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Ui^yNiBi
I
Ueber
Verbreitung und Verhütung
der
Augeneitenin; der Neugeborenen
Deutschland, Oesterreich- Ungarn, Holland
und in der Schweiz.
Sammelforschung,
im Auftrage der med. Abteilung der schles. Gesellschaft
veranstaltet und bearbeitet
von
Prof. Dr. med. et phil. Hermann Qohn
in Breslau.
Motto: Die Augeneiterung der Neugeborenen
kann und muss aus allen oiyilitirten
Lündem verschwinden.
Berlin AV. 86.
Verlag von OSCAß COBLENTZ
1896.
Alle Rechte vorbehalten.
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Inhalt.
Seite
Einleitung 1
I. Die Blennorrhoe in Breslau 6
IL Die durch Blennorrhoe erblindeten Zöglinge der Blinden -An-
stalten 11
III. Die Verbreitung der Blennorrhoe in Deutschland, Oesterreich,
Holland und der Schweiz 20
IV. Specielle Mitteilungen über Blennorrhöen 30
1) Blennorrhöen von Auswärts 30
2) Beginn der Erkrankung und Verlauf 31
3) Gonococcen -Befunde 33
4) Blennorrhoe bei mehreren Kindern derselben Mutter . 35
6) Behandlung der Blennorrhöen 36
6) Schutz des anderen Auges 39
7) Amtliche Meldung der Fälle 39
8) Blennorrhöen, welche trotz Cred^isirung entstanden
waren ' 39
9) Blennorrhöen, die trotz Abwischens der Augen nach der
Geburt des Kopfes entstanden waren 41
V. Statistik der Geburtshelfer vor und nach Cred^ 42
VI. Die Secundär-Infectionen 64
VII. Kost 1 in 's Einwürfe gegen das Keil mann 'sehe Verfahren . 58
VIII. Urteile von 110 Augenärzten über die Einführung der Credeisi-
rung 63
A. Antworten ohne bestimmte Stellung zur Frage ... 64
B. Gegen Cred^'s Verfahren 67
C. Für facultative Einftlhrung ... 72
D. Für obligatorische Einführung 80
E. Ueberblick über die Antworten 84
IX. Die Anwendung des Cred^isirens in den Univorsitäts-Frauen-
kliniken 89
Schluss 97
Petition der medicin. Abteilung an den Herrn Unterrichts-Minister . 104
48600
Einleitung.
Die Veranlassung zur folgenden Arbeit gab ein Vortrag,
den Herr Dr. Keilmann am 25. Januar 1895 in der medi-
cinischen Abteilung der schlesischen Gesellschaft „über Ver-
hütimg der Augeneiterung der Neugeborenen" gehalten hat. ")
Er verwarf das Cred 6 'sehe Verfahren, welches bekajmtlioh
in der Einträufelung eines Tropfens von 2proc. Höllenstein-
lösung besteht, da es Catarrh der Bindehaut hervorruft, imd
empfahl statt dessen, die geschlossenen Augenlider des
Kindes, sobald der Kopf geboren, mit Jodtrichlorid sorg-
sam abzuwischen. Dadurch würden die Gonococcen ver-
hindert, die Bindehaut zu inficiren, und so sei es gelungen,
bei 500 Geburten in der Küstner 'sehen Frauenkfinik jede
Augeneiterung zu verhüten. Allerdings seien 8 Fälle von
Eiterung doch vorgekommen; diese seien aber von 2 Kindern
eingeschleppt worden, welche nicht in der Anstalt geboren,
und deren Augenlider daher nicht sofort mit Jodtrichlorid
abgewischt worden waren*). Die von dem ersten Kinde im
Juli in die Klinik gebrachte Eiterung sei vermutlich durch
das Badewasser von einer schmutzigen Wärterin übertragen
worden auf 4 Kinder, welche erst am 7. Tage und später
erkrankten. Die beiden anderen Kinder erkrankten im Sep-
tember am 8. und 9. Tage und gehörten zu 400 Kindern,
die überhaupt nicht mehr gebadet wurden; über die Ver-
fiuüassimg der Uebertragung bei diesen beiden Neugeborenen
ist Keil mann nichts Näheres bekannt, weü er zur Zeit
nicht anwesend war. Keilmann betrachtet also seine
Blennorrhöen nur als sogenannte Spätinfectionen.
An diesen Vortrag schloß sich m der folgenden Sitzung
am 1. Februar eine sehr lebhafte Debatte, in der ich die
sicheren Resultate von Cred6 und die Unschädlichkeit der
Methode gegen die Herren Prof. Küstner, Neisser und
Keilmann warm verteidigte. (Vgl. Sitzungsber. d. schles.
^) Siehe 78. Jahresb. d. schles. Ges. f. 1896 Med. Sect. Seite 10—16.
2) Meine Ansicht über die Ursache dieser Epidemieen in der Frauen-
klinik siehe unten in Cap. VI: Die Secundär-Infectionen.
1
Gesellsch. 189B, S. 17 — 36, und Centralbl. f. Augenheilk.
1895, April und Mai, vgl. femer mein Lehrbuch der Hygiene
des Auges, Cap. VI, Wien 1892.) Auf diese Debatte werde
ich noch sehr ausführlich weiter unten in Cap. V bis VII
zurückkommen. Am Schlüsse meiner Ausfilhrungeu stellte
ich damals den Antrag, eine Commission zu wählen,
welche, da die Zahl der Erkrankungen leider nicht ab-
genommen, Vorschläge zur Verhütung der Augeneiterung
ausarbeiten sollte.
In der folgenden Sitzung am 22. Februar begründete
ich den Antrag und wies besonders darauf hin, daß die
Commission die Behörde ersuchen möge,
1) den Hebammen die Paragraphen 218 und 324 des
Hebammenlehrbuchs (in denen das Abwischen der Lider
gleich nach der Geburt des Kopfes schon seit 1892 vor-
geschrieben ist) in Erinnerung bringen zu lassen,
2) den Hebammen die Meldepflicht, die in Schlesien
seit dem 20. October 1884 vorgeschrieben, und auf deren
Unterlassung 30 Mk. Strafe gesetzt ist, die aber in Ver-
gessenheit geraten zu sein scheint, von Neuem einzuschärfen.
Auch möge die Commission 3) eine Belehrung, ähn-
lich der in Hävre verbreiteten, über die Gefahr der Augen-
eiterung ausarbeiten und in Tausenden von Exemplaren in
den Standesämtern verteilen lassen
Auf Wunsch des Herrn Geh -Rat Prof. Dr Mikulicz
wurde beschlossen, daß die Commission sich mit theoreti-
schen und offenen therapeutischen Fragen nicht beschäftigen,
sondern ntur administrative Vorschläge machen solle, die
auf allgemein anerkannten hygiem'schen Grundsätzeu fußen.
In die Commission wurden gewählt die Herren Pro-
fessoren DDr. Czerny, Jacobi, Küstner, Neisser
und ich.
Wir einigten ims am 2. März schnell über meine Vor-
schläge. Es wurde eine Eingabe an den Oberpräsidenten der
Provinz Schlesien, Se. Durchlaucht Herrn Fürsten v. H atz-
fei dt gerichtet, welche das Gesuch um neuerliche Einschärftmg
der oben erwähnten Pflichten der Hebammen enthielt; femer
wurde eine Belehrung, die ich in Anlehnung, aber doch
in mancher Hinsicht abweichend von dem in Havre ver-
breiteten „Avis aux meres, qui ne veulent pas que leurs
enfants deviennent aveugles" ausgearbeitet, mit geringen
Aenderungen angenommen, auf Kosten der schlesischen Ge-
sellschaft in 12000 Exemplaren gedruckt und den Standes-
ämtern der Stadt Breslau durch den Magistrat übersendet
mit der Bitte, sie bei der Meldung von Geburten verteilen zu
assen. (In Breslau werden jährhch 12000 Kinder geboren.)
— 8 —
Die nur drei kleine Seiten füllende Belehrung') fuhrt
den Titel: „Ueber die Gefahr der Augeneützündung der
Neugeborenen. — Eine Belehrung für Mütter, welche ihre
Kinder vor Erblindung bewahren wollen. Herausgegeben
von der medicin. Abt^ung der schlesischen Gesellschaft für
vaterländische Cultur."
Diese Belehrung lautet:
I.
^Der zehnte Teil aller Blinden hat sein Augenlicht
durch die Augenentzündung der Neugeborenen verloren,
und Hunderttausende haben durch dieselbe eine Ver-
ringerung ihres Sehvermögens erfahren. Und doch kann
diese geföhrliche Krankheit durch Maßregeln der Hebamme
vor und bei der Geburt fast immer vermieden werden.
Ist die Krankheit aber ausgebrochen, so ist es stets
Schuld der Eltern, Ammen, Pflegerinnen oder Hebammen,
wenn ein Auge des Kindes Schaden nimmt.
Denn schleunigste ärztliche Hilfe und zwar sofort
beim ersten Beginn des Leidens kann das Auge mit
Sicherheit retten.
Man versäume also die kostbare Zeit nicht mit Ab-
warten oder mit Anwendung von Hausmitteln, man folge
nicht sogenanntem guten Rate von Laien, sondern rufe
sogleich den Arzt, da es sich hier um jede halbe Stunde
handelt.
n.
„Die gefährliche Krankheit beginnt selten am 2 , meist
am 3. oder 4. Tage nach der Geburt, kann aber auch
später auftreten. Sie zeigt sich anfangs als eine leichte
Schwellung und Rötung der Ränder der Augenlider, welche
nach dem Schlafe besonders in den Augenwinkeln ein wenig
mit Schleim verklebt sind. Bald tritt dann beim OeflBien
der Augenlider eine weißliche oder gelbliche schleimige
Flüssigkeit aus. Am 3. oder 4. Tage schwellen die Augen-
lider meist dick an, das Kind öffiiet das Auge nicht mehr
von selbst; nur mit Gewalt können die Lider auseinander
gezogen werden, und ein dicker, rahmartiger, gelber Eiter
quillt oder spritzt hervor.
Wer ein solches Auge öffnet, nehme sich sehr
in Acht, daß ihm nicht selbst etwas von dem Eiter
in sein Auge spritzt, da er sonst unfehlbar von der ver-
derblichen Krankheit befallen würde.
*) Dieselbe ist von der Druckerei von Grass, Barth & Co in
Breslau, 100 Stock für 75 Pfg. zu beziehen.
— 4 —
m.
„Wenn nicht sehr schnell sachverständige Hilfe kommt,
greift die Eiterung von den AugenUdem auf den Augapfel
des Kindes über und zerstört in wenigen Tagen die Horn-
haut des Auges; dann ist totale Erblindung oder
bleibende Sehschwäche die sichere Folge. Wenn
einmal die Hornhaut selbst erkrankt ist, gelingt es selbst
dem erfahrensten Arzte nicht mehr, das Auge vollkommen
zu heilen. Daher sende man bei der geringsten Böte,
Schwellung oder Schleimabsonderung des Auges sofort
zum Arzte.
IV.
„Wer ein Kind mit eitriger Augenentzündung pflegt,
muß sich auf das Sorgsamste die Hände mit Sei& ab-
waschen, so oft er die Augen des Kindes berührt hat.
V.
„Hat die Mutter vor der Entbindung einen eitrigen Aus-
fluß aus dem Schöße gehabt, so muß sie besonders darauf
achten, daß weder ihre Finger, noch etwas von den zur
Reinigung des Schoßes während des Wochenbetts benutzten
Leinenstücken an die Augen des Kindes komme, da auf diese
Weise die Krankheit noch später übertragen werden kann.
VI.
„Wenn ein Zwillingskind an Augenentzündung erkrankt,
ist das andere sofort vollkommen von ihm zu trennen und
darf auch nicht in demselben Bade gebadet werden.
vn.
„War nach einer früheren Entbindung bei einem Neu-
geborenen schon die Augenentzündung vorgekommen, so
muß vor der nächsten Entbindung die Hebamme ganz be-
sonders darauf aufmerksam gemacht werden.
vm.
„Was mass geschehen, bis der Arzt erseheint}
1) Man öffiie die Augen des Kindes alle 10 Minuten
und wische mittels Watte, welche in Wasser getaucht und
ausgedrückt ist, den Eiter sorgsam aus dem Au^e heraus.
2) Man mache sofort kalte Umschläge auf folgende
Weise: Ein mehrfach zusammengelegtes Stück reiner Lein-
wand wird auf Eis oder in sehr kaltem Wasser gekühlt,
gut ausgewunden und trocken und kalt auf das kranke
Auge gelegt. Ist dieser Umschlag warm geworden, so
schadet er; daher müssen die Umschläge alle 2 Minuten ge-
wechselt und so lange fortgesetzt werden, bis der Arzt kommt.
— 6 —
3) Man streiche etwas Vaseline außen auf die Augen-
lider, damit sie nioht durch den Eiter zusammenkleben.
4) Wenn nur ein Auge erkrankt ist, hüte man sich,
mit demselben Fleckchen oder mit den Fingern das andere
gesunde Auge zu berühren, da man sonst die Krank-
heit auch auf dieses übertragen würde.
5) Da die Augenentzündung der Neugeborenen überaus
ansteckend ist, so dürfen Wasser, Leinenstücke und alle
Gegenstände, die zimi Waschen des Auges gebraucht wur-
den, niemals für die Reinigung der Hände oder des Ge-
sichts anderer Personen benutzt werden. Die kleinste
Spur des Eiters verursacht die schnelle und meist unheil-
bare Zerstörung des Auges Erwachsener. Die Watte und
alle zvu* Reinigung des Auges benutzten Leinenstücke sind
bald zu verbrennen.
Niemals versäume man, den Arzt sofort zu rufen. ^
Obgleich die Commission sich mit diesen administra-
tiven Dingen eigentlich hätte begnügen müssen, da sie ja
eine gebundene Marschroute hatte, so glaubte sie doch,
Entschuldigung bei der medic. Abteilung zu finden, wenn
sie im allgemein wissenschaftlichen Literesse noch
etwas über ihre eugere Aufgabe hinausging.
Sie beschloß zunächst, eineUmfrage über die Häufig-
keit der Augeneiterung im Jahre 1894 unter den
Breslauer Aerzten zu veranstalten.
Auf meine Anfrage erhielt ich von allen 16 Augen-
ärzten der Stadt bald geuaue Angaben. Sie hatten im
Kalenderjahre 1894: 282 Kinder, darunter nur 2B aus-
wärtige, an Blennorrhoe behandelt.
Von den 342 CoUegen aber, die nicht Augenärzte sind,
erhielt ich nur 77 Antworten. 68 Herren schrieben, daß
sie keinen Fall gesehen, 19 Herren berichteten aber über
41 Fälle, die sie behandelt. Näheres über diese Fälle habe
ich in der Sitzung der med. Abteilung am IB. März 189B
mitgeteilt. (Vgl. 73. Jahresb. d. schles. Gesellsch. f. 189B,
S. 54, und Centmlbl. f. Augenlieilkde. 1895, Maiheft.)
Ob die übrigen 265 CoUegen Fälle gehabt oder nicht,
ließ sich also nicht entscheiden.
Bestimmt aber waren im Jahre 1894 in Breslau 320
Kinder, davon 294 aus der Stadt selbst, an Blennorrhoe
behandelt worden
Gewiß sind einzelne Fälle von einem Arzt zum andern
gewandert; aber selbst wenn wir 44 solche Fälle abziehen,
so haben doch sicher von den 12000 Kindern, die hier 1894
geboren wurden, 260 = 2% an Blennorrhoe gelitten.
— 6 —
DiesehoheZahlwar überraschend und erschreckend ,
da die Krankheit ja bei richtiger Prophylaxe gar nicht
mehr vorkommen dürfte.
Die Commission hoffte wohl, daß ihre Vorschläge, welche
die medic. Abteilung am 15. März annahm, zur Verringerung
der Blennorrhöen beitragen würden, aber sie beschloß auch ,
eine wissenschaftliche Sammelforschung über das Vor-
kommen der Augeneiterung und die geübten Verhütungs-
maßregeln in allen Gebäranstalten und geburtshilf-
lichen Kliniken, sowie in allen Augenheilanstalteu
und Augenkliniken Deutschlands und Oesterreich-
Ungarns im Jahre 1895 zu veranstalten, und sie hat mit
der Anfertigung und Bearbeitung der Fragebogen Herrn
Med.-Rat Prof. Dr. Küstner und mich beauftragt.
Im Folgenden gebe ich zunächst die Zusammenstellung
meiner an die Aerzte Breslau's, an die Augenärzte
Deutschlands, Oesterreich-Ungams, Hollands und der Schweiz
und an die Blindenanstalten der genannten Länder ge-
richteten Anfingen und deren Antworten, welche bei einem
Zahlenmateriale, wie es wohl bisher Niemandem zur Ver-
fügung stand, manches neue Licht, wie ich glaube, auf Ver-
breitung und Verhütung der Augeneiterung der Neugebore-
nen werfen dürfte.
I. Die Blennorrhoe in Breslau.
Am 2, Januar 1896 versendete ich an 360 Aerzte der
Stadt Breslau Postkarten mit bezahlter Rückantwort, die
also lauteten:
Hochgeehrter Herr College!
In der med. Abteilung der schles. Gesellsch. habe ich
zu berichten, wie viel Fälle von Blenu. neon. hier im
Jahre 1895 vorgekommen Ich ersuche Sie daher höf-
lichst, mir auf beigefügter Karte die Zahl der Fälle, die
Sie 1895 behandelt haben, gef. bald notiren zu wollen. —
Haben Sie keinen Fall, so bitte ich trotzdem um gef.
Rücksendung der Karte mit dieser Bemerkung. Höflichen
Dank im Voraus
Ihr ganz ergebener College
H. C.
Auf der angebogenen, mit meiner Adresse versehenen
Postkarte standen schon gedruckt die Worte: „Im Jahre
1895 habe ich . . . Fälle von Blenn. neon. behandelt.
Dr ^
— 7 —
Den Herren CoUegen habe ich also keine große Mühe
zugemutet; nur eine Zahl und ihren Namen brauchten sie
aufzuschreiben —
In dem neuen Adreßbuch, das die Hansa am 1. Januar
1896 herausgegeben, waren eigentlich 372 Aerzte verzeich-
net; aber 12 brauchte ich nicht anzufragen, da sie nur
Theoretiker sind und ganz gewiß keinen Fall von Blenn.
behandelt haben.
Von den 360 Karten kamen 12 als unbestellbar zurück,
da 9 CoUegen verzogen und die anderen gestorben waren.
Es bleiben also 348 Aerzte. Ich hatte zwar, wie oben
bemerkt, ausdrücklich gebeten, daß auch die Herren CoUegen,
die gar keinen PaU behandelten, dies mit Null auf der
Antwort bezeichnen möchten; trotzdem glaubte eine große
Zahl von CoUegen, daß keine Antwort bedeuten soUe, sie
hätten keine Fälle gesehen.
Da also nach 3 Wochen von 71 CoUegen noch keine
Antwort gekommen war, schrieb ich an dieselben am
20. Januar nochmals Postkarten mit bezahlter Antwort.
Hierauf erwiederten 60 CoUegen.
Es blieben also noch 11 Aerzte übrig, die ich am
4. Febniar zum dritten Male brieflich anfragte. Auch diese
antworteten nun mit Ausnahme eines einzigen CoUegen, der,
wie ich später erfuhr, geisteskrank ist.
Ich verzeichne es also zunächst mit besonderem Danke,
daß sämtliche 347 hiesige practicirende Aerzte meine
Anfrage beantwortet haben.
Es ist dies um so dankenswerter, als, wie oben in der
Einleitung mitgeteilt, es mir im vorigen Jahre nicht möglich
war, von mehr als 23 ^/q der practischen Aerzte eine Antwort
zu erhalten.
Ich weiß nun sicher, daß von den 347 hiesigen Aorzten
279 ganz bestimmt keinen Fall von Blennorrhoe be-
handelt haben.
Nur 68 CoUegen, und zwar 16 Augenärzte und 62 prac-
tische Aerzte, haben Fälle gesehen.
Drei Augenärzte hatten überhaupt keinen FaU, zwei
Augenärzte hatten nur in der Privätpraxis keinen FaU.
Es behandelten im Jahre 1895
16 Augenärzte 218 Kinder
62 pract. Aerzte 115 Kinder
68 Aerzte also 333 Kinder.
Eine Abnahme der Blennorrhöen gegen das Vorjahr
(320) ist also nicht eingetreten. Freilich wissen wir nicht,
ob unter den 266 CoUegen, die im Vorjahre keine Antworten
— 8 —
sendeten, nicht damals doch solche waren, die auch Kinder
mit Blennorrhoe behandelten.
Immerhin ist die Zahl 333 für Breslau eine sehr
traurige; sie sollte ja Null sein!
Meine Absicht war es, die wahre Zahl der Blennor-
rhöen in Breslau zu finden. Dies konnte nur geschehen^
wenn 1) jede D op pelzählung ausgeschlossen wurde, die
etwa durch das Wandern mancher Kranken zu zwei oder
mehreren Aerzten stattfand, und wenn ich 2) die Zahl der
Kinder erfuhr, die von Auswärts gekommen waren
Ich mußte daher neue Briefe an die 68 Collegen, welche
mir Fälle gemeldet hatten, senden mit der Bitte, mir ent-
weder die Namen oder die Anfangsbuchstaben der
Kinder zu nennen Auch ersuchte ich anzugeben, wie viel
von den behandelten Kindern aus Breslau waren.
Die letztere Frage hielt ich für ganz unverfänglich
und leicht zu beantworten, da doch wohl jeder Arzt notirt,
woher ein blennorrhoisches Kind kommt.
Allein von den 62 practischen Aerzten, welche IIB Fälle
behandelt hatten, antworteten mir nur 41, daß unter den
86 Fällen, die sie gesehen, 84 aus Breslau waren.
Von den 16 Augenärzten gaben 16 in bereitwilligster*
Weise an, daß unter ihren 178 Fällen 161 Kinder aus
Breslau waren. Ein einziger Augenarzt verweigerte trotz
wiederholten schriftlichen Ersuchens selbst diese Angabe
und beschränkte sich ausdrücklich auf die ausschließliche
Nennung der Zahl der von ihm gesehenen Blennorrhöen. —
Ich kann also nur sagen : Ueber 264 Fälle habe ich Nach-
richt, und von denselben waren nur 29 nicht aus Breslau
= etwa 11 pCt. Nehmen wir die gleiche Procentzahl für
die 69 Fälle an, über die mir Berichte fehlen, so würden
von den 333 Eandem etwa 300 auf Breslau kommen Aber
auch bei den Auswärtigen sind meist die nächsten Dörfer
und Vororte um Breslau genannt, z. B Mochbern, Hüben,
Gräbschen, Tinz etc , so daß man kaum fehl geht, wenn
man sagt, daß 300 Kinder aus Breslau und der näch-
sten Umgebung stammen. Unter den mir mitgeteilten
Städten ist nur einmal Oppeln als fernster Ort genannt.
Es ist ja auch wohl einleuchtend, daß die Angehörigen
die nächsten Aerzte bei der Blennorrhoe aufsuchen und
mit den zarten Neugeborenen, die ja meist von der zu Bett
liegenden Mutter genährt werden müssen, keine weiten
Reisen machen. Femer trifft das Leiden in der übergrossen
Zahl die ärmeren Volksklassen, die keine Mittel für kost-
spielige Reisen haben. Endlich ist es auch dem größeren
Publicum bekannt, daß heut zu Tage selbst in kleinen
— 9 —
Städten, wenigstens in Schlesien und den Nachbar-Provinzen,
practische Aerzte genug vorhanden sind, die eine Blennor-
rhoe schulgerecht heilen.
Da in Breslau jährlich 12000 Kinder geboren werden
und etwa 300 Blennorrhöen zeigen, so haben wir hier 26
pro mille Blennorrhöen*). —
Die zweite Frage, ob es mir gelingen würde, Doppel-
zählungen zu vermeiden, schien mir selbst die schwie-
rigste. Denn sie läßt sich nur bei größtem Vertrauen aller
Collegen lösen
Bei Syphilis hat es gewiß Bedenken, den Namen des
Kranken einem andern Arzte mitzuteilen, namentlich in der
Privatpraxis. So odiös liegt aber doch die Sache bei der
Blennorrhoe nicht.
Ich erkenne dankend an, daß 33 practische Aerzte und
12 Augenärzte mir die Namen oder die Anfangsbuchstaben
der £[inder mitgeteilt haben; aber mit den Anfangsbuch-
staben ist, wie ich gesehen, nicht viel zu machen. Wenn
auch beispielsweise einige Male R. G. verzeichnet ist, so
braucht das keineswegs dasselbe Kind zu sein.
Einige Collegen schrieben mir, die Namensangabe sei
unnötig, da sie alle ihre Fälle bis zu Ende behandelt haben;
solche Mitteilungen betreffen 41 Kinder; diese sind gewiß
nicht doppelt gezählt. — Einige andere CoUegen teilten
mir mit, daß sie ihre kleinen Patienten, zusammen 7 Kinder,
nach längerer oder kürzerer Zeit einer Augenklinik über-
wiesen haben; ich habe selbst ein Kind, das schlecht ge-
pflegt wurde, in die Kgl. Universitäts- Augenklinik zur Auf-
nahme gesendet, da ich blennorrhoische Kinder nur ambu-
latorisch behandle. Im Ganzen ist es aber doch immer nur
eine kleine Quote von Kindern, die zu mehreren Aerzten
gebracht wird
Die große Arbeit, alle die Anfangsbuchstaben zu ver-
gleichen und die Beziehungen derselben zu einander zu
erraten, ist ganz überflüssig, sobald nur ein einziger Augen-
arzt, der viele Blenn. hatte, sich von der Mitteilung aus-
schließt. Wer eben nicht will, beantwortet einfach diese
Frage trotz mehrfacher Aufforderung nicht. Auf mehrere
*) In der mir leider erst während des Druckes bekannt gewordenen,
unter Prof. Pflüger's Leitung schon 1894 in Bern gearbeiteten vor-
treflFlieheu Dissertation von Heim: ^lieber Blenn. neon. und deren Ver-
hütung in der Schweiz** finde ich. daß 1891 in der Schweiz unter 83596
Neugeborenen nur 378 « knapp 5 pro mille Blennorrhöen vorkamen, d. h.
5 mal weniger als in Breslau. — Auch in Mecklenburg -Schwerin fand
Schatz (Deutsche Med. Wochenschrift 1884, No I) unter 18000 im Jahre
1882 Neugeborener nur 6 pro mille Blenn. neon.
— 10 -
solche erhielt ich freilich nur in einem einzigen Falle eine
unhöfliche Antwort. Ich bemerke hier, daß ich der Letzte
bin, der Jemand, der auf eine Bitte nicht antwortet, mehr-
mals belästigt; ich that es natürlich hier nur im Auftrage
der med. Abteilung, welche ja die Sammelforschung möglichst
vollständig durch mich gewünscht hatte.
Da nun jener College sogar verweigerte, mitzuteilen,
wie viel Augenkranke er im Jahre 1896 behandelte, so
bedaure ich, nicht einmal den Gesammt-Procentsatz der
Breslauer Blennorrhöen unter den Breslauer Augenkranken
angeben zu können.
Wie verschieden sich der Procentsatz in den einzelnen
Augenkliniken Breslaues gestaltet, wird man in der großen
Tabelle III im 3. Capitel über die Blennorrhoe bei den
verschiedenen Augenärzten Deutschlands finden.
Die wahre Zahl der Fälle in einer Stadt ist nicht
durch Privat-Nachfrage festzustellen, wenn nicht alle Aerzte
wohlwollend der Arbeit gegenüberstehen.
Es giebt nur einen Weg, der ein absolut sicheres
Resultat geben kann, das ist der, daß die Blennorrhöen
von jedem Arzte der Behörde gemeldet werden müssen,
wie die übrigen Infections-Krankheiten, Es braucht
nur auf den Postkarten, die an das Polizei -Commissariat
mit der Krankheitsmeldung gesendet werden müssen, zu
den vorgedruckten Worten: Cholera, Variola, Diphtherie,
Typhus, Recurrens, Scarlatina, Morbilli, Dysentene, Puer-
peralfieber und Meningitis cerebrospinalis noch das Wort
Blennorrhoe hinzugefügt zu werden.
Die Behörde erfilhrt hier jeden Namen, jede Wohnung
und jeden Herkunftsort und kann mit Leichtigkeit durch Ver-
gleich die Zahl der wirklich vorgekommenen Augen-Eite-
rungsfäUe am Ende des Jahres zusammenstellen ; jede Doppel-
zählung ist, ohne daß eine Indiscretion zu befürchten wäre,
ausgeschlossen.
Wie viel Belästigung der CoUegen, wie viel Schreibe-
reien, Druckkosten und Porto's würden auf diesem Wege
erspart werden! Und doch könnte so allein festgestellt
werden, ob die Krankheit in einem Orte abnimmt oder nicht.
Nim habe ich ja schon im vorigen Jahre darauf hin-
gewiesen, daß gerade in Schlesien seit fast 12 Jahren, seit
dem 20. October 1884 eine Verordnung existirt (Breslauer
Amtsblatt vom 7. November 1884), in der § 4 lautet: „Jeder
Fall von eitriger Augenentzündung der Neugeborenen ist
von der Hebamme ohne Verzug (bei 30 Mk. Strafe)
dem zuständigen Physikus schriftlich oder mündlich anzu-
zeigen."
— 11 —
Allein selbst wenn sie, was bis 1895 nie geschehen,
wirklich die Fälle dem Physikus melden, so kann dessen
Wirksamkeit nur eine moralische sein; er kann ihnen nur
ans Herz legen, bald einen Arzt zu rufen.
Es war nun aber interessant, zu hören, ob wenigstens
im vorigen Jahre, nachdem den Hebammen durch die Phy-
siker die Meldepflicht in Folge unserer Eingabe an den
Herrn Ober-Präsidenten (siehe oben Einleitung, Seite 2) auf's
Neue eingeschärft worden, alle Blennorrhöen von den Heb-
ammen den Physikern auch wirklich gemeldet worden sind.
Da erfuhr ich denn auf meine Anfrage bei den hiesigen
drei Herren Bezirksphysikem, daß ihnen von den Hebammen
nur 11 Fälle amtlich gemeldet worden, während auf meine
Anfrage mir 333 Fälle von den Aerzten mitgeteilt worden
waren
Der Fiscus hat also, da die Unterlassung der Anmel-
dung von 300 Blennorrhöen nicht bestraft wurde, allein im
vorigen Jahre 9000 Mk. verloren, — in den letzten 12
Jahren sogar über 100,000 Mk. verloren!
Was hat nun die neuerliche Ermahnung der Hebammen
durch die Physiker genützt? Nichts.
Will die medicinische Abteilung ein sicheres Urteil
darüber gewinnen, ob die Krankheit in Breslau zu- oder ab-
nimmt, so muß sie die Behörde ersuchen, daß die Melde-
pflicht für die Aerzte auch für Blenn. neon. vor-
geschrieben werde, wie iiir die anderen Infectionskrank-
heiten. Und diesen Antrag werde ich am Schlüsse stellen.
Was die einzelnen in Breslau beobachteten FäUe von
Blennorrhoe betrifft, über die eine Anzahl Collegen die
Güte hatte, genauer zu berichten, so komme ich auf diese
im 3. Capitel ausführlicher zurück.
IL Die durch Blennorrhoe erblindeten Zöglinge
der Blindenanstalten.
Schon in der Sitzung am 16. März 1896 erwähnte ich,
daß es von Wichtigkeit sei, die Zahl der Schüler unsrer
Blindenanstalt zu kennen, welche durch Blennorrhoe ihre
beiden Augen verloren haben. Der Anstaltsarzt, Herr Dr.
Beyer, war aber wegen Ueberbürdung damals nicht in der
Lage, eine neue Zusammenstellung zu machen. Ich konnte also
nur erwähnen, daß nach einer alten*) Zusammenstellung von
^) Siehe Tabelle I, Seite 13.
— 12 —
Reinhard aus dem Jahre 1876 hier 36 pCt. und später
von Magnus im Jahre 1884 unter 87 Blinden der Breslauer
Anstalt 24 Mal Blennorrhoe, d h. in 27 pCt., als Ursache
festgestellt worden ist. Inzwischen habe ich selbst im Som-
mer V J. mit gütiger Erlaubnis der Direction und dan-
kenswerter Unterstützung des Herrn Rector Schottke
eine genaue Pinifung aller 130 Blinden unserer Anstalt vor-
genommen, über deren hauptsächliche Ergebnisse ich be-
reits auf der Wander- Versammlung der schles. Gesellschaft
in Schweidnitz am 30. Juni 1896 Mitteilungen machte, und
deren ausführliche Bearbeitung ich mir für einen beson-
deren Aufsatz vorbehalte.
Hier sei nur erwähnt, daß ich durch weitläufige schrift-
liche und mündUche Rückfragen bei den Angehörigen der
Blinden und bei den Aerzten, die sie behandelt, feststellen
konnte, daß von den 130 Blinden 27 ganz sicher durch
Blennorrhoe erblindet waren = 21 pCt.
Danach wäre die Blennorrhoe- Blindheit in unserer
Anstalt, nachdem sie vom Jahre 1876 bis 1884 von 35 pCt.
auf 27 pCt. gefallen, in den letzten 11 Jahren von 27pCt.
auf 21 pCt. gesunken, wolil etwas, aber lange nicht genug.
Aus anderen Blindenanstalten hatten wir nur wenig
Ziffern zum Vergleiche.
Die älteste Zusammenstellung der Blennorrhoe-Blinden
in 22 Anstalten nach den in dem 10jährigen Zeitraum von
1866—1876 erfolgten Aufnahmen gab Reinhard auf dem
2. Europäischen Blindenlehrer-Congreß in Dresden im Juli
1876. Siehe Tabelle I auf Seite 13«):
In jener Versammlung zu Dresden 1876 wirkten diese
Zahlen höchst deprimirend — waren doch Anstalten mit
41, 42, 43, 44, 61 und selbst 61 pCt. aufgeführt worden —
und man bescliloss, es sollten aUjährliche Erhebungen an-
gestellt und Belehrungen durch die Presse veröffentlicht
werden. — Historisch interessant ist es, daß damals Director
Reinhard aus Dresden erklärte, er habe sich an eine
Autorität Deutschlands auf dem Gebiete der Augenheil-
kunde um Rat betr. der Folgen dieser verheerenden Krank-
heit gewendet. „Die Antwort bezeichnete lakonisch die
Dummheit und die Indolenz des Publicums als die
Ursachen, welche zu bekämpfen sind.** —
Leider sind in den letzten Jahren keine weitere Zäh-
lungen in größerem Maßstabe angestellt worden.
*} In der Original-Tabelle sind einige schlimme Rechenfehler in den
Procenten vorhanden: die Durchschnittsprocentzahl ist dort auf 40,25,
statt auf 30,38 pCt. angegeben.
— 18
Tabelle I (naeh Reinhard).
Blennorrhoeblinde im Jahre 1876.
Anstalt
BlindoDzahl
Blennorrhoe-
blinde
Blennorrhoe-
blinde in Proc.
1.
2.
8.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
18.
14.
15.
16.
17.
18.
19.
20.
21.
22.
Dresden . .
Breslau . . .
Hannover . .
Kopenhagen .
Budapest . .
Königsberg . •
Wien . . .
Düren . . .
Barby . . .
München . .
Berlin . . .
•Neu-Tomey .
Friedberg . .
Brflnn . . .
Amsterdam
Linz ....
Kiel ....
Neukloster . .
Lemberg . .
Frankfurt a. M.
Hamburg . .
Leipzig . . .
289
151
145
142
138
135
120
102
96
89
81
59
59
54
53
44
44
38
35
33
26
Summa
2165
93
84
86
12
68
39
42
11
26
42
19
84
15
15
17
27
18
19
28
4
11
8
33
85
24
8
42
28
31
9
25
44
21
41
25
25
31
51(!)
30
48
61(!)
11
33
31
658
30
Nur einzelne Notizen findet man. So heißt es in dem
Bericht der Klar'schen Blindenanstalt in Prag (1895,
Seite 6): ^Im Jahre 1874 wurde in Böhmen auf 1267 Ein-
wohner ein Blinder geAmden, im Jahre 1894 aber nur 1
auf 1416. Im Alter von 1 — 6 Jahren waren 1874 noch
112 Blinde, 1894 aber nur 81 Blinde. Dieser Rückgang
der Erblindung in den ersten 6 Lehensjahren trotz zu-
nehmender Bevölkerung liefert den erfreulichen Beweis,
daß die unausgesetzten und energischen Maßregeln, welche
seitens der maßgebenden Factoren in den letzten Decennien
zur Verhütung der Blennorrhoe getroffen wurden, denn doch
nicht ohne Erfolg geblieben sind".^)
^ Sehr wichtig scheint mir im Anschluß an diese Bemerkung eine
Notiz über die Pockenblindheit aus demselben Bericht. Es waren in
Böhmen im Jalire 1874: 36(1 Personen an Pocken erblindet, im Jahre 1894
sogar 378. In der Anstalt sind unter 123 Blinden 22 = 18 pCt. an
Pocken erblindet; acht waren nicht geimpft, drei sollen geimpft worden
sein, bei 11 fehlt die Angabe. «Hoffen wir,*" sagt der Bericht, „daß bis
zur nächsten Blindenzfthlung im Jahre 1904 der Impfzwang bereits
eingeführt und ein günstigeres Resultat zu verzeichnen sein wird." — Wie
schon sticht dagegen die Thatsache ab, daß in der Breslauer Anstalt
jetzt unt^r 130 Blinden nur ein sicherer Pockenfall von mir gefunden
— 14 —
Mecker bemerkt, daß iu Düren im Jahre 188B 17 pCt.
Blennorrhoe-Blinde waren, deren Procentsatz bis 1896 stetig
fiel und jetzt nur noch 7 pCt. beträgt
Nach Dufour waren in der Schweiz 1843 noch 46 pCt.
Blennorrhoe-Blinde, jetzt 6 pCt.
Ans Amsterdam schreibt mir Herr Director Lenderink,
daß vor 20 Jahren 28 pCt., jetzt 13 pCt. Blennorrhoe-
Blinde in der Anstalt seien.
Hofrat Stieler hat 20 Jahre lang in der Anstalt in
München Notizen gesammelt. Seinem treflflichen Vortrage
^Ueber die Entlastimg der Blindenanstalten durch prophy-
lactische Maßregeln" (Verhandl. des 8. Blindenlehrer -Kon-
gresses in München, Aug. 1896, Seite 69) entnehme ich
Folgendes: „Die höchste Zahl war 43 pCt. im Jahre 1883,
die Tiiedrigste 1893: 22 pCt., 1894 und 96 waren 30 und
26 pCt., in allen übrigen Jahren niemals weniger als 32 pCt.
Vor Cred6 betrug sie nach dem jährlichen Zugange 49 pCt.,
nach Credi 36 pCt. Im Gesamtdurchschnitt 36 pCt. , „be-
trübend genug gegenüber einer Krankheit, die, wenn recht-
zeitig und richtig behandelt, niemals zum Verluste des
Auges führen darf.®) — Wie wichtig wäre es auch in
pecuniärer Hinsicht, ganz abgesehen von der Verhütung
so vielen Elends, wenn '/, weniger Blinde in die Anstalten
zu kommen brauchte. Allein für München würden jährlich
22600 Mk. erspart werden."
In dem Berichte über die Blindenanstalt in Zürich vom
Jahre 1876 wird gesagt, daß dort seit 1866, also seit zehn
Jahren, kein einziger Fall von Blennorrhoe- Blindheit mehr
vorkam, und daß dieses B^sultat zu danken sei einesteils
der Verpflichtimg der Hebammen, sofort den Arzt zu rufen,
andrerseits der Verbreitung besserer Kenntnisse unter den
Aerzten und Laien und der hieraus entsprungenen Sorge
fiir scrupulöseste ReinUclikcit mit oder ohne gleichzeitige
Anwendung von Desinfectionsmitteln. Dr. Stiel er be-
zweifelt mit B^cht, ob dieser ideale Zustand sich auch
weiterhin erhalten habe, da die größte Reinlichkeit auch
nicht im Entferntesten dasselbe leisten könne, wie das
Crede'sche Verfahren. (Vergl. unten im Capitel IX die Mit-
wurde, und dieser war vorher nicht geimpft woi-denl — Auch Mecker
schreibt, daß nach Einftlhrung der Impfung die Pocken|>linden in der
Bheinprovinz von 35 auf 2 pCt herabgegangen seien. Und trotzdem
giebt es noch immer Gegner des Impfzwangs!
^ Man sieht, sagt Stieler, daß die Cred^*6che Methode trotz
ihres 14jährigen Bestehens noch keineswegs die ihr gebührende Ver-
breitung gefunden hat, und daß noch immer eine große Zahl Blennor-
rhöen gar nicht oder zu spät in Behandlung kommt.
- 15 —
teüungen von Prof« v. Winkel über vergleichende Prüflingen
in München )
Wie man in der folgenden Tabelle II findet, sind mir
neuerdings aus der Blindenanstalt in Zürich unter 19 Blinden
wieder 4 Blennorrhoe-Fälle gemeldet, also 21 pCt., freilich
kein Blinder, der jünger als 10 Jahre war.
Mit Recht wünscht auch Dr. Stieler, daß von jetzt
ab die jährlichen Berichte sämmtlicher Bh'ndenanstalteu
die Zahl ihrer Blennorrhoe-Blinden mitteilen möchten, damit
man den Einfluß der Crede 'sehen Prophylaxe studiren könne.
Ich glaubte nun, daß es gelingen müsse, schon jetzt
die Zahl der in den Blinden- Anstalten untergebrachten
Blennorrhoe-Blinden durch Umfrage bei den Directionen
festzustellen. Durch nichts kann man ja die Gefahr der
Krankheit den Behörden und dem Publicum eindringlicher
vor Augen führen, als durch die Zahl der durch die Blen-
norrhoe vollkommen Erblindeten.
Dem von Mecker redigirten „Blindenfreund" (Jahr-
gang 12, Düren, 16. Nov. 1892) und der 1887 erschienenen
Schrift von Merle, Sengelmann und Söden in Ham-
burg „Das Blinden-, Idioten- und Taubstummen -Bildungs-
wesen" entnahm ich die Uebersicht der 32 deutschen, der
12 österreichischen, der 3 schweizer und der 7 holländischen
Blindenanstalten. (Im Jahre 1892 gab es in Deutschland
37632 Blmde und in 32 Anstalten 2114 Blinde = 6 pCt.
der Blinden.) An die Vorstände jener 54 Blindenanstcdten
richtete ich nun am 10. Nov. 1896 ein gedrucktes Rund-
schreiben, in dem ich auseinandersetzte, wie wichtig die
Beantwortung folgender 3 Fragen wäre:
1) Wie viel Zöglinge hat die Anstalt im Nov. 1895?
2) Wie viel unter diesen sind sicher an Blennorrhoe er-
blindet? (Am besten wäre die Beantwortung durch einen
Augenarzt oder den Anstaltsarzt.)
3) Wie viele der Blennorrhoe-Blinden sind jünger als
10 Jahre?
Ich bat um Rücksendung der ja keine große Mühe
bereitenden und die Anstalt doch selbst interessirenden Ant-
wort bis Ende Jan. 1896.
Nur 28 Anstalten antworteten bis zu diesem Termine;
auf erneute Bitte erhielt ich noch Ende Febr. von 14 Direc-
tionen und Mitte März noch von Freiburg i. Br. Nachricht,
so daß ich über Zahlen aus 43 Blindenanstalten verfuge.
Es sind dies 30 deutsche, 9 österreichische, 3 schweizer imd
eine holländische. Von den deutschen Ainstalten fehlen
also nur 2 )Frankfurt a. M. und Paderborn). Den Vor-
ständen spreche ich hierdurch höflichen Dank aus.
- lÖ
Die Mitteflungen betreffen 3033 doppelseitig Blinde,
von denen 593 = 19 pCt, ihre Augen durch Blen-
norrhoe verloren haben.
Von diesen 693 Zöglingen sind 127 Kinder jünger als
10 Jahre = 21 pCt. der Blennorrhoe-Blmden. Da Cred^'s
Methode 1882 veröffentlicht worden, also 1886 schon ver-
breitet sein konnte, so hätte jeder dieser 127 Blen-
norrhoe -Blinden^) durch einen Tropfen Höllen-
stein bestimmt vor der Erkrankung bewahrt wer-
den können!
Auf die einzelnen Anstalten verteilen sich die Blen-
norrhoe-Blinden wie folgt (Tabelle 11):
Tabelle n.
Blennorrhoeblinde im Jahre 1896.
Blindenanstalt in
Zahl
der
Blinden
Davon
an Blen-
norrhoe
erblindet
Procent
der Blen-
norrhoe-
blinden
Blennor-
rhoeblinde
unter
10 Jahren
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
16.
16.
17.
18.
19.
20.
21.
Augsburg ....
Barby (Sachsen) .
Berlin (städtisch) .
Breslau
Braunschweig . .
Bromberg ....
Dresden ....
Düren
Prankfurt a- M.»o)
Freiburg i. ßr. . .
Priedberg i. Hessen
Gmünd (Schwab.) .
Hamburg ....
Hannover ....
Heiligenbrunn (Württbg.
lllzach (Elsaß) . .
llvesheim (Baden) .
Kiel
Königsberg i. Pr. .
KOnigsthal (Westpreußen)
Leipzig
Deutschland.
30
3
10
130
32
26
142
29
20
130
27
21
18
2
11
69
25
86
207
44
21
181
16
8
?
?
?
27
14
52
18
2
11
71
16
23
62
8
13
114
8
7
32
2
6
87
34
39
39
6
13
101
8
8
87
10
11
89
18
20
24
6
26
2
6
11
1
2
7
4
?
1
2
1
6
') Wenn in Breslau nur 1 Kind unter 10 Jahren als blennorrhoe-
blind aufgenommen worden, so darf man daraus nicht etwa schliessen,
dass hier in den letzten Jahren mehr als anderwärts die Blennorrhoe ab-
genommen habe; es werden vielmehr hier nur Blinde mit vollendetem
10. Lebensjahre als ZOglinge aufgenommen; als Hospitanten nehmen
aber 2 Kinder unter 10 Jahren am Unterrichte Teil. Das eine derselben
ist aber blennorrhoeblind. ^ In manchen andren Anstalten werden über-
haupt Rinder unter 10 Jauren gar nicht aufgenommen.
1^) Die Direction bedauert, mit der gewünschten Auskunft nicht
dienen zu können.
— 17 —
Blindenanstalt in
Zahl
der
Blinden
Davon I Procent
an ßlen- der Blen-
norrhoe
erblindet
norrhoe-
blinden
Blennor-
rhoeblinde
unter
10 Jahren
22.
23.
24.
25.
26.
27.
28.
29.
30.
34.
32.
33.
34.
35.
36.
37.
38.
39.
40.
41.
42.
43.
44.
München
Neukloster (Mecklenbg.)
NOmber^
Paderborn '») • . . •
Soest
Steglitz (Berlin) . .
Stettin (Neu-Tomey) .
Stuttgart
Weimar
Wiesbaden ....
Würzburg
98
45
40
?
49
131
68
46
10
46
42
29
8
10
?
7
27
21
18
2
4
4
Summa 2233
438
Brunn
Graz
Linz
Prag
Wien
Wien
Wien
Wien
Wien
Bern .
Lausanne
Zürich .
UL Schwell.
30
19
Summa
IT,
45. 1 Amsterdam
79
Holland.
70 I
16
80
18
25
?
14
21
81
89
20
9
10
20
20
20
21
18. I
10
2
1
?
3
2
17
2
1
83
n.
Oesterreich.
116
28
24
59
20
84
7
47
9
19
(Klar^sche Anstalt)
128
18
15
10
(Kaiserl. Anstalt) .
74
18
24
6
(Neu-Lerchenfeld) .
15
2
13
2
(Hohe Warte) . .
45
2
4
1
(Purkersdorf) . .
77
15
20
4
(Beschäftig. - Anst.)
95
18
19
Summa
651
130
20
30
Gesamtsumme in 45 Blinden-
anstalten
593
19
127
Vergleicht man diese Tabelle IE mit der oben Seite 13
gegebenen Tabelle I, so findet man allerdings, daß der
Durchschnittssatz der Blennorrhoe -Blinden seit 1876, also
seit 20 Jahren, von 30 auf 19 pCt. herabgegangen, und
daß keine Anstalt mehr existirt, die über 62 pCt. enthält,
während damals sogar 61 pCt. gefunden wurden. —
") Der Vorstand der Anstalt schrieb mir, ich möge mich in der
Angelegenheit an den Landeshauptmann der Provinz Westfalen wenden.
Ptti* solche Weitläufigkeiten fehlte mir die Zeit.
2
— 18 —
In den einzelnen Anstalten schwankt der Procentsatz
gewaltig. Die wenigsten Blennorrhoe -Blinden hat Wien
(Hohe "Warte), nämlich nur 4 pCt.; dann folgt Heiligen-
bronn in Würtemberg mit 6, Hannover mit 7, Düren
und Kiel mit 8 pCt., Wiesbaden mit 9 pCt. und Würz-
burg mit 10 pCt. Zwischen 10 und 19 pCt. haben 13 An-
stalten, zwischen 20 und 29 pCt. haben 16 Anstalten.
München zeigt 30 pCt., Stettin 31 pCt., Graz 34 pCt.,
Bromberg 36 pCt., lUzach und Stuttgart 39 pCt. und
Freiburg i./Br. sogar 52 pCt. Blennorrhoe-Blinde noch
jetzt.
Die deutschen, österreichischen und schweizer Anstalten
haben durchschnittlich 20 pCt., nur die holländische zeigt
13 pCt.
In den deutschen Anstalten sind 20 pCt., in den öster-
reichischen 23 pCt., in den schweizerischen 31 pCt., in der
holländischen alle blennorrhoeblinden Schüler jünger als
10 Jahre. Solche Zusammenstellungen sollten fortan all-
jährlich gemacht werden. Nur so werden wir feststellen
können, ob unsere Prophylaxe wirklich nützt. Traurig
genug, daß der fünfte Teil der Zöglinge aller Blinden-
Anstalten der vollkommen verhütbaren Blennorrhoe seine
Blindheit verdankt!
Den Directoren der Blinden -Anstalten ist es schon
lange Bedürfiiiss gewesen, djts große Publicum auf die
Gefehr der Blennorrhoe aufmerksam zu machen. So hat
Director Mecker in Düren gemeinsam mit Geh. Med.
Rath Prof. Dr. Saemisch in Bonn schon im Jahre 1890
eine kurze Belehrung „An die Eltern sehender und
blinder Kinder" drucken lassen, welche (vgl. den hoch-
interessanten Aufsatz des Director Mecker in der Fest-
schrift zur 60 jährigen Jubelfeier der Blinden -Anstalt zu
Düren 1895) bereits in 510000 Exemplaren in fast allen
Standesämtern der Rheinprovinz verteilt worden ist. Die
rheinische Gesellschaft zur Verhütung der Blindheit geht
in der Prophylaxe noch weiter als unsere schlesische Ge-
sellschaft. Sie warnt schon bei der Hochzeit, wir erst
bei der Geburt des Kindes. Sie läßt nämlich jedem
Brautpaare bei der Verehelichung und jedem Vater bei
der Anzeige der Geburt eines Kindes je ein Exemplar der
Belehrung auf dem Standesamte einhändigen.
Diese Belehrung ist betr. der Blennorrhoe sehr ähnlich
der unsrigen. Da von gewisser Seite unsere Empfehlung
der seit Jahrzehnten als sicher wirksam erprobten Kälte
bei der Blennorrhoe in Zweifel gezogen wurde, so ist es
wichtig, zu erwähnen, daß ein Augenarzt von der großen
— 19 —
Erfahmiig wieProf.Saemisch dieselbe ebenfalls empfiehlt mit
den "Worten: „Femer müßt Ihr fortgesetzt feine Leinwand-
Läppchen auf das Auge legen, welche durch Eintauchen
in Eiswasser oder durch Auflegen auf Eisstücke recht
kalt gemacht sind. Diese Läppchen dürfen jedoch nicht zu
naß sein und müssen, sobald sie etwas wärmer geworden,
sofort durch kalte ersetzt werden."
(Es folgen dann kurze Belehrungen auch über Arbeiten
bei schlechter Beleuchtung, über Brillen etc.)
Ebenso empfiehlt Nieden sowohl in den vom ärztlichen
Verein zu Bochum herausgegebenen „Hegeln für die Pflege
und Ernährung der Sander im 1. Lebensjahre und Air die
Pflege der Wöchnerinnen", als auch in einem „Mahnwort
an die Hebammen" die gut ausgedrückten Eiscompressen.
Seine Vorschläge sind im Uebrigen ebenfalls mit den meinigen
übereinstimmend. Auch 12 andere Augenärzte berichten
ausdrücklich, daß sie Eisumschläge machen lassen (siehe
unten Cap. IV, 6. Behandlung der Blennorrhöen). Sehr
gut ist die Bemerkung von Mecker betr. der Kosten,
welche der Druck der Belehrung in Düren verursachte:
„unter der gewiß nicht zu weit gehenden Annahme, daß
durch diese Volksbelehrung nur ein einziger Mensch vor
Blindheit bewahrt, oder nur ein einziges blindes Kind bil-
dungs- und erwerbsfähig gemacht wird, werden die hierauf
verwandten Kosten'*) (etwa 1300 Mk.) und Mühen sich zehn-
fach belohnen." — in dem neuesten (60.) Berichte, S. 26,
der Klar' sehen Blindenanstalt in Prag finde ich ebenfalls
eine gute kurze Belehrung filr Eltern sehender und blinder
Kinder.
Auch in Kopenhagen ist eine kurze populäre Belehrung
über Blennorrhoe von Director Moldenhawer und Prof.
Lehmann schon 1873 ausgearbeitet worden, die viel Nutzen
stiftete (vgl. Verhandlungen des 8. Blindenlehrer-Congresses
1896, Seite 85). — Die Blindenlehrer versprechen sich auch
viel von der Einwirkung der Kalender, von den Hebammen,
den Lehrern imd den Zeitungen. — Man sieht also, daß von
allen Seiten der Kampf gegen die Erblindung durch Blen-
norrhoe energisch geföhrt wird.
1^) Das Hundert kostet also etwa 25 Pf , ist allerdings nur auf weichem
Papier gedruckt, während von unserer Belehrung das Hundeit 75 Pf.
kostet, aber auf dauerhaftem Garten gedruckt ist
— 20 —
ni. Die Verbreitung der Blennorrhoe in Deutsch-
land, Oesterreich, Holland und der Schweiz.
Die absolute Zahl der im Jahre 1896 in den genann-
ten Ländern behandelten Blennorrhöen anzugeben, ist ganz
unmöglich.
Wir haben in Breslau gesehen, daß die Blennorrhöen
keineswegs immer den Augenärzten übergeben werden
(vgl. oben Cap. 1), sondern daß 116 Kinder von practi-
schen Aerzten behandelt, während 218 Kinder zu Augen-
ärzten gebracht wurden. Man müßte also an alle 23000
deutsche Aerzte Fragebogen senden, und wer weiß, wie
viele dieselben beantworten würden?
Um aber eine annähernde Vorstellung von der Ver-
breitung der Krankheit, mid namentlich um genaue Beant-
wortung einer Reihe die FäUe selbst betreffender Fragen zu
haben, glaubte ich am besten zu handeln, wenn ich am
1. Mai 1895 den nachfolgenden Fragebogen an sämtliche
226 deutsche, österreichische, holländische und schweizer
Mitglieder der Heidelberger Ophthalmologischen
Gesellschaft, deren Verzeichnis den Versammlungs -Be-
richten beigegeben ist, sandte.
Unter ihnen befinden sich wohl alle Universitätslehrer
und fast alle CoUegen, die sich wissenschaftlich mit Augen-
heilkunde beschäftigen.
Freilich fehlen darunter auch viele tüchtige imd er-
fahrene Practiker. Diese hofRie ich fiir die Sammelforschung
zu gewinnen, indem ich im Centralbl. f. Augenh im Mai-
heft 1895 diejenigen CoUegen, welche mitarbeiten wollten,
ersuchte, von mir Fragebogen zu verlangen. Aber nur
wenige Herren meldeten sich.
Der Fragebogen*'), den ich versandte imd der auf der
nächsten Seite abgedruckt ist, war von folgender Zuschrift
begleitet:
*•) Wie ich während des Druckes aus der mir leider erst jetzt ge-
sendeten, sehr soi^f altig gearbeiteten Dissertation von Heim (8. 24)
ersehe, hat dieser einen mit Prof. PflOger zusammen entworfenen Frage-
bogen in 1000 Exemplaren an „fast sämtliche Aerzte der Schweiz** schon
1893 versendet mit der Bitte, die im Jahre 1892 behandelten Fälle ein-
zutragen. Freilich antworteten nicht alle Aerzte. Leider ist der Frage-
bogen nicht abgedruckt; aber aus der sehr grOndiichen Zusammenstellung
der Antworten folgt, daß von Heim viele ähnliche, manchmal noch
speciellere Fragen wie von mir vorgelegt worden waren. Die Antworten
betrafen 378 Fälle. Heim berichtet auch aber Blennorrhöen bei unehe-
lichen Kindern und bei bemittelten Eltern. Es zeigte sich, daß ver-
hältnismäßig 2 Mal mehr uneheliche Kinder erkrankten (S. 42), und daß
68 pCt. dem bemittelten Stande angehörten (^. 46).
— 21 —
Breslau, den 1. Mai 1896.
Schweidnitzer Stadtgraben 25.
Sehr verehrter Herr College!
Die medicinische Section der schlesischen Gesellschaft
hat beschlossen, eine Sammelforschung über Blennorrhoea
neonat onun zu beginnen. Ich wurde beauftragt, den
Vorständen aller Augenkliniken und Augenheilanstalten
Deutschlands, Oesterreichs , Hollands und der Schweiz
Fragebogen zu senden und deren Beantwortung Air
Januar 1896 zu erbitten.
Da durchschnittlich nur 1 pCt. der Augenkranken
an Blenn. neon. leiden, so ist die Mühe der Zusammen-
stellung keine große. Daher gebe ich mich der Hoffiiung
hin, daß Sie, hochverehrter Herr College, durch einen
Assistenten im Laufe des Jahres 1896 bei jedem Falle
von Blennorrhoe die betreifenden Antworten notiren imd
mir im Januar 1896 das Resultat auf umstehendem Frage-
bogen gef. zusenden werden.
Derselbe ist nur ein Versuch fiir das erste Jahr;
später sollen die Fragen den geäußerten Wünschen der
Fachgenossen entsprechend gestellt werden.
Für jeden Rat über künftige Verbesserung des Frage-
bogens werde ich sehr dankbar sein.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Ihr ergebener College
H. C.
Fragebogen:
Blennorrhoea neonatorum in der Augenklinik
zu
1. Director der Anstalt:
2. Wie viel Kranke im Jahre 1895?
3. Darunter wie viel Blennorrhöen?
4. Also pCt. Blennorrhöen?
5. Wie viel aus der Stadt?
6. Wie viel von auswärts?
7. An welchem Lebenslage kamen die Kinder in die Anstalt?
8 In wie viel Fällen wurde die Krankheit der Behörde gemeldet
a) durch die Hebamme?
b) durch den Arzt?
9. Bei wie vielen wurde sofort ärztliche Hülfe gesucht?
10. Wie viele kamen von einem anderen Arzte?
11 Wie viele erkrankten bis 5 Tag incl.?
12. Wie viele nach dem 5. Tage?
13. Bei wie vielen erkrankte nur ein Auge?
14. Bei wie vielen beide Augen?
15. An welchem Tage das zweite?
16. Wie viele kamen schon mit Erkrankung der Hornhaut?
17. Bei wie vielen wurden Gonococcen gefunden?
18. Wie viel Kinder derselben Mutter hatten schon Blennorrhoe?
19. Womit wurde die Blennorrhoe behandelt?
20. Wie viel Kinder wurden völlig geheilt entlassen?
21. Wie viele blieben aus der Behandlung aus?
22. Wie viele behielten Homhautflecke auf einem Auge?
n auf beiden Augen?
23. Wie viel erblindeten gänzlich auf einem Auge?
„ „ , „ auf beiden Augen?
24. In wie viel Fällen war sicher Cred^'s Tropfen eingegossen worden?
26. In wie viel Fällen waren nach der Geburt des Kopfes die Augen ab-
gewischt worden?
26. Bemerkungen:
Ich habe schon im vorigen Jahre den Satz ausgesprochen :
„Wer viel fragt, bekommt wenig Bescheid". Ich hatte da-
her die Fragen an die practischen Aerzte (siehe Cap. I)
so knapp wie möglich bemessen. Von den speciellen Fach-
genossen hoffi^ ich aber, daß sie auch specielle Fragen
über Blennorrhoe im Interesse der Wissenschaft beantworten
würden. Doch gebe ich gern zu, daß einzelne Fragen
hätten unterbleiben können.
Am Schlüsse des Fragebogens schrieb ich, wie oben
schon mitgeteilt: „Derselbe ist nur ein Versuch für das erste
Jahr; später sollen die Fragen den geäußerten Wünschen
der Fachgenossen entsprechend gestellt werden. Für jeden
Rat über künftige Verbesserung des Fragebogens werde ich
sehr dankbar sein*^. Ich erhielt aber von keinem Collegen
einen Rat.
Im December 1896 sandte ich dann einen etwas
vereinfachten Fragebogen, der statt 26 Fragen nur 21
enthielt (Frage 4, 6, 6, 16, 18 waren beseitigt), an die-
selben CoUegen und bat, mir diesen im Januar 1897, den
alten aber im Januar 1896 zurückzusenden. Die letzte
Frage änderte ich aus „Bemerkungen" in „Erscheint obliga-
torische Einftihrung von Cred6 erwünscht?** Ich erhielt
von 46 Collegen, darunter von vielen bedeutenden Lehrern,
den ersten Bogen im Januar 1896 ausgefüllt zurück. —
Um aber noch größeres Material zu erhalten, sandte
ich Ende Januar an diejenigen, welche nicht geant-
wortet oder die Cred ersehe Behandlung nicht erwähnt
— 23 —
hatten, eine Postkarte mit frankirter Antwortskarte ab, in
der ich bat, mir nur die Zahl der im Jahre 1896 behandelten
Augenkranken und der unter denselben beobachteten Blen-
norrhöen mitzuteilen, femer ob sie für obligatorische oder
facultative Einfährung von C rede 's Tropfen sich aus-
sprechen.
Darauf kam ich in den Besitz der Angaben von
110 Augenärzten, unter denen die Directoren von
25 Universitäts-Augenkliniken vertreten sind. Die
verschiedenen Antworten über C rede 's Methode machten es
mir schließlich wünschenswert, das Urteil aller dieser Collegen
noch darüber zu hören, ob sie jemals einen dauernden
Schaden von Crede's Tropfen gesehen. Darum ging
noch eine letzte Anfrage über diesen Punkt im Februar d. J.
an die Herren ab.
In folgender Tabelle IH gebe ich die Zusammenstellung
zunächst über die Frequenz der Anstalten von 104 Augen-
ärzten und die Zahl der dort beobachteten ßlennorrhöen.
Tabelle lU.
Blennorrhoen, die im Jahre 1895 von Augenärzten behandelt
wurden.
* bedeutet Univeraitilteklioik.
Ziahl der
Zahl
Voo Blen-
norrhoen
Stadt
Arzt Augen-
kranken
der Blen-
norrhoen
L Deatschlaud.
1.
Aachen ....
Alexander . . .
1987
18
9
2.
Thier . .
5055
23
5
3.
Bautzen . . .
Rudioff. . .
1390
7
5
4.
Berlin ....
Froohhch .
7197
46
6
6.
«• ....
Schweiggor*
12100
99
8
6.
Bielefeld . . .
Steinheim .
1650
3
2
7.
Bochum . . .
Nieden . .
6106
24
4
8.
Bonn ....
Saemisch * .
3549
5
1
0.
Braunschweig t
Ferge . .
1916
16
8
10.
Bremen . . .
Betke . .
2778
2
1
11.
Breslau ....
H. Cohn .
1865
18
10
12.
T)
Foerster* .
3965
54
14
13.
W
Günsburg .
1885
5
3
U.
f)
Jjandmann
5607
14
2
15.
1«
. . . .
Landsberg
500
10
20
16.
w
Lasinsky .
966
20
20
17.
^
Wolff berg .
400 i
21
5
18.
Cassel
Schläfke .
20G4
3
1
19.
Chemnitz . . .
G. Fränkel
2^00
27
9
20.
» . • •
Nobis . .
18C0
15
8
21.
Charlottenburg .
Feilchenfeld
350
4
H
22.
Coblenz . . .
Hoffmann .
800
3
4
23.
Crefeld ....
Scheffels .
2404
8
3
24.
Danzig
. . . .
Schneller .
1 1530
14
ö
— 24 -
Zahl der
Zahl
o/oo Bleu-
norrhoen
Stadt
Arzt
Augen-
kranken
der Blen-
nörrhoen
25.
Darmstadt . .
Brückner . . .
2933
26.
n • •
A. Weber . . .
2390
8
3
27.
Dresden . . .
H. Becker . . .
176
2
11
28.
m • . •
Pautynski . . .
1260
8
6
29.
n • . .
Schanz . . . .
1000
8
8
30.
Dortmund . . .
Fischer. . . .
2367
6
3
31.
Dflsseidorf . .
Mooren ....
2786
3
1
32.
Erlangen . . .
Eversbusch* . .
2168
7
3
33.
Prankfurt a. M. .
Rauschoff . . .
1084
26
24
34.
n •
Rosenmeyer . .
1368
14
10
35.
Freibur^ i. Br, .
Manz* . . . .
3400
3
1
36.
Gelsenkirchen .
Wallerstein . .
2848
6
2
37.
Gießen ....
Vossius* . . .
3117
6
2
38.
Gleiwitz . . .
Struwe . . . .
3293
18
6
39.
Gotha ....
H. Lucanus . .
1220
8
3
40.
Göttingen . . .
Schmidt-
Rimpler* . .
3390
6
2
41.
Greifswald . .
Schirmer* . . .
1867
3
2
42.
HaUe ....
Braunschweig .
2200
12
5
43.
j* ....
V. Hippel* . .
4140
47
11
44.
Hamburg . . .
Deutschmann
2000
35
18
46.
» ...
Franke . . . .
2377
19
8
46.
» ...
Wilbrand . . .
2035
21
10
47.
Hanau ....
C. Lucanus . .
1873
6
8
48.
Hannover . . .
Stölttng . . .
2400
4
2
49.
Heidelberg . .
Leber* . . . .
4216
16
4
60.
Jena ....
Wagenmann*. .
2279
21
9
61.
Karlsruhe . . .
Ellinger . . .
1163
22
19
62.
Kiel
Voelkers*. . .
4300
28
7
63.
Köln ....
Samelsohn . . .
3784
41
11
64.
Königsberg . .
Kuhnf. . . .
4063
46
11
66.
Königsberg . .
Treitel . . . .
1349
3
2
66.
Leipzig. . . .
Lamhofer . . .
1440
6
3
67.
n ....
Sattier* . . .
6528
104
16
68.
n ....
Schroeter . . .
3226
9
£f
59.
n ....
Schwarz . . .
1676
6
4
60.
n ....
Stimmel . . .
1460
12
8
61.
Magdeburg . .
Schreiber . . .
1881
10
6
62.
Mannheim . . .
Bahr . . . .
1914
16
8
63.
Marburg . . .
ühtiioff* . . .
2300
7
3
64.
Minden ....
Ohlemann . . .
930
3
3
66.
München") . .
V. Rothmund* .
6600
46
7
66.
Neuß ....
Rheindorf . . .
1913
8
4
67.
Nürnberg . . .
Neuburger . . .
580
5
10
68.
» ...
Schubert . . .
2577
16
6
69.
Posen ....
Wicherkiewicz .
4236
5
1
70.
Regensburg .
Brunhuber . . .
1429
10
7
71.
Rostock . . .
Berlin*. . . .
2760
10
4
72.
Saarbrücken . .
Hoederath . . .
4162
7
2
73.
Straßburg. . .
Laqueur* . . .
3630
36
10
74.
n ...
Stilling. . . .
2092
11
6
.'«) Vom 1. Mai 1895 bis 31. December 1896.
— 25
Zahl der
Zahl 1
Voo Blen-
norrhoen
Stadt
Arzt
Augen-
kranken
der Blen-
norrhoen ^
76. 1 Stuttgart . . .
Kreilsheimer . .
1 3490
8
2
76. Tübingen . . .
Schleich* . . .
2691
11
4
77. ' Weimar . . .
Rindfleisch . .
• 1492
l
1
78.
Wiesbaden . .
Meurer . . . .
1 850
3
4
79.
w • •
Pagenstecher .
1 2837
12
4
80.
Witten- Bochum .
Stöwer . . . .
V162
12
6
81.
Würzburg . . .
Bäucrlein . . .
2006
11
6
82.
t» • » .
Michel* . . .
6433
8
1
Summa
222174
1297
IL Oegterreich • Ungarn.
83.
Budapest . . .
Goldzieher. .
8474
63
18
84.
ft ...
Schulek* . .
8156
17
2
85.
Graz"). . . .
Borysikiewicz*
2100
7
3
86.
Klagenfurt . .
Purtscher . .
2391
4i
18
87.
Prag ....
Hermheisser .
1543
8
5
88.
Mitwalsky . .
1450
13
9
89.
Tetschen . . .
Herzum . .
1300
5
4
90.
Wien ....
Adler . . .
7646
17
2
91.
«1 ....
Bergmeister .
1476
9
6
92.
» . . • .
Fuchs* . . .
15949
53
3
93.
1» ....
Herz . . .
1466
49
34
94.
w • . » •
Klein . . .
2628
15
6
95.
V. Reuss . .
3616
21
6
96.
« ....
Topolansky .
6300
184
21
Summs
i 59395
455
8
IIL Schw
eiz.
97. 1 Basel . . . .
Bosch . . .
3174
16
5
98. j Bern ....
Pflüger* . .
700
26
37
99. i Genf . . . .
Halteuhoff. .
1741
26
15
100. Zürich ....
Fick. . . .
1479
5
3
101. „ . . . .
Haab* . . .
2984
14
6
Summi
i 10078
87
9
lY. Holla
nd.
102. , Leiden ....
Doycr* . . .
. 1 1046
10
10
103. Rotterdam . .
de Haas . .
. ' 4928
^7
12
104. Utrecht . . .
SneUen* . .
. 5350
32
6
Summs
i\ 11324
99
9
Gesamtsumme
)\ 302971
1938
tt
") Vom 5. Juni bis 31. December 1895.
~ 26 —
Wohl noch nie ist ein so großes Material *•) von Blen-
norrhöen zusammougestellt worden, wie hier. 1938 Fälle
unter 302971 Augenkranken! Durchschnittlich kommen also
auf jeden der 100 Augenärzte 3000 Augenkranke mit rund
20 Blennorrhöen.
Wir wissen aber nicht einmal, wie viel Augenärzte
außer den 226 Mitgliedern der Heidelberger Ophthalmolo-
gischen Gesellschaft allein in Deutschland thätig sind —
wir sind hier rein auf V er muthungen angewiesen — ; man
darf wohl vermuthen, daß mehr als die doppelte Zahl Augen-
ärzte, also etwa 500, in Deutschland practiciren. Aus Oester-
reich-Ungarn haben nur 14, aus der Schweiz nur 5 und
aus Holland nur B Aerzte Berichte gesendet. In diesen
Ländern sind doch zusammen sicher mehr als 500 Augen-
ärzte. Gewiß sind also mindestens 1000 Augenärzte in
allen 4 Ländern thätig. Selbst wenn man nun annimmt,
daß die 900 Augenärzte, von denen wir keine Mittei-
lungen haben, durchschnittlich nur 1000 Augenkranke be-
handelt haben, mit nur 6 Blennorrhöen, so sind dies
900000 Kranke mit 5400 Blennorrhöen; dann wären bei
1200000 Augenkranken 7400 Blennorrhöen beobachtet
worden. Hierzu kommen noch mindestens über 2000 FäUe,
welche practische Aerzte behandelten So gab es wahr-
scheinlich im Jahre 1895: 10000 Fälle von Blennorrhoe,
eine Zahl, die gewiß noch weit hinter der Wirklichkeit
zurückbleibt, die aber doch geeignet ist, die ernstesten Vor-
beugungsmaßregeln ergreifen zu lassen.
Doch halten wir uns an die 1938 berichteten Fälle von
Blennorrhoe. In Deutschland kommen 6, in Oesterreich-
Ungani 8, in der Schweiz und Holland 9 Blennorrhöen auf
1000 Augenkranke.
Es sind aber große Schwankungen in den einzelnen
Kliniken bemerkbar.
Keinen einzigen Fall unter 2933 Augenkranken hat
nur Brückner in Darmstadt; er bemerkt aber dabei, daß
die Blennorrhöen zum größten Teile von dem dortigen Armen-
und Schulaugenarzte und im Hospitale behandelt werden.
Nur l"/oo hatte Saemisch in Bonn, Betke in Bremen,
Schläfke in Cassel, Mooren in Düsseldorf (der sich nur
noch auf Privatpraxis zurückgezogen), Manz in Freiburg,
Wicherkiewicz in Posen, Rindfleisch in Weimar und
V. Michel in Würzburg Herr Prof v. Michel erklärt die
geringe Zahl von Blennorrhöen in der Uni versitäts -Klinik
^^) Erst Tjacli Beendigung,' aller Berechnungen erliielt ich am 0. Mai
d. J. von Herrn Dr. Mayweg in Hagen die Mittoihmg. dass er im Jahre
1895 unter 3339 Augenkranken 7 Blennorrhöen behandelt habe.
— 27 —
damit, daß die meisten Leute aus Scheu ihre Kinder in
Privatkliniken bringen, und in der That hat Hofrat Bäuer-
lein in "Würzburg 6%o Blennorrhöen.
Die größte absolute Zahl von blennorrhoischen Kindern
kamen zu Schweigger in Berlin (99), zu Sattler in Leipzig
(104) und zu Topolansky in's Barmherzigen -Hospital in
Wien (134). Wie sehr die Zahl der Blonnorrhöen von neuen
prophylaotischen Versuchen in der Frauenklinik abhängt,
wird in dem Bericht des Herrn Prof. Sattler (vgl. unten
Cap. Vni) mitgeteilt.
Mehr als 16 %o hatten nur wenige Augenärzte: 16 %o
Sattler, IS'Voo Deutschmann, öoldzieher, Purtscher,
19%o EUinger, 20Voo Landsberg und Lasinsky in
Breslau, 24 %o Ransohoff in Frankfiirt, 34 %o Herz im
Wiener Kinderspitale und die meisten: 37 %o Pf lüger in Bern.
In 7 Breslauer Anstalten schwankt die Zahl zwischen
2 und 20%o. Herr Dr. Landmann, Director der schlesi-
schen Augenheilanstalt, in welcher 6607 Kranke behandelt
wurden, hatte nur 14 Blennorrhöen = 2"/oo, während Herr
Prof. Förster bei 3966 Kranken in der Universitäts-Klinik
54 = 14 %o Blennorrhöen und ich 10 %q Blennorrhöen hatte.
Es spielen hier gewiß mancherlei Privat-Ursachen mit. So
schreibt Herr Dr. Land mann: ^Die diesjährige Anzahl der
Fälle ist oflEenbar so gering, weil ich den Hebammen stark
auf die Finger passe; daher wird unsre Klinik vermieden."
Die Lage der Anstalt ist wohl auch von Wichtigkeit ; die
in den ärmeren Vorstädten liegenden Kliniken werden mehr
benutzt. Man sieht dies besonders in Wien, wo Fuchs im
AUgem. Krankenhause unter 16949 Augen-Krauken nur 63
Blennorrhöen = 3"^ooj Herz dagegen im Kindorspital 34%©
und Topolansky im Barmherzigen Spital 134 Fälle ^^
21 %o Blennorrhöen sah.
Ln Ganzen scheint aber aus der Tabelle HI zu folgen,
daß die Zahl der Blennorrhöen in großen Städten häufiger
ist, als in kleineren. Ich bemerke, daß z. B. Bonn nur 1,
Giessen, Greifswald und Göttingen nur 2, Erlangen und
Marburg 3, Heidelberg, Tübingen, Rostock und Wiesbaden
4V«o Blennorrhöen meldeten. Grade in den meisten kleineren
Universitäts-Städten giebt es keine Concurrenz-Kliuikeu, so
daß man nicht annehmen kann, daß hier die Blennorrhöen
in Privatanstalten kommen. In den größeren Städten sind
dagegen 10-14 ®/oo das Häufigste. Gewiß ist die Gonorrhoe
wegen der größeren oflEenen und geheimen Prostitution in
den großen Städten verbreiteter, als in den kleineren Orten
und auf dem Lande; daher auch dort mehr Blennorrhöen.
— 28 —
C3
©
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09
Wie
Hornha
auf
1 Auge?
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o
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iHO«^iHOi-l50
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09
09
Wie viel
blieben
aus?
OOcv.0 |g
ooo
oqocqo^cqoo
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^t"^
^
Wie viel
geheilt
ent-
lassen?
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2^g
«c-jf^-^^S
SS*
2
S
Bei wie
vielen
beide
Augen?
;ocog|
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3
Bei wie
vielen
1 Auge?
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Wie Tiele
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5. Tag incl.
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Alexander
Rudloflf . .
Proehlich . .
Nieden . .
1
n
1
Breslau . . Landsberg .
Breslau . . Günsburg. .
Breslau . . Lasinsky . .
Saemisch . .
Feilchenfeld .
Nobis . . .
Schanz . .
Wallerstein .
Vossius . .
Schirmer . .
V. Hippel . .
Deutschmann
Wübrand . .
Leber . . .
1
*©
1
CO
Aachen . .
Bautzen . .
Berlin . . .
Bochum . .
Bonn . . .
Charlottenburg
Chemnitz . .
Dresden . .
Gelsenkirchen
Giessen . .
Greifswald .
Halle . . .
Hamburg . .
Hamburg . .
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30 —
IV. Specielle Mitteilungen Ober
898 Blennorrhöen.
Von 46 Augenärzten erhielt ich ausführliche Beant-
wortungen der 26 Fragen des oben abgedruckten Frage-
bogens; dieselben betreflfen 898 Blennorrhöen.
Herr Dr. Silex schrieb mir, daß er leider die Antworten
aus der Klinik von Prof. Schweigger nicht senden könne.
„Ein Volontär hatte sich der Arbeit unterzogen, dann aber
wurde es ihm zu langweilig, und jetzt erst am Jahresschluß
trat er damit hervor." Ich erhielt daher nur einige all-
gemeine Angaben von dort, die auch in Tabelle m Platz
gefunden haben.
Bedenkt man, wie heut zu Tage alle Augenkliniken
von Volontären bestürmt werden, die um jeden Preis zu-
sehen und sich beschäftigen wollen, so ist es merkwürdig,
daß nicht in jeder Anstalt ein Volontär es übernimmt, über
die 6 — 7%o ^^^' Augenkranken, die an Blennorrhoe leiden,
genaue Notizen nach dem Fragebogen zu sammeln und am
Ende des Jahres zusammenzustellen. Schaden würde eine
solche Arbeit den jungen CoUegen nicht! — Daß sich bei
Interesse an den Fragen die Sache machen läßt, beweisen
die folgenden Mitteilungen von 46 Collegen über 898 Fälle.
1) Blennorrhöen von Auswärts.
Ich habe schon im Capitel I begründet, warum die Frage,
wie viel Kinder aus der Stadt kamen, wie viel von Auswärts,
nicht sehr bedeutungsvoll ist. Sie kommen doch meist aus
der Nähe oder aus dem Reg.-Bezirk. (Siehe oben Seite 8.)
Ich verzichte daher hier auf den Abdruck der Einzel-An-
gaben und erwähne nur, daß von 36 Collegen, die die aus-
wärtigen Kranken besonders zählten, berichtet wurde, daß
sie unter 662 Blennorrhöen 111 Kinder (= 20 pCt.) von
Auswärts hatten.'^)
Da mir die Frage wenig wertvoU erscheint, habe ich
sie neuerdings im abgekürzten Fragebogen für 1896 ganz
fortgelassen.
*^ Nach Heim liefern aber die Schweizer Städte mit mehr als
5000 Einwohnern doppelt so viel Blennorrhöen, als sie liefern sollten im
Verhältnis sowohl zur GesammtbevOlkerung, als auch zur Landbevölkerung.
(A. a. O. S. 48.)
— 31 —
2) Beginn der Erkrankung und Verlauf.
In der Tabelle IV (siehe oben S. 28 u. 29) findet man
wichtige Fragen bei etwa 900 Blennorrhoe-Fällen beantwortet.
Daß die meisten Erkrankungen bis zum fünften
Lebenstage sich zeigen, ist allgemein angenommen. Von
808 Blennorrhöen traten 617 bis zum fünften Tage incl. auf,
aber doch noch 191 nach demselben zu 24 pCt.
Unter 868 Blennorrhöen betrafen 216 nur ein Auge,
662 aber beide Augen, d. h. nur 26 pCt. blieben auf ein
Auge beschränkt.*®)
Ich hatte auch den Versuch gemacht, festzustellen,
an welchem Tage das zweite Auge erkrankte. Allein
nur 16 Collegen gaben darüber Auskunft, meist auch
nicht ftir alle Fälle, da sich der Tag nicht immer sicher
feststellen ließ. Ich habe daher die Frage in dem neuen
Fragebogen ganz fortgelassen. Aus den Berichten über
164 Blennorrhöen folgt aber, daß 91 Mal die Krankheit,
d, h. in 60 pCt., gleichzeitig auf beiden Augen be-
obachtet wurde. 2 Tage nach der Erkrankung des ersten
fand man sie bei 22 Kindern =z 14 pCt., 3 Tage später bei
7, am 4. bei 4, am 6. bei 4, am 6. bei 2, am 7. bei 3 Kindern,
im Laufe einer Woche also bei 27 pCt. Femer wurde
6 Mal 8 Tage später das 2. Auge befallen, 2 Mal 9 Tage
später, 8 Mal 10 Tage, 2 Mal 11 Tage, je 1 Mal 12, 13,
14 Tage später. Es folgt hieraus, wie nötig selbst noch nach
14 Tagen die größte Vorsicht ist, damit Uebertragungen
vermieden werden. lieber den Schutz des zweiten Auges
siehe später unter No. 6.
Von 710 blennorrhoischen Kindern wurden 606=71 pCt.
geheilt entlassen, 63 z=i 9 pCt. blieben aus (9 waren ge-
storben) und 141 = 20 pCt. behielten bleibende Schädigung
ihres Sehvermögens. Davon hatten 80 Hornhaut flecke
auf einem, 26 auf beiden Augen erhalten, d. h. 15 pCt.
der Blennorrhöen Und was das Schlimmste ist, 36 Kinder
= 5 pCt. erblindeten völlig, 23 auf einem Auge und 13
auf beiden Augen!*^)
Fast stets gaben die Collegen an, daß diese Kinder
schon mit tiefen Geschwüren auf der Hornhaut, oder mit
Durchbruch derselben, also zu spät z]ir Behandlung kamen **^)
^8) In der Schweiz blieben 20 pCt. einseitig. (Heim S. 27.)
") Unter 878 Fällen in der Schweiz war nach Heim bei 61, d. h.
in 16 pCt. der Ausgang ungünstig. Einzelheiten siehe a. a. O. S. 25- 27.
^) Nach Heim wurden von 252 hergestellten Kindern 238 = 94 pCt.
mit intacter Hornhaut in die ßehandhmg gebracht; von 61 mit ungünsti-
gem Ausgange behandelten Kindern kamen dagegen 53 = 87 pCt. bereits
mit Hori^utleiden an.
32
Selbst der erfahrenste und geschickteste Arzt und die beste
Pflege können in diesem Stadium das Auge nicht mehr retten.
Die Frage: „Wie viel Kinder kamen schon mit Er-
krankung der Hornhaut zum Arzt?" beantworteten nur
8 CoUegen mit Null, die anderen 36 meldeten 163 solche
Fälle. Wenn trotzdem dann nur 161 Kinder mit bleibenden
Schäden notirt wurden, so ist der Grund darin zu finden,
daß jedenfalls unter den 63 aus der Behandlung ausgebliebe-
nen Neugeborenen solche mit Homhautleiden sich befanden.
Man kann eben nicht oft genug predigen, daß nur bei
schleunigster Zuziehung und bei exactester Pflege
der Arzt ein blennorrhoisches Auge zu retten im Stande ist.
Schlimm genug, daß noch immer die Blennorrhoe fast
den fünften Teil der Augen bleibend geschädigt hat!
Natürlich ist, wie gesagt, meist**) die Veranlassung dieses
Unglücks darin zu suchen, daß die Kinder zu spät zu
den Aerzten gebracht werden.
Um einen Einblick in diese Verhältnisse zu erhalten,
hatte ich die Frage gestellt: „An welchem Lebenstage
kamen die Kinder in die Anstalt ?**
Diese wurde nur von 26 Collegen betr. 317 Kindern
beantwortet Ich erwähne die Autoren hier nicht einzeln,
sondern gebe die Summen.
Es erschienen in den ersten 9 Tagen 167 Kinder =i rund
60 pCt.,
vom 10.— 14. Tage
in der 3. Woche
V
6.
7» n ^* 7)
„ „ 7.- 12. Woche
nach 3-4 Monaten
82 = 26 pCt.
36 = 11 ,
13= 4 ,
12= 3 ,
11= 3 „
3= 1 «
Die 167 Kinder z=z 60 pCt., welche an den ersten 9 Tagen
kamen, verteilten sich so:
Am 1. Tag 1 = 0,3 pCt.
. 2. „ 9= 3
„ 3. , 27= 9
.4 „ 22= 6
« B. „ 12= 4
Am 6. Tag 13 = 4 pCt.
. 7. , 16= 6 „
„ 8. „ 46 = 15 „
„ 9 . 11= 4 „
zusanmien 60 pCt.
Da am 3 und 4. Tage die Krankheit meist schon jedem
Laien beträchtlich auffallt, so müßte man an diesen Tagen
2») Heim erwfthnt freilich, daß auch von 42 frühzeitig: behandelten
Augen 9 =■ 21 pCt. erblindeten.
— 38 —
die meisten Kinder erwarten, doch sind es bis dahin nur
18 pCt. Erst am 8 Tage, wo oft schön die Hornhaut
erkrankt ist, steigt die Curve auf plötzlich 15 pCt., und
am 9. Tage ist überhaupt erst die Hälfte der tranken in
Behandlung gekommen. Vom 10. — 14. Tage zeigten sich
26 pCt. ; vermutlich konnten viele Kinder nicht vorher zu
Aerzten gebracht werden, da die Mutter bis zum 10. Tage
zu Bett lag.
Die Frage, ob wirklich gleich beim Ausbruch der
Krankheit ärztliche Hilfe gesucht worden, oder ob das
Kind schon von einem andern Arzte kam, wurde von
vielen CoUegen nicht beantwortet; Herr Dr. de Haas in
[Rotterdam schrieb mir sogar: Solche Fragen seien in der
Anstalt nicht erlaubt. Ich konnte also blos feststellen,
daß nur 265 Kinder dem Arzte sogleich vorgeführt worden,
und daß 115 Kinder von anderen Aerzten bereits kamen.
3) Gonococcen-Beftinde.
So lange man die Gonococcen nicht kannte, konnte
natürlich nur der klinische Verlauf die Frage entscheiden,
ob man eine wirkliche Blennorrhoe oder einen mehr oder
weniger ausgeprägten schleimig -eitrigen Catarrh vor sich
hatte Heut weiß man allerdings, daß an echter Blennorrhoe
nicht gezweifelt werden kann, wenn das Mikroskop Gono-
coccen zeigt. Aber wenn in einzelnen Präparaten keine
Gonococcen geftmden werden, so ist ja damit bekanntlich
noch keineswegs bewiesen, daß das Kind keine Blennorrhoe
hatte oder hat.
Immer wird daher noch der subjectiven Benennung
leichterer Formen Thür und Thor geöflBiet. "Wer seine
Statistik verbessern will, wird als Catarrh ansehen, was
ein Anderer als Blennorrhoe rubricirt.
Natürlich muß heut zu Tage in jedem Falle das
Secret auf Gonococcen, und zwar mehrmals untersucht
werden!
Leider aber geschieht dies durchaus noch nicht überall.
Von 45 CoUe^en antworteten auf meine Frage: Bei wie
viel Kindern wurden Gonococcen geftmden? 19 mit einem
Fragezeichen.
Diese Herren hatten 376 Blennorrhöen behandelt, welche
natürlich hier zunächst abgerechnet werden müssen.
In Breslau werden von den meisten Augenärzten die
Präparate auf ausdrücklichen Wunsch des Herrn Prof.
Neisser diesem zugesendet.
8
-^ 34 —
Es liegen mir aber nur seine MitteQongen über meine
Fälle und die des CoUegcn Günsburg vor.
Die 26 Augenärzte, welche die Gonococcenfrago beant-
worteten, meldeten Folgendes:
TabeU« V.
Gonococcenbefunde.
1
lii
Stadt
Arzt
d
Bemerkimgen
1.
Bautzen . .
Rudioff . . .
7
5
2
2.
Bochum . .
Nieden . . .
24
—
12
3.
Breslau . . .
H. Cohn . .
18
17
10
4.
Breslau . . .
Gttnsburg . .
5
—
3
6.
Charlottenburg
Feilcbenfeld .
4
4
4
6.
Dresden . .
Schanz . . .
8
2
2
7.
Giessen . . .
Vossius . . .
6
—
3
8.
Greifswald . .
Schirmer . .
3
1
1
9.
Halle. . . .
V. Hippel . .
47
4
in 4 Fällen notirt,
in allen zweifelhaften
Fällen untersucht
10.
Hamburg . .
Deutschmann .
35
29
23
11.
Karlsruhe . .
Ellinger . . .
22
—
19
12.
Köln
Samelsohn . .
41
—
31
13.
Königsberg .
Kuhnt . . .
46
—
15
diese 15 nur als Blen.
berechnet
14.
Königsberg .
Treitel . . .
3
1
1
15.
Marburg . .
Uhthoff . . .
6
—
3
16.
Nürnberg . .
Neuburger . .
5
5
5
17.
Nürnberg . .
Schubert . .
1«
6
6
18.
Straßburg . .
Laqueur . .
35
9
9
in etwa */4 döi* FJÜle
gesupht und dann
stets gefunden
19.
Wiesbaden . .
Pagenstecher .
12
12
12
20.
Würzburg . .
Bäuerlein . .
11
—
5
21. Wttrzburg . .
V. Michel . .
8
8
7
22. Graz. . .
Borysikiewicz .
7
7
7
23. Wien. . . .
Topolanski . .
134
124
74
24. ' Bern ....
Pflüger . . .
26
—
14
25., Zürich . . .
Haab. . . .
14
14
14
26. 1 Leiden . . .
Doyer . . .
10
8
7
Summa
553
252
293
Von den 663 Blennorrböen sind nun sicher auch 67
nicht untersucht worden. Aber auch von den übrig bleiben-
den 486 Fällen ist es zweifelhaft, ob alle mikroskopisch
geprüft wurden Im Ganzen sind 293positive Gonococcen-
beftinde imter ihnen notirt. Wären wirklich in 486 Fällen
293 Mal Gonococcen gefunden, so wären dies 60 pCt.
Sicher ist aber freilich nur, daß diese 293 FäUe untersucht
wurden; denn die Summe von 262 Blonnorrhöen, in denen
— 3B —
naoh Gönococoen gesucht wurde, ist ja nicht vollständig,
da man bei den anderen Autoren, die nichts darüber an-
geben, nicht weiß, ob sie in allen ihren Fällen Präparate
gemacht haben.
Wir dürfen daher auch keinen procentualen Schluß
auf die Gonococcenfölle ziehen, müssen ims damit begnügen,
zu sagen, daß in beinahe 300 Fällen die Gonococcen
gesehen wurden, und können nur wünschen, daß bei erneuten
Zusammenstellungen in allen Fällen auch über die mikro-
skopische Prüfung berichtet werden möge.
4) Blennorrhfien bei mehreren Kindern derselben Mutter.
Die Frage, „Wie viel Kinder derselben Mutter hatten
schon Blennorrhoe?** war nicht gut von mir formulirt; sie
hätte lauten sollen: „Wie viel mal kamen blennorrhoische
Kinder von Müttern, die schon fiüher blennorrhoische Kinder
gehabt, und wie viel blennorrhoische Kinder waren vorher
von jenen geboren worden?**
In diesem Sinne wurde aber die Frage auch von
14 Aerzten aufgefaßt und beantwortet.
Es sah Fröhlich 1, Nieden 3, H. Cohn 2, Lands-
berg 2, Schirmer 1, Deutschmann 14, Wilbrand 3,
Samelsohn 2, Neuburger 1, Schubert 2, Laqueur 2,
Bäuerlein 3, Fick, de Haas imd Dr. Apt, pract Arzt
in Breslau, je 1 Fall, bei dem wiederholt blennorrhoische
Kinder geboren wurden.
Also 39 Mütter hatten schon früher blennorrhoische
Kinder gehabt, 8 Mal je ein solches Kind, 1 Mal 2 Kinder,
1 Mal 3 Kinder, imd de Haas berichtet sogar, daß alle
8 Kinder aus einer Ehe an Blennorrhoe litten!
Herr Dr. Apt in Breslau schrieb mir, daß in seinem
Falle den ersten beiden Kindern Argentum mit Nutzen ein-
geträufelt, beim 3. Kinde aber von der Hebamme nicht
gegeben worden sei, worauf Blennorrhoe eintrat**).
Becht lehrreich ist folgender Fall, den ich selbst be-
obachtet: Eine Frau M. wurde im Mai 1896 hier in Breslau
entbunden; 2 Kinder, die sie früher geboren, hatten sogleich
nach der Geburt von dem behandelnden Frauenarzt den
Credo 'sehen Tropfen erhalten und waren von Blennorrhoe
freigeblieben. Bei der dritten Entbindung war aber nur
die Hebamme zugegen; der Vater bat sie, sie möge
^) Heim berichtet S. 46, daß die Hebammen in der Schweiz in
Ift Fällen die Zuziehung eines Arztes yerweigerten . und daß 19 mal die
Eltern den Vorschlag der Hebamme, den Arzt zu rufen, ablehnten. In
29 pOt schickten die Hebammen erst nach dem 6. Tage zum Arzte.
3*
— 36 —
prophylactisch Argentum eintropfen; allein die
Hebamme verhinderte es direct als unnötig, sagte:
Reinigung genüge jetzt, wusch die Augen aus und
mußte am 5. Tage einen Arzt holen, um die starke Blennorrhoe
mit Argentum behandeln zu lassen. Es blieb eine hart-
näckige Thränensackeitenmg zurück, die Monate lang der
Therapie trotzte.
Die Gefahr fär Kinder, deren Mütter schon blennor-
rhoische Kinder geboren, ist so allgemein anerkannt, daß
sich weitere Nachfragen nicht mehr lohnen und ich die
Frage im neuen Fragebogen ganz fortgelassen habe.
Man muß es direct als unverantwortlich bezeichnen,
wenn in Fällen, wo früher schon blennorrhoische Kinder ge-
boren worden j der Crede'sche Tropfen nicht gegeben wird!
Und wie soUen in Zukunft, wenigstens in solchen
Fällen, die Aerzte einzutropfen verstehen, wenn in einzelnen
Frauenkliniken diese Methode aus Angst, einen leichten
BindehautcataiTh zu erzeugen, den Studenten nicht gelehrt
wird?!
5) Behandlung der Blennorrhöen.
Im Ganzen ist die Behandlung der Krankheit allerorten
ziemlich die gleiche. Argentum, Kälte, Sublimatwaschungen,
niu* ausnahmsweise Carbolsäure, übermangansaures Kali oder
Hydrargyrum oxycyanatum. - Es dürfte immerhin interessant
sein, die Mitteilungen der CoUegen über den Modus der
Anwendung und die Dosirung der Mittel hier zusammen-
zustellen.
1) Dr. Alexander (Aachen) giebt Arg. und Suhl.
2) Dr. Eudloff (Bauzen) bestreicht die Bindehaut mit
2proc. Arg. -Lösung und spült den Bindehautsack stündlich
mit Borsäure 6,0, Salicylsäure 0,B auf 200 Wasser mittelst
Undine aus.
3) Dr. Fröhlich (Berlin) giebt Arg. 1—2 pCt.
4) Prof. Schweigger (Dr. Sil ex, Berlin) pinselt mit
2 pCt. Arg.
6) Dr. Nieden (Bochum) giebt zuei-st Eis und Sublimi*t-
auswaschungen , später Arg. 2 — 4 pCt. je nach der Hart-
näckigkeit.
6) H. Cohn (Breslau) giebt stets gut ausgewundene
kalte Compressen, die Tag und Nacht alle 2 — 3 Minuten
gewechselt werden müssen. Auswischen des Eiters aus der
Tiefe mit reinemLeinenläppchen, Anfangs alleViertelstunden,
später alle halbe Stunden. Täglich 1 Mal Eingießung von
1 — 2proc. Arg.-Lösung, ohne jede Nachspülung; Vaseline
auf die Augenlider alle 2 Stunden. (Niemals Lapis oder
— 37 —
Lapis mitigatus!) Bei beginnender Blennorrhoe unter
dieser Behandlung wurde stets Heilung beobachtet.
7) Dr. Landsberg (Breslau) giebt Arg. mit wechseln-
dem Procentgehalt und Eis.
8) Dr, Günsburg (Breslau) nimmt Arg.-Lösuiig, Koch-
salz-Nachspülung und Borsäurelösung.
9) Dr. Lasinsky (Breslau): Arg.-Lösung 2 pCt.
10) Prof. Sae misch (Bonn) Arg., event. bei fibrinösem
Secret zunächst Acid. carbol.
11) Dr. Feilchenfeld (Charlottenburg) Arg. 2 pCt ,
Sublimat- Ausspülungen und Sublimat-Umschläge.
12) Dr. Nobis (Chemnitz): Ausspülungen mit 3 pCt.
Borlösung durch die Pflegerin. Einträufelung von 2 pCt.
Arg. durch den Arzt, 1—3 Mal täglich.
13) Dr. Schanz (Dresden): Bor- und Sublimat -Um-
schläge und Arg.-Pinselungen.
14) Dr. Waller st ein (Q-elsenkirchen) giebt Arg.-Lösung
2 pCt. bis 60 pCt.
15) Prof. Vossius (Giessen) touchirt die Bindehaut
mit Argentumlösung; Sublimat -Eis -Aufschläge und Aus-
waschungen.
16) Prof.Schirmer(Greifswald) giebt Eis und Argentum.
17) Prof. V. Hippel (Halle) nimmt Lapis mitigatus,
Pinselungen mit 4 pCt. Argentum, Eintropfen schwacher
Arg. -Lösungen, Sublimat-Eisumschläge, Scarificationen.
18) Prof. Deutschmann (Hamburg) touchirt mit Arg.-
Lösung 3 pCt. Kühle Umschläge mit Kali hypermang. -Lösung.
19) Dr. Wilbrand (Hamburg) pinselt mit 2proc. Arg.-
Lösung.
20) Prof. Leber (Heidelberg) pinselt mit 3 pCt. Arg.
1 Mal, in ganz schweren Fällen 2 Mal täglich. Regel-
mäßiges Auswaschen. Beständige kalte Umschläge mit
Kali hypermang.
21) Dr. EUinger (Karlsruhe) touclürt mit 2 pCt. Arg.;
Reinigung und Umschläge mit Sublimat 1 : 6000.
22) Dr. Samelsohn (Köln) giebt Arg.-Lösung und
Eis, so weit keine HornhautaflEectionen vorhanden.
23) Dr. Treitel (Königsberg): Eis und Arg. 2 pCt.
24) Dr. Lamhofer (Leipzig) spült nur mit abgekoch-
tem lauen Wasser oder manchmal mit 1 — 2proc. Bor-
lösung am Tage alle 2 Stunden aus, Nachts nur, wenn das
Kind getrunken hat.
25) Prof. Uhthoff (Marburg) touchirt täglich mit 2proc.
Arg., wäscht häufig mit 4proc. Borsäure aus. Bor- Eis-
umschläge bei Tage fortwährend, Nachts 3 Mal 1 Stimde,
später weniger.
— 38 —
26) Prof. V Rothmund (München) giebt Hydrarg.
oxyoyanatum 1 : 500 Aq.
27) Dr. Neuburger (Nürnberg) giebt Eisumschläge
und Pinselungen mit 2proo. Arg.
28) Dr. Schubert (Nürnberg) verordnet Eis, Reinigung
mit Borlösung und täglich einmal 2proc. Arg -Lösung durch
den Arzt.
29) Prof. Laqueur (Straßburg) giebt Borsäure Waschun-
gen, Eisumschläge, 2proc. Arg.-Lösung.
30) Prof. Pagenstecher (Wiesbaden) nimmt Lapis
mitigatus, mechanische Reinigung und manchmal Eis.
31) Dr. Bäuerlein (Würzburg) benutzt 2proc. Arg.
32) Prof V. Michel läßt poliklinisch 2 Mal täglich
Arg. einträufeln. Sublimat-Vaseline nach Entfernung des
Secrets, event Lapis mitigatus. Außerdem werden die An-
gehörigen angewiesen, alle Viertelstunden das Secret mit
Sublimatbausch zu entfernen und dann Sublimatsalbe 1 : 3(XX)
einzustreichen. „Dieses Verfahren gab bisher tadellose Er-
folge.*^
33) Prof. Borysikiewicz (Graz) giebt Ausspülungen
mit übermangansaurem Kali und Touchirungen mit Arg.-
Lösung.
34) Prof. Bergmeister(Wien) nimmt Lapislösung 2 pCt.
35) Dr. Klein (Wien) benutzt Arg. 2 pCt. und reinigt
mit Sublimat 1 : 5000.
36) Dr. Topolanski (Wien) ninmit Lapis mitigatus,
2proc. Arg.-Lösung und Kali hypermangan.
37) Prof. Schulek (Budapest) wäscht mit Borsäure
aus und giebt Arg. nitr.
38) Prof. Pflüger (Bonn) benutzt Arg. 0,5 — 2 pCt.,
warme Umschläge und iproc. Wisrauthsalbe.
39) Prof. Halten ho ff (Genf) nimmt Silberlösungen
1, 2, 4 pCt., Waschungen mit Borsäure, mit Sublimat 1:4000,
mit Hydrarg. cyan. l\o- ^^^ Beginn oft Eisumschläge.
40) Prof. Ha ab (Züricli) verordnet häufige Reinigung
mit Lösung von Kali hypemiang. und giebt Eis. Später
pinselt er mit 2proc. Arg.
41) Prof. Sn eilen hi Utrecht benutzt Arg. und Sublim.
42) Dr. de Haas in Rotterdam verfahrt ebenso.
43) Prof. Doyer in Leyden giebt Ai'g. 2 pCt.
44) Ferge (Braunschweig) giebt im Anfang Eis und
spült seit einem Jahre statt mit Sublimat mit Hydrarg.
oxy cyanatum 1 : 2000 aus, ist damit sehr zufrieden. Dann
ArgentuKi 1 : 16 mit Kochsalznachspülung. Den Lapis
mitigatus hat er nur 3 Mal in 20jähriger Praxis gebraucht
und ist immer wieder zur Arg.-Lösung zurückgekehrt.
— 39 —
6) Schatz des anderen Ang^s.
Während wir früher dxircli Scliutzverbände nur sehr
unvollkommen bei der Uni-uhe der Kinder das zweite Auge zu
schützen vermochten, sind wir jetzt in der günstigen Lage,
durch tägliches Eintropfen eines Tropfens 2proc. Arg.-
Lösung in das gesunde Auge dasselbe vor der neben ihm
bestehenden großen Gefahr sicher zu behüten. Fränkel
in Chemnitz hat darauf zuerst aufmeAsam gemacht. Er
schrieb mir: „Ich habe wochenlang bei einseitiger Blen-
norrhoe in das gesunde Auge täglich 2proc. Arg. getropft
und davon nicht ein einziges Mal irgend welchen Schaden
gesehen. Unter 27 Fällen waren 7 einseitig." Laqueur
schützte so von 14 Augen 12 und Vossius wandte das
Mittel in einem Falle an. Ich habe durch dasselbe in einem
Jahre in 3 Fällen das zweite Auge bewahrt und niemals
Schaden dadurch entstehen sehen; freilich darf man nur
einen Tropfen Arg^ntum geben.
7) Amtliche Meldung der Fälle.
In Schlesien, Sachsen und Ungarn sind die Hebammen
verpflichtet, dem Physikus jede Blennorrlioe zu melden.
Allein nur Prof. Schulek in Budapest und Dr. Nobis
in Chenmitz berichteten, daß ihiv 16 resp. 15 Fälle ge-
meldet worden. Außerdem hatte eine Hebanmie einen der
10 Fälle von Dr. Landsberg in Breslau und einen der
18 Fälle von mir der Behörde angezeigt. Also von den
mir mitgeteilten 1938 Blennorrliöen sind nur 33 von Heb-
ammen amtlich gemeldet worden.
Auf die Frage, wie viel Fälle (Kirch Aerzte angezeigt
wurden, antwortete mir Dr. Niedon in Bochum: 6 von 24,
Dr. Wallerstein in Clelsenkirchen: 3 von 5, Prof. v. Michel
in Würzburg: 3 (von den übrigen 5 von Auswärts gekom-
menen konnte er es nicht eriahren), Prof. Schulek hi Buda-
pest: 1 von 17 und Prof. Pflüg er in Bern 13 von 26.
Im Ganzen wurden also nur 26 Fälle von Aerzten
amtlich gemeldet.
8) Blenuorrhöen, welche trotz des Crede'scheu Tropfens
entstanden waren.
Auf die Frage: „In wie viel Fällen war sicher Crede's
Tropfen eingegossen worden?'* antworteten 13 CoUegen mit
einem Fragezeichen hin ihren 273 Fällen; 16 schrieben, daß
in ihren 286 Fällen Crede bestimmt nicht angewendet
worden.
— 40 —
Dagegen berichteten
Fröhlich, daß unter 46 Blennorrhöen 3,
H. Cohn,
rt
7)
18
J)
1,
Landsberg,
n
7)
10
71
1,
Günsburg, .
T>
T)
6
7)
2,
Sämisch,
D
J)
5
n
1,
Uhthoff,
ji
n
7
f)
4,
Schubert,
7i
7)
16
T)
2,
Rheindorf,
rt
rt
8
7)
2,
Laqueur,
7)
7)
35
7)
4,
V. Michel,
7)
7)
8
7)
3,
Bäuerlein,
J)
r)
11
n
4,
Borysikiewicz,
f)
f)
7
7)
1,
Topolanski,
n
7)
134
7)
8
Kinder vorkamen, denen wohl Crede's Tropfen gegeben
worden sei, d. h. 36 Mal unter 310 Fällen bei 13 Aerzten.
Das wären 12 pCt. Mißerfolge!
Der Fall von Landsberg beweist freilich nichts,
da die Hebamme nur Iproc. Lösung eingegossen hatte.
Dagegen berichtet Herr Dr. Baumm, der jetzige Director
der Hebammen-Lehranstalt in Breslau, daß eine Blennor-
rhoe entstanden, obgleich Crede gegeben worden.
Laqueur bemerkt bei seiner Antwort noch besonders,
daß 2 Erkrankungen vor dem 6. Tage, 2 nach demselben
trotz Crede eintraten. Michel berichtet mit Ausrufungs-
zeichen, daß die 3 Fälle aus der Frauenklinik gekommen
seien, und schreibt auf besondere Rückfrage, daß den
Kindern dort von der Hebamme eingegossen worden und
zugleich die Augen, sowie der Kopf erschien, abge-
wischt wm'den.**)
Bisher fehlten in der augenärztlichen Literatur der-
artige Mitteilungen, und ich hatte dies sowohl in meinem
Lehrbuch der Hygiene des Auges als bei der vorjährigen
Discussion in der medic. Abteilung bei der Darlegung
meines Standpunktes über die Crede'sche Prophylaxe be-
sonders hervorgehoben. Ich bin in der That überrascht
gewesen über die hier gemeldeten 36 Fälle von angeblicher
Nutzlosigkeit des Crede 'sehen Tropfens.
Die Gegner Crede's werden dieselben nun gewiß aus-
nützen. Für mich beweisen sie nichts, da die Augenärzte,
welche die FäUe verzeichnen, ja gar nicht bei der Ge-
28) Auch einige andere Augenärzte berichteten auf nachträgliche
Anfrage, dass in einzelnen Fällen Cred6*s Tropfen das Erscheinen der
Blennorrhoe nicht gehindert habe, gaben aber keine Zahlen an, siehe
unten im Capitel VIII.
^ 41 —
burt der Kinder zugegen waren und gar nicht
wissen können, ob der Tropfen wirklich in's Auge
gekommen oder nur über die Lider weggelaufen
ist. Wie kann eine Medicin nützen, die nicht in den
Magen kommt, sondern nur über die Lippen läuft?!
Es kommt eben Alles auf das ^Wie" an. Wenn viele
Tausende von Kindern durch richtige Befolgung der Crede-
schen Vorschriften verschont bleiben und eine kleine An-
zahl nur erkrankt, so liegt doch der Schluß nahe, daß die
Methode in diesen Fällen eben nur schlecht ausgeführt
worden ist.
Wir wissen gar nicht, ob ein Student oder eine un-
feübte Hebamme den Tropfen eingegossen hat. Gerade
iese Fälle, wo trotz Crede die Blennorrhoe ausbricht,
müßten im Einzelnen sorgfältig durchforscht werden,
namentlich betr. der Geschicklichkeit dessen, der eingegossen
hat. Aber darüber schweigen die Berichte.
9) Blennorrhöen, die trotz des Abwischens der Angen
nach der Geburt des Kopfes entstanden waren.
Das Abwischen der Augen unmittelbar nach der Ge-
Geburt des Kopfes ist keine neue Methode von Keilmann,
sondern schon 1879 von Hausmann (Deutsche med. Woch.
No. 35) empfohlen worden; er riet, dazu Iproctg. Carbol-
säure zu verwenden. Im Jahre 1887 berichtete dann E.
Cohn aus der Berliner Univ. -Klinik (Zeitschr. f. Geburt sh.
u. Gynäk., Bd. 13, 2), daß, sobald der Kopf geboren war,
die Augenlider mit einem reinem Handtuchzipfel trocken
abgewischt wurden. Ahlfeld reinigte 1890 die Augenlider
sofort nach der Geburt des Kopfes mittels frischen Wassers.
(Zeitschr. f. Geburtsh. und GynäkoL, Bd. 14). Schon seit
Jahren ist das Abwischen der Lider sofort nach der Ge-
burt des Kopfes im preußischen Hebammenlehrbuch vorge-
schrieben und neuerdings wieder als alleinige Prophylaxe von
Küstner und Keilmann empfohlen worden. Daher habe
ich auch die Frage nach diesem Verfahren an die Gol-
legen gerichtet. 23 Aerzte machten ein Fragezeichen bei
487 Fällen; 5 schrieben, daß bei ihren 62 Fällen das Ver-
fahren bestimmt nicht ausgeführt wurde.
Dagegen berichteten 16 Aerzte über Kinder, die trotz
dieser Methode Blennorrhoe hatten.
Fröhlich
sah bei 46 Fällen 1,
Nieden
. « 24 „ 14,
H, Cohn
« n 18 V 2,
— 42 —
Günsburg sah
bei
5 Fällen
3,
Vossius „
T)
6
n
5,
Schirmer ^
ri
3
n
1,
Wilbrand „
T)
21
T)
16,
Uhthoff „
T)
7
n
2,
Rheindorf ^
,t
8
rt
6,
V. Michel „
Bäuerlein „
Borysikiewicz „
Klein
n
n
77
8
11
7
15
7)
3, .4^
8, '
1,
4,
Schulek
n
17
T)
1,
Fick
n
5
77
1,
also bei 201 Fällen 68 Blenn. = 34 pCt.!
Dasselbe, was oben über die Ausführung von Cred^'s
Metho<le gesagt wurde, kaiui natürlich auch betreffs dieser
in's Feld gefühlt werden. Wir wissen nicht, ob sie sorg-
fältig genug gemacht worden.
Dass hier aber die Mißerfolge 34 pCt. betragen, spricht
nicht für größere Sicherheit und Leichtigkeit des Verfahrens
gegenüber dem C rede 'sehen, nach welchem nur 12 pCt.
notiit sind.
Wir scliließen hiermit zunäclist die Ergebnisse aus den
Zalilen unsrer Sammelforschung. Wir wenden uns jetzt,
elie wir zu den Grutacliten der Augenärzte über die Ein-
führung von Crede übergehen, zu den Ansichten, welche
in der Literatur von den Frauenärzten über die Ver-
hütung der Kranklieit mitgeteilt sind. Denn ihre Statistik
ist ja von gi'ößtem Werte.
V. Statistik der Geburtshelfer vor und nach
Cred^.
Bei der Debatte, die wir im vorigen Jahre über Blen-
norrhoe hier liatten, erwälmte ich zunächst, daß ich keine
Abnahme der Kranklieit in meiner poliklinischen Praxis in
den letzten Jahren beobachtet habe; es blieben 12Voo» ähn-
lich wie es Silex aus Schweigger's Klinik berichtet
(Zeitschr. f. Geburtsh. u. Gynäk. 1894, Bd. 31, Heft 1).
Das sei, meinte ich, um so traui-iger, als nach Haab's Zu-
sammenstellu^ig <Cor?esp.-Bl. für Schweiz. Ae?ztc, Bd. 15,
S. 7 und 28j in den Entbindungsanstalten vor Crede unter
^*) Bei diesen wurde zugleich Ored^ angewendet.
- 4ä -
42000 Geburten 9 pCt., nach Crede unter 10000 Geburten
nur 1 pCt, an Blennorrhoe erkrankten.
Manche Geburtshelfer lühmen freilich das Auswaschen
der Augen mit destillirtem Wasser; so hatte Abegg damit
3 pCt., Kaltenbach sogar pCt., Cohn in Schröder's
Klinik 2 pCt. Blennorrhoe.
Betreffs der Reinigung mit desinficirendon Flüssig-
keiten verwies icli auf eine zum Teil aus Fuchs' trefflichem
Werke über die Verhütung der Blindheit entnommene Ta-
belle, zu der ich noch die Zahl von v. Erdberg fügte. Da
nach hatte:
Olshausen bei Carbol (1 pCt.) . 80®/oo Blennorhoe,
derselbe bei Carbol (2 pCt.) . . 30 Voo n
Späth bei Carbol (1 pCt.) . . . U^oo
Krukenberg bei Carbol (2 pCt). 134 «/^o n
Schröder bei Sublimat . . 40—60 "/oo n
derselbe bei Zincum sulfo-carb. . 30 7oo n
V. Erdberg bei Sublimat (1 : 7000) 4 7oo **) „
Dem gegenüber hatte Crede in 3 Jahren bei 1160 Ge-
burten nur l Fall von Blennorrhoe, also noch nicht 1 %o
„und bei diesem einen Falle war im Drange der Ge-
schäfte die Einspritzung vergessen worden", also in
Wirklichkeit Voo- Späth, der finiher 190 %o, dann bei
Carbol 14yoo sah, hatte mit Crede nur 7%o, Felsenreich
statt 43Voo n«f 10 %o, Bayer statt 123^00 sogar %o,
Krukenberg statt 134 ®/oo uur 1%q und Fnhrmann in
Breslau O^/qo-
Ich glaubte also, die Crede'sche Methode als die beste
empfehlen zu sollen. —
Dagegen behauptete Dr. Keilmann, seine Methode, die
geschlossenen Lider bald nach der Geburt des Kopfes mit
Jodtrichlorid abzuwisclien, habe in 500 Fällen Blennor-
rhoe ergeben, überbiete also noch den Crede'sclien Tropfen.
Nun hat aber im Januar d. J. Dr. Köstlin, welcher
Assistent in der Fehling'schen Univei-sitäts- Frauenklinik
in Halle ist, eine sehr umfangreiclie und gediegene Arbeit
„Ueber den Wert der Crede'sclien Metliode und ihre all-
gemeine Einfiiln-barkeit*' (Arch. f. Gynäkologie, B<1. 50,
Heft 2) ei*sclieinen lassen, in der er gegen die Küstner-
sclieu Schüler, die Herren Dr. Keilmann, Buchholz und
V. Erdberg, sowohl betreffs ihrer Statistik als ihrer Vor-
schläge energisch zu Felde zieht.
Köstlin meint, daß „Keilmann so manche Hypothese
als feststehende Thatsaclie bringt, auf welcher fußend er
'^) Siebe N^eres ttber diese Zahl weiter unten 8. 53.
— 44 —
weiter baut**, und er ftihrt uns eine so gewaltige, aus den
zerstreuten Quellen geschöpfte und unanfechtbare Statistik
über die Blennorrhoe vor und nach Einführung der Crede-
schen Methode vor, wie sie bisher nirgend existirte. — Es
ist daher gewiß angezeigt, diese Tabelle hier abzudrucken,
um so mehr, als das Arch. f. Gynäkologie sich nicht in den
Händen vieler pmctischen Aerzte, sondern meist nur der
Frauenärzte befindet, und da ja die Frage jeden Arzt in-
teressiren muß.
TabeUe VI
(entnommon aus KOstlin's Aufsatz, woselbst auch die Quellenangaben
fttr die einzelnen Zahlen zu finden).
1) Statistik der Blennorrhoe Yor Einfahrung der Cred^'schen
Methode.
Zuhl der
beobMbiaten
ßlen. Voo
Kinder
2266
100
__
259
—
208
—
258
2801
186
1106
105
1029
154
__
97
—
97
—
23Erkran-
kungen
—
213
200
und mehr
—
125
—
500
—
etwa 70
2191
52
23
100
1476
117
41
—
37
1980
61
—
420
—
etwa 224
163
218
1212
103
—
121
1039
185
1092
48
290
72
260
40
Cred^, Leipzig 1874—1880
Haase, Entoindungs-Institut der Kgl. sächs. chir.-
med. Academie 1829
Derselbe 1835
Dresdener Entbindungs- Institut 1875
Grenser, Dresden
Osterloh, Dresden
Winckel, Dresden
Cohn, Berliner Frauenklinik, die letzten Jahre vor
Cred^
Behm, Charit^ 1876-1880
Derselbe 1881, die ersten 6 Wochen
Charite 1836
Hohl, Hallo
Olshausen, Halle 1865-1869
Bonn, Frauenklinik 1828—1834
Krakenberg. Bonn vor 1881
Ahlfeld, Marburg 1867-1882
V. Hecker, München 1860-1881
8chirmer, Erlangen 1877—1881
Haidlcn, Stuttgart 1877—1880
Hildebrandt, Königsberg
Ca ro, Königsberg 1873— 1877
V. Säxinger, Tübingen
Beumer und Peiper, Greifswald 1858 . . . .
Dieselben vor 1870
1878-1880
1880
Dethlefsen, Kiel 1872—1882* .['.'.','. !
Schatz, Rostock
Dyrenfurth, Breslauor Hebammen- Anstalt 1879 .
Königsteiri, Wien 1881
C. Braun, Wien 1879
Derselbe
- 46 —
Zahl der
beobachte tan
Kinder
Blemi.o/o<
Karafiath, Budapest 1881—1883 ....
Konr&d, Großwardeln bis 1881
Valenta, Laibach 1858^1880
Artemieff, Tiflis 1873—1883
Mendes de Leon, Amsterdam 1860er Jahre
Schönberg, Christiania 1876—1882 . . .
1025
43
60—100
34
29
30—63
40-190
2) Statistik der Blennorrhoe nach Einfahrung der Cred^'schen
Methode.
Cred6, Leipzig
Zweifel, Leipzig
Leopold und Wessel, Dresden
Dieselben
Bröse, Berliner Frauenklinik . . , .
Gusserow, Charit6
Hammerich, Charit^
Haidler, Stuttgarter Hebammenschule
Bayer, Stuttgarter Hebammenschule .
Krukenberg, Bonn
Kaltenbach
Feis, Gottingen
Caro, Königsberg
Beumer und Peiper, Oreifswald . .
Dieselben
Karafiath, Budapest
Königstein, Wien
Felsenreich, Wien
Derselbe
Konr&d, Großwardein
Artemieff, Tiflis
Derselbe
Mendes de Leon, Amsterdam . . .
Budin, Charit^, Paris
Riviftre, Bordeaux
Vinay, Lyon
Oarignes, New-York
Charles, Lattich
Fehling, Basel
Fehling, HaUe
Außerdem :
V. Heck er, München (l pCt. Argentum) . . . .
Schmitt und Weckbecker, MOnchener Kreis-
und Lokal-Geb&ranstalt (1 pCt. Argentum) . .
V. S&xinger, Tflbingen
Fuhrmann, Breslauer Hebammenanstalt . . . .
Firn ig, Kölner Hebammenanstalt
24724
133
1090
?
?
?
1160
0,8-1,7
1724
2
1002
6,9
522
1100
460
15
1110
4,5
1007
3,9
978
1
361
703
6,6
234
8,5
452
1254
14
109
17
107
19
130
0-7,2
1300
10 knapp
500
4
8000
19
714
1,4
153
6
204
3
870
8
675
1,5
403
5
400
851
377
2,6
3002
1,9
361
8,3
6,50/«
30
18
^ 46 —
3) Statistik der Blennorrhoe bei prophylactiscber Anwendang
anderer Mittel.
Zahl der
beobMhUtan
Kinder
Blenn.7o(
A. Carbol statt Argentum.
Olshausen, Halle
Köuigstein, Wien
Krukenberg, Bonn
Fuhrmann, Breslau
V^alenta, Laibach
Hubbauer, Innsbruck
Uppenkamp und Olshausen hatten schlechte
Resultate.
B. Sublimat statt Argentum.
St ratz, Berliner Frauenklinik (l®/oo Sublimat) . .
Derselbe (0,2«/oo Sublimat)
Fritsch, Breslau
Ahlffeld, Marburg (0,1^00 SuWimat)
Derselbe {0,2^i^ Sublimat)
n (0,3»/oo Sublimat)
V. Erdberg, Dorpat (Sublimat
trichlorid 1 : 4000) ....
1 : 7000 oder Jod-
C. Steriles Wasser statt Argentum.
Abegg, Danzig
Schirmer, Erlangen
Qrttnewald, Petersburg
Kaltenbach, Halle (bei Verdacht Argentum) .
Derselbe (bei Verdacht Argentum) . . . .
Ahlfeld, Marburg (bei Verdacht Argentum)
Derselbe
Cohn, Berliner Frauenklinik
Derselbe . . '
Korn, Dresden
Derselbe
Caro, Königsberg ....
Sutugin, Moskau ....
Hofmeier, Wttrzburg . .
Mermann, Mannheim
Derselbe
RiviÄre
D. Jodtrichlorid statt Argentum.
Buchholz, Dorpat 1. 4. 1892-1. 4. 1898 .
Keil mann, Dorpat und Breslau (1895) . .
1541
82
?
965
460
486
450
2266
50
485
?
85
330
?
200
658
1000
95
?
354
400
200
35
201
500
*«) Bedeutet die Zahl der Conjunctividen.
3^) Diese Zahl ist zu niedrig, siehe weiter unten S. 53.
2») Siehe meine Bemerkungen weiter unten S. 49—51.
86—88
20
184
1
Erkrank mag
16 •
6—31
6
4,3
4(?)
6,1 (»2«)
4,5 (4«»)
i8«»)
4,3")
30
5
16
11 [2^
0(3««)
0(32«)
3
Erkrankung.
hinUr-
einaader
40
19
7
60
2,9
2,8
eine sohwere
Hornbaut-
affection
2,5
10
170
10
14»)
— 47 —
Da (He Methoden, statt Argeiitiim lieber Salicylsäure,
Zincum sulfocarbol. , Jodofonn, /J-Xaphthol, Cliloi-wasser,
übermangansaures Kali, Resorcin oder TluTnol zu nehmen,
bald verlassen wurden, lolnite es sicli nicht, ei-st Statistiken
darüber anzuführen.
Dagegen hat Köstlin das Carbol, den Sublimat, das
sterile Wasser und das Jodtrichlorid in der Tabelle genau
berücksichtigt.
Der ungeheui'e Nutzen, der durch Cred^'s henliche Ent-
deckung gegenüber der Kranklieitsziffer vor ihm entstanden,
ist Jodermann einleuchtend und wird auch nicht bestritten.
Stieler in München sagt treflfend: „Was Liste r und
seine Antisepsis fiir den Chinu-gen geworden, das wurde
der verdienstvolle und unvergeßliche Geburtshelfer Crede
den aimen, durcli Erblindung gefährdeten Neugeborenen."
Dem stimme ich völlig bei und meine, das Ve"rfahren vei--
tlient wohl, daß es in Zukunft zur bleibenden, ehrenden
Emmerung an seinen trefflichen Entdecker „Credeisiren**
genannt wird; ich werde mich wenigstens dieses Verbums
bedienen und hoffe, daß es fortan in der Litteratur ge-
braucht werden wml.
Manche Geburtshelfer wollten nur noch Besseres
leisten und versuchten andere Flüssigkeiten, zumal sie vor
den vorübergehenden Reizungen, welche das Argentum auf
der Bindehaut veiiirsachte, zurückschmken.
Allen Statistiken, mit Ausnalmie der Crede'schen, haf-
tet, wie wir Köstlin geni zustimmen, zunächst der Fehler
an, daß die Zalilen viel zu klein sind.
Ferner ist die Trennung wirklich nachgewiesener gonor-
rhoischer Bindehautentzündung von der nicht gonoiThoi-
schen nicht überall durchgeföhii;.
In Köstlin's Aufsatz wird die Statistik von Mer-
mann, Bröse, Ahlfeld, Caro, Kaltenbach, Nebel,
Brisken und Stratz einer scharfen Kritik unterzogen, auf
welche hier einzugehen zu weit führen würde.
Die Resultate mit Carb Ölsäure sind jedenfalls ganz
schlecht.
Was den Sublimat betrifft, so sind die Zahlen noch
zu klein; auch sind Mißerfolge von Widmark, Fleisch-
hauer und Olshausen gemeldet. Köstlin findet auch,
daß dabei, wie bei der Anwendung des sterilen Wassers,
mehr einfache Catarrhe vorkamen. So hatte Stratz
bei 460 Kindern 4%o Blennorrhöen , aber ll®/oo Catarrhe
und 183®/o0 Reizerscheinungen. Ahlfeld fand, als er Subli-
mat anwendete, jäln*lich 2 — 8 Catairhe, finiher nur 1 — 2.
Auch bei der Durchsicht der Krankenbüolier der Hallenser
— 48 —
Frauenklinik aus dem Jahre 1888, wo Kaltenbach Director
war, fand Köstlin neben 6 Blennorrhöen 20 Oonjunctivi-
tiden verzeichnet.
Beim einfachen Auswaschen mit Wasser hat Hofmeier
sogar einmal schwere Homhauterkrankungen auftreten sehen.
Auch Kaltenbac h ließ übrigens nach Crede behandeln,
wenn prophylactische Sublimatausspülungen der Scheide
nicht mehr ausgeführt werden konnten. Jetzt werden
letztere wohl allgemein als unzweckmäßig erachtet.
Am schärfsten aber kritisirt Köstlin die statistischen
Arbeiten aus der Küstner'schen Klinik. Er sagt wörtlich:
„Was das Jodtrichlorid anbelangt, so leidet das-
selbe vor Allem an dem Fehler, daß es noch in viel zu
wenig Fällen erprobt ist, so daß Keilmann noch keines-
wegs dazu berechtigt ist, dasselbe statt des Argentum
zu empfelilen. Außerdem geht die Küstner 'sehe Klinik
von dem Gnmdsatze aus, daß jede nach dem fänften Tage
auftretende Blennorrhoe erst im Wochenbett erworben
sei und somit nicht der Prophylaxe zur Last falle, während
in Wirklichkeit, wenn man die sogenannten Primär-
und Secundär-Infectionen zusammenzählt *•), die Küst-
ner'schen Resultate einen Vergleich mit anderen
nicht auszuhalten vermögen."
„Denn wenn auch," sagt Köstlin, „das eine Kind im-
mittelbar nach dem Eintritt der Mutter in die Anstalt ge-
boren wurde, so daß prophylactische Maßnahmen erst rela-
tiv spät vorgenonmien werden konnten, so fällt diese
Erkrankung eben doch seiner Methode zur Last,
und auch die 6 Kinder, welche erst nach dem 7. Tage er-
krankten, muß er aus unten zu erörternden Gründen hin-
zurechnen, so daß er dann auf 600 Kinder sieben Er-
krankungen bekommt. **
Nach dieser Feststellung Seitens eines Gynäkologen
erinnere ich an die Sitzung unserer Gesellschaft am 1. Fe-
bruar 1896, in welcher ich aufgefordert wurde, unter meine
oben S. 43 mitgeteilte Tabelle „Mit destillirtem Wasser
hatten Abegg 3, Kaltenbach und E. Cohn bei Schrö-
der 2 pCt. Blennorrhoe" noch bald hinzuzuftigen: „Auch
Keilmann pCt.". Ich that dies leider daD(ials.
Ich schließe mich aber jetzt der begründeten Ansicht
Köstlin's an, daß auch die secundären Fälle der Me-
thode von Keilmann indirect zur Last fallen. Freilich
gehe ich nicht soweit als Köstlin. Dieser meint nämlich,
Keilmann müsse, da sieben von seinen 600 Fällen Blen-
norrhoe zeigten, statt %o richtig 14®/oo Blennorrhoe nach
») Vgl. auch unten Cap. VI.
— 49 —
seiner Methode berechnen. Das ist aber nicht ganz rich-
tig. Denn Keilmann sagt S. 13: „Das eine Kind kam drei
Tage nach der Geburt erst in die Anstalt und zeigte bereits
Schwellung der Conjunctiven; das zweite Kind wurde un-
mittelbar nach Eintritt der Mutter in's Haus ge-
boren, ehe sie auf das Kreissbett gebracht werden konnte."
Im 2. Falle hätte gewiß durch Cred^isiren das Auge
bewahrt werden können, da ja unmittelbar nach der Ge-
burt das Kind in die Anstalt kam. Aber im 1. Falle hätte
auch C rede 's Methode nichts genützt, da das Kind, schon
3 Tage alt, aufgenommen wurde. Daher fallen der Keil-
mann 'sehen Methode, d. h. der Unterlassung der Cred^isi-
rung, indirect nur diejenigen Fälle zur Last, welche Blen-
norrhoe erhielten durch üebertragung von dem Bande, das
unmittelbar nach Eintritt der Mutter in's Haus kam. (Wir
wollen es Kind B. nennen.) ^Aus dem Referate Keilmann 's
ist aber nicht zu einsehen, ob von diesem Kinde B. oder
von dem anderen, schon 3 Tage vor der Aufnahme gebo-
renen (wir wollen es Kind A. nennen) 4 andere Kinder an-
gesteckt wurden.
Keilmann sagt nämlich (S. 16): „Der Ausgangspunkt
der Erkrankung (bei der einen Epidemie) war das eine
(welches??) der oben erwähnten, prophylactisch gar nicht
behandelten Kinder, in dessen nächster Nachbarschaft
sich jene Kinder befanden."
Später (S. 15) sagt Keilmann nur: „Die zweite Ginippe
wird von 2 benachbarten Kindern gebildet, die im Sep-
tember am 7. und 9. Lebenstage gleichzeitig erkrankten.
Bei der Mutter des einen ist nachträglich Gonorrhoe
nachgewiesen worden. ** Ob nun der Ausgangspunkt dieser
2. Epidemie der oben angeführte 2. Fall B. war, der bald
nach der Geburt aufgenommen wurde, oder nicht, ist leider
nicht zu ersehen.
Und doch ist eine scharfe Detailkritik der aus Küst-
ner's Klinik veröffentlichten Statistiken ganz unerläßlich,
da diese ja die Cred^'sche Methode durch etwas angeb-
lich noch Besseres verdi'ängen wollen. Daher seien fol-
gende Berechnungen gestattet.
Rühii-e die erste Epidemie von Kind A. her, so fällt,
wie oben schon gesagt, der Fall A. ganz fort, da hier
am 3. Tage auch C rede's Verfahren nicht geschützt hätte.
Daß dieser Fall A. zur Ansteckung von 4 resp. 2 Kin-
deni gefiilirt hat, ist dem Mangel an Isolirung zur Last
zu legen, worüber ich Näheres im nächsten Capitel mit-
teilen werde.
Rührte aber die erste Epidemie (4 Ansteckungen) von
4
— 50 -
Kind B. her, so ist sie eine Folge der Unterlassung des
Credeisirens; diese Fälle würden also, wenn man die durch
üebertragung erkrankten Kinder mitzählt, als Blennorrhoe
in Rechnung zu setzen sein, d. h. 5 Blennorrhöen auf 600
Fälle = 10 %o statt 0%o.
Rührte die zweite Epidemie von Kind A. her, so wür-
den diese 2 Fälle nicht zu reclmen sein; rührte sie von
Band B. her, so würde dieses und, wenn man die durch
üebertragung erkrankten Kinder mitzählte, die 2 von ihm
angesteckten Kinder, also 3 Blennorrhöen auf 500 = 6%0
statt 0%o anzufahren sein.
Betrachtet man aber bei beiden Epidemien den Mangel
an Isoliiiing als Ursache der Ansteckungen, so fiült nur
1 Blennorrhoe dem Mangel an Credeisirung zur Last
= 2%o.
Leider hat Keilmann nicht klar und deutlich ange-
geben, wie es für eine, alle anderen Methoden übertreffen
sollende kritische Statistik wünschenswert gewesen wäre:
„Kind A. kam am 3. Tage; von ihm wurden 4 resp. 2 Kin-
der angesteckt; Blind B. kam gleich nach der Geburt; von
ihm wurden 4 resp. 2 Kinder angesteckt. **
Man ist hier bei der Lecture nur auf Vermutungen an-
gewiesen. Ja, es ist sogar möglich, daß die zweite Epi-
demie gar nicht mit Fall A. und B. zusammenhängt, son-
dern ganz unabhängig von diesen eintrat. Aus der Arbeit
von Keilmann ist dies eben nicht klar zu ersehen.
Sind diese beiden Fälle der 2. Epidemie, wir wollen
sie C. und D. nennen, ohne Zusammenhang mit A. und B.
entstanden, so kömite man fi*eilioh sagen, es seien zwar
benachbarte Bänder gewesen und „bei der Mutter des
einen ist nachträglich Gonorrhoe nachgewiesen wor-
den ;** allein es wäre ja denkbar, daß die Kinder, da sie erst
am 7. und 9. Lebenstage gleiclizeitig erkrankten, erat lange
nach der Geburt angesteckt wonlen seien.
Fall C. und D. kämen dann nicht in Rechnung. Wir
können das nach dem vorliegenden Referate nicht ent-
seliei<len, glauben aber doch, daß Keilmann Fall C. oder
D., in dem Gonorrhoe der Mutter nachträglich nach-
gewiesen wurde, auch nachträglich als verhütbare Blen-
nonhoe auffaßt. Es wäre sonst nicht verständlich, warum
er am Ende seines Aufsatzes sagt: „Die glänzenden Resul-
tate, die die Crede'sche Prophylaxe en-eicht hat, indem
der Procentsatz von 25, ja sogar von 50 auf 0,79 herab-
gesetzt ist, ist durch unser Verfalu'en noch übertroffen,
was sich in einem Procentsatz von etwa 0,2 ausspricht.*^
Woher kämen sonst diese 2 %^ ? In der Sitzung am
— 61 —
25. Januar 1896 hat Keilmann besonders betont, er habe
0%o; im gedruckten Referate sind es S^/op- Wenn er jetzt
Fall C. oder D. als Blennorrhoe, die seiner Methode zur
Last flQlt, rechnet, so wäre dies 1 :500, d. h. eben 2Voo'
Aber wenn wir auch so milde als möglich iui:eilen,
das steht fest: Wäre das Kind B., welches gleich nach der
Geburt in's Haus kam, credeisirt worden, so wäre es von
Blennorrhoe freigeblieben; dieser Fall fällt also Keilmann's
Methode zur Last; einen anderen rechnet er ja jetzt selbst,
so daß mindestens 2 FäUe Blennorrhoe auf 600 =: 4 auf's
Tausend kommen, d. h. die Keilmann'schen [Resultate
stehen hinter den Cred6 'sehen, die bei 10 Aerzten mit Null
figiuiren, wohl zurück. (Siehe Tabelle VI und unten S. 90.)
Dabei habe ich die durch Ansteckung von Band auf Kind
übertragenen Fälle gar nicht hier hinzugezählt, abweichend
von Köstlin, der das wohl thut und der nicht 4, sondern
14%Q Blennorrhoe bei den Keilmann'schen Verfahren her-
ausrechnet.
Der Keilmann'schen Statistik wirft Köstlin femer
vor, daß sie einen Fall als Catarrh bringt, bei dem keine
öonococcen gefunden wurden. Bekanntlich läßt die bac-
teriologische Untersuchung zuweilen im Stich; sind Gh)no-
coccen da, so zweifelt Niemand an Gonorrhoe; werden sie
bei ein- oder zweimaliger Untersuchung nicht gefimden,
so ist damit noch nicht bewiesen, daß es nicht doch Gonor-
rhoe sei. Nun aber sagt Keilmann: |,Ein ftlnfbes Kind
bekam in derselben Zeit und in demselben Saale eine Con-
junctivitis, die ich deshalb nicht filr gonorrhoisch halte,
weil alle Erscheinungen wieder in wenigen Tagen ge-
schwunden waren. Gonococcen habe ich in diesem Falle
nicht gefunden, was ich jedoch bei nur einmaliger Unter-
suchung auch von zwei anderen Fällen constatiren muß,
ohne daß deshalb das klinische Bild Zweifel aufkommen
ließ.** Köstlin erwidert darauf: „Es wäre doch wxmder-
bar, wenn er sonst keine Conjunctivitiden hat und jetzt
oine solche zugleich mit mehreren Blennorrhöen sieht und
einfach deswegen, weil die Augen in einigen Tagen ab-
heilten, die Diagnose Blennorrhoe verwirft. — Li vielen
anderen Fällen habe ich auch verzeichnet gefimden: keine
Gonococcen, also keine Blennorrhoe. Und so mag wohl
auch manche Blennorrhoe aus Angst, die Statistik
zu verderben, auf Grund einiger weniger negativ aus-
gefallener bacteriologischer Untersuchungen als Conjunc-
tivitis laufen.**
Auch darin kann man Köstlin beipflichten, daß es ja
leichte Blennorrhöen geben könne, die mehr unter dem
4*
— 52 —
Bilde des Catarrhs verlaufen, wenn die Coccen weniger
virulent und in so kleiner Zahl vorhanden sind, daß sie in
den wenigen Präparaten nicht zum Vorschein kommen.
Verschiedene Glrade der Virulenz giebt es ja auch bei an-
deren Infectionskrankheiten.
Dann wendet sich Köstlin gegen die Statistik von
Buchholz, eines anderen Schülers von Küstner. Er sagt:
^Und wenn Buchholz'®) (Ueber ein Lustiimi klinischer
Geburtshülfe. Dissertat. Dorpat 1893) aus Dorpat über
201 Kinder berichtet, unter denen er nur einen zweifelhaften
Fall rechnet, während er einen anderen sicher constatirten,
am 7. Tage aufgetretenen nicht mitrechnet, so ist dies
eben falsch; er hat nicht 6 sondern 10 %© Erkrankungen."
Endlich greift Köstlin die Statistik von v. Erdberg,
eines dritten Assistenten Küstner's, scharf an.
Er sagt: „Ebenso hat v. Erdberg (Zur Prophylaxe der
Blenn. neon. im Kreißbett. Dissertat. Doi-pat 1892) fälsch-
licher Weise eine Spätinfection vernachlässigt; außerdem
hat er eine viel zu kleine Zalil von Kindern mit Jodtri-
chlorid behandelt, als daß er den Wert desselben beui*teilen
könnte. Sein Ausspi-uch, „daß nach den Erfahrungen in
den letzten 10 Jalu-en und nach den Fortschritten in der
wissenschaftliclien Erkennt is der in Betracht kommenden
Krankheit „„das Crede'sche Verfahren als veraltet"^
zu bezeichnen sei, und daß an seiner Stelle den wissenschaft-
lichen Anfordeiiingen mehr genügende und voll zweckent-
sprechende Methoden anwendbar seien" *^), ist deshalb auch
zum mindesten sehr gewagt, ziunal wenn man sieht,
daß 1889 — 1892 bei 468 Kindern vier verschiedene Me-
thoden, ei*st ausgekoclites Wasser, dann Sublimat 1 : 7000,
dami Chlorwasser und zum Schluß Jodtriclilorid zur Ver-
wendung kamen."
Im Anschluß an diese Bemerkung Köstlin's über
V. Erdberg muß ich ei-wähnen, daß ich bei der Debatte
im vorigen Jalu-e bei einer Zusammenstellung der Eesultate
(siehe oben S. 43) v. Erdberg irrtümlich mit 4 pCt. Bleq^
norrhöen angeschrieben hatte, da mir seine Dissertation
damals niclit zm* Hand war und ich aus dem Vortrage des
Herrn Dr. Keilmann entschuldbarer Weise 4 pCt. statt
0,4 pCt. veratanden zu haben glaubte.
Bei der Debatte wurde mir damals entgegengehalten,
•*) Die Dissertation von Buchholz habe ich nicht gesehen; ich
citire hier nur nach Köstlin.
'*) In der Dissertation von v. Erdberg S. 51 steht noch dahinter:
^insbesondere gilt dieses ftlr die Anwendung der von Kaltenbach,
Kästner und Anderen in praxi vertretenen Principien.**
— 53 —
(laß V. Erdberg nicht 4 pCt. sondern 4 %© Blennorrhöen
mitgeteilt habe. Daraufhin beeilte ich mich sofort, diese an-
geblich falsche Zalü in 4®/oo zu berichtigen, habe dies sogar
leider m einer Note im gedruckten Sitzungsberichte unserer
Gesellschaft noch besonders bemerkt. (Vgl. Jahresb. d.
schles. Gesellsch. für 1895, Med. Section Seite 22.)
Nacli der Zusammenstellung von Köstlin ist jedoch
V. Erdberg's Zald 4 %o falsch, letzterer hatte unter 468
Geburten nicht 2 sondern 3 Blennorrhöen, d. h. 7 %o.
V. Erdberg sagt nämlich (Dissei*t. S. 43): „Außerdem
findet sich eine Spätinfection im August 1891 notirt, und zwar
hat hier erwiesener Maßen eine Uebertragung von Fall
zwei stattgefunden.'* Hätte nun v. Erdberg den zweiten
Fall nach Crede beliandelt statt mit Sublimatlösung, so
hätte Fall 2 keine Blennorrhoe bekommen und die Krank-
lieit nicht auf Fall 3 übei-tragen können. Da ich aber sehr
milde ui-teilen will, und niclit weiß, durcli welches Versehen
diese „ei-wiesene" Uebei-tragiuig stattgefunden, so trete ich
auch hierin Köstlin nicht bei und rechne diesen Fall
nicht mit.
Aber ich finde jetzt bei genauem Studium der Disser-
tation von V. Erdberg (Seite 42) Folgendes: „Außerdem
habe ich bei Durchsicht der Journale noch 14 Catarrhe
verzeiclniet gefunden, die alle sehr leicht waren und unter
Anwendung von kalten Compressen oder Eingiessung leicliter
Adstringentien in wenigen Tagen völlig ziun Schwinden
gebraclit waren.
Nur in einem Falle war die eitrige Socretion eine
etwas heftigere, und mußten einige Beizungen mit
einer Lapislösung vorgenommen werden, doch heilte
auch dieser in 6 Tagen ^
Diese eitrige Secretion war doch kein „sehr leichter
Catarrh", sondeni ganz sicher Blennorrhoe; also hatte
v. Erdberg drei Fälle auf 458 =z 7 ®/oo, selbst wenn ich
den vom zweiten Fall übertragenen gar nicht mitrechne.
Es war daher unriclitig von mii-, auf Wunsch des Herrn
Prof. Küstner bei v. Erdberg 4%o statt 4 pCt. anzu-
sclireiben; er liatte 7 7oo-
Ueber Gonokokken-Befunde bringt <lie Dissertation von
v. Erdborg nichts; es könnte also Niemand beweisen, daß
die oben als leiclitere Catarrhe bezeiclmoten 13 Fälle
nicht aucli leiclitere Gonorrhöen waren. In diesem Falle
wären auf 458 Geburten also 1 6 Blennorrhöen gekommen ;
— siclier aber waren 16 Bindehaut-Erkrankungen bei
Dr. V. Erdberg da, das heißt 35 %o, eine recht beträcht-
liche Zahl.
— 54 -
Man sieht also, daß alle Statistiken, welche die drei
Schüler Küstner's veröflfentlicht haben, unrichtig sind.
1) Keilmann berechnete zuerst 0, dann 2 \^; ich
finde aber mindestens 4, wahrscheinlich 6 — 10%»; Köstlin
berechnet sogar 14 %q.
2) Buchholz veröflfentlichte 5 *^/oo, Köstlin berechnet
dagegen 10 %o-
3) V. Erdberg veröflfentlichte 4 %0, Köstlin und ich
berechnen dagegen 7 Voo«
Aber wenn wir sogar zugeben, daß Keilmann, wie er
selbst sagt, nur 2 Voo Verluste hatte, selbst dann wäre
Herr Prof. Küstner nicht berechtigt gewesen, bei der
Debatte am 1. Februar 1895 (Jahresb. der schles. Gesellsch.
S. 33) zu behaupten, „dass die an seiner Klinik erzielten,
von Dr. Keilmann berichteten Erfolge nie ftbertroifen^
meist bei Weitem nicht erreicht seien/^
Denn, wie man aus Tab. VI und imten aus Cap. IX, S. 90
ersieht, haben 10 Frauenärzte: Leopold, Wessel, Bayer,
Peis, Vinay, Garignes, v. Säxinger, Fuhrmann, Fir-
nig und Fritsch bei weit über 3000 Geburten nicht wie
Keilmann 2%oj sondern Null Blennorrhöen mit Crede's
Verfahren erzielt, haben also Küstner's Ei-folge bei Weitem
übertroffen.
Diese in's Detail gehende BIritik der Statistik der
Küstn er 'sehen Schüler war nötig, um zu zeigen, daß auch
sie nicht berechtigt waren, die Crede'sche Methode
für veraltet zu erklären und die ihrige statt derselben
zu empfehlen.
Mit vollem Rechte sagt daher aucli Köstlin: „Man
muß auch jetzt noch sagen, daß der Höllenstein bisher
immer noch das sicherste Prophylacticum gegen Blen-
norrhoe ist.**
VL Die Secundär-Infectionen.
Wir haben schon im vorigen Capitel mitgeteilt, daß
die Küstner'schen Schüler jede Blennorrlioe, die nach dem
fünften Tage auftritt, als eine secundäre, d. h. nicht durch
den Geburtsact hervorgerufene betrachten.
Das ist aber ganz gewiß nicht richtig. Natürlicli könnte
einmal eine Mutter mit ihrem gonokokkenhaltigen Lochial-
secrete sicli später selbst eipe Augenblennorrhoe beibringen;
sie kommt ja mit ihren schmutzigen Fingern viel eher an ihr
eignes Auge, als an das ihres Kindes; und die Conjunctiva
des Erwachsenen ist mindestens ebenso empfänglich
— BB —
fiir Gonokokken, als die der Kinder. Solche Fälle aber
sind mir nicht bekannt.
Es könnte auch einmal eine Mutter das Kind, das bei
ihr im Bett liegt, mit ilirer Gonorrhoe iuflciren. Die Mög-
lichkeit läßt sich gewiß nicht leugnen; aber der Nachweis
wird wohl schwer gelingen.
Dafi;egen smd massenliaft Epidemien in Entbindmigs-
anstalten in frülieren Zeiten durch schmutzige Wärterinnen,
gemeinsames Badewasser, Wäsche, Utensilien u. s. f. nach-
gewiesenermaßen entstanden. Auch Keilmann berichtete
über eine solche Epidemie in der Breslauer Frauenklinik.
Wie es alle Hygieniker sagen, so sagt auch v. Erd-
berg pag. 49 in seiner Dissertation sehr richtig: „Li welcher
Weise wir der Gefahr der Spätinfectionen am sichersten
entgegentreten, damber dürften die Ansichten der einzelnen
Autoren wohl kaum mehr differiren. Es handelt sich hier
einfach danun, die Bemhrung des kindlichen Auges mit
dem etwa gonokokkenhaltigen Locliialsecret der Mutter
auf 's Sorgsamste zu vermeiden. Gut geschultes Warte-
personal und vor allen Dingen tlie peinlichste Sauber-
keit in der Pflege sind die Giomdprincipien , nach denen
die prophylactischen Maßregeln, (lie Spätinfectionen be-
treffend, einzurichten sind. Natürlich sind etwa voikom-
mende Fälle von Blennonhoe zu isoliren imd einer ge-
sonderten Pflege zu unterziehen. **
Diesen gesunden Gimidsätzen gegenüber mußte es mich
befremden, daß Herr Dr. Keilmann im vorigen Jalire auf
meine Anfi'age, ob denn die bleiuiorrhoischen Kinder in
der Frauenklinik isolirt worden seien, mit Nein antwortete.
Nuimielir liegt das gedruckte Selbstreferat seines Vor-
trages im Berichte der schles. Gesellschaft vor und in dem-
selben heißt es (S. 15): „Allein zuverlässig wäre die Iso-
lii-ung des Kindes von der sdunutzigen Mutter in Hinsiclit
des Kaumes und des Pei^sonals; das ist aber ganz unmög-
lich in Fällen, in denen die Mutter ihr Kind stillt; in allen
anderen Fällen ist es schwer. So habe ich denn
zwei Epidemien zu beklagen, deren eine vier Kinder
betraf, während die andere auf zwei Kinder besclnänkt
blieb.**
Gewiß kann man die Mutter, wenn sie das Kind stillt,
nicht von ihm ti'ennen, und auch darin pfliclite icli Keil-
mann bei, daß man einer wirklichen Spätinfection bei einer
schmutzigen Mutter ganz machtlos, auch dm'ch Crede's
Verfahren gegenüber steht.
Aber daß man bei Blennorrhoe die Mutter mit dem
Kinde in einen besonderen Raum und in besondere Pflege
— 66 —
bringt, mnss in jeder Anstalt möglich sein. Warum das
schwer sein soU, verstehe ich nicht. Lefort hat im Pariser
Kinderhospiz diese Trennung durchgeführt und, wie Fuchs
erzählt, die Krankheit dadurch fast zum Verschwinden ge-
bracht. Keilmann hätte die eine Epidemie eben nicht zu
beklagen gehabt, wenn die Mutter, welche drei Tage nach
der Geburt in die Klinik kam, mit ihrem Kinde nicht in
den gemeinsamen Saal, sondern in ein Isolirzimmer
gebracht worden wäre. Und das wäre zweifellos um so
mehr Pflicht gewesen, da er ja selbst S. 13. schreibt: „das
Kind habe bereits Schwellung der Conjunctiven ge-
zeigt." (!) Natürlich kann er sich dann nicht wundem, wenn
„in dessen nächster Nachbarschaft" (S. 15) andere
Kinder erkrankten. Ob vier oder zwei Kinder angesteckt
wurden, ist nicht ersichtlich, da Keilmann, wie schon oben
gesagt, nicht mitteilt, von welchem der beiden prophylactisch
gar nicht behandelten Kinder vier, von welchem zwei andere
angesteckt wurden.
Anders liegt die Frage, ob denn eine Reihe von Blen-
norrhöen, die nach dem 5. Tage auftreten, nicht doch
ihren Ursprung in der Scheide der Mutter haben.
Köstlin macht darauf aufmerksam, daß die blennorrhoi-
schen Kinder fast alle in Kopflage geboren wurden, und
daß die sogen. Spätinfectionen durch die abgeschwächte
Wachstumsenergie derBacterien erklärt werden könne, da
ja der Gonococcus ein sehr empfindlicher Coccus sei, der ab-
hängig vom Nährboden ist und leicht durch kleine Schädlich-
keiten in seinem Wachstum gestört wird. Bei den sogen. Pri-
mär- Affectionen finden sie günstigen Boden, können sich gut
und schnell entwickeln, in den Secundär- Affectionen sind
sie schon in der Scheide unter wenig zusagenden Verhält-
nissen gewesen oder durch Desinfectionsmittel abgeschwächt
worden, oder sie können sich auf der Bindehaut nur lang-
sam erholen. Auch beim Tripper in der Harnröhre giebt
es oft eine längere Incubation; Leser ninmit 7 Tage und
Zeissl selbst 12—16 Tage nach der Infection an. Gewiß
wird bei der künstlichen Impftmg die Blennorrhoe in 2 bis
3 Tagen erzeugt, aber bei natürlicher Uebeii:ragung können
mehr als 6 Tage verstreichen. Die Kinder kratzen sich
mitunter Gesicht und Lider, es entstehen kleine Verletzun-
gen, in denen dann, wie bei der Harnröhre, günstigere Be-
dingungen fär die Entwickelung der Kokken gegeben werden.
Mit Recht fragt auch Ahlfeld, wie es komme, daß
die Kinder so selten in der 2. Woche, aber nur ganz aus-
nahmsweise in der 3. Woche und später Blennorrhoe be-
konunen, obgleich sie dann doch gerade der Pflege d^
— 67 —
gonorrhoischen Muttor allein überlassen sind. „Wird das
Auge widerstandsfähiger, oder nimmt das Viinis an Energie
ab? oder ist die Gelegenheit zur Infection eine geringere?
Daß mit Aufhören der Lochien die Gefahr geringer wird,
ist zu verstehen; daß aber nach Ende der 2. Woche die
Erki-ankungen fast ganz aufhören, dafür kenne ich
keine ausreichende Erklärung."
Uebrigens ist es nach Köstlin noch nie gelungen,
statistisch in einer Reihe von Fällen die Secundär-Affection
sicher nachzuweisen; „immer beruht dies nur auf Ver-
muthungen".
Nach meinen obigen Zusammenstellungen im 4. Cap.
(S. 31) begannen die Blennorrhöen in 76 pCt. der Fälle
am I. — 5. Lebenstage, in 24 pCt. später. Uppenkamp
sah vom 1. — 6. Tage 266 Fälle, aber vom 6. — 9. Tage noch
69 Fälle, vom 10.— 17. Tage: 13 Fälle; v. Hecker vom
1.— 5. Tage 77, am 6.-7. Tage 23 Fälle; Köstlin vom
1.— 5. Tage 11, am 6.— 10. Tage 4 Fälle. Nach dem 5. Tage
worden sie also gewiß seltener. Das erklärt Köstlin so,
daß die Gonokokken entweder von vornherein weniger
lebenski'äftig waren oder durcli längeren Aufenthalt auf
dem ihnen aus unbekannten Gi-ünden nicht zusagenden
Boden an Virulenz abgenommen haben. Ein Beweis hier-
für ist die sichere, allgemeine Beobachtimg, daß die Blen-
norrhoe je früher, desto intensiver auftritt.
Als Beweis gegen die Spätinfectionen fölirt Köstlin
femer die guten Bresultate von Argentum an. Hai dien
fand in Stuttgart, wo die Wöclmerinnen 14 Tage und
länger in der Anstalt blieben, beim Cre<leisiren auf 978
Kinder nur 2 Spätinfectionen, imd Fehling hat in Basel
auf 3002 Geburten keine einzige Spätcrkranknng ge-
sehen! Ebensowenig sah Feis eine solche.
Köstlin schließt also: „Man darf daher nicht, wie es
Keilmann thut, bei der Statistik die primären und die
secundären Erkrankungen trennen, sondern beide
zusammen ergeben die wahre Frequenz und damit
den Prüfstein des angewendeten Verfahrens. Und von
diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, giebt das Jodtri-
chlorid ein viel schlechteres Resultat; denn Keil-
mann hat alsdann 14Voo Blennorrhoe gegen 6,5 %o bei
dem Crede 'sehen Verfahren. Letzteres ist also nicht nur in
Bezug auf frühere, sondern auch auf die später^auftreten-
den Ophthalmien den anderen Mitteln überlegen; denn bei
den meisten anderen Behandhmgsweisen liabe ich^kein Ab-
nehmen der sog. Secundär-Affectionen verzeichnet gefunden.**
— 58 —
VII. Köstlin's Einwürfe gegen das Keilmann'sche
Verfahren.
Nicht allein gegen die Statistik von Keilmann, son-
dern auch gegen seine Ansichten über die Entstehung der
Primär-Infection und gegen sein Verfahren wendet sich
Kost 1 in in ausfiUirlicher Weise.
Er verteidigt die Ansicht, daß die Ansteckung während
des Durchtretens des Kopfes durch die Scheide entstehe
und nicht nacliher. ,,Auch Keilmann, sagt Köstlin,
hält fiir noimale Geburten diesen Modus für den natiii4ichen,
während er abnorm verlaufende Geburten besonders be-
urteilen will. So bringt er die gewagte Aeußeining, daß
<las C rede 'sehe Verfahi-en überhaupt kein prophylactisches
sei, was ihm ja von anderer Seite in der Discussion über
seinen Voi*trag genügend als Wortspielerei vorgehalten ist.
Auch stellt er die noch keineswegs erwiesene Be-
hauptung auf, daß bei nonnalen Geburten das Auge des
Kindes bis zum vollendeten Austritt des Rumpfes
geschlossen bleibt, was wir durch unsere Erfah-
rungen in der Klinik bestreiten müssen.
Das Kind öffnet die Augen nicht ganz selten vor der
Geburt des Rumpfes; auch kann man sicli sehr wohl denken,
daß beim Durchschneiden des Kopfes, besonders bei rigidem
Damm, <las untere Augenlid zuiückgehalten, das Auge also
geöffnet wird.**
Es ist einleuchtend, daß das bloße Abwischen der Lider,
wie es Keilmann für hinreichend erklärt, keinerlei Schutz
gewälu't, wenn das Kind schon vor der Geburt des Rumpfes
die Augen geöffnet liat. Auf diesen sehr wichtigen Punkt
wurde meines Wissens in der Discussion bisher nie Rück-
sicht genommen.
Daß protrahirte Austreibungsperiodon, vorzeitiger
Blasensprung und die Geburt größerer Kinder die Infec-
tion begünstigen, liat schon Crode beobachtet, ebenso
üppenkamp und Fehling-Köstlin. Längeres Vei-weilen
des Kopfes nach Abfluß des Fruchtwassers in der Scheide
begünstigt also die Tnfection.
,,Wie stimmt dies, fragt Köstlin, mit der Annahme,
daß die Lifection erst nach dem Austritt des Kopfes ein-
trete? Soll man alle diese Geburten mit protrahirter Aus-
treibiuig und frühzeitigem Blasenspnuig zu den patholo-
gischen rechnen und für diese nach Keilmann besondere
Indicationen für therapeutische und proph\lactische Maß-
nahmen verlangen? Dies zu entscheiden, wäre für den
— B9 —
Arzt schon schwierig, noch mehr aber für die Heb-
amme."
Als weiteren Beweis dafür, daß die Infection während
und nicht nach der Geburt eintritt, fuhrt Köstlin noch
an, daß die blennorrhoischen Kinder sämmtlich mit dem
Kopfe voran zur Welt kamen, und daß ja eine Anzahl
Fälle beschrieben sind, in denen das Kind schon mit mani-
fester Blennorrhoe überhaupt geboren wurde.
„Und wenn auch nach Keilmann die Infection post
partum einträte, so ließe sie sich doch durch seine Desiirfec-
tions -Vorschriften nicht sicher beseitigen. Ich gebe zu,
daß die Hebammen unter Keilmann 's Aufsicht beim Reini-
gen der Augen keine Keime in dieselben gerieben
haben, doch werden dies die Hebsunmen in der Praxis nicht
so sicher verhüten können. Auch hier ist Crede's Ver-
ehren leistungsfähiger, indem es die etwa in die Conjuuc-
tiva eingedrungenen Gonokokken zerstört, zum mindesten
abschwächt. Und wenn Keilmann anfährt, daß Crede nur
dadurch so gute Erfolge hatte, daß er auf sorgfältige Reini-
gung der Augen vor <ler Einträufelung großes Gewicht
legte, während seine Anhänger das Wesentliche in der Ein-
träufelung des Argentum sehen und oflfenbar die Reinigung
des Auges als eine mehr nebensächliche Maßregel gar nicht
oder nur imvollkommeu berücksichtigen, so liat er keine
Publication, aus der dies hervorgehen könnte, angeführt.
Und sollte er auch damit Recht haben, so ist ja grade dies
ein neuer Beweis fiir die Vortreffliclikeit des Crede-
schen Verfalurens, daß es trotz Vernachlässigung dieser
Maßregeln immer noch die besten Resultate giebt.** —
Betreffs des Argentum -Catanhs, «len Keil mann als
fast stetige und Küstner als constante Folge vorfuhrt, die
sogar klinisch zur Verwechselung mit echter Blennorrhoe
fähren könne, bemerkt Köstlin: «Wir kennen hier m Halle,
ebenso wie Fehling früher in Basel, so gut wie keine
Conjunctivitis traumatica, während bei der Kaltenbach-
schen Methode, sowie bei der Sublimatbehandlung (vgl. oben
S. 46 in Tabelle VI die eingeklanmiei-ten Zalden) ziemUdi
häufig Reizungen vorkamen; und schließlich hat noch nie
eine Conjunctivitis traumatica, selbst wenn sie zur Ver-
wechslung mit Blennorrhoe Veranlassung gab, Schaden an-
gerichtet'*). Auch muß man sich fragen, warum Brisken
gegen diese Behandlung auftritt unil sie dann doch bei
verdächtigen Fällen ausfiihrt, obwohl er nicht weiß, ob
ihm nicht manche Gonorrhoe der Mutter entgeht."
w) Vgl. unten Oap. VIII.
— 60 —
Dann wendet sich Köstlin gegen die von Keilmann
und Anderen betonte Schwierigkeit des Crede'schen
Verfahrens für Ungeübte, besonders Hebammen; erzeigt,
daß im Gegenteil ein sorgsames Auswaschen der Augen mit
desinficirenden Flüssigkeiten fiir die Hebammen viel schwerer
auszufiiliren sei, als einen Tropfen Argentum in den Binde-
hautsaok fallen zu lassen. Er bemerkt ganz richtig, daß es
gar nicht nötig ist, dabei die Lider umzukrempeln. Sehr
wichtig ist folgender Satz von Köstlin: „In Anstalten ist
ja vielleicht ein gewissenhaftes Desinficiren der Augen zu
erreichen, aber, so wie die Hebammen nicht mehr unter
Controlle sind, werden sie darin nachlässiger handeln, wäh-
rend dies bei der Cr e de 'sehen Methode gar nicht in Frage
kommen könnte. Wie schwer ist es doch schon an sich,
einer Frau, und noch dazu einer ungebildeten, die Desinfec-
tion überhaupt beizubringen ; wie viel sieht man, daß Heb-
ammen, mit denen wir ja in der Poliklinik täglich zu thun
haben, auf Schritt und Tritt Fehler in der Asepsis
machen. Und wenn noch dazu von Keilmann verlangt
wird, daß die Hebammen sofort nach der Geburt des
Kopfes die Augen reinigen sollen, so ist dies in der
Praxis einfach unmöglich, in den Anstalten sein* schwer.
Dagegen kommt es bei der Argentumbehandlung gar nicht
so genau auf den Zeitpunkt der Eintmufelung an: die
Hebamme nabelt ab, badet das Kind und tropft dann die
die Lösimg ein, luid doch haben wir bessere Resultate.
Und wenn Keilmann, sagt Köstlin, als Entschuldigung
für seinen Fall anfähi-t, daß die prophylactischen Maßregeln
(M*st relativ spät vorgenommen werden konnten, so ist dies
eben der Nachteil sämtlicher Methoden gegenüber der
Crede'schen, daß sie, wenn nicht sofort post partum an-
gewendet, untauglich sind. Ich stimme sehr wohl Keil-
mann bei, daß man die Maßregeln nicht allein nach dem
Erfolge, sondern auch nacli der allgemeinen Durchführbar-
keit in der Praxis bestimmen muß; daß sein Verfahren
aber einfacher und also leichter durchzuführen ist,
muß ich bestreiten. Wolil mögen es die Dorpater Heb-
ammen leicht erlernt liaben, wohl mögen es die Hebammen
in Breslau nchtig ausgeführt haben, besonders unter seiner
Aufsicht, aber eben so schnell werden sie es in der Praxis
wieder vergessen und nachlässiger ausfähren.''
In gleichem Sinne sprach sich schon Stieler (Verhandl.
des 8. Blindenlehrer-Congresses in München, Aug. 1895) lange
vor Köstlin aus: „Der Erfolg des Abwaschens, sagt er, ist
an die Bedingung geknüpft, daß die Reinigung beider Augen
vollzogen sein muß, bevor das Kind dieselben zum ersten
— 61 —
Male öflftiet, weil in diesem Falle der Infectionsstoff direct
iu das Auge gewischt werden würde. Daß diese Bedingung
in einer Klinik mit reichlichem, intelligentem und
wohlgeschultem Personale erfüllbar ist, das zeigen Küst-
ner 's Kesultate; ob aber bei einer einfachen, sich selbst
überlassenen Landhebamme dasselbe ei'wai'tet werden kann,
das möchte ich denn doch bezweifehi."
Köstlin erwähnt bei dieser Gelegenheit auch, daß ich
bei der Discussion im vorigen Jahre betonte, daß gerade
beim Abwaschen der Lider die Kokken erst recht in die
Bindehaut hineingewischt werden können.
Daß das Crede'sche Verfahren für Hebammen zu schwer
zu erlernen und auszufuhren sei, wird von den meisten
Autoren bestritten.
Man kann nur mit Steffan übereinstimmen, welcher
schon 1886 ausrief: ^Wahrlich, ein Hebammenstand, dem
man das Crede'sche Verfahren nicht einlernen und zur
Ausführung anvertrauen könnte, hätte überhaupt keine
Existenzberechtigung.**
Li den Lehrbüchern findet man auch bereits den treffen-
den Satz von Haab: „Eine Hebamme, die diese einfache
Manipulation nicht richtig vorzunehmen verstände, sollte über-
haupt ilir Amt aufzugeben gezwungen werden, weil ihre übri-
gen Functionen viel schwierigere und weiter tragende Ein-
griffe auf die Gesimdheit der von ihr Behandelten haben."
Köstlin fügt hinzu: „Sollten etwa Eingriffe, wie Ka-
theterisiren, Klystieren, Dammschutz, das Lösen der Arme
und der Veit-Smellie'scheHandgriff einfacher auszuführen
und weniger gefährlich sein? Ja in dringenden Fällen soll
die Hebamme sogar Wendungen ausführen und die Placenta
manuell lösen!" — Und Stieler sagt sehr richtig: ^Daß eine
Hebamme, der man auf anderen Gebieten bezüglich der
Q-efahr der Verschleppung des Kindbettfiebers das höchste
Maß von Verantwortung ftir Gesundheit und Leben
ihrer Schutzbefohlenen aufladet, (und deren manueller
Geschicklichkeit man jederzeit auch unter den schwierig-
sten Verhältnissen den Katheter anvertraut), in diesen
kleinen Manipulationen nicht genügend sollte unterwiesen
und ausgebildet werden können, ist doch wold im Ernste
nicht zu glauben; es läge darin ein Mißtrauen gegen
unsere diesbezüglichen Lehrer und Lehranstalten,
das diese wahrlich nicht verdienen."
Ich habe schon im vorigen Jahre hervorgehoben, daß
alle Hebammen in der Breslauer Lehranstalt unter Dr.
Fuhrmann's Leitung die Crede'sche Methode lernen und
anwenden mußten, und daß nie ein Fall von Blennorrhoe dort
— 62 —
vorkam. — Im Schlußcapitel werde ich auch zeigen, durch
welch' einfachen Kniff die Einträufelmig noch mehr er-
leichtert werden kann.
Bei der Discussion im vorigen Jahre habe ich schon
die Ansicht bekämpft, daß der Argentumtropfen die Binde-
haut für Gonokokken noch empfänglicher macht. Köst-
lin pflichtet mir bei und sagt: „Ganz ohne jeden posi-
tiven Beweis wirft Keilmann dem Cred^'schen Ver-
fahren vor, daß durch die Aetzimg die Conjunctiva noch
empfindlicher wird, indem sich nach der Aetzimg ein trau-
matischer Catan'h entwickelt. Auch Küstner betont, daß
ein Catarrh, welcher die constante (!) Folge der Argen-
tum-Einträufelung darstellt, die Conjunctiva für die secun-
däre Gonokokken -Infection in höherem Grade empfanglich
mache, als es die nicht gereizte Cornea (soll wohl heißen
Conjunctiva) ist. Dagegen habe ich nachgewiesen, daß die
sogen. Secundär-Infectionen bei Crede keineswegs häufiger,
sondern seltener geworden sind. (Vgl. oben Cap. VT.)
Es ist ein veralteter Standpunkt, den schon Pflüger inne
hatte, daß jedes Desinficiens, das auch nur vorübergehend
die Cornea (soU wohl heißen die Bindehaut) reizt und sie
zu vermehrter Absonderung veranlaßt, einen günstigen
Nährboden fiir eine secundäre Infection schaffen muß. Wir
dürfen aber nicht mit „Müssen" rechnen, sondern mit
nackten Thatsachen.''
Ich kann auch nur wiederholen, daß, wenn die Argentum-
reizimg das Auge für Gonokokken empfanglicher machte,
ich doch einmal wenigstens eine Infection hätte sehen
müssen imter den Fällen, wo ich zur Verhütung der Blen-
norrhoe in das zweite Auge Argentum eingoß. Ich habe
sie aber nie gesehen.
Es existiren also Nachteile des Crede 'sehen Verfahrens
nach Köstlin nicht und er faßt am Schlüsse seines ausge-
zeichneten Aufsatzes Alles in etwa folgende Sätze zusammen:
„1) Das Argentum ist das zuverlässigste Mittel, zumal
jetzt die prophylactischen Scheidenausspülungen wegfallen,
mit welchen die anderen Methoden verbunden waren; die
so viel genannten Comealaffectionen sind darnach noch nie
beobachtet, und auch die Reizerscheinungen sind bei Weitem
nicht so häufig, als behauptet wird, ja sie sind bei anderen
Methoden zuweilen noch häufiger.
„2) Die sogenannte Primäraffection wird intra partum
erworben.
„3) Die Secimdär-Infection in der von Keil mann ange-
nommenen Häufigkeit ist bis jetzt nicht sicher nachge-
wiesen, viehnehr werden wohl die meisten sog. Secundär-
Infeotionen primär entstanden sein und sieh nur durch ein
lang dauerndes Licubationsstadiuni kennzeiclnien. Dafür
spricht auch der leichtere Grad dieser Erkrankungen. Daß
schließlich auch Secundär-Infectionen auftreten können, ist
nicht zu bestreiten.
„4) Die Einträufelung von Argentum macht in keiner
Weise das Auge für spätere Infection empfängliclier.
„5) Die Cred^'sche Methode ist für Hebammen leichter
zu erlernen imd in der Praxis leichter auszufuhren, als die
anderen Methoden.
„6) Einem obligatorischen Einfuhren des Argentum in
die Praxis steht demnach nichts im Wege. Im Gegenteil
ist eine facultative Einführung schwieriger zu handhaben;
da wird es vielmehr zu Gehässigkeiten konunen, luid da
kann man viel eher von Eingriffen in die persönliche Frei-
heit reden.
„7) Natürlich müßte, falls die Hebammen zu diesem
Verfahren gezwungen werden, zugleich bestimmt werden,
daß sie jeden Fall dem Arzte anzeigen; dann wird auch
Schröder's Bedenken fallen, daß die Verwechselung der
BlennoiThoe mit einer aiiificiellen Conjunctivitis unheilvoll
werden könne.**
VIII. Urteile von 110 Augenärzten über die
Einführung der Credöisirung.
Es muß gewiß von hohem Interesse sein, auch die
Ansichten der Augenärzte über Crede's Verfalu*en zu
sanmieln. Ich hatte diese Frage auf dem ersten Fragebogen,
den ich im Mai 1895 versendete, vergessen, holte sie jedoch
im zweiten, Ende December 1895 ausgesendeten, für 1896
berechneten, nach; da diese Formulare aber nur von wenigen
Collegen im Januar ausgefüllt wurden (vgl. oben S. 22 u. 23),
schien es mir nützlich, im Februar d. J. nochmals Postkarten
an die 200 Mitglieder der ophthalm. Gesellschaft zu schicken
mit der Frage: „Welche Ansicht haben Sie über obli-
gatorische oder facultative Einführung des Crede-
schen Tropfens?** Und später fragte ich jeden Collegen,
der diese Frage beantwortet hatte, nochmals brieflich an:
y^Haben Sie je bleibenden Schaden vom Crede-
schen Tropfen gesehen?**
Hierauf gingen 110 Antworten, z. T. kurze, z. T. sehi*
ausführliche ein. Unter diesen befinden sich die Ansichten
fast aller augenärztlichen Autoritäten. Icli orihie die Ant-
— 64 —
Worten in 4 Abteilungen, je nachdem sich die Collegen
unbestimmt oder gegen oder für facultative oder fiir
obligatorische Einführung aussprachen.
A. Antworten ohne bestimmte Stellung znr Frage.
Solche sind 16 eingegangen. 4 Herren erklärten kurz,
sie hätten sich kein Urteil darüber gebildet.
1) Prof. Hirse hberg (Berlin): „Beim besten Willen
bin ich nicht in der Lage, Ihre Frage zu beantworten. **
2) Dr. Betke (Bremen): „Ich habe mir keine Ansicht
darüber gebildet."
3) Dr. Stölting (Hannover): „Habe keine Erfahrung
darüber."
4) Prof. St i Hing (Straßburg): „Bedaure, kein maß-
gebendes Urteil darüber zu haben."
Fünf andere Aerzte haben in ihrem Wirkungskreise zu
selten BlennoiThöen, um das Crede'sche Verfahren nötig
zu finden.
5) Dr. Ohlemann (Minden): „Ich meine, daß für die
hiesigen fast ländlichen Verhältnisse kamn eine zwingende
Notwendigkeit vorliegen dürfte ; doch scheint es mir, als ob
die hiesigen Practiker die Fälle selbst behandeln."
6) Dr.Rheindorf (Neuss): „Aus dem gelingen Materiale,
über das ich verfüge, kann ich keine Ansicht aussprechen,
die Beachtung verdient. Ich glaube aber, daß, wo wirklich
eine maligne Infection wähi-end der Geburt stattfindet, der
C rede 'sehe Tropfen den Proceß nicht hinhalten wird;
dafür habe ich zu oft Blennorrhoe trotz des Tropfens sich
entwickeln sehen. Mir erscheint es zweifelhaft, ob die
Crede'sche Methode eine wirkliche Blennorrhoe coupirt."
(College Eheindorf steht mit diesem Glauben allerdings
isolirt.)
7) Dr. Rindfleisch (Weimar): „Da hier die wirkliche
Blennorrhoe außerordentlich selten vorkonmit (etwa 2%^,),
da dieses Jahr ganz besonders arm an Blennorrhoe war,
möchte ich mich eines Urteils enthalten, wenn schon für
Gegenden, in denen diese Erkrankung schwerer auftritt,
obligatorische Einführung zu bevorzugen wäre.
8) Dr. Hoff mann (Coblenz): „Nach dem geringen
Material und Mangel derjenigen Elemente, bei denen haupt-
sächlich jene Erkrankungen uns zu Gesicht konunen, kann
ich mir ein richtiges Urteil kaum bilden. Die Abhaltung
einer Sprechstunde füi' Arme lassen nämlich die hiesigen
Aerzte nicht zu. Ich habe in Chemnitz übrigens beob-
achtet, daß dort mehr Fälle von Vernachlässigung und
— 66 —
hierdurch vollkommene Erblindung in Folge -von Blennor-
rhoe vorkommen. Die Ursache wird wohl in dem lieber-
wuchern der Naturheilmethode und des Pfuschertums
liegen. Die Frage scheint mir für die großen Städte
gesondert betrachtet werden zu müssen. — Ich behan<ile
seit Jahren mit Argentum und habe in meiner Praxis nie
ein Ulcus entstehen sehen. Bei Erkrankung des andern
Auges gebe ich Cred^'s Tropfen stets mit bestem Erfolge."
9) Dr. Brunhuber (Regensburg): „Bei dem so ge-
ringen, seit 18 Jahren immer gleich bleibenden Procent-
satz von Blennorrhoe überhaupt und der noch geiingeren
Anzahl schwerer Fälle erschemt für hiesige Gegend so-
wohl facult. als obligat. Einführung nicht notwendig. —
Es ist mir in der That kein Fall bekannt, in dem ein
bleibender Schaden angerichtet wurde; trotzdem würde ich
die obligat. Einfuhrung, wie die Verhältnisse hier zu Lande
gelagert sind, für eine unnötige Chikane und eine wegen
allgemeinen passiven Widerstandes kaum durchführ-
bare Maßregel erachten.''
Drei Aerzte sind mehr filr andere örtliche Mittel.
10) Dr. Thier (Aachen): „Trotz Crede sah ich mehrere
Male Blennorrhoe auftreten; dennoch bin ich dafür, die
Methode weiter zu empfehlen; ich würde statt Argentum
einen Tropfen Aqua chlori vorschlagen. — Einen Fall, in
dem Credo bleibenden Schaden gebracht, habe ich aber
nie beobachtet.
11) Prof. Mooren (Düsseldorf): „Das Verfahren ist
gewiß ein rationelles ; ich bin indessen mit der Anwendung
von Aqua chlori 5: 10 Wasser ausgekommen in der Weise,
daß nach vorheriger sorgsamer Reinigung der Augen jedes-
mal 2- -3 Tropfen applicirt wurden. — Niemals habe ich
dauernden Schaden von Crede gesehen; überhaupt un-
denkbar, es müßte denn sein, daß die Angehörigen, von
der Vortrefflichkeit der Medicatiou durchdrungen, das Mittel
unausgesetzt als eine Panac^e gebrauchen und
dadurch eine leichte Ai'gyrose heivorrufen."
12) Prof. Borysikiewicz (Graz): „Prophylaxe halte
ich für unbedingt nötig, ziehe aber Lösungen von über-
mangansaurem Kali dem Crede'schen Tropfen vor.''
Andere Gesichtspunkte vertreten vier andere CoUegen,
13) Prof. V. Michel (Würzburg): „Am rationellsten
erscheint mir die mechanische Reinigung des Lidrandes
sowie der Uebergangsfalte direct nach der Geburt mit-
telst Stiltupfer (ähnlich der Toilette des Auges bei der
Staaroperation). Das alleinige „Abwischen" der Augen
scheint nicht zu genügen, ebenso wenig der Cred6*sche;
— 66 —
Tropfen. In letzterer Beziehung wäre eine Auskunft von
Seiten der Frauenkliniken interessant.**
14) Dr. Stimm el (Leipzig): „Ich meine, daß jede ßeb-
amme verpflichtet wird, eine Blennori'hoe ärztlich behandeln
zu lassen.^
•16) Prof. Alfred Gräfe (HaUe): „Schon 1878 (vgl.
den Aufsatz in Volkmann's Sammlung klinischer Vorträge
No. 192, ausgegeben am 9. Februar 1881) trug ich mich
mit dem Gredanken, für eine unter Benutzung der Antiseptica
möglichst allgemein auszuführende prophylactische Behand-
lung der Blennorrhoe Propaganda zu machen. Während
des Aprils des genannten Jahres reichte ich im Interesse
dieser Idee ein kurz und klar gefaßtes, für die Hebammen
bestimmtes Reglement an die Königl. Regierung in Merse-
burg ein, dessen Schicksale mir unbekannt geblieben sind.
Auf Grund meiner lange Jahre hindurch gemachten sehr
reichlichen Beobachtungen und Erfahrungen habe ich da-
mals 1881 (siehe Seite 1B96 des Vortmgs) allerdings Be-
denken getragen, das Crede'sche Verfahren ganz unbe-
denklich zu empfehlen. (Gräfe riet damals, mit 2proctgr.
Carbollösung alle 12 Stunden bei Ectropionirung 2 Mal in
den beiden ersten Lebenstagen den ganzen Bindehautsack
reichlich zu inundiren.) Es hinderte mich daran die Er-
kenntnis der doch wohl ganz feststehenden Thatsache, daß
nur eine succulente Schleimhaut stärkere Argentum- Wir-
kung sicher verträgt, und daß die Gefahren von Aetzung
ceteris paribus um so größer sind, je geringer der Succxdenz-
grad der Bindehaut ist, und das Letztere ist doch der Fall
bei der normalen Conjunctiva.
Doch gebe ich gern zu, daß dies Bedenken bei dersehr
beschränkten Anwendung (ein Tropfen!) einer, wenn
auch schon starken Lösung, wohl kaum zur Geltung kommt.
Gelegenheit, den thatsächlichen Erfolg des Verfahrens
zu prüfen, habe ich aber in viel zu geringem Maße ge-
habt, da hierzu ja die geburtshilflichen Kliniken viel mehr,
fast allein, berufen sind und jenes von den damaligen Lei-
tern der hiesigen niclit geübt wurde.
In untrüglichei- Weise zu einem Resultate zu gelangen,
dürfte auch hier große Scliwierigkeiten haben. Konmit es
doch auch hier niclit allein auf die Wahl des Mittels, sondern
auch auf die Art der Anwendung desselben an, imd
letztere von der Individualität der behandelnden
Hand zu entkleiden, sowie allerlei sonst mitwirkende
Umstände in gleichmäßiger Weise zu gestalten, wii'd nie
möglich sein. Uebngens scheint mir der Küstner'sche
Einwurf gegen das Verfahren sehr unglücklich zu sein**
— 67 —
u. 8. f. — Auf nochmalige Bückfrage meinerseits erwiderte
Herr Prof. Gräfe: „Gesehen habe ich keinen Fall von
bleibendem Schaden; vollkommen beseitigt sind meine Be-
denken hierdurch indeß noch nicht.**
16) Prof. Schweigger (Berlin): „Meine Ansicht ist
die, daß man es dem vernünftigen Hausarzte über-
lassen muß, ob eine Indication dafür vorliegt." (Das wäre
gewiß sehr gut, wenn nm* die armen Leute, unter denen
ja hauptsächlich die Blennorrhoe vorkommt, überhaupt Haus-
ärzte hätten!)
B. Gegen C rede's Verfahren,
15 Augenärzte erklärten sich direct gegen Einfiihrung
der Methode.
1) Dr. Steinheim (Bielefeld): „Ich halte bei dem so
geringen Vorkommen der Blennorrhoe hierselbst, zumal
mir seit Jahren keine deletären Processe vorgekommen sind,
die obligatorische und facultative Prophylaxe durch C red 6 's
Verfahren für überflüssig."
2) Dr. Ferge (Braunschweig): „Halte es nicht für
geraten, die Einträufelung den Hebammen in die Hände
zu geben. — Bleibender Schaden ist mir nicht bekannt
geworden.**
3) Dr. Pautynski (Dresden): „Die obligatorische Ein-
träuflimg halte ich für entbehrlich und in den Händen von
Hebammen für nicht unbedenklich. — Dauernden Schaden
habe ich nicht gesehen.**
4) Dr. Fischer (Dortmund): „Gegen obligatorische und
facultative Einführung. "Wäre der Procentsatz überall so
gering wie hier in memer Praxis, dann würden die Collegen
wohl nicht dafür sein, die Vorbeugungsmaßregeln, welche
ja in geschlossenen Anstalten unbedingt nützlich
sind, auf das Publicum außerhalb der Anstalten auszudehnen.
— Weil einzelne Väter vor oder während der Verheiratung
einen Tripper sich zuzulegen beliebten, sollen nun die nicht
damit behafteten Eltern gezwungen werden, ihren Kindern
eine 2proc. Arg. -Lösung einträufeln zu lassen. Mir würde es
nicht passen, wenn die Hebamme bei meinen Blindem diese
Proceaur vornehmen wollte, und ich denke: Was Du nicht
willst, daß man Dir thu', das füg' auch keinem Andern zu.**
5) Dr. Eansohoff (Frankfurt a. M.): -Obligatorische
Einführung reicht nicht in allen Fällen zur Verhütung aus,
facultative schadet bisweilen.**
6) Prof. Vossi US (Gießen): „Ichstimme nicht füi' obli-
gatorische Einführung, da man ohne das Verfahren ganz
— 68 —
dieselben guten Resultate erhalten kann, und da durch
Credä's Behandlung sehr leicht ein unnötiger Beizzustand
der Augen geschanen wird. — Bleibenden Schaden habe
ich nie gesehen.''
7) Dr. Braunschweig (Halle): „Nach der relativ ge-
ringen Zahl der in den letzten Jahren in Halle überhaupt
beobachteten Blennorrhoe -Fälle scheint mir das Bedürfnis
für obligatorische Einführung von Cred^'s Vßrfahren nicht
so dringlich, zumal durch unsanftes Manipuliren Seitens der
Hebammen doch auch Verletzungen der Cornea mit viel-
leicht nicht gut controlirbaren, resp. verheimlichten Conse-
quenzen zu erwarten sind. — Ich habe zwar eine Beihe
von eitrigen Conjunctivitiden gesehen, welche ich dem
Cred6 'sehen Verfahren zuschreibe, einen dauernden Nach-
teil jedoch nie entstehen sehen.
8) Dr. Wilbrand (Hamburg): „Ich habe in einer Woche
bei 2 Kindern beide Hornhäute macerirt gesehen. Die
Kinder hatten keine Blennorrhoe. Es war ihnen aber von
dem Hausarzte nach der Geburt Höllensteinlösung in's
Auge geträufelt worden.** (Wie viel Tropfen?) Auf noch-
malige Bitte imi genauere Mitteilung schrieb mir Herr
Dr. Wilbrand am 28. April 1896: „Der eine Fall kam mir
in der Privatpraxis vor. Der Entbinder war ein Schüler
Cred^'s. Das Kind hatte eine oberflächliche, rauchige
Hornhauttrübung beiderseits nach der Einträufelung er-
halten , die sich nachträglich wie gewöhnlich in der Form
fasriger, durchsichtiger Streifen zwischen getrübter Hom-
hautoberfläche veränderte. — Der zweite Fall war poli-
klinisch. Die Mutter sagte, der Arzt habe gleich nach der
Geburt Tropfen in die Augen gegossen. Weiter nach-
geforscht habe ich aus naheliegenden Gründen nicht. Jeden-
falls waren beide Hornhäute macerirt und die Bindehaut
auf beiden Augen fast normal.*^
9) Dr. N ob i s (Chemnitz) : „Obligatorisch nicht erwünscht.
Crede's Verfahren durch die Hebammen dürfte mehr Unheil
stiften als Gutes. Ausführung durch den Arzt unmöglich,
weil der Arzt bei normalen Gebmien häufig nicht zugegen
ist. Mit den in Sachsen bestehenden Vorschriften allent-
halben einverstanden und genügend.*^
10) Prof. Leber (Heidelberg): „Warum ich gegen die
obligatorische Einfiihiimg bin? Ich habe von den Heb-
ammen auf diesem Gebiet zu viel Unheil anrichten sehen,
als daß ich ihnen ein solches Officium anvertrauen möchte.
Dann zweifle ich aber auch, daß es rechtlich zulässig ist,
ihnen einen solchen Eingiiff zur Pflicht zu machen, also
die Unterlassung für strafbar zu erklären. Noch mehr
I
— 69 —
Zweifel habe ich an der Durchflihrbarkeit in einer Zeit,
wo das Publicum sich sogar mehr und mehr gegen den
Impfzwang einnehmen läßt." (Wie das Publicum über
den Nutzen des Impfens denkt, ist wohl gleichgiltig; ent-
scheidend ist doch meines Erachtens nur, wie die wissen-
schaftlich gebildeten Aerzte darüber denken.) — „Da
weder in meinem früheren Wirkungskreise Göttingen noch
hier in Heidelberg meines Wissens die Cre de' sehen Ein-
träufelungen Seitens der Hebammen angewendet werden,
bin ich nicht in der Lage gewesen, Beobachtungen über
etwaige schädliche Wirkungen derselben anzustellen. Ich
bemerke, daß seinerzeit Geh.-Rat Schwarz in Göttingen
sich auf das Entschiedenste dagegen ausgesprochen hat,
die Credi' sehen Einträufelungen den Hebammen zu über-
tragen, und daß wesentlich durch diesen Ausspruch davon
abgesehen wurde, die Einführung in Erwägung zu ziehen.**
11) Dr. Samelsohn (Köln): „Bei dem mir bekannten
Material der Hebammen halte ich weder facultative noch
obligatorische Einführung des Verfahrens fiir angezeigt oder
mö^ch. — Bleibenden Schaden habe ich nicht gesehen;
aber hier zu Lande wird na<?h meiner Erfahrung das Ver-
fahren nur in der Prov.-Entbindungsanstalt angewandt, da-
gegen in der Privatpraxis oder gar von den 5ebammen
nicht. In der Hand von nicht sehr sach- und fachkundigen
Collegen wie Hebammen glaube ich dasselbe nicht für unge-
fährlich erklären zu dürfen."
12) Dr. Lamhofer (Leipzig): „Ich stimme dagegen,
weil ich die Hebammen nicht für geschickt dazu halte. Ich
fürchte, sie werden es in den meisten Fällen unterlassen,
weil sie alle bei einfachen Geburten ängstlich vermeiden,
daß ein Arzt zugezogen werde, weil aber durch das Ein-
träufeln manche Eltern doch ängstlich würden. Nach der
Einträufelung kann auch eine vorübergehende Rötung auf-
treten, die dann den Hebammen zur Last gelegt wird. Ob
sie wirklich eingetropft hat oder nicht, können wir nicht
controliren . . . Dagegen bin ich entscliieden dafür, daß die
Hebammen bei der geringsten Entzündung einen Arzt zu
Kate ziehen und gar nichts ordiniren dürfen, auch nicht den
beliebten Kamillenthee . . . Freilich sind die Aerzte zum
Teil selbst schuld, daß z. B. auch hier, wo die Anzeige-
pflicht besteht, diese umgangen wird; denn ein Arzt,
der eine Hebamme anzeigt, kann sicher sein, daß er von
ihr nie wieder zu einer Geburt zugezogen wird . . . Dafür,
daß jeder Arzt, wenn die Diagnose oder der Verdacht auf
Tripper-Infection der Mutter vorliegt, das C rede 'sehe Ver-
fahren anwende, bin ich entschieden. Der Hausarzt soU
— 70 —
bei stärkerem Scheidenausfluß Credo einträufeln, aber nur
einmal nach der Geburt des Kindes."
13) Prof. TJhtlio ff (Marburg): „Obligatorische Einföh-
rung ist nicht erwünscht. Der Tropfen ist zweifellos ein
sehr wirksames Mittel für die Prophylaxe, jedoch nicht ohne
Weiteres für alle Fälle, zumal in den Händen der Hebammen,
zu empfehlen. — Mir ist kein Fall dauernder Schädigung
vorgekommen, dagegen mehrfache Fälle von heftiger arti-
ficieller Conjunctivitis. Ich möchte es auch nicht für
unmöglich halten, daß bei Anwendung des Verfahrens
ohne ärztliche Controle einmal ein dauernder Schaden dem
Auge zugeftigt werden kann."
14) Dr. Klein (Wien): ,.Da die Erblindung durch Blen-
norrhoe nur in Folge Fehlens irgend einer Behandlung oder
unrichtiger Behandlung eintritt, so ist es klar, daß jede
Erblindung sicher verhütet werden kann, wenn jede Blen-
norrhoe der richtigen Behandlung rechtzeitig unterzogen
wird. Es muß also bewirkt werden, daß keine Blennorrhoe
ohne rechtzeitige, richtige Behandlung bleibt. Für die
Wissenschaft sind die Acten diesbezüglich geschlossen.
Jede rechtzeitig richtig behandelte Blennorrhoe wird geheilt
ohne Beschädigung des Sehvermögens. Daraus ergiebt sich
die Ueberf lüssigkeit des Credö'schen Verfahrens. Letz-
teres ist aber auch unwirksam. Ein Tropfen vermag
nicht den Ausbruch der Blennorrhoe, wenn wirklich Infec-
tion erfolgt war, zu verhüten." (Dagegen sprechen Tausende
von Beobachtungen.) „Der Tropfen ist für die Horn-
haut auch nicht gleichgiltig. Statt durch administrative
Maßnahmen nicht -ärztliche Personen zum Cre de 'sehen
Tropfen zu zwingen, mögen diese Personen gezwungen
werden, rechtzeitige ärztliche Hilfe zu veranlassen. — So
formulirt, wie in Ihrer Karte: „Haben Sie dauernden Scha-
den vom Cr e de 'sehen Tropfen gesehen?" muß ich die Frage
mit Nein beantworten; doch ist sie dadurch nicht erledigt,
weil jenes Krankenmat^rial, welches mit Credo behandelt
wird in den Gebär- und Findelanstalten, mir nicht zur Con-
trole zugänglich ist, von Laien über diesen Punkt aber nie
eine Auskunft zu erhalten ist. Ich habe bleibenden Schaden
an Augen, welche in der dem Crede 'sehen Tropfen ähn-
lichen Weise behandelt waren (nicht wegen Blennorrhoe)
vielfach gesehen."
16) Dr. Hosch (Basel) verweist zunächst auf seine in
dem Jahresb. d. allgem. Poliklinik des Kantons Basel-Stadt
im Jahre 1894 veröffentlichte Mitteilung, die einzige meines
Wissens bisher gedruckte augenärztliche Warnung vor
Cred6. Ich erhielt von derselben erst im Februar d. J.
— 71 —
Kenntnis durch Sendung des Sep.-Abdr. aus dem wenig
bekannten Jahresb. d. Basler Poliklinik.
Es heißt in demselben: „Was das Crede'sche Ver-
fahren anbelangt, so möchte ich jedoch bezweifeln, daß
dasselbe in dem Grade unübertreflFlioh sei, wie es von Cohn
dargestellt wird. In einer Discussion bemerkte er, daß das
Mittel absolut sicher sei zur Verhütung, und daß er keinen
Fall kenne, wo trotz Argentum eine Blennorrhoe aufgetreten
sei. Die leichte Injection, die dem Tropfen folge, habe
noch nie zur Schädigung des Auges geführt.
Diese Behauptung hat mir eine Beobachtung in's Ge-
dächtnis zurückgerufen, welche ich gelegentlich von Re-
fractions-Bestimmungen an 100 Neugeborenen der hiesigen
Frauenklinik (im Winter 1893/94) anzustellen Gelegenheit
hatte. Da es sich um Kinder gleich oder doch aus den
ersten Tagen nach der Geburt handelte., so wurde ich an-
fangs etwas erschreckt durch die vielen, recht heftigen
Conjunctivitiden mit schleimig- eitriger Secretion, da ich
an das auf der Klinik regelmäßig angewandte Cred^'sohe
Verfahren zunächst nicht dachte.
Nun fiel mir aber ein Kind vom 3. Tage ganz besondere
auf durch die starke Schwellung der Lider und durch das
reichliche, mehr gelbrötliche Secret. Ich ophthal-
moscopirte das Kind nicht, bat aber die Herren Assistenten,
dasselbe von den anderen entfernt zu halten und besonders
genau zu überwachen. Wie ich beim nächsten Besuche erfuhr,
hatte sich — also trotz Cred6 und trotz der Versicherung
von Cohn — eine i^egeh'echte Ophthalmia neon. entwickelt.
Nun scheint mir eine solche Behandlung, wenn sie
nicht sicher nützt, direct schädlich zu sein. Dadurch, daß
wir über dem heftigen Reizzustande, welchen eben die Ein-
träufelung der Silberlösung nach meinen u. A. Beobachtungen
doch sehi' oft auf der Conjunctiva des Neugeborenen her-
vorruft, eine sich entwickelnde richtige Blennorrhoe über-
sehen, setzen wir die gesunden Insassen der Klinik einer
erhöhten Erkrankmigsgefahr aus. Von diesem Standpunkte
läßt sich auch die von einem Referenten als sonderbar und
antiquirt hingestellte ^gutachtliche Aeussei-ung der Königl.
wissenscliaftl. Deputation für das Medicinalwesen über die
prophylactische Behandlung der Augenentzündung Neu-
geborener", welche für einstweilen von der obligatorischen
Ausdehnung eines prophylactischen Verfalirens auf die Heb-
ammenpraxis entschieden abrät, recht wohl verstehen und
auch billigen.'^
Sofort nach Empfang dieser Mitteilung fragte ich Herrn
Dr. Hosch an, wer dem Kinde Argentum eingegossen, die
-— 7ß ---
Hebamme, ein Student oder ein Assistent? Er antwortete:
,Ueber die genaueren Proceduren bei dem damaligerf Falle
ist natürlich nichts mehr zu erfahren, zumal seither Assi-
stenz und Direction der Anstalt gewechselt haben. Daß
in einer von jeher trefflich geleiteten geburtshilflichen
Klinik, wie die Basler, überhaupt so etwas vorkommen kann,
gleichgiltig, von wem der Tropfen instillirt worden.
spricht mir ohne Weiteres gegen die absolute Zuverlässig-
keit und Unfehlbarkeit der Methode und deutet darauf hin.
daß eben Neben umstände, vor Allem sachgemäßes Aus-
waschen des kranken Auges maßgebend sind . . . Zudem
glaube ich auch nicht, dal! die beste Behandlung in der Pri-
vatpraxis durchführbar sein wird, sobald einmal die Mütter
wissen, daß event. auch an einem gesunden Auge eine hef-
tige, wenn auch vorübergehende Entzündimg dadurch her-
vorgerufen wird . . . Ich möchte nochmals betonen, daß
für mich mid auch für Andere eine frische Blennorrhoe bei
gesundem Kinde keine große Gefahr bietet, wenn sie gleich
in sachgemäße Behandlung kommt. Also Belehrung der
Aerzte, Verpflichtung der Hebammen zu sofortiger Anzeige,
Bestrafung bei nachgewiesener Pflichtverletzung.*'
Auf meine Frage: ^Haben Sie dauernden Schaden von
Crede gesehen?" schrieb Herr Dr. Hosch: „Das würde
noch fehlen, daß der Tropfen bleibenden Schaden hinter-
läßt. Mir genügte vollauf, die Erfahrung zu machen, daß da-
durch nicht etwa nur leichte Reizzustände hervorgerufen wer-
den, wie man da imd dort liest, sondern heftige, mehrtägige
Conjunctivitiden mit starker Schwellung und Secretion."
Diesem Verdicte des Herrn Dr. Hosch gegenüber, das
auf einen Fall sich stützt, über den nähere Angaben nicht
mehr zu erfahren sind, ist es interessant, hier auf die unten
im Cap. IX, S. 92 abgedruckte dringende Empfehlung der
Crede 'sehen Methode durch Prof. Fehling hinzuweisen,
der ja selbst Director gerade der Bas 1er Frauenklinik war
und dort 3000 Geburten geleitet, von denen bei Credeisirung
noch nicht 2%^ Blennorrhoe zeigten.
C. Für facoltative EinfBhmng von C rede's Verfahren.
Von 40 Collegen gingen Antworten ein, die eine
facultative Einfiöhnmg wünschen.
1) Prof. Saemisch (Bonn): „Ich bedaure, daß das Ver-
fahren von Cred^ nur in Anstalten stricte durchgeführt
werden kann. — Ich habe niemals einen Fall gesehen, in
dem das Verfahren einen bleibenden Schaden gebracht hat."
2) Dr. Nie den (Bochum): Trotzdem die 2proc. Arg.-
^ n -^
Lösung das vorzüglichste Desinficiens darstellt und in den
Händen des Arztes angewendet von fa«t unfehlbarer Wirkung
ist, vertraue ich dieselbe nicht gern den Hebammen an, da
ich wiederholt eine nicht sachgemäße Anwendung beobachtet
habe. Ich stimme deshalb nur für eine facultative Ein-
führung von Fall zu Fall, und zwar nur da, wo einmal
Verdacht auf mögliche Infection vorhanden ist (Fluor albuö,
Gonorrhoe etc.), oder wo bei Bändern schon bei früheren
Geburten Blennorrhoe beobachtet worden ist. — Für Ent-
bindungsanstalten mit ihrem besonderen Material imd
technischen Hilfsleistungen halte ich Crede für obli-
gatorisch, för die Privatpraxis nur facultativ an-
gebracht. — Bleibende Schädigung durch fehlerhafte
Anwendtmg der Arg.-Lösung habe ich nicht beobachtet^
indessen zuweilen doch Reizungen der Bindehaut mit tage-
lang andauernder Secretion, auch Erosionen des Bindehaut-
epithels mit oberflächlichen SugiUationen in Folge mecha-
nischer Verletzungen.**
3) Prof. Förster (Breslau): „In allen Fällen, wo Ver-
dacht auf gonorrhoische Infection vorliegt, ist der Crede 'sehe
Tropfen anzuwenden. — Ich habe in 40 Jahren keinen einzigen
Fall von gonorrhoischer Blennorrhoe bei Neugeborenen in
den gebildeten Ständen gesehen, einen Fall dagegen im
letzten Jahre, wo durch allzu energische Anwendung
von 2proc. Argentumlösimg beide Corneae gelbweiß ge-
worden waren." *•)
4) Dr. Jungmann (Breslau): „Wie auf allen Gebieten
der Prophylaxe und Therapie bin ich auch hier gegen jeden
Zwang zur Einführung des Verfahrens. Es genügt voll-
kommen, den Hebammen während ihrer Ausbildung und in
den Wiederholimgscursen das Crede'sche Verfahren als
absolut ungefährlich und sicher wirkend hinzustellen,
um ihm die größte Ausdehnung zu sichern. — Die Tech-
nik halte ich für viel leichter, als die aller bisher zui- Ver-
hütimg der Blennorrhoe empfohlenen anderen Methoden.
Außer einer leichten Reizung der Bindehaut, die ohne jeden
therapeutischen Eingriff spätestens am 3. Tage post partum
verschwunden war, habe ich nie einen Schaden gesehen."
6) Dr. Wolfberg (Breslau): „Die Anwendung würde
ich für Entbindungsanstalten empfelüen. Im Uebrigen
würde ich dagegen sein und es für besser halten, wenn nach
^ In einer Sitzung der med. Abteilung der schles. Gesellsch. am
19. Juni 1896 erwähnte Herr Prof. Förster, daß er nicht einen, sondern
zwei Fälle gesehen, bei denen Aerzte, nicht Hebammen, reichlich Ar-
gentum eingegossen, und daß in Folge dessen die Hornhäute erkrankt
waren, während die Bindehaut sich ganz normal zeigte!
— 74 —
schwedischem Muster die Hebammen verpflichtet würden, in
jedem Falle von ^Augeneiterung mit Zuschwellung der
Lider" den Arzt hinzuzuziehen. — Bleibenden Schaden
habe ich nicht gesehen, jedoch Fälle, wo trotz Crede's
Tropfen, vom Arzte angewandt, schwere Blennorrhoe sich
entwickelte, und Fälle, wo durch übertriebene Anwendung
des Argentum dichte, bis jetzt nach 3 Monaten noch nicht
gewichene Cornealflecke entstanden.'^ [Das ist derselbe
Fall, den Prof. Förster (siehe oben unter 3) auch gesehen
und citirt hat.]
6) Dr. Landsberg (Breslau): „Die Hebammen müßten
wenigstens in verdächtigen Fällen (früheren Erkrankungen,
Fluor) zu Cred6 verpflichtet werden. Diejenigen, welche
zu ungeschickt sind, müßten in suspecten Fällen verpflichtet
sein, zu veranlassen, daß binnen 24 Stunden nach der
Geburt Ai'gentum eingetropft wird. Meiner Erfahrung nach
giebt das auch noch eine gute Vorbeugung.''
7) Dr. Schläfke (Cassel): „Meine Ansicht ist die, daß
in erster Linie den Hebammen prophylactisclie Sauberhal-
tung bei Mutter und Kind zur Pnicht gemacht, wo sich aber
aus irgend welchen Gründen eine Antisepsis der ersteren nicht
erzielen läßt, das Cr ede 'sehe Verfahren angewandt werden
muß. — Bleibenden Schaden habe ich nicht gesehen."
8) Dr. Brückner (Darmsta<lt): „Obligatorische Ein-
führung lialte ich Tiicht für nötig, die facultative aber für
empfehlenswert. — Niemals habe ich einen Fall gesehen,
wo dauernder Schaden gebracht worden, obgleich ich das
Verfahren öfters, auch bei anderen ansteckenden Krankheiten
angewandt habe."
9) Dr. Schanz (Dresden): „Ich liabe Fälle gesehen,
wo trotz sorgfaltiger Anwendung der Crede'schen Tropfen
sich in den ersten Tagen eine Blennorrhoe entwickelte. Da
meiner Ansicht nach das Verfahren ohne jede Gefahr
von der Hebamme ausgeführt werden kann, hätte ich
nichts gegen die Einführung, mache mir aber auch nicht
die großen Hoffnungen."
10) Prof. Manz (Freiburg): „Icli würde in der An-
wendung wenigstens in Gebäranstalten eine Sicherung
sehen. Für allgemeine obligjite Einfährung scheint mir die
Unhaltbarkeit der Lösung ein Hindernis zusein." Auf
meine Bemerkung, daß doch ein wenig Silberzersetzung
nicht schädlich wirken, und daU die Lösung in gelben
Gläsern sich nicht zersetzen könne, schrieb mir Herr Prof.
Manz: „Augentropfen, welche so lange im Gebrauche bei
wenig reinlichen Menschen sind, verderben auch in gelben
Gläsern."
— 75 —
„Etwaige schjimme Folgen des Verfahrens habe ich
nicht zu beobachten Gelegenheit gehabt, da dasselbe hier
in der Geburtsklinik, und so viel ich weiß, auch in der
Privatpraxis nicht angewendet wird."
11) Dr. Rosenmeyer (Frankfurt a. M.): „Ich bin für
facultative Einführung. Eine bleibende Schädigung habe
ich nie gesehen."
12) Dr. Wallerstein (Gelsenkirchen): „Ich spreche
mich bestimmt gegen die obligatorische Einführung aus.
Es genügt die Anwendung in den Fällen, in welchen durch
Arzt oder Hebamme während der Schwangerschaft Fluor
in erheblichem Grade oder gar Gonorrhoe festgestellt wird,
sowie wenn bereits ein früheres Kind an Blennorrhoe ge-
litten hat. — Ich habe niemals einen Fall von bleibendem
Schaden gesehen.**
13) Dr. Lucanus (Gotha): „Wenn keinerlei Zeichen von
Gonorrhoe oder Leucorrhoe vorhanden, halte ich sofortiges
Auswaschen der Augen mit reinem Wasser für genügend,
andernfalls würde ich das Cred^'sche Verfahren empfehlen.
— Bisher sali ich allerdings noch keinen bleibenden Schaden
und glaube auch nicht, daß ein solcher dadurch herbei-
geführt werden kann. Erfahrungen habe ich darüber nicht,
da ztur Zeit in der Schröder'schen Klinik in. Berlin, in
der ich als Practikant zahlreiche Geburten sah, auch ohne
Cred6 ausgezeichnete Erfolge erzielt wurden. Auch in
der Marburger Geburtsklinik wurde Crede nicht ange-
wendet, ebenso wenig hat mir meine Assistentenzeit in Mar-
burg, Breslau, Hagen und meine bisherige Prajds Gelegen-
heit geboten, ein Urteil über diese Frage zu gewinnen.'*
14) Prof, Schmidt-Rimpler (Göttingen): „Die obli-
gatorische Einfuhrung halte ich für imnötig, ja bedenklich.
Hingegen ist bei Gonorrhoe oder starker Leucorrhoe der
Mutter die Desinfection (ob mit Höllenstein oder in anderer
Weise) angezeigt. — Ich habe bleibenden Nachteil nie
beobachtet; hierüber werden übrigens die Geburtshelfer eine
größere Erfahrung haben. Jedenfalls können stärkere Con-
junctivitiden danach entstehen. Wozu also alle Kinder
dem aussetzen? Zudem halte ich die Blenn. neon. für eine
fast ungefährliche Krankheit. Ich ei-innere mich keines
Falles, wo unter meiner Behandlung, falls die Cornea beim
Beginn derselben noch frei war, eine gi'ößere, das Sehen
erheblich störende Narbe entstanden wäre."
16) Prof. Schirmer (Greifswald): „Soweit meine Er-
fahrung reicht, ist die Blennorrhoe in den besseren Klassen
etwas so Seltenes, daß hier auch einfache Auswaschungen
so exact durchgeführt werden können, daß eine facultative
- 78 -
Einfiihrung ausreichend ist. Ich halt^ es aber för dringend
wünschenswert, daß sie in der poliklinischen Praxis und
zumal auch bei den durch Hebammen allein geleiteten
Geburten möglichst stricte durchgefiihrt wird. — Ich habe
niemals weder bleibenden, noch temporären Schaden, von
Conjunctivitis abgesehen, konstatiren können."
16) Dr. Lucanus (Hanau): „An Orten, wo Blennorrhoe
öfters vorkommt, oder wenn in der Praxis einer Hebamme
auffallend oft Fälle vorkommen, wie Letzteres hier der Fall
ist, da sollte der Physikus ermächtigt sein, allgemein oder
speciell diesen Hebammen die Einträufelung obligatorisch
zu machen."
17) Prof. Deutsch mann (Hamburg): „Ich wäre für
obligatorische Einfiihrung von Crede's Tropfen, wenn
gleichzeitig die Garantie (durch Unterweisung und Prü-
fung der Hebammen) gegeben wäre, daß die Instillation
derselben richtig und vorsichtig ausgeführt- wird, und nament-
lich vorher die Lider resp. Augenumgebungen mit schwacher
Sublimatlösung gereinigt werden, femer die Hebammen
besonders darauf aufmerksam gemacht werden, daß damit
allein nicht Alles gethan ist, sondern auch weiterhin pein-
lichste Sauberkeit nötig ist.^
18) Dr. Oehrens (Hamburg): „Unter gewissen Ver-
hältnissen obligatorisch, nicht allgemein obligat."
19) Prof. Wagenmann (Jena): „Obligatorisch in allen
Gebäranstalten, sonst facultativ. — Habe niemals einen
Fall gesehen, der durch C rede 's Verfahren Schaden ge-
nommen.^
20) Dr. Treitel (Königsberg): „Ich halte die faculta-
tive Einfühlung für zweckmäßig. — Einen dauernden Nach-
toil habe ich nie beobachtet."
21) Prof Sattler (Leipzig): „Bleibende Schädigung
habe icli nie gesehen, ebenso wenig Prof. Zweifel (der
(Tynaekologo), den ich darüber befragt; doch sah Letzterer
so vi(d vorübergehende starke Reizungen, daß nach seiner
M«M*nung „das Cre de 'sehe Verfahren niemals amtlich durch
(Wo Hol)ainmen-Lohrbücher obligatorisch eingeführt werden
könnte; aber für Anstalten, meint auch er, gebe es
k e i 11 e b e s s e r (^ P r o p h y 1 a X e. ^ Er sucht daher systematisch
nach einem eb(Miso sicheren Verfahren, das jedoch keine
Reizung macht ..."
Da ich Herrn Prof Sattler darauf aufmerksam machte,
daß in seiner Klinik die meisten Blennorrhöen in Deutsch-
land (104 Fälle) zur Behandlung kamen, schrieb er mir:
„Wenn wir die meisten Blennorrhöen in Deutschland
haben, so rührt dies, abgesehen von der uachlä6(^geil
- 77- -
und zum Teil sträflichen Hebammenwirtschaft, da-
von her, daß wir im letzten und auch in diesem Jahre bis-
weilen eine ganze Anzahl Neugeborener aus der Frauen-
klinik bekommen, wo offenbar zeitweise die Versuche
nach einem Ersätze der Crede'schen Einträufelung
ungenügend und unzureichend ausfallen, während
in anderen Städten die Augenkliniken aus der Frauen-
klinik gar keinen Zuwachs ihres Blennorrhoe -Materials
bekommen.'* — „Wenn außerhalb der Anstalten überhaupt
ein prophylactisohes Verfahren eingeführt beziehungsweise
den Hebammen zur Pflicht gemacht werden soll, so halte
ich das Crede'sche fiir das practischste."
22) Dr. Schwarz (Leipzig): „Ich bin für obligatorische
Einführung in der Form von Iproctgr. Argentum- Lösung
oder 2proctger. Ichthyollösung für die Hebammen,
wenn sie ohne Zuziehung eines Arztes entbinden; ist ein
Arzt dabei, so entscheidet dieser, ob imd was eingetropft
werden soll.**
23) Dr. Schreiber (Magdeburg): „Im Reg.-Bez. Magde-
burg ist den Hebammen aufgegeben, in jedem Falle, wo
Verdacht auf Gonorrhoe der Mutter vorliegt, den Cr e du-
schen Tropfen in Anwendimg zu bringen. I)a sich nun die
Zahl der Blennorrhöen seit 1892 bei annähernd gleicher
Zahl neuer Zugänge (von 1892 — 96 waren 22 : IB : 11 : 10
Fälle) herabgemindert hat, so bin ich geneigt, der faculta-
tiven Einführung das Woi*t zu reden. — Weder in meiner
Praxis, noch auf dem hiesigen Hebammen-Institut,
in welchem seit mehreren Jahren der Cred6*sche Tropfen
bei jedem Kinde gegeben wird, habe ich die geringsten
nachteiligen Folgen oder gar einen bleibenden Schaden beob-
achten können.**
24) Dr. Bahr (Mannheim): „Ich halte die obligatorische
Einführung für überflüssig und unter Umständen schädlich.
Dagegen erkläre ich mich für facultative Einfuhrung bei
Fällen, wo der öeburtsact, ein vor der Geburt vorhandener
Fluor der Mutter oder die Anamnese den Verdacht auf
Blennorrhoe rechtfertigen.
pAuf die Frage, ob ich bleibenden Schaden gesehen,
antworte ich kurz und bündig mit Nein. Dagegen habe
ich die sichere Ueberzeugung, in einem Falle, wo wegen
Blennorrhoe der eretgeborenen Kinder die gleiche Erkran-
kung bei einem später Geborenen zu befärchten war, durch
eine energische Reinigung des ganzen Bindehautsackes mit
Sublimat 1:6000 kurze Zeit nach der Geburt (etwa 3 bis
4 Stunden) eher eine ungünstige Beeinflussung herbei-
geführt zu haben, indem nun nach 2 ^^3 Tagen eine der-
— 78 —
artig heftige und bösartige Blennorrhoe auftrat^ wie sie
mir selten vorgekommen ist/
26) Dr. Schubert (Nürnberg) ist für facultative Ein-
fiihrung. „In der Privatpraxis war in einigen Fällen Crede
gegeben worden, ohne daß Blennorrhoe verhütet wurde,
wohl durch spätere Neuinfection durch die Finger der
Mutter oder der Wärterin. Nachteüe sah ich niemals."
26) Prof. Laqueur (Straßburg): „Die Crede'schen
Tropfen geben zwar eine fast absolut sichere Prophylaxe,
aber man braucht ihnen nicht alle neugeborenen Kinder
zu unterwerfen. Dagegen empfehle ich das Verfahren
dringend, 1) wo starker Fluor bestand, 2) wo ältere öe-
schwister Blennorrhoe hatten imd 3) bei vorzeitig Geborenen
und sehr schwächlichen Früchten und solchen mit Lues
congenita. — Nach den Credi 'sehen Tropfen wurde in
meiner Klinik niemals ein bleibender Schaden, auch
nicht einmal eine längere Beizung der Augen beob-
achtet.*^
27) Prof Schleich (Tübingen): „Facultative Ein-
filhrung ist anzustreben. — Ich habe nie einen Fall erlebt,
in dem bleibender Schaden bewirkt worden wäre."
28) Dr. M eurer (Wiesbaden): „Ich halte möglichst
allgemeine Einführung für geboten, obligatorisch aber nur
in Anstalten und event. in der Armenpraxis. — Dauernder
Schaden ist mir nicht bekannt geworden.**
29) Prof. Pagenstecher (Wiesbaden): „Ich bin gegen
die obligatorische Einführung von Cred6, möchte aber,
soweit dies überhaupt möglich, die obligatorische Einführung
einer gründlichen Reinigung der Augen imd des Conjunctival-
sacks mit lauwarmem Wasser und Seife befürworten.
(Vgl. 36. Jahresb. der Augenheilanst. in Wiesbaden 1890.)
Gegen die facultative Einführung von Crede habe ich
nichts einzuwenden."
30) Prof Goldzieher (Budapest): „Ueber Cred^'s
Methode sind in erster Linie die Leiter geschlossener An-
stalten, öebärhäuser, zu urteilen berufen. Unter unseren
Verhältnissen halte ich die obligatorische Einführung nicht
für zweckmäßig; gegen die facultative habe ich kein Be-
denken. — Mir ist überhaupt kein Fall bekannt, in dem
das Auge durch Cred6 Schaden genommen hätte; ich kenne
im .Gegenteil viele Fälle, in denen das Verfahren angewendet
wurde, ohne daß die Au^en Schaden litten und Blennon-höen
ausblieben, auch bei Kmdem, deren Geschwister an Blen-
norrhoe gelitten hatten. Das bezieht sich natürlich nur
auf meinen Wirkungskreis, der ein städtischer ist und
— 79 —
dessen poliklinisches Material selbst sich aus bürgerlichen
Kreisen recrutirt."
81) Prof. Schulek (Budapest): ^Ftir Gebäranstalten in
allen Fällen, fiir die Privatpraxis nur facultativ. Es ist
mir nie ein Fall von bleibendem Schaden vorgekom-
men."
32) Dr. Her zum (Tetschen): ,,Ich würde mich fiir
facultative Einfiihrung entscheiden ; doch halte ich die Heb-
ammen auf dem Lande für nicht fähig, dies zu besorgen.''
33) Dr. Herrn heiser (Prag): „Ich bin für facultative
Einfiihrung. — Ich habe noch keinen Fall von dauernder
Schädigung gesehen."
34) Dr. Adler (Wien): „Die Methode sollte in An-
stalten obligatorisch durchgeführt werden; die Hebammen
soUen bei jeder Erkrankung einen Arzt zuziehen. Es muß
Anzeigepflicht eingeführt werden, ferner Belehining, event.
bei der Geburt eines zweiten Kindes ärztliche Hilfe, event.
fitr Arme gratis. Den Aerzten kann man absolut nicht
zumuthen, obligatorisch eine Behandlung auszuüben. Es
würde dies zur Erschwemng der Stellung des ohnehin schon
schwergeprüften ärztlichen Standes führen und könnte bei
gerichtlicnen Anständen zur Verurteilung durch den Richter
führen; aber gerade die unanständigen Aerzte können sich
durch eine Notlüge, sie hätten den Tropfen verwendet,
helfen; man kann ihnen ja das Gegenteil nicht nachweisen.
— Mir ist kein Fall von bleibendem Schaden Vorgekom-
men, und ich halte dies auch nicht für möglich, wenn
die Application sachgemäß erfolgt."
36) Dr. Fick (Zürich): „In Gebärhäusem sollte der
CredÄ'sche Tropfen obligatorisch sein. Bei Privatent-
bindungen sollte er nur angewandt werden, wenn Blen-
norrhoe oder wenigstens Verdacht auf Blennorrhoe der
Geburtswege vorhanden ist. Wo das nicht der Fall, ge-
nügt sorgfältige Waschung der Lider und Ausspülung des
Bindehautsackes mit Sublimat 1 : 6000. — Der einzige Fall,
bei dem ich die Folge des Credi' sehen Tropfens zu beob-
achten Gelegenheit hatte, ist jetzt in meiner Behandlung.
Kind von 4 Tagen, das eine Auge ausgesprochen blennor-
rhoisch, das andere intact. Auf dem gesunden Auge
C red 6 'scher Tropfen. Am nächsten Tage hier deutliche
Eiterung. Parceque oder quoique? Wer kann das wissen?"
36) Prof. Halten hoff (Genf): „In Anstalten obli-
^torisch, bei privaten Geburten nur facultativ, je nach
Umständen. (Scheidensecretion etc.)**
87) Prof. Dover (Leyden): „Es sollte facultativ ein-
geführt werden. — Ich habe- nie einen Fall von bleibendem
— 80' —
Schaden gesehen, nicht einmal von vorübergehendem
Schaden."
38) Prof. Pflüg er (Bern): „Facidtativ leistet die
Methode gute Dienste, wo Gonococcen bei den Elteni be-
kannt. Das Obligatorium ist imnötig, weil rigorose Rein-
lichkeit ebenso viel oder mehr leistet. **
39) Prof. Snellen (Utrecht): „Sie ist anzuwenden bei
Fluor albus. Sonst empfehle ich, die Augen mit Sublimat
zu waschen. Nach meiner Meinung entsteht die Infection
vielfach durch das Einreiben mit schmutzigen Schwämmen
und Tüchern. — Von Crede's Tropfen habe ich keinen
bleibenden Schaden erfahren. **
40) Prof. Weiß (Heidelberg) schreibt mir nachträgUch
(4. Mai 1896): „Mit der prophylactischen Einträufelung —
genau nach der Vorschlaft von Cred6 — war ich bisher
zufrieden.''
D. Fflr obligatorische EinfOhrting.
Das C rede 'sehe Verfahren wünschen folgende 39 Aerzte
obligatorisch einzuführen.
1) Dr. Alexander (Aachen): „Wenn vorschriftsmäßig
und gut ausgeführt, dann ja.**
2) Dr. Sil ex (Berlin): „Bin für obligatorische Ein-
träufelung von Argentum."
3) Dr. Fröhlich (Berlin): „Bin für obligatorische Ein-
fühining.**
4) Dr. Fränkel (Chemnitz): „Obligatorisch fiir alle
unehelichen Geburten, bei elielichen, wenn früher Blennor-
rhoe bei einem Kinde vorhanden, oder wenn die Hebamme
in Erfahrung bringt, daß die Mutter an Fluor leidet. Da-
nach zu forschen, müßte die Hebamme angewiesen werden.
— Ueber den Tropfen gleich nach der Entbindung habe
ich keine Erfahrung. Aber ich habe "Wochen lang bei
einseitiger Blennorrhoe in das gesunde Auge täglich 2 pCt.
Argentum getropft und davon nicht ein einziges Mal
irgend welchen Schaden gesehen. Die Anzahl der ein-
seitigen Blennoirhöen ist nicht so gering. Unter 27 Fällen
waren 7 einseitig. In einem Falle hatte ich es unterschätzt
im Anfange, glaubte nur etwas stärkere Conjunctivitis vor
mir zu haben; da ich das Kind nur bei den Elteni und
nicht bei mir sah, unterblieb die Eingießung, und nach
2 Tagen war eine liandfeste beiderseitige Blennorrhoe da."
b) Dr. Lasinsky (Breslau): „Ja, obligatorisch."
6) Dr. Scheffels (Crefeld): „Obligatorisch im Bereich
der Kassenpraxis und der Annenbehandlung. (8 Augen bei
- 81 —
2 Patienten kamen mit total vereiterter Cornea in meine
Behandlung!) Facoltativ in der Privatpraxis. — Ich habe
keinen Schaden gesehen; doch verfüge ich auch nicht
über viele Fälle von Crede."
7) Dr. Schneller (Danzig): „Die Anwendung faute
de mieux soll in der gewöhnlichen Praxis der Hebammen
obligatorisch eingeführt werden, mindestens filr die Fälle,
in denen ein Ausfluß aus der Scheide der Mutter besteht,
gleichgiltig, ob erwiesenermaßen bösartig oder nicht. —
In keinem Falle sah ich bleibenden Schaden; aber ich
habe wenige Fälle von Cred6 gesehen."
8) Dr. A. Weber (Darmstadt): „Es sollte unbedingt
eiogeftlhrt werden. Bei uns ist es durch hygienische Ball-
home abgeschafft."
9) Dr. Becker (Dresden): „Ist obligatorisch einzu-
führen."
10) Prof. Eversbusch (Erlangen) verweist auf sein
Capitel über Behandlung der gonorHioischen Erkrankungen
des Auges im Handbuch von Penzold und Stinzing
Bd. VI, p. 109 ff. Daselbst wird für Anstalten, in denen
die Gebärenden schon längere Zeit vor ihrer Niederkunft
Aufnahme finden und gleich von Beginn der Geburt ab
beobachtet werden, das Kaltenbach-Hofmeier-Küst-
ner'sche Verfahren als ausreichend bezeichnet (also Ab-
waschen der Lider und Auswaschen der Augen mit destil-
lirtem oder gekochtem Wasser, Abwischen der Lider nach
der Geburt des Kopfes mit Jodtrichlorid); ebenso bei anderen
Geburten außer der Anstalt, die von Anfang an beobaclitet
werden. Dagegen empfiehlt er bei Kindern, die schon
während des Gebuiisactes oder nach der Geburt zur Be-
handlung kommen, außerdem noch Cred^ oder Sublimat
1 : 6000, ebenso bei protraliirten und bei Zwillingsgeburten,
selbstredend auch dann, wenn die Mutter vorher an Gonor-
rhoe litt, und bei vorläufigem Blasensprunge.
Schriftlich meint Prof. Eversbusch: „Obligatorische
Einführung, vorausgesetzt sehr genaue Unterrich-
tung der Hebammen, halte ich für sehr segensreich. —
Einen dauernden Schaden sah ich bis jetzt nicht."
11) Dr. Steffan (Frankfurt a. M.): „Ich bin Anhänger
der obligatorischen Einfiilirung für alle Fälle von Ent-
bindungen diu*ch Hebanmien.''
12) Dr. Struwe (Gleiwitz): „Cred^'s Verfahren ist,
so lange wir ein besseres nicht kennen, sehr zu empfehlen.
— Bleibenden Schaden habe ich davon nie gesehen; da-
gegen hat es schon Entzündungen zur Folge gehabt, die eine
Blennorrhoe vortäuschen konnten.
— 88 —
13) Prof. V. Hippel (Halle): „Ja, obligatorisch."
14) Dr. Franke (Hamburg): ^Bei genügender guter
Vorbildung der Hebammen, worüber jede sich bei dem
Examen auszuweisen hätte im Crede 'sehen Verfahren, halte
ich die obligatorische Einfährung desselben fiir notwendig,
eine Ansicht, der ich schon vor 12 Jahren im hiesigen ärzt-
lichen Verein (siehe deutsche med. Wochenschr.) Ausdniek
gegeben. Bei etwa eintretenden Entzündungserscheinungen
wäre allerdings sofoi*t ärztliche Hilfe zu holen. - Bleibon-
den Schaden habe ich nie gesehen. Allerdings habe ich
sehr erhebliche Scliwellungszustände der Lider mit Oedem etc.
gesehen nach Einträufelungen, welche ich selbst rite et
lege artis gemacht habe. Dieselben, d. h. das Lidödem,
fingen unter küldenden Umschlägen in 2— 3 Mal 24 Stun-
en zurück.**
15) Dr. Dürr (Hannover): „Ich erkläre mich fiir obh-
gatorische Anwendung des Cred6*schen Tropfens. (Nach-
träglich, nach Schluß der Tabellen, meldete mir Herr Geh.
Rat Dürr am 10. April 189G, daß er unter 2331 Augen-
kranken 21, also etwa 9%o Blennorrhöen behandelt hat.)
16) Prof. Kuhnt (Königsberg): „Bin entschieden für
obligatorische Einführung. — Habe nie bleibenden Schaden
gesehen."
17) Dr. Ellinger (Karlsmhe): ,, Die obligatorische Ein-
füluimg ist notwendig.^
18) Prof. Völckers (Kiel): y,Bin für obligatorische
Einfilhrung."
19) Prof. Schröter (Leipzig): „Bin für obligatorische
Einfiilu'ung; es muß aber den Hebammen eingeschäift wer-
den, daß sie die Einträufehing nur einmal machen dürfen.^
20) Dr. Küster (Leipzig) ist für obligatorische Ein-
fährung.
21) Prof. V. Rothmund (München): „Ja, obligatorisch.**
22) Dr. Seggel (München): „Icli habe im Jahre 1895
weder im Civil, noch im Militär eine Blennorrhoe zu be-
handeln bekommen. Hier besorgen die Hausärzte meist
selbst den Tropfen. Ich bin fiir obligatorische Einfiihrung
in den Gebäranstalten und Findelhäusern, fiir facultative
in der Privatpraxis. — Mir ist kein Fall vorgekommen, in
dem ein Auge bleibenden Schaden erfahren hätte.''
23) Dr. Stieler (München): „Jeder, der vom Stand-
punkte der practiseh<^n Erfahrung und nicht nur theoretisch
sich mit der Frage beschäftigt, muß und wird doch wohl
auch früher oder später mit uns in die Forderung einstim-
men, daß das Verfahren als das bisher Beste und Be-
währteste obligatorisch eingefiihiii werden müsse. *•
- 88 —
Und in seinem schönen Vortrage auf dem Blindenlehrer-
Congress in München sagt Stieler: ^Ich übe die Methode
seit mehr als 10 Jahren bei jeder^Geburt, zu welcher t)der
nach welcher ich gerufen werde und bin mit der Anwen-
dung noch niemals auf irgend welche Schwierigkeiten ge-
stoßen. — Nach diesen Erfahrungen kann ich auch nie und
nimmermehr glauben, daß die obligatorische Einftlhrung auf
Schwierigkeiten von Seiten des Publicums stoßen würde.
Ich bin im Gegenteile der festen Ueberzeugung, daß die
Maßregel hierdurch den Stempel ihrer Nützlichkeit einer-
seits und ihrer Unschädlichkeit andrerseits aufgedrückt
erhielte, genau so, wie dies bei den übrigen, den Hebammen
gesetsdich vorgeschriebenen Desinfections- Vorschriften bereits
der Fall ist.'^
24) Dr. Neubürger (Nürnberg): „Die Eintrftufelung
ist, weil absolut sicher und von allen Verfahren am ein-
fachsten und ohne Gefahr auszufiihren, obligatorisch zu
machen und zwar in erater Linie von einem Arzte auszu-
fiihren. Da es jedoch Verhältnisse giebt, in denen ein
solcher nicht zu erlangen ist, sind auch die Hebanrmien-
schülerinnen darin einzuüben. — Mir ist noch kein Fall
von bleibendem Schaden vorgekommen. Meine eigene Er-
fahrung ist allerdings noch genug, da ich erst seit einigen
Jahren practicire; doch hat mir im Gespräche ein hiesiger
Frauenarzt, der seit Jahren obiges Verfahren bei jedem
Falle, auch in der Privatpraxis, mit bestem Erfolge ausübt,
und es sind dies deren sicher weit über 100, die gleichen
wie oben von mir mitgeteilten Erfahrungen berichtet.''
25) Prof. Wicherkiewicz (Posen): „Es ist zweifellos
eine ganz bedeutende Abnahme der Blennorrhoe gegen früher
auch in meinem Wirkungskreise zu constatiren, und schreibe
ich dieses dem von hiesigen Frauenärzten consequent
durchgeführten CredÄ'schen Verfahren zu. — Da es
keinen Schaden verursacht, bin ich für obligatorische Ein-
führung dieses segensreichen Verfahrens. Bis jetzt ist mir
kein andres Mittel so keimtötend gegen Blennorrhoe als
Argen tum bekannt; doch zweifle ich nicht daran, daß sich
mit der Zeit noch bessere und leichter verwendbare Mittel
finden werden.''
26) Prof. Berlin (Rostock): „Für obligatorische Ein-
fiUirung."
27) Dr. Höderath (Saarbrücken): „Für obligatorische
Einfühnmg. Ich habe die Hebammen de48 Kreises in
meiner Klinik vei'sammelt imd in eindringlichster Weise zu
instmiren gesuclit. Icli habe je<le mir das Einträufrhi an
einem Kaninchen vormachen lassen mit Wasser, und fand,
— 84 ^
daß Alle, es waren 40 — 50, die Manipulation ganz gut aus-
flihrten. Ich habe die Hebammen angewiesen, in den Fällen
einzutropfen, in denen sie bei der Mutter weißen Fluß ron-
statirt hätten. Weiter konnte ich nicht gehen. "•
28) Dr. Krailshaimer (Stuttgart): „Nachdem die Fälle
von Blennorrhoe seit Einfilhrung von Cred^^s Methode in
den letzten Jahren entschieden seltener geworden sind,
glaube ich, daß bei obligatorischer Einfiilirung eine weitere
Abnahme dieser Erkrankung erzielt werden könnte.**
29) Dr. Rudorf (Wiesbaden): Da der Nutzen erwiesen,
und da es bewiesen ist, daß ein Schaden nicht angerichtet
werden kann, bin ich ftlr obligatorische Einführung.'*
30) Dr. Bäuerlein (Würzburg): „Ich bin durchaus fiir
obligatorische Einfährung.**
31) Dr. Schmeichler (Brunn): „Ich bin entschieden
für die obligatorische Einfiihrung. Denn alle Falle, die ich
in den letzten Jahren gesehen, hatten keinen Lapis be-
kommen. Ich bin feiner entscliieden dafiir, bei geringstem
Infectionsverdacht sofort nach der Geburt mit 2proc. Lapis
zu touchiren. Schaden wird das gewiß keinem Kinde.**
32) Dr. Purtscher { Klagenfurt): ,,Die event. kleinen
Nachteile der obligatorisclien Einfiilirung wei*den zehnfacli
und mehr durch die Vorteile derselben aufgewogen; die
obligatorische Anwendung wäre daher anzustreben. •*
33) Dr. Mitwalsky (Prag): „Ich bin Anhänger der
obligatorischen Einführung.**
34) Prof. Fuchs (Wien): „Ich bin für obligatorische
Einfühnmg bezüglich jener Hebanunen, welche dieses Ver-
fahren an der Schule practisch erlernt haben.**
36) Prof. V. Reuss (Wien): „Ich würde für obligato-
rische Einfülirung stimmen.**
36) Dr. Herz (Wien, St. Annen-Kinderhospital): „Cred6
unter jeder Bedingung!**
37) Prof. Berg meist er (Wien): „Ja, obligatorisch.**
38) Dr. Topolanski (Wien): „Gewiß obligatoiischü
Für die Gegner die Frage: Was soll es schaden, wenn es
auch nicht nützen würde??**
39) Prof Haab (Zürich): „Obligatorisch. — Schädigung
wurde nie beobachtet.**
E. Ueberblleke Aber die Antworten.
Ueberblicken wir die 110 Antworten, so finden wir, daß
16 Collegen keine bestimmte Stellung nalmien, 16 gegen
und 79 für Euifühi'ung der Cred^isirung waren, und zwar
40 für facultative, 39 fiii- obligatorische.
— 86 —
Von 94 Augenärzten sprachen sirh also 16 = 16 pGt.
gegen und 79 =: 84 pCt. für Cred6 aus.
Die oben unter A. aufgefiihrten 6 Collegen, die kein
Urteil fällen wollen (Hirschberg, Betke, Stölting,
Stilling, Schweigger, Stimmel), dürfen fiiglich hier
tibergangen werden. Ebenso die Hennen, welche nicht ge-
nügend Fälle gesehen oder fiir ihre fast ländlichen Ver-
hältnisse jede Prophylaxe für überflüssig halten (Ohle-
niann, Rheindorf, Rindfleisch, Hofmann, Brun-
huber), ferner die Aerzte, welche, olme sich gegen Crede
auszuspi-echen , von anderen Eingiessungen (Aqua chlori,
tibennangansaures Kali) genügend Schutz sahen (Mooren,
Thier, Borysikiewicz) oder Austupfung des Bindohaut-
sackes wünschen (v. Michel). Auch die theoretischen, aller-
dings fein begründeten Bedenken Gräfe 's dürften bei der
rein klinischen Kritik nicht erörtert werden.
Dabei ist immerhin bemerkenswert, daß die 3 Aerzte,
welche meine diesbezügliche zweite Frage überhaupt be-
antworteten, die Herren Mooren, Thier und Gräfe
schreiben, dal* sie nie bleibenden Schaden von der
Credeisimng gesellen haben.
Wichtiger ist die Kritik der 15 unter B. gesammelten
Antworten, welche sicli gegen Crede aussprechen. Die
Motive <h*eser Aerzte müssen betraclitet werden.
Steinheim, Fischer und Braunschweig erwähnen,
daß sie die Krankheit sehr selten sehen und darum Vor-
beugung fiir nicht nötig halten. Die meisten anderen Aerzte
sehen sie ja aber häufig; Prophylaxe ist also nötig. Uebrigens
erklärt auch Fischer das Credeisiren fiir unbedingt nütz-
lich in geschlossenen Anstalten.
Gegen das Verfaliren erklären sich Ferge, No-bis,
Pautinsky, Braunschweig, Leber, Samelsohn, Lam-
hofer und Uhthoff hauptsächlicli wegen der Unge-
schicklichkeit der Hebammen. Sie fiirchten, daß in
den Händen derselben Verletzungen <les Auges entstehen
können. Die Möglichkeit dieses „Könnens" läßt sich freilich
nicht bestreiten. Allein ich bemerke, daß auch diese Herren
auf directe Anfmge bestätigten, sie hätten nie einen
bleibenden Seil ade n von Cre<le gesehen. Wir müssen
aber docli nicht mit MöglichkeitfMi, sondern mit Thatsachen
rechnen; der Einwand ist also gewiß nicht stichhaltig, zumal
ja, wie viele Frauenäizte bestätigen, die Hebammen durch
guten Unterriclit und strenges Examen zur richtigen Aus-
führung des kleineu Handgriffs erzogen werden können.
Voss ins und Ran soll off sind gegen die Methode,
weil leichte Reizzustände uimötigei-weise gescliÄffen werden»
— 86 —
Das Letztere ist richtig; allein ich meine: lieber ein leichter
Reizzustand, als eine Ueberraschung durch Blennorrhoe.
Der Umstand, den Klein entgegen liält, daß die Krank-
heit, rechtzeitig und richtig behandelt, stets geheilt wird
(eine Ansicht, die auch Schmidt-Rimpler und Hosch
teilen), darf doch die Prophylaxe nicht überflüssig erscheinen
lassen. Wozu wochenlange Behandlung, Kummer mid
Kosten, wenn man die Krankheit überhaupt verhüten kann!
Und wie oft kommen die Kranken zu spät trotz aller
Belehrungen! Uebrigens giebt es, wenn auch selten, doch
Fälle, wo die erfahrenste Hand die Blennorrhoe nicht ohne
B>e8te heilen kann. Man vergleiche nur oben S. 28 die
letzten Colonnen der Tabelle IV. Mit der Ansicht, daß der
Tropfen die Krankheit nicht verhütet, steht Klein völlig
isolirt. Tausend sichere Beobachtungen sprechen dagegen.
Somit bleiben von den 15 Aerzten nur 2 übrig, deren
Beobachtungen wirklich gegen Crede sprechen oder
richtiger auch nur zu sprechen scheinen.
Wilbrand erzählt, daß er bei zwei Kindern in einer
Woche beide Hornhäute macerii-t gesehen habe, nachdem
der Hausarzt Höllensteinlösung eingegossen habe. Das ist
gewiß eine äußeret seltene Beobachtung mid deutet darauf
hin, daß der Hausarzt wohl mehi* als ein Tröpfchen ge-
geben haben wird. Etwas Aehnliches berichtet ja auch
Förster (vgl. oben S. 73) von einem Falle'*), wo „durch
allzu energisclie Anwendung^ von 2proc. Argentum-
lösung beide Corneae gelbweiß geworden waren, und von
demselben Falle schreibt Wolfberg (vgl. oben S. 74), daß
„durch übertriebene Anwendung des Argentum nach
3 Monaten noch Hornhautflecke" zumckgeblieben waren.
Jedenfalls sprechen solche Ausnahmefälle gegenüber
den unzähligen ohne Schaden verlaufenen doch nicht gegen
die Methode, sondern nur gegen die ausnahmsweise
schlechte Technik.
Was die Beobachtungen von Hosch über die vielen
recht heftigen Conjunctivitiden in der Frauenklinik zu
Basel anlangt, so scheint hier die gleiche Ursache vorzu-
liegen. Ich werde hierbei erinnei-t an die miten (S. 94)
citirte Mitteilung Leopold's, der, als eine Anzahl auffallen-
der Lidschwellungen und Catarrhe in der Anstalt vorkam,
feststellte, daß die Hebammen statt eines Tröpfchens 3 bis
6 Tropfen eingegossen hatten. Bei sorgsamer Cred^isi-
rung aber kamen die Fälle nicht mehr vor. Wer zu jener
**) Noch von einem zweiten Falle erzählte Förster bei der De-
batte in der Sitzong der med. Abth. am 19. Juni d. J.
- 87 —
Zeit, als Hose h die Kinder in Basel beaugenspiegelte, ein-
gegossen, ob Hebamme, Assistent oder Student, war ja
nicht mehr festzustellen.
Ho seh sehreibt, daß ihm ein Kind am 3. Tage ganz
besondei-s „durch die starke Schwellung der Lider und
durch das reichliche, mehr gelbrötliche Secret auffieP.
Nun giebt es aber beim Argen tum-Catarrh niemals gelb-
rötliches, sondern, soviel ich gesehen, nur dümies, helles
Secret. Schon daraus mußte gefolgeiii werden, daß bei
jenem Falle vom Argentum nichts in's Auge gekommen
sei, sicli vielmehr eine Bleimorrhoe entwickle, wie es sich
auch am nächsten Tage herausstellte. Solche Fälle müssten
natürlich sogleich isolii*t werden. Wäre diese Beobachtung
nicht eine sehr seltene Ausnahme, so würde Prof. Fehling,
der ja gei*ade in Basel und dann in Halle alle Kinder
credeisiren ließ, sich nicht so energisch in seiner neuesten
VeröflFentlichung (siehe unten S. 92) für die Methode aus-
sprechen. Uebrigens hat auch jenes Kind keinen dauern-
den Sehaden zurückbehalten.
Also bleibt von allen 16 Gegnern der Methode nur
Wilbrand übrig, der 2 Hornhauterkrankungen nach Credei-
siren sali, — und hier hatte iiiclit eine ungeschickte Heb-
amme, sondern ein Hausarzt eingegossen, Niemand weiß
freilich, wie viel.
Und diese zwei Fälle sollten gegen die Einführung
der Methode sprechen? — Würde man die aseptische Wund-
behandlung darum nicht empfehlen, weil in ganz wenigen
Fällen, wo sie schlecht gemaclit wurde, doch eine Eite-
rung eintrat?! —
Vierzig Augenärzte sprachen sicli für facultative
Credeisining aus, und zwar betonen 12, daß sie in Anstalten
durchaus eingeführt werden müsse (Sämisch, Nieden,
Wolffberg, Maiiz, Schirmer, Wagenmann , Sattler,
Meurer, Schulek, Adler, Fick, Haltenhoff).
Fünfzehn CoUegen wollen das Verfaliren nur bei er-
wiesener Gonorrhoe oiler Leucorrlioe oder bei Verdacht darauf
in der Privatpraxis anwenden lassen (Nieden, Förster,
Landsberg, Scliläfke, Wallerstein, Lucanus,
Sclunidt-Rimpler, Oehrens, Schreiber, Bahr, La-
queur, Fick, Haltenhoff, Pflüger und Snellen). —
Auf die Notwendigkeit des Cred^isirens, wenn ältere Ge-
schwister Bhiimorrlioe hatten, weisen Nieden und La-
(|ueur besonders hin; Letzterer empfiehlt es auch bei Früh-
g(»burten, bei sehr scliwadien und luetischen Kindern.
Die übrigen IH Aerzte spr*Mlien sich über die Umstände,
unter denen sie die facultative Einführung wünschen, nicht
— 88 —
aus*, doch" ist wohl anzunehmen, daß aufh sie die Gonorrhoe
und Leucorrhoe der Mutter un<l die Bh^inorrhoe älterer
Kinder für Indicationen betrachten.
Nur Förster und Wolffberg bemerken, wie schon
oben (S. 73) ei-wähnt, daß sie in einem und demselben Falle
durch allzuenergische Anwendung des Argentum die
Hornhaut leiden sahen, undNieden fand durch fehlerhafte
Anwendung Zuweilen doch Reizungen der Bindehaut mit
Tage lang andauernder Secretion, auch Erosionen des Binde-
hautepithels mit oberflächliclien Sugillationen infolge mecha-
nischer Verletzungen; aber nie beobiuhtete er dauernden
Schaden. Dagegen betonen 26 CoUegen von den 28, die
überhaupt die Frage beantworteten, daß sie niemals dauern-
den Schaden sahen; Mooren und Adler halten einen
solchen bei richtiger Application sogar fiir unmöglich, Dover
erwähnt, daß er nicht einmal vorübergehende, Laqueur,
daß er auch nicht eimnal längere Reizung gesehen habe.
Schmidt-Rimpler fand stärkere Conjunctividen; Schrei-
ber hingegen meldet, daß er weder in seiner Anstalt, noch
im Magdeburger Heb am meninstitut, in dem seit Jahren
jedes Kind credeisiit wird, auch -,mu' die geringsten Nach-
teiligen Folgen oder gar einen bleibenden Schaden" habe
beobachten können.
Schon aus diesen entgegengesetzten Mitteilungen der
Autoren folgt, daß nicht die Methode, sondern nur der
Modus schaden kann.
Dieser Ansiclit huldigen ja aucli <lif oben genannten
39 Aerzte, welche die Methode obligatorisch eingeführt
wissen wollen. Freilich wünsclien einige von ihnen (Frän-
kel, Sclieffel und Seggel) die obligatorisclie Ausführung
nur bei unehelichen Kindern, bei früheren Blennorrhöen
älterer Kinder, bei Fluor, in der Kassen- und Armen-Praxis,
und gestatten fiir die Privatpraxis facultative Anwendung.
Eversbusch und Fuclis setzen bei obligatorischer Ein-
fiihnmg eine gute Vorbildimg und strenge Prüfimg der
Hebammen in der Technik voraus. Darin kann man ihnen
nur beipflichten. Höderath ließ sogar die Hebammen des
Kreises in seine Klinik kommen und unterrichtete sie. Er
ließ von jeder das Einträufeln an einem Kaninchen mit
Wasser vornehmen und fand, daß alle 50 die Manipulation
ganz gut ausfiilirten.
Die 39 CoUegen, welche obligatorische Credeisirung
wünschen, können ja keinen bleibenden Scliad^n gesehen
haben; es bemerken dies aber noch ausdiücklich Scheffels
Schneller, Eversbusch, Struwe, Franke, Kuhnt
Seggel, Neubürger und Wicherkiewicz. (Allerdings
- 89 —
!<rhreibl Struwe tlnbei, «laß er Entztindungon danacli ge-
sehen habe, welche Hlennorrhoe voi-täusrhen konnten, und
Franke, daß er erhebliches Oedein der Lider beobachtet
habe in Fällen wo er selbst i-ite et lege artis eingetropft
hatte, ein Oedein, das aber auf kalte Umschläge nach 2 bis
3 Tagen vei-schwand.)
Jedenfalls folgt aus der vorliegenden Enquete, daß die
übergroße Mehrzahl der Augenärzte (84 pCt.) für Credeisi-
rung sind und daß von den 47 Aerzten, welclu» die Frage
beantworteten, 40 versichern, bei richtiger Ausführung der
Methode keinen bleibenden Schaden gesehen zu haben.
IX. Die Anwendung des Credöisirens in den
Univ ersitäts - Frauenkliniken.
Schon in der Einleitung (S. 2 un<l 6i wurde mitgeteilt,
daß die Commission der medicinisclien Abteilung der schlesi-
schen Gesellschaft am 2. März 1895 außer (Ut Sammel-
forschung in den Augenkliniken, die sie mir übertrug, auch
beschloß:
„Es soll eine gi-ößere Enquete über dns Vorkommen
der Blennorrhoe in Deutschland und Oesterreich -Ungarn
durch Umfi'age bei den Directoren d(M* Gebäranstalten
und insbesondere auch «ler geburtshilfliclien Kliniken
vorgenommen werden; Herr Med.-Rat Prof. Dr. Küstner
übernimmt die Fassung und Versendung der Zuscluift.**
(Jahresber. f. 1895, S. 61.)
Bisher ist jedoch von HeiTU Prof. Küstner kein Be-
richt erstattet worden, und er hat seinen Austiitt aus der
Commission am 12. Mai 1896 mitgeteilt. Da es mir aber
namentlich in Rücksicht auf die im Schlußcapitel vorge-
schlagene Petition an <h»n Herrn Unterriclits-Minister wichtig
schien, zurVei'vollständigung meiner Arbeit auch Ehiiges über
die jetzige Verbreitung derCrede'schen Methode in den
Frauenkliniken und über die Berücksichtigung der Me-
thode als Prüfungsgegenstand zu ei-fahren, so wendete icli
mich, während bereits diese Brochure iniDiuck war, selbstver-
ständlich nur als Privatmann (nicht, wie bei der Befragung
der Augenärzte im Auftrage der medicinisclien Abteilung),
mit einer Anfrag«» an die L(M*ter all(M' «hMitsclien Universitäts-
Frauenkliniken, mit Ausnahme «les Herrn Med.-Rat Kttst-
ner, der ja seinen ablehnenden Standpunkt in der Debatte
— 90 -
am 1. Februar 1895 (siehe Jahresbericht, 8. 33) selbst und
durch seinen Assistenten Herrn Dr. Keilmann schon deut-
lich ausgesprochen. (Vgl. oben Cap. V.)
Ich schrieb also am 22. Mai 1896 an 20 Directoren
der deutschen Universitäts-Fiauenkliniken folgenden Brief:
„Hochverelnler Herr Geheimer Rat!
Mit dem Abschluß einer Brochure über Verbreitung
und Verliütung der Blennorhoea neonaturum beschäftigt,
möchte ich gern ei-fahren, ob die geehrten Directoren der
Universitäts-Frauenkliniken 1) Crede's Methode stets an-
wenden, und 2) ob sie sich beim Staatsexamen den Hand-
giiff von den Studenten zeigen lassen. Vielleicht darf ich
Sie um die Gefälligkeit ei'suchen, mir auf beiliegender Post-
karte zu 1) und 2) nur „Ja** oder „Nein" zu schreiben.
Natürlich würde ich auch sehr dankbar sein fiir event.
weitere Mitteilungen, die ich bei der Sammelforschung ver-
öffentlichen dürfte.
Mit vorzüglicher Hochachtung
eigebenst
H. G.^
Hierauf erhielt ich von allen Herren Antworten, außer von
Herin Prof. Hofmeier in Wüizburg. Diese Antworten teilte
ich in der Sitzung der med. Abteilung am 19. Juni d. J. mit.
Die 19 Herren beantworteten meine Fragen, wie in
Tabelle VII, Seite 91 angegeben.
Ausfülirlich haben sich neun Directoren ausgesprochen,
und zwar sclireibt Hen* Prof. Fiitsch (Bonn): „Ich bin
ein begeisterter Anhänger des Cre de 'sehen Verfahrens.
Mögen Andere mit den Augen des Mensolien Ex-
perimente machen, um Besseres als das Gute zu
finden! Icli halte mich dazu fär nicht genug sach-
verständig.
„Ich habt; constatiren können, dali das Crede'sche Ver-
fahren vortrefflicli ist. Bei mir ist bei 620 Geburten
nur ein Fall von Blennorrhoe im Jahre vorgekommen; in
einem andern Jahre bei 510 Geburten kein Fall. Damit
bin icli zufrieden.
^Die Studenten lernen chis Verfahren; ich verlange es,
dali sie es können. Ich werde es jetzt auch mi Examen
verlangen. Geschah «lies bis jetzt nicht, so war es des-
halb, weil icli wußte, daß die Studenten das Verfahren
sehr oft und sein* gut selien, und «laß wohl Niemand
Pra<'tikant war, der es nidit ♦> — 10 Mal selbst ausübte.
„Wenn Jemand, z. B. ein Assistent, wirklich etwas von
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~ 92 -
Aug*Mi vorstellt, woiin ich z. B. einen Oplitlialmologen oder
(ivnäkologfMi imstdlte, und wenn mich dieser bäte, auf
seine Verantwortung hin das Verfahren abzuändern, so
würde ich — unter (leni Vorbehalte, daß er mehr als ich
davon verstände — ilun die Abänderung erlauben. So lange
aber dies nicht der Fall ist, halte ich mich nicht für berech-
tigt, mit etwas so Wertvollem, wie das menschliclie Auge,
zu experimentiren. Ich bleibe also bei (Umu anerkannt
Richtigen und Guten stellen. Das ist mehi Standpunkt.*^
Herr Prof. Runge i(TÖttingen) schreibt: ^Resultat
absolut sicher."
Herr Prof. Pernice (Grcifswald) schreibt: „Seit der
Publikation von Crede habe ich gegen die früher sehr
häufig vorkommen(h3n Blennorrhöen nur2proc. Höllenstein-
lösung nach Crede's Vorsclirift angewandt, und da ich die
vortrefflichsten Erfolge hatte, auf alle übrigen
Methoden, die l)los unbetjuem und unsicher waren,
verziclit«*t. Heut nocli wird das Verfahren mit demselben
Erfolge angewandt. Die Cursisten machen die Einträufelung
nirlit. Jeder Practikant behandtdt aber nach der Geburt
«las bet reifende Kind unter Aufsicjit des Assistc^nten ^
Herr Prof. Fehling i Halle i schreibt:
^Ich wende stets Crede's Methodt» an, lasse sie ge-
legentlirh ])fi t\ov (ieburt aueh von den Stu<lirenden aus-
fiiiuN'n, prüfe aber nicht darüber. Der Gedanke ist aber
>«'hr rirliti«x und irli werde »'s von jetzt ab auch
geb'grnt li eil thun. Ich bin sehr gespannt auf die Er-
gebnisse Ihrer Sannnelforschung und hoffe, daß dieselbe dazu
b»'it ragen wird, die n\it Unrecht so rasch verlassene Me-
thode wieder ])()puliirer zu machen.^
Icli füo;e hier an, was Fehling schon 1895 in der
Miinchenei* med. Wochenschr. No. 19, S 1142 geschrieben:
pDcm Kin<le der (TOnorrhoiseln'U soll unbedingt ohne
Au-«nalnnc die Wohlthat der prophylactischen Einträufelung
ha( h Cred«'. zu Teil werden. Hieses so einfache Verfahren
kann auch die Hebannne ausfuhren. Es ist dies weit
b»'>^ser. als wenn dei- richtige Zeitpunkt verpaßt wird, bis
'\rv Ar/t konnni. Ks ist itiir nnertindlich, dal.» Aerzte immer
wicdirdas alte Klagelied anstimmen, dal.» die Hebammen
dievrn kleinen Hand<:ritf ni< lit ausführen könnten.
«Vertrauen wir ihnen <lneh ganz andere Eingriffe ndiig
an. P^lner meiner As^i>tenten Köstlin) hat gezeigt, daü
die ^.'rilli nit en Krf«»li:e anderer Methoden sich eben
d«w ii ni« Itt mit den ( ' red e'st'hen messen ki'mnen un<l man
daii.r h»<-er tlnit. auch in der Privat praxis sich dieser
z;:v« ilä--igeu ileUmde zu bedienen.**
— 93 —
Herr Prof. Wertli (Kiel) sclu'eibt: »Da die Studenten
bei jeder Geburt die einfache Manipulation der Argentum-
Einträufelung mit anselien, liabe ich es bisher nicht fiir
nötig gehalten, beim Examen mir die Sache selbst vormachen
zu lassen. Vielleiolit würde es aber doch zweckmäßig sein,
dies zu thiui.^
Herr Prof. Alilfeld (Marburg) sclireibt: „Ich wende
die Einträufelungen zur Zeit regehnäßig an, weil es von
oben her für den Unterricht der Hebammen so angeordnet
ist. Damit jede Schülerin an die Reihe kommt, werden
auch bei Kindern nicht-gonoirhoischer Mütter die Ein-
ti-äufelungen vorgenommen. Die bei der Geburt anwesen-
den Practikanten liaben also alle Gelegenlieit, das Verfahren
zu sehen. — Im Staatsexamen habe ich nur den Handgriff*
nicht vormachen lassen, wie wir ja auch niclit alle kleinen,
filr den Ai-zt notwendigen Manipulationen im Examen aus-
führen lassen.
„Zahlreiche zu diesem Zwecke angestellte Vei-suche
liaben mich gelehrt, daß den Hebanmien des platten Landes
die Einträufelung meist nicht gelingt. Zum Teil stellen <lie
Versuclie, den Handgriff* auszuführen, eine entsetzliclie
Maltraitation der Augen dar, und ich kann mir wold denken,
daß manches Kind erst von der Xägeln «ler Hebamme aus
erki*ankt.
„Bedenkt man noch die Fragwürdigkeit der Lösung,
die unter Umständen 1—2 Jahre gebraiu'ht und nicht er-
neuei-t worden ist, so sollte man sich in der That über-
legen^ ob <las Verfahren ein zweckdienliches genannt werden
kann."
HeiT Prof. Hegar (Preiburg) schreibt: „Auswaschen
mit sterilem Wasser. Höllensteinlösung nur bei Anwesen-
heit von Gonorrhoe der Schwangeren. Technik von Crede
ei^scheint uns nicht zweckdienlich; nehme Pipette. Winl
den Studirenden nur demonstrirt.**
Herr Prof. Kehrer (Heidelberg) schreibt: ^Wie Sie
in der Notiz über prophylactische Augenätzungen bei Neu-
geborenen in „Kehrer's Beiträgen zur klhiischen und
experimentellen Geburtskunde" II, 3. Heft, S. 346, erselien
können, habe ich von 1873 — 1881, lange vor Cre<le,
Iproc. Lapisätzungen bei Kindern von gonorrhoischen Per-
sonen prophylactisch angewandt; seit 1881 wurde, von
vorübergehenden Abweichungen abgesehen, die Crede 'sehe
Einträuielung bei allen Neugeborenen vorgenommen und
den Studenten demonstriii. Von den Examinations-Candi-
daten lasse ich die Methode niclit demonstriren."
Herr Prof. Zweifel (Leipzig) schreibt: „Wir wenden
— 94 —
Crede an, aber wir machen seit Langem Versuche mit
anderen Verfahren, über welche wn- ausflilirlich noch be-
richten werden. Vgl. mein Lehrbuch 4. Aufl."
Eine andere Mitteilung von Prof. Zweifel findet mau
oben im Cap. VTII, 8. 76 in der Zuschrift an Prof. Sattler.
Dort heißt es: „Für die Anstalten gebe es keine bessere
Prophylaxe."
Herr Prof. v. Winkel (Münclien) berichtete an Hofrat
Stiel er (siehe Verhandl. des 8. Blindenlehrer-Congresses in
München 1895, S. 74), daß er durchsclmittlich in den letzten
fünf Jalirea 4 %o Blennorrhöen mit Credeisinuig hatte, wäh-
rend er im Jahre 1894 bei einem Vei*suche, auf das Argen-
tum zu verzichten und nur scrupulöseste Reinlichkeit ein-
treten zu lassen und die Augen sofoiii nach der Geburt mit
Aqua (lest, auszuwaschen, in zwei Monaten sechs Fälle von
Blennorrhoe zu beklagen hatte.
An diese Briefe der Leiter von Univ.-Frauenkliniken
fiige ich noch eine Mitteilung des Hen-n Geh.-Rat Prof. Dr.
Leopold, Director der Entbindungsanstalt in Dresden.
Dei-selbe schrieb mii* am 4. Februar 1896:
„Ich bin so sehr mit anderen Arbeiten überhäuft, daß
ich jetzt an die Statistik nicht denken kann. Je^lenfalls,
habe ich mit Crede's Verfahren die ausgezeichnet-
sten Resultate und bin froh, daß es existirt, habe
nacli irgend einem anderen kein Verlangen. Die
sogenannte künstliche Conjimctivitis danach ist eine
Phantasie oder beruht darauf, daß Cred^'s Verfahren
nicht ganz genau nach seinen Vorschriften ausge-
ftlhrt ist."
Einer mündlichen Mitteilung zufolge fand der genannte
Forecher, als er die Anstalt in Dresden übernahm, enoime
Lidschwellungen und Catarrhe bei den mit Argentiun be-
handelten Kindern vor. Es zeigte sich, daß die Hebammen
statt eines Tropfens 3 — 5 Tropfen enigegossen hatten!
Sobald nur ein Tropfen gegeben wurde, trat keine Schwel-
lung mehr auf. Dieser Wink verdient die allgemeinste
Beachtung.
Auf eine im April erneute Bitte um die Statistik
schreibt Geli.-Rat Leopold: „Ich habe mehr als einmal
Reihen von 1000 nach einander Neugeborenen in meiner
Klinik gesehen mit Anwendimg des Crede'schen Tropfens
ohne einen einzigen Fall von Blennorrhoe. Kam eine Blen-
norrhoe vor, so ist bis jetzt jedesmal ein Fehler in der
Ausführung nachweisbar gewesen. Die sogen, künst^
liehe Conjunctivitis kennen wir hier nicht, da wir das Ver-
fahren genau nach Crede ausfiihren."
— 95 —
Schließlich sei hier noch die neueste Statistik von
Boudin in Paris erwähnt (Progr^s medical, 1895). Da
er nach Crede große Schwellungen fand, das Argentum
aber für das beste Mittel hält, so gab er es in 0,7proc.
Lösung (1 : 160), und zwar 1 — 2 Tropfen in's Auge bald
nach Unterbindung der Nabelschnur. Freilich waren vor-
her Ausspritzungen der Scheide mit Snbliraat 1 : 4000 ge-
macht worden. Bei 2004 Gebui-ten von 1891—1894. hatte
er dabei nur 2 Blennorrhöen und 7 secundäre Conjunctivi-
tideu. Der eine Fall von Blennorrhoe trat auf, da die
Hebamme bei gleichzeitiger Entbindung mehrerer Frauen
vergessen hatte, die Lösung einzugießen. Also 1 y^^ oder
eigentlich 0,5 ^/^^ Blennon'hoe.
Die secundären Catarrhe waren sehr leicht und heilten
durch Naphthol- und Argentumhmung. Sie traten am 6.,
7. und 14. Tage auf und gaben also *^.^%o-
Boudin empfiehlt daher diese abgeschwächte Argen-
tum-Lösung 1:160. Ich erinnere aber daran, daß Crede
ausdrücklich betont hatte, schwächere Lösungen als 2proc.
seien nicht sicher. Vielleicht wirken sie auch nicht, wenn
nicht die Scheide vorher desinficirt worden, und das ge-
schieht doch heut nicht mehr immer.
Ueberblicken wir nun die Mitteilungen der 19 Directoren
der Universitäts-Frauenkliniken, so sehen wir, daß 17 stets
cred^isiren, He gar aber nur bei Gonorrhoe der Mutter und
Schatz stets in der Klinik, dagegen in der Poliklinik nur
bei verdächtigen Fällen.
Als begeisterte Anhänger des Verfahrens fiir alle
Fälle zeigen sich Fritsch, Fehling, Werth (der das
Besultat als absolut sicher bezeichnet), Pernice und
Leopold.
Unter den preußischen Professoren wendet Ahlfeld
das Verfahren nur an, weil es von oben her fiir den
Hebammen -Unterricht vorgeschrieben ist. Er betont aber
die Ungeschicklichkeit der Hebammen des platten
Landes und fürchtet, daß durch die Nägel derselben das
Auge des Kindes gefährdet werden könne. Die anderen
Directoren sind jedoch nicht von gleicher Besorgnis erfiUlt;
namentlich bekämpft Fehling dieses „alte Klagelied".
Auch hält Ahlfeld das Verfahren für nicht zweck-
dienlich, weil die Höllensteinlösung nicht haltbar ist und
doch 1 — 2 Jahre gebraucht wird. Ich werde im Schlußcapitel
diesen Einwand widerlegen und ein Fläschchen mit einge-
riebenem Stöpsel-Glasstab beschreiben, hi dem die Lösung
sich nicht zersetzt. Uebrigens zerstöii ja die 2proc. Höllen-
steinlösmig selbst alle Keime, die etwa hineiiigekominen.
— ge-
während Hegar die Technik von Crede wegen des
(xlasstabes verwirft nnd statt dessen eine Pipette nimmt,
so bin ich gerade entgegengesetzter Ansicht. Mit der Pipette
können 1) viel leichter als mit einem unten abgerundetem
(xlasstabe Verletzungen des Auges von einem Ungeschick-
ten hervorgerufen werden, und 2) viel eher zwei oder mehr
Tropfen in\s Auge gebracht werden, als mit dem Glasstab,
an dem eben nur der einzige, gewünschte Tropfen hängen
bleibt. —
Historisch interessant ist es, daß Prof. Kehrer in
Heidelberg schon acht Jahre vor Crede den Kindern der
Gonorrhoischen eine Iproc. Lapislösung eingoß. Die meisten
Professoren geben wie Crede 2proc. Lösung. 01s hausen,
der früher Zincum suKo-carbolicum nahm, ist zu l,6proc.
Höllensteinlösung zurückgekehrt; Gusserow nimmt Iproc,
Bond in nur 0,7proc. Aigentum. —
Die Frage, ob der Handgi'iff im ärztlichen Staats-
examen gepiüft wird, beantwoi-tete um* Dohrn mit „Ja",
Runge, Schatz und Prommel mit „Zuweilen*'. Fritsch,
Fehling (der den Gedanken für sehr richtig hält) un(l
Weith werden den Handgriff von jetzt ab piüfen.
Die Herren Gusserow, Fritsch, Pernice, Fehling,
Hegar, Kehrer und Schatz teilen ausdrücklich mit, daß
sie den Handgriff den Practikanten lehren. Hegar und
Alilfeld lieben die Methode nicht; aber sie macheu sie
doch, wenn auch Ersterer nur bei Gonon*hoe. Die über-
große Zahl der Directoren übt also und lehrt das Verfalu^n.
Warum sollen sie sich denn nun nicht auch im Staats-
examen bei der Prüfungsgeburt davon gelegentlich über-
zeugen, daß die Studenten die kleine Manipulation so gut
verstehen, wie die Hebammen, deren sorgsame Prüfung
genide bei dieser Methode vorgeschrieben ist.
In diesem Sinne beantrage ich, daß der Heir Uuter-
richts-Minister eisucht wenle. anzuordnen, daß die Methode
beim Staatsexamen auch der Mediciner (nicht blos der
Hebiunmen) zum Gegenstand der Prüfung gemacht werde,
natürlich in den Frauenkliniken. Denn in den Augen-
kliniken (welche aLs Ort der Prüfung üi der Commission
vorgeschlagen wmilen) wenlen ja keine Kinder geboren, und
die Behandlimg «ler ausgebrochenen Blennorrhoe in den
Augenkliniken ist do( h eine ganz andere, als das Eüubringeu
eines Tix)pfens Höllenstein aus prophylactischeu Gründen.
— 97 —
Schluss.
Nachdem wir die Statistik und die Urteile der Augen-
und Frauenärzte zusammengestellt, müssen wir uns fragen:
Was kann man den Behörden vorschlagen, um die
Blennorrhoe aus der Welt zu schaffen?
1) Es muß denselben eine vollständige, fehlerfreie
Statistik des Vorkommens der Krankheit vorgelegt wer-
den, damit die Verbreitung des Uebels nicht unterschätzt
werde.
Wir haben oben im ersten Capitel nachgewiesen, wie
schwierig es schon ist, in einer einzigen großen Stadt die
wirkliche Zald der in einem Jahre behandelten Blennor-
rhöen festzustellen. Wie viel schwieriger für ganz Deutsch-
land oder Einropa?
Einwandsfreie Zahlen wird man nur erreichen, wenn
jede Bleimorrhoe vom behandelnden Arzte (nicht nur von
der Hebamme) so wie jede andere Infectionskrankheit amt-
lich gemeldet wird. Dann können auch Doppelzählungen
nicht mehr vorkommen, weim die Meldezettel von einem
Statistiker verglichen werden.
Daher stelle ich den Antrag: die medicinische Abteilung
wolle beschließen, „daß durch eine Eingabe der preußische
Herr Minister der Medicinal- Angelegenheiten und die Bres-
lauer Regierung insbesondere ersucht werde, die Blenn. neon.
imter die Krantheiten einzureilien, welche jeder Arzt zu
melden gezwungen ist."
2) Es muß den Behörden gezeigt werden, daß die Zahl
der durch Blennorrhoe erblindeten Kinder nicht in dem
Verhältnisse abnimmt, als bei einer richtigen Verhütimg und
rechtzeitigen Behandlung notwendig zu erwarten wäre.
Daher muß jedes Jahr in jeder Blindenanstalt die
Gesamtzahl der neu aufgenommenen Blinden und die spe-
cielle Zahl der an Blennorrhoe erblindeten Schüler veröflfent-
licht werden, wie dies auch bereits Stieler auf dem letzten
Blindenlehrer-Congres.se in München ausgesprochen.
Deswegen stelle ich den Antrag: die medicinische
Abteilung wolle beschließen, „daß in der Eingabe an den
Hen*n Minister derselbe ersucht werde, anzuordnen, daß jede
7
- 98 -
Blindenanstalt alljährlich die Zahl der neu aufgenomme-
nen Blennorrhoe-Blinden in ihrem Berichte mitzuteilen
habe."
8) Es ist von großer Wichtigkeit, zu erfahren, wie viel
Blennorrhöen jälulich in den Hebammenlehranstalten
und den geburtshilflichen Kliniken vorkommen, und
welche Methoden der Verhütung dort angewendet wer-
den. Daher beantrage ich, daß wir den Hen-n Minister
bitton, auch von den genannten Anstalten alljährlicli einen
Bericht über diese Verhältnisse einzufordern.
4) Es ist wünschenswert, daß auch jede Augenheil-
anstalt jährlich fol^^ende Fragen beantworte: a) Wie viele
der beobiBkchteten Blennorrhöen waren ein- und wie viele
doppelseitig? b) Bei wie vielen wurden Gonokokken ge-
funden? 0) Wie viele wurden geheilt entlassen? d) Wie
viele blieben aus der Behandlung aus? e) Wie viele kamen
schon mit Erkrankung der Hornhaut in die Behandlung?
f ) Wie viele behielten Homhautflecken auf einem oder beiden
Augen? g) Wie viele erblindeten auf einem oder beiden
Augen? —
6) Die ttbergi*oße Zalü der Augenärzte und der Pi-auen-
ärzte ist von der segensreichen Wirkmig des Credo' sehen
Verfahrens übei-zeugt. Ein Teil aber fiirchtet, daß die Heb-.
anm\en dazu nicht geschickt genug seien und Schaden an-
richten könnten. »Ein Fall, der durch eine Hebamme zur
Hornhautentzündung geführt hätte, ist freilicli nicht publi-
cirt : iiie wenigen Fälle sind gerade von Aerzten vei-schuldet
wonlen.) Hiei-aus folgt, daß das Verfaliren den Hebammen
und Studirenden auf das Sorgsamste gelehrt, daß jeder
Candidat und jede Camlidatin im Examen dasselbe zeigen
und mierbittlich durchfidlen muß, wenn der kleine Hand-
griff nicht correct vorgeführt winl.
Sehr bedauerlich wäre es. wenn in einigen Frauen-
kliniken aus dem Bestreben, etwas noch Besseres zu er-
finden, die CredÄisirung den Studenten weder ge-
leigt noch eingeübt würde. So würden Generationen
von Aerzten hei-anwat^hsen, die ilie segensreiche Entdeckung
i^redÄ's weder kennen, noi*h anwenden können.
Da mir von einzelnen pi-actischeu Aerzten erklart
wunle — und auch Herr Dr. Keilmann hat das in seinem
Vortrage hervorgehoben — , daß das Verfahren technisch
schwierig sei, so möchte ich hier auf einen kleinen ^Kniff*
besonders hinweisen, dun*h welchen ilie Credeisinmg sehr
erleichtert wiixl. Da man seine beiden Hände to der Pro-
ctnhir bemitzen muß, ilie linke zmn Oeffiieu der Litlspahe
^die übrigens nicht aufgerissen zu wenlen braucht^ und die
— 99 —
rechte zum Abtropfen des Argentumtropfens, so muß eine
andere Person den Kopf des Kindes halten, damit die
Abwehrbewegungen des Sandes und die Drehungen des
Kopfes verhindeiii werden. Selbstverständlich wird man
die Wärterin oder Helferin oder den Assistenten anweisen,
daß er den Kopf von hinten zwischen beide Hände nimmt,
aber die Fontanellen nicht drückt. Auf diese Weise gelingt
die Einbringung des Tropfens ganz leicht.
Im Uebrigen befolge man auf das Peinlichste die
Voi-schi-iften von Crede, die ich der Vollständigkeit wegen
hier abdrucke:
pDie Kinder werden nach der Abnabelung zunächst von
der Hautschmiere und dem an ihnen haftenden Blute,
Schleime u. s. w. in der bekannten Weise befreit, dami in
das Bad gebracht und dabei die Augen mittelst eines reinen
Läppchens oder besser mittelst reiner Watte, nicht mit dem
Badewasser, sondern mit anderem reinen, gewöhnlichen
Wasser äußerlich gereinigt, namentlich von den Lidern alle
anhaftende Hautschmiere beseitigt. Dann wird auf dem
Wickeltische vor dem Ankleiden des Kindes jedes Auge
mittelst zweier Finger ein wenig geöffnet, ein ein-
ziges, am Glasstäbchen hängendes Tröpfchen einer
2proc. Lösung von salpetersaurem Silber der Horn-
haut bis zur Berührung genähert und mitten auf
sie fallen gelassen. Jede weitere Berücksichtigung der
Augen unterbleibt. Namentlich darf in den nächsten 24
bis 36 Stunden, falls eine leichte Röthung oder Schwellung
der Lider mit Schleimabsonderung erfolgen sollte, die Ein-
träufelung nicht wiederholt werden." Die Glasstäbchen
sind 15 cm lang, 3 mm dick und an beiden Enden rund
abgeschmolzen und glatt.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit erwähnen, daß die
Dicke des Glasstabes nicht gleichgiltig ist. Ein Tropfen
Wasser, der von einem dicken Glasstab abtropft, wiegt
33 Milligramm, ein solcher von einem dünnen Qlasstabe
28 Milligranmi. Der letztere, 3 mm dick, wie ihn Credä
vorschreibt, genügt vollkommen. —
Da von Valenta und von Manz die Haltbarkeit der
Silberlösnng selbst in gelben Flaschen bezweifelt worden,
und da die sehr geringe Zersetzung nur durch organische
Substanz (den Pfropfen) hervorgerufen wird, so empfiehlt
es sich, den Hebaomien gelbe Fläschchen mit 10 g 2proc.
Argentumlösung zu geben, ilie oben nicht mit Kork,
sondern mit einem eingeriebeneu Glasstöpsel versehen sind,
der unten direct in den Glasstab ausläuft. Mit dieser
Menge kann die Hebamme 80 Kinder credeisiren. —
7*
— 100 —
Gewiß bin ich weit davon entfernt, die wissenschaft-
lichen Anstalten hindern zu wollen, auch andere Methoden
der Verhütung zu probiren; die Freiheit der Lehre und der
Wissenschaft in Universitäts- Anstalten habe ich in 28jähri-
ger akademischer Lehrthätigkeit selbst zu sehr schätzen
gelernt, als daß ich sie irgendwie beschränkt sehen möchte;
aber die traurigen Erfahrungen von Zweifel und von
Winkel (siehe oben S. 77 und 94), die immer wieder zum
Cred6' sehen Verfahren zurückkehren mußten, sollten doch
wenigstens die Directoren aller Frauenkliniken veranlassen,
ihren Schülern außer sonstigen ihnen lieben Methoden
auch das Cred^isiren wenigstens zu zeigen und einzu-
üben.
Mein Bericht war bereits lange druckfertig und enthielt
hier den Antrag, den Herrn Minister auch zu erauchen,
daß die Methode bei allen Hebammen und Candidaten im
Staatsamen streng geprüft werden solle. Da zeigte mir
am 24. April d. J. Herr College Jacobi einen die Frage
betreffenden, soeben veröffentlichten ausgezeichneten Rund-
erlaß Sr. Exe. des Herrn Unterrichtsministers Dr. Bosse, der
schon vom 25. December v. J. datirt, aber erst am 16. April
d. J. in der Zeitschr. für Med.- Beamte No. 8 publicirt wonien
Lst. Dieser Runderlaß ist an sämtliche Kgl. Oberpräsidenten
(M. No. 10296, U. I) gerichtet imd lautet:
„Die in einer Universitätsklinik während des Jahres
1893 in auffallender Häufigkeit zur Behandlung gekommenen
Fälle von Blennorrhöen der Neugeborenen hatten mir Anlaß
geboten, eine Ermittelung über die in den preuß. Univers.-
Augenheil- und Eutbindungs -Anstalten während der Jahre
1890 — 1894 beobachteten Erkrankungen der Neugeborenen
an eitriger Augenentzündung anzustellen, um ermessen zu
können, ob diese Krankheit etwa eine Verminderung seit
Herausgabe des gegenwärtig giltigen Hebammenbuches von
1892 erfahren hat."
„Die wissenschaftliche Deputation für das Medi-
cinalwesen, welcher das Beweismaterial vorgelegen hat,
spricht sich hierüber wie folgt aus:
„Nach den Erhebungen ist zwar bisher eine wesentliche
Herabminderung der Zahl der blennorrhoisch erkrankten
Neugeborenen in den betreffenden Anstalten noch nicht
bemerkbar geworden, jedoch ist andererseits keine Thatsache
ermittelt, durch welche die Nützlichkeit der prophylactischen
Behandlung der Neugeborenen nach der Crede 'sehen Me-
thode ernstlich in Frage gestellt würde. Wenn der Erfolg
der durch das Hebammenlehrbuch (§§ 218 und 324) vor-
geschriebenen prophylactischen Behandlung der Neugeborenen
— 101 —
bisher noch nicht ziffermäßig zu Tage getreten ist, so ist,
abgesehen von der Kürze der Zeit, nicht sowohl die Unzu-
länglichkeit der Bestimmungen, als vielmehr der Umstand
zu beschuldigen , daß die Vorschriften des Hebammeulehr-
buchs noch immer nicht von allen Hebammen mit der
gebotenen Gewissenhaftigkeit befolgt werden. Es wird
sich als nützlich erweisen, die genaueste Beachtung der
bezüglichen Bestimmungen den Hebammen allgemein auf's
Neue einschärfen zu lassen.''
„Da ich mit dieser gutachtlichen Au£hssung im Wesent-
lichen übereinstinune , so ersuche ich Ew. Excellenz ganz
ergebenst, das Erforderliche zur En-eichung dieses Zweckes
zu veranlassen und lüerbei insbesondere Folgendes zu be-
achten: Die Kreisphysiker werden durch die Reg.-Präsi-
denten anzuweisen sein, daß sie bei den Hebammen-
Nachprüfungen die Prophylaxe der eitrigen Augenent-
zündung der Neugeborenen an der Hand der Vorschriften
des Hebammenlehrbuchs zum Gegenstand der Besprechung
machen und sich dabei von der Geschicklichkeit der
Hebammen in der Anwendung des Cred^'schen Verfahrens
thunlichst überzeugen; das Gleiche gilt Iiinsichtüch der
Reg.- und Medicinal-Räte bei den von ilmen abzuhal-
tenden Prüfungen der Hebammen -Candidatinnen.
Das Befähigungszeugnis als Hebamme wird nur Denjenigen
zu eHeilen sein, die bei der Prüfung eine ausreichende
Kenntnis von der eitrigen Augeneutzündung der Neu-
geborenen und dem Wei-te eines sachgemäßen prophylacti-
schen Verfahrens, sowie die erforderliche Uebung in der
Handhabung der Crede'schen Methode besitzen.
Dementsprechend würden auch die Directoren der Heb-
ammenlehranstalten darauf hnizuweisen sein, daß sie
diesem Gegenstande des Unterrichts eine besondere Beach-
tung zu Teil werden lassen." —
Ich begrüße diesen Runderlaß mit wahrer Freude und
meine nur: Was für die Kenntnisse der Hebammen gilt, muß
auch für die Studenten der Medicin gelten; daher ersuche ich
die medicinische Abteilung, in der Eingabe an den Herrn
Minister auch die Bitte auszusprechen, daß nicht allein alle
Hebammen, sondern auch alle Studenten der Medicin in
der Crede'schen Methode sorgsam unterrichtet und streng
geprüft werden mögen. —
6) Tausende von Kindern, welche an Blennorrhoe leiden,
behalten nur deswegen bleibenden Schaden von der Krank-
heit, weil die Angehörigen trotz der gründlichsten Belehrung
seitens der Aerzte die Augen der Kinder nicht ordentlich
pflegen. Tag und Nacht ist exactes Auswischen des Eiters
- 102 —
aus der Tiefe des Auges unerläßlich; die kranke Mutter
kann das nicht machen. Die Umgebung der Wöchnerin ist
nicht geschickt und nicht herzhaft genug für diesen Hand-
griff; geeignete Pflegerinnen feflen fest immer. Darum
müssen wir den Herrn Minister ersuchen, die Directoren der
Augenkliniken zu bitten, daß sie jährlich mehrere Pflege-
rinnen für diesen Dienst ausbilden. —
7) Am schwierigsten ist, wie ich gern bekoniio, die
Entscheidung der Frage, ob das Verfahren den Hebammen
obligatorisch oder facultativ übergeben werden solle.
Da alle befragten Aerzte mitgeteilt haben, daß sie bei
richtiger Befolgung des Cred^ 'sehen Verfahrens niemals
bleibenden Schaden für die Augen entstehen sahen, so
liegt ja gar kein Grund vor, wanim man eine Methode,
deren positiver Nutzen in vielen tausenden von Fällen nach-
gewiesen worden, nicht obligatorisch einführen sollte.
Andererseits steht es aber doch fest, daß ein Kind nie-
mals eine Blennorrhoe bekommt, dessen Vater und Mutter
völlig frei von Gonorrhoe sind. Solche Bander einer
zwangsmäßigen Cred^isirung zu unterwerfen, wäre hart.
Bei der Mehrzahl dei* Gebm-ten weiß aber die Hebamme
oder dei* zugerufene Gebui-tshelfer nicht, ob die Mutter
einen verdächtigen Fluor hatte oder hat. Somit kann man
nur eine Ausnalune von der obligatorischen Einführung der
Methode machen in den Fällen, in denen ein Hausarzt oder
ein anderer Arzt durch sichere Anamnese und sorgsame
Untersuchung der Schwangeren schon vor der Geburt jede
Möglichkeit einer Infection der Augen des Kindes aus-
geschlossen hat, oder wenn ein Arzt die Verantwortung
für die Unterlassung trägt.
In allen anderen Fällen aber soll die in der Methode
gut unten*ichtete und geprüfte Hebamme verpflichtet werden,
den Tropfen einzugießen. Dann wird die Blennorrhoe nicht
mehr vorkommen.
Aber damit, daß die Hebamme nur vom Physikus neuer-
lich ermahnt wird, laut Hebammenbuch § 218 und § 324
das Kind zu credeisiren und die Augen abzuwischen, wird
nichts erreicht, wie die 333 Fälle von Blennorrlioe beweisen,
welche trotz der im Jahre 1895 neuerlich geschehenen Er-
mahnung der Hebammen in Breslau dennoch vorgekommen
sind. —
Falls Blennorrhoe bei einem Kinde ausbricht, muß die
Hebamme bestraft werden, weiui sie nicht auf der Stelle
Anzeige macht und einen Arzt zuzieht, sobald sie Eite-
rung am 2. Tage oder später auftreten sieht.
Die Bitte um obligatorische Einfühlung des Verfahrens
— 1(» —
mit der geschilderten Ausnahme ersuche ich schließlich in
der Eingabe an den Herrn Minister aussprechen zu wollen.
Wer ein Gegner des Zwanges ist, sei daran erinnert,
daß der Staat, wie Stieler sehr treffend sagt, ja nie nach
der Meinung des Publicums fragt oder fragen darf, wenn
es sich um Einfühnuig sanitärer Maßnahmen handelt. „Ich
eriimere an die gesetzliche Impfung," sagt Stieler, „deren
Segnungen mit unerbittlicher Strenge erzwungen werden
und auch erzwungen wui-den zu einer Zeit, in der man noch
nicht wie heut durch ausschließliche Verwendung von ani-
mal er Lymphe die zwangsweise Geimpften vor den mannig-
fachen Erkrankungen und Gefahren zu schützen vermochte,
auf Grund derer die Zald der Impfgegner zu einer so
bedenklichen Höhe heranwuchs. Oder kann man etwa eine
besondere Berücksichtigung der Einzelnen erblicken in
der heut aller Orten zu Recht bestehenden Verordnimg,
jeden an echten Blattern, wenn auch noch so leicht Er-
krankten, der Pflege seiner ja durch die Impfung doch ge-
schützten Familien -Angehörigen zu entreißen und event.
gewaltsam in das Blatternhaus überzuführen?**
So muß auch die Antipathie gegen die zwangsweise
Credeisirung weichen dem Bestreben, Tausende von Kin-
dern vor Erblindung zu bewahren. Dieses hohe Ziel muß
jedem Arzte und jedem Gebildeten vorschweben und ist
heut zu Tage en-eichbar. Ich verspreche mir von einer
Eingabe an den Herrn Minister, die die angedeuteten Punkte
ausführt, großen Nutzen und stelle dabei" den Antrag, eine
Commission zu wählen, die meine Vorschläge prüft und
der medicinischen Abteilung einen Entwurf der Petition
vorlegt.
Sollte die geehrte medioinische Section beschließen,
meine Vorsddäge abzulehnen, so würde ich natürlich allein
als Privatpei-son dem Herrn Minister eine Eingabe in der
bespiochenen Weise senden. Ich zweifle aber nicht, daß es
viel nutzbringender wäre, wenn statt meiner eine gelehrte
Gesellschaft die Petition an den Herrn Minister absenden
würde.
Nachdem ich am 24. April und 1. Mai 1896 den vor-
liegenden Bericht vorgetragen, wurde in der Sitzimg der
medicinischen Abteilung am 8. Mai d. J. auf meinen An-
trag die im vorigen Jahre gewählte Blennorrhoe-Commission
(siehe oben S. 2) vergrößert, so daß sie aus den Herren
CoUegen Asch jun., Czerny, Fränkel, Jacobi, Jadas-
sohn, Küstner, Landmann, Neisser, Wolffberg und
mir bestand.
— 104 —
Herr Prof. Küstner erklärte am 12. Mai seinen Aus-
tritt aus der Commissiou. Die anderen CoUegen einigten
sich in 2 Sitzungen am 12. und 20. Mai d. J. über den Ent-
wurf einer Petition an den Herrn Unterrichts - Minister,
welche sich in vielen Punkten meinen oben mitgeteilten
7 Wünschen anschloß, in einzelnen von denselben abwich
und neu den Wunsch hinzufügte, daß unsre „Belehrung
über Blennorrhoe'* (siehe oben 8. 3 — 5) an alle preußischen
Hebammen und Stajidesämter verteilt werden möchte. —
Dieser Entwurf wurde der medicinischen Abteilung am
19. Juni unterbreitet und nach eingehenden Debatten in den
Sitzungen am 19. Juni und 3. Juli nach mancherlei Aende-
nmgen imd Streichungen in der folgenden Fassung'*) von
der Gesellschaft angenommen:
Breslau, 3. Juli 1896.
Sr. Excellenz dem Königlich preussischen
Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medi-
cinal-Angelegenheiten Herrn Dr. Bosse.
Berlin.
Die unterzeichnete medicinische Abteilung der Schlesischen
Gesellschaft fftr vaterländische Cultur hat mit großer Freude den
Runderlaß begrüßt, den Ew. Excellenz betreffs Verhütung der
Augeneiterung der Neugeborenen am 27. December v. J. an die
Herren Oberprftsidenteu gerichtet haben. (U I. M 10296.)
Wir sind überzeugt davon, daß die von Ew. Excellenz an-
geordnete Unterweisung und strenge Prüfung der Hebammen
in der Cred^ 'sehen Verhütungsmethode die Zahl der Erkran-
kuugsfölle verringern wird.
Doch ersuchen ¥rir, Ew. Excellenz noch einige andere Ge-
sichtspunkte unterbreiten zu dürfen, deren wohlwollende Berück-
sichtigung von segensreicher Wirkimg für die Verhütung der
genaiuiten Krankheit werden könnte.
Nach einer in unserem Auftrage von Professor Hermann
Cohn veranstalteten und bearbeiteten Sammelforschung hat sich
nämlich in Betreff des Vorkommens und der Verhütung der
Augeneiterung der Neugeborenen im Jahre 1895 Folgendes gezeigt:
1) In Breslau hat die Krankheit ^^) nicht abgenommen, da hier
333 Fftlle behandelt wurden (im Jahre 1894: 320 FäUe).
^'*) In den Noten gebe ich die von der Commissiou vorgeschlagenen,
aber vom Plenum anders gestalteten oder gestrichenen Sätze.
'«) Iih hatte vorgeschlagen, daß hier eingefügt werden mO^e: ^die
ja bei richtiger Vorbeugung nicht mehr vorkommen dtlrfte.*
— 105 -
2) In den Bb'udenanstalten hat die Krankheit nicht genügend
abgenommen, da sich im Jahre 1876: 30 pCt. (vgl. beifolgende
Tabelle 1 und 2), im Jahre 1895 noch immer 20 pCt. durch
Blennorrhoe erblindete Zöglinge in den Anstalten befanden.
Von 593 Blennorrhoeblinden sind 127 jünger als 10 Jahre.
Diese hätten durch das Cred6'sche Verfahren, welches
schon 1882 veröffentlicht wurde, gerettet worden können.
3) In 82 deutschen Augenkliniken sind (nach beiliegender
Tabelle 3) unter 222174 Augenkranken 1297, d. h. 60/00
der Kranken an Blenorrhoe behandelt worden.
4) Von 710 mit Blennorrhoe behafteten und in Augenkliniken
behandelten Kindern trugen (nach beiliegender Tabelle 4)
141 = 20 pCt. dauernde Schädigung der Augen davon;
15 pCt. behielten Hornhauttrübungen und 5 pCt. erblindeten
völlig, und zwar 23 Kinder auf einem, 13 auf beiden Augen.
5) Eine vergleichende Statistik aus den bedeutendsten Frauen-
kliniken hat die Vortrefflichkeit der C rede 'sehen Ver-
hütungsmethode gegenüber allen anderen dargethan (Tab. 6).
6) Von 93 Augenärzten sprachen sich 79, d. h. 84 pCt., für
die Einführung der Methode aus, 39 für die obligatorische,
40 für die facultative. Die IB pCt., welche gegen die Ein-
führung derselben stimmten, fürchteten hauptsächlich die
schlechte Ausführung des Handgriffs durch die Hebammen^^.
Auf Grund dieser, durch die genannte Saramelforschung be-
gründeten Ergebnisse gestatten wir uns, Ew. Excellenz um den
Erlaß einiger neuer Anordnungen zu ersuchen.
Wir ersuchen:
1) anzuordnen, daß jede Blindenanstalt jährlich in
ihrem Berichte die Gesammtzahl der neu aufgenommenen
Blinden und die specielle Zahl der unter ihnen an Blen-
norrhoe erblindeten Schüler sowie deren Alter veröffent-
lichen müsse •***).
Aus demselben Grunde ersuchen wir:
^ Die Commission hatte vorgeschlagen hier hinzuzufügen:
„7) Unter 110 Augenärzten hat nur ein einziger in zwei Füllen blei-
benden Schaden von dem Cred^'schen Tropfen gesehen; er war
jedoch nicht bei der Eintraufelung zugegen."
^^) Die Commission hatte vorgeschlagen, hier hinzuzufügen: „Dies
geschieht bisher nicht, und nur auf privatem Wege konnte jetzt nach
20jähriger Pause zum ersten Male eine nicht einmal vollständige Ueber-
sicht gewonnen werden, wie sie in Tabelle 2 mitgeteilt ist. Die richtige,
jährlich veröffentlichte Zahl wäre gewiß auch geeignet, einen Beitrag für
die Erkenntnis der Wirkung der vorgeschriebengn Verhütungsmaßregeln
zu geben.*"
— 106 —
2) anzuordnen, daß alle öffentlichen und Privat-Entbin-
dungsan stalten (Hebammen -Lehranstalten, Wöchne-
rinnenasyle, Frauenkliniken u. s. w.) die Zahl der beob-
achteten Augeneiterungen, und zwar der mit und ohne
Gonococcen beobachteten Fälle, und die in der Anstalt
angewendeten VorbeugungsmaUregeln alljährlich mit-
teilen müssen.
Wir ersuchen Ew. Excellenz:
3) von jeder Augenheilanstalt (öffentlichen und privaten)
jährlich die Beantwortung folgender Fragen zu verlangen :
a) Wie viel beobachtete Blennorrhöen waren ein- und
wie viele doppelseitig?
b) Bei wie vielen wurden Gonococcen gefunden?
c) Wie viel Kinder wurden geheilt entlassen?
d) Wie viele blieben aus der Behandlung aus?
e) Wie viele kamen schon mit Erkrankung der Horn-
haut in die Behandlung und an welchem Lebenstage?
f) Wie viele behielten Homhautflecke auf einem oder
beiden Augen?
g) Wie viele erblindeten auf einem oder beiden Augen?
4) Die Mehrzahl der Aerzte ist von der segensreichen Wir-
kung der Cred^' sehen Methode ebenso durchdrungen,
wie die wissenschaftliche Deputation f&r das Medicinal-
wesen, auf deren Gutachten hin Ew. Excellenz die strenge
Prüfung der Hebammen in dieser Methode neuerdings
vorgeschrieben haben. Ew. Excellenz ersuchen wir daher,
damit auch die Aerzte die Methode genau kennen lernen,
anzuordnen, daß die C ursist en beim Staatsexamen eine
Bescheinigung darüber einreichen sollen, daß sie den
C rede 'sehen Handgriff ausgeübt haben ^).
5^ Wir haben 12000 Exemplare der beiliegenden Beleh-
rung über die Verhütung der Krankheit drucken und
durch die Standesämter der Stadt Breslau an diejenigen
Personen verteilen lassen, welche die Greburt eines Kindes
meldeten. Wir haben Nutzen von dieser Belehrung ge-
sehen, da eine Anzahl Kinder infolge derselben schneller
in ärztliche Behandlung kam. Wir ersuchen Ew. Ex-
cellenz, diese Belehrung für ganz Preußen drucken,
^) Die Commission hatte cmpfoblcn. statt dieses Satzes zu schreiben:
«dass die Methode beim Staatsexamen auch der Siudirenden der
llediciu zum Gegenstände der Prüfung gemacht werde "^
Ich hatte beantragt, hinzuzuftlgen : ,in Frauenkliniken**.
- 107 —
an die Hebammen und Standesämter verteilen zu
lassen, den ersteren aufzugeben, in jedem Falle gleich
nach der Geburt ein Exemplar den Eltern zu hinterlassen,
und die Standesbeamten zu beauftragen, anzufragen, ob
die Eltern das Blatt erhalten haben, und im Nichtfalle
es ihnen bei der Anmeldung nachträglich zu übergeben.
6) Tausende von Kindern, welche an Blennorrhoe leiden^
behalten nur deswegen bleibenden Schaden von der
Krankheit, weil die Angehörigen trotz der gründlichsten
Belehrung seitens der Aerztc die Augen nicht ordentlich
pflegen. Tag und Nacht ist exactes Auswischen des
Eiters aus der Tiefe des Auges unerläßlich. Die kranke
Mutter kann dies nicht thun. Die Umgebung der
Wöchnerin ist nicht geschickt und nicht herzhaft genug
für diesen Handgriff. Geeignete Pflegerinnen fehlen
immer. Darum bitten wir Ew. Excellenz, die Directoren
der Augenkliniken zu ersuchen, jährlich mehrere Pflege-
rinnen, die für den Armendienst bestimmt sind (Diaco-
nissinnen, barmherzige Schwestt^rn, Ordensschwestern
u. s. w.), für diese specielle Pflege auszubilden.
7) Wir ersuchen Ew. Excellenz, dahin wirken zu wollen,
daß der § 218 des Hebammenlehrbuchrs geändert
werde. In demselben ist vorgeschrieben, daß die Heb-
ammen den Tropfen Höllenstemlösung nur eingießen
sollen, wenn sie Entzündung und eitrigen Ausfluß aus
der Scheide wahrgenommen haben. Indessen sind that-
sächlich sehr häuflg Augenerkrankungen vorgekommen,
obgleich die Genitalorgane der Frau keine für die Heb-
amme erkennbaren äußeren Anzeichen der Krankheit
boten. Daher scheint es uns sehr wünschenswert,
wenn in dem § gesagt würde: „Die Hebamme hat in
allen Fällen den Cred^'schen Tropfen dem Kinde
nach dem Bade einzugießen, außer wenn der Vater, ob-
gleich er auf die Bedeutung des Verfahrens aufmerksam
gemacht worden, Einspruch erhebt, oder wenn der Arzt
es für überflüssig erklärt. Bei den unehelichen Kin-
dern ist die Methode aber immer auszuführen."*")
*^) Die Commission hatte noch folgende zwei Wünsche beantragt:
.,8) Unter den preußischen Provinzen ist es nur Schlesien, in welchem
seit 12 Jahren schon die Hebammen verpflichtet sind, joden Fall
von Blennorrhoe dem Physicus mitzuteilen, und falls sie
diese Pflicht vernachlässigen, mit 30 Mark Strafe bedroht werden.
Trotzdem wurden von den '6'öS im Jahre 1896 in Breslau behandel-
- 108 —
Indem wir Ew. Excellenz im Vorstehenden unsere Vorschläge
zur geneigten Erwägung und Prüfung unterbreiten, geben wir
uns der Hoffnung hin, daß Ew. Excellenz den auf diesem Gebiete
bestehenden bemerkenswerten Verfügungen seitens aller beteilig-
ten Verwaltungs- Organe und Medichial- Personen eine schärfere
und nachhaltigere Beachtung verschaffen werden.*^)
Ew. Excellenz
ehrerbietigst
Die medicinische Abteilung der Schlesischen
Gesellschaft fOr vateriändisclie Kultur.
Man sieht aus dieser Petition, daß die Mehrzahl meiner
Wünsche von der Gresellschaft angenommen wurde.
Nur bedaure ich aufrichtig, daß die von mir so warm
befürwortete Meldepflicht der Aerzte und Hebammen
< siehe unten Note 40) vom Plenum abgelehnt wurde.
Ich bedame dies im Interesse der bleimorrhoischen Kin-
der und im Interesse der Blennon-hoe-Statistik.
Wenn die Hebammen in ganz Preußen zur schleuuigen
Meldung jedes Falles beim Physikus durch eine Veroi-dnung
ebenso gezwungen würden, wie eine solche in Schlesien
seit 12 Jahren besteht (siehe oben S. 10 u. lli, und wemi
sie* in der That 30 Mk. Sti-afe zahlen müßten, sobald ein
nicht gemeldeter Fall später durch den Ai-zt zur Anzeige
käme, so würde manches Kind viel eher zur Behandlung
kommen, als bisher.
Wenn fi^ilich die Verortlnung nur auf dem Papiere
ten Kindern nur 11 angemeldet. Wir enrachen Ew. Excellenz,
anzuordnen, daß allen Hebammen im preußischen Staate die amt-
liche Meldung zur strengen Pflicht gemacht werde.
9) Zur wirksamen Cont rolle der Hebammen ersuchen wir Ew. Excellenz,
auch den Aerzten die Meldepflicht aufzuerlegen für alle Fftlle,
bei denen bei Eiterung der Äugen die Lider geschwollen sind**
*^) Die Commission hatte statt des obigen Schlußsatzes folgenden
beantragt:
^Indern wir Ew. Excelleuz unsere Vorschläge zur geneigten PrOfung
vorlegen und ersuchen, entsprechende Verordnungen zu trefl'en, geben wir
uns der Hofinuug hin. daß alsdann die sichere Zahl des jetzigen Vor-
kommens der Blennorrhoe in Preußen bekannt werden, und die gefUirliche
Krankheit in kurzer Zeit viel seltener werden, wenn nicht fast vollkommen
verschwinden wird •
Ich hatte ersucht. Ihm den Worten .geHUirliche Krankheit* hinzu-
zufügen: ..die einzige Krankheit, die mit Sicherheit verbatet werden
kann, in kurzer Zeit vollkommen verschwinden wird."
- 109 —
steht uDd beispielsweise (siehe oben S. 11) hier in Breslau
statt der 333 Fälle von Blennorrhoe, die mir die Collegen
im Jahre 1896 mitteilten, den Physikern der Stadt nur 11
gemeldet wurden, so liegt die Schuld nicht an der Vor-
schrift, sondern an dem Hangel der ärztlichen Controlle.
Ueber Lang oder Kurz kommt doch das blennorrhoische
Kind in ärztliche Behandlung. Müßte jeder Arzt, wie ich
es wünsche, jeden Fall von Blennorrhoe polizeib'ch melden,
wie jeile andre Infectionskrankheit , so könnten die Heb-
ammen, welche nicht sofort den Physikus benachrichtigt
haben, entsprechend bestraft werden.
Nun kann ja, wie ich gern zugebe, die Wirksamkeit
des Physikus nach der Meldung durch die Hebamme nur
eine moralische sein; er kann nicht gezwungen werden, das
blennorrhoische Kind zu besuchen; er kann nur die Heb-
amme anweisen, schleunigst einen Arzt zu rufen und ihr
Strafe in Aussicht stellen, wenn sie die Krankheit selbst
behandeln und nicht auf schleunige Zuziehung eines Arztes
dringen würde. Aber auch diese Wirksamkeit des Physikus
würde Nutzen bringen.
Daß die neuerliche Einschärfung der Melde-
Pflicht allein nicht genügt, beweist ja aber der Umstand,
daß von unsren Hebammen, obgleich der Herr Oberpräsi-
dent ihnen dieselbe im vorigen Jahre auf unsren Aitrag
(siehe oben S. 2) nochmals durch die Physiker einst härfen
ließ, statt 333 doch nur 11 Fälle gemeldet wurden.
So dürfte auch die neuerliche Einschärfung der
§§ 218 und 324 des Hebammenlehrbuchs, welche der Herr
Minister in seinem dankenswerthen Bunderlaß (siehe oben
S. lOOj vorschreibt, nicht den gewünschten Nutzen haben.
In jenen Paragraphen wird mit Recht betont, daß die Heb-
amme sofort einen Arzt holen lassen solle, sobald sie
Eiterung der Augen sieht. Es fehlt ja aber die Controlle,
wenn der Arzt, zu dem das Kind fi'eilich oft zu spät ge-
bracht wird, nicht auch zur Meldung verpflichtöt ist.
Eine große Mühe macht die Meldung dem Arzte wahr-
lich nicht, da einfach unter den andren Infections- Krank-
heiten, die gemeldet werden müssen, auf der an die Polizei
EU sendenden Postkarte nur das Wort Blennorrhoe unter-
strichen und Name und Wohnung des Kindes notirt zu
werden brauchte. —
Aber auch aus statistischen Gründen ist es bekla-
genswert, daß von der medicinischen Gesellschaft die Melde-
pflicht der Aerzte nicht in die Petition aufgenommen wurde.
Aus zwei Gründen sind manche Aerzte gegen die
- 110 —
Statistik und speciell ^egen die Sammelforschung. Die
Einen sind Gegner aus Bequemlichkeit. Es macht ihnen
zu viel Mühe, die Fälle aus ihren Krankenbücheni heraus-
zusuchen und zu addiren. Es mag dies bei beschäftigten
Praktikern begreiflich sein, wenn es sich um weitverbreitete
Krankheiten, mn Epidemieen etc. handelt. Allein, wie wenig
Fälle von Blennorrhoe hat der Nichtspecialist in einem
Jahre? Und der Specialist hat heutzutage so viel Angebot
von Volontair-Aerzten, daß er ohne große Mülie die doch
durchsolmitthch nur G'/oo betragenden Fälle in kurzer Zeit
aus seinen Büchern ausziehen lassen kann.
Hätten wir die Meldepflicht der Aerzte bei Blennorrhoe,
so wüi'den wir wenigstens die Zahl der in einem Jahre in
Preußen behandelten Fälle kennen. Selbst diese ist uns ja
unbekannt, und wie können wir ohne eine solche Statistik
wissen, ob die Kranklieit zu- oder abnimmt?
Daß Doppelzählungen nur nach der amtlichen Mel-
diuig bei den Zusammenstellungen vermieden werden würden,
wurde oben S. 10 bereits erörtert. —
Eine andere Anzahl von Collegen sind nicht aus Be-
quemlichkeit, sondern deswegen offene Gegner jeder Sammel-
foi^clnmg, weil sie die Resultate mehr oder minder ver-
blümt nicht für zuverlässig und jedenfalls nicht für
vollständig halten. Ich glaube, daß jeder Arzt das Ver-
trauen, das er für seine Zalüen beansprucht, auch bei den
Zahlen seiner Collegen voraussetzen muß. Was aber die
trotz der Sammelforschung nicht absolut sicheren Re-
sultate betrifft, so sollen sie durchaus nicht geläugnet
werden. Was ist in der Medicin überhaupt absolut sicher??
Selbst wenn 20,000 deutsche Aerzte Näheres über die
von ihnen in einem Jahre behandelten Blennorrhöen mit-
teilen würden, so ist die aus ihren Zahlen zusammengestellte
Statistik trotzdem gewiß nicht absolut sicher; denn es
fehlen ja noch die Angaben von 3000 Aerzten, die ganz
anders sein» können. Zugegeben, — aber sind darum die
Zahlen der 20,000 Aerzte wertlos?
Da wir vor der hier vorliegenden Sammelforschung
über die Verbreitung der Blennorrhoe in Deutschland gar
nichts wußten, so hat sie als der Beginn eines Suchens
nach Wahrheit meines Eiachtens wohl einigen Wert.
Gewiß muß es unser Bestreben sein, die medicinische
Statistik immer einwandsfreier, zuverlässiger und vollständi-
ger zu gestalten: denn eine gute Statistik ist und
bleibt die Mutter aller Therapie und Prophylaxe.
Daher haben diejenigen Collegen, welche zu bequem
sind, eine Sanunelforschung durch eigene Mitteilungen zu
— 111 —
unterstützen und zu einer wertvollen zu machen, auch nicht
das Kecht, auf die Arbeiten einer Sammelforschung vor-
nehm von oben lierabzublicken.
Um 80 mehr aber fühle ich mich allen den Herreu
Collegen zu herzlichem Danke verpflichtet, die durch
ihre gütigen, in dieser Schiift mitgeteilten Beiträge mich in
den Stand gesetzt haben, wenigstens hier den ersten Ver-
such einer Ai'beit über Ausbreitung und Verhütung der
Blennon'hoe der Öffentlichkeit zu übergeben.
Ich bin mir wohl bewußt, daß meine Fragestellung
vieler Verbessening fUhig ist, und daß bei einer größeren
Beteiligung seitens der Collegen die Resultate noch viel
mehr Wert hätten ; ich bitte daher die geehrten Leser dieser
Schrift um wohlwollende Nachsicht.
Ich bitte aber auch dringend alle Aerzte, Behörden und
medicinischen Gesellschaften, in dem Kampfe gegen die
Blennoirhoe nicht zu erlahmen; sie ist und bleibt doch ein-
mal die einzige Krankheit, die mit Sicherheit jetzt ver-
hütet werden kann. Wie ich es als Aufgabe in meinen
Jugend- und Mannesjahren betrachtete, unbekümmert um
alle Schwierigkeiten und Anfeindungen, für die Verbesse-
rung der Augenhygiene in den Schulen zu kämpfen,
so sehe ich es als Aufgabe für den Rest meines Lebens an,
die Blennorrhoe ausrotten zu helfen.
Und so schließe ich denn meinen Bericht mit den
Worten, die ich im vorigen Jahre wie heut als Motto ge-
wählt, und die Prof. Dimmer**) in seiner Antrittsrede in
Innsbruck als „sehr beherzigenswert" bezeiclmete: „Die
Blennorrhoea neonatorum kann nn<l muß aus allen
civilisirten Staaten verschwinden."
«) Wiener Klin. Wochenschr. 1896, No. 47.
Druck voa Uarscliner ä Stephan, Berlin ^V.
Von demselben Verfasser sind firüher erschienen:
Untersuehungen der Angen von 10060 Sehnlkindern nebst Vor-
schlagen zur Verbessernng der den Augen naehtelligen
Schuleinriehtungen. Eine ätiologische Studie. Leipzig. 1867.—
Ueber Xerosis conjunctivae. Mit 1 Tafel. — Habilitations- Schrift.
Breslau 1868. —
Was verdankt die Menschheit Albrecht von Gräfe? Vortrag.
Breslau. 1871. —
Schussverletznngen des Auges. Mit Holzschnitten nnd einer Farben-
drucktafel. Erlangen. 1872. —
Die Schulhftuser und Schultische auf der Wiener Weltausstel-
lung* Eine augenarztliche Kritik. Mit 33 Zeichnungen. Breslau.
1873. -
Vorarbeiten fQr eine Geographie der Augenkrankheiten. Jena.
1874. —
Die Schulhygiene auf der Pariser Weltausstellung 1878. Mit
2 Tafeln. Breslau. 1879. —
Studien über angeborene Farbenblindheit. Mit 1 Tafel. Breslau.
1879. —
Die Augen der Frauen. Vortrag. Breslau. 1879. —
Die Hygiene des Auges in den Schulen. Mit 53 Holzschnitten
^\ ieu. 1883. — Dasselbe in's Englische übersetzt von der Midland
Educational Company. London. 188G. — Dasselbe in*s Kussi-
sche übersetzt von Dr. Medem. Pultava. 1887. —
Das Auge und die künstliche Beleuchtung. Braun schweig.
1883. —
Ueber den Beleuchtungswert der Lampenglocken. Mit l Curven-
tafel. Wiesbaden. 1885. —
Ueber die Notwendigkeit der Einfahrung von Schulärzten.
Leipzig. 1886. —
Mitteilungen aus Prof. H. Cohn's Augenklinik. Erstes Heft. Wies-
baden. 1887. —
Die ärztliche Ueberwachung der Schulen zur Verhütung der
Verbreitung der Kurzsichtigkeit. Wien. 1887. —
Die Schularztdebatte auf dem Internat hygien. Congresse zu
Wien. Hamburg. 1888. —
Ueber den Einfluss hygienischer Massregeln auf die Schul-
myopie. Hamburg. 1890. —
Die Schule der Zukunft. Vortrag. Hamburg. 1890. —
Tafel zur Prüfung der Sehschärfe der Sehulkinder» Soldaten,
Seeleute und Bahnbeamten. 1890. — Vierte Auflage. 1892. —
Lehrbuch der Hygiene des Auges. Mit 112 Holzschnitten und 1 Tafel
im Farbendruck. Wien. 1892
Transparente Sehproben, Schelle visuelle transparente, Transparent
Test-Types, Scala tipografica trasparente. Wien. 1894. —
Was kann die Schule gegen die Masturbation der Kinder thun?
Referat fUr den 8. hygienischen Congress zu Budapest. Berlin.
1894. - \
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LANE MEDICAL LIBRARY
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q,96 Cohn, H.L. 46600
C671 ^ugeneiterung der Heu
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