) glänzend ver-
theidigt, auch in seiner Schutzschrift für den Aufsatz: die gedungenen Gelehrten, ja selbst in seinen Hetären-Gesprächen,
wo er die schmutzigen Cloakeu des Lasters öffnet, um wo möglich ihre Reinigung zu bewerkstelligen, obsehon er
weiss, dass dieselben zumeist vom kaiserlichen Hofe gefüllt wurden.
A
XVIII
bewiesen, nicht erwarten, dass er seine bisherige dem Komiker Epicharmos abgeborgte Devise: Sei
nüchtern und stets ungläubig! (vr/fs ^^al jxsixv/jff' d-iffTsiv) sofort aufgab, dass er voll Begeisterung
und Bewunderung für die Göttlichkeit der christlichen Lehre in die Worte des Meisters schwur,
beherzigend die einst dem Apostel Thomas von dem Auferstandenen gegebene Mahnung : Sei nicht
ungläubig, sondern gläubig! Joh. 20, 27 oder den Ausspruch des Apostels: Ohne Glauben ist es
nicht möglich, Gott zu gefallen, Hebr. 11, 6? Musste nicht ebenso der Vorsatz, den der von ihm
zum Skepticismus bekehrte Jünger fasst, von nun an all sein Thun und Treiben frei und behaglich
(avsia Travta xal sX£6i>spa Kap. 86) einzurichten, eine Umwandelung erleiden? Nicht darin konnte
er mehr die Freiheit suchen, dass er den wohlthätigen Zügel, welchen die bei ihm die Stelle der
Religion vertretende Philosophie anlegt, Kap. 82 ^"), abwarf, sondern in der Kindschaft Gottes, nicht
in der Verwerfung jeder Autorität, sondern in der Gefangengebung jeden Verstandes zum Gehorsam
Christi, II Corinth. 10, 5^'). Nicht das Horazische: carpe diem*'^)! hätte ihm seines Lebens Auf-
gabe vorgezeichnet, sondern das Gebot des Herrn : Verleugne Dich selbst und nimm Dein Kreuz auf
Dich; er hätte die Busse (oiaita xsxoXafffxsvYj Kap. 86) nicht als etwas Ueberflüssiges ^^), sondern
als etwas Nothwendiges und Heilsames hingestellt. Von alle dejji, was man von einem offenen oder
heimlichen Bekenner des Christenthums erwartet, ist bei Lucian weder im Hermotimos, noch in irgend
einer der übrigen selbst der letzten Periode seines Lebens angehörenden Schriften die geringste Spur
zu entdecken. Er bekennt nur die Religion des ehrlichen Mannes, es genügt ihm, aller abenteuer-
\ liehen und windigen Hoffnungen sich entschlagend als Alltagsmensch und gemeinnütziges Glied der
I bürgerlichen Gesellschaft zu leben (Kap. 84 ßiov xs xoivov ar^aai ßiouv xal (xufjLTroXixeueiv xoT? 7:oXXoTc).
1__ ■ ■■■^■■"- ■■■■^-'-^^-" ■""
60j Diese prohibitive Wirksamkeit der Philosophie wird auf gleiche Stufe gestellt mit der Gewohnheit der Kinder-
wärterinnen, welche die kleinen Knaben, obwohl sie noch nichts Gutes lernen können, gleichwohl in die Schule
schicken, damit sie wenigstens nichts Böses thun.
61) Wie weit Lucian von Anerkennung dieser Glaubenspflicht entfernt war, erhellt aus dem 28. Todtengespräche
zwischen dem blinden Seher Tiresias, (von dem Sophokles im König Oedipus v. 299 sagt, dass ihm allein unter den
Menschen die Wahrheit eingepflanzt sei,) und dem unseres Autors Ansicht vertretenden Cyniker Menippus. Als
jener diesen fragt, ob er denn an der mitgetheilten Sache zweifle, giebt Menippus zwar die Antwort: Zweifeln? das
sei fern. Solche Dinge muss man in aller Einfalt, ohne zu grübeln, hinnehmen. Dass dies aber reiner Spott und
reine Ironie ist, lehrt der Schluss des Gespräches, wo Menippus ausruft: Ihr Propheten bleibt den alten Lügen treu;
man ist es schon gewöhnt, dass kein vernünftiges Wort aus eurem Munde geht.
62) Ich will hier Niemanden insinuiren zu glauben, dass Lucian den Venusinischen Dichter gekannt, — er citirt
hhn wenigstens nirgends und scheint überhaupt kein Latein verstanden zu haben — sondern meine nur, dass der von
' Iloraz so warm empfohlene epikureische Wahlspruch auch in unserm Autor einen Verehrer gefunden habe. Man
sieht dies unter Anderem aus dem „Menippus oder dem Todtenorakel," wo Tiresias, befragt, Kap. 21, welches die
beste Art zu leben wäre, räth: Gib die Narrheit auf, den überirdischen Dingen nachzugrübeln, verachte die künst-
lichen Schlüsse der Sophisten und halte Dich überzeugt, dass alle diese Dinge eitle Possen sind. Hingegen sei Dein
einziges Streben darauf hingerichtet, die Gegenwart Dir zu Nutze zu machen, so viel Du kannst. Im Uebrigen gehe
an den meisten Dingen mit Lachen vorüber und halte nichts für wichtig genug, um Dich darum zu bemühen. Das
Letztgesagte erinnert fast an das Horazische Nil admirari! Wünscht man aber einen hierher passenden Spruch zu
hören, den Lucian selbst im Munde führte, so citirt er in der Schrift „über ein Versehen in der Begrüssung" Kap. 6
folgende zwei Trinieter aus dem Komiker Philemon: Aix(o 8^ vysiav tiü&zov, slz' evTiQU^lav \ Tqlzov de %aiQ£iv,
ilz' orpsiXsiv [ir}8tvi.
63) Man lese nur den sehr interessanten Dialog „der Cyniker," wo ein Philosoph dieser Schule dem den Confort
des behaglichen Lebens liebenden und schützenden Lycinus (Lucian) gegenüber die Vernünftigkeit und den Seegen
der freiwilligen Entbehrung und Strenge gegen sich in einer eben so anschaulichen wie emphatischen Weise predigt,
ohne dafür etwas Anderes, als ein beredtes Stillschweigen, zu erndten.
XIX
Die falschen Götter verspottet er; aber von dem wahren Gotte hat er eine unwürdige, am allerwenig-
sten eine christliche Vorstellung. Er stellt ihn dar nicht als die Liebe, I. Joh. 4, 16, die alle selig
machen will, 1. Timoth. 2, 4, sondern als die im Tempel wohnende Glückseligkeit, die Niemanden
zulässt, auch die nicht, welche unter unsäglichen Anstrengungen den Gipfel des Tugendberges
erklommen haben; sie bleiben alle draussen unter freiem Himmel, ob nahe der Thür und Schwelle,
ob weiter davon entfernt (Kap. 77). Er ist nicht einmal Pantheist^*), sondern reiner Nihilist^*),
der selbst mathemjatische Grunddefinitionen für absurd erklärt ^^). Ihn, den vollendeten Materia-
listen und Rationalisten, den in Sachen des Glaubens mit totaler Blindheit Geschlagenen, als Chri-
sten, sei es auch nur als verkappten, zu denken, ist gradezu unmöglich. — Wollte man aber fragen,
warum ihm das Licht des Glaubens, das zu seiner Zeit bereits aller Orten leuchtete, warum ihm die
Gnade des Herrn, die in Christo allen Menschen erschienen, Tit. 2, 11, nicht zu Theil wurde; so
möchte ich darauf antworten : Weil er bei der Verhärtung seines Herzens, bei dem Dünkel seines
Wissens, bei seiner ganzen der sittlichen Grundlage entbehrenden Lebensrichtung für die Gnade
nicht empfänglich war^ konnte er zuletzt nur durch ein Wunder, wie einst Saulus, bekehrt werden,
und davon hat man nichts vernommen. Wir dürfen also das Bedauern, welches er den Christen stolz
lächelnd wegen ihres Glaubens zollte, mit Fug und Ernst ihm zurückgeben wegen seines Unglaubens,
um so mehr, da er vermöge seiner ausgezeichneten Geistesanlagen, vermöge der Schärfe und Klar-
heit seines Denkens, der Gewandtheit und Anmuth seiner Sprache und Darstellung, der grossen
Belesenheit und Menschenkenntniss, seines so beharrlichen und unermüdlichen Strebens, seines sel-
tenen Freimuthes etc. ein gewaltiges Rüstzeug des Glaubens hätte werden können. Eine weitere
und genauere Zeichnung des Charakters unseres Autors würde mich über die Grenzen meines The-
mas hinaus führen ; auch wäre die Aufgabe keine leichte, da Lucian mit grösserem Rechte, als der
von ihm gegeisselte Cyniker, sich den Beinamen „Proteus" hätte beilegen können.
ö*) Unter andern Albernheiten, — so lässt Lucian im Hermotimoa Kap. 81 einen schlichten Landmann erzählen —
habe sein Neffe bei den Stoikern auch das gehört, dass Gott nicht im Himmel sei, sondern sich durch Alles verbreite
{8iä nccvTcov nscpoirriKSv) z. B. durch Holz, Steine, Thiere bis zu den gemeinsten Dingen. "^"'^ -""'-' "" -^j^^--", . *•
6*) Zum Belage dessen will ich hier wieder nur eine Stelle aus dem Hermotimos (Kap. 66) excerpiren: „Wenn
.Jemand 20 Bohnen in seine Hand verschlösse und zehn Andere nach einander fragte, wie viel Bohnen er hätte, so wäre
es wohl möglich, dass einer zufällig die richtige Zahl träfe, aber ebenso könnte es geschehen, dass alle Zehn falsch
riethen. In gleicher Weise riethen die Philosophen hin und her, worin wohl die wahre Glückseligkeit bestände, ob
im Vergnügen oder im Sittlichschönen oder in etwas ganz Anderem. Und allerdings liesse sich denken, dass Eins
von diesen wirklich das höchste Gut wäre: es sei aber auch nicht unwahrscheinlich, dass dieses Gut irgendwo wäre,
wo es noch Keiner gesucht habe." Mir scheint hier der Skepticismus in Nihilismus überzugehen. Auf weitere Argu-
mente will ich nicht eingehen; sie Hessen sich aus dem im Vorhergehenden" zerstreut Gesagten leicht zusam-
menstellen.
ßöj Dass 2 X 2 = 4 lässt Lucian noch gelten; aber die Geometrie nennt er im Hermotimos Kap. 74 in demsel-
ben Sinne, wie er im Lebensende des Peregrinus das Christenthum eine &civjia6ji'^ aocpta genannt hat, eine &av^a6tri
y'EiofiEtQia. Denn diese verlange von den Anfängern die Zustimmung für etliche absurde Postulate (rovg h aQ%ri
alloy.ova XLva ahrjfiata alT^aaaa) z.B. Punkte seien untheilbar (öTjfiffa a^SQrj), Linien ohne Breite (yQUuiiag anXa-
zslg) u. dgl. Auf einem so morschen Fundamente errichte' sie nun ein Gebäude, das nicht dauerhafter sein könne,
als seine Grundlage. Gleichwohl rühme sich diese Wissenschaft , die von so grundlosen Begriffen ausgehe, eines
imwidersprechlichen Beweisverfahrens !
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P64
Pohl, Carl
Ueber Lucian und s<
Stellung zum Christen i
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