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UNGARISCHE REVUE
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MIT UNTERSTÜTZUNG
DEB
UNGARISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
HKBAUBGKOKBieiif
PAUL HÜNFALVY UND GUSTAV HKINKICH
1891.
BILFTBR JAHKaANCi.
^ IN OOMMISSION BBI
F. A. BBOCKHAUS
IN LEIPZIG, BERLIN UND WIEN
1891.
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MAY 10 1892
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DRUCK DES FRANKLIN-VEREIN.
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INHALTSVERZEICHNISS.
I. ABHANDLUNGEN.
Seite
;(:* ^ Graf Julius Andrässy ... ... .. ... 273
Alexander Bemh,, Petöfi's Gattin . ..^ . ._. ... ... 843
BaU<ufi Aladdr^ Budapest vor hundertsiebzig Jahren. ... 75
Berzeviczy Alberto Denkrede auf Karl Szathm&ry _ . ... ... 531
Coppee Frangois, üeber die ungarische Literatur . . .. ... ... „_ 262
Csergheö Oeza, Mittelalterliche Grabdenkmäler aus Ungarn.
VI. Grabstein des Andreas Scolari. XV. Jahrhundert . . . ... .177
VII. Familiengrabstein der Berzeviczy. XV. Jahrhundert 180
Eötvös Rolandy Baron, Eröffnungsrede in der Jahresversammlung der
ungarischen Akademie _.. ^ . 489
Franz Josef-Brücke, die, bei Fressburg .. . . ... 168
Gytdai Paul, Eröffnungsrede in der Jahresversammlung der Kisfaludy-
Gesellßchaft ... ........ ... ._ ... . ... 253
Historische Gesellschaft, Jahresversammlung 1891 363
Jankö Johann, Graf Moritz Benyovszky als geographischer Forscher. ... 97
Jekeifalussy Josefe Die Eisenbahnen im ungarischen Staatshaushalte ._ 292
Journalistik, Ungarische im Jahre 1891. _ ... ... ... 266
Kdllay Benjamin, Denkrede auf Graf JuUus Andr4ssy 504
KeleU Karl, Vorläufige Ergebnisse der Volkszählung 189Ü.__ ... ... 282
jKraZy PawZ, Ulpia Trajana ... .. ... ... _.. _ 743
Kis&ludy-G^esellschaffc, XLIV. Jahresversammlung. ... ... 253
Kvacsala Johann, Beiträge zur Geschichte des Slovakischen „ . 840
LaMts Franz, Die Landnahme der Ungarn und die Astronomie ... ... 732
Majldth Bdla, Die Maschenpanzer des National-Museums. Mit acht Illu-
strationen . _- - _-. _„ ... 608
Meyer Josef, Beziehungen des Königs Mathias Corvinus zu Wiener- Neu-
stadt und der Corvinus-Becher . . . ... ... _ — ... 212
Moldüwan Gregor, Eine Antwort auf die Denkschrift der Bukurester
Üniversitäts-Jugend ._ , ... 377
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VI INHALT.
Sete
Munkdcsy Michael, Die Qualen des ersten Erfolges _ _ ... 848
PicMer Fritz, Boleslaw IL von Polen .__ .. . . . 641, 790
Popp Georg, Der Ursprung des Argirus- Märchens .-. . ... 223
Pubtzky Karl, Auf Ungarn bezügliche Renaissance -Denkmäler Mit sechs
Illustrationen ... _.. 1
Schmidt Wilhelm, Die Kinga-Sage ... ... 82
Schvarcz Julius, Der Aristoteles -Papyrus des British Museum.. 341
Montesquieu und die Verantwortlichkeit der Kate der Krone . . 753
Schwarz Ignaz, Ungarn betreffende Sanitäts- Verordnungen Josefs 11. .49
Schtcicker Joh. Heinrich, Ungarns Industrie, Handel und Verkehr im
Jahre 1889 . . . . . . ... -. 193, 422
Die Wirksamkeit des kgl. ungar. Landesverteidigungs-Ministeriums
in den Jahren 1877—90 . . 572
Süberstein Adolf, Graf Stefan Sz^chenyi's Briefe 119
Szana Thomas, Julie Szendrey, Petöfi's Gattin . . . . . ... _._ . 843
SzarvoA Leoftold, Graf B^la Sz^chenyi's Heise im östlichen Asien .. . 315
Szüäyi/i Alea^ander, Siebenbürgen und der Krieg im Nordosten. Mit fünf
Illustrationen ... 442
Szily Koloman, Generalsecretariats-Bericht in der Akademie .. 494
Szvorenyi , Josef, Johann Danielik _ 185
Tisza Ste/an, Das Budget Ungarns für das Jahr 1891 . ... 35
Vargha Julius, Die Getreide- Versorgung Oesterreich Ungarns und Deutach-
lands . - 241
Die Ernte Ungarns im Jahre 1891 .., ... 825
Vdri Rudolf, Die Lesarten des Ravennas 136 Hl D2 des Lucanus . . ... 618
Weftfier Moritz, Glossen zur bulgarischen Zaren-Genealogie IL 17, 145
Die fürstlichen Nemanjiden -.. . . ..... . ... 536
Thomas von Sz^cs^ny, Wojwode von Siebenbürgen 715
Wosinsky Moritz, Das prähistorische Schanzwerk von Lengyel. Mit zahl-
reichen Illustrationen _ . .. - . . . ... _ _ _ . -. . . 463
Zawadowski Alfred, Die Hochwasser- und Wasserbau- Angelegenheiten
Ungarns _ — . _ _.. ._. — 681
U. KÜRZE SITZUNGSBERICHTE.
Akademie der Wissenschaften, laufende Angelegenheiten 95, 191, 270,
486, 628, 638, 855
ihr Budfjet pro 1891 .. _. . 192
LI. Jahresversammlung... ... ... ... ... ... . . ._. ._. ... 489
Ballagi Aladdr, Ehescbliessungen in Ungarn im XVII. Jahrhundert . 269
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INHALT. VII
Seite
Balassa Josefe Classification und Cliarakteristik der ungarischen Mund-
arten.. .- ... ... ... _ . _.- -.- -.- ... - - . - 93
Beöthy Zoltdn, Bericht über die Wirksamkeit der Kisfahidy-Geselißchaft 259
Berczik Az-päd, Bericht über den Teleki-Dramenpreis _. .., .-. 375
Das ungarische politische Lustspiel der 40-er Jahre .. ... _. 857
Csonton Johann^ Geschichte zweier modenesischer Corvina-Codices ... ... 632
Dalmadii Viktor^ Matthias' Geburtshaus. — Losungswort . ^ -. ..- 261
Fraknöi Wilhelm ^ Denkrede auf Florian R6mer _ - -.. — 368
Gonda Bela^ Das Eiserne Thor und die Regulirung seiner Katarakte . . 639
Halardts Jnliu^% Das Aranyos-Gebirge im Comitat Krassö.. —
Hampel Josef, Denkrede auf Florian R6mer __ 485
Historische Gesellschaft, Jahresversammlung 1891 . .. .-. .__ .._ .-_ 363
Jekelfalumf Josef Die Eisenbahnen in unserem Staatshaushalte ... ... 190
Joannovics Grorrj, Die endlose Frage ... -- 92
Kisfaludy- Gesellschaft, XLIV. Jahresversammlung ... .. ..- 253
Kdgl Alexander, Studien zur Geschichte der neueren persischen Literatur 373
Könif/ Julius, I)enkrede auf Eugen Hunyady . ... ... 95
Kuldntji Karl, Die volkswirthschaftlichen und Culturzustände im Arvder
Comitat . .. . . - - . - - -.. - - 630
Kunoss Iffnaz, Die türkischen Handschriften der Akademie. ... 863
JAnczy Juliiiff, Dante und Bonifaz VHI — - — -.- 373
h'vay Josef Der alte Nussbaum -.. ... .-. ^ -. -- - 262
Ueber Robert Bums ... .-. 631
Majldth Be'lu, Die BibUothek des Dichters Nikolaus Zrinyi .- ... ... 488
Mandello Julius, Die rechtliche Bedeutung des Wähmngswechsels . ... 93
MaÜekoiits Alexander, Denkrede auf Stefan Apdthy 270
Ndmethy Geza, Cato's Weisheitssprüche _.. __. ._. -_. — . -_ ... 190
Ortvay Theodor^ Denkrede auf Friedr. Pesty.-. -.. -. - 863
Pör ArUon, Denkrede auf Joh. Hyacinth Rönay. ... .- .-- .-. -.. 635
Pulszky Franz, Ungarisch- heidnische Gräberfunde. ._. .._ _._ - . .__ 268
Schvarcz Julius^ Zur Verfassungsgeschichte Athens ._. ... .- .-. ... 373
Die neuentdeckte 'A;^vaifüv ^oXiteia __ 860
Simonyi Sigmund, Die Sprachneuerung und die Fremdartigkeiten .. -.. 190
Ueber die ungarische Rechtschreibung.- ..- - _.. .- 487
Szarvas Gabriel, Das ungarische sprachgeschichtliche Wörterbuch und die
Kritik. ... ... ... _ - ... -. - --- — 632
Szdsz Karl, Erinnerungen an Michael Tompa _.. . . . . ... ..- ... 260
Szicsen Anton Gi-af, EröflFnimgsrede in der Ungar. Historischen Gesell-
schaft. ... ._ -. ... — — — -. - —363
Szigeti Josef, Bericht über den Hertelendy-Dramenpreis.. -- 856
Sziläyyi Alexander, Siebenbürgen und der Krieg in Nordosten 1648 — 55 93
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VIII INHALT.
Seite
SzUdgyi Alexander^ Jahresbericht in der Historischen Gesellschaft .-- -_ 367
Georg n. R4k6czy in Polen . . -- 627
Szvorenyi Josef, Denkrede auf Johann Danielik ... _._ _. .. 191
Teglds Gabriel, Ethnographische Verhältnisse und administrative Organi-
sation des dacischen Bergbaues der Römer ._ . 190
Thewreick Emil, Griechische Epigramme in ungarischer Uebersetzung... 370
Vadnai Karl, Hymen, Erzählung von einem heiratsföhigen Jüngling ... 262
Vdri Rudolf y Schollen zu Nicanders Alexipharmaca 371
Telfy Johann, Kisfaludy's Elegie «Mohacsi in griechischer Uebersetzung . 267
Wminsky Moritz, Die älteste Leichenbestattungsweise der Urzeit ... _.. 94
Zirhy Anton, An St. Sz^chenyi gerichtete Briefe 1827—35 . . ..267
Bericht über den Farkas-Raskö-Preis 486
m. DICHTXJNGEN.
Dalmady Viktor, König Matthias' Geburtshaus, deutsch von Adolf Hand-
mann . .__ _., ... _ _ -.. . . -._ _.. -.. . ... ... 750
Endrodi Alexander, Mädchen räche, deutsch von Stefan R<Snay. ... . . 96
Petofi Alexander, Das Lied der Hunde, deutsch von Stefan Rönay ... .271
Das Lied der Wölfe, von demselben ... _ —
Väradi Anton, Der fahrende Holländer, von Ad. Handraann . .. _. 853
Vörösmarty Micfiael, Trauerflor, deutsch von Adolf Handmann .. .. 375
We}>er Rudolf, Obschied, Gedicht in Zipser Mundart... .. .. . . . . 749
Zichy Geza, Es starb ein Weib, deutsch von Stefan R6nay _ 75^)
Ungarische Bibliographie .. .. ... 272, 376, 751, 864
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PAUL HMFALTY
der Begründer dieser Zeitschrift, ist am 30. November 1891,
nahezu 82 Jahre alt, unerwartet gestorben.
Ein Gelehrter ersten Banges von universellem Gesichts-
kreise und imponirendem Wissen, ein epochaler Forscher auf
den grossen Gebieten der vergleichenden Sprachwissenschaft,
der Qeschichtschreibung und der Völkerkunde, ein edler und
guter Mensch ist in dem Entschlafenen von uns geschieden.
Heute kann nur der Schmerz über den unersetzlichen
Verlust zu Worte kommen, die Würdigung seiner grossen,
bleibenden Verdienste muss ruhigeren Tagen vorbehalten
bleiben.
Ehre und Segen seinem Angedenken !
Budapest, 1. December 1891.
Gustav Heinrich.
#
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AUF UNGARN BEZli(;LICHE RENAISSANCE-DENKMÄLER
I.
Wenn man die Beschreibung der in den königlichen Mnseen zu Berlin
aufgestellten Bildwerke der christlichen Epoche aufmerksam durchblättert,
wird die Aufmerksamkeit ungarischer Ikonographen vorzüglich durch die
Bestimmung zweier Bildnisse gefesselt, welche folgenderweise lautet (Bode
undTschudi: Beschr. der Bildwerke. Berlin 1888, p. 31—33): •Verocchio^
Andrea di Michele de Cioni, gen. Andrea del Verocchio. Goldschmied, Bild-
hauer, Maler, geb. 1435 zu Florenz, gest. 1488 zu Venedig. In einem von
Baldinucci eingesehenen Manuscript, das noch dem XV. Jahrhundert anzuge-
hören scheint, ausdrücklich als Schüler des Donatello bezeichnet. Thätig in
Florenz und Venedig. Hauptsächlich als Thonbildner und Bronzetechniker
wirksam, war er für die Entwickelung der Kunst Mittel-Italiens in den
letzten Jahrzehnten des Quattrocento von der grössten Bedeutung
98. Bildniss des Mathias Corvinus. Halbrelief, unter der Achselhöhle
abgeschnitten. Parischer Marmor, Spuren von Vergoldung. H. 0*345,
Br. 0*25. Erworben 1842 von Marchese Orlandini in Florenz. — Tieck-
Gerhard, Verz. d. B.-W. Nr. 741 ; Bode, Ital. Porträt- Skulpt. p. 34 (mit
Abbildung) ; Bode, Ital. Büdh. d. Ken. p. 255. — Abb. T. VH.
Im Profil nach links gewendet. Bartloses Gesicht, das Haar mit einem
Eichenkranz geschmückt. Ueber dem Schuppenpanzer auf der linken Schulter
ein Mantel.
Gegenstück zu Nr. 99. — Mathias Corvinus (Hunyady), geb. 1443,
1458 König von Ungarn, gest. 1490, war eifrig bemüht italienische Kunst
und Wissenschaft nach seinem Lande zu verpflanzen. Ein ähnliches Belief,
das den König um 10 — 12 Jahre älter darstellt, in der 11. Gruppe der Kunst-
historischen Sammlungen des österreichischen Kaiserhauses. — Die etwas
oberflächliche wenig individuelle Behandlung scheint darauf hinzudeuten,
dass das Bildniss nicht nach der Natur, sondern in Italien nach einer Me-
daille oder dergleichen angefertigt wurde. Dass dies aber trotz des Floren-
tinischen Charakters der Arbeit nicht in Florenz selbst geschehen, dafür
spricht der Umstand, dass sie in parischem Marmor ausgeführt ist. Während
üngttiMhe BeTM, XI. 1801. I. Haft. ]
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^ AUF UNGABN BEZUGUCHE RENAISSANCE -DENKMÄLER.
Florenz seinen Bedarf durchweg aus den Brüchen von Garrara bestreitet,
ist es Venedig, das des leichteren Transportes halber den Marmor der grie-
chischen Inseln bevorzugt. Eben zu der Zeit, in die wir die Entstehung
dieses und des folgenden Reliefs versetzen, arbeitete der Florentiner Verocchio
am CoUeoni-Denkmal, dessen stilistische Eigentümlichkeiten wir in diesem
Eelief und namentlich in dem Gegenstück erkennen.
99. Bildniss der Beatrice von Arragonien. Halbrelief in halber Brust-
höhe abgeschnitten. Parischer Marmor, Spuren von teilweiser Vergoldung
und Bemalung. H. 0*38, Br. 025. Erworben 1842 von Marchese Orlandini
in Florenz. — Tieck- Gerhard, Verz. d. B.-W. Nr. 685; Bode, Ital. Porträt-
Skulpt. p. 34 (mit Abbild.); Bode, Ital.Bildh. d. Ben. p. 255 (mit Abb.). —
Abb. Tafel VH.
Im Profil nach rechts gewendet Auf dem kurzen lockigen Haar, durch
das sich Winden schlingen, ein dicker Perlenkranz, der über der Stime von
einem reichgefassten Edelstein festgehalten wird. Eine sechsfache Perlen-
schnur fällt auf die Brust. Auf der linken Schulter eine Agraffe. Im Haar
und an den Schmucksachen noch Beste der Bemalung und Vergoldung.
Gegenstück zu Nr. 98. — Beatrice von Arragon, Tochter Ferdinands I. Kö-
nigs von Neapel, 1476 mit Mathias Corvinus vermählt. Zwei bezeichnete Por-
trät-Darstellungen dieser Fürstin, eine Büste in der Sammlung von G. Drey-
fuss in Paris und ein Relief in der 11. Gruppe der kunsthistorischen Samm-
lungen des österreichischen Kaiserhauses, weisen unter sich und mit dem
Berliner Belief nicht unerhebliche Verschiedenheiten auf; indess ist doch
die Verwandtschaft der beiden Beliefs so gross, der Umstand, dass sie Pen-
dants zu den unzweifelhaften Bildnissen von Mathias sind, so entscheidend,
"dass an der richtigen Benennung nicht gezweifelt werden kann. »
Um nun jene Frage, welche uns hier beschäftigt, ob wir in diesen
beiden Bildnissen auch richtig Mathias L und seine Gemahlin Beatrice
erkennen dürfen oder nicht, zu entscheiden, muss ich aus einer Arbeit
des einen Verfassers der Beschreibungen, Herrn Wilhelm Bode, aus den
1887 erschienenen «Italienische Bildhauer der Benaissance», die auf diese
Beliefs bezüglichen Erörterungen hier anführen (pag. 254 u. folg.) : «Einen
interessanten Vergleich zwischen der venetianischen und Florentiner
Auffassung des Beliefporträts gestatten uns die beiden Profilbildnisse eines
jungen Ehepaares, welches die Berliner Sammlung 1842 von Marchese
Orlandini in Florenz erwarb. Wie das venetianische Relief bildniss dienten
sie offenbar zur Verzierung eines Thür- oder Kaminsturzes, in dessen Deco-
ration sie eingelassen waren. Wie dies geschah, davon gibt uns ein, zwar
nur handwerksmässig hergestelltes, aber doch mit feinem Gefühl erfundenes
Florentiner Kamingesims im Besitz des Berliner Kunstgewerbe-Museums
ein Bild. Die Durchbildung ist in diesen Florentiner Arbeiten von gleicher
Vollendung, wie in jenen venetianischen Reliefbildnissen. Das Relief,
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ANOEBUCHES BILDNISS DES MATHIAS CORMNUS.
Berliner Sammlung No 98.
1*
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* AUF UNGARN BEZUGLICHE RENAISSANCE-DENKMALER.
obgleich ebenfalls flach gehalten, zeigt eine kräftigere Modellirung nach der-
Mitte zu. Die Auffassung trägt jenen der Florentiner Kunst eigenen Cha-
rakter von Grösse und Feinheit in der Wiedergabe der Individualität, ver-
bunden mit einer Anmut, welche einen Künstler wie Antonio Bossellino-
oder Benedetto da Majamo verrät.
Diese beiden Bildnisse wurden namenlos gekauft und bis vor Kurzem-
als «unbekannt» in der Sammlung angeführt. Der eigentümliche Kopf-
schmuck des Mannes, ein Eichenkranz im welUgen Haare, den ich nur noch
bei einem zweiten italienischen Bildnisse, bei dem BeUefporträt des Mathias-
Gorvinus in der Ambraser Sammlung in Wien, nachzuweisen im Stande
bin, legt die Vermutung nahe, dass auch das Berliner Belief denselben dar-
stelle. In der That sind die Züge sehr verwandte, nur um etwa zwölf bia
fünfzehn Jahre jünger. Noch überzeugender ist die Aehnlichkeit mit der-
bekannten Medaille des Fürsten, die ihn gleichfalls mit dem Eichenkranz
geschmückt zeigt. Auch der Schuppenpanzer, welchen wir in beiden Por-
träts finden, passt auf den streitbaren Ungarnkönig.
Dsa Gegenstück müsste dann seine Gattin darstellen, und zwar —
nach dem Alter des Mathias — seine zweite Gemahlin, Beatrice, Tochter
Königs Ferdinand von Arragon, welche er im Jahre 1476 heiratete. Die
Züge dieser Gemalin sind uns in verschiedenen, durch gleichzeitige Unter-
schriften beglaubigten Bildnissen erhalten : als Gegenstück jener Beliefbüste
des Mathias in der Ambraser-Sammlung, sowie als Marmorbüste im Besitz
des Herrn Gustave Dreyfuss in Paris mit der Inschrift : DIVA BEATBIX
ABAGK3NIA. Wir haben der letzteren bereits bei Besprechung der Marmor-
büste von Marietta Strozzi Erwähnung gethan. Während nun das Wiener
Bildniss des Mathias, wie bereits erwähnt, mit dem Berliner BeUefporträt,
wenn man von der Verschiedenheit des Alters absieht, sich sehr wohl ver-
einigen lässt, weichen die Züge in der Büste der Beatrice, obgleich augen-
scheinlich beinahe gleichalterig mit der auf dem Berliner Relief Darge-
stellten, nicht unwesentlich von derselben ab. Ebensowenig stimmt aber
auch das Wiener Belief zu der Büste, obgleich die Unterschriften auf beiden
Arbeiten keinen Zweifel lassen, dass ein und dieselbe Person darin darge-
stellt sein solle. Namentlich zeigt das Wiener Belief eine vorspringende und
gewölbte Stirn, sowie eine etwas aufwärts gerichtete Nasenspitze, während
die Stirn in der Büste bei Herrn Dreyfuss auffallend niedrig und zurück-
tretend erscheint, auch die Nase spitz zuläuft. Den Zügen des Wiener
Beliefs entspricht nun im wesentlichen das Berliner Belief; dasselbe zeigt ^
auch schon die Neigung zur Beleibtheit, welche sich bei der etwa zwölf Jahre
älteren Frau, wie sie in dem Wiener BeUefbildniss erscheint, bereits aus-
gebildet hat. Gemeinsam ist dagegen der Büste wie den Beliefbildnissen dai^
kurzgehaltene lockige Haar, welches in dem Berliner Belief in dem Kranz»
von Winden (wohl aus Goldemail) der sich unter den Locken hindarch-
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ANGEBUCHES BILDNISS DER BEATRICE VON ARRAÖON.
Berliner Sammlung No 99.
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*> AUF UNGARN BEZUGLICHE RENAI8SANCE-DENKMALER.
schlingt, und in dem dicken Perlenkranz, den ein reichgefasster Edelsteia-
oben über der Stirn festhält, einen reizvoll angeordneten Schmuck erhalte»
hat. Als Grattin des Ungarnkönigs und Tochter des stolzen Tyrannen von
Süditalien verrät sie sich auch in dem übrigen Schmuck, der breiten sechs-
fachen Perlenkette und dem mit Perlen eingefassten Edelstein, welcher
an der linken Schulter als Agraffe befestigt ist.
Diese Keliefbildnisse geben ein beredtes Zeugniss für das Interesse, wel-
ches Mathias Hunyady bekanntUch an der italienischen Kunst nahm. Noch
heute ist eine beträchtliche Zahl der Manuscripte erhalten, welche der König
in Italien schreiben und mit Miniaturen von den ersten Künstlern schmücken
liess; im Jahre 1480 arbeiteten nach urkundlichen Nachrichten die Bild-
schnitzer Andrea und Francesco CelUni, die Oheime Benvenutos am Hofe
des Mathias; und Vasari erzählt uns ausführlich von dem Aufenthalte des
jungen Benedetto da Majano in Ungarn, der zuerst als Intarsiator, später
als Bildhauer für den König beschäftigt war. Sollte Benedetto damals viel-
leicht jene beiden Profilporträts der Berliner Sammlung angefertigt haben,
die dann als Geschenke des Ungarnkönigs nach Italien kamen ? Mit der
Zeit ihrer Entstehung würde das übereinstimmen, da Banedetfco, nach
Vasaris Angabe, unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Ungarn die Thür
im Audienzeaal des Palazzo Vecchio zu Florenz anfertigte, welche 1481
vollendet war. Doch lässt der Umstand, dass das Porträt des Mathias, im
Gegensatz gegen das sehr individuelle Bildniss der Gattin, etwas Allgemeines
und Lebloses hat, eher darauf schliessen, dass das männliche Bildniss nicht
nach dem Leben und daher beide ßehefs wohl in Italien angefertigt wurden.»
Wenn wir die hier wiedergegebenen Ansichten des Herrn W. Bode aus
den Jahren 1887 und 1888 mit einander vergleichen, so stossen wir auf
Abweichungen in wesentlichen Punkten seiner Anschauungen. Im Jahre 1887
hielt er Antonio Rossellino oder noch wahrscheinlicher Benedetto da Majano
für den Bildner der Berliner Belief porträts ; im J. 1888 beschreibt er sie ß\&
sichere Arbeiten des Andrea del Verocchi», ohne diese Meinungsänderung
näher zu begründen. Aus der Thatsacbe, dass diese Bildnisse aus pariscbem
Marmor gehauen sind, zieht er 1887 keine Folgerung, während er dies 1888
als entscheidenden Umstand anführt für die Hypothese, dass sie von einem
Florentiner Bildhauer in Venedig gearbeitet wurden, — und vielleicht hat
ihn gerade dieses darauf geleitet, Bildwerke Verocchios in ihnen zu erken-
nen, da es allbekannt ist, dass der berühmte Florentiner Meister in den
achziger Jahren des XV. Jahrhunderts in Venedig thätig war. Die Stich-
haltigkeit dieses Gedankenganges wird jedoch von Herrn Bode selbst unter-
graben in seinem Werke «Italienische Bildhauer der Renaissance», wo er
uns ja belehrt, dass der Gebrauch des parischen Marmors keineswegs aus-
schliessliche Eigentümlichkeit der in Venedig schaffenden Künstler war.
Auf Seite 25 bespricht er zwei neapolitanische Bildwerke aus parischem
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BEATRIX VON ARRAGONIKN.
MarmorbÜ8te bei Herrn. G. Drevfuss in Paris
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ö AUF UNGARN BEZUGLICHE RENAIS8ANCE-DENKMALER.
Marmor und eine in Siena — also Toecana — gleichfalls nicht aus italieni-
schem, sondern aus griechischem Marmor gearbeitete Madonna.
Diese Aenderung der Ansichten Herrn Bodes, welche er durch neue
Gründe nicht rechtfertigt, kann unser Vertrauen zur Endgiltigkeit und Voll-
ständigkeit seiner Bestimmung erschüttern und müsste eingehend gewür-
digt werden, wollten wir die Stelle der Berliner Reliefs in der Reihe der
Monumente italienischer Bildhauerei näher bestimmen; diese Frage ist
jedoch für den Zweck dieser Zeilen von untergeordneter Bedeutung, da
wir hier nur zu untersuchen haben, mit welchem Recht diese Bild-
nisse die Namen Mathias Corvinus und Beatrix von Arragon führen, und
in wie ferne sie innerhalb der ungarischen Ikonographie eine Stelle bean-
spruchen können.
Die Reliefs waren, als sie 1842 in Florenz gekauft wurden, • namenlos»
und wurden seitdem bis 1887 als Porträts unbekannter Persönlichkeiten
aufgeführt. Herr Bode taufte sie Mathias und Beatrix auf Grund des
Umstandes, dass der dargestellte Mann, gerade so wie Mathias auf dem
durch die Inschrift beglaubigten Ambraser Bildniss und auf der bekann-
ten Medaille — nämlich der grösseren — mit einem Eichenkranz geschmückt
ist und daraufhui, dass wir kein viertes mit Eichenkranz geschmücktes italieni-
sches Männerporträt aus dem XV. Jahrhundert kennen. Es sei nebenbei
bemerkt, dass die Behauptung, Mathias sei auf dem Wiener ReUef oder auf
der Schaumünze in Schuppenpanzer gekleidet, den Thatsachen nicht ent-
spricht. In den «Ital. Bild, der Renaissance» behauptet Herr Bode, dass die
Gesichtszüge des auf dem Berliner Relief Dargestellten sehr verwandt sind
mit jenen des Mathias auf dem Wiener Bildniss, die Verschiedenheiten ent-
sprächen dem Altersunterschied von 12 — 15 Jahren, und femer sei die
Aehnlichkeit der Köpfe auf dem Berliner Porträt und auf der (grösseren)
Medaille des Königs noch überzeugender. In den Erörterungen, welche wir
in der Beschreibung aus dem Jahre 1888 leser, betont er stärker, was er
1887 nur nebenbei bemerkt: dass die Behandlung des Berliner Männerbild-
nisses «etwas oberflächlich und wenig individuell sei» mit anderen Worten,
dass man es nicht für ein treffendes Bildniss einer bestimmten Persönlich-
keit halten dürfe ; hieraus folgert er jedoch nur, dass es «nicht nach der
Natur, sondern in Italien angefertigt wurde», das heisst, dass der Künstler
den König selbst niemals gesehen hat, sondern nur seine Bildnisse kannte.
Er begründet die Benennung des weiblichen Bildnisses durch den Umstand,
es sei das Pendant eines unzweifelhaften Porträts des Mathias, also unbe-
dingt das seiner Gattin, trotzdem es von der Dreyfuss'schen Büste voll-
ständig abweicht, trotzdem er selbst der Ansicht ist, dass die auf dem Ber-
liner Belief und in der Pariser Büste dargestellten Frauen beinahe gleich-
altrig sind, und dass beide sehr individuelle, treffend ähnliche Bildnisse
von dem Künstler nach der Natur gearbeitet wurden. In diesem Falle bestrebt
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AUF UNOARN BEZUOUCHE RENAISSANCE-DENKMALER. ^
er sich die Willkürlichkeit der Namengebung dadurch zu mildern, dass er die
Aehnlichkeit des Berliner und Wiener Beliefs und die wesentlichen Ver-
schiedenheiten des Wiener und Pariser Bildes zu beweisen sucht. Hätte er
nun darin recht, so müsste er es für möglich halten, dass ein ausgezeich-
neter itaUenischer Künstler des XV. Jahrhunderts — denn er hält sowohl
den Bildhauer des Beliefs, als den der Büste dafür — angesichts der Natur
im Stande war von ihr wesentlich abweichende Züge darzustellen, und dass
-er nicht vermochte ein treffendes BUdniss zu schaffen.
Ich glaube, dass wir die rechte Antwort auf die uns hier beschäftigende
Frage eher finden können, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf jenen Teil
richten, welcher die reichhaltigere und verlässUchere Grundlage bietet, näm-
lich die Bestimmung des Frauenbildnisses versuchen, also gerade den ent-
gegengesetzten Weg einschlagen, als der verdienstvolle Director der Ber-
liner Sammlungen, dessen Ausgangspunkt die Bestimmung des Mannes
bildete. Nicht nur die Thatsache setze ich als unzweifelhaft voraus, dass das
Berliner Frauenrelief das Werk eines italienischen Künstlers ist, sondern
auch jene, dass die Dargestellte eine Italienerin ist, wofür ja die Bekleidung
und die eigentümliche Haartracht zeugen. Ist dies richtig, so haben wir uns
mit der MögUchkeit nicht zu befassen, als sei hier die 1464 gestorbene
Tochter des Böhmen Podiebrad dargestellt. Wenn überhaupt eine Ge-
mahlin des Mathias hier abgebildet ist, kann nur Beatrice von Arragon in
Betracht kommen. Abgesehen von den in den Handschriften erhaltenen
Miniaturbildem, welche wohl nie nach der Natur gemalt wurden und des-
halb zu einer ikonographiscben Bestimmung als Beweise sieb wenig eignen,
sind uns die Züge der neapolitanischen Königstochter sicher in drei Kunst-
werken erhalten: in der Pariser Büste, in der Medaille des ungarischen
National-Museums und im Wiener ReUef. Auf allen dreien versichert uns
die Inschrift, es sei Beatrice dargestellt.
Ich glaube mich nicht zu täuschen, wenn ich die Büste als das frü-
heste Bildniss der Beatrix bezeichne. Die lebensgrosse Büste ist unter der
Schulter gerade abgeschnitten. Den zarten Formen des Busens entspricht
der schlanke Hals, auf dem das leise gegen die linke Schulter geneigte Haupt
ruht. Die schiefe SteUung der Augen und die eigentümliche Art ihrer Dar-
stellung, — dass nämlich das obere Augenlid den Augapfel bis zur Hälfte ver-
deckt, — wiederholt sich bei einer ganzen Beihe Florentiner Mädchenbüsten,
welche Bode auf Seite 227 — 228 der «Ital. Bildh. d. Ren.» zusammen-
gesteUt hat Er erklärt die auffallende Eigentümlichkeit folgenderweise : «Die
Künstler haben damit, so scheint es, einer allerdings sonst nicht nachweis-
baren Anschauung ihrer Zeit entsprechend, den Ausdruck des jungfräulich
Sittsamen und Bescheidenen wiedergeben wollen.» Diese Erklärung würde
meine Hypothese, dass die Büste Beatrix noch als Mädchen darstellt,
bekräftigen ; man kann jedoch die merkwürdige Modellirung der Augen
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AI'F UN(4ARN BEZUGLICHE RENAISSANCE- DENKMALER.
vielleicht richtiger damit erklären, dass die Büsten, bei denen sie vorkommt^
an einem hochgelegenen Platz aufgestellt waren, in welchem Fall ihr Blick
so auf den Beschauer fiel, während er sich in die Ferne gerichtet hätte,
wäre das Auge mehr geöffnet dargestellt worden, und der Ausdruck des Bild-
werkes dadurch an Lebendigkeit verloren hätte. Dass die Stirne auf der Büste,
verglichen mit jener auf dem Relief «auffallend niedrig und zurücktretend
erscheine,» wie Herr Bode es behauptet, vermag ich nicht wahrzunehmen.
Es bleiben ja von der Stirne nur fünf Millimeter oberhalb der Augenbrauen
frei, den übrigen Teil verdeckt der Schleier, unter welchem auch die Haare
verborgen sind. Auch was diese anbelangt, kann ich der Ansicht des Herrn
Bode, dass sie nämlich kurzgehalten und lockig seien, nicht beistimmen.
Allerdings hängen beiderseits an den Schläfen, wo das Haar unter
dem Schleier hervortritt, je zwei Strähnchen, drei Centimeter weit auf die
Wangen herab, das übrige leicht gewellte Haar aber zieht sich wieder
unter den Kopfputz und lässt uns klar erkennen, dass es nicht kurzge-
schoren, sondern am Hinterhaupt in einen Schopf zusammengefasst ist. Rück-
wärts dagegen dringt das gleichmässig geschnittene Haar zwei ein halb Cen-
timeter lang unter dem Schleier hervor, und glatt gekämmt bedeckt es den
Nackenansatz. Wenn wir die Büste im Profil nach rechts gewendet ansehen
in derselben Lage, in welcher Beatrix auf der Medaille und dem Relief abge-
bildet ist, so können wir beobachten, dass der Nasenrücken etwas gebogen
ist, und dass dieser mit der Stirne einen Winkel von höchstens 135 Grad
bildet. Wir sehen auch, dass die obere Linie des oberen Augenlids, also
jene, welche am tiefsten liegt, und den oberen ümriss des Augapfels andeu-
tet, fast parallel mit der Linie der Brauen läuft ; ja sogar dass der äussere
Augenwinkel dem äusseren Ende der Augenbrauen etwas näher kommt, als
der am höchsten liegende Punkt des oberen Augenlids dem entsprechenden
Punkte der Brauen. Endlich müssen wir auch den geschwungenen ümriss
des Rückens und Nackens verfolgen, von welchem der entsprechende üm-
riss auf dem Berliner Relief durch seine Steilheit so wesentlich abweicht,
während jener auf dem Wiener Bildnisse sich äusserst ähnlich schwingt.
Die Vermutung, die Büste sei angefertigt worden, als Beatrix noch nicht
verheiratet war, stütze ich nicht nur auf die fast unentwickelte jungfräuliche
Erscheinung, sondern auch auf den umstand, dass die Inschrift ihrer könig-
lichen Würde nicht gedenkt, sie nur DIVA BEATRIX AÜAGONIA nennt,
während die Inschrift des nächsten Bildnisses, jene der Medaille DIVA
BEATRIX HVNGARIAE REGINA lautet. Die Formen, besonders die des
Busens und des Halses sind hier zwar etwas entwickelter, sonst aber
stimmen die Züge vollständig mit jenen überein, welche uns die Büste
zeigte, die Biegung des Nasenrückens ist dieselbe, und auch der Winkel,
unter dem er zur Stirne stösst, ist derselbe. Auch hier verdeckt ein Schleier
den oberen Teil der Stirne, er ist jedoch hier nicht hinten aufgebunden.
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AUF UNGARN BEZÜGLICHE RENAISSANCE-DENKMÄLER. H
sondern hängt auf den Bücken herunter. Auch hier wird das Haar nur bei
der Schläfe sichtbar, doch können wir uns auch in diesem Fall überzeugen,
dass es nicht kurz gehalten ist. Die Form des Auges entspricht ebenfalls
jener, welche wir bei der Büste beobachteten, nur dass hier, wo Beatrix
geradeaus vor sich hinblickt, dessen Kleinheit auffallender ist, als auf dem
Dreyfuss'schen Bilde, wo wir den Eindruck, dass die Augen klein seien,
der eigentümlichen Art und Weise zuschreiben könnten, mit welcher der
Künstler sie halbgeschlossen darstellte. Wenn wir der Abweichungen und
üebereinstimmungen beider Denkmäler Bechnung tragen, so erkennen wir,
dass nur wenig Jahre zwischen der Anfertigung der Büste und der Medaille
verflossen sein können, so dass, wenn erstere vor der Hochzeit, etwa 1474
bis 1475 entstand, letztere gewiss vor 1480 modellirt worden sein wird.
Wesentlich später, etwa am Ende der achziger Jahre wurde da»
Wiener Belief angefertigt, dessen Inschrift : BEGINA HVNGAEIAE BEA-
TEIX DE ABAGK3NIA lautet. Aus dem zierlichen, unentwickelten Mädchen,
dem Modelle der Büste ist hier eine mächtige, üppige Frau geworden. Der
Schnürleib spannt sich straff über den hochgewölbten Busen und das Kinn
hat sich im Laufe der Jahre verdoppelt. Schon bei der Medaille lassen
sich die Keime dieser Neigung zum Fettwerden beobachten. Der von der
Stime und dem Nasenrücken gebildete Winkel ist auch hier derselbe wie
bei der Büste und der Medaille. Die Nasenspitze ist wie sämmtliche Gesichts-
teile runder und fleischiger geworden, doch ist der ümriss des Nasen-
rückens noch immer gebogen, so dass ich nicht glauben kann, Herr Bode
habe die Zeilen, in welchen er behauptet «die Nasenspitze sei aufwärts
gerichtet» angesichts des Bildes geschrieben. Gerade wie auf der Me-
daille hängt hier der Schleier auf den Bücken herunter, und verdeckt die
Haare^ welche nur bei der Schläfe sichtbar werden, jedoch genügend um
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AUF UNOARN BEZUGLICHE RENAISSANCE- DENKMÄLER.
festzustellen, dass es nicht kurzgescbnitten ist ; dagegen bleibt die Stirne
frei. Das Auge entspricht genau jenem der Medaille.
Aus Allem, was wir hier beobachtet haben, geht hervor, dass die drei
Denkmäler zweifellos ein und dieselbe Persönlichkeit in drei Phasen ihrer
Entwicklung darstellen, dass bei allen dreien die wesentlichen Formen ähnlich
bleiben, während die Unterschiede die durch das Vorschreiten der Jahre
Terursacht-en Verschiedenheiten wiederspiegeln. Sie sind richtig beobachtete
Merkmale des zunehmenden Alters der Königin, und gerade dadurch beweisen
sie, dass die Künstler die Aehnlicbkeit in allen drei Fällen richtig trafen. Unter-
suchen wir nun d»8 Berliner Relief und was Herr Bode darauf bezüglich
behauptet. Gewiss ist der Umstand, dass es ein Pendant bildet zu dem Por-
trät eines Mannes ; wenn es also Beatrix darstellt, sehen wir sie frühestens
in jener Zeit, wo sie die Braut des Mathias war, also ist es jedenfalls später
entstanden, als die Pariser Büste. Wenn wir andererseits Herrn Bode zustim-
men, dass das Frauenrelief nach der Natur, während das Männerrelief nach
einem Bilde gearbeitet wurde, so können die beiden Rehefs nur bevor sie
nach Ungarn gieng, in Italien gemacht worden sein, also früher als die
Medaille. Zwar ist es nur ein äusserlicher Umstand, doch verdient es be-
merkt zu werden, dass auf den beiden gesicherten Bildnissen Beatricens,
von denen das eine sie etwas jünger, das andere sie etwas älter darstellt,
sie lange Haare trägt, die jener Dame, die wir auf dem Berliner Relief
aehen, dagegen kurz gehalten sind. Viel wesentlicher ist es aber, dass kaum
ein Zug des Berliner Bildes mit jenen der Büste oder der Medaille überein-
stimmt. Der Hals auf dem Relief ist fast cylindrisch im Gegensatz zu jenem
der Büste, welcher entschieden kegelförmig zuläuft. Auf dem Relief bilden die
Umrisse des Kinnes nahezu einen rechten Winkel, während auf der Büste
und auf der Medaille sie etwa unter 112 Grad sich trefifen. Auf dem Relief
ist der Nasenrücken geradlinig und der Winkel, unter dem er zur Stirne
«tösst, mindestens 158 Grad. Das geradeaus blickende Auge ist gross, der
höchstliegende Punkt des oberen Lides hegt viel näher dem entsprechenden
Punkte der Brauen als der äussere Augenwinkel, während wir bei den
gesicherten Bildnissen der Beatrix geradedas Entgegengesetzte beobachten
konnten. Das Vergleichen der Stirne wird dadurch erschwert, dass Beatrice
auf allen ihren beglaubigten Bildnissen einen Schleier trägt, welcher den
Haar- Ansatz verbirgt, während der auf dem Berliner ReUef dargestellte
Kopf unbedeckt ist ; wir können nur soviel entschieden wahrnehmen, dass
bei dem letzteren die niedrige Stirn mit stark geschwungenem Bogen sich
wölbt, auf den sicheren Bildnissen Beatricens dagegen der Umriss der Stirn
viel flacher verläuft. Herr Bode betont, dass das Berliner Frauenbildniss
sehr individuelle Züge aufweist, woraus wohl folgt, dass es die charakteri-
stischen Eigentümlichkeiten der dargestellten Dame getreu schildert ; indess,
da diese Züge einzeln und im Gesammten wesentlich von jenen der Beatrice
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AUF UNGARN BEZÜGLICHE RENAISSANCE -DENKMÄLER. ^^
abweichen^ mässen wir den Schluss ziehen, dass der Künstler hier nicht
Beatrice darzustellen beabsichtigte.
Was den Männerkopf anlangt, behauptet Herr Bode, er sei wenig
individuell behandelt, also dem lebenden Modell kaum ähnlich. Zu meinem
Bedauern kann ich auch diesmal dem ausgezeichneten Berliner Gelehrten
nicht beistimmen. Die bestimmt gegliederte Stirne, das leise Zusammen-
ziehen der Brauen, wodurch Strenge in den Gesichtsausdruck kommt;
die Linie des Nasenrückens, welche so fein geschwungen ist, dass maa
bei oberflächlichem Betrachten glaubt, sie sei ganz gerade ; der etwas offene
Mund, die bei der Nasenwurzel, bei dem Mundwinkel und an der Wange sa
mannigfaltige Modellirung sind lauter Eigenheiten, welche nur auf Grund
von Naturbeobachtung gebildet werden konnten, und fast ausschliessen,
dass wir es hier mit einem Idealbilde, und nicht mit der Darstellung einer
bestimmten Persönlichkeit zu thun haben. Allerdings ist es richtig, dass die
Gesichtszüge an jene des Mathias Gorvinus überhaupt nicht erinnern, so wie
wir sie auf dem Wiener Belief und seinen zwei Medaillen sehen. Nur betreffs
eines Umstandes stimmt das Berliner Belief mit dem Wiener und der einen
Medaille übereins, — doch dieser ist ganz äusserlich — dass auf allen dreien,
der Dargestellte mit einem Eichenkranz geschmückt ist. Auf der kleineren
Medaille ist Mathias mit Lorbeer bekränzt. Die Thatsache nun, dass
weder Herr Bode, noch andere ein eichenkranztragendes itaUenisches Man-
nerbüd aus dem XV. Jahrhundert namhaft machen können, ausser die drei
hier angeführten, berechtigt kaum dazu in jedem so geschmückten, gleich-
zeitigen Bildnisse den Ungamkönig zu erkennen.
n.
Haben die Verfasser der Beschreibung der Berliner Bildwerke christ-
licher Epoche durch ihre Namengebung die unerfüllte Hoffnung in uns wach-
gerufen, dass wir Gelegenheit haben von einem ausgezeichneten Künstler
geschaffene Bildnisse des grossen Ungarnkönigs und seiner Gattin kennen zu
lernen, und durch ihre wohlverdiente wissenschaftliche Autorität uns gezwun-
gen, mit langwieriger Auseinandersetzung jede ihrer Behauptungen zu contro-
liren, damit wir mit Beruhigung dem Ergebniss entsagen können, zu welchem
sie gelangt sind, so bieten sie durch das reiche Material, das sie publicirt-
und die Gründlichkeit, mit welcher sie es bearbeitet haben, die sichere
Grundlage zur Bestimmung eines vor längerer Zeit (S. Arch. ^rt. X.
p. 253) angeblich in Visegräd zum Vorschein gekommenen Denkmales.
Auf dem aus rotem Marmor gearbeiteten Lunettenrelief sehen wir
die Jungfrau Maria in Halbfigur, welche mit der rechten Hand das auf einem
Kissen stehende Jesuskind stützt und mit der Linken einen Bausch ihrea
Mantels erfasst. Unter ihrem linken Ellbogen guckt ein Engelkopf hervor^
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AUF UNOARN BEZÜGLICHE RENAISSANCE -DENKMALER.
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Das mit einem Hemdeben bekleidete Kind erbebt segnend die Bechte^
^yäbrend es in der an seine Brost gedrückten Linken ein Yögelcben
bält Hinter den Köpfen beider Gestalten sehen wir verzierte Heiligen-
scheine. Auf dem Hintergrund sind Wolken durch längliche Wülstengruppen
angedeutet. J. Hampel, der uns auf dieses Bildwerk neuerUch aufmerk-
sam machte^ erkannte sofort aus der Composition und Zeichnung, und aus
dem antikisirenden Charakter der BahmengliederuDg» dass es ein Werk eines
italienischen Künstlers aus dem XV. Jahrhundert sein müsse. Um seiner
Aufforderung, den Platz dieses BeUefs in der Beihe der italienischen Denk-
mäler näher zu bestimmen, Genüge zu leisten, muss ich ein Ergebniss der
Forschungen des Herrn Bode zur Hülfe nehmen. In den «Italienischen Bild-
MEISTER DER MARMORMADONNEN.
No 76. Berliner Sammlung. No 77.
hauem der Benaissancet ist eine lange Beihe von Statuen und Behefs zusam-
mengestellt, welche augenscheinUch einem und demselben Künstler zuge-
schrieben werden müssen, dessen Namen uns aber weder eine Inschrift noch
mit den Bildwerken nachweisbar zusammenhängende Urkunden verraten,,
und welchen Bode als «Meister der Marmormadonnen» bezeichnet. Wenn
wir die im BerUner Verzeichniss unter Nummer 76 und 77 aufgeführten
Madonnen mit der Visegräder vergleichen, gewinnen wir die Ueberzeugung,
-dass sie auch eine Arbeit des Meisters der Marmormadonnen ist. Das Christ-
kind ist fast ohne Aenderung von Nummer 77 übernommen ; die Haltung
des Kopfes, die Bewegung der segnenden Bechten, die Stellung der Beine,
•die ModeUirung des Unterleibes, der Kniee und der Fussgelenke stimmen
^enau überein. Nur die Bewegung des linken Armes ist verschieden : auf
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AUF UNGARN BEZUGLICHE RENAISSANCE-DENKMALER.
dem Belief Nr. 77 streckt das Christuskiod auch diesen aus, indem es mit der
linken Hand einen Apfel emporhebt, auf dem Visegräder hält es in der
Linken einen Vogel, den es an seine Brust drückt. Dieses Motiv hat der
Künstler nun auf dem Belief Nr. 76 benutzt. Die eigentümliche Art, wie die
Hand der Madonna mit gespreizten Fingern dargestellt ist, springt sowohl
bei dem Belief Nr. 77 als auch bei dem Visegräder in die Augen. Auf beiden
Beliefs ist das Unterkleid knapp unter dem Busen, hoch gegürtet,,
und sowohl die schweren in sehr spitzen Winkeln zusammenstossenden
Falten des Untergewandes, als die feinen Parallelfaltchen des Aermels
wiederholen sich als charakteristische Eigenheit des Künstlers auf allen
drei Bildwerken. Schade, dass sowohl das Gesicht der Maria, als jenes dea
Christkindes so sehr verstümmelt sind, dass wir ihre Behandlung mit den
Gesichtern auf den übrigen Beliefs nicht vergleichen und G^wiss-
heit erlangen können, ob das Visegräder Belief auch hierin der Charakte-
ristik entspricht, welche die Verfasser des Berliner Katalogs aus dem einge*
henden Studium sämmtlicher bekannter Werke des anonymen Künstler»
zusammengefasst haben. «Meister der Marmormadonnen» unter diesem
Namen mag, nach dem Vorgang der deutschen Kunstgeschichte, bis auf
weiteres ein anonymer Künstler gehen, auf den sich eine nicht unerhebliche
Anzahl von Werken — mit Ausnahme einiger Büsten, durchgehends Ma-
donnenreliefs in Marmor — zurückführen lässt. Der Meister gehört dem
Kreise der Florentiner Marmorbildner an und steht etwa zwischen Antonio
Bosselino und Mino, in der weichen Fleischbehandlung dem ersten, in der
manierirten Faltengebung und dem starren, zuweilen karrikierten Gresichts-
ausdruck den Werken der früheren Zeit des letzteren nahe kommend, mit
dem er dann auch im Kunsthandel beharrlich verwechselt wurde. Dass der
Künstler seine Hauptthätigkeit etwa zwischen 1460 — 70 entfaltete, wird
ausserdem noch durch die, eng an Donatelleske Tradition anschliessende^
Ornamentik wahrscheinlich gemacht.
Der Umstand, dass die Visegräder Madonna aus ungarischem Marmor,
also hier zu Lande gearbeitet ist, bietet uns die Gewissheit, dass wir den
Namen des anonymen Meisters in der Liste jener Italiener zu suchen haben,
die am Hofe des Mathias Corvinus beschäftigt waren, und indem dadurch
das zu durchforschende Gebiet eng begrenzt wird, wächst die Wahrschein-
lichkeit, dass es gelingen wird, diese noch offene Frage zu lösen.
Karl v. Pülszky.*
- Ans .Archseologiai Ertesitö», 1890. S. 311 ff.
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GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN-GENEALOGIE. 17
GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN-GENEALOGIE.
11. Kinder Johann Asens II.
a) Aus der Ehe mit Maria von Ungarn.
Mit Bestimmtbeit kennen wir hier nur folgende :
a^) H e 1 e n e.
Geboren im Jahre 1225, wnrde sie frühzeitig in das Getriebe politi-
scher Gombinationen hineingezogen.
Als nach der Flacht des Kaisers Bobert aus Konstantinopel die Krone
auf dessen 1217/8 geborenen knabenhaften Bruder Balduin (11.) übergieng
und man dringend der Verwaltung eines kraftvollen Mannes bedurfte,
rieten einige der Beicbsgrossen, man möge den mit Balduin verschwägerten
Johann As£n zum Beichsverweser ernennen und diesem Verhältnisse durch
Vermählung des jungen Kaisers mit Johann As^ns Tochter Helene die
rechte Weihe geben.* Jedoch zerschlug sich die Sache und man wählte
den französischen Grafen Johann v. Brienne.
Empört über die erfahrene Zurücksetzung, verband sich nun
Johann As£n mit dem Kaiser Johann Vatatzes von Nikaea, um gemein-
same Sache gegen das lateinische Kaisertum in Koustantinopel zu machen.
Das Bündniss wurde durch die Verlobung Helene's mit dem Tronerben
Nikaea's äusserlich besiegelt. Als nämlich Vatatzes im Sinne des mit dem
Bulgarenzaren eingegangenen Bündnisses im Jahre 1 235 die Stadt G^li-
poli erobert hatte, kamen beide verbündete Herrscher, von ihren Gemahlin-
nen begleitet, in der eroberten Stadt zusammen. In Lampsakos wurde nun
die bereits im Vorjahre geplante Verlobung der Prinzessin Helene mit dem
im Jahre 1223 geborenen Prinzen Theodor von Nikaea gefeiert.
Im Jahre 1237 trat zwischen den Verbündeten eine Spannung ein;
Johann As^n unternahm mit seiner Gemahlin Maria eine Beise nach
Adrianopel und drückte Vatatzes gegenüber den Wunsch aus, er möchte
gerne sein Töchterchen an seiner Seite sehen, worauf er es wieder an den
nikäischen Hof zurücksenden wolle. Kaiser Vatatzes mochte wohl Johann
Aflins Absichten durchschaut haben, denn er erinnerte ihn an die Hei-
ligkeit des Eides und an den obersten Bichter. Sobald die junge Prinzessin
in Adrianopel war, trennte sie Asin von ihrem nikäischen Geleite, setzte
die sich weinend Sträubende unter Gewaltandrohungen vor sich auf sein
* Sanndo ap. Bongars, Gesta Dei per Francos 11. 73.
Ungaritehe Beme, XL 1801. L Heft. 2
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GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN -GENEALOGIE,
Pferd und ritt nach Timova; als aber noch im selben Jahre Gemahlin und
Sohn Johann AaSns plötzlich starben, sah der Bulgarenzar hierin einen
Fingerzeig der Vorsehung, worauf er Helene ihrem Verlobten zurücksandte
und sich mit Vatatzes versöhnte.
Helene 's Gemahl bestieg als Theodor II. den Tron von Nikaea, starb
aber schon im August 1 258. Helene's Schicksale, sowie die Zeit ihres Todes
sind unbekannt. Ihre Kinder sind gleichfalls der Spielball der Politik
geworden (s. u.).
a*) Zar Koloman I.
Geboren im Jahre 1232,* folgte er seinem Vater 1241. Seine Vor-
münder hatten mit Vatatzes Frieden geschlossen und sind aus der kurzen
Begierungszeit dieses Zaren keine bemerkenswerten Ereignisse zu ver-
zeichnen. Noch weniger wissen wir, ob er verlobt wurde. Er starb Ende
September 1246; es heisst, er sei vergiftet worden.
a^) Anonymer Sohn.
Gleichzeitig mit der Zarfn Maria und dem Patriarchen von Timova
ist 1237 ein Sohn Johann As^ns IL einer Epidemie zum Opfer gefallen.
Weder der Name noch das Alter dieses Knaben ist bekannt.
a*) T h a m a r.
Diese Prinzessin wird von Akropolita ausdrücklich eine Schwester
Ealimans und Tochter der ungarischen Maria genannt.
Engel 417 hat folgenden Passus: «Jedoch hatte die Wittib (Johann
Asins II.) Irene dem jungen Mich. Asan (ihrem Sohne) eine Begierde, sie
und ihren Bruder Demetrius an den griechischen Kaisern zu rächen, ein-
geflösst. Diese ßachbegierde kannte man, und man wollte ihr noch bei
Lebzeiten des Vatatzes durch eine Heirat zwischen Michael Comnenus,
Sohn des thessalonischen Statthalters Andronicus, und zwischen Thamar,
Schwester des Colomann, zuvorkommen.» — Jireßek 268 führt hingegen
auf seiner Stammtafel der As^niden den Michael Komnenos ausdrücklich
als Gemahl der Thamar an und beruft sich hierbei auf Akropolita 738.
Zur Klärung dieser von Engel nur angedeuteten, von Jire6ek apo-
diktisch zugegebenen Allianz ist es nötig, die Person dieses Michael Kom-
nenos näher zu beleuchten.
Sein Vater ist Andronikos Komnenos Palaiologos, Gross-Domestikus,
vom Kaiser Johann Vatatzes zum Präfekten von Thessalonike ernannt ;
* Nach Anderen wäre er beim Tode seines Vaters schon im 14. Lebensjahre
gestanden ; doch verdienen die Angaben der Byzantiner, er wäre damals ein 9j ähriger
Knabe gewesen, mehr Glauben. Den Namen Eoloman erhielt er jedenfalls über
Antrag seiner ungarischen Mutter, die einen gleichnamigen Bruder (König von Halics,
I 1^1) hatte. Er kommt auch als Kaliman vor.
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GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN -GENEALOGIE.
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^wurde mit einer Flotte and an der Spitze der gesammien Heeresmacht
nach Rhodos geschickt, um den Bebellen «Csesar» Gabalas zu unter-
werfen.^ Seine Mutter ist die Tochter des Alexius Falaiologos und der Irene
Eomnena Angela, einer Tochter des Kaisers Alexius III. (a. d. H. der
Angeli). Beider Sohn Michael (den Akropolita c. 46, 50 etc. meistens Michael
Eomnenos, seltener Falaiologos nennt) ist 1224 geboren. Er wurde poli-
tischer Umtriebe halber durch Nikolaus Manglabites, der es von Anderen
gehört haben wollte, bei Kaiser Johann Yatatzes angeklagt und dessen ver-
dächtigt, da SS er nach dem Tode des Demetrius Tomikos in Thessalonika
-eine unabhängige Herrschaft errichten wolle; um dies zu ermöglichen,
gedenke er sich mit Thamar, der Tochter Johann As^ns U., zu vermählen
und auf diesem Wege ein Bündniss zwischen den Bulgaren und seiner
eigenen Herrschaft zu Stande zu bringen. Die seitens des Kaisers eingelei-
tete Untersuchung ergab jedoch, dass derjenige, von dem Manglabites die
Sache gehört haben wollte, Michael für unschuldig erklärte und die ganze
Anklage eine Erfindung des Anklägers sei. Nachdem sich noch von frän-
kischer (lateinischer) Seite Stimmen zu Gunsten Michaels erhoben, fand
«8 Kaiser Yatatzes geraten, Michael von der ihm auferlegten Probe, eine
glühende Eisenkugel in den Händen zu halten, ohne sich zu brennen, zu
dispensiren und ihn vollständig freizusprechen.
Unter Theodor 11., dem Sohne und Nachfolger des Kaisers Johann
Yatatzes, wurde Michael Gross-Gonnetable ; unter der Begierung des jün-
geren Johann Laskaris, des Sohnes und Nachfolgers Theodor's IL, dessen
Yonnund er geworden, erhielt er die Würde eines Gross-Domestikus und
Despoten, schliesslich wurde er 1260 Kaiser in Nikaea und am 25. Juli
.1261 Kaiser in Konstantinopel.
Unser Michael Komnenos ist also Niemand Anderer als der byzan-
tinische Kaiser Michael YIII., der erste Palaiologe auf dem Trone ; er
starb 1282. Nach seiner unter Johann Yatatzes erfolgten Freisprechung sollte
«r die Enkelin dieses Kaisers, nämlich die Tochter des Tronfolgers Theodor,
Irene heiraten, welche Ehe jedoch vielleicht wegen zu naher Yerwandt-
schaft nicht geschlossen wurde. Es bestand nämlich zwischen dem Faare
folgende Yerwandtschaft:
Kaiser Alexius m. (Angelos Komnenos)
Gern« Euphrosyne Dukaena a. d. H. Kamateros.
Irene Komnena Anna Komnena
Oem. 1. Andreas Kontostephanos, Gern. 1. Isak Komnenos, Sebastokrator \ um 1196,
2. Alexias Palaeologos. 2. Theodor Laskaris I. Kaiser von Nikaea.
2. Tochter 2. Irene
Gern. Andronikos Palaeologos, Gross- Gem. 1. Andronikos Palaeologos, Despot,
Domestikns. 2. Kaiser Johann Yatatzes.
Michael Komnenos Palaeologos 2. Kaiser Theodor IL
(Kaiser Michael Vlll.). Gem. Helene, Tochter des Zaren Johannes Asfo II.
Irene.
* Akropolita cap. 46. (Seite 46 der Pariser Ausgabe).
2*
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20 GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN -GENEALOGIE.
Irene war also gewissermassen MicbaeFs Nichte. Nachdem sich dieseir
Heirateplan zerschlagen, nahm sich Michael eine Enkelin des Bruders des
Kaisers Johann Vatatzes zur Frau.
Ihr Name ist Theodora ; ihr Vater beisst Isak Dukas, ist Sebastokra-
tor; ihre Mutter ist die Tochter des Sebastokrators Johann Dukas.
Wir ersehen aus dem Bisherigen, dass eine Ehe zwischen der Prinzessin
Thamar und einem Michael Eomnenos nie existirt bat, ja dass es Letzterem
niemals ernstlich eingefallen war, dieselbe auch nur anzubahnen. Somit
wissen wir über die Schicksale dieser As^nidentochter nichts Goncretes.
Es gibt aber einen Weg, um sowohl über eine etwaige Allianz dieser
Prinzessin, als auch über einen dunkeln Punkt der AsSnidengenealogie
einige — wie ich glaube gerechtfertigte — Vermutungen aufzustellen.
Am 15. Juni 1253 haben die Bagusaner mit dem Bulgarenzaren
Michael AsSn ein Schutz- und Trutzbündniss gegen den Serbenkönig Stefan
Urosch I. geschlossen ; * die Bestimmungen des Vertrages haben aber nicht
nur für Michael allein Geltung, sondern sie erstrecken sich auch auf die
Person und auf das Gebiet des Sebastokrators Peter.
Die Urkunde nennt diesen Peter: tZemle zete svetoho ti caristvo
Petra sebastokratora» «tvolo svetoho ti caristva. . . Petra visokoho sebasto-
kratora.» Ich bin leider nicht in der Lage, über das in der Urkunde aus-
gedrückte Affinitätsverhältniss des Sebastokrators Peter zum Zaren Michael
As2n mir persönliche Auskunft zu verschaffen, muss mich somit auf die
Angaben Anderer stützen. Wenzel übersetzt nan die betreffenden Stellen
der Urkunde folgendermassen ins Ungarische: «Die Leute und Eaufleute
Deiner heil. Zarlichkeit und des Schwiegersohnes Deiner heil. Zarlich-
keit, des Sebastokrators Peter . . . sollen in Ragusa Schutz finden» «Ebenso
die Eaufleute Bagusa's, die des Handels wegen in das Gebiet Deiner heil.
Zarlichkeit oder in jenes des Schwiegersohnes Deiner Zarlichkeit, des
Sebastokrators Peter kommen. — » Jireßek 268 und 386 führt den
Sebastokrator Peter gleichfalls mit Berufung auf obige Urkunde als Schwie-
gersohn Michael's an ; doch widerruft er diese Angabe an anderer Stelle,**
indem er Folgendes sagt: «In der Genealogie der As^niden in meiner . .
Geschichte der Bulgaren p. 268 . . ist u. A. ein grosser Fehler : Peter Sevas-
tokrator war nicht Schwiegersohn, sondern Schwager des Zaren Michael
AsSn.» Nachdem es nun ein für allemale unmöglich ist, in Peter einen
Schwiegersohn Michaels anzunehmen — weil Zar Michael 1253 ein höch-
■•'- Veröffentlicht u. A. in Miklosich Monum. Serb. 35, "Wenzel 11. pag.
358 seqq.
-*'* Schreiben des Herrn Prof. Konstantin Jireöek an mich do. Prag 27. Dezem •
her 1887.
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GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN-GENEALOGIE. 31
«tens ISjähiiger JäDgling gewesen, — acceptire ich, gestützt auf Jire6eks
Autorität, den Sebastokrator Peter als den Schwager Michaels.
Zar Michael, ein jüngerer Sohn Johann As^ns TL, ist — wie wir unten
sehen werden — bestenfalls 1238 geboren und 1253 noch unvermählt
gewesen, somit kann die Schwagerschaft Peters sich nur dahin erklären,
-dass Peter der Schwestermann Michaels gewesen. Fragen wir nun, welche
seiner Schwestern wohl an Peter vermählt gewesen sein konnte, so ergibt
sich die Antwort, dass es keine der jüngeren Schwestern Michaels gewesen,
-da sich dieselben 1253 noch in sehr jugendlichem Alter befanden, und
dass sich als Gattin Peters ganz entschieden die Prinzessin Thamar anneh-
men lässt, nachdem sie 1253 sich in der vollsten Reife weiblicher Ent-
wickelung befinden konnte und wir keinen anderen Gatten ihrerseits
kennen.* Damit will ich nun nicht mit absoluter Gewissheit gesagt haben,
Peter sei Thamar's Gemahl, ich will damit nur die Möglichkeit anbahnen,
diesen documentarisch sichergestellten Schwager des Zaren Michael AsSn
auf der Stammtafel der As^niden zu unterbringen und dies glaube ich am
richtigsten durchzuführen, indem ich ihn als fraglichen Gütten Thamar's
aufnehme.
b) Aus der Ehe mit Irene Angela :
a^) Zar Michael I. (Äsen).
Da Johann As^n U. sich frühestens Ende 1237 mit Irene vermählt,
könnte Michael, wenn er das erste Kind dieser Verbindung gewesen,
frühestens 1238 geboren sein. Jedenfalls war er, als er 1246 seinem Bru-
der Eoloman in der Regierung folgte, ein unmündiger Knabe, für den
seine Mutter Irene die Regierung führte.**
Die Regierungszeit MichaeFs ist eine Kette von fruchtlosen Versuchen^
die Grösse Bulgariens in jenem Maasse herzustellen, in welchem sie sich
zur Zeit des Todes seines Vaters befunden. Die erfolglosen Kriege, in die
•er sein Land gestürzt, mögen wohl im Vereine mit den Tronaspirationen
seines Verwandten, des Prinzen Koloman, den Ausbruch der Unzufrieden-
heit einer grossen Partei gefördert haben, als deren Opfer Michael 1257
fiel. Er befand sich ausserhalb seiner Residenz, als er von Koloman, den
eine Schaar Timovaer begleitete, erschlagen wurde.
* üeber das Jahr ihrer Vermählung stehen uns keine Daten zur Verfügung.
Nach einer Notiz ap. Engel 411, bemerkt Nikephor, dass Thamar noch nach dem
Jahre 1245 unverehelicht gewesen sei.
** Eine Münze ap. Ljubic, Opis jugoslavenskih novaca, Agram 1875, ^t IE.
^r. 17 hat folgende Inschiift: c(ai) Michail — c(arica) Erina.
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22 GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN -GENEALOGIE.
Michaels Gattin war die Tochter des «Bosses Uros», in dem wir den^
Borikiden Bostislav, Fürsten von Halles und Ban von Macsö, Schwiegersohn
des Ungamkönigs Bela IV. zu erkennen haben.
Akropolita ^ erzählt, dass sich der Bulgarenzar Michael I. As£n (um
1255) mit der Tochter des «Bossos Uros», eines Schwiegersohnes des Königs
von Ungarn, vermählt. Dieser Bossos Uros gelangte dadurch in die Lage,
sich in die Angelegenheiten Bulgariens zu mengen. Im Frühjahr 1257 ver-
mittelte er z. B. einen Frieden zwischen seinem Schwiegersohne und dem
Kaiser Theodor 11. von Nikäa.
Als nach Michaels Ermordung der Usurpator Koloman IL sich der
jungen Zarin- Witwe, der Tochter Bossos Uros', bemächtigte, zog Bossos
Uros, der diese Verbindung seiner Tochter nicht billigte, 1258 nach Bul-
garien, rückte mit einer Armee gegen Timova vor, worauf der Usurpator
die Flucht ergriflf und auf derselben getödtet wurde.
Obzwar nun die griechischen Quellen nur den einen Erfolg dieses sieg-
reichen Vorgehens Bossos Uros' in Bulgarien anerkennen, dass er seine
Tochter den Händen des Usurpators entrissen und nach Hause genommen,
ist es aus abendländischen Quellen sichergestellt, das Bossos Uros, in dem
wir unseren Bostislav zu erkennen haben, durch seinen Sieg über den Usur-
pator sich eine Zeit lang zum Herrn der zerrissenen Situation in Bulgarien
gemacht, dass er auf kurze Zeit die Zügel der Herrschaft in seiner Hand
vereinigte und dass er den Mytzes unter seiner Oberhoheit zum Zaren der
Bulgaren einsetzte.
Nun existirt aber eine ansehnliche Anzahl von Autoren, die in Bossos
Uros nicht unseren Bostislav, sondern jemand Anderen vermuten. Nament-
lich that dies 1841 Palacky,* der den Beweis zu erbringen bestrebt war,
dass sich der Bericht des Akropolita nicht auf Bostislav, sondern auf den
Serbenkönig Stefan Urosch L beziehe.
Die kräftigsten Verteidiger der Palackyschen Hypothese waren der
Busse Golubinski und der neueste Autor der Geschichte der Bulgaren :
Jire6ek.' Letzterer behauptet, das dass Akropolitasche Oupo^ die Schreibweise
für das serbische : Uros sei, während andere Byzantiner allerdings dafür
Oipeatq schreiben.
Dafür, dass wir unter Bossos Uros unseren Bostislav zu verstehen
haben, sprachen sich schon vor langer Zeit Gebhardi, Engel, Fessler,
* Bonner Ausgabe, 1836, pa/. 1:34. — Hier sei nur zum Beweise des Behaup-
teten angeführt, dass sich Bostislav um die erwähnte Zeit den Titel eines Zaren von
Bulgarien beigelegt, wie dies aus einer Urkunde Bd. I pag. 3 der gräflich Zichyschen
Urknndensammlung ersichtlich ist («Nos Razlaus Dux Galaoinp ac Imperator Bul-
garorumi).
* In seiner Abhandlung «lieber den russischen Fürsten Bostislav • Radhost II 27^w
« Geschichte der Bulgaren 1876, pag. 266, 270.
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GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAKEN-GENEALOGIB.
23
C. H. Palanzow ^ u. A. aus. Ihnen reiht sieh Wenzel in seiner öfter erwähn-
ten Abhandlung über Bostislav an. Die Gründe^ die er zur Verteidigung
seiner Ansicht ins Treffen führt, sind etymologischer, politischer und
genealogischer Natur.
1. Wenzel geht von der Ansicht aus, dass die Bezeichnung «dominus
de Machout mit «Herr» oder dem ungarischen tur» gleichbedeutend ist;
das Wort «Herrt sei aber sowohl bei abendländischen als morgenländischen
Autoren im Sinne des « Führers • gebraucht worden.^ Damit stehe nun im
Zusammenhange, dass das AkropoUtasche Bossos Uros einen «ür» russischer
Abstammung bezeichne, was vollständig dem 1254 urkundlich vorkommen-
den «Dominus de Machout im Sinne des «Führers • oder «Herzogst
entspreche.
2. Dazu, dass wir einen so wichtigen historischen Akt, wie Bostislavs
Intervention in Bulgarien, leugnen sollten, hält Wenzel die unbestimmte
Sofareibweise eines Personeneigennamens nicht für genügend, dazu gehören
jedenfalls quellenmässig beglaubigte Daten, weil Bostislavs bulgarische
Intervention an und für sich mit bewiesenen historischen Thatsachen in
Uebereinstimmung steht. Und schliesslich ist ja die Unbestimmtheit in den
Personeneigennamen auch nicht vollständig ausgesprochen. Stefan Uros
kann man nicht einen rassisch-ungarischen Herrn nennen ; auch bezeichnen
ihn die byzantinischen Autoren nicht als solchen, sondern immer als
«Uresis».
3. Die präzise Angabe Akropolitas, dass Bossos Uros Schwiegersohn
des Königs von Ungarn gewesen, ist keineswegs auf Stefan Urosch von Ser-
bien anzuwenden, dessen Gattin Helene zwar abendländischer Abstammung,
aber keinesfalls die Tochter eines ungarischen Königs gewesen.
4. Nicht nur Gomides hält Bostislav bulgarischen Ursprunges, sondern
noch zahlreiche andere ältere und neuere Autoren ; z. B. Neplach,^ Pul-
kava * etc., die, so oft sie von Bostislavs Tochter Kunigunde sprechen, sie
* In der Abhandlung «Rosztizlav Macsevskit im 71. Bande des Journals des
mssiBchen Unternchtsministeriums.
* Kinnamos und Niketas Choniata z. £. geben an, dass Kaiser Manuel
Ladislans ü. auf den Thron Ungarns erhoben, und neben ihn seinen Bruder Stefan
in jene Würde eingesetzt habe, die die Ungarn «ür» nennen (ti^v Ovqov/4 inexk^-
Qioaav); Kinnamos, Bonner Ausgabe 1836, 203, Niketas do. 1835, lß5. — Die Abend-
länder hingegen (nämlich deutsche Chronisten) erwähnen gelegentlich der Wieder-
gabe der ungarischen Geschichte des X. Jahrhunderts ungarische Anführer des
Namens tAssuri, «Sur», «Surai ; dies sind keine Eigennamen, sondern Verballhor-
nungen des Wortes «az ür» = der Herr.
^ cFiliam Bostyslai Ducis Bulgarorum» ap.Petz II 1083; Dobner, Monum. VII 113
^ cCnnegundem filiam Hostislai Ducis Bulgarorum, ueptem Bela^ Regis Unga-
roromt ap. Dobner III 231.
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-^ GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN -GENEALOGIE.
eine Tochter des Bnlgarenförsten Bostyslaus oder Hostyslaos nennen. Aach
Dlugosz nennt die Griffina^ Gemahlin Leszeks des Schwarzen Ton Erakan,
bulgarischen Ursprunges.*
5. Bostislav selbst nennt sich «Imperator Bulgarorumf.**
Wir haben der Wenzelschen Auseinandersetzung unter voUer Aner-
kennung ihrer Stichhaltigkeit Folgendes zuzufügen :
1. Was die etymologische Seite der Sache anbelangt, gebe ich zu, dass
«Uros» die gräzisirte Form des ungarischen «ürt sei, doch scheint mir die
sprachliche Erklärung des «Bossost als «russisch» misslungen. Mir scheint
«Bossos» die gräzisirte Form von «Bos», der Anfangssilbe des Namens
Bostislav, zu sein.
± Politischerseits haben wir zu erwägen, dass Zar Michael I. von Bul-
garien deshalb die Tochter des Bossos Uros zur Gemahlin genommen, weil
er durch diese Ehe ein Gegengewicht gegen die Aspirationen des griechischen
Hofes sich verschaffen wollte.
Nun liegt es doch auf der Hand, dass durch ehelichen Anschluss an
den Schwiegersohn des Königs von Ungarn sich dieses Gegengewicht viel
sicherer erlangen liess, als durch eheliche Allianz mit den damals noch
unbedeutenden und politisch nicht sehr in die Wagschale fallenden Nema-
njiden ; zudem ist uns ja nichts von einer solchen Tochter Stefan ürosch' I.
überliefert.
3. Ganz abgesehen davon, dass ja Akropolita deutlich den Bossos Uros
einen Schwiegersohn des Königs von Ungarn nennt, ist nicht zu vergessen,
dass einer Vermählung Michaels mit einer dem Ärpädenhause verwandten
Prinzessin schon durch die Vermählung seines Vaters ein mächtiges Prä-
zedens geboten ward und dass die Allianz sowohl ungarischer- als bulga-
rischerseits genealogisch und politisch gerechtfertigt war :
Andreas II. von Ungarn,
t 1235.
B61aIV., Marie, — ^ Johann Asön n.,
t 1270. t 1237. 1220/1. f 1241.
Anna. 3. Oem. Irene Laskara.
Gem.: Roatislav. ^ |
Tochter. — ,, 3) Michael I. (Äsen),
am 1255. f 1257.
Ich schliesse mich also ganz üb4 &^ ^^^ Meinung an, dass unter
Bossos Uros ausschliesslich Bostislav von Maöva zu verstehen sei.
Bostislav's und seiner Gemahlin Anna (Todhter Bela*s IV.) ungenannte
und um 1255 an Michael I. vermählte Tochter ist, da sie unter ihren
Schwestern als die zuerst vermählte erwähnt wird, jedenfalls das älteste
* cMatrona Bulgariae ortai ed. Lips. 1711, VII 858. \
** Zichysches ürkundenbuch I 3. \
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GLOSSEN ZUR BULGABISCHEN ZAREN -GENEALOGIE. ^^
Kind ihrer Eltern. Sie dürfte somit 1244 geboren und in ihrem 11-ten
Xiebensjahre vermählt worden sein. Ob sie nach dem Tode ihres Oatten^
Yon dessen Nachfolger, Koloman 11.^ legitim geehlicht wurde^ oder nur als
Erbstück des ermordeten Michael ohne Weiteres übernommen wurde, ist
nicht genau bekannt. Ueber ihre ferneren Schicksale stehen uns keinerlei
Daten zur Verfügung.
a*) Maria.
üeber diese Prinzessin vgl. 13) Mytzes.
a') Theodor a.
Diese wird von Akropolita gleichfalls als Irene's Tochter angeführt^
-doch begeht er die Inconsequenz, sie auch Anna zu nennen. Ihre Geschichte
ist vollständig unbekannt.
Ausser den bisher Angeführten kennen wir noch folgende Töchter
Johann AsSnsII:
a**) B e 1 o s 1 a V a (W 1 a d i s 1 a v a).
Die Erörterung ihrer Verhältnisse s. unter Stefan Wiadislav von
Serbien. (Vgl. meine genealogische Geschichte der südslavischen Dynas-
tien — ung. — )
a®) Maria.
Natürliche Tochter Johann As^ns II. von unbekannter Mutter.
Als Theodor Angelos, Despot von Epiros, die Grenzen seines Reiches
mehr und mehr erweiterte^ musste es zwischen ihm und Johann Äsen II.
2U Auseinandersetzungen kommen. Der Bulgarenzar fand es Anfangs
geraten mit Theodor auf freundschaftlichem Fusse zu stehen und ein Aus-
fluss dieses Bundes war die Vermählung Maria's, der natürlichen Tochter
des Zaren, mit dem Prinzen Manuel Angelos, Theodors Bruder.
Das Jahr der Vermählung lässt sich nicht apodiktisch festsetzen^ doch
gehen wir nicht irre, wenn wir dafür ca. 1225 annehmen. Da diese Maria
jene Tochter Johann AsSn's II. ist, die sich unter ihren Schwestern am
frühesten vermählte, so ist sie sicherlich ihres Vaters erstes Kind und
muss sie deshalb die Reihe der Kinder Jobann Asens II. eröffnen.
Als Theodor — nachdem er den Freundschaftseid gebrochen — in
<ler Schlacht bei Klokotnica im April 1230 aufs Haupt geschlagen wurde,
Hess Johann AsSn seinen Schwiegersohn im Besitze von Tbessalonich und
•einigen Stücken von Epiros, worauf Manuel den Kaisertitel annahm.
Als nun Johann Äsen 1237/8 sich mit Irene Angela, der Nichte
ifanuers verheiratete, mag ihm die Verschwägerung mit seinem Schwieger-
sohne denn doch nicht ganz bequem für sein religiöses Gewissen erschie-
nen sein. Er Hess daher seinen Schwiegervater, den in der Schlacht bei
'Klokotnica gefangenen und geblendeten Theodor frei und bot ihm genü-
gende Hilfe, sich Thessalonichs wieder zu bemächtigen. Theodor nahm den
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2ö GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN-GENEALOGIE.
Kaiser Manuel gefangen, internirte ihn in dem pamphilischen Attalia und
schickte die Kaiserin Maria zu ihrem Vater nach Bulgarien zurück.^
12. Zar Eoloman II.
Wie wir wissen hat Zar Johann As^n I. zwei unmündige Söhne hin-
terlassen, deren jüngerer den Namen Alexander geführt. Dieser teilte die-
Schicksale des älteren Bruders Johann Äsen bis zu dessen Tronbesteigung^
Er dürfte sofort nach dem Begierungsantritte desselben die Würde einea
Sebastokrators erhalten haben und es ist fast sicher anzunehmen, dass er
Johann AsSn II. nicht überlebt hat, weil es sonst unerklärlich wäre, dass wir
gelegentlich der Regierung seiner beiden minderjährigen Neflfen Koloman
und Michael nicht auf sein politisches Wirken stossen.
Aus seinem Leben wissen wir nur sehr wenig.* Aus einer unten aus-
führlicher zitirten Urkunde ersehen wir, dass er in einem gegen Ungar»
geführten Kriege das bulgarische Heer kommandirte (was aber vor 123S
verfolgt ist.) Nichtsdestoweniger ist es aber heute gang und gäbe, ihm
einen Sohn Namens Koloman zuzuschreiben, denselben nämlich, der den
Zaren Michael I. 1258 ermordete. Niketas nennt ihn nur einen Verwandten
Michael's. Die Provenienz seines ungarischen Namens betreffend, ist anzu-
nehmen, dass er wahrscheinlich gleichzeitig oder kurz nach Johann
Asen's 11. Sohn Koloman geboren wurde oder dass seine Mutter vielleicht
auch eine Ungarin gewesen.
Koloman IL suchte den durch einen Mord erworbenen Tron dadurch
zu kräftigen, dass er sich mit thunlichster Eile zum Gatten der jungen
Zarenwitwe aufdrängt. Bostislav, von der Wendung der Dinge in Bulgarien
unterrichtet, zog mit einem Heere gegen Timova ; bevor er aber noch
daselbst eintraf,^ war der Usurpator nicht mehr am Leben. Koloman hatte
(entweder auf die Nachricht von Rostislavß Anzüge hin oder einer ihm feind-
lichen einheimischen Partei weichend) die Flucht ergriffen und fand auf
derselben seinen gewaltsamen Tod.
Mit ihm ist der Mannesstamm der Aseniden ausgestorben und hän-
gen sämmtliche Herrscher Bulgariens bis zu den Zeiten der jüngeren Sis-^
maniden entweder durch mütterliche Abstammung oder nur durch Ver-
schwägerung mit den Aseniden zusammen.
* Engel 414 meint, Johann Aßdn habe Manuel's Sturz mir deshalb befördert,,
damit er durch Trennung der Ehe Manuel's die Wirkung der gegenseitigen Verwandt-
schaft aufhebe.
' Der Pomenik erwälmt ihn als Alexander, Sebastokrator, Bruder des grosseik
Zaren Asön.
* Jirecek 267.
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GLOSSEN ZUR BULGAM8CHEN ZA REN -GENEALOGIE.
27
13. «Zart Mytzes.
Wenn wir die Berichte der Byzantiner Georg Pachymeres nnd Nike-
phor Gregoras * snmmiren, so ergeben sich für die auf Eoloman's II. Tod
gefolgten unmittelbaren Ereignisse folgende Besultate :
Bostislay hatte, als er nach Michael's und Eoloman's II. Ermordung
die Ordnung in Bulgarien hergestellt, den Mytzes, den Gemahl der Maria,,
einer Tochter Johann Asen's ü. und der Irene Angela, zum Machthaber in
Bulgarien eingesetzt. Mjrtzes, ein energieloser und träger Mensch, zeigte sich
jedoch nicht gewachsen, die ihm zugefallene Aufgabe zu lösen und sa
gelang es dem von der nationalen Partei aufgestellten Konstantin (siehe
Konstantin), den Kampf gegen Mytzes siegreich zu Ende zu führen. Der
erste Schritt hierzu war die Einnahme Timova's, aus dem Mytzes floh und
in welchem sich Konstantin zum Zaren krönen Hess. Mytzes gelang es
zwar bald darauf seinem Gegner eine Schlappe beizubringen, in Folge-
deren sich derselbe in das Schloss Stenimachos zurückziehen musste, doch
gelang es den mit Konstantin verbündeten Truppen des nikäischen Kaisern
Theodor 11. den Belagerten zu entsetzen. Der im August 1 258 erfolgte Tod
Theodor's 11. war für Mytzes ein grosser Nachteil und wir irren wohl nicht,,
wenn wir behaupten, dass er sich nun nur mit ungarischer Hilfe in den
Gebirgsgegenden um Tirnova herum gegen Konstantin kümmerlich behaup-
tete. Als aber um 1 264 Mytzes auf sich allein angewiesen war, zwang ihn
Konstantin zur Flucht. Er floh nach Meeembria und warf sich bald in die
Arme des Kaisers Michael Palaiologos von Konstantinopel, dem er Meaem-
bria und Anchialus gegen einige erträgliche Güter am Skamander in Kol-
chis übergab. Was mit Mytzes ferner geschehen, ist unbekannt; es scheint
dass er 1278 (als sein Sohn zum Zaren Bulgariens ersehen wurde) nichi
mehr am Leben gewesen; auch über die Geschicke seiner Gattin Maria
sind wir im Unklaren ; sie hat jedenfalls — gleich ihrem Gatten ~ ihr
Leben auf den Gütern am Skamander beschlossen.
Jire^ek 270 leugnet die Herrschaft des Mytzes, lässt nach Koloman's IL
Ermordung sofort den Konstantin zum Zaren gewählt werden und hält ea
für sehr wahrscheinlich, dass dieser Mytzes Niemand Anderer, als der
durch Sagen entstellte Zar Michael AsSn (Mica, Diminutiv für Michail) sei.
Er begründet dies Alles damit, dass der Zeitgenosse Akropolita, der doch
1260 den Zaren Konstantin persönlich kennen gelernt, von der 2jarenschaft
des Mytzes Nichts erwähne, und dass wir unsere Nachricht über Letzteren
nur dem späteren Zeitgenossen Pachymeres und dem Epigonen Nikephor
Gregoras verdanken. Dem gegenüber haben wir Folgendes zu erwägen:
* Ergterer lebte 1242—1308, Letzterer 1295—1360.
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^8 GLOSSEN ZUR BULGARISCEtEN ZAREN -GENEALOGIE.
a) Mytzes ist yon Bostislav sicherlich nicht zum Machthaber ganz
Bulgariens eingesetzt worden.
h) Sofort nach dem Antritt seiner Herrschaft hat die mit seiner Per-
son und der ungarischen Oberherrlichkeit unzufriedene nationale Partei
<len Konstantin zum Zaren gewählt.
c) Mytzes war somit nach kurzer Herrlichkeit zur Bolle eines angefein-
deten und verfolgten Prätendenten gelangt, während Konstantin sowohl
Ton seinen eigenen Unterthanen, wie auch vom kaiserlichen Hofe zu Kon-
«tantinopel als faktischer und legitimer Beherrscher Bulgariens anerkannt
worden ist.
Somit haben wir allenfalls das Becbt, Mytzes — der niemals zur
selbstständigen und unbeschränkten Herrschaft gelangt war — nicht in
<lie Zarenreibe aufzunehmen (in der er als Michael U. figuriren müsste) ;
aber daraus, dass der Weihnachten 1260 am Hofe Konstantins glänzend
empfangene Akropolita einzig und allein nur Konstantin als Zaren Bulga-
riens kennt und seine Tronbesteigung ohne Berücksichtigung der mit
Bezug auf den in den Augen des kaiserlichen Gesandten illegitimen Prä-
tendenten Mytzes sich abgespielten Ereignisse, als ein Faktum erzählt,
welches 1258 sofort nach Koloman's U. Ermordung sich vollzog: dürfen
wir noch durchaus nicht behaupten, dass Pachymeres, der z. B. 1265, als
Mytzes sich in Griechenland als Privatmann zurückgezogen, schon eia
23jähriger Mann gewesen, seinen Mytzes mit dem durch Sagen entstellten
Zaren Michael Äsen verwechselt habe.
Yon Mytzes* Kindern kennen wir nur folgende zwei mit Bestimmtheit :
1) eine ihrem Namen nach unbekannte Tochter, die 1279 an Georg
Terterij I. (s. d.) vermählt wurde.
2) Zar Johann Äsen III. Als der Usurpator Ivajlo auf der Höhe
^seiner Erfolge gestanden, fand es der griechische Hof geraten, ihm in der
Person eines As^niden einen Gegner aufzustellen. Mytzes war damals ent-
weder nicht am Leben, oder hatte er sich durch die kurze Zeit seiner bul-
garischen Herrscherschaft als viel zu untau&^lioh erwiesen, kurz os wurde
sein Sohn Johann vom Staatsrate dazu aust-rsehen, dem mächtigen Aben-
teurer die Spitze zu bieten. Um die asSnidische Abkunft des neuen Tron^-
hewerbers noch durch einen aktuellen Vorzug seiner Person mit grösserem
Nimbus zu umkleiden, verlobte man ihn — den nunmehr designirten Zar
von Bulgarien — mit der Prinzessin Irene, einer Tochter des Kaisers
Michael VIII. Nun erhielt er noch den für bulgarische Ohren besser klin-
genden Namen Äsen und für den Fall des Misslingens seiner bulgarischen
Tronbestrebungen, die Zusicherung des Titels eines byzantinischen Des^
poten. Die Hochzeit wurde mit grossem Pompe Anfangs 1278 gefeiert.
Als sich Anfangs 1279 das Gerücht von Ivajlo's Tod verbreitete,
öflfnete das belagerte Tirnoya seine Tore und Johann Äsen IIL zog unter
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GLOSSEN ZUR BULGABISCHEN ZABEN- GENEALOGIE. 21>
Frendebeseugungen der Einwohner als Zar ein ; kurz darnach folgte ihm
seine unterdessen in Griechenland gebliebene Gemahlin.
Die Zarenherrlichkeit Johann As^ns lU. dauerte nicht lange. Er hatte
die Unerfahrenheit in militärischen Dingen und die XJntüchtigkeit über-
haupt von seinem Vater geerbt. Als der zurückgekehrte Ivajlo ein zu Johann
As^n's Schutze herbeigekommenes griechisches Heer am 15. Aug. 1280
aufs Haupt schlug und Georg Terterij^ Johann Asen's Schwager, sich eine
grosse Partei im Volke und unter dem Adel erworben, raffte der Zar alle
Schätze seiner Burg zusammen und floh — eine Strecke unter dem Vor-
wande einer Beise aus Gesundheitsrücksichten — über Mesembria nach
Eonstantinopel. EAiser Michael schalt den Feigen, konnte aber nicht ver-
hindern, dass die Bulgaren sich einen Zaren aus ihrer Mitte wählten.
Johann As^n's HI. sowie seiner Gattin Schicksale nach 1 280 sind
unbekannt; besser kennen wir indessen seine Nachkommen.
Er hatte vier Söhne und drei Töchter, deren eine (Maria) sich 1305/6
mit Boger de Flor, dem Anführer der katalonischen Söldner vermählte.
Unter den Söhnen Johann Asßn's III. spielte der Protovestiar Andro-
nikos Asän eine grosse Bolle ; seine Tochter Irene Asanina war die Gemahlin
des nachmaligen Kaisers Johann Eantakuzenos.
Einer seiner Enkel, "^ Johann, erscheint (1344) als Eonmuandant
Johann Eantakuzen's in Morrha.
Mit Andronikos, dem Urenkel Johann As^n's IE. hört bei Ducange
114 die genealogische Beihenfolge der «Asanina Familia» auf und alle
später vorkommenden gräzisirten Nachkommen Johann As^n's HI. sind
uns nur daher als solche gekennzeichnet, weil sie den Namen »Asan»
ihrem Taufnamen angereiht führen.
Bemerkenswert sind unter ihnen :
1. Alexius Asan, beherrschte östlich von Süd-Macedonien die Seestadt
Christopolis (bei Kavala) und die Insel Thasos bei 17 Jahre. Nachdem er
den Türken einige Schlösser entrissen und an seinen Nachbarn keinen
Schutz fand, erwarb er 1373 das venetianische Bürgerrecht. Er hatte zwei
Brüder, von denen Johann am 9. März 1356 gleichfalls die oben genannten
Lehen erhielt. 1373 ist Johann, ebenso wie der andere Bruder bereits ver-
storben. Die Tochter des Alexius heiratete vor 1383 einen Baoul, ohne
Zustimmung des Patriarchen. Nach diesen As^niden erben die Herrschaft
die Familien Baoul und Branas.
2. Isak Asan um 1420, erwähnt von dem Byzantiner Phranzes.
3. Paul, gleichfalls erwähnt von Phranzes, war Präfekt von Konstan-
tinopel und + 1442. 1439 war er Gesandter Johanns VTII. bei Sultaa
* Engel 455.
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^ GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN- GENEALOGIE.
Marad 11. Seine Tochter Zöe beiratete 1441 den Prinzen Demetrius Palaio-
logos, einen Bruder des letzten griechischen Kaisers Konstantin. Demetrios
war Herr von Misithra und Korinth, regierte bis 30. Mai 1460 und starb 1470
als Mönch Dayid in Adrianopel. PauFs Sohn Matthäus war Präfekt von
£orinth, das er 1458 an die Türken verriet. Er starb mit seiner Toch-
ter 1467.
4. Demetrius, zur selben Zeit Präfekt einer Stadt im Peloponnes
(erwähnt von Laonikos lib. IX).
5. Asan Zaccaria. Seine Nachkommen führen den Namen Asan. Gen-
turio, Fürst von Damala, wird von Phranzes wegen seiner Heirat mit einer
Asanina dieser Familie zugezählt.
6. Alexander Asan, Verwandter des Kaisers von Konstantinopel, wird
1470 bei D'Oultreman erwähnt (t 27. Okt. 1500).
7. Demetrius und Michael Asan ; zogen nach der Eroberung Konstan-
linopels durch die Türken, nach Italien, wo sie noch 1455 lebten. Ihrer
erwähnt Franz Philelphos (t 1481) lib. XIL epist. pag. 263.
8. Andreas Asan, lebte unter dem Patriarchen Euthymios.^
9. Demetrios As^n, Herr von MouchUon; seine Tochter ist vermählt:
1) mit Franz H. aus dem Hause Acciajuoli f 1460, 2) mit Georg Jagros,
Protovestiar von Trapezunt.
14. Zar Konstantin.
Wie wir bereits unter Mytzes gesehen, hat die nationale Partei nach
der durch Eoloman's II. Tod erfolgten Erledigung des Trones, in der Per-
son eines sichern Konstantin einen neuen Zaren gewählt (1258). Ducange
109 nennt ihn blos Constantinus Techus, resp. «Techi filiust> lässt sich
aber über seine Familie mit keinem Worte vernehmen.
Engel 421 nennt ihn Constantinus Tochus und sagt: «zum Teil (man
weiss nicht von väterlicher oder mütterlicher Seite) leitete er sein Geschlecht
von Servien her; vielleicht ward er also auch von Landsleuten unterstützt. ■
Jire^ek nennt ihn einen Serben, Hertzberg einen Halbserben.
Entgegen diesen nicht kongruirenden Angaben stehen uns folgende
Anhaltspunkte zur Verfügung :
1. Konstantin 's Familie war am Fusse des Berges Vitoä bei Sophia
begütert.**
2. In einer Urkunde nennt er sich selbst einen Enkel des Serben-
fürsten Stefan Nemanja^ was durch ein anderes Denkmal bekräftigt wird»
* VgL Labb^, Nova Biblioth. pag. 100.
** Jirecek 269.
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GLOSSEN ZUR BULGAJUSCHEN ZAREN -GENEALOGIE.
31
in dem der SebastokratorEalojan, ein Vetter Eonstantin's, gleichfalls Enkel
-des Serbenfürsten Nemaoja genannt wird.^
Auf Grundlage des Ansbert' sehen Berichtes (s. meine oben angedeu-
tete genealogische Geschichte der südslavischen Dynastien) spreche ich die
Ansicht aus, dass Konstantins Vater Tich ein Sohn Nemanja's, der Ans-
herVsche Tohu ist.
Sofort nach seiner Tronbesteigung legte er sich den Namen tEon-
■stantin As^m bei.^*
Seine Regierung war zumeist mit Bekämpfung der inneren und
äusseren Anhänger des Mytzes, namentlich der Ungarn, später mit Feind-
seligkeiten des griechischen Hofes ausgefüllt, die er — wie wir sehen wer-
kten — grösstenteils den Intriguen seiner Gattinen zu verdanken hatte.
Zu Eade seiner Begierung erlitt er einen Beinbruch, durch dessen
schlechte Behandlung er anfangs die Möglichkeit einer freien Bewegung
verlor, später einem unheilbaren Siechtum zum Opfer fiel.
Als er dem Abenteurer Ivajlo eine kleine Heeresabteilung entgegen-
schickte, folgte er derselben später nach. In Folge seines Leidens Hess er
sich auf einem Wagen nachführen. Ivajlo griff die königlichen Truppen
an, drang bis zu Eonstantin's Wagen vor und tödtete den Zaren eigenhän-
dig (1277).
Wir kennen von Eonstantin's Nachkommenschaft nur den einzigen,
von der Maria geborenen Sohn Michael.
Schon während Eonstantin's Erankheit riss Maria im Namen Michaelas
■das Regime an sich ; nach Ivajlo's Bezwingung nahm sie den jungen Prin-
zen mit nach Griechenland, wo man ihn für allenfallsige Fälle der Zukunft
in Beserve hielt. Als Svetslav den Tron bestiegen, bat eine mit ihm unzu-
friedene Partei den Eaiser Andronikos 11., er möge den in Griechenland
sich befindenden Prinzen Michael schleunigst nach Bulgarien als Gegner
Svetslav's senden. Michael erschien zwar, konnte aber nichts ausrichten
(1298). Auch die Unterstützung des Sebastokrators Badoslav, den der Eai-
ser als Succurs abgeschickt, half der Sache nicht.
Michael's weitere Geschichte ist unbekannt.
Eonstantin war dreimal verheiratet ; seine (jattinen sind :
a) Anonyma.
Als Eonstantin zum Zar der Bulgaren erwählt wurde, war er bereits
Terheiratet ; doch kennen wir nicht die Genealogie seiner Gemahlin. Jeden-
* P. J. Sa&rik, Pam&tky drevnino pisemniotvi jihoslovanuv, Prag 1851, 23:
-tDer heilige Symeon Nemanja, mein Grossvater (död).t Eine Inschiift zu Bojana
unter dem Vitos (zit. ap. Jirecek 1., c.) hat: cEalojan der Sevastokrator, der Vetter
^bratmöed) des Zaren, der Enkel des heiligen Stephan des Serbenkönigs. •
*^ So heisst er auf beiden vordem zitirten Denkmälern.
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32
GLOSSEN ZUR BULGABISCHEN ZAREN -GENEALOGIE.
falls schien sie ihm seiner königlichen Stellung nicht ebenbürtig and am
dem, durch seine Gattin Maria der As^nidendynastie verschwägerten Riva-
len Mytzes ein kräftiges Schach zu bieten, entschloss sich der neue Zar^
seine Gemahlin zu Verstössen und durch das Eingehen einer Ehe mit einer
Tochter aus regierendem Hause, seiner neuen Herrlichkeit die Weihe, der
Legitimität zu verleiben. Da er zur Bealisirung seines Vorhabens sich mit
dem Kaiser Theodor 11. v. Nikaea in Unterhandlungen einliess, schickte er
seine geschiedene Frau an dessen Hof, damit sie Bürgschaft für den Ernst
seines Vorhabens leisten solle . . . Über ihre weiteren Schicksale ist Nichte
bekannt.
b) Irene «Laskara».
Kaiser Theodor H. Dukas Vatatzes, genannt (nach seinem mütter-
lichen Grossvater Theodor I.) Laskaris^ hatte aus seiner Ehe mit der bul-
garischen Zarentochter Helene eine jüngere Tochter des Namens Irene.*
Unter den Fürstentöchtem jener Zeit wäre wohl keine zweite im Stande
gewesen, den dynastischen Vorteilen Konstantin's besser zu entsprechen,
als Prinzessin Irene von Nikaea. Durch ihre Mutter war sie die Enkelin
des grossen und im besten Andenken stehenden Zaren Johann AsSn IL
von Bulgarien, — die Urenkelin des Ungarnkönigs Andreas Tl., — und
durch ihre im Sept. 1 256 vermählte ältere Schwester Maria die Schwäge-
rin des Kronprinzen Nikephor (I.) von Epiros.
Die im Jahre 1258 mit Irene eingegangene Ehe brachte jedoch Kon-
stantin bei Weitem nicht die erhofften Vorteile. Ein kleines Hilfskorps
gegen Mytzes war Alles. Hingegen war der schon im August 1258 erfolgte
Tod seines Schwiegervaters Theodor von Nikaea für ihn eine Quelle bestän-
diger Unannehmlichkeiten. Die unablässigen Bemühungen seiner Gattin
Irene, die in dem neuen mächtigen Kaiser Michael Palaiologos von Kon-
stantinopel nur den Erzfeind ihrer Familie sab, brachten es dahin, dasa
Konstantin 1265 nach unglücklich geführtem Kriege einige seiner bedeu-
tendsten Städte an seinen Gegner abtreten musste. Irene ist 1270 gestorben.
c) Maria Kantakiczena.
Nach Irene's Tod war Nichts natürlicher, als dass sowohl Konstantin
wie Kaiser Michael auf dem Wege einer ehelichen Allianz einander in ein
wärmeres Verhältniss zu bringen bestrebt waren ; namentlich musste es
dem griechischen Hofe nötig erscheinen, nachdem die fruchtlosen Feldzüge
gegen Bulgarien viel Geld und Blut verschlungen hatten.
Kaiser Michael hatte eine an einen Kantakuzenos vermählte Schwe-
ster Eulogia, die aus dieser Ehe unter Anderen auch eine Tochter Maria
hatte. Diese, die Gemahlin des Grossdomestikus Alexius Philas, war Witwe
^* Von Nikephor wird sie Theodora genannt.
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GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN- GENEALOGIE. '^^
geworden nnd Michael beeilte sich^ sie dem verwitweten Konstantin anzu-
bieten, der den Vorschlag annahm.
Die Ehe brachte aber keiner einzigen Partei die erhofften Vorteile.
Konstantin hatte sich zur Mitgift seiner Braut die ehemals in bulgarischem
Besitze gestandenen Städte Mesembria und Anchialos ausbedungen und
wurde ihm deren Uebergabe schriftlich zugesagt. Statt sie aber sofort zu
übergeben, bemühte sich der Kaiser, der die Braut persönlich bis Selym-
bria begleitete, den Bulgarenzaren durch ausgesuchte Aufmerksamkeiten
und Entfaltung eines wahrhaft orientalischen Luxus einzuschläfern. Als
dies nicht verfieng und Konstantin die Erfüllung der Zusage urgirte, berief
sich Michael auf die Abneigung der Einwohner der genannten Städte gegen
die bulgarische Herrschaft und vertröstete den Zaren mit der allenfallsigen
Geburt eines Prinzen, der — weil von einer Griechin geboren — den
Betreffenden ein erwünschter Gebieter sein würde ; wahrscheinlich rechnete
er nicht auf Nachkommen dieser Ehe. Irene unterstützte Michael's Ein-
wendungen und so blieb das Einvernehmen beider Höfe vorläufig ein gutes»
Als aber Maria 1 27 1 den Prinzen (Michael) geboren, war sie es, die zumeist
auf die Erfüllung des Versprechens drang und dem kaiserlichen Oheim
mit gewaltsamer Inanspruchnahme ihrer Rechte drohte. Michael gab nun
schnell seine natürliche Tochter Euphrosyne dem General Nogaj Khan d^^
Beherrschers der goldenen Horde zur Gattin^ um sich an demselben einen
Beschützer gegen Bulgarien zu schaffen. Konstantin und Maria mussten
vorläufig gute Miene dazu machen.
1 274 griff Maria abermals in die Politik ein. Kaiser Michael hatte,
um sich gegen die ihm feindlichen Pläne des Hauses Anjou in Neapel zu
decken, mit der päpstlichen Curie zu liebäugeln angefangen. Die griechi-
sche Geistlichkeit steckte sich hinter des Kaisers ränkevolle Schwester
Eulogia ; diese reizte ihre Tochter Maria auf, um dem Kaiser Unannehm-
lichkeiten zu bereiten, — da trat plötzlich Konstantins Erkrankung ein.
Die Zunahme des Leidens bot der herrschsüchtigen Maria die
erwünschte Gelegenheit, die Zügel der Regierung an sich zu reissen. Sie
liess den Knaben Michael zum König krönen und führte in seinem Namen
die Regierung. Was sich ihr in den Weg stellte, wurde mit allen zu Gebote
stehenden Mitteln aus dem Wege geschafft. Wie wir unten sehen werden^
h^t sie auch den mächtigen Despoten Jakob Svetslav beseitigen lassen.
15. Zar Ivajlo.
Inmitten der durch die herrschsüchtige Zarin hervorgerufenen Wirren
trat ein Abenteurer des Namens Ivajlo * auf.
* Jireeek 27G ist der Erste, der ihn so nennt. Er stützt sich hierbei auf die
Notiz in einem Evangelium, welches im Jahre 6787 (1. Sept 1278 bis 1. Sept. 1279)
. Ungarisehe Bttvaa, XI. 1891. I. Heft. 3
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^ GLOSSEN ZCR BULGARISCHEN ZAREN -GENEALOGIE.
Er war von Geburt ein Walache und Anfangs Schweinehirt. Seine
Landsleute nannten ihn Eordokubas, die Griechen übersetzten diesen Namen
mit Lachanos (übrigens ist auch Kordokubas — richtiger Bordokubas — das
gräzisirte Brdokva (Lattich). — Durch anfangs ganz unbedeutende Manö-
ver wusste sich dieser Mensch unter dem leichtgläubigen Bauemvolke ein
gewisses Ansehen und die Bolle eines zu einer höheren Mission Bestimm-
ten zu verschaffen und als es ihm gar gelang, mit Hilfe der sich ihm täg-
lich mehr anschliessenden Volkshaufen einige tatarische Guerillahäuflein
glücklich zu bewältigen^ war aus dem Schweinehirten im Handumdrehen
ein Mann geworden, mit dem zwei Höfe, der griechische und der bulga-
rische, zurechnen begannen. Zar Konstantin, der ihm entgegenzog, fand —
wie wir wissen, — Ende 1277 seinen Tod durch die Hand des Aben-
teurers. Durch solche ungeahnte Erfolge übermütig gemacht, streckte der
Emporkömmlingseine Hand nach der Krone aus; mehr und mehr näherten
sich seine Schaaren der Hauptstadt. Zarin Maria, auch von griechischer
Seite bedroht — dort hatte man, wie wir wissen, den Prinzen Johann
As^n zum Zaren Bulgariens designirt und die Auslieferung Maria's von
den Bulgaren verlangt, — warf sich nun dem Ivajlo in die Arme : sie trug
ihm Hand und Tron an ; sie erlebte die Schmach, dass der einstige Schweine-
hirt sie nur aus Gnade zu seiner Gattin nahm (Frühjahr 1278).
Nicht lange nach seiner Krönung verliess Ivajlo die Arme der Grie-
chin, um seinen von griechischer und tatarischer Seite bedrohten Tron zu
verteidigen. Als sich Anfangs 1279 das Gerücht verbreitete, Ivajlo sei
gegen die Tataren gefallen, öffneten sich Tirnova's Tore dem Zaren Johann
As6n m. Die von Ivajlo schwangere Maria wurde nach Adrianopel abge-
führt. Sie hat Bulgarien nicht mehr gesehen.
Da erschien der verschollene Ivajlo 1280 wieder mit einem Heere
vor Timova und schlug zweimal die ihm entgegengestellten Griechen; als
er aber durch Georg Terterij, den Schwager Johann AsSns HI., Ende 1280
geschlagen wurde, flüchtete er zu Nogaj Khan, um diesen zur Unter-
stützung seiner Herrschaft zu bewegen. Hier wurde dem Abenteurer auf
Befehl des trunkenen Khans die Gurgel durchschnitten.
1294 trat ein Pseudo Ivajlo auf, der aber durch Maria entlarvt wurde.
Maria*s Ende ist unbekannt.
(SchluBB folgt.) MOR. WbBTNER.
•V dni care Ivajla i pri jepiskupe Nisevscßm v l^to 6787 indikta 7, jegi stojacliu
Grci pod gradom Trnovom» (ap. Glasnik 2(), 245.) Da hier von der Belageining Tir-
nova's durch die Griechen zu Gunsten Johann Asön's III. die Rede ist, kann der Zar
Ivajlo kein anderer als jener Abenteurer sein.
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DAS BUDGET UNGARNS FÜR DAS JAHR 1891. ^^
DAS ßUD(iET UNÜARNS FUß DA8 JAHR 1891.
Nichts bezeugt deutlicher die gründliche Aenderung der finanziellen
Lage Ungarns, als jene Gleichgültigkeit, welche dem Budget und im allge-
meinen finanziellen Fragen gegenüber wahrgenommen werden kann. Noch
vor 1 — 2 Jahren nahm das Budget nicht nur die Aufmerksamkeit der den-
kenden PoUtiker, sondern auch des PubUkums Monate hindurch in Anspruch.
Finanz-Projecte, Entwürfe und finanzielle Gesichtspunkte dominirten damals
im öffentlichen Leben, gegenwärtig hingegen wird das Expose des Finanz-
ministers mit wohlverdienten !^ljen-Bufen aufgenommen ; die allgemeine
Freude und Befriedigung über die Herstellung des Gleichgewichtes im Budget
findet in zwei drei Artikeln und Beden Ausdruck und damit kehrt man zur
Tagesordnung über; gegenwärtig wird die allgemeine Aufmerksamkeit nicht
nur durch die auf der Schwelle stehenden Beform-Entwürfe, sondern auch
durch die nur auf einige Minuten in den Vordergrund tretenden Tagesfragen
dermassen in Anspruch genommen, dass keine Zeit übrig bleibt, um sich
mit der finanziellen Lage ernsth'ch zu befassen, man kann sagen es werden
die finanziellen Gesichtspunkte ausser Acht gelassen.
Eine derartige Umgestaltung der öffentlichen Auffassung ist erklärlich,
hüllt aber grosse Gefahren in sich.
Die Hauptbedingung der Begelung der Staatsfinanzen Ungarns bildete
. jene regelmässige Consequenz, mit welcher in allen Zweigen des Staatshaus-
haltes so im Kleinen wie im Grossen die strengste Sparsamkeit durchgeführt
wurde ; eine neuerliche Störung des kaum hergestellten Gleichgewichtes ist
nur dann nicht zu befürchten, wenn — diese Sparsamkeit auch in der
Zukunft mit unerbitthcher Strenge durchgeführt wird, die zunehmenden Ein-
nahmen nicht auf kleinliche Ausgaben vergeudet werden und wenn die vor
uns stehenden grossen Ziele in jener Beihenfolge und in solchem Maasse
verwirklicht werden, als die hiezu erforderlichen Kosten factisch gesichert
sind und zur Verfügung stehen.
Ueber diese Grenze dürfen uns weder die edelsten Intentionen, noch
■die besten Beformideen verleiten ; diese Grenze muss jeder Factor des öffent-
lichen Lebens in allen Zweigen des staatlichen Lebens sorgsam vor Augen
halten, dieser Grenze müssen sich alle an den Staat gerichteten noch so
gerechten Forderungen anbequemen.
Es ist daher unumgänglich notwendig, dass wir uns die Mühe nehmen,
•mit der finanziellen Lage Ungarns möglichst gründlich bekannt zu werden;
dies zu erleichtem wäre Aufgabe dieser kurzen Abhandlung über das Budget
-<ie8 Jahres 1891.
3*
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3ö DAS BUDGET UNGARNS FÜR DAS JAHR 1891.
Für das Jahr 1891 sind die ordentlichen Einnahmen mit 363.49, die-
durchlaufenden mit 5.ßs Millionen Gulden in Voranschlag gebracht ; dem
Voranschlag des Vorjahrs gegenüber zeigen erstere eine Zunahme von
15.86 Millionen Gulden, letztere hingegen eine Abnahme von l.e« Millionen
Gulden, die gesammte Zunahme der Einnahmen beträgt demnach 13.7 Mil-
lionen Gulden. Trotz dieser immensen Zunahme gestaltet sich die Bilanz
nur um 525.000 Gulden günstiger, das heisst, die Zunahme der Ausga-
ben nimmt fast gänzlich die Mehreinnahmen in Anspruch.
Mit der wirklichen Tragweite dieser nur für den ersten Augenblick
constemierenden Erscheinung kann man nicht ins Beine kommen, ohne
die Natur der zunehmenden Ausgaben einer Untersuchung zu unterziehen.
Fasst man die durchlaufenden Ausgaben mit den Investitionen und den
ausserordentlichen gemeinsamen Ausgaben zusammen, so ergibt sich bei
diesen drei Titeln eine Zunahme von 1.4 Millionen Gulden, wovon Militär-
zwecke beinahe l.i Millionen Gulden in Anspruch nehmen. Die bei den
übrigen Titeln vorkommenden Aenderungen gleichen sich fast gänzlich
aus. Die Gespanntheit der internationalen Verhältnisse, sowie die ungün-
stige finanzielle Wirkung, welche durch die, eine fortwährende Umge-
staltung der Bewaffnung des Heeres zur Folge habenden Erfindungen ver-
ursacht wird, gelangt auch in diesem Jahre zur Geltung und es stieg der
ausserordentliche Bedarf der kön. ung. Landwehr und des gemeinsamen
Heeres, welcher im Jahre 1887 nur 4.8 Millionen Gulden betrug, im Jahre
1890 hingegen schon mit lO.e Millionen Gulden in Voranschlag gebracht
wir — im laufenden Jahre auf 11.7 Millionen Gulden. Leider jedoch gibt
diese Zunahme in sich selbst genommen nicht das ganze Maass der ungünsti-
geren Gestaltung der Lage. Während nämlich noch vor einem Jahr mit
Eecht gehofft werden konnte, dass die ausserordentlichen Militär- Ausgaben
für das Jahr 1892 um mehrere Millionen herabgesetzt werden können,
stehen wir gegenwärtig — besonders zu Folge Annahme des rauchlosen
Pulvers — einer gänzlich veränderten Lage gegenüber.
Laut diesjährigem Bericht des gemeinsamen Kriegsministers beziffert
sich der Bedarf bei den noch erforderlichen Gewehren und rauchlosen Pulver -
auf 21.2 Millionen Gulden, hievon wurden für das laufende Jahr 4^/a Millio-
nen Gulden votirt, mit 1. Jänner 1892 blieben noch unbedeckt 16.7 Millionen
Gulden. Zu gleichen Zwecken und in Anbetracht genommen, dass im künfti-
gen Jahr nicht einmal die Gewehre der Infanterie gänzlich beschafft werden
können, wird nach annähernder Berechnung auch bei der k. ung. Land-
wehr ein Bedarf von beiläufig 5 Millionen Gulden entstehen, die auf Ungarn
entfallende gesammte Last beträgt daher mindestens 10 Millionen Gulden.
Nachdem aber unter diesen Titeln bei dem Heer und der ung. Landwehr
zusammengenommen das ungarische Budget mit 4.5 Millionen Gulden belas-
tet erscheint, ist eine Abnahme bei diesem Bedarf wenigstens zwei Jahre hin-
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DAS BUDGET UNGARNS FÜR DAS JAHR 1891. «^7
-durch ausgeschlossen. Die Sicherheit dem Auslande gegenüber, sowie der
-Äusserst wichtige Gesichtspunkt der Wehrfähigkeit begründen zwar voll-
ständig diese Ausgaben, mit den drückenden Lasten jedoch, welche hieraus
für Ungarn entstehen, mit den grossen Schwierigkeiten, welche hiedurch
dem finanziellen Fortkommen in den Weg gelegt werden, müssen wir als
mit einer unvermeidlichen, aber sehr ernsten Erscheinung im Klaren sein.
Der Löwenanteil an der Zunahme der Ausgaben, 11.76 Millionen
Gulden, entföUt auf die ordentlichen Ausgaben. Um über diese Zunahme ein
Urteil fällen zu können, müssen die Ausgaben nach ihrer Verschiedenartig-
keit gruppirt werden und die vorkommenden Aenderungen bei den Staats-
schulden, Militär-, Betriebs- und Adminbtrations- Ausgaben separirt einer
-Untersuchung unterzogen werden.
L
Unter dem Titel streng genommener Staatsschulden betrugen :
Tausende Golden
1891 1890
die Ausgaben 119.524 120.018
die Einnahmen.. 4.491 4.349
Netto- Ausgabe 115.033 115.669
Hiezu kommen zu Folge Verstaatlichung von
Eisenbahnen übernommene Schulden .._ 10.773 6.990
und Zinsgarantie-Vorschüsse 1.354 4.596
Zusammen 12.1^7 11.586
Gesammte Netto-Ausgaben 127.1601 127.255
Während — laut obigen Zahlen — die Hauptsummen bei der Gruppe
^eser Ausgaben fast gar keine Aenderung aufweisen, zeigen die einzelnen
Posten sehr namhafte Unterschiede.
1. Den auffallendsten Unterschied verursacht die Verstaatlichung der
Nordostbahn ; während nämlich im Vorjahre der Bedarf dieser Bahn mit
2,800.000 Gulden unter den Zinsgarantie-Vorschüssen aufgenommen war,
fällt diese Post zu Folge Verstaatlichung der Bahn weg und kommt an Stelle
dieser Post der gesammte Bedarf an Zinsen und Amortisationsquoten des
Capitals der Bahn mit 3,835.000 Gulden unter die zu Folge Verstaatlichung
der Eisenbahnen übernommenen Schulden. Der auf diese Weise entstehen-
den Mehrausgabe von 1,035.000 Gulden gegenüber steht das Erträgniss der
Bahn, welches zu Folge der Verstaatlichung in dem Einkommen der Staats-
bahnen inbegriffen ist und fast dieselbe Summe beträgt. Abgesehen daher
von dieser ganz und gar scheinbaren und durch die Mehreinnahme der
-Staatsbahnen im Gleichgewicht gehaltenen Mehrausgabe, kann bei dem Titel
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38 DAS BUDGET ITNGARNS FÜR DAS JAHB 1891.
Eisenbahn-Scholden und Zinsgarantie- VorBcbüsse ein günstigeres Ergebniss
von 500.000 Gulden constatiert werden, welobes grösstentheils durch Hebung
des Verkebrs und in Folge dessen durch die Abnahme bei dem Bedarf von
Zinsgarantie- Vorschüssen verursacht wird.
Das günstigere Ergebniss von 636.000 Gulden bei dem Netto-Bedarf
der streng genommenen Staatsschulden ist das Resultat mehrerer, teilweise
entgegengesetzter Factoren.
Eine Zunahme zeigt sich 1. bei den Entschädigungen für das Schank-
regale 704.000 Gulden ; bievon entfallen 475.500 Gulden auf die Aufnahme
der Amortisations-Quote, der übrige Teil obiger Summe ist jenem Umstände
zuzuschreiben, dass das Einlösungs-Gapital höher festgestellt werden musste
als im Vorjahre. Die bei dieser Post entstammende Mehrausgabe bildet
einesteils eine Capitals-Amortisation, andererseits wird dieselbe reichlich
ersetzt durch das erhöhte Erträgniss des Schankgefälls, welches statt der
für das Jahr 1890 in Voranschlag gebrachten 12.5 Millionen Gulden für das
Jahr 1891 mit 15 Millionen Gulden präliminirt wurde, dermassen, dass
obzwar die hiemit verbundenen Ausgaben
bei den Staatsschulden um 704.000 Gulden
bei der Administration um 1,035.000 «
zusammen um 1,739.000 Gulden
zunehmen, die Bilanz des Schankgefälls in ihrem Endresultat sich noch
immer um 759.000 Gulden günstiger gestaltet.
2. Bei der schwebenden Schuld ergibt sich als Endresultat eine
Zunahme von 556.000 Gulden, dies ist ausschliesslich das Ergebniss des im
Interesse der Flussregulierungs- Gesellschaften verfassten Gesetzes, mit wel-
chem diesen Gesellschaften die Kückzahlung ihrer aus den Theiss-Szegediner
Anlehen erhaltenen Darlehen zugestanden wurde. Nachdem nach diesen ein-
laufenden Gapitalien die Amortisation und die Zinsen der Staat zu zahlen
verpflichtet ist, zeigt sich bei diesem Titel — im J. 1891 1,231.000 Gulden —
den vorjährigen 445.000 Gulden gegenüber, ein Mehrbedarf von 786.000 fl.
Dass aber die gesammte Mehrausgabe immerhin nur 556.000 Gulden beträgt,
ist den bei den Zinsen der Depositen- und Cassenscheine erreichten Erspar-
nissen im Betrage von 230.000 Gulden zuzuschreiben. Der Umlauf der
Cassenscheine wurde statt der bisherigen 21 Millionen Gulden um 7 Mil-
lionen geringer in Voranschlag gebracht, und trotzdem die Depositen um
1.8 Millionen Gulden zunahmen, war der Zinsbedarf immerhin noch,
nach einem Capital von 5.8 Mill. Gulden, ein geringerer. Nachdem jedoch
zu Folge der Convertirung der Theiss- Anlehen 14 Millionen Gulden in die
Staatscassc einfliessen sollten, ergibt sich bei den zur Verfügung stehenden
Capitalien eine Zunahme von 8.s Millionen Gulden.
Diese Capitalszunahme steht in sehr ungünstigem Verhältnisse zu der
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DAß BUDGET UNGARNS FÜR DAß JAHR 1891. 39
jährlichen Mehrausgabe von 556.000 Gulden und könnte aus fiscalischem
Gesichtspunkte absolut nicht begründet werden. Es beläuft sich schon min-
destens auf 150 — 200.000 Gulden das Opfer, welches der Staat im Interesse
der mit Flut-Begulierungs-Lasten kämpfenden Gegenden bringt, um diesen
den möglichst billigen Credit zugänglich zu machen und dieses Opfer wird^
wenn die noch von der Theiss-Anlehe ausser Bechnung gelassenen circa
10 Millionen Gulden convertirt werden, wenigstens auf 300.000 Gulden
steigen. Es wäre ein Fehler, diesen Umstand unbeachtet zu lassen, zumal
jene Klage so oft laut wird, dass der Staat im Interesse der ungari-
schen Landwirte, besonders der Eigentümer von Inundations-Gebieten gar
nichts thut.
Diesen Mehrausgaben gegenüber hingegen zeigen sich Ersparnisse :
1. Bei dem Netto-Ergebnisse der Weinzehent-Ablösung 910.000 Gulden.
Die Ausgabe unter diesem Titel hört im laufenden Jahre auf, und wird sich
daher die Bilanz in der Zukunft um beinahe 1 Million günstiger gestalten»
2. Bei dem Goldagio eine 2 o/o -ige Differenz, d. h. um 675.000 Gld.^
diesbezüglich können wir mit Becht die Hoffnung hegen, dass bei Inan-
spruchnahme der gegenwärtigen Conjuncturen der Bedarf an Gold mit einem
wesentlich geringeren Agio beschafft werden kann ; andererseits aber darf
nicht ausser Acht gelassen werden, dass der gegenwärtige sehr niedrige
Curs nicht als stabil zu betrachten ist und wenn die Valuta- Begelung nur
halbwegs dermassen durchgeführt wird, als dieselbe die Gerechtigkeit, sowie
die wichtigen Interessen der Völkswirtschaft erfordern, der Zinsenbedarf
der Goldanlehen nach dem gegenwärtigen Stande viel höher sein wird, als
die Summe, welche in diesem Budget unter diesem Titel aufgenommen
erscheint.
3. Bei den im J. 1889 emittirten Eisenbahn- Anlehen 250.000 Gulden,,
nachdem die Amortisations-Quoten in das richtige Geleise gelangten.
Die bei den übrigen Titeln vorkommenden kleineren und grösseren
Differenzen sind ganz unbedeutend und gleichen sich fast gänzlich aus.
Als Endresultat — die gänzlich scheinbare Mehrausgabe bei der Nord-
ostbahn ausser Bechnung gelassen — kann bei der Gruppe dieser Ausgaben
in deren Netto-Ergebniss eine Besserung um 1,132.000 Gulden constatirt
werden ; hiezu kommt noch die Zunahme von 8.2 Millionen Gulden der in
der Staatscassa vorhandenen Capitalien. Hiebei darf aber nicht ausser Acht
gelassen werden, dass weder der Ertrag dieser 8.2 Millionen Gulden, noch
der im Eigentum des Staates befindlichen Begalablösungs-Obligationen, noch
auch der Ertrag der Baarvorräte in das Budget eingestellt ist. Teilweise
das glückliche Zusammentreffen der Verhältnisse, teilweise die consequent
dieses Ziel verfolgende weise Politik der Eegierung ermöglichten es, dass
namhafte Capitalien zur Verfügung des Finanzministers gestellt wurden.
Diese Gapitalien müssen nicht nur zusammengehalten, sondern nach
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^^ DAS BUDGET UNGARNS FÜR DAb J>HR 1891.
Möglichkeit Doch vermehrt werden, damit dieselben zur Erreichung eines
wichtigen Zieles im entscheidenden Augenblicke zur Verfügung stehen. Bis
aber diese Eventualität eintrifft, können diese Gapitalien fruchtbringend ver-
waltet werden, was auch factisch geschieht, und werden dieselben im künf-
tigen Jahr mit einer bedeutenden Einnahme zur günstigeren Gestaltung
der Bilanz beitragen.
IL
Es zeigt sich eine Zunahme bei dem
ordentUchen Bedarf der k. ung. Landwehr v. 296.000 G.
« gemeinsamen Bedarf v 576.000 G.
zusammen 872.000 G.
bei den ordentlichen Militär- Ausgaben.
Bei diesen Ausgaben sind wir gezwungen mit den ihre Wehrkraft rapid
entwickelnden ausländischen Staaten wenigstens halbwegs Schritt zu halten
und es wäre eine Illusion zu glauben, dass in dieser Beziehung, wenigstens
in der nächsten Zukunft, ein radicaler Umschwung eintreten könnte. Bei den
gesammten MiUtär- Ausgaben kann dem Vorjahr gegenüber eine Zunahme
von 2 Millionen Gulden, dem J. 1887 gegenüber eine Zunahme von nahe an
12 Millionen constatirt werden; dies ist ein Factum, welches ebenso bei
Würdigung der in der Vergangenheit erzielten Ergebnisse, als auch bei den
Zukunfts-Projecten in Anbetracht genommen werden muss.
III.
Die Betriebs- und die mit diesen verwandten Ausgaben weisen durch-
wegs eine Zunahme auf. Die Zunahme betrug
bei dem Finanzministerium 1,718.000 Gulden
ff « Handelsministerium.- - . . 5,087.000 •
« fl Ackerbauministerium 422.000 «
zusammen 7,227.000 Gulden,
diesem gegenüber stiegen die Einnahmen
bei dem Finanzministerium um ... 1,638.000 Gulden
a « Handelsministerium um ... 7,325.000 «
« « Ackerbauministerium um ... 711.000 «
zusammen ... ... 9,674.000 Gulden,
das heisst : es gestaltet sich die Bilanz um 2,447.000 Gulden günstiger, wenn
aber behufs Begleichung der bei den Staatsschulden vorkommenden Mehr-
ausgaben von 1,035.000 Gulden diese Summe als Ertrag der Nordostbahn
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DAS BUDGET ÜK<>ARN8 FÜR DAS JAHR 1891. ^^
in Abrechnung gebracht wird, so beziffert sich die Besserung der Bilanz nur
mit 1,412.000 Gulden.
Die Bilanz der unter Leitung des Finanzministeriums stehenden Be-
triebe gestaltet sich um 80.000 Gulden ungünstiger; von dieser Summe ent-
fallen 51.000 Gulden auf die Verminderung des Verkaufes von Staatsgütern,
was keiner weitern Erklärung bedarf; auffallend ist jedoch jene Erscheinung,
-dass trotz der projectirten intensiveren Entwickelung der übrigen Betriebe
auch die Bilanz dieser sich ungünstiger gestaltet, u. z. um 29.000 Gulden.
Das Szomolnoker Bergwerk wurde um 1 Million veräussert und obzwar
deren Erträgniss in dem Budget nicht mehr eingestellt ist, bedarf auch bei
Inbetrachtnahme dieses Umstandes die Unverhaltnissmässigkeit, welche
zwischen der Zunahme der Auslagen und der erzielten finanziellen Ergeb-
nisse obwaltet, immerhin eine Erklärung.
Wenn wir aber das Budget der Bergwerke einer gründlichen Prüfung
unterziehen, so ist es notwendig, dass von der 1,799.000 Gulden betragen-
den Mehrauslage der einzelnen Posten als rein durchlaufende Ausgaben
nachstehende Summen in Abrechnung gebracht werden, u. zw.:
bei den Hütten-Werken . ... 225.000 Gulden
bei der Münzpräge 248.000 «
bei der Altsohl-Brezoer Röhren-Fabrik 251.000 «
zusammen 734.000 Gulden
es verbleibt daher eine eigentliche Mehrausgabe von 1,075.000 Gulden,
welche zur Hebung der Eisenwerke verwendet wurde. Diese Summe steht
mit den bei den durchlaufenden Einnahmen und Ausgaben aufgenommenen
600.000 Gulden und mit dem hiedurch zum Ausdruck gelangenden Plan
des Finanzministers im Zusammenhange, dass der Preis der zum Verkaufe
gelangenden minder einträglichen Bergwerke zur grösseren Entwicklung der
Perle der Eisenwerke Unoarns, des Eisenhammers in Vajda-Huuyad, verwen-
det werde. Nachdem aber der Finanzminister die Verwirklichung dieses
Planes von dem Umstand abhängig machte, dass er sich über dessen Erträg-
lichkeit üeberzeugung verschaffe, können wir beruhigt sein, dass in dem
Fall, wenn die geplante Investition und die hiemit verbundene Steigerung
der Betriebs-Ausgabeu Thatsache wird, das active Ergebniss wesentlich
günstiger sein wird als der Voranschlag.
Ueber die Lage gewinnen wir ein noch günstigeres Bild, wenn wir den
Voranschlag mit den activen Ergebnissen vergleichen. Während nämlich vor
dem Jahr 1887 die Schlussrechnungen der Bergwerke sehr oft ein Millionen
betragendes stabiles Deficit aufwiesen, sinkt das Deficit im Jahre 1887 auf
248.000 Gulden, im J. 1888 hingegen ergibt sich schon ein Ueberschuss
von 639.000, im J. 1889 von 855.000 Gulden. Wenn diesen activen Er-
gebnissen gegenüber der Ueberschuss bei den Bergwerken für das J. 1 890
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^2 DAS BUDGET UNGARNS FÜR DAS JAHR 18iU.
mit 76.000, für das J. 1891 mit 58.000 Gulden in Voranschlag gebracht er-
scheint, so erklärt die scheinbare Ungünstigkeit dieses Ergebnisses die fast
übermässige Scrupulosität, welche das ganze Budget des Finanzministers so
vorteilhaft charakterisirt.
Der Zunahme von 422.000 Gulden der gleichnamigen Ausgaben des
Ackerbauministeriums (Staatsforste, Domänen und Gestütslandwirtschaften*)
gegenüber steht eine Steigerung der Einnahmen um 711.000 Gulden, so
dass sich die Bilanz dieser Betriebszweige um 289.000 Gulden günstiger
gestaltet. Es entspricht diese Besserung so der naturgemässen Entwickelung
bei der Verwertung der Waldungen, als auch jener intensiveren Verwaltung,
deren Ergebniss bei den Gestütslandwirtschaften, hauptsächlich bei der
Mezöhegyeser Domäne wahrgenommen werden kann. Obzwar es unzweifel-
haft ist, dass die in Voranschlag gebrachten Erträgnisse der Gestütslandwirt-
schaften auch gegenwärtig noch nicht ganz frei sind von einem gewissen Grad
Optimismus und wenn in Anbetracht genommen wird, dass deren Erträgniss
im Jahre 1889 laut den Schlussrechnungen nur 210.000 Gulden betrug und
im J. 1888 als in den bisher günstigsten auch nur 397.000 Gulden ergab,
können mit Becht Bedenken auftauchen gegen die Bealität des im Budget
eingestellten Ueberschusses von 672.000 Gulden ; dem gegenüber steht jene
Thatsache, dass bei den Staatsforsten im Jahre 1889 um 400.000 Gul-
den mehr eingenommen wurde, als für das laufende Jahr präliminirt ist,
so dass Hoffnung vorhanden ist, dass die hieraus zu erwartende Mehrein-
nahme das wahrscheinlich eintretende Deficit bei ersterem Titel im Gleich-
gewicht halten wird.
Bei den Betrieben des Handelsministeriums stiegen die Ausgaben um
5,087.000 Gulden, die Einnahmen um 7,325.000 Gulden, es gestaltet sich
demnach die Bilanz um 2,238.000 Gulden günstiger. Der Löwenanteil an
dieser Zunahme entfällt auf die Staatsbahnen, bei diesen betrugen nänüich :
im J. 1890 im J. 1891 Plus im J. 1891
Gnlden Gulden Gulden
die Ausgaben ... ... 24,897.000 30,000.000 5,103.000
die Einnahmen ... 41,500.000 48,660.000 7,166.000
die Mehreinnahme .-. 16,603.000 18,660.000 2,063,000
Hiebei ist aber die Verstaatlichung der Nordostbahn nicht ausser Acht
zu lassen, in Folge dessen die für das Jahr 1890 in Voranschlag gebrachte
Ausgabe von 3,122.010 Gulden, sowie die Einnahme von 4,014.000 Gulden
* Von den Ausgaben und Einnahmen unter dem Titel « Pferdezuchtanstalten •
glaube ich jene der Gestütslandwirtschaften am geeignetesten hieher reihen zu können,,
die übrigen Posten hingegen unter die streng genommenen Staats- Ausgaben.
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DAS BUDGET UNGARNS FÜR DAS JAHR 1S9I. ^
dieser Bahn auch in das Budget der Staatsbabnen aufgenommen wurde.
In Anbetracht dessen zeigt sieb bei den Staatsbabnen eine Zunabme, u. z.
bei den Ausgaben ... 1,980.990 Gulden
bei den Einnahmen _. 3,152.000 «
bei dem Gesammterträgniss 1,171.010 •
Diese Zunahme des Voranschlages ist die natürliche Folge der riesenhaften
Entwickelung des Verkehrs und ist ein abermaUges Zeichen des glänzenden
Sieges der Eisenbahn-Politik Ungam's. In Folge der rapiden Entwickelung
des Verkehrs war die Steigerung der Verwaltungs- Auslagen unvermeidlich,
es konnten aber auch die Einnahmen getrost höher in Voranschlag gebracht
werden und wenn in Betracht genommen wird, dass das factische Bein-
erträgniss der Staatsbabnen (mit Einrecbnung des beiläufigen Erträgnisses
der Nordostbahn von 900.000 Gulden)
im Jahre 1888 19.i Millionen Gulden
f f 1889 20.7 « •
betrug, so kann zuversichtlich erhofft werden, dass das Erträgniss, welches
für das laufende Jahr mit 18.6 Millionen Gulden in Voranschlag gebracht
wurde, in der Wirklichkeit sich wesenthch günstiger gestalten wird. In
dieser Hinsicht dienen besonders zur Beruhigung die Erfahrungen des
Jahres 1889. Während nämlich die günstigen Ergebnisse der Jahre 1887
und 1888 mit der guten Ernte dieser Jahre begründet werden konnten, so
wurde das noch günstigere Ergebniss des Jahres 1889 trotz der misshchen
Ernte und trotz des Bäckfalles bei dem Getreide -Verkehr erzielt. Jene höhere,
zugleich weise und kühne Verkehrs-Politik, welche bei den ungar. Staats-
bahnen während der letzten Jahre inaugurirt vnirde, findet in dieser That-
sache ihren schönsten Sieg, weil diesbezüglich getrost gesagt werden kann,
dass gegenwärtig der Verkehr und das Erträgniss der Bahnen von den
Eventualitäten der Getreideproduction nunmehr emancipirt ist. Es gelang,
die Prseponderenz des Getreideverkehrs zu bekämpfen nnd den Verkehr
so vielseitig zu gestalten, dass der Entwickelung und dem Erträgnisse der
Bahnen nicht einmal eine ungünstige Ernte schaden kann. Es ist heutzutage
dergestalt Mode, den Herrn Handelsminister zu loben, er ist in solchem
Maasse der Zielpunkt von Schmeicheleien aller Art, dass man fast den
guten Ton verletzt, wenn man ihn lobt, es wäre aber ein Verschweigen der
Wahrheit, wenn wir jener unvergänglichen Verdienste nicht gedenken wür-
den, durch welche er sich auf dem Gebiete der Staatsbabnen, so aus volks-
wirtschaftlichem, wie aus finanziellem Gesichtspunkte, ein bleibendes Denk-
mal errichtet hat.
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^ PAS BUDGET UNGARNS FÜR DAS JAHR 1891.
IV.
Bei den aus den eigentlichen staatlichen Funktionen entstammenden
Ausgaben, ist von der 3,580.000 Gulden betragenden Mehrausgabe in Ab-
rechnung zu bringen :
1. die Mehreinnahme unter demselben Titel... 362.000 G.
2. die Mehrausgabe bei dem Schankregale 1,035.000 G.
3. die Mehrausgabe bei den Verzehrungs-
steuern 323.000 G.
4. die Mehrausgabe bei dem Tabakgefäll 67.000 G.
zusammen ... . 1,425.000 G.
da diese Summe mit den zunehmenden Einnahmen unter
diesem Titel im Zusammenhange steht; im Ganzen sind
daher 1,787.000 G.
in Abrechnung zu bringen ; es verbleibt daher eine durch
Entwickelung der staatlichen Einrichtungen verursachte
Netto-Mehrausgabe von ... 1,793.000 G.
Von dieser Summe nimmt der innere Bedarf Kroatien -Slavoniens um
191.000 Gulden zu, dies ist die natürliche Folge der in dieser Beziehung
bestehenden gesetzlichen Anordnungen und der Zunahme der Einnahmen ;
364.000 Gulden aber entfallen auf Pensionen. Letztere zeigen zu Folge der
Verhältnisse und besonders der freigebigeren Anordnungen des Gesetzes
vom Jahre 1885, fortwährend eine unaufhaltsame Zunahme und bildet dieser
Titel jene seltene Ausnahme, bei welchem eine Mehrausgabe bisher noch
immer nicht vermieden werden konnte. Die Daten vorangegangener Jahre
in Augenschein genommen, ergibt sich folgendes Resultat:
Voranschlag f. d. J. 1887 4,989.000 G. Netto- Ausgabe 5,634.000 G.
fl fl « « 1888 5,314.000 « « « 5,999.000 «
« « « fl 1889 5,789.000 « « « 6,345.000 t
f « « « 1890 6,316.000 «
« « « « 1891 6,680.000 «
Hieraus erhellt, dass die jährliche Mehrausgabe unter diesem Titel beiläufig
350.000 Gulden beträgt und dass, obzwar das entsprechende Gapitel des
diesjährigen Budgets ebenfalls an Realität gewann, die Aussicht auf eine
Mehrausgabe von 2 — 300.000 Gulden noch immer vorhanden ist.
In der noch immer zurückbleibenden Mehrausgabe von 1,238.000 Gul-
den findet eigentlich die Zunahme bei dem aktiven administrativen Mecha-
nismus Ungarns Ausdruck ; um diese Summe wurde die Action des ungari-
schen Staates in sämmtlichen Zweigen des administrativen, kulturellen und
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DAS BUDGET UNGARNS FÜR DAS JAHR 1H91. *»>
volkswirtschaftlichen Lebens theurer. Wenn die einzelnen Posten dieser
Mehrausgabe der gewissenhaftesten Beurteilung unterzogen werden, finden
sich einige in sich selbst genommen geringfügige Summen (sporadische
Gtehaltaufbesserungen, Vermehrungen des Personals etc.) vor, gegen welche
aus dem Gesichtspunkte der strengsten Sparsamkeit Einwendung erhoben
werden kann, denn die geringste derartige Erscheinung berührt alle jene
unangenehm, die sich der schweren Stunden der Nächstvergangenheit
und der Hauptursache der kaum behobenen Uebel noch zu erinnern ver-
mögen. Die ganze in Bede stehende Summe jedoch ist so gering, dass die-
selbe fürwahr kaum erwähnt werden sollte, wenn es nicht nothwendig wäre
bei jeder Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass jeder einzelne Schritt bei
laxerer Beurteilung der Lage und bei Ausserachtlassung der finanziellen
Gesichtspunkte mit ernsten Gefahren verbunden ist. Diese Auffassung kann
als kleinlich und kreuzerhaft verspottet werden und es erscheint dieselbe
als trocken und prosaisch, besonders heutzutage, da die Atmosphäre von
grossen Ideen, grossen Prinzipien und grossen Losungsworten erzittert. Es
sei aber nicht vergessen, dass air diese schönen Sachen ohne die Gefahr, aus-
gelacht zu werden, nicht einmal erwähnt werden könnten, wenn nicht durch
die consequente Durchführung dieser kreuzerhaften Auffassung die Ordnung
im Staatshaushalte hergestellt wäre und dass zur Verwirklichung der Her-
stellung des Gleichgewichtes das strenge Beharren bei dieser Auffassung
auf allen Gebieten des staatlichen Lebens die Hauptbedingung ist. Eines der
grössten Verdienste der Regierung bildet es, dass sie diese undankbare und
eine grosse Selbstverleugnung erfordernde Aufgabe mit eiserner Energie
löste, und es wäre die Begierung untreu zu ihrer Vergangenheit, untreu za
den grossen Plänen, deren Durchführung, zu den edlen Aspirationen, deren
Verwirklichung von ihr erwartet werden, wenn sie sich von diesem Gebiet
durch was immer verleiten lassen würde.
Im Grossen und Ganzen genommen — und abgesehen von einigen
insgesammt nur wenige tausend Gulden betragenden Ausnahmen — kann
mit vollständiger Beruhigung constatirt werden, dass die ganze Mehrlast nicht
jene Grenze überschreitet, welche bei Entwickelung unserer Verhältnisse als
ganz normal betrachtet werden kann. Nebst den zunehmenden Anforderungen
des sich fortwährend entwickelnden Lebens, kann in den Functionen des Staaten
auch keine Stagnation eintreten ; die naturgemässe Entwickelung des staat-
lichen Organismus erfordert unvermeidlich — abgesehen von grösseren Befor-
men— eine jährliche Zunahme der. Ausgaben von beiläufig 1*5 Millionen
Gulden. Diese Grenze überschreitet auch das diesjährige Budget nicht und
wenn die zunehmenden Ausgaben besser ins Augenmerk genommen werden,,
gelangt man zu der Ueberzeugung, dass dieselben wirklich notwendig sind
und zur Erreichung nützlicher Zwecke dienen. Diese Ausgaben verteilen sieb
folgendeimassen unter die einzelnen PortefeuiUes :
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46
DAS BUDGET UNGARNS FÜR DAS JAHR 1891.
1. Der grösste Teil der Mehrausgabe, 230.000 Gulden, welche bei den
bisher noch unerwähnt gelassenen Titeln des Finanzministeriums ins Auge
tritt — entfallt auf Finanzdirectionen und Finanzwachen, und ist eigent-
lich nur die naturgemässe Folge der grösseren Einnahmen. Besonders in
Folge rapider Entwickelung der indirecten Steuern, müssen die Kosten der
pünktlichen Manipulation und Controlle zunehmen : es liegt daher die auf
Verstärkung der äusseren Organe der Finanz-Administration verwendete
Mehrausgabe sowohl im Interesse des Aerars als auch der steuerzahlenden
Bürger.
2. Bei den ordentlichen Ausgaben des Ministeriums des Innern zeigt
sich eine Zunahme von 204.000 Gulden, dem gegenüber steht eine Mehr-
einnahme von 77.000 Gulden, die netto Mehrlast beträgt daher 127.000 Gul-
den. Von dieser Summe entfallen 102.000 Gulden auf den öffentlichen Sicher-
heitsdienst. Die stufenweise Entwickelung der Gendarmerie, als auch der
Polizei der immermehr das Gepräge einer Weltstadt zeigenden Hauptstadt
ist eine unaufschiebbare Notwendigkeit, die hierauf verwendeten Auslagen
werden durch die andauernde unbestreitbare Besserung der öffentlichen
Sicherheitszustände so dem Staat als auch der Gesellschaft reichlich ersetzt.
Ebenso sind die Ausgaben des Sanitätswesens im steten Steigen begriffen, und
wird gewiss die Hemmung der naturgemässen Entwickelung dieses Dienst-
zweiges niemand einfallen, unter diesem Titel zeigt sich eine Netto- Mehraus-
gabe von 47.000 Gulden, so dass das öffentliche Sicherheits- und Sanitäts-
wesen das Budget des Ministeriums des Innern zusammen mit 149.000
•Gulden belastet. Bei all den übrigen Titeln dieses Portefeuilles kommt nicht
nur keine Mehrausgabe vor, sondern es ergibt sich eine Ersparniss von
22.000 Gulden.
3. Die Mehrausgabe von 197.000 Gulden des Handelsministeriums
sinkt nach Abrechnung der Mehreinnahme von 44.000 Gulden auf 153.000
<Tulden. Diese Summe nehmen fast gänzlich die zur Subsidiirung der Stras-
senfonde der Munizipien in das Budget eingestellten 140.000 Gulden in
Anspruch ; bei sämmtlichen übrigen Titeln kommt nur eine Mehrausgabe
von 13.000 Gulden vor.
4. Einigermassen anders gestaltet sich die Sache bei dem Ackerbau-
ministerium: die Netto-Mehrausgabe von 147.000 Gulden (216.000 Gulden
Mehrausgabe, 69.000 Gulden Mehreinnahme) verteilt sich fast gleichmäs-
sig unter die verschiedenen agriculturellen Zwecke. Dagegen, dass in einem
überwiegend agriculturellen Land wie Ungarn derartige Leistungen des
'Staates mit erforderlicher Vorsicht gesteigert werden, kann man fürwahr keine
Einwendung erheben und ist die ganze Mehrausgabe von 147.000 Gulden
in Anbetracht der Wichtigkeit und productiven Natur der fraghchen Ausga-
ben absolut nicht übermässig. Fraglich bleibt es aber, ob es für die Agri-
'Cultur nicht von grösserem Nutzen wäre, wenn diese Mehrausgabe tunlichst
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DAS BUDGET UNGARNS FÜR DAS JAHR 1891. 47
4iaf die Vorschableistung von einem oder zweier der allerwichtigsten Zwecke
konzentrirt werden würde.
5. Von der Netto-Mehraosgabe von 346.000 Golden des Justizministe-
riums stehen 262.000 Gulden mit der Decentralisation der königlichen
Tafel, 50.000 Gulden mit der rascheren Verfertigung der Grundbücher im
Zusammenhange, das heisst, diese Mehrausgabe von 312.000 Gulden ist
schon die Folge der Durchführung des Reformprogrammes. Die Kosten der
laufenden Administration nahmen nur um 34.000 Gulden zu.
6. Endlich zeigt sich noch bei dem CultusminL<»terium eine Netto-
Mehrausgabe von 178.000 Gulden (326.000 Gulden Ausgabe, 148.000 Gul-
den Einnahme), hievon entfallen 24.000 Gulden auf die unumgänglich
notwendig gewordene Uebersiedelung des Ministeriums, 127.000 Gulden
auf Lehranstalten.
Bei der erfreulichen Entwicklung der nationalen Cultur ist es unver-
meidlich, dass die Lehranstalten auch in der Zukunft stufenweise, nach
einem gut durchdachten Plan auf allen Gebieten entwickelt werden. Hiebei
muss aber der Gultusminister sehr oft jene undankbare Aufgabe vor Augen
halten, dass der Oekonomie jeder einzelnen Lehranstalt die möglichste
Sparsamkeit zu Grunde gelegt werde und dass die jährlich zu diesem Zwecke
erforderlichen Mehrausgaben zur factischen Entwickelung der Culturanstal-
ten verwendet werden.
Auf Grund dieser Daten gewinnen wir nachstehendes Bild unserer
:finanziellen Lage.
Die diesjährige Ausgabe beträgt bei dem Ordinarium
mehr als die vorjährige (hauptsächlich Militär-
Zwecke) um 1,439.000 Gulden
bei den Staatsschulden um 47.000 «
bei den Militär- Ausgaben - ... 872.000 •
bei den Betrieben und den gleichnamigen Ausgaben 7,227.000 «
bei den mit den zunehmenden Einnahmen in direc-
tem Zusammenhange stehenden Ausgaben — 1,425.090 «
bei den übrigen Staats- Ausgaben um _.. 2,155.000 «
bei dem Titel «übrige hier nicht angeführte unbedeu-
tende Differenzen» um 24.000 «
zusammen um 13,189.000 Gulden
^em gegenüber zeigt sich bei den schon erwähnten Einnahmen eine Zu-
nahme von und zwar :
bei den Staatsschulden ... ... 142.000 Gulden
bei den Betrieben 9,674.000 «
bei den verschiedenen Administrations-Zweigen ... 362.000 «
zusammen 10,188.000 Gulden.
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4>^ DAS BUDGET UNGARNS FÜR DAS JAHR 1891.
Es ist daher ersichtlich, dass die Mehreinnahme die Mehrausgabe von
9,:229.000 Gulden der Staatsschulden, Betriebe und der streng genommenen
staatlichen Ausgaben reichlich deckt und dass jenes Ziel, dass in dem reinen
Erträgniss der sich stets entwickelnden Betriebe der mit der normalen Zu-
nahme des staatlichen Organismus verbundene Mehrbedarf Deckung iinde^
erreicht wurde. Ja es kann sogar von dem 949.000 Gulden betragenden
üeberschuss, mit Ausnahme von kaum einer halben Million Gulden, auch
jene Mehrausgabe des Finanzministeriums bestritten werden, welche mit
neuen oder zunehmenden Einnahmequellen in Verbindung steht (Schank-
regale und Verzehrungssteuem).
Das günstige Ergebniss der naturgemässen Entwickelung sämmtlicher
hier erwähnten Ötaats-Einnahmen könnte daher zur besseren Gestal-
tung der Bilanz des Staatshaushaltes beitragen, wenn nicht die neuer-
liche Zunahme der Militär-Ausgaben dazwischen gekommen wäre. Diese
Ausgaben beanspruchen von diesen zunehmenden Einnahmen fast zwei
Millionen Gulden und zehren die in Voranschlag gebrachten Mehrein-
nahmen fast gänzlich auf, so dass die Bilanz nur eine Besserung von einer
halben Million aufweist Die eigentliche Besserung ist zwar nicht nur so-
viel, sondern es beträgt dieselbe in der Wirklichkeit 2V2 Millionen Gulden,
nachdem im Budget bei dem Verkaufe von Staatsgütern um zwei Millionen
Gulden weniger in Voranschlag gebracht wurde ; diese Besserung ist aber
immerhin noch eine viel geringere als jene der nächst vergangenen Jahre und
verursacht ernstliche Bedenken, besonders wenn in Betracht genommen wird,
dass die in das Programm der Begierung aufgenommenen und allgemein
erwünschten Be formen eine ständige Mehrausgabe von mindestens 10 bis
l!2 Millionen Gulden verursachen werden.
Dies würde sehr gewichtige, kaum zerstreubare Bedenken verursachen,
wenn die erzielten Ergebnisse der Schlussrechnungen keine Beruhigung
bieten würden. Die Ergebnisse der Schlussrechnungen sind seit dem J. 1887
fortwährend günstiger, als jene des Budgets. Im Jahre 1887 war das wirk-
liche Ergebniss um 7, im Jahre 1888 um 12, im Jahre 1889 um 13 Millionen
Gulden günstiger, als das in Voranschlag gebrachte, und es kann haupt-
sächlich letztere Schlussrechnung auch bei Ausübung der strengsten Kritik
gerechte Freude verursachen und darf dieselbe den gerechten Stolz der Regie-
rung bilden, deren unermüdliche, gewissenhafte Thätigkeit darin zum Aus-
druckegelangt. Jede Seite der Schlussrechnung bekundet die strengste Ordnung
und Sparsamkeit, Creditübertretungen kommen kaum vor, bei den Ein-
nahmen ergibt sich fast ohne Ausnahme ein Üeberschuss. Und wenn
zwischen den Einnahms-Ergebnissen der Schlussrechnung und jenen des
diesjährigen Budgets ein Vergleich angestellt wird, so kann mit Freude und
Beruhigung constatirt werden, dass dieselben auch für dieses Jahr mit der-
selben, fast an Pessimismus grenzenden Realität in Voranschlag gebracht
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DAS BUDGET UNGARJJS FÜK DAS JAHR 1891. 4f9
^wtirden, welche die in YoraDschlag gebrachten Einnahmen der nächsten
Vergangenheit charakterisirte.
Wenn nunmehr in Anbetracht genommen wird :
1. dass die Einnahmen des Finanzministeriums ohne das im Jahre
1889 noch nicht bestandene Schankregale im Budget mit vier Millionen
Gulden niedriger aufgenommen wurden, als das factische Ergebniss des
Jahres 1889;
2. dass der Voranschlag der Bergwerke um 800.000 Gulden ungünsti-
ger ist, als das factische Ergebniss des Jahres 1889 ;
3. jener der Staatsbahnen um zwei Millionen Gulden ;
4. dass daa Erträgniss der zur Verfügung des Finanzministers stehen-
den Gapitalien und der Begalablösungs-Obligationen in das Budget nicht
aufgenommen erscheint ;
5. dass die Hälfte des Jahres 1889 die fast allgemeine missliche Ernte
empfindlich beeinflusste und
6. dass der grösste Teil der Einnahmen, so hauptsächlich jene der
Staatsbahnen, Stempel, Gebühren, des Tabakgefälls und der Verzehrungs-
steuem eine rapide Zunahme aufweisen, und inwiefern von den für das Vor-
jahr bisher erschienenen Ausweisen gefolgert werden kann, diese Zunahme
im erfreulichen Maasse fortdauert^
so kann mit voller Bestimmtheit behauptet werden, dass — inwiefern
ganz ausserordentliche Umstände die volkswirtschaftliche und finanzielle Lage
Ungarns nicht zerrütten, — das factische Ergebniss des laufenden Jahres
mindestens um 8 bis 10 Millionen Gulden sich günstiger gestalten wird,
als der Voranschlag und dass, wenn wir auch in der Zukunft die Sparsam-
keit mit unerbittlicher Strenge einhalten, und wenn wir femer unsere Kräfte
nicht zersplittern, der Bedarf der auf der Schwelle stehenden grossen Beform-
Frojecte in den gegenwärtigen Einnahmsquellen Deckung finden wird.
Stefan von Tisza.
UNGARN BETREFFENDE SANITÄTSVERORDNÜNGEN
JOSEFS DES n.
(Beitrag znr Sanitätsgeschichte Ungarns.)
Von einem geregelten Sanitätswesen kann in Ungarn im Mittelalter
und selbst in der Neuzeit noch nicht die Bede sein. Einzelne mehr oder
minder wichtige Anordnungen, die im Laufe der Jahrhunderte getroffen
wurden und dieBegelung einzelner Zweige des Sanitätswesens bezweckten,*
* So z. B. einzelne Bestimmungen in dem Statutenbuch der Stadt Ofen
(1244—1421). Punkt 102 und 298 handelt von den Apothekern (s. meine Schrift fZur
Ungarisehe Reme, XI. 1891. I. Heft. 4
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oO
UNGARN BETREFFENDE 8ANITÄTSVER0RDNUNGEN JOSEFS DES II.
vermochten nicht einen allgemeinen Aufschwung des öflfentlichen Gesundr
heitswesens herbeizuführen, umsomehr, da diese Verordnungen nie zur
Gesetzkraft erhoben, auch nicht auf allgemeine Anwendung rechnen konn-
ten. Temporäre Erlässe, deren Veranlassung grösstenteils die in damaUger
Zeit häufig auftretenden Epidemien gewesen, hatten auch nur temporäre
Bedeutung und ephemeren Wert, denn bei der Kritiklosigkeit der damaUgen
Ansichten über öflFentüche Hygiene wurden oft auch bessere und lebensfähi-
gere Einrichtungen ohne Weiteres über den Haufen geworfen. Daher die quan-
titativ wohl bemerkenswerten, doch qualitativ höchst untergeordneten Sani-
tätsverordnungen der damaligen Jahrhunderte, die durchaus nicht geeignet
waren, eine Verbesserung des öflfentlichen Gesundheitswesens zu veran-
lassen.
Im XVni. Jahrhunderte macht sich der Sinn für die öflfentliche
Gesundheitspflege in Ungarn bereits im hohen Grade bemerkbar. Dies ist
wohl dem Aufschwünge auf dem Gebiete der Natur- und Heilwissenschaft
zu verdanken, die eine radikale Reform der betreflfenden äusserst mangelhaf-
ten Institutionen herbeiführte und den leitenden Kreisen der Gesellschaft
die Ueberzeugung beibrachte, dass eine geregelte Sanitätspflege im Staats-
wesen eine hochwichtige Rolle spielt. Hauptsächlich unter Leopold L,
Carl VI. und Maria Theresia häufen sich die Verordnungen, die auf die
Regelung des Sanitätswesens und der mit demselben in Verbindung stehen-
den Faktoren abzielten. Es war dies — unter der Regierung Maria The-
resia's — auch eine natürliche Folge der Creirung einer medizinischen
Geschichte der Medizin in Ungarn» Budapest 1890, S. 34.), P. 103, dessen Text fehlt,
fahrt die Ueberschrift «Von den wuntärzten.» P. 104 bestimmt, «das kain safran sol
iinbeschawt weder gekauft noch verkauft werden.» — lOG : Der fleischagker zech-
maichter süllen allzeit als das vleisch peschawen, das in den pengken ist, dwf das
rain vnd gerecht üt, vnd nicfU stingkund, noch wademg^ noch phinnod sei/ etc. P. 110
lind 111 untei-sagt den Verkauf todter Fische. P. 182 (Text fehlt): «Von dem pader» ;
P. 186 : «Von den freyen tochtem und gleichen desz». Mehrere Punkte berühren das
Prostitutionswesen. Hieher gehören auch die Statuten der Pressburger Fleischhauer
vom Jahre 1376, die in einer ihrer Bestinamungen ausdrücklich bemerkten : «Es sol
auch nyemant in seiner panch phinnaste^ fleisch vail haben, man sol iz vor den
penkchen vail haben her dan her ; vnd welicher maister phirmnsUz fleisch verchaufft
in seiner panch, vnd wem ers verchauflft auz der panch, dem sol er sein geld wider-
geben, vnd sol zwen vnd sybenczich phenninge geben zue der stat, also daz iz die
2wen gesworen maister suUen beschawen, vnd ob er denne schelmiges vieh siecht, daz
sol man im nemen^ vnd sol daz in daz syitol geben armen lewten, (Michnay u. Lichner
Ofner Stadtrecht S. 79. Linzbauer Codex sanitario-med. Hungarise I. 106.) — Im
16. Jahrhunderte, zm* Zeit der verheerenden Epidemieen, sowie später im 17. Jahr-
hunderte mehren sich diese mannigfachen Sanitätsverordnungen beträchtlich. Es
wäre zu weitläufig hier auch nur einen kurzgedrängten Auszug dieser Vorkehrungen
mitzuteilen und will ich diesbezüglich auf die mögliclist ausführUche, doch keines-
wegs erschöpfende Sammlung im Linzbauer'schen Codex verweisen.
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UNGARN BETREFFENDE 8ANITÄTS\'ER0RDNUNGEN JOSEFS DES II. ^1
Fakultät, mit der sich auch der Wunsch nach Ordnung der Verhältnisse
ihrer Mitglieder, der Bechte und Pflichten der Aerzte und Sanitätspersonen
rege machte. So kam es bereits unter Maria Theresia zur Schöpfung mehre-
rer hochwichtiger sanitätspolizeiücher Verordnungen, die den Grundstock
der später ins Leben gerufenen Sanitätsgesetze bildeten.
EkBchöpfender wurde das Material unter Josef II. behandelt. Josef IL,
der als «Schätzer der Menschheit» ebenfalls den Menschen für das kostbarste
Capital der Gesellschaft hielt, sorgte in reichlichem Maasse für die Erhal-
tung und Verwertung dieses Capitals.
Während seiner zehnjährigen Regierung gelangte eine Fülle von Sani-
tätsverordnungen zur Ausgabe, die in seinem letzten Begierungsjahre von
Josef Keresztury de Szinerszök unter dem Titel tConstituta regia, quae re-
gnante August. Imperatore et Bege Apostol. Josepho ü. pro regno Hungarise
eidemque adnexis provinciis nee non M. Principatu Transilvanise condita
sunt» im Druck erschienen. Diese Verordnungen, in logischer Reihenfolge
geben ein klares Bild von den Bestrebungen des für sein Volk väterlich sor-
genden Fürsten und verdienen die Mühe, näher beleuchtet zu werden.
Der deutlichen üebersicht halber wird es wohl angezeigt sein, die ein-
zelnen Verordnungen nicht in chronologischer Beihenfolge, sondern aus
sanitätsadministrativem Standpunkte in sachUcher Folge mit Berücksichti-
gung der für die einzelnen Fächer getroffenen Verfügungen zu betrachten.
Früheren Bestimmungen zufolge (Decretum Caroli VI. Imperatoris ac
Begis vom 19. Juni 1723)* untersteht das gesammte Sanitätswesen dem kön.
Statthaltereirat, dem im Jahre 1738 — gelegentlich der grassirenden Pest —
«ine Sanitätscommission und'im Jahre 1742 ein Arzt «als Bat und Beisitzer»
beigegeben wurde. Die Agenden dieser Sanitäts-Oberleitung bestimmt des
Nähern die Constitutio NormativaBei Sanitatis vom 17. September 1770.**
Im Jahre 1783 wurde bei der k. Statthalterei ein besonderes Sanitäts-
Departement gebildet. Dasselbe wird einem Bäte zugeteilt, fder darüber im
vollen Bäte vorträgt».
Am 21. August 1786 wird, f da durch die bisher der medizinischen
Fakultät in Pest von der königl. Statthalterei aufgetragenen Angelegenhei-
ten, welche den Gesundheitsstand des Landes betreffen, die Lehrer in dem
Unterricht der Jugend, welcher stets der wichtigste Teil ihrer Pflicht ist,
{^hindert wurden, auch dieselben nicht füglich zu andern G^chäften ver-
wendet werden können, als welche unmittelbar ihren Lehrgegenstand und
<lie innere Polizei der Universität betreffen, so haben Se. Maj. beschlossen,
dass nach dem bereits in den übrigen Erbländern bestehenden Beispiele^
* linzbauer Codex sanitario-medicinalis Hnngariae I. 583.
** Linzbauer 1. c. IL 535. Zßoldos Constituta rei sanitatis in Hungaria parti-
4)U8qae adnexis 1819. S. 18.
4*
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'>' UNGABN BETREFFENDE SANITÄTSVBRORDNtNGEN JOSEFS DES II.
auch in dem Königreich Ungarn ein Protomedicus an dem Orte, wo sich die-
Liandesstelle befindet, angestellet und die Oberaufsicht und Leitung dea
Arzeneistandea und die Sorgfalt für die in öffentlicher Verpflegung stehen-
den Kranken aufgetragen werden soll.»
Der allerhöchsten Entschliessung vom 29. Jänner 1787 gemäss erhält
der Protomedicus ein jährliches Gehalt von 1500 Gulden und 500 Gulden
Personalzulage als Beisitzer der Studiencommission.
Die unmittelbare Aufsicht über das Sanitätswesen liegt den Comitats-
und Stadtbehörden ob (17. Sept. 1770), während die unmittelbare oberste
Aufsicht die Pflicht der königl. Commissäre und der Obergespäne ist. (2. Jän-
ner 1778.)
In dem Intimat vom 13. Juni 1785 wird allen Behörden die Beobach-
tung der Sanitäts Vorschriften zur Pflicht gemacht. — Am 21. Dezember
1 786 wird die Bestimmung getroffen, dass von nun an in jedem Comit^te
nur ein Arzt (Comitatsphysikus) angestellt werde.
Am ausführlichsten wird natürlicher Weise das Capitel von den Ge-
sundheitsbeamten behandelt.
Bestimmungen, die sich auf die Personal- und Berufsverhältnisse des
Medicinalstandes beziehen, sind in Ungarn verhältnissmässig ganz jungen
Datums. Dies erklärt wohl der Umstand, dass der Mangel einer vaterlän-
dischen Universität resp. einer medicinischen Facultät auch nicht das
Bedürfniss nach Regelung der Verhältnisse des Sanitätsstandes fühlbar
machte. Ausländische oder im Auslande herangebildete Aerzte brachten
Vorschriften und Gesetze mit sich, nach denen sie dann hier ohne weitere
Controle ihre Praxis ausübten. Später, wo der Druck der Verhältnisse, das
Auftreten verheerender Krankheiten die Aufmerksamkeit der competenten
Kreise auf die zur Saniruug der Uebel berufenen Personen lenkte, musste
natürlich das Verhältniss des Medicinalstandes zum Staate und zur Gesell-
schaft geregelt, geordnet werden. Und so sehen wir dann, dass das XVIL
Jahrhundert — das epidemieenreiche Säculum — eine Fülle einschlägiger
Verordnungen brachte. Im XVIII. Jahrhundert, wo sich zu diesem Umstände
auch noch der erwachte Sinn für Naturwissenschaften und öffentliche Hy-
giene gesellte, finden wir schon ziemlich geordnete, dem Zeitgeiste vollkom-
men entsprechende Verhältnisse.
Den Grund zu den diesbezüglichen Bestimmungen legte Maria Theresia,
mit ihrem bereits erwähnten Generale Normativum Sanitatis vom 17. Sep-
tember 1770.* Hier, sowie in dem am 10. April 1773 erlassenen Anhange
wird auf die erforderliche Qualifikation des Aerztestandes grosses Gewicht
gelegt. «Jedermann ist es bekannt — sagt das Normativum von 1770 — waa
Unheil oft durch unerfahrene Medicos dem Nächsten zugefüget wird, dahero-
* Linzbauer 1. c. I. 821. Zsoldos 1. c. S. 18.
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UNGARN BETREFFENDE SANITATSVERORDNüNGBN JOSEFS DES II.
53
bestehet schon durch viele Jahre die Gesetzgebung, dass alle, die ihre Kunst
in den kaiserl. königl. Erblanden üben wollen, den Gradum Doctoratus auf
-«iner Innländischen Universität, bey welcher eine Facultas medica vor-
handen ist, genommen haben müssen, wobey es auch in Zukunft sein Be-
wenden hat, dermassen, dass andere weder angenommen, weder ihnen die
allenfalls übende Praxis beygelassen werden solle, es wäre denn Sache, dass
sie sich durch das vorgeschriebene Examen hierzu tauglich gemacht
hätten etc.»
Im Jahre 1771, wo die Tymauer Universität eine medicinische Facul-
tät erhielt,* erschien folgendes kgl. Rescript: «Es scheinet auch zweck-
mässig, dass alle Heil- und Wundärzte, welche künftig in diesem Königreiche
ihre Kunst ausüben wollen, vorher an der Universität zu Tymau geprüfet
werden sollen. Aerzte, welche jedoch bereits an der Universität zu Wien
geprüfet sind, können ohne fernere Prüfung in allen Erbländem zur Aus-
übung ihrer Kunst zugelassen werden. Die schon angestellten Aerzte sind
inzwischen von der Prüfung so lange ausgenommen, bis sie zu einem grös-
seren Physikate angestellt werden.»
Diese Verordnungen wurden am 13. März 1786 von Josef 11. neuer-
dings genehmigt und bestätigt. Hieran anknüpfend wird in dem Bescripte
vom 18. December 1786 nochmals darauf aufmerksam gemacht, dass nur
vorschriftsmässig geprüfte Aerzte zur Praxis zugelassen werden. Um die
Ausbildung der Aerzte vielseitiger zu gestalten, bestimmt der Erlass vom
3. Januar 1787, «dass nach Errichtung des Lehrstuhles der Vieharzenei
an der hohen Schule zu Pest,** in Zukunft weder ein Heilarzt noch Wund-
'■' Die Professoren der luedizinischen Fakultät zu Tymau, die auf Vorschlag
van Swietens mit je 1200 Gulden Gehalt ernannt wurden, waren damals: Michael
Schoretits (Pathologie und Therapie), Ignaz Prandt (Physiologie und Pharmakologie),
Jakob Winterl (Chemie und Botanik), Wenzel Tmka (Anatomie) und Josef Plenk
(Chirurgie und Geburtshilfe). Rektor der Universität war im Schuljahre 1770 71
Graf Alexander Keglevich, Senior der med. Fakultät Mich. Schoretits, Dekan der
med. Fakultät Ign. Pi-andt.
* Die Universität wurde nämUch im Jahre 1777 nach Ofen, im Jahre 1784
nach Pest verlegt. Der Professor der im Jahre 1786 mit 600 Gulden Gehalt syste-
misirten Lehrkanzel für Thierheilkunde war Alexander Tolnay. Die Lehrgegenstände
und Professoren der medizinischen Fakultät waren zur Zeit Josefs folgende : Specielle
Pathologie und Therapie: Michael Schoretits (seit 1770), Wenzel IVnka (seit 1785);
Anatomie: Wenzel Trnka; Physiologie: Adam Ign. Prandt (1770), Samuel Rdcz
(1783); Pharmakologie: A. I. Prandt; Praktische Chirurgie: Josef Plenk (1770),
Georg St4hly (1783); Geburthilfe: Plenk (1770), J. R&cz (als Supplent), G. StdMy
^1783), Botanik: J. Winterl; Chemie: derselbe; Zoologie: Mathias Piller (1783),
Josef Schönbauer (1788); Mineralogie: die Professoren der Zoologie; Theoretische
Arzneikunde: Stipsics Ferdinand (1783); Thierarzneikunde : Alexander Tolnay. Dr.
-Joh. Rupp's Festrede zum hundertjähr. Jubilemn der medic. Fakultät der k. ung.
Universität. Ofen, 1871, S. 130.
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54f UNOARN BETREFFENDE SANITÄTSVERORDNÜNGEN JOSEFS DES H.
arzt bei einer Gespanscbaft oder Stadt angestellt werden könne, der nicht
diese Vorlesungen gehört, und darüber ein gutes Zeugniss erhalten bat.»
In ausführlicher Weise werden auch die Pflichten der Aerzte fest-
gesetzt. Allgemein behandelt dieselbe schon das Normale vom Jahre 1770,.
indem es in mehreren Punkten das Verhältniss der Aerzte zu dem Publicum
und dem Sanitätspersonale bestimmt. Im Anschlüsse an diese Anordnungen
erliess Josef IL am 27. November 1787 ein Intimat in der Form eines.
«Amtsunterrichts für die Comitats- Aerzte in dem Königreiche Ungarn, und
den dazu gehörigen Provinzen.» Dieser Erlass enthält in 32 Punkten eine
ausführliche Unterweisung für die Cbmitatsärzte und verdient wohl, in
seinen Hauptpunkten hier registrirt zu werden.
Die Agenden der Comitatsärzte beziehen sich — nach dieser Amts-
unterweisung — «auf den allgemeinen Gesundheitsstand des ihnen anver-
trauten Bezirks, auf den besonderen der einzelnen Kranken und auf die
ihnen von der öffentlichen Aufsicht in landgerichtlichen Fällen gemachten
Aufträge und Untersuchungen.»
Betreffs des ersten Punktes haben die Comitatsärzte ihre Aufmerk-
samkeit den Epidemieen, Viehseuchen, Affcerärzten, der Geburtshilfe, den
Apotheken und allen denjenigen Gegenständen zuzuwenden, welche durch
Verunreinigimg der Luft Krankheiten zu verursachen im Stande sind.
Bezüglich der epidemischen Krankheiten wird folgende Anordnung
getroffen :
«Die Ortsobrigkeiten haben bereits die Verordnung *, sobald wahrge-
nommen wird, dass in einem Orte mehrere Menschen durch einerlei Krank-
heit in kurzer Zeit aufgerieben werden, sogleich unter der schwersten Ver-
antwortung die Anzeige an die Gespanschaftsbehörde zu machen.
Wenn eine solche Anzeige einläuft, hat sich der Gespanschafts-Arzt
auf Verordnung des Comitats, unverzüglich nach dem angezeigten Orte zu
begeben, die Art und Beschaffenheit der Krankheit, ihre Verbreitung, und
der dadurch verursachten Sterblichkeit genau zu untersuchen, und über die
erhobenen Umstände Bericht an den Vicegespan, nebst Anschliessung der
Tabelle aller Kranken, Genesenen, oder Verstorbenen, mit der Voraus-
setzung der Volksmenge des Orts zu machen.
Bestätiget sich, dass wirklich eine Epidemie herrscht, so hat der Arzt
über die den Umständen angemessene Heilungs- und Verwahrungsmethode^
und sonst über die diätetischen Mittel auf der Stelle die Vorschrift zu
erteilen, und so lange an dem Orte zu verbleiben, bis das Uebel, wo nicht
gänzlich, doch wenigstens grösstenteils gehoben ist ; von Zeit zu Zeit aber
muss er den Fortgang und die Wirkung seiner Vorkehrungen, immer mik^
Anschluss obiger Tabelle, dem Vicegespan berichten.
* Unter Andern in dem mehrerwälmten Normativum vom Jahre 1770.
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UNGARN BETREFFENDE SANITATSVERORDNTNOEN JOSEFS DES II. -^^
Wenn ungeachtet der angewendeten Heilungsmittel, das Uebel weiter
um sich greifen sollte, so muss der Comitats-Arzt dem Vicegespan die
genaue Beschreibung der Krankheit, nebst bemeldeter Tabelle der dabei
wahrgenommenen Umstände, und der gebrauchten Arzeneien auf das schleu-
nigste zusenden, und wegen gemachter Vorkehrungen, wie auch des Erfolgs
derselben, die umständliche Anzeige erstatten, zugleich aber fernere Ver-
haltungsbefehle ansuchen.»
In gleicher Weise hat der Comitats-Physikus bei einer ausbrechenden
Viehseuche vorzugehen.
Femer hat er darauf zu achten, dass die Gesundheit der Bewohner
durch das betrügerische Verfahren sogenannter Afterärzte nicht gefährdet
werde.
Zu seinen Pflichten gehört es auch, darauf zu achten, «dass kein Weib
als Wehemutter die Geburtshilfe ausübe, welche nicht zuvor auf einer erb-
ländischen Universität geprüft und tauglich befunden worden ist, welches
aus dem von der Universität erhaltenen Diplome zu ersehen seyn wird.» —
«Wo die Entfernung von Ofen und Pest zu gross ist, sollen die Weiber,
welche die iGreburtshilfe als Wehemütter ausüben wollen, zuvor von dem
(Jomitats-Chyrurgus, der vermöge der bestehenden Gesundheits- Vorschriften
ohnehin ein Geburtshelfer seyn muss, * unterrichtet, und von dem Comi-
tats-Physikus mit Beiziehung des Gomitats-Ghyrurgus über ihre Fähigkeit
ordentlich geprüft, und nur wenn sie tauglich befunden worden, densel-
ben ein von beiden unterschriebenes Zeugniss ausgefertiget uud die Gre-
burtshilfe auszuüben erlaubet werden. »
Um die Verbreitung der Lustseuche hintanzuhalten, möge der Comi-
tats-Arzt dieser gewöhnlich geheimgehaltenen Krankheit nachspüren und
sie nach Möglichkeit auszurotten suchen.
Den Apothekern gegenüber hat er darauf zu achten, dass dieselben ord-
nungsmässig geprüft und diplomirt seien. Femer hat er dafür Sorge zu
tragen, dass in jeder Apotheke die Arzneien stets in erforderlicher Menge
und Güte vorhanden seien und nach der vorgeschriebenen Taxe, ohne Be-
vorteilung des Publicums veräussert werden. Um sich hie von zu über-
zeugen, soll der Comitats-Physicus jährlich einmal — von Mitte Juli bis
Ende October — in allen Apotheken seines Bezirkes eine Visitirung vor-
nehmen. Constatirte Mängel sind an den Vicegespan zu melden. — Ebenso
* A. h. Verordnung vom 10. April 1773 nnd 12. Mai 1785. Letztere hat fol-
genden Wortlaut: fln Zukunft soll kein Wundarzt in einer Stadt, einem Maikte
oder einem grösseren Dorfe dieses Königreichs angestellet werden, wenn er nicht ein
2jengnis8 aufweisen kann, dass er auch aus der Hebanamenkuust gehörig ist geprüfet
worden. Dieses kann mn so mehr von jedem Wundarzte gefordert werden, da dieser
Unterricht sowohl an der Universität zu Pest, als in allen Universitäten uud Liceen
der deutschen Erbländer bestehet •
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56 UNGARN BETREFFENDE SANITÄTSVERORDNUNGEN JOSEFS DES H.
hat er auch auf die zum Veräusßem von Giftwaaren berechtigten Spezerei-
händler sein Augenmerk zu richten.
«In Ansehung der Luftansteckung und anderer Gegenstände^ die Krank-
heiten veranlassen» bestimmt die Amtsinstruction folgendermassen : «Wenn
der Gomitatsarzt in seinem Bezirke Gegenstände bemerkt, welche Orts-
krankheiten veranlassen, oder durch Ansteckung der Luft auf die Gesund-
heit nachtheilige Wirkung haben könnten, z. B. grosse Pfützen, oder Schind-
anger nahe an bewohnten Orten, oder an den Strassen hingeworfenes todtes
Vieh oder Aeser, die nicht vorschriftsmässig eingescharret sind, ingleichen,
dass die Leichen nicht tief genug unter die Erde gebracht werden und
dergleichen, so hat er darüber, so wie auch über die allenfalls bemerkte
Verunreinigung der Brunnen an das Comitats-Offizialat die Anzeige zu
machen.»
Um seinen Pflichten «in Ansehung des besondem Gesundheitsstandes
einzelner Kranken» gerecht zu werden, hat er alles zu beobachten, wozu er
sich in seinem Amtseid verpflichtet. «Die Armen hat er ohne Unterschied
unentgeltlich zu besorgen, überhaupt aber an Kranke, denen er beisteht,
bei ernstlicher Ahndung keine übertriebene Forderung zu machen, und da
er von dem Staate eigends dazu besoldet wird, so ist er den Unvermögenden
in ihren Krankheiten mit der nänüichen Sorgfalt und Mühe, wie dem Kel-
chen beizustehen schuldig, und hat derselbe mit kostbaren Arzeneien nie-
mand in unnöthige Kosten zu bringen.» «Wenn der Comitats-Arzt über
Land gerufen wird, so muss demselben die Fuhre hin und zurück von denen,
die seinen Besuch verlangen, unentgeltlich verschafft werden.»
Die Pflichten des Comitatsarztes bezüglich der in gerichtlichen Fällen
gemachten Aufträge bestimmt die Sanitätsordnung folgendermassen : «Wenn
er zur Beschau in Sicherheitsfällen, als Todtschlägen, Verletzungen, und
anderen Gewaltthätigkeiten gerufen wird, muss er nach der landesgericht-
Hchen Vorschrift den Augenschein nehmen, und das ordentliche Besichti-
gungszeugniss ausstellen. Eben das ist zu beobachten, wenn bei plötzlichen
Todesfällen, oder bei dem Verdachte einer Vergiftung, und dergleichen, von
der Obrigkeit die Besichtigung oder Zergliederung eines Körpers befohlen
wurde, in welchen Fällen er mit der grössten Genauigkeit, die etwa sich
zeigenden Merkmahle aufzuzeichnen, und das Erhobene an das Gericht ein-
zuschicken hat.»
Die Vielseitigkeit der Agenden des Comitatsphysikus macht es demnach
erforderlich, dass er sich ohne Wissen und Bewilligung des Vicegespaug von
seinem Aufenthaltsorte nicht entferne.
Nebst dieser ziemlich erschöpfenden Amtsinstruction erschienen noch
während der Kegierung Josefs sporadisch mehrere auf die Verhältnisse der
Aerzte bezügliche Verordnungen. So z. B. am 21. März 1785 betreffs Einsen-
dung ausführlicher, mit statistischen Daten belegter Krankheitsberichte, um
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XJNGARN BETREFFENDE 8ANITÄT8VERORDNUNGEN JOSEFS DES H. 57
diese für eine herauszugebende Zeitschrift tActa Medica Hungariae» verwer-
ten zu können.
Die Agenden der Chirurgen, die von denen der Medici scharf geschieden
'waren, werden auch in ausführlicher Weise bestimmt.
Die Anordnung vom Jahre 1770 betreffend die durch eine Universitäts-
prüfung zu erhärtende Qualifioation der Wundärzte wird am 13. März 1786
und 25. Juni 1788 bestätigt, mit dem Zusätze, dass diejenigen, die schon
vor dem im Jahre 1 770 erlassenen Sanitätspatente durch einen Landes -Proto-
medicus oder Sanitätsrat oder von einer Sanitätscommission gehörig geprüft
worden sind, von diesem Examen enthoben werden.
Am 31. Oxtober 1786 wird folgendes Rescript erlassen: tDie Wund-
ärzte der Städte und Dörfer, denen es wegen ihres Hauswesens oder Alters
zu beschwerlich wäre, den vorgeschriebenen zweijährigen Kurs der Chirurgie
an der Universität zu vollenden, können auch eher zur strengen Prüfung
gelassen, und woferne sie aus allen Theilen dieses Unterrichts hinlängliche
Kenntnisse an den Tag legen, bestätiget werden.»
Vom 12. Mai 1785 resp. 3. Jänner 1787 datirt die Verordnung, wonach
die Wundärzte auch die Prüfung aus der Geburtshilfe resp. aus der Vieh-
arzneikunde ablegen müssen. Um das Studium dieser Gegenstände auch den
vor Errichtung der betreffenden Lehrkanzel an der Pester Universität ange-
stellten Wundärzten zu ermöglichen, sollen — nach dem Intimat v. 8. Sept.
1788 — aus jedem Comitate zwei Processual- Wundärzte abwechselnd je einer
an die Pester Universität entsendet werden.
Bei Besetzung der erledigten Wundarztstellen soll — Rescript vom 5.
Juli 1787 — ohne Bücksicht darauf, ob die Betreffenden vom Civil- oder
Militärstande sind, nur die Fähigkeit und Geschicklichkeit in Anbetracht
kommen.
Gleichzeitig mit der Amtsinstruction für die Aerzte wurde auch am 27.
November 1787 eine Amtsunterweisung für die Chirurgen erlassen.
Diese Instruction stützt sich grösstentheils auf die am 17. Septem-
ber 1770 getroffenen Bestimmungen der Constitutio normalis, enthält sonst
im Allgemeinen den auf die Aerzte bezüglichen Bestimmungen ähnliche
Anordnungen. «Die Pflicht der Menschlichkeit und des Berufs, — heisst es
im 11 . Punkte der Instruction — erstrecket sich bei einem Comitats-Chirur-
gen auch bis auf die scheinbaren Todten. Zuweilen finden sich Ertrunkene,
Erfrorne, aus Schwermuth, oft von betäubenden, schwefehchen, eingesperr-
ten, faulenden Dünsten erstickte Menschen, oft sieht man todtscheinende
Kinder auf die Welt kommen, oft erblickt man hypochondrische und hyste-
rische Personen in einer dem Tode ähnlichen tiefen Ohnmacht hingesunken,
alle diese Elende sind der Gegenstand der Sorgfalt eines rechtschaffenen
Comitats-Chirurgen, und es ist Pflicht für ihn, sich mit einer vernünftigen
Behandlung in solchen dringenden Fällen im voraus vertraut zu machen»
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•>*^ UNG-\BN BETREFFENDE SANITÄTSVERORDNTJNOEN JOSEFS DES H.
dass er im Falle der Not allezeit fertig sei, und wisse was er zu thun
habe.t
Bezüglich der Bader (Barbiere) wird am 30. Mai 1 786 folgende Bestim-
mung getroffen :
fEs liegt den Gespanschaftsärzten ob sorgfältig zu wachen, damit die
Bartscherer ausser den minderen chirurgischen Operationen ihres Berufs,.
sich nicht beikommen lassen, Heilungen innerer Krankheiten zu überneh-
men, und, wenn sich dieselben nicht davon abbringen lassen, ist es der Aerzte
Pflicht, sie bei dem Ortsgerichte anzugeben, welchem obliegt, solche Wider-
spänstige in Schranken zu setzen, für begangene Fehltritte zu bestrafen, und
sie zur Beachtung der Verordnung anzuhalten.»
Im Rescripte vom 13. Juni 1786 werden die «gemeinschaftlichen Pflich-
ten der Heil- und Wundärzte in den Gespanschaften» festgesetzt. tDiesfr
mögen vereint auf die Beobachtung der in Sanitätssachen ergangenen Ver-
ordnungen wachen, und alle Uebertretungen, die sie bemerken, der Gespan-
schaft anzeigen » etc.
Als vom Staate besoldete Beamte mögen sie den Armen unentgeltliche
Hilfe angedeihen lassen, «von den übrigen Personen aber, für geleistete
Pflege, nach Verhältniss ihres Vermögens, eine angemessene, doch niemals
übertriebene Belohnung, bei schwerer Ahndung, abgenommen werde» (Re-
script vom 17. August 1786.)
Die notwendigen chirurgischen Instrumente hat das Comitat auf eigene-
Kosten anzuschaffen und den Comitatschirurgen zu übergeben. (Rescr. vom
4. Mai 1786.)
Am 7. Dezember 1 786 wird das von Georg Stähly, Professor der Chi-
rurgie an der Pester Universität (1783 — 1802) entworfene Verzeichniss jener
Instrumente herausgegeben, «welche ein Comitats-Chyrurgus in jeder Grespan-
schaft nothwendig haben muss.» Das Verzeichniss enthält Instrumente:
«zu verschüdenem Gebrauche,» (wie Heftnadeln, Polypzangen, Zahnzangen^
Lanzetten, Scalpel, Troicarta zur Eröffnung der Luftröhre, Catheter,
Bistouris, Aneurysmanadeln, Sonden, Kugelzieher etc.), «zur Trepanirung*
(Trepanbogen , Perforations- und Exfoliativtrepan , Tirefond, Elevator^
Hebeisen etc.), t^zur Amputirung>> (wie Knöbel, Toumiquet, Arterien-
Zangel, Bromfieldischer Hacken etc.), «für Gebahrend'e* (Kopfzange,
Bessaria, Mutterkräntzel etc.), «zur Sectionn (Hirnschale -Brecher, Hirn-
schale-Spachtel, Hammer, Blasrohr, Hamulie, Pincetten etc.) und gibt eia
deutliches Bild von dem damaligen Stande der Chirurgie und dem Wir-
kungskreise der Wundärzte.
Auch die Regelung des Apothekerwesens ei freute sich unter der Regie-
rung Josefs des H. einer weitgehendsten Berücksichtigung. Ausführliche
Bestimmungen in Bezug auf die Qualifikation und Pflichten der Apotheker
enthalten schon ältere Verordnungen, hauptsächlich die Apothekerordnung
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ITNOARN BETREFFENDE SANITATßVERORDNUNGEN JOSEFS DES II.
5»
vom Jahre 1644.* Die im Normativ vom Jahre 1 770 enthaltenen Anordnun-
gen ivon den Pflichten der Apotheker» wiederholen theilweise die Bestim-
mungen der erwähnten Apothekerordnung. Bemerkenswert ist das Bescript
Josefs des IL vom 23. Jänner 1 786, das in mehreren Punkten die Einrich-
tung, Besorgung etc. der Apotheken regelt : Es heisst daselbst : «Damit künf-
tig allen Fehlern und Betrügereien der Apotheker gehörig vorgebeuget wer-
den könne, haben Se. Majestät beschlossen, dass
Erstens : auf der Universität keine Kosten gesparet werden sollen, voll-
kommene Apotheker zu bilden.
Zweitens : Soll den Apothekern, welche durch kein ganzes Jahr sich
an der Universität aufhalten können, sondern nur Privat-Collegien hören wol-
len, der Zutritt dazu zur Sommerszeit frei sein, wo Gelegenheit ist, in
dem zu Pest befindUchen botanischen Garten die Kräuterkenntniss zu
erlangen.
Drittens : Kein Apothekenkauf soll giltig sein, wenn nicht der Käufer
vorher schon alle zur Ausübung der Apothekerkunst erforderlichen Wissen-
schaften erlernet hat, und darüber sich gehörig hat prüfen lassen. Ebenso
wenig wird ohne diese Prüfung ein Apotheker von einer Obrigkeit zum Princi-
palen, oder von einer Witwe zum Provisor können aufgenommen werden»
etc. «Es sind die Apotheker anzuhalten, zu desto genauerer Beobachtung
der im Jahre 1779 publicirten pharmaceutischen Taxordnung den Preis der
abgenommenen Medicamente auf das Recept zu setzen.»** «Es wird der
'•• S. meine «Beiträge zur Gesch. d. Medizin in Ungarn» S. 42.
** Es würde hier jedenfalls zu weit führen, die bezogene Arzneitaxe aucJi nur
auszugsweise zu reproduziren. Ich will liier nur den Anhang der Taxe, der den
Titel fPür verschiedene Apotecker- Arbeiten» führt, anführen. Die Taxe «für einen
Umschlag (Cataplasma) zu kochen» beträgt 6 kr; «für einen Trank (Decoctum)
*/2 Stande zu kochen» 6 kr.; «für einen Trank durch ein oder zwei Stunden
zu kochen» 9 ki*; «für ein Seidel gemeine Molken oder Käsewasser •♦ (Serum
Iactis)4kr. ; «für ein Seidel mit Eyerklar geläutei-tes Käsewasser» 10 kr.; «für
eine Kemmilch (Emulsion) auszupressen» 3 kr.; «für einen Aulguss» (Infusion)
3 kr.; «fttr ein Quintel Pillen zu formiren» 2 kr. «Fttr Gläser, Schachteln, Hafher-
geschirre u. d. gl. kann wegen Verschiedenheit der Grösse und Materie nichts
Gewisses bestimmet werden. » — Es sei hier nur noch bemerkt, dass eine selbstständige
ungarische Arzneitaxe (ein iWerk des Pressburger Stadtphysikus Just. Job. Torkos)-
für ganz Ungarn am 12. Juli 1745 sanctionirt und auch später — 15. Juli 1760 und
30. März 1769 — trotz der Bestrebungen in Ungarn die Engersche österreichische Taxe
vom J. 1765 einzuführen, bestätigt wurde. Später wurde aber die Pharmacopoea
austriaca-provinciaüs 1774 5 mit einer neuen Arzueitaxe (vom 1. Jänner 1776 an
giltig) auch in Ungarn anbefohlen, jedoch offiziell erst im Jahre 1786 eingeführt.
In Folge des Abusus, dass in mancher Apotheke die Torkos'sche, in einer andern
die Engel'sche Taxe massgebend war, wurde am 23. Jänner 1786 und 26. Juni
1787 die allgemeine Einführung der Wiener Taxe angeoi-dnet. Linzbauer: Das Inter-
nat. Sanitätswesen der ung. Kronländer. S. 29.
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<y^ UNGARN BETREFFENDE SANITÄTS VERORDNUNGEN JOSEFS DES H.
Unfug, dass die Aerzte von den Apothekern zum neuen Jahre Geschenke
annehmen, hiermit gänzlich abgestellt, und sollen die betretenen Geber und
Abnehmer zur empfindlichen Strafe gezogen werden.«
Kontrakte zwischen einer Gemeinde und Apotheke wegen Ablieferung
der Arzeneien sollen — der Bestimmung vom 23. April des Jahres 1786
gemäss — nur in dem Falle bestätigt werden, «wenn sie schon vorder unter
dem 21. Nov. des Jahres 1785 erlassenen Verordnung geschlossen worden
sind» und «wenn das Publikum dabei gegen alle Be vorteilung gesichert ist,
und dadurch der Gemeindecasse ein merklicher Vorteil erwächst.» In Zukunft
soll aber die Abschliessung derartiger Kontrakte unter keinem Vorwande
mehr zugelassen werden.
Am 24. September 1787 wird auch die von dem k. ung. Statthalterei-
Tat ausgearbeitete Apothekerordnung publicirt.
Ein Intimat vom 5. August 1788 bestimmt, dass «von den Verzeich-
nissen der Arzeneien, welche den armen ünterthanen abgereichet werden
zum Nutzen des allerhöchsten Aerariums, 20 vom Hundert abzuziehen
sind.»
Auch das Geburtshilfewesen wird in mehreren Verordnungen geregelt,
teils durch Bestätigung der im Sanitätsnorinativum vom Jahre 1770 enthal-
tenen diesfälligen Bestimmungen, teils durch neue, entsprechendere Anord-
nungen. So wird z. B. die Dislocirung der mit der Geburtshilfe vertrauten
Personen — auf Grund einer Bestimmung vom J. 1770 — den Oomitats-
behörden und den kgl. Kommissären übertragen (21. Dezember 1786.)
Das dritte Hauptstück der Josefinischen Sanitätsverordnungen behan-
-delt das Capitel der Krankheiten in gesundheits-polizeilicher Beziehung und
gliedert sich in folgende Abschnitte: §. I. Vorsichten den Krankheiten vor-
zubeugen. Hieher gehören : 1. Erhaltung gesunder Luft: «Vorschrift wegen
Einrichtung der Grüften, Gottesäcker und Leichenbegängnisse etc.» «Von
Austrocknung der Sümpfe.» — 2. Vorschriften in Ansehung der Gifte. —
3. Andere der Gesundheit schädliche Dinge. — 4. Eröffnung und gerichtliche
Untersuchung der Leichen.
§. II. Von den Anordnungen, wenn auf der Stelle Hilfe geschafft wer-
den soll.
§. HI. Von den Verfügungen, damit das Uebel der Krankheiten nicht
weiter sich verbreite.
Bezüglich der Anlegung von Krypten wird mittels eines Rescriptes
vom 22. August 1777 die bautechnische und hygienische Untersuchung der
Umgebung angeordnet. In sanitätspolizeilicher Beziehung wird folgende Ver-
fügung getroffen: «Wenn aus solchen Grüften durch Fenster, Spalten oder
wie sonst immer, ausserhalb oder innerhalb der Kirche, böse Ausdünstun-
gen sich drängen können, wonach genau zu forschen ist, sind alle diese
Oeffnungen auf das sorgfältigste zu vermachen und stets wohl verschlossen
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UNGARN BETREFFENDE SANITÄTSVERORDNUNGEN JOSEFS DES II. 61
ZU halten, damit nie die bösen Dünste sieh durchdrängen können. » Aehn-
liches wird auch betreffs der Anlegung von Friedhöfen bestimmt. Auf Grund
eines Rescriptes vom 24. Juli 1788 werden alle in bewohnten Orten befind-
lichen Grüfte aufgehoben, ebenso auch die in einer geschlossenen Kirche oder
Capelle (1. Dec. 1788.)
Am 27. März 1783 wird die Verordnung «wegen Leichenbegängnissen
und Erdbestattungen der nichtunirten Griechen» erlassen; «Den nichtunir-
ten Griechen ist erlaubt, dass sie ihre Todten nach dem von alten Zeiten
herrührenden Gebrauche begraben, und die Grüften gebrauchen, wenn sie
eine solche auf dem Gottesacker bei der Kirche haben ; doch werden fol-
gende Fälle ausgenommen, nämlich, wenn einer an einer ansteckenden
Krankheit oder Seuche gestorben ist, oder wenn gleich nach dem Tode die
Leiche sehr aufschwillt, ein grässhches Ansehen erhält, eher als gewöhnlich
in Fäulung übergeht und einen eckelhaften Gestank von sich gibt. In diesen
Fällen müssen die Leichen gleich mit ungelöschtem Kalke belegt, und nur
nachdem der Sarg wohl verschlossen worden ist, aus dem Hause nach der
Grabstätte gebracht werden, und wofern dagegen gehandelt, und eine solche
Leiche mit unbedecktem Gesichte nach der Kirche gebracht wird, so ver-
lieren sämmtliche Einwohner des Orts sogleich die ihnen durch gegenwär-
tiges Bescript ertheilte Erlaubniss, und werden künftig den wegen der Be-
gräbnisse im Allgemeinen ertheilten Vorschriften in allen Punkten genau
nachleben müssen.»
Im Bescripte vom 19. Jänner 1789 wird auch thatsächlich die den
griechischen Nichtunirten eingeräumte Begünstigung aufgehoben.
Am 7. Oktober 1784 wird folgende Verfügung erlassen: «Da die Ge-
wohnheit, die Todten im offenen Sarge zu Grabe zu bringen, noch an einigen
Orten bestehet, so wird der Befehl, dass Todte, welche in Ansteckung dro-
henden Krankheiten gestorben sind, nicht in offenen Särgen herumgetragen
werden dürfen, hiermit erneuert, und sollen sich die Geistlichen der nicht-
unirten Gemeinden angelegen seyn lassen, das ihrer Sorgfalt anvertraute
Volk von dem noch herrschenden abergläubischen Vorurtheile wegen Blut-
säuger, sogenannten Wampieren, dem es den Tod der Anverwandten zu-
schreibt, endlich ganz abzubringen. »
Bezüglich der Leichenbegängnisse und Beerdigungen der Juden wird
am 7. Oktober 1788 nachfolgende Bestimmung getroffen: «Es haben Se.
Majestät in Betrachtung dessen, dass bei den Juden gewöhnlich viele zahl-
reiche Familien beisammen wohnen, unter denen ein 48 Stunden lang lie-
gender Körper, wenn er zu faulen anfinge, leicht eine Ansteckung verur-
sachen könne, als auch in der Bücksicht, dass am Sabath und anderen
Festtagen ihnen die Beerdigung eines Verstorbenen vermöge Beligions-
gesetzen verbothen ist, wesswegen der Todte bisweilen über die festgesetzte
Zeit unbegraben bleiben müsste, die Beerdigung derselben vor Verlauf der
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*2
UNGARN BETREFt'ENDE HANITATS\^RORDNUNGEN JOSEFS DES II.
festgesetzten 48 Stunden, in sonderheitlicb ausgewiesenen Fällen, jedoch
unter den Bedingungen und Vorsichten zu gestatten geruhet, dass an Orten,
wo nicht ein eigens abgesondertes Behältniss für die Verstorbenen ausge-
wiesen werden kann, der Gomitats-Physikus, oder bei dessen Abwesenheit,
der Bezirks- Wundarzt, oder endlich auch in dessen Ermanglung oder Abwe-
senheit, der nächste für das offene Land bestätigte Wundarzt, zur Besichti-
gung herbei gerufen, und nach desselben Erkenntniss in Hinsicht auf die
aus der Natur der Ej:^nkheit, oder aus was immer für andern Ursachen
überhandnehmende Fäulniss, so wie bei einfallendem Sabath, oder sonst den
Juden heiligen Festtagen, der Beerdigungstermin abgekürzet werden soll.
Doch versteht sich von selbst, dass alle Missbräuche einzuschränken,
und nur damals der Gebrauch von dieser Erlaubniss zu machen sei, wenn
wirkliche Gefahr der Ansteckung und sichtbare, unläugbare Zeichen der
Fäulniss vorhanden sind, und über die Notwendigkeit einer schleunigen
Beerdigung die schriftliche Bestätigung des Arztes oder Wundarztes bei der
Obrigkeit eingelegt werden.»
Betreffs der Veräusserung von Giftstoffen waren — nebst der im P. 5
des Normativum vom Jahre 1770 enthaltenen Bestimmung («Vorsicht bei
dem Verkauf gefährlicher Arzeueien, als Gift u. dgl.») — der bereits erwähnte
Punkt in der Amtsinstruktion für die Comitatsärzte vom 27. November 1787
massgebend.*
In einem Intimatum vom 13. September 1785 wird allen Mautämtem
zur Pflicht gemacht, «darauf zu wachen, dass die fremden Materialisten
keine Gifte oder giftige Waaren einführen, und wenn sie bei Untersuchung
ihrer Waaren dergleichen Gifte finden, sind ihnen solche abzunehmen und
der Obrigkeit zu behändigen».
Unter dem Titel «Andere der Gesundheit schädliche Dinge«» wird
zuerst «Vermischung des Bleies mit den Zinn» angeführt. (17. Juli 1775.
2. November 1784.) In letzterer Verordnung wird aufs AusdrückUchste be-
tont, dass «alle diejenigen Gefösse, worin Speise, Trank oder Arzenei für
Menschen zubereitet, aufbewahrt oder genossen wird, wie auch chyrurgische
Instrumente unfehlbar aus reinem Zinne verfertigt und die Einführung der-
gleichen aus vermischtem Zinne verfertigter Waaren keineswegs gestattet
werden soll».
Am 3. August 1782 wird der Verkauf der mit dem gesundheitsschäd-
lichen Glasemail (vitirum aspergibile) belegten Waaren unter Androhung der
Oonfiscirung derselben und einer Geldstrafe von 50 Beiohsthalem untersagt
Ebenso wird auch (Bescript vom 6. Dec. 1784) der allgemeine Verkauf des
* Die bieher gehörige Bestimmung vom Jahre 1773 (Constitutionis Normativ»
'Bei Sanitatis Anni 1770 Explanatio. P.9. Zsoldos 1. c. S. 31, Keresztöri 1. c. S. 115>
iviirde in Ungarn nicht kundgemacht.
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IT^ÜARN BBTBEFFENDE KANITÄTSVERORDNl NGEX JOSEFS DES II. ^»^
Salpeters, und — 7. Sept. 1785 — der sogenannten Weisserde (terra albi-
•cans) verboten.
In Folge des Auftretens von Mutterkomvergiftungen im ßaranyaer
-Comitate * nach dem Genüsse des vom sogenannten Mutterkorne gebackenen
Brodes wird am 18. December 1786 das ausführliche «Gutachten der medi-
zinischen Fakultät zu Wien über das in der Baranyaer Gespanschaft gewach-
sene Aftergetreide allen Gespanschaften zur Wissenschaft mitgetheilt.»
«Leute — sagt das Gutachten — die vom Mutterkorn gebackenes Brod
essen, verfallen meistenteils in die sogenannte Kriebelkrankheit; sie fühlen
Anfangs eine Ermattung und ein Kriebeln in den Fingerspitzen und Zehen,
^ ob Ameisen darin wären ; es folgt Erbrechen, der Leib wird hart und
■aufjgeblähet, es entstehen Zuckungen und Fraisen, und endlich folgt der
Tod mit abwechselndem Frost und Hitze». «Uebrigens ist von diesem After-
getreide weder für Menschen noch für irgend Vieh ein Gebrauch zu machen,
fiondem es muss ganz vertilget, und nicht ins Wasser geworfen, weil die Er-
fahrung lehret, dass ein solches Wasser Hunde, Schweine, Gänse, Enten etc.
tödte».
Die hygienische Fürsorge der Josefinischen Verordnungen geht auch
«o weit, selbst das Heben allzugrosser Getreidegarben «mit einer strengen
Ahndung gegen die Uebertreter» zu verbieten (20. December 1782), «weil
bemerket worden ist, dass es auch den stärkesten Leuten schädlich wird,
wenn sie zur Zeit der Ernte allzugrosse Garben auf die Wägen und von die-
sen auf die Schober werfen».
Interessant ist auch das Verbot bezüglich des Gebrauches des weib-
lichen Mieders, das am 14. August 1783 publicirt wurde. Es heisst in dem-
selben : «Da die Erfahrung lehret, dass der Gebrauch der weiblichen Schnür-
brust, oder des gewöhnlich sogenannten Mieders, der Gesundheit, und
besonders der Ausbildung des weiblichen Körpers sehr oft schädhch gewesen
ist, im Gegenteile aber es nicht wenig zur Erlangung einer guten Leibes-
beschaffenheit und zur Fruchtbarkeit der Weiber beiträgt, wenn der Gebrauch
-der Schnürbrust unterbleibt, so wird hiermit festgesetzt, dass in Waisen-
häusern, Klosterschulen imd allen andern zur Erziehung der Mädchen ge-
widmeten öffentlichen Anstalten, der Gebrauch der Schnürbrust ganz unter-
sagt seyn, und kein Mädchen in die Schule aufgenommen oder zugelassen
werden soll, wenn sie diesem Gebrauch nicht entsagt.»
Mit Verordnung vom 24. December 1783 wird die in alle in Ungarn
gebräuchlichen Sprachen verfasste Abhandlung des Dekans der Wiener me-
* Hirsch erwähnt das Auftreten der Ergotismus- Epidemie in Ungarn im
Jahre 1786 in dem tChronologisohen Verzeichniss der Ergotismus-Epidemieen»
(Handbuch der historisch -geogr. Pathologie 2. Th. S. 141) nicht. Derartige Epidemieen
.grassirten übrigens schon im Mittelalter in Ungarn imd kommen in den Chroniken
tmter der Bezeichnung • Heiliges Feuer, Set Antonsfeuer, pestis ignea» etc. vor.
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ö* UNGARN BETREFFENDE SANITÄTSVERORDNUNGEN JOSEFS DES II.
dizinischen Fakultät, Dr. Johann Michael Schosulan: «Ueber die Schädlich-
keit der Schnürbrüste (Mieder)» an sämmtliche Behörden Ungarns verteilt.
Hieran fügt sich noch ein Erlass vom 5. August 1784. Derselbe lautet
folgendermassen : «Das Verboth der Schnürbrust leidet in den Fällen eine
Ausnahme, wenn zur Erhaltung eines schadhaften Leibbaues der Grebrauch
der Schnürbrust durch den Arzt selbst vorgeschrieben, und von demselben
darüber das Zeugniss beigebracht vrird.»*
Bezüglich der gerichtUchen Sektion der Leichen wird (20. März 1786)
die Verfügung getroffen, dass dieselbe regelmässig 48 Stunden nach einge-
tretenem Tode erfolge.
Am 14. September 1786 wird die für die Geschichte des medizinischen
Unterrichts in Ungarn bemerkenswerte Bestimmung erlassen, dass «in An-
sehung der Zergliederung todter Körper bei dem anatomischen Unterrichte,
da hierzu immer solche todte Körper erfordert werden, die durch die Fäulimg
noch nicht zerstöret sind, so können an den Orten, wo Universitäten sind,
den Lehrern der Anatomie und Chyrurgie, aus den Krankenhäusern todte
Körper auch vor Verlauf der 48 Stunden ohne Anstand geliefert werden,
weil nicht leicht zu befürchten ist, dass die in Krankenhäusern Verstorbenen
zu frühe begraben, oder zur Anatomie abgegeben werden, da in diesen Häu-
sern immer Aerzte und Chyrurgi vorhanden sind, welche die Kranken be-
handeln, und aus der Art der Krankheit, und den vorhergegangenen Ur-
sachen und Zufällen kennen müssen, ob der Körper wirklich entseelet sey
oder nicht».
Erhöhtes Interesse verdienen die Verordnungen, die die Leistung der
ersten Hilfe bei plötzlichen Unglücksfällen zum Gegenstande haben, nicht
nur deshalb, weil sie dafür sprechen, in welch hohem Maasse schon damals
der Sinn für das Rettungswesen bei uns entwickelt war, sondern auch darum,
weil sie uns zeigen, mit welchen Mitteln damals die erste Hilfe geleistet
wurde.
Schon Maria Theresia erliess am 1. Juli 1769 eine diesbezügliche all-
gemeine Verordnung und setzt «ein Prämium von fünf und zwanzig Gulden
auf die Erhaltung jedes Ertrunkenen, oder sonst erstickten Menschen». Am
5. Feber 1779 wird eine ausführliche Instruktion über die Leistung der
ersten Hilfe bei plötzlichen Unglücksfällen pubUcirt. Diese enthält folgende
Kapitel: 1. «Unterricht, wie und durch welche Hülfsmittel Ertrunkene imd
'*' Diesbezüglich war die Angabe Schostilans 1. c. §.34 massgebend : «Dass
aber in manchen Krankheiten sonderlich der Beine einige Gattungen Mieder auch
nützlich seyn, ist nicht zu leugnen, doch muss der Gebrauch und die Verfertigung
solcher Maschinen nicht von Müttern, Erzieherinnen und Schneidern, sondern von
Leib- und Wundärzten anbefohlen und bestimmt werden. Die Mieder, wenn ai&
demnach nützlich seyn können, sind nur für eine gewisse Art Kranker, niemals aber
für Gesunde.»
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UNGAKN BETREFFENDE 8ANITÄTSVEB0BDMUMGBN JOSEFS DES II. ^^
Erbenkte am fäglicbsten hergestellet werden.» Die hier in Anwendung kom-
menden Mittel sind a) die Eröffnung der Drosselader (vena jugularis) auf
der einen oder andern Seite (• damit die Lunge und das Gehirn von dem an-
gehäuften und stillstehenden Geblüthe befreiet, und dessen ordentlicher
Lauf wieder hergestellet werde»); b) Entkleidung und Abtrooknung; der
Verunglückte soll mit trockenen Kleidern, Decken, Kotzen bedeckt werden;
c I Einleitung der künstlichen Atmung durch direkte Einblasung von Luft
oder mit Hilfe eines Blasbalges u. s. w. — ü. Unterricht, wie von Kohlen-
dunste erstickte Menschen gerettet werden sollen. Mittel : Die Entfernung
des Verunglückten vom Thatorte und Ueberbringung auf die freie Luft,
Aderlass, Bespritzungen mit kaltem Wasser und im Allgemeinen die Ein-
leitung künstlicher Atmung. (Vor Verabreichung von Brechmitteln wird
aufs Eindringlichste gewarnt.) — IIL Unterricht, wie allem Unglücke von
dem in den Kellern gährenden Moste sowohl vorzukommen, als auch den
Erstickten die nöthigen Hülfsmittel verschaffet werden sollen. — IV. Unter*
rieht, was vor der Reinigung lange verschlossener Brunnen zu unternehmen
und mit welchen Hülfsmitteln die darin erstickten Menschen zu retten
seyn. — V. Unterricht von dem Sonnenstiche. Anknüpfend an diese Instruk-
tion wird am 1. Feber 1781 das Bettungsverfabren beim Bisse wütender
Hunde publicirt. Selbstverständlich im Oeiste der damaligen antirabischen
Ansichten, beschränkte sich diese Instruktion beinahe nur auf Präventiv-
massregeln, Symptomatologie und widmet der Therapie (Auswaschung mit
Urin, lauem Salzwasser, Aufritzung mit einem spitzig-scharfen Instru-
mente etc.) nur primitive Aufmerksamkeit.
Am 31. Jänner 1783 werden die Behörden beauftragt, die Schrift des
Protomedicus Störk «Von der Heilung des tollen Hundsbisses» allgemein
bekannt zu machen.
Am 3. Feber 1783 wird noch eine Supplement-Instruktion für die
Giirurgen herausgegeben, die sich hauptsächUch mit dem zu befolgenden
Heilverfahren befasst,*
Der dritte Punkt des Capitels, das die Krankheiten umfasst, behandelt
die Verfugungen, mittels welcher der Verbreitung der Krankheitsübel vor-
zubeugen ist. Diese erstrecken sich auf die Massregeln zur Localisirung der
Lustseuche, Lungensucht und endemischen Leiden (2. August 1783, 30. Jän-
ner, 3. JuH 1784 und 26. September 1789; 19. September 1785; 21. März
1785, 19. Juni 1787.)
Wichtig ist die Verordnung vom 21. März 1785, «wie die medizini-
schen Berichte über die Eigenschaft der an verschiedenen Orten des König-
reichs beobachteten, besonders endemischen Krankheiten, alljährlich von
^ Kereszturi 1. c. S. 171.
Uoguiseh« B«tim XI. 1891. I. Heft.
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66 UNGARN BETREFFENDE SANITÄTSYER0RDNUN6EN JOSEFS DBS H.
den Gespanschaftsärzten verfasst und an die Landesstelle * gesendet werden
sollen, i Dieser Verordnung gemäss sollen nämlich die endemischen Krank-
heiten, c welche bisher in den Tabellen namentlich angeführet wurden, häufig
auch ausser der Tabelle umständlich und deutUch beschrieben werden. • Das
statistische Material, nach angeführten Fragen geordnet, soll eine Art von
Sammelforschung repräsentiren und für die Herausgabe eines literarischen
Unternehmens «Acta Medica Hungaria» verwertet werden. (Die Herausgabe
einer solchen Zeitschrift wurde wiederholt geplant, doch immer erfolglos.
So auch im Jahre 1787, 1819, 1823, bis endlich im Jahre 1830 die erste
ungarische med. Zeitschrift «Orvosi Tär» (Medizinisches Magazin) zu
erscheinen begann.)
Das vierte Gapitel der Sanitätsverordnungen umfasst das Arzneiwesen
mit Bezug auf die unentgeltliche Verabreichung der Arzneimittel seitens der
Landesverwaltung, auf den Verkauf ausserhalb der Apotheke, gesundheits-
schädliche Mittel etc.
BezügUch der kostenfreien Verabreichung von Arzneimitteln, bestimmt
eine allerhöchste Entschliessung vom 12. Dezember 1780 Folgendes : «Wenn
in irgend einem Bezirke die Gefahr der Krankheit stärker wird, sollten die
nöthigen Untersuchungen durch Aerzte sogleich veranlasset, und für die
armen Leute aus der Cassa domestica angeschafft, auch den Landleuten
überhaupt, so gut es geschehen kann, mit Vorstellung der daraus erfolgen-
den Gesundheit, die gewöhnliche Abneigung gegen Arzeneien benommen,
und die Nothwendigkeit ihnen fühlbar gemacht werden, dass sie in Erkran-
kungsfällen den nächsten Heil- oder Wundarzt, die ohnehin verpflichtet
sind, den Unterthanen unentgeltlich beizuspringen, sogleich herbeirufen
müssen.»
Die Bestimmung der Constitutio rei sanitarise vom Jahre 1770, wonach
«den Materialisten, Marktschreiern, Gewürzkrämem, Distillanten, Okulisten,
Operateurs u. dgl. Leuten» die Herstellung und der Verkauf von Arznei-
mitteln untersagt wird, wurde abermals bestätigt und auch auf die soge-
nannten «Oelmänner» — denen bisher «der Handel mit Oel und Wasser
in so weit, als diese unter die Klasse der Simplicia gehören» gestattet war —
geltend gemacht (31. Jänner 1777), unter Androhung der Confiscirung ihrer
Waaren und Abschiebung in die Heimat (20. März 1786).**
Zur Hintanhaltung des Geheimmittelschwindels wird am 30. Jänner
1787, «sämmtlichen Druckereien bei schwerer Ahndung verboten für
* An den k. Stattbaltereirat.
** Trotz dieses Verbotes wanderten — nocb bis zum Ausbrucbfe der ersten
französiscben Bevolution — alljäbrlicb nabezu 300() solcber Oeknänner (Olejkari)
bauptsäcbüch aus Oberungarn nacb Frankreicb, wo ibnen ibr Rosmarin wasser, das
sogenannte Eau de la reine d'Hongrie, sebr teuer bezablt wurde.
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UNGARN BETREFFENDE 8ÄNITATSVER0RDNÜNGEN JOSEFS DES H.
67
Quacksalber und dergleichen Leute, Zettel zu drucken, wodurch sie gegen
Warzen, zum Haarwachsen, gegen Hühneraugen (Leichdome) an Fassen,
Zahnschmezen, sowie gegen Wanzen, Mäuse etc. sogenannte Arcana anzu-
kündigen und zu empfehlen suchen.»
Die verbotenen Arzneimittel dürfen nur dann veräussert werden, wenn
sie von einem «ordentlichen Medico» für brauchbar befunden worden sind
(Bescript ddo 18. Jänner 1787).
Vom wahren Sinne für das Gesundheitswesen zeugen die Verordnun-
gen, die sich auf die Hebung des Bades Balatonfüred beziehen. Josef U.
schenkte diesem, damals im eigentlichen Werden begriffenen Kurorte eine
Aufmerksamkeit, der allein das Bad seine Entwicklung verdankte. Die
Anordnungen, die sich auf Füred beziehen, haben einerseits den Zweck,
seinem Mineralwasser Verbreitung zu verschaffen, andererseits aber den
Kurort dem In- und Auslande zugänglich zu machen. Bezüglich der Versen-
dung des Mineralwassers ins Ausland wird die Verfügung getroffen, dass die
in Gegenwart des Brunnenarztes regelrecht zu füllenden Flaschen mit einem
Siegel mit der Aufschrift : Föns Acidularum Fürediensis zu versehen sind.
Versendungen ins Ausland dürfen nur im Frühjahr geschehen. Der Gebrauch
des Wassers für eigene Person ist Jedermann gestattet. (Intimat ddo
lo. November 1785.) — Essoll auf die Reinhaltung der Umgebung der
Quellen geachtet und auch die Vermengung von Süsswasser mit dem Was-
ser des Sauerbrunnens hintangehalten werden. (19. April 1784.)
Laut eines Rescriptes vom 20. Feber 1786 «ist bei dem Füreder
Brunnen ein Heilarzt mit 400 Gulden jährlichen Gehalts, ein Wundarzt mit
200 Gulden und ein Apotheker mit 100 Gulden von der Herrschaft anzu-
stellen, diese aber bezieht alle Einkünfte von der AnfüUung und Verkorkung
der Flaschen.»
«Der Arzt des Sauerbrunnens ist gehalten, den Armen und den Sol-
daten, nach Inhalt des Amtsunterrichts vom 1. Nov. des J. 1785, unentgelt-
lich Hülfe und Wartvmg zu widmen.» (^0. Feber 1786).
«Die Kenntniss der landesüblichen Sprachen ist dem am Sauerbrunnen
angestellten Wundärzte um so nötiger, als er, vermöge des Sanitätsnormals
vom J. 1773 in Abwesenheit oder im Verhinderungsfalle des Leibarztes,*
auch innere Krankheiten behandeln muss.» (Bescript ddo 6. März 1786.)
Was die Verwaltung des Kurortes anbelangt, wird am 19. April 1784
die Verfügung getroffen, dass «ein wohlhabender und in Ansehen stehender
Beisitzer der Gerichtstafel die Kurzeit über die Stelle eines Polizei-Gommis-
särs vertrete und nicht nur die Befolgung aller bisher ergangenen Polizei-
und Verbesserungs- Anstalten eifrig besorge, sondern überhaupt alles, was
-zur Beförderung der bereits getroffenen und noch sonst zu treffenden Mass-
* Im Sinne tals Arzt für innere Leiden» zu verstehen.
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UNGARN BETREFFENDE SANITATSVERORDNÜNOEN JOSEFS DES H.
regeln abzweckt, sie mögen die Sicherheit und Bequemlichkeit der Gäste-
oder die Beinigkeit des Brunnens zum Gegenstand haben, als Oberaufseher
über sieh nehme.» Es soll auch eine Wohnungstaxe festgesetzt und dieselbe^
im Mietkontrakt bestimmt werden. (19. April 1784.)
Am 23. Mai 1786 wird die Zahl und Taxe der Wohnräumlichkeiten
in Füred veröffentlicht. Es befanden sich «mit Ausschluss der 4 Speisesäle
und des Billiardzimmers bei den 2 Sauerbrunnen und in den benachbarten
Dörfern Fured, Aracs und in den Weingebirgen 170 Zimmer, 51 Küchen
und für 319 Stück Pferde hinlängliche Stallungen. In den an dem Sauer-
brunnen unmittelbar anliegenden Gebäuden sind 75 Zimmer, 7 Küchen,,
welche 80 Pferde zu fassen hinlänglich sind, wie auch einige Wagen-
schoppen.»
Die Taxe der Zimmer wird folgendermassen festgesetzt: «Zimmer
vom ersten Range werden um 30 Kreuzer, zwei andere jedes um 24 kr., die
übrigen gemalenen Zimmer zu 18 kr., nicht gemalene um 15 kr., die
hölzernen Unterdach-Zimmer eines um 9 kr., auf 24 Stunden gelassen.»
(Intimat vom 20. Mai 1786). Am 19. April 1784 und 15. November 1785 wird
die Errichtung von Gasthäusern angeordnet, «wo jeder Gast nach seinem
Geschmacke und seinen Vermögensumständen, wie er will, gegen eine mas-
sige, zum voraus bekannte Taxe, bewirtet werden kann.»
«Die Speisen sollen gut, reinlich und so zubereitet, dass sie auch
Personen von schwächerer Gesundheit gemessen können, in Totiser Thon-
geschirren aufgetischet werden.» (23. Mai 1786.) Im Intimate vom 19. April
1784 wird die Anlegung von Alleen am Ufer des Plattensees und den Stras-
sen, die stricte Beobachtung der Reinlichkeit, die Gangbarmachung der
Zufahrtsstrassen, bequeme Beförderung etc. anbefohlen.
Diesen in jeder Hinsicht vorzüglichen Anordnungen verdankt der Kur-
ort seinen fernem Aufschwung.
Das fünfte Capitel der Stmitätsverfügungen betitelt sich : «Von Erhal-
tung des allgemeinen Gesundheitsstandes in Bücksicht auf die angränzenden
Länder.»
Durch die Regelung des Gontumazwesens und Einführung eines
Absperrungssystems kam Ungarn sozusagen in einen internationalen Sani-
tätsverkehr.
Die ersten Pestordnungen, wie z. B. jene vom Jahre 1506, 1521, 1551,
1558, 1562 beschränken sich grösstenteils auf die interne Localisirung
der Ansteckungsgefahr; erst im Jahre 1690 finden wir die Verfügung, dass
wegen der in Ofen herrschenden Pest alle nach Wien Beisenden in der Stadt
Pest eine vierwöchentliche Gontumaz zu halten haben.* Ebenso wurden inii
Linzbaner Codex I. S. 335.
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UNGARN BETREFFENDE SANITÄTSVERORDNÜNGEN JOSEFS DES U. ^^
Jahre 1691 an der unganscben Grenze Contumazanstalten errichtet.^ cQoa-
rantän-Häuser» ordnet femer die von Kollonics^ischof von Baab^ verfasrte
und für Ungarn bestimmte Pestordnung vom Jahre 1692 an.^ Am 20. No-
vember und 27. Dezember 1709 wurde eine «Absperrungs-Norm für Ungarn
festgesetzt und durch die königl. ungar. Hofkanzlei den Gomitaten des Lan-
des mitgeteilt.^ «Ambulante» Contumazanstalten wurden 1712 in der Nähe
Pressburgs errichtet^ wo die Deputirten des Beichstages sich einer Beinigimg
unterziehen mussten.^ Diesbezügliche Verordnungen wurden noch am
11. September und 24. November 1713 erlassen. In Folge des Auftretens
•der Pest in der Türkei im Jahre 1726 wurde am 16. September anbefohlen,
«in denjenigen Orthen, wo bis dato keine Gontumazhäuszer sind, solche also-
gleich zu erbauen und in brauchbaren Stand zu setzen.»^ Am 3. Feber
1734 wurde die Errichtung einer Contumazanstalt gegen Bosnien am Berge
Oapella und in Sluin angeordnet.® 1738 wurden in Peterwardein imd Sza-
lankemen Gontumazhäuser eingerichtet.^ Im Jahre 1741 wurden im Grenz-
gebiete bleibende Contumazanstalten errichtet; ebenso im Jahre 1755, 1760
(Vissö und Buskova-Poljana in der M&rmaros), 1769 (Borsa, Körösmezö
und Vereczke), 1770 (Eom&mik und Gabolto gegen Polen und die Moldau.)
Die Bestimmungen vom J. 1770 ordnen die Leitung derbleibenden
Contumazanstalten an.^
Die in der Constitutio normalis vom Jahre 1770 enthaltenen diesbe-
zügUchen Bestimmungen standen während der folgenden Pestjahre in voller
'Giltigkeit.
Die damals fungirenden Contumazstationen waren : Borsa (Com. Mar-
maros), Mehadia, Zsuppanek, Pancsova (Temeser Banat), Banovcze, Semlin,
Mitroviczn, Brod, Gradiska (Slavonien), Szluin, Badonovacz, Eosztanicza
(Kroatien), in Siebenbürgen: Bothenthurm, Tömös, Terzburg, Buzan und
Vulkan (gegen die Walachei), Bodna, Ojtos, Csik-Ghymes, Bizicske (gegen
die Moldau).
Die Verordnungen unterscheiden nach der Beschaffenheit der ein-
laufenden Nachrichten in der Zeit der Contumaz 1. die kürzeste Dauer
<21 Tage), 2. die mittlere Dauer (28 Tage), 3. die längste Dauer (42 Tage).
«Obschon den Sanitätsobrigkeiten eingeräumet ist, mit Genehmigung der
Xandesstelle, den Grad der vorgeschriebenen Contumazdauer nach Beschaf-
^ linzbauer I. 8. 338.
' Linzbauer I. S. 342.
■ Lmzbauer I. 8. 391, 396.
* Lmzbauer I. 8. 410.
* Linzbauer 11. 8. 4.
• Linzbauer 11. 8. 49.
' Linzbauer EL 8. 98.
• Linzbauer L 8. 821. 11. 8. 535.
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70 UNGARN BETREFFENDE SANITÄTSVERORDNUNOEN J0ßEF8 DES II.
fenheit der einzuholenden verlässlichen Nachrichten, den Umständen mit
Behutsamkeit anzuschicken, die oftmahls von der Dringlichkeit sind, keine
Anfragen zu gestatten, so wird ihnen doch hiermit ernstlich aufgetragen,
hierin mit Klugheit vorzugehen, durch übermässige Strenge dem Wohlstande
des gegenseitigen Handels und der freundschaftlichen Nachbarschaft, ohne
gute Ursachen, nicht beschwerlich zu fallen. Jede Fristverlängerung aber
sollen sie dann sogleich mit allen Umständen und Ursachen, durch die
Landesstelle und ungarische Hofkanzlei uns anzeigen, den einmahl erhöhe-
ten Termin aber, ohne vorläufig die Ursachen der Herabsetzung hinterbracht
und weitere Verhaltungsbefehle zu haben, für sich allein nie mindern.»
Zur Hintanhaltimg der Ansteckungsgefahr wurden Sanitätskordone
aufgestellt. «Wenn nun das gefährliche Pestübel wirklich in den türkischen
oder anderen angränzenden Landschaften ausgebrochen seyn sollte, so wird
dieser Pestkordon, wo er noch nicht besteht, aufzustellen, oder wo er schon
besteht, nach Massgebung der Umstände, dermassen zu verstärken seyn,
dass die ausgesetzten Posten, davon einer den andern ohnehin allezeit, so
viel möglich im Gesichte behalten, umso enger zusammengezogen, oder
auch bei gefährlichster Dringlichkeit, nebst dem auswärtigen Kordon wohl
gar ein zweiter formirt werde, um durch solche Mittel alle Zugänge aus
den verdächtigen Gegenden auf das strengste zu beobachten.»
•Es sollen die Kordonsposten, die allenfalls an der Gränze eines Orts
ankommenden Personen sogleich zurück oder in die otfen stehende Kon-
tumazstation weisen, im Falle der Weigerung aber, wenn die Ermahnung
nichts verfinge, und eine Person mit Gewalt eindringen wollte, sie zu Folge
des unter dem 25. August 1766 ergangenen, und überall kundgemachten
Strafgesetzes an der Stelle todtzuschiessen keinen Anstand, überhaupt aber
sich zur Eichtschnur nehmen, dass aus dem türkischen Gebiethe je und
allezeit der Eintritt in die Erbländer auf keine andere Art, als durch die
Kontumazstationen auf die vorgeschriebene Weise gestattet sei. » »Ohne Keini-
gungsurkunde — Zeugniss über die mit Erfolg bestandene Quarantaine —
soll kein Ankömmeling beherberget werden.» «Wider solche unvorsichtige
Aufnehmer soll mit den empfindlichsten Strafen vorgegangen werden, die
bei gefährlichen Umständen verschärfet, und bei der in dem angränzenden
Gebiethe wirklich wüthenden Pest wohl gar bis zur Todesstrafe vergrössert
werden sollen.»
Dem Kontumazdirektor wird die Instandhaltimg des Kontumazgebäu-
des, eine sorgfältige Absonderung der verdächtigen Menschen, Viehe und
Waaren und die Beobachtung der Bequemlichkeit für die in Quarantaine
befindlichen Personen zur Pflicht gemacht.
Die königl. Statthalterei hat die Kontumazstationen alljährlich durch
einen Arzt tmtersuchen zu lassen.
Die die Station passirenden Personen, Fuhren, Waaren etc. sind aufs
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URGARN BETREFFENDE SANITÄTSVERORDNUNGEN JOSEFS DES H. 'I
sorgfaltigste ZU visitiren. «Falls sich in der Visitation bei einer Person wirk-
liche Zeichen der Pest veroffenbarten, ist dieselbe ohne Ausnahme zu ent-
lassen, und zu entfernen, auch im Weigerungsfalle mit Gewalt anzuhalten,
sich sammt Vieh und Habseligkeiten zurück zu begeben.» «Wenn hingegen
bei der vorgenommenen Untersuchung keine Anzeichen einer Ansteckung
sich offenbaren, ist zu der vnrklichen Reinigung in den vorgeschriebeneu
Zeitfristen nach folgenden Massregeln zu schreiten :
Vor allem sind die Personen in abgesonderte Wohnungen zu bringen,
und dann ist entweder durch sorgfältige Verschliessung oder allenfalls
durch erforderliche Sanitätswächter, die nach Beschaffenheit der Umstände
in genügsamer Anzahl den Kontumazpersonen beizugeben sind, dafür zu
sorgen, dass keine Vermischung zwischen den Kontumazpersonen und
Gesunden, oder zwischen Kontumazpersonen von verschiedenen Perioden
erfolgen möge ; denn bei der mindesten Berührung würde, nicht nur ein
Gesunder oder Unverdächtiger, wegen der vorgegangenen Berührung und
des darauf gegründeten Verdachtes, die Kontumaz mitzumachen haben,
sondern auch die bereits angefangene Kontumaz würde auf das neue anzu-
fangen haben.»
Der Kontumazdirektor soll auch für die Möglichkeit einer billigen und
sorgfältigen Verpflegung der in Quarantaine befindlichen Personen sorgen.
«Wenn die Kontumazpersonen Gelder und Briefschaften bei sich
haben, muss das Geld mit warmem Wasser, und bei verdächtigen Zeiten
mit Essig durch die mit den Kontumazpersonen ausgesetzten Eeinigungs-
knechte gewaschen werden. Die Briefschaften aber sind bei guten Zeiten,
blos mit dem gewöhnlichen Pestrauche auszurauchen, bei verdächtigen
Umständen folglich erhöhter Kontumazfrist aber durch warmen Essig zu
ziehen, und sodann erst abzugeben. »
Wäsche soll sorgfältig gewaschen, Kleider gelüftet werden.*
Die Kontumazprotokolle sind vorschriftsmässig zu führen, giftfangende
Waaren (merces susceptibiles) von nicht giftfangenden abzusondern. Als
giftfangende Waaren werden solche bezeichnet, «die fähig sind den EEauch
einer ansteckenden Krankheit an sich zu ziehen, und wieder mitzutheilen»,
als nicht giftfangende, «welche einer solchen Ansteckung unfähig sind.»
Unter den letztern werden angeführt: Alaun, Aloe, Antimon, Arsenik,.
Blech, Butter, Borax, Calmus, Caffee, Corallen, Cremor Tartari, Datteln^
Diamanten, Eicheln, Esswaaren, Feigen, Fleisch, Fische, Getreide, Glas,
Gummi, Holz, Honig, Ingwer, Kampfer, Käse, Limonen, Mandeln, Mar-
mor, Metalle, Mehl, Gel, Opium, Porcellan, Perlen, Pech, Pfeffer, Quecksil-
* Bezüglicli der Beinigung der Kleidung wurde den sog. Keinigungsknechteu
die Beobachtung der in Chenot'B «Abhandlung von der Pestseuchet (Cap. IV. u. V.)
enthaltenen Vorschriften zur Pflicht gemacht. (Rescr. vom 18. August 1785).
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72 UNGARN BETREFFENDE SANITÄTSVERORDNUNGEN J08EP^ DES II.
ber, Reise, Safran, Salz, Stärke, Spargel, Torf, Vitriol, Wein, Wachs, Zucker,
Zimmt, 2iinn u. m. A.
Diejenigen, die eine aosgebrocbene Pest verfaeimlicben, werden bei
einreissender Gefabr mit dem Tode bestraft.
Nach Ablauf der Kontumazdauer sind die Betreffenden nacb erfolgter
Visitirung durch den Arzt mit einem Beinigungszeugnisse verseben zu
entlassen.
Der Direktor hat allmonatlich einen kurzen Bericht an die Statthai-
terei einzusenden,
Der Stationsarzt soll den Direktor in seinen Agenden unterstätzen,
die in der Station befindlichen Personen unentgeltlich behandeln etc. Die
Beinigungsknechte, Sanitätswächter haben in ihren Obliegenheiten mit der
nötigen Vorsicht und Sacbkenntniss vorzugehen.
Zur Erleichterung des Dienstes wird eine übereinstimmende «Beini-
gungstaxordnungi festgesetzt. So wurde z. B. für die Beinigung von
100 Pfund roher und gesponnener Baumwolle 15 kr., von 100 Pf. Flachs
16 kr, von 100 Stück Hemden 10 kr, von einer Ochsen-, Pferde oder Kuh-
haut Va, von einem Fuchsbalge ^/4, von einem Paar türkischer Stiefel
(ocreae turcicae) ^4, von 100 Pf. Schafwolle 15, von einem Zentner Seide 25,
von 100 Pfund Tabak 7Va, von Hausthieren 1 — 3 kr. gezahlt.
Am 10. Jänner 1783 vrird die Verfügung erlassen, «wie wegen der
im türkischen Gebiete herrschenden Pestseucbe Gewissheit zu erhalten ist.»
«um Gewissheit zu erhalten, ob in den türkischen Provinzen, welche mit
den k. k. Staaten gränzen, die Pest wirklich herrschet, und daher ein
gegründetes Besorgniss einer Ansteckung vorhanden sei, ist mit der Bepublik
Venedig, mit welcher vermöge Verträgen die Angelegenheiten des öffent-
lichen Gesundheitsstandes gemeinschaftlich behandelt zu werden pflegten,*
das Einverständniss getroffen, dass von jeder Seite erfahrne Aerzte abge-
sandt werden sollen, welche sorgfältig zu erforschen haben, ob in den tür-
kischen Ländern die Pest herrsche, und also ein zureichender Grund die
strenge Kontumazverwahrung notwendig mache. Sie werden darüber
genaue Berichte erstatten, nach deren Inhalt die nötigen Vorsichten zu
ermessen sind.»
Ein Bescript vom 14 Sept. 1786 verfügt Folgendes: «So noth wendig
die Vorsicht gegen das Pestübel ist, so sorgfältig ist dahin stäter Bedacht zu
nehmen, dasa man davon sogleich zuverlässige Nachrichten einziehe ; denn
oft geschieht es, dass Kaufleute, die mit einem geringen Yfaarenvorrathe am
den angränzenden Ländern ankommen, wenn sie wissen, dass bald ein gros-
■^ S. diesbezüglich die a. h. Entschliessung vom 16. September 1726. ap. Linzbauer
II. S. 3. Verfügungen Venedigs zur Hintanhaltung der Ansteckungsgefahr in Form
Ton Eontumazanstalten und Quarantainen datiren schon vom 14. Jahrhundert.
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UNGARN BETREFFENDE SANn'ÄT8VER0RDNUNöEN JOSEFS DES II.
73
serer Vorrath eben dieser Waare folgen soll, damit sie mit diesem die Kon-
kurrenz vermeiden, Geiiichte von einer ausgehrochen en Pest ausstreuen ; es
sollen daher, so lange das Uebel noch so weit entfernet ist, die Kontumaz-
nmchen nicht vermehret, und die Ankömmlinge, nach gehöriger Reinigung
mid Abwaschung, wenn sie ihre Kleider nicht mit sich nehmen wollen, nur
durch drei Tage in der Kontumaz behalten werden ; aber auch diese Vorsicht
hat nur so lange zu währen, bis sichere Nachrichten eingehen, und wenn
vermöge derselben keine Gefahr obwaltet, ist die Kontumaz gänzlich auf-
zuheben.»
Zu den Josefinischen Sanitätsverordnungen gehören noch die Bestim-
mungen «von den politischen Verbrechen, die dem Leben oder der Gesund-
heit der Mitbürger Gefahr oder Schaden bringen.» Diese sind in dem «allge-
meinen Gesetz über Verbrechen und derselben Bestrafung vom 13. Jänner
1787» (2. Teil 3. Cap.) enthalten und zählen 10 Paragrafe (§. 19— §. 29).
Nach §§19, 20 und 21 machen sich Private und auch Apotheker, «die
•durch Verkauf einer Giftwaare ihren Nächsten Schaden zufügen oder auch
nur einen entfernten Anlass zur Beschädigung gegeben haben, verbotene
Arzneien verkaufen, oder dieselbe falsch zubereiten» eines politischen Ver-
brechens schuldig und sind mit «hartem Gefängniss oder öffentlicher Arbeit»
resp. («wenn des Verbrechers That nur die entfernte Gelegenheit zur Beschä-
digung war») «mit zeitlichem strengem Gefängniss» zu bestrafen.
«Wenn einem Kinde, oder einem Menschen, der sich selbst gegen
<7efahr zu schützen nicht vermag, durch Ueberfahren, in das Wasser fallen,
eigene Verletzung, oder sonst auf eine Art Tod und Verwundung zugefüget
worden, welchen durch die schuldige Aufmerksamkeit desjenigen hätte aus-
gewichen werden können, dem die Aufsicht über das Kind, oder einen
«olchen Menschen aus natürlicher Pflicht, oder aus obrigkeitlichem Auf-
trage oblag, so ist dessen Sorglosigkeit ein politisches Verbrechen» (§22).
«Insgemein ist die Strafe dieses Verbrechens zeitliches gelindes Gefäng-
niss Dasselbe muss aber, wenn Tod oder schwere Verwundung erfolget ist,
nach dem eintretenden höheren Grade der Sorglosigkeit verschärfet wer-
<ien» (§ 23).
Durch schnelles Reiten oder Fahren verursachte Beschädigung oder
Tödtung ist ebenso zu ahnden (§ 23).
Eines politischen Verbrechens macht sich schuldig (§25) derjenige,
<ler aus einer kontumazirten Provinz auf Umwegen ins Land kommt oder
Waaren importirt ; h) der ohne vorgeschriebene Meldung den Kordon passirt ;
€)der durch Angabe eines falschen Abgangsortes die Kontumazbehörde
irreführt; d) der Passirscheine fälscht oder den Fälschern solcher Vorschub
leistet; e) der sich eines auf fremden Namen ausgestellten Zeugnisses
bedient;/) der eine derartige Handlung verheimlicht; g) der vor erfolgter
Beinigung die Kontumazstation verlässt; h) der vor vollendeter Kontumaz
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74
UNGARN BETREFFENDE SANITATSVERORDNUNGEN JOSEFS DES H.
mit gesunden Personen in Verkehr tritt ; i) eine gesunde Person, die mit
den in Quarantaine befindlichen Personen ohne Erlaubniss der Kontumaz-
behörde in Verkehr tritt. Ferner machen sich des politischen Verbrechens
schuldig Beamte, die aj Personen und Waaren auf unerlaubten Wegen
passiren lassen ; b) die falsche Gesundheitspässe ertheilen; c) die auf einen
falschen oder unrechtmässig gebrauchten Gesundheitspass jemanden durch-
lassen; dj&VLch der Unterbeamte, welcher von einer solchen unerlaubten
Durchlassung in das Land, Entlassung, oder Entweichung aus der Kontumaz
Wissenschaft hat, ohne sogleich die Anzeige zu machen. Endlich begeht
auch ein politisches Verbrechen jeder, a) der Personen oder Waaren zu
Umgehung der ausgezeichneten Wege, durch Rat, W^egweisung oder auf
sonst immer eine W^eise behülflich ist ; b) wer fremde Personen oder Waaren
aus verdächtigen Gegenden ohne das gehörige Gesundheitszeugniss und Pass
übernimmt, frachtet, befördert ; c) wer in den dem Pestkordon nahe liegen-
den Ortschaften fremde Personen oder Waaren ohne alles Gesundheits-
zeugniss, oder ohne dass das Gesundheitszeugniss nach Vorschrift von der
Obrigkeit recognoscirt worden, beherbergt. Unterstand gibt.»
Solche Verbrecher sind dem Militärgerichte zu übergeben * «und von
demselben allein nach den Gesetzen abzuurtheilen, die zur Sicherheit der
Erbländer nach Verhältniss der Gefahr zu erlassen nöthigseyn wird.» (§ 26).
Als Vergehen gegen die Sanitätsvorschriften wird noch betrachtet,
a) «wenn todtes Vieh in einen Brunn, Bach, Fluss geworfen wird ; b) wenn
bei dem in einer Viehseuche gefallenen Viehe die durch die Sanitätsgesetze
bestimmten Vorsichten übertreten werden ; c) wenn jemand die an seinem
Viehe entdeckten Zeichen der Wuth anzuzeigen unterlässt ; d) wenn an
gangbaren Orten Fangeisen (laqueum ferreum) aufgestellt, oder Fanggruben
gegraben werden» (§ !27). «Die Strafe dieses Verbrechens ist öffentliche
Arbeit mit oder ohne Eisen, deren Dauer nach dem Verhältnisse des Scha-
dens zu bestimmen, so durch seine Handlung entstanden ist.» (§ 28).
Wenn wir die in das Sanitätswesen einschlägigen Verfügungen Josef
des II. betrachten, drängt sich uns die Anerkennung und Bewunderung für
den Schöpfer derselben auf.
Wenn die Folgen auf diesem Gebiete auch seinen edlen Intentionen
nicht vollkommen entsprachen, werden wir dennoch in Josef dem II. den
eigentlichen Begenerator unseres Sanitätswesens betrachten müssen. Er war
bestrebt das kostbare Gut der Gesellschaft mit allen ihm zu Gebote stehen-
den Mitteln zu bewahren, das geistige und materielle Wohl der Bürger zu
fördern. Die während seiner zehnjährigen selbständigen Eegierung geschaf-
fenen Sanitätsverordnungen überraschen nicht nur durch ihre Zahl, son-
"^^ Am 9. Feber 1776 wiirde nämlich die Leitung des Samtätswesens im Grenz-
gebiete dem k. k. Militärstande übertragen«
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BrDAPEST von HINDERTSIEBZIG JAHREN. 75
dem auch durch ihren in jeder Hinsicht modernen Anstrich, durch ihre
Vielseitigkeit und wissenschaftlich begründete Logik, so dass sie es wohl
verdient hätten] — nicht nur des historischen Werts wegen — die Grundlage
unseres heutigen, eingestandener Massen höchst mangelhaften Sanitäts-
gesetzes zu bilden.
Wien, Oktober 1890. Ion. Schwarz.
BUDAPEST VOK HUNDERTSIEBZIG JAHREN.
Aus einem Vortrage von Alad4r Ballagi.
Ein arabisches Sprichwort sagt, dass da, wohin der Türke einmal seinen
Fuss setzt, kein Gras wächst. Wenn das wahr ist, so trägt keineswegs der Islam
die Schuld daran ; denn die Araber vermochten, wenn sie auch Bekenner des Islam
waren, durch ihre civilisatorischen Schöpfungen in Bagdad, in Spanien und Nord-
afrij£a die Welt in Erstaunen zu setzen. Bei den Türken scheint es mehr ein Fehler
der Bace zu sein, dass sie keine Organisatoren sind. Thatsache ist, dass ihre lange
Herrschaft auf die Städte Ofen und Pest eine ungemein verheerende Wirkung
hatte. Ein trauriges Bild dieser Verwüstung entwirft uns der Kaschauer Bürger-
meister Johannes Bocatius, der die beiden Städte im Jahre 1 605, ungefähr um die
Mitte der Türkenperiode, besuchte. Ueberall sah er blos elende, fast ungedeckte
Hütten, aus Lehmziegeln errichtete Häuser und mit Stroh verstopfte Fenster;
auch die wenigen grösseren Gebäude waren verraucht und schmutzifr, die Kirchen
wurden als Viehställe benützt, aus den Friedhöfen hatten die Türken die marmor-
nen Grabmonumente auf die Strasse geschleppt und benützten sie als Sitzplätze,
um ihre Barte in der Sonne trocknen zu lassen, oder als Verkaufsstände für ihre
Waaren. Als der wackere Bürgermeister von Ofen nach Pest herüberkam, konnte
er sich nicht enthalten auszurufen : «0, Pest, wie treffend ist dein Name, denn du
bist eine wirkliche Pestilenz ! »
Der aussergewöbnliche Verfall beider Städte, und besonders Ofens, wäre
nur in dem Fall zu entschuldigen gewesen, wenn dieselben zur Zeit der Türken-
herrschaft ihres hauptstädtischen Charakters verlustig geworden wären. Dem war
aber nicht so ; denn auch während der Türkenzeit war Ofen die Hauptstadt ihrer
ungarischen Besitzungen, Residenzstadt eines Beglerbegs, noch mehr : Ofen war
der eigentUche Centralpunkt aller gegen die Christenheit gerichteten, grossmäch-
tigen Kriegsopeititionen. Ungeheuere Geldsummen und Wert« waren da in Ver-
kehr gesetzt, was bei jedem andern Volke, wenn sonst nichts, wenigstens Auf-
blühen der Stadt auf ewige Zeit gesichert hätte.
Ausser der Paschawirtschaft, welche um Vergangenheit imd Zukunft unbe-
kümmert blos das Heute im Auge hatte, trugen zum Verfalle Ofens die in den
1680-er Jahren sich öfter wiederholenden Belagerungen der Stadt viel bei. Als
nach der letssten Belagerung 1686 die kaiserlichen Sieger in die Festung einzogen,
fanden sie kein schützendes Dach unversehrt.
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7«
BUDAPEST VOR Hl NDERT8IEBZIO JAHREN.
Während der 150 Jahre dauernden Türkenherrgchaft war die alte unga-
risobe und deutsche Einwohnerschaft der beiden Städte fast verschwunden ; an
ihre Stelle waren Baitzen, die man ihrer Beligion wegen Griechen nannte, Kroaten
und Juden gekommen ; in der ersten Zeit nach der Wiedereroberung nahmen die
Baitzen durch neue Ansiedler bedeutend zu ; die besseren Elemente derselben trie-
ben Handel, die ärmeren brachen Steine in Steinbruch oder trugen Donauwasser
nach der Festung, deren Wasserleitung durch die wiederholten Belagerungen zer-
stört worden war. Die Kroaten hatten sich in grosser Menge in der heutigen
Wasserstadt niedergelassen, so dass man diesen Stadtteil noch lange Kroatenstadt
nannte, ja auch heute noch bewahrt das Andenken derselben die sogenannte
Kroaten-Gasse, Die Deutschen, zumeist kaiserliche Soldaten, Beamte und Hand-
werker, Hessen sich in grosser Anzahl in der Festung und in der nächsten Umge-
bung derselben nieder, während sich in der Neustift sehr viele wallonische, italie-
nische und spanische Soldaten aus dem kaiserlichen Heere ansiedelten. Auch von
der früheren türkischen Einwohnerschaft waren ungefähr hundert Familien hier
geblieben, die sich taufen Hessen und mit der christlichen Bevölkerung ver-
schmolzen.
Ofen war zu jener Zeit viel bedeutender, während Pest ein verwahrloster
kleiner Flecken war. Noch im Jahre 1709 zählte das letztere nicht mehr als
500 Einwohner, unter welchen es blos 16 Bürger mit einem für ihre Bedürfnisse
genügenden Einkommen gab. Die Stadt zählte damals 319 Häuser, von welchen
jedoch 151 vollständig leer standen. Ein Einkehr-Gasthaus und eine Bierbrauerei
waren die einzigen halbwegs städtischen EtabHssements.
Die Umgebung der heutigen Hauptstadt war eine unfruchtbare Haide. Der
Froschteich, der weisse und der Binsenteich breiteten hier ihre schlammigen
•Gewässer aus. Sümpfe und sandige Flächen umgaben die Hauptstadt in einem
mehrere Meilen betragenden Umkreise. Die nächsten Ortschaften waren Palota,
Föth, Mogyoröd, Peczel, Qyömrö, ÜllcJ, Öcsa, N^medi und Sziget-Szent-Miklös,
welche ursprünglich von Ungarn bewohnt, aber nunmehr fast vollständig verödet
waren. Um Ofen herum sah es noch wüster aus ; Tinnye, Tök, Päty und Bia waren
die nächsten Ortschaften im Umkreise desselben.
In der Umgebung von Pest wurden mit Ausnahme von Neupest alle grösse-
ren Gemeinden unter der Begierung Karls HI. von den Vorfahren ihrer heutigen
Bewohner besiedelt. Die bereits vorhandenen imgarischen und serbischen Ort-
schaften wurden durch neue Zuzüge verstärkt. Um jene Zeit wurden in der Umge-
bung der Hauptstadt slovakische Kolonisten in den Dörfern Csömör, Czinkota,
Kerepes, Ecser und Maglöd angesiedelt, da sich aber die Colonisation durch Inlän-
der als ungenügend erwies, so mussten zu diesem Zwecke Ausländer herbeigerufen
werden.
Die Hofkammer, in deren Bessort das Golonisirungswesen fiel, hatte es um
Jene Zeit als Princip aufgestellt, dass alle Colonisten ausschHessHch Deutsche und
römisch -kathoHsch sein müssen, daher kam es, dass sich in der Umgebung der
Hauptstadt blos Franken, Schwaben, Baiem und Oesterreicher niederHessen. In
Soroksär gibt es daher noch heute eine Frankengasse ; die heutige Schulgasse in
Pest hiess früher Untere Baumgasse, während der heutige Sebastianiplatz und
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BUDAPEST VOR HÜNDERT8IEBZIO JAHREN.
77
die Donangasse Obere Baiemgaase hiessen ; auch der Name des Schwabenberge»
in Ofen und in Bogddny bildet eine Erinnerung an jene Zeit.
Nicht blos die Hofkammer, sondern auch die Magnaten und Ordensgeistli-
chen waren eifrigst beflissen, die Schwabencolonisation zu befördern. Herzoge
Engen von Savojen besetzt in seiner lUczkeve-er Herrschaft mit schwäbischen
Colonisten die Gemeinden Csepel, Becse, Cs^p, Budafok, welch* letztere Oemeinde^
von ihrem Besitzer Promontorium Eugenii benannt wurde. Die früheren Colonisten
der Insel Csepel werden in bereits bestehende serbische Dörfer versetzt, woher die
alten Einwohner von den neuen Ankömmlingen verdrängt wurden.
In der Altofner Herrschaft; der Grafen Zichy wurden Budaörs, Budakeszi^
Solymär, B^käsmegyer, Bogd^y gegründet. Die Familie Szunyogh bringt Schwa-
ben nach Hidegküt, Graf Josef Eszterhäzy nach Vörösviir, Graf Grassalkovich
eolonisirt Soroksär, die Familie Vattay Nagy-KovÄcsi, der Wiener Benedictiner-,.
benannt « schottischer t Orden besetzt Jen6 und Telki, die Ofher Clarissen-Schwe-
stem colonisiren Boro8-Jen6 und Taksony. Zu gleicher Zeit wurden auch Harapzti,
Klein-Turbal und Szent-Ivto von Schwaben besetzt.
Dass solches Volk sich in der nächsten Nähe der Hauptstadt ansiedelte,
daraus ergaben sich später bedeutende Folgen für die Sprachen^ge. Die ihren:
Traditionen und ihrer Sprache treu anhänglichen deutschen Bewohner der Buda-
pest umgebenden Ortschaften versahen von Zeit zu Zeit die Vorstädte mit
deutschen Colonisten, bewirkten, dass der Markt vorläufig ein deutsches Ansehen
bekam, und wurden, ohne es zu wollen, wahre Hemmschuhe für die einheitliche^
Entwicklung des Magyarentums.
Von national ökonomischer Seite war es von besonderer Bedeutung, dass dio
deutschen Colooisten fast ausschliesslich Ackerbautreibende waren, und kaum hie
und da sich ein Industrieller befand. Das war zu jener Zeit ein wahrer Segen für
die Cnltur des Ofner Gebirges und des Räkos. Ackersleute waren nötig, um aus den
brachhegenden Gründen Aecker und Weingärten zu bilden. Unsere guten Schwa-
ben gelüstete es nicht, den Pflug zu verlassen. Seit hundertsiebzig Jahren weiss
man ausser Prof. Georg Volf, dem aus Gross-Turbal gebürtigen Hprachwissenschaft-
lichen Schriftsteller, Niemanden, der von den Deutschen der Ofner Gebirgsgegend
sich den Wissenschaften oder der Eimst gewidmet hätte.
So sehr es angezeigt war, die Umgegend der Hauptstadt mit tüchtigen
Ackersleuten zu besetzen, so nachteihg erwies es sich, dass auch die Hauptstadt
solche Einwohner in grosser Anzahl erhielt. Denn das Emporblühen einer grossen
Stadt wird nicht durch ackerbautreibende, sondern durch industrielle und handel-
treibende Bewohner bewirkt.
Mit der Einwanderung der ausländischen Deutschen, welche man hier unter
der Gesammtbezeichnung Schwaben zusammenfasste, beginnt die Geschichte des
modernen Budapest ; diese neuen Ankömmlinge drängten die hier vorgefundenen
Bewohner teils hinaus, teils vei*schmolzen dieselben mit ihnen. Diese neuen
Elemente waren intolerant und man erkannte auch hieraus, dass sie aus der
Fremde gekommen waren, da in Ungarn die Intoleranz früher nie Boden gefunden
hatte. Von ihrer Unduldsamkeit legt auch der Umstand Zeugniss ab, daas dio
Griechisch-Nichtunirten erst im Jahre 1721 nach schweren Kämpfen in die Reihe-
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BUDAPEST VOR HÜNDEBTSIEBZIG JAHBEN.
der Bürger aufgenommen wurden, dass nmn sie aber bereits im Jahre 1739 wieder
aus derselben hinausstiess. In Bezug auf Protestanten und Griechen gab es ein
städtisches Statut, welchem zufolge blos Diejenigen von ihnen innerhalb der
Stadtmauern geduldet wurden, welche schon früher hier gewohnt hatten, während
neue Ansiedler nicht mehr zugelassen wurden ; das Haus oder Grundstück eines
KathoUken durfte an keinen Protestanten oder Griechen verkauft werden ; die
Juden aber wurden noch imter Kaiser Leopold in der im Besitze der königlichen
Kammer befindlichen Gemeinde Aitofen intemirt.
Dagegen wurden den deutschen Katholiken von der Landesregierung Begün-
stigungen zuteil, welche heute fast fabelhaft khngen. Es war ihnen seclisjäh-
rige Steuerfreiheit versprochen worden, die Handwerker erhielten sogar eine
solche auf fünfzehn Jahre. Ausserdem erhielten die neuen Einwohner eine grosse
Anzahl sehr wichtiger Privilegien. Ln Jahre 1711 erhielten sie von der Kammer
nicht blos Hausgründe, sondern auch ganze Häuser unentgeltUch, gegen die
einzige Verpflichtung, dass sie den Grund im Verlaufe emer gewissen Zeit ein-
zäunen und das Haus neu aufbauen oder wenigstens bewohnbar herstellen
werden.
Regierungsbeamte, Generale, KammeiTäte, später auch die Comitatsbeamten
gelangten unentgelthch zu ungeheuren Grundstücken. Im Jahre 1715 erhielt der
Hofkammerrat Johann Georg Haruckern das in der damaligen Herrengasse (heute
Kecskemetergasse) gelegene Förster' sehe Haus sammt dazugehörigem Gnmde,
welches seither, wenn auch in veränderter Form — da es im Jahre 1 853 vollstän-
dig umgebaut wurde — unausgesetzt seiner Familie, das heisst den von der weib-
üchen Linie derselben abstammenden Grafen Wenckheim, gehört. Die Famiüe
Wenckheim ist demzufolge die älteste Realitäten besitzende Familie in der Haupt-
stadt. Die grossen Städte des Alföld : Kecskemet, Koros, Jäszbei-eny etc. bauten
hier zu jener Zeit grosse Häuser in der Fonn von Csärden, mit Einkehrwirtshäu-
sern und riesigen Höfen. Die Bürgerschaft sah die Comitatsherren gerne in ihren
Mauern und befreite ihre Häuser, wie z. B. dasjenige des Vicegespans des Pester
Comitates Söter, an der Stelle des heutigen « Kronen »-Kaflfeehauses in der Waiz-
nergrsse, des Grafen Grassalkovich in der Hatvanergasse etc. von allen Abgaben.
Das neue Pest und Ofen nahm einen ungemein raschen Aufschwung in Folge
der langen Friedensperiode, die nun eintrat. In Ofen erbaute der kaiserliche
Architekt und Stadtrichter Venerio Ceresola im Jahre 1715 das Stadthaus ; in dem-
selben Jahre wurde auch mit der Ausbesserung der Festungsmauern begonnen.
Das während der Erstürmung zerstörte Weissenburger Thor erhob sich aus seinen
rauchgeschwärzten Trümmern ; da-^ ehemalige Szombatthor wurde nach seiner
Renovirung Wienerthor, das Sankt-Johannistlior Wasserthor genannt. Auch die
alten ungarischen Gassenbezeichnungen gerieten in Vergessenheit; die ehemalige
Italienergasse wurde Herrengasse genannt, die Sankt- Paulgasse (heutige Land-
hausgasse) Beckengasse, und die Allerheiligengasse wurde der Paradeplatz ; aus
der Goldschmiedgasse (heute Fortunagasse) wurde die Wienergasse ; nur die Gasse
des heiligen Sigismund oder Judengasse wurde auch ferner alte Judengasse
genannt, obwohl durch dieselbe unter Karl IH. Juden nur am Tage verkehren
-durften und am Abend stets nach Altofen zurükkehren musst^n.
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BUDAPEST VOR HUNDERTSIEBZIG JAHREN.
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Weder die frühem Namen der Gassen, noch die der Stadtteile lebten in Ofen
Je wieder auf ; hingegen dauern die 1711 erhaltenen Benennungen bis auf den
heutigen Tag fort, zum Beweise dessen, dass in der Geschichte unserer Hauptstadt
die statige Entwickelung und die Beständigkeit mit dem Jahre 1711 beginnt,
d. h. nach Beendigung der Eäköczischen Bewegung, wo der ständige innere Fiie-
den des Landes seinen Anfang nimmt.
Pest, das heisst die heutige innere Stadt, war von einer Ringmauer umge-
hen. Seine Basteien waren mit sieben Bondellen versehen, von welchen zwei nach
dem Riikos, zwei auf die Donau gingen. Pest hatte drei grosse Tore : das Ofner-,
s^ter Waizner-, das Erlauer-, später Hatvaner- und das Czegl6der-, später Kecs-
kem^ter-Tor.
Das Vorhandensein einer Pilast«rmaut sollte darauf schliessen lassen, dass
die Stadt gepflastert war, allein der Umstand, dass es noch im Jahre 1801 blos
drei vollständig gepflasterte Gassen in Pest gab, lässt keine hohe Meinung über
das damalige Pflaster aufkommen ; von der Strassenreinigung geschieht im Jahre
1 722 zuerst Erwähnung, in welchem sie sammt der Erhaltung der Gefangnisse
und der Polizei auf 916 Gulden und 91 Vi Denare zu stehen kam. Freilich bestand
die ganze Polizei damals aus einem städtischen Wachtmeister und drei Trabanten.
Auch der städtische Beamtenkörper war noch sehr unanselmlich. Seine Mit-
glieder hiessen Senatoren, an deren Spitze der Stadtrichter mit einer Jahresgage
von 150 Gulden stand. Die sämmtlichen Gagen der städtischen Beamten und
Diener behefen sich jährlich auf 3090 rheinische Gulden, allein ausserdem erhiel-
ten mehrere derselben auch Deputate an Schweinen, Bier und Wein von der
Stadt. Drei städtische Musikanten erhielten je eine Monatsgage von 1 Gulden und
40 Denaren ; der Schulmeister, der gleichzeitig als Begenschori fungirte, erhielt
monatlich 4 Gulden und 10 Denare ohne jedes Deputat.
Das städtische Kanzleipersonal bestand blos aus zwei Kanzhsten und im
Jahre 1 733 wurde ein junger Mann, der um eine solche Stelle competirte, mit dem
Bemerken zurückgewiesen, dass man für einen dritten Kanzlist^n keine Ven^^en-
dnng habe. Dass in der That in der städtischen Kanzlei Dicht zuviel zu thun sein
musste, davon gibt der Umstand Zeugniss, dass der gesammte Papierverbrauch für
das Jahr 1733 bei der Stadt 7 Ries betrug, was einen Betrag von 11 Gulden
55 Denaren repräsentirte.
Im Jahre 1737 betrug das gesammte Einkommen der Stadt 13,430 Gulden
79*/ 4 Denare, ihre Ausgaben 13,656 Gulden 1*/ 4 Denar. Das städtische Einkommen
wurde in sehr patriarchalischer Weise verwaltet, so zwar, dass der Stadtkämmerer,
wie man den Kassier nannte, die Rechnungslegung über das Jahr 1722 dem
Magistrate erst am 28. Januar des Jahres 1 728, also erst nach sechs Jahren unter-
breitete.
Die Stadt Pest war auf ein so kleines Einkommen beschiänkt, da ihr aus-
gebreiteter Gnmdbesitz, der zumeist aus Sandflächen und Sümpfen bestand, bei-
nahe gar kein Erträgniss abwarf. Der Gmndbesitz hatte zu jener Zeit, in Folge des
Mangels an arbeitenden Händen, einen so geringen Wert, dass z. B. Graf
Haruckem für gelieferten Proviant im Werte von 140,000 Gulden fast das ganze
B^keser Comitat als Eigentum erhielt.
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^» BUDAPEST VOR HUNDERTSIEBZIG JAHREN.
Wohl besass die Stadt Pest auch viele Häuser imd Stadtgründe, allein auoh
diese warfen ihr zusammen blos einen Pacht von 517 Golden jährlich ab. Wie
hätte da auch ein grösseres Einkommen resiütiren sollen, wenn z. B. der bürger-
liche Schustermeister Michael Pichler für das an der Ecke des Christophplatzes
gelegene, 108 Quadratklafter umfassende Haus einen Jahreszins von 40 Denaren
zahlte. Die Stadt besass auch achtzehn Mühlen auf der Donau, für welche sie
zusammcD 36 Gulden als fArenda» von der Müller-Zunft erhielt.
Aus solchen minimalen Einkommensbeträgen vermochte die Stadt ihr Aus-
gaben-Budget von 13,00() Gulden nicht zu decken; ihre Haupt-Einnahmsquellen
wflren das städtische Brauhans, welches ihr jährlich 2345 Gulden, und der Lücken-
Zoll, der Pest und Ofen je 2746 Gulden 68 Denare trug. Der Brückenzoll war dom-
znfolge die grösste Einnahmspost von Budapest.
In der Türkenzeit befand sich die Brücke in der Gegend des heutigen Schwur-
platzes und des jenseits der Donau hegenden Bruckbades, woher dasselbe noch
heilte seinen Namen führt; im Jahre 1711 wurde die neue Schiffbiücke ausserhalb
der Ringmauer, an der Ecke der grossen Brückgasse geschlagen, welche heute
bekanntlich Deäkgaase heisst.
Gleichzeitig mit den neuen Colonisten kommen auoh Mönchsorden in die
Hauptstadt. Im Gefolge des christlichen Kriegsvolkes erscheint alsobald «die strei*
ten de Kirche Gottes.» Die Jesuiten nehmen in Ofen die Marienkirche als wich-
tigste Position in Besitz. Die hohe GeistUchkeit errichtet eine Hochschale mit
einer Akademie, einem Seminar für Geistliche und einem Convict für adelige
Jünglinge; zugleich wird auch dafür Sorge getragen, dass das Fortbestehen benann-
ter Institute durch Fundationen, die sich auf hunderttausende belaufen, gesichert
werde. Sämmtliche Pfarrer Ofens sind Jesuiten, mit Hilfe derer die Stadt am
Bombenplatz die St. Annakirche erbaute, die der Wasserstadt als Pfarre diente»
Die ältesten Ordensgeistlichen der Hauptstadt waren die Franziskaner. Während
der Türkenzeit war es dieser Orden allein, der die Befriedigung der geistlichen
Bedürfnisse der katholischen Einwohnerschaft besorgte. Nach Vertreibung der
Türken erhielten die Fi'anziskaner in Ofen die Gamisonskirche, in deren Nähe
sie ihr Kloster erbauten. Ebenfalls in der Festung etablirten sich die KarmeUter,
der Orden der böhmischen Ritter mit dem roten Kreuze, sowie auch die von
Pressburg hieher übersiedelten Klarissaschwestem, in deren Kloster gegenwärtige
die Hilfsbeamten des Ministeriums des Innern placirt sind. In der Wasserstadt
erbauen Kapuziner, Franziskaner aus Bosnien, Elisabethiner-Nonnen aus Wien,,
sowie an der Ijandstrasse Augustiner-Mönche ihre Klöster.
In Pest siedeln sich zuvörderst die ungarischen Pauliner auf dem Grunde,
wo jetzt die Universität ist, an. Ihnen gegenüber, im Yersatzamtsgebäude, welches-
später kleines Seminar hiess, placirten sich die Klarissen- Schwestern. Die Franzis-
kaner und die Serviten etablii*ten sich da, wo sie jetzt bestehen ; die Dominikaner,,
wo gegenwärtig das Kloster der englischen Fräulein steht.
Das Unterrichtswesen war zu Ofen in den Händen der Jesuiten, anfänghoh
auch in Pest. Hier aber treten an ihre Stelle bald die Piaristen, welche mit Hilfe
der Stadt Pest das noch bestehende Institut enichten.
Einer der wichtigsten Faktoren des raschen Aufschwunges unserer Haupt-
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BUDAPEST VOR HUNDBRTSIEBZIG JAHREN. 81
Stadt waren ausser ihrer centralen Lage auoh ihre von altersher berühmten Heil-
quellen, welche von den Türken schon aus religiösen Gründen in gutem Stand erhal*
ten wurden, und die bereits kurze Zeit nach der Wiedereroberung zahlreiche Fremde
anlockten. Von diesen Bädern ist das älteste das bereits seit 400 Jahren bestehende^
Baitzenbad, das wahrscheinlich noch aus der Zeit des Königs Mathias stammt.
Die einzigen segensreichen Spuren, welche die Türken in der Hauptstadt zurück-
gelassen haben, sind einige durch sie gegründete Bäder. Türkische Statthalter in
Ofen errichteten das Bruckbad im Jahre 1540, das Königsbad (1560), das aber
seinen Namen erst im verflossenen Jahrhundert von seinem Eigentümer Franz
König erhielt ; fast gleichzeitig mit dem Königsbade liese Sokoli Mustapha vom
Jahre 1566 bis 1579 das Kaiserbad erbauen, das seinen heutigen Namen von Kai-
ser Iieopold erhielt ; hiezu kam noch das < Jungfrauenbad i, welches heute, als am
Fusse des Blocksberges gelegen, Blocks bad genannt wird.
Der Reichtum an Heilquellen wäre allein schon genügend gewesen, dass hier
eine grosse Stadt entstehe. In der That war derselbe zu allen Zeiten eine der
Hauptnrsachen des grossen Fremdenzuflusses. Dieser letztere Umstand brachte
es wieder mit sich, dass sowohl in Ofen als auoh in Pest von altersher die schönsten
Hänser sich im Besitze von Gastwirten, Bierbrauern und Kaffeesiedem befanden.
Die grössten Gasthäuser in Pest waren das Weisse Schiff, an dessen Stelle sich
jetzt die Wienergasse hinzieht, in der Nähe befand sich das Weisse Lamm, femer
das gräfliche Wirtshaus und das Gasthaus zum Weissen Ochsen, nächst dem Kecs-
kem^ter Hause.
Das erste KaffeehauR in Pest wurde Im Jahi-e 1714 eröffnet ; sein Eigentümer
ist in den städtischen Eegistem als fCavesieder Blasius, ein Bacz Cath. Belig. »
verzeichnet ; sein Kaffeehaus war ein solches von primitiver türkischer Einrich-
tung. Ein nach ausländischer Mode fmit ein Pilliard» versehenes Kaffeehaus
errichtete später der deutsche Bürger Johann Starck ; der erste Zuckerbäckerladen
wurde im Jahre 1 734 von einem Itahener, Namens Franz Bellieno, eröffnet, der
in den städtischen Registern als •Zschokoladimacher und allerhandt Wasserbren-
ner» verzeichnet ist.
Ausser den Bädern hat zum Aufblühen der Stadt am meisten das Militär
beigetragen, da sie eine lange Periode hindurch der Centralpunkt der gegen die
Türken unternommenen Operationen war. In Ofen in der Nähe der Festung, in
Pest an der Stelle des der heutigen Universitätskirche gegenüber hegenden Eck-
hauses werden Kanonengiessereien errichtet. Provianthäuser bestehen in Ofen
an der Stelle, wo später das Volkstheater bestand, in Pest, wo jetzt der Sitz
der Curie ist. Auf dem Grunde, wo heute der Wurmhof ist, befand sich ein Salz-
amtsgebäude und an mehreren Punkten beider Städte sah man den Bauch aus
militärischen Backöfen emporsteigen. In Ofen waren zwei Pulvertürme, deren
einer 1723 in die Luft flog und die Umgebung des Stuhl weissenburger Thores
zerstörte. In Altofen war eine Pulvermühle und ein Salpetermagazin. Mit einem
Worte, beide Städte waren gleichsam ein militärisches Depot, als dessen noch
bestehendes Denkmal das von Karl dem Dritten in Ofen erbaute Zeughaus bezeich-
nend ist.
Der erste monumentale Bau der Stadt Pest, der auch heute als solcher
Ungnbeh« B«-nie, XI. 1891. I. Heft. 5
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82
DIE KINGA-SAGE.
zählt, wurde ebenfalls in jener Zeit zn militärischen Zwecken vollendet. Die mas-
siven Mauern der nach dem Monarchen benannten Karls- Kaserne wurden «.uf
dem (rrunde der Serviten auf Kosten der Kaiserin, des Primas und der Bischofs
1716 — 1727 nach den Plänen des italienischen Baumeisters Martinelli erbaut. Eine
Zeit lang diente dasselbe als Invalidenhaus, später als Grenadier-Kaserne, wovon
die anstossende Grenadiergasse benannt wurde.
Mit einem Worte, seit 1715, wo Ofen und Pest zum Mittelpimkt der militä-
rischen Vorkehrungen gegen die Türken wurde, waren beide Städte in raschem
Aufschwung begriffen. Und hier zeigte sich der grosse Unterschied zwischen Tür-
ken und westlicheuropäischer Einwohnerschaft. An den türkischen Bewohnern
und ihrer Stadt verriet nichts die ungeheuren Schätze, die hier in Circulation
gesetzt wurden, während die deutsche Bürgerschaft die günstige Gelegenheit zur
Hebung ihrer materiellen Verhältnisse und ihrer Stadt benützt.
Man behaupte daher nicht, dass die Bäder, die centrale Lage der Stadt, der
hochwichtige Zug der Donau die zwei Städte dahin erhoben, wo sie sind. Denn
nicht zunächst von solchen todten Dingen, sondern vor Allem von den den Bürgern
innewohnenden lebendigen Kräften hängt das Aufblühen grosser Städte ab. Auch
Budapest hat es in erster Reihe dem viel verspotteten prudens et circumspectus
Bürgersinn zu verdanken, dass es in verhältnissmässig kurzer Zeit zu einer der
hervorragendsten Städte Europa' s geworden.
DIE KINGA-SAGE.
Bekanntlich hat Momus, der schellenkappentragende lustige Rat des heim-
gegangenen Olympes, bei der Stichprobe der Machtvollkommenheit der um die
Schutzherrlichkeit über Athen werbenden Götter, als Vei*ti'auen geni essender
Schiedsrichter, dem dazumal neu geschaffenen Hause nachgetragen, es tauge des-
halb nichts, weil es bei böser Nachbarschaft nicht könne vom Flecke gerückt
werden. Diese tiefsinnige Mythe, welche den privilegirten Schalksnarren der weiland
Himmlischen ein grosses Wort gelassen aussprechen lässt, berechtig^; zu zwei
wesentlich verschiedenen Schlussfolgerungen. Erstens, das«^ es weder in der Voll-
versammlung der Götter jener Tage, noch in dem wetteifernden Concurrentenzirkel
der nunmehr seligen Unsterblichen einen amerikanischen Ingenieur gegeben habe,
der bei der Verschiebung eines auch mehrstöckigen Hauses ebensowenig Kopfzer-
brechens bedurft hätte, wie der gewinnsüchtige Knabe, welcher seiner beim Spiele
zurückgebhebenen Marmelkugel durch einen unbeachteten aber wohl berechneten
Ruck seiner Fussspitze ganz kaltblütig den gewünschten Vorschub leistet. Zweitens
aber — und nun auch Scherz bei Seite, lehrt aus dieser nicht unergötzlichen my-
thologischen Episode tieferer, dem practischen Leben anzupassender Sinn, daas
die Nachbarschaft — wie unter einzelnen Privaten so zwischen ganzen Völker-
schaften — Verhältnisse zu gestalten vermöge, deren social zersetzender Natur
kein durchgreifend wirkendes Heilmittel Einhalt zu thun vermöge.
Zum segensreichen Glücke für die beiden, in weit ausgedehnten Grenzzügen
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DIE KINOA-8AGE. ^
dch berührenden Beiche Polen und Ungarn, hatte das Nachbarschafteverhältniss
beider Staaten jederzeit ein so freundschaftliches Gepräge nicht etwa zur trüge-
rischen Schau getragen, sondern als zur vollen That bestehend vorgewiesen, dass
es noch heutzutage sprichwörtlich heisst :
«W^gier, Polak, dwa bratanki,
«Jak do szabli tak do szklanki !i
was in freierer Uebersetzung etwa dahin lauten würde :
«Pol' und Ungar, Brüder sind es allzumal
«Gelt' es Schwertesschärfe, gelt* es Zechpokal !•
Diese beiderseitig volkstünüich gewordene Würdigung des freundnach-
barhchen, treuen Zusammengehens im vielgestaltigen Wechsel von Freude
imd Leid, entsprang zimächst — wir glauben keineswegs zu viel behaupten zu
wollen — den historisch nachweisbaren Beziehimgen zwischen der magyarischen
Zipser Grafschaft und dem polnischen, zur Krakauer Wojewodschaft gehörenden
Sandecer Gelände.
Bis tief hinab in die ersten Uranfange des magyarischen staatlichen Daseins
reicht ja die traditionelle Kunde von der, spätere, friedhche Verbindungen an-
bahnenden Berührung beider Völker. Schon Holgowice nächst Szlachtowa weiset
nach allgemeinem Dafürhalten sowohl ungarischer wie polnischer Quellenkenner,
anf hunnische, somit auf vormagyarische Siedlungen am nördlichen Karpatenhange,
folglich auf Niederlassungen der jenseitigen Nachbarn im Umfange des nachträghch
polnischen Krongebietes ^ hin, und historisch ist der, während eingebrochener
Tatarennot, von Ungarn aus, unter dem Befehle des «adleräugigeni (Jeorg Tho-
warski, dem Herrn von Tarkow am Tarcsal, zwischen Palota und Cobinow ge-
leistete, nachdrückliche Beistand.' Dieser tapfere Degen war es aber auch, wel-
cher über Befehl Andreas III., des letzten Sprossen des Mannsstammes der Ärpäden
wider den, mittelst seines Anhanges die Ruhe des Reiches erschütternden Pseudo-
bruder des Königs die Waffen ergriff und den Prätendenten glücklich zum Lande
hinausdrängte, der nun flüchtig, bei Kinga, nach angeblich beigebrachten Beweisen
der Vollberechtigung seiner verwandtschaftlichen Ansprüche, vorübergehend eine
mildherzig zugestandene Zufluchtsstätte sich gewährt sah. *
Bei diesem Ereignisse, das beide Länder berührt, angelangt, fragen wir
weder nach den ferneren Geschicken des von seiner bisher eingeschlagenen Bahn
^ Morawski: «Sandecozyzna» d. L «Das Sandezer Gelände.! Krakau 1863.
8. p. 21.
* Ideni: ibid. p. 164.
• Szajnocha: «Szkice historj'czne » d. i. «Historißche Skizzen» Lemberg. 1854.
p. 45. No 78, wo die Urkunde vom Datum Korczyn 2. März 1257 wörtlich ange-
führt wird, kraffc welcher imter Andern von einer «Donatio terre Sandecensis usque ad
metam Himgari» cum theloneo in Poprad* ausdrücklich die Bede ist. Szajnocha bemerkt
ausdrückhch, diese Urkunde nach einer amtlich beglaubigten Copie zu bringen,
<lie sich im Besitze des gräflich Ossolinskischen Nationalinstitutes zu Lemberg befindet
and dem Frauenkloster in Altsandec entstammen soll.
6*
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84 DIE KINGA-SAGB.
80 kläglich Verdrängten, auch lassen uns die frühzeitig nachweisbaren, durch lan-
desfürstliche, beiderseits erteilte Freiheitsbriefe geförderten commerziellen Be-
ziehungen zwischen diesen Teilen des Piasten- nnd Ärpädenreiches, bei welchen
auch der Poprad, als bequeme Wasserstrasse seinen Teil beansprucht, deshalb
unberührt, weil eben unser Augenmerk ausschhesslich nur auf die genannte
Einga sich concentrirt, welche zum fesselnden Mittelpunkte der weit verbreiteten
und um so schöneren Volkssage geworden ist, als in der letzteren Wahrheit und
Dichtung nicht derart in einander aufgegangen sind, um nicht in belehrender
Weise wahrnehmen zu können, wie die geschäftige Phantasie des Volkes Zettel
und Einschlag des traditionell auf uns gekommenen Gewebes gesponnen und auf
ihren Webestuhl gebracht hatte.
Demgemäss gliedert sich auch die vorliegende Besprechung der Einga-Sage
wie von selbst und ganz naturgemäss in drei von einander scharf geschiedene
Teile. Wir meinen in den Wortlaut der Sage selbst, in die geschichtüch begründete
Darstellung des zu dieser Sage den Anstoss gebenden factischen Thatbestandes und
in die Darlegung der Umgestaltung des letzteren durch die «sancta simplicitasi
des köhlergläubischen, wimdersüchtigen Volkes.
Die Sage.
Vor vielen hundert Jahren — so spricht der redselige Mund der Sage —
gab es in Ungarn einen gar mächtigen König, reich gesegnet an den kostbarsten
Schätzen aUer Art. Stadt imd Land steuerten Jahr aus Jahr ein immer wieder
bei, seinen, in tiefen und festen Gewölbem hinter siebenfachen Schlössern imd
Biegein liegenden Eronschatz in das Fabelhafte zu mehren. Er berühmte sich aber
bei allem dem auch noch stolz, der Herrscher eines Beiches zu sein, in dessen
weitem Umfange nicht allein hochbegabte Menschen, sondern auch die ge-
heimnissvollen Tiefen der Berge seinen Diensten huldigen, indem letztere Ku-
pfer, Silber, ja sogar Gold und — was allem Anderen vorgehe, das vielbegehrte,
weil unentbehrliche Salz in unglaubhchen und unerschöpflichen Massen zur Ver-
fügung stellen. Und dieser, mit Erdengütem aller Art so namenlos gesegnete Eönig
von Ungarn hatte nur eine einzige Tochter, ein wahres Musterbild weiblicher
Schönheit, zugleich auch von Gott begnadeter weibUcher Vollkommenheit, deren
persönhcher Liebreiz viel gepriesen war, weit hinaus über des ausgedehnten Beiches
Grenzen. Viele meinten, diese Prinzessin allein wiege des königHchen Vaters Beich-
tümer, so gi'oss dieselben immerhin seien, vollständig auf und so meldeten sich
frühzeitig der Freier viele, für welche Beides verlockend war, die Eönigstoohter
uud ihr Malschatz.
So jugendlich männhch schön, so ritterhch und ebenbürtig auch die sich
meldenden Freier waren, Einga begünstigte lange Zeit keinen derselben und auch
der könighche Vater schien nicht im entferntesten daran zu denken, von seinem
vielbegehrten und viel umworbenen Einde sich zu trennen. Da sprachen eines.
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DIE KINGA-SAOE. ^
'Tages die Oeeandten eines benachbarten polnischen Prinzen vor und verstanden
68 nur zu gut, ihre Werbung in des Letzteren Namen so zur Geltung zu bringen,
dass Vater und Tochter sich bestimmt fanden, auf den gestellten Antrag einzugehen.
Es flogen nun Boten hin und her, die Bande, welche Neigung und Staatsklugheit
zur Hand gegeben, fest zu knüpfen und endlich erschien auch der Auserwählte per-
sönlich und übertraf im Erscheinen und Oebahren den ihm vorausgegangenen
günstigen Ruf. So wurde denn zur Hochzeit gerüstet und der Tag derselben prunk-
voll begangen.
Als die Stunde schlug, wo das viel beneidete Paar in das eigene Heim ziehen
sollte, fiel die Königstochter dem tiefgerührten Yater demütig zu Füssen, um
seinen Abschiedssegen zu erflehen. Da bot ihr derselbe viel Geldes imd Goldes,
damit sie als wohlthätige Spenderin hilfreicher Gaben die Herzen des Volkes ge-
winne, dessen Landesmutter sie nunmehr geworden war. Sie aber meinte : c Lieber
€ Vater I Gold und Geld verhelfen mir nicht zu der Liebe meines Volkes, das —
«wie ich höre, beraubt ist der nothwendigsten, weil unentbehrlichsten Gottesgabe,
«des Salzes. Dein Beich hat der gnädige Himmel damit so sehr gesegnet, dass der
«Ueberfluss in fremde Länder fortgeführt wird, zu Wasser und zu Lande, der
«Armen drückenden Bedarf zu stillen. Behalte daher dein Gold und dein Geld und
«schenke mir als Brautschatz nur Einen Schacht deiner Marmaroscher Salzberg-
« werke, damit ich. gläubigen Herzens auf Gott vertrauend, was er bergen mag,
«hinüberleite nach der Heimat, als ein trostreiches, weil rettendes Geschenk für die
notleidende Armut !» —
Und innig bewegten Herzens beugte sich der König über sein vor ihm
knieendes, engelmildes Kind, blickte tränenfeuchten Auges in dessen holdes An-
gesicht schloss es in seine Arme, zog es an seine Brust heran, in welcher es wonnig
hämmerte imd sprach, einen väterlichen Kuss auf die Lilienstime drückend, mit
zitternder Stimme : «Gott sei mit Dir und gewähre Deinem barmherzigen Wollen
seinen besten Segen, wie Dein Vater Dir in diesem Augenbhcke seinen besten Segen
ertheilt, für alle Zeiten Deines Erdenwallens, in diesem Augenblicke, wo das
Weh des Scheidens auf immer, so schwer auf uns Beiden lastet. •
Und so zog Kinga, mit zahlreichem Gefolge, weit hin zu den unerschöpflichen
Salzbergwerken der Marmarosch, barfuss und den Pilgerstab in der Hand, sie und
ihre Begleitung, um des Himmels ersehnte Gnade sich zu sichern. An Ort und
Stelle gelangt, befahl sie der Arbeiter vollen Zahl einen weiten Kreis um sich
herum zu bilden imd fragte sie. welcher Schacht und welches Stollengebiet den
ergiebigsten Bergsegen zu Tage fördere. Man zeigte ihr diesen und herantretend
an dessen Tagesmündung, nahm sie denselben als väterliches Geschenk für sich
als ausschliessüchen Eigenbesitz in Ansprach und ihren Ehering vom Finger strei-
fend, warf sie denselben in die gähnende Tiefe, worauf sich der Boden sogleich
über der bisherigen Oeffnung von selbst zusammenwölbte. Ein heiliger Schauer
bemächtigte sich der, erstaunten Bückes diesem Wundervorgange Zusehenden und
Alle fielen fromm in die Kniee, die Gnade des Himmels preisend, welche zu er-
kennen gegeben, wie sehr Kinga's Begehren das Wohlgefallen desselbon er-
rungen habe.
Den Wanderstab zuerst an diese von Gott offenbar geheiligte Steile setzend
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86
DIE KINGA-SAGE.
und mit ihm den onterirdischen Schatz gleichsam an ihrer Füsse Sparen fessehid^^
und nach sich ziehend, begann Einga die rauhe Fusspilgerechaft über das Oehänge
der Karpaten, gegen Erakau, des jungen Gemahles fürstliche Residenz. Mit Einga
zogen Einige der Marmaroscher Bergbaukundigen mit und sechs Meilen vor
Erakau machte sie, gleichsam einer höheren Eingebung folgend, bei dem Dorfe
Bochnia Halt und liess an dem Orte, dessen Schacht heute noch ihren Namen
trägt, einschlagen. Und siehe, bereits in äusserst geringer Tiefe stiessen die mit
Haue, Erampen und Schlägel arbeitenden Bergleute auf ein festes Salzgestein und
als sie den ersten, freudig heraufgehobenen Block zerkleinerten, fanden sie den
goldenen Ehenng wieder, den Einga vor ihren Augen, vor Wochen in den Mar-
maroscher Schacht geworfen.
Seit jenem Tage fördert man dort den reichsten Bergsegen fort und fort zu
Tage, so dass an Stelle des ärmlichen Dorfes bald eine wohlhabende Stadt trat und
unter derselben gleichfalls die Gassen sich kreuzen und Namen führen und in ge-
räumige Plätze münden, wo die rastlos geschäftigen Hände des gewerkkundigen
Enappen zu jeder Tages- und Nachtzeit, bereits Jahrhunderte hindurch unermüdet
sich regen, um dem unendlich fruchtbaren Schosse des Bodens die unentbehrliche
Würze für Arm und Reich zu entnehmen und selbst hinauszusenden in die Weiten,
Kinga's Andenken in frommer, von Geschlecht auf Geschlecht forterbender Dank-
barkeit zu segnen.
Selbst aber fand sich Einga dem ehelichen Glücke nur zu bald entrückt und
bezog, seit der Witwenschleier über ihres Hauptes Scheitel herabfloss, das Elarisse-
rinnenkloster zu Altsandec, wo sie wenige Jahre darauf, im Rufe wunderthätiger
Heiligkeit zur ewigen Ruhe ging, um noch in ihren sterbUchen Resten der Gegen-
stand allseitiger Verehrung zu seiij.
So die Sage, noch heute rings in der Umgegend und weit über dieselbe hin-
aus fortiebend, wie sie der siebenzigjährige Schreiber dieser Zeilen in den Tagen,
wo er in jenen Gegenden als lebensfroher Enabe sich herumgetummelt, beim pras-
selnden Eaminfeuer langer Winterabende vielfach erzählen hörte und gläubig
hinnahm. Mit heiliger Scheu betrachtete er sodann die rings den Elosterhof be-
schattenden Lindenbäume, zu denen sich Einga's und ihres Gefolges in die Erde
gesteckten Wanderstäbe sollten herausgewachsen haben und der nordösthch
ausserhalb der Elostermauer sprudelnde Quell, den Kinga soll aus dem Boden ge-
schlagen haben, wurde von dem, so manchen Schelmenstückes sich schuldig fühlen-
den Wildfange weit umgangen.
Will aber erörtert und klargelegt werden, wie dieser, kindermärchenhaft
klingenden Tradition gegenüber
n.
Die Geschichte
sich verhalten und selbst bewusststellen könne, so werden wir angesichts der mitt-
lerweile thatsächlich vor sich gegangenen Heiligsprechung der uns beschäftigenden
Eönigstochter, aus zweifachen Quellen schöpfen müssen, aus einer profanen und —
so weit dies, bei aller Hochachtung für die «unsterblichen* Bollandisten und ihr-
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DIE KINGA-SAGE. 87
wissenschaftliches Wirken, mit timsichtiger Reserve geschehen kann — aus eccle-
siafitischen.
Die skeptisch kaltblütig und unbeirrt objectiv zu Werke gehende Profan-
geschichte meldet über die Ereignisse, die wir in dem Sagenberichte sich um
Einga gruppiren sehen, Folgendes :
B61a, seines Namens der Vierte (1235 — 70), der Nachfolger Andreas 11. und
Vorgänger Stephan's V., der Einundzwanzigste der ungarischen Königsreihe, be-
sass mehrere Töchter, darunter Einga, nach latinisirender Benennung auch Cune-
gnndis geheissen,^ die älteste war, und allem Anscheine nach 1224 das licht der
Welt erblickt hatte.' Schon 1 239, somit in dem zarten Alter von fünfzehn Jahren,
wurde sie mit dem, lediglich um drei Jahre älteren Boleslaw dem Schamhaften,
dem Fürsten von Sandomir und des ausgedehnten Krakauer Geländes vermählt
und brachte dem jugendlichen Ehegemahle den für jene sowie für unsere Zeit sehr
namhaften Malschatz von Vierzigtausend Mark Silbers oder Vierthalb Millionen
Gulden heutigen Geldes zu."
Und König B^la that sich mit dieser grossartigen Aussteuer seiner allgemein
gepriesenen und alle Herzen bezaubernden und nahezu von Jedermann fast ver-
götterten Tochter schon deshalb keinesfalls wehe, weil dieser sogar in seinen
dffenthchen Urkunden ganz rückhaltslos bekannte, an allerhand Schätzen, wie auch
an Gold und Geld mehr als übergenug zu besitzen.* Dass aber Er, der mächtige
Gebieter über ein weitgestrecktes, von der Natur verschwenderisch gesegnetes
Beich, sein theures Kind, den — trotz aller Jugend — mit aussergewöhnlichen
Vorzügen des Körpers, Geistes und Herzens bedachten Liebhng des Volkes und
Sprossen eines alten und ruhmvollen Königsgeschlechtes, einem — vergleichs-
weise — tief unter ihm stehenden Fürsten zur Ehe zu geben, gleich bei der dies-
Mligen Werbung des Letzteren durch Klimunt den Castellan und Janusz den
Wojewoden von Krakau sich entschloss: dazu hatten wohl zumeist gewichtige, das
Wohl des eigenen Kelches im Auge behaltende Motive das Zünglein der Wagschale
i^wischen «Ja oder Nein» zu Gunsten des Freiers niedergezogen.
Keineswegs das geringste, wenn nicht sogar den entscheidenden Ausschlag
veranlassende dieser Motive war wohl die seit einigen Jahren immer wieder auf-
* «Kinga» und «Gunegundis» ist urkundlich beglaubigt In den «Acta Sancto-
nim» der Boütmdisten, JuH V. 661 begegnet uns der erstere, wahrscheinlich als ein-
heimiflch'nationaler und daher vorzuziehender Name.
' Ueber das Jahr der Geburt Kinga's stossen wir auf divergirendes Dafürhal-
ten. Bei ÜlugoHZ (VI. 663) wird 1205 genannt, und dann wieder 1234. Katona^ Hist
crit V. 437 aber setzt, aller kritisch verfechtbaren WahrscheinUchkeit folgend, 1224
an, welches Jahr auch bei den BoUandisten (1. c.) Au&iahme fand. (JuU V. 673.)
* Nach DliigoHz Hist. VI. 663. Die Reduction auf den heutigen Geldwert voll-
zog Szajnocha 1. c. p. 35 nota 7 nach Czackis Tabellen in dessen 1843 herausgegebe-
nen Werken (I. p. 201.)
* Siehe die betreffende Urkunde des Jahres 1238 bei Katona, Hist. crit. V. 822.
c Verum, quum noe et nostros nee honoris ambitio, nee diuitiamm oupiditas, quse nobis
divina gratia largiente abundanter stmt concessa, sed salus animarum ac apostoUcae
sedis devota ad hsec exsequenda pro viribus, inducati etc. etc.
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38 DIE KINOA-8AGE.
tauchende, weit and breit Alles in beillosen Sohreoken versetzende, weil geglaubte,
wie später leider auch verwirklichte Kunde von einem bevorstehenden Mongolen-
oder TatareneinüaUe/ Für diesen gefurchteten, das Aufbot aller verfügbaren
Widerstandsmittel beanspruchenden Fall, versprach diese Verbindung durch das
Hinübergreifen verwandtschaftlicher nationaler Verhältnisse nach Botreussen'
«ine Vormauer für Ungarn zu schaffen, geeignet, den Wogenschwall der heran-
flutenden Gefahr so zu brechen, dass von der verheerenden Wirkung ihres An-
sturmes Ungarn verschont bleibe. Der bedeutende, der Tochter mitgegebene Braut-
schatz hätte somit in B^la's IV. Augen vorwaltend die Bestimmung gehabt, die
namhaften Kosten der in erster Linie den Ländern der Stephanskrone zu Gute
kommenden Büstungen decken zu helfen.* Und als der Feind 1241 thatsäohUch
vor Sandomir und vor Krakau seine riesigen Schwärme sengen und brennen und
rauben und morden Hess, da leistoten die Polen ehrenhaft das Möglichste, kämpften
und bluteten, Hessen aber das teuere Leben am 13. Febmar * und im März ^ ver-
gebUch. Ungarn war dem unwiderstehlich gewordenen Feinde durch die verhäng-
nissvollen Niederlagen zugänghch geworden, der sich nicht allein durch die heutige
^ «Gf. fRecueil de voyages et de memoires, publik par la soci^t^ de G^grapliie»
Pariß 1839. V. p. 213 und 603.
' Der von den Bewohnern von Botreussen den Tataren thateächlich geleis-
tete, von aller Welt und voraus von dem Feinde selbst mit Staunen anerkannte
und bewimderte Widerstand, wird bezeugt bei Schwandtner 88. rer. Hung. HL
p. 601.
* Zu dieser Vermutung berechtigen die Worte des Herzogs Boleslaus in der
8ub Nota 3 hier bezogenen Urkunde. Sagt er doch darin: «Qu» (Cunegundis), impe-
«rante Deo temporalis sufi&agii adminicula nobis tempore nostrse permaximse neoessi-
«tatis prestitit copiose, ut ex his, quse subneotuntur, Uquebit luculenter. Cum enim
«temxK)re malo, permittente Deo peccatisque nostris exigentibus, Tartari terrae nostraß
«nobis subjectas mucrone crudeli depopulati fuissent, terramque subita et inopinate
«debriassent (siel) profluvio sanguinis Ghristiani, demumque pereunte cultore omnia
«deperiisse viderentur; nobis more principali ac magni¢ia omnibus gratiosissima
«imperare non liceret dumque nihil perfunctoriarum pecuniamm sub duro cordis
«lapide et sitibundo et avaritise sestu in thesauris nostris lateret, magisque nobilis
«militiae oohorte, ex insolitse largitatis, imo laudabilis prodigaUtatis innata generositate,
«quam divitiarum cumulo stipati gauderemus, ac ob id consequenter ad notabilem
«inopiam fuissemus devoluti ex eo, quod stipendia soUta militise nostrse imde solvere-
«mus, penitus non inveniremus, et ex prsemissis ssapedicta venerabilis, gloriosa Domina
«consors nostra charissima cemens nos plurimum anxiari in inefifiabili et infaUibili
«glutino ferirdse charitatis, quo nostris affeotibus jugiter inhsesit, ooncitata, oompatiens
«ex intimis, ssepediotas pecunias seu dotalitii per plures vices in pensionem stipendio-
«rum jamdictorum, largiflue exhibnit» etc. etc.
* Dlwjosz Hist Vn. p. 671.
^ Dieses Datum erscheint nicht kritisch richtig ; doch würde die hierauf ein-
gehende Beweislieferung zu weitläufig werden, um hier eingeschaltet Iverden zu kön-
nen. Bemerken wiU ich nur, dass die «Dominica in albisi nicht, wie Szajnocha 1. o.
p. 13. meint, der letzte Sonntag vor dem Palmsonntage, sondern der erste Sonntag
nach Ostern ist.
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DIE KINGA-SAGE. 89
Bukowina/ sondern auch von Norden aus durch Mähren unaufgehalten dahin
•ergoss ' und am Saj6 durch seinen sprichwörtlich gewordenen, furchtbaren c Ta-
tarentanz t in den Blättern der ungarischen Geschichte blutig sich verewigte.^
Während dieser traurigen und folgenschweren Vorgänge scheint Herzog
Boleslaw und Einga, dessen Gemahlin, in dem mährischen Gisterzienserkloster
zu Welehrad vorübergehend eine sichere Zufluchtsstätte gefimden zu haben/ so-
dann, nach des Feindes Wegziehen, in Ungarn,'^ schliessHch aber, dem Land-
frieden wenig trauend, in dem, der ungarischen Grenze nahen, am rechten Ufer
des Dunajec gelegenen festen Schlosse zu Neu-Sandec/ Von diesen Tagen an
waren aber die Tataren in imverhältnissmässig kurzen Zeitzwischenräumen
wieder vorsprechende Gtäate der Polen, bei denen der glühende Wunsch, um
^inen warmen, der dauernden Erinneruug forderUchen Empfang nicht verlegen zu
werden, es mit sich brachte, dass die ritterliche Jugend des Landes — bei sorgfaltig
betriebener Unterweisung in flinker und nachdrückUcher Handhabung der ver-
schiedenen Schutz- und Trutz wxffen — frühzeitig angeleitet wurde, wie später
anderwärts gegen den auf einen Pfahl gesteckten, beweglichen Türkenkopf, so von
nun an gegen ein derartiges Tatarenhaupt schiessen, rennen, hauen und stechen
zu lernen.
Gleichzeitig mit dem berührten Mongolen- oder Tatareneinfalle, weil nur
mn Ein Decennium später, setzt die Geschichte die Eröffnung des Bochniaer Salz-
bergwerkes. Nach dem Zeugnisse des polnischen, trotz aller Verdächtigungen bei
der Ansetzung der kritischen Sonde höchst verlässlich erscheinenden Geschichts-
schreibers Dlngosz,^ wurden schon seit unvordenklichen Zeiten die auf den Grün-
den von Bochnia zu Tage tretenden, überreich quellenden Solenspenden zur Berei-
tung von Koch- oder Sudsalz in Pfannen ^ benützt, während Wieliczka neben sol-
cher Salzgewinnung seit langem bereits, aber in imzureichender Menge Salz zu
Tage förderte, was aber nicht die Folge des spärlichen Bergsegens," wohl aber der
^ Roger oarmen miserabüe, bei Schwandtner I. 302. Inter Busciam et Cuma-
niam per Silvas trium diermn pervenit ad civitatem Budanam (Bodna), d. i. durch
den Bukovinaer Wald und die Moldau, das damalige Eumanien.
■ Boger 1. c. L 202.
* Ideni ibid. p. 307 und Hist. Salonit bei Schwandtner: HI. 604: • Uni versa
-exercitus Tartarorum multitudo velut qusedam chorea circumdedit omnia castra
Üngaromm.!
^* Dlugosz Hist. VIII. 675 sagt «in quodam claustro Cisterciensi», doch begabte
Herzog Boleslaw später das Erlöster Welehrad mit dem Bezüge von 50 Blöcken Salz
aus den Werken zu WieUczka. A. Wolny, Kirchliche Topographie Mährens VI. 444.
* Szajnocha: 1. c. p. 20.
* Ideni: ibid.
' Dlugosz Hist. I. 14.
^ Im mittelalterUohen Latein «caldar,» nach Du Gange Glossarium medise et
Infimff latinitatis IH. 41 Caldarium, vas ex aere caldario, in quo aqua igni admovetur,
^aldariae ad coquendum salem.
' Der Name deutet eben auf den Salzreichtum hin. Urkundlich in ältester
JSeit csal magnimi» genannt, weiset dies auf das Polnische: «wielet viel, also auch
•auf wielka d. i. viel und gross hin.
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IK)
DIE KINGA-8AGE.
schwerfälligen uDd mit imzulänglichen Kräften betriebenen Benützung oder Ans-
beutiing dieser unerschöpflichen Ablagerung an fossilem Salze gewesen zu sein
scheint. Und der Herzog Boleslaw selbst besagt in der Urkunde vom 6. Dezem-
ber 1 279, womit er die Krakauer Cathedralkirche mit jährlichen 200 Mark Silbers
ans den Erträgnissen des Bochniaer Salzbergwerkes bedenkt, ausdrückhch, dasselbe
sei, was dessen Steinsalzschätze betreffe, während seiner Zeit aufgeschlossen
worden/ Da<?egen verlegen die gleichzeitigen Aimalisten den Zeitpunkt des Er-
schluspes übereinstimmend in das Jahr 1251.*
Dass hiebei die Gemahlin des Herzogs Boleslaw von Sandorair und Krakau,.
die ungarische Königstochter Eanga, in Person mitgewirkt habe, wird in den
unverfönglichen histoiischen Quellen nirgends erwähnt und ihre Teilnahme
an der Eröffnimg des Bochniaer Steinsalzbergwerkes kann vom historischen Stand-
punkte aus nur dahin verstanden werden, dass zur entsprechenden Inbetrieb-
setzimg der vielversprechenden Fundgrube, der bei den Rüstungen wider de
Tataren glückücherweise nicht aufgebrauchte Rest der splendiden väterUchen Mit-
gift zu weiterer praktischer Verwertung gebracht worden sei.
Die schöne, den leichtfertigen Wunderglauben so gar naiv in Anspruch
nehmende Legende von der Besitznahme eines Marmaroscher Schachtes durch die
Selbstinvestitur des hineingeworfenen Ringes ' und somit selbstverständlich die
weitere, sagenhafte Hei-überleitung des derart in das Eigentum übergegangenen?
unterirdischen Reichtumes in das Krakauer Gelände, namentlich nach Bochnia,
finden wir nur bei den Bollandisten — denen es ausgemachte Sache zu sein scheint,*
wenngleich das nahezu vierhundert Jahre später (1629), d. i. vor Kinga's HeiUg-
sprechung vorgenommene Zeugenverhör eben nur nach der Sage formulirte und
von dem leichtgefangenen, starrgläubigen Volke festgehaltene, daher keineswegs
zu unanfechtbarem historischen Rechte bestehende Daten liefern konnte.
Ganz anders gestalten sich die Verhältnisse bei der Erörterung der Frage
betreffs der Wahl des Witwensitzes Kinga's in einem Frauenkloster, wo sie als
Nonne das Leben im Rufe der Heiligkeit beschlossen habe. Denn hiebei finden wir
uns im Besitze mancher unanfechtbaren Zeugnisse für die Berechtigung zu posi-
tiver Bejahung dieser Frage. Besitzen wir doch heute noch jenes kostbare Docu-
ment, welches Kinga 1280, somit während ihres ersten Witwenjahres, in der Octave
^ Nach einer amtlich beglaubigten Copie des Lemberger Osßolinßki'schen National-
in stitutes.
* Der nunmehr verstorbene BibUothekar des Lemberger Ossolinski'schen National-
institutes, August Bielüwszki besass eine — gegenwärtig unbekannt wo? aufbewahrte
Sammlung derartiger handschriftlicher Jahrbücher, in denen es übereinstimmend ver-
lautet: MCCLI. sal durum (zum Unterschiede des Sudsalzes) in Bochnia repertum
est, wobei von einigen Chronisten, in Bezug auf die geglaubte Tradition über die
Hertiberleitimg des Salzstockes aus der Majmarosch hinzugefügt wird Mquod nunquam
ante fuit.»
^ Nach Du Cantje 1. c. HI. 1556; HI. 1523 und 1528 gab es eine Investitur
per pileum, per terram et per annuliim.
* A. a. O. wobei noch hinzugefügt wird : Et res qiiidem tunc acta locum magis;
quam serium habere a circumstantibus visa est.
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DIE KINGA-SAGE. ^I
des Festes der Apostelförsten Peter und Panl ausgestellt hat, um das zu dem
eigenen Witwensitze bestimmte, neu zu begründende Elarissinenkloster zu Alt-
sandec zu stiften, nachdem diese Gründung und Stiftung die Genehmigung
des Cardinaldiakones Mathias in Portion S. MarisB, als obersten Schutzherm der
verschiedenen Franziskanerordensverbrüderungen und des Graner Franziskaner-
ordensprovinziales Stephan erhalten hatte. Nicht mehr und nicht weniger als die
Einkünfte von dreissig, in der Nähe von Altsandec, dem projectirten Kloster-
standorte, sowohl an den beiderseitigen Ufern des Poprad wie des Dunajec ge-
legenen Ortschaften sollten zur Aufrechterhaltung dieses frommen, sowohl zum
eigenen, als des verewigten Gemahles Seelenheil zu errichtenden Gotteshauses
dienen.*
Zweitens wird ausdrücklich bezeugt, dass bei dem 1:287 wiederholten Ta-
tareneinfalle das Altsandezer Elarissinenkloster zwar noch nicht vollendet gewesen
sei, wohl aber die Stadt in einem adaptirten Privathause die zur Bevölkerung des
Klosters bestimmten Nonnen unter Kinga^s Leitxmg beherbergt habe. Denn sie
flüchten insgesammt vor der drohenden Gefahr in die karpathischen Vorgebirge der
nahen ungarischen Grenze.' Hiezu wäre sodann drittens Kinga*s eigenes Zeugniss
beizufügen.*
Wird nun die Sage mit der Geschichte verglichen, resultirt wohl von selbst, was
m.
Die Volksphantasie
mit ihrer gewohnten, das Wunderbare in die Thateachen verwebenden Geschäf-
tigkeit, der Darstellung über die historisch begründete Bedeutung Kinga's
hinzufügen zu müssen glaubte, damit das Wertbewusstsein des reichen Salzsegens^
der mit ihrem Erscheinen im Uerzogtume, gerade in Bochnia sicli erschloss und
seit vielen Jahrhunderten unzähligen Tausenden zur Segensquelle geworden war,
recht eindringlich an das köhlergläubische Herz pocbe, mitwirkend bei der belieb-
ten, ahnungsvoll grübelnden und in diesem Grübeln schwelgenden Sucht, Irdisches
und Ueberirdisches, d. i. Vorhandenes und sinnlich Fassbares mit dem Ueberirdi-
schen, der einzelnen Menschen und ganzer Völker Geschicke bestimmenden, vor-
bereitenden und in geregelte Bahnen leitenden — sollen wir sagen — wenn nicht
fatalistischen so doch unbegreiflichen und unergründUchen höheren Mächten in
* Die Urkunde in beglaubigter Abschrift in der Ossolinski'schen National-
bibliothek zu Lemberg. Unter den, dem Kloster verschriebenen Ortschaften kommt
auch das in der Zips liegende Pudlein vor. Es wäre der historischen Untersuchung
jedenfiEÜLls wert, ob das sogenannte Sandecer Gelände, die terra Sandecensis im XIIL
Jahrhunderte so weit in die Zips hineingereicht oder — wenn nicht — welche Bewandt-
niss es habe, dass Kinga über Pudlein derartig zu verftlgen vermochte.
» Dlugosz Hist VH. 847.
* In den Urkunden bei Wagner^ Analecta tense Scepus. I. 195 und Supplem
Analect. p. 305, worin es heisst ; Nos Cunegundis . . . sub Ordine S. Francisci divinis
mancipata obsequiis.
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"^2 DIE KINGA-SAGE.
«ine plausible, dem Alltagsmenschen, der denkfaul, die Lebenserscheinungen sich
zurechtlegt wie er kann, in plausible Wechselwirkung zu bringen.
Wenngleich aber auch die heilige Einfalt an Dinge sich hängt, welche der
Gebildete, der Wissende und Aufgeklärte belächelt, will diese Gefühls- imd Glau-
benswelt nichtsdestoweniger achtungs- und schonungsvoU behandelt werden. Denn,
welcher wahrhaft menschhch Denkende wollte die kindüche Einfalt trüben, wenn
dieselbe selbstthätig nach den fruchtbaren Ursachen unverstandener oder auffallen-
der Erscheinungen forscht, und weil sie entweder zu geistesarm oder geistig viel
zu wenig geübt ist, die gewünschte Aufklärung sich selbst zu verschaffen, trotz
aller leichtverständhchen Schaffnngskraft der Natur und der Menschenfindigkeit,
im Glauben an ein Wunder und im Gefühle der Verehrung des Wunderthätigen
volle Befriedigung findet ? - So hat denn auch hier die Phantasie des Volkes um
die unau%eklärt gebliebene, wabrscheinUch zufällige Bloss legung des heute noch in
sehr lohnendem Betriebe stehenden Bochniaer Steinsalzlagers, ganz unbefangen
ihre goldenen Fäden gesponnen und so dicht verwoben, dass eine, fromme Ge-
müter bestechende Wundermäre den Legendenkranz mit einer neuen Blüte
bereichert, der sich um Kinga's verehrte PersönUchkeit unter den Fingern dank-
barer Jahrhunderte sinnig und üppig herumgeschlungen hat.
Die volksmündliche UeberHeferung von der Verschmähung aller anderen
Mitgift, als der Einen, der Schenkung eines Marmarosclier Schachtes ; das Hinein-
werfen des Ringes, der gerade der Brautring imd ja kein anderer gewesen sein
musste, zum Zeichen der Besitzergreifung von dem erbetenen Geschenke ; die Her-
überführung des gewonnenen Schatzes mittelst der eigenen, später zur breitästigen
und ganze Bienencolonien beherbergenden Linde ; das Wiederfinden des in der
Marmarosch in die Tiefe geworfenen Binges | bei der Zutageförderung und Zer-
schlägenmg des ersten Salzstockes : diese — sagen wir Sonntagsgeburten der Volks-
phantasie bethätigen zwar den im Volke heiss pulsirenden Geist, sind aber für den
skeptischen, keine speciell ethnographischen Moment« verfolgenden Forscher leider
nur leere Blüten. Wilhelm Schmidt.
KÜRZE SrrZÜNGSBERIOHTE.
— Ungarische Akademie der Wissenschaften. In der Sitzung der ersten
Classe am 1 . Dezember hielt don ersten Vortrag das Ehrenmitglied Georg Joauno-
vics unter dem Titel : JHe endlose Frage. Die endlose Frage ist der alte unerquick-
liche Streit zwischen der Orthologie und Neologie. Von den drei Tribunen der
letzteren, Franz Toldy, Johann Fogarasi und Moriz Ballagi, ist nur noch der Letzte
auf dem Kampfplatze. Auf seine im Jahre 1884 und im Jänner d. J. gehaltenen
Apologien des Neologismus antwortet suaviter in modo, sed fortiter in re der Vor-
tragende, wobei er auf Grund eines reichea sprachgeschichtlichen Materials
bestrebt war, einerseits die Absurditäten der sprachgeistwidrigen neologischen
Bildungen, andererseits die Berechtigung der besonnenen, dem Sprachgeist fol-
genden orthologischen Richtung des «Nyelvori darzulegen.
Hierauf las das conespondirende Mitglied Bernhard Munkäcsi eine Abhand-
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KURZE 8ITZUNGSBER CHTE. ^S-
Ixmg von Josef Balassa über die Classification und Charakteristik der ungarischen
Mundarten, Verfasser wirft einen kurzen historischen Rückblick auf die bisheri-
gen Classificatoren der ungarischen Mundarten (Stefan Grdti, Adam Horväth^
Sigmund Simonyi) und untersucht dann, auf welcher Grundlage die ungarischen
Mundarten classifizirt werden könnten. Für die Classification der Mundarten
können folgende Umstände entscheidend sein : 1. Die Teilung des Volkes in Volks-
stamme ; 2. die geographische Lage des ganzen Sprachgebiets und seiner einzelnen
Teile, und vornehmlich 3. die Verbreitung der die einzelnen Gegenden charakte-
risirenden Eigenheiten. Doch mancherlei Schwierigkeiten machen es unmöglich,
einen dieser Umstände für sich zur Basis der Classification zu nehmen. Wenn die
Classification richtig sein soll, müssen alle diese Umstände berücksichtigt werden.
Auf dieser Grundlage teilt Verfasser das ungarische Sprachgebiet zuerst in
einzelne grössere Mundartengebiete, deren Sprache nur hinsichtlich der wich-
tigsten Eigenheiten übereinstimmt und damit auf gemeinsame Abstammung und
Entwicklung hinweist. Innerhalb dieser Gebiete zieht er dann die aus den ver-
schiedensten Gründen entstandenen Differenzen in Betracht, welche die einzelnen
Mundarten hervorbringen. Er teilt das ganze imgarische Sprachgebiet in acht
Mundartgebiete, welche er dann im Einzelnen charakterisirt und welche, je nach-
dem ihre verschiedenen Teile einzelne Eigenheiten besser bewahrt oder weiter
entwickelt haben, in mehrere besondere Mundarten zerfallen.
— In der Sitzung der zweiten Classe am 9. Dezember hielt den ersten Vor-
trag das ordentliche Mitglied Alexander Szilägyi. Vortragender legte sein soeben
erschienenes Werk : Siebenbürgen und der Krieg im Nordosten 1648 — 1665, Briefe
und Urkunden mit Einleitungen und Anmerkungen, herausgegeben von Alexander
Szilägyi ; Band I. Budapest 1890, vor und gab einen kurzen Ueberblick des Inhalts
desselben. Die mit diesem Bande begonnene Urkundensammlung bringt einige
controverse Fragen der Geschichte jener Zeit zur Entscheidung und klärt einige
dunkle Punkte derselben auf. Das Bild, welches Vortragender an der Hand der in
dem vorgelegten Bande enthaltenen Briefe und Urkunden entwirft, ist reich an
Details, welche für den Geschichtsforscher jener Zeit von Interesse sind.
Hierauf las das correspondirende Mitglied Josef Jekelfalussy eine Abhand-
lung des Gastes Julius Mandello über Währwngs- und Münzrecht, ein Capitel
Ober die rechtliche Bedeutung des Währungswechsels vor. Den Ausgangspimkt der
Untersuchung hat der rechtliche Begriff des Geldes zu bilden, resp. die Frage :
Welches sind die rechtlich relevanten Functionen des (Jeldes? Der Verfasser
entscheidet sich für die Auffiassung, dass blos die Function als gesetzliches
Zahlungsmittel relevant sei, da alle anderen Functionen entweder wirtschaftlicher
Natur sind, oder aus der Function als Zahlungsmittel hervorgehen. Der Verfasser
unterscheidet drei Gebiete, in welchen das Geld als gesetzliches Zahlungsmittel
wirkt. 1. Ist das Valutageld das letzte zwangsweise Solutions- und Befriedigungs-
mittel ; 2. ist dasselbe Gegenstand der Geld- Obligationen und 3. sind im Glelde
als gesetzlichem Zahlungsmittel alle Zahlungen in den Staat zu leisten und bedient
sich desselben der Staat bei seinen Zahlungen. Verfasser untersucht nun die Wir-
kung des Währungswechsels bezüglich dieser drei Gebiete und findet, dass derselbe
blos für die Geld-Obligation und die Zahlungen an den Staat (resp. des Staates)
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"94 KURZE SITZUNGSBERICHTE.
von Belang ist, weil es sich nur hiebei um fixe Beträge handelt, deren Umrech-
nung aus der alten Valuta in die neue nötig erscheint. Dass der Staat diese
Umrechnimg für seine eigenen Verhältnisse selbst vorzunehmen hat, wurde nie
bezweifelt. Auch bezügüoh der Verbindlichkeiten von Privaten ist gewiss, dass
dieselben nicht in der alten, sondern in der neuen Valuta zu erfüllen sind. Allein
die Begründung dieses Satzes gibt zu wichtigen Verschiedenheiten in der Auffas-
sung Anlass. Es gibt eine falsche privatrechtliche und eine richtige staatsrecht-
liche Auffassung. Die erstere geht dahin, dass die Erfüllung der auf Silber lauten-
den Verpflichtunfsren in Folge der Einführung der Goldwährung unmöglich wird,
und dass daher die Hingabe von Gold an Silberstatt eine datio in solutum bildet.
Demgegenüber sieht die staatsrechtliche Auffassung in der Erfüllung in Gold das
wirkliche soldere der auf Valuta lautenden Obligationen. Wenn nun schon aus
der letzteren, richtigen Auffiassung die Notwendigkeit einer staatlichen Bestim-
mung des Valutaverhältnisses an und für sich folgt, wurde nichtsdestoweniger in der
Literatur ein heftiger Streit geführt darüber, ob die Bestimmung des Valuta Verhält-
nisses durch den Staat zu geschehen habe, oder ob dieselbe der Vereinbarung der Par-
teien, respective dem Urteile des Richters zu überlassen sei. Die eben berührte Con-
troverse geht von zwei Voraussetzungen aus : entweder davon, dass der Staat über-
haupt absieht, eine Bestimmung zu treffen, oder davon, dass der Staat für seine
eigenen Verbältnisse eine andere Norm trifft, als für die privatrechtlichen Ver-
hältnisse. Im Sinne dieser Voraussetzungen gibt es vier Zeitpunkte, die für die
Bestimmung der Verhältnisse der Valuten massgebend sein können, und zwar der
Zeitpunkt 1. der Entstehung der Obligation, 2. des Währungswechsels, 3. der
Erfüllung, 4. der Zahlung. Der Verfasser bespricht die Bedeutung dieser vier
Bestimmungsmodalitäten, nachdem er die Ansichten von Godschmidt, Hartmann,
Bekker, Behrend, Grünhut und Menger dargelegt hat. Im Gegensatze zur herr-
schenden Auffassung, welche den Zeitpunkt des Währungswechsels für massgebend
hält, erklärt er sich für den Zeitpunkt der Erfüllung, welcher allein einer streng
privatrechtlichen Auffassung entsprechen könne. Allein die privatrechtliche Auf-
fassung an und für sich hält Verfasser für verfehlt. Eine Betrachtimgsweise, die
von der staatlichen Bestimmung abstrahirt, kann nur zur Aufstellung privatrecht-
licher Analogien führen, nicht aber zur Auffindung eines materiellen Bechtssatzes.
Hierauf untersucht der Verfasser den Inhalt der staatsrechtlichen Bestimmung
der Relation und weist den wirtschaftlichen Charakter der Relationsbestimmung
nach. Die Relation kann zwar wirtschaftUch zweckmässig gewählt werden und
eine gerechte Lösung annähernd erstreben, allein dieselbe nicht vollkommen
erreichen. Verfasser weist noch die Relativität der Bestimmungsarten (Tageskurs
und Durchschnittsberechnungen) nach und gibt zum Schlüsse der Hoffnung
Ausdruck, dass gleichzeitig mit der Valutaregulirung in Ungarn auch ein Münz-
und Währungsrecht geschaffen werde, welches an die Stelle der spärlichen
Bestimmungen unseres Staatsrechtes treten wird.
Zum Schlüsse hielt Moriz Wosinszky (Pfarrer von Apar in der Fünfkirchner
Diöcese), als Gast, einen archäologischen Vortrag über die älteste LeichenbestxU'
^tmgsweise der Urzeit, bei welcher Arme und Beine der Leichen zurückgebogen und
fest an den Körper gebunden wurden, wie dies an dem vom Vortragenden aus
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KURZE SITZUNGSBERICHTE.
95
dem Lengyeler Gräberfeld herausgehobenen and im Nationalmuseum ausgestellten
Exemplar sichtbar ist. Diese Bestattungsweise kommt von der paläolithischen bis
zur Hallstädter Periode in ganz Europa vor ; in Ungarn ist sie bisher blos im Len-
gyeler Gräberfeld im Comitat Tolna gefunden worden. Diese Sitte erfuhr im Laufe
der Zeit verschiedene Modificationen, welche Vortragender in drei Hauptgruppen
znsammenfasst. Die zusammengebogene Stellung der Leichen entspricht der Lage
des Embryo im Mutterleibe. Man legte den todten Menschen in derselben Lage
in den Mutterschoss der Erde, in welcher er aus dem Mutterleibe kommt, damit
er gelegentlich der jenseitigen Wiedergeburt in der natürlichen Lage gefunden
werde. Die an den verschiedenen derartigen Beatattungsfunden constatirten ver-
«chiedenen Culturstufen bezeugen, dass sich diese Sitte in zwei verachiedenen
Völkerwanderungsrichtungen von Asien her nach Europa verbreitet hat.
— In der Plenarsitzung am 1 5. Dezember las Professor Julius König eine
Denkrede auf das ord. Mitglied Eugen Ihmyady, Die Denkrede feiert in würdiger
Weise das Andenken des vor Jahresfrist dahingeschiedenen ungarischen Mathema-
tikers. Eugen Himyady hat auf dem grossen internationalen Gebiete seiner Wis-
senschaft Hervorragendes geschaffen, ja er ist in einem Kapitel derselben der Erste
gewesen. Er hat sich aber nicht allein um die grosse gemeinsame Wissenschaft bedeu-
tende Verdienste erworben, sondern auch um die Förderung der nationalen Cultur,
indem der für die Gegenwart überaus günstige Unterschied, welchen der Stand
der mathematischen Wissenschaften in Ungarn im Jahre 1890, verglichen mit
demjenigen vom Jahre 1865 zeigt, grossenteils Hunyady's Verdienst ist. Als
Hunyady im Jahre 1865 vom Aiislande heimkehrend seine wissenscheftliche Thä-
tigkeit in der Hauptstadt begann, existirte eine mathematische Fachwissenschaft
in Ungarn nicht. Die Arbeit eines Jahrhunderts, in welchem die Mathematik eine
in der Geschichte der Wissenschaften beispiellose Entwicklung gewonnen hatte,
war hier nachzaholen. Hunyady, welcher am il8. April 1838 in Pest geboren wurde,
erreichte nicht die natürliche Grenze des menschlichen Lebens, aber sein Leben war
doch ein ganzes Leben, seine Arbeit eine ganze Mannesarbeit. Er hat seiner Wis-
senschaft eine neue Heimat und seiner Heimat eine neue Wissenschaft erworben.
Deshalb wird in der Geschichte der imgarischen Wissenschaft sein Andenken ein
ewigdauemdes sein.
Die Mitteilung der laufenden Angelegenheiten eröffnet der Generalsecretär
Koloman Szily mit der Meldung von dem am 10. September in Kalkutta erfolgten
Ableben des auswärtigen Mitgliedes Atkinson, dessen Andenken die HI. Classe in
einer Denkrede feiern wird. Hierauf beantragt der Generalsecretär, dass dem aus-
wärtigen Mitgliede Dr. Alfred Ameth, k. u. k. Hof- und Staatsarchivar in Wien,
der die Schätze des Hof- und Staatsarchivs den ungarischen Forschern geöffnet und
hiedurch, um die Entwicklung der ungarischen Geschichtsforschung sich grosse
Verdienste erworben hat, anlässlich seines am 27. Dezember in Wien zu feiernden
fünfzigjährigen Dienstjubiläums seitens der Akademie« eine Glückwunsch- Adresse
zugesandt werde. Wird zustimmend angenommen. — Eine Zuschrift des Unter-
richtsminist^rs, welche das Gutachten der Akademie in der Frage der von der königl.
italienischen Regierung angeregten Feststellung eines einheitlichen Zerusmeridians
und einer einheitlichen Zeitzählung ansucht, wird der HI. Classe zugewiesen. —
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öö mXdoheniuche.
Das Anstichen desselben Ministeriums um ein Gutachten über das Bittgesuch de»
königlich griechischen Generalconsuls Paul Haris um Einführung der neugriechi-
schen Aussprache in den Mittelschulen wird der I. Classe zugewiesen. — Die
n. Classe empfiehlt folgende drei Anträge der archäologischen Commission zur
Annahme : f. Die Akademie möge die von der Legislative für archäologische
Publicationen bewilligten 5000 fi. zur Hälfte auf Publicationen über vaterländische
Baudenkmäler und zur Hälffce auf andere Publicationen verwenden ; 2. die Aka-
demie möge die Dotation der archäologischen (Kommission von 6000 auf 7000 fl.
erhöhen ; 3. die Akademie möge beim Unterrichtsminister die Erlaubniss der
Benützung der Zeichnungen der Landescommission für Kunstdenkmäler durch
die archäologische Commission auswirken. Die IT. Classe bittet zugleich auf Antrag
der archäologischen Commission um Bestätigimg der Wahl der folgenden Com-
missionsmitglieder : Sigmund Bubics, Bischof von Kaschau, Dr. Julius Forster,
Kamill Fittier, Stefan Möller, Ludwig Rauscher, Friedrich Schulek und Emericb
Steindl. Wird zustimmend angenommen.
MÄDCHENRACHE.
Frei nach Alexander Endrödi.
Die Sultanstochter ruht allein Der schwarzen Hüter wilder Tross
Am Rosenstrauch, im Myrthenhain, Vor Wuth und Eifer überfloss ;
Da stürzt heran ein Jüngling und — Sie führen bald den Jüngling vor —
Küsst ihren Mund. 0 armer Thor !
Vor Scham und Aerger purpurrot, Das Antlitz blass, aus edlem Blut,
Klagt sie dem Vater ihre Not : Im Auge Leid und Liebesglut,
«Ein Fremdling that's . o Schmach, Er blickt sie an so traurig-kühn,
Und ist entflohn li [o Hohn, Mit stillem Glühn.
Kaum war der Frevler angeklagt, cDer hier ist's ! i ruft der Häscher rauh,
Bogann auf ihn die Menschenjagd. t Sein Haar ist schwarz, sein Eaftan blau I»
Die Sultanstochter ruft mit Dräun : Der And're murrt : fFür solche Schuld
«Er soll's bereun I • Giebt's keine Huld !•
«Durchforscht nach ihm die Palmenau, Der Sultan selbst im Zorn entbrannt,
Sein Haar ist schwarz, sein Kaftan blau 1 1 Legt drohend an das Schwert die Hand :
Die Sultanstochter zürnend spricht: «Zum Tode geht des Jünglings Bahn,
« Verschont ihn nicht 1 1 Hat er's gethan I
Mein gold'nes Kind, bezeuge mir,
Beging die Tollheit dieser hier?i —
Die Sultanstochter leise spricht :
«Er war es nicht N
Stefan Rönat.
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GRAF MORITZ BENYOYSZKY ALS GEOfiRAPHISCHER
FORSCHER.
Im laufenden Jahre wird es ein Jahrhundert sein, seit Nicholson das
berühmte Buch über die Heldenthaten, Beisen und Eroberungen des kühnen
und unternehmenden ungarischen Grafen Moritz Benyovszky herausgegeben
hat.^ Das Buch schildert des Grafen kurzes, jedoch umso thatenreicheres
Leben. Er wurde im Jahre 1746 geboren,** durchkämpfte als junger Mann
den ganzen polnischen Krieg und wurde von den Bussen gefangen genommen,
die ihn nach Sibirien verbannten. Er durchreiste Europa und Asien, bis er
endlich den Ort seiner Verbannung, Kamtschatka, erreichte. Mit seinen
Genossen knüpfte er gar bald einen Bund zu seiner Befreiung; der Umstand,
dass sich die Tochter des Gouverneurs in ihn verliebte, erleichterte seine
Flucht Eines Tages brach der langsam vorbereitete Aufstand los, der Gou-
verneur und die Garnison wurde niedergemetzelt, Benyovszky entfloh und
bestieg ein gebrechliches Fahrzeug. Fünf Monate hindurch trieb er sich auf
dem Meere herum, bis er endlich Macao erreichte, von wo er nach Europa
gelangte. Dann trat er in französische Dienste und begab sich nach Mada-
gaskar um dort französische Colonien zu gründen. Jedoch die Eingeborenen
gewannen ihn lieb und wählten ihn zu ihrem Fürsten. Benyovszky nahm
an ihren Kämpfen Theil, nachdem er aber den Frieden gesichert hatte und
da er von den französischen Gouverneuren der Isle de France schmählich
betrogen worden war, kehrte er nach Europa zurück, um das Protektorat
irgend eines Staates für sein Volk zu gewinnen. Allein die Franzosen wollten
nur von Colonien, aber nichts von Verbündeten hören, England und Deutsch-
land waren anderwärts beschäftigt, und so war das Resultat aller seiner
* Memoirs and Travels of Mauritius Augustus Count de Benyovszky, Written
by liimself. Translated from the Original manuscript. In two volumes. London, Robin-
son, 1790. Benyovszky schrieb das Originalmanuscript französisch.
-'^ Benyovszky wurde nach Nicholson, dem ersten Herausgeber der Memoiren,
1741 geboren, wie aber J6kai in seiner Biographie erwähnt, ist das Geburtsjahr
Benyovszky's nach dem, vom Seelsorger zu Verbö ausgefertigten authentischen
Taufschein nicht 1741, sondern 1746. J6kai M., Benyovszl^ ^letrajza. Budapest,
1888, L, 11.
ünguiMb« Beyne. XT. 1891. U. Heft 7
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^8 GRAF MORITZ BENY0V8ZKY ALS OEOGRAPHTSCHER FORSCHER.
Bemühungen das^ dass ihn ein amerikanischer Kaufmann an die Spitze
seiner Frivatuntemebmungen stellte. Benyovszky erreichte Madagaskar,
wurde aber von den Franzosen angegriffen und am 23. Mai 1786 getödtet.
Die erste englische Ausgabe von Benyovszky's Beisebericht erschien
1790 und schuf eine ganze Literatur ; ^ sie wurde von Nicholson veranstaltet,
der zu dem Werke eine Einleitung schrieb, in der er die Verlässlichkeit der
Angaben Benyovszky's kritisch untersuchte. Auf die Frage, ob Benyovszky
die geschilderte Reise überhaupt unternommen habe, oder nicht, — denn
selbst dies wurde in Zweifel gezogen, — antwortete er mit einem entschie-
denen Ja. Die Resultate seiner Kritik fasst Nicholson in folgendem zu-
sammen: «So lange als Benyovszky 's Daten auf ihn selbst Bezug haben,
müssen wir seine Behauptungen für authentisch halten ; der grösste Theil
derselben kann jedoch auch durch Nebenargumente gestützt werden. Die
Theilnahme an den polnischen Unruhen bezieht sich auf jüngstverflossene
Ereignisse ; die Mehrzahl der von ihm genannten Persönlichkeiten sind von
hohem Rang und leben noch heute. Ja sogar bezüglich seiner Continentreise
durch das asiatische Russland und im Nordosten der alten Welt sind wir
nicht mehr ganz ohne Kenntnisse. Wenn wir aber die Lage der Inseln und
Ufer des Meeres zwischen Asien und Amerika untersuchen, müssen wir
gestehen, dass wir grossen Schwierigkeiten begegnen.» ^
Unzuverlässig ist der Theil des Benyovszky'schen Reiseberichtes, der
sich auf die Strecke von Kamtschatka bis Macao bezieht und hauptsächlich
dieser Theil seines Journals war der Stein des Anstosses und die Ursache
des Zweifels an der Authenticität seiner Behauptungen ; diesem Theil seines
Tagebuches gegenüber müssen wir daher die volle Schärfe der Kritik ob-
walten lassen. Es ist leicht begreiflich, dass sich dieser Schärfe der Kritik
weder Nicholson, noch ein anderer Geograph seiner Zeit bedienen konnte»
denn jene Gegenden waren zu der Zeit noch eine terra incognita ; erst die
Russificirung Sibiriens, dann die Eröffnung des nordamerikanischen Eisen-
bahnnetzes — beides Ereignisse unseres Jahrhunderts — waren die mäch-
tigen Faktoren, denen wir die genaue Kenntniss der Geographie, Natur-
und Volkskunde jener Gegenden verdanken. Die Kritiker mussteu sich
Benyovszky's Reisebericht gegenüber passiv verhalten, daher stammt der
grosse Unterschied in der Behandlung, die diesem Theile seines Werkes zu
Theil wurde. Es war nur recht und billig, als Nicholson schrieb ^ : «jenem
Theil des Werkes gegenüber, der mit anderen Daten nicht zu vergleichen
^ In der ungarischen Literatur erschienen 1888 drei Werke über Benyovszky.
die Uebersetzung seiner Memoiren von Jokai, die Biograplüe von Jokai und eine
Jugendschrift von W. Radö.
• Engüflohe Ausgabe I. Bd. III. S.
» L. 0. IV. S.
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GRAF MOBITZ BBKYOVSZKY ALS OBOORAPHTSCHBR POR80HBR. ^
war, . . . suchte ich keine anderen Beweise, da sie anderen Entdeckungen
gleich gestellt werden dürfen, in deren Verlässlichkeit wir solange keinen
Zweifel setzen, bis dieselben durch neuere Forschungen entweder gestützt,
oder widerlegt werden, t Dem gegenüber ist die Böswilligkeit des deutschen
Verlegers Ebeling kaum zu erklären, der zu dem Kapitel, in dem Benyovszky
die Entdeckungsreisen im Osten von Kamtschatka zusammenstellt, bemerkt :
«einige gänzlich überflüssige Sachen haben wir in der deutschen üeber-
setzung doch weggelassen», wo doch die Vergleichung des englischen Ori-
ginaltextes und der deutschen Uebersetzung beweist, dass Ebeling nicht ein
Wort weggelassen hat.^ Diesen verschiedenen Ansichten gegenüber hat
unser Jahrhundert unsere geographischen Kenntnisse mit zahkeichen neuen
Daten bereichert, und die Uebereinstimmung dieser mit den Angaben
Benyovszky's ist das einzige Mittel, dessen wir uns bei Beurtheilung seines
Berichtes bedienen können, auf Grund dessen wir im Stande sein werden,
die Verlässlichkeit jenes Theiles seiner Beschreibung zu beurtheilen, der
durch historische Dokumente nicht gestützt werden kann. Obwohl Benyovszky
seine Memoiren in einer fremden Sprache geschrieben hat, obwohl sich mit
den von ihm bereisten Gebieten hauptsächlich die ausländischen Literaturen
beschäftigen, hat sich doch in neuerer Zeit Niemand gefunden, der die
Authenticität, aber auch die Verdienste Benyovszky's festzustellen versucht
hätte. Müssen wir auch mit Bedauern sehen, dass die grössten Geographen
und Forscher unserer Zeit, Nordenskiöld ^ und Beclus,^ den Grafen
Benyovszky rücksichtslos ignorieren, so glauben wir doch, dass die folgenden
Zeilen, deren Zweck es ist, den strittigen Theil der Keise von Kamtschatka
bis Macao kritisch zu beleuchten, jedermann überzeugen werden, dass das
in dem stillschweigenden Uebergehen des ungarischen Grafen inbegriffene
ürtheil der genannten Gelehrten ein unbegründetes ist.
Unsere Aufgabe beginnt mit der Beurtheilung der durch Benyovszky
gestifteten Unruhen und der Flucht aus Kamtschatka. Es ist unbestreitbar,
dass die städtischen Archive des europäischen oder asiatischen Bussland
diesbezüglich amtliche Urkunden enthalten müssen, dieselben sind jedoch
bis heute nicht bekannt und so können wir uns noch nicht auf historische
Dokumente berufen.* Wir kennen trotzdem drei verschiedene Beschrei-
bungen dieser Begebenheit, die aus dem letzten Decennium des 18. Jahr-
hunderts stammen; zuerst Benyovszky's Beschreibung, die in seinen
Memoiren enthalten ist, dann die Schilderung eines gewissen Stefanow, die
auch heute noch seht wenig bekannt ist, endlich die Darstellung des fran-
* EbeUngs Ausgabe der BenyovsEkyschen Memoiren. I. Bd., 287. S. i
' Die Umsegelung Asiens und Europas. II. Bd.
' Nouvelle Geographie Universelle. VII. Bd.
* Thallöczy schreibt an M. R&th "/? 1887: «In Pans, Moskau, ' Finme finden
sich wohl viele Daten zur Biographie Benyovszky's, mit der ich mich beschäftigte.»
7*
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lö^ ORAP MORITZ BBKYOVSZKY ALB OROORAPHrsCHBR FORSCHER.
eösiscben Gonsnls Lesseps. Hieran schliesst sieb noch die BeecbreibuDg
Gocbrane's vom Beginne unseres Jabrbunderts.
Nacb Benyovszky's Beschreibung brach der Aufstand in den ersten
Tagen des Mai aus, als das Wetter schon mild war und die gefrorene See
bereits auftbaute ; die Festung wurde niedergebrannt, der Gouverneur Nilow
ermordet, die Aufständischen, an ihrer Spitze Benyovszky, bemächtigten sich
des Schiffes «St. -Peter und St. -Paul» und verliessen am 11. Mai 1771
Kamtschatka.
Benyovszky's Schilderung wird durch Lesseps vollkommen bestätigt,
ja sogar ergänzt. Lesseps begleitete im Auftrage seiner Begierung La Perouse
und De Laugle auf deren Beise um die Welt. 1787 landeten sie in Kamt-
schatka und da sie infolge der unfreundlichen Witterung gezwungen
waren dort längere Zeit zu verweilen, hatten sie Gelegenheit, die nach der
Bevolution eingetretenen Veränderungen zu studieren und über Benyovszky
Daten zu sammeln. Lesseps fasst dieselben in folgendem zusammen: «Wir
wissen, dass Benyovszky 1769 während der polnischen Bevolution in den
Diensten der Conföderirten kämpfte, er wurde seiner Unerschrockenheit
wegen an die Spitze eines Heeres zusammengetrommelter Ausländer oder
eher Bäuber, — wie auch er einer war, — gestellt ... er vernichtete alles,
was er in seinem Wege fand. Die Bussen ergriffen ihn . . . verbannten ihn
nach Sibirien. Kaum schmolz jedoch der Schnee, so erschien er an der Spitze
von Conspiratoren, auf die er seinen Einfluss auszubreiten wusste, in Bol-
scheretzk. Er attaquirte die Garnison, beraubte sie ihrer Waffen, ermordete
den Gouverneur Nilow eigenhändig. Im Hafen ankerte ein Schiff; Benyovszky
bemächtigte sich desselben ; ein Blick genügte, um Alles erzittern und'ibm
unterthan zu machen. Er zwang die Kamtschadalen zur Beschaffung von
Lebensmitteln, begnügte sich jedoch nicht mit diesem Opfer, sondern opferte
sogar ihre Wohnungen der Baubwuth seiner Genossen und bot selbst Bei-
spiele des Eidbruches und wilder Grausamkeit. Endlich segelte er mit seinen
Genossen davon, wie man sagt nach China. Der Fluch der Kamtschadalen
folgte ihnen.» *
Zwei Thatsachen finden wir in dieser Beschreibung, die mit Benyovszky's
Schilderung nicht übereinstimmen : nicht Benyovszky, sondern sein Gefährte
Panow ermordete Nilow, und hierin schenken wir Benyovszky's Worten mehr
Glauben, als jenen der Kamtschadalen, die dieser Scene überhaupt nicht
beiwohnten. Wir kennen Benyovszky's humane, edle Gesinnungsweise und
halten es für unwahrscheinlich, dass er in die Plünderungen eingewilligt
habe ; es ist unleugbar, dass die Kamtschadalen im Kampfe viel zu leiden
hatten, und wir finden es erklärlich, dass Benyovszky's Abreise vom Fluch
* Journal historique du Voyage de Lesseps. Paris, 1790. I., 154. — Mitgeteilt
auch in der Ebeling^schen Ausgabe.
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GRAF MORITZ BBNYOVßZKY ALS GEOGRAPHISCHER FORSCHER. 101
der KamtBobadalen begleitet war; derselbe Umstand erklärt jedoch anch^
dass das Volk m seiner Erbitterung die Thatsachen, deren Folgen es zu
ertragen batte^ in übertriebenem Masse entstellte.
Unsere dritte Schilderung stammt von Stefanow, einem von denen, die
den Grafen von Kamtschatka bis Macao begleiteten und ihm mit ihrer fort-
währenden Unzufriedenheit viel Ungemach bereiteten. Stefanow gelangte
von Macao nach Batavia und schrieb dort seine Erlebnisse aus dem Gedächt-
niss nieder. Er starb in grossem Elend, seine Beschreibung gelangte in die
Hände des Pfarrers von Batavia, Metzlaers, welcher dieselbe in hollän-
dischem Auszuge in einer Amsterdamer Wochenschrift herausgab, der es
dann das Journal encyclopedique im November 1789 entnahm. Stefanow
schildert den Aufstand und die Flucht folgendermassen :
«Der Gouverneur von Bolscheretzk behandelte im Frühjahr die Gefan-
genen mit imgewohnter Grausamkeit. Stefanow zettelte daher eine Ver-
schwörung an, in die er 32 Gefangene einbezog, was genügend schien, um
die für sie gefährlichen Personen zu entwaffnen. Ihr Unternehmen ward
dadurch erleichtert, dass der Ort ausser von drei Kanonen und sechs Sol-
daten durch nichts geschützt war. Am 18. April führten sie den Plan aus.
Die Verschworenen bemächtigten sich vor Allem der Zaarkassen, versahen
sich dann mit Lebensmitteln, entwaffneten die Wachmannschaft, zogen auf
dem Festland bis Tscbekawka, 40 Werst von Bolscha, wo sie Anfangs Mai an-
kamen. Ihr Schiff, das hier vor Anker lag, musste zuvörderst aus dem Eis
befreit werden, denn obwohl die Ufer Kamtschatkas oft auch schon früher,
z. B. Anfangs April, eisfrei sind, bedeckte den Ankerplatz doch Eis, da die
hohen Gebirge den Hafen bis Mitte Juni von den Strahlen der Sonne ab-
schliessen. Nach 11 Tagen war das Schiff reisebereit, und am V2. Mai segelte
es ab . . . zusammen waren 70 Mann an Bord.» *
Stefanow's Schilderung widerspricht in einzelnen Punkten jener
Benyovszky's ; wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass Stefanow seine Reise
nur aus dem Gedächtniss niederschrieb, Benyovszky hingegen regelmässig
Journal führte. Tbeils der persönliche Hass gegen Benyovszky, theils die
Hoffnung, sich durch seine Beisebeschreibung zu nützen, erklären den Um-
stand, dass Stefanow die Person Benyovszky's ganz in den Hintergrund stellt
und — der Wahrheit entgegen — sich selbst an die Spitze der Bewegung
gestellt zu haben behauptet. Der Graf gibt an, in der Festung hätten sich
12 Soldaten und 21 Kanonen befunden, und der Hetman sei im Stande
gewesen, ein Heer von 7 — 800 Mann zusammenzustellen ; kein Zweifel, dass
sich diese Zahlen nicht genau fixieren lassen, doch wenn es auch möglich
ist, dass Benyovszky's Daten übertreiben, so ist doch gewiss, dass Stefanow's
Schilderung unrichtig ist, denn einer so geringen Kriegsmacht gegenüber
* EbeUng's Ausgabe, IL Bd. p. 285«
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102 GRAF MORITZ BBNYOVSZKY ALS GBOGRÖPHIBCHER FORSCHER.
dürften sich kaum so heftige Kämpfe entwickelt haben^ die sich noch Jahr-
zehnte hindurch in der Erinnerung der Eamtschadalen behaupteten. Da Stefa-
now seine Schilderung russisch geschrieben^ entspricht sein 18. April unserem
29., während Benyovszky den £26. April angibt. Der Unterschied kann nur
auf Stefanow's Irrthum zurückgeführt werden, da Benyovszky seine Erlebnisse
von Tag zu Tag angibt. Benyovszky erwähnt nirgends, dass er genöthigt
gewesen sei, sein Schiff aus dem Eise zu befreien, er erwähnt nur, dass dem
Schiffe eine Eistafel den Weg versperrte, die jedoch durch einen Kanonen-
schuss zertrümmert wurde. Eigenthümlich ist es, dass Stefanow den 18. April
dem gregorianischen Kalender gemäss angibt, während er den Tag der Ab-
reise (12. Mai), der mit Benyovszky 's Angabe übereinstimmt, nach unserer
Zeitrechnung bezeichnet ; der Fehler dürfte vom Uebersetzer Metzlaer her-
rühren. Nach Stefanow waren auf dem Schiffe 70 Personen, nach Benyovszky
06, deren Namen er auch anführt ; der Irrthum ist daher wahrscheinlich
auf Stefanow's Seite.
Gochrane, unser vierter Autor schreibt: «In Bolscheretzk hörte ich
wunderbare Dinge vom bekannten Benyovszky, der von hier, nachdem seine
Verschwörung gelungen, nach Kanton geflohen war. Eine alte Dame, die
später meine Schwägerin wurde, kannte ihn noch, ihre Aeusserungen jedoch
lauteten nicht günstig . . • Die Kamtschadalen halten Benyovszky noch jetzt
für ihren Fluch.»* Ich glaube, diese persönliche Bekanntschaft ist der
sicherste Beweis dessen, dass Benyovszky wirklich in Kamtschatka gewesen.
Am II. Mai 1771, einem Mittwoch, verliess Benyovszky Kamtschatka,
den Schauplatz so vieler Leiden und Kämpfe. Er übernahm das Gommando
des Schiffes, das — die Mündung des Flusses Bolscha verlassend — sich
nach Süden wandte, um das Gap Lopatka zu umfahren und längs der
Kurilen dem Stillen Ocean zuzusteuern. Der Weg von Bolscha zum Cap
Lopatka dauerte zwei Tage, war ruhig, der Himmel jedoch fortwährend
bewölkt, und vom Ufer nichts zu sehen. Am 1 3. Mai sahen sie das Felsen-
Cap Alayd gen Westen, das nördlichste Glied der Kurilen-Kette, welches
noch heute den Namen Alaid oder Araid, nach Cook Arugan, führt.
Am 14, Mai umfuhr Benyovszky *s Schiff das Cap Lopatka und
segelte zwischen den zwei nördlichsten Inseln der Kurilen in den Stillen
Ocean, Hier irrte es vier Tage umher; das Wetter war nebelig, trübe,
es gab Schnee, Begen, Stürme und grosse Fluth, die Richtung des
Schiffes wurde nicht notirt. Sie mochten nicht fern vom Lande sein, denn
schwimmendes Gras umfasste öfters ihr Schiff und sie sahen auch Adler
umherfliegen. Am fünften Tage (19. Mai) erreichten sie die Behring-Insel,
* Capt. J. D. Gochrane, Fussreise durch Busshind und die Blbirische Tartarey.
nach Kamtschatka. Wien, 1826, p. 140 und 196.
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GRAF MORITZ BENYOVHZKY ALS GEOGRAPHISCHER FORSCHER. ^03
sie mussten daher vom Gap Lopatka nach NO. gesegelt sein und etwa
75 Meilen zurückgelegt haben.
Benyovszky verbrachte mit seinen Genossen fünf Tage auf der Insel
und benutzte die Zeit sehr gut. Nachdem er sich überzeugt hatte, dass die
Insel kaum von Eingeborenen bewohnt sei, ankerte er in einer Bucht, die
nach ihm Moritz-Bucht benannt wurde, Hess am Ufer Hütten errichten,
ordnete die Beinigung des Verdeckes und die Ventilation der Lebensmittel
an, Hess Brod backen, Fische einsalzen, schaffte durch Jagd Fleisch und
Leberthran, liess Holz hacken und setzte Alles in Bewegung, um die Fort-
setzung seiner Reise zu sichern. Hier traf er auch Spuren anderer Bei-
sender; er fand die durch Feter Kreniczin, den nach GaUfomien ausge-
sandten Beisenden errichteten — in Europa bis dahin unbekannten —
fünf Gedenkkreuze, was gleichfalls ein Beweis der Glaubwürdigkeit seines
Berichtes ist.
Unterdessen brach unter der Mannschaft eine Revolte aus, Stefanow
zeigte eine Verschwörung an, die strenge Bestrafung erheischte. Der Gerichts-
stuhl der Gesellschaft verurteilte die drei Verschwörer, allein auf die Insel
ausgesetzt zu werden. Benyovszky gab sich damit zufrieden, und so wurden
die drei, Ismailoff, Parentschin und seine Frau die ersten Golonisten der
Behring-Insel. Ismailoff war vom Glücke begünstigt, nach sieben Jahren
fand ihn Cook auf der Insel Unalaska und schreibt Folgendes von ihm : *
«Am 14. October Abends, als ich mit Herrn Weber in der Nähe des Dorfes
Sanagandha war, sah ich einen Russen landen, der^ wie ich später erfuhr,
eine der hervorragendsten Persönlichkeiten war. Sein Name ist Erasim
Gregorioff Sin Ismailoff. Er kam auf einem Kahn, den drei Männer trieben,
und den ausserdem 20— 30 Nachen begleiteten.... Ismailoff scheint ein
intelligenter Mann zu sein, der bedeutende Erfahrungen hat ; ich bedaure
daher, dass ich mit ihm nur durch Zeichen verkehren konnte.» Hieraus ist
ersichtUch, dass Ismailoff auf Unalaska überfuhr und dort das Haupt einer
Colonie wurde.
Die Behring-Insel liegt nach den neuesten Angaben, die Nordenskjöld
zusammenstellte, unter 54^ 40' und 55 ^ 25' nördl. Breite, und somit ist
Benyovszky's Bestimmung — 55° 15' — vollkommen richtig. Die östliche
Länge beträgt 166® 40' Gr.; Benyovszky schreibt nur: ihre geographische
LÄnge schätze ich auf S'' von Bolscha, — was mit jenen Daten gleichfalls fast
genau übereinstimmt. **
Wir finden jedoch in Benyovszky's Beschreibung einige auf die
Behring-Insel Bezug habende Daten, die einigen Verdacht erwecken können.
* Cook's ßäinmtliche Beißen und Entdeckungen um die Welt. Wien, Bauer
1803, Bd. UI., p. 411.
*'^' Nordenskiöld, 1. c.
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104 qbJlF MORITZ BENYOV8ZKT ALS GEOGRAPraSCHER FORSCHER.
Denselben zum Teile zu zerstreuen ist aber nicbt allzuscbwer. Benyovszky
schreibt in seinem Tagebuch^ dass er hier Holz habe schlagen lassen ; dem
gegenüber wissen wir, dass auf der Insel Bäume weder zu Zeiten
Stellers^ des ersten Beschreibers der Insel^ noch zu Nordenskjöld's Zeit
wuchsen. Kjellmann, Nordenskjöld's Begleiter^ schreibt von der Flora der
Insel: lÄn dem langsam ansteigenden Ufer sind zwei Zonen, eine äussere,
ohne jedwede Flora, und eine innere mit Heracleum sibiricum, Angelica
archangelica, Ammailenia peploides, Elymus mollis etc. genau zu unter-
scheiden.»* Es scheint, dass Benyovszky's Brennholz auch solchem Jung-
wald entstammte.
Benyovszky hebt von den Tieren nur die Seeotter hervor, denn er
bekam 150 Otterfelle von dem auf der Insel wohnenden Ochotin. Ein merk-
würdiges Tier der Insel war der Eisfuchs, der in unglaublichen Massen
auf der Insel lebte, von den Pelzjägern aber so sehr ausgerottet wurde, dass
Nordenskjöld kein Exemplar desselben finden konnte. Benyovszky erwähnt
den Eisfuchs nicht» was jedenfalls sonderbar ist, da er seit 1771 noch nicht
gänzlich ausgerottet sein konnte. Viel natürUcher ist, dass Benyovszky die
heute schon gänzlich ausgestorbene Steller'sche Seekuh, die von 1768 an
nur selten gefunden wurde, nicbt erwähnt, sowie es uns auch nicht wundem
darf, dass er der Seebären nicht Erwähnung thut, die ja doch nur Ende
Mai oder Anfangs Juni das Ufer aufsuchen, zu welcher Zeit Benyovszky die
Insel schon verlassen hatte. **
Ich wiD nur noch zwei Thatsachen von Benyovszkys Aufenthalt auf
der Behring-Insel erwähnen, und dies ist der Unterschied, welcher sich
zwischen Ochotins erstem Brief vom :24. Janar 1771 und der Bemerkung
Benyovszky *s in seinem Brief vom 20. Mai ergibt : tals ich den Brief genauer
untersuchte, fand ich, dass die Schrift noch ganz frisch gewesen.» Entweder
stammt daher der Brief nicht vom 24. Januar, oder ist Benyovszky's Bemer-
kung irrig ; welchen Zweck so Benyovszky, wie Ochotin mit der Fälschung
des Datums verfolgen wollte, ist uns unerfindlich.
Die Behring-Insel war zu Stellers Zeit von Menschen noch nicht
bewohnt ; auch Benyovszky fand auf derselben keine Bewohner, und obwohl
•wir nicht wissen, wann die Insel bevölkert wurde, so können wir doch auf
Grund von Benyovszky's Bemerkungen annehmen, dass dies nach 1771
geschah. Benyovszky hinterliess auf der Insel ein Gedenkkreuz und verliess
am 25. Mai 1771 die Insel, um dem Wunsche seiner Gefährten gemäss
Amerika aufzusuchen.
Benyovszky hatte schon während seiner Grefangenschaft in Kam-
tschatka Gelegenheit, die Schriften der Kanzlei zu studieren; unter diesen
* Ejellmann, Nordenskjöld, 1. c. IX. Bd. Beschreibung der Behring-Insel.
♦* S. Nordenskjöld über die Behring-Insel; op. cit., Bd. IL
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GRAF MORITZ BENY0V8ZKY ALS OEOORAPHIßCHER FORSCHER. 105
Schriften fanden sich zahlreiche Beisebenchte, die Benyovszky eingehend
studierte und excerpirte. In einem Capitel seines Werkes, das aus diesen
Berichten zusammengestellt ist, gibt er eine historische Skizze jener Beisen,
die östlich von Kamtschatka unternommen wurden. An die Schilderung
jener 17 Beisen können wir nur wenige Bemerkungen knüpfen; nur Einer
fehlte in der Beihe ihrer Unternehmer, Deschnew, der erste Erforscher der
Behring- Strasse, der die Strasse 1648 durchschifft und den Weg von
Nischni-Kolimsk nach Anadir zurückgelegt hatte. Da Deschnew's Beise-
ergebnisse zu jener Zeit noch sehr wenig bekannt waren, selbst Feter dem
Qrossen nicht, der ihn ausgesandt hatte, so ist es nicht zu verwundern, dass
auch Benyovszky nichts von ihm wusste ; hatte ja auch Behring selbst keine
Eenntniss davon, von dem wir übrigens auch nicht wissen, wie weit er auf
seiner ersten Beise vorgedrungen war. *
Die Erforschung dieser G^enden Sibiriens kam erst damals auf die
Tagesordnung, als das Innere desselben bereits genügend bekannt war. Die
in Benyovszky's Geschichte aufgezählten Beisenden lieferten zur Kenntniss
des Behring- Meeres, der Aleuten und des nordwestlichen Teiles Amerikas
reiches Material, und er selbst kannte die Gestalt tmd Grösse des Behring-
Meeres sehr gut, obwohl als erste verlässliche Quelle Cooks Beise betrachtet
wird, die sich über die Behring-Strasse hinaus erstreckte.
«Noch nach Gook's Beise waren Sachalin, Jeso, die Kurilen und deren
Meere zum grössten Teil unbekannt. La Perouse war der erste, der die Ufer-
linien dieser Inseln bestimmte, der Sachalin als Insel erkannte und die
Verbindung der Meere von Japan und Ochotzk durch die Enge von Sachalin
feststellte. Hiemit war der letzte, bis dahin noch unbekannte Teil der Küsten
Sibiriens festgestellt, und die späteren Forschungen mussten sich nur auf
die Fixirung der Details beschränken.»
So schreibt der grosse Geograph Beclus ** und wir müssen mit Be-
dauern bemerken, dass auch er, der so viele Beisende von kleinerer Bedeu-
tung kennt, Benyovszky's Verdienste nicht anerkennt. Ueberblicken wir in
Kürze die Geschichte der Entdeckung Sachalins und lesen wir Benyovszky's
Beschreibung der Insel, so müssen wir zu der Ueberzeugung gelangen, in wie
* Einen Teil dieser Beisen finden wir auf Reclus' Karte (Nouv. Geogr. Univ.
VI., t. V.) — Aeltere Quellen: 1. Müller's Sammlung Russischer Geschichte, Peters-
burg, 1732; auch französisch imter dem Titel: Voyages et D^couvertes fiutes par
les Busses & C. Amsterdam 1766. — ± Neue Nachrichten von den neuentdeck-
ten Inseln in der See zwischen Asia und Amerika von J. L. S. Schulze, Ham-
burg, 1776. — 3. William Ooxe's Account of the Russians Discoveries between Asia
and America. London, 1780. — 4. Pallas, Nachricht von den russischen Entde-
kungen in dem Meere zwischen Asia imd Amerika. Aus dem Russischen übersetzt
in 0. E. R Büsching's Magazin 16. B. 935—286.
** Nouyelle Geographie Universelle, Bd. VL, p. 582.
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106 GRAF MORITZ BBNYÖVSZKT ALS GEOGRAPHISCHER FORSCHER.
ungerechter Weise die Geographen des Auslandes Benyovszky's Verdienste
geschmälert haben.
Der Holländer Martin Gents de Vries war der erste, der 1643 im
Geduld-Hafen der Insel vor Anker ging, das Festland aber für die Insel
Jeso hielt. Auch auf Cooks im Jahre 1784 in London erschienener Karte
findet sich nur eine kleine Insel an der Mündung des Amur. Somit consta-
tirte er 1787 — nach Reclus — sechzehn Jahre nach Benyovszky's Reise
die gegenwärtige Gestalt und Grösse der Insel ; doch auch später war man
noch der Meinung, die Insel hänge mit dem Gontinent zusammen. 1797
bereiste Broughton das westliche, 1805 Krusenstem das nördliche
Ufer, doch ohne diese Meinung zu ändern, sowie sich denn auch diese
Ansicht bis in die Mitte unseres Jahrhunderts aufrecht erhalten hat, obwohl
einige Jahre nach Krusensterns Beise der japanische Gelehrte Mamia Rinso
von der Tataren-Bucht zwischen der Insel und dem Festand zur Amurmün-
dung gesegelt war. Die gelehrte Welt nahm erst nach Nevelskoi's 1849 — 52
ausgeführten genauen Aufnahmen Kenntniss davon, dass Sachalin eine Insel
sei, die durch die Mamio Binso genannte Strasse vom Festlande getrennt ist ;
die Strasse selbst friert im Winter zu, so dass man von der Insel mittelst
Schlitten ins Mandschu-Beich gelangen kann.
Aus alldem ist ersichtlich, dass die Geographen von Anbeginn an
zwei Fragen nicht zu beantworten vermochten : ob Sachalin eine Insel sei,
und wenn ja, von welcher Grösse sie sei? Benyovszky, dessen Werk 1790
erschien, war der erste, der auf Grund des in der Kanzlei zu Kamtschatka
gesammelten Materials genau und positiv behauptete (32. Cap. der engli-
schen Ausgabe), dass Sachalin keine Halbinsel, sondern eine Insel ist, und
er bestimmte deren Grösse viel genauer als alle anderen späteren Beschreiber
der Insel bis 1840 d. h. bis Nevelskoi, dem man dies als ein Verdienst
anrechnet. In Benyovszky's Beschreibung der Insel Sachalin findet sich nur
eine Angabe, die von denen der übrigen Forscher abweicht ; Benyovszky
schreibt nämlich, die Insel habe gute Buchten. Dem gegenüber schreibt
lieclus: «Die 2000 Km. lange Küste Sachalins weist keinen einzigen Hafen
auf, in dem Schiffe gefahrlos ankern könnten.» Beclus' Behauptung ist
jedenfalls richtig, wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass Benyovszky
seine Daten nicht aus Autopsie schöpfte, und dass sich Heclus' Behauptung
nicht auf jene kleinen Segelboote bezieht, mit denen die Bussen die Insel
zuerst aufsuchten.
Benyovszky's Reise auf dem Behring- Meere haben bisher nur sehr
Wenige eingehender verfolgt, die meisten begnügten sich mit jenen kurzen
Bemerkungen, die der englische Herausgeber Nicholson im Vorworte
gemacht und in denen er drei Punkte der Reisen Benyovszky's erwähnt: er
ging von der Behring-Insel aus, berührte die Glerke-Inseln und verliess bei
der Insel Unemak das Behring-Meer, um in den Stillen Ocean zu segeln.
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GRAF MORITZ BBNY0V8ZKY ALS aEOGRAPHlSCHER FORSCHER. 107
Diese kurze Skizze entspricht wohl der Wahrheit^ genügt jedoch nichts um
die Authenticität der Angaben des abenteuerlichen Grafen zu bestätigen.
Es ist gewiss keine leichte Sache^ Benyovszky's lieiseroute von Tag zu
Tag zu verfolgen, da aber Benyovszky während seiner Gefangenschaft sich
viele Kenntnisse erwarb^ ist dies auf Grund seines Tagebuches nicht unmög-
lich. Während seiner Irrfahrt auf dem Behring- Meer erwähnt er wohl selten
die Bichttmg seiner Fahrt und die zurückgelegten Distanzen, doch macht
er einige Bemerkungen, auf deren Grund die Eichtung seiner Fahrt den
Umständen angemessen mit ziemlicher Genauigkeit bestimmt werden kann.
Am 28. Mai 1771 erblickte Benyovszky ein Kap, das er - obwohl es
mit den Angaben der Karte nicht übereinstimmte — für das Gap Apaka-
zana hielt, und dessen Lage er astronomisch 59^ nördl. Breite und
13^ 20' östlicher Länge von Bolscha bestimmte. Dies ist der erste Fixpunkt
seiner Fahrt. Benyovszky's Breitenbestimmungen sind annähernd genau,
seine Fehler machen selten einen Grad aus ; weniger genau sind die Längen-
bestimmungen, doch betragen die Abweichungen — wie schon Nicholson
bemerkt hat — ziemlich constant 5^ und finden ihre Ursache in der
östlichen Declination der Magnetnadel. Unter dem 60^ nördlicher Breite
weist das asiatische Festland kein bedeutenderes Gap auf, einen Grad
gegen Norden ist das Pakatschinskoi Gap, eben so weit gegen Süden
das Gap Oljutorskij; nachdem aber letzteres nur 14^, das erste hin-
gegen 18® von Bolscha entfernt ist, was mit Benyovszky's (von Nicholson corri-
girten) Angaben übereinstimmt, so können wir das Gap Apakazana mit dem
Gap Fakatschin umsomehr für identisch halten, als auch der Name hiefür
spricht, und die Fahrt bis hieher ebenso lange dauerte, als von hier zum
Gap Lopatka, der Südspitze Kamtschatkas, was der geographischen Lage
vollkommen entspricht. *
Der nächste Punkt, dessen Lage wir ziemlich genau bestimmen
können, wurde von Benyovszky am 4. Juni erreicht. Es ist eine Insel, deren
Bewohner, die Benyovszky auf zwei Booten aufsuchten, den Tschuktschen
ähnlich sind, jedoch von Benyovszky nicht so genannt werden. Die zwei
Inwohner verstanden das Korjakische des gräflichen Steuermannes, waren
jedoch auch keine Korjaken. Von ihnen erfuhr Benyovszky, dass die Insel
nur 14 Meilen von Tschukotzkoinsk entfernt sei, welche Daten auf die Insel
Glerke oder St. Lorenz hinweisen. Die Lage der Insel bestimmte Benyovszky
astronomisch für 65° 30' nördl. Breite und 25° 30' östl. Länge von Bolscha;
nach unseren jetzigen Karten liegt sie unter 63° 30' nördl. Breite und 170°
östl. Länge, was 34° von Bolscha entspricht.
Die St Lorenz-Insel wurde von Behring 1741 entdeckt; später, 1791,
* Whymper, Alaska, Beisen und Erlebnisse un hohen Norden. Braunschweig
S. die Karte.
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108 GRAF MORITZ BENYOVSZKY ALS GBOGRAPHIßCHER FORSCHER.
landete auch Billing auf der Insel, fand dort Spuren von Menschen, konnte
jedoch keine Eingeborenen zu Gesicht bekommen. Nach Nordenskjöld war
der erste europäische Besucher der Insel, der mit den Eingeborenen ver-
kehrte, Otto Eotzebue, im Jahre 1816.* Nordenskjöld, der Benyovszky nicht
zu kennen scheint, muss hier berichtigt werden, denn es war entschieden
Benyovszky, der mit den Eingebornen zuerst verkehrte und über sie genaue
Angaben lieferte.
Viel schwieriger ist es, Benyovszky's Beise vom Gap Apakazana bis
zur Insel Si Lorenz festzustellen ; er erreichte die Insel am 5. Juni, seine
Fahrt dauerte daher eine volle Woche, da aber die Entfernung in gerader
Linie bequem in 3 — i Tagen hätte zurückgelegt werden können, so ist es
evident, dass das Schiff genötbigt war, grosse Umwege zu machen, oder dass
es durch die Eisverhältnisse im Vordringen gehindert worden war. Das Schiff
musste der Eisverhältnisse w^en sehr viel leiden, und dies mochte die Be-
mannung bewogen haben, auf die nördliche Durchfahrt zwischen Asien und
Amerika zu verzichten und Amerika, das heisst dem ersten civilisirten
Lande, zuzusteuern.
Vom Gap Apakazana verfolgte das Schiff eine Zeit lang die Küste,
änderte aber auf Wunsch der Mannschaft die Bichtung und wendete sich
gegen Westen ; noch am 30. Mai sah Benyovszky die Küsten Kamtschatkas,
doch schon am 31. verschwanden dieselben und er entfernte sich in öst-
licher Bichtung segelnd vom Gontinent. Wir kennen die Tiefenverhältnisse
des Behring- Meeres und können daher constatiren, dass Benyovszky sich
den mittleren, tieferen Teilen des Meerbeckens zuwendete, denn nur dort
konnte er jene bedeutenden Tiefen (68 Faden) beobachten, deren er Erwäh-
nung thut. Das Behring-Meer ist im Allgemeinen nicht tief; die Uferbil-
dung und die Tiefe des Meeres geben uns Beweise an die Hand, die dafür
sprechen, dass Asien und Amerika in dieser Breite einst in Verbindung
waren; auch die Tschuktschen wissen, wie Nordenskjöld, Whymper und
EUiot angeben, dass die zwei Erdtheile unter den Wellen des Meeres zusam-
menhängen, ja sie behaupten sogar, eine Landenge habe dieselben einst
verbunden und dieselbe sei — wie sie Neumann erzählten — nur infolge
eines heftigen Kampfes zwischen einem Helden und dnem Eisbären in die
Tiefe versunken. Die bedeutendste Tiefe in der Behring-Slarasse beträgt
58 M. ; die mittlere Tiefe erreicht jedoch weder an der asiatischen, noch an
der amerikanischen Küste 40 M. und der eigentliche Ocean mit seinen
Wirbeln, Strömungen und berghohen Wellen reicht gegen Norden nicht
über die Aleuten hinaus, an deren Felsklippen die Wut des Meeres bricht.**
Audi ein anderer Umstand spricht dafür, dass Benyovszky sich dem
* IJordenßkjöld, 1. c, IL Bd.
** Elliot: Alasca, an arotic province.
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ÖRAP MORITZ BENT0V8ZKY ALS OBOaRAPHIBCHER FOBSOHBB. ^09
Gentrum des Bebring-Meeres sngewendet habe ; er scbreibt, dass nacbdem
sich das Scbi£f yom Ufer entfernt hatte, das Eis ihm keinerlei Hindemisse
mehr in den Weg gelegt habe ; er schrieb das der Luftströmmig zu, doch
wissen wir, dass die Bichtung der Eisberge nicht von den Winden, sondern
von den Meeresströmungen bestimmt wird. Die Küsten Asiens werden von
einem kalten Meeresstrom bespült, der die durch die Behring-Strasse
hindurchgedrungenen Eisberge gegen Süden führt ; über den verhältniss-
massig schmalen Streifen dieser Strömung hinaus erwärmt sich das Wasser
des Behring- Meeres unter Einäu»9 der heissen Strömungen und ist daher
zumeist eislos; wenn daher Benyovszky am 1. Juni keinem Eise begegnete,
so ist dies ein Beweis dafür, dass er sich ausserhalb des Bereiches der
üferströmiuig befand.*
An diesem Tage erblickte er im NO. ein Gap, im SO. eine Insel ; es
unterliegt keinem Zweifel, dass dies nicht Uferinseln waren, sondern Inseln
des Behring-Meeres. Das Gap kann wohl nichts anders gewesen sein, als
die südlichste Spitze der Insel St. Lorenz. Die Insel im SO. musste eine
Insel der Mathew-Gruppe gewesen sein; Benyovszky's Freunde von der
Si Lorenz-Insel behaupteten von dieser Ghruppe, dass dieselbe aus 4 Inseln
gebildet werde, deren südlichste die grösste sei. Diese Beschreibung kann
nur auf zwei Inselgruppen des Behring- Meeres bezogen werden, entspricht
aber keiner ganz: in der Mathew-Gruppe sind nur drei Inseln, doch ist die
südliche die grösste; die Prybilow-Ghruppe hingegen besteht aus vier Inseln,
unter diesen ist aber die nördlichste die grösste. Benyovszky konnte nicht
nach den Prybilow-Inseln gelangt sein, denn der grosse Umweg gegen Süden
hätte mehr Zeit erfordert, auch wären die Windrichtungen dieser Fahrt nicht
günstig gewesen ; wir müssen daher annehmen, er habe nach NO. fahrend
die Mathew-Gruppe gesehen, und sei bezüglich der Zahl der Inseln von den
Tschuktschen ungenau unterrichtet worden.**
Nachdem Benyovszky zwischen den Mathew- und St Lorenz-Inseln
durchgefahren, entdeckte er im Osten ein Gap, das — wie er später von den
Bewohnern der Insel St. Lorenz erfuhr — die äusserste Spitze des grossen
Alaksina-Beiches bildete; seiner Angabe nach zieht sich vor dem Gap ein
Bifif hin, über dem das Eis ungeheuer fluthet. Dies Gap kann nach Nicholson
nur Point Shallow Water sein, das heute Gap Bomanzow genannt wird.
Von hier erreichte Benyovszky's Schiff die Insel St. Lorenz, den nörd-
lichsten Punkt seiner Beise. Von hier schiffte er durch das Behring-Meer
in NS-Bichtung bis zur Kette der Aleuten; das Meer war eisfrei, eine Zeit
lang verfolgte das Schiff die Küsten Amerikas, wendete sich aber später
nach Süden.
* Andree, AÜas.
** EUiot, op. oit
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11^^ GRAF MORITZ BE^OVSZKT ALS OBOORAPHISCHER FOftSCflB».
Bevor wir auf die Aleuten übergehen, müftsen wir noch einige Bemer-
kungen über jene Teile der Memoiren machen, die sich nach der bis-
herigen Meinung auf die Behring-Strasse beziehen. Benyovszky bestimmte
die kürzeste Überfuhr zwischen Alaska und den Aleuten vom Behring-Meer
in den StiUen Ocean; und indem er hierüber de dto 9. Juni schreibt,^ bringt
er seine Entdeckung mit der Behring-Strasse auf eine Art in Verbindung,
die die durch die falschen Aufnahmen der russischen Karte verursachte
Verwirrung leicht erkennen lässt. Es lässt sich nicht leugnen, dass Benyov-
szky*s Aeusserungen sich auch auf die Behring-Strasse beziehen, obwohl er
sich hierüber nirgends präcis ausspricht; doch lässt sich durchaus nicht
behaupten, Benyovszky habe die Strasse durchsegelt, wie es einzelne
deutsche Herausgeber, z. B. Ebeling gewaltsam thun, um die Verlässlichkeit
der Angaben zu erschüttern.
Die Küstenlinie Nord- Amerikas, die Benyovszky's Schiff befuhr und
an die sich die Kette der Aleuten anschliesst, gehört zu Alaska, dem nord-
westlichsten Teil Amerikas, jener grossen Halbinsel, deren politische Grenze
genau mit dem 14f.^ ö. L. zusammenfällt. Das Land Alaska teilt sich in
drei Bezirke,^ deren jeder in klimatischer, floristischer und physischer
Beziehung gänzlich verschieden ist. Der nördlichste führt nach dem Haupt-
flusse den Namen Jukon-District; seinen westlichen Ufern entlang segelte
Benyovszky. Den zweiten District, den Sitka-District, der den SO. Alaskas
bildet, berührte Benyovszky bei der Insel Kadiak. Den dritten Bezirk bilden
die Aleuten mit der südwestlichen Halbinsel Alaska*s; Benyovszky hat
diesen Bezirk nicht nur in vielen Teilen bereist, sondern auch in einem
separaten Kapitel eingehend geschildert.^
Eine kurze Bemerkung Benyovszky's, das Schiflf sei an den Ufern
Jukons von Treibholz umgeben gewesen, erweckt unser Interesse. So son-
derbar diese Bemerkung für diesen öden und pflanzenlosen Teil der Polar-
gegend klingt, ist sie doch nicht unerklärlich. Fast alle Teile des Jukon-
Districts sind mit Holz reich gesegnet; auch die Küsten des Eismeeres
erhalten von den Flüssen angeschwemmtes Holz in grosser Menge, es kann
daher ein Schiflf ohne Schwierigkeit auf Treibholz stossen.
Im Kapitel über die Aleuten beschreibt Benyovszky zwölf Inseln, die
ich hier nur in Kürze anführe :
N. B. .Länge v. BolichH
1. Insel Baru 59° 23°13'
2. • Ala-GiffcBcha 58° 25°33'
3. • Kadik 54°30' 33°16'
4. Fucbsen-Insel 53°45' 31°28'
* Memoü'en, Bd. L, p. 281.
' A. Molitor: Alaska, Földr. Közlem^nyek, Budapest 1881, p. 345,
* Cap. XXXIV. des Bd. I. der englischen Ausgabe.
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GRAF MORITZ BENY0V8ZKY ALS GEOGRAPHISCHER FORSCHER. Hl
N. B.
Länge ▼. Bolacha.
5.
Insel Amsnd
53°
29°14'
6.
» ürumißir
52*>35'
28°15'
7.
3 Bieber-Insel
58«
26^55'
8.
Euh-Insel
61°35'
24°45'
9.
Behring-Insel
55°45'
8^30'
10.
Kupfer-Insel
54°45'
9^50
11.
Insel Kusma
48^46'
23°
12.
Perlen-Insel
47^32'
24°18'
Obwohl BenyoYSzky diese Inseln als zu den Alenten gehörig beschreibt
and auch ihre Lage genau zu bestimmen bestrebt ist, wozu er ausser seinen
Erfahrungen auch das Material des Archives von Kamtschatka verwendet,
so können wir doch die angeführten Inseln — ein-zwei ausgenommen —
auf den gegenwärtigen Karten nicht ausfindig machen. Die erste und Haupt-
ursache dieses Umstandes bildet die Ungenauigkeit seiner astronomischen
Aufnahmen, deren Fehler umso grösser wird, je mehr er sich gegen 0. wendet.
Nach BenyovBzky's Angabe liegt die Behring-Insel unter 54*^45' n. Er. und
8^ 30' ö. L. von Bolscha, die Kadik-Insel unter 54^30' n. Br. und 33^18' ö. L.
von Bolscha. Die Längenbestimmung der Behring-Insel ist ziemlich genau.
Die Kadiak-Insel ist zweifelsohne mit der Insel Kadjak oder Kadik identisch.
Jene ist die westlichste, diese die östlichste Aleuten-Insel, nach Benyovszky
ist der Längenunterschied zwischen diesen beiden Inseln 20^46', wogegen
er thatsächlich das Doppelte, nämlich 42^ beträgt.
Auch in den Breitenangaben finden wir ähnliche Abweichungen.
Die südUchste (Perlen) -Insel verlegt Benyovszky unter 47^32' n. Br., die
nördlichste, auf der noch Menschen leben (Baru), auf 59° n. Br., der
Unterschied würde also 11 ^/a° betragen; thatsächlich existirt aber zwischen
dem 40 und 51° n. Br. unter der geogr. Länge der Aleuten keinerlei Insel,
sowie auch zwischen dem 58 und 60° nicht, infolge dessen sich die Distanz
von llVa° auf höchstens 7° reducirt, der Irrtum daher 4° beträgt.
Aus den früheren Ausführungen ersahen wir, wie schön Benyovszky's
Erfahrungen mit unseren gegenwärtigen Kenntnissen übereinstimmen, und
wie weit sich auf Grund seiner Angaben die Boute seiner Fahrt bestimmen
lässt ; es muss uns daher die fehlerhafte Beschreibung der Aleuten über-
raschen und wir müssen unwillkürlich die Frage stellen, worin wir den
Grund dieser Thatsache zu suchen haben? Wir finden den Grund in
Benyovszky's Bescheidenheit. Er hatte die Daten über die AJeuten zu-
sammengestellt, noch ehe er sie besucht hatte. Nachdem er sie nun besucht
hatte, meinte er keine Ursache zu haben, an den Daten der Kanzlei in
Kamtschatka zu zweifeln, er nahm daher die alten Bestimmungen als
richtig an und war mehr darauf bedacht, in der Beschreibung der Inseln
Neues zu bieten. Was er aus eigener Erfahrung über die Aleuten mitteilt,
ist daher zur Festsetzung seiner Beise von viel grösserem Gewicht.
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Hd ORAF MORITZ BENY0V8ZKT ALS OBOGRÄPHISOHBR FOBSOHfift.
Uns damit zu beschäftigen, die Lage der von Benyovszky beschrie-
benen zwölf Inseln auf unseren Karten festzusetzen, wäre vergebliche
Arbeit: wir würden über die Behring-, Kupfer- und Kadiak-Insel kaum
hinausgelangen; es lässt sich auch annäherungsweise nicht bestimmen,
welches Gap an der Westküste Alaskas das Gap Baru sein soll ; die Ala-
und Otter- Insel dürften — ihrer Entfernung nach — den Prybilow-Inseln
entsprechen, einer nördlichen Gruppe der Aleuten ; die Amsud-Insel dürfte
ihrem Namen nach mit Amsitka identisch sein ; die Fuchsen-Insel ist eine
der heutigen Fuchsen-Inseln ; in die Bestimmung der Kuzma und Perlen-
Inseln wollen wir uns gar nicht einlassen ; endlich dürfte Urumsir und die
Kuh-Insel zwischen Amsud- und der Kupfer-Insel zu suchen sein.
Hingegen können wir mit voller Genauigkeit die Insel festsetzen, an
der Benyovszky zuerst landete. Benyovszky nennt ihren Namen nicht, er-
zählt jedoch., dass seine Leute einen Ausflug ins Innere der Insel unter-
nahmen, wo sie 4 Meilen entfernt ein Dorf mit 14 Häusern vorfanden ; die
Insel musste daher entschieden einen grösseren Durchmesser als 4 Meilen
haben. Kutznezow, der an der Spitze der Excursionisten stand, erzählt,
dass die Bewohner bei ihrem AnbUcke davon liefen, eine alte Frau jedoch
mit einigen Kindern dort blieb, dass ihre Gesichtsfarbe sehr dunkel war, die
Stirn mit verschiedenen Figuren geschmückt, die Ohrlappen durchbohrt
waren. Sie sprach weder korjakisch, noch tsohuktschisch ; in ihrer Hütte
fand man Pfeile, Speere und Kleider aus Vogelfedern. All dies spricht dafür,
dass es sich hier um Indianer handelte. Nehmen wir noch dazu in Betracht,
dass Benyovszky von einem Ganal zwischen einer Insel und dem amerika-
nischen Festlande spricht, so können wir behaupten, dass Benyovszky am
7. Juni auf der Insel Unimak, dem ersten Gliede der Aleutischen Inselkette
gelandet hatte.
Es existieren nur wenige photographische Aufnahmen von dieser
Gegend, noch weniger von den Aleuten ; Gegenden, die durch mehrere Pho*
tographen aufgenommen wurden, existieren fast gar nicht ; in letzterem Falle
stimmten die Aufnahmen selten überein, da dieselben zumeist von verschie-
denen Standpunkten herrühren. Zwischen der Insel Unimak und Alaska
führt ein schmaler, jedoch tiefer Kanal, der den Namen des berühmten ßei-
senden Krenitzin führt. Dieser Kanal ist für die Schiflffahrt insoweit von
Bedeutung, als durch denselben der kürzeste Weg von den westlichen Häfen
Amerikas in die Behring-See führt. Von bedeutend grosserem Interesse ist
diese Gegend für den Maler; auf der Insel Unimark erhebt sich der 8935'
hohe Sisaldin, dessen kahle Spitze, von einer zweiten flankirt, schon von
bedeutender Entfernung sichtbar ist. Als Benyovszky am 9. Juni 1779 den
Unimak-Kanal {».ssirte, erregte dieser Berg so sehr sein Interesse, dass er
ihn nicht nur beschrieb, sondern auch abzeichnete. Die Beschreibung ist
nur kurz, jedoch sehr charakteristisch; «um 10 Uhr erblickten wir ein
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GRAF MORITZ BENY0V8ZKY ALS GBOGRAPHISOHSB FOR80HEB. H^
zweites Kap, dessen Endpunkt dnrch einen znckerhntfönnigen Berg kennt-
lich ist.» Etwa 100 Jahre später zeichnete auch EUiot den Kanal, obwohl
von grösserer Entfernung, jedoch von derselben Richtung, und beide Abbil-
dungen stimmen so sehr überein, dass kein Zweifel bezüglich der Identität
des auf denselben dargestellten Berges sein kann ; es ist daher constatirt,
dass Benyovszky durch die Unimak-Strasse den stillen Ocean erreicht habe ;
Photographie und Zeichnung haben hier ein interessantes geographisches
Problem zur endgiltigen Lösung gebracht*
Am 10. Juni verliess Benyovszky den Unimak-Eanal und damit das
Behring-Meer. Hier ändert sich das Bild der Gegend vollständig; das Schiflf
schwebt auf dem stillen Ocean, und dieser ist nicht so rauh : «wir hatten einen
sehr angenehmen Tag — schreibt er in seinen Memoiren — den ersten
guten Tag, seit wir ; Kamtschatka verUessen.» Das Eis hinderte das Schiff
nicht mehr; die Tiefe des Meeres schwankt zwischen 45 und 76 Faden, was
unseren gegenwärtigen Kenntnissen vollkommen entspricht; die Omis wird
reicher, das Klima milder; Benyovszky wird einiger Inseln gewahr und
landet endlich nach einer gefahrvollen Fahrt von einer Woche am 19. Juni
auf Kadik. Noch eine Woche treibt er sich auf den Aleuten herum, beschreibt
die Insel ürumisir — die wir nicht auffinden können — sehr interessant,
berährt nach Westen fahrend noch einige Inseln und verlässt endlich die
Aleuten. Nach einer achttägigen Fahrt landet er auf einer Insel, auf welcher
Kusnetzow «den Chinesen ähnliche» Bewohner trifft, die ihm einen Sonnen-
schirm und eine Pfeife schickten. Der Schirm war aus mit Oel gebeiztem
Papier gemacht und mit chinesischen und japanischen Figuren geschmückt.
Die Pfeife war aus irgend einem weissen Metall angefertigt, der Tabaksack
aus gesticktem Atlas. Benyovszky entnahm aus Kusnetzow's Beschreibung,
dass er sich auf den Kurilen befand ; nach einer Irrfahrt von zwei Mopaten
hatte er sie erreicht und hier traf er zuerst die Produkte der japanischen In-
dustrie und Kunst.
Benyovszky beschreibt die Kurilen in einem separaten Kapitel, als
dessen Quellen er Spanberg, Walton, Irtisen, Smitevskoi, Sind und Zomi
nennt ; er setzt die Zahl der Inseln auf 28 und nennt 22 mit Namen, gibt
ihre astronomische Lage an und bietet eine kurze, jedoch charakteristische
Beschreibung derselben. Wir können mit Befriedigung constatiren, dass
Benyovszky zu seiner Zeit der gründlichste Kenner der Kurilen war, und
wenn wir auch einen Teil der Namen heute nicht finden, können wir doch
die GUeder der Kette mit ziemlicher Genauigkeit zusammenstellen.
Die durch die Kurilen gebildete, zum Teile submarine Bergkette hat
sich in einer Ausdehnung von 650 Km. mit bewunderungswürdig regel-
mässiger Structur ausgebildet. Sie wird vom südlichsten Teil Kamtsohatkals,
* Elliot, op. cit. ♦
üngmxiiche Berae, XI. 1891. IL Heft g
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114- GRAF M0RIT2 BENYOVSZKY ALS GEOGRAPHISCHER FORSCHER.
von Lopatka oder Omoplate nur durch einen 13 Km. breiten und 18 M.
tiefen Kanal getrennt, dort beginnen die «Tausend Inseln,» — wie die
Japaner die Kurilen mit dem Wort Kissima nennen — mit der vulkanischen
Masse des Sumku (bei Benyovszky Sumassu), der gen Westen auf die Insel
Araido (Benyovszky's Alayd) blickt, während sich im Süden die bergige Insel
Paramuschir (bei Benyovszky Poromusur) an ihn knüpft und Kamtschatka
eigentlich mit dieser Insel endet ; der Kanal ist nämlich sehr seicht, während
im S. von Paramuschir der stille Ocean und das Ochotzkische Meer durch
einen ziemlich breiten Kanal mit einander communicieren, und die sich an
einander schliessenden Inseln, Onnekotan, Haramukotan, Siaskotan, Matua-
Bakna, Simussir etc. nur die über das Meer herausragenden Spitzen der
submarinen Bergkette sind. Da die Kurilen bisher nur teilweise, u. z. in
Bezug auf SchifiFfahrt und Fischerei untersucht wurden, bilden sie heute
einen noch viel weniger bekannten Complex als die Aleuten. Wir wissen,
dass die Vulkane Kamtschatkas mit den feuerspeienden Kegeln Jeso's durch
die Vulkane der Kurilen verbunden sind, aber gänzlich unbekannt ist uns
auch heute die Zahl der thätigen Vulkane, ja wir kennen sogar die Namen
der Inseln nicht ; die Benennungen sind nicht einheitlich und manche Insel
kommt auf den Karten unter verschiedener Benennung vor. Nach Milne
sind auf den Kurilen 52 Vulkane; nach der Zusammenstellung Alexis
Perrey's waren seit der Entdeckung der Inseln wenigstens 13 in Thätigkeit.*
Am 16. Juli erreichte Benyovszky's Schiff eine Insel, auf der er fast
eine Woche verweilte. Am nördlichen Teil der Insel fand Benyovszky einen
sehr günstigen Hafen, in den sich ein Bach ergoss, der die dürstende Mann-
schaft mit vorzügUchem Wasser versah ; auf der Insel fand Benyovszky viel
Schweine und Ziegen, sowie prächtige Obstgattungen, die er aber nur in
gekochtem Zustande zu geniessen vermochte. Er nannte die Insel — nach
dem guten Trinkwasser — Wasser-Insel, ein Name, der sich in der Geo-
graphie nicht erhalten hat. Benyovszky erwähnt von den Obstgattungen
Aepfel, Kokusnüsse, Ananas, Marillen u. A. Er fand femer Markasit und
Zinnober und seine Leute hofften reiche Goldminen und Diamanten zu
finden. Dies bot die Veranlassung zu einem Aufstande, an dessen Spitze der
unzufriedene Stefanow stand, und Benyovszky konnte sich der Folgen des
Aufstandes nur so erwehren, dass er versprach, von Japan Weiber zu holen
und dann auf die reiche Insel zurückzukehren.
Benyovszky zählt die Wasser-Insel nicht unter die Kurilen, sondern
verlegt sie unter 32° nördl. Breite und 355*^ 8' Länge von Bolscha. Hier
suchen wir vergebens nach einer Insel, und wir dürfen die Ortsbestimmung
nicht für richtig halten. Wenn wir aber in Betracht ziehen, dass Benyovszky
früher auf einer Insel landete, wo er schon japanischen Einfluss fand, femer
* Bein J. J.» Japan. Leipzig, 1881, I. Bd.
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GRAF MORITZ BENYOVSZKY ALB GEOGRAPHISCHER FORSCHER. U«^
dass er zur Jeso-Gruppe nur grosse Inseln rechnet, unter dieselben aber die
Wasser- Insel nicht zählt, endlich dass er nach Süden reiste und die Ostufer
Japans befuhr, so glauben wir nicht zu irren, wenn wir unter der Wasser-
Insel eine südliche Kurilen-Insel etwa unter 42® 47' nördl. Breite ver-
muten.
Am 21. Juli verliess Benyovszky die Wasser- Insel und erreichte nach
einer Irrfahrt von acht Tagen Japan, wo er im Hafen von Usilpaskar lan-
dete. Aus unseren Karten lässt sich die Lage dieses Hafens nicht bestimmen,
wir glauben jedoch nicht zu irren, wenn wir ihn auf die nördliche Hälfte
des Ostufers der grössten japanischen Insel verlegen. In dieser Woche war
also Benyovszky den Ufern Jesos entlang gesegelt, die er in einem beson-
deren Capitel auch beschreibt, obwohl er nicht erwähnt, sie gesehen zu
haben.
Die grösste Wichtigkeit Jesos bilden das aussterbende Volk der Aino,
auf das wir die Aufmerksamkeit aus dem Grunde lenken wollen, weil
Benyovszky dasselbe wenigstens aus Beschreibungen (Manuscripten, nicht
Büchern) gekannt hat. Er erwähnte schon bei Beschreibung der 20-ten Ku-
rilen-Insel Marikan : «Sie wird von bärtigen Kurilen bewohnt, die die Russen
Mahuati nennen.» Das Epitheton «bärtig» ist so charakteristisch, dass es
sich nur auf die Aino beziehen kann.
Schon die ältesten japanischen Bücher und UeberUeferungen erwähnen
unter den Namen Jebisch, Jebbsis, Jemissi, Mosin oder Maojin eines uralten
wilden Volkes^ der «östUchen Barbaren», deren Name «langhaarige Men-
schen» bedeutet; dies Volk bewohnte den nördlichen Teil der grossen Insel
und bildete die Ahnen der Aino. Im Namen Maojin erkennen wir Benyov-
ßzky's Mahutin. Obwohl kein directer Beweis für die Verwandtschaft der Japa-
nesen mit dem wilden Barbarenvolk spricht, müssen wir, wenn zwischen
beiden Völkern Verwandtschaft existirt, dieselbe auf die seit Jahrhunderten
vorhandene Kreuzung zurückführen. Wenn heute im Norden der grossen
Insel keine Aino wohnen, dürfen wir nicht glauben, es wären alle durch
die erobernden Japaner des XV. Jahrhunderts vernichtet worden, denn
unter dem Namen Adsma Jebisch haben sie sich mit den civilisirten Völkern
des Nordens vermischt, und wir erkennen noch heute die äusseren Zeichen
dieser Verwandtschaft, sowie wir dort die SteinwafFen der Aino in grosser
Menge vorfinden. Im nördlichen Teil Hondo's haben namentUch die Frauen,
die Erhalter der Rassensymptome, viel vom Typus der Aino bewahrt. Auch
die japanischen Bewohner der Insel Ogasima, die von den Bewegungen der
Givilisation fast ganz abgeschnitten sind, ähneln den Nachkommen der
Kurilen in grossem Maasse ; ja auch in den Bewohnern der Ebenen Jeddos
circulirt Aino-Blut. Heute leben die Aino fast ungemischt auf Jeso, den Süd-
Kurilen und der Insel Sachalin; die Volkszählung von 1873 ergab auf Jeso
12,281 Seelen^ und so dürfte die Totalsumme der ganzen Basse nicht über
8*
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116 GRAF MORITZ BBNYOVSZKT ALS ÖEOGRAPHISOHBR P0R8CHBXR.
20>000 betragen. In früheren Zeiten nannte man sie allgemein «haarige
Kurilen», nach den Inseln die sie bewohnten; so nannten sie Sibold Em-
senstem, Golownin und Benyovszky, die ersten, die jene Gegenden
erforschten.^
Mit der Ankunft Benyovszky's auf Japan wird die Analyse seiner Reise
bedeutend leichter; ausser einigen Namen, die zu einer Gontroverse Veran-
lassung gaben, hat er von dort nichts Neues mitgebracht. Am 3. August
verUess er den Hafen Usilpatkar und segelte an den üfem Japans gen Süden;
er entfernte sich nicht weit vom Ufer, denn die Tiefe des Meeres überschritt
nirgends 20 Faden, während einige Tagereisen gegen Osten der stille Ocean
schon eine ungeheure Tiefe erreicht. Am 5. August erklärt Benyovszky
bereits bestimmt, dass er sich westUch vom Königreich Idso befinde ; das
dem Stillen Ocean zugewendete Ufer der Insel Hondo besteht nämlich aus
zwei Abschnitten, deren einer von N. nach S., der andere nach SW. streicht;
am Knie, welcher das Ufer hier bildet, liegt das Königreich Isodo (heute
Jesso), und wenn sich Benyovszky im Westen desselben befand, musste er
das Knie bereits überschritten haben. Dem entspricht auch, dass Benyovszky
am 5. August in Misaki landete, das am westlichen Ufer der den Hafen von
Tokio abschliessenden Halbinsel lag ; von hier sandte er einen Brief an den
in Nangasaki lebenden Vorsteher der holländischen Faktorei.^
Am 11. August erreichte Benyovszky den Hafen Tosa auf der Insel
Xicoco. Die Insel führt noch heute den Namen Schikoku und die grosse Bucht
sowie der Bezirk am Südufer Toshin-nada. Die Hauptstadt der Insel heisst
jedoch nicht Tosa, sondern Kotschi ; Benyovszky erwähnt nur den Hafen,
die Stadt nicht. ^
Von Tosa ausgehend, umschiffte Benyovszky am 12. August das «Kap,»
das kein anderes sein kann, als die Südspitze der Insel Schikoku, IsasakL
Von hier erreichte er Tags darauf Takasima, dessen Name vielerlei Ausdeu-
tungen erlaubt. Wo lag Takasima? Diese Frage zu beantworten ist schwie-
riger als die Lösung jeder anderen. Benyovszky erwähnt ausser Takasima
noch zwei Namen, die Insel Ximo und Nangasaki; beide sind separate Inseln.
Die Lage Takasimas lässt sich folgendermassen bestimmen : Tosa liegt nach
Benyovszky 32^ 15' Breite und 350'' 16' Länge, Takasima unter 30'' 0' Breite
und 328 '^ 0' Länge. Wir müssten zuerst constatieren, dass sich in die Grad-
angabe Tosa's ein Druckfehler eingeschlichen hat; es liegt nicht unter 350 '',
sondern 330° westl. Länge. Zwischen Tosa und Takasima bleibt daher ein
Unterschied von 2^^ 16'. Auf unseren heutigen Karten von Japan finden
^ Dr. A. Török : Die Aiuos. Budapest! Szemle 1889, März und April.
•In der Jokai'schen ung. Uebersetzung fehlt Benyovszky's Ankunft in Misaki,
sowie sein Brief nach Nangasaki. Warum, ist uns nicht bekannt.
»Rein 1. o. I. 11, 14, 19, 59, 92, 112, 545 und 595.
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GRAF MORITZ BBNYOV8ZKY ALS GEOGRAPHISCHER FORSCHER. 117
wir 2^/4^ westlich und lä^A südlich von Tosa den südöstlichen Teil der
grossen Insel Eiusiu, deren höchste Spitze Takasima heisst. Soviel ergibt
sich aus der Vergleichung der astronomischen Bestimmungen^ dem jedoch
widersprechen alle übrigen Thatsachen.
« Grehen wir von der Erklärung des Namens Takasima aus, so wird die
Frage noch verwickelter ; wir finden in Japan nicht weniger als 3 Takaschima :
eine Stadt an der NO-Spitze Schikokus, der genannte Berg, und die erste
grosse Insel südlich von Eiusiu, die Takasima und auch Tanega genannt
wird. Benyovszky's Daten sind keineswegs auf die Stadt Takaschima zu be-
ziehen, viel mehr auf Tanega, das thatsäcblich unter demselben Längengrad
liegt wie Takaschima und auch in seiner Breite nur 20' von Benyovszky's
Bestimmung abweicht. Obwohl die astronomische Ortsbestimmung die An-
nahme erschwert, Benyovszky habe nicht auf Eiuschiu, sondern auf Tanega
gelandet, spricht doch der Umstand dafür, dass Kiuschiu auch Shimo genannt
wird, daher wir Benyovszky 's «Bewohner der Insel Ximo» für die Bewohner
Kiuschius halten müssen. Dem widerspricht jedoch Benyovszky's Angabe,
Nangasaki und Shimo seien besondere Inseln ; verstehen wir unter Shimo
Kiuschiu, so ist dies nicht möglich, denn Nangasaki hegt auf der Insel Eiusiu
und bildet nur eine Halbinsel derselben. Wir haben keinerlei weitere Auf-
zeichnungen darüber, was Benyovszky über die Bewohner Ximos sagt : sie
seien «gottlose Bestien» ; in diesem Kufe stehen die Bewohner der westlich
von Süd-Eiuschiu gelegenen Koschiki-Inseln, deren eine Shimo-Eoschiki
heisst ; es ist daher auch die Möglichkeit vorhanden, dass sich der Name
Ximo eben auf Schimo-Eoschiki beziehe.
Alles zusammengefasst halten wir es für wahrscheinlich, dass Be-
nyovszky sich nur in der Breitenbestimmung um 20' geirrt, und that-
säcblich auf Tanega gelandet sei, und unter der Insel mit den bestialischen
Bewohnern Schimo-Eoschiki, unter Nangasaki aber ganz Kiuschiu zu ver-
stehen sei.
Benyovszky's Schiff warf hierauf auf Üsmai-Lygon, einer der Liukiu-
(Iiequeja)-Inseln Anker. Diese Insel auf unseren Earten aufzufinden, ist
uns nicht möglich. Benyovszky's astronomische Bestimmungen sind falsch,
die Daten jedoch, die er über diese Insel mitteilt, sind von so grosser
Bedeutung, dass wir dieselben als eine der wichtigsten Quellen für die
Liukiu-Inseln betrachten müssen ; was Benyovszky über Usmay-Lyon mit-
teilt, bezieht sich auf den nördlichen Teil der ganzen Liukiu-Gruppe
und seine Mitteilungen über das Beich der «durchsichtigen Eorallen» sind
die ersten, die nach Europa gelangt sind ; die Mitteilungen des chinesischen
Gelehrten Supao-Euang, den Eaiser Eanghi schon 1719 zur Erforschung
der Biukiu-Inseln aussandte, gelangten erst zu Anfang des 19. Jahrhunderts
'■^ Forcade, Annales de la Propagation de la foi, 1846, jul. 7.
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118 GRAF MORITZ BENTOVSZKY ALS GEOGRAPHISCHER FORSCHER.
nach Europa, daher gebührt das Prioritätsrecht nicht — wie Keclus be-
hauptet — ihnen, sondern Benyovszky.*
Benyovszky schreibt von den Bewohnern der Insel, sie verstünden
nicht japanisch. Dies ist vollkommen zutrefifend, obwohl die Biukiu-Sprache
mit der japanischen verwandt und auch die Schrift dieselbe ist.^ Später
bemerkt Benyovszky noch : tdie Häuptlinge der Inselbewohner sprechen
die Sprache der Mandarine», d. h. chinesisch, was umso wahrscheinlicher
ist, als die Biukiu-Sprache viel chinesische Worte enthält, die infolge histo-
rischer Berührung, wie auch bei Uebemahme der Schriftweise in die Sprache
übergegangen sind. Benyovszky schreibt über die damahgen politischen
Verhältnisse der Bewohner Liukiu's: cdies Volk lebt ganz unabhängig von
China und Japan.» Da Liukiu zwischen China und Japan liegt, kämpften
die beiden Staaten fortwährend um dasselbe. Thatsache ist, dass es bald
Japan, bald China unterworfen war, insofeme als es einigen Tribut zahlen
musste ; übrigens war das Volk unabhängig und frei. Wohl gab es Zeiten,
wo Liukiu beiden Kaiserreichen Tribut schuldete, der grösste Reichtum der
Insel aber verschwand auch damals nicht.^ Erst 1874 änderten sich diese
Verhältnisse, als Japan die Inseln eroberte, ihrer Könige beraubte und sie
in einfache japanische Bezirke einteilte.
Von der friedlichen Natur des Volkes, die Supao-kuang, Broughton,
Matwell, Basil Hall, Graviore, Beechey, Belcher, Perry und Andere hervor-
hoben, schrieb Benyovszky: «die Bewohner sind sehr tugendhaft, . . . massig,
frei ... die Naivität ihrer Antworten lässt auf ihre ehrliche und unschul-
dige Natur schliessen .... Ich gestand ihrem Führer Nikolaus, dass ich
fürchte, ihren Frieden zu stören; er aber beruhigte mich, denn meine
Leute könnten auch mit den Mädchen sprechen, nur die Frauen, die sie
übrigens auch an ihren Schleiern erkennen könnten, mögen sie schonen.»
Ergreifend ist die warme, aufrichtige Freundschaft, mit der die Insel-
bewohner Benyovszky empfiengen, und die am letzten Tage auch in einem
Vertrage Ausdruck fand.
Von den Liukiu-Inseln schiffte Benyovszky auf Formosa. Hier kämpfte
er einen ganzen Krieg und verhalf einem Häuptling zum Siege ; über Land
und Leute schreibt er aber um so weniger. Und dies ist umso leichter ver-
ständhch, als Formosa für ihn keine Bedeutung hatte. Seine Seele durch-
drang der innige Wunsch, einen europäischen Hafen zu erreichen, um
Freiheit zu erlangen und sich für seine grossen colonisatorischen Unter-
nehmungen vorzubereiten, deren Idee im Laufe seiner Beise zur Beife
' Leon de Bosny, Introduction ä TEtude de la langue japonaise.
' Serrurier, De Live-Kive Archipel.
' Reclus, Nouv. G^og. Univ. VII. Bd. p. 731. — Gaubil, LettreB ödifiantee,
Bd. xxm.
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ORAP STEFAN SZEOHBNYl's BRIEFSr. H^
gelangt war, und zu deren Verwirklichung ihn die mühevollste Vorschule
befähigt hatte. Er war gewiss einer der glückUchsten Menschen, als er am
^1. September das Fort Macao erblickte.
Und hiemit endet der abenteuerlichste Teil von Benyovszky's Reisen
und ganzem Lebens, welche bisher zugleich für den am wenigsten bekannten
Teil seines Leben galt. Wir versuchten nachzuweisen, welchen Wert
Benyovszky's Beobachtungen, seine ßeiseergebnisse und Forschungen be-
sitzen, und wenngleich dieser Werth von der Höhe der modernen geogra-
phischen Wissenschaft betrachtet nicht so gross ist, als der einer Expedition
von Cook, La Perouse u. A., so genügt er doch, um die Authenticität der
Reisen Benyovszky's festzustellen und ihm die Anerkennung der Nachwelt
zu sichern, anderseits um ihm in vielen Fragen die Priorität zu erobern, die
spätere streng kritische Forscher, ein Nordenskjöld, Reclus und Andere, so
leicht Anderen zugeschrieben hatten. Dem strengen Urteil der Nachwelt
gegenüber kann nur die Constatirung der Wahrheit die Glaubwürdigkeit
der Berichte Benyovszky*s retten und dies zu erreichen, war das Ziel
meiner Zeilen. Dr. Johann Janeö.
GRAF STEFAN SZfiCHENYrS BRIEFE.
L
Stefan Szechenyi war eine so vollendete, in sich gefestete Persönlich-
keit, dass jede geringste Emanation derselben in Wort, Schrift und That den
charakteristischen Stempel trägt. Die von Bela Majläth mit dankenswerter
Unterstützung der Ungarischen Akademie herausgegebenen Briefe* gewähren
einen durchaus interessanten Einblick in den Werdegang dieses providen-
tiellen Mannes, rücken ihn uns menschlich näher und geben uns ein getreues
Bild von den zahllosen äusseren und inneren Kämpfen, gewissermassen
Geburtswehen, unter denen die erstaunlichen Leistungen des Grafen das
Licht der Welt erblickten. Diese Briefe sind keine Meisterwerke des Styls,
sie sind, ob ungarisch, deutsch, lateinisch, englisch oder französisch verfasst,
mit, wir möchten sagen, aristokratischer Nachlässigkeit geschrieben. Und
doch sind sie gerade in dieser Gestalt am wertvollsten, weil sie uns den
echten, ungeschminkten Menschen zeigen, der selbst ohne den geringsten
Aufputz seine ganze Nation überragte, ihr Führer in die Welt positiven
Schaffens war.
Niemals konnten die Briefe des grossen Patrioten besser wirken, als
* Gr6f Szechenyi Istv&n levelei. A Magyar T. Akad^mia megbiz484b61 össze-
gyüjtötte Majlath B^la. II. kötet. Budapest, Atbena^um. 729 Seiten,
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120 GRAF STEFAN SZ^HENYl's BRIBFE.
eben jetzt. Krasser Materialismus zersetzt alle unsere Kreise^ der Hass gegen
die Phrase hat auch den berechtigten Ideahsmus hinweggeschwemmt. Die
Gesellschaft ist atomisirt. Wie wohlthuend ist es daher^ wieder einmal das
volle Fener der Vaterlandsliebe zu verspüren, einer Liebe, die heute kaum
mehr als rhetorischer Aufputz zu verwenden ist. Bei Szechenyi lodert dies
Gemeingefühl noch mit voller Jugendkraft, sonnengleich. Es ist unmöglich,
dass beim Lesen dieser Briefe, welche sich alle immer wieder um das Götter-
bild des Vaterlandes und seine zukünftige Grösse und Glorie drehen, nicht
auch in uns die alte Glut unter der Asche wieder aufflamme. So wirkt ein
grosser Geist, ein grosses Herz auch nach dem Tode, sein Vermächtniss lebt
in uns immer neu auf. Zur rechten Zeit hat die Ungarische Akademie die
Herausgabe der Szechenyi'schen Schriften begonnen * und namentlich die
Briefe sind es, welche ungeahntes Licht über viele Perioden der Wirksam-
keit Szechenyi*s verbreiten. Während Kossuth, die Personifikation der unga-
rischen Freiheits- und Unabhängigkeitsidee, noch lebt, erscheint uns der
Geist Szechenyis, seines grossen Gegners, fortwährend in seinen neuedirten
Schriften, als ob die Genies der Vergangenheit, welche das heutige Ungarn
begründeten, noch immer Wache stehen wollten über dem geliebten Volke
und Vaterlande. Doch während aus Kossuth nur die erhabene, aber starre
Negation spricht, weht uns aus jeder Zeile Szechenyi*s ein positiver, schaf-
fender Hauch entgegen. Aus einer Wüste war eine Gulturwelt zu gestalten.
Das von Sz6chenyi so 'sehr geliebte Vaterland war eine Einöde, ein Wirrsal
schlechtester Administration, verrotteter Privilegien, Denk- und Wirkfaul-
heit. Sz^henyi musste für Alle denken, reden, schreiben, agitiren, Geld
hergeben, conspiriren, Pläne entwerfen, ausführen. Er war damals Alles in
Allem, Ungarns Vorsehung auf jedem Gebiete. Was heute ein vielgliedriges
Ministerium denkt und schafft, das war damals in ihm, dem Privaten, ver-
einigt. Und unermüdlich, rastlos sehen wir ihn kämpfen, entwerfen, orga-
nisiren, schaffen. Auf alle Widerstände und Kränkungen ist er vorbereitet,
die Bomirtheit seiner Mitlebenden weckt oft den Humor in ihm. Er geht
auf sein Ziel los, unbeirrt, wie eineJSomnambule. Und alles gelingt endlich :
die Wettrennen, die Akademie, die Donau-Dampfschifffahrt, die Ketten-
brücke, und Vieles sollte später gelingen, was er mit Seherblick geahnt : die
Sprengung des Eisernen Thores^ die Verschönerung Budapests und Anderes
mehr, als ob er der Prophet seiner Nation gewesen wäre.
Kehren wir zu den Schriften, insbesondere zu diesen Briefen Szöchenyi's
zurück, als eines Mannes, der neben der Liebe zum irdischen Weibe noch eine
andere, höhere Liebe kannte, zu einer höheren, erhabeneren Braut, deren
♦ Bisher sind erschienen : I. Naplöi (Tagebücher), 11. Besz^dei (Reden), beide
herausgegeben, eingeleitet und kommentirt von Anton Zichy, HI. Levelei (Briefe),
von denen jetzt schon der zweite Band vorliegt.
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GRAF STEFAN SZ^HBNTl's BRIEFE. 121
Züge ihm vorschwebten^ von seiner mutwilligen Jugendzeit, bis zu seinem
düsteren Grabe in der Geistesnacht I Diese Braut, Hungaria, war die Leuchte
seiner Seele, an ihrer Flamme entzündete sich, bei ihrem Erlöschen brach
sein Herz.
Wir haben den ersten Band dieser Briefe bei dem seinerzeitigen Er-
scheinen gewürdigt, dieselben gaben uns Aufschluss über die Erziehung und
die ersten Gemütsregungen des jungen Grafen und lehrten ims ihn als
nachdenkenden, mit sich oft entzweiten Charakter kennen. Die ersten dieser
Jugendbriefe lassen nichts weniger als die zukünftige Grösse ahnen. Der
schlichte, natürliche Mensch spricht aus ihnen. Doch sehr bald meldet sich
der praktische Sinn ; das Gasino, die Wettrennen, die Akademie, die Schiff-
fahrt und das Eiserne Thor beschäftigen den thatendurstigen Mann. Er geht
mit nüchternem Urteil von den thatsächlichen Bedürfhissen des Landes
aus und stiftet und gründet stets das, wonach das dringendste Verlangen
ist. Er ist kein Doctrinär, sondern ihn peinigen die actuellen Erfordernisse
und er scheut weder Opfer noch Mühe, um das Nothwendige herbeizu-
schaffen. Es ist ein eminent praktischer Kopf, der sich ein weitaussehendes
Programm von der Regenerirung des Landes entworfen hat und Schritt für
Schritt unaufhaltsam an dessen VerwirkUchung arbeitet.
Der uns vorliegende zweite Band dieser Briefe beginnt mit einigen
interessanten Nummern aus dem Jahre 1S^27, In einer Eingabe an das Pester
Comitat erbietet sich Graf Szechenyi zur Errichtung einer Actien- Dampf-
mühle, nicht damit Ungarn eine solche Anstalt besitze, sondern damit das
Beispiel zur allgemeinen Einführung der Dampfmüllerei und zur Ablösung
des Getreidehandels durch den Mehlhandel gegeben werde. Die nächst-
folgenden Briefe zeigen die rastlose Sorge Szechenyi*s für die Inscenirung
des von ihm geplanten National-Gasinos. Er wendet sich an Sartory, als
den Obmann des Pester Handelsstandes, um ihn, sowie den Handelsstand
zum Eintritt in das im Herbste zu gründende Gasino einzuladen. Mit einer
noch heute nachahmenswerten Höflichkeit und Herzlichkeit ist dieser Brief
des Aristokraten an die Corporation der Handelsleute geschrieben, t Wir haben
den guten Willen, dem Lande zu dienen,» — äussert er — tSie haben die
Mittel, reichen wir uns die Hände ! . . . Sie kennen die Grundsätze, die wir
bisher aufgestellt haben: • Welch immer für eine Geburt und Stand —
wa^ immer für Glaube, was immer für politische Meinung, Alleseins I Nur
gesittete Lebensart, gleiche Rechte, gleiche Zahlung / Kein Einzelner ent-
scheidet, der allgemeine Wunsch und die Mehrheit allein bestimmt.»
Im Jahre 1830 sehen wir Szechenyi an seinem Lieblingswerke, an der
Begulirung der unteren Donau thätig. Schon im vorigen Bande war eine
grosse Anzahl von Briefen veröffentlicht, aus denen hervorging, wie rastlos
Graf Szechenyi beim Palatin, bei der Wiener Regierung, bei den Finanz-
grossen die Sache des Donauhandels und der damit verbundenen Institu-
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122 GRAF STEFAN SZÄCHENYl's BRIEFE.
tionen betrieb. In dem oben erwähnten Briefe vom 17. Juli 1830 sehen wir
Szechenyi zum ersten Mal die untere Donau bis Sistow bereisen. Die Keise
sollte ihm schlecht genug bekommen : ein furchtbares Fieber mit hochgra-
digem Asthma verbunden überfiel ihn und er glaubte schon sein letztes
Stündlein gekommen. Und da schreibt er an den mit ihm reisenden Grafen
Johann Waldstein in Selbstmordgedanken ob der erlittenen Qualen und in
nächster Erwartung des Todes folgende Zeilen, die auch Max Falk in seinem
Buche über Szechenyi veröffentlicht hat und die charakteristisch genug
lauten : «Nur drei Mittel gibt es, um Ungarn zu heben : Nationalität, Ver-
kehr und Handelsverbindungen mit anderen Nationen. Dies lege ich Euch
ans Herz : hebet die Nationalität nach Euren Fähigkeiten und erziehet sie
zu echtem Adel. Hebet den Verkehr in unseier Hauptstadt Budapest! Thut
Alles, damit Budapest aufhöre ein blinder Sack zu sein und darum eröffnet
die Donau dem Handel und der Schifffahrt !•
Zwischen den Briefen, welche sich mit grossen Angelegenheiten be-
schäftigen, erscheint wohl mitunter auch einer, der uns so recht in das Herz
Szechenyi's blicken lässt. Da ist ein Brief an einen Unbekannten, der, wie
zahllose Andere, ihn um eine Gefälligkeit angegangen haben mochte. In der
Antwort beklagt sich der Graf, er sei so sehr mit Anfragen und Bitten über-
häuft, dass er nicht einmal mit Hilfe eines Secretärs, und wenn der Tag
achtundvierzig Stunden hätte, auf Alles nach den Kegeln der Höflichkeit
antworten könnte. Viel weniger könnte er Jedermann helfen ; wollte er so
höflich und gutherzig sein, wie es die Leute verlangen, so würde er keine
Zeit haben, sich mit seinen eigenen Angelegenheiten zu befassen, und wäre
bald selbst so arm, wie die Petenten, die sich schaarenweise an ihn wenden.
Trotzdem er es sich also zum Princip hatte machen müssen, die meisten
derartigen Briefe unbeantwortet zu lassen, macht er doch mit unserem Un-
bekannten eine Ausnahme, indem er ihm nicht nur ein Erwiderungsschreiben,
sondern auch noch die wahrscheinlich erbetenen — 5000 fl. schickt.
Es folgt nun vom Jahre 1833 an eine grosse Zahl von Briefen,
welche sich mit der zuerst von Stefan Szechenyi inscenirten Sprengung des
Eisernen Thores beschäftigen. Am 23. Juli 1833 schreibt er an die Berg-
werksdirection in Semlin, dass er, von der «allerhöchsten Regierung» nut
dem Auftrag der Kegulirung des Eisernen Thores betraut, um Ingenieure
und «geschickte Bergleute, die mit Felsensprengungen vertraut sind,» bitten
müsse. Im Sommer desselben Jahres erblicken wir schon den genialen In-
genieur Paul Väsärhelyi an der Arbeit. Wir sehen, wie Szechenyi sich vor
dem Wissen und Können des simpeln Mannes beugt und Alles thut, um ihm
seine Stellung sowohl politisch wie materiell zu erleichtem. Szechenyi leitet
aus der Feme das grosse Werk mit dem ganzen Aufwände seiner Diplomatie
und mit rastlosem Feuereifer.
In welchen geringfügigen Dimensionen und mit wie bescheidenen
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GRAF STEFAN 8ZECHENYI S BRIEFE.
123
Mitteln damals gearbeitet wurde, davon sollen zwei kleine Briefe Szechenyi's
an den Palatin Erzherzog Josef Kunde geben.
L
Ew. k.k. Hoheit!
Durchlauchtigster Herr Erzherzog!
An den Wegen längs der Donau von Plavischevitza abwärts wurde nach
Bericht des dirigirenden Ingenieurs von Väsärhelyi den vergangenen Winter mit
grossem Erfolge gearbeitet.
Die Gelder sind aber erschöpft, weswegen ich mir die Freiheit nehme Ew.
kaiserl. Hoheit in aller Unterthänigkeit zu bitten : Erstens fünftausend Oulden
C.'M. direct an den obbenannten Ingenieur Yäsärhelyi in Ofen, — fünfzehntaasend
Gulden C.-M. hingegen an den Ingenieur Wolfram in Orsova gnädigst zahlbar
anweisen zu lassen, über welche Summen ich, sowie ich de dato 27. Februar 1 835
meine Schlussrechnung für das Jahr 1834 eingab, seinerzeit Rechenschaft geben
werde.
Ich lege mich Ew. kaiserl. Hoheit mit dem Gefühle der tiefsten Ehrerbietimg
zu Füssen und nenne mich mit dem Gefühle der allertiefsten Ehrfurcht
Ew. kais. Hoheit
ganz unterthänigster Diener
Stefan Graf Sz^chenyi.
Preesburg, 5. März 1835.
n.
Ew. k.k. Hoheit!
Durchlauchtigster Erzherzog !
Soeben erhalte ich des dirigirenden Ingenieurs Yäsärhelyi Bericht, dass die
anter ihm stehenden Arbeiten mit gutem Erfolge gehen, die Geldmittel aber wieder
erschöpft sind, weshalb ich Ew. k. k. Hoheit bitte, gleich !20,000 Gulden C.-M. —
dass ich nicht sobald wieder lästig fallen dürfe — an das Orsovaer Dreissigst-Amt
zahlbar anzuweisen geruhen zu wollen, der ich mich Allerhöchstdenselben zu Füs-
sen lege und mich mit der tiefsten Ehrfurcht nenne Ew. k. k. Hoheit
Pressburg, 17. Mai 1835.
unterthänigster Diener
Stefan Graf Sz^chenyi.
Während der Beschäftigung mit der grossen Donau- Afifaire hat Graf
Szechenyi Zeit, einen Agenten abzufertigen, der unbefugterweise eine Inter-
ventionsgebühr für eine nicht vollzogene Vermittlung verlangte, und wendet
sich dann mit Eifer der Angelegenheit der Budapester Stadtverschönerung
zu. Wieder schreibt er einen sehr höflichen und herzlichen Brief an den
Stadtmagistrat um Ueberlassung eines Grundstückes von 235 Joch für den
Wettrennplatz. Er schliesst die Eingabe mit den charakteristischen Worten :
«Ich wäre glücklich, wenn ich dem löblichen Magistrat und allen meinen
Mitbürgern einen neuen Beweis geben könnte, mit welcher religiösen Ge-
wissenhaftigkeit ich jenes Schwures eingedenk bin, den ich leistete, als ich
das Glück hatte, zum Bürger der löblichen Stadt Pest erwählt zu werden
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124 GRAF STEFAN SZEOHBNYl's BRIEFE.
und dessen tiefsten Sinn ich so auffasste : Alles, was in meiner Kraft liegt,
zur Entmcklung, Verschönerung und somit zum Aufblühen der Stadt und
zum Gedeihen und Glück ihrer Einwohner beitragen zu müssen.»
Wie sehr Szechenyi mit dem Gedanken der Verschönerung Pests immer
beschäftigt war, beweise folgender, an den Palatin Erzherzog Josef gerichteter
Brief vom 28. Juni 1835:
Ew. k. k. Hoheit, durchlauchtigster Erzherzog l
In aller Unterthänigkeit nehme ich mir die Freiheit Ew. k. k. Hoheit hier
beigebogen zwei Pläne zu überreiclien, die in einigem Zusammenhange stehen. Der
eine stellt ausschliesslich den Grundriss des Unterbaues für den Eiranich dar ; der
andere hingegen den Grundriss mehrerer schon stehenden Häuser der Stadt Pest
und jener Stellen, wo — meinem unterthänigsten Vorschlag gemäss — das Theater,
das Dreissigstamt, und im Einklang mit diesem letzteren der Kranich anzubrin-
gen wäre.
Man kann sehr oft, einem alten Sprichwort gemäss, mit einem Stein mehrere
Würfe machen, und hier scheint der Fall in der That einzutreffen, denn sollte der
von mir vorgeschlagene Plan von Ew. k. k. Hoheit huldreichst genehmigt werden,
so wird :
1 . ein Schritt vorwärts gethan, um die zwischen den beiden Städten Ofen und
Pest stehenden Donau-Ufer zu reguliren.
2. ein Iheissigstamt wird erbaut, das schon seiner LokaUtät zufolge weit
passender sein wird, als das jetzige, und durch dessen zweckmässige Anordnung
ohne Zweifel den Anfordenmgen der jetzigen Zeiten und Bedürfnisse weit naher
gebracht werden könnte als das jetzige ist
3. Anstatt des jetzigen Dreissigstamtes entstünde in Mitte von so vielen
schönen Häusern gleichfEills ein schönes Haus, wohin — besonders den Josef-
Ftatz berücksichtigend — das heutige Dreissigstgebäude wirklich nicht mehr sehr
zu passen scheint.
4. Es würde für ein ungarisches Theater ein Terrain angewiesen werden
können, auf welchem mit der Zeit und nach Umständen ein solches Theater erbaut
werden könnte. Und dies wäre eine (}abe, welche die Dankbarkeit der ganzen Nation
aufs bestimmteste zur Folge hätte.
Es handelt sich, die Sache zu beginnen, die wohl nicht anders, als bei der
Erbauung des Dreissigstamtes ihren AnfiEmg nehmen kann. Diesen Bau wünschte
ich aber auf eigene Kosten unter folgenden Berücksichtigungen zu übernehmen
und je ehestens zu beginnen.
a) Es werde von Seite der kön. img. Hofkammer mir ein Plan vorgelegt,
nach welchem das neue Dreissigstamt — auf dem Grunde vor dem Kardetter- und
Varga' sehen Hause erbaut werden sollte.
h) Die kön. ung. Hofkammer wolle die Summe aussprechen, für welche sie
das jetzige Dreissigstamt — nach gänzlicher Vollendung des neuen Dreissigst-
amtes — mir überlassen würde, — und ich werde
c) je nach dem kostbaren oder minder kostbaren Gebäu, das die kön.
ung. Hofkammer in dem neu zu erbauenden Dreissigstamte zu haben wünscht,
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ORAF STEFAN 8Z]£0HENTI*S BKIEPB. ^^^
meine Bereohnimg einreiohen, ans der sich die Balance ergeben wird, welche
Summe ich von Seite der kön. nng. Hofkammer, zu meiner Schadloshaltung, mit
Klligkeit anzusprechen hätte.
d) Da indess das Wort Billigkeit nicht hinlänglich definirt ist, so erkläre ich
hiemit, dass ich nach rechtlicher Schätzung des jetzigen Dreissigstamtes und dem
authentischen Eostenüberschlag des neu zu erbauenden zufrieden sein werde, wenn
ich das ausgelegte Qeid k 4 Perzent verzinset werde haben, sollte diese Summe
noch so bedeutend sein, — was ich hoffe ; denn es wäre schade — wenn man nur
halbwegs die Entwickelung der Stadt Pesth vor den Augen hat — an den Ufern
der Donau ein mesquines Dreissigstamt aufzubauen ; wie ich meinerseits, an die
Stelle des jetzigen Dreissigstamtes, auch ein nobles Gebäude aufzuführen gedenke.
Die Ursache, die mich bewog, Ew. k. Hoheit den soeben auseinandergesetzten
Vorschlag zu unterbreiten, beruhet beiläufig auf Folgendem :
1. Wttnsche ich meinerseits, so viel es in meinen Kräften stehet, zur Ver-
schönerung der Stadt Pesth beizutragen, wo ich bereits so lange lebte, und wo ich
wahrscheinlich mein Leben beschUessen werde.
2. Qlaube ich die mir zu Gebote stehenden Gelder auf keine schlechte Hypo-
theke zu steUen, wenn ich solche in Pesther Häuser investire, — und dass diese
Sicherheit die geringere Beute in Gleichgewicht setzt, die überdies mit der Zeit
höchst wahrscheinlich wachsen dürfte.
3. Fühle ich mich einigermassen verpflichtet, auf Höchstdero Gnade bauend*
eine passende Stelle zur Erbauung eines ungarischen Theaters auszumitteln, da
ich — wie Ew. k. Hoheit bewusst — in der Congregation des Pesther Comitats
den Bau eines Theaters auf der Eerepescher Strasse hinderte. Auch ist seit der Zeit
das Auge des Publikums auf mich gerichtet, und ich würde viel in der allgemeinen
Achtung verlieren, wenn ich in dieser Angelegenheit nichts gethan, als nur gehin-
dert haben würde ; weshalb ich auch jene Opfer, die mit der Erbauung zweier gros-
sen, nur 4 Prozent tragenden Gebäude verbunden sind, zu bringen bereit bin.
n.
In den Jahren 1835 — 40 concentriren sich für den anermädlich thä-
tigen Nationaltribunen die wichtigsten Angelegenheiten : die erste ständige
Brücke zwischen Pest und Ofen, die allmälige Schaffung einer Donau-
Dampfschifffahrt, in Verbindung damit die Stromregulirung^ endlich die
Errichtung des ersten ständigen Nationaltheaters in Pest.
Es ist doch traumhaft, zu denken^ dass vor kaum mehr als einem
halben Säcnlum Pest und Ofen zwei ganz getrennte Welten, Ofen ein Dorf
und Pest eine armselige Handelsfactorei war, dass damals der grosse, länder-
verbindende Strom noch jungfräulich, ohne das Eheband einer stabilen
Brücke, ohne mit dem reichsten Getreidesegen auf schnellsegelnden Schiffs-
coloBsen belastet zu sein, dahinbrauste, eine zweck- und ziellose Naturkraft,
die der Ungar so wenig zu benützen wusste, wie so vieles Andere, was in
dem Schoss seiner JErde sich barg, und wie er es auch heute noch lange nicht
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126 GRAF STEFAN SZÄOHENYI*S BBIBPB.
genug auszubeuten weiss. Es ist traumhaft zu denken^ dass die heute so
riesig entwickelte, nach allen Himmelsrichtungen unabsehbar ausgreifende
Stadt durch das Handelsstandsgebäude und durch das Hatvaner Thor be-
grenzt war, und dass Szechenyi vor der heute so schön aufblühenden Eere-
peserstrasse einen wahren Ekel besass und so lange er konnte, gegen die
Benützung des Grassalkovich 'sehen Grundes zu einem Theaterbau an-
kämpfte. Und selbst innerhalb dieses engbegrenzten städtischen Gemein-
wesens war noch keine Spur von monumentalen Baulichkeiten, von com-
munaler Sorgfalt in allen Fragen der Gesundheit und des Wohllebens. Und
wie gestaltete sich dies Alles nun unter der rastlosen Energie und dem
Schönheitssinn Szechenyi's ! Man kann nicht dankbar genug das Andenken
dieses Mannes hüten, der Pest eine Akademie, ein Casino, die wundervolle
Kettenbrücke, den Donauhafen und die Schiflfswerfte gab und endlich auch
zur Errichtung des ersten ständigen ungarischen Theaters in Pest beitrug.
Und dieser Aufstieg der Budapester Stadtschönheit aus den Wellen der
Donau begann erst gestern, vor kaum mehr als einem halben Säculum !
Welcher Traum !
Lehrreich ist aber der soeben veröffentlichte Briefwechsel Stefan Sze-
chenyi's schon darum, weil er uns, wir mögen von der Kraft des Genies
halten so viel wir wollen, doch wiederum nur beweist, dass nach den Griechen
odie Götter vor alles Gute den Schweiss gesetzt haben.» Man glaube ja nicht,
dass dem Grafen Szechenyi Alles mühelos gelang ! Nein, wir sehen es un-
widerleglich vor uns, dass er gekämpft und gerungen, gefürchtet, gehofft,
gebetet und gearbeitet hat, wie der gewöhnUchste Sterbliche, der alle seine
Sehnen anspannen muss, um das tägliche Brot zu verdienen. Nur in den
Zielen, in den Gedanken war Szechenyi genial, in der Ausführung war er
ein so tapferer, unverdrossener Arbeiter, wie jeder Andere. Wenn dieser
Briefwechsel keine andere Wirkung haben sollte, als unsere für das öffent-
liche Wohl wirkenden Kräfte anzufeuern und sie in ihrem oft dornenvollen
Wirken, auf den häufig unentwirrbaren Wegen des Schicksals in ihrer Mission
zu bestärken, so wäre Wohlthat genug damit geübt. Etappe für Etappe legt
sich das Wirken des grossen Reformators vor uns aus und wir ziehen die
heilsame Nutzanwendung daraus, dass die grössten Entfernungen am sicher-
sten durch die kleinsten Schritte zurückgelegt werden.
Es ist geradezu rührend, die vielen Einladungsbriefe zu lesen, welche
Szechenyi höchst eigenhändig an eine Anzahl von Casino- Mitgliedem
schreibt, deren Beitrag abgelaufen ist, und die er zu einer erneuerten Bei-
tragsleistung für weitere sechs Jahre auffordert. An Jeden, selbst an ihm
Unbekannte, schreibt er ganz besonders, er variirt seinen Styl und gibt jeder
Epistel eine neue Dosis von aus dem Herzen kommender Beredsamkeit.
Als echter Reformator gebietet er über alle Tonarten, er bittet, schmeichelt,
malt goldene Berge, lobt das Geschehene, feuert zum Zukünftigen an, packt
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ORAF Sl-BPAN SZ^jÄOHENYl's BRIEFE. 127
Jeden bei seiner persönlichen Schwäche. Es liegt etwas unendlich Liebens-
würdiges in diesen Briefen, die ein grosser Mann schreibt um einer kleinen,
aber ihm liebgewordenen Aufgabe willen. Auch sein Factotum Tasner, dem
er allerlei Kosenamen : «Old Tasnert etc. gibt, und dem er gewöhnlich in
einem humoristischen, aus allen Sprachen zusammengesetzten Kauderwelsch
schreibt, belehrt er darüber, dass wenn man die Leute für seine Zwecke
gewinnen wolle, man Jeden solo fassen und die schablonenhaften Girculare
vermeiden müsse.
Doch das Gasino war eine nebensächliche, wenn auch ihm sehr lieb-
gewordene Angelegenheit neben der grossen A£faire der stabilen Donaubrücke
zwischen Pest und Ofen. Man weiss, einen wie grossartigen politischen
Hintergrund Szechenyi der Brückenfrage gab. Obzwar ein echter Aristokrat,
war der Graf doch ein glühender Feind des Feudalismus, in welchem er das
Grab der nationalen Wohlfahrt sah. Ein materielles Aufblähen des Landes,
eine moderne Volkswirtschaft war nur möglich, wenn das Feudalsystem,
wenn die Privilegien gebrochen wurden. Wie traumhaft, dass in Ungarn vor
kaum mehr als fünfzig Jahren das Steuerzahlen als entehrend für den Edel-
mann, nur gut für die bäuerliche und bürgerliche Canaille betrachtet wurde.
Durch den Brückenzoll sollte der ungarische Adel zum ersten Mal an die
Gleichheit der Tragung der Staatskosten gewöhnt werden !
Mit unsäglichen Mühen kam Szechenyi in dieser Frage vorwärts. Erst
die Stände, dann die Magnatentafel, die Wiener Begierung gewinnen und
mit den zwei Municipien Pest und Ofen sich herumschlagen, so viele Leute
unter einen Hut bringen — dazu gehörte wahrlich ein prophetischer Mut.
Weit mehr noch als heute war der Ungar damals gegen jeden Fortschritt
verstockt, der ihm förmlich aufgezwungen werden musste ; weit mehr noch
als heute scheute man vor jeder Neuerung zurück; weit ärger noch als heute
hauste der Gantönligeist und das Philistertum in Stadt und Land. Ganz ab-
scheuhch waren die Verkehrsverhältnisse in Pest und Ofen. Man sollte
meinen, dass ein Stadtmagistrat mit Freuden die Gelegenheit ergriffen hätte,
die Misere einer Schiffbrücke über den grossen Strom zu beseitigen. Die
heutige Generation der Hauptstadt, welche drei wunderbare stabile
Brücken besitzt und noch eine vierte und fünfte begehrt, wird sich kaum
mehr eine Vorstellung von der Jänunerlichkeit einer Schiffbrückenverbin-
dung machen können. Man muss nach Gran oder Komorn gehen, um zu
ermessen, wie entsetzlich tödtend der Winter, der eine Schiffbrücke unmög-
lich macht, auf Handel und Verkehr wirkt. Die ganzen Uferstädte liegen da
im Winterschlaf. Es ist demnach kaum zu fassen, dass gerade Magistrat
und Bepräsentanz der Stadt Pest sich aus allen Kräften gegen die Beseiti-
gung der Schiffbrücke sträubten. Mit Ofen war Szechen}^ bald fertig, der
Widerstand von Pest war aber kaum zu besiegen. Zahllos sind die Klagen,
welche Szechenyi ausstösst, er verwünscht die Stadt und sich, er verzweifelt
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1^^ GRAF STEFAN SzioHENTl's BRIEFE.
und hofft wieder, flucht wie ein Besessener — kurzum^ die Bräckenangele-
genheit, welche zehn Jahre später die Ideen Szechenyi's zum glänzendsten
Siege führen, Pest in die Beihe der sehenswürdigen Städte einführen sollte,
hat dem genialen Seher viele Jahre der Buhe geraubt und ihn zum Spiel-
ball der Bomirtheit und philisterhaften Bosheit gemacht.
Merkwürdig, dass dieser Mann, den man gern zum psychiatrischen
Gegenstände machen möchte und der doch nach diesen Briefen so logisch
dachte und handelte, dass, wenn dies Wahnsinn heissen sollte^ man sofort
die banale Gesundheit des Gehirns dagegen eintauschen möchte^ merk-
würdig ist es, sagen wir, dass dieser Mann in den tüchtigsten Arbeitsjahren
von 1835 — 1 840 auch einen geradezu ausgelassenen Humor besass, der sich
in dem burschikosen Ton so vieler seiner Briefe äussert. Er schien sich
recht wohl zu fühlen im Kämpfen, Bingen, Arbeiten. Es war dies auch die
glücklichste, die Wonnezeit seines Lebens. Er, der sich so lange gegen das
Ehejoch gesträubt, er, der Tasner mutwillig vor der Heirat und vor dem
Verlassen des Junggesellenstandes warnt, er ist der Gefongene Amors ge-
worden, er hat den treuesten Altar der Liebe in der Zeit errichtet, da er die
Gräfin Zichy heimführte. Dithyrambisches Jauchzen hört man aus den
Zeilen dieser Briefe heraus. Die Bösen standen der lorberbekränzten Stime
so wohl !
Die Ehe macht den Grafen Sz^chenyi nicht müssig, sie stachelt viel-
mehr seine Kräfte. Mehr als je macht ihm die Errichtung und Vervoll-
kommnung der Donau- Dampf schiff fahrt, die aus so winzigen Anfängen
entstand, zu schaffen. Die Sprengungen am Eisernen Thor nehmen seine
ganze Aufmerksamkeit in Anspruch und sein diplomatischer Verkehr mit
Wien, Ofen, Belgrad, Constantinopel lässt uns seine Gewandtheit, Vielsei-
tigkeit und sein praktisches Wirken bewundem.
Zwischen den grossen politischen und commerziellen Plänen vergisst
Szechenyi der Musen niemals. Er, der die Akademie mit Verschenkung eines
ganzen Jahreseinkommens gegründet, freut sich der ersten Talentproben
auf dem Gebiete der Malerei, begrüsst Barabäs und ist beglückt, ungarische
Architekten und Baumeister beim Bau des ersten ständigen ungarischen
Theaters in Pest verwenden zu können.
Mit richtigem Blicke hatte Sz6chenyi in dem Gultus der Musen eine
wichtige nationale Mission erkannt. Er war es, der die ersten Schritte beim
Landtag, beim Comitat, beim Erzherzog Josef that, um in Pest, das bisher
nur der deutschen Muse ein stattliches Heim geboten hatte, ein Centrum
ungarischer Kunst zu schaffen. Nur Klausenburg hatte damals schon ein
stabiles, für jene Zeiten ziemlich stattliches Gebäude. Die Hauptstadt sollte
nach fünfzehn Jahren erst nachhinken. Nach Szechenyi*s Idee sollte das
Nationaltheater an das Donau- Ufer gebaut werden. Er hatte demnach den-
selben Gedankengang, der in viel späterer Zeit die Verlegung des Parla-
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GEAP STEFAN BZ6cHJSfrn'B BBIBFß. ^^
mentspalastes vor die QijiaiBtufen zur Folge hatte. Szechenyi erwirkte, daas
der Paiatin Josef zu Zwecken eines Theaters einen Grund am Donau-Ufer,
ungefähr wo heute der Eötvös-Platz ssu finden ist, und zwar einen freiste-
henden Grund von etwa 700 Quadratklalter Umfang anwies. Szechenyi
selbst subskribirte 10.000 Gulden unter der Bedingung, dass das Theater
auf diesen Grund gebaut werde, den er nach der damaligen Lage und Ent-
wicklung der Stadt für den passendsten hielt. Viel Unmut fiösate ihm
jedoch der Verlauf dieser Angelegenheit ein. Stadt und Gomitat suchten
ihm die Initiative zu entwinden, Grassalkovich schenkte den heutigen Grund
vor dem Hatvaner Thor, das Land votirte 400.000 Gulden für den Bau und
Szechenyi, der in Paris die umfassendsten Planstudien hatte vornehmen
lassen, blieb mit seinen Absichten allein. Fürder sehen wir Szechenyi sich
nicht mehr um das Theater kümmern, aber unstreitig gebührt ihm das
Verdienst der Initiative auch hierin und sein durchdringender Seherblick
wurde glänzend gerechtfertigt durch die ausserordentUch bedeutsame, ja
nahezu entscheidende Bolle, welche unser Nationaltheater in der Geschichte
Budapests, sowie der gesammten ungarischen Gultur gespielt hat.
HL
In der letzten Hälfte des vorliegenden Bandes seiner Briefe sehen wir
Szechenyi vorzugsweise mit der Finanzirung der Kettenbrücke beschäftigt.
Wie langsam gingen damals alle ungarischen Angelegenheiten ! Am 23. Sep-
tember 1836 schreibt Szechenyi an den Weg- und Brückenbau-Commissär
Friedrich Schnirch: • Nach unsäglicher Mühe von Yier Jahren ist es mir
gelungen, ein Gesetz zu erhalten, nach welchem auf der zu erbauenden
Brücke Jedermann zu zahlen habe. Hiedurch sind wir quasi in einer sicheren
Revenue von 200,000 fl. C.-M. Man sollte also glauben, dass man ohne Wei-
teres anfangen sollte etc. Weit gefehlt ! Es muss noch und noch und noch
abgedroschen werden.»
Nun, und zum Dreschen hatte wahrlich Szechenyi Mut und Geduld
genug. Dauerte es doch abermals drei Jahre, bis er die Finanzirung der
Brücke durch Baron Georg Sina gesichert hatte.
Die Briefe an Georg Sina sind die piece de resistance der zweiten
Hälfte dieses Bandes. Viel wichtige Erkennungszeichen für den Charakter
und die Handlungsweise des Grafen Szechenyi finden sich darin. Zuerst
klopft unser Patriot schüchtern bei Baron Sina an. Schon der erste Brief, in
welchem der ungarische Patriot sein Lieblingsproject dem Wiener Finanz-
potentaten anträgt, ist bezeichnend genug. Er lautet :
üngariselM Bama, XI. 1891. 11. Heft.
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130 GRAF STEFAN SZÄOHENYI*S BRIEFfi.
Czenk, 18. Oktober 1836.
Mein sehr hochgeachteter Freund I
«Hier beigebogen sende ich Ihnen ein Schreiben, das Sie die Güte haben
wollen einstweilen zu beherzigen, bis mir das Vergnügen werden wird, mich Ihnen
persönlich vorzustellen, wenn ich sodann über ADes nähere Auskunft zu geben mir
vorbehalte. Ich bitte um nichts, als dass Sie dem in Frage stehenden Gegenstand
etwas Zeit gewinnen und ihn mit kaüem Blut prüfen inögen,
Untersuclien kostet nichts — und es dürfte sich zeigen, dass während Millio-
nen und Millionen in England und auf dem Kontinent unzweckmässig und unfrucht-
bringend zersplittert werden — der Bau einer Brücke zwischen Ofen und Pest eine
der nützlichsten Unternehmungen wäre, die man nur ergreifen könnte ; und zwar :
nützlich für den Staat im höheren Sinne, weil durch dessen Bau das Princip des
gleichförmigen Zahlens auf Strassen und Communicationen aller Ai-t in Ungarn auf
immer begründet wäre, ohne dem dieses Land sich nie entwickeln kann ; aber auch
nützlich für den immediaten Handel des Landes und die Verbindung der beiden
Städte, — und endlich tivarzugsweise nützlich ßlr die Unternehmer,*
Ich gedenke gegen den 24. d. in Wien einzutreffen, wann ich dann nicht
säumen werde, an Ihre Thüre anzuklopfen.*
Artiger und zugleich gescbäftsmässiger hat wohl noch kein Graf einer
Finanzmacht geschrieben. Bald vereinigt sich Szechenyi mit Kappel, Koväcs
und Tüköry, um Sina direct und ausdrücklich zu ersuchen, sich an die
Spitze der Brückenbau-Unternehmung zu stellen. Es ist gewiss, dass der
Baron durchaus nicht so hitzig dreingehen wollte. Wenigstens kommt Sze-
chenyi in einem Brief an Sina vom 15. Jänner 1837 abermals, und zwar
sehr dringend auf diesen Gegenstand zurück. Obzwar Sina ihm schon münd-
lich die Durchführung der Angelegenheit zugesagt hatte, wünscht Szechenjd
doch durchaus eine «an alle Viere gerichtete baldmöglichste geneigte Ant-
wort». Charakteristisch ist folgende Stelle dieses urgirenden Briefes:
•Sie beschuldigen mich, dass ich mich nicht fest an Sie gehalten, sondern
auch in die Arme Anderer, wie der Freiherm v. Eskeles, Pereira und Herrn Ulimann
geworfen hätte. Sie thuen mir aber Unrecht; denn vor allen anderen braucht das in
Frage stehende Unternehmen — welches auf guter, gesunder Grundlage basirt
ist — durchaus keines so ängstlichen Anbietens, imd sodann, weil Niemand besser
weiss, als ich, wie vom Ziel führend jeder Concurs und jede Aemulation bei Unter-
nehmen v<m so grossem Belange, wie das in Frage stehende, zu sein pflegt Wenn
ich aber als- Vorsitzer der Landes-Subdeputation von Leuten wie Baron Eskeles,
Pereira etc. angegangen werde, was soll ich thun ? sie geradezu rebutiren 9 ich, der
ich durchaus keine Vollmacht dazu habe, nnd die Verantwortung solches willkür-
lichen Verfahrens in einer Sache nie auf mich nehmen wollt«, über welche einzig
und allein die reichstägige Deputation zu entscheiden hat. Setzen Sie sich in meine
Lage, und urteilen Sie über mich gerecht ; vor allen anderen aber lassen Sie mich
nicht in diesem paralitischen Zustande, in welchen Sie mich versetzt haben !•
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GRAF STEFAN SZÄCHBNYl's BBIBFE. 131
Szechenyi schreibt aber noch an demselben Tage an den Grafen Anton
Mailäth nach Wien : Sina nehme eine zweideutige, schwankende Stellung
ein und Mailäth sollte allen Einfluss auf den Baron aufbieten^ damit dieser
endlich «losschiesse und sich als Unternehmer mit dem Erzherzog Palatin
und der Begnikolar-Deputation in Verbindung setzet. Es scheint jedoch^
dass Baron Sina zu jenen Zauderern in Geschäftssachen gehörte, die vor
lauter Aengstlichkeit, vor lauter Sucht nach Garantien und Furcht vor
möglichem Verlust lange zu keinem Entschluss kommen können. So that
zwar Baron Sina, wozu ihm Graf Szechenyi geraten hatte, er wendete sich
mit einer Eingabe an den Erzherzog Palatin, dieser aber war von dem Ton
der Eingabe durchaus nicht erbaut und äusserte sich zu Szechenyi, dieselbe
wäre weder schwarz noch weiss, und es solle ihm Leid thun, wenn er Sina,
den er sonst schätze, die Unternehmung nicht übertragen könne. Nun gerät
Szechenyi ins Feuer und bombardirt Sina mit Concepten, Calculationen,
Batschlägen, er beschwört ihn, der Goncurrenz bei diesem brillanten Ge-
schäfte nicht Zeit zu lassen und ihn, den Grafen Szechenyi nicht zu^blamiren.
Zum Ueberfluss trägt ihm Graf Szechenyi noch sein ganzes flottes Vermögen
von 300,000 fl. als Einlage zum Brückenbau an.
Endlich, nach wiederholten Urgenzen, liess sich Baron Sina herbei,
eine bestimmte Erklärung abzugeben. Am 13. April 1837 bestätigt Szechenyi
den Erhalt der «im Ganzen vortrefflichen Eingabe.» Am 25. April gedenkt
er Baron Sina in Wien aufzusuchen, um ihm «einige kleine Bemerkungen
mündlich vorzutragen, i
Nun ist also Sina der erklärte Mann Sz^chenyi*s und dieser beweist
fortan der Goncurrenz gegenüber, dass er seinem Geschäftsgenossen
unter allen Umständen treu bleiben will. Man lese nur, was er schon am
11. Juni 1837 an den Erzherzog Palatin schreibt:
«Herrn Wodianers « Gross! landlungshäusen sind heute durch eine neue Ein-
gabe an das Tageslicht gekommen. Diese werde ich Ew. k. k. Hoheit Morgen, so
bald sie dictirt ist, einzusenden die Ehre haben. Bis dahin nehme ich mir die Frei-
heit, Ew. k. k. Hoheit die Unterzeichneten hier anzuführen :
Woilianer Samuel ^s fia. Magyari Imre.
Ulimann Möricz maga nev^ben. Bobitsek Jözsef.
Ugyanaz Bär6 Dietrich Jözsef nev^ben. HegedÜa Zsigmond.
Grof ötäray Albert.
Bärö Orczy György.
Bärö ßedl Imre.
Premsperger Päl.
Jeder Unbefangene und Gutmeinende würde leicht einsehen, dass lüer nur
• Hindern* das lAmmgswort ist. Da indessen mit vieler Befangenheit und vielem
bösen Willen zu kämpfen ißt, so wäre meine Meinung, anjetzt nichts Anderes zu
thun, als um Sina nicid abzuschrecken, ihm auf eine gute Art beiläufig so viel
zukommen zu lassen : « Scheuen Sie eine solche Goncurrenz nicht, lassen Sie Ihre
9*
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132 GRAF STBFAK SZ^CHENYI^S BRIEFE.
Pläne je eher verfertigen, und rechnen Sie auf Billigkeit.! Ob ich nun in der Depu-
tation 80 viel zu Wegen bringen kann, bin ich nicht sicher, bitte also Ew. k. k»
Hoheit unterthänigßt •helfen Höchstdieselben mir Schwachen.^
Baron Sina legt sich morgen um 10 Uhr Früh Sr. k. k. Hoheit dem Erzherzog
selbst zu Füssen. Ein solches Wort i Lassen Sie Ihre Leute aus England und
Amerika ohne weiters kommen, setzen Sie sich über alle Concurrenten hinaus, und
überreichen Sie ihre Pläne baldmöglichst ohne Scheu, und bauen Sie auf den Recht-
sinn einer allerhöchsten Eegierung» würde auf jeden Fall alles retten.
Ich fürchte unbescheiden zu sein, Ew. k. k. Hoheit Höchstdero kostbare
Zeit auch jetzt in Anspruch zu nehmen. Höchstdero unversiegbare Güte hat mich
aber verdorben, und meine Absicht, ich kann es mit Selbstgefühl sagen, ist nicht
unedel. Ew. k. k. Hoheit ganz unterthänigster Diener
Graf Stephan Sz^chenyi.
So eben bemerke ich, dass ich auf bereits beschriebenes Papier diese Zeilen
setzte. Bitte tausendmal um Vergebung.»
Der Erzherzog erwies sich als feste Stütze Sz^chenyi's. Am nächsten
Tage schreibt dieser an Ersteren : tNach der heutigen Audienz, die Baron
Sina bei Ew. k. k. Hoheit hatte und von der er erfreut, ermutigt und ge-
stählt zurückkehrte, bin ich des Gelingens aller Vorarbeiten sicher. •
Sz^chenyi war es, dank seiner Energie und Schlauheit, noch mehr
aber durch die Treue des Erzherzogs gelungen, die Concurrenz aus dem
Felde zu schlagen. Höchst realistisch klingen die fröhlichen Zeilen, welche
der Graf hierüber an Sina schreibt :
iihre Angelegenheit steht so gut wie möglich. Wir hätten Wodianer et Co.
oder eigentlich Stäray, Ullmann et Co. ganz vor den Kopf schlagen können, ich
wollte es aber nicht, denn ich fürchte mich ganz erbärmlich vor Beaktionen. Jetzt
haben wir sie beseitigt, und unsere Opposition ganz gelähmt. Graf Stäray — da er
das Ganze nicht zerfallen machen konnte — stimmt jetzt ein anderes Lied an, über
welches ÜUmann et Wodianer heulen möchten ; er (Stäray) spielt nämlich den Zufrie-
denen, den Retter des Vaterlandes. tWir haben unsem Zweck erreicht, unsere.
Rolle ist ausgespielt, sagt er, wir haben die Deputation in ihre Schranken gewiesen,
sonst hätte sie ohne Bedingniss Alles dem Baron Sina zugesagt.» Ullmann et
Wodianer scheinen aber mit dieser politischen Demonstration nichts weniger wie
zufrieden, und werden gewiss einen Chef suchen. Ich wunderte mich nicht, wenn
Rothschild dennoch in dieses Unternehmen entrirte. Es wäre unangenehm. Zeit-
gewinn ist alles, denn am Ende ist das Ganze in den Händen des Erzherzogs, und
dieser ist ganz für Sie. Wenn er auch nur so lange lebt, als ich wüni^che ! In den
Ausschuss werde ich ausser Kappel, Tüköry imd Eoväcs, noch Andrässy, PoUak,
und wenn der Erzherzog erlaubt, Väsärhelyi hineinnehmen, um alles vorzuberei-
ten. Nun werde ich nächstens die Antwort aufsetzen, die Sie der Deputation geben
müssen, um sich gegen Eins und das Andere zu verwahren, denn tqui tacet, con-
sentire videtur».
Sz6chenyi ist jetzt wieder bei bestem Humor. Am 20. Juni schreibt er
an den BaroU; dieser möge seinen mündlichen Auftrag, wonach er die Kosten
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GBAF STEFAN BZ^CHENTl's BREBFE. 133
der Vorarbeiten a fond perdu zu tragen erkläre, in einigen an den Präses
der Begnicolar-Deputation gerichteten Zeilen wiederholen, da er, Szechenyi,
ja sterben könne und dann hätte die Deputation nichts in Händen. Und am
nächsten Tage erklärt er seinem «sehr geachteten Freunde» den Bescbluss
der Begnicolar-Deputation folgendermassen :
•Es freuet mich täglich mehr, mit Ihnen zu thun zu haben, da ich aus Allem
Hure Umsicht und Ihren praktischen Scharfsinn hervorleuchten sehe, ohne welche,
man mag sagen, was man will, weder Kleines, noch Grosses gelingt, da Patriotis-
mus, Seelengrösse etc. allein keineswegs auslangen.
Eines begreife ich nicht, wie Sie das nämlich verstehen zu müssen glauben,
was (^ie Beicbs-Deputation Ihnen und den Wodianem sagte.
Diesen sagt sie : «Wenn Eure Pläne und Bedingungen die besten sind, so
habt Ihr den Vorzug •.
Ihnen aber: cWenn Ihre Pläne und Bedingungen ebenso gut sind, wie die
andern, so haben Sie den Vorzug •.
Sehen Sie durch diese Aussage nicht die ganze Sache bereits in Ihren Hän-
den? Ja; sie gehört Ihnen, wenn Sie NB. bei Zeiten zugreifen und sich in Besitz
setzen, was die Hauptsache ist ; die Begierung ist für Sie, der Erzherzog ist für Sie,
die Deputation ist für Sie ; und endUch sind Sie der Mann der Vorsehung, der
seine Mission vollenden, und somit imter Andern auch die Pesther Brücke bauen
muss. Also vorwärts/
Ebenso wie es unmöglich ist, zu viel Umsicht zu haben, so muss man ande-
rerseits auch dreiuzuhauen verstehen, wie Sie 's gewohnt sind, also noch einmal
« Vorwärts/ 9 und erfreuen Sie mich bald mit einigen vollgewichtigen Zeilen •.
In ebendemselben Briefe hat Szechenyi Zeit, den Baron an die ihm
versprochenen tausend Ziganen zu erinnern. Da Baron Sina in grossen wie
in kleinen Dingen ein schlechtes Gedächtniss zu haben schien, so erinnert
ihn Szechenji kurz darauf sowohl an die schriftliche Erklärung, als auch an
die tausend Zigarren, von welchen er mit nächstem Schiff Hundert zuge-
sendet haben will, um seine entzündete Leber zu erfreuen.
Sina hatte also die Vorarbeiten zugesprochen erhalten und die Ver-
sicherung bekommen, dass er unter gleichen Bedingungen der Bevorzugte
sein werde. Die Goncnrrenzpartei ruhte aber durchaus nicht und suchte sich
durch Bothschild zu verstärken. Szechenyi erwies sich auch fernerhin als
guter Geschäftsmann und treuer Bundesgenosse. Er rät Sina, die Actien-
gesellschaft möglichst rasch zu formiren. Einen dirigirenden Ausschuss hatte
Szechenyi in Pest bereits gebildet. Als leitender Ingenieur für die Vor-
arbeiten, dem auch der Brückenbau übertragen werden sollte, fungirte der
Engländer Gark. Sz^henyi verlangt, Sina solle zwei Kaufleute herunter-
schicken, um die Preise der Materialien zu erheben, damit Clark einen
approximativen Eostenvoranschlag machen könne, auch sei mit Clark selbst
bald ein bindender Vertrag zu schliessen. Der Graf bittet Sina, vor der Grösse
der Vorauslagen nicht zu erschrecken, da sich dieselben bei der Grösse des
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134 GRAF STEFAN SZ^CHENYl's BRIEFE.
Unternehmens leicht einbringen Hessen. Und nun hören wir Szechenyi einen
Ausspruch thun, welcher beweist, dass er in alle Unternehmerkniffe bereits
eingeweiht genug ivar. Er schreibt nämlich als Nachschrift an den wahr-
scheinlich sehr engherzigen Baron Sina : «Die Vorauslagen gewähren übri-
gens einen grossen, wiewohl indirecten Vortheil, und zwar — dies bleibe
aber unter uns ! — dass sie viel Aufsehens machen, nicht controlirt werden
können, folglich in dem Finaltractate mit der Beichsdeputation man sie als
eine sehr grosse Last anführen kann.»
Etwas vorsichtiger drückt sich Szechenyi aus, indem er Sina die Bil-
dung einer Actiengesellschaft dringend empfiehlt. «Welche Motive mich in-
dessen bewegen, diese Ansicht zu haben, kann ich unmöglich dem Papier
anvertrauen ; ich muss sie mündlich darstellen, und zwar an Sie selbst oder
an Jemanden, der Ihr vollstes Vertrauen besitzt und der auch die Einleitung
solcher Angelegenheiten practisch versteht!»
Baron Sina scheint nunmehr volles Vertrauen zum Grafen Szechenyi
gefasst zu haben. Wenigstens schreibt dieser am 10. September 1837 an
Erstem: «Sie haben mich zwar in einem Ihrer Briefe auf das Schmeichel-
hafteste mit Ihrem grössten Vertrauen beehrt und mir eine grosse Vollmacht
eingeräumt, es handelt sich nun aber um den Teil des Unternehmens, der
kaufmännisch zu berücksichtigen kommt und da gestehe ich mich viel zu
wenig competent, um allein ohne Gontrole dastehen zu wollen.» Die
schlimmen Folgen des innigen Attachements des Grafen an Sina sollten
nicht ausbleiben; am 8. November 1837 schreibt er: «Meine Stellung ist als
Mitglied der Landesdeputation sehr schwierig, ich bekomme von allen Seiten
Insinuationen der niedrigsten Art: ich hätte mich an Sie verkauft, um
tüchtig Geld zu machen, was mit meiner Stellung als eines der Hauptmit-
glieder der Landesdeputation incompatibel sei. Man sieht aus Allem, wie
sehr die Juden durch ihre 100 Kamificationen emsig gewesen sind, Sie und
mich in ein verdächtiges Licht zu setzen.» Am Schlüsse desselben Briefes
bittet Szechenyi den Baron: «seine Briefe und Alles, was er an ihn sage,
auf das Scrupulöseste geheim zu halten /»
Die Concurrenzpartei, mit Wodianer an der Spitze, hatte sich inzwi-
schen verstärkt und Graf Szechenyi musste wieder einmal Alles aufbieten,
um seinem Freunde Sina das Brückenbaugeschäft zu retten.
IV.
Die auf die Kettenbrücke bezüglichen Briefe des Grafen Szechenyi
nehmen noch fortwährend unser Interesse in Anspruch, da sie uns von der
Zähigkeit, Principientreue und geschäftlichen Umsicht des grossen Ungars
einen ziemlich deutlichen Begriff geben. Wie oben erwähnt, hatte Graf
Szechenyi dem Baron Sina gegenüber sich verpflichtet, ihm den Bau zu
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GBAP STEFAN SZECHENTl's BRIEFE. 135
sichern, während eine von Wodianer geführte Gruppe dagegen conourrirte.
Beide Parteien Hessen Pläne von der Brücke anfertigen, Sina durch Olark,
Wodianer durch Rennie. Im Verfolg des Briefwechsels mit Sina vertieft sich
Szechenyi auch in die Eisenbahnprojecte (Wien Raab-Ofen) des Ersteren.
Am 16. August 1837 schreibt Sz6chenyi an Sina bezüglich der Ketten-
brücke :
iDie Kanone ist losgebrannt, die Sclüacht beginnt, ganz Europa wird näch-
stens davon reden. Ihr Name steht obenan, vergessen Sie das nicht, hochgeachteter
Freimd! (Vielen Dank für die Zigarren! Wenn auch nur jene, die kommen, ebenso
gut sind, wie die Sie mir sandten. Auch hierin wussten Sie das Beste zu finden.
Ich, der ich ganz Europa ausforschte, fand sie nicht !)>
Am 17. November schon schreibt er an Ebendenselben:
•Soviel können Sie einstweilen als sicher annehmen, dass Sie auf jeden Fall
auf das EhrmroUste und beinahe so sicher, wie 2x2=4, als Sieger aus diesem
Kampfe hervorgehen werden. Es ist aber die aüergrösste Umsicht notwendig, und
nicht als ob Gefahr wäre, dass das Geschäft in Wodianer' s Hände übergeht, son-
dern weil wirkliche Gefahr droht, dass Wodianer u. Cie. Alles aufbieten werden,
eher das Ganze zerfallen zu machen, als Ihnen den Bau zu überlassen. Ob ihnen
nun dies gelingt, weiss ich nicht imd werde idas Meinige thun», um es zu hindern.
Zu besorgen bleibt es dennoch in grösstem Maasse, denn, wie Sie wissen, ein Narr
kann oft mehr verderben, als hundert Weise zurecht richten. Und wie erst i bos-
hafte Narren !•
Eben von Wodianer schreibt er am 24. December :
•Ich hätte in ihm nicht so viel Energie und Ausdauer vermutet und man wird
viel aufbieten müssen, um sie zu besiegen, denn sie haben, wenn wir ims nicht
betrügen wollen, die Mehrheit der Stimmen für sich. Der Erzherzog wird aber den
Ausschlag geben. •
Wie eingehend Graf Szechenyi sich mit seinen Projecten befasste, be-
weist folgender Fragebogen, den er an den Baron richtet :
•Welche Arenda bezahlt der Arendator der Taborbrücke (Schiffbrücke) ?
Nach welchem Tarif zieht er die Brückenmaut? Zahlen Regiei-ungsleute auch Maut
oder zahlt die Regierung ein Pauschale? Wessen Eigenthum ist die Kettenbrücke
in Böhmen? Wer baute sie? Was kostete sie? Nach welchem Tarif wird darauf
bezahlt? Wie lange dauert die stipulirte Zahlung ? Ewig oder auf bestimmte Zeit-
frist ? Was hat die Regierung dazu gegeben? Oder zahlt die Regierung auch?»
In einem zwei Tage später datirten Briefe fragt Szechenyi den Baron,
ob er etwas in Hinsicht der Preise des Granits und des Holzes gesammelt ?
Der strenge Winter von 1837/38 hatte zur Folge, dass man diei Not-
wendigkeit einer starken Brücke, aber nur auf zwei Pfeilern, einsehen lernte
und somit das Project Clark's an Beliebtheit gewann :
«Wodianer und Co. machen lange Gesichter. Sie sind aber sehr gewandt und
stets auf den Beinen, so dass ich sie imm^r fürchte und gegen sie all unser Geschütz
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136 GRAF STEFAN SZl^ENTl's BRIEPE.
aufsuföhren anrate. — — — Eb ist gegen meine Gewohnheit, die Bärenhaut
früher zu verkaufen, als sie vollkommen ausgegerbt ist, denn die zu frühen Sieges-
FaDfaren pflegen gar oft in Klagetönen den Ueberwindem zu enden. So viel aber
menschlicher Weise prognostizirt werden kann, so können Sie von Ihrem Siege
bereits sicher sein.»
Man sollte es nicht glauben^ dass die Stadt Pest nicht aufhörte, den
Brückenbau zu hintertreiben. Wir citiren folgende charakteristischen Stellen
aus Szechenyi*s Brief vom 12. Jänner 1838 :
•Einige Stimmen haben sich bereits verlauten lassen: •Die Stadt würde
gegen jede AH Brücke protestiretiy und bis zu S. M, dem Kaisergeken, da sie wegen
einer Theorie nicht ihre Habe aufs Spiel gesetzt haben wollten.» Ich ignorire dies
zu Schein ganz, thun Sie einstweilen dasselbe. Wir müssen aber machen. Clark
annoncirt mir ein Paquet, das er durch Sie an mich sendet. Es ist 'Fliee darin, und
vielleicht einige Zeichnungen. Ich bitte Sie, es aus den Klauen der Maut zu ret-
ten, und mir ehebaldigst übersenden zu lassen, da ich — besonders nach dem
Thee — wirklich schon lechze. Bei dieser Gelegenheit bringe ich die guten, dicken
und leichten Cigarros dellos amicos in Ihr Gedächtniss, von denen Sie mir bereits,
ich glaube 100 sendeten — wovon ich übermorgen die allerletzte rauchen werde,
1000 Stück aber bringen zu lassen mir gütigst versprachen !
Ich höre, oder lese vielmehr in den Zeitungen, dass Sie Ihr Eisenbahn-Privi-
legium für die Strecke von Wien, über Baden ? Neustadt ( ?) Oedenburg ( ? ?) nach
Raab bereits erhalten haben. Ich hoffe, d<iss Sie auf mich doch nicht ganz vergessen,
und mir einige Stück Aktien um den Emissions-Preis zukommen lassen werden,*
Am 1. Februar 1838 teilt Szechenyi seinem Freunde Baron Sina mit :
•Heute ist grosse Conferenz bei Gr. StAray, der vor einigen Tagen angekom-
men ist imd bei dem sich alle lUre Widersacher vereinigen werden. Sie aber sollten
Wodianer abtrünnig machen. Er ist ein Kaufmann, er will gewinnen, sein Spiel
ist somit zu begreifen und zu verzeihen. Die St. et Co. sollten aber eine Lehre
bekonmien, die man ihnen unmögUch besser geben könnte, als wenn man W. ver-
möchte, sie in Stich zu lassen, denn dann wären sie wirklich in einer lächerlichen
Szene, da W, der mizige praktische Kopf unter ihnen ist, »
Im März sollte die Beichsdeputation über die vorgelegten Concurrenz-
pläne von Sina und Wodianer entscheiden. Szechenyi schreibt an Sina :
«Präsidirt Graf Batthyäny, so wäre es wohl rätlich, ihn bei Zeiten für Sie
zu stimmen, wie nicht minder den Protonotär Vegh, der die Feder führt
und auf den natürlich sehr viel ankommt. •
Bald darauf gelingt es Szechenyi, die Fusion zwischen Wodianer und
Sina zu Stande zu bringen, was ihn sehr erfreut, weil er Wodianer für die
Seele der Gegenpartei hält. Inzwischen hat Baron Sina seinen Prospect von
der Wien-Baaber Eisenbahn lanzirt nnd Szechenyi ins Gomite gewählt. In-
teressant ist folgende Gewissensfrage, welche Szechenyi am 9. März 1838 an
Sina richtet :
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GRAF STEFAN aZÄCHENYl's BRIBFK. 137
«In Hinsicht der zu vertheilenden Aktien der Baab-Wiener Eisenbahn,
erkiube ich mir eine Anfrage an Sie zu machen : Dürfen and sollen die Mitglieder
jener Deput., deren Einer ich zu sein die Ehre habe, von jenen 2500 Stück Aktien,
die Sie für Ungarn bestimmen, frei und ungehindert schöpfen? Es ist eine kitzliche
Sache. Geschieht keine starke Nachfrage, dann könnte ich z. B., um den Weg zu
zeigen, um das Beispiel zu geben, für 50.000 oder 100.000 fl. unterfertigen, werden
sie aber gesucht, dann kann ich, den man ohnehin im Yei dacht eines interessirten
Menschen zu haben anfängt, weil er noch keinen Sequester auf dem Bücken hat,
höchstens 5 bis 10 Stück Aktien quasi zum Kosten nehmen. Nun haben sich aber
bereits zwei hiesige Grosshändler mit m/260 bei mir vorgemerkt, so dass ich es bei
der nächsten Zusammenkunft melden werde müssen ; ich aber möchte, als einer der
ersten Besitzer im Oedenburger Komitat, wenigstens für m/50 in diesem Geschäft
interessirt sein. Wie ist das, ohne mich ab Mitglied dieser Deput. zu kompromitti-
ren — zu erzielen? Hierüber wollen^Sie mir ein geneigtes Wörtchen sagen.!
Die im März 1838 eingetretene Ueberschwemmung von Pest machte
allen Brückenprojecten vorläufig ein Ende, welche Graf Szechenyi nunmehr
sieben Jahre lang mit Bienenfieiss betrieben. Der von der üeberscbwemmung
datirte Brief ist zu charakteristisch, als dass wir ihn nicht reproduciren
sollten:
•Pesth ist für den AugenbUck, man kann sagen, t zerstört.^ Jede Beschrei-
bung, die man Ihnen bis jetzt gegeben hat von den Verheerungen, kann nur schwacli
fein. Wie sich das Ganze entwickeln, ob gänzHches Versinken, Vegetiren oder ein
kräftigeres Aufblühen eintreten wird, ist zu erwarten. Ihre seelenvolle Gabe hat
Wunder gewirkt ; und nie war eine mehr zu seiner Zeit gespendet, denn sie glänzte
nicht nur als ein edles, nachahmenswertes Beispiel, sondern erhob vor allem die
Gemüter, und diese im Allgemeinen zu erheben, war eine noch weit grössere
Wohlthat, als hie und da ein sieches Leben zu fristen oder einstweilen leere Mägen
zu füllen.
Plews and Stater, die während dieser Katastrophe mehrere Tage im Jäger-
hom gefangen waren und nichts mehr zu leben hatten, brachte ich mit einem
Boot zu mir. Sie können Ihnen keine Details über das Elend gegeben haben, da sie
dessen weites Feld, nämUoh in den Vorstädten, nicht sahen.
Ich wurde durch körperliche Anstrengung ganz erschöpft. Vorgestern war ich
mit meiner unglücksehgen Leber wieder ausnehmend leidend. Seit gestern stehe
ich neuerdings — obschon schwach — auf den Beinen. Heute Morgens schiffte ich
meine Frau mit 8 Kindern und 12 Dienern aller Gattung auf den Ärpäd ein, um
sie über Gönyö nach Zinkendorf zu senden. Seitdem sie weg sind, bin ich in mei-
nem Innern weniger bange und gedenke nun vorläufig hier zu bleiben, da ich es
für einen Mann, der hier etabHrt ist, wirkUch für schimpflich halten würde, diesen
Ort jetzt zu verlassen. Der Erzherzog trifft alle Anstalten selbst, ist für jeden sicht-
bar und voller Energie. Wir sollten Ptsth nickt sinken lassen. Eine Anleihe von ein
paar Millionen an die Stadt könnte das Ganze repariren. Die Stadt könnte eine
gute Hypotheke sein. Denn die Stadt würde allen industriösen Inwohnern ihre
Häuser aufbauen, und von ihnen allmählig zurückzahlen lassen. Das Prinzip
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1^ GRAF STEFAN SZ^CHENYI'b BRIEFE.
wäre gilt, nur müsste die Application gut geschehen. Eine Kommission von ehrli-
dien LeiUeti sollte das Ganze manipnliren ; und könnte ich das letzte Mitglied dieser
Kommission sein, so schätzte ich mich glücklich. Ein Oeschenk war jetzt aasserst
wohlthnend; nun wäre aber eine Anleihe an der Tages-Ordnnng.»
Die Anstrengungen, welchen sich Graf 8z6chenyi bei der Pester Ueber-
schwemmung unterzog, hatten eine schwere Krankheit zur Folge, eine
Affection der Leber, des Magens und der Gedärme, mit starkem Fieber unter-
mischt. Der Graf hatte unsäglich viel zu leiden, die Gelbsucht entstellte ihn
und Gallergüsse störten den ganzen Organismus. Er machte Testament.
Dabei war er bei vollem Bewusstaein und gibt in den Briefen an Tasner die
umständlichsten Beschreibungen seiner Krankheit und von dem dagegen
angewendeten Verfahren. In den Briefen an Tasner enthüllt sich überhaupt
der Privatcharakter Szechenyi's, den wir als sehr guten Wirth und als sehr
misstrauischen Geschäftsmann kennen lernen.
Im September des Jahres 1838 ist Stefan Szechenyi endlich soweit
genesen, dass er sich wieder seinem Kettenbrückenproject zuwenden kann.
Einen geradezu exaltirten Brief schreibt er am 3. September an den flrzher-
zog Stefan :
•Ew. k. k. Hoheit, durchlauchtigster Erzherzog!
Indem ich die Ehre habe Ew. k. Hoheit die Eingaben des Barons Sina im
Drucke hiemit zu tibersenden, rufe ich laut auf « Victoria. • Alles gehet vortrefflich;
und wem haben wir es zu verdanken ? Höchstdero verehiimgswürdigem Vater, der
mit gewohnter Weisheit den ganzen Gegenstand, — ohne viele Kraftäusserung,
aber nur ebenso viel, als nötig war — in ein solches Gleis zu bringen wiisste,
dass derselbe nun — ausser es käme ein unberechenbarer feindseliger Komet
inzwischen — bestimmt zu seiner vollkommenen Entwicklung gelangen wird. Auch
diesmal hat der Löwe, wie bisher bei jeder schwierigen Stellung, der Maus aus dem
Netze geholfen ! Ach Gott, dass es der Maus nur gegeben wäre, ihre Dankbarkeit zum
Löwen auf irgend eine recht erprobliche Art an den Tag zu legen ft
Ebenso schreibt er am 11. September an den Erzherzog Josef:
t Gottlob wir sind endlich glücklich mit dem Baron Sina übereingekommen,
und zwar mit der Annahme des von ihm vorgeschlagenen Tarifs und 97 priv. Jahre-
Es bleibt nun nichts Anderes übrig, als den Vertrag zu entwerfen, zu concertiren
und zu unterschreiben. •
Bei der Abfassung des Vertrages hat Graf Szechenyi an Baron Sina die
dringende Bitte zu richten, er möge an den Punktationen der Begnicolar-
Deputation weder etwas ändern, noch etwas hinzufügen, sonst wäre «die
Sache verloren.» «Sie denken nicht, welches Aufsehen das Ganze hier erregt,
und wieviel feindliche Kräfte sich gegen uns und die Brücke überhaupt
erhoben» und sehr charakteristisch ist der Bat, den er dem Baron Sina
bezüglich «der Uebertragbarkeit des Privilegiums» gibt. Er möge ja nicht
die leiseste Erwähnung davon machen, «zu was aber auch? Es versteht sich
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GRAF STEFAN SZÄCHENTl's BRIEFE. l'^9
ja von selbst .... und geben Sie alle Ihre Actien weg .... so haben Sie ja
das Ganze an Andere übertragen !»
Wir fürchten nicht, unsere Leser zu langweilen, indem wir ihnen noch
einige Geschäßsbriefe des genialen Grafen vorlegen, da diese grosse Erschei-
nung unseres öffentlichen Lebens von dieser in alle Kleinigkeiten eindrin-
genden practischen Seite noch nicht genügend bekannt ist. Es scheint fast,
als ob Graf Sz6chenyi bei der Brückenbau-Unternehmung selbst stark
betheiligt gewesen wäre. Man vmrdige folgende Epistel an Baron Sina vom
20. October 1838:
«Hochwohlgebomer Freiherr, Sehr geachteter Frennd!
Ihr Schreiben vom 19-ten 1. M. beantwortend, eile icli Ihnen zu sagen, daaa
mir Clark durchaus keine speziellen Uebersobläge oder Dimensionen über das
nöthige Holz etc. für die Brücke von Pesth übergeben oder eingesendet hat, dass
aber alles das noch zu gewärtigen kommt.
Einstweilen kann indessen zu Yorausberechnungen und um die nötigen
Lieferanten zu finden, jene Spezifikation dienen, die er Ihnen gab, die Sie in Hän-
den haben müssen, und die den in Frage stehenden Bedarf — wie ich mir es auf-
zeichnete — folgendermaesen angibt :
3333 Blöcke von bestem Granit, jeder 5 Fuss lang, 5 Fuss breit und 15 bis
18 oder 20 Zoll dick.
3333 Blöcke von Csobdnkaer oder andei-em guten Stein. 5 Fuss lang, 2Vi Fuss
breit, und von 15, 18 bis !20 Zoll dick.
6666.
9999.
Sodann
1200 piles 60' lang 15" quadrat (von Ende zu Ende.)
Eichen
1200 43' lang 15" quadrat,
240 20' lang etc.
Da für den Augenblick nichts zu thun ist, als sich cumzusehem, imd alles
üebrige noch einige Wochen Zeit hat, so wollen Sie mir erlauben, dass ich mich
über alles dies höchstens die ersten Tage November in Wien expektoriren dürfe.
Gut wäre es, wenn Sie einstweilen jene Bittschrift aufsetzen Hessen, die Sie,
wegen der Magazine und der freien Einfuhr des Eisens, an die Begierung einzu-
reichen haben, und die im völligen Einklang mit der lateinischen Bepräsentation
der Deputation an Se. Majestät sein muss, in deren Besitz Sie sind und ich nicht bin.
Für dieses Jahr ist nichts Anderes zu thun, aber dies muss gethan werden, als :
1. Mit der allerhöchsten Begierung in's Beine zu kommen.
2. Die Ordres geben, dass das nötige Holz den kommenden Winter in Slavo-
nien geschlagen werde.
3. Sich vorläufig über das nötige Quantum Stein zu assekniiren, imd viel-
leicht, wenn die Genehmigung einer allerhöchsten Begierung noch Mhzeitig genug
erfolgen sollte,
4. Die Ordres an Clark wegen der Verfertigung des Eisens in England geben. »
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^^ GRAF STEFAN SZlScHENYl'ß BMEFB.
Aehnliche Briefe im Bauunternehmerstyl finden sich noch mehrere.
Auch etwas vom Bankier steckt in Szechenyi. Am 28. October schreibt er an
den Baron : «Ich höre, unsere Begierung wird wieder eine Anleihe nego-
ciiren. Da Sie dabei gewiss die Persona prima spielen, so bitte ich Sie,
vergessen Sie mich nicht I»
Nun kam noch ein allerletzter, harter Prüfstein für das Eettenbrücken-
project, welchem Szechenyi eine so grosse socialpohtische Bedeutung in
Folge der beabsichtigten Besteuerung des Adels beilegte. Es hiess, dass
Metternich den zwischen Sina und dem Landtag bereits abgeschlossenen
Gontract abändern und dadurch die ganze Sache wieder in Frage stellen
wolle. Man beachte nun den Ton, in welchem Graf Szechenyi an den all-
mächtigen Staatskanzler schreibt (9. December 1838) :
«Ew. Durchlaucht!
Ew. Durchlancbt haben sich in Hinsicht der zwischen Ofen und Pest zu
erbauenden Brücke gegen mich stets so zu äussern geruht, dass Hochdieselben ganz
für die Sache sind, nur hätte sie nicht ausschUesslich von einzelnen, sondern im
engsten Zusammenhang mit einer allerhöchsten Begierung ausgehen sollen. — Ew.
Durchlaucht sind also für die Sache, billigen indessen die Form nicht. Da nun
meine Person der eigentliche Urheber dieses ganzen Glegenstandesist, so verspreche
ich hiemit, dass ich nie wieder einen Gegenstand dieser Art in Diskussion bringen
will, ohne darüber die Billigung einer allerhöchsten Regierung früher einzuholen;
bitte aber zugleich für diesmal die Sache der Form nicht aufzuopfern. So aber, wie
sich die Gerüchte verbreiten, scheint sie in grosser Gefahr zu sein, da, wie man
sagt, jener Kontrakt, den die Beichsdeputation in der fraglichen Angelegenheit
mit dem Baron Sina scbloss, von S. M. nur conditionatim sanktionirt, oder gar bis
zum künftigen Landtag verschoben werden soll. Ist das der Fall, so Mt das Ganze,
was seit sieben Jahren mit unsägUcher Mühe und nicht geringerem Glück ganz
nahe zu einer Konklusion gebracht wurde, wieder in Nichts zusammen und wird
zur Folge haben, dass der ungarische Adel sich nie wieder dazu bequemen wird,
freiwillig und gesetzlich — was doch etwas wert ist — selbst den ersten Schritt
zu thun, um sich der allgemeinen Last zu unterwerfen und dass den unausbleibH-
eben Gesetzen der Beaktion gemäss, — soUte die vollkommene Sanktion S. M.
nicht erfolgen — gerade Jene zu seiner Zeit am meisten gegen die Begierung
schreien werden, dass diese nicht einmal da einen Schritt vorwärts thun will, wo
sich der Adel zum Zahlen selbst anträgt, die jetzt Alles auibieten, um das bereits
gebrachte Gesetz zu vereiteln, was sie auch, ich stehe dafür — denn ich kenne das
Terrain zu gut — erreichen werden, wenn Ew. D. zugeben, dass der besagte Kon-
trakt noch einmal an die Beichs-Deputation zurückgesendet werde — was natür-
Ucher Weise geschehen muss, wenn S. M. den Kontrakt nicht allsogleich zur Effek-
tuirung zu befördern geruhen — oder wenn die ganze Sache gar auf den kommen-
den Landtag postponirt wird, dessen Folgen nicht abzusehen sind.
Das Gesetz wurde nach allen Formen gebracht, S. M. sanktionirte es, die
Beichs-Deputation hat laut Gesetzes eine illimitirte Vollmacht erhalten ; bewirken
£. D. demnach, dass S. M. die Effektuirung des Gesetzes Wort für Wort nach dem besag-
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ORAF STEFAN SZÖOHBNYI'b BRIEFE. 1*^
ten Kontrakt ohne Verzug befehle — so ist die Sache konkhidirt. E. D. ! Die Sache
ist för Ungarn von -einer unendlichen Wichtigkeit — denn dieser Schritt, der bereite
als klares Gesetz da stehet — wird ohne den geringsten Konklusionen allmälig das
nach sich ziehen, dass der ung. Adel ein allen Lasten des Landes Teil nehme.»
loh habe personlich gar keinen Vorteil dabei, im Gegenteil werde ich, als Urheber
der Sache nnd Mitglied der Beichs-Deputation, dem allermeisten Odium ausgesetzt
sein. Ich bin aber überzeugt, dass das Gelingen des in Frage stehenden Gegenstan-
des, in jeder Hinsicht, so viel wesentliche Vorteile für Ungarn nach sich ziehen
wird, dass ich jede Zensur meiner Person und meiner Absichten gern ertrage. Und
diese meine Ueberzeugung ist so gross, dass sie mich auch zur Absendung dieser
Zeilen bewegt und mir fühlen macht, dass E. D. meine ehrhch und gut gemeinte
Absicht nicht missdeuten, mich Höchstdero WohlwoUen auch femer erfreuen
lassen und von dem gesagten nach Hochdero Weisheit Gebrauch machen werden,
der ich mich — «mir auf jeden Fall die Hände waschend» — mit der imbegr&nz-
testen Hochachtung und aufrichtigsten Ehrerbietung nenne Ew. Durchlaucht gehor-
samsten Diener etc.»
Doch nicht genug mit diesem demütigen Briefe an Mettemich, er
schreibt am nächsten Tage an Baron Sina, er möge «alle Minen springen
lassen, zum Erzherzog Ludwig, zu Mettemich, zu Kolowrat gehen und möge
ihnen vorhalten 1 . dass der Palatin bereits seine Unterschrift gegeben, 2.
dass Graf Sz^cbenyi bereits 70.000 fl. ausgegeben, 3. dass die Absicht mit
der Besteuerung des Adels sonst für lange vereitelt würde, 4. dass Graf
Szechenyi bereits Contracte für Holz und Stein abgeschlossen hätte und man
ihn nicht sitzen lassen dürfe, 5. dass Europa den Kopf über die Wiener
Eegierung schütteln würde.» Graf Szechenyi schreibt und hetzt, wie ein
echter Agitator. Baron Sina soUe nichts, ^auch die kleinsten Hilfsmittel
nicht unversucht lassen.» Ihm selbst geht es «miserabel, aber die Hetze thue
ihm wohl. Es mache ihm viel Spass. Je mehr darunter und darüber, desto
besser.»
IndesB die Hetze wurde immer ärger und Graf Szechenyi konnte seine
Gkklle nicht mehr zurückhalten und erhob sich zu dem Mute, seihst den
Reichskanzler anzugreif eUy wovon der folgende Brief, am 14. December 1838
an Erzherzog Josef gerichtet, ein für immer denkwürdiges Zeugniss ablegt :
«Ew. k. k. Hoheit, Durchlauchtigster Erzhensogf
Indem ich Ew. k. Hoheit das letzte Schreiben des Barons Sina, welches ich
gestern spät Abends bekam, hier beigebogen zu unterbreiten die Ehre habe, erlaube
ich mir zugleich, die Ansicht Sr. Durchlaucht des F. Mettemich, wie er sich kürz-
lich in seinem Salon äusserte, E. k. H. hier ganz imterthänigst mitzuteilen. Se. D.
findet, dass das, was durch den Bau der Brücke gewonnen wird, die Opfer nicht
wert wäre, die das Land bringen soll. Die anderen Feinde der Brücke in Wien
führen hingegen als Hauptargument — damit die Sache bis auf den Landtag post-
ponirt werde, das an, dass sie unpopulär sei. Man muss gestehen zwei
gehaltvolle Argumente fürwahr, um ein klares Gesetz nicht zu erfüllen, weil es nicht
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1^^ GRAF STEFAN SZ^CHBNYl's BRIEFE.
SO viel nützen soll, als es kostet, und weil es unpopulär ist ! In den Theiss-Oegen-
den wollen hingegen Einige, wie die Herren Szombathelyi, Elauzäl, Beötby, Noväk
etc. (die sich sammt und sonders gegen die Brücke prononciren, weil sie dies
populär halten und es somit für klüger erachten, sich dagegen zu äussern, um es
mit ihren etwaigen Wählern nicht zu verderben) in dem 29. Gesetzartikel 1832/6
das finden, dass die Deputation gar nicht das Recht hatte, mit B. Sina abzusohlies-
sen, sondern erst die Ratifikation des Landtages hätte einholen sollen ; sie behaup-
ten demnach, die Deputation habe ihre Vollmacht überschritten : da doch der Eon-
trakt für das Land weit vorteilhafter ist, als es die Grenzen des Gesetzes erlauben
würden. Ueberdies behaupten sie : B. Sina hätte eine volle Garantie gewähren sollen,
nach 97 Jahren die Brücke dem Lande im besten Zustande zu übergeben; repräsen-
tiren werden sie indessen nicht, ausser wenn sie nun hören sollten, dass man dies
in Wien quasi verlangt und erwartet I Eine Karrikatur ist bereits auch auf dem
Tapet — wo die Deputat, durch Aktien gehetzt — in einem Thermometer darge-
stellt mit dem Tarif imd den Jahren immer höher steigt, bis meine Person die ent-
setzlichen 97 Jahre ausspricht. — Korcher, hiesiger Magistratsrat, mit dem Fiska-
len Sigmund Hegedüs hat berechnet, dass Baron Sina 50.000,000 fl. K.-M. durch
die Brücke gewinnt I Graf Josef Esterhäzy in Wien findet das am härtesten, dass
nach der Erbauung der Brücke kein Mensch ein Schiff auf der Donau wird haben
dürfen, und dass B. Sina nur die Hälfte der Aktien für Ungarn bestimmte ! ? etc.
Alles dies ist albernes Zeug, ohne Zweifel, und man sieht, dass die Leute
nicht nur von der Sache nichts verstehen, sondern nicht einmal, die so reden, das
Gesetz, noch den Kontrakt gelesen haben. Wenn man sich aber an das Sprichwort
erinnert, dass viele Gänse einen Wolfen tödten, dann wird einem doch bange und
wahrUch nicht mehr um die Brücke und alles das, was damit verbunden ist, son-
dern — ich muss es offen heraussagen — unter einer solchen Regierung Gut und
Leben zu haben, die sich auch nur einen Augenblick durch derlei Gewäsch von der
strengen Vollziehimg des Gesetzes abhalten lässt ! — Ich bin sehr leidenschaftlich,
E. k. H., ich weiss es, und habe meine Sympathien und Antipathien, wie ein
Anderer, ich will es eingestehen ; aber abgesehen von jeder Persönlichkeit, muss
ich bekennen, ^7ide ich es für unser Land ein grosses Ungliwk, dass solclw VerhäU-
yiisse obwalten, wo der Kanzler ein Separat- Votum über das geben kann, was E, k.
IL mit Höchstdero Handschrift und Insiegd bekräftigen,*
In einem weiteren Briefe an Baron Sina vom 14. December treibt er
diesen zu ruheloser Thätigkeit an, nennt ihm eine Anzahl Intriganten und
Feinde, auf welche man Acht haben müsse und schreibt sogar, auf Wunsch
des Palatins, an Se. Majestät. Zum Schluss äussert er sich gegen Baron Sina
folgendermassen :
•Jetzt bitte ich Sie um Folgendes: «Geben Sie auf Ferdinand Pälffy recht
Acht.i Dieses Männlein soll sicliilie Füsse ungeheuer ablaufen, um die Sache zu
zertrümmern. Sie haben ihn ja in Händen. Sodann soll man im Salon von Fürst
Mettemich sehr gegen die Brücke schwätzen, Fürstin Melanie besonders, und blos
aus Unkenntnias der Saclie etc. Die sollten Sie auch nicht negligiren. Nagy Päl läuft
sich auch ab, um zu schaden, und ist ein verdammt zäher kecker Intrigant, auch
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(SHUF STEFAN SZ^HBNYT^S BRIKFBS. 14^
diesen bitte ich wo möglich im Zaum zu halten. E. H. Ludwig imd 6r. Eolowrat
Bind — wenn ich mich nicht irre — ganz für sie gestimmt. Können Sie, so senden
Sie mir das Votum separatum von Pälfiy per extensum oder wenigstens in der
Essenz, damit ich es dem Erzherzog mitteile, der — wie ich weiss — es sehr gerne
haben möchte.
Es war übrigens voraus zu sehen, dass Wir Adelige in Ungarn einen horren-
den Lärm schlagen würden, wenn es einmal ad firactionem panis kommen wird,
dass wir die Jungferachaft (des Nicht Zahlens) verlieren würden.
Hier verbreitet sich auch das Gerücht, Eskeles hätte sich angetragen, gerade
dasselbe zu leisten, was Sie, aber mit 50 privat Jahren ! Was ist an dieser Sache?!
So sehen wir den Grafen Szechenyi nun schon im achten Jahre für
sein Brückenproject kämpfen. Und noch sollte es kein Ende nehmen. Als er
die allerhöchste Sanction schon erhalten zu haben glaubte, meldete sich ein
neuer Concurrent — das Wiener Haus Arnstein u. Eskdes, verbunden mit
Graf Sztäray, Ullmann und Consorten. Am 6. März 1839 schreibt der Graf
an seinen Baron :
•Hochwohlgebomer Freiherr, Sehr geachteter Freimdl
Ihrem Schreiben vom 3-ten zu Folge — das ich gestern bekam — konnte
ich erst heute spät (nach dem Abgang der Post) mich Sr. Hoheit vorstellen. Ich
kann Ihnen in Kürze nur das sagen, dass nach dem unumwimdeneu Ausspruch S.
k. H. in so ferne die Entscheidung der fraglichen Angelegenheit, wie Sie mir berich-
ten, wirklich herabgesendet und Höchstdemselben übertragen werden wird, dieselbe
als apodictisch und auf der Stelle zu Ihren Gunsten beendigt angesehen werden
kann, und wir somit die Siegesposatme ohne alle Eücksicht in die Ohren von Sztäray,
Ulimann et C. ertönen lassen können, denn S. k. H. wird — wie er erklärte und
mir auch erlaubte, Ihnen dies mitzuteilen, — die ganze Angelegenheit höchstens
3 Tage bei sich behalten, und mit solchen 48-Pfündem auftreten, Äie Eskeles und
Konsorten gewiss nicht anticipirten und die selbst M. Ullmann ^üfetzen* machen
dürften. Indessen glaubt der E. H. zuversichtlich, dass die Sache nicht zu ihm
komme, sondern in der grossen Conferenz, auch ohne sein Zuthim, zu Ihren Gunsten
entscliieden sein wird. Gott gebe es ! Da gestehe ich aber, bin ich nicht Höchst-
seiner Meinung, und fürchte, dass es dort auf jeden Fall ein Hackerl haben oder
lange liegen bleiben dürfte ; während die Sache als concludirt zu betrachten ist,
kommt sie hierher. Ich bitte Sie, — vergeben Sie mir den Ausdruck — ■ schlafen
Sie ja nicht ein, • oder vielmehr : lassen Sie sich durch nichts einschläfern, bis Sie
den Eontrakt auch von der Begierung genehmiget nicht im Sack haben. Unsere
Antagonisten sind wie der Teufel, «sonder Buh und sonder Bast.i
Während dieser «Hetze» um die Kettenbrücke, um welche als Bewerber
zum Schluss noch Baron Pereira auftritt, hat Graf Szechenyi Zeit, sich mit
dem Grafen Moriz Sändor über Wettrennen und Pferdezucht auszusprechen,
für das Casino zu agitiren, an der Gründung der Walzmühle teilzunehmen
und den Baron Sina für Lonyay um 20.000 fl. anzupumpen. «Er ersucht
Sie, ihm diese Summe auf sechs Monate zu leihen ; er kann Ihnen viel
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J
t44 GRAF STEFAN BZiOHENYI^B BRIBPE.
nützen. Sicherheit iRt da, ich glaube, Sie sollten ihm diese Gefälligkeit thnn.t
Am 8. April 1839 erinnert Szechenyi den Baron wieder, ihn bei der nächst-
kommenden Anleihe von 30,000.000 fl. zu betheiligen, «mit einer kleinen
Summe — versteht sich, um den Emissionspreis. •
In einem Briefe an Eillias wegen der zu gründenden Walzmühl-Actien-
Gesellschaft beharrt Szechenyi auf der Notwendigkdt, dass das gründende
Haus die Hälfte der Actien übernehmen müsse, denn nur darin sähen Alle
die Garantie des Gelingens. Hiebei macht Szechenyi folgenden denkwürdigen
Ausspruch : «Ich habe das Glück, dass jede meiner kleinen Entreprisen bis
jetzt mit Erfolg gekrönt wurde. Ich habe aber auch nichts begonnen, was ich
früher nicht combinirt hätte; denn ich halte es geradezu /ür ein Verbrechen^
in einem Lande, wie Ungarn, wo noch Alles zu erschaffen ist, so etwas zu
unternehmen, was nicht höchst wahrscheinlich gelingt; indem eine moderne
Buine auf lange Zeit das Publikum abschreckt und die nützlichsten, die
bestcombinirten Unternehmungen schon im Keime erstickt.» Graf Szechenyi
selbst zeichnet 10.000 fl. und gibt weitaussehende Ansichten über die
Zukunft des ungarischen Mehlhandels zum Besten.
Endlich — endlich — am 16. Mai 1839 kann Graf Sz6chenyi an Baron
Sina über die endgiltige Annahme des Brückenprojectes schreiben : «Endlich
brachte mir Ihr Schreiben die lang erwünschte Nachricht Gott Lob ! Das
Warten hat mich aber beinahe müde gemacht I » Szechenyi ist mm wieder
frisch und munter, er gibt dem Baron Sina Batschläge, wie weitere Zuge-
ständnisse von Landtag und Begierung zu erlangen seien, und vertieft sich
in die näheren Details des Baues.
Nun kommt es aber auch zur Abrechnung zwischen dem Grafen
Szechenyi und dem Baron Sina. Szechenyi schreibt am I.August 1839,
dass er sich zwar vor drei Jahren angetragen habe, 300.000 fl. zum Brücken-
bau zu zeichnen und ihm Sina wirklich für 1 50.000 fl. Actien offen gelassen
habe, die er nun mit Gewinn weiter geben könne, er jetzt aber Gründe habe,
von diesem Geschäfte abzustehen, er daher den Baron aus dem Worte lasse.
Hierauf antwortet Baron Sina in einem sehr charakteristischen Briefe :
«Hochgebomer Graf, Sehr geehrter Freund I Ich antwortete auf Ihr Schrei-
ben vom 1 -ten August 1839 deshalb nicht früher, weil ich unmöglich glauben konnte,
da88 Sie sich einem Unternehmen im vollen Emnt entziehen wollten, welches Sie
zuerst in Anregimg brachten, und zu dessen Gelingen Sie so viel beitrugen. Da Sie
indessen auf Ihr Ansinnen durchaus bestehen, imd mich um eine Antwort so oft
angegangen sind, so muss ich Ihnen geradezu erklären, dass ich den Bau der Ofen-
Pester Brücke nie unternommen haben würde, wenn Sie mich dazu nicht überredet
und sich mir angetragen hätten, auch in finanzieller Hinsicht die Cliancen des Ver-
lustes sowohl, als des etwaigen Gewinnes mit mir tragen zu wollen. Nachdem nun
das schwierigste der Arbeit erst zu vollenden sein wird, und ohne Ihnen schmei-
cheln zu wollen, es im Interesse des ganzen Unternehmens liegt, dass Sie an selbe
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äLOSSEN ZUR BULOARISG^EN ZAREN -OENEALOaiB.
Ii5
anch in finanzieller Hineicht gebunden sein sollen : so werden Sie es mir nicht übel
deuten, wenn ich Ihren Antrag nicht annehmen kann, und femer darauf beharre,
dass Sie ad vires von 150.000 fl. E.-M. in dem fraglichen Bau beteiligt bleiben*
Mit vorzüghcher Hochachtung verharre ich, Hochgebomer Graf, Wien den 3-ten
Februar 1840. Ihr gehorsamster Diener und Freund Georg Freiherr v. Sina.»
Der vorliegende Band endigt mit dem Jahre 1839 und wir scheiden
mit der mannigfachsten Belehrung von demselben. Die Herausgabe dieser
Briefe, welchen bislang noch keine rechte Würdigung zuteil geworden ist,
wird sich immer mehr als höchst werthvoUer Beitrag zur Culturgeschichte
Ungarns und zur Charakteristik des Regenerators unseres Landes heraus-
stellen. Man wird sich an dem Feuereifer, an der Zähigkeit, an der Umsicht
und Geschäftskenntniss Szechenyi's, dessen Gehirn vollkommen gesund war
trotz aller Leberkrankheit, ein Beispiel nehmen können, man wird aber auch
bescheiden werden im Hinblick auf die fürchterlichen Kämpfe, welche noch
vor 50 Jahren wegen einzelner bedeutender Neuerungen, wie Kettenbrücke,
Nationaltheater, Dampf mahlen, Donau-Dampfscbifffahrt und ähnlicher
Institutionen, bestanden werden mussten. Die gütige Vorsehung hat Ungarn
sehr viel Zeit zur Einholung seiner Culturversäumnisse gelassen. Heute geht
zwar schon Vieles in raschem, beinahe zu raschem Tempo, aber wer weiss
es, ob nicht die Zeit unser teuerstes Gut ist, mit welchem wir in vielen
Dingen weit sparsamer umgehen sollten, damit der ungarische Staat noch
vor dem Sturm unter sicheres Dach gebracht werde ? Ad. Silbbrstein.
GLOSSEN ZUR BÜIXMRTSCHEN ZAREN-GENEALOöTE.
(Sohluss.)
16. Der Despot Jakob Svetslav.
Im Wenzerschen «Codex Arpadianus continuatus» XH. pag. 8, Nr. 3
stossen wir auf eine Urkunde ddo. 10. Dezember 1270, mittelst welcher König
Stefan V. von Ungarn den Ban Ponych mit den Gütern des treulosen
Nikolaus, des Sohnes des Obergespans Arnold beschenkt Unter Ponych's
Verdiensten wird in der Urkunde Folgendes angeführt : « Porro mm Zvetis-
laus Bulgarorum Imperator, carissimus gener noster,
tunc nostre Majestati opposüus, terram nostram de Zeurina miserabfliter
deuastasset, nos injuriam nostram hujusmodi propulsantes, ctun ad Bulga-
riam congregato exercitu venissemus, dictus Ponych Banus ibidem incepte
fidelitatis ardore äagrans castrumP/^^/2. Bulgarorum obtinuit expugnando.»
Um diese merkwürdige Stelle zu erläutern und den «gener«> (Zve-
üngmrlwhe Berae, XL 1891. 11. Heft. ^q
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Ii6 GLOSSEN ZUR BULaARIßOHEN ZAREN -GENEAIiOÖIE.
tislaus^ Imperator der Bulgaren) Stefans V. kritiscb-genealogisch zu wür-
digen, müssen wir etwas tiefer in die Vergangenheit greifen.
Die Beziehungen des ungarischen Hofes zu Bulgarien hatten durch
den im Jahre 1237 erfolgten Tod der ungarischen Prinzessin Maria, der Gattin
des Bulgarenzaren Johann Asßn ü. durchaus nicht aufgehört; selbst
der Umstand, dass Maria's Söhne kinderlos gestorben, änderte an diesen
Beziehungen nichts ; wir finden, dass teils durch die eheliche Allianz, teils
durch die Anregung des päpstlichen Stuhles ein manchmal stärker, manch-
mal schwächer sich manifestirendes Bestreben der ungarischen Könige auf-
tauchte, sich in die Angelegenheiten Bulgariens zu mengen und sich daselbst
eine Fräponderanz zu schaffen.
Dieses den regierenden Kreisen und einzelnen mächtigeren Boljaren
sicherlich nicht genehme Streben des imgarischen Hofes war jedenfalls der
Anlass zu jenen in den letzten Jahren B^las lY. so häufig erfolgten Guerilla-
kämpfen zwischen Ungarn und Bulgarien, die wir ebensowenig politisch wie
strategisch kennen und von denen uns nur die Urkunden einige Kunde
geben. Mir sind ausser der schon citirten noch folgende diesbezügliche docu-
mentarische Daten bekannt :
1. In einer seinem Oberstallmeister Dionysius (aus dem Geschlechte
Tomaj) 1235 ausgestellten Donationsurkunde ^ spricht Bela lY. von einem
vor 1235 erfolgten Feldzuge in Bulgarien. Dionysius ist gelegentlich eines
Ausfalles der von den Ungarn belagerten Besatzung des bulgarischen Castells
Widin (= Budung) mit derselben ins Handgemenge gerathen und hat sie,
ohne verwundet zu werden, in das Castell zurückgedrängt. Während des-
selben Feldzuges wurde Dionysius auch gegen die Truppen des Prinzen
Alexander, des Bruders des Bulgarenzaren, der durch seine Guerillakämpfe
häufig das Gebiet der zerstreuten Ungarn verwüstet und den "^ Obergespan
der Szekler gefangen genommen hatte, geschickt.
2. 1260 schenkt Stefan V. dem Torda, Sohne des Györ« das imZalaer
Comitate gelegene Grundstück Cheusy. «Quod idem Torda de nostro man-
dato in acie domini sui in Bulgariam proficiscens ibidem exhibuit laudis
merita recolende obponens se pro alüs exercitu Bulgarorum pro honore
regio fortune casibus se committere non formidans.»
3. 1262 ^ belohnt ß61a IV. den Merse und dessen Bruder Nicolaus,
die Söhne des Benedikt, weil Merse «fidelis juvenis noster» sowohl in Bulga-
rien, als gelegentlich anderer Expeditionen des Königs demselben grosse
Dienste geleistet ; speziell ist während des bulgarischen Feldzuges Nicolaus
im Gefechte «circa coronam nostrse regise maiestatis fideliter dimicando»
' Fejör, Cod. diplom. IV. 1. 21—27.
« Hazai okmÄnyt&r VI. 105/68.
• Fej^r IV. 3, 60.
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aLÖSSEK ZUB BULGARISOHBN ZAKBN-GBNEALOOIB .
U?
gefallen und hat Merse trotz seiner lebensgefährlichen Verletzungen tapfer
fortgekämpft.
4. 1263 ^ schenkt Stefan Y. dem Grafen Jakob de Pank einige zum
Schlosse üng gehörige Besitzungen für seine Verdienste «specialiter quando
habuimus pugnam in regno Bulgarie sitbtus civitatem Budun nuncupatam.*
5. 1264, am 13. April* schenkt Bela IV. dem Meister Lorenz, Judex
Aul» und Obergespan des Wieselburger Comitats, einige im Comitate
Baranya gelegene Güter und begründet diese Donation unter Anderm
folgendermassen : «als schliesslich der Uebermut der Bulgaren zur Zeit
des zwischen uns^ dem Könige von Böhmen und dem Herzoge von Oester-
reich und Steiermark geführten Krieges unser Severiner Banat feindlich
verwüstet und die meisten unserer Barone die Verteidigung dieses Ba-
nates nicht übernehmen wollten, trotzdem wir dieselben hierzu öfters
aufgefordert, war es der mehrerwähnte Lorenz, der, nachdem wir ihm
das genannte Banat übergaben, das Bulgarenheer besiegte, dessen Baub
und Beute abnahm und einige Bulgaren längs des Donauufers auf-
hängen Hess, und so durch Niederschlagen ihrer bösen Pläne das genannte
Banat in seinen früheren guten Stand brachte und unserer Majestät zurück-
gewann. ...»
6. 1269* werden die Brüder Gosztony belohnt. Es heissthier: «In
Anbetracht der Treue und der verdienstvollen Leistungen Nicolaus' und
Michsels, der Söhne Nicolaus' von Gosztun, die sie sich in Bulgarien vor den
Augen unserer Majestät im vorzüglichen Kampfe unter unserer Fahne
lobenswert errungen, indem sie namentlich unter der Fahne unseres Taver-
nicus Aegydius, unter mannigfachen Wechseln und Todesgefahr unsere
bulgarischen schismatischen Feinde ganz bis zum Schlosse Turnow
(= Tmova) auf unseren Befehl zu verfolgen, zu plündern und einzufangen
nicht zögerten, sondern nach Art des brüllenden Löwen die Spuren des
Feindes verfolgend, zu unserem, des Reiches und der Krone Glücke das
feindliche Gebiet zerstörten und die gefesselten Gefangenen uns zu-
führten. ...»
7. 1270^ erfolgt Stefans V. Donation an den Oberstallmeister Bainald,
den Ahn der Bozgonyi. Es heisst: «Als wir noch zu Lebzeiten unseres
Vaters (Bela IV.) das Herzogtum Steiermark innehatten, zeichnete sich
Meister Reynoldus mit seiner tüchtigen und bewaffneten Familie in unserem
Heere, welches wir unter der Anführung noch anderer Barone nach Grie-
chenland geschickt, vor den Augen Aller gelegentlich des Angriffes und der Ver-
' Hazai okmÄnytÄr VL 116/78.
» Fej4r IV. 3, 196.
» Fej^r IV. 3, 525.
* Wenzel. XII, 12.
10*
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I4f8 GLOSSEN ZUR BULOAMSCHEN ZAREN -OENEALOGlti.
Wüstung des griechischen Reiches als tapferer Soldat aus. Nachdem er aus
diesem Feldzuge glücklich zurückgekehrt, hat der genannte Meister Bey-
nold nachträglich fünfmal, zweimal unter unserer persönlichen und drei-
mal unter der Anführung anderer unserer Barone an den Feldzügen in Bul-
garien Teil genommen, und indem er sich nicht scheute den mannigfachen
Eriegsgeschicken die Stirne zubieten, lobenswerte Erfolge errungen »
8. 1273 ^ schenkt Ladislaus IV. dem Nicolaus, dem Sohne Buda's, die
Besitzung Magyar- Rokolan im ZalaerComitate und führt unter den Verdiensten
des Beschenkten Folgendes an : «als dieser Nicolaus zur Verteidigung der
königUchen Krone, damals als unser Vater sein Heer gegen die Bulgaren
entbot, mit seinem Bruder Caslou, der Todesgefahr Trotz bietend, vor dem
Schlosse Budun (= Widdin) unter Anrufung des Namens Christi, sich
mächtig auf die feindlichen Schaaren stürzte, einige derselben mit seinem
Schwerte tödtete, andere siegreich in die Flucht schlug oder gefangen
nahm ...»
9. 1274 ^ beschenkt Ladislaus IV. den Peter v. CsÄk dafür, dass «cum
idem carissimus Pater noster in Bulgariam pro pulsandis injuriis confinii
regni sui insultum faceret, idem Magister Petrus ut leo fortissimus, cuius et
insigna gessit in vexiUo, postposito timore mortis imminentis in adversa
Bulgarorum acie militans, victoriam magnificam reportavit. »
10. 1278 am 1. September^ schenkt Ladislaus IV. dem Grafen Peter,
dem Sohne Dorogs (aus dem Geschlechte Gutkeled) die Besitzung Szekelyhid
und führt unter des Beschenkten Verdiensten an: «qui (Peter) in quadam
expedicione predicti gloriosi Regis Stephani patris nostri sub Budum, rela-
tionibus veridicis, fertur letale vulnus dimicando cum hostibus excepisse . . ■
11. 1279 am 21. Juni* sagt Ladislaus IV. von den Söhnen Kilian's
V. Saagh, Amanus und Uz: «quia tempore Domini Stephani Illustris Regis
gloriosse recordationis, parentis nostri charissimi, tunc cum suam ad juris-
dictionem, potestatem seu Regnum Bulgarin subjugavit. ...»
Durch die Heirat des jungen Bulgarenzaren Michael Asön (Sohnes
Asßn's n.) mit der Tochter Rostislavs, Bans von Macsö, Schwiegersohnes
B61a's IV. — um 1255 — nahmen — wie wir wissen — die Beziehungen
des ungarischen Hofes zu Bulgarien eine festere Gestalt an. Rostislav ver-
mittelte im Frühjahre 1257 einen Frieden zwischen seinem Schwiegersohne
und dem Kaiser Theodor II. von Nikaea, und als nach Michaelas Ermor-
dung Rostislav, die Ehe seiner Tochter mit Eoloman II. nicht billigend, mit
einer Armee gegen Tirnova zog, musste Eoloman die Flucht ergreifen und
wurde auf derselben getödtet.
^ Hazai oklev^lt4r 67/59.
* Fej^r V. 2. 174/5.
^ Wenzel IX. 196.
* Fej^r VII. 2. 73.
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GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN -GENEALOGIE.
149
Wie wir oben gesehen^ unterliegt es keinem Zweifel, dass sich
Rostislav durch diesen Sieg zum Herrn der Situation in Bulgarien empor-
geschwungen, dass er sich urkundlich Imperator Bulgarorum genannt
und dass selbst bulgarische Truppen auf ungarischer Seite gegen Ottokar
von Böhmen kämpfen mussten. Der kräftigste Ausdruck seiner Oberherr-
schaft aber war, dass er den Mytzes, den Schwager des ermordeten Zaren
Michael zum Könige der Bulgaren unter seiner und — da er selbst auch
ungarischer Vasall war — ungarischer Oberhoheit einsetzte. Dass aber
Bostislav seine Erfolge in Bulgarien dem Eingreifen ungarischer Truppen
zu verdanken hatte, ist selbstverständlich.
Da Mytzes 1258/9 durch Konstantin verdrängt wurde, ward eine kräf-
tigere Unterstützung desselben seitens Ungarns notwendig ; hierzu gesellte
sich noch das Abwehren der, in Folge dieser Einmischung der Ungarn, die
ungarischen Grenzen verwüstenden Bulgaren, unter denen wir aber nicht
ausschliesslich die Truppen des Zaren Konstantin zu verstehen haben, son-
dern die Unterthanen und Söldner auch mancher einzelner bulgarischer
Dynasten, die im Trüben fischen wollten. Diese Periode ist es nun, in der
.sich der jüngere König Stefan zu wiederholten Malen in bulgarischen Feld-
zügen thätig erwies. Laut der Urkunde 7) geschah es zweimal imter seiner
persönlichen Anführung, dreimal unter jener seiner Generale. Zum ersten
Male befehligte er persönlich das Heer vor Widin (Urkunde Nr. 4). Das
zweite Mal nahm er persönlich Teil an jenem Feldzuge, in dem sich die
Brüder Gosztony auszeichneten (Urkunde Nr. 6), und drang bis Timova
vor. Dass sich Mytzes in den gebirgigen Gegenden Bulgariens längere Zeit
gegen seinen Gegner halten konnte, hatte er offenbar Stefans Unterstützung
zu verdanken, und da dieser — wie es urkundlich festgestellt ist * — selbst
Widin eingenommen, so is es leicht erklärlich, dass sein Ansehen in Bul-
garien dem eines Oberherrn in Nichts nachgestanden haben mag, was übri-
gens Liadislaus IV. in der Urkunde Nr. 1 1 genug deutlich bestätigt.
Der neuerlich erfolgte Ausbruch der Feindseligkeiten zwischen Stefan
und seinem Vater hatte zur Folge, dass Konstantin den von Stefan nicht
mehr unterstützten Mytzes 1265 in die Flucht jagte; — wie wir wissen, zog
Mytzes zuletzt an den griechischen Hof.
Die Urkunde vom 10. Dezember 1270 zeigt nun, dass trotz der Flucht
des Mytzes die ungarisch-bulgarischen Feindseligkeiten nicht aufgehört
hatten ; sie deutet einen Feldzug Stefans, resp. des Bans Ponych, zur Vertei-
* lieber die Einnahme Widins aussein sich die Chronisten folgendermAssen :
KSzat IV. 13: «Dieser (Stefan V.) brachte auch die Stadt Budun unter seine
Herrschaft, und zwang, so lange er lebte, den Herrn der Bulgai*en zum Gehorsam.»
Turöczi n. 77 : *«qui . . prseterea Budam oivitatem Bulgarorum expugnavit et
Bulgaros superavit, Eegem eorum sibi compulit deservire,!
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150 GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN- GENEALOGIE.
digUDg des von den Bulgaren verwüsteten Severiner Banates an^ welcher
Feldzug etwa zwischen die Jahre 1267 — 1269 fällt; die Urkunde zeigt aber
auch; dass damals der Feind der Ungarn nicht Zar Konstantin, sondern
•Zuetislaus Imperator Bulgarorumi gewesen, der vordem 10. Dezember 1270
sich der Majestät Stefans entgegengestellt, am 10. Dezember 1270 aber als
«gener» Stefans der allergetreueste Schützling Ungarns geworden.
Wer ist dieser «Zuetislaus, Imperator Bulgarorum», was haben wir
von seiner genealogischen Verknüpfung mit der Familie Stefans V. zu hal-
ten ? Im Jahre 1262 kommt der Name dieses Mannes — Jakob Svetslav's —
zum ersten Male vor. Damals sandte er dem Kiever Erzbischofe Kyrill III.
eine Abschrift des Nomokanons, wobei er seine Abstammung in dem Begleit-
schreiben folgendermassen angibt : «Vseja ruskyja zemli, blagoderzavnago
rodia mojego, ich ie otrasl i korön az bych svjatych ot*c mojich.» * Er nennt
sich also einen Nachkommen russischer Fürsten, und da der Name Svjae-
toslav bei den Burikiden oft genug vorkommt, mag auch er (vielleicht nur
von mütterlicher Seite) dieser Familie entsprossen sein.
Während der Begierung Konstantins treffen wir ihn als selbständigen
Despoten in den Balkangegenden (Jire6ek meint: f vielleicht im Western,
unsere Urkunde ddo. 10. Dezember 1270 gibt durch Anführung Plevna's
näheren Aufechluss) und ist er den Byzantinern als «Sphenthostlabosi
bekannt. Dieser mächtige Boljar hatte wahrscheinlich die Jahre 1260 — 1270
dazu benützt, um sich auf Kosten des Mytzes und Konstantins ein Gebiet
zu erwerben, über welches er als selbständiger Souverain^ quasi als Nebenzar
des regierenden Zaren von Bulgarien herrschen wollte. Durch Verheiratung
mit einer ihrem Namen nach unbekannten Tochter des Kaisers Theodor U.
von Nikaea ** kam Svetslav in äusserst vornehme Verwandtschaft Die
* Vostokov, Beschreibung der Codices der Bumjancover Bibliothek (russisch),
ßt-Petersburg 1842, pag. 290.
*'•' Theodor 11. war 1258 gestorben und hatte ausser der an Konstantin ver-
mählten Irene und der veruiälilten Maria noch drei Töchter hinterlassen. Michael
Palaiologos heeilte sich dieselhen an nicht allzu vornehme imd mächtige Männer zu
vermälilen, um ihnen dadurch jede Lust und MögUclikeit zur Geltendmachung ihrer
Ansprüche auf ihres Vaters Erbschaft abzuschneiden. Theodor's Töchter sind also
folgendermassen vereheUcht:
a) Maria | vor 1265, Gem. September 1256 Nikephor I., nachmaliger Despot
von Epiros (reg. seit 1271 f 1296.)
b) Irene f 1270, vermählt 1258 mit Konstantin von Bulgarien.
c) Anonyma, vermählt mit dem Despoten Jakob Svetslav.
d) Theodora, verm. mit Mathias von Valainoourt.
e) Eudokia, vermählt mit Wilhelm Peter (Balbo), Grafen von VentimigHa.
Aus dieser Ehe stammten die Laskaris in der Grafschaft Nizza. Man leitet die Venti-
miglia von Konrad ab, dem vierten Sohne des Markgrafen (und Kaisers) Berengar
von Ivrea und der Gisela, der Tochter Boso's von Toskana. Das Haus spaltete sich in
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GLOSBEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN-GENEALOGIE. 151
älteste Schwester seiner Gattin war seit 1256 an den Kronprinzen von
Epiros^ die zweite seit 1258 an den regierenden Zaren Konstantin von Bul-
garien vermählt und — was die Hauptsache gewesen sein musste — als
Tochter der Helene von Bulgarien war seine (jattin eine Enkelin der unga-
rischen Königstochter Marie. *
Durch seine Erfolge übermütig geworden, und stolz auf die vor-
nehme Verschwägerung, mag ihm vielleicht das Entgegenkommen des noch
stolzeren Stefan nicht so entsprochen haben, wie er es erwartet hatte. Die
Urkunde Stefans vom 10. Dezember 1270 beweist, dass zwischen 1267/69
Svetslav es war, der das Severiner Banat mit seinen Kaubzügen heim-
suchte. — Von den Ungarn geschlagen, vom Zaren Konstantin und wahr-
scheinlich auch vom griechischen Hofe keine Sympathien erhoffend, fand er
es zur Sicherung seines Besitzes und seiner Herrschaft angezeigt, sich an
Stefan V. von Ungarn anzuschliessen und sich ganz und gar unter unga-
rische Aegide zu begeben. Dies ist sicherlich die Genesis des «genert und
des «Imperator Bulgarorum.»
Im Geiste der damaligen Zeit konnte man sich ein politisches Schutz-
und Trutzbündniss ohne eheliche Allianz nicht einmal vorstellen ; Stefan V.
verlobte daher eine seiner Töchter dem Despoten Jakob Svetslav, und daher
ist es erklärlich, dass er seinen Schwiegersohn zum Imperator Bulgarorum
avanciren liess ; der Imperator Bulgarorum war noch lange kein Imperator
GermaniflB, und dann war ja das Ganze nur ein Schachzug gegen den Zaren
Konstantin von Bulgarien. Der ehelichen Allianz ging aber auch eine zwi-
schen Stefan und Svetslav abgeschlossene Militärconvention voraus. 1270
belohnt nämlich Stefan ** die Brüder Peter und Jakob, Söhne Samsons aus
dem DorfeGerend, für ihre militärischen Verdienste, die sie sich u. A. während
jener Expedition erworben, die Stefan unter Commando der Wojwoden
mehrere Zweige ab. Wilhelm Peters Mutter soll eine Balbo gewesen sein. Er konmit
1278 und 1285 in einem zwischen seinem jüngeren Bruder Peter und Karl I. von
Anjou geschlossenen Vertrage vor. Kurz vor der Vertreibung Balduins II. aus Kon-
stantinopel befand er sich in dieser Stadt und daher rührt seine Bekanntschaft mit
Michael Palaiologos, der die Eudokia Laskara ihm vermählte.
Walirscheinlioh sind sämmtliche drei Schwestern gleichzeitig und bald nach
Michaels Tronbesteigung vermälilt worden. K^ri (Hist. Byz. 101 ) setzt die Vermählung
der Anonyma mit «Sventistlavus, dem Herrn einer gebirgigen Landschaft in Bul-
garien» auf 1262. Die Angabe des Mor^ri'schen und Zedler'schen Lexikons (unter
Berufung des Letzteren auf AkropoUta, Spondanus, Ducange etc.), dass der Gemahl
dieser unbekannten Prinzessin ein bulgarischer Herr Namens Wenzel sei, ist dahin
zu erklären, dass das griechische cSphenthosthlabos» von diesen Autoren für einen
gracisirten Wenzel gehalten wurde.
* Vgl. meine Stammtafel der Aseniden in dem oben zitirten ungarischen
Werke.
** Hazai okmanytar VI. 166,
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152 GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN -GENEALOGIE.
Nicolaus und Ladislaus zur Unterstützung Zuetislaus' gegeti die Griechen
abgeschickt. Bezüglich der Zeit dieser ehelichen Allianz ist Folgen-
des zu bemerken. Aus der Fassung der Urkunde ist allerdings nicht zu
entnehmen, ob Svetslav vor oder nach dem Feldzuge Ponych's der gener
Stefans geworden ; mir scheint jedoch das Letztere fast unwiderleglich, denn
das ftunc nostrse Majestati oppositust scheint darauf hinzudeuten, dass
8tefan damit sagen will, es sei Svetslav vor dem Feldzuge noch nicht sein
gener gewesen ; er will mit diesem Passus gewissermassen erklärlich machen,
wie so es komme, dass er seinen einstigen Gegner jetzt als carissimus gener
noster bezeichnet. Svetslav's erste Gattin, die nikäische Eaiserstochter, dürfte
zur Zeit dieses Verlöbnisses wohl nicht mehr gelebt haben; übrigens
wäre sie selbst in diesem Falle kein Hindemiss zum Abschlüsse der neuen
Allianz gewesen, da ja fast jeder serbische, bulgarische Herrscher, wenn sich
ihm eine vornehmere oder vorteilhaftere Gattin in Aussicht stellte, seine
erste Gemahlin nach Belieben verstiess. Zar Konstantin ging ja hier mit dem
Beispiele voran, als er zur Zeit seiner Tronbesteigung seine erste Gattin
verstiess, um Theodor's II. Tochter zu heiraten.
Ob nun unter «gener» wirklich ein Schwiegersohn Stephans V. zu verste-
hen sei, scheint mir heute nur im bejahenden Sinne beantwortet werden zu
können. Es ist allerdings wahr, dass die Arpäden manchmal von einem gener
sprechen, der nicht die Tochter desjenigen zur Gattin hat, der die Urkunde
ausstellt, und dass unter « gener » oft nur ein Gemahl einer Ärpäden-Frinzessin
überhaupt verstanden wird; insolange aber nicht der Nachweis geliefert
wird, dass Svetslav eine Andere als Stephan 's Tochter erhalten, müssen wir
in diesem gener Stephan's den Verlobten oder Gemahl seiner Tochter er-
kennen. Uebrigens ist in der Beihe der uns aus jener Zeit bekannten unga-
rischen Prinzessinen keine einzige vorhanden, auf welche dieses Verhältniss
mit Svetslav anderswie passen würde.
Welche von Stephan's Töchtern Ende 1270 mit Svetslav verlobt oder
vermählt gewesen, lässt sich nicht bestimmen. — Katharina war damals
schon mit Stephan Dragutin von Serbien, Maria mit Karl von Neapel ver-
mählt. Sollte es die nachmalige Nonne Elisabeth gewesen sein ? Ich glaube
nicht, weil sie 1. schon 1270 urkundlich als im Kloster anwesend angeführt
wird und weil 2. schon im nächsten Jahre Svetslav im Friedensvertrage
zwischen Stephan V. und Ottokar von Böhmen* do. 3. Juli 1271 nur mehr
als «Svetislaus Imperator Bulgarorum» ohne den Zusatz « gener • vorkommt,
wo hingegen Stephan Dragutin, Andronikos Palaiologos und Andere als
Schwiegersöhne und Verschwägerte Stephan's V. genannt werden. Da nun
das freundschaftliche Verhältniss zwischen Stephan und Svetslav, wie wir
aus dem Friedens-Instrumente ersehen, nicht aufgehört hat, deutet die Ab-
ir V. 1. 124^-126.
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GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN -GENEALOGIE. 153
Wesenheit des Wortes «gener» höchstwahrscheinlich an, dass Svetslav's Ver-
lobte (oder Gattin) zwischen dem lO.December 1270 und 3. Juli 1271 gestor-
ben sein muss ^ und dass demzufolge zwischen Maria und Elisabeth noch
eine Tochter Stephan's einzuschalten sei.
In einem Schreiben des Bischofs von Olmütz, Bruno von Schauen-
bürg, an Papst Gregor X. do. 1272*, kommt folgende Stelle vor: «Due
filie Begis Ungarie Buthenis, qui sunt scismatici, desponsati» fuerunt. Soror
juvenis hujus Begis Yathatio est tradita, Ecclesie inimico». Unter den an
Bussen vermählten Königstöchtern haben wir Bela's lY. Töchter Anna und
Konstanze zu verstehen. — Die Bedeutung der dem kirchenfeindlichen
f Vathatius» übergebenen Prinzessin ist schwerer zu klären. Sicher ist, dass
unter der Schwester des jungen Königs eine Tochter Stephan's V. zu ver-
stehen sein muss. Nun hat aber den Namen • Vatatzes» (= Vathatius des Bi-
schofs Bruno) meines Wissens nur der am 30. Oktober 1254 gestorbene
Kaiser von Nikaea, Johann (lH.) Dukas geführt, während sein Sohn Theo-
dor II. und sein Enkel Johann IV. den Namen Laskaris vorzogen; Letzterer —
bereits am 25. December 1261 geblendet und in Dakibyza eingekerkert —
scheint überhaupt nicht vermählt gewesen zu sein.
Ich glaube nun, dass sich Bruno's Angabe einzig und allein auf Anna,
die Schwester des jungen Königs Ladislaus IV. (Tochter Stephan's V) bezieht,
welche 1272 als Gemahlin des griechischen Kronprinzen Andronikos, Sohnes
des Kaisers Michael Palaiologos, sich am Hofe zu Konstantinopel befunden.
Michael oder sein Sohn dürften entweder auch den Namen Vatatzes geführt
haben, oder hat ihn der Bischof, als bezeichnend für einen der abendlän-
dischen Kirche feindlichen Fürsten, wie ein solcher Johann III. gewesen,
den Palaiologen eigenmächtig beigelegt. Sollte aber meine Annahme sich
nicht bestätigen, so hätten wir es hier mit einer auf der Stammtafel der
Ärpäden noch nicht untergebrachten Tochter Stephan's V. zu thun, die mög-
licherweise auch mit dem Despoten Svetslav in Verbindung zu bringen
wäre.
8
Nach Pachymeres hatte unser Despot ein tragisches Ende gefunden.
Konstantin's Gemahlin Maria Kantakuzena, die während der Krankheit ihres
Gatten die Begierung in ihren Händen hatte und die Zukunft ihres unmün-
* Es wäre denn, dass die Verlobung noch vor dem 3. Jtdi 1271 mit gegenseitiger
Uebereinstimmung und ohne Schädigung des freundschaftlichen Verhältnisses gelöst
worden wäre.
« Wenzel IV. 10/6.
^ Engers Vermutung, dass Svetslav sich deshalb an den ungarischen Hof
angelehnt, weil Stefans Tochter Anna 1271 an den griechischen Tronfolger vennählt
worden, wird durch unsere Urkvmde widerlegt, da Svetslav schon 1270 Stefans
cgeneri war. Eher mochte die Annäherung Konstantins an Kaiser Michael 1270
(Vermähltmg mit des Kaisers Nichte) hier mitgewirkt haben.
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154 GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN -GENEALOGIE.
digen Sohnes Michael gegen alle Eventualitäten sichern wollte, fürchtete, der
mächtige Svetslav könnte dem Prinzen einmal hindernd in den Weg treten.
Um den Despoten einzuschläfern, bot sie ihm das Thronfolgerecht an, wenn
er sich von ihr als jüngerer, zweiter Sohn adoptiren lassen wolle. Der alte
Mann machte sich so lächerUch, dass er sich in Timova vor dem Altare,
beim Scheine vieler Kerzen, durch Umschlagung des Mantels der jungen
Zarin in den jüngeren Bruder des sechsjährigen Michael verwandeln liess.
Kaum durch den Titel « Sohn der Königin der Bulgaren, als zweiter nach
dem Knaben Michael» eingeschläfert, liess die ränkevolle Zarin ihn und
seinen Anhang heimUch aus dem Wege räumen.
Von etwaigen Nachkommen Svetslav's haben wir keine Kunde.
17. Die Terterijden.
Johann AsSn m. war noch kaum auf dem Trone, als Kaiser Michael die
Wahrnehmung machte, dass sein SchützUng nicht der Mann sei, die Krone
für die Dauer zu behaupten ; somit musste dafür Sorge getragen werden, den
Leiter der mächtigsten und einflussreichsten Partei in Bulgarien auf des
schwachen Zaren Seite zu bringen. Dieser Parteichef war Gborg Terterij. *
Seine Abstammung ist unbekannt ; wir wissen nur, dass sein Vater ein
Kumane, seine Mutter mit den vornehmsten bulgarischen Familien ver-
wandt gewesen. Die Lockungen des Hofes und eine ihm von griechischer
Seite offerirte eheliche Verbindung mit einer Prinzessin thaten das Ihre, um
den Mächtigen an den Hof zu ketten; zudem erhielt er den Despotentitel.
Alles dies half aber der griechischen Politik dennoch nicht. — Der todt-
geglaubte Ivajlo erschien plötzlich vor Tirnova und schlug zweimal die ihm
entgegengestellten griechischen Truppen ; der ehrgeizige Terterij fand jetzt
mehr als je Gelegenheit seinen Einfluss zur Erlangung der Krone geltend
zu machen, und als Johann Äsen schmählich die Flucht ergriffen, ward
Georg I. Ende 1280 zum Zaren gekrönt. Selbstverständlich verfolgte der
neue Zar eine griechenfeindliche Politik. Er verbündete sich mit den
Gegnern des griechischen Hofes : Karl von Anjou-Neapel und Johann Fürsten
von Neopatrae. 1284 schloss er indess mit Kaiser Andronikos IL Frieden.
1285 brachen Nogaj's Tataren in Bulgarien ein und Terterij konnte nur
durch Aufopferung einer seiner Töchter seinen Tron behaupten ; doch nicht
lange dauerte seine Sicherheit. Durch die fortgesetzten Drohungen des Ta-
tarenkhans eingeschüchtert, floh er zum Kaiser, um diesen zu Hilfe zu ru-
fen ; in der Nähe von Adrianopel hielt er sich so lange auf, bis ihn die Grie-
chen in Haft nahmen. Auf die Kunde seiner Flucht setzte der Khan (um
* So Bchreibt diesen Namen Jirecek nach den Worten des Pomenik : Terterija
starago. Bei den Byzantinern heisst er TipteprJ^. Der Papst nennt ihn cEönig Oeoig.i
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OLOBSEN ZXJB BUL6ABIS0HEN ZABEN-OENEAL06IE.
155
1292) in der Person des Smiltzes (siehe 18.) einen neuen Zaren ein. Als aber
des Georg Sohn Svetslav in der Folge znm Throne gelangte und (um 1298)
mit Griechenland Frieden schloss, befand sich unter den beiderseits aus-
gewechselten Gefangenen auch Georg I. Dieser erhielt nun wohl seine Frei-
heit, nicht aber den Tron ; sein Sohn wies ihm eine anständige Apanage
an, dass er den liest seiner Tage vergnügt und sorgenlos verleben könne.
Wann und wo er gestorben, ist unbekannt.
Georg's erste Gemahlin war eine Bulgarin, des Namens Maria. ^ Engels
Angabe, sie sei eine Schwester des Boljaren Eltimeres gewesen, ist falsch, da
wir heute Eltimir als Georges Bruder kennen. Als nun Georg 1 280 sich dem
griechischen Hofe anschloss, verstiess er Maria mit ihrem ältesten Sohne
und überlieferte sie dem Kaiser, der sie in Nikaea bewachen liess.
Als nach Georg's Krönung die bulgarische Geistlichkeit die Zurück-
berufung der Verstossenen urgirte, benützte er 1284 einen Frieden mit
Andronik 11., um seine verstossene Gemahlin zurückzufordern, was ihm auch
gelang ; seitdem sind die Schicksale dieser Zarin Maria unbekannt.
Georg's zweite Gemahlin war eine Schwester des Zaren Johann
As^n KL, gleichfalls Maria genannt. Sie wurde ihm 1280 vermählt, um ihn
in das Interesse Johann Asän's und des kaiserlichen Hofes zu ziehen. —
1284 sah er sich genötigt, um seine Geistlichkeit zu versöhnen, die Prin-
zessin Maria nach Konstantinopel zurückzusenden. ^ Was weiter mit ihr ge*
schah, ist unbekannt.
Von Georg's Kindern kennen wir: 1. Zar Theodor Svetslav. 2. Voj-
slav. 3. und 4. zwei, ihrem Namen nach unbekannte Töchter. Vojslav er-
richtete nach dem Tode seines Neffen Georg n. ein unabhängiges Fürsten-
tum im oberen Tundiatale mit der Residenz auf der Burg Kopsis. ^ Sein
Gebiet umfasste vier Städtchen, seine Armee zählte 3000 Mann. ^ Im Bunde
mit Andronikos dem Jüngeren belagerte er 4 Monate vergeblich Philippopel.
Als Michael II. zum Zaren der Bulgaren gewählt worden, wollte er den
Fürsten Vojslav unterwerfen. Er widerstand dem Angriffe ein ganzes Jahr,
bis ihn die Unzufriedenheit seiner Unterthanen und der Mangel an Zufuhr
im Frühjahre 1324 zur Flucht nach Konstantinopel nöthigten. Seine
Familienverhältnisse sind unbekannt.
Georg's ältere Tochter (geboren von semer bulgarischen Gattin) ist ein
Opfer der Politik geworden. Als 1285 sich Nogaj's Tataren auf Bulgarien
warfen, wusste sich Georg ihrer nicht anders zu erwehren, als dass er seine
* Synodik (Pomenik) : «Maria, Gattin des Zaren Terter des Aelteren.«
* Pachymeres ed. Bonn ü. 57.
' Eantakozenos I. 172 ed. Bonn.
* Durch Huldigung erhielt er vom griechiechen Hofe die Erlaubniss sich «Des-
pot von Mysien» zu nennen.
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156 GLOSSEN ZUR BULGARI8CHBN ZAREN -GENEALOGIE.
Tochter dem Öoki, Sohne des Nogaj, vermählte. Wie wir wissen, schützte ihn
dies aber doch nicht vor dem Verderben. Öoki (auch Czakas) * zog nach dem
1293 erfolgten Tode seines Vaters abermals nach Bulgarien^ um daselbst, als
Georg's Schwiegersohn, sich zum Zaren erklären zu lassen. Um seine Herr-
schaft populär zu machen, nahm er den Bruder seiner Gattin, Svetslav, zum
Mitregenten an. Kaum hatte aber Svetslav durch eine reiche Heirat sich ein
Ansehen verschafft, Hess er Coki meuchlings ergreifen und im Gefängnisse
erdrosseln (1:295). Des Ermordeten Kopf schickte er in die Krim zu dessen
Feinden. Coki's Kinder aus der Ehe mit der Terterijdentochter sind unbekannt
Auch was mit Coki's Witwe geschehen, wissen wir nicht ; aber es ist mehr
als gewiss, dass sie sich nach ihres Gatten Ermordung an den Hof ihres
Bruders begeben, weil wir sie in einer Action ihres Bruders aus dem Jahre
1308 erwähnt finden.
Die im Jahre 1302 in griechische Dienste getretenen Catalonier hatten
sich nämlich, als ihnen die Griechen ihren Sold nicht zahlen wollten, von
denselben losgesagt und auf eigene Faust eine autonome Körperschaft ge-
bildet, die für Geld für Jeden und gegen Jeden zu haben war. 1308 knüpfte
nun Svetslav mit einem der Chefs dieser Catalonier, genannt Boccaforte (bei
Engel Eomofortus), Unterhandlungen an, um diese Schaaren zu einer Expe-
dition gegen Byzanz zu gewinnen. Um Boccaforte's Zustimmung zu er-
werben, schlug er demselben eine Heirat mit seiner Schwester, der Witwe
6oki*s vor, doch führten die Verhandlungen nicht zu dem gewünschten Re-
sultate. **
Georg's jüngere Tochter — Engel nennt sie Kotanicza — (geboren
um li281 von der AsSniden-Prinzessin) war zweimal vermählt:
a) 1296 mit dem Könige Stephan Urosch H. von Serbien. Bald nach
der Heirat fand es aber Stefan Urosch geraten, sich mit dem griechischen
Hofe zu liiren. Kaiser Andronikos H. der den häufigen Einfällen des ser-
bischen Königs in griechisches Gebiet ein Ende bereiten wollte, bot dem-
selben eine Falaiologentochter an und verfocht die Meinung, dass die Ehe
mit der Bulgarin keine gesetzliche sei, weil zur Zeit ihrer Schliessung Ste-
fan Urosch' erste (verstossene) Gemahlin noch am Leben gewesen. Da
diese jetzt gestorben, sei der Serbenkönig erst Witwer geworden und dürfe
er erst jetzt eine zweite Ehe eingehen. Stefan Urosch, der es in Sachen
der Abwechslung des «ewig Weiblichen» nicht zu strenge nahm, verstiess
nun 1298 die Bulgarin und lieferte sie dem Kaiser aus.
b) Kaiser Andronikos 11. fürchtete, es könne Zar Svetslav die seiner
Schwester angethane Schmach rächen wollen, und beeilte sich, die Sache
* Bei Hammer auch Coke, Cuke.
='^* Paohymeres II. 600—603, 606. Nach Engel 438 hat Svetslav seine verwit-
wet« Schwester dem Bomofortus zur Gemahlin gegeben.
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atiOSSEI^ ZÜK BtJLOAlUSCHBK 2ARE^-OENEALOOIE. 1-^>7
irgendwie auszugleichen. Das beste Mittel hierzu glaubte er in einer Standes-
massigen Verheiratung der Yerstossenen zu finden.
Demetrius Angelos (auch Michael Dukas Eutrules)^ Sohn des Despoten
Michael 11. von Epiros und der Theodora Petralipha, war in erster Ehe mit
Anna, Tochter des ELaisers Michael VIII. (der einstigen Braut Milutins) ver-
mählt gewesen. Witwer geworden, warf er seine Augen auf die in Griechen-
land intemirte Tochter Terterij's. Andronikos IL kam die Sache sehr er-
wünscht, und er negocürte mit möglichster Raschheit die Vermählung des
Paares 1301. Diesmal war der Umstand, dass der Gemahl der Yerstossenen
noch am Leben gewesen, kein Ehehindemiss I
Michael führte den Titel eines Despoten von Fatras, den er gelegent-
lich seiner Vermählung mit Anna erhalten ; diesen Titel erhielt nun Svetslav's
Schwester. Diese hatte ihrem Gatten bereits mehrere (ihrem Namen nach un-
bekannte) Kinder geboren, als es 1305 dem Kaiser schien, Michael habe
grössere Aspirationen, als sich mit der Despoten- Würde zu begnügen. Am
13. März dieses Jahres liess er ihn sammt seiner Gemahlin und seinen Kin-
dern ohne Weiteres verhaften und seitdem spricht die Chronik nichts mehr
von diesem Schwager Svetslav's. Die Zurücksetzung seiner Schwester be-
schwor aber einen Krieg zwischen Bulgarien und Byzanz.
Der Zar Theodor Svetslav.
Aeltester Sohn Georg's I. aus dessen erster Ehe mit der bulgarischen
Maria. Als diese 1280 Verstössen und nach Griechenland geschickt wurde,
musste sie auch ihren Sohn Svetslav mit sich nehmen. Als sie 1284 wieder
zu ihrem Gatten zurückgelangte, blieb Svetslav noch ferner in Griechenland,
bis sich der Kaiser durch den bulgarischen Patriarchen Joachim zur Frei-
lassung des Prinzen bewegen liess.
Als der Tatare Öoki nach der Entsetzung des Zaren Smiltzes sich
selbst zum Herrn der Bulgaren aufwarf, glaubte er in der Erhebung seines
Schwagers Svetslav zum Mitregenten ein Mittel zum Populärmaehen seiner
Herrschaft gefunden zu haben. — Er hatte sich aber verrechnet. Svetslav
liess den Schwager aus dem Wege räumen und bestieg 1295 als t Befreier
des Vaterlandes» den Tron.
Die erste Hälfte seiner Regierung war mit Streitigkeiten gegen Byzanz
ausgefüllt, die zweite verfloss in Frieden. Er starb 1322. Er war zweimal
vermählt
Noch zur Zeit als er in Nikaea sich als Geissei befand, benützte sein
Vater den Tod des Kaisers Michael VTQ. (1282) und den Regierungsantritt
Andronikos' H., um durch ein Bündniss mit Johann I. (Angelos Komnenos
Dukas), Fürsten von Neopatrae, die Befreiung Svetslav's zu erwirken ; eine
Vermählung des Prinzen mit Johann*s Tochter sollte das Bündniss krönen.
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^^ aiiOSSBN ZUR BÜLOARI80HBN ZARBN-OBNBALOGHt.
Als nun Andronikos II., durch diese Allianz eingeschüchtert, mit Georg Ter-
terij seine freundschaftlichen Beziehungen erneuerte, gab Letzterer auch
sein Verhältniss zu Johann Angelos auf; er entsagte nicht nur dem Schutz-
und Trutzbündnisse, sondern lieferte auch dessen Tochter, die ihm als Braut
Svetslav's anvertraut war, dem Kaiser aus.
Johannas von Neopatrae uns bekannte Töchter sind folgende :
a ) Johanna, Gem. um 1276 Stephan Urosch 11. von Serbien, Verstössen,
b) Helene, Gem. 1. Wilhelm I. (de la Boche), Herzog von Athen,
2. Hugo von Brienne, reg. 1291—1296,
c) Tochter, Gem. Andronikos Tarcboniata, Gross-Connetable, Neffe des
Kaisers Michael Vm., t 1283 (?)
d) Tochter, (?)
Ob Svetslav's Verlobte eine dieser gewesen oder ob sie (wie z. B. Mor^ri
u. A. annehmen) eine fünfte Tochter Johann 's war, ist nicht festgestellt.
Svetslav war durch die Wirren nach der Flucht seines Vaters ganz
arm geworden ; er suchte und fand eine reiche Gattin. Ein gewisser Mankus
hatte eine Tochter, deren Taufpathin des Khans Nogaj Gemahlin Euphro-
syne (natürliche Tochter Michael's VÜI.) gewesen. Pachymeres nennt die-
selbe Enkone, der Pomenik nennt sie : Zarin Euphroeina, Gattin des Zaren
Svjatislav, welchen Namen sie nach ihrer Taufpathin erhielt. Der Vormund
dieser Euphrosyne, der reiche Kaufmann Pantoleon, hatte das Mädchen zu
seiner Erbin eingesetzt und Svetslav's Bewerbung um deren Hand angenom-
men. Von dieser Zarin wissen wir sonst gar nichts; sie ist sicherlich vor 1320
gestorben. Im Jahre 1320 vermählte sich Svetslav zum zweiten Male. Diesmal
warf er seine Augen, um mit dem griechischen Hofe in näheren Gonnex zu
treten, auf eine byzantinische Prinzessin und so erhielt er Theodora Pa-
laiologa zur Gemahlin. Sie war die Tochter des am 12. October 1320 gestor-
benen Kronprinzen Michael und Enkelin des Kaisers Andronikos II. Witwe
geworden, heiratete sie um 1323 den Bulgaren- Zaren Michael H. (s. 19a).
Svetslav hatte aus erster Ehe einen einzigen Sohn, der ihm als Oeorg
Tertmj IL folgte. * Er starb nach einem gegen Byzanz imtemommenen
Feldzuge schon im Jahre 1323. Er war der letzte regierende Terterijde.
Zu den Terterijden gehört noch der
Despot Eltimir.
Dieser war der Bruder des Zaren Georg I. und hatte sich zum
Despoten von Krun (um Karnobad) emporgeschwungen. Als 1298 die Grie-
* In einem für ihn 1322 geschriebenen, im Ghilandarkloster befindlichen
Evangelium heisst es: cvelikyj oar Georgije, syn velikago carja Theodora SvetslaTat
(der grosse Zar Georg, Sohn des grossen Zaren Theodor Svetslay).
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<)L0S8EN ZÜB BULOABI80HEK ZABBN'GBNEALOGIJS. ^^^
eben den Michael, den Sohn Konstantin 's, mit griechischen Truppen nach
Bulgarien sandten, um Syetslav anzugreifen, vertrat Eltimir seines Neffen
Interessen so gut, dass er den Sebastokrator Badoslay schlug und blendete.
Um 1306 unterstützte Eltimir seinen Neffen neuerdings und es gelang ihnen
die Städte Diampolis, Ancbialos, Mesembria und SozopoUa zu erobern ; um
1309 gelang es indess den griechischen Intriguen, Onkel und Neffen zu ent-
zweien. Bei dieser Gelegenheit wurde Eltimir durch die Griechen aus seinem
Besitze verjagt. Um sein Land zurückzuerhalten, söhnte er sich wieder mit
Svetslav aus und schüchterte dadurch den Kaiser ein. Da er aber einige von
Svetslav für seine Unterstützung erhaltene Städte dem Kaiser zurückgab,
befeindete ihn Svetslav 1308 aufs Neue. Eltimir 's fernere Geschichte kennen
wir nicht. Seine Gemahlin war eine Tochter des Zaren Smilec. Ob dieses Paar
Kinder gehabt, wissen wir nicht.
18. Zar Smilec (Smiltzos).
Nach Georges I. Flucht setzte Khan Nogaj um 1292 den Boljaren
Smilec auf den Tron Bulgariens.
Smilec's Eltern sind unbekannt. Seine Güter lagen an der Topolnica,
wo noch jetzt bei dem Dorfe Akydzi zwischen Tatar-Pazardzik und Ichtiman
die Ruinen des «Smilcev-Monastir» zu sehen sind, welches Kloster nach einer
dort befindlichen Inschrift der «Knez Smilec» 1286 in den Tagen des Zaren
Georg I. erbaute.* Sein Zarentum war von nur sehr kurzer Dauer. Nach Nogaj 's
Tode (f 1293) zog dessen Sohn Öoki nach Bulgarien und setzte Smilec ab.
Seitdem wird dieser Zar nicht mehr erwähnt. Er dürfte gleichzeitig mit
Coki aus dem Wege geräumt worden sein (um 1295).
Seine Gattin spielte in der Diplomatie der Höfe von Byzanz und Bul-
garien eine grosse Bolle.
Ihr Vatf^r war Prinz Konstantin, Sohn des Kaisers Michael VIII. Er
starb am 5. Mai 1306. Seine Gemahlin war eine Tochter des Protovestiars
Johann Baoulis. Die Angabe Jener, welche des Smilec Gattin für äne En-
kelin Andronikos' IL (nach dessen Sohne Konstantin) halten, ist deshalb
nicht stichhältig, weil diese Prinzessin, als Tochter Konstantins und Enkelin
Andronikos' IL, in den 90er Jahren des 13. Jahrhunderts und ersten Jahren
des 14. Jahrhunderts noch keine verheiratete Tochter haben konnte. Nun ist
Michael, der äheste Sohn Andronikos' IL erst 1277 geboren und Smilec^
Gattin um die oben erwähnte Zeit bereits Schwiegermutter.
Diese Palaiologa wurde 1305 von Andronikos ü. benützt, um den
Eltimir, ihren Schwiegersohn mit Svetslav zu entzweien und für Griechen-
* Jiredek 283.
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IßO GLOSSEN ZUR BULGARI8CHBN ZAREN -GEKBALOOHÖ.
land zu gewinnen. Die Mission gelang auf kurze Zeit, bis Eltimir 1307 seine
Schwiegermutter nach Konstantinopel zurückschickte.
Von Smilec kennen wir nur zwei Töchter:
1. eine 1293 an den Serben -Prinzen Stefan (Urosch Decsanski) und
2. eine an Eltimir, den Bruder des Zaren Georg Terterij I. vermählte
Tochter.
Zur Familie Smilec's gehören noch seine zwei Bruder:
a) Badoslav.
Dieser war unter Andronikos II. Sebastokrator in Thessalonich und
wurde 1298 mit einer griechischen Armee gegen Svetslav nach Bulgarien
geschickt. Im Kampfe gegen Eltimir wurde er geschlagen und geblendet.
/>> Vojslav (Bossilas).
Dieser jüngste Bruder des Smilec stand gleichfalls in griechischen
Militärdiensten und kämpfte 1306 gegen Svetslav. Er blieb aber seiner bul-
garischen Abstammung eingedenk und entliess sämmthche bulgarische
Kriegsgefangene des Mannschaftsstandes, wodurch es den Bulgaren gelang,
die Griechen zu schlagen.
Weder Radoslav's noch Vojslav's Familienverhältnisse sind bekannt.
Engel ist mit Bezug auf Radoslav sehr confus und gibt ihm eine Schwester
Eltimir's zur (Jattin, ohne dies aber plausibel zu machen.
19. Die jüngeren äismaniden.
Zu des Zaren Georg Terterij I. Zeiten sass in Vidin und in ganz West-
bulgarien ein unabhängiger Fürst des Namens Simian, der, gleich den Ter-
terijden, dem in Bulgarien eingewanderten kumanischen Adel verwandt
war.* Wir wissen von ihm, dass er um 1292 einen Einfall ins Serbische
that und plündernd bis Ipek vordrang. Als König Milutin dann Vidin be-
setzte, floh Sisman über die Donau in das Severiner Banat nach Ungarn,
erhielt jedoch im Frieden seine Länder zurück. Sein Todesjahr ist unbe-
kannt.
Dass er 1292 schon einen Sohn gehabt, beweist, dass er damals ent-
weder verwitwet war oder seine Gattin verstiess, denn in dem Frieden dieses
Jahres vermählte er sich mit der Tochter des Dragos, eines serbischen Va-
sallen. Namen und Chronologie seiner beiden Gattinnen sind unbekannt.
Nach Engel war Michaels IL Mutter eine Rumänin. Von seinen Kindern
kennen wir zwei Söhne : Michael und Belaur und eine Tochter Kerata.
* Jü-e^ek 282.
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GliOSSBN ZUR BÜLÖARISCHfiN ZAREN-GENEALOGIE. i^l
a) Zar Michael n.
Sohn äiöman's aus erster Ehe ; folgte seinem Vater als Despot von
Bulgarien und Herr von Widin. Als solcher schloss er mit Venedig Freund-
schaftsverträge. Nach Georg Terterij's IL Tode erwählten ihn die Boljaren
zum Zaren Bulgariens (1323).
Seine Regierung verstrich unter Kriegen gegen Griechenland und Ser-
bien. In dem Streite zwischen Kaiser Andronikos 11. und dessen gleich-
namigem Enkel schlug sich Michael anfangs auf des Enkels Seite, später auf
jene des Kaisers.
Die Spannung mit Serbien führte zur Entscheidungsschlacht zwischen
Bulgarien und Serbien, in welcher Michael am 28. Juni 1330 (an" einem
Samstage) aufs Haupt geschlagen wurde. Sein Schlachtross strauchelte, er
stürzte zu Boden, erlitt schwere Verletzungen und wurde von einigen nach-
setzenden Serben getödtet ; seine Leiche hob man auf ein Pferd und brachte
sie vor den siegenden Serbenkönig Stefan Urosch IE.* Auf Bitten der bulga-
rischen Grossen wurde die Leiche in dem Kloster von Nagori6in bestattet.
Michael hatte zwei Göttinnen :
1. Im Friedensschlüsse 1292 hatte der junge Michael, gleichzeitig mit
seinem Vater, eine serbische Gattin erhalten. Sie hiess Anna (Neda) und
war des Königs Milutin natürliche Tochter. Als aber Michael sich 1324 mit
dem byzantinischen Hofe versöhnte, verstiess er Anna mit deren Kin-
dern. Diese Verstossung war die Ursache jener zwischen ihm und dem
serbischen Hofe ausgebrochenen Spannung, die ihm 1330 Tron und Leben
kostete. 2. 1324 hatte man eben am griechischen Hofe eine Kriegserklärung
an Michael beschlossen, um die durch denselben verursachte Verwüstung
Oberthrakiens zu rächen, als zwei seiner Boljaren, Grud und PanSe am kai-
serUchen Hoflager erschienen und die Meldung brachten, Michael habe die
Serbin sammt ihren Kindern Verstössen und sich mit Theodora, der Witwe
des Zaren Svetslav vermählt. Die Nachricht erregte natürlicherweise freu-
dige Bewegung am kaiserlichen Hofe und es wurde sofort zwischen Beiden
Friede geschlossen. Diese Ehe hatte zur Folge, dass sich Michael seinem
Schwager, dem jüngeren Andronikos, gegen dessen Grossvater anschloss.
Theodora wurde nach MichaeFs Tode zur eiligen Flucht nach Griechen-
land genötigt. Theodora's Kinder, die sie auf ihrer Flucht nach Griechen-
land mitnahm, sind unbekannt. Von Micha^Fs Kindern erster Ehe kennen
wir Sisman und Johann.
'^ So erzählt den Sachverhalt sein Zeitgenosse, der serbische Erzbischof
Daniel (f 1338). Nach den Byzantinern Kantakuzenos und Nikephoros wäre, er erst
nach einigen Tagen in der Gefangenschaft seinen Wunden erlegen.
TTngarUehe Bevoe, XL 1891. II. Heft. l\
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)^S GLOSSEN ZUB BULOARISOHEN ZARBK-OENBALOOIfi.
Siiman (auch Stefan)^ wurde durch seinen siegreichen Oheim Stefan
Urosch in. 1330 zum Zaren erhoben.
Seine Herrschaft war aber yon nicht langer Dauer. Kaiser Andronikos
hatte, um Theodora's Vertreibung zu rächen, einige bulgarische Städte er-
obert, weshalb gegen Siäman und seine Mutter eine (jährung ausbrach.
Anna floh nach Serbien, Sisman zu den Tataren (FrühUng 1331); unter-
dessen bestieg ein Anderer den Zarentron. Der Ex-Zar begab sich nun
nach Eonstantinopel und als sich ihm hier keinerlei Aussichten boten, ^ ging
er nach Italien, wo er sich unter dem Namen Ludwig an den Hof der Anjous
in Neapel begab. Wir stossen auf ihn urkundlich am IS. Jänner 1338^ in
einem Schreiben des Königs Robert yon Neapel, welches folgenden Passus
enthält : «Quatenus Spectabili Lodoyco filio Incliti Imperatoris Bulgarie nepoti
nostro carissimo ad nos pridem venienti, quem in comitiva nostra providimus
moraturum, uncias auri X. ponderis generalis mense quoUbet in principio
mensis, qutts ei pro expensis suis et familie sue mense quolibet usque ad be-
neplacitum providimus exhiberi de quacunque pecunia .... solvere et ex-
hibere curetis . . . . » 1 363 geriet er in Siena gelegentlich eines Gefechtes
sammt einem bulgarischen Bischöfe in Gefangenschaft und starb 1373^ zu
Neapel. Seine Gemahlin war eine natürliche Tochter des Prinzen Philipp I.
von Tarent aus dem Hause Anjou. *
Johann floh mit seiner Mutter 1331 nach Serbien. Seine Spur verliert
sich. Nach Engel starb er in Bagusa.
bj Belaur.
Dieser hatte während Michaers Abwesenheit (zur Zeit des Serben -
krieges 1330) mit anderen Boljaren die Regierung geleitet. Auf die Nachricht
von dem Tode seines Bruders schickte er dem siegreichen Stefan Urosch
bis Izvor eine Gesandtschaft entgegen und unterwarf sich demselben. Eine
^ Bei Daniel: Stefan, bei Eantakuzenos; AiSman. Stefan ist der Name fleiuei«
mütterlichen, Sisman der seines väterlichen Grossyaters.
* Zar Alexander verlangte Sommer 1341 vom Reichsverweser Johann Kantakiize-
nos die Ausliefenmg ^iämans und drohte im Weigerungsfalle mit Krieg. Kantaknzen gab
zur Antwort, er werde den Sisman die Donau aufwärts nach Widin (wo er noch
eine mächtige Partei erhoffen durfte) mit einigen Kriegsschiffen senden und ausser-
dem ein türkisches Mietsheer in Bulgarien einmarschieren lassen. Alexander beeilte
sich nun in Folge dieser Antwort, fi-iedliche Saiten anzuschlagen.
" Diplom, eml. az Anjoukorböl I. 300.
* Mm-alt n. Ü9f).
" Luccari hält diesen Schwiegersohn Philipps für einen Schwindler des Namens
Nikolaus Sapina, Sohn eines ragusanisclieii Krämers. Zai- Johann SiSnian III. soll ihn
durch seinen (Sapiua's) Kanzler oder durch seine Konkubine Dunava haben vemften
lassen (1372).
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atiOBSBli ZUB BULGARiaOHBN ZABBN-dHNEALOOl^. ^^^
Zeitlang befehdete Belaur seinen Neffen^ den Zaren Alexander, dann hören
wir nichts mehr von ihm. Seine Familienverhältnisse sind anbekannt.
c) Zar Johann Alezander Äsen. ^
Nach äiäman'sIL Vertreibung wählten die Bulgaren 1331 den Johann
Alexander zum Zaren, der sich nach seiner Tronbesteigung den Namen Äsen
beifügte. Wie wir wissen, hatte Zar Michael IL eine Schwester Kerata. Diese
war an einen bulgarischen Despoten, genannt Stracimir vermählt und führte
als Nonne den Namen Theophania.^
Hieraus dürfen wir also schliessen, dass sie nach ihrem Gatten Stra-
cimir gestorben. Dies ist aber auch Alles, was wir über die Chronologie dieses
Paares wissen. Aus dieser Ehe stammen zwei Söhne und zwei Töchter: Zar
Alexander, Johann As^n, Helene und eine Anonyma.
Alexander's Regierungsantritt inaugurirte eine Goalition Bulgariens,
Serbiens und der Walachei gegen Ungarn und Byzanz. 1333 besiegte er die
Griechen. 1341 mischte er sich in die Tron- Aspirationen Johann Eanta-
kuzen's. Unter ihm begannen schon die Türken ihre Arme nach Bulgarien
auszustrecken. Sein Tod fällt wahrscheinlich ins Frühjahr 1365;^ seine
Leiche wurde in dem Marienkloster zu Stenimachos beigesetzt.
Er war zweimal vermählt.
a) Mit Theodora, Tochter des Rumänenfürsten Ivanko Bassaraba. Nach
Jire^ek war er zur Zeit seiner Tronbesteigung (1331) schon mit ihr vermählt.
Nach ihrer Yerstossung ging sie in ein Kloster, wo sie ihre Tage als Nonne
Theophana beschloss.
h) Einmal nahm ein schönes Weib, eine Jüdin, bei Alexander
Audienz. Der Zar verliebte sich in sie, sie nahm das Christentum an
und wurde ihm als tneu erleuchtete Zarin» angetraut. Das Datum der
Trauung ist unbekannt. Ebensowenig kennen wir die Eltern und den Ge-
burtsnamen dieser Zarin. Als Christin führte sie den Namen Theodora. Der
Pomenik erwähnt sie folgendermassen : t Zarin Theodora, (Jattin des Zaren
Alexander Johann, stammend aus hebräischer Familie, nahm das Christen-
tum an, hielt die rechtgläubige wahre Religion, gründete viele Kirchen, baute
viele Klöster auf . . .• Ihre sonstige Geschichte ist unbekannt
d) Alexander^R Geschwister.
1. Johann Äsen nKomnenos*, Alexander's Bnider, war als Schwager
des Serbenkönigs Duschan dessen Statthalter in ValonaundKanina. Er starb
* DasR er diesen Namen geführt, ist nrknndlich bewiesen.
* Der Pomenik nennt sie: «Despotin Kerata, Mntter des Zaren Alexander
Johann, als Nonne Theophana.»
* So naoh Jirecek. Nach Luccari V,^i(\ nach Orbini 1353, nach einer rmnä-
nischen Chronik 1371, nach manchen Anderen 1356. Engel acceptirt 1353.
11*
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164
aLOSSBN ZUR BULGARISGHEN ZARBN-GENBAIiOOlB.
1356. Seine Gemahlin war Anna, die letzte Despina von Epiros, die ihren
ersten Gemahl durch Gift ans dem Wege geräumt.*
2. Helene, vermählt 1330 — 1331 an den Serbenkönig Stefan Duäan
(s.mein oben zitirtes ungarisches Werk), f als Nonne EUsabeth.
3. Anonyma, erwähnt von Nikephorlll. 148 und Kantakuzen. 1356 —
1357 verlangte der Despot von Epiros, Nikephoros IL, der Sohn Johann'sIL
und der Anna, die Schwester Alexander's ; wir irren wohl nicht, wenn wir
in dieser Anonyma die von Nikephor Geworbene erkennen. Nikephor's Gkittin
war übrigens seit 1340 Maria, die Tochter des Kaisers Johann Kantakuzenos.
Nikephor starb 1358.
e) Alezander's Kinder.
Aus erster Ehe :
1. Michael Äsen. Erstgeborener Sohn seines Vaters, seit 1337 zu
dessen Mitregenten erklärt ; er starb frühzeitig und soll von seiner Stief-
mutter vergiftet worden sein, eine Angabe, die sich nicht beweisen lässt.
Gelegentlich des zwischen seinem Vater und dem Kaiser Andronikos IIL
1337 geschlossenen Friedens wurde er im Sinne einer von Alexander schon
vordem ausgesprochenen Absicht mit des Kaisers Tochter Maria vermählt.
Sie war die Tochter von Andronikos' zweiter Gemahlin Anna (Johanna) von
Savoyen. Die Hochzeit wurde 8 Tage lang in Adrianopel gefeiert.
2. Johann Äsen (IV.) figurirt um 1355 neben seinem Vater auf dem
Concil zu Tirnova. Von ihm besitzen wir eine Urkunde do. 1347; auch er-
wähnt ihn eine griechische Inschrift in Mesembria. Auch er starb vor
seinem Vater.
3. Johann Stracimir. Diesem gab Alexander die Landschaft Widin,
um dort als selbstständiger Zar zu regieren (s. f).
Aus zweiter Ehe :
1. Zar (Johann) l^isman IIL (s. g).
2. Maria. Diese heisst im Pomenik «Bazilissa, Tochter des Zaren
Alexander Johann •, Nikephor in. 557 nennt sie Maria; Rakovski (Asßn 101,
ap. Jire6ek 321) nennt sie Kyratza. Sie ist 1346 geboren und wurde 1355
mit dem im selben Jahre geborenen Prinzen Andronikos, dem Sohne de^
Kaisers Johann Palaiologos vermählt.** Dieser suchte, gestützt auf seine bul-
garischen Verwandten zu wiederholten Malen seinen Vater zu stürzen. Eine
* Jirecek 300. Diese Anna kann nach meinem Dafürhalten nur die Gemahlin
des epirotisclien DeRpoten Johann IT. ans dem Hanse Orsini sein, der von 1323 — 1335
regierte. Anna war die Tochter des Andronikos Angelos, eines Sohnes des nns
bekannten Michael (Deinetrins) Kntrnles. Andronikos war Protovestiar und starb 1326.
** Vertrag vom 17. August 1355 ap. Miklosich und Müller, Acta patr. I.
Bakovski Asdn 101.
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GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN- GENEALOGIE. 165
Zeitlang hatte er den Kaisertron als Andronikos IV. inne und starb am
28. Juni 1385. Seine Witwe Eyratza kommt noch 1390 vor.
Ausser diesen Kindern kennen wir noch folgende Töchter Alexander's,
ohne jedoch zu wissen, von welcher seiner Gattinnen sie geboren wurden.
1. ThamaTf nach dem Pomenik (ap. Wenzel) Maria Kerata; nach
jenem bei Bakovski (AsSn 52) Eyra Thamar.
Als Zar Johann Sisman (das Jahr ist unbekannt) vom türkischen
Sultan Murad I. hart bedrängt wurde, gab er demselben seine Schwester
Thamar zur Gattin. Da das Ereigniss in die Begierungszeit Sisman's, also
nach dem Tode Alexander's, fällt und der Sultan wohl kein Gelüste nach einem
älteren Mädchen gehegt haben dürfte, können wir getrost Thamar ah Toch-
ter der zweiten Gattin Alexander's, betrachten. — Der Pomenik ap. Bakovski
gedenkt ihrer folgendermassen : «Der Kyra Thamar, der Tochter des grossen
Zaren Johannes Alexander, der grossen Frau, welche dem grossen Amir
Amurat für das bulgarische Volk gegeben wurde, und als seine Gtemahlin
sowohl den christlichen Glauben bewahrte, als auch ihr Volk rettete, gut
und fromm lebte und im Frieden verschied, — es sei ihr ein ewiges An-
denken». Die Erinnerung an sie lebt noch heute fort in dem bulgarischen
Volksliede :
•Gar Morat Mari dumaäe :
Maruljo, bela Bulgarko !»
Die «weisse Bulgarin» Mara, so wird in demselben erzählt, habe sich
von Murad die Sophienkirche und Galata in Konstantinopel, die üzun-
carsia in Adrianopel, die weissen Städte am Meere und die Burgen längs
der Donau erbeten. Murad jedoch habe ihr statt der Sophienkirche eine
Moschee voll Silberleuchter angeboten. Sie aber wollte keine Moschee und
wies das Anerbieten mit den Worten zurück: «Teuer ist mir mein Glaube,
eine weisse Kadina (türkische Frau) mag ich nicht werden.» *
2. Descislava. Von dieser Prinzessin kennen wir nur den Namen
(Pomenik).
f) Johann Straöimir.
Auf seinen Münzen heisst er «Ivan Stracimir blagovemyj car Blgarom.»
Er regierte als selbstständiger Zar in Widin. Im Sommer 1365 eroberte
Ludwig I. von Ungarn Widin, nahm Stracimir sammt dessen Gemahlin
gefangen und hielt ihn vier Jahre lang auf der Burg Gumnik in Kroatien
gefangen. 1369 setzte sich Stracimir mit Hilfe seines Bruders und Schwagers
wieder in Widin's Besitz. 1388 musste auch er sich der Türkenherrschaft
ergeben. 1396 ergab er sich dem Könige Sigmund von Ungarn, als dieser an
der Spitze eines gewaltigen Heeres gegen Gross- Nikopolis zog. Sigmund's
Niederlage führte auch Stracimir's Ende herbei. Wir besitzen hierüber nur
* Jirecek 326.
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(1^ GLOSSEN ZUR BULGARISCHEN ZAREN-GENEALOGIE.
eine kurze Notiz in den serbischen Annalen ^ : «Im Jahre 6906 (1398) führte
Zar Bajazit den Zaren Stracimir aus Bdyn heraus. •
Stracimir's Gemahlin war die Tochter des walachischen Wojwoden
Alexander und dessen Gemahlin Klara. '^
Aus dieser Ehe kennen wir zwei Kinder :
a) Konstantin, Mitregent seines Vaters ^ floh nach der türkischen In-
vasion erpt nach Ungarn, später nach Serbien, wo er — vom Serbenfürsten
Stefan Lazarevics beweint — am 16. September 1422 (zu Belgrad) starb.
b) Dai'othea (Doroslava), vermählt um 1376 — 1378 mit dem Könige
Stefan Tvrtko I. von Bosnien * Sie starb vor 1382.
g) Zar (Johann) Sisman IIL
Sohn Alexander's aus aweiter Ehe. Obgleich er viel jünger als Stracimir
war, bestimmte ihn Alexander dennoch zum Tronfolger. Nach dem Tode
seines Vaters folgte er (mit dem Sitze in Timova) als Herr des Mittellandes
Bulgariens. Den Anfang seiner Regierung eröfifnete er mit Gefangennahme
des Kaisers Johann Palaiologos, musste ihn aber auf die bewaffnete Inter-
vention Amadeus' VI. von Savoyen bald wieder freigeben. Gleich darauf be-
gannen die Keibungen mit den Türken und Ungarn. 1388 zogen die Türken
von Adrianopel auf und rückten gegen Norden. Timova ergab sich nach kur-
zem Widerstände. Sisman schloss sich in Gross-Nikopolis ein, musste aber
mit dem persönlich heranrückenden Sultan Murad Frieden schhessen. Als er
aber nach Murad's Abzüge noch einmal verzweifelten Widerstand leisten
wollte, belagerte ihn der Grossvezier Ali Pascha zum zweiten Male in Niko-
polis. Der unglückliche Zar soll mit Frau und Kindern dem Grossvezier zu
Füssen gefallen sein und um Gnade beim Sultan gebeten haben. Sie wurde
^ äafarik, Pam&tky 74 ap. Jirecek 356.
'^ Nach einem päpstlichen Schreiben an die Wojwodin Klara ap. Theiner Mon.
Hung. II. 95, 98 do. 19. Jänner 1370 und nach einem ChrysobiiUon des Woj-
woden Mirca, stellt sich der Stammbaum Alexandei-s folgendermassen dar:
Wojwode Alexander
Gem. 1. N. N. 2. Klara, katholiaoh.
I. Wladislav (Vlajko), Johann Badul. 2. Toohter 2. Ancha'
orientaUsch. i 1370 kathoUsoh. 1370 orientalisch,
STl^^i löhi^ Jöhi^ ^"^^^ W*IS?n°^' '"^^"^ ^'^'^••
Gem. Zar Urosch V. Dan. Mirca. ^^^ ^^^*^
Yon Serbien.
^ Joasaph, MetropoUt von Widin (ap. Golubinski 224-) nennt ihn cMladyj oar»
(= junger Zar).
* Ducange spricht von zwei Töchtern Stracimir's, nennt aber nur die eine
Dorothea.
• 1370 war VlkaÄin König von Serbien. Nach einer Urkunde do 1370 ap. Miklosloh
180 heisst seine Gattin fKralica Kyr. Aldnat. Nach Ljubic wäre Ancha des Zaren Urosoh
Frau gewesen.
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GL08SBN ZUR BULGARISCHEN ZAREN -GENEALOGIE. 1Ö7
ihm gewährt und er blieb vorläufig (1388) noch auf seinem Trone. Am 17.
Juli 1393 wurde Timova schliesslich dennoch von den Türken erstürmt Sis-
man*8 Schicksal, der damals von Tirnova abwesend war, ist in Dunkel gehüllt.
Nach türkischen Berichten habe er, in ein Todtenhemd gekleidet, um
Gnade gebeten, sei zu Philippopel eingekerkert, nach einer Version hin-
gerichtet, nach der anderen am Leben gelassen worden. Nach dem Zeit-
genossen Bchiltberger wäre er mit seinem Sohne von Bajezid gefangen wor-
den und im Gefängnisse gestorben. Kussische Quellen bestätigen die Ge-
fangennahme ; eine rumänische Chronik sagt, dass Bajezid den Sisman,
Herrn der Bulgaren, im Jahre 6903 gefangen genommen und getödtet habe.
Nach bulgarischen Sagen fand er jedoch seinenTod auf dem Schlachtfelde. *
Sisman^s Gemahlinen waren :
1. Maria, Tochter der Descislava. Die Fassung des Pomenik, der di^se
Zarin Maria erwähnt, lässt nicht deutlich verstehen, ob Maria oder ihre
Mutter «in Engelgestalt t den Namen Debora geführt.
!2. Despinay eine Tochter des Fürsten Lazar I. von Serbien.
Von Sisman's Kindern kennen wir folgende ;
1. Alexander. Nahm, um sein Leben zu retten, den Islam an, und
wurde Statthalter in Klein- Asien. Durch Sultan Mohammed I. erhielt er als
Lohn für die Beaiegung des Teilfursten D^uneid die Verwaltung Smyma's.
1418 wurde er gegen des Fanatikers und Beformators Mahmud Bedreddin
Anhänger ausgesandt, um sie zu bezwingen, er fand aber mit seiner ganzen
Armee in den stylarischen Schluchten seinen Tod unter den Schwertern der
fanatischen Bebellen.
:2. Fruzin floh zu König Sigmund von Ungarn, bei dem er Schutz und
Unterstützung fand. Engel 465 teilt eine Urkunde Sigmund 's mit, die fol-
genden auf Fruzin bezüglichen Passus enthält : « Attentis et in animo nostrse
considerationis sedula meditatione pensitatis fidelitatibus et fidelium servi-
tiarum digne attoUendorum meritis et synceris complacentiis fidelis nostri
dilecti, Magnifici Fruschin, filii quondam Susman Imperatoris Bulgarorum,
quibus idem in nonnuUis nostris et regnorum nostrorum arduis expeditioni-
bus, sicuti prosperis, ita etiam adversis, contra Turcas aliosque Grucis Chri-
sti et nostros inimicos laboribus sudorosis, plerumque pro nostri regü honoris
exaltatione et incremento viriliter infudantem seque et bona sua diversis
fortuna' casibus, summo alacrique fidelitatis fervore studuit, et ipsum in
antea non haesitamus velle complacere. Cupientes itaque pramissorum Me-
ritorum suorum contemplatione sibi nostrse Majestatis benevolentiam osten-
dere favorosam quandam possessionem nostram N. vocatam in Gomitatu
Tbemessiensi sitam cum Gastello in eadem habito, cunctisque villis, seu
possessionibus ad eandem pertinentibus, ipsiusque et earundem utilitatibus
* VgL Jirecek 350, 351, 352.
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168 DIE FRANZ JOSEF-BRÜCKE BEI PRESSBÜRG.
et pertinentiis quibuslibet, quovis nominis vocabulo vöcitatur ad ipsum et
easdem de jure spectantibus eidem Frusyn pro deBcensu duximus daudum
et concedendum, imo damus donamus et conferimus prsesentium per tenorem
possidere, tenere pariter et habere. Salvo jure alieno. Harum nostrarum
vigore et testimonio literarum mediante. Datum in Feldwar partium uostra-
riun Transsilvanarum.» Leider gibt Engel nicht das Datum der Urkunde.
In der altserbischen Biographie des Fürsten Stefan Lazarevics, die
einen Augenzeugen zum Verfasser hat*, heisst es, dass um 1405 sich die
Städte Bulgariens, über Aufwiegelung der Söhne der bulgarischen Zaren,
gegen die Türken empörten, doch gelang es dem Sultan Soliman, die-
selben zu bezwingen. Im Sinne des uns bisher Bekannten können unter
diesen Söhnen der bulgarischen Zaren nur die beiden Vettern Konstantin
und Fruzin gemeint sein.
3. Kerata.
4. Herrin Maria, «rechtgläubige Zarin, Tochter des grossen Zaren
Jobann Sisman» («Kyr Maria»). Dr. Moriz Wertner.
DIE FßANZ JÜSEF-BKÜCKE BEI PEESSBÜßG.
Am vorletzten Tage des abgelaufenen Jahres hat die feierliche Erö&ung
der neuen ständigen Donaubrücke bei Pressburg in Anwesenheit Sr. Majestät des
Königs und der Spitzen der Regierung stattgefunden. Im Folgenden geben wir
zunächst in kurzer Uebersicht die Vorgeschichte der neuen stabilen Brücke, die
den Namen Franz -Josef-Brücke führt.
Schon im Jahre 1838, als es sich um die Herstellung der Eisenbahn von
Wien nach Raab handelte, beabsichtigte man, dieselbe über Pressburg zu führen t
es fanden auch bezügUch der Herstellung einer sowohl von der Bahn, als auch
von gewölmUohen Fuhrwerken zu benützenden Brücke Verhandlungen statt ; die-
selben führten aber nicht zum Ziele und die erwähnte Eisenbahn wurde vom
rechten Ufer über Brück an der Leitha geführt.
Im Jahre 187:2 projectirte die Waagtalbahn für ihre Linie Pressburg-
Oedenburg eine nächst der Tuchfabrik auszuführende Brücke über die Donau.
Lange Verhandlimgen führten wohl zu bestimmten Entschlüssen, aber trotzdem
blieb die Brücke unausgebaut, weil inzwischen die Gesellschaft in grosse finan-
zielle Bedrängniss geriet imd auf den Ausbau der Linie Pressbiu-g-Oedenburg
verzichten musste.
Nun versuchte es die Stadt, eine Brücke für den Landverkelir aus eigener
Initiative zu Stande zu bringen ; durch den Wiener Ingenieur Frey wmde im
Jahre 1880 ein Project. für eine Strassenbrücke vorgelegt. Die Stadtrepräsentanz
beschloss die Durohführimg dieses Projects, wenn der Staat die den Betrag von
* Konstantin, den Philosophen, einen Bulgaren aus Eostenec.
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DIB FRANZ JOSEF- BRÜCKE BEI PRESSBURG. 169
600,000 fl. übersteigenden Baukosten decken würde ; die Begiening lehnte aber
diese Zumutung ab und es blieb wieder beim Alten.
Im Jahre 1887 hatte der k. und k. FML. Dunst die Vorkonzession für eine
Localbahn von Pressburg nach Oedenburg erhalten und er suchte die Bahnbrücke
mit einer stabilen Communication für gewöhnliches Fuhrwerk zu verbinden. Allein
auch Herr v. Dunst musste auf die Durchführung seines Planes verzichten, da die
Capitalisten, welche das Geld für die Bahn und die Brücke hergeben sollten, au
den Staat solche Anfordeiomgen stellten, denen derselbe nicht entsprochen wollte
Inzwischen hatte der damalige Communications-Minister Gabriel v. Baross die
Angelegenheit gründlich kennen gelernt und er beschloss, im Falle die königliche
Freistadt Pressburg auf ihr Mautrecht zu Gunsten des imgarischen Staates Ver-
zicht leiste, den erforderlichen Grund und Boden für die Brücke und die Zufahrts-
rampen unentgeltlich zu überlassen und die Brücke auf Staatskosten auszubauen.
Dem Entschlüsse folgte auch sofort dieThat. Es wurden zwei inländische Brücken-
bau-Unternehmungen, nämlich die Firma Gregersen in Budapest und der Inge-
nieur und Unternehmer Franz Julius Cathry, zur Einreichung von Projecten und
Offerten aufjgefordert, femer mit der königl. Freistadt Pressburg in dem obigen
Sinne ein definitives Abkommen getroffen. Im Oktober 1888 wurde Cathry 's Offert
angenommen.
Gathiy hatte bereits im März 1889 die Vorbereitungen für den Bau im
grossen Masstabe begonnen. Am 12. August wurde der erste Caisson in die Finten
der Donau versenkt, am 20. das Sclüff, welches die Dampfmaschinen und Luft-
pressen trug, die nunmehr Monate hindurch den tief unter dem Wasserspiegel
schaffenden Arbeitern die Luft zum Atlimen zuzuführen und das Wasser aus der
Arbeitskammer zu verdrängen hatten, durch den Abt und Stadtpfarrer Bimely
eingesegnet Von da ab wurde Tag und Nacht ununterbrochen über und unter dem
Wasser bis zu Weihnachten fortgearbeitet; am 1. Jänner 1890 waren die Wider-
lager an beiden Ufern, dann zwei Strompfeiler auf der Auseite und ein Strom-
pfeiler auf der Stadtseite fertig fundirt imd bis über den gewöhnlichen Wasser-
stand heraufgereutet, überdies der grösste Teil des Bedarfes an Bausteinen bei-
gestellt. In den folgenden Monaten ging die Arbeit flott von Statten. An&ngs Juli
wurde die Pilotirung für das Genist der grossen Mittelöffnung begonnen, doch
wurde ein rasches Vorwärtskommen durch den fortwährenden hohen Wasserstand
und die grosse Geschwindigkeit des Wassers wesentlich verhindert. Um diese Zeit
ging das Programm des Unternehmers dahin, die Brücke sammt allen Neben-
arbeiten bis Ende October zu vollenden. Der alte Danubius war aber mit einer
so raschen und glatten Bezwingung seiner bisher unbeschränkt ausgeübten Macht
nicht einverstanden ; während es in Ungarn grösstenteils heiter und trocken war,
regnete es in den Monaten Juli und August in Oberösterreich und Tirol ohne
Unterlass ; die Nebenflüsse der Donau wurden zu reissenden Strömen und führten
der Donau grosse Wassermassen zu, so dass sie die für die Sommermonate ausser-
gewöhnliche Höhe von 4 bis 4Vs Meter erreichte. Dabei hatte der Strom eine Ge-
schwindigkeit von i — 4V» Meter per Sekunde erreicht. — Das Montirungsgerüst
der grossen Mittelö&ung der neuen Brücke hatte bis jetzt dem ungeheuren
Wasserstande widerstanden, obwohl die Montirung eben bei Eintritt des Hooh-
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170 DIB FRANZ- JOBEF-BRÜOKE BEI PRBSSBURG,
waesers, Ende August, begonnen worden war und nur das verhältnissmässig geringe
Gewicht von 1 300 Meterzentner Eisen dasselbe beschwerte. Nun erreichte der
Wasserspiegel die unerhörte Höhe von 5*/i Meter ; da beobachteten die Ingenieure,
dass die ursprünglich in vollkommen gerader Linie auf dem Gerüste znsammen-
gefalzte Eisenconstruction eine kleine Ausbiegung stromabwärts zeigte ; es konnte
dies nur von einem Nachgeben oder Verschieben des Gerüstes stammen und man
verbuchte der Bewegung, welche von Stunde zu Stunde stärker wurde, durch Ver-
ankerungen und Belastung mit Steinen entgegenzutreten ; allein der Strom wollte
sein Opfer haben und erhielt es auch. Am 7. September, 5 Uhr Früh gab das
Gerüst bei einem Wasserstande von 6 M. 25 Cm. über Null dem ungeheuren Drucke
nach und versank sanmat den darauf bereits montirten Eisenteilen im Gewichte
von 180,000 Kilogramm in den Fluten des brausenden Stromes! — Ein Schrei
des Entsetzens drang durch die ganze Stadt, man glaubte nun, die VoUendimg
der Brücke sei wieder auf viele Monate hinausgerückt; Unternehmer Cathry
hatte aber bereits vor Eintritt der nicht mehr abzuwendenden Katastrophe die
Folgen derselben ins Auge gefasst, sich das Holz für die Wiederanlegnng des
Gerüstes sichergestellt und war entschlossen, auf die Wiederverwendung der ins
Wasser gestürzten Eisenteile zu verzichten. Am 8. September wendete er sich
persönlich an den Handelsminister Baross und bat um dessen Unterstützung,
damit die staatlichen Eisenwerke in möglichst kurzer Zeit den Ersatz für die
vom Wasser verschlungenen Brückenteile liefern ; diese Unterstützung wurde ihm
auch zuteil.
Inzwischen trat der bis zur Höhe von 6 M. 75 Gm. angeschwollene Strom
nur sehr langsam in sein normales Bett zurück, so dass erst Anfangs October bei
noch sehr hohem Wasserstande mit dem Schlagen der Joche begonnen werden
konnte ; das Gerüst wurde aber dennoch in etwa drei Wochen hergestellt ; Ende
October begann man neuerdings mit dem Aufbringen und Zusammenstellen der
Eisenconstruction. Gegen den 20. November war man damit soweit vorgerückt,
dass sich die Brückenträger schon selbst zu tragen vermochten und daher ein all-
fällig eintretender Eisstoss nicht mehr gefahrlich werden konnte. Unterdessen
waren auch sämmtUche übrigen Arbeiten sowohl an der Brücke selbst als auch bei
den Zufahrtsrampen soweit vorgeschritten, dass man für die gänzliche Vollendung
einen bestimmten Tag in Aussicht nehmen und für den 22. Dezember die Vor-
nahme des technisch-poHtischen Augenscheines ansetzen konnte. Am 9. Dezember
begannen unter der Leitung des Sectionsrathes ^ltet6 die Probebelastungen und
dauerten fast ununterbrochen bis zum 20. Dezember, weil jede OefiEnung für sich,
und zwar unter zwei Voraussetzungen — Belastung des Fahrweges allein und
gleichzeitige Belastung des Fahrweges und des Gehsteges — geprüft werden musste.
Die Resultate der Probebelastung waren aussergewöhnlich günstige und lieferten
ein glänzendes Zeugniss sowohl für die richtige Protection als für die exacte Aus-
fülirung der ganzen Eisenconstruction. Am 22. Dezember fand der Augenschein
statt, bei welchem protokollarisch ausgesprochen wurde, dass die Brücke und
sämmtliche Nebenarbeiten vollendet und anstandslos dem öffentlichen Verkehre
übergeben werden können.
Der neue Donauübergang bei Fressburg besteht aus drei Teilen und.ewar :
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DIE FRANZ JOSEF^BBÜOEE BEI PKBS6BÜRG.
171
aus der Pressborger Zufohrterainpe, aus der eigentlichen Donaabrücke, aus der
Abfahrtsrampe in der Au und der Ligeter Strasse. Die Länge der Pressburger
Rampe beträgt l!20 Meter, jene der Brücke selbst zwischen Parapet- Anfang und
Parapet-Ende 465 Meter, die Länge der Ligeter Rampe und Sti-asse 820 Meter,
daher die ganze Baulänge 1405 Meter. Beide Rampen haben eine Breite von
13 Meter. Die linksufrige Rampe ist mit eisernen, die rechtsufrige, sowie die Ligeter
Strasse mit harthölzemen Geländern versehen.
Die Donaubrücke ist in ihrem Unterbaue derart angelegt, dass auf den Pfei-
lern ausser der gegenwärtig bereits hergestellten Fahrbahn für gewöhnhches Fuhr-
werk und dem Gehwege für Fussgänger auch noch eine zweite Brückenconstruction
zur Legung eines Eisenbahngeleises Platz findet. Es bestehen ^ Widerlager, 1 Ufer-
pfeiler auf der Pressburger Seite, 5 Strompfeiler und 7 vollständig von einander
getrennte Brückenconstructionen aus Eisen. Die ganze Länge der Eisenconstruc-
tion misst 460*4 Meter. Als Unterlage für die Eisenconstruction dienen Granit-
quadem, welche durchwegs 70 Cm. hoch, 1*20 bis 1*50 breit und 1'60 bis 180 M.
lang sind imd von welchen die grössten Stücke ein Gewicht von 50 bis 60 Meter-
zentner haben. Zum gesammten Brückemmterbau und für die Uferschutzbauten
wurden folgende Materialquantitäten verbraucht: Etwa 16,000 Kubikmeter Bruch-
steine aus den Granitbrüchen von Pressburg, Earlsdorf, Berg- und Wolfsthal, circa
1460 Kubikmeter Quader- und Haokelsteine aus denselben Brüchen, circa 1289
Kubikmeter Qiiader- imd Hackelsteine aus den Steinbrüchen von Theben-
Neudorf, circa 1350 Kubikmeter Quadern von Neuhaus-Mauthhausen, circa
13,000 Meterzentner Romancement von Sattel-Neudorf, circa 1200 Meterzentner
Portlandcement von diversen Fabriken.
Die neue Brücke ist auch von grosser strategischer Bedeutung. Die wich-
tigste Donaustrecke für unsere Monarchie ist jene zwischen Wien-Budapest, denn
sie bildet die Centralbasis für jede Operation, und die letzte Verteidigungslinie
in jedem Kriege. Als nächster stabiler Donauübergang abwärt« von Wien besitzt
Pressburg vermöge seiner Nähe zu Wien (zwei Märsche) imd den daraus bei der
Verteidigung der Donau resultirenden innigen Wechselbeziehungen zum Gentnim
der Monarchie eine in allen Kriegsfallen hervorragende mihtänsche Bedeutung.
Die Lage des Punktes bringt es mit sich, dass Pressburg alle wichtigen, aus dem
March- und Waagtale zur Donau, und alle zwischen der Donau und dem Neu-
siedler-See führenden Communicationen vereinigt, beziehungsweise beherrscht.
Jeder von Norden oder Süden her der Donau sich nähernde Gegner wird ange-
sichts der im befestigten Lager bei Wien stehenden eigenen Armee schon durch
den Zug der Communicationen auf den Uebergangsversuch bei Pressburg hinge-
wiesen (so 1805, 1809 und 1866). Es ist klar, dass der neue stabile Uebergang in
der Basis befestigt werden muss, um die Verbindung mit dem Hinterlande auf-
rechtzuerhalten, hauptsächlich aber, um sich da den Uferwechsel auch im An-
gesichte des Feindes sichern zu können. Ein befestigtes Pressburg ist als Eisen-
bahn-, Wasser- und Landstrassen-Knotenpunkt berufen, in allen Kriegsfallen eine
hervorragende Rolle zu spielen.
Die Herstellung der neuen Brücke hat zu einer interessanten Gelegenheits-
schrift Veranlassung gegeben, in welcher Dr. Johann Kiräly die Geschichte des
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172 DIB FRANZ JOSEF-BRÜCKE BEI PRESSBURG.
Pressburger Maut- und Urfalirrechtes behandelt. * Diese interessante Schrift, ein
Product Üeissiger und intelligenter Quellenforschungen, gibt sich lediglich als
eine Chronik, in welcher Alles, was auf die Entwicklung des Pressburger Brücken-
wesens Bezug hat, verzeichnet ist. Aber die Schrift ist bei all ihrer Anspruchs-
losigkeit weit mehr, als sie selbst scheinen will. Sie stellt sich dar als ein Sttick
nationaler Geschichte, als ein Bild von acht Jahrhunderten ungarischen Lebens,
aus der Pressburger Vogelperspective betrachtet. Das ürfahr- und Mautrecht in
der altehrwürdigen Stadtgemeinde Pressburg steht im Mittelpunkte des Werkes
als fixer Punkt im reichbewegten Wandel der Ereignisse. Und wir sehen an diesem
Pimkte eine Epoche imi die andere vorüberrauschen : die Ai-päden-Zeit, in welcher
der Grund zu der tausendjährigen Institution des Pressburger ürfahrs gelegt
worden ist ; die Aera der Anjous, welche diese Institution zu raschem Aufblähen
gebracht Imt; das Jahrhundert der Könige aus gemischten Häusern, *in welchem
die kluge und patriotische Bürgerschaft von Pressburg dieser Stadt zu hohem An-
sehen verholfen und ihre Donaubrücke gewissermassen zu einem geschichtlichen
Factor erhoben hat ; die Habsburgische Epoche endlich, in der die Stadt Pressburg
und ihre Brücke in drei grossen Kriegen (in dem Feldzuge gegen die Türken, in
den napoleonischen Kriegen und in den 1866er Kämpfen) eine bedeutende strate-
gische Bolle gespielt.
Das Pressburger ürfahr ist so alt wie das ungarische Königtum. König
Stefan der Heilige hat in seiner Urkunde betreffend die Stiftung der Martinsberger
Abtei schon im Jahre 1001 das Donau-Urfahr bei Pressburg als Beneficium diesem
Stifte verliehen. Später teilten sich in diese Einkünfte der Graf von Pressburg und
die Piliser Abtei, sowie das Graner Erzbistum, welch' letzterem ein Zehntel des
gesammten Einkommens zugesprochen war. Wahrscheinlich befand sich die
Ueberfuhr in diesen Zeiten unterhalb des Sclilossberges in der heutigen Press-
burger Theresienstadt, wie dies aus einer Urkunde des Königs B61a lY. aus dem
Jahre 1 254 hervorgeht, durch welche dem Abte Johannes von Pills das Eigen-
tumsrecht auf den von demselben erbauten Wasserturm in Vepricz (Wödritz)
zugesichert wird. Was diesen Wasserturm betrifft, so mag er wohl ein Vorwerk
des befestigten Schlosses gewesen sein, doch weist ja schon seine Benennung
darauf hin, dass er in irgend einem Zusammenhange mit dem Ürfahr gestanden
sein muss. Im Jahre 1 306 schenkte der Erzbischof von Gran seinen Anteil vom
Einkommen aus dem Pressburger Maut- und Urfahrrecht dem Domprobste und
dem Capitel zu Pressburg, um deren schwache Dotation zu erhöhen. Bald nach-
her treten aber merkwürdigerweise auch Privatpersonen als Inhaber von Anteilen
an den Ürfahr- und Mautgerechtsamen auf. So verkauft im Jahre 1 37 1 Elisabeth
Barthö yhren Anteil an der Wödritzer Maut an einen sichern Slaginkauf. Vier
Jahre später vermacht • Hanns der PoUe, Purger zu Pressburg t, seinem Sohne
Andreas ^sein Ürfahr an dem Türmt ; und der Bürger t Jakob der Patzhan» setzt
die Set. Martinskirche , im Jahre 1381 zum Erben eines Teiles seines Urfahrs ein.
Desgleichen testirt Thomas Frank 1419 seine fünf Urfahrteile der Set. Lorenz-
* A pozsonyi nagy-dunai viim- ^8 'r^yjog törtöuete. Irta dr. Kir41y J4no8.
Fozsony, 1S90 Heckenast G. utöda. Auch in deutscher Sprache.
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t>m FRAi^Z JOgBF-BRÜOK>^ BEI PRB88BURO. 1^^
kirohe» welche ausserhalb des Stadtweichbildes lag, ein Filial der Dompfarre bil-
dete und stets einen Domherrn des Pressburger Capitels zum Pfarrer hatte. Die
Schatzkammer dieser Kirche war eine so reichhaltige, dass man sie 1484 in einem
besondem Anbau unterbringen musste. Die Kirche selbst wurde im Jahre 1529,
als die Türken nahten, vorsichtshalber demolirt und ihren Schatz Hess die Stadt
zu Verteidigungszwecken einschmelzen. Wie waren nun Privatpersonen in den
Besitz einzelner Teile des Urfiahr- und Mautrechtes gelangt ? Der Verfasser findet
eine plausible Antwort auf diese Frage. Er spricht die Vermutimg aus, dass die
ursprunghchen Eigentümer dieser Gerechtsame die letztere verpfändet hatten :
eine Annahme, welche ^unterstützt wird durch die Thatsache, dass in jener Zeit
die Piliser Abtei sowohl wie der König selbst sich in beständigen Oeldnöten
befunden haben. Musste doch König Sigismund tals Vormund des Landest die
Stadt Pressbarg selbst im Jahre 1 385 an seine Schwäger Jodochus und Procopius
verpfänden, um eine Wegzehrung für seine Fahrt nach Böhmen zu haben ; aller-
dings hat er dieses Pfand vier Jahre später getreulich wieder ausgelöst. Dans der
König auch kleinere Beträge zu pumpen genötigt war, erhellt aus dem von Stefan
Bakovszky festgestellten Umstände, dass Sigismund von den Pressburger Bürgern
148, dann 150 Qulden, ja einmal sogar die Summe von 32 bölunischen Groschen
sich ausgeliehen hat. Unter solchen Verhältnissen ist wohl anzunehmen, dass
manche Urüahrteile im Wege der Verpfändung in die Hände einzelner Bürger
geraten seien.
Bis an das Ende des XTV. Jahrhunderts war die Art imd Weise der Besor-
gung der Donau-Ueberfuhr bei Pressburg ganz imd gar dem Beheben der Bechts-
inhaber und ihrer Pächter überlassen. Dass es dabei recht patriarchaHsch herging,
lässt sich wohl denken ; sicherUch sind die Schiffe zumeist morsch, ist der Verkehr
über die Donau stets ein langsamer und ein lebensgefälirlicher gewesen. Erst durch
König Sigismund griff hier die Staatsgewalt reformirend ein, offenbar aus mihtä-
rischen Motiven, unter den Eindrücken des drohenden Türkenkrieges. So ordnete
der König im Jahre 1396 an, dass behufs Beschleunigimg des Verkehrs an beiden
Ufern je drei Schiffe stets verfügbar sein mussten ; und sechs Jahre später gab er
sogar, um den Verkehr zu fördern, das Ueberfuhrsrecht jedem Pressburger Bürger
hei. Doch all das scheint wenig genützt zu haben ; nach wie vor mochte
der Verkehr ein langsamer und unregelmässiger sein, denn König Sigismund sah
sich vei*anlasst, in Pressburg auf eigene Kosten eine Brücke zu bauen ; diese iiihte
auf Jochbäumen imd auf Schiffen, doch ist sie offenbar sehr nachlässig gebaut
gewesen, denn bald darauf wurde sie unpraktikabel. Im Jahre 1439 schenkte König
Albert diese Brücke der Stadt Preesburg gegen die Veri)flichtung, dieselbe her-
richten zu lassen und sie in Stand zu erhalten. Von da ab ist Pressburg fast nie
ohne Brücke gewesen ; — ifast nie», denn Treibeis imd Hochwasser zerstörten
gar oft die Pressburger Donaubrücke so gründhch, dass dieselbe wohl ein dutzend-
mal und darüber vom Grund auf neuerrichtet werden musste, wie dies aus zahl-
reichen Urkunden des städtischen Kammeramtes hervorgeht Der Umstand, dass
den Pressburger Bürgern zugleich mit der Brückensohenkung die Mautfreiheit
im ganzen Comitate verliehen wurde, hat in der Folge zu manchem scharfen Con-
flicte mit den Oligarohen auf Kittsee geführt. Die Pressburger Kaufleute, die nach
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174
DIE FRANZ JOgBF-BRÜOKB BBI PRASSBÜtUl.
Hamburg zogen, wurden von den Burgbauptleuten auf Kittsee genötigt, ihren
Weg statt über das tOerinn» an Kitsee vorbei zu nehmen; hier wurden sie dann
von den Hauptleuten angeMlen, zur Mautzahlung genötigt und im Weigeninge-
falle tüchtig geplündert. Zu Beginn des XV. Jahrhunderts zeichnete sich beson-
ders der Burghauptmann Heinrich Slandersperger durch solche Raubritter-Excesse
aus, ßo zwar, dass König Sigismund im Jahre 1416 aus Paris und im Jahre 1418
aus Padua ihn brieflich ermahnen musste, seine Umtriebe einzustellen ; als dies
nichts half, setzte der König den Pressburger Obergespan Peter v. Kappler als
Commissarius mit königlichen Gewalten ein, um der Baubwirtschaft des Ölig-
archen von Kittsee zu steuern. Nahezu durch zwei Jahrhunderte währte dar
Kampf der Pressburger Bürgerschaft ge^ren diese Brandschatzungen und Ueber-
gnffe, in welchen später merkwürdigerweise sich gerade die Nachfahren des ober-
wähnten Peter v. Kappler am imrühmlichsten hervorthaten.
Im Frühjahre 1440 litt die Pressburger Brücke manchen schweren Schaden
durch die Treibhölzer, welche der Eisstoss wider ihre Jochbäume geführt hatte.
Die ehrsame Stadtgemeinde entsandte demnach den Ratsherrn Peter Jungetl zu
der in Komom weilenden Königin- Witwe Elisabeth, um von ihr einen Beitrag zu
den Kosten der Instandsetzung zu heischen. Die Königin empfing Herrn Jungetl
sehr gnädiglioh und sagte ihm einen Beitrag von hundert Ooldgulden zu. Aller-
dings wai' der würdige Batsherr nicht mit leerer Hand vor das Antlitz der Koni-
gin getreten, vielmehr hatte er als Huldigungs- Angebinde seiner Mitbürger ein
Fässchen kostbaren Weines mitgenommen, wie dies m den Kammeraoten gewis-
senhaft verzeichnet steht in den Worten : lAm Erichtag vor Tiburtii und Vale-
riani der Königin ein lagl malvasia gebn durch Jungetl. » Herr Jungetl muss aber
bei dieser Gelegenheit für seine Pressburger Landsleute auch noch manches Andere
solUzitirt haben, denn am Tage nach seiner Audienz bei der Königin schreibt er
an die Herren vom Rate einen Brief, worin er dringend bittet, dass die Stadt den
Küchenmeistern des Kanzlers Johann und des Grafen Ulrich Czilley je einen Gentner
Oel, Feigen und Häring und «ein guets lagl wein, der suess sy> schicke, damit
diesen Herren lein besunder wohlgevallen erczaigt sei». Bald nachher erschien
auch die Königin selbst mit ihrem neugeborenen und als Säugling gekrönten Sohne
Ladislaus in Pressburg, wo sie einige Zeit verweilte ; sie hatte in dem ehemals
Spindler' sehen Hause in der Yenturgasse ihr Absteigquartier. Die Stadt gab der
ankommenden Königin zu Ehren ein Festessen, wie dies bezeugt wird durch die
folgende Anmerkung der Kammeracten : fitem am Sambstag vor St. Veitstag kam
unsere gnedige Fraw die Kunigin ; haben wir gebn zu Obendessen mancherley
ding, als man das hernach geschrieben fint. » In den folgenden zwei Jahren fand
die Königin sich wiederholt in Pressburg und in der Umgegend dieser Stadt ein ;
wie denn überhaupt ein Band wechselneitiger Vorliebe die Pressburger und «ihre»
Königin mit einander verknüpfte. Um auf die Brücke zurückzukommen, so scheint
sie in den letzten Jahren der Königin Elisabeth vollständig zugrunde gegangen
zu sein; denn König Ladislaus V. ordnet 1453 ihren Wiederaufbau an und sta-
tuirt, wohl mit Rücksicht auf die hohen Instandhaltungskosten, die Mautpflicbt
auch für Edelleute. Dies ist wohl als der erste Eingriff in die Privilegien des unga-
rischen Adels anzusehen ; und wenn der Landtag damals sich nicht stürmisch
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hm PRAKZ JOJSEF-BRUGKE BBI PR^SBURG. 1?5
dagegen auflehnte, so nnterliess er solohes wohl nur in der Erwägung, dass diese
Bestimmung in der Praxis sich werde umgehen lassen, eine Annahme, die sich ja
auch nachmals als eine gerechtfertigte erwies. Bald darauf kam der König auch
persönlich nach Pressburg ; da die Brücke noch nicht stand, wurde die üeberfuhr
auf sechs Schiffen bewirkt. Die Pressburger verehrten bei dieser Gelegenheit tdem
genadigsten herm Kunig Laszla» Kirschen als Erfrischung. Der Wiederaufbau der
Brücke ist aber erst unter Mathias I. erfolgt, in dessen Auftrag Ernst Johann Graf
von Sohl die Sache betrieben hat. Bis zum Ende des XV. Jahrhunderts wurde die
Brücke wiederholt durch Treibeis beschädigt, durch Hochwasser fortgerissen und
jedesmal wieder aufgebaut, so dass die Stadt und ihr Säckel ihre liebe Not damit
liatten. Aber auch das Strassenwesen in Preesburg scheint damals sich nicht des
besten Zustandes erfreut zu haben ; denn in den städtischen Kammeracten findet
sich eine Notiz darüber, dass der Wagen des iKunigs Wlaslai eines Nachts im
tiefen Wege stecken geblieben sei und dass man aus dem Rathause iden Fass-
zieher mit seinen Helfemt hinausgeschickt habe, um den Wagen wieder flottzu-
machen.
In den Kämpfen der Gegenkönige Ferdinand von Habsburg und Johann
von Zäpolya spielten die Stadt Preesburg und ilire Brücke eine bedeutsame Bolle.
Zunächst fand die Wahl Ferdinand's zum König von Ungarn auf dem in der Press-
burger Franziskanerkirche abgehaltenen Landtag statt. Doch hatte Ferdinand noch
manchen harten Strauss zu bestehen, ehe er den ihm angebotenen Tron besteigen
durfte. Es galt vorerst, den Nebenbuhler Johann von Zdpolya aus dem Felde zu
schlagen, ihm seine zahlreichen Parteigänger abwendig zu machen und das von den
Schrecknissen des Bürgerkrieges heimgesuchte Land zu pazifiziren. Pressburg ist
dem König Ferdinand in diesen Kämpfen eine wichtige Position gewesen und leicht
begreift es sich, dass der König aus strategischen Gründen die baldigste Wieder-
herstellung der Pressburger Brücke betrieb. Auch gingen die bezüglichen Arbeiten
recht flott von Statten, so zwar, dass die Brücke schon binnen Jahr und Tag —
wieder vom Hochwasser fortgerissen werden konnte. Beschädigt und wieder aus-
gebessert, zugninde gegangen und wieder aufgebaut, unterlag diese Brücke den
mannigfachsten Wandlungen, welche die Zuversicht in ihre Stärke nicht eben zu
fordern geeignet waren. So ist es denn durchaus nicht zu verwundem, dass die
Könige, wenn sie die Stadt passirten, es vorzogen, auf Schiffen über die Donau zu
setzen ; und femer, dass bei besonders festlichen Anlässen jedesmal auch beson-
dere Brücken aufgeführt worden sind. So gab es 1578 eine besondere Landtags-
Schiffbrücke, welche das Staatsärar hatte errichten lassen und für welche die Stadt
Pressburg lediglich drei ungarische Dolmetsche beizustellen hatte. Im Jahre 1 563
aber wurde speziell zur Krönung Maximilian' s eine Krönungsbrücke gebaut. Nim
geboten aber wieder strategische Kücksichten die Errichtung einer starkem Brücke
bei Pressburg ; die Türkenkriege standen in Sicht und der Hofkriegsrat in Wien
begehrte nachdrücklich den Aufbau einer Schiffbrücke. Der Pressburger Stadtrat
fürchtete für seine Mauteinkünfte und schrieb an den König, dass dieser wohl
eine Brücke bauen, aber die Mautverwaltung an niemand Andern ab an die
Stadtgemeinde verpachten dürfe, worauf der Delegirte des Kriegsrates, Herr
von Sprinzenstein, replicirte, er sei bereit, dem König fünf feste Brücken zu bauen,
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176
DIB FRANZ JOSEF-BRÜCKE BEI PRBSSBÜR6.
wenn ihm die Mauteinkünffce der Pressburger Brücke überlassen werden. Inzwi-
schen wurden die durchziehenden Truppen mittelst einer Anzahl von Schiffen
über die Donau geführt. Die Brücke aber wurde erst erbaut, als der nächste Land-
tag zum Behufe der Königswahl nach Pressburg einberufen worden war.
Von da ab wiederholt sich dAs altgewohnte Spiel. Es werden wiederholt
Schiffbrücken erbaut, durch das Treibeis zerstört, um dann abermals errichtet und
durch die Hochflut fortgerissen zu werden. Erst vom Jahre 1676 datirt eine grös-
sere Dauerhaftigkeit im Pressburger Brückenwesen. Das System der fliegenden
Brücken wird eingeführt und bewährt sich besser als die bisherigen Schiffbrücken.
In den mannigfaclien Wechselfallen der Türkenkriege wird aber auch die fliegende
Brücke wiederholt abgetragen und niedergebi-annt. Auch scheint die Instandhal-
tung der Brücke zu Beginn des XVlU. Jahrhunderts bereits erheblich höhere
Kosten als bis dahin gefordert zu haben, denn als Karl lEE. die ärari«che Brücke
der Stadtgemeinde zum Geschenk machte, da protestirte der Magistrat gegen diese
Danaergabe mit dem Bedeuten, dass die Instandhaltung jährlich 2500 fl. und
darüber erheische. Im Jahre 1722 drängt sich dem Landtage bereits die Erkennt-
niss auf, dass eine stabile Brücke bei Pressburg aus wirtschaftlichen wie aus stra-
tegischen Gründen gleich notwendig sei. Freihch scheint in diesem Jahrhundert
auch die Rentabilität der Brücke sich in bedeutendem Maasse gesteigert zu haben,
denn im Jahre 1791 nahm der Pressbnrger Arzt Dr. Johann Szluha das Maut-
recht der Brücke gegen einen jährlichen Pachtschilling von 10,750 fl. auf sechs
Jahre in Pacht. Bei dem Anbruche des XIX. Jahrhunderts verschlugen sich die
letzten Wellenringe der napoleonischen Kriege liieher und die Pressburger Donau-
brücke pah am 10. Dezember 1805 den Marschall Davoust mit sechs Regi-
mentern Fnsstruppen imd zwei Regimentern Reiterei nach dem Weichbilde der
Stadt ziehen, um die durch den Waffenstillstand vereinbarte Demarkationslinie zu
besetzen. In Pressburg wurde auch am 27. Dezember zwischen Talleyrand einer-
seits und den Feldmarschall- Lieutenants Fürst Johann Lichtenstein und Graf
Ignaz Gyulai andererseits der definitive Friede abgeschlossen. Nicht so glimpflich
kam die Stadt Pressburg im Frühjahre 1809 davon. Nach der Schlacht von Aspem
warf sich Davoust mit 14,009 Mann auf Audoi-f und als diese Position sich ihm
nicht ergeben wollte, liess er am 3. Juni Pressburg selbst bombardiren. Die Be-
schiessung währte von 10 Uhr Vormittags bis 1 Uhr Nachmittags, während wel-
cher Zeit der Verkehr auf der fliegenden Brücke ungestört fortbelrieben wurde.
Vom ti6. bis 28. Jimi wurde in drei aufeinander folgenden Nächten das Bombar-
dement fortgesetzt, ohne dass die Audoi-fer Schanzen aufgegeben wurden. Bis zum
Abschluss des Wiener Friedens 1 809 war die Gemarkung von Pressburg beständig
von französischen Besatzungstruppen und von mehr minder heftigen Scharmützeln
heimgesucht. Nach dem Friedensschlüsse berief Franz I. nach Pressburg den
Landtag ein und ordnete zugleich in Anerkennung der patriotischen Verdienste
dieser Stadt die Emchtung einer grossen ständigen Schiffbrücke durch die in
Pressburg gamisonirenden Pionniertruppen an. Diese nach der Kaiserin und Kö-
nigin Karolina genannte Brücke wurde am 29. Dezember 1 825 unter grosser
Feierlichkeit dem Verkehr übergeben ; sie war aus 32 Schiffen zusammengesetzt
und mass in der Länge 148 Klafter, in der Breite 24 Klafter. In das Erbe dieser
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MITTELALTBRLICHE GRABDENKMÄLER AUS UNGARN.
IW
Schiffbrücke tritt nun die neue, mit allen Emmgenschaften der modernen Technik
auegeetattete Eisenbahnbrücke, welche am 30. Dezember 1890 durch Se. Majestät
den König persönlich eröffnet worden ist.
MinELAIiTERIJCHE GRABDENKMÄLER AUS UNGARN
VI. Grabstein des Andreas Scolari. XV. Jahrhundert.
Der Grabstein des Bischofs Scolari ist unstreitig das interessanteste
unter den wenigen alten Monumenten, welche im Dome von Grosswardein
uns bis zur Gegenwart erhalten geblieben sind. Das Materiale, aus welchem
derselbe verfertigt ist, ist grauer Sandstein, seine Höbe 2 M. 0*7 Gm., die
Breite aber 79 Gm., was also eine bei Grabsteinen ganz ungewohnte
Schmalheit zu bedeuten hat, welche auch dem minder geübten Auge sofort
auffällt.
Abgesehen von einem in schräglinker Bichtung laufenden Bruche,
welcher oben beim linksseitigen Schriftenrande beginnt und sich über
einen Teil des Polsters sowie über den Hals bis zur rechten Schulter der
das Figurenfeld belegenden Gestalt zieht, abgesehen femer von der
starken Beschädigung des Gesichtes derselben Figur, welche das erstere
vollkommen unkenntlich gemacht und auch ein vorderes Stück der Mitra
etwas in Mitleidenschaft gezogen hat, — ist dieser Denkstein sammt seiner
durchwegs lesbaren Inschrift wohlerhalten zu nennen.
Diese letztere, in ausnehmend regelmässigen und zierlichen Minus-
keln, aus den vier Seiten des beiderseits mit dünnen Leisten eingefassten
schmalen Schriftenrandes herausgemeisselt, beginnt linksseitig oben und
lautet :
iHic jacet reverendus in Christo pater dominus Andreas Floren-
tius hujus ecclesie Yaradiensis pontifex venerandus deo ac gentibus hung|
arie dilectus qui obüt X° VIII die mensis januarii VII hora noctis anno do-
raini M«"" CCCCX| XVI hie honorifice sepultus.»
Das glatte Figurenfeld wird von der liegenden und zugleich stehenden
Gestalt des in pontificalibus dargestellten Bischofs Andreas Scolari vollstän-
dig ausgefüllt. Das Haupt, mit beiderseits bis zu den Ohrläppchen reichenden,
rundgeschnittenen Haaren, ist mit einer hohen Mitra bedeckt, deren Spitze
bis zur Mitte des Schriftenrandes hinaufreicht, und ruht auf einem mit einer
Schnur eingefassten Polster, dessen vier Ecken mit eben so vielen Quasten
besteckt erscheinen. Die mit Handschuhen versehenen Hände erscheinen
(wie dies bei Veratorbenen der Brauch) nach vorne abwärts, über die Mitte
des Körpers, in Form ein^s Andreaskrt-uzes gelegt ; die mit einer breiten
Ungwineh« Bevae, XL 1891. IC. Heft. XS
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178 MITTB!LAI.TERUCHE ORABDEKKMÄLER AUS UNÖARN.
Bordare und vorne mit einem Passionskreuze verzierte Gasula aber, mit
hohem weiten Halskragen, sowie darunter die Tunicella und dann die bis
zn den (sichtbaren) Fassspitzen abfallende, reiche Alba amhüUen die Ge-
stalt des unter diesem Grabsteine ruhenden Prälaten. Sichtbar machen sich
auch die beiden schmalen Enden des Manipulus, sowie unten die befranste
Stola. Links vom Bischöfe befindet sich gerade aufgerichtet und die untere
Leiste des oberen Schriftenrandes etwas überragend, das Pedum oder der
Hirtenstab, dessen einwärts gekehrte, schneckenartige Windung mit zierli-
chem künstlichen Laubwerke besteckt erscheint und um dessen Stiel, einige
Spannen weiter unten, das Sudarium, von einem Krönlein überhöbt,
mehrfach gewunden ist und mit den Enden nach abwärts hängt.
Noch haben wir Eines unerwähnt gelassen : es ist dies die — wohl
nicht gelungene — Gestalt des Hundes (als Symbol der Treue), auf welcher
die Fussflächen des Bischofes ruhen. Wir werden über diese Sitte ver-
gangener Jahrhunderte, wo Personen die in ganzer Gestalt auf Grabsteinen
dargestellt erscheinen, Tiere, in gleicher Verwendung wie hier, beigegeben
wurden, noch später Gelegenheit finden, eingehender zu sprechen.
Wir können unser Augenmerk demnach dem Wappenschilde des An-
dreas Scolari zuwenden. Dieses befindet sich, die scharfe^ halbrunde
Dreieckform seiner Zeit aufweisend, in einer Höhe mit dem Eniee der
Gestalt, aufrecht, sowie den rechten Schriftenrand berührend und zeigt
drei Schrägbalken.
Es stimmt dieses Wappen vollkommen überein mit demjenigen des
Pipo de Ozora,* Grafen von Temes, eines Florentiners aus vornehmem
Geschlechte, welcher zu König Sigismund's Zeiten eine hervorragende
Bolle in unserem Vaterlande gespielt, — dessen eigentlicher Name aber
Philipp Scolari gewesen und welcher der ältere Bruder des vorstehenden
Bischofs Andreas war.
Erst nach seiner Vermälung mit Barbara Ozoray, mit welcher er
auch die Burg Ozora erhalten hatte, nahm er den Namen dieses (uralten,
nunmehr ebenfalls schon lange erloschenen) Geschlechtes auf, unter
welchem derselbe vornehmlich in der Geschichte bekannt ist.
Domherr Vincenz von Bunyitay, der gelehrte Verfasser des Werkes :
«Nagyvaradi püspökseg törtenete»,** welcher uns diesen Grabstein (der
auch sein eigenes vorzügliches Buch ziert) mit grösster Liberalität zur Ver-
fügung gestellt hat, führt eben dortselbst (I. 243) noch ein anderes Wap-
* Siehe : B. A. B. Pesth 9432 etc. D. O. woselbst dieses Wappen completer, wie
folgt erscheint: Schild, wie das Grabstein wappen des Bischofes Scolari. - Kleinod:
Armloser, mit einem Oberkleide versehener wachsender Männemimpf. — Vergl. audi
Siebmacher, Der Adel v. Ungarn, XX.
'•'* Geschichte des Grosswardeiner Bisthums, I, 243.
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GRABSTEIN DES ANDREAS SCOLARI.
12*
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i80
MITTELALTERLICHE GRABDENKMALER AÜB üNÖARK.
pen des Andreas Scolari auf, das sich jedoch nur allein auf die Person des-
selben und auf seine Würde als Bischof bezieht.^
Derselbe Andreas Scolari, welcher von Einigen (nach seinem eben
hier genannten Bruder) magyarisirt auch als «Ozorai» genannt erscheint,
nahm von 1409 bis 1426 den Bischofstuhl von Grosswardein ein, nachdem
er bereits früher Bischof von Agram gewesen war. Er war ein GänstUng
des Königs Sigismund, den er auch zum Goncile nach Gonstanz begleitete
und an dessen Seite er bis zur Beendigung desselben verblieb. Er starb,
wie wir auch aus der Legende ersehen, in der Nacht des 18. Januar, im
Jahre 1426.«
Vn. Familiengrabstein der Berzeviczy. XV. Jahrhundert.
Es muss insbesondere den ungarischen Heraldiker mit Freude und
Genugthuung erfüllen, wenn er in die Lage versetzt wird constatiren zu
können, dass das eine oder das andere heimatliche Geschlechtswappen
durch viele Jahrhunderte hindurch bis auf die jüngste Zeit in seiner
ürfom unverändert beibehalten und von der zersetzenden Wirkung der
Zeit, welche sich insbesondere auch in unserem nationalen Wappenwesen
so fühlbar gemacht hat, — in keiner Weise beleckt wurde. Wir können
nämlich die Thatsache nicht wegläugnen, dass das Festhalten an dem
ererbten Blason, welches speciell beim guten alten Adel deutscher sowie
lateinischer Zunge fast zur Regel geworden, bei uns leider nur zu
den selteneren Fällen gezählt zu werden hat, — wenn wir es auch zurück-
weisen müssen, was gewisse heraldische Vielwisser (Nichtwisser) zu
behaupten für gut befunden haben : dass von einer intacten Beibehaltung
des Urwappens seit geraumer Zeit bei uns überhaupt nicht mehr gespro-
chen werden kann, weil unsere alten Geschlechter ihre Blasons (mit Sanc-
tion des Landesherrn oder aber willkürlich) wiederholt schon verändert
haben. Diesen Ausfluss der völligen Nichtorientirtheit lassen diese Herrn
aber zugleicl^ auch als Beweis dafür gelten, dass unserem nationalen Wap-
penwesen, schon von sehr alten Zeiten her, nicht die geringste Wichtigkeit
beigelegt worden war.
Schlagende Gegenbeweise wurden nach der einen wie nach der
anderen Richtung hin, in verschiedenen wissenschaftlichen Organen*, von
Seite unserer neuen Schule schon zur Genüge erbracht und werden auch in
diesen Blättern noch geliefert werden. Wenden wir uns daher einem jener
^ Es zeigt dieses andere Wappen einen aus der obern linken Schihierecke
ragenden, gebogenen Arm, welcher einen Kmmmstab hält.
« Siehe auch: Nagyvaradi pflspöks^g tört^nete T. 232—243 und III. 110—112.
» Siehe : Tnrul und Archseologiai ]6rtesit6. Jahrgänge 1887—1889.
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MITTELALTERLICHE GRABDENKMÄLER AUS UNGARN. 1^1
Wappen zu, welches, als zur oben hervorgehobenen Kategorie gehörig,
stets unverändert geblieben ist und seit einem halben Jahrtausende sich
typisch zu erhalten gewusst hat
Es gehört dasselbe dem bekannten und vornehmen Geschlechte der
Berzeviczy de Berzevicze und Eakas-Lomnicz an und findet sich auf
einem wohlerhaltenen 190 Gm. hohen und 114 Gm. breiten Grabsteine aus
rotem Marmor vor, welcher in der Kirche von Berzevicze im S&roser
Gomitate [und nicht in Kis-Szeben (Zeeben) wie Bömer im Arch. 6rt. VII.
4. 1887 Oktoberheft, irrtümlich angibt], — in der westlich gelegenen Fa^ade
unter dem Thurme senkrecht in der Mauer eingefügt erscheint. Die an
Gapiiälstelle beginnende, beiderseits mit einem massig verflachten Bande
versehene Legende, welche alle vier Seiten des Schriftenrandes ausfällt und
in regelmässigen Minuskeln aus dem Steine herausgemeisselt erscheint,
lautet wie folgt :
.Sßpulfura • magntfttt
uiri • bomi ♦ pcfri • I;erm • b • bttiomtt
lecottnitoi • rglm • magri • ntt
non • comüia • acepus ac • fuDrum
(Lies : Sepultura magnifici viri domini petri herinici (oder henrici) de
brezovice tavernicorum regalium magistri nee non comitis scepusiensis
ac suorum.)
Aus dem letzten Worte der vorstehenden Inschrift ersehen wir, dass
dieses Monument als Familien-Grabstein anzusehen ist und aus diesem
Grunde finden wir auch keine Jahreszahl dort vor.
Wenn wir jedoch in Betracht ziehen, dass Peter Berzeviczy, dessen
Namen wir auf dem Epitaphe verzeichnet finden, zwischen den Jahren 1432
und 1433 mit Tod abging, sowie anderseits, dass in derselben gemeinsamen
Buhestätte (wie es zweifellos erscheint) auch die irdischen Ueberreste von
Peters Vater bestattet worden sein dürften, so werden wir unwillkürlich
zu der Annahme gedrängt, dass das fragliche Monument vor den Jahren
1432 — 33 verfertigt worden sein dürfte, u. z. auf Veranlassung des erwähn-
ten Peter selbst noch zu seinen Lebzeiten.
Bomer hat zweifellos auch hier nicht das Bichtige getroffen, indem er
gelegentlich der Auslegung der Legende (siehe: Arch. l^tt. wie oben),
einen fHermann» (bezw. einen «Peter Hermann») vorführte, ganz abgese-
hen davon, dass es uns bisher, auf Grabsteinen des XV. Jahrhundertes,
noch niemals vorgekommen ist, dass auf solchen einer und derselben Person
zwei Taufnamen beigegeben worden wären ; abgesehen auch femer davon,
dass derselbe Feter, welchen unser Grabstein deckt, urkundlich nie anders
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184 MITTBI^ALTERLICHE GRABDENKMÄtER AUS UNGARN.
als eben nur einfach als «Peter» aufgeführt erscheint. Wohl ist es aber ande-
rerseits aus Urkunden ganz wohl bekannt, dass wieder dieser Peter ein
Sohn des Heinrich Berzeviczy aus seiner Ehe mit Helene Derencsenyi
gewesen ist.
Indem wir es uns für den Schluss vorbehalten, noch einige Worte
über das Leben und Wirken des vermeintlichen Erbauers dieser Berzeviczy-
Gruft zu verlautbaren, schreiten wir zur Blasonirung des Wappens, welche
wie folgt zu lauten haben wird: In Blau ein aufspringender weisser (?)
Bock. — Kleinod : Der Bock wachsend. — Decken : blau- weiss ? — Der
Drachenorden.*
Der ausführende Künstler hat sich hier jedenfalls bemüht, in den vor-
geschriebenen Grenzen zu bleiben. Das Figurenfeld ist für das Wappen, so-
wie der Schriftenrand für die Legende ausgenützt worden, ohne dass
gegenseitig etwas «erborgt» worden wäre. So soll es sein, und deshalb
berührt die ganze Vorstellung das Auge auch sofort in angenehmer
Weise. Nicht minder gefallig präsentirt sich das Wappen als solches,
mit welchem auch die Gesetze der Baumausfüllung in Bezug auf das
Figurenfeld vollkommen richtig eingehalten wurden. Die Form des
nach rechts geneigten Dreieckschildes ist regelrecht ; an dem Stechhelme
und an seiner Placirung nichts auszustellen. Die Helmdecke, welche (ana-
log wie bei Tornay) als Fortsetzung des Felles der wachsenden Schild-
figur (des Bockes) sich nach aufwärts schwingt, ist ebenfalls schön, obwohl
nicht mehr so einfach wie diejenige des Tornay- Wappens, Sie beginnt zwar
mit den gewöhnUchen Zadd- lungen, nimmt aber dann, obwohl gleichfalls
nur einen Ast bildend, in Folge der tiefen, blätterartigen Einschnitte, einen
bereits decorativen Charakter an.
Lobend muss hervorgehoben werden die Stylisirung sowie die Art
und Weise der Placirung des den Schild umgebenden, feuerspeienden ge-
flügelten Drachens, — dieses alten Kitteroniens, welcher hier als Ehren-
zeichen (und keineswegs als Schildhalter) fungirt und über welchen wir
gelegenthch der weiter unten folgenden Besprechung des Johann Perenyi-
schen Grabsteines eingehend berichten werden.
Betrachten wir dieKcs fabelhafte Tier näher, wie es hier reproducirt
erscheint, so ist es jedenfalls die höchst gelungene Position des vom
* Die Edelleiite Berzeviczy de Berzevicze führen gegenwärtig (wie bereits seit
dem Jahre 16] 9 und mutmasslich schon früher) den Bock auf einem kleinen golde-
nen Krönlein, gegen eine spitze Felsengruppe anspringend. — Dies sind unbedeu-
tende Zuthaten, welche dem llaupttypus keinen Eintrag machen. Der Book ist bei
den adehgen Linien des genannten Geschlechtes weiss, bei der dem gänzlichen
Erlöschen sich nähernden freiherrlichen Linie, — schwarz. Die Decken sind gegen-
wärtig schwarz -golden und blau-sübem, sonst Alles, wie hier oben blasonirt.
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>iA*tifr)^^**fM*
FAMILIBNORABSTBIN DEB BBBZBYIOZY.
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184- MITTELALTERLICHE GRABDENKMÄLER AUS UNGARN.
Schwaiusende umschlungenen aufwärtsstrebenden Kopfes (sammt Hals),
was die Aufmerksamkeit sofort erregt. Auch dies geschah im Uebrigen
Yomehmlich deshalb^ um keinen leeren Baum zwischen Schild und Helm
entstehen zu lassen, welcher jedenfalls sich orgeben hätte, da es schon
ursprünglich in der Absicht gelegen zu haben scheint, die Helmdecke
nicht zweiBSÜg darzustellen.
Was nun den Bock betrifft (welcher sich hier auch als Heimkleinod
wiederholt), so ist dieses Wappentier, wie es sich im gestürzten Schilde
(ganz richtig nach der Achse gerichtet) zeigt, zwar nicht als heraldisch
incorrect zu qualificiren, hätte aber jedenfalls gefälliger ausgeführt werden
können. Der Leib ist nämlich zu dick, insbesondere der Unterleib, der Hals zu
lang, die Beine nicht genug schmal, die Homer endlich ohne Knorpeln und
zu Beginn viel zu wenig aufgebogen ; sie sollen die Stirnseite überragen,
nicht aber eine eben verlaufende gerade Linie mit dieser bilden. Der Bock
des Schildes ist mit einem Worte zu plump und ohne jeden heraldischen
Schwung, was bei einem Producte jener guten Zeit, in welcher der Ber-
zeviczy-Grabstein verfertigt wurde, sowie in Ansehung der im Grossen hier
vollkommen gelungenen sonstigen Ausführung, überrascht. Das gleiche gilt
von der Kleinodfigur, deren Körperformen jedoch bereits etwas gefälliger
erscheinen. Es ist hier der rechte Yorderfuss sammt E^aue verzeichnet.
Dass endlich in der Heraldik jeder Bock einen Steinbock zu bedeuten
hat, sollte zur Genüge bekannt sein. — Deshalb glaubten wir auch die
Berechtigung zu haben, auf das Fehlen der Hömerknorpeln aufmerksam
machen zu dürfen.
Wir haben die beiden Eltern des Peter Berzeviczy bereits nam-
haft gemacht. Er selbst hatte eine wissenschaftliche Erziehung erhal-
ten und kam bereits in jungen Jabren an den Hof des Königs Sigis-
mund, woselbst er auch den wichtigeren Beratungen beigezogen wurde.
Insbesondere nahm er auch lebhaften Anteil an den Bündnissbesprechungen
der ungarinchen und polnischen Stände. Wiederholt sehen wir ihn ferner,
mit verschiedenen Missionen betraut, an den Hof des Königs von Polen
eilen. Später in türkische Gefangenschaft geraten, wird er aus derselben
befreit und übernimmt endlich die Würde eines Oberst- Schatzmeisters,
welche er bis zu seinem Ableben behält, das, wie schon früher berich-
tet, in den Jahren 143:2 oder 1433 erfolgte. Er war auch Obergespan
der Zips. Gsergheö und Csoma.
* Hier brechen wir die Fortsetzung dieser Studie ab, da inzwischen das voll-
ständige Werk unter dein Titel Alte Grahdenkmälrr aiis Ungarn von Geza Csergheö
und Josef Csoma. 122 S. mit 25 Illustrationen im Verlage von Friedr. Kilian in
Budapest erschienen ist. D. B^d.
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JOHANN DANIBLIK. ^^5
JOHANN DANIELIK.*
Danielik erblickte das Licht der Welt in einer romantischen Gegend unse-
res Vaterlandes, am Fasse der von unseren Dichtem besungenen Muränyer Burg,
in Mur&ny-Älja im Gömörer Komitat am 20. Mai 1817. Sein Vater war ein wissen-
schaftlich gebildeter, seiner vorzüglichen Kenntniss der lateinischen Sprache
wegen in der ganzen Gegend bekannter SicherheitsCommissär, welcher in seinem
Sohne frühzeitig die Liebe zur Wissenschaft und Lektüre erweckte. Demzufolge
ragte der talentirte Jünghng denn immer unter seinen Mitschülern hervor. Als
Bosenauer Gleriker auszeichnungsweise in das Pester Seminar gesandt, erwarb er
hier noch als Studirender das philosophische Doctordiplom, und da er hierselbst
auch durch seine kirchenliterarischen Erstlingsarbeiten Aufmerksamkeit erregte,
wurde er nach Beendigimg seines Studienkurses, noch vor seiner Priesterweihe,
1839 am Rosenauer Lyceum Professor der Philosophie und ungarischen Literatur
und einige Jahre später Professor der Bibelstudien an der theologischen Facultät.
1848 in die Bedaction des Blattes «Religio 6s Nevel^s» berufen, traf er in
der Hauptstadt in den stürmischen Märztagen ein, von starken katholischen
Grundsätzen inspirirt, allen revolutionären Ideen abhold. Da dies der Wiener
Regierung nicht verborgen blieb, wurde Danielik von ihr zu grossen Diensten in
den antimagyarischen Bewegungen ausersehen ; schon am 1. Oktober 1849 wurde
er zum Mitglied des Erlauer Domcapitels ernannt.
Einer der um Csengery's «Pesti Hirlapt geschaarten Gentralisten, Baron
Sigmund Eemöny, suchte Danielik, dessen grosse Bildung und Befähigung er
erkannte, der nationalen Sache zu gewinnen. Und dies gelang ihm dermassen, dass
Danielik alsbald seine politische Gesinnimg teilte, welche das Blatfc • Religio»,
dessen Eigentümer und Redacteur er 1849 wurde, in solchen Ausdrücken zu
Tage treten liess, dass die Polizei dasselbe 1851 in Beschlag nahm und Danielik
selbst zu zweimonatlicher Haft verurteilte. Im Herbste des folgenden Jalires
indessen konnte dieser auf Intervention des Fürstprimas Scitovszky, unter den
Glückwünschen des ungarischen kathohschen Lesepublikmns, die Redaction seines
Blattes wieder aufnehmen.
Ein wichtiges Moment seines Lebenslaufes ist seine im Sommer 1853 er-
folgte Wahl zum Vicepräsidenten der Set. Stefan-Gesellschaft. In diesem seinem
Wirkungskreise konnte er unseren Uterarischen und nationalen Interessen grosse
Dienste leisten und er leistete sie auch ; denn jene Gesellschaft war damals das
einzige Feld, auf welchem sich unser Ungartum und Schriftstellertum, wiewohl
unter Controle, mit einiger Freiheit bewegen durfte. Er wusste hier mit grosser
Geschickhchkeit — man darf sagen — die sämmtlichen kathohschen, kirchlichen
und weltlichen NotabiUtäten des Landes in den Verband des Vereins, ja selbst in
den Ausschuss desselben einen Franz Deäk, Baron Josef Eötvös, Graf Georg
'*' Aus Josef SzYor^nyi*B in der Januar-Plenarsitzung der ungar. Akademie der
Wissenschaften gelesenen Denkrede.
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186
JOHANN DANIBLIK.
E4rolyi, Paul Somssich, Baron Ladislans Wenckheim, und unsere ei-sten belehr-
ten : Franz Toldy, Dr. Johann 6rdy u. A. hineinzuziehen, welche nicht allein
die Sitzungen des Vei-eins besuchten, sondern dort regelmässig berieten, debat-
tirten und Commissions-Präsidien tibemahmen, während unsere Grelehrten ihre
Arbeiten mit Vergnügen dem Verein zur Pubhcation Überhessen. Diese seine
Thätigkeit wird allezeit ein glänzendes Blatt in den Annalen des Vereins bilden,
denn er leistete damit den Uterarischen und nationalen Interessen gerade in der
kritischesten Zeit grosse Dienste, deren Wert er noch dadurch erhöhte, dass er,
zur Unterstützung unserer auf literariscben Verdienst angewiesenen zahlreichen
guten Schriftsteller, die in riesigen Dimensionen geplante • Allgemeine ungarische
Encyklopädiei begann imd deren olme Unterschied des Glaubens gewählten
Mitarbeitern durch glänzende Honorirung einen sicheren Erwerb verschaffte. Er
initiirte auch die ferneren grossen Publicationen des Vereins: Cäsar Cantu's
«Weltgeschichte», das «Leben der HeiUgen» u. s. w. und stimmte durch diesen
Thateifer und beträchtlichen Erfolg mehrere hohe geistüche und weltliche Herren
zu bedeutenden Opfern.
Nachdem er 1857 die Bedaction seines Blattes «Beligioi in andere Hände
gegeben, konnte er das von Baron Sigmund Eemeny redigirte «Pesti Naplö»
häufiger mit seinen Artikeln au£9uchen. Diese erregten alsbald grosses Aufsehen,
so dass Baron Eemeny bezüglich des Verfassers derselben wiederholt massenhaften
Interpellationen ausgesetzt war. Seine Leitartikel «Ueber die PoUtik der Zukunft»,
in welchen er die Stellung unseres Landes gegenüber den Agitationen Preussens
constatirte, hatten eine so ausserordentliche Wirkung, dass sich daraus ein wirk-
licher diplomatischer Krieg zu entwickeln begann. Bismarck wütete, unsere
Minister erschraken imd die ausländische Presse beschäftigte sich damit noch
anhaltender, als mit Franz Deäk's berühmter « Oster-Epistel ». In Anbetracht sei-
ner um dieselbe Zeit erschienenen Abhandlungen und selbständigen Werke
(«Der Geist der Geschichte», «Golombus» u. s. w.) wählte ihn die Ungarische
Akademie der Wissenschaften 1858 zu ihrem EhrenmitgHed.
Am Ausgang der fünfziger Jahre keimte in seinem Geiste ein grosser und
weitgreifender Plan : der Plan der Errichtung einer auf Liegenschaften zu grün-
denden Bodencreditbank, in welche der ungarische hohe Clerus mit seinen sämmt-
lichen Besitztümern eintreten soUto, und zwar so, dass zwischen den Kirchen-
gütem und der geplanten Bank als nationalem Geldinstitut ein so enger Verband
organisirt werden sollte, dass in Folge desselben eventuell, wann immer diese
Güter angegriffen würden, die ganze Nation dagegen, als gegen eine Gefährdimg
ihres eigenen Interesses, zu protestiren gezwungen sein müsste. Da indessen der
Plan auf unüberwindhche Hindernisse stiess, gab er den Versuch der Ausführung
desselben vorläufig auf und spann seine Entwürfe in Betreff eines anderen, viel
umfangreicheren Unternehmens weiter. Er hatte die grandiose Absicht, eine
Bundesvereinigung der Kirchengüter der sämmtlichen katholischen Staaten
Europas zu dem Zwecke zu bewerkstelligen, um vermittelst Erhöhung der Ein-
künfte des katholischen Vermögens die grossen Aufgaben und Institutionen der
Weltkirche zu fördern. Er schickte sich an, die von Langrand-Dumoncean geleite-
ten belgischen katholischen Banken für seinen Plan zu gewinnen. Zu diesem
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JOHANN DANIEUK. 187
Zwecke nahm er einen auf vier Monate nach Deutschland, Frankreich, Spanien,
ItaHen, Belgien und Holland lautenden Beisepass heraus und trat, iu Wien auch
vom König und mehreren hohen Persönlichkeiten empfangen, seine Reise an.
Langrand trat seinen grossen Bestrebungen bereitwillig bei, und zwar mit dem
Versprechen, dass er mit den Wohlthaten der dem Plane gemäss zu errichtenden
neuen katholischen Banken in erster Linie die volkswirtschaftliche Entwicklung
Oesterreichs und Ungarns ins Werk setzen werde. Zu grossem Vorteile gereichte
der Angelegenheit die eben in diese 2ieit fallende Erhöhung des AnseheuH und
Einflusses Daniehk's, welcher Anfangs 1861 mit dem Titel eines Wahlbischofs
von Pristina zum Mitgliede des könighohen Stattlialtereiraten ernannt wurde.
Im Frühling desselben Jahres constituirte er den auch heute segensreich
wirkenden Set. Ladislaus- Verein, dem er als katholisch-patriotische Aufgabe : die
Subvention der Schulen und Kirchen der Moldauer, Biikowinaer u. a. Csängö-
Magyaren, die Konservirung der vaterländischen alten Kirchengebäude imd end-
lich die Förderung der grossen Aufgaben des HeiUgen Stuhles vorsteckte. Ferner
bildete den Gegenstand seiner Sorge vomehmhch die Sache der politischen Erlö-
sung unseres Vaterlandes. Er stand von 186:2 angefangen in Angelegenheit des
•Ausgleichs» in Briefwechsel mit dem Kanzler Grafen ForgÄch, in häufiger
Berührung mit Franz Deäk, und gar mancher hochgestellte und einflussreiche
Mann stand unter seiner pohtischen Leitung und sozusagen Vormundschaft.
Damals entstand auch sein sogenannter «Politischer Programmentwurf», welcher,
die definitive Regelung der öffentlichen Angelegenheiten im Wege der Vertretung
Bämmtlicher Völker der Monarchie entwickelnd, den Zweck verfolgt, vor Allem
die Einheitsansprüche der Monarchie vollständig zu befriedigen, jedoch sämmt-
liehe Rechte Ungarns zu sichern ; feiner sämmthche aus den früheren Gesetz-
gebungen noch an der Oberfläche befindhehen Fragmente miteinander in Einklang
zu bringen, die definitive Gestaltung — insofern sie keine Retraction erfordert -
ohne jegUches Compromiss des Herrschers zu bewerkstelligen, und endlich durch
all dies die volle und sichere Hoffnung auf Bildung einer siegreichen Partei zu
bieten. Und dieser, grosse Vorteile verheissende Programmentwiirf wurde auch
an competenter Stelle vorgelegt ; da jedoch der auf anderer Grundlage einberufene
«Reichsrat» damals bereits tagte, konnte derselbe nicht mehr verhandelt werden.
Inmitten dieser seiner gross angelegten Thätigkeit reifte zugleich seine,
vereint mit den belgischen Geldinstituten Anfangs 1 864 zu beginnende Operation.
Als ersten Schritt beschloss er die persönliche Ueberreichung einer an den Heili-
gen Vater zu richtenden Bittschrift, in welcher er die Zustimmung und den Segen
Pills' IX. zur katholischen Unternehmung Langrand erbitten wollte. Und diese
seine Mission wurde durch den Nuntius in Wien und in Brüssel und durch
mehrere hochgestellte belgische und französische Kathohken nicht blos gutge-
heissen, sondern auch urgirt. Er überreichte die Bittschrift am 13. April 1864,
worauf die zustimmende Antwort und der Segen des Papstes noch in demselben
Monat an Langrand gelangte. Der bittstellende ungarische Bischof wurde in Rom
mit grossen Ehren empfangen ; die «Accademia dei Quiriti» wählte ihn zu ihrem
Mitgliede und die vatikanischen Notabilitäten wetteiferten, ihn auszuzeichnen.
In Folge der Wirkung dieses ersten Erfolges kamen die den Interessen der
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188 JOHANN DANIBLIK.
belgisclien Bank und in Verbindung damit des Heiligen Stuhles günstigen
Momente zu rascher Entwicklung. Die Bank begann in unserem Vaterlande am
1. Mai 1864 durch den Ankauf von vier Herrschaften (180,000 Joch) Fuss zu fas-
sen. Danielik aber förderte in Born, durch seine geräusclilos fortgeführten Nego-
ziationen, die Frage eines zu Gunsten der römischen Curie bei den belgischen
katholischen Banken imter den günstigsten Bedingungen abzuschhessenden Anle-
hens bis hart an die Grenze des Vollzuges.
Und als Jedermann in Anbetracht seiner, Europa, ja die ganze katholische
Welt berührenden Thätigkeit, dieser seiner gewaltigen morahschen Wirkung und
politischen Bedeutung eine nahe bevorstehende, glanzvolle Zukunft weissagte,
wurde seine Laufbahn Anfangs 1865 ganz unerwartet abgebrochen. Er geriet in
materielle Wirren. Die belgische Bank und zahlreiche Notabihtäten beeilten sich
vergebens, dem nahenden Uebel zuvorzukommen. Er selbst wandte sich noch
einem grossen rettenden Gedanken zu. Er fasste im Bunde mit dem berühmten
Wiener Ingenieur Heinrich Bessel den Plan, die in der Nähe Boms über 33,000
Quadrat-Eatastraljoch ausgedehnten, Malaria erzeugenden tPontinischen Sümpfe»
auszutrocknen und in berieselbares Wiesenland umzugestalten. Der Plan, die
Vermessung und der Kostenvoranschlag (2,700.000 fl.), all dies war am ± Novem-
ber 1865 fertig, — aber zu spät; denn der Anfang des verhängnissvollen
Endes war bereits da. Nachdem er auf sein eigenes Ansuchen von seiner Statthai-
tereiratswürde unter Verleihung des Hofratstitels enthoben worden, zog er sich von
seiner öffenthchen Stellung zurück.
Das Jahr 1 865 beschloss er noch imter grosser politischer Thätigkeit in der
Hauptstadt. Er nahm lebhaften Anteil an dem Werke des c Ausgleichest und
anderen schwebenden Fragen jener Zeit Ihm gebührt der Löwenanteil an dem
Zustandekommen des zu Gunsten der Pest-Leopoldstädter imd der O&ier Festungs-
kirche geplanten iKirchenunterstützungs -Vereins», in dessen constituirender Ver-
sammlung, im Ofner Bathaussaale am 23. Jänner 1865, seine durch Wissenschaft-
lichkeit und Vortrag gleichmässig glänzende, begeisternde Bede eine grosse Wir-
kung hervorrief. Endlich zog er sich Mitte Dezember desselben Jahres nach Erlau,
einige Monate nachher aber zu seinem Freunde, dem damaligen Probst von Jäszö
zurück. Hier verfasste er sein grosses Werk : tDie Prämonstratenser» (515 Seiten),
welches die Kritik mit ungeteiltem Lob begrüsste. In derselben Zeit schrieb er
auch im tPesti Naplö» wirkungsvolle Artikel «Ueber die Begelung der Eomitatei
und andere zeitgemässe Fragen ; nach dem Ausgleich aber nahm er vereint mit
Baron Sigmund Eem^ny kräftigen Anteil an dem Kampfe gegen die ihr Haupt
erhebende Beaction, welche besonders in ihrem «Der 14. April 1849» betitelten
geheimen Blatte gegen die Deäk-Partei einen wahren Feldzug eröffnete und den
Parteiführer selbst, in anonymen Briefen, wiederholt mit dem Tode bedrohte.
Von 1871 an, als Baron Sigmund Kem^ny durch seine Erkrankung gänzlich
von der Politik abgezogen wurde, zog sich auch Daniolik immer mehr zurück
imd erschien nur noch im cEgri Egyhdzmegyei Közlöny» (Erlauer Diözesan-
Zeitschrift), im tUj magyar Sion» (Neues ungarisches Sion), in der «Budapesti
Szemle» (Budapester Bevue) und endlich, als Direktor des juridischen LyoeimiB,
in einigen rechtswissenschaftlichen Studienheften auf dem Felde der Literatur.
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JOHANN DANIELIS. lÖ*
Als ihn 1883 sein Erzbisohof zu seinem eigenen Stellvertreter ernannte, lebte er
beinahe ausschliesslich nur noch diesem seinem Wirkungskreise. Sein letztes
öffentliches Auftreten fand am 26. März 1 885 im Magnatenhause statt, wo er in
einer glänzenden Bede für das Becht der Einberufung der Titular-Bisohöfe in das
Oberhaus eintrat.
Am Anfang des folgenden Jahres 1886 begann sich bei ihm ein Gehimlei-
den zu zeigen. Es drohte ihm dasselbe traurige Ende, welches seinen Freimd, den
Baron Sigmund Eemöny traf, — sein glänzender Geist verdunkelte sich allmälig.
Er beschloss seine Tage am 23. Jänner 1 888 in Erlau bereits als ein Lebendigtod-
ter. Sein Oberhirt, der Erzbischof Dr. Josef Samassa, würdigte sein Hinscheiden
in seiner Diöcese unter besonderer Hervorhebung seiner erspriesslichen und
ruhmreichen Thätigkeit auf dem Gebiete der kirchheben Literatur. Seine Schö-
pfungen sowohl auf dem Utoraiischen, als auch auf dem Felde der Wolilthätigkeit
werden ihm ein langes Andenken sichern. Jene sind zahlreiche selbstständige
Werke, Abhandlungen, Beden, Bücheranzeigen, Kritiken u. s. w. Auf literarischem
Gebiete zeigte er den edlen Zug, ausgezeichnete junge Kräfte zu fördern. Viele
unserer Schriftsteller hatten ihr literarisches und sonstiges Emporkommen seiner
Aneiferung, seinen Batschlägen und Unterstützungen zu verdanken.
Als Mensch war er von lebhaftem Temperament, menschenfreundhch, opfer-
willig, ein grosses Herz, ein grosser Geist. Weil er aber seinen Lebenspfad nicht
ohne Verirrungen zu wandeln verstand : wurde auch ihm der Welt Lohn zuteil.
Viele bekrittelten seine Vergangenheit, auch Solche, die weder Hterarische Werke
von dauerndem Werte imd einen Set. Ladislaus -Verein, noch andere, auf Jahr-
hunderte hinaus wirkende Denkmäler der Wohlthätigkeit liinterlassen haben.
In Verbindung mit seinen materiellen Wirren wurden am meisten seine sogenann-
ten «lucullischen Gelage» erwälmt. Nun, er liebte, in Gemeinschaft mit seinem
Freunde Baron Sigmimd Kem^ny, die lustige Gesellschaft ; darum empfingen sie
an ihrer Tafel lieber öfter einzelne, als auf einmal viele ihrer Freimde. Und dann
bedeuteten ihre Gastmähler keine Schwelgerei, sondern gehörten zur politischen
und socialen Bewegung. Dort wurden viele gute Ideen und Pläne gezeitigt ; und
daneben bewies er bei solchen Gelegenheiten des Oefteren seine Güte gar manchen
in bedrängter Lage befindlichen Schriftstellern, welche derlei Unterstützung von
ihm in anderer Form weder gebeten, noch angenommen haben würden. Seine
materiellen Verlegenheiten müssen weit mehr auf Bechnung seiner grossen Her-
zensgüte, seiner Spenden, der Verlagskosten seiner sieben Jahre hindurch mit
einem jährHchen Deficit von 3 — 4000 fl. redigirten Zeitschrift tBeligio» und
endlich seiner mehrmaligen, grossen Beisen gesetzt werden. Glücklicherweise
kann ihm kein Lebender des Gesagten wegen ein schweres Wort in das Grab
nachsenden.
Als sich die Nachricht von seinem Hinscheiden verbreitete, erregte sie in
Vielen Bührung über das Erlöschen des glänzenden Geistes des einst eine euro-
päische Bolle spielenden, im Lande hochangesehenen Mannes. Nur Diejenigen, die
seinen ruhelosen Geist in der Vergangenheit und seinen traurigen Verfall in sei-
nen letzten zwei Jahren kannten und sahen, konnten, versölmt, seinem Geiste die
•Bohei wünschen, deren er nicht in grossem Maasse teilhaft wurde, bis er end-
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^^ KURZfe SITZUNOSBfiRiCHTi:.
lieh die Zeit mit der stillen Ewigkeit verbinden konnte. Nicht allein seine Kirche,
sondern auch die literarische und wissenschaftliche Welt konnte in ihm mit Recht
einen ihrer grossen Todten betrauern, nebst jenen Vielen, die in dem Dahinge-
scliiedenen ihren Wohlthäter liebten und denen er — wiewohl dahingegangen —
lange im Gedächtniss gegenwärtig nnd lebendig bleiben wird.
KURZE srrZTINGSBERTCHTE.
— ungarische Akademie der Wissenschaften. In der Sitsung der ersten
Classe am 5. Jänner las das c. M. Bemliard Munkiicsi eine Abhandlung des c. M.
Sigmund Simonyi über Die Sprachneuerung und die Fremdartigkeiten (A nyelv-
ujitäs ^s az idegenszeWis^gek). Verfasser gibt der Ansicht Ausdruck, dass der
principielle Streit über die Sprachneuerung — selbst wenn er im Stande wäre, noch
etwas Neues zu produciren — heute kaum mehr einen Zweck hat, sondern dass es
unsere Aufgabe ist, einerseits jene fehlerhaften Ausdrücke zu verfolgen, welche
sich noch nicht ganz eingewurzelt haben, und andererseits uns eingehender mit
der Geschichte der Sprachneuerung imd unserer neueren Literatursprache zu
beschäftigen. Zu diesem Zwecke arbeitet Verfasser an einem Kazinczy- Wörterbuch
und legt auf Gi-und seiner zu diesem Zwecke gemachten Studien eine ausführliche
Abhandlung über die fremdartigen Ausdrücke Kazinczy's vor.
Hierauf legte Dr. G6za N^methy als Gast sein Werk Cato8 Weisheitsspräcke
vor, welches demnächst als Publication der klassisch-philologischen Commission
der Ungarischen Akademie erscheinen soll. Vortragender bietet in demselben von
dem unter dem Titel «Catonis disticha moralia» aus dem III. oder IV. Jahrhun-
dert nach Chr. stammenden Lehrgedicht, welches beinahe bis zur jüngsten Zeit
eines der verbreitetsten Schulbücher in ganz Europa gewesen ist, eine metrische
ungarische Uebersetzung nebst einer kritischen Textausgabe auf Grund der ältesten
und besten Handschrift, des Veroneser Codex. In einer längeren Einleitung
spricht er über den Charakter und die Entetehungszeit des Werkes und führt
schliesslich in möglichster Vollständigkeit die zahlreichen ungarländischen
Uebersetzungen und Editionen desselben auf. Demzufolge wird das Werk nicht
allein für die klassischen Philologen von Interesse sein, sondern auch zur unga-
rischen Literaturgeschichte und Bibliographie zahlreiche neue Beiträge liefern.
— In der Sitzung der zweiten Classe am 12. Jänner las das correspondi-
rende Mitglied Josef Jekelfalussy über Die Rolle der Eisenbahnen in unserem
Staatshauslialte. Diesen Vortrag teilen wir im nächsten Hefte vollständig mit. —
Hierauf hielt das correspondirende Mitglied Gabriel Tögläs einen Vortrag Ethno-
grajihische Verhältnisse und administrative Organisation des dacisciten Berg-
baues der Römer, Der Vortrag bildet den zweiten Teil der Studien des Vortra-
genden über den dacischen Goldbergbau der Römer. Das einleitende Capitel wirft
einen Rückblick auf die volkswirtschaftliche und rechtsgeschichtliche Entwicklung
des Bergbaues. Das zweite Capitel schildert Trajan's planmässiges Vorgehen bei
der Besiedelung des Bergbangebietes, welches sich vornehmlich darin äusserte,
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RÜRZB SITZUNGSBERICHTE.
i91
daas er die Goldberge mit den aasgezeicbnetsten Bergbauem jener Zeit, mit Dal-
maten und Pimsten bevölkerte. Ausser diesen haben die Inschriften das Anden-
ken vieler syrischen, pannonischen, griechischen Geschäftslente und Golonisten
erhalten, sowie auch die massenhafte Anwesenheit von Daciem constatirt. Und
eben diese Vielartigkeit der Sitten, Bacencharaktere und Religionen verhinderte
eine engere Verschmelzung der dacischen Volkselemente. Der Bergbau indessen
erfreute sich dabei einer schönen Blüte und Trajan liess die Bergwerke foi das kaiser-
liche Aerar durch kaiserUche Beamte verwalten. Das dritte Capitel behandelt das
Personal der Bergbauverwaltung und des Polizeidienstes. Es weist nach, dass die
administrative Organisation des römischen Goldbergbaues in Dacien eine
höchst vollkommene gewesen und unter der Leitung des Procurator aurari-
arum stand.
— In der Plenarsitzung am 26. Januar wurden — nachdem Emerich Pauer
Josef Szvor^nyi's Denkrede auf Johann Danielik (s. oben) verlesen und der Präsi-
dent Baron Boland Eötvös dem Andenken des dahingeschiedenen Fürntprimas
Johann Simor, der auch Mitglied des Directionsrates der ungar. Akademie der
Wissenschaften gewesen, einen warmen Nachruf gewidmet hatte — folgende lau-
fende Angelegenheiten erledigt.
Der Unterrichtsminister teilt mit, dass die von Theodor Duka der Akademie
geschenkten zwei Buddha-Götzen am 13. November in Calcutta eingeschifft wur-
den und über Triest hiehergelangen werden. — Der Unterrichtsminister übersen-
det den Entwurf des neuen Stiftungsbriefes der Fek^shAzy Stiftung zur Begut-
achtung. Wird an die L Olasse gewiesen. — Der Unterrichtsminister übei*sendet
ein alphabetisches Verzeichniss der von den nichtmagyarischen Bewohnern des
Landes am meisten gebrauchten Taufnamen mit der Bitte um Angabe der ent-
sprechenden ungarischen Taufnamen. Wird der I. Classe zugewiesen. — Der
Honv^dminister meldet, dass er wieder 100 Exemplare der «Eriegsgeschichtlichen
Mitteilungen i für die Honv^dtruppen und Commanden bestellt habe. Dient zur
Kenntniss. — Die königlich Dänische Akademie meldet, dass sie die auf die astro-
nomische Expedition HelFs bezügHchen Daten in den dänischen Archiven mit
Vergnügen sammeln werde und übersendet zugleich die Begesten der im Staats-
arclüv gefundenen Acten. Wird der III. Classe zugewiesen. — Das auswärtige
Mitglied Alfred Ameth dankt für die anlässlich seines Dienstjubiläums erhaltene
Olückwunschadresse der Akademie. Dient zur Kenntniss. — Die II. Classe unter-
breitet die Antworten der Historischen und Archäologischen Commission auf die
an die Akademie gerichteten Fragen in Betreff der liistorischen, ethnographischen
nnd archäologischen Anhaltspunkte für das die Landnahme durch Herzog Arpiid
darstellende Plafondgemälde, welches Michael Munkäcsy für das neue Psrlaments-
gebäude anfertigen soll. Wird der Parlamentsbau-Commission zugestellt werden. —
Die n. Classe befürwortet die Bitte der Historischen Commission, Dr. Rudolf
Yin die Herstellung einer kritischen Ausgabe der Hauptquellen der ältesten unga-
rischen Geschichte (der Werke der Kaiser Leo und Constantinus Porphyrogenitus)
zu ermöghchen. Der Unterrichtsminister soll ersucht werden, Dr. Rudolf Väri
durch Verleihung eines Staatsstipendiums die Vergleichimg der alten Handschrif-
ten in Neapel, Rom, Florenz, Mailand, Paris u. s. w. möglich zu machen. — Die
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JÖ2 KURZE 8ITZTJNGSBBRI0HTE.
I. Classe unterbreitet den Prospect der von der literarhistorischen CommisBion
unter Bedaotion des corre8i>ondirenden MitgHedes Aladär Ballagi herauszugeben-
den Vierteljahrsschrift «Irodalomtört^neti Közlem^nyeki (Literarhistorische Mittei-
lungen). Dient zur Kenntniss. — Für die Christian Lukäcs-Preisaufgabe (mathe-
matische oder mathematisch-physikalische Monographie) sind bis 31. Dezember
fünf Concurrenzwerke eingelaufen. Werden der III. Classe zugewiesen. — Bei der
Akademiecasse wurden die Legate von Samuel Jdszay (2000 fl.) und Alexander
Than (500 Ü.) und die Stiftung der Stadt Dobschau (5000 fl.) eingezahlt. — Den
Schluss machte die Vorlage der eingelangten Geschenk- und Tauschwerke.
Nach der Gesammtsitzung fand eine geschlossene Sitzung statt, in welcher
das diesjährige Budget der Akademie festgestellt wurde.
Die Einnahmen erscheinen mit 1 52,000 fl. prähminirt, und zwar : Stiftungs-
zinsen 9000 fl., aus Forderungen 3000 fl., Wertpapiere 51,000 fl., aus anderen
Realitäten 3500 fl., Zinsertiägniss 39,000 fl., Bücherverkauf 6000 fl., zurückzuzah-
lende Vorschüsse lOOOfl., Landesdotation für historische und literaturgeschichtliche
Zwecke 15,000 fl., für Veröffentlichimg von Kunstdenkmälem 5000 fl., für naturwis-
senschaftliche Foi-schungen 5000 fl., für klassisch-philologische Zwecke 1500 fl., für
die Bibliothek 5000 fl. imd zur freien Verfügung der Akademie 8500 fl. Im vergange-
nen Jahr betrugen die Einnahmen 1 46,000 fl. Die Ausgaben für das laufende Jahr sind
mit 1 50,000 fl. in Vorschlag gebracht. Die bedeutenderen Posten derselben sind : Die
I. Classe und deren Ausschüsse 16,500 fl., die II. Classe 29,500 fl., die UI. Classe
16,500 fl. ; zur Unteretützung der Büchereditions-Unternehmungen 3000 fl., für
die Edition der Werke des Grafen Stefan Sz^clienyi 1500 fl., für die Edition der
Briefe Kazinczy's 2000 fl., für Preise 5000 fl., Subvention der iBudapesti Szemle»
5000 fl., Pi'ännmerationen auf die «Ungarische Revue» und auf die «Naturwissen-
schaftlichen Berichte » 30(X)fl., für dieBibhothek 7000 fl., Personalgebühren 28,650fl.,
Heizung, Beleuchtung u. s. w. 9500 fl.. zur Ausschmückung des Prunksaales 700 fl.
Gegen das Vorjahr werden an Interessen 424- fl. 94 kr., nach den Realitäten 65 fl.
32 kr. ; aus dem Bücherverkauf 527 fl. 22 kr. mehr, hingegen nach Wertpapieren
109 fl. 60 kr., an Hauszins 807 fl. 62 kr. weniger eingenommen, so dass das Ein-
nahmeplus nur 100 fl. ausmacht. Aus dem Büchereditions-Untemehmen nimmt
die Akademie ebenfalls um 3569 fl. 84 kr. mehr ein als sie ausgibt ; dieser Betrag
wird zur teilweisen Deckimg des Deficits der früheren Cyclen verwendet, so dass
dieses Unternehmen nunmehr keiner Subvention bedarf. Mehrausgaben kommen
vor bei den Posten : Personalbezüge (645 fl. 22 kr.), allgemeine Auslagen (1 026 fl. 29
kr.), Preise (2708fl.), BibHothek (526 fl. 27 kr.), auf Gebäude (3499 fl. 24 kr.), verschie-
dene Ausgaben (1098 fl. 54 kr.) ; hingegen sind die Ausgaben geringer bei Steuern
(82 fl.), Ausschmückung des Pninksaales (600 fl.), alten Gebühren (111 fl.) und
bei den Werken Sz^chenyi's (356 fl.). Das Ausgabenplus beträgt 7413 fl. 86 kr.,
welches aus dem Einnahmeplus der nächsten Jahre gedeckt werden muss. Das
Vermögen der Akademie betnigEnde 1889 2.269,978 fl. 66 kr., am Ende des vori-
gen Jahres aber 2.299,194 fl. 60 kr., dasselbe hat daher um 29,215 fl. 94 kr. zuge-
nommen. In diesem Vermögen sind der Akademiepalast, das Akademiezinshaus,
die Bibliothek und das Inventar im Werte von einer Million aufgenommen. Die
Plenarsitzung nalun das Budget unverändert an.
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UNGARNS INDUSTEIE. HANDEL UND VERKEHE IM JAHRE 1889.
Ein stattlicher Qaartband von 861 Seiten berichtet über die amtliche
Thätigkeü des kön. ung. Handelsminisiers im JaÄreiSSP. Schon dieser
äusserliche Umfang des Berichtes flösst Bespect ein ; noch mehr erhöht
wird aber die Achtung vor der unermüdlichen, vielseitigen Wirksamkeit
unseres Handelsministers^ Sr. Excellenz des Herrn Gabriel Baboss
DE Belüs, wenn wir den Inhalt dieses Quartanten einer aufmerksamen
Prüfung unterziehen. Trotz der nahezu besorgnisserregenden Fülle mnd
Mannigfaltigkeit der amtlichen Agenden, womit dieses Ministerium bedacht
ist, erfüllt den Leser dieses Berichtes allenthalben das Gefühl der Befriedi-
gung über die allenthalben zu Tage tretende Einsicht, Sachkenntniss und
Sorgfalt, mit welcher dieses ebenso weitläufige als höchst wichtige Bessort
geführt wird. Die glückliche und mit zielbewusster Zuversicht leitende Hand
des jetzigen Handelsministers ist übrigens auch aus jeder Zeile dieses Be-
richtes erkennbar, der ebenso durch den Beichtum seiner Daten und durch
mannigfache Anregungen in volkswirtschaftlicher Hinsicht als durch die
Anordnung und Klarheit in der Darstellung befriedigt.
Minister Baboss gehört zu den schöpferischen Naturen ; sein gestal-
tender Geist begnügt sich keineswegs mit dem Fortschreiten im alten
Geleise ; er sucht und findet neue Formen, deckt frische Quellen des Fort-
schrittes auf, bricht neue Bahnen und zwingt durch seine wohlerwogenen,
dann aber auch mit Kühnheit und Energie in Angriff genommenen und
durchgeführten Beformen selbst den Gegnern die Achtung und Anerkennung
ab. Die Neuerungen im Personen- und Frachtentarif der ungarischen Staats-
bahnen haben den Namen und Kuhm des Ministers weit über die Grenzen
des Landes getragen. Aber auch in den andern Zweigen seines Amtes ent-
faltete Herr v. Babohs eine nimmerruhende, lebenweckende Thätigkeit, wor-
über im Nachfolgenden auf Grund des vorliegenden ministeriellen Berichts
für das Jahr 1889 das Wichtigste in möglichster Kürze mitgeteilt
werden soU.
Das mittelst Gesetzartikel XVIII vom Jahre 1889 neu organisirte
ungarische Handels-Ministerium umfasst folgende Zweige amtlicher Thätig-
ünguiMlM B«TiM, ZI. 1891. m. Heft. 13
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194 UNGABNS INDUSTRIE, HANDEL UND VBRKEHB IM JAHRE 1889.
keit : I. Strassen, Brücken und öffentliche Bauten. II. Post, Telegraphen und
Telephon. IIL Die königl. Fostsparcasse. IV. Industrie und Binnenhandel
V. AuBsenhandel, Zoll und Seeschiffahrt. VI. Ejisenbahnen und Binnen-
schiffahrt. Vn. Landesstatistik. VIII. Beamtenbildungs-Institute. Von dieser
Reihenfolge etwas abweichend wollen wir uns mit den wichtigsten Daten
von allgemeinem Interesse bekannt machen, wobei wir in diesem ersten
Artikel uns mit den Verzweigungen der Industrie und des Handels, in einem
zweiten Artikel aber mit den verschiedenen Verkehrsanstalten befassen
werden.
In Bezug auf Industrie und Binnenhandel betrachtet Minister Baross
als leitendes Frincip seiner Thätigkeit vor Allem die richtige Handhabung
der Industrie- Verwaltung. Den Rahmen und die geeignete Grundlage hiefür
hat das neue Gewerbegesetz (G.-ArtXVII: 1884) geschaffen. Demzufolge
bildet der Minister das oberste Aufsichts- und Entscheidungsforum in
gewerblichen Angelegenheiten. Die pünktliche EUnhaltung und Anwendung
der Bestimmungen des Gewerbegesetzes gibt zugleich den erforderlichen
Schutz und die Sicherheit für gesunde und auf solider Basis ruhende
Industrie-Bestrebungen. Dabei war der Minister bemüht, einerseits den Un-
ternehmungsgeist nicht durch unbegründete Vexationen und Einschrän-
kungen behelligen, anderseits die berechtigte und heilsame Goncurrenz
nicht in Schwindel ausarten zu lassen.
Diese mehr negative, beaufsichtigende und abwehrende Thätigkeit fand
ihre entsprechende Ergänzung in den positiven Massregeln zur Unter-
stützung und Förderung unserer Industrie. Jene Unterstützung meint der
Herr Minister aber nicht in dem Sinne, als ob der Staat selber auf das
Gebiet der industriellen Thätigkeit treten sollte, um dadurch etwa die Privat-
concurrenz anzuspornen, sondern er erblickte diese Förderung vielmehr in
anderen, systematischen und zielbewussten Massnahmen der Regierung.
Anregung, Aufmunterung, wohlwollende Unterstützung, unablässige Auf-
merksamkeit und Verfolgung der wirtschaftlichen Regungen, nötige Sorg-
falt hinsichtlich der gewerblichen Interessen, Entwickelung und Verbesse-
rung der geistigen Ausbildung d^ Arbeiter sowie unablässige Beobachtung,
Prüfung und Verwertung der Gestaltungen und Erscheinungen des prakti-
schen Lebens — das sind ebensoviele Mittel der Staatsge^calt zur Entwicke-
lung und Förderung der Industrie, welche, zur richtigen Zeit benützt und
angewendet, gar bald zu dauerndem Erfolg führen. Der Minister hat deshalb
seine positive Mitwirkung zur Hebung der Industrie nur dort eingesetzt, wo
es die Notwendigkeit geboten hatte und ein concreter Erfolg erreichbar war.
Es ist ein gutes Wort, das der «Berichti hierbei ausspricht: «Bei der
Industrie sind vor Allem eine von Illusionen freie praktische Tüchtigkeit,
sowie ein unermüdlicher Fleiss notwendig.!
Die Thätigkeit der Regierung hinsichtlich der Industrie erstreckte sich
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UNGARNS INDUSTRIE, HANDEL UND YBRKEHR IM JAHRE 1889. 1^5
zunächst auf die • Induslrieverwaltung » (Gewerbegenossenschaften, Industrie-
gesellschaften, Lehrlingsschulen, Bauführer-, Steinmetz- etc. Prüfungen,
Fabriksinspection) ; dann auf die t^Entmckelung der Industrie» (Klein-
gewerbe, Fabriks- und Hausindustrie, Lehrwerkstätten, Handels- und Ge-
^erbekammem, Ausstellungs- Angelegenheiten) ; femer auf 91 Merkantile
Angelegenheiten» (die Börse, kaufmännische Firmen, Jahr- und Wochen-
märkte, Hausierwesen, Maass und Gewicht, Pfandleih- Anstalten) und end-
lich auf •Indtistrieüe Privilegien und Schutzmarken».
Nach Aufhebung der alten Zünfte (durch G.-Art. Vm vom Jahre 1872)
haben sich auf Grund des neuen Gewerbe-Gesetzes (G.-Art. XVH vom Jahre
1884) Gewerbe- Genossenschaften gebildet, deren gegenwärtig 844 im Lande
vorhanden sind. Mit diesen Genossenschaften sind 135 Unterstützungs-
Gassen mit einem Stammcapital von 149,215 fl. 90 kr. für kranke oder
erwerbsunfähige Gewerbetreibende verbunden. Manchen Orts betreiben
diese Gassen auch gemeinsamen Ankauf des Bohmaterials für ihre Mit-
glieder. Für die Gehilfen oder Arbeiter bestehen dermalen blos 54 Hilfs-
cassen mit einem Vermögen von 104,802 fl. 16 kr.
Die im Gewerbegesetz vorgesetzten Gewerbe- Cor porationen, welche
über die Angehörigen des Gewerbes die Aufsicht und die Gontrole fähren
und zugleich in mancher Beziehung auch behördliche, namentlich friedens-
richterliche Functionen besorgen, haben sich nur in der Hauptstadt Buda-
pest nach einzelnen Industriezweigen oder Industriegruppen gestaltet, wäh-
rend in den übrigen Städten und Gemeinden in der Begel sämmtliche
Gewerbetreibende zu einer Corporation verbunden sind. Solcher Gewerbe-
Corporationen zählt man gegenwärtig im Lande 189; von diesen haben
62 Hilfscassen für ihre Mitglieder mit einem Vermögen von 70,002 fl.
05 kr. ; für die Gehilfen bestehen 88 Unterstützungs-Cassen mit 186,606 fl.
86 kr. Die Gonstituirung und die entsprechende Wirksamkeit der Gewerbe-
(Jorporationen stossen noch immer auf beträchtliche Hindemisse im Schosse
der Gewerbetreibenden selbst.
Wenig Erfreuliches zeigen die Lehrlingsschulen, obgleich der Fort-
schritt hierin seit 1884 ebenfalls ein augenfälliger ist. Damals bestanden
im Lande (angeblich) nur 19 Lehrlingsschulen, von denen sieben auf die
Hauptstadt entfielen. Gegenwärtig gibt es deren 309, von denen 20 niedere
Handelsschulen sind. Wie mangelhaft aber die Zahl, die innere Einrichtung
und der Besuch dieser Schulen ist, lehrt schon das dne Factum, dass selbst
in der Hauptstadt, wo Staat und Municipium scharfe Aufsicht ausüben, von
9765 Lehrlingen nicht weniger als 3869 Lehrlinge, somit weit über ein
Dritte], die Lehrlingsschulen nicht besuchen. Der energischen Thätigkeit des
Handels- und des Unterrichts-Ministers sowie der untergeordneten Behörden
in Comitat und Stadt bleibt auf diesem Gebiete noch ein grosses Stück
Arbeit zu thun übrig ; da namentlich zahlreiche Industrielle sich um die
13*
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196 UNGABNB INDUSTRIE, HANDEL UND VERKEHR IM JAHRE 1889.
geistige AusbilduDg ihrer Lehrlinge gar nicht bekämmem und deshalb auch
dem Abschlüsse eines ordentlichen Lehrlings Vertrages gerne ausweichen.
Die Institution der staatlichen Fabriks-Inspection hat in Ungarn noch
keine entsprechende Organisirung erhalten, obwohl der jetzige Handels-
Minister auch in dieser Bichtung bereits die erforderlichen Einleitungen
getroffen hai Im Jahre 1889 wurden 555 Fabriken durch staatliche Organe
inspicirt, wobei in 301 Fällen das Ministerium zur Abstellung der wahr-
genommenen Mängel und Ordnungswidrigkeiten einschreiten musste. Unter
Einem liess der Minister das Muster einer Arbeitsordnung ausarbeiten und
in den betreffenden Fabrikslocalitäten öffentlich anschlagen. Die gesetzlich
vorgeschriebenen Arbeiterlisten fehlen noch immer in vielen Fabriken. In
den im Jahre 1889 inspicirten 555 Fabriken gab es 626 Dampfmotoren mit
37,481 Pferdekraft, 214 Wassermotoren mit 4523 Pferdekraft und 26 Luft-
druckmotoren mit 155 Pferdekraft; ohne Motoren waren 103 Fabriks-
anlagen. Die Zahl der Arbeiter war 41,336; der Lehrlinge 1619; der Tag-
löhner 5887; zusammen: 48,842 Arbeiter, von denen 35,673 (75 o/o) dem
männlichen und 13,169 (25 o/o) dem iWeibUchen Geschlechte angehörten.
Erwachsene waren : 44,333 ; von 14—16 Jahren : 3459 ; von 12 — 14 Jahren:
101 1 ; unter zwölf Jahren : 39. Die meisten männlichen Arbeiter gab es bei
der Eisen- uud Metall-Industrie, die meisten Arbeiterinen bei der Tabak-
fabrikation. Die Arbeitsbücher mangeln leider noch vielenorts, am meisten
sträuben sich dagegen die Ziegelfabrikanten, welche ihre beschäftigten
Arbeiter gerne nur als Taglöhner bezeichnen wollen.
Die Arbeitszeü in den ungarischen Fabriken dauert gewöhnlich 8 bis
12 Stunden, je nach den verschiedenen Industriezweigen; eine fünf zehn-
stündige Arbeitszeit wurde nur an einem Orte vorgefunden. In einigen
Dampfmühlen Siebenbürgens wechselt 24 Stunden Arbeit mit 24 Stunden
Buhe; eine längere Arbeitszeit als 12 Stunden findet man bei der Sprit-,
Hefe- und Glas-Industrie, wo aber die Arbeit nicht ununterbrochen, sondern
mit mehrstündigen Pausen betrieben wird. Die tägliche Arbeitspause dauert
in den meisten Fabriken 2, in anderen nur IVa Stunden. Die Stnckarbeiter
sind an keine Stundenzeit gebunden. Nachtarbeit findet hauptsächlich in
Eisen- und Metallfabriken, in Mühlen und Spiritus-Fabriken derart statt,
dass in der Begel morgens und abends 6 Uhr der Schichtwechsel eintritt
Eine Hauptaufgabe der Fabriks-Inspectoren besteht darüber zu wachen, damit
jugendliche Arbeiter nicht des Nachts übermässig beschäftigt werden.
Interessant ist es, dass im Jahre 1889 Zwistigkeiten zwischen Arbeitgebern
und Arbeitern in den ungarischen Fabriken kaum vorgekommen sind und
damals kein einziger Arbeiterstrike stattgefunden hat. Eine besondere Sorg-
falt müssen die Inspectoren auch den gesetzlich vorgeschriebenen Vorkeh-
rungen zur Sicherung des Lebens und der Gesundheit der Arbeiter zu-
wenden.
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ÜKOARKS IKBÜSnofi, BAKDEL tlKD VISRKfifilt IM JABfifi 18^. 1^7
Gegenüber der auch in Ungarn rasch zunehmenden Fabrika-Industrie
hat das Kleingewerbe einen wachsend schwierigen Stand und man macht die
betrnbende Wahrnehmung, dass gewisse^ bisher handwerksmässig betrie-
bene Gewerbe in manchen Landesteilen gänzlich verschwunden sind. Der
Herr Handelsminister erachtet diesen Niedergang des Kleingewerbes für
keine naturgemässe Erscheinung. Er findet die Ursachen dieses Verfalles
vor Allem in dem Mangel an Betriebscapital, resp. an Credit, wodurch auch
die Anschaffung der heute unentbehrlichen Hilfs- Maschinen verhindert wird.
Daraus folgt femer die Verteuerung der Kleingewerbe- Production. Nichts-
destoweniger steht diesem Gewerbe noch ein breites Terrain zu Gebote, auf
welchem es eine lebensfähige, ja lohnende Thätigkeit entwickeln kann. Der
Minister ist bemüht, das Kleingewerbe bei Bestellungen für den Staat zu
berücksichtigen, er begünstigt die Bildung von Creditverbänden, Productiv-
Genossenschaften etc.
Mit Ende des Jahres 1889 gab es in Ungarn 1132 grössere Industrie-
Anlagen und 267 landwirtschaftliche Spiritusbrennereien, somit insgesammt
1400 Etablissements. Kroatien-Slavonien zählte damals 117 Fabriken,
somit die Länder der ungarischen Krone zusammen 1516 ; doch bieten diese
Zahlen noch keinen vollständigen Ausweis. Im Jahre 1889 allein vermehrte
sich die Zahl der Fabriken um 151 mit einem Anlagecapital von über
20 Milhonen Gulden und einem Arbeiterstand von mehr als 10,000 Seelen ; —
jedenfalls ein deutlicher Beweis wachsender Unternehmungslust und erstar-
kender Gapitalskraft in Ungarn. Dass hiezu auch der G.-A. XLIV vom Jahre
1881 über die staatlichen Begünstigungen der einheimischen Industrie
Vieles beigetragen hat, wird durch Thatsachen bewiesen.
Ausser der Heilung des Uebels beim Kleingewerbe und nebst der Ent-
wickelung der Grossindustrie befasste sich der Handelsminister noch in
hervorragender Weise mit der Unterstützung und Beförderung der Haus-
industrie, welche unter unseren Verhältnissen eine ausserordentliche Wich-
tigkeit hat. Sieht man von der Deckung der häuslichen Bedürfnisse ab, so
werden ausserdem die verschiedensten Zweige der gewerblichen Produotion
durch hausindustrielle Arbeit betrieben. Hieher gehören : Hanf-, Flachs- und
WoUespinnerei und Weberei, Spitzenerzeugung, Teppichweberei, Ausnähen
und Stickerei, Korb-, Binsen-, Stroh- und Weidenflechterei, Kürschnerei
und Hutmacherei^ Erzeugung von Holzgefässen und häusHchen Gerät-
schaften, Kinderspielwaaren, Möbeltischlerei, Töpferei, Schwammarbeiten,
Siebflechten, Holzschachteln- und Brettererzeugung, Bürsten- und Besen-
binderei — Alles das sind Beschäftigungen, welche in Ungarn von der
Hausindustrie getrieben werden. Es gibt Gegenden, in denen dieser Betrieb
geradezu eine Lebensfrage für die Bewohner bildet und schon deshalb eine
besondere Aufmerksamkeit und Berücksichtigung verdient. Dies gilt nament-
lich von jenen Landesteilen, wie z. B. von Gebirgsgegenden Siebenbürgens
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198 UNGARNS INDtSTftrt:, fiAKDfcL ÜNt) VteRKfiHR Ilf JaBRK 1880.
und Obemngams, wo es weder eine Fabriks-Indnstrie noch eine ausgiebige
Landwirtschaft gibt und die Bevölkerung aus Mangel an Erwerbsquellen
zur Auswanderung nach Bumänien oder Amerika genötigt ist. Allein auch
in Gegenden mit landwirtschaftlicher Production hat die Haus-Industrie
grossen Wert, weil sie in den arbeitsfreien Wintermonaten eine angemessene
und lohnende Beschäftigung bietet und dadurch zu fortgesetzter Arbeitsam-
keit und Sparsamkeit gewöhnt. Nicht minder werden durch die Haus-
industrie die tauglichen Arbeitskräfte für die Grossindustrie vorgebildet.
Leider entbehrt trotz dieser mehrseitigen grossen Bedeutung die Haus-
industrie in Ungarn noch immer (mit wenig Ausnahmen) der erforderlichen
Beachtung sowie der entsprechenden Organisation. Bei uns werden bei-
spielsweise die Erzeugnisse der Hausindustrie noch immer von den Erzeu-
gern selbst durch monatelanges Hausiren im Lande und ausserhalb des-
selben in Umsatz gebracht. Eine solche Hausindustrie ist nach des Mini-
sters Ansicht nicht lebensfähig ; es sei unvermeidlich notwendig, dass die
Hausindustrie mit Unternehmern in Verbindung stehe, die dem armen
Volke das Bohmaterial liefern, eventuell Vorschüsse leisten und die fertigen
Waaren gegen einen anständigen Preis übernehmen. Dabei 3teht allerdings
zu besorgen, dass die Hausindustriellen auf diesem Wege gar leicht in die
völlige wirtschaftliche und persönliche Abhängigkeit, ja in die Schuld-
knechtschaft des l)etreffenden Unternehmers und Arbeitgebers verfallen.
Zur Hebung der Hausindustrie ist in erster Reihe die verbesserte Vor-
bildung der Hausindustriellen vonnöten. Der Handelsminister hat deshalb
den bestehenden Lehrwerkstätten seine besondere Aufmerksamkeit zuge-
wendet und ist bemüht, dieselben nicht nur zu erhalten und weiter zu ent-
wickeln, sondern sie nach Thunlichkeit auch zu vermehren. Im Jahre 1889
gab es zehn solcher Lehrwerkstätte^, welche teils vom Staate, teils von
einzelnen eifrigen Interessenten erhalten wurden.
In das Ressort des Handelsministers gehören auch die gewerblichen
Fachschulen y welche in zwei Gruppen zerfallen: in solohe, welche vor
Allem fachmännisch gebildete Industriearbeiter, insbesondere Werkführer
vorzubilden haben, und in solche, welche zwar auch gewerbliche Arbeiter
heranbilden, aber zunächst zur Entwicklung der Hausindustrie beru-
fen sind.
Zur ersten Gruppe gehören : die staatlich subventionirte mechanische
Lehrwerkstätte in Budapest, die mittlere Maschinen-Industrieschule in
Easchau, die Lehrcurse für Maschinenführer und Dampfkesselheizer in
Budapest und Elausenburg, die Lehrwerkstätten für Bau-^ Holz- und Eisen-
industrie in Klausenburg, die Strick- und Webeschule in Easchau, die Eunst-
webeschule in Käsmark, die Lehrwerkstätte für Eunstschnitzerei in Ho-
monna, der Lehrcurs, resp. die Fabrik zur Erzeugung von Einderspielwaaren
in Bartfeld und M.-Väsärhely und der Schuhmacher-LehrcursinHermannstadi
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tmOAims iKDtSntm» StAKD^i und VEltKCHU IM JAfitlS I8dd. I9ft
Zur zweiten Gruppe gehören : die Lelnrwerkatatten für Spitzen-Erzeu-
gung in Eremnitz, für Weberei in Gsikszereda und Sz6kely-Eeresztur, für
Tuchweberei in Heitau, für Teppichweberei in Gross-Becskerek ; dann die
Frauen-Indüstrie-Schulen inBudapest, Elausenburg und Szepsi-Szentgyörgy,
endlich die Lehrwerkstätte für die Erzeugung von Einder-Spielwaaren in
Gyergyö-Szent-MiklÖB, Hermannstadt und Szel-Akna.
Alle diese Anstalten sind jedoch nur spärlich dotirt, entfalten aber
nichtsdestoweniger auch bisher schon eine erfreuliche Wirksamkeii
Die Institution der Handels- und Gewerbekammern besitzt eine wichtige
volkswirtschaftliche Bedeutung, indem diese Kammern einerseits die entspre-
chend organisirte Interessen-Vertretung des einheimischen Gewerbes und
Handels bilden, andererseits die Regierung in ihren volkswirtschaftlichen Ver-
fügungen durch vertrauenswürdige, auf praktische Erfahrung gegründete Mit-
wirkung unterstützen sollen. Der Herr Handelsminister v. Baboss hatte bei
üebemahme seines Bessorts angesichts der zahlreich aufgetauchten Klagen
über die Handels- und Gewerbekammem für den 5. Oktober 1889 eine fach-
männische Gomroission zur Beratung einer Reihe von Beformfragen hin-
sichtUch dieser Handels- und Gewerbekammem einberufen. Auf Grund der
Resultate dieser Beratungen verfügte sodann der Minister eine teilweise
Reform dieser Institution, namentUch in dreifacher Beziehung : a) Ver-
mehrung der Kammern und entsprechendere Einteilung der Kammer-
bezirke ; b) Zuweisung jenes Wirkungskreises und Einflusses, welcher den
Kammern als begutachtenden Oorporationen in Gewerbe- und Handels-
angelegenheiten gebührt ; c) Gkirantie der Berücksichtigung der von den
Kammern erstatteten Gutachten und Berichte.
Auf dem Gebiete des Königreiches Ungarn bestanden zu Ende des
Jahres 1889 fünfzehn Handels- und Gewerbekammem, und zwar :
1. Arad mit den Gomitaten Arad, B^kes, Gsanäd und Hunyad und der
königlichen Freistadt Arad ;
2. Kronstadt (Brassö) mit den Oomitaten Kronstadt (Brassö), Osik,
Udvarhely, Gross-Kokeln (Nagy-KüküUö), Hermannstadt (Szeben), Fogaras
und H&omsz^k.
3. Budapest mit der Landeshauptstadt Budapest, mit den Komitaten
Pest-Pilis-Solt-Klein-Kumanien, Gran(Esztergom),Stuhlweis8enburg (Feh^r)^
Neograd, Heves, JazygienGross-Kumanien-Szolnok, Osongräd, Bäcs-Bodrog
und Sohl (Zolyom), mit den königlichen Freistädten Stuhlweissenburg, Sze-
gedin, Neusatz, Maria-Theresiopel und Zombor und den Municipalstädten
Baja, Hödmezö-Väsärhely und Kecskem^t.
4. Debreczin mit den Komitaten Hajdü, Bereg, ügocsa, Marmaros,
Bihar, Szabolcs, Szatmär und Szilägy, mit den königlichen Freistadten
Debreczin und Szatmär-N^meti und der Municipalstadt Grosswardein ;
5. Essegg mit den Oomitaten Veröcze, Pozsega und Syrmien, mit den
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200 TTNOABNS INDÜ8TRIB, HAKDfiL UND VEBRBHB IM JAHBB 188d.
königücben Freistadten Essegg und Pozsega und mit den (ehemaligen) Grenz-
distrikten von Gradiska, Brood und Peterwardein ;
6. Finme mit dem Gebiete der Stadt Fiume ;
7. Eascbau mit den Comitaten Abauj-Toma, Liptau, Säros, Zipa, üng
und Zemplin und mit der königlichen Freistadt Eascbau ;
8. Elausenburg für die Gomitate Unterweissenburg, Bistritz-Naszod,
Elein-Eokeki (Eis-Eüküllö), Eolozs, Maros-Torda, Szolnok-Doboka und
Torda-Aranyos und für die königlicben Freistädte Elausenburg und Maros-
VÄsÄrbely.
9. Miskolcz für die Comitate Borsod und Gömör-Eis Hont ;
10. Fünfkircben für die Gomitate Baranya^ Somogy und Tolna sowie
für die königlicbe Freistadt Fünfkircben ;
11. Pressburg für die Eomitate Pressburg (Pozsony), Neutra (Nyitra),
Trencsin, Ärva, Turocz, Hont, Bars und Eomom, und für die königl. Frei-
städte Eomorn, Sobemnitz-B^labänya und Pressburg ;
12. Oedenburg für die Comitate Oedenburg (Sopron), Eisenburg (Vas),
Zala, Raab (Györ) und Wieselburg (Moson) und für die königlicben Frei-
städte Oedenburg und Baab ;
13. Temesvär für die Gomitate Temes, Erassö-Szöreny und Torontäl,
für die königlicbe Freistadt Temesvär und für die Municipalstädte Panosova
und Werscbetz ;
14. Agram für die Gomitate Agram (Tt>&h), Warasdin, Ereuz (Eörös)
und Belovär und für die (früheren) Grenzdistrikte Banal und Ogulin-Sluin,
mit Ausnahme des Bezirkes Bründl ;
15. Zengg für das Gomitat Fiume, für den ehemaligen Grenzdistrikt
ljika-Oto6a2 und für den Bründler Bezirk.
Die Gesammtkosten dieser Eammern beliefen sich im Jahre 1889 auf
180.346 fl.
Vom 1. Jänner 1891 an ist die Anzahl dieser Eammern auf SO erhöbt,
also um fünf vermehrt worden und zwar haben die neuen Eammern ihre
Sitze : in Neusohl (Beszerczebänya) für die Gomitate Ärva, Bars, Hont, Lip-
tau, Neograd und Sohl mit der königlichen Freistadt Schemnitz-Belab&nya;
in Baab mit den Gomitaten Gran, Baab, Eomom und Veszprim und der
königlichen Freistadt Baab ; in Maros- Väs^hely mit den Gomitaten Gsik,
Häromszek, Maros-Torda und üdvarhely und mit der königlichen Freistadt
Maros-Väsärhely ; in Grosswardein für das Gomitat Bibar und die Municipal-
stadt Grosswardein ; endlich in Szegedin für die Gomitate Bäcs-Bodrog und
Gsongr&d sowie für die Städte Baja, Hödmezö-V&särbely, Maria-Theresiopel
(Szabadka), Szegedin, Neusatz (Ujvid^k) und Zombor.
Nach dieser Ausscheidung ändern sich mehrfach auch die bisherigen,
weiter oben angeführten Territorien der älteren Eammern.
Eine ganz besondere Aufmerksamkeit widmet der Handelsminister den
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ÜKÖARN8 INDUSTRIE, HANDEL UND VKBKEHB IM JaHBC 1889. ^1
öffentlichen Lieferungen für staatliche Zwecke, wobei er bestrebt ist, der
eiobeimischen Prodaction den ihr gebührenden Anteil zu gewinnen nnd zn
sichern, ohne jedoch die verschiedenen Prodnctionskreise, Industrie- und
Gewerbezweige in einseitiger, monopolistischer Weise zu begünstigen. Ganz
richtig erscheint auch des Ministers Anschauung, dass eine Fabrik oder eine
(Jewerbsgruppe sich nicht bloss für ärarische Lieferungen einrichten solle. Die
Bildung von Verbänden Kleingewerbetreibender zur Uebemahme und Be-
sorgung solcher Lieferungen, namentlich unter Aufsicht der Gewerbe-Gor-
porationen, begegnet mit Recht der Förderung von Seiten des Ministers.
Unter den Angelegenheiten des Handels steht in erster Linie die
Waartn- und Effecten-Börse in Budapest^ welche sich aus der schon in der
ersten Hälfte unseres Jahrhunderts bestandenen Pester Getreidehalle ent-
wickelt und ihre erste festgestellte Organisation im Jahre 1 864 erhalten hat
Ihre gegenwärtige Verfassung regeln die vom Handelsminister im Jahre 1888
bestätigten Statuten auf Grund einer weitgehenden Autonomie. Die Oberauf-
sicht über das Institut gebührt dem Handelsminister ; die Aufgabe der Börse
besteht in der Erleichterung und Begulirung des kaufmännischen Verkehrs
in allen Arten von Waaren, Wertpapieren, Wechseln, Münzen und Edel-
metallen. Der Besuch und die Mitgliedschaft der Börse ist sehr erleichtert.
Zur Leitung der gesammten Börse-Angelegenhaiten besteht ein von den
Mitgliedern auf drei Jahre gewählter Börsenrat. Dieser verfügt über alle
Vermögens- und Verwaltung^ngelegenheiten der Börse, er bestimmt die
Geschäfts-Usancen, entscheidet über die Börsenwerte und die ofßciellen Gurs-
notirungen, ernennt die beeidigten Börsensensale, setzt alle Taxen und Ge-
bühren fest u. s. w. Eines der wesentlichsten Rechte dieser Selbstverwaltung
besteht in der Gerichtsbarkeit des Börsenrates in Börsen- und Merkantil-
Streitsachen« Keine Börse auf dem Gontinente besitzt eine Autonomie von
solchem Umfange, die Regierung ist bei der Budapester Börse bloss durch
zwei Gommissäre vertreten.
Im Jahre 1889 zählte die Börse 951 ordentliche Mitglieder und 162
Börsenbesucher; die Zahl der beeidigten Sensale oder Agenten betrug 166.
An der Getreide-Börse fand ein Verkehr von 13,188.300 Meterzentner statt,
womit jedoch keineswegs der gesammte Geschäftsverkehr der Börse in dieser
Richtung bezeichnet wird. Eine vertrauenswürdige Statistik über Zahl und
Umfang dieses Verkehres ist überhaupt noch nicht vorhanden. Das Börsen-
gericht hatte in 1764 Fällen zu entscheiden, von denen 711 Fälle appellirt
wurden.
Nur im Vorbeigehen bemerken wir, dass im Jahre 1889 im Lande ins-
gesammt 4561 Handelsfirmen improtocollirt worden sind und wenden unsere
Aufmerksamkeit sofort den Wochen- und Jahrmärkten zu.
Auf dem Gebiete der Länder der ungarischen Krone werden in 1600
Gemeinden Jahrmärkte abgehalten, und zwar in der Regel jährlich 2 — 4,
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^^ ÜKGABNS iKDtTSTRIE, HANDEL UND VERKEHK IM JAHEB 1880.
dooh gibt es auch Gemeinden^ welche die Berechtigung zu 6 — 8 Jahrmärkten
besitzen. Ebenso verschieden ist auch die Dauer dieser Märkte ; die meisten
dauern blos einen Tag, dann gibt es aber auch Märkte von 2—4 Tagen, ja
in grösseren Städten dauert der Markt 8 -14 Tage. Die Jahrmärkte sind
entweder allgemeine oder Vieh- Märkte, letztere bei mehrtägigen Märkten
in der Regel nach Viehgattungen abwechselnd.
Gegen die übermässige Vermehrung der Märkte haben die gewerb-
lichen Kreise, namentlich die Handels- und Gewerbekammem, Einsprache
erhoben. Auch haben die Märkte in Folge der erleichterten und vermehrten
Gommunicationsmittel an ihrer früheren Bedeutung vieles verloren ; aber die
Abhaltung dieser Märkte kann dennoch, insbesondere für kleinere, abgele-
genere Orte nicht entbehrt werden und es bilden namentlich die Viehmärkte
für einen grossen Teil unserer Bevölkerung ein dringendes Bedürfniss.
Noch weit nötiger als die Jahrmärkte sind die Wochenmärkte, deren Zu-
nahme um so weniger beanstandet werden kann, je zahlreicher selbst in
kleineren Gemeinden jene Familien werden, die ihre Lebensbedürfnisse sieh
nicht selbst erzeugen können, wie z. B. Beamte, Militärpersonen, Industrielle,
Fabriksarbeiter u. dgl. Die engherzige Bestimmung des Gewerbegesetzes vom
Jahre 1884, der zufolge die Wochenmärkte von fremden Handwerkern nicht
beschickt werden durften, wurde im Jahre 1887 teilweise modificirt. Die
nach dem G. A. VE v. J. 1888 verschärften strengen Veterinär-Massregeln
haben namentlich kleinere Gemeinden veranlasst, ihrem Marktrechte zu
entsagen oder dessen Ausübung mindestens zu suspendiren, da sie den
erhöhten gesetzlichen Vorschriften nicht entsprechen konnten.
Einen Gegenstand stetiger Klage der Gewerbetreibenden in Stadt und
Land bildet das Hamiertvesen, welches gemäss dem mit Oesterreich geschlos-
senen Zoll und Handelsbündnisse in der ganzen Monarchie nach gleichen
Grundsätzen geregelt ist. Doch sowohl damit, wie mit dem GimentirungS'
wesen können wir uns an dieser Stelle nicht weiter beschäftigen und wenden
deshalb den königlich ungarischen Pf andleihanstaUen in Budapest die Auf-
merksamkeit zu.
Die Institution eines königlich ungarischen Pfandhauses verdankt ihre
Entstehung der Kaiserin-Königin Maria Theresia, mittelst deren Entschlies-
sung vom 1. Juli 1773 die erste Anstalt dieser Art in Ungarn tzur Unter-
stützung der hilfsbedürftigen armen Volksclassen und zur Verhinderung des
Wuchers» zu Fressburg ins Leben gerufen wurde. Dieses Pfandhaus dauerte
bis zum Jahre 1855.
Nach dem Muster des Pressburger Institutes wurde von Kaiser Josef EL
am 6. Juni 1787 das • königlich privilegirte ungarische Pfandhaus» in Ofen
errichtet, zu dessen Gunsten der Kaiser unter dem 28. Juni d. J. den Ankauf
und die Adaptirung eines Hauses um 13.962 fl. 51 kr. anordnete und das
Umsatzcapital der Anstalt auf 6000 fl. bestimmte. Ausserdem sollte das
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tJKOARNS INDUSTRIE, HAKDEL ÜKD VERKBHn IM JAHBE 1889. 203
Institut für seine Bedürfnisse vom königlich ungarischen Statthaltereirate
Darlehen zu 3Vs% Verzinsung erhalten. Das Institut nahm bald einen
bedeutenden Aufischwung und wurde nach der Entscheidung des Statthal-
tereirates vom Jahre 1801 auf die Pester Seite der ungarischen Hauptstadt
verlegt^ wo es in seinem noch gegenwärtig innehabenden Gebäude in der
inneren Stadt am 1. Januar 1803 seine Thätigkeit eröffnete. Die monat-
lichen Versteigerungen dar nichtzurückgelösten Pfand-Objecte begannen am
1. Oktober 1788 und fanden seitdem in jedem Monate statt.
Das königlich ungarische Leihhaus in Budapest hat innerhalb der
letzten zwei Decennien hinsichtlich der Verpfändungen eine bedeutende
Zunahme, in Bezug auf die hiefür erhaltenen Beträge aber eine beträchtliche
Abnahme aufzuweisen. Während z. B. bis zum Jahre 1876 die Verpfän-
dungen von 321,701 auf 439,800 Fälle und die Pfandsummen dort 2.672,624,
hier 3,401.631 fl. betrugen; ist seither zwar die Zahl der Verpfändungen
erheblich grösser geworden (im Jahre 1889 betrug sie 550,520), dagegen
aber die Höhe der ausbezahlten Beträge continuirlich gesunken; im Jahre
1889 steht sie nur auf 2.476,405 fl., also niedriger als im Jahre 1871, da sie
2.672,624 fl. gewesen.
Ein erfreuliches Moment zeigen die erfolgten Auslösungen der Pfand-
Objecte. Während nämUch bis zum Jahre 1 876 die Höhe der Auslösungs-
summe stets hinter der Grösse der ausbezahlten Pf^dbeträge zurückgeblieben
war, machen seither die zurückgezahlten Summen in der Regel mehr aus als
die geborgten Beträge. Im Jahre 1889 wurden 541,219 Pfandstücke um
2,488.323 fl. ausgelöst. Die Bestanzen bewegen sich in Bezug auf die Objecte
in aufsteigender Linie, hinsichtlich des Geldwertes zeigen sie mit einigen
Variationen im Grossen und Ganzen abnehmende Tendenz.
Im Jahre 1876 war z. B. die restliche Stückzahl 246,837 mit einem
belehnten Werte von 2.255,863 fl., im Jahre 1889 hatte erst^re 251.121
Stücke, letzterer 1.389,660 fl.
Bei der Gründung des königlich ungarischen Leihhauses hatte dasselbe
einen Zinsfuss von lOVe^/o, der bis zum Jahre 1840 aufrechterhalten blieb.
In diesem Jahre wurde derselbe auf 9^Va7®/o herabgesetzt, dagegen im Jahre
1874 (in Folge der Krisis vom Jahre 1873) auf 12®/o erhöht und erst im
Jahre 1879 wieder auf 10 Percent reducirt. Dieser Zinsfuss ist auch heute
noch in Geltung. An Zinsen flössen im Jahre 1889 im Budapester könig-
lichen Leihhause 159,598 fl. 78 kr. ein.
Das zum Umsatz erforderliche Oapital entiehnt das Leihhaus teils
einzelnen Geldinstituten, teils von Privaten zu verschiedenem Zinsfusse.
Im Jahre 1889 hatte die Anstalt auf solche Weise 982.304 fl. 94 Vs kr. auf-
genommen und an Zinsen 54,099 fl. 34 kr. gezahlt.
Ausser dem innerstädtischen königl. Leihhause besteht in Buda-
pest noch eine Filiale desselben in der Vorstadt Theresienstadt.
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^^ UK0ARN8 INDUSTRIE, BaKDBL XJKD VBRKEHE IM JAHfiE iSSd.
Diese Zweiganstalt wurde am 1. Juni 1881 im eigenen neuen Oebäude
eröffnet; sie ist in Bezug auf den Pfandverkehr selbständig, hat jedoch kein
eigenes Vermögen, denn ihre Einkünfte kommen alle auf Bechnung des
innerstädtischen Hauptinstituts. Desgleichen untersteht sie derselben
Direotion. Ihr Geschäftsverkehr ist ein bedeutender; denn im Jahre 1889
war die Zahl der Verpfandungen 276,000 Stück mit einem Capital von
1.224,768 fl. und die Zahl der Auslösungen 259,720 Stück mit einem Be-
trage von 1.212,707 fl. An Bestanzen zählte man 122,488 Stück mit
624,091 fl. Capital. An Zinsenerträgniss ergaben sich 65,739 fl. 83 kr.
Im Jahre 1889 wurden in beiden Anstalten 83,240 Pfandobjecte ver-
steigert. Die Institute hatten darauf eine Forderung von 339,303 fl. 71 kr.;
das Licitations-Ergebniss war 463,840 fl. 81 kr., so dass nach Befriedigung
der Instituts-Forderungen noch 124,537 fl. 10 kr. zu Gunsten der Parteien
übrig blieben. Was innerhalb drei Jahren nicht in Empfang genommen wird,
verfällt der Gasse des Leihhauses.
Für die königl. ung. Pfandleihanstalten wirken drei Vermittlungs-
Institute, welche dann wieder Pfandsammei-Geschäfte in verschiedenen
Teilen der Stadt errichten. Solcher Sammelgeschäfte zählte man im Jahre
1889 insgesammt 78.
Die nach G.-Ari XIV: 1881 geschaffenen Privatleih-Anstalten unter-
stehen gleichfalls dem Handelsminister, dessen Hauptbestreben darauf
gerichtet ist, die Leihgebühren nach den jeweiligen Localverhältnissen zu
ermässigen, damit das verpfändende, zumeist arme Publicum nicht über-
mässig belastet werde.
Der Schutz der industriellen Erfindungen wurde in Oesterreich zuerst
im Jahre 1810 durch ein Statut geregelt; diesem folgte hauptsächlich unter
Einfluss des französischen Privilegien- Gesetzes am 8. Dezember 1820 ein
kaiserliches Patent, welches durch die ung. Hofkanzlei im Wege des kön. ung.
Statthaltereirates unter dem 21. August 1821 allen Municipalbehörden zur
Damachachtung zugestellt wurde. Die Municipien empfingen dieses Patent
mit grossem Missfallen und dasselbe bildete auf dem Landtage von 1825/27
eines der Landes-Gravamina. Die weiteren österr. Gesetze und Verordnungen
in Angelegenheit der Industrie-Privilegien fanden zwar in Siebenbürgen und
in der Militärgrenze Einführung ; im eigentlichen Ungarn beschäftigte sich
erst G.-Art. 66 vom Jahre 1840 mit den Privilegien, dieses Gesetz kam jedoch
kaum zur Geltung. Im Jahre 1 852 regelte ein kaiserliches Patent die industriel-
len Privilegien und diese Verordnung blieb bis zimi Jahre 1867 in Kraft.
Erst der G.-A. XVI vom Jahre 1867 ordnete in Ungarn die Privile-
girung der gewerblichen Erfindungen. Darnach stehen diese Erfindungen
nach gleichen Grundsätzen in beiden Beichshälften unter gesetzlichem
Schutze; diese Bestimmung wurde dann auch in den Jahren 1878 und 1881
bei Ernouerung des Zoll- und Handelsbündnisses beibehalten ; nur in Betreff
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ÜNÖABNS INDUB131IB, HANDEL UND VBRKEHB IM JAHRE 1889. 205
der Gebührenverteilang zwiscfaen Ungarn und Oesterreich fanden einige
Abänderungen stau Uebrigens erbeiscbt die zeitgemäase Begelung der
Patentsachen eine entsprechende Beform des betr. Gesetzes, worüber zwi-
schen den beiderseitigen Regierungen die Verbandlungen bereits im
Zuge sind.
Im Jahre 1889 wurden insgesammt 3481 Patente erteilt; davon ent-
fielen auf ungarische Staatsangehörige 261 (7*469 o/o), auf Oesterreicher
1265 (36-340 o/o) und auf Ausländer 1956 (56191 o/o)-
Die Zoll' und HandeU- Angelegenheiten stehen mit den übrigen Fac-
toren und Entwicklungen der Handels- Politik im unmittelbaren, wechsel-
seitigen organischen Zusammenhang, weshalb bei der amtlichen Erledigung
der hieher gehörigen Agenden der leitende Minister seine Aufmerksamkeit
auf die Anforderungen des praktischen Lebens überhaupt und insbesondere
jener Bichtung zuwenden musste, welche unter objectiver Berücksichtigung
unserer volkswirtschaftlichen und staatlichen Lage und der durch die gegen-
wärtigen europäischen Wirtschaftsverhältnisse geschaffenen Situation der
Befriedigung des praktischen Lebens am meisten zu entsprechen schien.
Das Hauptbesfreben des Handelsministers war indessen dahin bemüht,
die drnckenden Folgen der jetzt herrschenden, absperrenden Schutzzoll-
Politik möglichst zu oompensiren oder mindestens abzuschwächen und zur
Erleichterung und Beförderung sowohl des Binnen- wie des Aussenhandels
alle zur Verfügung stehenden Mittel und jede sich darbietende (jelegenheit
zu rechter Zeit und mit gehöriger Vorsicht und Energie zu benützen.
Hinsichtlich der Zoll- Angelegenheiten steht für das Jahr 1889 an
erster SteUe die nach G.-Art XXIV vom Jahre 1887 mit dem 31. Dezember
1889 vorgeschriebene Auflassung der Freihäfen von Triest und Fiume. Da
jedoch die Vorarbeiten hinsichtlich Triests bis zu dem obigen Termine nicht
beendigt waren, so wurde der Aufhebungs-Termin bis zum 1. Juli 1891
verlängert
Den an Getreidemangel leidenden dalmatinischen und Quamero-
Inseln wurde gestattet, jährlich höchstens 80,0(X) Q. Mais und 20,000 Q.
Weizen und Hirse zollfrei einzuführen. Einer ähnlichen Vergünstigung
erfreuten sich im Jahre 1889 auch die südtirolischen Gemeinden Casotto
und Pedemonte.
Die sonstigen Detail Verfügungen in Zoll- Angelegenheiten können wir
an dieser Stelle nicht weiter verfolgen.
In Bezug auf die Hebung und Beförderung des Aussenhandels kommt
die Initiative und Ausbreitung zunächst der Privatthätigkeit zu ; die Begie-
rung kann hierin kaum etwas anderes thun, als die der Entwickelung im
Wege stehenden Hindernisse hinwegzuräumen und auf die Interessenten
aneif^md einzuwirken. Dabei legte der Minister ein besonderes Gewicht
darauf, die Ooncurrenzfähigkeit unseres Handels zu erleichtem, die auf-
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206 UNGARNS INDUSTRIE, HANDEL UND VERKEHR IM JAHRE 1889.
täucfaenden Schwierigkeiten möglichst zu bewältigen und zur Eroberung und
Sicherung des uns nahegelegenen Marktes in den orientalischen Ländern
das Interesse und die zielbewusste Bewegung in den weiteren Kreisen unserer
Industriellen zu wecken und wach zu erhalten.
Hierher gehört die Errichtung des Handels- Museums inBudapest,
welches im Jahre 1885 entstanden ist und seither durch Minister Baross
eine bedeutsame Erweiterung erfahren hat. Ziel und Aufgabe dieses Mu-
seums ist : a) Bekanntmachung aller jener Waaren- Artikel, welche in Ungarn
concurrenzfähig erzeugt werden und deshalb auf Export rechnen können ;
b) Bekanntmachung aller jener Handels-Artikel, welche im Aaslande,
namentlich im Orient in grösserem Maasse consumirt werden, um so den
inländischen Erzeugern und Händlern die nötigen Fingerzeige zu bieten ;
c) möglichste Orientirung der Producenten über jene Bedürfnisse des ein-
beimischen und des fremden Consums, an dessen Deckung wir Teil nehmen
können.
An dieser permanenten Ausstellung im Handels-Museum nahmen im
Jahre 1887 671, im Jahre 1888 750, im Jahre 1889 746 Aussteller Anteil.
Ausserdem finden jährlich periodische Obst-, Honig- und Eäse-Ausstel-
lungen statt. Das Budapester Handels-Museum hat in Salonichi und in Belgrad
seine Vertreter und in Serajewo soll eine Filiale desselben errichtet werden.
Um die Wirksamkeit des Instituts zu erhöhen, hat Minister Baross
bei Gelegenheit der neuesten Organisation dieses Handels-Museums dasselbe
mit dem Handels-Ministerium in nähere Verbindung gebracht und zur Lei-
tung und Ueberwachung eine Aufsichts-Gommission bestellt, an welcher
ausser einigen Mitgliedern aus dem Schosse des Ministeriums noch eine
Anzahl ernannter Vertreter des Handels- und Gewerbestandes teilnehmen.
Die Hauptthätigkeit richtet das Institut auf die Hebung, Belebung und För-
derung des ungarischen Exporthandels in den Balkanstaaten. Dazu dienen
nicht blos die schon erwähnten Vertretungen und Musterlager des Museums
in Belgrad und Salonichi sowie die Filial- Anstalt in Serajewo, sondern
auch besondere reisende Handels-Agenten und an verschiedenen wichti-
geren Handelsplätzen zu bestellende Berichterstatter und Gorrespondenten.
Denselben Zweck der Aufklärung und Orientirung hat auch die im Handels-
Museum errichtete bosnisch-herzegowinische Abteilung und das mit einer
Fachbibliothek verbundene merkantilische Auskunfts-Bureau. Ungemein
erschwert wird diese Action des Ministers durch die oft fast unglaubliche
Scheu, ünerfahrenheit und vollständige Unorientirtheit unserer Geschäfts-
leute in Sachen des Aussenhandels. Es soll durch das Handels-Museum die
Selbstthätigkeit der Interessenten keineswegs geschmälert oder gar beseitigt
werden ; die Aufgabe des Museums besteht nur in der Anregung, Beförde-
rung und Unterstützung der Handels-Unternehmungen Einzelner und
ganzer Gesellschaften und Vereine.
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UNGARNS INDUSTRIE, HANDEL UND VERKEHR IM JAHRE 1889. 207
Ein besonderes Angenmerk wendet Minister Baross der «Bückerobe-
rang des griechischen Marktes für den nngarischen Export» zm Deshalb
soll Fiume mit den vornehmsten Häfen Griechenlands in nnmittelbaren
Verkehr gesetzt werden.
Ebenso ist der Minister bestrebt, die Hindemisse des ungarisclhen
Wein- Exports zu bewältigen. Der Minister hat zu diesem Zwecke Sachver-
ständige zum Studium der Weinconsum-Verhältnisse namentlich in der
Schweiz entsendet und sodann deren Berichte einer Fach-Enquete zur Be-
gutachtung und Beurteilung vorgelegt. Hauptsache sei, dass dem auslän-
dischen Gonsumenten das ungarische Product in seiner gesicherten Reinheit
und Unver&lschtheit bekannt und leicht zugänglich gemacht werde.
Von grosser Wichtigkeit für Ungarns Aussenhandel sind ferner die
Beziehungen zum deiUschen Reiche, und da kommt für das Jahr 1 889 nament-
lich das Verbot der Einfuhr von Schweinen dahin in Betracht. Den aus-
dauernden Bemühungen des Ministers Baross und seines GoUegen, des
Ackerbau-Ministers, ist es gelungen, den deutschen Beichskanzler zu be-
stimmen, dass er dieses Einfuhrverbot für Transporte lebender Schweine
aus Steinbruch mindestens für eine Anzahl bestimmter Einfuhrsplätze er-
heblich gemildert hat. Die Schweineausfnhr Ungarns bewegte sich in den
Jahren 1882 und 1889 zwischen 542,099 (1888) und 778,119 (1887) Stück
und den Geldwerten von 31.119,840 (1888) und 44.377,760 fl. Im Jahre
1889 wurden exportirt 601,502 Stück im Werte von 37.831,591 fl.
Auch die von Frankreich her drohende Gefahr einer empfindlichen
Einschränkung, ja Verhinderung unseres Exportes von Schafen und Schaf-
fleisch wurde glücklich überwunden; im Allgemeinen litt jedoch der ge-
sammte Vieh-Export an Bindvieh, Schafen^ Ziegen und Schweinen der
österreichisch-ungarischen Monarchie im Jahre 1889 erheblich durch die
ausgebrochene Maul- und Klauenseuche.
Ungünstig beeinflusst wird Ungarns Spiritus-Export durch das seit 1887
in der Schweiz eingeführte Sprit-Monopol und dann durch die drückende
Goncurrenz der deutschen Branntwein -Production. Zu mehrfachen Klagen
gab das serbische Zollamt in Belgrad Anlass, namentlich deshalb, weil es
von jedem Marktbesucher aus Semlin bei Uebertretung der Grenze von dem
einzelnen Stück Vieh einen Gesundheitspass mit einer Stempelmarke von
einem Dinar abforderte. Mit Bussland gab es im Jahre 1889 Schwierigkeiten
wegen der Einfuhr von Weinreben, Weintrauben, Obst und Gemüse ; mit der
Türkei hinsichtlich der Einfuhr von Bum u. a. m.
Indem wir auf die im Jahre 1889 mit fremden Staaten geschlossenen
handelspolitischen Verträge und Uebereinkommen^ welche sich jedoch haupt-
sächlich auf die Begelung der Patentsteuerfrage in der Türkei, in Aegypten
und in Bulgarien beziehen, sowie auch auf die ohnehin einer gründlichen
Beform unterliegenden Oonsular- Angelegenheiten hier des Näheren nicht
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208
UNGARNS INDUSTRIE, HANDEL UND VERKEHR IM JAHRE 1889.
eingeben, geben wir nur nocb die wicbtigsten statistiBcben Daten mit Bezug
auf den ungariscben AusBenbandel in den Jahren von 1885 — 1889.
Damacb betrag die Eivjvhr im Jahre in Tausenden von
Meterzentnern
Stack
Geldwert
(Tatuenden von Golden)
im Jahre 1885
15,419
307
448,889
< • 1886
13,527
236
416.237
. . 1887
13,913
220
434,504
. . 1888
15,283
274
446,631
• < 1889
16,438
267
459,478
Die Ausfuhr dagegen war:
Heteizentoer
Stock
Geldwert
(TauBenden von
im Jahre 1885
29,923
48,831
396,148
. • 1886
29,682
32,298
417,846
. . 1887
31,769
41,206
402,528
. • 1888
36,976
52,081
444,383
. . 1889
34,479
63,346
460,563
Jahre
Der Gesammtverkehr in Tausenden von Gulden betrug somit im
1886
845,037
1886
834,083
1887
837,032
1888
891,014
1889
920,041
Die Einfuhr zeigt sich nur in den zwei Jahren 1886 und 1889 activ^
dort mit 1,609, hier mit 1,085 Tausend Gulden.
Ungarns Aussenhandel befindet sich sowohl hinsichtlich seines
Umfanges wie seiner Richtung im Ganzen in fortschreitender Entwickelung.
Die hauptsächlichsten Import- Artikel sind: Textil-Producte, Baum- und
Schafwoll-, Leinen-, Flachs-, Jute- und Seidenwaaren und Bekleidungs-
stücke; diese Gruppen allein betrugen im Jahre 1889 die Summe von
195.550^000 fi. Ausserdem werden in grösseren Mengen eingeführt: Leder
und Lederwaaren, Holz-, Eisen- und Möbelwaaren, wissenschaftliche und
musikalische Instrumente, Uhren, Getränke, Schlacht- und Zugvieh, Zucker,
Uterarische und Kunstgegenstände, Petroleum, Steinkohle u. a. Der
Getreide-Import hat seit dem Zollkriege mit Bumänien erheblich abge-
nommen.
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UNGARNS INDUSTRIE, HANDEL UND VERKEHR IM JAHRE 18S9.
209
Ausfuhrproducte sind vor Allem Getreide, Hülsenfrüchte, Mehl u. s. w.
Ungefähr die Hälfte des ungarischen Exports gehört dieser Gruppe an.
Hierauf folgen: Schlacht- und Zugthiere, Holz, Kohle, Torf, Wolle
und WoUwaaren, Mineralien, Getränke, Gemüse, Obst, thierische Pro-
ducte u. s. w.
Der Haupthandelsverkehr Ungarns findet selbstverständlich mit dem
benachbarten Oesterreich statt, das bei der Einfuhr mit 80— 86Vo, bei der
Ausfuhr mit 69 — 74®/o beteiligt ist. Das deutsche Beich liefert Ungarn in
bedeutender Menge BaumwoUwaaren, Frankreich hauptsächlich Seiden-
fabrikate. Deutschland ist ein guter Abnehmer des ungarischen Schlacht-
viehes, namentlich der Schweine (Jahresausfuhr 1889: 93,378 Stück); da-
gegen haben wir seit 1882 für unser Mehl den deutschen Markt fast gänzlich
verloren ; ebenso ist unser Mehl-Export nach der Schweiz zurückgegangen
und in En^nd stationär geblieben. Von unseren südlichen Nachbarn ist das
Königreich Serbien mit seinen wichtigsten Export- Artikeln (hauptsächlich
Schweine, Ochsen, gedörrte Pflaumen, Wein) nahezu ausschliesslich auf
Ungarn und Oesterreich angewiesen ; die Einfuhr von dort betrug im Jahre
1889 schon 17*9 Millionen Gulden; im Jahre 1884 erst 1 1*4 Millionen Gulden.
Hinsichtlich Rumäniens ist der Zollkrieg bei der Einfuhr weit fühlbarer als
bei unserer Ausfuhr. Eine günstige Entwickelung nimmt der Handelsverkehr
mit Bosnien-Herzegowina, wohin unser Export von 2.882,000 fl. (1884) auf
4.905,000 fl. im Jahre 1 889 gestiegen ist. Auch mit Bulgarien und Ost-
rumelien zeigt unsere Ausfuhr eine zunehmende Tendenz.
Einen erfreulichen Aufschwang hat in den letzten Jahren Ungarns
maritimer Handelsverkehr genommen. Angesichts der europäischen Schutz-
zollpolitik und der hohen Eisenbahntarife musste man zur Gewinnung und
Behauptung eines unabhängigen und wohlfeilen Ezportweges vor Allem den
Verkehr zur See pflegen. Diesem Zwecke dienten alle jene Vorkehrungen des
Handelsministers, welche im Interesse der Förderung des Handelsverkehres
mit Fiume getroffen wurden. Diese Vorkehrungen bezogen sich aber nicht
blos auf die Erleichterungen in der Zufuhr, sondern auch auf die Hebung
des See- Verkehres selbst, um so Eisenbahn und Schifffahrt in gehörigen
Zusammenhang und in üebereinstimmung zu bringen. Andererseits wurden
die Verkehrsmittel zur See vermehrt, neue überseeische Verbindungen ange-
knüpft und neue Handelslinien eingeführt. Ebenso regelte der Handels-
minister die amtliche Behandlung der Marine-Angelegenheiten in zweck-
dienlicherer Weise.
Auf die Anführung von Details müssen wir an dieser Stelle verzichten
und begnügen uns mit der Angabe einiger Hauptziffem, welche den unge-
meinen Aufschwung des Seeverkehrs des ungarischen Haupthafens von
Fiume klar beweisen. Es war nämlich in Fiume an Geldwert
UngwiMhe Banie, XI. 1891. lU. Hell. 14
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210
UNGARNS INDUSTRIE, HANDEL UND VERKEHR IM JAHRE 1889.
im Jahre 1880
1881
1882
1883
1884
1885
1886
1887
1888
1889
die Einfuhr
7.851,655 fl
12.179,211
14.828,127
21.712,293
23.224,335
21.882,325
20.8il,027
20.719,611
23.723,477
26.202,627
die Ausfuhr
13.362,498 fl.
22.323,810
29.149,865
43.011,562
44.950,026
54.333,479
54.931,288
54.459,675
68.204,551
62.319,470
zusammen
27.214,153 fl
34.503,021
43.977,992
64.723,855
68.174,361
76.772,315
75.772,315
75.179,286
91.928,028
88.522,097
Während dieses Decenniums hat also die Einfuhr um 18.350,972 fl.
oder 221.80/0, die Ausfuhr um 42.956,972 fl. oder 211-8o/o, der Gesammt-
verkehr um 61.307,944 fl. an Geldwert zugenommen.
Vom Einfuhrswert entfielen im Jahre 1889 auf Schiffe unter öster-
reichisch-ungarischer Flagge 44.1 o/o > auf sämmtliche fremde Flaggen aber
55.90/0. Beim Export war die österreichisch-ungarische Flagge mit 42.9 0/0,
die fremden Flaggen jedoch mit 57.1 0/0, beteiligt. Im Vergleich mit dem
Jahr 1888 zeigen diese Verhältnisszahlen für unsere Flagge eine Besserung
mit 5.70/0.
Eine Staatssubvention genossen: 1. die ungarische Seeschiffahrts-
Gesellschaft cAdria»; 2. der • österreichisch-ungarische Lloyd»; 3. dasFiuma-
ner Dampfschiffahrts-Ünternehmen tSwerljuga & Comp.t; 4. das Dampf-
schiffahrts-Untemehmen «Erajacz & Comp.» in Zengg und 5. der Unter-
nehmer Leopold Schwarz in Agram. Den Hauptexport aus Fiume unter-
hält die Actiengesellschaft lAdria» mit zehn eigenen Dampfern zu 8847
Tonnengehalt. Ausserdem steht die Gesellschaft mit englischen Bhedem
in festem Vertragsverhältnis behufs Lieferung von Export-Schiffen. Im Jahre
1889 unternahm die GeseUschaft 272 Fahrten und zwar 156 für Export
und 116 für Import. Der Gesammtverkehr umfasste 279,489 Tonnen und
21,161 Kubikmeter. Die Hauptrichtung unseres Exports zur See geht nach
dem Westen und darin liegt die grosse Bedeutung der ungarischen See-
sohiffahrts-GeseUschaft «Adria.»
Der Schiffsverkehr Fiumes im Jahre 1889 betrug: angekommen
5,158 Schiffe (2948 Dampf- und 2,210 Segelschiffe) mit 814,632 Tonnen-
gehalt (davon 114,270 Tonnen leer); ausgelaufen 5145Schiffe( 2932 Dampfer
und 2213 Segler) mit 825,948 Tonnen (davon 115,599 Tonnen leer). Gegen
1888 war die Zahl der Dampfer um 462, der Tonnen um 113,785 grösser;
dagegen die Zahl der Segler um 425, der Tonnen um 28,533 geringer; so
dass insgesammt der Schiffsverkehr sich blos um 37 Fahrzeuge mit 85,253
Tonnengehalt erhöht hatte.
Gegenüber jenem von Fiume ist der Schiffsverkehr der übrigen Seehäfen
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UNGARNS INDUSTRIE, HANDBL UND VERKEHR IM JAHKB 1889. 211
an der ungarisch-kroatischen Küste ein zanaeist wenig bedeutender. Es
verkehrten im Jahre 1889 in den H&fen :
Angekommen :
Aosgelanfan:
beladen
leer
beladen leer
Buccari
426
80
362 121
Portorö _.
1141
45
1182 8
Girqaenizza
911
51
857 101
NoTi
482
151
219 412
Selze
620
206
313 513
Zongg
762
103
786 54
San Giorgio
58
73
95 38
Stinizza
5
89
42 —
Jablanacz
76
19
18 77
Garlopago
173
5
156 22
Zasammen
4654
770
3830 1346
Bescheiden wie dieser Schiffsverkehr in den zehn ungarisch-kroati-
schen Küstenplätzen^ ist selbstverständlich auch der hierdurch vermittelte
Güterumsatz. Die meisten der ein- und auslaufenden Schiffe sind nur
Küsten- und Lokalfahrer und die grosse Anzahl der leer verkehrenden
Fahrzeuge beweist deutlich die Geringfügigkeit des hier betriebenen
Handels.
Ueberhaupt (und darauf weist auch der Minister nachdrücklich hin)
hemmt einen kräftigeren Aufschwung unseres Handelsverkehrs zur See
der Mangel an einheimischen Gapitalien sowie die geringe Initiative, der
schwache Unternehmungsgeist und der fehlende merkantilische Blick,
welcher über die engen Grenzen des unmittelbaren Verkehrs hinausreichend
die Verhältnisse, Bedingnisse und Fördemisse überseeischer Handelsbezie-
hungen aufzufassen, zu würdigen, zu pflegen und zu erweitem vermag.
Möge hierin das voranleuchtende Beispiel des ung. Handelsministers G. v.
Baross in den zunächst interessirten Kreisen die gewünschte frachtbare
Nachfolge finden !
Prof. Dr. J. H. Sohwiokbb.
14*
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212 BEZIEHUNGEN DES KÖNIGS MATHIAS COBVINUS ZU WIENER- NEUSTADT
BEZIEHUNGEN DES KÖNIGS MATHIAS CORVINUS ZU WIENER-
NEUSTADT UND DER CORVINUS-BEGHER.
Nicht lange nach dem Antritt seiner Regierung trat Mathias Corvinus
in Beziehungen zu der österreichischen Grenzfestung Wiener-Neustadt. Die
Bürger dieser Stadt besassen zahlreiche Weingärten auf ungarischem Gebiete,
insbesondere in der Oedenburger Gespanschaft, und zwar in solcher Aus-
dehnung, dass schon Herzog Albrecht III. (1378) eine Beschränkung dieses
Besitzes in fremdem Lande geraten fand. Diese Weinberge waren es auch,
welche den ersten Befehl (sowie die meisten folgenden) des Königs Mathias
zu Gunsten von Wiener-Neustadt veranlassten. Derselbe erfloss zu Oeden-
burg am 20. Juli 1463* und bedeutete den Dreissigsteinnehmern, von den
Neustädtem für ihre auf dem ungarischen Boden gebauten Weine keinen
Dreissigst mehr einzuheben, wie zuvor imberechtigter Weise geschehen
sei ; denn die Weinberge der Bürger von Wiener-Neustadt in Ungarn seien
von dieser Abgabe zufolge eines Privilegiums von König Ludwig (dem
Grossen) befreit. An demselben Tage ergeht auch an den Bischof von Raab
die Weisung, dass er von den Neustädtern für ihre ungarischen Bauweine
keine anderen Abgaben zu erheben habe, als von seinen inländischen Unter-
thanen. Da diese beiden Erlässe schon am nächsten Tage nach dem end-
giltigen Abschluss des Friedens zu Oedenburg zwischen Kaiser Friedrich III.
und König Mathias ausgefertigt wurden, so liegt die Vermutung nahe, dftös
der Kaiser selbst bei den Unterhandlungen, die bereits 1462 begonnen
hatten, die Sicherung der Rechte seiner Unterthanen in Ungarn, die durch
den vorausgegangenen Krieg gefährdet waren, in die Hand genommen habe.
Bei dem nächsten Erlass des Ungarkönigs für Wiener-Neustadt ist dies aus-
drücklich hervorgehoben: am 14. November 1468 trägt nämlich König
Mathias von Ofen aus den ZoUeinnehmem auf, den Bürgern von Wiener-
Neustadt, wenn sie ihre auf ungarischem Boden gebauten Weine abführen,
keine Abgaben abzuverlangen, wie es geschehen sei; nur die von den
genannten Bürgern in Ungarn gekauften Weine sollen der Besteuerung
unterliegen. Er gestatte jenes aus Ehrfurcht und aus Gefälligkeit (ob respec-
* Es findet sich im hiesigen Archiv wohl auch ein angeblicher Befehl des
Königs Mathias Dienstag nach Lukas 1458 in einer Abschrift aus der Mitte des 17.
Jahrhunderts. Die erste Vergleichung ergibt sofort, dass derselbe identisch ist mit dem
Befehle vom 20. Oktober 1478.
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ÜltD t)teB CORVn^S-BfeCHÄÄ. 213
tum et complacentiam) gegen den Kaiser, der sieb für Wiener-Neustadt ver-
wendet habe. Kaiser Friedrich residirte ja in dieser Stadt, und man konnte
sich daher gleich direct an ihn wenden. Zehn Jahre später, am 20. October
1478, abermals nach Beendigung eines Krieges mit Kaiser Friedrich EI.,
ergeht von Ofen aus neuerdings ein königlicher Befehl an den Hauptmann,
Bürgermeister, Eichter und die Geschwornen zu Oedenburg, welcher darauf
hinweist, dass in der vergangenen Weinernte abermals manche Weine von
Wiener-Neustädter Bürgern angehalten wurden, und der den Auftrag gibt,
dies fürder hintanzubalten.
n.
Das letzte Jahrzehent der Regierung des Königs Mathias ist von wie-
derholten Kämpfen gegen Oesterreich ausgefällt ; in diese Zeit fallt auch die
zweimalige Belagerung von Wiener-Neustadt 1486 und 1487 und die Ein-
nahme der Stadt im letzterwähnten Jahre zufolge eines Vertrages. Da näm-
lich trotz der wiederholten Zuschriften und Versprechungen des Kaisers
und seines Sohnes, des römischen Kaisers Maximilian, der Entsatz nicht
eintraf, und Wiener- Neustadt in Hungersnot geriet, so traf der Ungarkönig
mit der Stadt, vertreten durch ihren kaiserlichen Hauptmann Hans Wül-
fenstorflfer, durch Bernhard von Westernach, Karl Augspurger, Balthasar
Hagen, Siegmund Wienberger, Hans Kunigsfelder, sowie durch ihren Bür-
germeist-er Jacob Kelbel, ihren Stadtrichter Wolfgang Färstenberger und
den Rat, am St. Peter- und Paulstage die Vereinbarung, dass die Stadt nach
Ablauf von sieben Wochen sich ihm ergeben solle, falls es während dieser
Zeit nicht dem römischen Kaiser oder seinem Sohne gelinge, mit 3000
Wehrhaften den ungarischen Cordon zu durchbrechen, und ohne Unter-
stützung von Seite der Belagerten in die Stadt zu dringen. Der Besatzung
und ihrem Hauptmann und wer von Geistlichen oder Weltlichen mit ihnen
gehen wolle, wird freier Abzug mit Wehr und Waffen gestattet; doch sollen
sie, was des Kaisers sei, weder mit sich wegführen, noch vergraben, ver-
mauern oder sonst verbergen. Die Gerechtsame der Stadt verspricht der
König in ganzem Umfange zu belassen ; und was den Bürgern oder der
Geistlichkeit in Wiener-Neustadt Schadens an ihren Häusern, Weinbergen,
Wiesen, Aeckem oder anderem liegenden Besitze in diesem Kriege zugefügt,
oder was anderen gegeben worden seif das solle ihnen wieder zurückersetzt
werden. Auch wolle er sie mit ihrem Gesuche bezüglich des Ungelds und
bezüglich der Juden fgnediglich bedennckhen». Der Status quo solle von
deb Belagerten und von den Belagerern streng eingehalten werden.
Die Frist lief am 17. August ab, ohne dass das gehoffte Entsatzheer
sich zeigte, und so kam die Stadt in den Besitz des Mathias Gorvinus, und die
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il4r BEZIEHUNGEN DBS KÖNIGS MATHIAS CORVINUS ZU WlENER-NEUSTABf
Bewohner mossten ihm sofort huldigen und schwören. Boeheim * erzählt
nach Bonfin sehr ausführlich die darauf folgenden Feierlichkeiten, darunter
ein Faradegefecht auf der Haide. Etwa zwei kleine Wegstunden nördlich
von Wiener-Neustadt, in der Nähe des Dorfes Sobnau, ist ein derzeit viel-
leicht noch 2 M. hoher künstlicher Hügel auf dieser Haide, der nach der
Aussage des dortigen Grundbesitzers früher etwa doppelt so hoch war, in
dessen Innerem sich Quadern vorfanden und noch vorfinden sollen. Diese
Erhöhung heisst noch jetzt Eönigshügel und würde sich zu einer Ueber-
blickung des Steinfeldes besonders eignen. Allerdings lässt sich ein Zusam-
menhang mit Mathias Corvinus und seiner Anwesenheit in Niederösterreich
nicht weiter nachweisen, und von den über diesen Hügel gehenden Sagen,
die übrigens sämmtlich unhaltbar sind, erinnert keine an die fragliche Zeit
m.
Nun handelte es sich darum, die in den üebergabsbedingungen gege-
benen Zusagen zu erfüllen. Mathias Corvinus zeigte, dass es ihm Ernst mit
denselben gewesen war : er wollte jedesfalls die Burger von Wiener-Neu-
stadt, das ihm einen wichtigen Stützpunkt an dem Westufer der Leitba bil-
dete, für sich und seine Herrschaft gewinnen. Daher bestätigte er schon am
7. September 1487 alle Privilegien der Stadt, die sie je erhalten hatte. Wohl
konnte man nicht darauf rechnen, dass die Unterthanen des ungarischen
Königs in den Erblanden des Kaisers der Mautfreiheit, einer der ältesten
Begünstigungen von Wiener-Neustadt, hinfür werden geniessen können;
dafür wird den Neustädtem diese Freiheit in allen, von Mathias beherrschten
Landen — das Privilegium nennt Ungarn, Böhmen, Mähren, Schlesien —
für alle Zeiten gewährleistet ; auch werden ihnen alle Bechte zugestanden,
deren die freien Städte seiner Lande teilhaftig sind. Und falls etwa ein
Erlass seiner Vorgänger auf dem Trone hiemit im Widerspruch stände, so
solle derselbe den Neustädtern kein • schaden, abpruch oder Verletzung
bringen.»
Mathias gieng aber noch weiter. Schon vier Tage später (am 11. Sep-
tember) vergünstigte er den Bürgern der Stadt, dass sie von dem Wein-
gulden frei blieben, der für jeden fDreiling» Wein bei der bevorstehenden
Lese eingehoben werden sollte ; und zwar, i damit Sy aus dem verderben
darein Sy gesetzt, widerumb zu aufnemen komen», damit sie die Türme,
Mauern, Stadtwehren, die, wie der König selbst in der vorerwähnten Bestä-
tigung aller Privilegien sich ausdrückt, mit ciain zerrüttet und verwüstet
waren, wieder aufbauen können». Am 3. October trägt er dann allen unga-
* Ferdinand Carl Boebeims Chronik von Wiener-Neustadt, herausgegeben von
Wendelin Boeheim. I. Band. S. 150 tL
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ÜKD DER CORViKüS-BfiCHBR. 215
rifichen Beamten, Bebörden und ünterthanen auf, die Neust&dter wegen
ihrer Weinberge nirgends und in keiner Weise zu belästigen. Am 6. Juni
des folgenden Jahres ei^eht an den Vicegespan des Oedenburger Gomitats
Benedict von «Eysfalwd» und die Geschworenen wieder eine Weisung zu
Gunsten der Neustädter : trotzdem die Bewohner von Wiener-Neustadt gleich
denen von Ofen von jeder Zahlung von Steuern (tributi seu thelonii) durch
seine Huld befreit seien^ werden sie doch an manchen Orten des Gomitats
hiezu verhalten, worüber sich jene beschwert hätten. Von dieser Bedrängung
sei unbedingt abzustehen. Am 13. Dezember 1488 wird Wiener-Neustadt
neuerdings ein wichtiges Privilegium verliehen. König Mathias statuirt, dass
die Bürger der Stadt nirgends mit Leib oder Gut wegen irgend einer Fropess-
sache angehalten werden dürfen. Wer eine Forderung an einen der Neu-
städter habe, müsse sich an den Bürgermeister, Richter und Bat ihrer Stadt
wenden ; alle anderweitig über Leib oder Gut derselben geBchöpfte^ Urteile
haben nicht Kraft noch Geltung.
üebergehend auf die Gutmachung der Verluste^ welche Neustädter
Bürger durch den letzten Krieg erlitten haben, kommen wir zunächst auf
jene Häuser, welche durch die Belagerung der Stadt zerstört worden waren.
Aach in dieser Richtung that Mathias Gorvinus das Seinige, um die Nea-
anterworfenen für sich zu gewinnen. Schon am 4. September 1487 wurde
Leopold von Wehing auf Befehl des Königs für ein Haus in der Neun-
kirchnerstrasse an Gewähr geschrieben ; am 16. September wurde dem Bür-
germeister der Ststdt, Jacob Kelbel, für seine drei abgebrochenen (kleinen)
Häuser und «von Gnadenwegen» das Haus des Wilhelm von Auersperg
überlassen. Am 13. März 1489 ergeht dann von Wien aus eine Zuschrift
des Königs an den Rat von Wiener-Neustadt : es sei sein Wille, dass die
Mitbürger der Stadt, deren Häuser in den Vorstädten i^gebrochen wurden,
und die jetzt keine Unterkunft haben, jene Häuser und Gärten erhalten
sollen, die ihnen auf königlichen Befehl sein Kämmerer und Burggraf i Jan
Tartzay» ausgezeigt habe. Darauf hin werden am 18. März drei, am 19. März
vier Bürger, am 20. März eine Bürgersfrau mit ihren Kindern und am
5. Mai ein Bürger an Gewähr für die zugewiesenen Häuser geschrieben.
Am 3. März war der Stadtgemeinde selbst ein Haus verliehen worden :
auch sie hatte Verluste in den Vorstädten erlitten. Einige weitere An-
schreibungen am 6. und am 15. Mai veranlasste der königliche Stadthaupt-
mann «Fogam Fetter». Die betrefifenden Häuser rührten grösstenteils von
Männern her, die mit dem kaiserlichen Hof in Verbindung standen, so z. B.
von Georg von Herberstein, Pfleger zu Stixenstein, von dem Truchsess Ritter
Heinrieh Himelberger; und es kam bei diesem Wechsel der Stadt noch der
Umstand zu gute, dass Freihäuser, die von den Lasten der Gemeinde aus-
genommen waren, ihrer Sonderstellung entkleidet wurden. Auch die Ver-
leihungen des Ungarkönigs an sein eigenes Hofgesinde verwandelten eine
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21 ö BEZrBHUNGEN DBS KÖNIGS MATHIAS OORVINÜS Zu WIENER-NEüSTADf
Anzahl Freihäuser in mitleidende Häuser, die ins Gewäbrbnch eingelegt
wurden, und gereichten so der Stadt zum Vorteil. So wird am 25. Sep-
tember 1487 der königliche Schatzmeister «Bischof Urban zuErlacb» für
ein ehemaliges Freihaus als Besitzer im Gewährbuch angeschrieben, für
ein zweites ebenderselbe mit seinen Brüdern Blasius und Hans von
« Nagluche t. Am 16. October desselben Jahres weist das Gewährbuch die
Anschreibung des königlichen Secretärs Lucas Snitzer für das Freihaus des
•Gastelwartert, dann des königlichen Secretärs Nicolaus von Fuechau für
jenes des Grafen von Mantfort aus, wofür der Befehl am 11. September
ergangen war. An dem gleichen Tage, 16. October, kommt der königliche
Hauptmann Jacob Zeckler mit seinen Brüdern Nicolaus, Hans und Bene-
dict in Gewähr und Besitz des Freihauses, das dem Siegmund von Niedem-
thor gehört hatte (Befehl des Königs vom 15. October), und eben so wird
am 29. April 1488 der Hauptmann «Lassla Graf zu Eanyscha» an Gewähr
für ein Freihaus geschrieben, das dem Jacob von Emau gehört hatte. Fs
bleibt einzig die Eintragung des Hans Biedrer, königlichen Barbiers, von
11. August 1489, die ein Bürgerhaus betraf.
Was die Bemerkung in dem Vertrag anbelangt, der König werde der
Stadt wegen des Ungelds (vielleicht wegen Pachtung dieser Abgabe) und
wegen der Juden (vielleicht zum Zwecke der Einschränkung derselben)
gedenken, so können wir diesbezüglich nichts constatiren.
IV.
Mathias Corvinus soll überdies der Stadt Wiener-Neustadt sein eigenes
Bildniss und einen silbernen, vergoldeten Focal geschenkt haben. *
Bezüglich des ersten Stückes muss, abgesehen von allen berechtigten
Bedenken gegen das hohe Alter dieses Oelgemäldes auf Leinwand, das im
Museum von Wiener-Neustadt sich befindet, insbesondere betont werden,
dass die Schenkung des eigenen Conterfeis an neugewonnene ünterthanen,
deren Treue gegen die angestammte Dynastie der Eroberer selber rühmt,
gar nicht grossköniglich erscheint. Daher wollen wir dieses Geschenk nicht
weiter in Betracht ziehen. Was jedoch die Schenkung des erwähnten PocaJs
anbetrifft, so verdient dieser Punkt einer eingehenderen Berücksichtigung,
schon wegen des Kunstwertes des Objectes. Der Pocal ist allgemein unter
der Bezeichnung iCorvinusbechert bekannt. Und die Meinung, dass er von
dem Eroberer Mathias Corvinus an die Gemeinde Wiener-Neustadt gekom-
men sei, lässt sich etwas zurückverfolgen. So wird bei den Vorkehrungen
für das Friedensfest vom 3. October 1797 gesagt, dass bei der Tafel die
Gesundheit Sr. Majestät des Kaisers «aus dem grossen Silber- und vergol-
* Siehe Boeheim, Chronik, L Bd. 8. 153.
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UND bfiH CORVlNüS-BECäßB. 5*1 1^
deten Focal, welcher als ein Geschenk des Königs Mathias Corvinus in dem
Stadtarchive aufbewahrt wird», getrunken werden soll. Ebenso heisst es bei
dem Feste, welches zur Geburt des nachherigen Kaisers Josef U. gefeiert
wurde, * dass die Gesundheiten der fürstlichen Hoheiten «aus dem von dem
Hungar : König Mathias Corvinus der Statt Neustatt wegen dem Allerdurch-
lauchtigsten Erzhausz von Oesterreich vnverbrüchlich erzeigten Treu und
Tapfrer gegen wöhr annoch im Jahr 1462 zum ewigen andenkhen Verehrten
Kostbahren groszen Silber und Vergolten Pöcal, dessen Deckl eine Crone
darstellet, worinnen dessen Portrait und Jahreszahl zusehen, getrunkhen
worden.» Hier erhalten wir zugleich Einblick in die Meinungen, die man
sich über die Formen an dem Focale damals schon gebildet hatte.
Wenn sich eine Belegstelle auch nicht weiter nachweisen lässt, so ist
doch so viel sicher, dass man im vorigen Jahrhundert ein Trinkgefäss von
solchen Dimensionen, das mehr als drei Liter fasst, nicht mehr «Corvinus-
becher» genannt hätte, wie ja die angezogenen Notizen zeigen. Und bei dem
Umstände, dass derartige Zusammensetzungen kaum ein Bestimmungswort
abstossen, um ein anderes anzunehmen, kann die Sache viel weiter hinauf
als belegt angesehen werden, gewiss bis in die Zeit so grosser «Becher».
Ueber die Abnahme der Grösse der Becher schon im XVI. und noch mehr
im XVn. Jahrhundert können wir uns hier als zu weit ab führend, nicht
einlassen.
Und nun wollen wir an die Frage herantreten, ob wirklich Mathias
Corvinus den Bürgern von Wiener-Neustadt den Becher geschenkt haben
kann. Wir sind hier natürlich bei dem Mangel schriftlicher Anhaltspunkte
auf blosse Vermutungen angewiesen und kommen im günstigsten Falle zu
einer Wahrscheinlichkeit. Zu diesem Zwecke wird es notwendig, eine kurze
Beschreibung des Pocals mit allen seinen Schrift- und Wappenzeichen
voranzuschicken.
Der Corvinusbecher ist ein grosser, etwa 80 Cm. hoher Silber-Pocal
mit Deckel, stark vergoldet, voll reich aufgesetzter Ornamentik aus vergol-
detem Silberblech und mit verschiedenfarbigem Drahtemail. ** Der Fuss
hebt dreiteilig an, indem die Basis einen Sechspass von 17 Cm. Durch-
messer bildet, zieht sich sofort ein, zuerst concav, dann vertical aufsteigend,
und wird in diesem letzteren Teile etwa 1*5 Cm. breit durch ein breites
Emailband bedeckt, das auf dem hellblauen Grunde an einer fortlaufend
gewundenen Draht-Banke grüne fünfblättrige Blütenkelche mit rotem stark
hervortretenden, etwas gebogenen Griffel und kleine längliche (grüne)
Blätter trägt.
* RaisprotokoU 741, Pol. 73.
** Auf die einzelnen zahlreichen Abbildungen des Corvinus-Bechers braucht
wohl nicht verwiesen zu werden.
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4l8 BEZIEHUNGEN DES KÖNIGS MATÖIAÖ CÖRVimJS ZU WlENteB-NEÜSTAl)t
Von den sechs Winkeln der Basis legen sich Distelblätter an das Ejmail
herauf. Oberhalb dieses Bandes verengt sich der Fuss durch sechs Bund-
buckel in Form von Eugelsegmenten^ über welche von innen ausgehend eine
schmale, steile Erhöhung nach beiden Seiten fort- und hinablauft, zu dem
eigentlichen Ständer. Zwischen diesen Buckeln und an deren innem Enden
sind zwei Beihen, also zwölf, kleine Drachengestalten nach Art der gothi-
sehen Wasserspeier aufgenietet. Der Ständer ist 14*5 Gm. hoch, anfänglich
ebenfalls sechsseitig und in gleicher Weise emaillirt, wie früher angedeutet ;
er geht sodann in die Kreisform über, innerhalb welcher er einfach durch
blaues Email bedeckt ist, und wird unmittelbar unter dem Wulst, der das
Bindeglied mit dem eigentlichen Focalleib bildet, durch ein zweimaliges
abwärts fallendes und sich erweiterndes Distelomament eingefasst, das den
Knauf des Ständers vertritt. Das obere dieser Blattomamente zeigt vier
Kletten und bildet so den Uebergang aus dem dreiteiligen in den vierteiligen
Bhythmus, welcher den Becher selbst beherrscht. Der eigentliche Focal
beginnt mit zweimal acht Buckeln und verengt sich im Verlaufe derselben
etwas. Die unteren sind gehalten und verziert wie jene am Fusse, die oberen
verflachen sich allmählich nach aufwärts und laufen zu einer Spitze zu, so
dass von der Guppa des Bechers acht gleiche Buckel zwischen dieselben ein-
laufen. Mit diesen beginnt die Ausweitung des Leibes, die sich in acht neuen
Buckeln über den letzterwähnten kräftig fortsetzt und abschliesst. In den
Vertiefungen zwischen den Buckeln dieser vier Reihen der eigentlichen
Focalhöhlung sind selbstredend wieder Ornamente sichtbar. Bei den zwei
unteren und der ersten oberen Reihe begegnen wir den früher erwähnten
Drachengestalten; zwischen die acht obersten Buckel fallen Distelblätter
herab, die über diesen an einem mehrfachen gedrehten Silberdraht sich um
die Cuppa ziehen und den ornamentirten Becher von jenem Rande trennen,
der den Deckel aufnimmt. Die oberste Buckelreihe ist durch eine Emaillirung
auf eigenem Grunde überdeckt, zwischen welcher die vergoldete Fläche
glänzend hervorblickt. Dieses Email zeigt in der Mitte jedes Buckels einen
grösseren Blütenkelch mit fünf Blättern und mit sehr starkem Griffel, rings
um denselben kleinere ähnlich gestaltete Blüten und Blätter. Der Kelch der
grossen Mittelblumen hat, wie es scheint, dunkelblaues Email, das Centrum
ist entweder blaugrün mit rotem Griffel oder rot mit blaugrünem Griffel ; die
Kelche der kleineren Blumen sind dunkelgrün oder blaugrün, der Griffel rot,
die Blätter der Pflanze selbst (natürlich) grün.
Der Deckel des Pocals, der in der That eine Krone bildet, ist zu unterst
zwischen zwei mehrfachen Silberdrähten wieder von einem 1*5 Cm. breiten
Emailband umgeben, gleich jenem am Fusse, nur sind die Blätter des Blüten-
kelches rot, die Griffel blau. Mitten in diesem Email sind überdies im
ganzen Umfange sechs Blüten eingesetzt, bestehend aus je sechs schmalen
am Ende etwas gefaserten Blättern von SUberblech, vergoldet. Von diesem
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Xn^D DiSR CÖRVnJtJS-BECfifeR. ^lö
Bande erhebt sich abermals ein Distelomament^ die Krone^ ringsum sechzehn
grössere und dazwischen sechzehn kleinere Ereuzformen bildend ; inmitten
der letzteren begegnen wir je einem Blumenkelch aus Silberblech mit sechs
Blättern und äberstarkem Pistill. Von da schliesst sich der Deckel durch
zweimal acht Buckel mit denselben steilen Falten- Erhöhungen wie früher
rasch, wie der Fuss zu einem Stengel zusammen, die Vertiefungen zwischen
den Buckeln gleichfalls mit zwei Drachenreihen ausfüllend. Der schlank auf-
schiessende kreisförmige Stengel 23 Cm. hoch, wird durch einen breit vor-
tretenden Wulst in zwei Hälften geteilt und durch einen eben solchen oben
abgeschlossen. Er ist einfarbig dunkelblau emaillirt. Die bekannten Distel-
omamente umkleiden die untere Hälfte, nach abwärts fallend, umfassen
sechsstrahlig von unten und von oben den Mittelwulst und breiten sich vor
der oberen Hälfte nach der Bildung von drei Kletten über die ünterfläche
des zweiten abschliessenden polsterartigen Wulstes aus, denselben in sechs
Zweigen tragend, so dass in dem obersten Teile das Eunstgebilde zu dem
dreiteiligen Rhythmus des Fusses zurückkehrt. Die Oberfläche dieses Polsters
bedeckt ein Stern mit zehn Strahlen, auf welchem ein Bitter mit blossem
Haupte kniet. Stern und Ritter möchten wir auf ihre Originalität nicht zu
strenge prüfen. Die Rittergestalt hält in ihrer Rechten schief aufwärts ein
gestieltes Herz, auf dessen einer Seite wir die Jahreszahl 1. ^ 6. 2. erblicken,
während die andere halbgestielte Seite rechts (heraldisch) das AEIOV und
den Doppelaar des Kaisers, links den Schriftzug M und den Raben mit dem
Ring im Schnabel zeigt. Noch bleibt des länglichen, nach unten in einem
geschweiften Bogen endigendes Schildes zu erwähnen, der im Innern an dem
Scheitel des Deckels sich vorfindet. Dieser Schild in kreisförmigem Medaillon
trägt eine bartlose Heiligengestalt (bis zur Brust), mit goldenem Haar und
Heiligenschein ; das Gewand und der Schildgrund sind von rotem Email.*
Ueberdies hat der unterste Rand des Deckels innen die Zeichen FI in der
nebenstehenden Form. |^^B Diese Zeichen kehren in der gleichen Weise an
der Innenseite des Fusses wieder, wo wir auch nicht weit hievon entfernt eine
Andeutung über das Silbergewicht des Bechers finden : MR XIII %ül XI.**
Mit der Erwähnung eines Z, das in nebenstehender Form am äusser-
^ Der Annahme, dass hier das Porträt des Königs Mathias vorliege, wie die
Noüz von 1741 meint (s. o.), fehlt jede Begründung, und der Heiligenschein spricht
dagegen.
** Verfasser sieht sich genötigt nach genauer Untersuchung der betrefifenden
Zeichen sich diesbezüglich der Meinung Boeheims (Chronik I. S. 154) und Dr. Ho-
mers (Arch. Ert. 1869) anzuschliessen, im Gegensatz zu einer früher abgegebenen
(Correspondenzblatt des Vereins f. siebenb. Landeskxmde 1889, Nr. 2).
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i^
BEZIEHUNGEN DES KÖNIGS MATHIAS COEVINUS ZU WIENEB-NÄUSTAbT
sten Uande des Fusses eingeschlagen ist^ sind die Schriftzeichen
auf dem Corvinus-Becher erschöpft; die im Ratsprotocolle von 1741
(s. o.) erwähnte Jahreszahl im Innern des Deckels findet sich nicht*
Am Schlüsse der Beschreibung müssen wir noch bemerken, dass der
Becher mannigfach schadhaft ist. So fehlen sämmtliche Drachengestalten
an der unteren Hälfte des Pocalleibes, so ist das blaue Email (an der oberen
Hälfte des Ständers, an dem ganzen Stengel der Krone, in den Kelchblättern
der grossen Blumen, an den Buckeln der Cuppa) zum allergrössten Teile ver-
schwunden. Die übrigen Emailfarben haben sich besser gehalten, sind jedoch
auch nicht schadlos. Das gestielte Herz ist ganz neu, eine Arbeit des Gold-
schmiedes F. Beger, doch versicherte dieser dem Verfasser dieser Zeilen,
dass er die Zeichen genau so gemacht habe, wie sie auf dem alten Herzen
gewesen seien. Soweit die Ziffern der Jahreszahl ein Urteil zulassen, kann
man diese Aussage im grossen Ganzen als verlässlich ansehen.*
Nun zur Deutung. — Die Buchstaben und Wappenzeichen auf dem
Herzen sprechen für sich selbst. Nach denselben muss der Becher in Berüh-
rung stehen mit einer Action, welche den Kaiser Friedrich IH. und den
König Mathias Gorvinus zugleich betrifft. Schon die Deckelkrone weist auf
derartiges hin. Und für diese Action gibt uns die Jahreszahl 1462 den Fin-
gerzeig. In diesem Jahre endeten nämlich die Feindseligkeiten der beiden
Fürsten. Am 4. März 1459 hatte Friedrich HI. die von einer Gegenpartei des
Mathias ausgegangene Wahl zum König von Ungarn angenommen ; die St.
Stefanskrone war noch in seiner Hand. Es handelte sich somit bei den
Friedensverhandlungen des erwähnten Jahres in der That um hochwichtige
Angelegenheiten: um den Verzicht Friedrichs HI. auf den ungarischen
Tron, um die Herausgabe der Krone, auch um die Nachfolge in Ungarn,
für welche ja das Haus Habsburg alte Erbeinigungen besass. Ein dauernder
Friede sollte fortan zwischen beiden Fürsten herrschen ; und es lässt sich
wohl denken, dass man den Friedensschluss durch ein Versöhnungsfest
feiern und den Umtrunk halten wollte, zu welchem Zwecke nur ein neuer
prächtiger Becher dienen konnte. Wir wollen wenigstens vorübergehend
auch auf die Pflanzensymbolik aufmerksam machen, die in dem ganzen
Zierat des Bechers zu liegen scheint, und die im Mittelalter keine geringe
Bolle spielt.
Die fünfblättrigen Blüten kelche der Emailbänder sind vielleicht
durch Nachbildungen des Jelänger-jclieber (Solanum dulcamara) oder des
* Wir können wohl in gleicher Weise annehmen, dass etwaige frühere Kepa-
raturen an dem Becher die Zeichen nicht geändert haben werden.
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UND DEB CORVINÜ8-BECHBR. 221
Johanneskrautes (Hypericnm perforatum) entstanden. Beide sollten gegen
Zauberei und Anfechung schützen, weshalb sich die weite Verbreitung der
Floren erklären würde. Die Kletten versinnbilden die Anhänglichkeit; ; zwi-
schen alle anderen Blumen und Ornamente hinein legt sich beherrschend
die männliche Tüchtigkeit der Distel. Manche Formen sind wohl allgemein ;
einzelne scheinen jedoch speciell dem Becher angehörig und verdienen wohl
Beachtung. Insbesondere aber predigt der heilige Evangelist Johannes, als
welcher am ehesten jene Figur im Innern des Deckels aufzufassen ist, den
Vertragschliessenden die Liebe.
Die vorausgegangenen Erwägungen als richtig angenommen, gelangen
wir zu dem weiteren Ergebnisse, dass einer der beiden genannten Herrscher
die Anfertigung des Pokals veranlasst habe. Dieser Auftraggeber aber ist mit
Wahrscheinlichkeit an dem Kunstgegenstande genannt : er findet sich auch
bei Kunstwerken jeder anderen Art aus jener Zeit viel regelmässiger verewigt
als der Künstler. Erinnern wir uns denn des F I im Innern des Deckels und
des Fusses vollkommen an richtiger Stelle, so können wir diese Buchstaben
nur Fridericus Imperator lesen. Dass der Kaiser, der höchste aller weltlichen
Fürsten, als Auftraggeber erscheinen werde, war im voraus zu vermuten.
Man kann nicht einwenden, dass Kaiser Friedrich ein karger Mann war, der
eine solche Ausgabe schwerlich gemacht hätte. Ihn auch bei aussergewöhn-
lichen Anlässen, wie bei dem vorliegenden, eines Aufschwunges für unfähig
halten, hiesse ihn vollständig zum Filz stempeln, und das war er wahrhaftig
nicht. Ueberdies war für die Auslieferung der ungarischen Königskrone ein
hohes Lösegeld in Aussicht gestellt, so dass auch die immerwährende Geld-
verlegenheit Friedrichs HE. hier wegfällt. Ist der Versöhnungspocal auf
Gebot des Kaisers gefertigt, so ist beinahe selbstverständlich, dass derselbe
in der Besidenz Wiener Neustadt entstanden ist, wo sich damals das Gold-
schmiedhandwerk einer hohen Entwicklung erfreute, wo von mehreren Mei-
stern dieses Handwerkes (z. B. Heinrich Maierhirsch, Wolfgang Nachschuss)
durch vereinzelte Urkunden direct bewiesen werden kann, dass sie für den
Kaiser gearbeitet haben. Es bleibt wirklich an dem Becher noch ein Zeichen
für den Künstler übrig, wieder an richtiger Stelle, jenes Z nämlich an dem
äusseren Bande des Fusses. Bei der Aufsuchung des Namens müssen wir uns
vergegenwärtigen, dass die Technik des Pocals mit ungarischen Schulen jener
Tage, und zwar nach Dr. J. Hampel * mit der oberungarischen und der Press-
burger Schule eine grössere Gemeinsamkeit hat. Der Forderung, eine solche
herzustellen, entspricht einzig der Goldschmied Wolfgang Zulinger, und zwar
in folgender Weise : Seit dem Jahre 1431 wird in Wiener Neustadt ziemlich
* Siehe dessen eingebendes interessantes Büchlein t Das mittelalterliohQ Draht-
email.» Dort sind auch einzelne Details der Ornamentik des Corvinus-Beohers abge-
büdet (S. 23.)
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222 BEZIEHUNGEN DES KÖNIGS MATHIAS CORVINUS ZU WIENER- NEUSTADT
oft ein Goldschmied Siegmund Wallach * genannt, der hier nach und nach
eine hochangesehene Stellung erreichte, ein bedeutendes Vermögen besass
und zu Anfang des Jahres 1450 starb.
Schon sein Name lässt auf eine rumänische Abkunft schliessen. Durch
eine Sippschaftsweisung seiner Geschwisterkinder, veranlasst durch die Erb-
schaft nach Siegmund's Tode, wird dies auch bestätigt : er bat nämlich diese
Verwandten in Langenau, Gimpolung in der Walachei, nicht weit von der
Grenze Siebenbürgens, und mehrere Zeugen sagen aus, dass daselbst die
Verwandtschaftsverhältnisse des verstorbenen Wiener Neustädter Meisters
hinreichend bekannt seien. Es mag sich Siegmund auf die Wanderschaft
begeben, daselbst die ungarischen Werkstätten kennen gelernt und sich end-
lich in Wiener Neustadt dauernd niedergelassen haben. Seine erste Frau war
Elisabeth, und ihre Schwester Ghristina war ebenfalls mit einem Kunst-
handwerker Hans Schwertfeger vermählt, dessen Sohn Wolfgang das Gold-
schmiedhandwerk erlernt. Es liegt nahe zu glauben, dass dies bei dem
Gemahl seiner Tante geschah. Obwohl nun zufallig der Familienname dieses
Wolfgang nie an einer solchen Stelle genannt wird, aus welcher sich dessen
Verwandtschaft unmittelbar festsetzen liesse, und obwohl in der zweiten
Hälfte des 15. Jahrhunderts nicht wemger als vier Goldschmiede mit dem
Namen Wolfgang in Wiener Neustadt erwähnt werden, so lässt sich doch
durch Verfolgung aller einschlägigen Notizen mit Sicherheit aussprechen, dass
der Neffe Elisabeth's nur Wolfgang Zulinger sein kann.** Auf dem gleichen
Wege lässt sich erweisen, dass Wolfgang Zulinger mit der Witwe Anna, der
zweiten Frau des Siegmund Wallach, sich verheiratete. Das kann als ein
Mitbeweis dafür dienen, dass er in der Werkstätte Siegmund*s sein Hand-
werk erlernt hat. Wolfgang Zulinger war schon 1457 Kirchmeister, zu wel-
chem Amte man gern tüchtige Goldschmiede nahm : auch Siegmund Wal-
lach war viele Jahre Kirchmeister von Zemendorf, einem Vororte von
Wiener Neustadt gewesen.
VI.
Die Friedensverhandlungen zwischen Friedrich m. und Mathias
gingen nicht so rasch von statten, als vielleicht zu hoffen gewesen war ; die
Ungarn wollten dem getroffenen Vergleiche ihre Zustimmung nicht geben.
So verrauchte die Begeisterung, und ak der Friede, erst am 19. Juli 1463,
zu Oedenburg abgeschlossen wurde, fand der Frachtpocal vielleicht nicht
* Siehe hierüber den Artikel des Verfassers «Siebenbürger in Wiener Neu-
stadt . . . .• in dem Gorrespondenzblatt des Vereines für siebenbtlrgisohe Landes-
kunde 1889, Nr. 2.
** Siehe den citirten Artikel des Verfassers.
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UND DER CORVINHö-BECHER. 22.^
einmal die ihm zugedachte Verwendung — war ja der Kaiser schon wieder
durch andere Sorgen in Anspruch genommen. Mochte man sich desselben
indees bedient haben oder nicht, jedesfalls kam der Pocal in die Burg zu
Wiener Neustadt und blieb daselbst. Und als Mathias Gorvinus im Jahre 1487
Herr der Ststdt wurde^ musste auch der Becher in seine Oewalt kommen.
Wenn der König denselben — etwa bei der Huldigung — den Bürgern über-
gab^ so konnte er auf die vereinigten Embleme, auf die einstens abgeschlos-
sene dauernde Versöhnung hinweisen^ gemäss welcher ja nach dem Tode
des Mathias (ohne Erben) die Dynastie der Habsburger auf dem ungarischen
Trone folgen sollte; lauter Momente, welche etwas zur Gewinnung der
Bürger von Wiener Neustadt für seine Herrschaft beitragen konnten. Und
damit wäre die Bezeichnung «Corvinus-Becher» erklärt.
vn.
Was die Halskrause, das Barret, den Sattel und das Reitzeug des
Königs betrifft, die sich gleichfalls im Museum von Wiener Neustadt befin-
den, so sind diese erst im vorigen Jahrhundert dorthin gekommen.* Sie sol-
len an einem ßeiterstandbilde gewesen sein, mit dem der siegreiche Ungar-
könig die Kirche der Burg in Wiener Neustadt geziert habe. Dies wäre
zugleich die letzte Beziehung, die Mathias zu Wiener Neustadt gehabt -und
zu einer dauernden gemacht hätte. Vor der Frage, wie man das Standbild
beinahe drei Jahrhunderte in der Burg zu Wiener Neustadt stehen lassen
konnte^ eilischt unsere Aufgabe. Dr. Jos. Mater.
DER URSPRUNG DES AR6IRUS-MÄRCHENS.
Ea ist wohl keine seltene Erscheinung, dass poetische Producte des
einen Volkes zu einem anderen hinwandem, dort durch den Zusammen-
stoss and die Berührung verwandter Bildungselemente die ursprüngliche
Form verlieren, umgebildet, verschmolzen werden, oder, wenn keine ver-
wandten Bildungselemente vorhanden sind, der entlehnte Stoff unverändert
bis in die untersten Volksschichten dringt. Und bei Völkern, welche seit
Jahrhunderten auf derselben Erdscholle zusammen wohnen, wie Ungarn
und Rumänen, ist ein gegenseitiger Einfluss, ja ein direktes Entlehnen
poetischer Producte, besonders der Volkspoesie, etwas fast Selbstverständli-
ches. Wenn dann der Literarhistoriker daran geht, eigenes und fremdes
* Boeheim, Chronik I. S. 153.
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224 DER ÜB8PRÜNG DES ARGIRÜ8-MÄRCHBN8.
Gut ZU unterscheiden, so stösst er oft auf Partien^ die er mit einem Frage-
zeichen versehen muss, — die Literaturgeschichte hat eben auch ihre Pro-
bleme. Ein solches Problem nun bildet auch die Geschichte des Argirus,
welche heute ein gemeinsames Eigentum des rumänischen und ungarischen
Volkes ist. Welches hat vom andern entlehnt ?
In ungarischer Sprache erschien die Geschichte des tArgirus» von
Albert Gergei am Anfange des XVIII. Jahrhunderts im Druck; in rumäni-
scher Sprache dagegen erst am Anfange unseres Jahrhunderts von loan
Barac, und zwar unstreitig nach Gergei bearbeitet. Nach diesen Thatsachen
schien die Frage^ wie die Geschichte des «Argirus» bei den Rumänen popu-
lär wurde, eigentlich von selbst gelöst: durch Barac's Bearbeitung des
Gergei*schen Stoflfes.
Ganz andere Schwierigkeiten dagegen bot die Frage, woher Gergei
den Stofif genommen hat ? Er selbst gibt an, denselben einer italienischen
Chronik entlehnt zu haben, wenigstens kann man seine Worte so verste-
hen, denn er sagt in der dritten Strophe: «Wo die Burg des Argirus war,
weiss ich nicht, in der Chronik aber lese ich, dass sie im Feenlande gelten
seL» Welcher Art nun die Chroniken waren, die er las, gibt er in der
ersten Strophe an, er wo sagt : «üeber das Feenland habe ich Vieles in den
itaUenischen Chroniken gelesen, die ich ins Ungarische übersetzt habe.»
Aus diesen Aeusserungen könnte man ohne Weiteres schliessen^ dass auch die
Geschichte des «Argirus» aus einer italienischen Chronik stamme. Da man aber
diese Chronik bis heute nicht finden konnte, so hegt man mit Becht Zweifel
an der Richtigkeit der Aussagen Gergei's. Die Frage über die Quelle des
Argirus in der ungarischen Literatur ist somit unentschieden, und ich
glaube, sie wird so lange unentschieden bleiben, als man die Geschichte
des «Argirus» nicht näher ins Auge fasst, wie dieselbe im Munde des rumä-
nischen Volkes lebt ; aus einem Vergleiche zwischen dem rumänischen und
ungarischen Stofife dürfte man eher die Quelle dieses Märchens entdecken,
als durch das Suchen nach einer italienischen Chronik. — Wir wollen im
folgenden diesen Versuch anstellen.
Im Jahre 1856 erschien in Berlin ein Buch von Josef Haltrich:
«Deutsche Volksmärchen aus dem Sacbsenlande in Siebenbürgen.» In der
Einleitung äussert sich Haltrich auch über die rumänische Volkspoesie wie
folgt: «Es ist doch merkwürdig, dass sich kein Rumäne gefunden hat, die
epische Volkspoesie zu sammeln und die grossen geistigen Schätze, die in
der rumänischen Volkspoesie verborgen sind, ans TagesUcht zu fördern und
sie vom wissenschaftlichen Standpunkte zu erläutern. » Nun, gesammelt hat
man sie wohl, aber sie vom wissenschaftlichen Standpunkte zu erläutern,
das ist schwieriger, und zwar aus folgenden Gründen : Wer sich nur flüch-
tig mit der epischen Voikspoesie der Rumänen befasst hat, der muss unbe-
dingt Eines wahrgenommen haben: dass die epische Volkspoesie der
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DER URSPRUNG DES ARGIRUS-MÄROHBNS. 225
Bumänen, aIso die Märchen, Erzählungeiii Balladen, besonders aber die
sogenannten «Colinde,» d. h. Weihnachtslieder, einen eigentümlichen,
dunklen, mystischen Gharakterzng an sich tragen. Schon die Namen der
einzelnen Helden klingen höchst merkwürdig, z. B. «Serean und Diorean»,
«Fata din Daphin» (das Mädchen aus Daphin), «ImperatulDaphin» (Kaiser
Daphin), «Delia Damian», «Beana Sandiana» oder «Beana Gosandiana»,
•Argir» etc. Man wusste schlechterdings nicht, was man mit diesen exoti-
schen Namen anfangen solle, woher sie stammen, was sie bedeuten ? Und
vielleicht wäre man auch heute in Bezug auf Vieles im Unklaren, wenn
nicht, so zu sagen, das Volk selbst den Gelehrten Aufschluss in diesem Punkt
ertheilt hätte. Diese Märchen und Erzählungen haben nämlich die Eigen-
tümlichkeit, dass sie ausserordentlich viele Varianten aufweisen, so dass
z. B. unter den 190 Märchen, die Dr. Atanasie Marienescu gesammelt hat,
kaum 80 selbstständig sind ; die übrigen sind alle Varianten der einen oder
der anderen Erzählung. Diese Varianten liefern sozusagen den Schlüssel
zum Qeheimniss, denn wo in der eigentlichen Erzählung vieles dunkel und
unverständlich ist, darüber erteilen die Varianten oft vollständigen Auf-
schluss. So wurde es mögUch, mittelst dieser Varianten das constitutive
Element der rumänischen Volksmärchen festzustellen. Dieses Element ist
die griechisch-römmhe Mythe. Nicht nur die Bumänen, auch Fremde haben
dieses erkannt. Die Brüder Arthur und Albert Schott haben im Jahre 1845
in Stuttgart ein Werk eben drucken lassen: a Walachische Volksmärchen.»
In der Einleitung heisst es: «Die uralten Dichtungen eines Volkes, dessen
Schicksal eng verknüpft ist mit dem Schicksal der Brüder in Italien, ....
finden Widerhall in den Traditionen über die Götter des Altertums.» In
diesem Punkt, kann man sagen, ist heute jede Discussion ausgeschlossen,
nur über die Frage können die Meinungen auseinander gehen, welche
Bolle des Helden in der Mythologie der Bolle des Helden im Märchen
entspricht und umgekehrt, also nicht die mythischen Elemente erst con-
statiren , sondern diese Elemente richtig anwenden, das ist die Aufgabe.
Und auf diesem Gebiete hat sich, meines Wissens, Dr. Atanasie Marienescu
vor Allen das meiste Verdienst erworben.*
Unter den zahlreichen Märchen, die bis jetzt bei den Bumänen gesam-
melt wurden, bildet die Geschichte des Argirus und der Helena den Glanz-
punkt, was auch daraus zu ersehen ist, dass man von dieser Geschichte bis
jetzt nicht weniger alz !21 Varianten kennt, die im Munde aller Bumänen
leben : in Ungarn, Bukowina, Bumänien, Macedonien. In allen diesen Va-
rianten heisst die Heldin Bena oder Jana, mit dem Beinamen Gosandiana
oder Sandiana, der Held dagegen Argir oder Fet frumos oder Petrus. Wie
eine und dieselbe Person unter verschiedenen Namen vorkommen kann und
* Siehe die diesbezügliohen Publikationen in der AWina, 1870 — TL
Ungarische Bem«, XL 1891. HL HofL ]5
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22b DER UB8PBXJKO DER AROIRUS-MABCHENS.
was dieselben bedeuten, werden wir später sehen. Vorerst ist es notwendig,
den Inhalt dieses Märchens, wenn auch nur in allgemeinen Zügen kennen
zu lernen, und zwar in der Gestalt, wie Gergei und Barac uns dasselbe
überliefert haben, da wir von ihnen aus unsere weiteren Untersuchungen
anstellen wollen.
Argir ist der jüngste Sohn eines mächtige Königs, Namens Adeton. Im
Feenlande steht sein Reich. Dieser König bekommt plötzlich in seinem Garten
ein seltsames Wunder zu sehen : einen Apfelbaum, der am Tage blüht, in der
Nacht schon goldene Früchte trägt, die aber mit dem Morgengraaen jedesmal
spurlos verschwinden. Erbost, dass er die Aepfel nie zu Gesicht bekommen kann,
lässt er eines Abends Wächter anstellen, um den Bäuber zu ertappen. Wie erstaunt
er aber, als er am andern Morgen die Wächter alle schlafend findet. Zur Bede
gestellt, antworten sie, dass gegen Morgen ein Wind gekommen sei, so sanft und
berückend, dass sie alle todesähnlich eingeschlummert wären. — Nun lässt der
König einen Hofwahrsager holen, der ihm das Geheimniss entdecken soll. Der
Zauberer verkündet, dass nur des Königs 8ohn in diese Sache licht bringen könne,
er solle unter dem Baume Wache halten. Dieses geschieht ; des Königs ältester
Sohn steht Wächter, aber am Morgen findet man ibn ebenfalls schlafend. Dasselbe
geschieht mit dem zweiten Sohn. Schon hat der König, ergrimmt, den Zauberer
köpfen lassen, als Argir, der jüngste Sohn, sich die Erlaubniss erbittet, auch sein
Glück zu versuchen. Mit Widerstreben geht der König auf seinen Wunsch ein und
Argir begibt sich in den Garten. Er sieht den Baum grünen, Knospen treiben,
sieht, wie die Aepfel schon spriessen, grösser und immer grösser, dann dunkel-
rot werden — als plötzlich sechs Pfauen herbeifliegen, zuletzt ein siebenter, der
sich zu Argir's Haupt niederlässt. Dieser streckt hastig die Hand nach ihm ans,
erfasst ihn, während die anderen sechs davonfliegen. Plötzlich schüttelt der Pfau
sein Gefieder, ahmt Menschenstimme nach — und vor dem erschreckten Argir
steht ein wunderschönes Mädchen, dessen goldene Haare bis zu den Füssen herab-
wallen. Das Mädchen erzählt nun, dass sie den Baum in den Garten gepflanzt
habe, Argir zu Liebe, und dass sie aus ihrem fernen Lande gekommen sei, sich
ihm zum Geschenke zu geben. Unter süssen Worten schlafen sie ein.
Die Königin Mutter indess, vor Begierde brennend, das Besultat ihres
Sohnes zu erfahren, schickt schon am frühen Morgen eine Dienerin in den Garten,
um ihr Nachricht zu bringen. Als die Dienerin die goldenen Haare des schlafen-
den Mädchens sieht, schneidet sie hastig ein Büschel ab und läuft damit athemlos
zur Königin. Unterdessen erwacht die Fee und als sie ihr Haar verunziert sieht,
bricht sie in Wehklagen aus ; umsonst sucht sie Argir zu besänftigen, sie kann die
Schande nicht vergessen und ist fest entschlossen, ihn wieder zu verlassen. Da
alle Torstellungen vergebUch sind, bittet Argir schUesslich, sie möge ihm ange-
ben, wo ihre Burg hege, denn er will sie daselbst aufsuchen. Doch sie spricht:
«Was auch nützt dir's, wenn ich*s sage?
Da kein Mensch es anzufangen
Wüsste, dorthin zu gelangen.
Denn du wirst der Schwarzburg wegen,
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DEi; URSPRUNG DEH ARGIRUS-MÄRGHENS. ^^7
Die gen MiUernaoht gelegen,
Magst da dich auch no'ob so plagen,
Jedermann vergeblich fragen ;
Sollst den Ort du auch ergründen,
Eine Sprache dir ihn künden,
Jeder wüsst' es dort, gelingen
Kann dir's nicht, zu mir zu dringen.!*
Und damit schwingt sie sich von der SteUe. Argir zieht nun in die Welt
hinaus, seine Braut aufzusuchen. (Bei Gei-gei geben ihm seine Eltern einen Diener
mit, bei Barac lassen sie ihm ein mutiges Pferd satteln ; so zieht er vom Haus.)
lieber Berg und Tal wandernd, gelangt er nach vielen Drangsalen in eine
Wildniss, wo ein Biese haust, ein einäugiges Menschen -Ungeheuer. Bei diesem
erkundigt sich Argir nach der Schwarzburg. Der Biese erwidert, er habe nie davon
gehört, doch solle er bis Morgen warten, es kämen zu ihm die Zwerge, einer unter
ihnen müsse ihm sicherlich Auskunft; erteilen können. Bei Oergei erwartet der
Riese nicht die Zwerge, sondern die Feen, und als diese keine Auskunft erteilen
können, erscheint zuletzt ein hinkender Zwerg, der schon von Weitem ruft, er
wisse, wo die Schwarzburg sei. Auf das GeheisQ des Biesen begleitet der Zwerg den
Eönigssohn dahin ; an der Grenze des Feenlandes trennen sie sich. Argir und sein
Diener nehmen zuerst Quartier bei einer alten Frau, um hier nähere Erkundi-
gungen einzuziehen. Die AHe erzählt nun, dass in der Nähe ein ZauWrgarten
liege, darin sich jeden Tag die Königin der Feen ergehe. Argir ahnt sogleich, dass
er am Ziele sei. Schon ist er nahe daran, die Jungfrau wieder zu sehen, als durch
den Verrat des Dieners und der Alten die beiden Liebenden für unbestimmte Zeit
von einander wieder getrennt werden. Nachdem Argir den Diener und die Alte'
wegen ihrer Treulosigkeit mit dem Tode bestraft hat, zieht er aufs Nene in die
Welt hinaus. Obwohl er bereits Länder imd Meere hinter sich zurückgelassen hat,'
scheint ihn diesmal das Glück verlassen zu haben. Schon will er verzweiflungs-*
voll Hand an sich legen, als plötzhch furchtbares Gebrüll an sein Ohr dringt.
Näher in die Bichtimg eilend, gewahrt er drei scheussliche Dämonen, die mit ein-
ander in wutentbranntem Tone z^iken. Voll Mut tritt Argir zu ihnen und fragt
sie nach der Ursache ihres Streites.
f Wisse, dass wir Brüder sind.
Die des Vaters Erbschaft teilen
Und aus diesem Grund uns keilen f
Gegenstände sind es drei, f
i > Die vorhanden sind, und fcei
Sollst du deine Meinung sagen.
Wem dieselben zuzuschlagen ? ^ . .
Eine Schleuder, ein Paar Schuh
Macht das Erbe, und dazu
Eine Peitsche derb und schUohj; ;
* Aus dem Bumanischen des Barac von L. Vj Fischer.
15*
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^^ DEB UB8PBUNG DES ARGIBUS-MÄBCHENS.
Wenn man dreimal knallt und spricht :
ccHip, Hopf trag' mich rasch dahin,
Wo ich weile jetzt im Sinn !• •
Ist man mit Gedankenschnelle
Fliegend schon an Ort and Stelle ! . . .
Unserm mittlem Bruder doch
Ward dabei die Qabe noch,
Dass er den herunterziehen
Kann, der fliegend will entfliehen,
Was uns andere ärgern thut! —
Fälle nun dein ürtheil gut f •
Argir besinnt sich nicht lange und spricht :
•Geht auf drei verschiedene Seiten,
Wer zuerst zurück dann kehrt,
Der sei auch des Erbes wert !i
Jeder läuft ohne Weile davon. Und Argir nimmt sofort die Schleuder um,
zieht die Schuhe an, knallt dreimal mit der Peitsche und spricht :
cHip, hopl bei der Liebsten mein.
Bei der Spröden möcht' ich sein !•
Und mit Gedankenschnelle fliegt er davon. Als die geprellten Dämonen
zurückkehren, führen sie aufs neue Streit, besonders der mittlere Dämon sieht
sich arg bedrängt von seinen beiden Brüdern, da er eigentlich an dem Unglück
Schuld sei. Nur dadurch entgeht er dem Tode, dass er verspricht, mittelst seiner
Qabe den Bäuber aus dem Fluge herabzuziehen. Dies geschieht, und Argir fällt aus
den Lüften auf ein Gebirge, dessen Spitze bis zum Himmel emporzusteigen
scheint Er entschliesst sich, hinaufsuklettem. Unter grossen Beschwerlichkeiten
erklimmt er die Höhe, und was er hier sieht, erfüllt ihn mit Staunen und Bewun-
derung, — eine Burg, deren Zinnen weithin in die Feme winken, mit Mauem und
prachtvollen Gärten umgeben. Es ist der Palast der Feenkönigin. Während er
sich derselben nähert, kommt eine Fee des Weges gegangen. Wie sie den Jüng-
ling erblickt, läuft sie zurück, um Argir bei der Königin anzumelden. Die Königin
jedoch hält dies für eine Neckerei und gibt der Fee einen Streich auf die Wange ;
einer zweiten und dritten Fee, die mit derselben Meldung eintreten, ergeht es
nicht besser ; endlich erscheint Argir selbst, und jauchzend stürzen die Liebenden
einander in die Arme. — Mit grossem Aufwand und Pomp wird nun Hochzeit
gefeiert. Da, mitten in der Fröhlichkeit und Lustbarkeit, versetzt Argir seiner
Braut drei Streiche auf die Wange. Beschämt fragt diese nach der Ursache und
Argir erwidert:
•Was musst' Allee ich ertragen.
Was für Schrecken, was für Plagen,
Dass ich könnt' zu dir gelangen.
Da ich hieher eilte, sahen
Mich drei holde Jungfraun nahen,
Die dir froh die Botschaft brachten.
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DBR tJBSPRtmO DBS AfiOlBUS-MÄBOHflKS. tl9
Doch da sagteet mit Yeraohten,
Soleher Lüge glaubst du nicht,
Schlugst dabei sie ins Oesieht. —
Um zu mahnen dich daran,
Und dich aus dem Zauberbann
Zu entreissen für das Leben,
Musst' ich dir die Streiche geben.»
Die Braut verzeiht ihm, und von nun an trübt kein Schatten mehr ihr
Glück.
Dies ist in Kurzem der Inhalt
Ich glaube, in dieser Gestalt, wie uns Gergei und Barac die Geschichte
überliefert haben, wird schwerlich Jemand irgend welche mythische Ele-
mente erblicken können. Wie kam man trotzdem zu dieser Ueberzetigung?
Das Volk selbst spriclit es aus.
In den sechziger Jahren hat Atanasie Marienescn eine Sammlung rumä-
nischer Yolksballaden veranstaltet, in welcher sich eine Ballade befindet, die
auch in der Alhina 1868 gedruckt erschienen ist, unter dem Titel: t Sonne
und Mondi oder t Jana Cosandiana». Es wird darin erzahlt, dass sich die
Sonne einst in den Mond verliebt habe und ihn zu seinem Weibe machen
wollte. Der Mond, «Jana Cosandiana» genannt, wollte durchaus nicht ein-
willigen, da sie ja Geschwister und himmlische Körper wären. Die Sonne
wollte seine Schwester mit Gewalt entführen, da stürzte sich der Mond in
das Meer, die Sonne ihm nach, und seit dieser Zeit sinken Sonne und Mond
in das Meer hinab, steigen aus demselben empor und jagen am Himmel
einander nach. Also dieselbe Idee, die wir auch bei Ovid in seinem L Buche
der Metamorphosen finden. Was aber die Ausführung anbelangt, gehört diese
Ballade zu dem Schönsten, was rumänische Volkspoesie hervorgebracht hat.
Als dieselbe publicirt wurde, musste es selbstverständlich sogleich auffallen,
dass hier der Mond unter dem Namen «Jana» mit dem Beinamen «Cosan-
diana» vorkommt, also unter denselben Namen, unter welchen man Argir's
Braut in den Volksmärchen kennt.
Es fragt sich nun, woher hat das Volk diese Benennung für 4en
Mond ? — Wenn wir die Mythologie aufschlagen, so sehen wir, dass bei den
Bömem der Mond thatsächlich auch «Dea Jana» oder blos «Jana» genannt
wurde, auch war er die leibUche Schwester des Sonnengottes «Janus».
Varro I. 37, sagt : «Nunquam rure audisti octavo Janam et crescentem et
contra senescentem.»* Aus «Dea Jana» wurde später «Dijana» (Diana) als
Name des Mondes. Durch die Berührung mit dem griechischen Cultus wurde
später Diana nicht mehr als Mond-, sondern als Jagdgöttin gefeiert ; für den
* 8. At. Marienesou : Esplicativm lal Argir si Ilina Cosamditma in der
Albma, 1871.
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-^ Dfift tJl»PIlÜK6 DfiS ABGmüS-MÄROHliNd.
Mond hingegen wurde bei den Bömem allmälig der Name tLuna» gebräuch-
lich, und im Rumänischen kommt der Mond nur unter diesem Namen vor.
Der ältere Name dagegen (fJana») hat sich, wie wir aus der oben ange-
führten Ballade sehen, als alte Tradition in der rumänischen Volkspoesie
bis heute erhalten.
Aber auch der Name « Diana ■ zur Bezeichnung des Mondes kommt
im Bumänischen vor. Wir haben dafür einen eklatanten Beweis, unter den
yahireibhen Varianten des Argirus finden sich einige/ in welchen Argir's
Braut Ilona den Beinamen fSandianat führt. Dieses Wort ist entschieden
aus tSänt und Diana zusammengesetzt;' «Sani» ist das lateinische «San-
ctus», denn wir haben im Bumänischen : «San-Pfetru» (heiliger Petrus), «San-
Giorgiu» (heiliger Georg), tSan-Mihaiut (heiliger Michael) u. s. w., und
San-Diana (Sandiana) muss ohne Zweifel «heilige Diana» heissen. Nun sind
San-Petru, Sän-Giorgiu, San-Mihaiu u. s. w. bestimmte, von der Kirche
eingesetzte Feiertage, zum Andenken an diese Heiligen. Wie ist es mit Sän-
Diana ? Dies ist ebenfalls ein Fieiertag, der auf den '24. Juni fällt. Aber
wem zu Ehren ? Wir werden sehen.
«Sandiana» nennt man im Bumänischen dine gelbe, wohlriechende
Blume, welche besonders auf Waldwiesen wächst, deutsch : «da^s Labkraut»
oder «Waldmeister» genannt. Am Vorabend des 24. Juni nun windet das
Volk Kränze ans diesen Blumen, welche dann , in d^t Abenddämmerung,
nachdem die Sonne schon untergegangen ist, auf das Hausdach hinauf-
geworfen werden. Am nächsten Morgen, bevor noch die Sonne aufgeht,
werden die Kränze einer genauen Besichtigung unterzogen, wobei das Volk
allerlei Betrachtungen für das betreffende Jahr anstellt Die Jugend dagegen
schmückt sich mit diesen Blumen, ja selbst das Zugvieh wird damit bekränzt
Der Name «San diana» nun, dann der Umstand, dass die Kränze nach
Sonnenuntergang auf das Dach hinaufgeworfen und vor Sonnenaufgang
besichtigt werden, beweisen deutlich, dass diese Blumen einstens der Diana
als Mondgöttin geweiht waren, und dass wir es hier mit Beminiscenzen des
alten heidnischen Gultus zu thun haben, — Die christliche Kirche hat dann
auf diesen Tag die Geburt Joh^nnis des Täufers gesetzt Dass dies nur will-
kürlich geschehen ist, leuchtet ein : es ist eben der übliche Vorgang, den
die Kirche in den ersten Jahrhunderten stets befolgt hat, wenn es sich darum
handelte, den heidnischen Gultus zu verdränged. So ist fast alles, was wir beim
Volke mit dem Namen «Aberglaube» bezeichnen, bekanntlich nichts anderes,
als Beminiscenzen des alten heidnischen Gultus. Wit haben demnach nicht nur
in der Volkspoesie, sondern auch in den Sitten und Gebräuchen des rumä-
. nischen Volkes Beweise dafür, dass unter «Jana» und «Sandiana» der Mond
zu verstehen sei.
Nun kommt Argir's Braut in den Varianten auch unter dem Namen
«Ilena Gosändiana» vor. Il^na ist hier identisch mit der Helena aus der
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T>mt, ÜRSPlttlKG DfiS ARGIBU8-MÄR0HBK8. ^1
Mythologie, welche ebenfalls als Mondgöttin gefeiert wurde ; sie hatte a,uf
dem Berge Therapne einen Opferaltar. (Ovid, Meth. XII.) Durch die Berüh-
mng mit dem römischen Gultus geschah dann eine gewisse Amalgamisi-
mng : beide Namen blieben aufrecht zur Bezeichnung des einen Begriffes,
des Mondes, nämlich Il^na d. h. Helena, und Jana oder Sandiana, und
fanden ihre Weitererhaltung in der Poesie, in den Sitten und Gebräuchen
des rumänischen Volkes. Bezüglich des Namens «Gosandiana» ist man bis
heute zu keiner endgiltigen Deutung gelangt. In der letzten Silbe jedoch ist
Diana deutlich zu erkennen. Wie dem auch sein mag, aus dem bisher Ge-
sagten ist ohne Zweifel zu ersehen, dass unter «Jana Gosanidianai oder
•Ilena Sandianat der Mond zu verstehen sei. Nun ist es leicht zu erraten,
wer Argirus sein soll.
Zuerst gelangen wir auf Grund jener Ballade zu dem Schlüsse, dass
Argirus die Sonne sein müsse. Aber auch der Name sagt dieses. Der Sonnen-
gott Apollo hatte auch den Beinamen «Argirotoxos», also Träger eines gol-
denen Bogens, und wie uns Hesiod versichert, stammt diese Benennung
von den leuchtenden Strahlen der Sonne, die Pfeilen verglichen wurden.
Nun nehme man einmal die Varianten zur Hand und man wird sehen, dass
Argirus stets mit Bogen und Köcher bewaffnet erscheint, so als er in dem
Garten Wache hält, so als er auszieht, seine Braut aufzufinden. Gewiss ist diese
etymologische Deduction nicht hinreichend genug, um uns diesbezüglich
volle Ueberzeugung zu gewähren. Und da nehmen wir wieder zu den Va-
rianten unsere Zuflucht. Wie bereits erwähnt, zieht Argirus bei Barac zu
Pferd in die Welt hinaus. In anderen Varianten wird nun dieses Pferd näher
beschrieben. So wählt sich Argirus für seine Wanderung ein Pferd aus, wel-
ches mit Feuer gefüttert wird. Dies erinnert an die vier Pferde des Apollo,
von denen das eine Pyrois (Feuerpferd), das zweite Aethon (der Leuchtende),
das dritte Eos (der Dämmernde), das vierte Phlegon (d^r Sprühende) genannt
wird. Also alle sind mit dem Feuer in Verbindung gebracht, weil eben die
Sonne, nach der Anschauung der Alten, auf einem Feuerwagen mit vier
Feuerpferden dahinfährt. Daher lässt auch Argirus sein Pferd mit Feuer
füttern. In einer anderen Variante heisst es, dass dieses Pferd von sieben
Jungfrauen gepflegt wird. Dies erinnert an die sieben Hören, welche nach
der Mythe die Pferde Apollo 's ein- und ausspannten. In einer anderen heisst
es, dass der Palast der Helena auf einer Insel im Meere gelegen sei, von
wo sie auf einem zweispännigen Wagen ausfuhr. Dies erinnert an die An-
schauung der Alten, womach alle Gestirne in das Meer hinabsinken und
aus dem Meer emporsteigen, hier aber speziell an die obenerwähnte Ballade.
Der zweispännige Wagen dagegen erinnert an die Anschauung der Bömer,
dass nämlich der Mond auf einem zweispännigen Wagen fahre. tLunae biga
datur semper, solique quadriga.» Nach einer anderen Variante trifft Argirus
auf seiner Wanderung einen Greis an, der über einen Schwann Bienen
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^32 D£^ ÜBSPBÜKG Dfi8 A^GIBUB-BCÄBCHEKS.
gebietet. Diese Bienen schickt der Greis aus, um die Burg der Helena aufzu-
finden. Nur eine unter ihnen, die als die letste zurückgekehrt ist, hat die
Burg aufgefunden. Hier ist der Greis, nach der Anschauung der Alten, die
Personification der Nacht; die Bienen, über die er gebietet, sind die Sterne.*
Die Biene, die als die letzte zurückkehrt, ist der Morgenstern, denn während
die anderen Sterne beim ersten Sonnenstrahl sich in das Meer stürzen, hat
der Morgenstern allein den Mut, der Sonne ins Angesicht zu sehen, er weiss
folglich am besten, wohin sich der Mond versteckt hai (Ovid. Met. ü. erkl. von
B. Suchier). Wir sehen also, dass diese Varianten sich durchaus nicht auf
Aeusserlichkeiten, sondern auf sehr wesentliche Momente beziehen. Sie allein
geben uns vollständigen Aufschluss über den Ursprung und die Bedeutung
unserer Erzählung, sie allein bestätigen auch unsere Behauptung, dass unter
Argirus die Sonne zu verstehen sei.
Nun kommt in einigen Varianten statt Argirus der Name Petrus vor.
Es ist schwer, die Ursache anzugeben. Indess eine Andeutung zur Lösung
dieser Frage finden wir in einem rumänischen Weihnachtsliede, betitelt :
«Der Reiche und der Arme».** Dieses Lied ist in Allem identisch mit der
Mythe von Philemon und Baucis. Zeus pflegte sich nämlich unter allerlei
Gestalten zu verbergen, um die Menschen besser belauschen zu können. So
suchte er einst in Gesellschaft seines Sohnes Hermes eine Gegend Phry-
giens auf. Beide hatten sich als Pilger verkleidet, die eines Obdachs bedurf-
ten. Ueberall fanden sie die Türen der Reichen verschlossen; nur ein
frommes Ehepaar, Philemon und Baucis, gewährte den Unbekannten
herzUche GastfreundHchaft, trotz der eigenen Armut, die es drückte. Die
beiden Gatten wurden demzufolge, als die Götter von ihnen Abschied
nahmen, für den Beweis ihrer Nächstenliebe in einen glückUcheren Zustand
versetzt, die reichen Nachbarn dagegen, welche den Zorn der Himmlischen
gegen sich heraufbeschworen hatten, büssten unter einer sofort über sie
hereinbrechenden Wasserfluth. Ganz dieselbe Geschichte wird nun in dem
erwähnten Weihnachtsliede von dem Reichen und dem Armen wieder-
gegeben. Die Namen aber sind unter dem Einflüsse des Christentums durch
andere ersetzt. Statt Zeus figurirt Christus, statt Hermes — Petrus. Warum
gerade Petrus ? Wahrscheinlich, weil Petrus unter den Aposteln als der
unzertrennlichste und intimste Freund an der Seite Christi erscheint ; er
hat sich sozusagen zu einer zweiten Person nach Christus emporgeschwun-
gen, zum Apollo neben Zeus.
Dass diese Deduction nicht allzu gewagt ist, beweist folgender Um-
stand. In einer Variante aus der Bukovina heisst es, dass Petrus im Meere
* S. Nork, Mytholoffie aus den VoUmnärchen,— Friedreich, SifmhoHk imd Mytho-
logie der Natur.
** S. ColindSi Nr. 23, von At. Marieneson.
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DER ÜRÖPittmO DB8 AftÖIRÜa-MARCHBNS. ^33
von einem Fische geboren wurde. Wir treffen hier deutlich wieder auf jene
Anschauung, wonach die Sonne und alle Gestirne aus dem Meere ent-
stehen. Ovid, Met. V. sagt: «Venus sub pisce latuit», Venus war in Gestalt
des Fisches verborgen, d. h. Venus wurde aus dem Elemente des Baches,
aus dem Wasser geboren. Petrus ist demnach identisch mit Apollo, mit der
Sonne, mit Argirus, ist eine lAchtgoUheit, die nach der Mythe alle aus dem
Meere geboren werden.
Endlich treffen wir in den meisten Varianten statt Argirus den Namen
«Fet frumos» an. «Fet» ist das lateinische «Fetus» (das Erzeugte), im Ru-
mänischen speziell auf das Kind bezogen, «frumos» heisst «schön», dem-
nach «Fet frumos» das schöne Kind. Dieser «Fet frumos» i^t die wichtigste
und interessanteste Gestalt in der rumänischen Volkspoesie. Mit äbematür-
lichen Kräften geboren, besiegt er Biesen, Drachen und andere Ungeheuer,
und befreit die Mensohhdt von ihnen. Die gefährlichsten und hidsbreche«-
rischsten Aufgaben, die man ihm stellt, weiss er geschickt zu lösen. Und
wenn wir seine Thaten näher ins Auge fassen, so werden wir nicht eine
einzige finden, die nicht ihren Ursprung in der griechisch-römischen Mythe
hätte. Als Beweis mögen hier einige der auffallendsten angeführt werden.
So wird dem «Fet frumos» einmal die Aufgabe gestellt, er solle Wasser
bringen von dort, wo zwei gewaltige Felsen auf- und zuklappen. «Fet fru-
mos» begibt sich zuerst zur heiligen Venus — «santa Vinere», um sich
Bat zu holen. Die «santa Vinere» belehrt ihn, zuerst einen Vogel durch-
fliegen zu lassen. «Fet frumos» befolgt ihren Bat, und während die Felsen
nach dem Zusammenklappen beim Durchfliegen des Vogels wieder aus-
einandergehen, schöpft «Fet frumos» Wasser und schwingt sich auf sein
geflügeltes Boss. Die Klippen rennen sogleich gegen einander, doch konnten
sie nur noch die Hinterfnsse des Pferdes erreichen. — Wer erinnert sich
hier nicht an die Argonauten und die Symplegaden? Auch die Argonauten
lassen zuerst eine Taube durchfliegen, auch ihnen wird der Hinterteil des
Schiffes zertrümmert.
Auch die Art und Weise, wie «Fet frumos» zu dem geflügelten Pferde
gelangt, ist echt mythisch. «Fet frumos» soll einst von einem Einsiedler
einen Halfter als Geschenk bekommen haben. Wenn er den Halfter einmal
schüttelte, erschien sofort ein geflügeltes Boss, das sich ihm zu Diensten
stellte. — Dies erinnert an den Halfter, den Athene dem Korinthischen
Sonnenhelden Bellerophon schenkte; das geflügelte Boss aber an den
Pegasus, der nur von Bellerophon gebändigt werden konnte, auf dem dieser
dann gegen Ungeheuer kämpfte, die er gewöhnlich aus den Lüften mit einem
Bogenschuss eilegte. Pegasus, der nach dem Schwertstreiche des Perseus
aus dem Haupte der Medusa entsprungen war, erhielt später bekanntlich
seine besondere Bedeutung als Musenross.
Ein andermal soll sich «Fet frumos» am Hofe eines Königs gerühmt
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i^ f>fim ÜftÖPRtmo DfiS ABGIRÜS-MABOHEKS.
haben^ er sei im Stande; die goldenen Haare der «S6na CJösändiaüat m
rauben. Der König nimn(it ihn beim Wort, und iFet frumos» geht an die
Aasführung, die sehr gefährlich war, denn bis zur «Ilena Goaandiana» musste
man das Grebiet eines neunköpfigen Ungeheuers passiren. Doch «Fet ftumos»
nimmt Pfeil und Bogen, schüttelt seinen Halfter, das Pferd erscheint, er
schwingt sich auf dasselbe und während das Ungeheuer mit furchtbarem
Gebrüll auf sie losstürzt, schwingt sich das Pferd in die Lüfte und tFet
frumos» sendet dem Ungeheuer einen Pfeil durch's Herz. HieY haben wir
einen Teil der Geschichte des Perseus, Dieser hat sich vor dem König Poly-
dektes ebenfalls gerühmt, er sei im Stande, das Haupt der Medusa zu holen.
Der König nimmt ihn beim Wort und Perseus muss sein Versprechen erfüllen.
Der andere Teil ist wiederum mit der Geschichte des Bellerophon verwebt.
Wie diese Yerwebung möglich wurde und warum in den rumänischen
Volksmärchen fast ein und dersiBlbe Held die Thaten verrichtet, die in der
Mythe von verschiedenen Personen ausgeführt erscheinen, ist leicht erklärlich.
Die meisten mythischen Namen verdunkelten sich nämlich im Verlaufe der
Jahrhunderte, auch wurden sie direct durch christhche Namen verdrängt, bis
sie sich in nebelhafter Feme verloren. Die Fabeln und Märchen jedoch blieben
in der Erinnerung des Volkes und diejenigen, welche eine gewisse Aehn-
lichkeit mit einander hatten, wurden nun Einer Person zugeschrieben, die
mittelst Abstraction vom Volke gebildet wurde: diese Person ist tFet frumos»,
der als das Ideal eines Jünghnges, wie «U^na Ciosandiana» als das Ideal einer
Jungfrau beim rumänischen Volke erscheint. Nun können wir uns auch leicht
erklären, woher die zahlreichen Varianten stammen. Jene mythischen Ele-
mente, ihr Sinn und Zusammenhang, ihre ursprüngUche Bedeutung ent-
schwand dem Volke nach und nach, die Fabeln und Sagen aber, das Material,
vererbte sich von Generation zu Generation und lieferte Stoff zu den mannig-
faltigsten Gombinationen. Solche Combinationen finden sich schon im Alter-
tum und nicht nur von der Volksphantasie, sondern auch von einzelnen
Dichtern ausgeführt. Was sind Ovid's Methamorphosen anders, als eine
Sammlung von Fabeln und Sagen aus der griechisch-römischen Mythologie,
die sich auf die Verwandlungen von Menschen in Tiere, Bäume, Steine,
Wasser, Feuer u. s. w. beziehen, und die Ovid dichterisch zu einem Ganssen
zu gestalten suchte ? AUe diese Fabeln und Sagen lebten auch im Munde des
Volkes, bildeten einen Teil seines Glaubens und hatten ihren Grund in der
frühesten Beobachtung der Verwandlungen und Veränderungen in der Natur.
Und so werden wir sehen, dass auch die Geschichte deo. Argirus aus
mythischen Elementen zusammengesetzt ist, die ursprüngUch gar nicht zu
einander gehörten, und die nur die Volksphantasie zu einem Ganzen auf-
gebaut hat. Ich meine die goldenen Aepfel und die sieben Pfauen, und die
Motive mit den Flügelschuhen, der Peitsche und dem Mantel. Woher stam-
men sie ? Hören wir, was uns die Mythologie erzählt. Zuerst über die gol-
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•deDen Aepfel. Als Zeus und Hera Hochzeit feierten, brachten alle Götter ihre
Geschenke dar. Gaia, die Mutter der Erde, Hess den goldenen Baum wachseh,
der am Ende der Welt neben Okeanos steht und von den sieben Hesperiden
bewacht wird. Bezüglich der anderen drei Motive erzählt uns die Mythologie :
•Als Perseus in seinem schwärmerischen Ehrgeiz jenes Versprechen abgab,
das Haupt der Medusa zu holen, hatte er sich unbewusst in eine Gefahr
gestürzt, die so furchtbar war, dass er sie ohne götthche Mitwirkung nicht
zu überwinden vermfocht hätte. Die allen Helden geneigte Athene geleitete
ihn daher zu einem Nymphengeschlechte, das von Zeus mit der Themis
erzeugt war. Von diesen Nymphen erhielt Perseus die nötigen Gegenstande,
die er zur Besiegung der Medusa brauchte, nämlich ein Paar Flügelschuhe,
•einen unsichtbar machenden Helm oder eine Nebelkappe und einen Schnapp-
sack. Ich glailbe, hiemit haben wir die Quelle aller jener Elemente, aus
denen unsere Geschichte zusammengesetzt ist, festgestellt : Mythisch ist die
Geschichte an sich selbst, und ihren eigentlichen Kern haben wir in jener
bereits erwähnten Ballade kennen gelernt; mythisch sind die Namen Argi-
rus, d. h. Sonne und Helena, d. h. Mond, mythisch sind die goldenen Aepfel
und mythisch sind die letzterwähnten drei Motive. Nachdem wir so die Basis,
auf welcher eigentlich unsere Geschichte ruht, festgestellt haben, wollen wir
nunmehr an . die Beantwortung der Frage gehen, woher Gergei diese Ge-
schichte entlehnt hat.
Untersuchen wir zunächst folgende Frage: hat sich diese Geschichte
unter dem rumänischen Volke durch Barac's Bearbeitung des Öergei'schen
Stoffes verbreitet, oder nicht ? Ist es einmal constatirt, dass nicht Barac sie
unter die Rumänen gebracht hat, nun, so hat es auch Gergei nicht gethan,
denn Gergei's und Barac's Dichtung ist eins.
Nehmen wir an, Barac's üebersetzung hätte den denkbar grössten
Erfolg unter den Rumänen in Ungarn gehabt. Aber da fragen wir uns, wie
ist diese Erzählung zu den Bukovinem, zu den Rumänen in der Moldau und
Walachei, zu den Macedo-Rumänen gedrungen? Sollte E|arac's Dichtung
dies Wunder bewirkt haben? Femer, da die rumänischen Volksmärchen
erwiesenermassen als mythische Erinnerungen von Generation zu Generation
sich fortgeerbt haben, sollte allein die Geschichte des Argirus mit ihrem
mythischen Inhalt aus einer nicht auffindbaren italienischen Chronik durch
Vermittlung einer ungarischen Eunstdichtung unter die Rumänen gedrungen
sein und sich daselbst den ersten Platz errungen, ja eine Menge Varianten
hervorgebracht haben? Warum hat das ungarische Volk keine Varianten
hervorgebracht? Und wie ist es zu erklären, dass auch diese Varianten lauter
mythische Elemente in sich fassen ? Vor Allem, wie ist es zu erklären, dass
man in dieser Oeschichte, welche die Rumänen nur am dem Anfange unseres
Jahrhunderts haben sollen, jene uralten Namen für den Mond : «Sandiana»
und cJana» wiederfindet? Sollte dies ein Zufall sein?
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Wir Beben, auf diesem Weg stossen wir auf lauter Unmöglichkeiten.
Aber nocb viele andere Fragen, die bier aufgeworfen werden müssen, lassen
sieb bei dieser Annahme soblecbterdings nicht erklaren« So wird bei Barac
Argir*8 Braut stets Helena genannt; Oergei dagegen erwähnt mit keiner
Silbe, wie sie beisst, er nennt sie blos «tünd^r le&ny» (tFeenmädebeni).
Nun ist es sehr wichtig, dass auch bei ungarischen Schriftstellern Argims mit
Helena in Verbindung gebracht wird. So finden wir in «DMalus templomat
(DaBdalus* Tempel) von Gyöngyössi folgende Stelle : «Auch Argirus erging es
so mit der Fee Helene, t^ Es fragt sich nun, woher weiss Gyöngyössi, dass
Argirus mit der Helena in Verbindung zu bringen sei? Von Gergei? Schwer-
lich I Denn Gergei's Argirus ist 1763 erschienen ; einer älteren Ausgabe aus
1749 wird blos Erwähnung gethan. «D^dalus temploma» aber erschien 1727.
Allerdings spricht Otroköcsy schon im Jahre 1693 von Gergei's Argirus, aber
der Helena wird nirgends Erwähnung gethan. Demnach müssen wir Gyön-
gyössi's Quelle anderwärts suchen. Vorläufig führen wir noch eine andere
Stelle aus der ungarischen Literatur an, bevor wir irgend einen Scbluss
ziehen. In einem Gedichte von Abraham Barcsay heisst es :
Megbocsdss, }6 n^näm, ^n ki Däciäban
Születtem, Ilona tündSr orszdgdban —
Ämbiir sz6p olähnäk hordoztak pölyAban **
Auf Grund dieser Stellen fragen wir uns nun, ist es möglich, dass
Jemand das Land Siebenbürgen «Helene's Feenlandt nenne auf Grund des
Gergei'scheu Gedichtes, in welchem mit keiner Silbe weder das Wort Sieben-
bürgen noch Helene vorkommt, aber auch sonst kein anderes Wort existirt,
aus welchem man diesen Scbluss ziehen könnte ? — Ist es möglich, dass
Jemand Argir's Braut Helene nenne auf Grund des Gergei'schen Gedichtes,
in welchem dieser Name gar nicht vorkommt? Nein, Gergei's Dichtung gibt
weder in der einen noch in der anderen Beziehung Veranlassung dazu. Wo
ist also die Quelle zu suchen ? Etwa unter dem ungarischen Volke, welches
nur die Gergei'scbe Dichtung kennt, oder unter dem rumänischen Volke,
wo die Geschichte des Argirus und der Helena in massenhaften Varianten
lebt, wo jede schöne weibliche Person in seinen Märchen den Namen Helena
führt und wo diese Helena zu einem nationalen Typus geworden ist ? Ich
glaube, Barcsay spricht deutlich genug : Rumänische Frauen, die ihn als
Kind auf ihren Armen getragen, haben ihm diese und ähnliche Geschichten
von der schönen Uena erzählt, und wie er, werden hunderte und tausende
Ungarn gewesen sein, die auf diesem Wege oder durch täglichen Umgang
"^ Siehe Gustav Heiniich, Argirus in Budapesti Szemle pro Angnst 1890.
** D. h. Verzeih' giite Tante, ich, der ich in Dacien, im Feenlande der lidme^
geboren bin — obwohl mich schöne Rumäninnen in den Windehi getragen. ....
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DER UBSPBÜNO DES ABOIBT78-MÄBOHEM6. ^^7
mit Bumänen solche Feengeschichten gehört haben. Nun finden wir es begreife
lieh, wenn Otroköcsy sagt : tN41unk Tünderorsz^ alatt rendesen Erdtiyt
ertik».* Aber wir finden jetzt auch begreiflich, warum Barac in seiner Dich-
tung das ergänzt, was (rergei unterlassen hat : als Barac nämUch den unga-
rischen Text las, erinnerte er sich sogleich, wie diese Geschichte im Munde
des rumänischen Volkes lebt, und sd setzte er den Namen Helena ein. Dass
er sich trotzdem fest an Gergei klammert, hat seinen guten Grund. Barac
wollte diese Geschichte, die im Volke in Prosagestalt lebt, in Verse und
Beime umsetzen, und so nahm er sich Gergei's Dichtung zum Muster, denn
Barac spielt als Dichter eine ziemlich untergeordnete Bolle.
Indess weichen sie auch wesentlich von einander ab. Und gerade in
jenen Punkten, in denen sie von einander abweichen, erkennen wir ihre
gemeinsame Quelle. Eine kurze Analyse des Gedichtes wird das Gesagte
Gergei erzählt, dass der Biese den Argirus aufigefordert hätte, bis
Morgen zu bleiben, es kämen die Feen, die müssten über die Schwarzbuig
Auskunft erteilen können. Die Feen kommen — aber keine kann Bescheid
geben. Da sei ein hinkender Zwerg gekommen, der habe Argirus nach der
Schwarzburg hingeleitei Nun fragen wir uns, ist es möglich, dass die Feen
den Aufenthalt ihrer Königin nicht wissen sollten, denn Gergei nennt Argir's
Braut ausdrücklich die t Königin der Feen» ?! Und dann, wie kommt der
Zwerg in die Geschichte hinein, denn wenn der Biese die Absicht gehabt
hätte» auch die Zwerge zu sich zu citiren, so hätte er sie alle dtirt, nicht
nur den einen, und noch dazu den hinkenden, von dem am allerwenigsten
etwas SU erwarten war?! Wenn wir die rumänischen Varianten zur Hand
nehmen, so erklärt sich die Bache. In einigen derselben erscheinen nämlich
nur die Feen, und diese erteilen auch Auskunft, weil eben von ihrer Königin
die Bede ist. In anderen erscheinen nur die Zwerge, und der letzte, der hin-
kend herankommt, weiss Bescheid. Gergei hat nun beide Varianten gekannt
und hat von beiden etwas genommen, ohne den Widerspruch zu bemerken.
Barac ist vorsichtiger in diesem Punkt, bei ihm erscheinein nur die Zwerge,
und ohne Zweifel hat er sie aus einer Variante entnommen, denn sonst
sehen wir wahrlich keinen Grund, warum er gerade in diesem Punkt hätte
von Gergei abweichen sollen. Ferner spricht Barac von sieben Pfauen, Gergei
dagegen von sieben Schwänen; bei Barac ist der Aufenthalt Argir*s beim
Biesen mit einigen Episoden verbunden, Gergei übergeht diese gänzlich.
Auch hier sehen wir keinen Grund, warum Barac von Gergei hätte abweichen
sollen, wenn nicht die Varianten ihn dazu getrieben hätten, denn in den*
selben wird thatsächlich bald von Pfauen, bald von Schwänen, bald von
* Siehe G. Heinrich, a. a. 0. (cBei uns versteht man unter dem Feenhmde in
der Begel Siebenbürgen. •)
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2^ DER URSPRUNG DES AROIRUS-MÄRCHBNS.
Tauben und bald — von Sternen gesprochen, ein Beweis mehr, dass diese
Geschichte unter den Bumänen vor Barac existirt hat, und diese Existenz
kann es doch unmöglich dem Gergei verdanken, da (}ergei erst dureh Barac.
in's Bumänische äbersetzt wurde.
Dagegen ist dem Barac an einer anderen Stelle ein Lapsus widerfahren.
Er erzählt nämlich, dass Argirus zu Pferd ausgezogen sei, ohne irgend eine
Begleitung. Im Verlaufe der Erzählung scheint er dies vergessen zu haben,
denn wir hören nichts mehr von dem Pferde. Diese Stelle ist lehrreich, denn
sie zeigt uns zugleich, wie unsere Geschichte aus verschiedenen Elementen
zusammengesetzt ist. Wir haben nämlich Varianten, wo Argirus zu Pferde
auszieht. In diesen aber fehlt consequent die Greschichte mit den drei Wun-
derdingen. Selbstverständlich^ denn in diesem Falle sind sie unbrauchbar;
das Pferd hat Flügel, wird mit Feuer gefüttert, ist ühernatürUch und weiss
somit wo die Schwarzburg liegt, nur ist der Weg dahin mit Gefahren ver-
bunden, und diese Gefahren besiegt AVgirus eben mit seinem Wunderpferde.
In anderen Varianten, wie bei Gergei, fehlt das Pferd, aber da treten die drei
Wunderdinge in die Composition ein, denn anders könnte Argir zu seiner
Braut nicht gelangen. Sowohl das Wunderpferd als auch die drei Wunder-
dinge gehören, wie wir gesehen haben, verschiedenen Mythenkreisen an. Das
Volk aber, das sich an den ursprünglichen Sinn und Zusammenhang dieser
Sagen nicht mehr erinnern konnte, hat nun diese Elemente in geschickter
Weise zu den verschiedenartigsten Varianten verwendet Es ist vielleicht
nicht uninteressant, hier über die Entstehungsweise solcher Varianten etwas
anzuführen. Der Ort, wo solche Varianten entstehen, ist gewöhnlich die
Spinnstube. In jeder Gemeinde existiren während des Winters mehrere der-
selben. Spinnen und Märchen erzählen bilden daselbst zwei fast unzertrenn-
liche Begriffe. Das Märchenerzählen geht folgendermassen vor sich : Jemand
beginnt mit einem Märchen. Nach einer kurzen Weile wird der Name irgend
einer der anwesenden Personen aufgerufen oder man wirft ihr irgend ein
Zeichen zu. Diese muss sogleich in der Erzählung fortfahren. Wenn sie
glaubt, genug erzählt zu haben, wirft sie das Zeichen einer dritten Person zu
u. s. w. Auf diese Weise dauert ein einziges Märchen oft stundenlang. Dasa
dabei die verschiedenartigsten Stoffe unter einander gemengt werden, ist
selbstverständlich. Ja, man betrachtet es als ein Zeichen des Scharfsinnes
und der Geistesgegenwart, wenn die aufgeforderte Person an die begonnene
Erzählung sogleich irgend einen verwandten Stoff anknüpfen kann. Es lässt
sich somit leicht erklären, woher die zahlreichen Varianten stammen. Aber
wir haben hier zugleich einen Fingerzeig, wie rumänische Märchen auch
unter die anderen mitwohnenden Nationen dringen konnten. In Gemeinden
von gemischter Bevölkerung nämlich hat die Spinnstube oft einen inter-
nationalen Charakter, der Ungar besucht sie ebenso wie der Sachse. Wir
brauchen uns demnach nicht mehr zu wundem, wenn in der Samnüung
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DBB ÜB8PBUNO DBS AlCGIBUß-lCABCHENS. ^^^
sächsischer Volksmärchen von Halbrioh nicht weniger als fünfzehn Stücke
für rumänisch erkannt wurden.*
Sowohl Gergei als auch Barac haben mehrere Varianten des « Argirus»
gekannt, aber sie schlecht angewendet, wie wir gesehen haben, denn sonst
hätten sie solche Compositionsfehler nicht begehen können, und dass beson-
ders Barac mehrere derselben gut gekannt hat, beweist folgender Umstand.
Barac's Dichtung ist um Vieles länger und breiter als die Gergei's. Dieses
Plus fallt entschieden auf die Ausschmückung in der Erzählung. Und diese
ist sehr schön : einfach, leichtdahinfliessend, hie und da schalkhaft — eine
echte volkstümliche Darstellung. Manche Partien finden sich wörtlich in
den Varianten wieder. Nun lese man von demselben Dichter beispielsweise
iDie Zerstörung Jerusalem *si in neun Gesängen. Man glaubt einen Menschen
vor sich zu sehen, der in einen lehmigen Boden gesunken ist und nun aus
demselben sich herauszuarbeiten sucht, — so schwerfä,llig und unbeholfen
ist er an manchen Stellen. Natürlich, hier konnte er nicht aus dem Volks-
munde hören, wie man erzählen und beschreiben soll.
Auch die drei Wunderdinge sind in unserer Erzählung von der Volks-
phantasie der Grundidee entsprechend umgeändert worden. In der Mythe
hat jedes Ding seinen besonderen Zweck, ebenso in den einzelnen Varianten.
Die Kappe macht unsichtbar, die Schuhe verleihen Flugkraft, die Peitsche
oder Schleuder verwandelt nach Wunsch jeden Gegenstand sogleich in Stein.
In unserer Erzählung haben alle drei Gegenstände eine und dieselbe Kraß :
die Weiterbeförderung im Fluge an den gewünschten Ort. Und dies ent-
spricht vollkommen der -Grundidee in der Erzählung : Argirus wünscht sich
nichts anders, als die Burg seiner Braut aufzufinden. Diese drei Motive
bekommen in den Varianten nur dann ihre specielle Kraft, wenn Argunis mit
Ungeheuern su kämpfen hat
Und eben auch dieser Umstand, dass diese verschiedenartigsten Va-
rianten unter den Bumänen vor Barac existirten, lassen keinen Zweifel dar-
über, dass Gergei den Stoff zu dieser Geschichte aus dem Bumänischen ent-
lehnt hat. Diese Behauptung haben wir bisher blos auf Deductionen basirt.
Nun finden sich auch im ungarischen Texte einige Ausdrücke, die entschieden
zu dieser Annahme hindrängen. Dort, wo Gergei von den drei Wunderdingen
spricht, gebraucht er zur Bezeichnung der Flugelschuhe den Ausdruck
«bocskort. Da nun das ungarische Volk den «bocskort nicht trägt, so muss
Gergei in der Quelle, aus der er geschöpft hat, Ursache gefunden haben,
diesen Ausdruck zu wählen. Und die Ursache kann nur darin liegen, dass
Gergei aus einer rumänischen Quelle geschöpft hat, denn das rumänische
Volk hat nur den t bocskor» und in seinen Märchen tragen sogar die Königs-
si^me und Prinzen den «bocskort. Man beachte nur, wie diese drei Wunder-
* Siehe Doi fiU ootofeU von At. Marienescu in der AUma, 1871.
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240
DER URSPRUNG DBS ARGIRUS-MARCHENS.
dinge bei anderen Völkern vorkommen. Der Türke z. R spricht von Turban,
Pantoffeln und Teppich ; die Motive sind also vorhanden, aber bei der Gon-
cretisirung wurden sie sozusagen nationalisiri Koch deutlicher spricht eine
andere Stelle im ungarischen Texte. Es heisst daselbst : tMonda a sz^p
leäny: t^r^ir^y szerelmem!» («Sprach das schöne Mädchen: Argire, mein
Liebster !•) Wie wir sehen, ist «Argire» der Vocativ. Aber in welcher Sprache?
In der ungarischen nicht ! In der italienischen ? Auch nicht, denn im Italie-
nischen gibt es keinen Vocativ, es müsste also der Nominativ sein. Aber da
fragen wir uns, warum gebraucht Gergei diese Form des Nomiilativs nicht
auch an anderen Stellen? er wendet fünfundzwanzigmal den Ausdruck
«Argirusi an, warum gebraucht er gerade hier diese Form des Nominativs?
Indess der Nominativ kann es auch nicht sein, denn dieser müsste von
Argirus, nach dem Geiste deir italienischen Sprache, «Argiro» lauten. Es ist
eben weder eine italienische, noch eine ungarische Form, es ist der reine
rumänische Vocativ, der von «Argirus» nicht anders als «Argire» lauten darf,
und Gergei hat diese Form benützt, weil er sie so gehört hat und weil sie
ihm in das Versmass passte.
Wie steht es aber mit den eigenen Aussagen Gtergei's, dass er nämlich
diese Geschichte aus dem Italienischen übersetzt habe? Wir haben gesehen,
dass die diesbezügliche Stelle dunkel genug ist. Doch geben wir zu, Gergei
habe thatsächlich sagen wollen, er habe die Geschichte des Argirus einer
italienischen Chronik entnommen, wie gestaltet sich dann die Sache? Wir
müssen in diesem Falle folgende Frage untersuchen : hat Gergei Ursache
gehabt, statt der rumänischen Quelle eine itaUenische anzugeben? Auf diese
Frage können wir mit einem entschiedenen «Ja» antworten. Wir dürfen
dabei nicht etwa an politische, sondern an rein literarische Beweggründe
denken. Seit die Ereuzzüge die Völker des Occidents und Orients in nähere
Berührung mit einander brachten, begann auch der Geist orientalischer
Volkspoesie nach Europa zu strömen. Diese Strömung hatte im XV. und
XVL Jahrhunderte ihren Höhepunkt erreicht und die Vermittlung stellte
Italien her, so dass dieses Land die eigentliche Heimat der Feenmärchen in
Europa wurde.* Alles, was in diesem Grenre poetisch bearbeitet und erzeugt
wurde, mochte es woher immer stammen, führte man auf Italien zurück.
Aus einer italienischen Chronik geschöpft zu haben, war das beste Empfeh-
lungsschreiben, das man einem derartigen poetischen Froduote in die Welt
mitgeben konnte — gerade so, wie man in Deutschland im XVIH. Jahr-
hunderte sogar die urgermanische Geschichte Siegfried's für französisch aus-
gab, um ihr die grösstmögliche Verbreitung zu verschaffen. Nun wissen wir
allerdings nicht genau, wer Gergei war, wann und wo er gelebt hat Die all-
gemein acceptirte Ansicht jedoch ist die, dass er ein Siebenbürger war und
* Siehe Gustav Heinrich, a. a. O.
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DIE GBTKEIDB-VEBSORGUNG OSTERKEICH- UNGARNS UND DEUTSCHLANDS.
2U
dass sein Leben in das XVI. Jahrhundert fallt, also in jene Zeit, wo die
obenerwähnte Manie so mächtig war, dass er nur dem herrschenden Zeit-
geiste folgte, wenn er die Geschichte des Argirus für italienisch ausgab. Um
dann diese seine Aussage halbwegs glaubwürdig zu machen, bediente er sich
auch in der Darstellung solcher Ausdrücke, die auf Italien hinweisen, wie
Cypressen, Orangen, Lorbeer u. s. w. Dass es sich hier aber nur um einen
ganz unschuldigen und zeitgemässen Kunstgriff handelt, und dass Gergei
aus einer rumänischen Quelle geschöpft hat, ersieht man auch daraus, dass
dieses Märchen unter den Magyaren in Ungarn bei Weitem nicht so ver-
breitet und volkstümlich ist, als unter den Magyaren in Siebenbürgen, weil
sie eben hier in grösserem Gontacte mit den Rumänen leben, als im eigent-
lichen Ungarn.
Auf Grund dieser äusseren und inneren Kriterien glaube ich entschie-
den annehmen zu dürfen, dass Gergei den Stoff zur Geschichte des Argirus
aus dem Bumänischen entlehnt hat. Georg Popp.^
DIE GETREIDMEESOKGÜNG ÖSTERREICH-UNGARNS UND
DEUTSCHLANDS.
Aus dem (^esiohtspmikte des abzuachliessenden Handels- und ZoUvertrages.^
Der Finanzminister Busslands befasste sich in einer vor kurzer Zeit
erschienenen sehr interessanten Publication,^ in welcher er die Stellung
Busslands auf dem internationalen Getreidemarkte untersucht, auch mit
der wichtigen Frage, ob die Agrar- Zölle, mit welchen Deutschland und,
dessen Beispiel folgend, die meisten europäischen Staaten ihre Agricultur
vor der Concurrenz der im grossen Maasse Getreide producirenden Staaten
^ VgL zu diesem Artikel den Auszug aus einem Vortrage Gustav Heinrich 's
über Argirus in dieser Ungarischen Revue IX., 1889, S. 46 — Die obige Darstellung
wird unstreitig dazu beitragen, das Dunkel zu lüften, welches auf der Frage nach dem
Ursprünge dieses Märchens lastet, denn — hei aller Anerkennung für die Umsicht
und den Schar&lnn des Verfassers — darf doch behauptet werden, dass seine Folge-
rungen über die Grenze der Wahrscheinlichkeit nicht hinausreichen. D. Red*
* Diese Abhandlung wurde noch im vergangenen Herbst geschrieben und
erschien im Dezember-Heft der imgar. Nationalökonomischen Revue. Was seitdem
geschah, dient zur Rechtfertigung der hier entwickelten Ideen. Die Frage ist jedoch
bisher noch nicht gelöst, demnach diese Abhandlung auch jetzt noch zeitgemäfi&
D.Bed.
* Ein weitläufiger Auszug hie von ist im April-Heft vom Jahre 1890 des durch
den französischen Ackerbau-Minister herausgegebenen « Bulletin • enthalten.
UagftTtooh» BeriM, XI. 1891. m. Heft. IQ
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242 DIE GETREIDB-VBRBOROÜNG
schützen, eigeDtlich durch die Producenten der Export- Länder oder durch
die Consumenten jener Staa.ten getragen werden, in welchen die Schutzzölle
in Anwendung stehen?
Diese Frage ist für Bussland von grosser Wichtigkeit, denn wenn es
wahr wäre, womit man die (Getreide-Zölle zu begründen pflegt, dass die-
selben nämlich ohnehin durch die ausländischen IVoducenten bezahlt wer-
den, würde Bussland nur in dem einen Jahre 1888 an Deutschland 12*5
MilUonen, an Frankreich 11*8 Millionen« an Italien aber 15 Millionen Me-
tallrubel Tribut entrichtet haben.
Das Ajüom der Schutzzölle wäre — nach dieser Quelle — richtig,
wenn die Production der importirenden Staaten die zur Ernährung der
Bevölkerung erforderliche Menge an Getreide decken würde; denn es könnte
in diesem Falle fremdes Getreide nur dann auf die inländiscl^en Märkte
gelangen, wenn die ausländischen Exporteure ihr Getreide um den ganzen
Zollbetrag billiger als die Local- Marktpreise anbieten würden. In jenen
Staaten, in welchen Schutzzölle bestehen, ist aber der Bedarf factisch
grösser als das Angebot, was notwendigerweise das Steigen der Preise ver-
ursacht, wodurch der Zollertrag so ziemlich ausgeglichen wird.
In der schon erwähnten Quelle ist ein Vergleich aufgestellt zwischen
den Preisen des russischen Getreides auf den Märkten jener Staaten, welche
sich durch Zölle nicht schützen und den Marktpreisen derjenigen Staaten,
wo Schutzzölle bestehen, und das Endresultat dieser Parallele ist, dass der
grösate Teil der Getreidezölle nicht die fremden Producenten, sondern die
inländischen Consumenten belastet. Gleichzeitig wird die Behauptung auf-
gestellt, dass, in welchem Maasse die Nachfrage in jenen Staaten, deren
Production den inneren Gonsum zu decken nicht im Stande ist — zunimmt, ein
umso grösserer Teil an Zollabgaben auf dieselben ei^t&llt, die Getreide
exportirenden Länder hingegen von den, ihren Export belastenden Tribut
in demselben Maasse befreit werden.
Diese Schlussfolgerung bestätigen auch andere, auf gleichen Grund-
lagen aufgestellte Studien und es steht gegenwärtig schon fast ganz
ausser Zweifel, dass, wenn auch von den deutschen Agrar-ZöUen für die
deutschen Landwirte einiger Nutzen sich ergab, dieselben für die ganze
Volkswirtschaft der deutschen Nation nur mit Schaden verbunden waren.
Deutschland beging daher auch aus dem Gesichtspunkte der eigenen Inter-
essen einen grossen Fehler, als es mit den Agrar-Zöllen, welche das Land
vor der Concurrenz der im riesenhaften Maasse Getreide billig produzie-
renden Staaten zu schützen berufen waren, nicht nur diese von den Märkten
ausschloss, sondern auch jene Staa^n, welche weder durch die Menge noch
die Billigkeit ihrer Production gefährliche Gonourrenten der deutschen Agri-
eultur waren.
Wir wollen uns keinen Becriminationen hingeben ; die gewonnenen
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Ö8TBRREIC5H-UNGARN8 UND DEUTSCHLANDS. 2i3
Erfahrungen jedoeh müssen in der Zukunft nach Möglichkeit nützlich ver-
wertet werden. Diese Erfahrungen sind eben gegenwärtig von grösstem
Nutzen, da Deutschland mit der bisherigen engherzigen Wirtschafts-Politik
zu brechen und mit der österreichisch-ungarischen Monarchie einen neuen
Zollvertrag zu schliessen beflissen ist.
Die Verhandlungen zwischen der ungarischen und österreichischen,
sowie der deutschen Regierung haben thatsächlich begonnen^ und man
kann dem Abschlüsse derselben mit Aussicht auf Erfolg entgegensehen.
Ein sehr günstiger Umstand ist vor allem jene Aufrichtigkeit und Innigkeit
des politischen Bündnisses, welche so den Völkern der Monarchie wie
den Bewohnern Deutschlands bereits ins Blut übergegangen ist. Dieser
Umstand führt die Regierungen der verbündeten Staaten mit der Kraft der
logischen Notwendigkeit dem Abschlüsse eines wirtschaftlichen Bündnisses
entgegen. Ein derartiger Factor ist femer die Solidarität der Interessen
beider Staaten der österreichisch-ungarischen Monarchie, welche der unga-
rische Handelsminister^ als er sich unlängst im Parlament äusserte, so
beBttmnl» so überzeugend und mit so viel staatsmännischer Weisheit betont
hai Die SoUdarität der Interessen wird es nicht gestatten, dass das in Aus-
sicht genonunene wirtMhaftliche Bündniss mit Deutschland aus kleinlicher
Eifersüchtelei oder Selbstsucht SchifiTbruch leide. Wahrscheinlich aber werden
es die deutschen Landwirte auch begreifen — in dieser Beziehung kann
oberwähnte russische Publication als überzeugendster Beweis dienen —
dasB ihre eigenen Interessen es nicht erheischen, dass die österreichischen
und nngarischen Producenten von den Märkten Deutschlands femgehalten
werden;
Es ist kaum glaublich, dass Deutschland mit der bisherigen SchutzzoU-
Teüdenz so bald brechen werde, um den Principien des Freihandels zu hul-
digen. Jene Staaten, welche Bohproducte im grossen Maasse erzeugen, sind
gegenwärtig viel mehr zu befürchten, als vor der Epoche der Schutzzölle,
da dieselben eben hiedurch angeeifert, ihre Production billiger und reich-
licher gestalteten, die Beförderungsmittel erstaunlich entwickelten, und die
Transportkosten auf ein Minimum reduoirten. Wie könnten einer derartig
verstärkten Goncurrenz die Landwirte jener Staaten, bei welchen Schutz-
zölle in Anwendung stehen. Trotz bieten, da die Klagen dieser Glasse im
Qrunde genommen schon früher gerechtfertigt waren, obzwar dieselben
unleugbar eiidgermassen übertrieben wurden ?
Die deutschen Märkte beherrscht gegenwärtig das russische Getreide ;
in dem freien Verkehr des Jahres 1889 entstammten von Weizen 58*9 <>/o,
von Roggen 88-2 o/o, von Hafer 92*5 o/o, von Gerste 48-0 o/o aus Russland;
von den wichtigeren Getreidegattungen war die nordamerikanische Waare
nur bei dem Mais im Uebergewicht; den zweiten Platz nahm aber
Bxsxk hier Bussland ein. Dieses Uebergewicht Würde Bussland auch nach
16*
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244 DIE OETBEIDE-YER80ROUNO
Abechaffung der Zölle beibehalten^ sogar vielleicht noch steigern, und es
würden die deutschen Landwirte eben den im grössten Maasse und am bil-
ligsten producirenden Concurrenten schutzlos gegenüberstehen, lieber die
Productionskosten liegen keine verlässlichen Daten vor, können auch natur-
gemäss nicht vorhanden sein, es stehen aber mehr oder weniger annähernde
Schätzungen zur Verfügung^ und die schon mehrmals erwähnte rus-
sische Quelle stellt auch einen Vergleich zwischen den Productions-
kosten des nordamerikanischen, des ostindischen und russischen Weizens
auf und gelangt, auch die Transportkosten in Anbetracht genommen, zu
der Schlussfolgerung, dass der Weizen dem russischen Producenten auf dem
Markt in London per Pud (1 Pud =16 Kilogramm) um 2 Kopeken billiger
zu stehen kommt, als dem ostindischen, und um 8 Kopeken billiger, als
dem nordamerikanischen Producenten.
Für die deutschen Producenten ist daher der Schutz vor Bussland eine
Lebensfrage; wenn jedoch die allgemeinen Interessen des Reiches nicht
geopfert werden sollen, ist es notwendig, mit solchen Staaten in 2jollverband
zu treten, deren Productions* Verhältnisse, obzwar dieselben über einen
Ueberschuss an Getreide verfügen, nicht stark von jenen Deutschlands
abweichen.
In dieser Hinsicht kommt in erster Reihe die österreichisch-ungarische
Monarchie in Betracht Viele behaupten, dass die Monarchie nur noch kurze
Zeit hindurch unter die Getreide exportirenden Staaten gereiht werden
kann, und dass der Zeitpunkt nicht mehr ferne ist, in welchem die Produc-
tion nicht einmal den inneren Bedarf zu decken im Stande sein werde.
Die Daten über den Waarenverkehr des gemeinsamen Zollgebietes recht-
fertigen diese Behauptung nicht Es ist zwar wahr, dass sich die Ver-
kehrsbilanz vom Roggen meistenteils, vom Mais aber ständig passiv gestal-
tet, von den übrigen Getreidegattungen jedoch und unter diesen von dem
Hauptproduot Ungarns, vom Weizen, nimmt die Exportfahigkeit der Mon-
archie (besonders wenn auch der Mehlexport in Betracht genommen wird),
nicht nur nicht ab, sondern es steigt dieselbe, und es gelangten besonders
während der letzten Jahre neuerlich grosse Mengen auf die Weltmärkte.
Was speziell die Export&higkeit Ungarns betrifft, so sprach Karl
Keleti in seinem ausgezeichneten Werke über die Pariser Weltausstellung
vom Jahre 1878 die Ansicht aus, wir müssten ims mit der Idee befreunden,
dass die zweifelhaft ruhmvolle Rolle, zu Folge welcher wir uns als einen
Hauptverpfleger Europas und als einen par excellence Getreide-Export-Staat
betrachteten, in der nächsten Zukunft aufhören werde. Die früheren Ergeb-
nisse der Production Ungarns, welche damals die amtliche Statistik schon
über 10 — 11 Jahre constatirte, in Betracht genommen, konnte diese Behaup-
tung mit Recht aufgestellt werden ; denn wahrlich, wenn auch Ungarn in
den siebziger Jahren Brotfrüchte exportirte, so war dies nur so möglich, dass
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OSTBBREIOH-tmÖAfiKS tT^) DfitJl^&LAKDS. 245
das Volk das zum Verkaufe bestimmte Material dem eigenen Munde entzog,
und es konnten diejenigen, die an der Zukunft der Industrie Ungarns niobt
zweifelten, getrost bebaupten^ dass die Bevölkerung nur ein wenig mebr
Abwecbslung in ibrer Bescbäftigung und im Einklänge biemit nur ein wenig
mebr Woblstand und Woblbabenbeit benötigt^ um aucb die Production der
günstigeren Jabre selbst consumiren zu können. Seitdem macbte aber die
Agrioultur Ungarns, Dank der intellectueÜen und moraliscben Kraft der
Bevölkerung, riesenbafte Fortscbritte. Dies ist am deutlicbsten ersicbtlicb,
wenn ein Vergleicb aufgestellt wird zwischen der Production der unlängst
verflossenen Zeit. Im Jabre 1868, welcbes als ein sebr reicblicbes betrachtet
wurde, betrug die Weizen-Ernte Ungarns 29*56 Millionen Hectoliter, im
Jabre 1889 hingegen, als nicht nur unter den Froducenten sondern auch in
Handelskreisen überall im ganzen Lande wegen der Missemte Klagen laut
wurden, betrug die Weizen-Ernte 32'96 Millionen Hectoliter. In den ver-
gangenen Jahrzehnten wurde es schon als eine günstige Ernte betrachtet,
wenn die Production 30 Millionen Hectoliter nahe kam ; die günstigen Fech-
Bungen der letzteren Jahre producirten sogar mebr als 50 Millionen Hecto-
Kter.
Sämmtliche Brotfrüchte in Betracht genommen, wurden in Ungarn
allein produdrt :
Im Dnrchscbnitte der Jahre 1869—73 31*78 Millionen Hect.
• € € • 1874—78 39-61 • •
« • • • 1879—83 47-22 t t
« € • € 1884— 88. _. ... 60-70 t «
Die Menge der Brotfrüchte sank zwar im Jahre 1889 zu Folge der
misslicben Ernte auf 4f8'00 Millionen Hectoliter, es übertrifft jedoch diese
Menge noch immer mit Ausnahme des letzteren, alle fünfjährigen Durch-
schnitte früherer Jahre; die Abnahme ersetzt übrigens reichlich die Ernte
des Jahres 1889 von 75*87 Millionen Hectolitem. Es sei hier bemerkt, dass
diese Daten nur die Ernte-Ergebnisse des im strengeren Sinne des Wortes
genommenen Ungarns repräsentiren ; Kroatien- Slavonien producirt ausser-
dem noch jährlich beiläufig 1*89 Millionen Hectoliter Weizen, 1*19 Millionen
Hectoliter Boggen und 811,000 Hectoliter Halbfrucht, insgesammt daher
3*89 Millionen Hectoliter Brotfrüchte. Der Mais wurde weder bei Ungarn
noch bei Eroatien-Slavonien in Bechnung genommen ; dieses Product spielt
aber in vielen Gtegenden eine wichtige Bolle in dem Gonsum der Bevölkerung.
Mne derartige Menge consumirt das Land nicht, nicht einmal, wenn
der Brotoonsum Ghross-Britanniens als Bichtschnur angenommen wird, und
es können noch immer bedeutende Mengen für den österreichischen oder für
den übrigen ausländischen Ck>nsum exportirt werden.
Der Export Ungaras wird weder zu Folge natürlicher Zunahme der
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^ blE OBTIÜälDfi-Vk&SO&äüMÖ
Bevölkerung, noch in Folge der eventuellen gunstigeren Gestaltung des bA"
gemeinen Wohlstandes abnehmen, da die Production die Grenzen ihrer Ent-
wickelunggfahigkeit bei Weitem noch nicht erreicht hat; die sich fortwährend
rationeller entwickelnde Gultur wird, wenn auch nicht von Jahr zu Jahr —
die Agricultur ist stets von der wechselhaften Launenhaftigkeit der Witte-
rung abhängig — so doch im Durchschnitte mehrerer Jahre noch lange Zeit
hindurch die durchschnittliche Production steigern.
Grosse Ersparnisse können noch ohne Einschränkung des Consums
erreicht werden bei der Aussaat Heutzutage geht noch sehr viel Aussaat in
Verlust. Drill- Maschinen stehen nur bei den Gross-Grundbesitiem in An-
wendung, in der Classe der mittleren Grundbesitzer bloe bei sehr wenigen, bei
den Elein-Grundbesitzem überhaupt nicht. Die Säemaschinen, bei welchen
übrigens die Erspamiss nur sehr unbedeutend ist, stehen in noch geringerem
Maasse in Verwendung ; bei den Mittel- und Eleingrundbesitzem ist der
Anbau mit der Hand gebrauchlich. Es stehen viele Beispiele zur Verfügung,
dass bei einem Eleingrundbesitz 140—150 Liter Weizen auf ein ungarisches
Joch (1200 U Klafter) angebaut werden ; dies entspricht 324—327 Litern
per Hectar ; wogegen in Deutschland vom Winterweizen durchschnittheh
auf einen Hectar 170 — 172 Liter gerechnet werden« Die Weizenfläche
Ungarns beträgt jährlich beiläufig 3 Millionen Hectare und es wird auf einem
bedeutenden Teil dieser Fläche die Aussaat maasslos verschwendet. Wenn
aber auch diejuittleren Besitzer die Drill-Maschinen benützen werden, ja
sogar die Eleingrundbesitzer mit einander vereint diese ausserordentlich
nützliche Maschine beschaffen werden, so wird eine beträchtliche Menge
Getreide für den Consum oder Export erspart werden können ; diese Menge
bleibt stets gleich, so unter günstigen als auch unter ungunstigen Verhält-
nissen, da die Aussaat auch nach einer Missemte erforderlich ist, und soll die
zukünftige Ernte nicht schon im voraus vereitelt werden, so ist ebensoviel
Saatkorn notwendig, als nach einer günstigen Ernte.
Wenn wir den Netto-Getreide-Export Ungarns seit dem Jahre 1882 (als
die neue Waarenverkehrsstatistik ins Leben trat) betrachten, ergibt 8i<^,
dass die jährliche durchschnittliche Ausfuhr (nach Abrechnung der impor-
tirten Mengen) von Weizen 5*3 Millionen, von Boggen 1*31 Millionen, von
Gerste 2*64 Millionen, vom Hafer 0*91 Millionen, von Mais 0*78 Millionen
und von Mehl 3*64 Millionen Metercentner betrug; im Jahre 1888 hingegen,
als das meiste exportirt wurde, zeigen sich folgende Ergebnisse. Weizen
7*89 Millionen, Mehl 4*65 Millionen, Boggen 1*65 Million^, Gterste 3*65 Mil-
lionen, Hafer 905 Tausend und Mais 1*06 Millionen Metercentner; das Mehl
auf Weizen umgerechnet, betrug allein der Weizen-Export dieses Jahres
13*95 Millionen Metercentner. Der Export des laufenden Jahres (1890) wird
wahrscheinlich auch noch diese kolossale Menge übertreffen.
Den überwiegenden Teil der Getreide- Ausfuhr Ungarns nimmt jedoch
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OSTEBBBICÄ-tJNGAKNB tlND D)SÜT8CmiA^D8.
U^l
der Gonsum Oesterreiohs in Anspmch ; bei dem Zollbändniss mit Deutsch-
land kann daher nur der Uebeirflusa des ganzen dsterreichisoh-ungarischen
Zollgebietes in Betracht kommen. Nach dem Durchschnitte von 10 Jahren
gestaltet sich die jährliche Mehrausfuhr der österreichisch-ungarischen Mon-
archie von den wichtigeren Getreide-Gattungen und von Mehl folgeüder-
massen:
Weizen ... _ 1.222 Tausend Meter-Centner
Roggen (— ) 407
Gerste 2.695
Malz 959
Hafer 363
Mais (--) 1.363
Mehl 1.419
Das Mehl auf Weizen, das Malz aber auf Gerste umgerechnet, betrug
der Ueberfluss an Weizen 3*19 Millionen, an Gerste hingegen 3*91 li^ionen
Meter-Centner. Bei diesen beiden wichtigen Getreide-Gattungen ze^ sich
daher ein sehr bedeutender Ueberfluss, beim Hafer hingegen nur mehr ein
massiger, vom Boggen jedoch und besonders von Mais weist die Waaren-
Bilanz einen grossen Abgang auf.
Um die Exportfähigkeit der Monarchie beurteilen zu können, musste
der Durchschnitt mehrerer Jahre in Betracht genommen werden, damit sich
in diesen die durch günstige und missliche Ernten verursachten extremen
Ergebnisse ausgleichen. Während der zehn Jahre, deren Durchschnitt mit-
geteilt ist, gelangten bei dem Gtotreide-Verkehr auch derartige Momente zur
Geltang, welche nicht mit dem Wanken der jährlichen Production, sondern
mit anderen Ursachen im Zusammenhange stehen. So war die Monarchie
während der letzteren Jahre bei Weitem nicht auf eine so grosse Menge von
Mais angewiesen, wie in früheren Jahren, die Mehreinfuhr betrug hievon
im Jahre 1888 nur mehr 385,000 Meter-Centoer, im Jahre 1889 hingegen
74,000 Meter-Centner. Die nahmhafte Einfuhr von Mds sank seit dem Zoll-
kriege mit Bumänien, jedoch nicht nur aus diesem Grunde, sondern auch
in Folge Einschränkung der Branntwein-Production, hauptsächlich der
industriellen Branntwein-Production. Als nämlich der Branntwein-Etport
in Abnahme begriffen war und als bei dem inneren Gonsum auf Kosten der
industriellen Branntweinbrennereien die grösstenteils Elrdäpfel aufarbeiten-
den wirtschaftliehen Branntweinbrennereien immer mehr Terrain eroberten,
musste notwendigerweise der Consum von Mais abnehmen und wir halten es
kaum für möglich, dass wenn auch der Zollkrieg mit Bumänien aufhört,
neuerdings solche Mengen Mais eingeführt werden wie früher.
Die Ein- und Ausfuhr Deutschlands (in und aus dem freien Verkehr)
gestaltet sich, ebenfalls nach dem Durchschnitte der zehn Jahre 1 880— 1889,
fcd^ndermassen :
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ä48
DIE GETBKTDB-VERSORGtKÖ
Einfohrin
Angfohr in
MehreinfnliT
Metar-Centeern
Meter-Oentnein
in Meter-Centeern
4,923 Tausend
438Taaaend
4,485 Tausend
Boggen
7,347 .
86 €
7,261 .
Gerate..
3,353 .
622 €
2,730 .
Ma]ü
... ... 606 «
63 €
545 «
Hafer ..
2,232 .
201 f
2,031 <
Mais
2,171 €
f
2,171 €
Mehl ..
439 .
1,182 •
— <
Deutschland bat daher nur aus dem Mehl eine Mehrausfuhr von
742,000 Meter-Centner; diese Menge auf Weizen umgerechnet* und von
dem Bedarf an Weizen in Abrechnung gebracht, sinkt der Netto-Bedarf an
Weizen auf 3*58 Millionen Meter- Centner, der Bedarf an Gerste stieg hin-
gegen nach Umrechnung des Malzes auf Gerste auf 3*43 Millionen Meter-
Centner.
Wenn nun zwischen dem üeberfluss der Monarchie und zwischen dem
Bedarf Deutschlands ein Vergleich aufgestellt wird, zeigt sich im Durch-
schnitte der zehn Jahre ein jährlicher Abgang:
beim Weizen von ... ... 0*48 Millionen Meter-Gentner
• Boggen € 7*67 t t
i Mais « ... 3*53 < «
• Hafer • ... 1*67 t t
hingegen bei der Gerste ein Üeberfluss von 484,000 Meter-Zentnern.
Diese Daten beweisen unzweifelhaft, dass im Falle einer Zollvereini-
gung die Monarchie und Deutschland zu den auf Getreide-Einfuhr ange-
wiesenen Ländern gehören würden. Dies wäre für Ungarn gewiss nur ein
Vorteil, da die volkswirtschaftlichen Verhältnisse Ungarns mit dem Auf-
blähen der Agrioultur dermassen eng verbunden sind, dass selbe mit dieser
sich entwickeln oder ungünstiger gestalten ; die bedeutende Zunahme der
Preise würde einen allgemeinen Aufschwung bedeuten ; jedoch wäre es für
die in Zollverband tretenden Staaten im allgemeinen gar nicht wünschens-
wert, wenn nebst dem Steigen der Localpreise der Getreide-Gattungen die
im grossen Maasse Getreide producirenden Staaten auch fernerhin mit meh-
reren Millionen Meter-Centnern Getreide das Zollgebiet überfluten würden
und hiedurch die Zollgebühren den einheimischen Consumenten zu Lasten
fallen würden. Zwar ist es unleugbar, dass für die Consumenten Deutsch-
lands auch dieser Zustand einen Fortschritt bedeuten würde, da nämlich die
* Die deutsche landwirtschaftliohe Statistik nimmt 100 Kilogramm Weizen fär
SQ Kilogramm Mehl; es wurde bei der Umrechnung dieses Verhältniss angenommen
{abweichend von dem bei der Ausfuhr Oesterreich-Üngams in Anwendung stehenden
Verhältnisse, welches den Productionsdaten der Budapester Mühlen entnommen wurde.
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OSTERRBIOH-imOABKS UKD DftÜtSOfiLANDÖ. ^
GoDsnmenteD Dentscblands in demselben Maasse von den sie belastenden
QetreidezöUen befreit würden, in welcbem Grade die Getreide-Einfohr die
znr Verfügung stehenden üeberflüsse der österreichisch-ungarischen Mon-
archie yermindem würde.
In neuerer Zeit tauchte die Nachricht auf, und es besitzt dieselbe nicht
wenig Wahrscheinlichkeit, dass das mit Deutschland abzuschliessende Zoll-
bündniss auch auf Italien ausgedehnt wird. Verwirklicht sich diese Nach-
richt, so wird dieselbe all jenen Freude verursachen, denen das wirtschaft-
liche Fortkommen der in Verband tretenden Völker am Herzen liegt. Denn
es würde auf einem so grossen wirtschaftlichen Gebiete, als jenes der zu
Stande kommenden neuen wirtschaftlichen Trippelallianz, der unbeschrankte
richtigerweise mit weniger Hindernissen belastete Verkehr auf die vollstän-
dige Entwiokelung und Geltendmachung der wirtschaftlichen Kräfte die gün-
stigste Wirkung ausüben. Was jedoch die Versorgung der betreffenden
Staaten mit Getreide anbelangt, wäre hiezu in diesem Falle die eigene Pro-
duction des Zollverbandes noch weniger im Stande. Italien ist von Weizen
auf einen sehr grossen Import angewiesen ; im Durchschnitte von 10 Jahren
(1880—1889) betrug die Mebreinfuhr 4*93 Millionen Meter-Gentner. In der
ersten Hälfte des Deoenniums war die Mehreinfuhr noch massig, seit dem
Jahre 1884 jedoch erreichte dieselbe immense Dimensionen und repräsen-
tirte die Mehreinfuhr im Jahre 1886 7*11 Millionen, im Jahre 1886 9*29 Mil-
lionen, im Jahre 1887 10*11 Millionen, im Jahre 1888 6*67 Millionen und
im Jahre 1889 8*72 Millionen Meter Centner. Wenn die Mebreinfuhr von
Mehl (346,000 Meter-Centner) auf Weizen umgerechnet wird, so beträgt
der gesammte vom Auslande zu deckende Weizenbedarf Italiens 5*28 Mil-
lionen Meter- Gentner. Von den übrigen Getreide- Gattungen ist der zu
deckende Bedarf ein viel geringerer, vom Mais durchschnittlich nur 29,000^
vom Hafer 19,000, von Gerste nur 6000 Meter Centner; Italiens Bedarf an
Boggen ist ein sehr geringer, in der Waarenverkehrötatistik ist die Ein- und
Ausfuhr dieser Getreide-Gattung nicht einmal separat ausgewiesen.
Wenn nun auch Italien zu dem ZoUbündniss gerechnet wird, so ändern
sich die oben angeführten Zahlen insofeme, dass der durchschnittliche jähr-
Uche Bedarf an Weizen, welcher vom Auslande zu decken ist, von 480,000
Meter Gentnem auf 5*76 Millionen Meter-Centner steigt
Wenn uns, wie schon früher erwähnt, egoistische Gesichtspunkte
leiten würden, könnten wir uns über eine derartige Gestaltung der Verhält-
nisse niur freuen, weil es eben Ungarns, als des Landes von Bohproducten,
Interesse ist, dass auf den Märkten der verbündeten Staaten eine je grössere
Nachfrage auftrete, und dass hiedurch die Preise sich je höher gestalten
mögen. Die Stabilität des wirtschaftlichen üebereinkommens jedoch, ja sogar
dessen Zustandekommen kann nur von der billigen Befriedigung aller Inter-
essen erhofft werden. Wären vielleicht Deutschland und die Consumenten
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^ t>lB aSTBfilD»-7ttB8ÖBOÜK<;t
Oesterreicbs befriedigt^ wenn die Lage aufrechterhalten bliebe, gegen welche
in Deutschland eine so grosse Unzufriedenheit herrscht, und welcher der
Getreide-Ueberfluss Ungarns nur Linderung, aber nicht Abhilfe zu bieten
im Stande wäre ?
Unter diesen Yerhältnissen ist nur eine richtige Losung erdenklich,
dass nämlich der Zollverband sich auch auf andere Staaten, welche zur
Deckung des oben ausgewiesenen Abganges einen hinlänglichen Ueberfluss
an Getreide besitzen, erstreckt wird.
An Bussland ist natürlich nicht zu denken» teils wegen der Verschlos-
senheit dieses Staates, den es vergebliche Mühe wäre, in eine bessere Rich-
tung zu lenken; teils wegen der Billigkeit und immensen Menge der russi«
sehen Getreide- Production, wodurch eben — wenn üb^haupt der Schutz
vor den im grossen Maasse producirenden Staaten berechtigt ist — in erster
Beihe die Agrarzölle begründet wird. An aussereuropäisehe Staaten ist eben-
falls nicht zu denken. Es wären daher allein die Balkan-Länder berufen, in
der Kette der wirtschaftlich verbündeten mitteleuropäischen Staaten die
fehlenden Glieder zu ersetzen. Obzwar auch diese Länder billiger prodnciren,
als Deutschland und als Ungarn, so gleicht die höhere Intelligenz, das
grössere Capital, mit einem Worte die höhere Entwickehmg d^ Agricultur
ziemlich jene Vorzüge aus, welche den Balkan-Ländern der billigere Boden,
die billigere Arbeitskraft und die extensivere Landwirtschaft zusichert.
Von diesen Ländern könnten hauptsächlich Rumänien und Bulgarien
in Betracht kommen. Griechenland ist selbst ein Import-Staat; die Türkei
hingegen müsste wegen der Eigentümlichkeit ihrer Interessen und Verbind*
lichkeiten ausser Acht gelassen werden. Serbien würde naturgemäss auch
zu diesem Verbände gehören, obzwar auch auf diesen Staat derzeit kein
grosses Gewicht gelegt werden kann, da hier die Netto- Weizen- Ausfuhr im
Durchschnitte von fünf Jahren kaum 350,000 Meter-Gentner betrug, die
Ausfuhr von den übrigen Getreide-Gattungen hing^en ganz unbedeu-
tend war.
Desto wichtiger ist die Rolle Rumäniens und Bulgariens. Das neue Bul-
garien, welches mit seiner grossen Energie und politischen Reife die gerechte
Bewunderung der civilisirten Welt eroberte — macht in wirtschaftlicher Hin-
sicht rapide Fortschritte. Das Umsichgreifen der Landwirtschaft bekundet
am deutlichsten die fortwährende Zunahme der bebauten Flächen. Das
Weizengebiet stieg nämlich während der Jahre 1881 — 1888 von 249,000
Hectaren auf 401,000, das Roggengebiet von 61,000 auf 94,000, das Gerste-
gebiet aber von 299,000 auf 357,000 Hectare ; der Hafer und Mais zeigt
keine derartige Entwickehmg : ersterer stieg von 91,000 Hectaren auf 93,000,
lelzterer von 90,000 Hectaren auf ebensoviel ; — eine grosse Zunahme zeigt
aber der Weinbau und die Tabakproduction : das Gebiet und die Production
verdoppelte sich bei dem Weinbau und verdreifachte sich fast bei dem Tabak.
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O8TEBilMl0&-UllGABH8 Ültb bEDTBCfitAKD^.
tei
Auch die produoirte Getreidemenge nahm im grossen Maasse zu und es
gewann in Folge dessen auch die Ausfuhr einen grossen Aufsdiwung. Im
Jahre 1882 betrug die Weizen-Ausfuhr nur 740,000 Meter-Gentner, im
Jahre 1889 hingegen schon 3.215,000 Meter-Centoer'; während derselben
Zeit stieg die Boggen-Ausfuhr von 220,000 auf 527,000, die Hafer- Ausfuhr
von 20,000 auf 93,000, die Mais- Ausfuhr von 696,000 auf 778,000 Meter-
Geutner. Während letzterer Jahre hatte Bulgarien sogar schon eine Ausfuhr
von Mehl beiläufig 40 bis 50,000 Mjöter-Gefitner. Die Ausfuhr von Gerste
zeigt einen Verfall; dieselbe sank ?on 431,000 auf 287,000 Meter-Gentn^.
In dieser Bntwickelung Bulgariens spielt unzweifelhaft auch die Vereinigung
mit Ostnunelien eine Bolle. Seit der Vereinigung betrug tlie Ausfuhr im>
Durchschnitte von vier Jahren u. z. :
Weizen^ — 2*33 MiUionen Meter-Gentner
Epggen 0*32
Gerste Q19
Hafer 0O3
Mais ... ^ 0-61
Mehl 0-04
Da aber Bulgarien keine beachtenswerte Getreide-Einfuhr besitzt,
können diese Mengen als Netto- Ausfuhr betrachtet werden« — Die Ausfuhr
Rumäniens ist noch viel grösser; dieselbe betrug im Durchschnitte der
JTahre 1879-^1888:
Weizen
Roggen
Gerste
Hafer ..
Mais
Mehl ..
4*14 Millionen Meter-Gentner
0-94
2-20
0*31
614
0O9
Wenn wir diese Ergebnisse mit dem früher ausgewiesenen unbedeckten
Getreidebedarf der österreichisch-ungarischen Monarchie, Deutschlands und
Italiens vergleichen, ergibt sich, dass auf dem ganzen Gebiete, welches wir
uns in einem ZoUbändniss vereint denken, der Ueberfluss bei der Gerste 3 37
Millionen, bei dem Mais 3'32 Millionen, bei dem Weizen 1*22 Millionen Hecto-
liter betragen würde, hingegen zeigt sich ein unbedeckter Abgang beim Bog-
gen von 6*38 Millionen und beim Hafer von 1*25 MilUonen Meter-Gentner,
den Ueberfluss und den Abgang separat addirt: 7*91 Millionen Meter-Gentner
üeberfluss und 7*63 Millionen Meter-Gentner Abgang, was sich gänzlich aus-
gleicht. Wir wollen natürlich nicht behaupten, dass der Bedarf an Boggen
mit Gerste oder Mais gedeckt werden könnte ; Thatsiche ist es aber, dass
sieh die Production bis zu einem gewissen Grade dem Bedarf anbequemt
und dass sich die Aufmerksamkeit der Landwirte jener Getreide-Gattung
zuwendet, welche einträglicher ist, die EinträgUchkeit aber bestimmt in
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erster Reihe der Bedarf. Dass auch unter diesen Umständen Boggen impor*
tirt wurde^ ist unzweifelhaft ; dies wäre jedoch kein Uebel, dem gegenüber
bleibt uns der Export von Qerste und Mehl. — Es wäre ein grosser Pehlar,
eben wegen dieser beiden Waaren-Artikel die Handelsverbindung mit Eng-
land abzubrechen ; dies würde sich in einzelnen günstigen Jahren bei einem
grösseren üeberflusse als jener der Durohschnittsjahre ernstlich rächen.
Der Weizen der Balkan-Länder dürfte nicht ohne jedweden Gegen-
dienst zollfrei oder bei ermässigtem Zoll auf das Gebiet des Zollverbandes
eingeführt werden. Entweder müssten diese Staaten gänzlich in den Zoll-
verband einbezogen werden^ oder es müssten für die Industrie- Artikel der im
2jollverbande stehenden Staaten thunlichst niedrige Zollsätze gesichert wer-
den, — viel massigere als allen übrigen Staaten gegenüber bestehen. Die
Balkan-Länder, entschiedene Länder der Bohproducte, würden sehr viel
gewinnen, wenn deren Getreide auf nahen, sicheren und hinsichtlich der
Preise günstigen Märkten zum Verkaufe gelangen würde und dieselben nicht
gezwungen wären, die unsicheren Märkte Englands, wo die Goncurrenz der
ganzen Welt zusammenwirkt, um die Preise herabzudrücken — aufzusuchen ;
es würde aber auch Deutschland, ebenso Oesterreich, ja sogar Ungarn
gewinnen, wenn die Balkan-Länder als vor der westeuropäischen Goncur-
renz gesicherter Absatzort für die Industrie-Artikel der erwähnten Staaten
erworben werden könnten. Dies wäre ein sehr grosser Erfolg. Es würde sich
verwirklichen, — wovon so lange Zeit hindurch geträumt wurde und was
der Handelsminister Ungarns mit entschlossenem Willen und selbstbewusster
Thatkraft zu verwirklichen bestrebt ist — die Eroberung der Märkte des
Ostens. Es wäre dies eine Eroberung, bei welcher sich alle Parteien für Si^er
betrachten könnten, denn es würde hiedurch weder die wirtschaftliche noch
die politische Unabhängigkeit der Balkan-Länder Abbruch erleiden. Und den-
noch würde dieses Handelsbündniss neben den wirtschaftlichen Vorteilen auch
zur unschätzbaren Quelle der politischen Vorteile. Die Völker des Balkans mit
ihren wirtschaftlichen Interessen dem Westen angewiesen und angereiht, wür-
den sich unter wohlthuender Wirkung der westlichen Givilisation frei und
stark entwickeln -— zum Vorteil der ganzen civilisirten Welt; die Grenzen des
östlichen Barbarentums würden durch den Westen zurückgedrängt werden.
Und Ungarn, diese grosse Landstrasse zwischen Ost und West, welches Land
nur durch die umwälzende Wirkung der türkischen Eroberungen dieser Bolle
verlustig wurde, würde seine frühere Mission neuerdings aufnehmen, um der-
selben mit viel grösserer Fähigkeit zu entsprechen. Auf den Eisenbahnen
Ungarns würden sich die Bohproducte des Ostens und die Industrie- Artikel
des Westens kreuzen, eine reichliche Verzinsung des in den Eisenbahnen an-
gelegten Gapitales von vielen Hundert Millionen zusichernd; die Waaren-
Artikel würden auf den Märkten Ungarns zum Auslande gelangen, die grossen
Handelsgeschäfte würden die mit lebhaftem Blute gefüllten Adern des Ver-
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ÖSTEBBBICH-UNaARNS UND DEl/TSGHIiANDB. ^^
kebree in regere Girculation bringen. Und andererseits würde diese lebbafte
GtfUinmg auf die Landwirtscbaft von aufinuntemder^ auf die Industrie von
anspornender Wirkung sein. Es könnte in der nächsten Nacbbarscbaft der
östlicben Märkte, in dem gebirgigen Siebenbürgen, die Industrie aufblühen,
und die entstehenden Fabriksmittelpunkte würden zu wirklichen Schutz-
mauem der gefährdeten ungarischen Nationalität. Dr. Julius v. Vabqha.
XLIV. JAHRESVERSAMMLUNG DER KISFALIJDY-
GESELLSCHAFT.
Diese älteste und hervorragendste belletristische Gesellschaft Ungarns hielt
ihre diesjährige Jahresversammlung am 8. Februar im Palaste der Ungar. Akademie
der Wissenschaften, in Gegenwart eines ebenso zahlreichen als distinguirteu Pub-
likums. Der Präsident Paul Gyulai eröffnete die Versammlang mit der folgenden
Bede, deren wesentlicher Gegenstand die EntivuMung der ungarischen Beredsam^
keit ist:
Geehrte Versammlung !
Das Arbeitsfeld unserer Gesellschaft ist die Aesthetik und das Gesammtgebiet
der redenden Künste, also auch die Redekunst. Sie hat auch in dieser Hinsicht
gethan, was in ihren Kräften stand. Sie hat die rhetorischen Werke des Aristoteles
und des Anaximens in unsere Sprache übersetzt und Preisau|gaben aus dem Bereiche
der Bedekunst ausgeschrieben. Ich gehe also nur von den Traditionen der Gesell«
Schaft aus, wenn ich die ungarische poUtische Beredsamkeit zum Gegenstande
'meiner Betrachtung mache, einen flüchtigen BUck auf ihre jüngste Vergangenheit
werfe und einige Ideen in Bezug auf ihre Gegenwart ausspreche. Dazu bestimmt
auch einigermassen auch die Pietät. Denn auch zwei MitgUeder unserer Gesell-
Schaft haben an der Begründung der neueren ungarischen politischen Beredsam-
keit lebhaften Anteil genommen : Paul Szemere, dessen sämmtliche Werke die
Gesellschaft jüngst herausgegeben hat, und Franz Kölcsej, dessen hundertste
Geburtstagswende wir im August des vorigen Jahres gefeiert haben.
Paul Szemere war kein Bedner, er interessirte sich aber fortwährend für
jedes Moment der imgarischen Literatur und Gultur. Er nahm nut Bedauern
wahr, dass die Veijüngung des Geschmacks und der Kunst des Stils zwar in der
Entwicklung unserer Poesie und Kunstprosa immer grössere Erobenmgen mache,
dagegen die kirchliche Bednerkanzel und die Tribüne der Beichstags- imd Com!-
tatssäle ziemlich unberührt lasse. Als er in den zwanziger Jahren seine Zeitschrift
i^et es Literaturai (Leben und Literatur) begann, wechselte er über dieses Thema
wiederholt Briefe mit Kölcsey. Sie kamen d* rin überein, dass das Publikum auch
auf die literarische Seite der Beredsamkeit aufmerksam gemacht werden müsse.
Aber Kölcsey glaubte, dass das Beispielgeben mehr wert sei als die Theorie, und
wünschte, dass Jemand mit einem auch aus Uterarischem Gesichtspunkte wertvol-
len Werke aus irgend einem Zweige der bürgerUchen Beredsamkeit auftreten
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^^ XLIV. JAHKB8VER8AMMLUNO DER ÜSPALUDY-OBSELLSCHAFT.
möchte. Szemere forderte ihn seihet hiezn auf nnd so schrieh Eölcsey mehrere,
niemals vorgetragene Beden, von welchen einige auch in f^et 6s Litoratnrat
erscbienen. Es ist eigentümlich, dass Eölcsey so spät zum Bewusstsein sdnes
Bednertalents kam, dass er bis zu seinem 39. Lebennjahre öffentlich nie gesprochen
hat und auch als Zuliörer, wie er selbst sagt, blos einmal in der Generalversamm-
lung des Szatm4rer nnd zweimal auf der Galerie in der Generalversammlung des
Pester Gomitats Erschienen war. Aber 1829 trat der schreibende Redner im Szat-
märer Gomitatssaale und 1832 — 1836 im Reichstage auch ab sprechender auf und
riss nicht blos seine Zuhörer hin, sondern übte auch einen entscheidenden Ein-
flufls auf die Entwicklung der neueren ungarischen politischen Beredsamkeit.
In den ersten Jahrzehnt^i diesem Jahrhunderts stand unsere politische
Beredsamkeit, besonders vom Gesichtspunkte der ungarischen Literatur betrach-
tet, auf keiner hohen Stufe. Die Oberhausmitglieder sprachen grosMntoik latei-
nisch, die Unterhausmitglieder grossenteils ungarisch, aber nicht in der veijüng^
ten ungarischen Sprache und nicht unter dem Einflüsse unserer sich entwickeln-
den Eunstprosa. Auch in unserer Literatur selbst war die rednerische Prosa am
wenigsten ausgebildet. Faludy, Bänöczy und Eazinczy hauchten unserer Prosa
gewfililte Eleganz, wendungsreidhe Leichtigkeit, Pracision uq^d Anmut ein ; aber der
re&orische Schwung ging ihr noch immer ab. Diesen versuchte Eölcsey mit
Erfolg und verpflanzte ihn zugleich aus der Literatur in die Säle des Comitats und
des Reichstags. Die verjüngte ungarische Sprache und die kunstmässigere Bered-
samkeit feierten gleichzeitig ihren Triumph, als Eölcsey auf dem Pressburger Reichs-
tage erschien. Die jüngere Generation empfing die neue Richtung der Beredsam-
keit mit Begeisterung. Deäk, der ebenfalls auf diesem Reichstage zum ersten Male
erschien und unter den Inspirationen der verjüngten ungarischen Literatur aufge-
wachsen war, schloss sich ihm an ; Graf Stefeui Sz^chenyi, der früher Schriftsteller
als Redner war, konnte sich seinem Einflüsse nicht entziehen; Eossuth, dei;
Während dieses Reichstages eine geschriebene Zeitung redigirte, war ein Bewun-
derer Eölcsey's und folgte seinen Fussstapfen ; Graf Aurel Deesewffy und Baron
Josef Eötvös, die inmitten ihrer literarischen Versuche eben um diese Zeit die
politische Laufbalm betreten wollten, waren ebenfalls Anhänger dieser neueren
Richtung der Redekunst.
Es vergingen kaum zwei Jahrzehnte und die ungarische politische Bered-
samkeit war ebenso zur Blüte gelangt wie unsere Dichtung, und beide wetteifer-
ten gleichsam miteinander. Die wertvollsten Producte, welche unsere Literatur in
den SOer und 40er Jahren aufweisen konnte, waren vornehmlich poetische und
oratorische Werke, und die Hauptvertreter der neueren Redekunst blieben diesel-
ben, welche diese Eunst gegründet hatten, wiewohl sich ihnen auch jüngere
Talente anschlössen. Eölcsey schwebten die Meisterwerke der klassischen, vor-
nehmlich der griechischen Redekunst vor Augen, aber er drückte moderne Ideen
nnd Empfindungen aus imd schöpfte aus der Tiefe seines starken Geistes niid
seines weichen Herzens jene Elemente des Pathos und des Spottes, der Versen-
kung und Erhebimg, welche für seine Beredsamkeit so charakteristisch sind. Seine
hervorragenderen Genossen überflügelten ihn in Hinsicht auf Reichtum an poli-
tischen Ideen imd auf parlamentarische Taktik, aber Formschönheit und Spmch-
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XUV. JAHRBSVERÖAMMLÜNO DER KISFALUpT-OBSELLSCHAPT. ^55
konst lernten Alle von ihm. Sz^chenyi war gewissermassen das Gegenteil Kölosey's;
er kümmerte sich wenig um die Form, aber in seinen sohwerfälligrai Sätzen blitz-
ten die Funken des Genies auf und so impfte er unserer Bedekunst ein neues
Element, den Humor, ein. An den Eeden Aurel Dessewffy*s und Josef Eötvös* war
auch der Einfluss der englischen und französischen parlamentanschen Beredsam-
keit bemerkbar. Aurel DessewfiPy's lebendige Klarheit, wendungsreiche Leichtig-
keit und feine Dialektik bereicherten die ungarische Beredsamkeit von einer neuen
Seite. Eötvös erschloss uns die Schätze seines denkenden Geistes und fohlenden
Herzens, indem er mit der ungarischen Vaterlandsliebe europäisobe Ideen ver-
schmelzte.
Indessen ragten aus der Gruppe der ausgezaichneten Bedner zwei Gestalten
empor, nicht blos als die höchsten Bepräsentanten unserer Beredsamkeit, sondern
zur Zeit auch als die Verkörperungen des nationalen Geistes : Deäk und Eossuth.
Dieser erreichte den Höhepunkt seiner Wirkung 1848 — 1849, jener 1861— J 876.
Die Beredsamkeit Beider hatte grosse Thaten zur Folge, welche ihre Gestalt, sowie
das Fiedestal und den Hintergrund derselben noch mehr hervorhoben. Ihr Charak-
ter, ihre Bedekunst, ihre Politik waren gleicherweise verschieden von einander,
aber eben in Folge dieser Verschiedenheit wurden sie in verschiedenen Zeiten zu
Führern der Nation. Ein Hauptelement der Bedekunst Deäk's ist das st^ke Urteil
und die scharfe Logik, jener Eossuth's die lebendige Phantasie und flammende
Leidenschaft;. Deäk's Stil ist einfach, präzis, aber zugleich plastisch, jener Eos*
suth*s bisweilen in IBombast überschlagend, aber immer klangvoll und Ranzend.
Niemand verstand es besser alsDeäk über die Verwicklungen einer Frage licht zu
verbreiten, die Hörer aufzuklären und zu überzeugen ; Eossuth's Eunst war die
Agitation und Begeisterung. Deäk schien die Bednerkunst gleichsam beiseite zu
lassen, er wollte mehr nur den Verstand aufklären, aber erwärmte, ohue zu wollen«
auch 4as Herz ; seine edle Würde, seine aufrichtige Ergriffenheit hob seine Gedan-
ken, machte seine Ausdrücke wirkungsvoller, und er drückte die Wahrheit, von
welcher er ausging oder welche er entwickelte, in so vollendeter Form aus, wie die
grossen Glassiker des Altertums. Eossuth war ganz Bedner, er wollte dies auch
bleiben und nahm alle Mittel der rednerischen Eunst in Anspruch. Er war ein
Meister in der Auseinandersetztmg der allgemeinen Ideen, in der Verkündigung
der Losungsworte der neuzeitlichen Freiheit und in der Ausmalung der Licht-
und Schattenseiten irgend eines Gegenstandes oder Factums, aber ein noch
grösserer Meister, wenn er die Saiten der nationalen Erinnerungen, Wünsche und
Ho£Ennngen anschlug und mit einem pathetischen Aufschrei oder scharfen Spott-
wort den Sturm der Leidenschaft entfachte. Hiezu kam noch der Wohlklang und
grosse Umfang seiner Stimme, der Zauber seines fliessenden und abwechslungs-
reichen Vortrags, welcher von gewählten und doch natürlichen Gesten begleitet
war. Alles dies fehlte bei Peak. Dabei war Deäk blos Parlamentsredner, Eossuth
aber gewissermassen ein Mittelding zwischen Parlaments- und Volksredner, und
diese Eigenschaft destinirte ihn gleichsam zur Bevolution.
In der Bevolution zeigt unsere Bedekunst keine neuere Entwicklung. Im
Parlament gab es kaum einen Eampf der Parteien und Eossuth's Beredsamkeit
erfüllte das Land bis zur Eatastrophe. Zwölf Jahre lang waren die Säle der
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256
XlilV. JAHBB8VEB8AMMLUNG DER KISFALUDT-GESBLLSOHAFT.
Landes- nnd Gomltatshäuser geschlossen and als sie sich wieder anftaten, begeg-
nen wir groesenteils den älteren Rednern in denselben, in deren Fassstapfen
anch die neueren traten. Erst nach der Wiederherstellang unserer Verfas-
sung, als unsere älteren Redner nach und nach abstarben und eine neue
Generation auf die Bühne trat, gewahren wir eine augenfälligere Veränderong.
Die politische Beredsamkeit unserer Tage ist in der That nicht mehr die
alte. Und dies ist auch nicht anders möglich. Die alte Beredsamkeit schöpfte
aus zwei Hauptquellen: aus den Quellen der Oravamina und der Reform-
ideen. Der factische Zustand der Verfassung stand in scharfem Gegensätze zu den
geschriebenen Gesetzen, und die Reformen, selbst die minder bedeutenden, wurden
unablässig gehemmt. Beide Umstände waren eine reiche Quelle der pairiotiBchen
Erregung und rednerischen Inspiration. Die Verfassung zu verteidigen, unsere
Institutionen umzugestalten, die Nation zu regeneriren, das war die grosse Auf-
gabe. Die grossen Erinnerungen der Vergangenheit, die kühnen Hofihungen der
Zukunft hoben die Geister und nährten die Begeisterung. Jetzt ist der factische
Zustand in Einklang mit den Gesetzen, die grossen Principien der Reformen
haben gesiegt and auf der Tagesordnung ist mehr nur die Ausführung der Detailst
die schwere Arbeit des Ausbauens, welche viel Fachkenntniss erfordert, aber weni-
ger auf die Phantasie und das Gemüt wirkt. Deshalb neigt sich unsere Redekunst
gewissermassen dem referirenden, abhandelnden, conversirenden Stil zu. Dies ist
nicht allein bei uns, sondern in ganz Europa der Fall. Auch Frankreich und
England haben heute nicht Redner von der Art, wie in der ersten Hälfte unseres
Jahrhunderts. Dies lässt sich auf mehrere Ursachen zurückführen : teils auf die
Veränderung des Geschmacks, dessen Element derzeit in geringerem Maasse das
Pathos ist, teils auf den Sieg mancher Principien, welche die Geister bis zur
Ermüdung zu grosser Eraftanstrengung gezwungen hatten, teils auf die Enttäu-
schung hinsichtlich gewisser Ideen, welche grosse Redner so laut verkündet
hatten. Ja auch die Wohlredenheit selbst ist in Verruf gekommen. Es gibt im
Auslande und anch bei uns genug Leute, welche die Redekunst überhaupt für ein
theatralisches Kunststück, für literarisches Geistreichthun halten, das eines ernsten
Politikers nicht würdig sei. Trotz alledem wird die Redekunst ebenso wenig aas
der Welt verschwinden, wie die Dichtkunst. Beide wechseln ihren Gegenstand,
ihre Form, geben den Schwankungen des Geschmacks nach, ja schaffen dieselben ;
in ihrem Wesen aber bleiben beide unverändert. In den öffentlichen Verhandlun-
gen wird immer Derjenige am meisten Wirkung erzielen und ein wahrer Redner
sein, der die Ideen klar zu ordnen, die Beweise wohl zu gruppiren, die Teile zu
proportioniren, den natürlichen und charakteristischen Ausdruck zu finden, über
seinen Gegenstand die Lebendigkeit des Geistes, die Wärme des Gemüts ausza-
giessen versteht, möge er sich nun in das Bereich der höheren Redekunst erbe-
ben oder zum abhandelnden und conversirenden Vortrage herabsteigen. Der
Dichter bleibt immer Dichter, ob er nun eine Ode oder eine Elegie oder ein Lied
oder ein Epigramm schreibt. Wie in der Poesie, hat auch in der Prosa jede Kunst-
gattung, jode Kunstform ihre eigene Schönheit, wenn sie aus ihrem Gegenstande
hervorquillt, ein individuelles Gepräge trägt, unsere Aufmerksamkeit, unser In-
teresse zu erregen weiss und auf uns zu wirken vermag.
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XLIY. JAHKB8VEBSAMMLUNG DBB KI8FALUDY-GBSELLB0HAFT. ^7
Es ist daher nioht ein Niedergang unserer Bedekunst, wenn sie unter den
veränderten Verhältnissen andere Formen sucht und findet, als die alte. Wir
müssen aber ihre Eigentümlichkeiten prüfen und ihre Qefahren vermeiden. Auch
unsere alte Bedekunst hatte ihre Schattenseiten. Selbst unsere besseren Bedner
verfielen leicht in Bombast, und die klangvollen Sätze, welche mehr das Qhr, als
die Seele erfüUen, waren in der Mode. Unsere jetzigen Bedner, selbst die besseren,
werden leicht nachlässig, und der oonversirdnde Ton, der sorglos sprühende Witz
passt bisweilen mehr in einen vertraulichen Kreis, als in das Parlament. Die For-
cirung der Würde und des Pathos erzeugt Gezwungenheit, die übertriebene Zwang-
losigkeit wird zur Alltäglichkeit. Es ist unleugbar, dass unsere heutigen Bedner viel-
seitigere Kenntnisse haben, als die alten ; die alten waren zumeist im Staats imd
Privatrecht und der allgemeinen PoUtik bewandert ; jetzt nötigt der viel umfang-
reichere Wirkungskreis unseres Parlaments, die complicirtere Organisation des
Staates und der Gesellschaft unsere Bedner zu vielseitiger Vorbildung. Aber es ist,
als ob die Aelteren das, was sie wussten, lebendiger vorgetragen hätten und weni-
ger in Trockenheit verfallen wären. Wir sprechen viell^cht übermässig viele
sogenannte grosse oder grossangelegte Beden, welche in vielen Fällen blos lang
sind. Dazu kommt noch die übertriebene Mode der Polemik. Das Parlament ist
allerdings der Kampfplatz der Ideen, der Parteien, ja der politischen Leidenschaf-
ten und auch die persönliche Polemik ist unvermeidhch, aber es ist etwas ganz
Anderes, die in der ZergUederung oder Verteidigimg irgend einer Frage vorge-
brachten oder möglichen Einwürfe gruppiit und in ihrem Wesen zu widerlegen,
als im Einzelnen bis in die Kleinlichkeit hinein die einzelnen Bedner zu kritisiren,
was häufig der gehörigen Beleuchtung der Hauptidee, der Abrundung der Bede
Eintrag thut und zu Abschweifungen, Gegenreden und Erläuterungen Anlass gibt,
ludespen, wie immer wir hierüber denken, so viel ist gewiss, dass aU das, was den
überflüssigen Wortaufwand befördert, nicht die Quelle der wahren Beredsam-
keit ist.
Zwischen imserer älteren und neueren Bedekunst besteht auch noch ein
anderer beachtenswerter Unterschied. Unsere ältere Bedekunst stand in engerem
Zusammenhang mit den literarischen Studien, ja mit der Literatur selbst. Die
ausgezeichnetsten Beden wetteiferten zugleich mit den besten Producten unserer
Prosa. Wir haben auch jetzt aiisgezeichnete Bedner, aber dies kann von ihren
Beden bei aller Anerkennung nicht behauptet werden, wenigstens keinesfalls in
solchem Maasse. Es ist als ob der Siim für die literarischen Formen abgenommen
hätte. Wollten sich doch unsere Bedner neben ihren Staats- und reohtswissenschaft-
hchen, finanziellen imd nationalökonomischen Studien mehr mit literarischen Stu-
dien befassen ! Ein guter Scliriftsteller, ja selbst ein guter Verfasser von Beden ist
darum noch kein guter Bedoer auf der Tribüne. Das Schreiben und das Beden sind
zwei vei^schiedene Dinge ; überdies kann der Schriftsteller ohne die Kunst der Bede
bestellen, der Bedner aber ist ohne eine gewisse Kunst des Schreibens nicht denkbar.
Das wissenschaftUche Buch wendet sich an die Fachverständigen, aber die Dich-
tung, die Literatur im engeren Sinne imd die Bedekunst an das Publikum. Mit je
mehr Leichtigkeit, Klarheit, Lebendigkeit der Bedner seine Ideen entwickelt, je
mehr er die Wirksamkeit des Vortrages, die Feinheiten der Sprache in der Gewalt
hat, desto besser dient er der Sache, für die er kämpft, desto mehr wirkt er nicht
üngadMlM BeTne, XI. 1891. IlL Heft. 17
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258 XLIV. JAHRESVERSAMMLUNG DER KISFALÜDY-OBSBLLSCHAPT
nur auf seine Hörer, sondern anoh auf das grosse Publikum, weil in unseren Tagen
eine gesprochene Bede am andern Tage bereits in allen Teilen des Landes gelesen
werden kann. Alles dies kann der Redner am besten aus den grossen Dichtem
und Prosaikern erlernen. Ein französischer Kritiker macht die richtige Bemerkung,
dass die Dichtkunst, welche der höchste Ausdruck der literarischen Kirnst ist,
auch die Prosa mit sich reisst und zur Erhebung zwingt; wenn die Prosa keine
höhere Kunst vor sich sieht, mit welcher sie wetteifern kann, wenn sie nicht
unentwegt die kritischen BUcke des geübten und verfeinerten Geschmacks auf sich
geheftet fohlt, gibt sie ihrer Natur nach und fallt in die Alltäglichkeit zurück.
Wenn indessen der Unterschied zwischen der älteren und neueren Bede-
kunst derart gezogen wird, ist diese Charakteristik mehr nur allgemein zu verstehen
und es kann nicht geleugnet werden, dass wir auch stürmische Tage haben, wo in
unserer, der abhandelnden und conversirenden Prosa zuneigenden Bedekunst das
Pathos auflebt Aber der Uebelstand ist der, dass dies im Yerhältniss zum Gegen-
stande und zur Situation selten der Fall ist und bisweilen, wie Mirabeau zu sagen
pflegte, dem Blitz und Donner der Oper ähnelt. Die Bedekunst ertragt, ja sie liebt
eine gewisse Uebertreibung, eine stärkere Zeichnung und Farbengebung ; aber
wenn wir auch die Uebertreibung übertreiben, wenn wir die starken Züge und
Farben forciren, verirren wir uns leicht in die Karrikatur. Wenn wir die Gefahr
des Vaterlandes, den Verrat an den Interessen der Nation, den Verfall der ö£Eent-
lichen Moral sehr oft erwähnen ; wenn wir auch bei den verhältnissmässig nicht
eben allerwichtigsten Fragen die Sturmglocke läuten, verderben wir unsere Bede,
denn da die Erregung und der Ton mit der Wirklichkeit nicht im Einklänge ist,
ruft er mehr oder weniger einen komischen Gegensatz hervor ; überdies wenn das
Pubhkum etwas oft hört, gewöhnt es sich so sehr daran, dass wir vielleicht gerade
dann keinen Widerhall finden, wenn wirklich eine Gefahr im Anzüge ist. Wenn
wir beim Verluste eines uns teueren Tieres imsere Tränen ausweinen und wehkla-
gen, was bleibt uns für den Fall, wenn uns unser teuerster Freund oder unser Kind
stirbt ? Der Bedner hat auch noch aus anderem Gesichtspunkte die Selbstbeherr-
schung inmitten der Aufwallungen der Leidenschaft nötig. Das Parlament ist
allerdings kein Salon und erträgt bis zu einem gewissen Grad den Spott und die
Schärfe, aber, euphemistisch gesprochen, nicht die Bohheit, am wenigsten dann,
wenn dieselbe beabsichtigt und berechnet ist. Die Bauferei in Worten verdirbt die
Bedekunst ebenso, wie in Griechenland die blutigen Schauspiele des Gircus, ab
die römischen Eroberer dieselben dort einführten, die dramatische Kunst verdar-
ben. Aber vor der bis dahin gehenden Entartung bewahrt uns die Autorität unse-
rer Parteiführer, das Beispiel unserer hervorragenden Bedner und auch die Macht
der öffentlichen Meinung.
Es sind nun fünfzig Jahre dahingegangen, seit sich unsere neuere politische
Bedekunst zu entwickeln begonnen und in ihrer Entwicklung so tiefe Spuren in
der Geschichte unseres öffentlichen Lebens und unserer Literatur zurückgelassen
hat. An sie knüpfen sich die grossen Erinnerungen unserer Wiedergeburt, unseres
Buhmes und unseres Leides, unserer Erhebung und unserer Weisheit. Gebe Gott,
dass die folgenden fünfzig Jahre der vorangegangenen fünfzig würdig seien und
unsere politische Bedekunst unseren nationalen Bestand inmier mehr festige und
unsere Literatur bereicheret
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XLIV. JAHB£»VEB8AMMLÜNG DER EISFALUDY-GE^BLLSOHAFT. ^^
Und hiemit erö£fne ich die vierundvierzigste feierliche Jahressitznng der
Kisfialudy-Gesellschaft.
Hierauf las der Secretär ZoltAn Beötby seinen Bericht über die Wirksam-
keit der Gesethchafi im Jahre 1890, dem wir folgende Daten entnehmen : <
In die bescheidene und stille Thätigkeit der Eisfaludy-Gesellschafb drang
auch in diesem Jahre mehrmals das begeisterte Getöse nationaler und literarischer
Festlichkeiten. In Arad feierte die Nation ihre Blutzeugen durch Aufstellung eines
Erzdenkmals auf dem cPlatze der Märtyrer •. Der schöne Tag war zugleich ein
Fest der ungaiischen Bildhauerkunst. Unsere Poesie und Literatur verdankt ihre
Wiedei^eburt der nationalen Idee, und wie die ungarische Schauspielkunst ist
auch die ungarische Bildhauerkunst im und zum Dienste dieser Idee geboren wor-
den. Auss^em wurde im Yoijahre eine ganze Beihe literarischer Gedenkfeste
gefeiert. Das Comitat Szatm4r feierte die hundertste Geburtstagswende seines gross-
ten Sohnes, Franz Eölcsey. Debreczin giündete auf den Namen und zum Andenken
Michael Cspkonai's einen Verein, welcher seine Thätigkeit mit einer Festsitzung
eröfiEnete; das Comitat Neograd enthüllte feierlich das Porträt Emerich Madäch's;
das evang. Lyceam in Oedenburg feierte am hundertsten Jahrestage der Grründung
seiner ungarischen Gesellschaft das Andenken ihres Gründers Joh. Kis. An allen
diesen Festen nahm unsere Gesellschaft durch ihre Vertreter teil.
Der Erneuerung des Andenkens unserer ehemaUgen Literaturgrössen dien-
ten auch mehrere Publicationen der Gesellschaft. Sie edirte im Yoijahre in drei
grossen Bänden die gesammelten Werke Paul Szemere's, des Meisters des feinen
Geschmacks, unter der Bedaction seines gelehrten Schülers Josef Szvorönyi ; femer
einen weiteren Band der Studien Johann Erdölyi's, eines jener grossen Kritiker,
welche wissen, dass die Kunst die ewige Verjüngung des Menschengeistes ist.
Hieran reihen sich mehrere PubUcationen, welche in gelungenen Uebersetzun-
gen klassische Werke fremder Literaturen der unsiigen aneignen. Diese sind: der
Kyklop des Euripides in der preisgekrönten Uebersetzung Gregor Csiky's ; Göthe's
Iphigenie in Tauris in der trefflichen Uebersetzung Johann Csengeri'^; die
Gedichte Giacomo Leopardi's in der gelungenen Uebersetzung Anton Bad6*s>
endlich Konrad Ferdinand Meyer's historischer Boman cDer Heiliget in der
Uebersetzung Eugen Pöterfy's. Ausserdem veröffentlichte die Gesellschaft im
Vorjahre den M. Band ihrer c Jahrbücher •, welcher unter Anderem eine grössere
Arbeit über die rumänische Volksdichtung von Oskar Mailand enthält, dessen
ethnographische Studienreise die Gesellschaft durch eine Subvention gefördert
hatte, wie sie auch im Vorjahre Julius Sebesty^n unterstützte, der eine reiche
Sammlung ungarischer Volksdichtungen von jenseits dei Donau heimbrachte. Wer
die Geringfügigkeit der Mittel der Gesellschaft kennt« wird diese ihre Editionen
und Forschungen nicht geringachten.
Eine andere Seite der Thätigkeit derKisfaludy-Gesellschaft waren ihre öffent-
Uchen Vorträge. Ihre zehn monatlichen Vortragssitzungen versammelten ein distin-
guirtes und zahlreiches Auditorium. An den daselbst gehaltenen Vorträgen betei-
ligten sich 16 Mitglieder der Gesellschaft und 10 Gäste. Die Zahl der Vorträge
belief sich auf 51, wovon 15 in Prosa und 36 in Versen ; Originale 45, übersetzte
Dichtungen 6 ; ästhetischen und literarhistorischen Inhalts 10, Prosaerzählungen
5, erzählende Gedichte 7, dramatische 4, lyrische 20.
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2W XLIV. JAHRBSVBRßABfMLüNG DER KISPALÜDY-OBSBLLSCHAFT.
Aach ausser dem zahlreichen Aaditorium ihrer Yortragssiieimg^xi erhielt die
Gesellschaft ermunternde Anerkennimg imd materielle Unterstützong. Die Pester
Erste Yaterlfindisohe Sparacsse vermehrte, wie alljährlich, auch im Vorjahre mit
200 fl. das Stammcapital der Gesellschaft, welches nunmehr 112.091 fl. 50 kr.
beträgt. Daro trugen im letzten Jahre noch bei : Emerieh Baghi imd der Tordaer
Frauenverein je 100 fl. als Gründerbeiträge, Ste&n Balogh 100 fl. und Karl Värady
200 fl. als Legate. Andererseite erlitten wir durch den Tod einen schweren Verlust.
Es veriiess uns einer unserer wertesten Genossen : Karl P. Szathm&ry, der in
vielen Zweigen iet Literatur thätig war, besonders aber auf dem Felde des histo
riechen Romans Werke lieferte, welche den Beifall weiter Kreise fanden.
Nach diesen officiellen Enunoiationen folgten die Vorträge. Zuerst las Karl
Szäsz Erinnerungen an Michael Tompa vor dessen Bude, welches von Ignaz
Boskovits im Auftrage der Gesellschaft gemalt, auf der Estrade des Stales auf-
stellt war. Der Vortragende wendete sich direct an das vorzügliche Porträt.
In diesem meisterhaft gelungenen Bilde — dies die wesentlichsten Züge der
künstlerisch ausgeführten, mit voller Wärme geschriebenen und vorgetragenen
Bede — steht Michael Tompa's Antlitz und Gestalt, wie sie sich jenseits des
Lebensmittags, auf dem Gipfel des Mannesalters dem Auge präsentirte, in voller
Wirklichkeit vor mir. Aber das geistige Auge, unterstützt von Gedächtniss und
Phantasie, ist stärker und die von ihm geschauten Bilder sind lebendiger und
reicher, als die vor dem leiblichen Auge stehende Gestalt. Ich sehe ihn in der Fülle
seiner Manneskraft, wie ich ihn 1851 — den 33-jährigen Mann — zum ersten Mal
in seiner halbverfallenen Nelem^rer Pfarrerwohnung besuchte, die er mit so viel
Humor besungen hat, in der er so glücklich war, die seine herzensgute, liebend-
geliebte Gemahlin innerlich und äusserlich mit seinen Lieblingen, den in seinen
«Blumenmärchen» verherrlichten Blumen geschmückt hatte. Damals fühlten die
glücklichen Gatten noch nicht jene Schläge des Lebens, welche ihnen später so
reichlich zugemessen wurden, welche Tompa*8 Leben brachen und ihn frühzeitig
alt machten : den Mhzeitigen Tod ihrer Kinder, das langwierige Kränkeln der zart-
gebauten Frau, sein eigenes, sich rapid entwickelndes Herzleiden, welche ihn der
Welt und den Menschen gegenüber krankhaft empfindlich machten und seinen
gemütvollen Humor in bittere Satire umschlagen UessMi. Aber wenn seine Leiden
sein Cbmüt auch gewissermassen verbitterten, gruben sie seinen Empfindungen
nur ein desto tieferes Bett und gaben seinem poetischen Geiste eine nur noch
potenzirte Kraft. Selbst unter unseren Vortrefflichsten haben nur Wenige so tief
aus sich selbst und nur aus sich selbst geschöpft. Auch die aus der Volksdichtung
empfangenen Stimmungen läuterte er erst durch sein eigenes Gemüt, wie unter
seinen Volksliedern die wertvollsten bezeugen. Seine Liebeslyra hatte wenige
Saiten, diesen aber wusste er wahrhafte Töne zu entlocken. Seine patriotische
Leier vermochte nicht die Begeisterung, nur den Patriotenschmerz ei^lingen zu
lassen. In den Tagen der Revolution und des Freiheitskampfes gab sie kaum einen
Ton, da sein zur Betrachtung hinneigender Geist zum plötzlichen Aufflammen
minder geeignet war. Aber als die Nation niedergeschmettert schwieg und litt, da
schlug er in seinen Gedichten cDer Storch», tAuf derPussta», tBrief an einen
ausgewanderten Freund» Saiten an, welche in allen Heizen Widerball weckten.
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XlilV. JaHBÜBVHBBAMMLUHO DBB KISFAtÜBY-ÖSSttLLSOHAFt. ^^
indem ae dem verbüllten Qedanken eibenao wahren wie ergreifenden AoBd^rock
gaben. Und dennoch erreicht Tompa's Dichtung nicht in diesen unmittelbaren
Ansdrftcken des patriotischen Schmerzes ihren Oipfelpankt. Dieselbe Phantasie,
welche die reizenden «Volksmärchen» und cBlumenmärchen» geschaffen, schuf im
Bunde mit dem Hanptdiarakterzuge seines Oeistes, der sinnenden Betrachtung,
jene Allegorien, deren tielian Sinn Jedermann verstand und deren Wirkung sich
Niemand entziehen konnte: «Der Vogel an seine Jungen», «Der yerfallende
Wald», «Der breitkronige Bieeenbaum» , «Alte Gtenchichte», «Der verwundete
Hirsch», «Bamaon», «Hebräische Legende«, «Herodes», «Ikarus», «Sturm»,
«Der neue Simeon». Wer erinnert sieh nicht noch heute der Wirkung, welche
diese Allegorien übten, und welche er auch mit seinen Einkleidungen ähnlicher
Ideen in das Qewand der Ode nicht überbie/en konnte, wiewohl sich auch hier
Meisterstücke finlen, wie: «Im Schlosse zu Pressburg», «Im November» und vor
Allem «Erinnerung an Eazinczj». — Ich kannte ihn in dieser vollen Olanizeit
seiner Blüte, besser gesagt, seines geistigen Fruchttragens, und h^ite, wo sein
Bild Tor meinen Oeistesaugen wieder lebendig wird, mein Herz vom Zauber-
hauche seines Andenkens wieder erzittert, weiss ich nicht, ob meine liebe oder
meine Verehrung od^ meine Bewunderung für ihn grösser gewesen.
Als ich ihn nach Jahren wiedersah, lauerte in den zahlreichen Runzeln seines
Antlitzes, den tiefen Furchen seiner Stime und im matten Lodern seiner Feuer-
augen schon jener «böse Geist», der nach Vernichtung sehnsüchtige Selbstmord-
gedanke, vor welchen ihn Johann Arany warnte. Doch war derselbe, wiewohl et
ihn oft quälte, blos der Schatten einer vorüberziehenden Wolke auf seinem Geiste
und seinem Antlitze. Er weist ihn zur Buhe in den herrlichen Gedichten: «Glaube»,
«Gottes Wille», «Liebe», «Am Grabe des Theuren» (seines kleinen Sohnes) und den
«Letzten (Gedichten» (an seine Frau). — Der Mensch krümmt sich bereits unter
den Qualen der Auflösung, dass es Qual ist, ihn zu sehen — ich sah ihn — , aber
der Dichter steht noch in der Fülle seiner Kraft da ; der Körper erkaltet, die Extre-
mitäten erstarren bereits, aber das Gehirn g^ht noch, das Herz ist noeh warm
und — liebt f
Noch drei Bilder drängen sich vor mein geistiges Auge: die Bahre, die
Witwe, das Grab. Die beiden ersten führt mir blos die Phantasie vor, das dritte die
Erinnerung. Als ich es sah, ruhten bereits alle Drei darin : das teure Kind, der
Dichter und die Witwe. Ihre Hoffnung auf ein Wiedersehen in der Ewigkeit ist
bereits in Erfüllung gegangen ; trösten auch uir uns mit dieser Ho&ung, und bis
sie in Erfällung geht, gedenken wir ihrer f Unser Gedenken nähren jene herrlichen
Lieder des Patriotenschmerzes und der patriotischen Erlösungshoffhung, welche
Tompa seiner Nation in der Periode des düstersten Schmerzes gesungen ; dasselbe
unterstützt auch dieses Bildniss, welches sein leibliches Antlitz uns treu vorstellt
und, um seine äussere Gestalt dem Gemeinbewusstsein einzuprägen und -darin zu
erhalten, von unserer Gesellschaft der gegenwärtigen und den künftigen Genera-
tionen hiemit übergeben wird.
Hierauf las Victor Dalmady zwei eigene Gedichte imter dem gemeinsamen
Titel: tin Siebenbürgen^, you denen das erste «Mathias* Geburtshaus» angesichts
des Geburtshauses des grossen Königs in Klausenburg, seinem Andenken eine
Lobeehymn^ singt, während das zweite: «Losungswort» die Losung ausgibt,
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*ßi tlECAUfÖIS OOPPiSe über UKÖAittßiiflft LtTÄ&ATÜft.
jede» Herz, das noch nicht ungarisch ist, der ungarischen YaterlandsUebe zn
gewinnen.
Nun las Karl Yadnai eine längere humorvolle Geschichte : Hymen, Erzäh-
lung von einem heiratsföhigen Jimgling. Der Held der Erzählung ist ein junger
Huszaren-Iieutenant, der die vom Vater ererbte eine halbe Million verschwendet,
überdies hunderttausend Gulden Schulden macht, deshalb aus dem Militärverbande
austreten muss, aber, da zu jener Zeit die Verfassung Ungarns suspendirt ist, von
keiner Verwandten-Clique mit einem Comitatsamt versorgt werden kann, nach
einigen misslungenen Versuchen, sich durch Arbeit seinen Unterhalt zu erwer-
ben, sich schliesslich einer bejahrten reichen Witwe an den Hals wirft, in der
Hofihung, sie binnen zwei Jahren beerben zn können, in dieser Hoffnung jedoch
arg getäuscht wird, da die kränkelnde Gattin in Carlsbad volle Genesung findet,
ihn unter steter Vormundschaft hält und schliesshch, nachdem er sich beim
Jagdvergnügen ein Podagra zugezogen, ihn, der sie zu begraben gehofft hatte, zu
Gntbe geleitet.
Zum Schlüsse las Anton VArady ein Gedicht Josef L^vay*s : tDer alte Nuss-
baunf vor, welches das Lob eines alten Nusnbaumes singt, der einer glücklichen
armen FamiHe ein schattiges Obdach und labende Früchte spendet und dafür ihres
Segens teilhaft wird.
Nun folgte noch die kurze Meldung, dass die letztjährigen P^reisaussohrei-
bungen der Gesellschaft leider resultatlos geblieben seien, worauf der Präsident Pftul
Gyulai mit kurzem Dankwort an das zahlreiche und aufinerksame Auditorium
die 44. feierliche Jahressitznng der Gesellschaft schloss.
FRANCOIS COPPlßE ÜBER UNGARISCHE LITERATUR.
♦
Fran9ois Copp^e hat zu der von Fräulein E. Hom, der Tochter des verewig-
ten imgarischen Staatssecretärs Eduard Hom, herausgegebenen französiscben
Bearbeitung Eoloman Mikszäth'scher Novellen (Kdlmdn de Mikszäth, Scenes Hon-
groises, traduites par E, Harn. Prdface de Frangois Copp^e de VAcaddmie Fran-
qaise, Paris, 1890, Quantin) ein Vorwort geschrieben, das in vollständiger Ueber-
setzung folgendermassen lautet :
dm Jahre 1885, anlässlich der Budapester Industrie- und Kunstausstellung
habe ich eine feenhafte Beise in Ungarn gemacht. Wir waren, an vierzig Franzo-
sen, die Gäste des magyarischen Volkes, welches in uns ganz Frankreich accla-
mirte und festlich bewirtete. Für mich bleibt es eine unvergessliche Erinnerung.
Ich habe nur die Augen zu schliessen, um sie wiederzusehen, die illuminirten
Städte, die geräumigen Banketsäle, wo alle Tokajergläser sich uns zu Ehren erhe-
ben, um zu hören, wie auf den tollen Geigen der Zigeuner die Marseillaise und der
Bäköczi-Marsch losbrechen. Ungarn handelte damals in sehr edelmütiger und sehr
rührender Weise : es reichte Besiegten die Hand. Gewiss, es waren uns, auch nach
unserer Niederlage, sehr wackere Freunde erhalten geblieben. Allein zum ersten
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PRAN901Ö OÖPP^ ijBHB ÜNOABISÖHB IJTBRATtJR. ^^
Mal seit dem verderblichen 1870-er Krieg fühlte Frankreich eine Nation, eine
ganze Nation darch einen grossen Zug von Sympathie zu sich hingezogen. Dieses
Oeffthl — ich mfe meine Beisegeföhrten als Zeugen an — haben wir Alle tief
empfunden und» zu wiederholten Malen, haben wir bei diesen enthusiastischen
Manifestationen zu Gunsten unseres lieben Vaterlandes gefühlt, wie Tränen der
Dankbarkeit und Freude uns in die Augen traten.
Wenn jedoch diese verzauberte Excursion durch zahlreiche Städte im Feet-
gewand mich Ungarn inniglich lieben lehrte, so kann ich nicht sagen, dass sie
mich Ungarn kennen lernen liees. Ich habe dieses schöne Land nicht in seinem
normalen Znstande gesehen. Ich sah es zu sehr geschmückt, sozusagen zu viel in
seinem Sonntagsstaate. Ich bin nicht in sein intimes Leben eingedrungen. cAuf
Wiedersehen,! sagte ich am Tage der Abreise, indem ich meinen lieben Gaatfreun-
den die Hand drückte. Und ich nahm den lebhaften Wunsch mit mir, bald wieder-
zukommen, die blonde Donau wiederzusehen — denn sie macht dem Strauss'schen
Walzer nicht das Vergnügen, blau zu sein — , meine magyarischen Freunde
wiederzufinden, mit ihnen die vergoldeten Tiefebenen und die Akazienwälder zu
durchjagen und auf dem Osärdatische jenen Wein zu trinken, von dem der Dich-
ter Pet6fi sagt : t Alt wie mein Ahn' und warm wie meine Liebstei, während der
Zigeuner, immer näher an meinem Ohr geigend, mir jene berückenden Improvisa-
tionen eingeschänkt hätte, die uns anfangs in so süssen Schlummer wiegen und
Bchliesfllich unsere Nerven bis zum Weinen erschüttern.
Ja, ich war entschlossen, dorthin zurückzukehren. Allein es ist weit vom
Eelchesrand bis zu den Lippen, es ist weit vom zärtlich gehegten Vorsatze bis zu
dessen Verwirklichung. Zu viele Bande, zu viele Pflichten hielten mich in Paris
zurück, und fünf Jahre sind verflossen, ohne dass ich ein zweites Mal den Orient-
Expresflzug hätte besteigen können, um Zigarretten aus türkischem Tabak auf den
Donanqnais rauchen zu gehen, angesichts der stolzen und pittoresken Silhouette
der altehrwürdigen Veste von Ofen.
Nun denn, von diesem, fast sehnsüchtigen Bedauern, dass es mir nicht
möglich war, Ungarn wiederzusehen und besser kennen zu lernen, ward ich so-
eben ein wenig getröstet, nachdem ich ein kurzes und köstliches Buch gelesen,
«Scdnes Hongroises» von Herrn Eoloman de Mikszäth.
Der Herausgebcur, Herr L^grädy, einer unserer liebenswürdigsten Bewirter
im Jahre 1885, bittet mich bei her Zusendung der französischen Uebertragung der
«Seines Hongroisest, ich möge denselben als Einfnhrer beim französischen Pub-
likum dienen, und er teilt mir einige biographische Notizen über den Verfasser
mit, die ich vorerst resumiren werde, da sie notwendig sind, um den Ursprung
seiner Inspiration und die Natur seines Talents zu erklären.
Der Vater Eoloman de Mikszäth's, Johann v. Mikszäth de Kis-Gs61t6,
gehörte dem Eleinadel an, der auf seinem Grund und Boden lebt nach Art der
Bauern, die Wände seiner Herrenwohnung wohl mehr mit Pfeifen und Jagd-
gewehren, als mit Büchereien ausschmückend, welche die Fächer einer Bibliothek
füllen könnten. Er dachte, sein Sohn werde genug wissen, um sein Out zu bear-
beiten, und er hielt ihn gar nicht zum Studiren an. Wir müssen darob dem wür-
digen Edelmann Dank wissen. Nichts ist gefährlicher, als frühzeitiger Unterricht
Wenn man zu früh Bücher liest, wird man ein Buchmensch, «hvresque», wie
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^ö* PRAN9OIS OOPPÄB ÜBER UNOARISCHB LiTHRATtÄ.
Montaigne sich atiadrüokt. Man denkt nicht mehr ans sieh selbst hiMraus ; man
abdicirt von seiner ganzen Persönlichkeit. EolomaD v. Mikssäth hatte somit eine
freie tmd glückliche Kindheit und verbrachte seine ersten Jahre in voller Natur
mit den Baiiem. Später verpflichtete ihn zweifellos seine Mutter, seine Studien
wieder aufzunehmen und er absolvirte sogar sein Jus ihr zu Qefalton ; als er dieee
jedoch während der 1873-er Cholera-Epidemie verloren hatte, wollte der junge
Mann, der frei handeln konnte, von ^?ar keiner iutellectueUen Arbeit mehr reden
hören und nahm seine unabhängigen Gewohnheiten wieder auf. Er blieb auf
seinem Oütchen, jagte, ritt und brachte mit Schäfern und Feldhütern seine Tage,
ja sogar seine Nächte zu. Er setsste sich an ihre Hirtenfeuer, blieb bei ihnen bis
zum Morgenrot unid hess sich ihre Geschichten erzählen. Auf diese Art lernte er
die Charaktere und Sitten dieser von der westlichen Civilisation noch unberührten
und noch halb barbarischen Bevölkerung kennen. Mit seinen wilden Freunden
von einer zuweilen bis zur Herrlichkeit gehenden Freigebigkeit, verwaltete
Mikszäth seine Besitzimgen so gut, dass er sich in zwei Jahren bis zürn lösten
Gulden ruinirt hatte, und, um seinen Lebensunterhalt zu gewinnen, ward der
Landedelmann zum Schriftsteller. Gleich bei seinen ersten Publicationen war der
Erfolg ein enormer. Ungarn begriff sogleich, dass eines seiner Kinder für
dieses Land dasselbe zu thun im Begriffe sei, was Sacher-Masoch för GaU^
zien und Bret Harte für Kalifornien gethan; es erkannte in Mikszith ein
Talent voller Saft und Ursprünghchkeit ; es applaudirte diesem reisenden
Erzähler, diesem wahren Dichter, den der nationale Genius so wohl inspirire.
In wenig^i Jahren wurde er volkstümlich ; seine Werke wtirden ins Deutsche
und Bussische übersetzt. Ohne das literarische Genre, dem er seinen Böhm
verdankte, zu vernachlässigen, leistete er auch joumalistisohe Kriegsdienste,
nahm an der Politik Anteil imd wurde ins ungarische Parlament gewählt, in
dem er auch heute sitzt. So hatte sich endlich der ndnirte Edelmann, dei
bizarre und vagabundirende Familiensohn, den fr^iher sidierlich ibehr als^ner
als schlechtes Subjekt behandelt hatte, mit Hilfe seiner Feder ein« glückliche
und geehrte Existenz rekonstituirt.
Ich habe soeben Mikszäth's «Sctoes Hongroises» gelesen und ich bin über-
zeugt, dass dieselben für das französische Publikum eine reizende Enthüllung bil*
den werden. Es sind dies, wie der Titel zeigt, nur sehr kurze Scenen, Bilder, die
ebenso rasch verschwinden, wie sie erschienen sind. Der Autor liat Novellen,
Erzählungen von grösserer Ausdehnung veröffentlicht. Hier aber hat er mit künst-
lerischer Kraftleistimg, oder vielmehr mit bewundernswertem Dichterinstinkt, alle
seine Eindrücke concentrirt, seine Gedanken in einigen wesenvoUen Seiten ver-
dichtet. Es sind Erzählungen, die auch Gedichte sind. Eine jede dieser ländlichen
Scenen enthält zugleich ein kleines Drama, ein landschaftliches Gem^de, eine
Charakterstudie und ein Bild localer Sitten. In einigen Worten heben sich Per-
sönlichkeiten voller Wahrheit und Leben empor, die Umgebung, in der sie sich
bewegen, wird hervorgezaubert, die Handlung gelangt zum Ausdruck und zu
raschem Ende. Es ist Bapidität, mit Vollkommenheit gepaart Und wenn ich
meine Kritikerloupe noch so sehr ans Auge drücke, vermag ich da keine Autoren-
manier, keine Künstlichkeit zu entdecken. Man beachte, dass ich es mit einer
Uebersetzung zu thun habe. Diese verdankt man der eleganten Feder einer jongon
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PlUK^OtS OOPFlte ÜBBB üHOABtdOfilB UTfiRATÜfi. ^^
Ungarin, fttr welche Frankreich ein zweites Vaterland ist, und die alle Feinheiten
unserer Sprache besitzt. Allein eine Uebersetzung ist bei der literarischen Servor-
bringong das, was der Qoss bei der plastischen Scböpfang ist. Wie tren und ebr-
förchtig sie auch sein möge, so drückt eine Uebersetzung stets das Original ein
wenig nieder und läset die Mängel nur mehr zum Vorscheine gelangen. Nun
denn, von Mängeln sehe ich gar nichts in diesen köstlichen Eunstobjecten, welche
die Ausdehnung von Miniaturen haben, obgleich sie mit meisterlicher Grosse aus-
geführt sind.
Und wie man sie lieb gewinnt, nachdem man Mikszäth's Buch gelesen,
diese magyarischen Bauern, naive Naturen, abergläubisch, sinnlich, leidenschaft-
lich, allein mit einem Fond von Adel, ja sozusagen Bitterlichkeit f Man lese die
schöne Oeschichte von Filcsik, dem c Heiden», und seinem alten Pelz, der mit
Tulpen ans roter und grüner Seide bestickt ist. Der Mann ist voll wilder Grösse,
wenn er über die unter freiem Himmel eingesohlafene Bettlerin dieses kostbare
Gewand wirft, das er soeben vom Sterbelager seiner entehrten Tochter gerissen.
Man bewundere Elisabeth Vede*s Unschuld und Bechtlichkeit vor dem Richter, da
sie sich erbötig macht, die Gef&ngnissmonate zu verbüssen, zu denen ihre Schwe-
ster verurteilt ist, die, ehe sie ihre Strafe überstanden, gestorben. Doch nein, ich
will mir nicht den Anschein geben, unter ^esen ausgezeichneten Erzählungen zu
wählen. Alle sind gleich vortrefflich, und wenn man dieses kleine Buch begonnen
haben wird, so wird man es in einem Zuge bis ans Ende lesen und es dann wieder
lesen, um sich darin die Seiten, für die man besondere Vorliebe gewann, zu
bezeichnen.
Niemals haben wir uns in Frankreich so viel mit fremden Literaturen
beschäftigt wie heute. Wir müssen um jeden Preis Neues haben und wir suchen
dasselbe im Exotischen. Dieser Geschmack — für Viele ist es nur eine Mode —
macht uns zuweilen ungerecht gegen uns selbst und wir sind dahin gelangt, bei
Anderen das zu bewundem, was jene Anderen uns entlehnt. Um nur ein Beispiel
zu citiren, so hat uns Bussland gewiss einige Bücher ersten Ranges, ja ersten
Genies, in den letzten zwanzig Jahren gegeben. Allein wer würde es zu behaupten
wagen, dass Tolstoi, indem er seine Kriegsbüder von solch ergreifendem Realis-
mus zeichnete, sich nicht ein wenig der bewundernswerten Schlacht von Waterloo
erinnerte, welche den Roman : tLa Chartreuse de Panne» erö&et. Gewiss, es gibt
keine schmerzlichere und rührendere Figur, als die der Sonia aus «Crime et
chätiment», allein hat unser Mitleid nicht schon auf die todte Stime Fantine's
(in Viktor Hugo's : «Les Miserables») einen Euss des Friedens und der Vergebung
für alles menschliche Leiden niedergelegt ?
loh will, Gott behüte, nicht an dem grossartigen Aufschwung der Meister
des zeitgenössischen Russland mit meiner Bewunderung fbiischen. Ich sage nur«
dass, insoweit es sich um Neues handelt, ich ganz Neues haben will ; hinsichtlick
des Exotischen, will ich ganz exotisches. Das ist die Befriedigung, welche mir
Mikszäih*s «Sc^es Hongroises» gewährt haben. Dieses kleine Buch ist absolut
originell, es verdankt nichts irgend einer anderen Literatur. Es ist magyarisch,
exciusiv magyarisch. Ich stelle es vertrauensvoll den französischen Lesern vor.
Es wird ihnen, Ich bin despen sicher, ein Gefühl exquisiter Ueberraschung geben,
•und sie werden sich wollüstig an dem Dufte berauschen, der dieser Garbe frischer
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iM ÜKdAfilSOHlS JOtJBKALtBTtK.
Idyll^, diesem Feldstransse entströmt, der aasseUiesslich ansBlamen der ungari-
schen Paszta znsammengesetzt ist.
UNGARISCHE JOURNALISTIK IM JAHRE 1891.
Josef Szinyei veröffentlioht in der Vasdmapi Vjsdg (Sonntags-Zeitung) eine
mit ausserordentlichem Fleisse verÜEtöste Uebersicht über den Stand der ungari-
schen Zeitungen und Zeitschriften am Beginne des Jahres 1891, welcher wir
folgende Daten entnehmen.
Es erschienen am Beginne der letzten beiden Jahre in Ungarn :
j^piftf^g
1890
1891
Differeiui
L Politische Tagesbl&tter
23
23
—
n. Politische "Woohenbl&ttor
43
41
- 2
m. Vermischte ülustrirte Blätter
3
3
—
IV. Kirchen- tmd Schtdbl&tter
40
39
— 1
V. Belletristische Blätter
15
17
+ 2
VI. Hmnoristisohe Blätter ... ...
13
10
— 3
VU. Fach-Jonnsle
134
137
+ 3
VlU. Nicht-politische Provinzblätter...
149
147
— 2
IX. Inseraten-Bl&tter
5
5
—
X. Zeitschriften
176
187
+ 11
XI. Vermischte Beilagen
35
36
+ 1
Zusammen:
636
645
+ 9
Im Laufe des Jahres 1890 und am Beginne des Jahres 1891 gingen zusam-
men 92 Journale ein und entstanden 75 neue Zeitungen und Zeitschriften.
Die erste ungarische Zeitung erschien am 1. Januar 1780 (der «Magyar
Hirmondö,» herausgegeben von Mathias Bäth in Pressburg) ; in Budapest erschien
die erste ungarische Zeitung am 8. October 1788 (der «Magyar Merkuriust im Ver-
lage von Franz Paczkö), doch erst die seit dem 2. Juli 1806 erscheinenden «Hazai
Tudösitiisok^ (Vaterländische Nachrichten) von Stefan Kulcsär wussten sich län-
gere Zeit zu erhalten. -
Der erste Aufschwung der ungarischen Journalistik beginnt mit dem Jahre
1830, in welchem 10 Zeitungen und Zeitschriften erschienen. Schon 1840 hatten
wir 26, 1847 : 33 und in den Sturmjahren 1848/9 plötzlich 86 ungarische Journale.
Die Niederwerfang des Freiheitskrieges vernichtete auch die ungarische Joumali-
"^^ Wir erinnern hier unsere LeRer, dass ein Band ausgezeichneter Mikszith'scher
Skizzen und Erzählungen auch in deutscher Uebersetznng vorliegt: Die guten Hoch-
länder, Ungarisclie Dorfgescki^fiten von Kolommt Mi-kszdth, Uehertragen durch Dr. Adolf
Silbersiein. Mit 28 Illustrationen. Szegedin, 1884, Druck u. Verlag Von L. £ndr4nyi &
Comp., 150 S. D. Bed.
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RtmZft 6ItZUKG8fiftttT0»T£:. ^7
stik. Im Jahre 1850 hatten wir blos 9 nngarisohe Blätter, welche Zahl bis 1861 auf
52 nnd bis 1867 auf 80 stieg. Der Ausgleich und das neu erwachte politische
Leben verliehen der Journalistik einen grossartigen Aufschwung. Schon im Jahre
1868 betrug die Zahl der ungarischen Journale 140, 1876: 240, 1880: 368, 1885:
494, 1889 : 600 und heute 645.
Von diesen 645 Zeitungen und Zeitschriften erscheinen :
in der Hauptstadt 298
in der Provinz 346 (an 140 Orten)
im Auslande (New- York) 1
In fremden Sprachen erscheinen ausserdem in Ungarn 1 89 Zeitungen und
Zeitschriften und zwar:
Anfang
1890
1891
Difleiens
in dentsoher Sprache
110
132
+ 22
• alavifloher .
32
37
+ 5
< mmSiiiseher »
19
15
— 4
• itaUenisoher «
2
2
• franisödsoher <
3
3
Zosammen:
166
189
+ 23
Die GFesammtzahl der in Ungarn in ungarischer oder einer anderen
Sprache erscheinenden Journale ist demnach derzeit 834 (Anfang 1890: 803.
Differenz -f 32).
KURZE SnZUNGSBERICHm
— Akademie der Wissenschaften. In der Sitzung der I. dasse am 3.
Februar hielt den ersten Vortrag das correspondirende Mitglied Ivan T^liy unter
dem Titel : Karl Kisfaludy*8 Elegie ^Mohdcs* griechisch. — Im tEgyetemes Philo-
logiai Eözlönyi, Heft 9., 1890, erschien Karl KisfEdudy's Elegie tMohäcs» von
Gustav Eassai im Originalversmass (Hexameter und Pentameter) ins Griechische
übersetzt. Im 10. Heffe derselben Zeitschrift veröffentUcht Dr. Rudolf Väri kritische
Bemerkungen zu dieser Uebersetzung. Vortragender kritisirt zuerst diese Kritik,
hierauf die Uebersetzung selbst und gibt schliesslich seine eigene Uebersetzung der
genannten Elegie in griechischen Distichen, begleitet von Bemerkungen, in welchen
er jeden gebrauchten Ausdruck durch Citate aus der Sprache der griechischen
Epiker, Elegiker und Dramatiker rechtfertigt.
Den zweiten Vortrag hielt das Ehrenmitglied Anton Zichy Ueber einige an
den Grafen Stefan Sz^chenyi in den Jahren 1827 — 1886 gerichtete Briefe, Als dem
Grafen Steüan Sz^chenyi seine dem Dienste des Vaterlandes geweihte Zeit kost-
barer wurde, sah er sich genötigt, den grössten Teil der an ihn gelangenden Briefe
unbeantwortet zu lassen, ja ungelesen zu vernichten. Wir dürfen daher jene wenigen
(im Ganzen 40) Briefe, welche er der Aufbewahrung in einer besonderen Enveloppe
würdig erachtete, nicht gering scliätzen. Drei darunter stammon von zarter Damen -
band, nämlich von der Herzogin L., von der Gräfin E., welche psychologisch inter-
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z^ KÜB2£ BITZÜK6SBfifiI0fil1S.
essant eind, und von dar Fnxx v. Petröoiy geb. Delevicz^nyL Uoter den von
Mftnnerhand stammenden behandelt Vortragender eingehender den Brief dee Su-
perintendenten Johann EIb, welcher sich anf die von der Emancipation der EatlM>-
Uken liandekiden und von ihm teilweise auch übersetzten Artikel «Bidinbnigh Be^
viewt bezieht und von den aufgeklärten liberalen Ansichten seines Schreibers ein
schönes Zeugniss ablegt. Hierauf den Brildf des ref. Predigers und Dichters
Gregor ^es, der im 70. Lebensjahre seine eigenen Ideen mit Freuden in Sz4-
chenyi*s Werke c Hitelt (über den Credit) abgespiegelt sieht. Aber auch katholische
Priester (Joh. Tatay, f ranz Somogyi und ein Erlauer Priester) beeilten sich, ihrer
Huldigung Ausdruck zu geben. Einer der interessantesten indessen ist ein ausführ-
licher Brief des Orafen Josef Dessewfiy, dessen grössere Hälfte sich mit den Aus-
stellungen befasst, welche Sz^chenyi an der äusseren Form der Zeitschrift tFelsd-
magyarorszägi Minerva» (Oberungarische Minerva) machte. Interessant ist, was er
vom damaligen geheimen Spionirsystem, den t Spitzeln», sagt Vor diesen förchtete
sich auch Graf Stefan Fi^, welcher hoch und teuer schwört, daas er Sz6chenyi*8
Antwort, wenn er ihn einer solchen würdige, nie einer MensohdBBeele seigen werde.
Dieser Graf sieht übrigens in der Urbarial- Ablösung, einer der Gkundideen Sz6-
chenyi's, wenn sie verwirklicht würde, den Untergang unseres Yateriandes. Ein
Brief Alexander Bertha's gibt dem Grafen Nachricht von dem Erscheinen und der
grossen Wirkung des Sz^chenyi'schen «Stadium». Manche suchten ihrer Huldi-
gung durch Geschenksendungen mehr Nachdruck zu geben. Georg Chmel sendet
Gartenerde, Johann N(^meth Yerpel^ter Tabak, unser berühmter Amerikareisender
Wolfgang Bölönyi sechs Bouteillen feinen Wein, welcher es mit dem Madeira auf-
nimmt, Johann Zeyk seine Gedichte u. s. w. Der schönste Brief stammt aus der
Feder Nicolaus Wessel^nyi's, welchen Vortragender bereits im I. Band seines
Werkes über Sz^chenyi's Tagebücher mitgeteilt hat Oberfeldwebel Buzits stellt
sich beiläufig als Tacitus-Uebersetzer vor. Den Bchlnss machen zwei Mitglieder der
damaligen Bifliichstagsjugend : Ste&n Baksay verwahrt sich gegen den von ungefähr
auf ihn gefallenen Vorwurf der Unehrerbietigkeit und Anton Noszlopy sendet ihm
das Poem nach, mit welchem er den aus dem Auslande heimkelnrenden Sz6chenyi
in Pressburg im Namen der Jugend begrüsat hatte. — Anknüpfend an diesen Vor-
trag liest der General-Secretär Koloman Szily das Antwortschreiben Sz6chenyi*s
ai\f ein Huldigungsschreiben des Ingenieurs Johann Gserna-Udvardy, welches sich
im Nachlass des Letzteren vorfand.
— In der Sitzung der H. Classe am 9. Februar las Franz Pulszky über dir
ungarischen heidnischen Oräberfunde. Die Gräberfunde sind die einzigen Denk-
mäler, ans welchen wir auf die Cultur unserer heidnischen Vorfaliren einiger-
massen Schlüsse ziehen können. Deshalb verdienen sie mit Becht das Stadium der
Archäologen. Vortragender zählt die bisherigen heidnisch-ungarischen Gräberfunde
in der chronologischen Beihenfolge ihrer Auffindung auf. Sechzehn dieser Funde
werden im Nationalmuseum aufbewahrt; andere in Provinzialsammlungen. Die
Funde betreffen ausschliesslich Grabstätten vornehmer Personen. In diesen Taj?en
wurde in Szegedin ein reicher Fund gemacht, den Vortragender später besprechen
will. Pulszky zählt die reichsten Funde auf, bemerkt jedoch, dass dieselben an
Wert und Interesse weit hinter anderen Völkerwanderungsfunden zurückstehen.
Die Zahl der Gegenstände ist gering, die Kunst daran unbedeutend. Zum Schlüsse
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KUBZB BTTZUNOSBEBIGHTE. ^^
sählt der VerÜBsser der Reihe nach die (Gegenstände der eiozehien heidnisoh-onga-
nsohen Gräberfunde auf, ohne fär jetzt die Ergebnisse der Untersnohnng zu
resnmiren.
Hierauf hielt das oorrespondirende Mitglied Alad4r Ballagi einen Vortrag
über die Eheschliessimgen in Ungarn im XVIL Jahrhundert. Für die damalige
Unentwickeltheit unseres gesellschaftliohen Lebens spricht nichts so sehr als die
Ckeohiohte der Ehen. In den höheren Kreisen kam das Princip der Erhaltung des
Geschlechtes und des Vermögens rückstohtsloe zui Geltung. Da6 Abhangigkeits-
yerhältniss, in welchem die su Verheiratenden zu ihren Eltern standen, vernichtete
jedes Becht der Individualität. Zahlreiche historische Beispiele beweisen, dass die
beiden gehorsamen Geschöpfe den Willen ihrer Eltern ab Gesetz ehren und mit
ihrer Wahl ziemlich im Beinen sind, bevor sie einander noch gesehen haben. Das
Uofiren ist ganz dberflüssig : die die äusseren Umstände erwägenden Eltern machen
das untereinander aus, was eine spätere Zeit durch Salon-Eroberungamanöver
erzielen lässt. Auch die einander zugedachten jungen Leute selbst sind reine Skla-
ven der Präoocupation, ihre Neigung lediglieh atif das optbche Moment des ersten
Eindrucks angewiesen. Die Brantschau hat kaum einen anderen Zweck ab den,
dass die einander zugedachten Parteien, welche in der Begel einander damab zum
ersten Male im Leben begegnen, einige Worte mit einander wechseln, um nicht
ganz ohne einander gesehen zu haben, den ewigen Bund zu schliessen. Nach statt-
gehabter Brautschau sendet die Familie des Jünglings ein angesehenes Mitglied
ab. Werber zur Familie des Mädchens. Im Falle günstigen Bescheides wird der
Zeitpunkt der «Handreichungt oder Verlobung durch Bingwechsel festgesetzt, bei
welcher Gelegenheit der Priester die Verlobten einander vermählt, welche von da
an bereits Ehegenossen sind, aber nicht die Ehe vollziehen. Die Braut bleibt näm-
lich nach der Handreichung noch eine geraume Zeit, bisweilen auch zwei Jahre
lang, noch daheim, und bt zwar Frau, aber im Jungfranenstande. Der Bräutigam
und seine Verwandten setzen den Tag der Hochzeit fest. Diese wird bei allen
Ständen mit möglichst grossem Pomp voUzogen und die Neuvermählten werden
dadurch dermassen in Unkosten versetzt, dass z. B. dem übrigens wohlhabenden
Grafen Nioolaus Bethlen nach seiner Hochzeit nicht mehr Geld als 25 fl. übrig
blttbi Die Gäste erscheinen insgesammt von Dienertross umgeben mit unzähligen
Wagen. Bei der Hochzeit der Gräfin Barbara Thurzö mit dem Grafen Ohristoph
Erdödy erschienen die hohen Ctäste mit einem (befolge von 2621 Personen und
4324 Pferden. Sie vertilgen 40 Ochsen, 19 Kühe, 140 Kälber, 350 Lämmer, 200
Schweine, 30 Auerochsen, 30 Bebe, 1400 Hühner, 6000 Eier u. s. w., femer 650
Eimer Wein und 295 Eimer Her. Die glänzendste Hochzeit rüstete die Witwe des
Palatins Georg Thurzö, Elisabeth Czobor, gelegentlich der Vermählung ihres
Sohnes im Jabre 1618 in Helmecz, welche nur in Baargeld, nach heutigem Wert
berechnet, mehr als hunderttausend Gulden kostete. Vortragender weist schliesslich
auf Grund ethnographischer und volkspoetischer Studien nach, dass der grösste
TeU der alten Hochzeitsgebränche hie und da noch heute besteht, mit dem Unter-
schiede, dass Dasjenige, was ehemals in den höchsten Kreisen Sitte war, heute nur
noch unter dem Volke bräuchlich ist, welches die alten Gebräuche bis heute
bewahrt hat.
Naeh Beendigung der Vorträge kündete der Classen-Secretär Emeriph Pauer
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270 KURZE SITZUNOBBBRICHTE.
an, dass am 1 1. d. eine aiisserordentliche Sitzung der zweiten Classe der Akademie
stattfindet, deren einzigen Gegenstand ein Vortrag des ordentlichen Mitgliedes
Karl Keleti über die vorläufigen Ergebnisse der 1890er Volkszählung bildet. Diesen
Vortrag teilen wir im nächsten Hefte vollständig mit.
— In der Plenarsitzung am 23. Februar las das correspondirende Mitglied
Alexander Matlekovits eine Denkrede auf das ordenüiche Mitglied Stefan Apdtky.
Penkredner schilderte den Lebenslauf Apäthy's und würdigte dessen Thatigkeit
als Professor, Codificator und juristischer Schriftsteller, insbesondere auf dem Ge-
biete des Handels- und Wechselrechtes. Die Akademie hatte ihn 1873 zum corre-
spondirenden, 1885 zum ordentlichen Mitgliede, der ungarische Juristentag 1889
zum Präsidenten gewählt. Apäthy gehört auf literarischem Gebiete zu den Bahn-
brechern unserer rechts- und staatswissenschaftlichen Literatur. Ueber die Lebens-
verhältnisse und Werke Apäthy's s. den Nekrolog in dieser tUngarischen Bevue»,
1890. S. 173.
Hierauf unterbreitete der Akademie-Präsident der Plenarsitzung den Plan
einer am 21. September 1. J. durch die Akademie zu begehenden Feier des hundert-
jährigen Geburtstages ihres grossen Gründers, des Grafen Stefan Sz6chenyi und
der Verbindung derselben mit der Enthüllung einer, an der Stelle des leeren Schluss-
steines am Akademie-Palaste anzubringenden und die Beichstagsscene, in welcher
Graf Stefan Sz^chenyi zur Gründung der Akademie ein Jahreseinkommen anbot,
darstellenden Belief-Denktafel ; femer machte er Mitteilung über die behufs Ver-
wirklichung dieses Planes bisher unternommenen Schritte, respective die bezüg-
lichen Beratungen einer gestern von ihm zusammenberufenen Commission. Die
Commission schlug vor, zum Zwecke der Zusammenbringung der auf 12,000 fl. ver-
anschlagten Kosten der auf Grund einer Strobrschen Skizze aaszuführenden Denk-
tafel die Unterstützung jener Factoren, Körperschaften, Inschriften, Institute,
Unternehmungen anzusuchen, welche ihr Aufblühen der Initiative des Grafen
Stefan Sz^henyi verdanken, so der Hauptstadt, Donau-Dampfschififahrts-Gesell-
schaft, Walzmühle, Kettenbrücken-Gesellschaft u. s. w., deren der gestrigen Com-
missionssitzung beigezogene Leiter in dieser Beziehung die günstigsten Aussichten
erö£fheten. Präsident beantragt, die Zustinmiung des Directionsrates m diesem
Plane einzuholen und die Commission aus den Beihen der Akademiker durch Fach-
männer zu ergänzen. In die Commission werden Zoltdn Beöthy, Karl Keleti, Julius
Pasteiner, Karl Pulszky und B^la Czobor entsandt und der Präsident mit dem
Arrangement der Denkfeier betraut.
Hierauf meldete der General-Secretär das Ableben des correspondirenden
Mitgliedes Carl Hofi&nann, dem er einen warmen Nachruf widmete. Dann verlas er
eine Zuschrift des k. u. k. Oberstkämmerer- Amtes an den Akademie-Präsidenten,
welche die Mitteilung enthalt, dass Se. Majestät den Auftrag erteilt habe, das für
den Porträtsaal der Akademie bestimmte Porträt des ehemaligen Ehrenmitgliedes
Kronprinzen Erzherzogs Budolf durch den Meister Julius Benczur anfertigen zu
lassen. Dieses neue Zeichen allerhöchster Huld wurde zu freudiger Kenntniss
genommen. — Hierauf unterbreitete der General-Secretär der Plenarsitzung behufs
Verhandlung den Conmiissionsvorschlag betreffend die Abänderung der Geschäfts-
ordnung in Bezug auf die Mitgliederwahlen. Der Vorschlag zerfallt in zwei Teile,
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AX78 PBTOFI S GEDICHTEN.
271
von denen der erste die Untergliederang der Glassen in je zwei Fachgruppen, der
andere die gelegentlich der Wahlen seitens jeder dieser Fachgruppen vorzuneh-
mende Wahl eines fünf- bis siebengliedrigen Candidations- Ausschusses empfiehlt.
Nach längerem Ideen-Austausche wurden beide Teile des Vorschlages mit geringen
Amendements in der Fassung der Gommission mit überwiegender Stimmenmehrheit
angenommen.
Hierauf machte der General-Secretär betreffend die Vervollständigung der
Wandgemälde des Prunksaales der Akademie die Mitteilung, dass Meister Karl Lotz
die Ausführung der projeotirten drei Oruppenbilder übernommen und die Samm-
lungen zur Aufbringung der Kosten (6000 fl.) bereits vor einiger Zeit erfolgreich
begonnen haben, indem zu diesem Zwecke der verewigte Fürstprimas Simor 700 fl.,
Bischof Baron Hornig 500 fl., die Bischöfe Schuster und Lonhardt je 200 fl«, die
Bischöfe Zalka, Bende, DuUnszky je 100 fl., und andere Spender zusammen 1300 fl.
beigetragen haben.
AUS PETOFI'S GEDICHTEN.
L Das Lied der Hunde.
Der Winter ist des Armen Fluch,
Wie 8türmt*s so eisig kalt!
Mit weissem, todtem Leichentuch
Bedeckt der Schnee den Wald.
Was kümmert*s uns ? wir liegen weich
In warmer Ecke hier ;
Denn unser Herr ist gnadenreich.
Und schenkt uns Frei-Quartier !
Dabei ein Fressen sorgenlos,
Aufschnappen Stück um Stück !
Drum sind wir auch in Treue gross,
Ein wahres Hundeglück !
Fnsstritte gibt es freilich auch.
Doch dulden wir sie gern ;
Die Demut ist ja Hundesbrauch,
Und Laune ziert den Herrn.
Schlägt er für unsem Unverstand
Den Bücken uns oft wund :
Dann lecken wir ihm hübsch die Hand,
So machVs ein braver Hund t
n. Das Lied der Wölfe.
Der Winter ist des Armen Fluch,
Wie stürmt's so eisig kaltt
Mit weissem, todtem Leichentuch
Bedeckt der Schnee den Wald.
Wir streifen hin durch Schilf und Rohr,
Durch Sumpf und Wäldermoos ;
Wir kauern auf dem Haidemoor,
Und immer obdachlos f
Wir heulen in das Sturmgebraus
Vor bittrer Hungerqual,
Verjagt von Hürde, Hof und Haus,
Veifolgt durchs Schluchtental.
Wir beissen in den harten Grund,
Das Lamm ist unser Becht ;
Doch feindlich ist uns jeder Hund,
Und jeder Hürdenknecht.
Wir tragen wilden Hungers Weh,
Uns trifft des Jägers Blei ;
Eb rötet unser Blut den Schnee :
Doch sind wir Wölfe frei f
Stefan Bönat.
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272 UNGARISCHE BIBLIOGRAPHIE.
UNGARISCHE BIBLIOGRAPHIE.*
Band Jozsef\ ütazds ismei'eüen dllomds feU, (Beise nach einer anbekannten
Station, 18i9— 185G. Erinnerungen von Josef Barsi.) Budapest, 1890, Franklin, 414 S.
Bdnö Jena. ÜH kdi^ek Amerikäböl (Reisebilder aus Amerika von Eugen B&n6).
Mit fünfzehn Hlustraiionen und zwei Karten. Budapest, 1890, Nagel, 216 S.
Cdky Gerffely, A szokoH urasdg kdt lednya. (Die beiden Töchter der Sokoler
Herrschaft. Novelle von Gregor Csiky.) Budapest, 1890, Franklin, 112 S.
— — A nagyraiermeU, ( Grössen wahn. Prei^ekröntes Lustspiel in drei Auf-
zügen von demselben.) Das., 175 8.
Domarumzky Endre, A renaismncie'kon bölcadszet törUnete, (Geschichte der
Philosophie im Zeitalter der Renaissance von Andreas DomanovszkL Auch unter dem
Titel: Geschichte der Philosophie, IV. Band.) Budapest, 1890, Franklin, 492 S.
Ember öyörgy, Csak eyy nun, (Nur ein «auch», Roman von Georg Ember.)
Grosswardein, 1891, Lang, 210 S.
Euripidesy Der Oyclop, ins Ungarische tibersetzt von Gregor Csiky. Von der
Kisfaludy-Gesellschaft preisgekrönte Uebersetzimg. Budapest, 1890, Franklin, 56 S.
FrakncH Vünios, Mdtyde kirdly, (König Matthias Qorvinus 1440 — 1490, von
Wilhelm Fraknöi. Mit zahlreichen Blustrationen im Text und mehreren Kunstbeila-
gen.) Budapest, 1890, Verlag der Historischen Gesellschaft, 416 8.
Goethe' 8 Iph'genie auf Taurüy ins Ungarische tibersetzt von Johann CsengerL
Von der Kisfaludy-Gesellschaft belobte Uebersetzimg. Budapest, 1890, Franklin, 86 8.
Qyulai PdU Arany Jänos, (Denkrede auf Johann Arany von Paul Gyulai.)
Budapest, 1890, Franklin, 56 S.
Kenes^ B^la^ Kdivli-emlekkönyc (Zur Erinnerung an den ersten ungarischeii
Bibeltibersetzer Kaspar K&roli von Adalbert Kenessey), Budapest, 1890, Homyanszky,
197 8.
Kirdly Pdl, ülpia TroQana, (Ulpia Trajana Augusta Colonia Daciea 8armiz^ge-
tusa metropolis, Daciens Hauptstadt, V4rhely im Komitate Hunyad in Biebenbüigen,
von Paul Kir41y.) Budapest, 1891, Athenäum, 178 S.
Kis Jdnos sujtenntendens emldkezdm, (Erinnerungen aus dem eigenen Leben von
dem 8uperintendenten Johann Kis.) 2. Auflage. Budapest, 1890, Franklin, 702 8.
Kldn Gyulu^ Emldkbeszed Heer ^ Oszcald fököU (Denkrede auf das auswärtige
Mitglied der Akademie Oswald Heer von Jtüius Klein). Budapest. 1890, Akademie
36 8eiten.
Lubrich AyosU Tenndszetbölcselet, (Naturphilosophie, auf Grund der neuesten
Ergebnisse der im Sinne des h. Thomas von Aquino geförderten Forschungen, von
August Lubrich. HI. Band: Die christlich-dualistische Weltanschauung.) Budapest,
1890, Selbstverlag, 712 8.
Ungarn in Wort und Bild, Bearbeitet von Bell F. A., Diaconovich C, Draga-
lina P., Gerlas W., Imendörfler A., Kenedi G., Kraus F., Plavsic A., Römer C. J., Sieg-
meth K., Siegrus E., Stemberg A., Sziklay J. und Weingärtner C. Mit 260 Dlustratio-
nen und neun Karten. Ztirich, 1890, (Budapest, Grill), 534 8.
* Mit AHSschiiiSB der mathematisch-natorwissenBchaftlichen Literatur, der Sohnlbücher
Erbanungsschriften nud Uobersetzungen aus fremden Sprachen, dagegen mit Berucksichti-
' gung der in fremden Sprachen erschienenen, aof Ungarn bezüglichen Schriften.
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GRAF JULIUS ANDßASSY.
Graf Julius Andrässy de Osik-Szentkir&ly und Erasznahorka wurde
geboren in Easchau am 3. März 1823 als Sprössling des älteren Zweiges der
Familie Andrässy. Er war der Sohn des Grafen Karl Andr&ssy und der
Gräfin Etelka Szapäry. Er absolvirte die Mittelschule in Sätora^a-Ujhely
und Tata, beendigte seine Universitätsstudien in Pest und bereiste nachher
Deutschland^ Frankreich, Spanien und England. In die Heimat zurück-
gekehrt, beschäftigte er sich lebhaft mit öffentlichen Angelegenheiten, und
obzwar noch ganz jung, stand er in Folge seiner geistigen Reife dennoch
alsbald in den vordersten Beihen. Im Frühling des Jahres 1846 schrieb er
als S3-jähriger junger Mann in den «Pesti Hirlap» einen Artikel, worin er
das Syst'Cm der Obergespan-Stellvertreter, der sogenannten Administratoren,
welches im Lande eine fieberhafte Erregtheit hervorgerufen hatte, tadelte,
gegen die Gonservativen Stellung nahm und gegen die Angriffe derselben die
von Franz Deäk in der Gravaminalfrage in der Gongregation des Zalaer
Comitates beantragte Adresse in Schutz nahm. Der Zeitungsartikel erregte
Aufsehen, und Graf Emil Dessewffy polemisirte gegen denselben Wochen
hindurch im iBudapesti Hiradöi. Mit dieser Arbeit zog Andrässy die Auf-
merksamkeit Franz Deäk's auf sich, und an diese knüpften sich die ersten
Fäden ihres Freundschaftsverhältnisses, welches in der Folge von epoche-
machender Bedeutung wurde für Ungarn und die Monarchie. Graf Stefan
Sz^henjd kannte Andrässy schon von dessen Eindeszeit her, er gewann ihn
äusserst li^b und hing an ihm mit der ganzen Innigkeit seines Herzens, wo-
von die nachgelassenen Tagebücher Sz^chenyi's in rührendster Weise Zeu-
genschaft ablegen. Er erblickte in Andrässy den Mann der Zukunft, ausge-
stattet mit dem Talente, das von ihm, Szechenjd, begonnene Werk der Be-
form Ungarns zu glücklichem Abschluss zu bringen. Die erste Theissregu-
lirungs-Gesellschaft wählte am 1. Dezember 1845 den 22-jährigen Andrässy
auf Vorschlag Szechenyi's zu ihrem Präsidenten und nahm in ihr Sitzungs-
protokoll die folgenden Worte auf: tZum ordentlichen Präsidenten wurde
mit Stimmeneinhelligkeit der hochgeborene Graf Julius Andrässy gewählt,
den die Gesellschaft auch bisher schon als würdigen Sprossen seiner ruhm-
reichen Ahnen und als neuen, mit leuchtendem Glänze aufsteigenden Stern
UngaiUchc Ravao, XI. 1891. IV. Heft. lg
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274 GRAF JULIUS ANDRiSSY.
des Vaterlandes zu kennen so glücklich war.» Es war um diese Zeit, dass
Szeebenyi dem Vicegespan des Szabolcser Gomitates, Ludwig Eröss sagte :
•Nicht ich werde dieses Reguhrungswerk durchführen, sondern der Jüngling
Julius Andrassy.»
Auf dem Reichstage der Jahre 1847 — 1848 wirkte Andrassy als einer
der Ablegaten des Zempliner Gomitates. Am 2. Februar 1848 schrieb über
ihn Szechenjri in seinem Tagebuche: «AndrÄssy ist violleicht der Einzige,
der unsere Angelegenheiten von einem höheren Gesichtspunkte aus be
trachtet.» Andrassy unterwarf sich nicht blindhngs den Ansichten Sz6-
chenjd's, er widersetzte sich in jener trüben Zeit mehr als einem Plane des-
selben, in noch grösserem Maasse opponirte er aber den Uebergriffen der
Radikalen. Ueber die Vorgänge auf diesem denkwürdigen Reichstage sandte
Andrassy an sein Gomitat regelmässige Ablegatenberichte. Wir citiren aus
einem dieser Berichte, der das Datum des 9. Mai 1849 trägt, einige Sätze,
welche die politische Richtung des nachmaligen Ministers des Aeussem bereits
in klaren Umrissen zeigen.
«Wir als ehemalige Schutzmauer der Christenheit», heisst es in diesem
Berichte, «sind die unmittelbaren Nachbarn des nordischen Riesen, und es
ist vielleicht unsere Bestimmung, dass gleichwie in der Vergangenheit die
Macht des Orients an unseren Mauern sich brach, so in der Zukunft
die Macht des Nordens sich hier breche. Falls das Schicksal uns diese Be-
stimmung zugewiesen hat, dann wollen wir dieselbe mit in Grott gesetztem
Vertrauen hinnehmen, nicht allein darum, weil diese Schicksalsfügung eine
grossartige ist, sondern auch deswegen, weU wir in dem grossen Kampfe,
der unserer vielleicht harrt, auf die Sympathien der europäischen dvilisirten
und freien Völker rechnen können. Wir wollen aber dabei bedenken, dass
wir nur dann siegen können, wenn wir im Kampfe nicht vereinzelt dastehen.
Ungarn hat durch die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit eine wichtige
Position in der Mitte der europäisch gebildeten und freien Nationen einge-
nommen. Damit es diese seine Stellung behaupte, bedarf es der Eintracht
und der Einigkeit, wodurch es stark, und der Sympathien, von welchen es
unterstützt sei. Das Freiheitsgefühl erweckt diese Sympathien, und diese
werden Nährung und Stärkung finden in der Interessengemeinschaft zu-
nächst mit jenen Völkern, mit welchen wir durch die pragmatische Sanction
und durch die Geschichte verknüpft sind, und in weiterer Folge, unter Auf-
rechthaltung unserer nationalen Selbstständigkeit, mit jenem Volksstamme,
welcher die Wiege der Civilisation war und die Buchdruckerkunst und das
Schiesspulver, diese gewaltigsten Waffen des menschlichen Geistes, unter
seine Erfindungen zählt.»
Das erste verantwortliche Ministerium ernannte Andrassy zum Ober-
gespan des Zempliner Gomitates. Unterdessen war der Bürgerkrieg ausge-
brochen und auf die erste Nachricht von der organisirten Erhebung der
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GRAF JUIilüS ANDRÄSSY. 275
Kroaten und Serben griflf Andrässy zum Schwert. Im Juli zum Major der
Nationalgarde, im September zum Adjutanten des Generals Moga ernannt,
nahm er an der Schlacht bei Päkozd, welche mit der Niederlage Jellachich*s
endigte^ theil ; nicht wenig trag zum Erfolge des Tages das wirksame Ein-
greifen einer Batterie bei, welcher Andrässy auf eigene Verantwortlichkeit
die Position angewiesen hatte. Unter den Offizieren, die aus Anlass des
Sieges mit besonderem Lob erwähnt wurden und denen das Abgeordneten-
haus in seiner Sitzung vom 1. Oktober im Namen des Vaterlandes feier-
lichen Dank zollte, befindet sich auch der Name Andrässy's. Auch an der
unglücklichen Schlacht bei Schwechat, in welcher die undisciplinirten, in der
Eile zusammengelesenen ungarischen Heerhaufen den feindlichen Truppen
nicht Stand zu halten vermochten, war Andrässy betheiligt und hier gab er
wiederholt Proben grossen persönlichen Muthes. In den siegreichen Schlach-
ten von Hatvan, Täpiö-Bicske und Isaszeg focht Andrässy als Adjutant
Görgey's. Nun wurde aber seiner noilitärischen Thätigkeit ein Ziel gesetzt.
Er war bereits Honved- Oberst, als ihn der Minister des Aeussem Graf
Kasimir Batthyäny im Juni 1849 in diplomatischer Mission nach Gonstan-
tinopel sandte. Nur zu bald hatte er Gelegenheit seine diplomatische Geschick-
lichkeit zu bethätigen, denn mittlerweile war die Katastrophe von Vilägos
erfolgt und zahlreiche ungarische Patrioten suchten vor der Wärgarbeit
Haynau*s Zuflucht auf türkischem Boden. Auf die Entschiedenheit der Pforte,
womit diese das Verlangen nach Auslieferung der ungarischen Emigranten
zurückwies, hatte Andrässy's Action wesentlichen Einfluss. Von Constan-
tinopel begab sich Andrässy nach London und zwei Jahre später nach Paris.
Inzwischen wurde er, nebst 35 seiner Genossen, als Hochverräther vom
Pester Militär- Gerichte am 21. September 1851 in contumatiam zum
Tode verurteilt und am darauf folgenden Tage auf dem Platze hinter dem
Neugebäude in effigie gehenkt. Das militärgerichtliche Urteil lautete
wie folgt :
«Julius Graf Andrässy, zu Zemplin geboren, bei 26 Jahre alt, katho-
lisch, ledig,. gewesener Obergespan des Zempliner Comitats und Mitglied des
Oberhauses, am 1. Januar 1850 wegen angeschuldeten Hochverrats edicta-
liter citirt, aber nicht erschienen, ist bei gesetzlich erhobenem Thatbestande
durch rechtskräftige Zeugnisse überwiesen, trotz des Allerhöchsten Mani-
festes vom 3. Oktober 1848 als Major der Nationalgarde des Zempliner Co-
mitats an der Schlacht bei Schwechat am 30. Oktober 1848 teilgenommen,
das schon vorher bekleidete Amt eines Obergespans des besagten Comitats in
revolutionärer ßichtung bis Ende März 1849 versehen, darauf von der revo-
lutionären Begierung in der Eigenschaft eines Agenten die Mission nach
Konstantinopel angenommen, als solcher auf dem Wege dahin im Monate
Juni 1849 die Regierung des Fürstenthums Serbien zu einer feindseligen
Haltung gegen Oesterreioh und vorläufigen Bückberufung der Serben und des
18*
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276 GRAF JXTL11I8 ANDRjtsST.
Generals Kniianin zu bewegen gesucht und behufe sicheren Gelingens dieses
Planes zur Unterjochung der Serben und Kroaten der revolutionären Regie-
rung die kühnsten und hinterlistigsten Vorschläge gemacht, in Eonstantinopel
selbst aber bis zur Unterdrückung der Bebellion Alles angewendet zu haben,
um seine officielle Anerkennung bei der ottomanischen Pforte durchzusetzen
und deren Begierungsorgane, wenn nicht anders, so durch ihre eigene Gom-
promittirung, wozu er Mittel der verwerflichsten Art bei der revolutionären
Regierung in Antrag gebracht hatte, zum feindseligen Handeln gegen Oester-
reich zu nötigen.»
In seiner Verbannung beobachtete er scharf und sammelte wertvolle
Erfahrungen für die Zukunft. Mit klarem Blicke durchschaute er die innere
Hohlheit des glanzvollen Empire und er hielt sich fem von der Conspiration
der Emigranten-Politik, welche auf das Eingreifen Napoleons zu Gunsten
des niedergetretenen Ungarn ihre Hoffnungen baute. In Paris befestigte sich
in ihm «immer mehr die Ueberzeugung, dass Ungarns Heil nicht von einem
Kampf gegen die Dynastie, sei es aus eigener Kraft, sei es mit fremder Hilfe
zu erwarten sei, sondern von der ehrlichen Versöhnung Ungarns und des
Königshauses. Darum machte er auch im Jahre 1858 von der ihm auf Ver-
wendung seiner Mutter gewährten Amnestie Gebrauch und kehrte in die
Heimat zurück. Noch in Paris vermählte er sich mit der gefeiertesten jungen
Dame Ungarns, Gräfin Katinka v. Kendeffy, und in diesem Herzensbupde,
welchem zwei Söhne und eine Tochter entsprossen sind, fand er ein beseli-
gendes Glück bis ans Ende seines Lebens.
Mit seiner Heimkehr aus der Emigration beginnt seine eigentliche
politische und staatsmännische Thätigkeit, welche sich fortschreitend in auf-
steigender Linie bewegte, um von Erfolgen gekrönt zu werden, welche in der
neueren Geschichte Ungarns und der Habsburg'schen Monarchie ohne Bei-
spiel sind. Nach dem italienischen Feldzuge wurde die ungarische Frage
akut. Die Notwendigkeit, sich mit der ungarischen Nation zu verständigen,
wurde in Wien erkannt, doch scheute man vor der Wiederherstellung der
ungarischen Verfassung und insbesondere der Gesetze von 1848 zurück und
meinte, Ungarn als einen Teil der constitutionalisirten Gesammtmonarchie
behandeln zu können. An den friedlichen Verfassungskämpfen, wie an den
politischen Gestaltungen, welche den Dualismus begründeten, hatte Andrässy
nächst Deäk den grössten Anteil. Der Emigranten-PoUtik, welche eine
grosse Partei zuhause fortsetzen wollte, trat er mit aller Entschieden-
heit entgegen, er strebte mit Deäk den «Ausgleich», aber auf jenen histo-
rischen und verfassungsmässigen Grundlagen an, wie sie durch die prag-
matische Sanction begründet und durch die Gesetzgebung von 1848 weiter
entwickelt wurden, ohne dabei die Bedingungen der Grossmachtstellung der
Habsburg'schen Monarchie aus dem Auge zu verlieren. Auf dem Beichstage
von 1861, wo Andrässy von Deäk zum ersten Vice-Präsidenten vorgeschlagen
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ÖftA^ JüIilÜB AKDRitsST. ^7?
WQrde^ aber dem Führer der Bescblnss-Partei^ Eoloman Tisza, erlag, war
Ändrässy in diesem Sinne thätig. Doch dieser Reichstag wurde bald aufge-
löst und es wurde in Ungarn ein militärisches Provisorium etablirt. In nutz-
losen Experimenten und Versuchen, Ungarn für den Eintritt in den Wiener
Reichsrat zu gewinnen, erschöpfte Schmerling seine Staatskunst bis zum
Jahre 1865. In diesem Jahre, am 16. April, erschien der berühmte Osterartikel
Franz De&k's, woran Andr&ssy abermals wesentlichen Anteil hatte. Der
leitende Gedanke dieses Artikels war, dass Ungarn seine Hoffnungen in den
König setze und mit unerschütterlichem Vertrauen von ihm sein künftiges
Heil erwarte, im Uebrigen jedoch bereit sei, seine historischen Rechte mit
den Bedingungen der Sicherheit und Grossmachtstellung der Monarchie in
Einklang zu bringen und der Freiheit und dem Gonstitutionalismus der
österreichischen Kronländer keinerlei Hindernisse zu bereiten. Die nächste
Folge dieses Artikels war der Sturz Schmerling's ; der Conservative Georg v.
Majläth wurde zum ungarischen Hofkanzler, der ebenfalls conservative
Baron Paul Sennyey zum Tavernikus Ungarns ernannt, der ungarische
Reichstag wurde einberufen. Andrässy wurde zum Vice-Präsidenten des
Reichstages und zum Präsidenten der Adresscommission gewählt. Nun galt
es, die allgemein gehaltenen Ausgleichs-Ideen in concrete Formeln zu fassen.
Andrässy hielt dafür, dass die friedliche Wiederherstellung der 1848er Gesetze
nicht eher möglich ist, als eine praktische Lösung gefunden wird für die
Frage : in welcher Weise die gemeinsamen Angelegenheiten der Monarchie,
welche schon die 1848er Gesetze anerkannt hatten, von den beiden Legis-
lativen der Monarchie auf verfassimgsmässigem Wege behandelt werden
sollten ? Es stand für ihn fest, dass Ungarn, welches auf dem historischen
Rechtsboden des Dualismus steht, niemals einer Lösungsformel beitreten
werde, welche das Princip der nationalen Selbstständigkeit und des Dualis-
mus bis auf die Person des Herrschers, wo der Dualismus selbstverständlich
seine Grenze findet, nicht voll zum]] Ausdrucke bringt. Ferner müsse die Lö-
sungsformel dem Princip der Verfassungsmässigkeit angepasst werden, weil
sie sonst von der anderen Hälfte der Monarchie nicht angenommen, und
endlich den Interessen der Grossmachtstellung der Monarchie nach aussen
hin Rechnung tragen, weil sie sonst vom Könige zurückgewiesen werden würde.
Die Beweggründe aller drei Factoren, Ungarns, Oesterreichs und 8r. Majestät,
waren in gleicher Weise gerechtfertigt, wenn auch ihrem Ausgangspunkte
nach verschieden. Andrässy hielt dafür, dass Niemand berufener sei
Ungarns staatsrechtliche Forderungen auf historischer Grundlage darzule-
gen und mit Nachdruck zu vertreten, als Franz Deäk. Andererseits war
aber Andrässy auch davon überzeugt, dass der Nachweis für die Berechti-
gung der ungarischen Forderungen, selbst wenn er aufs glänzendste
geführt wird, allein für sich zur Ausgleichung der divergirenden Gesichts-
punkte nicht genüge, so lange für die Behandlung der gemeinsamen
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^?8 ÖRAl? JÜLUTS ANDRi(s8Y.
Angelegenheiten nicht eine Formel gefunden wird, welche dem Dualis^
mus und der Verfassungsmässigkeit in gleichem Maasse gerecht wird. In
diesem letzteren Punkte schienen die Hauptschwierigkeiten für eine
gedeihliche Lösung der obschwebenden Fragen zu liegen, darum beschäf-
tigte er sich hauptsächlich mit diesem Punkte. Andrässy im Vereine
mit Deäk arbeitete die Lösungsformel aus, welche dahin ging, dass die
gemeinsamen Angelegenheiten der beiden Staaten 7on Delegationen, die sich
als vollständig gleichberechtigte Körperschaften gegenüberstehen, vertreten
werden müssten. Der ungarische Reichstag hätte demnach eine bestimmte
Anzahl von Delegirten aus seinem Schosse zu wählen, die jedoch keinerlei
verbindliche Instructionen annehmen dürften. Jede der beiden Delegationen
bildet für sich eine selbstständige, abgeschlossene Körperschaft, die ihre Be-
ratungen gesondert hält. Dies ist der Ursprung der Delegations-Institution, die
seither fortbesteht und sich im Laufe der Jahre nur immer besser bewährt
In dem 67er Ausschusse, welchen der Reichstag zur Ausarbeitung des Aus-
gleichs-Elaborats am 3. März 1866 einsetzte und in der VQ^ diesem Aus-
schusse gewählten engeren Fünfzehner-Commission, deren Präsident er war,
teilte Andrässy mit Deäk die führende Rolle. Das Elaborat wurde fertig,
auch vor den Reichstag gebracht, doch war mittlerweile der österreichisch-
preussische Krieg ausgebrochen und der Reichstag am 26. Juni vertagt
worden. Nach dem böhmischen Feldzuge nahm die Ausgleichs-Action einen
raschen Gang, die Lösung der ungarischen Frage war nun eine brennende
Notwendigkeit geworden, und da ist es bezeichnend, dass Deäk und Andrässy,
weit entfernt, das Missgeschick des Hofes auszubeuten, nur die nämlichen
Forderungen, wie vor dem unglücklichen Kriege, geltend machten. Das
erwähnte Elaborat der Fünfzehner-Commission wurde in Wien als Grund-
lage des Ausgleiches angenommen, Andrässy am 17. Februar 1867 zum
Minister-Präsidenten Ungarns ernannt und mit der Bildung des verantwort-
lichen Ministeriums betraut. An diesem denkwürdigen Tage sprach Franz
Deäk in Gegenwart der Partei für die erfolgreiche Vertretung und Verdol-
metschung der Wünsche derselben und den um das Zustandekommen des
Ausgleiches bethätigten Eifer t seinem Freunde Andrässy, dem uns von der
göttlichen Vorsehung gegebenen providentiellen Manne, seinen Dank ansi.
Die Situation, welche Andrässy bei der Uebemahme der Regierung vor-
fand, war eine überaus schvnerige. Von dem ungarischen Staatswesen bestand
nichts als die Idee. Der Ausgleich selbst wurde von einer starken staatsrecht-
lichen Opposition heftig angefochten. Die Nationalitätenverhältnisse des
Landes waren überaus unerquicklich. Die Beziehungen zu Kroatien sollten
erst geregelt werden. Binnen kurzer Zeit jedoch gelang es Andrässy, den
Staat zu organisiren^ die ausgleichsfeindlichen Elemente zurückzudrängen,
die Einflüsse der österreichischen Militärpartei, welche der Selbständigkeit
Ungarns spinnefeind war, zu paralysiren, die Militärgrenze zu entmilitari-
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ÖRAB^ JtJLIXJS ANDRASSY. ^9^
siren, die Bewegung der Serben und Rumänen zu dämpfen, die kroatische
Frage zu lösen. Unter seiner glücklichen Hand bestanden die gemeinsamen
Institutionen die erste Probe. Die Armee wurde auf Grundlage, der allge-
meinen Wehrpflicht organisirt und die ungarischen Honv^ds atif vollkom-
men nationaler Grundlage wiederhergestellt Andr^y hat das Programm
Szechenyi's wiederbelebt : er schuf die vereinigte Hauptstadt und legte den
Grundstein zu der künftigen Grösse Budapests nieder.
Wichtiger jedoch für die allgemeine europäische Politik und für die
Geschicke der Monarchie ist die Art und Weise, wie Andrässy den gesetz-
Uchen Einfluss Ungarns auf den Gang der auswärtigen Angelegenheiten
ausübte. In dem entscheidungsschweren Jahre 1870 war es Andrässy^ der
gegenüber den abenteuerlichen Plänen Beust's die Neutralität der Monarchie
verfocht und durchsetzte. Die Stellung Beust's war durch sein Verhalten in
der von Bussland aufgeworfenen Pontusfrage und durch seine Zweideutig-
keit gegenüber den föderalistischen Experimenten Hohenwarts, welche eben-
falls von Andrässy zum Scheitern gebracht wurden^ unhaltbar geworden,
und Andrässy wurde am 13. November 1871 zum gemeinsamen Minister
des Auswärtigen und des kaiserlichen Hauses ernannt. Auch bei Antritt
dieser Stellung fand Andrässy eine höchst unerquickliche Situation vor. Die
Monarchie war vollständig isolirt, von teils misstrauischen, teils feindseligen
Mächten umgeben; aus der alten historischen Position in Italien und
Deutschland hinausgedrängt, schien sie die Grundlage und Ziele ihres
Bestandes inmitten der neuen Machtverhältnisse verloren zu haben.
Andrässy hatte den Mut^ nicht nur an der Existenzberechtigung Oester-
reichs^ sondern selbst an seiner grösseren Zukunft nicht zu zweifeln. Er war
vom ersten Augenblick an darüber im Klaren, dass dieselbe nicht im Zurück-
greifen nach Verlorenem^ sondern im Ausgreifen nach dem natürlichen
Gravitationspunkt der Ostmark, nach dem Osten zu suchen sei. Es ist
Andrässy's Verdienst, dass die Monarchie vom Jahre 1872 ab auf alle deut-
schen und italienischen Aspirationen definitiv verzichtet und eine klare
Orientpolitik inaugurirt hat, ohne in einen Conflict mit Bussland zu gera-
ten, als dessen offener Bivale im Orient sie mit Erfolg auftrat. Andrässy
war es, der die Orientpolitik Oesterreichs in ganz neue Bahnen lenkte, indem
er als Ungar den Mut hatte, sieh von dem Dogma, dass die Türkei um
jeden Preis zu erhalten sei, loszusagen. Er trat im Verein und Wetteifer
mit Bussland offen als Protector der Emancipation der christHchen Balkan-
völker auf, welche sich bis dahin gewöhnt hatten, in Oesterreich den prin-
dpiellen Feind auch ihrer gerechtesten Ansprüche zu sehen; er suchte
aber auf demselben Wege auch den Verfall der Türkei aufzuhalten, indem
er ihr zu Beformen riet, welche geeignet waren, jene Völker dem russischen
Einfluss zu entziehen. Hierin gipfelte die Politik, welche Andrässy vom
Anbeginn bis ans Ende seiner Thätigkeit als Minister des Auswärtigen ver-
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^ÖO OÄAP itJUUS AKDrIssY.
folgte. Seine zweite grosse Idee, an der er in allen Phasen seiner Action
unverbrüchlich festhielt, war der Gedanke einer Allianz mit Deutschland.
«Die klare und aufrichtige Friedenspolitik •, welche er in seiner Cir-
culamote bei der Uebemahme der auswärtigen Geschäfte proclamirte,
machte bald genug Eroberungen. Allmälig tritt die Monarchie aus dem Zu-
stande der Isolirtheit heraus. Sollte die Annäherung an Deutschland voll-
zogen werden, so musste man auch die Entfremdung zwischen Oesterreicb-
Ungarn und Bussland überwinden, denn das deutsche Reich stand in engen
Beziehungen zu Bussland. Im Jahre 1872 kam die Drei-Eaiser-Entente zu
Stande, welche in der Folge allerdings nach Aussen den Schein gewann, den
russischen Orientplänen zugute zu kommen ; allein mit der Annäherung an
Bussland war der erste Schritt zur Anbahnung des freundschaftlichen Ver-
hältnisses mit dem deutschen Beich gethan. 1 875 wusste Andrässy den Kaiser-
König Franz Josef, dessen Heroismus in der Pflichterfüllung noch keiner
seiner Minister besser erkannt hatte, zum Besuche Victor Emanuels in Vene-
dig zu bestimmen. Diese Beise legte den Grund zur späteren Ausdehnung des
deutsch-österreichisch-ungarischen Bündnisses auf Italien. Bussland gegen-
über hat Andrässy nicht nur in seiner allgemeinen Haltung, sondern auch in
den auftauchenden concreten Fragen der allerkritischesten Natur jene Stim-
men Lügen gestraft, die seinen Amtsantritt mit der Losung «Bevanohe für
Vilägosi begrüssten. Er hatte in allen seinen Handlungen einzig und allein
das Interesse der Monarchie vor Augen. Von diesem geleitet, nahm er im
serbisch-türkischen Kriege (1876) eine neutrale Stellung ein, und hinderte
die Bussen nicht an dem Kriege gegen die Türkei. Aber die vielfache An-
nahme, dass in Beichstadt eine Art Teilung der Türkei besprochen wurde,
ist durch die Thatsachen widerlegt. Bussland hätte sich auf dem Congresse
gewiss nicht die eroberten Balkanländer entreissen lassen, wenn es ein von
Deutschland mitsignirtes Versprechen Oesterreich- Ungarns besessen hätte.
Die Mission des Generals Sumarakoflf (1877), deren Ziel war, Oesterreich-
Ungam zur Cooperation gegen die Türkei zu bewegen, scheiterte an dem Wider-
stände Andrässy's, der es hiebei nicht unterliess, Bussland vor diesem Kriege
eindringlich zu warnen : auch dies kann als Beweis angesehen werden, dass
in Beichstadt nichts gegen die Türkei beschlossen wurde. Wohl aber scheint
Andrässy seine ganze Politik darauf gerichtet zu haben, dass der Orientkrieg
sich nicht auf Oesterreich-Ungam entlade, dass aber das Habsburger Beich
seine Orientinteressen auf politischem Wege zur Geltung bringe. Diese Politik,
die nach Andrässy's Auffassung ebenso gelten musste, wenn Bussland siegte,
wie wenn es unterlegen wäre, hatte fast die gesammte öffentliche Meinung
gegen sich, aber den Erfolg für sich. Nach dem Fall von Plewna dictirte
Bussland der Türkei bei San Stefano Bedingungen^ die Oesterreich-Ungam
verwerfen konnte : denn die decimirte russische Armee hatte, sobald sie
Konstantinopel occupirte, die englische Flotte vor sich und die intacte
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GRAB* JULIUS ANDRASSY. 28l
HeeresmachtOesterreich-Ungarns hinter sich. Andrässy widerstand der Versu-
chung^ diese Position zu einem Kriege auszunützen, dessen Erfolg sicher war;
er begnügte sich mit dem weniger glänzenden, aber auch weniger gefährli-
chen Erfolg, Bussland vor das europäische Forum zu citiren. Das siegreiche
Zarenreich musste der Ladung zum Berliner Gongress folgen, wo Andrässy
anscheinend unter deutscher Patronanz, die leitende Bolle spielte. Es gelang
ihm, von Europa das bedingungslose Mandat zur Besetzung Bosniens zu
erwirken, während sich Bussland verpflichten musste, die von ihm besetzten
Teile der Türkei binnen Jahresfrist zu räumen : ein Besultat, das überall
mehr gewürdigt wurde, als in Oesterreich-Ungam. Hier war die öflfentliche
Meinung nach den wiederholten Versicherungen der offiziösen Presse, dass
die Occupation Bosniens nicht der Endzweck der österreichisch-ungarischen
Politik sei, desorientirt, durch die Schwierigkeiten und vielfach überschätzten
Opfer der Occupation selbst erbittert und durch den Wahn erschreckt, dass
das Ausgreifen nach slavischen Gebieten den Dualismus, die Herrschaft des
deutschen und magyarischen Elements, bedrohe. Andrässy hatte harte par-
lamentarische Kämpfe zu bestehen, aus denen er, unter Aufopferung seiner
einst unermesslichen Popularität, siegreich hervorging, allerdings mit
dem Entschlüsse, sich solchem Bingen nicht wieder auszusetzen. 1879
reichte er seine Demission ein und hielt sie trotz des Drängens seines
Monarchen aufrecht. Aber noch als demissionirter Minister vollführte er die
bedeutsamste seiner Thaten : er schloss mit Fürst Bismarck, der auf die
Nachricht von Andrässy's Bücktritt nach Gastein geeilt war, das deutsch-
österreichisch-ungarische Bündniss. So hinterliess er die Monarchie, deren
Eiistenz bei seinem Amtsantritt fraglich schien, in einer Position neuen
Ansehens und gemehrten Prestiges.
Er selbst trug den Keim der Krankheit, die ihn zehn Jahre später, am
18. Februar 1890, dahinraffen sollte, bereits in sich. Er hörte jedoch nicht auf,
sich als Privatmann und Parlamentarier an den öffentlichen Angelegenheiten
ratend und controllirend zu beteiligen. Vieles, was seither auf dem Gebiete
der äusseren und inneren Politik Oesterreich-Ungams geschah, vielleicht noch
mehr, was nicht geschah, ist auf seinen Einfluss zurück zu führen. Sein
Bücktritt hat ihm nichts von seiner Bedeutung genommen und ihm seine
Beliebtheit zurückgegeben. Er blieb auch seither immerfort der Batgeber
des Königs und des Landes, und in kritischen Augenblicken war sein Wort
entscheidend für die Bichtung, die eingeschlagen werden sollte. In der stür-
mischen abgelaufenen Wehrdebatte vor zwei Jahren war es Andrässy, der
die Krone über die Berechtigung des Wunsches der Nation aufklärte, wäh-
rend er zu gleicher Zeit im Oberhause das System der gemeinsamen Armee
verteidigte. Nebstdem hatte er stets ein reges Interesse für unser gesell-
schaftliches und Kunstleben, für jede Bewegung auf dem Gebiete unserer
Volkswirtschaft und unserer Cultur, — für die Angelegenheiten der unga-
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^^2 (j^AF JttLItTR ANDRjCsRt.
rischen Akadeniie der Wissenschaften aber ganz besonders ein warmes
Herz. Unter seiner Premierschaft hat die Gesetzgebung die Staatssnbvention
für die Akademie systemisirt. Seine am 10. Juni 1876 erfolgte Wahl zum
Directionsmitgliede nahm er freudig an, und nach seiner Heimkehr aus
Wien liess er vielmals in den Beratungen der Akademie seine entschei-
dende Stimme vernehmen. Im Jahre 1888 wurde er zum Ehrenmitglied der
n. Glasse gewählt, und er erschien fleissig zu den Classensitzungen. Nach dem
Heimgänge Treforts wurde er 1 889 für die Präsidentschaft der Akademie
candidirt, er konnte jedoch aus Bücksicht auf seinen Gesundheitszustand
diese Würde nicht annehmen.
Anlässlich seines Todes bezeugte die Akademie ihre Verehrung für den
Heimgegangenen auch dadurch, dass sie ihre Säulenhalle für die Aufbah-
ruDg des Leichnams zur Verfügung stellte. Von hier wurde er am 21. Februar
1890 zur ewigen Buhe bestattet. Seit dem Hinscheiden Franz Deäk's gab es
keine Trauerkundgebung, die derjenigen glich, mit welcher der Verlust
Andrässy's beweint worden ist. *
VORLÄUFIGE ERGEBNISSE DER VOLKSZÄHLUNG 1890.
Gelesen in der aiiflserordentlichen Sitzung der ungarischen Akademie der Wissen-
schaften am 11. Februar 1891.
Wie der sorgsame Landwirt und Kaufmann von Jahr zu Jahr sein In-
ventar macht und sich Klarheit schafft über sein Vermögen, dessen Hebung
oder Bäckgang die Bilanz ausweist, so inventirt auch der Staat von Zeit zu
Zeit seinen wertvollsten Besitz, die Bevölkerung. Was jedoch der Einzelne
von Jahr zu Jahr ausfährt, vollbringt der Staat, dem ein längeres Leben be-
schieden ist, nur in jedem zehnten Jahre. Auch Ungarn macht, getreu den
internationalen Bestimmungen, am letzten Tage jedes ablaufenden Jahr-
zehntes seine Bevölkerungs-Bilanz ; — so hat es auch um Mittemacht des
31. Decembers 1890, zum dritten Male seit Wiederherstellung der selb-
ständigen ungarischen Begierung, gethan.
Die vorläufigen Ergebnisse der Volkszählung, welche im statistischen
Landesbureau zusammengestellt werden, habe ich zunächst dem mit der
Durchfährung des die Volkszählung verordnenden Gesetzes betrauten Mini-
ster in amtlicher Vorlage mitgeteilt, der dieselben wieder Sr. Majestät,
* Diesen auf den verläaslichsten Informationen beruhenden Nekrolog, der aus
der Feder eines Mannes stammt, der dem grossen Staatsmann nahegestanden, ent-
nehmen wir dem Feber Hefte des «Anzeigerat (Ertesitö) der Ungar. Akademie. D. Bed.
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VORLÄUFIGE ERGEBNlBSfe DER VOLKSZÄHLUNG 1890. ^S^i
unserem für das Glück und den Fortschritt seines Volkes warm fühlenden
gekrönten Könige unterbreitet hat.
Hier, in der ungarischen Akademie der Wissenschaften^ bringe ich nun
diese Elrgebnisse zur Eenntniss der ganzen Nation, welche dieselben gewiss
mit Freude und Genugthuung empfangen wird. Denn wir haben an Zahl
und an Kraft zugenommen. Die Bevölkerung des ungarischen Reiches ist in
dem verflossenen Jahrzehnte um 10 Percent angewachsen, d. h. die Civil-
bevölkerung der Länder der St. Stefanskrone hat 17 Millionen überschritten!
Wenn wir das activ dienende k. u. k. Militär mit 91,396, die kön. ungarische
Honved mit 16,074 und die kön. ung. Gendarmerie mit 6306, insgesammt
mit 113,776 Mann hinzurechnen, so hebt sich die Zahl der thatsächlich An-
wesenden auf 17.449,705, sie beträgt also rund 17 Vi Millionen.
Diese Ziffer hat eine grosse, eine riesige Bedeutung, denn darin, dass
die Bevölkerung unseres Vaterlandes um mehr als anderthalb Milhonen zu-
nahm, spiegeln sich sämmtliche politischen, volkswirtschaftlichen und sani-
tären Errungenschaften des vergossenen Jahrzehntes wider. Vergleichen wir
nur die jüngste Vergangenheit mit der Gegenwart und wir werden uns von
der Wahrheit meiner Behauptung überzeugen. Mit welch drückenden, ja
niederschmetternden Gefühlen war ich gezwungen, meinem geehrten Audi-
torium vor 10 Jahren von derselben Stelle aus zu gestehen, dass Ungarns
Bevölkerung in dem Jahrzehnt 1870 — 1880, ja, richtiger seit 1869, also in
eilf Jahren von 15.417,000, nur auf 15.610,000 Seelen gestiegen ist, so dass
der Zuwachs kaum 1 V* Percent betrug und einem Jahresdurchschnitt von
kaum 0*1 1 Percent entsprach. Wohl fallen in diese traurigen unvergesslichen
siebziger Jahre ausser der Handelskrise die Cholera, die unfruchtbaren Jahre,
die üeberschwemmungen u. s. w. und alle Kämpfe und Opfer der volkswirt-
schaftlichen Beconstruction.
Die anwesende bürgerliche Bevölkerung betrug :
Im Jahre 1890 Im Jahre 1880 Also im Jahre 1890 mehr
In Ungarn 15.122,514 13.728,622 1.393,892 = 10-15 Vo
In Fiume und dessen Gebiet 29,001 20,981 8,020 = 38-22 %
In Kroatien-Slavonien 2.184,414 1.892,499 291,915 = 15'42 7o
Insgesammt im UDgsr. Reich 17.335,929 15.642,102 1.693,827 = 10-82 Vo
Es ist natürlich, dass die Bevölkerungsverhältnisse in einem so grossen,
ge<^raphisch und volkswirtschaftlich so verschiedenartigen und 322,000
Quadrat-Kilometer übersteigenden Staat wie Ungarn weder einen gleichen
Zustand, noch eine gleiche Zunahme aufweisen können. Wir können
uns also besser orientiren, wenn wir das ungarische Mutterland, von
welchem ich in erster Beihe sprechen will, wenn auch nicht nach Gomitaten,
welche schliesslich nur politische oder administrative Begriffe sind, so doch
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'^^ VORLÄUFIGE ERGJfeBkiSSE DER VOLKSZAHLUNG 18Ö0.
nach natorgemäss gebadeten Gruppen betrachten und die Bevölkerung so
untersuchen.
Die anwesende bürgerliche Bevölkerung betrug :
Im Jahre 1890 Im Jahre 1880 Im Jahre 1890 also mehr
Am linken Donaimfer ... 1.875,140 1.752,04.9 123,091 = 7-02%
« rechten € 2.751,357 2.566,946 184,411 = 7-15%
Zwischen der Donan und derTheiss 2.757,635 2.343,384 414,251 = 17*67 %
Am rechten Theissufer .,. ... 1.516,991 1.440,028 76,963= 5*34%
€ Unken € 2.068,027 1.820,855 247,172=13-57%
Im Donau-Maros- Winkel 1.906,315 1.721,312 185,003=10-74%
In den siebenbürgischen Comitaten 2.247,049 2.084,048 163,001 = 7-82%
Insgesammt 15.122,514 13.728.622 1.393,892 = 10-15%
Am stärksten ist die Zunahme also zwischen der Donau und der
Theiss: 17*67 Percent; dann kommen die Gomitate am linken Theissufer
mit 1 3*57 Percent. Beide Gegenden sind H^uptsitze des Ungartums. Aber
auch in dem etwa 90 Percent Ungarn besitzenden Comitat Borsod beträgt
die Zunahme 12*03 Percent, im Donau-Maros- Winkel, in Gs&n&A, wo nahezu
70 Percent der Bevölkerung Ungarn sind, beläuft sich die Zunahme auf
nahezu 20 Percent. Eine Stagnation kommt blos im Comitat Abauj-Toma
vor, wo die Bevölkerung beinahe dieselbe ist, wie vor 10 Jahren. Ein Rück-
fall ist nur in drei Municipien wahrzunehmen : im Wieselburger Comitat um
715Seelen, im Säroser Comitat um 494 und im ZipserComitat um 8793Seelen.
In allen vier Comitaten war die Auswanderung nach Amerika erwiesen,
welche nur im Zipser Comitat grössere Dimensionen angenommen hat, wo
die Abnahme der in ihrer Heimat keinen gehörigen Erwerb findenden Be-
völkerung wahrscheinlich dem Verfall des Bergbaues zuzuschreiben ist.
Wenn wir auch innerhalb der Comitate kleinere Flächen und auch die
Kreise in Betracht ziehen, zu welchen auch die Städte mit geordnetem Ma-
gistrat gehören, so können wir noch an mehreren Orten eine Verminderung
der Bevölkerung finden, was aber die Zunahme der in gesunderen Verhält-
nissen befindlichen Kreise wieder ausgleicht Ein Beispiel hiefür ist das
Säroser Comitat. Die Bevölkerung desselben hat um 494 Seelen abgenommen,
welcher Umstand der continuirlichen Auswanderung nach Amerika zuzu-
schreiben ist. Dies geht aus der Thatsache hervor, dass die Abnahme aus-
schliesslich auf die Kreise Also- und Felsö-Tarcza entfällt, wo die Auswande-
rung später begonnen hat, während in den übrigen Kreisen des Comitates
eine geringe Zunahme sich zeigt, weil in diesen die Auswanderung schon im
Jahre 1879 begonnen hat und schon in der 1880er Volkszählung zum Aus-
druck gekommen ist.
Die Bevölkerung der Stadt Werschetz ist um 500 Seelen zurückge-
gangen. Der Bürgermeister dieser Stadt sagt hierüber: «Im Jahre 1880 er-
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VORLÄUFIGE ERGEBNISSE DER VOLKSZÄHLUNG 189t). 285
freute sich der Weinbau noch der schönsten Blüte, weshalb damals noch
viele fremde Taglöhner in unserer Stadt wohnten und bei der damaligen
Volkszählung mitgerechnet wurden. Seither hat die Phylloxera solch schreck-
liche Verheerungen angerichtet, dass das Weinbau-Terrain von 9000 Joch
auf 2600 Joch zurückgegangen ist. Es liegt auf der Hand, dass demzufolge
nicht nur die überflüssig gewordenen Taglöhner fortgezogen sind, sondern
auch die zugrunde gegangenen Weingartenbesitzer zu Hunderten teils nach
anderen Gemeinden, teils nach dem Auslande (Bulgarien, Serbien, Amerika)
ausgewandert sind.»
Hier haben also locale Ursachen zur Verminderung der Bevölke-
rung geführt. Zu diesen localen Ursachen zählt an vielen Orten auch die
Verlegung der Garnisonen. Die Verheerungen der Phylloxera möchte ich
indessen nicht zu den localen Ursachen zählen, vielmehr betrachte ich sie
als ein das ganze Land betrefifendes Uebel. Ich werde kaum fehlgehen, wenn
ich behaupte, dass in dem jenseits der Donau gelegenen, so hervorragenden
Teile des Landes, welcher im Jahre 1880, als in vier grossen Gegenden des
Landes die Bevölkerungsziffer eine Abnahme zeigte, doch um 6 Percent zu-
genommen hatte, die jetzige, blos 7*18 Percent betragende Zunahme dieser
Landes-Calamität zuzuschreiben ist.
Die eingelaufenen Volkszählungsdaten sind noch nicht aufgearbeitet
und so kann ich nicht untersuchen, was für eine Bevölkerung es ist, welche
beispielsweise die Zunahme in Slavonien herbeigeführt hat. Da ich aber
weiss, dass auch am Plattensee die Weingärten dem Verderben verfallen sind
und da ich sehe, dass die Bevölkerung des Veszprimer Gomitates kaum um
3 Percent, die der Somogy kaum um 6 Percent zugenommen hat, liegt der
Schluss nahe, dass Viele von ihrem verheerten Weingarten- Gebiet anders-
wohin gezogen sind. Wenn nämlich die gut situirten Alfölder Comitate,
welche im Jahre 1880 um 100,000 Seelen abgenommen hatten, jetzt eine
Zunahme von 10 bis 15 Percent und mehr zeigen, so scheint es unmöglich,
dass nicht auch die wohlhabenden Comitate jenseits der Donau in demselben
Verhältnisse zugenommen haben sollen. Wohl gibt es einen abscheulichen
Grund, welcher besonders im Somogyer Comitat und merkwürdigerweise
unter den Beformirten in trauriger Weise der natürlichen Zunahme Eintra
thut, doch will ich diese Ursache hier nicht des Näheren erörtern ; ich gehe
vielmehr zu den erfreulicheren Seiten der Volkszählung über.
Hieher gehört vor Allem die Zunahme der Bevölkerung der Städte,
dieser Brennpunkte der Intelligenz unseres Volkes. Schon bei Vorlage der
Resultate der 1880er Volkszählung habe ich die Populations- Verhältnisse
unserer 143 Städte besonders gewürdigt. Seitdem haben sich einige kleinere
Städte mit geregeltem Magistrat in Grossgemeinden umgestaltet und figu-
riren somit nicht mehr in den Listen. In den übrig gebliebenen 136 Städten
hat sich die Bevölkerung, welche insgesammt 2.130,294 Seelen betrug, auf
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28«
VORLÄUFIGE ERGEBNISSE DER VOLKSZÄHLUNG 1890.
2.451,136 Seelen erhöht, was einer 15'06percentigen Zunahme entspricht.
Dass Budapest, die blühende Hauptstadt unseres Vaterlandes mit einer Zu-
nahme von 37*19 Percent an erster Stelle steht, ist aus den in den Blättern
veröffentlichen Yolkszählimgs-Resultaten bereits bekannt. Weniger bekannt
dürfte die Thatsaohe sein, dass nach Budapest den höchsten Percentsatz die
Stadt Marmaros-Sziget aufweist, deren Bevölkerung während des letzten
Decenniums von 10,000 sich auf ungefähr 15,000 Seelen, d, i. um 36*34
Percent vermehrt hat. Mit Freude könnten wir dieses Factum begrüs-
sen, wenn wir es der natürlichen Entwicklung der Stadt zuschreiben
dürften, doch glaube ich, dass diese staunenswerte Zunahme mehr den
gewissenlosen und gewaltsamen Massregeln Busslands zuzuschreiben ist, —
und ich überlasse den PoUtikem die Beurteilung der Frage, ob das
Hereinströmen dieser aus einem anderen Staate verdrängten Vermögens-
und erwerbslosen Volksschichten für unser Vaterland als vorteilhaft ange-
sehen werden kann.
Eine Zunahme von über 30 Percent weisen nur noch die Städte Alt-
sohl und Eaposvär auf, was bei beiden mehr auf locale Ursachen zurück-
zuführen ist, indem dieses Ergebniss namenthch bei der Stadt Altsohl durch
den Umstand zu erklären ist, dass sie zum Mittelpunkte eines grossen Eisen-
bahnnetzes gemacht wurde. Auch Miskolcz zeigt eine Zunahme von 25*19
Percent, was wir der naturgemässen Entwicklung dieses den Hiuidel zwischen
Unter- und Oberungam vermittelnden commerziellen Emporiums verdanken.
Ausserdem ergeben noch 6 Städte eine mehr als 20 Percent betragende Zu-
nahme der Bevölkerung, darunter Grosswardein, Steinamanger und Zalh-
Egerszeg ; unsere grossen Agrarstädte des Alföld haben im Durchschnitte
um 15 — 18 Percent an Bevölkerung zugenommen.
Im Allgemeinen haben wir ausser den genannten noch 1 1 Städte, die um
15—18 Percent, 1 9 Städte, die um 11 — 15 Percent und 8 Städte, die um mehr
als 10 Percent zugenommen haben, wobei nur solche Städte in Bechnung
gezogen wurden, die zugleich eine Bevölkerung von mehr als 5000 Seelen auf-
weisen. Von wesentlicherer Bedeutung ist, dass von unseren grösseren Städten
mehrere in eine höhere Volkszählungs-Kategorie eingetreten sind, denn nur
das dichtere Zusammenwohnen kann einer Gemeinde den städtischen Cha-
rakter verleihen. Es waren :
Städte mit über
5,000 Seelen
10,000
i20,000
30,000
40,000
50,000
60,000
70,000
80,000
100,000
Im Jahre 1890
30
30
19
8
4
3
1
\
1
Im Jahre 1880
34
33
20
3
2
2
1
1
1
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VORLÄUFIGE ERGEBNISSE DER VOLKSZÄHLUNG 1890. 287
Die Zahl der Städte mit einer Einwohner-Zahl von 5000 bis 20,000
war im Jahre 1880 noch eine grössere; indem aber die Bevölkerung in den-
selben zugenommen hat, vermehrten sie die folgenden Kategorien. So ist die
Stadt Arad von 30,000 auf 40,000, in die 50,000 die Städte Pressburg und
Debreczin, in die 70,000 Szabadka, in die 80.000 die Stadt Szegedin ge-
stiegen.
Die Stadt Fiume hat um mehr als 8000 Seelen zugenommen ; doch ist
auch Kroatien Slavonien hinsichtlich der Zunahme der Bevölkerung nicht
hinter dem Mutterlande zurückgeblieben. Agram und Mitrovitz ergeben eine
Zunahme von über 30Vn, (Agram = 31 '63^/0), Belovar und Brood über
20^/^ Karlovitz und Sissek 10— 12o/o. Dagegen hat Karlstadt um ^2'8lVo
abgenommen, was aber der fehlerhaften Gonscription zugeschrieben wird,
deren Bectification soeben im Zuge ist. Die drei Littoralstädte Buccari,
Zengg und Carlopago sind in ihrer Bevölkerung auch schon von 1870 auf
1880 zurückgegangen ; im letzten Jahrzehnt gestalteten sich hier die Ver-
hältnisse noch trauriger. Es scheint, dass die starke Zunahme der Städte
Triest und Fiume diesen kleineren Hafenstädten nicht günstig ist Yerhält-
nissmässig hat die Bevölkerung der Nebenländer sich stärker vermehrt, als
die des Mutterlandes, denn die im Jahre 1880 constatirte Givilbevölkerung
mit 1.892,499 Seelen ist bis 1890, wie wir gesehen, auf 2.184,144 Seelen
gestiegen, was 15*42 Vo entspricht, dem nur 10*157o betragenden Zuwachs
des engeren Ungarn gegenüber. Diese Ziffer entspringt aber nicht blos aus
dem Geburtsplus des dortigen Volkes. Der eifrige und strebsame Leiter des
Agramer statistischen Amtes Dr. Zoricsics trachtete vor der fac tisch durch-
geführten Zählung im Wege der (Kombination der Daten der Populations-
bewegung die annähernde Bevölkerungszahl der dortigen Comitate zu erfor-
schen. Dies ist ihm auch ziemlich gut gelungen. Nur in vier Comitaten,
namentlich in Pozsega, Belovar, Kreuz und Veröcze überstieg die factisch
ermittelte Bevölkerung die ausgerechnete um beinahe 55,000 Seelen. «Und
eben dies sind jene vier Komitate — sagt er selbst — , in welchen die Ein-
wanderung aus Ungarn, Böhmen und Mähren, wie auch aus anderen Comi-
taten Ejroatien-Slavoniens vor längerer Zeit begonnen hat, und auch jetzt
noch ständig oder zum grossen Teil anhält.»
Wer sieht nicht in diesen Populationsdaten der benachbarten Neben-
länder die Quelle einiger geringerer Zunahmen unserer transdanubischen
Comitate, da der Umstand bekannt ist, auf welchen auch schon die Gesell-
schaft ihr Augenmerk gerichtet hat, dass die Bevölkerung dieser Gegenden sich
insbesondere in Slavonien niederlässt, in diesem Complex, welcher aus Co-
mitaten besteht, die vor noch nicht gar langer Zeit ungarisch waren.
Wird man dort drüben — was ich übrigens eben unter unseren heu-
tigen politischen Verhältnissen eher glaube, als wir es noch vor Kurzem
hoffen konnten — im Sammeln der auf die Muttersprache bezüglichen Daten
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288
VORLÄÜFIGK ERGEBNISBE DER VOLKSZÄHLUNG 1890.
80 gewissenhaft vorgehen, wie dies bei uns geschehen ist? In diesem Falle
wird es nach der Aufarbeitung der Details nicht eben überaus schwer sein,
unsere engeren Landsleute auch jenseits der Drau zu finden.
Denn ein anderes Mittel als die Sprache steht uns nicht zur Verfügung,
um die ungarische Nationalität festzustellen ; wenn wir aber dieses Mittel,
frei von jeder chauvinistischen Absichtlichkeit, richtig anwenden, kommen
wir der Ermittlung dessen sehr nahe, wieviel wir Ungarn sind ?
Ich weiss sehr gut, dass diese Frage meine geehrten Zuhörer am
meisten interessirt. Ich leugne es nicht, dass auch ich in erster Reihe dies
ergründen wollte. Da jedoch die sprachlichen Verhältnisse nur nach mehr-
maligem Durchsehen und combinirtem Vergleichen der mehr als 17 Millionen
Zählzettel ermittelt werden können, habe ich eine einigermassen conjecturale
Berechnung angewendet, über deren Unschitldi^keit ich übrigens sofort
Rechenschaft geben werde, wobei ich im vorhinein überzeugt bin, dass mich
Niemand einer parteiischen Schönfärberei zeihen wird. '^
Bevor ich jedoch auf diesen interessanten und zu^^^^ letzten Teil
meines Vortrages übergehe, ist es meine Pflicht, auf noch eim^^orteilhafte,
ebenfalls bei diesem Anlasse ermittelte Thatsache hinzuweisen, wP^ welcher
ausser der ziffermässigen Zunahme unseres Volkes auch die Ve^^^B^'^^"
zunähme desselben gefolgert werden kann. Dies ist die Zahl der ^^user,
welche bei der letzten Zählung ebenfalls gesammelt wurde.
Betrachten wir daher dieses Verhältniss näher und sehen wir die
der Häuser ; diese war :
Im Jahre 1890 Im Jahre 1880
In Ungarn 2.543,086 2.299,366
In Fiume und Gebiet 1,831 1,503
In Kroatien-Slavonien 3i4,565 276,554
Zusammen
Im J. 1890 mehr
243,720
328
68,011
2.889,482 2.577,423 312,059
Diese absoluten Ziffern zeigen uns nur in geringem Maasse den rich-
tigen Weg. Der Vergleichbarkeit wegen müssen wir auch hier zu den Per-
centen unsere Zuflucht nehmen und die gewonnenen Besultate auch mit den
Percenten der Populationszunahme vergleichen. Dann finden wir, dass die
Zunahme
der Häuser der Population
.. 10-59 Vo 10-15 %
21-82 Vo 38-22 %
^.._ 24^59%^ 15-42%
12-18 %
in Ungarn _ ...
in Fiume nnd Gebiet ._
in Kroatien-Slavonien
im Durchschnitt
\
i
10-82 Vo betragen hat.
Und wie beredt sprechen diese Zahlen ! Anscheinend präsentirt sich
das Mutterland am ärmsten, insofern hier zwischen der Vermehrung der
Bevölkerung und der Steigenmg der Häuserzahl kaum ein halbes Peroent
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VORLÄUFIGE ERGEBNISSE DER VOLKSZÄHLUNG 1890. 289
Unterschied ist. Wir lassen Fiume bei Seite, wo die Zunahme der Häuser
hinter der der Bevölkerung um 16*4 Percent zurückblieb, was daraus erklär-
lich ist, dass in Fiume, hervorgehend aus dem Charakter der Hafenstadt,
auf engem Baume mehrere Stockwerke hohe Häuser erbaut werden. Das
grössere Fercentuale Ejroatien-Slavoniens, wo die Bevölkerungszunahme
ebenfalls um 9*17 Percent überschritten ist, macht uns nicht irre; hier
kommt die früher erwähnte Golonisation und Einwanderung zum Ausdruck,
da neue Ankömmlinge zuerst für Wohnhäuser Sorge tragen müssen.
Es gibt auch bei uns Comitate, z. B. Hont, Neutra, Baranya, Weissen-
burg, Tolna, Bäcs, Gsongräd, Bekes, sogar ganze Landesteile, wie das Donau-
Maros-Eck und die siebenbürgischen Comitate, in welchen das Häuser-
zunahme-Percentuale das der Bevölkerungszunahme übersteigt. Wenn wir
aber bedenken, dass im ganzen Lande nur in Wieselburg die Häuserzahl
um 0*83 Percent abnahm, während sich in dem an Bevölkerung stagniren-
den Abauj-Toma die Häuserzahl doch um 0*94 Percent, in den abnehmen-
den Comitaten Säros und Zips die Häuserzahl doch um 6*23 Percent bezie-
hungsweise 6*33 Percent hob, müssen wir zu der Ueberzeugung kommen,
dass die Auswanderung sich nicht in sehr tiefe Schichten erstreckte, und dass
das Volk die Auswanderung nur als Erwerbsquelle betrachtet und weniger
aus Expatriirungsabsicht das Vaterland verlässt. Diese Ansicht scheint noch
ein anderer Umstand zu rechtfertigen.
In Ungarn entfallen 1031 Frauen auf je 1000 Männer. Nach meinen
früheren Untersuchungen habe ich klargestellt, dass die westeuropäische
Proportion zwischen den Geschlechtern die Mitte Ungarns durchschneidet ;
in der westlichen Hälfte unseres Vaterlandes gilt eine der westeuropäischen
Proportion ganz gleiche, während in der östlichen, insbesondere unter den
beiden griechischen Confessionen, das umgekehrte Verhältniss immer mehr
zum Vorschein kommt. Hier überschreitet die Anzahl der Frauen die der
Männer nicht, sie erreicht sie nicht einmal, so zwar, dass in einigen Comi-
taten, z. B. in Krassö-Szöreny, Besztercze-Naszod, Csik, Hunyad und Udvar-
hely auf je 1000 Männer kaum 950—980 Frauen entfallen.
Wenn wir nun in Erfahrung bringen, dass in dem als stagnirend cha-
rakterisirten Abauj-Torna 1 147, in dem an Bevölkerung abnehmenden Zipser
und Säroser Comitat 1136 und 1163 Frauen auf je 1000 Männer entfallen,
müssen wir folgern — und diese Erfahrung machte ich bereits im Jahre 1881,
als die Auswanderung noch nicht so sehr in Mode war — , dass die
männliche Bevölkerung nur zeitweilig in andere Comitate oder Länder zieht
oder sogar über den Ocean geht, dass sie also mit nur wenigen Ausnahmen
ihr Vaterland nicht endgiltig zu verlassen gedenkt, sondern zu ihren Lieben
zurückkehrt, für die auch unter dem groben Eotzentuche ihr Herz warm
schlägt, und dass sie durch die zeitweilig auf sich genommene freiwillige
Verbannung das Schicksal ihrer daheimgebliebenen Familie verbessern
Ungarische Beme, XI. 1801. IV. H^tt, |9
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290 VORLÄUFIGE EBGEBNI8SE DER VOLKSZÄHLUNG 189a
will. — Es ist daher kein Grund zu grosser Besorgniss über das Verkommen
unserer Bevölkerung, wohl aber örund^ uns über die Zunahme des Magya-
rentums zu freuen.
Woher ich dies weiss? Ich habe es schon eingestanden, — nicht aus
der Zählung der Zählkarten ; ich schliesse es auch nicht aus der zehnjährigen
Wirkung des Gesetzes, welches die ungarische Sprache in die Volksschule
einführte und mit welchem wir wohl in Städten und in Gegenden mit ge-
mischter Bevölkerung^ nicht aber dort, wo die Nationalitäten fremder
Zunge dicht beisammen wohnen, flroberungen machen werden. Ich brauchte
aber auch zu keinem Kunstgriff meine Zuflucht zu nehmen. Die sprach-
lichen und Nationalitätsverhältnisse sind bekannt. Wir wissen bereits
seit 1880 in Percenten, wie viel ungarische und anderssprachige Einwohner
in jedem Gomitat und in jeder Stadt leben. Wenn ich daher den etwaigen
Vermehrungsvorrang des ungarischen, als des herrschenden Stammes, ganz
ausser Bechnung lasse, sondern nur die im Jahre 1880 eruirte Percentual-
zahl der ungarischen Bevölkerungszunahme als Multiplicator für die in den
einzelnen Gomitaten vorhandene Bevölkerungszahl nehme, muss ich die
Minimalzahl erhalten — ich wiederhole es, unter Fernhaltung jeden Neben-
umstandes —, um welche sich die magyarische Bevölkerung im letzten Jahr-
zehnte vermehrt hat.
Ich will mein Verfahren durch ein Beispiel verständlich machen und
illustriren: Im Gomitat^ Jäsz-Nagykun-Szolnok war im Jahre 1880 das
ungarische Bevölkerungs-Percentuale 94*91 Vo, die ungarische Bevölke-
rung war damals 39,310, also bat sich das Magyarentum daselbst um
39,310 X 94-91 : 100 = 37,309 vermehrt. Richtig ist, dass dies eines der
günstigsten Beispiele meiner Berechnung ist, denn ein grösseres Percent
hat die magyarische Bevölkerung in keinem Comitat. Wir können aber
auch das andere Extrem nehmen. Da ist das Ärvaer Gomitat, welches im
Jahre 1880 nur 0*43 Vo Ungarn aufwies. Obige Bechnung ergibt für die
1890er Vermehrung 3251 X 0-437o : 100 = 14 d. h. in Irva hätte nach
dieser Rechnung die magyarische Bevölkerung nur um 14 Seelen zugenom-
men, was sicherlich die Arvaer selbst nicht behaupten.
Ich hoffe, nach diesen Beispielen wird mich Niemand des Chauvinismus
zeihen oder mich — wie ich seinerzeit vom deutschen Schulverein ver-
dächtigt wurde — der Datenfalschung anklagen !
Nach Durchführung dieser Arbeit hatte ich in Erfahrung gebracht,
dass sich das Ungartum folg^idermassen vermehrt hat :
Auf der linken Seite der Donau um 36,123 Seelen
Auf der rechten Seite der Donau um _ 1 19,862 c
Zwischen Donau und Theiss um 286,925 •
Auf der rechten Seite der Theiius um 47,159 «
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VORLÄUFIGE ERGEBNISSE DER VOLKSZÄHLUNG 1890. 291
Auf der linken Seite der Tbeiss um 128,142 Seelen
Im Maros-Donau- Winkel um 34,913 •
In den siebenbärgisohen Comitaten um 42,740 f
Zusammen um 695,864 Seelen ;
somit entfallt von der gesammten Vermehrung der Bevölkerung im Mutterlande
mehr als die Hälfte auf die Ungarn.
Die Volkszählung vom Jahre 1880 hat 6.165,088 Ungarn aasgewiesen.
Hinzugerechnet die vom Lande provisorisch Abwesenden nach dem allge-
meinen Landespercent, sowie die im factischen Militär- und Honv^ddienste
Stehenden und jene 817,668, welche ungarisch verstehen: hatte ich damals
schon 7.342,800 Ungarn festgestellt. Nur die Anwendung einer einzigen con-
jectoralen Zahl möge gestattet sein, dass ich nämlich zu der aus dem vorigen
Jahrzehnte stammenden Summe der ungarisch verstehenden Anderssprachi-
gen 20 Percent hinzuschlage. Ich weiss, das ist eine willkürliche Zahl ; allein
mit eineSr Bundschau im Vaterlande und blos die jüngste Greneration in Be-
tracht gezogen und die schon im Jahre 1880 factisch festgestellten Sprach-
Verhältnisse als Grundzahl genommen, wird, glaube ich, Jedermann einsehen,
dass ich mit diesen 163,000 Seelen diesseits der anzunehmenden Zahl ge-
blieben bin, was unsere definitiven Daten, wie ich hoffe, bekräftigen werden.
Es steht sogar die Gonstatinmg eines noch besseren Besultates zu erwarten.
Wir erhalten daher eine runde Zahl von 8.200,000 ungarisch sprechen-
den Landsleuten. Ob diese Alle mit Leib und Seele Ungarn sind ? Wer
könnte daran zweifeln ? Aber um hier nicht fehl zu gehen, liess ich, auf
Rechnung der Malcontenten und der ungarisch sprechenden Agitatoren
fremder Nationalität, zur Ausgleichung der Zahl 2200 Seelen fallen, und
dann repräsentirt, die heutige factische Volkszabl in Betracht gezogen,
das Ungartum im Mutterlande 54*22 Percent und dies bildet in der Bevöl-
kerung des Landes eine starke absolute Majorität.
Fürderhin kann uns Niemand mehr den Vorwurf machen, dass in
diesem Lande die nationale Minorität herrsche, denn die zahlreichste nicht-
magyarische Nationalität übersteigt in unserem Lande kaum 15 Percent, und
die absolute Majorität gehört allezeit der ungarischen Nation.
Earl Eeleti.
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^^2 DIE EISENBAHNEN IM UNGARISCHEN STAATSHAUSHALTE.
DIE EISENBAHNEN IM UNGARISCHEN STAATSHAUSHALTE.
Gelesen am 12. Jänner 1891 in der ungar. Akademie der Wissenschafken.
Das Ziel, nach welchem, unterstützt von der Opferwilligkeit der Nation,
Begierung und Legislative beständig strebten, ist endlich erreicht : das
1891er Staatsbudget zeigt das Qleiohgewicht im Staatshaushalte völlig her-
gestellt und mit demselben schliesst die zweiundzwanzigjährige Periode
chronischer Defizite.
Eigentlich dürfen wir schon das 1890er Jahr nicht zu diesem Zeit-
abschnitt rechnen, denn es scheint, dass das thatsächliche Ergebniss nicht
nur das kleine, auf eine halbe Million veranschlagte Defizit Verschwinden
liess, sondern die Staatscasse um einen erheblichen Ueberschuss berei-
cherte, so dass sich jener Zeitraum, welcher ein so wechselndes Bild schwäch-
lichen Yerzagens und grosser Eraftanstrengung, unerfahrener Missgriffe und
zielbewusster Vorhersicht vor uns entrollt, eigentlich nur auf 21 Jahre
erstreckt.
Eine gründliche Studie über diesen Zeitabschnitt aus finanziellem
Gesichtspunkte anzufertigen, wäre eine ungewöhnlich interessante und
dankbare Aufgabe, und in der That ist die Zeit gekommen, in welcher die
Fachliteratur sich bemühen sollte, mit objectiver, geschichtlicher Auffas-
sung die dunklen Pfade, auf welchen unsere Staatsfinanzen während dieser
Periode wandelten, zu beleuchten.
Jedermann weiss im Allgemeinen, dass die anhaltende Störung des
Gleichgewichtes unseres Staatshaushaltes zum Teil durch den üebereifer
hervorgerufen wurde, mit welchem wir die Versäumnisse von Jahrhunderten
auf einmal nachholen wollten, zum Teil durch die wachsenden Militärlasten,
die uns der Zwang der europäischen Situation aufbürdete, zum Teil aber auch
durch den Mangel gebührender Rigorosität auf staatsfinanziellem Gebiete und
durch die etwas leichtfertige Auffassung, welche lange Zeit hindurch das
kreuzerweise Sparen verachtete, das doch bei einer so armen Nation von
vornherein völlig motivirt gewesen wäre. Ausserdem wirkten natürlich
viele andere Ursachen zusammen, um dieses bedauerliche Resultat hervor-
zurufen. Dieses ist teils ein Ausfluss unserer Wirtschaftsverhältnisse, teils
eine Folge unserer mit Oesterreich abgeschlossenen Verträge, bei denen wir
die anfangs begangenen Fehler erst später und auch dann nicht einmal
vollständig zu rectificiren vermochten.
In welchem Maasse die verschiedenen Ursachen auf die Verschlimme-
rung unseres Staatshaushaltes Einfluss übten, ist bisher ziffermässig noch
nicht nachgewiesen worden. Es ist auch schwer, apodiktisch sichere Posten
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M^ IKiBäNBAHKEK IM UKGARISOHEM STAAT8HAU8HAI/CE. ^^^
an&nstellen. Jene staatlichen Bedärfnisse, welche während dieser 21 Jahre
in unserem Budget als Ausgaben figuriren^ haben fast ausnahmslos mit
vollem Rechte ihre Befriedigung fordern können. Die Frage ist nur, bis zu
welcher Grenze? Ob sie aufschiebbar waren oder nicht, und im letzteren
Falle, wie weit sie ihre Deckung aus den eigenen staatlichen Erträgnissen
fanden und wie weit sie Yeranlasser des Defizits und der riesigen Last der
in Folge des Defizits sich anhäufenden Staatsschulden gewesen sind. Die
befriedigende Beantwortung aller dieser Fragen erheischt ausser der bis ins
kleinste Detail eingehenden Durchforschung unseres Staatshaushaltes und
ausser der Durcharbeitung der Schlussreehnungen noch die ernste Inbe-
trachtnahme unserer wirtschaftUchen und politischen Verhältnisse und die
helle Beleuchtung ihrer Wechselwirkung.
Diese anspruchslose Abhandlung will keine so grosse und kühne Auf-
gabe lösen ; ich habe mich in den folgenden Blättern nur bemüht, nachzu-
weisen, welchen Anteil die im Interesse des vaterländischen Eisenbahn-
wesens gebrachten Opfer an der Hervorbringung der seit 1869 ununter-
brochen anhaltenden Defizite hatten, natürlich ohne zu vergessen, dass
diese Opfer zum Teil ihre Gompensation fanden in jenem Zuwachse des
Staatsvermögens, welchen der Wert der Staatsbahnen jetzt repräsentirt^
und dass sie dieselbe vielleicht ganz finden in dem uncalculirbaren indirecten
Nutzen, welchen sämmtliche Zweige unserer Yolkswirthschaft den Eisen-
bahnen verdanken.
Wie viel wir seit 1869 für den Ausbau unseres Eisenbahnnetzes und
für die Erhöhung der Yerkehrscapadtät desselben auf deren heutigen Stand
geopfert haben, ist nicht leicht festzustellen. Es wird nicht ausgedrückt durch
das Investitionscapital der Staatsbahnen, selbst dann nicht, wenn wir den
Betrag der an die garantirten Eisenbahnen verabfolgten Zinsengarantie-
y orschüsse hinzurechnen ; denn das Beinerträgniss der Eisenbahnen deckte
beiweitem nicht die Jahreszinsen und Tilgungsquoten des Investitions-
capitals, uiid die Zinsengarantie-Yorschüsse waren, obschon sie den betref-
fenden Eisenbahnen sammt vier Peroent Zinsen zur Last geschrieben wur-
den, meist nur fictive Werte, und der Staat verzichtete auch gelegentlich
der später erfolgten YerstaatUchung auf deren Bückersatz. Es genügt selbst
nicht, wenn man die unbedeckten Annuitäten des InvestitionsGapitals und
die jährlich bezahlten Zinsengarantie- Yorschüsse in Rechnung nimmt.
Denn der Staat war genötigt, da er diese Summen aus seinen eigenen
Einnahmsquellen nicht zu decken vermochte, zu Staatsanlehen seine Zu-
flucht zu nehmen ; es sind daher in jedem einzelnen Jahre nicht nur die
thatsächlich in Eisenbahnen investirten Summen, die Zinsengarantie -Yor-
sehüsse und die Annuitäten der direct zu Bahnzwecken aufgenonmienen
Anlehen in Rechnung zu nehmen, sondern auch der Proportionalteil der
Annuitäten jener Anlehen, aus welchen die unbedeckt gebliebenen EÜsen-
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5^4- DIB EISENBAHNEN IM ül^GARIftOHEN STAATßÖAÜSttALTfi.
bahnauagaben des früheren Jahres, beziehungsweise der früheren Jahre
ersetzt wurden. So bildet sich eine ununterbrochene Verkettung, bei welcher
die für die Entwicklung des Eisenbahnwesens geopferten Nettobeträge und
die zu deren Bedeckung aufgewendeten verschiedenen Änlehen als Glieder
aneinander gereiht sind, wobei jedes vorherige Glied auch das nächstfol-
gende influenzirt, weil man in jedem späteren Jahre auch die Zinsen der im
vorangehenden Jahre zur Deckung der aus dem Eisenbahnwesen herrüh-
renden Ausgaben aufgenommenen Anlehen in die Beihe der übrigen Passiv-
posten einfügen muss. Wenn man die Frage so au£Easst — und richtig
kann man sie nur so aufifiassen, — dann ist die Eraftanstrengung, welche
die Nation im Interesse der Verkehrsbahnen und insbesondere der Elisen-
bahnen gemacht hat, zweifellos eine viel grössere, als man auf den ersten
Blick denken mag. Wenn unsere Staatsschuld lawinenartig anwuchs, dann
hatten gerade diese Eraftanstrengungen, gerade diese Opfer, wie wir dies
weiter unten auch ziffermässig nachweisen werden, hieran den gröesten
AntheiL
Ob aber der Vorgang, welchen wir befolgen, ein richtiger ist? Ob diese
combinative Berechnung sich der Wirklichkeit nähert und ob wir nicht,
indem wir nach Wahrheit forschen, die wichtige Frage, welche wir ins
Beine bringen wollen, in falsches Licht setzen ? Diese Fragen kann man mit
Becht aufwerfen, und ich muss, bevor ich an meinen Gegenstand heran-
trete, die Bechtfertigung meines Vorgehens voranschicken.
Es ist unmöglich, mit voller Bestimmtheit nachzuweisen, aus welchen
Quellen die in Eisenbahnen investirteh oder im Allgenieinen im Interesse
des Eisenbahnwesens geopferten Summen herbeigesdiafft worden sind.
Wenn wir die in Folge der Eisenbahnverstaatlichung übernommenen Lasten
nicht zählen, hatten wir nur zwei Anlehen, welche ausschliesslich oder fast
ausschliesslich in Eisenbahnen investirt wurden : das 1 867er Eisenbahn-
Anlehen und das Pfandbrief- Anlehen der Gömörer Industriebahnen. Die
Bestimmung des 30-Millionen-Anlehens war zwar teilw^e gleichfalls die
Deckung von Eisenbahnbaukosten, aber die bestimmungsgemässe Manipu-
lation dieses im Jahre 1872 realisirten Anlehens hörte schon im Jahre 1873
auf und der Ueberrest desselben vom Jahre 1872 wurde in die übrigen
Staatseinnahmen einbezogen und verlor seinen specifizisohen Charakter.
Wie man demnach bestimmen köime, ob die späteren Eisen bahnbaukosten,
Investitionen, Eisenbahn-Zinsengarantiezuschüsse u. s. w. aus den ordent-
lichen Einnahmen des Staates oder aber aus Staatsanlehen gedeckt wur-
den und aus welchen Staatsanlehen, ist eine unwillkürlich auftauchende
Frage. Es ist wahr, dass bei den Ausgabeposten der Ursprung der ver^
brauchten Summe nicht ersichtlich gemacht ist, und dies wäre auch über-
flüssig ; zweifellos ist aber, dass aus den ordentlichen Staatseinnahmen die
Ausgaben nicht gedeckt werden konnten und dass demnach die im Interesse
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t>te tilS&KBAH^&K IM ÜKGARlSOfiEK 8TAA!r8HAtJS6AI/rt&. ^^
unseres fÜsenbnhnweseDS gebrachten Opfer in dem jährliehen Staatshaus-
halts-Defizit zum Ausdruck gelangten. Und nachdem die Legislative für die
Deckung dieser Defizite mit besonderer Bezeichnung der Oreditquellen Sorge
getragen, Verstössen wir offenbar nicht gegen die Wahrheit, wenn wir den
Betrag der von Jahr zu Jahr für Eisenbahnen geopferten Netto- Ausgaben zu
Lasten jenes Staatsanlehens schreiben, aus welchem in dem betreffenden
Jahre das Gassendefizit bedeckt wurde.
Die Basis, auf welcher ich meine Bechnungen veranstaltete, ist dem-
nach eine genügend feste, eine genügend reelle. Trotzdem schmeichle ich
mir, nicht mehr, als ein annähernd wahres Besultat zu geben ; zweifellos
ist zwischen der Wirklichkeit und den von mir deduciiien Zahlen einige
Abweichung. Wer unsere Staatsschlussrechnungen kennt, wird wissen, wie
schwer es ist, aus denselben nach irgend welcher Bichtung zwischen der
Gegenwart und der Vergangenheit ein vergleichendes Bild zu gewinnen.
Die wechselnden Principien, welche zeitweise bezüglich der Bedaction der
Staatsschlussrechnungen und bezüglich der Verrechnung herrschten, machen
jede solche Vergleichung überaus mühsam, und obgleich ich zur Extrahirung
der Daten die freundliche Mithilfe einiger (Kollegen in Anspruch nahm, wage
ich doch nicht zu behaupten, dass meine Daten ohne Lücken und frei
von jeglichem Lrrtume seien. Indessen bei Beträgen, welche sich auf Hun-
derte von Millionen belaufen, verändern kleine Irrtümer oder Abweichun-
gen das Besultat nicht.
Da wir die im Interesse der Eisenbahnen gebrachten Opfer in
erster Beihe mit dem staatlichen Defizit vergleichen wollen, haben wir das
Schlussrechnungsdefizit während des in Bede stehenden Zeitraumes voran-
zuöchicken. Der Staatsrechnungshof weist in dem den Schlussrechnungen
beigegebenen detaillirten Berichte alljährlich das Defizit aus, und zwar
nimmt derselbe den Standpunkt ein, als Defizit das ganze Plus anzunehmen,
um welches die Ausgaben die aus den eigenen Hüfsquellen des Staates
resultirenden Einnahmen fiberschreiten. Dieser Standpunkt gibt zweifellos
das reellste und strengste Maass für die Beurteilung der Finanzlage. Wollte
man minder streng vorgehen, so könnte man die Investitionen, welche
eigentlich eine Vermögensvermehrung repräsentiren, von dem Defizit
abziehen. Dies Vorgehen würde aber leicht auf einen Irrweg führen. Bei
Investitionen ist nämlich nicht nur deren Herstellungswert und deren wirt-
schaftlicher Wert in Betracht zu nehmen, sondern auch deren Erträgniss ;
denn vom Standpunkte der Staatshaushaltung sind solche Investitionen,
welche zwar öffentlichen Nutzen gewähren, aber dem Staate unmittel-
bar gar kein oder nur ein geringes Erträgniss bringen, kein äquipari-
render Wert mit den im Wege von Anlehen aufgebrachten Summen,
welche eine Verzinsung erheischen und dem Staate fortwährend Lasten
snferlc^n.
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^6 DIE BIBBNBAHNEN IM UKGARISGHBN STAATSHAÜSHAt/lä.
Nehmen wir daher die Daten des Obersten Bechnungshofes an^ so
finden sich seit 1869 folgende Jabresdefizite :
1869: 13.066,790; 1870: 28.749,345; 1871: 35.554,853; 1872
42.153,134; 1873: 64.080,907; 1874: 61.518,925; 1875: 40.498,436
1876: 31.260,933; 1877: 26.451,034; 1878: 58.924,721; 1879: 38.260,045
1880:41.963,574; 1881 :48,065,401 ; 1882: 46.343,544; 1883: 39.135,892
1884: 41.018,451 ; 1885: 40.200,527 ; 1886: 43.041,767; 1887: 49.416,735
1888 : 24.103,491 ; 1889 : 1.386,898.
W&hrend dieser 21 Jahre können wir zwei oder richtiger drei Perioden
unterscheiden. Die erste währte bis 1874, als die alte DeÄk-Partei-Begierung
die Zügel in Händen hatte ; die zweite von 1875 bis inclusive 1877, die Ent*
wirrung der Staatsfinanzen unter dem Fusionscabinet ; die dritte aber von
1878 (bosnische Occupation) bis heute. Da jedoch die beiden letzten Perioden
weder durch das System, noch durch die Personen von einander getrennt
sind, sondern blos durch das auswärtige Ereigniss der bosnischen Occupa-
tion — obwohl dies zweifellos bedeutenden Einfiuss auf unseren Staats-
haushalt hatte, — scheint es richtiger blos zwei Perioden zu unterscheiden :
die vor 1875 und die seitherige. In der ersten sechsjährigen Periode belief
sich die Summe der Defizite auf 245*12 Millionen Gulden und das durch-
schnittliche Jahresdefizit war 40*85 MilUonen Oulden, während in der
zweiten Periode, welche anderthalb Jahrzehnte umfasst, die gesammten
Defizite 570*07 Millionen Gulden ausmachten und das durchschnittliche
Jahresdefizit 38 Millionen Gulden betrug. Ein sehr grosser Unterschied zwi-
schen den durchschnittUchen Jahresdefiziten zeigt sich demnach nicht,
allein wir wollen sehen, wie weit die Eisenbahnen die Veranlassung dieser
grossen Defizite gesondert in der ersten und in der zweiten Periode gewe-
sen sind.
Der Staat war nach zwei Richtungen hin bestrebt, der Entwickelung
des ungarischen Eisenbahnnetzes Vorschub zu leisten, teils direct durch den
Bau staatlicher Linien, teils — zu Folge Ännahine des Principes der Erträg-
niss-Garantie — indirecte dadurch, dass mit einer Aussicht auf staatliche
Garantie das Privat-Capital zur Teilnahme an Eisenbahn-Unternehmungen
angespornt wurde. Letzteres Vorgehen war das regelmässige, ersteres wurde
nur ausnahmsweise verfolgt. Gegenwärtig aber, da wir die wirtschaftliche
Wirkung des damaligen Systems auf Grund vollendeter Ergebnisse zu beur-
teilen im Stande sind, können wir ohne Zaudern über das System der Zinsen-
Garantie den Stab brechen. Damals jedoch wurden und konnten auch die
Verhältnisse nicht aus demselben Gesichtspunkte betrachtet werden, wie
gegenwärtig. Das System der Zinsengarantie dominirte nicht nur in Oester-
reich, sondern auch in Ungarn ; die ungarische Begierung erbte dasselbe
von der österreichischen. Dieses System wurde nach den damaligen Erfah-
rungen nicht einmal für gefahrvoll angesehen, garantirte Bahnen waren ja
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DIE EISEKBAHNEN IM UNGARISCHEN STAATSHAUSHALTE.
2«?
die damals im Betrieb Ertebenden österreiobiscben Staatsbabnen/ die Süd-
babn und die Tbeissbabn^ und die Erträgniss- Garantie war — wenigstens
niebt andauernd — mit keiner Belastung des Staates verbunden. Dies
konnte aucb bezüglicb der in neuerer Zeit concessionirten garantirten
Babnen erbofft werden. Es bestand jedocb ein wesentlicber Unterscbied
zwiscben den älteren und neueren Babnen ; erstere fübrten durcb die best-
situirten Teile des Landes^ letztere bingegen durcb solcbe Gegenden, in
welcben dem Eisenbabnverkebr, ebenso den Personen- wie aucb den
Waaren-Verkebr betreffend, keine derartig ausgiebigen Quellen zur Verfü-
gung standen wie in jenen Teilen des Landes, deren Bevölkerung eine dicb-
tere ist, und deren culturelle Yerbältnisse ziemlicb entwickelt waren. Die
Folge bievon war, dass die Zinsengarantie- Vorscbässe in kurzer Zeit die
Staatscassa derartig in Ansprucb nabmen, dass diese Summen allein im
Stande gewesen wären die Störung des finanziellen Gleicbgewicbtes zu
verursacben. Diese Last war jedocb in den ersten Jabren der Periode, über
welche sieb diese Abhandlung erstreckt, nocb nicht fühlbar ; eine Ausgabe
unter diesem Titel tritt zum erstenmal in der Staatsschlussrechnung des
Jahres 1870 hervor.
Das erste materielle Opfer, welches Ungarn nach Eroberung seiner Ver-
fassung im Interesse der Eisenbahnen brachte, war der Ankauf der Pest-
Losonczer Linie der in missliche finanzielle Verhältnisse geratenen Unga-
rischen Nordbahn im Jahre 1 868. Zu diesem Zwecke wurde das auf Grund
des G.-Art. Xni vom Jahre 1867 aufgenommene Eisenbahn- Anleben ver-
wendet, welches im nominellen Werte von 85.125,600 Silber-Gulden emit-
tirt wurde. Von der Verwertung dieser Obligationen flössen, wie dies aus
den nach gänzlicher Abwickelung der Anleihe durcb den Obersten Staats-
rechnungshof und die Schlussrecbnungs-Commission vorgelegten Berichten
ersichtlich ist, nur 68.969,178 Gulden im Bankwerte in die Staatscassa ein ;
bievon wurden zu Ankauf und zum Bau von Eisenbahnen und Eisenbahn-
Fabriken 67.511,733 Gulden verwendet, — doch nahmen von dieser Summe
5.799,887 . Gulden die Intercalar-Zinsen der in Eisenbahnen angelegten
Capitalien in Ansprucb.
Von der Eisenbahn- Anleihe wurden im Jahre 1868 10* 12 Millionen
Gulden auf Eisenbahnen verwendet, in diesem Jahre resultirt die Staats-
Schlussrechnung noch mit einem Ueberschuss.
Im Jahre 1869 nabmen die Eisenbahn-Bauten 11*20 Millionen in An-
spruch. Li diesem Jahr wurde die Eisenbahn- Anleihe nocb fondsmässig
verwaltet, und es erbellt aus den diesbezüglichen Rechnungen, dass nicht
nur diese ganze Summe von der benannten Anleihe gedeckt wurde, sondern
aucb jene 1*23 Millionen Gulden, um welche Summe die geleisteten Liter-
calar-Zinsen die Zinsen der aus der Eisenbahn-Anleihe nutzbringend ange-
legten Gapitalien und das Netto Erträgniss der erstandenen Staatsbahn über-
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m
Dite BiSENBAHNtiK IM ÜNOABlSOHteM STAATSftAÜSÖALtB.
trafen. Die Netto- Ausgabe für Eisenbahnen betrug im Jahre 1869 12*43 Mil-
lionen öulden und ist daher nur um 637 Tausend öulden geringer als das
Defizit desselben Jahres.
Im Jahre 1870 gestalteten sich die Ausgaben folgendermassen :
Bau von Eisenbahnen, Investitionen und Ankauf der
Maschinen-Fabrik _ — 13.115,425 fl.
Netto- Ausgabe beider fondsmässig verwalteten Eisenbahn-
Anleihe ._ 2.089,136 €
Zinsengarantie- Vorschüsse _. ... ... 3.034,332 t
Zusammen 18.238,893 0.
Von dieser Summe wurden 14.051,980 Gulden aus der Eisenbahn-
Anleihe gedeckt, 4.186,913 Gulden hingegen sind in dem unbedeckten Ab-
gang der Schlussrechnung enthalten. Das Defizit dieses Jahres übertraf die
auf Eisenbahnen verwendeten Summen schon um 10.510,452 Gulden.
Ausgaben im Jahre 1871 :
Bau von Eisenbahnen, Investitionen, Maschinen-Fabrik 16.334,026 fl.
Netto- Ausgabe bei der fondsmässig verwalteten Eisen-
bahn-Anleihe 2.317,343 €
Zinsengarantie-Vorsohusse 3.828,114 t
Zusammen 22.479,483 fl.
In diesem Jahre war die auf Eisenbahnen verwendete Summe schon
um mehr als 13 Millionen Gulden geringer als das Defizit des Jahres. Da
zur Beendigung der im Bau begrififenen Eisenbahnen die Eisenbahn- Anleihe
vom Jahre 1867 voraussichtlich nicht hinreichend war, wurde die Regie-
rung mit dem G.-Art. XLV zur Emission einer 30 Millionen Silber-Gulden -
Anleihe bevollmächtigt, welche Anleihe teilweise auch zur Deckung des
jährlichen Defizites diente. Im Jahre 1872 wurde ausserdem auch noch eine
andere Eisenbahn- Anleihe emittirt, das mit dem G.-Art. XXXVII vom Jahre
1871 concessionirte Pfandbrief- Anlohen der Gömörer Industrie-Bahnen.
Bevor jedoch die Verwendung dieser beiden Anleihen detaillirt würde, teilen
wir die im Jahre 1872 auf Eisenbahn- Zwecke verausgabten Summen mit:
Bau von Eisenbahnen, Investitionen, Maschinen-Fabrik 19.453,332 fl.
Netto- Ausgabe bei derfondsmässigverwaltetenEisenbalm-
Anleihe 4.582,774 t
Gömörer Anlehen, Zinsen und Amortisation 390,777 «
30 Millionen-Anleihe, die auf dieses Jahr entfallenden
Zinsen und Amortisation 302,046 •
Zinsengarantie' Vorschüsse ... ... 6433,243 t
Zusammen.. 31.162.172 fl.
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blfi EtRt:l4ßAHNB>( IM UNOARISCHEN STAA'TSHAÜBaALTfi. ^^
Hievon wurden 14.731,175 Gulden von der Eisenbahn- Anleihe,
5.472,335 Gulden von der 30 Millionen Anleihe, und 982,105 Gulden von
dem Gtömörer Pfandbrief- Anlehen gedeckt.
Im Jahre 1873 betrugen die Ausgaben:
Bau von Eisenbahnen und Investitionen 18.551,995 fl.
Eisenbahn- Anleihe, Zinsen, Amortisation und Manipula-
ti^ns-Kosten _ _ ._. 5.393,055 •
Gömörer Pfandbrief- Anlehen, Zinsen, Amortisation mid
Manipulations-Kosten .. 427,733 •
80 Millionen-Anleihe, Zinsen, Amortisation und Mani-
pulations-Kosten 2.110,460 •
54 Millionen- Anleihe, die auf dieses Jahr entfallenden
Zinsen und Amortisation 312,976 •
Zinsengarantie- Vorschüsse __. 13.858,672 •
Zusammen 40.654,891 fl.
In Abrechnung gebracht das Beinerträgniss der Staats-
bahnen und der Maschinen-Fabrik ... ' ... 1.198,723 •
Verbleibt 39.456,168 fl.
Es ist nunmehr notwendig anzugeben, welche Summen von der
30 Mfllionen- und von der laut G.-Art. XXXII des Jahres 1872 emittirten
54 Millionen-Anleihe auf Eisenbahn-Zwecke verausgabt wurden. Von der
30 Millionen- Anleihe wurden im Jahre 1872 5.472,335 Gulden, im Jahre
1873 aber 7,250,774 Gulden zum Bau von Eisenbahnen und auf Investi-
tionen bei den Staatsbahnen verwendet. Da aber von der ganzen An-
leihe — mit Einrechnung der Intercalar- Zinsen der nutzbringend ange-
legten Gapitalien — 25.920,200 Gulden im Bankwerte in die Staatsoassa
einflössen^ standen von dieser Anleihe mit Ende des Jahres 1872 nach Ab-
rechnung obiger Summen nur mehr 13.197,091 fl. zur Verfügung. In den
Jahren 1870, 1871 und 1872 betrugen aber allein jene Ausgaben zu Eisen-
bahn-Zwecken, welche weder von der Eisenbahn-Anleihe, weder von dem
Gtömörer- Anlehen, noch von der 30 Millionen Gulden- Anleihe gedeckt wur-
den, 19.111,312 Gulden, daher um vieles mehr, als der oben angeführte
restliche Betrag der 30 Millionen-Anleihe. Es kann demnach die ganze
30 Millionen Gulden- Anleihe auf Bechnung der Eisenbahnen geschrieben
werden, die unbedeckten 5.914,221 Gulden fallen schon zu Lasten der
54 Millionen Gulden-Anleihe. Von derselben Anleihe wurden laut Schluss-
rechnung im Jahre 1878 auf Eisenbahn-Bauten und Investitionen factisch
6.832,201 Gulden verwendet, — und da von den Eisenbahn- Auslagen des
nämlichen Jahres 1.609,578 Gulden noch von dem resüichen Betrag der
Eisenbahn- Anleihe gedeckt werden konnten, 4.112,687 Gulden hingegen
von dem Gömörer Pfandbrief- Anlehen, müssen noch weitere 19*65 Mil-
lionen Gulden zu Lasten der 54 Millionen Gulden- Anleihe geschrieben
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3(K) D]E EISENBAHNEN IM UNGARISCHEN STAATSäAÜSHALTfi.
werden, so, dass 76*54 pGt. dieser Anleihe (natürlich das Gotische Ergebniss
der Anleihe im Bankwerte als Qrundcapital betrachtet) durch Eisenbahn-
Bauten und sonstige im Interesse des Eisenbahnwesens gebrachte Opfer
in Anspruch genommen wurden. In den nachfolgenden Jahren sind zu den
Eisenbahn- Auslagen nach obigen VerhiUtnissen die jährlichen Zinsen, Amor-
tisation und Manipulationskosten der 54 Millionen-Gulden «Anleihe hinzu-
gerechnet. Noch eines sei bemerkt: die Eisenbahn- Anleihe vom Jabre 1867
sowohl, als auch die 30 und 54 Millionen öulden- Anleihe waren im Silberwert
festgestellt, erstere in Frankwährung, die beiden letzteren in Pfund Ster-
lingen. Dies war damals von keiner Wichtigkeit, denn das Gold hatte dem
Silber gegenüber noch kein Agio ; später jedoch, als das Silber immer mehr
und mehr an Wert verlor, wurden die in Franken und Sterlingen rückzahl-
baren Anleihen in Gold-Anleihen umgewandelt. Und nun setze ich die
von Jahr zu Jahr schreitende Mitteilung der schon begonnenen ziffermässi-
gen Ausweise fort.
Im Jalure 1874:
Bau von Eisenbahnen, Investitionen bei den Staats-
bahnen und bei der Staats-Maschinen-Fabrik 10.851,298 fl.
Eisenbahn-Anleihe _ 5.314,486 t
Gömörer Kandbrief-Anlehen ... ^ 424,604 *
30 Millionen-Gulden-Anleihe 2.101,422 •
54 Millionen-Gulden- Anleihe 2.352,306 t
Zinsengarantie- Vorschüsse 16.420,505 fl.
Zusammen ... _.. 37.464,621 fl.
Abgerechnet das Netto-Ergebniss der Staatsbabnen und
der Maschmen-Fabrik 76,890 fl.
Verbleibt ... ... 37.387,731 fl.
Hievon wurden 1.441,364 Gulden von dem Gömörer Pfandbrief-
Anlehen gedeckt, die restlichen 35.946,367 Gulden hingegen entfallen zu
Lasten der auf Grund des G.-Art. XXXIII vom Jahre 1873 emittirten
schwebenden Schuld im Werte von 76Vs Millionen Gulden. In Betracht
genommen, dass nach dem nominellen Wert von 76^/« Millionen Silber-
gulden in die Staatscassa im Bankwerte nur 71.655,889 Gulden einflössen,
waren zur Deckung obigen Abganges Obligationen im nominellen Werte
von 38.372,400 Gulden erforderlich.
Im Jahre 1875:
Bau von Eisenbahnen, Investitionen bei den verschie-
denen Staatsbabnen und bei der Staats-Mascbinenfabrik 2.679, 1 96 fl.
Eisenbahn- Anleihe... _.. ... . _.. ... ... ... 5.207,220 €
Gömörer Pfandbrief-Anlehen __ 424,338 •
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DIB ET8ENBAHNEN IM UNOARISCHEN STAATSHAUSHAJiTE. 301
30 Millionen-Gulden- Anleihe ... 2.141,793 fl.
54. • € t ..... _. 2.995,088 •
76V« • . . .. 2.532,578 •
ZinsengarantJe-Yorsohüsse 14.713,358 •
Zusammen 30.693,571 fl.
Abgereohnet das Netfco-Ergebniss der Staatsbabnen und
der Maflchinen-Fabrik _. ... 1.529,701 fl.
Verbleibt 29.163,870 fl.
Dieser Abgang belastet ausschliesslich die auf Grund des G.-Ari XIV
vom Jahre 1874 emittirte 76 Va Millionen Gulden- Anleihe, richtigerweise
die zweite Hälfte der 153 Millionen- Anleihe. Diese 76 Vj» Millionen Gulden
resultirten im Bankwerte 70.186,757 Gulden, zur Deckung des ausgewie-
senen Abganges mussten daher Obligationen im nominellen Werte von
31.785,600 Gulden emittirt werden. Diese Emission, hinzu gerechnet die
vorjährige, beziffert sich daher im Ganzen auf 70,158,000 Gulden.
Im Jahre 1876:
Bau von Eisenbahnen, Investitionen ... 2.41 1,019 fl.
Eisenbahn- Anleihe 5.682,420 •
Gömörer Pfandbrief-Anlehen _ 455,653 •
30 Millionen- Anleihe .. 2.258,081 •
54 t t 3.131,933 t
153 € t ... 5.051,376 t
Zinsengarantie- Vorschüsse*) 14.048,457 •
Zusammen 33.038,939 fl.
Abgerechnet das Netto-Ergebniss der Staatsbabnen und
der Maschinen-Fabrik 2.177,044 fl.
Verbleibt , 30.861,895 fl.
Zur Deckung dieser Summe war — als Grundlage die bei der Emission
des Jalires 1876 erzielten Ergebnisse angenommen — die Emission von
6percentigen GoldrenteObligationen im nominellen Werte von 33.273,000
Gulden erforderlich.
Im Jahre 1877 :
Bau von Eisenbahnen und Investitionen . ... 2.907,013 fl.
Eisenbahn-Anleihe... 5.706,577 t
Gömörer Pfandbrief-Anlehen 464,355 t
* Die rückgezahlten Vorschüsse sind sowohl hier als auch bei den übrigen
Jahren von den an die Eisenbahnen ausbezahlten Zinsengarantie-Vorschüssen in
Abrechnung gebracht.
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302 piE EIRENBAHNEN IM I'NGARISCHEN STAATSHAUSHALTE.
30 Millionen- Anleihe „ 2.330,629 fl.
54 • • ^ 3.382,917 •
Verstaatlichung der Ostbahn 810,349 •
Zinsen der 153 MilUonen- Anleihe 5.177,660 t
Zinsen der Goldrente ... 2.550,375 •
Zinsengarantie-Yorschüsse 15.446,881 •
Zusammen 38.776,756 0.
Abgerechnet das Netto-Erträgniss der Staatsbahnen und
der Maschinen-Fabrik 2.625,000 fl.
Verbleibt 36.151,756 fl.
Diese Summe entspricht 6percentigen Goldrenten- Obligationen von
39.141,000 Gulden im nominellen Werte (den überwiegenden Teil bildet
die Emission vom Jahre 1877) und da im Jahre 1878 auch die zweite
Hälfte der 153 Milhonen- Anleihe in eine 6percentige Goldrente convertirt
wurde, verminderte sich der von der 153 Millionen -Anleihe auf Eisenbahn-
Auslagen entfallende Teil auf 31.785,600 Gulden, die Goldrenten-Obliga-
tionen stiegen hingegen auf 125.248,000 Gulden. In den Ausweisen für das
Jahr 1878 sind die Zinsen schon nach diesen Summen berechnet.
Im Jahre 1878 :
Bau von Eisenbahnen, Investitionen, Maschinen-Fabrik 2.248,142 fl.
Eisenbahn-Anleihe 5.460,774 •
Gömörer Pfandbrief- Anlehen ... 446,292 •
30 Millionen- Anleihe _ 2.251,505 f
54 • € 3.227,718 t
Verstaatlichung der Ostbahn ._ 552,547 •
Zinsen der 153 Millionen- Anleihe* ... ._ 3.699,585 t
Zinsen-Quote der 6-percentigen Goldrente ** 3.055,158 t
Zinsengarantie- Vorschüsse 14.531,370 t
Zusammen 35.473,091 fl.
Abgerechnet das Netto-Erträgniss der Staatsbahnen und
der Maschinen-Fabrik 2.218.824 fl.
Verbleibt 33.254,267 fl.
Zur Deckung dieser Summe waren 6percentige Goldrenten-Obligationen
im nominellen Werte von 39.317,000 Gulden nach dem Gnrse vom Jahre
1879 erforderlich. Mit dieser Summe stieg der auf die Eisenbahnen veraus-
gabte Teil der Goldrente (nachdem in diesem Jahre auch die zweite Hälfte
i" In Anbetracht dessen, dass die Gon Version der ersten Hälfte der 153 Mü-
lionen-Anleihe nicht mit Anfang dos Jahres vollzogen wurde.
** Nach Abrechnung der bei dem Verkauf der Obligationen erfolgten Ck>apon-
Bückerstattungen.
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DIE EISENBAHNEN IM UNOARISCHEN STAATSHAUSHALTE. '^^^
der 153 Millionen Anleihe einbezogen and in Goldrenten-Obligationen um-
getauscht wurde) auf 208,147.000 Gulden.
Im Jahre 1879:
Bau von Eisenbahnen, Investitionen, Maschinen- Fabrik 3.519,625 fl.
Eisenbahn- Anleihe 5.512,520 •
Gömörer Pfandbrief- Anlehen 444,185 «
3Ü MiUionen- Anleihe — 2.247,194«
54 « « ... - 3.U2.566 «
Capitals- Amortisationen der Waagthalbahn 600,000«
Verstaatlichung der Osfcbahn ._ — . __. 4.637,161«
Zinsen-Quote der 153 Millionen- Anleihe* 1.035,238«
Zinsen-Qaote der 6-percentigen Goldrente ** 8.842,716 «
Zinsengarantie-Yorschüsse ... ir^l7,742_«^
Zusammen 41.798,947 fl.
Abgerechnet dos Netto-Ergebniss der Staatsbahnen und
der Maschinen-Fabrik ,.- 3.583,567 fl.
Verbleibt 38.215,380 fl.
Diesen Abgang nach dem Curse vom Jahre 1 879 auf Goldrente um-
gerechnet, gewinnen wir als Ergebniss 6percentige Goldrente im nominellen
Werte von 45.182.000 Gulden, wodurch der vorjährige Stand der Goldrente
auf 253.329,000 Gulden erhöht wird.
Im Jahre 1880:
Bau von Eisenbahnen, Investitionen, Maschinen-Fabrik 1.239,558 fl.
Eisenbahn-Anleihe 5.404,824 «
Gömörer Pfandbrief- Anlehen ._ 434,517«
30 Millionen- Anleihe... ... 2.255,344 •
54 • « 3.140,651 •
Verstaathchung der Ostbahn 4.628,739 «
« der Theissbahn 2.556,925 «
Capitals-Amortisation der Waagtalbahn 600,000 «
Zinsen nach dem rückständigen Kaufpreis der Waag-
talbahn .._ ... 314,470 «
Linie Agram-Earlstadt ' 140,748«
Zinsen der 6-percentigen Goldrente 17.935,693 •
Zinsengarantie-Vorsohüsse _ 12.128,363 •
Zusammen 50.779,822 fl.
Abgerechnet das BeinerträgniBs der Btaatsbahnen und
der Maschinen-Fabrik 4.954,712 fl.
Verbleibt 45.825,110 0.
* In Anbetracht dessen, dass die Conversion der zweiten Hälfte der 153 Mil-
lionen-Anleihe nicht mit Anfang des Jahres vollzogen wurde.
** Naoh Abrechnung der bei dem Verkauf der Obligationen erfolgten Ooupon-
Bückerstattoogen.
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304 piE EISENBAHNEN TM INGARISCHEN RTAATSHAüRHALtE.
Hievon können 15.019,585 Gulden (rund 15 Millionen Gulden in
nominellem Werte) zu Lasten der in demselben Jahr emittirten Goldrente
geschrieben werden, — es steigt hiedurch die im Interesse des Eisenbahn-
wesens verwendete Summe der Goldrente auf 268.329,000 Gulden — die
restlichen 30.805,525 Gulden fallen hingegen zu Lasten der im Jahre 1881
emittirten Papierrenten- Obligationen. Diese Summe entspricht^ nach dem
damaligen durchschnittlichen Curs von 80*01, 38.502,000 Gulden Papier-
renten-Obligationen nominellen Wertes.
Im Jahre 1881 :
Bau von Eisenbahnen, Investitionen, Maschinen-Fabrik 7.438,618 fl.
Eisenbahn-Anleihe 5.393,665 •
Gömörer Pfandbrief-Anlehen 449,160 •
30 MiUionen- Anleihe 2.187,953 t
54 • • .. 3.118,228 •
Verstaathchung der Ostbahn _ 4.645,884 •
• der Theissbahn 3.836,149 t
Capitals-Amortisation der Waagtalbahn 600,000 t
S^insen nach dem rückständigen Eaofyreis der Waag-
talbahn 275,470 i
Linie Agram-Karlstadt 280,200 •
Zinsen der 6-percentigen Goldrente 18.997,693 t
Zinsen der Papierrente 1.925,100 t
Zinsengarantie- Vorschüsse ... ., 13.758,519 t
Zusammen 62.906,639 fl.
Abgerechnet das Netto-Erträgniss der Staatsbahnen und
der Maschinen-Fabrik 6.800,000 fl.
Verbleibt 56.106,639 fl.
Diese Summe teils auf die im Jahre 1881, teils auf die im Jahre 1882
emittirten Papierrente (Curs 86'29) umgerechnet, gewinnen wir 65.999,200
Gulden Papierrente nominellen Wertes ; die Summe der Papierrente steigt
hiedurch auf 104.501,200 Gulden. Angenommen, dass von der vorjährigen
6percentigen Goldrente 100 MiUionen convertirt wurden, was 139.309,000
Gulden 4percentiger Goldrente gleichkommt, kann auf Rechnung der Eisen-
bahn-Auslagen die gleiche Summe 4percentiger und 168.320,000 Gulden im
nominellen Werte 6percentige Goldrente geschrieben werden.
Im Jahre 1882:
Bau von Eisenbahnen, Investitionen, Maschinen-Fabrik 18.423,314 fl.
Eisenbahn- Anleihe * 5.626,808 t
Gömörer Pfandbrief-Anlehen 448,441 t
30 Millionen-Anleihe ._ ... 2.260,296 t
54 t • 3.188,457 t
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MB EISBNBAUNEN IM UNGARISCHEN STAATSHAUSHALTE. 305
Verstaatlichung der Ostbahn 1.645,881 fl.
t der Theissbahn ' 3.908,525«
Capitals -Amortisation der Waagthalbahn .._ .._ ... 600,000«
Zinsen nach dem rückständigen Kaufpreis der Waag-
talbahn : -236,470 «
Zinsen der 6percentieen Ooldrente , 12.018,690 «
« • 4 • Goldrente* 5.175,908«
« • 5 « Papierrente * _ 4.625,060 «
Zinsengarantie-Vorschüsse _. 10.610,616 «
Zusammen 72.054,519 0.
Abgerechnet das Netto-Erträgniss der Staatsbahnen und
der Maschinen- Fabrik 11.620,451 fl.
Verbleibt 60.434^817
Hieven wuräen 39.406,224 Gulden durch Papierrenten im nominellen
Werte von 46.308,600 Gulden gedeckt, die gesammte Emission belastet
diese Rechnung. Die restliche Summe von 21.037,844 Gulden, da dieselbe
durch keine Anleihe Deckung fand, wird in den nachfolgenden Ausweisen
— um den Einfluss, welchen dieser Abgang auf die Gestaltung der finaa-
zieUen Verhältnisse ausübt, beachten zu können, — als fictive Capitalsanlage
aufigenommen und mit 5Vo Zinsen berechnet. Es könnte diese fictive Capi-
talsanlage mit dem Course der Papierrente berechnet werden, Wir wollen
jedoch in unseren Berechnungen lieber rigoroser vorgehen und rechnen die-
selbe daher al pari. In diesem Jahre wurde 6percentige Goldrente im nomi-
nellen Werte von 37.491.200 Gulden auf 4percentigq Goldreute im nomi-
nellen Werte von 50.260,000 Gulden convertirt ; jene Summe daher, welche
zu Lasten der Eisenbahnen geschrieben werden kann, bilden folgende
Posten : 130.837,800 Gulden 6percentige Goldrente, 189.569.400 4percentige
Goldrente, 150.809,800 Gulden Papierrente, sämmtliche im nominellen
Werte, femer 21.027,844 Gulden fictive Capitalsanlage.
Im Jahre 1883 :
Bau von Eisenbahnen, Investitionen, Maschinen- Fabrik 1 8.781, 32 i fi.
Eisenbahn-Anleihe _. 5.514,551 «
Gömörer Pfandbrief- Anlehen .._ .._ ... 449,370 «
30 Millionen- Anleihe „....' ... : 2.352,025«
5^ f « .i 3.209,971 •
Verstaatlichung der Ostbahn 4.682,515 «
« der Theissbahn .,. 3.810,730 «
Capitals- Amortisation der Waagtalbahn 600,000«
Zinsen nach dem rückständigen Kaufpreis der Waag-
talbahn ... 197,470«
* Nach Abrechnung der Cöupon-Rückerstattungen.
ungarische Berae XT. 1891. IV. Heft. ^
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306 DIB BI8ENBAHNBN IM UNGARIßCHEN STAATSHAUSHALTE.
Linie Agram-Karlstadt ... . _ _. 286,875 fl.
Zinsen der 6percentigen Goldrente 9.420,321 t
€ • 4 c Goldrente* .. 7.416,049 •
€ • 5 € Papierrente* 6.367,512 t
Fictive Capitals- Anlage ... 1.051,400 t
Zinsengarantie- YorBchüsse ... .._ 11.180,307 t
Zusammon 75.320,420 fl.
Abgerechnet das Netto-Erträgniss der Staatsbahnen imd
der Maschinen-Fabrik ... .. .„ ... 0.646,878 fl.
Verbleibt 65.673,542 fl.
Von dieser Summe können 42.145,872 Gulden für im Jahre 1884
emittirte Papierrente von 48.459,200 Gulden im nominellen Werte gleich
angenommen werden, es verbleiben daher 23.527,670 Gulden auf fictive
Gapitalsanlage. Wenn dies, sowie auch jener Umstand in Betracht genommen
wird, dass in diesem Jahre auch 6percentige Goldrente im nominellen Werte
von 51.091,300 Gulden convertirt wurde, so belaufen sich jene Capitalien,
deren entsprechende Zinsen zu Lasten des Eisenbahnwesens verrechnet
werden müssen, auf nachstehende Summen :
6percentige Geldanleihe 79.746,500 fl.
4 t € 259.569,400 t
5 t Papierrente _ 199.269,000 t
Fictive Capitals- Anlage 44.555,514 t
Im Jahre 1884:
Bau von Eisenbahnen, Investitionen, Maschinen-Fabrik 17.238,320 fl.
Eisenbahn- Anleihe 5.683,577 t
Gömörer PÜEUidbrief-Anlehen 464,547 t
30 MilKonen- Anleihe 2.305,476«
54 t t „ 3.300,294 t
Verstaatlichung der Ostbahn 4.766,607 t
t der Theissbahn 4.011,838 t
t der L Siebenbürger Bahn 2.055,229 t
Verstaatlichung der Donau-Drau-Eisenbahn 599,097 t
Capitals- Amortisation der Waagtalbahn ... _.. _ 600,000 t
Zinsen nach dem rückständigen Kaufpreis der Waagthal-
Bahn - - 158,470 f
Tauschwert der Neu-Szöny-Brucker Bahn 2.611,704 t
Zinsen nach dem rückständigen Kaufpreis der Neu-Szöny-
BruckerBahn 47,573 t
Linie Agram-Karlstadt 291,900 t
* Nach Abrechnung der Goupon-Bückerstattongen.
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DIB HIOTNBAHNBN IM UNGAMSOHBN STAATSHAUSHALTE. -^07
Zinsen der Gporcentigen Goldrente .. 5.813,520 fl.
• f 4 « Goldrente* 11.494,347 «
• «5 • Papierrente 8.545,05!2 t
Zinsen der fictiven Capitals- Anlage 2.227,784 •
Zinsengarantie- Vorschüsse 9.513,050 •
Zusammen 81.728,385 fl.
Abgerechnet das Netto-Erträgniss der Staatsbahnen und
der Maschinen-Fabrik 8.510,108 fl.
Verbleibt ~ "73^1^,277117
Hieven 30.033,500 Gulden auf Papierrente — Emission vom Jahre
1885 — umgerechnet, kommt diese Summe 32,924.900 Gulden Papierrente
nominellen Wertes gleich, die restlichen 43.184,777 Gulden werden als
fictive Gapitalsanlage verrechnet. In diesem Jahre wurden auch noch die
räckständigen 6percentigen Goldrente-Obligationen convertirt. Statt der
6percentigen Obligationen von 79.746,500 Gulden nominellen Wertes
muflsten 107.702,077 Gulden^ ebenfalls nominellen Wertes, 4percentige
Obligationen emittirt werden. Demnach betrug der verzinsbare Stand :
4percentige Goldrente ... 367.271,477 fl.
5 • Papierrente... 232.193,900 •
Fictive Capitals-Anlage 87.740,291 t
Im Jahre 1885 :
Bau von Eisenbahnen, Investitionen, Maschinen-Fabrik 12.146,056 fl.
Bisenbahn- Anleihe 5.784,696
Gomörer Pfandbrief- Anlehen .. ... ... ... ... 467,920
30 MiUionen- Anleihe 2.307,698
54 • • — 3.309,976
Verstaatlichung der Ostbahn 4.744,524
• der Theissbahn 3.708,023
f der L Siebenbürger Bahn _ 2.061,404
t der Donau-Drau-Eisenbahn' ... 604,813
• der Alföld-Fiumaner Bahn 2.071,593
Tauschwert der Neu-Szöny-Brucker Bahn 2.500,000
Zinsen nach dem rückständigen Kaufpreis der Neu-Szöny-
Braoker Bahn _ 250,000
Capitals- Amortisation der Waagtal-Bahn ._ 600,000
Zinsen nach dem rückständigen Kaufpreis der Waagtal-
Bahn.. ._ ... ... ... .i. 119,470
Linie Agram-Karlstadt 291,900
* Nach Abrechnung der Coupon-Rückerstattnngen.
20*
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^B DIB EISENBAHNEN IM UNGARISCHEN STAATSHAUSHALTE.
Zinsen der 4peroentigen Goldrente 17.042,807 fl.
f € 5 t Papierrente ... ._ 10.833,677 «
Zinsen der fictiven Capitals- Anlage „ 4.386,522«
Zinsengarantie-Vorschüsse 7.736,975 •
Zusammen 80.968.054 0.
Abgerechnet das Netto-Erträgniss der Staatsbahnen und
der Maschinen-Fabrik , 12.265,182 fl.
Verbleibt 68.702,872 fl.
Hievon fanden 47.241,034 Gulden in der im Jahre 1886 emittirten
Papierrente von 51.203,900 Gulden im nominellen Werte Deckung,
21.461,838 Gulden entfallen auf fictive Gapitalsanlage, und es beträgt dem-
nach der verzinsbare Stand :
4percentige Goldrente 367.271,477 fl.
5 « Papierrente 283.397,800 «
Fictive Capitals- Anlage 109.202,129 t
Im Jahre 1886 :
Bau von Eisenbahnen, Investitionen, Maschinen-Fabrik 8.961,583 fl.
Eisenbahn- Anleihe ,.. 5.947,097
Gömörer Pfandbrief- Anlehen 481,463
30 Millionen- Anleihe _. ... 2.423,931
54 f • 3.359,692
Verstaatliehnng der Ostbahn .., 4.811,662
• der Theissbahn ... 3.597,115
« der I. Siebenbtirger Bahn 2.082.727
f der Donau-Drau-Bahn 609,913
f der Alföld-Fiumaner Bahn 2.102,324
Tauschwert der Neu-Szöny-Brucker-Bahn 2.500,000
Zinsen nach dem rückstandigen Kaufpreis der Nen-
Szöny-Brucker Bahn ... 125,000
Capitals- Amortisation der Waagtal-Bahn ... 600,000
Zinsen nach dem räckständigen Kaufpreis der Waagtal-
Bahn 80,470
Linie Agram-Karlstadt 300,150
Zinsen der 4percentigen Goldrente 18.452,623
f €5 « Papierrente 13.130.463
Zinsen der fictiven Oapitals-Anlage 5.459,614
Zinsengarantie- Vorschüsse 7.803,617
Zusammen.. 82.829,444 fl.
Abgerechnet das Netto-Erträgniss der Staatsbahnen und
der Maschinen-Fabrik 14.579,939 fl.
Verbleibt ... _ ... 68.249,505 fl.
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bl^ iBIS£)lBABK£N IM tJNGABISCHBN Sf AATSBAXJBHALTti.
309
Hievou können 56.616,651 Gulden durch die im Jahre 1^87 emittirte
Papierrente im nominellen Werte von 64.863,100 Gulden als gedeckt ange-
nommen werden, die übrigen 1 1 .632,854 Gulden entfallen auf die fictive
Gapitalsanlage. Älldies in Bechnung genommen, gestaltet sich der verzins-
bare Stand folgendermassen :
4percentige Goldrente 367.271,477 fl.
5 « Papierrrente ... 348.260,900 t
Fictive Capitals-Anlage ... ... 120.834,983 t
Im Jahre 1887 :
Bau von Eisenbahnen, Investitionen, Maschinen-Fabrik 9.477,331 fl.
Eisenbahn-Anleihe 5.%8,671
Gömörer Pfandbrief- Anlehen 484,086
30 Millionen- Anleihe 2.449,168
54 • f 3.369,670
Verstaatlichung der Ostbahn 4.800,979
' • der Theiss-Bahn 3.512,058
f der I. Siebenbürger Bahn 2.068,643
f der Donau-Drau-Bahn 606,897
• Alföld-Piumaner Bahn 2.107,589
Capitals- Amortisation der Waagtal-Bahn 600,000
Zinsen nach dem rückständigen Kaufpreis der Waagtal-
Bahn 41,470
linie Agram-Karlstadt 302,100
Zinsen der 4percentigen Goldrente 18.509,234
r • 5 • Papierrente 16.067,941
Zinsen der fictiven Capitals-Anlage 6.040,756
Zinsengarantie- Vorschüsse 7.021,806
Zusammen 83.428,399 fl.
Abgerechnet das Netto-Erträgniss der Staatsbahnen und
der Maschinen-Fabrik ... 15.601,671 fl.
Verbleibt 67.826,728 fl.
Hievon fanden 44.117,355 Gulden in der im Jahre 1888 emittirten
Goldrente von 47.000,000 Gulden, 7.510,481 Gulden hingegen in der in dem-
selben Jahre emittirten Papierrente von 8.814,600 Gulden Deckung, beide
Benten dem nominellen Werte nach genommen; die restlichen 16.198,892
Gulden werden auf Bechnung der fictiven Gapitalsanlage geschrieben«
Der verzinsbare Stand ist daher nachfolgender:
4percentige Goldrente
5 « Papierrente
Fictive Capitals- Anlage .
414.271,477 fl.
357.075,500 «
137.033,875 •
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•^10 DIE EIRE^RAHNBt« ik Ü^OABISCH^ BtAAtBÖAÜSttAtTtt.
Im Jahre 1888 :
ßau von Eisenbahnen, Investitionen, Maschinen-Fabrik 8.424,770 fl.
Eisenbahn-Anleihe 5.766,503 t
Gömörer Pfimdbrief-Anlehen 462,316 t
30 Millionen-Anleihe 2.315,562 t
54 f • — 3.367,482 •
Verstaatlichung der Ostbahn 4.782,179 •
« der Tlieissbahn 3.423,923 t
• der I. Siebenbürger Bahn 2.065,172 c
i Donau-Drau-Bahn ... — .._ (509,217 •
• Alföld-Fiumaner-Bahn 2.103,678 t
Capitals-Amortisation der Waagtal-Bahn... ._ 488,000 •
Zinsen nach dem rückständigen Kaofyreis der Waagtal-
Bahn ... _.. 6,110 •
Linie Agram -Karlstadt 294,600 t
Zinsen der 4percentigGn Gk)ldrente 18.905,945 •
• • 5 • Papierrente ... 17.320,392 •
Zinsen der fictiven Gapitals- Anlage 6.851.202 t
Zinsengarantie-Yorschüsse 6.618,643 •
Zusammen 83.805,694 fl.
Abgerechnet das Reinerträgniss der Staatsbahnen imd
der Maschinen-Fabrik ... _. ... 18.694,754 fl.
Verbleibt 65.110,940 fl.
Hieven 1.367,006 Gulden zu Lasten der im Jahre 1889 emittirten
Papierrente geschrieben, welche 1.411,500 Gulden im nominellen Wert re-
präsentirt, die übrigen 63.743.934 Gulden hingegen zu der fictiven Gapitals-
anlage gerechnet, betragen die verzinsbaren Schulden ausser der Eisenbahn-
Anleihe vom Jahre 1867, ausser dem Gömörer Pfandbrief- Anlehen, der 30
und 54 Millionen-Anleihe, ferner ausser der zu Folge Verstaatlichung von
Eisenbahnen entstandenen Lasten, u. z. :
4percentige Goldrente 414.271,477 fl.
5 • Papierrente 358.487,000 t
Fictive Capitals-Anlage ... ... ... _. ... ... ... 200.777,809 •
Im Jahre 1889 :
Bau von Eisenbahnen, Investitionen, Maschinen-Fabrik 6.557,228 fl.
Eisenbahn- Anleihe 4.617,971 •
Gömörer Pfandbrief- Anlehen 333,727 t
30 Millionen- Anleihe 1.410,345 •
54 • « 1.767,622 •
Verstaatlichung der Ostbahn i. - ... 4.658,190«
« der Theissbahn ... 2.879,118«
« der I. Siebenbürger Eisenbahn 1.637,190 •
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l>tfi filSlBNBAHi^N I^ ÜKOAftlSCH^ StAA^HAÜSäALTB. ^ll
Verstaatüchung der Donau*Drau Bahn 470,043 fl,
« der Alföld-Fiumaner Bahn 1.673,235 t
« der I. Galizischen Eisenbahn 1.081,031 •
€ der ungarischen Westbahn 1.785,933 «
« der Budapest-Fünfkirchner Eisenbahn 287,700 c
Linie Agram-Karlstadt _ 282,000 t
Zinsen der 4percentigen Goldrente 20.127,157 t
€ f 5 « Papierrente 17.881,800 •
• der fictiven Capitals-Anlage 10.038,398 t
Zinsengarantie-Yorsohüsse 4.174,600 •
Zusammen 81.663,897 fl.
Abgerechnet das Netto-Erträgniss der Staatsbahnen und
der Maschinen-Fabrik 19.865,302 fl.
Verbleibt 61.798,595 fl.
Wir gelangten biemit zu dem Ende der mühevollen, yielleicht für die
Leser ermüdenden Berechnungen, und können nun von den aa^eklärten
Besultaten die Schlassfolgerungen ableiten. Das Defizit unseres Staatshaus-
haltes hat| wie oben erwiesen^ von 1869 bis 1889 inclusive insgesammt
815.195,403 Gulden betragen und während derselben Zeit haben die im
Interesse der Entwicklung des Eisenbahnwesens geopferten Summen und
deren Zinseszinsen nicht weniger als 961.717,480 Gulden repräsentirt; sie
haben demnach die Staatshaushaltungsdefizite um 146*55 Millionen Gulden
überstiegen.
Diese Ziffern erweisen am besten, wie riesig das Opfer war, welches
der ungarische Staat der Entwicklung des Eisenbahnwesens brachte. Ohne
dieses Opfer hätten wir, wenn auch alle anderen Ausgaben ebenso gross
geblieben wären, als sie thatsächlich waren, wenn auch die Kosten der bos-
nischen Oconpation und die ganze Last des Eriegsbudgets auf unsem Staats-
haushalt ebenso gedrückt hätte, wie dies der Fall war, und wenn auch die
eigenen Einkünfte des Staates reichlicher eingeflossen wären, dennoch unsere
gesammten Ausgaben aus unseren eigenen Einnahmsquellen zu decken ver-
mocht und hätten noch einen b^rächtlichen üeberschuss bebalten.
Wenn wir indess die beiden finanziellen Perioden, die vor 1875 und
die nachherige gesondert betrachten, wird ein scharf pointirter Unterschied
in die Augen fallen. Während nämlich in der sechsjährigen Periode von
1869 bis 1874 die Defizite zusammen 83*97 Millionen Gulden oder per Jahr
dorchschnittlich um 14 MilHdfieB mehr ausmachten als die für Eisenbahnen
geopferten Summen, haben in der fünfzehnjährigen Periode von 1875 bis
1889 die Staatshaushaltsdeficite zusammen S30*52 Millionen Gulden betra-
gen und machten jährlich durchschnittlich um 15*37 Millionen Gulden
weniger aus als die Beträge, welche die Eisenbahnen direct oder indirect
verschlangen. Hieraus ist ersichtlich, dass vor 1875 auch ohne Eisenbahn-
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31*2 DIB EISENBAHNEN IM UNGAftlftCHEN STAATSHAÜRÖALtÖ.
Bau, Eisenbahnzinsen-Ghurantie u. s. w. ein Defizit gewesen wäre^ während
seit 1875 die Hauptquelle des Defizites unmittelbar auf das Eisenbahnwesen
zurückgeführt werden kann. Nach der Fusion war das Staatshaushaltungs-
defizit nur bis 1881 grösser als diese Opfer und auch damals nicht alljährlich
(beträchtlich nur 1875 in der Uebergangszeit, femer 1878 im bosnischen
Kriegsjahre), später blieb sogar das übergrosae 1887er Deficit um 18-41 Mil-
lionen Gulden unter den directen und indirecten Eisenbahn-Ausgaben.
Wir wiederholen ein allbekanntes Factum, indem wir aussprechen,
dass für die Eisenbahn-Lasten die Verantwortung nicht die Gegenwart, son-
dern die Vergangenheit trifft. Der grösste Teil der staatlichen Bahnbauten
und die Feststellung des ganzen Zinsengarantie- Systems fällt in die ersten
Jahre der constitutionellen Aera oder in die derselben vorangebende Zeil
In dem fün&ehnjährigen Zeitraum, obschon während desselben unser Bahn-
netz von 6422 Kilometern auf 10,870 Kilometer stieg, wurde keine einzige
Eisenbahn mit Gewährung von Zinsengarantie concessionirt. Staatsbahnen
wurden zwar auch während dieser Zeit gebaut, diese bildeten aber Ergän-
zungen des alten unterbrochenen Bahnnetzes und waren, abgesehen vom
wirtschaftlichen Nutzen, auch aus finanziellem Gesichtspunkte vorteilhaft,
indem sie das ganze Netz ertragsfähiger machten. Alldas, was in den letzten
anderthalb Jahrzehnten in Gestalt von in Eisenbahnen investirten Summen
oder von Zinseszinsen der durch nie rückersetzte Garantie- Vorschüsse ver-
schlungenen Anlehen den ungarischen Staatshaushalt bedrückte, war eine
ererbte Last. Wie gross diese war, zeigen die obigen Ziffern in erstaunlicher
Weise. Es gab Jahre, wo die Last 73 Millionen betrug, und in der That ver-
mögen wir erst bei Inbetrachtnahme dieser Zahlen gebührend zu würdigen,
wie gross die Aufgabe' war, unseren Staatshaushalt zu regeln, und welche
Kraftanstrengung, welcher Heroismus nötig waren, um die gleich einer La-
wine anwachsende Zinsenlast, welche beinahe das ganze Gebäude unserer
Staatlichkeit zu zerschmettern drohte, zum Stillstand zu bringen.
Noch eine sehr interessante Lehre ergeben obige Zahlen. Während näm-
lich die directen und indirecten Eisen bahn-Netto- Ausgaben bis 1884 unauf-
hörlich, und zwar in rascher Progression wuchsen, sehen wir seit 1883 eine
stufenweise Abnahme. iBin oberfiä^^icher Beobachter würde sich vielleicht
mit der Erklärung begnügen, dass die Eisenbahn-Ausgaben notwendiger-
weise abnehmen mussten, weil in diesem Jahre die grösseren Bahnbanten
(Budapest- Semlin und die Brucker Linie) beendigt wurden. Dies stehl jedoch
nicht, was sich am besten erweisen wird, wenn wir das 1884er Jaht, wo die
Ausgaben den Höhepunkt erreichten, mit einem späteren Jahre vergleichen,
allein nicht cumulativ, sondern unter Gruppirung der Ausgabenpostien na(^
ihrer Beschaffenheit. Wir wollen das Jahr 1888 als Beispiel nehmen, obwohl
das Jahr 1 889 noch günstiger wäre, weil bei letzterem die Gonversion der
Eisenbahn -Anlehen die Bechnung erschweren würde. Es beitrugen:
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DIE filSENBAHNBN IM ukOARISOHEN STAATSHAUSHALTE. 313
1884 1888
Bahnbau-Ankauf und Investition 20.947,967 fl. 9.213,480 fl.
Lasten nach verstaatlichten Bahnen ... 11.432,771 • 12.984,169«
Alte Eisenbnhn-Anlehen ... 11.753,894« 11.911,863«
Entsprechende Zinsen der Gold- und Papier-
Rente 28.080,703 « 43.077,539 «
Zinsengarantie- Vorschüsse 9.513,050 « 6.618,643 fl.
Für Eisenbahnban and Investition wurden demnach im Jahre 1888
zwar um 11*73 Millionen Gulden weniger ausgegeben, als 1884, allein die
Zinsen-Last der zu Eisenbahn^wecken verwendeten Beträge warum 15'15
Millionen Gulden grösser, was jene Ersparnisse überwiegt, — und wenn das
Endresultat im Jahre 1888 ungeachtet dessen nahezu um 8 Millionen Gulden
günstiger ist, können wir dies den Verstaatlichungen, der Ergänzung des
Staatsbahnnetzes und jenet selbstbewussten Eisenbahnpolitik zuschreiben,
die gleichzeitig dem wirtschaftlichen Wohle des Landes und den Interessen
des Staatsschatzes dient. Die Belastung des Staates durch die für die ver-
staatlichten Bahnen übernommenen Schulden und für die Zinsengarantie-
Vorschüsse war im Jahre 1 888 nicht grösser, sondern sogar kleiner als 1 884
und doch hob sich das Beinerträgniss der Staatsbahnen von 8*51 Millionen
Gulden auf 18*69 Millionen Gulden. Wenn wir auch die Neubauten in Be-
tracht nehmen, ist dies ein so glänzender Erfolg, von welchem man sich
noch vor fünf Jahren nichts träumen liess, und dies dient für die Zukunft als
Bürgschaft, dass die Entwicklung der Staatsbahnen von Jahr zu Jahr mehr
von jener Last, welche die im Interesse des Eisenbahnwesens gebrachten
riesigen Opfer den Steuerträgem auferlegten, von deren Schultern herab-
nehmen werde.
Dass noch viel übrig bleibt, was aus den sonstigen Einnahmsquellen
des Staates beizutragen ist, um die Zinsenlast der zu Eisenbahnzwecken
verwendeten Beträge zu decken, lässt sich nicht leugnen. Allein heute
betrachtet man die Staatsfinanzen aus dem Gesichtspunkte des starren Fis-
calismus, und wir können jene Opfer, welche indirect mittelst des Auf-
schwunges der verschiedenen Zweige der Volkswirtschaft und mittelst der
Steigerung des Wohlstandes der Steuerträger zurückerstattet werden, keines-
wegs für unfruchtbare Ausgäben erklären. Wäre wohl der ungarische Staat
im Stande gewesen, alle jene Aufgaben, die sich an den Begrifif des modernen
Staates knüpfen, nur annähernd zu lösen, wäre er im Stande gewesen, jene
Lasten, welche die Landesverteidigung und die Eriegsbereitschaft uns auf-
laden, ohne zusammenzubrechen, zu ertragen, und wäre wohl selbst die Ge-
sellschaft und die Volkswirtschaft fähig gewesen, ohne eine Katastrophe jene
grossen Krisen auszuhalten, welche die civilisirte Welt von einem Ende zum
andern durchliefen, wenn unsere wirtschaftlichen Kräfte in den Eisenbahnen
und in der ungarischen Eisenbahnpolitik nicht einen so wirksamen Stütz-
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•^^i DIE EISfiKBAfiKfiN IM ÜNOARtSCHBN HTAATSHAÜSHaLUS.
punkt gefanden hätten ? Die grossen Eraftanstrengongen sind daher nicht
nur motivirt, sondern sie waren unbedingt notwendig, und wir mussten
sie machen, wenn wir nicht yom grossen Concurrenzkampf der modernen
Nationen endgiltig fernbleiben wollten.
Indess wollen wir nicht im entferntesten behaupten, dass Alles so am
besten war, wie es geschah. Es lässt sich nicht leugnen, dass anfangs auf
dem Gebiete der Eisenbahn -Angelegenheiten viele Irrtümer vorkamen und
dass sich imsere Finanzlage zum Teil anders gestaltet hätte, wenn immer
dieselbe Einsicht und Fachkenntniss bei Leitung dieser Angelegenheiten
geherrscht haben würden, wie in neuerer Zeit Es kann nicht unser Zweck
sein, auf die Irrtümer hinzuweisen ; diese Fragen sind genügend ventilirt
und geklärt und die öffentliche Meinung will sie nicht nur nicht beschö-
nigen, sondern ist vielleicht geneigt, sie übermässig streng zu beurteilen.
Unsererseits wollen wir, indem wir den gegenwärtigen Elrfolgen unsere volle
Anerkennung zollen, auch gegen die Vergangenheit Billigkeit walten
lassen. Man darf die Anfangsschwierigkeiten nicht übersehen und darf die
neueren und älteren Bahnbauten nicht blos nach der Grösse des per Kilo-
meter investirten Gapitales beurteilen. Wie viel höher war damals der
Eisenpreis und wie viel theuerer das Capital ! Schon diese beiden Factoren
sind genügend, um die damaUgen und die gegenwärtigen Baukosten nicht
mit gleichem Maasse zu messen.
Vielleicht der grösste Tadel, welcher die Vergangenheit trifft, ist, dass
man die damalige Kraft der Nation nicht genügend in Anspruch nahm,
sondern die Lasten leicht, man kann sagen fast leichtsinnig auf die Zukunft
überwälzte. England hat sogar die Kosten seiner grossen Kriege, welche in
den letzten zwei Jahrhunderten 32 Milliarden Francs betrugen, nicht rein
mittelst Staatsanlehen bedeckt, sondern ein Driitel dieser kolossalen Summen
durch Steigerung der Staatseinkünfte aufgebracht. Wir aber haben unsere
gesammten Investitionen mittelst geborgter Gelder bewerkstelligt, welches
Vorgehen das chronische Deficit nach sich zog. Die mit Zinseszinsen an-
wachsende Last führte das Staatsschiff auf eine Untiefe, von welcher man es
kaum flott zu machen vermochte.
Heute ist, dank der Vorsehung und der mit Energie gepaarten Weis-
heit unserer leitenden Staatsmänner, das Defizit verschwunden. Die grosse
Kraftanstrengung, mittelst der wir dies erreicht haben, kann uns als glän-
zende Kraftprobe mit Vertrauen erfüllen ; aber wir müssen auch die Ab-
gründe beleuchten, die zu vermeiden sind, wenn wir nicht das Heiligste,
wofür unser Herz schlägt, aufs Spiel setzen wollen : Ungarns zukünftige
Grösse und staatliche Selbstständigkeit. Josef v. Jbkelfalüsst.
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GRAF B^IiA SZ^HENYI*S REIßE IM ÖSTLICHEN AStkS. -^^'^
GRAF BfiLA SZtoENTI'S REISE IM ÖSTLICHEN ASIEN.
Vor kurzer Zeit erregte das jüngste Werk über diese nunmehr allbe-
kafinte Expedition nicht nur in den wissenschaftlichen, sondern fast in allen
Kreisen Ungarns berechtigtes Aufsehen, denn so weit wir uns erinnern
können, wurde eine so bedeutende Beise von Ungarn bisher nicht unter-
nommen, und dann gibt es wohl kaum ein zweites ungarisches Buch,
welches an Pracht der Ausstattung mit diesem Werke wetteifern könnte. Ja,
wir wollen noch weiter gehen und behaupten, dass es in der ganzen grossen
geographischen Literatur nur wenige Bücher gibt, welche in jeder Hinsicht
diesem Werke Sz^henyi's an die Seite gestellt werden können.
Ein ungarischer Magnat, der ausser seinem grossen Namen noch ein
bedeutendes Vermögen besitzt, unternimmt eine auf mehrere Jahre berech-
nete Beise, aber nicht zum Vergnügen, sondern um der Wissenschaft und
dem Vaterlande Dienste zu leisten. Denn obwohl wir Magnaten in grosser
Zahl, und diese auch enorme Beichtümer besitzen, so ist dies in Ungarn
sozusagen der erste Fall, dass auf Kosten eines derselben eine wissenschaft-
liche Expedition unternommen wurde. In England sorgt der « Spleen •, der
in Wirklichkeit oft nur Wissens- und Thatendurst ist, für dergleichen Unter-
nehmungen ; Amerika, das Land der Beklame, stellt ebenfalls ein grosses
Gontingent von Forschem ; Deutschland, Frankreich, Belgien, Spanien, ja
sogar das kleine Portugal sorgt durch ein selbstständiges Budget für die
Wahrung seiner wohlerkannten Interessen; nur unsere Monarchie und
unsere Lords geben für dergleichen kein Geld aus. Um so mehr Lob und
Anerkennung verdient es, wenn sich ein Mitglied der höchsten Gesellschaft
entschliesst, einige Jahre in uncivilisirten Ländern zuzubringen und sich
Gefahren auszusetzen, um eben eine ivissenschafüiche Beise zu unter-
nehmen. Für uns ist dies die Hauptsache, die Wissenschaft ; denn wie viel
Opfer derselben auch gebracht werden, ist sie dennoch reich genug, um die-
selben zurückzuerstatten. Und die wissenschaftlichen Er^bnisse dieser Expe-
dition sind in ihrem geradezu grossartigen Erfolge schon an sich Lohn genug.
In einem grossen Band, dem noch ein zweiter folgen soll, finden wir eine ganze
Geographie, (Geologie und Naturgeschichte des Beiches der Mitte. All diese
Fächer sind mit einer Gewissenhaftigkeit in Datenmaterial und Quellen-
studium behandelt, dass das Werk seinen Verfassern, dem Grafen Szechenyi,
dem Prof. Ludwig v. Löczy und dem Consul Kreitner alle Ehre macht, ja, wir
müssen dem Grafen ganz besonderen Dank wissen für die gute Wahl, die er
bei seinen Beisegefährten getroffen, welche sich in jeder Beziehung der ihnen
gestellten Aufgabe gewachsen und würdig zeigten. Unsere Wissenschaft und
unser Vaterland sind daher dem Grafen Bela Szechenyi zu grösstem Danke
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*^^ß GRAF BELA SZ^CHENTI*S REIBE IM ÖSTLICHEl* ASifeM.
verpflichtet^ und es bliebe nnr zu wünschen^ dass unsere Magnaten dem
edlen Beispiele des Yortreffliohen Mannes nacheifern würden.
Abgesehen von den wissenschaftlichen Erfolgen solcher Expeditionen
ist auch die commerzielle Ausbeute derselben nicht zu unterschätzen. Wir
Ungarn sind schon seit langer Zeit gleichsam prädestinirt, mit dem Oriente
Handelsverbindungen zu schaffen und aufrecht zu erhalten ; wir sind vielleicht
die einzige «saturirte» Nation, die nicht auf Vergrösserung des Terrains aus-
geht; wir haben nirgends Colonien ; wir brauchen auch keinen Fuss breit
fremden Landes ; aber Handel und Industrie sollen und können sich darum
um so leichter entwickeln. Es war sicherlich sehr wohl bedacht, warum Graf
Szechenyi sich nach China begab. Vor ihm hatten sich schon viele und
bedeutende Beisende dort umgesehen, wenn sie auch nicht in die unfruchtbare
Wüste und überhaupt nicht so weit vorgedrungen sind. Denn zu Abenteuern
oder auch zu Studien dürfte ja selbst Afrika geeigneter sein. Aber wir glau-
ben nicht zu irren, wenn wir denken, dass der Graf, der von seinem unver-
gesslichen Vater wohl ein grosses Stück Geist und Talent geerbt hat, auch
die handelspolitischen Interessen unserer Monarchie vor Augen hatte, als er
seinen Weg eben nach China einschlug. Es ist dies nur eine Vermutung,
welche jedoch unleugbar viel Wahrscheinlichkeit für sich hat. Denn gerade
China ist jenes Land, welches auf einer relativ hohen Stufe der Civilisation
stehend, in Bälde einem ungeahnten Aufschwung entgegensehen darf, da es
erst vor Kurzem der europäischen Cultur erschlossen wurde, und obzwar
das ganze seefahrende Europa — Amerika nicht zu nennen — eine riesige
Concurrenz bietet, so hat doch auch unser Land berechtigte Aussicht, nur
müssen wir die dortigen Verhältnisse aufs genaueste kennen lernen. Es ist
wohl nicht daran zu zweifeln, dass wir in nicht langer Zeit vom Chef des
Unternehmens selbst oder doch von einem seiner Begleiter auch in dieser
Hinsicht ausführlichen Bericht zu erwarten haben.
Was den edlen Forscher speciell veranlasst hat, die Reise zu unter-
nehmen, darüber berichtet er selbst in seiner Widmung. «Ich widme dieses
bescheidene Werk dem Andenken meiner unvergesslichen, engelhaften Gat-
tin, Gräfin Hanna Erdödy. — Als ich Dich noch mein nennen konnte, war
ich der Glücklichste auf der Welt, nun ich Dich verlor, bin ich einer der
Unglücklichsten unter den Sterblichen . . . Der brennende Sand der Wüste,
welcher kein Leben auf sich duldet, die zum Himmel ragenden Schneeberge
von Tibet, die dort herrschende Buhe und Einsamkeit ist die rechte Heimat
der Unglücklichen. Als wäre sie nur für solche geschaffen worden. Fem vom
Getöse der Welt, ungestört, konnte ich immer wieder in Gedanken die glück-
lichen Augenblicke der Vergangenheit durchleben, und gebrochenen, doch
dankbaren Herzens wiederhole ich die Worte des Dichters, welche Du slß
Braut an mich richtetest :
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GRAF BÄLA SZ^CHBNYI*8 REIßE IM ÖSTLICHEN ARIEN. ^^^
«Je pense ä toi quand le soleil se l^ve^
J'y pense encore^ quand il a fibi son cours ;
Mais si parfois dans mon sommeii je reve
C'est mon bonheur de te cherir toiyours !»
Drei Jahre lang dauerte die Vorbereitung zur Expedition, von 1874 —
1877. Ausser den Vorstudien, die der Graf machen inusste, war eine der
schwierigsten Aufgaben die Wahl geeigneter Beisegefährten. Obzwar Sze-
chenyi in dieser Beziehung sehr liberal dachte: «Die Wissenschaft und die
Kunst haben keine scharf begrenzte Heimat», so wollte er doch dem Wahl-
spruche getreu bleiben : «ä tous les coeurs bien n^s, la patrie est ch^re». Und
so fiel seine Wahl nach langem Suchen auf drei heimische Kräfte, 6. v. Bälint
als Philologen, Oberlieutenant 6. Kreitner als geographischen, und L. y. Löczy
als naturgeschichtlichen Observator. In wie fem diese Wahl nicht nur ge-
rechtfertigt, sondern auch eine gelungene war, beweist schon der erste Band
des uns vorliegenden Werkes, mit dem sich — betreffs der wissenschaftlichen
Resultate — ausser Bohlfis' Beise kein neueres Werk dieser Gattung mes-
sen kann.
Die ganze Bäuberromantik, wie sie sich ähnlichen Beisebeschreibungen
so verführerisch aufdrängt, fehlt hier, und die männliche Würde, mit welcher
die Erinnerung an manches Abenteuer unterdrückt ist, wird den denkenden
Leser die Grösse der ausgestandenen Gefahren nicht vergessen lassen; — das
Beisewerk wendet sich eben mit dem ganzen Ernste der grossen Errungen-
schaften nur an den ernsten, durch Effecthascherei nicht mehr zu blenden-
den Leser.
Der erste Band des Werkes enthält eine Einleitung mit einem Vor-
wort aus der Feder des Grafen Szdchenyi, einem geographischen Teil von
Kreitner, und einer Geologie China's von Loczy.
Im Jahre 1877, den 4. December, bestieg die Expedition in Triest den
Lloyd-Dampfer «Polluce». Nach kurzem Aufenthalt in Dschedda warf man
endlieh am 9. Januar 1878 in Bombay Anker. Nach einem Aufenthalte von
18 Tagen machten die Beisenden einen Ausflug auf die von ihren in Fels
gehauenen Tempeln berühmte Insel Elephante. In Bombay teilte sich die
Gesellschaft. Graf Szechenyi fuhr mitBälint nach Ahmadabad auf die Jagd,
um nach derselben sich nach Süd-Indien zu begeben, während Kreitner und
Löczy nach Galcutta gingen.
Es war nämlich eine ganz vorzügliche Idee Szdchenyi's, seine Arbeits-
kraft vor dem Beginn ihrer eigentlichen Thätigkeit auf möglichst grosse
Territorien zu verteilen, um nicht nur eine einzige Boute kennen zu lernen,
soAdem aus verhältnissmässig riesigen angrenzenden Gegenden so viel Daten
als möglich und die gehörige Uebung zur Erforschung der zu bereisenden
unbekannten Gegenden zu erlangen, Löczy und Kreitner besuchten Allaha-
bady Benares, die beilige Stadt am Ganges, und kamen am 24. Januar in
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^'^ «RAF b6la 8ZI?.rHENTl'fl REISE TM ÖSTLICHEN ASIEN.
Calcutta an. Von hier aus machten sie einen Ausflug in das Himdlaya-
Gebirge, speciell nach Dardschiling, wo ein Landsmann, der Linguist Ale-
xander Körösi Csoma begraben liegi Hier bot sich ihnen im Anblicke der
höchsten Berge der Welt ein nicht alltagliches Bild dar! — Professor
Loczy dehnte jedoch seinen Ausflug noch bis an die tibetanische Grenze am
Dselep-la aus.
Am 2. März traf auch Graf Szdchenyi mit B&lint in Calcutta ein. Von
hier fuhr die ganze Expedition nach Singapore, wo dann wieder Graf Sze-
chenyi mit Loczy ein Schiff nach Batavia, B41int und Ereitner eines nach
Hongkong bestiegen. Auf Java unternahmen der Graf und Loczy besondere
Ausfluge und fuhren nach kurzem Aufenthalte über Singapore, Macao, Kan-
ton nach Hongkong.
Von Hongkong fuhr die Expedition nach Schanghai, wo sie von einem
sehr schweren Schlage getroffen wurde^ indem der Linguist Bälint auf Drän-
gen der Aerzte sofort nach Europa zurückkehren musste, was für die erhoffte
linguistische Ausbeutung der Expedition natürlich einen fast unersetzlichen
Verlust bedeutet
Von Schanghai aus begaben sich Szechenyi und Ereitner nach Japan>
während Löczy die Aufgabe erhielt, eine in geologischer Beziehung fast
unbekannte Gegend zu besuchen. Er konnte seme Aufgabe nicht ganz aus-
führen^ da er vom Fieber ergriffen wurde und nach Schanghai zurückkehren
musste. Doch brachte er von dieser Beise Material genug mit, das in einem
besonderen Oapitel der dritten Abteilung unseres Werkes eine entsprechende
Verarbeitung fand.
Unterdessen besuchten die beiden erwähnten Herren Nagasaki, Osaka,
Kioto, Nagoya, Yokohama und endlich Tokio, wo sie den erloschenen Vul-
kan Fusiyama bestiegen. Von Tokio führte der Weg nach Hakodate auf
Jesso. Hierher reiste Ereitner allein, da Szechenyi nach Schanghai zurück-
fuhr. Ereitner erwarb sich auf Jesso Verdienste um die Erforschung der
Aino*s, eines eingeborenen, jedoch dem Untergange geweihten Volksstammes.
Er wies zuerst nach, dass die Aino's von Natur nicht braun, wohl aber
schrecklich schmutzig sind und wohl nur aus diesem Grunde bis jetzt
für braun galten.
Während Ereitner noch in Japan war, reiste der Graf nach Peking, um
sich dort Beisepässe zu verschaffen. Noch in Budapest erhielt Graf Szechenyi
vom damaligen Minister des Aeussem, Grafen Andrässy und dem Minister-
präsidenten Tisza Legitimationen und Empfehlimgsschreiben an alle Ge-
sandtschaften, und so von allen Seiten aufs Wirksamste unterstützt, gelang
es ihm auch ziemlich leicht, das Gewünschte zu erlangen. Sehr hilfreich
und zuvorkommend war ihm gegenüber einer der Mächtigsten im chinesi-
schen Beiche, der Vice-Eönig von Petschili, Li-Hung-Tschang, einer der-
jenigen, die in China zuerst die Fahne des Fortschrittes entfalteten, weshalb
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GRAF BBLA RZÄCHENTI*R REISE IM ÖSTLICHEN ASIEN. 319
er wohl gründlich verhasst, aber anderseits auch anerkannt ist. Li-Hung-
Tscbang empfing den Grafen und den General-Gonsul von Boleslawski in
zuvorkommendster, freundlicher Weise. Er versprach seine mächtige Befür-
wortung des Unternehmens im Tsungli-Yamen^ und hielt auch Wort, denn
das Minister-Gollegium war bereits bei der Ankunft des Grafen von Allem
unterrichtei
Den 8. October wurde Graf Sz^henyi im Tsungli-Yamen empfangen.
Das Präsidium im Ministerrate führte Prinz Eung^ der Gross- Oheim des
Kaisers von China. Nachdem der Zweck der Expedition schriftlich darge-
stellt und dem Bäte übergeben worden war, was in China unerlässlich
notwendig ist, und nachdem Sz^chenyi versprochen hatte, Berichte über die
inneren Zustände des Beiches einzusenden, erhielt er nach einigen Tagen
den gewünschten Pass. Den Transport des Geldes (in Silber) übernahm aus
Gefälligkeit einer der ersten chinesischen Banquiers, Herr Hu, und nachdem
auch die Ausrüstung der Expedition vollendet war, schiffte sich diese am
7. December in Schanghai ein, um den Yang-Tze-Kiang hinaufzufahren.
Im Tagebuche Sz^henyi's steht: «Endlich brechen wir von Schanghai auf,
wohl ausgerüstet mit Allem. Jeder Schritt nach Westen führt uns unserem
geliebten Vaterland entgegen; bis wir es jedoch durch Mongolien und Buss-
land oder durch Tibet und Indien erreichen, werden wir vielen Entbeh-
rungen, Mühseligkeiten und Gefahren ausgesetzt sein. Vielleicht hilft uns
Gott und vielleicht führt uns unser Stern nach Hause. — Heute beginnen
unsere ernsteren wissenschaftlichen Studien. Die bisherigen waren üebung,
Zdtvertreib und Vergnügen. Wir können nun zeigen, ob wir etwas zu
leisten im Stande sind, und ob wir den Erwartungen, welche die gebildete
Welt an solche Expeditionen knüpft, einigermassen entsprechen werden?»
Als regelmässiger Begleiter und Dolmetsch wurde ein Chinese aufge-
nommen, der im Bewusstsein seiner ünentbehrlichkeit § unverschämt stahl».
Auch eine der vielen Annehmlichkeiten ! — Es ist übrigens merkwürdig und
auch charakteristisch für die Autoren, dass sie das Volk in China fast überall
loben ; nur sehr selten zeigt sich Groll gegen dasselbe. Auch erfahrt man
gleich die Gründe für das feindUohe Verhalten des Volkes. Hauptsächlich
ist letzteres dort zu beobachten, wo schon vor unseren Forschem Europäer
gereist waren!
Nanking wurde in der Nacht passirt, und da ausser in Kiu-Kiang
nicht gelandet wurde, kam die ganze Gesellschaft wohlbehalten in Wu-
Tschang, respective in Hankau an. Hier besuchte die Expedition Li-Hang-
Tschang, den Bruder des früher erwähnten Li-Hung-Tschang, welcher der-
selben ausser einem Boote noch ein Kanonenboot als Bedeckung zur Ver-
fügung stellte. Mit Empfehlungen an die Mandarine in La-Ho-Eu versehen,
verliess die Gesellschaft alsbald Hankau. «Von diesem Momente an befanden
wir uns in den Händen der Chinesen.» Da das Boot sich als zu schwer erwies,
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•^20 GRAF BISlA SZEOHENYi'b REISE TM ÖSTLICHEN ASIEN.
musste man drei kleinere Boote nehmen und kam nach 22 Tagen in La-Ho-
Ku an. Nach einer weiteren Wasserfahrt von 30 Tagen verliess die Expedi-
tion bei Tin-Tse-Kuan den Fiuss, um die Landreise anzutreten.
Zu diesem Zwecke musste man sich das einzige Gommunicationsmittel,
nämlich Lasttiere, Pferde oder Maultiere verschaffen. Durch Protection (für
Geld und gute Worte) waren die gewünschten Tiere auch zu haben und
nach Uebersteigen des T^m-Ltn^-Gebirges erreichte die Expedition Si-
Ngan-Fu. Auf diesem Wege sahen die Beisenden zuerst Lösswohnungen,
denen sie später öfter begegneten.
Die chinesischen Städte besitzen zwei Haupttypen ; sie sind nämlich
entweder befestigt, d. h. von einer Mauer umgeben, oder offen, in letzterem
Falle sind sie gewöhnlich grosse Dörfer. Die Zahl der Einwohner varürt
stark; doch findet man nicht selten Städte, welche über 100,000 Seelen
zählen. Die Gebäude an und für sich genügten noch, würde nicht überall
ein so riesiger Schmutz herrschen. Auf den Gassen hegen Kehrichthaufen,
in welchen Borstenvieh wühlt ; menschliche Leichname und Cadaver von
Tieren liegen oft tagelang unbeerdigt mitten in den belebtesten Gassen
und so fort. — Dem Volke ist aber ein gewisser Humor, eine Nonchalance
eigen, die es demselben möglich machen, über alles Aufregende leicht hin-
wegzugehen ; in der grössten Wut genügt ein Witz, eine Bemerkung, um
einen ganzen Haufen Menschen zum Lachen zu bringen, und danü hat man
bekanntlich gewonnenes Spiel. Dem Geologen Loczy passirte es, dass er von
einer wütenden Menge veifolgt, in einen Laden flüchten musste ; eine Be-
merkung über ein gut gemästetes Schwein veränderte jedoch die Lage im
Augenbhcke. Die Chinesen sind sozusagen noch Kinder, welche auch nur
dem momentanen Gefühl gehorchen.
Trotzdem gibt es j edoch in China eine verhältnissmässig sehr entwickelte
Cultur und Wissenschaft. Es gibt hier keine öffentlichen Schulen ; sie haben
den Charakter der Privatanstalten. Die Studien beziehen sich nur auf Ge-
schichte und KeUgionsjphilosophie nebst der Elrlemung von Classikem,
während die exacten Wissenschaften ganz vernachlässigt werden. Die Stu-
denten erhalten im Collegium ausser Wohnung und Kost vom Gouverneur
monatUches Gehalt, wofür sie jedoch je eine philosophische Arbeit liefern
müssen. Die beste Arbeit wird prämürt. Das Alter der Studenten varürt
zwischen 15 — 70 Jahren. Nach absolvirtem Studium muss jeder Student
in Gegenwart des Vicekönigs und zahlreicher Würdenträger öffentUche Prü-
fungen ablegen. Wer das erste Bigorosum gemacht hat, besitzt das Becht,
ein zweites und zuletzt ein drittes abzulegen. Jede gelungene Prüfung erhebt
den Studenten über seine Mitmenschen. Diejenigen, die erst die zweite Prü-
fung abgelegt, bilden die Beamten-Classe, welche neun Bangstufen hat
Wenn jemand auch die dritte Prüfung bestanden, so besitzt er das Becht,
vor dem Kaiser die höchste Prüfung zu machen. Nach dieser wird er MitgUed
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ORAF B&LA 8ZECHENYI*8 REISE IM ÖSTLICHEN ASIEN. -^21
der Akademie Han-Lin; als solches erhält er lebensläDgliches Gehalt. «Erb-
liche Würden besitzen nur die Angehörigen der kaiserlichen Familie.» Wird
jemand also geadelt, so ist dieser Adel nicht erblich, sondern im Gegenteile
rückwirkend, indem manchmal sogar der sechste Vorahne, durch und für
die Verdienste seines Ur-Ürenkels, den Adel erhält ! Wenn auch diese Sitte
an und für sich ebenso unrichtig ist, wie das Gegenteil, ist es immerhin
bemerkenswert, dass man in einem zurückgebliebenen Lande solch* merk-
würdige Ansichten trifft. Man scheint hier den «seif made man» schon länger
zu schätzen, als in der «neuen» Welt.
Eine merkwürdige Eigenschaft ist femer die Etiquette der Chinesen.
Diese ist Lebensbedürfniss, wenn auch oft, besonders für den Fremden,
höchst lästig. Etiquette ist immer das Besultat einer Epoche geistiger Stag-
nation, welche mancherlei Ursachen haben kann, hauptsächlich aber eine
Folge von Unterdrückung seitens eines fremden Volkes ist. — eine auch in
der Geschichte Ghina's sehr leicht nachweisbare Erscheinung. Bevor man
einen Schritt aus dem Hause thut, muss man sich sog. «grosse» und
«kleine» Visitkarten machen lassen. Letztere zeigen nur den Namen, erstere
aber alle Titel des Besitzers an. «Vom Vicekönig angefangen bis zum
Nachtwächter, jeder verlangt die Einhändigung der Visitkarte eines eintref-
fenden Beisenden, und ist glücklich, wenn er in den Besitz der «grossen»
gelangen kann» «Wurde ein Pferdekauf abgeschlossen, so war der
Händler erst zufrieden, wenn er die grosse Karte mit in den Kauf bekam,
und selbst die als Escorte beigestellten Soldaten wurden erst gefügig, wenn
sie die schriftliche Aufklärung erhalten hatten, wen sie begleiteten.»
Die Art der Begrüssung ist verschieden. Untergeordnete knien nieder^
um ihre Ehrfurcht zu bezeigen. Es kam vor, dass selbst commandirende
Generale vor den Mitgliedern der Expedition niederknieten. Von Ebenbür-
tigen wird man durch Verbeugung begrüsst. Handschlag ist noch nicht
überall eingebürgert. Bei der Tafel oder auch bei anderen Gelegenheiten
sitzt der Fremde auf dem Ehrenplatze zur Linken des Gastwirtes. Das
Mahl ist gewöhnlich sehr lang und schliesst mit ungezuckertem Th^e. Hat
man die Theetasse vom Munde abgesetzt, so erhebt man sich sofort und geht
unter fortwährenden Complimenten und « Tschin »-s aus dem Hause. Die
Chinesen kochen zwar gut, doch ist die unbekannte Provenienz der Speisen
unbehaglich ; auch wird Alles so stark gewürzt, dass es für einen eiuropäi-
schen Gaumen fast ungeniessbar wird ; die Beisenden konnten eine lange
Zeit hindurch nirgends geniessbare Milch erhalten! Zum Essen bedient
sich der Chinese nicht der Gabeln und Messer, sondern elfenbeinerner
Essst&be.
Eine merkwürdige Sitte ist es, dass man nach Genuss der letzten,
unausbleiblichen Tasse Thee augenblicklich das Mahl verlässt. Uebrigens
gibt es noch unzählige Gebräuche, welche den unserigen diametral entgegen-
Ungariflch« Berue. XI. 1891. IV. Heft. 21
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3:^2 GRAF B^LA 8Z^CHENTl's REISE IM ÖSTLICHEN ASIEN.
gesetzt sind. «So ist die Trauerfarbe in China weiss, der Ehrensitz ist zur
Linken des Hausherrn ; zum Zeichen der Ehrfurcht wird der Hut aufbe-
halten, die Männer tragen kein Hemd, die Frauen kennen keinen Bock. In
den Sattel steigt man von rechts; geschrieben wird nach unten und von
rechts nach links; mit der Bussole orientirt man sich immer nach Süden. Als
Höllenqualen denkt man nicht an das Brennen, sondern an das Erfrieren in
Eiskrystallen.»
«Eine eigentümliche Stellung nehmen die Frauen ein. Die ganze Be-
gierung hat einen familiären Anstrich ; die Ehrfurcht vor den Eltern, haupt-
sächlich aber vor der Mutter bildet die Basis der Moralität. Trotzdem sind die
Frauen, wenigstens in den vornehmeren Familien, ganz und gar von den
Männern abgesondert Die Absonderung ist aber gründlich verschieden vom
Leben in den Harems ; die Frau in China besitzt vielmehr Freiheiten, ja
sogar bestimmte Vorrechte, so dass die Absonderung viel eher als Ausfluss
der Schicklichkeit und Eleganz erscheini Bei der Handwerker- und acker-
bauenden Classe besitzen die Frauen und Mädchen dieselben Freiheiten,
wie bei uns. Einzig und allein die vermögenden und vornehmen Damen
huldigen den Sitten, welche der chinesische «bon ton» erfordert. In solchen
Fällen werden schon die Kinder streng abgesondert ; es ist unschicklich, den
Vater nach seiner Frau und seinen Töchtern zu befragen ; sein bester Freund
sogar darf sie nicht sehen. Meistens heiratet der Bräutigam die Braut, ohne
sie gesehen zu haben und erbhcki ihr Gesicht erst, wenn sie schon seine
Frau ist . . . Der Chinese liebt Geselligkeit und Plauderei ausserordentlich,
die Frau darf aber an solchen nicht teilnehmen. Und trotzdem ist die Frau
das belebende Glied in der Familie und ihr Einfluss ist sehr gross. So wor-
den wir in Si-Nying-Fu von einem Mandarin ersucht, ihn zu besuchen, da
seine Frau uns sehen möchte, natürlich durch eine Maueröffnung» . . .
Doch kehren wir jetzt zu den Beisenden zurück. «In St Ngan Fu sah
ich eine grosse Menge Bettler, arme Leute und grosses Elend.» Hier besich-
tigte die Expedition auch die berühmte «Nestorianische Tafel». Diese stammt
aus dem Jahre 781 und beweist, dass die Nestorianer schon vor so vielen
Jahrhunderten ihr Bekehrungswerk begonnen. Ueber diese Tafel haben wir
im demnächst erscheinenden H. Bande des Werkes von Bector Heller eine
sehr interessante Arbeit zu erwarten. Von Si-Ngan-Fu erreichte die Expe-
dition in 20 Tagen Lan-Tschou-Fu. Die Beisenden bestiegen Maultiere,
während ihr Gepäck auf Wagen geladen wurde. Auf dieser Tour traf die
Herren der erste Frost; sie sahen den Hoang-Ho fast ganz zugefroren. «Dies
ist einer der namhaftesten Ströme unserer Erde. Schon oft wechselte er sein
Bett. In früheren Zeiten lag seine Mündung bei dem Golf von Pe-TschüLi,
unter dem 39. Grad, jetzt mündet er um ungefähr 5 Grad südlicher. Ob
diese Veränderungen kataklismatisch sind oder aber durch Verschlammung
hervorgerufen wurden, kann nicht festgestellt werden. Ein Blick auf die
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GRAF Bihk SZEOHBNYl's REISE IM ÖSTLICHEN ASIEN. 323
Karte zeigt nns seinen merkwürdigen, unregelmässigen Lauf; der Fluss
richtet gewöhnlich grössere Verwüstungen an, als er Segen verbreiten
könnte.!
Die Beisenden beobachteten zweimal sogenannte Neben-Sonnen und
öfter Mondhöfe^ deren Entstehung sie dem feinen Staube der in der Luft
schwebte, zuschreiben.
Von letzterem hatten sie besonders viel zu leiden. So schreibt Kreitner :
«Ich will nichts erzählen von dem unstillbaren Sehnen nach reinen Händen,
in deren durch die Trockenheit der Luft zerrissenen Flächen der Staub sich
als unausrottbare Tättowirung eingefressen hat . . .», doch erging es ja be-
sonders auch dem Gesichte so^ und die kleinste Berührung desselben genügte,
um es bluten zu machen. Der Schmutz, der in dem grossen Lande herrscht,
übt einen deprimirenden Einfluss aus; bei Tag Strapazen aller Art, bei
Nacht keine Buhe wegen gewisser Insecten, immerwährend vom Pöbel
begafft, und als « Jang-kwei-tse» (fremde Teufel) titulirt, das sind fürwahr
Plagen, die im Stande sind «Apathie, Stumpfsinn und Gleichgiltigkeit» zu
erzeugen.
Die ganze Boute fährte durch sehr langweilige G^enden ; nichts als
LÖSS und Sand, «eine wirkliche Mondlandschaft» ; im Löss sieht man ganze
Städte, doch sind dieselben wüst und leer ; ein trostloser Anblick ! Nirgends
etwas Grünes, höchstens einige Büschel Gras. Hinter Sing-Jing-Tschou
sieht man ganze Städte-Buinen ; wo früher entwickelte Cultur geherrscht
und viele Menschen gewohnt, dort sieht man heute einen verkümmerten
Menschenschlag. Der Grund hiefür ist schwer anzugeben; es wird behauptet,
dass die Moslim-Bevolution die Einwohner gezwungen hätte, sich eine neue
Heimat zu suchen, während Szechenyi die in trockenen Jahren auftretende
Hungersnot als wahrscheinlicheren Grund annimmt. Und gerade hier be-
nahm sich das Volk sehr anständig ; dasselbe scheint von den unerquick-
lichen Verhältnissen gar sehr gedrückt zu sein.
Die Stadt Lan-Tschou-Fu ist eine der bedeutendsten Städte im Innern
Gbina's. Die Einwohnerzahl beträgt vielleicht eine halbe Million, die Zahl der
Häuser ungefähr 40,000. Nur die wenigsten sind aus Stein, die meisten aus
Holz. Das Strassenpflaster besteht aus Granit- oder aus Marmortafeln. «Lan-
Tschou-Fu ist keine arme Stadi Das bemerkt der Fremde sogleich, sobald
er die Hauptstrassen betritt, an der grossen Zahl der Geschäftsiocale, in
welchen die behäbigen Gestalten der Verkäufer vollauf zu thun haben, um
die Kunden zu befriedigen, welche von allen Seiten herbeiströmen. Seiden-
stoffe, Seidenstickereien, Holz- und Steinschnitzereien, Silber- und Nephrit-
schmuck, Messing- und Eisengefässe, endlich Feldfrüchte, Obst, Tabak und
Thee sind die gangbarsten Handelsartikel der Stadt ... In allen Handels-
geschäften repräsentirt sich der Chinese, besonders dem Europäer gegenüber,
als Gentleman ; er zeigt ein unbedingtes Vertrauen, und wenn auch seine
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324 GRAF BÄLA SZlÄCHBNTl's EEISB IM ÖSTLICHEN AßDSN.
innersten G^anken immer den grösstmöglichen Gewinn anstreben mögen,
so contrastirt besonders die äussere Abwickelung der Greldgeschäfte mit der
angeborenen Habsucht des Volkes in seltsamer Weise . . . Wenn wir nun
die chinesischen Handarbeiten im Allgemeinen betrachten^ z. B. Holz-
schnitzereien, Giselirarbeiten, Steinschleifereien etc., so steht (an Ort und
Stelle) der niedere Preis nicht im geringsten Verhältnisse zu der verbrauch-
ten Mühe und der künstlerischen, sich auf das kleinste Detail erstreckenden
Genauigkeit der Arbeit. Solche Resultate, die in Europa mit Gold aufge-
wogen werden müssten, wenn sie überhaupt zu erzielen wären, sind nur
erreichbar, wenn eine genügende Anzahl anspruchsloser und genügsamer
Kräfte vorhanden ist. Und in der That, an solchen Künstlern ist in China
kein Mangel. So wie MiUionen von Menschen iu jenem Lande zufrieden,
heiter und glücklich sind, die Tag für Tag ihren Nacken unter centner-
schwere Lasten beugen, wenn sie dadurch nur den nötigen Beis, einige
Schalen Thee und den erforderlichen Tabak für die Wasserpfeife erwerben
können, so schneiden, schnitzen und schleifen wieder andere Millionen tag-
täglich an den erdenklichsten Kunstwerken, denen eine unermüdliche
Phantasie immer neue Formen und Gestalten zu verleihen vermag. Eine
enorme Concurrenz drückt den Wert der Arbeit herab . . . Der geringe Lohn
lässt dem Arbeiter nicht Zeit, darüber nachzudenken, wie es anders sein
könnte, als es ist, sondern treibt ihn nur zu regerer Thätigkeit an ; rastlos
arbeitet er für seinen Härm, ohne in Erwägung zu ziehen, dass dieser durch
seinen Schweiss zum reichen Manne wird ; er stellt über die ungleiche Ver-
teilung des Eigentums keine Betrachtung an Der müssiggehende
Arbeiter muss und wird in China verhungern. Wenn zwei Arme den Dienst
verweigern, so ersetzen am nächsten Morgen zwanzig andere die ver-
lorene Kraft.
Daher stammt die Anspruchslosigkeit und Bescheidenheit vom chine-
sischen Lastträger angefangen bis zum Künstler. Diese Tugenden sind ein-
gewurzelt, sie sind angeboren. Und wenn z. B. in Califomien jüngst die
amerikanischen Arbeiter vorderhand vergebliche Anstrengungen machten,
die massenhaft eingewanderten fleissigen, unermüdlichen und wohlfeilen
Chinesen zu verdrängen, weil sie neben denselben zu Grunde gehen müssen,
so beweisen diese Factoren der Volksbewegung in erster Linie doch nur die
grellen Gegensätze zwischen der bescheidenen Genügsamkeit der Chinesen
und den verfeinerten Ansprüchen der Amerikaner. Die meisten ausgewan-
derten Chinesen kehren nach mehreren Jahren wieder zurück. Sie verstan-
den es, so zu sparen, dass sie durchwegs den Buf geniessen, vermögende,
ja reiche Leute zu sein.»
Von Lan-Tschou-Fu reiste die Expedition, ohne bemerkenswerteres
Ereigniss, den zugefrorenen Hoang Ho übersetzend, über Hung-Tschung-Je,
Tscha-Ko'Je, wo die Boute Przewalskij's gekreuzt wurde, und kam dann
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äflAlP Bl^ SZ^CHBNYI^S BEISE IM ÖSTUGHEN ASIBN. 3^3
nach Ku'Lari' Hsien, wo die Wüste Gobi beginnt. (Szeehenyi schreibt
consequent «Eopi»,was etymologisch richtiger ist, als das corrumpirte, doch
allgemein gebräuchliche «Gobi».) Von £/Uin9-T5c/k>zi-f\i an sahen die Bei-
senden fast immer die berühmte chinesische Mauer.
Endlich, 104 Tage nach der Abreise von Schanghai, nach Zurücklegung
von 523 geographischen Meilen Weges, gelangte die Expedition nach Su-
Tschou, wo der mächtige und Li-Hung-Tschang gleichgestellte Tzo-Tzung-
Tang seine Besidenz aufgeschlagen hat. «Tzo-Tzung-Tang ist ein ältlicher
Herr, der die 60er Jahre schon überschritten hat; sein Schnurrbart ist schon
grau melirt, aber noch nicht weiss. Er ist von kleiner, gedrungener Statur,
mit einem grossen Kopf auf starken Schultern. Er ist stolz, duldet keinen
Widerspruch ; seine Umgebung zittert vor ihm. Um in seiner Armee das
Opiumrauchen unmöglich zu machen, erfand er eine neue Strafe: er liess
den Soldaten die Lippen oder die Ohren abschneiden. Doch nützte das
nichts. Seitdem sein Lieblingssohn gestorben, ist Tzo-Tzung-Tang milder
und nachsichtiger. Doch verfällt er manchmal wieder in seine Wildheit, und
läset einige Soldaten, oder wie in meiner Anwesenheit, vier Mandarine in
seinem Lager, vor seinem Hause, enthaupten.» Obzwar ein Parvenü im
strengsten Sinne des Wortes, ist er doch ein Grand-Seigneur, und als einer
derjenigen Beamten gekannt, die unbestechlich sind.
So liebenswürdig Li-Hung-Tschang war, so unliebenswürdig zeigte
sich Tzo. — Er trachtete nach Möglichkeit, den Beisenden von einer Beise
in die Mongolei abzureden, ja war sogar entschlossen, denselben alle Hin-
demisse in den Weg zu legen. § Höchst wahrscheinlich wünschte er nicht,
dass Europäer die dortigen, ungeordneten Verhältnisse beobachten und
kennen lernen ; denn diese sind gar nicht so glänzend und so zufrieden-
stellend, als Tzo es dem Tsungli-Yamen weismachen möchte.» Er ist eben
ein Despot von reinstem Wasser.
Oraf Szeehenyi reichte, wie gewöhnlich in China, eine Bittschrift ein,
um die Erlaubniss zur Fortsetzung der Beise zu erhalten. Die Antwort dar-
auf war trostlos. «Ich glaube und bin dessen sicher, dass es unmöglich ist,
in jene Bichtung zu reisen. Ich habe an das Tsungli-Yamen einen Brief
geschickt, in welchem ich dasselbe schreibe ... Sie sind ein Europäer, folg-
lich kann ich Ihnen nicht befehlen, thun Sie, was Sie wollen; ich verliere
keine Zeit, um mit Ihnen den Gegenstand noch ein Mal zu besprechen . . .
Ihren Dolmetsch Sin werde ich aber bitten, in meinem Yamen zu verweilen,
während Sie Ihre Beise unternehmen ...» Endlich, nach langem Parlamen-
tiren erhielten die Beisenden die unerwartete Erlaubniss: tsammt und son-
ders die Mauer zu passiren, um nach Tung-Hoan-Hsien zu reisen.»
Am 17. April brach die Expedition von Su-Tschou-Fu auf, um nach
einer Tagereise, bei Kia-Yü-Kuan die «grosse Mauer» zu verlassen. Diese
ist gegen 3300 Kilometer lang, und reicht von der Mandschu-Stadt Oirin
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^^ GRAF B^LA SZ^CHENYl's REISE IM ÖSTLIGHEK ASIEN.
bis circa 50 Kilometer hinter Kia- Yü-Kuan ; ihre durchschnittliche Höhe
beträgt ungefähr 9*4 Meter, in je 250 bis 300 Meter Entfernung erheben sich
viereckige, 18 bis 20 Meter hohe Verteidigungstürme; die Krone ist breit
genug, um eine doppelspurige Eisenbahn aufzunehmen. Diese immense
Arbeit wurde im Jahre 214 v. Chr. begonnen, zur Abwehr der Mandschu-
Tataren, und wurde erst im 15. Jahrhunderte beendet. Die Mauer besteht
grössten Teils aus aufgeworfener Erde, welche jedoch an manchen SteUen
mit Ziegelwerk verkleidet ist
Drei Tage vor der Ankunft in An-Si-Fan erlebten die Reisenden einen
Sturm in der Wüste. «Der Wind und der aufgewirbelte Sand, welcher wie
Nadelspitzen auf das Gesicht wirkte, machten das Athmen fast unmöglich.»
Sonst scheint aber ein solcher Orkan nicht besonders gefährlich zu sein,
und wie man gewöhnt ist, unter «Wüste» den Inbegriff aller Schrecknisse
zu verstehen, so ist es auch falsch, wenn man sich von einem Wüstensturme
ungeheuerliche Vorstellungen macht. Wir werden später Gelegenheit haben,
ausführlicher über die Wirkung des Windes zu sprechen, und wollen nur
vorläufig erwähnen, dass die Mauern der Stadt An-Si-Fan bis zu ihrer
Krone, d. h. bis zu einer Höhe von 6 Meter mit einem Walle von Flugsand
umgeben sind.
Nach einer viertägigen Reise erreichte die Expedition Tung-Hoan-
Hsien. Diese Stadt ist eine Oase in der Steinwüste ; ihre Einwohnerzahl
beträgt ungefähr 20,000.
Diese Station war der letzte Punkt gegen Westen auf der Landreise.
Von hier kehrten die Reisenden auf demselben Weg, den sie gekommen,
zurück nach Su-Tschou-Fu, wo sie von Tzo-Tzung-Tang sehr gut empfangen,
zu einem Festmahl geladen und nach jeder Richtung hin befragt wurden.
Auch jetzt wiederholte er, wenn auch unter fortwährenden Widersprächen
und Versicherungen seines Wohlwollens, dass es unmöglich sei, vom See
Kuku-Nor nach Lhassa vorzudringen. Seine Macht reiche nicht so weit ;
doch später gab er unter anderen väterlichen Ratschlägen auch einen von
vitalem Interesse : Szechenyi solle sich nämlich einer mongolischen Kara-
wane anschliessen, um Lhaasa zu erreichen.
Am 24. Mai traten die Reisenden den Rückweg nach Sining-Fu an,
welche einen vollen Monat in Anspruch nahm. In Kan-Tschou-Fu unter-
nahm Loczy einen Ausflug in das NanSan-Gebirge.
Von Kan-Tschou-Fu musste Kreitner auf einem Wagen transportirt
werden, da er an häufigen Fieber- Anfällen und grosser Schwäche liti
In Sining-Fu verhandelte man geraume Zeit mit dem dortigen Gou-
verneur, der im Rufe eines den Europäern feindlich gesinnten Menschen
stand, doch diese Gesinnung gut zu verbergen wusste. Auch er riet von der
Reise nach Lhassa ab, indem er Schauergeschichten zum besten gab, erteilte
jedoch zu guter letzt die Erlaubniss, die Reise anzutreten, falls man sich
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6mAF Bl^A SZl^CHBNYI^S REIgE IM Ö8TLI0HEN A8IBN. ^^7
ausser allem Nötigen noch einen Dolmetsch verschaffen könne. Das ist aber
fast gleichbedeutend mit der Vereitelmig der Expedition. Doch versprach
der Gouverneur den Reisenden bis zum Euku-Nor eine Militär-Escorte mit-
zugeben und versah dieselben ausserdem mit Empfehlungsschreiben an
die Lama's.
Das war sehr wichtig. Denn früher schon hörten die Herren, dass es
am besten wäre, die Protection eines «Hutuctu», d. h. eines Ober-Lama's
oder eines sogenannten • Heiligen» zu erlangen; denn selbst die regierenden
Fürsten besitzen nicht so viel Macht und Einfluss, wie diese.
Die Lama's sind die fechten Repräsentanten der buddhistischen Re-
ligion», die bekanntlich erst im VH. Jahrhunderte von Indien hier einge-
drungen ist
iDie Lehren des Buddhismus kamen von einem Manne, dessen Gemüt
in nahezu krankhafter Erweichung die ganze Welt in ein Paradies umzu-
gestalten wünschte : Liebe^ Friede, Freundschaffc und Brüderlichkeit, das
waren die Ideen, mit welchen Sakia Muni, ein indischer Fürstensohn, alles
Lebende zu einer ungetrübten, harmonisirenden, seligen (Gemeinde ver-
einigen wollte, indem er hoffte^ in solcher Weise den ärgsten Feind alles
Bestehenden, den «Schmerz», in wirksamster Weise bekämpfen zu können.
Sakia Muni — Buddha ist nur ein Ehrentitel, bedeutet «Erleuchteter» —
gründete die Religion, nachdem er allen Reichtümern und Ehren seines
Standes entsagt hatte, ungefähr 500 Jahre v. Chr. Da er alle blutigen
Opfer beseitigte und mit dem Grundsätze, dass die am meisten Hilfsbedürf-
tigen in erster Linie zum Heile berufen sind, das Kastenwesen der Brah-
minen verwarf, bewegte sich die Reform in einem streng socialen Rahmen
und fand in kurzer Zeit bei den unteren Volksschichten ungeheueren Anhang.
Als dann die Mohamedaner bei Gelegenheit ihrer Invasion in Indien alle
buddhistischen Tempel und Klöster zerstörten, flüchteten die Gläubigen nach
Tibet, welches dadurch das eigentliche Heim der Buddhisten wurde.»
Da diese Religion auch^ wie jede andere, den Priestern eine grosse
Macht einräumte, welche diese raissbrauchten, wurden Reformen nötig. Im
XIV. Jahrhundert trai ein solcher Reformator, Tsong-Kaba auf, der in dem
von der Expedition besuchte Kloster Kum-Bum geboren wurde; «er verbot
die Ehe der Priester, die Zauberei, den Genuss des Tabaks, aller geistigen
Getränke und des Knoblauchs. Infolge dieser Reformen spaltete sich die
Religion in die sog. gelbe und in die rote Kirche. Seit Tsong-Kaba's Tod
datirt auch der Glaube an die Unsterblichkeit hoher Priester.» Die jewei-
ligen Nachfolger Tsong-Kaba's heissen «Dalai-Lama», und sind in einer
Person Papst und König in Tibet. Stirbt ein solcher, so wird von den Lama's
selbstverständlich alsbald jenes Kind gefunden, in welches die Seele des
früheren Lama's hineingefahren ist ; natürlich muss dieses Kind von gänz-
lich einfiusslosen Eltern stammen, um den Priestern die Regierung nicht
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328 GRAF B^LA SZlÄOHENTl'ß REISE IM ÖSTLICHEN ABSM.
streitig machen zu können. Denn der Dalai-Lama ist eigentlich nur eine
«machtlose Scheingrössei, eine Puppe in den Händen der Priesterschaft.
Die Priester wollen und brauchen es, dass man dem Dalai-Lama eine unbe-
grenzte Hochachtung und Verehrung entgegen bringe, denn nur so sind sie
im Stande, ihre ausserordentliche Macht und Gewalt aufrecht zu erhalten.
Dies ist auch der Orund, warum die Lama's sich allen Forschungen gegen-
über so verschlossen, ja feindlich zeigen. Durch Bekanntmachung ihrer Ma-
nipulation würden sie am allerwenigsten gewinnen; «sie wissen recht gut,
dass einem Europäer, der ihr Land betritt, andere nachfolgen würden, die
dem Volke Sachen erzählen möchten, die es nicht zu wissen braucht. Ihre
Macht wird unerschütterUch bleiben, so lange ihr Königreich von keinem
Unberufenen entweiht wird. Darum ist Tibet verschlossen und darum wird
Tibet noch lange verschlossen bleiben.» Selbst der berühmte «goldene Esel»
kann hier nicht eindringen (Przewalskij wurde in Lhassa nicht eingelassen,
trotz der reichen Oeschenke, die er vom Zaren für den Dalai-Lama mit-
brachte), und es war bis jetzt nur sehr wenigen Europäern gegönnt, diesen
Hauptort des Buddhismus zu besuchen. Auch der Expedition des Grafen
Szechenyi gelang es aus den oben etwas ausführlich behandalten Gründen
nicht, Lhassa zu erreichen.
Doch folgen wir den Beisenden auf ihrer Boute.
Am 28. Juni verliessen dieselben Si-Ning-Fu unter militärischer Be-
gleitung und erreichten das Kloster Kum-Bum noch an demselben Tage.
Hier wurden sie von den drei Haupt-Lama*s empfangen, welche, vom Gou-
verneur schon früher instruirt, dem Grafen in einer langen Bede dasselbe
mitteilten, was er schon x-mal, in allen möglichen Tonarten und Variationen
gehört hatte : der Weg sei wegen der Fan-Tse (gleichbedeutend mit dem
«Barbaras» der Bömer) ungangbar, sogar Lama's seien der Ermordung aus-
gesetzt etc. etc. ; mit einem Worte, es sei unmögUch, nach Lhassa zu kom-
men. Es war auch unmöglich, mit irgend einem der Lama's eine Privat-
Abmachung zu treffen, da sich Alle den Bestechungen gegenüber fest zeig-
ten. Von Si-Ning-Fu unternahmen die Herren Szechenyi und Löczy (Kreitner
war unwohl) noch einige kleinere Ausflüge nach den Klöstern Altin und
Tschobson, welche aber von gleichem Misserfolg begleitet waren.
Endlich brachen die beiden Herren auf, um wenigstens den Kuku-Nor
zu besuchen. Trotzdem sowohl der Gouverneur als auch sein Vertreter sehr
dagegen waren, mussten sie sich endlich doch entschliessen, die Erlaubniss
zur Beise und zur Erlangung einer Escorte zu erteilen.
Die Boute führte über Tonkerr und über das Kloster Tunkurr-Gomba,
wo den Beisenden ein unfreundlicher Empfang zu Teil wurde, zum See
Kuku-Nor (Nor selbst bedeutet schon See). Letzterer wurde vor Szöchenyi
nur von den Missionären Huc und Gäbet, -femer vom Obersten Przeu^alskij
besucht. Der Kuku-Nor nimmt ausser einer Menge kleinerer Flüsse drei
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GRAF B^LA BZ^OHBNYl's REISE IM ÖSTLICHEN ASIEN. '^
bedeutendere auf; da der See keinen Abflugs bat, hängt sein Wasserstand von
demjenigen der einmündenden Flüsse ab. Wie es scheint^ ist der Euku-
Nor im stetigen Fallen begriffen, worauf seine üferterrassen hindeuten. Sein
Wasser ist, wegen der grossen Verdunstung, salzig. Der Euku-Nor ist aber
keineswegs ein Teil eines früheren Meeres, sondern ein gewöhnlicher See, in
welchen einige Flüsse Salz einführen, was sich aus dem umstand zeigt, dass
in der ganzen Umgebung nur Süsswasserschnecken gefunden werden. Nach-
dem der Graf und Loczj noch die Berge der Umgebung bestiegen, kehrten
sie nach Si-Ning-Fu zurück.
Noch einen Ausflug unternahmen die beiden Herren von hier aus nach
Kwei'Ta, einer kleinen Stadt am Hoang-Ho.
Abermals in Si-Ning-Fu, übernahm der Graf die Briefe, welche ihm
aus Peking zugesandt wurden. Unter Anderen war einer vom Tsungli-
Yamen, welcher folgenden Passus enthält : • Was nun Ew. pp. Absicht anbe-
trifift, vom Euku-Nor aus über Lhassa nach Indien zu gehen, so erlauben
wir uns, Sie darauf aufmerksam zu machen, dass für Chinesen der Weg von
Lhassa nach Indien nicht offen steht . . . Unser Yamen hat nunmehr bereits
an den General-Gouverneur Tso-Tzung-Tang und an den Besidenten in
Lhassa geschrieben, und denselben unter Mitteilung aller Umstände zur
Pflicht gemacht, sich Ihrer in jeder Weise auf das Angelegentlichste anzu-
nehmen.» Da nun aber trotz des ausgesprochenen Willens seitens des
Tamen's die Würdenträger in Si-Ning-Fu die Erlangung von Lasttieren,
Führern und hauptsächlich eines Dolmetsches förmlich unmöglich machten,
so musste die höchst wichtige Boute Euku-Nor — Lhassa unterbleiben, wäh-
rend man Lhassa auf einem anderen Wege zu erreichen gedachte.
Am 10. August 1879 verliess die Expedition endgiltig Si-Ning-Fu.
Nach siebentägiger Beise erreichte dieselbe die schon früher besuchte Stadt
Lan-Tschou-Fu und von hier in weiteren 9 Tagen Tsing-Tschou-Fu. Ueber
Lomen erreichte man nach Ueberschreiten des Flusses Wei-Ho Kung-
Tschang-Fu, wo der Graf am Tage der Ankunft vom Pöbel verfolgt und
insultirt wurde. Ebenso war auch in Tsing-Tschou-Fu der erste Empfang
unfreundlich. In China, scheint es, muss man ziemlich grob, sehr rücksichts-
los und sehr energisch vorgehen, dann kann man meistens erreichen, was
man will ; die Beisebeschreibung gibt uns hiefür unzählige Beispiele.
Zwischen Tsing-Tschou-Fu und Hoj-Hsien ist die Gegend sehr schön.
Dunkle Laubholzwälder bedecken die Berge und umrahmen fruchtbare,
wohl cultivirte Thaler. Man findet neben dem verschiedenartigsten Laubholze
die mannigfaltigsten Fruchtbäume. Eastanien, Granatäpfel, Pfirsiche und
Aepfel wachsen wild. Es ist fast eine paradiesische Gegend.
Hinter Hqj-Hsien passirten die Beisenden die Grenze der Provinz
Kan-Sm. Bei der Stadt Pai-Suj-Kiang wird der gleichnamige Fluas schiff-
bar. Der Graf und Ereitner benützten Schiffe, um bis nach Lo- Yang auf
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•^•^0 GRAF BlÄLA SZ^CHENYI*B BEIßE IM ÖSTLICHE^ ASUSM.
dem Wasser zu fahren, während Löczy mit den Tieren den Landweg betrat
In Lo- Yang wurden die Boote gegen andere vertauscht^ so dass auch die
Pferde ihr Unterkommen darauf fanden.
Bei Kuan-Juön nimmt der Fluss den Namen Kia-Ling an. Erst nach
Zurückweisen eines Geschenkes kam der unhöfliche Bürgermeister der Stadt
dem Verlangen des Grafen nach Maultieren nach.
Mit der Stadt Tschau- Ghwa verliessen die Reisenden das Plussgebiet
des Kia-Ling.
Nach langwieriger Reise zu Lande erreichte die Expedition endlich die
Hauptstadt der Provinz Se-Tschuen, nämlich Tsching-Tu-Fu.
In Tsching- Tu-Pu waren zur Zeit der Ankunft gerade die grossen Prü-
fungen, zu welchen sich nicht weniger als 14,000 Teilnehmer gemeldet
hatten. Die Examinatoren leben eine Zeit hindurch mit den Examinanden
abgeschlossen von der Welt, um eventuellen äusseren Einflössen fem zu
bleiben, um den Prüfungen ein grösseres Ansehen zu geben, ist der Vice-
könig der Provinz, seine Vertreter und höhere Mandarine anwesend, die
gleichfalls der Clausur unterworfen sind.
Aus diesem Grunde musste Graf Szechenyi einige Tage in Tsching-
Tu-Fu verweilen, um mit dem Gouverneur, der ihm tetwas Wichtiges» zu
sagen hatte, sprechen zu können. Der Gouverneur erklärte., seine Macht
reiche nur bis Batang; um von dort nach Lhassa zu gelangen, müsse man
von dem dortigen Residenten unterstützt werden, der aber, falls er schon
etwas thun würde, nicht in der Lage wäre, die Expedition ungefährdet durch
das aufgewiegelte Land zu führen. Hierauf übergab der Graf eine Schrift,
in welcher er seine Forderungen formulirte. Er verlangte, dass der Gouver-
neur im Einverständnisse mit demjenigen in Lhassa, der Expedition mili-
tärische und moralische Unterstützung zu Teil werden lasse ; die Kosten
werde der Graf persönlich tragen.
In einer schriftlichen Antwort erklärte der Gouverneur, dass er, so
weit es in seiner Macht steht, jede Forderung erfüllen und den Gouverneur
von Lhassa von Allem verständigen werde. Die Bitte, dass chinesische Sol-
daten die Expedition so lange begleiten, bis die tibetanischen ankämen,
könne nicht erfüllt werden, da die ersteren tibetanisches Gebiet nicht
betreten dürfen. Die Spesen würden einem Gaste gegenüber selbstverständ-
lich von der Regierung getragen werden. Uebrigens sei der Plan nach Lhassa
zu reisen, unausführbar.
Am 11. October, nach Einhändigung der schriftlichen Erlaubniss,
brach die Expedition gegen Batang auf.
Merkwürdiger Weise war man überall der Meinung, die Regierung in
China sei die directe Ursache dessen, dass die Expedition Lhassa nicht erreicht
hat, wogegen Graf Szechenyi bemüht ist, zu beweisen, dass nur das Volk
und die Lamas in Tibet die Schuld tragen, während die chinesische Regie-
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rang aufirichtig bestrebt war, die Expedition nach jeder Richtung hin zu
unterstützen.
In Ta-Tsien-Lu angelangt, wurden die Beisenden von französischea
Missionären vorzüglich empfangen. In Ta-Tsien-Lu lebten damals der
Bischof Birt, der Abb6 Dejean und der berühmte Tibet-Forscher Abb6 Des-
Godim. Diese Herren waren dem Grafen in jeder Beziehung hilfreich und
von grossem Nutzen. Der Dolmetsch Sin verliess, wahrscheinlich aus Furcht
vor wohlverdienter Strafe, die Expedition. Dieser im ersten Augenblicke
unersetzlich scheinende Verlust wurde durch die Missionäre ersetzt, da die-
selben einen eingeborenen Christen, der lateinisch sprach, für die ganze
Dauer der Beise engagirten.
In Ta-Tsien-Lu besuchte der Graf auch den Fürsten der Tibetaner ;
dieser ist dem chinesischen Gouverneur gänzUch unterworfen und tribut-
pflichtig. Die Tibetaner selbst sind eine schöne, kräftige und abgehärtete
Basse, deren Einfachheit, imposante Erscheinung und tiefer Ernst wohlthätig
von dem Wesen der Chinesen abstach. Die Männer gehen immer bewaffnet
und tragen Amulete gegen die bösen Geister. Die Frauen leben auch viel
freier als in China und sind auch vorteilhaft verschieden von jenen. Merk-
würdig ist in Tibet die Vielmännerei, Polyandrie.
Ihr Fürst erwiderte den Besuch des Grafen, und entzückt von einer
ihm geschenkten Flinte, versprach er die nötigen Lasttiere herbeizu-
schaffen. Thatsächlich erhielt der Graf die ganze Karawane unentgeltlich.
Nach herzlichem Abschiede von den Missionären schied die Expedition am
12. November von Ta-Tsien-Lu.
Ueber das Wirken der Missionäre im Allgemeinen drückt sich Graf
Sz6chenyi recht drastisch und deutUch aus : «In China, ganz wie bei uns in
Europa wollte die Geistlichkeit unter der Firma Gottes einen Staat im Staate
bilden; dies machte dieselbe unmöglich und verhasst.» An einer anderen
Stelle bemerkt er: «Bei dem Missionär A. G. lernte ich einen jungen Chi-
nesen kennen, der, jetzt Christ, früher Secretär Tso-Tzung-Tangs war. Der
Missionär rühmte denselben als einen sehr geschickten, nützUchen Men-
schen, durch den er Alles erfahre. «Der Zweck heiligt das Mittel.» Ich muss
gestehen, dass man in diesem Manne einen schönen Christen erzieht, indem
man ihn zu gemeiner Spionage verwendet !»
Unter starker militärischer Escorte reiste die Expedition in der Bich-
tung nach Batang. Nach Uebersteigung verschiedener hoher Gebirge und
nach Passiren mancher grösserer Flüsse erreichte man eine «bedeutendere»
Stadt, Ho-Keu am Ya-Long-Kiang — einen Ort, der im Ganzen 35 Häuser
zählt. Die Beisenden mussten hier einen ganzen Tag warten^ da der chine-
sische Mandarin dieselben so lange nicht über den Fluss setzen liess, bis
nicht, einem Auftrage gemäss, eine vollkommen sichere Brücke geschlagen
sei, — wieder ein Beweis, dass die chinesische Begierung vom besten Willen
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3:^2 GRAF B^ BZÄCHENYI*S REISE IM OSTLICHEN ASiMI.
beseelt war, den Weg der Expedition nach Möglichkeit zu ebnen and ihre
Interessen zu fördern.
Die nächste grössere Station war Ld-Tang, an einem Nebenflüsse des
Ya-Long-Kiang. Merkwürdig ist hier die Bevölkerung : 6000 Lama, 3000
Tibetaner und nur mehr 60 Chinesen. Die Lamaserie war für die Beisenden
verschlossen. Einige Tage später wurden dieselben vom König von Batang
empfangen.
Hier entschied es sich endgiltig, ob die Expedition Lhassa erreichen
werde oder nicht. Wir wollen einige Stellen aus den in Batang erhaltenen
Briefen citiren : «Es ist schwer von hier aus zu beurteilen, ob die gegenwär-
tige Meldung des chinesischen Besidenten, dass die Tibetaner den einmü-
tigen Entschluss gefasst (und beschworen !) hätten, jedem Fremden den
Eintritt in ihr Land zu verwehren, auf Wahrheit beruht. Die Absicht des
ministeriellen Schreibens läuft offenbar darauf hinaus, Ihnen, Herr Ghraf,
von der Weiterreise nach Tibet abzuraten .... Es ist immerhin möglich,
dass jene angebliche Meldung nur eine Finte der fremdenfeindlichen Partei
im Ministerium ist. Die Vermutung ist aber auch nicht ausgeschlossen,
dass die chinesische Begierung betreffs Ihrer Sicherheit wirkliche Besorgnisse
h6gt.i So schreibt der österreichisch-ungarische Besident in Peking. Graf
Szechenyi meldet: «Ich hörte unterwegs, dass an der tibetanischen Q-renze
einige tausend bewaffnete Lama vereinigt mit tibetanischer MiUz auf mich
harren, um mir und meinen Begleitern mit der Waffe in der Hand den
Weg nach Lhassa zu versperren. Alle Gespenster werden wach gerufen, um
uns Schrecken einzuflössen .... eine Menge alberner Nachrichten, die nur
belächelt werden kann.» Sogar vor Vergiftung wurden die Beisenden
gewarnt. Dass übrigens diese Nachrichten gar nicht so lächerlich waren, als
der in etwas aufgeregtem Zustande geschriebene Brief behauptet, ist bei der
Gesinnung der Lama und bei ihrem Bestreben, ihr Treiben geheim zu halten,
begreiflich; übrigens «hatten die Missionäre, unter dem Verdachte, uns nach
Batang gerufen zu haben, selbst nach unserer Abreise von dem tibetanischen
Baubgesindel Vieles zu leiden, und es vergingen Monate, bis sich die Auf-
regung der Lama so weit legte, dass die französischen Priester nichts mehr
für ihr Leben zu fürchten hatten.» Erst einen Monat später erhielt der Graf
Nachrichten aus Peking, welche die Lage etwas günstiger darstellten ; da
war es aber schon zu spät zurückzukehren und den schweren Kampf neuer-
dings zu beginnen. Nach langem Zögern musste daher der Plan, Lhassa zu
besuchen, zum grössten Leidwesen nicht allein der Beisenden, sondern der
ganzen wissenschaftlichen Welt fallen gelassen werden. Es blieb jetzt nichts
mehr übrig, als von Batang aus nach Börma zu reisen.
Am 15. Dezember bestiegen die Beisenden ihre Pferde und ritten in
der Bichtung nach Tali-Fu. ungefähr nach einem Monate wurde diese Stadt
erreicht. Der Weg dahin war der denkbar schlechteste und zugleich gefähr-
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GRAF B^LA SZ^CHENYl's REISE IM Ö8TUCHEN ASIEN. '^^3
liebste. Tiere konnten denselben fast gar nicht passiren. Oft musste man
über fussbreite Stege gehen, neben welchen in 2000 Fiiss Tiefe Bergströme
brausten. Statt der Lasttiere mussten 150 tibetanische Männer und Frauen
zum Befördern des Gepäckes gemietet werden. Doch ging alles glücklich
von Statten und man hatte keinen erheblichen Verlust zu beklagen. In
Tali'Fu wurden die Beisenden sowohl von einem französischen Missionär,
als auch von den Mandarinen sehr freundlich empfangen. Von Tali-Fu aus
ging es nach BhamOf wo sich die Expedition alsbald auflöste.
Der Weg nach Bhamo bot nicht nur sehr grosse Schwierigkeiten,
sondern brachte auch die Beisenden in ernste Lebensgefahr. In Manuin
war es, wo sich den Beisenden ein Eatschin-Fürst als Begleiter antrug; da
er auch für die Lasttiere sorgen wollte, wurde mit ihm ein Abkommen
getroffen. Der Fürst, welcher nicht an übermässig viel Verstand litt, benahm
sich sehr frech, und wurde darum vom Grafen in dessen eigenem Hause zur
Tür hinausgeworfen. Darüber geriet er in förmliche Baserei.
Erst nach Zahlung von circa 800 Gnlden und Uebergabe eines
Wemdl-Gewehres beruhigte sich das G^müt des Fürsten so weit, um die
Expedition nach Bhamo zu geleiten. Einige Meilen von der börma-
nischen Grenze musste der Graf jedoch noch feierlich schwören, denselben
nicht anzuzeigen.
Endlich erreichten die Beisenden Mamo, eine kleine Stadt am Tapeng
(oder Mamo-Ho). Von hier fuhren Kreitner und Loczy nach Bhamo am
Irawaddi, um ein Schiff zu mieten, welches den Grafen, die Dienerschaft
und das Gepäck abholen sollte.
Der Graf blieb noch etwa 14 Tage in Bhamo um zu jagen, während
Kreitner und Löczy über Rangun, GahuJtta, Suez und Gonstantinopel nach
Europa zurückkehrten.
Graf Sz^chenyi schreibt : «So blieb ich nun mit meinen beiden Hunden
allein. Meine Expedition war aufgelöst, die Mitglieder derselben nach ver-
schiedenen Bichtungen zerstreut. So vergeht Alles auf der Welt, doch in mir
bleibt die Hoffnung, dass mein der Wissenschaft gewidmeter Weg, die
darauf verwendete Zeit und erheblichen Kosten nicht ganz nutzlos gewesen.
Und wäre es mir gelungen, die Wissenschaft nur um ein Körnchen zu berei-
chern, so würde ich mit Beruhigung, ja Zufriedenheit zurückblicken auf die
zahllosen Entbehrungen, Mühseligkeiten und Enttäuschungen.»
Dass dies gelungen ist, lässt sich aus dem Folgenden leicht ersehen.
Schon der zweite Teil des Werkes (von Kreitner verfasst), enthält neben
einem grossen Daten-Material die Topographie des ganzen Weges.
Das erste Gapitel behandelt die geographischen Ortsbestimmungen.
Die Bestimmung der geographischen Lage eines Ortes ist besonders wichtig,
wenn man eine Gegend bereist, die entweder ganz unbekannt oder aber
unrichtig aufgenommen ist. In China war letzteres sehr häufig der Fall, und
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33 i GRAF Bthk SZi5cHENYT's REIRE TM ÖSTLICHEN ASIEN.
wir können dem Verfasser des ü. Teiles nur Dank wissen, wenn er falsche
Angaben und Positionen berichtigt. Die ersten Aufnahmen wurden im
Anfange des XVIQ. Jahrhunderts von den Jesuiten gemacht. Trotzdem ihre
Instrumente noch sehr primitiv waren, zeigt sich doch eine verhäJtniss-
massig merkwürdige Uebereinstimmung mit den Observationen Kreitners.
Dies ist jedoch nur bei den Breitebestimmungen der Fall; bei den Längen-
bestimmungen sind schon grössere Differenzen zu finden, was hauptsächlich
den mangelhaften Apparaten zuzuschreiben ist. Ereitner's Instrumente
waren jenen natürlich weit überlegen. Er besass ein sogenanntes Universal-
Instrument von Starke & Kämmerer, einen sogen. Transit-TheodoUth von
Gasella und überdies noch einen Prismenkreis von Starke & Kämmerer —
Instrumente von minutiöser Ausführung.
Im zweiten Capitel werden die Höhenmessungen behandelt. Diese
wurden auf zweierlei Art ausgeführt, durch Triangulation oder, was viel
einfacher und rascher von Statten geht, mit Barometern. Letztere sind
entweder Quecksilber- oder Anero'id-Barometer (Holosterique). Die Queck-
silberbarometer sind den Aneroiden an Genauigkeit überlegen, erfordern
jedoch grosse Vorsicht im Transport; aus letzterem Grunde wurde nur ein
Instrument vou Kapeller mitgeführt, welches jedoch verunglückt ist
Aneroide sind am leichtesten zu handhaben und geben auch ganz
genaue Besultate, wenn deren Correcturen richtig bestimmt und die Instru-
mente keinen plötzUchen Veränderungen oder Stössen ausgesetzt sind, was
bei einer Beise nur schwer zu vermeiden ist. Die Aneroide stammten von
Negrctti & Zambra in London und waren Nr. 5648, Nr. 6018 und Nr. 6800
gezeichnet. Das erste Holosterique wurde als Normal betrachtet, doch litt
es während der Beise sehr bedeutend. Die beiden anderen Instrumente
waren nur sehr klein und sind daher kaum in Betracht zu ziehen.
An Uhren besass die Expedition ausser den eigenen Taschenuhren
einen schweizer Taschen- und einen Schiffschronometer Nr. 65 von Vorauer.
Ersterer versagte schon bei Beginn der Beise. Der zweite war zwar besser,
doch bemerkt Kreitner: «Um die unangenehme Lage zu verstehen, in wel-
cher ich mich mit den Uhren befand, genügt es zu sagen, dass ich mich
glückUch schätzte, wenn der Chronometer (Nr. 65) während einer einzigen
Observation seinen Gang einhielt, t Trotzdem functionirte Nr. 65 nach
einiger Beparatur doch bis zum Ende der Beise.
Dass die Expedition nicht mit besseren Instrumenten ausgerüstet war,
ist sehr zu bedauern, umsomehr, als bei Kreitner's BienenÜeiss die Daten
eine viel grössere Genauigkeit erhalten hätten. Die Menge der Daten selbst
ist geradezu erstaunUch gross. Hier ist natürUch nicht der Ort, sieb des
weiteren mit denselben zu beschäftigen oder Ausführung und Methode der
Observationen zu kritisiren.
Die zweite Abteilung von Kreitner*s Arbeit enthält die Topographie
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GRAF B^LA SZÄlHBNYl's REISE IM ÖSTLICHEN ifilEN. -^35
der bereisten Gegenden. In den elf Capiteln dieser Abteilung ist ein äusserst
reicher Stoff in geschickter Gruppirung und von interessantem Standpunkte
aus behandelt Abgesehen von dem streng geographischen Teil, dessen
Hauptaufgabe die Oro- und Hydrographie ist, finden wir in dem Werke viel
interessimte ethnographische, geschichtliche und culturhistorische Notizen,
die dem Fachmanne weithinaus als reiche Quelle dienen werden. In diesem
Teile der Geographie ist Kreitner heimisch wie Wenige ; bei jedem grösse-
ren Flusse ist die Gommunication auf demselben eingehend behandelt, fast
in jedem Gapitel finden wir zwei ständige Rubriken für die commerciellen
Verbindungen und für später zu erbauende Eisenbahnen und selbstver-
ständlich sind auch die Producte sehr eingehend behandelt, ihr commerziel-
1er Wert hervorgehoben, ja es sind sogar mit grossem Fleisse Daten über
die Ekport- und Importartikel, natürlich mit Angabe der Provenienz
und des Wertes, gesammelt und in Tabellen zusammengestellt; auch
über die Bevölkerungsverhältnisse bietet dieser Teil höchst dankenswerte
Aufschlüsse.
Nach diesem übersichtlichen Bericht über die Reise selbst bleibt uns
nur noch übrig, einige ergänzende Bemerkungen Kreitoers hinzuzufügen.
Ueber die Annehmlichkeiten des Aufenthaltes während der Beise
äussert er sich folgendermassen : «Die Gasthäuser bestehen aus einem
kleinen Fremdenzimmer, mit heizbarer, gemauerter Lagerstätte, ausserdem
aus einer Küche und einem Stall für die Beittiere. Die Gebäude sind zumeist
ans Lehm aufgeführt, stehen auf trocken zusammengesetzten Steinfunda-
menten und sind mit rinnenförmigen gebrannten Ziegeln oder nur mit, von
Steinen belasteten Brettern und Matten gedeckt. Die Bäumlichkeiten sind
sehr schmutzig und voller Insecten. Zur Heizung bedient man sich in China
der Holzkohle, welche in grossen eisernen Becken brennt An einigen
Orten wird die Kohle, um den unangenehmen Bauch zu vermeiden, auf
folgende Art präparirt : dieselbe wird zu Pulver gestampft und mit Wasser
gemengt zu einer plastischen Masse verknetet ; aus dieser werden hohle
Kugeln geformt, welche mit feuchtem Lehm gefüllt und an der Sonne
getrocknet werden. Sechs Stück von diesen orangengrossen Kugeln genügen
für eine dreistündige Heizung eines Zimmers. »
Den regen Handelsverkehr unterhalten grosse Karavanen, die haupt-
sächlich im Innern des Landes grössere Dimensionen annehmen. In China
bilden die folgenden Gegenstände Handelsartikel : europäische Glassachen,
Beibhölzchen, Opium, Tabak, verschiedene Stoffe, Seide, Stickereien,
Teppiche, Pelzwerk, Holz- und Steinarbeiten, Geschmeide, Messing- und
Eisengeschirr, Thee (in Ziegeln), Heilmittel, Bhabarber, Safran, Moschus,
Getreide, Früchte, Haustiere u. s. w. Diese Artikel finden überall grossen
Absatz, sowohl im Innersten des Landes, als auch in den Seestädten. Die
Communicationsmittel sind nicht gross ; entweder werden die Waaren auf
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336 GRAF B#.LA RZlSrHENTl's REISE ni ÖRTLICHEN ASIEN.
dem Wasser, oder zu Lande auf Lasttieren und Trägern transportirt. Die
Schiffe sind zumeist elende Eähne^ nur selten in grösserer Form, in welchem
Falle dieselben auch Segel besitzen ; Anker scheint man in ganz China gar
nicht zu gebrauchen ; statt dessen benützt man eine eisenbeschlagene Bam-
busstange, die durch ein an Bord befindliches Loch in den Flussboden
gestossen wird.
Die Lasttiere sind Maultiere oder Pferde. Wenn es an solchen man-
gelt, mietet man Menschen zum Lasttragen.
Der Personenverkehr ist auch schwierig. Zumeist, d. h. in den Man-
darinkreisen und bei den Beichen, lässt man sich in der Sänfte tragen,
welche nur sehr selten verlassen wird. Die Träger müssen die steilsten
Berge emporklimmen, während die Herren gemütlich in der Sänfte sitzen.
Die Reisenden ritten grössten Teils auf Pferden. Diese schwierige Commu-
nication veranlasst den Verfasser des 11. Teiles, schon jetzt die eventuellen
Eisenbahnbauten zu besprechen und eine Menge von Batschlägen folgen
zu lassen.
i Alles weist darauf hin, dass die Chinesen in nicht langer Zeit ihre
Antipathie gegen Eisenbahnen ablegen und deren Vor- oder Nachteile in
ihrem eigenen Lande erproben werden. . . Der an vielen Orten sich fühlbar
machende Holzmangel bietet keine besonderen Schwierigkeiten, da man,
wie in Brit.-Börma, steinerne Schwellen oder eventuell solche aus Eisen
verwenden könnte. . . Doch erfordern die in grosser Anzahl zu erbauenden
Viaducte und Tunnels nicht nur erfahrene Kräfte, sondern auch unbere-
chenbare Geldsummen. Denn obzwar die inländischen Arbeiter sehr biUig
wären, so machen verschiedene Mängel im Innern des Landes (Holzman-
gel, schlechte Verkehrsmittel etc.) den Bau sehr teuer, hauptsächlich aber,
weil sämmtliches Material aus Europa importirt werden müsste. An Kohlen
herrscht nirgends Mangel ; diese sind in fast unerschöpflichen Lagern
anzutreffen.»
Der Handelsverkehr mit Tibet ist ziemlich gering, weil der Transport
schwierig ist Zum Lasttragen werden Pferde, Maultiere und Yak*s benutzt
Die Besorgung einer «Wula» (Karavane) obliegt dem Fürsten der betreffen-
den Gegend, was eine Einkommen-Quelle bildet. Eine solche Wula besteht
oft aus vielen Hunderten von Tieren.
Trotzdem die Beisenden sich nicht überall längere Zeit hindurch auf-
gehalten haben, ist es doch merkwürdig, wie detaillirt die Schilderung von
Land und Leuten durchgeführt ist. Man kann sich dies wohl aus der grossen
Boutine Kreitner's erklären, der die wichtigsten Fragen wie fertige Bubriken
im Kopfe trug, welche er dann ausfüllen musste. Natürlich gehört auch
grosse Uebung dazu, auf offene Fragen gleich mit richtigem Blicke die
wahre Antwort zu finden ; doch erscheint die Methode der Beobachtung so
rationell, dass man den Angaben wohl gerne Glauben schenkt.
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GRAF B^A SZ^HBNYI'b REISE IM ÖSTLICHEN ASIEN. '^37
So währte z. B. der Aufenthalt bei den Katschin'Yö]kem verhältniss-
mässig nur kurze Zeit, trotzdem findet sich in Kreitners Arbeit manch
interessantes Detail : «Die Eatschin's nennen sich Tsching-Foss. Obzwar der
Gesammt- Eindruck, den dieselben machen, nicht besonders ansehnlich ist,
da dieselben von kleiner Statur und schwach sind, so spricht doch in ihren
Augen ein trotziges Feuer, welches einen merkwürdigen Gegensatz zu ihrem
furchtsamen Benehmen bildet. Die Form des Schädels ist länglich und edel,
die Augen liegen horizontal, die Nase ist stark und grade, die roten Lippen
sind feingeschnitten. Die Gesichter der Männer und Frauen können keines-
falls hässlich genannt werden. Die Zähne sind vom Betelkauen schwarz.
Die Männer tragen eine nicht besonders aufifallende Kleidung, deren Schnitt
oft derjenigen der Pa-Jü ähnlich ist. An Waffen tragen sie Säbel, Lanzen
von 2 Meter Länge, Luntengewehre, welche die Bergbewohner vorzüglich
handhaben, und endlich Pfeil und Bogen. Die Pfeile werden häufig mit
Aconit vergiftet.
Das Haar wird in die Stirne gekämmt und über den Brauen abge-
schnitten; rückwärts hängt es nur bis zum Nackenwirbel. Sowohl die
Männer, als auch die Frauen tragen in den Ohren die verschiedensten
Zierate«
Hemden scheinen ganz unbekannt zu sein; sogar die Frauen tragen
ihre Kleider auf dem nackten Körper.
Die schwere Arbeit wird nur von den Frauen und Mädchen verrichtet ;
wenn die Männer noch ruhen, beschäftigen sich die Weiber schon mit dem
Reinigen der Küche und Ställe, und mit dem Bereiten des aus Beis beste-
henden Frühstücks. Holz sägen und zerkleinern, die Tiere zu warten,
kochen und Kleiderstoffe zu verfertigen ist Sache der Frauen. Die Männer
hingegen verrichten keinerlei Handarbeit. Den Tag verbringen sie mit
Visite-machen, wobei natürlich viel Sehern (süsses Getränk aus Beis) und
Opium vertilgt würd.
Wegen der überwiegenden Unsittlichkeit der Katschins sind die Hei-
raten in den niederen Glassen meistens nur Geschäfte, wo natürlich der Preis
der Braut in erster Reihe von ihrer Mitgift und physischen Kraft abhängt.
Bei den besseren Glassen bildet jedoch die Heirat ein sehr wichtiges Ereig-
niss, welches mit bestimmten Gebräuchen und Feierlichkeiten verbunden ist.
Die Leichen werden gewaschen (obzwar Reinlichkeit nicht zu den her-
vorragendsten Tugenden der Katschins gehört), in neue Kleider gehüllt
und in den Sarg gelegt. Die Verwandten legen der Leiche ein Silberstück in
den Mund, danüt die Seele beim üebersetzen über einen breiten Fluss den
Fahrpreis bezahlen könne. Die Kleider des Verstorbenen werden sammt einer
Schüssel Reis aufs Grab gelegt, und zu Hause wird dann das Ereigniss mit
Gesang und Tanz gefeiert.
So ist es denn sicher, dass die Religion der Katschins vom Buddhismus
Ungulaohe Bevne, XI. 18Q1. IV. Heft 22
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338 GRAF BÄA SZlScHBNYl's REISE IM ÖSTLICHEN ASIEN.
wesentlich verschieden ist. Sie enthält den Glauben an ein höchstes Wesen,
welches Alles geschaffen hat, glaubt an das Leben nach dem Tode, an Be-
lohnung der guten und Bestrafung der bösen Thaten.
Die Sklaverei ist eine uralte Ueberlieferung. *
Die Männer essen gesondert von den Frauen« Ihre Speisen bestehen
aus Beis, Gemüse, Schweinefleisch und getrockneten Fischen.»
Der dritte Teil führt in die naturwissenschaftlichen Ergebnisse, wo
Löczy wirksam zu Worte kommt.
Mit der Geologie von China beschäftigten sich vor ihm nur sehr wenige
Gelehrte ; darum beschränkt sich auch die geologische Literatur dieser Ge-
genden nur auf eine kleine Anzahl von neueren Werken.
Abgesehen von den allerersten flüchtigen Beisen des amerikanischen
Geologen /?. Pumpelly hat erst in jüngster Zeit Freiherr von Richthofen,
d. Z. Universitäts-Professor in^ Berlin, in den Jahren 1868 — 1872 eine Beise
in China unternommen, die in geologischer Hinsicht grundlegend war, deren
wissenschaftliche Besultate jedoch bis jetzt noch nicht ganz verwertet und
gewonnen sind.
Selbstverständlich richtete sich das Bestreben der Szechenyi'schen
Expedition dahin, möglichst unerforschte Gegenden zu bereisen, und ver
mied es darum so weit als mögUoh Biohthofen*s Wege zu kreuzen. Dies
gelang auch zum grössten Teile. Trotzdem äussert sich Löczy dahin, dass er
nur die geologischen Kenntnisse erweitern wollte und bedauert sehr, den
letzten noch nicht erschienenen Band vonBiohthofen*s Werk nicht zu kennen.
Löczy's Arbeit besteht aus vier Teilen. Der erste behandelt die Unter-
suchungen der Küstenländer Mittel-China's ; der zweite das Gebirgssystem
des Kuen-Luen und dessen Umgebung im westlichen China; der dritte
Teil spricht von den hinterindischen Gebirgsketten, während der vierte, und
zugleich wichtigste, ein Besume der geologischen Besultate enthält. Ueber
seine eigene Arbeit äussert sich Tjoczy folgendermassen : «Die Früchte einer
raschen Beise können nicht vollkommen sein ; ein treues und erschöpfendes
Bild der geologischen Geschichte des von uns besuchten östlichen Asien zu
geben, bin ich auch nach langjährigem Studium nicht im Stande. Möge der
Leser nachsichtig sein gegen die Fehler und Mängel, welche ich selbst auch
kenne. Es ist mein sehnlichster Wunsch, dass mir so bald als möglich andere
Forscher nachfolgen, um die geologische Kenntniss von Ost- Asien zu erwei-
tem und meine eventuellen Irrtümer zu berichtigen. §
Wie aus dem Erstangeführten ersichtlich, geht der Weg der Expedition
bis Hstang-Yang-Fu demjenigen Bichthofen's parallel; von hier bis Hsi-
Ngan-Fu lag ziemlich unerforschtes Terrain. Eine kurze Strecke vou hier
waren die beiden Bouten wieder parallel. Von da ab jedoch führte der Weg
die Beisenden bis tief ins Innere Asiens» auf dem Bückweg zum Kuku-Nar,
um bei Kuang-Yüen-Hsien neuerdings bis Ya-Tschou-Fu neben Bichtho-
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GRAF bAlK SzA^HBNYI's REISE IM ÖSTLICHEN ASTEN. 339
fen's Boute zu gehen. Etwas unterhalb Ya-Tschou-Fu verliess die Expe-
dition Bichthofen's Weg ganz^ um denselben nie mehr zu kreuzen.
Die archäische (d. h. älteste) Formation ist im innerasiatischen Hoch-
land durch folgende Schichten vertreten : krystalUnische Schiefer, Gneiss,
Amphibol-Gneiss, Amphibol- Schiefer, GUmmerschiefer, Chloritschiefer, kry-
stallinischer Kalkstein und eine Menge von Phylliten. In dieser Einteilung
ist auch eine bedeutende Abweichung von Bich<^hofen's Meinung zu bemer-
ken ; dieser hält nämlich die im nördlichen Sü-Tschuan auftretenden kry-
stallinischen Schiefer für Silur, während Löczy sie in die archäische For-
mation reiht.
Die palaeozoische Formatiomgruppe teilt Löczy in die untere und
obere Formation. Die untere palaeozoische Formation zeigt halb krystalU-
nische Ealksteinbänke, gewaltige Ealksteinfelsen, metamorphe Schiefer,
gelbe Thonschiefer und schieferigen Thon. Die abyssodynamische Wirkung
zeigt sich in dieser Periode in Eruptionen von Diabas und Diabasporphyrit.
Die obere palaeozoische Formation wird vertreten durch die im Norden
des Tsin'Ldng'QehirgeB gelagerten productiven Kohlenlager, durch Kalk-
stein und durch eine mächtige Sandsteinformation. Ausserdem unterscheidet
Löczy auf Grund stratigraphischen Zusammenhanges eine Ferm-Triasfor-
mation.
In der mesozoischen Formationsgruppe tritt die Mittel-Trias, die
Bhaetische und die Juraformation auf. Vulkanische Erscheinungen kom-
men kaum vor.
Die kainozoische Formationsgruppe zeigt lacustrinen Löss und als
Product subaerischer Wirkung ausser ersterem noch Laterii
Mittel- Asien erhob sich erst zur Zeit der Jura-Periode aus dem Meere.
Vulkanische Erscheinungen treten sehr häufig auf, müssen aber, wie auch
die Gletscherperiode eingehend untersucht werden.
Dieses für den Geologen hochwichtige Gapitel schliesst mit der
genauen Anführung derjenigen Gegenden, in welchen die oben erwähnten
Formationen auftreten.
Das zweite Gapitel behandelt die Tektonik des östlichen Abhanges des
innerasiatischen Hochlandes.
Die Expedition bereiste zwischen dem 40. und 23. Breiten- und dem
96. und 106. Längengrade in einem Halbkreise das innerasiatische Hochland
und zwar von Tung-Hoan aus über Lan- Tschou, Tsing- Tscliou, Kuang- Yuön,
Tsching-Tu-fu und Tali-fu bis nach Bamx). Es ist ein sehr wichtiges Besul-
tat der Beise, constatirt zu haben, dass in der Bichtung dieses Halbkreises
am tibetanischen Hochlande hohe Bergketten liegen und dass die mongoli-
schen, wie auch die chinesischen Ebenen von den hochgelegenen innem
Wüsten im Allgemeinen durch stark bewachsene Alpenländer und mit ewi-
gem Schnee bedeckte Gletschergebirge getrennt sind.
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340 GRAF B^LA SZÄCHBNTl's REISE TSi ÖSTLICHEN ASIEN.
Die Kettengebirge am Rande des Hochlandes stellen es ausser Frage,
dass dieses kein Taffelland ist, sondern aus demselben Faltenwurf besteht
vrie sein Rand. Zwiacben dem 26. und 40. Parallelgrad besteht Ost-
tibet grösstenteils aus Bergketten, welche im Allgemeinen die Richtung
West-Ost einhalten. Auch ist es jetzt schon gerechtfertigt, einen grossen
Teil des Hochlandes als Plateau zu betrachten, da dessen nördlicher Teil in
grosser Ausdehnung von horizontalen Schichten aus den jungem mesozoi-
schen Perioden bedeckt ist.
Sehr interessant ist die folgende Betrachtung und Besprechung der
vier Bergketten: 1. Mittel -Kuen-Lun; 2. das Sin-Ling Gebirge, 3. die
hinterindische Bergkette; 4. die östlichen Ausläufer des Himilaya. Besonders
schätzenswert ist der dritte Teil, da Löczy der erste war, der den geologi-
schen Aufbau dieser Gegend erforschte.
Das letzte Capitel des geologischen Teiles, zugleich auch das letzte des
ersten Bandes, bespricht die «Formationen der (geologischen) Gegenwart»
Diese zeigen im östlichen Bande des tibetanischen Plateaus folgende Perio-
den: I.Periode der grossen Süsswasserseen im tibetanischen Hochlande und
im Becken der Gobi Wüste; Entstehung <^es lacustrinen Löss. 2. a) Ver-
dunstung dieser Seen zu Salzseen ; Denudation im Süden, b) Verbreitung
der Wüstenformation in der Wüste Gobi ; Entstehung des Löss im nördlichen
China, c) Ausdehnung der Gletscher um die hohen Gipfel ; Eiszeit. —
3. Entwässerung des oberen Quellengebietes des Hoang-Ho ; Miteinbezie-
hung grosser, abflussloser Gebiete in die peripherischen Gegenden ; Fort-
dauer der Lössbildung. Im Süden : Zurückweichen der Gletscher, Bildung
des Laterit. Diese Perioden repräsentiren der Reihe nach die Formationen
Pliocän, Diluvium und Alluvium.
Dies der knappe Inhalt des grossen Werkes, welches die Geologie des
östlichen Asien, grösstenteils auf Grund eigener Beobachtung, zum Teile von
neuen Standpunkten und durchwegs selbstständig behandelt. Nicht allein
falsche Ansichten und Daten sind corrigirt, sondern auch neue Hypothesen
und Theorien sind in dem Werke niedergelegt, welches in der einschlägigen
Literatur gewiss einen hervorragenden Platz einnehmen wird.
Betrachtet man dabei die würdige Ausstattung des Werkes — Format
und Umfang sind freilich zu wohlgemeint ! — so sieht man sich einem
Reisewerke gegenüber, das nicht nur dem edeln Führer und seinen fach-
männischen Mitarbeitern zur vollen Ehre gereicht, sondern überhaupt
seinesgleichen sucht. Die typographische Schönheit des Werkes ergänzt
sich durch einen Atlas von 32 Karten, dessen meisterhafte Ausführung
nach den Entwürfen Kreitner's (17) und Löczy's (15) dem militär-geogra-
phischen Institute in Wien zu danken ist. Ebenso ist das Werk auch mit
seinen 175 zum Teile colorirten Illustrationen ein sprechender Beweis für
den reinen Idealismus, von welchem sich Graf B61a Szechenyi bei der
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t)&tt AKl8T0Tfe:iifi8-PAPYRÜS D£:S JSBtTISli Mt78&UM8. 341
Durchführung des grossangelegten Planes leiten liess. Der Kleinigkeit von
20,000 Gulden, welche die Karten allein erforderten, schliessen sich noch
etwa 30,000 als Gesammtkosten des Werkes an, denen aber noch 80,000
Gulden, welche von der Expedition selbst in Anspruch genommen wurden,
gegenüberstehen.
Noch aber hat uns der hochverdiente Graf nicht alle Errungenschaften
geboten ! Ein besonderer Band bringt eine Studie über die Dravida-Spra-
chen von Bälint und das vom Grafen Szechenyi selbst aufgearbeitete
Material in Listen und Tabellen, endlich die Detailstudien und Bearbei-
tung der mitgebrachten naturhistorischen Sammlungen von etwa 14 Mit-
arbeitern — ein Gewinn der Wissenschaft und ein Stolz Ungarns !
Leopold Szabvas.
DER ARISTOTELES-PAPYRUS DES BRITISH MUSEUMS.
Hat diese Schrift wirklich den Aristoteles zu ihrem Verfasser ? Ich sehe
durchaus keinen Grund zu einer solchen Annahme. Man deutet auf den
umstand hin, dass 55 Fragmente einer von Plutarchos, PoUux, Harpokration
und Sopatros (bei Photios) citirten, gleichfalls dem Aristoteles zugeschriebe-
nen A^vaCa>v 7coXite(a mit den entsprechenden Stellen des von Mr. Kenyon
soeben herausgegebenen Textes (AristoÜe on the Constitution of Athens.
Second Edition, London, Brit. Museum 1891) t klappen.» Ja, aber ist es viel-
leicht schon unumstösslich erwiesen, dass diese von Plutarchos, Pollux u. s. w.
citirte — seit vielen Jahrhunderten nicht mehr vorhandene — Schrift kein
Anderer habe verfassen können, als Aristoteles? und • klappt» denn die
Stelleim Texte des British Museums (c.41) — il) exl Oyjo^öx; fsvoiiivT] (iixp6v
«apeTxXtvoooa njc ßaotXix'^c thatsächlich mit der Stelle bei Plutarchos (Thes.
c. 25) — Sri 8^ irpibtoc iicixXtve icpöc töv J^^ov (nämlich Ottjosö?) oic 'Aptoto-
t^Xtj«; «pTjoC (wo?) xal (i^f^xe t6 {lovap^etv — wie dies Mr. Kenyon und seine
Proselyten gar so emphatisch zu betonen heben? Gewiss, nur ein sehr ein-
seitiger Philolog kann da eine vollkommene Goincidenz des politischen
Inhalts erblicken; ein staatwissenschaftlich geschulter Kritiker wird das
i?pi?Jxs TÖ (lovap^etv doch von der (ii^pov icapsYxXtvoooa nj^ ßaotXtxTj«; wohl
gehörig zu unterscheiden wissen. Und wenn der Lexikograph Harpokration
sich s. V. tpttT6<; ausdrückUch auf 'ApiototdXTjc sv rg ' A^valoDv icoXits^ beruft,
indem er sagt : tpitüc sott t6 tpttov (lipoc r^c «poXfJc* a5n] fotp 8tigpY]tai eic zpia
{lipiq, Tptttöc xal I^vtj xal cppaTpia<; — klappt denn der Wortlaut der trockenen
durch und durch objectiven Gonstatirung dieser staatsrechtlichen Thatsache
vollkommen mit der Stelle im Texte des British Museums, wo (c. 21) von
Kleisthenes gesagt wird Stivstfis S^ xal til)v /a>pav xaxd Si^fiouc xpidxovxa
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342 DER ARISTOTELßa-PAPYRÜS DES BRITISH MUSEUMS.
fiipTj — xal taötac i7covo|idoa<; zpizzbQ ixXiQpcöoev Tp6t<; elc tTfJv ^oXVjv ixdoTTjv, —
um die Stelle (c. 8) sx 8k(vfi(; ^üXtJ<; sx)«^^^)^ r^oav vsveiiTjiJivat tpixtis^ |iiv
tpsic, vaoxpaptat 8^ SwSexa xad' sxdonr)v gar nicht zu erwähnen? Die pj-tho-
kleideische Schülerschaft des Perikles, aber, welche Plutarchos aus der
Schrift des Aristoteles erfuhr (Pericl. 4 'AptototÖ^Tjc 8k xapd IIo^oxXstSiQ
(loootxifjv Staffovirj^vat töv 5v8pa ^pYjatv) kommt im Texte des British Museums
gar nicht vor. — Auch in Betreff der StajietpYjiiivTj Tljji^pa beruft sich (s. y.)
einmal Harpokration auf die Auetoritat des Aristoteles und zwar mit den
Worten : 'ApiorotfXYji; 8*iv rj 'AdTjva^cov iroXtre^q^ StSdoxst luepl toörwv. Ja was
klappt denn mit dieser Stelle in dem Texte des British Museums?
Oder sollen wir den vom Mr. Kenyon herausgegebenen Torso schon
aus dem Grunde dem Aristoteles zuschreiben, weil Aristoteles selber in der
«Ethik» der aoviQifiiivcDv nokizsim erwähne und Aristoteles thatsächlich ein
Sammelwerk unter dem Titel IloXitsiat ttöXscov Sootv 8so6oaty sSiQxovta xal
§xat6v veröffentlicht hatte, mithin ein Sammelwerk, in welchem unter den
158 (Ammon. 255) Staatsverfassungen wohl auch die athenische Staatsver-
fassung vorkommen musste? Sonderbare Logik! Hätte denn sonst kein
anderer Grieche ein solches Werk zu schreiben vermocht, blos einzig und
allein Aristoteles ? Der Text des British Museums muss nach 329 v. C. und
vor 322 V. C. geschrieben worden sein : nach 329 v. C, weil der Name
« Ammonias» statt «Salaminia» darin erwähnt und das Jahr 329 v. C. durch
die Worte ItcI K-yjcptoo^wvTOc äpyovTO<; fixirt wird; und vor 322 v. C, weil der
Verfasser derselben den in diesem Jahre vollzogenen Umsturz der atheni-
schen Demokratie durch Antipatros noch ebensowenig kennt wie die Resti-
tution der Demokratie im Jahre 318 durch Polysperchon oder wie die Epi-
stasie des Demetrios von Phaleron. — (Mr. Kenyon ist viel zu orthodox, um
derartige verfassungspolitische, resp. verfassungsgeschichtliche Kriteria ins
Auge zu fassen : er denkt weder an Antipatros und Polysperchon, noch an
Demetrios von Phaleron, sondern glaubt das chronologisch Mögliche gelei-
stet zu haben, indem er die 10 Phylen als Kennzeichen beherzigt wissen
will: «from internal evidence it is certain that it must have been compoaed
before 307 B. C. for the author in describing the Constitution of Athens in
his own day speaks always of ten tribes, which number was increased to
twelve in the year just mentioned). Also ist die Schrift gewiss nicht nach 322
V. C. verfasst worden. Nun, gab es denn zwischen 329 und 322 v. C. keinen
anderen Griechen auf der Oberfläche dieses Planeten, der über die athenische
Verfassungsgeschichte hätte, wenn auch nicht ausführlich, so doch eingehend
schreiben können, ausser dem weltberühmten Philosophen und bewunde-
rungswürdigen Vielschreiber Aristoteles ? Was haben denn Theophrast und
Demetrios von Phaleron. verbrochen, dass man ihre Namen anlässlich dieses
überaus sensationellen Fundes ganz und gar zu verschweigen sucht, als ob
sie zwischen 329 und 322 v. C. gar nicht gelebt und über Politik geschrieben
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bkB ABl8T0TBL&8-PAFYRtT8 DES BRitlSB MUSEUMS. 343
haben würden? Hat denn Theopbrast nicht ein Werk Ilepl vo(iodst6»v (Diog.
Laert. V, 45, Cic, De Leg. II, 15, ad Attic VI, 1, 18), ein anderes Nö|iiiov
xata otor/etov (Diog. Laert V, 44, Cic. De Pin. V, 11) und ausserdem wohl
noch ein Halbdutzend ähnlichen Inhalts geschrieben, um des Kallimacheers
Hermippos (Athen. Deipnos. IV, 154 d. XIH, 555 o. XIV, 619 b. Diog. Laert.
V, 78) sowie des ApoUodors von Athen (Diog. Laert. I, 58), welche auch
über die Gesetzgebung IIspl vo(io^ala<; geschrieben hatten, gar nicht zu er-
wähnen ? und war denn Demetrios von PhcUeron, der schon vor 322 v. C.
als Denker und Staatsmann hervorragte (geboren um 350 v. C), nicht schon
vermöge dieser seiner Stellung zu Athen unvergleichlich besser dazu befähigt,
die Quellen der älteren Phasen athenischer Verfassungsgeschichte im Staats-
archiv dieses gegen Fremde und Metoiken so argwöhnischen Gemeinwesen
des Näheren zu studiren als Aristoteles, der blos als Metoike in Athen
lebte und als solcher die urkundlichen Schatze im Metroon autoptisch gar
nicht gehörig benutzen durfte? Ich will nicht kategorisch behaupten, dass
der Text des British Museums nur von Demetrios von Phaleron herrühren
kann : doch will ich die Möglichkeit eines solchen Ursprungs nicht um jeden
Preis ausser Acht lassen, um ja nur die sensationelle Bedeutung des Fundes
nicht zu gefährden. In der That, diese Möglichkeit liegt nahe, ja dieselbe
steigert sich sogar bis zur Wahrscheinlichkeit in Aller Augen, denen sowohl
die erhaltenen Fragmente des Demetrios als auch seine handschriftlich be-
glaubigten Bnchertitel des Näheren bekannt sind« Was enthält der Text des
British Museums ? Eine Schilderung der athenischen Staatsverfassung, in
welcher jedoch die Verfassungsgeschichte als solche entschieden überwiegt.
Der Titel, den Demetrios von Phaleron einem seiner verloren gegangenen
Werke gegeben hatte — Ilepl täv Adi^vtjot tcoXitsiäv — « lieber die verschie-
denen Staatsverfassungen, welche zu verschiedenen Zeiten in Athen bestan-
dene — dieser Titel * würde unvergleichlich besser auf den Text des British
Museums passen, als auf was immer für ein Fragment des Aristoteles« Die
Fragmente der ausser-athenischen IIoXit8laiir6Xe(ov Soolv Seoöoatv e^i^xovraxal
Ixatöv enthalten allerlei Märchenhaftes (Drepane, Eerkjra u. s. w.) und
können sich mit den verfassungsgeschichtlichen Schilderungen des Textes
des British Museums bei Weitem nicht messen, weder an staatsrechtlicher
Schärfe noch an Detail-Eenntniss. Auf der anderen Seite steht der Text des
British Museums und zwar in Bezug auf die allerwichtigsten verfassungs-
* Unglücklicherweise steht auch im Texte meines I. Bandes (Die Demokratie
von Athen, p. 522) in Folge eines Druckfehlers Ugpi xa>v 'Aj^Tjvrjai TcoXeibJv statt Uzpi
Tüiv 'A5i[vTiai ;coXiTetü>v. Schon Cobet und luegrand (D^m^trius de Phal^re in den Verh.
der königl. belgischen Akademie der Wissenschaften) hahen — und zwar auf Grund
der besten italienischen Handschriften das fehlerhaft«, wenn auch auf den ersten
Bück gewiss viel plausiblere ;:oX(Ta>v auf diese Weise — nämlich 7:cXiTEta>v — emendirt
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^^ Dfift ARISTOTlGLfiS-PAPlrRtJS DAS BRlTlaä MtJSEtiMß.
geschichtlichen Momente im schroffsten Widerspruch mit den rioXittxd des
Aristoteles. Dieser sagt ausdrücklich, dass Drakon seine gar so schrecklich
harten Strafgesetze einer bereits bestandenen Staatsordnung angepasst, mit-
hin überhaupt keine Verfassungsreform initiirt oder durchgeführt, und Alles
in Allem, keine verfassungspolitische Thätigkeit an den Tag gelegt habe —
Polit n, 1274 a 40: Apdxovtoc 8^ vöjioi ji^v elol, KoXttetof S'tiirapxoöoiQ to6<;
vöfioDC l^xev i8tov 8*iv tot; v6(iot<; oi8iv sottv o tt xal (iveiac; 44tov, icXVjv t,
XoXeicörijc 8ta t6 ttJc dpi^ac (liife^c — und der Text des British Museums
schildert uns (c. 4) diesen selben Drakon als einen epochalen Reformator der
athenischen Verfassung — iice8i8oTo (t^) icoXttsCa tote Z^kcn Kopexo^oit;'
T^poöVTO 8^ Tooc jiiv ivvda äpxovrac (xal t*) ooc (t) «[jLt — a<; oootav xexnjiiivoo^
oäx IXctTTCrt 8dxa {ivÄv iXeo*dpav x. t. X. — ßooXeü&tv 8^ TSTpaxootooc xal Iva
X, t. X. i^Tjv 8^ t4> i8txoo{iiv(j) 7cpö(c) Ti)v T<b(v) Apeo7ca7ett(ü)v) ßooXi^v eioaYY^XXstv
X. t. X. — Auch in Betreff der Timokratie steht der Text des British Museums
im schärfsten Widerspruch mit der * Politik» des Aristoteles. Dieser be-
hauptet, Solon habe die Wahl der Beamten eingeführt — Pol. U.V. 1274. —
tö ta^ ^PX^^ atpetoftat xal si*6vs:v — sx täv icevTaxooio|i88[pLva)v xal CeüiftTwv
xal Tpkoo tdXotx; rrjc xaXoo(iiv7]<; ijocdSoi; — und dieselben auf die Pentako-
siomedimneU; in aweiter Reihe auf die Zeugiten und in dritter Reihe auf die
Ritter — C7ncd8a — beschränkt (mithin eine timokratische Rangstufenleiter,
die sowohl der Nachricht bei Plutarch (Solon) und unseren sonstigen Quellen
als auch dem gesunden Menschenverstände zuwiderläuft, da derjenige, der
ßich^ein paar Ochsen halten konnte, wohl noch nicht notwendigerweise ver-
mögend genug war, sich ein Schlachtross nebst Bewaffnung aas eigenen
Mitteln zu verschaffen) ; — dagegen meldet der Text des British Museums
mit nicht zu missverstehenden Worten, dass Solon die Aemter durch das
Los besetzen Hess und zwar aus der Reihe der Prokriten, welche die Phylen
zu erwählen hatten — (c. 8) ta<; 8' ap/a; sicotTjoe xX'if]pa)td<; sx icpoxpitwv,
(o)5; (ixdo>nr] icpoxplvsi täv fp?>Xü)v. Und derlei Widersprüche gibt es da in
Hülle und Fülle. Wie wäre es denkbar, dass ein und derselbe Verfasser sieh
derlei Widersprüche zu Schulden kommen lassen sollte ? So wie damit noch
nicht geholfen ist, wenn Susemihl die Worte tptxoo tdXoo<; unter die Klam-
mem setzt: so würde die Schwierigkeit wohl auch noch bei Weitem nicht
gelöst sein, wenn man die Abfassungszeit der lloXttsiat, deren integrirenden
Teil die AdYjvaCcov icoXtTsia gebildet haben soll, nicht wie Zelkr vor, sondern
nach der Abfassungszeit der rioXttixd gesetzt wissen wollte.
Werfen wir nur einen Blick auf die schriftstellerische Thätigkeit des
Demetrios von Phaleron. Von diesem sagt Cicero (De Leg. III. 14 Brut 9)
«Phalereus successit eis senibus adolescens, eruditissimus ille quidem horum
omnium — processerat enim in solem et pulverem, non ut a militari taber-
naculo, sed ut e Theophrasti, doctissimi hominis umbraculis » Demetrios
schrieb u. A. ein Werk Hepl vöjicov (Diog. Laert. V. 80, 81), ein zweites Depl
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t)»ft A»lSTÖtELEfl-l>APYRÜß DAS BftmsH MüSfiÜMS. UTy
njc ' A^vTjoi vopio^soia^ (Diog. V, 80 ; Harpocr. v. Suidas v. icapaoraoic) ,' ein
drittes flepl icoXttixTj? (Cobet : TcoXttixwv) (Diog. Laert. V, 80) ; ein viertes
Tc^p Trjc «oXiteiac (D. L. V, 81); ein fünftes Hspl Sexaeteta;, welches nicht
den Trojanischen Krieg, wie man auf eine äusserst alberne Weise vermu-
tete, sondern seine eigene zehnjährige Staatsverwaltung (317 — 307 v. C.)
zum Gegenstande hatte, wie dies auch schon Hübner (Diog. Laert. p. 657)
erkannte. Es ist dasselbe Werk, von welchem der gründlichst gelehrte,
scharfsinnigst kritisch sichtende Strabon sagt — (IX, 398) — oo jtovov oü
xat^Xoae tVjv Sir][i^xpattav, äXkä xal s7njv<i)pft(oos, SyjXoi 8s td 07co|iVTQ|JLaTa a
oovlYpa({»e icepl tijc ÄoXtT8£a<; totonjc; sxetvoc. {Henkd führt irrigerweise diese
strabonische Stelle zu der Schrift Tic^p njc icoXitsioc«; an). In einem sechsten
Werke hielt er dem Volke von Athen seine Schwachheiten und Laster ent-
gegen 'A^vaicov xaTa8po|jn^ (Diog. L. V, 5, 81), in einem siebenten hinter-
liess er sachliche Notizen staatsrechtlichen Inhalts zu der Geschichte der
athenischen Archonten 'Apx^^vtoDv iva7pa?pirj (Diog. L. I, 3, 22, II, 3, 7 ; Mar-
cellm. Vit. Thucyd. 50), in einem achten Ilepl SYjiJuxYWYiac (Diog. L, V, 80)
schilderte er die Demagogen seines Vaterlandes und in einem neunten,
IIspl xm A^vYjoi TcoXfetÄv (Diog. L. V, 80) schrieb er eine Verfassungsge-
schichte des Staats Athen bis auf den Umsturz der athenischen Demokratie
durch Antipatros. Der Titel [lepi iroXiteUbv (und nicht Ilepl TcoXttcov), den die
besten italienischen Handschriften beurkundeen, soll uns nicht befremden :
hat ja doch auch das Werk des Herakleides von Poutos den selben Titel —
Ilepl icoXtxeiidv — geführt. (MüUer u. Heitz gegen Welcker u. Köler.) Leider
wird dieses hochbedeutende, seinem Wesen nach unverkennbar verfassungs-
geschichtliche Werk als solches mit seines Verfassers Namen nirgends citirt.
Doch sowohl die Fragmente seines Werkes Ilepl tfj? Adi^vTQot vojio^oto^, als
auch die seiner ApxövtcDv dcva^patpiQ dürften uns schon an sich einen Finger-
zeig geben, mit welch' einem staatsurkundlichen Apparat Demetrios die Ge-
schichte der athenischen Staatsverfassungen zu Wege gebracht haben mag.
Doch betrachten wir ein wenig zuerst die Ap/övicov diva^pacpi^. Fragm. I bei
Diog. Laert. I, 3, 22 erwähnt des Archonten Damasias, xad' 6v xal ot eircd
0090I sxXi^^oav. Frg. 11. ibid. H, 3, 7 fixirt die Epoche der Lehrthätigkeit
des AnaxagorasaufdasArchontatdes Kalliades. — Fragm. HI. (Marcell.Vit.
Thucyd. 50) erwähnt den xdO-oSoc, der e86dTf) zou; feöifoüotv. — Reichhaltiger
sind die Fragmente seiner Schrift Ilepl ttJc ÄdiQVYjot vo|JLo*eob(;. Fragm. I.
(Lex. Bhet. p. 672 ad calc. Phot) ist augenscheinlich verfassungsrechtlichen
Inhalts: Kopia xi sxxXTr)o/a. Air]|jLi^tpio<; 6 4>aXY]p6ü<; Iv z(^ Seotipcp itepl rij^
AdiQvatcov vo(i^^a{a<;. (Kopta exxXirjata, o6x sv ^) icXetota expTjli^tiCov 7] {li^iota
ttt)v xotva>v, iXX' ev -ß ta; xm 87](jieüO|Jiiva)v x. t. X. — Fragm. H. (Harpokration
V. £xacpY)(pöpoi' ?p7)olv Sri Äpoo^tarcev 6 vöfioc tote (j^ToCxotc ev tat^ irotiscaie ab-
zotx; (jiv oxdcpac cpdpetv x. t. X. — Fragm. HL Harp. v. '^Epxetoc Ze6<:. —
Fragm. IV. Harpokration v. Ilapdotaotc* Ayjjitqtpioc Sk 6 4>aX7]pe6< h xou;
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^^"> DER ARISTOTELES-PAPYRUS DES BRITISH MtJSfetMS.
TOpl vo(io^oCa<; tOD<: Statnjtd; ^tjot Xafißdvstv tdc Spa^ftd^, jiCav jiiv aicö tfjc
Xf^^eox;, ijv icapaoraotv IxdXoov, etipav 8^ xata twca)[i.ootav sxdonjv. (VgL
Aristot. Fragm. 31 in Vol. 11 Fragmentor. Histor. Graecor ed. Mueller ; Hudt-
walcker De Diaetetis p. 134; Scfaoemann Histor. jur. publ. 284, 267, Legrand
p. 1 73). — Fragm. V. Plut. 8ol. c. 23. ol icspl zm Yovaixwv v6|i.ot, allgemein
bekannt. — Fragm. VI. Scboliast. ad Nub. Aristoph. v. 37. Aijjn^ptoc
6 4>aXY)ps6<; ^Yjot xal 8Tj[i.dp5(oi)<; ol irepl £6Xa)va xadCoravro Iv icoXX'g (3icot>S'5,
Iva ot xatd Sfjfi.ov StScbot xal Xa|i.ßdva)otv td Slxata icap' dXXiQXcöv. Vgl. Aristot.
Fragm. 18. p. 111 in Vol. II. Fragmentor. Histor. Graecor ed. Muell.,
wo die Einföbrung der Demarchen dem Eleisthenes zugeschrieben wird.
Dies würde aber nur beweisen, dass Demetrios, indem er sein Werk
riepl töv ilftT^vTQot 7coXtr8t(bv schrieb, noch nicht wusste, was er später,
als er sein Werk IIspl rijc 'A^vYjat vo|i.o*so£a^ verfasste, etwa auf Grund
eingehender Studien im Metroon, bereits zur Eenntniss genommen hatte;
übrigens können schon vor Eleisthenes Demarchen mit einer Compe-
tenz im Sinne dieses Fragments des Demetrios existirt haben, und da diese
Competenz nicht mit der der Naukraren coincidirte, so konnte der Ver-
fasser sowohl des Textes des British Museums als des angebl. Fragments
des Aristoteles in Fragm. Histor. Graec. noch immerhin behaupten, dass
Eleisthenes die Demarchen (freilich mit einer anderen Competenz und
zwar statt der alten Naukraren) eingeführt habe. Rose — in seiner sonst
gewiss sehr wertvollen Fragmenten* Sammlung (Aristotelisquae ferebantur Üb-
rorum fragmenta. Lips. 1 886) macht eine solche Annahme ebensowenig unmög-
lich, als Heitz in seinem nicht minder wertvollen Buche (Die verlorenen
Schriftendes Aristoteles, 1865). —Fragm. Vn und Vm (Cic. De Leg. H, 25,
26, De Offic. II, 17) über die Feierlichkeiten bei Begräbnissen, sowie gegen
Perikles, der zu viel Geld auf die Propylaien verschwendet habe. Fragm.
vm Lex. Bhetor. ad. calc. Phot. v. sbaT^eXta und Pollux VEI, segm. 53
berichtet über jikiiüv irevxaxoo^cov (Sxptvov Sk td; etoaT^eXfac). Sodann die
Fragmente X und XI bei Legrand 13 und 14) (Lex. Rhetor. p. 673 v. |i.t^ oooa
StxY] und Pollux Vin, segm. 102: oiivSsxa.) Wer insbesondere das Fragment
über die \s.ii oooa Sixtj liest und daselbst die tief in die Details der atheni-
schen Gerichtspraxis gehenden Auseinandersetzungen des Verfassers des
Werkes Hspl ryj(; 'A^vif]at vo(i.o^sota<: gehörig zu würdigen weiss : der wird
gewiss eher eine fachschriftstellerische Verwandtschaft einerseits zwischen
Demetrios Phalereus und anderseits dem Verfasser des Textes des British
Museums, als zwischen diesem letzteren und Aristoteles wahrnehmen. Hat
ja doch Aristoteles nirgends in den acht Büchern seiner IloXttixcbv verraten,
dass er irgendwie all zu grosses Gewicht auf die Detailschilderungen staats-
rechtlicher Natur zu legen geliebt hätte !
Demetrios von Phaleron hatte sich frühzeitig entwickelt ; als 24-jähriger
Staatsbürger stand er schon da in der ersten Reihe politischer Grössen ;
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htXL AKlßTOTBLBS-PAPirRÜS DES BRITISH MUSEUMS. '^^^
seine Beredtsamkeit, so sehr bewundert von Cicero und Qoinctilian, machte
ihn zum Machtfactor in Athen in einem Lebensalter, in welchem Hermoge-
nes schon wie ein halbtodter durch die Strassen von Tarsos wandelte. Doch
hätte er, der Sohn des Sclaven Phanostrates, sich wohl so rasch zu einer
Höhe emporzuschwingen vermocht, wenn er, der Schüler des Aristoteles und
des Theophrast, sich nicht bereits in diesen Jahren der Demokratie zugleich
als Schriftsteller und Denker hervorgethan hätte? Auch ging er, nachdem er
den athenischen Staat zehn Jahre (317 — 307 v. C.) hindurch ruhmvollst
verwaltet hatte, als ein echt culturstaatsmännischer Epistat, nach Aegypten,
wo seiner am Hofe der Ptolemaier welthistorisch bedeutende culturpoliti-
sche und literarische Aufgaben harrten. Auch hauchte er seine Seele hier,
im Nilthale aus, — als leitender Geist der wundervollen Bibliothek von Ale
xandrien, ja noch mehr als dies, als zielbewusster Vorkämpfer der Ver-
schmelzung hellenischer, ägyptischer, semitischer und babylonischer Bil-
dung. Bastlos war — unseren Quellen nach — seine Production auch noch
in Aegypten ; dabei sammelte er die Erzeugnisse hellenischen Geistes mit
Flammeneifei so viel er nur konnte. Der Text des British Museums stammt
angeblich aus Aegypten her : nun wäre es denn gar so unwahrscheinlich,
dass eine Schrift des epochalen Bibliothekars von Alexandrien, hier auf
diesem hamitischen Boden wie immer erbalten und dann des öfteren copirt
oder gar in eine plagiatorische Form gegossen werden sollte, um der Nach-
welt als ein Geisteserzeugniss des Aristoteles verkündet zu werden? Der
sinnige Aufarbeiter hätte nicht einmal die isokratischen Rhythmen des
Satzbaues entkleiden dürfen, welche so manche philologische Brabeuten der
Gtegenwart in dem Texte des British Museums entdeckt zu haben meinen.
Sind solche Rhythmen wirklich vorhanden : dann ist noch um einen Grund
mehr vorhanden, nicht an Aristoteles zu denken, sondern an Demetrios,
•cuius oratio — wie Cicero sagt Grat. 26, 27, Brut. 82 — quum sedate
placideque labitur, tum illustrant eum quasi steUae quaedam translata
verba aut immutata.i Derselbe Cicero sagt von ihm (Brut. 9) u. A. auch
«hie primus inflexit orationem et eam moUem, teneramque reddidit, et
suavis, sicut fuit, videri maluit quam gravis : sed suavitate ea qua perfunderet
animoe, non qua perstringeret : tantum ut memoriam concinnitatis suae
non, quemadmodum de Pericie scripsit Eupolis, cum delectatione aculeos
etiam relinqueret in animis eorum, a quibus esset auditus.» Ich glaube,
wenn man dies liest, dürften einem die «Isokratischen Rhythmen» doch
noch vielleicht eher einfallen, als wenn man den Styl des Aristoteles «rhyth-
misch» zu geniessen sucht. — Alles in Allem wäre es doch zu riskirt, den
Text des British Museums kategorisch für ein Geisteserzeugniss des Aristo-
teles erklären zu wollen, zumal solche Belege vorliegen, dass sowohl die
'A*Tjvala)v icokixsia, deren Stellen Plutarch, Pollux, Harpokration und Sopa-
tros citiren, als auch der Text des British Museums von einem Demetrios
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•^^ DteR ABtBTO*rteLteB-t>APtRtJS DfcS BlUtlSÖ MÜSBÜM^.
von Phaleron herrühren können. Ja können, denn mehr will ich auch nicht
l)ehaupten. Die Thatsache, daes die Schrift des Demetrios flepl twv 'A^vr^oi
7toXtt6i(bv von keinem Zeitgenossen und auch von keinem späteren Griechen
oder Römer dem Namen nach citirt wird, diese Thatsache überzeugt mich
in entgegengesetzter Bichtung wohl noch keineswegs. Auch die 'AdY]vato)v
:coXiteia figurirte Jahrhunderte lang unter den Werken Xenophons : und
obwohl man weder von Phrynichos noch von dem unbekannten Oligarchen
nus der Umgebung des Thukydides «Sohn des Melesias» je eine Zeile*
gelesen hat: mau würde es heutzutage dennoch für eine Akrisie halten,
wollte man jene 'Adir]va[ü)v icoXiteia aus den letzten Jahren des Perikleischen
Zeitalters trotzdem um jeden Preis als das Werk des Verfassers der ' Avapa-^tc
gelten lassen. Hat denn die «Oikonomik» nicht auch Jahrhunderte lang als
das Erzeugniss des Aristoteles und sogar der «Epinomis« als das Erzeugniss
des Piaton figuriren können, ohne dass Jemandem eingefallen wäre, jene
ganz ernsthaft dem Theophrast und diesen dem Phiiippos von Opus zu
vindiciren ? Nun sei dem wie immer; eines ist gewiss: der Text des British
Museums enthält eine wahre Fundgrube höchst interessanter Angaben,
welche so manche Partien der athenischen Yerfassungsgeschichte auf eine
völlig neue Weise beleuchten. Abgesehen von den sonst gewiss recht inter-
essanten staatsrechtlichen Verschwommenheiten, welche uns die Schrift
auch in ihrem auf uns gelangten Torso in Bezug auf Jons und Theseus' Zei-
ten zum Besten gibt, sind aus dem verfassungsgeschichtlichen Berichte über
die Cap. 41 betonten 1 1 (letaßoXa^ — ausser Jons grundlegendem Synoikis-
mos und Phylenerrichtung- die Verfassangsphasen des Theseus, Drakon,
Solon, Peisistratos (den die Schrift zuweilen niaiarpdxot) schreibet), sowie
des Eleisthenes, Aristeides, Ephialtes, der 400, der restituirten Demokratie
(Therameues) der 30 und der zum zweitenmale unter dem Archonten Pytho-
doros (nicht Eukleides ?) restituirten Demokratie — besonders hervorzuhe-
ben : 1 . die tdSu; Tf)<; ip^a^ac icoXtteCa^ vor Drakon, beruhend auf einer Herr-
schaft der genealogisch verklärten Geschlechter und des Reichtums —
(ipi(TrtvS7]v xQil icXootCvSiQv und culminirend einerseits zuerst in lebenslängli-
chen, nachher aber in zehnjährigen Archonten (ßaoiXeii;, nok&\kOLpyoi;, äpxwv)
und andererseits in dem Bäte auf dem Areiopage; der Bat auf dem Areiopag
soll sich schon damals, d. i. vor Drakon, aus den austretenden Archonten
ergänzt und sowohl die höchste Begierungs- resp. Verwaltungsbehörde als
auch den höchsten Gerichtshof abgegeben haben. — Cap. 3 : tt^v (liv tdjtv
tlye toü 8tanf)petv toü(; v6(i.ooc, 8t<f)xet 8^ ta TuXetota xai ra |i^7tota t<bv ev rj
i:6Xet, xal xoXdCooaa xal l^7i^(io)boa jcdtvtac toü<; (ixoo(ioüvtac xop^ox;. Das kann
jedoch erst eingetreten sein, nachdem die jährlich erwählten neun Archonten
* Abgesehen von den Worten, welclie ihm Tlmkydides der Geschichtschrei-
ber u. A. in den Mund zu legen liebten.
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DER ARI8T0TBLB8-PAPYRÜ8 DBS BRITISH MUSEUMS.
349
schon da waren, deren Collegium 68i2 v. G. zugleich mit der Abschaffung
des Decennial-Systems eingeführt worden zu sein scheint. Auf die Schilde-
rung, laut welcher der König — ßa-siXsü«; — als solcher noch von Verfas-
sungswegen weiter zu fungiren hatte, nachdem er bereits einen grossmäch-
tigen CoUegen in dem Polemarch und einen zweiten, minder mächtigen in
dem äpxö>v erhalten hatte, ist vorläufig kein besonderes Gewicht zu legen. —
2. Die xdiit; der auf diese icpwrr) jcoXiTsta (cap. 4) folgenden J)ra/[;on'schen
Verfassung. Die Ausübung der Souverainitätsrechte — hier bedeutet soviel
die TcoXtxeta — wurde denen übergeben, welche fähig waren sich aus eigenen
Mitteln mit Waffenrüstung zu versehen — aTceS^Soto (i^) nokizzia xoU SicXa
3capsxo|iivoic. Also nicht Prodikos von Keos, nicht Phok^lides oder Pseudo-
Phokylides, nicht Theramenes ist der Erfinder dieses Gedankens : schon die
Drakonische Verfassung hat ihn verkörpert ! Man wählte die neun Archon-
ten, so wie die Schatzmeister — xa^ia<; — aus der Reihe jener Staats-
bürger, welche ein freies Vermögen von mindestens 10 Minen, die übri-
gen Beamten aus der Beihe der Selbstbewaffnungsfahigen — oicXa
3cap(8/o|iiva>v) ; — die Strategen und Hipp irchen jedoch aus der Beihe
derer, welche mindestens ein freies Vermögen von 100 Minen und Kin-
der aus rechtmässiger Ehe über 10 Jahre hatten. Nun folgt eine lücken-
hafte Stelle im Texte, die — leider — sehr verdorben und eben deshalb
unverständlich ist. Der Staatsrat — ßooXi^ — war schon vorhanden
auf Grund dieser Drakon*schen Verfassung, bestand aus 401 Mitgliedern,
welche aus der Gesammtheit der Staatsbürgerschaft — touc Xaxövta^ sx r^<
xoXitetac — erloost wurden. Die Mitglieder dieses Staatsrates, so wie die
übrigen Beamten wurden aus der Beihe derer erloost — xX7]poöa^ai — welche
ihr 30. Lebenerjahr bereits überschritten hatten. Mithin scheint Drakon,
der • entsetzlich strenge Codificator des Strafrechtes», zugleich der Ein-
führer des Looses gewesen zu sein. Auch die timokratischen Bangolassen
der Pentakosiomedimnen, Hippeis und Zeugiten bestanden schon auf Grund
der Drakonischen Verfassung. Drakon hat den Areiopag zum Wächter der
Gesetze gegenüber der Verwaltung gemacht : sein Areiopag erscheint schon
als eine Art Staatsgerichtshof — cap. 4 : cp6Xa4 i^v xm v6|i.6i>v xai St8nQp(8i xa)^
Äpxa? Sico)^ xata xofx; v6|jloo^ äp^cootv. — Die (freie) Bevölkerung blieb —
setzt der Text emphatisch hinzu — dermassen verschuldet, dass sogar die
Körper dieser verschuldeten Staatsbürger ihren Gläubigern verpfändet waren,
und die Staatsgewalt lag (thatsächlich) in der Hand einiger Weniger. Um
diesem Zustande ein Ende zu machen, erhob sich das Volk — Siy]|i.o^ — gegen
die Vornehmen — 7Vft)pf(i.ot^. — Der Elegiendichter Solon wurde nun zum
Pacificator und Archon — StoXXaxti^v xal äp^ovra — erwählt Solon über-
nahm die höchste Gewalt — %6pto« — und befreite das Volk — töv SfJitov —
für die Gegenwart sowie für die Zukunft. Er bewerkstelligte die Seisachthie —
und ordnete das Staatswesen auf Grund einer neuen Verfassung, wobei die
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350 PER ART8T0TET.E8-PAPYRTTS DES BRITISH MUSEUMS.
Drakon'schen Gresetze — mit Ausnahme der Strafgesetze über den Mord —
ausser Kraft gesetzt wurden. Die Gesetze Solons sollten 100 Jahre lang
GOtigkett lukben. Er heliess die bestehende — xal :cpötepov — timokratische
Eintheilung der StaalBbürger in Pentakosiomedimnen, Hippeis, Zeugiten
und Theten. Beamten konnten nur Fentakosiomedimnen, Hippeis und Zeu-
giten werden, so die 9 Archonten, die ächatrareiBter — tafitac — , die Poleten,
die Elf, die Eolakreten : alle diese Aemter durften nur im Verhältniss zu
ihrer Wichtigkeit aus der betreffenden Vermögensrangclasse besetst werden.
Den Theten ertheilte er nur das Becht, an der Ekklesie und an des Ge-
schwornengerichten — Stxaanjp^oDv — teilzunehmen. (Pentakosiomedimnen:
500 |iitpa ta ot)vd(i.f cd $Tjpa xal o^pa — Hippeis : 300 {litpa oder wie einige
behaupten das iicicotpocpsiv — Zeugiten : mindestens !200 (tetpa ; die weniger
hatten, Theten). Auch Solon liess die Aemter durch das Loos besetzen, ledig-
lich jedoch aus der Beihe derjenigen, welche die Phylen zu diesem Behufc
zu Gandidaten — icpoxpCtcov — erwählt hatten. Eine jede der 4 Phylen er-
wählte 10 Prokriten, und aus diesen wurden die 9 Archonten erloost. Einst
hatte der Areiopag selber ein jedes Amt nach seinem eigenen Gutdünken
besetzt, wobei es dem Areiopag ausschliesslich auf die geeigneten Männer —
sicitigSeiov — ankam ; später, lange-lange nach Solon 's Zeiten wurden sogar
die Prokriten erloost — cap. 8 : xXYjpoöv — Solon behess die 4 Phylen und die
4 Phylobasileis. Jede Phyle enthielt 3 tptttösc — jede rptttöc 12 Naukrarien.
Den Naukraren lag es ob, für Eintreibung der eioffopd und für Veraus-
gabung? der SaicCdvac) zu sorgen. Solon setzte den Staatsrat — ßooXiQ —
aus 400 Mitgliedern zusammen, 100 aus jeder Phyle ; den Areiopag bestellte
er zum Wächter der Gesetze — vo(i.o(poXax8lv — im Sinne der ererbten
Staatsordnung — iictoxoicoc o(6)oa tfj^ i:oXtTsta(; sc td te äXXa xal td zkslrca
xal td (li^tota twv TuoXttwv Sien^pei xal toöc aiiaptdvovtac Y)5dov6v xop{(a) oo(oa
Toö CiQH.i(oöv) xal xoXdCetv — auch sass er zu Gericht über diejenigen, die sich
zum Sturze der Demokratie to6< ^;cl xatoXäaei toö Siq|i.o!) aov(t)ota[iivoD<; —
verbunden hatten. Im fünften Jahre nach der Begierung Solons machte
zuerst Damasias den Versuch sich gegen die Verfassung aufzulehnen, indem
er, der blos auf 1 Jahr zum Archon erwählt wurde, 2 Jahre und 2 Monate
im Amte sitzen blieb; sodann aber gewann ^e Reaclion der Eupatriden
Oberhand : man erwählte 10 Archonten : darunter 5 Eupatriden, 3 Agroiken
und 2 Demiurgen. Zu dieser Zeit — setzt der Text hinzu — war das aller-
gewaltigste Amt das Archontat: die Besetzung desselben gab Anlass zu end-
losen Zwistigkeiten.
Diese völlig neue Angabe bestätigt nur, was ich (Demokratie I.) über
den Grund der Popularität, sowie über die demokratische Natur der Tyran-
nis des Peisistratos gesagt habe. Der soeben erwähnte Sieg der eupatridi-
schen Beaction trieb die Masse der athenischen Staatsbürger in die Arme
des Peisistratos, der die völlige Unzufriedenheit des Volkes mit der timokra-
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DER ARI8T0TBLB8-P>PYRÜS DES BRITI8H MUSEUMS.
351
tischen Freiheit, trotz der Seisachthie, mit Scharfblick erkennend, seiae
Tyrannis auf eine ernsthaft consequente und energische Durchführung der
staatsbürgerlichen Rechtsgleichheit zu begründen suchte, und mit Erfolg.
Weit entfernt davon, mit den Ueberresten des Eupatridentums politisch lieb-
äugeln zu wollen, wurde er der Bahnbrecher und Lehrmeister der Demo-
kratie, wie noch keiner unter seinen Landsleuten — cap. 13: dfwsjo^vmzaxot;
etvat Soxcbv. — Nicht nur die Armen als solche, auch die Söhne der geneolo-
gisch nichtverklärten Geschlechter, noch mehr aber die Staatsbürger nicht
völlig reinen Ursprungs suchten bei ihm Hilfe gegen die ererbte Bedrückung,
welche unter dem wohlklingenden Namen der aüherkömmlichen Freiheit
die Menge peinigte — xal ol xcp y§vsi (it^ xa^pol 8ta töv ^ößov. — Nun Mr.
Kenyon konnte ein Liebäugeln des Peisistratos mit der eupatridischen Beac
tion aus diesem Texte herauslesen : ein staatswissenschaftlich geschulter Phi-
lolog, der weiss, was das Wort xaraoraotv in dem Satze ott (leta n^v TDpdvvcov
xatdotaotv eicoiijoav Stat^tj^topiöv o)^ icoXXödv xotvo)vo6vttt>v r^c ÄoXttsia^ oö
TcpoafpKjoy bedeutet, wird diesen Sia(pt)<pia(i.6v gewiss nicht als eine auf die
Herstellung eupatridischer Präponderanz abzielende Abstimmung auffassen,
sondern nur als einen Akt der Dankbarkeit der Menge, welche der Aus-
übung seiner Souveränitätsrechte gern entsagte, um die Staatsgewalt in der
Hand eines Einzigen wie Peisistratos concentrirt zu sehen, xatdata^si«; be-
deutet nämlioh nicht nur die allererste Verkörperung irgend einer Staats-
ordnung, sondern wohl auch das Fortbestehen derselben; auch scheint
topdwfidv ein Lapsus des Abschreibers zu sein anstatt topdvvoo. Alles in Allem
sagt der Text des British Museums lauter Dinge, welche meine verfassungs^
politischen Ausführungen in Betreff der demokratischen Natur der Tyrannis
des Peisistratos nur bekräftigen können. Der Text weiss nichts von dem
conservativen Princip, resp. Kastengeist, welcher diesen nicht minder auf-
geklarten ak hochbegabten Gewalthaber zur Einführung seiner angeblichen
Kleider-Ordnung angestachelt haben soll ; Peisistratos — der sanfte Men-
schenfreund— cap. 15: cpiXdcv^p(i)7co<; i^v xal ;cpa:o^ hatte seine Landsleute
vor Allem zum Ackerbau im ernsthaftesten Sinne des Wortes anhalten wol-
len, um hiedurch einerseits dem Pauperismus sowie den ewigen parteipoli-
tischen Wühlereien steuern, anderseits aber — in Folge der SexdiT) — der
Staatscasse einen namhaften Zuwachs verschaffen zu können. Wenn er also
auch ein besonderes Kleidungsstück (oder eigentlich nur Kennzeichen) den
Bewohnern des flachen Landes vorschrieb : so geschah dies wohl nur, um die
allzuhäufig in die Stadt strömenden landjunkerlichen und bäuerlichen Fau-
lenzer und Bummler mit wachsamer Sorge verfolgen zu können. Peisistratos
regierte staatsmännisch und nicht tyrannisch — |i.atXXov icoXitixco^ t)
topawix^ — er erfreute sich einer allgemeinen Beliebtheit : er gefiel den
Vornehmen — ^iapl^ay^ — ob seiner Bildung und die Menge liebte ihn wegen
seiner volksfreundlichen Natur — tö 8Y)|i.ottxöv slvai x(f -Jj^t xal (ptXdvd-pwjcov.—
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352 PER ARISTOTELEß-PAPYRtTS DBS BRITISH MUSEUMS.
Darum konnte er sich so lange in der Regierung aufrechterhalten und so
oft er auch verdrängt wurde, die höchste Gewalt immer wieder mit leichter
Mühe zurückerobern. Nach dem Text sei es dieser menschenfreundlichen,
weisen Regierung des Peisistratos zuzuschreiben, wenn die Athener, auch
nachdem sie bereits ihre Freiheit zurückerlangt hatten, von Gesetzwegen
keine härtere Strafe auf den Versuch, eine Tyrannis zu gründen, oder auf
den einem solchen Attentäter geleisteten Beistand gesetzt haben, als die
Atimie und den Verlust der staatsbürgerlichen Rechte. — Neu ist die
flüchtige Erwähnung eines Au&tandes, den ein gewisser Kedon gegen die
Söhne des Peisistratos versucht haben soll. Den Kkisthenes nennt der Text
rjYS|iü)v und toö SrjpLoo ::f>ootdTYj?. Im vierten Jahre nach der Vertreibung
der Söhne des Peisistratos habe Kleisthenes die 4 Phylen aufgehoben und
sämmtliche Staatsbürger in 10 neue Phylen eingereiht um eine Vermi-
schung (d. i. Vereinheitlichung) der Staatsbürgerschaft herbeizuführen, da
er auf diese Weise die Anzahl der an der Ausübung der Staatsgewalt Teil-
nehmenden erheblich steigern zu können hoffte; cap. 21: — ava|i.i4ai
ßot)X6(isvo(; Zkia<; (isTdo/oDai wXeiooc tyJc iroXttstac — . Aus diesem Grunde
machte er die Zugehörigkeit zu den Phylen vollständig unabhängig von
jedweder Prüfung in Betreff der Zugehörigkeit zu den Geschlechtem —
Y^vTj. — Dann erhob er die Anzahl der Mitglieder des Staatsrates — ßooXiQ —
von 400 auf 500, von jeder Phyle 50. Kleisthenes errichtete zielbewusst
nur 10 und nicht 12 Phylen, damit die 12 Trittyen ja nicht etwa mit
jenen irgendwie zusammenfallen; das Land — tt^v ^((opav — teilte er
gemeindeweise — xatd SrjpLoix; — in 30 neue Trittyen ein (10 Ttepi
zb aaro, 10 Tf)c TuapaXta^, 10 tyJc (isooYetoo) und in eine jede der 10
Phylen reihte er je 3 Trittyen ein und zwar derart, dass eine jede Phyle
eine städtische, eine küstenländische und eine binnenländische Trittys in
sich enthielt. Kleisthenes machte all diejenigen, welche in irgend einem
Sfjji.o«; wohnten, zu Demoten und verordnete, dass man die Neubürger —
veoÄoXttac — officiell nicht nach ihrem Vater — (i.t^ jcatpöftev — sondern
nach den Gemeinden — S-fj^oi — benenne, in welchen dieselben wohnen.
Hiedurch wollte er all den Vorurteilen geneologischen Selbstbewusstseins
steuern, welche bis auf seine Zeit einer gehörigen Verwertung der staatsbür-
gerlichen Rechtsgleichheit im Wege standen. Kleisthenes stellte auch De-
marchen mit derselben Gompetenz auf — si:t|idXsiav — welche früher den
Naukraren zukam : dann hatte er die Demen — 8fj|Jiot><; — an die Stelle der
vaoxpaptÄv eingeführt. «Auf dieser Grundlage wurde die Verfassung —
TüoX'.teta — bei Weitem volkstümlicher — 87](ioTtx(ür^pa jcoXö — als die
Solon'sche gewesen ist; Solans Gesetze kamen unter der Tyrannis axisser
Gelturuf — too« (i.^v XöXcovoc vöjigoc Atpavtaai tV^v topavvCSa Sid t6 (i.t^ -/pfjo^t.
Kleisthenes machte nun ganz neue Gesetze ; dabei schwebte ihm jedoch nur
ein Ziel vor den Angen : die Gesammtheit der Staatsbürger — toö icXi^^tK — .
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DBB ARTSTOTELE8-PAPYKÜS DBS BRITISH MUSBUMS. ^53
Zu diesen seinen Gesetzen gehört wohl auch der über den Ostrakismos, das
recbteigentlich nur darum geschaffen wurde, um die Verwandten und Freunde
der Peisistratiden entfernen zu können. Der Ostrakisirte hatte die Wähl, ent-
weder auf der Südspitze von EiUboia zu wohnen, oder in Atimie zu verfallen.
Die 10 Strategen wählte man auch auf Grund der Kleistheneischen Verfas-
sung phylenweise aus jeder Phyle einen, aber der Chef des gesammten
Heeres -^ ty)(; 8^ iTüdcnic crcpattäc Tq78(id)v — war der Polemarch. Zwei Jahre
nach dem Sieg von Marathon ostrakisirte das Volk — damals wohl
schon in erhöhtem Selbstgefühl — ^appoövro^ -JjSyj toö 81^(1.00 — zum ersten
Male einen athenischen Staatsbürger : es war Hipparchos aus der Gemeinde
Kolyttos, ein Verwandter der Peisistratiden. — Bald hatte man darauf die
Eyamose der neun Archonten phylenweise aus der Beiheder 500Gandidaten —
icpoxpt^vTwv — welche die Demoten — 8Y)(iotü)v — erwählt hatten. Dies
geschah unter dem Archontat des Telesinos (487 v. C.). Unter dem Archon-
tat des Nikodemos entdeckte man die Bergwerke in Maroneia ,* mit den
100 Talenten, welche aus denselben in die Staatscassa flössen, liess The-
mistokles lOOTrieren erbauen, welche dann bei Salamis siegten. Man wollte
die hundert Talente unter den Staatsbürgern austeilen : doch Themistokles
verhinderte dies, um das Geld auf den Bau von Kriegsschiffen zu ver-
wenden.
Jetzt würde man erwarten, dass der Text von der Reform des Arisiei-
des berichte, nachdem einerseits der Text selber (cap. 41) ihn als den Initia-
tor einer Verfassungsphase betont und auch unsere Quellen von dem Psephisma
erzählen, wodurch Aristeides unter dem Drucke der im Seekriege angehäuf-
ten Reichtümer der Theten und zugleich aus Gerechtigkeit die Archonten-
stellen sämmtlichen Staatsbürgern, ohne Rücksicht auf ihre Vermögensrang-
classe, mithin wohl auch den Theten eröffnet habe. Der Text weiss nichts
von einer derartigen Reform der Verfassung. Derselbe schreibt jedoch dem
Aristeides eine staatsmännische Thätigkeit zu, welche diesen nichtsweniger
denn als einen conservativen Politiker erscheinen lässt. Nicht nur soll Aris-
teides den Athenern sowohl die Massregelung der Bündner als auch jene
Politik der staatlichen Besoldungen suggerirt haben, welche dann ziel-
bewusst zu einer Plünderung der nach Athen verschleppten Delischen Bun-
descassa führen musste — um u. A. auch 20,000 Männer mit Sold versehen
zu können, welche der Text als besoldete Organe des athenischen Staats
betont — cap* 24 : xaxionjaav H xal tot? tcoXXoI«; söicopiav Tpo?pfJ(;, Soirep
'AptOTsC8t]< eloTfjfi^cjato — oovdßatvsv ^dp inb zm cpöpcöv xal zm teXäv xal
(}oti|i.dx<ov 7ckBlory<: ri Sto(JLt>p(oD<; $v8pa(; tp^tpsolfat — sondern auch dadurch
soll Aristeides ein gewaltiger Beförderer der Demokratie geworden sein, dass
er die Landleute massenhaft in die Stadt heranzog, um die politische Kraft
des Demos steigern zu können.
Recht interessant und völlig neu ist für uns die leitende Rolle, welche
UngAriMli« Bara«, XI. 1891. FV. Heft. 23
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3^^ DER ARISTOTELBe-PAPYBUS DES BRITISH MUSEUMS.
der Areiopag sich allsogleich nach den Perserschlachten zurückerobert und
über 17 Jabre hindurcb stets unversehrt ausgeübt haben soll. Der Areiopag
habe i^ein standgehalten und das Volk auf die Schiffe zu locken gewusst,
indem derselbe einem jeden Staatsbürger acht Drachmen in die Hand gab,
wo selbst die Strategen schon den Kopf verloren und dem Volke ein •Bette
sich — v)er — kann» zugerufen hätten : dieses mannhafte Auftreten des
Areiopags habe diesen wieder an die Spitze des athenischen Staatswesens
gebracht. Wie ist dies nun zu erklären? Höchstwahrscheinlich hat Kimon,
dieser legendarisoh verklärte Held des massenhaften Seelenkaufs, nicht min-
der leutselig im geselligen Verkehr als kriegstüchtig und voll junkerlicher
Gesinnung, den Volksbeschluss des Aristeides vom Jahre 477 v. G. wied^
aufgehoben und das Archontat blos auf die Pentdkosiomedimnen und
Hippels beschränkt ; auch der Sold scheint wiederum rückgängig gemacht
oder erst später eingeführt worden zu sein, da sonst Myronides «6 YevvdSa(;i
nidit als der soldlose Repräsentant der tedeltüchtigen» Herrlichkeit gerade
dieser Jahre bei Aristophanes figuriren könnte. Auf der anderen Seite erhält
meine Schilderung des Kimon^achen Zeitalters im L Bande der Demokratie
auch darin eine nicht unerhebliche Bestätigung, dass der Text des British
Museums nicht das Mindeste von dem •gesunden Athenertum* weiss, welches
unsere orthodoxen Philologen — irregeleitet durch das politisirende Ge-
schwätz der grösatenteÜB durch junkerliche Ghoregen protegirten Dichter der
alten Komödie — gerade diesen Jahrzehnten, der •guten alten Zeit» des
Myronides und des Kimon, andichten zu dürfen wähnen. Massenhafter Unter-
schleif besudelt das Andenken der Archonten und sonstiger Politiker inner-
halb dieser, von unseren Orthodoxen so sehr besungenen Periode des
•gesunden Athenertums» auch nach der Schilderung des Textes des British
Museums. Ephialtes, den der Text einen unbestechlichen — iScopoSöxTipro^ —
und, wie wir sagen würden, ehrenhaften Staatsmann — S{xaio<; icpöc tifv
:roXiT8(av — nennt, hat sich eben dadurch eine politische Laufbahn zu eröff-
nen vermocht, dass er die unterschleifsüchtigen Areiopagiten — in ihrer
Eigenschaft als gewesene Archonten, massenhaft vor das Gericht laden und
sie dort wegen Unterschleif der Beihe nach verurteilen liess. — Allein auch
die Kriegstüchtigkeit dieses •gesunden Aihencrtums^ erscheint nach der Schil-
derung des Textes des British Museums durchaus nicht besser, als ich es
in meiner Demokratie — zum Entsetzen orthodoxer Kritiker — geschil-
dert habe. Das Volk von Athen wählte innerhalb der Periode dieses seinen
•gesunden Athenertums^ meist ahnenreiche Persönlichkeiten zu Strategen —
wahrscheinlich um recht stramm an den sogenannten altherkömmlichen
SiXten festzuhalten, deren •Zuckte ihm, gegenüber der hohen Geburt, noch
viel mehr aber dem legendarisch verklärten Stammbaum, stets unversehrte
Pietät gebot. Nun, die Strategen, welche dieses •gesunde Aihenertum* zu wäh-
len liebte, hatten glorreiche Ahnen genug, um einem solchen Postulat ent-
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DER ARISTOTELES-PAPYRUS DBS BRITISH MUSEUMS. 355
sprechen zu können — cap. 26 : Sia ra(; 7üatptxa(; 8ö4a^ — woran es ihnen
jedoch völlig fehlte, das war eben die persönliche Qnalification zum Feld-
bermamte * — diTrsEpcov toö 7coXe(ietv. — Teuer hatten die Athener diese
ihre conservative Liebhaberei bezahlen müssen: jeder Feldzug kostete
ihnen 2000 — 3000 Hopliten — ßirs ivoXtaxeo^at toö^ sictstxet<; xal toö
8ii\jj)o xai xmv eoiröpiDv. — Es geschah unter dem Arohontat des Konon, dass
Ephialtes dem Areiopag seine gesammte staatsrechtliche Competenz nehmen
und diese teils auf die ßooXi^, teils auf die Ekklesie — Sf]|jLO^ — teils auf die
Sixaan^pia übertragen Hess. Die gesammte staatsrechtliche Competenz ist in
dem Text mit den nachstehenden Worten** ausgedrückt: Sicavta icepisiXe xa
kni^za 8C m f^v ifj t^^ icoXtteta^ cpoXaxT). Dies geschah im Jahre 462 v. C. —
Ephialtes bediente sich bei der Durchführung dieser seiner Beform des
Bänkeschmiedes Themistokles als parteipolitischen Sodalen: doch die
Beform wurde von Gesetzeswegen — vöjjioog — zu Wege gebracht, und —
wie der Text berichtet — auch ein gewisser Archeslratos hatte einen
wesentlichen Anteil an diesem Acte athenischer Gesetzgebung. Ephialtes
wurde bald darauf durch Aristodikos aus Tanagra ermordet. In den ersten
Jahren der Demokratie des Ephialtes hat man an der Wahl — atjpeaiv —
der 9 Archonten noch nicht gerüttelt — wahrscheinlich hatte der Areiopag
im Laufe seiner 17-jährigen Begierung diese Art und Weise der Besetzung
des Archontats restituirt — ; allein im sechsten Jahre nach der Ermordung
des Ephialtes hat das Volk beschlossen, die Candidaten für das Archontat —
7cpoxpivso*at — auch aus der Beihe der Zeugiten zu erloosen — xal Ix
CeoYttcbv wpoxptveoftai toö«; xX7]pcooo|iivoü(; täv sw^a ip/övrcov — die Stelle ist
dunkel, man könnte sie wohl auch so verstehen, dass man fernerhin auch
aus der Beihe der Zeugiten Candidaten wählen Hess und aus der Beihe dieser
erwählten Prokriten hatte man dann die 9 Archonten eiioost. Der erste Archon,
der aus dieser Vermögensrangclasse das Amt einnahm, hiess Mnesitheides.
Die Worte : sl {itq tt Tcapecopdtto töv ev rot(; vö{W)t<; — scheinen darauf hinzu-
deuten, dass trotz des bestehenden Staatsrechts hie und da die Majorität
auch schon vor Mnesitheides im Sinne des Beschlussantrages des Aristeides
ihre Candidaten ins Archonten-Amt zu bringen verstand. Im fünften Jahre
nach dieser Beform stellte man die 30 Bichter auf — xata Stqjjlooc. — Drei
Jahre darauf gab Perikles sein bekanntes Staatsbürgergesetz — ti i^tfoly
AaTowtv. — Auch Perikles hatte seine Laufbahn damit begonnen, dass er
'^' Ganz anders war es bei den Eömem, wo sich die Kriegskunst als herkömm-
liche Erfahrung eine Zeitlang innerhalb des Patriciertums von Generation zu Gene-
ration forterbte, wie auch die vortreffliche Kriegstüchtigkeit dem hohen Adel
mancher modemer CuJturvölker gewiss nicht abzusprechen ist. Doch es ist eine
wahre Akrisie, wenn man auch die athemschen Verhältnisse auf eine analoge Weise
beurteilt wissen will, um nur dadurch als recht Mcomervativ erscheinen zu können-
** Man dürfte izi^i-x wörtlich wohl mit *AttrUmJtmt übersetzen.
• 23*
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356 DBB ARISTOTELES-PAPYRUS DBS BRITISH MUSEUMS.
einige Areiopagiten verurteilen liess, sowie er wohl auch dem Kimon einen
Process bei der Becbenschafisabnahme anhängte. Perikles pflegte vor Allem
die Seemacht. Das Volk — 8yJ(i.o<; — nahm jetzt die Verwaltung des Staates
selber in die Hand. Die Zusammenhäufung aussergewöhnlich grosser Men-
sohenmassen in der Stadt während des Peloponnesischen Krieges, welche
schon gewohnt waren, auf den Feldzügen besoldet zu sein — (itadt>^op8tv —
brachte diese unmittelbare Selbstverwaltung der Massenherrschaft zu Stande.
Perikles gab den Bichtern Sold — (i.toOt)cpöpa ra Sixaotfjpta — um dadurch dem
parteipolitischen Seelenkauf des steinreichen Kimon zu steuern. Damonides
aus Oa gab diesen Bat dem Perikles ; auch den Peloponnesischen Krieg soll
dieser auf dessen Bat begonnen haben. Zu dieser Zeit kam auch das Be-
stechen der Gerichtshöfe — tö SsxaCetv — in Aufschwung. Der Strateg Anytos
soll dazu zuerst ein namhaftes Beispiel gegeben haben.
Unter der Prostasie — Tcposton^xst toö St^iioo — des Perikles güig es mit
der Staatsverwaltung noch besser ; nach seinem Tode ward es bei Weitem
schlechter. Und was hat diese VerschUmmerung herbeigeführt? Die Albernheit
des Volkes — 8f)|jioc — , das seit diesem Zeitpunkte nimmermehr darauf
sehen wollte, dass ihre Prostaten — 7cpoatatY)v — alle jene Eigenschaften in
sich vereinten, welche die QuaUfication der zur Verwaltung des Staates taug-
hchen Männer — tot^ lictetx^otv — kennzeichnen. Auch der Text des British
Museums rügt an Kleon, den derselbe den Sohn des Kleainetos nennt, sein
unbesonnen ungestümes Wesen und seine geschmacklosen Manieren auf
der Bednerbühne. KleopJion der Leiermacher — XDpojcotd(; — habe die Dio-
bolie — n^v StwßoXCav — eingeführt, Kallikrates aus Paiania erhöhte den
Sold auf drei Obolen. Später wurden Beide hingerichtet ! Seit Kleophon
trachteten die Demagogen das Volk nur durch Waghalsigkeiten und Schmei-
cheleien zu gewinnen, und hatten es nur auf die Interessen des Augenblicks
abgesehen. Theranienes habe alle Begierungen nur mitgemacht, um unter
allen Begierungen gegen das Böse ankämpfen zu können.
Die Einsetzung der Probulen allsogleich nach der Katastrophe auf Si-
kelien erwähnt der Text mit keinem Wort ; die Einsetzung der Vierhundert
schildert er auf eingehende Weise, jedoch so, dass dabei Thukydides (De
Bello Pelop. Vni) als ein durchaus schlechtunterrichteter Zeitgenosse er-
scheinen dürfte. Ein Melobios tritt als ekklesiastischer Vorkämpfer der
tcbv tsTpaxooCcov nokixBla — (cap. 29) in den Vordergrund und Pythodaros als
formeller Antragsteller. Das Volk habe die Demokratie blos aus dem Grunde
zu Gunsten der 400 gestürzt, weil man ihm weiss gemacht habe, dass der
Perserkönig nur unter dieser Bedingung den Athenern Geld zur Fortsetzung
des Krieges hergeben werde. Pythodoros beantragte die Wahl — töv SfJitov
k\iod-ai — von 20 Männern (über 40 Jahr alt), damit diese mit den bereits
vorhandenen 10 Probulen einen Vorschlag ausarbeiten über die Wege und
Mittel, welche zur Bettung des Vaterlandes führen würden ; auch sonstige
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DKR AttlÖTÖTßLfiS-PAPtRÜS DfiS BJOTISfi MUSEUMS. So?
Staatsbürger seien jedoch befugt ein solches Gutachten einzureichen. Das
Volk entscheide sich dann für den Vorschlag, den es für den allerbesten
unter sämmtlichen hält. Kleitophon unterstützte den Antrag des Pythodoros,
doch verlangte er noch dazu, dass die Commission — ol aipe^^vts«; — auch
zugleich die Gesetze des Kldsthenes — tki xa^biT) tV^v 8Y](ioxf>aT{av — zu-
sammenschreibe, da die Verfassung des Kleisthenes durchaus nicht volks-
tümlich — w<; 00 8Y)(JL0TtxVjv — sondern mit der So/on'schen nahe ver-
wandt gewesen sei. Alle diese Anträge wurden angenommen; die Ypa^ilJ
:rapavö(i.a)v sowie die Eisangelien und TcpoxXi^aeK; wurden aufgehoben, um
der Bedefreiheit freie Zügel zu lassen ; wer dagegen sündigt, soll mit dem
Tode bestraft werden. Dieselbe Commission verordnete nun, dass alle Staats-
gelder nur auf Kriegszwecke verwendet werden dürfen ; — abgesehen von den
9 Archonten und den jeweiligen Prytanen, die 3 Obolen täglich beziehen
werden, soll kein Beamter — ipx«? — einen Sold beziehen, solange der
Krieg nickt beendet ist — iax; av 6 7cöXs|i.o<; -g — ; zu der Ausübung der Sou-
veränitätsrechte — iroXttsia — sollen unter den Athenern nur diejenigen
befugt sein, solange der Krieg nicht beendet ist — io)« av 6 7cöXs(ioc •g —
welche sowohl zum Kriegsdienst als zum Leiturgien-Dienst am Besten pas-
sen ; die Anzahl dieser Bürger soll jedoch nicht geringer sein, als 5000 ;
ausserdem soll jede Phyle 10 Männer aus der Beihe derjenigen erwählen,
welche ihr 40. Lebensjahr bereits überschritten haben, und diese 100 Männer
sollen beeidet die 5000 ausersehen — xataX^Soüot. — All dies wurde von
Volkstagswegen angenommen — xopw^^vtcöv — und die 5000 wählten jetzt
100 Männer zur Ausarbeitung der Verfassung — to6« iva^pd^povrac tt^v
icoXtteCav. — Die 100 Männer unterbreiteten — ^ST^vs-pcav — ihre Vorlagen :
Die Mitglieder der ßoDX*^ sollen keinen Sold beziehen, und sollen über 30
Jahre alt sein; gleichfalls ^ über 30 Jahre alt sollen sein die Strategen, die
9 Archonten, der Hieromnemon, die Taxiarchen, die Hipparchen und Phyl-
archen sowie die Wachpostenbefehlshaber und die Schatzmeister der Göttin
und die 10 Schatzmeister der anderen Götter, die Hellenotamien, die 20 Ver-
walter der gesammten übrigen heiligen — 6ota)v — Güter, die Hieropoien
und die 10 Epimeleten. Alle diese sollen erwählt werden und zwar aus der
Beihe — wXsCooc — jener Candidaten — icpoxptxtov — welche die jeweiligen
Mitglieder der ßooXiQ vorschlagen werden — ix twv iel ßooXsoövtcov icXeloog
irpoxpCvovtac — die übrigen Aemter sollen indess erloost — xXirjpcoTdc — und
zwar nicht aus der Beihe der von Staatsratswegen Prokrinirten erloost werden.
Die Hellenotamien, welche Gelder verwalten, dürfen nicht Mitglieder des
Staatsrates sein. Der Staatsrat zerfällt in 4 Sectionen ^ — Senate, — ßooXac
* und • Der Text hier ist entschieden comipt und harrt einer gründlichen Emen-
dation, darum gehe ich auch hier nicht weiter in die Details ein. Was Mr. Kenyon
p. 84 hiezu sagt, ist eine harmlose Hypothese.
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358 DKit A»IST0TBL»8-I>Al>tÄÜS Mß ÖRlTlgH MtJSfiÜMft.
8i xoiYjoat t^rcapac. — Der Staatsrat verwaltet nach seinem Gutdünken das
öffentliche Vermögen, sieht nur darauf, dass es unversehrt — awa — bleibt
und Ausgaben nur zur Bedeckung wirklich notwendiger und votirter Posi-
tionen gemacht werden,^ die übrige Verwaltung leitet der Staatsrat nach
seiner besten Möglichkeit. Falls der Staatsrat es für nötig erachtet, so ergänzt
er sich durch die Heranziehung von Epeiskleten, welche jedoch ebenfalls
über 30 Jahre alt sein müssen. Batssitzungen werden der Regel nach jeden
fünften Tag gehalten, falls nötig, wohl auch öfter. Die Mitglieder des Staats-
rates werden nicht erwählt, sondern erhalten ihre Stelle durch das Loos ; die
flrloosung derselben leiten die neun Archonten ; die Gheirotonien werden durch
5 erlooste Mitglieder des Staatsrates gerichtet ; für jeden Tag wird Biiner von
diesen 5 zum Leiter der Abstimmung — eicwpTj^'.oövta — erloost. Jetzt folgt
wiederum eine höchst wahrscheinlich corrupte, jedenfalls aber bis zur Un-
brauchbarkeit dunkle Stelle. Mitglieder des Staatsrates, welche zur fest-
gesetzten Stunde nicht im Buleuterion erscheinen, zahlen 1 Drachme Busse
tägUch.
Dieser Verfassungsvorschlag sollte jedoch erst in der Zukunft -- etc
töv (liXXovta — ins Leben treten ; für den augenblicklichen Bedarf machten
die Hundertmänner den nachstehenden Vorschlag. Die 400 sollen im Sinne
der herkömmlichen Staatsordnung — cap. 31 : xatdt td icdtpia als Staatsrat
fungiren, 40 aus jeder Phyle ; sie sollen genommen werden aus den Gandi-
daten — sx ÄpoxpCtwv — welche erwählt werden — SXwvrat — durch die-
jenigen Angehörigen der Phylen — (poXstat — , welche ihr SO-stes Lebens-
jahr überschritten haben. Die 400 sollen die Aemter besetzen *, die Eides-
formel feststellen, und in Betreff der Gesetze sowie der Bechenschaftsabga-
ben und sonstigen Angelegenheiten schalten und walten, wie es ihnen am
zweckmässigsten für das Gemeinwohl erscheint — Tcparrsiv -q 4v T^^Ävtai
(ot)(t)(p^pstv. — Falls sie staatsrechtliche GeMtze gehen, so sollen sie sich den
selben wohl auch fügen ; es sei verboten dieselben ausser Kraft zu setzen oder
au4^h nur abzuändern. — tot? 8^ vö(i.otc o? sdv te^wotv ;cepl täv itoXitixäv
)(pfjo^at, xal (i.'il) s$Etvat [istaxivstv (tT)8' et^poo(; ^^o^at. — Die Strategen
sollen für jetzt durch die 5000 ohne Bück sieht auf die 10 Phylen — i^
aTcdvtcov — erwählt werden ; der Staatsrat aber soll eine Musterung über die
Wehrkraft abhalten und sodann 10 Männer und dazu noch einen Schrift-
führer — Ypa(i(i.at^a — erwählen — kXio^i — und diese erwähUen 10
Männer sollen dann als Autokratoren regieren, gegebenen Falls, wenn sie
es für notwendig erachten, wohl auch im Einvernehmen mit dem Staatsrat
' Das To 8^ov kann hier weder mit Budget^ noch mit DiJtpodtiomfond tiber-
setzt werden.
* Oder einsetzen, d. i. nene Aemter errichten? Allerdings würde dies besser
der üblichen Bedeutung des xa7aoTf|9ai entsprechen; auch der Umstand, dass blos
] Hipparch erwählt wurde, scheint darauf hinzudeuten.
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— xal Äv tt SicDvtai ot)(tßot>X86ea^t {teta tfjc; ßooXYjc — 1 Hipparch und 10
Pbylarchen seien zu wählen ; im Uebrigen sollen sie in Betreff der Wahlen
v^ahren, wie dies die Vorlage — ta YSTPö^lM^va — vorschreibt. Abgesehen
Ton der ßouXi^ so wie von den Strategen soll es Niemandem gestattet sein,
ein und dasselbe Amt mehr als einmal zu verwalten. Auch sollen die Hun-
dertmänner Sorge kagen, damit die Einreihung der 400 in die 4 Sectionen
— Xiq46ic — ohne Beeinträchtigung der Rechte der ausserhalb der Stadt
wohnenden Staatsbürger vc^rgenommen werde.*
Die Menge — toö icXi^doo<; — hat den Vorschlag akigenommen — lictxo-
pa»^dvt(ov — der alte Staatsrat hat sich au|gelöst> und die 400 übernehmen
die Regierung. Peisandros, Antiphon und Theramenes, diese braven
Männer — 'f8Y8VTj(iiva>v eo — voll Scharfsinn — oovdost — und Gedanken-
reichtom — T^^V'^ — hatten hauptsächlich diese Umwälzung bewirkt.
Freilich sind die 5000 blos dem Namen nach eingesetzt worden — 'gp^^-
oav — aber die 400 mit den 10 Autokratoren sind in das Buleuterion einge-
zogen uud übernahmen die Regierung; sie unterhandelten mit den
Lakedaimonern u. s. w. Vier Monate hindurch bestand die Verfassung
— Tcokiziia — der 400. Nach der Niederlage bei Eretria, wozu noch dann
der Abfall von Euboia hinzukam, setzen die Athener die 400 ab und über-
geben die Staatsgewalt — ta vpd'(^za — den selbstbewaffnungsfähigen
6000, unter der Bedingung jedoch, dass kein Amt besoldet werde. AriUO'
krates und Iheramenes haben die 400 gestürzt : denn sie konnten nicht
gutheissen, dass die 400 alles selber verrichteten, ohne die 5000 an der
Regierung teilhaftig werden zu lassen.
Nun auf diese Schilderung habe ich nur noch zu bemerken, dass die
Einsetzung 4er 10 AtUokratoren sowie die ausbedungene Herrschaft staats-
rechtlicher Gesetze die Oligarchie der 400 wohl in einer Beleuchtung erschei-
nen lassen, von welcher man auf Grund der Schilderung bei TImkydides
nicht die leiseste Ahnung haben konnte. Anderseits muss ich auch einge-
stehen, dass der Text des British Museums die phylenweise vorzunehmen-
den Wahlen ^uch innerhalb der Verfassung der 400 figuriren lässt, was ich
in meiner DemokrcUie für ausgeschlossen erachtet wissen wollte. Der Text des
British Museums lobt das Veriassungsleben der 5000 nahezu mit denselben
.Worten wie Thukydides. Als Vorkämpfer der Partei, welche nach der Nie-
derlage bei Aigospotamoi xi^v icdtptov icoXiteCav suchte — gegenüber den
Anhängern der demotischen Massenherrschaft und der Oligarchie — betont
der Text den Archinos, Anytos, Kleüophon, Phormisios und vorzugsweise
den Theramenes. Auch nach dem Text hat das Machtwort des Lysandros
dem Volke von Athen jetzt die Oligarchie aufgezwungen. Den Vorschlag
* Die Stelle ist ofienkundig oorrupt, wie dies auch Mr. Eenyon p. 88 con-
statirt
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^ÖO DSU A&IÖTOtfilJBS-PAPYRÜft Dfc8 BÄITiSH MÜSfcÜMö.
tnachte DraJcofUides aus Aphidna. Die Begierung der 30 habe sowohl die
500 Mitglieder der ßooXT^ als auch die übrigen Amtsetellen — ta(; BXat;
dpx«^ — aus Candidaten besetzt, welche die 1000 — cap. 35: sx tov
/tXCfiDv — bestellt hatten ; wie aber diese 1000 selber bestellt wurden, hierüber
sagt der Text kein Wort Auch hätten die 30 die Archonten des Peiraieua
und die 1 1 Gefängnisswächter so wie auch 300 Peitschenlräger — {laoriYO-
f öpot>^ Tpta(x)ootoD(; uiaipixa/; — zu sich genommen und mit Hilfe aller
dieser Organe hätten sie den Staat beherrscht. Im Anfange benahmen
sie sich den Staatsbürgern gegenüber maassvoll ; ja, sie geberdeten sich
" — icpoosicoioövto — als wollten sie den Staat im Einklänge mit den
Maximen des altherkömmlichen Yerfassungslebens — Sioixelv v^ icdctptov
iroXtTsCav — verwalten ; sie hoben die Gesetze des Ephialtes und Arche-
Stratos über den Areiopag auf, so auch die So/on'schen, insofeme
diese durch streitige Ausdrücke Anlass zu Controversen gaben — 8ta|f
tpi(3pY]t(T^o)ei(; — auch toben sie die souveraine Gerichtsherrlichfceit —
t6 xöpoc — der Geschwornenrichter — Stxaotatc — auf und trachteten
die Normen des Staats- und Rechtslebens — icoXttefav — unzweideutig —
Äva(i.^taßi^i7)tov — zu machen. So schafften sie u. A. wohl auch das Gesetz
ab, welches die testamentarischen Verfügungen all derjenigen für nichtig
erklärte, welche anlässlich ihrer letzten Willensäusserung unzurechnungs-
fähig wegen Alterschwäche — -pjpwv — oder toll — (jLaviwv — > waren
oder der Intrigue irgend eines Weibes aufgesessen sind — fovatxi ici*6pLe-
vo<;. — und indem die 30 die testamentarische Freiheit von diesen Schran-
ken befreiten, steuerten sie einer Unzahl von Sykophanten-Kniffen. That-
sächlich hatte anfangs das Volk — wöXk; — eine wahre Freude daran,
als die Dreissig di6 Sykophanten, Volksschmeiohler, Intriguenmacher —
xaxoicpdYjtovac — und Bösewichte — 7covTf]po6(; — aus dem Wege räutnten.
Doch bald sollte es anders werden ; als ihre Machtstellung erstarkt war,
ermordeten — dtTc^xtetvav — die Dreissig die Reichen, die geneologisch Vor-
nehmen — tq) Y^vst — und die persönlich hochansehnlichen — (iSwü|ta^tv —
Staatsbürger nacheinander, um nur die Bevölkerung in Schrecken zu
versetzen und die Güter der Ermordeten an sich reissen zu können. Binnen
Kurzem haben sie nicht weniger denn 1500 Staatsbürger auf die iSeite
geschafft. — Theramenes opponirte ihnen und forderte, dass man die
Regierung den Tüchtigsten — tot<; ßsX^btotc — übergebe. Sie widersetzten
sich zuerst, später aber gaben sie sich doch herbei,' 2000 Staatsinkger auszu-
wählen — xataXsYooatv — als ob sie diesen läOOO die Staatsgewalt über-
geben wollten : denn Theramenes war bei der Menge beliebt und die Dreissig
befürchteten, das Volk — 8tq|ioo — könnte noch mit Therarhenes an derSpitze
— wpoatdnjc Yevö(jievo(; — die Dynastie der 30 — cap. 36 : ti^v Sovaorsiav —
zu Boden werfen. Theramenes wollte sich damit noch keineswegs zufrieden
geben. Er forderte die Uebergabe der Staatsgewalt nicht an 2000, sondern
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t)feli AtllBTÖtELfifl-l>APYRtJ8 D'ES'BlattBfi MÜSfiÜMS. '^«1
ab 3000 Staatsbürger, indem er behauptete, iächtig-taugliche Männer —
ktsix^ot — welche die zur Ausübui^ der Staatsgewalt erforderliche Qualifi-
caiion — Apetfj^; — besitzen, gebe es in Athen unter den Staatsbürgern
gerade 300Ö — cap. 36 : w^ sv to6T«|) tcp TcX-i^^t xf)<; iptvfi<; a>ptö|i.^Y)c. —
Ausserdem sei ihre Begierung zwar eine gewaltsame, doch vemakshlässigten
sie dabei das Interesse der Begierten. Dieser Satz kommt aueh bei Xeno-
phon vor (Hellen. II, 3, 19), scheint also wörtlich aus der Rede des Thera-
menes genommen zu sein. Die Dreissig fanden sich betroffen; liessen die
3000 zusammenschreiben: doch hielten sie ^en Katalog versteckt bei sich
und ^sehten die Namensliste von Fall zu Fall, je nach ihrem Gutdünken.- —
Nachdem Thrasybidos Phyle genommen, beschlössen die 30 die Leute zu
entwaffnen ucid Th^ramenes aus dem Wege zu räumen. Sie liesaen zwei
Gesetzesvorschläge durch die ßooXi^ annehmen; das eine Gesetz gab den
30 die autokratoirische Befugniss, wen immer Einrichten zu lassen, dessen
Namen in dem Kati^og der 30 nicht enthalten ist ; das zweite Gesetz scbloss
von der Staatsbürgerschaft — tfl(; Tcapo&oYjc icoXtteCa? — all diejeüigeü aus,
welche an der Niederreissung der Mauer von Eetoneia beteiligt waren, oder
den 400 keinen Gehorsam geleistet oder den Vorkämpfern^ der ^gegenwärti-
gen Oligarchie — der 30 — opponirt hatten. All das paöste auf Therame-
nes, der auch unter diesem Bechtstitel -. — eictxopwi^^^vtoDv täV v6{ia>v — hin-
gerichtet wurde. Zugleich wurden^ alldiejenigen entwaffnet, welche nicht zu
den 3000 gehörten. Nach der Eroberung von Munychia durch die Ehiigranten
setzten die Athener die 30 ab^ — xatlXooav — und wählten zehn Autokra-
toren aus d^ Beihe der Staatsbürger — cap. 38 : afpoovtat 8^^ fi^xa täv
9CoXitä>v a4toxptixTopa(; •— ^,*um den Krieg au feeenden. Diese zelin Autokrato-
ren suchten Hilfe bei und nahmen ein Darlehen auf -^ ^T^{iaTa 8av&tCö-
{isvoi — von den Lakedaimonem. Nachdeiii das ganze Volk abgefallen
^— iÄOdtdvto^ wavTÖc toö STfj|i.oü — wurden ^e 10 Autokratoren abgesetzt und
10 andere aus der Beihe det* Tüchtigsten gewählt — äXXooc; s'lXovto Sixa toug
ßsXt{(3T0t>c --^ die dann unter Mitwirkung des spartanischen Königs Paw^a-
fiias die Aussöhnung zu Wege brachten. Rhinon aus Paiania und Phaylloß
6 ' A^fpSoD^ oiöc — ? — standen jetzt an der Spitze — Äpo^tdn^x^oov* Rhinon
(den auch Isokrates oontr. Gallim. c. 7, p. 372 erwähnt) und seine Collegen
wurden sehr gelobt, was sie auch verdienten, denn obwohl sie ihr Mandat zur
Uebemahme der Staatsgeöchäfte — eittjiiXsiav — von der Oligarchie erhalten
hatten, haben sie dennoch vor der Den^okratie Beohenschaft abgelegt^ — e&^6*
va^ Jiooav — und Niemand hat i3ie gerichtlich belangen wollen — oöSelc
£vexdXsoe(v) — weder von denen, welche in der Stadt geblieben sind, noch
von denen aus dem Peiraieus. Bald darauf wurde Rhinon zum Strategen
gewählt — So erscheint nicht Thrasybulos wie bei Xenophon, sondern
Rhinon als die hervorragendste Gestalt anlässlich der Bestitution der Demo-
kratie. Unter dem Archontate des Ettkleides ist der innere Frieden —
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8iaX6(i8ic — auf Grund eines formellen Vertrags — oov^i^c — K Stande
gekonunen. Auffallig ist die Wichtigkeit, welche in diesem Vertrag der Frage
des staatsrechtlichen Verhältnissee Athens zu Eleusis beigel^ worden lu
sein scheint Mordprocesse — xata xa Tcdrpia — Eine aUgemeine Amnestie —
(iYjSevl icp6c |i.7]S^va {ivtjoixaxslv — wovon jedoch die 30, die 10, die 11 und
die Beherrscher des Peiroieus ausgenommen wurden ; allein auch diese durften
nicht dem — (ivrjaixaxelv — zum Opfer fallen, falls sie Eluthyne bestan-
den. — Als der zweite grosse Pacificator erscheint Archinos. (Nach Suidas
hatte er das Jonische Alphal)et zum Gebrauche in den öffentlichen Urkun-
dcQ in Anwendung bringen lassen, nach Aisckines * soll er den Tbrasy-
bulos, der einen seiner Freunde bekränzt wissen wollte» ico(pavö(Ui>v belangt
haben.) Archinos setzte alle Mittel in Bewegung, um nur die Gemäter mit
einander zu Tersöhneo. Einen Unruhstifter, der trotz der allgemeinen
Amnestie manche Leute dennoch wegen ihres parteipolitischen Verhaltens
gerichtlich verfolgen — {iviqotxo^xsiv — wollte, liess Archinos vor die ßooXi^
schleppen und un verurteilt hinrichten. «Nur auf diese Weise sei die Demo-
kratie zu erretten.** Nachdem dieser hingerichtet wurde, würde wohl Nie-
mand mehr sich wieder einfallen lassen, sich gegen die Amnestie, die man
gegenseitig beschworen habe, versündigen zu wollen.» Archinos habe auch das
Psephisma des Thrasybulos mit der Ypa^i^ icoef>avö{jL(ov angegriffen, weil Thrasy-
bulos das Staatsbürgerrecht all denjenigen geben liess, welche aas dem Pei-
raieus hereingezogen sind, darunter wohl auch solchen, die offenkundig Scla-
ven — f avep«»c 8o5Xoi — waren. Und diesen Angriff des Archinos gegen den
Thrasybtdos nennt der Text des British Museums dne schöne That von staats-
männischer Bedeutung ! Alles in Allem habe das Volk von Athen jetzt ein
wahrhaft staatsmännisches Benehmen — xdXXiota dij xal iroXittx«btata —
an den Tag gelegt; ja das Volk von Athen habe die Lehre im vollsten
Maasse beherzigt, die ihm nur seine früheren Leiden erteilen konnten. Das
Volk von Athen habe nunmehr getrachtet, nie mehr wieder die Fehler zu
begehen, welche wiederum zu derartigen misslichen Lagen führen könnten.
Zwar hätten die Athener das Vermögen der Dreissig und der ersteren Zehn
u. s. w. unter das Volk verteilt — cap. 40 : xal ti^v x^9^^ ivdSaotov «otoöotv —
doch hätten sie sogar dier Anleihe, welche die Dreissig von den Lakedaimo-
nem aufjgenommen, diesen von Staatswegen — xoiv^ — zurückgezahlt
(ohne darauf zu sehen, dass diese Anleihe einst blos aufgenommen wurde,
um damit die Getreuen der Demokratie zu vernichten !)
Befremdend ist, dass der Text des British Museums weder der Gesetz-
♦ Contr. Ctes p. 82.
** iBokrates erwähnt (contr. Gallim. c. 3. p. 371) eines Ghesetzes, das dieser Ar-
chinos gegen die Sykophantie nach der Amnestie eingebracht hatte, was auch ICr.
Kenyon zur Kenntniss nimoat, ohne an eine Parallele mit Thraaybulo» tu denken.
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ÜNOAlUÖCJÖ» HiSTÖMÖCBfi OfiSfiLLÖCfiAFT. -^^ä
gebung in Betreff der sogenannten — S^parpot v6(jlov, — noch überhaupt
der verfassungsrechtlichen Verfügungen erwähnt, so auf Vorschlag des
Tisamenos getroffen wurden. Den Agyrrhios betont der Text in einer Weise,
als ob dieser Demagog zuerst den Sold — cap. 41 : Tcpwxcv ißoX6v — < inge-
führt hätte, was jedoch seiner eigenen Schilderung (s. oben) widerspricht.
Wahrscheinlich meint der Text die Wied' reinfuh-ung des Soldes nach der
Vertreibung der 30. Hnakleides der Klazomenier soll die Diobolie, und der
erwähnte Ag^hios die drei Obolen (wieder) eingeführt haben.
Der zweite Teil des Textes handelt von den athenischen Staatsorga-
nen, ist jedoch lückenhaft und hie und da corrupt bis zur Unverstand lieh -
keit. So manche Einzelheiten erscheinen in einer völlig neuen Beleuchtung,
80 u. A. die Verwaltung des Armemvesens u. s. w. So die 'AOTjvaCwv TcoXttcCa
im Texte des British Museums. Nun, ich glaube, ich darf — falls wir es
nicht mit einer Mystification zu thun haben — mit Genugthuung eoustatiren,
dass — abgesehen von etlichen wenigen minder wesentlichen Einzelheiten,
Alles in Allem es nicht meine Auffassungsweise und Kritik im I. Bande
meiner n Demokratie von Athen» ist, was durch die Entdeckung des Textes
des British Museums irgend einen Abbruch erleidet — sondern wohl einzig
und allein die Auffassungsweise und Kritik der philologisch prüfenden
Orthodoxie. Juuus Söhvaboz.
UNGARISCHE HISTORISCHE GESELLSCHAFl'.
JahresverRamiuluikg am 12. Feber 1891.
Die diesjährige solenne Jahresversammlung der Ungarischen Historischen
Gesellschaft, welcher auch die Söhne des Erzherzogs Josef, die Erzherzoge Josef
August und Ladialans, beiwohnten, wurde von dem Präsidenten Ghrafen Anton
Sz^en mit der folgenden Rede eröffiiet :
Indem ich die Elhre habe, unsere heutige Versammlung, die zugleich die
Feier des 25jährigen Bestehens unserer Gesellschaft ist, zu eräffoen, glaube ich
im Sinne der Historischen Gesellschaft zu bandeln, wenn ich vor Allem Ihren
k. u. k. Hoheiten, den Herren Erzherzogen im Namen unserer Gesellschafti warmen
Dank sage för ihr Erscheinen. Ihre Anwesenheit legt ja glänzendes Zeugniss von
jenem wahren Interesse ab, das ihr erlauchter Vater und sie selbst der vaterländi-
schen Literatur und Geschichte gegenüber fühlen. Empfangen Sie diesen Gruss
aus dem Munde eines Mannes, der so glücklich war, seine Laufbahn noch unter
den fettigen Ihres Grossvaters ruhmreichen Angedenkens, des Palatins Josef, zu
beginnen, während der weisen Präsidentschaft jenes Mannes, der ein sorgsamer
Hüter der Bechte unseres Landes, ein folgerichtiger Verteidiger der Interessen
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^^4. ÜKOARlßCHE HlSTömSOHß OESELLSCHAW.
der Monai'obie gewesen, der mit der soharfeiohtigen AuffHssung der Verhältnisse
die tiefe Einsicht des Staatsmannes in sich vereinigte und eine Bolle gespielt hat,
die in der imgarischen Geschichte ewig iinvergessHch bleiben wird.
Unsere heutige Generalversammlung erneut das Andenken derer, die die
Begründer und ersten Präsidenten unserer Gesellschaft gewesen. GrafEmerich
Mikö, MicDael Horvath, Arnold Ipolyi und Baron Gabriel Kem^ny waren es, die
unsere Gesellschaft in den ersten Jahren leiteten.
Ich halte es für unnötig, zu ihrem Angedenken jene Worte zu citiren, die
in imseren Jahrbüchern aufgezeichnet sind und die, wenn sie im Laufe der Zei-
ten den bitteren Stachel, der im eraten Gefühle des Verluste:) so schmerzHch ist,
auch verloi-en, angesichts der errungenen Besultate im Laufe der Jahre noch tie-
fere Wurzel geschlagen in den Herzen derer, die die Wichtigkeit der ungarischen
geschichtUohen Literatur voll erfassen und würdigen.
In den fünfundzwanzig Jahren, die seit der Begründung der historischen
Gesellschaft verflossen, haben sich auf dem Felde der geschichtlichen Literatur
manche neue Bichtungen entwickelt, deren Einfluss immer mehr und mehr fühl-
bar wird.
Die gehörige Darstellung der Entwicklung dieser Bichtungen würde eigentlich
die Charakteristik der Hauptwerke in der gesammten geschichtlichen Literatur in
Anspruch nehmen, wozu ich mich weder geeignet noch berufen fühle ; doch möge
es mir gestattet sein, geehrte Vei-sammlung, einige Hauptzüge hervorzuheben,
welche die Hauptrichtungen in den verschiedenen Fächern der historischen Lite-
i-atur charakterisiren. Ich will hier nicht von den Alten reden, denen ihr geistiger
Schwung und ihre Formvollendung, von der streng kritischen Prüfung der Bege-
benheiten ganz abgesehen, Jahrhunderte hindurch die Anerkennung der gebildeten
Welt sicherte. Nach dem Entschwinden des Mittelalters können wir in der moder-
nen Weltliteratur hauptsächUch drei Bichtungen erkennen.
Der charakteristische Zug der ersten war dass die Begebenheiten traditio-
nell übertragen, in klarer und anziehender Weise zusammengefügt wurden.
In dem darauf folgenden Zeitalter wurde, ungeachtet der gründlichen Unter-
suchung der Begebenheiten, das Hauptgewicht auf die kunstvolle Gruppimng und
auf den Gewinn allgemeiner Ideen gelegt. Der glänzendste Vertreter dieser soge-
nannten philosophischen Schule ist Gibbon, dessen unsterbhches Werk selbst die
Anerkennung jener Nachfolger errimgen hat, die viele seiner Ansichten nicht teilen,
und zu denen man nebst Hume und Bobertson auch noch den auf geschichtlichem
Gebiete oft nicht wenig oberflächlichen Volt ire im • Jahrhunderte Ludwig des
XIV.» rechnen kann, der in foimeller Hinsicht ersetzt hat, was seinen Werken im
Wesentlichen der Dinge mangelte.
In neuerer Zeit hat sich, besonders in den süddeutschen Gelehrtenkreisen
und in einem Teile der französischen Literatur, eine neue Biohtung entwickelt, die
ich, wenn ich es wagen dürfte, die Schule der Oberflächlichkeit nennen möchte,
welche die hochklingenden Worte jener Zeiten auf ihre Fahnen schrieb und, oft
von edlen Gefühlen beseelt, eine geschichtHche Auffassung zur Geltung brachte,
die, wenn sie der Gunst des Publikums auch gewärtig sein konnte, der ernsten
geschichtlichen Kritik kaum Stand hielt. Das am meisten charakteristische Beispiel
dieser Bichtung ist in den c Girondisten» Lamartines zu finden, von dem man dreist
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UNGARISCHE HISTORISCHE GESELLSCHAFT. ^^^
behaupten kann, es sei eine eben so blendende und effectvoUe, als auch gefährliche
Carricatur der wirklichen Geschichte.
In der zweiten Hälfte der 25-jährigen Epoche, deren ich Erwähnung ihat, wird
das Hauptgewicht suf traditionelle Allgemeinheiten, auf die Feststellung der That-
sachen und die Prüfung ihrer Wahrhaftigkeit gelegt. Die literarische Indivi-
dualität des Geschichtschreibers wird in den Hiatergrond gerückt, und an seiner
Statt spricht grösstenteils das trockene Wort der Daten und Documente. Dies
Vorgehen der geschichtlichen Literatur führt oftmals zu Ergebnissen, unter
deren Einfluss die bisherigen historischen Auffassungen eine grosse Veränderung
erleiden.
So bildete in der Geschichte unseres Vaterlandes die heillose Wirtschaft der
fremden Söldner immer eine der am meisten begründeten, ärgsten Klagen, und
andererseits wurde es ab Thatsache angesehen, dass diese schweren Schicksals-
schläge insbesondere nur unser Vaterland betroffen. Wenn wir jedoch nun den
geschichtlichen Forschungen mit Aufmerksamkeit folgen, werden wir sehen, dass
dies heillose Wüten auch im Heere Johann Kasimirs, das den Hugenotten zu Hilfe
zog, ebenso wie in Ungarn, eine Hauptrolle spieUe — unter den Ausbrüchen seiner
wilden Gewaltthätigkeiten hatten Freund und Feind, Hugenotten und Katholiken,
in gleichem Maasse zu leiden, eben wie in unserem Vaterlande, so dass sie in
Frenndes- wie in Feindesland ebenso heillos wüteten, wie die Heere Bourbons
im erstürmten Rom. Jede Soldatenmaoht, die ihren constitutionellen Charakter
nicht von einer höheren geistigen Macht oder Idee erhält, kann leicht in ein unge-
füges Mittel gewaltthätiger Unterdrückung ausarten. Macaulay bemerkt in einem
Essay aus seinen Jugendjahren, das er über Macohiavelli schrieb, sehr richtig, das
damalige Söldnerheer in Italien sei nur das Mittel einer Art Geschäft gewesen,
das so weit ging, dass die Anführer den Zusammenstössen gegenseitig auswichen,
um ihr lebendes Capital ja nicht zu gefährden.
Den jüngsten Jahrhunderten war es seit dem Verfalle des römischen Kaiser-
reiches zuerst vorbehalten, die Idee der organisirten Soldatenmacht zu verwirkli-
chen. Diese hatte zwar auch ihre Schattenseiten, Ausschreitungen und Nachteile ;
doch andererseits: die einzelnen Individuen auf Grund einfacher Ideen und Ver-
pflichtungen zu einem organisirten Ganzen zusammen zu fügen, diesem unterzu-
ordnen und seine Geltung nur dort und dann in Anspnich zu nehmen, wo helden-
mütige Opfer verlangt werden, — ibt im richtigsten und edelsien Sinne aufgefasst
eine glänzende Errungenschaft der europäischen Civilisation.
Ein anderes, mit der Geschichte unseres Vaterlandes eng verknüpftes Detail
wird uns auch ein Beispiel liefern, wie neue Ansichten sehr oft einen günstigen
Grund zur Aenderung der Auffassungen abgeben können. Eine der traurigsten
Epochen in der Geschichte unseres Vaterlandes ist der sogenannt« lange türkische
Krieg, als imter der Begierung Kaiser Rudolfs und des Königs Mathias des Il-ten
das Volk mit Becht darüber jammei-te, dass es in der, ohne Unterlass zwischen
Unheholfenheit und Gewaltthätigkeit schwankenden Begierung keine Stütze mehr
fände und der Zustand des Reiches immer unerträglicher werde. Als Ferdinand
der I. den ungarischen Tron hestieg, konnte er zu Folge der Persönlichkeit und
der mächtigen Mittel seines Oheims, Karb des V., als der Herr von nahezu halb
Europa angesehen werden, auf dessen Hilfe jeder seiner Verbündeten mit Sicher-
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UNGARIßCHE HISTORISCHE OESELL8GHAPT.
heil rechnen konnte* Es ist zwar richtig, dass zu dieser Zeit die Reformation in den
Vordergrund der Verhältnisse trat, doch konnte Niemand ahnen, dass mit diesem
Ausgangspunkte der geistigen und rehgiösen Bewegung, zufolge der Fehltritte und
Sünden der einander gegenüber stehenden Parteien und Anschauungen, Europa
eine solche politische Umwälzung erleiden würde, die in ihren Resultaten den gan-
zen staatlichen Organismus Mittol-Europas aus den Angeld heben und insbeson-
dere die kaiserliche Macht geradezu — nach der Aussage der damaligen Schrift-
werke — zu einem Schemen herabdrücken werde : es ist daher auch gar nicht zti
verwimdem, wenn auf die Hilfe dieser Sohattenmacht nicht mehr gerechnet
werden konnte. Und es ist wirklich als ein Wunder zu betrachten, dass die Staaten
unter der Last dieser Jahre lang dauernden Zustände, ungeachtet der alle Kräfte
des staatlichen Lebens beherrschenden Verwirrungen und Unordnungen, nieht
vollends iu Tiümmer gegangen sind, was vielleicht nur daraus zu erklären ist, dass
damals weder die Zeit noch der Raum deigestalt im Bereiche des menschlichen
Geistes und Willens lag, wie in imserem Zeitalter, und dass eben darum viele
Schicksal schlage, die heute zu einer entscheidenden Katastrophe führen würden,
nur einen episodischen Charakter an sich trugen and sich ohne Endresultat wie-
derholen und gegenseitig ablösen konnten.
Unser erster Präsident hat in seiner Eröffnimgsi-ede mit grossen Zügen den
Geist skizzirt, von dem beseelt nach seiner Ansicht die ungarische Geschichte ihren
Anfang nehmen musste, und man kann sagen, dass er mit Seheraugen jene Rich-
tung erkannt hatte, in der sich die ungarische Geschichte seitdem entwickelt hat.
Er sprach damals das Wort aus, dass wir eine wahi-e und treue Geschichte unseres
Vaterlandes nicht isolirt, sondern nur im Zusammenhange mit der Geschichte
unserer Nachbai'völker schreiben können, und ich setze hinzu: nur verknüpft
mit einem vollständigen Erfassen der allgemeinen europäischen Verhältnisse und
Richtungen.
Die Mitarbeiter der Historischen Gesellschaft befolgten (wie dies viele Arbei-
ten in der von unserer Gesellschaft herausgegebenen Zeitschrift «Szäzadoki [Jahr-
hunderte] glänzend beweisen) treu seine massgebenden Woi*te und indem sie
einerseits durch das genaue Studium und die sorgsame Verarbeitung der vaterlän-
dischen Geschichte und ihrer Details einen festen Grund legten, der die unum-
gänglich notwendige Bedingung der fortschreitenden Entwicklung ist, richteten sie
andererseits ihre Aufmerksamkeit auch auf alle jene Factoren, die in anderen
Verhältnissen wurzeln und auf die ungarische Geschichte irgend welchen Einflnss
ausgeübt haben.
Schreiben wir also unsere Geschichte auch weiterhin in diesem Geiste,
schreiben wir sie mit nationaler Begeistenmg, doch zugleich mit jenem männlichen
Selbstbewusstsein, das jede Uebertreibung und Selbstanbeterei ausschliesst. Der
ungarische Volksschlag, seit Jahrhunderten mit der ungarischen poHtischen und
geschichtlichen Nation identisch, ist hinsichtlich der Zahl den übrigen europäischen
Völkern und Nationen gegenüber in Minorität und so kann es psychologisch
begründet und erklärt werden, wenn er geneigt ist, seine Individualität manchmal
ein wenig stärker zu betonen. Diejenigen jedoch, die eine derartige übertriebene
Betonung nicht für richtig halten, vergessen, dass dieser Nachteil in maneker Hinsicht
auch Vorteile besitzt, insbesondere weil eben diese Minorität eines der stärksten
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UNGABIßCHB HISTORISCHE GESELLSCHAFT. 367
Motive nnd Factoren der zähen Ansdaner der ungarischen Basse ist, die keinerlei
hochkUngender Selbstverherrliohang bedarf, um in ihrem vollen Werte zur Oeltnng
zn gelangen. Wenn wir in der Itiohtang nnd in dem Geiste, den nns die ersten
Begründer vorgezeicbnet, weiter wirken, so werden wir nicht unr unserer national-
historischen Literatur einen Dienst erweiE-en« sondern werden auch dem pietats-
voUen Andenken jener Männer die gebührende Anerkennung zollen, die uns als
Bahnbrecher mit ihrem Beispiele vorangeleuchtet haben. '
Hierauf las der Generalsecretär einen kurzen Bericht über das vtertelhun-
dertjährige Wirken der tmgariechen Hietorischen Oesdlschafi. Die Idee der Grün-
dung einer • Ungarischen Historischen Gesellschaft! wurde bereits 1 845 gelegentlich
einer Wanderversammlung der ungarischen Aerzte nnd Naturforscher von Johann
Luczenbacher angeregt, gelangte jedoch damals nicht zur Ausführung. Etwa andert-
halb Jahrzehnte später verbanden sich einige Geschäftsfreunde jenseits der Donau
zn Forschungs-Ausflügen, gründeten eine historisch-archäologische Zeitschrift
(redigirt von Bömer und Bäth) und begannen die Edition des Codex Patrius (redi-
girt von Emerich Nagy, Johann Paur, Bäth, Ipolyi. V6ghelyi). Diese Vereinigung
war der Vorläufer unserer Historischen (Gesellschaft und verschmolz später mit
derselben. Im Jahi*e 1867 am 2. Feber beriefen Friedrich Pesty und Arnold Ipolyi
eine neungliedrigo Conferenz zur Verwirklichung der Idee der Ungarischen Histo-
rischen Gesellschaft. Am 7. Feber verhandelte und acceptirte die auf zwölf Glieder
ergänzte Conferenz die von Eoloman Thaly verfossten Statuten. Die Gesellschaft
hielt 1867 am 17. Mai ihre erste, am 13. Juni ihre zweite Genemlversammlung.
Die letztere wählt« die Präsidenten und den Ausschuss, und dieser conclamirte
als (Generalsecretär Koloman Thaly, dessen Energie, Fachkenntniss und Eifer die
beste Gewähr für das Aufblühen der Gesellschaft war. Seine unermüdliche Thätig-
keit nnd tactvoUe Leitung wurden von Erfolgen gekrönt und als er nach neun
Jahren aus Gresundheitsrücksichten sein Amt niederlegte, war seinem Nachfolger
der Weg vorgezeichnet, auf welchem die Gesellschaft seit anderthalb Jahrzehnten
auch fortschreitet und sich entwickelt. Daes dieser Weg wohl gewählt war, beweist
das Ergebniss der viertelhunder^ährigen Wirksamkeit. Die Publication und Anf-
arbeitnng des Materials spielen in derselben eine ebenso grosse Bolle* wie die Ma-
törialsammlung, und die der Gesellschaft zur Verfügung stehenden drei Zeitschrif-
ten haben der ungarischen Geschichtschreibung ebenso wichtige Dienste geleistet,
wie die Abhaltung der Wanderversammlungen. Denn die 15 Ausflüge in die 18 von
den türkischen Eroberungen verschonten C!omitate förderten auH 143 Archiven ein so
reiches Quellenmaterial zu Tage^ dass die Cresellsohaft davon einen Teil auch der
historischen Commission der Akademie und dem Codex Patrius überlassen musste,
während einige Magnatenfamilien sich selbst zur Herausgabe des reichen historischen
Materials ihrer Archive entschlosssen, deren zwei, die Grafenfamilien Zichy und
Teleki, die (Gesellschaft mit der Edition ihrer Codices betrauten. Andererseits
weckten die in verschiedenen Städten des Landes abgehaltenen Versammlungen
das Interesse für Geschichtsforschung in weiteren Kreisen und gaben Anstoss zur
(Gründung von Provinzialvereinen. Die Gesellschaft beeinflusste auch die Entwick-
lung der jüngeren Geschichtschreiber-Generation, welche sich nicht blos das Stu-
dium der Disciplinen zur Aufgabe machte, sondern auch auf die Eunstform der
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UNGARISCHE HISTORISCHE GESELLSCHAFT.
Bearbeitung Sorgfalt verwendete. Die Opferwilligkeit einer Patriotin, Helene Yay,
ermöglichte die Aiarechreibung von Preisen, welche mehrere gelungene Studien zn
Tage förderte. Die Gesellschaft veranlasste die Abhaltung eines Congresses der
vatwländischen Gescliichtschreiber, welcher aur Klärung wichtiger Fragen beitrug.
Sie regte die feierliche Begehung der wichtigsten Jahreswenden der ungarischen
Geschichte an: der Bevindication Ofens, des Todes Königs Mathias und des Mil-
leniums. Die Gesellschaft dai-f mit Befriedigung auf die Ergebnisse ihres viertelhan-
dertjährigen Wirkens und auf die gewonnene Teilnalmie der Nation zurückblicken.
Nun hielt der Yicepräsident ' der Akademie Bischof Wilhelm Fraknöi seine
Denkrede aufhlorian Römer (1815— 1889 X die wir in Folgendem kurz resumiren :
«Unser unvergesslicher Genosse — beginnt Denkredner — , dessen Andenken ssn
feiern ich berufen bin, beanspmcht auf Grund mehrerer Beohtstitel die Pietät
der Ungarischen Historischen Gesellschaft. Florian Bömer ist einer j.ener acht
Geschichtsforscher, welche vor eben 24 Jahren auf Arnold Ipolyi's Anregung die
Gründung unserer GeseUsohaft beschlossen, und er hat stets zu den eifrigsten
Arbeitern derselben gehört Ja, ich kaim oliüe Uebertreibung pagen, zur Errei-
chung Eines ihrer in ihren Statuten bezeichneten Zwecke : czur Popularisimng
der vaterländischen Goschichtswissenschaft, zur Belebimg des Interesses für die-
selbe in je weiteren Kreisen, • war kaum Einer im Stande, so erfolgreich mitzu-
wirken, wie Florian Römer. Denn in seiner Person hatte der den abstrakten Auf-
gaben lebende, in geriluscliloser Thätigkeit Befriedigong findende wahre Gelehrte
einen Bund geschlossen mit dem volkstümlichen Manne, der sich überall daheim
fühlt, mit Jedermann in seiner Sprache. spricht und auf Jedermanns Niveau hinab-
steigt, um ihn dsnn zu seiner Höhe emporzuheben. Seine leicht entflammende
Begeisterung, seine aus der Tiefe eines edlen Hertens quellende Freundlichkeit,
die unverwüsthche Heiterkeit seines Gemüts dienten ihm als gewaltige Waffen,
mit welchen er die weitverbreitete Gleichgiltijitkeit gegen die Denkmftler der
nationalen Vergangenheit niederkämpfen half. Er hat mit seiner in der Presse
und imPrivatverkehr entwickelten Thätigkeit der ungarischen Geschichtswissen-
schaft ein ganzes H^er von Freunden zusamxnengeworben, — mit seinem vom Lehr-
stuhl aus geübten Einfluss eine Reihe würdiger Schüler und Nachfolger ei-ssogen.
Und neben dem unvergänglichen Wert dieser seiner Wirksamkeit hat er uns noch
eine lange Folge wissenschaftlidier Werke als Erbe hinterlassen. Sein wissen-
schaftlicher Geist und Thateifer ist, als Trieb eines lebenskräftigen Zweiges eines
uralten Stammen, zwischen den Mauern der Martinsberger Benediktiner- Abtei ent-
sprosFen.* Nach einer Würdigimg des Benediktiner-Ordens führt uns nun Denk-
redner den 1815 geborenen und 1830 mit dem Ordenskleid bekleideten Pressbur-
ger Bürgersohn vor, wie er in seinem dreijährigeti philosophischen Curs in Baab
dtircli Bonifaz Maar und Isidor Guzmics die Biohtung auf das Geschichtsstndinm
erhält« während seines vierjährigen theolo$2:ischen Studiums in Martinsberg in
seinen freien Stunden die dort bewahrten Literatur- imd Kunstdenkmäler studirt,
alte Urkunden und Kimstdenkmäler copirt, die Vorarbeiten zu einer imgarländi-
schen Monasteriologie beginnt; dann aber, 1839 zum Professor der Naturwissen-
schaften am Baaber Gymnasium und 1845 an der Preiasburger kön. Hochschule
ernannt, vom Geschiohtsstudium mit vollem Eifer zum Naturstudium überg^t ;
1848 von der nationalen Begeistenmg ergriffen, im Pionniercorps als Lieutenant
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ITNGARISOHE HIBTOBISCHB GESELLSCHAFT. 369
and Hauptmann den 1848/49er Freiheitskampf mitmacht; nach der Katastrophe
eine fiinQährige Festangshaft in Olmütz und Josefstadt unter ernsten Studien
verbüsst ; nach dreijährigem Privatisiren, teils in Bakonyb^l, teils als Erzieher« von
1857/58 bis 1860/61 wieder als Baaber Oymnasialprofessor seine naturwissen-
schaftlichen, aber daneben auch von neuem seine gescbichtsforschenden Studien
aufnimmt; in seinem ersten selbstständigen Werk: «Der Bakony. Naturgeschicht-
Hche und archäolo.^sche Skizze • (Raab, 1860) ein gemeinsames Product des
Natur- und Altertumsfoi-schers bietet und als Anerkennung zum correspondirenden
Mitglied der Akademie gewählt wird ; dann sich definitiv der Oeschichts- und
Altertumswissenschaft widmet; 1861 als Archivar der Akademie nach Pest über-
siedelt; hier dann als Director des königL kathohschen Gymnasiums, bald als
Gustos der Alteiiümer- Abteilung des Nationalmuseums und Universitätsprofessor
der Alteiiiumswissenschaft, daneben als Referent der archäologipchen Commission
der Akademie und Redakteur des «Archäologischen Anzeigers», Veranstalter
archäologischer Studienausflüge und Grabungen im Lande, Leiter des 1876er
Budapester internationalen Congresses für Anthropologie und Archäologie, Fach-
repräsenttvnt Ungarns auf den internationalen archäologischen Congressen in
den verschiedenen Hauptstädten Europas eine sta.unenswürdige Thätigkeit entfal-
tet ; daneben Zeit findet, der fruchtbarste Arbeiter der archäologischen Faehhtera-
tur zu sein^ ausser zahlreichen Beiträgen zum «Archäologischen Anzeiger» drei
selbstständige Werke: «Handbuch der Kunstarchäologie», «Die römischen Stein-
denkmäler des Nationalmuseums» und «Studien über alte Wandgemälde» zu
schaffen; neben der Archäologie aber auch das Feld der Kirchen-, Orts- und Cul-
turgeschiohte cultivirt, die «Monographie des Sanct Jakobsklosters zu Arpäs»
(1865), «Das alte Pest», seine fünfzehn Abhandlungen über die Corvina publioirt
imd an anderen unvollendet gebliebenen Werken arbeitet ; um dieselben zu voll-
enden, seine Professur und Custosstelle 1877 mit einem literarischen Stallum am
Grosswardeiner Domcapitel vertauscht ; im neuen Lebenskreise jedoch seine rast-
lose Thätigkeit durch neue Aufgaben in Anspruch genommen wird ; wie von 1886
an aber immer stärker auftretende Symptome eines schweren Siechtums seine
Arbeitskraft lähmen ; der Gedanke, einen grossen Teil seiner Werke unvollendet
zurücklassen zu müssen, ihm trübe Stunden bereitet, daneben aber die Pietät
sein^ vielen Freunde und Verehrer ihm Trost bietet. « Aus der langen Reihe der-
selben — sagt Denkredner — erfüllte ihn besonders die treue und auszeichnende
Anhänglichkeit Eines mit den Gefühlen des Glückes und Stolzes, jenes Einen, in
dem den Glanz der menschhchen un \ patriotischen Tugenden der Zauber fürstli-
cher Abstammung erhöhte. Jenes in seiner Art ohnegleichen dastehende Yerhält-
niss, welches durch vier Jahrzehnte zwischen Florian Römer und Erzherzog Josef
bestand, darf ich bei dieser feierlichen Gelegenheit nicht unerwähnt lassen, denn
ich weiss, dass einst auch die vaterländische Geschichte davon reden wird.»
Und nun schildert Denkredner in anziehender Weise das Yerhältniss, wel-
ches begann, als zur Zeit des 1847/48-er Reichstages der damak 15jährige Erzher-
zog, im Kreise seiner Familie in Pressburg weilend, seine Mittelschnlstudien
machte und Florian Römer als Lehrer der Naturgeschichte zu ihm berufen wurde.
Der Lehrer weckte in seinem erlauchten Schüler nicht blos ein dauerndes Literesse
fir die Naturwissenschaften, sondern aoeh eine bis zu seinem .Tode dauernde Sym-
üngMiMli« Betne, XL 1801. FV. Heft. ^
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370 KUBZB SITZUNOSBERICEITE.
patbie für seine Person. Diese Sympathie bethätigte sich während der Gefangen-
schaft Römer's durch wiederholte Intervention des Erzherzogs zu seinen Gunsten
und durch seinen persönlichen Besuch in Josefstndt. Aus ihr entwickelte fdch eine
ebenso herzliche wie interessante Correspondenz, aus welcher Denkredner eine
Beihe interessanter Bruchstücke mitteilt. Als der Erzherzog seinen Wohnsitz nach
Ofen und AIcsuth verlegt, erneuert sich auch die persönliche Berührung und wird
immer intimer. Bömer weiss beim Erzherzog, wie einst für das Naturstudium, so
jetzt für das archäologische Studium ein lebhaftes Interesse zu wecken, welches
jedoch sein Interesse für die Natur nicht aufliebt. In Betreff der Erziehung seiner
Söhne und der Wahl des Erziehers pflegt der Erzherzog eingehende Beratungen
mit Römer. Das schöne Verhältniss besteht fort, auch nachdem Bömer nach Gross-
wardein übersiedelt ist, wo ihm der Erzherzog gelegentlich auch seinen Besuch
macht. Die Denkrede schhesst mit einem Lobe auf Bömer, in dem der liebreiche
Mensch, der treue Freund, der begeisterte Patriot, der unermüdete Gelehrte
und der strenge OrdensgeiFÜiche sich zu harmonischem Einklang vorbanden . . .
Zum Schlüsse wurde die Stimmenabgabe für die Erneuerung des ausscheiden-
den ältesten Drittels des Ausschusses vorgenommen. Nachdem sich die Scrutininms-
Commission unter Führung Greorg Bäth's mit den Stimmzetteln in den Nebensaal
begeben, verlas der Schriftführer Julius Nagy den Bericht der Rechnungsrevisions-
Gommission über die Bechnungen imd den Gassestand vom Jahre 1890, welcher
zustimmend zur Kenntniss genommen wurde. Hierauf verlas derselbe den Kosten-
voranschlag für das Jahr 1891. Derselbe weist als Gesammt-Einnahme 13,900 fl.
90 kr., als Gesammt- Ausgabe 1 1 ,844 fl. aus. Von dieser Gesammt-Ausgabe bilden
2065 fl. eine ausserordentUche Ausgabe zum Zwecke der Befundation der von der
Gesellschaft erlittenen Vermögensverluste. Endlich verkündete der Obmann der
Scrutinioms-Cüommission das Ergebniss der Abstimmung für das neuzu wählende
Ausschussdrittel. Von den ausscheidenden 17 Ausschussmitgliedem sind zwei,
Baron Blasius Orbän und Karl Szabö gestorben; von den überlebenden 15 wurden
folgende 14 durch absolute Stimmenmehrheit wiedergewählt : Franz Balässy, Josef
Bänö sen., Josef Hsmpel, Axp&ä Horvät, Stefan Melczer de Eellemes, Emench
Nagy, Baron Eugen Nyäry, Ladislaus B^thy, Ludwig Szädeczky, Wol£gang Sz^ll,
Alex. Szilägyi, Josef Szinnyei sen., Ludwig Thallöczy und Gustav Wenzel. Ausser
diesen erhielt blos Johann Väczi die absolute Majorität, eo dass zwei Stellen
unbesetzt blichen. Bei wiederholter Abstimmung erhielt blos Edmund Boncz die
absolute Majorität und es musste zur Besetzung der letzten Stelle eine dritte
Abstimmung vorgenommen werden, welche die absolute Majorität für den Grafen
Eugen Zichy ergab.
KURZE SmüNGSBERICHTE.
— Akademie der Wissenschaften. In der Sitzung der ersten Glasse am
2. März legte das o. M. Emil Thewrewk de Ponor die Aushängebogen seiner Aus-
wahl griechischer Epigramme in Uebersetzung und mit Einleitung und erlaben-
den Anmerkungen versehen vor. Im Gunzen hat er 427 Epigramme der griechischen
Anthologie übersetzt, vornehmlich aus jenen Büchern, die die erotischen Gedichte
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und die Orabinsohriften enthalten. Die Einleitung erstreckt sich nicht nur auf die
Ueberlieferung der Anthologia Palatina und Planudea selbst und auf die eingehende
Oharakteristik der Dichter, die sich mit der Zusammenstellung von Anthologien
nachweislich einen Namen gemacht haben, sondern gibt auch von der Thätigkeit
der neueren Herausgeber und Sammler um die griechische Anthologie ein über-
sichtliches Bild. Am Ende der Ausgabe, die als VUI. Band der durch die classisch-
philologische Commission der Akademie veröffenÜichten • Griechischen und latei-
nisohen Autoren in ungarischer Uebersetzung» erscheint, gibt Thewrewk ein
genaues Bepertorium aller bisher in das Ungarische übersetzten epigrammatischen
Dichtungen der alten Griechen. Dem Fachmanne empfiehlt sich das Werk durch
manche Textverbesserungen und neue Bemerkungen bezüglich vieler Detailfragen.
Hierauf legte dasselbe Mitglied eine Arbeit vor, die sich : Scholia Vetera in
Nicandri Alexipharmaca e codice Gotttugensi edita. Adiecta sunt scholia recentia.
Recensionem ab Eugenio Abel inchoatam adfinem perdtLxit Rudohphus Vdri, phiL
dr, betitelt. — Von dem aus Eolophon stammenden Lehrdichter, Grammatiker und
Arete Nikander, dessen Blüte man in das U. Jahrhundert v. Chr. zu setzen pflegt, sind
ausser einem grösseren, Theriaka betitelten Gedichte und zahlreichen, aus anderen
Werken auf uns gekommenen Fi*sgmenten, auch ein in 630 Hexametern verfasstes
Gedicht, Alexipharmaka, erhalten geblieben, das sich mit verschiedenen Gegen-
mitteln, die nach dem Genüsse vergifteter Speisen anzuwenden sind, befasst. Das
Gedicht ist trocken und ungeniessbar, die Sprache geschraubt, doch sein reicher
und schwer verständlicher Sprachschatz reizte die griechischen Grammatiker zu
Studien an und in dem Zeitalter, als das Gefühl für Originalität, für Tiefe des
Gedankens und Grossartigkeit der Conception abhanden gekommen war und nur
mythologisches und lexikales Wissen dem Publikum imponirte, war Nikander ein
ziemlich gelesener Poet. Selbst die lateinischen Dichter, hauptsächlich Yergil und
Ovid, haben aus seinen Dichtungen vielfach geschöpft. Es spricht für diese Be-
hauptung auch die Anzahl der Handschriften und die zu beiden Gedichten ge-
schriebenen reichhaltigen Scholien. In Ermanglung dieser (Kommentare wären die
ungeniessbaren Dichtungen noch unversiändhcher und dunkler als dies thatsäch-
lich der Fall ist. Wichtiger noch sind aber diese Commentare für das Studium der
griechischen Lexicographie und Grammatik.
Die zu den Theriaka auf uns gekommenen Scholien haben in Keil einen
berufenen Herausgeber gefunden. Die Frage ihrer handschriftlichen Ueberlieferung
kann zwar noch nicht als ganz erledigt betrachtet werden und auch ihr Wert ist
noch nicht genügend festgestellt, doch hat man die dazu erforderliche kritische
Ausgabe von Keil. Die Scholien zu den Alexipharmaka hingegen sind in der Gestalt,
wie sie in den bisher erschienenen Ausgaben vor uns liegen, die unzuverlässigste
rndis indigestaqne moles. Die Schoha Vetera sind nicht nur von den Becentia
nicht geschieden, ihre Scheidung kann ohne einen handschriftUchen Fingerzeig
auch nicht einmal versucht werden. Und trotzdem, dass die anerkannt beste Hand-
schrift, deren genauere Vergleichimg der häufig aufgeworfenen Klage ein Ende
bereitet hätte, sich an einem durch seine centrale Lage zugänglichen Punkte
Deutschlands, in der Universitätsbibliothek Göttingens befindet, ^d sich nahezu
hundert Jahre kein Philologe der an eine neue Ausgabe der Schohen zur Alexi-
pharmaka geschritten wäre. Ein ungarischer Gelehrter, der der Wissenschaft leider
24*
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•^'* KtJRZi! SITZÜllOSBfiMCHTÄ.
80 früh entri886D6 Engen Abel, hat zum ersten Male genau und znverlaasig die
schwer lesbare Handschrift verglichen. Dazu verschaffte er sich noch die Lesarten
eines Leydener Manuscriptes, das die Vulgata enthält, und einer Dresdener Hand-
schrift, welche die wertlose Abschrift der bei Aldus im Jahre 1499 vei-öffentliohten
Scholien ist. Vier Tage vor seinem (am 13-ten Dezember 1889 erfolgten) Tode
schickte er die Otto Schneider'schen Nicandrea an Rudolf Vari nach Florenz mit
dem Ersuchen, ihm eine in der Bibliotheca Biccardiana befindliche, die Vulgata
enthaltende Handschrift zu collationiren. Viri hatte der Bitte noch nicht Folge
geleistet, als er schon die Todesnachricht des unvergesslichen Gelehrten erhielt.
Im Interesse der Wissenschaft entsprach er aber dennoch der an ihn gerichteteB
Aufforderung.
Bei seiner Bückkehr hatte er Gelegenheit, sich zu überzeugen, dass, obzwar
der durch Abel gesammelte und mit den Lesarten des Biccardianns bereicherte
Apparat noch nicht vollständig sei, die Lesarten der Göttinger Handschrift an und
für sich für eine neue Ausgabe eine genügende Stütze ergeben und zur Scheidung
der Scholien einen imbedingt sicheren Weg weisen können. Schon J. G. Schneider,
der in seiner 1 792 erschienenen Ausgabe den Text der Vulgata aus dem Codex
Gottingensis vielfach verbessert herausgegeben hat, erkannte die eminente Bedeu-
tung der Handschrift. Aber er benützte den Codex mit der die Philologen des vei^
gangenen Jahrhundertes aUgemein charakterisirenden Leichtfertigkeit und las so
Manches heraus, was unmöglich in der Handschrift gestanden haben konnte. Vor
Schneider nahm Mitscherlich von der Handschrift Gebrauch, jedoch nur sur
Emendierung des zum 130. Verse der Alexipharmaka gehörenden Scholions. Den
vollständigen Wert der Handschrift läset erst die neue Ausgabe erkennen.
Die Aufgabe, die des neuen Heransgebers der Scholien wartet, bezeichnet
V. Wilamovitz-Moellendorff kurz in diesen Worten : tDie Scholien dei* Alexiphar-
maka warten noch auf einen Bearbeiter, der sie wenigstens auf einen älteren Zu-
stand zurückführe, als der jetzige ist. > Die alten Scholien von den neuen zu schei-
den : das ist die HauptanfjfZfabe. Ohne jedweden handschriftlichen Fingerzeig wäre
das Unterscheiden nicht überall zuverlässig. Im Göttinger Codex sind nun aber die
Scholien von zwei verschiedenen Händen geschrieben ; die von der ersten Hand
weisen auf das XHI., die von der zweiten ungefähr auf das XIV. Ji^rhundert
Untersucht man die von den zwei verschiedenen Händen geschriebenen Scholien,
80 kommt man zu dem Besultate, dass die von erster Hand geschriebenen die wert-
vollen, hingegen die von zweiter Hand die ungleich wertloseren sind. In den letz-
teren nämlich finden sich häufig Wiederholungen, Unverstandenes und unver-
ständlich Erklärtes. Diese jüngei-en Scholien gehen unter Anderem auf die Apollo-
nius Bhodius-Scholien, auf Hesychius Alf^xsndrinus, kurz nicht auf literarhistorische
oder exegetische Specialwerke zuiück ; sie erhalten ihre Daten aus zweiter Hand,
was das Hauptmerkmal wertloser Scholien ist. Ob sie alle Tzetzes compilirt hat, iat
zweifelhaft ; dass sie aber teilweise auf Tzetzes zurückgehen, höchst wahrscheinticb.
Die alten Scholien entstanden nach der Meinung der Gelehrten im U. Jahr-
hundert V. Chr. und gehen aller Wahrscheinlichkeit nach auf das zu den Dich-
tungen des Nikander geschriebene exegetische Werk des Pamphilns und auf den
in den Scholien an einer Stelle citirten Lysimachus den Hippokrateer zuilUdc.
Doch mag auch Manches nach der Meinung VAri*s auf Erasietratus zurückgehen,
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der nach dem Zeagniase des Hesychius Mileeius eine Arzoeikunde in neun
Büchern verfiEisst bat, in welchem Werke er auf die Alexipharmaka des Nikandros
wohl Bezug zn nehmen hatte. DenErasistratos citiren unsere Scholien zum 65. Verse.
In der d^ Classe vorgelegten Ausgabe sind auf Gh-undlnge der Götfinger
Handttchrift die alten Schoben mit grossen, die jüngeren mit kleinen Lettern in
der Weise publioirt, dass sie zusammen nach Möglichkeit derVulgata sich nähern.
Conjeeturen von Abel und Väri versuchen den Le^er über die verdorbenen Stellen
hinwegzuhelfen.
Zum Schlüsse hielt Dr. Alexander K^gl als Gast einen Vortrag Studien zur
der Geschichte der neueren persischen Literatur, welche der Verfapser während
eines längeren Aufenthaltes in Persien zu studieren Gelegenheit hatte. Die irani-
sche Literatur der Neuzeit, speziell des 19. Jahrhunderts, kann nicht originell
genannt werden, Sie enthält wenig Neues. Die meisten Dichter geben nur Copien
der alten klaasisehen Dichter. Ka'ani, der berühmteste moderne pei-sische Dichter,
schreibt genug geschickt, aber seine Dichtungen sind nichts weiter als photogi-a-
phisch treue Nachbildungen der klaseiseh glatten Gedichte Sa'adi's und des bom-
bastischen Minocsehvi. Ein anderer grosser persischer Autor der Neuzeit, Jagma,
der persische ZoUt, behandelt mit Vorliebe die Schattenseiten des Lebens und
schreibt in möglichst unflätiger Manier im Geiste der naturalistischen Selude.
Biaa E«li Khan ist ein gutes Muster eines orientalischen Gelehrten, der, alle
denkbaren Wissenschaftszweige cultivirend, eine ganze Bibliothek zusammen-
geschrieben hat. Er hat ein ausgezeichnetes persiFches Wörterbuch und eine aus
reiche« Quellen geschöpfte Literaturgeschichte, das vorzüglichste Werk dieser Art
in Persien, ves&sst u. s. w. Der Vortragende bespricht die einzelnen Werke je
nach ihrer Bedeutung mehr oder \\ eniger ausführlich und gibt au« den poetischen
grössere Partien in tmgarisdier Uebersetznng.
— In der Sitzung der zweiten Classe am 9. März las das o. M. Julius Schvarcz
über die Verfassumgsgeschiekte Athens auf Grund der neuentdeckten Pupyrus-Capie
des Briiish'Museums, Einen Auszug aus diesem Vortrage theilen wir oben S. 341 mit.
'Hierauf las der Universitäts-Prolessor Julius Länozj (als Gast) ein^i Ab-
schnitt aus einer grösser angelegten, zusanunenhängenden Arbeit : DatUe und Bo-
nifaz VIILf welche insgesammt oidit nur das Verfaältniss des Dichters zu dem
genannten Papst und dem Papsttum im Allgemeinen, sondern gleicbF^eitig aueh
jene innere Krise der mittelalterlichen Kirche zur Darstellung bringen soll, welche
sich von dem Pontificate Nioolaus HI, angefangen bis in die zweite Hälfte des
XrV. Jahrhunderts, die «babylonische Gefangenschaft» hindurch erstreckt. Ue bei-
den bisher zur Veröffentlichung gelangten Capitel beherrscht, gewissermassen als
Leitmotiv, der Kampf der Spiritualen (Franziskaner) gegen die herrschende
Kirche ui^d cUe römische Curie, welch letztere in ihren weltlichen Maeht-Gelü3ten
von den verhältmsanässig beschränkten simonistisch-nepotischen Anfangen unter
Nioolaus ni,, bis zu den extremen Entfaltungen dieser Tendenz unter Bonifaz VUI.
und dessen tragischem Fall — an einen Wendepunkt ihres welthistorischen Oa-
seins gelangt ist. Der vom Verfasser verlesene Abschnitt, führt den Titel: CöUstin
V. und die Spiritualen — die Anfänge des Rmtificats Bonifaz VUI. und bietet
^en Essay von rei(äihaltigem Inhalte, der neben der grossen Kirchenfrage und
den ersten Zügen der miäohtigen, weltlichen Ludividualüät des letztgenannten
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'^'^ Ktmzte srrztmosBBSRlCHT».
Papstes, Punkte von actneller Wichtigkeit für das Yerständniss der ungarischen
Qesehichte in ihrer Ueberleitung von den letzten Ärpäden auf das Hans Anjon,
behandelt. Rs wird hier jene merkwürdige, in ihrer allgemeinen Bedeutung noch
nicht genügend gewürdigt« Episode der päpstlichen G^chichto dargestellt, in
welcher das extreme asketische Mönchstnm in der einfachen und dennoch ergrei-
fenden Gestalt jenes greisen, weltentrückten Einsiedlers, der unter dem Namen
Cölestin V, bekannt ist, auf den päpstlichen Tron und für einen flüchtigen Augen-
blick zur Herrschaft über die Kirche gelangte. Die Interpretirung, welche der Ver-
fasser dem «gran' rifiufot der Divina Commedia verleiht, zeigt uns Dante süß den
Wortführer, jedenfalls den begeisterten Anbänger jener streitbaren Aspirationen,
welche die extremen Schattirungen des Franziskaner-Ordens von Jacopone de Todi
üher^Ubertino di Casale hinaus bis zu den Ausgängen des •FroMceUeif -tames
beseelten. Anknüpfend an eine Stelle der florentinischen Chronik des Villani sucht
der Verfasser gegenüber Reumont den Beweis zu führen, dass die Erwählung Bo-
nifaz Vm. zum Papste in Neapel unbedingt auf einer Verständigung mit dem Hause
Anjou und dessen Bestrebungen, auf der zugesagten Unterstützung der Anspi-üche
Karl U. nicht blos auf Sizilien, sondern auch auf Ungarn notwendigerweise be-
ruht haben musste. Bei diesem Anlasse wird nicht blos des Verhältnisses Karl
MarteWs zu Dante und Bonifaz VHI. gedacht, sondern die schattenhafte, uner-
hellte Gestalt des Prätendenten Titnlar-Königs von Ungarn, von welchem die unga-
rische Historiographie bisher kaum Notiz genommen hatte, erfährt auch in ihrem
Verhältnisse zu Gölestin V. einige Aufhellung. Wir ersehen femer, dase der Ver-
fasser in der Beuunciation des Papst-Eremiten, und in dem nachfolgenden gewalt-
samen Einschreiten seines Nachfolgers Bonifaz VHI. gegen denselben, gewisser-
massen als die Exposition der tragischen Katastrophe des Letzteren erblickt und
den mittelalterlichen Streit über die Rechtmässigkeit der Benunciation und der
nachfolgenden Papstwahl in einem weiteren Abschnitt über die Fehde der CdUmnas
darzustellen gedenkt. Wir werden auf diese infceressanten eigenartigen literarisch-
historischen Studien des Verfassers noch zurückkommen, wenn dieselben in ihrem
vollständigen Zusammenhang zur literarischen Veröffentlichung gelangen werden.
Wir bemerken noch zum Schluss, dass ausser den speciellen hagiographischen
Quellen, die ausgiebige Benützung des in Denifle-Ehrle*s Arohiv angehäuften
Materials für mittelalterliche Kirchen- und Ketzer-Geschichte ftlr den Kenner
merklich hervortritt
— In der am 19. März gehaltenen ausserordentlichen Plenarsitzung refe-
rirte das c. Miglied Ärpäd Berczik über das Schicksal der letztjährigen Con-
currenz um den Teleki-Preis, um welchen sich im abgelaufenen Jahre Trauer-
spiele bewarben. Es liefen im Ganzen 26 Stücke zur Concurrenz ein, von
welchen jedoch eines, weil es ein Lustspiel ist, und ein zweites, weil es bereits
aufgeführt wurde, im Sinne der Statuten von der Concurrenz ausgeschlossen
wurden. Das Preisrichter-Gollegium bildeten von Seite der Akademie Moriz
Jökai, Karl Szäsz und Ärpäd Berczik ; von Seite des Nationaltheatera : Ärp^
Gabänyi und Emerich Nagy. Das Präsidium in demselben führte Moriz Jökai,
mit dem Beferat wurde Ärpäd Berczik betraut. Der Referent spricht in der
kurzen allgemeinen Einleitung seines Beferates von dem verschiedenen Maasse
der Anforderungen, welche die Schaffung einer guten Tragödie an den Dichter
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TRAÜEBFLOB.
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stellt, je nachdem dieser den Sto£f derselben entweder der Geschichte entnimmt,
oder aus dem Leben der Gegenwart schöpft oder eine Familien-Tragödie auf histo-
rischem Hintergrunde schafft, welchem Genre auch jenes Stück angehört, welches
die Jury, als alle seine Mitconcurrenten in jeder Hinsicht weit überragend, ein-
stimmig zur Preiskrönung empfiehlt. Beferent charakterinirt hierauf in kurzen
Zügen die Concurrenzstücke, welche ihre Stoffe teils der antiken, teils der unga-
rischen Geschichte, teib dem Leben der Gegenwart entnommen haben. Er thut die
schwächsten, bei denen er beginnt, mit wenigen Worten ab, widmet, nach der
Stufenfolge des Wertes fortschreitend, denjenigen, welche neben bedeutenden
Schwächen mehr und mehr des Anerkennenswerten aufweisen, eine etwas ein-
gehendere Würdigung und verweilt schliesslich etwas länger bei der Analyse des in
jeder Beziehung besten und durch absoluten Wert das Ergebniss der gegenwärtigen
Concurrenz zu einem befriedigenden gestaltenden Stückes, welches den Titel:
«A k^t szerelmesi (Die beiden Liebenden) führt und auf dem historischen Hinter-
grunde der Eurutzen- und Labanczen-Zeit eine in der Hauptstadt Oberungams,
Kaschau, sich abspielende Familientragödie vorführt. Die tadellose Oomposition,
die schwungvolle Diction, die Eraftfülle der Leidenschaften, das erschütternde
Schicksal der Hauptgestalten und die hervorragende Bühnenmässigkeit Hessen
dieses Stück sämmtlichen Preisrichtern als der Preiskrönung vollkommen würdig
erscheinen. Als Verfasser des Stückes ging aus dem eröffneten Devisenbriefe Gre-
gor Cdky hervor.
TRAUEßFLOR.
Michael Vörösiiuuiy.
YerdoiTet ist der Bosenbaum,
Es hangt ein Flor am Heckensaum,
0 weh, o weh I
Entflohn ist meines Glückes Traum.
Warum hast du nicht mein geharrt,
Herzhebchen mein, du Böslein zart ?
0 weh, o weh !
Wie trifft mich nun das Schicksal hart !
Wer hess den Baum verdorren, wer?
Wer band den Flor ums Zweiglein her?
0 weh, 0 weh I
Der Flor ist schwarz und tränenschwer.
Todmüde, sieh 1 mm steh* ich hier,
Gleich wundgehetztem Waldestier«
0 weh, o weh I
Nun sterb' nach dir vor Gram ich schier I
Den Baum liees welken Liebchens Hand, Bleib' , Bosenbäumchen , bleib' verdorrt I
Den Flor auch um den Zweig es band,
O weh, o weh !
Vor Gram, vor Gram den Tod es fand.
Bleib', Trauerflor, dran hangen fort :
0 nimmer, weh !
Erheb' ich mich von diesem Ort.
Adolf Handmann.
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376 UNGARISCHE BIBLIOGRAPHIB.
UNOARISCHE BIBLIOGRAPH LE.*
Bikefy Hemif^, Ä PUüi AjMitsdg törtenete, (Geschichte der Abtei zu Pilis
1184 — 1541, von Dr. Remigius Bikefy). Fünfkirchen 1891. 4^ 515 S. mit Illustrationen.
Birö Pdl, A magyar kir. honvddelmi ministenum müködese, (Die Thätigkeit
des königlich ungarischen Landesvertheidigungs-Ministeriums in den Jahren 1870 —
1890. Im Auftrage des königlieh ungarischen Landesvertheidigungs-Ministers auf
(jTund amtlicher Akten bearbeitet von Paul Birö.) Budapest, 1891, 2 Bände, 4«, 399
und 472 8.
Kanyarö Ferencz, Unitänusok Magyawrszdgon. (Die Unitarier in Ungarn, mit
Bttoksicht auf die aUgemeine Geschichte des Unitarismus, von Franz E&nyaro.)
Klausenburg, 1891, 229 S.
Petrik Geza, Moffyarorszdg Biblioyraphidja, (Bibliographie Ungarns von 1712
bis 1860, verfasst und mit einem wissenschaftlichen Fachregister versehen von Göza
Petrik.) Zweiter Band. Budapest, 1890, Dobrowsky, 956 S.
Stromp J.dszlo^ Samoyyi Peter fogadya. (Die Gefangenschaft Peter Somogyi's,
Ein Bild aus der Zeit der Leiden des Protestantismus unter dem Primate Nikolaus
014h'8, von Ladislaus Stromp.) Pressburg, 1891, 123 8.
Szddeczky Lajos^ Kovacsöczy Farkas. (Wol%ang von Kovacsöczy, 1576 — 94. von
Ludwig Sz&deczky.) Budapest, 1891, R4th, 140 8. und zahlreiche Illustrationen.
Szana Tamds, Petofin^ Szendrei Julia. (Julie Szendrei, Alex, Petöfi*s Gattin,
von Thomas Szana.) Mit zahlreichen Illustrationen. Budapest, 1891, Grill, 238 8.
(Im Anhange Juliens Gedichte.)
SzSchenyi Istvdn külföldi utirajzai. (Graf Stefan Sz^chenji's Reiseberichte und
Tagebücher von seinen Reisen im Auslande, im Auftrage der ungarischen Akademie
der Wissenschaften herausgegeben von Anton Zichy.) Budapest, 1891, Akademie, 440 8.
Szemerei Szemere Pdl munkdi. (Paul Szemere's sämmtliche Werke, im Auftrage
der Kisfeludy-GeseUschaft herausgegeben von Josef Szvor^nyi.) Budapest, 1890.
FrankUn, 3 Bände, 294, 325, 449 8.
Thswrewk Emil, A magyar zene tudomdnyos tdryyaldsa. (Die wissenschaftliche
Behandlung der ungarischen Musik von Emil Thewrewk von Ponor.) Budapest, 1891,
Akademie, 24 8.
Tipray JdnuSy Magyar-n^net da nemet-magyar zsebszötdr, (Ungarisch-deutsches
und deutsch-ungarisches Taschenwörterbuch von Johann Tipray.) Budapest, 1890,
Franklin, 258 8.
Zrinyi Miklös hadtudomdnyi munkdi. (Die kriegswissenschaftUchen Werke des
Dichters und Feldherrn Gr. Nikolaus Zrinyi, im Auftrage der ungarischen Akademie
der Wissenschaften herausgegeben von Eugen Horv4th. Mit Zrinyi 's Porträt.) Buda-
pest, 1891, Akademie, 403 8.
* Mit AusschlusH der mathematisoh-natur\vi8Beni<chaftlichen Literatur, der Schulbücher,
ErbauuDgsschriften und Uebersetznngen ans fremden Spracheo, dagegen mit Berücksichti-
gung der in fremden Sprachen erdohienenen, auf Ungarn bezüglichen Schriften.
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EINE ANTWORT AUF DIE DENKSCHRIFT DER BÜKURESTER
UNIVERSITÄTS-JIJGEND.
Bekanntlich hat die Bukurester Universitäts- Jugend vor Kurzem eine
«Denkschrift* im Namen der «akademischen Jugend Rumäniens» aber
die Lage der Rumänen in Ungarn und Siebenbürgen verfasst, und
dieses Schriftstück in rumänischer, deutscher, französischer und italieni-
scher Sprache durch den Druck weithin verbreitet. Diese «Denkschrift»
wendet sich «an das Forum Europas», um dessen «ernste Aufmerksamkeit»
auf «einen unglückseligen Conflict» zu lenken, «welcher im Schosse der
österreichisch-ungarischen Monarchie zwischen den culturellen und vermöge
ihrer humanen und liberalen Tendenzen durchaus modernen Bestrebungen
der Rumänen einerseits, und der seitens der magyarischen Nation sich ent-
gegenstellenden, für unsere europäische Denkart jedoch fremdartig beschaf-
fenen Gegenströmung andererseits, zum Ausbruche gelangt ist, und welcher
verderbliche Zwiespalt Complicationen nach sich ziehen könnte, deren Trag-
weite zur Stunde nicht voraus erwogen werden kann.»
Was nun die rumänische «Denkschrift» zur Beleuchtung und Erhär-
tung dieses «unglückseligen Conflictes» in breitspurigen Ausführungen
bietet, das ist eine Fülle von historischen Irrtümern und willkürlichen
Deutungen, von entstellten oder verdrehten Thatsachen, von Verleumdungen,
unbegründeten Anklagen und Beschuldigungen, die im Vereine mit dem
vom leidenschaftlichsten Rassenhasse erfüllten Tone dieses Schriftstück zu
einem der giftigsten Pamphlete gestalten und bei unorientirten Lesern Miss-
achtung und Gehässigkeit gegen Ungarn und die ungarische Nation hervor-
rufen können. Die Ignoranz und hasserfüllte Leidenschaft dieser akade-
mischen Jugend wird nur überboten von jenem insolenten Hochmute und
jener arroganten Selbstüberschätzung, womit diese angeblichen «Söhne des
göttUchen Trajan» auf jedes andere Staats- und Volkstum herabblicken
und sich eine ganz ungerechtfertigte Culturmission im Osten beilegen, als ob
nur sie hier die Träger und Verteidiger der modernen Givilisation wären.
Es war deshalb ebenso im Interesse der Wahrheit und der Gerechtigkeit
wie im Dienste des Vaterlandes, wenn der Klausenburger k. u. Universitäts-
Professor Dr. Gregor MoLDOVÄN, ein Rumäne, eine Widerlegung dieser schimpf-
UngaiiMhe BeTO«, XL 1891. V. Heft. ^^
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378 EINE ANTWORT AUF DIB DENK80HKIFT
lieben «Denkschrift» der Bukurester Universitäts- Jugend unternommen
hat. Die Widerlegung ist in ungarischer Sprache verfasst und führt den
Titel: «Välaszirat a bukaresti romän ifjak Memorandumira» (t Antwort auf
das Memorandum der Bukarester rumänischen Jünglinge».) Elausenburg,
1891, gr. 8®, 70 Seiten. Wir bringen im Nachstehenden diese ebenso
scharfe und schneidige, als von aufrichtiger Wahrbeits- und Vaterlands-
liebe erfüllte «Antwort» im vollen Wortlaut.
Professor Dr. G. Moldov^n schreibt :
I.
Einige Worte zur Einleitung.
Als einige siebenbüigische Auswanderer: Giurcu, Sacasan und Genossen
im Jahre 1885 in Kumänien die ewig schandvolle Proclamation veröflfent-
Uchten, in welcher sie uns siebenbürgische Rumänen zur Treulosigkeit, zum
Umsturz der öffentlichen Ordnung, zur wahrhaften Revolution aufforderten :
da verwies der damalige rumänische Ministerpräsident, Juon Bratianu, die
Betreffenden sofort des Landes und in der rumänischen Kammer richtete er
an den interpellirenden Cogalnicean die denkwürdigen Worte :
«Wenn diese siebenbürgischen Rumänen mit den Ungarn etwas zu
schUchten haben, so mögen sie ihre Angelegenheiten auf dem Boden ihres
eigenen Vaterlandes besorgen, nicht aber die Gastfreundschaft Rumäniens
missbrauchen, nicht uns Schwierigkeiten bereiten und Rumänien Compli-
cationen aussetzen, welche das freie rumänische Königreich in Gefahr
stürzen können.»
Und Herr Ciurcu und dessen Genossen traten auch damals in unserem
Namen auf; sie fanden dort auf dem freien Boden Rumäniens unsere Uebel-
stände unerträgUch, und erachteten es deshalb für gut, uns aufzumuntern,
dass wir gegen unsern König, gegen unser Vaterland und gegen unsere Ver-
fassung die Waffen ergreifen und unsere Uebelstände auf dem Wege der
rohen Gewalt heilen sollen.
Kein Mensch hatte Herrn Ciurcu und dessen Genossen gebeten, dass
sie uns, die wir unserem Könige, unserem Vaterlande und unseren Institu-
tionen treu ergeben sind, auf solch rohe Art compromittiren, und Niemand
hat in Siebenbürgen auch nur einen Pinger gerührt in Folge jener Procla-
mation, welche in vielen tausend Exemplaren über unsere Grenzen und im
ganzen gebildeten Europa verbreitet worden ist.
So lange Juon Bratianu als erster Ratgeber des rumänischen Königs
fungirte, schien es in der Tbat, als ob Rumänien seinen Beruf erkannt habe
und sich um seine eigenen Angelegenheiten bekümmere.
Im Jahre 1888 wurde die Macht Juon Bratianu's durch die rohe Gewalt
auf inconstitutionellem Wege und in verfassungswidriger Art gebrochen.
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DER BUKUKB8TER ÜNIYBBSITÄTS'JÜGBND. 379
Die nach dem «Memorandum» als «Wächter der Civilisation und der Ord-
nung» waltenden Humanen rüsteten sich mit Stöcken, Mistgabeln und
Sohiesswaffen, drangen in das Abgeordnetenhaus, schössen den Saalwächter
nieder, trieben die Regierung und das Parlament auseinander und schlugen
dem Könige die Fenster ein. Die Männer der «Civilisation und der Ord-
nung» forderten im Namen des russischen Czars Grund und Boden, zer-
rissen ihre eigene Verfassung gleich einem unnützen Papierfetzen, der nur
so lange Wert hat, als die Altconservativen das liberale Bumänien regieren.
Die Legislative, die Regierung und der König wurden terronsirt, und
mitten im Frieden auf den Ministerpräsidenten Juon Bratianu der mörde-
rische Revolver abgefeuert — einzig und allein aus Partei-Interesse — und
dann übernahmen die Regierung Catargiu und seine Gefährten, eben die-
selben Leute, welche diese argen Verletzungen der Constitution vollbracht
hatten und die in Rumänien auch jetzt noch auf ungesetzlichem Wege die
Macht im Besitz haben.
Und seitdem Juon Bratianu, der Führer der Liberalen, den Minister-
■stuhl verlassen hat, ist Rumänien der Sammelplatz vieler zweifelhafter £xi-
jitenzen und gefährUcher Strömungen geworden. Allerlei Unkraut wuchert
empor und gedeiht hier üppig.
Die aufeinanderfolgenden schwachen Regierungen wagten es nicht,
der chauvinistischen, besser gesagt : der irredentistischen Strömung ent-
gegenzutreten, welche Juon Bratianu gebrochen hatte, und sie wagten den
Widerstand schon deshalb nicht, weil sie uns gerne compromittiren und in
solchem Lichte darstellen wollten, als ob wir siebenbürgische Rumänen mit
nnseren sämmtlichen Bischöfen und unserer ganzen Intelligenz den russi-
schen Interessen dienenden rumänischen Regierungen zur Verfügung stehen
-würden.
Man errichtete die Liga, gab das Memorandum heraus, arbeitete mit
Einem Worte in unserem Namen, compromittirte uns auf Schritt und Tritt
vor Europa, vor imseren ungarischen Mitbürgern, um uns die Rückzugs -
wege abzuschneiden und damit wir uns gänzlich in jenem russischen Kreise
bewegen ; uns griechische Katholiken und freie Bürger eines selbständigen,
anderen Landes, bei denen nichts so grossen Ekel erregt als jenes Spiel,
-das Catargiu und seine Gesinnungsgenossen mit dem rumänischen Ele-
mente im Interesse des Slavismus treiben.
Wir haben zu diesen Umtrieben Niemandem eine Vollmacht gegeben,
hiezu Niemanden ermuntert. Weder unsere Bischöfe noch der rumänische
Grundbesitz oder das rumänische Volk Siebenbürgens überhaupt haben
-eine Verbindung mit der Liga oder mit den Verfassern oder Verbreitern des
«Memorandums» imd ich gestehe, dass die siebenbürgischen Rumänen dieses
«Memorandum» mit Entrüstung aufgenommen haben, nicht blos darum,
weil sie hiezu keinem Menschen ein Mandat erteilt haben, sondern auch
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3^ EINE ANTWOBT AUF DIE DBNKBOHRIFT
deshalb, weil darin über ihren König in unehrerbietiger Weise gesprochen p
weil da unsere Bischöfe beschimpft, unsere constitutionellen, freien Insti-
tutionen verkleinert und über Zustände und Verhältnisse, die nicht exi-
stiren und überhaupt nicht vorhanden waren, lügenhafte Mitteilungen ver-
breitet werden.
Wir, die wir hier auf dem Boden des ungarischen Staates ebenso gute
Rumänen als aufrichtige Patrioten und getreue Unterthanen sind und bleiben
wollen, — wir müssen gegen solche Verleumdungen und Missbräuche Protest
erheben; müssen vorGtott und der Welt erklären, dass wir mit diesem zur
Treulosigkeit aufreizenden Elemente keinerlei Gemeinschaft haben. Zwischen
den Ungarn und den Bumänen können Missverständnisse , vielleicht auch
Gonflicte oder sonstige Unannehmlichkeiten obwalten ; fehlt es doch an
solchen auch bei Euch nicht, die Ihr heute der russischen, morgen der deut-
schen und dann wieder der rumänischen Richtung gefolgt seid : — aber jene
Misshelligkeiten sind dann ausschliesslich unsere Sache. Wir gleichen die-
selben aus oder legen sie hier zu Hause bei ; uns ist ja hiezu kein Weg ver-
schlossen. Wir können uns versammeln, können die Angelegenheiten bespre-
chen, können schreiben, denn wir haben eine freie Presse. Die Erledigung
unserer internen Angelegenheiten übertragen wir also weder auf Europa,
noch weniger auf Euch, Bukurester JüngUnge. Wir haben unser National-
Comite in Hermannstadt ; wir haben unser Parlament, unsere Krone, unsere
Regierung ; haben unsere Politiker, die niemals bei den Jünglingen Rumä-
niens um Hilfe und Beistand angesucht haben.
Und dieser Entrüstung wurde von Seiten des sieben bürgischen Ru-
mänentums auch bereits Ausdruck verliehen. Nach Befragung des rumä-
nischen «National-Comit^s» in Hermannstadt äusserte Kornel Diakonovics,
der Herausgeber der § Romanischen Revue» (1891, 8. 166) «zur Steuer der
Wahrheit offen», dass «die Verfasser des Memorandum mit den in dem-
selben angeführten concreten Fällen nicht immer die glücklichste Wahl
getroffen haben» und dass man in den Ausführungen «den ruhigen und
würdigen Ton» mitunter vermisse. Es sei dies übrigens auch schon aus dem
Grunde leicht erklärlich, «da ja die Bukurester Kreise ihre Informationen
über die Lage der Dinge in Ungarn und Siebenbürgen von jenen Elementen
erhalten, welche ausgewandert sind, und von denen man ein unbeeinflusstes
ruhiges Urteil nicht erwarten kann.»
Auch selbst das rumänische Tagblatt, die «Tribuna» in Hermannstadt
anerkennt (1891, Nr. 65) die Incorrectheit der Daten des «Memorandums» ;
aber im Solde einer unmoralischen und vaterlandsverräterischen Politik
stehend giebt sie uns den Rat, dass wir über die Lügen des «Memoran-
dums» «aus Taktik» schweigen sollen. Das ist Unmoral; eine solche Moral
ist nur für die Kreise der «Tribuna» massgebend. Wir können weder «aus
Taktik» noch aus anderen Gesichtspunkten schweigen. Nein! Denn wir
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DBB BUEUEESTER ÜNIVEBSITÄTS-JUOEND. 381
gestatten die Lügen nicht und lassen es nicht zn, dass man uns siebenbür-
gische Rumänen besudelt. Wir wollen nicht um den Preis von Lügen vor
Europa einen zweifelhaften Erfolg erringen. Wir Bumänen bilden hier keine
Maffia, keine unsittliche Geheim -Gesellschaft, deren Mitglieder für ihre
eigenen Ausschreitungen und Vergehungen Solidarität und ewiges Schweigen
gelobt haben. Wäre das die freie Meinungs-Aeusserung? Wir sollen des-
halb Blindheit; Stummheit, geduldige Einfältigkeit heucheln, weil die
•Taktik» irgend eines Menschen dieses fordert?
Das • Memorandum» wird daher in Ungarn von allen Bumänen, die
Männer der «Tribuna» ausgenommen, verurteilt. Wir verurteilen dasselbe,
weil es unsere Angelegenheit compromittirt und unsere Lage wie unsere
gesellschaftlichen Berührungen erschwert.
Diese wiederholte Beschämung, diese wiederholte Verletzung unseres
Patriotismus und unserer Loyalität weisen wir zurück.
So viel zur Einleitung. Als Bumäne und als ungarischer Staatsbürger
spreche ich nun zu der Bukurester rumänischen Jugend.
II.
Brüder, Nachbarn ! Wir siebenbürgische Bumänen haben das • Memo-
randum» erhalten und gelesen, welches Ihr, die Bürger der jüngsten Uni-
versität in Europa, in mehreren Sprachen veröffenthcht habt, um eine
«Anomaliet bekannt zu machen, welche die ernste Aufmerksamkeit aller
Jener erheischt, die sich für den socialen Fortschritt unseres Continents
interessiren. Nach Eurer Ansicht handelt es sich «um einen unglückseligen
Conflict, welcher im Schosse der österreichisch-ungarischen Monarchie zwi-
schen den culturellen und vermöge ihrer humanen und liberalen Tendenzeü
durchaus modernen Bestrebungen der Bumänen einerseits und der seitens
der magyarischen Nation sich entgegenstellenden, für unsere europäische
Denkart jedoch fremdartig beschaffenen Gegenströmung andererseits, zum
Ausbruche gelangt ist.t Und Ihr habt darum das Wort erhoben, weil Ihr
besorget, dass dieser «verderbliche Zwiespalt Gomplicationen nach sich
ziehen könnte, deren Tragweite zur Stunde nicht vorauserwogen werden
kann.»
Wir Bumänen in Ungarn freuen uns ungemein darüber, dass im kaum
dreizehnten Jahre Eurer Unabhängigkeit und staatlichen Selbsständigkeit Ihr
bereits so sehr erstarkt seid, dass Ihr Eure Verwaltung, Justiz-, Unterrichts-,
Heeres-, Industrie- und Handels-Angelegenheiten bereits derart geregelt,
Bure social en Probleme schon fo weit gelöst, Eure Sprache und Literatur
bereichert, Eure Beziehungen zu den fremden Staaten geordnet habt; dass
Ihr mit einem Worte, bei Euch zu Hause auf allen Grebieten bereits auf
so festen Füssen steht, dass Euch nichts Anderes mehr übrig bleibt, als Euch
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^2 ÄINE ANTWORT AUF DIB DENKSCHRIFT
in die inneren Angelegenheiten eines benachbarten, für Euch fremden,
obwohl befreundeten Grossstaates einzumischen, um da einzelne interne
Fragen lösen zu wollen. Unsere Freude ist hierbei um so grösser, als Ihr,
wie es scheint, unsere Brüder in Bessarabien, in Mazedonien, im Epirur
u. s. w. für vollkommen glücklich haltet; dass Ihr Euch bereits davon über-
zeugt habet, wie die russische, die griechische und die türkische Herrschaft
im Einzelnen in der Unterstützung der rumänischen Aspirationen wett-
eifern, und dass einzig und allein die ungarische Herrschaft es ist, die das
rumänische Element mit dem Untergänge bedroht.
Wir erkennen Niemandem, und sei er auch ein Rumäne, das Recht
zu, sich in unsere inneren Angelegenheiten einzumengen. Um so weniger
gestehen wir dieses Recht Euch zu, die Ihr Euch im Glänze des ungarischen
Staates gesonnt und die Fundamente Eurer heutigen Cultur von uns erhal-
ten habt. Eher einem Andern, aber Euch um keinen Preis können wir das
Recht einräumen, über unsere Cultur, unsere Einrichtungen und Zustände
Kritik zu üben ; denn Eure Leidenschaften und Vorurteile machen Euch
nicht nur blind für Alles, was ungarisch ist, sondern Eure Cultur ist auch
noch nicht so weit entwickelt, dass Ihr die freiheitlichen Institutionen des
ungarischen Staates in ihrem Wesen auffassen und begreifen könnet. Wir
mengen uns nicht in Eure inneren Angelegenheiten ; seit den dreizehn Jah-
ren, als Ihr einen unabhängigen Staat bildet, haben wir diese Unabhängig-
keit stets respectirt. Ihr aber handelt nicht auf gleiche Weise und es reift
dadurch in uns der Gedanke, dass Ihr wegen Eurer Jugend noch nicht völlig
im Reinen seid über die schuldigen Verpflichtungen gegenüber anderen
selbstständigen Staaten. Obgleich wir nun gegen eine solch unbedachte und
unberufene Einmischung feierlich Verwahrung einlegen, acceptiren wir den-
noch die Thatsache und treten derselben entgegen, denn wir glauben, dass es
im Interesse des Gemeinwohles und ebenso im Interesse des Rumänentums
liege, wenn vrir die Situation beleuchten und die europäische öflfentliche
Meinung durch die Mitteilung des wahren Thatbestandes gehörig informiren.
In jedem Falle erachten auch wir es für notwendig und wichtig, dass
alle Jene, die zur Beurteilung und Analysirung der socialen Fragen in der
Gegenwart berufen sind, mit Allem, was auf diesem civilisirten Continent
geschieht, auch in den Einzelheiten und Details vertraut seien und wir legen
deswegen ein Gewicht darauf, weil diese Berufenen auf solche Weise erfah-
ren, dass Ihr Euch mit der Aufwühlung der geordneten Verhältnisse Ande-
rer befasset, während es doch bei Euch zu Lande genug zu ordnen gibt, und
dass Ihr mit Eurer Mission im Oriente nicht völlig im Reinen seid und
weder den europäischen Interessen auf entsprechende Weise dienet, noch
den ausserordentlichen Nutzen des Friedens aufcsufassen wisset So wird ea
klar und aller Welt offenbar, dass Ihr mit Eurer dreizehnjährigen Unabhän-
gigkeit, mit Eurer fünfundzvvanzigjährigen Verfassung, mit unentwickelten
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DER BUKURBSTEB UNIVBRSITÄTB-JXJGBND. ^^
Einrichtungen und mit Eurer primitiven Gultur gar kein Becbt habt uns zu
beurteilen^ die wir eine tausendjährige Verfassung besitzen und die wir seit
vielen Jahrhunderten an der Seite der Magyaren im Dienste der europäi-
schen Givilisation^ der freiheitlichen Ideen und des Constitutionalismus
stehen.
Die Gerechtigkeit unserer Angelegenheit hat Niemanden und Nichts
zu fürchten. Während Ihr diese Euch unbekannte oder von Euch nie ver-
standene Frage mit dem düstem und schwankenden Scheine Eures Lämp-
chens zu beleuchten suchet, werde ich im vollen TagesUchte arbeiten und
die Sache in ihrer vollen Gestalt darstellen. Wir wollen nichts Anderes, als
die Situation klären, welche auch für Euch bisher im Dunkeln geblieben
ist. Und diese unsere Arbeit wird leicht sein. Wir fähren die Thatsachen auf
den Schauplatz und diese werden sprechen, die Erklärung aber finde
der urteilende Bichter, das Publicum selbst. Wir werden Eurem Memoran-
dum Schritt für Schritt folgen und uns klar und deuüich ausdrücken. Wir
nehmen keine rhetorischen Kunstgriffe zu Hilfe, um solche Behauptungen
aufrechtzuerhalten, welche den Thatsachen, der Wahrheit nicht entsprechen
würden.
Und was in dieser Frage die Hauptsache ist : Wir werden unsere eige-
nen rumänischen Quellen benützen, damit man uns nicht beschuldigen
könne, wir seien den befangenen ungarischen Quellen gefolgt, gleichwie Ihr
nur den rumänischen, befangenen Quellen, welche die Wahrheit absichtlich
entstellt haben, gefolgt seid.
Wir thun dies deshalb, weil wir wünschen, dass in der Sache Klarheit
werde. Der Gebildete, dessen sind wir gewiss, wird diese offene und wahre
Beleuchtung der Dinge und Zustände von Seite der dabei wirklich Interes-
sirten^ nämlich seitens des siebenbürgischen Bumänentums, mit Interesse
und Sympathie entgegennehmen.
Wir, die wir inmitten der Zustände leben, können doch eher auf Glau^
ben und Vertrauen rechnen, als Ihr dort in der Ferne, die Ihr von böswilli-
gen Personen Eure Informationen empfangen habt. Diese Personen sind
hasserfüllten Herzens von hier geschieden ; sie führen den Hass auch gegen
das eigene Blut. Darum beschimpft das «Memorandum» auch unsem rumä-
nischen Glerus in schonungsloser Weise.
in.
Vor Allem muss man mit einer Frage ins ßeine kommen, welche in
dem «Memorandum» aufgeworfen ist, welche unser ganzes Wesen erfasst
und die uns auch gegenüber den bisherigen Ergebnissen der Geschichte
befangen und blind gemacht hat.
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3^ EINE ANTWORT AUF DIE DENKSOHRIFT
Diese Frage ist jene nach der römischen und dacischen Herkunft des
rumänischen Volkes.
In dem «Memorandum» verbindet Ihr die Geschichte des rumänischen
Volkes mit der Geschichte der Römer. Die dacische Geschichte der Bömer
setzt Ihr in der Geschichte des rumänischen Volkes fort; diese beiden sind
darnach im Grunde genommen nur Eins ; die dacische Herrschaft der Bö-
mer hat nach dem «Memorandum» niemals aufgehört, sondern ihre Fort-
setzung in der Herrschaft der Rumänen erhalten.
Und diese rumänische Besitzergreifung auf fabelhaftem Wege wird
mit grosser Vorliebe festgehalten. Asiatische Völker kommen und gehen,
aber das rumänische Volk bleibt nach deren Abzug stets Besitzer in
Dacien. Die Herrschaft der Gothen, der Hunnen, der Avaren bedeutet gar
nichts; das rumänische Volk befindet sich stets hier in Siebenbürgen,
beziehungsweise in Dacien, wo uns die Magyaren zu Ende des neunten
Jahrhunderts angeblich vorfinden.
Ihr beginnt die Geschichte der Rumänen mit dem Jahre 106 n. Chr.
und behauptet, dass dieses Land uns gehöre, weil es im Jahre 106 den Rö-
mern gehört hat und wir es seither dauernd im Besitz haben.
Und Ihr rühmet Euch staxk mit der Latinität und mit der römischen
Abkunft des rumänischen Volkes, das im Osten das erste Volk sei, einzig
und allein aus dem Grunde, weil wir angeblich die Nachkommen der Rö-
mer seien.
Mit dieser römischen Abkunft befinden wir uns in derselben Lage wie
die Neger Afrika*» mit den farbigen Glasstücken der Reisenden. Diese
unnützen, wertlosen Waaren werden über Alles geschätzt und wer sie
besitzt, ist überaus glücklich. Dieses Nichts macht den Neger hochfahrend,
herausfordernd ; denn er sieht durch diese Glasscherben die Welt grün, rot
oder gelb. Diese Täuschung ist ihm aber vor Allem angenehm.
Ihr da drüben im rumänischen Königreiche schlaget stolz an Eure
Brust und ruft vor Europa aus, dass Ihr «Römer» seid.
Die Franzosen, die Italiener und die Spanier besitzen zusammen nicht
so viel Hochmut, als in einem der Unterzeichner dieses «Memorandums»
hinsichtlich seiner Abstammung vorhanden ist.
Aber Ihr tretet nicht vor Europa mit den Beweisen dafür, wie Ihr
Eure Pflichten gegen die ruhmvollen Ahnen erfüllt habt. Denn nach geläu-
terten Anschauungen verleiht die rühmliche Herkunft nicht nur Rechte,
sondern sie legt den Abkömmlingen auch Pflichten auf. Und wie habt Ihr
diese Pflichten gegen die ruhmvollen Römer erfüllt, wie erfüllet Ihr sie
heute ?
Worin äussert sich Eure Latinität, wie habt Ihr bisher dem Latinis-
mus gedient ?
Ihr habt ihn immer gehasst ! Ihr dort auf dem Balkan und in den
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DER BUKURBSTBR UNTVERSITÄTS-JÜGEND. 385
mmänischen Fürstentümern seid zu Slaven, zu Griechen geworden ; Ihr habt
Eure Kleidertracht abgelegt, Eure Sprache weggeworfen, den römischen
Glauben der Ahnen verläugnet; Ihr habt mit Bom, dem Centrum des gebil-
deten Westens und dem eifrigen Pfleger des Latinismus jede Verbindung
angegeben, die Schrift der Bömer weggeworfen und die (slavische) Cyrillica,
resp. die Glagolitika angenommen ; Ihr seid in Eurer Seele, in Eurem Her-
zen, in Eurem Denken Slaven und Griechen geworden und nichts Bömisches
ist in Euch geblieben.
Schmach, tausendfache Schmach! Den Namen des «Bomanen» («Rö-
mersi) habt Ihr beschmutzt, indem Ihr den Sklaven, den Hörigen «Bumänet
(«rumäni) genannt habt, wahrlich zur grösseren Verherrlichung der ruhm-
vollen römischen Ahnen! (Vergl. Conv.-Lit. 1887, p. 10).
Und wie erfüllet Ihr heute in Rumänien Eure Pflichten gegen den
Latinismus? Ihr seid der Interessensphäre des Slavismus verfallen. Eure
Eeligion ist jene der slavischen Welt ; krampfhaft haltet Ihr deshalb an dem
Aberglauben des Slaventums, an den aus Moskau und Kiew durch Bussen
importirten slavischen Heiligenbildern fest ; Ihr könnt Euch nicht befreien
aus den Traditionen des Slaventums, weil Ihr Euch daraus nicht befreien
livollet ; Eure Kirche, die Kirche des freieü und unabhängigen Bumäniens ist
noch heute nicht geschützt vor den Einmischungen Constantinopels (s. Bi-
sericä fi scoalä d, i. Kirche und Schule VII. Jahrg. Nr. 1 — 5). Auf diesem
Gebiete habt Ihr gar keine Berührungspunkte mit dem gebildeten Europa.
Ihr geht wallfahrten nach Moskau und Kiew und lähmet Euren Geist mit
den für die Nachkommen Eoms so gefährlichen Thorheiten des Slavismus.
Was sagte doch Titus Maioreseu? «Die grösste Sünde in der heutigen
Bichtung unserer Cultur ist die Lüge. Die Lüge in den Aspirationen, die
Lüge in der Politik, in der Dichtung, in der Grammatik und in allen Kund-
gebungen des öffentlichen Geistes.» («Critice» p. 327). und wieder: «Ohne
Cultur kann ein Volk existiren, aber mit einer falschen Cultur kommt es
zu Fall.i
Und was sagt er über Euch, den «Stolz des rumänischen Volkes» ?
«Ein Teil unserer Jugend beschäftigt sich mit der Erzeugung litera-
rischer Makulatur, der andere Teil vergeudet mit dem Lesen derselben die
Zeit. »
«Mit der römischen Abstammung oder mit den Schlagwörtern» : «Mi-
haiu viteazul» («Michael der Tapfere»)* und «Stefan celmare» («Stefan der
Grosse») ** kann man die Geistesarmut und unsere Unwissenheit nicht ver-
decken.» (Am a. a. 0. p. 385, 430).
Und wer war dieser Mann, der es gewagt, in solchem Tone zu Euch
* Wojvod der Wallache! von 1593—1601.
=^* Wojvod der Moldau von 1458—149:2.
ünguitohe B«Tae, XI. 1891. V. Heft "^
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386
EINB ANTWORT AUF DIE DENKSCHRIFT
ZU sprechen ? Auch diesen Titus Maiorescu haben wir Euch als eine Geisel
gegeben, damit er Euch aus jener Lethargie herausreisse, in der Ihr ver-
sunken wäret. Jetzt hält er gerade für Euch Vorlesungen an der Bukurester
Universität ; fraget ihn doch, dem Ihr ja täglich begegnet, was ihn zum Aus-
sprechen dieser bitteren Wahrheiten bewogen hat. Und Ihr habt trotz dieser
• Wahrsprüche ihn dreimal zum Minister gemacht ; freilich, stand Rumänien
damals nicht im Dienste der russischen Clique eines Catargiu, sondern es
neigte in seinen Beformen wie in anderen Aeusserungen des öffentlichen
Geistes dem gebildeten Westen zu.
Wozu also das viele Prahlen mit der römischen Abkunft, welche Ihr
auch jetzt auf Schritt und Tritt verleugnet? Warum bedeckt Ihr Eure nackten
Glieder mit dieser Phrase, die Eure Nacktheit noch auffallender macht ?
Warum wollt Ihr nicht lieber durch ernste Arbeit, durch moderne Institu-
tionen thatsächlich dem Latinismus der europäischen Cultur dienen ? Gebt
lieber ein Stück Boden jenem rumänischen Nachkommen, der um dessent-
willen auf die schillernden Glasscherben der Abstammung für immer Ver-
zicht leistet.
Ich werde beweisen, dass wir hier auf dem Gebiete des ungarischen
Staates, an der Seite der ungarischen Nation dem Latinismus treuer gedient
haben als Ihr dort im freien Rumänien, und dass die Idee des Latinismus
uns weder der Slave noch der Grieche, sondern der Magyar mitgeteilt hat.
Zur Pflege der lateinischen Tendenzen hat uns weder der Slave noch der
Grieche, sondern der Magyar ermuntert, sowie der Magyar auch unpere
Sprache von der slavischen und griechischen Sklaverei befreit hat ; die Ma-
gyaren errichteten uns Buchdruckereien, jene Magyaren, von denen Ihr
behauptet, dass sie ein wildes Asiatenvolk seien, welches in den Rahmen
Europas nicht hineinpasse.
Die Theorie von der dacischen Abkunft des rumänischen Volkes haben
die magyarischen Historiker in Anregimg gebracht ; denn diese ganze Theorie
beruht auf der Erzählung des «Anonymus» eines Königs Bela von der
Besitzergreifung des Landes durch die Magyaren (vgl. Endlicher, Anonymi
Belae regis notarii de gestis hungarorum liber, p. 138 — 145). Ihm folgten die
Magyaren auch in der Aufstellung unserer römischen Abstammung. Gostin
Miron und die Chronisten der rumänischen Fürstentümer (um 1630 — 1690}
benützten zu ihren Arbeiten ungarische Quellen, denen auch Georg Sinkav,
der die dakoromanische Herkunft zum Dogma erhob, nachfolgte, als er zu
Ende des vorigen Jahrhunderts seine «Cronica» schrieb, welche von den
rumänischen Historikern als heilige Schrift betrachtet wird.
Also die Magyaren regten diese Abstammungstheorie an und nicht Ma-
gyaren waren es, die den balkanischen Ursprung der Rumänen entdeckten.
Diese Ansicht von der balkanischen Herkunft stammt von den Deutschen
und wurde in den letzten Decennien des vorigen Jahrhunderts von ihnen in
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DER BTJKURE8TER UNFVERSITÄTS-JUGEND. -^87
Verkehr gesetzt. Die Deutschen machten hierüber weitere Forschungen und
hielten diese Theorie aufrecht. Schon Thunmann («Untersuchungen über die
Geschichte der östlichen europäischen Völker», 1774) begann zu zweifeln; der
Zweifel verwandelte sich später in Glauben, der für unwiderlegbar gehalten
wurde (Vgl. Dr. Josef Sulzer «Geschichte des transalpinischen Daciens».
Wien, 1781, Bd. I. p. 101—114. — Auch Engel «Geschichte der Moldau
und Walachei», Halle 1804). Nach den Zeugnissen der rumänischen Sprache
und der Geschichte stammt Sprache und Volk der Rumänen von der Bal-
kanhalbinsel.
Die rumänischen Historiker haben bisher alle Bibliotheken der Welt
durchforscht, die griechischen Schriftsteiler von oben bis unten untersucht,
aber dennoch kein einziges Datum gefunden, welches für die dacische Ab-
kunft der Rumänen sprechen würde. Der Gestaltungsprozess der rumäni-
schen Sprache ist bekannt, wir kennen jedes einzelne ihrer Gesetze, den
Ursprung eines jeden Wortes ; allein in dieser Sprache findet man kein
einziges Zeugniss, welches unsere dacische Abstammung documentiren
würde.
Allerdings hat Trajan Dacien erobert und es haben die Römer hier
geherrscht ; aber mit dem Ende des HI. Jahrhunderts hören in Siebenbürgen
die römischen Denkmale auf und kein einziger Stein bekundet weiter, dass
dieses Land im römischen Besitz gewesen sei. In unserer Sprache gibt es
kein einziges Wort, welches zu Gunsten der dacischen Abkunft sprechen
würde. Femer : Ist es möglich, dass in Siebenbürgen, in Dacien das rumä-
nische Volk mehr als sechshundert Jahre hindurch so fortleben konnte, ohne
ein einziges Lebenszeichen von sich zu geben, dass es von den daselbst woh-
nenden Göthen, Hunnen und den durchziehenden Völkern auch nicht ein
einziges Wort entlehnen sollte ?
Nach den Zeugnissen der Geschichte erscheint das rumänisohe Volk
zuerst auf der Balkanhalbinsel. In den griechischen SchriftsteUem begegnet
man Meldungen über die balkanischen Rumänen. Unser erstes, handgreif-
liches Sprachdenkmal ist jener Zuruf: «Toma, torna fratre» ! (um 580 n.
Chr.), der sich (bei Theophilaktus Simocatta) auf ein balkanisches Ereigniss
bezieht. Bei dem byzantinischen Schriftsteller Procopius (De aedificiis) aus
der Zeit Justinians begegnet man rumänischen Ortsnamen an der Donau.
Die Sprache selbst zeigt in den Zahlwörtern und beim Artikel balkanische
Erinnerungen und Einwirkungen. Das ist unzweifelhaft.
Und nachdem diese Thatsachen mit der Präcision des Einmaleins
nachgewiesen sind, dürfen wir jetzt, da vor den Erfolgen der Wissenschaft
jedes Volk sich beugt, Märchen und Lügen blos aus Taktik und politischen
Gründen hartnäckig festhalten wollen, um den Magyaren gegenüber den
früheren Besitz dieses Landes behaupten zu können ?
Man zeige mir aus der Geschichte Siebenbürgens seit 106 v. Chr. ein
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388 EINE ANTWORT AUF DIE DENKSCHRIFT
einziges Blatt, welches das rumäDiscbe Eigentumsrecht auf dieses Land, die
rumänische Herrschaft und rumänische Cultur bezeugt, und ich gelobe ewiges
Verstummen ! Beweiset Ihr, die Ihr das behauptet, dass Siebenbürgen im
Besitze der Bumänen war ; zeiget mir ein einziges Gesetz, einen einzigen
Fürsten, eine Münze, eine Waffenthat, welche die rumänische Herrschaft, die
rumänische Gesetzgebung und Verwaltung bekundet und Ihr habt gesiegt!
Die Bolle des Wojwoden Michael (des Tapfem) * in Siebenbürgen zählet nicht
hierher, denn dieser war Euer Fürst, also kein Siebenbürger ; berufet Euch
auf unsere rumänische Herrschaft, auf uns Siebenbürger, von denen Ihr
behauptet, dass wir dieses siebenbürgische Land als unser Eigentum besessen
haben. Ihr wollet die Geschichte in dieser Beziehung fälschen mit der soge-
nannten «Chronik des Hurul» ; allein die Fälschung dieser Chronik hat die
rumänische Gelehrtenwelt selbst ausgesprochen (Vgl. Georg Saulescu «Cro*
nica lui Huru» 1856. — AI. Urechea, «Schite de ist. lit. rom.t p. 55.)
Und weshalb k lammern wir uns gerade an Siebenbürgen ? Warum
verlangen wir, dass Siebenbürgen ein rumänischer Besitz sein soll, da dieses
Land einst Besitztum der Römer gewesen ? Nach den Römern besassen es
die Gothen, die Hunnen, die Avaren, die Magyaren, und dennoch soll es
ein «römisches» Besitztum sein? Warum verlangen wir nicht gleich die
halbe Welt; denn die Römer besassen ja einstens die Hälfte der damals
bekannten Erde. Weshalb fordern wir nicht lieber von Europa eine inter-
nationale Commission, um vor derselben unsere Ansprüche und Rechte auf
den altrömischen Besitz, auf die halbe Welt nachzuweisen ? Es ist eine
Thorheit, sich auf die Zustände vom Jahre 106 zu berufen. Sämmtliche
Staaten Europa*s haben sich erst viel später zu entwickeln begonnen ; ein-
zelne Völker und Nationen haben mit bewaffneter Hand ihr Land in Besitz
genommen, dessen Grenzen erweitert, Staaten gegründet und diese mit dem
Rechte der Waffengewalt erobert und behauptet. Nur Siebenbürgen sollte
den Rumänen gehören auf den Grund hin, dass es im Jahre 106 römisches
Besitztum war?!
Ich und mit mir die nüchtern denkenden Rumänen legen aus Taktik
auf das Autochthonentum keinen Wert. Wir acceptiren die Resultate der
forschenden Wissenschaft und diese Wissen^^chaft hat constatirt, dass man
dem rumänischen Volke die römischen Elemente nicht abstreiten könne,
dass aber weder die Sprache noch das Volk dacischen, sondern beide balka-
nischen Ursprunges seien.
Und was schadet diese Wahrheit der Ehre des rumänischen Volkes?
Nichts, rein gar nichts. Aber das kann uns allerdings in schlimmer Weise
kennzeichnen, wenn wir an einer fixen Idee leiden, von der uns Nichts und
* Wojwod der Walachei von 1593 — 1601, der im Jahre 1599 Siebenbürgea
überfiaDen und daselbst die fürstliche Gewalt usupirt hat. D. R
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DER BÜKUBEBTER UNITER8ITÄTS-JUGBND. '^^9
Niemand befreien kann ; wenn wir hinsichtlich unserer localen Abstammung
ein Falsum festhalten und unsere Jugend in diesem Falsum heranziehen.
Die Magyaren haben einer edleren Abstammungstheorie entsagt und die
finn-ugrische Verwandtschaft angenommen ; die Verwandtschaft mit einem
armen Fischervolke, dessen man sich wahrlich nicht berühmen kann.
Ganz zutreffend charakterisirt uns G. Missail, wenn er sagt: «Wir
schreiben schlecht Geschichte. . . Wir schreiten in den alten Spuren weiter.
Was der Eine gesagt hat, sagen wir Alle nach ; wo der Eine geirrt hat, irren
wir Alle. Wir sind wie die Schafe : Einer springt dem Andern nach. Nicht
forsche, lieber Sohn, sondern glaube mirlt (lEpoca lui Vasilie Lupul»,
p. 7-8.)
Sind also vom Gesichtspunkte des Latinismus die Magyaren unsere
Gegner? Nein.
Als Ihr in Euren eigenen Fürstentümern slavisch gebetet und gesungen
habt und Eure nationalen Fürsten in slavischer Sprache Eure Angelegen-
heiten besorgen Hessen : haben wir hier in Ungarn die üebersetzung der
Kirchenbücher in die rumänische Sprache in Angriff genommen.
Schon zu Ende des XV. Jahrhunderts haben wir gerade unter magya-
rischem Einflüsse, der durch die Sprache bezeugt wird, die üebersetzung
des Buches der Psalmen (Psaltirea Scheiana) und mehrerer Teile des neuen
Testaments (Codex Voronetziu) bewerkstelligt.
Auch im folgenden Jahrhunderte habt Ihr noch im Schlamme des
slavischen und griechischen Aberglaubens gewatet, habt mit Eurem ganzen
Dasein in einer orientalischen Welt gelebt, als wir die ersten Eindrücke der
europäischen Gvilisation im Wege der Reformation empfingen, Bücher in
unserer eigenen Sprache drucken Hessen und im Jahre 1544 der rumäni-
schen Literatur das erste gedruckte Werk (Katechismus) lieferten.
Während Ihr nicht wisset, auf welche Art die Volkssprache in die
Kirche gelangt ist, war es der siebenbürgische Fürst Georg Räköczy, der im
Jahre 1643 die slavische Sprache in den rumänischen Kirchen verbot und
an deren Stelle den Gebrauch der rumänischen Sprache anordnete. (Vgl.
P. Major, Ist. bis. p. 72 flf.) Und dieser ungarische Fürst hatte im Jahre
1638 in Karlsburg eine rumänische Druckerei errichtet und damit eine
zweite Folge rumänischer Bücher veranlasst.
Und was habt angesichts dieser Thatsachen Ihr gethan ? Euer Metro-
polit in Bukurest, Theodosius, befahl uns, dass wir in unseren Kirchen den
(Gebrauch der rumänischen Sprache nicht wagen, sondern die früheren
Zustände aufrecht erhalten sollen (vgl. AI. Urechea, Schi^. de ist. lit. rom.
p. 103 — 104). Wir aber schenkten Euren vom slavischen und griechischen
Geiste erfüllten Befehlen keine weitere Beachtung. Während Ihr unter
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390 EINE ANTWORT AUF DIE DBNKgCHBIFT
Euren Nationalfürsten Slaven und Griechen wäret und Euch vor der euro-
päischen Civilisation hermetisch abgeschlossen verhieltet : haben wir an der
Seite der Ungarn unsere nationale Sprache gepflegt und die Segnungen der
westlichen Gultur genossen. Allerdings habt auch Ihr in dieser Zeit die Ein-
führung der rumänischen Sprache in die Kirche ausgesprochen (Metropolit
Barlaam in Jassy) ; aber dieser Befehl blieb ein todtes Wort. Denn gerade
damals errichtete der Fürst Basilius Lupul in Jassy Schulen nicht zur Pflege
der rumänischen, sondern der slavischen Sprache und Hess hiefür slaviscbe
Lehrer aus Bussland bringen.
Ihr konntet nicht einmal in lateinischer Schrift lesen ; die lateinischen
Buchstaben waren Euch noch völlig unbekannte Zeichen zu einer Zeit, da
wir bereits mit lateinischen Lettern Bücher herausgaben und nach den
Anleitungen der Ungarn uns mit den Schriftzeichen des gebildeten Europa
bekannt machten (vgl. Stef. Fogarasi^ Kathechismus, 1648).
Ihr hieltet krampfhaft fest an sämmtlichen Traditionen des Slavismus
und des Byzantinismus, als wir (1697) mit Rom die Unterhandlungen be-
gannen, um uns von den zerstörenden Einflüssen des Orients zu befreien.
Mit Unterstützung der Ungarn haben wir uns mit Bom vereinigt und unsere
Jugend der westlichen Gultur zugeführt. Bumänische Jünglinge studirten
in Bom, dem Mittelpunkte des Latinismus, wo sie ihr nationales Bewusst-
eein empfingen und kräftigten ; was aber thatet Ihr angesichts dieser Strö-
mung? Ihr habt uns die E^uger (Mönche) der slavischen Fabelwelt auf
den Hals gehetzt, die dann nach Siebenbürgen kamen und Unkraut säeten,
an dessen bösen Früchten wur bis heute leiden ! Diese Feinde des Latinis-
mus und der westlichen Cultur wollten uns vom Westen zurückhalten ; sie
warfen die Fackel der Zwietracht in unsere Mitte, steckten unsere Häuser
in Brand und entzündeten unter uns einen Bruderkrieg, der ein volles Jahr-
hundert dauerte. Als unsere griechisch-orientalische Kirche vor einiger Zeit
beschloss, kein Kirchenbuch mehr mit cyrillischen Lettern, sondern alle
liturgischen Schriften nur mit lateinischen Buchstaben drucken zu lassen :
da standet Ihr auf Seiten der Bussen und erhöbet den Vorwurf, dass wk
dadurch gegen die orthodoxe Beligion gehandelt haben !
Allein trotzdem kam die von uns im Wege des Latinismus erlangte
Aufklärung Euch ganz wohl zu Gute. Während man Euch im Sklavenjoche
des Griechentums und des Slavismus festhielt, erhoben sich bei uns in Sie-
benbürgen rumänische Schulen. Sinkay schreibt nach ungarischen Quellen
unsere Geschichte und erweckt bei Euch die Idee der Union ; es kommt zu
Euch Läzär und führt Euch in den rumänischen Unterricht ein ; zahlreiche
Gelehrte, die an den Brüsten der ungarischen Wissenschaft erzogen wur-
den, wandern aus und schaffen bei Euch eine neue Aera. Diese haben Euch
die Augen geöffnet, damit Ihr schauen konntet, und sie haben die Grund-
steine niedergelegt zum heutigen Bumänien sowie zu Eurer Gultur.
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DER BÜKURESTBR UNIVEBSITATS-JÜOEND.
391
Oder verhält es sich etwa nicht also ? Wo wäret Ihr Bukurester Jüng-
linge heute, wenn wir hier im rumänischen Brennpunkte inmitten der
ungaripchen Freiheit uns nicht erheben aus dem tiefen Schlafe, in den uns
der Einfluss des Slavismus und des Griechentums versenkt hatte ?
Wie kam es, dass Ihr stolzes Volk von Rumänien bei Euren freien
Institutionen, bei Euren nationalen Fürsten, im Besitze eines eigenen Lan-
des, dennoch auf uns angewiesen wäret, auf uns, die wir Eurer Anschauung
zufolge im magyarischen Sklavenjoche schmachteten ? Ihr behauptet, dass
Ihr mit den Türken beschäftigt wäret ; allein der Türke hat bei Euch nicht
so viel verwüstet als bei uns. Ihr habt Euch mit dem Türken gar bald ver-
tragen (die Walachei im Jahre 1418, die Moldau im Jahre 1538) ;* Euer
Ungemach war darum auch nicht besonders gross ; aber wir standen im fort-
währenden Kampfe gegen diesen Feind der Christenheit und dienten als
Bollwerke der westlichen Givilisation gegen die Barbarei des Ostens, und
trotz dieses unaufhörlichen Kampfes vermochten wir uns aus dem Staube zu
erheben und höhere Begionen zu erklimmen; denn der ungarische Ein-
fluss geleitete uns in die Interessensphäre der occidentaliscben Gultur, während
Ihr im Schlamme slavischer und grichischer Willkür verbUeben seid.
Und jetzt wollet Ihr Euch über uns erheben ! ? Ihr, die Ihr nach dem
Zeugnisse der Geschichte uns in der Vergangenheit nur Unheil gebracht
habet? Ihr, deren ganzes Bestreben dahin ging, uns von der westungarischen
Gultur zurückzuhalten im Interesse des Sklaventhums ?
Ihr habt Eurer Pflichten dem Bomanismus gegenüber in Bessarabien
vergessen. In Bessarabien ist für Euch ein dankbares Feld der Thätigkeit.
Dort werden 114 rumänische Ortschaften über kurz oder lang russificurt
und Ihr gebt Euch damit zufrieden ! Vor Euren Augen gehen einige hundert-
tausend Bumänen dem Latinismus verloren und Ihr mildert die Qualen der
Sterbenden nicht einmal durch Kundgebungen der Teilnahme. Oder hat
man die Unglücklichen im Jahre 1878 nicht gerade aus Eurem Leibe heraus-
gerissen ? Und doch habt Ihr seither Alles vergessen und Ihr wendet Euch
nicht in ihrem Interesse an Europa, sondern unsertwegen, die wir unter der
ungarischen Herrschaft unser Bumänentum nicht nur erhalten, sondern
auch dem Bomanismus überhaupt Dienste leisten können ? Wendet Eure
Aufmerksamkeit nicht nach dem Westen, sondern kehrt Euch nach dem
Osten, von wo die Wehrufe der Bumänen an Europa ergehen, aber nur
Eure Ohren nicht berühren.
Lasst uns im Frieden ! Selbst Euer Aufruf nützt nur dem Slavismus ;
diese Eure Einmischung geschieht nur in seinem Interesse, damit ein etwa-
* Eigentlich war die Walachei bereits seit 1391 den Türken tributpflich-
tig; die Moldau wurde es im Jahre 1512; abei^ eine unmittelbare Tttrkenherrschaft
machte sich in beiden FUrstentÜmem andauernd nicht geltend. D. B.
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392 EINE ANTWORT AUF DIB DENKSCHRIFT
ger Krieg mit Busslaxid udb hier in Zwietracht mit den Magyaren finde^
denen wir misere ganze Cultur zu verdanken haben. Ihr wollet Emropa irre-
führen und erhebt als unberufene Anwälte Klage in einer Sache, welche
uns allein gehört und an der Ihr auch nicht den mindesten Anteil habt.
Was ist unsere Pflicht ?
Nichts Anderes, als uns zu beugen vor der Wahrheit, die Thatsachen
anzuerkenneu. Es ist aber eine Thatsache, dass die Ungarn, die ungarische
Cultur für uns mehr gethan hat, als wir Alle zusammen, und dass wir dem
slavischen und griechischen Einflüsse nichts Anderes zu danken haben, als
traurige Erinnerungen und Sklavenketten. Seien wir nicht undankbar, bethö-
ren wir mit lügenhaften Verdrehungen der Wahrheit nicht uns selber und
Europa ; denn man ertappt uns und wir stehen beschämt.
Man kann Alles behaupten. Man kann sagen, dass wir mit der unga-
rischen Cultur gebrochen und zum Zwecke einer besonderen rumänischen
Cultur uns den Franzosen angeschlossen haben ; dass wir die Magyaren in
der Seele hassen und es nicht ruhig zusehen können, wenn ungarische
Gesetze unsere Zustände sanctioniren ; allein ohne Erröten kann und
darf man Eines nicht behaupten wollen, dass nämlich die ungarische Cul-
tur uns nicht zum Guten gereicht habe, dass nicht sie ehedem die einzige
Stütze gewesen, an der wir uns emporgerafift und gekräftigt haben.
IV.
Ihr sprecht auch von der Grundunterthänigkeit und von der Befrei-
ung aus deren Fesseln und behauptet, dass die Ungarn uns zu Höri-
gen gemacht, die Oesterreicher aber aus dieser Sklaverei befreit haben ; femer
fügt ihr hinzu, die Magyaren seien uns gegenüber unmenschlich gewesen und
unsere Feinde seit der Besitzergreifung ihres Landes.
Das ungefähr sind Eure Behauptungen. Kennt Ihr das Staatsrecht
und die Geschichte dieses Landes ? Und kennet Ihr das Staatsrecht und die
Institutionen sowie die Geschichte Eures eigenen Vaterlandes ? Weder das
Eine, noch das Andere ist Euch bekannt, oder besser gesagt : Ihr schliesst
Eure Augen gegenüber den von Euch gegen den Bomanismus begangenen
Sünden und zwingt Euch, uns gegenüber solche Dinge zu erblicken, welche
überhaupt nicht vorhanden sind. Im Angesichte von Europa und im schrof-
fen Gegensatze zur Wahrheit macht Ihr, auf frischer That ertappt, es gleich
dem Zigeuner, den man wegen eines Diebstahls verfolgte und der zur Ablen-
kung der öffentlichen Aufmerksamkeit von sich selber: «Fangt den Dieb !»
ausrief.
Die Geschichte unseres Vaterlandes liegt offen, Ihr könnet darin
lesen. Die siebenbürgische App. Comp. Constitutio ist vor Niemandem ver-
schlossen. Dieses unser Gesetzbuch verfügt eingehend hinsichtlich unserer
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DER BUKUKBßTBR üNIVBBßlTÄTß-JUGEND. 393
rumäniscben Kirche und in Bezug auf die Grunduntertbanenschaft. Die in
diesem Gesetzbuch enthaltenen einzelnen Verfügungen geben Zeugniss davon,
dass wir, ein von den Magyaren unterdrücktes Volk, unsere eigenen Institu-
tionen besassen; es wird darin bezeugt, dass die Magyaren sich gegen uns
verteidigen mussten, weil wir oft unsere Hechte missbraucht haben. (Vgl.
Approb. Const. I. Tb. VIIL 1. Comp. Const. I. Theil; Art. I. 9. u. a.)
Das siebenbürgische Gesetzbuch enthält keine einzige Verfügung, welche
für den Grundunterthanen unmenschlich gewesen wäre. Die Gesetzgebung
und die öffentliche Meinung betrachtete bei uns die Hörigen immer als
Menschen, sorgte oft für die Verbesserung ihres Loses und liess ihnen Ver-
günstigungen zuteil werden. Der Grundherr, der die Ehen seiner Untertha-
.neu verhinderte, wurde mit 100 fi. in Geld bestraft. Das gleiche Los hatte
übrigens auch der magyarische Hörige zu ertragen. Die Hörigkeit wurde bei
uns nicht unsertwegen, nicht der Bumänen wegen aufrechterhalten ; es war
dies vielmehr ein unglückliches System, das in anderen Staaten Europas eine
noch weit abschreckendere Gestalt angenommen hatte.
unsere Schulen waren auch den Kindern der Hörigen geöffnet. Ein
Gesetzartikel belegt mit einer hoher Strafe jene Grundherren, welche den
Kindern ihrer Unterthanen den Besuch der Schulen werwehren würden.
(Nach dem G. A. VIII: 1624 betrug die Strafe 10(X) fl.) Trotz dem Fortbe-
stände des Hörigkeits-Systems erlangten bei uns sehr viele Bumänen die
Freiheit und erstiegen die höchsten Stufen in Staat, Kirche und Gesellschaft.
Erhielt der Eine oder der Andere den Adel, so fragte Niemand weiter nach
seiner NationaUtät ; es standen ihm alle Wege offen. Die rumänischen Edel-
leute und Grundherren waren überhaupt in gar nichts verschieden von den
übrigen Adeligen; natürlich war auch der rumänische Unterthan seinem
magyarischen Standesgenossen gleich.
Und in diesem Zustande der Dinge haben wir trotz des von Euch ver-
kündigten tyrannischen Joches der Magyaren unsere Pflichten gegen unsere
Religion und gegen unser Volkstum nicht vergessen. Ich habe es Euch
nachgewiesen und Ihr wisst es auch, dass wir hier in der magyarischen
Sklaverei eine Gultur entwickelt, unsere Sprache gepflegt, unsere Kirche
unterstützt haben. Das ungarische Gesetz und die ungarische Freiheit haben
uns daran nicht gehindert.
Zeiget mir ein einziges Volk in Europa, das nach der grossen fran-
zösischen Bevolution früher als die Ungarn die Principien der Freiheit,
Gleichheit und BrüderUchkeit verkündigt hätte.
Verweilen wir ein wenig bei dieser wichtigen Thatsache !
Die ungarische Nation öffnete diesen herzerhebenden, volksbeglücken-
den grossen Ideen zuerst die Tore ihres Landes ! Hierher drangen die ersten
Strahlen der Sonne in vollem Glänze, mit ganzer Wärme»
Der 15. März 1848 war jener grosse Tag, an dem die Fesseln unserer
UngwiMhelUTne, XI. 1891. V. Heft. 25a
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394- EINE ANTWORT AUF DIE DENKSCHRIFT
Völker fielen, die Sklavenketten gebrochen wurden und die Nationalitaten
im Wonnegefühl der Gleichheit und Brüderlichkeit einander umarmten.
Von Freiheit, von Liebe tönte es damals wieder in allen Teilen Ungarns,
wahre Freude erfüllte jedes Herz, denn wir waren gleichberechtigte Bürger
des Vaterlandes geworden. Die ungarische Nation erkannte im Menschen
den Menschen, in dem Bewohner des Landes den Bürger, mit dem sie alle
ihre bürgerlichen Rechte und Güter teilte. Mit diesem Schmucke prangten
jetzt auch unsere armen rumänischen Grundholden! Sie empfingen alle Frei
heiten, ohne sie verlangt zu haben ; unsere Kirchen wurden gänzlich unab-
hängig, selbstständig, die Presse von allen Schranken befreit, — es gab
zwischen uns keinen Unterschied. Die ungarische Gesetzgebung sprach den
rumänischen Hörigen von allen Verpflichtungen los, beschenkte ihn mit
Grund und Boden, machte ihn zum Menschen, erhob ihn zum Mitbürger; —
es geschah mit Einem Worte das grosse Wunder, von dem der rumänische
Unterthan gar nicht einmal geträumt hatte.
Und welchen Anteil hattet Ihr an den bisherigen Erfolgen dieser
Ereignisse? Wer hat den Magyaren daran gemahnt, dass er den rumä-
nischen Hörigen befreien, ihn zu sich emporheben möge? Wer hat ihm dies
befohlen, wer ihm den Gedanken^ seiner Seele die Kraft eingeflösst zu solch'
grossen Beformen, welche die gesammten Zustände seines Landes umstür-
zen mussten? Habt Ihr vielleicht Euch damals auch an Europa gewendet und
Europa dazu bewogen, dass es sich in die inneren Angelegenheiten des unga-
rischen Staates auf solche Weise einmischen solle? Nein. Die Ungarn sind
ihrer eigenen Einsicht gefolgt, haben nach den edlen Eingebungen ihrer
Seele gehandelt und dadurch eine That vollbracht, für die wir ihnen ewigen
Dank schuldig sind. Oder gaben etwa die Oesterreicher im Jahre 1848
unsere freisinnigen Gesetze? Haben sie am 15. März in Ungarn die allge-
meine Freiheit verkündigt ?
Hüten wir uns vor Verdrehungen und vor Lügen und besudeln wir uns
nicht mit dem Schmutze der Undankbarkeit !
Wohl hattet auch Ihr einen Anteil am ungarischen Befreiungskampfe.
Wir auf dem freien ungarischen Boden begeisterten uns für die Magyaren ;
wir schlössen diese edle Nation an unser Herz ; sie hatte aus uns, aus den
armen Hörigen^ Menschen gemacht. Schaguna* (der Bischof und erste Erz-
bischof der griechisch-orientalischen Rumänen in Siebenbürgen) und mit
ihm die gesammte rumänische Intelligenz schwärmten damals für die
ungarischen Ideen. Wir wurden Anhänger der Union (Siebenbürgens mit
Ungarn) und glaubten schon, dass es keine Macht gebe, welche die beiden
Völker von einander trennen könnte.
'^ Seit 1848 Bischof^ seit 1864 der erste Erzbischof der gr. or. Bomäneii in
Siebenbürgen; f 1873.
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DER BUKUBBSTEB UKIVEBSITÄTS^ JUGEND. '^^
Und dennoch habt Ihr sie getrennt !
Ihr habt auch Bevolution gemacht, weil Ihr die russische Willkür
nicht ertragen konntet. Am 21. Juni 1848 habt Ihr nach ims die Ideen
der Freiheit proclamirt. Von Islaz gieng die Freiheit aus, dort wurde ihr
Banner entfaltet, und von hier aus hielt sie ihren Einzug in Bukurest.
Juon Bratianu, G. A. Bosetti, Balascu waren die entschiedensten Vertreter
der rumänischen Freiheits-Ideen. Aber Euch hat der Busse sofort nieder-
geworfen und Ihr habt das Joch wieder aufgenommen und es weitergetragen.
Eure vertriebenen Manner kamen hieher zu uns, und ergriffen die
Waffen für die ungarische Freiheit. Im Lager Berns befanden sich zahl-
reiche nunänische Emigranten, welche für die ungarische Freiheit begeistert
waren. Eure Emigranten haben im Interesse der ungarischen Freiheits-
Ideen mit grossen Opfern hier eine rumänische Zeitung («Espatriatul» von
Oäsar Boliac) gegründet und waren dahin bestrebt, dass Magyaren und
Bumänen sich vereinigen! Es war Bosetti's höchster Wunsch, mit den
Magyaren gegen Bussland und Oesterreich ein Bündniss zu schliessen.
Wer aber war der grösste Freiheiteheld Eures Landes ? C. A. Bosetti
hat das heutige Bumänien geschaffen, ihn habt Ihr vne einen Halbgott
verehrt, und dennoch verläugnet Ihr in jedem Augenblick seine Ideen und
die Anordnungen seines letzten Willens.
Kennet Ihr die Memoiren Juon Ghika's, des ausgezeichneten rumäni-
schen Staatsmannes? (• Amintiri din pribegie. ») Als Ihr euer «Memorandum»
an Europa gerichtet, habt Ihr diese Memoiren nicht gekannt, weil ihr als-
dann von der Befreiung anders geschrieben hättet.
Diese «Memoiren» legen die rumänischen Ereignisse von 1848 klar
und man ist entsetzt von den vielen Niederträchtigkeiten, welche sich unter
Euch zu unserem ewigen Schaden zugetragen haben.
Damach kam Eliade Badulescu nach Siebenbürgen, schlug seinen
Sitz in Hermannstadt auf und beanspruchte als Mitglied der Bukurester
rumänischen Bevolutions-Dictatur grossen Bespect und einen weiten politi-
schen Gesichtskreis. Er setzte sich unserem rumänischem Nationaloomit^
auf den Nacken und wendete dessen politische Haltung und Action nach
einer andern, entgegengesetzten Bichtung.
Gott, Eliade, Schaguna und die Wiener Femde der Freiheit vnssen, was
geschehen ist ; aber eines Tages vnurden wir gewahr, dass man uns gegen
die Magyaren hetzt, gegen jene Magyaren, die uns erst kürzlich mit so rei-
chen irdischen Gütern betheiligt hatten. Eliade, dieser blinde, hochmütige,
keine andere Meinung duldende, hass- und racheerfüllte Mensch, drückte
Schaguna und uns die Waffen in die Hand, und Schaguna der Schlaue und
wir, die Thoren, ergriffen diese Waffen und erhoben sie gegen jene Nation,
'die uns Alles gegeben, wessen ein freier Bürger bedürftig ist.
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396 EINE ANTWOBT AUF DIE DENEBCHBIFT
Ich wundere mich nicht über die Verzweiflung C. A. fiosetti's^ Weim-
er sagt:
«Ich will so lange leben, bis ich Bumänien von den Bussen, von den'
Türken und von Eliade gesäubert sehe . . . Ah, die Magyaren, die Magyaren !
Böge mir doch, wenn du diesen Namen hörst, ist es dir nichts als müsstest du
Asche auf dein Haupt streuen? Drängt es dich nicht, eine Pistole zu ergrei-
fen, um erst Eliade und dann dich selber zu erdchiessen ? Schande, tausend-
fache Schmach und Schande ! Aber was sage ich, Fluch über Jene (und zu
Diesen gehöre auch ich), die den Buhm Bumäniens verspielt haben, um der
langen Beihe der Leiden, der schändlichen Sclaverei zu verfallen! Ach,
hätten wir eine wirkliche rumänische Begierung besessen, dann wäre der
Buhm, die Welt vom Sklavenjoch befreit zu haben, nicht den Magyaren
zugefallen, sondern wir hätten ihn errungen. Oder im Vereine mit den
Magyaren würden wir sicherlich Wien erobert und die Bepublik proclamirt
haben. Jetzt aber zittern wir und bemühen uns, dib Brosamen von der
Tafel der Magyaren aufzulesen.»
Und weiter: «... Würde man uns gehört haben, dann wären die
rumänischen Bussen heute im Grund der Hölle, die Bumänen aber mit den
Magyaren vor den Toren von Wien. Jetzt ist es zu spät.» (Bosetti's Brief bei
Ghika VU. u. ft.)
So dachte der Begründer rumänischer Freiheit über die Magyaren.
Er erkennt, dass der Buhm der Befreiung der Bumänen aus den Banden
der Hörigkeit den Magyaren gebührt, und Ihr wagt es dem gegenüber vor
Europa zu behaupten, dass Bosetti gelogen habe? Was für eine Nach-
kommenschaft ist das, die den Qrössten ihres Vaterlandes in solcher Weise
Lügen strafen will? !
Ja, Ihr habt Eliade hierher gesendet und uns aus unserer Bahn ver-
drängt. Wir Hessen uns missbrauchen, und als wir die Waffen ergriffen, da
entfernte sich Bosetti voll Verzweiflung nach Paris. Ihr aber schlösset Euch
als Söldner den russischen Heeren an, die soeben Euer Land geknechtet
hatten und wir (Schaguna) riefen auf Euem Bat die Bussen herbei, welche
Eure Constitution zertraten, damit sie auch unsere Freiheiten vernichten.
Die ungarische Bevolution entwickelte sich vor den Augen Europa's
und Europa sah diesen Verzweiflungskampf, sah ein kleines, auf Leben
und Tod kämpfendes Volk gegen ein Meer von Feinden ; sah wie österrei-
chische und russische Heere, wie die bis an die Zähne bewaffneten
Nationalitäten : Kroaten, Slovaken, Sachsen, Bumänen gegen die Nation
wüten, welche die Freiheit des Landes verteidigte. Ein trauriger Anblick!
Intrigue und Hinterlist, rohe Gewalt und Uebermacht bewältigten die
Nation und vernichteten alle Freiheiten !
Wir waren die Sieger. Wir setzten unsem Fuss den Magyaren auf die
Brust — und weshalb ? Was war der Erfolg ?
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DBB BÜKURE8TER UNIYEBSITÄTS- JUGEND. 397
Die Gestalt Schaguna's hebt sieh aus dem Pulverdampfe hervor, denn
das ganze Land stand in Bauch und Flammen, und Schaguna eilte nach
Olmütz, um dort den Lohn zu empfangen. Er wollte diesen Staat zer-
trümmern, er forderte für die Eumänen ein besonderes Territorium, eine
eigene Verwaltung, einen rumänischen Fürsten (1849) und begnügte sich
am Ende mit einem erzbüchößichen Stuhle. Wir hatten bei der Niederwer-
fung der ungarischen Nation 40,000 Menschen verloren und erwarben ein
Erzbistum für Schaguna ! Eliade aber verlangte eine Pension.
Alle Freiheiten waren dahin. Das rumänische Volk gewann gar
nichts. Die von den Magyaren verkündigten Freiheitsideen wurden vernich-
tet, die freien Listitutionen confiscirt und die Fesseln des Sklaven uns
neuerdings angelegt.
Das Land hüllte sich in Trauer ; die Wiege der Freiheit wurde zum
Todesacker. Die Mütter trugen die düstersten Trauergewänder, alle Frauen
Ungarns kleideten sich in diese Zeichen des Schmerzes. Die Seufzer der
Kinder, der Bräute und der Waisen ertönten von einem Ende des Landes
bis zum andern. Die Väter, die blühenden Jünglinge irrten im Auslande
umher und ertrugen die Leiden der Verbannung. Der Galgen und die
Gewehrkugel forderte täglich ihre Opfer und in dunklen Kerkern büssten
Jene, welche die Freiheit des Vaterlandes verteidigt hatten. Und dann trat
die Stille, die fürchterliche Stille des Grabes ein ! . . . Weg lüit dem Bilde !
Wir hatten ja gesiegt ! Wir, ein Meer von Feinden, hatten die Magya-
ren besiegt ; — welchen Lohn erhielten wir dafür ? Die Enttäuschung. Wir
wollten ein Ungarn ohne die ungarische Nation schaffen und das Besultat
war : Solferino und Königgrätz. In der Brust des getäuschten, aufrichtigen
Runoiänen kochte das Gefühl der Bache. Janku, der rumänische Freiheits-
held, den wir den «König der Alpen» zu nennen gewöhnt waren, wurde
zur Anerkennung seiner ausgezeichneten Verdienste ins Gefängniss gewor-
fen. Und der Mann, der für die Ideen der Freiheit begeistert war, fühlte das
gegen die ungarische Freiheit verübte Unrecht und wurde wahnsinnig.
Janku durchschweifte das Hochgebirge von Topänfalva bis Körösbänya und
zurück ; fünfundzwanzig Jahre wanderte er barfuss, in Lumpen und nahm
in seinem Wahnsinne von seinen Getreuen in der Bevolution kein Almosen
an, sondern — nur von. den Ungarn. Wie Vieles mochte der Mann um sei-
ner Enttäuschungen willen gelitten haben, bis er den Verstand verlor?
.Sever Axente und Andere erhielten ebenfalls gar bald den Kerker zur
Belohnung ! . . .
In der Freude über unsem grossen Sieg gelangten wir bis dahin, dass
wir uns nach der Wiederkehr der Hörigkeit sehnten. Wir gewannen die von .
den Oesterreichem uns gebrachte Befreiung so lieb, dass wir die Knecht-;
Schaft zurückwünschten.
Wie und warum lernet Ihr die Geschichte Eures Vaterlandes und des
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398 jgoHE ANTWORT AUF DIB DENKSCHBIFT
rumänischen Volkes, wenn Ihr nicht die Lehren daraus ziehen wollet?
Wenn Ihr bis jetzt die grössten Gegner und die natürlichen Freunde Eures
Landes und Eures Volkes nicht erkennet? Das Volk und der Staat, die
durch die Geschichte ihrer Vergangenheit nicht belehrt werden ; für die
die Ereignisse ohne Belehrung ablaufen : — ' dieses Volk und dieser Staat
werden immer unreif bleiben und in jedem Augenblicke den Enttäuschun-
gen, der Gefahr ausgesetzt sein.
Die ungarische Nation söhnte sich aufrichtig mit der Krone aus ; im
Jahre 1867 wurde die Verfassung auf Grund der Gesetze von 1848 wieder
hergestellt . . . Wir Bumänen hierzulande machten für uns ein politisches
Progranmi ; dasselbe mochte gut oder schlecht sein, genug ! wir selber wa-
ren die Verfasser desselben. Damals schicktet Ihr uns wieder einen Eurer
Agenten (Slavici), der in Eurem Organe (in der «Tribuna» zu Hermann-
stadt) dieses unser Programm verwarf und neue Lehren predigte. Er ver-
langte für das Rumänentum die Zeit des Absolutismus zurück ; er verkün-
dete, dass wir rumänische Unterthanen des ungarischen Königs eigentlich
dem (rumänischen) Könige Karl zu gehorchen verpflichtet seien («Tribuna»
1887, Nr. 65, 66); dass wir gegen den König von Ungarn gar keine Pflich-
ten hätten («Romanul» 1891, Nr. v. 6. März : «dar fa^ cu regele maghiari-
lor (rumanii) n'au nici o datorie») ; er verletzte unsere Loyalität, compromit-
tirte uns vor aller Welt und verunreinigte das Volk, das zu jeder Zeit
seinem Könige in Treue anhieng, mit dem Makel der Treulosigkeit. Er
schleuderte die brennende Fackel der Zwietracht in unsere Mitte, er be-
schimpfte unsere Bischöfe und dann wanderte er wieder aus, um in der
rumänischen Hauptstadt eine gut bezahlte Stelle einzunehmen. Er setzt die
Feigen in Angst und Schrecken, vor ihm ziehen sich die besten unserer
Männer zurück und über unsere Presse verbreitet er den Glauben, dass
sie vaterlandsverräterisch sei. Bis dahin brachte er die Dinge, dass dieses
zum Treubruche aufreizende Blatt, welches in den heiligen Empfindungen
der rumänischen Loyalität mit roher Hand wühlt, gerade deshalb zu Grunde
gehen musste. («Romanul» 1891, Nr. v. 9. April).
Und jetzt stehet still und legt auch Ihr Rechnung über die Hörig-
keits-Zustände in Eurem Lande! Denn dass Euch zufolge bei uns dar
Unterthan von dem Magyaren, der nach Eurer Ansicht uns feindselig gesinnt
ist, gedrückt worden sei, das Hesse sich noch begreifen ; denn der Magyare ist
nicht Fleisch von unserem Fleische; was aber habt Ihr Bumänen mit Euren
rumänischen und anderen Hörigen gethan ?
Ich spreche keine Unwahrheiten ; Ihr, die der Sache nahe stehet,,
müsset es ganz gut wissen.
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DBB BUKUBBSTEB UNIVERSITÄT8-JÜGEND. 399
In den rumänischen Fürstentümern war der Hörige kein Mensch, son-
dern eine Waare. Er wurde gekauft und verkauft wie das Vieh, wie ein Huhn
oder wie eine Pfeife Tabak. Diese Menschenkauf- und Verkauf- Verträge
waren alltägliche Urkunden, an denen Niemand Anstoss nahm. Ihr habt
Eure Leute mit glühenden Eisen gebrandmarkt gleich dem Nutzvieh ; Ihr
habt den Sohn vom Vater, die Tochter von der Mutter gerissen und an
fremde Herren verkauft, als ob es sich um Neger in Afrika gehandelt
hätte. Der grosse Wojwode, Michael der Tapfere, hat zahlreiche solche
Sklaven gekauft; denn bei Euch nannte man die Hörigen auch «Sklaven» !
Doch ich drücke mich incorrect aus; «Sklaven» hiessen diese Unglückli-
chen auch anderwärts. Wie aber nanntet Ihr sie ? Rumänen (ruman) und
damit habt Ihr den rumänischen Namen entehrt; denn bei Euch war
«Sklave» und «Eumäne» gleichbedeutend. Auf solche Weise dientet Ihr
der Idee des Latinismus. Processe aus solchen Menschen-Kauf- und Ver-
kaufcontracten wurden noch im Jahre 1882 geführt, also in einer Zeit, da
Ihr bereits ein Königreich constituirt und Eure völlige staatliche Unabhän-
gigkeit erlangt hattet, (vgl. Brezoian «Vechile institu^uni de Bomaniei»,
p. 78, 79.)
Wer das Alles leugnen wollte, der nehme die Schriften von Florian
Papu («Tesaur» Bd. IH. p. 193—196), Negruzzi (Convorb. Lit. 1887,
p. 10) u. A. zur Hand und er wird sich aus den Büchern der Historiker
Rumäniens überzeugen, dass ich kein einziges Wort gegen die Wahrheit
gesagt habe.
Rumänien befreite seine Hörigen durch das Gesetz vom 23. April 1865,
somit achtzehn Jahre später als Ungarn. Und wie ? Der befreite rumänische
ünterthan war gezwungen durch seinen eigenen Schweiss die Ablösungs-
summe zu erwerben und zu bezahlen. Bei uns gelangte der frühere Ünter-
than ohne jedes Entgelt in den Besitz von Grund und Boden; denn die
Grundentlastung bezahlte der Staat. Die ungarische Nation nahm dio
Riesenlast der Unterthanenbefreiung auf ihre Schultern.
Und damals, da Ihr dem Bauern mit der einen Hand ein Stück Feld
gegeben, habt Ihr mit der andern ihm dasselbe wieder genommen. Im Jahre
1865 erhielten 414,000 rumänische Unterthans -Familien ungefähr drei
Millionen Joch Feld, und dafür bezahlten sie 15 Millionen Francs Entschä-
digung. Sie hatten also ihren Grund und Boden einfach — kaufen müssen.
Aber sie konnten diesen so schwer errungenen Besitz nicht, behaupten
gegenüber den Grundherren, die auf verschiedenen Wegen das überantwor-
tete Feld wieder in ihre Gewalt brachten, so dass seit dem Jahre 1865 bis
heute mehr als die Hälfte der befreiten Bauern wieder der Unterthanschaft
verfallen ist. Und Ihr im freien Rumänien habt mit Eurem rumänischen
Blute abermals das Hörigkeitssystem hergestellt und haltet es fortdauernd
aufrecht.
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^^ EINE ANTWORT AUF DIE DENK8CHBIFT
Was rief im Jahre 1888 in Bumänien den Banern -Aufstand hervor?
Nur der umstand, dass Ihr für das Landvolk neuerdings Hörigkeits-Zustände
geschaffen habt. Das Landvolk arbeitet gleich dem lieben Vieh, aber nicht
für sich, und die Arbeit hat nicht einmal den Erfolg, dass der gehetzte Mann
und seine Familie sich des Tages auch nur einmal satt essen könne. Wie
häufig herrscht die Hungersnot in Bumänien ! Die Hungersnot tritt aber
nicht deswegen ein, weil kein Oetreide vorhanden ist, sondern deshalb,
weil der Bauer keinen Acker hat, der ihn und die Seinigen ernähren könnte.
Wenn nun Euer Herz für das Heil des rumänischen Volkes so sehr glüht ;
wenn Ihr die Sache des Bumänentums in Eure Hand genommen habt, diese
vertreten und regeln wollt : warum ordnet Ihr nicht vor Allem die Angele-
genheiten der rumänischen Bauernschaft bei Euch im Lande, damit Ihr
den Magyaren, den Bussen, den Türken und den Qriechen ein Beispiel
zeigen könnet und sagen : Sehet, so muss man mit dem rumänischen Ele-
mente umgehen ! Ihr schuldet in Eurem eigenen Vaterlande dem rumäni-
schen Bauer noch so Vieles, dass Ihr uns gar nicht erreichen könnet.
Angesichts dieser Eurer Zustände kommt hierher nach Ungarn. Der
rumänische Besitz hat sich hier bedeutend vermehrt. Nehmt die Statistik
zur Hand und ihr werdet finden, dass der Besitz der Bumänen sich ver-
doppelt hat. Bumänische landwirtschaftliche Institute und Ausstellungen
findet man im ganzen Lande.
unter der ungarischen Begierung, also seit 1867 sind insgesammt 30
rein rumänische Banken und Geldinstitute entstanden, deren jährlicher
Umsatz über 40 Millionen Gulden ausmacht ; und gerade unter der unga-
rischen Begierung hat das Gewerbe und der Handel einen solchen Auf-
schwung genommen, dass selbst die «Tribuna», das einzige von Euch als
glaubwürdig anerkannte Journal, eingestehen muss: «Jedermann wird es
begreifen, wie stolz wir darauf sind, von der Thätigkeit des rumänischen
Volkes auf wirtschaftlichem Gebiete sprechen zu können. Vor Allem ver-
mehren und kräftigen sich unsere Geld- und Credit-Institute, welche den
unleugbaren Nutzen haben, dass sie unsere Leute aus den Klauen der sie
wirtschaftlich zu Grunde richtenden Individuen befreiten. («Trib.» 1891,
Nr. 72.)
Was nun bedeutet dieses ? Wie konnten die rein rumänischen Institute
sich vermehren und kräftigen, wenn die Begierung, welche die Concession
für die Errichtung derselben erteilt, den Bumänen feindlich gesinnt wäre ?
Die materielle Lage der Bumänen hat sich bei uns wesentlich gebessert,
viele von ihnen haben sich bereichert, die Lebensexistenz ist ihnen erleich-
tert worden ; denn die Begierung hält nicht das Emporkommen des Bumä-
nen, des Magyaren oder des Slovaken vor Augen, sondern ihr li^ die Hebung
des Gemeininteresses, das zugleich das Interesse des Vaterlandes ist, am
Herzen.
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DER BÜKÜRE8TER UNIVEB8ITÄT8- JUGEND. *01
Besteht daher zwischen uns ein Unterschied ? Gewiss ; aber der Erfolg
spricht zu unseren Gunsten. Der ungarische Grundherr suchte nicht von
dem betreiten Hörigen den Grundbesitz zurückzuerwerben, und diese That-
Sache gereicht unter allen Umständen den ungarischen Grundherren
zur Ehre.
Und Ihr wendet Euch dennoch zu unserer Verteidigung an Europa?
Gehen wir zu den einzelnen Anklagen über !
Ihr behauptet, dass die rumänischen Kirchen und Schulen verfolgt
werden ; dass auf dem Gebiete des ungarischen Staates die rumänischen
Beligions- und Schulangelegenheiten nicht gehörig gesichert seien, und
betrachtet es als einen harten Schlag, dass unsere Bischöfe durch die Krone
ernannt, resp. bestättigt werden, sowie dass in den rumänischen Schulen die
ungarische Sprache als ordentlicher Lehrgegenstand eingeführt worden ist.
Mit Einem Wort : Der Magyar sei ein Feind der rumänischen Kirche und
Schule.
Ihr behauptet, dass überall magyarische «Cultur- Vereine» gegründet
worden seien und dass insbesondere der «Siebenbürgische Cultur- Vereint
die Rumänen magyarisiren wolle, sonach der Magyar der rumänischen
€ultur ein geschworener Feind sei.
Und dennoch ist es sehr auffallend, dass unter solchen ungünstigen
Verhältnissen auf dem Gebiete des ungarischen Staates die rumänische
Kirche und Schule blühender gedeiht als bei Euch im freien Rumänien,
unter Eurem eigenen Einflüsse.
Es ist bedauerlich und überaus traurig, dass Ihr die Vergangenheit
Eures Vaterlandes und seiner Institutionen nicht kennet. Wie können Euch
dann unsere Angelegenheiten genau bekannt sein ? Noch trauriger aber ist es,
wenn Ihr vor Europa Dinge behauptet, von deren Grundlosigkeit Europa
überzeugt ist. Oder haltet Ihr Europa für so bornirt, dass es Dinge vergesse,
welche erst kürzlich vor seinen Augen geregelt wurden?
Halten wir hier ein wenig still !
In die inneren Angelegenheiten des ungarischen Staates hat Europa
flieh niemals eingemischt, insbesondere nicht unter dem Vorwande, weil man
hier die Freiheit unterdrücke und morde. Im Gegenteil ! Wenn eine fremde
Intervention geschah, so war es deshalb, um bei uns die Freiheit zu ver-
nichten.
Bei Euch hat man auf brutale Weise die Glaubens-Bekenntnisse An-
derer verfolgt, während bei uns die Religionsfreiheit proclamirt ward. Der
Wojwode Stefan drang zu Pferde in die Kirche der christlichen Armenier
ein (1551), nahm das Allerheiligste vom Altar und warf es zur Erde,
üngaiiMhe BaTo» Xr. 1891. V. Heft. ^g
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402 KnnB ANTWOBT AUF DIE DENKSCHRIFT
beraubte die Kirche, liess die Priester und Mönche binden und in den
Kerker werfen.
«In meinem Lande»; sagte der Wojwod, «darf kein Armenier ver-
bleiben ; Jeder muss den griechischen Glauben bekennen. Wenn Ihr die
griechische Religion nicht annehmet, werde ich Euch alle mit Feuer und
Schwert verderben. Wer widerstrebt, den schlage ich mit dgener Hand
nieder, dem bohre ich die Augen aus ! » Wir wollen aus diesen Vorfallen
kein politisches Capital schlagen ; denn blindeifrige, für ihren Glauben fana-
tisirte Menschen, die weder Gott noch den Nächsten kennen, hat es zu allen
Zeiten gegeben.
Gehen wir auch nicht so weit zurück, um die schreckUchen Beispiele
religiöser Verfolgungen aus der Vergangenheit zu citiren ; bleiben wir bei
der Gegenwart. Europa wurde in jüngster Zeit von den Judenverfolgungen
stark in Anspruch genommen. Diese Judenverfolgungen waren an der Tages-
ordnung und heute, da Ihr im Interesse der freien Beligionsübung Euer
«Memorandum» an Europa richtet, packen hinter Eurem Bücken, auf dem
Boden Eures Vaterlandes die Juden zu Tausenden ihre HabseUgkeiten
zusammen, um ein besseres Heim aufzusuchen. Ihr wünschet ihnen spott-
weise eine «glückliche Reise.»
Nicht ohne Grund hat also Europa sich in Eure inneren Angelegen-
heiten eingemischt. Als Ibr an der Seite der ungeheuren russischen Kriegs-
macht Eure Freiheit mit Tapferkeit erkämpft hattet, wolltet Ihr dennoch
ein orientalischer Staat verbleiben ; wolltet Euch nicht auf das Niveau der
europäischen Givilisation erheben. Europa erkannte Eure Souveränetät
nur unter der Bedingung an, wenn Ihr der europäischen Givilisation die Thore
öffnet und für diese Givilisation Garantien leistet.
Was sagt der Berliner Vertrag vom Jahre 1878?
Die hohen Contrahenten erkennen die Unabhängigkeit Rumäniens an,,
aber unter folgenden Bedingungen :
1. Der Religions- oder Glaubens- Unterschied darf gegen Niemanden
als Motiv gelten, um ihn von dem Genüsse der bürgerlichen und politischen
Rechte auszuschliessen oder ihn zur Bekleidung öffenthcher Aemter und
Würden untaugUch zu machen oder ihn an der Fortsetzung der verschie-
denen Geschäfte und Gewerbe an welchem Orte immer zu verhindern.
2. Die Freiheit und äusserUche Ausübung der Religion ist garantirt
sowohl den Angehörigen des Staates wie den Ausländem und es darf den
verschiedenen Confessionen weder in Hinsicht ihrer kirchhchen Organisa-
tion noch bezüglich der Verhältnisse zu ihren Glaubensvorstehern irgend
welches Hindemiss in den Weg gelegt werden. Die Angehörigen eines jeden
Staates, seien es Handelsleute oder Andere, gemessen ohne Unterschied des
Glaubens in Rumänien auf Grund der vollständigen Gleichberechtigung die
gleiche Behandlung. (Art. 43, 44.)
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DER BÜKURESTBR UNTVEBSITÄTS-JUGEND. ^^
Untersuchen wir die übrigen Bedingungen nicht weiter ! Diese beiden
bezeugen es deutlich, dass in Eurem Staate Europa die freie Religionsübung
vorgeschrieben hat und dass nicht Ihr Euch zu jener Höhe der Freiheit
erhoben habt, ohne welche in Europa kein Land den Anspruch auf den
Namen eines «Culturstaates» machen kann.
Und wie erfüllt Ihr Eure diesbezüglichen Verpflichtungen ? Ihr be-
freiet die jüdische Bevölkerung nur partienweise und knüpfet die Emanci-
pation an gewisse Bedingnisse. Gegen die griechischen und römischen
Katholiken wird in Euren Kirchenblättem fortwährend agitirt. Den nach
fiumänien zur Visitation seiner Glaubensgemeinden gehenden evangelisch-
reformirten Bischof aus Siebenbürgen stellet Ihr unter Polizei- Aufsicht und
Ihr gesteht Niemandem, der nicht zum griechisch-orientalischen Bitus
gehört, das Becht der Beteiligung an den staatlichen Vergünstigungen zu.
Eure Gesetze verfügen in vielen Dingen derartig, dass nur das griechisch-
orientalische Bekenntniss den Ausschlag gibt.
Und wie fasset Ihr die Gleichberechtigung hinsichtlich der Aemter
und Würden auf? Gehen wir nicht weit. Der Fall mit dem rumänischen
Gelehrten Lazar Sainean ist Euch bekannt. Ihr habt diesen Gelehrten,
weil er ein Jude war, vom Universitäts-Katheder verdrängt und ganz Bu-
mänien gegen ihn aufgehetzt, und doch hat er der rumänischen Sprache
und Literatur, der rumänischen Cultur so viele Dienste geleistet, wie wenige
von Euren sogenannten Halbgöttern !
All das führe ich aber nicht als Verbrechen an. Ich anerkenne, dass
dies krampfhafte Festhalten an der Bace, an der Staatsgewalt, an den Be-
dingnissen des Nationalstaates kein Verbrechen sein kann. Man kann dadurch
gegen die Freiheit sündigen, allein es kann kein derartiges Verbrechen sein,
dass jemand vom Standpunkte der Selbsterhaltung den Stein aufbeben
dürfte. Wer jedoch in dieser Beziehung unter gläsernem Dache sitzt, der
werfe nicht mit Steinen und wende sich nicht an Europa in solchen Din-
gen, in denen er selber schuldig ist.
Bei uns geschehen derartige Dinge nicht ; sie geschahen selbst damals
nicht, als noch die Theorie der «recipirten Confessionen» herrschend war.
Wegen unseres Glaubens haben wir in unserem Lande niemals eine Ver-
folgung erlitten. Einzelne Confessionen waren bemüht, uns über ihre Glau-
benssätze aufzuklären und dafür zu gewinnen ; aber wegen unserer eigenen
Beligion hatten wir keine Verfolgung erduldet. Wer aus der Geschichte
Siebenbürgens uns ein einziges Blatt zeigt, welches eine solche Verfolgung
documentirt, der wäre in Wahrheit ein ausserordentlicher Mensch. Einzel-
nen mag wohl Unirecht geschehen sein, aber wegen seiner Beligion wurde
Niemand behelligt
Unsere Kirchenverfassung winrde durch königliche Bescripte und Lan-
desgesetze garantirt. Die kirchlichen Institutionen der griechischen Katho-
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-*<^ EINE ANTWORT AUF DIE DBNK80HRIFT
liken und die freie Uebung ihres Glaubens sicherten mehrere königliche
Schreiben. So verfügt z. B. in dieser Beziehung das Manifest des Kaisers
und Königs Leopold I. vom 2. Juni 1698 in bestimmter Weise. Der Gesetz-
artikel 66 vom Jahre 1761 spricht es klar aus, dass die freie Beligions-
übung den Griechisch -Orientalischen gewährleistet sei. Das königliche
Bescript vom 2. Mai 1 792, womit das Gesetz über die Beligionsfreiheit zur
Inartikulirung herabgesendet wurde, constatirt zugleich die allgemeine
Äemterfähigkeit auch für die Griechisch-Orientalischen. «In Bezug auf diese
Anordnung (bemerkt das Bescript) gab es unter den Ständen des Landes
keinerlei Schwierigkeiten ; aber die für die heiligen Kirchenangelegenheiten
entsendete Deputation wird die Pflicht haben, für die Heranbildung des
Wallachentums zu sorgen.»
Der siebenbürgische G.-A. IX : 1848 setzt die «vollständige und voll-
kommene Bechtsgleichheit» unter den Confessionen fest und diese Bechts-
gleichheit spricht auch der G.-A. XX : 1848 des ungarischen Beichs-
tages aus.
Nach Wiederherstellung der Verfassung war es die erste Pflicht der
xmgarischen Gesetzgebung, die Beligionsfreiheit zu sichern und die Auto-
nomie der Kirche zu kräftigen. Der G.-A. IX : 1868 verleiht den Griechisch-
Orientalischen eine auf breitester Basis ruhende Autonomie, welche vollkom-
men selbständig, unabhängig und frei von allen Einmischungen ist.
Und dennoch sollten die Magyaren die Feinde der rumänischen
Kirchen, des rumänischen Glaubens sein ? !
Gehen wir nicht zu weit. Lesen wir nur die diesjährige Nr. 27 der
Berliner «Kreuzzeitung» oder die heurige Nr. 59 der Hermannstädter
«Tribuna», worin es heisst: «Die Griechisch-Orientalischen in Ungarn
stehen unzweifelhaft unter allen griechisch- orientalischen Christen auf der
fortgeschrittensten Stufe der Gultur. Sowohl die «Unirten» als auch die
«Nichtunirten» besitzen eine vorzügliche Kirchen Verfassung und einen wis-
senschaftlich gebildeten Glerus. Sie haben die gesammte griechisch-orien-
talische Kirche reformirt!»
Während Ihr also vor Europa von Glaubens- und Kirchenverfolgung
redet, gibt Euch die «Tribuna» eine Auskunft, dass Eure Kirchen weit
zurückgeblieben seien hinter den unsrigen hier unter den feindseligen Ma-
gyaren.
Und ist es ein Uebel, dass unsere Bischöfe vom Könige ernannt, resp.
bestätigt werden? In welchem Staate ist dies anders? Wie steht es bei
Euch ? Auch dort ist es nicht anders. Nach Eurer Kirchenverfassung wird
die Wahl der Erzbischöfe und Bischöfe ebenfalls durch den Cultusminister
dem Könige zur Bestätigung unterbreitet. Wenn dies bei Euch kein Unheil
ist, warum soll dieser Gebrauch gerade bei uns, wo er von den ältesten Zei-
ten her besteht, ein Uebel sein? Er bestand hierlands schon zu jener Zeit^
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DER BUKUBBSTBR ÜNIYBRSITÄTß-JUGfiND. 40f>
da Griechen und Slaven gegen Euren Willen und ohne Eure Zustimmung
Euch die Bischöfe auf den Hals schickten. Und war es unter dem Absolu-
tismus etwa anders ? Wurden Schaguna, Schulutz und deren Genossen nicht
auch von der Krone ernannt? Und das habt Ihr damab ganz einfach und
natürlich gefunden.
Es ist eine unbestreitbare Thatsache, dass die rumänischen Kirchen bei
uns eine grössere Freiheit geniessen, als die Eurigen im freien Bumänien
und das Uebel liegt bei uns eben in dieser zu grossen Freiheit. Die kirch-
lichen Synoden und Congresse begnügen sich nicht mehr mit der Erledi-
gung kirchlicher Angelegenheiten, sondern ziehen auch die Politik in daa
Bereich ihrer Verhandlungen. Unsere kirchlichen Körperschaften politisiren
ganz offen. Welcher Staat gestattet es, dass die kirchlichen Gorporationen
ihre gesetzlich garantirte Autonomie missbrauchen ? Unser grösstes Elend
liegt eben darin, dass wir unsere Kräfte durch die Aufreizung der politi-
schen Leidenschaften aufzehren. Wir betreiben keine ernste Arbeit mehr;
auf allen Gebieten: in der Kirche, in der Schule, in der Gesellschaft wütet
die politische Farteisucht und indessen vergessen wir unsere heiligsten
Pflichten gegen uns selber, sowie gegen das Vaterland und unsere übrigen
Mitbürger. Die ungarische Begierung aber lässt uns trotzdem in Frieden
und hat unsere Autonomie nicht im Geringsten geschmälert.
Wir sind hier so frei und haben gebildete Geistliche in solcher Anzahl,,
dass hier disciplinarisch gemassregelte Individuen (Simion Popescu) bei
Euch zu den höchsten geistlichen Stellen gelangen; ihnen vertrauet Ihr die
theologische Lehrkanzel an, welche wir ihnen wegen ihrer Unfähigkeit ent-
zogen haben.
Wie wagt Ihr unter solchen Umständen vor Europa mit der Anklage
aufzutreten, dass in Ungarn die rumänische Beligion und Kirche verfolgt
werde und dass die Magyaren deren geschworene Feinde seien ? Wenn das
wahr wäre, dann sagt uns doch, weshalb haschet Ihr nach den Brosamen,
die von unserem Tische fallen ; warum nehmt Ihr unsere Leute mit solchem
Eifer auf imd weshalb benutzt Ihr so gerne die Erfolge unserer Studien ?
Habt Ihr unserer Kirche auch nur einen einzigen Mann gegeben ? Habt
Ihr von der ältesten Zeit her unsere Kirchenliteratur auch nur mit einem
Buche bereichert? Ist von Euch auf kirchlichem Gebiete auch nur ein ein-
ziger Lichtfunke ausgegangen, eine einzige Massregel in Betreff der kirch-
lichen Organisation, ein einziger Anstoss für den kirchlichen Fortschritt?
Nichts, gar nichts. Wir selber haben uns Alles geschaffen und dabei noch sa
viel Ueberschuss erworben, dass wir auch Euch befriedigen konnten. Oder,
faUs die Magyaren die Feinde unserer Beligion und Kirche gewesen wären,
hätten wir dann wohl diese Erfolge erzielt, an deren Früchten wir uns heute
erfreuen dürfen ? Nein ! Euer Beispiel zeigt uns dies deutlich. Ihr hattet
die slavischen und griechischen Feinde im Lande und konntet deshalb auf
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406 EINE ANTWORT AUF DIB DENKSCHRIFT
eigenem Boden nichts erringen. Das ist sicherlich ein schweres Unglück, aber
es interessirt nur Euch und darum wollen wir keinerlei Capital daraas
schlagen.
Jetzt aber kommt Ihr nach Eurem alten Gebrauch und wollet all das
bedrohen, was wir besitzen Ja, Ihr stürzet unsere freien Institutionen und
die Interessen des Bumänentums in Gefahr, indem Ihr uns zur Untreue, zum
Yaterlandsverrat, zur Bevolution verleiten wollet. Welche patriotische Begie«
rung, welche die Interessen des Staates vor Augen hat, müsste nicht Schutz-
vorkehrungen treffen gegen diese zur Treulosigkeit aufreizenden Strömungen?
Wie sollte die Begierung nicht bemüht sein, jene Elemente zu vernichten,
denen ihr Vaterland kein Vaterland, ihr König kein König, ihre Gesetze keine
Gesetze mehr sind ? Was würdet Ihr auf dem Boden Bumäniens mit solchen
Elementen anfangen, die Karl I. nicht als König erkennen, Eure Gesetze
nicht als Gesetze respectiren würden ? Und Ihr anerkennet weder Gesetz noch
Vaterland ; Ihr sendet Eure Agenten hierher und führt unsere Bumänen
nach der Dobrudscha, in deren Sümpfen sie elend umkommen ! Ihr schwä-
chet hier das rumänische Element, dessen Kirchen und Schulen; Euren
Spuren folgt die Verwüstung ; unsere Felder veröden, sowie Eure Schritte
sie betreten ; wir werden misstrauisch, argwöhnisch ; Euretwegen können wir
in diesem reichen Vaterlande nicht leben, hier nicht mehr fortbestehen !
Wie steht es mit unseren Schulen ?
Wir müssen darüber im Beinen sein, dass wir uns hier auf dem Terri-
torium des ungarischen Staates befinden, Ihr aber daheim in Eurem eigenen
Königreiche seid. Nach Eurer Ansicht stehen wir hier mit einem feindlich
gesinnten Volke in Berührung, welches unsere Sprache und Cultur be-
kämpft
Wunderbare Erscheinungen ! Wir Bumänen auf dem angeblich feind-
seligen ungarischen Boden haben um die Mitte des vorigen Jahrhunderts
unsere Schulen zu Blasendorf eröffnet und bis zu Ende dieses Jahrhunderts hat
Georg Sinkay allein etwa 300 rumänische Schulen gegründet ; Ihr aber hattet
zu derselben Zeit auch nicht eine einzige rumänische Nationalschule. Bei
uns war die Unterrichtssprache rumänisch, in Euren Schulen griechisch und
slavisch ; die rumänische Sprache wurde nicht einmal unter die ordentUcheo
Lehrgegenstände aufgenommen. Bei uns entstanden rumänische Gymnasien,
Priesterseminarien, Lehrerbildungsanstalten und bei Euch gab es kaum Ele-
mentarschulen. Am Schlüsse des vorigen Jahrhunderts haben wir nach dem
Vorbilde der Magyaren (Aranka) die Idee der Gründung einer rumänischen Ge-
lehrten-Gesellschaft ins Auge gefasst (Hil. Papiu, Via^ etc. lui Georgiu Sinkai,
p. 85 — 86), während Ihr erst im Jahre 1867 eine solche Gesellschaft in Buku-
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DBB BUKUKB8TBR ÜNTVERSITATS- JUGEND.
407
rest errichten konntet. Es ist also eine grobe Unwahrheit, wenn Ihr behauptet,
dass wir erst nach dem Jahre 1850 das Recht erlangt haben, die Schulen
zu besuchen und öffentliche Aemter zu bekleiden. Wer hat Euch diese Weis-
heit gelehrt? Ihr wisset also nicht, dass die Schulen in Blasendorf im Jahre
1 754 von mehr als 300 rumänischen Kindern besucht wurden ; ja dass schon
ein Gesetz vom Jahre 1624 jeden Grundherrn mit harter Strafe bedroht, der
die Kinder seiner Untertanen vom Besuche der Schulen zurückhalten würde ?
Woher ist am Ende des vorigen Jahrhunderts die ansehnliche Zahl wissen-
schaftlicher rumänischer Männer gekommen, wenn wir erst nach 1850 an-
fingen, die Schule zu besuchen? Wie vermochten wir schon zu Anfang dieses
Jahrhunderts Euch einen Läzär zu geben, falls uns hier der Besuch der
Schulen verboten gewesen wäre ? In den öffentlichen Aemtem fanden die
Rumänen schon zu Ende des XYII. Jahrhunderts Verwendung imd diese
unsere Rechte wurden uns zu Anfang des vorigen Jahrhunderts durch
königliche Rescripte, in der Mitte dieses Jahrhunderts aber durch Gesetze
gesichert.
Worin liegen also die Verfolgungen der rumänischen Sprache und
Schule?
Der ungarische Gesetzartikel 38 : 1868 gibt den Confessionen, den
Gesellschaften und Einzelnen das Recht zur Gründung und Erhaltung der
Volksschulen. Die rumänischen Kirchen können also Schulen erhalten, in
denen die UnterrichtBsprache die rumänische ist. Die rumänischen Schüler
lernen ihre Religion und die vaterländische Geschichte in rumänischer
Sprache, in dieser Sprache erhalten sie den Unterricht in allen Lehrgegen-
ständen ; der rumänische Lehrer unterrichtet und leitet sie ; rumänisch sind
die Lehrbücher, die ganze Schulverfassung, rumänisch das Schulprotokoll
und die unmittelbare Beaufsichtigung der Schule ; denn die aus rumänischen
Mitgliedem bestehenden Ortsschulcommissionen wachen über die rumäni-
schen Schulen. Die JüngUnge declamiien und singen rumänisch ; sie lernen
überdies Arbeiten an der Erzeugung rumänischer Hausindustrie- Artikel, —
wo ist hier die so laut beklagte «Verfolgung» ?
Von den Oesterreichern hat die ungarische Regierung im Jahre 1867
insgesammt S500 rumänische Elementarschulen übernommen und wie viele
solcher Schulen bestehen heute? Die Zahl der rumänischen Volksschulen
hat sich in den Jahren von 1867 bis 1888 unter der «feindlich gesinnten»
ungarischen Regierung auf etwa 3700 Schulen vermehrt, in denen die Unter-
richtssprache rumänisch ist. Allein das betrachte man nicht als einen Erfolg
auf dem Gebiete des Unterrichtswesens ; denn ich finde die Schule nicht in
dem Gebäude, sondern in dem inneren Leben derselben. Während im Jahre
1861 die Anzahl der beruflich qualificirten Lehrer nur eine geringe war,
wirken heute mit wenigen Ausnahmen in allen rumänischen Volksschulen
geprüfte Lehrkräfte. Es hat somit nicht nur die Zahl der rumänischen
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^08 BINE ANTWORT AUF DIB DENKSCHRIFT
SchuleD sieb stark vermehrt, sondern diese Schulen worden auch vom
Gesichtspunkte der Lehrerbildung, der Ausstattung und des hygienischen
Zustandes auf das Niveau unserer Zeit gehoben. Ueber das ganze Land ist
ein Netz von rumänischen Lehrer-, Cultur-, Frauen-, Gesang-, Selbstbildungs-
Vereinen ausgebreitet, deren Wirksamkeit keinerlei Hindemisse in den Weg
gelegt werden und die der rumänischen Cultur sicherlich zum Nutzen dienen.
Man beschäftigt sich heute gerne mit der Statistik. Diese zeigt nun,
dass unter den 24 Jahren der ungarischen Regierung die rumänischen
Volks- und Mittelschulen bedeutende Fortschritte gemacht haben.
Wo steckt nun das Uebel ?
Das Uebel beruht darin, dass in der allgemein verpflichtenden Schul-
ordnung auch die ungarische Sprache als ordentlicher Lehrgegenstand vor-
geschrieben ist. In den rumänischen Schulen muss in der Woche nicht in
18 Stunden, wie Ihr verdreht behauptet, sondern in 2 — 6 Unterrichtsstunden
auch die ungarische Sprache gelehrt werden. Das kann aber doch nicht vom
Uebel sein ? Den Unterricht in der ungarischen Sprache hat ja der Reichs-
tag schon im Jahre 1 792 angeordnet Ein königliches Bescript vom 2. Mai
1792 machte es der zur Begelung der rumänischen kirchlichen Angelegen-
heiten entsendeten Deputation zur Pflicht, dass sie für die Verbreitung der
ungarischen Sprache unter den Rumänen Sorge tragen möge.
Die Nützlichkeit der ungarischen Sprache haben die rumänischen
Bischöfe jederzeit anerkannt. Bischof Ladislaus Moga trägt in einem Rund-
schreiben vom 14. Juni 1813 den Dechanaten auf, dass sie zu geistlichen
Stellen nur solche Individuen in Vorschlag bringen, die der ungarischen
Sprache und auch anderer Sprachen kundig sind. — Derselbe Bischof führte
am 13. Oktober 1829 das Ungarische als ordentlichen Lehrgegenstand in das
Priesterseminar ein. Vordem haben die Rumänen gegen den Unterricht in
der ungarischen Sprache niemals Protest erhoben; denn sie haben den
Nutzen dieser Sprache stets anerkannt. Die rumänischen Jünglinge besuch-
ten ungarische Schulen und wenn für diese Schüler die gesammte magya-
rische Schulbildung nicht gefährlich war, wie sollten dies die 2 — 6 Stunden
ungarischer Unterricht in den rumänischen Schulen sein? Wie man die
Sache immer drehen und wenden mag, es bleibt die Thatsache^ dass die
ungarische Sprache bei uns die Staatssprache ist.
Unter der absolutistischen Regierung (1850 — 1860) war in unseren
Schulen die Unterrichtssprache das Deutsche und doch gehörte der Staat
nicht den Deutschen. Weder wir, noch Ihr haben uns damals gegen die
deutsche Sprache verwahrt ; weder wir noch Ihr haben damals befürchtet,
dass die deutsche Sprache uns germanisiren werde. Wir diesseitigen Rumä-
nen haben (obgleich unrichtig) die deutsche Sprache als Unterrichtssprache
angenommen und doch war diese Sprache für uns mehr fremd als daa
Ungarische. Trotzdem sind wir keine Deutschen geworden.
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DBB BUEÜBESTER TJNIVBBßlTÄTS-JTJÖEND. 406
Die Staatsbürger von der Eenntniss der Staatssprache fernhalten
wollen ist mehr als Gewissenlosigkeit. Im Verkehre des staatlichen und
socialen Lebens bedürfen wir dieser Eenntniss bei jeder Berührung und
wir dürfen nicht jener strengen Pflichten vergessen, welche wir nicht nur
gegen uns selbst, sondern auch gegen den Staat zu erfüllen haben.
Und diese unsere Pflichten müssen wir um so getreulicher erfüllen,
weil wir sehen und uns davon überzeugen, dass der ungar. Staat uns nicht
unserer Nationalität entkleiden, sondern uns nur in den Stand versetzen
will, dass wir durch die Kenntniss der ungarischen Sprache unseren bürger-
lichen Verpflichtungen umso besser entsprechen und unsere gesetzlichen
Freiheiten umsomehr ausnützen können.
Hat Jemand während der 24-jährigen ungarischen Begierung auf dem
Boden des ungarischen Staates nur einen einzigen entnationalisirten Bumä-
nen gesehen? Wer einen solchen entdeckt hat, der trete hervor; er könnte
unseren Gegnern einen grossen Dienst erweisen. Nach den rumänischen
Statistikern leben in Ungarn drei Millionen Bumänen — von diesen drei
Millionen melde sich auch nur Einer, dem man gesagt, dass er Magyar
geworden sei. Der ungarische Staat bedarf solcher zweifelhafter Eroberun-
gen nicht.
Ihr erwähnet auch das Kleinkinderbewahrgesetz als eines Mittels für
Magyarisirung. Kennt Ihr dieses Gesetz ? Kein Buchstabe desselben befiehlt
dem rumänischen Kinde den Besuch der ungarischen Bewahranstalt, wohl
aber wird die Kinderbewahrung, der Kinderschutz zur Pflicht gemacht. Das
Gesetz gestattet den Confessionen, den Gesellschaften und Einzelnen die
Errichtung von Kinderbewahranstalten. Die rumänischen Kirchengemeinden
mögen also diese Anstalten einrichten und ihre Kinder behüten. Gerade mit
Bücksicht auf die Populations Verhältnisse hat die ungarische Legislative
dieses Gesetz geschaffen und damit Veranstaltungen ermöglicht, wodurch
gerade die rumänischen Kleinen erhalten werden können. Wer aber hat
diesen Kinderschutz notwendiger als eben das rumänische Volk?
Unsere Gesetze werden beherrscht von dem Bestreben, die Freiheit, das
höchste Gut des ungarischen Staatsbürgers, zu behüten und zu bewahren.
Wenn man sich vor Thatsachen nicht beugen will, wenn man von kabalen-
Büchtiger, übelwollender Gesinnung erfüllt ist ; wenn man nicht den Geist
der Gesetze in Betracht zieht, sondern alles verdreht und verkehrt: — dann
kann man auch aus jedem beliebigen Satze der heil. Schrift eine Anklage
gegen die Magyaren herausdeuten und doch waren die Magyaren damals
in Europa noch gar nicht vorhanden.
Das Uebel ist also, dass die ungarische Gesetzgebung in allen Schulen
des ungarischen Staates die ungarische Sprache als ordentlichen Lehrgegen-
stand vorgeschrieben hat.
üagadMhe Beme, XI. 1891. V. Heft. 26a
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410 EiKB ANTWORT AUF DIE DENKSGHBIFT
Und Ibr^ die «Bollwerke der GivUisation im Osten», was thut Ihr?
Eure Schulen kämpfen auch jetzt noch mit den Mühseligkeiten des Anfangee.
Wir hiesigen Rumänen haben bereits selber an empfindlichem Mangel zu
leiden, weil wir Eure Schulen mit Lehrern versehen müssen. Wir können
nicht so viele Volksschullehrer heranbilden, um Euch zu befriedigen. In der
Hand von rumänischen Jünglingen, die von der Elementarschule bis zur
Universität an den Brüsten ungarischer Wissenschaft herangewachsen, be-
findet sich bei Euch der Unterricht, und Ihr habt dennoch gegen diese Lehrer
und Professoren keine Klage ? . . .
In Euren Mittelschulen habt Ibr neben der rumänischen Sprache noch
die Sprachen entfernter Völker : die italienische, die französische und die
deutsche Sprache obligatorisch gemacht und Ihr besorget nicht, dass Ihr zu
Italienern, Franzosen und Deutschen werdet. Ja Ihr lerntet ehedem selbst das
Neugriechische und das Slavische. Eure Mittelschulen sind nichts Anderes
als die Brennpunkte des Sprachenunterrichts und dennoch habt Ihr keine
Besorgniss, dadurch Eure NationaUtät zu verlieren !
Wir, die wir seit längerer Zeit Bumänen sind als Ihr; die das Bumänen-
tum aus seinem tiefen Schlafe aufgerüttelt und ihm die neuen Bahnen gewie-
sen haben; wir, die Euch die Idee der Vereinigung, des rumänischen König-
tums gegeben, Eure Politik geschaffen und das Glaubensbekenntniss der
rumänischen Ideen verfasst haben : warum sollen wir schwächer sein als Ihr
und nicht so viel Kraft besitzen, um neben der Kenntniss der ungarischen
Sprache auch noch unsere Behgion und Nationalität bewahren zu können?
Wir sind in unserem Selbstgefühl verletzt, wenn Ihr von uns voraussetzet,
dass das Erlernen der ungarischen Sprache für uns genügend sei, damit wir
zu Magyaren werden. Ihr wäret Slaven und Griechen ; wir aber sind stets
Bumänen gewesen und werden es bleiben ! Und Ihr habet Sorge um uns ;
Ihr, die Ihr Euer Bumänentum bisher so oft verleugnet habt ?
Ferner : Bomanisirt Ihr heute etwa nicht ?
Nach dem neuen Gesetzentwurfe ist die rumänische Sprache in allen
Schulen Bumäniens obligater Lehrgegenstand. Eines solchen Gesetzes bedarf
es übrigens gar nicht, denn in den ungarischen Schulen Bumäniens wird die
rumänische Sprache auch jetzt per longum et latum gelehrt. Wem käme
es in den Sinn, deswegen bei Euch Klage zu erheben? Die Kenntniss der
rumänischen Sprache ist dort allgemeines Bedürfniss, also lerne sie Jeder-
mann. Auch wir verlangen nichts Anderes.
Ihr aber romanisirt aus allen Kräften. In der Dobrudscha z. B. sind
die nichtrumänischen Nationalitäten in der Majorität, die Bumänen bilden
die verschwindende Minderheit. Im tBomanul» erscheint eben jetzt eine
lange Studie, in welcher der Verfasser Vorschläge zur Bomanisirung der
Türken und anderer Völkerschaften in der Dobrudscha macht. Theodor
Burada aber spricht es in einem seiner Werke offen aus, dass die Nationali-
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DER BUKÜRB8TBB UNIVEBSITÄTS -JUGEND. 4-11
-täten in der Dobrudscha um jeden Preis, mit Güte und Gewalt romanisirt
i^erden müssen.
Ihr steckt also den Eopf in den Sand gleich dem Vogel Strauss und
meinet, es sähe Euch niemand ; Ihr wendet Euch gegen die Magyaren an
Europa, während doch bei Euch zu Hause das Uebel riesenmässig ist.
Es ist nicht wahr, dass unseren rumänischen Jünglingen das Studiren
im Auslande verboten ist ; es ist ebenso unwahr, dass deshalb irgend Jemand
Verfolgungen zu erleiden hätte. Ein beträchtlicher Teil der Studenten an
der Wiener Universität besteht aus ungarischen Eumänon. Der ungarische
^taat selbst entsendet junge Leute ins Ausland; darunter befand sich
auch Professor Babesch, der jetzt bei Euch ist und eine Zierde der
Bukureeter Hochschule bildet! Oder sollte Europa so blind sein, dass
es die rumänischen Jünglinge aus Ungarn an seinen Universitäten nicht
sehen könnte?
Auch behauptet Ihr, man habe die ungarischen Cultur- Vereine errich-
tet, um magyarisiren zu können. Wieder eine Engherzigkeit! Wir haben schon
im Jahre 1861 einen rumänischen Cultur-Verein (Asotiaciunea transilvana)
gegründet, dessen Vermögen seither auf mehrere hunderttausend Gulden
angewachsen ist. Aehnliche Gesellschaften haben wir dann in Arad und an
anderen Orten des Liandes errichtet und die Magyaren fürchten sich vor
denselben nicht und schreien nicht in die Welt hinaus, dass das rumänische
Element Siebenbürgen romanisiren wolle. Im Gegenteil! der rumänische
Cultur-Verein wurde freundlich begrüsst und seine Ziele durch erheb-
liche materielle Opfer gefördert. Auf den Versammlungen erschienen auch
Magyaren und schon gelegen tUch der ersten Versammlung wählten die
Rumänen mit Begeisterung einen Ungarn (den Grafen Csäky) zum Ehren-
mitgliede, da dieser 1000 fl. in Baargeld und etwa 1700 Joch Feld zu Gunsten
der rumänischen Cultur gespendet hatte. (VgL L. A. Wläd «A romän nep»
p. 46) Und wie viele Ungarn sind in der Mitgliederliste des rumänischen
•Cultur- Vereines eingetragen! Nehmt sie nur zur Hand, sie stehen Euch
ja zur Verfügung, wenn Ihr Euch wirkUch für die Wahrheit einigermassen
interessiret.
Die Ungarn begannen mit der Gründung ihrer eigenen Cultur- Vereine
im Jahre 1885. Sollten sie etwa kein Becht zu dem haben, was wir schon
Yorher gethan haben ? Wer darf behaupten, dass dem einen Teile Alles,
dem a ndem Nichts erlaubt sein solle ? Die magyarischen Cultur- Vereine
sind für die Rumänen nicht gefährlicher als die rumänischen Vereine für
die Magyaren. Wie kommt es, dass trotz der von Euch so heftig ausposaun-
ten langjährigen Magyarisirung wir dennoch nicht abnehmen, die Magya-
ren aber sich nicht vermehren ? Stünde es mit diesen Dingen in der ange-
klagten Art, dann gäbe es in diesem Lande keinen Rumänen mehr, dann
wären wir nicht drei Millionen, wie wir das so gerne glauben, und befänden
26*
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41^ EINE AKTWOBT AUF DIE DENS80HBIFT
sich die Magyaren nicht noch immer in der Minorität, wie man das so
laut verkündet.
Ich habe nachgewiesen, dass Viele von den Magyaren die rumänischen
Gultur-Vereine unterstützt haben ; ein Drittel ihrer Stiftungen kam durch
die Magyaren zu Stande. Wer hat die Naszöder Schalfonds geschaffen? Die
ungarische Regierung hat aus dem öffentUchen Vermögen Millionen Gulden
zu rumänischen Bildungszwecken überlassen ! Zeiget Ihr ein solches Stif-
tungsvermögen für Erziehungszwecke, wie wir es besitzen und zwar durch
das Wohlwollen der Ungarn besitzen ! Ihr habt den Slaven und Griechen 80
Millionen Francs Entschädigung gegeben und konntet für Euch keine öffent-
lichen Schulfonds schaffen.
Wie viele von uns sind dem magyarischen Cultur- Vereine beigetreten ?
denn schliesslich wirdja dadurch auch die Cultur, und zwar die vaterländische
Cultur gefördert. Es sind nur Wenige, die solches gethan haben ; denn wir
fürchteten uns vor Jenen, die da verkündigten, dass wir gegen das Interesse
der Bumänen handeln. Das Interesse der Bumänen kann jedoch hier in
diesem Lande von dem Interesse der Magyaren nicht getrennt werden ; die
Bürger dieses Vaterlandes können nur einerlei Interesse haben : die Förde-
rung der allgemeinen Bildung, des allgemeinen Fortschrittes. Allein wir
haben auch in dieser Frage unsere Interessen von jenen der Magyaren
getrennt,' doch nicht mit der erforderlichen Billigkeit ; denn während die
Magyaren nachweisen können, und zwar auf glänzende Weise, dass sie für
die rumänische Cultur viele Opfer gebracht haben : sind wir nicht im Stande
darzuthun, dass wir im Interesse der ungarischen Cultur auch nur das
Geringste gethan haben. Und wir befürchten die Magyarisirung durch die
magyarischen Culturvereine, wir, die das halbe Siebenbürgen romanisirt
haben, und zwar gerade in Folge des Wohlwollens, das uns die übrigen Natio-
nalitäten bezeugt haben !
Seien wir keine Schelme und spielen wir nicht die Fabel vom Lamm
und dem Wolfe ! Wir sehen wohl romanisirte Magyaren, ja ganze Gremein-
den ; aber das Gegenteil findet man nicht. Das ist die Wahrheit !
VL
Ihr behauptet, dass die Magyaren aus dem Parlament das gesammte
rumänische Element ausgeschlossen haben und dass in Ungarn wegen der
Gereiztheit der Nationalitäten die Beichstagswahlen in förmliche Schlachten
ausarten, wobei nach Kriegsbrauch die Todten gezählt und die verursachten
Schäden auf Hunderttausende geschätzt werden. Auch behauptet Ihr, dass
die öffentliche Verwaltung in feindseliger Stimmung gegen die Bumänen
organisirt wird, dass unser Wahlgesetz schlecht sei und die Bechtspflege sich
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DER BÜKUBESTER UNTVERSITÄTS- JUGEND. 4-13
nur in Händen der Magyaren befinde^ sowie dass die Missbräncbe allgemein
üblich seien. Die Presse wurde verfolgt, 13, sage dreizehn rumänische
Zeitungen wurden durch die Schwurgerichte verurteilt, und was die Haupt-
sache ist, der Bumäne erhalte bei den Functionen des ungarischen Staa-
tes keine Verwendung.
Ich muss wiederholen : Ihr kennet unsere politische Vergangenheit
nicht, oder wenn Ihr sie kennet, dass Ihr die Wahrheit fälscht. Wir Bumä-
nen hatten auf dem Eeichstage von 1867 unsere eigenen Vertreter ; wir
waren bei der Krönung des ungarischen Königs zugegen und nahmen Teil
an dem staatsrechtlichen Ausgleiche vom Jahre 1867.
Aber uns behagte die Budapester Athmosphäre nicht ; wir zerbrachen
uns stets den Kopf mit Gravaminalpolitik und kehrten deshalb nach Sieben-
bürgen zurück, wo wir bereits am 7. März 1869 unter dem Vorsitze des Elias
Macellariu zu Beussmarkt die Passivität, die Politik der Thatlosigkeit aus-
sprachen. Wir glaubten, dass unser Beschluss den Lauf der Dinge in
Ungarn umkehren werde ; glaubten, dass der ganze Ausgleich nichts als ein
«Larifari- Werk» sei und zogen nicht in Betracht, dass der Ktinig die Ver-
fassung beschworen habe. Wir stellten uns also in den Hinterhalt, begannen
wieder zu flüstern mit den Sachsen und Beziehungen anzuknüpfen mit den
malcontenten Kreisen in Wien. Auch damals gab es unter uns Männer, die
klarer als das Tageslicht nachwiesen, dass die Passivität für uns der reine
Selbstmord sei. Josef Hosszü, Samuel Porsitz, Cristra, Bärdos und viele
Andere stimmten gegen die Passivität ; dennoch wurde diese ünthätigkeits-
Politik angenommen und diese That mit Fackelzug und Musik zu Ehre
Macellarius gefeiert. Es war die feierliche Bestattung unserer politischen
Existenz.
Was dann Schlechtes für uns Bumänen folgte, das war Alles eine
Consequenz dieser verwerflichen Politik. Wir dachten, unsere politische
Beserve werde höchstens einige Jahre dauern ; aber sie dauert fort bis zum
heutigen Tage. Später mussten wir aus Schande an der Passivität festhalten.
Wir schwebten gleich dem Sarge Mohammeds zwischen Himmel und
Erde ; wir hatten keinen Boden unter unseren Füssen ; wir strengten uns an,
machten Lärm — aber ohne Nutzen, ohne Erfolg ; die Welt konnten wir in
ihrem Laufe nicht zurückhalten. Fluch, tausendfacher Fluch über uns,
dass wir im Jahre 1869 uns abermals von den Ungarn trennten und den
Buhm der Organisirung des Staates ihnen überliessen. Jetzt haben die
Magyaren ohne uns den Staat geschaffen und zwar einen kräftigen, angese-
henen ! Und was haben während dieser ruhmvollen Arbeit wir gethan ? Wir
haben als Fessel gedient, haben die Welt alarmirt, dass man uns hier
morden wolle, und doch war es nur der Fehler, dass wir selber uns-
ermordeten.
Wenn also schon im Jahre 1869, gleich zu Anfang der konstitutionellen
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*1* EINE ANTWORT AUF DIE DENK8CHBIFT
Aera wir zurücktraten vom politischen Kampfplätze und nicht in das unga-
rische Parlament gehen wollten, sondern diese Passivitäts-Politik hier in
Siebenbürgen durchsetzten: wie könnet Ihr nun behaupten, dass die
Magyaren uns aus dem Parlament verdrängt, dass sie uns von den Wohl-
thatendesConstitutionalismus ausgeschlossen haben, und zwar auf Grund des
im Jahre 1874 geschaffenen Wahlgesetzes? Hat doch die magyarische Presse
gerade diese Passivitätspolitik aufs Schärfste gegeisselt und gewünscht, dass
die Rumänen nicht schmollen, sondern an den politischen Kämpfen Anteil
nehmen mögen. Wir haben nicht mit den Magyaren gehalten, diese aber
haben nicht gewartet, bis wir ausgegrollt haben: sondern sind mit dem
Zeitgeiste vorwärts gegangen und haben dns Finanz-, das Landesverteidi-
gungs- und ünterrichtswesen, den Handel und die Industrie Ungarns
geschaffen.
Uns Passivisten behagte es allerdings nicht, dass die Magyaren ohn&
uns die Fundamente des ungarischen Staates gelegt und damit vor aller
Welt verdienten Ruhm geerntet habeo. Und jetz treten wir vor Europa als
Einbläser und Ankläger auf und verlangen von Europa, dass es für uns die
Zustände vor dem Jahre 1867 wieder herstellen solle! Was für abstossen-
des Unterfangen ist das !
Wie konntet Ihr behaupten, dass die Wahlen deshalb, weil die Magya-
ren uns den Stuhl vor das ungarische Parlament gesetzt haben, zu wahren
Schlachten entarten? Wir Rumänen sind ja Passivisten; wir wählen ja gar
nicht, schlagen uns also auch nicht und kein Mensch insultirt uns. Zeigt
mir ein einziges Beispiel seit 1867 aus der Geschichte der Wahlen, wo
Magyaren und Rumänen einander befehdet hätten, und wir halten Euch in
der That für grosse Männer ! Das rumänische Volk selbst hat jedoch überall
gewählt.
Ueberall, wo Menschen von Fleisch und Blut im Parteileben einander
gegenüberstehen, hat es Conflicte gegeben und wird es solche geben. Von dem
constitutionellsten Engländer bis zu dem besonnenen Deutschen gab und
gibt es stets solche Zusammenstösse. Bei uns sind derartige Conflicte rela-
tiv selten und kommen am häufigsten dort vor, wo magyarische Parteien
einander gegenüberstehen. Wir Rumänen haben in Folge politischer Parteiun-
gen uns nicht geschlagen, haben noch keinen Tropfen unseres Blutes des-
halb vergossen.
Wie aber stehen die Dinge bei Euch ? Habt Ihr die Todten und Ver-
wundeten bei Gelegenheit Eurer letzten Wahl (1888) zusammengezählt?
Habt ihr gezählt, an wie vielen Orten Schlägereien entstanden sind und wo
das Militär von den Waffen Gebrauch machen musste ? Oder hat nicht der
Fall zu Dorrho auch Euch erschrekt? Was bei Euch vorkommt, hat kein
Beispiel in der ganzen Welt. Bei Euch hat sich nämlich gegen die freie Aus-
übung der Redefreiheit und des Wahlrechtes eine Institution entwickelt,.
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DER BUKURBBTER UNIVBRSITÄT8-JTJÖBND. 4fl5
welche Euch zur Schande gereicht. Bei Euch sind die Sohlägerbanden (bände
de bätausi) in der Mode, deren Beruf es ist, die Gassen zu durchstreifen
und jeden Begegnenden, der einer anderen Partei angehört, unbarmherzig
durchzubläuen. Solche Schlägerbanden hat natürlich auch die Gegenpartei
und wenn zwei dieser gegnerischen Banden zusammentreffen, dann ist der
heillose Skandal fertig. Diese Euch niederschlagende Thatsache will ich
nicht weiter ausbeuten, will sie nicht unter die Landesärgemisse rechnen,
welche Euch scharf kennzeichen könnten.
Unsere Presse ist frei. Die Zahl der rumänischen Zeitungen hat sich
beträpchtlich vermehrt ; allein es hat auch die Anzahl derjenigen zugenommen,
welche die Wohlthaten der Presse missbrauchen. Gibt es bei Euch keine
Pressprozesse? Kamen wegen Aufreizungen Pan und mehrere seiner Genos-
sen nicht ins Gefängniss ? Was für Zustände wären es, wenn es nicht gestat-
tet wäre, den Schriftsteller für das, was er geschrieben, zur Verantwortung
zu ziehen ? Was für Zustände würden sich in einem Staate entwickeln, wenn
der Schriftsteller wüsste, dass er Alles, was ihm beliebt, schreiben könne,
ohne dass ihn dafür irgend Jemand zur Verantwortung ziehen darf? Die
Zahl der vor die Schwurgerichte gelangenden Prozesse ist verschwindend
gering und mehr als 50o/o der Angeklagten werden freigesprochen. Seit dem
Jahre 1867 wurden nach Eurer Angabe 13 rumänische Schriftsteller von
dem Geschwomengericht verurteilt. Während 24 Jahren von 3 Millionen
Seelen 13 Individuen macht für jedes zweite Jahr einen Veruteilten,
Aber Ihr vergesset anzuführen, dass von diesen 13 Verurteilten Einige auf
Privatklagen hin wegen Verleumdung oder Ehrenbeleidigung verurteilt wor-
den sind, wie z. B. der Kedacteur des «Calicul» und der «Tribuna», weil sie
die Ehre ihrer eigenen Mitbürger geschädigt hatten. Oder wäre der rumä-
nische Journalist bei uns schon eine solche Macht, dass er ungestraft Jedwe-
den beschmutzen darf? Die Zahl der wegen politischer Vergehen verurtheil-
ten ramänischen Individuen betrug innerhalb der 24 Jahre ungefähr
sieben, es kam also auf 3^/2 Jahre ein einziger Verurteilter, trotz der zahl-
reichen agitatorischen Artikel und Mitteilungen, welche in unseren Blättern
erscheinen. Und wie viele rumänische Journalisten wurden seit 1867 bei
Euch verurteilt? Mehr als einundreissig. Weshalb hat denn Euer rumäni-
sches Gesetz die rumänischen Journalisten verurteilt? Warum zieht man
bei Euch diejenigen zur Verantwortung, die gegen das Gresetz die Pressfrei-
heit missbrauchen ?
Femer behauptet Ihr, dass die öffentliche Verwaltung gegen die
Bumänen organisirt sei, dass die Rechtspflege sich in den Händen der
Magyaren befinde, dass wir keine öffentlichen Aemter erhalten und Ungarn
der klassische Boden der Defraudationen geworden sei.
Ist das die Wahrheit? Unsere Verwaltung ist musterhaft; es gibt
Gomitate^ welche fast ausschliesslich in Händen von Bumänen sich befin-
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^-le EINE ANTWORT AUF DIE DENKSCHRIFT
den. unsere Eechstspflege steht auf europäischem Niveau ; — doch was
soll man vor Europa erst noch beweisen, da bei uns das rechtsuchende
Publikum Europas sich hievon täglich überzeugen kann ?
Defraudationen kommen bei uns vor wie überall in der Welt, mag der
Staat auch noch so gebildet und fortgeschritten sein. Schlechte Menschen
hat es zu allen Zeiten gegeben und wird es immer geben. Untersuchen wir
diese Frage nicht näher und zwar auch deshalb nicht, weil bei uns die
Defraudanten nicht blos unter den Magyaren sondern auch bei den andern
Nationalitäten angetroffen werden. Wir machen au'^ unseren Fehlern kein
Hehl. Die Tagespresse stellt jedes Verbrechen an den Pranger und der
Schuldige wird bestraft. Vom üebel wäre es, wenn man die Verbrecher
laufen liesse. Unsere Gesetze sind strenge und werden gewissenhaft
gehandhabt.
Und dann : Ihr werfet uns die Defraudationen vor, Ihr zerrt unsere
Ehre vor Europa und seid doch selber arge Sünder ! Oder habt Ihr die
ÖffentUchen Skandale vom Jahre 1888 in den Spitälern, mit Euern Ministern
und Generalen schon vergessen ? Was sagte doch damals der Staatsanwalt
und was wiederholt die rumänische Presse? «Europa betrachtet uns noch
als einen orientalischen Staat, wo man für Geld Alles erreichen kann.»
Weder uns noch Europa kam es in den Sinn, die öffentliche Moralität des
rumänischen Staates deshalb zu verurteilen oder zu behaupten, dass dieser
Fälle wegen die öffentUche Moral erschüttert sei. Derartige Unglücks-
fälle kommen überall vor; es sind bedauerliche Thatsachen, aber
den Staat kann man deshalb nicht beschuldigen. Und Ihr sprechet vor
Europa dem ungarischen Staate die öffentUche Moral, das sittliche Selbst-
bewusstsein ab! Was lernt Ihr an der Bukurester Universität? Welche
Wahrheiten verbreitet Euer Lehrkörper, wenn Ihr auf solche Art denken
könnet ?
Wir erhalten keine öffentlichen Anstellungen. Zu bemerken ist, dass
vni Passivisten sind, welche die gesammte ungarische Begierung perhorres-
ciren ; dass wir ihr gegenüber eine Phalanx bilden und die Gesetze des
Landes nicht anerkennen. Und dennoch bekommen wir Aemter. Wie
können wir übrigens Anstellungen verlangen von einer Regierung, welcher
wir opponiren ? Was für eine Verwirrung der politischen Begriffe, wenn wir
von demjenigen System, das wir für ungesetzlich halten, Anstellungen
erwarten ? Das ist eben der Fluch der PassivitätspoUtik.
Allein die Dinge stehen trotzdem nicht also. Die Sache ist vielmehr
diese, dass wir ungarische Rumänen nicht genug geschulte Leute für Rumä-
nien heranbilden können. Rumänien reflectirt schon auf unsere Kinder in
der Wiege. Es zieht die an den Brüsten der ungarischen Wissenschaft aufge-
wachsenen besseren Jünglinge zu sich^ und wollen diese nicht auswandern,
dann sichert es ihnen durch ein besonderes Gesetz reichliche Besoldungen,
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DBB BUKÜRB8TBR UNI VBR8ITÄTS- JUGEND. 4fl7
wie dies z. B. mit Viktor Babes geschah. Daher verarmen wir hier an
unserer Intelligenz. Mit den Zurückgebliebenen vermögen wir unsere
Bedürfnisse an Geistlichen und Lehrern nicht zu decken ; wir können
uns namentUch in den Comitaten keinen gesunden, tüchtigen Beamtenstand
schaffen, denn es bleiben nur Jene im Lande, deren Ausbildung eine man-
gelhafte ist.
Wir erhalten keine öffentlichen Aemter. Zeiget mir doch einen einzi-
gen Rumänen mit beendigten Studien ohne eine Anstellung? Stellet uns
den Mann vor, der, wenn er die Fähigkeiten besitzt, keine entsprechende
Stelle gefunden hat. Dass wir nicht viele unserer Volksgenossen in den
Aemtem haben, gebe ich zu ; vnr haben sie nicht, weil Ihr unsere Leute,
die wir mit unseren Stiftungen erzogen haben, von uns wegführet. Ihr ruft
die Statistik zu Hilfe, um darzuthun, dass es in diesem und jenem Zweige des
Staatslebens keine Rumänen als Beamte gebe. Wie sollte aber deren Anzahl
so gross sein, wie dies nach dem Verhältnisse der Bevölkerung sein könnte,
wenn wir die Blüte unserer Jugend an Euch abliefern, damit Rumäniens
Glanz und Ruhm gehoben werde ?
Bei uns verbleiben die Halbgebildeten, die dann Notare, Gensdarmen,
Finanzwächter, kleinere Comitats- und Staatsbeamte werden, aber wegen
Mangels an geistiger Qualification es nicht weiter bringen können. Und
dafür sollten die Ungarn verantwortlich sein? Sie sollten dafür verantwort-
lich sein, wenn Ihr durch ein besonderes Gesetz 20,000 Francs Besoldung
und lebenslängliche Anstellung dem zögernden Babes sichert, damit er nur
zu Euch komme ? Trotzdem haben wir auf allen Gebieten der Staatsverwal-
tung angesehene Beamte rumänischer Nationalität.
Wenn wir nicht viele Taugliche besitzen, woher soll der ungarische
Staat verwendbare Leute aus imserer Mitte nehmen ? Lasset unsere Jüng-
linge zurück ; gebt uns wieder den Kern und die Blüte unserer Jugend, und
wenn die Regierung diese nicht anstellt, dann werdet Ihr vielleicht ein
Recht haben, mit solchen Klagen vor Europa aufzutreten ; aber bis dahin
nicht !
vn.
Welches ist nun Euer Standpunkt und derjenigen, die zu Euch halten?
Es ist kein anderer als der, dass wir hier verpflichtet sind, Eueren Interessea
drüben zu dienen. Und welches ist unser Standpunkt? Dass wir getreue
Bärger des ungarischen Staates, getreue Unterthanen der ungarischen
Krone sind.
Die Deutschen haben andere poUtische Pflichten in Berlin, andere in
Wien ; die Slaven andere in St. Petersburg, andere in Sophia oder in Bel-
grad ; verschieden sind die Pflichten der Türken in Stambul und in der
üagMrlMhe Bern«. XI. 1891. V. Heft. 27
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418
EINE ANTWORT AUF DIE DENKSCHRIFT
Dobrudscha; ebenso der Engländer in London und in New- York; der
Spanier in Spanien und in Brasilien u. s. w. Auch der Eumäne hat ver-
schiedene Bürger- und Unterthanen-Fflichten in der Bukowina, in Bessara-
bien und Macedonien und andere bei uns und in Eumänien. Die Vereini-
gung der zerstreuten Yolkselemente in einem Centrum mag ein frommer
Wunsch, ein Ideal sein ; aber die Bürger- und Unterthanen-Pflichten bleiben
deshalb immer Pflichten, und wer diese verletzt, begeht ein schweres
Verbrechen.
In Eurem «Memorandum» verletzt, beleidigt und betrübt uns, die wir
unsere Unterthanentreue aufs Höchste schätzen, am meisten jener gering-
schätzige Ton, in welchem Ihr von unserer Krone sprechet, jener Ton, der
seit einiger Zeit stets lauter und vernehmbarer von Bukurest her erschallt.
Diese allergrösste Unehrerbietigkeit wird in Europa allenthalben Aufsehen
erregen ; denn das gebildete Europa kennt unsem ruhmreich regierenden
König als den weisesten und constitutionellsten Monarchen, den keinerlei
Mittel gegen das Gesetz und die Gerechtigkeit einschüchtern und davon
abbringen kann. In der Achtung vor dem Gesetze liegt seine Kraft und die
ausserordentliche Liebe und Anhänglichkeit seiner Völker, welcher er
überall, wo er erscheint, begegnet.
Und Ihr, die Ihr daheim Euren Herrscher «njämcz» («Deutschen,
«Schwabe») und «venitora» («Hergelaufener») nennet, jenen Herrscher, der
Euch aus den primitiven Zuständen eines orientalischen Staatswesens
emporgehoben und die Unabhängigkeit des rumänischen Königreiches
geschaffen hat, — Ihr glaubet, dass wir in Sachen der Loyalität und der
Liebe mit Euch auf Einem Niveau stehen ! Bei Euch ist die Unterthanentreue
noch nicht in Fleis. h und Blut übergegangen wie bei uns. Darum weisen
wir Eure Unbedachtsamkeiten zurück und verurteilen sie. Die Person unse-
res Königs ist heilig und unverletzlich. Wir haben ein Beispiel dafür, dass
der ungarische König mit unbewaffneter Hand ganz allein den aufständi-
schen Parteiführer mitten aus der rebellischen Menge herausgeholt hat und
es wurde ihm kein Haar gekrümmt.
Gerade in Folge unserer unerschütterlichen Treue und Anhänglichkeit
gegen die Krone sind wir verpflichtet auch dem Vaterlande und der vom
Könige beschworenen Verfassung treu zu sein. Wir Bürger des ungarischen
Staates und getreueste Unterthanen unseres Königs können keine anderen
Aspirationen haben, als sie der ungarische König und der ungarische Staat
besitzen. Nach dieser Aspiration können wir uns keinem fremden Staate
anschliessen, wenngleich von unserem Blute die Bede ist; denn dann
würden wir fremde Götzen anbeten.
Und Ihr beleidigt consequent durch Eure Agenten und durch Eure
Blätter ansere Unterthanentreue und wühlet Tag für Tag, um unsere Loya-
lität zu untergraben, damit wir unsere Pflichten gegen unser Vaterland und
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DER BUKURB8TER üNIVERSITÄTß -JUGEND. 4.19»
gegen unsern König verleugnen. Welchen Gewinn hättet Ihr von einem treu-
losen Volke, das ja Euch dann auch verraten könnte? Welche Irrlehre,
dass wir Gegner des Bumänentums seien, weil wir der von unserem Könige
sanctionirten Verfassung getreu anhängen ! Steht denn das Bumänentum
im Widersprnch mit der Verfassung, mit der Treue des ünterthanen? Wenn
das der. Fall ist, dann verachten wir diesen Bomanismus und wollen
mit ihm nichts gemein haben.
Noch einige Worte zum Schlüsse.
Aus dem Gesagten wird es jedem nüchtern denkenden Menschen klar,
dass es bei uns allerdings malcontente rumänische Herren gibt ; aber das
Volk selbst ist nicht unzufrieden. Das Volk ist ruhig und stilL Es gedeiht
unter den ungarischen Gesetzen, entrichtet ohne Widerrede seine Geld- und
Blutsteuer, übt seine Beligion aus, redet seine Sprache, entwickelt seine
Cultur, und keinem Menschen wurde deshalb ein Haar gekrümmt, weil er
kein Magyar ist. Das Volk hat Vertrauen zu den Magyaren, und in jenen
Gemeinden, wo es mit ihnen zusammenlebt, gibt es keine Gonflicte. Die
Einwohner leben miteinander in gegenseitiger Liebe und Achtung; nir-
gends auf dem Gebiete des ungarischen Staates ist der Arbeitslustige in den
Eüntergrund gedrängt oder wird er an seinem Lebenserwerbe gehindert. Das
ißt die Wahrheit ! Zeiget uns Gonflicte, aber nicht jene zu Feldra ; denn hier
handelte es sich um einen Zusammen^toss der Bumänen mit Bumänen ;
sondern einen solchen Conflict, wo Ihr documentarisch nachweisen könnet
dass unser Volk nicht friedlich gesinnt ist und dem Magyaren nicht in
Liebe begegnet. Ihr werdet hiefür kein Beispiel finden.
Unser Glück beruht ja gerade in der Zufriedenheit des Volkes und
darin, dass das Malcontententum nur an der Oberfläche einzelne Wellen wirft.
Es wäre sehr vom üebel, wenn im Volke selbst Zerwürfnisse sich zeigten
und die Oberfläche glatt und ruhig wäre. Allein die Sache verhält sich
nicht so.
Nehmet es mir nicht übel, dass ich Euch entgegengetreten bin und
unsere Zustände den Eurigen gegenüber gestellt habe ! Das geschah nicht
in böser Absicht oder deshalb, um Eure culturellen Errungenschaften zu
verkleinem. Ihr habt bedeutende Fortschritte gemacht und ich freue
mich über diesen Fortschritt; denn ich erblicke einen selbstständigen
rumänischen Staat und eine rumänische Cultur, der ich unter keinen
Umständen meine Sympathie entziehen könnte. Nur müsste die Selbst-
ständigkeit und diese Cultur durch eine entsprechende solide Politik und
durch die richtige Auffassung Eurer Interessen für ewige Zeiten gesichert
werden.
27*
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420
EINE ANTWORT AUF DIE DENKSCHRIFT
Rumänien hat dem ungarischen Staate Vieles zu verdanken, denn
dieser hat an der ru manischen Unabhängigkeit, an der Erkämpfung des König-
tums sowie an der Anerkennung desselben wesentlichen Anteil genommen.
Bumänien kann auch auf die Freundschaft und Unterstützung Ungarns
immer zählen. Auch in Zukunft sichert nichts so sehr die Selbständigkeit
des rumänischen Staates als das benachbarte selbständige, starke und mäch-
tige Ungarn. Wir sind gleichfalls eifersüchtig auf die Unabhängigkeit
Eumäniens, und werden mit Euch gegen diejenigen sein, welche die Unab-
hängigkeit angreifen. Wenn Ihr es wollet, sind wir Freunde und werden es
bleiben.
Unter solchen Umständen hättet Ihr eine andere Aufgabe, als den
ungarischen Staat vor Europa herabsetzen zu wollen. Statt der Abenteurer-
politik solltet Ihr eine naturgemässe Politik betreiben, welche uns und
Europa über Eure consolidirten Zustände und über Eure Besonnenheit
beruhigen könnte. Es gab und gibt hier Beibereien zwischen den Magyaren und
den Bumänen. Eure Aufgabe wäre es, vermittelnd, beschwichtigend und
beruhigend auf uns Bumänen einzuwirken und nicht noch selber bei uns
den öflFentlicheu Frieden stören zu wollen. Das kann weder in Eurem noch
in unserem Interesse sein. Ihr spielt nur die Bolle der Zange in den Händen
unserer Gegner, die auf solche Weise durch Euch, wenn es gelingt, die
heissen Kastanien aus der Glut scharren wollen. Die Jugend, die künftige
Generation Bumäniens sollte weise und besonnen sein. Der ungarische Staat
kann mit Euch im Bunde die Unabhängigkeit der kleinern Staaten im
Oriente gegen jedermann aufrechterhalten ; aber im Lager unserer Feinde
geht Ihr sicherlich zu Grunde. Ist das Euer Streben ?
Ein Bumäne fragte mich, wer mich beauftragt habe, im Namen der
siebenbürgischen Bumänen zu sprechen. Niemand. Ueber Auftrag habe
ich noch niemals geschrieben.
Wer aber hat Euch beauftragt, dass Ihr mit Euem Mängeln und
Schwächen beladen Euch in unsere Angelegenheiten einmischt und in un-
serem Namen zu Europa sprechet? Ich bin davon überzeugt, dass Euch
kein Mensch hiezu den Auftrag gegeben hat. Euch hat ein Mann irrege-
führt, der Euer Agent gewesen und der in der «Tribuna» alle möglichen
Lügen verbreitet hat, um Eurem Auftrage zu entsprechen. Er hat Euch
benützt, um an einem Kirchenhaupte ekle Bache auszuüben, gegen wel-
ches Kirchenhaupt er aus persönlichem Hasse einen Vernichtungskrieg
geführt hat. Ihr aber liesset Euch zu einer schmutzigen Privatrache miss-
brauchen, welche Euch charakterisirt und jenen Menschen, der Euch so
schmachvoll benützt hat.
Woher habt Ihr Eure Daten, welche Lügen sind und von der Wahr-
heit so fern stehen wie der Nord- vom Süd-Pol ? Ihr habt alle Eure Daten
aus der «Tribuna» geschöpft, aus jenem Blatte, welches durch einen Eurer
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DER BÜKURESTBR UNIVBRSITÄTS-JUGEND. *21
böswilligen Agenten redigirt wurde und dessen Nachrichten Ihr uns jetzt
als Wahrheiten an den Kopf schleudern wolltet. Ihr seid dem hinter-
listigen Vogelsteller gefolgt und habt Euch in seinem lügnerischen Netze
gefangen.
Und weil Ihr Euch unberufen in unsere inneren Angelegenheiten
eingemengt habt, um die Fackel der Zwietracht in unsere Mitte zu schleu-
dern und unter uns Zwiespalt mit unseren Mitbürgern hervorzurufen : so
hat jeder friedlich gesinnte Kumäne nicht nur das Recht, sondern auch die
Pflicht, gegen diese Einmischung Verwahrung einzulegen und Euch aufzu-
fordern, dass Ihr daheim vor Eurer eigenen Türe kehren möget.
Wie soll Jemand Eure Selbständigkeit respectiren, wenn Ihr die eines
Andern nicht achtet?
Ich will kein Schaf sein und einem Andern zu Liebe ins Wasser
springen, weil er hineingesprungen ist. Der Mensch ist deshalb ein denken-
des Wesen, um selbständige Gedanken zu fassen. Wer mit fremdem Kopfe
denkt, der lasse sich den eigenen herabschlagen ; denn wozu hat er ihn
noch nötig?
Ich bin ein echter Rumäne und will es bleiben ; ich räume Nieman-
dem das Recht ein, sich für einen bessern Rumänen, als ich es bin, halten
zu wollen.
Von mir verlange auch Keiner, dass ich kein Rumäne sein solle. Mein
Volk habe ich niemals verleugnet und werde mein Blut und Geschlecht zu
keiner Zeit verleugnen. Aber ich weiss dieses mein aufrichtiges unbefleck-
tes Rumänentum ganz wohl zu vereinigen mit meinen Rechten als ungari-
scher Staatsbürger.
Das ungarische Staatsbürgerrecht steht mit meiner Nationalität in
keinem Widerspruch. Den Gegensatz habt nur Ihr gemacht ; Ihr, die Ihr
unberufen Euch in unserem Namen an Europa gewendet. Ja, wir sind Ru-
mänen, aber zugleich Bürger des ungarischen Staates, deasen Interessen
auch die unserigen sind. Jeder echte Rumäne kann nur so und nicht an-
ders denken. Wer anderer Meinung ist, der ist weder ein echter Rumäne
noch ein wahrer Bürger dieses Vaterlandes. Mit dieser Wahrheit kann ich
unterliegen; aber meine Niederlage bedeutet noch nicht den Triumph
Eurer Ideen, sondern nur meine eigene Schwäche.
Dixi et salvavi animam meam !
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*22 UNGARNS HANDEL UND VERKEHR IM JAHRE 1889.
UNGARNS HANDEL UND VERKEHR IM JAHRE 1889.
IL
Auf dem Gebiete des öf entliehen Verkehrswesens erfreut sich Ungarn
gleichfalls eines ungemeinen Aufschwunges und stetigen Gedeihens, so dass
die Fortschritte hierin für Jedermann deutheh in die Augen springend sind.
Die Begierung des Landes konnte hier weit unmittelbarer und energischer
eingreifen und selber schaffend die Hand ans Werk legen, als dies bei der
Industrie und dem Handel schon nach der Natur des Gegenstandes der Fall
sein kann. Bilden doch diese directe, zielbewusste Hebung, Vermehrung und
Förderung der Mittel des öffentlichen Verkehrs zugleich die wirksamsten
Werkzeuge zur Belebung, Kräftigung und Ausdehnung der Industrie und
der gewerblichen Thätigkeit überhaupt, sowie zur Erleichterung und Erwei-
terung des Handels, der ja ohne ausreichende und stets brauchbare Gom-
municationen gar nicht zu blühen vermag. Ganz besondere Verdienste um
die Hebung der öffentlichen Verkehrswege und Verkehrsmittel in Ungarn
-erwarb sich nun Se. Excellenz der Herr Handelsminister Gabriel v. Baross teils
in seiner früheren Eigenschaft als «Minister für Gommunicationen und öffent-
liche Bauten», teils als jetziger Minister für Handel, Industrie und Gommu-
nicationen. Die Wirksamkeit des Handelsministers im Interesse der öffent-
lichen Verkehrsmittel Ungarns im Jahre 1889 soll der Gegenstand der
nachfolgenden Skizze sein. Wir folgen hierin selbstverständlich ebenfalls
den reichlichen Daten und Aufschlüssen, welche der dem Reichstage vor*'
gelegte ministerielle «Bericht» "über die einschlägigen Verwaltungsobjecte
darbietet.
Die öffentlichen Strassen und Wege werden erst in Folge einer ent-
sprechenden Durchführung des im Jahre 1890 geschaffenen Gesetz- Artikels I
über «öffentliche Wege und Mauten» die erforderliche Vermehrung und
Verbesserung gewinnen. Zu diesem Behufe mussten vor allem in Kroatien
und Slavonien die königlich ungarischen Staatsbau- Aemter einer Neuorgani-
«ation unterzogen werden. Demgemäss bestehen anstatt der neun, jetzt nur
fünf Staatsbau-Aemter in Agram, Sissek^ Fozsega, Essek und Gospics mit
je zwei Beamten.
In Bezug auf Verwaltung und Erhaltung der öffentlichen Staatsstraasen
war das Bestreben des Ministers darauf gerichtet, dieselben einerseits in
dauernd gutem Zustande zu erhalten, andererseits hiebei die Grundsätze der
Sparsamkeit strenge zu beobachten. Zu diesem Behufe wurde die Aufsicht
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UNOABNS HANDEL UND YEBKEHB IM JAHRE 1889. ^^^
und Gontrole über das öffentliche Strassenwesen neugeregelt und für den
Bau der Brücken eine besondere Instruction herausgegeben.
Die Länge der in Staatsregie befindUchen öffentlichen Strassen beträgt
Ende 1889 im eigentlichen Ungarn 5969*743 Km., in Kroation-Slavonien
1206-922 Km., zusammen 7176-665 Km. Die Aufsichts- und Erhaltungs-
kosten belaufen sich in Ungarn durchschnittlich auf 413> in Kroatien auf
352 Gulden per Kilometer. Der Fortschritt seit dem Jahre 1867, d. i. seit
der Wiederherstellung der verfassungsmässigen Begierung, ist auch auf
diesem Gebiete ein nennenswerter. Denn im Jahre 1867 betrug die Gesammt-
länge der Staatsstrassen oder Chausseen in Ungarn und Kroatien erst
5612 Km., die Zunahme ist somit 1565 Km., d. i. 27-9o/o.
Die Municipalstrassen und Brücken waren bis zum Jahre 1890 im
Wesentlichen den Comitats- und Stadtbehörden anvertraut, der Staat subven-
tionirte jedoch die Municipien namentlich bei Erhaltung solcher Wege und
Brücken, welche von strategischer Bedeutung sind. Diese Staatssubvention
beanspruchte im Jahre 1 889 in runder Summe 600,000 fl. Zur Erbauung
und Erhaltung dieser Municipalstrassen und Brücken wird übrigens die
gesetzlich verpflichtete öffentliche Arbeitsleistung der Steuerträsier entweder
in natura oder in bestimmter Geldablösung in Anspruch genommen.
Zu Ende des Jahres 1889 war die Länge der Municipalstrassen
33,394-4 Km., davon ausgebaut 23,4002 Km., unvollendet 9994-2 Km. Für
diese Strassen waren im Jahre 1889 an öffentlichen Arbeitsleistungen ins-
gesammt vorgeschrieben 2.391,845 zwei- und 119,821 einspännige Tages-
fuhren und 6.603,979 Handarbeitstage. Hievon waren in natura zu leisten :
850,301 zwei-, 38,740 einspännige Tagesfuhren und 2.410,368 Handarbeits-
tage. Die übrigen Leistungen mussten um den Betrag von 4.954,807 fl. 82 kr.
in Geld abgelöst werden.
Die Einhebung der Strassen- und Brückenmaut unterzog der Minister
«iner strengen Prüfung und Aufsicht, damit nicht zum Schaden des Publi-
cums und zur Hemmung des Verkehrs unrecht- oder übermässige Maut-
gebähren abgefordert werden. Eine wohlthätige Wirkung erwartet man auch
in dieser Sichtung von dem neuen Gesetze über das Wege- und Mautwesen
vom Jahre 1890.
Das Post- und Telegraphen- Wesen befindet sich in einem gedeihlichen
Zustande und dient nicht nur dem öffentlichen Verkehre, sondern bringt auch
der Staatscassa ein jährlich zunehmendes reines Einkommen, welches im
Jahre 1889 bereits den Betrag von drei Millionen Gulden überstieg. Der
Herr Handelsminister wendet deshalb diesen Verkehrsmitteln eine besondere
Aufmerksamkeit zu und verdankt man seiner Initiative und Energie hierin
wichtige Erleichterungen und Neuerungen, wofür namentlich die Geschäfts-
welt dem Minister grossen Dank weiss.
Im Interesse des Handels wurde die Postp:ebühr für Drucksachen und
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4-24 UNGARNS HANDEL UND VERKEHR IM JAHRE 1889.
Waaren-Muster um ein Beträchtliches herabgesetzt, so dass für Drucksachen
bis zu 10 Gramm die Gebühr nur 1 kr. betragt; bei Waaren-Mustem bis 5()
Gramm blos 2 kr. In ähnlicher Weise hat der Minister dem telegraphischen
Verkehre der Zeitungen die erhebliche Concession geboten, dass Zeitungs-
telegramme, welche in den Abend- und Nachtstunden aufgegeben werden,
mit Nachsicht der Grundtaxe von 24 kr. blos für jedes Wort einen Kreuzer
Gebühr zu entrichten haben, wenn sie sich jährhch zu einem gewissen
Fauschal-Minimum der Gebuhren-Einnahme verpflichten. Der wohlfeile Post-
tarif für Zeitungen wurde auch auf die Sendungen der Abonnenten-Sammler
und der Colporteure ausgedehnt.
Von grossem Werte für die Erleichterung und Beschleunigung des
Postverkehrs sind ferner die vom Minister Baross getroflfenen Verfügungeu
über die promptere und raschere Zustellung der Geld- und Packetsendungen
sowie der ausländischen Zeitungen und der Geldanweisungen.
Nicht minder eifrig und erfolgreich waren des Ministers Bemühungen
im Interesse der Einbürgerung und Verbreitung des Telephon- tVe^ens, Auf
Grund einer getroflfenen Vereinbarung mit dem österreichischen Handels
minister wurde die telephonische Verbindung zwischen Budapest und Wien
hergestellt ; desgleichen wurden .Verfügungen getroflfen, um das Telephon
in allen grösseren Städten des Landes einzuführen und diese dann mit dem
Telephon-Netz in der Hauptstadt zu verbinden. Auch wurde der Fernsprecher
zur Ergänzung des Telegraphennetzes benützt.
Der Herr Minister erhebt die berechtigte Klage, dass er in diesen seineu
Beformbestrebungen bei einem grossen Teile unseres Publicums nicht das
richtige Verständniss oder das erforderliche Entgegenkommen findet, wodurch
die Organe des Post- und Telegraphenwesens in ihrem Dienste unterstützt
würden. Nahezu ein Viertel der aufgegebenen Briefe ist nlangelhaft adressirt
oder schlecht couvertirt, so dass z. B. im Jahre 1889 wegen Nichtbestell-
barkeit 13,966 Stück Briefe den Aufgebern zurückgegeben, 97,647 Stück aber
aus derselben Ursache vernichtet werden mussten. Die schlechte Gouverti-
nxnn kommt selbst bei grösseren Geldsendungen noch immer vor, obgleich
die Erfahrung hier doch schon längst das Publicum eines Besseren belehrt
haben sollte. Ebenso beklagt der Minister die oft schleuderhafte und
unzweckmässige Verpackung bei Packetsendungen, wodurch die Parteien
häufig ohne Schuld und Verantwortung der Postverwaltun;^ empfindlichen
Schaden erleiden.
Die Einzelheiten über die Verbesserungen im inneren Postdienst
können wir an dieser Stelle nicht mitteilen.
Im internationalen Verkehr hat der Herr Handelsminister namentlich
die Briefpost mit Serbien, Bulgarien und der Türkei wesentlich vermehrt,
desgleichen mit der serbischen Regierung einen vorteilhaften Vertrag zur
Erleichterung des transitorischen Brief- und Geldverkehrs nach Bulgarien
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UNGABNS HANDEL UND VERKEHB IM JAHBE 1889.
425
geachloBsen. Ferner wurde das Gebiet des internationalen Postverkehrs für
Packet- und Wertsendungen erheblich erweitert.
Von wesentlichem Belange für die Förderung des Telegraphen- und
Telephon- Wesens ist die Errichtung einer electro-technischen Abteilung im
Handelsministerium, bestehend aus Post- und Telegraphen-Oberingenieuren
mit 1400 und 1300 fl. Gehalt und 300 (Budapest) und 200 fl. Quartiergeld ;
aus zwei Kategorien von Post- und Telegraphen-Ingenieuren mit 4 Gehalts-
stufen (1200, 1100, 1000 und 900 fl. Gehalt und 200 fl. in der Hauptstadt,
150 fl. in der Provinz an Quartiergeld) und aus Post- und Telegraphen -
Hilfsingenieuren mit zwei Gehaltsstufen (800 und 700 fl. Gehalt, 200 und
150 fl. Quartiergeld). Ausserdem errichtete der Minister einen Lehrcurs für
das Hilfspersonal beim Post- und Telegraphenwesen.
Das Personal bei den ärarischen Post- und Telegraphen-Aemtem
bestand im Jahre 1889 aus 160 Leitern, aus 2334 Manipulationsbeamten
und aus 2293 Dienern, zusammen aus 4787 Personen, deren Gesammt-
bezüge an Gehalt, Quartiergeld und Lohn 3.361,690 fl. ausmachten. Ln
Jahre 1887 waren es 4994 Personen mit 3.665,500 fl. Bezügen. Bei den
nichtärarischen Postämtern waren 3617 (23(X) Männer, 1317 Frauen) Post-
meister und 300 Diumisten mit Gesammtbezügen von 952,046 fl. Von den
Postmeistern wurden im Postdienste verwendet 247 männliche und 323
weibliche Expeditoren. Das Dienstpersonal zählte 3754 Personen. Die Ver-
kaufsstellen für Post- und Telegraphen- Wertzeichen stiegen von 1898 des
Jahres 1887, im Jahre 1889 auf 2150.
In der Post- imd Telegraphen- Verwaltung gab es im Jahre
Post- imd Telegraphendireotionen
Aerariscbe Postämter
Nicbtärariscbe • .__ ...,
Aerariscbe Post- u. Telegrapbenämter
Nicbtärariscbe i c « •
Aerariscbe Telegrapbenämter
Nichtärarische « «
Rollende Postämter __. ._. ..
Speditions-Postämter ... .._ .._
Zusammen
Ausserdem Eisenbahn-Telegraphen
Privat- Telegraphen
Von sämmtlichen Telegraphen-Aemtem hatten im Jahre 1889 Tag-
und Nachtdienst 10 Staats- und 41 Eisenbahn-Telegraphen- Aemter ;
vollen Tag- und Nachtdienst bis Mitternacht 91 Staats- und 41 Eisenbahn-
Telegraphen- Aemter; beschränkten Tagesdienst 645 Staats- und 889 Eisen-
bahn-Telegraphen- Aemter.
rngarisolM Borue, XI. 1891. V. Haft. ^y^
1887
1888
1889
9
9
9
57
U
38
. 3321
3169
3101
r 213
189
195
428
499
533
46
26
16
15
4
2
60
117
240
216
187
184
. 4365
4244
4318
907
927
956
16
40
40
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UNGABNS HANDEL UND VERKEHR IM JAHRE 1889.
Bei dem ärarischen Telegraphendienste waren in Verwendung 39
Hughes-, 1179 Morse'sche und 3 andere Apparate, bei den Eisenbahn-
Telegraphen- Aemtern 1262 Morse'sche Apparate.
Die Zahl der Briefkästen war 2085 (1887 : 1805) ; an Miete für Post-
und Telegraphen-Aemter wurden 192,535 fl. (1887 : 206,965 fl.) bezahlt
Im Dienste des Postverkehrs standen 2898 Wagen (1887 : 3124) und
4017 Pferde (1887 : 4214). Die Abnahme erklärt sich aus der zunehmenden
Menge der Eisenbahnlinien, welche auch den Postverkehr vermitteln. Die
Zahl dieser Linien stieg 1887 — 1889 von 456 auf 502 und die zurückgelegte
Länge von 18.034,878 auf 19.140,454 Kilometer. Mittelst der Flussdampfer
wurde der Postverkehr in einem ümfanjre von 419,472 (1887 : 422,1 72) Kilo-
meter vermittelt; zur See auf 424,292 Seemeilen (1887 : 238,922).
Die LinienlängH des Telegraphennetzes war im Jahre 1889 bei den
Staatstelegraphen 18,693*035 Kilometer (1887 : 17,632*972), bei den Eisen-
bahntelegraphen 857-617 Kilometer (1887 : 1134*246), bei den Privattele-
graphen 341-529 Kilometer (1887 : 344*414), zusammen 19,892*181 Kilo-
meter (1887 : 19,111*632). Die Kabellänge hingegen bei diesen drei Kate-
gorien 47,918*780 Kilometer (1887:45,381-112). 24,883-944 Kilometer
(1887:23,287*320) und 597-318 Kilometer (1887:506-404), zusammen
73,400-042 Km. (1887 69.174*836).
Die Einnahmen aus Post und Telegraphen waren 12.308,145 fl., di>
Ausgaben 9.222,683 fl., das Plus der Einnahmen somit 3.085,462 fl.
Der Postverkehr zeigt im Briefverkehr (einfache und recommandirte
Briefe, Correspondenzkarten, Zeitungen, Waaren-Muster und Drucksachen)
folgende Ergebnisse :
1887
1888
1S89
1. Inländische Briefe
76.537,900 St.
76,9-22,000 St.
79.770,000 St.
• Zeitungen ...
40.966,180 i
42.155,000 •
44.140,000 •
c sonst. Sendungen
30.152,400 •
32.403,000 t
33.539,000 .
2. Oesterreichißche Briefe ...
16.906,620 •
15.947,660 t
17.247,000 .
• Zeitungen
4.926,8S0 t
5.215.680 •
5.381.000 .
• sonst. Sendungen
10.500,780 •
11.152,100 «
11.386,000 .
3. Ausländische Briefe
3.996,200 •
4.297,100 «
4.807,000 .
• Zeitungen
689,420 •
783,760 i
860,000 «
• sonst. Sendungen
1.918,560 t
2.154,280 i
2.708,000 «
Zusammen Briefe ...
97.440,720 St.
97.166,760 St.
101,909,000 St
Zeitungen
46.582,460 t
48.154,440 i
50,381,000 .
Sonst. Send.
42.571,740 i
186.659,040 St.
45.709,380 •
47.548,000 €
Der ges. Briefpostverkehr
191.030,580 St.
199.838,000 St
Postaufträge geschahen aus dem Inlande: 59,656 Stück mit
1.989,534 fl. Geldwert; ausgelöst wurden 34,791 Stück um 1.172,361 fl.;
aus Oesterreich : 68,823 Aufträge mit 3.154,342 fl. Geldwert; ausgelöst:
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UNGARNS HANDEL TTND VEBEEHB IM JAHRE 1889. 4^7
34.752 Stück um 1.665,980 fl. ; vom Auslände: 1 1,896 Stück mit 524,306 fl. ;
ausgelöst: 6394 Stück mit 285,877 fl. Insgesammt waren also 140,375
(1887: 123,694) Postaufträge im Geldwerte von 5.668,182 fl. (1887:
4.288,240 fl.), wovon ausgelöst wurden : 75,937 Stück (1887 : 63,038) im
Werte von 3.124,218 fl. (1887 : 2.233,268 fl.).
Die Postanweisungen und Postnachnabmen betrugen: 10.521,223
<1887 : 8.860,443) Stück mit 314.730,536 fl. (1887 : 256.165,378) Ein-
Zahlung und 8.794,195 Stück (1887 : 7.166,228) mit 238.776,702 fl. (1887 :
187.860,307) Auszahlung. Rechnet man hiezu noch die an Oesterreich zur
Begleichung ausgezahlte Summe von 76.100,000 fl. (1887 : 67.650,000 fl.),
so macht die ausgezahlte Gesammtsumme 314.876,702 fl. (1887 :
255.510,307) aus.
Noch ist höchst interessant, dass in Ungarn für Oesterreich eingezahlt
wurden : 108.980,251 fl. (1887 : 94.372.087), dagegen sind von Oesterreich
eingelangt: 33.419,901 fl. (1887: 26.706,716); für die occupirten Provinzen
wurden eingezahlt: 344,977 fl. (1887: 242,744) und von dort hieher ange-
wiesen: 1.321,768 fl. (1887: 1.307,844); für das Ausland eingezahlt:
3.048,156 fl. (1887: 2.737,775), von dort hieher: 1.905,557 fl. (1887:
1.440,555). Zusammen eingezahlt: 112.373,384 fl. (1887: 97.352,606),
hierher angewiesen: 36.647,226 fl. (1887: 29.455.115).
An Paketen und Geldbriefen langten an :
aus dem Inlande : 7.541,000 Stück
21.463,000 Kilogramm Gewicht
1,216.746,000 fl. Geldwert;
aus Oesterreich : 3.207,840 Stück
11.970,220 Kilogramm Gewicht
296.903,060 fl. Geldwert;
vom Auslande : 433.840 Stück
1.360,700 Kilogramm Gewicht
45.710,500 fl. Geldwert.
Znsammen : 11.1 82,680 Stück
34.793,920 Kilogramm Gewicht
1,559.359,560 fl. Geldwert.
Im Jahre 1887 war der letztere 1,651.814,560 fl.
Der tdegraphische Verkehr weist gleichfalls eine ungemeine, continuir-
liche Steigerung auf. Die Zahl der gebührenpflichtigen Telegramme bei
:8ammtlichen Staats- und Eisenbahn-Telegraphenstationen war
im J. 1887 2.607,458 Stück
• M 1888 2.857,142 •
• • 1889 - 2.881,527 •
Dazu kommen in diesen drei Jahren an gebührenfreien Depeschen
144,590; 186,383 und 240,743 Stück, so dass also der Gesammtdepeschen-
27*
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42S
X7NOARNB HANDEL UND YERKEHB IM JAHKE 1889.
verkehr sich folgendermassen gestaltet hat : 2.752,048 ; 3.043,495 ; 3.122,270*
Stück. Von den gebührenpflichtigen Telegrammen waren im Jahre 1887 erst
2.536,522, im Jahre 1889 schon 2.811,581 Privatdepeschen.
Den gesteigerten persönlichen und geschäftlichen Verkehr bezeugen
auch die von ausserhalb Ungarns hieher gerichteten, zunehmenden tele-
graphischen Mittheilungen. Innerhalb des obigen Trienniums 1887 — 1889
betrug deren Zahl 747,591; 804,056; 828,882 Stück. Aus Oesterreich
allein kamen 608,224 bezahlte und 6857 gebührenfreie, zusammen 615,081
Depeschen.
Noch verzeichnet der ministerielle Bericht die im inländischen und
im internationalen Verkehre vermittelten, «durchlaufenden» Telegramme,
v^odurch der gesammte telegraphische Verkehr von 1887 — 1889 folgende
Besultate erzielte :
1887 1888 1889
Aufgegeben wurden 2.752,048 St. 3.043,495 St. 3.122,270 St.
Vom Auslande angekonmien ... 747,591 « 804,050 « 828,882 •
Durchlaufende Depeschen ... ,■, 2.697,201 t 2.908,241 t 3.189,009 «
Zusammen ... 6.196,840 St. 6.755,792 St. 7.140,161 St.
Im Jahre 1889 gab es in den Ländern der ungarischen St. Stefanskrone
zehn Städte mit öffentlichem Telephon- Verkehr, und zwar : Budapest (ver-
pachtetes Staatstelephonnetz), Szegedin, Arad, Temesvär, Pressburg, Pünf-
kirchen, Agram, Debreczin, Grosswardein und Miskolcz.
Das Institut der königlich-ungarischen Postsparcassa hat auch im
Jahre 1889 eine erfolgreiche Wirksamkeit entfaltet; die Zahl der Einleger ist
bedeutend gestiegen, wodurch auch der geschäftUche Verkehr an Lebhaftig-
keit gewonnen hat. Das Qedeihen dieser öffentlichen Institution ist umso
erfreulicher, da ihre Thätigkeit, wie die Erfahrung lehrt, nach kein er Rich-
tung die Frivatsparcassen und Credit-Institute in nachtheiliger Weise beein-
flusst. Beweis dessen ist schon die Thatsache, dass seit dem Bestände der
Postsparcassen (seit dem Jahre 1886) bis Ende 1888 die Zahl der vaterlän-
dischen Sparcassen von 395 auf 424 gestiegen ist und ausserdem zahlreiche
Geldinstitute, namentlich Creditverbände gebildet wurden, welche sich
ebenfalls mit der Entgegennahme und fruchtbringenden Verwendung von
Spareinlagen beschäftigen.
Der Minister war vor Allem bemüht, die Einzahlstellen bei den Post-
und Telegraphen- Aemtem zu vermehren. Die Zahl derselben betrug im Jahre
1886 erst 2000, im Jahre 1889 schon 3815, so dass also der grösste Teil
dieser Aemter zugleich als Einlagstelle für die Postsparcassa dient.
Im Jahre 1889 betrugen die Einlagen sammt den capitalisirten Zinsen
4.271,070 fl. 76 kr., die Bückzahlungen 3.459,630 fl. 60 kr., so dass der
Bestand um 811,440 fl. 10 kr. zunahm. Dazu der Status aus dem Jahre
1888 mit 2.927,845 fl. 50 kr. gibt mit Ende des Jahres 1889 einen Gesammt-
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UNGARNS HANDEL UND VERKEHR IM JAHRB 1889. ^^
Einlagenstand von 3.739,285 fl. 60 kr. Der gesammte Geldverkehr des Insti-
tutes war im Jahre 1886 erst 3.937,630 fl. 56 kr.; im Jahre 1889 aber
7.730,701 fl. 42 kr. ; die Steigerung beträgt sonach 96-5o/o.
Da nach dem Gesetzartikel IX vom Jahre 1885 jeder Einleger nur ein
Einlagsbüchel haben darf, so bezeichnet die Zahl der Einlagsbächel zugleich
die Anzahl Einleger selbst Damach traten im Jahre 1889 dem Verbände
der Postsparcassa 60,997 Personen bei, die in Verbindung mit den Ende
1888 verbliebenen 129,887 Personen einen Gesammtbestand von 190,884
Einlegern, resp. Einlagsbücheln ausmachen. Hievon wurden definitiv heraus-
genommen 40,074, so dass zu Ende 1889 noch 150,810 Einlagsbächel ver-
«blieben.
Im Jahre 1888 waren bei sämmtlichen ungarischen Privat-Geldinsti-
tuten 623,176 Spareinlagebüchel vorhanden, von denen auf die eigentlichen
Sparcassen 498,048 Stück entfielen. Die Postsparcassa trägt also auch hin-
sichtlich der Zahl ihrer Einlagsbächel (150,810 Stück) den Charakter eines
Landes-Instituts an sich. Die zunehmende Verbreitung der Teilnahme an
dem Institute beweisen auch noch andere Zahlverhältnisse. Während näm-
lich im Jahre 1886 erst jede 200. Person im Lande ein Postsparcassabüchel
besass, war dies im Jahre 1887 bereits bei jeder 157., im Jahre 1888 bei
jeder 127. und im Jahre 1889 schon bei jeder 110. Person in der Bevöl-
kerung der Fall. Auf 1000 Seelen kamen 9*1 Postsparcassaeinleger ; bei
den übrigen Creditinstituten auf je 1000 Seelen 42 Einleger. In der Haupt-
stadt Budapest zählte man Ende 1889 nicht weniger als 23,088 Postspar-
cassa-Einleger; hier entfiel also ein Einlagsbüchel schon auf je 20 Personen
(im Jahre 1886 erst auf je 27 Personen).
Interessant ist auch der Nachweis über die Benützung der ein- und
mehrsprachigen Einlagebüchlein. Am Ende des Jahres 1889 waren im
Gebrauche :
nur in ungarischerSprache — 104,109 Einlagebüchlein = 6903o/o
in ungar.kroat. • 5,587 t = 3*70 1
« « -deutscher « 30,526 • =20*24«
• « -rumänischer Sprache 2,195 « = l«46f
« • -slovakischer « 6,596 « = 4*37 •
• « -serbischer, ruthenischer, italieni-
scher Sprache 1,797 i = 1-20 t
Zusammen ... 150,810 Einlagebüchlein — —
Unter den Einlegern gehörten Ende 1889 24'5 Percent dem Liebens-
^ter unter 10 Jahren, 32% dem zwischen 10 und 20, 18*8% zwischen 20
und 30 Jahren an. 35% der Einleger waren Kinder und Schüler; 12-5%
Handwerker; 8*9^/o Beamte und Soldaten; 5*7 Kaufleute; 5*1 ^/o Geistliche,
Professoren, Lehrer, Schriftsteller, Künstler, Aerzte, Ingenieure, Advokaten
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^^ UNGARNS HANDEL UND VERKEHR IM JAHRE 1889.
u. 8. w.; 3-5<>/o Dienstboten; 2'9> Land- und Forstwirte, l'SVo Taglöhner^
21'l^/o sonst Beschäftigte u. s. f. Femer teilten sich die Einleger dem
Geschlechte nach in 65-9Vo männliche und 32*9 Vo weibliche Personen;
1-2% waren neutrius generis, d. h. juristische Personen.
Der ministerielle Bericht untersucht die Anzahl und Höhe der Ein-
lagen und der Bäckzahlungen noch nach anderen G^chtspunkten, auf
welche wir jedoch im Hinblicke auf den zur Verfügung stehenden Baum
nicht mehr des Näheren eingehen können. Bios die allgemeinen Anden-
tungen seien noch erlaubt, dass die meisten Einlagen (und Bückzahlungen)
im Budapester Post- und Telegraphen-Directionsdistrict erfolgen, nach die-
sem kommt derOedenburger, dann der Pressburger District; am Geringsten
sind die Einlagen in den Postdistricten Hermannstadt und Agram. Die
meisten Bäckzahlungen geschahen im Dezember, die wenigsten im Monate
Jänner.
Da die Postsparcassa ihre Wirksamkeit hauptsächlich dem finanziell
schwachem Publikum zuwendet, so ist es klar, dass auch die durchschnitt-
liche Höhe der Einlagen und Bäckzahlungen i^jich nur in bescheidenen
Dimensionen bewegt Nichtsdestoweniger bemerkt man auch hierin ein an-
dauerndes Wachstum, was auf die Zunahme des Sparsinnes und der Wohl-
habenheit auch in diesen Kreisen der Bevölkerung schliessen lässt. Der
Durchschnittsbetrag der Einlagen war
im Jahre 1886 5 fl. 67 kr.
€ t 1887 ... 6 i 95 «
i i 1888 8 • 34 «
t 1889 9 t 38 i
Der Durchschnittsbetrag der Bäckzahlungen war
im Jahre 1886 18 fl. 76 kr.
t € 1887 ... . . ... 21 i 74 •
• 1888 ... 23 . 67 •
i • 1889 . . ... 25 . 26 •
Subtrahirt man die mit Ende 1889 zurückgezahlten Beträge von den
Einlagen und addirt man hiezu die capitalisirten Zinsen, so ergibt sich für den
genannten Zeitpunkt ein Einlagenstand von 3,739.285 fl. 60 kr.; im Durch-
schnitt entfallen auf je einen Einleger an reinem Erspamiss 24 fl. 79 kr. ;
im Jahre 1886 waren es nur 16 fl. 60 kr. Auch daraus ist ersichtlich, euier-
seits die erfreuliche Zunahme der Einlagenhöhe, andererseits die haupt-
sächliche Betheiligung des «kleinen Mannes» mit seinen Sparkreuzera an
dem Institute der Pontsparcassa. Lauten doch von den sämmtlichen Einlage-
bücheln nicht weniger als 72-97o d. i. nahezu drei Viertel auf Sparbeträge
bis zu 10 fl. Wert.
Die Fructificirung der eingezahlten Spareinlagen erfolgt durch An-
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UNGABNS HANDEL UND VERKEHR IM JAHRE 1889. 4-31
läge derselben in 57o nngar. Papierrente, welche in den Jahren 1887 — 1889
mit einem durchschnittlichen Gnrse von 92 fl. 02 kr. angekauft wurde, so
dass die Verzinsung 5*43% abwarf,
Dass der Staat mit der Postsparcassa bis nun kein Geschäft gemacht
hat, was übrigens auch nicht die Au^be des Instituts ist^ beweisen die That-
sachen, dass sich im Jahre 1888 ein Deficit von 50,316 fl., im Jahre 1888
von 39.807 fl. ergeben hat. Die Deckung dieses Abganges erfolgte vorschuss-
weise aus den Postverwaltungsgeldem. Mit der Erstarkung des Instituts
wird indess die Zeit kommen, wo es sich ohne Deficit wird behaupten
können. Eine erhöhte Bedeutung und Wichtigkeit erhielt das Institut der
Postsparcassa durch den mittelst G.-A. XXXIV v. Jahre 1889 im Jahre 1890
eingeführten Check- und Clearingverkehr. Der Herr Handelsminister hat zur
Einführung dieses neuen Geschäftszweiges nicht blos dem manipulirenden
Amtspersonale, welches entsprechend vermehrt wurde, eingehende Instruc-
tionen erteilt, sondern auch durch eine populär gehaltene Flugschrift das
grosse Publikum über das Wesen und die Vorteile des neuen Geschäfts-
zweiges aufgeklärt.
Eünen hervorragenden Anteil an der erspriesslichen Wirksamkeit des
Herrn Handelsministers Gabriel v. BeLYOsshshen die Eisenbahn- Angel erjen-
heilen, denen der vorliegende ministerielle Bericht von S. 363 bis 841 eine
ebenso eingehende als instructive Behandlung angedeihen lässt. Bekannt-
lich hat Herr v. Baross noch als Minister für Communicationen dem unga-
rischen Staatseißenbahnwesen eine ganz neue Aera eröffnet und Beformen
angebahnt und durchgeführt, welche den ehrenvollen Ruf seines Namens
weit über die Grenze seines Vaterlandes hinaustrugen, ja ihn als einen der
bahnbrechenden Keformer auf dem Gebiete des Verkehrswesens für alle
Zeiten denkwürdig gemacht haben. Wenn unsere Zeit vor Allem «unter dem
Zeichen des Verkehrs» steht, so hat dieses Zeichen Niemand besser erkannt
und energischer zur Geltung zu bringen versucht, als eben Ungarns gegen-
wärtiger Handels minister, der Schöpfer des epochalen Zonentarifs im Per-
sonen- und Güterverkehr der ungar. Staatsbahnen.
Die Action in der Eisenbahnverstaatlichung, welche seit 1884 zu einem
gewissen Stillstand gelangt war, kam dadurch wieder in Fluss, dass der
Gesetzartikel XIV v. Jahre 1889 die Ablösung der ungarischen West- und
der ungarisch-galizischen Bahn genehmigte und der G.-A. XV desselben
Jahres dieBegierung bevollmächtigte, die Ablösimg der Budapest-Pünfkirch-
ner Eisenbahn gleichfalls zu bewerkstelligen, was durch den G.-A. VH v.
Jahre 1890 auch thatsächlich zum Vollzug gelangte. Bei Gelegenheit dieser
Eisenbahn- VerstaatUchungen wurden für den Staat besonders günstige
Vereinbarungen getroffen. Noch sei erwähnt die mittelst G. A. X. vom
Jahre 1889 genehmigte Stempel- und gebührenfreie Convertirung des Prio-
ritätsanlehens der für den Export wichtigen Kaschau-Oderberger Eisenbahn ;
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*32 UNOABNB HANDEL UND VERKEHB IM JAHRE 1889.
dann die (jenehmigung (G. A. I vom Jahre 1889) der schmalspurigen Eisen-
bahn Mostar-Bama- Mündung in der Herzegowina; insbesondere verdient
aber hervorgehoben zu werden, dass Regierung und Gesetzgebung im Jahre
1889 mit der Vermehrung der Vicinalbahnen sehr in Anspruch genommen
waren. Unter den bis Ende 1889 concessionirten 3110 Kilometer Vicinal-
bahnen wurden 1648 Kilometer oder 53<)/o nur auf Grund legislatorischer
Bevollmächtigung conoessioniri Ein näheres Eingehen sowohl auf diese
legislatorischen Acte wie auch auf die Thätigkeit des Handelsministers g^en-
über der Verwaltung und Leitung sowohl der Staats- wie der Privat-Eisen-
bahnen müssen wir uns an dieser Stelle versagen. Das zielbewusste, ener-
gische Vorgehen des Ministers im Interesse der Hebung, Vermehrung,
Erleichterung und Verwohlfeilerung des Verkehrs ist überall deutlich zu
erkennen, ebenso das Streben nach Geltendmachung der Interessen des
Staates und Beiner verkehrspolitischen Oberhoheit.
Im Jahre 1889 wurden 474*908 Km. Eisenbahnlinien gebaut, so dass
die Gesammtlänge des Eisenbahnnetzes am Ende dieses Jahres 10,874*624
Kilometer betrug. Unter den obigen 474*908 Km. neuen Bahnlinien gehörten
den königlich-ungarischen Staatsbahnen 75*143 Kilometer, den privat-
gesellschaftlichen Hauptlinien 1*626 Kilometer und den Vicinalbahnen
399*915 Kilometer. Im Bau begriffen waren 558*0 Kilometer. In Goncessions-
Verhandlung standen nicht weniger als 1722*3 Kilometer; auf weitere
Linien von ungefähr 5600 Kilometer wurden Vorconcessionen erteilt.
Auf dem Gebiete des Eisenbahnbauwesens herrschte somit in dem
hier betrachteten Jahre 1889 eine ungemeine Bührigkeit und ein schaffens-
lustiger Unternehmungsgeist.
Zu Ende des Jahres 1888 kamen auf je 100,000 Einwohner 66*5 Kilo-
meter, mit Ende 1889 schon 69*7 Kilometer; auf je 100 Quadratkilometer
damals 3*2 Kilometer, jetzt 3*4 Kilometer Eisenbahnen.
Das Gesammtnetz der ungarischen Bahnlinien zerfiel in technischer
Beziehung
im J. 1888 im J. 1889
in Eisenbahnen ersten Ranges 7385-222 km = 71-Oo/o 7531-077 km = 69-3<Vt
• t zweiten • 2891-334 • = 27-8 • 3219-497 • = 296 1
€ schmalspurige Eisenbahnen 123-160 • = 1-2« 124-050 « = 11«
Davon waren
im J. 1888 im J. 1889
K. ung. Staatsbahnen ... ._. 4240*298 km = 40-8o/o 4827*648 km = 44'4ojü
Gesellschafts-Hauptlinien ... 4007-716 « =38-5« 3495-352 « =32-1«
Vicinalbahnen 2151-702 « =20*7« 2551-624 « =23-5«
Zieht man den Betrieb selbst in Betracht, so waren
im J. 1888 im J. 1889
im Staats-Betrieb ... ... ... 5288-860 km = 50*9 o/o 6141-237 km = öö-ö«»«»
• Privat- « 5110-856 « =491« 4733-387 « =43-5«
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UNGARNS HANDEL UND YEBKEHB IM JAHRE 1889. ^33
Die zunehmende Präponderanz der Staatsgewalt in Eisenbahn- Ange-
legenheiten tritt insbesondere deutlich in der wachsenden Uebemahme der
Localbahnen in den Staatsbetrieb hervor. Es waren nämlich von diesen
Yicinalbahnen
im J. 1888 im J. 1889
im Staatsbahnbetrieb 989-518 km = 46-Co/o 1304-545 km = 5Mo/o
« Betrieb der grossen Qesellsch. 665*876 • = 309 • 700-648 • =27-5i
«Eigenbetrieb 496-308 • =23-1« 546-431 • =21-4«
Bis zu Ende 1889 betrug das in das ungarische Eisenbahnnetz inve-
stirte sämmtliche Capital 882.029,110 fl. ; gegen das Vorjahr 1888 war die
Zunahme 29.346,957 fl. Und zwar entfielen von dem investirten Capital
im J. 1888 im J. 1889
auf die Staatsbahnen 400.006,493 fl. = 47-0«>/o 447.813,923 fl. = 50-8o/o
t « Gesellschaftsbahnen 390.288,873 t = 45-7 « 362.069,281 €=41-0«
i « Yicinalbahnen ... 62.386,787 «= 7-3 • 72.145,906 • = 8-2«
Auf die Bahnlängen verteilt, zeigt sich, dass nach diesen drei Haupt-
gruppen an Investitionscapital per Kilometer durchschnittlich entfielen
im J. 1888
im J. 1899
ei den Staatsbahnen ... ...
94.334 fl.
92,761 fl.
« • Gesellschaftsbahnen ...
97,555 t
103,795 •
• • Yicinalbahnen
28,937 •
28,227 «
im Durchschnitte ... 82,100 fl. 81.130 fl.
Mit der Yerlängerung der Bahnlinien und mit dem steigenden Per-
sonen- und Güterverkehre müssen naturgemäss auch die Yerkehrsmittel,
namentUch die Locomotive und Güterwagen, ungemein vermehrt werden.
Wie sehr dies im Jahre 1889 der Fall war^ lehren folgende ziffermässige
Thateachen. Es hatten Locomotive erster Classe :
Ende 1888
Ende 1889
die Staatsbahnen
657
709
« Oesellschaftsbahnen ...
545
550
Zusammen ...
1202
1259
Lokomotive zweiter Classe :
Ende 1888
Ende 1889
die Staatsbahnen
147
155
« Gesellschaftsbabnen ...
110
108
• Yicinalbahnen
74
82
Zusammen...
331
345
Gesammtstand der Lokomotive
1533
1604
•riteh. B.ra., ZI. 18>1. V. Heft.
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4-34 UNGARNS HANDEL UND VERKEHR IM JAHRE 1889.
Personen -Wagen :
Ende 188H
Ende 1889
die Staatsbahnen
1391
1415
« Gesellschaftebahnen ...
106S
1966
• Vicinalbahnen ... ._.
154
171
Zusammen...
^613
2652
Güter -Wagen:
Ende 1888
Ende 1889
die Staatflbabnen
18,94tJ
20,682
• Gcsellßchaftsbahnen ...
12,901
13.703
• Vicinalbahnen
1,085
1,198
Zusammen...
32,928
35,583
Daraus ist ersichtlich, dass der überwiegende Teil der Vermehrung
(bei den Locomotiven 60, bei den Güterwagen 1740 Stück) auf die könig-
lich-ungarischen Staatsbahnen entfallt; doch haben über Andringen des
Ministers auch die Gesellschaftsbahnen, insbesondere die österreichisch -
ungarische Staatseisenbahn- Gesellschaft, dann die Nordostbahn-, die
KaschauOderberger und die Raab-Oedenburg-Ebenfurter Gesellschaft ihren
Waggonbestand um ein Beträchtliches vermehrt. Nichtsdestoweniger hat
diese Vermehrung der Betriebsmittel mit dem Wachstum des Bahnnetzes
nicht gleichen Schritt gehalten und ist in dieser Beziehung eine grössere
Productivität im Interesse des ungestörten Exporthandels höchst wünschens-
wert. Der Herr Handelsminister widmet denn auch dieser notwendigen Ver-
mehrung der Betriebsmittel seine ganz besondere Aufmerksamkeit; denn
nur dadurch ist es ihm möglich gewesen, die im Jahre 1889 eingeführte
einschneidende Reform mit dem Zonentarife für den Personen- Verkehr ohne
erhebliche Störungen ins Werk zu setzen.
Das in den Betriebsmitteln investirte Capital war
Ende 1888 Ende 1889 Zunahme
bei den Staatsbahnen 66.023,987 fl. 68.737,573 fl. 2.713,586 fl.
. t Gesellschaftsbahnen ... 54.013,343 • 55.676,928 « 1.663,585 •
€ . Vicinalbalmen ,.. 3.U5.025 t 3.948,342 ^ 503.317 t
Zusammen ... 123.482,355 fl. 1 28.362,843 fl. i.880,488 fl.
An Eisenbahnstationen zählte man
im J. 1888 im J. 1889 Znnahme.
bei den Staatsbahnen ._ ... 548 554 6
• N Gesellschaftsbahnen 453 454 1
« « Vicinalbahnen ... 335 397 62
Zusammen ... 1336 1405 69
Zieht maoi auch die Ladeplätze und Haltestellen in Betracht, so war
das Eisenbahnnetz hinlänglich intensiv entwickelt ; denn darnach entfiel je
eine Station
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i J
UNGARNS HANDEL UND VERKEHR IM JAHRE 1889. *35
1888
1889
bei den Staatsbahnen auf
8-7 km.
8-9 km.
« • Gesellschaftsb. • ...
7-8 «
7-8 .
• • Yicinalbahnen «
6-6 «
6-6 .
durchschnittlich auf... ...
8-0 km.
7-9 km.
Eine eigentliche Bahnstation kam auf 11, resp. 10*9 Kilometer. In
nenester Zeit gibt sich nun das erfreuliche Bestreben nach Vermehrung und
Verdichtung der Bahnstationen kund. Ebenso beobachtet man das zu-
nehmende Auflassen der für den Verkehr in mehrfacher Hinsicht nach-
teiligen gemeinsamen Bahnhöfe. Noch sei bemerkt, dass Ungarn im Ganzen
19 Grenz-Eisenbahnstationen hat, wovon 14 auf der österreichisch-ungari-
schen, 5 auf der eigentlichen Auslands- Grenze (Bumänien, Serbien, Bosnien)
liegen. Dieser Unterschied ist in die Augen springend; die mangelhafte
Anzahl von Grenzstationen nach Serbien ist übrigens begreiflich durch
die grosse Schwierigkeit der Donauüberbrückungen ; weniger motivirt
erscheint dieser Mangel gegenüber von Bumänien. Erst in neuester Zeit ist
es gelungen, den schon im Vertrage von 1874 in Aussicht genommenen
Bahn -Anschlüssen nach dem rumänischen Königreiche drei weitere hin-
zuzufügen.
Die Ergänzungs- Arbeiten beanspruchten im Jahre 1889
bei den kön. ung. Staatsbahnen ... ... ... 2.800,573 fl.
• t garantirten Hauptlinien 6.002,919 t
• « nichtgarantirten • _.. ... 304,258 t
Dadurch stieg das zweite Geleise von 690*334 Km. auf 701*595 Km.
Länge; femer wurden drei Bahnen zweiten zu Bahnen ersten Banges
erhöht ; ebenso erfolgte die fortgesetzte Umtauschung der Holzbrücken mit
Eisenbrücken ; die Vertauschung der Eisen mit Stahlschienen u. s. w.
Die Lokal- (o. Strassen-) Bahnen waren im Jahre 1888 erst 92*888 Km.,
im Jahre 1889 schon 106*167 Km., darunter sind 6*5 Km. mit elektrisohem
Betrieb. Concessionirt wurden im Jahre 1889 an Lokal- und Strassenbahnen
47*9 Km., darunter 6*5 Km. mit elektrischem Betriebe. Alle elektrischen
Bahnen, von denen gegenwäxtig bereits an 10 Km. in Betrieb sind, befinden
sich in der Hauptstadt Budapest. Das investirte Capital für die Lokal- und
Strassenbahnen betrug mit Ende 1889: 8.456,986 fl. (86,018 fl. auf den
Kilometer). Die Höhe dieser Livestirung vnrd namentlich durch die Kosten
der Budapester Zahnradbahn auf den Schv^abenberg und der Drahtseil-
Bampe in die Ofher Festung wesentlich beeinflusst. In Bezug auf die
Betriebskraft waren zu Ende 1889 87*209 Km. Pferde-, 12*458 Km. Loko-
motiv- und 6*5 Km. elektrische Lokalbahnen. Es wurden dazu benützt:
1302 Herde, 14 Lokomotive und 12 elektrische Wagen; femer 458 Per-
sonen- und 98 Güter- Waggons. Die Entwickelung des Local- und Strassen-
28*
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^*36 UNGARNS HANDEL UND VERKEHR IM JAHRE 1889.
babnwesens lässt mit Ausnahme der Hauptstadt in Ungarn noch Vieles zu
wünschen übrig, obgleich die ungarische Gesetzgebung den Bau dieser
Lokalbahnen durch ganz besondere Begünstigungen erleichtert.
Mit Bezug auf die in Budapest bestehenden elektrischen Bahnen
bemerkt der ministerielle Bericht, dass die Anlage solcher Bahnen mit
xmterirdischer Stromleitung für die gros8>städti8chen Verhältnisse auch aus
Ästhetischen und polizeiUchen Gesichtspunkten von Wichtigkeit erscheint
Noch bleibt zu beachten, dass Budapest die erste Stadt ist, wo solche unter-
irdische Leitung des elektrischen Stromes mit gutem Erfolge ins Werk
gesetzt worden ist.
An privaten Industrie-Bahnen besitzt Ungarn (Ende 1889) 1091*1 35
Km., d. i. 111 -035 Km. = 11-3% mehr als im Jahre 1888. Hievon wurden
663-949 Km. = 51-7Vo mit Dampfkraft, 527-186 Km. = 48-3% mit Pferde-
kraft betrieben. Ihrer Bestimmung nach dienten diese privaten Industrie-
bahnen :
montanistischen Zwecken 440'615 km = 40-4o/o
forstwirtschaftlichen t 298-134 • =27-3«
landwirtschaftlichen • ... ... 102-451 i = 9-4t
sonstig, industriellen « 1 63*509 • =15*0t
Verwaltungs- • ... ... 86*426 t = 7-9 «
Die eigentUchen Industriebahnen (Fabriksbahnen) haben von 1888
auf 1889 um nahezu 30®/o zugenommen. 59*833 Km. dieser Industrie-
bahnen dienen in beschränktem Umfange auch dem öffentlichen Verkehre.
Das ungarische Gesammt-Eisenbahnnetz bestand aleo Ende 1889 aus
folgenden Bahnlinien :
a) Oeffentliche Lokomotivbahnen 10,874*624 km
b) Lokalbahnen ... 106167 t
c) Bahnen mit beschränktem öffentl. Verkekr 59*833 t
Zusammen ... 11 ,040* 1 24 km
d) sonstige Industriebahnen _ _ 1,091'135 t
insgesammt ... 1 2, 1 31 '259 km.
Um den riesigen Fortschritt Ungarns in seinem Eisenbahnwesen
richtig zu beurteilen, beachte man noch folgende Daten.
Zu Ende des Jahres 1866 hatte die österreichisch -ungar. Monarchie
6125 Km. Eisenbahnen und davon entfielen auf Ungarn 2160 Km.=35-2^/o.
Ende 1879 betrug das Gesammt-Netz bereits 18,419*839 Km., wovon auf
Ungarn 7071-068 Km. = 38*4% kamen. Ende 1889 jedoch war die Länge
aller österreichisch-ungar. Bahnlinien 25,231-068 Km.; der ungarischen
allein 10,394*420 Km. = 41*2%. Man sieht demnach, dass die Zunahme
des ungarischen Bahnnetzes in absoluter und in relativer Hinsicht eine
überaus bedeutende war.
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UNGARNS HANDEL UND VERKEHR IM JAHRE 1889. 437
Indem wir nun zun Betrachtung der wichtigsten Thatsachen über den
Verkehr der ungarischen Eisenbahnlinien im Jahre 1889 übergehen, fähren
wir vor Allem an, dass die Betriebslänge der im Verkehr befindlichea
Eisenbahnen Ende 1889 war:
bei den kön. ung. Staatsbahnen 4,915*422 km
« • Gesellschaftsbahnen ... ... 3,526-458 •
f t Vicinalbahnen .._ ^,615^29 •
Zusammen ... 1 1 ,057 -609 km.
d. i. um 530-124 km. länger alsimXTahre 1888.
Hierbei waren beschäftigt :
Beamte Unterbeamte n. Diener Zusammen
bei den img. Staatsbahnen ... 3, 1 25
« • Gesellschaftsbahnen 2,183
« « Vicinalbahnen ... 166
11,467
6,316
450
14,592
8,499
616
Zusammen 5,474
kut je einen Kilometer Bahnlinie kommen :
Beamte
bei den img. Staatsbahnen 0*52
« • Gesellschaftsbahnen ... 0'52
• « Vicinalbahnen 0*31
18,233
Diener
1-89
1-52
0-82
23,707
Znsammen
2-41
204
M3
Die Bezüge dieser Beamten und Diener waren im Jahre 1889 :
Beamte Diener Zusammen
bei den ung. Staatsbahnen 3.780,615 fl. 6.114,439 fl. 9.895,054 fl,
• i Gesellschaftsbahnen ... 2.615,488 • 2.658,689 • 5.274,177 •
• • Vicinalbahnen 167,063 • 186,844 « 362,907 t
Zusammen ... 6.572,166 fl. 8.959,972 fl. 15.532,138 fl.
Auf den Kilometer entfallen von diesen Bezügen im Durchschnitte :
Beamte Diener Znsammen
bei den ung. Staatsbahnen ... 62416 fl. 1009*47 fl. 1633-63 fl.
« < GeseUschaftsbahnen 632*10 « 642*53 « 1274*63 •
« • Vicinalbahnen ... 324*00 • 343*85 • 667*85 «
Eine weitere Beihe von Daten, auf deren Anführung im Einzelnen
wir verzichten, beweist, dass sowohl die staatlichen als auch die nicht-
staatlichen Eisenbahn- Verwaltungen bemüht waren, • die zur Verfügimg ste-
henden Betriebsmittel (Lokomotive, Personen- und Güterwagen) in mög-
lichster Weise auszimützen. Von namhaftem Einflüsse auf die Steigerung
des Verkehrs der Personenwagen war der seit 1 . August 1889 auf allen Staats-
bahnen eingeführte, überaus ermässigte Zonentarif, wodurch nur allein bei
den Staatsbahnen die Mehrleistung der Personenwagen über 13 o/o betrug*
Die eigentliche Wirkung der epochalen Beform durch Einführung dea
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*38 UNGARNS HANDEL UND VERKEHR IM JAHRE 1889.
Zonentarifs für den Personenverkehr machte sich erst im Jahre 1890 deut-
Hch geltend und es können die günstigen Verkehrs- und Finaoz-Resnltate
erst seitdem entsprechend gewürdigt werden. Der Herr Handelsminister wid-
met dieser seiner Schöpfung selbstverständlich fortwährend die eingehendste
Sorgfalt und er hat durch die Einführung eines ebenfalls sehr ermässigten
Zonentarifs für den Güterverkehr sein Reformwerk in wirksamster Weise
vervollständigt. Die gesammte gebildete Welt verfolgt die Weiterentwickelung
des ungarischen Tarif- Wesens mit grösstem Interesse und es gereicht ebenso
dem schöpferischen Minister, wie dem Lande zur Ehre^ dass nicht nur im
benachbarten Oesterreich die Regelung des Personen- und Güterverkehrs
über Anregung und nach den Grundsätzen der Reform in Ungarn vorge-
nommen wurde, sondern dass man auch in Deutschland und in anderen
Staaten sich eben in Folge der guten Resultate des uugarischen Zonentarifs
mit einer entsprechenden Reform des Eisenbahnverkehrs auf das Lebhaf-
teste beschäftigt.
Unserer Aufgabe gemäss beschränken wir uns hier nur auf die Anfangs-
resultate in den ersten fünf Monaten (August — December 1889) der Ein-
führung des Zonentarifs für den Personenverkehr, wobei wir bemerken, dass
das Vorgehen der Staatsbahn Verwaltung auch auf die übrigen Bahnlinien,
namentlich auf die Goncurrenzlinien, von bestimmendem Einflüsse sein
musste.
Damach war der gesammte Personenverkehr
im J. 1888 im J. 1889
auf den Staatsbahnen ... 5.958,^209 Personen 9.344, 1 58 Personen
• • Gesellschaftsbahnen 6.265, li21 • 6.875,220
€ i Vicinalbahnen ... 1.194,256 • 2.772,252 «
Zusammen ... 13.417,586 Personen 18.991,630 Personen.
Die Zunahme beträgt sonach über 5V2 Millionen Personen.
Allein nicht nur die Zahl der Reisenden hat unter dem Einflüsse des
Zonentarifs sich ungemein vermehrt, sondern auch die von ihnen zurückge-
legten Strecken, und zwar haben an dieser doppelten Erhöhung im Per-
sonenverkehr sowohl die Staats- als auch die Gesellschaftsbahnen participirt
Die Zunahme beträgt bei den Reisenden auf den Staatsbahnen 57 o/o, bei
den von diesen zurückgelegten Kilometern 24o/o. Dadurch hat sich die Zahl
der Reisenden auf den Kilometer im Durchschnitte verdoppelt. Trotzdem ist
die Ausnützung der Personenwagen von 23'4o/o nur auf 28*4o/o gestiegen.
Einen der wichtigsten Erfolge des Zonentarifs bildet die grossartige
Entwicklung des Nachbarverkehrs.
Jene Besorgniss, dass durch die Bestimmung Budapests zum durch-
schneidenden Mittelpunkte des Zonentarifes die Städte in der Provinz in
ihrem Verkehre geschädigt würden, hat sich nicht bestätigt ; ja die Erfah-
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UNGARNS HANDEL UND VEBKEHB IM JAHBE 1889.
439
rung zeigt, dass der Personen- Verkehr bei zahlreichen Pronnzstädten eine
relativ weit stärkere Zunahme erfahren hat, als der allerdings schon vordem
viel mehr entwickelte Personen-Verkehr der Hauptstadt, und zwar beträgt
diese Verkehrs-Zunahme in
Kronstadt 148o/o, in Csaba 97 o/o, in Fiume 93o/o, in Gödöllö und
Hodmezö-VÄsÄrhely 890/0, in Kaschau 880/0, in Zombor 85o/o, in Szabadka
(Maria-Theresiopel) 83 0/0, in Szegedin 75 0/0, in Klausenburg 72 0/0, in Mis-
kolcz 680/0, in Essek 5:2 0/0, in Raab 43 0/0, in Budapest aber nur 35 0/0.
Im Güterverkehr weist das Jahr 1889 eine betrachtliche Abnahme auf.
Und zwar war die transportirte Gütermenge in Tonnen auf sämmtlichen
Bahnlinien :
1888 1889
Gepäck 60,055 56,606
Eil- und Lastengüter ... 19.862,125 19.207,373
Manipulationsgut 2.540,916 4.650,924
Im Jahre 1888 entfielen auf je einen Kilometer zurückgelegte Bahn-
strecke durchschnittlich 245,542 Tonnen, im Jahre 1889 nur 232,514 Ton-
nen. Die absolute Abnahme am Güterverkehr des Jahres 1889 gegen das
Vorjahr war 654,752 Tonnen.
Die Hauptursache dieses geringem Güterverkehrs lag in dem gemin-
derten Getreide-Export, der namentlich an den Emporien für den Getreide-
bandel Budapest, Arad und Fiume wahrnehmbar war. Ein näheres Eingehen
auf diesen Teil des ministeriellen Berichtes ist an dieser Stelle nicht mög-
lich; ebenso verzichten wir auf die Detailberichte über die «Anschaffungen»
bei den verschiedenen Bahnlinien, um den finanziellen Ergebnissen des
Eisenbahnverkehrs noch einige Aufmerksamkeit zu widmen.
Die Gesammt-Einnahme war in Gulden
bei den kön. ung. Staatsbahnen
« • GeseUschaftsbahnen .._
« • Vicinalbahnen
1888
42.908,047
34.929,025
3.718,346
1889
42.978,681 + 69,634 = -f 0-16o/o
34.412,621 — 516,400=— l-48f
4.402,875 -f 684,529 = -h 18-41 1
Zusammen ... 81.556,418
Die Gesammtauslagen in Gulden
1888
bei den Staatsbabnen 23.533,125
< • Gesellschaftsbahnen 17.992,038
« • Vicinalbahnen 1.942,331
81.794.177 -♦- 237,754 = -h 0-29o/o
1889
23.219,204—313,921=— l-33o/o
17.815,077 — 176,961 = — 0-98 «
2.382,798 + 440,467 = + 22-68 •
Zusammen...
43.467,494
43.417,079— 50,415=— 0-12o/o
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^^ UNOABNS HANDEL UND VEBKEHB IM JAHRE 1889.
Das Betriebs-Plus war also in Golden
1888 1889
bei den Staatsbahnen 19.275,9i2:2 19,759,477 + 483.555=-!- 2-51 o^,
« • Gesellechaftsbahnen 16.936,987 16.597,544—339,443=— 2-00 •
t « Vicinalbahnen 1.776,015 2.020,077 -I- 244,062 = + 13-74«
Zusammen... 37.088,924 38.377,098 -h 388,174 = -h l-02<v'a
Das Plus im Betriebe der Staatsbahnen ist ein Resultat des gesteiger*
ten Personenverkehrs in Folge des Zonentarifes. Während nämlich wegen
der schwachen Ernte die Einnahmen der Staatsbahnen aus dem Güter-
verkehr im Jahre 1889 um 813,197 fl. geringer waren als im Jahre 1888,
hat der Personenverkehr im Jahre 1889 ein Plus von 1.045,234 fl. gegen
das Vorjahr ergeben, wodurch nicht blos jener Ausfall gedeckt, sondern
noch eine Mehreinnahme von 483,555 fl. erzielt wurde.
Was nun die Höhe des in den ungarischen Eisenbahnlinien investürten
Gapitals und dessen Verzinsung anbelangt, so enthält der ministerielle
Bericht hierüber folgende Hauptdaten. Im Jahre 1889 war der Capitalstand
efiFectives nominales Capital CarB
in Gald«D
bei den Staatsbahnen 449.243,923 539.734,032 83-3
• f Gesellschaftsbahnen 365.930,897 429.162,995 83-3
« « Vicinalbahnen ... 66.884,290 77.247,500 83'1
Znsammen ... 882.059,110 1046.144,527 83*2
Die Verzinsung des effectiven Capitals betrug
bei den Staatsbahnen ... .„ 4-40o/o gegen 4•55o^ im J. 1888
• • Gesellschaftsbahnen... 4*54 « • 4*58 « • § «
« • Vicinalbahnen ... ._.. 3-29 « « 3 28 • « « «
Die Ungar. Staatsbahnen kommen demnach in ihren Erträgnissen
den privaten Gesellschaftsbahnen schon ziemUch nahe.
Interessant ist der Vergleich der Erträgnisse bei den drei gemein-
samen Bahnlinien, nämlich bei der österreichisch-ungarischen Staatsbahn,.
bei der Südbahn und bei der Easchau-Oderberger Bahn. Damach war im
Jahre 1889 nach dem Nominal-Gapitale das Erträgniss
auf den ungarischen Linien der österr.-ung. Staatsbahn „_ .__ 5'03<yo
bei dem ganzen Unternehmen 5•16o^
auf den ungarischen Linien der Südbahn ... .•_ 6*67 «
bei dem ganzen Unternehmen ... _.. ._ 5*77o/o
auf der ungarischen Linie der Kaschau-Oderberger Bahn 2*58 i
bei dem ganzen Unternehmen „ 3*1 7o^
Von welch* segensreichen Erfolgen sowohl in finanzieller wie in all-
gemein volkswirtschaftlicher Hinsicht das insbesondere vom jetzigen ungar.
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rNGARNS HANDEL UND VERKEHB IM JAHBE 1889. 441
Handelsminister mit energischer Consequenz betriebene Werk der Eisen-
bahn-Verstaatlichung gewesen, lehren nachstehend verzeichnete Thatsachen.
Nach Wiederheistellung der Ungar. Verfassung stürzte man sich mit einem
wahren Feuereifer auf die möglichst rasche Vermehrung der Communis
cations-Mittel, insbesondere der Eisenbahnen. Damals hatte das System der
vom Staate garantirten Bahnen auch in Ungarn die meisten Anhänger und
so stiegen diese Bahnen von 1867 bis 1875 von 278 Km. auf 2938 Km.
Das war die grösste Höhe dieses Systems, welches schon mit dem nächsten
Jahre 1876 den Niedergang antreten musste. Das Werk der Verstaatlichung
begann erst langsam und bedächtig, dann seit 1884 mit rascher Energie,
so dass schon im Jahre 1887 die Länge der garantirten Bahnen bis auf
1489 Km. gemindert war und Ende des Jahres 1889 nur noch die folgenden
vier Linien umfasste :
die Ungar. Nordostbahn
749-367 km
i Arad-Temesvärer Bahn __. ...
55-458 «
* Kascbau-Oderberger «... ... ...
362-614 . i
« Fünfkirchen-Barcser « ... ...
66-698 •
Zusammen ...
1234-137 km.
Nach der seither erfolgten Verstaathchung der ungar. Nordostbahn
ist die Länge dieser garantirten Bahn gegenwärtig auf blos 484*770 Km.
herabgesunken, d. i. sie beträgt nicht einmal das Doppelte der Länge aus
dem Jahre 1867.
Ungarn hat das System der garantirten Bahnen teuer bezahlt. Bis
Ende 1889 wurden nämlich an diese Bahnen 181.353,143 fl. UVg kr. in
Silber und 12.542,186 fl. 40V2 kr. in Gold aus der Staatscassa zur Deckung
der gesetzlich garantirten Einkünfte dieser Bahnlinien bezahlt.
Da nun das Netto-Einkommen der kön. ung. Staatsbahnen im Jahre
1889 die Summe von 19.759,477 fl. betrug, wovon die Einkünfte der vor
dem Jahre 1884 verstaatlichten Linien mit 5.507,206 fl. in Abzug konmien,
80 machen die Erträgnisse der Verstaatlichungs-Operation 14.252,271 fl.
aus. Diese sind nun mit der Deckung der Capitalzinsen und garan-
tirten Beuten in der Höhe von 8.172,000 fl. belastet und es bleibt demnach
als reines Erträgniss der Eisenbahnverstaatlichung im Jahre 1889 der an-
sehnliche Betrag von 6.080,271 fl. — gewiss ein sehr erfreuliches Resultat
gegenüber dem früheren Zustande, der jährlich Millionen Gulden ver-
schlungen, ohne dem Staate oder auch der Volkswirtschaft die gehofften
Früchte gebracht zu haben.
Damit beenden wir die Mitteilungen aus dem reichen Datenschatze
des officiellen Berichtes des kön. ung. Handels-Ministers vom Jahre 1889.
Das Gebotene erschöpft in keiner Weise die Fülle des überaus instruktiven
Materials, welches der Herr Minister zur Beleuchtung der industriellen, der
ünguiMbe BeTQ«, XI. 1801. V. Heft. 28a
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442
SIEBENBÜRGEN UND DER ERIEa IM NORDOSTEN.
Handels* und der Verkehrs-Verhältnisse Ungarsn in meist anschaulicher und
auch wissenschaftlich befriedigender Weise hier veröffentlicht hat. Zur
richtigen Erkenntniss und Beurteilung der volkswirtschaftlichen Zustände,
sowie der Leistungs- und Entwickelungsfähigkeit Ungarns in materieller
Hinsicht sind diese Berichte des Handelsministers geradezu unentbehrlich.
Sie bieten aber nicht nur Kunde von zahhreichen erfreulichen Thatsachen des
fortgesetzten Aufschwunges und der zunehmenden Entwickelung, sondern
sie enthalten auch überaus wichtige und lehrreiche Andeutungen über die
vorhandenen Lücken, Mängel und Gebrechen, sie decken mit löblichem
Freimute diese Schäden auf und geben dankenswerte Fingerzeige zur
Abstellung derselben. Ueberschaut man die Weite und Wichtigkeit des
Arbeitsfeldes und erwägt man die erzielten Resultate : dann erst gewinnt man
ein Bild von der seltenen Arbeitskraft, von der Umsicht, der allseitigen Ini-
tiative, sowie von der rastlosen Energie des Herrn Handelsministers, der im
Dienste des Staats- und Volkswohles den vollen Dank der Nation und die
rühmliche Anerkennung und Wertschätzung des Auslandes sich errun-
gen hat. Prof. Dr. J. H. Sohwicker.
SIEBENBÜRGEN UND DER KRIEG IM NORDOSTEN.*
Bis zum Ausbruch des dreissigjährigen Krieges war Siebenbürgen in
Europa blos als türkischer Vasallenstaat bekannt. Im 16. Jahrhundert
machten zwar die französischen Könige Versuche, dasselbe in ihre Habsburg-
feindliche Politik einzubeziehen, dessenungeachtet aber spielte dieses Land
in den europäischen diplomatischen Unterhandlungen entweder gBa keine
oder eine sehr untergeordnete Rolle.
Mit dem Ausbruch des dreissigjährigen Krieges änderte sich Alles. Der
geniale Landesfürst Gabriel Bethlen führte das Land in die europäische
Diplomatie ein : die protestantischen Fürsten schlössen mit ihm Bündnisse;
Richelieu aber dachte ihm jene Bolle zu, welche nachher Gustav Adolf mit
so glänzendem Erfolge fortsetzte. Und wenn zwischen den beiden Staats-
männern kein engeres Verhältniss zu Stande kam, war es nur der frühe Tod
Bethlen's, der dies verhinderte.
Bethlen 's Nachfolger Georg L Räköczy setzte die Politik seines Vor-
gängers fort und es gelang ihm auch, mit den Franzosen und den Schweden
ein Bündniss zu schliessen, in Folge dessen er dann am Kriege teilnahm.
* Unter diesem Titel ist im Verlage der ungarischen Akademie der Wissen-
schaften der erste Band eines Diplomatariums erschienen, welches auf die Oeschiclite
der östlichen Staaten Europas in vieler Hinsicht ein neues Licht wirft und eben des-
halb verdient imseren Lesern bekannt gemacht zu werden.
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SnSBENBÜKdBN UND DER ERISa IM NORDOSTEN.
443
Er starb in demselben Jahre, in welchem der dreissigjährige Krieg sein
lEnde erreichte. Sein Sohn und Nachfolger Georg II. Bäköczy trat in Betreff
^ei auswärtigen Diplomatie ganz in die Fussstapfen seines Vaters. Er ent-
OEORG n. rIköczy.
wickelte den Plan seiner Vorgänger, Siebenbürgen zum Mittelpunkte und
Haupte der kleineren östlichen Staaten zu machen, und entfaltete in dieser
Kichtung eine grosse diplomatische Thätigkeit, welche auf die Entwickelung
^er Ereignisse im Nordosten nicht ohne Einfluss blieb.
28*
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4^ BIBBBNBÜBOEN UND DER KRIEG IM NORDOSTEN.
Da aber seine in dieser Bicbtung entwickelte Thätigkeit der eatopäi-
sehen Gteschichtschreibung beinahe vollständig anbekannt ist, dürfte es nicht
ohne Interesse sein, dieselbe wenigstens in ihren umrissen zu skizziren.
Bevor wir jedoch daran gehen, möchten wir eine interessante Parallele
hervorheben. Der dreissigjährige Krieg brachte zwischen zwei kleineren protes-
tantischen Staaten, wenn auch nicht ein Bündniss, so doch, wie sie es selbst
nannten^ eine intimere Bekanntschaft zu Stande. Beide benützten die günstige
Gelegenheit, sich auszudehnen und zu erheben, und beide gingen aus dem
langen Kampfe mit einem Zuwachse an Kraft und Grewicht hervor. Aber,
was sie erreichten, barg erst den Keim der künftigen Erhebung in sich —
und aus dem dort und damals ausgesäeten Samen erwuchs die künftige
Grösse des einen und der Niedergang des anderen.
Diese beiden Staaten sind : Brandenburg und Siebenbürgen.
Nahezu ein Jahrhundert lang wandelten sie einen gleichen Weg. Bei-
nahe zu derselben Zeit, wo Albrecht von Brandenburg, als Grossmeister des
deutschen Bitterordens, die Oberhoheit des Polenkönigs anerkannte, wurde
der verbündete türkische Sultan der Lehensherr des Sohnes Johann Zäpolya^s.
Brandenburg aber bildete einen Teil Deutschlands, wie Siebenbürgen einen
Teil des üngarlandes bildete. Ein Teil des Reiches des Churfürsten hing,
wenn auch noch so lose, vom deutschen Kaiser ab, und ein Teil Sieben-
bürgens, die «Partium», war in derselben Weise vom König von Ungarn
abhängig — und wie bekannt, schmückte die ungarische Königs und die
deutsche Kaiserkrone ein und dasselbe Haupt. Demnach waren sowohl der
Churfürst, als auch der Fürst, in Bezug auf ihre Herrschaftsgebiete je zweien
Lehensherren unterworfen, von welchen keiner ihr Beligionsbekenntniss
teilte. Und die Teilnahme am dreissigjährigen Kriege verschaffte dem einen
einen Teil Pommerns und vier Bistümer, während sie die «Partium» des
anderen um zwei Gomitate vermehrte, derart, dass diese zwei Gomitate auch
erblich waren.
Ein so eigentümliches Verhältniss, wie dasjenige dieser zwei Staaten,
konnte sich nur in einer Uebergangsperiode entwickeln, wie diejenige, wel-
cher der westphälische Friede ein Ende machte. Aber wenn die eine Hälfte
des Eeiches der Churfürsten nicht zum Verbände des deutschen Reiches
gehörte — und wenn auch der Fürst des eigentlichen Siebenbürgens sich
längst der Oberhoheit des Ungarkönigs entzogen hatte : hatte im Falle einer
Interessen-Gollision nicht ebenso der eine, wie der andere das Recht, gegen
seinen Lehnsherrn zu kämpfen ? Und wenn einerseits der Polenkönig und
der deutsche Kaiser, andererseits der Sultan und der König von Ungarn mit
einander in Conflict gerieten : war es nicht ganz natürlich, wenn der Chur-
fürst ebenso wie der Fürst sich auf diejenige Seite stellten, welche ihren
eigenen Interessen und den Interessen ihres Landes am meisten entsprach ?
Und diese Interessen-Collisionen traten alsbald ein : als nach einigen
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SIEBENBÜBOEN UND DEB KBEBG IM NORDOSTEN. ^^
Jahren der grosee nordische Krieg ausbrach, konnte sich demselben anch
keiner dieser beiden Staaten entziehen. Aber während sie im dreissigjährigen
Kriege für ein gemeinsames Ziel gekämpft hatten : rangen sie jetzt für entge-
gengesetzte Interessen. Hier trennten sich die Wege der beiden Staaten. £[ier
entschied sieh ihr Geschick. Wie der eine von ihnen durch die ausdauernde
und consequente Arbeit zweier Jahrhunderte zu einem der gewaltigsten Staaten
der neuen Zeiten geworden ist, dafür sammeln hervorragende Oeschicht-
schreiber mit ausdauerndem Fleisse das Urkundenmaterial. Was den Nieder-
gang des anderen verursacht habe, dies zu beantworten ist die Aufgabe der
ungarischen Geschichtschreiber. Aber wie weit voneinander abliegend der
Verlauf der beiden Angelegenheiten auch scheinen mag, der Zusammenhang
imd die Zusammengehörigkeit der Begebenheiten war doch so gross, dass nur
ein vereinter Ueber blick derselben den Schlüssel zur richtigen Beurteilung
derselben in die Hand gibt. Und wie unbedeutend auch Siebenbürgen, die
beiden Walachenländer und das Gebiet, jedes einzeln genommen, scheinen
mögen: vereinigt hätten sie ein wichtiger politischer Factor werden können.
Und das Gelingen des missglückten Planes : aus denselben einen Föderativ-
ätaat zu bilden, würde Umgestaltungen von nicht geringer Wichtigkeit her-
beigeführt haben. Dies kann heute als Chimäre erscheinen, aber zu seiner
2eit war es keine solche und es war auch vom Stadium seiner Yervmrklichung
gar nicht mehr weil entfernt.
1648.
In den letzten Jahren des dreissigjährigen Krieges nahm in dem
mächtigsten Staate des nordöstlichen Europa, in Polen, eine in ihren Folgen
weithin wirkende Empörung überhand, welche Europa mehrere Jahre hin-
durch geringer Aufmerksamkeit würdigte, weil es dieselbe anfangs aus-
schliesslich als eine innere Angelegenheit Polens betrachtete, welche sich
aber nachher zu einem grossen internationalen Kriege herauswuchs und
die gesammte Diplomatie nicht allein des nordöstlichen, sondern auch
Mitteleuropas beschäftigte : der Kosaken- Aufstand.
Der Kosaken- Aufstand war eine lange Reihe von Jahren hindurch eine
regelmässige Erbschaft der polnischen Könige. Ein grosser Teil von Klein-
Hussland und das Gebiet der Saporoger Kosaken war die Grenjzmark Polens
gegen Osten und Süden : von Bussland und der Tartarei her. Aber die reli-
giöse Intoleranz der polnischen Katholiken und die Grausamkeit der pol-
nischen Herren hielt jenes Gebiet, dessen Beruf hätte sein sollen, die
Sicherheit des Beiches dem russischen und tatarischen Nachbar gegenüber
za schützen, in evriger (Hhrung. Diese Verfolgung wurde 1638 nachgerade
unerträglich, aber die zur Bächung derselben entstandene Bewegung gewann
erst dann Kraft, als am 7. August 1647 Zenobius Bogdan Ghmielniczki, ein.
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^^ BDEBEKBÜROEN UND DBB KBEBO IM NORDOSTEN.
Agitator von seltener Befähigung und nicht alltäglicher Heerführer, sich an*
die Spitze der Bewegung stellte.
Der Wirrwarr in Polen wurde dadurch nur vermehrt, dass der Könige
Vladislav IV., damals bereits kränkelte und am 22. Mai 1648 mit Tode
abging. Der alte Fürst Georg RÄköczy arbeitete, ebenso wie seine Vorganger
Bethlen und Bocskay, nach dem Vorbilde Stephan Bäthorys, auf die Erwer-
bung der polnischen Krone hin. Er trat einerseits mit seinen polnischen
Freunden, vornehmlich den Dissidenten durch seine Gesandten Franz Beth-
len und Klobusiczky, die er auch mit Geld gehörig unterstützte, in nähere^
Verbindung, andererseits knüpfte er mit den aufständischen Kosaken Unter-
handlungen an. Der neue Kosaken-Hetman Bogdan Chmielniczki erkannte
sofort den Wert des mit Siebenbürgen zu knüpfenden Bündnisses und nahm
die Zustandebringung desselben mit seiner gewohnten Energie und Geschick-
lichkeit ins Werk. In Polen leitete die Geschäfte während des Interregnums
der Kanzler Ossolinski, welcher zur Beschwichtigung der Kosakenbewegung
gar nichts that. umso thätiger war Chmielniczki. Am 28. September trug er
über die von Wisniowieczki geführten polnischen Heere einen Sieg davon und
weil er es nicht für wahrscheinlich hielt, dass er seine Unabhängigkeit aus
eigener Kraft erkämpfen werde, fasste er den Entschluss, die Wahl Bäköczy's
zum König mit seiner ganzen Kraft zu unterstützen, indem er des Königs
Stephan Bäthory gedachte, dem die Kosaken ihre Freiheit zu verdanken
hatten. Bereits am 17. November 1648 fordert er Bäköczy direct dazu auf,
dass sie mit ihren Heeren gemeinschaftlich in Polen zur Königswahl eindrin-
gen mögen. Als der Brief in Weissenburg ankam, fand er Bäköczy auf dem
Katafalk. Der Fürst war am 10. Oktober gestorben und damit war der gimze
Plan zunichte geworden.
Mit dem Bescheid auf Ghmielniczki's Brief wurde gezögert, so dass der
Hetman am 1. Jänner 1849 denselben auch urgirte. Indessen hatte inzwi-
schen Johann Kemeny, der sich zu derselben Zeit beim unverlässlichen
Moldauer Woiwoden Lupul befand, um ihn für ßäkoczy zu gewinnen,
Gregor Mösa und G^org Bäcz behufs Fortsetzung der Unterhandlun-
gen mit Chmielniczki zu den Kosaken geschickt Nach geschehener polni-
scher Königswahl schickte auch der Fürst selbst einen Gesandten hin.
Die dritte Gesandtschaft, welche Bäköczy wiewohl mittelbar, im Inter-
tesse der Erwerbung des polnischen Königtums entsandte, war jene Johann
^Kem^nys, der seit dem Tode des Kanzlers Kassay der intimste und ver-
trauteste Beirat des alten Fürsten war. Zwei Berichte sandte Kem6ny
dem Fürsten während seiner Beise.
Was die Sendung Bethlens und Klobusiczkys anbelangt, so ruhte der
wichtigste und schwierigste Theil der Unterhandlungen auf ihren Schultern.
Der erstere war ein Siebenbürger, der letztere ein Ungar. Es war nicht
Misstrauen, sondern Vorsicht seitens des Fürsten, dass er in dieser Gesandt-
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SIEBENBUBOEN UND DEB KRIEG IM N0BD08TEK.
447
Schaft beide Hälften seines Beiches vertreten liess. Was Jobann Eemeny in
seinen Memoiren über diese Gesandtschaft sagt^ wird ausserordentlich
interessant durch diese Berichte illustrirt^ welche reichliche und wertvolle
Beiträge zur Eenntniss der damaligen polnischen Verhältnisse liefern«
Räkoczy hatte in Polen viele Freunde, ohne jedoch eine starke Partei zu
BOGDAN CHMIELNIOZKI.
haben. Er konnte sich hauptsächlich nur auf die Dissidenten stützen;
dessenungeachtet würde er, wenn er nicht vorzeitig stirbt, ein mächtiger
Nebenbuhler Johann Kasimirs geworden sein, welcher am 17. November
ganz unerwartet, ohne jeden grossen Kampf, zum König gewählt wurde.
Die Unterhandlungen mit der Pforte aus dieser Zeit sind ebenfalls
von grosser Wichtigkeit. Kapitiha war damals Franz Gyärfäs, von dem
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446 SIEBBNBÜBOEN UND DBB KKISa IM NORDOSTEN.
wir Übrigens weder vorher, noch nachher irgend etwas hören, und der mit
Ablauf seines Eapitihatums yom Felde der politischen Thätigkeit abtraL
Er begab sich noch Ende 1646 auf die Pforte und dort traf ihn die
Nachricht vom Hinscheiden seines Fürsten, von welchem vorläufige Anzeige
EU machen seine Pflicht war. Der ältere Sohn des alten Fürsten Georg IL
hatte noch vor des alten Fürsten Angriff auf ÜDgam die Bestätigung seitens
der Pforte erhalten, und so war seine Anerkennung an dieser Stelle nicht
mit Schwierigkeiten, nur mit Zahlungen verbunden. Bei der Pforte waren
auch einige schwebende Fragen, unter anderen die vom alten Fürsten g3-
forderte Nachtragszahlung für die im dreissigjährigen Kriege occupirten
sieben Eomitate ; aber diese Fragen kamen jetzt nur nebenbei zur Sprache.
1649.
Chmielniczky benützte seinen über Wisniowieczky davongetragenen
Sieg zum Vordringen. Er zog gen Lemberg (1648 6. Okt.) und brach nach
zwanzigtägiger Belagerung nur um den Preis einer beträchtlichen Brand-
schatzung die Belagerung ab. Von hier nahm er seinen Weg nach der Burg
Zamoisk und hier erhielt er die Kunde von der Erwählung Johann Kasimirs
zum König, welcher sich beeilte, ihn als seinen Unterthan, zur sofortigen
Abbrecbung der Belagerung aufzufordern. Der Hetman gehorchte auch und
erklärte sich auch bereit, unter billigen Bedingungen die Waffen nieder-
zulegen ; gleichzeitig indessen war der vorsichtige Mann auch darauf be-
dacht, dass die mit Bäköczy angeknüpften Unterhandlungen keine Unter-
brechung erfahren.
Bäköczy wurde durch die Erwählung Johann Kasimirs unangenehm
überrascht. In gewisser Hinsicht kann es seiner unentschlossenen Haltung
zugeschrieben werden, dass die Wahl so glatt ablaufen konnte, und jetzt
setzte er seine Hoffnung nur darauf, ob es ihm nicht gelingen möchte, durch
die alten Freunde seiner Familie, insbesondere durch die Dissidenten die
Krönung zu vereiteln, wodurch sodann die Giltigkeit der Wahl umgestossen
worden wäre. Aber auch diese seine Hoffnung erwies sich als eitel: die
Polen beriefen den Beichstag auf den 15. December 1648 und setzten die
Krönung auf den 17. Jänner 1649 fest. Und die Krönung ging unter den
üblichen Formen in regelrechter Weise vor sich, zwar «genug schmählich!,
wie an Bäköczy berichtet wurde, aber sie ging vor sich, ohne dass die Dissi-
denten und Bäköczy's Freunde einen Versuch zur Vereitelung derselben
unternommen hätten. Nach Ablauf der Feierlichkeiten verlobte sich der neue
König, um seinen Tron zu befestigen, sofort mit der verwitweten Königin.
Ebenso eitel erwies sich auch Chmielniczkys Hoffnung, mit den Polen
einen billigen Frieden schliessen zu können. Diese sahen in den Kosaken
nur rebellische Unterthanen und forderten unbedingte Unterwerfung; dairan
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SIEBENBÜRGEN UND DER KRIEG IM NORDOSTEN. 4*49
wollten sie nicht einmal denken, die vielen Ungerechtigkeiten, Bechts*
beraubungen, Verfolgungen, welche sie gegen dieselben durch viele Jahre
hindurch verübt hatten, gutzumachen. Die Kosaken unterbreiteten ihnen
ihre Forderungen in acht Punkten, aber die Polen wollten von der Annahme
derselben nicht einmal hören : sie beschlossen den Krieg gegen die Kosaken,
von denen sie bedingungslose Ergebung forderten. Unter so beschaffenen
Umständen entsandte der Hetman die bei ihm befindlichen Abgesandten des
Fürsten, vielleicht eben Bäcz und Mösa, zugleich mit seinen eigenen Abge-
sandten zum Zwecke der Fortführung der angeknüpften Unterhandlungen
nach Siebenbürgen. Sie erwarteten voll Besorgniss Sigmund, um ihm von
Angesicht zu Angesicht ihre Kniebeugung darbringen zu können. Die
Abgesandten befanden sich am 19. März bereits in Fogaras, von wo sie am
7. April die Rückreise antraten, aber noch immer ohne die Grundlagen des
zu schliessenden Bündnisses festgestellt zu haben. Räköczy wäre vor einer
definitiven Beschlussfassung gerne mit der Pforte, den Tataren und Lupul
ins Beine gekommen. Zu diesem letzteren entbot er Gilänyi als Abgesandten.
Dem König von Polen blieben diese Botensendungen nicht verborgen,
wenngleich er über den Zweck derselben nicht vollkommen orientirt war.
Er sandte, wahrscheinlich in der Absicht, die Kosaken ihrer stärksten
Stützen zu berauben, zu gleicher Zeit Gesandtschaften zum moskovitischen
Czar und zum siebenbürgischen Fürsten : zum ersteren sandte er Boleslaw
Cieklinski und zum letzteren Johann Wielopolski.
Wielopolski hatte die Mission, mit Räköczy ein Bündniss zu schliessen
und von ihm Unterstützung gegen die Kosaken auszuwirken. Zu dieser Zeit
war Järmi als fürstlicher Gesandter in Polen, und der Bericht, den er dem
Fürsten von dort sandte, Hess die dortigen Verhältnisse nicht in solchem
Lichte erscheinen, dass sie den Fürsten zur Annahme des Bündnisses
hätten geneigt machen können, umsoweniger, da er der Hoffnung, die
Krone Polens für sich erwerben zu können, noch nicht entsagt hatte.
Der König von Polen legte auf die Gewinnung Bäkoczy's grosses
Oewicht; deshalb betraute er mit dieser Gesandtschaft einen so hervor-
ragenden Magnaten wie Wielopolski. Dieser liess am 21. April dem Fürsten
melden, dass er als der Gesandte des Königs von Polen komme. Zu der-
selben Zeit befand sich Johann Daniel in Polen. Er war in Angelegenheit
der Heirat des Prinzen Sigmund nach Deutschland gereist und schickte
Ton unterwegs Nachricht über die Sendung Wielopolski's, welcher «grosse
Keiseanstalten treffe, mit nahezu 200 Rossen und 100 Menschen», und
zum Zwecke des Abschlusses eines engen Bündnisses komme. Daniel schrieb
aber auch seltsam klingende Nachrichten : der Hetman wäre bereit dem
Könige zu huldigen, wofern dieser «ihm eine sichere Stellung und irgend
-ein Kapitanat gäbe.» Noch verlässlichere Nachrichten erhielt der Fürst von
dem Vertrauensmanne und Geheimcorrespondenten der Familie, Wladislaw
üngaorlsoh« Bevo«, XL 1801. V. Htft. 29
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3
o
>
29*
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452
SIEBENBURGEN UND DER KRIEa IM NORDOSTEN.
Lubieniczki, der als Agent der ßäköczy auch selbst in Polen war. Und
so geschah es, dass der Gesandte zwar mit dem ihm gebührenden Pomp
empfangen, aber mit einem ausweichenden Bescheid entlassen wmrde.
Wielopolski benachrichtigte den Prinzen Sigmund am 5. Mai noch
vom polnischen Boden über seine^bevorstehende Ankunft und schrieb ihm
am 17. Mai schon vom ungarischen Boden, aus Sz&lärd. Sein Empfang in
Weissenburg fand mit dem seinem Gesandten-Range gebührenden Pomp
imd Glanz statt. Am 4. Juni erhielt er den Bescheid, welcher, wie es scheint,
keinen endgiltigen Beschluss enthielt und den König blos des Wohlwollens
des Fürsten versicherte.
Zu derselben Zeit erwartete der Fürst aus dem Kosakenlande Paul
Göcs, welcher den Bescheid in Czeherin am 14. Mai erhalten hatte.
Der Hetman trat mit dem Anerbieten auf, Sigmund Räkoczy möge
sich an die Spitze der Kosakenbewegung stellen und mit seinen Truppen
zu ihnen stossen. Solcherweise suchte jede der beiden kämpfenden Parteien
das Bündniss des Hauses Räkoczy — die eine das des Fürsten, die andere
das des Prinzen. In dieser heikein Lage berief der Fürst für den 14. Juni die
Herren vom Rate und seine Vertrauten in den Badeort Gyogy zu einer
Beratung zusammen und diese erklärten sich direct gegen jede Inter-
vention zu Gunsten des einen oder des anderen Teiles, weil der Fürst ohne
Einwilligung der Stände keinen Angriffskrieg beginnen dürfe. Ob Prinz Sig-
mund die Einladung annehmen und, wie die Kosaken wünschen, zu ihnen
gehen solle, hänge von ihm ab — doch könne er, schon aus Rücksicht
auf die Türken und die Deutschen nicht anders gehen, als, wie einst König
Stephan, mit einer Ehrengarde. Es müsse jedoch erwogen werden, dass
zwischen dem, was die Gesandten sagen, und dem, was die Kosakenhäupt-
linge fordern, ein Widerspruch bestehe: jene sagen, dass sie blos einen
«Patron» ohne Truppen benötigen — die Häuptlinge aber fordern, dass
die Räkoczy mit ihren eigenen Truppen Krakau einnehmen. Unter solchen
Umständen, wo auch der Kaiser selbst, auf Grund der von Lubomirsky
erhaltenen Meldungen, in dieser Angelegenheit an den Fürsten eine Anfrage
richtete — empfehlen die Herren des Rates, es mögen zum Zwecke der
Klarstellung der sich widersprechenden Forderungen neue Gesandte zu den
Kosaken gesandt werden. Auch Prinz Sigmund selbst, welcher Anfang Mai
d. J. noch in Patak gewesen und zu den Verhandlungen nach Siebenbürgen
herabgekommen war, erklärte sich mit diesem Beschlüsse einverstanden.
Wieviel Weisheit und Besonnenheit auch in den Beschlüssen der
Vinczer Beratung gewesen sein mag, dieselben waren nicht dazu ange-
than, eine emporstrebende Dynastie in ihrem Fortschritte zu fördern. Die
Kosakenfrage stand am Entscheidungspunkte. Sobald der Hetman erfuhr,
dass die Polen seine Forderungen zurückwiesen und bedingungslose Hul-
digung forderten, berief er eine Volksversammlung, welche den bewaflfneten
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SIBBENBÜROEN UND DER KBIE» IM KORDOSTEN« 4f53
Widerstand beschloss. Zu den Fahnen des Hetmans strömten ungeheuere
Massen zusammen, aber undisciplinirtes und im Kriegsdienst unerfahrenes
Volk, welches er in Divisionen zertheilte. Ausser von Baköczj erwartete
der Hetman noch vom Moldauer Wojwoden Lupul und vom Tataren-Chan
Hilfe — erhielt sie aber blos vom letzteren; jedoch nur Schaaren, welche die
Zahl der undisciplinirten Masse vermehrten, welche Zahl indessen — nach
Pistorius' Angabe — so gross war, wie Europa sie seit den Einfällen der
Hunnen und Tamerlans nicht gesehen hatte.
Angesichts dieser drohenden Gefahr beschloss der Könip:, sich persön-
lich an die Spitze des polnischen Heeres zu stellen. Er that seine Hochzeit
mit der verwitweten Königin in grosser Eile ab. Die Blüte des polnischen
Adels, die sich in Warschau versammelte, schloss sich ihm an. Er brach
Anfang Juli auf und nahm seinen Weg nach Lublin, von wo am 1 8. (n. Z. 28.)
Juli Wielopolski noch einen Brief an BÄkoczy richtete und das Polenheer
weiter gegen die Kosaken vordrang. Am 15 — 16. August fand bei Zborow
(2 Meilen von Sbarask) die Entscheidungsschlacht statt, welche mit der
vollständigen Niederlage der Polen endigte. Das Terrain selbst war den
Polen nicht günstig; ihre Eeiterei wurde zerstreut, teilweise umzingelt.
Aber Chmielniczky vermochte eben wegen der Disciplinlosigkeit seiner
Truppen seinen Sieg nicht auszunützen. Die Folge des glänzenden Sieges
war ein Waffenstillstand und der Zborower Friede vom 19. August, welcher
die Erfüllung der übrigens billigen Forderungen der Kosaken enthielt.
Der Friede, das Werk zwingender Notwendigkeit, rief in Polen Aufre-
gung hervor. Für den 22. November wurde der Reichstag einberufen, welcher
die Sanctionirung des Friedens zum Zwecke haben sollte. Auch der Hetman
selbst hatte kein Vertrauen in die Dauerhaftigkeit desselben, noch auch
darin, dass er ausgeführt werden wird. Der Gedanke, sich von Polen los-
ziureissen, war in ihm noch nicht zur Keife gelangt, desto lebhafter war
jedoch sein Wunsch, die errungenen Vorteile dem Volke, an dessen Spitze
er stand, zu sichern. Er war überzeugt, dass die Gewinnung der Räkoczy
von entscheidendem Gewichte sein werde, und beschloss, die Fortsetzung
der begonnenen Verhandlungen mit voller Kraft zu betreiben. Er beab-
sichtigte, seinen Sohn Timus nach Siebenbürgen zu senden — doch dies
stiess auf Schwierigkeiten und er entschloss sich, seinen Notarius Tetera
an die Spitze der Gesandtschaft zu stellen. Die Briefe, welche Tetera dem
Fürsten und dessen jüngerem Bruder mitbrachte, beweisen, dass sich der
Hetman den Polen gegenüber keinen Illusionen hingab und dass er auf
richtig und ernstlich die Gewinnung der Bäköczy anstrebte, deren einen
er — die Wahl ihnen selbst überlassend — an die Spitze der Bewegung
stellen wollte.
Tetera traf am 17. Nov. in Bistritz 6in. Von hier sandte er an den
Prinzen Sigmund die dringende briefliche Bitte, ihm den Ort zu bezeichnen.
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^^ .SIEBENBÜRGEN UND DER KRIEG IM NORDOSTEN.
WO er ihn aufsuchen könne. Auch der Fürst schrieb an Sigmund, welcher
zu dieser Zeit in Oberungam weilte. Er wusste von dem Anerbieten, welches
der Kosaken-Gesandte brachte : sie mögen selbst untereinander entscheiden,
welcher von beiden in das Eosakenland kommen sollte. Und Georg überliess
die Wahl geradezu seinem Bruder. Er hatte von seinem Vater die Vorsicht
geerbt und war kein Freund des gewagten Spieles. Bezäglich seiner selbst
hielt er die Annahme der Anerbietungen der Kosaken für unmöglich, und
auch hinsichtlich seines Bruders hegte er Besorgnisse. Er empfahl es nicht,
dass welcher immer von ihnen • lediglich mit der Macht der Kosaken gegen
die Bepublik auftrete.» Es wäre gut, wenn die ganze Bepublik mit ihnen
hielte, doch, weil dies nicht erreichbar ist, wäre es gut, wenn auch nur
einige «von den Erstem gewonnen werden könnten. Sigmund kam auch
selbst nach Siebenbürgen, doch gaben sie den Endbescheid erst nach der
Heimkehr des nach Polen geschickten Gesandten Klobusiczky heraus. Auch
Tetera kehrte mit der Vertröstung zurück, dass ein Gesandter zum Zwecke
der Fortsetzung der Verhandlungen zu ihnen kommen würde.
Weder der Fürst, noch der Prinz gaben die Hoffnung auf, dass es
zwischen dem König und der Bepublik zum Bruche kommen werde, welcher
dann die Gelegenheit zur Intervention herbeiführen würde. Der vertraute
Geheimcorrespondent der Familie, Wladislaw Lubienieczky, selbst Mitglied
einer vornehmen Familie, benachrichtigte die Bäköczy fortwährend von den
Ereignissen und Stimmungen in Polen und wenn er in seinen Berichten
vielleicht bisweilen auch grellere Farben auftrug, waren dieselben doch im
Allgemeinen verlässlich. Was er an Sigmund in Geheimschrift schrieb, dass
«rex Poloniae apud subditos suspectus est, apud non parvos exosus», erwies
sich nach dem Zborower Vergleich als wahr. Ebenso fand die Verhältnisse
auch Klobusiczky, den der Fürst nach Warschau als Gesandten zum König
und zur Bepublik gesandt hatte, dem Anschein nach um sie zu begrüssen,
in Wirklichkeit, um sich über die Lage zu orientiren.
Klobusiczky kam am 15. Nov. in Warschau an, wohin die Stände
imd Magnaten sieh nur langsam sammelten. Er hatte Besprechungen mit
Badziwill, Psitkowius, Wisniowicki (Korybut) und fand, dass jeder von
ihnen unzufrieden sei, keiner von ihnen an die Beständigkeit des Friedens
glaube: trotzdem aber unter ihnen «nemo est, qui caput per se erigatt
Und dies war das Bichtige. Sie hätten es gerne gesehen, wenn Bäköczy
ihnen die Kastanien aus dem Feuer geholt hätte ; sie wussten auch, dass
sich am Hofe desselben ein Gesandter der Kosaken befinde ; Klobusiczky
klärte sie auch darüber auf, dass der Hetman nicht abgeneigt sei, sich den
Türken anzuschliessen — aber zu einer Initiative konnten sie sich nicht
entschliessen.
Klobusiczky hatte am 18. Nov. beim König und am 23. Nov. beim
Kanzler eine Privataudienz. Inzwischen wurde auch der Beichstag eröffnet.
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SIEBENBÜRGEN UND DEB KRIEG IM NORDOSTEN.
455
welcher den mit den Tataren und
Kosaken geschlossenen Zborower
Frieden acceptirte. Erst hierauf
kehrte Elobusiczky Anfang 1650
heim.
Die reeervirte Haltung der
Bäköczys in Betreff der Einmi-
schung in den polnisch- kosaki-
schen Zwist findet ihre Erklärung
in den obsch webenden Differen-
zen mit dem Kaiser und in der
Complication der Pforten-Ange-
legenheiten. Der alte Fürst hatte
seinen Söhnen eine unabgewi-
ckelte Angelegenheit zurückge-
lassen: die Pforte forderte von
ihm für die oberungarischen
Komitate einen besonderen Tri-
but, welchem er ausweichen
wollte. Dem gegenüber wollten
sich die Erben des Fürsten das
Wohlwollen des Kaisers sichern
imd sandten bald nach dem Tode
ihres Vaters Johann Daniel als
Gesandten nach Wien. Der auf
ihre Repräsentation erfolgte Be-
scheid ist S. 7. ff. der «ürkun-
densammlung zur Geschichte
der diplomatischen Verbindungen
Georgs IL Bäköczyt erschienen.
Diese Repräsentation unterbrei-
tete Räköczy dem für Anfang Jän-
ner 1649 einberufenen Reichs-
tagy welcher Klobusiczky nach
Wien schickte und in seiner an
den Kaiser gerichteten Antwort
auf die von der Pforte her dro-
hende Gefahr und die tauf die
Untedrückung der Freiheit des
Landes abzielenden Wünsche
derselben! hinwies. Sie fanden
keine Unterstützung : ja die zu
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^^ SIEBENBÜRGEN X7ND DER KRIEO IM NORDOSTEN.
ihrem Sturze angesponnene Intrigue Franz Wesselenyis machte ihre Situa-
tion noch schwieriger.
Eine andere nicht minder wichtige und noch immer in der Schwebe
befindliche Frage war : die Einbeziehung Siebenbürgens in den Frieden,
über welchen die Bevollmächtigten der kämpfenden Parteien zum Zwecke
der Consolidirung der durch den dreissigjährigen Krieg geschaffenen
neuen Verhältnisse in Münster und Osnabrück berieten. Die Familie
brachte den Tod des alten Fürsten Anfang 1649 zur Kenntniss des Königs
von Frankreich. Auch waren die Verhandlungen in Angelegenheit der
Heirat des Prinzen Sigmund bereits im Zuge — und war mit der Fortfüh-
rung derselben Johann Daniel betraut, welcher beauftragt war, auch nach
Münster zu gehen. Er erhielt am 9. Juni 1649 den Bescheid, der die
Erfüllung des Wunsches bis zur definitiven Erledigung der Verhandlungen
verschob.
Im März 1649 ging zur Pforte eine Botschaft, mit dem Auftrage, die
Tronbesteigung des neuen und von der Pforte schon lange bestätigten
Fürsten anzuzeigen, die zur Installation erforderUchen Insignien und
zugleich die Erlassung des für die oberungarischen Komitate geforderten
Tributs zu erwirken. An der Spitze der Botschaft stand Stephan 8er6dy,
ein alter Vertrauensmann des alten Fürsten, welcher bereits seit 1632 zur
Pforte gieng und seit 1639 fast alle zwei, drei Jahre als Botschafter daselbst
erschien. Er war ein verlässlicher Mann von gutem Gemüt, aber scharfer
Zunge, dem Stephan Ebedy und Sigmund Bänflfy als Begleiter beigegeben
waren, und der, wenn ihm die Erwirkung des Tributerlasses auch nicht
gelang, seine Aufgabe soweit löste, dass er in Begleitung eines Kapucser
Paschas die Insignien mitbrachte, welche am 27. Juli in Weissenburg über-
reicht werden. Der Kapitiha war auch in diesem Jahre noch Gyärfäs.
1650.
Klobusiczky kam von Warschau erst im Jänner zu Hause an. Prinz
Sigmund schreibt am 2. Feber seinem Bruder : «Länger dort zu bleiben war
ihm nicht mögUch, nachdem er vom König und von der Bepublik die Ant-
wort hatte, denn wenn er nun noch länger geblieben wäjre, würden sie
gleich inne geworden sein, dass er nicht blos zum König und zur Bepu-
blik, sondern in Wahrheit zu dem Zwecke, die königsfeindliche Partei zu
organisiren, gekommen sei. Klobusiczky's Wahrnehmungen waren nicht
sehr ermutigend, aber auch nicht derart, dass sie die Möglichkeit ausge-
schlossen hätten, dass eine Aenderung der Verhältnisse der Sache eine
günstigere Wendung geben könne. Deshalb beschloss der Fürst, als Tetera
zurückgesandt wurde, die Verhandlungen mit dem Hetman nicht abzubre-
chen, und entsandte auch seinerseits Stephan Märiässy als Gesandten zu
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SIEBENBÜRGEN UND DER KRIEG IM NORDOSTEN. ^7
demselben^ mit der Instraction, derselbe möge zwischen ihm und dem Tata-
ren ein ebensolches Freundschafts- und Bundesverhältniss schaffen^ wie er,
der Hetman, es mit ihm habe, weil nur in diesem Fall Hofihung vorhanden
sei, dass er in der polnischen Fehde mit Erfolg auftreten könne. Auch
Sigmund selbst^ welcher am 12. December nach Siebenbürgen gekommen
war, eilte zurück an die polnische Grenze, so dass er sich am 13. Jänner
bereits in Zborö befand.
Dies war der geeignetste Ort, die Gestaltung der polnischen und orien-
talischen Verhältnisse mit Aufmerksamkeit zu verfolgen, und dass die
Baköczys dies erkannt hatten, beweist der Umstand, dass das in der Makovi-
czaer Herrschaft angestellte wirtschaftliche Personal zugleich eine diploma-
tische Körperschaft war. Die Verwalter der den Türken gegenüber stehen-
den Grenzfesten waren zugleich Soldaten : die Verwalter der an das polnische
und moldauische Gebiet grenzenden Gegenden hatten häufig politische Mis-
sionen und ihre ökonomischen Berichte sind auch mit poUtischen Nachrich-
ten angefüllt Sie unterhielten die Verbindung mit den polnischen und
moldauischen Freunden des Hauses Bäköczy und unter ihnen gab es immer
welche, die zu wichtigeren Missionen verwendet werden konnten. Sie sorg-
ten dafür, dass die Briefe prompt eingehändigt werden und die Posten und
Gesandten rasch und sicher an ihren Bestimmungsort gelangen können.
Und dies war um so wichtiger, weil nicht nur die nach dem Polen-, Kosa-
ken- und Moskowiter-Lande, sondern auch die nach Westeuropa reisenden
Gresandten ihren Weg in der Regel hier herüber nahmen. Die litthauer, kur-
länder und danziger (gedauer) Briefe gelangten auf diesem Wege an ihren
Bestimmungsort. Das Centrum, welches den Knoten dieser Verbindungen
festhielt, war Prinz Sigmund, der sich meist in Oberungarn aufhielt, und
durch dessen Hände auch die nach Siebenbürgen adressirten Briefe gingen.
Sobald Geoig H. Bäköczy die von seinem Vater begonnenen orientali-
schen Verbindungen aufrechthalten wollte, war er Polen gegenüber darauf
hingewiesen, mit der Moldau in freundUchen Beziehungen zu stehen, weil
das Beich der krimischen Tataren und die Kosakengebiete an die Moldau
grenzten und somit der kürzeste Weg zum Chan imd zum Hetman durch dies
Land fährte. Aber der seit 1634 regierende Hospodar der Moldau, Lupul, war
ein unverlässlicher Mensch. Viele Unannehmlichkeiten hatte mit ihm auch
schon der alte Georg gehabt, der ihn auf dem Schlachtfelde und in diploma-
tischen Fehden erfolgreich bekämpfte, ohne ihn stürzen zu können. Im letzten
Jahre der Herrschaft Georgs tauchte der Plan auf, seine Interessen mit dem
Interesse des Hauses Bäköczy durch eine Heirat zu verbinden, und es war
bereits abgemacht, dass Prinz Sigmund seine jüngere Tochter heiraten solle
(die ältere war an den Fürsten Badziwill vereheUcht), aber dieser Plan wurde
durch den Tod des Fürsten vereitelt. Denn wie eifrig Lupul an der Verwirk-
lichung dessen zu Lebzeiten Georgs I. arbeitete, so lau behandelte er den-
UngwriMh« Berae, XI. 1891. V. Heft. 29a
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458
SZEBENBÜBGEN UND DBB KREBO IM NORDOSTEN.
selben unter Georg II. Er zog die Sache ohne bestimmte Bescheidgebnng
in die Länge, üeber diese ünverlässlichkeit empört^ suchten die Bäköczy
unter der Hand für Sigmund in Deutschland eine Braut: Lupul aber
liess es noch unentschieden, was er mit seiner Tochter machen werde. Er
liess das ganze Jahr 1650 in zuwartender Stellung Torüberstreichen ; daran
war jedoch gar nicht zu denken^ dass er die Gestaltung der Verhältnisse
lange unthätig ansehen und sich nicht entschliessen werde, dieselben zu sei-
nem Vorteile auszubeuten.
Damals sah es Lupul noch nicht an der Zeit, etwas zu thun. Die Nioht-
verwirklichung des Planes der engeren Familienverbindung störte das freund-
nachbarliche Verhältniss durchaus nicht und zwischen beiden Ländern wur-
den häufig Gesandte gewechselt. Intimer war Bäköczy's Verhältniss zur
Walachei, deren Wojwode, der alte Matthäus^ das mit dem alten Fürsten
geschlossene Bündniss bekräftigte und Gesandte nach Kronstadt schickte,
welche am 18. Februar auf die Einhaltung desselben den Eid ablegten; wie-
wohl, wie die aus der Eidablage entsprungenen Differenzen bewiesen, auch
sein Ausgleich nicht aufrichtig war.
Die Wendung der Dinge in diesen neutralen Ländern hing von der
Gestaltung der polnisch-kosakischen Frage ab, welche trotz des Zborower
Friedens ihre Schärfe nicht verloren hatte. Denn der Zborower Friede befrie-
digte keinen von beiden Teilen. Die Kosaken deshalb nicht, weil er sie von
der polnischen Oberhoheit nicht befreite ; die Polen aber hielten ihn geradezu
für erniedrigend. Diese schmähten den König, jene den Hetman, und während
Johann Kasimir zur Beschwichtigung der Aufregung des Adels gar nichts
that, berief Ghmielniczky die Kosaken im März nach Pereslawa zum Beichs-
tage zusammen und nahm unter dem Volke eine neue Heereseinteilung vor.
um diese Zeit trat der Hetman Märiässy zu Bäköczy zurück, indem er ihm
in warmem Ton«^ seine Freundschaft anbot und um die seinige bat.
Die bevorstehende neue Gestaltung warf indessen bereits ihre Schatten
voraus. Kurze Zeit darauf kamen zwei Gesandtschaften nach Warschau : die
des Tataren- Chans, welcher vom König den versprochenen Ehrenlohn for-
derte, und die des Bussen- Gzars, an deren Spitze Puschkin stand, und welche
die Bückgabe der früher occupirten Gebiete und die Bestrafung derjenigen
forderte, welche die Bussen «Barbaren» schimpfen. Sie wurden aber mit
abschlägigem Bescheid heimgeschickt. Indessen that der König soviel, dass er
auch seinerseits einen Gesandten, Bartlinszki, nach Moskau sandte, welcher
dann mit dem Versprechen heimkehrte, dass die Bussen den Frieden halten
werden, und mit der Erklärung, dass Puschkin, indem er mit Krieg drohte,
seine Instruction überschritten habe. Gleichzeitig kam ein zweiter russischer
Gesandter nach Warschau, welcher nunmehr nichts weiter, als die Bestra-
fung des Verfassers der gegen den Czar gerichteten Schmähschrift forderte.
Es wurde Genugthuung geleistet : das Buch, welches den Zorn des Czars
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glEBENBÜBGBN UND DBB KBEOa IM NORDOSTEN.
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err^ hatte, ein Werk Teyardowski's, wurde von Henkershand verbrannt
und dessen Verbreitung im Wege des Buchhandels streng yerboten.
Der greise Biesterfeld, der alte Vertraute des Hauses Bäköczy, schrieb
zu derselben Zeit : ich würde es für lächerlich halten «Poloniam ambire et
SUDS affligere». Ein richtiger Bat zu einer Zeit, wo auch die Polen am
Scheidewege standen und auf den Pfaden einer gründlich verfehlten Politik
faerumirrten. Er stimmte in seinem Wesen mit der traditionellen Politik der
Familie. Man hielt die freundschaftliche Verbindung mit den alten Freunden
der Familie aufrecht, verpflichtete sich aber dem Könige gegenüber zu nichts.
Man sorgte für die Aufrechthaltung des freundnachbarlichen Verhältnisses
und erwies, wo es anging, kleinere Gefälligkeiten ; man that die nötigen
Schritte zur Unterdrückung der Grenz-Bäubereien, erleichterte den Freun-
den den Einkauf des edlen Tokaierweines, und empfing dafür auch Gegen-
gefälligkeiten, aber man liess sich zu keiner Unterstützung der gegen die
Kosaken gerichteten Unterdrückungsbestrebungen herbei An die Dauer-
haftigkeit des Friedens glaubte niemand und Prinz Sigmund war frühzeitig
von den sich vorbereitenden Bewegungen unterrichtet; vornehmlich durch
Lubieniecki, welcher in Folge seiner Verbindung mit den Potocki's die Stim-
mung gut kannte und den Ausbruch des Krieges, vornehmlich wegen der
zwischen den Polen und Kosaken herrschenden erbitterten Stimmung, nicht
für unwahrscheinUch hielt.
Aber auf die Wendung, welche die Dinge nahmen, war niemand vor-
bereitet. Diese Wendung wurde durch die Heirat der Tochter Lupuls herbei-
geführt. Die Bäköczy waren noch im Sommer 1650 — als noch die Unter-
handlungen mit den deutschen Höfen in Betreff der Heirat Sigmund*s in
vollem Zuge waren — nicht im Stande, Lupul zur Entscheidung zu bewegen.
Er liess seine Tochter von der Pforte, wo dieselbe als Geisel für die Treue
ihres Vaters weilte, und wo man diese Heirat gerne gesehen hätte, nach
Hause bringen, verschob jedoch die Verlobung. Schliesslich aber zog er,
unter dem Vorwande des Beligionsunterschiedes, sein Versprechen zurück.
Inzwischen fand sich für seine Tochter ein neuer Freier. Ghmielniczky hielt
für seinen Sohn Timotheus um ihre Hand an. Diese Heirat fand Lupul zu
gering, gab aber auch dem Hetman keinen bestimmten Bescheid, sondern
machte die Entscheidung von der Pforte abhängig. Aber Lupul verrechnete
sich. Der Hetman war bei der Pforte persona grata und erhielt die Zustim-
mung derselben sehr bald. Trotzdem entschloss sich Lupul nicht zur Ein-
willigung; er hätte seine Tochter in der That gerne an irgend einen polni-
schen Palatin verehelicht. Durch dieses Zögern fand sich der Hetman belei-
digt und begann zu rüsten. Gleichzeitig mit ihm rührten sich auch die
Tataren. Von diesen Vorbereitungen waren die Bäköczy durch ihre Corre-
spondenten unterrichtet und sandten zum Zwecke genauerer Orientirung
Michael Mikes nach Warschau unter dem Vorgeben, von dort Musketiere
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^^ 8IEBEMBÜB6EM UND DBB KRIBO IM NORDOSTEN.
ZU bringen, in Wahrheit aber, damit er dort mit den Freunden der Familie
Bücksprache nehme.
Die Böstnngen der Kosaken xmd Tataren stärzten den Polenkönig in
grosse Besorgniss. üeber ihre Absichten wusste er gar nichts, war aber
wegen der Eventualitäten besorgt. Es gingen beunruhigende Gerächte um^
dass der Hetman der Pforte huldigen wolle — man wollte sogar schon wissen,
dass türkische Gesandte bei ihm gewesen, — was den vollen Abfall von
Polen bedeutet haben würde. Ende Juli befahl der König die Aufstellung^
von Beobachtungstruppen und der Oberfeldherr Potocki gab Befehl ins Feld
zu ziehen. Inzwischen nahm das Zusammenströmen der kosakischen Heer-
schaaren immer grössere Dimensionen an und dies steigerte immer mehr die
Besorgniss des Königs, welcher schliesslich auch einen Q^esandten an den
Hetman schickte, um von diesem die Ziele seiner kriegerischen Vorkehrungen
zu erforschen. Ghmielniczki empfing den Gesandten zuvorkommend und
erklärte ihm, er beabsichtige nicht, die Böpublik anzugreifen, wohl aber,
wenn ihm nicht Genugthuung gegeben und die Beligionsfreiheit zugesichert
werde, sich von Polen gänzlich loszureissen und dem Türken zu huldigen«
Mittlerweile begannen aber auch die Tataren zu rüsten und jetzt sandte der
Oberfeldherr Potocki, welcher einen combinirten Einfall der beiden Heere
befürchtete, einen Gesandten an den Hetman, den er mahnen liess, er möge
sich nicht mit den Feinden der Christenheit gegen die Christen verbinden.
Chmielniczki verriet auch jetzt seine wahren Ziele nicht. Im Gegenteil,
als ob es ihm Freude gemacht hätte, die Polen in üngewissheit zu erhalten,,
erklärte er dem Gesandten : wenn Potocki Krieg wünsche, könne er ihn haben;
Koniecpolski sei gestorben — nun komme es zum koniec polski (= finis
Poloniae). Und indem er in seinem Lager Marschbefehl gab und auch den
Zuzug der Tataren urgirte, brach er wirklich auf.
Das polnische Heer befand sich bei Kamienecz in ziemlich schlechtem
Zustand xmd wäre kaum im Stande gewesen, mit den Kosaken erfolgreich zu
kämpfen. Aber der Hetman nahm seinen Weg nicht dorthin : er wollte mit
Lupul abrechnen, weil dieser die Hand seiner Tochter dem Sohne des
Hetmans versagt hatte. Er überschwemmte am 1. September die Moldau
mit seinen Truppen und drang plündernd und verwüstend bis Jassy vor,
wo er gerade in einem glücklichen Momente eintraf. Der Wojwode wollte
gerade den jährlichen Tribut und die üblichen Geschenke an die Pforte
abgehen lassen, welche nun der Hetman mit leichter Mühe in Beschlag
nahm. Hierauf zog er nach gehöriger Verwüstung und Brandschatzung^
Ende September seine Truppen aus der Moldau heraus. Dieser rasche
Bückzug erschreckte den König von Polen noch mehr. Er berief für den
5. December den Beichstag nach Warschau ein und vorhergängig die ein-
zelnen Palatine zur Partial- Versammlungen auf den 7. November, wie es zur
Zeit einer grossen Gefahr üblich war.
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SIEBENBÜRGEN UND DER KRIEG IM NORDOSTEN. 4f61
Aber der Hetman zog auch jetzt nicht gegen das Lager von Eamienecz^
^e der König gewähnt hatte ; sondern wartete, bis seine Bandesgenossen,
die Tataren, ebenfalls in die Moldan einfielen und kehrte auch selbst dort-
hin zurück. Der Chan brandschatzte den Wojwoden gehörig, der Hetman
aber zwang ihn, mit den Waffen in der Hand, seine Tochter mit seinem
Sohne zu verloben, was auch wirklich geschah, und nun zogen die Tataren
und Kosaken schon wirklich aus der Moldau heraus. Lupul aber atmete
auf. Sein erster Gedanke war, wie er sich der durch die Verlobung ihm
auferlegten Verpflichtung entziehen könnte und es schien ihm das beste,
sich unter den Schutz Polens zu begeben. Er that es auch und erhielt dem-
zufolge auf dem December-Beichstage das polnische Indigenat.
Ghmielnitzky war vorsichtig. Er fühlte, dass der Moldauer Feldzug
zum Kri^e mit Polen führen könne und schaffte sich rechtzeitig Verbün-
dete. Mit den Tataren kam er zu vollster Einigkeit und bei der Pforte stand
er in grosser Gunst. G^gen die Polen erblickte er eine starke. Stütze in
Bäköczy, mit dem seine Unterhandlungen noch nicht zu Ende gediehen
waren, und er sandte aus seinem Lager am Pruth am 19. September eine
Gesandtschaft an den Fürsten, mit der directen Aufforderung, er möge ihn
gegen die Polen schützen und behufs Verabredung der Modalitäten einen
Oesandten zu ihm schicken. Er könne dies nun getrost thun, — schrieb er, —
denn der Weg durch die Moldau sei sicher.
B&köczy war der Fortsetzung der Unterhandlungen nicht abgeneigt
und sandte im November nahezu gleichzeitig nach vier Sichtungen Gesandt-
schaften : Gilänyi und Paul Göcs nach Polen, wo der Beichstag vor der
Thüre stand, Nikolaus Sebesi zum Tartaren-Khan, Thomas Pävai zum
Moldauer Wojwoden, den der König aufgefordert hatte, «sich mit den Kosa-
ken auszugleichen», und Ladislaus Ujlaki zum Kosaken-Hetman. Der wich-
tigste war dieser letztere.
Der Fürst nahm es übel, dass einerseits, wie das Gerücht ging, der
Polenkönig den walachischen Wojwoden zur Friedenstifter-BoUe aufgefor-
dert hatte, andererseits aber Ghmielniczky, der sich noch vor einem Jahre
so sehr um sein Bündniss und Patronat bewarb, die ganze Moldauer Expe-
dition ausgeführt hatte, ohne ihn davon auch nur zu verständigen, üjlaki
war beauftragt, dem Hetman einerseits zu verstehen zu geben, dass diese
Geheimthuerei mit dem zwischen ihnen bestehenden freundschaftlichen
Verhältnisse in Widerspruch stehe, und andererseits, dass Siebenbürgen
keine besondere Ursache habe für Polen zu schwärmen, welches, so oft
Siebenbürgen durch die Deutschen oder Türken bedroht war, demselben
gegenüber eine feindselige Haltung beobachtete. Wenn daher der Hetman
mit diesem Lande ein sicheres Bündniss wünsche, müsse er den Grund zu
demselben damit legen, dass er ihm bei der Pforte sichere Securität. mit
dem Tataren aber ein so enges Bündniss, wie das seinige, zuwege bringe.
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^2 SIEBENBÜRGEN UND DER KBDSO IM NORDOSTEN.
Mit dieser Instructioii machte sich üjlaki, durch die Moldau, auf den Weg
nach Czeberin. Bald daraufbrachen auch Gilänyi mit Qöca nach Warschau auf.
Hier gingen wundersame Gerüchte über lULköczy um. Potocki meldete
dem König aus dem Eamieniczer Lager, dass Bäköczy Polen mit einem
30,000 Mann starken Heere bedrohe, und der Kanzler erklärte dies auch
seinen Gesandten gleich bei der ersten Zusammenkunft, die er ihnen
gewährte, ganz offen. Gilänyi war es leicht, die Grundlosigkeit dieser
Anklage zu erweisen. Der Beichstag war stürmisch und beschloss den
Krieg gegen die Kosaken. Aber auch nach Schluss desselben hielt Fürst
Badzivil, der Schwager des Wojwoden Lupul, die Gesandten eine Woche
lang in Warschau zurück, bis sie mit ihm zusammen kommen konnten.
Und auch dann konnten sie erst nach Tagen mit ihm eine Entrevue haben
und ihm den Zweck ihrer vertraulichen Mission eröffnen.
•Was soll unser Herr thun, — firugen sie — wenn der Hetman in
seiner Sache energisch vorginge?» Nach langem Zögern erhielten sie fol-
gende Antwort : Ghmielniczky ist ein un verlässlicher Mensch und plaudert,,
besonders wenn er betrunken ist, Alles aus. Der Fürst soll dahin trachten,
dass der Friede durch ihn zu Stande komme. Wenn aber der Friede nicht
zu Stande kommen könnte und der Fürst Krakau belagern müsste, könne er
auf ihn rechnen. Er werbe jetzt fremde Söldlinge, und zwar in Ueberzahl,
damit er, wenn es zu Etwas käme, die Papisten im Zaum halten könne. Er
bitte den Fürsten nur, dahin zu wirken, dass Lupul in seinem Wojwoden-
tum verbleibe ; er werde sich dafür gewiss nicht undankbar zeigen.
Damit machten sich die Gesandten auf den Heimweg. Aber die Ver-
handlungen wirbelten nach allen Seiten hin viel Staub auf und der durch
den Palatin aufmerksam gemachte Kaiser richtete in dieser Angelegenheit
auch eine Frage an Bäköczy.
Durch den kandischen Krieg, d. h. den Krieg, den die Pforte schon
seit Jahren um den Besitz der Insel Kreta mit Venedig führte, wurde die
Macht derselben in nicht geringem Maasse gelähmt ; wenigstens wurde sie
dadurch zu neueren Unternehmungen unfähig gemacht. Deswegen war sie
nach Möglichkeit darauf bedacht, dass ihr weder eine tatarische Interven-
tion, noch ein moldauischer Krieg eine Distraction herbeiführe. Sie war sozu-
sagen nur eine Zuschauerin der Dinge, die da vorgingen — dessenunge-
achtet aber blieb Konstantinopel ein wichtiger diplomatischer Fokus.
Der siebenbürgische Tribut und die Geschenke wurden herkömmli-
cherweise um den Set. Demetriustag abgeführt, und zwar stets durch eine
Botschaft, in welcher die drei Nationen vertreten waren und an deren Spitze
der vom Fürsten ernannte Botschafter stand. Ende 1649 begab sich Stephan
Sulyok als Botschafter auf die Pforte, ein in der Schule des alten Bäköczy
aufgewachsener Staatsmann, welcher bereits mehrmal, mit mehreren Bot-
schaften bei der Pforte gewesen war. Mit dieser Botschaft reiste auch der
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DAS PRÄHIST0BI8CHE SCHANZWBRK VON LENGTEL. ^^
neue Eapitiba Wolfgang Jösika, welcher Franz Otj&d&B ablöste. Josika kann
kein alter Mann gewesen sein ; denn sein Name kommt diesfalls in einer
historischen Bolle zum erstenmal vor und wahrscheinlich auch zum letzten-
mal, denn wir hören von ihm nicht wieder — ja sein Name kommt auch in
den bisher bekannten Familienstammbäumen nicht vor.
Jösika's Berichte liefern interessante Beiträge zur Eenntniss der kosa-
kisch-tatarischen Beziehungen und zur Geschichte der damaligen Pforten-
Unterhandlungen. Wir ersehen aus denselben, dass die Pforte den Tenden-
zen Bäköczy's nicht abhold war, wiewohl man es dort auffallend fand, dass
er bisher noch keine Schritte zur Erlangung der Einwilligung der Pforte
gethan hatte. Es ist zu bedauern, dass Jösika's Berichte gerade aus der
wichtigsten Zeit, aus der Zeit der Moldauer Einfälle, nicht erhalten geblieben
sind. Im April dieses Jahres wurde Stephan Ebeni und im October Boros
an die Pforte als Gesandte geschickt. Von letzterem ist gar kein Bericht
erhalten geblieben. (Fortsetzung folgt.) Alex. Szilägyi.
DAS MHISTORISCHE SCHANZWERK VON LENGYEL.
(Forteetzimg.)
Nr. 84. In grösserer Entfernung fanden sich um die Wohnstatten
herum zerstreut :
Vierzehn grössere Nuclei; 50 teils Jaspis-, teils Silex-Messer ; 2 win-
zige Obsidianspäne ; 12 meist in gerader Linie gekerbte Schaber. Am Unter-
teile des einen Messers klebt schwarzer Theer, womit dasselbe wahrschein-
lich an das Heft befestigt war. Wie es scheint, wurde Theer von den prä-
historischen Völkern allgemein zur Befestigung der Steinspäne verwendet.
In die schönen Beinharpunen des Stockholmer Museums waren die scharfen
und spitzen Steinspäne stets mit Theer befestigt, auch fanden wir hier in
der Lengyeler Ansiedlung schon wiederholt grössere Theerstücke.
Das durchbohrte Bruchstück eines aus grünem Stein geschliffenen
Beiles und ein trapezförmiges kleines geschliffenes Steinbeil.
Ein 1 5 Cm. langer, durchbohrter und geschliffener Beinhammer. Das
Bohrloch hat 2 Cm. Durchmesser.
Zwei Gerätstiele aus Hirschhorn, bei welchen ausser der im zelligen
Teüe der Länge nach gehenden Durchbohrung, auch noch die eine Hälfte
des Zweiges belassen worden war, um das in das Bohrloch gepasste Werk-
zeug noch überdiess durch Anbinden an den flachen Ausläufer des Stieles
fester mit demselben zu verbinden.
Zehn Stück nur an einem Ende zugespitzte Beinpfriemen. ■
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TAFEL XXX.
NB. Die Bruohzohlen bedeuten den Teil der NatargrÖBBe der Figuren, die ganzen Zahlen die Figurennammern.
mi
2a9<^.H
mi
im
2241
\5lJ
231 §
227 §
, Halbfertiges Steinbeil. — 225. a, b, Gefässdeckel. — 226. Armband aus Muschel. — 227. Süex-Mesaer. -
. Bruchstück eines Steinbeiles. — 229. Hirschgeweih mit Sägespuren. ^ 230. Bruohstäok eines Thongeg«»-
Standes. —231. Doppelangel aus Bronze. — 232. Bruchstück eines Mondbüdes.^— ^ 2^, ^^ Thopgefiasa.
DAS PRÄHISTORISCHE SCHANZWERK VON LENGYEL. ^5
Ein 18 Cm. langes Hirschhorngerät, welches nicht nur am dicken
Ende, sondern auch der Länge nach beiderseits flach geschnitten ist.
Ein grosses Hirschgeweih, dessen Zweige abgesägt sind ; ein am un-
teren Ende glatt abgeschnittener Gemshomzapfen und ein starker Eber-
hauer.
Vier unverzierte, gut gebrannte WirtI und ein kegelförmiger, senk-
recht durchbohrter Spindelknopf.
Bruchstücke von vier unvollkommen gebrannten, durchbohrten Thon-
pyramiden, von welchen nur die eine am oberen Teile das tief eingeschnit-
tene schiefe Kreuz hat.
Ein halbgebrannter Löfifel aus grobkörnigem Thon, mit kurzem durch-
bohrtem Stiel.
Ein 10 Cm. hohes, 8 Cm. weites becherförmiges Gefäss mit kleinem,
wagrecht durchbohrtem Henkel, ohne Verzierung.
Ein unverziertes Gefäss mit langem Hals und bogenförmigem Henkel.
Eine einfache Thonschale, 5 Cm. hoch, am Oberrande 12 Cm. weit.
Ein spitz auslaufender Gefässdeckel von 8 Cm. Durchmesser. Die Ver-
zierung besteht am Aussenteile aus vier in Kreuzform verteilten, blattför- xxx.
migen Vertiefungen und dazwischen angebrachten zwei Punkten. Der obere 225 r.b
Ausläufer ist horizontal durchbohrt. Der Band des Deckels ist ebenfalls an
zwei entgegengesetzten Punkten durchbohrt, um ihn an das Gefäss befe-
stigen zu können.
Ein grösseres Graphitstück, das Bruchstück eines aus reinem Graphit
verfertigten, dicken Gefässes. (S. Nr. 82.)
Nr. 85. Gelegentlich des Besuches eines ausländischen Fachgelehrten
unterbrachen wir die Arbeiten bei den Wohnstätten und begannen am
Grabfelde eine Grube, um eines jener in kauemd-liegender Stellung begra-
benen Skelette vorweisen zu können, welche in neuerer Zeit die Aufmerk-
samkeit der Archäologen ganz besonders erregt hatten.
In Italien lieferte Chierici, * in Böhmen aber Jelinek** neuere Daten
AUS zahlreichen Funden über die «liegenden Hocker», von welchen man
bisher nur wenig wusste. Diese neueren Daten will ich hier zunächst nach-
tragen. In der Nähe von Prag wurden in den Gemarkungen der Gemeinden
Branik'Hodkovicky sieben Skelette gefunden, welche auf der rechten Seite
liegend, mit der rechten Hand unter der Schläfe, stark zusammengekauert
waren. Der Kopf war gegen Süden, die Füsse aber gegen Norden, während
* Bulletino di Paletnologia Italiana An X.Nro 9, 10. I sepolchri di Remedello
nel Bresciano e i Pelasgi in Italia und Anno XI.Nro 9. 10. Nuovi scavi nel sepolcreto
di Bemedello.
** iMitteilungen der anthropol. Ges. in Wien» XLV. B. IV. H. Jelinek «Aus
•den Grabstätten der liegenden Hocker.»
Ungvisoha Betne, ZI. 1801. V. Haft. 30
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TAPEIj XXXI.
NB. Die Bruchzahlen bedeuten den Teil der Natnrgrösse der Figuren, die ganzen Zahlen die Fignrennmiimeni.
Ui».H
im
237 §
mi
24Ǥ
244 «».H
241«.*.«i
235. o, 6. Gefässdeokel. — 236. Thonpyramide. — 237. Brnehstüok eines homförmigen Qefässes. — 238. GeS»
mit Kreidererzierung. — 239. Fnss aus Thon. — 240. Beinpfrieme. — 241. a, b, e. GeOssdeckel. — 241 Ab^i-
höhlter Thonblook. — 244. o, 6. OefindeckeL ' ~ " "O"
TAFEL XXXH.
NB. Die Brnchzahlen bedeuten den Teil der Nattirgrösse der Figuren, die ganzen Zahlen die Figorennammem.
248«
248 i
247
niniti7firl hy V^jOOQ IC
247. Im IiösB gegrabene Wohnung. — 248. a, b. Querschnitt am Ostrande der Schanze.
^^ DAS PRÄHISTORISCHE SCHANZWERK VON LENOYEL.
das Antlitz gegen Osten sah. Von den unsrigen unterscheiden sie sich nur
darin, dass alle, mit Ausnahme eines einzigen, in Gräbern aus unbehauenen
Steinen gefunden wurden. Die Gefässe sind mit Graphit überzogen und
angeblich auf der Scheibe verfertigt, ihre Form ist ähnlich jener der uns-
rigen, und fand man solche nicht nur in den Gräbern, sondern auch ober-
halb derselben, unmittelbar unter der Humusschichte, wo sich starke
Feuerspuren zeigten. Neben den Skeletten fand man Bronzegegenstände.
Die unter dem Sandboden vergrabenen Knochen zerfielen — mit Ausnahme
der Kinnladen — bei der Berührung in Staub. In Bechlin bei Raudnitz (in
Böhmen) wurden fünf auf der rechten Seite liegende, vom Grünspan ge-
färbte Skelette in kauernder Stellung und in einer bei unseren Funden
üblichen Bestattungs-Richtung gefunden, — und zwar kaum 40 Cm. unter
dem Niveau. Die Gefässe waren aus grauem, dünnem Thon, angeblich teils auf
der Drehscheibe verfertigt. Die Schädel weisen sich meist als Dolichocephale
aus und deuten daher auf eine reine, noch ungekreuzte Race hin, was übrigens
in Böhmen wiederholt constatirt wurde. Bei iCt/w^a7a/(i* in Mähren fand man
auf einem Hügel zehn Gräber in zwei Reihen ; die Gerippe lagen von Süd-
osten gegen Nordwesten, mit zusammengekrümmten Händen und Füssen
auf der linken Seite, 0-90 — 1*50 M. tief, etwas über der Sohle der heu-
tigen Humusschichte. Ihre Beilagen bestanden aus kleineren schwarzen
Gefässen und einigem Bronzeschmuck. Einzelne Schädel waren trepaniri
Gleichartige wurden bei Klein-Cicevic, Schallau und Unetic in Böhmen
gefunden.
/^a&n. Chierici berichtet über eine neue paläontologische Gruppe aus
Remedello (Kreis Brescia), Cumarola (Kr. Modena), Scurgola (Kr. Rom) und
Cantalupo (Ki\ Rom), welche er «eneo-litico» nennt, da in diesen Gräber-
feldern die Beigaben der Skelette aus meisterhaften Steinwaflfen bestehen,
unter denen sich jedoch auch Kupfer- und Bronzewaflfen, namentlich Dolche
finden. Die Skelette sind sowohl in ausgestreckter, als auch in kauernder
Lage bestattet, doch deuten ihre Beigaben auf ein gleiches Zeitalter. Auf
dem Leichenfelde bei Remedello am Po wurden bereits über 80 Gräber
geöffnet, in welchen die Skelette regellos in jeder Richtung gelegt zumeist
ausgestreckt, nur vereinzelt mit zusammengezogenen Füssen auf der Seite
liegend (und zwar bald rechts, bald links) gefunden wurden. In einem Falle
wurde sogar eine sitzende, in einem anderen eine, der in Hissarlik üblichen
ähnliche, knieende Lage constatirt. Die Körper sind in die blosse Erde, in
ovale Gräber gebettet. Die Schädel sind teils dolichocephale, teils bracliy-
cephale. Auch auf dem Leichenfelde bei Cantalupo wird «scheletro alquanto
i-aggrupato» und «scheletro quasi disteso» unterschieden.
Alle diese Umstände und die zahlreichen Arten der Bestattung bilden
* «Mitt. der anthr. Gesellschaft in Wieui. XIV. 2 und 3. F. 59.
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DAS PRÄHI8TOBI8CHE SCHANZWBRK VON LENGTBL. 4p6^
ebensoviele Abweichungen von der bei Lengj^el gefundenen strengen
Gleichmässigkeit. Aber auch die Gegenstände, welche bei der ganzen Gruppe
einen sehr consequenten und einheitlichen Typus aufweisen, sind von jenen
aus Lengyel ganz verschieden.
Niederösterreich. P. Lambert Kamer entdeckte in Roggendorf (Bezirk
OberhoUabrunn) ein ähnliches Leichenfeld mit gekauert liegenden Gerippen
und beigelegten Steingeräten und Bronzezieraten. Die «Mitteilungen
der anthrop. Ges. in Wien» 1883, B.XIII. beschreiben die sieben seit 187&
zu Tage geförderten Gräber und deren Beigaben; in einem an mich
gerichteten Schreiben berichtet Herr P. L. Kamer : dass seither zahlreiche
und sehr wichtige Funde gemacht wurden, welche er in einem grösseren
Werke zu beschreiben beabsichtigt. Die einzelnen Merkmale dieser Funde
zeigen eine auffallende Aehnlichkeit mit jenen aus Lengyel. Alle Skelette
sind in gekrümmter liegender Stellung mit dem Kopfe gegen Süden, das
Gesicht gegen Osten gewendet. Dieselben liegen nur 0%5 — 0-55 M. unter
der heutigen Erdoberfläche, weshalb die Annahme nicht ausgeschlossen
ist, dass man die Leichen nicht in Gräber, sondern einfach auf die Erde
legte und sie mit Erde bedeckte. Auffallend ist, dass auch unter diesen
sieben Skeletten eines mit zusammengezogenen Knieen und zur Erde ge-
wendetem Antlitz gefunden wurde ; daher ganz dieselbe Variante, welche
auch bei Hissarlik (Hanai-Tepeh) und in Bemedello wahrgenommen wurde.
Der entschieden dolichocephale Typus der Schädel, der Mangel an Bronze-
waffen, die Buckelverzierungen an den Gefässen, sowie deren winzige Basis
bei beträchtlichem Bauminhalt bilden ebensoviele Analogien mit deu
Funden aus Lengyel.
Am interessantesten ist, dass, wie ich aus dem Briefe P. Kamer's
entnehme — man dort neuerdings auch die Wohnstätten auffand, einzelne
gleichfalls tonnenförmig, nach oben offen, und ganz in die Erde gegrabene
Gruben.
Li dieser Grube Nr. 85 stiessen wir auf ein ganz unversehrtes Skelett,
in der bisher wahrgenommenen Stellung gegen Osten gewendet, auf der
rechten Seite liegend, mit stark zusammengezogenen Händen und Füssen.
Die Beigaben desselben bestanden aus Folgendem ;
Unter dem Kinn 17 tertiäre Dentalium-Schnecken, zumeist mit braun-
rother Masse überzogen. Unter diesen geraden, langen, fossilen Schnecken
fanden wir drei kleine, flache Metallperlen, an welchen das Metall von der
lichtgrünen Patina ganz zerfressen war. Tiefer suchend fanden wir um die
Halswirbel abermals 19 Dentalin-Schnecken, an welchen ebenfalls die
Spuren jener roten Masse wahrnehmbar waren. Zwischen diesen Schnecken
lagen 14 kleine flache Metallperlen, einzelne sogar noch an jene gereiht.
Nachdem wir schon mehrfach zwischen diesen Dentalien solche Metall-
perlen fanden, scheint es sehr wahrscheinlich, dass der ganze Halsschmuck
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TAFEL XXXTTT.
KB. Die Binchzahlen bedeuten den Teil der Naturgrösse der Figuren, die ganzen Zahlen die FigurennommeriL
im 2511 Uhi
243. Thongefäsß. — 245. Steinbeil. — 246. Bruchstück einer Thonpyramide. -j|^j!j^^^£äs8deckel. — 230. Bronse*
haken. — 251. Bruchstück eines Seihergefässes. — 252. Thongefäss. — 253, 254. Steinmeissel. — 255. TlionlöffeL —
256—258. Durchbohrte Thierzähne.
TAFEL XXXrV.
NB. Die Bruchzahlen bedeuten den Teü der Naturgrösae der Figuren, die ganzen Zahlen die Fignrennnnunem.
m'^i
mb
2591
mi
im
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im
259. Vogelfigur aus Thon. — 260. Triposförmiger Fuss einer Kinderklapper. — 261. Thonplatte. — 262. Kleeblatt-) Q[g
fönniger GefaashenkeL — 263. Fuss eines Thonge&sses. — 264. Gefäss mit Kreideverzierung. — 265. Wirtl. — O
266. a, b. Gefasshenkel mit Thiergestalt. — 267. Bronzenadel. — 268. Gefässdeckel.
472
DAS PRÄHISTORISCHE SCHANZWERK VON LBNOTEL.
derart entstand, dass die ineinander gepassten Dentalien durch die daran
gereihten Perlen fester zusammengehalten wurden.
Aus Dentalien oder Vogelknochen verfertigen die wilden Stämme
Amerikas mit dazwischen angebrachten kleinen Perlen einen Bandschmuck,
welchen sie am Hinterschädel befestigen, so dass er über den Rücken hinab-
hängt. * Bei den im nördlichsten Amerika wohnenden Indianern fand
Swan ** einen eigentümlichen Kopfschmuck, und zwar Bänder aus Den-
taliumschalen zusammengesetzt; dieser umgibt diademförmig den Kopf,
während an beiden Seiten ebenso verfertigte Anhängsel herabhängen. Auf
dem prähistorischen Gräberfelde bei Koban * (Kaukasus), fand man statt
Dentalien aus Bronzeröhren zusammengesetzte, gegliederte Kettenbänder,
üebrigens fanden wir solche Bronzeröhren bereits wiederholt neben Den-
talien an den Skeletten von Lengyel. Cylinderähnliche Bohren als Schmuck
getragen ausGagath, Bein und Bronze kommen auch in den französischen
Dolmen vor.
Um den linken Arm ein aus einer prachtvollen Muschel geschlif-
fenes, ovales Armband. Der Längendurchmesser desselben beträgt 8 Cm.,
der Breitendurchmesser 7 Cm. Es ist an der dicksten Stelle 1*8 Cm. starke
ixx während es sich beiderseits regelrecht verjüngt, und an der dünnsten Stelle
^^^* nur 0*8 Cm. misst. An mehreren Stellen klebt noch die dicke rote Farbe
daran. An der breitesten Stelle hat es drei je 1 Cm. weit von einander ent-
fernte Löcher, an welchen wahrscheinhch wieder grössere, aus Muscheln
verfertigte Perlen hingen, denn wirklich fanden wir neben dem Armband
grössere, 1*5 Cm. lange und 0*8 Cm. dicke, der Länge nach durchbohrte
Perlen aus der gleichen Muschel. — An dem Armband befinden sich zwar
noch an zwei Stellen schief und unregelmässig durchgestossene Löcher,
doch ist deutlich zu erkennen, dass diese durch Zersetzung in der Muschel-
masse gebohrt wurden.
Neben der linken Hand ein entzwei gebrochenes Silex-Messer.
Eine sehr schöne, 13 Cm. lange, 3*5 Cm. breite Axt aus licht-
grauem Stein geschliffen. Das Bohrloch hat einen Durchmesser von
1*5 Cm. Selbe war noch wenig gebraucht. Im Allgemeinen fanden wir
mit wenigen Ausnahmen nur neben den Skeletten unversehrte Steinbeile.
Vor dem Gesichte ein gutgebranntes, rohes, primitives Gefässchen.
Ein aus dem äusseren festen Teile des Hirschgeweihes geschnitztes,,
durch Schleifen geschärftes Messer.
XXI. Neben dem Rumpf ein ganz weissliches 2*5 Cm. breites, 1 2 Cm. lan-
^^^* ges, sehr schön und regelmässig gespaltenes Silex-Messer.
* R. Virchow «Das Gräberfeld von Eobam. S. 40.
** James G. Swan, The Indians of Cape Flattery (Smithsonian Contribution)
Washington 1869. p. 16, Fig. 3. R. Virchow a. a. 0.
*** R. Virchow a. a. 0.
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DAS PBAHiaXORISCHE SGHANZWBBK VON LBNOYEL. ^^3
Eine trichterförmige, 3 Cm. lange, und am dickeren Ende 0*5 Cm.
breite Schnecke, am breiteren Ende durchlöchert.
Ein sehr morsches G^fäss aus feinkörnigem Thon, auf schwarzem
Grunde rot angestrichen. Um das Gefass herum zeigte sich ein Kalk-
niederschlag, der auch den roten Anstrich in sich aufnahm. Von diesem
Gefässe gelang uns nur einige Bruchstücke auszuheben.
Nr. 86. In der Nähe der vorigen Wohnstätten abermals eine am
Boden deutlich sichtbare ovale Grube. Dieselbe ist 260 Cm. tief, 242 Cm.
lang und 237 Cm. breit. Zumeist in derselben und nur teilweise in deren
Umgebung fanden wir folgende Gegenstände :
Zehn grössere Nuclei, von deren Seiten Späne abgespalten worden
waren.
Fünfzehn grösstenteils aus Jaspis sehr regelrecht gespaltene Messer.
Zwei haben am unteren Ende eine durch sorgfältige Kerbung hergestellte
schmale und lange Spitze, welche in einen Stiel gepasst war; an dieser
klebt eine weisse dicke Masse, mit welcher man wahrscheinlich wie mit
Pech die Messer in den Stiel befestigte.
Einundzwanzig Jaspisstücke, welche bei Verfertigung der Messer als
unbrauchbare Späne abfielen.
Zwei Stück am oberen Ende in gerader Linie gekerbte Jaapis-
Schaber.
Sieben Obsidianspäne, von welchen vier schmale, lange Stücke zu
Messer gespalten sind; der eine ist ein breiter scharfer Schaber; zwei
dagegen sind Abfälle, an der Rückseite die ursprüngliche, rauhe, narbige
Struktur des Steines zeigend.
Ein zum Spalten von Spänen verwendetes, an allen Ecken abge-
stumpftes Steinstück.
Ein durchscheinendes, reines Stück Bergkrystall.
Vier Bruchstücke von geschliffenen Steinäxten, von welchen nur
eines Spuren der Bohrung zeigt.
Eine oben convexe, unten flache, stumpfe und sehr abgenützte, ge- X3X.
schliffene Steinaxt, welche an der Bohrstelle gebrochen war.
Ein glattes Stück Sandstein, in dessen schmaler Fläche man wahr-
scheinlich Beinpfriemen geschliffen hatte.
Vierzehn Bruchstücke eines grossen Reibsteines, und drei zum Glätten
von Gefässen verwendete Bachkiesel.
Ein am Ende rund geschliffenes, flaches Beingeräte, welches wahr-
scheinlich zum Glätten von Gefässen diente, und sieben geschliffene spit-
zige Beinpfriemen.
Ein i^4 Cm. langer Röhrenknochen eines Tieres, in der Mitte ge-
glättet. Derselbe konnte kein Schlittschuh gewesen sein, da er nicht in der
ganzen Länge geschliffen ist. Vielleicht wurde derselbe zum Glätten von
Ungftriseh« Beroe, XI. 1S91. V. Heft. 30a
228.
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474
DAS PBAHISTORI80HB BOHANZWEBK YON LENOTBL.
229.
Leder verwendet, wie auch heute noch die Schuhmacher das übers Knie
gelegte Leder mit solchen Knochen glätten.
HI. Drei Stück Hirschgeweihe, welche sämmtlich an mehreren Stellen
tiefe und sehr breite Sägespuren zeigen. Das Ende des einen Stückes ist
spitz zugeschnitzt.
Sieben stumpfe Pyramiden diverser Grösse, von welchen jedoch
keines mit dem üblichen schiefen Kreuze versehen ist. Sie sind zumeist
nur halb gebrannt, das eine Stück ist aber gar nicht gebrannt und gleicht
unseren heutigen getrockneten Lehmziegeln.
Ein gut gebrannter Thonblock von 26 Cm. Durchmesser und fünf
homförmige, senkrecht durchbohrte, hohe Gefasshenkel, von denen drei
an der Bruchstelle glatt gewetzt sind.
Ein dicker, gut gebrannter Thoncylinder, der Länge nach dünn durch-
bohrt. Derselbe ist 13 Cm. lang und 6 Cm. dick.
Ein am oberen Teile geglättetes Stück eines Feuerherdes. Am unteren
TeUe hat es eine quer gehende Vertiefung, und ist es mehrfach mit grös-
seren Löchern versehen, durch welche die Asche vom Herde entfernt wurde.
Vergl. Grube 79.
Sechs Wirtl diverser Grösse und vier Bruchstücke von pilzenför-
migen Böhrengefässen.
Drei, am oberen Teile mit halbkreisförmigen Handgriffen versehene
grosse Gefässdeckel aus rohem Thon. Die Gefässwand ist 2*5 Cm. dick.
Ein sehr roher Deckel aus kömigem Thon, innen und aussen rot
angestrichen. Durchmesser 9 Cm. Der Deckel hat am oberen, convexen
Teile einen 7 Cm. langen, 2*5 Cm. hohen und mit sechs Domen verzierten
Bippenansatz, welcher nebeneinander vier horizontale Bohrlöcher hat.
Viele Bmchstücke von rauhen, meist schmucklosen Gefässen, an ein-
zelnen sind mit Kreide grosse Dreiecke ausgefüllt ; gebrannte Thonklötze
vom Feuerherd, Asche, Knochenabfälle, damnter Süsswassermuscheln, daa
Bückgratswirbel eines grossen Fisches, ein starker Eberhauer und ver-
schiedene andere Tierzähne.
Nr. 87. Eine kreisförmige Wohnstätte, 254 Cm. tief, 245 Cm. lang,
213 Cm. breit. Inhalt:
Dreizehn Jaspisnuclei mit breiten Flächen, elf schön geschlagene
Steinmesser, acht unbrauchbare Jaspisstücke ; drei schmale, dünne Obsi-
dianspäne ; fünf am oberen Ende halbrund gekerbte Jaspis-Schaber.
Zwei Bruchstücke von sehr abgenützten, und an der Bohrstelle ge-
brochenen Steinbeilen. An dem Bohrloche des einen sind mit freiem Auge
deutlich parallele Furchen zu sehen, die Spuren des zum Bohren verwen-
deten Sandes oder Quarzes.
Ein aus Eberhauer geschnittener und scharf geschliffener Schaber.
S. XXIV. 264, 265.
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DAS PBÄHIST0BI8CHE 8CHANZWERE VON LENOYEL.
475
XXI.
Zehn geschlififene Beinpfriemen verschiedener Grösse, von denen
zwei an beiden Enden zugespitzt sind. Die aUerprimitivsten Beinangehi
sind ebenso geformt, nur haben letztere in der Mitte gewöhnlich eine kleine
Vertiefung zum Befestigen des Fadens, welche jedoch hier fehlt.
Fünf Hirschgeweihe, von denen bei zweien die spitzen Enden mit-
tels ächleifens, bei zweien aber mittels Schnitzens ausgearbeitet sind. An
dem dicken Ende des einen hatte man eine Bohrung begonnen.
Der Stamm eines starken Hirschgeweihes, an beiden Enden ziemlich
glatt abgesägt.
Ein einem Striegel ähnlicher, 2*5 Gm. langer, in einen dünnen Stiel
auslaufender Thongegenstand, am breiten Ende mit vier Zähnen versehen. 230.
Derselbe wurde wahrscheinlich zum Einkratzen der parallelen Furchen-
verzierung an den Thongefässen verwendet.
Das Bruchstück eines pilzförmigen Eöhren-Gefasses, kohlschwarz und
geglättet. Der innere Boden der Schüssel ist mit einem gekratzten schiefen
Kreuz, und um dasselbe mit Würfelaugen verziert. Eine solche Kreuz-
verzierung kommt hier schon in der Grube Nr. 41 vor.
Fünf Bodenteile von grossen primitiven Töpfen ; ein mit Kalkgebilde
überzogenes unbearbeitetes Hirschgeweihe, und ein starker Eberbauer.
Asche oder Klötze vom Feuerherd wurden in dieser Grube nicht ge-
funden, und konnte selbe daher ausschliesslich nur als Wohnstätte gedient
haben.
Nr. 88. Kreisförmiger Wohnraum, 246 Cm. tief, 268 Cm. lang,
214 Cm. breit. Den Boden bedeckte eine starke Aschenschichte, in welcher
sich folgende Gegenstände befanden :
Neun Nuclei, 13 regelmässige Stein-Messer, sechs Spanabfälle, drei
schöne Obsidian-Messer, vier Jaspis-Schaber, wovon an zweien schwarzes
Pech klebte, mittelst dessen man sie in den Stiel befestigt hatte, und drei
kleine schwarze Pechstücke.
Drei weichere Sandsteinstücke, an beiden Seiten mit eingeschliffenen
Furchen versehen.
Sechs glatte Steine, an deren concaver Seite man Steingeräte ge-
schliffen hatte. Der eine ist roter Sandstein, der auch noch an den dicken
Enden vier dünne Furchen zeigt, in welchen man noch wahrscheinlich
Beinpfriemen schliff.
Sieben Bruchstücke von dem Unterteile eines Kalksteines ; an zweien
klebt ziemlich dick eine schmutzig weisse Masse.
Ein kleinerer runder Stein von 5 Cm. Durchmesser. Man würde den^
selben wegen seiner Winzigkeit kaum für einen Reibstein halten, und doch
zeigt auch dieser Spuren jener weissen Masse.
Ein zum Schleifen verwendeter dreieckiger flacher Stein, ein kleiner
glatter Bachkiesel und zwei Bruchstücke einer geschliffenen Steinaxt.
30*
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TAFEL XXXV.
NB. Die Braohzahlen bedeuten den Teil der Natnrgrösse der Figuren, die ganzen Zahlen die Figorennnmmeni.
im
27e«.6§
271 §
im
2776
278 i
269. Kreideverzierter Fnss eines Gefässes. — 270. a, 6. Kettenglied ans Bronze. — 271. Armband ans Brons^"
272. Bronzenadel. — 273. Durchbohrtes Brachstück eines Gefässes. — 274. Beingerath. — 275. Fibula aas Bron»
276. Bruchstück aus Bronzedraht. — 277. a, b, Armbrustfibel aus Bronze. — 278. Bronzemesser.
TAFEL XXXVI.
KB. Die Bruchzahlen bedeuten den Teil der Naturgrösse der Figuren, die ganzen Zahlen die Figurennummern
381 §
mi
•- — i.'
282 «i§
2813
mi
285 «*
79. Steinbeil. — 280. Hunmer aus Hirsohhom. — 281. Lanzenspitze aas Hinohhorn. — 2S2^izfeclQfa^fiasdeckeL)^ LC
B3. EreideTeiziertes Oefäss. — 284. Stiel eioes Werkzeuges. — 285. a, b. Oassform ans Sandstein. — 286. Vfitß
478
DA6 PRÄHISTORISCHE SCHANZWERK VON LENOTEL.
in. Zwei winzige Bronzeblättohen und eine W-förmige Doppelangel ohnfr
231. Widerhaken aus Bronze. Diese Art Doppelangeln * gehört unstreitig zu
den ältesten Angel-Formen, und wird zumeist in den schweizerischen **
Pfahlbauten gefunden.
Zwei spitz zugeschliffene Hirschgeweihe, am dicken Ende eng durch-
bohrt
Zwei dünne Spitzen von einem Hirschgeweihe, die eine mit zwei, die an-
dere mit sieben tief eingeprägten Furchen versehen. Diese tiefen Furchen las-
sen auf die Anwendung von Sägen aus Stein-Messern schliessen. (S. XXX. 229.)
Fünf Stück mit dicker Ealklage überzogene, an beiden Enden ziemlich
glatt abgesägte, teilweise zugeschnitzte Hirschgeweihe.
Ein Hirschgeweih, an einem Ende zugespitzt, am dicken Ende aus-
gehöhlt, um in dasselbe einen Stiel befestigen zu können.
Ein Bruchstück eines aus fossiler Muschel verfertigten Armbandes,
3 Cm. breit, 1 Cm. dick. (Vgl. XXX, 226.)
Fünf gut gebrannte, geglättete Wirtl ohne Verzierung.
Fünf homförmige hohe Gefässhenkel, von denen zwei an den Bruch-
stellen abgestumpft sind.
Ein kurzer, durchbohrter Thonlöffel, und das Bruchstück eines dicken
Thonringes.
Ein 1 1 Cm. langer, 5 Cm. dicker, gut gebrannter Thoncylinder, der
Länge nach mit einem dünnen Bohrloch versehen.
Fünf Stück am oberen Teile unbezeichnete, durchbohrte Thonpyra-
miden, von deren Seiten kleine Stücke abgesprungen sind. Wenn das durch
gegenseitiges Aneinanderstossen geschehen ist, so könnte es als Argument
dafür dienen, dass diese Gegenstände als Webstuhlsenkel verwendet wurden.
TYY Ein widderhomähnliches, ganz mit parallelen Vertiefungen umge-
232. benes Thonstück. Dasselbe bildete wahrscheinlich die Spitze eines sogenann-
ten thönemen «Halskissens» oder eines Gefässhenkels, wie sie auch in His-
sarlik vorkommen. (Vergl. Schliemann, tDios» S. 659, f. 1369.)
Ein kleines, 4'5 Cm. hohes, sehr primitiv gearbeitetes, unversehrtes
233.* Thongefässchen. Der winzige Hals endigt in eine zwei Cm. weite Oeffhung,
am bauchigen Teile hat es dagegen 5 Cm. Durchmesser.
Ein 12 Cm. hoher, 15 Cm. breiter, roh gearbeiteter Topf mit dicken
Wänden, dessen Boden innen eine weissliche Schichte bedeckt, vermutlich
Reste einer Speise.
Sehr dicke Bodenteile von sechs grossen Töpfen, fast auf jedem ist
eine weissliche Schichte wahrnehmbar.
* S. Otto Hermann cösi elemek a naagyar n^pies haliBzeszközökben. U. Arch.
Erti B. V. Nr. 3. 8. 159. Fig. 12.
** Mortillet gibt im «Mus^e pr^historiquei T. LXXXVII. 1025. die Abbildung
einer solchen, welche in den Nenfchateler Pfahlbauten gefanden wurde.
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DAS PRÄHIBTOBIBCHE 80HAKZWERK VON LBNGYEL. ^79
Zehn Stück unbearbeitete Hirschgeweihe, zwei Homzapfen, viele rohe
Thonscherben und gebrannte Thonblöcke.
Nr. 89. Eine kreisförmige, schön abgegrenzte Wohnstätte, vom jetzi-
gen Niveau gemessen !258 Cm. tief, 287 Cm. lang, 253 Cm. breit. An der
Südseite dieses Wohnraumes befand sich in einer Tiefe von circa 150 Cm.
eine Nische, in welcher Thonscherben und dazwischen verkohlte Hirse
lag. Ausserhalb des Wohnraumes, aber in dessen unmittelbarer Nähe
fand sich ein unversehrter Menschenschädel, aber sonst keinerlei mensch-
liche Knochen. Im Wohnräume selbst fanden wir viel Asche und Thon-
scherben. Femer:
Eine flache runde Bronzescheibe von 1*5 Cm. Diameter, welche an
der Bückseite einen sich im Halbkreis erhebenden Bogenansatz hat Dieser
Bronzegegenstand ist nicht geschmiedet, sondern gegossen. Als Knopf
konnte derselbe kaum gedient haben, da sich der ohrförmige Bogenansatz
in einer Höhe von fast 1 Cm. abhebt.
Eine Bronze-Halbkugel von 1*4 Cm. Durchmesser, mit einem kleinen
Griff am convexen Teile. Die dunkelgrüne, bröckelige Patina hatte dieselbe
fast ganz durchfressen. Diese halbkugelförmigen Knöpfe sind unter den
Funden aus der Bronzezeit häufig, und zwar entweder an zwei entgegen-
gesetzten Stellen durchlocht, oder mit einem Oehr zum Annähen versehen.
In der späteren Bronzezeit dienten sie allgemein als Kleiderschmuck. Nach
den Malereien auf Gefässen aus der Krim brachte man sie an verschiedenen
Kleidungsstücken an. Im Kobaner * (Kaukasus) Leichenfelde wurden sie
meist um den Kopf herum gefunden, woraus zu schliessen ist, dass sie als
Schmuck der Kopfbedeckung dienten. Sehr häufig sind sie in Ungarn, •
Oesterreich, Polen und Deutschland, auch das Stockholmer Museum besitzt
eine ziemliche Anzahl.
Zwei Stück 3 Cm. lange, 1*5 Cm. breite, röhrenförmig zusammen-
gebogene Bronzeplättchen, von dunkelgrüner Patina überzogen.
Eine sehr dünne, zweireihige Bronzespirale, an beiden Enden spitzig,
von sehr schöner lichtgrüner, glänzender Patina überzogen. Der Durch-
messer des Binges beträgt 1 *5 Cm. Sie diente wahrscheinlich zum Locken
des Haares oder Bartes, ^ und kommen solche nicht nur in den Ausgra-
bungen Schliemanns bei Hissarlik, sondern auch in den Pfahlbauten vor.
Vier regelmässige Stein-Messer und sieben unbrauchbare unregel-
mässige Jaspisspäne.
Ein trapezförmiges, geschliffenes Beil aus dunkelgrauem Stein, und
das Bruchstück eines geschliffenen Stein-Hammers.
^ R Virchow «Daß Gräberfeld von Koban». 8. 50,
• Hampel «Aroh. ilrt.» 1886. VI. B. 1. 8. U.
' Heibig «Das homerische Epos.» 8. 167.
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TAFED XXXVn.
NB. Die Bmcbzahlen bedäQt^u den Teil der NfiturgrösBe der Figuren, die ganzen Z&Men die FigurennimunflTii '
287,Bnichi5tück ßines Mondbüdes. — 288. KindeTklapper. — £89, TlicinlöfleL — «M), Gftfefip. — 291. Ki^idtTp- "
ziörtefl ThoDBtüok. — IM. Bruchstück eiöes Gefttäses mit Hakenkreuz. — im. Lan^enspitäse aus Hirseb^wr^ih
494, Brachstnck eines Thongefftaaes. — ii96, Beinpfrieme. — 298, Aue IK^In .^i|obySetier_St=reiÄDlbea, -
299, Solunuckgegenßtflnd &ns Bronze, ^
i
TAFEL XXXVm.
NB. Die Bruchzahlen bedeuten den Teil der Naturgrösse der Figuren, die ganzen Zahlen ^die Figurennummem.
im
80H
mi
297 i
i95. KreideTerziertes Oefäss. — 297. Durchbohrter Span aus Eberzahn. — 300. Bruchstück eines Mondbilder. — ^
301. Thongefäss. — 302. Senkel aus Sandstein. — 903. Fischereigerät aus Bein. — 304. Bruchstück eines dur^l^[^
bohrten Senkels aus Stein. — 305. Bruchstück einer Kopfnadel (?) aus Bein. ' O
4^2 BAß PRÄmSTORIßCHB 80HANZWEBE VON LENOTBL.
Das Bruchstück eines Steingerätes, an einer Seite mit dicht anein-
ander laufenden parallelen Furchen versehen.
Ein rhombischer, glatter Werkstein, 10*6 Cm. lang, 5*5 Cm. breit.
Eine trapezförmig geschliffene Axt aus weisslichem Stein, 8 Cm. lang,
o'4 Cm. breit. In Folge starken Gebrauches sind an beiden Seiten grössere
Späne abgesprungen, doch ist die Schneide ganz unversehrt. Als bereits sehr
abgenützt und ungeeignet, verwendete man dieselbe zum Beiben von roter
Farbe, welche auch noch dick daran klebt.
Ein an der Bohrstelle gebrochenes Steinbeil, von welchem beiderseits
Späne abgesprungen sind, auch dieses zeigt an einer Fläche Spuren roter
Farbe.
Ein cylinderförmiger schmaler und langer geschliffener Steinhanmier,
an dem dünnen Bohrloche gebrochen. Er ist bis zur Bohrstelle 7 Cm. lang
und 2 Cm. dick.
Einbimförmiger, schwärzlicher, gutgebrannter Spindelknopf aus Thon,
3 Cm. hoch. Derselbe ist mit horizontalen und verticalen Kratzlinien
verziert.
Ein gut gebrannter massiver Schürhaken aus sandigem Thon, 6*6 Cm.
breit. (Vgl. XXVn. 199 a. b.)
Ein gebranntes Thonstück, welches die Seitenwand eines sogenannten
«Mondbildes» war. Am oberen glatten Teile hatte man mit dem Finger
spiralförmige Verzierungen eingedrückt und geglättet Deutliche Spuren
einer weissen Masse überzog die ganze Oberfläche dieses Thonstückes.
Das Bruchstück eines glänzend schwarzen doppelbauchigen Grefässes;
die oberste feine Thonschichte blättert sich ab. Sie ist so glatt und schwarz
glänzend, dass man sie sehr leicht mit einem Graphit-Ueberzug ver-
wechselt.
Ein sehr hübsches, ganz unversehrtes, rotgebranntes starkes Geiäss-
chen, 5 Cm. hoch und ebenso breit. Der Boden desselben ist rund und die
Mündung hat 2'5 Cm. Durchmesser, unter dem Bande ist es an zwei ent-
gegengesetzten Stellen zimi Befestigen des Deckels durchbohrt.
Eine 17 Cm. lange, am dicken Ende 1*5 Cm. breite geschliffene Bein-
pfrieme, nur an einem Ende zugespitzt.
Ein aus dem äusseren harten Teile des Hirschgeweihes geschnitztes
und geschliffenes Messer und ein Tierknochen, welcher an einem Ende
schief abgeschliffen ist.
Ein 1 1 Cm. hohes, sehr dickwandiges Gefäss. Der dicke Henkelansatz
ist wagrecht durchlocht. Der Band hat schiefe Kratzlinien.
Ein anderes, kleines, 6 Cm. hohes Gefäss, dessen knapp am Bande
sitzender Buckelansatz senkrecht durchbohrt ist.
Ein kleines kugelförmiges Gefäss aus sehr grobem Thon, an zwei ent-
234. gegengesetzten Stellen mit senkrecht durchbohrten Ansätzen zur Befesti-
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DAB PRAHISTOBIBCHE BCHANZWERK VON LBNGTEL.
483
gung des Deckels versehen. Dasselbe ist 5 Cm. hoch, und hat 7 Cm. Durch- xm.
messer. Unmittelbar daneben lag ein kleiner Deckel, der sicherlich dazu ^^^'
gehörte, da er vollkommen darauf passte. Letzterer ist an zwei entgegen-
gesetzten Stellen durchbohrt, und hat in der Mitte einen senkrechten 1 '5 Cm.
hohen Dom, um welchen als Verzierung einige unregelmässige Kreise
laufen. — Eine rotgebrannte, unversehrte Schüssel aus grobem Thon.
Dieselbe hat 10 Cm. Höhe und oben 15 Cm. Durchmesser.
Sechs gut gebrannte Thonpyramiden, von welchen nur eine am
oberen Teile die schiefe Ereuzvertiefung hat.
Zwei schwärzUche, glänzend polirte Wirtl und ein Graphitstück.
Ein 24 Cm. langer, 17 Cm. breiter Stein, oben glatt, unten convex;
ein eiförmiger Mahlstein, 8 Cm. breit, 13 Cm. lang; eine geschliffene dünne
Sandsteinplatte. — Das Bruchstück eines hohen, pilzförmigen Bohren-
Gefässes, sowie viele Thonscherben und Knochenabfälle.
Nr. 90. Kreisförmiger Wohnraum, 269 Cm. tief, 310 Cm. lang und
300 Gm. breit. Darin befanden sich Unmassen von Asche, Thonscherben
und Knochenabfällen, und zwischen diesen :
Siebzehn grosse Jaspis-Nuclei, von welchen man Späne gespalten
hatte ; 28 regelmässige und schöne Stein-Messer, von denen einige mit
einer dicken Pechschichte überzogen sind, mit welchem sie an den Stiel
befestigt waren. An diesen Exemplaren sah ich, dass ein grösserer Teil des
Messers in den Stiel gepasst war, wodurch es darin fester hielt und die
Klinge dem Brechen beim Gebrauch nicht so sehr ausgesetzt war ; einige
waren selbst bis zur Hälfte in den Stiel befestigt.
Vierzig Stück Jaspisabfölle, welche von der Verfertigung der Messer
herrühren. — Acht Stück oben sehr regelmässig gekerbte Schaber, einige
hie von sind an beiden Enden zu gebrauchen, oder um die Hand vor Ver-
wundung durch die spitzen Bruchstellen zu schützen.
Zwölf Stück gut gebrannte Wirtl diverser Form und Grösse, von denen
einige mit tiefen Furchen verziert sind.
Sieben Stück sehr regelmässige, schmale, schwarze Obsidian-Messer,
welche so dünn geschnitten sind, dass ihre Schärfe fast jener eines Basir-
messers gleichkommt.
Drei schwarze Obsidianabfälle, welche die Bänderteile der Steine
bildeten, da sie auf einer Seite eine ganz rauhe Oberfläche haben.
Neun Stück polirte Beinpfriemen, von welchen einige an beiden
Enden sehr spitz zugeschliffen sind. Das eine 8 Cm. lange Exemplar bildet
an einem Ende eine sehr spitzige Pfrieme, am andern dagegen einen 1 Cm.
breiten Meissel.
Ein Hirschgeweih, an der Basis der Böse ziemlich glatt abgesägt.
Ein rechteckiges, ziemlich glatt polirtes Steinwerkzeug, 14 Cm. lang,
7 Cm. breit. Ein Stück Sandstein, auf einer Seite convex geschliffen.
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4^ J>A8 PRÄHISTORISCHE SCHANZWERK VON LENGTEL.
Ein flacher, halbkreisförmig geschliffener Stein, 14 Cm. breit, am
Bande rundherum mit kleinen Vertiefungen versehen, was darauf schliessen
lässt, dass er als Senkel gedient haben dürfte.
Sieben Stück Thonpyramiden diverser Grösse, von denen die meisten
XXXL oben mit dem schiefen Kreuze geziert sind. Die eine ist aufiEallenderweise
' oben schwarz gebrannt, während die Basis rot ist. Das eine, mit dem
schiefen Kreuze gezierte Exemplar ist nicht, wie sonst an einer Seite, son-
dern an beiden Seiten durchlocht. Es ist jedoch ausgeschlossen, dass das
vertiefte Kreuz von den Eindrücken der kreuzweise gebundenen Fäden
herrühre, da sich das Bohrloch in der Mitte der Seitenteile befindet, wäh-
rend die Linien des schiefen Kreuzes die Ecken miteinander verbinden.
Ein 4 Cm. langer, 2 Cm. breiter, weicher Sandstein, an dessen einer
Seite eine muldenartige Vertiefung, an der anderen aber ein schiefes Kreuz
sichtbar ist.
XXXI. Das Bruchstück eines homartigen Gefässes, an einer Seite mit einem
^^^' kleinen durchbohrten Knoten versehen. Dasselbe ist aus sehr grobem,
weisskömigem Thon, und dessen Wand 1 Cm. stark.
Das Bruchstück einer grösseren Süsswassermuschel und ein Eber-
hauer. — Ein kleiner Löffel aus Thon.
jjji^ Ein sehr hübsches, bauchiges, mit Kreideeinlage verziertes, unver-
238. sehrtes Gefäss, von welchem nur der weite Band abgebrochen ist. Es hat
dieselbe Form, wie die meisten dünnwandigen, kreideverzierten Gefässe.
Die Verzierung besteht wie gewöhnlich aus W-Figuren und breiten weissen
Bändern. — Eine massive, gut gebrannte Thonkugel von 3 Cm. Durchmesser.
Ein 5 Cm. breites, auf einer Seite convex geschliffenes Steinwerkzeug.
Das Bruchstück eines pilzförmigen Böhren-G^fässes, welches am
Oberteile der Bohre und am Boden der Schüssel starke Brandspuren zeigt
Die Bohre ist 7*5 Cm. breit.
^^^' Ein hartgebranntes, einen menschlichen Fuss darstellendes Gebilde
aus Thon mit gebogenem Knie und am Oberschenkel gebrochen. Er ist von
der Sohle bis zum Knie 6'5 Cm. hoch, der Vorderfuss 2*5 Cm. lang. Der
Unterschenkel ist etwas über 1 Cm., der Oberschenkel dagegen 2 Cm. dick.
Wahrscheinlich diente derselbe als Fuss eines Gefässes, nicht aber eines
Gtitzenbildes, da wir Götzenbilder überhaupt noch nicht fanden, während
Nachbildungen des menschlichen Fusses schon mehrfach vorkamen.
Mob. Wosinsky.*
* Hier brechen wir die weitere Mittheilung dieser umfassenden Studie ab, da
dieselbe inzwischen als selbständiges Werk im Verlage von Friedrich Kilian in Budapest
erschienen ist. D. Red.
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KUBZE 8ITZtJKC»6BERICHTE. ^^
KÜRZE SnZUNGSBERICHTE.
Akademie der Wissenschaften. In der Plenarsitzung am 23. März las
das correspondirende Mitglied Josef Hampel eine Denkrede auf das ordentliche
Mitglied Florian Romer. Denkredner war als vieljähriger Schüler und Mitarbeiter
des (Gefeierten besonders berufen, dessen unermüdliche und erfolgreiche bahn-
brechende Thätigkeit in allen Zweigen der vaterländischen archäologischen Wis-
senschaft zu schildern und er that dies in einer schön gearbeiteten und schön vor-
getragenen umfangreichen Bede in lebendig veranschaulichender, fesselnder
Weise. Er schilderte Bömer's Studiengang, sein vorwiegend den naturhistorischen
Disciplinen gewidmetes, anregendes Wirken als Professor in Baab und Pressburg,
sein an letzterem Orte als Privatlehrer der Naturgeschichte beim Erzherzog Josef
beginnendes Yerhältniss zu diesem, seine Teilnahme am Freiheitskampfe 1848/49
und dessen Folgeleiden, sein 1858 wieder aufgenommenes Wirken als Professor in
Baab, wo er durch Ipolyi auf das archäologische Studium gelenkt wurde, dem er
fortan, anfangs vereint mit dem Naturstndium, später ausschliesslich oblag, seine
naturhistorisch-archäologischen Streifzüge ; wie er, sich selbst für Alles interessi-
rend und das Interesse weiterer Kreise weckend, immer mehr Zweige der archäolo-
gischen Forschung in den Bereich seiner Thätigkeit zog, deren Ergebnisse er in
seiner Schrift über den Bakony und in t archäologischen Briefen • niederlegt; sein
Wirken als Archivar der Akademie, von 1862 an als Director des katholischen
Obergymnasiums, in den Wanderversammlungen der Aerzte und Naturforscher,
als Mitglied der archäologischen Commission, seine Studien über die Beste der
Corvina-Bibliothek, seinen «Archäologischen Wegweiser • und Jahre hindurch fast
von ihm allein geschriebenen «Archäologischen Anzeigen , sein eifriges Wirken als
Dozent, ausserordentlicher und ordentlicher Professor der Archäologie an der
Universität, als Vertreter Ungarns für Archäologie auf der Pariser Weltausstellung
1878, dann als Custos der archäologischen Section des Nationalmuseums, als
Sammler und Anreger von Sammlungen, seine Beisen und Grabungen in verschie-
denen Landesteilen, die Schaffung von Provinzialvereinen und Provinzial-Museen,
die Entwicklung der ungarischen Hausindustrie und ihre Bepräsentation auf der
Wiener Weltausstellung, die von ihm zusammengebrachte imd beschriebene reiche
Sammlung pannonischer epigraphischer Denkmäler, seine monographischen Arbei-
ten über unsere Eunstdenkmäler, Eirchenbauten, Wandmalereien, Goldschmiede-
kunst, Siegel, Wappen, Münzen, Glocken, seine «Ungarische Bücher-Bevuei, seine
Verdienste um die Zustandebringung und Leitung des 1876 in Budapest tagenden
internationalen prähistorischen Congresses, sein «Compte rendui über denselben,
seine Anregungen zum Studium der Geschichte der Gewerbe. Seine Werke sind
unvollendete Torsos geblieben, aber Niemand hat als Anreger, Wegweiser, Samm-
ler auf allen Gebieten des vaterländischen archäologischen Studiums mehr gethan,
als er, und er hat dadurch mehr genützt, als wenn er seine Kraft einseitig auf einen
Zweig concentrirt hätte. Die Denkrede schloss mit einer Charakteristik des lieb-
reichen Mannes, edlen Freundes und trefflichen Patrioten.
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486 EÜBZE SnZUKOBBEBIOHTB.
Hierauf las das Ehrenmitglied Anton Zichy, welcher mit Josef L^vay und
Albert Lehr die Jury für die diesjährige Concurrenz um den Farkas-Baskö-Preis
für ein patriotisches Gedicht bildete, sein kurzes Referat über dieselbe vor. Unter
den 33 Concurrenzstücken fanden die Preisrichter kaum vier, die sie einiger Beach-
tung wert fanden. Diejenigen zwei, welche noch am meisten poetische Eigen-
schaften zeigen, — das eine enthält eine Verherrlichung der drei Dichter Arany,
Petofi und Tompa, das andere eine Verherrlichung der Toldi-Trilogie Arany's, —
haben mit der Preisaufgabe nur sehr geringen Zusammenhang, zwei andere — «Die
Kurutzen» und «Die Hunyadi» — welche dieser etwas näher liegen, entsprechen
wieder weniger den Anfordenmgen an ein Gedicht. Da somit keines derselben der
Preiskrönung würdig erscheint, stimmen die Preisrichter für die Nichtausfolgung
des Preises. Das Plenum schloss sich diesem Urteil an und die Devisenbriefe mit
den Verfassemamen wurden den Flammen übergeben.
Hierauf folgten die laufenden Angelegenheiten. Der Generalsecretär Kolo-
man Szily meldete den am 3. März erfolgten Tod des ordentlichen Mitgliedes Eugen
Jendrässik, dem er einen warmen Nachruf widmet und über den die dritte Glasse
eine Denkrede halten wird. Dann meldete der Präsident der ersten Classe Paul
Hunfalvy den am 7. März erfolgten Tod des auswärtigen Mitgliedes IBranz Miklo-
49ich und betonte in dem demselben gewidmeten Nachruf den engen Zusammenhang
mehrerer seiner Werke mit der ungarischen Wissenschaft. Die erste Classe wird für
die Denkrede auf den ausgezeichneten Sprachforscher sorgen.
Sodann machte der Generalsecretär folgende Mitteilungen : Der Unterrichts-
minister bewilligte 1000 fl. Reisestipendium für Dr. Rudolf Väri zum Zwecke der
Vorbereitung einer kritischen Ausgabe der Werke der Kaiser Leo und Constanti-
nus Porphyrogeneta. — Derselbe Minister teilt auszugsweise den Bericht des
l. u. k. Consuls in Odessa über die im Auftitige des russischen Marineministeriums
vom 27. Juni bis 27. Juli im Schwarzen Meere ausgeführten Tiefenmessungen mit.
Wird der dritten Classe zugewiesen. — Der Ackerbauminister ladet als Präses der
ornithologischen Gongress-Commission die Akademie zu dem am 17. Mai in Buda-
pest tagenden zweiten internationalen Ornitbologencongress ein. Wird der dritten
Classe zugewiesen. Ferner wird die Academie zu dem vom 10. bis 17. August in
London tagenden siebenten internationalen Congress für Hygiene imd Demo-
graphie und zu dem im Monat September in London tagenden neunten interna-
tionalen OrientaUstencongress eingeladen. Wird der zweiten, respective eriten
Glasse zugewiesen.
Hierauf legte das in Angelegenheit der Sigmund Brödy- Stiftung entsendete
€omit6 die vom Stifter genehmigte Textirung des auf die Stiftung bezüglichen
Statuts vor. Dieselbe lautet : Sigmund Brödy hat in seinem vom 14. November
1890 datirten Stiftungsbrief 20,000 fl. in fünfpercentiger ungarischer Papier-Rente
der Akademie zu dem Behufe zur Verfügung gestellt, damit die Zinsen dieses
Betrages alle drei Jahre als publicistischer Preis ausgefolgt werden. Bei der Stif-
tung dieses Preises hielt der Stifter die wichtigen Dienste vor Augen, welche die
Publicistik in kritischen Zeiten den nationalen Literessen geleistet hat, sowie er
auch auf die grossen nationalen und culturellen Interessen Rücksicht nahm, deren
treue Befolgung den gegenwärtigen und zukünftigen Beruf der Publicistik bildet
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KURZE SITZÜNG8BBRICHTE. ^7
Demzufolge schreibt die Akademie alle drei Jahre einen 9000 fl. betragenden Preis
ans, welcher zum ersten Male 1894 in der feierlichen Jahresversammlung auszufol-
gen sein wird. Die Bedingungen der Prämiirung werden in Folgendem festgestellt:
1. Der publicistische Preis ist von 1894 angefangen alle drei Jahre unbedingt aus-
zufolgen. 2. Der Goncurrenzpreis gebührt denjenigen Zweigen der socialen Wissen-
schaften, welche in den Kreis der tStaatswissenschaften und ihrer Geschichtet,
des cintemationalen Bechtesi und des t Staatsrechtest gehören, mit Ausschluss
der Statistik und Ethnographie, des Privatrechts und Kirchenrechts, der Geschichte
der Bechtswissenschaft und der vergleichenden Bechtswissenschaft Das prämiirte
Werk verbleibt Eigentum des Autors. Der publicistische Preis wird auf Vorschlag
einer von der 11. und I. Glasse der Academie entsendeten Commission durch die
Jahresversammlung zugeurteilt. Präses der Commission ist der Präsident der 11.
Olasse, oder falls derselbe verhindert wäre, ein hiezu erwähltes Ehrenmitglied ; von
den Mitgliedern der Commission werden zwei von der II., zwei von der I. Glasse
erwählt. 3 Der Preis ist in erster Linie zu verwenden : a) Zur Prämiirung eines
solchen publicistischen Werkes (Buch, Broschüre, Essay, Artikelserie), welches im
Laufe der letzten drei Jahre im Druck erschienen ist. Zu diesem Behufs richtet in
der vorhergehenden Jahresversammlung die Akademie an all Diejenigen, von
denen im Laufe der letzten drei Jahre ein einschlägiges Werk erschienen ist, die
Aufforderung, dasselbe bis zum Jahresschlüsse dem Gtoneralsecretär der Akademie
einzusenden. Durch diese Aufforderung erscheint es jedoch keineswegs ausge-
schlossen, dass ein nicht eingesendetes Werk, von dem die Mitglieder Kenntniss
haben, nicht mitconcurriren dürfe. Der Preis kann auch einem anonym erschiene-
nen Werke zugesprochen werden ; in diesem Falle hat der Verfasser, wenn er den
Preis beheben will, seine Autorschaft nachzuweisen, bj In Ermangelung eines der-
artigen Werkes ist der Preis zur Belohnung der allgemeinen journalistischen Thä-
tigkeit eines solchen Publicisten zu verwenden, dessen ganzes Wirken als des
Preises würdig befunden wird. Ein und derselbe Schrifsteller kann für seine allge-
meine journalistische Thätigkeit innerhalb zehn Jahre nicht zweimal prämiirt
werden ; einzelne Werke hingegen können prämiirt werden ohne Rücksicht darauf,
ob ihr Verfasser den Preis schon einmal gewonnen habe oder nicht.
Zum Schluss legt der Generalseoretär die Tagesordnung der diesjährigen (51.)
Generalversammlung der Akademie vor. Dieselbe beginnt am 5. Mai (Dienstag)
mit den Classenconferenzen, worauf am 6. Mai die erste Plenarsitzung (Preis-
zuerkennung), am 7. Mai die Directionsrats-Sitzung, am 8. Mai die zweite Plenar-
sitzung (Mitgliederwahl) und am 10. Mai die Festsitzung stattfindet.
— In der Sitzung der ersten Glasse am 6. April las das correspondirende
Mitglied Sigmund Simonyi Ueber die ungarische Rechtschreibung. Vortragender
beantragt die Bevision der akademischen tBechtschreibungt, beziehungsweise die
Vereinfachung einiger Begeln derselben. Er empfiehlt namentlich : 1. die Annahme
des einfachen Zeichens c statt des zusammengesetzten cz ; 2. die gleichmässige
Schreibung der doppelten Consonanten in allen Fällen, also z. B. nicht iszsza,
sondern issza (sowie vissza)^ nicht aranynyai, sondern arannyal (sowie annyi)
u. s. w. ; 3. die ungarische Transscription der fremden Wörter mit Ausnahme der
auf Fachwerke beschränkten ; 4. das Schreiben der B^ativa ofct, ami, amdy, ahd
u. 8. w. als ein Wort, indem dieselben heute ebenso einheitlich sind wie die fran-
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^88 KUBZB SrrZTTNGSBERICHTE.
zösischen lequel, laquelle n. s. w. Endlieh empfiehlt er die Weglassimg jener Begeln,
welche nicht die Bechtschreibang, sondern die richtige Aussprache betreffen, wie
z. B. die Unterscheidung von/öZ und /rf, jok.jök xmäjuk^jük u. dgl. — Der Vor-
schlag des Vortragenden wird auf Antrag P. Gyulai's den herkömmlichen Weg
durch die sprachwissenschafthche Commission, die Glassenoonferenz, die Classen-
Sitzung und die Plenarsitzung machen.
Hierauf hielt das correspondirende Mitglied B^la Majlit einen Vortrag
Ueber die Bibliothek des Dickters Grafen Nicolaus Zrinyu Vortragender erneuert
in einer längeren Einleitung das Andenken des epochalen Dichters, genialen kriegs-
wissenschaftlichen Schriftstellers und Feldherm und geht dann zur Betrachtung
der «geistigen Nahrung dieses grossen Geistes», seiner einst in Cs4ktomya auf -
bewahrten und nach dem im Jahre 1662 verfertigten Catalog aus 404 Druckwerken
und 16 Handschriften bestandenen Bibliothek über, welche nach dem Tode des
einzigen erwachsenen Sohnes des Dichters, Adam Zrinyi, des letzten männlichen
Sprossen der Familie, im Wege der weibUchen Descendenz an die gräfliche Familie
Daun gelangte und im Daun'schen Schlosse zu Vöttau aufbewahrt wurde, wo sie
nach einem 1880 angefertigten Catalog damals nur 202 Druckwerke und 5 Hand-
schriften umfaa'^te, und von woher sie jüngst, bevor die berufenen ungarischen
Factoren von der FeUbietung Kunde erhielten, in den Besitz eines Wiener Anti-
quars kam, der das Wertvollste weiter verkaufte. Vortragender bedauert, dass es
trotz der von unserem Unterrichtsministerium und der Direction des National-
museums gemachten splendiden Anbote, in Folge nicht näher angedeuteter Hin-
demisse, nicht möglich gewesen ist, diesen vor Allen für ims wertvollen Nachlass
unseres grossen Dichters und Helden für unser Land zu erwerben. Hierauf
bespricht er, nach bibliographischen Gruppen, den Bestand der BibUothek, welcher
bezüglich des Eigentümers derselben Zeugniss ablegt von dessen altclassischer
Bildung, dessen ausgedehnten historischen (164 historische Werke) und kriegs-
wissenschaftlichen Studien, dessen Pflege der classischen römischen und modernen
romanischen poetischen Literaturen und dessen Kenntniss von sechs Sprachen
(ausser dem Ungarischen), nämlich : lateinisch, italienisch, spanisch, französisch,
deutsch und kroatisch. Homer las er in lateinischer Uebersetzung, Tasso, dessen
Einfluss auf seine Zrinyiade von Toldy u. A. behauptet wurde, fehlt anfallender-
weise in der Bibhothek, dagegen ist Ariosto, dessen Einfluss auf Zrinyi*s Dichtung
Arany hervorhob, vorhanden. Schätzbarer als die Druckwerke findet Vortragender
4 Handschriften, welche er ausführhcher bespricht Es sind dies: 1. ein Kochbuch;
2. ein Tractat vom MiUtär ; 3. eine ungarische poetische Bearbeitung der Ghariklia
des HeUodorus, welche im Manuscript dem Dichter Stefan Gyöngyösi zur Ver-
fügung stand und von diesem bei seiner Bearbeitung des griechischen Bomans
benützt wurde ; endlich 4. eine 14 Strophen umfassende schöne Elegie auf den Tod
eines im zarten Alter gestorbenen zweiten Sohnes des Dichters, welche bisher ganz
unbekannt war.
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LT, JAHRESVERSAMMLUNG DER UNGARISCHEN AKADEMIE
DER WISSENSCHAFTEN AM 10. MAI 189L
I.
Eröffnungsrede des Präsidenten B. Roland Eötvös.
Geehrte Versammlung !
Die feierliche Jahressitzung der Akademie ist immer mehr weniger
ein nationaler Festtag der Ungarn gewesen.
Es war eine Zeit, wo inmitten der nationalen Zertrümmerung einzig
und allein die Tribüne der Akademie aufrecht stand, von welcher die unga-
rische Rede freier erklingen durfte. Damals lauschte die ganze Nation hie-
her. Sie erwartete ja von hier Trost, Stärkung des Glaubens, Belebung der
HoflFnung.
In neuerer Zeit scheint das Interesse für unsere Feier abzunehmen,
wiewohl wir nicht schlechter geworden sind, und ich glaube nicht, dass die
Nation in ihren besseren Tagen gleichgiltiger geworden sei. Wir suchen die
Ursache auch nicht in unseren Fehlem, sondern erkennen dieselbe in der
unzweifelhaft von Fortschritt zeugenden Thatsache, dass in unseren Tagen
die politische Bedeutsamkeit der Akademie eine geringere, ihre wissen-
schaftliche Aufgabe dagegen eine grössere geworden ist.
Wir leben friedliche Zeiten. Diejenigen, die im Kampfe Schulter an
Schulter fest zusammen gestanden, haben sich auf ihre eigenen Wirkungs-
kreise zurückgezogen. Und dies ist so recht. Denn gleichwie der Kampf nur
dann zum Siege führen kann, wenn wir alle vereint in die Schlacht ziehen,
so kann die friedliche Arbeit nur dann Früchte tragen, wenn wir alle ein-
zeln arbeiten. In der fieihe der arbeitenden Söhne der Nation kann heute
auch die Akademie ungestört ihre eigene Arbeit verrichten. Deswegen wun-
dem wir uns nicht, dass ihre wissönschaftliche Beschäftigung heute das
Feuer der patriotischen Begeisterung nicht so unmittelbar anfacht, wie in
jener Zeit, wo jede ihrer Lebensäusserungen eine politische Bedeutsam-
keit hatte.
UngMriich« Revne XI. 1S91. VI— VII. Heft. 31^
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•tÖO LI. JAHRESVERSAMMLUNG DER UNGARISCHEN
Wiewohl aber die ArbeitsteiluDg verlangt» dass wir uns in gesonderte
Gruppen scbaaren, müssen wir doch einig und vereint empfinden, wenn
wir der Freude der Nation oder des Schmerzes der Nation gedenken. Darum,
ich weiss es, ist heute jeder Ungar mit uns, da wir diese feierliche Sitzung
dem Andenken des Grafen Julius Andrässy weihen.
Die Akademie kann darauf stolz sein, dass ihr diese Aufgabe zufiel
Sie kann stolz darauf sein, dass Graf Julius Andrässj ein Akademiker —
ich muss mehr sagen — dass er ein ungarischer Akademiker gewesen,
«ungarischer Akademiker.» Diese Bezeichnung drückt besser, als lange
Erörterungen, aus, was er in unserem Kreise gewesen, und sie drückt
zugleich das aus, was wir selbst sind. Sein Andenken wird unsere Akade-
miker immer daran erinnern, dass sie ungarische Akademiker sein soUen.
Es wird sie aber auch daran mahnen, dass das echte Ungartum, gleichwie
sein Ungartum, nicht darin bestehe, dass wir, uns von der grossen Welt
abschliessend und alle unsere Sehritte nur mit unserem Maasse messend,
uns vor uns selbst erheben, sondern vielmehr darin, dass wir mit aller
unserer Kraft dahin trachten, in die Beihe der gebildeten Nationen tretend,
unseren Platz unter ihnen mit Ehren auszufüllen.
Darum müssen in der Stunde, wo unser dazu berufener Bedner sagen
wird, was Graf Andrässy für die ungarische Nation im Ungarlande und was
er für sie im Auslande getan hat, auch wür dieser miserer doppelten Aufgabe
gedenken. Denn unter allen nationalen Anstalten ist gerade die Akademie
durch die Eigenart ihrer Thätigkeit am meisten dazu berufen, daheim sowie
draussen der ungarischen Nation Ehre zu machen.
Das Andenken grosser Männer lebt nicht allein in ihren eigenen
Schöpfungen fort, sondern auch in jenem aneifemden Beispiele, mit
welchem sie die Nachkommen zu neueren Schöpfungen oder wenigstens
zur treuen Erfüllung ihrer Pflicht anspornen. An dem Tage, wo wir das
Andenken des Grafen Julius Andrässy feiern, möge es auch mir erlaubt
sein, mit einigen Worten zu sagen, wie ich meine Pflicht an dieser Stelle
auffasse.
Als auf den Präsidentensitz, auf welchem wir Alle so gern eben den
Grafen Julius Andrässy gesehen hätten und noch sehen möchten, das Ver-
trauen der Akademie mich erhob, schrieben manche dieser Wahl eine gewisse
principielle Bedeutung zu.
Es war in der That überraschend und neu, als auf jene hohe Stelle,
welche bisher die Grossen unseres Vaterlandes, seine im öffentlichen Leben
hochverdienten Männer eingenommen hatten, ein bescheidener Professor
gesetzt wurde, der bisher so ziemlich nur im Kreise seiner Zuhörer gelebt
und für eine politische Bolle nicht einmal eine Ambition besessen hatte.
Mit Becht erwartete Jedermann, dass ich mich dieser grossen Auszeichnung
durch Thaten würdig erweisen werde, und darum erwarteten Manche mit
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AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 4?91
Ungeduld die Beformen, mit welchen der neue Präsident der nach ihrer
Ansicht veralteten Institution neues Leben einflössen wird.
Sie haben sich geirrt. Denn ich bin nicht der Ansicht, dass die Initii-
rung von Beformen eben die Aufgabe des Präsidenten sei, und ich hege die
Ueberzeugung, dass auf dem Gebiete der Literatur und Wissenschaft die
ungestörte, stetige Arbeit eine grössere That sei, als das, was man heutzu-
tage bei uns in der Begel Beform nenni
In früherer Zeit hat das Wort Beform etwas Grosses bedeutet, einen
grossen, ausserordentlichen Fortschritt der Menschheit oder einzelner Natio-
nen, welchen mehr weniger immer der Zwang der unhaltbaren Zustände
herbeiführte und welcher der Bethätigung bisher gefesselter Kräfte freien
Baum schuf.
Heute wenden wir dieses grosse Wort auch auf sehr kleine Dinge an.
Wir nennen oft Beform, was keine Neugestaltung, sondern höchstens eine
Aenderung ist. Wir suchen das Uebel, welches aus unserm Mangel an
Arbeitskraft oder Arbeitslust entspringt, oft in der Fehlerhaftigkeit der
Formen und Begeln, erdenken statt derselben neue und bleiben bei den
neuen Formen und Begeln die Alten. Damit schaffen wir oft mehr Schaden,
als Nutzen. Dend wenn die neue Begel auch an und für sich nicht schäd-
lich ist, kann sie doch viel schaden, weil die Begelmacherei und die damit
verbundene Aufregung viel nützliche Arbeitskraft vergeudet.
Derjenige fasst die Aufgabe unserer Akademie nicht richtig auf, der
um jeden Preis ihre Beform fordert. Denn während die Akademie einerseits
von dem ihr durch ihre grosse Aufgabe — die Pflege und Verbreitung der
Literatur und Wissenschaft in ungarischer Sprache — vorgezeichneten
Wege nicht um eines Haares Breite abweichen darf, würde es andererseits
ihrer nicht würdig sein, den etwa notwendig scheinenden Abänderungen
ihrer Begeln die Bedeutung von Beformen zuzuschreiben. Ein gutes Buch,
welches sie herausgibt, eine wissenschaftliche Wahrheit, deren Aufhellung
sie fördert, ist ein bedeutenderes Ereigniss in ihrer Geschichte, als eine
noch so scharfsinnig ausgeklügelte Umgestaltung ihrer Organisation.
Es gibt indessen neben der Beformthätigkeit eine andere Art der
Thätigkeit, welche zwar viel schwerer ist, aber viel sicherer zu Besultaten
führt. Dies ist die stille, stetige Beschäftigung, welche unser grosser
Stifter uns zur Aufgabe machte, als er in seinem Stiftungsbriefe also
«chrieb :
fleh bedinge namentlich aus, dass diese selbstständig dastehende,
durch sich selbst zu regierende, rein wissenschaftUche Anstalt nie mit
irgend welchen anderen Anstalten verbunden werde, sondern ihre unschul-
digen wissenschaftlichen Beschäftigungen zum vereinten Wohle meines
Königs und Vaterlandes, und nur zu diesem, für sich still zu treiben
vermöge.»
31*
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^92 LI. JAHRESVERSAMMLUNG DER UNGARISCHEN
Ich mtiss mich auf Szeohenyi's Autorität berufen, indem ich dem
stillen Betriebe unserer Arbeit das Wort rede. Denn bei uns wird dies in
der Begel als Stillstand verspottet und die stille Arbeit wenig geachtet.
Und doch hängt von dem mannhaft ausdauernden Fleisse dieser stillen
Arbeiten die Bildung, der Beichtum und durch diese grossenteils auch die
Macht einer Nation ab. Wie hat stille^ ausdauernde Arbeit, um anderer gar
nicht zu gedenken, unsere deutschen Nachbarn gross gemacht !
Doch ich habe mein Beispiel vielleicht schlecht gewählt. Man könnte
mir sagen : die ungarische Akademie ist nicht dazu da, die Ungarn nach
dem Muster der deutschen Professoren zu modeln. Ich gestehe das zu, aber
sowie es unzweifelhaft ist, dass unsere Akademie gegen ihre eigene Existenz-
berechtigung anstürmen würde, wenn sie die Sicherung und Hebung unserer
Nationalität nicht als ihre Hauptaufgabe ansehen wollte, ebenso ist es auch
gewiss, dass sie diese ihre Aufgabe nicht durch momentane Aufwallungen,
nicht durch Ungeduld und Uebertreibungen, sondern, wie Szechenyi gesagt,
nur «Schritt um Schritt thuend, Sandkorn zu Sandkorn tragend, Tropfen
zu Tropfen träufelnd wird erfüllen können. >»
Ich habe von unserer nationalen Aufgabe gesprochen. Und wer von
unserer Akademie redet, darf diese auch nicht mit Stillschweigen übergehen.
Denn sie ist das höchste treibende Motiv unserer Thätigkeit immer gewesen
und wird es immer sein. Und dennoch trifft uns gerade in Bezug auf sie am
öftesten der Vorwurf der Lauheit.
Wir dürfen aber diesem Vorwurf ruhig entgegentreten. Denselben
können nur Diejenigen erhalten, welche die ausdauernde stille Arbeit nicht
zu schätzen wissen.
Wir können für die Sicherung unserer Nationalität auf zweierlei Weise
kämpfen. Die eine ist die, dass wir die in unserer Hand l)efindlicbe Macht
benützend, das Ungartum überall und um jeden Preis ausbreiten und so
unsere Zahl scheinbar vermehren. Die andere ist die, dass wir, unsere
Sprache cultivirend, unsere Wissenschaft fördernd, unsere Industrie ent-
wickelnd, uns zu jener geistigen Superiorität emporschwingen, welche uns
inmitten anderer Nationalitäten die Führerrolle sichern soll. Die Ungarische
Akademie der Wissenschaften hat diese zweite Kampfweise gewählt Auch
ihre Waffen sind nur für diese geeignet, und auch darin, wie in allem Andern,
folgt sie der Mahnung ihres grossen Stifters.
«Durch Superiorität und durch nichts Anderes können wir unsere
Bace vor dem Untergange bewahren und uns zu einer grossen, mächtigen,
herrlichen Nation erheben.» So hat er zu uns gesprochen und dann hinzu-
gefügt : «Ich glaube wohl, dass es leichter und unvergleichüch bequemer
und mit weit weniger Mühe und Präliminarien verbunden sein würde, wenn
jeder Bewohner dieses Landes so quia sie volo sie jubeo augenblicklich ein
Ungar würde oder es schon geworden wäre, weil er neben drei, vier anderen
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AKADEMIE DER WISÖENSCHAFTEN. *93
Sprachen auch noch ungarisch reden kann. So bequem geht aber die Sache
nichi Denn gleichwie in einem einzigen ausgebildeten Menschengehirn
mehr Anziehungs- und Assimilationskraft vorhanden ist, als in tausend
leeren oder confusen Köpfen, ebenso kann auch Nationalität nur durch
Siiperiorität und durch nichts Anderes verbreitet werden. Denn, Gott sei
Dank, auf diesem Erdball, wo jeder nach dem Besseren strebende Mensch,
welcher darum, weil er das eigene Blut liebt, die Bace des Anderen nicht
verachtet, nicht nur das Interesse seiner Bace, sondern dasjenige seines
ganzen Geschlechts am Herzen zu tragen verpflichtet ist, — auf diesem
Erdball, sage ich, geht nicht der Bessere in dem Niedrigen, sondern umge-
kehrt und allen Bänken zum Trotz der Niedrige in dem Besseren auf ;
«owie jedes Volk, ohne irgend eine Ausnahme, nur in sich selbst^ d. i. in
eeinen Söhnen, den Keim des Lebens und der Ehre, oder des Todes und
der Schmach tragt. »
Diesen Worten folgend, können wir unsem Weg nicht verfehlen, und
wenn auch auf demselben der ^Ijenruf seltener erklingt, als auf dem Wege
Derjenigen, welche, die Fahne des Chauvinismus schwingend, lieber nur
kämpfen, als erobern, dürfen wir darum nicht den Mut sinken lassen, denn
80 wie wir uns nicht für den Kampf eines Tages, sondern für eine viele Jahre
hindurch dauernde Thätigkeit engagirt haben, so kann auch unser Lohn
nicht ein rasch verklingendes Wort, sondern nur die bleibende Anerkennung
<ies durch langwierige Mühe erreichten Ergebnisses sein.
Bleibt aber dieses Ergebnlss nicht etwa sehr lange aus? Nein, ent-
schieden nein! Wir können auf die ersten Früchte unserer Arbeit schon
jetzt mit Stolz hinweisen, wie sehr auch an denselben jene böswillige Ver-
kleinerungssucht nagt, welche heute in der Nachbarschaft einer jeden
grossen und schönen Sache wie irgend eine Seuche ausbricht und welche
weiss Gott woher zu uns gekommen ist — denn wahrhaftig eine ungarische
Xjewohnheit ist sie nicht. Aber, Dank sei dem Himmel, diese Nation besteht
nicht blos aus Verkleinerern ; die Meisten sehen das Grosse und Schöne
ungeachtet seiner Mängel auch heute noch mit Vergnügen an. An sie, an
<l"ese echten ungarischen Patrioten wende ich mich : sie mögen über das
Ergebniss unserer Thätigkeit urteilen.
Sie werden das Grosse nicht zerstückeln und zerkleinern, um unter
den vielen Stückchen Fehler zu suchen. Es wird sie auch das Ganze inter-
essiren. Und im Hinblick darauf werden sie nicht leugnen können, dass
<lie halbhundertjährige Thätigkeit unserer Akademie an der Entwicklung
unserer nationalen Cultur einen grossen, vielleicht den grössten Anteil
gehabt hat. Es ist ein grosses Ding, eine Nation, welche eine schöne Lite-
ratur kaum, eine wissenschaftliche Literatur aber gar nicht hatte, inner-
halb einer so kurzen Zeit, wenn auch nicht mit einer vollkommenen, aber
^och schon in jedem Fache so brauchbaren Literatur zu bereichem, wie die
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^94- LI. JAHRESVERSAMMLUNG DER UNGARISCHEN
unserige ist. Und dies ist das Verdienst der Akademie. Denn wenn aucb
nicht sie jedes schönliterarische Werk preisgekrönt, nicht sie jedes gute
Bach herausgegeben hat, so hat doch sie zuerst die zerstreuten Kräfte,
welche unsere neuere Literatur begründeten, zu einem lebensfähigen Körper
vereinigt, und hat sie fortwährend das Niveau bezeichnet und höher geho-
ben, nach welchem die Arbeiter unserer Literatur streben müssen.
Es hätten auch ohne unser Mitthun genug ungarische Bücher erscheinen
können, es hätte auch die Schule allein die ungarische Sprache und in un-
garischer Sprache die für das Leben notwendigsten Kenntnisse verbreiten
können ; aber dass in diesen Büchern die Sprache sich fortwährend ent
wickelt hat, dass in diesen ungarischen Schulen das Licht der Wissenschaft
leuchtet, daran gebührt uns ein grosses Verdienst. Der Gelehrte konnte in
Ungarn nur darum ein ungarischer Gelehrter bleiben, weil er ein ungarisches
Centrum und Fonim hatte.
Ich rede nicht weiter. Wir sollen unser Verdienst nicht verkleinem
und es auch nicht vergrössem. Wir haben noch viel zu thun. Wir haben
noch mächtige Unterstützung nötig. Aber ich vertraue diy*auf, dass der
bessere Teil der Nation auch heute mit uns hält, wo wir auf unsere Fahne
statt hochtönender Phrasen blos so viel schreiben : Arbeiten wir still ! Schrei-
ten wir stetig vorwärts !
Und damit eröffne ich die 51. feierliche Jahressitzung der Akademie.
n.
Bericht des Oeneralsecretärs Eoloman y. Szily.
Geehrtes Publicum ! Vor wenigen Monaten waren es hundeii; Jahre,,
dass der erste Almanach über die Ungarische Gelehrte Gesellschaft und über
ihre Mitgliedercanditaten, aus denen sich die zu errichtende Gesellschaft
constituiren sollte, Anfang 1791 an die OeflfentUchkeit trat* Die Statuten
derselben hatten die begeisterten Führer bereits im vorangegangenen
Jahre veröffentlicht. Ihr Vorschlag wurde seitens des Reichstages günstig
aufgenommen und dieser betraute auch eine seiner Begnicolar-Deputationen,
die «deputatio literaria», mit der Ausarbeitung eines Gesetzentwurfes über
die Errichtung der Academia Scientiarum.
Alles schien darauf hinzudeuten, dass Georg Bessenyei's vor zehn
Jahren veröffentlichter «Frommer Wunsch» (Jämbor szänd6k) binnen Kur-
zem in Erfüllung gehen werde. Wer hätte es im Bausche der damaligen
allgemeinen Begeisterung glauben mögen, dass erst im Herbste jenes Jahres^
* Candidati erigendse Emditse Societatis Hungaric» . . . Janrmi, 1791.
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AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. *^5
jener Mann geboren werden sollte, welcher den nahezu schon der Vergessen-
heit anheimgefallenen alten Plan der Errichtung einer Akademie dereinst
nicht auf dem langen Wege der Beratungen, sondern mit einem raschen
Entschlüsse verwirklichen wird?
In dem vor hundert Jahren veröffentlichten Namensverzeichniss sind
sechsundvierzig Schriftsteller und Gelehrte als Mitglieder candidirt Das
Andenken eines grossen Teiles derselben cultivirt die dankbare Literatur-
geschichte noch heute mit Pietät; aber unter ihnen sind nur zwei, deren
Buhm und Glanz nicht nur nicht vom Moose der Zeiten überwuchert wurde^
sondern heute noch heller strahlt, als vor hundert Jahren. Der eine der
beiden ist der Beformator unserer Literatursprache, Franz Eazinczy, der an-^
dere der Begründer unserer historischen Sprachwissenschaft, Nikolaus B^vai.
Die Ungarische Akademie der Wissenschaften hat gleich bei ihrer
Constitnirung das System Bevai's zu dem ihrigen gemacht und die Bestre-
bungen Eazinczy's sanctionirt. Die für beide empfundene Verehrung und
Dankbarkeit ist eine teure Tradition, welche sich in unserer Akademie nun
bereits durch mehrere Generationen vererbt.
Im verflossenen Jahre erschien der L Band von Franz Kazinczy's
Correspondenz, dieser unvergleichlich reichen Dat nquelle unserer Literatur-
geschichte. Dieselbe ist das dauerndste Denkmal der Laufbahn Kazinczy^s.
An diese Correspondenz knüpfen sich grosse literarische, ja auch politische
und sociale Interessen und sie ist für die neuere Geschichte der Entwicke-
lung des ungarischen Geistes von hoher Wichtigkeit ; sie bietet die wertvoll-
sten Beiträge zur Eenntniss der ungarischen Civilisation, welche auf die
neuere Periode sowohl unserer Sprache und Literatur, als auch unserer
socialen Gultur Licht werfen, indem sie den von unseren Schriftstellern in
den letzten zwei Jahrzehnten des vorigen und den ersten drei Decennien des
jetzigen Jahrhunderts geführten Kampf enthüllen, welcher unsere Sprache,
Literatur und gesammte Bildung neugeschaffen und die Geister zur Auf-
nahme der politischen Beform, welche der literarischen Neugeburt auf dem
Fusse folgte, vorbereitet hat.
Aber unsere Genossen haben sich auch in besonderen Studien mit der
literarischen Laufbahn Eazinczy's beschäftigt. Das ordentl. Mitglied Zoltan
Beöthy hat ihn als Aesthetiker gewürdigt ; das corr. Mitgl. Sigmund Simonyi
hat eine eingehende Studie über die Fremdartigkeiten der Sprache Eazinczy's
geschrieben, gleichsam als Einleitung zu dem von ihm geplanten
Eazinczy-Wörterbuch, welches Eazinczy's gesammten Wortschatz um-
fassen wird. Wenn die ganze Serie seiner Correspondenzen veröffentUcht
sein wird und den eben erwähnten ähnliche Studien Eazinczy's Laufbahn
von allen Seiten beleuchten werden, dann erst kann die Biographie des
grossen Agitators in einer seiner und der Akademie würdigen Weise ange-
fertigt werden.
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^^Ö LI. JAHRESV'ERSAMMLÜNG DER UNOARISCHEN
Von dem anderen grossen Reformator, Nicolaus ßevai, besitzen wir
bereits zwei Biographien. Die eine ist das preisgekrönte Frodact einer vor-
zeitigen Preisausscbreibung, schön geschrieben, aber noch der nötigen Daten-
kenntnisB ermangelnd; die andere, von welcher bereits vier Bände erschienen
sind, ist die Frucht ordensbrüderlicher Pietät und unermüdlichen Fleisses,
ausserordentlich reich an wertvollem und ganz neuem Material. Das schönste
Denkmal jedoch, welches die Akademie ihm bisher errichten konnte, ist das
sprachhistorische Wörterbuch, welches nicht allein das umfangreichste, son-
dern auch das wertvollste unter den bisher über die Geschichte der unga-
rischen Sprache geschriebenen Werken ist, und welches die Träume des
grossen Sprachforschers verwirklicht.
Die Begehaltung der nationalen Pietät und die Entwickelung derselben
durch die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung zählt die Akademie
unter ihre ersten Pflichten nicht allein gegenüber den grossen Gestalten der
Wissenschaft und Literatur, sondern auch gegenüber denen der vaterlän*
dischen Geschichte. Die vorjährige vierhundertste Jahreswende des Todes-
tages des Mathias Hunyadj würde ohne bleibende Spur vorübergegangen
sein, wenn das Andenken dieses Trauertages, dieses kritischen Wendepunktes
unserer vaterländischen Geschichte nicht durch die Akademie und ihre Mit-
glieder, wie es ihnen am besten ansteht, mittelst literarischer Werke au%e-
friecht worden wäre. Das geplante Prachtwerk «Denkmäler der Zeit des
Königs Mathias» jWelcheB drei Commissionen unserer Akademie mit vereinten
Kräften zu Stande bringen wollten, konnte zwar wegen sachlicher Schwie-
rigkeiten nicht erscheinen, doch können unter den literarischen Producten
des Vorjahres mehrere hiehergehörige wertvolle Werke verzeichnet werden :
• Das Leben des Königs Mathias» vom ord. Mitgliede Wilhelm Fraknoi,
• König Mathias und die Renaissance» Vortrag des Ehrenmitghedea Franz
Pulszky, der 11. Band der •Litei'arhistorischen Denkmäler» , einer Sammlung
jener literarischen Denkmäler, welche von italienischen Schriftstellern aus
der Zeit Mathias Hunyadi*s herrühren und sich mit der Individualität des
grossen Königs beschäftigen. Hieher gehört auch Desider Csänky's grosses
Werk: « Historische Geographie Ungarns in de)' Hunyadenzeit». Indem die
Akademie dasselbe schreiben liess, förderte sie nicht blos die Kenntniss jener
grossen Epoche, sondern erfüllte zugleich eine Pflicht, indem sie die Ver-
vollständigung des unvollendet gebliebenen Werkes ihres ersten Präsidenten
und grossen Wohlthäters, des Grafen Josef Teleki, ihrem alten Wunsche
entsprechend in Vollzug setzte.
Mit der Manifestation ihrer Pietät dient die Akademie auch der vater-
ländischen Kunst. Hier von diesem prächtigen Wandgemälde blicken die
Gestalten unserer Könige, Stephan der Heilige, Koloman und Ludwig der
Grosse auf uns herab und in Bälde wird der Mittelpunkt der gegenüber-
liegenden Loggia König Mathias, umgeben von seinen Gelehrten und Künst-
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AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
497
lern, im Hintergrunde mit seiner berühmten Bibliothek, der Corvina,
schmücken ; rechts von ihm wird Peter Päzmän mit den hervorragenden
Gestalten der Reformation, links der Dichter Zrinyi mit den Celebritäten
der Literatur Platz finden. Sowie jene erste Bildertrias, wird auch diese
zweite die Meisterhand Karl Lotzens verfertigen, und sowie die Kosten jener
ersten die Opferwilligkeit des ungarischen hohen Clerus deckte, wurde auch
für diese zweite unsere patriotische hohe Geistlichkeit als MaBcenas ge-
wonnen.
Der 21. September des laufenden Jahres ist ein denkwürdiger Tag,
— die hundertste Jahreswende des Geburtstages des Grafen Stefan Sze-
chenyi.
Wir alle fühlen es, dass die Ungarische Akademie der Wissenschaften
diesen Tag zu einem Festtage des Dankes und des pietätvollen Gedenkens
machen müsse. Unser Directionsrat hat denn auch beschlossen, zum Anden-
ken dieses Tages an der Akademiegassenfront des Akademiepalastes eine
Denktafel anzubringen, welche in einem Belief aus Bronzeguss jene histo-
rische Scene darstellt, wie Szechenyi in der Districtualsitzung des 18i25-er
Eeichstages die Ungarische Akademie der Wissenschaften gründet. Der
Directionsrat war der Ansicht, dass zur Zustandebringung und Feier jenes
Erinnerungswerkes all jene hauptstädtischen Institutionen vereinigt werden
müssten, die ihr Inslebentreten oder Aufblühen Szechenyi verdanken : somit
in erster Keihe die Hauptstadt, welche Szechenyi so viel verdankt, wie keinem
zweiten; femer die von Szechenyi geschaffenen Vereine und unter ihnen,
was ich zuerst hätte erwähnen sollen, der Vertreter des heutigen Eigen-
tümers der Kettenbrücke, unser Finanzministerium. Ich kann mit Freude
kundthun, dass auf diese unsere Aufforderung Se. Excellenz der Herr
Finanzminister, die Hauptstadt und die sämmtlichen aufgeforderten Gesell-
schaften mit der grössten Bereitwilligkeit ihre Beitragleistung zum Denkmal
und ihre Beteiligung am Feste zugesa<<t haben.
Ein Denkmal aber wird die Akademie dem Genius Stefan Szechenyi's
auch noch fernerhin schuldig bleiben: eine seiner Grösse entsprechende
Biographie. Wir besitzen bereits so viele von speciellen Gesichtspunkten aus
geschriebene Biographien Szechenyi's, dass wir uns über die — wie wohl
noch vorzeitige — Ungeduld nicht wundem dürfen, mit welcher die Nation
eine von Künstlerhand verfasste, treue Schildemng des Lebens Szechenyi's
erwartet. Heute können wir für den künftigen Künstler nur erst Quellen-
beiträge sammeln und veröffentlichen. Solche Beiträge sind: fi Stefan Sze-
chenyi's Brie fe^t, von welchen im verflossenen Jahre der zweite Band erschien;
seine «^ Ausländischen Reiseskizzen und Notizen^yVfelGhe das Ehrenmitglied
Anton Zichy aus seinen Tagebüchern gesammelt hat ; und eine solche wird
«die Sammlung der Zeitungsartikel Szechenyi' S1^ sein, welche ebenfalls Anton
Zichy jetzt zusammenstellt.
üng»rif«he Revue, XI. 1891. VI— \TI. Heft. 32
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4*98 LI. JAHRESVERSAMMIiUNG DER UNGABI8CHEN
leb würde bei den FietätsmanifeBtationen der Akademie, welcbe ich
nocb nicbt alle aufgezählt habe, gerne noch länger verweilen, aber die Stnnde
mahnt mich zu einem anderen Abschnitte meines Berichtes, zur Skizzirung
der Thätigkeit der Qassen, überzugehen.
Die I. Classe (diese steht dem Herzen und zugleich der Kritik der Na-
tion am nächsten) hat in ihrer schöntcissenschaftlichen Section auch jetzt, so
wie in den früheren Jahren, vornehmlich auf dem Gebiete der Literatur-
geschichte eine grössere Thätigkeit entfaltet Hieher gehört der grösste Teil
der in ihren Sitzungen vorgelesenen Abhandlungen, hieher ihre neuesten
Preisaufgaben: «Geschichte der ungai*ischen dramatischen Literatur», t Le-
ben und Werke des Grafen Nikolaus Zrinyi». Sie hat auch ein ständiges
Organ gegründet, welches der Literaturgeschichte bisher gefehlt hatte ; indem
sie die Vierteljahrschrift ttlAteraturhistorische Mitteilungen* unter der Be-
daction des corr. Mitgl. Aladär Ballagi begann, um den einschlägigen For-
schungen Baum zu bieten, das Hauptgewicht auf die historische Seite des
Gegenstandes legend. Die Päege der schönen Literatur im engeren Sinne
überlässt sie sehr richtig unseren schönliterarischen Gesellschaften, während
sie sich selbst nur den noch einer grösseren Unterstützung bedürftigen wis-
senschaftlichen Teil zurückbehält.
Die Thätigkeit der sprachwissev schaftlichen Section der I. Classe äussert
sich in drei Hauptrichtungen : in den die ungarische Sprache betreffenden
Forschungen ; in der Pflegender altaischen und besonders der uns am nächsten
angehenden ugrischen vergleichenden Sprachwissenschaft; und in der
classischen Philologie, und am lebhaftesten — wie es auch natürlich ist,
weil es unsere nationale Pflicht ist — in der ungarischen Sprachwissenschaft
im engeren Sinne.
Das Sprachgeschichtliche PTöit^rfeucÄ nähert sich jetzt nach 18-jähriger
Vorarbeit rasch seiner Vollendung. Der H. Band ist erschienen und bis zur
nächsten Generalversammlung wird auch der abschliessende HI. Band er-
schienen sein. — Unmittelbar auf dem Fusse wird ihm folgen : das ebenfalls
schon lange vorbereitete Idiotikon, das sehnsüchtig erwartete Terminologische
Wörterbuch, welches, die im Volksmunde lebenden Eunstausdrücke benüt-
zend, dazu beitragen wird, dass sich die Terminologie der Industrie und
der Handwerke in richtiger Richtung entwickle, und endlich das Arany-
Wörterbuch, dieses ausserordentlich interessante literarische Wörterbuch,
welches den ganzen Wort- und Phrasenschatz des grossen Nationaldichters
Johann Arany umfassen wird.
Noch im Laufe dieses Jahres wird als Publication der sprachwissen-
schaftlichen Commission Josef Balassa's grundlegendes Werk *die unga-
rischen Mundarten» erscheinen, welches auf Grund im ganzen Lande
gemachter genauer Aufzeichnungen die ungarischen Dialecte phonetisch
classificirt und charakterisirt. — Auch die alte Klage, dass wir keine wissen-
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AKADEMIE DER ^VIBßEN SC HAFTEN. *9^
schaftliche ungarische Syntax besitzen, wird demnächst gegenstandlos wer-
den. Die beiden Preiswerke des corr. Mitgliede Sigmund Simonyi von den
Bindexcörtern und den Umstandswörtern enthalten die ganze Geschichte der
Satzlehre und bieten eine verlässliche Basis für die weitere Forschung. —
Die nahezu hundertjährige Fehde der Orthologen und Neologen, die noch vor
wenigen Jahren in der Literatur sehr hitzig geführt wurde, ist nahezu im
Erlöschen begriffen. Wir hören wohl zuweilen noch eine Vorlesung, vielleicht
mehr für die Ehre der Fahne, — aber eine principielle Differenz besteht
zwischen den Streitenden nicht mehr. Auch die Neologen erkennen schon
bereitwillig an, dass sie in der Vergangenheit viel des Gesetzwidrigen und
Willkürlichen eingebürgert haben, und dass diesem Vorgang heute nimmer-
mehr Folge geleistet werden darf; andererseits entsagen auch die Orthologen,
wiewohl an ihrer Verwahrung festhaltend, der Hoffnung, die bereits einge-
bürgerten, gesetzwidrig gebildeten Wörter ausmerzen zu können. Es ist that-
sächlich die Zeit eingetreten, welche Paul Szemere vor 85 Jahren mit den
Worten voraussagte: «es wird die Zeit des Stabilwerdens der Sprache ein-
treten • (soweit nämlich im Leben der Sprache von Stabilwerden die Bede
sein kann). Wenn heute nach dem alten Verfahren geset.zwidrige Wörter
gebildet werden, nimmt sie der Zeitgeist nicht mehr auf; er nimmt, wie eines
unserer Mitglieder richtig sagte, den läekidomär nicht auf, selbst wenn ihn
Jökai gebraucht; er nimmt den äponcz nicht auf, wenngleich ihn die Begie-
rungsverordnung auf Millionen Blättern verbreitet, und er nimmt den täv-
heszäö nicht auf, wenngleich ein Beichsgesetz über ihn existirt.
Auf dem Gebiete der Erforschung der verwandten ugrischen Spra-
chen tritt gegenwärtig vornehmlich die Thätigkeit des corr. Mitgl. Bernhard
Munkäcsi in den Vordergrxmd. Er beginnt jetzt die Ergebnisse seiner mit
Unterstützung der Akademie vollführten Studienreise zu veröffentlichen.
Am Ende des vorigen Jahres ist das I. Heft seines Votjaküchen Wörter-
buches auf Kosten der Konstantin Bökk'schen Stiftung erschienen. Dieses
Wörterbuch beleuchtet nicht allein die Sprache von allen Seiten — indem
* sie die Wortbedeutungen, Bedensarten, Sprichwörter mitteilt, — sondern
bietet ausserdem zahlreiche Beiträge zur Kenntniss der Mythen, Gebräuche,
Geräte des Votjaken- Volkes, solcherweise die Kenntniss der ugrischen
Völker auch in ethnographischer Hinsicht fördernd. Auf Grund seiner von
seiner sibirischen Beise mitgebrachten Sammlungen hat Munkäcsi auch
Musterproben vogulischer Volksdichtungen und grammatische Skizzen der
Vogulensprache mitgeteilt. Unser armer Beguly, welcher vor fünfzig Jahren
dieselbe Beise unternommen hat und an Körper und Geist gebrochen
nur schon seine •Ueherlieferungen der Vogulen» heimbringen konnte, kann
versöhnt auf seinen glücklicheren Nachfolger herabblicken, den Fort-
setzer jener wissenschaftlichen Bestrebungen, welchen er selbst sein Leben
geopfert hat.
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500 LI. JAHRES\'ERSAMMLUNG PER UNGARISCHEN
Ein geisterhebendes Beispiel des Heldentums der Liebe zur Wiesen -
Schaft ist auch das posthume Werk, welches unter den vorjährigen Publica-
tionen der classisch- philologischen Commission den ersten Platz einnimmt:
die Pindar- Schölten von Eugen Abel. Auf dem Siechbette, von verzehrendem
Fieber gequält, mit zitternder Hand beendet der junge Gelehrte sein Werk
und sein Leben, mit seinem Werke das so schwierige Verständniss der pin-
darischen Dichtungen um einen gewaltigen Schritt vorwärts bringend.
Wir gehen nun zur Skizzirung der Thätigkeit der H. Classe über. In
der ersten Section derselben, zu welcher Philosophie, Rechtswissenschaft
und Nationalökonomie gehören,' hielten die Mitglieder Paul Hoflfmann und
Thomas Vecsey rechtswissenschaftliche, Julius Schwarcz verfassungs-
geschichtliche, Alexander Matlekovits und Josef Jekelfalussy nationalökono •
mische Vorträge. Die nationalökonomische Commission begann ein hoch-
wichtiges neues Unternehmen, die Herausgabe einer * Sammlung der Werke
der vorzüglichsten nationalökonomischen Schriftsteller* in ungarischer lieber-
Setzung, welche eine lang gefühlte Lücke unserer Literatur auszufüllen sucht
Die Publication begann mit Adam Smith's epochalem grossen Werke, einge-
leitet durch eine Abhandlung des ordentlichen Mitgliedes Julius Eautz über
Smith als Begründer der nationalökonomischen Wissenschaft. Diesem Werke
werden die Werke von Malthus : über die Population, von Bicardo : über die
Grundsätze der Volkswirtschaft u. a. folgen. Diesem Unternehmen wurde
durch die im Vorjahre von Sigmund Schossberger zu diesem Zwecke gemachte
Stiftung eine bedeutende materielle Unterstützung zu Teil.
Hier gedenke ich auch jener hochherzigen Stiftung, welche ebenfalls
im vorigen Jahre Dr. Sigmund Brody zur Hebung eines verwandten Faches,
der ungarischen Publicistik, in unserer Akademie gemacht hat. «Vor Augen
haltend jene wichtigen Dienste, welche die ungarische Publicistik in kriti-
schen Zeiten den nationalen Interessen geleistet hat und auch mit Hinblick
auf jene grossen nationalen und culturellen Interessen, deren treue Pflege
die gegenwärtige und künftige Aufgabe der Publicistik ist» — hat er der
Akademie 20,000 fl. zu dem Zwecke zur Verfügung gestellt, dass die Zinsen
dieses Betrages alle drei Jahre als publicistischer Preis ausgeschrieben wer-
den. Dieser Preis wird zum erstenmal auf der 1894er Generalversammlung
ausgefolgt werden.
Die zweite oder historische Section der II. Classe kann ausser Sitzungs-
vorträgen der Mitglieder Wilhelm Fraknoi, Alex. Szilägyi, Ignaz Acsädy,
Johann Csontosi, Theodor Ortvay, Ludwig Szädeczky aus dem Vorjahre eine
ganze Beihe grösserer Publicationen aufweisen. Namentlich aus der Eeihe
der fortlaufenden Publicationen : Ungmische Bächstagsdenkmäler. Bd. 10.
Bed. von Wilhelm Fraknoi und Ärpäd Kärolyi ; — Corpus stattttorum Bd. 2.
red. von Alex. Kolosväry und Clemens Oväry ; — Ungarländische türkische
Aerarial'Defter Bd. 2. red. von Anton Velics und Ernst Kammerer; femer
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AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. oOl
selbständige Werke: •Charakteristik Colberts, Ministers Ludwigs XIV • von
Aladär Ballagi; * Leben oberungarischer Städte im lÖ. und 16. Jahrhundert»
von Koloman Demkö; • Diplomat arium zur Geschichte der Regierung des Für-
sten Gabriel Beihlen* vom Prager üniversitÄtsprofessor Anton Gindely ; •Sie-
benbürgen und der nordöstliche Krieg. Bd. i.» von Alex. Szilägyi. Des Gegen-
standeswegen reibe ich bieber die von der kriegswissenscbaftlicben Commission
der ni. Glasse unter Bedaction Eugen Könai's besorgte neue Ausgabe der
« Kriegsmissenschaftlichen Werke des Dichters und Feldlierrn Grafen Nico-
laus Zrinyi*.
Die bistoriscbe Commission, welcbe bisber blos die Aufsuchung,
Sammlung und Herausgabe von Quellen der ungarischen Geschichte als
ihre Aufgabe betrachtet hatte, findet es an der Zeit, ihren Wirkungskreis
auch auf die Aufarbeitung der Urkunden auszudehnen und meldet, dass sie
diese Erweiterung ihres Programmes nächstens in Vollzug zu setzen in der
Lage sein werde. Das o. M. Julias Pauler ist mit seiner Geschichte der
Ärpäden-Periode grossenteils fertig; dieses Werk wird unter dem Titel • Ge-
schichte der ungarischen Nation im 11. — IS. Jahrhundert^ aus zwei Bän-
den bestehen, deren erster, der bis zur Zeit Bela's IV. reicht, schon im näch-
sten Jabre unter die Presse geben kann. Ebenso ist der 1. Teil des zwei-
bändigen Werkes Paul Hunfalvy 's ^Allgemeine Geschichte der Bumänen»,
welcher bis zur Mohäcser Katastrophe reicht, vollständig fertig und so ist
sicher zu hoffen, dass die Commission, welche ihrem neuen Programm ent-
sprechend auch die Zahl ihrer Mitglieder vermehrt hat, auch auf diesem
Gebiete eine rege Thätigkeit entfalten wird.
Die archäologische Commission hat im Vorjahre ausser ihrem sorg-
fältig redigirten «Anzeiger» auch einen Band ihrer «Mitteilungen» (den
16) veröffentlicht, welcher neben Gabriel Tegläs's Arbeit über den Bergbau
Korabiens und das zweifache Grabfeld von Zalaina, Maurus Wosinsky's
Detailbeschreibung der Funde der Lengyeler prähistorischen Anlage, welche
das weltberühmte Museum des Grafen Alex. Apponyi bilden, enthält. Auf
Antrag dieser Commission hat unsere Akademie beschlossen, dass sie fortan
die reichstäglich für archäologische Publicationen votirte Dotation zur Hälfte
zur Veröffentlichung vaterländischer Baudenkmäler und zur Hälfte zu
anderartigen archäologischen PubUcationen verwenden wird.
Die Thätigkeit der HI. Classe in ihrer mathematisch-physikalischen
und ihrer naturgeschichtlichen Section anbelangend, übergehe ich die lange
Beihe der in den Sitzungen vorgetragenen und entweder in den •Abhand-
lungen» und dem •Anzeiger» der Classe oder in den •Mathematischen und
naturmssenschaftlichen Mitteilungen» derselben publicirten Arbeiten und
Forschungen mit Hinweis auf den gedruckt verteilten Bericht und lenke die
Aufmerksamkeit blos auf jene zwei grösseren Werke, welche als besondere
Publicationen der Classe veröffentlicht wurden. Das eine ist die ^^Geologische
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502 LI. JAHRESVERSAMMLUNG DER UNGARISCHEN
Beschreibung der Umgebung von Schemnitz* von Josef Szabö. Verfasser fassi
nicht nur, nacb 14jäbrigem Studium, unsere auf Schemnitz bezüglichen
geologischen Kenntnisse in ihrer vollen Gänze in Terten und prächtigen
Eartenbeilagen zusammen, sondern will zugleich, unter geologisch compli-
cirten Verbältnissen, den als rother Faden das ganze Werk durchziehenden
Grundgedanken, nämlich die natürliche Classification der Tracbyte, zu voller
Geltung bringen. — Das zweite ist der L (einleitende) Teil eines auf sechs
Bände berechneten Werkes, MT^oretische Physik» von Isidor Fröhlich, wel-
ches vom Verfasser im Auftrage der Glasse verfertigt, eine stark fahlbare
Lücke unserer wissenschaftlichen Literatur ausfüllen wird.
Geehrtes Publikum ! Die ersten Statuten der Ungarischen Gelehrten-
Gesellschaft enthielten bis zum Jahre 1848 einen Punkt (den 42.), welcher
anordnete, «dass über den zweckentsprechenden Fortgang der Gesellschaft
die Comitate alljährlich, die Landstände aber gelegentlich der Beichstags-
Session zu verständigen seien».
Dann ist eine Zeit gekommen, in welcher die neuen Statuten (§. 53)
befahlen, «dass alle ProtocoUe, ohne Unterschied, binnen acht Tagen nach
Abhaltung jeder Sitzung oder Versammlung an das k. k. General-Gouverne-
ment zum Zwecke der Eenntnissnahme und Prüfung hinaufzusenden seien».
Heute legen wir nicht mehr den Gomitaten, auch nicht den Land-
ständen, sondern der auch alle diese in sich fassenden Oeffentlichkeit «über
den Fortgang der Gesellschaft» Rechenschaft ab, und nicht alljährlich, son-
dern allmonatlich, in Form der Zeitschrift t^ Akademischer Anzeiger», welche
die Verbandlungen der Sitzungen^ Conferenzen und Gommissionen, die im
Verlag oder mit Unterstützung der Akademie erschienenen Werke und Zeit-
schriften eingehend bespricht^ und welche die Zeitungen, Bibliotheken,
Gasinos, ja vom Beginn dieses Jahres auch Einzelne, die nur einiges In-
teresse für die Thätigkeit der Akademie bekunden, unentgeltlich zugesandt
bekommen.
Heute ist der Vorwurf der Abschliessung, welcher vor Zeiten der
Akademie gemacht wurde, nicht mehr zutreffend. Sie stellt ihr Licht nicht
unter den Scheffel, ist vielmehr bestrebt, ihr, wenn auch kleines Licht in je
weiteren Kreisen leuchten zu lassen.
Mit schwerem Herzen wende ich mich dem letzten Teile des Berichtes
zu; der Aufzählung der Verluste, welche die Akademie durch den Tod
erlitten hat.
Im Vorjahre sind aus der I. Glasse ein, aus der II. zwei, aus der HE.
nicht weniger als sieben Mitglieder verstorben. Unter unseren auswärtigen
Mitgliedern verschieden : E. T. Atkinson, der Gelehrte eines entfernten Erd-
teiles, der gewesene Finanzminister des indischen Kaisertums, der Forscher
der Geschichte und der Käferwelt Indiens, in Calcutta, und Franz Miklo-
sich, der weltberühmte slavische Sprachforscher in Wien, welcher, vnewohl
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AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 503
answärtiges Mitglied unserer I. Classe, dennoch nicht nur unserer Sprach-
wissenschaft, sondern auch unserem Herzen nahe stand. Sein öfterer Auf-
enthalt in Budapest gab den Mitgliedern unserer Akademie Gelegenheit^
jenen Mann lieb zu gewinnen, den sie wegen seiner wissenschaftlichen Ver-
dienste, und besonders wegen seines für unsere Sprachwissenschaft höchst
fördersamen Werkes über die slavischen Elemente im Ungarischen, schon
lange verehrt hatten.
Unter unseren internen Mitgliedern verloren wir aus der Reihe der II.
Glasse : das ordentUche Mitglied Karl Szabö, einen der ehrenwertesten Pfle-
ger der vaterländischen Geschichtschreibung, den Neubegründer der unga-
rischen Bibliographie, den verdienstvollen Sammler der «^ alten ungarischen
Bibliothek», dessen unterbrochenes Werk die Akademie pietätsvoll zur Voll-
endung führen lässt, und das correspondirende Mitglied Grafen Emanuel
Andrässy, den kunstverständigen Mäcen der Archäologie, welcher bereits
zu jener Zeit, als die ungarische Wissenschaft noch keine Landesdotation
genoss, die archäologische Thätigkeit unserer Akademie eifrig unterstützte.
Aus den Beihen der KL. Glasse wurde uns geraubt : unser Nestor, Johann
Udvardy Ghema, 58 Jahre lang correspondirendes Akademie-Mitglied, in den
30er Jahren Schriftsteller und anfänglich übereifriger, später ganz entmu-
tigter Beformer auf dem Gebiete der Oekonomie- Wissenschaft, femer das
correspondirende Mitglied Johann Pettko, einer der ersten bahnbrechenden
Arbeiter der ungarischen geologischen Literatur, und aus demselben Fache
das correspondirende Mitglied Karl Ho£fmann, ein Gelehrter von seltener
Gewissenhaftigkeit und Bescheidenheit; unter den ordentiüchen Mitgliedern
in letzter Zeit Eugen Jendrässik, der erste ungarische vortragende Professor
der Physiologie an unserer Universität und Einbürgerer der Dubois-Beymond'-
schen Bichtung bei uns, und vor ihm Guido Sohenzl, der Begründer der me-
teorologischen Landesanstalt, dem Ungarn eine zweite Heimat wurde, nach
der er sich auch von seinem glänzenden Abtsitze zurücksehnte ; und morgen
vor einem Jahre, in derselben Stunde, in der wir in diesem Saale unsere
feierliche Sitzung hielten, beschloss sein Leben das ordentliche und Directions-
ratsmitglied unserer Akadenue, ihr gewesener Vice-Präsident und stellvertre-
tender Präsident, dessen Namen es mir unmöglich ist ohne innige Bührung
auszusprechen : Josef Stoczek, ein hervorragender Physiker, Organisator des
vaterländischen höheren technischen Unterrichtes, durch mehr als dreissig
Jahre der leitende Geist des ungarischen Polytechnicums, der unvergessliche
Lehrer der heute lebenden Ingenieurs, mir aber — es sei auch dem Schüler
gestattet, dem Kranze der Akademie ein Blatt hinzuzufügen — nicht nur Pro-
fessor, sondern väterlicher Freund, Aneiferer, Leiter, dem ich auf meiner
wissenschaftlichen Laufbahn das meiste verdanke.
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^0* LI. JAHRESVERSAMMLUNG DER UNOARISCHEN
ni.
Denkrede auf Graf Julius Andrässy.
Von Benjamin v. Källay.
Ein Jahr ist kaum dabingegangen, seitdem die ungarische Nation, in
tiefe Trauer gehüllt, in diesem nämlichen Palaste sich um die Bahre des
Grafen Julius Andrässy geschaart hat. Und in diesem weiten Vaterlande
ist die Akademie, dieser Mittelpunkt ungarischer Cultur, der würdigste Ort,
des heimgegangenen grossen Staatsmannes zu gedenken. Denn nirgends
besteht ein so inniger Zusammenhang, wie gerade bei uns, zwischen den
allgemeinen Interessen geistiger Entwicklung und der praktischen Politik.
Die ganze Vergangenheit unseres Volkes und dessen Zukunft verweisen uns
ja darauf, dass wir, deren hauptsächlichste Stärke nicht in der Ueberzahl
wurzelt, in diesem polyglotten Lande als Hüter der universellen Bildung
auftreten und durch Verbreitung der letztem uns auch die politische Supre-
matie sichern sollen. Durch tausend Jahre haben wir uns nur dadurch als
Nation zu behaupten vermocht, dass wir uns den Ideen, welche dem Westen
entstrahlt sind, nie verschlossen haben. Und auch für die Zukunft können
wir nur in dem Falle auf die Führerrolle zählen, wenn wir stets eingedenk
bleiben des Berufes, der uns in den Reihen der Streiter für den Fortschritt
des menschlichen Geistes zuteil geworden.
Niemand war mehr durchdrungen von der Richtigkeit solcher Auffas-
sung, Niemand hing ihr bis an das Grab treuer an, als Julius Andrässy.
Schon im Jahre 1861 sagte er: «Wie immer man die Idee des menschlichen
Fortschrittes benennen möge, heisse sie nun Christentum, Religionsfreiheit,
Constitutionalismus — stets finden wir unsere Nation unter ihrer Fahne
streiten. Haben wir Wunden, so wurden sie auf diesem Schlachtfelde em-
pfangen.! Und einige Jahre später äusserte er: tEs gibt Nationen, die, um
sich zu erhalten, nur das Interesse ihrer Race und ihrer Sprache sich als
ausschliessliche? Endziel auszustecken brauchen. Uns hat die Vorsehung
vielleicht nur darum in so geringer Anzahl erschaffen, damit es in diesem
Teile der Welt ein Volk gebe, welches sich lediglich dadurch und nur inso-
lange zu behaupten vermag, dass und als es für die heiligsten Interessen
der Menschheit kämpft.»
Andrässy's innerste Gedanken, die letzten Ziele seines Strebens, die
ganze Richtung seines Lebens offenbaren sich uns in diesen Worten. Gross
und hehr ist die Aufgabe, deren Lösung er als den Lebensberuf der ungari-
schen Nation ansah. Voranzuschreiten in dem Erstreben dieses Ziels, der
Nation ein Führer zu sein auf dieser Bahn : das war Andrässy's einziges
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AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 505
Sehnen, das die Triebfeder all seines "Wirkens seit dem Augenblicke, da er
das Feld der Oeffentlichkeit betrat.
Nicht um der Macht willen zog es ihn hin zum Besitze der Macht ;
nicht Ehrgeiz, noch Buhm spornte ihn an. Ein Ideal nur schwebte ihm vor:
die ungarische politische Nation im ungarischen Staate. Der Verwirklichung
dieses Ideals weihte er all sein Können, seine gesammten Kräfte.
Es mag paradox erscheinen und doch ist es wahr, dass Julius
Andr&ssy, der auf dem Gebiete der praktischen Politik so glänzende Erfolge
errungen, der den Ausweg aus den verworrensten Situationen stets mit so
erstaunlicher Gewandtheit gefunden hat, einer der grössten Idealisten
gewesen ist. Ja, gerade diese seine Eigenschaft war es, der er seine unver-
gänglichsten Erfolge zu danken hatte. Dreissig Jahre werden es sein in
diesem Monate, seit er einer seiner Beden die folgenden Worte eingewoben
hat: «Die Geschichte erweist es durch ihre Beispiele, dass die Monarchien,
selbst die grössten, ihre Zukunft in Ideen besitzen und dass sie nur durch
diese ein Gewicht in der Waagsschale der Menschheit gewinnen.»
Der so gedacht hat, war gewiss von der tiefsten Achtung für die
Macht der Ideen und der Ideale beseelt. Und er hatte Becht. In den Käm-
pfen des Lebens und insbesondere auf politischem Gebiete ist Derjenige,
der mit dem Ergebniss des Heute, als mit einem Endziele, sich zufrieden
gibt, keiner grossen Schöpfung fähig. Nur das Festhalten des Ideals verleiht
Einzelnen sowohl wie Völkern jene Kraft, welche unverzagt, durch alle
Wechselfälle hindurch, zum Triumphe führt.
Ein grosses Glück ist es für uns, dass Andrässy, dem eine für die
Schicksale unseres Vaterlandes so entscheidende Bolle zuteil wurde, niemals
von seinen idealen Höhen hinabgestiegen ist. Es ist ein grosses Glück,
denn der einzige Gegenstand seines Idealismus ist die Wohlfahrt unserer
Nation gewesen. In ihm, wie in keinem Zweiten, war das Wesen unseres
Volkstums mit allen seinen schönen und guten Eigenschaften verkörpert.
Er war Ungar durch und durch, Ungar in seinen Empfindungen und Ungar
in der Bichtung seines Denkens. Nur dass in seiner Individualität die west-
europäische Cultur, für deren Errungenschaften er sich so sehr zu begei-
stern gewusst hat, unzertrennlich verschmolzen war mit urwüchsig ungari-
scher Auffassung. Er war der vornehmste Vertreter der aus der allgemeinen
Cultur hervorgehenden specifischen nationalen Entwicklung in unserem
Vaterlande. Und darin wurzelte seine Kraft, darin jener unaussprechliche
Zauber, der seinem ganzen Wesen entstrablte. Das empfanden im Uebrigen
auch die Fremden ausserhalb der Grenzen unseres Landes ; wie ja der
«ungarische Graf» (so nannte man ihn zuweilen), so lange er an der Spitze
der auswärtigen Angelegenheiten der Monarchie stand, durch die ungarische
Ursprünglichkeit seines Geistes und seiner Denkungsart dem Bufe Ungarns
im Auslande mehr Achtung und Notorietät erworben hat, als so manche
VngtaUehB Reme, XI. 1891. VI— VII. Heft. 32^
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o(K» u. JAHRE8\^RSAMMLUNO DER UNGARISCHEN
politische Emingenschaft, zu welcher unsere Nation beute mit sonst be-
rechtigtem Stolze emporblickt.
Allein zu welcher Höhe Andrässy sich auch in seinen politischen
Strebungen emporgeschwungen habe, nie ward er befangen und stets blieb
er frei von Einseitigkeit. Und so geschah es, dass er^ der immer für Ideen
kämpfte, zugleich der praktischeste Staatsmann wurde. Dieser wunderbare
Einklang zwischen Idealismus und praktischer Auffassung charakterisirt am
getreuesten das ganze p )litische Wirken Andrässy's. Solche Harmonie offen-
bart sich, wenn auch vorerst ein wenig verschwommen, so doch in deutlich
erkennbarer Weise schon in der Seele des Jünglings, um alsdann im Ver-
lauf der Jahre immer kraftvoller zur Geltung zu kommen. Aus seinem
Idealismus schöpfte er die Ueberzeugung, dass eine wirkliche Bedeutung nur
das eine Ziel besitze, nach welchem hin sich all sein Streben concentrirte,
dass er davon nicht zurückweichen, noch auch das Geringste davon opfern
dürfe. Andererseits freilich belehrte ihn die praktische Auffassung darüber,
dass dieses Ziel keine unfruchtbare Theorie und keine blosse Phantasmago-
rie sein könne und dass er es auch in Wirklichkeit erreichen müsse. Und
um dieses Ergebnisses willen war er bereit, mit der Zeit und den jeweiligen
Verhältnissen zu transigiren, unbekümmert darum, dass ihn seine Zeit-
genossen zuweilen missverstanden oder gar nicht verstanden haben.
Als im Beginne des Jahres 1 848 das ganze Land mit lebhaftem Inter-
esse die Frage des Wahlcensus discutirte, sprach Andrässy sich für den
hohem, d. i. für den Gensus der «halben Session» aus. Manche meinten, er
sei hiebei durch aristokratische und conservative Neigungen geleitet worden.
Aber man täuschte sich. Keinen aufrichtigem Freund hatte der liberale
Fortschritt je in Ungarn als Andrässy. Aber nicht aus dem Gesichtspunkte
des LiberaUsmus oder des Gonservativismus entschied er die Frage der
Wählerqualification. Solche Distinction ist ihm belanglos gewesen. Wohl
aber dachte er an eine höhere, wichtigere Ermngenschaft. Die politische
Suprematie des ungarischen Volkes, als des eigentUchen Vertreters des
Grundbesitzes in diesem Lande, woUte er durch den hohem Gensus begrün-
den. Und um dieses Zweckes willen opferte er gern und ohne Zaudern das
Losungswort des Liberalismus.
Niemand liebte mehr als er das Volk, dem er entstammt war, die
Sprache, welche auch die seine gewesen ist. Aber wenn er an die künftige
Grösse der ungarischen Nation dachte, da galt ihm als die hauptsächlichste
Bedingung derselben nicht ausschUesslich die Wahrnehmung der nationalen
Interessen der ungarischen Bace. Andrässy glaubte nicht daran, dass in
einem von mannigfachen Völkerschaften bewohnten Staate eine der Bacen
das dauernde Uebergewicht über die anderen schon lediglich dadurch zu
erringen vermöchte, dass sie die rein äusseren Erfordernisse ihrer Sprache
und ihrer Nationalität in den Vordergrund gelangen lässt. Vielmehr war er
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AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 507
<ler Ansicht, dass verschiedene Völker in einem und demselben Gebiete
-durch das bleibende Beisammenleben, die gemeinschaftliche historische Ver-
gangenheit und den solidarischen Kampf für Becht, Freiheit und staatliches
Sein viel fester und unlöslicher als durch die Sprache und das nationale
Moment an einander geknüpft werden. Aber auch davon war er freilich
überzeugt, dass, wenn es unter diesen Völkern ein Volk gibt, welches den
grossen Ideen des Fortschrittes stets die Wege geebnet hat ; ein Volk, das
den übrigen vorangeschritten ist auch dann, als es zu opfern und Blut zu
vei^essen hatte für Alles, was dem Menschen hoch und heilig ist; ein Volk,
in welchem die staatsbildende und staatserhaltende Kraft mächtiger pulsirt :
dass dann dieses Volk allein dazu berufen sein kann, der Mittelpunkt zu
sein, um den die übrigen auch unwillkürlich sich gruppiren, und aus diesem
ethnographisch und sprachlich mannigfachen Gemisch unter seinem Namen
und unter seiner Führung eine einheitliche politische Nation zu bilden.
Andrässy zweifelte nicht daran, dass in Ungarn diese Bolle schon vermöge
ihrer Vergangenheit der ungarischen Bace gebühre, und darum hatte er auch
Becht in der Annahme, dass Jedermann, der das Wohl der ungarischen
Nation am Herzen trägt, zugleich für das Interesse aller Nationalitäten dieses
Staates, für die Zukunft des Staates kämpft.
Kann es uns nunmehr Wunder nehmen, dass der so fühlende und so den-
kende Andrässy einer der Ersten war unter Jenen, die sich der allgemeinen
Bewegung anschlössen, von welcher die Nation im Frühjahre 1848 erfasst
wurde? Wie so Viele, sah auch er eine neue Epoche herandämmem, welche auf
Grund des wechselseitigen Einvernehmens zwischen Krone und Nation dem
ungarischen Staate nebst der Gewährleistung der historischen Bechte die
gesetzliche Freiheit, die verfassungsmässigen Institutionen, die ungehemmte
Entwicklung des staatlichen Lebens bescheeren wird. Das war die Summe
dessen, was Andrässy damals ersehnte, das Ziel, das er durch gesetzliche
Mittel und auf gesetzlichem Wege zu erreichen trachtete.
Aber sein scharfer Verstand vermittelte ihm schon damals die Einsicht,
dass die ungarische Nation das Erzielen jener Vorteile nur erhoffen kann,
wenn sie «nebst der eigenen Kraft und ihrer innem Eintracht auch noch
durch die Sympathien Anderer unterstützt wird.» Und diese Unterstützung
suchte Andrässy nicht in der Ferne, sondern vor allem dort, wo sie vermöge
der Natur der Verhältnisse am leichtesten zu finden war. Am 9. Mai 1848
schreibt er diesfalls in einem seiner üblichen Ablegatenberichte an das
Zempliner Comitat: «Das Gefühl der Freiheit erweckt diese Sympathie,
genährt und gefestigt wird dieselbe durch die Interessengemeinschaft mit
jenen Völkern werden, mit welchen Geschichte und Gesetz durch die prag-
matische Sanction uns verbunden haben.» Die politische Bichtung also,
welche Andrässy schon zu Beginn des Jahres 1848 als correct und für die
^^ation heilsam angesehen hat, unt.erschied sich in ihrem Wesen durch
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508 LI. JAHRESVEKßAMMLUNO DER rNOARISCHEN
nichts von jener Politik, deren Sieg er im Jahre 1867 so mächtig beför-
dern sollte.
Indessen die im Interesse der gesetzlichen Reformen eingeleitete
Reform schlug, wie dies so oft im Leben der Völker geschieht, nachmals in
eine Revolution um. Andrässy harrte bis zum Schlüsse auch unter der
Fahne der letztem aus. Er harrte aus, denn, wie die Diuge sich damals
gestalteten, glaubte auch er, dass es keinen andern Ausweg als den bewaff-
neten Widerstand gab ; und vorwiegend harrte er deshalb aus, weil es sich
mit seinem ehrUchen, wahrhaften Charakter nicht vertragen hätte, gerade
im Augenblick der Gefahr eine Sache im Stiche zu lassen, der er aus freien
Stücken sich angeschlossen hatte.
Die Revolution wurde besiegt, — und Andrässy suchte mit vielen
Anderen Zuflucht im Auslande. Allein die Jahre, die er fem von Ungarn
verbrachte, sie sind nicht spurlos über ihn hinweggezogen. Nicht unter jene
politischen Emigranten war er zu zählen, die nichts lernen und nichts ver-
gessen. Vergessen hat Andrässy freilich nicht, keinen Augenblick lang ver-
gass er seines Vaterlandes und der Zukunft desselben. Aber gelernt bat er
Vieles und, was in der Politik als das feste Kriterium des richtigen Wissens
gilt, er hat gelernt durch scharfe Beobachtung, persönliche Erfahrung und
durch wohlerwogenes Prüfen der sich umgestaltenden Verhältnisse. Dem
hatte er es zu dankeu, dass er die gefährlichen Klippen vermied, an denen
bislang noch jede Emigration scheitern musste : das erfolglose optimistische
Träumen oder die verzweifelte Resignation.
Der Mensch bedarf so sehr dessen, worin er sein Glück aufzufinden
hofft, dass, wenn er es verlor, er nicht leichterdings sich in sein Schicksal
fügt. Keine Empfindung ist dauerhafter, keine zäher als der Glaube, dass
unser gescheitertes Sehnen dereinst noch in Erfüllung gehen könne. Diesem
Glauben entspringt jener geheimnissvolle Trieb, der den Menschen so oft
selbst zu hoffnungslosen Versuchen anspornt. Und in dieser Hinsicht bilden
die Völker keine Ausnahme.
Auch die imgarische Emigration betrachtete die Niederlage der natio-
nalen Bewegung lediglich als einen vorübergehenden Schicksalsschlag.
Solche Illusion ist umso begreiflicher, als Exilirte auch in der Fremde
zumeist sich im Kreise jener Gefühle, Ideen und Hoffnungen bewegeu,
welche bei ihrem Scheiden aus der Heimat ihre ganze geistige und sittiiche
Welt gebildet hatten. Die Führer der ungarischen Refugi^s blickten in der
That lange mit unverbrüchlichem Vertrauen in die Zukunft, von der sie die
Möglichkeit erhofften, den Kampf daheim wieder aufzunehmen, wenn es
ihnen geUngen würde, die Sympathien Westeuropas wachzurufen und von
diesem thätige Hilfe zu gewinnen. Diesem Ziele wandte sich denn auch
fortab all ihr Streben zu.
Andrässy trennte sich nicht von seinen Gefährten, ja im An&ng teilte
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AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 509
^r sogar ihre Hoffnungen. Aber es währte nicht lange und Bedenken stiegen
in ihm auf. Was er um sich erblickte und was er erfuhr, machte ihn stutzig«
In einem Teile der europäischen Presse, in manchen politischen Salons
und auf öffentlichen Meetings äusserten sich allerdings lebhafte Sympathien
für das Geschick Ungarns, und der Emigration kamen, wenigstens insgeheim>
sogar von officieller Seite Aufmunterungen zu. Indessen Andrässy täuschte
sich nicht lange über den wahren Wert solcher Teilnahme und der gehet*
men Zusagen. Je eingehender er die Verhältnisse studirte, desto mehr
drängte sich ihm die Ueberzeugung auf, dass die Sympathien der euro-
päischen öffentUchen Meinung für die ungarische Sache ein hell aufflam-
mendes, aber rasch verknistemdes Strohfeuer seien, und dass die Cabinete
^ie Emigration lediglich als Mittel zur Förderung ihrer Zwecke zu benützen
vorhatten. Indem mächtigen Frankreich sowohl wie in dem damals noch
kleinen Piemont hatte die ungarische Frage nur insofern Belang, als sie im
Falle eventueller Verwicklungen eine bequeme Diversion gegen Oesterreich
ermöglichte. Daran dachte jedoch Niemand, um Ungarns wiUen sich in einen
<liplomati8chen Gonflict. oder vollends in einen Krieg mit Oesterreich ein-
zulassen. Noch hoffnungsloser war diesfalls die Auffassung der englischen
Kreise. In diesem Musterlande der politischen Freiheit und des Gonstitu-
tionalismus legte die Regierung ein viel zu grosses Gewicht auf die Erhal-
tung des zwischen Deutschland, Bussland und die Türkei eingekeilten,
wenn auch absolutistischen Oesterreich, als d iss sie geneigt gewesen wäre,
^en Bestand des letztern durch Unterstützung der ungarischen Sache zu
geföhrden. Andrässy begegnete allenthalben der bald offen geäusserten,
bald schlecht verhehlten Auffassung — und zwar auch von Seite Derer,
<lie im Uebrigen nicht gerade Freunde der österreichischen Macht waren — ,
dass in jenem Teile Europas, wo Oesterreich liegt, die civilisirte Welt eines
solchen Grossstaates bedürfe, welcher vermöge seiner Bevölkerungszahl,
noch mebr aber durch die Bedeutung seines Heeres stets als willkommener
Bundesgenosse fi^uriren kann.
Diese Auffassung bewog Andrässy zur genauen Beobachtung der
politischen Richtung der neuen Zeit. Er sah, wie die Einheitsbestrebungen
Piemonts, wenngleich vielfach zurückgedrängt, auf der ganzen italienischen
Halbinsel lebhaften Widerhall erweckten. Er erkannte, dass das in aller
Stille sich entwickelnde Preussen zur Verschmelzung der kleinen deutschen
Staaten berufen sei. So wies denn Alles darauf hin, dass die zweite Hälfte
des Jahrhunderts die Epoche des Werdens grosser Staaten sein werde. Das
Bild der allgemeinen europäischen Politik, wie es sich den Augen Andrässy's
entrollte, erfüllte ihn mit Besorgnissen in Hinsicht der Zukunft Ungarns.
Wenn wir auf ausländische Hilfe nicht zählen können — diese Frage warf
sich ihm unwillkürlich auf, — ist es dann überhaupt möglich, und wenn ja,
würde es nicht geradezu einen Selbstmord bedeuten, dass die völlig erschöpfte
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510 u. JAHREBVEBSAMMLUKG DER UNGARISCHEN
•
Nation lediglich aus eigener Kraft den ungleichen Kampf wieder aufnehme?^
Und da die Entwicklungstendenz des Westens das Entstehen grosser Staaten
zu heischen schien, während von Nordost her das riesige Gzarenreich auf
uns drückt; — würde die Selbstständigkeit Ungarns, vorausgesetzt, dass sie
auf den Trümmern Oesterreichs sich errichten liesse, uns nicht in den
unglücklichsten Zustand, in den ein Volk geraten kann, führen : in die
scheinbare Unabhängigkeit bei thatsächlicher Abhängigkeit von einem mäch-
tigen Nachbar?
Indessen, wie wenig zuversichtsvoll auch die Antwort auf diese Fragen
ausfiel, Andrässy verzagte nicht. Weder konnte, noch wollte er sich befreun-
den mit dem Gedanken, dass die ungarische Nation ihre Bolle für immer
ausgespielt habe. Er hoffte bestimmt, dass in dem ungarischen Staate das
nationale Sein wiedererstehen werde, wenn auch unter anderen Verhält-
nissen und Bedingungen, als die Führer der ungarischen Emigration gehofft
und gewünscht haben mögen. Und das Zeugniss der Weltgeschichte war es,,
was ihn in diesem Glauben zumeist bestärkte.
Andrässy erblickte darin eine der packendsten Lehren der historischen
Vergangenheit des ungarischen Volkes, dass nicht lediglich Gewalt, noch
Eigennutz, noch auch Einschüchterung unsere Vorfahren zur Anerkennung
der Herrschaft des Hauses Habsburg über Ungarn bewogen haben. Schon
in seinen Anfängen, fast gleichzeitig mit der Landnahme, trat der neu-
begründete Staat in häufigere und unmittelbarere Berührung mit den west-
lichen Grenzländern, als mit jenen in anderer Bichtung. Und es ist wahrlich
ein beachtenswerter Umstand, dass nicht allein unsere westlichen Nachbarn
das ungarische Gebiet wiederholt in ihre Machtsphäre einzubeziehen
getrachtet haben, sondern dass auch Ungarn häufig Versuche gemacht hat,
gerade diejenigen Länder, welche das heutige Oesterreich bilden, unter der
Suprematie der heiligen Stefanskrone zu vereinigen. Welches auch die
Ursachen dieser wechselseitigen Bivalität in jed^m einzelnen Falle waren,
die auf Jahrhunderte sich erstreckende Dauer dieser Bivalität ist jedenfalls
ein Beweis dafür, dass beide Teile die Notwendigkeit näherer Beziehungen
zu einander empfunden haben. Und war es auch zunächst die vom Osten
drohende Gefahr, welche zu Beginn des XVI. Jahrhunderts die beiden Teile
zur engem Vereinigung bewogen hat, so war solch inniger Anschluss im
Grunde doch auch durch tiefere Erwägungen eingegeben. Durch das
Band zwischen ihren Erbländem und Ungarn gewann die Dynastie neue^
Kraft im Bahmen des heiligen römischen Kaiserreiches gegenüber den
Schwankungen des letzteren, ja sogar für den Fall des Zusammenbruches
desselben. Ungani aber fand in diesem Anschlüsse die Brücke für seine
Verbindung mit dem civilisirten Westen, wodurch es, wenn auch nicht auf
einen Schlag, der vom Osten ausgehenden Eroberung, wie auch der Gtefahr
des Versumpfens im orientalischen Geiste zu entrinnen vermochte. Darin
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AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
5J1
erkannte Andrässy die historische Tragweite dieses Ereignisses^ aber auch
die Notwendigkeit desselben für unsere Nation.
Indessen er blieb bei dieser Grenzlinie nicht stehen. Aus den Jahr-
hunderten nach dem Unstern von Mohäcs schöpfte er noch weitere geschicht-
liche Zeugnisse. Die ungarische Krone ging auf das Haus Habsburg über,
allein das Land wurde weder ein Erbland der Dynastie, noch ging es in das
Deutsche Reich auf. Ungarn behauptete auch fernerhin seine abgesonderte
Staatlichkeit und sein selbstständiges nationales Dasein kraft seiner Eechte,
welche seitens der Fürsten anerkannt und sanctionirt wurden.
Indessen das Beisammenleben ging nicht ungetrübt von Statten.
Mancher Widerstreit entstand zwischen Krone und Nation und häufig griffen
beide zu den Waffen. Aber es ist sicherlich eine der bedeutsamsten histo-
rischen Erscheinungen, dass, nach welcher Seite auch das Glück der lang-
wierigen Kämpfe sich neigte, keiner der beiden Gegner je seinen Triumph
auf Kosten des andern voll ausgenützt hat.
Stets klang die Fehde in einem Ausgleich aus, wobei die Djmastie die
Gesetze des Landes und die Privilegien desselben aufs neue bekräftigte, die
Nation aber aufrichtig und rückhaltslos dem Monarchen huldigte. So folgte
den Kämpfen eines Bocskai, eines Bethlen, eines Georg Käkoczi in Form
von Friedensschlüssen eine ganze Beihe förmlicher staatsrechtlicher
Ausgleiche auf dem Fusse, so wich der Kampf Franz Bakoczi's dem Szat-
märer Frieden und später der pragmatischen Sanction, so auch wurde der
zehnjährige Gonflict am Ausgange des vorigen Jahrhunderts durch die
Gesetzgebung von 1790/91 abgelöst. Wenn sich dies nun in der Vergangen-
heit so oft wiederholt hat, war dann die Annahme nicht richtig, dass es
auch in der Zukunft so geschehen müsse ? War die Berechnung nicht
gerechtfertigt, dass auch den 1849-er Ereignissen ein neuer Ausgleich zwi-
schen Krone und Nation folgen werde ? Und musste nebst den grossen
Interessen, welche Dynastie und Land an einander wiesen, welche die gegen-
seitige Versöhnung als ein Lebensbedürfniss Beider erscheinen Hessen, nicht
auch jener mächtige Factor mit in Betracht gezogen werden, den die über-
lieferten dynastischen Gefühle der ungarischen Nation darstellen ? Aus dem
Osten hatten wir dieses Gefühl mit uns gebracht, aber erst hier auf diesem
Boden, im neuen Vaterlande ist es gross und kräftig geworden. Jene wun-
derbare staatßbildende Kraft, welche unser Volk schon damals offenbarte,
als es kaum noch sich aus den lockeren Banden des Nomadenlebens befreit
hatte, deutet ja darauf hin, dass bei uns das innere Leben der Nation seit
dem Anbeginn unlöslich mit der staatlichen Gewalt verschmolzen war.
In dieser Gestalt erschien seit Jahrhunderten unsere Entwicklung und sie
hat sich darum dem nationalen Empfinden tief eingeprägt. Indessen jedes
ähnliche Gefühl heischt ein Symbol und findet es dasselbe, so wird es unter
dessen Einwirkung noch kräftiger. Die christliche Welt sieht alle Begriffe
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512
LI. JAHRESVERSAMMLUNG DER ÜNaARISCHEN
des Glaubens und der Gesittung in dem Kreuze versinnbildlicht ; der reli^
giöse Eifer des Mohamedaners gewinnt am Grabe des Propheten erneute
Lebenskraft. So erblicken v^ir Ungarn seit 900 Jahren das Sinnbild aller
Bedingungen und Bürgschaften unseres staatlichen und nationalen Lebens
in der heiligen Krone. Diese ist das Symbol unserer Nation, v^elches unter
so mannigfachen Wechselfällen die Zuversicht in unseren Herzen nicht
erlöschen liess und uns stets Vertrauen in die Zukunft einflösste. Unserer nie
erschütterten Anhänglichkeit an die heilige Krone entsprang unsere starke
monarchistische Neigung und das dieser entsprechende dynastische GefühL
Die Zauberkraft der Krone schuf das wechselseitige Verhältniss zwi-
schen Nation und Dynastie. Aus diesem Verhältniss aber ergibt sich natur-
gemäss die grosse Lehre unserer Geschichte, dass trotz der häufigen Con-
flicte, trotz der oft jahrelangen scheinbaren Trennung die Rechte der Nation
nie verjährt, ja jedesmal aufs neue bekräftigt worden sind, wie auch dass
andererseits die Kechtscontinuität der Dynastie im Volksbewusstsein nie
dauernd unterbrochen worden ist.
So gelangte Andrässy, das mahnende Wort der Geschiebte richtig
erfassend, zu der Ueberzeugung, dass die ungarische Nation die Befriedigung
ihrer berechtigten Anforderungen nicht im Kampfe gegen die Dynastie, son-
dern lediglich im Wege aufrichtiger Versöhnung zu erreichen vermag. Und
aus dieser Ueberzeugung entstand in seiner Seele die feste Zuversicht, dass
das Werk der grossen Aussöhnung, ob es auch eine Weile auf sich warten
lasse, zuletzt doch aufgeführt werden wird. Denn so wie er das Heil der
Nation einzig und allein davon erwartete, dass sie in voller Treue sich wieder
der Dynastie zuwende, zweifelte er auch daran nicht, dass die Dynastie in
einem befriedigten Ungarn ihre stärkste Stütze finden werde.
Nachdem er nach langwierigen inneren Kämpfen und durch starke
Denkarbeit den seiner Ansicht nach einzig richtigen Weg gefunden, den er
dereinst zu wandeln sich vornahm, zog sich Andrässy in der Emigration
immer mehr von jenen Gefährten zurück, die nach wie vor dem Wahne an-
hingen, dass nur die Unversöhnlichkeit eine glücklichere Zukunft sichern
könne. Zu jener Zeit hatte sich in der öffentlichen Meinung des Vaterlandes
bereits eine wesentliche Wandlung vollzogen. Die Nation wollte leben. Weder
die Erinnerungen der Vergangenheit, noch die Illusionen der Zukunft befrie-
digten sie mehr, in der Gegenwart wollte sie all das besitzen, was dem Leben
Wert verleiht und konnte sie nicht Alles auf einmal erreichen, so war sie
bereit, sich vorerst auch mit Wenigerem zu bescheiden. Die darob die Nation
kleinmütig schalten, kannten nicht die Natur des Menschen, noch die uner-
bittlichen Lehren der Geschichte ! Den Todessprung des Curtius können nur
Einzelne unternehmen, Völker und Nationen nimmermehr. So war es auch
in Ungarn. Die scharfen Gegensätze begannen sich zu glätten, neue Hoff-
nung blühte allenthalben und ein Geist der Versöhnung wehte durch das
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AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 513
ganze Land. Viele in der Emigration übersahen diese Wandlung oder sie
Hessen dieselbe unbeachtet. Andrässy aber verfolgte mit Aufmerksamkeit
die Q^burtswehen der neuen Ideen in der Heimat; auch war er genau davon
unterrichtet, wie ein grosser Teil der Nation bereits ganz anders als noch
vor wenigen Jahren dachte. Nun erachtete er die Zeit für gekommen, das
Ausland zu verlassen ; und als er die Amnestie erhielt, kehrte er, der Ersten
einer in die Heimat zurück.
Und seit diesem Augenblick lebte unerschütterlich in ihm der Ent-
schluss, alle seine Kraft, sein ganzes Können der aufrichtigen und vollen
Aussöhnung zwischen Dynastie und Nation zu weihen. Aber darum ver-
leugnete er nie seine Vergangenheit^ noch warf er je die Elrinnerung an die-
selbe von sich.
Er hielt dafür, dass nur eine Alltagsseele geringschätzig auf die längst
verflüchtigte erste Liebe ihrer Jugend zurückblicken könne, wenn sie bereits
in glückUcher Ehe lebt. Bald nachher nahm Andrässy seine Thätigkeit auf
socialem, wie auf politischem Gebiete auf. Er schloss sich den Besten der
Nation und insbesondere jenem weisen Manne an, dessen Auffassung mit der
seinigen in so mancher Hinsicht identisch war und dem ewiger Buhm für
die Aufstellung des Grundsatzes gebührt, dass ein Becht nur dann verloren
gehen könne, wenn wir freiwilUg auf dasselbe verzichten.
Andrässy teilte vollständig dieses Princip und wir finden ihn unter
Denjenigen, welche in den sechziger Jahren die Führer der Kämpfe um die
Unverjährlichkeit der Bechte des Landes gewesen sind. Allein für wie not-
wendig, für wie unerlässlich auch Andrässy das Becht, als die Grundlage des
nationalen Sems, ansah, so galt ihm dasselbe gleichwohl ohne die äusseren
Attribute der Macht als unzureichend für die kräftigere Entwicklung der
Staatlichkeit. Denn nicht der Stillstand auf noch so sicherer Grundlage,
sondern der beständige Fortschritt war es, was er anstrebte. Und in der
That, ihm zumeist ist es zu danken, wenn in dem wiederhergestellten Beehts-
zustande auch die Machtfactoren des ungarischen Staates zur Geltung ge-
langt sind. Wenigen unter den Sterblichen ward das Glück zuteil, die Ideale
ihrer Jugend sich verwirklichen zu sehen. Andrässy ist einer dieser Wenigen
gewesen ; was ihm als fünfundzwanzigjährigen Jüngling als Lebensziel vor-
schwebte, er hat es in späterer Zeit voll und ganz erreicht. Die aufrichtige
Versöhnung mit der Dynastie erweckte die ungarische Nation im ungarischen
Staate zu neuem Leben und der Ausgleich mit Oesterreich sicherte ihr die
Vorteile einer Grossmacbtstellung. Andrässy, der einen so bedeutenden
Anteil an der Wiedergeburt seines Vaterlandes hatte, der so unverbrüchlich
auf die versöhnende und zugleich einende Kraft der heiligen Krone vertraute,
Andrässy verdiente es wahrhaftig, das-? er es war, der, durch das ungeteilte
Vertrauen der Nation hiezu erkoren, die heilige Stefanskrone auf das gesalbte
Haupt des Königs legen durfte.
Ungarische Rotu*, XL 1891. VI— VO. Heft. 33
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514 LI. JAHKESVERSAMMLUNÖ DER UNOARIßCHEN
Grosses hatte Andrässy erstrebt und Grosses erreichte er auch. Es gab
Leute, die, da sie seine unleugbaren Erfolge nicht in Abrede steUen konn-
ten, wenigstens seine Verdienste geleugnet und nur sein erstaunliches Glück
anerkannt haben. In welchem Irrtum waren diese Leute befangen ! Poli-
tische Erfolge werden nicht durch das Glück, nicht durch günstige Fügungen
des Zufalles geschaffen, sondern nur Befähigung, Willensstärke, Mut, Aus-
dauer und Thatenlust vermögen deren Wiederkehr herbeizuführen. Das
selbstbewusste, consequente Handeln ist aber freilich so selten hienieden,
dass es allenthalben Aufsehen erregt und Erwartungen nach neueren, grös-
seren Thaten erweckt. Und wenn an einen Menschen auf solche Art sich die
Ansicht heftet, dass er Etwas nur anzufassen brauche, um es zu gutem Ende
zu führen, so verwandelt sich diese Ansicht mit der Zeit allerdings zur
Wahrheit. Ohne Mühen und ohne Kämpfe lässt sich das freilich nicht er-
reichen. In Mühen und Kämpfen hat denn auch Andrässy durch die Kraft
der eigenen Individualität jene grossen Erfolge errungen, welche seine poli-
tische Laufbahn aufweist. In einer Hinsicht ist ihm aber das Glück aller-
dings behilflich gewesen. Selbst sein Genie wäre gelähmt gewesen ohne die
mächtige Unterstützung, die es in dem erleuchteten Geiste, in der unend-
lichen Huld des Herrschers gefunden hat. Der König und sein Batgeber
haben einander so ganz und gar verstanden, dass die Geschichte für dieses
wechselseitige Verständuiss fast kein zweites Beispiel hat. Jener Fürst, der
nichts höher als die rechtschaffene Ueberzeugung schätzt; der, den Ein-
gebungen seines Herzens folgend, stets bereit ist, den gegen ihn sich Ver-
gehenden zu verzeihen, und der nur gegen sich selbst immer nachsichtslos
ist ; der Fürst, dem selbst das schwerste Opfer eine Freude und eine Beruhi-
gung ist, wenn das Staatswohl dasselbe erheischt, der selbst unter den
drückendsten Verhältnissen stet« mit sicherem Urteil den rettenden Pfad
gefunden hat; — dieser Fürst begriff und würdigte Andrässy's Bestrebungen
und indem er denselben die Sanction seines Willens verlieh, zeichnete er
Andrässy durch sein Vertrauen aus. Das war das einzige und zugleich das
grösste Glück Andrässy's. Aber dieses Glückes sind wir ja sammt und son-
ders teilhaftig. Denn es ist unser Aller gemeinschaftliches Glück, dass unser
Souverän Franz Josef, der Weise, der Gütige, ist.
So kam denn die beiderseits gleich aufrichtige Versöhnung zwischen
Krone und Nation zu Stande. Der Verdienste, welche Andrässy um die Her-
stellung der Verfassung und des Verhältnisses mit Oesterreich, sowie um
die Begründung des Dualismus sich erworben, wird die Geschichte Ungarns
gewiss in grösster Dankbarkeit gedenken. Das grosse Ausgleichswerk haftet
aber nicht unmittelbar an seinem Namen. Nicht ihm war in dem langen,
erfolgreichen Kampfe die Führerrolle zugefallen ; er war nur einer der Mit-
arbeiter, freilich zweifellos der bedeutendste unter denselben.
Seine specifische Thätigkeit, diejenige, welche ganz den Prägestempel
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AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
515
seiner Individualität an sich trägt, welche ausscbliesslicb nach seinem
Willen und nach seiner Auffassung sich gestaltet hat, begann im Grunde
erst in der Zeit, da er durch das Vertrauen der Krone und der Mehrheit
der Nation an die Spitze der neuernannten verantwortlichen Begierung trat.
Seit diesem Augenblicke beherrschte sein mächtiger Geist die Verhältnisse
und die Begebenheiten. Und fürwahr, die Nachwelt wird mit Fug und Recht
jenen Zeitabschnitt, in welchem er Ungarns Geschicke lenkte, «die Aera
Andrässy» benennen. Und zwar nicht lediglich im Hinblick auf jene bedeut-
samen Schöpfungen, welche damals ins Leben gerufen wurden, sondern
noch mehr mit Bücksicht auf jene tiefe und bleibende Wirkung, welche die
durch Andrässy geschaffene Bichtung bis auf den heutigen Tag auf die
Entwicklung der ungarischen Nation bethätigt hat.
Den hervorstechendsten Charakterzug der innern Politik Andrässy's
bildet das strenge und unerschütterliche Festhalten der durch den Aus-
gleich geschaffenen Grundlage. Diese Basis genügte ihm nicht nur, sie war
ihm auch die einzige sichere und mögliche Bedingung, auf welche gestützt
die ungarische Nation alle jene Vorteile zu erringen vermag, welche die
Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes mittelst selbstständig eingerich-
teter staatlicher Institutionen einem Volke sichern kann. Er forderte daher
ganz entschieden, dass wir die staatsrechtliche Basis nicht vorsätzlich
erschüttern sollen, auf welcher unser nationales Dasein, um sich zu conso-
lidiren, lange Zeit wird ruhen müssen. In der That wäre es ja das unsin-
nigste Beginnen von der Welt, ein für unsem Gebrauch gebautes Haus
lediglich deshalb, weil unsere Nachfahren dasselbe später wahrscheinlich
nach ihrem Geschmack und nach ihrer Bequemlichkeit umgestalten wer-
den, immer wieder vom Grund auf neu zu bauen. Andrassy sah es als seine
staatsmännische Aufgabe an, jeglichen, von welcher Seite immer kommen-
den Versuch energisch abzuwehren, der darauf abzielte, in den Ausgleich
eine Bresche zu legen.
Und das that ja auch in hohem Maasse not. Denn ob auch die ganze
Nation mit ungeteilter Freude die Verfassungsmässigkeit begrüsste, so war
doch nicht die ganze Nation befriedigt von den Modalitäten und Bedin-
gungen des Ausgleiches. Es erstand eine starke Opposition, welche zwar
nicht die Gemeinsamkeit der Dynastie und im Allgemeinen auch nicht das
Beisammenbleiben mit Oesterreich anfocht, aber die staatsrechtliche Basis,
auf welcher der Ausgleich zu Stande kam, missbilligte. Im Interesse der
Zukunft Ungarns, wie solche ihm vorschwebte, trachtete Andrassy es um
jeden Preis zu verhindern, dass diese Richtung die Oberhand gewinne. Denn
er sah das Ziel, dem sie zustrebte, als ein verfehltes an. Er sah es als verfehlt
an, weil das, was die Opposition anstrebte, unter den gegebenen Verhält-
nissen unerreichbar war und weil jene mithin das Reelle um des Unerreich-
baren willen opfern wollte. Auf den weiten Steppen des Alföld, wo das Gros
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516
LT. JAHRE8VEKSAMMLUNG DER UNGABISCHEN
der ungarischen Bace lebt, reicht der Blick in die endlose Feme hinaus. Von
Zeit zu Zeit aber erscheint die Fata Morgana und zaubert uns wunderbare
Scenen so lebenntreu vor, dass wir das Trugbild häufig für Wirklichkeit an-
sehen und des fernen aber wahren Horizonts vergessen. Andrässy besorgte
in der Politik gar Manches von diesem specifisch ungarischen Phänomen.
Die Natur hat den Ungar mit einem unbefangenen, weitdringenden Blick
gesegnet, doch verliert unser Volk zuweilen die Empfindung des Beeilen und
dann schwelgt es in den Gaukelbildern des Eingebildeten, des Scheins. Das
ist die Einwirkung der Fata Morgana auf die Volksseele. So fasste Andrässy
die Politik der Opposition auf und er glaubte nicht, dass dieselbe dem Heile
Ungarns zuträglich sein könnte. Denn das Bestehen auf dem Unmöglichen
konnte doch nur zur blossen Negation, zur Lähmung führen. Die Nation
aber bedurfte der Thaten, des unentwegten, beständig vorwärtsstrebenden
Wirkens, um aus der ohnehin schon lange genug währenden Versumpfung
herauszuwaten Andrässy war hievon durchdrungen, als er entschieden die
Bahn des positiven Handelns betrat und die negative Bichtung der Opposi-
tion bekämpfte. Und in diesem Streite fiel der Sieg ihm zu, wie dies ja gar
nicht anders kommen konnte. Er blieb Sieger, obzwar er jener Waflfe ent-
behrte, durch welche auf dem Gebiete, wo diese Fehde sich vollzog, im Par-
lamente nämlich, der Triumph am wirksamsten gesichert wird. Die Natur
hatte ihm die Gabe der tönenden Phrasen, des Wohllautes der Sprache und
des fliessenden Vi rtrages versas?t, er entbehrte also all jener Mittel, durch
welche grosse Bhetoren die Zuhörerschaft zur Begeisterung hinzureissen
wissen. Aber wie mühsam er auch die Worte hervorstiess : wenn er sprach,
fühlte dennoch Jedermann, dass die Dinge, die er sagte, seiner innersten
Ueberzeugung entquollen und eine tiefe Bedeutung besassen und dass er
Dasjenige, was er will, klar und ganz zu wollen verstand. Darin wurzelte das
Geheimniss seiner grossen Wirkung und seiner Superiorität auf dem Gebiete
der parlamentarischen Discussion, wie auch im Allgemeinen auf der poli-
tischen Wahlstatt. Denn seit den Anfängen der Geschichte, durch alle
Schichten der Gesellschaft hindurch, bei allen Völkern, von den barba-
rischesten bis zu den civilisirtesten, hat ein einzelner Mensch nur durch nie
schwankenden, selbstbewussten Willen sich die bleibende Führerschaft über
seine Mitmenschen zu sichern vermocht.
Und so wie er die Ausfälle der Opposition siegreich zurückschlug,
ebenso entschieden verteidigte Andrässy das Ansehen Ungarns und dessen
Bechte gegen die aus dem verdrängten System stellenweise noch übrig ge-
bliebenen Gegenströmungen, welche den ungehinderten Lauf der neuen
Verhältnisse zuweilen zu hemmen trachteten. Durch die Aufrichtigkeit seiner
Ueberzeugungen, die strenge Consequenz seiner Grundsätze und die Festig-
keit seiner Willenskraft errang Andrässy seine Erfolge auch auf diesem
Felde, ebenso wie im Schosse seiner eigenen Partei.
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AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. ö^7
Denn zweifellos waren die Schwierigkeiten, gegen die er anzukämpfen
hatte, nicht lediglich von der Opposition ausgegangen. Andrässy war aller-
dings Chef der Kegierung, aber nicht zugleich der Führer jener Partei, aus
welcher die Regierung gebildet worden. Und wirkte schon dieser Umstand
zuweilen lähmend auf seine Thätigkeit, so stellte ihm ein anderer Umstand
oft vollends noch grössere Schwierigkeiten in den Weg. Die Schöpfer des
neuen Zustandes und die aufrichtigsten Anhänger desselben, insbesondere
Viele von Jenen, die schon vor der Revolution eine bedeutende Rolle in den
öffentlichen Angelegenheiten gespielt hatten, brachten es nicht über sich,
mit den Ueberlieferungen der Vergangenheit, noch mit den einstmals berech-
tigten, nunmehr aber völlig entkräfteten Anschauungen zu brechen.
In jener grossen Partei, welche den Ausgleich zu Stande brachte, gab
es selbst unter den Besten Solche, die noch von der Zeit her, da es keine
nationale Regierung gab, gewöhnt waren, die Regierung als ein einigermassen
notwendiges Uebel zu betrachten, das, weil notwendig, zwar geduldet werden,
vor dem man aber, weil es ein Uebel war, sich hüten musste. Diese tradi-
tionelle Anschauung machte sich zu Beginn der constitutioneUen Aera viel-
fach geltend. Freilich nicht in so entschiedener Form, wie ehedem, auch
nicht als erklärte Opposition gegen einzelne Mitglieder des Gabinets, wohl
aber als latentes Misstrauen gegen die Institution der Regierung überhaupt.
Aus der Geschichte der seit der Revolution verstrichenen zwei Jahrzehnte
schien sich unverkennbar und spontan die Lehre zu ergeben, dass das blosse
Klammern an das Recht und die beständige Betonung der Rechtscontinuität
die mächtigste Waffe in der Hand der Nation sei. Kein Wunder daher, wenn
gerade in Denjenigen, die auf diese Art so grosse Resultate erzielt hatten,
einige Bedenken in der Richtung aufstiegen, dass die Regierung als voll-
streckende Gewalt nicht geneigt sein werde, die aus dem Gesichtspunkte des
Rechtes geboten erscheinenden Einschränkungen in ihren Handlungen zu
dulden. Daraus entwickelte sich nun spontan die Auffassung, dass die Haupt-
aufgabe in der Kräftigung jener Institution, welche als Quelle und Hüterin
des Rechts betrachtet wurde, das ist in der Kräftigung des Parlaments liege
und dass die Gesetzgebung gegenüber der Regierung einen nicht nur con-
trolirenden, sondern auch thätig eingreifenden Einfluss zu nehmen habe.
Diese Auffassung, hatte sie sich zur Geltung durchgerungen, würde sicher-
lich nicht allein die Omnipotenz des Parlaments, sondern auch die vollstän-
dige Lähmung der Regierungsautorität zur Folge gehabt haben.
Andrässy war nun überzeugt davon, dass wenn irgend ein Volk auf
Erden, gerade das ungarische einer starken Regierung bedurfte. Nur eine
stets thatbereite und energische Regierung konnte erfolgreich ankämpfen
gegen die Schwierigkeiten unseres Verhältnisses mit Oesterreich und gegen
die in unserem Vaterlande zuweilen auftretenden centrifugalen Bestrebun-
gen. Andrässy hegte die Ansicht, dass im Völkerleben der Regierungsgewalt
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518 LI. JAHRKSVERSAMMLÜNa DER UNOARISCHEN
dieselbe Bestimmung zufalle, wie dem Willen im menschlichen Organismus.
Oleichwie im einzelnen Menschen Vernunft, Begabung und Veranlagung
nur durch den Willen zur Greltung kommen kann, so vermag auch eine Re-
gierung nur Errungenschaften zu erzielen, welche dem Geiste und den Wün-
schen eines Volkes entsprechen. Als unbegründet sah er auch die Besorgniss
an, dass eine aus dem Vertrauen der Mehrheit des Volkes entstandene Be-
gierung, so kräftig sie auch werde, der Nation selbst gefährlich werden
könnte. Die engherzige Einschränkung der gouvemementalen Befugnisse
unter dem Losungsworte der Verteidigung der im Grunde gar nicht gefähr-
deten Verfassungsmässigkeit betrachtete er als eine in hohem Masse schäd-
liche Tendenz. tDIe verfassungsmässige Grarantie» — so sprach er anlässlich
der Adressdebatte im Jahre 1868 — «ist niemals in einzelnen Punkten des
Gesetzes enthalten, sondern in der Reife des Volkes, in jenem Gewichte,
welches die Nationen selbst sich zu erringen wissen ; dies in Paragraphen zu
fassen, ist aber die bare Unmöglichkeit.! In diese Beife setzte Andrässy sein
Vertrauen, als er die Notwendigkeit der Begierungsautorität und der gouver-
nementalen Actionsfreiheit verteidigte, und es ist zweifellos ein Hauptver-
dienst seiner inneren Politik, dass er die aus der Vergangenheit überkom-
menen Vorurteile gegen die Begierungsgewalt zerstreut und hiedurch die
Möglichkeit geschaffen hat, dass bei uns eine starke Begierung auf constitu-
tioneller Grundlage sich bilden konnte.
Allein indem Andrässy diesem Ziele zustrebte, war er nicht geleitet
durch persönliche Herrschsucht, sondern durch den Wunsch, die Versäum-
nisse der Vergangenheit ehebaldigst wett zu machen und die ungarische
Nation auf die Bahn des möglichst raschen Fortschrittes zu lenken.
Wohl war er sich dessen bewusst, dass selbst der überlegenste Ver-
stand, sich selbst überlassen, die Regierung eines Landes und ganz besonders
die Wiedergeburt eines Volkes nicht erfolgreich zu leiten vermag. Darum
erkor er sich seine Mitarbeiter in der Begierung aus der Beihe der vortreff-
lichsten Männer, aus dem Kreise derer, die, auf dem Niveau westeuropäischer
Bildung stehend, zu energischem und selbständigem Wirken bereit und be-
fähigt waren. Nicht das ist fürwahr Andrässy's Streben gewesen, dass seine
Persönlichkeit über die Anderen emporrage, sondern dass Ungarn gedeihe.
Und indem er dies selbstbewusst anstrebte, musste er es auch unbewusst
erreichen.
Mit der festen Consolidirung der inneren Angelegenheiten sich beschäf-
tigend, betrachtete Andrässy unser Vaterland, wie ein Seemann sein ihm
liebgewordenes, aber altes und vom Zahn der Zeit benagtes Schiff, welches
er, indem er es reparirt und umgestaltet, zugleich mit einer mächtigen
Dampfmaschine versieht, auf dass es in Windstille wie im Orkan mit gleicher
Kraft die Wogen durchschneide und den Wettkampf mit allen Schiffen der
W^elt bestehe ; aber auch die einigermassen veralteten Segel wirft er nicht
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AKADEMIK DER WISSENSCHAFTEN. '^1^
fort, welche, wenn die Maschine versagt, das Schiff doch schlecht und recht
vorwärtsbringen können, bis wieder alles in Ordnung kommt. So wollte auch
Andrässy nicht einen endgiltigen Bruch mit den von der Vergangenheit er-
erbten Institutionen, vielmehr strebte er dahin, dass neben diesen neue Schö-
pfungen, die dem Geiste der Nation und zugleich den Anforderungen der
allgemeinen Givilisation entsprechen, ins Leben gerufen werden. Denn nur
so hielt er es für erreichbar, dass die erstarkte ungarische Nation auf der
Stufenleiter des Fortschrittes sich unter die civilisirtesten Völker Europas
emporschwingen könne. Die neuen Schöpfungen heischten freilich schwere
Opfer von der Nation, während die Vorteile naturgemäss nur mälig und erst
nach geraumer Zeit sich einstellen konnten. Gleichwohl wäre es unbillig, für
die ungünstige Finanzlage, welche später durch Jahre anhielt, jenen raschen
Fortschritt verantwortlich zu machen, den das Gabinet Andrässy inaugurirt
hatte. Kein Volk auf Erden hat je ohne Opfer und ohne Kraftanstrengungen
grosse und bleibende Vorteile errungen. Diesen Preis muss jede Nation ent-
richten, welche nicht blos vegetiren, sondern mächtig und geachtet sein will.
Und in That wer will es leugnen, dass, wenn heute wieder eine günstigere
Epoche für unser Vaterland herangedämmert ist, wir dies lediglich dem Um-
stand zu danken haben, dass der Opferwille, zu welchem Andrässy die Nation
angespornt, endlich seine Früchte getragen hat, und dass wir treu geblieben
sind jener Entwicklungstendenz, deren zuverlässige und gesunde Basis er
gelegt hat. Auch zauderte Andrässy nie, von der Nation Opfer zu fordern,
wenn er solche für das Land als notwendig sah, und nie bekümmerte er sich
darum, dass er hierdurch seine Volkstümlichkeit embüssen möchte. Viel
edler und viel humaner war sein Empfinden, als dass er die Anerkennung
der öffentlichen Meinung gering geschätzt oder verachtet hätte. Allein wie
wohl auch die aufrichtige Würdigung seinem Herzen that, nie war sie von
Einffuss auf seine Handlungen. Denn niemals liess er sich durch ein anderes
Motiv, als durch seine reinste Ueberzeugung leiten. Auch damals gab er
nicht dem Sehnen nach Volkstümlichkeit statt, als er jene Institution schuf,
welche durch die ganze Nation mit ungeteilter Befriedigung und Freude
begrüsst wurde : die Honvedarmee.
Inmitten der europäischen Staatengebilde erblickte Andrässy die zu-
verlässigste Bürgschaft Ungarns in der gemeinsamen Wehrkraft mit Oester-
reich im gemeinsamen Heere. So tief überzeugt war er von der Notwendig-
keit dieser Institution für Ungarn, dass er auch die letzte Bede seines Lebens
ihrem Schutze widmete. Allein so wie er das gemeinsame Heer als eine
Lebensbedingung der dualistischen Monarchie, und in dieser Ungarns an-
sah, ergab sich ihm gerade aus dem Geiste des Dualismus die Notwendigkeit,
dass sofern dies ohne Schädigung der gemeinsamen Interessen, ja zu deren
Nutzen möglich ist, beide Teile mit allen Attributen des selbstständigen
staatlichen Seins ausgestattet seien. Dies ist die Bedeutung der Honvedarmee,
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520 LI. JAHRESVERSAMMLUNG DER UNGARISCHEN
wie Andräsey eie ins Leben gerufen bat. Die Honvedarmee bildet ebenso wie
das gemeinsame Heer einen integrirenden Bestandteil der gemeinsamen Wehr-
macht, zugleich aber ist sie ein Sinnbild der besonderen Staatlichkeit Ungarns.
Es war sonach Andr^sy*s Geist, der in die durch den Ausgleich ge-
schaffene Form den Lebensodem gehaucht hat. Seine Schöpfungen und
diejenigen der durch ihn geleiteten Regierung setzten die Nation in Stand,
ihre Kraft in allen Bichtungen frei zu entfalten. Auch ist gegen sein Wirken
nie auch nur eine einzige ernstere Besorgniss laut geworden. Wohl gab es
Manche (u. zw. unter seinen Anhängern mehr als unter seinen Wider-
sachern), die ihn darob anklagten, dass er zu viel sich mit den auswärtigen
Angelegenheiten abgab, wodurch die Befürchtung geweckt wurde, er würde
darüber die ungarischen Angelegenheiten vernachlässigen. Indessen war
dieser Vorwurf ein billiger? Begeht der Minister-Präsident Ungarns wirklich
ein Unrecht, wenn er ein Interesse für die auswärtige Politiv bekundet?
Andrässy war durchaus nicht dieser Meinung.
Er hielt dafür, dass er, indem er sich mit den auswärtigen Angelegen-
heiten beschäftigte, Ungarns Interesse nicht vernachlässigte, sondern viel-
mehr eine wichtige Pflicht gegenüber seinem Vaterlande erfüllte. Nur vou
einer untergeordneten Provinz kann es gelten, dass sie um auswärtige Politik
sich nicht zu kümmern habe. Ungarn aber war seit dem Zustandekommen
des Dualismus ein dem andern Teile vollständig gleichberechtigter Factor
geworden« Und so wurde nicht allein der Bestand der Monarchie auf der
dualistischen Grundlage, sondern auch die Gestaltung der Beziehungen
zum Auslande ein ungarisches Interesse. Mit Recht war daher Andrässy da-
von überzeugt, dass der ungarische Minister-Präsident sich nicht damit be-
gnügen könne, alldas abzuwehren, was im Bereiche der auswärtigen Politik
aus ungarischem Gesichtspunkte schädlich erscheinen möchte, sondern, dass
er auch die Pflicht habe, darauf zu achten, dass in der äusseren Politik nichts
geschehe, was der ganzen Monarchie abträglich wäre, andererseits aber Alles
geschehe, was der Machtstellung der Monarchie und ihrem Ansehen förder-
lich sein könnte.
So fasste Andrässy die Aufgabe des ungarischen Minister-Präsidenten
auf ; nichts war daher natürlicher, als dass er den ihm gebührenden Einfluss
auch auf auswärtigem Gebiete zur Geltung zu bringen trachtete. Sein stets
sicheres und richtiges Urteil, sein hoher Gedankenflug sicherten schon
damals seinen Worten ein grosses Gewicht im Rate der Krone. Hiezu kam
noch, dass er als Minister-Präsident sich auf die öffentliche Meinung Ungarns
berufen konnte, was den Wert seiner Anschauungen in nicht geringem Maasse
erhöhte. So wurde nicht allein in Ungarn, sondern auch in Oesterreich die
Ansicht immer allgemeiner, dass er zur Leitung der auswärtigen Angelegen-
heiten berufen sei. Die öffentliche Meinung täuschte sich nicht in ihrer Ver-
mutung, Andrässy wurde in der That Minister des Aeussem.
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AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 521
Im Kreise der europäischen Diplomatie wurde da und dort die Ernen-
nung Andrässy's mit einigen Skrupeln aufgenommen. Man besorgte, sein
heissblütig ungarisches Temperament werde ihn zu unbedachten Schritten
hinreissen, woraus unerwartete und unangenehme Verwicklungen entstehen
möchten. Wie wenig kannten den ungarischen Charakter und insbesondere
die Individualität Andrässy's Diejenigen, die solche Besorgnisse hegten ! Wir
Ungarn setzen uns freilich in unseren Aeusserungen häufig über die Schran-
ken der kühlen Erwägung hinweg. Aber anders verhält es sich um unsere
Handlungen. Es gibt wahrlich kein Volk, das im Laufe eines tausendjährigen
Bestandes so viel vernünftige Mässigung und berechnende Klugheit bekundet
hätte als die ungarische Nation. Von einem Volke, das seit Jahrhunderten
seinen Bestand seinem erstaunlichen politischen Gefühle dankt, war es nicht
vorauszusetzen, dass es, der Lehren seiner Geschichte vergessend, eine leicht-
fertige oder stänkernde, äussere Politik heischen werde. Und was in der
Nation lediglich ein durch die historische Entwicklung gezeitigter Trieb war,
das offenbarte sich in Andrässy als wohlbedachte Ueberzeugung. Daher
kommt es, dass er sein Wirken als Minister des Aeussern zur Ueberraschung
Vieler nicht mit einer auffälligen That, sondern ruhig und mit der grössten
Behutsamkeit antrat. Die Skeptiker in der Diplomatie gewahrten alsbald,
dass sie es mit einem Staatsmanne zu thun hatten, dessen Gharakterzüge
eine klare Auffassung, ein starker Wille und zugleich eine ruhige Erwägung
der Verhältnisse und der Eventualitäten waren. Und da diese Eigenschaften
stets Anerkennung und Achtung erringen, so machten sich der Einfluss
AndrÄssy's und das Gewicht seiner Ansichten in der internationalen Politik
alsbald fühlbar. Zwar so manches sehr wichtige Detail seines auswärtigen
Wirkens bedeckt noch der Schleier einiger Unklarheit. Aber im Grunde ist
das nur natürlich. Nur die Geschichtschreibung ist ja im Stande, die heiklen
Fragen der Diplomatie in vollem Lichte darzustellen. Allein die Erfolge,
welche Andrässy erzielt hat, stehen klar vor uns, so klar, dass wir hinsicht-
lich der Grundsätze, die ihn leiteten, der Richtung, die er verfolgte, uns ein
vollständig richtiges Bild zu construiren vermögen, auch wenn wir den Weg,
den er ging, nicht immer verfolgen können.
Die auswärtige Politik Andrässy's kann in der That in einige Worte
zusammengefasst werden. Sein Ziel war einerseits, dass die Monarchie nicht
allein nominell nach Massgabe ihrer Gebietsausdehnung und ihrer Bevölke-
rungszahl eine Grossmacht sei, sondern auch wirklich als solche auftrete.
Andererseits wollte er, dass die in der Grossmachtstellung wurzelnde Kraft
in jene Richtung gelenkt werde, in welcher sie trotz der ungünstigen geogra-
phischen Lage und in Folge der neuen Gestaltung der europäischen Ver-
hältnisse am wirksamsten zur Geltung kommen kann. Alles, was Andrässy
als Minister des Aeussern initiirt und gethan hat, war nur ein Mittel zu
diesem zweifachen Zwecke.
Ungarische ReTiie, XI. 1891. VI— VII. Beft. 33^
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^"^^ LI. JAHRESVERSAMMLUNG DER UNGARISCHEN
Wenn Andrässy den Wunsch hegte, dass das Gefühl der Grossmacht-
stellung sich auch nach Aussen hin kräftiger offenbare, so wollte er dadurch
keineswegs irgend einer persönlichen Politik den Weg ebnen, noch dachte er
an abenteuerliche Unternehmungen, welche den Frieden der Monarchie
gefährden konnten. Seiner Ansicht nach konnte nur eine solche audwärtige
Politik heilbringend sein, welche die Interessen aller Factoren der Monarchie
in gleicher Weise berücksichtigte. Darum strebte er dahin, dass die Mon-
archie ihr Ansehen aufs Neue consolidire, ihre Macht der Welt Achtung ein-
flösse und ihr Wort in Europa williges Gehör finde. Er war durchdrungen
von der üeberzeugung, dass, wenn es gelänge, einen solchen Zustand her-
beizuführen, dies nicht nur die Sicherheit und Kraft der ganzen Monarchie,
sondern auch den Glanz der Dynastie fördern würde, worauf er bei unserer
monarchistischen Organisation grosses Gewicht legte. Auch hoffte er, dass
es gelingen werde, dieses Ziel auch auf friedlichem Wege zu erreichen.
Schon in seiner ersten Circularnote, worin er seinen Amtsantritt
notificirte, erklärte er, dass er aufrichtig und entschieden eine friedliche
Politik zu befolgen gedenke. Und das waren keine leeren Worte (solche ver-
schmähte er überhaupt), sondern sie waren der getreue Ausdruck seines
festen Vorsatzes. Indessen nicht den Frieden um jeden Preis wollte er,
sondern einen nützlichen und thätigen Frieden. Einen Frieden also, der
sich nicht mit dem stillen Genüsse der für die Völker wichtigsten Güter
begnügt, sondern auch deren energische Bewahrung und lebenskräftige
Entwicklung anstrebt. Dies kann jedoch nur erreicht werden, wenn das
Wirken der staatlichen Factoren nach aussen hin auch in der Zeit des
Friedens nicht völlig aufhört. Denn es ist unzweifelhaft, dass die Staaten,
selbst diejenigen, welche durch das freundschaftlichste und friedlichste
Verhältniss mit einander verknüpft sind, naturgemäss auf einander drücken
und dass nur eine gleichwertige Gegenwirkung die möglichen Nachteile
dieses physischen Processes verhüten kann. Trotz des riesigen Druckes der
ihn umgebenden Luftschichten bleibt selbst der kleinste Ballon gebläht, bis
die Spannkraft des Gases nicht erschlafft. Hingegen schrumpft selbst der
grösste Ballon zusammen, wenn die innere Spannung nachlässt. Einer
solchen Kraft, die beständig von innen nach aussen wirkt, bedarf auch
jeder Staat, um mitten unter den ihn umringenden Nachbarn intact
bestehen zu können. Allein gleichwie die Ausdehnung des Gases den Ballon
nur vor dem Zerdrücktwerden bewahrt und nur in den seltensten Fällen
eine Explosion hervorruft, so führt auch die unter den Staaten nach aussen
hin geübte Wirkung nicht notwendig zum Kriege, ja nicht einmal zu
Conflicten, vielmehr ist sie gerade eine der sichersten Bedingungen der
Erhaltung des Gleichgewichtes. Die Friedenspolitik also, deren Träger
Andrässy war, bedeutete keineswegs soviel, dass Oesterreich-Ungarn sich
der Teilnahme an den auswärtigen Fragen enthalten sollte. Im Gegenteil.
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AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 523
Langsam zwar, aber in einer jeden Zweifel ausscbliessenden Weise gab
Andrässy den Mächten zu verstehen, dass Oesterreich-Ungam zwar den
Frieden ausserordentlich hoch schätze, dass aber der Wert des Friedens
sofort wesentlich abnehmen würde, wenn die Monarchie um seiner Erhal-
tung willen auf Kosten ihrer Grossmachtstellung auch nur das geringste
Opfer bringen müsste. Und um dieser Auffassung Geltung zu verschaffen,
bekundete er ein lebhaftes Interesse für alle wichtigeren internationalen
Angelegenheiten. Dabei betrat er in Fragen, die er als in die specifische
Machtsphäre der Monarchie gehörend ansah, auch das Gebiet der Initiative
und bewahrte er die Freiheit seines Handelns. Die klare und zugleich ent-
schiedene Politik, welche Andrässy vertrat, die unzweifelhafte Aufrichtig-
keit, welche seine Aeusserungen kennzeichnete, gewannen ihm aUenthalben
Vertrauen und errangen ihm auch die Würdigung seiner Gegner. So hob
sich mit der Autorität ihres Ministers des Aeussern in gleichem Schritte
auch jene der Monarchie. Es ist ein unvergängliches Verdienst Andrässy's,
dass binnen kurzer Frist, ohne dass sich ihm ein Anlass zu glänzenden
Thaten bot, lediglich durch das Gewicht seiner Individualität und durch
sein unverbrüchliches Vertrauen in Oesterreich-Ungams Kraft und Lebens-
fähigkeit, die Monarchie in der That das wurde, was er in einer seiner
Noten von ihr sagte: teine notwendige Bedingung des europäischen Gleich-
gewichts und eine unerlässliche Bürgschaft des allgemeinen Friedens.» Die
Grossmachtstellung, welche in dieser Weise in allen Richtungen zur Gel-
tung kam, ist im Leben der Staaten von der gleichen Wirkung, wie im
Leben des einzelnen Menschen das Selbstvertrauen. Indem also Andrässy
jene wieder aufrichtete, flösste er zugleich den Völkern der Monarchie Ver-
trauen in deren consolidirtes Dasein und in deren Zukunft ein. Und das
war schon an sich eine bedeutsame Errungenschaft.
Allein hiedurch hatte Andrässy nur einen Teil der selbstgesteUten
Aufgabe gelöst. Nunmehr hatte er auch das Gebiet des positiven Schaffens
zu betreten. Die Thatenlust ist unzweifelhaft einer seiner bedeutsamsten
Gharakterzüge. Nicht beständiges Sichabgeben mit kleinen Geschäften war
seine Sache, sondern die Bealisirung grosser Pläne durch starke Mittel und
unermüdliche Thätigkeit zu solchem Behüte. Wohl wusste er, dass die Welt
nicht stillsteht und dass die Wogen der Zeit und der Verhältnisse zusam-
menschlagen über dem Haupte Desjenigen, der an der allgemeinen Bewe-
gung nicht teilnimmt. Aber der Staatsmann hat nicht nur die Aufgabe,
mit seiner Zeit Schritt zu halten ; der Entwicklung der Begebenheiten muss
er auch Bichtung geben durch seine eigenen Ideen. Und Andrässy griff in
der That mit kühner Hand in die europäischen Verhältnisse ein, kaum
dass er die auswärtigen Angelegenheiten übernommen hatte.
Die Zeit von 1870 bis 1871 bildet einen Wendepunkt und markirt
zugleich die Grenze der bedeutsamsten Epoche in diesem Jahrhundert.
33*
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'^'24 LI. JAHRESVERSAMMLrNG DER UNGARISCHEN
Die Ereignisse, deren Schauplatz damals Westeuropa war, besassen eine-
viel grössere Tragweite, als jene gewaltigen Umwälzungen, welche die Welt
zu Beginn des Jahrhunderts erschüttert haben und die bald wieder hin-
fortgeschwimden sind. Im Herbst 1870 zieht das italienische Königtum
in Bom ein und kommt das einheitliche Italien zu Stande ; zu Beginn
1871 erwacht aus seinem langen Schlafe das Deutsche Beich, mächtiger
denn je.
Daran, dass die österreichisch-ungarische Monarchie nach diesen
Gestaltungen, unter den völlig veränderten Verhältnissen, ihre frühere
Stellung auf der apenninischen Halbinsel oder auf deutschem Boden wieder
zu erringen versuche, dachte Niemand ernsthaft. So standen denn der
Monarchie zwei Wege offen. Entweder musste sie von den in Mitteleuropa
entstandenen zwei Grossstaaten sich indifferent zurückzieheti oder ein auf-
richtig freundschaftliches Verhältniss mit denselben eingehen. Die erstere
Bichtung betrachtete Andräss; als eine schädliche, denn sie würde die
Monarchie in eine vollständig isolirte Lage gebracht haben. Seiner Ansicht
nach konnte und durfte die äussere Politik Oesterreich- Ungarns nur dahin
streben, ein freundschaftliches Verhältniss mit den benachbarten Gross-
mächten, dem Deutschen Beiche und Italien, herzustellen. Dies versuchte
er auch ; aber langsam nur konnte er auf diesem Wege vorwärtsschreiten.
Im Laufe der Zeiten hatten an allen Seiten so viele Antipathien, so viel
Misstrauen und so viele Miss Verständnisse sich aufgehäuft (und bei uns
vielleicht weniger als bei den anderen zwei Mächten), dass die Schwierig-
keiten viel Zeit und Mühe und noch mehr Tact und Ausdauer erheischten.
Indessen schon die blosse Absicht und ihre äussere Bethätigung waren ein
Gewinn. Und alsbald bewies die Entrevue in Venedig, dieses leuchtende
Beispiel fürstlicher Selbstverleugnung, dass die von Andrässy empfohlene
Politik schon einige Schritte vorwärts gethan hatte.
Die Erkenntniss von der Vorteilhaftigkeit des Verhältnisses mit
Deutschland erwachte in Andrässy nicht erst in jener Zeit, da er Minister
des Aeussem wurde. Viel früher schon hatte er über diese Idee gegrübelt.
Schon im Frühjahre 1848 verweist er in einem seiner Ablegaten berichte
auf die für uns so notwendige «und unter Intacthaltung unserer Nationalität
und Selbstständigkeit wahrzunehmende Interessengemeinschaft mit jenem
Volksstamme, welcher die Wiege der Civilisation war und welcher im
Schiesspulver und in der Druckerpresse die mächtigsten Waffen des Geistes
unter seine Erfindungen zählt.» Es ist klar, dass er in diesen Worten auf
die deutsche Nation angespielt hat. Im Jahre 1861 hinwieder drückte er
anlässlich der Adressdebatte die Ansicht aus, «dass Preussens Zukunft in
der deutschen Einheit sei.» Derjenige, der schon in seiner Jugend so dachte,,
der die späteren Entwicklungen schon um viele Jahre vorher so klar
vorausgesehen hatte, der konnte als Minister des Aeussern der Monarchie
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AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 525
HÜe guten Beziehungen zu Deutschland nur eifrigst herbeisehnen. Falsch ist
auch die Ansicht, als ob Andrässy, blos um die Freundschaft Deutschlands
zu erreichen, sich Bussland genähert habe. Denn seine Politik war gegen-
über den beiden grossen Beichen eine völlig selbstständige.
Die Folge hat gezeigt, wie richtig der Weg war, den Andrässy betre-
ten hatte, als er eine innigere Verbindung mit Deutschland anstrebte;
bildet doch das Yerhältniss, das er später schuf, noch heute die Grundlage
der internationalen Politik in Europa, unbegründet ist demnach die zuwei-
len vernehmbare Behauptung, dass Andrässy um den Westen sich nicht
genügend gekümmert habe ; ja nicht der unwichtigste Teil seiner äusseren
Politik war gerade derjenige, der nach dem Westen sich richtete. Wahr ist
aber allerdings, dass er die auffälligste Thätigkeit gerade in den orien-
talischen Angelegenheiten entfaltet hat. Aber nicht individuelle Neigung,
noch ein specifisch ungarisches Interesse ist diesfalls für ihn massgebend
gewesen, wie Manche wohl glauben mochten. Aus viel allgemeinerem
Gesichtspunkte fasste er die Mission der Monarchie im Orient auf.
Die Orientfrage beginnt in Europa im Grunde mit der Einnahme Kon-
«tantinopels durch die Türken, obzwar die Ereuzzüge einen Teil des Schleiers
bereits früher gelüftet hatten. Für uns Ungarn ist aber die orientalische
Frage viel älteren Ursprunges. Zugleich mit der Einwanderung offenbarte
sich bei uns das Streben, das nachmals sich durch unsere ganze Geschichte
hindurchzog, und welches uns stets dazu zwang, in einer oder der anderen
Form ein engeres Verhältniss mit den Balkanprovinzen anzuknüpfen. Frei-
lich würde auch jedes andere Volk, wenn es da, wo heute unser Vaterland
besteht, einen starken Staat begründet hätte, notwendig der gleichen Ten-
denz stattgegeben haben. Der mächtige Strom, der so viele Länder durch-
schneidet und verbindet, das Sehnen, das die Völker aus dem Norden süd-
wärts drängt, die unleugbare Suprematie, welche die Bewohner grösserer
Ebenen ausüben, der Zauber des die Halbinsel umspülenden Meeres und
endlich der Umstand, dass auf dem Balkan ein einheitlicher grosser Staat sich
nie gebildet, die daselbst herrschende Zerklüftung aber stets zum Einschrei-
ten gereizt hat. Midies zusammen bildet den Complex jener Motive, welche
unsere Orientpolitik von Anfang her bestimmt haben. Das ganze Ärpäden-
Zeitalter erscheint gewissermassen ausgefüllt durch das Gravitiren nach dem
Balkan hin. Ludwig der Grosse, bald wieder Mathias wandten sich wiederholt
dahin. Auch seit der Begierung der Dynastie Habsburg machte sich die von
Ungarn geerbte Orientpolitik, welche ehedem in des Wortes wahrem Sinne
unsere nationale Politik gewesen ist, bei jedem günstigen Anlasse geltend.
Und zweifellos erwachten auch in Andrässy's Seele die Erinnerungen
an die Traditionen der Vergangenheit, wenn er an den Orient dachte. Aller-
dings aber zog sein practischer Geist auch die Anforderungen der veränder-
ten Zeiten und der bestehenden Verhältnisse in Betracht Aus diesem Ge-
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j
52G
LI. JAHRESVERSAMMLUNG DER UNGARISCHEN
sichtspunkte beurteilte er die Notwendigkeit, sowie auch die Bedingungen
der Orientpolitik unserer Monarchie.
Nicht gewaltsam wollte Andrässy das Bestehende sprengen, vielmehr
wünschte er, dass es auch fernerhin erhalten bleibe. Aber andererseits sah
er es als verfehlt an, dasjenige künstlich aufrechtzuhalten, was spontan und
notwendig dem Verfall preisgegeben war; denn diese letztere Richtung würde
zur Schwächung unserer Monarchie geführt haben. Aus solcher Auffassung
ergab sich, dass Andrässy, ohne an dem Bestehenden zu rütteln, auch die
spontan sich entwickelnden lebensfähigen Gestaltimgen nicht behindert hat.
Schon damals erklärte Andrässy, dass er die selbstständige, unabhängige
Entwicklung der Orientstaaten mit sympathischer Aufmerksamkeit verfolge ;
und dass er keine Ingerenz auf ihr Schicksal beanspruche, aber freilich unter
der Voraussetzung, dass sie auch jede andere fremde Einflussnahme von
sich fernhalten werden. Andrässy's Ansicht war^ dass die Monarchie es nicht
dulden könne, dass in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft solche staatliche
Centren sich bilden, die nachmals, möglicherweise sogar im ungünstigsten
Augenblick, sich wider uns wenden möchten. Er besorgte, dass, wenn wir
nicht auf der Hut sind, unter dem Schutze einer oder der andern uns
feindseligen Macht ein grösserer einheitlicher Staat auf dem Balkan ent-
stehen würde, welcher, vom Schwarzen Meere bis zur Adria reichend, unsere
Monarchie wie ein eiserner Bing umklammem könnte. Zur Verhütung dieser
Gefahr hielt er es für angezeigt, dass die Monarchie an den orientalischen
Angelegenheiten beständig wachsamen Anteil nehme und auch dass die
Monarchie über einen festen Stützpunkt auf der Balkanhalbinsel verfüge.
Als einen solchen Stützpunkt sah er Bosnien an. Denn diese Provinz, die
weit in das Gebiet der Monarchie sich hereinstreckt, stand uns vermöge ihrer
geographischen Lage, wie auch durch die Macht der geschichtlichen Erinne-
rungen viel näher, als irgend ein anderer Teil des Balkangebietes. Oft hat
Graf Andrässy gesagt, dass die Monarchie keine Eroberungen anstrebe. Und
er hat die Wahrheit gesprochen. Den ßechtstitel, unter welchem wir in jenes
Territorium gelangen sollten, betrachtete er als eine indifferente Sache. Er
wünschte lediglich, dass wir irgendwo auf dem Balkan factisch Posto fassen
möchten. Von unserer Anwesenheit in Bosnien erwartete er zunächst, dass
wir den beständigen Unruhen ein Ziel setzend, solche Zustände schaffen soll-
ten, welche geeignet wären, das Gedeihen dieser vielgeprüften Provinz zu
sichern. Dazu hoffte er, dass unser Walten in Bosnien den Nachbarstaaten
nicht blos ein Beispiel, sondern vielleicht auch eine Mahnung sein würde.
Denn er war sich dessen wohl bewusst, dass im Orient nur eine Macht, die
ihre Wirkung in der Nähe bethätigen kann, Autorität besitzt. Mithin war er
innig davon überzeugt, dass wir durch die Besetzung Bosniens ein solches^
Element der Buhe und der Stabilität auf der Balkanhalbinsel schufen, wel-
ches die dortigen Bevölkerungen bisher vermisst haben.
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AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. -^^7
Auf dem Gebiete, welches seine Orientpolitik amfasste, begegnete
AndrÄssy ßussland auf allen Wegen. Seit jeher hatte die russische Politik
den Orient als ein ausschliessliches Object ihres eigenen Machtkreises be-
trachtet. Hier also konnten wir einander nicht ausweichen. Unter solchen
Umständen wurde es zweifelhaft^ ob es nicht ratsam für die Monarchie wäre,
angesichts des mächtigen Nebenbuhlers das Feld gänzlich zu räumen und
überhaupt von der Orientpolitik zu lassen ? Andrässy konnte diese Richtung
nicht einschlagen. Denn sie bedeutete schlechthin die Abdication von der
Grossmachtstellung und in weiterer Folge den vielleicht mäligen, aber zwei-
fellosen Verfall der Monarchie. Die Frage konnte also nur sein, ob die Mon-^
archie mit bewaffneter Kraft gegen Bussland einschreiten solle, um ihrem
Einflüsse im Orient eine unerschütterliche Grundlage zu schaffen ? Andrässy
schrak auch vor diesem Mittel nicht zurück. Doch erachtete es der gewissen-
hafte Staatsmann als seine höchste Püicht, den Knoten nicht mit dem
Schwerte entzweizuschneiden, bis nicht alle Hoffnung auf eine friedliche
Lösung geschwunden war. Denn fürchtete er auch keineswegs das offene
Bingen, so fürchtete er doch die dauernden und grossen Opfer, die sich den
Völkern unserer Monarchie auferlegen, wenn der in seinem Ausgange unab-
sehbare, riesige Kampf zwischen uns und Bussland einmal seinen Anfang
nimmt. Und darum hätte er es nicht nur als eine Unterlassung, sondern
geradezu als eine Sünde betrachtet, nicht alle jene Mittel zu versuchen,
welche durch die Modalitäten des diplomatischen Ideenaustausches und der
Capacitation geboten werden. Wohl wusste er, dass auf diesem Wege nur
nach geraumer Zeit, nach Ueberwindung mancher Schwierigkeit und
manches Vorurteils das erstrebte Besultat sich erzielen lasse, sofern es über-
haupt erzielbar ist. Allein er glaubte immerhin weder Zeit noch Mühe sparen
zu dürfen, so lange auch noch die matteste Hoffnung erübrigt, das Ziel, dem
er zustrebte, zu erreichen. Auf solcher Grundlage, aus solchen Motiven ent-
wickelte sich das Verhältniss, das in jener Zeit zwischen unserer Monarchie
und Bussland sich etablirte.
Es ist durch die Natur der Sache begründet, dass Andrässy weder
seine letzten Ziele, noch die angewandten Mittel vollständig aufdecken
konnte. Dieser Umstand trug wesentlich dazu bei, dass ein Theil der öffent-
lichen Meinung in Oesterreich wie in Ungarn seine Politik entweder über-
haupt nicht verstanden, oder dieselbe als eine entschieden verfehlte beur-
teilt hat. War solche Meinung begründet ? Hatte Andrässy sich geirrt, als er
auf dem Gebiete der Orientfrage auch für die Eventualität der friedlichen
Lösung die russische Politik in Bechnung zog? Mit nichten; sein Streben
war ein richtiges und auch in Hinsicht des Gegenstandes desselben hatte er
sich nicht geirrt. Wohl aber war es seinerseits ein Irrtum, zu glauben, dass
er schon damals würde das erreichen können, was wenigstens zu jener Zeit
noch unmöglich war. Allein dieser Irrtum thut den glänzenden Verdiensten
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h^H
LI. JAHRKSVER8AMMLUNO DER UNGARISCHEN
Andrässy's durcbaus keinen Abbruch. Der ist kein grosser Staatsmann, der
sich nie getäuscht hat, denn in der Politik ist nur Der gegen Irrtümer gefeit,
der unthätig ist. Das charakteristische Merkmal des wahren Staatsmannes
besteht darin, dass er den in dem ununterbrochenen Wirken unvermeid-
lichen Irrtum, wenn ihm ein solcher widerfährt, wieder gutzumachen weiss.
Und in dieser Hinsicht nimmt Andrässy einen Platz unter den grössten
Staatsmännern ein. Dem Frieden von San-Stefano folgte alsbald der Berliner
Traktat, der die Welt beruhigte, denn er bannte jene Conflicte hinweg,
welche aus einer einseitigen Aufrüttelung der orientalischen Verhältnisse
sich hätten ergeben können. Dieser Vertrag war die glänzendste Rechtferti-
gung jener Politik, welche Andrässy seit Jahren befolgt und durch welche
er das Ansehen der Monarchie auf eine so hohe Stufe gehoben hatte, auf
welcher sie in der Gesellschaft der europäischen Staaten schon seit langer
Zeit nicht gestanden war.
Allein unmittelbar nach der Vollendung des in Berlin kreirten grossen
Werkes, in dessen Schöpfung ihm eine so entscheidende Rolle zugefallen
war, wandte sich in der Heimat ein Teil der öflfentüchen Meinung offen gegen
ihn. Die Occupation Bosniens rief starken Resens hervor, welcher alsdann
im Parlamente, wie auch ausserhalb desselben in herben Angriffen sich
äusserte. Wer so wie Andrässy seinen einzigen Lebensberuf im Schaffen
erblickt, wer mit so reinen Absichten und in so aufrichtiger Ueberzeugung
wie er nur für die erhabensten staatlichen Ziele kämpft, den berührt es
gewiss schmerzlich, verkannt zu werden; allein solches Schicksal wird weder
Erbitterung noch Entmutigung in seiner Seele erwecken. Das traf aach bei
Andrässy zu. Er wankte nicht unter den Angriffen auf seine Politik und
seine Kraft erlahmte nicht unter deren Wirkung. Zäh und ohne seine Grund-
sätze auch nur für einen Augenblick zu verleugnen, wirkte er weiter und
zuletzt errang er, wenn auch nicht mühelos, dennoch den Erfolg. Fest war
seine Zuversicht, dass, wenn einst auch dieser Teil seiner Politik die von
ihm sicher erhofften Früchte getragen haben wird, auch er durch die
Geschichte gerechtfertigt erscheinen werde. Und rascher, als er selbst gehofft,
erfüllte sich diese Zuversicht.
So vollendete denn Andrässy das Werk, das er im Gebiete der Orient-
politik angestrebt hatte. Sein Wirken als Minister des Aeussern aber wäre
unabgeschlossen geblieben, hätte er sich mit Solchem Resultate begnügt.
Nicht im Osten blos, auch im Westen war der Bau der auswärtigen Politik
dieser Monarchie einzudachen, eine Aufgabe, der er Eifer und Hingebung
widmete.
Dieses letztere Ziel erreichte Andrässy durch den Abschluss des
Bündnissvertrages mit Deutschland, welcher mit Recht als seine grösste
That, als sein glänzendstes Verdienst gepriesen wurde.
Es ist heute bereits gleichgiltig, ob die erste Anregung in Betreff dieses
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AKADKMIE DKR WISSENSCHAFTEN.
529
Vertrages von ihm oder von der andern Partei ausgegangen ist. Andrässy's
ganze politische Laufbahn ist ein Beweis dafür^ dass er zu allen Zeiten ein
Anhänger des freundpchaftlichen Verhältnisses mit Deutschland gewesen ist.
Nicht ohne ihn und nur mit ihm konnte demnach das Bündniss zu Stande
kommen, und in der Form, wie diese Allianz durch sein Hinzuthun geschlos-
sen wurde, geht sie in ihrer Bedeutung und in ihrer Tragweite weit über die
gemeinsame Defensive hinaus, welche ihren stricten Inhalt bildet. Denn
nicht so sehr in den einzelnen Punktationen liegt der wahre Wert dieses
Bündnisses, wie vielmehr in dem Geiste, der es durchweht. Dieser Geist
ist hüben wie drüben allmählig in das Volksempfinden eingedrungen und
hat uns darüber belehrt, dass auch nebst der Abwehr gemeinsamer Gefahr
in allen Stücken immer nur Interessengemeinschaft und nie Interessen-
zwiestreit zwischen uns existiren könne und dass eben darum nicht allein
die Verpflichtungen, sondern auch die Vorteile auf beiden Seiten nur gleich-
wertige sein können. Dieses Verhältniss ist dasjenige der aufrichtigsten, auf
Vemunftschlüssen beruhenden Freundschaft, welche nicht allein zu einer
wechselseitig billigen Erledigung der zwischen uns obschwebenden Angelegen-
heiten führt, sondern auch nach aussen hin eine Macht repräsentirt, welche
uns Beiden zuverlässigen Schutz gewährt. So ist dieses Bündniss die stärkste
Stütze einerseits des eiuropäischen Friedens, andererseits aber auch der
abendländischen Cultur geworden.
Kaum hatte Andrässy diesen Vertrag unterzeichnet, als er bald aus
dem auswärtigen Amte schied. Er sah voraus, dass auf der sicheren Grund-
lage, die er geschaffen, der Monarchie eine Epoche der Ruhe bescheert sein
werde. Und er dachte, dass ein Staatsmann, der, wie er, durch seine Thatkraft
grosse Errungenschaften erzielt hat, recht daran thue, wenn er, am Ziele
angelangt, der natürlichen stufenweisen Entwicklung freien Raum eröfl&iet
und die Leitung der Angelegenheiten wenigstens für einige Zeit Anderen
überlässt. Tief betroffen war die öffentliche Meinung der Monarchie ob seines
Scheidens. Die Aufregungen des letzten Jahres waren bereits gewichen und
die Demission Atjdrässy's wurde mit allgemeinem, aufrichtigem Bedauern
aufgenommen. Allein wenn er auch aufljörte Minister des Aeussem zu sein,
so hörte er gleichwohl nicht auf, sich für die auswärtigen Angelegenheiten
zu interessiren ; und wann immer er es für notwendig erachtete, stets äusserte
er mit der bei ihm gewohnten Offenheit seine Meinung.
In seinen letzten Lebensjahren, die er hier in der Heimat verbrachte,
trat mehr der Mensch als der Politiker in den Vordergrund. Andrässy gehörte
unter jene seltenen Persönlichkeiten, die lediglich durch den lauteren Wert
ihrer Eigenschaften überall und auch unter den bescheidensten Verhältnissen
die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich lenken imd aller Welt Sympathien
und zugleich Achtung einflössen. Es ist demnach nur natürlich, dass in der
Stellung, welche er in der Gesellschaft eingenommen und im politischen
Ungwlich« Rerae, XI. 1891. VI— VH. H«ft. 34
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530 LI. JAHRESVERSAMMLUNG DER TNÖARISCHEN
Leben sich errangen hatte, seine IndividuaUtät in noch lebhafterem Glänze
erschien. Aufrichtigkeit, Geradheit war der Hauptzug seines Charakters.
Darin wurzelte die Kraft, durch welche er auf Andere stets die grösste Wir-
kung ausübte. Sein Selbstgefühl kannte kein Hemmniss, aber nie schlug es
in Dünkelhaftigkeit um. Er war von leidenschaftlicher Natur und dieser
dankte er jenen Thatendrang, der in ihm nie erschlaffte. Andererseits ver-
stand er es wunderbar, seine Leidenschaften zu meistern. Die starken Empfin-
dungen paarten sieh in ihm mit dem originellsten Denken. Aus der Ver-
mählung dieser beider entstand jene gewinnende Art und jener Ideenreich-
tum im Vortrage, durch welche er, in welchem Kreise er immer sprach,
seine Zuhörer stets bezauberte. Auch hat Andrässy nie Feinde, sondern nur
Gegner besessen. Er, der von dem eigenen Wert mit Eecht so durchdrungen
war, beurteilte auch Andere stets nur nach ihrem inneren Werte. Seiner
tiefsten Seele entquoll die Achtung, die er den Schöpfungen des mensch-
lichen Geistes und des menschlichen Willens darbrachte. Und keinen wahr-
hafteren Freund hatte je die Sache des Fortschrittes der Menschheit als
Andrässy. So erscheint in ihm der grosse Staatsmann mit dem grossen
Menschen unzertrennbar verschmolzen.
Andrässy gehört nunmehr leider der Geschichte an. Sein Leben und
sem Wirken, sowie die Zeit, in der er gewaltet, werden oft noch den G^en-
stand eingehender Würdigung bilden. Meine Aufgabe konnte das nicht sein.
Nur in grossen Zügen wollte ich gedenken dieses mächtigen Geistes, dieser
glanzvollen Individualität, so wie ich in dem vertraulichen Verhältniss,
dessen er mich durch eine lange Beihe von Jahren gewürdigt hat, sie erken-
nen konnte. Getreu und wahrhaft glaube ich Andrässy's Gestalt gezeichnet
zu haben, und die Liebe hat meinen Stift geführt. Anders konnte ich ja gar
nicht. Die kalte Objectivität kann in der Beurteilung der grossen geschicht-
lichen Gestalten und auch der Geschichte selbst weder als richtiger noch
als zuverlässiger Leitfaden dienen. Ereignisse und Entwickelungen sind
menschUche Werke, die Werke menschlicher Gefühle und Leidenschaften.
Wer diesen Gefühlen und Leidenschaften sich verschliesst, kann der sie
kennen, gerecht über sie urteilen? Die Vernunft ohne das Herz irrt in
menschlichen Dingen vielleicht häufiger als das Herz ohne die Vernunft Den
Eingebungen beider müssen wir Gehör geben, um nicht ungerecht zu wer-
den gegen die grossen Gestalten der Geschichte. Des Einklanges beider
bedürfen wir, indem wir Andrässy's gedenken.
Die Wissenschaft lehrt uns, dass es unter den funkelnden Sternen des
Firmaments manche gibt, die schon längst erloschen sind ; wir aber glauben
sie noch immer zu sehen, denn ihr vor Aeonen ausgestrahlter Glanz dringt
durch die Femen des unermessUchen Weltenraumes noch immer zu uns.
Für immer ist Andrässy aus unserer Mitte geschieden, aber der Glanz, den
er über unser Vaterland verbreitet hat, ist nicht mit ihm erloschen ; imd so
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AKADEMIE DER WI8BENSCHAFTEN. "J-^I
lange Ungarn auf diesem Boden leben, wird das Andenken Julius Andrissy's
jenes Licht sein, welches unserer Nation immerdar die Bahn glücklicher
Wohlfahrt weisen wird.
DENKREDE AUF KARL SZATHMÄRY.
Von Albert v. Berzeviczy.'^-
Der Landes-Kinderbewahrer- Verein trägt den Tribut des Dankes und
der Pietät ab, indem er in seiner heutigen Generalversammlung jenes
Mannes gedenkt^ an dessen frischem Grabe wir erst vor Kurzem schluchzend
gestanden sind und der unsern Verein zu zweifachem Danke verpflichtet hat :
einerseits durch jene Dienste, welche er unserm Verein selbst im Interesse der
Begründung und des Gedeihens desselben geleistet hat ; andererseits durch
jene überaus nützliche und erspriessliche Thätigkeit, welche er im Interesse
des Einderbewahrwesens überhaupt im ganzen Lande entwickelt hat.
Aber nicht blos als Mitgheder des Kinderbewahrer- Vereins und nicht
blos als Arbeiter des Eanderbewahrer-Wesens feiern wir das Andenken und
segnen wir den Namen Karl P. Szathmäry's ; sondern wir müssen auch als
Ungarn seiner in Pietät gedenken, und diese Pietät teilt mit uns die ganze
Nation, weil der verstorbene hochverdiente Secretär unseres Vereins sein
ganzes thatenreiches Leben mit der grössten Selbstlosigkeit als Schriftsteller,,
als Politiker, als Schulmann und als Menschenfreund der Sache des Vater-
landes gewidmet hat. Wenn auch die Nation, leider, nicht reich genug ist,
um Diejenigen, die mit Hintansetzung ihrer eigenen Interessen sich voll
Eifer der nationalen Sache widmen, mit materiellen Gütern reichlich zu
belohnen, muss doch ihr Herz warm genug fühlen, um für jeden ihrer hervor-
ragenden Söhne den ihren Verdiensten entsprechenden Grad von Dankbar-
keit und Verehrung zu bekunden.
Gesteigert wird unsere Pietät für das Andenken Karl P. Szathmäry's
durch jenes wahrhaft tragische Zusammentreffen seines Lebensendes mit
dem vollständigen Triumph jener Sache, welcher er ein Gutteil seiner Thätig-
keit gewidmet hat. Wir, die wir gleichfalls im Dienste des Kinderbewahrer-
wesens stehen, könnten ein Freudenfest begehen in diesen Tagen, wo wir
nunmehr sichere Aussicht haben, dass ein Landesgesetz das Aufblühen
jener Institution sichern werde, deren Verwirklichung die Aufgabe der
kampfreicheren Tage unseres Vereins gewesen. Und in die Preudenklänge
dieses Festes mengt sich die schmerzliche Klage ob des Verlustes Desjenigen^
der heute am meisten berechtigt wäre, den Sieg seiner Ideen zu feiern und
dem das Schicksal diese Freude, diese Genugthuung versagt hat. Es gibt
* Gelesen in der Generalversammliing des Landes-Kinder-Bewahrverems am
3. Mai 1891.
34*
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S32 DENKREDK AUF KARL HZATHMARY.
Menschen, denen vom Geschick der schwere aber ruhmvolle Anteil geworden,
dass allezeit der aufreibende Kampf ihr Lebenselement sei. So auch unser
Szathmäry. Als hätte er geahnt, dass die Tage der schweren, bahnbrechen-
den Arbeit zu Ende seien und die Zeit der friedlicheren, fruchtbringenden
Schöpfungen gekommen : beeilte er sich, von uns zu scheiden, damit sein
Andenken als das eines unermüdlichen und unerschrockenen Streiters im
Keiche der Ideen in unserer Seele verbleibe, — als eines Streiters, der die
Ruhe nur im Grabe findet.
[Nachdem Bedner die Lebensgeschichte Szathmäry's in grossen Zügen
geschildert, fuhr er fort :] In den letzten Jahren stellte er seine Feder immer
mehr in den Dienst der gesellschaftlichen Agitation im Interesse der Cultur.
Er gründete im Auftrage Tr6fort's das populäre belletristische Unternehmen
«J6 könyvek» (Gute Bücher), dessen Berufes war, die Producte der immora-
lischen Marktliteratur zu verdrängen. Von seinen populären literarischen
Werken erfreute sich jedoch der grössten Verbreitung das «Bote Buch»,
welches auch durch Vermittlung der Begierung in Tausenden Exemplaren
verkauft wurde. In diesem schilderte Szathmäry die Unfälle, von welchen
sich selbst äberlassene Kinder betroffen oder welche durch die Letzteren
herbeigeführt wurden, und er war dadurch bestrebt, das Volk von der Not-
wendigkeit der Kinderbewahr- Anstalten zu überzeugen.
Allein dies war nur ein Glied in der langen Kette jener literarischen
Propaganda, sozialen Agitation und Vereinsthätigkeit, welche die Geschichte
der letzten 18 Jahre des ungarländischen Kinderbewahrwesens mit dem
Namen Karl P. Szathmäry's in unlösliche Verbindung brachte.
Aus welch tiefer Empfindung die Begeisterung Szathmäry's für das
Kinderbewahrwesen quoll, verriet er selbst in dem Vorworte zu dem Werke,
welches er anlässlich der Feier der 50jährigen socialen Thätigkeit im
Interesse des Kinderbewahrwesens im Jahre 1887 verfasst hat.
«Das Kind — sagt er — ist die anmutigste und liebenswürdigste Schö-
pfung der Natur. Auf der ganzen Erde gibt es kein einziges Wesen, welches
die selbstlose Liebe des menschlichen Herzens in höherem Maasse hervor-
rufen würde, als ein 2— 6jähriges gesundes, fröhliches Kind, welches unter
seinen unschuldigen Freuden, mit seinem in Entwicklung begriffenen Geiste,
seiner naiven Auffassung und seiner anhänglichen Zuneigung unser Herz so
sehr gewinnt, dass wir in der unschuldigen Schöpfung Gottes Ebenbild, die
Idee verkörpert sehen, welche das irdische Wesen mit dem Himmel verbin-
det, und unwillkürlich die Verpflichtung fühlen, das noch unbeholfene Wesen
zu beschützen.» Ausser dieser Grundempfindung verwies er aber in der
schönen Bede, welche er anlässlich der constituirenden Generalversammlung
des von ihm gegründeten «Ungarischen Landes-Kinderbewahr- Vereins» am
26. Jänner 1873 gehalten, auf noch ein anderes psychologisches Moment.
Er erzählte, dass im Sommer des Jahres 1862 in einem Dorfe des Alföld ein
II
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DENKREDE ÄVF KARL 8ZATHMARY. 533
Feuer ausgebrochen sei, welches iunerhalb weniger Stunden die ganze
Ortschaft eingeäschert habe. Als er durch das verheerte Dorf ging, kam er
an eine Stelle, wo die verkohlten Leichen jener Kinder zusammengetragen
waren, welche von ihren Eltern sich selbst überlassen oder zuhause einge-
sperrt worden waren. Die verbrannten Hände jener Kinder ragten gleichsam
anklagend gen Himmel. «Seitdem ich diese verbrannten Kinder gesehen
habe — sagte er — , finde ich keine Kühe mehr. So oft sich mir die Gelegen-*
heit bot, war ich mit meinen geringen Kräften bestrebt, das Kinderbewahr-
wesen zu verteidigen.» Unter dem Eindrucke dieser begeisterten Worte con-
stituirte sich der Verein. Zu Präsidenten wurden Baronin Paul Sennyey,
Frau Koloman Tisza und Gabriel Värady — , zum Secretär aber wurde
Karl P. Szathmäry gewählt. Dieser fasste die Erfordernisse der Lage richtig
auf, indem er von Anfang an dahin strebte und auch die anderen Factoren
des Vereins dazu zu bewegen suchte, dass dieser Verein mit dem älteren
Verband — welcher wegen seiner inneren Miseren seit mehreren Jahren nur
geringere Thätigkeit entfalten konnte — ehebaldigst vereinigt werde, damit
sich alle für die edle Sache wirkenden Kräfte concentriren. Dies geschah
auch in der That; die Fusion vollzog sich schon im Jahre 1874, und zum
ersten Secretär des so begründeten «Landes-Kinderbewahr- Vereins» wurde
wieder Karl P. Szathmäry gewählt, der jetzt mit noch gesteigertem Eifer —
weil mit der Aussicht auf grösseren Erfolg — an der Verbreitung der gemein-
nützigen Idee arbeitete.
Was seither in unserem Verein und durch denselben geschehen ist —
ob wir nun die Festigung und Entwicklung unserer Kinderbewahr- Anstalt
und unseres Waisenhauses, oder die helfende und aneifemde Wirksamkeit
unseres Vereines in der Verbreitung des Kinderbewahrwesens betrachten — ,
an Allem hatte Karl Szathmäry seinen bedeutenden und wichtigen Anteil.
Als seine Hauptaufgabe aber betrachtete er bis an sein Ende die
gesellschaftliche Agitation im Interesse des Kinderbewahrwesens ; diesem
Zwecke dienten seine im Auftrage unseres Vereins verfassten Broschüren
und Anleitungen, sowie seine ausgebreitete Correspondenz ; dies bezweckten
auch seine Reisen, welche er immer als gute Gelegenheit zu Versammlung-
gen, begeisterten Beden, Vorlesungen und eifriges Zureden, Alles im Inter-
esse des Kinderbewahrwesens benützte ; er fand solche Gelegenheiten umso
häufiger, als ihn weiland der Cultus- und ünterrichtsminister August Trefort
im Jahre 1881 zum Ministerial-Gommissär in Sachen des Kinderbewahr-
wesens ernannte. Dies verlieh seinem Auftreten das gebührende Ansehen
und sicherte ihm eine thatkräftigere Mitwirkung der Jarisdictions-Grgane.
Er behielt die amtliche Mission bis an sein Lebensende und gründete mitt-
lerweile den • Landesverein der Kinderbewahrer», welcher unter seinem
Präsidium fungirte und in zwei Fällen eine Section des Lehrertages bildete.
Indessen aber musste Szathmäry fühlen, dass unter unseren Umstän-
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53 i DENKBEDE AUF KABL 8ZATHMARY.
den, wo sich allen kulturellen Bewegungen in Gestalt von Armut und Zurück-
gebliebenbeit, confessioneller und nationaler Eifersüchtelei so viele, auf
gesellschaftlichem Wege allein nicht zu besiegende Hindernisse in den W^
stellen, die Sache des Einderbewahrwesens insolange keinen entscheidenden
Erfolg wird ernten können, bevor durch ein Landesgesetz für seine För-
derung gesorgt wird.
» Er verkündete dies schon zu einer Zeit, als die Idee in der Gesellschaft
noch nicht Boden gefasst hatte und auch von Seite der Regierung kühl
behandelt wurde. Als Abgeordneter legte er bereits im Jahre 1875 einen
Gesetzentwurf in Angelegenheit der Regelung des Einderbewahrwesens dem
Hause vor. Am 20. December ergriff er zur Motivirung des Gesetzentwurfs
das Wort und wies in dieser Rede darauf hin, dass Baron Josef Eötvöa
mit dem Gesetzentwurfe über die Volkserziehung auch einen Entwurf über
Regelung des Einderbewahrwesens im Hause eingebracht hatte, dieser
Gesetzentwurf aber nie zur Verhandlung kam. Er wies ferner auf die
Wichtigkeit und Nützlichkeit des Einderbewahrwesens hin, sowohl in päda-
gogischer als volkswirtschaftlicher, nationaler und humanitärer Beziehung
und bat schliesslich, seinen Entwurf einer Verhandlung zu unterziehen. Das
Sitzungsprotokoll des Abgeordnetenhauses verzeichnet, dass den Worten des
Redners «allgemeiner, lebhafter Beifall n folgte und dass das Haus einstim-
mig beschloss, den Entwurf in Beratung zu ziehen. Derselbe wurde dann
auch an den Unterrichts- Ausschuss gewiesen.
Der Entwurf gelangte aber nie in das Plenum des Abgeordnetenhauses
zurück, die Regierung unterstützte das Einderbewahrwesen in gouveme-
mentalem Wirkungskreise, jedoch die Zeit des legislativen Einwirkens war
noch nicht gekommen.
Eaum hatte der ge;^enwärtige Unterrichtsminister sein Portefeuille
übernommen, als er beschloss, die Initiative auch in der Gesetzgebung zu
ergreifen. Jedermann fand es natürlich, dass mit der Fassung des Gesetz-
entwurfes Earl P. Szathmäry betraut wurde, der dieser Aufforderung im
Frühling des Jahres 1889 entsprach. Der Entwurf SzathmÄry's musste in
mancher Beziehung umgeändert werden; in den organisatorischen und
administrativen Teilen musste man ihn mit den Verfügungen der bestehen-
den Volksschulgesetze und mit den gesammelten Erfahrungen in Einklang
bringen, aber in Bezug auf die pädagogischen Bestimmungen und auf die
Grundidee war der vor das Parlament gebrachte Entwurf mit jenem Szath-
märy's vollständig übereinstimmend.
In die zur Beratung des Gesetzentwurfes einberufene Enquete wurde
im Feber des verflossenen Jahres auch Szathmäry berufen und bildeten
seine Reden anlässlich dieser Beratungen sozusagen den Schwanengesang
dieses eifrigen Apostels des Einderbewahrwesens. Er war schon zu jener
Zeit sehr krank und das Erscheinen in der Enquete kostete ihm grosse
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DENKREDE AUF KARL SZATHMIhY. ^35
Anstrengung. Dort sprach er es aus, dass er nach 17jäbriger Arbeit die
üeberzeugung hege, dass die Zukunft unserer Nation von der schleunigeren
Lösung dieser Frage abhänge ; er gebe sich keinen Illusionen hin, dass das
Gesetz sofort seinem ganzen Umfange nach durchführbar sein werde, aber
jedes verlorene Jahr bedeute ein Jahrhundert auf diesem Gebiete und des-
wegen segne er den Minister, der das grosse Werk initiirte.
Sofort nach ihm ergriff das Wort der damalige Abgeordnete und
gegenwärtige Ministerialrat Georg Szatmäry und als derselbe seinem Vor-
redner für dessen auf diesem Gebiete entfaltete Wirksamkeit Anerkennung
zollte, billigten sämmtliche Gonferenzmitglieder seine Worte.
Unser verdienstvoller Secretär konnte es noch erleben, dass die
Enquete den Entwurf in mehreren Teilen eben vom Standpunkte jener
nationalen Interessen wirksamer gestaltete, welche auch dem Herzen Szath-
märy's näher standen; er konnte es erleben, dass der Entwurf unter
demonstrativen ^^Ijenrufen der Abgeordneten auf den Tisch des Hauses
niedergelegt und sogar im Ausschusse durchberaten wurde.
Zu jener Zeit begegneten wir ihm noch hie und da in den Couloirs
des Hauses ; man sah es ihm an, dass er die Last des Lebens nicht mehr
lange werde schleppen können; sein Körper war ganz gebrochen, sein
Gesicht, welches früher von einer kränklichen Röte bedeckt war, zeigte
schon eine Leichenblässe ; er ging herum, wie Jemand, der hier auf Erden
nur noch eines zu suchen hat ; er hätte nur noch seinen liebsten Traum,
den gänzlichen Triumph des ungarischen Kinderbewahrwesens gern ver-
vnrklicht gesehen ; er fühlte, dass seine Zeit nur mehr kurz ist, dass die
letzten Sandkörner der Uhr im Ablaufen begriffen seien . . .
Gleichwohl aber arbeitete er und mühte sich ab, vom Morgen bis zum
Abend, sozusagen bis zu seinem letzten Atemzug, für seine Familie, für das
Vaterland, für seine Ideen, immer begeistert, immer seiner selbst vergessend.
Muss man bei dem, der die Kleinen so liebte wie er, noch einen
besonderen lobenden Nekrolog über den Menschen schreiben ? Konnte er
als solcher anders sein als ein guter, treuer und selbst aufopfernder Gatte,
Vater und Freund ?
Im Wesen Karl 8zathmäry*s herrschte über jedes Element das Herz
tmd dies machte ihn als Schriftsteller, Politiker und Pädagogen zum
Idealisten im vollsten und edelsten Sinne des Wortes. Es ist möglich, dass
er sich mit weniger Idealismus mehr genützt hätte, seinem Vaterlande
aber gewiss nicht. Er war zu keiner führenden Bolle berufen, das fühlte
er auch ; er hatte aber genug Seelengrösse, um zu erkennen, dass auf dieser
Welt zur VerwirkUchung jeder grossen Idee nicht nur siegreiche Führer, son-
dern auch solche Männer nötig sind, welche alle Kraft, alle Hoffnung, alles
Glück eines Menschenlebens im Dienste einer Sache aufzuopfern im Stande
sind, ohne darauf zu sehen, danach zu fragen, ob sie durch diesen Dienst
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5,36
DIK FURSTIilCHEN NEMANJIDEN.
materiellen Nutzen, Einfluss; Macht, lärmende Erfolge und dauernden Buhm
gewinnen ; und er übernahm diese edle Bolle der Selbstverleugnung.
Deshalb wird sein Name Allen lange in Erinnerung bleiben, und wir
hoffen, dass es lange Zeit zarte Hände geben wird, welche es nicht zageben
werden, dass sein Grab kahl bleibe und der Blumenzier entbehre.
Die schönsten Blumen aber, welche den Schmuck dieses Grabes bil-
den, werden jene blühenden Kindergesichter sein, auf welche unsere wohl-
thätigen Bewahranstalten das heitere Lächeln des Wohlbefindens und der
Zufriedenheit und den Strahl der sich entwickelnden Intelligenz zaubern ;
das sind jene «Engelgärten»», für deren Zustandekommen und Verbreitung
er mit so edler Begeistt rung, mit so hingebendem Eifer und mit so erfolg-
reichem Besultat thätig war.
Segen seinem Angedenken !
DIE FÜRSTLICHEN NEMANJIDEN.
Beiträge zur Kenntnias der ungarisch -serbischen Beziehungen.
Der Bürger in Goethe's «Faust»», der sich an Sonn- und Feiertagen
nichts Besseres zu wünschen weiss, als ein Gespräch von Krieg und Kriegs-
geschrei, wenn «hinten weit in der Türkei»» die Völker aneinander schlagen,
würde mit seiner Denkweise ganz gut seinen Platz auch in der Auffas-
sung und Beurteilung historisch-genealogischer Themata seitens zahlreicher
Bearbeiter dieses Gebietes ausfüllen.
Occidentale Forscher auf dem Gebiete der sogenannten Hilfs-
wissenschaften der Geschichte, selbst wenn sie in ihrer Liberalität noch
so wenig Unterschiede in Längen- und Breitengraden, Nationalität und
Bekenntniss aufstellen, gehen einem genealogischen Thema, sobald es sich
bedenklicherweise in die Nähe der «weit an die Türkei» grenzenden Länder
(Serbien, Bulgarien, Bosnien etc.) versteigt, mit heiliger Scheu aus dem
Wege, und es ist schon viel, wenn sie sich zur Motivirung verstehen, dass
ein näheres Eingehen auf dieses Thema aus Mangel an hierauf Bezug
habendem kritischen MaUriale unmöglich und überhaupt von nicht allge-
meinem Interesse sei.
Der erste dieser Einwände hat allerdings eine gewisse Berechtigunf?
für sich. Es ist wahr, dass die in ungeahntem Maasse existirenden, in ver-
schiedenen slavischen Zeitschriften, Diplomatarien und Archiven vor-
kommenden, in verschiedenen slavischen Idiomen verfassten Urkunden
dem nichtslavischen Forscher teils schwer zugänglich, teils schon ihrer
originellen Schriftform halber unverständlich sind; wenn wir aber erwägen,.
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DIE FÜRSTLICHEN NEMANJIDBN. ^^
dass auf die Geschichte und Genealogie der Südslaven sich äusserst zahl-
reiches urkundliches Material in lateinischer und griechischer Sprache in
ungarischen, venetianischen, ragusanischen, griechischen u. a. Sammel-
werken und Fundstätten aufgestapelt findet, dürfen wir kühn die Behaup-
tung aufstellen, dass eine Aufarbeitung selbst nur dieses zugänglichen und
verständlichen Materials zur Aufhellung südslavischer Genealogie u. dgl.
viel beitragen vnirde.
Der zweite Einwand ist hingegen gänzlich zu verwerfen. Aus ün-
kenntniss der Quellen und lückenhafter Bearbeitung der wechselseitigen
Berührungspunkte sämmtlicher Stauten und Völker hat sich der Glaube
entwickelt, dass die kleineren südslavischen Staaten in der Genealogie
keine über die Grenzen ihres eigenen Territoriums reichende Bedeutung
hatten. Dies ist entschieden falsch. Zur Zeit der Selbstständigkeit der
Donaufürstentümer und der Balkanstaaten finden wir im Gegenteile zu
der erwähnten Annahme ein äusserst reges genealogisches Eingreifen in
die Familien der Nachbarstaaten, welches alle Abstufungen mit Bezug auf
Bang und Macht der einzelnen genealogischen Glieder aufzuweisen ver-
mag, — die Bearbeitung der südslavischen Genealogie hat eine weitgehende
Bedeutung und bietet grosses Interesse.
Der grosse Diicange (1610 — 1688) war der einzige nichtslavische
Autor, der seine Aufmerksamkeit der südslavischen Genealogie zugewandt.
Seine durch die Opferwilligkeit eines Mitgliedes der leider heute ausge-
storbenen Familie der Mäcenaten 1749 erschienene Arbeit «Ulyricum
vetus et novum» enthält so ziemlich die Genealogie der serbischen, bul-
garischen, kroatischen, montenegrinischen, bosnischen etc. Häuser. Was
die Benützung der zu seinen Zeiten zur Verfügung gestandenen Quellen
betrifft, hat Ducange redlich das Seinige geleistet ; dass er ausser dem in
Johann Luci6*s (f 1679) Werke über Kroatien und Dalmatien vorkommen-
den urkundlichen Materiale nur wenig Urkundliches verwertet und sich
zumeist auf Chronisten, von den Römerzeiten angefangen bis zu seinen
Tagen, stützte, müssen wir ihm verzeihen ; zu seinen Zeiten lag das riesige
urkundliche Material aller Sprachen unbeachtet und unge würdigt im
Staube der Archive ; dass er aber die Leistungen mancher mittelalterlicher
Stammbaumfabrikanten ohne jede Prüfung auf gut Glauben hingenommen
und dieselben als etwas Kritisches seinem Werke einverleibt, dürfen wir
ihm weniger entschuldigen.
Da ich in vorliegender «Kevue» manche Beiträge zur Purificirung
der bulgarischen Zarengenealogie bereits geliefert und die Bearbeitung der
serbischen Fürstengenealogie mit besonderer Berücksichtigung ihrer unga-
rischen Berührungspunkte ein ebenso wenig gepflegtes als dankbares Thema
bildet, erlaube ich mir an dieser Stelle nachfolgende Glossen zur serbischen
Fürstengenealogie in zwangloser Reibenfolge zu veröffentlichen, wobei ich
ÜDguriaeh« Beme, XI. 1891. VI— VH. Heft. .S4a
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538 ria fürstlichen nemanjiden.
jedoch ganz besonders betonen muss, dass Alles, was ich in der Einleitung
zu meinen Glossen zur bulgarischen Zarengenealogie gesagt, auch für meine
heutige Veröffentlichung vollinhaltlich Geltung hat.
1. Bis zum Auftreten der Nemanjiden.
Der erste Serbenfürst, von dessen Namen angefangen sich eine genea-
logische Reihe von Nachfolgern aufzählen lässt, ist Vlastimir, bekannt
durch einen siegreichen Krieg gegen den Bulgarenfürsten Presjam ; dieser
Krieg dürfte von 836 bis 839 gedauert haben.
Vlastimir hatte drei Söhne und eine Tochter; letztere heiratete den
Krainas, Sohn des Zupans von Trebunien, Bela's, durch welche Heirat
Krainas zum unabhängigen Fürsten Trebuniens erklärt wurde.
Muntimtr, der älteste seiner Söhne, regierte eine Zeitlang in Gemein-
schaft mit seinen Brüdern Strojmir und Gojnik. Bald mussten aber die
Letzteren ihm weichen ; sie zogen nach Bulgarien, während Peter, Gojnik's
Sohn, nach kurzem Aufenthalte am Hofe seines Oheims, sich nach Kroatien
begab. Strojmirs Sohn Klonimir, war gleichfalls nach Bulgarien gezogen,
wo er eine Eingeborene zur Göttin nahm und mit ihr den Ceslav zeugte.
Muntimir hatte drei Söhne : PtihesthlaVy Bran (Borena) und Stephan.
Gleich im ersten Jahre nach dem Tode ihres Vaters wurden sie von ihrem
Vetter Peter (Sohn des Gojnik), der an der Spitze kroatischer Hilfstruppen
in Serbien eingefallen war, vertrieben, worauf sie nach Kroatien zogen
(ca. 897). Um 900 wollte Bran das Verlorene zurückgewinnen, ward jedoch
gefangen und auf Peters Befehl sammt seinem Sohne Paul geblendet. Um
902 machte auch Klonimir, unterstützt von Bulgarien, einen Versuch zur
Wiedereroberung seines Trones ; schon im Besitze der Residenz Dostinik
wurde er von Peter umzingelt und getödtet. Nach ca. 20-jähriger Begierung
(91 7) gelangte Peter durch die Intriguen seines westlichen Nachbars, Michael
Vyseviö, des Fürsten von Zachlumien (912 — 926), in bulgarische Gefangen-
schaft, woselbst er auch sein Leben beschloss.
Paul, Sohn Brands, den Peter dem Bulgarenzaren Simon zur Bewa-
chung übergeben, wurde, trotzdem er geblendet war, auf den serbischen
Fürstentron erhoben. Da er sich aber gegen Bulgarien undankbar erwies,
setzte ihn der Zar Simon ab, um an seine Stelle Zacharias, den Sohn des
Pribesthlav, zum Fürsten zu erheben.
Zacharias war vom griechischen Hofe benützt worden, um in Serbien
Paul vom Trone zu stossen ; von Paul gefangen genommen, wurde er von
diesem nach Bulgarien geschickt (917 — 921). Kaum auf den Tron gelangt,
vergass aber auch Zacharias die ihm von bulgarischer Seite geleisteten
Dienste und begann mit dem griechischen Hofe zu liebäugeln. Als eine
von Simon gegen Zacharias abgeschickte Armee geschlagen wurde, sandte
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DIE FÜRSTLICHEN NEMANJIDEN.
539
'Simon eine zweite dahin, der er den Prinzen Öeslav, den Sohn Klonimirs,
der in Bulgarien geboren und erzogen wurde, sich anschliessen liess. Diese
Expedition hatte zur Folge, dass Zacharias nach Kroatien floh, die serbi-
sche Fürstenfamilie gefangen genommen und das ganze Land einer Wüste
gleich gemacht wurde (924).
Unter der Regierung des Bulgarenzaren Peter (927 — 969) gelang es
CeslaVt der mit den gefangenen serbischen Fürsten zu flüchten wusste, die
^Ibstständigkeit Serbiens unter byzantinischer Oberherrschaft (931) wieder-
herzustellen. Er fiel (960) auf einem Feldzuge gegen Syrmien.
Von Ceslavs Nachfolgern oder Nachkommen haben wir keine authen-
tische Kenntnis«. Leichterer Uebersicht halber lasse ich hier die Stammreihe
der Vorgänger Öeslavs folgen :
1. VJastimir um 870— um 880.
8. Bran
geblendet.
5. Paul
geblendet,
reg. 917—
um 922.
2a. Mnntimir.
PribislaY.
I
6. Zacharias
um 9^,
flieht 9U.
Stephan.
2fc. Strojmir
um 886 verjagt
Klonimir.
-^ eine Bulgarin.
7. Öeslav
geb. in Bulgarien
reg. seit 981 1960.
2c.Gojnik
um 886 verjagt.
4. Peter
897—917.
t naoh 917 in
Gefangenschaft.
Tochter.
~ Krainaa,
Sohn des 2upan
Bela V. Trebinje.
Valimir.
Tzutzimir
880—940.
Um 990 stossen wir auf Johann Wladimir , den serbischen Herrscher
von Dioklea (Zeta)*, der mit der Hand der Kosara, einer Tochter des
Bulgarenzaren Samuel (reg. 976 — 1014), Nord-Albanien als Vasall Bulga-
riens erhielt. Am 22. Mai 1015 wurde Wladimir durch den Cousin seiner
Oemahlin, den Bulgarenprinzen Johann Vladislav ermordet. Später wurde
er zum Heiligen erhoben.
Wladimirs Vater wird Miroslav genannt, der noch einen Bruder
Dragomir gehabt, der in seines Neffen Namen das Land Ch*lm verwaltete
und nach Wladimirs Tode sich mit einem Teile des Volkes wahrscheinlich
in den Bergen von Montenegro und der südlichen Herzegowina verbarg.
Seine Gemahlin soll die Tochter Ludomirs, des Grosszupans von Bassa
gewesen sein und ihm ausser zwei Töchtern den Prinzen Dobroslav geboren
haben. Die weitere Genealogie St. Wladimirs ist unbekannt.
1034—1050 erscheint Stephan Vojslav (auch Dobroslav), Herr von
Zeta und Travunia, aus dem Geschlechte des heil. Wladimir, Gemahl einer
Tochter des einstigen Bulgarenzaren Gubriel Badomir Boman. Er ver-
nichtete ein griechisches Heer in den Schluchten Montenegro's und stellte
die Herrschaft Serbiens her. Von seinem um 1050 erfolgten Tode ist nichts
Näheres bekannt.
* Dieses Königreich bestand aus den vier Landesteilen : Dioklea (Zeta), Travunje,
Podgorje und Ch'lm.
34*
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540
DIE FUB8TUCHEN NEMANJIDBN.
Sein Sohn und Nachfolger Eadoslav L machte Ch'hn vom griechi-
sehen Reiche unabhängig. Von Eadoslav besitzen wir das Bruchstück einer
Urkunde,* welches Folgendes enthält : «Ego Radoslavus rex . . . cum uxore
mea Julia et filio Branislavo volo quod construatur monaaterium in Baleni,
et detur monachis sancti Benedicti de Lacroma.»
Sein Nachfolger Michael (1078 — 1081) erhielt vom Papste den Königs-
titel. Sein Sohn Konstantin Bodin wurde 1073 von den mit der bjrzan-
tinischen Herrschaft unzufriedenen Bulgaren zum Zaren Bulgariens pro-
clamirt, bei welcher Gelegenheit er den Namen Peter (11.) annahm. Von
den Griechen besiegt und gefangen genommen, g^ltmg es ihm mit vene-
tianischer Hilfe zu entkommen und zu seinem Vater zurückzukehren.
Michaels Genealogie ist nicht klargestellt. Luccari gibt ihm aus einer
ersten Ehe folgende Söhne : Wladimir, Priaslav, Sergius, Derijus, Gabriel,
Miroslav und Bodin ; aus einer zweiten Ehe mit der Enkelin eines griechi-
schen Kaisers soll er noch folgende Söhne gehabt haben: Dobroslav, Pria-
slav, Nikephor und Theodor. — Mehr Wahrscheinlichkeit hat es, dass er
ausser dem Sohne Bodin noch eine an den griechischen General Longibar-
dopulos vermählte Tochter gehabt.
Bodin soU 1081 (Okt.), also noch zu Lebzeiten seines Vaters, sich mit
Jakvinta, Tochter des zu Bar in Apulien wohnhaften Edelmannes Argy-
ritzes, vermählt haben.** Aus dieser Ehe sollen folgende Söhne stammen :
Michael, Georg, Argyritzes und Thomas.
Von Bodin kennen wir eine Urkunde do. 1 100, in der er dem Bene-
diktskloster zu Lacroma ein Dorf bei Bagusa schenkt. Diese Schenkung
wird 1115 durch seinen Sohn Georg bestätigt.***
Im Nov. 1114 urteilt der Kichter Gerdo in Bagusa «Eegis Georgii filii
ßegis Bodini primo anno, regnante pr«dicto Eege». Nachdem Marco de
Pari behauptet, der Besitz St. Martin gehöre Eagusa, benift sich der Richter
auf ältere Leute, die den Sachverhalt kennen, z. B. «Bella uxor ProcuU de
Cazariza, filia Tidiaslavae, quse fuit soror Domini Eegis Dobroslavo». Hierauf
begibt sich eine Deputation ins Lacromaer Benediktskloster, darunter
«Mariza, vel Marcus filii Begis Bodini».
Von Bodin kennen wir nur aus Dandolo einen gegen den Kaiser
Alexius I. unglücklich geführten Feldzug.
Neben ihm erscheint ein Gross-Zsupan von Serbien oder Bascia, Na-
mens Vukan, den Bodin nach Serbiens (Rasciens) Eroberung (1082 — 1085)
* Kukuljevic, Codex diplomaticuß I. 118.
** Lupus Protospatha ap. Engel, Geschichte von Serwien, Halle 1801 pag. 187.
Bei Muratori V. 572 kommt um 1070 zu Zeiten des Kaisers Diogenes ein byzan-
tinischer Kommandant des apulischen Bar, genannt Argerius vor, der sich später den
Normannen ergeben musste.
*** Kukuljevic 1. c. I. 188, U. pag. 19.
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i
DIE FUR8TUCHEN NEMANJIBEN.
541
eingesetzt und dessen Abstammung unbekannt ist. Sein Gebiet erstreckte
sich auf Skodra, südlich von Dalmatien. Er führte siegreiche Kriege gegen
den griechischen Feldherm Johann Dukas, den Schwager des Kaisers
Alexius I. Sein Todesjahr ist unbekannt.
2. Die ersten Nemanjiden.
Auf Vukan ist Bieli Urosch gefolgt ; Letzterer ist der Ahnherr der
Nemanjiden. Bezüglich des Ursprunges dieser Familie gibt es verschiedene
ältere Hypothesen.
a) Rates IL 284 * führt die Behauptung des Chilandarischen Ljeto-
pisz an, laut welchem die Abstammung der Nemanjiden an die römischen
Kaiser August und Konstantin den Grossen angereiht wird. Des Letzteren
Schwester habe den Licinius geboren, dieser sei von seinem Oheim wögen
seines Christenhasses befeindet und verjagt worden; dessen Sohn, Bela
Urosch sei nach Chulmien geraten etc.
Baics sucht den historischen Hintergrund dieser Fabel darin, dass
die Nemanjiden in Wirklichkeit von einem Bela, Bane von Trevunja
(Wlastimirs Schwiegersohn) abstammen ; doch entzieht sich alles auf die
weitere Genealogie Bezügliche einer kritischen Prüfung, so dass Eaics*
Annahme weder befürwortet, noch verleugnet werden kann.
b) Luccari, Orbini, Ducange und Tomcus** stellen die Sache folgender-
massen dar: Die Nemanjiden stammen von einem Geistlichen orien-
talischen Bekenntnisses ab, der sich Stefan nannte (nach Tomcus haben
sich alle Könige aus seiner Familie diesen Namen beigelegt «ut e gr.
Pharaonis»)) und zu Lutzk, einem Dorfe in der Zupanei Cholm gewohnt
haben soll. Nach Tomcus war er geboren «in Tuglo Bosniensi oppido».
Sein ehelicher Sohn Ljubimir sei vom Zupan von Cholm zum Befehlshaber
in Trnovicza, in der Nähe des Ursprunges des Drinflusses, an der Grenze
von Serbien und Dalmatien, ernannt worden. Des Ljubimir Sohn sei
Urosch etc. Kaics meint nun, dass Stefan ein Nachkomme des Bela von
Trevunia gewesen.
^ Istorija taznih slavenskih narodov etc. 1794, in 4 Bänden (Baics geb. 1726).
** Manro Orbini (f 1614), Benediktiner-Mönch in Meleda, später in B&cs
{Ungarn). Der Titel seines Werkes lautet: II regno de gli Slavi hoggi corottamente
detti Schiavoni. In Pesaro 1601.
Der Titel des Werkes Jakob Luccaris ist : Copioso ristretto degli annali di
Bagusa, Venezia 1605.
Karl Dufresne, Herr von Dncange (1610 — 1688) schrieb eine tHistoria byzan-
tina» (Paris 1680), deren slavische Abteilung als •ülyricum vetus et novum» 1749
in Pressburg erschien.
Johann Tomcus (Mmavchich) f 1639. Er schrieb das Leben des heiligen
Sabbas in den AA. SS. 14. Jänner.
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542 DIE FÜRSTLICHEN NEMANJIDEN.
c) In Ermangelung einheitlicher und zuyerlässiger einheimischer
Nachrichten bleibt uns nichts Besseres, als den Urspmng der Nemanjiden
nach den byzantinischen Quellen anzugeben.
Um 1094 hatte Fürst Vlk, den wir als Bodins Statthalter, Vasall in
Serbien kennen, den griechischen General Johann Dukas geschlagen. Als
Kaiser Alexius I. sich persönlich an die Spitze einer Armee stellte, um
die Niederlage seines Generals zu rächen, schloss Vlk Frieden, zu dessen
Garantien er die Prinzen Stefan Vlk und Urosch, die Söhne seiner Vettern
als Geisel nach Griechenland schickte. Jede nähere genealogische Klärung
des zwischen Vlk und Urosch bestandenen Verwandtschaftsverhaltnißses
ist dermalen unmöglich.*
Ob auf Vlk Stefan Vlk allein oder in Gemeinschaft mit Urosch
gefolgt, ist unbestimmt; positiv wissen wir, dass 1130 ein serbischer Gross-
fürst des Namens Urosch vorkommt, der seiner weissen Haare halber auch
Bieli Urosch genannt wird.**
Urosch ist ursprünglich Fürst (Zupan) von Kassa,*** tritt aber als
mächtigster seiner fürstlichen Genossen in den Vordergrund, so dass ihn
Turoczi n. 63, einen magnus comes Serviae nennt.
* Engel 1. c. 190 hat folgende Bemerkung: «Uros war nacb ihnen (den Byzan-
tinern) ein Verwandter — Vetterssohn — von dem regierenden serbischen Groes-
zsupan Wiilkan, mit dem demnach Stephan, Uroschens Grossvater, in Verwandt-
schaftsbeziehtingen gestanden haben moss. Wulkan selbst war, wo nicht ein Bruder,,
doch höchst wahrscheinlich ein naher Verwandter von Constantin Bodinus; dies
könnte die zufällige Ursache sein, warum das Chilendarische Jahrbuch durch Ver-
wechslung der Namen und Zeiten von einer Verwandtschaft des Neemanschen Hauses
mit Konstantin dem Grossen spricht»
** Neuere imd neueste Autoren lieben es, diesen Fürsten «B^ Urosch» zu
nennen (z. B. KdUay in der deutschen Ausgabe seiner Geschichte der Serben 1878
pag. 33, — Hertzlterg in seiner 1883 erschienenen Geschichte der Byzantiner etc.).
Ich kann dem durchaus nicht beistimmen. tB^la» ist ein speziell ungarischer männ-
licher Kufhame, der in der Familie der Arp4den z. B. fflnfmal vertreten ist. B^la IL.
von Ungarn ist ein Schwiegersohn des Grossfttrsten Urosch L Dieser selbst führt
den Beinamen des «Weissen» (= Weisshaarigen), somit heisst er «bieli» (= weiss)
Urosch. Aus «bieli» haben Manche wahrscheinlich das ihnen bekannter klingende
•B^la» falnrizirt. Ob aber der ungarische Name B^la mit dem slavischen bieli (= weiss)
verwandt ist, dies zu entscheiden, ist Sache der vergleichenden historischen Sprach-
künde. — Vgl. meinen Aufsatz: «Zur Genealogie der Nemanjiden» in ider Deutsehe
Herold» Berlin 1888.
'^''^* Sein Enkel Stefan Nemanja sagt in seiner Schenkungsurkunde an das
Chilandarkloster auf dem Berge Athos (ap. Avramovity, Opiszanie drevnosztij szrbszki, .
Belgrad 1847 pag. 160 und Wenzel, ^pp&dkori üj okmÄnytir, I, 352, Nr. 219 (46 b)
do. 1198 — 1199: «In seiner unermesslichen Gnade und Menschenliebe liesg er (QcU)
unsere Ur- und Grossväter glekhfalh auf diesem serbischen Boden herrschen^. Hiemit
ist jedenfalls Urosch's Abstanmiung von den früheren serbischen Herrschern sicher-
gesteUt.
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DIE FÜRSTLICHEN NEMANJIDEN.
543
Aus ürosch's Leben sind uns keine directen Daten mitgeteilt ; wir
dürfen jedoch mit Bestimmtheit annehmen, dass er einigemale mit den
Diokleanem und Byzantinern erfolgreiche Kriege geführt. Sein Todesjahr ist
unbekannt. — Seine Gattin Anna wird vom Chilendarischen Ljetopisz die
Tochter des Königs von Frankreich (Krala Phranatsckago) genannt. Wir
finden aber bei den Capetingem weder eine Anna, noch eine anders genannte
Prinzessin, die sich im ersten Drittel des Xu. Jahrhunderts mit Urosch
von Serbien vermählt. Es ist nicht zu glauben, dass von einer solchen
Allianz der serbische Chronist berichten könnte, wenn z. B. Anselm und St.
Marthe, die Hauptgenealogen der Capetinger, von der Sache nichts wissen.^
Von Urosch's Kindern kennen wir drei Töchter und zwei Söhne:
a) Helene, Königin von Ungarn.
Ueber ihr Geburtsjahr besitzen wir keinerlei Anhaltspunkte, doch
wissen wir, dass sie — weil sie schon im ersten Jahre ihrer Ehe einen
Sohn gebar^ und kurz darnach die Zügel der Eegierung für ihren Gutten
mit seltener Kraft und Energie in die Hand nahm — zur Zeit ihrer Ver-
mählung sich schon in einem für eine Frau in jeder Beziehung reif zu
nennenden Alter befunden haben muss. Sie dürfte aller Wahrscheinlich-
keit nach älter als ihr Gemahl gewesen sein und mochte der Altersunter-
schied durch Bela's Blindheit keinen Anstand gelegentlich der Verlobung
geboten haben. Helene vermählte sich 1129 mit dem damals zumTronfol-
ger Stefans H. von Ungarn designirt gewesenen Bela dem Blinden^ und
wurde mit ihrem (Jatten am 28. April 1131 in Stuhl weissenburg gekrönt.
* VgL «der deutsche Herold • 1. o. Ranzano (Ind. XIV.) giebt Helene's (einer
Tochter Uroech's) Abstammung folgendermassen an : «Ejus (nämlich des ungarischen
Königs B^la II.) uxor, matrona singularis prudentia, Helena dicta est ; — quam per-
hibent, neptem <u? sorore fuisse Constantinopolitani Imperatons,* Der Griechenkaiser,
auf den dies Bezug haben könnte, muss unbedingt ein Komnene gewesen sein (etwa
der am 15. Aug. 1118 gestorbene Alexius I.) Obzwar wir eine an Urosch vermählte
byzantinische Prinzessin Anna auch nicht kennen, ist Banzano's Vermutxmg, es könne
Anna mit dem byzantinischen Eaiserhause verwandt gewesen sein, entschieden wahr-
scheinlicher, als die capetingische Ableitung. War sie aber doch eine Französin und hat
sich der serbische Chronist nicht geirrt, als er sie einem regierenden Geschlechte ent-
sprossen nannte, so kann sie nur irgend einer untergeordneten kleinen Lehensdynastie
Frankreichs entstammt sein. SaÜEurik, G^ch. d. Südlav. Litteratur LH. 63. meint,
dass manche den Ausdruck des Chronisten Boda Franciska (d. heisst fränkischen
Geschlechts) nicht verstanden, und weil sie Anna für eine Französin hielten, sich
veranlasst fühlten, die Angabe der einheimischen Annalen ganz zu verwerfen. Er
bietet aber keinerlei Anhaltspunkte zur Bestinmiung der Genealogie Anna's.
* Turöczi II. 63. «quse non post multos dies procuravit Geycham».
* Schier (Heginse Hungari») schreibt B^la eine andere, erste Gattin zu. Helene
soll nach ihm noch während B^las Exile dessen Gattin geworden sein. Da der
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544 DIE FÜRSTUCHEN NEBiANJIDEN.
Dass Stefan IL, der die Yermahlang des blinden Bela negozürte, seine
Augen auf die serbische Fürstentochter geworfen und um selbe durch eine
Gesandtschaft zur künftigen Königin Ungarns werben liess, hat mehrere
Gründe gehabt. Stefan hatte schon 1128 wegen des seinem Oheime Älmoa
in Griechenland gebotenen Asyls, dem Kaiser Johann 11. Krieg erklärt
Noch 1128 erstürmte er Belgrad (nach Einigen auch Branißevo); die Ser-
ben, die 1122 von Johann eine empfindliche Niederlage erlitten, benätzten
die gefährdete Situation des Kaisers und eroberten, durch Stefans Erfolge
aufgemuntert, die Feste Basum (nach Engel etwa Baska am gleichnamigen
Flusse), worüber Johann so erbittert war, dass er den Kritoplos, den Com-
mandanten der Festung, in Weiberkleider stecken und auf einem Esel über
den öffentlichen Marktplatz führen liess. Engel ist nun der Meinung, dass
dieses Mitwirken der Serben vielleicht noch vom Jahre 1118, als Stefan 11.
Dalmatien der ungarischen Krone zurückeroberte, herrühre und die Folge
einer damals zwischen Ungarn und Serbien getroffenen Vereinbarung
gewesen sei. Dem sei nun wie immer : soviel steht fest, dass die serbische
Action während des ungarisch-byzantinischen Feldzuges 112819 den ersten
sicheren Anhaltspunkt zur Aufklärung der folgenden ungarisch-serbischen
Allianzen bietet.
Um den einstigen Umfang ihres Kelches wiederherzustellen, hätten
die Komnenen u. A. auch die Serben unter ihr Joch zwängen müssen. Es war
somit eine ganz natürliche Sache, dass Ungarn, Normannen* und Serben,
die an den Griechen einen gemeinsamen mächtigen Feind besassen, es
nötig fanden, den Griechen mit vereinten Kräften zu widerstehen. Stefan
schloss daher in diesem Sinne mit dem Grossfürsten Urosch ein Schutz-
und Trutzbündniss gegen Johann ü. Somit musste es auch in Stefans
Interesse gelegen sein, durch eine eheliche Verbindung seines blinden
Tronfolgers mit einer Tochter des Serbenfürsten diese Interessengemein-
schaft für die Zukunft auf eine noch stärkere Unterlage zu stellen.
Es waren aber auch gemütliche Gründe vorhanden, die hier mit-
gespielt. Wir wissen aus der Folge, dass Helene ausser ihrer Schönheit einen
für eine Frau in seltenem Grade festen, entschlossenen Charakter hatte
und dass sie zur Erreichung ihrer Ziele, sowie zur Befestigung der Herr-
schaft ihres Gatten und ihrer Kinder vor den blutigsten Mitteln nicht
Kinuamos'scbe Eukel Belas seinem Oheime Stefan (einem Sohne B^la's) so sehr ähnhch
gesehen, musste die Geburt seines Vaters, also auch Helene's Vermählung (wenn
wir ausser Helene keine andere Gattin B^la's anerkennen — Schier wird hier sehr
inconsequent — ) vor B^las Rtickberufung erfolgt sein. Schier sucht hierin eine
Bestätigung dessen, dass Stefan II., der von Almos* Leben wusste und 11^ dessen
Tochter Adelheid so freundÜch empfieng, von Böla's Existenz keine Kenntuiss
hatte etc.
* Klaic, Geschichte Bosniens 63.
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PIE FÜRSTLICHEN NEMAJJJIDBN.
545
zurückschreckte — ihr Auftreten auf dem Eeichstage von 1132 ist wohl
ein Vorbild der Scenen vom Beichstage 1741 in Pressburg. — Vielleicht
wusste nun Stefan von diesen Eigenschaften der Prinzessin und fand er
sie deshalb am ehesten geeignet, dem blinden Bela eine feste Stütze gegen
die von mannigfacher Seite sich ihm entgegenstellenden Anfeindungen zu
bieten, üeber Helene's angebliche Mitgift äussert sich Klaid 64, 65. folgen-
dermassen : «Es ist eine leere, durch nichts bewiesene Vermutung, dass
B61a n. von seinem Schwiegervater Bosnien als Heiratsgut erhalten.
1135 nennt sich Bela IE. zum ersten Male König von Bama (Fejer 11. 82).
Es ist wahrscheinlich, dass sich die bosnischen Baue, indem sie sahen,
dass die mächtigen Ungamkönige mit dem serbischen Fürstenhause ver-
schwägert seien, ihiien angeschlossen. Wenig später, nach 1 135 erteilte Bela
auf dem Beichstage zu Gran seinem zweiten Sohne Ladislaus die Würde
eines bosnischen Herzogs, indem er jedoch in Wirklichkeit auch ferner das
Land unter der Begierung seiner bosnischen Baue beliessi».
Aus Helene's Familienleben ist uns Nichts bekannt. Wir wissen nur,
dass sie einen Teil ihrer serbischen Verwandten an ihren Hof rief. Urkund-
lich wird sie meines Wissens zweimal erwähnt.*
Ueber Helene's Lebensende haben wir gleichfalls keine positiven
Daten. — Der Umstand, dass Bela in den allerletzten Jahren seines Lebens
sich dem Trünke ergeben,** deutete Vielen darauf hin, dass das wachsame
Auge der Gattin damals nicht mehr gewaltet haben mag. Auch war es auf-
fallend, dass gelegentlich des Scheidens ihrer Tochter Sophie aus der
Heimat kein einziger Autor den Schmerz der Mutter erwähnt und schliess-
lich fand man das Hauptargument für den um 1 138 erfolgten Tod Helene's
darin, dass nach dem im Jahre 1141 eingetretenen Ableben Bela's 11.
nicht seine Witwe Helene, sondern deren Schwager Belusch die Vormund-
schaft über den jungen König Geiza H. erhalten. Man calculirte, dass die
energische Helene, wenn sie damals gelebt, sich die Vormundschaft über
ihren unmündigen Sohn nicht hätte aus den Händen nehmen lassen.
Alle diese Combinationen betreffs Helenens Ableben vor Bela H.
sind durch einen von Jaksch*** gemachten Fund gegenstandslos geworden.
* Fejer IL 94 in einer Urkunde do. 11?8, betreffend die Probstei Dömös:
«Anno autem . . . miUesimo ceutesimo trigesimo octavo, indictione I. epact. XVIII. reg-
nante vero serenissimo et victoriosisBimo Rege Bela II. bonse memorise Almi Ducis
filio, cum Helena regina clementissima anno autem regni septimo» — «Idem Bela
Hex püssimus, cum Helena Regina niliilo minus piissima.»
Wenzel 1, p. 55, No. 23, ohne Jahreszahl, Schenkimg des Vesprimer Propstes
Andreas an die Abtei zu St. Martin : «. . a püssimo Rege Bela et eins uxore Regina
Elena diBponendarum rerum suarum facultatem petiit.»
** Turoczi n. 64.
*** «Mittheüungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung, 1888,
Ungariflche Revue, XI. 1891. VI— VII. Heft 35
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^^ DIE FÜRSTLICHEN NEMANJIDEN.
Derselbe hat nämlich in einem Pergamentcodex der k.k. Stadienbibliothek
zu Klagenfurt einige Briefformeln entdeckt, von denen sechs die Lebens-
geschichte Sophia's, der Tochter Bela's 11. betreffen und deren eine an
Sophia's Mutter Helene gerichtet ist und folgendermassen lautet : «Excel-
lentissime matri sue N. regine nobiUssime N. Christi et ipsius ancilla videre
d(ominu)m d(eum) in Syon vel regem r(egum) cum* decore salutem.
Audita* dulcissima legatione v(e8tra), mater et domina, qua humilitatem
m(eam) clementer salutare dignata estis excellentia v(estra), gaudens et
exultans vehementer in domino grates devotissimas serenitatis v(estre)
humiliter refero. Et quia dixistis speciale vobis esse gaudium pro amore
sponsi celestis devotissimarum deo feminarum me elegisse contubemium,
quid elegerim, quid invenerim vobis, domina, paucis intimare decrevi.
Dum* serenitatis veetre misericordiam oculo cordis intueor, mater et
domina, qua me vobis commanentem amplecti fovere nutrice vestra dig-
nata est excellentia, quicquid honoris et glorie, quicquid iocunditatis et
gratie vel leticie excogitare filialis * valet dilectio, totum vobis unice matri
intima devotione exhibeo. Verum tamen, quia gaudium m(eum) gaudium
v(estrum) esse non ambigo, facta in me magnalia dei dignitati vestre,
domina mater, intimare cupio. Ex quo loco N. inhabitare cepi regnum et
patriam deo miserante inveni. Nam tanta in me patris nostri spirituaUs
domini scilicet abbatis omniumque mihi commanentium superhabundat
gratia, ut velut in horto deliciorum quodam modo videar esse posita.»
Jaksch gelangt betreffs der Abfassungszeit dieses Briefes zu dem Re-
sultate, dass derselbe nach 11. September 1146* und vor April 1147 in
Ergänzungsband II. Heft 2: iZur Lebensgeschichte Sophia's, der Tochter König
Bela's n. von Ungarn. •
^ «cni ohne Abkürzungszeichen.
^ Nach «Audita» ist «fama» getilgt.
^ Der folgende Schluss des Briefes ißt zwischen Formel V. und VL ein-
getragen.
* « filialis • ober der Zeile nachgetragen.
"^ «Ziehen wir die Briefe selbst zu Rat, so finden wir, dass Überall Erzbischof
Konrad I. von Salzburg noch lebend genannt wird. Dieselben müssen also noch vor
April 1147 (Meiller, Salzburg, Reg. 56, No. 291) geschrieben sein. Im 3. Briefe (an
den Erzbischof selbst) gedenkt Sophia des hohen Alters des Erzbischofs. Im 1. Briefe,
welcher noch aus Regensburg an G^za II, der in diesem, wie in allen folgenden
Briefen stets als selbstständiger Regent auftritt (er wurde am 11. September 1146
wehrhaft gemacht), gerichtet ist, stellt Sophia in der Einleitung ihren Kimimer und
ihr Elend der «prosperitas rerum» ihres Bruders entgegen.
Die Lage G^za's war nach dem Tode seines Vaters B^la 11. 1141 durchaus
keine günstige; er selbst erst 12 Jahre alt, so dass wir uns die erste Zeit seiner
Regierung ohne Einflussnalime seiner Mutter auf dieselbe nicht denken können, und
schon drohte Boricz aufs neue mit seinen Ansprüchen auf den ungarischen Tron
hervorzutreten. Am ungünstigsten war dieselbe Anfangs des Jahres 1146, als König
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DIB FÜRSTLICHEN NEMANJIDEN. 547
Admont geschrieben ist. Es ist aber nicht zu vergessen, dass Sophie um
diese Zeit höchstens 14 Jahre gezählt haben dürfte.
Wir ersehen aus dem Briefe, dass Helene an ihre Tochter eine Ge-
sandtschaft nach Admont abgeschickt und dass dieselbe ihr die für sie
hocherfreuliche Botschaft von der besonderen Freude gebracht, welche
Helene darüber empfunden hat, dass Sophie aus Liebe zum himmlischen
Bräutigam sich in ein Kloster gottergebener Frauen zurückgezogen.
Somit ist auch durch diesen Brief festgestellt, dass Helene nicht nur
nicht vor ihrem Gratten gestorben, sondern dass sie zwischen 1146 und
1147 noch am Leben gewesen ! Dass sie in der Geschichte Geizas H. nicht
figurirt, dürfte darin seinen Grund finden, dass der tüchtige und ehrliche,
um das Wohl Helene's und ihrer Kinder aufrichtig besorgte Belusch, die
gesammte Vormundschaft in seinen Händen concentrirte und Helene es
durchaus nicht nötig gefunden, durch einen Act persönlicher Eingebung
in den Vordergrund zu treten.*
Helene' s Tod ist also nach 1146 anzusetzen. 1157 dürfte sie nicht
mehr gelebt haben, weil Geiza IL in einer Urkunde ap. Fejer IL 146
sagt: •pro salute animarum matris et patris m^i.»
Wenn wir die Folgen dieser Allianz betrachten wollen, müssen wir
vor Allem die kraftvolle Leitung des ungarischen Reiches während der
Mindeqährigkeit und der Jugend Geiza's H. durch Belusch ins Auge fassen.
Belusch hatte seinen Schwager Csudomil, den Bruder Helene's bere-
det, sich von der byzantinischen Herrschaft loszusagen und sich in den
Schutz seines königlichen Neffen zu begeben. Manuel von Byzanz über-
raschte aber schon 1151 Csudomil, der sich, da er damals von Ungarn
keine Hilfe erlangen konnte, in seine Berge zurückzog. Manuel nahm den
Konrad Boricz Hilfe in Aussicht stellte und auf des Letzteren Veranlassung zwei
bairische Grafen in der Osterwoche (31. März bis 6. April) Pressburg überfielen
und eroberten. Günstiger jedoch gestalteten sich G^za*s Verhältnisse, als im Frühjahre
1146 die Wiedergewinnung Pressburgs glückte und er ermutigt durch den Erfolg
zum Bachekriege gegen Baiern rüstete.
Ich glaube daher, dass der 1. Brief (an G^za II.) nach der Wiedereroberung
Pressburgs, also im Frühjahre 1146 geschrieben ist. Da konnte man allenfEtUs von
einer «prosperitas rerum» Geza's sprechen.
Von den beiden der zeitlichen Reihenfolge nach letzten Briefen 5 und &
(letzterer an ihre Mutter), welche gleichzeitig geschrieben sind, ist der erstere wieder
an König G^za gerichtet. Sophia spricht ihren Bruder als crex Hunnorum yicto-
riosissimus» an. Dies dürfte kaum formelhaft zu nehmen sein, sondern ist ofifenbar
unter dem Eindruck des grossen Sieges geschrieben, welchen G^za IT. am 11. Sept.
1146 über den Baiemherzog an der Leitha erfocht. Wir hätten somit als Grenzen
der AbÜEussungszeit der 6 Briefe das Frühjahr und den Herbst 1146 gewonnen.»
* Jaksch hat seine oben ausgesprochene, gegenteilige Meinung nicht motivirt.
35*
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54^ DIE FÜRSTUCHEN NKMANJIDEN.
Abfall der Serben zum Yorwande, um im nächsten Jahre seine auf die
Unterjochung Ungarns hinzielenden Pläne zu verwirklichen.
Schliesslich müssen wir zugeben, dass alle späteren Berührungen der
Ärpäden mit den Nemanjiden sicherlich Nachklänge der durch Helene's
Vermählung mit Bela einst so starken Interessengemeinschaft der beiden
Familien gewesen.
b) Maria.
Herzog Sobjeslav I. von Böhmen, Gemahl der Adelheid, einer Schwester
B61as n. wollte das Verschwägerungs- und Freundschaftsbündniss mit Bela
dadurch fester knüpfen, dass er 1134 eine Heirat zwischen Bela*s Schwäge-
rin, der serbischen Prinzessin Marie, und Konrad H., Herzog von Znaim,
einem Przemysliden und nahen Verwandten seinerseits negoziirte.*
Die Ehe war übrigens ein Ausfluss doppelter Verschwägerung
Bölas n. :
Herzog Brzetislav I. v. Böhmen -f 1155.
ÄlmoB Urosch I Konrad 1 \ 1092. Vratialav H \ 1098.
vonUoRam von Serbien. LutoldfUlö. Sobieslav H 1140.
KonradÜT Znaim
Adelheid B^lall ^ Helena Maria ^ 4 ii«ui
11140. i 1141. 1129 1134. ^ *'^-
fn.ll46. nmll22.
Prinzessin Marie ist sicherlich Helenes jüngere Schwester und hat sie
sich aller Wahrscheinlichkeit nach am Hofe des Ungarkönigs aufgehalten,
wo sie Konrads Bekanntschaft machte. Nach Dubravius ist ja Konrad von
Sobieslav an Bela als Helfer gegen die Polen geschickt worden. Maria's
Todesjahr ist uns unbekannt. Wir wissen nur, dass sie 1190 noch gelebt.**
Ihre Kinder waren Ernst (115(>), Konrad (t 11. November 1178) u.Otto HL
(t 9. September 1191.)
c) Anonynia.
Eine ihrem Namen nach unbekannte Tochter Urosch* war an Belusch
vermählt. Engel nennt Belusch einen serbischen Boljaren und gibt ihm einen
* Omt, Cosm, Pratj, ad 1134: «Interea dux Sobieslaiis levirum 8uum, regem
Ungarorum, rogabat, quatenuB sororetu conjugis suse, videlicet regln», principi Con-
rado Znoymiensi in conjuglum trade ret, quo perouasum foedus invicem hujusmodi
caussis corroboratum, firmius perduraret.»
Pulkava ap. Dobner, Mon. in. 159 irrt sich in der Braut Genealogie : tCon-
raduB marchio Moravie, dominus Znoymensis, filius Leupoldi, fratris Odalrici predicti,
sororem Bele, regis Vngarie, duxit uxorem, Sobieslao oontractum hujusmodi pro-
curante.»
Auch DubramiH in Uist. Böem. Lib. 11p. 101 irrt, da er Eonrad's Braut ftür
eine Schwester B^la's hält.
'•'* Urkunden bei Boczek, Codex diplomaticus Moraviae I. 331, 342, 391.
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DIE FÜRSTLICHEN NEMANJIDEN. 549
Bruder ürosch. Daraus dass die ungarischen Chronisten ihn einen avun-
culus regis Geysae nennen, schliesst Engel mit Bestimmtheit, dass er eine
Mutterschwester Geysa's und Tochter des Grossfürsten Urosch zur Guttin
hatte. Wenn Engel keine andere Begründung seiner Behauptung gekannt,
so war selbe sicherlich nicht geeignet zu imponiren, denn avunculus musste
Belusch auch in dem Falle genannt werden, wenn er ein Sohn des Urosch
und Bruder der Königin Helene gewesen wäre. Der Umstand, dass wir in
Belusch in Wirklichkeit einen Schwiegersohn Urosch's zu sehen haben,
ist darin begründet, dass wir Belusch nicht als Serben, sondern als einen
Kroato-Dalmatiner kennen.*
Engel gibt folgende biographische Züge aus dem Leben des Belusch an :
«Er hielt sich auch, so lange der alte Urosch lebte, beständig am Hofe des
Königs Geysa auf, leitete die Regierung während dessen Minderjährigkeit
und bezeugte sich sehr tapfer wider die deutsche Armee des Boris. Nach
dem Tode des Urosch scheint Belusch nach Serbien zurückgekehrt zu sein,
wo es aber sehr verwirrt hergegangen sein mag. Vielleicht wollte Belusch
mit Verdrängung seiner Schwäger, Serbien für sich und den König Geysa
behaupten. Wahrscheinlich ging dies nicht von statten ; die Nachricht des
Cinnamos, dass Belsis oder Belusch auf beiden Augen geblendet gewesen
(wovon er aber die Ursache und Veranlassung nicht wisse), gibt Anlass zu
glauben, dass Belusch von seinem Schwager Csudomil gefangen, geblendet
und nach Ungarn zurückgeschickt wurde.»
Nachdem nun Engel die Thätigkeit Belusch's in Ungarn, namentlich
während der gegen Kaiser Manuel geführten Kriege, geschildert, gelangt er zu
der Vermutung, dass Belusch den Prinzen Stephan, einen jüngeren Bruder
Geiza's E., seinen Liebling, auf dessen Flucht zu Manuel begleitet habe.
Diese Flucht hatte (1159 — nach Engel) einen neuen Krieg zwischen Ungarn
und den Griechen zur Folge, während dessen Verlaufes Kaiser Manuel sich
an Urosch (Primislav), einem Bruder des Belusch der vor einigen Jahren
sich auf den serbischen Tron geschwungen, rächen wollte. Um dem
ihrem Lande drohenden Zorne des Kaisers zu entgehen, hätten sich die
Serben beeilt, den Fürsten Urosch abzusetzen und den Bruder desselben,
den dem Kaiser erwünschten Belusch auf den Tron zu erheben. Der Kai-
ser bestätigte die Wahl und wies dem detronisirten Urosch einige Güter
ausserhalb Serbiens an. 1162 habe Belusch die Fürstenwürde Serbiens
niedergelegt und habe sich wieder nach Ungarn begeben, um dem jungen
Könige Stefan DI. mit Rat und That beizustehen ; in Ungarn habe er dann
sein Leben beschlossen.
Die heutigen ungarischen Historiker stellen Belusch 's Wirksamkeit
folgendermassen dar: ist Belusch sofort nach Bela'sH. Tode zum Vormunde
* Klaic 66; ttbrigene spricht auch Reg. V&rad dafür.
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550 DIE FÜRSTLICHEN NEMANJIDEN.
des jungen Geiza 11. ernannt worden. Das gate Einvernehmen Ungarns mit
Spalato (Urkunde ddo 3. Mai 1142) und die Vermählung Geiza*s mit der
russischen Prinzessin Euphrosyne sind sein Werk. In der Schlacht zu Ler-
feld neben der Leitha (11. Sept. 1146) commandirte er mit Geiza da8 Gen-
trum der ungarischen Armee und griff die deutschen Brigaden Ton der Seite
an. Um 1150 beredete er seinen Verwandten Gsudomil von Serbien zum
Abfalle von Griechenland und zum Anschlüsse an Ungarn. Im Frühjahre
1 152 schickte Belusch dem Bedrängten ein ungarisches Hilfscorps. Im sel-
ben Jahre zog er mit einer Heeresabteilung gegen den Prätendenten Boris.
Er übersetzte die Donau und begann die Belagerung von Branizova, erlitt
aber durch Kaiser Manuel eine Niederlage.
Um den tüchtigen Belusch vom ungarischen Hofe zu entfernen, gab
ihm Manuel die Fürstenwürde von Serbien. Doch treffen wir Belusch nach
Geiza's H. Tode (1 162) wieder in Ungarn als treuen Katgeber und Helfer des
unmündigen Stefan IE.
Urkundliche Belege für Belusch' Stellung in Ungarn sind folgende :
1142 kommt er auf einer von Geiza H. der Abtei St. Martin ausgestellten
Urkunde unter den Keichswürdenträgern als «Belus Dux» vor. (Fe-
jerll. 117.)
1145 1. c. 124 als Belus Palatinus Comes.
1146 ap. Wenzel L 56/24 als «Belus Comes Palatinus et Banus.» iBelos
Comite Palatino.»
1148 ap. Fejer IL 129 «Bani Beli.»
1150 1. c. 130 «Belus Banus.»
ap. Wenzel I. 58/25 «Belus Banus.»
1151 ap. Wenzel I. 60/27 «Belus Banus.»
1152 1. c. 60/28 «Belos Banus.»
1156 1. c. 62/29 als Palatin.
ap. Fejer EL. 139 «Belos Palatinus Comes.»
1. c. 140 «Belo Palatino Comite.»
1. c. 144 «Belus Palatinus.»
1 157 1. c. «Belus Banus et Comes Palatinus.»
1. c. 146 «Belo Palatino existente.»
1158 1. c. 148 «Belus (Princeps Kegni).»
1163 1. c. 165 gibt Stefan IV. dem Bischöfe Bernhard und der Agramer
Kirche das Gebiet Dombrov zurück. Hier wird «Belus Banus» aus der
Zeit Ladislaus H. erwähnt. Auch kommt er 1163 als Belus Banus vor.
In einem Schreiben des Papstes Innocenz HI. ddo 1198 (ap. Fej6r H.
336) an den Erzbischof Saul von Kalocsa kommt Folgendes vor: Adaudien-
tiam nostram noveris pervenisse, quod inclitae recordatianis Dux Beim
olim in Archiepiscopatu tuo, in proprio fundo suo, qui appellatur Caet
(=Keu) monasterium in protomartyris Stephani honore construxit, adeo
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DIE FÜRSTLICHEN NEMANJIDEN. 551
illud amplis possessionibus, reditibusque ditavit, quod XXX. monachi in
eo, Becnndum beati Benedicti regulam, domino servientes, sustentationem
suiBScienter habebant, et hospites et pauperes ad ipsum monasterium diver-
tentes, procurationem recipiebant de necessariis competentem : quadrin-
gentas etiam marcas argenti praeter cruces et calices, idem nobilis eidem
loco ad ipsius ecclesiee concessit omatum.»
Dieses von Belusch gegründete Kloster ging in der Folge auf die
regulirten Chorherren zu St. Abraham von Ebron über; durch ihre
schlechte Wirtschaft waren sie aber bald gezwungen das Kloster zu verlas-
sen ; nur drei von ihnen waren zurückgeblieben. Der Papst forderte nun in
obigem Schreiben den Erzbischof auf, die Angelegenheiten des Klosters zu
ordnen. Dieselbe Angelegenheit wird in einem zweiten Schreiben des Papstes
ddo. 1198 an denselben Saul ap. Fejer ü. 337 berührt; nur heisst hier das
Kloster: «in loco, qui dicitur Keu.» Belusch war also 1198 nicht mehr am
Leben.
Von Belusch' Kindern haben wir ausser einer einzigen Tochter wenig
Nachrichten.*
Anfangs 1150 erschien der russische Prinz Wladimk, ein leiblicher
Bruder der ungarischen Königin Euphrosyne, am Hofe Geiza's ü., um
diesen im Namen des Grossfürsten Isjaslav 11., eines älteren Bruders der
Königin, gegen den Fürsten Wladimirko von Halles um Hilfe anzurufen.
* Im Reg. V&rad. No. 231 wird ein Martin, Sohn Mocsö's tde genere Beli
Bani» zur Zeit Andreas II. (1205 — 1235) erwähnt. Dieser ist allem Anscheine nach
kein direkter Nachkomme Belus', sondern nnr aus dessen Familie.
1266 (Wenzel VIII. 125) wird Stefian, Sohn des Bans Belus, als slavonischer
Edelmann erwähnt.
1270 (W. VIII. 284) kommt die tmeta Belus» vor; an anderer Stelle (1. c. 285)
die tmeta Belos filij Belos» neben Praudaviz, in Slavonien an der Di*au.
1279 (W. rV. 204) vollstreckt das Gs4zmaer Domcapitel das Urteil des slavo-
nischen Bans Nikolaus, laut welchem die Witwe des Belus, Stiefmutter des jüngeren
Belus ihre Morgengabe und ihren Schmuck erhalten soll. Es wird i Stefan, Sohn des
Belus, im Namen und als Stellvertreter des Belus, Sohnes seines Bruders Belus»
erwähnt. — Comes Mohor, Sohn des Bau Apa, ist ein Bruder der Witwe des
älteren Belus.
Um 1280 (W. Xn. 326) beüelilt König Ladislaus IV. dem Bau von Slavonien,
dass er für die Söhne des Belus: Belus, Nikolaus und Stefan, das durch Bachader
occupirte Dorf L&pathk zurückstelle.
Belus' Nachfolge gestaltet sich demnach vielleicht folgendermassen :
Ban Belus I. f vor 1198.
Tochter 1150. Belus II.
"' ^^^«^aÄ^^''' StepSST Belus m. 1270. f um 1280.
von ßussland. 1205-1279. - 1. N. 2. Tochter des Bans
Apa 1279.
1. Beins IV. Nikolaus Stephan II.
1279. um 1280. um 1280.
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552 DIE FÜRSTLICHEN NEMANJIDEN.
Geiza zog gegen die an der Grenze beider Länder sieb hinziehende Gebirgs-
kette und schickte eine diesbezügliche Botschaft an Isjaslav. Der in Beiz
campirende Wladimirko eilte auf die Nachricht von der Ankunft des unga-
rischen Heeres nach Przemysl ; Geiza zog über das Gebirge, bemächtigte
sich des Städtchens Sanok, nahm den Halicser Gommandanten mit seiner
gesammten Besatzung gefangen und zog gegen Przemysl. Einer von Wla-
dimirko an Geiza abgeschickten Deputation gelang es jedoch, diesen in An-
betracht des herbstlichen Regenwetters und Isjaslavs Verspätung zum Rück-
zuge zu bewegen. Am 20. October 1150 machte Geiza dem Grossfürsten
die Mitteilung von seinem Rückzuge und erbat gleichzeitig dessen Zustim-
mung zur Vermählung des in seinem Gefolge befindlichen Prinzen Wladi-
mir mit der Tochter seines «obersten Bans.t Der ob des Rückzuges des
ungarischen Hilfscorps nichts weniger als erbaute Grossfürst konnte seine
Zustimmung zu der von Geiza geplanten ehelichen Verbindung nicht
versagen. Obzwar nun die russischen Quellen den Namen des »ersten (vor-
nehmsten) ungarischen Bans» nicht nennen, liegt es meiner Meinung nach
unwiderleglich auf der Hand, dass wir es hier mit einer Tochter des Be-
lusch zu thun haben. Belusch wird in den Urkunden von 1 1 50 Ban genannt
und hat er als Oheim Geiza's unstreitig den Vorrang vor allen anderen un-
garischen Bauen eingenommen ; auch hätte Geiza schwerlich den Werber
für einen simplen TJnterthan abgegeben. Ganz anders sieht aber sein Vorge-
hen aus, wenn wir erwägen, dass die Braut seine eigene Cousine gewesen ;
wir erhalten folgendes Verwandtschafts- und Verschwägerungsbild :
Urosch I
Helena.
Gem. B61a U
von Ungarn.
von
Serbien.
Tochter.
Gem. Ban
Belusch.
1150.
Grossftirst Mstislav I von BnBsland
f 15. April 118i.
1
Geiza H.
Tochter
Wladimir. Euphroeyne.
1146.
Wladimir dürfte seine Braut kennen gelernt haben, als er sich
Anfangs 1 150 am Hofe seiner Schwester in Ungarn aufgehalten. Nach erfolg-
ter Verlobung sandte Geiza — der russischen Sitte entsprechend — die
Braut mit ihrem Range entsprechendem Pompe an den Hof des russischen
Grossfürsten, der ihr sammt ihrem Gefolge die Stadt Tilog anwies, von wo
das Gefolge, nach erfolgter, reichlicher Beschenkung entlassen wurde. Der
Bräutigam, der unterdessen, in Folge einer Erkrankung, am Hofe seines
Schwagers Geiza zurückgeblieben, beeilte sich sofort nach seiner Genesung
seiner Braut nachzureisen, worauf alsbald die Vermählung gefeiert
^vnirde. — Als Wladimir im Jahre 1151 sich abermals in politischer Mission
an den Hof Geizas begab, begleitete ihn seine Gemahlin, um ihre Eltern
zu besuchen. — Ihre fernere Geschichte ist uns unbekannt.
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DIE FÜRSTLICHEN NEMANJIDEN. 553
Wir haben noch Einiges über den Fürsten Urosch 11. (Primislav) zu
bemerken, den Engel für einen Bruder des Belusch hält.
Engel stützt sich auf eine Stelle des Arenpech ap. Leibnitz SS. Ber.
Brunsv. in. 666, die folgendermassen lautet : «Bex ab episcopis (nam cous-
que in puerilibus annis positus nondum militem induerat) accepta sacerdo-
tali benedictione ad hoc instituta armis accingitur. — Post hoc ordinat
acies — Magnae aciei avunculus Begis Belae, Ban nominatus, praeerat.
Dux Austriae Heinricus sagittarios delevit, post hsBc duas illas magnas acies,
Begis scilicet et avunculi sui, impegit . . . Hungari hostes usque ad fluvium
Vischahe persequuntur. Comes Ures cepit Comitem Bapolt, Teutonicum,
quijam pridem noctumis insidiis castrum Poson occupaverat.» — Diese
Stelle erlaubt uns allerdings nicht in dem Comes Ures den alten Gross-
zsupan Urosch zu suchen, sie giebt uns aber auch nicht das geringste
Becht, ihn auf einen Bruder des Belusch zu beziehen. Der Name Uros ist
zur Zeit der Ärpäden auch von ungarischen Grossen geführt worden,
somit könnte auch ein solcher den Grafen Bapolt zum Gefangenen
gemacht haben. — Da aber Engel auch pag. 195 uns den Beweis nicht
erbringt, dass Csudomils Nachfolger Primislav ein Bruder Urosch des
Belusch gewesen, müssen wir die von ihm angegebenen Verwandtschafts-
verhältnisse eben nur als seine Combination betrachten.
//; Csv/domil.
Diesen nennt der Czarostavnik den älteren Sohn des Grossfürsten
Urosch I. ; Wie wir oben gesehen, empfand Csudomil 1151 Lustsich von der
griechischen Oberherrschaft loszusagen und sich unter den Schutz seines
ungarischen Neffen zu begeben. Kaiser Manuel, von dem Plane kaum
unterrichtet, zog gegen Serbien und machte, da Csudomil sich auf die
Defensive beschränkte, seine Herrschaft wieder geltend. Im Herbste 1152
kam es zwischen Serben und den von Belusch geleiteten ungarischen
Hilfstruppen und den Griechen zu neuen Gefechten. Der General Johann
Eantakuzenos kam dem ungarischen General Bägyon so nahe, dass er
demselben seinen Spiess in den Bücken gestossen hätte, wenn die eiserne
Büstung Bägyons's ihn daran nicht verhindert hätte. Als der General zwei
Finger verloren, kam es zwischen dem Kaiser und Bägyon zum Einzelkampfe.
Manuel warf seinen Spiess fort ; Bägyon, ein Mann von hoher Statur und
starkem Muskelbau führte einen Hieb gegen den Helm des Kaisers und
verwundete den letzteren am Kinn, konnte aber die Eisenringe des Helmes
über den Augen, trotzdem sie sich in Folge des wuchtigen Stosses, in die
Stimhaut Manuels einschnitten, nicht sprengen. Manuel gelang es nun
durch eine dem Bägyon auf die Hand beigebrachte Wunde ihm das
Schwert zu entwinden, und ihn zum Gefangenen zu machen. Aus Bück-
üngvis«b« Bev1l^ XI. 1891. VI— vn. Haft. 35a
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554 DIE FÜRSTLICHEN NEMANJIDEN.
sichten der Politik fand es aber Manuel gerathen, seinen Grefeingenen bald
freizugeben, worauf Csudomil unter erschwerenden Umständen seinen Eid
der Treue wiederholen musste. Csudomil's fernere Geschichte ist unbe-
kannt ; ob er verheirathet gewesen, ob er Kinder gehabt, wo und wann er
gestorben ist, ist unaufgehellt.
e) DeSa.
Nach Kinnamos sind Primislav, Belusch und Desa (Deses) Brüder
(Söhne des ürosch). Nach demselben Autor wäre er von Kaiser Manuel
mit dem Ländchen Dendra bei Naisus (Nisch) bedacht worden und habe er
dafür dem Kaiser den Lehnseid geschworen. Als nun die Serben (Dalmatier)
nach Enttronung des ürosch (Primislav) eigenmächtig den Belusch zu
ihrem Fürsten eingesetzt, fürchteten sie ob dieses Vorgehens den Zorn
Manuels hervorgerufen zu haben. Belusch's Abdankung bald nach dem Tode
Geiza's 11. (also 1161 — 62) gab ihnen Gelegenheit, sich dem Kaiser wieder
als Gutgesinnte zu praesentiren. Sie führten nämlich beide Brüder, den
enttronten ürosch und den Desa von Dendra an den Hof nach Konstan-
tinopel und überliessen dem Kaiser die Wahl. Im Sinne alles von Kinna-
mos nachträglich Erzählten irrt sich unser Chronist entschieden, wenn er
angibt, es sei des Kaisers Wahl auf ürosch gefallen ; Kinnamos muss ent-
schieden so ausgelegt werden, dass Manuel 1162 den Desa zum Fürsten
Serbiens ernannt habe, wogegen derselbe das bisher innegehabte Dendra
der griechischen Krone zurückgeben musste.
Hingegen erzählt Presbyt. Diocl., dass es 1150 Desa gelungen, dem
Könige Radoslav H. von Dioklea dieses Land zu entreissen ;* festgestellt
ist es, dass sich Desa 1151 urkundlich (ap. Kukulje^dc 1. c. H. 45 — 46)
«Dessa dei gratia Dioclie, Stobolie, Zacholmie dux» nennt, indem er in
diesem Jahre die Insel Meleda dem Marienkloster auf dem Berge Gtu-gansko
in Pola schenkt. Nach dem Czarostavnik heisst Desa eigentlich Techomyl
und wird als Csudomils jüngerer Bruder genannt, welche Angabe ich
annehme. Desa zeigte durchaus keine Lust, sich mit der üebergabe
Dendras zu beeilen und suchte, um sich gegen Manuel zu sichern,
Verbindungen mit Stefan HI. von Ungarn und auf dem Wege einer
ehelichen Allianz eine gewisse Annäherung an Deutschland.** Als nun
Manuel 1165 seinen grossen Kriegszug gegen Ungarn unternahm, for-
derte er Desa aufs Strengste auf, sich ihm mit seinen serbischen Kriegern
anzuschliessen. Der vor ein Ultimatum gestellte Serbenfürst sah sich
genötigt, seine Truppen ins griechische Lager zu Naisos zu führen, beging
* «Poßt hsec suiTCxerunt quidam maligni et adduxernnt Dessam filium Uroesi
et dederunt ei Zentam et Tribuniam.»
•-- Engel 197.
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DIE FÜRSTLICHEN NEBfANJIDBN. 5^
aber die Unvorsichtigkeit, den dahin angelangten Gesandten Ste&oa III.
zu eröffnen, dass seine Sympathien ganz und gar auf ungarischer Seite
seien. Manuel, von der Sache unterrichtet, liess Desa sofort aufs Strengste
überwachen, sodann nach Konstantinopel abführen. Ob er daselbst inter-
nirt worden und dort sein Leben beschlossen, ist nicht sicher gestellt ; —
nach Du Gange 53 sei er in der Peterskirche zu Trebunje begraben, was, wenn
es wahr ist, darauf schliessen lässt, dass er sein Leben in Serbien beendet
haben dürfte. Engel 197 erwähnt, es habe sich Desa nach seiner Erhebung
auf den serbischen Fürstentron eine Gattin aus Deutschland gesucht. Engel
belegt diese Angabe mit keinerlei Quellen. Wenn sie richtig ist, war Desa
also im Anfange der 60-er Jahre des XII. Jahrhunderts verwitwet. Ob er
eine zweite Frau, und speziell eine Deutsche geheiratet, ist aus Engel 197
nicht zu ersehen, jedoch führt er auf der pag. 140 seines Werkes angefüg-
ten Stammtafel der Nemanjiden eine «N. N. eine Deutsche» als die einzige
<7emahlin Desas und quasi als Mutter seiner Söhne an.
Desa werden folgende Kinder zugeschrieben :
1. Eine ungenannte Tochter.
2. David.
3. Stracimir.
4. Miroslav.
5. Stephan Nemanja.
a) Desa's Toahter,
Während der Jahre 1165 — 67 war zwischen Kaiser Manuel und
König Stefan III. von Ungarn ein heftiger Krieg wegen Dalmatien ausge-
brochen. Manuel belagerte und eroberte Semlin und Syrmien (Frühjahr
1164), während seine Generäle Johann Dukas und Nikephor Kaluphes
bis 1166 das ungarische Dalmatien (Trau, Sebenico, öpalato, Dioklea,
Skardona) in Besitz nahmen. In dem nun seitens der Ungarn behufs
Wiedergewinnung des Verlorenen fortgesetzten Kampfe, gelang es dem
griechischen General Andronikos Kontostephanos am 18. Juli 1167 die
ungarische Hauptarmee unter ihrem Commandanten Dionysius bei Semlin
Äufs Haupt zu schlagen.
Diese seitens der Griechen in Ungarisch-Dalmatien gemachten Ero-
berungen wurden von der venetianischen Regierung günstig beurteilt
Da Venedig sich bereits im Besitze einiger dalmatinischer Inseln befand,
^b sich der politisch- kluge Doge Vitale Michieli H. der Hoffnung hin, es
werde ihm jedenfalls leichter gelingen, das dalmatinische Festland den
griechischen Händen zu entwinden, als den ungarischen. Der Doge befolgte
nun eine Politik, die ihm sowohl in den Augen der Dalmatiner die Popu-
lariität, als in jenen der ungarischen Regierung den Nimbus des der Situa-
tion Gewachsensten verschaffte.
35*
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J
55«
DIE FÜRSTLICHEN NEMANJIDEN.
Stefan lU. konnte dermalen auf die inneren und äusseren Angelegen-
heiten keinen Einfiiuss ausüben und richtete sein ganzes Streben dahin,
einen Modus vivendi mit den Yenetianem herzustellen, damit sie einer
allenfallsigen Zurückeroberung des dalmatinischen Festlandes yon den
Byzantinern, keine Schwierigkeiten entgegensteUten. Diesen modus vivendi
glaubte Stefan nicht besser zu erreichen, als indem er mit dem mächtigen
Dogen Vitale Michieli in Verschwägerung trat.
Die Familie Michieli gehörte zu den vornehmsten Patrizierfamilien
Venedigs ; unter dem Dogen Vitale Michieli n. war ihr Glanz auf dem
Höhepunkte ; ein Sohn des Dogen, Nikolaus, war zum Grafen der dalmati-
nischen Stadt Arbe gewählt worden (1166), während ein anderer Sohn,
Leonhard, Graf der an der istrischen Küste gelegenen Stadt Osero gewesen.
Stephans Plan war es nun, die beiden jungen Michieli mit seiner Familie
zu verschwägern. Zu diesem Zwecke gab er dem Grafen von Arbe die Prin-
zessin Marie, Tochter seines Oheims Ladislaus II (f 1162) zur Frau ; dem
Grafen Leonhard von Osero hingegen «filiam Ducis Edessae.»
Mit diesen Worten erzählt uns dieses Ereigniss der Chronist Dan-
dolo in Muratoris Sammlung der italienischen Geschichtschreiber (Band XII.
pag. 292.) Ducange 53 commentirt diese Angabe folgen4^rmaBsen : «Sed et
illius (nämlich Desa's) fortasse filia fuerit, quam Leonardo, Vitalii Michae-
lis Venetorum ducis filio, in uxorem dedit Stephanus Hungarise rex, quam*
Dandulus filiam fuisse ait Dessae ducis. • Auf Seite 153 hingegen hat er
folgenden Passus: «Venetorum amicitiam adfinitatibus conciliare studuit
(nämlich Stephan m.), ülia Ducis G^yzae, Leonardo Vitalis Michaelis Ducis
Venetorum filio, Comitique Auserensi ; altera vero Maria Ladislai Ducis
filia, Nicoiao eiusdem filio coniugibus datis.B Dass er nun hier die Guttin
des Leonard eine Tochter des Prinzen Geiza nennt, ist entschieden ein
Schreib- oder Druckfehler und soll es heissen : Dessse.
Johann Luöid ap. Schwandtner HE. (ed 1748) nennt an mehreren Stel-
len die Gemahlin Leonhards «fiha Ducis Dessse», spricht sich aber nir-
gends darüber aus, dass unter dem Dux Dessa ein Fürst von Serbien zu
verstehen sei. Engel in seiner Geschichte Dalmatiens 1 798 pag. 485 übersetzt
Dandolo folgendermassen : «eine Tochter des Herzogs von Dessa», fügt aber
in Anmerkung 0) zu : f nach dem damaligen Styl eine Serwische Prinzessin.»
Hingegen sagt er pag. 198 seiner 1801 edirten Geschichte von Ser-
wien: «Nach Dandulus verheiratete der König von Ungarn eine filiam
Ducis Edessae im Jahre 1167 mit dem Grafen Leonhard, Comes Auseris,
Sohn des Doge Vitalis. Ist diese Lesart richtig, oder soll es Ducis Dessae
heissen?» Trotz seiner Zweifel führt er aber auf seiner Stammtafel der
* Innoc. III. lib. 11. Epist. p. 490. edit. Venet et apud Odoric. Rainald
an. 1202. n. 8.
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DIE FÜRSTLICHEN NEMANJIDBN. o57
Nemanjiden unter den Kindern Desas mit aller Sicherheit Folgendes an :
«N. N. Tochter, Gemahlin des Venet. Grafen Leonhard von Osero.»
Nach meinem Dafürhalten ist Dandolo's Stelle einzig und allein auf
eine Tochter Desa's zu beziehen und haben wir durchaus keinen Grund an
der Richtigkeit dieser Auffassung zu zweifeln.
An eine Prinzessin des in dem osrhoenischen Edessa bis 1165 regie-
renden älteren Hauses Courtenay zu denken, wäre ein Unsinn ; da aber
Ste&n m. dem Grafen Leonhard eine Verwandte geben wollte, so kann
. diese laut folgendem Stemma nur Desa's Tochter sein :
GroBsfarst üroeoh I von Serbien.
Helene, Ghem. B^la II von Ungarn. ••«.««•«• Deda, Fürst v. Ser-
Geiza H f 1161. LadislaaBlI f 1162. Vitale Michieli TL f 1 173. bien.reg.bi8 eall65
Stephan HL Maria '^ Nikolaus Leonhard ->« Tochter.
Graf von Arbe. Graf von Osero.
Dies erlaubt uns aber auch darauf zu schliessen, dass Stefans ser-
bische Verwandte sich 11 67 — da ihr Vater damals schon enttront gewesen
und wahrscheinlich in irgend einer griechischen Stadt intemirt lebte — am
Hofe ihres Cousins Stefan IIL, wahrscheinlich unter den Fittigen ihres
Oheims Belusch aufgehalten und dass die Negoziirung der Vermählungen
der beiden Michieli mit den dem ungarischen Königshause verwandten
Damen ein Werk des Diplomaten Belusch gewesen.
Von Leonhard Michieli wissen wir, dass er während der Kriegszüge
seines Vaters als Viceregent der Bepublik Venedig sich äusserst tüchtig
zeigte.* Er war einer Derjenigen, die 1173, nach dem Tode seines Vaters,
dessen Nachfolger Sebastian Ziani zum Dogen gewählt und 1174 war er
nait einer Mission seitens der venetianischen Begierung an Kaiser Manuel
betraut. Von seiner Deszendenz führt Lucius 279 blos eine Tochter Daria,
Gräfin von Osero an, die die Grafschaft Osero in die Familie Morosini über-
trug.**
* Casimir Freechot, Lipregi Dell Nobilta Veneta, Venezia 1682, pag. 85:
«Leonardo, figlio del suddetto Vitale, conte d'Ossero, lasoiato Vioeregente della Bepub-
lica assente il Padre nell' imprese d' Oriente, fa suggetto di grandissimo talento, rioo-
noeciuto ne pacifioi anspicii, oon quali araministro le veci del Genitore e refe il suo
nome benemerito della &me.>
^'^ Der Doge Dominik Morosini (1148 — 1156) hatte einen gleichnamigen Sohn,
der von 1152 bis 1180 Qraf von Zara gewesen. Dessen Sohn Boger erhielt mittelst
Urkunde do. August 1174 von dem Dogen Sebastian Ziani das auf der Insel Pago
gelegene Kastell Eesse (Chissa) zugesprochen (auf der betreffenden Urkunde sind
zwei Morosini — Markus und Moriz — als Zeugen unterschrieben). Diese Schen-
kung wurde mittelst Urkunde do. April 1203 durch den Dogen Heinrich Dandolo
für Boger — nunmehrigen Grafen von Osero — und dessen Nachkommen bestätigt.
Boger hat somit seine Ehe mit Daria Michiela vor AprU 1203 geschlossen.
Mittelst Urkunde do. 15. März 1202 verspricht • Daria Dei Gratia Absarensis
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558 DIB FÜRSTLICHEN NEMANJIDEN.
bj David fauch Zavidj.
Dieser ißt nach dem Troadnik ein Sohn Desas. Der serbische Histo-
riker Georg Brankovics nennt ihn Zavid und leitet diese Benennung daher
ab, dass er zur Zeit geboren wurde, als man seinen Vater am meisten
beneidete («jegda hortze zavidachu otzu jego»). — Die Nachrichten über
diesen Prinzen (den aber nur die serbischen Quellen so nennen, denn bei
den griechischen kommt unter Desa's Söhnen ein Konstantin vor) lauten bei
den verschiedenen Autoren so verworren, dass sich ein klares Bild über
ihn nicht gewinnen lässt. Mehr Aufschluss bieten die Nachrichten über die
Kämpfe, die Stefan Nemanja mit seinen Verwandten wegen der Gross-
Zsupanswürde geführt. Es heisst mit Bestimmtheit, dass es im Jahre 1 1 73
zur entscheidenden Schlacht gekommen, in welcher Nemanja über seine
Feinde glänzend triumphirte und auch sein ältester Bruder das Leben
verlor.* Da unter den nach 1173urkundHch erwähnten Brüdern Nemanjas
dieser David nicht vorkommt (aber auch Konstantin nicht), thun wir
gut, sein Todesjahr auf 1173 zu setzen. Weib und Kinder sind unbe-
kannt.
c) Stra^iTnir.
Er ist wahrscheinlich Nemanja's Zweitältester Bruder. Er kommt in
dem am 27. Sept. 1186** zwischen Eagusa und Nemanja geschlossenen
Frieden vor. Ausserdem erwähnen ihn Chron. Salmansveillens. und die
Chronik des sogenannten Ansbertus (in Fontes rerum Austriacarum V.)
gelegentlich der im Jahre 1189 erfolgten Unterhandlungen Nemanja's mit
dßm deutschen Kaiser Friedrich I.
Nachdem ihn die Bagusaner Gomes nennen und wir ihn in allen
citirten Stellen als einen in die Politik eingegriffen habenden Mann kennen
Comitissa» ün Vereine mtt ihren Söhnen Eobert und Feter, dass sie den Bürgern
der Stadt Arbe alle ihre anf Keesa erworbenen Rechte abtrete, falls die Arbenser
ihren Sohn Robert zum Grafen von Arbe erwählten.
Mittelst Urkunde do. 1205 bekräftigt der Doge Peter Ziani den Erben Roger
Morosinis ihre Rechte auf das castnun Chissse, nachdem Johann Sisindolo, Graf
von Arbe, sich mit Berufung auf ältere Privilegien des Königs Kresimir von Kroatien,
in seinen Rechten auf das genannte Kastell verkürzt erklärte.
Als Peters Söhne erscheinen 1236 Roger und Leonhard. Ersteren führt Lucius
im Jahre 1243 als Grafen von Arbe an. Der letzte Graf von Osero aus dem Hause
Morosini war Marino, genannt Bazeda, nach dessen Tode Andreas Doria zum ersten
Male durch den grossen Rat von Venedig zum Grafen gewählt wurde (1304).
* Killay 39.
** Wenzel, VI, 165/105 «ex parte Magni Jopani Neman et fratmm eins ContitU
Strazimiri . , .» «Hanc pacem cum Megaiupano Neman, Strazimiro . . noe RaguseL
fEtoimuB, et heredibus eorum.i
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DIE FÜRSTLICHEN NEMANJIDEN.
559
gelernt, unterliegt es keinem Zweifel, dass er unter der Oberherrschaft
Neinanjas einen Teil Serbiens als Vasall regiert.
Ueber seine Familienverhältnisse und über sein Todesjahr ist nichts
bekannt.
d) Miroslav,
Wie wir wissen, gelang es Deöa im Jahre 11 50 den König Kadoslav II.
Yon Dioklea zu vertreiben und dessen Land zu erobern. Kaiser Manuel
von Griechenland nahm zwar später dem Nemanja seine Beute ab,^ aber
Nemanja eroberte nach 1168 das Land aufs Neue und verband es mit
Serbien. Bei dieser Gelegenheit setzte er seinen Bruder Miroslav zum
Fürsten des Landes Ch*lm ein. (Es heisst auch Chulmien, Hum, Zahlumje,
Zachlmje etc. und ist es das Mutterland der heutigen Herzegovina).
Miroslav wird zuerst 1180 gelegentUch eines Streites mit dem Erz-
bischof Rainer von Spalato erwähnt. Papst Alexander III. wendet sich in
dieser Angelegenheit am 7. Juli 1181 brieflich an Miroslav* und an den
König Bela HL. von Ungarn.
In dem bereits citirten Friedensvertrage zwischen Nemanja und Ragusa
do. 27. Sept. 1 186 heisst es : «ex parte Magni Jupani Neman et fratrum eins
Comitis . . . Myroslaui» «et Sclaui de Chelmunia . . ubi voluerint emant»
«Hanc pacem cum Megaipano Neman . . . «Mirislauo, nos Ragusei facimus,
et heredibus eorum». DieUnterschrift des Vertrages lautet: «Ich der Gross-
zsupan habe geschworen und unterschrieben.»
«Ich Knez Miroslav habe geschworen und unterschrieben.» Aus
dem Jahre 1190 17. Juni ^ kennen wir eine Vereinbarung zwischen Ragusa
und Miroslav, wo es heisst: «Salutationibus et locutionibus domini Comitis
Miroslaui per nuncios suos Maurum Jupanum directis, hec est Raguseorum
responsio . . Nachdem der Graf Gervasius von Ragusa geschworen, heisst
es : «Ego Comes Miroslauus . . idem et ego illis juro».
Im Jahre 1199 wird Miroslav schon als ein Verstorbener bezeichnet.
Seine Gattin war die Schwester des bosnischen Bans Kulin;* sie
kehrte nach Miroslav's Tode in ihre Heimat zurück.
^ In einer Urkunde do !20. Mai 1166 für Cattaro (ap. Kukuljevio ü. 73) heisst
es : tlmperante püssüno et semper triumphatore Hemanuhele, duce existente Dal-
macie atque Dioclie Kyr Izanacio.»
• Wenzel VI, 143/92 «nobili vü-o Miroslave Comiti Tacholminato.i
» Kuknljevic II. 157—159.
* Sehreiben des Königs Vnkan von Dioklea an den Papst Innocenz UL do
1199 ap. Fej^r 11. 370: «quia hseresis immodica in . . Bessina (Bosnien) pullulare
videtor, in tantnm, quod peccatis ezigentibns ipse Bacilinus (= Ban Gulinus) cum
Tixore sua, et cum sorore ma^ quae fuü defuncti Mirosclawi che(l)mensi (uxor) et cum
pluribus eonsanguineis suis seductus, plus quam decem millia chrlstianorum in ean-
dem hseresim introduiit.i
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^^^ DIE FÜRSTLICHEN NEMANJIDBN.
Ducange und seine Anhänger lassen Miroslav (oder seinen Bruder
Stracimir) nicht kinderlos sterben. Er soll einen Sohn Andreas hinter-
lassen haben, von dem sich die Herrn von Ch'lm folgendermassen abge-
leitet haben sollen :
MlroslaT.
Andreas von Ch*lm.
Vlatko Peter, Sohn.
\ Tor seinem Vater. Herr von Ohlm. |
Nikolans, Gem. Katharina, Tollen. Vukossava
Schwester des Bans Stefan von ' pjjjj! — <Jem. Barbo de
Bosnien. * Cruce,
Boghiscia, LadlBlaoB. ein Edelmann
^^'^^^ aus ßagusa.
Dem gegenüber ist Folgendes zu bemerken :
31. März 1198 nennt sich allerdings ein Andreas «Herzog von Ch'lm»,
doch ist dieser der Sohn Bela's HI. von Ungarn. Er behielt auch die Herzogs-
würde von Ch'hn bis 1202.^
1218 stossen wir wohl auch auf einen Herzog Peter, der auch zum
Füi-sten von Spalato gewählt wurde (1222 — 1225), doch ist seine Abstam-
mung unbekannt. Nach Peter folgte sein Neflfe Tolen,^ der 1239 starb.
Ihm folgte nun jener Andreas, den Ducange für Miroslav's (oder
Stracimir's) Sohn hält. Obwohl wir von diesem Andreas mehrere Urkunden
besitzen,* sind wir doch nicht in der Lage, seine Abstammung zu präcisiren.
Zum letzten Male wird er 1 249 erwähnt.
Dass Ducange's Genealogie falsch ist, bezeugt eben jene Urkunde do.
1249, in der Andreas seine beiden Söhne Bogdan und Kadoslav anführt*
Kadoslav folgte seinem Vater. Er wird in zwei Urkunden vom 22. Mai
1254^ erwäht. Nach diesem Jahre kommt weder er, noch ein anderer
Herzog von Ch'lm vor ; es ist somit mehr als wahrscheinlich, dass Ch*lm
^ Kukuljeiic IL 191, 199. Ikal&ic, Mon. episcop. Zagrab, I, p. 8, 9, 10, 16.
* Thomas Archidiaconus cap. 33 nennt ihn «Tolen de Chulmia, nepos comitis
Petri de Chulmia.»
' Am 11. Juli 1239 heisst es in einem Friedensschlüsse zwischen 8palato und
Chlm : fEgo servus Dei, Stephanus Comes, Andreas^ et Comes Tollen» (Thomas
Archid. Hist. Salon, ap, Schwandtner III. 591).
Gleich zu Anfange seiner Regierung (1239 40) schliesst er ein Bündniss mit
dem Knez Johann Dandolo von Ragiisa; er nennt sich ilch Andreas, der Qrossknez
von Chlm» (Knezi veli chlmszky) ; er beruft sich auf seine Vorfahren, deutet also an,
dass er aus dem regierenden fürstlich Chlm 'sehen Hause stamme.
Am 7. Sept. 1241 schliesst er Frieden mit Spalato (Thomas 1. c. 598 ■Veniens
Comes Andreas de Chelmo ... in Spalatum.» Lucic, deregno Dahnatiae p. 472—473).
* Wenzel II. 356, Friedensschluss mit Ragusa: «Ich Andreas, Qrossknez ron
Chulmien, mit meinen Söhnen, dem Zsupan Bogdan und dem Zsupan Radoslav.»
^ Wenzel 1. c. 375. «Wir Richter . . von Ragusa . . schwören Dir, dem Zsupan
Radoslav . .» 1. c. 377: «Ich Zsupan RadoBlav, Sohn des Knez Andreas von Chhru»
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DIE FÜRSTLICHEN NEMANJIDBN. ^6*
nach Badoslav in den Besitz der serbischen Könige gelangt ist, bis es im
3. Decennium des XIY. Jahrhunderts der bosnische Ban Stefan Eotromaniö
seinem Banate einverleibte.
e) Grossfürst Stefan Nemanja,
Alle über die Bedeutung und Provenienz des Namens Neeman als
aquirirten Beinamens gemachten Combinationen der Aelteren sind heute
gegenstandslos. In seiner dem Chilandarkloster gemachten Schenkung
1 198 — 99 ^ sagt der Grossfürst selbt : «Er (Gott) hat auch mich zum Gross-
zsupan erhoben, der ich in der heil. Taufe den Namen Stefan Nemanja
erhalten habe.» Im Friedensvertrage mit den Kagusanem do. 27. Sept.
1186* heisst es : «Perut Mendolus Jupan, et Drusima Semiga üidossi filii
tx 'parte Magni Jupani Neman.* Ueber seine Abstammung findet man noch
in der heutigen Literatur keine übereinstimmenden urteile. KÄllay ^ nennt
ihn einen «Enkel, oder wie ein neuerer serbischer Geschichtsforscher
meint, ein Sohn des Gross-Zsupans ürosch.» Klai<$* der ihn im unmittel-
baren Anschlüsse an Desa erwähnt, lässt sich über seine Abstammung
nicht vernehmen. Da aber die urkundlich vorkommenden Brüder Nema-
njas, Stracimir und Miroslav von keiner einzigen Quelle als Söhne des Gross-
fürsten Urosch genannt werden, haben wir keinen Grund die Angabe des
Troadnik und Anderer in Zweifel zu ziehen, die Nemanja den jüngsten
Sohn Desa's sein lassen.
Ueber das Jahr seiner Geburt sind die Angaben gleichfalls abweichend.
P. J. Safarik ^ gibt 1114, der Czarostavnik und der Ljetopisz Chilendarski
geben 1117, Engel ca. 1143 an. Letzterer hat insofeme einiges Hecht für
seine Behauptung, als 1114—17 als Geburtsjahr für den jüngsten Sohn
DeSa's entschieden zu hoch gegriffen ist; es müssten ja die noch 1190
urkundlich vorkommenden älteren Brüder Nemanja's bereits Achtziger
gewesen sein, was sie zwar nicht gehindert hätte, eine active Bolle zu
spielen, aber sehr unwahrscheinlich klingt.
Nach Safarik wäre er bereits 1159 zur Regierung gelangt, — eine
Angabe, die auch nur dann wahrscheinlich klingt, wenn sie sich auf einen
Sohn Urosch* I. bezieht. Fassen wir aber alle so mannigfach lautenden
Angaben der occidentalen und orientalischen Autoren zusammen, so gelan-
gen wir zu dem Ergebnisse, dass Nemanja mit geheimer oder öflfentlicher
Unterstützung des Kaisers Manuel ca. 1 165 seinem Vater Deöa in dem
von demselben dem Könige Badoslav IE. 1150 abgerungenen Königreiche
^ Avrainwüy, Opiszanie Adrevnostij Bzrbszki, Belgrad 1847, pag. 16.
2 Wenzel VI. 165 105.
^ L. c. 34.
* L. c. 131.
^ Jahrbücher der Literatur, Wien 1831, Band 53. Anzeigeblatt pag. 9.
UngariMhe HoTn«, XI. 1891. VI— VU. Heft. 36
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•^2 DIE FÜRSTLICHEN NEMANJIDEN.
Dioklea (Zeta) gefolgt ist. Da dies aber bei den in ihren Successionsrechten
verkürzten älteren Söhnen Desa's böses Blut machte, erhoben sie sich, unter-
stützt von den, den Herrschgelüsten Nemanja's und der griechischen Partei-
nahme feindlich gesinnten übrigen Vasallenfürsten Serbiens, dreimal gegen
Nemanja, bis dieser in einer 1173 glänzend gewonnenen Schlacht sich
zum bleibenden und anerkannten Gebietes des Landes befestigt. Ch'lm
hatte er zwar bald nach seiner Tronbesteigung an Manuel verloren,^ doch
eroberte er es nach 1168 abermals, um nun in seinem Streben, die unter
verschiedenen Zsupanen stehenden Duodezländchen Serbiens unter seine
Herrschaft zu bringen und das unterdessen erworbene Grosszsupanat
seinen Kindern zu vererben, durch Anschluss an eine Grossmacht geför-
dert zu werden, warf sich Nemanja, nachdem er sich einigemale von
der Unmöglichkeit überzeugte, seine Pläne im Widerspruche mit der
griechischen Politik zu verwirklichen, vollständig dem Kaiser Manuel in
die Arme und blieb bis zu seinem Tode ein Anhänger des Hofes von
Konstantinopel. — Seine nach Manuels Tode mit Isak Angelos geführten
Kriege endeten gleichfalls mit einem engen Anschlüsse an die griechische
Kaiserfamilie.
Nemanja's Verdienste beruhen somit hauptsächlich darin, dass er die
Einzelherrschaft Serbiens, resp. die zahlreichen Duodezstaaten zertrümmert
und sich zu einem selbstständigen, nationaler Politik huldigenden Auto-
kraten sämmtlicher von Serben bewohnten Gebiete (mit Ausnahme Bos-
niens) erhoben.* Seine Versuche jedoch, sich von dem Einflüsse Konstan-
tinopels zu emancipiren und sich an Deutschland anzuschliessen, sind
durch Kaiser Friedrich 's I., die Bedeutung des Momentes nicht auffassender
Politik misslungen. Aus Pietismus entsagte Nemanja 1195 der Krone, über-
gab die Herrschaft seinem erstgeborenen Sohne und zog sich als Mönch
Simon in das von ihm erbaute Kloster Studenicza zurück. Zwei Jahre
später begab er sich von hier nach dem Berge Athos,^ stiftete das Kloster
^ In einer Urkunde do 20. Mai 1166 für die Stadt Cattaro (ap. Kukuljevic,
Codex diploniaticus ü. 73) kommt Manuel als «dux Dioclie» vor.
' Dies Alles deutet er in der obenerwähnten Urkunde folgendermassen an:
fleh habe die grossväterliche Erbschaft erneuert und besser gekräftigt. Mit Gottes
Hilfe und meinem von Gott gegebenen Verstände habe ich die zerrüttete gross-
väterliche Erbschaft hoch gehoben und dann noch auch den Meeresgegenden hin-
zugefügt, i
Indem Nemanja hier isomer nur von der grossväterlichen (er kann wohl auch
darunter die seiner älteren Ahnen überhaupt meinen) Herrschaft spricht, gewinnt
es wieder an Sicherheit, dass er nicht des GrossfÜrsteij Urosch' Sohn, sondern sein
Enkel sei.
^ Stiftungsurkunde von Chilandar : cund habe ich . . der Mönch Simeon ihn . .
(nämlich seinen Erstgeborenen) gesegnet. Ich bin aus meinem Vaterlande auf den
heiligen Berg (Athos) gezogen.»
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DIE FUKßTLICHEN NEMANJIDEN.
56:^
Chilandar und starb in demselben 13. Febr. 1:200.^ — Nemanja's Gattin
heisst Anna ; ihre Genealogie ist ein Conglomerat von heterogenen Angaben.
Die von dem serbischen Bischöfe Zsivkovics 1794 herausgegebene
Biographie des heiligen Sabbas (Sava, eines Sohnes Nemanja's) gibt an,
Anna sei die Tochter des Kaisers Roman. Da hier nur von dem byzan-
tinischen Kaiser Roman IV. (Sohn des Kappadokiers Konstantin Diogenes,
reg. seit 1. Jänner 1068 t 107 J) — die Rede sein kann, ist die genealogische
Ableitung der erwähnten Quelle unacceptabel. Wir kennen nur eine einzige
Gemahlin Romans IV., die am 1. Jänner 1068 ihm vermählte Eudokia
Dalassena, Witwe des im Mai 1067 gestorbenen Kaisers Konstantin XL
Dukas. Wenn nun Romanos allenfallsige Tochter noch 1068 geboren war,
musste sie gelegentlich der Geburt ihres ersten Sohnes 1084 mindestens
16 Jahre gezählt haben; Nemanja's 1084 geborener Sohn wäre dann 1195
ein 111-jähriger Greis gewesen, wo Nemanja in der bereits citirten
Chilendar-Ürkunde ihn 1195 als seinen Nachfolger und den Schwiegersohn
des griechischen Kaisers bezeichnet. Uebrigens ist Anna auch nach der
Biographie des heil. Wladimir eine geborene Griechin (Hilferding).
Nach dem Czarostavnik ist Anna die Tochter des bosnischen Bans
Boris ; Engel und Andere sind natürlich sofort bereit in diesem Boris den
jüngsten Sohn des Ungamkönigs Koloman zu finden ; Julinacz u. A. nennen
Anna eine Tochter des Bane Kulin von Bosnien.* Da aber keine einzige
dieser Angaben vor dem Richterstuhle der Kritik Stand hält, müssen wir
heute die Erklärung abgeben, dass uns die Abstammung und das Ver-
mählungsjahr^ der Gattin Neeman's unbekannt sind. Wir wissen nur, dass
sie sich nach der Abdankung ihres Gatten gleichfalls als Nonne einkleiden
* In einer Urkunde bei Fej^r II. 390 do 1202 schreibt sein erstgeborener
Sohn an Papst Innocenz III. isicut bonse memorise pater mens.» Sein Tod ap.
Mikloßich, Monum. Serb. 7.
' Da Cange 1. c. 53 ist in seinen diesbezüglichen Angaben enorm unsicher
und tappt aus einem Dimkel ins Andere. Lesen wir nur Folgendes: «Quo quidem
in hello (nämlich gegen die Brüder Badoslav und Johann, Könige von Bassa und
Zeta), Borrichii, Bosinensis Bani, cujus filiam uxorem duxerat Neeman, vel potius Miro-
ßlavus, copiis adjutus est. Borrichio quippe filins ac successor fuit Culinus, vel ut
prseferunt Innocentii III. epistolae, Bacilinus, vel potius Banculinus, in quibus,
mentio fit matrimonii initi, a Miroslavo, cum bani istius Bosnensis sorore, ubi is
Miroslavus Chelmensis adpellatur.i Pegdcsevics (Hist. Serv.) hat: «quibus . . Stephan
quoque Neeman . . adjunctus foit . . ut . . et Augusto nuptias conciliante, Gulini Bosnise
Bani filiam, qualicunque nexii Friderico (nämlich dem deutschen Kaiser Friedrich I.)
coUigatam, redux in Patriam connubio junzeriti
Du Gange's Angabe, Kulin sei des Boris' Sohn gewesen, hat natürlich dazu
beigetragen, dass man Anna gleichfalls als Boris' Tochter betrachte.
' Pej4csevics' 1. c. Behauptung, die Vermählung sei über Kaiser Friedrichs
Intervention imi 1165 erfolgt, ist nicht bewiesen.
36*
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564
DIE FÜRSTLICHEN NEMANJIDEN.
liess und dabei den Namen Anastasia annahm.^ Ihr Todesjahr ist
unbekannt.
Von Nemanja's Kindern kennen wir :
a) König Stefan I. (siehe den nächstens folgenden Artikel : «die könig-
lichen Nemanjiden»).
b) Vukan,
In einem Schreiben des Papstes Innocenz III. do. 8. Jänner 1198*
an Vukan heisst es: «Karissimo in Christo filio Wulcano Dlustri Regi
Dalmatie et Dioclie». (Der Papst empfiehlt ihm seine Legaten). In einem
Schreiben Vukans an den Papst do. 1 199 * nennt er sich § (V) eadem gratia
Dioclise atque Dalmatiae Bex». Uebrigens kann man seinen Namen auch
richtig «Vlk» (= Wolf) aussprechen.
Er hatte von seinem Vater, wahrscheinlich gleichzeitig mit dessen
Tronentsagung, das Königreich Dioclea erhalten, und wurde sicherlich
damals unter die Oberherrschaft seines älteren Bruders, des Grossfürsten
Stefan gestellt. Dies mochte der Grund sein, warum der ehrgeizige Mann
gegen seinen Bruder intriguirte und schliesslich im Anschlüsse an den
päpstlichen Stuhl und an den ungarischen Hof ihn vom grossfürstlichen
Trone zu stürzen versuchte.
Seine Bestrebungen fanden an König Emerich einen bereitwilligen
Förderer; er verhalf ihm eine Zeitlang zur Grossfürstenwürde und ver-
wendete sich sogar beim Papste um Verleihung der Königskrone an Vlk.*
Vlk's hochfliegende Träume gingen nicht in Erfüllung. Stephan
* Hertzberg's Behauptung, Stefan Nemanja habe sich in seinen alten Jahren
nüt der byzantinischen Prinzessin Eudokia vermählt, und diese sei dann die Gattin
seines Sohnes und Nachfolgers geworden, wird durch die Ohilandarurkunde wieder-
legt, wo Nemanja zur Zeit seiner Abdankung ausdrücklich seinen Erstgeborenen den
Schwiegersohn des griechischen Kaisers Alexius nennt.
* Wenzel VI. 195/125.
^ Fej^r n. 370.
* Papst Innocenz III. schreibt am 22. März 1203 an den Bischof von Kalocsa
in Angelegenheiten des Zustandebringens einer kirchlichen Union mit Serbien : iNofl
igitur de salute nobilis viri TT. meganiupani Sendaet Fejör II. 408. In einer anderen
Urkunde ap. Fej^r 11. 417 gleichen Datums mit der vorhergehenden empfiehlt er
den Erzbischof Johann v. Kalocsa gleichfalls dem Vlk tnobili viro Megaiupano Sena^ie,*
In einem Schreiben des Papstes an König Emerich do. 1204 (ap. Fej^r II.
432) heisst es: tTu quoque, si bene recolimus, suggessisti, quod tu»* serenitati place-
hßbt, ut meganiupanus Senüse, debitam et devotam apostolic» sedi reverentiam et
obedientiam exhiberet, et a nobis, salvo in temporalibus jure tuo, regium susoiperet
diadema* ; dann heisst es 1. c. 437 : cTu vero postquam expugnasti Serviam amoto
Stephano, et Vuloo substituto in locum ipsius . . Lntimasti, quod . . sequanimiter
sustinebis, ut dictus Vulcus regalem susciperet ab apostolica sede coronam . . Sed
quum jam biennium sit transactum, in nullo novimus esse profectum.»
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DIB FÜRSTLICHEN NEMANJIDEN. 565
begann gleichfalls mit dem päpstlichen Stuhle zn liebäugeln ; Kg. Emerich
war durch Streitigkeiten mit seinem Bruder Andreas anderseitig in An-
spruch genommen und zuletzt nahm der jüngste Bruder der Serbenfürsten,
der hochangesehene Mönch Sabbas die Sache zur Hand ; es gelang ihm
die feindlichen Brüder zu yersöhnen und Vlk's Ansprüche auf das Gross-
zsupanat auf ihr richtiges Maass zu reduziren.
Was mit Vlk, nachdem er sich seinem Bruder unterworfen, geschehen,
ist unbekannt. Man nimmt an, dass er 1217 nicht mehr am Leben gewesen,
weil sein älterer Bruder Stefan sich damals «König von Serbien, Dioclea,
TraTunje, Dalmatien und Ch'lm»^ nennt; dies ist aber nicht massgebend,
weil Stefan als erstgekrönter König von Serbien sich des Titels eines
Königs von Dioclea in seiner Eigenschaft als Oberherr dieses Landes auch
zu Lebzeiten Vukans bedienen konnte. Auch ist es möglich, dass sich
Vukan nach der Königskrönung Stefans ins Kloster begeben.
Vlk's (rattin wird in einem Schreiben Innocenz' IQ. do. 8. Jänner
1198 erwähnt,^ doch kennen wir weder ihren Namen, noch ihre Chrono-
logie oder ihre Familienverhältnisse. Da es aber nicht anzunehmen ist,
dass der Papst in einer kirchenpolitischen Angelegenheit sich an Vlk's
Gemahlin gewendet hätte, wenn diese eine Serbin gewesen, so liegt die
Vermutung nahe, dass Vlk's Grattin einer vornehmen abendländischen
Familie angehört habe. Diese Annahme wird stark durch den Umstand
unterstützt, dass Desa sich eine Gattin aus Deutschland gesucht haben
soll und Nemanja sich — wie wir sehen werden — seine Schwiegertöchter
am liebsten aus vornehmen ausländischen Häusern erkoren. Zu allem dem
gesellt sich noch der interessante Umstand, dass Vlk in dem schon citirten
Schreiben an den Papst do. 1199 geradewegs von seiner Verwandtschaß
mit dem Papste spricht.^ Papst Innocenz HL (vordem Johann Lothar) ist
ein Sohn des italienischen Grafen Transmund von Segni, einer Familie, die
man aus dem altberühmten Hause der italienischen Conti ableitete. Leider
ißt es mir dermalen nicht möglich, die von Vlk angedeutete Verwandt-
schaft näher zu beleuchten; es scheint aber, dass dieselbe auf seine
Gemahlin zurückzuführen sei.
Von Vlk's Nachkommen lauten die Nachrichten sehr spärlich. Wir
dürfen es als sicher annehmen, dass König Stefan I., durch Vlk's Aufruhr
gewitzigt, sich beeilt hat, nach Vlk's Tode oder Abdankung die Herrschaft
in dessen Kindern nicht zu verewigen ; daher ist es auch erklärlich, dass
' Urkunde ap. Raynald ad. 1220.
' •Scripttun est super hoc in eundem fere modum uxori eiusdem RegiB
(= nämlich Vulcus').
' tlnterea noverit patemitas vestra, quia augustali stemmate undique insigni-
mur, et quod gloriosius et beatius est, vefftri generod sanguinvt affinitatem habere
€OgnovimuB.i
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^66 DIE FÜRSTLICHEN NEMANJIDEN.
wir von Vlk's Sohne Demeter nur wissen, dass er Zsupan gewesen, und
dann unter dem Namen David Mönch geworden. Demeter's Sohn Wratislaw
kommt als Knez vor, dessen Sohn ist der Knez Vlatko, dessen Tochter
Milicza die GemahKn des nachmaligen Grossfürsten Lazar geworden sein soll.
c) Prinz Tich,
Ansberttis * erzählt gelegentlich des ersten Kreuzzuges des deutschen
Kaisers Friedrich I., dass der Kaiser mit dem Serbenfürsten Nemanja eine
Entrevue gehabt und dass es im Verlaufe derselben zu einem interessan-
ten Heiratsprojecte gekommen. «Aliud vero negotium aperiebant domino
imperatori primitus etiam agitatum agentes precibus, ut in sui presentia
imperiali auctoritati terminaretur, scilicet ut filia illustris ducis Dalmati«
in matrimonio filio suo daretur. Qua) peticio ad beneplacitum imperatoris
et consilio principum dignum sortita est eflFectum, quoniam prenotatus dux
Perhtoldus ipsam suam filiam in proximo Sancti Georii feste in partibus
Ystrie memorato iuveni Tohu dioto se assignatum (pronüsit) eo pacto, quod
idem Tohu et sui ex filia ducis Berhtoldi heredes mortuo patri in pleni-
tudine potestatis pre Omnibus suis fratribus succederent, quod etiam pactum
ipsi comitis datis dextris firmaverunt.»
Im Anschlüsse zu dieser Ansbert'schen Stelle finden wir noch folgende
auf unser Thema Bezug habende Kegesten : **
1189, 29. Mai, Pressburg; Berthold im kaiserlichen Lager.
ilS9, 27. Juli, Nisch; Berthold schUesst mit Nemanja, Grosszsupan und
dessen Bruder Crazimer (soll heissen Stracimir) einen durch Hand-
gelübde bestärkten Vertrag, laut welchem er seine (nicht genannte)
Tochter April 23 1190 (sollte wohl heissen : 24) in Istrien dem Tohu,
Sohne des Nemanja, übergeben will, gegen dem, dass deren Kinder
in Serbien das Successionsvorrecht haben sollen.
1189, 27 — 31. Juli, Nisch ; Herzog Berchtold wird Bannerträger eines der
drei Haufen des kaiserlichen Heeres.
November in Adrianopel,
Dezember in Mazedonien und Philippopel.
1190, ^i. J/mw^r, Stellvertreter des Kaisers bei einer Unterhandlung mit
Nemanja.
Februar, findet den Grosszsupan nicht und ist am 5. Februar wieder
in Adrianopel ;
26. März in Gallipoli ;
* Fontes renim Aiistr. I, 5. pag. i23.
"'''^ Vgl. Oefele, Geschichte der Grafen von Andechs 1877, pag. 168 — 169,
gestützt auf Riezlers «der Kreuzziig Kaiser Friedrichs I. in «Forschungen zur deutschen
Geschichte 10, 24.» Reg. 38Ji— 407.
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DIK FÖRSTUCHEN NBMANJIDBN. 5ö7
5. Mai in Konjah (= Ikonium) vor Accon,
und noch in diesem Jahre in Europa zurück.
Zur Erklärung des Bisherigen haben wir Folgendes mitzuteilen.
Als Nemanja Kenntniss erhalten, dass Kaiser Friedrich I. einen Kreuz-
zug nach Palästina unternehme, sandte er eine Botschaft zu dem in Ungarn
weilenden Kaiser, um demselben freien Durchzug durch Serbien und weit-
gehendste Grastfreundschaft anzubieten. Nach Arnold von Lübeck ist
Nemanja in Belgrad, nach Gottfried von Köln in Nisch zum ersten Male
mit Friedrich zusammengekommen. Letzteren Ort gibt auch Bischof Diet-
pold von Passau * an.
üeber die zwischen den beiden Herrschern gepflogenen Unterhand-
lungen haben wir verschiedene Andeutungen.
aj Arnold von Lübeck sagt : «et fecit Domino Lnperatori hominium
suscipiens ab ipso terram suam jure beneficiario».
b) Codex M. S. Monast. Salmansveilensis** berichtet: «Nostri appro-
pinquabant Nissae civitati, quam cum tota adjacente Provincia de Gonstan-
tinapolitano prajceptam imperio, Neemann et Chrazimirus (= Stracimir)
magni comites de Servigia et Kassia cum tertio fratre Mechilavo (= Miroslav)
nuper in suam redegerant potestatem. Illi siquidem gratanter egrediebantur
obviam peregrinis, et maxime Imperatoris adventum, prout decebat, cum
ingenti pompa et apparatu magnifico salutantes, hunc honorant, hunc
benignis stipant obsequiis. Singulis etiam Principimi boves, oves, vinum,
frumentum et hordeum dividentes muniflce, et Mercatum omnibus mini-
strantes, omnimodum Imperatori obsequium adversus quamlibet gentem,
et maxime contra Constantinopolüanum Imperatorem, voluntarium offeren-
tes auxilium tam de se, quam de ipsorum conjuratis et amicis, Calo Petro
scilicet, et Asano fratre illius . . Suadent etiam summopere, cavendum esse
^ sermento Grcecorum, et de manu Imperatoris quaeinmt recipere memoratam
Civitatem Nissam cum illius competentiis et totam etiam terram ipsorum, non
metu Imperatoris Constantinopolitanis sed solo Romani amxrre Imperii, cui
per hominium desideranter subjici affectahant. Ad haec serenissimus Impera-
tor, ut amator pacis ac fidei, solerter proctempore ac convenienter respondit :
se quia crucis gestabat signaculum, contra Hierosolymee terrae invasores
velle insurgere, non venisse ad terram Christianorum debellandam : si ta-
rnen per Graeciam pacificam possit transitum obtinere. Apud Nissam igitur
sex diebus continuis ad recreationem exercitus demoratus, pnemissis gra-
^ tX. Kai. Aug. (23. Juli) vemmus ad Civitatem Nisseam; ibi maguus Comes
ServiflB cum magno apparatu honeste excepit, et multa cum eo perti-actans, honesta ei
donaria dedit, sicut et ipse magna ab eo accepit. Similiter omnes Principes a prae-
dicto Comite vino, medone (= Meth) et animalibuB multum honorati fuerunt» ap.
Freher, SS. I. 410.
** ap. PejÄcsevics 146.
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^ßS DIE FÜRSTUCHEN NEMANJIDEN.
tiarum actionibus de honore et commoditate percepta, prsefatis Comitibas
valedixit».
c) Chronik des Bischofs Sicard von Gremona : * «Cum Fridericus Nis-
swn Civitatem appropinquaret, Comites Serviae gratanter subjici affectarunt,
sed Serenissimus Imperator pacem aflfectans, eos suscipere recusaviti.
d) Ansbert 22.: «Hisetiam diebus preambuli magni comitis de Saruia
et Crassia eiusque germani eque comitis praepotentis venerunt nuntiante«
eorundem dominorum suorum comitum adventum in serenissimi impera-
toris occursum et omnimodum servitium ac subjectionem ipsi promitten-
tium. Cum igitur ad Nisam civitatem aUquando munitam, sed a rege Bela
sepefato üngariae sub Antronico Greciae tyranno ex parte dirutam cunctus
venisset exercitus ibique per triduum et ultra propter mercatum mora-
retur, idem magnus Neaman dictus ac germanus suus Crazimerus in magna
pompa domino imperatori occurrerunt et ab ipso seu principibus exercitus
VL Kai. Augusti (27. Juli 1 1 89) honorabiliter sunt suscepti. • « 8e ipsos nichi-
lominus et omnes suos cum armis offerebant devota instantia in adjutorium
presentis expeditionis et specialiter adversus regem Graßciae, si forte con-
tingeret adversari eum Christi exercitui, sicut ipsi de eo tunc opinabantur
propter premissos latrunculos nostros indies infestantes, quod nos dis-
pendio personarum et rerum experti sumus. Idem preterea comites cum
tercio fratre suo Mercilao occupaverant in gladio et arcu suo Nisam civi-
tatem et circa eam ac deinceps usque ad Straliz omnem terram illam ex
ditione Grecorum prereptam sibique eam vendicabant, uUerius etiam quaqua
versum dominium mum et potestatem extendere intendantes et pro ipsa terra
bellica virttUe sua conquisita de manu imperatoris Romanorum perdpienda
hominium et ßdelitatem ipsi qferebant ad perpeltiam Homani imperii glo-
riam, nvllo quidem timore coacti, sed sola ipsius Tetdoniis regni dilectione
invitati. Sed Dominus imperator illud perpendens, qui ambulat simpliciter,
ambulat confidenter, alieni belli occasione propositum iter contra invasores
sancti sepulchri nolens vel immutare vel protelare, comitibus quidem illis
gratiarum actionibus premissis benigne respondit: se pro amore Christi
peregrinationem laboriosam contra oppressores terre Jerosolimitan» sus-
cepisse nuUumque se malum fastu alicuius ambitionis adversus quemlibet
Christianum regem machinari, similiter nee adversus regem Grecie, ita
tamen si ipse fidum conductum, ut sepe promiserat et bonum forum exer-
citui prepararet, alioquin contra falsos christianos insidiatores peregrinorum
Christi eque ut contra paganos se armari et ferro viam cum suis facturum.i
Eine Haupt- und Staatsaction war es also, die die Nemanjiden damals
in Scene setzen wollten ; um nichts Geringeres hat es sich damals gehan-
delt, als um die Losreissung der Serben und Bulgaren vom orientalischen
* Sicard f 1215; zit. ap. PejÄcsevics 147.
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DIE FÜRSTLICHEN NEMANJIDEN. 569
Einflüsse und deren Anschluss an den deutschen Occident ; der alte Bot-
hart in seinem einseitigen Pietismus und seiner Furcht vor den Griechen^
wollte den grossen Moment nicht verstehen ! . . .
Wie wir aus Ansbert wissen, führte im Namen des Kaisers Graf Ber-
thold mit Nemanja die Unterhandlungen. Dieser Berthold, der IV. seines
Namens, stammte aus dem Hause Andechs, war damals Markgraf von
Istrien, Herzog von Dalmatien und seit 1195 auch von Meranien. Nemanja
lag es daran, den beim Kaiser einflussreichen Magnaten so sehr als möglich
für seine dynastischen Interessen zu gewinnen ; — Berthold musste dies ge-
legen kommen, weil sich hier die Aussicht bot, eine seiner Töchter auf
einen Fürstentron zu setzen, das Ganze sollte die Krönung des von Nemanja
geplanten Anschlusses an Deutschland bilden. — Man verlobte (27. Juli
1189) Bertholds Tochter mit Nemanja's Sohne Tohu und beschloss die
junge Braut am Georgstage 1190 in Istrien dem Bräutigam zu übergeben.
Wer ist dieser Prinz Tohu? Die Einheimischen nennen wohl
Nemanja's drei Söhne, kennen aber unter ihnen keinen Tohu.
Wohl wissen wir aber, dass Konstantin, der Zar der Bulgaren
(1258 — 1277) sich urkundlich einen Enkel des heiligen Simeon Nemanja
von Serbien nennt. Wir kennen auch den Namen des Vaters Konstantins,
sind aber darüber im Unklaren, ob Konstantin väterlicher oder mütter-
licherseits Nemanja's Enkel gewesen. Nach seinem Vater nennt man ihn
Konstantin Tochos, Techos, nach Jirecek («Geschichte der Bulgaren») heisst
der Vater Tich. — In diesem Techos, Toehos, erkenne ich jenen Tohu,
den uns Ansbert als Xemanja's Sohn anführt und finde ihn mit Tich,
dem Vater des Bulgarenzaren Konstantin identisch I
Es spricht aber auch Nichts dagegen :
a j Im Sinne des Verlobungsvertrages müsste Prinz Tohu ein jüngerer
Sohn Nemanja's sein, da wenn er der älteste gewesen, ihm und seinen Rin-
dern ja von selbst die Tronfolge zugefallen wäre und man dieselbe nicht
ausdrücklich hätte bedingen müssen. Nemanja bestätigt nun in seiner
Chilandarurkunde, dass sein erstgeborener Sohn Stephan heisst.
h) Man könnte fragen : wenn Tohu die Tochter Bertholds von Meran
geheiratet, wie kommt es, dass weder er, noch sein Sohn in Serbien gefolgt,
ja, dass Letzterer Bulgare geworden, wie sich dies daraus folgern lässt, dass
seine Familie am Fusse des Vitosch bei Sophia begütert war?
Diese Zweifel werden ganz einfach dadurch gegenstandslos, dass die
zwischen Bertholds Tochter und dem Serbenprinzen geplante eheliche
Allianz nicht zu Stande gekonmien ist. Nachdem Kaiser Friedrich sich den
Anerbietungen Nemanjas gegenüber auf einen negirenden Standpunkt ge-
stellt, fiel auch die auf der Basis des zwischen Nemanja und dem deutschen
Kaiser aufzurichtenden politischen Neubaues stehende eheliche Allianz in
Nichts zusammen. ,
üngariflohe B«tii«, ZI. 1891. VI— VH. Heft. 3^
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^'^ DiK fItrstlighen nemanjiden.
Prinz Tich'8 Schicksale sind uns unbekannt. Es hat die meiste Wahr-
scheinlichkeit, dass er in Folge der zwischen seinen älteren Brüdern aus-
gebrochenen Tronstreitigkeiten sich nach Bulgarien begeben, dort vermählt
und ein neues Heim gegründet.
Bertholds Tochter wird leider von dem Chronisten nicht genannt.
Oefele in seinem oben citirten Werke führt sie unter ihres Vaters Kindern
als erste Tochter an und nennt ausser ihr noch vier, ihrem Namen nach
bekannte Schwestern an. Wenn Oefele dieses sein Vorgehen nicht unwider-
leglich begründen kann, finde ich es nicht zu billigen und meine ich, dass
Berthold nur eben vier, ihrem Namen nach bekannte Töchter gehabt, deren
eine mit Tohu verlobt gewesen.
Denn ganz abgesehen davon, dass — wo Berthold's andere Töchter
sämmtUch mit Namen verzeichnet sind — eine Tochter dieses grossen
Magnaten uns nicht ihrem Namen nach überliefert worden sein sollte,
müssen wir bedenken, dass
1. keine einzige von Berthold*s Töchtern 1189 schon vermählt ge-
wesen; somit könnte ja die unter ihren Schwestern zuerst (Juli 1196) an
Mann gebrachte Agnes Tohu's Verlobte gewesen sein.
2. Da wir nur die Kinder Bertholds aus seiner frühestens Ende 1176
geschlossenen zweiten Ehe (mit Agnes, Tochter des Grafen Dedo von Koch-
litz und der Mathilde von Heinsberg + 25. März 1195) kennen, so liegt es
sehr nahe anzunehmen, dass Tohu*s Braut wohl Berthold's älteste Tochter
gewesen, die 1189 bestenfalls 12 Jahre gezählt haben konnte. Es ist nun
auffallend, dass uns die Chronik von dieser ältesten Tochter Bertholds —
nachdem aus ihrer Heirat mit dem Nemanjiden Nichts geworden — absolut
Nichts zu erzählen weiss.
(1) AiwmjTnes Kind.
In einer Inschrift zu Bojana unter dem Berge Vitosch liest man
«Kalojan der Sevastokrator, der Vetter (bratru6ed) des Zaren (Konstantin),
der Enkel des heiligen Stephan des Serbenkönigs».*
Hier wissen wir niclit, ob Johann ein Sohnes- oder Tochtersohn
Nemanja's gewesen ; darum ist es angezeigt, Johann's Vater oder Mutter
auf der Stammtafel der Nemanjiden nur mit NN. zu bezeichnen.
e) Ei*zhischof Sava L (Rastka.)
Wurde nachSafarik 1169 geboren und erhielt den Namen Kastka; —
ob er der jüngste Sohn seiner Eltern gewesen, ist bei dem Umstände, dass die
Autoren von der Existenz des Prinzen Tich keine Kenntniss haben, nicht
mit Sicherheit zu behaupten.
'■' Jirecek 269.
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DIE FÜRSTLICHEN NEMANJIDEN. ''^71
1186 verliess er unter dem Vorwande einer Jagd in Begleitung eini-
ger Mönche das Elternhaus und begab sich in das russische Kloster Pante-
leimon auf dem heiligen Berge und wurde trotz aller Bemühungen seiner
Eltern, ihn zur Kückkehr zu bewegen, unter dem Namen Sava (Sabbas)
Mönch. In Gemeinschaft mit seinem Vater gründete er 1197 — 1199 das
berühmte Kloster Chilandar. Von nun an lebte er hier als Hieromonach
und Archimandrit, von 1208 — 1215 als Hegumen. 1221 wurde er durch
-den griechischen Patriarchen Germanus zum ersten Erzbischof Serbiens
eingeweiht ; als solcher nahm er seinen Sitz Anfangs im Kloster Studenica,
darauf bleibend im Kloster Zißa.
Er war es, der seine feindlichen Brüder Stefan und Vuk versöhnte»
1211 mit Strez dem Fürsten von Prozök verhandelte, Stefan im Jahre 1222
zum Könige krönte und die Streitigkeiten seiner Neffen schlichtete. 1234
übergab er die Verwaltung des Erzbistums in die Hände des Arsenius I.
und unternahm zum zweitenmale eine Keise in den Orient, woselbst er
einige Jahre verweilt zu haben scheint. Als er dann über Konstantinopel
und Bulgarien die Kückreise in sein Vaterland antrat, ereilte ihn in der
damaligen bulgarischen Haupstadt Tmovo der Tod. Dies geschah nach
Safariks Berechnung am 14. Januar 1237, wohl nicht früher, wo nicht einige
Jahre später.
König Vladislav und Bischof Arsenius holten seine Gebeine im Pomp
von Tmovo ab und setzten sie im serbischen Kloster Milesevo bei. Von Sava's
Begräbnisse an diesem Orte erhielt das alte Kama oder die spätere Her-
zego vina den lateinischen Namen Ducatus S. Sabbae. Im Jahre 1595
liess ein türkischer Pascha den als wunderthätig verehrten Körper des Hei-
ligen nach Belgrad bringen und verbrennen. — Sava hatte von Natur
einen sehr schwachen, gebrechlichen Körper: die beispiellosen Entbeh-
rungen und Strapazen aller Art, denen er sich als Mönch unterzog, unter-
gruben seine Gesundheit dergestalt, dass er (nach Dometijan) sehr oft
kränkelte.
Es haben sich mehrere sein Wirken kennzeichnende Urkunden er-
halten.* Dr. MoRiz Wertner.
* In einer Urkunde do. 1233 ap. Wenzel I. 376 nennt er sich: «Sava, von
-<jottes Gnaden Erzbischof von Serbien und der Küstengegend.»
36*
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572 DIE WIRKSAMKEIT DES KÖNIGL. UNGARISCHEN
DIE WIRKSAMKEIT DES KÖN. UNG. LANDESVERTEIDIGUNGS-
MINISTERIUMS VON 1877—1890.
Es ist eine bekannte goscbichtliche Tbatsache^ dass bei Gelegenbeit
der staatsrecbtlicben Ausgleicbsverbandlnngen zwiscben Ungarn, der Krone
und Oesterreicb in den Jabren 1866 und 1867 die Frage über die künftige
Webrverfassung in der Monarcbie zu den scbwierigsten und beikelsten
Punkten der Verständigung gebort hat Ganz besondere Scbwierigkeiten
erboben sieb aber gegenüber der Erfüllung des ebenso beissen als gesetzlich
berechtigten Verlangens Ungarns, zur Verteidigung des eigenen Landes und
zur Aufrecbterbaltung des inneren Friedens eine der selbständigen unga-
rischen Gesetzgebung und dem verantwortlichen ungarischen Landesver-
teidigungsminister unterstehende ungarische Landwehr (bonveds^) zu
besitzen.
Die Erinnerung an die stürmischen Ereignisse der Jahre 1848 — 1849 '
hatte das Misstrauen noch immer wach erhalten und es bedurfte der zwin-
gendsten Gründe und Argumente, um die massgebenden Kreise und Factoren
endlich zur Annahme des ungarischen Gesetz- Artikels Xu vom Jahre 1867
zu bewegen, worin die Bildung einer besonderen königlich-ungarischen Land-
wehr und die Organisirung des ungarischen Landsturmes principiell aus-
gesprochen ist.
Die Verwirklichung dieser gesetzlichen Bestimmung nahm selbstver-
ständlich einige Zeit in Anspruch und war eine um so schwierigere Aufgabe,
als man bemüht sein musste, das Misstrauen auf der einen Seite zu bannen
und das drängende Begehren der Nation auf der anderen Seite zu befriedigen.
Jenes Misstrauen, welches noch Jahre hindurch angedauert, bat es nament-
lich auch bewirkt, dass im Anfange der ungarischen verantwortlichen Regie-
rung die Leitung des Honv^d-Ministeriums keinem selbständigen Minister
anvertraut wurde, sondern der damalige Minister-Präsident, Graf Julius
Andrässy, zugleich auch das Bersort dieses Ministeriums versah.
Das auf die Errichtung der ungarischen Landwehr bezügliche Gesetz
wurde im Zusammenhange mit den neuen Wehrgesetzen der Monarchie im
Jahre 1868 geschaffen, womit die allgemeine Wehrpflicht ausgesprochen
wurde. Die ungarische Landwehr sollte aus 82 Lafanterie-Bataillonen und
32 Huszären-Escadronen bestehen. Sie wurde gebildet: aus den ausge-
dienten Beservisten des gemeinsamen Heeres, aus Freiwilligen und aus jenen
Bekruten, die bei der jährlichen Abstellung für das stehende Heer als über-
zählig geblieben waren. Die Landwehr wird auf Befehl Sr. Majestät mit-
Gegenzeichnung des verantwortlichen Honv^d-Ministers mobilisirt und kann.
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LANDESVERTEIDIGUNOS-inNISTBRIUMS VON 1877—1890. o73
nur mit Zustimmung des Reichstages ausserhalb der Grenze des Landes
verwendet werden. Das Land wurde in sechs Landwehrdistricte eingeteilt :
dies- und jenseits der Donau, dies- und jenseits der Theiss, Siebenbürgen
und Kroatien. Die Fahne und das Commandowort der HonvMschaft ist
ungarisch ; letzteres in Kroatien kroatisch. Im üebrigen ist der Sold, die
Bangstufen, das Dienstverhältnisse die tactische Einteilung u. s. w. mit den
bezüglichen Einrichtungen und Vorschriften des gemeinsamen Heeres über-
einstimmend.
Die Gesetzesvorlagen über die Errichtung der ungarischen Landwehr
begegneten auf Seiten der damaligen Oppositionsparteien im Beichstage sehr
heftigen Angri£fen. Erst hatte man die ernste Absicht und den guten Willen
der Regierung zur Verwirklichung dieser gesetzlichen Bestimmung bezwei-
felt, als aber die Schaffung eines ungarischen Nationalheeres deutlich in die
Erscheinung trat: da suchte man die neue Institution durch Spott und
Hohn vor dem Volke zu discreditiren und suchte das Zustandekommen
des Hon v6d' Gesetzes zu verhindern. Trotzdem gelang es, die im Gesetz
vorausgesehene Landwehr ins Leben zu rufen und gar bald gewann die neue
Institution im Volke festen Boden und grosse Sympathien. Diese wurden
insbesondere auch dadurch erweckt, dass mittelst a. h. Handschreibens vom
10. December 1868 der in Ungarn sehr beliebte Prinz, Erzherzog Josef, der
Sohn des unvergesslichen Palatins, Erzherzog Josef (t 1847) und Bruder
des gleichfalls in ehrenvollem Andenken stehenden Palatins, Erzherzog
Stefan, zum Oberstcommandirenden der Honv^d- Armee ernannte und in
einem a. h. Kriegsbefehl dem gemeinsamen Heere erklärte: c Dadurch (näm-
lich durch die Errichtung der ungarischen Landwehr) gewinnt mein Kriegs-
beer einen solchen Bundesgenossen, der dasselbe in Glück und Unglück auf
dErS Kräftigste unterstützen wird». Diese «Wiedergeburt der Honv^ds»
machte selbst die Opposition verstummen.
Die Organisation der Honved-Armee war ein überaus schwieriges
Werk. Es gab hiefür weder ein Vorbild noch irgend welche Vorarbeit. Es
musste Alles von Grund aus neu geschaffen werden. Um so grösser ist das
Verdienst derjenigen Männer, die ungeachtet der fortgesetzten Angriffe, Ver-
dächtigungen und Herabsetzungen von Seite der Oppositionsparteien in Par-
lament und Presse die ihnen gestellte Aufgabe in glücklicher Weise zu lösen
verstanden.
Um den Kern der künftigen Landwehr zu schaffen, wurde im Wege
der Werbung im Sommer 1869 ein freiwilliges Honved-Lehrbataillon er-
richtet und eingeschult. Dasselbe machte überraschende Fortschritte in seiner
Ausbildung und erwarb sich selbst die Zufriedenheit des a. h. Kriegsherrn.
Im December 1869 konnten erst die ordentlichen Gadres aufgestellt und
besetzt werden, es erfolgten die Bekrutenstellungen und die Formirung der
Bataillone. Für die Standarte des Ofner Honved-Bataillons stickte Ihre Maje-
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•^74 DiK WIRKSAMKEIT DES KÖNIGL. UNGARISCHEN
stät die EaiBerin-Königin Elisabäh selber das Fahnenband und diesem Bei-
spiele der hohen Frau folgten dann zahlreiche andere Frauen des Landes.
Die Fahnenweihen der Honv6d-Bataillone wurden zu einer Reihe von Feier-
lichkeiten : «Für König und Vaterland» !
Der Minister-Präsident Graf Julius Andrässy als Leiter des Liandes-
verteigungsministeriums und sein Staatssecretär Karl Kerkäpoly, konnten
sich mit ihrem Werke bald schöner Erfolge erfreuen. Ihrer Arbeitsamkeit
und Ausdauer war es zu danken, dass schon zu Anfang des Jahres 1870 die
Honveds mit 60,000 Stück Hinterladern versehen und sonst mit allen Er-
fordernissen ausgerüstet waren. Dabei blieb es von Anbeginn ein Bestreben
dieses Ministeriums, die verschiedenen Anschaffungen womögUch nur im
Inlande selbst zu besorgen, um der einheimischen Industrie und Production
zu Hilfe zu kommen. Ende Jänner 1870 zählte der Landwehr- Status 68,980
Mann und 906 Offiziere. Bis Ende August dieses Jahres sollte der Stand
auf 1 30,000 Mann erhöht werden.
Wir können die weiteren Entwickelungsstadien der Honved- Armee hier
nicht mehr verfolgen, sondern begnügen uns mit der Anführung einiger
kennzeichnender Hauptdaten. Von 1869 bis 1871 hatten in den verschie-
denen Honved-Lehrabteibungen 861 Oberoffiziere, 603 Cadeten und
5801 Unteroffiziere ihre militärische Ausbildung erhalten. Im Jahre 1871
betrug der Status der Combatianten in der Honved-Armee 122,310 Mann
Fussvoik und 5472 Mann Beiterei. Und dass diese Armee keine blosse Sol-
datenspielerei bedeutete, das zeigte sich im Jahre 1871 bei den grösseren
Herbstmanövem, welche vom 24. bis 27. September bei Göd in der Nähe von
Waitzen abgehalten wurden. Hier hatte die ungarische Landwehr zum ersten
Male Gelegenheit, an der Seite und in Gemeinschaft mit dem gemeinsamen
Heere die Eriegsübungen zu machen. Dies geschah in Anwesenheit Sr. Ma-
jestät und des obersten Armeestabes sowie in Gegenwart der MilitärbevoU-
mächtigten von Preussen, England, der Schweiz, Belgien und Italien. Die
dreitägigen Uebungen, das Zusammenwirken mit den gemeinsamen Truppen
gaben von der Gewandtheit und Ausdauer der Honveds solch glänzende
Beweise, dass über ihre Eriegstüchtigkeit kein weiterer Zweifel obwalten
konnte. Diese allgemein belobte, unblutige «Göder Schlacht» war zugleich
ein Triumph des Grafen Andrfissy und seiner Mitarbeiter im Honv6d-Mini-
sterium, wo seit 1 870 Emest Hollfin das Staatssecretariat übernommen und
mit Eifer und Sachverständniss geführt hatte.
Bald darauf November 1871 übernahm Graf Julius Andrässy das Mini-
sterium des Aeussem, sein Nachfolger in der Leitung des Honv^d-Ministe-
riums war wieder der Minister-Präsident (Graf Lönyay), bis endlich am 15.
December 1872 in der Person des Bela Szende ein selbständiger Minister an
die Spitze des Landesverteidigungsministeriums gestellt wurde. Fast zu
gleicher Zeit mit dem Minister wurde (26. December 1872) der neue Staate-
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LANDESVERTEIDIGUNGS-MINISTERIUMS VON 1877— 189^1. -^75
secretär in der Person des k. u. k. General-Majors Baron Geza Fejerväry
ernannt und damit trat jener Mann an die Spitze der Administration der
Honved-Armee, dem dieses Heer in seiner Fortentwickelung und Ausgestal-
tung unendlich Vieles zu verdanken hat.
Minister Szende bekleidete das Portefeuille bis zu seinem im Jahre
1882 erfolgten Tode und dann nach einer kurzen Amtsperiode des Ministers
Graf Gedeon Räday (Octoher 1882 — December 1883) und einem Provisorium
unter Minister Baron Bela Orczy erfolgte am 28. October 1884 die Ernennung
des Staatssecretärs Baron (Uza Fejei'väry zum königlich ungarischen Landes-
verteidigungsminister, dem sodann derReichsiAgaahgeoTdneteDesiderGromon
als Staatssecretär zur Seite trat. Beide Männer stehen noch heute im Amte
und haben sich durch ihr mehrjähriges Wirken die allgemeine Anerkennung
erworben. Ganz besonders spricht aber der heutige Zustand der Honved-
Armee zu Gunsten einer Verwaltung, welche durch Einsicht, Klugheit, Aus-
dauer, Fleiss und Disciplin eine von Freund und Feind hochgeachtete und
angesehene Institution, die Honved-Armee, aufgerichtet hat. Minister Fejer-
Vary verstand es aber auch, nicht blos das Aeusserliche, das Mechanische
der Institution und des Dienstes zweckdienlich fortzubilden, sondern er war
im Besondem auch ernstlich und nachhaltig bemüht, den soldatischen Geist
im Officiers- Corps wie in der Mannschaft der Honved-Armee zu heben und
zu veredeln und namentlich auch durch eine intensivere geistige Aus-
bildung die Honved-Officiere ihren Kameraden im gemeinsamen Heere eben-
bürtig zu erhalten. Ein Hauptaugenmerk des Ministers blieb überdies stets
darauf gerichtet, das gute, kameradschaftliche Einvernehmen zwischen den
Mitgliedern der gemeinsamen Armee und den Honveds aufrechtzuerhalten
und das Bewusstsein zu nähren, dass beide Teile gleichberechtigte und gleich
verpflichtete Factoren zur gemeinsamen Verteidigung der Monarchie und
des Vaterlandes sind.
Aber das königlich ungarische Honved-Ministerium war ausserdem
bemüht, von seiner Thätigkeit nicht blos gelegentlich der jährlichen Budget-
verhandlungen im Reichstage Bechenschaft abzulegen, sondern auch in um-
fassenden literarischen Publicationen den weiteren Kreisen des Landes über
die Wirksamkeit dieses Ministeriums und den jeweiligen Zustand der Hon-
ved-Armee ausführliche Mitteilungen zu machen.
Bisher liegen drei solcher Publicationen vor ; die erste beschäftigt sich
mit der Thätigkeit des Honved-Ministeriums in der Zeit von 1867 bis 1872 ;
die zweite behandelt die Periode von 1873 bis 1877 ; die dritte und jüngste
aber führt den Titel: ^A magyar kirälyi Jwnvedelmi Ministerium miiködese
az 1877 — 1890. evekben. A honvedelmi Minister ür megbizäsäbol hivatalos
adatok alapjän irta Biro Päl, ministeri tanäcsos, a honvedelmi Ministerium
elnöki osztälyänak vezetöje», d. i. «Die Wirksamkeit des königlich unga-
rischen Landesverteidigungsministeriums in den Jahren von 1877 — 1890.
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''^70 DIE WIRKSAMKI*:!! DES KÖNIGL. UNGARISCHEN
Im Auftrage des Herrn Laadesverteidigungsnimisters auf Grund amtlicher
Daten verfasst von Paul Birö, Ministerialrat und Chef der Präsidialsection
des Honved-Ministeriums.» (Budapest, 1891 ; zwei Bände, gr. 4^; L Bd. XVI
und 399 Seiten; IL Bd. Vm und 472 Seiten.)
Auf nahezu neunhundert Quartseiten bieten diese beiden Bände des
«Berichtest eine überraschende Fülle des Materials, welches durch seinen
Beichtum ebenso von dem eminenten Fleisse des Sammlers wie durch die
eingehende, klare und lehrreiche Aufarbeitung und Darstellung von der
Sachkenntniss und der Tüchtigkeit des Verfassers ehrenvolles Zeugniss ab-
legt. Das ganze Werk mit seinen Tausenden von Daten und mit all den
vielen Ausweisen, Uebersichten und Tabellen ist aber nur ein fortlaufender
Beleg für die seltene Arbeitsamkeit und Leistungsfähigkeit dieses Ministe-
riums und seines verantwortlichen Chefs, des Ministers Baron Geza Fejer-
väry, der als Heerführer wie als Organisator und Administrator, in gleich
hervorragender Weise sich auszeichnet.
Indem wir darangehen, aus J.er Fülle des gebotenen und verarbeiteten
Materials mindestens die Hauptthatsachen zu einer Skizze zu vereinigen, geben
wir vorerst eine kurze Mitteilung über die Anlage dieses «Berichtes». Der
erste Teil schildert die innere Organisation des Landesverteidigungs-Mini-
steriums ; der zweite Teil bespricht die bestehende Wehrgesetze ; der diitte
Teil befasst sich mit den auf Grund dieser Gesetze getroffenen ministeriellen
Anordnungen und Verfügungen ; der vierte Teil gibt eine Darstellung der
Honved-Institution selbst ; der fünfte Teil beschäftigt sich mit dem Land-
sturm und der sechste Teil mit der Gensdarmerie.
Der Wirkungskreis des Landesverteidigungs- Ministeriums in Bezug auf
die Landwehr besteht vor Allem in der Fortentwickelung dieser Institution
im Sinne der Landesgesetze ; überdies hat dieses Ministerium hinsichtlich
des gemeinsamen Heeres einverständlich mit dem gemeinsamen Kriegs-
minißter vorzugehn.
Im Speciellen hat dieses Ministerium :
1. alle auf die gemeinsame Armee, die Landwehr, den Landsturm imd
die Gensdarmerie bezugnehmenden Gesetzesvorlagen vorzubereiten und mit
der erforderlichen Motivirung dem Reichstage zu überreichen, resp. diese
Vorlagen vor dem Reichstage zu vertreten ;
2. liegt ihm die Durchführung der Gesetze ob ;
3. muss dieses Ministerium sämmtliche, zur Durchführung der Gesetze
nötigen «Instructionen» ausarbeiten, ebenso die zur Dienstleistung und
Disciplin der Honvödschaft erforderlichen Reglements, Vorsschriften, Wei-
sungen, Landkarten, literarischen Hilfswerke besorgen ;
4. ferner übt es über die gesammte Landwehr, den Landsturm und
die Gensdarmerie die gesetzliche Aufsicht und Controle hinsichtlich der
raschen, pünktlichen und unparteiischen Vollziehung der Gesetze ;
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LANOESVERTEIDIGUNGS-inNISTERIÜMS VON 1877—1890. 577
5. 66 sorgt für die Anschaffung und Aufbewahrung der sachlichen
Erfordernisse der Landwehr (Gtebäude, Montur, Bewaffnung, Verpflegung,
Bücher, Drucksachen etc.) ;
6. es leitet gegebenen Falles die nötigen Prozesse oder das Strafver-
fahren ein und endlich
7. es übt in Personal- Angelegenheiten das Emennungsrecht oder unter-
breitet die Ernennungen, Vorrückungen und Pensionirungen, sowie die Aus-
zeichnungen 8r. Majestät zur allerhöchsten Grenehmigung.
In den Jahren von 1877 — 1890 hat das Honved-Ministerium über 50
verschiedene Gesetzentwürfe dem Beichstage vorgelegt, welche von diesem
verhandelt und angenommen wurden. Darunter befanden sich zahlreiche
organisatorische Vorlagen, deren Durchführung für das Wehrsystem und
die Wehrkraft der österr,-ung. Monarchie und Ungarns von wesentlichster
Bedeutung sind. Wir erinnern nur an die Erneuerung und Veränderung des
Allgemeinen Wehrgesetzes im Jahre 1889 (G.-A. VI: 1889) und an das neue
Honved-Gesetz vom Jahre 1890 (G.-A. V: 1890). üeberaus zahlreich sind
femer in diesem Zeiträume die Dienstbücher, Beglements, Instructionen, Vor-
schriften, Landkarten u. s. w., welche das HonvM-Ministerium zur entspre-
chenden Durchführung und Anwendung der Gesetze sowie zur diensttaugli-
chen Ausbildung, Erhaltung, Verpflegung, Bequartierung etc. der Honved-
Truppen ausarbeiten musste. Darunter besitzt das in neuester Zeit (1889/90)
erschienene «Dienstreglement für das kön. ung. Honved-Ministerium»
(«A magyar kir. honvedelmi ministerium szolgälati szabälyzata») schon
deshalb besondere Wichtigkeit, weil das constitutionelle Leben Ungarns
wenige Producte aufzuweisen vermag, welche die Dienst- Verhältnisse der
Staatsbeamten zu regeln bestimmt sind.
Die Deckung der sachlichen Bedürfnisse des Ministeriums erfolgt fast
ausschliesslich im Wege vorausgehender Concurs- Ausschreibung und der
darnach geschlossenen Verträge. Die unmittelbare Besorgung geschieht nur
selten, meist nur im Falle raschen Bedarfes oder bei unbedeutenden Erfor-
dernissen oder wenn die Concursausschreibung erfolglos geblieben ist. Ganz
besonders steigen von Jahr zu Jahr die Druckkosten sowohl bei der Central-
Leitung wie bei der Truppe. Das Ministerium verausgabte für sich allein an
Druckkosten :
im J. 1885 33,576 fl.
f • 1886 31,616 «
• €1887 ... 40,104 fl. U.S. f.
Seit dem Jahre 1874 gibt das Ministerium das «Verordnungs-Blatt»
(«Bendeleti Közlöny») für die kön. ung. Landwehr, Gensdarmerie und den
Landsturm heraus. Es ist das Amtsblatt dieser Truppen-Körper und bat die
Aufgabe, die Personalangelegenheiten der im Dienstverbande dieser Körper
stehenden Personen sowie die sämmtlichen Verordnungen und Vorschriften
Ungariiche ReTO«, XI. 1891. VI— vn. Heft. 37
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578
DIE WIRKSAMKKn' DES KONIGL. UNGARISCHEN
je rascher und genauer zu veröffentlichen. Das «Verordnungsblatt» erscheint
in je einer ungarischen und einer kroatischen Ausgabe und ist an keine Zeit
gebunden.
Der Organismus des Honved- Ministeriums besteht gleich dem der
anderen Ministerien aus dem Concepts-, dem Verwaltungs- und dem Buch-
haltungs-Personale, dessen amtliche Functionen hier keiner näheren Erörte-
rung bedürfen ; nur das heben wir als eine specielle Seite des Dienstes hier
hervor, dass von den Concepts-Beamten dieses Ministeriums teils juridische,
teils militärische Fachkenntnisse gefordert werden, in Folge dessen das Con-
cepts-Personale hier zum Teil aus Civil-, zum Teil aus Militärpersonen
besteht. Die Hilfsämter sind vorwiegend mit Civilbeamten versehen, dage-
gen ist die Buchhaltung dieses Ministeriums militärisch organisirt.
Die Concepts- Abteilung ist in «Fachsectionen» eingeteilt, welche dann
zu «Fachgruppen» vereinigt werden. Seit dem Jahre 1884 bestehen 19 Sec-
tionen ; neun derselben sind mit Civil-Beamten besetzt, die Agenden der
übrigen besorgen Militär-Personen. Drei Sectionen unterstehen der unmit-
telbaren Leitung des Staatssecretärs ; die anderen sochszehn Sectionen sind
in sechs Fachgruppen vereinigt. Die fortwährende Zunahme der Agenden
dieses Ministeriums hatte ebenso eine bedeutende Vermehrung seines civi-
len und militärischen Beamtenpersonals zur Folge. Es waren Concepts-
Beamte :
civile militÄrische zasjunmen
im J. 1877
41
48
89 Personen
. 1878...
41
55
96
. 1879
41
53
94
. 1880 _.
41
51
92
. 18H1 ...
42
48
90
. 1882
41
47
88
■ 1883 ...
41
53
94
. 1884 ...
46
54
100
. 1885 ... ... ...
48
50
98
188«
48
52
100
1 1887
48
57
105
. 1888
48
64
112
1 1889
53
71
124
1890
53
75
128
Dieser Vermehrung des Beamtenstatus entspricht dann auch die
Zunahme des amtlichen Gescbäftverkehres. Die Zahl der Präsidial-Acten
schwankte in der Zeit von 1877—1890 zwischen 5174 (1886) und 8699
Stück; die der Sections- Acten zwischen 52,000 (1880) und 66,(KX) Stück
(1890). Da im letztgenannten Jahre die präsidialiter erledigten Stücke 7189
betrugen, so war damals die Gesammtzahl der in diesem Ministerium normal-
massig behandelten Acten 73,189 Stück; im Jahre 1880 erst 58,480 Stück.
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LANDE8VERTEIDIGUNGS-MINIBTERIÜMS VON 1877—1800. "»^^
Das Hilfsämterpersonal zählte im Jahre 1890 insgesammt 37 Perso-
nen (1 Oberdirector, 4 Directoren und 32 Officiale) gegen 26 im Jahre 1877.
Dazu kommt das Dienstpersonal, bestehend aus 29 Personen (1 Buch-
drucker, 4 Buchdruckergehilfen, 1 Thürsteher, 1 Portier, 20 Amtsdiener
und 2 Hausknechte) ; im Jahre 1877 waren nur 22 Diener vorhanden.
Die Buchhaltung des Landesverteidigungs-Ministeriums wurde (wie
erwähnt) im Jahre 1878 militärisch organisirt; sie führt den amtlichen
Titel: t Fachbuchhaltung des Honved-Ministeriums» («Honv6delmi minis-
ten szakszämvevöseg») und hat nach wiederholten Umänderungen dermalen
folgenden Personalstand :
1 Oberrechnungsrat erster Classe als Chef, 2 Oberrechnungs-Räte
zweiter Classe, 9 Rechnungsräte, 49 Rechnungsofficiale, 16 Adjuncten und
10 Praktikanten, zusammen 86 Personen gegen 47 im Jahre 1878. Die
Buchhaltung zerfällt in zwei Hauptabteilungen in 9 Sectionen, für je ein
Honved-Districts-Commando. Die Geschäftszahlen der Buchhaltung bewegen
sich seit 1877 bis 1890 innerhalb der Ziffern 10,533 (1880) und 13,252
(1883); im Jahre 1890 waren es 12,941 Stücke.
Seit dem Bestände dieses Ministeriums war dasselbe stets in der Ofner
Festung untergebracht. Bis zum Jahre 1881 musste es seine Unterkunft in
acht zerstreut liegenden Gebäuden finden, für welche ein Jahreszins von
22,378 A. 65 kr. gezahlt werden musste. Im Jahre 1881 zog das Ministe-
rium in das auf dem Skt. Georgsplatze in der Ofner Festung um den Preis
von 430,000 fl. neuerbaute Ministerpalais ein, dessen Räumlichkeiten sich
aber schon nach wenigen Jahren als unzureichend erwiesen, weshalb ein
Teil des Ministeriums abermals in einem Miethause untergebracht werden
musste. Um diesem Uebelstande abzuhelfen, wurde das Palais durch Zubau-
ten entsprechend vergrössert und seit 1890 ist das Ministerium wieder in
einem Gebäude vereinigt. Dieser Neubau kostete einschliessUch des Grund-
ankaufes 218,000 fl., so dass das Palais des kön. ung. Landesverteidigungs-
Ministeriums, in welchem auch der Minister und der Staatssecretär ihre
Wohnungen haben, im Ganzen auf 648,000 fl. zu stehen kam.
Das Jahreshudget des Honved-Ministers hatte in der Zeit von 1877 bis
1890, da die ungar. Landwehr nach allen Richtungen hin einen raschen
Aufschwung nahm, mit vielen Schwierigkeiten und Hindernissen zu käm-
pfen, namentlich musste auf die jeweiligen Zustände der Staatsfinanzen
Rücksicht genommen werden. Bei der hierdurch ernstlich gebotenen stren-
gen Sparsamkeit, der pflichtgemässen Fortentwickelung und Erhaltung der
Kriegstüchtigkeit der Honved-Truppen Rechnung zu tragen, war sicherlich
keine geringe Aufgabe. Trotzdem gelang es, das im Jahre 1877 aufgestellte
•Normal-Budget» mit geringen Schwankungen festzuhalten. Erst seit 1884
bemerkt man eine Zunahme der • ordentlichen Ausgaben», welche die fort-
schreitende Entwickelung und Vermehrung der Wehrkraft und der damit in
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DIE WIRKSAMKEIT DES KONIOL. UNGARISCHEN
Verbindung stehenden Institutionen gebieterisch forderten. Die «ordentii-
chen Ausgaben • waren ;
im J. 1877 ...
1878...
1879 ...
1880...
1881 ...
1882...
1883 ...
1884...
1885 ...
1886...
1S87 ...
1888...
1889 ...
1890...
5.992,025 fl.
6.152,025 f
6.398.015 «
6.398,000 «
6.480,992 •
6.812,900 «
6.940,200 «
7.230,034 «
7.442,618 «
7.908,325 «
8.283.426 t
8.484,547 t
9.814,120 €
10.712,585 «
Dazu kommen ebenfalls bedeutend vermehrte • Pensionen! und
f transitorische Ausgaben». Während im Jahre 1877 die « Pensionen • erst
95,000 fl. beanspruchten, erheischten sie im Jahre 1 890 bereits 479,686 fl. Die
«vorübergehenden Ausgaben» schwankten in der Zeit von 1877 — 1888 zwi-
schen 55,242 (1879 und 1880) und 499,000 fl. (1885); im Jahre 1889 betru-
gen sie jedoch 2.149,869 fl., im Jahre 1890 gar 4.413,760 fl. Die Hauptursache
dieser eminenten Steigerung war die Notwendigkeit der Neubewaffnung der
Honved- Armee. Das finanzielle Gesammt-Erforderniss des Landesverteidi-
gungs-Miaisteriums machte also im Jahre 1890 die Summe von 15.606,051 fl.
aus. Davon entfielen auf die Central-Leitung 285,949 fl.; im Jahre 1877 aber
288,678 fl., somit mehr trotz der seither bedeutenden Vermehrung des Perso-
nalstandes. Auf die «Honved- Institute» kamen im Jahre 1890 insgesammt
448,693 fl. ; auf das «Honved-Obercommando» 64,540 fl.; auf die Districts-
Commanden 254,059 fl. ; auf die Truppen 9.244,490 fl. u. s. w.
Die Einnahmen spielen selbstverständlich bei dem Honved-Ministe-
rium eine sehr untergeordnete Rolle. Weit bedeutender sind die «Nachtrags-
Credite», sowie die «Ausserordentlichen Credite», welche dieses Ministe-
rium auch in der Periode von 1877 — 1890 wiederholt in Anspruch nehmen
musste.
Mit dem zweiten Abschnitte dieses «Berichtes», der von den « fVdir-
gesetzerv handelt, können wir uns kürzer fassen, nicht als ob dessen Inhalt
ein unwichtiger wäre, sondern darum, weil diese Gesetze grösstenteils allge-
mein bekannt sind.
Den wichtigen Wendepunkt von durchgreifenden weittragenden Folgen
bezeichnet zunächst der Gesetzartikel XV. vom Jahre 1868, welcher die
Einführung der allgemeinen Wehrpflicht auch in Ungarn gesetzlich einführt.
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LANDESVERTEIDIGUNGS-MINISTERIUMS VON 1877—1890. ^^
Die Durchführung und Anwendung dieses Gesetzes, wodurch eine vollstän-
dige Umgestaltung der Basis und des Charakters der Wehrkraft in Oester»
reich-Ungam überhaupt und in Ungarn insbesondere erzielt werden sollte,
bildet seitdem eine der wichtigsten Aufgaben des kön. ung. Landesverteidi-
gungs-Ministeriums. Die zahlreichen Anordnungen und Verfügungen konnten
leider nicht stets mit jener Schnelligkeit und Ausdehnung verwirklicht wer-
den, wie solches die politische Lage und das Beispiel der anderen Gross-
mächte jedesmal gefordert hatten. Man musste Schritt für Schritt vorwärts-
schreiten, um die errungenen Vorteile zu behaupten und zu vermehren,
ohne die volkswirtschaftlichen und finanziellen Interessen des Staates zu
schädigen oder gar zu gefährden.
Eine bedeutsame Fortbildung in der Entwickelung der Wehrkraft
kennzeichnet der Gesetzartikel XX, vom Jahre 1886 über den c Landsturm».
Eine zwanzigjährige Erfahrung hatte femer belehrt, dass die Grundzüge in
der österr.-ungar. Heeresverfassung, sowie in der ung. Honved-Armee rich-
tig seien ; nichtsdestoweniger ergab sich die Notwendigkeit, im Einzelnen
manche Beform und Abänderung in den gesetzlichen Bestimmungen vorzu-
nehmen. Dies führte zur Bevision des allgemeinen Wehrgesetzes durch den
Gesetzartikel VI, vom Jahre 1889 und des Hon ved- Gesetzes durch Gesetz-
Artikel V, vom Jahre 1890, nachdem schon früher durch Gesetzes-Novellen
(G.-A. XXXV: 1878, G.-A. LI:1879 und G.-A. I und 0:1882) einzelne
Bestimmungen über die Sicherung und Aufteilung des Heerescontingentes,
modificirt worden waren. Im Jahre 1879 war der Eriegsfuss des gemeinsamen
Heeres abermals auf 800,000 Mann festgestellt worden, wovon für Ungarn
342,988 Mann gerechnet wurden. Nach der am 31. December 1880 erfolgten
Volkszählung wurde diese Aufteilung einer Bevision unterzogen und dar-
nach das ung. Heerescontingent auf 331,414 Mann herabgesetzt; die jähr-
liche Bekrutenstellung mit 39,552 Mann bestimmt (G.-A. I und E: 1882).
Wesentliche Abänderungen im Wehrgesetze trifft die Novelle G.-A.
XXXIX, vom Jahre 1882. Diese betreffen die militärische Ausbildung der
Ersatzreserve, die Festsetzung der ordentlichen Dienstzeit bei der Kriegs-
marine auf vier Jahre, die ausnahmsweise und bedingte Heranziehung der
vierten Altersclasse für das gemeinsame Heer und die Honv6d, die Eüafüh-
rung der Einjahrig-Freiwilligen-Institution bei der Landwehr, verschiedene
Vergünstigungen für einzelne Militärpflichtige, z. B. für Kliniker und Theo-
logen, für Lehramtszöglinge. Wichtig ist auch G.-A. XVIH: 1888, welcher
die Bedingungen angibt, unter denen die Beserve und zwar blos der jüngste
Jahrgang, in Friedenszeiten in Anspruch genommen werden könne.
Die bedeutsamsten Abänderungen, welche der vielumstrittene G.-A.
VI: 1889 über die Bevision des allgemeinen Wehrgesetzes in der österr.-
ungar. Heeresverfassung hervorgerufen hat, bestehen in folgenden sieben
Punkten:
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^>'^^ DIE WIRKSAMKEIT DES KÖNIOL. UNGARISCHEN
1. Der Anfang der Militärpäichtigkeit wird vom 20. auf das 21. Lebens-
jahr verlegt.
2. Der Kriegsfuss der Armee und der Kriegsmarine wird im Gesetze
ziffermässig nicht mehr bestimmt; das jährliche Bekrutencontingent jedoch
auch fernerhin nach der bisherigen Zahl von 800,000 Mann Kriegsfuss
berechnet. Damach beträgt der Jahresanteil Ungarns für das gemeinsame
Heer 42,711 Mann; für die ung. Landwehr 12,500 Mann.
3 Die Ersatz-Beserve erleidet wesentUche Umgestaltungen und zwar :
a ) der Präsenzstand der Ersatzreserve wird ziffermässig nicht beschränkt
und deshalb kommen nach Deckung des Erfordernisses für das gemeinsame
Heer und für die Honved das Plus sowie die bei der Rekrutirung als «min-
der tauglich» Befundenen und alle Jene, die in Friedenszeiten vom activen
Dienst befreit waren, in die Ersatz-Beserve. b) Die Ersatzreserve wird zwi-
schen Heer und Landwehr verhältnissmässig verteilt, c) Die bisherige acht-
wöchentliche Ausbildungszeit erwies sich als durchaus ungenügend, weshalb
die Ersatz-Beserve zu ihrer weiteren Ausbildung auch zu periodischen Waf-
feuübungen einberufen werden kann.
4. Die Bekrutirung wurde mit dem Territorialsystem in ein engeres
Verhältniss gebracht, um das zu stellende Contingent mehr zu sichern.
5. Die Einjahrig-Freiwilligen-Institution wurde einer wesentlichen
Modification unterzogen, namentlich in drei Bichtungen : a) der Freiwillige
muss während seines Präsenzjahres seine volle Zeit der miUtärischen Aus-
bildung zuwenden und darf deshalb nicht auch gleichzeitig seine Civil-Studien
fortsetzen wollen; b) nach Ablauf des Freiwilligen-Jahres ist der FreiwiUige
zur Ablegung der Beserve-Offiziers Prüfung verpflichtet ; cj bei ungünstigem
Erfolge dieser Prüfung hat der Freiwillige noch ein Jahr zu dienen.
6. Bei der Kriegsmarine wird die Militärpflicht ausser den 4 Jahren
activer Dienstzeit und 5 Jahren Beserve noch für Kriegszeiten durch 3 Jahre
Seewehrverpflichtung ergänzt.
7. Die gesetzlichen Vorschriften über die gegen das Wehrgesetz began-
genen Vergehen und Uebertretungeu und deren Bestrafung wurden auf Grund
der Erfahrung einer neuen Begelung, resp. Ergänzung und Abänderung
unterzogen.
Der hier besprochene «Bericht» unterzieht nun jede einzelne dieser
Modificationen des Wehrgesetzes einer eingehenderen Erörterung und sach-
gemässen Begründung, auf welche wir hier leider verzichten müssen ; denn
der Herr Verfasser des «Berichtes» bringt in diesem Teile seines Werkes
eine Fülle sehr interessanter, ethnographischer und statistischer Daten.
Ein besonderes Gapitel ist der Einjahrig-Freiwilligen-Institution ge-
widmet, welche bekanntlich in Oesterreich-Ungam erst durch das Wehr-
gesetz von 1 868 geschaffen wurde. Diese Institution hat sich nun auch vom
militärischen Gesichtspunkte aus (nach dem Verfasser) als «nützlich und
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LANDESVERTErDIGUNGS-MINIS'n:RIUMS VON 1877—1890. '"^^^
lebensfähig» erwiesen, insofern die aus den Reihen der Einjährig-Freiwil-
ligen hervorgegangenen Reserve-Offiziere sehr verwendbare Elemente des
Offiziers-Corps bilden. Bei der Neuheit dieser Institution war es anfänglich
das Bestreben der Militärverwaltung, die Erwerbung des Rechtes auf diesen
Einjährig-Freiwilligen- Dienst zu erleichtern und diese Institution auch bei
der Landwehr einzuführen. Die Constituirung des « Landsturmes • hat ge-
zeigt, dass im Falle eines Krieges der Bedarf an Offizieren so groas ist, dass
eine Deckung nur auf die Weise möghch erscheint, wenn je mehr Reserve-
Offiziere aus den Reihen der Einjährig-Freiwilligen hervorgehen. Zwar
hat die Zahl derjenigen, welche die Reserve-Offiziers-Prüfung ablegten, mit
jedem Jahre zugenommen, allein dies geschah dennoch nicht in dem Aus-
maasse, wie es zur Deckung des gesteigerten Bedarfes notwendig war. Des-
halb musste auf einen Modus gesonnen werden, einerseits die Ablegung
dieser Prüfung leichter zu ermöglichen, andererseits aber sie für die Betref-
fenden obligatorisch zu machen. Dies geschah nun durch die im neuen
Wehrgesetze vom Jahre 1889 ausgesprochenen Reformen der Einjahrig-
Freiwilligen-Institution, welche wir schon weiter oben in ihren wesentlich-
sten Bestimmungen angeführt haben.
Die Vergünstigungen des Einjahrig-Freiwilligen-Dienstes gemessen in
Oesterreich-Ungarn ausser den mit Maturitätszeugniss versehenen Abturien-
ten der Gymnasien und Realschulen noch die absolvirten Zöglinge zahlreicher
Lehranstalten des In- und Auslandes, welche von der Militär- Verwaltung
im Einvernehmen mit dem Unterrichtsministerium einzeln festgesetzt wor-
den sind. Diese Freiwilligen-Institution ist auch bei der Kriegsmarine und
seit 1882 bei den Honveds gesetzlich eingeführt.
Ebenfalls vom social-poUtischen wie militärischen Gesichtspunkte aus
besonders interessant und lehrreich sind die in diesem «Berichte» enthal-
tenen authentischen Mitteilungen und ziffermässigen Ausweise über die
Eekrutenstellung, über die Militärflüchtlinge, über die Selbstverstümmelung,
über die im Auslande lebenden Militärpflichtigen, über die einzelnen Per-
sonen, Berufen, Classen der Bevölkerung gewährten Erleichterungen und
Nachsichten in der Erfüllung ihrer Wehrpflicht u. s. w. Für Ungarn sind in
allen diesen Beziehungen von Wichtigkeit : die andauernd bedeutende Aus-
vranderung nach Amerika und die Flucht nach Rumänien oder auch nur der
vorübergehende Aufenthalt daselbst. Ersteres findet hauptsächlich in Ober-
iind Westungarn, Letzteres im östlichen und südlichen Siebenbürgen, hier
namentlich bei Rumänen und Szeklern statt. Die Grenzstriche in diesen
Landesteilen weisen Jahr für Jahr grosse Lücken in der Präsenz der Wehr-
pflichtigen auf. Selbst die schärfsten Strafmassregeln konnten bis jetzt das
üebel nicht einschränken.
Sehr eingehend bespricht der «Bericht» im weiteren Verlaufe die Art
und Weise der Evidenzhaltung der dauernd Beurlaubten, der Ersatzreser-
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^^ DIE WIRKSAMKEIT DES KÖNIOL. UNOARISCHEN
visten und der Marine-Soldaten ; sowie auch den Modus der Einbemfnng
zu den Waffen-Uebungen und der Befreiung von denselben.
Die Schilderung der Heeres-Organisation beginnt mit dem Gapitel XIII
des zweiten Abschnittes, nämlich mit der Darstellung der Territorial-Ein-
teilung der Wehrkraft. Für diese war die Ende 1882 getroffene a. h. Ver-
fügung von besonderer Wichtigkeit, dass an die Stelle der bisherigen Militär-
Gommanden das System der territorialen Corps-Gommanden eingeführt wurde.
Gegenwärtig zerfällt die ganze Monarchie in 15 Militär-Districte, und
zwar in 14 Corps- und in ein Militär-Commando, von denen 6 (das 4., 5.,
6., 7., 12. und 13.) Corps-Commando auf Ungarn und seine Nebenländer
entfallen; und zwar die CorpsCommanden zu Budapest mit 9 Heeres-
Ergänzungsbezirken ; zu Pressburg mit 7 Ergänzungsbezirken ; zu Easchau
mit 8 Ergänzungsbezirken; zu Temesvär mit 9 Ergänzungsbezirken; zu
Hermannstadt mit 8 Ergänzungsbezirken und zu Agram mit 6 Ei^nzungs-
bezirken. Sowohl diese neuere Organisation des Heeres sowie die Errichtung
von 22 neuen Infanterie-Regimentern (81 — 102) hatten selbstverständlich auch
eine Neu-Einteilung der einzelnen Heeres-Ergänzungs- und der Bekrutenstel-
lungsbezirke zur Folge. Letztere fallen in der Regel mit den Stuhlbezirken,
dann mit den Munieipalstädten und den Städten mit geregeltem Magistrate
zusammen.
Ausserdem bestehen 26 gemischte Super- Arbitrirungscommissionen zu
Budapest, Fünfkirchen, Stuhlweissenburg, Komom, Pressburg, Oedenburg,
Neusohl, Erlau, Easchau, Szatmär, Arad, Debrezin, Weisskirchen, Gross-
wardein, Szegedin, Temesvär, Elausenburg, Earlsburg, Hermannstadt, Eron-
Stadt, Agram, Earlstadt, Fiume, Essek, Peterwardein und Ofctoschatz.
Im dritten Teile oder Abschnitte befasst sich unsere Vorlage mit den
am dem Wehrgesetze fliessenden gesetzlichen F^/%wn^<^, und zwar zunächst
mit dem Militär-Befreiungsfonde. Die Wehrgesetze aus den Jahren 1868 und
1889 sprechen allerdings die allgemeine Wehrpflicht aus, allein in der Wirk-
lichkeit mussten von dieser allgemeinen Pflicht denn doch begründete Aus-
nahmen gemacht werden. Das Wehrgesetz vom Jahre 1868 hat indessen
schon dafür vorgesehen, dass diejenigen, welche aus irgend einem gesetz-
lichen Grunde zur thatsächlichen Erfüllung ihrer Wehrpflicht nicht heran-
gezogen werden können, ihren Anteil an der Blutsteuer auf andere Art ab-
zutragen gehalten sind.
Es heisst nämlich im §. 56 des G.-A. XL : 1868, dass «solche Wehr-
pflichtige, die aus irgend einem Mangel zum Dienste in der Linie oder in
der Landwehr nicht eingereiht werden können, sowie Jene, die aus Familien-
rücksichten zeitlich befreit sind und die Ersatzreservisten, die zum activen
Dienste nicht einberufen werden, verpflichtet sind, nach ihrem Vermögen
oder nach ihrer Erwerbsfähigkeit eine Militärtaxe zu Gunsten des Invaliden-
fondes zu entrichten.»
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LANDESVERTEIDIGUNGß-MINISTERIUMS VON 1877—1890. ^^
Das Gesetz über diese Militäxtaxen wurde erst im Jahre 1880 geschaf-
fen. Die Zeit der Verpflichtung zur Zählung dieser Taxen wurde den zwölf
Militärdienstjahren gleichgestellt und die Scala von 3 bis 120 fl. festgesetzt.
Die einfliessenden Taxen sind in einem besonderen Fonds zu sammeln und
es sind die Erträgnisse desselben für die Invaliden, dann auch für die Wit-
wen und Waisen der vor dem Feinde gefallenen oder in Folge ihrer Ver-
wundung oder der Eriegsstrapazen verstorbenen Soldaten der Linie und der
Landwehr zu verwenden. Gemäss dem Nachtragsgesetze vom Jahre 1887
(Gesetz- Artikel XX) wurden die Unterstützungen aus diesem Fonds auch
auf die Witwen und Waisen der im Frieden verstorbenen Offiziere und
Mannschaft ausgedehnt. Die jährliche Vermehrungsquote beträgt seit 188S
je 828,535 fl. Der Gesammtbestand des Fondes hatte zu Ende des Jahres 1890
eine Höhe an Gapitahen von 8.314,285 fl. und an Zinsen von 2.265,510 fl.,
also zusammen von 10.579,795 fl. Verausgabt wurden an die hiezu Berech-
tigten seit dem Jahre 1882 bis Ende 1890, also innerhalb neun Jahren die
Summe von 2.078,648 fl. 39 kr. Das macht durchschnittlich im Jahre
230,960 fl. 93 kr.
Gesetzartikel XI: 1882 spricht aus, dass im Falle der Mobilisirung
die Familienmitglieder der Einberufenen in der Zeit des Femseins dieser,
und zwar die Gattin, die Kinder, Enkeln, Eltern und Grosseltern, die
Schwiegereltern und Geschwister auf Unterstützung aus der Staatscassa
Anspruch haben, doch nur in dem Umfange, als ihre Erhaltung gänzlich
oder teilweise aus dem Erwerbe der Einberufenen gedeckt wurde. Die Höhe
der Unterstützung per Kopf wird nach der am betreffenden Orte festgestell-
ten Militär- Menage-Gebühr bemessen.
Die letzte, partielle Mobilisirung erfolgte im J. 1882 aus Anlass der
Wirren in Bosnien-Herzogowina. In Folge dessen mussten in Ungarn und
dessen Nebenländem 6645 Eeservisten-Familien (6112 in Ungarn, 533 in
Kroatien- Slavonien) unterstützt werden. Die Unterstützungs-Summen betru-
gen bis Ende 1885 in Ungarn 254,389 fl. 09 Vs kr., in Kroatien-Slavonien
70,394 fl. 67 kr., zusammen 324,783 fl. 76V2 kr.
Zur Deckung des Bedürfnisses an Pferde-Material im Falle einer
Mobilisirung wurde im Jahre 1873 ein Gesetzartikel (XX) gebracht und das
Honvöd- Ministerium war seither bemüht, durch genaue Instructionen und
eine strenge Ueberwachung hinsichtlich der Durchführung in jedem Jahre
die Conscription und Glassificirung der kriegsdiensttauglichen Pferde* sicher
zu stellen.
Die Militärbequartierung bildete von jeher eines der schwierigsten
C3apitel in der Militärverwaltung und war zugleich der Gegenstand fort-
währender Klagen und Beschwerden von Seiten des allerdings oft sehr in
Mitleidenschaft gezogenen bürgerlichen Publikums. Diese Belastung war
um so schwerer erträglieh, als sie in der Begel nur einzelne Landstriche
UncMisebe BeTne, XI. 1891. VI-VH. Heft. 37^
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DIE WIRKSAMKEIT DES KONIOL. UNOARISOHEN
traf, während andere, zur Militärbequartierong weniger oder gar nicht geeig-
nete Gegenden von dieser Last befreit waren. Schon die ältere Gesetzgebung
Ungarns hatte sich mit der Ausgleichung und Beseitigung dieser Ungleich-
heiten beschäftigt; allein erst das Militärbequartierungsgesetz vom J. 1879
(G. A. XXXVI: 1879) regelte diese Verhältnisse in befiriedigender Weise.
Darin wird die Erbauimg von Gasemen den Municipien zwar nicht
principiell anbefohlen, allein es sind den Erbauern von Gasemen solche
Vorteile geboten, dass man hoffen konnte, der gewünschte Erfolg werde
auch ohne die gesetzliche Verpflichtung im Interesse der Municipien selbst
je eher erreicht werden. Das Honvedministerium gab auf Gnmd dieses
Gesetzes «W^weiser» zur Erbauung von Gasemen und Müitärspitalem
heraus, und es entwickelten die einzelnen Gomitate und Städte einen löb-
lichen Eifer, um durch den Bau solcher Militär- Quartiere einerseits den
Interessen des Heeres und der Landwehr zu dienen, andererseits die Bevöl-
kerung von einer oft sehr beschwerlichen Last zu befreien.
Schon im J. 1880 erfolgten für 28 Infanterie-Bataillone, 34 Gavallerie-
Eskadronen, 13 Artillerie-Batterien, 4 Train-Gompagnien, 1 Trainstation
und zwei Divisions- Spitäler Bau- Anbote. Ebenso dauerte dieser Eifer in den
folgenden Jahren an und es wurden in dem Decennium von 1880 — 1890 für
das k. u. k. gemeinsame Heer erbaut:
1. z
±
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
18.
19.
20.
Budapest die Franz Josefs-Cavallerie-Caseme ...
Eaposvfir eine Infanterie -Caseme
Kecskem^t eine Cavallerie- •
Zombor die Franz Josefs-Infanterie-Caseme
Trencsin eine InfanterieCaserae
Oedenburg eine Cavallerie-Caseme
Steinamanger eine « « ..
Easchau eine Infanterie- u. Cavallerie-Caseme ..
Eperies eine Infanterie-Caseme
Leutschau die Rndolfs-Infanterie- Caseme
Miskoloz eine Cavallerie-Caseme _ ...
c • Infanterie- •
« ein Divisionsspital _
Losohontz eine Infanterie-Caseme
Ungv4r die Franz Josefs-InfanterieCaseme
Szegedin eine Infanterie-Caseme
• ein Offiziers-Pavillon
Bistritz eine Infanterie-Caseme
Agram • t •
BelovÄr • • •
Zusammen der Kostenbetrag
1.651,174 fl. 61 kr
535,000
701,073
304,873
340,012
651,122
1.347.408
86,500
150,814
301.220
452,513
498,027
45,863
197,674
200,000
586,730
28,998
263,982
794,520
60,000
88
05
46
24
34
06
27
92
26
U
45
06
98
9.157,509 fl. 02 kr.
Wie diese Ziffern lehren, sind es also stattliche Summen, welche
Gomitate und Städte für den Gasemenbau zu Gunsten der k. u. k. gemein
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LANDESVERTEIDIGÜNGS-MINISTERIUMS VON 1877—1890.
587
«amen Anneeinnerhalbzehn Jahren au^ewendethaben. Im J. 1890 wurdeauch
im Einvernehmen mit den beiderseitigen Landes- Verteidigungs-Ministerien
vom k. u. k. gemeinsamen Kriegsministerium für die Zeit vom I.Jänner
1891 bis 31. Dezember 1895 ein neues Quartier- und Mietstatut festgestellt.
Mit der Errichtung der kön. ung. Landwehr und mit der Wieder-
Verrichtung der militärischen Ludovica- Akademie in Budapest wurden auch
<lie Ludovica-Fonde, welche bisher zur Erziehung ungar. Jünglinge in
<len militärischen Erziehongs- und Bildungsanstalten gedient hatten, ihrer
ursprünglichen Bestimmung zurückgegeben. Dadurch entstanden jedoch
-empfindliche Lücken in den Beihen des k. u. k. Officiers-Gorps in der Rich-
tung, dass die Zahl der aus Ungarn stammenden Offiziere beträchtlich
abnahm. Diese Lücken wurden noch vergrössert durch die auffällige Scheu
vieler Eltern, ihre Söhne der militärischen Laufbahn zu widmen. Ebenso
zeigte sich seitens der Municipien eine völhge Gleichgiltigkeit in Bezug auf
<lie Vermehrung des ungarischen Gontingents im Schosse des k. u. k.
Offiziers-Corps.
Diese Erscheinungen bewogen das k. u. Landesverteidigungs-Mini-
sterium zur Einreichung des G. A. XXV. v. J. 1882, womit 120 Militär-
«tiftungsplätze für ungarländische Jünglinge auf Landeskosten errichtet
wurden. Interessant ist es nun, dass trotz der gebotenen Vorteile häufig die
vorhandenen erledigten Stiftungsplätze nicht alle besetzt werden können; erst
in neuester Zeit schwindet dieser bedauerliche Umstand mehr und mehr. Im
Schuljahre 1889/90 befanden sich in den verschiedenen Militär-Erziehungs-
.und Bildungsanstalten 128 ungarische Stiftungsplätze besetzt und zwar:
FreiplftUe Halbfreiplitze
in den Militär-Unterrealscholen ...
• der « Oberrealschule
• t Wiener-Neustädter Akademie
t « Wiener Genie-Akademie
« • Fiumaner Marie- Akademie
Zusammen... 111 17
Zu Anfang des Schuljahres 1890/1 befanden sich in den gemeinsamen
Militär-Erziehungs- und Bildungs -Anstalten nur 127 ungar. Stiftzöglinge,
-von denen 113 ganz freie, 14 aber halbfreie Plätze besassen; und zwar waren
iu der Militär-Ünterrealschule zu Güns 16 Stiftzöglinge
< c c • Eisenstadt 9
et < • Easohau 28
€ • f • St.-Pölten —
< Militär-Oberrealsohule • M. Weisskirchen 24
f Wiener-Neustädter Akademie 36
• Wiener Genie- • ... 7
€ Fiumaner Marine- c ... — 7
Zusammen — 127 Stiftzöglinge.
37*
25
2
23
5
9
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3
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^^ DIE WIRKSAMKEIT DES KÖNIGL UNGARISCHEN
Die Verwendung der ausgedienten Unteroffiziere wird schon im Wehr-
gesetze vom J. 1868 kurz erwähnt und bestimmt, dass jene Unteroffiziere^
die über die Zeit ihrer gesetzlichen Dienstpflicht im activen Dienste geblie-
ben sind, den Ansprach haben, entweder im öffentlichen Dienste oder bei
den vom Staate subventionirten Eisenbahn-^ Dampfschiffahrts- u. a. Unter-
nehmungen verwendet zu werden. Diese principielle Bestimmung wurde
dann durch den G. A.n. v.J. 1873 des Näheren ausgeführt Damach erhal-
ten jene Unteroffiziere, die 1:2 Jahre und davon mindestens 8 Jahre in der
Eigenschaft als Unteroffiziere activ gedient und in disciplinarischer Hinsicht
sich wohl verhalten haben, den Anspruch auf Verwendungen im Civil-
dienste.
Das Landes- Yerteidigungs-Ministerium griff in seiner Wirkungssphäre
die Durchführung dieses Gesetzes energisch an und von 1873 — 187&
erhielten !248 Unteroffiziere der Honved- Armee und der ung. Gensdarmerie
Atteste; und zwar wurden 108 für den niedem Verwaltungs-, 140 aber für
Ganzlei- Dienste, Amtsdiener- und Aufseherstellen qualificirt. Von diesen
Berechtigten hatten im obigen Zeiträume 96 ehem. Unteroffiziere in den
Ländern der ung. Krone Verwendung im Givildienste erlangt.
Seit dem Jahre 1877 wurde dieser Angelegenheit noch ganz besondere
Aufmerksamkeit gewidmet Es nahm auch die Anzahl der sidi meldenden
Anspruch-Berechtigten beträchtlich zu. Indem Zeitraum von 1877 — 1890
erhielten 1229 gewesene Unteroffiziere ihre Abschieds- Atteste undQualifica-
tionen für Civilbedienstungen. Davon fanden 639 Individuen = o2"0<Vq
innerhalb dieses Zeitraumes thatsächliche Verwendung im Givil^Dienste.
Der vierte Hauptteil dieses «Berichtes» beschäftigt sich aufs Ein-
gehendste mit der königl. ungar, Landwehr (Honv6ds6g) und zwar zunächst
mit der Organisation dieser Landwehr selbst gemäss der hier massgebenden
Gesetzartikeln aus den Jahren 1868, 1871, 1872, 1873, 1877 und 1890. Der
G.-A. V aus dem Jahre 1890 besitzt für die Reorganisation der Honved-
Armee eine ganz besondere Wichtigkeit. Die hauptsächlichsten Neuerungen,
welche dieses Gesetz in der Organisation der ung. Landwehr eingeführt hat,
bestehen in Folgendem :
1. In diesem Gesetzartikel wurde die Bekrutenzahl für die Honved
contingentirt und für die nächsten zehn Jahre das Bekruten-Contingent der
Landwehr auf jährich 12,500 Mann festgesetzt.
2. Das Regiments- System wurde angenommen.
3. Die Zeit des activen Dienstes für die Honved-Bekruten wurde auf
zwei Jahre bestimmt.
4. Die Reserve der Landwehr wurde auf ähnlicher Basis wie bei der
gemeinsamen Armee organisirt, mit dem Unterschied, dass der Landwehr-
mann schon nach zwei activen Dienstjabren in die Reserve übertritt. Ebenso
besitzt die Honv6d ihre besondere Ersatz-Reserve.
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t J
LANDESVERTEIDIGUNGS-MINISTERIUMS VON 1877—1890.
589
5. Die ausnahmsweise Zurückbehaltring der Reservisten und Ersatz-
Beservisten zur aktiven Dienstleistung in Friedenszeiten wurde auch auf die
Landwehr ausgedehnt. Von dieser ausnahmsweisen Einberufung soll jedoch
nur in seltenen Fällen Gebrauch gemacht werden.
Nach dem G.-A. V: 1890 ist die Honved nicht mehr ein blos «ergän-
zender», sondern ein «wesentlicher» Bestandteil der Wehrkraft. Dieses Gesetz
bestimmt auch, dass über den factischen Status der einzelnen Honv6d-Trup-
pen der Minister alljährlich bei Verhandlung des Staatsbudgets dem Reichs-
tage einen Ausweis vorzulegen habe.
Nachdem in der Organisation und Formirung der ungar. Landwehr in
dem Jahre 1886 und 1889 wichtige Veränderungen vorgenommen waren,
fanden dann im Jahre 1890 auf Grund der neuen Wehr- und Landwehr-
Gesetze abermals neue organisatorische Verfügungen statt.
Damach werden die Fuss-Truppenkörper der Honv6d als «Infanterie-
Regimenter» bezeichnet. Der active Dienst der Infanterie sowie deren theo-
retische und practische Ausbildung wurde neu geregelt. Die Regiments- und
Bataillons-Adjutanten sind schon in Friedenszeiten beritten zu machen. Bei
jedem Regiment wurde eine Proviant-Offiziers-Stelle systemisirt und der
Beruf und Wirkungskreis der Honved-Ergänzungs-Commandos geregelt. Des-
gleichen hat man an dem numerischen Bestand wie an der innem Organi-
sation derHonved-Huszären mehrere wichtige Abänderungen vorgenommen.
Wir können auf alle diese vom militärischen Standpunkt höchst bedeutsamen
Umänderungen und Neuformirungen hier nicht weiter eingehen.
Der Matrikularstand der kön. ung. Landwehr in den Jahren 1877 bis
1890 war folgender.
A) Bei der Infanterie :
1877
1878
1879
1880
1881
activ „_
beurlaubt
-- - - —
Offiziere und
Militär-Beamte.
... 1,114
1,257
Mannschaft.
7,438
226,03S
activ
beurlaubt
Zusammen
.._ 2,371
1,209
... 1,350
233,476
7,949
218,968
activ _..
beurlaubt
Zusammen...
2,559
... 1,082
667
7,750
223.974
activ
beurlaubt
Zusammen
Zusammen...
... 1,749
1,075
... 769
231,724
7,519
229.943
activ ...
beurlaubt
1,844
... 1,076
755
237,462
7,010
194,138
Zusammen
.. 1,831"
201,148
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590
DIE WIEKSAMKKIT DES KONIOL. UNOABISCHEN
1882
]883
1884
1885
1886
1887
1888
1889
1890
1877
1878
1879
1880
Offiziere and
Militär- Beamte.
MaimMhkft
aotiv
. -
1,067
7,421
beurlanbt
... 625
182,179
Zusammen..
1,692
1 «9,600
activ ...
... 1,073
7,702
beurlaubt
1.187
184,125
Zusammen
... 2,260
191,827
activ
—
1,074
7,633
beurlaubt
Zusammen..
... 1,647
169,661
2,721
177,294
activ ...
—
... 1,083
7,577
beurlaubt
Zusammen
1,506
159,802
... 2,589 ~
167,379
activ
1,103
8,070
beurlaubt
... 1,410
166,640
Zusammen..
2,513
174.710
activ
... 1,128
7,845
beurlaubt
1,424
174,651
Zusammen
... 2,552.
182,496
activ
— —
1,123
8,448
beurlaubt
—
... 1,388
174,525
Zusammen..
2,511
182,973
activ ._.
—
... 1,238
13,834
beurlaubt
-.-
1,370
182,677
Zusammen
... 2,608
196,511
activ
_ _
1,564
11,279
beurlaubt
Zusammen..
... 2,130
194,711
3,694
205.990
B. Bei der Cavallerie :
activ ...
beurlaubt
activ
beurlaubt
activ ...
beurlaubt
activ
beurlaubt
177
73
1,882
16,596
Zusammen
Znsammen...
Zusammen
Zusammen..
. 250
18,478
180
2,105
85
16,689
265
18,794
179
1.883
90
20,140
. 269
22,023
177
2,214
111
21,801
288
24,015
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LANDESVEBTEIDIGUNGS-MINIBTERIÜMS VON 1877- 1890.
591
activ ...
benrlanbt
Offiziell« und
HUitüBeamt«.
175
105
MUDMhsft
2,430
21,459
activ
beurlaubt
Znsammen ...
280
175
121
23,886
2,503
21.847
activ
benrlanbt
Zueammen...
296
176
137
24,350
2.270
21,627
activ
benrlanbt
Zusammen ...
313
175
200
23,897
2,298
20,485
activ
beurlaubt
activ
beurlaubt
Zusammen...
Zusammen ...
Zusammen...
375
172
185
357
174
218
22,783
2,395
22,425
' 24,820
2,391
23,435
activ
beurlaubt
392
167
238
25,826
2,418
23,545
activ
beurlaubt
Zusammen
405
171
301
25,963
2,758
23,932
activ ...
beurlaubt
Zusammen
472
212
295
26,690
3,525
24,483
activ
beurlaubt
Zusammen ...
507
253
333
28.483
3,642
24,882
Zusammen
586
28,524"'
1881
1882
1883
1884
1885
1886
1887
1888
1889
1890
Für das Jahr 1890 ergibt sieb also ein Gesammt-Status von :
activ 1,817 14,921
beurlaubt 2.463 219^93_
Zusammen ... 4,280 234,514
Wie obiger Ausweis zeigt, hat der Offiziersstatus bei der Honv6d- Armee
bis zum Jahre 1882 eine entschieden abnehmende Richtung genommen; erst
seit dem Inslebentreten des G.-A. XXXIX : 1882, womach die Einjahrig-Frei-
willigen-Institution und die daraus hervorgehenden Reserve- Offiziere auch
bei der Landwehr eingeführt worden sind, wurde dem fühlbaren Offiziers-Man-
gel einige Abhilfe verschafft. Von wesentlicher Bedeutung ist jedoch hierin
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5«2 DIE WIRKSAMKEIT DEB KÖNIGL. UNGARISCHEN
die Bestimmung des G.-A. VI vom Jahre 1889, derzufolge 15 o/o der Ein-
jährig-Freiwilligen der Liandwehr zugewiesen werden. Eäne bedauerUche
Erscheinung in der ung. Landwehr ist der massenhafte Austritt der Reserve-
Offiziere nach Erfüllung ihrer gesetzlichen Wehrpflichten. Die Erleichterun-
gen und Vergünstigungen, welche namentlich auch durch die Einreih ung in
das Verhältniss • ausser Dienst» solchen ßeserve-Offizieren geboten wurden,
konnten diesen Uebelstand nur zum Teil beseitigen.
Seitdem im Jahre 1886 bei der Honved-Infanterie das Halbbrigaden-
system eingeführt, beziehungsweise die Honved-Bataillone in 28 Halbbriga-
den zusammengestellt wurden, machte sich das Bedürfniss nach Erhöhung
des activen Offizierstandes dringlich geltend. In derselben Richtung wirkten
noch andere organisatorische Umgestaltungen und Neuformirungen, so dass
man seit 1889 auf die möglichste Vermehrung, resp. Ergänzung des Offi-
ziersstatus bedacht sein musste. Zur Deckung dieses Bedürfnisses wurde ein
Teil der mangelnden Offiziere durch Versetzung aus dem Stande der gemein-
samen Armee ersetzt. Allein diese zweckdienliche und erwünschte Massregel
führte nur teilweise zum Ziel : die weitere Abhilfe erwartet man von der
ausbildenden Thätigkeit der militärischen Ludovika- Akademie, welche für die
Erziehung der Honved-Offiziere bestimmt ist.
Der Status der activen und des Reserve-Offiziersstatus der ung. Land-
wehr betrug im Jahre :
a j im Activ-Stande :
1877
1890
Infanterie
837
1196
Cavallerie ...
147
230
Zusammen ...
984
1426"
in der Reserve :
Infanterie „.
427
1264
Cavallerie
230
332
Zusammen...
657
1596
Die Zunahme ist somit eine sehr namhafte.
Der MiUtärseelsorge-Clerus wurde durch den G.-A. VI: 1889 in den
Stand der Ersatz-Reserve versetzt; die Cleriker und Prediger- Am tscandida-
ten aber kommen nach ihrer Weihe, resp. Anstellung als Seelsorger oder
Hilfsseelsorger in die Evidenzhaltung der Ersatz-Reserve. In diesen letzteren
Status gelangen auch jene ernannten Militärseelsorger der Landwehr, welche
ihre letztere Eigenschaft nicht beibehalten wollen.
Für die Ausbildung der Honveds haben Gesetze und Verordnungen
eingehende Verfügungen getroffen, von welchen wir hier nur die haupt-
sächlichsten andeuten können.
Die vom 1. Jänner bis 1. October jeden Jahres abgestellten Rekruten
werden zu ihrer ersten militärischen Ausbildung im Monate October (die
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LANDESVERTEIDIGUNG8-MINI8TERIÜM8 VON 1877—1890. 593
Infanterie am 6., die Gavallerie am 1. d. M.) einberufen. Eine Ausnahme hie-
von bilden nur die Lehrer, Lehramtscandidaten und die Professoren, die ihre
erste Ausbildung in den Schulferien erhalten sowie die Anwohner der Meeres-
küste, die teils vom 1. Jänner bis 25. Februar, teils vom 1. November bis
zum 26. December, teils in den Monaten Mai und Juni einberufen werden.
Die erste militärische Ausbildung erhielten in der Zeit von 1877 — 1889 bei
der Infanterie 134,288, bei der Gavallerie 19,520 zusammen 153,808 Mann.
Die erste Ausbildung erfolgt zugsweise. Seit dem Jahre 1882 wurden
die Lehrbataillone errichtet, in denen die Mannschaft ihre weitere Ausbildung
empfängt. Die Lehrbataillone werden jährlich vom 6. April bis zum 14. Juni,
also 70 Tage abgehalten und bestehen grundsätzUch mindestens aus 600
Mann. In diesen Lehrbataillonen haben von 1882 — 1890 insgesammt
78,312 Honved die weitere militärische Ausbildung gewonnen.
Eine besondere Aufmerksamkeit widmet das königlich ungarische
Landesverteidigungsministerium der Heranbildung tüchtiger Unteroffiziere.
Zu diesem Zwecke werden jährlich vom 1. December bis zum 4. April des
künftigen Jahres bei jedem Bataillone unter der Leitung eines Hauptmannes
Unteroffiziers-Lehrkurse eingerichtet. Den Unterricht erteilen die Offiziere
(und Offiziers-Stellvertreter) des Bataillons. Von hier aus gelangen die Teü-
nehmer an diesen Lehrkursen entweder zur weiteren Ausbildung als Unter-
offiziere in die Schulbataillons oder aber sie werden als untauglich in die
Beihe der Mannschaft zurückversetzt. Von 1877/78 — 1889/90 wurden in
diesen Lehrkursen 23,996 Infanterie- Unteroffiziere ausgebildet.
Für die Huszären dauert der Unteroffizierskurs vom 1. Dezember bis
Ende April des k. Jahres und die Zahl der ausgebildeten Unteroffiziere von
1877—1890 beträgt hier 2545 Mann.
Für die besonderen Dienstleistungen bei der Landwehr bestehen seit
1886 bei den Halbbrigaden vom 1. December bis zum 15. Juni k. Jahres Lehr-
kurse: a) für Trommler (Tambours) und Hornisten (von 1877 — 1890 wurden
ausgebildet 2558 Trommler und 2538 Hornisten) ; 6 y für Sanitätsdienste
vom 1. October bis 15. November jeden Jahres; ausgebildet wurden für diese
Zwecke von 1877 — 1888 insgesammt 2370 Mann ; cj für den Pionnier-Dienst
bei der Infanterie vom 15. April bis 15. Juni jeden Jahres ; ausgebildet wurden
von 1878 — 1890 zusammen 4127 Infanterie-Konniere; cj für den Konnier-
dienst bei der Gavallerie vom 1. Mai bis Ende Juni bei den Brigaden in
Kaschau und Fünfkirchen; ausgebildet wurden von 1884 — 1889 zusammen
238 Mann ; d) der Gentral-Lehrkurs für den Fionnierdienst bei der Gavallerie
dient zur Ergänzung der Pionnier- Abteilungen beiden Honved-Huszären und
nimmt jedes Jahr am 1. Mai seinen Anfang und dauert 3 — 8 Wochen. Aus-
gebildet wurden von 1878—1889 in diesem Kurse 103 Unteroffiziere und
432 Mann. Seit dem Jahre 1890 wurde dieser Lehrkurs aufgelassen; e) die
Lehrkurse für rechnungsführende Unteroffiziere dauern jährlich vom 1.
üngarisohe Berae, XI. 1891. VI— vn Heft. 38
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5^4 DIE WIRKSAMKEIT DES KÖNIGL. UNGARISCHEN
Jänner bis 15. Juni^ also 5^/2 Monate und es werden darin die Rechnungs-
führer für Fassvolk und Beiterei unter Berücksichtigung ihrer besonderen
Aufgaben gemeinsam unterrichtet. Den Unterricht erteilt ein Verwaltungs-
oMzier, dem ein tauglicher Stabs-Feldwebel oder Wachtmeister als Hilfs-
kraft zugeteilt ist. Von 1877—1890 wurden 2067 Honveds zu Rechnungs-
führern ausgebildet, f) Der Lehrkurs für Büchsenmacher dauert seit dem
Jahre 1888 vom 1. December bis zum 15. Juni k, J., also 6V4 Monate und
es wurden von 1877 bis 1889 in diesem Lehrkarse 252 Büchsenmacher aus-
gebildet ; g) der Lehrkurs für die Feldlager- Polizei wird nicht in jedem Jahre
abgehalten; von 1877—1889 wurden 202 Infanteristen und 102 Huszären
für diesen Dienst ausgebildet. In Zukunft wird statt dessen ein Lehrkurs für
die Feld-G^nsdarmerie aufgestellt werden.
Zur Ausbildung d'Cr Honved- Offiziere dient in erster Linie die militä-
rische Ludovica- Akademie in Budapest ; dann die Central -Ca vallerie- oder
Equitationsschule und jene höheren Lehranstalten des gemeinsamen Heeres,
in denen das Of&sierscorps der königlichen ungarischen Landwehr seine
höhere und specielle Ausbildung erlangt.
Die Central-Equitationsschule verdankt ihre Entstehung der aus den
Feldzügen in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts geschöpften Erfah-
rung, dass eine wohl ausgebildete und gut bewaffnete Reiterei im Kriege
höchst wichtige Aufgaben zu erfüllen hat. Aber nicht nur auf dem Kriegs-
schauplätze besitzt diese Waffengattung grosse Wichtigkeit, sondern nament-
lich auch im Eclaireur- und Kundschaftsdienste, wodurch ihre Bedeutung eine
vielseitigere und unentbehrUche geworden ist. . Darum hat die Cavallerie
nebst ihrer Kampftüchtigkeit zu Pferde zugleich eine leicht anpassende Ge-
wandtheit und Geschicklichkeit zu Fusse sich anzueignen. Daraus folgt die
Berechtigung jener besonderen Aufmerksamkeit und Sorgfalt, welche das
ungarische Landesverteidigungsministerium der theoretischen und practi-
sehen Ausbildung der Cavallerie-Offiziere zuwendet. Die Central-Cavallerie-
Schule wurde im Jahre 1873 dauernd nach Jäszbereny verlegt, wo die Stadt
dem Militär-Aerar für ewige Zeiten eine Kaserne überliess, welche auf
Staatskosten vollständig ausgebaut und eingerichtet wurde.
Diese Central-Equitationsschule umfasst drei Lehrkurse : a) den Vor-
bereitungskurs; fc^ den Offiziers-Lehrkurs und cj den Hufschmiedkurs. Im
Vorbereitungskurse werden dieselben Lehrgegenetände, wie in dem Vorberei-
tungsjahrgange der Ludovica- Akademie, nur mehr abgekürzt, unterrichtet,
ausserdem bildet die Pferdekunde (Hyppologie), das Reiten und Scheiben -
schiessen (mit Carabinern und Revolvern), sowie Fechten und Turnen be-
sonders gepflegte Lehrfächer. Von 1873 — 1883 besuchten dieser Kurs 144
Unteroffiziere und Honveds, von denen 98 mit gutem Erfolge absolvirten.
Der Lehrkurs hatte die Aufgabe, nicht nur die jüngeren Cavallerie-
Offiziere und Offiziers-Stellvertreter im Reiten, in der Pferdedrf'ssur und in
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LANDESVERTEIDIGUNGS-lIrnNIßTERIUMS VON 1877-1890. '»^^
der Behandlung der Pferde gründlich auszubilden^ sondern sie zugleich zu
tüchtigen Instructoren zu erziehen, welche auch im Gommando und in der
Anwendung der ßeiterei umfassendere Kenntnisse sich erwerben. Der Lehr-
kurs dauerte für die Subaltern-Offiziere 1 — 2 Jahre, ausserdem konnten nach
Einsicht des Honved-Obercommando's auch einzelne Bittmeister einberufen
werden. Endlich nahmen Teil jene Infanterie-Offiziere, die auf ihr eigenes
Ansuchen zur Gavallerie transferirt werden sollten. Im Offiziers-Lehrkurs zu
JÄszbcreny waren von 1873 — 1 883 insgesammt 167 Frequentanten, von denen
25 vor Beendigung des Kurses austraten, 137 aber den Kurs mit gutem oder
genügendem Erfolge beendigten.
Der Hufschmied-Lehrkurs hat die Bestimmung, für den Fall der Mobi-
lisirung die erforderliche Anzahl von Hufschmieden für die Huszären heran-
zubilden. Dieser Lehrkurs dauert fünf Monate und es nahmen bis zum Jahre
1889 an demselben je 20, seitdem aber je 30 Frequentanten Teil und da
jährlich zwei solche Lehrcurse abgehalten werden, so wurden bis 1889 in
jedem Jahre 40, seither je 60 Hufschmiede für die Honv6d-Huszären aus-
gebildet.
Ausser der Hufschmied-Lehre in theoretischer und practischer Bezie-
hung erhalten die Frequentanten dieses Lehrkurses noch Unterricht in den
meist vorkommenden Pferde-Krankheiten imd in der ersten Hilfeleistung bei
denselben, sowie in der Abfassung der einfachen amtlichen Berichte und
Eingaben. Die mit befriedigendem Erfolge austretenden Frequentanten be.
kommen ein QuaUfications-Zeugniss und die Geschicktesten von ihren werden
zur weiteren Ausbildung als Gurschmiede in das königlich ungarische Thier-
arznei-Institut nach Budapest entsendet.
Zur höheren militärwissenschaftlichen Ausbildung wurden seit 1873
jährlich vier, seit 1875 aber jährlich fünf Honv^d-Offiziere in die k. u. k»
Kriegsschule nach Wien entsendet. Diese Offiziere mussten vorher den
oberen Lehrkurs an der königlich ungarischen Ludovica-Akademie mit
entsprechendem Erfolge beendigt haben. Der Lehrkurs in der Kriegsschule
dauert zwei Jahre. Die weitere Organisation dieser höchsten militärischen
Lehranstalt in Oesterreich-Ungam ist bekannt. Wir führen nur an, dass die
mit gutem Erfolge absolvirten Honved-Offiziere behufs ihrer practischen
Ausbildung im Generalstabsdienste auf ein Jahr irgend einem k. u. k. Corps-
commando in Ungarn zugeteilt werden.
Ebenso wird in jedem Jahre ein Cavallerie-Offizier der Honved-
Huszären in das Reitlehrer-Institut nach Wien commandirt; desgleichen
besuchen seit 1884 jährhch zwei Honved-Offiziere den Vorbereitungs-Lehr-
kurs des k. u. k. militärisch-geographischen Instituts in Wien, um dann even-
tuell als Professoren für Terrainlehre und Terrain- Aufnahme an der Ludo-
vica-Akademie verwendet zu werden ; auch in den Militär-Fecht- und Turn-
meister-Lehrcurs nach Wiener-Neustadt wird seit 1881 jährlich ein Honved-
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596
DIE WIRKSAMKEIT DES KONIGL. UNGARISCHEN
Offizier entsendet; endlich werden seit 1877 in jedem Jahr einige hierzu
taugliche Offiziere in den k. u. k. Auditoren-Lehrkurs nach Wien geschickt.
Von 1877 — 1890 besuchten diesen Kurs 27 Honved-Offiziere, von den 7 vor
Ablauf des Kurses austraten, 20 aber den Kurs mit befriedigendem Erfolge
beendigten.
Die militärische Ludovica- Akademie zu Budapest (das tLudoviceum»)
ist da« höchste Militärbildungs-Institut in Ungarn. Diese Anstalt hat seit
ihrer Wiedererrichtung verschiedene Phasen der Organisation durchgemacht.
Uns interessiren hier nur die Umgestaltungen und Erweiterungen seit dem
Jahre 1877. In diesem Jahre bestand die Akademie aus drei Lehrcursen :
a) Vorbereitungskurs; 6 j Offiziers-Cadetten- Lehrkurs und cj Offizierskurs.
Allein diese Organisation genügte den berechtigten Ansprächen nicht und der
Landesverteidigungs-Minister entschloss sich auf Grund der gemachten Er-
fahrung zu einer durchgreifenden Beorganisation des Instituts. Dies geschah
im Jahre 1883 und wurde durch G.-A. XXXIV: 1883 von der Gesetz-
gebung angenommen.
Nach diesem Gesetze wurden an der königlich ungarischen Ludovic«-
Akademie folgende drei militärische Lehrkurse organisirt :
a) der Offiziers-Bildungskurs für Offiziere in der Activität;
h) der Offizierskurs für Offiziere im Urlauberstande; und
c) der höhere Offiziers-Lehrkurs.
Der Bildungskurs für Offiziere in der Activität dauert vier Jahre und
es werden in denselben jährlich 60, sich freiwillig meldende solche Jüng-
linge aufgenommen, die in das militärpflichtige Alter noch nicht eingetreten
sind, im Alter von 14 — 16 Jahren stehen und die vier unteren Classen der
Mittelschule absolvirt haben. Von diesen 60 Zöglingen erhalten mindestens 30
volle Verpflegung aus den Erträgnissen der Privatstiftungen der Akademie ;
ausserdem bestehen 20 ganz- oder halbzahlende Plätze und 10 Staats-
stipendien, an denen kroatische Jünglinge angemessen beteiligt sein müssen.
Die mit gutem Erfolge absolvirten Zöglinge treten als Cadetten in die
Honved-Armee ein.
Der Lehrkurs für die Offiziere im Urlauberstande hatte nur einen Jahr-
gang, wurde aber im Jahre 1890 aufgelassen; dagegen bheb der höhere
Offiziers-Lehrkurs auch fernerhin fortbestehend. Die Aufgabe dieses Kurses
ist die wissenschaftliche Fortbildung der ausgezeichneteren Offiziere in den
militärischen Studien.
Mit dem Jahre 1890 erhielt die Ludovica-Akademie auf Grund des
Gesetz- Artikels XXIII : 1890 abermals eine Beorganisation. Dieser zufolge
bestehen an dieser Akademie gegenwärtig nur zwei Lehrkurse, nämlich :
a) der Offiziers-Bildungskurs und h) der höhere Offiziers-Lehrkurs.
Die Zahl der Zöglinge im Offiziers -Bildungskurse wurde von 60 auf
90 erhöht. Die Leitung der Akademie führt ein Commandant, dem ein Stell-
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LANDESVERTEIDIGUNG8- MINISTERIUMS VON 1877- 189i). 597
Vertreter beigegeben ist. Die Professoren werden, insoferne sie Stabsoffiziere
sind, über Vorschlag des Hon ved- Ministers von Sr. Majestät, sonst vom
Landesverteidigiings-Minister ernannt.
Anf weitere Angaben über den Bestand, die innere Organisation und
die Resultate der Akademie müssen wir hier Verzicht leisten. Nur in Kürze
gedenken wir noch des zeitweilig erri<5hteten Stabs-Offiziers- Kurses, der aller-
dings streng genommen nicht in den Bahmen des Ludoviceums gehört. Alle
Hauptleute, welche zu StÄbs-Offizieren avanciren wollen, müssen ihre
Befähigung hiezu durch eine besondere Prüfung nachweisen. Zur Vorberei-
tung auf diese Prüfung wurde an der Ludovica- Akademie von 1873 — 1876
ein dreimonatlicher, seit 1876 ein fünfmonatlicher Lehrkurs eingerichtet, der
aber auch als unzureichend befunden wurde, weshalb man ihn im Jahre 1881
auf zehn Monate (November — August) verlängerte.
Ebenso gehört auch die Ausbildung der Einjährig-Freiwilligen nicht
zur Ludovica- Akademie, gleichwohl wurde sie bis zum Jahre 1889/90 hier
bewerkstelligt. Seitdem aber erhalten diese Freiwilligen ihre militärische
Ausbildung bei den Honved-Districten und der Lehrkurs am Ludoviceum
wurde aufgelassen.
Das Capitel des «Berichtes» über die Waffenühungen der hon. ung,
Landwehr Bohüdert eingeh er d die bestehenden Vorschriften und Einrich-
tungen über diesen Abschluss der miUtärischen Ausbildung der Infanterie
und Gavallerie und gibt dabei zugleich ein Bild der historischen Entwicke-
lung dieser Institutionen. Die Waffen Übungen der ung. Landwehr wurden
teils selbständig, teils in Verbindung mit dem gemeinsamen Heere abgehal-
ten ; aber auch im ersteren Falle werden die Honveds mit der notwendigen
Artillerie von Seiten des gemeinsamen Heeres versehen. Die Waffenühungen
in Gemeinschaft mit dem gemeinsamen Heere haben für den Ernstfall des
Krieges eine besondere Wichtigkeit und dienen auch zur Vervollkonmmung
in der militärischen Ausbildung der Landwehrtruppen.
unsere Vorlage gibt nun über die Waffenübungen der Honveds von
1877 — 1890 eingehende Mitteilungen, auf deren Wiedergabe wir hier ver-
zichten müssen. Der Erfolg bewies jedoch, dass die Opferwilligkeit der unga-
rischen Nation, die unermüdUchen Bemühungen und Fachtüchtigkeit der
Führer, der seltene Eifer des Offizierskorps und die angeborene Kampffähig-
keit der Mannschaft binnen wenigen Jahren die schönsten Früchte gezeitigt
haben. Die wiederholte allerhöchste Anerkennung des obersten Kriegsherrn,
sowie das schmeichelhafte Lob der einheimischen und fremden Sachver-
ständigen, sind wohlverdiente Errungenschaften der kön. ung. Landwehr.
Mit der fortschreitenden Entwickelung der Honv^d-Armee mnsste
auch für die entsprechendere Eegelung der Sanitätsverhältnisse dieser Trup-
pen Vorsorge getroffen werden. Dies geschah durch die Gesetzartikel VH :
1871, IV : 1877 und XVI : 1885. Damach besteht das ärztliche Corps im Activ-
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598
DIE WIRKSAMKEIT DES KONIOL. UNGARISCHEN
Stande der HoDved- Armee aus 131 Personen, und zwar: aus 1 Oberstabs-
Arzt erster und 3 Oberstabsärzten zweiter Glasse, aus 8 Stabsärzten, 60
Regimentsärzten erster und 41 zweiter Glasse und aus 18 Oberärzten. Im
Beservestande sind : 9 Stabsärzte, 72 Begimentsärzte erster und 38 zweiter
Classe und 123 Ober- und Unterärzte, zusammen 242 Personen.
Diese systemisirten Stellen sind freilich nicht stets besetzt; so waren im
Jahre 1890 bei der Infanterie 100, bei der Gavallerie 12, zusammen nur 112
Aerzte ; es fehlten sonach 1 9 Aerzte. Dagegen hatte der Urlauber- oder Reserve-
stand 267 ärztliche Personen, d. i. um 25 mehr als die Zahl der systemisir-
ten Stellen beträgt.
Die Honved-Aerzte in der Activität werden zu ihrer Ausbildung für
die Dauer von drei Monaten in die betreffenden k. und k. Gramisonsspitäler
des k. und k. gemeinsamen Heeres zur Dienstleistung commandirt. Ausser-
dem wurde ein Wiederholungslehrkurs und insbesondere ein « Operations »-
neuestens auch ein «Hygienischer Lehrkurs» für Honv6därzte eingerichtet.
Der Wiederholungslehrkurs hat den Zweck, 1. dass die für den mili-
tärärztlichen Beruf wichtigen medicinischen Lehrsätze im Oedächtnisse der
Honved-Aerzte aufgefrischt und diese mit den Fortschritten der Wissen-
schaft sowie mit dem System und den Vorschriften des Sanitäts-Dienstes
genau bekannt gemacht und 2. dass während des Kurses die hiefür Taug-
lichen für den Operationslehrkurs vorbereitet werden. Der Wiederholungs-
lehrkurs findet jährlich vom 24, Mai bis zum 10. August an der Budapester
Universität statt. Vorgetragen werden : a) Chirurgie und Operationslehre
mit besonderer Bücksicht auf Kriegsvei-wundungen und mit Demonstratio-
nen an Leichen und an lebenden Personen ; b) militärische Gresundheits-
lehre mit praktischen Versuchen ; c j Augenheilkunde, hauptsächlich die
beim Militär vorkommenden Augenkrankheiten und Untersuchungen des
Auges ; d) System und Vorschriften des Sanitätsdienstes im Frieden
und im Kriege. An diesem Kurse haben bisher 69 Honv6d-Aerzte Teil
genommen.
Die Errichtung des Operations-Lehrkurses geschah in der Absicht,
die hiezu tauglichen Honv6d- Aerzte zu Operateuren heranbilden zu lassen.
Dieser Kurs dauert in jedem Jahre vom 1. Oktober bis zum 30. Juni und
wird sowohl an der Budapester als an der Klausenburger Universität abge-
halten. An jeder dieser Hochschulen sind je zwei Operations-Zöglings-Stel-
len für die Hon v6d- Armee systemisirt. Bisher wurden 18 Operateure für
diese Armee herangebildet.
An beiden diesen Universitäten sind auch die Hygienischen Lehr-
kurse für die Honved-Aerzte eingerichtet. Deren Dauer ist zehn Monate oder
ein Studienjahr, nach welcher Zeit die betreffenden Frequentanten das
Diplom als • Professoren der Hygiene» erhalten. Bisher haben 5 Honved-
Aerzte diesen Kurs absolvirt.
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LANDK8VERTEIDIGUNGS-MINI8TERIUM8 VON 1877—1890. •^>99
Seit 1 887 ist auch bei der ung. Landwehr die Einführung und der
Gebrauch der antiseptischen Verbandzeuge zur Pflicht gemacht worden.
Es ist selbstverständlich, dass neben dieser theoretischen Berufs-Bil-
dung der Honvedärzte auch für deren Einübung in den practischen Sani-
tätsdienst ernstlich gesorgt wird. Nicht minder ist die Militärverwaltung
bemüht, das für den prompten und ausreichenden Sanitätsdienst erfor-
derliche Hilfs- und Dienstpersonale in erforderlicher Anzahl und Quali-
tät heranzubilden. Endlich sind auch die nötigen Einrichtungen und
Krankenhäuser für die Honved-Armee hergestellt und der ärztlichen Lei-
tung und Aufsicht übergeben worden.
Diesen Verfügungen und Institutionen ist es zu danken, dass der
Gesundheitszustand der Hon^edtruppen sich von Jahr zu Jahr verbessert
und heute jenes erfreuliche Eesultat aufzuweisen hat, dass die Kriegstüch-
tigkeit der ung. Landwehr auch gegen die gesundheitsschädlichen Einwir-
kungen entsprechend gewahrt ist.
Ein besonders wichtiges und ausgedehntes Feld der Militär- Verwal-
tung bietet die Besorgung der wirtschaftlichen Angelegenheiten der kön. ung.
Landwehr; denn die zweckmässige Sicherung der Verproviantirung, der
Bekleidung und militärischen Ausrüstung ist eine wesentUche Garantie der
Kampftüchtigkeit eines Heeres. Deshalb wurde diesem Zweige der Verwal-
tung eine ganz besondere Sorgfalt zugewendet, um so mehr, als die allge-
mein-europäischen Verhältnisse, die Steigerung der Wehrkraft in allen
Staaten sow^ie die wiederholte und rasche Umgestaltung der Bewaffnung in
dieser Hinsicht grosse Ansprüche stellen. Die Landwehr musste in jeder
Beziehung mit den Fortschritten der k. und k. gemeinsamen Armee glei-
chen Schritt halten.
Die wirtschaftlichen Angelegenheiten besorgt die Intendantur der
Landwehr, diese besteht nach der neuesten Organisation vom Jahre 1890
aus einem General-Intendanten (V. Diätenclasse), aus 3 Ober-Intendanten
erster Classe (VI. Diätenclasse), 8 Ober-Intendanten zweiter Classe (VIL
Diätenclasse), aus 12 Intendanten (VIU. Diätenclasse) und 11 Unter-Inten-
danten (IX. Diätenclasse), zusammen aus 35 Personen.
Der Kriegsstand der Intendantur wird von Fall zu Fall festgesetzt.
Die Verproviantirung der Honveds geschieht teils im Wege abgeschlos-
sener Verträge, teils durch unmittelbaren Hand-Einkauf. Seit dem Jahre
1881 erhält die Mannschaft als warmes Frühstück eine Einbrennsuppe.
Für die Bekleidung, Ausrüstung und Bewafihung der Landwehr bestehen
eingehende Vorschriften. Bei Anschaffung der erforderlichen Gegenstände
und Artikel müssen vor Allem einheimische Producenten, Fabrikanten und
Gewerbsleute berücksichtigt werden. Auf die detaillirtere Darstellung aU
dieser Verhältnisse können wir uns an dieser Stelle nicht einlassen ; nur
das eine Factum heben vrir hervor, dass in der Zeit von 1877 — 1890
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6^^ DIE WIRKSAMKEIT DES KÖNIGL. UNGARISCHEN
das Honved-Ministerium zur Deckung der Erfordernisse der Landwehr
257 Verträge geschlossen hat und unter diesen sind nur 16 Verträge mit
ausserungarischen Unternehmern und zwar für solche Bedürfnisse, deren
Deckung im Inlande nicht gesichert werden konnte.
Indem wir mit Eücksicht auf den uns zur Verfügung stehenden Baum
eine Beihe von Detail-Einrichtungen und Specialverfügungen in der Besor-
gung der wirtschaftlichen Angelegenheiten der Honveds übergehen, verwei-
len wir einen Moment bei dem G.-A. XX: 1887, der von der Versorgung
der Witwen und Waisen verstorbener Landwehnnänner (Offiziere und
Mannschaft) handelt.
Zur Versorgung dieser Witwen und Waisen ist Vorbedingung die
Pensionsfähigkeit des Familienhauptes, welche nach zehnjähriger activer
Dienstzeit eintritt ; eine Ausnahme von dieser Bedingung findet nur im
Kriegsfalle statt. Den Erziehungsbeitrag erhalten die Waisen bis zu ihrer
Grossjährigkeit^ (bei den Offizierssöhnen das fO., bei Offizierstöchtem das
18. Lebensjahr, bei der Mannschaft das 16., resp. das 14. Lebensjahr) doch
nur dann, wenn mindestens zwei unversorgte minderjährige Waisen
vorhanden sind. Bei gänzlich elternlosen Waisen fällt diese Bedingung
weg, ja diese erhalten noch bO^/o über den sonst gesetzlichen Erziehungs-
beitrag.
Das «Honv6dasyl», welches durch Privatsammlungen gestiftet und
erhalten wurde, befindet sich seit 188i2 unter Verwaltung und Aufsicht des
Landesverteidigungs-Ministers. Das «Honvedasyl» dient zur Aufnahme ver-
mögensloser Honved-Invaliden aus den Jahren 1848/49. Sobald derartige
Invaliden nicht mehr am Leben sind, wird das Asyl und dessen Vermögen
als Landesstiftung zu Gunsten der Livaliden der jetzigen kön. ung. Land-
wehr verwendet. Die unmittelbare Aufsicht über das Honvedasyl führt eine
Aufsichtscommission, deren Präses und fünf Mitglieder der Minister ernennt,
die übrigen fünf Mitglieder aber der Central- Ausschuss der HonvÄd- Vereine
wählt. Ln Asyl selbst ist die Leitung einem Commandanten anvertraut, dem
das erforderliche Beamten- und Dienstpersonale zugeteilt ist. Gegenwärtig
beherbergt das Asyl 100 Invaliden {i Stabsoffiziere, 33 Ober- und 38 Unter-
offiziere und 27 Gemeine). Die Invaliden erhalten volle Verpflegung und
ausserdem die Stabsoffiziere monatlich 16, die Ober-Offiziere 10 fl. Zulage;
die Unteroffiziere :20, die Mannschaft 5 kr. Tagessold.
Die territoriale Verteilung oder Gktmisonirung der Honved-Armee
geschieht nach denselben Grundsätzen und Vorschriften wie jene des k. und
k. gemeinsamen Heeres. Die Durchführung dieser gesetzlichen Bestimmun-
gen war jedoch mit besonderen Schwierigkeiten verbunden, da unter Ande-
rem auch die erforderlichen Casernen und anderen Baulichkeiten erst
besorgt, resp. neu hergestellt werden mussten. Mit Anerkennung gedenkt
der «Bericht» der patriotischen Opferbereitwilligkeit, womit die Gemeinden
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LANDE8VERTEIDIGÜNGS-MINISTERIUMS VON 1877—1890. ^01
und Municipien bemüht waren, die Thätigkeit des Landesverteidigungs-Mini-
steriums in dieser Beziehung zu unterstützen.
Indem wir auf die wiederholten Veränderungen in der Gamisonirung
und Bequartierung der Honved-Truppen nicht weiter eingehen können, geben
wir in Nachfolgendem eine Uebersicht der definitiven Stationirung der
kön. ung. Landwehr in den sieben Honved-Districts-Commanden : Budapest,
Szegedin, Kaschau, Pressburg, Stuhlweissenburg, Klausenburg und Agram.
Jeder District umfasst zwei Infanterie-Brigaden zu je vier Begimentem
die Honv6d-Infanterie zählt sonach gegenwärtig 28 Regimenter. Die Bri
gaden haben ihre Sitze zu Budapest, Debreczin, Szegedin, Lugos, Kaschau
Szatmär, Pressburg, Neutra, Stuhlweissenburg, Fünfkirchen, Klausenburg,
Hermannstadt, Agram ; die Regimenter ihre Stäbe zu : Budapest, Bek6s
Gyula, Debreczin, Grosswardein, Szegedin, Szabadka, (Maria-Theresiopel)
Werschetz, Lugos, Kaschau, Miskolcz, Munkäcs, Szatmär, Pressburg, Tren
csin, Neutra, B.-Bänya, Stuhlweissenburg, Oedenburg, Fünfkirchen, Gross
Kanizsa, Klausenburg, Maros-Väsärhely, Hermannstadt, Kronstadt, Agram
Schwarza, Belovär, Vinkovcze. Die Infanterie ist in 36 ärarischen und 58
gemieteten Gebäuden untergebracht.
Unter der in Budapest stationirten Inspection der Honved-Cavallerie
6tehen die Brigaden : Budapest, Szegedin, Pünfkirchen in zehn Husz&renregi-
mentem zu Budapest, Debreczin, Szegedin, KecskemM, Kaschau, Waitzen,
Päpa, Fünfkirchen, Maros-Väsärhely und Warasdin. Diese sind in 8 ärari-
ßchen und 1 2 gemieteten Gebäuden untergebracht.
Die Infanterie-Regimenter zerfallen in je 3 — 4 Bataillone, jedes
Huszären-Regiment in zwei Escadronen.
Zeltlager für die Honv6d-Armee bestehen in Maros-Väsärhely, in
Kaschau, in Lugos, in Fünfkirchen und in Neutra. Gedeckte Reitschulen
für die Honv6d-Huszären sind zu Budapest, Jäszbereny, Bek^s-Gyula, De-
breczin, Waitzen, Fünfkirchen, Päpa, Maros-Väsärhely und Zala-Egerszeg ;
dazu kommt noch die Reitschule der Ludovica- Akademie und der Central-
Equitations-Lehranstalt.
Die Gericht tbarkeit über die Landwehr üben die seit 1 884 neu-organi-
sirten «Auditoriate für die kön. ung. Landwehr und Gensdarmerie» aus.
Per Personalstatus des kön. ung. Honv6d-Auditoriats besteht aus 27 Per-
sonen und zwar : 2 Oberst-, 4 Obristlieutenants-, 4 Majors-, 9 Hauptmanns-
Auditore erster und 4 zweiter Classe und 4 Oberlieutenants- Auditore. Aus-
ser der Landwehr und der kön. ung. Gensdarmerie sind seit der Organisi-
rung des «Landsturmes» (G.-A. XX: 1886) auch die zur Dienstleistung ein-
berufenen Landstürmler vom Tage der Einberufung bis zu ihrer Entlas-
sung den militärischen Straf- und Disciplinar- Vorschriften unterworfen.
Für das richterliche Verfahren ist die «Militär-Strafprozess-Ordnung» des
k. und k. gemeinsamen Heeres auch für die kön. ung. Honved-Auditoriate
UngiriMhe Revue, XI. 1891. VI— VU. Heft. 3g^
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ö<>^ DIE WIRKSAMKEIT DES KÖNIÖL. UNGARISCHEN
massgebend. Ausserdem bestehen über das Disciplinar-Verfeihren, über
die militärischen Ehrengerichte sowie über den verweigerten Gehorsam
bei Einberufung zum Militärdienste gesetzliche und behördliche Ver-
fügungen.
Ein besonderes Gapitel unserer Vorlage behandelt die Angelegenheit
des «militärischen Brachiums» und wer die Inanspruchnahme dieser Mili-
tär-Gewalt anzuordnen und auf welche Weise die Ausübung dieser Gewalt
zu geschehen hat. Eine Uebersicht der Fälle, in denen von 1877 — 1890 die
Militär-Assistenz von der Civilbehörde beansprucht worden ist, zeigt, dass
dies zumeist aus Anlass der üeberschwemmungsgefahren, dann bei politi-
schen und communalen Wahlen, femer in Folge der antisemitischen Bewe-
gung (namentlich in den Jahren 1882 und 1883) und endlich bei Arbeiter-
unruhen der Fall gewesen ist.
üeber den Pferdebestand der Honved gibt ein Gapitel eingehende
Auskunft. Wir übergehen jedoch die näheren Angaben über die Anschaffung
und Dressur dieser Pferde, bemerken nur, dass in der Zeit von 1877 — 1890
nicht weniger als 21,651 Keitpferde dressirt wurden und dass die dressirten
Pferde zur Erhaltung an Unternehmer hinausgegeben werden. Wenn diese
Pferde während sechs Jahren in mindestens «befriedigendem» Zustande
erhalten werden, so gehen sie in das Eigenthum des Unternehmers über.
Bei «vorzügUcher» Erhaltung ist das schon nach fünf Jahren der FalL
Im J. 1890 zeigte der Pferdebestand der Honved Cavallerie einen Status von
10,164 Pferden. Davon waren alle dressirt; im activen Dienste standen
2260, bei privaten Unternehmern waren 7898 Pferde untergebracht Im
J. 1889 hatte der Status erst 8889 Pferde aufzuweisen. Der Durchschnitts-
preis eines gewöhnlichen Gavallerie-Bosses ist mit 300 fl.^ eines Offiziers-
Pferdes mit 350 fl. festgestellt.
Das k. u. Landesverteidigungs-Ministerium hat in seiner Verwaltung
eine grosse Anzahl von militärischen Fonds und Stiftungen, welche teils
aus öffentlichen, teils aus Privatstiftungen entstanden sind und entweder zu
militär-unterrichtlichen und erziehlichen Zwecken oder zu Gunsten der
Invaliden oder der HinterbUebenen der Militärpersonen verwendet werden.
Ebenso untersteht diesem Ministerium die Fürsorge und Verwaltung von
Liegenschaften in den verschiedenen Gegenden des Landes im Gesammt-
wert von 6.213,275 fl. 36 kr.
Auf den eingehenden Nachweis über die Entstehung, Natur, Bestim-
mung und ziffermässigen Bestand dieses bewegUchen und unbeweglichen
Vermögens müssen wir an dieser Stelle verzichten. Wir eilen dem Schlüsse
zu, um nur noch einige Mitteilungen über den Landsturm und über die
kön. ung. Gensdarmerie in Kürze anzuführen.
Die Errichtung des Landsturmes als eines integrirenden BestMidteiles
der Wehrkraft wurde zwar schon in dem allgemeinen Wehrgesetze vom
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LANDE8VERTEIDIGÜNG8-MINI8TERIUM8 VON 1877—1890. 603
J. 1868 im Principe ausgesprochen; aber die Verwirklichung dieses Prin*
<5ipe8 erfolgte doch erst mittelst Gesetzartikel XX. v. J. 1886.
Dieses Gesetz stellt vor Allem den allgemeinen Grundsatz auf, dass
der Landsturm einen ergänzenden Teil der bewaffneten Macht bildet und
als solcher unter dem Schutz des internationalen Bechtes steht. Die Ver-
pflichtung zur Teilnahme am Landsturm erstreckt sich auf jeden Staatsbürger,
welcher weder im Verbände des Heeres (der Kriegsmarine) oder deren Ersatz-
reserve oder der Landwehr steht, ist also allgemein ; die absolut Untaug-
lichen natürUch ausgenommen. Die Dauer der Landsturmpflicht beginnt
mit dem 19. Lebensjahre und endigt mit dem 42. Lebensjahre. Die-
jenigen, die im Heere oder bei der Landwehr einen Offiziersrang besas-
sen, sind (bei sonstiger Tauglichkeit) bis zum 60. Lebensjahre landsturm-
pflichtig.
Der Landsturm besteht aus zwei Classen der Landsturmpflichtigen ;
in die erste Olasse gehören die Pflichtigen bis zum vollendeten 37. Lebens-
jahre ; in die zweite die bis zum vollendeten 42. Lebensjahre.
Die Einberufung des Landsturmes erfolgt nach Anhörung des Minister-^
rates über Anordnung Sr. Majestät durch den königlich ungarischen
Xiandesverteidignngs-Minister und es kann der einberufene Landsturm in
-der Begel nur innerhalb der Landesgrenze zum Kriegsdienste verwendet
v^erden. In Ausnahme-Fällen ist die Verwendung ausserhalb des Landes
bei Zustimmung der legislatorischen Factoren gestattet. Die Landstürmler
I. Classe können zur Ausfüllung der Lücken bei der Ersatzreserve des k. u. k.
gemeinsamen Heeres und der Landwehr herangezogen werden.
Die Landstürmler I. Classe dienen in der Eegel zur Versehung
des Wachedienstes in Festungen und Garnisonsorten, sowie zum Schutze der
Proviantzüge; in gewissen, notwendigen Fällen sind sie aber auch zur
Unterstützung der activen Wehrkraft zu verwenden. Die Landstürmler
U. Classe werden im Falle der No<;wendigkeit nach jenen der L Classe einbe-
rufen und zu denselben Diensten gebraucht, können jedoch zur Ergänzung
und Unterstützung der kämpfenden Truppenteile nicht in Anspruch genom-
men werden.
Die militärische Organisirung, Bewaffnung und eventuelle Bekleidung
oder mindestens die Versehung mit erkennbaren einheitUchen Distinctionen
i^ar notwendig, schon vom Standpunkte des internationalen Bechtssdhutzes.
Deshalb wurden auch bestimmte Offiziers- und Unteroffiziers-Cadres ge-
schaffen und werden die Offiziere von Sr. Majestät ernannt. Selbstverständ-
lich ist diese Bestellung von Landsturm-Offizieren schon in Friedenszeiten
notwendig.
Zu diesem Zwecke wurden vor Allem Individuen mit entsprechender
Vorbildung und Tauglichkeit ausgewählt, überdies aber auch aus den bürger-
lichen Elementen solche allgemein geachtete Männer, die durch ihren her-
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6^ DIE WIRKSAMKEIT DES KÖNIGL. UNGARISCHEN
Yorragenden Patriotismus^ ihre öfifentlicben Verdienste und ihre Intelligeiur
für diese Aufnahme in den Offiziersstand geeignet erscheinen.
Die fortgesetzte Evidenzhaltung der Landsturmpfiichtigen ist Aulgabe
des Landesverteidigungsministeriums ; die Kosten bei Einberufung des
Landsturmes belasten jedoch das Budget des k. u. k. gemeinsamen Eriegs-
ministeriums.
Die Landstärmler werden in Infanterie-Bataillone und Husz&ren-
Eskadronen eingeteilt. Seit dem Jahre 1890 bildet der Landsturm 28 Infan-
terie-Begimenter und es wird in jeder Glasse die Mannschaft in § militärisch
Ausgebildete! und in «militärisch Nich tausgebildete» unterschieden.
üeber Aufforderung des Honv^d-Ministers fand in den Jahren 1886
und 1887 eine Gonscription der zu Offiziersdiensten im Landsturme taug-
lichen Individuen sowie der Aerzte im ganzen Lande statt. Das Besultat war
folgendes :
Militärisch ausgebildete Personen gab es 4742 Personen; nichtmili-
tärisch gebildete Aspiranten für den Landsturm- Offiziersdienst 6886 Per-
sonen ; zusammen also 1 1,628 Personen. Hievon meldeten sich für den Lehr-
kurs zur Vorbereitung auf den Landsturm-Offiziersdienst 5477 (4924 für die
Infanterie, 553 für die Cavallerie) Personen.
Der Offiziers- und Aerzte- Status für den Landsturm zählte im Jahre
1890:
a) bei der
Infanterie
b) bei der
CaVÄllerie
Offiziere
.. 4782
677
Aerzte
480
10
VerwaltnngB-Offiziere
.. 307
10
Tierärzte
—
110
Znsammen .
.. 5569 ~
807
Das Gebiet Ungarns und seiner Nebenländer wurde in 94 Landsturm-
bezirke eingeteilt und die in den Jahren 1887 — 1 890 vollzogenen Conscrip-
tionen der Landsturmpfiichtigen ergaben folgende Besultate :
militärisch AuHgebildete militärisch Nichtgebildete Zniuumnen
im J. 1887 439,395 Mann 1.046,526 Mann 1.485,921 Mann
i €1888 460,675 • 1.688,559 • 2.149,234 •
€ « 1889 468,253 . 1.795,982 t 2.264,235 «
€ € 1890 461,758 • 1.760,274 t 2.222.032 «
Für den Kriegsfall kommen, wie erwähnt, vornehmUch die Landsturm-
pfiichtigen I. Classe (bis zum vollendeten 37. Lebensjahre) in Betrachts
Solcher waren :
militärisch Ausgebildete militärisch Nichtgebildete Zunaramen
im J. 1 887 243,802 Mann 1 .020, 1 97 Mann 1 .263,999 Mann
€ «1888 226,711 « 1.6i7,647 t 1.864,358 •
€ € 1889 215,897 « 1.6i6,200 t 1.862,097 t
• « 1890 211,237 . 1.742,529 € 1.953,766 t
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LANDESYERTEIDIGUNGS-MINISTERTÜMö VON 1877—1890. ^^^
Das Gesetz setzt für bestimmte Berufsarten und Besebäftigangen die
Befreiung von dem activen Landsturmdienste fest. Im Jahre 1890 waren in
der Abteilung der «militärisch Ausgebildeten» 12,959, in der Abteilung der
«militärisch Nichtausgebildeten» 29,935, zusammen also 42,894 Landsturm-
päichtige von der Teilnahme am eventuellen activen Dienste befreit.
Zur Her^inbildung der Landsturm-Offiziere wurden in den Jahren
1887 — 1889 drei- bis vierwöchentliche Lehrkurse an verschiedenen Orten
des Landes abgehalten. An denselben nahmen für die Infanterie 1370, für
die Cavallerie 273 Personen Teil ; hievon wurden als Offiziers- Aspiranten
beföhigt gefunden: für die Infanterie 1353, für die Cavallerie 267 Personen.
Der letzte Teil unserer Vorlage schildert die Wirksamkeit des könig-
lich ungarischen Landesverteidigungsministeriums in Bezug auf die könig-
lieh ungarische Gensdarmerie, deren Organisation zwar im ganzen Lande
die gleiche ist, die jedoch hinsichtlich des öffentlichen Sicherheitsdienstes
einerseits dem königlich ungarischen Minister des Innern, andererseits für
Kroatien-Slavonien dem Banus in Agram untergeordnet ist.
Bis zum Jahre 1881 bestand die Institution der Gensdarmerie nur in
den siebenbürgi3chen Landesteilen, wo sie sich nicht nur als zweckmässig,
sondern als vorzüglich bewährt hatte und deshalb die Begierung bewog, im
Interesse der öffentlichen Sicherheit diese Institution in ganz Ungarn einzu-
führen. Dies geschah durch die Gesetzartikel II und III des Jahres 1881.
Die Organisirung dieser Staatspolizei erfolgte allmählich; im Jahre 1882
wurde der IL Gensdarmerie-District zu Szegedin organisirt, im Jahre 1883
folgten der HI. in Budapest und der IV. in Kaschau; im Jahre 1884 die
Districts-Commanden V zu Pressburg und VI zu Stuhlweissenburg. Damit
war die Organisation für Ungarn (ohne Bjroatien-Slavonien) beendet und das
ganze Land (mit Ausnahme der freien Municipal-Städte) in polizeilicher
Hinsicht der kön. ung. Gensdarmerie anvertraut. Weitere Gesetze über die
«Pensionirung» der Gensdarmen (G. A. XI: 1885 und LXXI: 1886) sorgen
für die materiellen Interessen dieser Staats-Polizei, deren Bestand in
Kroatien-Slavonien gleichzeitig ist mit jener in Siebenbürgen, d. h. die
Gensdarmerie hier und dort datirt noch aus der Zeit des absolutistischen
Kegimes von 1850 — 1860. Im Jahre 1881 wurde dann das in der ehemali-
gen Militärgrenze bestandene Sereschaner-Corps mit der Gensdarmerie in
Kroatien-Slavonien vereinigt.
Nach dem Gesetze von 1881 wird der Status der Gensdarmerie
ergänzt : a) aus gedienten Unteroffizieren des gemeinsamen Heeres und der
ung. Landwehr ; b) aus Freiwilligen, die ihrer Wehrpflicht bereits Genüge
gethan haben ; c) aus länger Beurlaubten, die freiwillig eintreten, wenn sie
bereits im letzten Halbjahre ihrer militärischen Dienstzeit stehen ; d) aus
freiwilligen Reservisten und Ersatz-Reservisten der gemeinsamen Armee
oder e) aus Angehörigen der ung. Landwehr.
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6<>^ DIE WIBK8AMKEIT DES KÖNIGL. UNGARISCHEN
Jeder Aufzunehmende hat eine sechsmonatliche Probedienstzeit zube-
stehen. Bedingungen der Aufnahme in die königl. ung. Gensdarmerie sind r
a) die ungarische Staatsbürgerschaft; b) untadeliges sittliches Betragen
und entsprechende geistige Befähigung, verbunden mit anständigem Auf-
treten ; c) das Alter zwischen 20 — 40 Lebensjahren ; d) lediger Stand oder
kinderlose Witwerschaft : e) vollständige militärdienstliche Tauglichkeit und
eine Körpergrösse von mindestens 163 Gm; f) Eenntniss der ungarischen
Dienstsprache und dann der Landessprache jener Gegend, wo der Be-
treffende als Gensdarm zu dienen berufen sein wird ; endlich g) Eenntniss
des Lesens, Schreibens und Rechnens. Nachdem zur Deckung der Bedürf-
nisse in den ersten Jahren des Bestandes der Gensdarmerie Freiwillige in
hinreichender Anzahl nicht erschienen, wurden die Lücken und der Abgang
durch Zuweisung von tauglichen Honveds zur Gensdarmerie ergänzt. Seit
1886 sind solche Zuweisungen nicht weiter nötig gewesen.
Der Offiziersstand der Gensdarmerie wird gebildet : a) durch das stu-
fenweise Avancement innerhalb des Gensdarmerie-Offiziers-Gorps selbst;
b) durch diensterprobte, ledige Unteroffiziere, welche das Gymnasium, die
Oberrealschule oder eine Lehranstalt von gleichem Bange mit gutem Erfolge
absolvirt, die Aufnahmsprüfung bestanden und den Lehrkurs für Reserve-
Offiziere besucht, resp. die Reserve-Offiziers-Prüfung ^gelegt und die
Ernennung zu Offiziers-Stellvertretem erhalten haben; endlich c) durch
Zuteilung tauglicher Offiziere aus der k. u. k. gemeinsamen Armee oder aus
der königl. ung. Landwehr. Für Alle ist jedoch die Ablegung der Fachprü-
fung für Gensdarmerie-Offiziere vorgeschrieben.
Am 31. Dezember 1890 war der Status der Offiziere und der Mann-
schaft der königl. ung. Gensdarmerie in den sechs Districts-Commanden
des Landes folgender :
Offiziere Mannschaft
FuHfivoIk Reiterei
LKlaueenburg 17 910 —
n. Szegedin 22 763 171
m. Budapest 20 598 362
IV. Kaschau 21 893 91
V. Pressburg 19 816 —
VI. Stuhl weissenbuig 22 994 —
Zusammen ... ~ 1 2 1 ~ 4974^ 624
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Die kroatiBch-slavoniscbe Genedarmrie 21 951
Hauptsumme 142 6549
Dazu kommen dann noch 214 Mann Grenzwächter in Kroatien-
Slavonien.
Die übrigen Bestimmungen, Vorschriften und Einrichtungen über die
königl. ung. Gensdarmerie können wir nicht weiter verfolgen ; niu* daa
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LANDESVERTEIDIGUNGS-MINISTERIUMS VON 1877—1890. '><>7
führen wir noch an, dass die hohe Wichtigkeit, welche dem Institut der
Grensdarmerie beigelegt wird, auch aus jener Fürsorge hervorgeht, mit
welcher Gesetzgebung und Regierung für das moralische und physische
Gedeihen der Angehörigen dieser Staatspolizei bemüht sind. Die Resultate
entsprechen auch' den gehegten Erwartungen. Seit dem strengen Walten
dieser Sicherheits-Wache haben sich die polizeilichen Zustände des Landea
ganz wesentlich gebessert.
Damit schliessen wir unsere Skizze über die Wirksamkeit des königL
ung. Landesverteidigungs-Ministeriums in der Zeit von 1877 — 1890. Diese
vierzehn Jahre bezeichnen eine Periode grosser und weittragender Neu- und
Umgestaltungen auf dem Gebiete der österr.-ungar. Wehrkraft überhaupt
und der königl. Landwehr insbesondere.
Die allerwärts stürmische Entwicklung der Wehrangelegenheiten for-
derte auch gebieterisch bei uns die Entfaltung und Umgestaltung unserer
Wehrkraft und dieser unabweislichen Anforderung durften wir nicht
ausweichen.
Während der 14 Jahre von 1877 — 1890 hat namentlich das königL
ung. Landesverteidigungs-Ministerium unter der wesentlichen Mitwirkung,
dann unter der verantwortlichen Leitung des frühem Staatssecretärs und
jetzigen Ministers, des königl. ungar. Ministers Freiherm Geza von Fejer-
Vary, den Landsturm errichtet und organisirt, wodurch alle wehrfähigen
Männer des Landes in die Verteidigung desselben einbezogen wurden ;
hat unser gesammtes Wehrsystem fortentwickelt und neugebildet, wie
solches die Fortschritte der Zeit erheischten ; hat endlich die königl. ung.
Landwehr weiter gefördert und in einer Weise umgestaltet, dass sie heute
einen achtunggebietenden Bestandteil unserer gesammten Wehrkraft bildet.
Diese ebenso umfassende als mühevolle patriotische Arbeit verdient
die vollste Anerkennung; denn sie bedeutet für die Monarchie wie für
Ungarn die Schaffung und Kräftigung jener Garantie des blühenden Bestan-
des und der gedeihlichen Entwicklung, von der Baron Josef Eötvös in einer
seiner Parlamentsreden sagt: «Das Wehrgesetz bildet das Fundament
unserer gesammten Staats -Verfassung ; denn nur jenes Volk ist seiner Frei-
heit sicher, welches sie zu verteidigen im Stande ist.»
Prof. Dr. J. H. Schwicker.
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^^ DIE MA8CHENPANZER DE8 NATIONAL-MUSEUMS.
DIE MASCHENPANZER DES NATIONAL-MIJSETJMS.
In Mähren neben der Tbaya bekränzt die Yöttauer Borg, welche den
Hauptsitz der einstigen feudalen Güter der Grafen von Wlassin bildend am
Anfang des XVIII. Jahrhunderts in das Eigentum der gräflichen Familie
von Dann überging, die Erhöbung eines lieblichen Tales.
Die einzelnen Mitglieder dieses gräflichen Stammes sammelten, ver-
mehrten und bewahrten durch Jahrhunderte die aus mehr als tausend
Stücken bestehende Waffensammlung, welche nach den stürmischen Käm-
pfen der vergangenen Jahrhunderte als stummer Zeuge uns die Entwicke-
lung eines culturgeschichtlichen Abschnittes zeigt, und uns durch die lange
Keihe der defensiven und offensiven Waffen bis zur Gegenwart der moder-
nen Eampfgeräte als Führer dienen kann.
Einzelne Stücke dieser Sammlung schmückten den innerhalb der
Bastei liegenden Rittersaal. In einem langen Gange mit Rippenwölbungen
waren die vollständig ausgerüsteten Bitterfiguren aufgestellt ; sie zeigten die
Waffentracht der einzelnen Jahrhunderte in malerischen Gruppen, während
am unteren Ende der in das Stockwerk führenden Wendeltreppe eine Ritter-
gestalt aus dem goldenen Zeitalter des feudalen Geistes, vom Anfang des
XV. Jahrhunderts, den charakteristischesten Zug dieses Zeitalters : die olig-
archische Macht des Rittertums sinnbildlich darstellte.
Diese sehr interessante Waffensammlung, weiche aus Pietät, zur Erin-
nerung und aus Ehre die Vorfahren während acht Jahrhunderten sammel-
ten, bewahrten und vergrösserten, und die zum überwiegenden Teile zu
praktischem Gebrauche diente, existirt heute nicht mehr als Ganzes, da selbe
mit allen Vöttauer Mobilien vor Kurzem von der Witwe des am 14. Oktober
V. J. verstorbenen Grafen Heinrich v. Daun, des letzten Gliedes der ausster-
benden gräflichen Familie, im Licitationswege veräussert wurde und so nebst
anderen wertvollen Gegenständen und Reliquien teils auf den Markt kam,
teils in das Eigentum von öffentlichen Museen oder Privaten überging.
Bei diesem Anlasse hatte auch ich Gelegenheit die Sammlung in ihrer
Gesammtheit zu sehen. Den Hauptstock derselben bildeten Verteidigungs-
waffen, namentlich die verschiedensten Panzerarten. Hier fanden sich vor
aus dem XL Jahrhundert sogenannte Hauberts, die man auf das starke
Leder-Aermelkleid eng neben einander befestigte und mit Metallringen
bedeckte, beharnischte und genagelte Brustwehren, Maschenpanzer, die im
XVn. Jahrhundert beliebt waren und von den orientalischen Stämmen
noch heute benützt werden, Helme von plumper Form und andere zierliche
aus kleinen, unten runden Platten schuppig zusammengesetzte, wie der-
jenige, welchen Sobiesky im Jahre 1683 während der Befreiung Wiens trug.
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DIE MASCHENPANZER DES NATIONAL- MUSEUMS ^<^->
Helme aus dem XV. Jahrhuodert mit Krebsschwanz, wie sie im Heere des
Königs Mathias üblich waren, und ähnliche aber am Genick kurz endende,
hussitische Helme. Auch Schilde von Herzform, gradgehackte, eckig endende,
muldenförmige, sowie prächtige Stücke mit getriebenen Beliefbildern und
mit Goldtauschirungen geziert, aus italienischen Werkstätten waren vertreten.
Die verschiedensten Büstungsstücke zu Schutz und Wehr sah man da: Schien-
bein-, Oberarm-, Schulter- und Kniegelenk-Stücke im Ganzen, sowie Teile
davon. Als eine der seltensten Erscheinungen prcmgte unter den Bitter-
figuren ein ganz bewaffneter in Maschenpanzer gehüllter, ungarischer Bitter,
welcher vermutlich den letzten Jahren des XVI. oder dem Anfange des XVII.
Jahrhunderts angehört.
Betreff der Angriffs- Waffen hat diese interessante Sammlung, im
Ganzen betrachtet, einen slavischen Typus, denn es gab dort zwar occidenta-
lische Stoss- und Schneide-Waffen wie türkische Handsohare, Jatagane,
gerade Schwerter und krumme Säbel, Messer von bizarrer, japanesischer
Form, Beile, schwere normannische Schlachtschwerter mit langen Griffen,
germanische Schwerter, deutsche und französische Hellebarden, Klingen
von Damaskus und Toledo, ja auch Schiessgewehre, prächtig ausgestattete,
mit Elfenbein belegte, lange, türkische Büchsen aus dem XVII. Jahrhundert,
mit Perlmutter besetzte Kolben aus sculpirten, orientalischen Läufen in
bedeutender Zahl ; doch bildeten die mährischen, schlesischen, böhmischen,
polnischen, litthauischen, vendischen und russischen Stoss- und Schlag-
waffen den Hauptstock dieser Sammlung. So fand man dort Lanzen, gena-
gelte Dreschflegel, knotige, gegliederte, schwere Keulen aus den Hussiten-
Kriegen des XV. und den Bauernaufständen des XVII. Jahrh., massenhafte
gerade, halbgekrümmte Schlachtsensen, Morgensterne mit Ketten behangen
von verechiedenster Form, unter denen nur stellenweise ein Bogen oder
Köcher, sowie eine schwere räderige Armbrust deutschen Ursprunges vorkam,
während Panzerstecher ungarischer Form, Hussarensäbel mit freiem Griffe
und geradem Querstabe nur durch je ein zerbrochenes Exemplar repräsentirt
waren. Auch vier Maschen- Panzerhemden, deren ungarische Herkunft aus
einem alten Begister unstreitig ist, zogen meine Aufmerksamkeit auf sich.
Der Eindruck, den diese Sammlung auf den Beschauer macht, war
der, dass selbe nicht systematisch angelegt war, sondern dass sie nur
gelegentlich vermehrt wurde, so dass einzelne Stücke Andenken an Fami-
lienglieder waren, oder als Zeichen von Kriegstriumphen seit Langem im
Bittersaale der Vöttauer Burg prangten. Eine ziemlich grosse Anzahl solcher
Fälle fand sich im Inventar des herrschaftlichen Arsenals verzeichnet, wel-
ches, wenn auch lückenhaft, zugleich die Begesten der auf das Vöttauer
feudale Gut bezüglichen Urkunden enthält. Diese Aufzeichnungen sind aber
in den letzten Jahren des XVII. Jahrhunderts unterbrochen.
Die oben erwähnten vollständigen ungarischen Maschenanzüge, die
Ungarische Rettie. 1891. XI. VI— VII Heft 39
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610 DIE MABCHENPANZEB DES NATIONAL-MTSEUMS.
vier Maechenhemden und noch andere Gegenstände, aller Wahrscheinlich-
keit nach auch zwei schöne, türkische, mit Elfenbein nnd Perlmutter besetzte
Schiessgewehre, türkische, kroatische und serbische Handschare, einige
Streitkolben, der erwähnte, tauschirte und mit wertvoller italienischer Belief-
arbeit versehene, runde Schild kamen auch gelegentUch aus Ungarn dahin.
Diese Behauptung wird durch die Thatsache begründet, dass in dieser
Sammlung auch die Bibliothek des ungarischen Dichters Nicolaus Zrinyi,
dessen auf dem Sterbebette gemaltes Brustbild, sowie seine Eriegsrüstung
sich befindet, die gewiss alle aus Zrinyi 'seh em Besitze stammen, wozu noch
die schon erwähnten ungarischen ßitterpuppen und die vier Maschenhem-
den zu zählen sind, welche ich für das Ung. Nat.-Museum erwarb.
Nicolaus V. Zrinyi's Sohn, Adam, dessen Frau die Gräfin Marie
Katharine v. Lamberg war, starb im Jahre 1691 in der Schlacht von Zalän-
kemen, ohne Erben zu hinterlassen. Seine Güter sammt den Mobilien fielen
seiner Witwe zu, welche später dem Grafen MaximiUan Ernest v. Wlassin
angetraut wurde, deren Tochter, Leopoldine, den Grafen Maximilian v. Dann,
den Grossvater des jetzt verstorbenen Grafen Heinrich, heiratete, und so die
Wlassinischen Güter sammt der Vöttauer Burg dem Grafen v. Daun zukom-
men Hess. Mit der Verlassenschaft von I>opoldinen8 Mutter, der früheren
Frau Adam v. Zrinyi, nahmen die Grafen v. Daun unter anderen Mobilien
auch einen Teil der Waffen, das Portrait und die in Vöttau aufgestellte
Bibliothek des Nicolaus v. Zrinyi in Besitz. Dort sah ich im Januar 1. J. den im
Jahre 1662 verfertigten Original-Catalog der Zrinyi'schen Bibliothek, wie
auch das im Jahre 1692 verfertigte, jetzt nur mehr fragmentarisch erhaltene,
aus einigen sehr beschädigten Blättern bestehende Inventar der Mobi-
lien des Adam v. Zrinyi. Unter Nr. 17 des deutsch verfassten, lückenhaften
Inventars sind die vier Maschenhemden und unter Nr. 33 die Rüstung der
Eitterpuppe mit einigen Worten beschrieben, unter Nr. 79 aber das Portrait
Nicolaus V. Zrinyi's erwähnt.
Zu den schwierigsten Aufgaben der Waffengeschichte gehört die Frage
nach der Entstehungszeit der Maschenpanzer ; besonders in Ungarn ist die
Beantwortung der Frage schwierig, weil hier weder das Feudalsystem, noch
das Ritter- Wesen sowie die Turniere in dem Maasse entwickelt waren, wie in
Deutschland oder in Frankreich, wodurch denn auch jene Zweige des Waffen -
gewerbes, die mit diesen Institutionen so eng verknüpft waren, zurückblieben.
Wohl diesem Umstände mag es zugeschrieben werden, dass die schwere,
defensive Rüstung, die flachen, gerippten und geschienten Stahlpanzer, die
Tumierhelme etc. in Ungarn verhältnissmässig so selten vorkommen und dass
auch die Maschenpanzer verhältnissmässig so selten sind. Doch abgesehen
davon ist die Bestimmung der Entstehungszeit bei den einzelnen Maschenpan*
zern schon deshalb sehr schwer, weil eben diese Art Rüstung vom Anfang bis
heute nur geringe, kaum bemerkbare, minutiöse Veränderungen erfahren
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DIE MASCHENPANZER DES NATIONAL MUSEUMS. '>1I
hat. Unterschiede sind nur wahrnehmbar in der Grösse der Binge und im
Gewichte derselben, darin, ob die einzehien Glieder feiner oder derber aus-
geführt sind, ob das Maschenhemd kürzer oder länger ist ; femer ist die
Form der Ringe von Wichtigkeit, ob sie rund oder eiförmig sind, auch ist
darauf zu achten, ob die einzelnen Binge gelötet oder genietet sind. Doch ist
auch bei Berücksichtigung dieser sämmtlichen Momente heute noch keine
sichere Einteilung nach Perioden möglich, da man nicht in genügend zahl-
reichen Fällen alle diese Umstände gehörig beobachtet hat. Bisher sind daher
nur solche Daten sicher, welche direct den Verfertiger oder Besitzer des Objec-
tes angeben oder für die Erzeugungszeit andere historische Beweise liefern.
Die Ringelpanzer wurden von den Orientalen viel früher benützt, als
von den Europäern. Die Araber kannten aus Indien die Erzeugung des
Drahtes, welcher bei ihnen schon im ü. Jahrhundert verbreitet war und
durch selbe als Geschäftsartikel im VI. Jahrhundert nach Europa mitge-
bracht wurde.* Die von geschweissten Eisenringen erzeugten sind die ältes-
ten Panzer; aus späterer Zeit sind die genieteten, deren gelöteter und genie-
teter Teil wegen seiner Gerstenkomgestalt grain d'orge benannt wird ; aus noch
späterer Zeit sind die gemischt gelöteten und genieteten. Die mit gröberen
Ringen sind älter als die mit den feineren ; die kürzeren Aermel deuten auf
ein höheres Alter als die längeren ; je grösser die Körperlänge, desto jünger
der Panzer ; endlich sind die mit einem Kragen, die gemischt von Eisen-
und Kupferringen erzeugten und die bezackten specielle Erscheinungen.
BezügUch der Maschenpanzer finden wir in den betreflfenden Fachwer-
ken über die Geschichte der Waflfen,** dass selbe in England im X. Jahrhun-
dert noch nicht gebraucht wurden ; wenigstens benachrichtigen uns das in
dem Londoner British-Museum aufbewahrte, «Psychomachia» betitelte
englisch- sächsische und das Prudentius-Manuscript nicht davon, da diese
den dort abgebildeten Krieger hoch ohne Maschenpanzer darstellen. Doch
existirt ein in Tiefenau gefundenes Panzer-Bruch stük, das aus der Zeit vor
den Kreuzzügen, also etwa vom Anfang des XI. oder noch vielleicht vom
Ende des X. Jahrhunderts stammt und dessen Teile aus in einander gefüg-
ten Ringen, mit je 0.5 Cm. Durchmesser bestehen. Dieser Fund ist zwar in
seiner Art einzig, doch widerlegt er die Voraussetzung, dass die Benützung
der Maschenpanzer anlässlich der Kreuzzüge durch das Kriegsvolk nach
Mittel-Europa gebracht worden sei. Das ebendaselbst aufbewahrte Aelfried-
Manuscript aus dem XI. Jahrhundert stellt schon den dort gemalten Ritter
* Boeheim : Handbuch der Wafifenkunde. S. 146.
'''^* August Demmin : Die Kriegswaffen etc. Quirin Leitner : Die Waffensammlung,
des österreichischen Kaiserhauses. Herman Meynert: Das Kriegswesen der Ungarn.
F. A. E. Specht ' Geschichte der Waffen. Das Landes- Zeughaus in Graz. Boeheim :
Handbuch der Wafifenkunde. Georges de Kemmerer: Arsenal de Tsarskoe-Zelo.
Meirick: Engraved Illustration of ancient arms u. s. y.
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(il^i
DIE MAHCHKNPANZER DES NATI0NAL-MU8EÜM8.
im Panzerhemde dar, dessen Ausführung und Benützungsart mit denen aus
dem XIII. und XIV. Jahrhundert identisch ist.
Laut dem im XL Jahrhunderte entstandenen Bätsel-Aldtseim-Manu-
Scripte wird das Lorica- Panzerhemd aus einzehien Bingen gemacht, ohne
auf irgend einen Stoff befestigt zu werden, folglich so benätzt, wie im
XV— XVI. Jahrhundert.
Anna Comnena, die byzantinische Kaiserin, erzählt in ihren Memoiren
von 1083 — 1148, dass das Panzerhemd, welches durch die nordischen Völ-
ker benützt wird, in Byzanz aber unbekannt ist, aus ineinander geschlossenen
und genieteten Stahlringeln besteht, folglich war es so zusammengestellt,
wie es im Osten noch heute erzeugt wird ; die einzelnen Kettenringe waren
teils genietet, teils gelötet.
Ein Mönch aus Noirmoutier erwähnt das Maschen-Panzerhemd zur
Zeit Ludwig VII., zwischen 1137 — 1 180, in der Beschreibung der Büstung
Gottfrieds von der Normandie.
Der Maschenstrumpf erscheint erst gegen Ende des XL Jahrhunderts
und verschwindet gänzlich in der zweiten Hälfte des XIIL Jahrhunderts.
Der Gebrauch der Maschen-Handschuhe zeigt sich im XIL Jahrhun-
dert, ohne dass selbe im XIIL Jahrhundert schon gegliedert wären ; sie bil-
deten nur die Fortsetzung respective das Ende des Panzerhemd- Aermels
und hatten gleichsam die Form eines Sackes.
Erst im Laufe des XIV. Jahrhunderts werden sie selbsts'ändig und
die Daumen abgesondert. Auf dem Siegel Bichard Löwenherz' bilden der
Mascben-Handschuh und das Maschenhemd noch immer ein Stück.
Am spätesten, erst im XIII. Jahrhundert erscheint der Gebrauch der
Maschenhose, die, so lange der Strumpf benützt wurde, kurz war und nur
bis zur Hälfte des Schenkels hinabreichte ; zur Zeit Ludwig des Heiligen,
zwischen li26 — 1270, deckte dieselbe das ganze Bein. In Frankreich und
Italien trugen die reicheren Edelleute und Bitter einen vollständigen
Maschenanzug. So stellt die aus der zweiten Hälfte des XHI. Jahrhunderts
stammende Statue des Johann d'Aubemon in der Kirche Stoke d'Aubemon
zu Surrey, den vom Kopf bis zum Fuss gepanzerten englischen Bitter in
dem vollständigsten Maschenpanzer dar.
Die Maschenpanzer-Büstuugen waren durch die Erzeugung, welche
eine minutiöse Kunstfertigkeit und ausdauernde Mühe in Anspruch nahm,
fast drei Jahrhunderte hindurch teuer ; weshalb sie sich, auch trotz ihrer
ziemlichen Verbreitung im XHI. Jahrhundert, erst im XIV. Jahrhundert
einer allgemeinen Benützung erfreuten, als nämlich der Nürnberger Budolf
im Jahre 1306 die Herstellung des Eisendrahtes mittelst Maschine erfunden
hatte, und so dieselben durch ihre billigere Production auch den weniger
bemittelten Bittern zugänglich wurden. Zu Ende des XTV. und am Anfang
des XV. Jahrhunderts kam ihre allgemeine Benützung in Europa aus der
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DIE MASCHENPANZER DES NATIONAL MUSEUMS.
013
Mode, teils weil sie den grossen zweihändigen und schweren Lanzen keinen
genügenden Widerstand leisteten, teils aber wegen der Erfindung des
Schiesspulvers, welches sowohl die Kampfart wie auch die Verteidigungs-
waffen veränderte. Der Hussitenführer Johann Ziska ist auf seinem gleich-
zeitigen Bilde, in der Bibliothek zu Genf, noch im Maschenpanzer abgebil-
det, aber zu gleicher Zeit findet man schon schwere, von Eisenplatten und
Schienen erzeugte Panzer. Während man die Maschenpanzer überall besei-
tigte, waren selbe in der österreichischen Gavallerie und bei den ungarischen
Husaren noch im XVI. Jahrhundert, in Ungarn sogar bis zum Ende des
XVn. Jahrhunderts gebräuchlich ; im Osten werden sie durch die Perser,
Cirkassier, Chinesen, Japanesen, Mongolen, Mahratten und Poligaren noch
heute benützt.
Nach dieser kurzen historischen Skizze gehen wir zur Beschreibung
der Maschenpanzer über, welche in der archueologischen Abteilung des
National-Museums aufbewahrt werden.
Die Beschreibung beginnen wir bei den aus dem Arsenal der Vöttauer
Burg erworbenen fünf Maschen- Panzerhemden und der Maschenhose.
Für die Zeitbestimmung derselben bietet das oben erwähnte Frag-
ment des Vöttauer Inventars den geeigneten Stützpunkt und sie können für
die analogen Stücke des vorherigen Bestandes im National- Museum als
Vergleichsobjecte dienen. Laut den* Inventare kamen die ersterwähnten
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DTK MASCHENPANZER DES NATIONAL-MU8EÜM8.
Stücke aus der Csäktornyaer Waflfensammlung Nicolaus Zrinyi's nach Vöttau
und können also im XVII., oder frühestens im XVI. Jahrhundert angefer-
tigt worden sein. Jedenfalls wurden sie zu dieser Zeit schon benützt.
Die erwähnten Maschenhemden zeigen in ihrem Bestände dreierlei
Fig. 4.
Fig. 2.
Fig. 1.
Fig. 7.
Flg. 8.
Variationen. Bei zweien hat die Körperlänge 80 cm, die Aermel von der
Achselhöhle sind 25 cm lang, die untere Breite ist 51 cm. Die Binge sind
platt, von ovaler Form, mit 1 und 08 Cm. Durchmesser, 0*3 Cm. stark, aber
bei beiden gleich geflochten, da ein jeder Bing andere vier Binge um sich
zusammenkoppelt. Abwärts vom Hals^ hat ein jedes Hemd in der Bichtung
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i
Fig. 6-
Fig. 5.
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616 DIE maschi:npanzer des national-müseums.
der Mitte der Bniat eine Oeflfnung von 30 Cm. Das dritte zeigt schon einen
wesentlichen Unterschied, denn während die anderen zwei den Hals nicht
decken, hat dieses einen 6*5 €m. hohen Maschenkragen (Fig. 1.); dieser
zeigt an dem vorderen linken unteren Bande ein Stückchen Leder, welches
durch einen Nagel mit einem platten Kopfe von 1*02 Cm. Durchmesser
darangenietet war und gewiss zum Zusammenhafteln des Kragens diente.
Die Körperlänge hat nur 51 Cm., also ist dieses Hemd auffallend kürzer als
die übrigen ; die Aermellänge beträgt 61 Cm. ; und während die ovalen Hinge
des Körpers einen Durchmesser von 1 und 0*8 Cm. zeigen^ haben die des
Kragens einen Durchmesser von 0*5 und 0*4 Cm., weshalb auch der Kragen
bedeutend dichter und massiver ist als die übrigen Teile des Hemdes. Fer-
ner sind an dem offenen Bande des Kragens auf beiden Seiten von oben
nach unt^n 5 Beihen und am Ende der Aermel auch 5 Beihen kupferner
Binge sichtbar, die am Kragen 0*6 Mm. und am Körper 0*3 Mm. stark sind.
Das interessanteste von allen ist aber das vierte Hemd, welches einen
orientalischen Ursprung und zugleich seinen einstigen Träger verrät Das
Verhältniss der Dimensionen des Körpers und der Aermel stimmt zwar mit
dem der anderen überein, die Binge sind aber nicht oval, sondern rund.
31 Cm. vom unteren Ende der vorderen Oeffnungist eine 0*4 Cm. dicke und
2 Cm. lange Eisenplombe mit einem Durchmesser von 1 '± Cm. angebracht und
an den dieselbe umgebenden acht Bingen befestigt ; die Plombe ist auf ihrer
oberen, mit türkischen Lettern gravirten Fläche getieft (Fig. !2.)« Dass diese
Eisenplatte vielleicht zum Bedecken eines durch die Kugel gemachten
Loches gedient hätte, halten wir für unwahrscheinlich, weil es einfacher
gewesen wäre die Lücke mit Bingen auszufüllen und weil unweit links von
diesem Loche noch ein anderer Mangel, welcher un verstopft blieb, sichtbar
ist. Das Hemd mag einem türkischen Krieger gehört haben, der in Zrinyi's
Kämpfen gefangen genommen wurde ; und mit ihm mag auch das Hemd in
Zrinyi's Hände gelangt sein.
Das Maschenhemd der vollständig ausgerüsteten Bitterfigur ist dem
vierten insofern ähnlich, als auch seine Binge rund sind, nur hat jenes
feinere, 0'^ Mm. starke Bingeln ; auch der Durchmesser ist kleiner, nämlich
0*5 Cm. ; die Dimensionen stimmen auch nicht überein, denn die Körper-
länge beträgt 75 Cm., die der Aermel 50 Cm., was übrigens bei der Classi-
fication nicht in Betracht gezogen werden kann, da die Dimensionen der
Aermel- und Schulterbreite dem Körperbaue des Eigentümers angemes-
sen waren.
In den Sammlungen der Museen finden sich unter den Maseben-
panzern Bingelhosen sehr selten, und die Vöttauer Bitterpuppe kann
eben darum für eine wertvolle Acquisition gelten, weil sich in ihrem
Anzug auch eine unverletzte Maschenhose vorfindet, und obgleich diese
von gröberer Art ist, als das Hemd, kann die Gleichzeitigkeit des gansen
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DIE MASCHENPANZER DES NATIONAL- MUSEUMS. ^17
Anzuges kaum in Zweifel gezogen werden ; höchstens kann man annehmen^
dass die Hose und das Hemd von verschiedenen Meistern herstammen. Den
Anzug ergänzt der aufschiebbare Helm mit niederem Deckel und geripptem
Hinterteile; untereinander sind vier Beiben horizontaler^ schmaler, läng-
licher Schaulöcher am Visir sichtbar. Sowohl das Visir, wie auch die Schul-
ter- und Halsplatte zeigen den Charakter von der zweiten Hälfte des
XVI. oder vom Anfange des XVII. Jahrhunderts, obgleich dieser
Helm keine stylgemässe Ergänzung des vollständig treuen, zeitgemässen
Maschenpanzers ist. Es müsste ein platter und halbeiförmiger Helm sein,
von welchem das Maschengewebe, welches rings herum die Stime, den
unteren Teil des Kopfes und den Hals bedeckt und nur das Gesicht frei
lässt, und auf die Schultern herabhängt. Die ßitterpuppe hält ein gerades,
breites Schwert mit Silber- tauschirtem Griffe und mit türkischen Charakteren
prangender Klinge in der Hand. Eine ärmellose Sammtjacke ist über den
Panzer gezogen und hat an den Schultern auf beiden Seiten Schlitze. Um den
Hals ist dieselbe mit einer breiten Goldborte umsäumt. Auf den Brustteil
der Jacke ist ein dreieckiger Schild aus schwarzem Sammt aufgenäht ; in
der Mitte des Schildes, im ovalen, roten und mit Grold umflochtenen Felde
prangt ein bäumender goldener Löwe mit doppeltem Schweife und mit vor-
wärts gewendetem Kopfe ; das Feld wird von einer fünfzackigen goldenen
Krone überragt. (Fig. 3.) Der aus Eisenplatten bestehende Handschuh des
Bitters ist durch genietete, platte Kupfemägel zusammengehalten, die Arm-
schützer reichen bis zur Hälfte des Vorderarmes ; der Schulter- und Oberarm-
Schützer ist beweglich und von fünf Stücken zusammengesetzt; das Genick
wird von drei ineinander geschobenen Eisenplatten gebildet.
Im Anschlüsse an diese Neuerwerbungen sei noch des älteren Bestan-
des der Waffensammlung des Nat.-Museums gedacht. Dieselbe zählt im
7. Wandschranke 38 Maschenpanzer: iO Hemden, 1 Hose, 12 Helme,
4 Stück Handschuhe und 1 Kragen. Ausser diesen ist im 13. Schranke ein
prächtig ausgestatteter Silber-Maschenpanzer ausgestellt. Die Spange,
welche den 8 Cm. hohen Stehkragen zusammenhält, der vordere Teil, die
Aermel und der untere Saum sind reich geziert und mit sechszackigen teils
vergoldeten teils silbernen Sternen geschmückt; vorne befinden sich zwei
vergoldete Silber-Sonnen und ein Halbmond, besetzt mit in vergoldeten
Ilosetten gefassten und eine Halskette bildenden Steinen, die durch platt-
köpfige Nadeln auf die Maschen festgenietet sind ; den unteren Saum des
Panzers umfasst eine Zacken enthaltende Spitze. Auf dem unteren Teile
sieht man eine herzförmige Musterung ; die dunkle Farbe derselben stammt
von den Kupferringen her, die zwischen den silbernen eingeflochten sind
und in ihrer Anordnung eine Herzform bilden. Die Spitzen sind gleichfalls
ans Kupfer. Die feinen Hinge haben einen Durchmesser von 0*4 Cm. Dieser
Panzer diente vermutlich als Prunkkleid.
ÜBgMisehe Berne. 1891. XI. VI— VH. Heft 39^
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618 DIPl MASCHENPANZKR DES NATIONAL- MUSEUBiS.
Unter den Etsen-Maschenpanzern bestehen zwei (Nr. 28 und 32)
auB ovalen Bingen ; der letztere ist von gröberer Aasführung, der erstere ist
von 0*5 Cm. Durchmesser, der letztere 0*8 Cm. Ein anderer (Nr. 30) hat runde
Binge mit 0*5 Cm. Durchmesser. Das interessanteste Stück ist Nr. 39 mit
runder Plombe von 1 Cm. Durchmesser, über welcher zwei andere darüber
durchgezogen sind (Fig. 4). Anf der vertieften Oberfläche der Plombe sieht
man einen erhöhten Meister-Stempel, dessen flntzifferung wohl den Zeit-
punkt und den Ort der Entstehung aufklären wird. Interessant ist femer
ein von Eisen- und Eupferringen zusammengesetztes, teils genietetes, teüs
gelötetes Maschenhemd; der Durchmesser der Binge beträgt 1*02 Cm., die
Eörperlänge 40 Cm., also das kürzeste in der Sammlung (Fig. 5).
Ein Bingel-Kragen aus Bingeln von 0*4 Cm. Durchmesser ist das sorg-
fältigst ausgeführte Stück (Fig. 6), es ist dem Kragen ähnlich, welcher in
der k. k. Waflfensammlung in Wien an einer ungar. Bitterpuppe sicht-
bar ist.
Die Helme sind im Ganzen von ähnlicher Form und Ausführung.
Unterschiede bestehen nur in der Länge der halsschützenden Bingelnetze
und in der Gezacktheit des Saumes (Fig. 7 und 8). Auch eine Maschenhaube
ist vorhanden, welche der halb eiförmigen Platte zur Bedeckung des obe-
ren Schädelteiles entbehrt, sondern im Ganzen aus Maschen besteht. Zum
Schutze der Nase hängt zwischen beiden Augen ein Maschenstäck herab,
welches auch den Mund bedeckt. Während die Maschenhelme bei uns lan-
desüblich waren, scheint die Bingelhaube deutschen Ursprungs zu sein.
BiSiiA MajiJlth.
DIE LESARTEN DES ßAVENNAS 138 III D* DES LIX'ANÜS.
In den dem 12. Hefte der «Neuen Jahrbücher für Philologie und
Pädagogik, Jahrgang 1890» beigeschlossenen Teubnerschen Mitteilungen
kündigt Herr Dr. phil. Carl Hosius eine neue Textausgabe des Lucan an.
Laut seiner Voranzeige steht ihm das gesamte von Hermann Usenet
gesammelte und von ihm ergänzte handschriftliche Material zur Verfügung.
Ob sich Usener oder Hosius die Varianten des Bavennas 138, HI, D* ver-
schafft haben, ob nicht, ist mir nicht bekannt. Immerhin möchte ich die
Lesarten des Codex, für dessen CoUationirung ich an Ort und Stelle einen
Zeitraum von mehreren Tagen verwendet habe, veröffentlicht sehen, mögen
sie nun noch der Ausgabe von Hosius, was ich sehnlichst wünsche, oder
einer späteren Edition mit vollständigem kritischen Apparate zu Gute kom-
men. Denn der Apparat von Hosius kündigt sich in sehr knapper Form an,
und mit dem von Weher ist den heutigen Erfordernissen der Wissenschaft
nicht geholfen.
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DIE LESARTEN DES RAVENNAS. ^^^
Die Handschrift, deren Signatur ich in der üeberschrift dieser Zei-
len gegeben, ist ein Membranaceus in 8®, der nach dem Cataloge aus dem
XIV., meines Dafürhaltens aber aus dem XII. Jahrhundert stammt, da
Form und Ductus der Schrift uns ganz an den Vindobonensis lat. 194
(saec. Xn.) des Lucan erinnern. Der Codex besteht aus 111 Blättern, Text
und Schollen füllen die Folien 3 — 111 uns. Auf einer Seite stehen 37 Zeilen.
Der Codex fängt unmittelbar mit dem 1. Verse der Pharsalia an. Die Hand-
schrift habe ich mit der Stereotypausgabe von Tauchnitz verglichen, wozu
ich noch bemerke, dass daß mit cursiven Lettern gedruckte im Codex von
zweiter Hand geschrieben ist.
I. 13. potuit terre. — rigena et nesoia. — scythicam glaciah. — 30. actor. —
e
37. ista. — 46. petas. — 50. itvau. — 51. iurisque tui. — 54. aduersi. — 56. imam]
wird corrigirt in : imam. — 63. te] de. — 64. Aocipiam. — 66. vires . . . dandas.
— 74. repetens. — 100. mediue belli. — 104. An der Stelle von : ducum ist ein
Loch, ober Arma steht ducis. — 1 10. possidet. — 115. furentem. — 118. soceris
medie. — \A0, umbras. — 141. Sed. — 154. perstringens. — 159. populum. —
potentem. — 160. nimias mundo. — 161. mores rebus. — 163. tectisue. — 166.
c
arcersitur. — 169. curionum. — 170. ignotu. — 181. tempore. — 209. iubam. —
o m
et uasto. — 220. apponitar. — 222. flati. — 231. aricinum. — et ignes. — 235.
Impulerat. — 242. nach pila steht: tela. — 246. alligat. — 251. dedisse«. — 253,
saperiqne ad summa Tocantes tomp*
castra. — 287. laiirus. — 310 — 313. Mecum rebus agat veriat longa dux pace
tamor
soluta [Marcellnsque loqiiax et nomina nana catonis] Milite cum subito patesque
la88um
in bella togatae. — 315. saoiabunt. — 324. lapsum. — 334. iam te. — 341. me]
cum. — 349. numina ober durchgestrichenem agmina. — desnnt» — 350. nee]
e
neque. — neque] nee. — 359. Scilicet. — 369. relinquerat. — 397. ripam. —
398. lingones. — 405. nomine. — 408. meneti. — 409. iaoet. — 410. [quum] ^fun-
ditur. — 414. Thetios. — estuat. — 416. toUat. — 419. lates. — 420. satyri. —
421. tarbellicus. — 423. sassones. — 426. monstrati. — [436—440]. — 442. de-
core. — 446. soithie. — 451. driade. — repetitis. — 453. datum est. — 456. isdem.
— 463. crinigeros. — 479. ursprüngliches uident verbessert in : pudent. — ferox-
o
^ue. — 480. incurrit. — 481. ursprüngliches Hunc geändert in: Tunc, — 485. ac-
tore. — 487. Percussum. — 491. urspr. quocumque geändert in quoquemque. —
521. malorum. — 529. mutantem. — 534. e] de. — 545. mulcifer. — 554. thetis.
— 557. sudare. — 563. suam. — 576. iussu qualem. — 583. f agiere. — 588. uoli-
iantis. — 589. nullo quae] que nullo. — 604. AttoUeus apicem. " — 630. Is. — 631.
monetis. — 633. uiscera. — 642, cum] sine. — 649. [o]. — 655. nemeom. — 681.
l lasso
[hic]. — 686. equore. — 695. lapso. — deserta. —
Ex{^c pm» Incip. Sc^. —
H (von 2. Hand)
8. Materiamque. — 13. habent. — casum. — 19. faces. — 21. Erraiüt. —
39-
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620 DIE LESARTEN DBB RAVBNNAS
ec
26. natantee] minaces. — "11, Nondum. — 57. ignes. — 64. Egerat. — 71. uagi. —
79. immensam. — lucem. — 80. deos. — 83. mortem. — 93. libicasque ibi. —
97. usus. — 130. Septimus exequitur. — 141. putrida. — 145. Tunc. — 168.
et oogniU (▼. f. Hand)
condita. — 174. tristis. — 177. Dum. — 185. urspr. effundit geändert in: effodit.
— 188. pondera geändert in: pondere. — 194. receptos. — 200. terre celique. —
206. peotora. — 214. dum] nam. — 216. [ad]. — 226. maiori. — 244. labentem. —
260. Nee. — 263. Ne. — incassnm. — (264. nollet). — 273. magna. — 283. nee]
neque. — 289. uelit. — 299. tumulos. — 309. frangant. — 312. Sie. — ae. — 317.
malonmi. — 332. ex] et. — 335. contnsaque. — 344. ne. — 346. eomitem] sociam.
— 348. relinquar. — 356. gradibns adelinis. — 359. uitat. — 362. astringit. —
365. seruans. — 387. ueneris hnic. — 388. [Urbi]. — 400. iuncto. — 409. equore.
— 416. Nee. — 424, 423, jedoeh dureh beigefügte Buehstaben ist die Reihenfolge
beriehtigt. — 426. urspr. moratos wird geändert in : moratur. — 458. urspr. icta
geändert in : iacta, — 466. amote. — aximon. — 469. eseulea. — 472. nudatiun
eommisse. — 473. lueerie. — 484. undisque. — 491. neequiequam. — 494. muris,
die vier letzteren Buehstaben in Basur. — 501. erebro. — 517. quantum. — 519.
eui fit] eiui. — 535. perfunditur. — 558. fugaees ad bella. — 560. nee. — 580.
[ego]. — 588. timet. — 593. mollesque sophone. — 598. referre. — 604. repleta.
— 611. ereta profugos. — 613. Hane. — altum. — 618. laxasque. — 622. omoe
patet. — 624. epidaurus. — 621. e. — 635. me ist naeh träglieh eingesehaltet. —
645. latio. — 648. paeis. — 651. 650. jedoch dureh Buehstaben die riehtige Reihen-
folge ersiehtlieh gemaeht. — 650. paeis] segnis. -- 653. totprimo. — 677. differret.
— 689. ne. — 699. hee. — 710. eolehida. — 712. littore. — 715. pegasea. — 722.
[Et]. — boete. — 726. tota. —
Explieit Se%c; Incip Tercius.
18. eunete. — 21. [est]. — 35. urspr. amplexum ist in amplexu« geändert
— 38. somni, am Rande al. uistis, — 50. [enim]. — 54. eonseiret. — 58. plebs. —
73 fehlt. — 81. Non] nee. — 88. eonspieit. — 90. Miratusque. — fatur. — 93.
[non]. — 95. daeis. — 101. quodeumque. — 102. fietas. — 124. nostro, am Rande
al. saero. — 127. mouerunt. — 135. inquit] unquam. — 156. non taetus. — 174.
Boetii. — 191. [Et]. — 198. 197., jedoeh beriehtigt. — 202. abluit. — 203. Messi-
aque. — 204. arispe. — 207. reetis . . . ripis. — 221. signare. — 233. thetios. —
244. nune] non. — 249. oregtas. — 250. quorum iam flexus. — 254. ni. — 258. et
ineertum est. — 270. molehis. — 279. negant. — 280. Hine et sidonisB. — 28 h
arimasphe. 293. marmaricas. — 296. ne nune. — 305. Pacifero. — 306. eicro-
pide. — 1^9. Compressa. — 345. adnersis. — 348. earpere] atingere. — 356 :
Finierat, tandem testata est uoce dolorem. — 357 : Ira dneis eonturbato iam pro-
dita uoltu. — 362. ni robora. — 366. ni. — rebellant. — 371. nil. — dieetis. —
1 mestto
377. munime. — 379. eoneendit. — 381. in medio. — 385. fontes et. — 394. per-
det. — 398. prensus. — 411. inest horror. — 441. dodonis. — 464. Vis erat. —
nee enim. — 476. extensus. — 477. e. — 479. Haut. — 489. et vertere] euertere.
— 502. 500. 501. jedoeh naehträglich beriehtigt. — 514., 515., 513. desgleichen. ~
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DIE LESARTEN DES RAVENNA8. 621
l remis (▼. 2. Hand)
516. Stocados. — 526. pupes. — 533. fronte] classe. — 537. tonsis. — 539. possit.
— tonsis] remis. — 549. estus. — eurisque. — 552. repulit] retulit. — 553. capes-
1 in
sere. — 572. A. — undas. — 586. lagus. — 588. Transfigitur. — 591. spargitque.
— 600. pupem. — 601. inpressum. — 613. Diriguitque. — 633. cedit. — 648. reli-
i i
-quit. — 656. obstrictis. — 659. ursprüngl. remo wurde geändert in : remos. —
cum
667. pappe. — 672. hie totum. — 677. uiscera] uulnera. — 679. contorserit. —
702. ad] in. — 703. Sese. — 707. uulnera. — 710. excusse. — 713. procurrunt. —
726. iam in parte. — 748. mersi. — 761. at uictor in equore brutus. —
ExpUcit m« Incipit IUI«
17. minori. — 20. cohercet. — 22. suo. — 28. cum. — 43. uidet. — 50. sio-
cisque. — 57. dilapse. — 58. steht am Rande. — 73. thetim. — 86. amnis. —
l. aquas
87. campis. — 102. equos. — 103. sensit. — 108. ginnit. — 112. ethera. — 113.
inmiseris. — 119. dissolue. — 132. induta. — 133. superemioat — 141. Aut. —
179. agnosceret. — 183. gemis] times. — 196. et oastris miles. - 199. Graminei
luxere. — 213. hec. — 230. pro: nachträglich eingeschaltet. — 235. latus. —
a
240. ore. — 242. ira] ora. — 244. in fehlt. — 246. corpora. — 251. turba scelerum.
— 270. hostem. — 274. hoc uulnere, jedoch gestrichen, und darüber mihi sanguine
l. fa
geschrieben. — 285. in, doch geändert in : ut. — 296. uestigia. — 300. urspr. Aut
geändert in : Haud. — 305. siocos possent. — 315. Sordidus. — 317. Distinguunt.
— et. — 346. causa . . . sola. — 357. uictis. — 359. nee. — 362. Hec. — 367.
an n (t. 2. Hand)
Incumbit. — 380. mirraque. — 386. uibrasse. — 397. diductos. — 400. actor. —
405. iader. — 423. Non. — 426. uerberat. — 438. penne. — 441. ligans. — 444.
lustrare. — 451. laxe. — 452. nee illa. — 461. Taurominitanam. — 464. et. —
472. atra] umbra. — 477. in tempore. — 484. Arcessas. — 486. ciues iugulis. —
at. nimiom
495. [e]. — 525. uergere. — 535. Promissa sibi morte manu. — 557. minimumque.
cum i. tum pondere
— 560. non. — 562. cum] sed. — 563. incurrunt. — 564. pectore. — 568* de-
que
^pectant. — 586. clipeam. — 604. resumpsit. — 606. libie. — 620. Mirantur . —
neque. — 622. Exauritque. — 639. qua] cum. — 644. Erigitur. — 647. terre. —
e i
649. sustuUi — 651. permittere. — 662. seruatque. — 666. ceserat. — 675. Des-
tinat. — 677. Aut dolopes. — 681. c. t.] contorsit. — matax. — 703. miles cam-
a
pum. — 706. [et]. — 719. incauto. — 720. lacesset. — 733.1atis. — 739.Actorem.
— 745. mensos. — deiecit. — 751. in rigidos. — 762. uUi. — 771. steterant. —
776. et. — 786. lapsus. — [et]. — 806. Ferre. — 810. contentus. — 814. Non. —
Explicit im» Incip. V«
3. spargerat. — 39. libies. — 45. non est finem. — 55. rasfipolin. — 58. Et.
— 59. ptolomee. — 61. Permissum est. — 74. triaterica. — 77. mmmam nach-
trägUch eingeschaltet. — Nach 81 und vor 82 steht die Zeile : Hec mandata uiriß
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622
DIE LESABTEN DES RAVENNA8.
dabat ante patarea themis. — 91. hominis. — 102. nullisque. — 103. se Bolum. —
106. Mortale^. — 138. Carmina. — li5. Horrentem. — 150. Intinctam. — 154»
I. ho
errore. — 157. sensit. — 159. ni. — 171. templa. — 180. Excerpit. — 195. [o]. —
210. lociita. — 211. ille. — 214. nusquam. — 218. multa. — 233. rannos. — 237.
remeabat oesar. — 249. [est]. — 250. ex. — 274. parum est. — 279. galeam. —
tuis
307. certe] cesar. — 310. bella] tela. — 31 1. suis. — 313. [et]. — 314. sceleris. —
322. inbelles. — 326. hoc. — 333. defecta. — 336. cimcta. — 341. premet. —
t. qnit
349. relinqnens. — 350. Non. — 368. dextreque. — 372. diri. — 374. Brundusium.
— 376. tarax. — 377. salpina. — 398. tantiim careat. — 399. fastis. — 404. [et\
— 407. Brundusii. — 410. hesisse. — 41 1. Dum. — 426. totosque. — 436. boforus.
— 441. meothica. — 451. minasque. — 461. iunctis uidit. — 462. genesus. —
463. Giroumeunt. — 465. genesum. — 470. direptos. — 474. infausti sobolem. —
nepotis. — 481. malorum. — 505. Parua. — 519. tecta. — 529. hec. — 531. i-e-
clnso. — 535. manibusque. — 542. nothum. — 550. nubes. — 569. parat. — Euros]
austros. — 572. nenient. — 579. actore. — 580. est hec. — 588. manum. — 602.
pareat] ooncidat. — 617. mUo. — 623. thetis. — 625. Tunc. — 638. Quantum. —
644. cumulos. — 648. fluctum. — 672. Hoc. — 687. [est]. — 691. queqnam. —
692. sors. — 696. summam belli. — ille. — 697. qusB. — 698. Hü ne. — 706.
docteque. — 713. Effirufunt aus Eflfugiunt. — 717. üt. — 719. temptata. — 725.
remota. — 732. blande. — 733. [et]. — 736. grata] blanda. — 739. non nunc uita.
oiant I. magni
— 751. quatent miserum. — 757. nostri. — 760. [etl. — cesserunt [e]. — 761.
nii
nox. — 782. beUa. — 783. Nam. — 786. mittüeae. — 801. carina [est]. — 805.
t. sibi
tibi. — 810. fngam. — 811. quamuis flamma tectas. —
Explicit V" Incipit VI«-
1. uom
15. littore. — 17. epireaque, — 24. mouentibus. — 40. recessu. — 42. nas-
« L nt
taque. — cingit. — 48. Non. — atoUit. — 51. Et. — 58. flexum. — 67. Aut. —
t. ob
69. primus. — 73. Ac. — 81. gramina. — 82. atrivit. — 85. cum plena] quamuis.
— 90. nessuB. — 114. queant. — 115. demittere. — 1 1 6. ante hoc] anteac. —
126. numici. — 127. hie. — 128. in. — 134. et nimbus. — agens. — 135. lampadis.
a
— 136. lapsusque. — 137. mugit. — 139. patebunt. — 154. et in bustis. — 168.
en
Zu scituri am Bande J. securi. — 176. ipso. — 179. stridentque. — 181. Admouere.
— 199. et. - - 201. Promoueat. — 203. Aiit. — 228. furorem. — 230. fermm. —
I. f
231. nil prosunt. — 245. minor est uobis. — 252. deseotum. — 253. uelut. —
254. uiuam] tum iam. — 287. subducit ciroee. — 291. inmisit. — arma und l.
uiU
agmen. — 292. obsossum. — 311. roma. — 314. auerso. — 316. quocumque. —
e
317. sui. — 328. ne quid hello. — 331. gandauia. — 337. At. — rapidique. —
339. auersos. — 346. pelago. — 352. teliosque. — 354. sagitis. — 364. enichinadas.
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DIE LEBARTEN DES RAVENNAS. 023
366. Euneoe. — 374. melaxque. — 3S± bebricio. — 385. magnetes. — 388. fragen-
tem. — 400. pegaseo. — 402. ionos. — 408. antra 1. arua. — 411. se] tunc. —
deli I. ere L faU
425. phebi. — 427. Ore. — 428. Fixa. — 437. Transierat. — 464. et. — 468. ne-
recMsit
biilas latel — 475. Menander. — 479. thetim. — 483. remisit. — 485. Omnipotens.
cantu i
— 501. duris. — 505. tantos. — celo. — 520. fulmina. — 524. litantes. — 527.
carp
526. jedoch berichtigt. — 541. Immergitqne. — 544. rapuit. — pressit. — 548.
tabe. — 553. e. — 558. sie] si. — 561. [est]. — 570. urspr. ut geändert in ubi. —
i. consparsos
573. magistri. — 582. 581. — 582. Conpressos. — 581. Polluto. — 587. quod. —
l. at
591. deuertere. — 592. incertnm. — 596. percussa. — 604. letatur uulgate. —
()06. ueUet. — 617. At. — 622. ne. — 637. traieto. — 656. Sed. — 672. dure. —
673. medulle. — 674. pupem. — 675. echinus. — 679. libice. — 681. nee] et. —
686. confundit. — 688. gemitusque. — 700. nostre. — 703. sores. — 710. exta. —
711. Imposiüt. — 729. nimpit. — 730. Ctesiphone. — 740. ethnea. — 742. parens]
ceres. — Zu 753 am Rande : 1. subrepsit. — 758. in illo est. — 771. tenet. — dis-
cedit. — 777. (Tristia). — 778. Aspexi. — 780. atigit. — 782. Eiisiasque. — 786.
animas bellis. — 797. calibis. — 814. horis al. aruis. — 815. Ipse. — 818. Dia-
tribuet. —
Explicit VI« Incip. VII«-
I. maxima
3. currusque. — 7. magni. — 47. ultima. — 59. Propositum est. — 62. actor.
i 8 t tu«
— 68. te o. — 72. Humano. — generi . — 77. sua. — Zu 86 am Bande : al. pro-
h faU
picios. — nota. — 87. cunctis inquit. — 100. mortemque. — 102. pugnam ne. —
105. fortissimus. — 106. instant. — 130. [est]. — 136. terris. — 139. cotibus. —
tipho I. erecta
143. artat. — 156. phitonas. — 157.fulgure. — 159. ereptaque. — 169. Eumenides.
— 176. boetida. — 183. gaudens. — 191. nescit in] nescius. — 199. numen. —
L mo
211. uouebunt. — 220. firons dextri. — 229. sidonas. — 230. et itereis. ~ 232.
celtras. — 244. [et]. — 257. pignora. — 258. emeritos. — 262. gladiis. — culpam.
— 268. nihil. — 273. toto. l. moto. ~ 280. triumphum. — 286. quarum. — 289.
fallor. — 295. tela] bella. — 301. Qaoue. — 302. Tantum thessalice. - 308. moue-
o e
bit. — 310. uictum. — hostem. — 313. distringere. — 318. Ast ego uos oro. —
324. uiolaberit. — 325. imputet. — 327. ut] in. — 331. ceresque uiris capiunt. —
1. domintuD
335. locasset. — 343. dies. — 363. compressum est. — 373. domini. — 374. popu-
nixiHHe
lum populusque. — 380. et vester. — 385. procurrunt. — 396. iussisse. — 4^)6.
1. annis ,, ,, ,,
corpore. — 419. Ostendit. — 421. armis. — 436. incognita nostris populis. —
abHtulit (v. 2. Hand)
449. petit. — petit. — 450. minantes. — 451. Casus. — 452. Intulit. — 461. di-
repti. — 463. 462. — 462. quaerunt] poscunt. — 478. irrumpit. — 481. resonare.
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an
DIK LESARTEN DES RAVBNNA8.
iter oon
— 498. torta. — 506. deduxit. — 51 1. petitur cimctis. — 519. aer. — 548.
Non illic regum. - - 552. partem belli. — 554. liceat bellis. — 555. Ha (d. ist Ah).
— 557. populi. — furoris. — 559. ignes animis. — 560. Conspicit. — Die Stelle
von 560 manent bis 561 craenti durch einen Riss unleserlich. — 575. cqntondere.
1. rer
— 579. regum. — 593. arcem, 594. hu(manum) culmen fehlt. — premum/V/7 —
598. non m.] commixta. — 615. moriar. — 619. vulnua] ferrum. — 623. cadant
— 634. quod. — 635. ubi. - 641. seruiat. -— 643. regno. — 664. Obruat. — 676.
t. te Li
(Causa). — tuis. — negatum. — 677. Tunc. ~ 689. dura. — 697. Ostendet —
705. Longo crede deis. — 728. arma. — 739. nee. — 746. nee plura locutus] de
milite iussu. — 751 . uolunt. — 753. coniestae. — 756. Quodque legit. — 757. [hoc],
— 758. disponderit. - 768. putem. — 771. meritis. — 780. descisset. — 784.
Heu] o et. — misero pene. — 785. iniestaque. — 791. depressos] sidentes. — 795.
latentes. ~ 807. coniestas. — 816. Hec. — erunt. — 822. Abstrahe. — 828. do-
musque. — 844. Degustantque. — 870. totum absoluitis. —
Exphc. \Ib Incip. Vm*
7. redit. — 20. urbes. — 21. penas longi. — 27. pudet. — 37. cortina. —
R
39. rector. — 41. iubet. — 57. squalentem. — 66. quam. — 77. [pietas]. — 80.
decessit. — 99. obis. — 108. tessalie. — 109. iam pleno. — 114. reuisent. — 120.
bellum] fatum. — [124.]. — 130. nobis. - - 133. uUo littore. — pupem. — 137.
Materiam. — 139. 0 heu. ~ 143. est - 157. niülis. — 164. iacentem. — 177.
Surgit. — 178. Bophoron. — [et]. — 179. descendit. — 184. sirtim. — 194. pup-
et ). clAiutn
pem. — 195. Samiaß] asine. — 208. sceptraque. — 220. astricta. — 222. castra.
— 223. alumnos 1. alanos. — 224. achimeniis. — decurrere. — 227. nipheus. —
230. uos. — 231. Solusque e. — 236. claustris. — 237. Zeumaque. — 243. littore.
246. Badit. — choo 1. eoo. — 248. temesidos. — 251. steht von erster Hand
am Rande. — phaselis. — 255. dipsanfca. — 259. sinedris. — 260. Quo. — mittitque.
a
— selinis. - 270. et plenis. — 271. pulsum. — tenebis. — 275. quam toto gessi-
mus. — 277. libiam. 279. proceres] uobis. — 280. Exponam. — 293. unda est
— 299. Bractaque. 300. domus. — 302. pharetras. — 312. uulga. — 326. Con-
eurrent. — 327. crassos. - sensit. — 335. quod. — 336. totos. — 338. ciütura. —
339. cause. - 353. sparges. — 355. Perdet. — 356. Si ciui. — 366. Ibitur. — 372.
). ari«H
conscendit. - 377. arces. — 378. Aut. — Zu 381 am Rande: J. cedisse. — 382.
ü
usquam. — 387. uacuaque. — 393. te ut. — 395. melior. — 396. non. on (gestrichen).
— 397. num. uobis. 398. ignam. — 402. uUis. — 404. una] tota.--405.matris.
de
— 407. oedipodionidas. - 418.petisse. — 419. legisse. -420. tuique. — 421. uobis.
1. qai
— 423. bracta. - 426. ducum. — iaceret. — 428. tessalia. — 436. que. — 448.
ptolomeus. — 454. sors. — 463. gratum] caeium. — 479. uinxerat. — 483. damp-
nare fotinus. — 484. ptolomee (beständig diese Form!). — 488. ut] et. — 494.
I. pietat« 1. umbriH
uirtus. — 497. uicto«. — 499. nilumque. — 502. fiierit. — 505. armis. — 506.
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DIK LESARTEN DES RAVENNA8. ^25
Non. — fugit sed ora. — 524. que te nostri. — 541. monstri sociis. — 564. celsa.
). dura
— 567. uetat. — appellere. — 577. puppern. — 582. surda. — 584. [me]. — 586.
num. — puppern. — Zu 587 am Rande : 1. alto. — fugere. — 588. e. — 601. uaca-
ret. — 617. flammam. — 618. Sed. — 620. Bespexitque. — 631. uita. — 632. fit.
— 636. anima. — 639. te eingeschaltet. — 648. matrum quae. — 650. quem. —
1. np
665. niohil. — 677. sacrum diro. — 681. compressa. — 688. sceleris. — 689. nip-
t. peritun
toqne. — 692. permiraque. — 715. codrus. — 716. ycario. — cirenee. — 734. cantu
triöti. — 738. desunt. — 741. funere. — 745. semustaque. — 746. Subducit. —
761. nudo. — 762. ille. — manem. — 764. nee. — 777. magmuns (sie I) lentum
distillat. — 786. semusta. — 788. coniestaque. — 792. semusto. — 799. tumuli
est. — 802. magnus. — 803. Rura. — potes. — 806. digneris. — 809. sertorii. —
827, precor. — tantö pro. — 831. Non. — rocepimus. — 832. Semideosque oanes.
— 835. dederis eingeschaltet. — 841. umam 1. umbram. — 851. Nam. — 853.
iuvabit
quis] pars. — 857. Auerfcet. — hbebit. — 864. tnsco. — uenerantur. — fulmen. —
865. sepulcri] futuris. —
Explicit VIII'^ Incipit IX»«
3. semustaque. — 6. Quodque iacet. — 13. nocte] nube. — 25. Excipit et.
— 29. Die sui tota. -- 38. Certa. — diota. — 39. percludere. — 40. phitona. —
L reng
41. Surgit. — 44. tiranno. — 45. Cum. — 69. Quod. — 73. Non. — 79. tenens.
— 105. Contusa. — 111. alte. — 116. morte. — 119. Catonis] tonantis. — 121. a.
— 122. in. — 126. sora. — 127. Quodque. — 129. actore. — 131. Hospitiis. —
136. nostri] patris. — 138. qua. — deformia. — 164. genitor populis. — 172.
puppe. — 173. rursus. — 177. Exuvia. — 183. reuocare. — 190. multum. — 192.
OH
nulla. — 197. retentis. — 213. Fatalem. — 217. fremit. — 219. tarchon motus. —
I. aiotoK
[225.]. — 236. tactos. — 243. sequar. — 244. liceant. — 246. toto. — 250. patriam
eemper. — 252. pupim. — 254. pubes. — 261. uocanti. — 263. potuit uestro. —
277. coniunx magni. — 285. liquuni — 290. Florigeri. — 295. seriemque. —
1. ni
299. catonem. — 300. libicis. — 301. uetarat. — 310. nullos. — 331. man est. —
1. ondis
332. effudere frementeoi. — 333. liber uentis. — 338. saevit] sepe. — 341. aruis.
— 342. aque. — 349. murmura. — 353. uidit] lauit. — 355. lethes. — 358. spolia-
tis. — 359. famam qui. — 367. pompa. — 368. proiectaque. — 369. garamantidas.
— 370. libies. — 373. fines. — 376. nee] ne. — 379. secuti. — 390. sunt. -- 392.
putent. — 395. primus gradusque. — 397. nostra. — 400. Estuat. — 406. calentes.
~ 418. Effundunt. ~ 419. discedit. — 420. libies. — 424. neque] nee. — 425.
pnra] diues. — 427. usus. — 428. cedri. — umbra. — 432. proiecta. — Zu 434 am
L es l. ülum
Bande : habe 1. uinee. — [445]. — 448. accipit. — 449. ortum. - 451. se. — 454.
harenis. — 455. cum toto. — 456. Inflexus. — 463. solito quoque romanum. —
uiolentior. — 469. nobilius. — 470. Nonquam (und so gewöhnlich statt numquam).
— 474. extrema. — 489. tenetur. - 494. etheree. - 499. Ineensusque] Exarsitque.
üngMritahe Beme. 1891. XI. VI— vn. Heft. 40
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626
DIE L>:SARTEN DES RAVENNAS.
— 504. ille. — 506. terra. — 507. mollisque. — 508. pena quantum. — [es]. —
510. imum. ~- 512. corniger. — illic. — 516. altaria. — 525. abstulit. — 528. Hie.
}. qna
— 531. quo. - 538. qiücumque. — direpta. — 54-1. summo] semper. — 546. cee-
sare. — 562. saltem. — 568. et] sed. — 575. actor. — 578. ubi] nisi. — 584. pro-
fatuB. — 588. uapores. — 598. libiesque. — 604. Hirne. — 605. quam. — 615. in
dente. — minatur. — 617. libies. — 619. exudet. — 632. soluti. — 646. cetosque.
— 647. pelago celoque. — 652. retorsum. — 653. gorgonos. — 654. colonis. —
658. e. — 659. partum danee. — 661. actoris. — 664. A. — 668. Gorgonos. —
L colli
aduerso. — 673. protecti. — 677. ferri. — 682. auersi. — 684. rapta sie. — 686.
Aera. — 711. Chelidros, — 714. pictus. — 719. amphisibena. — 721. pbaroeas t.
caryas. — 724. cunctis. — 728. auratato. — 740. Frone. — 743. Et bibit. — 744.
). is
ligam. — 748. quin] ne. — 753. libie morti. — fatique. — 757. sibi] et. - 764.
t. flxo
flexo. — 765. arene. — 768. ora. — 769. nondum. — 775. Affluit. — 777. con-
texta] iunctura. — 787. cinipeas. — 795. Afflatur. — tollente. — 810. rutilatnm
\. leue Htifdaii
[pro]. — 815. uele. — 818. soeias. — 820. uirgas diro. — sabeas. — 828. baliscus.
— 831. dimittit. — 832. expectans. - 837. salpiga. — 840. [est]. — 847. norant.
a
— duee celo. — 848. arma. — 854. nichil. — 861. horam. — 865. clastra. —
]. u
867. istinc. — 870. et] boc. — 887. illum. — 888. in pectore. — 895. cantu. -
). re
cessante. — 901. Letifica. — 916. per regnaque. — 917. oatbaris. — 919. taxos.
1. erit
— 920. larice. — 931. audit. — 938. tandem leuior. — 943. redire. — 956. pelagi.
— 962. simoontis. ~ 963. Rohechion. — 970. patentes. — 973. oenonen. — 975.
sancxtus. — 979. Hectoreas. — 982. nee. — 989. thuriferos. — 994. obstruso. —
1009. regnis] muri?. — 1019. querens. — magnus. — 1021. tecum est — [est]. —
Am Rande 1. scelus. — 1027. facili nobis. — 1034. noti mutaverat] non inmutauerit
paUnt)
— 1039. lecto. — 1040. potens. — 1047. Huccine. — 1049. nefasque. — 1052.
Angeris. — 1053. alii. — 1054. e. — 1062. aude«. — 1065. penis. — 1074. [ues-
ut
tris]. — 1080. ne. — 1102. nunc. —
Explicit IX«- Incipit X»
8. populum pro te. — habebit. — 9. securus fertur. — 10. iam. — 14. pauo-
res. — 18. uultuque. — 25. sibi] si. — 29. uictas. — 37. non. — 40. fronte. — 44.
que
relicta. — 48. arcto. — 50. ortum. — 53. Jam . — 60. Romana. — nunc. —
1. ar
agros. — 71. ignis. - 74. tessalice. — 79. libies. — 80. deprendit. — 84. Quam.
— 95. fotini. — 99. fimores. — 103. fotini. — 106. iudice] cesare. — 109. Exple-
uitque. — 112. Exstruit. — 122. Fulcit. — thoros. — 123: Hie thorus assirio
cuius pars maxima succo. — Nach 124 folgt : Strata micant tirio quorum pars ma-
xima succo (123). — 126. tiriis. — 130. nullas. — 137. fuscata. — 138. contempta.
— 144. hinc. — 153. abductis. -- 155. Infundere. — 167. externe. — terre. —
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KURZE SITZUNGSBERICHTE. ♦>i^7
175. Lauigerum. — 181. cicropium, — 190. latentis. — 195. Edere. — 197. celi-
colas. — 201. anni] eui. — 211. rapidos. — 212. mutatur. — 217. actusque. —
219. quod creecit. — 223. fluuium. — 225. [Nilus]. — 226. Canis] solle. — 229.
hibemis. — 232. neu. — 234. torpente. — 236. phebns declinet. — 240. ascripsit.
— 244. rumpentes. — 245. Asddue. — flatn. — 252. palusque. — 257. Equoreas-
que. — 268. cupido est. — 271. uinoat. — 272. quem. — 273. misit. — 276. occa-
1. guttnre nipto
sum. — 285. nili. — 300. proferre. — 302. gurgite rapto. — 303. meroes. — 305.
fre
estates. — 310. facile. —- 310. 309. — 314. ponto. — 316. totas. — 321. tremunt.
— 322. albescit. — 323. Hunc. — 324. percussa. — 328. in] et. — 329. In. —
t. receptig h saora
quietis. — 333. fotini. — 334. tarn clara. — 336. Imputat. — 337. deae] umbrae.
— 338. Pharias] uiles. — 344. fata. — 353. inque simul. - - 356. occurrere. —
364. tuum. — 365. ruenues. — 369. e. — credit. — 373. 372. — 373. noctiimas.
— 380. Quod. — 386. sede. — 389. quod. — 400. mox. — 405. iussusque. — 415.
superi. — 417. generi socerique. — 422. districta. — 428. contenta summi. —
429. raperabile. — 430. üllam. — 432. fotini. — 434. prosexit. — 437. in. —
b
440. Diffusus. — 447. feruet. — 448. mulcifer. — 449. qui nuper. — 451. causas.
— sperare. — 470. actore. — 475. Victaque. — 483. diuisa. — 489. [das erstere
hos]. — aditus. — 490. fidnoia. — 492. cunctis. — 502. aerio. — decurrere. —
504. paulum clausa. — 512. bellorum] ad bellum. — 514. Cesar et. — aditus ac]
ut uidit. — 515 : Ostia nou fatum meriti penasque photini. — 517. auido. — 518.
gladio ceniix. — 521. arsenoe. — 523. agillea. — 525. ut] ubi. — 532. nuUo. —
533. una. — et in secula. — 534. exiguo. — 535. M.] morte. — 540. nee] non. —
5i5. epidaune. — Explicit feliciter.
Der zweite Ravennas Lucani (Scans. 139, VII. G) ist vom Jahre 1470,
in foP, Chart, und initio mutilus. Dr. Eudolf Vari.
KURZE SnZUNGSßEWCHTE.
Akademie der Wissenschaften. In der Sitzung der zweiten Classe vom
1 1. Mai las Alexander Szilägyi über Georg IL Rdköczy in Polen. Räköczy's Vor-
bereitungen zu seiner Offensive gegen Polen hatte Vortragender schon gelegentlich
der Vorlage des I. Bandes seines Werkes «Siebenbürgen und der Krieg im Nord-
osten! erwähnt. Räköczy bildete unter seiner eigenen Führung eine Coalition der
kleineren Oststaaten, zu welcher die beiden Walachenländer und das Kosakenland
gehörten, und verband sich mit dem Schwedenkönig Karl X. Anfangs Jänner 1657
begab sich Räköczy an den Versammlungsort seiner Truppen nach Visli, wo er
einen kurzen Reichstag hielt. Der Kaiser, die Polen, selbst der russische Czar be-
mühten sich, den Fürsten von seinem Plane abzubringen, doch der auf den Erfolg
seines Unternehmens vollständig vertrauende Räköczy liess sich durch nichts be-
wegen. Allein die Witterung gestaltete sich für ihn so imgünstig, dass der Ueber-
gang über die Marmaroser Alpen übermenschliche Anstrengungen erforderte.
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628
KURZE SITZUNGSBERICHTE
Seine polnisohen Freunde, auf deren Ansohluss er sicher gerechnet hatte, wurden
auf die Kunde, dass er sich mit König Karl zur Teilung Polens verbunden habe,
sämmtlich seine Feinde. Doch die Polen konnten, ohne Truppen, blos ihre Fe-
stungen vor ihm verschliessen. Rdk6czy aber eilte, das von den Schweden besetzte
imd von den Polen belagerte Krakau zu entsetzen, um hier seinen Einzug zu halten.
Sein Heer zählte mit den Walachen und Kosaken vereinigt 49.000 Mann. Die
Festnngscommandanten Hessen sich in Unterhandlungen ein, denen zufolge Lern-
berg und die anderen Städte sich zur Neutralität verpflichteten. Nach Bäkdczy's
Uebergang über den San kam zu ihm der kaiserliche Gesandte Szelepcs^nyi, um
ihn mit allen Mitteln zum Bückzuge zu bewegen, während er dem polnischen
Marschall Lubomirski für den Fall der Ausdauer des Kaisers Hilfe in Aussicht
stellte imd auch zwischen Räköczy und den Kosaken Zwieti-acht zu säen trachtete.
Doch zog Szelepcseuyi un verrichtet er Dinge ab. Nach der Einnahme Przemysls
eilte Räköczy, sich mit Karl zu vereinigen. Am 28. März hielt er in Krakau einen
glänzenden Einzug auf einem türkischen Zelter, gefolgt von schwedischen, sieben-
bürgischen und kosakischen Grossen und zahlreichen schwedischen, kosakischen,
walachischen und siebenbürgischen Reitern, und bezog, nachdem der Bat ihm
den Eid geleistet, Stefan Bäthory 's alten prächtigen Königspalast. Am 11. April
fand in Krzistopora die Vereinigung mit dem Schwedenkönig statt, wobei noch
glänzendere Festpracht als in Krakau entfaltet und im Kriegsrat das weitere Vor-
gehen festgestellt wurde. Nach ihrem Weichselübergang traf sie aber die Kimde
vom Tode Ferdinand's HI. und vom Angriff Dänemarks auf Schweden, worauf Karl
Anfangs Juni sich von Bdköczy trennte. Bäköczy nahm seinen Weg, im Vertrauen
auf das Eintreffen der vom Kosaken-Hetman erwarteten Hilfe, nicht nach Galizien,
sondern nach Kleinrussland. Dies führte seinen Sturz herbei. Denn es kam nicht
nur die von den Kosaken erwartete Hilfe nicht, sondern hier fielen auch die bei
ihm befindlichen Kosaken von ihm ab, ebenso Hessen ihn die Walachen im Stich
und, bei Czarniostrov von den polnischen Truppen umzingelt, war er gezwungen,
sich den Polen auf Gnade und Ungnade zu ergeben. Erniedrigt, gebrochen, krank
kehrte er heim, während sein Feldherr Kem^ny mit dem siebenbürgischen Heere
in tatarische Gefangenschaft geriet.
— In der Plenarsitzung der Akademie am !25. Mai meldete der General-
secref är das Ableben von vier Mitgliedern : des corr. Mitglieds Bela Grünwald,
dessen Tod er in warmem Nachrufe als grossen Verlust für die Wissenschaft be-
klagt-, des corr. Mitglieds Daniel Gondol und der auswärtigen Mitglieder Karl
Nägeli und Ernst Birk. Die respectiven Classen werden mit der Sorge für Denk-
reden auf die Dahingeschiedenen betraut. — Hierauf las der Generalsecretär die
Austrittserklärung des corr. Mitglieds August Lubrich, welcher es sich zum Herzen
nahm, dass die Akademie bei der letzten Entscheidung über den diesmal einem
philosophischen Werke zuzuerkennenden grossen Akademiepreis sein Werk nicht
des Preises würdig erachtete. — Dann las der Generalsecretär die Danksohreiben
fünf neugewählter Mitglieder, darunter des Directionsratsmitgliedes Graf Albin
Csäky, welcher der Akademie die wärmste Förderung ihrer Interessen verspricht.
— Darauf folgte die Verlesung einer Zuschrift des gemeinsamen Finanzministers
Benjamin Källay, welcher der Akademie ein Exemplar der von der bosnisch-herze-
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KURZE SITZUNGSBERICHTE.
cm
gowinischen Regierung besorgten Praohtedition des Missale glagoliticum Hervoias,
Herzogs von Spalato, übersendet. Die Akademie spiicht für das Exemplar ihren
Dank ans. — Der Generalseoretär meldet, dass auf die Einladung zu der am 16. Mai
stattgehabten Eröfinong der czechischen Akademie der Wissenschaften ex prsBsidio
eine lateinisch verfasste Begrössungsadresse abgesandt wurde. — In Angelegenheit
der Sz^chenyi-Denktafel sendet das kön. ung. Finanzministerium 1000 fl. als Beitrag.
Die Donau-Dampfschifffthrt-Gesellschaft entsendet vorläufig ihren Direktor Ludwig
Ullmann in das Executivcomit^. Die Walzmühlgesellschaft sendet 1000 fl. Beitrag
und exmittirt ihren Präsidenten Baron Friedrich Kochmeister als Comitömitglied.
Das Nationalcasino sendet 1000 fl. und designirt den Grafen Stefan Kärolyi als
Comitemitglied. Der Jockeyklub schickte 1000 fl. und entsendet den Grafen Elemer
Batthyäny, eventuell den Grafen Aurel Dessewfff als Comitemitglied. Ausserdem
spendet der Walzmühldirector Eonrad Burchardt für sich selbst 300 fl. Die Spen-
den wurden mit Dank entgegengenommen. — Das in Angelegenheit der Einführung
der neugriechischen Aussprache beim Unterricht des Altgriechischen in den Gym-
nasien und der Errichtung einer Professur für Neugriechisch an der Handels-
akademie entsendete Specialcomit6 unterstützt den die Errichtung eines neugrie-
chischen Lehrstuhles an der Handelsakademie betreffenden Wunsch, erklärt femer
für den wissenschaftlichen Unterricht im Altgriechischen die phonetische, soge-
nannte erasmisohe Aussprache als allein zulässig, jedoch auch den aus Opportuni-
tätsgründen etwa damit zu verbindenden Unterricht in der neugriechischen Aus-
sprache als annehmbar. Das betreffende Memorandum wurde nach kurzem Ideen-
austausch zum Zwecke klarerer Bedaction des Schlusspassus an die Commission
zurückgeleitet, im Ganzen aber mit grosser Anerkennung aufgenommen. — Eine
Zuschrift des Vizebürgermeisters K. Gerlöczy zeigt an, dass bei der Evakuation
des alten Kerepeser Friedhofes die Gräber der literarischen Notabilitäten dem
Wunsch der Akademie entsprechend intact bleiben werden. Schliesslich wurden
mehrere laufende Angelegenheiten erledigt.
— Die nationalökonomische Section der Akademie hat in ihrer Mai-Sitzung
die demnächst auszuschreibenden Preisfragen festgestellt. Der Section stehen im
laufenden Jahre folgende Preise zur Verfügung: : I. Der 500 Gulden- Preis der
Ungarischen Allgemeinen Assecuranz für statistische oder volkswirtscbafthche
Fragen, eventuell für Prämien ; H. der 500 Gulden-Preis Heinrich v. L^vay's für
ein nationalöconomisches Werk, das einen selbstständigen Wert hat, und HI. der
Preis Karl Ulimann *s, 360 Gulden in Gold, für eine volkswirtschafthohe IVage.
Die Mitglieder der Section Dr. Julius Kautz, Dr. KarlKeleti, Dr. Alexander Matle-
kovits, Ladislaus K6vdry, Josef E6rösi und Dr. Karl Mandello hatten mehrere
Fragen in Vorschlag gebracht, von welchen die Section sich für folgende erklärte :
für den Preis der Ungarischen Assecuranz : Die Schuldenconvertirung sowohl
vom Standpunkte der Theorie als von dem der Praxis ;
für den L6vay-Preis : Eine Erörterung der in den verschiedenen Staaten
hinsichtlich des Verhältnisses des Kohlenbergbaues zum Grundbesitz bestehenden
legislativen Bestimmungen und der volkswirtschafthchen Wirkung derselben, mit
besonderer Bücksicht auf unsere heimischen Verhältnisse und auf das zu schaffende
Bergrechtgesetz ;
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^>'^^ KÜRZE 8ITZÜNOSBERICHTE.
für den Ulimann-Preis : Es soll die Entwicklung der DonauschifiFfahrt in
Ungarn seit 1 830 und die volkswirtschaftliche Bedeutung derselben erörtert wer-
den, insbesondere innerhalb der österreichisch-ungarischen Monarchie und im
Vergleich mit den Verhältnissen anderer mitteleuropäischer Ströme.
Nachdem noch mehrere laufende Angelegenheiten erledigt worden, hielt der
juristische Director der Arväer Domäne Karl Kubinyi jun. einen Vortrag über
die volkswirtschaftlichen und CuUurzustände im Arvder Comitat. Nach einer
Skizzirung der geographischen und Populationsverhältnisse weist er besonders auf
den Einfluss hin, den das Magura-Gebirge, welches das Comitat in der Mitte durch-
schneidet, auf das Elima, auf die Sprache und die Sitten der Bevölkerung hat. Bis
1848 waren 95 o/o des Comitats Eigentum der Thurzöer Herrschaft, und nur 5*^0
gehörten anderen Edelleuten. Der Mangel an industriellen Unternehmungen und
nutzbringenden Producten, wie auch der Umstand, dass blos Hafer, Kartoffel und
Gerste im ganzen Comitat, Korn und Weizen aber blos in den südlichen Teilen
desselben gebaut werden können, machen das Comitat zu dem ärmsten des Landes.
Das Erträgniss der 222.000 Joch Ackerfeld wird mit je 87 kr. angenommen, so
dass auf jeden Bewohner des Comitats 2 fl. 37 kr. entfallen. Vortragender schildert
dann den Verfall der Flachs- imd Hanfcultui* und der damit verbundenen Lein-
wandfabrikation in düsteren Farben, besonders den Missbrauch, welcher von frem-
denHändlern getrieben wird, die ausländische Erzeugnisse als Ärvaer Hausindustne-
Ai-tikel verkaufen, zu diesem Behufe die Arvaer Bauern als Kutscher oder Verkäufer
mieten, den FamiUen derselben Vorschüsse erteilen, für welche sie ihnen in
nächster Zukimft ^ich das letzte Stückchen Boden entreissen werden. Mit beis-
sendem Humor bespricht er dann die cnlturellen Zustände, wobei er die Intelligenz,
Gastfreundschaft und Bildung der besseren Classe lobend und anerkennend her-
vorhebt. Leider macht jedoch diese Classe. welche etwa mit 400 Köpfen angenom-
men werden kann, kaum ^,o/o der Bevölkerung aus, während die anderen 99V j%
auf der tiefsten Stufe der Cultur stehen. Die Behörden tragen daran nicht wenig
Schuld, da sie für Alles mehr opfern, als für culturelle Zwecke. So führt Vortra-
gender als Beispiel die Csaplovics sehe Bibliothek an, welche, 20,000 Bände stark,
vor mehreren Jahren dem Comitat geschenkt wurde. Das Comitat hat seither auf
die Vermehrung der Bibliothek nicht einen Kreuzer geopfert, ja selbst die wert-
vollen Editionen der Akademie, welche der BibHothek als Geschenk zugesendet
werden, bleiben ungebunden, ungelesen liegen. Dabei verbietet das bezüglich der
Bibliothek geschaffene Statut ein Ausleihen der Bücher, ein Leseraum steht aber
ebenfalls nicht zur Verfügung.
Auf die Nationalitätenfrage übergehend, bemerkt der Vortragende, dass der
KathoHzismus der Träger der ungarischen National-ldee ist, während die evange-
lischen Seelsorger und Lehrer die panslavistischen Lehren verbreiten. Hierin
werden sie nicht wenig von der panslavistischen Presse unterstützt, welche das
Gift des NationaHtätenhasses den Jjesem in kleinen, unauffälligen Dosen bei-
bringt, manchmal aber auch stärkere Dosen eingibt, wie aus dem folgenden Becept
hervorgeht, welches vor mehreren Jahren in einem solchen Blatte erschien and
seither in den verschiedensten Variationen oirculirt. Das Becept, welches von
einem «Närodni Olajkar» (nationalen Oelhändler) imterschrieben ist und auch in
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KURZE SITZUNGSBERICHTE.
631
ein Lesebuch eingeschmuggelt wurde, lautet : 1. Wer gegen die bestandene «Mntica»
sein Worl; erhebt, oder auf dieselbe schimpft, der ist Dein Feind und hüte Dich
vor demselben. 2. Wer zur Zeit des Bestandes der «Matica» ein unabhängiger
Mensch war (Pfarrer, Lehrer, Notar, Stuhlrichter, Advokat u. s. w.) und nicht deren
Mitglied war, der war und ist gewiss auch heute noch nicht Dein Freund- 3. Wer
nicht bedauert, dass die slovakischen Gymnasien geschlossen sind ; wer sich lobend
darüber äussert, dass sie geschlossen wurden, der ist Dein Hauptfeind. Da weisst,
dass Du Dich vor ihm hüten musst. 4. Wer imter Slovaken lebt und anstatt slova-
kische Bücher und Zeitungen andere Bücher und Zeitungen hält, ist gewiss Dein
Feind. 5. Wer Dir sagt, dass irgend eine andere Sprache schöner und notwendiger
sei, als Deine slovakische Sprache, der ist Dein Verräter. 6. Wer Dir sagt, dass Du,
wenn Du in Ungarn lebst, ein Magyare sein musst, der ist ein Hetzer und Revolu-
tionär. Du weisst, wass Du von ihm zu halten hast. 7. Wer Dir bei irgend einer
Wahl dafür Geld gibt oder etwas Anderes verspricht, dass Du mit ihm gegen die
Slovaken stimmest, vor dem bekreuzige Dich als vor einem Bösen und wende
Dich von ihm ab. 8. Wer auf die Panslavisten schnupft imd dieselben fort und
fort im Munde führt, der will Dich verführen und verblenden. 9. Wer Dir etwas
von der Aufteilung des Landes zu erzälilen beginnt und Dich mit den Bussen
schreckt, der ist ein Teufel, der den Pferdefuss unter dem Mantel hat. 10. Wer
Dir beweist, dass in diesem Lande Jemand die Gesetze und Verordnungen mehr
respectirt als die Slovaken, dass er ein besserer Patriot sei, und hier mehr Hechte
besitzt, der ist ein Klügler ; den frage nur rasch, wie man ans Blei Gold machen
könne, und wo er den Stein der Weisen entdeckt hat, knrz : den lache aus. —
Vortragender bedauert, dass der Oberungarische Culturverein in diesem Comitat
noch keine Spuren seiner Wirksamkeit aufzuweisen hat. Er glaubt, dass der Verein
hier viel mehr Erfolge erzielen könnte, wenn er anstatt der nationalen Ctdtur die
Selbstbildung auf seine Fahne schreiben würde, da das Volk dieser leichter zu-
gänglich wäre.
— Li der Sitzung der ersten Glasse am 1. Juni eröffnete die Eeihe der Vor-
träge der Antrittsvortrag des ordentlichen Mitgliedes Josef L^vay über Robert
Burm, den berühmten schottischen Volksdichter, verbunden mit der Vorlage von
Levay's einen stattlichen Band bildenden ungarischen Uebersetzungen Bobert
Bums' scher Gedichte. Nach dem üblichen Dank für seine Wahl zum ordentlichen
Mitgliede gedachte Vortragender der sowohl aus dem Lihalt, als auch aus der
Sprache und aus der Form der Robert Bums' sehen Gedichte für den üebersetzer,
namentlich den ungarischen, entspringenden Schwierigkeiten. Um Bums' Dich-
tungen dem Verständnisse näher zu bringen, gab Vortragender hierauf eine kurze
Biographie des unglücklichen Dichters, gedachte der bedeutsamen Wandlungen
und Widerwärtigkeiten seines Lebenslaufes, neben seinen hervorragenden Geistes-
fähigkeiten seiner Charakterschwächen, endlich seines vollständigen Niedergangs,
in Folge dessen der berühmte Dichter sein Leben als imtergeordneter Finanz-
beamter frühzeitig beschloss. Hierauf zu einer eingehenderen Charakteristik seiner
Dichtung übergehend, hob der Vortragende die urwüchsige Originahtät seiner
Lieder, die Mannigfaltigkeit und Kraft derselben, den Beichtum der Phantasie und
die Zartheit des Ausdruckes in denselben hervor, welche ihn zum unsterblichen
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632
KURZE SITZUNGSBERICHTE.
Poeten seiner Nation erhoben. Schliesslich zog L^vay eine kurze Parallele zwischen
Petdfi und Bums, indem er die Verwandtschaft und Verschiedenheit Beider in
diversen Punkten imd die charakteristischeren Züge der Dichtung der Beiden dar-
legte. Zur Illustration des Gesagten schloss Vortragender seinen Vortrag mit der
Vorlesung einer Reihe schöner lyrischer Gedichte von Bums in ungarischer Ueber-
setzung.
Hierauf las das c. M. Gustav Heinrich eine Abhandlnng des o. M. Gabriel
Szarvas über das ungarische sprackgeschichtliche Wörterbuch und die Kritik, in
welcher verschiedene unbegründete Angriffe einer anberufenen und unverstandigen
Kritik berichtigend und aufklärend zurückgewiesen und die bei der Bedaction des
Werkes befolgten Grundsätze zusammengehst, klar entwickelt und Wissenschaft-
lieh begründet werden. Schliesslich las das Ehrenmitglied Anton Zichy einige
Partien aus seiner über die sämmtlichen Werke des Grafen Stefan Szechenyi ge-
schriebenen Studie vor. Er schildert die ausserordentliche Wirkung, welche vor
fünfzig Jahren das erste Auftreten eines jungen Magnaten auf dem publicistischen
Felde machte. Die minder Orientirten wollten es gar nicht glauben, dass ein
ungarischer Magnat ein gutes imgarisches Buch schreiben könne, und wenn sie
ihm schon die Originalität der Ideen nicht abstreiten konnten, liebten sie es doch,
wenigstens das Verdienst des Styls und die Mühe der Ausarbeitimg einem ihm
näher stehenden Mitarbeiter zuzuschieben. Wie sehr sie sich irrten, zeigt
Sz^chenyi's Correspondenz mit Johann Kiss zur Zeit des Erscheinens seines ersten
Werkes tLovakrul» (Von Pferden), sowie die in der cObenmgarischen Minerva»
1 8i28 geführte Polemik. Sz^chenyi's ausserordentliche Originalität und sein hoher
Geistesflug schlössen ein derartiges Sichschmücken mit fremden Federn in vor-
hinein aus, was ihn jedoch nicht hinderte, sich einzelne Wörter oder Ausdrücke
von den Wortfabrikanten auszubitten, ob er sie nun dann gebrauchte oder nicht.
Eine Zeit lang hatte er die Gewohnheit, die schwarze Tafel der Akademie mit
gewissen fremden Wörtern oder Begriflfen zu dem Zwecke vollzukritzeln, damit
die Gelehrten über die entsprechende Wiedergabe dieser Ausdrücke nachdenken
und schlüssig werden mögen. Vortragender liest ein ganzes kleines alphabetisch
geordnetes Wörterbuch vor, welches er aus den von Szechenyi entweder erfundenen
oder gebrauchten neuen imd ungewöhnlichen Wörtern und Ausdrucksweisen zu-
sammengestellt hat, und deren grösster Teil seitdem ausser Gebrauch gekommen
ist, während etwa 10 Perzent derselben (270) sich bis heute erhalten haben.
— In der Sitzung der zweiten Classe am 8. Juli las das c. Mitglied Johann
Csontosi über die Geschichte zweier modenesischer Conina-Codices. Se. Majestät
der König hat am 8. Mai d. J. dem ungarischen Nationalmuseum zwei splendid
ausgestattete Corvina-Godexe geschenkt, welche ein besonderer Abgeordneter der
Wiener Hofbibliothek der Anstalt übergab. Mit diesem fürsthchen (beschenk hat
jene culturelle Bewegung ihren Abschluss gefunden, welche der ungarische Beidis-
tag vom Jahre 1843/44 im Interesse der Bevindication der ausländischen lieber-
reste der Corvina für das ungarische Nationalmuseum begann, und welche nach
Jahre lang dauernden diplomatischen Unterhandlungen, in Folge der Intervention
dee Königs Ferdinand V. zu dem Besultate fährte, dass Franz, Grossherzog von
Toscana und Herzog von Modena, am 8. Oktober 1847 aus der Modenaer Bibho-
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KURZE STTZÜNGSBERTCHTE. 633
thek der Este dem uogarischen National rauseutn zwei Corvina-Codexe schenkte
und dieselben dem ungarischen König Ferdinand V. zur Verfügung stellte. Die
beiden Codices kamen auch Ende October 1847 in Wien an, wurden aber wegen
gewisser Formalitäten, an welche Fürst Lothar Mettemich, der damalige k. k. Hof-
und Staatskanzler, die Uebergabe derselben knüpfte, der Wiener kön. ungarischen
Hofkanzlei nicht eingehändigt, sondern vorläufig, bis die königlich ungarische
Hofkanzlei den bedungenen Formalitäten Oenüge leistet, im Archiv der Hof- und
Staatskanzlei in Depot behalten. Die ISiSMQ-er Eieignisse und die darauffolgen-
den politischen Verhältnisse lenkten die Aufmerksamkeit der competenten Kreise
von den Modenaer Corvina-Codexen ab. So gev'^cliah es, dass man dieselben 1851
aus dem Ministerium des Aeussern nebst anderen Handschriften auf kurzem Wege
in das geheime Hofarchiv übertrug und darüber zur Tagesordnung überging.
Hier verblieben sie dann bis 1869, wo Fie nebst 78 anderen Handschriften des
Geheimarchivs bona fide, weil damals die Provenienz dei*selben Niemand mehr
kannte, im Tauschwege in die kaiserliche Hofbibliothek gelangten, welche zum
Tausch dafür aus ihrer eigenen Sammlung Urkunden, Briefe und Acten hingab.
Von dieser Zeit an bis zum 8. Mai dieses Jahres waren die beiden Corvina-Codexe
im Besitz der Wiener Hofbibliothek, welche dieselben ihrer eigenen Sammlung
einverleibte und in das gedruckte Register ihrer Handschriftensamralung und
zwar in den 1875 erschienenen VH. Band derselben unter Nr. 13,697 und
Nr. 13,698 aufnahm. Jene bibliographische Bewegung, welche das ungarische
Nationalmuseum im Interesse der Ausforschung der auf Ungarn bezüglichen, in
auswärtigen Bibliotheken befindlichen mittelalterlichen Handschriften und Cor-
vina-Codexe in der letzten Aera in ganz Europa in Gang setzte, hat die Folge
gehabt, dass mehrere bedeutende, historisch, culturhistorisch und sprachhistoriach
wichtige Handschriften ans Tageslicht kamen, von welchen wir bisher keine
Kenntniss hatten und durch deren Ausforschimg unsere Kenntniss der ungarischen
mittelalterlichen culturgeschichtlichen Verhältnisse nicht nur bedeutend ver-
mehrt, sondern auch in mancher Hinsicht modificirt wurde. Vortragender war,
als ein Mitarbeiter bei dieser Bewegung, so glücklich, in den modenesischen und
andern auswärtigen Bibliotheken und Archiven jene Unterhandlungen und
Correspondenzen aufzustöbern, welche sich auf die Provenienz der erwähnten
zwei Corvina-Codexe und auf die Umstände ihrer Wanderung bezogen, und aus
welchen der Anspruch des ungarischen Nationalmuseums auf diese Codexe in
einer jeden Zweifel ausschliessenden Weise nachgewiesen werden konnte. Vor-
tragender fasßte die Ergebnisse seiner Forschimg in einem Memorandum zusam-
men und übergab dasselbe dem Director des Nationalmuseums, Franz Pulszky,
mit der Bitte, auf Grund der beigeschlossenen 32 Urkunden competenten Ortes
die nötigen Schritte im Interesse der Wiedererlangung der beiden Codexe für das
Nationalmuseum zu thun. Pulszky nahm die Sache mit Wärme in die Hand und
bat in einer motivirten Kepräsentation den Cultus- und Unten-ichtsminister Grafen
Albin Csäky, er möge über diese iSjährige, nahezu in Vergessenheit geratene Ange-
legenheit Se. Majestät den König, welcher wahrscheinlich von der Provenienz der
Codexe gar keine Kenntniss hatte, informiren und auf Grund der beigeschlossenen
Urkunden erwirken, dass diese bona fide irrtümlich nach Wien gelangten, aber
Ungarisohe Rerae. 1891. XI. VI -VII. Heft. 4q^
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«3i RÜllZE SITZUNGSBEfllCHTfi.
durch den Herzog von Modena dem ungarischen Nationalmu^eum geschenkten
Codices durch die Gnade Sr. Majestät ihrer ursprüngHchen Bestimmung wieder-
gegeben werden. Im Ministerium gieng der Ministerialrat Emerich Szalay als
Referent über Museumsangelegenheiten mit ganzer Begeisterung an das Studium
der Angelegenheit und that alle nötigen Schritte im Interesse derpelben. Oraf
Albin Csäky aber machte mit jener ruhigen Energie, welche seine Ministerscliaft
charakterisirt, die Denkschrift des ungarischen Nationalmuseums in ihrem vollen
Umfange zu seiner eigenen Sache und unterstützte dieselbe auf Grund der bei-
geschlossenen Urkunden bei Sr. Majestät auf das wärmst«. Sobald Se. Majestät
durch den Beiicht des Ministers Grafen Albin Cs^ky von dem Stande der Sache
Kunle erhielt und aus den beigeschlossenes Urkunden sich von der Berechtigung
des Wunsches des Nationalmuseums überzeugte, ordnete Se. Majestät sofort an,
dass diese modenesischen Corvina-Codexe der Hofbibliothek entnommen und als
besonderes Zeichen seiner königlichen Gnade dem Nationaimnseum übergeben
werden. Dieses Geschenk Sr. Majestät des Königs, durch welches das National-
museum um zwei höchst wertvolle Kunstschätze bereichert wird, bildet ein wich-
tiges Ereignips in der Culturgeschichte unseres Vaterlandes und verpflichtet
unsere Nation zu neuem Danke gegenüber der erhebenden Gerechtigkeiteliebe des
gekrönten Königs, welcher unserer Nation jene Kunstdenkmäler wiedergegeben
hat. Und diesen Dank erhöht die allgemeine Freude, welche jeder wahre Freund
der vaterländischen Cultur empfindet, indem er sieht, dass, so wie zur Zeit des
Königs Mathias im Cultus der Renaissance, so jetzt im Cultus der Corvina- Tradi-
tionen der König an der Spitze der Nation geht.
Nach obiger Darlegung ihrer Geschichte legte Vor. ragender die beiden
Handschriften zur Besichtigimg vor und be chrieb sie. Was ihre äussere Au^tat-
tung betrifft, stammen beide aus dem fünfzehnten Jahrhundei-t ; sie sind auf
Folio -Pergament in lateinischer Sprache sehr sorgfältig geschrieben und enthält
der eine die Homilien des heiligen Chrysostomus, der andere die Homilien des
heiligen Hieronymus. Der erstere hat ein glänzend ausgestattetes Titelblatt mit
Miniaturen und den bekannten Corvina- Emblemen. Den Text zieren siebzig in
Polychrom gefasste goldene Initialen. Unter den auf dem Titelblatt sichtbaren
Wappen aber zeugen die Wappen Oesterreichs und der Stadt Wien davon, dass
der Codex nach 1488 angefertigt wurde, wo König Mathias bereits den Tit^l eines
österreichischen Herzogs führte. Den Codex hat der berühmte Florentiner
Miniator Attavantes de Attavantibus, von dem wir 21 Corvina-Codexe kennen,
gemalt. Der zweite Codex ist noch splendider ausgestattet. Er hat zwei grossartige
Titelblätter mit Miniaturen, Emblemen und Wappen und den in Goldmedaülon
gefasst^n Bildnissen des Königs Mathias und der Königin Beatrix. Der Text zeigt
22 glänzende Marginal Ornamente und 120 in Polychrom gefasste Goldiniiialen.
Den Codex hat 1488 der Florentiner Miniator Francesco Antonio Cherico gemalt,
von dem verschiedene ausländische BibHotheken glänzend ausgestattete Codices
besitzen. Mit diesen beiden Codexen steigt die Zahl der Corvina-Codexe des unga-
rischen Nationalmuseums auf 12, von welchen 6 Geschenke Sr. Majestät des
Königs sind.
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KITBZE SITZUNGSBERICHTE. ^*35
— In der Plenarsitzung am 22. Juni las das corr. Mitglied Anton P6r eine
umfassende Detücrede auf dus ordentliche Mitglied Johann Hyacinth Ronny,
Der Vortragende beginnt seine Darstellung von Rönay*s Leben und Wirken mit
der Schilderung der Tage, wo Bönay im Winter von 1849 auf 1850 in der Löreer
Tanya auf dem Hortob«lgy sich als Flüchtling unter dem Namen Rudolf Hegyi
verborgen hielt und die Zeit mit der Abfassung eines Goncurrenzwerkes um einen
von der Akademie auf eine Psychologie ausgeschriebenen Preis ausfüllte. Anfangs
März übergab er dasselbe seinem Wirt mit der Bitte, es an seinen Bestimmungsort
zu befördern ; er selbst Legab sich, um den immer mehr zunehmenden Nachfor-
schungen zu entgehen, zum Näd-CJdvarer Apotheker als Gehilfe. Von hier liess ihn
am 22. Mai Mitternachts ein befreundeter Kaufmann vor den Abends zu seiner
Verhaftung eingetroffenen Gendarmen durch seinen Sohn nach Miskolcz ent-
führen, von wo ihn die freiwilligen patriotischen Retter von Hand zu Hand gaben,
erst nach Liptö-Szent-Miklös, Alsö-Eubin, Biala und endlich über die Grenze nach
Pless spedirten ; so kam er dann über Breslau nach Hamburg. Hier und ebenso in
Brüssel wegen Passmangels ausgewiesen, kam er am 10. Juli von Ostende nach
London, welchem zwölf Jahre hindurch dem Flüchtüng Asyl und Unterhalt bot.
Vor Allem erlernte er, um sich seinen Unterhalt durch Unterricht erwerben zu
können, von einem erblindeten Arzt, John Bird, das Englische und schrieb daneben
für den «Pesti Naplöi in Folge Aufforderung des Redacteurs Franz Csäszär für
10 Ü. Honorar wöchentlich drei Londoner Briefe, später sendete er auch an «Ma-
gyar Sajtö» und andere Blätter Arbeiten, welche mehr als ephemeren Wert haben.
Vor Ablauf eines Jahres konnte ihm sein blinder Sprachmeister schon Schüler ver-
schaffen und Mitte Juni 1851 gab Rönay die regelmässige Correspondenz für
«Naplö» auf, um sich ganz der Erziehung und dem Unterricht, als seiner Lebens-
aufgabe, zu widmen. Sein Benehmen, seine Pünktlichkeit, seine Befähigung für den
Unterricht mehrerer Sprachen und verschiedener wissenschafthcher Fächer mach-
ten ihn zu einem gesuchten, geliebten und verehrten Ijehrer in verscliiedenen
distinguirten Häusern, so in der Familie des Parlamentsmitgliedes Benjamin Smith.
Auf des Grafen Stefan Szechenyi Empfehlung unterrichtete er die Marchioness of
Stafford, nachmalige Herzogin Sutherland, im Ungarischen. Den beiden Söhnen
Kossuth's gab er 1 Va Jahre lang Unterricht im Lateinischen. Femer nahm ev Teil
an der Leitung der Londoner ungarischen Militärschule, schrieb für sie nach fran-
zösischen und deutschen Werken militärwissenschaftliche Handbücher und unter-
richtete selbst Zeichnen und Geometrie, bis die Schule nach einem halben Jahre
wegen Mangels an Subvention einging. Neben seiner Erwerbsthätigkeit setzte er
die seinen Neigungen entspreclienden psychologischen Studien fort. Er war
Anfangs 1840, nachdem er 1839 die Priesterweihe und das philosophische Doctorat
erworben, durch den Erzabt von Martinsberg zum Professor der Philosophie am
Raaber Benedictiner-Lyceum ernannt, und auf Gnmd seiner beiden Erstlingswerke
«Psychologie» und •Charakterkimde'» Eude 1847 zum corr. MitgHed der Akademie
gewählt worden, wo er mit dem Antrittsvortrag «Ueber das Gehirn und dessen
Einfluss auf das Geistesleben» debutirte. Darauf folgte sein auf dem Hortobägy
geschriebenes Werk : «Natürliches System der Psychologie», in dessen Fortsetzung
er nun Befriedigung suchte. Schon Anfangs 1852 plante er ein Werk: «Die
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^»36 KÜRZE 8ITZUN08BERICHTE.
Geschichte des Lebens», welchem die Umarbeitung seines «Systems der Psycho-
logie» folgen sollte. Er schrieb dann auch vier Bände fertig, von der Fortsetzung
und Vollendung desselben zog ihn jedoch sein immer mächtiger werdendes In-
teresse für die Geologie, die Erforschung der Entstehung des irdischen Lebens ab,
dessen erstes Ergobniss, seia Weik : «Der feueranbetende Weise über die Denk-
mäler der Urwelten», er Ende 1857 vollendete, welches auf Vermitthmg des Grafen
Stefan Szechenyi, für dessen «Bück» Rönay in London einen Verleger gefunden
hatte, bei Kilian in Pest ersclüen. Auf Bartholomäus Szemere's Anregung hatt«
Rönay 1 853 die Briefe des ungarischen Afiika-Reisenden Ladislaus Magyar in der
«Königlichen Geographischen Gesellschaft» bekannt gemacht und bei fortgesetztem
Besuch der Sitzungen dieser Gesellschaft seine Begeisterung für die Geologie em-
pfangen.
Als das 1860er October-Diplom die Hoffnung auf Wiederherstellung der Ver-
fassung erweckt«, nahm er seine journalistische Thätigkeit für «Magyarorszdg» und
«Magyar Sajtöi wieder auf, doch als diese Hoffnung erblasste, kehrte er von der
Politik mit der ganzen Glut der Begeisterung zur Geologie zurück. Er schrieb für
mehrere imgarische Blätter und Zeitschriften eine grosse Anzahl grossenteils auf
diesem Gebiete sich bewegender Abhandlungen und Artikelserien — danmter
«Entstehung der Racen» in 91 Nummern, welche unter dem Titel : «Die Stelle des
Menschen in der Natur und sein Altertum» auch besonders erschien (Pest, 1864
und 1867). Daneben Hefen seine theatergeschichtlichen Artikel für Gabriel Egressy's
«Ungarische Theater-Zeitung» (Magyar Szinhäzi Lap), von welchen «Charak-
terzeichnungen aus der englischen Theaterwelt» (Pest, 1865) auch gesammelt
besonders erschienen zum Besten des Pensionsfonds für dienstunfähige Schau-
spieler. Femer übersetzte er im Auftrage des Prinzen Louis Lucian Bonaparte aus
Reguly's Nachlass die auf die Mythologie der Vogulen und die Verwandtschaft der
vogulischen und ungarischen Sprache bezüglichen Partien ins Englische.
Während dieser Beschäftigung schlug für ihn die Stunde der Befreiung aus
seinem Exil. Als 1865 wieder der Reichstag einberufen wurde, um den Ausgleich
zwischen Krone und Nation von neuem zu versuchen, forderte ihn der damals neu-
gewählte Martinsberger Erzabt Chrysostom Kruess zur Heimkehr auf, indem er ihm
die Erwirkung der bedingungslosen Erlaubniss zur Heimkehr zusicherte. Nachdem
Ronay den seinen Londoner Zöglingen und dem Prinzen Bonaparte gegenüber ein-
gegangenen Verpflichtungen entsprochen und in der «British Association for the
Advancement of Science» am !2i2. August 1866 seinen Vortrag «Ueber die Vogulen
mit besonderer Rücksicht auf ihre Schöpfungssagen» gehalten hatte, nahm er am
17. September von London und seinen englischen Freunden Abschied und begrüsste
am 26. September seine Ordensbrüder in Martinsberg. Ueberall wurde er herzhch
willkommen geheiss-en, am herzlichsten in Pest vom Akademie-Präsidenten Baron
Josef Eötvös, der ihn bei bei der nächsten Generalversammlung der Akademie,
am 30. Jänner 1867 zum ordentlichen Mitgliede und Secretär der Akademie
wählen liess.
Das Dramenbeurteilungs-Comite des Nationaltheaters wählte ihn zum Mit-
gliede und der Pusztaer (heute Perer) Wahlbezirk des Raaber Comitatee zum
Reichstagsabgeordneten. Auf diesen dreifachen Beruf verteilte sich nun seine Thä-
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KUBZE SITZUNGSBERICHTE. 637
tigkeit. Daneben trieb er in den Abendstunden seine geologischen btudien fort,
deren Früchte er imfcer Anderem in den Wanderversammlungen der Naturforscher
und Aerzte (1867 und 1868). in Winterabend -Vorträgen und in der 1871er Fest-
sitzimg der Akademie in dem Vortrage : «Der Fortschritt des organischen Lebens
und daß Aussterben der Arten» veröflfentHchte. Ausserdem schrieb er im Feuilleton
der «Reform» 25Capitel seiner «Öhakenpeare- Biographie», welche er mit dem Ueber-
gange dieses Blattes in andere Hände abbrach. Gleichzeitig tmt eine neue Wen-
dung seines Schicksals ein. Am 20. April 1871 meldete ihm Franz Do*ik im Foyer
des Abgeordnetenhauses, dass ihn der Unterrichtäminister Theodor Pauler zum
Sectionsrat ernennen werde, und vor Ablauf eines Monates erhielt er that sächlich
die Ernennung. Am 3. Jnni aber teilte ihm der Minister- Präsident Graf Julius
Andrässy mit, dass er, im Einvernehmen mit dem Ministerrate, ilm zu dem von
Sr. Majestät gewünschten Lehrer der ungarischen Geschichte für den Kronprinzen
ausersehen habe. Rönay nahm den seiner ünterrichtsneigung entsprechenden ehren-
den Antrag bereitwilhgst an, und der Kronprinz-Erzieher General Latour gab ihm
Ende September in Wien für den Unterricht der ungarischen Geschichte in unga-
rischer Sprache die Instruction: «Wir wollen Wahrheit; folgen Sie Ihrer Ueber/eu-
gungt, welche Rönay's besorgte Seele wie Balsam überlioss; am 20. October fand die
Vorstellung bei seinem hohen Schüler statt, und am folgenden Tage begannen die
Vorträge, über deren erfreulichen Fortgang der fünfte Band des Tagebuchei
Rönay's ausführliche interessante Berichte enthält, deren Mitteilung jedoch dem
letztwilligen Wunsche Rönay's entsprechend unterlassen werden muss. Der Unter-
richt dor ganzen ungarischen Geschichte wurde vom 21. October 1871 bis zum
22. December 1872 in je drei wöchentUchen, zusammen 127 Unterrichtsstunden in
ungarischer Sprache mit Benützung von Klaus Vaszary's «Geschichte Ungarns»
als Handbuch und Beachtung der Latour' sehen Instruction erteilt ; der Unterricht
in den beiden ersten Perioden, die der Herzoge und Arpäd'schen Könige, wurde
am 14. Februar in Ofen, die beiden folgenden, der Könige aus gemischten Häusern
und dem Hause Habsburg, am 23. December 1872 in GödöUö mit einer Pinifung
abgeschlossen. Der unermüdliche Fleiss, das scharfe Urteil, der Wahrheits- und
Wissensdrang, die ungetrübte heitere Laune seines hohen Schülers begeisterten
Rönay bei seinen Vorträgen und berechtigten ihn zu den schönsten Hoffnungen.
Se. Majestät drückte wiederholt seine Befriedigung mit dem Ergebnisse der Prü-
fimg aus.
Nachdem Rönay, der inzwischen zum Pressburger Probst, dann zum Titular-
bischof ernannt worden war, seiner Aufgabe beim ungarischen Königshofe solcher-
weise entsprochen hatte, kehrie er zu seinen ihm theuren literarischen Beschäfti-
gimgen zurück. Ein hoiTorragender Verleger bewarb sich um die Herausgabe seiner
gesammelten Werke, welche sechs Bände umfassen sollton, doch ehe über die ein-
zuhaltende Reihenfolge eine Einigkeit erzielt wurde, nahm die Thätigkeit Rönay's
wieder eine neue Richtung. Schon Ende 1871 hatte Ihre Majestät die Königin mit
Rönay über die Fortschritte ihres Sohnes gesprochen and sich seine Ansichten
über Erziehung und Unterricht entwickeln lassen, welche ihr sehr zusagten und
sie bestimmten, ihn zum künftigen Erzieher der Ei-zher/.ogin Marie Valerie zu
wählen. Am 5. Februar 1875 kam vom Hofe die officielle Ernennung, welche Rönay
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KUBZE SITZUNGBBERICHTE.
mit der Leitung der Erziehung und de« Unterrichtes der Prinzessin betraute. Bönay
ging also wieder nach Wien und führte sein neues Amt ununterbrochen neun Jahre
hindurch. Die Erzherzogin machte erfreuliche Fortschritte. Unterricht, Gebet, Con-
versation, Gorrespondenz mit Eltern und Geschwistern waren ausschliesslich unga-
risch. Die hohe Schülerin lieferte überraschende Beweise ihrer geistigen Begabung,
indem sie unter Anderem ganz selbstständig und mit Leichtigkeit über 70 kleine
Novellen und Theaterstücke, ebenfalls in ungarischer Sprache, schrieb. Seine freien
Augenblicke verwendete der den Siebzigen zuschreitende Gelehrte, da er seinen
ernsten Literaturbestrebungen entsagen musste, zur Aufzeichnung und Reinschrift
seiner Tagebücher und Erlebnisse. R6nay hatte von Jugend an Tagebücher geführt
Den Plan, daraus seine Memoiren zu redigiren, hatte er bereits 1871 gefasst und
er schrieb zehn Bände, welche, jeder mit einem Schloss versehen, seiner letzt-
wiUigen Verfügung gemäss im Archiv der Martinsberger Erzabtei aufbewahrt
werden. Als Rönay am 29. Mai 1883 von seiner Erzieher- Stellung dispensirt wurde
und als wirkhcher Geheimer Rat, Grosskreuz des Eisernen Kronen-Ordens und
Eigentümer anderer hervorragender Orden in seine Pressburger Residenz zurück-
kehrte, setzte er seine Tagebücher nicht nur fort, sondern Hess dieselben auch zur
Gontrolirung seines Manuscriptes in zehn Exemplaren drucken. 1885 erschienen
in Pressburg die ersten fünf Bände ; die Drucklegung der übrigen, wiewohl sie eben-
falls fertig waren, wagte er mit Rücksicht auf sein vorgeschrittenes Alter nicht in
Angriff zu nehmen. Doch entschloss er sich später auf Ermunterung seitens Ihrer
Majestät der Königin dazu und so erschien noch der 6., 7. und kurz vor seinem
Tode der 8. Band. Als das Pressburger Capitel am 19. April 1889 seinen Probst,
der die zerrütteten Verhältnisse dieser uralten kirchhchen Stiftung ordnete und ihr
Ansehen durch den seltenen Glanz seiner hohen Stellung hob, zum Grabe geleitete,
erwies es einem sanftmütigen und gelehrten Geisthchen von fleckenlosem Cha-
rakter und reiner Lebensführung, einem seinem Vaterlande und seinem gekrönten
König mit gleicher Hingebung dienenden, ausgezeichneten Patrioten die letzte
Ehre, an welcher Ehrenbezeigung auch die Akademie durch eine Deputation und
Sendung eines prächtigen Lorbeerkranzes teilnahm.
Auf die Denkrede folgten die laufenden Angelegenheiten. Der General-
Secretär verhest die Dankschreiben mehrerer neugewählter Mitglieder. Das Präsi-
dium wird beauftragt, an jene drei Akademie-Mitgheder, welche in den diesjährigen
Ferien das fünfzigjährige Jubiläum ihrer Mitgliedswahl erleben, im Namen der
Akademie Glückwunsch -Adressen zu richten. Es sind dies : das DirectionsmitgUed
Baron Nioolaus Vay, das EhrenmitgUed Franz Pulszky und das ordentliche Mitglied
Paul Hunfalvy. Der General-Secretär meldet, doss zur Deckung der Herstellungs-
kosten der neuen Wandgemälde des Prunksaales neuerlich folgende Spenden an-
gemeldet wurden : 300 fl. vom Gross wardeiner Bischof Lorenz Schlauch, 200 fl.
vom Csanäder Bischof Alexander Dessewffy, je 100 fl. von den Bischöfen Julius
Meszlönyi von Szatmär und Philipp Steiner von Stuhlweissenburg. Der General-
Secretär legt das neuerliche Gutachten der ersten Classe in Angelegenheit der Ein-
führung der neugriechischen Aussprache beim Unterricht des Altgriechischen vor ;
Ivan T^lfy aber verliest sein ausführliches Separatgutachten. Das Plenum
beschliesst, beide Gutachten dem Unterrichtsminister zuzusenden. Der General-
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tttJ&ZE SirZin^GSBElUCH'fE. ^^^
Secretär legt die für den Köczdn-Preis eingelaufenen zwei Concurrenzwerke vor :
lUm die Krone •, historisoheB Drama in 5 Acten, und «Vidi, ebenfalls fonfactigee
historißches Drama.
— ungarische Geographische Gesellschaft. In der April-Sitzung dieser
Gesellschaft hielt zunächst Julius Halaväte einen Vortrag Ueber das Aranyos Gebirge
im Comitat Krasso, Vortragender fuhrt das im westlichen Teile des Krassö-
Severiner Comitates sich von Bogsän nach Norden hin erstreckende Aranyos-
Gebirge vor. Imposant erhebt sich aus dem umgebenden Hügelland dieser feuer-
speiende Berg längstvergangener Zeiten, welchen ringsherum zahlreiche Ortschaften
umgeben. Im Süden liegen die beiden Bogsän mit der Burg Bogsa-Vtlr, welche in
der Zeit der Türkenherrschaft eine Rolle spielte, während die späteren Ansied-
lungen in der Bergbaugeschichte des vorigen Jahrhunderts hervortraten. Der
nördliche Teil aber war im 14. Jahrhundert ein Bestandteil des Egerszeger Domi
niums der Hunfy, von welchem östlich sich der freie Komjäter District erstreckte.
Jetzt ist das Gebiet zum besten Teil Eigentum der GesteiTeichich-Unganschen
Staatseisenbahn-Gesellschaft und nur im nördhchen Teile haben einige Gross-
grundbesitzer Anteile. Die Bevölkerung ist rumänisch.
Hierauf hielt der technische Bat im Handelsministerium B^la Gonda, als
Gast, einen freien Vortrag Ueber das Eiserne Thor in der unteren Donau und die
Regtüiriing der dortigen Katarakt^i, zu dessen besserer Veranschaulichung eine in
grossem Masstabe ausgeführte Karte des Donaustromes von seinem Austritt aus
dem ungarischen bis zu seinem Eintritt in das rumänische Tiefland, Detailabbil-
dungen der besonders i-egulirungsbedürftigen Stellen, femer die vom Hauptmann
Dinelli angefertigte Reliefdarstellung dieses Stromabschnittes und seiner Umge-
bung, endlich eine gi'osse Anxahl grosser photographischer Aufnahmen dienten.
Vortragender schildert vor Allem an der Hand der zuerst erwälmten Karte den
Strom in seinem kampfreichen Vordringen durch die zahllosen in diesem Ab-
schnitte sich ihm entgegenstellenden Hindemisse, die ihn einengenden Ufer, ihn
durchschreitenden Klippen, dadurch bewirkten Stromschnellen und Katarakte,
sowie die Naturmerkwürdigkeiten seiner Ufer (Höhlen, Kolumbacser Fliegen etc.).
Besonders lange verweilt er beim eigentlichen Eisernen Thor. Hieran knüpft er
dann eine lebendige Darstellung der Rolle, welche dieser Stromabschnitt in der
Geschichte gespielt hat. Er schildert die Werke der Römer, die Trajansbrücke,
den zur Umgehung der Katarakte unternommenen Kanalbau, die Trajans8ti*asse,
die Trajan -Denktafeln, die Cultur des Ufergebietes in der Römerzeit, besonders
den römischen Bergbau, die Burg oberhalb der Trajansbrücke u. s. w. Er erwähnt
dann die im Verlaufe der ungarischen Geschichte, besonders in der Türkenzeit,
an diesem Stromlaufe sich abspielenden Ereignisse (Galamböcz, Veterani, Ada-
Kaleh). Dann erzählt er, wie Graf Stefan Szechenyi, die Wichtigkeit der unteren
Donau, t dieser Lebensader Ungarns», für die Schifffahrt erkennend, für die Hin-
wegrämnung der Schifffahrfchindernisse unermüdUch thätig gewesen. Er schildert
eingehend die ganze Reihenfolge seiner Expeditionen an die untere Donau, von
der 1830 untemommenen, bis ins Schwarze Meer und nach Constantinopel aus-
gedehnten Rekognoscirungs- und Agitationsreise angefangen ; die auf seine Anre-
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^^^ KURZE BITZÜNaSBEIUCHTÄ.
gung nusgeführten Anfnalimen und ausgearbeileten Pläne (YäsÄrbelyi), den Bau
der 1837 vollendeten Szeclienyisirasse, die vorgenommenen Sprengungen und
anderweitigen Arbeiten, welche 1 84^) in Folge des Todes VAsdrhelyi's und wegen
Geldmangels einschliefen. Dann erzählt er, wie zur Zeit des Krimkrieges
(1855 — 1856) die Schifffahrtlündernisse der unteren Donau die Aufmerksamkeit
der Kriegfühlenden erregten, durch hinabgeschickte Ingenieure ergänzende Auf-
nahmen und Reguliruni^spläne angefei-tigt, Sprengungen ausgeführt, vom Haupt-
mann Dinelh die Reliefkarte des Stromgebietes ausgearbeitet wurde, die Ausfüh-
rung der Pläne aber unterblieb. Vortragender berichtet dann, wie die Regulirungs-
Angelegenheit einen neuen Aufschwung durch den 1871er intei-nationalen Congress
erhielt, wie 1 873 die Uferstaaten eine gemischte Fach commissi on entsandten und
aufGnmd der Väsärlielyi'schen und der 1 855/ 56er Pläne, mit Beriicksichtigung
der Anforderungen der modernen Schifffahrt, neue Pläne ausgearbeitet und ange-
nommen wurden, deren Ausführung aber wieder aufgeschoben wurde ; wie dann
1878 die Ausfühnmg der österreichisch -ungarischen Monarcliie vei-tragsmässig
übertragen und 1879 auch die Meinungen und Vorschläge der anlässlich der Theias-
überschwemmung berufenen ausländischen Fachmänner entgegengenommen wur-
den ; wie dann die Angelegenheit wieder mehrere Jahre hindurch ruhte, bis sie
in die richtigen Hände kam und der die Ausführung der Regulirung beschlies-
sende 1888fir Gesetzartikel die Idee Szöchenyi's dem Stadium der nahen Ver-
wirklicluing zuführte. Der energische Handelsminister Baross hat im Jahre 1889
mit grosser l^egeistornng die zweckentsprechenden vorbereitenden Massnaliraen
getroffen und die Ausführung des kolossalen Werkes einer Unternehmung mit der
Verpflichtung der Vollendung desselben bis 1895 tibergeben. Am 15' September
1890 hat dann in Anwesenheit des Ministerpräsidenten Szapdry die feierhche
Eröffnung der Arbeiten stattgefunden . Schliesslich schildert Vortragender die
bisher vorgenommenen grossartigen Voi-anstaltungen zur Ausführung des Riesen-
unternehmens, die Arbeitsanlagen, die Aufnahmen der unter Wasser befindhchen
Felsen, die versclxiedenartigen mechanischen Vomchtungen zur Zertrümmerung
derselben, wie zur Hebung und Verwendung der Tinimmer, die bisher durchge-
fülirten Sprengungen, endlich die Aufstellung der das Andenken der feierlichen
Eröffnung vom 15. September 1890 verewigenden Denktafel und schliesst mit den
Schlussworten der Inschrift: «Gottes Segen fei auf dem Werke 1 » den Vortarag,
welcher trotz fast zweistündiger Dar.er mit unausgesetzt gespannter Aufmerksam-
keit angehört und mit lebhaftem Applaus ausgezeichnet wurde.
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BOLESLAW II. VON POLEN.
Von Prof. Dr. Fritz Pichleb.
I.
Boleslaw IL, aus dem Hause der Piasten (850 — 1139), beigenannt
Smialy (der Kühne), Enkel des ersten Boleslaw, war der erstgeborene Sohn
des Kazimierz von Polen mit der Dobrognewa (Dobrognieva, beigenannt
Maria), Gi:ossfürstin von Eajov (Kiew), der Schwester des russischen Gross-
Färsten Jaroslaw.
Geboren um 1035 bis 1042,^ Aeltester der Brüder Wladislaw, Mjesko
(Mescho, Mieczyslaw), Otto, übernahm er nach dem Tode seines Vaters
(t 1058, 28. November) das Keich. Dieses umfasste die Landgebiete zwi-
schen Böhmen, Ost-Schlesien, Ungarn, zwischen Mittel- Weichsel und Bug,
Podolien, Kulmerland, weiterhin zwischen Fluss Wieperz in Nordost, den
Ostsee-Gestaden, Kamin, Magdeburg, Brandenburg und Meissen ; nämlich
den Kern von Grosspolen, die kleinpolnischen Fürstentümer Lenczyc gegen
die Warta, Sieradz nahe gegen Oder, Sandomirz nordöstUch von Cracow
(Krakau) im Gebiete von Ghrobacia, ferner Mazovia beiderseits des Bug^
mit Kujavia nordwestlich und dem Kulmerlande nördUch an Ossa bis
Weichsel, endlich das westlichste Schlesien.^
In Deutschland, welchem sowohl Böhmen als Polen damals unter-
würfig galten, war nach dem 1056 erfolgten Hintritte des Kaisers Hein-
rich III, König Heinrich IV., in Ungarn König Andreas seit 1047, in Böh-
men Herzog Spitichnew I. seit 1055, zu Byzanz gebot Isaak Komnenos seit
1057, den päpstlichen Stuhl hatte Benedikt X. inne.
Des Boleslaw Grossmutter war eine Deutsche gewesen, Bicheza (auch
Bichenza, Bichsa genannt), eine Tochter des rheinischen Pfalzgrafen Ezo
* Gegen Dhigoßz cap. 246, 247 Naniscziewicz V, 29 (1043).
^ Spruner, historisch-geographischer Atlas S. 46. No. 4, Blatt 52. Serbien hiesa
das nordkarpatische Land.
UngariMhe Bevne. XI. 1891. Vin— IX. Heft. 4]
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64:^ B0LE8LAW H. VON POLEN.
mit Mathilde, der Schwester Kaiser Otto's EI. ; zu ihr, der Landvertriebe-
nen, war Eazimierz aus Ungarn geflohen, durch ihre Bruder (Erzbischof
Hermann von Köln, Pfalzgraf Otto von Schwaben) am Hofe König Hein-
richs m. eingeführt, hatte er die Vermittelung des mächtigsten Beichs-
Nachbars und die Wiedereinsetzung in seine Herrschaft gewonnen. Unte
Boleslaw trat von alledem das Gegenspiel ein.
Die Vaters-Schwester war an Herzog Bela von Ungarn vermählt, den
Bruder des Ladislaiden Andreas. Aus dieser Verbindung erwuchs bereits im
ersten Jahre dem neuen polnischen Landesfürsten eine kriegerische Ver-
wickelung. Denn zu ihm kam geflohen B^la mit seinem gesammten Hause,
in seinem Vaterlande unsicher gemacht durch die Krönuog des mit der
deutschen Prinzess Judith verlobten Bruders-Sohnes Salomo und durch ander-
weitige ßechtsverkürzungen. Drei Armee-Gruppen wurden dem Flüch-
tigen, welcher jetzt nicht das erste Mal die Mithilfe der Polen in Ansprach
nahm, zur Verfügung gestellt ; mit diesen überschritt der Herzog, wahrschein-
lich unter Uebersteigung der Karpathen-Durchbrüche gegen das Zipserland,
die ungarischen Grenzen und zog bei wachsendem Beitritte der nördlichen
Comitate in die Theiss-Ebenen. Hier stellten sich ihm nicht nur die deut-
schen Hilfstruppen entgegen (mit den Baiem unter Eppo, Bischof von
Zeitz, und Wilhelm, Markgrafen von Thüringen, wohl auch mit den Beamt-
em), sondern auch die ungarischen Schaaren des Königs Andreas. Nach
einer bedeutenden Schlacht ward dieser in Folge eines Pferdsturzes vom
Tode ereilt ; sein beglückter Gegner, auf dem Schlachtfelde als König aus-
gerufen, nahm Stuhlweissenburg, und jetzt waren es die in günstiger Ein-
tracht lebenden Bischöfe, welche ihm die Krone aufsetzten. Wenn auch
nicht in persönlicher Anwesenheit, so hatte sich Boleslaw durch die Nach-
richten seiner, zunächst noch bei der Bildung der ersten Landesvertretung
zurückgehaltenen Heer- Oberste von der Einwirksamkeit der geistlichen
Würdenträger in National-Sachen überzeugen können, die ihrem Stande nicht
umfangreicher und nachdrücklicher zukam, als irgend einem anderen. Auch
war der Polenfürst durch diese Stellungnahme nicht auf das Freundlichste
angeschrieben beim deutschen Hofe und bei dessen Vasallen.
In Böhmen ging Wratisiaw, des ungarischen Andreas Schwiegersohn,
Landesherzog geworden nach dem (im Jahre 1061, 28. Jänner, erfolgten)
Tode seines Bruders Spitichnew, daran, sein bisher inne gehabtes Herzog-
tum Mähren unter seine jüngeren Brüder Konrad und Otto zu teilen, ohne
den angehenden Geistlichen Jaromir, den viertjüngsten, mit Landesant<eil
zu bedenken. Schon hatte dieser, wie wenig freiwillig auch, die Weihen
genommen und mit der Anwartschaft auf das Prager Bistum sich befirie-
digt : allmälig gewannen aber doch seine Parteigänger so viel über ihn, dass
er seine kirchhche Stelle ohne Weiteres verliess und mit soldatischem Trotze
das Land räumte. Auch er erschien auf dem Hofe der Weichselstadt und
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BOLESLilW n. VON POLEN. 6*3
-schon im Sommer erfolgten die Zusammenstösse der Polen mit den Böh-
men. Indem die zn Gunsten des ungarischen Andreas abgegangenen
Bilfszäge abzuhalten waren, welche Wratisiaw selber anführte, so ist wahr*
scheinlich dieser zuerst durch die vorrückenden Polen, mit welchen wohl
Jaromir nicht gewesen, scharf angegriffen worden; nach Vereinigung mehr-
facher Schaaren scheint Boleslaw die üeberschreitung der Oppa und die Be-
setzung Oberschlesiens vorgenommen zu haben, bis er bei Troppau vor
iSrätz (Gradec) zögerte.' Diese Grenzveste wurde belagert, aber wahrschein-
lich ohne die den Auswärtigen unerlässliche Vorsicht und ohne die erfah-
rene Auswahl der tauglichen Mittel, so dass es den Böhmen glücken konnte,
<iie Polen durch eine Umgehung nicht nur in eine harte Klemme zu ver-
netzen, sondern das vielleicht entscheidende Bollwerk auch ganz in ihrer
Hand zu behalten. Indess dürfte es beiderseits nnr zu halben Erfolgen
gekommen sein, weil denn doch eine Viertteil-Entschädigung Jaromirs nicht
-erzwungen worden ist und sogar — um Beginn des Jahres 1063 — Boles-
law seine Schwester Swatana (Sventochva, Swatislawa) dem Landesherzoge
Wratislaw zur (dritten) Frau gegeben hat.
Um dieselbe Zeit ward der Polenfürst aufs Neue durch die ungari-
schen Veihältnisse nach Bela's eben erfolgtem Tode in Anspruch genom-
men. Seine Thätigkeit drückte sich vollständig in dem Sinne aus, dass er,
gleich hinter den Deutschen herkommend, alles umwarf, was diese soeben
aufgerichtet hatten. Das hatte nun kurzweg in der Anerkennung Salomo's
als König und der Wiederherstellung aller Anstalten seines Vaters bestan-
den. König Heinrich selbst, erst 13 Jahre alt, war nach Ungarn gezogen,
begleitet von dem Bremer Bischof Adalbert, sowie von dem Baiemherzoge
Otto ; in ihrem Beisein und nach Vollzug der nötigen Ausgleiche mit Geyza,
Ladislaw, Lampert; den Söhnen Bela's, war die Krönung zu Stuhlweissen-
burg erfolgt. Nicht lange nach der Abreise der Deutschen, im Spätherbste
1063, erhoben sich die Missverständnisse unter den Verwandten wieder
und die Gebrüder traten persönlich als Hilfefordemde vor. Mit polnischen
Kriegshaufen kehrten sie in ihr Vaterland zurück, trotzdem für der Prinzen
Auslieferung von Seiten Salomo's grosse Geldsummen geboten worden waren.
Zur Hälfte konnte diese Intervention immerhin als gelungen erachtet
werden, weil dann die nördlichen Comitate sich für die Insurgenten erklär-
ten und im Uebrigen der König, in Wieselburg sich festsetzend, auf halbem
Wege entgegen kam. Nunmehr war es ein einzelner Bischof, Desiderius
von Baab, welcher, mit eindringlichen Gründen gewiss, Boleslaw anriet,
Salomo's königliche Gewalt nicht weiter zu erschüttern, hingegen die Brü-
der mit einigen Gebieten an der Theiss sich befriedigen zu lassen. Der
* Palacky, Geschichte von Böhmen 1844. I, 300.
41*
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6-*4f BOLESLAW n. VON POLEN.
Friede von 1604, 20. Jänner, hinderte die Vertreibung SaJomo's, welche
Bolesiaw vielleicht geplant haben mochte. Mit Ausdrücken des Dankes und
reichen Geschenken wurde Bolestaw entlassen; mit seinen mehrenteils
gegen die Bussen gerüsteten Kriegern zog er nordwärts ab.
Es folgten sechs Jahre (1064 — 69), über die wir nicht einzelweise
unterrichtet sind, nicht wahrscheinlich Jahre des Friedens oder des that-
losen Wohllebens. Da forderten verwandtschaftliche Umstände den kriege-
rischen l^^rsten nach Osten, in die verkehrsreichen Täler von Eäew, der
grossen Handelsstadt mit 8 Märkten und 400 Kirchen, der Wetteifrerin von
Gonstantinopel. Der dortige Grossfürst nämlich, Isäslaw (Izeslaw, Isjaslav),
des Boleslaw Oheim, vermalt mit der Tante des Folenfürsten, hatte sich
eines Tages auch noch als Flächtiger eingefunden, bedroht von seinem,,
durch die Kiewer Bürger demonstrativ aus dem Kerker befreiten Gegner
Wseslaw, Herrscher von Polotzk (Ploczko). Obendrein war er auch besi^t
von den Petschenegen und hatte von seinen Brüdern Swätoslaw (Svento-
slav) und Wsewolod (Vsevofod) nichts Gutes zu erhoffen. Wie anzunehmen,,
weniger um dem älteren, nicht gut beratenen Manne zu seinem Besitztume
wieder zu verhelfen, als aus angeborener und durch Erfolge gesteigerter
soldatischer Unternehmungslust, marschirte Boleslaw mit einem grössten-
teils neuausgehobenen Heere um den Sommer 1069 gegen Kiew. Die Städ-
ter schienen sich an des Grossfürsten Brüder halten zu wollen, nachdem
der Polotzker ohne rechten kriegerischen Widerstand heimwärtsgekehrt war^
Die Brüder allerdings konnten zunächst nichts Klügeres thun, als dem heran-
rückenden Grossfürsten raten, seinen Sohn Mstislav mit einer Art beruhigen-
der Friedensgeleitschaft zur Uebemahme der erschreckten Stadt vorauszu-
schicken. Trotz der den Aufrührern versprochenen Verzeihung liess der
kaum zu Macht gekommene Junge Gefangensetzungen und Blendungen
vornehmen und rief alsdann seinen Vater mit den gefürchteten Polen-Heer-
haufen herbei. Boleslaw war persönlich anwesend und rückte als der
eigentliche Sieger in der wohlgebauten und dm'ch den Fleiss ihrer Bewoh-
ner reichlich ausgestatteten Stadt ein (1069, 2. Mai). Es scheint, dass jetzt
der verwandte Hof sowohl, als die durch Aufruhr und Krieg in letzterer
Zeit übermässig stark mitgenommene Ortsbewohnerschaft für den Unter-
halt der fremden Truppen unverantwortlich in Anspruch genommen worden
sind. Zehn Monate gefiel es den Kriegern, hier zu verweilen, bis der
Gastfreundschaft Maass endlich übervoll geworden. Auf allgemeine Verab-
redung, vielleicht nicht ohne Billigung und Schutz von oben her, wurden
die Lagerhäuser der Soldaten umzingelt, Schaaren und Vereinzelte unter
Anwendung von List erschlagen und so Boleslaw um einen nicht unbe-
trächtlichen Teil seines Aufgebotes gebracht, bis dass er sich entschloss,.
in seine polnische Heimat zurückzukehren. Dass es auch Misszufriedene in
dem zuletzt nicht sehr angesehenen und , auch übel bestellten Heere gab>
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B0LE8LAW II. VON POLEN. 6^5
^er wollte das bezweifeln? Wir werden sie später genauer mustern. Im
Jahre 1070, März, war Boleslaw wieder zu Krakau.
Keineswegs um Frieden zu gemessen, war er heimgekommen. Er
hatte an den schlesischen Grenzthälem (um Trauten au, Döberle) bedroh-
liche Einfälle der Böhmen abzuwehren, ebendort Straf- oder Raubzüge in
das Gebiet jenes Fürsten durchzuführen, der seit zwei Jahren trotz seiner
"Schwägerschaft irgend welche Ansprüche mit gewaffheter Macht zu betonen
nicht abgelassen. So hatte nach drei Monaten der aus Bussland mit heiler
Haut Entkommene schon wieder zum Schwerte greifen müssen. In diese
Zeitläufte bis ins Jahr 1071 gehört jener ümgehungsmarsch in Polnisch-
^hlesien, welcher den Boleslaw auf die Westseite der böhmischen Aufstel-
lung und schliesslich dennoch den, auf den Ladungsruf vertrauenden, Polen -
führer in Täuschung und Verwirrung brachte, so dass der Feind ihm listig
entfliehen und nur eben in der letzten Nachhut noch hart angefasst werden
konnte.
Ein Markzeichen der weitreichenden deutschen Macht ist es, dass in
^e durch Jahre fortgesponnenen Wirmisse der polnisch-böhmischen Nach*
bam Kaiser Heinrich IV. endlich etwas Stillstand und hauptsächlich Elä-
Tung gebracht hat. Wratislaw sowohl als Boleslaw erschienen zu Meissen,
1071 Herbst, und schieden mit der üeberzeugung, jener werde die Schneide
der deutschen Wafifen zu spüren haben, welcher zuerst des Nachbars Gren-
zen überschritte. Ohne der Schlichtungs- Urkunde sicheren Wert zuzuspre-
chen, können wir doch annehmen, dass der den Deutschen näher begüterte
Böhmenherzog auf die deutsche Seite neigte, dass er nicht wahrscheinlich
der Angreifende der nächsten Jahre war, dass aber gewiss nach und nach
der Pole sich zur Stellungnahme gegen Deutschland sammelte. Möglich,
-dass in Würdigung des Vorbereiteten Heinrich IV. 1073 die Absicht hegte,
nach der Weichsel zu fahren ; mindestens sehen wir ihn gerade zur Zeit
>eines wieder ausgebrochenen polnisch-böhmischen Krieges starke Büstungen
erheben, welche freilich, wie sich nachmals gezeigt hat, den Sachsen gegol-
ten haben. Vor September 1074 soll Bolesiaw durch Prinz Lampert um
Hilfstruppen nach Ungarn angegangen worden sein, welches er abgelehnt
habe mit Hinweisung auf die Fehden gegen Swätoslaw. Was bis 1075 sich
nicht offenkundig nachweisen lässt, trat jetzt, seitdem Wratislaw für seiner
Herrschaft Schützung sich dem deutschen Belebe mit Mann und Macht, 6«ld
und Gut zur steten Verfügung gestellt, ganz klar zu Tage ; der Piast nahm
in dem ausbrechenden Streite der Sachsen gegen Kaiser Heinrich Partei
für dieselben. Nicht blos mit Worten und Schriftstücken der Gesandten
wollte er auf den Kaiser wirken, mit wohlgerüsteten und kampferprobten
Kriegern versprach er für die Aufständischen einzutreten. Unwahrschein-
lich ist es gewiss nicht, dass er das leicht vermocht hätte in Anbetracht
«eines militärischen Organisirungs-Talentes. Denn nicht nur gegen die Böh-
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646
B0LE8LAW H. VON POLEN.
men ist er seit Beginn 1072 in fortwährender Action geblieben^ mindestens:
dnrch vier Jahre noch, sondern auch gegen den Kiewer Hof schien sieh
eine nene Feindseligkeit vorzubereiten, die, nach der Zeiten Mode, nicht
auf einen langen Federkrieg hinauskkam« Der Grossfürst war dort wieder
einmal entthront, 1073, durch die Brüder vertrieben; wieder betrat er den
Krakauer Hof, Hilfe suchend, aber diesmal nicht mit leeren Händen. Ob
nun den Folenforsten die Erinnerung an den schlimmen Abschied in Kiew,
ob die kluge Vorsicht, im Westen sich nicht preiszugeben und Mannen wie
Gelder zum Kampfe gegen den mächtigen Deutschen zu sparen, im Grunde
abhielt, für Isäslaw das Schwert zu ziehen, indess er mit den Böhmen noch
abzuwickeln hatte, wird einmal zu untersuchen sein. Gewiss ist nur, dass^
der im ersten Anlaufe enttäuschte Grossfürst im weiteren Verfolge seiner
Herrscher- Ansprüche, und auch Helfer annehmend, wo er sie gerade finden
mochte, offenen Weges zu Boleslaws Feinden ging, dass sonach Boleslaw von
den Gegnern des Flüchtigen, von Wlodomir und Oleg, den Söhnen der auf-
ständischen Brüder, mit Soldaten sich unterstützen liess. Dies geschah in
den obenerwähnten böhmischen Kriegen, während Herzog Wratislaw mehr-
mals beim deutschen Kaiser war. Um 1076 müssen diese Wirrnisse aber
doch zu einem Abschlüsse gekommen sein, sei es, dass Deutschland die
unvergessene Drohung wiederholte, sei es, dass dessen allfällige Interven-
tion dem Polen in dem Hinterlande noch unwillkommener erschien : denn
jetzt, 1077, hat sich Boleslaw endlich doch entschlossen, in Kiew einzu-
schreiten, den Landgebieter wieder einzusetzen, wie angenommen werden
kann, ohne sich persönlich in die Sache weiter einzulassen. Noch allen
endlich in diese Jahre jene Kämpfe mit den die Grenzen nicht achtenden
Pommern (Getae als Preussen), welche, anlässlich starker Mannschafts-
Verluste bei einem Flussübergange, zur Abschaffung der schweren Panzer
geführt haben sollen. Volle Plattenpanzer hatte man übrigens in jener Zeit
ohnehin nicht getragen.
Es ist nun wohl bemerkenswert, dass eine kriegerische Angelegenheit
den Polenfürsten zuerst in einen Conflict mit dem römischen Papste bringt.
Man hat also bis 1075 nichts von einer Kloster- Gründung oder irgendwelchen
kirchlichen Massnahmen gehört, in welchen allenfalls die Ansichten von
Laien und Nichtlaien hätten auseinander gehen können. In einer rein
militärisch-politischen Angelegenheit hat sich zuerst die mächtige Stinmie
des Auswärtigen vernehmen lassen, allerdings nicht ungerufen, demnach
auch nicht ganz unberufen. Denn Isäslaw, welchem der Piast einen Teil
seines durch Frohnsteuem rasch erworbenen Geldes und Gutes abgenom-
men hatte, vermutlich weil ihm die Bestaurations-Kosten seit sechs Jahren
noch nicht völlig gezahlt waren, während neuer Aufwand in Aussicht gestellt
schien, war zunächst nach Mainz gereist, dem deutschen König sein Anlie-
gen vorbringend (4. Januar 1075), vermutiich aber noch zuvor in Boten-
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B0LE8LAW H. VON POLEN.
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Bendnng den ferneren Papst benachrichtigend. Nicht lange darnach äusserte
sich Gregor VII.^ welcher seiner Einmischung ohne Zweifel mehr Aussicht
auf Erfolg zutraute als der vielbeschäftigte Heinrich der seinen, in einem
mit Ealendis Martii(s) datirten ^ Briefe an den Polenfürsten auf sehr gehar-
nischte Weise, «Boleslaw habe dem Heimatlosen Schätze geraubt, er stelle
sie dem Eigentümer zurück^ denn wer fremdes Gut ohne Anrecht an sich
nehme und eine Uebelthat nicht gut mache, dafern er solches wohl ver-
möge, der verdiene keinen Anteil am Beiche Christi und Gottes.» Ein voU-
führter Diebstahl, das Fehlen eines Bechts- Anspruches auf Eiewer Erongut
war also vom päpstlichen Stuhle aus constatirt, es war auch angedeutet, was
aus einer Ausschliessung aus dem Beiche der Kirche gefolgert werden könnte.
Wohl ist es schwerlich auf diese Note zurückzuführen, wenn, wie bemerkt,
Boleslaw nach zwei Jahren die Bestauration widerwillig dennoch vornahm,
ohne in Yolhynien eine Art Faustpfandes durch Eroberung zu nehmen ;
immerhin aber mag man verstehen, er habe es mit dem Papste nicht im
Vorhinein verderben wollen, weil er ja dessen Organe demnächst gut zu
verwerten im Sinne trug. Und ferner mag man sich vorstellen, wie Gregor
einigen Groll in sich zusammenfasst darüber, dass seinem Befehle erst nach
zwei Sommern eine Art Ausführung geworden. Indess auch der Papst legte
sich guten Bückhalt auf, da ja der Pole für den Notfall als einer der mäch-
tigsten und kriegstüchtigsten Gegner des Franken festgehalten zu werden
verdiente. Hochgestellte kirchliche Gesandte kamen, wahrscheinlich nach
März und April 1075 mebrfocb, in Erakau an und begannen mit der Ordnung
der Bistums-Yerhältnisse, mit der Untersuchung des Besitzstandes, der Ein-
künfte, des Emennungs-Bechtes^ der Abgaben- und Kriegsdienst-Freiheit,
allerdings um die Vorstudien und um das canonische Hausleben der Geist-
lichkeit, um deren Hausfrauen und Mägde, um deren amthelfende Söhne und
Nepoten und Pfarrerben sich je minder kümmernd, als von Schulen, Anstal-
ten, feinen Haussitten und gegliederten Verhaltnissen des Glerus zu einer
vorwiegend soldatischen Hofhaltung vielleicht das Geringste vorzufinden
war. Gewiss gab es noch in waldreichen abgelegenen rauhen Gegenden
mancherlei Heidentum, das christliche Wesen schien dort vielfach so impor-
tirt wie das Sackgeld (das Gold meist byzantinisch). Die geltenden rechtlichen
Bestimmungen, mehr auf Natur- und Kriegsgewalt fussend, waren keines-
wegs zu solcher Godificirung ausgebildet, wie in Ungarn durch Ladislaus
seit der Martinsberger Versammlung. Desto weniger scheint es angezeigt, für
diese Zeit von einem localen Kirchenrechte zu reden. Geschmeidige Worte
hatte der Papst den Legaten für den kühnen Herrscher mitgegeben, seine
* Mansi Sacror. concilior. nov. coUectio XX. S. 182. Roepell. Gesch. Polens.
I. 197 Note 13 Z. 4. v. o. Stenzel. Geschichte Deutschlands unter den fränkischen
Kaisern. Leipzig 1829, I, 285. Note 23. Vgl. S. 211, 281, 334.
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6^ BOLESLAW II. VON POLEN.
Liebe und Ergebung für den heiligen Apostelfürsten Petrus betonend, ihn
auffordernd, dass er die in seine Hand gelegte Macht auf eine gottgefällige
Art ausübe, die Batschläge der Gesandten befolge nach dem Spruche : «Wer
euch höret, der höret mich, wer euch verachtet, dar verachtet micht. Er
ermahnte, habt Euren Todestag vor Augen, sammelt Schätze in guten Wer-
ken, der obere Richter wird nichts nachsehen, Gott ist über alle Fürsten-
tümer und Königreiche. Insoweit sind es selbstverständliche allgemeine
Lehren, welche nur immer die Auslegung fordern, dass die Stelle Gottes der
Papst in Born vertritt. Speciel ausgedrückt sind aber die Sätze : Das Geld
ist dem König der Bussen enttragen und dadurch das Becht verletzt, alles
was Ihr entwendet habt oder die Eurigen, soU zurückkommen, kein Anteil
am Beiche Christi gebührt sonst demjenigen, der ersetzen kann und sich
nicht bessert. Schliesslich auf das Deutlichste : Die Bischöfe Eures Landes
haben keinen bestimmten Metropolitan-Sitz, keinen meisterartigen Leiter,
die Bischöfe sind zu vagant und entgegen den heiligen Decreten (von ein-
zelnen Päpsten) zu frei gestellt, überhaupt es sind in zu weiten Bezirken zu
wenig Bischöfe.
Wodurch Boleslaw seine Liebe für den Apostelfürsten Petrus nach dem
Sinne eines Herrschers bisher in kirchlichem Begriffe ausgedrückt haben
soU, ist nicht nachgewiesen. Mehr als dass er alte Einrichtungen, von hun-
dert Jahren Bestandes etwa, Bistümer, Pfarreien, Klöster, nicht berührte,
ist gar nicht berichtet; keine neue Stiftung hat er irgendwo gethan
und dass jener, durch seine Freigebigkeit in Hut und Mantel schwer Be-
schenkte, als man die Schatz-Leistungen der Bussen vor seiner Burg darbrei-
tete, ein Geistlicher gewesen, ist später in Abrede gestellt worden. Eine
späteste Lesung behauptet nun allerdings unter Einem den geistlichen
Stand des Beschenkten, dessen Erdrückungstod, die Versenkung des Leich-
nams in die Weichsel, alles auf Fürstengebot. Scheint das nicht vielmehr
eine Bestrafung, und zwar eine harte und allem Anscheine nach ungerechte,
des nach der Menge von Schätzen Lüsternen ? Immerhin, der Papst belobte
den kirchlichen Sinn Boleslaws U.
Bis ins Jahr 1076 sind jedenfalls die Beziehungen des Polenfürsten
zum Glerus aufsteigend gute gewesen. Es ist anzunehmen, dass, was die
allerkatholischesten Fürsten gethan, von Kaiser Friedrich IV. bis Franz IL,
Boleslaw zur Bestreitung seiner Kriegs- und Wehrkosten die Einkünfte des
geistlichen Besitzes nicht herangezogen hat, ingleichen dass der Glerus noch
im Kerne national war und einer ausländischen unslavischen Oberherr-
schaft im Weltlichen abgeneigt, ohne das Wälsche in der Kirchen- Verwal-
tung sich deutlicher zu Gefühl zu bringen. Insoweit, kann man sE^en, gieng
die Landeskirche in den Geleisen des Fürsten selber. Und so waltete Frie-
den im Lande. Aber die Mittel zur Herbeiführung eines eclatanten Unab-
hängigkeits-Actes liegen im Dunklen. Der Landesfürst muss in einer gewis-
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BOLESLAW II. VON POLEN.
649
sen Zeit vor 1076 bis hinter 1073 mit dem grossen Grundbesitze zerfallen
.sein, die grosse Gefolgschaft muss man ihm verweigert oder schwierig ge-
macht haben und zwar nicht um der Kraftanstrengung selber willen, son-
dern vielleicht in Hinsicht auf die geldlichen und rechtlichen Ergebnisse,
in Hinsicht auf die Fristen solcher Errungenschaften. Denn zahlreich und
starkmütig ist das Volk ja gewesen, so weit alle Nachrichten laufen. Wie
hätte sonst Boleslaw so angewiesen scheinen können auf Isäslaws Schätze,
so ungeneigt, ein zweites Mal gen Kiew zu ziehen, so bereit, russische Heer-
hilfe gegen die Böhmen anzunehmen ? Im Glerus stand keine einheimische
Adelschaft. Kein Pole war vor 1059 Bischof zu Krakau, vor 1027 zu Gne-
sen, wie vor 1087 zu Plock u. s. w. laut Dlugosz' beiläufiger Nachricht. Um
so willkommener konnte vielleicht des Glerus Mitwirkung gegen die Edlen
für den Landesfürsten gelten. Vielleicht kannte Boleslaw so gut die (erst seit
973 einem Polenfürsten augenscheinlich gewordenen) Einrichtungen im
deutschen Reiche, welche bei Würde- und Gebietsverlust den Vasallen zur
unbedingten Heerfolge dem ßeichshaupte gegenüber verpflichteten, dass er
die Ausdehnung seiner Oberhoheit auch in diesem Sinne unerlässlich fan(}.
Hatte doch die Macht der Thatsachen in der obersten Heerführung der
Reihe nach nur vollgünstig für ihn gesprochen. In der Wahl der Mitverbün-
deten bei dieser Staatswendung konnte Bolestaw einen Zweifel nicht hegen.
Es galt, kurz gesagt, der Masse des Volkes sicher zu sein, einer Leiterschaft,
welche dem Volke selber und dem obersten Kriegsherrn näher stand, als dem
Grossgrundbesitze ; es galt mit solchen Mitteln infolge ausgiebiger Kriegs-
züge die Erweiterung der Reichsgrenzen, vielleicht zumeist gegen West und
Nord, endlich es galt die Erringung der Krone. So eigentlich ganz moderne
Wege und Ziele. Wohl hatte die Adelschaft — der InbegrifiF aller Freien —
bisher schon öfter dem Landesherzoge gegenüber ihr Wort, ihre That in die
Wagsohale gelegt; die Kirche, diese jüngere Einrichtung, noch nie. So erkor
er denn diese jüngere Kraft, die sich gerade im Jahrzehent ihres politischen
Aufschwunges befand. Was unter Boleslaw Chrobry vorsichtig eingeleitet,
von Mieczislaw und Kazimierz wieder aufgegeben war, kam zur Ausführung
bis Weihnacht 1076: die Königskrone setzte Bolesiaw IL. sich — 51 Jahre
nach dem ersten Boleslaw — aufs Haupt und die Bischöfe weiheten und
salbten ihn als König von Polen, die königlichen Insignien, Krone, Scepter,
Lanze nachmals in dem Krakauer Kathedral-Schatze verwahrend. Folge -
gemäss wird der also erhobene Landesfürst die kirchliche Mitthätigkeit unter
des Papstes Beistimmung belohnt haben durch Aufbesserung der Einkünfte
der Bischöfe und Kirchenvorsteher, ihrer Stellung im Hofbeirate, ihrer
Ausnahme bei Kriegsleistungen. Das alles konnte weniger auf Kosten des
Volkes gehen, das bis an der Möglichkeit Grenze durch die Reihe politischer
Unternehmungen mancher Jahrzehnte in Anspruch genommen war, son-
dern auf jene der Szlachta. Wohl mochte diese zur Zeit der Königskrönung
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Ö50 B0LE8LAW II. VON POLEN.
noch in ziemlichem Glänze mitgewirkt haben ; nachderhand aber, wie das
Uebergewicht des Glerus bei Hofe sich in Tbatsachen erwies, konnte von
kirchlicher Seite eine Heranziehung der Adelschaft versucht und erwirkt
worden sein, ohne welche eine nachgefolgte gemeinsam betriebene Königs-
Entsetzung nicht denkbar wäre. Nun haben wir einen ehrenwerten zeitge-
nössischen Zeugen, welcher den Vermittler in der kirchlichen Partei nennt,
welcher denselben zugleich als Verräter bezeichnet, seine That als eine unge-
rechte verurteilend. Dieser zeugenschaftgebende Mann ist, was seine Unbe-
fangenheit in so besseres Licht stellt, kein Einheimischer, kein LocaJpatriot,
kein Hofbediensteter, er ist Ausländer aus dem Staatencomplexe der Kir-
chen-Herrschaft selber, Wälscher, ein Geistlicher obendrein, Mönch. Palacky
nennt ihn allerdings nur einen Fanegyiisten, dem es um keine Zeitbestim-
mung und Geschichte, sondern nur um eine Lobschrift auf den Bolestaw
Schiefmund zu thun gewesen seL^ Nun, das Lob hat dieser wenigstens nicht
einem Todten entzogen, der ihn keineswegs mehr lohnen konnte, die belo-
benswerten Tbatsachen führt er auf — was soll da die Verdächtigung gegen
den Mönch? Es ist dies Martinus, bisher beigenannt Gallus oder Gallicus.
Dass beide Namen unrichtig, dass in dem nach dem Heilsberger Codex
vermuteten Mönche zeitens Boleslaws HL ein Italiener stecke, lebend zwi-
schen 1070 und 1135, ist durch J. Szlachtowski und R. Koepke nachgewie-
sen.^ Der Mann war insoweit Zeitgenosse unseres Bolesiaw ü., dass er,
noch jung an Jahren, mehr Einsicht in die öffentUchen Verhältnisse hatte,
als Einfluss auf dieselben. Aber ungefähr dreissig Jahre nach des Bischofes
Stanislaus Tode bat er seiner Chronik erstes und zweites Buch geschrieben,
darin war alle Geschichte der früheren Herzoge oder Landesfürsten zusam-
mengefasst ; in dem dritten ist die Geschichte Bolesiaws HI. eben bis zum
Jahre 1113 geführt (der Herzog starb erst 1139). Die ersten Bücher müssen
wohl Wahrheiten enthalten haben, welche bei aller Vorsicht den Anschauun-
gen und Gefühlen des damaligen hohen Clerus nicht widersprachen, denn wie
könnten sie sonst gewidmet sein fünf Bischöfen, welche der Chronist seine Gön-
ner, seine Förderer nennt? Es sind dies Martin Erzbischof von Gnesen (einge
setzt 1092, t 1118), Simeon Bischof von Plock (1107, + 1129, Paulus (nicht
Paulinus) von Gruszevice (später Leslau, eingesetzt 1098, f 1110), Maurus
Bischof von Krakau (1109, t 1118), ZyrosJaw Bischof von Breslau (1091,
f 1120), jeder Zeitgenosse des zweiten Boleslä^w, keiner unter diesem selber
noch als Bischof ordinirt. Diese mitsammt dem Kanzler Michael müssen
doch die Ansichten des Schreibers und seine verantwortUche Ausdrucks-
weise geteilt haben. In seiner antiken Schulung, mit seinen classischen
* Gesch. Böhmens I, 341, Note 145.
• Gg. Hrch. Pertz, Monumenta historica, Soriptonun tom. IX (Hannover 1851).
S. 418—478. Chronica Polonorum.
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BOLESLAW II. VON POLEN. 651
Oedächtnis-Stellen, in der Sprache nicht immer einfach^ da imd dort bilder-
lustig, beschreibt er in klaren Schilderungen oft mehr an Einzelheiten als er
(aus Uebereinstimmung Mehrerer) zutreffend wissen konnte, die Anzahl
Bewaffneter, Flussübergänge, besondere Anreden, intime Hausbaltsachen,
Blendung, Entmannung u. dgl. Dennoch pflegt er nirgends die Wahrschein-
lichkeit zu überschreiten ; wo er nicht Bestimmtes weiss, zieht er vor, zu sa-
gen z. B. parum vixit, quanto tempore nescio fuerit conversatus udgl. Jeden-
falls steht er als Muster der Yerlässlichkeit imd Schwulstlosigkeit der späte-
ren kirchlichen Geschichtschreiberei gegenüber. Er nennt den zweiten
BolesJaw ELazimirides gewohnter Weise mit dem Beinamen largus, bellico-
sus, wie den früheren gloriosus, nach welchem das goldene Zeitalter ins
bleierne verwandelt worden sei ; immerhin stehe er den Vorvorderen durch
seine Thaten zur Seite, doch sei ein Ueberschuss von Ruhmsucht und Eitel-
keit dabei ; es sei nicht zu wundem, dass er irregehe aus Unkenntnisse wenn
es sich nur einfinde, dass nachderhand die Klugheit das Versäumte nachhole
(so entschuldigt er den König wegen Gradec, cap. 22) ; nicht würdig sei es,
die vielseitige BechtUchkeit und Freigebigkeit des Königs mit Schweigen zu
übergehen, aus dem Vielen sei den Beichsleitern ein Weniges als Muster-
bild vorzulegen* Als Soldat erscheine der König kühn und tapfer, als Gast-
freund mildherzig, ein allerumsichtigster Ausspender von Freigaben (cap.
23, Invasion von Kygow 1069, Kussgeschichte). Die enttäuschende Gonspi-
ration gegen den König schildert cap. 24 de delusione contra Boleslaum lar-
gum ; die Freigebigkeit und den armen Gleriker, unter Ablehnung eines Mor-
des, cap. 26. Diesem Grallus zufolge ist demnach der Bischof von Krakau,
Stanislaus, Verräter, seine That (kirchlich ausgedrückt) eine Sünde, der
Bischof sei nicht zu entschuldigen. Nach den Kechten des weltlichen Staates
wird also hier ein Hochverrat vorliegen. Was den Schluss dieses durch Ver-
rat eingeleiteten Zwistes bildet, die Tödtung des Bischofs durch den sich
selbst rächenden König, nennt Gkdlus ebenso unverholen eine Sünde, eine
unchristliche That, um des schmählichen Beginnens willen sei der König
nicht zu loben. Er hat wohl die Aburteilung durch ein ordentliches Gericht
im Auge, da vmrde der Verräter ohnehin verurteilt worden sein. Wer könnte
sich heute unparteüscher äussern ?
Das cap. 27 de exilio Bolezlavi largi in Ungariam schildert : Qualiter
autem rex Bolezlavus de Polonia sit eiectus, longum existit enarrare, sed hoc
dicere licet, quod non debuit christianum in christianos peccatum quodlibet
corporaliter vindicare. Illud enim multum sibi nocuit, cum peccato peccatum
adhibuit, cum pro traditione pontificem truncationi membrorum adhibuit.
Neque enim traditorem episcopum excusamus (seitliche Beischrift 1079),
neque regem vindicantem sie se turpiter commendamus, sed hoc in medio
deferamus.
Ausser dieser That ist es keine, derenthalben Gallus den Boleslaw ta-
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BOLESLAW II. VON POLEN.
delt, noch viel weniger eine ganze Beihe von Eigenschaften, aus denen eine
Reihe übler Handlungen entspriesse (ebensowenig hat er ein Lobeswörtiein
für eine angebliche Kenntniss des Herrschers von dem Leben und Schrift-
wesen des Apostels Petrus.) Die entgegengesetzte Beurteilung des Königs
kommt in geschriebenen Chroniken erst 200 Jahre später auf, überhaupt seit
des Xin. Jahrhunderts zweiter Hälfte, vor 1295, und wird in Druckwerken gar
vulgär seit dem XV. Jahrhunderte. Noch in den jüngsten Jahren findet ein
in kirchlichen Bausachen mit hohem Berufe begeisterter Kunsthistoriker den
König wild, herrschsüchtig, roh, ausschweifend, tyrannisch, einen Verrat
dem Könige gegenüber ohne jede Wahrscheinlichkeit.'' Noch ist Boguphalus,
Bischof von Posen, der Chronist, gestorben 1253, 9. Febraar (Boguchwal),
von solcher Befangenheit ausgenommen. Aber schon zu den Gallus- Abschrif-
ten hat eine spätere Hand bei Beginn des Cap. 22, Bolezlavus regnum rexit
u. s. w., dazuschreiben müssen : Iste (man spüre den verächtlichen Ton)
occidit Stanislaum.®
Durch die ersten 174 Jahre scheint des Königs todtbringender Zwist
mit dem Bischöfe der Königsstadt allgemein anders beurteilt worden zu
sein ; ein grosser Teil der Schuld und insbesondere der erste fiel auf Sta-
nislaus. * Als Verräter muss er sich wohl zunächst bethätigt haben — in
seiner Eigenschaft als selbst Adeliger — bei der Szlachta. Was er zu ver-
raten hatte, waren des neuen Königs Absichten auf deren Macht-Beschrän-
kung, vielleicht auf die Besitz-Entsetzung oder wenigstens entsprechendere
Besteuerung einzelner, beim Volke besonders Einflussreicher, welche Ab-
sichten etwa der König im Vertrauen den päpstlichen L^aten, wenn schon
nicht den Orts-Bischöfen selber, mitgeteilt haben mochte. Gtegen die deutsche
Beichs- Herrschaft hinaus wird der Verrat keineswegs gegangen sein ; denn
dort war der Länderfürst schon so weit gebracht, als hier der Kühne und
Freigebige notfalls erst getrieben werden konnte. Ersichtlich ist nur die
nächste Folgerung : Die ausbrechende Schwierigkeit des Edelstandes, dessen
Misszufriedenheit, dessen Zuwendung zu den kirchlichen Würdenträgem.
In welcher AVeise aber König Bolestaw an sein unerwartetes Ziel gedrängt
wurde, war dem Gallus zu erzählen zu weitläufig. Leider, müssen wir hinzu-
' Wie wäre dann wolil Bolesiaw III. von Böhmen zu benennen ? Mitthlgn. d.
C.-Coinmission f. Kunst und histor. Denkmale, 1865. S. 57 — 60.
" Pertz a. a. 0. S. 439. üb. I. cap. 22, Vers 10 d.
® Nobilis de Prussoriun familia Sciepanouius, Szczepanowski (die Richtigkeit
des Namens bestritten durch Waga) laut Cromer, gew Scepanowo in Schedels Welt-
buche 141)3. Sczepanow in Woywodschaft Cracau; Sczepowski laut L. v. Baezko in
Ersch und Gruber R.-Encykl. 1S23, I, 11. S. :^54. Koska, auch des Königs Bruder
nach Anderen. Man weiss, dass St. Kostka der Jesuit von 1550 — 68 ist (4 Jahre in
Wien). Vgl. Cöllner Heiligen-Lexikon 1719 S. 2082. Laut Dhigosz, 7 Studienjalure.
Schul-Stiftung richtig 1079.
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BOLESLAW II. VON POLEN.
653
setzen und herausversteben, der geistliche Gewährsmann hatte Bäcksichten
gelten zu lassen, vermutlich mehr gegenüber den Bischöfen» als dem Piasten-
hause, das ja gänzlich hätte abgeschafft werden können^ wenn des zweiten
Boleslaw alleinige Schuld und Entartung nachweisbar gewesen wäre. Zwi-
schen Krönung und Todtschlag Hegen wenige Tage über zwei Jahre und
drei Monate. Bei der Heftigkeit des Bache- Ausbruches scheint auch voraus-
setzbar, dass die den König so empörende Verräterei ihm erst spät ange-
deutet, ein thatsächlicher Beweis gar erst in den letzten Tagen beigebracht
worden sei. Wäre es nicht erlaubt, das Wohleinvernehmen zwischen König
und Clerus noch 1077 und 1078 ungetrübt zu denken? Der ungerechte
Gesetzgeber, als welcher er später (nicht in Einer zeitgenössischen Quelle)
benannt worden ist, hat sich in dieser Zeit vielleicht mit einer Besteuerung
der Szlachta befasst und da diese immer von unten her nimmt, so war der
Unterdrücker der Armen (der Kmeten nicht sowohl als der Hörigen) — wer
anders, als der König? Auch zu den Immunitäten und anderen Bevorrech-
tungen, womit sonst im Abendlande, insbesondere in den benachbarten
Alpenländem, die Fürsten und Edlen so verschwenderisch an die Bischöfe
und Mönche herankamen, wie sie genau von seinem Nachfolger sind gewährt
worden, hat sich Bolestaw nicht bekennen wollen. Und so mag er denn auch
die Ernennung der wenigen Bischöfe und Aebte des Landes, sowie deren
Einsetzung mit Bing und Stab sich vorbehalten, das eheliche Leben dieses
Standes aber weislich beim Alten belassen haben. Der rauhe Kriegsmann,
nicht anders gewohnt als befehlen und Befehle stracks befolgt zu sehen,
durch sieben Jahre in auswärtigen Landen alles nach seinem Kopfe gehen
zu lassen, wie konnte er schliesslich die Einmischungen in sein Verwaltungs-
und Hauswesen von Seite eines angeblich in der Pariser Stuben-Gelehrsam-
keit erwachsenen, kriegerisch unerfahrenen und unerprobten, politisch ganz
unverlässlichen Mannes dulden, der vorerst (man weiss nicht, bei welchen
ersten Anlässen) abmahnte, aus dem Hof beirate wegblieb, nach und nach als
der widersprechende Anwalt der Adelschaft sowohl als des gemeinen Volkes,
der Knechte wie der Gleriker auftrat, eudlich ausdrücklich die Drohung
des Beichs-Unterganges verkündete, den Fürsten mit dem Bannflüche
belegte, das Volk von seinem Ünterthans-Verbande befreite und dem Ent-
setzten die Kirche verbot. ^^ Solches hätte kein Mann wagen können, der
^" Daes, wie man zu lesen bekommt, der König dem Priester die Messe ver-
boten hätte, zerfallt in sich selbst. Nach seiner Charakter- Eigentümliclikeit hat sich
der König (scheint es ims) um die confessionelen Bedür&isse des Bischofes nicht
gekümmert Einen Streit um den Kapitel-Besitz von Piotrowin erachten wir eben-
falls nicht als den genügenden Grund eines tragischen Zusammenstosses und sind
nicht geneigt, einen Betrug in Betreff des als Zeuge erscheinenden Toten dem Bischöfe
Stanislaus zu unterschieben. Das Sprechenlassen Toter als Motiv zur Heiligsprechung
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^^ BOLESLAW n. VON POLEN.
nicht die Grossen des Reiches mit ihrer Volksgewalt hinter sich hatte ; in
reinen Familiensachen würde er ohnehin nichts ausgewirkt haben, indem
dazumal die Ehe-Segnung der Kirche noch nicht einmal zustand. Auch ist
der Krakauer Bischof selber nicht unter jenen Ausnahmen genannt» welche
dem Cölibate huldigten.
In diesen Zeiten möchte der König schon läaigerher nicht mehr über
die Heeres- Gefolgschaft verfügt haben ; er hat durch gewisse Gründe, sehr
gegen seinen Willen, vorzeitig aufgehört, unternehmender Soldat zu sein.
Damit ist er in seinem eigentlichen Wesen verneint. Die Mittel versiegen
ihm. Anstatt nach dem in Ungarn (laut des zweiten und dritten Ladislai'-
scfaen Decretes im corpus iuris) zu Becht bestehenden Grundsatze, die Strafe
ungehorsamer Bischöfe hängt vom Könige ab, gegen den Verräter vorzu-
gehen oder wenigstens denselben mit soldatischem Geleite nach jener
Landesgrenze zu bringen, wo die päpstlichen Legaten ihrer Wege aus oder
nach Bom gegangen waren, Hess er sich (wenn wir halbwegs der Legende
glauben wollen) unbedachter Weise beikommen, den Bischof in dessen ihm
zustehender kirchlichen Burg zur Züchtigung aufzusuchen. «Während der
Bischof in der Kirche des heiligen Michael bei Krakau das göttliche Myster-
ium celebrirte — wir folgen einseitig der Darstellung aus der Vita St. Sta-
tt islai bei Koepel ^^ — eilte Boleslaw herzu und befahl seinem Gefolge, den
Bischof aus der Kirche zu holen. Dreimal versuchen sie einzudringen, aber
dreimal fallen sie unsichtbar getroffen zu Boden. Da erhebt sich der König
in heftigem Zorn, schmäht die Diener feig und entartet, stürzt selbst zum
Altare, reisst den Priester von dem geweihten Orte hinweg und schlägt —
er selbst der Erste — ihn mit dem Schwerte nieder.» Das geschah im Jahre
1079 (den 11. April, der Michaeli-Tag wird dazu angegeben; der Tag des
Heiligen als Landespatrones ist in Polen der 8., anderwärts der 7. Mai, der
29. September.)
Wir unterlassen es, aus dieser Quelle weiterhin zu schöpfen. Wer
den König verurteilen will, findet dort alle seine Schattenseiten concentrirt ;
von seinen Tugenden bleibt nur, dass er kühn, kriegerisch, grossherzig, frei-
gebig, unternehmend, ausdauernd war. Wie ausgiebig aus einem guten
Landesherm ein schlechter gemacht werden kann, hat an die 200 Jahre
später der Bannbrief des Gneeener Erzbischofes Paul wider Boleslaw
Wstydliwy, weil dieser den Krakauer Bischof, den bewährten Wein-, Weib-
und Jagdfreund und Landesverräter, hatte gefangen setzen lassen, zur
Genüge bewiesen. Der Anstifter der Adels-Revolte war dazumal eben der
lag allerdings im Sinne jeuer Zeiten, jedoch war das nirgend die unbedingte Forde-
rung für die Canonisation.
" Geschichte Polens, I, 1840, S. 203.
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BOLBSLAW n. VON POLEN. Ö55
Eirchenfürst. ^^ Man muss in Betracht ziehen, dass noch unter Boleslaw I.
das Chrietentam erst seit 50 Jahren sich festgesetzt hatte. Der Mann des
kräftigsten Alters hegte vollständige heidnische Jugend-Erinnerungen. Da ist
mit der milden Menschenschonung unserer Tage, wie sie in Friedenszeiten vor-
Aviegend giltig heisst, kein rechter Vergleich zu ziehen. Die Grausamkeit
war fast der natürliche Ausdruck von Grösse und Macht. Man denke nur
an das Vorgehen gegen den böhmischen Bothaar ! Bauhe Strafen waren
selbstverständlich (laut Thietmar S. 247). Bei persönlichem Hasse gegen
Höchstgestellte bricht noch am heutigen Culturtage die Sucht nach persön-
licher Straf- Ausführung durch. Und davor sollte der Kriegsmann des XI. Jahr-
hundertsan der Nordost-Grenze der Christenheit zurückgeschreckt sein? üebri-
gens ist die persönliche Straf- Ausführung hier eine unbewiesene Sache und seit
65 Jahren, ohne dass man in Deutschland und Italien viel Eenntniss davon
genommen, vielmehr der begründete Anlauf zur Beweisführung eingeschla-
gen worden : der König als oberster Bichter habe die Verurteilung des unter-
suchten Verräters verfügt und die Hinrichtung sei der Sitte der Zeit gemäss
/ollzogen worden. ^* Es ist eben wahrscheinlich aller unterwürfiger Sinn
des Bolesiaw gegenüber dem Glerus nichts als spätere Chroniken-Aus-
schmückung gewesen. Auf seiner Bahn gradaus gegen den sich überneh-
menden Gegner gewährt Bolestaw das Bild einer weitaus entschiedeneren
Erscheinung als sein Zeitgenosse und zeitweiliger Gegner König Heinrich IV.,
dessen Gunst- und Hassbezeugungen nie zu trauen war, der sich überhob und
demütigte nach Anschlag des daraus erwachsenden poUtischen Nutzens,
üeber die staatliche Macht schien ja hierzulande die kirchliche schon zu
triumphiren, als zu Weihnachten 1076 der Pole der kirchliche Salbung
sich beugte, einen Monat vor Canossa. Aus solchen Zusammenhängen
erwuchs wohl aUmälig den Krakauer Misszufriedenen die Macht, einen
König seines Landes zu berauben.
Ohne dass irgend ein Best seiner vielverwendeten Krieger sich für den
Führer erklärte, dem es doch Keiner im Beiche zuvorgethan hatte, musste
Boleslaw mit der Zeit (annum et amplius postea regnavit, sagt Cromer) vor
dem Andrängen der Szlachta das Feld räumen, das Vaterland als Flüch-
tiger verlassen. Das versteht sich vielleicht noch im Jahre 1079, vielleicht erst
1080 (nach Fessler 1078 oder 1079, nach dem Cölner Lexikon anscheinbar um
1082). Der Abzug mit seinem einzigen Sohne Mjesko (Mieszkon, Mesco) und
wenigstem Gefolge geschah in der Bichtung nach Ungarn südseits der Weichsel
entweder gegen den JablunkaPass, oder das Gebiet von Thuröcz- Arva gegen
** Seit Neuausgabe der Gallus-Clironik durob V. Bandtke 1824 und Aufstellung
der Preisfrage durch die Krakauer theologische Facultät 1826 und Penkalski's (am
Schlüsse unserer Abhandlung angereihter) üntersuchungs- Schrift. Vgl. auch E. Swie-
zawski Zarysy badan 1873 S. 44 und Angeratein in c Zeitschrift der Hist. Ges. f. d. Prov.
Posen.» 1888. Jhrg. IV., Heft 3, 4, S. 279.
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656
BOLESLAW U. VON POLEN.
die Zuflüsse aus dem Tatry, wo die Grenze am ersten erreicht wurde, also
etwa gegen die heute als West-Beskiden benannten Berghöhen, entweder
zunächst in westlicher Richtung von der Hauptstadt nach dem Wasserlaufe
der Skava herauf, alsdann gegen Jordanow, oder gleich südwärts längs Baba
hinter Wieliczka heraus, alsdann von Neumarkt weiter; welche Karpathen-
Schluchten vom Vägh herunterwärts gegen Trentschin, Neutra. Komom"
und welche einzelne Orte in den (vormals weithinauf dem Grauer Bistum zu-
geteilt gewesenen) Pfarrgebieteu gewählt worden waren, ist nicht weiter zu
untersuchen möglieh. Es wird hier daran nur vermutungsweise gerührt,
um für den letzten Act der Königs Tragödie die Oertlichkeit erkunden zu
helfen.
König Ladislaus von Ungarn, des Boleslaw Vetter von mütterhcher
Seite, nahm den Entthronten mit aller Freundlichkeit auf, eingedenk der
Edelthaten des Polenherzogs für ihn selber, für seinen Bruder, für seinen
Vater. Vermutlich war das kirchUche Interdict des Papstes über alles pol-
nische Land schon vom lebenden Btanislaus bereit gehalten gewesen (min-
destens ist uns kein gegenteiliger Beweis bekannt) ; der Fluch des persön-
lichen Bannes begleitete jetzt den machtlosen König durch die unwirtlichen
Gebirgsmarken und wer dem kirchlichen Gebote allein sich unterthan fühlte,
nicht dem nationalen, war der Treue gegenüber dem Landesfürsten ent-
bunden. Laut späterer Mitteilung soll das (locale ?) Interdict erst nach dem
Zeiträume verkündet worden sein, den die Nachrichtgabe von des Bischofes
Tode nach Rom und die neue Botschaft-Sendung nach der Weichsel gebraucht
habe. Keineswegs ist die Abschaffung des Königstitels von dieser Zeit ab
eine That der päpstlichen Curie, vielmehr wird solches von der AdelschafI
zur Vermeidung allzustarken Unterschiedes erzwungen worden sein ; und
so wie der nachgefolgte Wladislaw Hermann, hätte es der restaurirte Bo-
leslaw selber halten müssen. Nun freilich, 'der kriegerische Unternehmer
wäre in Boleslaw immer wieder durchgebrochen und da hätte die Adelschaft
wohl oder übel mithalten müssen. Es mag nicht gut angehen, mit Lelewel
«die Excommunication BoleslawsIL durch Papst Gregor VIL, seinen Bundes-
genossen» für eine Fabel zu halten, wie die dazu erwähnte Büssung. Nach
Stanislaus' Tödtung, die nicht zu bezweifeln, hat der Papst, wäre er des
Königs Bundesgenosse überhaupt gewesen, gewiss aufgehört das zu sein ;
sehr wahrscheinlich hat er seine verhängnissvollen Massnahmen getroffen
im Einverständnisse mit der dem Alleinherrscher abholden Szlachta, Bun-
desgenosse konnte Gregor VII. für Bolesiaw höchstens genannt werden in
der Haltung gegen König Heinrich ; aber gar kein Anzeichen spricht dafür,
" Krakau, Tatra, Tepla, Buttek, Sz.-Marton, Kremnitz, Altsohl, längs Gran zii
Donau, Gran, (wenn nicht Budapest), westwärts Komom oder Totis, südwest-
lichst Baab.
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B0LE8LAW H. VON POLEN.
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es habe je nach 1079 die Curie sich bundesgenossenschaftlich gekümmert
um den enttronten Polenkönig. Der Machtlose war ihr unwichtig.
Der Verkehr mit dem einst durch göttliche Macht Eingesetzten^
dem wegen seiner Hinneigung zum Apostelfürsten Petrus Belobten —
er ächtete nunmehr. Es war gewiss noch nicht Ausgeburt des Wahnsinns^
dass der flüchtige Fürst in den Weichsel-Gebieten seines Lebens sich
nicht sicher fühlte, dass er einer unfreundlichen That der Verschwo-
renen entgegenharrte, dass er jenseits der Earpathen den standesverwandten
Feind wachsam gegen sich gerichtet fand, keine Bischofspfalz, kein Kloster
gastlich-tröstend aufgeschlossen. Hier stand eben ein König mit aller ihm
möglichen Macht des persönlichen Urteiles, jedenfalls mit der ganzen Stärke
eines rücksichtslos dankbaren Gemütes für den Unglücklichen ein. Ver-
gessen wir auch nicht, dass auf eben diesem Gebiete dem Papste der Zauber
seiner Allwirksamkeit versagte; aus guten Gründen hatten zur Zeit die
Bischöfe etwas freie Hand . und so war es nicht abzusehen, dass sie bei den
obwaltenden Missverhältnissen zwischen Ladislaus und Salomon etwa auf-
tragweise gehalten waren, des Boleslaw halber zu weit zu gehen. Im Früh-
linge 1079 zuletzt und schon zuvor, 1078 Juni, hatte der Papst mittels
dringlicher Zuschriften versucht, den ungarischen König zu seinem Lehens-
Unterthan zu machen ; aber iLadislaus, nachmals der Heilige beigenannt,
ignorirte alles Andringen vollständig — und der Papst liess ab. Vermutlich
war damals das zweischneidige Benehmen Gregors VU. noch aus den
Schriften nicht bekannt, worin er der Gattin des vertriebenen Salomo, der
Schwester König Heinrichs, schmeichelte (1074), indess er den Vertriebenen
verfolgte.
Die magyarischen Magnaten konnten sich überzeugen, dass der
König gewillt war, anfangs wenigstens alle Entscheidung für Boleslaw's
Sache zu wagen, wie er denn nachmals thatsächlich begonnen hat, mit
bewaffneter Macht einzuschreiten für Mjesko's Nachfolge, des Prinzen,
den er gleich einem eigenen mit zärtlicher Hingabe erzog. Des Adels Bezie-
hungen zum Königtume waren hier jedenfalls culturmässiger geordnet, so
dass der Herrscher in seines Willens Ausführung wenigstens nicht durch
Ungesetzlichkeiten eines ganzen Standes behindert wurde. Freilich Boles-
^w selber, der seinen Hochmut auf dem heissen Boden des halbasiatischen
Kiewer Hofes so wenig verleugnet hatte, als nachmals dem deutschen Kaiser
gegenüber, der ihn von Beichswegen, wenigstens formel, hätte entsetzen
können, er trug auch sein Haupt noch gar hoch und stramm vor dem
Schützer und seinem Hofe. ^* Es ist wohl möglich, dass er sich mit der Hoff-
" Katona, historia critica reg. hung. stirp. Ai'padianae Pestini 1779, 11, S. 4()S:
Principatum quidem initio summa cum laude gessit. Später nach Cromer lib. IV.
p. m. 90, vgl. cap. 3 S. 54 — 62. Martinus Gallus S. 72 — 76. Chronicon Poloniense
UngMiiche Revue, XI. 1891. Vm— IX. Heft. 42
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Ö58 BOLESLAW n. VON POLEN.
nung auf Bestauration trug, wie er solche ja selber voll Bascbbeit und Ent-
Bcbiedenbeit und mit mebr als balbem Glücke für Andere durcbgesetzt, ja
dass er auf dieser Gegenrecbnung mit Trotz bestand, erwägend, wie er seine
heimischen Edlen bestrafe, das Volk aufbiete, die alten Beichsgrenzen
wieder gewinne (Cbrobry's Machtbereich hatte ja einst durch die flucht-
gebiete des Exilirten herab bis an die Donau gereicht), wie er schliesslich
die früher tributären Nachbargauen wieder ans Reich kett« und seinen Dank
den Helfern sobald als thunlich abstatte. Gewiss, eine Menge heftiger Pläne
sprudelte in diesem Grehime ! In solche nun mithineingezogen zu werden,
stand wohl nicht im Sinne der Magnaten, und insoweit gab es auch hier
Widerstand und Hass. Die Entwickelung dieser Zustände spannt sich bei-
läufig über zwei Jahre ; ob man dies erachte als «bald nach seiner Ankunfti
(mansitque aliquamdiu, Gromer), sei dahingestellt.
An dieser Stelle möchte es tauglich erscheinen, nach urteilenden Aus-
sprüchen Banke's und Gfrörer's hinsichtlich des Bolestaw'schen Lebens und
Wirkens zu fragen. Ausser in manchen quellenmässig beglaubigten That-
Sachen war eine Uebereinstimmung der beiden Historiker keinesw^s zu
erwarten. Nicht mit weltgeschichtlich bedeutsamer Wichtigkeit ausgestat-
tet scheint Bänke die polnische Umwälzung gehalten zu haben. Er berührt
kaum viel mehr (Band VII, 1886) als die Umstände, wie nach Kadlubek und
dessen Nacheiferer Boguchwal alles anders erzählt wird, den deutschen
Nachrichten aber als gleichzeitigen und zuverlässigen voller Wert zukommt
(altaicher Annalen, S. 226), wie den drei Herzogen von Schwaben, Baiern,
Kärnten es missfiel, dem deutschen Königtume die absolute Gewalt von
früher zuverschafifen, wie sie den Heerzug weigerten, gewissermassen im Sinne
des Papstes handelnd (S. 257), wie dem Chronisten Lambert besondere Ehre
gebühre (266, Note 22), des Patriarchen von Aquileia Stellung sich kenn-
zeichne durch den Empfang von Friaul (290), Umstände, die in unsere
Frage wol miteingreifen, ohne die Verhältnisse seit Chrobry und Mjesko
(S. 151), namentlich die Stanislaus- Angelegenheit aufzuklären.
Mit lebhaftem Bestreben, die innersten Triebfedern von Unterneh-
mungen aufzufinden, die Zusammenhänge der Thatsachen mit Gesinnungen
folgerichtig zu untersuchen, dabei gar nicht geneigt, altausgetretene Wege
in akademischer Schilderei ohne eigene Pfadfindung zu beschreiten, natür-
lich die Mittel der Beleuchtung stark und umsichtig beherrschend, ist Gfrö-
rer dieser Partie der europäischen Staatengeschichte nahegetreten, sohon
deswegen zunächst mit im Vorhinein zu erwartender Wärme, weil ee da
einen Conflict der Kirche mit der weltlichen Macht gilt, insbesondere mit
einem Gegner des durch Gfröror auserwählten Helden (Geschichte d. P.
bei Pertz scriptores IX, 1, 28; Di:ugos8 bist. Polon. III. 284; Tbur6czy II, 58. (bei
Scbwandtner 1746 ohne Boleslaws Erwähnung); Fessler-EIlein 1867 I, 176.
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BOLESLAW II. VON POLEN. 66^
Oregors VII., Bd. VII, 557 — 569). Unbeeinflusst durch einen nationalen Blick,
nimmt Gfrörer keineswegs Partei für Bolesiaw, den deutschen Beichsfeind,
oder für das naohboleslawische Polenreich, da es den Anlauf begann, ein das
^VL Jhdt. ignorirender Hort der römisch-katholischen Kirche slavischer
Nation zu werden. Der slavische Einheits-Staat der Zukunft wird nie römisch-
katholischer Natur sein, das haben die Wortführer vor und nach dem Unfehl-
4)arkeits-Dogma übersehen und übersehen es noch. Vielmehr beurteilt Gfrö-
rer die Begungen des menschlichen Geistes und die Beihe der durch diesen
geschaffenen Thatsachen ganz vom Standpunkte der weltoberhoheitlichen
Bom-Kirche, ohne dass er beschöniget Fehler und Sünden der eben dieser
unterworfenen unteren Organe. In diesem überzeugungstreuen Bestreben
erlaubt jer sich gewaltsame Schluss-Folgerungen, die teils zur Verkennung der
•Gewährsmänner führen, teils in sich selber unrichtig werden durch die ünter-
schätzung oder vollständige Ignorirung des neuzeitlichen Staatsrechtes. So
hat denn, wo Bänke durch Massigkeit und Zurückhaltung zu wenig geboten,
ohne Zweifel Gfrörer in seinem guten Eifer des Guten zuviel gethan.
Nach Massgabe der bis jetzt bekannten Quellen muss auch der Eir-
^hen-Geschichtschreiber eingestehen, dass in Bolestaws Zeiten eigentlich nur
die militärischen Actionen aus dem Dunkel hervortreten, das Meiste zuvor
und darnach jedoch trotz der Chronisten (wie Bernold bei Pertz V, 433,
Lambert 255, Zeit 1077 und Weihnacht 1076) nicht erschöpfend berichtet ist.
Daran müssen vorderhand noch beide Parteien leiden. Wenn infolge der Bulle
von 1075, 20. April (bei Jaflfe Beg. 3715) auf besonders ausschlaggebende
Weihgeschenke nach Bom geschlossen wird, ebenso auf sichere, die Inter-
vention zu Gunsten des Grossbojaren Isäslaw betreffende Anweisungen oder
Stipulationen unter der Formel, dass seine Angelegenheiten nicht schrift-
lich zu sagen sind (Gf. S. 559), so geraten wir durch derartige Unterle-
gungen schon auf fühlbar wankenden Boden. Wie viel soll denn Boleslaw
concedirt haben im Vorhinein, dass er — um mit Worten modemer Diplo-
matie zu sprechen — durch eine vertrauliche, eine Verbal-Note eines (geist-
lichen) Gesandten in einer vorgehabten Kriegs- Unternehmung sich habe die
Hände binden lassen, genauer gesagt; Zeit und Mittel vorschreiben lassen
seitens einer fernen, ihn weder mit Geld noch mit Truppen unterstützenden
Macht?
Man muss doch den Bealisten Boleslaw möglichst reel nehmen. Wohl
war Gregor VII. — nach Job. von Müllers ziemlich zutreffendem Ausspru-
che — «ein Priester ohne Gold, ohne Eisen, ohne Land, gewaltig nur durch
die Seelenkraft» (und durch die Schwäche jener, die sich von ihm imponi-
ren Hessen) ; aber immerhin konnte er durch Bundesgenossen seinem Plane
-so viel bieten, dass ja dem Papste gewisse Goncessionen, soweit man solche
für gut fand, zugestanden werden mochten.
Dass aber der kriegsgewandte Pole hinsichtlich der Zurückführung des
42*
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ÖÖO BOLESLAW II. VON POLEN.
Grossbojaren sich habe Grenzen setzen lassen, müsste wohl noch durch*
Documente erhärtet werden. Wovon der Papst nicht schreiben konnte, daa
sollte auch der Curial-Historiker durch Subintelligenz zu ergänzen nicht ver-
suchen. Wenn wir mit Gfrörer zugeben (und der Bulle Wortlaut hat die
gleiche Klage), dass 1075 keine (geistliche) Metropole in Polen bestand, so
verstehen wir darunter, dass der hohe Priester zu Gnesen nicht genug
Grundbesitz, Geldeinkunft und Rats-Einfluss besass, missliche Umstände,
über welche der Bischof und Peine Untergebenen mehrfach nach dem Tiber
geklagt haben mochten. Wahrscheinlich wird der Stand der Bistümer (Gfr.
S. 560, vieUeicht acht an der Zahl) so beschaffen gewesen sein, dass die
Seelsorge — wie heute noch in Steppen- und Hochgebirgs-Ländem —
Beschwerden und Entsagungen bereitete wie denn sein Stand dem Ackers-
manne und dazumal insbesondere dem Eriegsmanne, der ja in Friedenszeiten
höchstens bei unblutiger Arbeit keuchte. Wenn nun nach der Bulle und seit
der Königskrönung insgemein 1 5 Bischöfe in Polen genannt werden, was ja
den Romanisten ein cultureler Fortschritt scheinen kann, so findet Gfrörer
die Behauptung einiger Schriftsteller, welche diese Vollzahl bestreiten oder
anzweifeln und nicht mehr oder nicht viel mehr als die alte Fünfzabl
gelten lassen wollen, geradezu läppisch, weil er eben an Lamberts Zahl fünf-
zehn festhält.
Wir müssten inconsequent sein, wenn wir an der Lambertischen Zahl
mäkeln wollten, aber die Bedeutung der Zahl zu untersuchen, wird uns
nach scholastischem Systeme erlaubt sein und dieses Mittel ist doch früh-
mittelalterig genug. Warum sollten der neuen Bischöfe nicht sieben oder
acht lediglich titulare gewesen sein, ohne ein sonderheitlich abgegrenztes
und feststehendes Bistumsgebiet? Waren in so kurzer Frist Erhobene nicht
mit der Ehren- Anwartschaft zunächst zufriedengestellt und fungirten bei
Krönung und Hoffesten so gut als die grossen P&ünden-Besitzer und sind
denn die Infulirten, die Weih- und Feldbischöfe überhaupt den Bistums-
Oberhäuptem in Allem gleichgestellt zu erachten ? Würde selbst BolesJaw
in so kurzem Zeiträume das geistliche Regiment so enorm verstärkt haben,
woher hätte er wohl die Kosten der selbstverständlichen und in Stiftungs-
urkunden recht ersichtlich gemachten Dotation gezogen, mangels einer aus-
wärtigen Colonisation oder einer ausgiebigen Kriegs-Entschädigigung, als von
der Szlachta oder von der Bauernschaft? Bekämen wir aber auch einmal
die Pergamente der neuen Bistums-Gründungen zu Gesicht, was noch aus-
steht, so dürften wir wohl nach dem, wie die Sachen sich unmittelbar dar-
nach gestaltet haben, die Szlachta als Geldquelle der Fundationen vermu-
ten. Soweit sind wir aber mit den finanzielen Belegen der Zeit um 1076
noch nicht.
Mit diesen Vorgängen in Zusammenhang zu bringen ist das Eintreten
Gfrörers zu Gunsten des Erzbischof-Titels für den Krakauer Oberhirten
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B0LE8LAW II. VON POLEN. 66^
^S. 561); wenn man lediglich auf die Reihenfolge der späteren geistlichen
Schriftsteller, insbesondere der polnischen hören wollte, so wäre freilich ein
Oegenteiliges unerhört. Ist den Forderungen der Bulle in Allem genügt
worden, dann ist Stanislaus als Inhaber des Metropolitan-Bistums, insofeme
der Gnesener nicht ältere Rechte ansprach, soviel als Erzbischof gewesen, Ober-
haupt der Sprengel der Landesbischöfe ; dass er in politicis der Ober- Anfüh-
rer war, schliesst sich aus den nachgefolgten Thatsachen. Indess, dass der
Bischof den Erzbischof fortreisst und der letztere nur der passive ist,
kommt genugsam vor. Aus solchem Grunde wird nicht jeder Bischof Erz-
bischof. Und wenn schon für Ernennung und Finanzirung uns die Docu-
mente fehlen, so liessen wir durch gleichzeitige Zuschriften oder Titels-
Anwendungen uns beschwichtigen. Mit den fünfzehn Bistümern Gfrörers
stimmt der Erzbischof-Titel consequent zusammen.
Man muss auch mit grosser Schätzung beobachten, wie der starkmütige
Kirchen-Geschichtschreiber die Biographie des Stanislaus bis auf gewisse Gren-
zen mit aller Unabhängigkeit sich ansieht, manche KindUchkeiten seiner Vor-
gänger, selbst jesuitisch geschulter, preisgebend. Der die BoUandisten (Mai
n, 200) beeinflussende Mönch um 1260 schreibt Fabeln, das bekennt er
blank (Gf. 562) ; Stanislaus* Studium zu Paris und dessen Besuch in Clugny
gibt er zu, mit Folgerungen, die auf eine kühne Vermutung (in betreff des
Aaron aus Qugny) führen, die Eindruck machen, ohne zu überzeugen. Bei der
^hilderung des Streit-Ursprunges lässt er den König schon etwas in's Dunkel
treten. Uni Rechtsformen habe es sich anfänglich gehandelt, der Ausdruck
ist ganz massvoll (S. 563). Aber hinter den Rechtsformen war doch das
Recht im Principe. Es soll nicht behauptet sein, die Kirche, durch Bolesiaw
rasch gekräftigt infolge auswärtiger Beinflussung, habe ihre Rechte über-
schritten. Das Wahrscheinliche ist, von ihren Rechten hat sie zu starken
Gebrauch gemacht. Das kann sie bei einem schwachen Könige wagen,
nicht wohl bei einem ganzen Manne, der Boleslaw war. Die Kirche hat
zu viel Grundbesitz erworben; die Zahl und Art der kriegstnchtigen
•Dörfer-Bevölkerung musste den Landesfürsten kümmern. Der Erwer-
bungs-Fälle durch Kauf, Schenkung, Erbschaft sind vermutlich viele gewor-
den, einer cülminirt mit einer transcendentalen Kronzeugenschaft. Dem
kirchlichen Latifundien-Wesen musste sich der König, wenn er irgend prak-
tischen BUck hatte, beizeiten widersetzen; die Theorie des Streites griff zuletzt
in die Praxis zweier starker PersönUchkeiten über. Was wäre aus Gregor VIL
oder Heinrich IV. geworden, hätten sie jahrelang in ein- und derselben Stadt
leben und schaffen müssen? Auf ein paar Rechtsformen wäre es wohl
*^ Wie Wladislaw Hermann, der Nachfolger, eine ■ friedlichere und scli wachere
Natur • war (J. B. von Weiss.)
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662 B0LE8LAW n. VON POLEN.
nicht angekommen; zwei fundamental verschiedene Weltanschannngeii
stiessen aufeinander.
Durch die Eiewer Eriegszeit hat Boleslaw das Gefühl des Zwistes mit
sich getragen ; nichts hindert anzunehmen, dass er, seiner Weise als Soldat
sich erinnernd^ dem ungleichen Streite vorerst aus dem Weg gegangen ist»
Frühjahr 1077^ alsdann um Herbstzeit 1078 zurückkehrend. Was etvra vor
September 1078 von Erakau aus eingeleitet, wieviel in den nächsten acht Mo-
naten zur Zuspitzung der Verhältnisse beigetragen worden, das entscheidet für
die Beurteilung der Bischofs-Tödtung, der Königs- Vertreibung. Nach Gfrörer
rast der König, kaum zurückgekehrt, gegen die Bitter und verhöhnt den Sta-
nislaus ; es wird jetzt nicht gesagt, den Bauernstand habe er gedrückt. Der
Adel und die Kirche scheinen also gemeinsames Schicksal zu haben, wol
auch gemeinsame Parteistellung.
Ein Kronzeuge unserseits nun wird durch Gfrörer in der heftigsten
Weise abgelehnt ; es ist der wälsche Chronist, welcher für Stanislaus das
schwere Wort Verräter hat (Pertz IX. 441). Seine Bede ist Greschwätz (er
spricht doch eben, in den meisten Gtlngen zu wenig, das Wenige ist selten
oratorisoh, öfter einfach, meist klar, klug, fast kühl), sein Freimut ist ihm
hündisch ; er ist ihm ein Streber aus niedrigen Triebfedern (gemeint sind
niedrige Triebe, nicht Federn), er hält ihm das Wahrwort Heuchler entgegen
(3. 565). Aus allen Stellen seiner Chronik lässt sich ein so verderbter Cha-
rakter nicht, dass wir wüssten, herauslesen. Freimut muss es allerdings
genannt werden, dass ein niederer Geistlicher den Oberhirten seines Spren-
geis mit einem Namen bezeichnet, welcher, wenn weltliche Verhältnisse in
Betracht kommen, jede gewohnte Beziehung zwischen Unterthan und Landes-
fürst verschiebt. Aber das Hündische daran ist weltlichem Sinne nicht er-
sichtUcb ; denn weder hat der Wälsche .zweifeln können, dass die Curie ihn
bei gegebener Gelegenheit gehörig zur Bestrafung vornehmen werde, noch
haben wir je erfahren, es sei von königlicher Seite, von adelschaftiicher oder
staatlicher Seite dem schreibenden Bekenner irgendwie gelohnt worden. Für
seinen guten Stil hätte er einen der neuen Biscbofsitze nachderhand wohl
verdient, des guten Stiles halber auch den «erzbischöflicben» Stuhl zu Krakau
wahrlich mehr, als der durch Einfachheit und Gradheit nicht gerade aus-
gezeichnete Vincenz Kadlubko um 1209 — 20. Aber dass der Chronist in Ver-
scboUenheit gerät, während über seinen, von ihm gar nicht verhimmelten
König die tragische Legende dreier Länder spricht, mag ihn wenigstens
gegen den Vorwurf hündischer Gesinnung schätzen. Es ist unb^reiflicb,
dass Gfrörer dem wälschen Pater die gemütliche Aeusserung so übel nimmt,
«aus Dankbarkeit für das Brot, das er bei den Polen gegessen, habe er, damit
seinerseits auch etwas gezollt werde, die Chronik geschrieben!. Wie denn,
wenn Andere, der Polen Brot essend, ihnen den Landfrieden untergraben,,
dem auswärtigen Herrn mehr unterthan, als dem Landesherm, und ihren
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B0LE8LAW II. VON POLEN. 6^
König ins Elend treiben? Diese Worte haben wir für den königstreuen
Gleriker einlegen müssen, zumal doch keine unmoralische That über ihn
berichtet ist.
Aber Gfrörer geht noch in zwei anderen Punkten entschieden zu weit,
oder vielmehr, was klar zu Tage liegt, das sieht er nicht. Aus den Jahrbüchern
des Italieners liest er ziemlich unzweifelhaft heraus, Bolestaw habe das oocu-
pirte Eiewer Gebiet annexiren wollen. Trotzdem dass Nestor, die hauptsäch-
lichste russische Quelle, davon schweigt, kann Gfrörer hierin nicht gänz-
lich widerlegt werden. Denn wenn der König über die Massen lang im Fremd-
lande bleibt (mau denke an die geringe Freude der modernen Italiener über
die Franzosen im Kirchenstaate), g^en die Ansicht und Lust der Truppen-
führer und vieler Kriegsmänner selbst, für welche Umstände es in der
Geschichte bedeutender Feldzüge an Beispielen nicht fehlt, so ist daraus
nimmer zu schliessen, dass er mit den Heermassen gar nicht heimziehen
mochte ; und gebt er endlich heim und mit ihm zeitgleich ein grösster Teil
der Invasionstruppen, so folgert sich daraus keineswegs, dass er Land und
Hauptstadt aus der Gewalt gebe. Insoweit möchten wir das Gegenteil des
Gesagten nicht aus dem Chronisten schliessen. Aber Gfrörer will, dass
Boleslaw blieb, als ein Unrecht bezeichnen ; gewisse päpstliche Aufträge
sprächen dagegen (wir kennen keine solchen).
Obwohl der Zweck erreicht war, sei Boles^aw in Kiew geblieben, meint
Gfrörer. Der Zweck des Eroberers ist die Behauptung des Eroberten, aus
Zweckmässigkeits-Gründen kann er davon abgehen, teilweise, ganz. Wohl
konnte der Zweck des Papstes erreicht genannt werden, Bolesiaw war jedoch
nicht sein Condottiere. Für den kriegerischen Staatsmann war der Zweck
genügsamer Aufwendungen nur erreicht, wenn er festen Fuss gefasst hatte
im veränderungssüchtigen Nachbarreiche, dessen bisheriger Fürst, ohnehin
nicht allgemein beliebt, sich darin nicht hätte halten können, ohne die
bessere Berufenheit des Nachbars zur Ordnungmachung anzuerkennen und
anzusuchen. Ob ein souzeränes Yerhältniss, dem Papste zu Gefallen, einge-
leitet werden sollte^ ist nicht mehr ersichtlich. Jedenfalls war dem Zwecke
vom polnischen Standpunkte aus nur dann entsprochen, wenn in Kiew die
polnische Macht galt, sei es nun durch Isäslaw, Tribut, Waffenbündniss udgl.
Wie lange die Occupation anzudauern hatte, wird Bolesiaw zu entscheiden
besser berufen gewesen sein, als die Curie. Scheint nicht der wälsche Anna-
list — um mit einem letzten Worte auf ihn zurückzukommen — gut unter-
richtet, wenn seine Zeilen anleiten zu einem Schlüsse auf eine bleibende
Occupation? Nun freilich, an seinem Wissen zweifelt Gfrörer nicht, nur an
seinem Charakter.
Die Fabel von den männersüchtigen Weibern, welche an Stelle ihrer
in langen Kriegen abwesenden Gratten deren Sklaven heirateten, ist von den
Königsfreunden erfunden worden. So Gfrörer. Demnach wären die sonst be-
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66^ BOLEßLAW U. VON POLEN.
richteten Strafsoenen nicht Wahrheit. Die königliche Partei hat sich der Lüge
bedient. Genannt wird der Erfinder und Verbreiter freilich nicht. Auch steht
daneben aufrecht die Thatsache : ein Teil des Heeres ist dem König abhan-
den gekommen. Wenn die KönigUchen das Motiv erfunden und erlogen
haben, welches war also das Wahre zur wahren Thatsache, sagen wir jenes,
welches der Glerus für wahr hielt, die Szlachta, die Bauernschaft? Letztere
beide fassen sich wohl zusammen im Begriffe «das Heen ; wir brauchen es
daher nicht sonderheitlich aufzurufen. Heer und Glerus müssen teilweise in
dem Motive übereingestimmt haben,* gegenüber den Königlichen. Keines-
wegs ohne Truppen ist Boleslaw heimgekehrt. Was Gfrörer annimmt, ent-
spricht auch unserer Meinung: Heeres-Desertion. Ein grosser Teil der
Gründe ist in den jeweiügen Kriegsleiden selbst zu suchen, wer wollte das
bezweifeln? Die intelligentesten und tapfersten Waffen-Genossenschaften
sind durch Alexanders des Grossen so sehr heimatfeme und langwierige
Eeldzüge kleinmütig, ungeduldig, widerspenstig geworden. Der Ursprung
imd das Weitergreifen der Verstimmung auf Kiewer Boden entzieht sieb
unserer späten Mitwissenschaft; nur augenfällige Thatsachen helfen uns zu
Bückschlüssen.
Eine offenkundige Ausreissung erheblicher Truppenteile kann ohne
Teibiame einzelner Höherstehenden nicht erfolgen ; ohne Mitwirkung bei
der Heeres-Desertion ist die Schlachta nicht geblieben. «Die Vornehmen eilen
nach Hause.» Nur ihre Teilnahme gab die Möglichkeit des Gelingens, ihre
nachmalige Haltung, antiboleslaisch, bekräftiget die Voraussetzung. «In der
That trat Stanislaus sofort als Beschützer der ohne Urlaub Zurückgekom-
menen auf#, lauten die Worte Gfrörers. Und sie lauten bedenklich genug.
Ohne Urlaub zurückgekommen sind sie allerdings, die Schwachmütigen, die
Meineidigen, die Verräter, die Ausreisser, wie könnten wir sie anders be-
nennen? Und als deren Beschützer tritt der Bischof auf und dieser Bischof
findet einen modernen Verteidiger? Man kann es kaum begreifen, wie das
Staatsrecht für nichts geachtet werden kann. Wenn nach der bosnisch-
herzegowinischen Occupation der Primas von Ungarn, gegen das «Dort-
bleiben der östreichisch-ungarischen Truppen» sprechend, weil der Zweck
nunmehr erreicht sei, eine Massen-Desertion protegirt hätte — welchem
Urteile würde er sich wohl ausgesetzt haben, der modernen Weltanschauung,
meinen wir nur, um von dem militär-gerichtlichen gar nicht zu sprechen.
Da nach diesen militärisch- kirchlichen Gonflicten der Bischof zum
Bann- Ausspruche genötiget war, mit welchem Axiome Gfrörer alsbald zur
Hand ist, nicht ohne hinzudeuten, etwa vor der Krönung angebahnte Con-
stitutionen habe der Bischof jetzt, nach dem Feldzuge, zu verteidigen gehabti
was liegt näher, als annehmen, das Intriguenspiel von Kirche und Szlachta
habe auch während des Waffenganges nicht geruht, benützend die in allen
Kriegs- Geschichten typische Abneigung des Volksheeres gegen lange Feldzugs-
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BOLESLAW n. VON POLEN. 665
Auswärtigkeit nach befriedigenden Erfolgen? Setzen wir den Fall, als
Alexander d. G. gegen die Perser und Syrer gezogen war, nach dem Siege
am fernen Easpi-See über die Marder, nach den Schlachten von Arbela-
Gaugamela, am Issos, am Granikos, nach dem Treffen im Pendschab am
Hydaspes, als die Soldaten nicht mehr weiter wollten bei Stadt Sagala, trotz
Drohungen und Bitten, hätte Solches angezettelt oder beschirmt einer der
Statthalter oder — um den tauglichen Gegensatz besser hervorzukehren —
ein oberster Tempelpriester des Amun, oder Einer, welcher der Pythia zu
Delphi am nächsten stand — wie würde der Macedonier gegen einen Solchen
vorgeschritten sein? Oder C. J. Caesar nach seinen Siegen in Germanien
und Helvetien, als er zweimal am weitesten nach Britanien vorgedrungen
war, wenn ihm — nicht Pompeius oder sonst ein berufener Fachgenosse —
seine Legionen halbwegs abwendig gemacht hätte, ein ansehnlicher Sacer-
dos pubUcus allenfalls (pontifex maximus war er selber seit c. 48 v. Ch.)>
einer der Arvalen etwa, der Auguren, Augustalen Fetialen, Flamines, der
Salier, Titialen u. dgl. ? In der sogenannten heidnischen Zeit lässt sich die
Parallele für einen derlei Insubordinations-Fall nicht genau herausarbeiten.
Das ist erst der christlichen Zeit, in Misskennung der christlichen Erdmission
zwar, vorbehalten. Wenn uns noch Karl XII. von Schweden in Erinnerung
kommt, tapfer, hart, ehrgeizig, gerecht, consequent bis zum Starrsinn, viel
von Boleslaw, doch grösserer Anlage, er greift Bussland in der Ukraine an,
bei Pultawa geschlagen, flüchtet er zu den Türken, drei Jahre in Bender
weilend hält er sich mit wenig Wehrhaften gegen den Sultan, wird alsdann
zu Demotika gefangen gehalten, flüchtet endUch durch Ungarn nach Deutsch-
land (1714); angenommen, in den Zwist der Generale ßehnsköld und Le-
wenhaupt, welcher hauptsächlich das Unglück von Pultawa verschuldet
haben soll, hätte irgendwie der Stockholmer Consistorial- Präses oder sons
ein Bischofmässiger miteingespielt, wäre der wohl dem Schicksale Patkuls
entronnen ? So hat Karl XIL einen Kriegs- Anstifter bestraft, nicht menschlich
wahrlich, aber ungebannt und ungebrochen. Bedürfte es noch der Frage —
um der Kriegskünstler Grössten heranzuziehen — was Napoleon verfügt
hätte, würde nach dem 15. September 1812, nachdem über eine halbe Mil-
lion Menschen, die durchaus kein gemeinsames Nations- oder Menschheits-
Ideal nach Moskau geführt, Franzosen, Polen, Deutsche, Oestreicher
(Slaven, Ungarn), Italiener, Spanier, die Russen besiegend bei Smolensk, bei
Mosaisk — würde, sagen wir, der Erzbischof von Paris eine Massen Deser-
tion nur der romanischen Brigaden in seine Protection genommen haben.
Man predige nicht, das ist das Friedensamt des Priesters, dass er den Krieg
aus der Welt schaffe. Das Fliegen lernt sich nicht im Wasser, das Schwimmen
nicht in der Luft und in Kriegszeiten ist das gewaltsame Friedenmachen vom
Bösen ; nicht nur lächerlich, sondern auch ungerecht. Wo der Helm erglänzt,
bleibe die Mitra zurück und wo das Schwert die Ziele weist, hat der Krumm -
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ößö BOLESUkW II. VON POLEN.
Stab nicht zu leiten. Zur Zeit des Kriegsfalles selbst gründet kein Patriot
praktisch eine Friedensliga ; aber zu den edelsten Aufgaben der Christen und
NichtChristen (Priester und Laien) zählt es ohne Weiteres, auf die Minde-
rung und Abschaffung der Kriege hinzuwirken, zu rechter Zeit, mit rechten
Mitteln.
Wieso endlich Stanislaus zum Banne genötiget, dass die Königs-Aus-
treibung etwas wie eine gesetzliche Folge von (vor dem Kriege eingegangenen
und darnach nicht eingehaltenen) Verpflichtungen gewesen, vermögen wir
nicht einzusehen. Hätte die Bulle gar das Mitstimmrecht der Bischöfe ge-
wünscht inbetreff Steuer und Krieg, so wäre Stanislaus, da ja formel solches
Becht auch der Szlachta erst hätte zugesprochen werden müssen (um vom
dritten Stande gar nicht zu reden), vollends wie ein Freiheitsheld, wozu
man ihn denn doch ernstlich nicht wird machen wollen. Hat doch erst die
Constitution vom 3. Mai 1791 die Oberherrschaft der Szlachta gebrochen,
dem Bürger- und Bauernstände Rechte gebend. Auch die Beweise, dass
nachmals Boleslaw der Schamhafte von Polen selber die stanislaische Heilig-
sprechung verlangt und betrieben habe (BoU. H. 202) und der Papst Inno-
cenz IV. in Folge der jahrelangen Untersuchung der Sache durch den Mino-
rit^n-Pater Jakob von Velletri nicht habe irren können, vermögen nicht
anzuziehen. Immer bleibt die Thatsache haften, wie Stanislaus c durch sein
Ansehen bewirkt hat, dass das polnische Heer zurückkehrte ohne Urlaub»
(S. 568 wie 566). Das geflügelte Wort Gfrörers von den Böcken, «welche sich
von jeher vorzugsweise zur Gärtnerei im Weiuberge des Herrn berufen
glaubten», lässt sich trefflich umwenden auf die Priester, welche von amts-
wegen in die Tagarbeit des Staats- und Kriegswesens hineingreifen zu müssen
glauben. Schliesslich concediren wir unter Beschränkung, dem Könige zog
sein Hochmut den Hass der Ungarn zu (vielmehr einer römisch-clericalen
Partei in Ungarn) und letztlich : «Boleslaw ist 1031 auf fremder (ungarischer)
Erde als Verbannter eines gewaltsamen Todes gestorben. » (Gf. 1861 VIL568.)
Vorsichtiger handelt F. B.v. Weiss (W.Gesch. Bd. lU, 2, 1879. S. 29) über
Boleslaus «der 1083 als FlüchtUng in Ungarn endete, ein Opfer des Hasses
der Magyaren, die sein Hochmut verletzte».
n.
Nach der ältesten Quelle ist Boleslaw geschieden als Opfer des Hasses
der Magj^aren, nach Lelewels Worten in trauriger Vergessenheit als Opfer
des Hasses, den er den Ungarn eingeflösst. Gallus berichtet in cap. 28 ledig-
lich hinsichtlich der Aufnahme durch den verwandten König, des Entgegen-
kommens, des Pferd- Abstieges, des allgemeinen Dienst- Auftrages im ganzen
Lande : sed in pestiferae fastum superbiae cor erexit . . . postea vero concor-
diter et amicabiliter inter se sicut fratres convenerunt. Ungari tarnen illud
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B0LE8LAW U. VON POLEN. 667
altius et profandius in corde notavernnt, unde magnam sibi Ungaromm
invidiam cumnlavit, indeque citias extrema dies eum, ut aiutit (seitlich
1081) occupavit. (Obiit autem miserabiliter anno Dni MLXXXI, addit 3,
setzt unsere Ausgabe hinzu S. 441, Note 51 nach Z als.
Ist es erlaubt, das auszulegen, eine Anzahl von Magyaren oder Na-
mens solcher ein Landesgenosse hat den flüchtigen Polenfürsten auf eigene
Faust gegen des Landeskönigs Willen, aber diesem zur vermeintlichen Ent-
lastung, heimlich oder in offenem Anfall umgebracht? Nirgend ist das
deutlich verschrieben. Nicht widersprechend gerade ist die jüngere Nach-
richt aus der Vita S. Stanislai (vor 1253); aber sie detailirt mehr. Es kann
immerhin eine Folge der feindlichen Stellung der ungarischen Landsleute
gewesen sein, dass Boleslaw in eine, dem Schreiber unerhörte Form des
Verfolgungs- Wahnsinnes fiel, und dass er in diesem Zustande sich selber den
Tod gab. Diese Selbstentleibung entspricht seither den Ansichten der unga-
rischen Historiker. ^® Laut der Vita ist die Zeit des Todes das zweite Jahr
nach dem Thron Verluste, annehmbar 1081 ; zufolge der vorausgehenden
Quellen bleibt das Todesjahr ganz unbestimmt nach 1079. Boguphalus,
Bischof von Posen, gestorben 1253, 9. Februar (Boguchwal, Chronik in
Sommersbergs Sammelwerke IE. S. 28), schreibt beiläufig 154 bis 172
Jahre nach dem Todesfalle : Post hoc autem videns Boleslaus, quod sui
terrigense, tam proceres quam populäres, se a sua familiaritate abstrahebant
ad Wladislaum (zu berichtigen Salomonem) secessit. Qui . . humilem vene-
rentiam exhibere exposcens, pedestri veneratione occurit. Boleslaus vero
rex, tamquam superbus et elatus, manum sibi porrigere ac osculum dare
contemsit, inquiens eo . . . Wladislaus vero rex hoc patienter sustinens,
ipsum benignissime amplectetur, omnem ei humilitatis exhibens affectum ;
apud quem non multo tempore, tactus pessimo ulcere, in amentiam cecidit»
sicque miserabiliter vitam finiuit. ^'^
Es ist Sache der ganz Späten Lebens-Beschreiber, anzugeben, auf einer
Jagd sei der unglückliche von seinen eigenen Hunden zerrissen worden.
Li Oberungam, zu unbestimmter Zeit ist noch hinzuzusetzen. Man erinnere
sich, dass König Stephans Prinz Emerich 50 Jahre zuvor auf der Jagd durch
einen Eber zerrissen worden (1031). In der Keihe später Geschichtschreiber
steht obenan Dlugosz, Dlugossus, Joannes Longinus, geboren 1415, welcher
1449 nach Rom reiste, 1450 nach dem Oriente, erst Domherr zu Krakau,
dann Erzbischof zu Lemberg, gestorben um 1480. Seine historia Polonica,
*• Der Schmerz ttber seine Vertreibung hat Boleslaw das Leben geraubt, sagt
Engel. (Gesch. d. Ungarischen Reichs 1813, I, 182; vgl. Ladisl. Szalay Gesch. Ung.
Pest 1861—66, Klein-Fessler, Gesch. v. Ung. 1867. S. 175).
*' Keine Jahrzahl; zum 21. März setzt Narusziewicz V, 86. Note 1: Bogufai
na Karcie 28, Kadhibek 666.
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668
BOLESLAW II. VON POLEN.
Ausgabe Samicki, Leipzig um 1550, enthält die Vita beati Stanislai in dem
jüngsten Neudrucke seiner sämmtlichen Werke (1876 — 1883, 14 Bde.) im
2. Bande. Diese Vita, zuerst veröfifentlicht in Krakau 1511, hat gegenüber
der älteren aus der Zeit um 1:251 — 1:295 keinen Wert. ^^ Nach des Dlu-
gossus historia polonica lib. XII (mit Berücksichtigung der ersten Drucke
1511, 1615 verbessert) geben die Acta Sanctorum (l^enedig 1738, Band IL
S. 198 bis 280) den Artikel De S. Stanislao. Wir übergehen die Vorgeschichte
von Bann und Interdict durch den Erzbischof von Gnesen (cap. XII, alinea
158 S. 233), erste Flucht mit Gold, der zwölfjährige Mieczislaw (cap. XIII,
alinea 175, S. 237), nach Stanislaus drei Jahre kein Bischof, Gregor ML
unerbittlich, um den König wenige Helfershelfer, der Adel abgewendet,
Verschwörung in Betreff Gefangenhaltung oder Tödtung, des Königs Eeue
(alinea 173), Flucht nach Pannonien (alinea 174). Nach zweien Jahren des
Exils lässt nun Dlugosz den König ergriffen werden von languor, das wäre
modern gesagt, Nervosität, Erschöpfung der Kräfte, Wassersucht, Blutzer-
setzung und was in diesem allgemeinen Ausdrucke liegen könnte. Er setzt
aber auch die (schon bei Boguphalus begegnende) amentia hinzu, alpes, Sil-
vas, nemores delirando petens, endlich stultitia consummatus periit, a pro-
priis canibus comestus et devoratus. Er weiss auch zum Jahre 1084, dass
alle mit Boleslaw nach Ungarn geflohenen Krieger heimgekehrt sind, Na-
mens Borzywon, Sohn des Msta, Slibutus, DobrogisUus, Paulus, Zema,
Odolan, Andreas ^^.
Somit hätten wir den König bis an sein Lebensende begleitet in den
Landen, die ihm thatsächlich von genügsamem Aufenthalte bekannt waren
und worin sein Leben und Wirken durch glaubwürdige Chroniken im All-
gemeinen unzweifelkaft gekennzeichnet ist. Die späten Lebens-Beschreiber
jedoch spinnen das Walten des Königs noch weiter fort und versetzen es
westwärts von Ungarn nach den Alpenthälern von Kärnten und TjtoI. Weü
es bisher nicht gelang, das Königsgrab etwa zwischen Donau, Baab und
Vägh (etwa in den Jagdgebieten zwischen Bakony- und Neutra- Wald) nach-
zuweisen, wenngleich es dort an Erzählungen über den hier beigesetzten
Helden nicht fehlen dürfte, so schweift die geschäftige Sage ins Weite . Das
scheint nicht früher zu beginnen, als in des XV. Jahrhunderts zweiter
Hälfte, nicht ganz 400 Jahre nach Boleslaw's Tode. Mit Uebergehung des
vermutlich ältesten Anstoss-Gebers in des XV. Jahrhunderts erster Hälfte,
der weder Pole noch Deutscher, nicht Mag^'ui-e, nicht Kämter oder Tyroler
war, nicht Benedictiner aber Geistlicher von Einfluss, nennen wir hier zu-
nächst Dlugosz, welcher als 42jähriger Mann vielleicht zuerst von der neuen
boleslaischen Legende hat hören können. Aus Ungarn sei BolesJaw
*** Roepell I, '2)1, Note 18. 532 Vgl. Angerstein S. 263.
*» Vgl. Roepell I, 210. Note 7.
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BOLESLAW 11. VON POLEN. ^6^
entwichen (berichtet dieser I, S. 498) und zuäusserst gekommen bis in's
Kloster Vilthina prope Isbrug.
Mathias (nicht Martinus) de Mechovia (Michovia, Miechovius, Miecho-
vita, Miechoviensis), artium et medicinae doctor, Canonicus in Krakau,
schreibt in seinem Chronicon (regni) Polonise, Chronica Polonorum (Cra-
coviae 1521 fol, lib. 11. S. XLII, cap. XVI, bei Megiser citirt als cap. XX. S. L. :
Deo autem uindicante, cito postea in amentiam rex Boleslaus inoidit et per
siluas uagus Xu Kalendas Aprilis morte interiit. A suis canibus (ut ferunt)
eum insequentibus deuoratus. Tradunt qusedam annalia quod audita sugil-
latione hungarorum, de occasione beati praesulis Stanislai, compunctus,
dimissis omnibus et filii Myeszko apud regem Wladislaum relicto atque
commendato, in clamide abiecta, unico comitatus seruo, clam in Corinthiam
peruenit ad monasterium Ozia iuxta lacum de prope Villacum, aliis refe-
rentibus quod secesserit in monasterium situm ad Villacum. ^^ Wir er-
fahren hier einen bestimmten Todestag Boleslaws, den 21. März, das Jahr
wohl nach 1079 ; aber auch von einer bösen Nachrede, Verleumdung, Ver-
stimmung, wenn man will Verschwörung der Ungarn, welcher also, wenn
er nicht geflohen, Boleslaw zum Opfer gefallen. Eben dieser Miechov bringt
aber auch die Versicherung, das Stift Wilten bei Innsbruck entbehre jeder
Tradition, jedes Denkmals hinsichtlich Boleslaw's.
Im Gegensatze hierzu berichtet Dubravii Jo., olomuzensis episcopi,
historia boiemica, cum annotat. Thom. Jordani, Basileae 1575, libr. VIII,
S. 73 ^^. Nam sub idem tempus, hie ipse Deus iustissimus impietatem Bo-
leslai Poloniae tyranni, qua se per insectationem sui pontificis S. Stanislai,
dein per necem eiusdem parricidialem impiauerat, iusta euidentique uin-
dicta vltus est. Kegno Uli per Kom. Pontilicem adempto, actoque in exilium
et inter tantam amentiam deiecto, et uagus sylvas pererraret, a suis deni-
que canibus deuoratus esse traditur. (Ohne Jahr, zuvor 1106). Hier sehen
wir schon den Tyrannen als Mörder des Heiligen, der Papst unmittelbar
nimmt ihm das Reich und schickt ihn ins Exil.
Jodocus Ludovicus Decius, königlicher Secretär, sagt in seinem De
vetustatibus Polonorum liber unicus S. XXV (Cracoviae 1521 mense Decem-
bri) : Poloniam ille exiens, in Hungariam venit, paulo post ratione adempta,
in syluis a canibus misere laceratus fertur periisse. Tra<litur tarnen ab ali-
quibus in eo Ccenobio, quod ad lacum inter Feltkirchen et Villacum Karin-
thise oppidum situm est, poenituisse, inque eo sacello quod in saxo ad laci
^ Tradunt annales, quod rex Boleslaus (den er benennt Überaus et audax,
postea efferus) de occisione beati praesulis Stanislai compunctus, dimissis omnibus in
chlamyde abjecta, unico comitatus seryo, clam in Carinthiam pervenit ad monasteriiuu
Ozia, iuxta lacimi, prope Villacum. Dazu Thnrocz oder Petrus de Reva, rerum
hungaror. centuria I, par. 7, Kromer 62, Dhigosz 298, Miechov 50 bei Nanisziewicz
V. 86, 2.
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670
BOLESLAW II. VON POLEK.
hostia eminet, tumulatum esse. Pari affirmatione extra oppidum Oenipon-
tem alias Inspruck in Monasterio Yiltha degisse tradant, sed in bis locis
huius rei forte nuUa apparent indioia, qnomodocunque miser periit, constat
iusta ultione regno pulsum esse. Hier erfahren wir von der (einigen Ein-
zelnen) im Ossiacber Kloster bekannten Sage ; jedocb entspricht die Grab-
stätte «in einem am Seeufer aufragenden Felskircblein» nicht einer Selbst-
schau.^^ Noch ist von einer Grabschrift nicht berichtet, wiewohl das Buch
an die 40 Jahre zuvor geschrieben oder angelegt sein kann.
Aventinus, Johann Thurmayer aus Abensbei^, geb. 1466, in Wien und
Polen thätig, baierischer G^schichtschreiber (Annales Boiorum, Chronicon
Bauari» 1522), gestorben 1534; Cuspinianus, J. Spieshammer aus Schwein -
fürt, als Diplomat reisend vor 1 506 (posthumes Werk von römischen
Caesaren und Kaisern 1540, deutsch 1543), gestorben 1529, können nicht
gewiss als Landes- und Ortsbesucher bezeichnet werden, wie wahrscheinli-
cher Wolfgang Lazius, gestorben 1565, welcher in seinem De aliquot gen-
tium migrationibus (Frankfurt 1600 S 161,40) nur die angebliche Stiftung
von Ossiach, nichts über Boleslaus berichtet.
Alle die Schriftsteller dieser Zeiten hangen, was den plastischen Stoff
betrifft, von DJugosz ab. An Volltönigkeit des Ausdruckes hat es, wie aus
den wenigen ausgezogenen Stellen zu ersehen, der Kanzelredner nicht
fehlen lassen ; er, der ganze Strafpredigten des Krakauer Bischofs wieder-
giebt, weitläufige Zomreden des Königs und ein abstossendes übertrei-
bendes Mord-Detail verrät, hat überall den Anschein des Augenzeugen. Seine
Stärke liegt aber nicht in der Wahrheit, sondern in seiner Gewandt-
heit als Poet, der die dankbare Sage schildert, als ßhetor, der sie mit
allen Mitteln glaublich macht, um des kirchlichen Landespatrones willen.
So ist ja auch die ganze Königskrönung BolesJaws I. durch den Erzbischof
von Gnesen eine poetische Ergänzung des geringberichteten Stoffes. Wie
sollte nun in seinen Fesseln nicht auch der, aus der Welt ab und zu mehr
aufgesuchte, als die Welt aufsuchende locale Abt des stillen Seestiftes
Ossiach gehen ? Zacharias Gröblacher, der angebliche 48-ste Abt dieses
Benediktiner-Klosters, 1588 — 93, hat in seinen mit der Jahrzahl 1588 verse-
henen handschriftlichen Annales ozziacenses,^^ bearbeitet nach Archivs-
Urkunden, die teils (vor 1588) verloren gegangen, teils nach Feldkirchen
gekommen sind (vor und nach 1783) folgende Stelle: «1084 Hoc anno
Boleslaus rex poloniae reUnquit regnum suum hie 8i annis poenitentia
'^ Die landschaftliche Ausmalung erinnert zu sehr an den • grossen See bei
Rrakau, den kleinen Fels, genannt die Skalka», die Stelle der alten Götzenopfer und
der St Michaels-Kirche.
" Herausgeben von Ankershofen im Archiv f. Kunde österr. Geschichts-Quel-
len 1851. VII, vgl. 38, 199.
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BOLESLAW n. VON POLEN.
671
acta moritur.» Von Grabmal und Grabschrift keine Erwähnung. Dies hindert
nicht, dasR sie dazumal bestanden haben, selbst seit 100 bis 130 Jahren.
Auffällig bleibt, dass Boleslaw erst 5 Jahre nach Stanislaus' Tode sein Beich
verlässt; die Busszeit ist 8 oder 9 Jahre, der Tod wäre also 1092 oder
1093. Es ist dies — worauf wir später zurückgreifen — die erste einhei-
misch-kärntische Erwähnung der Bolesiaw-Legende. Sie liegt in der Zeit
gleich nach den mehrmaligen Beisen des polnischen Bischofs Hosius
nach und aus Bom, vermutlich durch Ober-Kärnten.
Martin Kromer, geboren 1512, Domherr in Krakau, bereist in
Deutschland und Italien, Gesandter an Kaiser und Papst, nach Aeneas
Sylvius, Dantiscus, Stanislaus Hosius 1578 Bischof von Ermeland, gestor-
ben in zweiten Jahre der Abtzeit Gröblachers 1589, meldet zuerst
ausdrückhch (Martini Cromeri De origine et rebus gestis Polonorum
libri XXX, 1555 8 61, Coloniae Agrippinae 1589, 4-te Ausgabe) den Selbst-
mord des Königs, welchen auch der ungarische Geschichtschreiber Katona
Stephan (historia critica regum Hungar. stirp. arpadianae, Pest. 1779 II
410) angenommen hat mit den Worten : Amentia correptus ipse sibi violen-
tas manus intulit a. C. 1081 — nach Cromer (lib IV. p. m. 90): Conspira-
runt deinde in necem eins nobiles et proceres nonnuUi ; qua conspiratione
detecta, veritus, ne ad plures etiam ea pertineret, in Vngariam cum filio
Mescone et paucis comitibus fugit ... Ab eo (Ladislao) Boleslaus exsul
sane quam comiter et honorifice acceptus est, mansitque apud eum ali-
quamdiu. Verum exagitante eum in dies magis ac magis patrati sceleris
conscientia, acerbo et infatigabili sceleratorum camifice, amentia correptus
mortem sibi ipse consciuit anno post Christum natum millesimo octo-
gesimo primo. Nach diesen Gängen hat Katona, selbst Priester der Erz-
diöcese Gran, hinzugesetzt, . . aliis quas ibidem Cromerus insinuat, minus
credibilibus . . Dies ist nun aber (Cromer- Ausgabe 1589 S. 62) : Alij volunt,
eum in uenatione concito equo efferatione, in auias syluas delatum esse,
canibus consequentibus excessumque ab iis discerptum, ac deuoratum.
Alij uero memoriae prodiderunt (volunt bei Megiser), eum clam omnibus
errabundum inter Alpes (alpes Megiser) ad monasterium quoddam per-
uenisse, ibique latentem, quisnam esset, post multos labores in coquinae
ministerio vitro et poenitentia commissi parricidii susceptas et exhaustas,
vitam finiuisse. Sed Mechouiensis scribit, quaerentem se in Ulis locis, nihil
eiuscemodi comperire potuisse.
Cromer bringt nun auch die Nachricht, vor einigen Jahren habe ein
ihm befreundeter, eleganter, gebildeter junger Mann Valentinus Cusborius
(Walenty Kuczborszki), auf der römischen Beise mit Stanislaus Hosius von
Ermeland, später Cardinal, zu Ossia (Ossya), sesquimiliario distante ab
oppido Feltkirchen, im Friedhofe ein Steindenkmal des Königs Boleslaw
gesehen, equus sella constratus. Die dort mitgeteilte Inschrift ist, wie wir
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672
BOLESLAW II. VON POLEN.
später zeigen wollen, weder die alte, noch die neue, stimmt aber immerhin
mehr zu einer alten. Das was man in Ungarn selber für minder glaubwürdig—
schon vor mehr als 100 Jahren — erachtet hat, ist: das Verrennen des
Pferdes die Zerreissung durch die Hunde, die Flucht «zwischen den
Alpen», der ganze Kloster- Aufenthalt. Was Walent Kuczborski betrifft, so
scheint er in Kärnten längs des südlichen Seeufers herbeigereist zu sein
aus Feldkirchen, sagen wir in der Richtung aus dem alten Landesvororte
Stadt St. Veit, aus Friesach, Obersteier, von Semering, Wiener-Neustadt,
Wien, Mähren, Schlesien — aus Ermeland, mit Bischof Stanislaus Hosius.
Dieser aber, geboren zu Krakau 1504, ist wohl öfter des angedeuteten Weges
durch das Tagliamento-Gebiet gezogen, da er in Padua, Bologna studiert
hatte und seit 1549 Bischof in Culm, seit 1551 Bischof in Ermeland, auf
den Reisen nach Rom 1558 und durch die Alpenländer zur Betreibung des
Tridentiner Concils, als Gesandter des Papstes Pius IV. an Kaiser Ferdi-
nand seit 1560 sich mannichfach umgethan haben wird. Da Hosius 1561
Cardinal geworden, 1579 bei Rom gestorben ist, so fällt jene erste Stein-
sicht, mitgeteilt durch Stanislaus Samicki in seinen 1587 erschienenen
Annales,^^ wohl in die Jahre zwischen 1558 und 1563; seit letzterem Jahre
nämlich war der Cardinal nach Polen zurückgekehrt bis 1569. Diese Zeit-
frist der fünf Jahre ist allerdings erst anderwärts zu erweisen, sie fiele
in die Tage der Aebte Andreas Hasenberger, Sigmund Frisch, Peter Gröb-
lacher. Was Jan Dombrowka (laut Lelewel S. 332, XIV), der Conunentator
zu Kadhibek, 1440, gesehen haben soll mit Anfang HIC lACET, ist nichts
als die belanglose Ozzius-Insohrift. ^* Das Königsdenkmal erwähnt nun
nach der Zeit der ossiacher Annales *^ zunächst Megiser.
In seinen Annales Carinthise (Leipzig 1612 S. 761 cap. 39), bearbeitet
nach zum Teile «uralten kharndtnerischen Chronicken» und des Gothardt
Christalnick collectanea historia? Carinthiae, findet sich die Stelle : Es schrei-
bet auch Aeneas Sylvius in seinen Historien, wie dass im 1058. Jahr
nach Christi Geburdt, Boleslaus, ein König in Poln worden, welcher eines
Fürsten von Keussen Tochter zum Ehegemahel gehabt, der hat Stanis-
laum, den Bischoff zu Crackaw, vmbbracht, welcher (wie die Polacken selbst
^ 1587, VI, 9. Lelewel 334 Note. 21. Neugebauer III. 70. Vgl. Th. Hirsch in
Deutsche Biographie, XIII. 184.
** Mitgeteilt bei Ankersliofen, Hbuch d. G. v. Kärnten 11, 539. Note. GraneUi
S. 144. Aber Karl Mayr 1785 giebt jene Verse (S. 170) so:
Qiii iacet hoc tumulo comea, hanc fundaverat ssdeni
Ozziiis ergo polum 6 ocyus Ozzi cape !
*'• Denn Theophrastus Paracelsus in seiner «Chronica und Ursprung dieses
Landes Kärnten», geschrieben um 1538. (St. Veit, ddo. 24. August), Frankfurt 16<X3,
Strassburg 1616 (Opera, toin. I, S. 249, 263, 533b, 630c) nennt Ossia (Ossiae, in Ossien)
nur der heilenden Krystallkugeln wegen, er weiss nichts von Boleslaw.
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BOLBBLAW II. VON POLEN. ö73
anzeigen) darnach vnbekandter weise, eine zeit lang in diesem Gotteshause
Ossiach sich verborgener auflfgehalten, in der Kuchin gedient, vnd allda
gestorben. Derwegen dann ihm ein Grabstein gehauen vnd gemacht ist
worden, darauflf ein Pferd, vnd diese Vmbschrifift gesehen wird : Eex Boles-
laus Poloniae, occisor 8. Stanislai Episcopi Cracoviensis. Es wird auch die-
ses Monumentum gefunden, so durch die Polacken verzeichnet ist worden
wie folget : Fama cinerum regis Boleslai, qui rebus maximis gestis, regem
Hungarorum Belam et Blodiminium ducem Eiobiensem, bis pulsos ad
sedes eorum restituit, ßegno suo Poloniee firmato, et ampliato, insolentior
factus, D. Stanislaum Episcopum Cracouiensem occidit. Hie inoognitus
acta poenitentia Ossiaci moritur Anno MLXXXIX. Von diesem König Boles-
lao und seiner heimlichen auflfenthaltung zu Ossiach schreiben die Polni-
sche Authores (volgender massen:^®. Merlans Topographie 1649 nennt
Ossiach das erste Kloster im Lande «zu Carols M. Zeiten gestiftet (S. 87),
aUda dess Königs Boleslai von Polen Grab zu sehen isti (Nachtrag S 32.)
Wie nun dem Megiser und seinen Gewährsmännern (den Polacken)
wieder Auswärtige nachschreiben, machen wir aus den Actis Sanctorum
ersichtlich. Die Annotata nach Caput XIH. 170—186 S 239 (Traditio de
finali Boleslai poenitentia apud Carinthios) besagen : Quae de funesto Boles-
lai exitu num. 184 dicuntur et pathetice exaggerantur deinde, cum nemine
conscio acta dicantur, aliud fortassis fundamentum non habent, quam
quod venatum egressus infelix ibidem locorum non comparuit amplius.
Quare non prorsus rejicienda videntur, qua de eo mitiora narrant Carin-
thii apud Georgium Crugerium in Triumphis Majalibus Regum Bohemiae
an 1669 Litomislii editis, dicentes : Boleslaum, Vilacum in Carinthiis,
ad monasterium Benedictinum, errabundum devenisse : in eo receptum,
quia ignorabatur, quis esset, multos annos in rigida poenitentia absump-
sisse : imminente porro jam morte exagitantibus conscientiam angustiis,
ßegem se denique et facti sui seriem Abbati fratribusque revelasse, ac
sie in spe bona propitii aetemi Judicis ad immortales abivisse. ßelatores
eiusmodi eventui audunt insuper, sua memoria, ibidem Vilaci lapidem
sepulcralem extitisse ex quo inspex quiscunque hasc legere atque addiscere
potuerit, Höbc si vera sunt, ut esse optamus, haud mediocriter exaggerabunt
glöriosi Martyris Stanislai apud Deum, qui desperatissimi hominis salutem,
meritum pro qua tantum in vita laboravit, sanguinis sui respectu impetravit
post mortem. Mit sehr grosser Klarheit weisen die Acta Sanctorum auf die
** Folgen die Citate auf die schon erwähnten Decius, Michovia, Cromer, Sylvius
(nicht Bemardns Vaponius vor Cromer) und Hartmanus Schedelius. Des Schedelius
Weltbuch oder Chronik von 1493 behandelt unter Polen Blatt 963 wohl Stanislaus,
Boleslaw, dann Ladlslaus 188, unter Kärnten Bl. 275 wohl Herzogstuhl, Klagenfurt
u. 8. w. nach bekanntem geistlichen Muster, auch Villach, Fluss Draua, jedoch
nicht Ossiach.
UogMlMhe BeToe, XI. 1891. Vm^IX. Heft 43
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674 BOLE8LAW H. VON POLEN.
Erzählung von Ereignissen hin, die eben Niemand zum Mitwisser, so Viele
zu Naeherzählem haben ; der zur Jagd ausfahrende König war eben nie
wieder heimgekehrt, diese Lösung ist sehr einfacher Natur. Nicht die
Kämter aber sind die Erfinder des damacbfolgenden Bomans, sonder-
heitlich nicht die kämtischen Benediktiner, soweit haben wir schon aus
den bisherigen Darlegungen schliessen können. Vielmehr von Auswärtigen
ist ihnen das aufgepfropft worden; und durch die fortwährende Bücherschrei-
bung und Kanzel-Beredsamkeit konnte die Kunde nicht anders als in das
Volksbewusstsein übergehen. VP^ieviel von der ganzen Erzählung abzulesen
getvesen sei aus dem Grabsteine zu Villach, lassen wir dahingestellt. Wenn
aber aus alledem deutlich hervorschimmert, zu wessen gehäuften Ehren
und Glorien der angehängte Königsroman gemacht worden, nämlich des
ruhmvollen Martyrs Stanislaus, so möchte wohl die öfter hingeworfene
Andeutung der liberalen Jungpolen, dass die Sache für die Kämter
viel wichtiger sei^ als für die Polen, auf ihr wahres Maass zurückgeführt
sein. Hat man uns denn vom Standpunkte eines Verteidigers der Heiligen
aus sprechen lassen, so setzen wir die Kenntniss von St. Joseph als Liandes-
patrone für Kärnten voraus, welcher bescheidene Zimmermann durch
König Boleslaus in Ossiach nichts gewinnen und nichts verlieren kann.
Im Jahre 1675 steht P. Albert Reichart, Benediktiner zu St. Paul an
Lavant, Vicar zu St. Martin im Granitztale, mit seinem Breviarium
historiee carinthiacae. Er berichtet nach Anführung der Gründungs- und
Wunder-Geschichten zu Jahr 689, S. 30 : Preeterea hoc quoque Monasterium
Boleslai Polonise Regis, S. Stanislai Episcopi Cracoviensis caede, nominatis-
simi exuvias tenet, frequentibus circa earum sepulchrum Polonis per Carin-
thiam peregrinis. Nam Boleslaus regno extorris, impellente sceleris con-
scientia Romam peregrinaturus Ossiaci divertit, ficta simplicis et muti homi-
nis persona ulterius progredi occulta vi prohibitus, culinaB ministeriis se
Regem commodavit, quasi sanguinarias manus illis in sordibus purgaturus,
donec fato admotus, acc6rsito Abbati se Poloniae Regem Boleslaum poeni-
tentem aperuit, in rei testimonium ex sinu prompto regio annulo, expiatis
post modum confessione noxis, sacroque viatico pastus, sanctius devixit,
quam regio in solio vixit. Cuius tumbam nonnemo priscorum Poetamm hiß
versibus insignivit :
C Boleslaus Rex (nach den später anzuführenden vier Zeilen) Aüus
vero antiquissimuB in hunc sensum lusit:^^
*' Varianten in Gröbla<;hers Annales G, im Annus miUesimns A, S. 108 ans
einem antiqiius codex (der wohl nicht über 1457 zurückgegangen) und Valvaeor V.:
De rege Boleslao G; 1 profugus A 2 lux A 3 admissum statt ob crimen G sceles-
tem G scelestis A ultor AGV; 4 Sanguine A purpure G sidera GV celi G statt
olympi 5 peto sedantis G; 6 Polonum querens huc me visurus eas G, fehlt auch A
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BOLBSLAW II. VON POLEN.
675
ßex homicida ego sum profugus et scelere dives,
hie latui, luxi deplorans facinus audax :
Nö tarnen ob crimen caelestis vindicet vitor,
Sanguine purpureo tingentem sydera olympi
te Stanislae rogo, precantis advoca causam.
Valvasor schreibt in seiner Topographia archiducatus Carinthiae,
Nürnberg, 1688, S. 155 — 156: In dieser Kirchen ist neben viel andern
Reliquien und Antiquiteten, auch die B<^gräbniss zu sehen, worinnen Bo-
leslaus n. cognomento Audax, der vierdte König in Polen, und der Andere
dieses Namens, verschlossen, und zwar an der Mauer, auf der Mitternacht
Seiten gegen Freythof, mit dieser Überschrift : Boleslaus Rex Poloniae,
Occisor Sancti Stanislai Episcopi Cracoviensis. Auf der andern Seiten lieset
man diese Inscription : Boleslaus Rex | Occidit, Romam pergit, placet Os-
siach illi, I Ignotus servit, notus pia lumina claudit, | Ossiach hinc placat
tibi, Stanislae Tyrannum, | Mitem quöd factum coelestibus intulit astris. So
seynd auch zu Ossiach, in denen alten Manuscriptis folgende Vers von ihme
zu finden : Rex (vgl. oben). Als dieser König grosse Victorien wider unter-
schiedliche Völker erhalten, hat er sich deren sehr übernommen, und al-
lerley Lastern ergeben ; desswegen ihn denn der Heilige Stanislaus Ertz-
Bischof zu Cracau, zu einer Besserung des Lebens, wiewol allezeit vergeb-
lich vermahnet, auch endlich bey ersehener Halsstarrigkeit denselben in
den Bann gethan : Weil aber hierauf der König verbotten in der Statt
Mess zu lesen, der Ertz-Bischoflf hingegen, welcher in geheim über eine
Brücken in die Kirchen S. Michaelis gehen können, dessen ohngeacht all-
dorten den frommen leiten Mess gehalten ; ist der König, als er solches er-
fahren, armata manu hineinkommen, und hat den Ertz-Bischoffen den
Kopf Selbsten zerspalten, den Körper zu Stucken zerhauen, und selbigen
auf eine Gemein den Hunden und Vögeln fürwerflfen lassen. Worüber aber
derselbe von dem Pabst, dem solches den 8. May Anno 1079 berichtet wor-
den, mit allen seinen Complicibus in den hohen Bann gethan worden, dass
keiner von ihren Nachkommen bis in die vierdte Generation zu einem
geistlichen Dienst kommen sollte. Dieser König nachdem er noch über ein
Jahr hernach regiert, und vermerckt, dass er bey allen verhasst, auch viel
über ihn conspirirten, ist er in Hungam entwichen, da ihme dann unauf-
hörlich sein Gewissen dermassen geängstigt, dass er endlichen aus hertzli-
cher Reu seiner begangenen Missethat sich fürgesetzt, in einem schlechten
Kleid, mit Betteln auf Rom Wahlfahrten zu gehen, alldorfcen Buss zu thun :
Immassen er auch heimlich davon gezogen, und im Jahr 1080 unter Wegs
nach Ossiach gekommen allwo als er auf Bitt von dem Thorwärtel ein Brod
zum Almosen empfangen, kunnte und wollte er nicht weiter gehen, bliebe
also daselbst, trug Holtz in die Kuchen und allerley Unsauberkeit hinweg,
erkehrete mit Besen die Gemächer aus, verrichtete die allerschlechteste Ar-
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676 BOLESLAW H. VON POLEN.
beit und stellte sich stumm, biss an sein End, nemlich 9 gantzer Jahr lang.
Als er aber endlich im 1089. Jahr erkrancket und vermercket, dass seine
letzte Zeit herbey gekonmien, da fienge er an zu reden, beruflffce zu sich die
Patres, und gäbe sich zu erkennen dass er der König Boleslaus in Poln, der
Todschläger dess Heiligen Stanislai wäre. Zog auch zu einem Warzeichen
dessen den Königlichen Ring, auch gewisse schreiben, und andere Zeichen,
aus dem Busen, Übergabe solche denen Patribus, und beichtete seine Sünde
mit grosser Contrition, empfienge dass Hochwierdige Sacrament, samt der
letzten Oelung, und gäbe im Beiseyn der Geistlichen, seliglich seinen Geist
auf, allda er dann solennissime begraben worden.
Der Annus millesimus antiquissimi monasterii ossiacensis, bestimmt
für das angebliche zehnte Jubelfest des Jahres 1689, verfasst durch den,
unter (dem 56. und 57. Abte Christoph Kapponig 1656 — 82) Edmund Ibel-
pacher 1682—1725 lebenden Prior Joseph Wallner (t vor 1725), vermehrt
durch einen ungenannten Neubearbeiter (Abt Hermann HI. Ludinger
1737 — 53) im Stifte Ossiach und so gedruckt zu Salzburg bei Mayer 1749
und sonach zu Ciagenfurt 1766,*® enthält unter Abt Teucho oder Deuzo IL
(S. 62) die Nachricht : Sub hoc ipso Teuchone decessit magnum Ossiaci or-
namentum et rarum poBnitentiae Kegalis exemplum Boleslaus Bex Polonia*,
cujus vitam et conversionem mirabilem, mortemque beate obitam cum-
eodem Authore ad finem referemus. Id hie adnotamus, quod in pervetusto
annalium nostrorum libro legimus : Hoc anno (id est 1082) Boleslaus Eex
Polonite reliquit Eegnum suum, hie 8, annis poenitentisB acta moritur.*^ Der
Appendix I. S. 104 bis 110 De Conversione et Exilio spontaneo B. K. P. i. 0.
M. schildert — mit dem dunklen Eingange : Ante Teuchonis igitur initum
regimcn, quod ad annum 1000 coepisse memoravimus, anno proximo,
priore^" Ossiaci decessit B. E. P. IV, hujus nominis H. cognomento Audax
dictus — die Kriege gegen die Russen, Böhmen, Ungarn, die Ausschwei-
fungen, Grausamkeiten bis zu des Bischof es Tödtung 1079, das Verlaasen
des Reiches post spatium anni, die Flucht (also 1080) zu Ijadislaus mit
Sohn Miescon und wenigen Begleitern, die Gewissensregung. Hier beginnt
die Sage S. 105 mit der Reise gegen Rom nur zum Zwecke des Sünden-Nach-
lasses ; die Ausführung erwähnt der gemeinen Kleider, des einzigen Dieners,
der heimlichen Reise in das Innere Kärntens, der Ankunft bei Kloster Os-
siach, der Pförtner theilt Armengaben, Beschluss zu bleiben, einzelne
Knechtdienste, Schläge, Stummheit, Aufenthalt 7 Jahre, nach Anderen 9,
'® Vgl. hierzu die Schrift: Benedikt, Ossiach am See, Predigt. Clagen-
furti 1689. 4^
^ Octo annis poenitentia acta, oitirt auch Hormayrs Arohiv 8. 376, IntellgsbL
d. w. Allg. Lit.-Ztg. 1813 No. 2, 21, 30, 31.
*" Offenbar zwei verschiedene Hände.
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BOIiESLAW n. VON POLEN. 677
(im Haupttexte 8, das wären laut dieses Buches die Jahre nach 1080 bei-
läufig 1087, 1089, 1088, wenigstens nicht früher, man wähle); Entdeckung
dem Abte, (dem Beichtiger), der königliche Bing cum litteris arcanis, alle
Brüder gegenwärtig, die Zelle mit himmlischem Lichte erhellt, durch un-
gewohntes Beben erschüttert, Beisetzung mit grosser Feierlichkeit in der
Kirche. Der Autor bezweifelt immerhin, dass Boleslaw als Converse oder
Mönch im Ordenskleid gestorben sei. Er beschreibt auch den Grabstein,
seiner Zeit an der Kirche Nordwand ausserhalb, das Eelief Equa cum sella
nuda, die Inschrift Eex Boleslaus Poloniae, occisor S. Stanislai Episcopi
Cracoviensis, die bei der Grabstätte angemalten Bilder, darunter auch des
Boleslaus Gebet vor dem Marienbilde. Dem Autor sind nicht unbekannt
die Urteile Anderer: Boleslaw habe im Wahnsinn sich selber getödtet 1081,
er sei auf der Jagd durch die eigenen Hunde zerrissen worden. Andere mel-
den Anderes (Welche, Was ?). Seine Quellen sind genannt.®^ Alle aber irren,
weil sie das Cenotoph nicht sahen (ein lär Grab, das allein zum Schein
gemachet ist, laut Ulpian, erklärt J. Frisii Dictionarium 1736 S. 95), weil
sie die Stiftsdocumente nicht besichtigten (welche des 11. Jahrhunderts
wären das?). Daraus habe er eben die richtige Schriftstelle geschöpft (citirt
dieselbe aber nicht). Endlich Verweis auf Megiser lib. 7, c. 39 und Fama
cinerum Eegis Boleslai . . . hie incognitus, acta poenitentiae Ossiaci mori-
tur, anno MLXXXIX (also 1089 ausschliesslich). Beweis sei auch das Zu-
strömen der aus und nach Italien reisenden Polen ; ein aus Schonung nicht
zu Nennender dieses Jahrhunderts vertauschte den vom Küster gezeigten
Ring, der echte soll nunmehr (1749, 1766, oder schon vor 1689?) im könig-
lichen Schatze liegen (zu Krakau ?).
Mezger Historia salisburgensis (1692, lib. 11, cap. 11, S. 202, vergl.
lib. VI, 1 1 70) wiederholt von dem (689 gestifteten, 879 restaurierten)
Kloster die Legende der zufälligen Einkehr des Königs (Boleslaus IV.),
dessen Aufenthaltes, des Todes, des königlichen Ringes, der Polen-Besuche,
Jahrzahlen nicht angebend. Um diese Zeit lebte Virgilius Gleissenberg, gebo-
ren um 1685, im Stifte Ossiach seit c. 1703, nachmals der angeblich 58-ste
Abt dieses Seestiftes von 1725 bis 1737,^^ gestorben 19. Juli, von welchem
wir, ausser humoristischen Dichtungen, theils auf dem Krankenbett
geschrieben, auch ein Heldengedicht Boleslais besitzen. De Boleslao 11.
rege Polonije Ossiaci pcenitente libri VI, poema.^^ Er führt den Abt Teucho
'* Bacel(lmi) Menologia et Nucl. Historia p. 2 zum 11. April. Neugebaner,
Historia Folon. Sarnicü Annales.
^* In seiner Zeit erschien J. H. Zediere Üniv.-Lex. Bd. IV. 1733 zu Halle-
Leipzig, darin Boleslaw S. 4f82. Flucht im J. 1081, Closter Ossiach in Kärnthen, Tod
1090. QueUen S. 1179.
^^ Es giebt bekanntlich auch ein carmevi de morte Boleslai I. und eine oantilena
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6?8 BOlixSLAW n. VON POLEN.
als Wemerus ein, den König aus Pannonia durch Styria nach Garinthia
kommend, auf die Buinen der ßömerstadt Salla und den Herzogstuhl, die
Maltaschia sieh beziehend u. s. f. (Inhalt, Anzeige und Proben bei Budik).
in Boleslaum HI. laut B. Paprocki in Jibro Herby i7cer2twa polskiego, Crakow 1584.
laut Pertz w. o. S. 418 Note 3. Vgl. P. A. Budik in Kärntnerische Zeitschrift 1831
B. Vn. S. 161—174. Hermann Text zu Wagners Ansichten aus Kärnten 1844 S. 133.
Hermann, Hbucli d. Gesch. v. K. Zur poetischen Literatur zahlt noch Korzeniowski
€Der Mönch», eine Tragcedie, Kraszewski, Boleszczyce, 2 Bände, «Virgilii Gleissen-
bergii ex ord. S. Benedicti Abbatis Ossiacensis in Garinthia. De Boleslao n. rege
Poloni« Gssiaci pcenitente libri VI. Poema» findet sich abgedruckt in P. Werigand
Kogler (Benedictino San -Michael Burano nuper Salisburgi Mansuetiorum Litterarmn
Professore publieo, p. t. domi priore) Stillne poetic» ex Pindo Juvavio decidu» (sive
etc. Axigust» Vindelicorum 1731). 8" S. 1—164. der Zugabe nacli S. 402). Die Pnefatio
et argumentum erwähnt das per sex, et amplius annorum centurias hie quiescentis
parentale marmor, ad quod Poloni Romipetee hodieque frequentes invisimt, des
Königes Klosterweile und Tod 1089, das Grabdenkmal mit Belief (eqüa phalerata
cum Bella nuda) und Schrift (grandibus per limbum insculptis litteris) BEX
BGLESLAUS PGLONI^ GCCISOR S. STANISLAI EPISCOPI CRACOVIENSIS
erwähnt sogar die (smü testes, oomplures in chronico nostro; der Autor führt an
Stelle des verloren gegangenen Abt-Namens jenen des 1300 verstorbenen Werner eio
und entwickelt sonach in liber : I. Boleslaus Rex Polonise Andream Regem Hnngarie
acie prostigat, et Belam Andrere fratrem exulem solio restituit. (Crebri tumultus
Russici ä Rege Boleslao sedati. Initia beUi himgaricL Bohemorum in Poloniam
irruptio, eorumque strages. Boleslaus exercitiun ducit in Hungariam, et suos hortatur
ad prseliura. Apparatus utriusque exercitus ad Prselium. B. Regis Oratio Polemica
ante conflictimi S. 13 — 32). 11. Gontinnatur residuum argumenti ex libro I. Proelium,
et victoria Polonorum. B. Cracoviam triumphans ingreditur. (Jarominis poaito
militise cingulo resumit togam clericalem. B. Regis triumphalis in urbem ingressus
33 — 50.) ni. S. Stanislaus Cracoviensium Episcopus Regis severitatem in desertores
objurgat et obtnincatur A furente Rege cum paulo ant^ Petrum Equitem revocAsset
ad vitam. Patratä csede. B. fugit cum Miescone filio ad Ladislaum Regem Hungari»'
(DirFP Regis in Kpiscopum, et calumiiiosa Episcopi ac^usatio de Pago Petri Eqnitis
fide mala coempto. Petrus Eques surgit sepulchro, et Episcopi fidem testimonio suo
purgat. Bm. nee raonitis, nee divino prodigio resipiscentem S. Stanislaus fulmine
anathematis ferit, et obtruncatus A furente rege. B. Procerum oonjiiratione, et umbris
Extinctorum territus fugit ad Ladislaum, Regem Hungari« 51 — 78.) IV. B. cum
Miescone filio in Hungariam profiigus, recreatur Venatione, et Ludo Theatrali;
Monetur in somnis, aulam Ladislai ut deserat (Gomcedia gratia Bi. in Aula Regis
Hungariae exhibita. Fingendiis est hie loci, ne autiqua canamus semper, B. modemara
spectare Comdjdiam etc. Siloni caperones etc. bis finis Coraa*diie, et S. Stanislai verba
ad Regem B., ut Hungariam deserat. 79 — 108). V. Fugiens ex Hungaria B. defertur
ad Mouasterium Ossiaceiise, ubi paenitens pedem figit. Miesco filio desperato patris
reditu, ac Regni spe depositä Astronomise privatus vacat. Copeniicus prspceptor Sphsp-
ram armillareni, et mixta qusedam imperfecta Aristotehs interpretatur in favorem
Miesconis (Mouasterium Ossiacense in Garinthia, Beschreibung von Land- und Wasser
bereich, Gründungsgeschichte, Gzzius, Tyffen, Boleslaus ex adversä rip& stagni navigat
ad Mouasterium Ossiacense. Oratio Bi. ad B. V. Mariam. Miesco filius Bi. Amiagnm
plorat Patrem, et primis Astronomise elementis animum solatur S. 109 — 136.) VL flic
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boLESLAW II. VOK POLEN. 679
Marian-Wendenthals Geschichte der östr. Klerisey, Wienj 1 783, 1115, S. 340
erzählt, unter Abt Teucho oder Deuzo (c. 1072, f 1 125, 14. Heumonates) sei
der König in Pohlen als ein Mörder seines Bisch ofes aber auch als grosser
Büsser hier in diesem Ossiachstifte nach zurückgelegten 8 Jahren selig im
Herrn im Jahre 1082 verschieden, wie in dem Appendice des Anni Mille-
simi u. s. w.
Granelli, Germaniae Austriacae (tom. I. Topographia Carinthice,
Wien, 1752, S. 189—190, 1759, 144—146), hältBich an Schönleben, Eei-
chard u. s. w., Ossiacum, Ozzius, illud ad hoc memorabile istic . . . Bomam
peteret, occulta quadam vi ultra progredi vetaretur — adversatur Beichardi
relatio communis historicorum sensus, qui Longinum . . . secuti . . . B.
anno 1080 deuorationem tradidere.
Froelich Specimen archontologiae Carinthiae, Wien, 1758, 2 Bde (vgl.
I, S. 25 — 33, n, S. 22) und Hansizius, Analecta seu coUectanea pro histo-
ria Carinthiae, Klagenfurt, 1782, Nürnberg, 1793, Karl Mayer, Geschichte
der Kärnter, Cilly, 1785 (Ozziak 8. 170), De Luca, Geographisches Hand-
buch der östr. Staaten, Wien, 1790, H. das Herzogtum Kärnten S. 189,
231, 259, lassen sich auf Bolesiaw nicht ein. Hansiz streift einmal S. 262
den Aeneas Sylvius, cuius relatio nonnuUis partibus manca est. Karl Mayer,
(Statistik und Topographie Kärntens, Klagenfurt, 1 796) ist später verstan-
den worden als einer, der den (neuen) Grabstein Boleslaws, gleich den
etzigen Ozzo*s, bekannt gemacht hätte. — Zum Schlüsse des XVHI. Jahr-
hundertes nennen wir einen polnischen Schriftsteller, Adam Stanislaw Naru-
Bzewicz, geboren 1733, Jesuit 1748, bereist in Deutschland und Italien, ge-
storben 1796, welcher in seiner Historya narodu polskiego, (Neuausgabe in
10 Bänden durch Jan Nep. Bobrowicz, Leipzig, 1836), gar nicht geneigt ist,
das ossiacher Grabmal für echt zu halten (Bd.V. S. 56), was durch eine
Fussnote des TadeuszCzacki (1816) bekräftiget wird, die Schriftformen dem
XIII. Jahrhunderte, mögKcherweise dem XVI.. zuweisend.^ Der gelehrte
Jesuit nennt die im Seestifte aufbewahrte Schrift über den Aufenthalt und
den Tod des polnischen Königs daselbst (ausser dem Annus noch eine andere
Handschrift?) eine so elende Schmiererei und ein solches Gemisch, dass
sie keinen geschichtlichen Wert habe. Von der bei Naruszewicz erwähnten
Komreise mit dem Auftrage des Papstes an den König, seine Tage in Zu-
kunft unter einer Mönchskappe zu verbringen (S. 87 laut des KadJubek-
Commentatojrs zu cap. 667), wollen wir nicht weiter Kenntniss nehmen.
Über compleotitur residuum Libri prioris. B. post severam psenitentiam Divorum
ccelitum prsesentiÄ recreatus humanis excedit et humatur Ossiaci (S. 157 Jainque
B. pliires exegerat annos. S. 137 — 164.) Romanzen von S. N. Vogl, Ei'nst Rau-
scher (1881).
** RoepeU I, 204. Note 23.
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680 BOLESLAW II. VON POLEll.
Immerbin ist nach der Kloster-Aufbebung und nach den Franzosen-
Kriegen die alte Sage wieder aufgetaucht, stand ja das Steindenkmal immer
als Zeuge da. Indem wir, unter Hinweis auf die in- und auswärtige Ldterator
dieser Frage, ^^ nur hervorheben, dass Graf Wladislaw Thomas Ostrowski,
geboren 1 790, Landtagsmarschall 1830, zu Gratz intemirt seit September
1831 bis nach 1860, später in Paris und Krakau lebend, f 1869, an Jözef
Straszewicz eine Abschrift und Beschreibung des Boleslai'schen Grabdenk-
males gegeben hat (vor 1847, vermutlich mit einer um 1831 angenom-
menen Zeichnung), dass Joachim Lelewel in seiner Geschichte Polens (Ans-
»'^ CarirUhia 1813 (41, 42), 1828 (4^—50), 1814 (40), 1837 (15, 17, 63), 1839 (1),
1840 (47, 111, 187), 1855 (26), 1861 (20, 158), 1868 (325), 1869 (99).
Wiener AUgemeim LiU. Zeitg,, Intelügensblatt 1813, No. 2, 21, 30, 31.
A, Eichhorn, Beiträge zur alt Gesch. u. Topogr. d. H. Eämien. Klagft 2 Bde
1817, 1819 (Bolefttaw unerwähnt).
Homiayr's Archiv f. Gesch. u. Geogr. Bd. 1815 No. 92. Hormayr, Der könig-
liche Flüchtling zu Ossiach; Königs-Relief als Beiter, Schrift Epiaoc^i« Boleslaws
Schlechtigkeiten, neueste Satyren des Ratsohky, B. Stanislaus Koska; Bd. 1822 No. 91
S. 495, Primisser, Heise-Nachrichten üher Denkmäler der Kunst in Oesterreich (1750
das Tausendjahrfest, Brudermord, der neue Grabstein durch Mayer und Eichhorn
bekannt, gemaltes Bild der Heilige Wenzel und sein Bruder.)
Kloi^er Ossiach, Druckschrift 8^ Wien 1833.
Q. Schreiner in Ersch. und Grubers Real-Encyklopädie 18^5, m, 6, S. 418,
Brudermord, B. Tod 1089; dagegen 1823 in I. 11. S. 354, starb 1081 in einem
Kloster i. K.
Hohenauef'j Kirchengeschichte von Kärnten, Klagft 1850, S. 44, 45, Busse
8 Jahre, Tod 1082.
Wagner, Das H. Kärnten, Klagft 1847, S. 148. Rückkehr aus Rom, Busse
9 Jahre, Tod 1082.
Wagner, Album von Kärnten. Klagft 1845 S. 26, Busse 9 Jahre, Tod 1079.
Wagner-Hartmann, Führer durch Kärnten. Klagft. 1861. S. 111, Busse um 1060,
9 Jahre, Tod 1079.
Pierer Conv.-Lex. 1857, Hl, 45, Kloster in Kärnten 1083, Entdeckung auf dem
Totenbette.
Schatibach, Deutsche Alpen, 1876 Bd. 5, S. 140, Busse 8 Jahre, Tod 1079.
Das ehemalige Kloster und der stuiome Büsser zu Ossiach. Innsbruck 1868.
Brockham, Convei-sations-Lexikon, 1882 lU, S. 279, Tod 1081 in einem Kloster
in Kärnten.
Jabornegg, Führer auf der Rudolphabahn 1882, S. 17, Bradermord, Tod 1079,
angebliches Grabmal. Führer durch "Kärnten 1887. Erinnerung eines Jalirtausends.
Maifil, Das ehemalige Kloster Ossiach, mit Abbildung 1883.
Rabl J, Illustrirter Führer durch Kärnten. Wien, Pest, Leipzig, 1884, S. 71,
Busse 8 Jahre (also seit 1074), Tod 1082.
Aehcfücer, Gesch. Kärntens. Klagft, 188.5, I, 235, vgl. 194-237, 737.
Happold, Sagen aus Kärnten. 1887, S. 231, Bo. 119. Oettinger Mönche in Tiffen,
B. Ankunft Herbst 1090, Tod 1099. Oesterreich in WoH und Bild, 1891, Band Kärnten
S. 21. Busse 9 Jahi-e, Grabstätte.
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bifi HOOHWASSBK- UKD WASSERBAÜ-ANGBLEGBKHEITEN UNGARNS. ^^^
gäbe H. F. Handschnch in Zürich, 1846, Leipzig, Seite 10, Note 5) den
Aufenthalt und die Busse Boleslaws «im Kloster Ossiak in äteiermarkf zu
den Fabeln zählt — das Weitere in seinem Werke Polska wiekow (1 847) ziehen
wir später in Betracht — stellen wir die beiden Haupt- Autoritäten der einhei-
mischen G^schicht-Schreibung nebeneinander. Heinrich Hermann behandelt
in seinem «Text zu Wagners Ansichten aus Kärnten», Klagenfurt 1844,
8. 13 die Legende vom Polenkönige, der angeblich 1079 starb, nach An-
deren 1082, und verstärkt die Tradition durch die Notiz von den Taubstum-
men, welche man hier (bis zur Anzahl von 12) zu ernähren und zu unter-
richten gepflegt hat. (Uebrigens sozu Admont, ähnlich zu St. Paul.). Gottlieb
Freiherr von Ankershofen in seinem «Handbuch d. Gesch. d. H. Kärnten»,
Klagenfurt 1851, H S. 886 thut bezeichnender Weise die ganze Legende in
einer Note c ab, ohne ihr im Texte ein Wort zu widmen. «Unter Abt Teuzo
soll König Boleslaus IE. von Polen, welcher seinen Bruder, den Erzbischof
Stanislaus 7on Krakau ermordete, auf seiner Bussfahrt im Jahre 1084 nach
Ossiach gekommen sein, wo er nach einem fünfzehnjährigen Büsser-
leben in Ossiach gestorben sein soll.» Demzufolge wäre die Aufenthaltszeit
1084 bis 1099 die längste aller bisher erwähnten. Welche grosse Auswahl !
(Sohlnss folgt.)
DIE HOCHWASSER- UND WASSERBAU-ANGELEGENHEITEN
UNGARNS.
Es gibt sowohl in der Kunst-, als auch in der gesammten Cultur-
geschichte der Völker Epochen, während deren sich diese durch grosse
Leistungen hervorthun. Obwohl nun aber die Möglichkeit eines solchen
Emporschwunges auch an das Vorhandensein hervorragender Männer ge-
knüpft ist, so ist dies doch bei der Kunst in weit grösserem Maasse der Fall
als bei einem Culturzweig oder überhaupt innerhalb irgend eines das Cul-
turleben eines Volkes tangirenden beliebigen Gebietes, wo die Cultivirung
, mehr von der Kenntniss des bisher Geleisteten, als von ausserordent-
lichen individuellen Begabungen bedingt ist, wo folglich hauptsächlich auf
Basis der bisherigen Erfahrungen weiter gearbeitet werden kann, und zwar
desto leichter, als die technischen Hilfsmittel mit der Zeit einen immer
höheren Grad der Vervollkommnung erreichen.
Es wäre demnach vorauszusetzen, dass auf Gebieten, wo die Erfah-
rung, sowie die technischen Hilfsmittel die grössere Rolle spielen, selbst in
Ermanglung fördernder Kräfte doch zum mindesten ein Verbleiben auf dem
bisher erreichten Niveau und kein Rückfall wahrzunehmen sein sollte. Wir
sehen dies jedoch nicht immer eintreffen.
Auf manchen Gebieten, wo man sich schon Jahrtausende zuvor zu
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6.S2 DIE HOCHWASSER- UND WASSERBAU -ANGELBOENHEITBN UNGARNS.
einer gewissen Höhe emporgeschwungen hatte, sehen wir statt einer Weiter-
entwickelung später sogar eine retrograde Bichtung einschlagen. Der Grund
dieser auf den ersten Blick seltsam zu nennenden Erscheinung wäre wohl
hauptsächlich in dem Gesammt-Zusammenwirken der poUtischen, wirtschaft-
lichen und rechtlichen Verhältnisse und in den Veränderungen derselben zu
suchen. Speziell ist dies auch bei den Flussregulirungen und den gegenüber
dem Hochwasser in Anwendung gebrachten Methoden der Fall.
Diese Begulirungen sollten von der Intention geleitet sein, eines-
teils das betreffende Inundationsgebiet den schädlichen Einwirkungen der
Hochwässer sowie der Binnenwässer zu entziehen, anderseits jedoch auch
diesen, und wohl auch auf anderen Territorien ein bestimmtes regulirbares
Nässequantum zu sichern.
Auf die Entwickelungsgeschichte dieser Begulirungen einen Bückblick
werfend, gewinnen wir jedoch alsbald die üeberzeugung, dass diese Bezeich-
nung bei Weitem nicht entspricht. Eine «Entwicklung» ist es wohl nicht
zu nennen, wo die Begulirungen der Gewässer zur Zeit der Pharaonen z. B.
doch einen ganz enormen Erfolg aufzuweisen vermochten gegenüber den-
jenigen der Neuzeit.
Es scheint dies im Anfang umso unerklärlicher, als es sich auch hier
um ein Gebiet handelt, auf welchem die individuellen Eigenschaften doch
nicht in dem Maasse den Ausschlag geben könnten. Und wenn dem so ist,
was waren die technischen Hilfsmittel der Bewohner des Niltales, und was
sind die Mittel der Neuzeit !
Diese Hilfsmittel schwangen sich auf eine damals wohl noch nic|)t
geahnte Höhe, und der Erfolg aller Bemühungen blieb später dennoch weit
hinter den bescheidensten Erwartungen zurück.
Ohne uns auf eine nähere Erörterung einzulassen, wollen wir blos mit
wenigen Worten einige allgemeine Gründe zu skizziren versuchen, welche
an dem Ausbleiben des erwarteten Erfolges sowohl im Auslande als auch
in Ungarn Schuld getragen haben mochten.
Die im Nilthale in Anwendung gewesene Methode bestand in einer
Combination von Eindeichungen, Canälen und Beservoirs, wodurch es
ermöglicht wurde, den befruchtenden Schlamm des Hochwassers auf die
bestmöglichste Art und Weise auszunützen.
Warum trachtete man nun nicht diese, sich so vorzüglich bewährte,
vollkommen zu nennende Methode später auch anderwärts nachzuahmen,
da ja doch die technischen Schwierigkeiten mit der Zeit umso leichter zu
überwinden sein mussten ?
Die Lösung wäre teils darin zu finden, dass bei der oberwähnlen Begu-
lirungsmethode die Hauptrolle den Cauahsirungen, besser gesagt der Erhal-
tung der vorhandenen Canäle zufällt, weshalb auch das Gedeihen dieser
Methode ganz eigenartige Verhältnisse bedingt.
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DIE HOCHWASSER- UND WASSERBAU-ANGELEGENHEITEN UNGARNS. ^^'<
Es ist nämlich eine allgemein constatirbare Thatsache, dass z. B. der
Staat, welcher ohne Zweifel im Standö wäre zu Agriculturzwecken Canali-
sirmigen im grossen Masstabe vorzunehmen^ die Erhaltung dieser Bauten
ebensowenig besorgen kann, als auch die Uebernahme dieser Verpflichtung
von Seite der Interessenten von wegen des zu raschen UmFchwunges zu kei-
nem günstigen Resultate führt.
Es muss sich ein derartiges System vielmehr nur allmälig, Schritt hal-
tend mit den wirklichen derzeitigen Bedürfnissen, so zu sagen ganz unmerk-
lich ausbilden ; dem Staate fällt dabei blos die Aufgabe zu, durch zweck-
gemässe Regelung der diesbezüglichen civilrechtlichen Verhältnisse ein gün-
stiges Terrain zu schaffen.
Adam Smith's Ansicht nach ist es unmöglich gegen ein derartig
launenhaftes Element, wie es das Wasser ist, mit vom Staate Angestellten
anzukämpfen, da es sich beim Instandhalten von Canalbauten z. B. nicht
um ein chablonemässiges Vorgehen handelt, und es folglich am zweckmäs-
sigsten sei, dies die Interessenten selbst besorgen zu lassen.
Adam Smith führt den Languedoc-Canal* als Beispiel an, welchen
Louis XIV. endlich doch genötigt war, nur um dessen gän7lichen Verfall
zu verhüten (und zwar noch vor der Vollendung) dem Erbauer desselben :
Ingenieur Peter Biquet mit der Verpflichtung zu überlassen, den Canal im
guten Zustande zu erhalten, wofür Biquet daselbst das erbliche Zollrecht
erhielt.
üebrigens bekräftigt diese Ansicht auch Englands Beispiel. Ausser
den wenigen Gesellschaften bildeten sich für die nicht in Privatbesitz ste-
henden Canäle «Genossenschaften von Eigentümern» — companies of
proprietors, comp, of undertakers — und blos ein einziger Canal stand
einige Zeit hindurch unter staatlicher Verwaltung. Es war dies der auf der
Halbinsel von Sussex im Jahre 1807 zu Kriegszwecken erbaute Canal. Der-
selbe konnte auch selbst dadurch nicht vor Verfall gerettet werden, dass
man später den Speaker und noch mehrere höhere Staatswürdenträger mit der
Oberaufsicht betraute, und es musste derselbe endlich doch in Privatbesitz
übergehen, mit der einzigen Verpflichtung, denselben zu Agriculturzwecken
in angemessenem Zustande zu erhalten. **
Die Oberaufsicht der englischen Staatsgewalt beschränkte sich auch
späterhin blos auf die Finanzen sämmtlicher derartiger Genossenschaften,
und das auch nur insofeme es die Besteuerung der Einkünfte als notwendig
erscheinen liess.
In Frankreich bildeten die Schifffahrts- Canäle ebenfalls vorerst mei-
"^ Dieser Canal erstreckt sich von der Garonne aus bis zum Mittelländischen
Meere. Gegenwärtig führt er den Namen: ^du midit.
** Weber: Die Wasserstrassen Nord-Eui*opas. Leipzig 1881.
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6^ DIB HOCHWASSER- UND WASSERBAU- ANOELBOENHEITEN UNGARNS.
stenteils das Besitztum von Genossenschaften, * später wurden dieselben
dann wohl in Folge der Centralisirungs-Bestrebungen der französischen
Begierungen verstaatlicht, es war dabei jedoch hauptsächlich der Umstand
massgebend, dass durch Herabsetzen der Schifffahrts- Zölle die angrenzenden
Besitztümer solch immensen agrarischen Aufschwung nahmen, dass die
nun demzufolge unter verschiedenen Titeln einlangenden Staatseinkünfte
die bisher eingehobenen Schifffahrts-ZöUe um ein Erhebliches überstiegen.
Die einzelnen, später besonders unter Napoleon dem I. vom Staate un-
ternommenen Flussregulirungen, waren dieselben noch so genial angelegt»
zeigten den gewünschten Erfolg bei Weitem nicht.
Die Ganalbauten Schwedens sind sämmtlich im Besitze von Gesell-
schaften, Vereinigungen von Gemeinden oder aber Privaten. Der einzige
Canal, welcher Staatseigentum bildete, der •AkerS'Canal,i^ wurde gleich-
falls im Jahre 1861 einer Actien-Gesellschaft überlassen.
Man könnte zu Gunsten des Privatbesitzes der Canalbauten — ob
dieselben hauptsächlich den Verkehr oder aber die Agricultur zu heben
bestimmt wären — ausser diesen chronologischen Thatsachen noch zahl-
reiche Gründe anführen ; wir wollen jedoch nur noch die Entwickelungs-
Geschichte der holländischen, Agriculturzwecken dienenden Canalbauten
und derjenigen Ober-Italiens anführen, welche beide die richtige Entste-
hung und Entwicklung zeigen. Es entstanden dieselben allmälig, und fast
unbemerkbar vergrösserte sich das Canalnetz bis zu dessen gegenwärtiger
Ausdehnung.
Man könnte wohl gegen die Stromregulirungen Italiens und Hollands
vom technischen Standpunkte aus Einwendungen erheben, wir sprechen
jedoch hier blos von dem einen Bestandteil derselben : von den Canalbauten,
welche zur Ausnützung des Hochwassers unbedingt notwendig sind*
Warum eine derartige allmälige Entwicklung eines zweckmässigen
Canalnetzes in anderen Staaten nicht erfolgte, daran sind wohl nächst den
politischen Verhältnissen hauptsächlich die Bestimmungen des Civilcodexes
daselbst von bedeutendem Einfluss gewesen. Ausser der Bedingung einer je
längeren friedlichen Aera, ohne welche ein Aufschwung der Agricultur denn
doch nicht denkbar ist, ist es auch das Civilrecht, welches günstige Ver-
hältnisse zu schaffen im Stande wäre.
Wir wollen hier blos auf die englischen Verhältnisse hinweisen.
Pulszkifs Ansicht nach konnte sich das holländische System deshalb in
'^'' Hier ist besonderR zu diatinguiren, dass die französiscben GeRellscbaft^n ak
gewöimlicbe Actieu Gesellscbaften zn betracbten sind, wogegen die englischen Canale
das ausscbliessliclie Eigentum der Interessenten bildeten. Die Actien lauteten auf den
Namen des betreffenden Grundbesitzers und waren riicbt verkäuflieb.
** liodoky Lajos : Francziaorszag vizi utÄinak ^s csatomabal6zat4iiak leir&sa.
Budapest 1880.
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DUS HOCHWASSER- UND WASSERBAU -AN OBLEOENHEITEN UNGARNS. 6^^
England keinen Eingang Terschaffen, weil es die, den Grundbesitz betref-
fenden civilrechtlichen Besitzungen nicht Buliessen. * Und mit Recht. Dem
fideicommissarischen Charakter des englischen Grundbesitzes nach konnte
— ausser den Freehold estetes — das betreffende Grundstück blos und
höchstens auf 90 Jahre verpachtet werden. Nachdem nun aber nach Ablauf
des Pachttermines — bei den «tenures at will» nach Belieben des Eigen-
tümers auch noch vor Ablauf desselben^ das Grundstück mit allen darauf
befindlichen Gebäuden, allen Verbesserungen etc. ohne Rückvergütung dem
Gnmdeigentümer zufiel, so musste es wohl dem Pächter die Lust beneh-
men, sich in kostspieligere Verbesserungen einzulassen, deren Capital nebst
Zinsen er nicht noch während der Dauer seiner Pacht herausschlagen
konnte.
Was Ungarns Canalbauten betrifft, bestätigt sich die Annahme Adam
Smiths auch hier.
Einesteils wäre jedoch eine allmälige Entwicklung des oberwähnten
Systems, selbst ohne die übrigen obwaltenden Hindernisse, schon von
wegen der langjährigen kriegerischen Zeiten beeinträchtigt gewesen.
Der Einfiuss dieser Zeiten zeigte sich auch bei den schon vorhande-
nen einzelnen Canalbauten, indem diese binnen kurzer Zeit in Verfall
gerieten.
Was diese Zeiten nicht verhinderten, verhinderte der Umstand, dass
in Ermanglung eines das Eigentumsrecht der Gewässer regelnden Gesetzes
die Grundeigentümer in Folge der sich widersprechenden Curial-Edicte sich
zu keinen, die Ausnützung der Hochwässer abzielenden grösseren Unter-
nehmungen ermuntert sehen konnten.
In England verhinderte also ein civilrechtlicher Grundsatz die Ent-
wicklung dieses Systemes, in Ungarn war es hingegen sozusagen der gänz-
liche Mangel jedweden, das Wasserrecht betreffenden Gesetzes, welcher
dessen Einbürgerung nicht zuliess.
Die im Tripartitum sowohl als im Corpus juris sporadisch enthaltenen
Grundsätze liessen in Folge ihrer lakonischen Kürze ganz verschiedene
Deutungen zu, wollte man nach diesen auch die Lösung anderer das Wasser-
recht betreffenden Fragen versuchen.
Dass der Staat bei dem Bestreben auf Erhaltung schon vorhandener
Canäle mit grossen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, zeigte sich auch in
Ungarn.
Ausser den übrigen Beispielen, welche die Geschichte der Canalbauten
Ungarns bietet, ist diejenige des die Donau mit der Theiss verbindenden
* Puhzky Ferencz: Töred^kes ^szrev^telek a Dnnaszabilyoz^ s a keleti körd^s
irint. Pozsony 1840.
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686 DIB HOCHWASSER- UND WASSßRBAU-ANÖELEGENHEITEN UNGARNS.
Fravzenscanals lehrreich genug, als dass diese Regel auch hier einer wei-
teren Bekräftigung bedürfte.
Nachdem der Entwicklung dieses Systemes in den meisten Staaten
verschiedene Hindernisse im Wege standen, war man genötigt andere, den
speciellen Verhältnissen entsprechende Regulirungs- Systeme in Anwendung
zu bringen. Es wurden mit verschiedenen «modernen» Systemen Versuche
angestellt, der Erfolg blieb jedoch so wie in Ungarn selbst, auch im Auslande
bescheiden genug.
Wohin wir auch unsere BUcke wenden, sehen wir mehr oder minder
misslungene Versuche, den erwünschten Erfolg auf andere Weise zu errei-
chen. Deshalb darf sich denn auch Ungarn den Vorwurf ersparen, dass der
bisher geringe Erfolg einem Mangel zuzuschreiben wäre, den dieses Land
dem Auslande gegenüber zu verzeichnen gehabt hätte.
Es fehlte Ungarn nicht das Geringste mehr als dem Auslande. In
Betre£f der technischen Hilfsmittel stand es auf dem Niveau des Auslandes,
und was dem Lande im Anfange an erfahrenen Hydrotekten gebrach, das
lieh ihm doch das Ausland !
Es waren die im Auslande t modernen» Systeme, welche bei Ungarns
Flussregulirungen in Anwendung kamen. Es waren vorerst Canalbauten
nach holländischem Muster, unter der Leitung holländischer Ingenieure,
und nachdem sich diese Methoden den oberwähnten Ursachen zufolge nicht
bewährten — kamen Eindeichungs- Systeme nach italienischer Art, von
italienischen Hydrotecten geleitet ; ausserdem wurden die Strombetten auf
die verschiedenste Art und Weise zu reguliren gesucht. Bios ein Mangel
wäre hervorzuheben, dessen Folgen später schwer auf dem Lande lasteten :
es waren das die geringen Geldmittel, womit Ungarns grösste und man
könnte sagen überhaupt eine der grössten Flussregulirungen, initiürt
wurde.
Die Theissregulirung, — das heisst die Regulirung der Theiss sammt
ihren Nebenflüssen, mit Einschluss des Temes Bega-Complexes — wurde
mit verschwindend geringem Capital begonnen, und der Geldmangel machte
sich noch lange hernach fühlbar, obwohl die Regienmg zur Finanzirung
dieses grossen Unternehmens später ihr möglichstes that-
Das Parlament, die Vertretung des ungarischen Volkes bekundete eine
seines Gleichen suchende Opferwilligkeit, und so gelang es denn auch mit
der Zeit, die nachteiligen Folgen der im Anfange überhasteten ReguUrungs-
arbeiten abzuwenden, und ist die Regierung gegenwärtig in der Lage, nach
Beendigung der Hochwasserschutzarbeiten, indem sie nun das Hauptgewicht
auf das Protegiren der Wasserbenutzungen legt, dieses System nach und
nach zu einem vollkommenen umzugestalten.
Doch wir wollen der Sache nicht zu sehr vorgreifen, sondern die
Flussregulirungsarbeiten dieses Landes in chronologischer Reihenfolge dem
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DIE HOCHWASSER- UND WASSERBAU -ANGELEGENHEITEN UNGARNS.
687
Leser vor Augen führen ; vorerst scheint es jedoch geboten, die zu reguliren-
den Gewässer einer etwas näheren Betrachtung zu unterziehen.
Das soll jedoch nicht etwa heissen, dass wir auf eine nähere topogra-
phische oder hydrotechnische Beschreibung der Objecte einzugehen gesonnen
wären, da wir die Kenntniss derselben vorauszusetzen uns berechtigt glau-
ben, anderseits aber würde dies auch schon die Beschränktheit des Kaumes
nicht zulassen. Wir wollen demnach blos einige, den Verlauf der Hochwässer
betreffende Bemerkungen machen, um die Natur der Hochwässer der ver-
schiedenen Gewässer Ungarns etwas bekannter zu machen.
Die Donau, der Hauptfluss Ungarns, welcher mit geringer Ausnahme
sämmtliche Gewässer dieses Landes aufnimmt, zeichnet sich durch die Ver-
schiedenheit seiner Breite, folglich auch seiner Tiefe, sowie durch seine zahl-
reichen Verzweigungen aus, welch letztere vorzüglich unterhalb Pressburg,
der Insel Schutt entlang in grosser Menge vorhanden sind. Diese zahllosen
Verzweigungen, im Vereine mit den, bei allzu grosser Strombreite sich zei-
genden Untiefen, dann einzelne scharfe Wendungen, endlich die längs der
CJomitate Tolna und Baranya vorhandenen Krümmungen bilden bei diesem
Strom die grösste Ueberschwemmungsgefahr, indem dieselben auf den ohne-
hin starken Eisgang dieses Stromes ausserordentlich hemmend wirken. Die
Stauungen nehmen nicht selten ganz ausserordentliche Dimensionen an,
und es ist als ein Glück zu betrachten, dass das Brechen der Eisrinde für
gewöhnlich an den unteren Strecken zu beginnen pflegt, und sich von da
aus stromaufwärts fortpflanzt.
Es sind denn auch die Frühjahrs-Hochwasser, welche, herbeigeführt
durch die erste Schneeschmelze, indem sie den Eisstoss in Bewegung zu
setzen haben, mit dem meisten Unheil drohen. Die Schneewasser des Hoch-
landes, welche erst im Laufe des Sommers den Strom schwellen, erreichen
nur in höchst seltenen Fällen die Höhe der Frühjahrs-Hochwasser.
Es erreichte die Donau bei Budapest während der Periode von 1830 —
1889 (mit Ausnahme der unbestimmten Daten) die grösste Ja-hreshöhe:
Im Monate Jänner
Februar
März __. ..
April _..
Mai
Juni
Juli
August .._
September
Oktober
November..
December
5- mal
U- t
11- «
8- •
2- •
4- «
4- •
5^ €
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688
DIE HOCHWASSER- UND WASSERBAU -ANGELEGENHEITEN UNGARNS.
Was den höchsten Stand der Hochwasser betrifft, so steht dasjenige
vom Jahre 1838 bisher noch unerreicht da. Es zeigte der Pegel bei Bnda*
pest in diesem Jahre einen Wasserstand von 9*19 M. Den nächsthöchsten
Stand erreichte der Strom im Jahre 1776 mit 7*83 M. Erst nach diesen
käme das Hochwasser vom Jahre 1876 mit 7*76 M., sodann die Pegelstände
vom Jahre :
1775 mit 7-64 M.
1798 • 7-43 •
1799 • 7-30 •
1839 • 7-20 •
1850 € 7-12 •
In neuerer Zeit beobachtete man (ebenfalls am Budapester Pegel) fol-
gende höchsten Wasserstände* :
Im Jahre 1876
1877
1878
1879
1880
1881
1882
7-67 M.
5-08 •
6-74 f
4-71 «
5-75 •
6-95 «
4-57 t
Im Jahre 1883
1884
1885
1886
1887
1888
1889
6-61 M.
415 .
4-07 €
4-79 t
3-63 •
5-56 t
4-48 •
Die Dauer der Hochflut ist den einzelnen Strecken des Stromes nach
verschieden. Bei Pressburg währt dieselbe blos Tage lang, während an den
unteren Strecken Wochen, ja Monate vergehen, bis die Flut in ihr gewöhn-
liches Bett zurücktritt. In Ausnahmsfällen beträgt diese Dauer wohl 2 — 3,
ja sogar bis 5 Monate.
Die Charakterisirung der Hochwasser der kleineren Nebengewässer, —
welche sich hauptsächlich, von den Karpaten kommend in die Donau er-
giessen — wollen wir übergehen, da deren Hochflut ganz den Stempel der-
jenigen der Bergflüsse an sich trägt. Diese rapid anschwellenden Flüsse
richten, obwohl deren Hochflut von ganz geringer Dauer ist, teils ihres
plötzlichen Erscheinens wegen, teils aber auch von wegen der immensen
Menge des mitgeführten Gerölles, nicht selten ausserordentlich grosse Ver-
heerungen an.
Als das Musterbild dieser Flüsse wäre die Waag zu betrachten. Dieser
reissendste Fluss Ungarns erreichte im Jahre 1813, während einer drei-
tägigen Hochflut, die unglaubliche Höhe von 14 M. !
Von den Nebenflüssen mit geringerem Gefälle wäre die Baab hervor-
zuheben, deren Fluten sich bei deren Austreten im unteren Inundations-
gebiete gewöhnlich mit denjenigen der Donau vermengen. Bei hohem Was-
* Vom neuerdings geregelten 0 Punkt gerechnet, welcher seit dem Jahre 1876
um 9 cm. herabgesetzt wurde.
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DIE HOOHWASSEB- UND WASSEBBAÜ -ANGELEGENHEITEN UNGARNS. ^^
serdtande der letzteren tritt nicht nur bei der Baabmündang, sondern oft-
mals auch bei den übrigen Nebenflüssen der Donan, so auch bei der Tbeiss
z. B. ein derartiger Bückstau ein^ dass dies nicht selten ein Bückwärts-
fliessen der Wasser der genannten Nebenflüsse zur Folge hat.
Die Hochwasser der Drave sind ganz unberechenbarer Art. Es gibt
fast keine Jahreszeit, wo diese noch nicht erschienen wären. Die Dauer der
Hochflut beträgt gewöhnlich nur einige Tage, dehnt sich jedoch — höchst
selten zwar — in den unteren Strecken bis zu einem Monate und darüber aus.
Die Save zeigt die gleichen Eigentümlichkeiten in Betreff der Hoch-
flut. Ihre zahlreichen Nebenflüsse treten manchmal schon durch den Bück-
stau der Save aus, und verwandeln dann oft weite Strecken in Moräste
und Sümpfe, deren ungesunden Ausdünstungen die ganze Umgegend infici-
ren. Beide letztere Flüsse befinden sich — obwohl die Begierungen für^deren
Eegulirung schon namhafte Summen opferten — noch sozusagen im Urzu-
stände, da diese vereinzelten Begulirungsarbeiten bisher noch nicht mit dem
gehörigen Nachdruck fortgesetzt werden konnten.
Bei der Theiss sind es, im Gegensatze zur Donau, die Schneewasser
des Hochlandes, welche die gefährlichsten Anschwellungen dieses Flusses
verursachen. Nicht während des Eisrinnens, sondern erst zur Zeit der
Schneeschmelze der Karpaten erreicht die Theiss ihren höchsten Wasser-
stand ; das Sohneewasser des Flachlandes ist dann gewöhnUch schon abge-
flossen, obwohl gewisse klimatische Umstände ausnahmsweise auf. diese
Ordnung störend einwirken, so ;da8s das Earpaten-Schneewasser zum Teile
noch auf dasjenige der Niedenmgen trifft.
Eine besondere Bedeutung fällt den Eisverhältnissen daher nicht zu,
and obwohl die Eisstauungen oftmals ein locales Anschwellen des Flusses
zur Folge haben, geht das Eis für gewöhnlich ohne bedeutenderen Schaden
angerichtet zu haben ab, was die noch immer zahlreichen Krümmungen
dieses Flusses in Betracht gezogen, ein sehr günstiger Umstand zu nennen ist.
Im günstigen Sinne wirkt femer auch noch der Umstand, dass die
ausserordentlichen Hochwasser einzelner Nebenflüsse der Theiss mit denje-
nigen der Theiss selbst niemals zusammenzutreffen pflegen.
So auch bei der Maros und Koros, deren höchster Wasserstand bisher
noch niemals auf den höchsten Stand der Theiss traf. Man kam später auch
auf den Gedanken, den Abfluss der Hochwasser des Körös-C!omplexes durch
Durchstiche etc. derart zu regeln, dass dasselbe zuverlässlich noch vor dem
Erscheinen des Karpathen- Schneewassers der Theiss zum Abfluss gelange.
Die auf diese Weise erreichte Beihenfolge dürfte dann wohl hoffentlich
weiterhin nicht mehr gestört werden — es wäre denn, dass ganz abnorme
Verhältnisse einträfen, denen jedoch im Vorhinein nicht Eechnung getragen
werden kann.
Der höchste Wasserstand fällt also wie gesagt gewöhnlich auf die Mo-
üngarltohe Revue, XI. 1891. VIU— IX. Heft. ^
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690
DIB HOCHWASSER- UND WASSERBAU -ANOBLBOENHEITEN UNGARNS.
Date Mai, Juni. Die Höhe, welche die Anschwellungen erreichen, ist im All-
gemeinen in Folge der Eindeichungen bedeutend gestiegen, so dass z. B. am
Pegel bei Szegedin, welcher während der ausserordentlichen Hochflut von
1830 die bis dahin wohl kaum erreichte Höhe von 6*15 M. zeigte: seit der
Vollendung der Deiche fast jedes Jahr ein ähnlicher oder aber noch höherer
Wasserstand zu beobachten ist.
So waren die Pegelstände bei Szegedin seit dem Jabre 1874 folgende :
Im Jahre 1874
i 1875
t 1876
. 1877
« 1878
« 1879
t 1880
t 1881
6-97
6-3^2
7-86
7-95
7-20
806
6-27
8-45
M.
Im Jahre 1882
1883
1884
1885
1886
1887
1888
1889
6-91
7-38
6-31
5-65
5-34
6-60
8-47
8-05
M.
Die Dauer der Ueberschwemmungen dehnt sich natärlicherweise eben-
falls der Mändung des Flusses zu bedeutend aus, nur dass diese Dauer in
Folge des ausserordentlich geringen Gefälles der Theiss schon längs der
oberen Stromstrecken eine ausserordentliche zu nennen ist.
Schon bei Yäsäros-Nämeny bleibt die Rut manchmal wochenlang
ausserhalb ihrer Ufer, bei Szolnok währt es dann einen oder gar zwei Mo-
nate, von Gsongräd abwärts bis Titel wohl auch das halbe Jahr hindurch.
Die Nebenflüsse der Theiss zeigen sich sehr verschieden in Bezug ihrer
Hochwasser. SämmtUche besitzen jedoch ein mehr oder minder bedeuten-
deres Gefälle als die Theiss selbst.
Die Hochwasser der Szamos z. B. dauern Dank dem bedeutenden Ge-
fälle dieses Flusses blos einige Tage lang. Demgegenüber sind diejenigen der
Bodrog schon von bedeutenderer Dauer. Der Mündung zu kann es auch
nicht zu den Seltenheiten gezählt werden, wenn das Wasser erst nach Monats-
frist in sein regelmässiges Bett zurückkehrt. Die Hochwasser der Bodrog zei-
gen sich zwischen Februar und April.
Die Körös-Berettyo, das heisst der Complex, welcher unter dieser Be-
nennung zu verstehen ist, bringt ihr Schneewasser für gewöhnlich bereits
mit Beginn des Frühlings herab ; die Dauer zeigt sich den einzelnen Flüssen
nach verschieden, die vereinigte Koros — sogenannte: Härmas-Köröe,
Egyesült-Körös — jedoch pflegt bei grösseren Wassermengen erst nach 2—3
Monaten auf ihren regelmässigen Stand zurückzukehren, was auch schon
den Einflüssen der Theiss zuzuschreiben ist.
Bei der Maros, deren Flussgebiet sich fast über die Hälfte Sieben-
bürgens ausdehnt, zieht sich die Flut bereits nach 10 — 15 Tagen zurück.
Bei diesem Flusse sind manchmal die Frühjabrs-Hochwasser, manchmal
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DIE HOCHWASSER- UND WASSBBBAU-ANOBLEGENHEITBN UNGARNS.
691
wieder die im Sommer eintretenden die stärkeren, auch sind hier die Eis-
stauungen von besonders gefährlichem Charakter.
Von einer Dauer der Hochflut bei der Temes-Bega endhoh kann des-
halb nicht die Bede sein, da in Folge der Begulirung dieses Gomplexes auch
das Ablaufen der ausgetretenen Flut derart geregelt ist, dass das einmal aus-
getretene Wasser eigentUch nie mehr in das Flussbett zurückkehrt, sondern
anderwärts, teilweise mittelst Schleussen auf geeignete Art abgeleitet wird.
Nach diesen einleitenden Worten wollen wir auf die Besprechung der
durch diese Hochwasser verursachten Schäden übergehen, das heisst, wir
wollen uns auch diesbezüghch blos einen ungefähren Begriff von alldem
bilden, da uns über die Hochwasserschäden älteren Datums keine verläss-
lichen Aufzeichnungen vorliegen. Die von Seite des Chefs des königl. un-
garischen statistischen Landes-Bureaus, Ministerialrat Dr. Karl Keleti
schon im Jahre 1876 angeregte Idee einer die Hochwasserschäden und
Wasserbau- Angelegenheiten Ungarns betreffenden Statistik, welche nach lan-
gem Zögern der Begierung endlich auf Anordnung des gegenwärtig mit der
Leitung des ungarischen Handelsministeriums betrauten Ministers Gabriel
V. Baross verwirkUcht wurde, bedeutet, was die Hochwasserschäden selbst
betrifft^ wohl vorerst nur den Anfang, dessen Wert und Einfluss auf die
weiteren Begulirungsarbeiten sich erst nach jahrelangem sorgfältigem Weiter-
betrieb des diesbezüglichen Datensammlers zeigen muss, da die, durch die
Hochflut angerichteten Verheerungen, je älter das Datum, als desto unver-
lässlicher zu betrachten sind. Es bedeutet jedoch nichtsdestoweniger den
Beginn eines für Ungarn so wichtigen Zweiges der Statistik, welcher das
Land — wären die Bemühungen Keletts vom Anfang an von Erfolg ge-
wesen — nun schon um die Erfahrungen von 15 Jahren bereichert hätte.
Derjenige Teil dieser soeben erschienenen amtlichen Ausgabe * jedoch,
welcher die Wasserbau- Angelegenheiten behandelt, ist schon von viel grösserer
Präcisität, und lässt die Fortsetzung und Vervollkommnung des begonnenen
Werkes dem Staate ungemein günstige Besultate hoffen.
Vorläufig bedürfen die Daten, welche sich auf die Ausbreitung der
Hochwasser, sowie den angerichteten Schaden beziehen, selbstverständlich
noch einiger Vervollständigung, nachdem z. B. schon die technischen Arbeiten
bezügUch der Constatirung der Ausdehnung des Inundationsgebietes einzelner
Genossenschaften noch immer nicht beendet sind, — die Ausdehnung der
"i- «Magyarorsz^ vizeinek statisztikaja» Belltisi BaroRs G4bor keresk. m. kir.
minißzter ür megbiz^edböl kiadja az orsz. m. kir. statisztikai hivatal, felügyelete alatt
Bzerkesztette Zawadowski Alfred min. fogalmazö. (Die Statistik der Gewässer Un-
garns, im Auftrag des kön. ung. Handelsministers Herrn Gabriel Batoss von BeUus
herausgegeben durch das kön. ung. statistische Landesbureau, unter dessen Aufsicht
verfasst von Alfred Zawadowski, Min.-Concipist. Athenaeum 1891.)
44.
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692
DIE HOCHWASSER- UND WA86ERBAU-ANOELE6ENHBITBN XJNOABH8.
innerhalb dieser Genossenschaften siehenden Innndationsgebiete auch noch
grösstenteils unbekannt ist.
Desshalb wollen wir auch zunächst nur jene Innndationsgebiete in
Betracht ziehen, welche zur Deckung der Kosten des Hochwasserschutzes
innerhalb der einzelnen Genossenschaften gegenwärtig beisteuern.
Dieses gesammte Inundationsgebiet der bestehenden 47 Wasserschutz-
Genossenschaften beträgt gegenwärtig 4.199,21 1^ Joch, wovon auf
die Donau nebst Nebenflüssen 1.167,124 i^ Joch
€ TheisB € « 3.032,086 }S§B »
entfällt. Hiezu kämen noch die nicht im Bahmen der Genossenschaften
stehenden Complexe, deren Ausdehnung jedoch wie erwähnt vorläufig noch
unbekannt isi Doch bereits aus diesen Zahlen lässt sich schliessen, dass die
der Hochwassergefahr ausgesetzten, der Gultur grösstenteils bereits unter-
zogenen Gebiete von immenser Ausdehnung sind.
Nachdem die Verwüstungen, welche die zur Landplage gewordenen
Hochwasser während langer Zeit an diesem ausgedehnten Gebiete vollzogen,
leider schon nicht mehr zu bestimmen sind, einzelne Aufzeichnungen pri-
vater Natur von wegen ihrer Lückenhaftigkeit und Unzuverlässigkeit nicht
berücksichtigenswert erscheinen, so wollen wir nach Hinweis auf einzelne
ausserordentliche Hochwasser-Katastrophen gleich auf die Besprechung des
Hochwassers vom Jahre 1888 übergehen (bis auf welches sich die obge-
nannte PubUcation des königlich ungarischen statistischen Landes-Bureaus
erstreckt), nachdem die, auf dies Hochwasser bezüglichen Daten einigen Auf-
schluss über die Ausdehnung und den Schaden eines ebeo nicht ungewöhn-
lich zu nennenden Hochwassers geben könnten.
Die ausserordentlichen Hochwasser der Donau sind die bereits oben
angeführten, unter welchen diejenigen von 1775 und 1838 erwähnenswert
sind, welche — besonders aber das letztere — auch die Hauptstadt Ungarns
hart mitnahmen.
Uebrigens finden wir in den Annalen einzelne Aufzeichnungen aus
noch viel älterer Zeit. Die älteste derselben erwähnt einer Hochflut aus
dem Jahre 1012, in welcher c unzählige Menschen und Thierei umgekommen
sein sollen.
Die Jahre 1126, 1193 dann 1210 und 1211 sind gleichfalls als
Hochwasserjahre bezeichnet, jedoch erst im Jahre 1267 finden wir die erste
Spur eines Hochwassers, welches die Hauptstadt erreichte.
Es würde zu weit führen uns in diese — allenfalls^joteressanten, den
beschränkten Baum jedoch allzu sehr in Anspruch nehmenden — Einzelnhei-
ten einzulassen, wir begnügen uns daher blos noch das Hochwasser vom Jahre
1693 anzuführen, als erstes, dessen Höhe uns bekannt ist; nachem der ita-
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DOS HOOHWASSEB- UND WASSBBBAÜ-ANOELBGENHEITEN ÜKGABNS. 693
lienkche Gelehrte A. F. Marsigli dieselbe 1726 auch durch eine Zeichnung
veranschaulichte.*
Von den späteren Hochfluten der Donau seien noch diejenigen aus den
Jahren 1732, 1744, 1775 und 1799 erwähnt, welche unter Anderem auch die
Hauptstadt teilweise verwüsteten. Besonders bemerkenswert wäre das Jahr
1775, in welchem einzig und allein in der Stadt Pest 611 Häuser zu Grunde
gingen, was bei der damaligen Zahl der die Stadt bildenden Häuserzahl —
1 200 — als sehr grosser Percentsatz zu betrachten ist. Die letztgenannte
Hochflut vom Jahre 1799 endlich vernichtete den eben erst entstandenen
Stadtteil, die «Franzstadt», und richtete auch anderwärts erheblichen Scha-
den an. Es trugen daran ohne Ausnahme die Eisverhältnisse Schuld, welche
jene ungeheuren Stauungen verursachten.
Die traurigsten Erinnerungen knüpfen sich jedoch an das Jahr 1838.
In Folge der Eisanschoppung unterhalb der Hauptstadt schwoll der
Strom rapid bis zu der ausserordentlichen Höhe von 9*19 M. an. Am 6. März
trat die Flut schon an mehreren niedriger gelegenen Stellen der Ofener Seite
aus, und am 13. Abends durchbrachen auch die Pester Schutzdämme. Es
fielen diesem Hochwasser, Privatberichten ** zu Folge, 153 Menschenleben zu
Opfer, ausserdem stürzten von den 7510 Häusern der Hauptstadt insgesammt
2882 ein, 1363 aber wurden stark beschädigt.
Der Gesammtschaden dieses Hochwassers wurde auf 70 Millionen
Gulden geschätzt.
In neuerer Zeit war es das Jahr 1876, welches zu grossen Besorgnissen
Anlass gab. Die Donau setzte in diesem Jahre das zu einer königlichen Frei-
stadt und zu 116 Gemeinden gehörige Territorium von ungefähr 410,000
Cat.-Joch unter Wasser. Ausser 59 Mensehen kamen 4441 Hausthiere um
ihr Leben und wurden insgesammt 3296 Gebäude ruinirt.
Im Jahre 1883 war das dem Verbände von 48 Gemeinden zugehörige
Gebiet von 104,000 Cat.-Joch unter Wasser. Es waren wieder vier Menschen-
leben zu beklagen.
Die nennenswerteren ausserordentlichen Hochwasser der Nebenflüsse
der Donau waren:
Bei der iVaag das vom Jahre 1813, wobei 287 Menschen und 14,298
Hausthiere umkamen. Der Gesammtschaden wurde auf 4.638,898 Gulden
geschätzt.
Bei der Baab das vom Jahre 1883, wobei ausser dem mit dem Hoch-
wasser der Donau gemeinschaftlich inundirten Gebiete die Baab allein an
27,000 Cat.-Joch unter Wasser setzte.
* Marsigli A. F. C. Danubius, Pannonico-Mysicus etc. Amstelodami MDCCXXVI.
** Trattner: J^gszakadds ^s Duna kiiradius 1838-ban stb. magy. ford. Sz. J.
Bad^ 1848.
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694 DIE HOCHWASSER- UND WASSERBAU -ANaEUßÖENHETTEN UliöAfiNS.
Von den Hochwassern der Theiss sind die von den Jahren 1772, 1813,
1816 und 1817 nennenswert Besonders die beiden Letzteren, welche grös-
sere Verwüstungen anrichteten. Im Jahre 1816 war auch die Stadt Szegedin
teilweise unter Wasser.
Dann die Jahre 1830, 1853, 1855, 1860, 1867, 1876 und die Kata-
strophe vom Jahre 1879, welche die blühende zweitgrösste Stadt UngamB,
Szegedin, in einen Trümmerhaufen verwandelte, so dass selbst der Schaden
nicht mehr constatirbar war, indem die Administration daselbst natürlicher-
weise zu functioniren aufhörte, da es sozusagen keine Stadt mehr gab.
Es sollen jedoch in der Stadt 151 Menschen zu Grunde gegangen
sein> ausserdem wurden 5762 Grebäude ruinirt. Der Schaden soll ungefähr
llVa Millionen betragen haben.
Ausserhalb der Stadt fielen auch noch zwei Menschenleben dar Hoch-
flut zum Opfer, 7337 Gebäude wurden mehr oder minder beschädigt, der
Gesammtschaden betrug hier ungefähr 8 Millionen.
Die durch die Nebenflüsse der Theiss angerichteten Schäden näher
zu besprechen wäre nicht angezeigt. Insgesammt betrug das durch dieselben
inundirte Gebiet :
Im Jahre 1879 nngefähr 107,000 Cat.-Joch
. • 1881 t 204,000 . •
€ . 1887 . 154,000 . €
Wovon unter anderen entfällt :
Ajif die KSrös-BereUyö Auf die Terae8*B««a
Im Jahre 1879 88,000 17,000
i . 1881 163,000 38,000
• • 1887 42,000 90,000
Die Daten des Jahres 1888 wollen wir jedoch, da dieselben als die ver-
lässlichsten zu betrachten sind — sämmtliche Flüsse Ungarns bezüglieb
gleichzeitig anführen.
Es war in diesen Jahren das in den Verband von 5 königl. Frei-
städten und 462 Gemeinden gehörige Territorium von zusammen 777,739
Catastral-Joch unter Wasser. Hievon entfällt auf die
Donau sammt Nebenflüsse 134,810 Cat.-Joch
Theiss « • 642,929 « «
Speziell aber auf die
Donau 102,772 Cat.-Joch
Theiss 398,777 « «
Es war also 18*5 o/o des gesammten Territoriums der Genossenschaften
inundirt, und zwar bei der Donau 11*6 ^Iq, bei der Theiss 21*1 o/o des be-
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bre HOCHWASSER- UND WASSERBAU -ANOBLEGENHEITEN Ul^aARNS. 695
treffenden Gebietes. Ausser zwei Menschen verloren auch 4257 Haustiere ihr
Leben. Eigentümlich erscheint es, dass mit Ausnahme von einem verschwin-
dend kleinen Bruchteil sämmtliche Haustiere der Theiss zum Opfer fielen.
Nur ein geringer Bruchteil fallt auf die Waag, wo der Verlust von Haustieren
in Folge des plötzlichen Erscheinens der Hochflut nicht zu verwundem ist.
Von den ruinirten 7518 Gebäuden, welche einen Schaden von
979,503 fl. repräsentiren, fallen auf
die Donau nebst Nebenflüssen 148 Gebäude im Werte von 11,960 fl.
€ Theiss « « 7370 « « c c 967,5i3 t
Von dem an Haustieren und Gebäuden erlittenen Schaden fällt auf
die Donau nebst Nebenflüssen 1*2 o/o — auf die Theiss nebst Nebenflüssen
hingegen 98*8 Percent.
Der an Bodenerzeugnissen innerhalb der Inundations- Gebiete der Ge-
nossenschaften erlittene Schaden beziffert sich insgesammt auf 4.998,270 fl.,
wovon auf die Donau 981,088, auf die Theiss 4.017,182 fl. entfällt.
Es sollen diese Daten wie gesagt blos zum Zwecke angeführt sein, einen
beiläufigen Begriff von der Ausdehnung und dem angerichteten Schaden eines
Hochwasser- Jahres zu gewinnen, das betreffs der Höhe, welche die Flut
erreichte, wohl nicht zu den gewöhnlichen gehört, in Bezug des Schadens
jedoch nicht zu den ganz abnormen gezählt werden kann.
Nun wollen wir auch auf die, den Hochwasserschutz anstrebenden
Stromregulirungen und Wasserschutz- Bauten übergehen, und zwar soll die
Entwicklung derselben auch hier blos in allgemeinen grossen Zügen ver-
folgt werden, um uns sodann umso eingehender mit der Besprechung der
derzeit bestehenden Verhältnisse befassen zu können.
Einzelne Spuren von Flussregulirungen führen selbst bis in das graue
Altertum. Es sind das sowohl Ganalbauten als auch Schutzdämme, deren
Ursprung in die Zeit der römischen Herrschaft zurückführt.
Ausser den vom Kaiser Trojan herrührenden, vorzugsweise eine be-
queme Handelsverbindung mit dem Orient bezweckenden Bauten an der
unteren Donau, woselbst Trajan in der Nähe der Felsenriffe von Prigrada
auch Dämme errichten Hess, existiren auch Ueberreste von Flussreguli-
rungen aus Kaiser Probus' Zeiten. Es sind dies Ganalbauten, welche mit
der Save in Verbindung gebracht wurden. Dieselben führen auch gegen-
wärtig noch den Namen dieses Imperators.
Desgleichen befinden sich am linken Saveufer zum Schutze einzelner
Gemeinden aufgeführte Dämme, welche nach den, bei Gelegenheit neuerer
Ausbesserungs-Arbeiten vorgefundenen Münzen zu urteilen — ebenfalls auf
römischen Ursprung schUessen lassen.
Ausserdem verdient noch jener eigentümliche Graben erwähnt zu
werden, welcher sich im Ganzen und Grossen von Waitzen an der Donau
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ti?>6 DIE HOCHWASSER- UND WASSERBAU-ANGELEOENHBITBIN ÜNGABKS.
bis nächst Tokay hinzieht, von dort aus jedoch eine sädliche Richtung
nimmt, und die Niederungen des Theisstales durchkreuzend bis hinab zur
Donau reicht.
Man nennt diesen Graben von jeher t csörszÄrok». Was es für ein Be-
wandtniss mit demselben gehabt haben musste, ob derselbe zu Kriegs-
zwecken oder aber zur (Tommunication diente, ist bis jetzt eigentlich
noch fraglich, und obwohl sich an seiner Benutzung in letzterer Eigenschaft,
von dem Gutachten einiger Sachverständigen abgesehen^ auch eine uralte
ungarische Legende knüpft, kann dies doch keineswegs als ausschlaggebend
anerkannt werden.
Aus späteren Zeiten fehlt es an Aufzeichnungen und wohl auch an
grösseren Begulirungsuntemehmungen selbst. Einzelne, in den Gomitats-
Archiven aufgefundene Documente bezeugen jedoch, dass es schon während
der Herrschaft der ersten ungarischen Könige einzelne Hochwasserschutz-
Bauten gab. So z. B. besagt eine in dem Archiv des Bereger Comitats befind-
liche, über ein Besitztum ausgestellte Urkunde, dass im Jahre 1299 ein
gewisser «Andräs» an dem Flusse *Zypoa* eine tclausura» * besass. (re-
gen wärtig ist es fraglich, wo sich der Fluss «Zypoa» eigentlich befunden
haben mag, da seither selbst der Name desselben verschwunden ist.
Das sind jedoch blos vereinzelt dastehende Zeugnisse derartiger Unter-
nehmungen. Von der auf diesem Gebiete später immer reger werdenden
Thätigkeit zeugen erst einige Gesetz- Artikel des XVII. Jahrhunderts. So
z. B. der G.-A. XXVII vom Jahre 1613, welcher die Errichtung von Schutz-
dämmen an der Theiss und anderen Flüssen Ungarns mit Inanspruch-
nahme der öffentlichen Arbeitskraft verordnet. Es wurden unter König
Mathias II. (G. A. UV vom Jahre 1618), dann unter Ferdinand H. und HI.
(G.-A. XLn vom Jahre 1622; G.-A. XV vom Jahre 1625; G.-A. XIV vom
Jahre 1630; G.-A. LXIV vom Jahre 1635; G.-A. XIII vom Jahre 1638;
G.-A. CXXIX vom Jahre 1647) Commissionen zur Raab und der Donau
entsendet. Femer wurde eine Commission auch im Jahre 1659 (G.-Art.
LXXrV), dann im Jahre 1687 (G.-A. XVI) behufs Rectification des unteren
Laufes der Waag entsendet. Auch die Regelung des Raaber Donauarms
längs der Insel Schutt ward schon ins Auge gefasst, und zwar vorerst im
Jahre 1569, sodann im Jahre 1618 (G.-A. LIV) u. s. w.
In dieses Jahrhundert fällt auch der erste grössere Versuch einer
Regulirung der Theiss. Im Jahre 1646, also genau 2(K) Jahre vor der Inan-
griffnahme der allgemeinen Theissregulirungsarbeiten, wurde auf Anordnung
Georg Rdköczy's unter der Leitung belgischer und venetianischer Ingenieure
ein von Tärkäny — mit Inanspruchnahme des Bettes der Karcsa — bis
* Unter «clausiira» ist ein das Wasser hemmendes Werk zu verstehen, dessen
altungarisclie Bezeichnung: tsegye», tsz^gyei, «segistö» war.
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biB HOCHWASSER- UND WASSERBAU- AKGELEGEIJHEITEN UNGARNS. ^^7
Tokaj sich erstreckender Ganal ausgehoben, wodurch teils der Transport des
Salzes daselbst eine wesentliche Erleichterung erfuhr, anderseits aber auch
ausfi^edehnte Flächen fruchtbaren Landes der Cultur gewonnen wurden.
Mit ausserordentlichem Eifer wurden die Begulirungsarbeiten im
XVm. Jahrhundert betrieben. Unter Karl HE. wurde dem Landtage im
Jahre 1722 ein grossartiges GanaJisirungsproject unterbreitet. Es sollte
1 . Ein Ganal von Dob an der Theiss, durch Debreczin und Mezötur bis
Gsongr^ gezogen werden. 2. Sollte die Donau mit der Theiss entweder
durch die Linie Waitzen Szolnok oder Pest-Szolnok oder Hatvan-Szabadka
in Verbindung gebracht werden. 3. War ein GanaJ projectirt, welcher von
Äroktö aus gegen Füged in den Fluss Tarna münden sollte, des weiteren in
der Richtung von Tama-Örs und J^z-Dözsa ziehen und unterhalb Jäsz-
bereny mit der Zagyva, von hier aus endlich bei Szolnok auch mit der
Theiss in Verbindung gebracht werden. Die Ausführung dieses Projectes,
sowie auch des späteren, auf Anordnung Maria Theresia's durch hollän-
dische Ingenieure projectirten Ganalnetzes blieb jedoch aus. Bios ein Teil
des letzteren wurde verwirklicht, nämlich das Project der Trockenlegung der
Sümpfe und Moräste des «Banats», welches Werk, dank dem unermüdlichen
Eifer Mercy's nach Anleitung des holländischen Hydrotecten Max Fremaut
auch alsbald beendet wurde. In das Ende dieses Jahrhundertes fällt auch
der Beginn der Regulirung der Flüsse Särviz, Si6 und Kapos, der Trocken-
legung der Sümpfe des Särviz, welche Bauten schon damals zu den schön-
sten Hoffnungen berechtigten.
Während dieser Periode ward auch ein in grösserem Maasstabe ange-
legter Versuch mit Hochwasserschutzdämmen gemacht, uixd zwar mit sehr gün-
stigem Erfolg, welcher bei einem vereinzelten, relativ geringen Inundations-
gebiete wohl nicht ausbleiben konnte. Es wurde also derart durch die
Errichtung eines 32,000° langen Schutzdammes ein Gebiet von ungefähr
100,000 Joch fruchtbaren Landes gewonnen.
Auch wurden in dieser Zeit, dem Beferate des damaligen königl. Gom-
missärs Grafen Franz Zichy nach, fünf Donaukrümmungen bei Mohäcs und
Paks mittelst Durchstichen beseitigt, wodurch diese Stromstrecke um 17,650**
verkürzt wurde.
Das grösste Werk dieser Periode jedoch war die topographische und
hydrographische Aufnahme aller bedeutenderen Flüsse Ungarns. Diese vom
Palatin Erzherzog Josef initiirte, im grossartigsten Style unternommene
Arbeit konnte den späteren Regulirungsprojecten als Basis dienen, und
wurde dieselbe auch selbst durch die im Jahre 1879 ihr Gutachten über die
Flussregulirungen Ungarns abgebenden ausländischen Experten als ausser-
ordentliche Leistung gewürdigt.
Der erste Schritt zur Regulirung des eisernen Thores fällt ebenfalls in
den Anfang des XIX. Jahrhunderts. Auf Anregung des Grafen Stefan
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698 DIE HOOHWABSER- UND WASSEBBAÜ-AKGELEORNHEITBli TJNaARKS.
Szichenyi, welcher später die Seele aller unternommenen Begnlirangsbauten
ward — machte der ausgezeichnete ungarische Ingenieur Paul Väsdrhelyi
im Jahre 1830 die Scbiffahrthindemisse der unteren Donan zum Gegenstand
eingehenden Studiums — es wurde jedoch^ nach Anlegen eines 60^ langen
und 16^ breiten Schiffahrts-Ganals längs der Felsenriffe von Dajka» von
weiteren Arbeiten vorläufig abgesehen.
Acht Jahre hernach trat die Katastrophe von 1838 ein, welche die
Aufmerksamkeit des gesammten ungarischen Volkes auf das geschehene
Unglück sowohl, als auch auf das weitere Schicksal der Hauptstadt lenkte.
Ueber die Ursache dieser Katastrophe war man nicht im ZweifeL Es
handelte sich nur um die Eliminirung derselben, nämlich einen geeigneten
Modus zu finden, wie sich die Eisanschoppungen unterhalb der Hauptstadt
verhindern Hessen ?
Es wurden diesbezüglich so zahlreiche conträre Meinungen laut, dass
sich die Sache ausserordentlich in die Länge zog und es gingen denn auch
mehr als 40 Jahre vorbei, bis diese so wichtige Frage endhch eine endgil-
tige Lösung fand.
Doch wollen wir vorerst die, während jener langwierigen Beratungen,
Gutachten u. s. w. anderwärts unternommenen Begulirungen verfolgen.
Auf Grund der oberwähnten hydrographischen Aufnahmen richtete
nämlich der Palatin schon im Jahre 1842 ein Memorandum, welchem auch
ein diesbezüglicher Gesetzentwurf beigeschlossen war, an den damaligen
königl. ungarischen Statthaltereirat. Das Memorandum blieb jedoch erfolg-
los — der Gesetzentwurf selbst gelangte nicht einmal zur Behandlung.
Das ausserordentliche Hochwasser vom Jahre 1845 liess jedoch kein
Verschieben mehr zu, so dass sich der Palatin veranlasst sah, die Direction
des königl. ungarischen Landesbaurates anzuweisen : unverzüglich ein Pro-
ject zur Begelung der Theiss auszuarbeiten, und berief auch gleichzeitig
die Interessenten der Inundationsgebiete des Theisstales für den 12. Juni
1845 zur Beratung.
Der Versammlung, unter deren Mitgliedern sich auch der später mit
der Leitung dieses grossen Werkes betraute Graf Szechenyi befand, lag
bereits das während dessen schon beendete Project Paul Vdsärhelyi's vor.
In Folge der Beratungen äusserte sich die Versammlung wohl sehr aner-
kennend über dieses Project — hielt es jedoch für zweckmässig, zuvor auch
noch das Gutachten ausländischer Sachverständigen zu vernehmen.
Den Bemühungen Szechenyi' s gelang es in der am 26. Jänner 1846 in
Pest abgehaltenen Versammlung die Interessenten zur Constituirung der
nTlieisstal' Gesellschaft zu bewegen. Es wurde eine bindende Erklärung
unterfertigt, ein executives Gomite gewählt und nun begann sich unter der
Leitung Szeehenyi's eine rege, aller Anerkennung würdige Thätigkeit zu
entfalten.
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DIE HOCHWASSER- UND WASSERBAÜ-ANGBLEOENHEITRN UNGABNS. ^^^
Trotz des verschwindend geringen Geldfondes, über welchen die Ge •
Seilschaft verfügte — es waren das insgesammt 400,000 fl. — war man
nach Zusammentritt der Interessenten jedes abgegrenzten Inundations-
gebietes zu Genossenschaften alsbald so weit, dass es nur noch an der An-
nahme des Begulirungs-Projectes lag, um mit den Arbeiten unverzüglich
beginnen zu können.
Es wurde denn auch, dem Wunsche der ersten Generalversammlung
gemäss, die Beruftmg des Oberdirectors des venetianischen Bauamtes Peter
Paleocapa beschlossen, welcher im Bufe eines der ausgezeichnetsten Hydro-
tecten stehende Ingenieur sein Gutachten nach üeberprüfung der Projecte,
und Inaugenscheinnahme des Theisstales alsbald dem Grafen Szechenyi
überreichte.
Es sei nur in Kürze erwähnt, dass das Project Yäsirhelyi's haupt-
sächlich auf je rascheren Abfluss des Hochwassers abzielte, was Yäsärbelyi
durch das Ausheben von 120 Durchstichen erreichen wollte, wodurch die
Bahn des Flusses um 458'518 Kilometer verkürzt worden wäre. Das Gefälle
der Theiss zu vermehren, schien ihm deshalb als unumgänglich not-
wendig, da dasselbe gleich dort, wo der Fluss die gebirgigeren Gegenden ver-
lässt, schon ein ungemein geringes ist. Bei Kärad hat die Theiss nämlich nur
mehr em Gefälle von 00001 8, von Tisza-Eoff abwärts aber sogar nur 0*00002
und O'OOOOl Meter I Paleocapa hingegen legte das Hauptgewicht auf das
Errichten von Sehutzdämmen und behandelte die Durchstiche nur neben-
sächlich, deren er blos 21 als unumgängUch notwendig erachtete, wodurch
die Theiss sonach blos eine Verkürzung von 205*325 Kilometer erlitten
haben würde. Nach Paleocapa's Ansicht wären jedoch gegen das Ausheben
weiterer Durchstiche, welche durch locale Verhältnisse geboten erschienen —
keine Einwendungen zu erheben.
Nachdem man sich für das Project Paleocapa*8 entschieden hatte,
wurden die Arbeiten, deren Gesammtkosten auf 7.797,356 fl. veranschlagt
waren — hauptsächlich nachdem Se. Majestät der König für die nächst-
jährigen Arbeiten einen Credit von einer Million Gulden concessionirte —
noch in demselben Jahre — 1846 — mit aller Energie in Angriff genommen.
Es begann das Ausheben der Durchstiche und das Errichten der
Schutzdeiche, zu deren Beginn Szechenyi eigenhändig den ersten Spaten-
stich that. Die Arbeiten schritten nun rasch vorwärts, bis der ungarische
Freiheitskampf denselben auf längere Zeit Einhalt that.
Nach Beendigung des letzteren wurden die Arbeiten von Neuem auf-
genommen. Die Administration der Agenden der Theisstal- Gesellschaft
wurde jedoch im centralistischen Sinne einer gänzlichen Umänderung
unterworfen, desgleichen wurde auch nach den Hochwassem von 1853
und 1855,-*- deren jedes bedeutender war als das vom Jahre 1830 —
welche denn auch fast sämmtliche Schutzdämme hinweggefegt hatten, zur
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700 DIE HOCHWASSER- UND WASSERBAU-ANGELEGENHEITEN UNGARNS.
Bevision der Begulirungs-Pläne selbst geschritten. Man vereinigte nun auf
Anraten des österreicbisohen Ministerialrates Florian y. Pasetti die Projecte
Väsärhelyi's und Paleocapa's zu einer Composition von Durchstichen und
Bohutzdämmen.
Die Durchstiche verteilten sich nun den einzelnen Siaromstrecken nach
folgendermasf en :
Nach y^sirfaelTi's Nach Paleocapa*« Nach c
I. Tisza-Ujlak — Väsdros-NÄm^ny
n. Yäsäros-Näm^ny — Csap __. ___
in. Csap— Tokaj
IV. Tokaj— Szohiok
V. Szolnok — CßongrÄd
Vi. CsongdLd — Szeged _ .„
Vn. Szeged— Titel
Projecte
Pnieete
oomhinirten Proi«ete
u
—
u
12
—
u
- 37
—
33
30
11
28
7
4
4.
7
1
7
13
5
11
Summe ... 120 21 111
Es gingen nun die Arbeiten, trotzdem es der Theisstal-Gesellscbi^
erst nach Ueberwindung zahlreicher Schwierigkeiten gelang, endlich mit d^
Wiener Bank einen, für diese Bank sehr vorteilhaften Credit abzuschlies-
sen — dennoch rasch von statten.
Im Jahre 1860 war bereits ein Inundationsgebiet von zusammen
1 «7064 02 Joch durch Dämme geschützt, deren Gesammtlänge ungefähr
376,000'' betrug. Die Eostenderseiben beliefen sich bis dahin auf 5.801,378
Gulden.
Von den Durchstichen war im selben Jahre (in einer Gesammtlänge
von 40,000^) bereits 544,432 ia° Material ausgehoben, was die Summe
von 1.991,078 fl. in Anspruch nahm.
Es war daher bis dahin bereits die Summe von 7.792,456 fl. für die
Theissregulirung verausgabt worden.
Während die Arbeiten im Theisstale mit ungeschwächter Energie
fortgesetzt wurden, war man bezüglich der Sicherung der Hauptstadt noch
lange nicht zu einem endgiltigen Entschluss gekommen. Hauptsächlich
machte sich auch hier der Mangel an finanziellen Mitteln fühlbar, weshalb
auch der Eifer für die Sache schon ziemlich zu erlahmen schien, bis es
endlich dem kgl. Oberingenieur Franz Reitter gelang, die Stadt durch
sein jedenfalls originelles Project aus ihrer Lethargie aufzurütteln.
Zu der Annahme seines Projectes gelang es ihm wohl nicht die mass-
gebenden Kreise zu gewinnen, immerhin ist es jedoch seinen Bemühungen
zu danken, dass man sich doch zum Wenigsten von Neuem mit der Sache
zu befassen begann. Und diesmal führten die Beratungen auch endlich zu
einem günstigen Resultat.
Durch den G. A.: X. v. J. 1870 wurde die Regierung ermächtigt, eine
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DIB HOCHWASSER- UND WASSERBAU -ANGELEGENHEITBN UNGARNS.
701
Anleihe von 24 Millionen zu schliessen, welche Summe zum Teil zur
Sicherung der Hauptstadt verwendet werden sollte.
Gleichzeitig wurde die Beviaion aller früheren diesbezüglichen Pro-
jecte vorgenommen, worauf ein ganz neues Project ausgearbeitet wurde,
welches dann im Jahre 1871 durch die Legislative die Genehmigung
erhielt.
Die Eegulirungs-Arbeiten, deren Kosten auf 7.730,535 fl. 10 kr. ver-
anschlagt waren, wurden auch bereits im September desselben Jahres in
Angriff genommen. Während der Ausführung des Projectes zeigten sich
jedoch einige Abweichungen von demselben als zweckmässig, deshalb wol-
len wir hier nur die faktisch unternommenen Arbeiten kurz aufzählen.
An dem oberen Ende der Margarethen-Insel wurde ein Wasserteil-
werk erbaut, dann das Strombett von oberhalb der Margarethen-Insel bis
unterhalb des Blocksberges stellenweise entsprechend verengt, so
dass die bis dahin allzugrossen Differenzen der Strombreite ausgegli-
chen wurden.
Um die mit den meisten Gefahren drohenden Eisstauungen unterhalb
der Hauptstadt zu verhindern, wurde der SoroksÄrer Donauarm weiter unter-
wärts der oberen Mündung desselben durch einen Sperrdamm verschlossen,
in welchen; behufs Verhütung gänzlicher Verschlammung dieses Donau-
ArmeS) eine Schleusse von 20 M. Lichtenweite gefügt wurde.
Um nun auch das Eindringen des Eises in den Soroksärer Donau- Arm,
und dadurch das Stauen desselben an der oberen Spitze der GsepeMnsel zu
verhindern, wurde auch die obere Mündung dieses Donau-Armes durch ein
Parallelwerk derart teilweise verschlossen, dass der gesammte Eisstoss in
den Promontorer Arm dirigirt werde, gleichzeitig aber auch eine genügende
Menge frischen Wassers durch die belassene Oeffnung und weiters durch die
Schleusse des Sperrdammes in den unteren Teil des Soroksärer Armes gelange.
Diese Arbeiten waren nach fünfjähriger Arbeitsaeit im Jahre 1875 be-
endigt, und nahmen insgesammt die Summe von 8.186,000 Gulden in An-
spruch.
Gleich nach Bewilligung der Kosten dieser Begulirungsarbeiten be-
schäftigten die Begierung einesteils die (Tonflicte, anderseits aber auch die
finanziellen Galamitäten, in welche einige der Theiss-Begulirungagenossen-
schaften geraten waren. Dieselben häuften sich derart, daas ein diese An-
gelegenheiten gründlichst regelndes Gesetz zur brennendsten Notwendigkeit
wurde. Es kam demnach auch endlich der Gesetz- Artikel XXXIX vom
Jahre 1871 zu Stande, welcher sowohl die Begelung der inneren Angelegen-
heiten der Genossenschaften bezweckte, als auch die zur Hebung des Gredites
derselben als genügend erachteten Verfügungen enthielt. Hauptsächlich
aber die Verordnung, dass die als Zusteuerungsquote zu den Kosten der
Begulirungsarbeiten auf einen Teil des Inundationsgebietes fallende Summe
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702 DIE HOCHWASSER- UND WASSERBAU -ANGELEOEKHEITEN UNGARNS.
als eine, dieses Territorium belastende solche Schuld zu betrachten sei,
welche — mit Ausnahme der Steuerrückstände — allen intabulirten und
nicht intabulirten Forderungen vorangeht
Um sich einigen Einfluss auf die Regelung der inneren Angelegenheiten
der Genossenschaften zu sichern, behielt sich die Begierung das Recht vor,
im Falle eine der Genossenschaften in irgend einer Art in Calamitäten
geraten sollte, die Ordnung dieser Angelegenheit einem Begierungscom-
missär übertragen zu können.
Dieses Gesetz erwies sich jedoch mit der Zeit als unzulänglich. Da der
Begierung den Gtenossenschaften gegenüber fast gar kein discretionelles Becht
zu Gebote stand, fühlten sich die Letzteren recht unabhängig, wovon Ge-
brauch zu machen sie auch keineswegs ermangelten.
Nachdem nun aber ein einheitliches Vorgehen der Genossenschaften
eine der Hauptbedingungen des Erfolges der Theiss-Begulirungsarbeiten bil-
dete, war man genötigt der Begierung auch ein entsprechendes Einmischungs-
recht in die Agenden der Genossenschaften einzuräumen, dann aber auch
die Mittel in die Hand zu legen, dass sie im Stande sei, ihren Anordnungen
den gehörigen Nachdruck zu verleihen.
Dies bezweckte auch endlich der Gesetz-Artikel XXXIV vom Jahre
1879, welcher diesen Uebelständen abzuhelfen bestimmt war.
Namentlich erwiesen sich aber auch die, auf das Schliessen von An-
leihen bezüglichen §§. des Gesetz- Artikels XXXIX vom Jahre 1871 als unge-
nügend, da von Seite der Geldinstitute gegenüber den Genossenschaften
noch immer die grösste Reserve beobachtet wurde, und zwar deshalb, weil
dem Gesetze nach der Gredit-Anstalt gegenüber blos die Genossenschaft als
solche verpflichtet war, die Begünstigungen aber, welche seitens des Staates
betreffs der Amortisation der Anleihen eingeräumt wurden, nur die durch
die Genossenschaft approbirte Zusteuerungsquote betraf, folgUch die Besitzer
der einzelnen Teile des Inundationsgebietes der Gredit-Anstalt gegenüber
weiter keine Verpflichtungen hatten.
Um das Zustandekommen der Anleihen nunmehr so weit als möglich
zu fördern, wurde der betreffende Artikel derart abgeändert, dass dieselben
Begünstigungen nicht nur betreffs der Eintreibung der Beisteuerungsquote,
sondern der Anleihe selbst, als auch deren Amortisationsquoten und Zinsen
zugesichert worden.
Betreffs der Erweiterung der Bechte des Staates verfügte das Gesetz,
dass die Regierung ermächtigt werde, im Falle eine Genossenschaft trotz der
Ermahnung von Seite der Regierung, ihre Schutzwerke etc. nicht in dem
entsprechenden Zustande halten sollte: die betreffenden Reconstructions-
arbeiten auf administrativem Wege und auf Kosten der betreffenden Ge-
nossenschaft anzuordnen und durchführen zu lassen.
Im Jahre des Zustandekommens dieses Gesetzes wurde das Land
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DIB HOCHWASSEK- tWD WASSERBAU-ANGELEGENHEITEN UNGARNS. 703
jedoch von einem harten SohioksalHSchlage betroffen^ der von Neuem die
ganze Energie der Begierung in Ansprach nahm.
Das traurige Yerhängniss, welches die Stadt Szegedin ereilte, erschüt-
terte nicht nur das ganze Land^ sondern es erweckte auch die Teilnahme des
gesammten Auslandes für die unglückliche Stadt.
Es wurden in Folge dessen auch alsbald Stimmen laut^ welche das bei
der Begulirung der Theiss bisher befolgte System bemängelten und in der
angebUch falschen Wahl desselben die Ursache des Unterganges Szegedins
erblickten.
Um die allgemeine Missstimmung der Bevölkerung zu beschwichtigen^
sah sich denn die Begierung veranlasst^ dieses System, sowie auch dessen
Durchführungsweise einer eingehenden Fachkritik zu unterwerfen, und ging
auch zu diesem Zwecke mehrere ausländische Begierungen an, einige ihrer
im hydrotechnischen Fache tüchtigsten Kräfte behufs Ueberprüfung des
Systemes zu delegiren.
Die von Seite der französischen, deutschen, italienischen und hollän-
dischen Begierung delegirten Sachverständigen überreichten, nach genauer
Prüfung der Verhältnisse und der betreffenden Arbeiten, alsbald ihr Gut-
achten der Begierung.
Das Gutachten befasste sich hauptsächlich mit der Sicherung der Stadt
Szegedin, erstreckte sich jedoch nicht nur auf die Begulirungsarbeiten längs
der Theiss und ihrer Nebengewässer, sondern es betraf auch die, zum Schutze
der Hauptstadt bereits durchgeführten, sowie auch die längs des sogenannten
eisernen Thores eventuell durchzuführenden Begulirungsarbeiten.
Der im Grossen und Ganzen den bisherigen Begulirungsarbeiten
zustimmende Bericht enthielt dennoch auch einige begründete tadelnde
Bemerkungen. Hauptsächlich bemängelten unter anderem die Experten die
stellenweise, insbesondere längs der Stadt Szegedin allzu geringe Breite des
Vorgebietes ; als auch den Umstand, dass die Schutzdämme nicht der allge-
meinen Bichtung der Hochwasserflut angepasst seien, sondern hie und da
längs der Krümmungen des Flusses laufen. Bezüglich der zum Schutze der
Hauptstadt bestimmten Werke sprach sich die Gommission sehr anerkennend
aus — nur wollte sie das am oberen Ende des Soroksärer Donau- Armes
befindliche Parallel werk niedriger haben, den Sperrdamm dieses Donau- Armes
aber in einen Ueberlassdeich verwandelt sehen, da ihrer Ansicht nach der
Promontorer Donau- Arm nicht im Stande sein würde allein so immense
Wassermassen abzuleiten, wie z. B. diejenigen, welche sich im Jahre 1876
zeigten. Betreffs der Begulirung des sogenannten «eisernen Thores» endlich
hielten die Experten unter Anderem am zweckmässigsten, längs der Felsen-
riffe von Prigrada einen Schleussen-Canal zu errichten, dessen Kosten sie
sammt den übrigen Arbeiten auf 24. 144,480 Francs veranschlagten.
Die Erweiterung des Vorgebietes entschloss sich die Begierung auch so
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704 DIE HOCHWASSER- UND WASSEBBAU-ANGELBeENHEITEN UNaARNS.
weit es die Verhältnisse eben erlaubten^ durchführen zu lassen, und zwar
wurde die normale Breite desselben von Tokaj bis Szegedin auf 760 M.,
von da ab jedoch mit Bücksicht auf die Wassermassen der Maros auf 800 M.
Die Schutzdämme sollten ebenfalls den Umständen entsprechende Di-
mensionen erhalten, wobei eine Höhe von 1 M. über den bisher höchsten
Wasserstand, nebst einer Eronenbreite von 4 M. genügend schien.
Die Begelung des Yorgebietes war jedoch keine geringe Aufgabe. Es war
anlässlich des Baues der Schutzdämme, infolge der allzu grossen Selbststän-
digkeit der Wasserschutz-Genossenschaften, von Seite der letzteren meisten-
teils ihren speciellen Interessen entsprechend vorgegangen worden. Auch wäre
die Einhaltung eines einheitlichen Vorgehens schon von Anfang an auf
Schwierigkeiten gestossen, nachdem beim Beginne der allgemeinen Theiss-
Begulirung an vielen Orten Schutzdämme bereits vorhanden waren, deren
Verschiebung aus finanziellen Gründen damals nicht geraten schien.
Hauptsächlich waren es die Schutzdämme der «Felsö torontäli tärsulatt,
welche in der Zeit von 1816 — 184fO, also gleichfalls noch vor der Ausführung
des Theiss-Beguliruugsprojectes' erbaut waren. Diese, derzeit mit Inanspruch-
nahme der öffentUchen Arbeitskraft errichteten Dämme übergingen später
in den Besitz der Interessenten, welche sich nun weigerten, dieselben von der
Nähe des Ufers zurückzuziehen, da sie selbe seither schon wiederholt er-
höhten und verstärkten. Obwohl nun diese Genossenschaft schon vorher dea
öfteren von Seite der Regierung zum Auflassen ihrer Dämme ermahnt wurde,
weigerte sich erstere immerwährend dieser Anordnung Folge zu leisten, und
zwar auf Grund dessen, dass die Regierung zur Zeit der ersten Errichtung
der Dämme gegen dieselben keine Einwendungen erhoben hatte.
Dergleichen Schwierigkeiten gab es noch mehrere, so dass die Durch-
führung der schon längst geplanten, und nun auch von Seite der Experten
als notwendig erkannten Vergrösserung des Keceptionsvermögens des Vor-
landes auf grosse Schwierigkeiten stiess.
Dem gegenüber, dass die Schutzdämme die Krümmungen des Flusses
und nicht die Abflussrichtung der Hochwasser verfolgten, Hess sich auch vor-
erst nur wenig thun, da die Durchschnitte sich von wegen ihrer geringen
Dimensionen teilweise noch immer nicht zum Flussbette ausgebildet hatten,
folglich das alte Flussbett auch an solchen Stellen noch nicht überdeioht
werden konnte.
Man musste also vorerst auf die je raschere Ausbildung der Durch-
stiche selbst bedacht sein, zu welchem Zwecke denn auch schon seit Jahren
bedeutende Summen geopfert wurden, nachdem die derzeit mit minimalen
Dimensionen ausgehobenen Durchschnitte, besonders in der unteren Theiss-
Gegend den oberen entgegen bedeutend zurückgeblieben waren.
BetreflEs der Begulirung der Budapester Stromstrecke endlich trachtete
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DIE HOOHWABSBB- ÜMP WASSBBBAU-AKOELEOENHEITEN CNGABN8. 705
die Regierung die Bedenken der Bevölkerung dadurch zu zerstreuen, dass
man den Sperrdamm sowohl, als auch das an der oberen Mündung des
Soroksärer Donau-Armes befindliche Parallelwerk dermassen zu schwächen
beschloss, dass dieser Donau-Arm im Notfalle in kürzester Zeit frei ge-
geben werden könnte. Auch entschloss man sich das (Tonsumationsvermögen
des Promontorer Donau-Armes nebstbei durch Baggern entsprechend zu
Yergrössem.
Die Beratungen über die Zweckmässigkeit des Projectes der Begulirung
des f eisernen Thores» endlich wurde einstweilen wegen deren geringerer
Dringlichkeit verschoben.
Vorläufig war die Regierung vollauf beschäftigt, die untergangene
Stadt Szegedin in einer allen wirtschaftlichen und commerciellen Anforde-
rungen entsprechenden Art zu reconstruiren. Bis zur Feststellung des Re-
construotionsplanes wurden einstweilen blos (Toncessionen erteilt, die zu
Wohnungen und Waarenhäusem unumgängUch notwendigen Liocalitäten
provisorisch herzustellen, wobei der Besitzer verpflichtet war — im Falle das
provisorische Gebäude mit den Reconstructionsplänen nicht im Einklang
sein sollte : dasselbe auf eigene Kosten demoliren zu lassen.
In der That entstanden auch in kürzester Zeit an 4000 solcher provi-
sorischer Bauten, welche meistenteils nur aus einem Zimmer und Küche
bestanden, doch war auf diese Weise wenigstens dem unmittelbarsten Elende
gesteuert.
Auf längere Zeit hin war dieser Zustand jedoch teils vom technischen,
teils auch schon vom hygienischen Standpunkte aus unhaltbar, weshalb die
Regierung mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln den endgiltigen Ausbau
der Stadt zu beschleunigen trachtete. Um den zerrütteten Finanzen der
Stadt aufzuhelfen, wurde derselben — nachdem sie nicht im Stande war, ihre
Schutzdämme in wehrhaften Zustand zu versetzen, ja sogar zur Deckung der
eigenen administrativen Auslagen die Hilfe der Regierung in Anspruch zu
nehmen genötigt war — einesteils die bis dahin vorgestreckte Summe von
369,042 fl. 56 kr. erlassen, anderseits aber wurde der zum Schutze der Stadt
unbedingt notwendige Ringdamm auf Kosten des Staates neu aufgeführt,
welcher dann nach dessen Beendigung unentgeltlich in den Besitz der Stadt
Szegedin überging.
Ausser dieser Unterstützung musste die Regierung auch auf die spätere
Zukunft bedacht sein. Um sowohl der Stadt selbst als auch den Genossen-
schaften des Theiss-Thales <lie Existenz auch für die Zukunft zu sichern, er-
mächtigte der Gesetz- Artikel XX vom Jahre 1880 die Regierung, eine Anleihe
von 40 Millionen zu schliessen, welche Summe durch Emittiren von Obliga-
tionen im Nominalwerte von 44 MilUonen zu decken wäre.
Von den 40 Millionen entfielen dem Gesetz-Artikel nach 25 Millionen
auf die Theiss-Thal-Genossenschaften, wodurqh dieselben i)iren älteren Yer-
UngulMbe BeTue. Xf. 1891. VIU-IX. H«ft. 45
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706 DIE HOCHWASSER- UND WASSEBBAU-ANOELBOENHEITEN ÜNGABNS.
pflichtungen nachzukommen mid hauptsächlich die auf Grand des Gesetz-
Artikels XXXV vom Jahre 1879 erhobenen provisorischen Staatsvorschüsse
zu convertiren im Stande waren. Des Weiteren fielen auf die Errichtung von
öflfentlichen Gebäuden in Szegedin 5 Millionen, — zum Behelf der geschä-
digten Einwohner, behufs Wiedererbauung ihrer Wohnhäuser aber 10 Mil-
lionen.
Die einzelnen Anordnungen dieses Gesetz-Artikels erfuhren mit der
Zeit einige den Umständen angepasste Umänderungen und so gelang es
endlich — nach grossen Schwierigkeiten zwar — das begonnene Werk der
Reconstrairung auf befriedigende Weise zu Ende zu fähren.
Das nächstfolgende Jahr kam auch die Angelegenheit der Besteuerang
der geschätzten Inundationsgebiete zur Hegelung.
Bis dahin war seit dem in Bechtskrafttreten des Gesetz- Artikels XXV
vom Jahre 1868 alldenjenigen Inundationsgebieten, welche mittelst kost-
spieliger Schutzbauten culturfähig gemacht worden, eine Steuerfreiheit
von 15 Jahren zugesichert, welche Verfügung durch den Gesetz- Artikel VII
vom Jahre 1875 auch erneuert wurde.
Nun war jedoch dieser Termin nicht entsprechend, da die Genossen-
schaften ausser den ersten Investitionen durch das stete Anwachsen des
Hochwasser- Niveaus zu immer grösseren Auslagen gezwungen waren, und
neuestens ein abermaliges Verstärken der Schutzdämme in Aussicht stand, so
dass nebst diesen Kosten die Möglichkeit des Erschwingens der eventuellen
Besteuerungsquote in Frage stand.
Wohl besagt der §.18 des Gesetz- Artikels VII vom Jahre 1875, dass
die Kosten, welche das Instandhalten der Schutzwerke erheischt, zu den
ordnungsmässigen wirtschaftlichen Auslagen zugeschlagen werden sollen, die
Durchführung dieser Anordnung erwies sich jedoch als unausführbar. Dort,
wo das betreffende Werk einer einzelnen kleineren Parzelle zum Schutze
diente, hatte es weiter keine Schwierigkeiten. Anders verhielt sich die Sache
jedoch dort, wo ausgedehntere (Komplexe in Frage standen. Es war die
Durchführung des betreffenden Paragraphen in dem Falle auch schon des-
wegen unmöglich, weil die Kosten des Hochwasserschutzes meistenteils nur
auf Grund von einfachen Verträgen eingehoben wurden, welch letztere die
Genossenschaft mit den einzelnen Gemeinden abschloss, somit eigentlich
nicht dem Grundbesitzer die, dem Verhältnisse seines Inundationsterrains
angemessene Quote zufiel, sondern für die Kosten des Hochwasserschutzes
sämmtlicher in den Verband der betreffenden <jlemeinde gehörigen Inun-
dationsgebiete die gesammte Gemeinde aufkommen musste.
In solchen Fällen war demnach die, auf die einzelnen Parzellen &1-
lende Quote umso weniger bestimmbar, als die technische Aufnahme des
Inundationsgebietes bei den meisten Genossenschaften, deren nicht geringer
Kostspieligkeit wegen immer noch hinausgeschoben wurde.
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DIE HOCHWASSER- UND WASSERBAU -ANGELEGENHEITEN UNGARNS. 707
Anderseits führte dieses Vorgehen auch in vielen Fällen zu Unbillig-
keiten, Wurde der fragliche Acker mit Rücksichtnahme auf die oberwähnten
Rosten in eine höhere Glasse der Grundsteuer gereiht, so wurde der catastra-
lische ßeiügewinn ohne Grund um ein Erhebliches herabgesetzt. Wurde der-
selbe jedoch in der früheren Classe belassen, dann war wieder den Erhaltungs-
kosten der Schutzwerke nicht Rechnung getragen. Endlich waren bei der
Repartition der Participirungsquoten innerhalb der einzelnen Genossen-
schaften grundverschiedene Systeme in Anwendung, und es gab einzelne
Complexe Ackerlandes, welche von wegen der enormen Besteuerungsquote
in absolut keine Glasse der Grundsteuer einzureihen waren.
Diesen Uebelständen abzuhelfen, so wie auch anderseits nicht nur
die ünterhaltkosten, sondern auch die Zinsen des investirten Capitales in
Rechnung zu ziehen, kam der Gesetz- Artikel XLII vom Jahre 1881 zu
Stande.
Dieser Gesetz-Artikel regelte in erster Reihe den Termin der gänz-
lichen Steuerbefreiung, indem die bisherigen Anordnungen dahin modificirt
wurden, dass die 15jährige Steuerfreiheit auch über diesen Termin hinaus
verlängert werden könne, und zwar im Falle die Restitutions-Kosten oder
aber das neuerdings investirte Capital mindestens den vierten Teil des zu
Beginn investirten Capitales betrügen, soll die Steuerbefreiung um weitere
5 Jahre, im Falle dieselben mindestens die Hälfte des Anlage-Capitals aus-
machten, um 10 Jahre ; im Falle dieselben endlich drei Viertelteile des
Anlage-Capitals überstiegen, um 15 Jahre verlängert werden.
Um eine gerechte Besteuerung ] des Inundationsgebietes zu erreichen,
verfügte dieser Gesetz-Artikel, dass die Genossenschaften im Verhältnisse
zu deren investirtem Capitale, sowie im Verhältnisse der ständigen Erhal-
tungs-Kosten einen Teil der Steuer rückerstattet erhalten sollen.
Die rückzuerstattende Summe wurde nun folgendermassen bestimmt :
Bei solchen Genossenschaften, welche [die technische Aufnahme des
Inundationsgebietes bereits durchführten, sollten die Erhaltungskosten in
demselben Percentsatze von dem Catastral-Reingewinn der betreffenden
Parzelle in Abzug gebracht werden, welcher Percentsatz das Verhältniss der
Erhaltungskosten zum Catastral-Reingewinn des gesammten genossenschaft-
lichen Inundationpgebietes ausdrückt.
Im Falle die technische Aufnahme des Inundationsgebietes jedoch
ncch nicht durchgeführt worden sein sollte, oder aber die betreffende Genos-
senschaft von obiger Art der Besteuerung absehen wollte : soll der in Baarem
der Genossenschaft rückzuvergütende Teil der Grundsteuer in der Weise
berechnet werden, dass von der gesammten Grundsteuer (nebst dem Grund-
entlastungs-Zuschlag und dem allgemeinen Einkommensteuer-Zuschlag)
jener Zeit rückvergütet wird, welcher der Summe der gesammten «Wasser-
echutz-Kostent entspricht,
45^^
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708 DIE HOCHWASSER- UND WASSERBAU-ANGBLEOENHBITEN UNOABNB.
Unter Wasserscbutz-Rosten ist aber zn verstehen : 8 ^k des zum ein-
maligen Ausbau der Scbutzwerke benötigten Gapitales nebst dem Jahres-
diurchschnitt der secbsjäbrigen Erbaltungskosten derselben.
Die dergestalt bestimmte Summe der Steuerrückerstattung kann dann
nur in dem Falle eine Aenderung erleiden, wenn die betreffende Genossen-
schaft zu neueren Inyestitionen gezwungen wäre, welch* letztere das Yorma-
lige Anlage-Gapital um mindestens ein Yiertteil übertreffen.
Die der Anwendung dieses Gesetz Artikels entsprechend commissionell
durchgeführten Liquidationen führten zu folgendem Resultat :
Geschütztes Inundationsgebiet fand man insgesammt 3.800,682 i£g
Joch. Wovon :
Fraohibares Land ünfmchtbares Land Zasammen
Genossenschaftliches Gebiet 3.039,47 1 ^ 1 76,449 ^ 3.2 1 5,920 ^
Anderwärtiges « 554,993 i^S _ 29,765^ 584,761^
Summe 3^594,468^ 206,214 }Sg 3.800,682 }Jg
Von diesem Terrain entfiUlt nun auf das
Donau-Gebiet 686,152 J^ Joch
Gebiet der Nebenflüsse der Donau 551 ,066 HäB «
Theiss-Gebiet 1.676,760 igö •
Gebiet der Nebenflüsse der Theiss 886,703 ^ i
Der Catastral-Reingewinn betrug 14.816,548'43 fl. Wovon auf:
das genossenschaftliche Gebiet 1 2.246,409*79 fl.
das anderwärtige Gebiet 2.570,1 3864 •
entfällt.
Desgleichen entfällt vom Oatastral-Beingewinn auf das :
Donau-Gebiet 2.705,75538 fl.
Gebiet der Nebenflüsse der Donau 2.739,056*03 c
Theiss-Gebiet 5.742,584*33 «
Gebiet der Nebenflüsse der Theiss 3.629,152*69 t
Zusammen ... 14.816,548-43 fl.
Das commissionell geschätzte Anlage-Gapital betrug bei den :
genossenschaftlichen Schutzwerken ... 36.870,430 42 fl.
anderwärtigen • 4.591,275*89 •
Zusammen... 41.461,706*31 «
Von diesem Anlage-Gapital entfällt auf das :
Donaugebiet 6.802,832-21 fl.
Gebiet der Nebenflüsse der Donau 4.141,5 '4*87 •
Theissgebiet 18.467,870*52 t
Gebiet der Nebenflüsse der Theiss 12.049,408*71 c
Zusammen... 41461,706-31 fl.
Die 8 o/o des Anlage-Capitals machten im Ganzen: 3.310,936*41 fl.,
der Jahres-Durchschnitt der Instandhaltung der Schutzwerke 1 .031,256*88 fl«
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biß HOCHl^ASSER- UND WASSERBAU -ANGELEGENHEITEN UNGARNS. 709
aus^ folglich wurde insgesammt die zu zahlende Steuer^ welche 4.342^193*29 fl.
Beingewinn entspricht, rückerstattet.
Von dieser letzteren Summe entfällt auf das :
Donaugebiet , 753,109-72 fi.
Gebiet der Nebenfl. der Donau ._. 450,86642 •
TheisBgebiet ... ... 1.985,342-57 «
Gebiet der Nebenfl. der Theiss 1.152,874-58 t
Zusammen ... 4.342, 19329 fl.
Auf diese Weise war den Rosten der Schutzwerke vollkommen Bech-
nung getragen, nur führte die nun auf verschiedener Grundlage beruhende
Berechnung der Summe der Steuerrückerstattung und der Grundsteuer
selbst mit der Zeit die Anomalie herbei, dass es zu befürchten stand, dass
nach den späteren Liquidationen manche der Genossenschaften eine gtös^
sere Summe als Steuerrückerstattung erhalten werde, als die Steuer der-
selben beträgt, welcher Fall bei einer der Genossenschaften auch thatsäch-
lich eintrat. Darauf werden wir jedoch noch zurückkommen, vorerst wollen
wir noch zweier Gesetz-Artikel Erwähnung thun, welche noch während
desselben Jahre sanctionirt wurden. Es sind das die G.-A. L und LU
vom Jahre 1881.
Der Erstere derselben betrifft die Begulirung des Donaubettes von der
Haufitstadt abwärts. Die Hauptstadt selbst schien bereits gegen unmittel-
bare Gefahr gesichert, nun musste man aber zur Ergänzung dieser Arbeiten
nicht nur dem Fromontorer Donauarm ein genügendes Gonsumations- Ver-
mögen sichern, sondern auch die unterhalb desselben befindliche Strecke
(bis Makäd) so gut als möglich zu verbessern suchen. Einzelne Teile dieser
Strecke zeigten nämlich gar keine Zeichen eines Fortschrittes, die übrigen
bildeten sich eher der Breite als der Tiefe nach, so dass die Wahrschein-
licbbsit der Eisanschoppungen mit der Zeit eine immer grössere wurde.
Im Fromontorer Bett konnte das gewünschte Querprofil durch Bagge-
rungen allein nicht erhalten werden, da der felsige Untergrund desselben
dem Baggern ein Ziel setzte. Man war demnach genötigt, auch die Spren-
gung der Felsen in Combination zu ziehen, wobei an 60,000 m® Felsen zu
entfernen waren
Der gesammte Eostenvoranschlag betrug sammt den an den übrigen
Strecket vorzunehmenden Begulirungsarbeiten 5.330,000 fl. wovon :
5.110 203 m'» Baggerung per 8360 fl. = 4.272,204-95 fl.
197,810 « Material- Ausheben im Trocknen
75,315 « « t € €
79,488 « Steinanwurf.
38,280 • €
59,239-6« Felsen entfernen
. 0-70 .
=
138.46700 .
. 0-71 .
=
53,473-65 .
. 2-00.
= .
158,976-00 .
. 2-50 .
=
95,700-00 «
• 3-50«
207,338-60 .
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710 DIE HOCHWASSER- UND WASSERBAU- ANGELEGENHEITEN UNGARNS.
60 Joch Expropriation ... ... ... ... per 50'— fl. = 3,000'00 fl.
für 230 • Wald-Entschädigung ... « 30— t = 6,900-00 1
Zusammen 4.936,060-20 0.
für imvorhergesehene Fälle und Aufsicht ungefähr 8<»/o = 393,939*80 ■
Summe.. ... 5.330,000-00 fl.
Noch im Laufe desselben Jahres wurde mit der Aushebung einer
Cunette auf der Promontorer Strecke begonnen, worauf später an der Erd-
Teteny-Ercsi, Adony und HÄczalmäser Strecke Baggerungen folgten, sowie
die Erhöhung der Absperrung bei der Häros-Insel, die Goupirung des Eacsaer
undErcsier, dann des Adonyer Nebenarmes, Parallelwerke bei iferd und Adony,
Abgraben der Bezd&n-, sowie der grossen Ercsier sogenannten «Szunyogi-
Insel und der MakÄder Insel u. s. w. Diese Arbeiten, welche im Jahre
1885 grössten Teils zum Abschluss gelangten, nahmen die Summe von
4.144,500 fl. in Anspruch.
Der zweite Gesetz- Artikel, dessen wir Erwähnung thaten, enthielt die
Regelung der Hoch wasserschutz- Angelegenheiten jenes Inundations-Gtebietes,
welches sich zwischen der Koros, Theiss und Maros erstreckt. Dieses insge-
sammt über 400,000 Cat.-Joch betragende Gebiet bildet ein einziges, zusam-
menhängendes Inundationsterrain, nichtsdestoweniger war dasselbe bis
dahin mittelst, im Besitz verschiedener Genossenschaften, Gemeinden
und Privaten stehender Dämme geschützt — obwohl ein einziger Damm-
bruch den gesammten riesigen Complex gefährden konnte.
Ausserdem waren die Schutzdämme daselbst nicht eben im besten
Zustande, und es schienen auch wiederholte Aufforderungen von Seite der
Kegierung diesbezüglich nichts zu fruchten.
So sah sich endlich die Regierung genötigt von ihrer gesetzlichen
Gewalt Gebrauch zu machen und die Schutzwerke auf administrativem
Wege in den gehörigen Zustand versetzen zu lassen. Die gesammten Inter-
essenten wurden von Amts wegen unter dem Titel : «Körös-Tisza-Marosi
ärmentesitö es belvizszabälyozo tärsulat» zu einer einzigen Genossenschaft
vereinigt, und man schritt auch unverzüglich zum Ausbau der Dämme, deren
Kosten voraussichtlich auf mehrere Millionen zu stehen kommen werden.
Derselbe Gesetz- Artikel enthielt jedoch ausser diesen speziellen Anord-
nungen auch eine Aufforderung an die Regierung : der Legislative sobald
als möglich einen die endgiltige Regelung der Theisstal-Angelegenheiten
bezüglichen Vorschlag zu unterbreiten.
Nach längeren Beratungen, während welcher selbst die gänzliche Ver-
staatlichung der Hochwasserschutz-Angelegenheiten in Gombination kam,
entschloss man sich endlich dennoch zur Beibehaltung der Autonomie der
Genossenschaften, und zwar aus dem Grunde, damit das Interesse für die
betreffenden Schutzarbeiten, welch' letztere doch in erster Reihe zur För-
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DIE HOCHWASSER- UND WASSERBAU-ANGELBGENHBITEN UNGARNS.
^li
denmg von Privat-Interessen dienen — in den bisherigen Interessenten
selbst nicht gänzlich erschlaffe. Ohne also die Autonomie der Genossen-
schaften mehr als es eben die Notwendigkeit gebot einschränken zu wollen^
war man vorzüghch darauf bedacht^ dass man in die, an den einzelnen
Flüssen des Theiss-Complexes verrichteten und noch zu verrichtenden
Schutzarbeiten den gehörigen Einklang zu bringen im Stande sei^ wes-
wegen denn auch der diesbezügliche G.-A. XIV vom Jahre 1884 in erster
Beihe alle jene Flussregulirungen und Hochwasserschutz-Arbeiten, welche
an der Theiss nebst deren Nebengewässern — mit Einschluss der Temes-
Bega — vorgenommen werden, vom technischen Standpunkte aus für ein
einheitliches Ganzes erklärte.
Dm dieö nun auch durchführen zu können, wurden die Bechte der
Begierung gegenüber den Genossenschaften aufs Neue in angemessener
Weise erweitert. NamentUch wurde unter Anderem die Begierung ermäch-
tigt, die Abgrenzungen der Genossenschaften untereinander nach Ermes-
sen bestimmen zu können, eventuell die Interessenten eines noch nicht
geschützten Gebietes von Amtswegen zu einer Genossenschaft zu vereinigen,
oder aber das betreffende Gebiet dem Verbände einer schon bestehenden
Genossenschaft einzuverleiben.
Nach Fräcisirung der Agenden der Generalversammlungen innerhalb
der einzelnen Genossenschaften übergeht der Gesetz- Artikel auf die Ange-
legenheiten der «Theisstal-Genossenschafti, auf welche Angelegenheiten
sich die Begierung zu oberwähntem Zwecke den grösstmöglichen Einffuss
zu sichern bestrebte.
Noch eine ausserordentlich wichtige Entscheidung enthält dieser
Gesetzartikel. Es wird nämlich die Grenze der maximalen Belastung der Ge-
nossenschaften präzisirt, welche im Interesse des Ganzen noch zulässig
erscheint. Man konnte einzelnen Genossenschaften auch nicht zumuten,
dass dieselben im Interesse der Gesammtheit, zum Tragen von solch bedeu-
tenden Lasten bereit sein sollten, welche ihren eigenen Nutzen eventuell
bei Weitem überwogen. Es wurde demnach bestimmt, dass im Falle das
Investitions-Capital mehr als 60 % des 20fachen Catastral-Beinertrages —
bei jenen Genossenschaften, wo auch höher gelegenes Gebiet einbezogen
wurde und dasselbe nun in geringerem Maasse an den Rosten participirt :
noch überdies 20 0/5 des, das höhere Gebiet betreffenden 20fachen Catastral-
Beinertrages hinzugerechnet ~ betragen sollte : so werden bei Genossen-
schaften, deren Weiterbestand das allgemeine Interesse erheischt, die wei-
teren Kosten vom Staate selbst getragen.
Während dergestalt in die Angelegenheiten des Theisstales Ordnung
gebracht wurde, hatte man bereits die hydrotechnische Aufnahme an der
oberen Donau so weit gebracht, dass man auch diesbezüglich zur Antrag-
stellung schreiten konnte.
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712
DIE HO0HWA88ER- tJND WASSERBAU -ANOELEOBNHEITEN UNGARNS.
Das unaufschiebbarste, nämlich die Entfernung der grossen Sandbank
unterhalb Eomom hatte man bereits vorher in Angriff genommen. Es ward
ein Längegraben längs der Sandbank ausgehoben, und durch Einengung
des Bettes mittelst Parallelwerken das üebrige der Strömung selbst über-
lassen.
Die Schiffahrtshindemisse und HochwassergeCeihren wurden auf der
Strecke zwischen Döv^ny und Duna-Badyiny hauptsächlich durch die zahl-
losen Donau- Arme verursacht, in welche sich der Fluss kaum IS Kilometer
unterhalb Pressburg schon zu teil^i beginnt.
Das am meisten verwilderte Bett war jenes zwischen Guter und Suly,
wo die meistenteils aus Alluvium gebildeten Ufer Urne g^iug waren, um
dass der Strom seinen Lauf fortwährend wdem konnte. Von Süly abwärts
werden die Abzweigungen schon seltener, und zwischen Szögye und Duna-
Badväny treffen sich nur mehr einzelne zu breite Stromstrecken an.
An der gesammten 145 Kilometer langen Strecke gab es 53 solche
Stellen, wo die zur ungehinderten Schifffahrt unumgänglich notwendige
minimale Tiefe von 2 Meter (unter Null) nicht vorhanden war.
Die Länge der einzelnen seichten SteUen varürte zwischen 0*12 und
und 1*81 Kilometer. Ihre gesammte Länge betrug S6*12 Km., folglidi
machte dies den 0*18. Teil der ganzen Strecke aus.
Es konnte eine Tiefe von 2 M. umsomehr als genügend betrachtet wer-
den, da den bisherigen Erfahrungen nach die Donau nur in ausserordentlich
trockenen Jahren auf den Null-Punkt des Pressburger Pegels zu sinken pflegt
Als Hauptarm wurde beschlossen im Grossen und Gktnzen den gegen-
wärtigen zu belassen, mit Ausnahme der Strecke Gutor-Gsölösztö, dann bei
Süly und Baka, wo es zweckdienlich erschien, einen der besser situirten
Nebenarme als Hauptarm auszubilden.
Die Gesammtkosten, welche durch den G.-A. VIH vom Jahre 1885
genehmigt wurden, sind auf 17 Millionen veranschlagt. Hievon fällt auf:
Parallelwerke 5.891 ,599-30 fl.
Sperr- und andere Dämme ... ... ... 2.537,896-65«
Uferschutzwerke _ 1.088,625-68 «
Durchschnitte u. Abtragen von Sandbänken 5.367,637*26 «
Zusammen ... U.885,758-89 fl.
Dies gibt nach Abzug der 714,177*90 fl., welche Summe zur Entfer-
nung der <iLydia»-Sandbank noch benötigt wurde, bis zum Zustandekom-
men dieses Gesetz- Artikels jedoch bereits in dem ordentlichen Jahres Budget
gedeckt war: 14.171,580-99 fl., wozu noch ungefähr 20 »/o auf unvorher-
gesehene FäJle, Aufsichts-Kosten u. s. w. hinzuzurechnen wäre, welch letz-
tere Summe auf 2.828,419*01 fl. veranschlagt, die Gesammt-Summe von
17 Millionen ergibt.
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DIE HOCHWASSER- UND WASSläfflAUANöRLiJÖENHiEITBli UNOAHNS. ^13
Noch Über eine zweite Regulirungsarbeit von fast gleich grosser Wich-
tigkeit wurde im Jahre 1885 eine endgiltige Entscheidung getroffen. Es war
dies die Atigelegenheit der Räabregulirung, mit welcher man sich zwar
schon seit langer Zeit befasste, die jedoch erst in diesem Jahre soweit
reifte^ dass ein entgiltiger Beschluss zu fassen war.
Die Vorgeftohichte dieser langwierigen Augel^enheit auch nur in
deren Hauptzügen zu geben, würde hier zu weit führen, wir wollen demnach
blos des Haupthindernisses E^rwähnung thun, welches die Begulirung des
Baabflusses so lange Zeit hindurch "verzögerte, welches jedoch anderseits
auch der unmittelbare Grund zur Einmischung und schleunigsten Lösung
dieser Frage von Seite der Begierung ward.
Dieses Hindemiss bildete nämlich der Zwist, welcher im Schosse der
im Jahre 1873 sich constituirten Baabregulirungs-Genossenschaft zwischen
den Interessenten des obern und denjenigen des unteren Baabtales zum
Ausbruch gelangte.
Der Grund dieser Zwistigkeiten war in Kürze der, dass die Interessen-
ten des oberen Baabtales, nachdem die, das Austreten des Flusses im oberen
Baabtale hauptsächlich verursachenden Sperren der zahlreichen daselbst
befindlichen Mühlen auf Kosten der Genossenschaft entfernt waren, und
demzufolge die Anrainer der oberen Baab sich von den lästigen üeber-
schwemmungen befreit sahen : sich nun weigerten, an den Kosten der weite-
ren Begulirungsarbeiten zu participiren, nachdem sie daraus denn doch
keinen weiteren Nutzen zu erwarten hatten.
Die Besitzer des unteren Inundations-Gebietes hingegen, deren Lage
durch die nunmehr mit desto grösserer Vehemenz herabgelangenden Was-
sermassen wesentlich verscblimmerl war, bestanden darauf, dass die oberen
Interessenten an den weiteren Begulirungskosten nun umsomehr teilneh-
men müssten, da sie — die unteren Interessenten -^ doch auch an den
Kosten der oberen Baabregulirung teilgenommen hatten, welch letztere
ausschliesslich nur den oberen Besitzern zu Gute kam, die unteren aber
eben durch diese Begulirungs-Arbeiten in eine desto schwierigere Lage
gerieten.
Um nun dem Abhalten einer Generalversammlung zuvorzukommen,
welch letztere voraussichtlich die gänzliche Auflösung der Genossenschaft
zur Folge gehabt hätte, da in derselben die oberen Interessenten in
Stimmenmehrheit waren, sah sich die Begierung veranlasst, dem Be-
streben der oberen Interessenten durchwein energisches Einschreiten ent-
gegenzutreten.
Den Interessenten wurde eine entsprechende staatliche Unterstü-
tzung in Aussicht gestellt, und die Begierung brachte auch bald
darauf einen Gesetzentwurf betreffs der Schlichtung aller Zwistigkeiten
und über das weitere Vorgehen bei den diesbezüglichen Begulirungsarbeiten
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714 DIE HOOhWaSSBR- und WAS8BRBATT-ANOELBOEKHEITBN ÜNOABNS.
ein, welcher auch noch im Laufe desselben Jahres die allerhöchste Sanc-
tion erhielt.
Der G.-A. XV v. J. 1885 wäre in zwei Teile teilbar. Der erstere ent-
halt die gesammten Hochwasserschutz-Arbeiten nebst dem unabweislich
notwendigen Teil der Binnenwasser-Begulirungen, der zweite Teil behandelt
die vollständige Regelung der Binnenwässer, sowie auch die Ableitung des
Neusiedler- Sees.
Die Kosten des ersten Teiles der Arbeiten sind folgende :
Bauten 6.028,500 fl.
Regie _ _ 571,500 t
Zusammen ... 6.600,000 fl.
Die Kosten des zweiten Teiles :
Bauten 4.971,500 fl.
Regie 428,500 t
Zusammen... 5.400,000 fl.
Was den Hochwasserschutz der k. Freistadt Raab, sowie der Gemeinde
iQyörsziget» betrifft, entschloss sich die Regierung, da diese Arbeiten schon
das allgemeine Interesse erheischt: dieselben auf Staatskosten verrichten zu
lassen, und bedang sich blos eine mit dem daraus entwachsenden unmit-
telbaren Nutzen der Stadt, sowie der obigen Gemeinde in Verhältniss ste-
hende billige Beisteuer aus. Die Kosten dieser letzteren Arbeiten sind auf
426,574-24 fl. veranschlagt.
Nachdem es aus finanziellen Gründen geraten erschien, vorerst nur
die notwendigsten Arbeiten vorzunehmen, beschloss man sich vorläufig
blos auf den ersten Teil der Arbeiten zu beschränken, den übrigen jedoch
auf spätere Zeiten zu verschieben.
Demnach wurden diese Arbeiten auf sechs Jahre verteilt, während
welcher Zeit dieselben unter der Leitung eines Regierungscoramissärs ver-
richtet werden. Die Kosten derselben wurden folgendermassen veranschlagt :
Raabregolinmg und Eindeichung der Raab von der Särvärer
Brücke der ung. Westbahnen bis zum Patona-Györer Canal 2.226,236*11 fl.
Patona-Györer Canal nebst Deiche daselbst 1.043,479-78 t
Räbcza-Regulirung und der Hansäg-Canal 1.573,022-02 ■
Marcsal-Regulirung ... ... . .. ... ... 491,92443 •
Binnenwasser-Regulirung ... 257,082-— ■
Deiche entlang der «kleinen» Donau _. 436,754-08 •
Zusammen. .. 6.028,498-42 fl.
Regie- Auslagen 571,501-58 <
Summe . . 6.600,000-— fl.
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THOMAS V. 8ZÄC8I?.NY, WOJWODR VON 8IKBBNBÜROBl<}. 715
Dazu kommt noch die grösstenteils auf Staatskosten durchzuführende
Begulirung zum Schutze der k. Freistadt Baab und der Gemeinde Oyör-
sziget, deren Rosten betragen :
Ringdamm der Stadt Raab 113,417-38 fl.
« von Gy^r-UjvÄros 197,193-98«
« von Györ-Sziget ... 69,962-88«
Erhöhung der Brücken ... 8,000- — «
Aufsichts- und unvorhergesehene Ausgaben ... 38,000- — «
Summe .. 426,574-24 fl.
Was mit den Kosten der übrigen Baabregulirung zusammen
7.026,574*24 fl. ausmacht. (Sohiuss folgt) Alfrbd Zawadowsei.
THOMAS V. SZtol^.NY, WOJWODE VON SIEBENBÜRGEN.
Lebensbild aufl dem XIV. Jahrhunderte.
Am 16. August 1255 ^ figurirt zum ersten Male selbstständig Gomes
Fulko von Szecseny im Neograder Comitate. Alles, was wir von ihm wissen,
concentrirt sich auf den Umstand, dass er ein Spross des Geschlechtes
Kathyz (Kachich) gewesen.
Dieses Geschlecht war zu seiner Zeit ziemlich begütert und hatte
ausser ihm noch zahlreiche andere Glieder aufzuweisen.
Sechzehn Jahre später, am 28. Juni 1271 * versammeln sich nämlich
die Mitglieder des Geschlechtes vor dem Graner Domcapitel und nehmen
eine Güterteilung vor.
Zwischen den Söhnen des obigen Fulko : Com es Michael, Meister
Wolfgang (Parkas) und Zoloch einerseits, andererseits zwischen Elias* Sohn
Comes Peter, Simon Sohn des Bans Simon und Leustach's Sohne Comes
Nicolaus war es wegen der Güter Libercse, Guräb, Procha und Szalatna (im
Neograder Comitate) zu Prozessen gekommen. Am genannten Tage ver-
glichen sich die streitenden Parteien dahin, dass die genannten Besitzungen
den Söhnen Fulko's verbleiben.
Wolfgang, der documentarischen Keihenfolge nach, Fulko's zweiter
Sohn, vergrösserte bald darauf seinen Besitz, indem er am 27. April 1274^
mit Posa, Sohn des Posa aus dem Geschlechte Zäch, einen Gütertausch ein-
' Knauz, Mon. Eccl. Strigon. L 423.
« Wenzel, Arp&dkori uj okmÄnytÄr VIII. 353. 364.
* Sopronmegyei oklev^lt&r I. 39.
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716 tHÖMAS y. BzAcsiHYy WOJWODE VON SIBBENBÜttOElJ.
gieng. Posa besass im Neograder Gomitate die zur Szecsenyer Herrschaft
gehörigen Güter Gecz, Kimocz und Almas nebst einem grösseren Complexe
in Szecheny selbst, die er Wolfgang für dessen im Oedenburger Gomitate
gelegenen, auf 200 Mark Silber geschätzten Besitz Krako gegen eine durch
Wolfgang geleistete Aufzahlung von 60 Mark abtrat. Krako hatte Wolfgaug
seinerzeit durch königliche Schenkung erhalten.
Wolfgang hatte sich schon lange der königlichen Gunst erfreut ; er
hatte auch das im Borsoder Gomitate gelegene Mucsony der königlichen
Donation zu verdanken. Im Jahre 1275 baten aber Oliver und Leustach
aus dem Geschlechte Bathold^ der König möge ihnen das ihnen vorteil-
hafte und nötige Mucsony verleihen. Ladislaus IV. erfüllte ihr Ansuchen
und vergrösserte dafür Wolfgangs Besitz in Szöcseny, indem er ihm für
Mucsony den Grundbesitz einiger Neograder Schlossunterthanen in Sze-
cseny verlieh. ^
Wolfgangs Geschlecht war vordem auch im Besitze des im Neograder
Gomitate gelegenen Losoncz. Ladislaus lY. hatte kaum den Tron bestie-
gen, als Leustach 's Sohn Nicolaus und unser Wolfgang im Namen der
übrigen Verwandten ein Majestätsgesuch einreichten, in welchem sie die
Wiederverleihung Losoncz's ansuchten. Sie motivirten ihr Ansuchen damit,
dass Losoncz ihr Erbgut sei, und dass dies ihnen ohne ihr Verschulden
entrissen worden sei. Die Petenten hatten am Hofe mächtige Freunde, die
es durchzusetzen wussten, dass der junge König, über den Sachverhalt nicht
unterrichtet, Losoncz den bisherigen Besitzern, Söhnen des einstigen Pala-
tins DionyBius aus dem Geschlechte Tomaj, nahm und den Bittstellern
zusprach. — Im Jahre 1 277 änderten sich die Verhältnisse am Hofe ; gele-
gentlich des mit Eudolf von Habsburg geschlossenen Friedens tagte der
Reichsrat und auf diesem wuMe die Besitzfrage Losoncz' wieder aufs
Tapet gebracht. Man instruirte den König, dass Wolfgangs und Nikolaus
Vorfahren allerdings Losoncz einst besassen, dass es ihrer Familie aber
wegen Majestätsverbrechen, respective wegen Teilnahme an der Ermordung
der Königin Gertrud (1214) weggenommen und durch Andreas H. imd
dessen Nachfolger dem Palatin Dionysius resp. dessen Söhnen geschenkt
wurde. — In Folge dessen revozirte Ladislaus die Schenkung und gab
Losoncz den Söhnen des Dionysius zurück.*
Der in der Vermehrung seines Besitzes rastlose Wolfgang suchte nun
in Folge dieses Verlustes einerseits den ihm gebliebenen Besitz zu con-
solidiren, andererseits war er sichtlich bestrebt, die Gütei^emeinschaft mit
seinen Verwandten aufs Minimalste zu reduziren und sich so wie seinen
» Wenzel XH. 131.
» Hazai olmidnytar VI. 257 do. 10. Aug. 1280 und 1. c. VII. 165 do. 1277.
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THOBfAß V. eZÄCSÄNY, WOJWODlf VON SIEBBNBÜBGBN. 717
directen Nachkommen eine von der anrüchigen Verwandtschaft möglichst
isolirte Stellung zu schaffen.
Seine erste Sorge war nun unter Andreas DI. Regierung sich von
seinen Brüdern und Neffen, sowie den Seitenverwandten die Erklärung
abgeben zu lassen, dass sie an seinen in Szecs6ny und Umgebung erwor-
benen Gütern keinen Anteil haben und dass sie ihn speziell im Besitze von
Szecs6ny, Bimocz und Almas nie stören würden.^ Dabei unterliess er es
nichts jede. zum Verkaufe gelangende Scholle in Szecseny behufe Vergrös-
serung seines dortigen Besitzes anzukaufen, wie er z. B. 1294 ^ einige Joche
Sz6csenyer Feldes von den Neograder Schlossunterthanen für 25 Mark an
sich brachte.
In der Mitte der 90er Jahre lernen wir Wolfgang schon mehr nach
seiner öffentlichen Thätigkeit kennen. 1295 (24. November) und 1296 » tritt
er öfters als Schiedsrichter auf; 1298 ist er Oberstmundschenk der Königin^
in welcher Eigenschaft er sich von König Andreas die Besitzurkunde von
1291 erneuern lässt.^ Am 31. Juü 1299 erscheint er als Mitglied des Richter-
collegiums unter dem Vorsitze des Vice-Judex Curias Stefan.* In demselben
Jahre lässt er sich von seinen sämmtlichen Verwandten abermals die bin-
dende Erklärung abgeben, dass sie ihn und seine Erben als alleinige Be-
sitzer von Szecs6ny, Bimocz, G6cz und Almäjs betrachten und niemals
etwaige Ansprüche auf diese Oüter machen wollen. Bei dieser Gelegenheit
tauchen zum ersten Male Wolfgangs Söhne in folgender Beihe auf: Johann,
Thomas, Michael, Nicolaus, Peter, Stefan, Ijeustach und Blasvus.^
1300 fungirt der alte Wol^gang als Untersuchungsrichter,^ am 18.
Mai 1301 ist er Vertrauensmann in der Angelegenheit seines Bruders
Michael contra Thomas von Draa, ® mit welcher Function die Nachrichten
über ihn aufhören. Er dürfte bald nach 1301 gestorben sein.
Seine Gemahlin ist unbekannt. Von seinen acht Söhnen ist Thomas
derjenige, dessen Lebensbild wir hier zeichnen wollen.
Dass der alte Wolfgang lange Jahre hindurch das Bestreben an den
Tag gelegt, sich und seine Söhne gewissermassen von den übrigen Anver-
' Wenzel X. 35 do. 1391 und X. 121 do 1293.
• Wenael X. 156.
» Hazai okm&nyt4r IV. 90. 91. Wenzel X. 242. 330.
* Wenzel X. 294.
* Hazoi okni&nyt4r VE. 447.
• Wenzel X. 345.
' Wenzel X. 385.
" Asjoukori okm4nyt&r I, 11.
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718 THOMAS V. SZEOS^NY, WOJWODE VON STEBENbItROBN.
wandten abzusondern, findet seine Erklärung in dem Verhalten jenes
seiner Söhne, der unter allen seinen Geschwistern die grösste Bolle gespielt.
Schon bei Wolfgang musste es uns auffallen, dass er der einzige in seiner
Familie war, der königliche Donationen erhielt und sogar ein ansehnliches
Hofamt inne hatte. Wir täuschen uns nicht, wenn wir den Grund hieför
darin suchen, dass die ganze Familie dem Hofe gegenüber eine ableh-
nende Haltung eingenommen und dass blos Wolfgangs Zweig, mit den
Traditionen der Familie brechend, ein dynastisches Benehmen an den
Tag legte.
Bei Thomas von 8zecs6ny finden wir dies aufs Glänzendste bestätigt
Bei ihm stossen wir auf die seltene Erscheinung, dass er das einzige Mit-
glied seiner zahlreichen Familie (aber nicht des ganzen Geschlechtes, da
dieses noch einen andern Zweig hatte) war, das treu zu seinem Könige
gehalten, während alle übrigen sich den revolutionären und opponirenden
Bestrebungen angeschlossen, — und dass er die Güter seiner als Bebellen
und Hochverräter verurteilten Verwandten in seiner Eigenschaft als des
Königs allergetreuester Unterthan erhalten.
Aus Thomas' Jugendzeit ist uns nichts bekannt. Einzelne Andeu-
tungen lassen darauf schliessen, dass auch er, wie alle übrigen jungen
Sprossen des damaligen höheren Adels seine Jugendjahre am Hofe ver-
bracht. So viel steht aber fest, dass Thomas schon frühzeitig von der üeber-
zeugung durchdrungen war, dass die Begierung eines aus der Mitte der
Nation gewählten Königs nach dem Aussterben der Ärpäden unmöglich sei
und dass unter den ausländischen Tronaspirationen jene Karl Boberts von
Neapel die einzig lebensfähige sein müsse.
Conform dieser Anschauung war er einer der ersten, die sich der
Person des jungen Königs Karl beigesellten und ununterbrochen an seiner
Seite blieben. Dass er hiedurch mit den Anschauungen seiner Familie in
Confliet geraten, dass er mannigfachen Anfeindungen seitens der Gegner
des Königs ausgesetzt war und alle Wechselfälle einer angefeindeten
Königsherrschaft unter Gefährdung seiner Person und seines Vermögens
mitmachen musste, Hess ihn unberührt.
Das zum Bürger-Kriege geführte Auflehnen des mächtigen Oligarchen
Matthäus von Trencsön (aus dem Geschlechte Csäk) bot unserem Thomas
die passendste Gelegenheit, seiner Gesinnung den thätigsten Ausdruck zu
verleihen. Der Anschluss an Matthäus war für Thomas* Familie das Grab,
für ihn war die Bekämpfung dieser Partei die Wiege des höchsten Glückes.
Weder auf seine Verwandtschaft, noch auf sein Eigentum Bücksicht neh-
mend, stellt er sich dem Könige ganz und gar zur Verfügung. Gleich einem
«Borne der Beständigkeit,» wie sich König Karl einmal ausdrückte, nahm
er an allen militärischen Expeditionen dieser Periode Teil, ohne sich durch
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THOMAS V. SZ^SiSnT, WÖJWODfe VON SIEBENBÜRGEN. 719
irgend welche Beschwerden stören zu lassen ; namentlich zeichnete er sich
1311 vor Raschau aus.
Welche Würden er bis dahin bekleidet, wissen wir nicht ; am 24. April
1313 ist er Burghauptmann von Lublö und an diesem Tage erfolgt an ihn
seitens des Königs die erste uns bekannte Donation.
An dem Kaschauer Kampfe hatte sich ein sicherer Hon aus dem
Pressburger Komitate beteiligt. Am obigen Tage verlieh nun Karl Robert
unserem Thomas Höns Besitzung Szeli sammt seinen sämmtlichen in und
neben der Stadt Nagyszombat (Tymau) gelegenen Häusern, Gründen,
Mühlen und Weingärten.
Thomas' Verwandter, Peters Sohn Myke, stand unterdessen auf anti-
königlicher Seite und gieng in seinem Eifer für die von ihm vertretene
Sache so weit, dass er sein im Neograder Komitate gelegenes Castell
Hollokd der Garnison Matthäus' öffnete und dasselbe zum Ausgangspunkte
bewaffneter, mit Mord, Kaub und Plünderung verbundener Ausfälle machte.
Vor Kaschau focht auch er gegen die Königlichen. König Karl verlieh nun
gleichzeitig mit Szeli auch Schloss Hollökö sammt Zugehör an Thomas.*
Die Teilname an dem Gefechte vor Kaschau war nicht die einzige
Waffenthat Thomas'; er hatte auch hervorragende Verdienste um die
Wiedereroberung der von Matthäus okkupirten Festung Visegräd, wie dies
König Karl später in einer Urkunde hervorhebt.
Nach Bekämpfung des Aufstandes bot sich Thomas Gelegenheit,
seinem Könige auch in diplomatischer Beziehung: nützlich zu sein. —
Karls erste Gemahlin war im Jahre 1315 gestorben und hatte er sein
Augenmerk auf Beatrix, Tochter des deutschen Königs Heinrich (VIT.) von
Luxemburg, Schwester des Böhmenkönigs Johann geworfen. Hier war es,
wo Thomas ein neues Gebiet seiner Thätigkeit gefunden.
Der König betraute ihn mit der Durchführung des Heiratsplanes.
Thomas nahm in Folge dessen einen längeren Aufenthalt in Böhmen,
überliess unterdessen die Verwaltung 'seiner Güter fiemden Händen,
scheute nicht die beträchtlichen Kosten seiner ausserordentlichen Mission
und war aufs eifrigste bemüht, alle Schwierigkeiten aus dem Wege zu
räumen, die sich der Verwirklichung der geplanten Allianz, auf die
Karl ein besonderes Gewicht legte, entgegenstellten. Seine Bemühungen
waren von Erfolg gekrönt und führte Karl die sehnlichst erwartete Beatrix
am 24. Juni 1318 zum Altare. Karls Freude über den diplomatischen Er-
folg Thomas' war so gross, dass er in einer hierauf bezüglichen Urkunde
«von einer sanften Beruhigung seines Gemütes» spricht. Am 27. Juli 1319
erfolgte nun die Belohnung des grossen Dienstes. An diesem Tage verleiht
Karl unserem Thomas, der damals Obergespan von Arad, Bäcs, Syrmien,
* Anjoukori okm&nytdr I, 289. Fejör, Codex diplom. VHI. L 489,
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7äO THOMAS V. 8Z^C«6NYy WOJWODB VON SIEBRNBUBfiKN.
Oberrichter der Eumanen, Castellan von Hasznos und Bolymos ist, 1. die
sämmtlichen, namentlich im Neograder Komitate gelegenen Güter des
erbenlos verstorbenen Peter von Pilin, 2. die im selben Komitate gelegenen
Güter Stefans von Yarsäny, der mit seinen Angehörigen sich dem Mat-
thäus*schen Aufstande angeschlossen; namentlich werden in der Dona-
tionsurkunde die beiden Ortschaften Varsäng und Pilis angeführt^
Von nun an steigt Thomas auch in seinen Würden.
1321* ist er Oberschatzmeister der Königin, Obergespan von
Syrmien, Bäcs und Arad. — In dieser Eigenschaft vermehrt er abermals
seinen Besitz. Die ihm benachbarten Herren von Dr&h, Söhne Thomas',
waren als Anhänger des Matthäus von Trencsin gewaltig compromittirt.
Szecseny, die Besitzung unseres Thomas, wurde während der Kriegs-
wirren, durch sie zum Schauplatze der wildesten Soldateska gemacht;
Baub, Brandlegung, Verwüstung des Eigentums, Schändung der Frauen
und Mädchen waren durch sie zur Tagesordnung geworden. Die Strafe
blieb allerdings nicht aus, da König Karl sie ihrer Güter verlustig erklärt
und dieselben als Becompensation für die Verwüstung Szecsenys und
anderer Besitzungen des Thomas dem letzteren zusprach. Die Verurteilten
^wandten sich nun an die Güte und Gnade des Nachbars, der sich dies-
mal erweichen liess. Vor dem Graner Kapitel erfolgte durch Thomas'
Vertreter Kych' Sohn Comes Benedikt und den Notar Meister Johann die
Aussöhnung ; Thomas gab den Herren von Dräh ihre Besitzungen Lam-
pert, Dsva (im Komitate Kraszna ) und Mayod (im inneren Szolnoker
Komitate) zurück, behielt aber Drdh, Dolyän, Rdros, Sztrugna und
Sztracsin im Neograder Komitate für sich.
Am 1. November 1321^ bekleidet Thomas schon die Würde des
Wojwoden von Siebenbürgen und Obergespans von Szolnok, 1322 ist er
ausserdem noch Obergespan der Sz6kler*, 1324* Obergespan von Szeben.*
Am 6. März 1323^ ergreift König Karl abermals die Gelegenheit, seinen
treuen Thomas auszuzeichnen. Diesmal sind es aber nicht allein Thomas'
Verdienste auf dem Schlachtfelde und am grünen Tische, die ihm zur Aus-
zeichnung verhelfen, sondern der Umstand, dass er es war, der dem Könige
die grösste Freudenbotschaft brachte, nämlich die Geburt des ersten Sohnes
desselben; obwohl der Prinz am 6. März 1323 nicht mehr lebte, vibrirte
der Eindruck der durch Thomas empfangenen freudigen Botschaft (1321)
' Anjoukori okm&nyt4r I, 528. Fejör VHI. 2, 202 und am 24. Febr. 1324 L
c. 558 erneuert.
' Anjoukori okm4nyt&r I. 640.
» Fej6r Vm. 2. 316.
* Fej6r vm. 2. 395.
* Fej6r VnL 2. 589.
' Anjoukori okminyt&r II. 65.
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THOMAS y. BZ^OS]£nT, WOJWODE von SIEBENBÜRGEN. 721
in ihm noch so lebhaft, dass er sich äusserte, man hätte ihm seinerzeit
keine freudigere bringen können.
Die nun erfolgte Auszeichnung war allerdings eine Bereicherung
Thomas', aber gleichzeitig eine Strafe für seine nächsten Geschlechtsver-
wandten. Ausser dem uns schon bekannten Myke hatten sich an Matthäus
von Trencsin noch Peters Söhne Leustach und Jakob aus dem Geschlechte
Kachyk (Kathyz) angeschlossen. Selbstverständlich wurden ihre Güter con-
fiscirt und so kam es, dass Karl unter obigem Datum die ihnen vordem
angehörig gewesene Burg Somoskö im Neograder Komitate an Thomas
übertrug.
Es sollte gar nicht lange dauern, bis Thomas auch die übrigen Güter
dieser Linie seines Geschlechtes in seine Hände bekommen. Am 8. Mai
1324* erfolgt die Schenkung ihrer Castelle und Güter Hollöko, Baglos,
Sztrahora, Rimöcz und Lapujtß (im Neograder Komitate), Eigentum der
rebellischen Enkel Elias', der Söhne Peters, Michael, Peter, Leustach, Mykus
und Jakob an den Sohn des weil. Meister Wolfgang, Thomas, Wojwoden
von Siebenbürgen und Obergespan von Szolnok.
Von welchem Grade des Königs Zuneigung um diese Zeit zu Thomas
gewesen, bezeugt am klarsten der königliche Erlass do. 25. März 1324.*
Die zur Zeit des Regierungsantrittes Karls ausgebrochenen Unruhen waren
der Anlass dessen, dass Karl die Gerichtsbarkeit des Wojwoden von Sieben-
bürgen eingeschränkt. Diesem Ausnahmezustande machte er nun unter
obigem Datum zu Gunsten seines geliebten treuen Thomas, «den er über
inständiges Bitten und Ansuchen der Siebenbürgener, als einen in Treue
beständigen und friedliebenden Mann zum Wojwoden ernannt und der laut
Zeugniss der Siebenbürgener sein Amt in Buhe und Berücksichtigung jeder
Gerechtigkeit ausübt», ein Ende und stellte die volle Gerichtsbarkeit des
Wojwoden wieder her, indem er gleichzeitig alle zum Nachteile des Wojwo-
den erlassenen königlichen Freibriefe annullirt. Bald darauf verleiht er ihm,
am 11. Aug. 1324,* in wiederholter Anerkennung seiner bei Kaschau und
Visegräd geleisteten militärischen Dienste die Mauteinkünfte des in der
Nähe von Ny6k, einem Gute der Königin, im Pressburger Komitate gelegenen
Geerche. Der Spätsommer 1324 * brachte Thomas Gelegenheit, abermals an
die Spitze der bewaflfheten Macht zu treten. Li diesem Jahre erlässt er nämlich
vor Gastell Köhalom in Siebenbürgen ein Edikt in Angelegenheit des Be-
sitzes Szent-Märtrm, in dem er erwähnt, dass er über Befehl des Königs, in
Gemeinschaft mit den Grossen und anderen Einwohnern ein starkes Heer
' Anjoukori okm&nyt4r n. 134 Fej^r. VIII. 2. 504.
* Anjoukori okmanytdr IL 118.
' Anjoukori okm&nyt4r II. 152.
* Fej^r Vni. 2. 589. 599.
Ungarisehe Beyoe. 1891. XI. Vin— IX. Hett 4f}
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722 THOMAS V. BZÄOßiNY, WOJWODB VON BIBBENBÜBOBN.
gegen die Gegner und Ungetreuen des Königs in Siebenbürgen geführt und
dass vor Kastell Köhalom Stefans Sohn Ladislaus, genannt Lebee, vor
Szent-Mäj:ton den Heldentod gefunden. — Eine nähere Erklärung dieser
militärischen Intervention bietet die Urkunde des Thomas do. 1325,^ aus der
wir entnehmen, dass kurz zuvor die Sachsen Siebenbürgens sich gegen den
König aufgelehnt, das Land feindlich durchzogen und sich unter die Fahne
eines sicheren Comes Henning von Pöterfalu geschaart. Der Wojwode er-
hielt vom Könige eine aus Kumanen bestehende Verstärkung. Henning,
der den Kampf mit den Kumanen aufgenommen, liess sein Leben auf dem
Schlachtfelde, womit wahrscheinlich der Putsch sein Ende gefunden. Hen-
nings Güter schenkte Karl dem Wojwoden Thomas, der sich über instän-
diges Bitten von Hennings Verwandten bewogen gefunden, die confiscirten
und ihm dotirten Güter gegen eine Ablösung von 200 Mark feinen Silbers
denselben zurückzustellen.
Ob es die Bekämpfung des Aufstandes in Siebenbürgen gewesen,
was den König für Thomas gar so sehr gestimmt, wissen wir nicht; soviel
aber steht fest, dass das Jahr 1327 ihm eine Fülle königlicher Auszeich-
nungen brachte, wie solche in der Geschichte königlicher Gnadenanwwid-
lungen nur selten verzeichnet werden.
Am 21. Mai 1327 * verleiht ihm Karl die im Heveser Comitate gele-
genen Güter Gyöngyös, Bette, Haläsz und Nagyut, die vordem den Nach-
kommen des Csobänka aus dem Geschlechte Aba angehört und ihnen
wegen Teilnahme an des Matthäus Aufstande abgenommen wurden. Am
selben Tage entsendet Karl das Ofner Capitel, um Thomas in Hollokö (s. o.)
und den dazu gehörigen Ortschaften immatrikuliren zu lassen.®
Am 26. Mai 1327* immatrikulirt man ihn in dem im Syrmier
Comitate gelegenen Nyek und in den im Bäcser Comitate gelegenen
Thamana, Pethejalva und Perhtynfalva. Losoncz, Eperjes, Szdnästelek,
Izbische, Zugehörigkeiten von Castell Baglyaskd\ gleichfalls Eigentum
von Thomas Verwandten, Enkeln Elias', werden ihm am 4. Juni des-
selben Jahres zugeteilt;^ ausserdem erfolgt unter demselben Datum
die Immatrikulirung in Alpughy Felpugh und Ujnyerges (im Neogra-
der Comitate), Eigentum der rebellischen Söhne eines gewissen An-
dreas (Endere).* Einen Tag später, am 5. Juni immatrikulirt man
ihn in Sztregova, Räros und Harkäny (im selben Comitate), welche
* Fej^r VIII. 2. 649. 651.
* Anjotikori okm4nyt4r U. 280.
» Anjotikori okm&nyt&r II. 285. 286.
* Anjoukori okm&nytÄr H. 286. 313.
* Anjoukori okm&nyt&r U, 290.
* Anjotü(ori okinÄnyt4r IL 294,
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THOMAS V. SZ^CS^NY, WOJWODE VON SIEBENBÜRGEN. 723
den rebellirenden Enkeln Aba's, Söhnen Stefans, Dominik, Aba und Johann
gehörten.'
Am 6. Juni erfolgt seine Statuirung in Sztrahora, Kovacsi und Var-
säny (Neograder Comitat),* welche vordem Peters Sohne Michael und An-
deren gehört hatten.
Am 8. September 1327 ® schenkt ihm Karl Orbö und Strdzs im Neo-
grader Comitate, die er dem Eebellen Michael, Sohne Martins von Orbö
abgenommen ; dieser war nämlich auch ein Anhänger Matthäus'.
Am 23. Juli 1328* schenkt ihm Karl abermals sämmtliche Güter
seiner Verwandten, der Enkel Elias*. Ausserdem vermehrt er zeitweise
seinen Besitz auch durch Kauf. 1329 z. B.^ verkauft Desiderius von Mar-
czal (aus dem Geschlechte P6cz) ihm seinen Besitz Megyer um 150 Mark.
1330® ist er unter Anderem auch Obergespan von Arad und
Csongräd.
Am 29. September 1331 "^ bekleidet er neben seiner Würde als Woj-
wode von Siebenbürgen noch die eines königlichen Oberschatzmeisters.
Andererseits beschenkt er auch Manchen aus Eigenem, um dadurch
seiner königstreuen Gesinnung Ausdruck zu verleihen. Thomas' Sohn Konya
war nämlich 1330 Obertruchsess der Königin und hatte als solcher den
Dienst gelegentlich der Hoftafeln zu verrichten. An dem verhängnissvollen
Tage, an welchem Felizian aus dem Geschlechte ZÄch mit gezücktem
Schwerte in den Hofsaal stürzte, um die an der Tafel befindliche königliche
Familie zu tödten, war Konya nicht anwesend und liess sich durch den
Beamten seiner Famüie, Alexanders Sohn Johann (aus dem Geschlechte
Akos) vertreten. Johann gelang es, dem wütenden Felizian das Schwert
aus der Hand zu reissen ; deshalb verlieh ihm Thomas im selben Jahre ®
mit Zustimmung des Königs den Neograder Besitz TJjnyin, den er vordem
durch königliche Donation erhalten.
Diese Einbusse an seinem Eigentume wurde indess bald wett-
gemacht, da er am 8. Oktober 1331 ^ in die sechs Somogyer Ortschaften
Merke, Topsiiriy Terebezd, Sitke, Zoob und Bennek, sowie in die Veszprimer
Pata und Esgrem immatrikulirt wurde. Der Herr dieser Güter, Nicolaus
Anjoukori okmanytdr 11. 296.
Anjoukori okm&nyt4r ü. 299.
Fej^r Vin. 3. 203.
Anjoukori okm4nytar U. 368.
Fej^r Vni. 6. 109.
Fejör Vni. 3. 423.
Anjoukori okm&nytdj* II. 552.
Fej^r Vni. 6. 114. 116.
Anjoukori okmdnytar II. 558,
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724 THOMAS V. BZÄCSÄNY, WOJWODB VON 8IEBENBÜBOBN.
von Tengurd war erbenlos verstorben, worauf Karl dieselben dem Thomas
schenkte.
Ob und in welchem Grade Thomas' zahlreiche Brüder ßxt der glän-
zenden Laufbahn desselben participirt, wissen wir nicht, bis 1333 wird keiner
derselben in den Urkunden genannt : erst in diesem Jahre stossen wir auf
einen von ihnen.
Thomas und seine Söhne Nicolaus tKönya» und Michael, Probst zu
Pressburg einerseits, andererseits Thomas' Bruder Peter und dessen Söhne
Stefan, Thomas und Dominik hatten schon vordem vor dem Ofner Capitel
Schritte zur Aufteilung ihrer gemeinsamen Güter Szecseny und Värad (im
Neograder Comitate) eingeleitet ; im Sinne eines vor dem Judex Curiae Paul
von Nagymiirton 1 333 geschlossenen Vertrages erfolgt nun am 8. Novem-
ber 1333^ durch das Graner Domcapitel die durch genaue Abgrenzung
erzielte Aufteilung der beiden Besitzungen. — Weder Thomas noch seine
Söhne sind gelegentlich dieser Transactionen anwesend ; sie senden stets
ihre Vertreter, indess Peter mit seinen Söhnen persönlich erscheint, ein
Zeichen, dass sie wahrscheinlich keine öffentlichen Würden innegehabt und
sich zu Hause mit der Leitung ihrer Güter beschäftigt.
In demselben Jahre 1333 (22. November)* stossen wir auf eine Be-
zeichnung Thomas', die nicht leicht zu analysiren ist. Sowohl König Karl,
als seine Gattin Elisabeth nennen in diesem Jahre unseren Thomas ihren
•proximus». An eine Blutsverwandtschaft oder Verschwägerung zwischen
Thomas und den königlichen Gutten ist nicht zu denken, es hat alle Wahr-
scheinlichkeit für sich, dass Karl und Ehsabeth die Pathenstelle bei Thomas'
jüngstem Sohne übernommen. — Ein Ausfluss dieser Proximität zeigt
sich am 25. Jänner 1334,* indem Königin Elisabeth dem Grosswardeiner
Capitel Befehl erteilt, die zu Gunsten Thomas im äusseren Szolnoker
Comitate fälligen Strafgelder einzukassiren. Ein höherer Ausfluss ist aber
entschieden Karls Urkunde ddo. 5. Mai 1334,* in der er Thomas förmlich
zur Würde eines königlichen «Proximus» erhebt und dessen Erbsitz Sze-
cseny im Neograder Comitate, ßimaszombat in Hont und Gyöngyös in
Heves mit denselben Privilegien ausstattet, deren sich die Bürger der Stadt
Ofen erfreuen.
Thomas ist nun wieder bestrebt, die Verwaltung seiner Güter auf vor-
teilhafte Weise zu befördern. Am 24. Juni 1334 ^/tauscht er im Vereine mit
seinen Söhnen Nicolaus «Konya» und Michael mit dem Kalocsaer Erz-
* Anjoukori okmdnytar III. 44.
" Anjoukori okm&nytdr IH. 53. Fejör Vni. 3. 679.
^ Anjoukori okmiuiyt&r in. 57. 63. 73.
* Anjoukori okm&nyt&r IH. 71. Fej^r Vm. 3. 716.
* Anjoukori okm&nytar m. 79. Fejör VIH. 5. 216.
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THOMAS V. SZE^IÄNY, WOJWODB VOK SIEBENBÖRGBN. 725
bischofe Ladislaus. Thomas erhält die Honter Ortschaften : Rimaszombat,
Bänyay Turek, Szkälnoky Ürreve, KaraszkSy Szkork, zwei Pokorag, Tomocz,
Cserencsen, Brezö und Tizocz und in Gömör Majori und Majsa ; der Erz-
bischof nimmt hingegen dafür : im Bäcser Comitate Gerecs, Totfalu, Csa-
länos, LugoSy Bätorfalva, andere Lugas, Szurdok, Gumulchen, Venecie,
JJjfalu, Läzärfalva, Tamana, Zuchy ; femer die Syrmier Ortschaften M(W-
töch und Gerech. Den Bäcser Besitz Ket-Lugas hatte Thomas 1328 nach
dem Tode seines erbenlosen Besitzers vom Könige geschenkt erhalten, und
beeilte er sich, die hierauf bezügliche Urkunde am 2. November 1335*
neuerdings bestätigen zu lassen.
1335 * ist er auch Obergespan von Neograd.
1338 schenkt er hinwieder eines seiner Güter weiter. — Stefan
«Pogäny» aus dem Geschlechte Huntpäzmän, den er seinen Proximus
nennt, erhält von ihm das im inneren Szolnoker Comitate gelegene Bona,
wozu Thomas' Söhne Könya, Michael und der unmündige Kaxpar ihre Zu-
stimmung erteilen. Am 4. Juli des genannten Jahres ratifizirt der König
diese Schenkung. * Bona war Eigentum eines sichern Benold sen., nach
dessen erbenlosem Ableben es der König an Michaels Sohn Simon, Ge-
span der Sz6kler und Obergespan von Bistritz übertragen; da sich
Simon mannigfache schwere Delicte zu Schulden kommen liess, kam
der Besitz auf gerichtlichem Wege in Thomas' Hände. Zwei Wochen nach
der Batifikation der Schenkung Bonas erweitert Thomas seine Besitzungen
durch Kauf. Am 15. Juli 1338* verkaufen nämlich die Nachkommen Pauls
und Pethö's von Apony die Hälfte ihres im Honter Comitate gelegenen
Besitzez Bela für 300 Ofener Mark an den Wojwoden von Siebenbürgen
Thomas.
Im nächsten Jahre (1339) ^ geht Thomas einen Gütertausch ein. Die
Nachkommen Csobänka's aus dem Geschlechte Aba waren, wie wir wissen,
ihrer Güter verlustig erklärt worden ; einen Teil derselben, nämlich die zum
Patronate des Heveser Klosters Särmonostor gehörenden, hatte Thomas
erhalten ; diese gab er nun an Emerich aus dem Geschlechte Aba (Zweig
Kompold), der ihm dafür seinen Anteil an dem Heveser Zsadäny abtrat.
Im selben Jahre (1339)* erfolgte seine Immatrikülirurig in Szäraz-
berek und Syma im Szathmärer Comitate, welche Besitzung ihm der König
geschenkt, nachdem deren Eigentümer, Stefans Sohn Ladislaus, der
Falschmünzerei beschuldigt worden war.
* Anjoukori okmanyt&r m. 207.
« Fej^r Vni. 6. 128.
> Anjoukori okm&nyt&r m. 470. 611.
* Anjoukori okni4nyt&r HE. 475.
«^ Fej6r Vni. 4. 415.
* Fej^r Vm. 4. 418.
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726 THOMAS V. SZlfiCBÄNY, WOiWODE VON SIEBENBÜBGEN.
Am 13. Mai 1339 ^ ist Wojwode Thomas auch stellvertretender Leiter
des königlichen Oberschatzmeisteramtes, in welcher Würde wir ihn noch
1340* und am 29. Jänner 1341 ^ antreffen. 1340 * schenkt ihm der König die
im Küküllöer Comitate gelegenen Güter Huzuriczo und Mtkehäza des er-
benlos verstorbenen Comes Nikolaus von Tolmäcs.
Am 6. Oktober 1341 ** endet ein Process, den Thomas mit den Söh-
nen Lorenz', Enkeln Balduin's, Johann und Ladislaus aus dem Greschlechte
Batold, Herren von Tamäfihida im Zaränder Comitate seit 1339 geführt
— König Karl hatte nämlich die Ortschaft Endrelaka im Zaränder Komi-
tate dem Rebellen Stefan, Sohn Endere's, abgenonmien und selbe dem
Wojwoden Thomas geschenkt. Balduins Enkel traten nun mit der Behaup-
tung auf, dass die von Thomas in Besitz genommene Ortschaft nicht
Endrelaka, sondern Tamäshida heisse und ihr Erbgut sei; der Prozess
wird unter obigem Datum dahin geschlichtet, dass Thomas, der in diesem
Jahre auch Obergespan von Neograd ist, seinen Bechten entsagt und dafür
von Balduins Enkeln die Gömörer Ortschaften Csamatelek und Korräd-
földe erhält.
Am S.Mai 1342® wird ein anderer Process beendet, den Thomas
gegen Michaels Söhne Stefan und Benenik geführt. — Thomas hatte näm-
lich behauptet, dass ihm der König die Heveser Besitzung TagadöteUk
nach dem erbenlosen Sebastian übertragen habe. Die Gegner wandten ein,
dass das von Thomas unter diesem Titel occupirte Gut gar nicht den
Namen Tagadotelek geführt, Sebastian niemals angehört und ihr eigenes
Erbgut sei. Der Process wird durch Vergleich entschieden, indem jede
Partei einen Teil des strittigen Gebietes erhält.
Am 16. Mai 1342' tauscht Thomas seine Besitzungen Baha und
KorläUelek um. Er erhält für dieselben den Neograder Besitz Szvtnyebänya,
Eigentum Petös von Zagyvafö.
Das Jahr 1342® ist reich an Besitzprocessen Thomas'; so wird unter
Anderem am 31. Mai dieses Jahres sein Process wegen des im Biharer Co-
mitate gelegenen Csalänos entschieden. — Thomas glaubte sich berechtigt,
auf Grundlage einer königlichen Donation Anspruch auf den Ö-Csalänos
genannten Teil des Gutes erheben zu dürfen. Die Söhne des gewesenen
1
Anjoukori okm^yt4r IIT. 552.
Fej^r Vm. 4. 437.
Hazai okm4nyt4r. I. 183.
Fej^r vm. 5. 275.
Anjoukori okm&nyt4r IV. 148.
Anjoukori okm&nyt&r IV. 204.
Anjoukori okm4nyt4r IV. 217.
Anjoukori okm&nyt&r IV. 226.
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THOMAS V. Szioß^NY, WOJWODB VON SrEBENBUROEN. 727
Palalins Dözsa von Debreczen behaupteten aber, dass es eigentlich nur ein
einziges Gsalänos gebe, das vordem dem Bebellen Beke aus dem Geschlechte
Borsa gehört habe. lieber Auftrag des Judex CurisB Paul von NagymÄrton
wurde nun das Erlauer Capitel beauftragt, in dieser Angelegenheit das
Zeugenverhör vorzunehmen. Thomas konnte für seine Behauptung nur
120Edelleute aufbringen, während die Gegenpartei ihre Behauptung durch
mehr als 3000 Zeugen bekräftigte. Selbstverständlich zog Thomas den Kür-
zeren und fand es für gut, am 27. August 1342^ seinen diesbezüglichen
Ansprüchen zu Gunsten der Herren von Debreczen zu entsagen ; — aller-
dings suchte er auch hieraus Capital zu schlagen, indem er sich die Ver-
zichtleistüng auf Csalänos mit der Ortschaft Paagh im Piliser Comitate
bezahlen Hess.
1343 ist Thomas nicht mehr Wojwode von Siebenbürgen. * Das Jahr
eröffnet er abermals mit einem Güterprocesse. Er hatte nämlich die dem
Graner Erzbistume gehörenden Neograder Besitzungen Vonuntotelek,
Mokafölde und Lukafölde für sich beansprucht, wogegen der Graner Erz-
bischof 1341 Protest erhob. Er berief sich auf eine Urkunde B61a*s IV. aus
dem Jahre 1 250, in der der merkwürdige Umstand ans Licht kam, dass
unter Anderen eben der Ahn Tliomas', Fulko von Szecseny es war, der z. B.
Luka, Mocka und Vononto als Diener der Graner Kirche bezeichnete. Der
Process wird zu Gunsten des Erzbischofs entschieden.
Thomas bekleidet 1343 die Würde des Oberschatzmeisters und ist
daneben Obergespan vonSzepes undBihar; sein Nachfolger in derWojwoden-
würde Siebenbürgens ist Nicolaus aus dem Geschlechte Aba, der im selben
Jahre 1343 das Siebenbürger Capitel beauftragt, den Weissenburger Probst
Thatamer in den Gyulafejervärer Besitz Bükös zu immatrikuliren, den ihm
sein Compater Thomas, königlicher Oberschatzmeister, mit Zustimmung
seiner Söhne geschenkt®
König Ludwig war dem langjährigen Diener seines Vaters gleichfalls
gewogen und wir irren wohl nicht, wenn wir annehmen, Thomas habe von
seiner Wojwodenwürde freiwillig abgedankt, um etwa mehr in der Nähe
des Hofes zu leben und sich die Verwaltung seiner Güter angelegen sein
zu lassen. Möglich haben ihn auch dazu Familienverhältnisse bewogen.
1 345 * bestätigt nämlich König Ludwig, dass der gewesene Wojwode von
Siebenbürgen, Thomas, den Honter Besitz Kürth, den ihm Karl Robert
geschenkt, der Graner Adalbertkirche zum Seelenheile seiner selbst, seiner
GaUin Frau Anna, seiner schon geborenen und etwa noch zu erhoffenden
* Anjoukori okm&nyt&r IV. 257.
« Fej^r IX. 1. 168.
^ Fej^r rX. 1. 186.
* Fej^r IX. 1. 278. 455.
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728 THOMAB Y. SZl^GS^NY, WOJWODB VOK SIBBEMBlbtaBlt.
Kinder vermache. Es scheint nach diesem letzteren Passus durchaus nicht,
dass Thomas sich 1 345 in sehr vorgerücktem Alter befunden haben dürfte.
Anna war wahrscheinlich seine zweite GkUtin.
1346^ macht er mit seinem Sohne Nicolaua Eon ja der soeben
erwähnten Kirche ein weiteres Geschenk, indem er ihr seinen Besitz Berun
überträgt.
Am 25. Juni 1347 * ist Thomas Obergespan von Erassö und Castellan
von Galamböcz. An diesem Tage unterwirft er sich einem Schiedsgerichte
in Angelegenheit der Grenzumschreibung von Jmötelek und Baehanad,
wegen welcher Ortschaften er mit dem königlichen Notar Stefan einen
Streit hat. Jenötelek ist Thomas' Eigentum.
Einige Tage später, am 13. Juli 1347^ ist er Obergespan von Keve
und Krassö. An diesem Tage bestätigt ihm König Ludwig eine Urkunde aus
dem Jahre 1340, aus welchem Anlasse er seiner ausgezeichneten Dienste
gedenkt.
Am 24. Mai 1348 * wird sein Besitz in Szirazberek und Sima erwei-
tert, da Ladislaus' Sohn Johann als Falschmünzer erklärt und sein Besitz-,
anteil laut Urteil des Palatins an Thomas fiült.
Einige Tage darauf (1. Juni)* überlässt er aber diesen Teil dem
Johann von Csähol aus dem Geschlechte Käta.
Am 17. Oktober hingegen* entsagt er allen seinen Ansprüchen auf
das im Heveser Comitate gelegene BessenyöteUk und tritt es dem könig-
lichen Notar Stefan ab, indem er sich der an Stefan erfolgten königlichen
Schenkung unterwirft.
Wenn wir meinen, Thomas sei bisher in der Erwerbung seiner Güter
stets gerecht und ohne Gewalt vorgegangen, irren wir uns sehr. Ein Bei-
spiel entgegengesetzter Art ist so drastisch, dass es bezeichnend sein muss
für das ganze Gebahren des Mannes. Vor dem Graner Capitel klagte 1348 ^
Andrees von Pochk in eigenem, sowie im Namen seiner zahlreichen Ver-
wandten, dass Thomas, gewesener Wojwode von Siebenbürgen, ihn und seine
Verwandten schon seit 30 Jahren von ihren Gütern verjagt und sich die-
selben (nämlich zwei Pochk, Pelen Iriny, Kaplan, Nyerges-Lehota in Neo-
grad, zwei Volkaz in Bars, Säros und Kengyel in Värad) vom Könige ver-
leihen lassen. Hiermit nicht zufrieden, und um sich diesen Besitz umso
Fej^r IX. 1. 359.
Anjoukori okm&nytÄr V. 97.
Fej4r IX. 1. 465. 521.
Anjoukori okm4nyt4r V. 195.
Anjoukori okm4nyt&r V. 204.
Anjoukori okm4nyt4r V. 241.
Fej^r IX. 1. 597.
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^OMAS V. SZlicsiNY, WOJWODE VOIJ SIEBENBÜRGEN. 72Ö
ungestörter aneignen zu können, nahm er Andreas gefangen, liess'ihn
blenden und einer Hand berauben, ausserdem seien in Thomas' Q^föng-
nissen eilf seiner Verwandten vor Qual und Hunger gestorben. Der durch
Thomas ihm erwachsene materielle Schaden betrage bis jetzt 5000 Mark.
So hart diese Beschuldigungen auch waren, schadeten sie dem in der
Gunst des Hofes fest sitzenden Thomas dennoch nicht. Am 18. März 1349 ^
sehen wir ihn das hohe Amt des Lord-Oberrichters bekleiden, neben dem
er noch'die Thuröozer Obergespanswürde inne hat. Am 13. Oktober des-
selben Jahres ist er auch Obergespan von Keve.^
Nichtsdestoweniger ist er iti der Vermehrung seines Besitzes noch
immer unersättlich. Am 15. März 1350 lässt er seine Güter Gyöngyös und
Bene frisch umgrenzen und setzt, trotz des Protestes der Nachbarn seinen
Willen durch, sechs Tage später (21. Juni)^ meldet das Erlauer Capitel dem
Könige, dass es gelegentlich dieser Grenzbestimmung den Lord-Oberrichter
Thomas davor gewarnt habe, sich etwas von Thomas' Sohn Demeters Gute
Solymos anzueignen !
Zum letzten Male erscheint Thomas als Judex Curise am 26. Sep-
tember 1356.* — Bald darnach dürfte er gestorben sein.
Wann seine Grattin Anna gestorben und welcher Familie sie ange-
hört, wissen wir nicht.
Von seinen Kindern kennen wir die Söhne Nikolaus «Könya», Mi-
chael, Bischof von Erlau, Kaspar und Ladislaus. Könya's Nachkommen spie-
len als Herren von Szecs^ny eine bedeutende Rolle, bekleiden hohe
Beichsämter und gehören zum Hochadel. Da eine Geschichte der Nach-
kommen Thomas* hier nicht geplant ist, beschränken wir uns nur auf die
Bemerkung, dass Thomas' direkte Nachkommenschaft in der zweiten Hälfte
des XV. Jahrhunderts erloschen ist.
Wir haben das Lebensbild dieses Mannes, soweit es das bisher publi-
cirte urkundliche Material erlaubt, nach Möglichkeit skizzirt und es erüb-
rigt uns nur noch, ein resumirendes Gesammtbild desselben zu bieten. —
Im Grossen und Ganzen erweist es sich für ihn nicht am glänzendsten.
Einer oppositionellen Familie entsprossen, deren Glieder einst, um
die Misswirtschaft eines herrschsüchtigen und übermütigen Weibes zu be-
* Anjoukori okmÄnyt&r V. 268.
' Anjoukori okm4nyt4r V. 327.
» Anjoukori okm&nyt&r V. 365. 384.
* Fej^r IX. 2. 483,
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J
730 THOMAS V. SZl^CSlto, WOJWODE Vt>N SIHBBNBÜROliN.
seitigen, selbst vor der Ermordung dieses Weibes nicht zurücksoheuten, ist
Thomas von Szecs^ny, dem Beispiele seines Vaters folgend, von frühester
Jagend an bestrebt, den antikönigliehen Buf seiner Abstammung durch die
denkbar loyalste Gesinnung und durch vollständiges Aufgehen in der Hof-
atmosphäre zu verwischen. Während seine Verwandten sich an Matthäus'
von Trencseny Opposition beteiligen, Gut und Blut opfern, ihrer Besit-
zungen verlustig und vogelfrei erklärt werden, wirft er sich, das einzige
Glied seiner Familie, dem Könige Karl in die Arme, nimmt an den Käm-
pfen gegen Matthäus und seine eigenen Verwandten den activsten Anteil,
kehrt nach Beendigung des Krieges an den Hof zurück, wo er unter Opfe-
rung von Zeit und Geld im Interesse des Königs Ehewerber wird und ver-
bringt, als des Königs allergetreuester Anhänger und proximus, sein ganzes
Leben in Amtsstellungen, die ihm den ununterbrochenen Verkehr mit
König und Hof sichern.
Seine dynastische Gesinnung erweist sich ihm dankbar. 22 Jahre
hindurch ist er Wojwode von Siebenbürgen, darauf wird er der oberste
Kichter des Landes, in welcher Eigenschaft er seine Tage beschliesst ; des
Königs Gnade überschüttet ihn mit materiellen und moralischen Auszeich-
nungen, seine Söhne sieht er noch zu seinen Lebzeiten in höchst angese-
hener Lebensstellung, er hat mit einem Worte das vollkommen erreicht,
was er sich am Beginne seiner Laufbahn vorgesteckt. Für einen Sprossen
der Königinmörder und Verwandten von Rebellen gegen den regierenden
König ein fabelhafter Erfolg.
Fragen wir aber, was der Mann geleistet, in. welcher Weise er die
unerhörte Gunst seiner beiden königlichen Gebieter ausgebeutet und ob
ihm in der Geschichte seiner Nation ein bleibendes Denkmal seines Lebens
durch seine Thaten errichtet worden, so haben wir darauf nur eine negi-
rende Antwort.
Wir wollen von seinen Kämpfen gegen Matthäus absehen ; er war
damals ein junger Mann, der in seiner Beteiligung an diesen Kämpfen nur
das Mittel zur Erreichung von Ansehen und Macht sah. Kaum hatte er es
aber erreicht, finden wir, dass er die grenzenlose Gnade des Hofes zu
nichts anderem, als zur eigenen Bereicherung verwendet. Kaum wird in
der langen Reihe von Jahren irgendwo ein Gut frei, sehen wir den aller-
getreuesten Thomas vor seinen König treten, um ihn an die vor Jahren
gegen Matthäus geleisteten Dienste unterthänigst zu erinnern und sich das
freigewordene Gut als erneuerten Beweis königlichen Dankes zu erbitten.
Dabei ist er in der Auswahl derselben durchaus nicht skrupulös ; dass die
Güter manchmal seinen eigenen Verwandten als Rebellen weggenommen
wurden, berührt ihn wenig, genug, wenn er das Erbe der ihrer Habe Be-
raubten antritt; und wo er sich nicht in den Schutzmantel königUcher
Donation hüllen kann, weicht er selbst vor Gewalt nicht zurück ; er occu-
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^HOkAS V. SZlfiCß^NY, WOJWODE VON BIEBRNBÜROEN.
731
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732 DIB LANDNAHME DER tmOAR!} UND DIE ASTRONOMIE.
pirt fremdes Gut, wirft die rechtmässigen Eigentümer in den Kerker, wo er
sie yerbungem lässt.
Dass ein Mann, der es im Laufe der Jabre zu einem Beichtume
bringt, wie er in der Gescbicbte des damaligen Hocbadels nur selten ver-
zeichnet ist, weder der Eircbe, nocb Anderen etwas schenkt, ist gleichfalls
charakteristisch. Er beschenkt seinen Beamten einmal^ weil er die könig-
liche Familie gerettet, und in seinem Alter spendet er ein-zweimal zu sei-
nem Seelenheile Etwas der Kirche ; dies ist aber auch Alles, was wir von
seiner Grosmut und Wohlthätigkeit wissen. •
Bewegende Ideen, Sinn für's allgemeine Wohl, schaffende und orga-
nisatorische Thätigkeit suchen wir bei ihm vergebens ; ihm schwebte immer
und überall nur der eine Gedanke vor : seines Königs allerunterthänigster
Diener zu heissen und sich auf jede Art zu bereichem ; er war kein Staats-
mann, sondern ein Höfling, der ausserhalb der Hofatmosphäre jeden Halt
verloren hätte ; sein König konnte mit ihm zufrieden sein . . .
Schliesslich wollen wir noch die Stammtafel (S. 731) jenes Hauptzwei-
ges des Geschlechtes Kathyz bieten, aus welchem neben den Herren von
Sz6cseny noch die Familien Satgoi und Libercsei stammen.
Dr. MoRiz Wertneb.
DIE LANDNAHME DER UNGARN UND DIE ASTRONOMIE.
Die Untersuchungen über den Zeitpunkt, da die Ahnen des magyari-
schen Volkes das Land in Besitz genommen, haben in jüngster Zeit unsere
Historiker zu den eingehendsten Forschungen veranlasst, ohne dass bisher
eine Einigung in einem bestimmten Datum erzielt worden wäre. In einem
Punkte jedoch stimmen so ziemlich alle Ansichten überein, dass nämlich die
Bestimmung des Jahres der Landnahme in Pannonien davon abhängt, wel-
ches Jahr wir für jenen bulgarischen Feldzug annehmen, der der Eroberung
Pannoniens voranging. Dieser bulgarische Feldzug wird auf die Jahre 893,
894, 895 und 896 angesetzt, demnach erfolgte auch die Landnahme selbst
zwischen 894 — 898. In Bezug auf diesen bulgarischen Feldzug erzählen die
Chronisten jener Jahre, dass um jene Zeit in Byzanz eine grosse Sonnen -
finstemiss sichtbar war. Diese Himmels-Erscheinung erklärt es nun, dass
die Astronomie in dieser Frage der Geschichte zu Hilfe eilt.
Dass wir — ob wir nun das erste Auftauchen unserer Ahnen in Pan-
nonien oder ihre teilweise Ansiedelung oder endlich die bereits beendete
Landnahme ins Auge fassen — einen ganz bestimmten Zeitpunkt, wie etwa
für ein Ereigniss der Gegenwart oder auch nur für ein oder das andere
wichtigere Ereigniss in der Geschichte der damals schon hier in Mittel-
Europa ansässigen Völker, nie angeben werden können, darüber sind wir
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DIE LANDNAHME DBB UNOABN UND DIE ASTRONOMIE. 738
wohl im Reinen. Nichtedestoweniger ist es unsere Pflicht, unseren gegen-
wärtigen Kenntnissen entsprechend wenigstens die engsten Zeügrenzen des
wahrscheinlichen Zeitpunktes jenes Ereignisses festzustellen.
Die Bestimmung eines Zeitpunktes bleibt eigentlich immer eine astro-
nomische Frage, da ja der Mensch das Maass und die Einteilung der Zeit
von allem Anfang an aus dem Ejreise astronomischer Erscheinungen genom-
men hatte.
Die Herstellung der Chronologie — dieses Gerippes der Geschichte —
war und bleibt stets nicht nur Aufgabe der Geschichte allein, sondern
zu gutem Teil auch die der Astronomie. Die Bestimmung der Zeitrech-
nung verschiedner Völker und Zeitalter, ihre Vergleichung mit unserer Zeit-
rechnung und ßeduction auf dieselbe ist ja auch jetzt ebenso eine astro-
nomische Aufgabe, wie seinerzeit die Wahl des Jahres, die Berechnung
seiner Länge und die Anpassung an die Erscheinungen der Natur es war.
Doch könnte Jemand einwenden, dass wenn die Menschen sich ein-
mal im Zeitmaasse und der Art ihrer Zeit- und Jahres-Bechnung geeinigt
haben, der Nachweis der Beihenfolge der geschichtlichen Ereignisse nicht
mehr Sache des Astronomen, sondern des Historikers ist. Und da zur
Zeit der Eroberung Pannoniens auch bei unseren Ahnen die Astronomie
ihren Urzustand, die Anfänge der Zeitrechnung, schon überschritten hatte,
so könnte der Geschichtsforscher zur Bestimmung der Chronologie jener
Zeit der Astronomie wohl entbehren.
Nichtsdestoweniger spielt die Astronomie auch in der Bestimmung des
Datums einzelner Begebenheiten in dieser verhältnissmässig nicht allzusehr
entfernten Zeit eine nicht unbedeutende Bolle. Es ist dies zwar nicht jene
grundlegende Beteiligung, auf die wir früher hingewiesen haben, sondern
vielmehr eine Art der Wegweisung und Unterstützung. Denn wenn auch —
nach Houzeau — die Astronomie nicht so sehr deshalb die erste objective
Wissenschaft war, weil der helle Glanz der Sterne die allgemeine Aufmerk-
samkeit auf sich zog, sondern vielmehr darum, weil der Mensch sich fort-
während zu den Sternen wenden musste, um im practischen Leben durch-
zukommen : so begleitet die Astronomie auch heute noch fortwährend den
Menschen, der ihrer teils benötigt und immer benötigen wird, teils sich
unwillkürlich dorthin wendet, wo jede menschliche Schwäche verschwindet !
Aus diesem Grunde finden wir in den Überlieferungen jeder Zeit Auf-
zeichnungen der Himmelserscheinungen, welche uns dann das Mittel an
die Hand geben, das Alter und die Zeit jener Aufzeichnungen zu bestim-
men, da sehr häufig das, was in jenen Aufzeichnungen sonst hierauf Bezug
hat, jetzt nicht mehr verständUch und auch nicht controlirbar oder ab^r
so nichtssagend ist, dass wir darauf nicht bauen können. Hingegen haben
die Aufzeichnungen der Himmels-Erscheinungen eine kaum genug
schätzbare Eigenschaft, welcher zufolge sie wie geschaffen erscheinen,
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734 DIE LANDNAHME DEB UNGARN UND DIE ASTRONOMIE.
entweder das — anderweitig gefolgerte — Alter als richtig zu erweisen, oder
zwischen zwei strittigen Jahreszahlen zu entscheiden, oder endlich allein
die einzige Stütze der Zeitrechnung abzugeben. Die Aufzeichnungen der
Himmelserscheinungen können nämlich in den meisten Fällen rückberech-
net werden, und hierin liegt eben ihre Wichtigkeit. Wir kennen nämlich
die Bewegungs-Gesetze und Verhältnisse der Himmelskörper und die Lage
unserer Erde im Welträume, und so sind wir im Stande, für jede — noch
so entfernte — Epoche und für einen gewissen Erdenort das Bild des Him-
mels zu reconstruiren. Oft steht allerdings auch der Ort, auf welchen sich
die betreffende Beobachtung bezieht, in Frage, — in diesem Falle ist dann
die Bestimmung der Zeit nur nach langwieriger Bechnung möglich und
kann häufig überhaupt nicht endgiltig entschieden werden. Doch geben
uns die eriudtenen Besultate auch in solchen Fällen häufig neuere Daten
oder führen zu gana unerwarteten Folgerungen in Bezug auf Alter, Ort oder
andere umstände der in Frage stehenden üeberlieferung. Denn — was wohl
nicht des Näheren erläutert zu werden braucht — wenn das Alter einer
derartigen alten Beobachtung entweder aus der Aoi^ichnung selbst oder
sonstwie bekannt, der Ort der Beobachtung aber unbekannt wäre, so kön-
nen wir aus den für jene Zeit reconstruirten Orten der Himmeldtwper
auch jene Gegend und jene Orte der Erde bestimmen, wo die fragliobe
Erscheinung sichtbar war, und somit auch, wo die Beobachtung und Auf-
zeichnung geschah.
Einige Beispiele sollen uns dies näher illustriren. In der «Syntaxis»
des Ptolemäus (bekannter ist dies alte Werk unter dem Namen der arabi-
schen Uebersetzung : «Almagest») geschieht unter anderem nach Hipparchus
Erwähnung einer Mondesfinsterniss, derart, als ob sie zu Babylon beobach-
tet worden wäre. Doch schon in der Einleitung des Almagest heisst es,
«Hipparchus sagt, dass er diese drei» (nämlich die in Frage stehende und
zwei andere) «Finsternisse zu denen aus Babylon überlieferten hinzugefügt
habe, als ob sie dort beobachtet worden wären.» Oppoltzer findet nun, dass
hier sicher die Finstemiss vom 22. Dezember 382 v. Chr. gemeint ist und
die Beobachtung in Athen oder auf einer der jonischen Colonien angestellt
und von Hipparchus dann auf Babylon reducirt wurde. Hier aber war
die Finstemiss gar nicht sichtbar, da Oppoltzer auf Grund seiner Syzigial-
Tafeln den Anfang der Finstemiss für Babylon 4 Minuten nach Sonnen-
Aufgang berechnet. Die Berechnung entschied also^in diesem Falle, dass
die Beobachtung so wie sie erzählt* ist, gar nicht hat geschehen können.
Auf drei der kleinen Thontäfelchen, die aus der Seleucidenzeit und
dem Orte nach aus Abu Habba (wahrscheinlich der alten chaldäischen
Sternwarte zu Sippara) stammen, finden sich zahlreiche astronomische
Angaben, besonders auf die Bewegung des Mondes Bezug habende und
unter anderen auch Erwähnungen von Mondesfinstemissen. Die Jesuiten*
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DIE LANDNAHME DER ÜKGAB|7 UND DIE ASTBONOMt£ 735
patres Epping und Strassmaier haben nun in der Annahme, dass die eine
Tafel dem Jahre 189 der seleucidiscben Aera [= 123 v. Chr.] angehört, die
Finsternisse berechnet und gefunden, dass diese Finsternisse mit den Ta-
felangaben thatsächlich übereinstimmen und dass auch kein anderes Jahr
die Mondesfinstemisse in der von den Titfein geforderten Weise enthält.
Somit konnte der Anfang der seleucidiscben Aera für das Jahr 311 v. Chr.
vollkommen sicher festgestellt werden.
Einen geschichtlich wie astronomisch interessanten Fall hat Gin»ef
endgiltig entschieden, nämUch die von Plutarch in seinem Gespräche
«Ueber das Gesicht in der Mondscheibe» erwähnte Sonnenfinstemiss, welche
Ginzel mit der vom 20. März 71 n. Chr. identificirt, und hiedurch für das
Alter von Plutarch, — der demnach damals gegen 26 Jahre alt gewesen
sein dürfte , — und somit für die klassische Philologie ein bemerkenswertes
Pactum gewonnen hat. Hiebei musste Ginzel die Epoche der Jahre 27 bis
103 n. Chr. systemastisch durchmustern, was das oben gesagte über die
Langwierigkeit der manchmal nötigen Bechnungen zweifellos illustrirt.
Doch kommen auch Fälle vor, wo entweder in Folge des zu allge-
mein gehaltenen Wortlautes oder auch wegen der Möglichkeit der verschie-
denen Deutung des Textes eine Beconstruirung, respective eine vollkom-
men eindeutige Identificirung nicht gelingt. Ich will hier beispielweise nur
auf eine bei dem jonischen Dichter Archilochos erwähnte Finstemiss (nach
Schwartz und Oppoltzer entweder die vom 14. April 657 oder 5. April
648 V. Chr.) und auf die zu mannigfaltigen Combinationen Anlass gegebene
Ennius'sche (nach Oppoltzer 21. Juni 399 v. Chr., nach Anderen 12. Juni
391 V. Chr.) Finstemiss hinweisen.
Bevor ich nun selbst auf die Bestimmung der Zeit einer derartigen
alten Beobachtung, welche für uns von Interesse ist, des Näheren eingehe,
muss ich zweierlei bemerken. Erstens muss ich an jene Schwierigkeiten
erinnern, welche in dem Umstände begründet sind, dass trotz der grossen
Vollkommenheit der Theorie der Bewegung der Himmelskörper, der
s. g. Mechanik des Himmels, bei ihrer Anwendung, der numerischen Be-
rechnung der Bewegungen der Himmelskörper, dennoch kleine Unsicher-
heiten zurückbleiben, welche zur Folge haben, dass die in der Gegenwart
giltigen Zahlenwerte bei ihrer Anwendung auf eine Jahrhunderte und
Jahrtausende entfernte Epoche ein von der thatsächlichen Erscheinung
mehr oder minder abweichendes Eesultat ergeben. Ich will dies statt län-
gerer Auseinandersetzungen an einem Beispiele erläutern. Jeder Planet
und Trabant hat heute schon seine sogenannte Theorie, d. h. seine Bahn
im Weltenraume, und seine Bewegungen in dieser Bahn sind berechnet und
auf Grund dieser Zahlen wurden Tafeln construirt, mittelst deren Hilfe wu:
im Stande sind, den jeweiligen Ort dieser Himmelskörper an der schein-
baren Himmelskngel für jede Zeit anzugeben. So also z. B. auch den Ort
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736 DIE LANDNAHME DKR ÜNGABN UND DIE ABTBONOMIE.
unseres Mondes. Nachdem aber die Zahlenwerte selbstverständlich auf
Grund der Beobachtungen berechnet werden, die Beobachtung aber be-
kanntlich nie die thatsächlich wahren, sondern immer nur die yHihrschein-
lichsten Werte liefert, so werden die numerischen Werte mit gewissen Un-
sicherheiten, 8. g. Fehlem behaftet sein, welche sich für so entfernte Zeiten
summiren und grössere Abweichungen zwischen Theorie und Wirklichkeit
zur Folge haben müssen. Es kann uns aber zur Beruhigung dienen, dass
diese Fehler heute schon äusserst klein sind, in Bezug auf den Ort des
Himmelskörpers meistens nur Bruchteile der Bogensecunde. In der Mond-
theorie existiren ausserdem noch Glieder, welche sich mit der 2jeit ändern,
ohne dass wir das allgemeine Gesetz der Aenderung bisher genügend ken-
nen würden, und welche also nur für jene Zeit als endgiltige gelten kön-
nen, in welcher die zu ihrer Berechnung benutzten Beobachtungen gemacht
wurden. Doch auch hier werden unsere eventuellen Zweifel dadurch ent-
kräftet, dass di > Theorie eben alle Beobachtungen, also auch die aus den
früheren Zeiten stanmienden, zur Bestimmung dieser mit der Zeit veränder-
lichen Werte für die in Frage kommende Epoche benützen kann und auch
fortwährend benützt. Es ist also möglich, dass ein Beobachter vor 1000 Jahren
den Mond nicht gerade zu dem auf Grund unserer heutigen Mondtafeln be-
rechneten Zeitpunkte auf einem bestimmten Ort gesehen hat, sondern ein
wenig früher oder später. Dennoch wird die Abweichung in den allerselten-
sten Fällen so viel betragen, dass die Beconstruction oder Identificirung
der Beobachtung fraglich bliebe.
Meine zweite Bemerkung ist die, dass in der, nun schon mehrere
Jahrtausende umspannenden Geschichte der Menschheit die meisten — und
wir können gleich hinzusetzen, die für Geschichtswissenschaft und Archäo-
logie wichtigsten — Aufzeichnungen sich, wie schon die oben angeführten
Beispiele andeuteten, auf Finsternisse beziehen.
Auf den ersten Blick scheint es leicht verständlich, warum eben die
Finsternisse die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich zogen, anderseits
bietet aber eben dieser Umstand Anlass zu einem eingehenderen Studium
bezüglich der culturellen Entwickelung der Menschheit. Das Unerwartete
und Ungewöhnliche der Erscheinung, dann auch die abergläubische Furcht
und der Eigendünkel der Menschen, all dies wurde noch gesteigert
durch die eigentliche Ursache, daes es nämlich ausser den Cometen
und Meteoriten kaum eine auffallendere Erscheinung des Himmels gibt,
als eben die Finsternisse. Ausser ihrer Häufigkeit sind sie aus dem
oben erwähnten Gesichtspunkte auch noch darum von besonderer Wich-
tigkeit, weil gerade die Theorie der Finsternisse eines der wohl am
vollkommensten ausgearbeiteten Capitel der Astronomie isi Sie konnte
ja die Lösung solcher Aufgaben versuchen, welche bis in die Zeit der
ältesten Denkmäler des bewussten Daseins des Menschen zurückreichen,
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DIB LANDNAHME DEB UNGARN UND DIB ASTBONOIHH. 737
wie z. B. die Finstemiss des Su-king, welche vor nahe 4000 Jähreh statt-
gefunden hat.
Dass die Astronomie die Geschichte in der wissenschaftlichen Bear-
beitung einer Begebenheit, in der Bestimmung des Alters einer ausgegra-
benen Gedenktafel unterstützt, glaube ich zur Genüge dargethan zu haben ;
dass die Astronomie dieses Ziel hauptsächlich durch die Neuberechnung
der Finsternisse erreicht, ist nach dem Letztgesagten auch klargestellt.
Aufzeichnungen, bezüglich welcher eine Neuberechnung irgendeiner
Finstemiss notwendig wird, haben wir nicht nur in den Zeiten des fernsten
Altertumes zu suchen, sondern wir finden solche auch aus verhältniss-
mässig nicht so femer Zeit stammend. Der Chronist des Mittelalters z. B.
beginnt nur zu oft mit der Erzählung der Erschaffung der Welt, durch-
läuft dann das Wenige, was man zu seiner Zeit Welt- oder im Allgemeinen
Geschichte nannte, und kommt schliesslich zur Gründung seiner Vater-
stadt, deren Geschichte er weitläufig erzählt. In dieser teilt er dann oft
mit, zu welcher Tagesstunde dieses oder jenes geschehen, wer an dieser
oder jener Procession teilnahm ; doch in welchem Jahre sich das alles
begeben hatte, verschweigt er entweder, oder seine Chronologie ist derart
unzuverlässig, dass seine Jahreszahlen ganz unbrauchbar werden.
Vielleicht noch häufiger ist aber der Fall, dass die verschiedenen
Chroniken — von je einem anderen Ausgangspunkte aus rechnend — für
dieselbe Begebenheit verschiedene Jahreszahlen angeben, oder aber, dass
die heutige Geschichtsforschung nach den verschiedenen Urkunden ver-
schiedene Jahreszahlen für dasselbe Ereigniss folgert. In diesem Falle
kann dann eine von dem einen oder dem anderen Chronikschreiber erwähnte
Finstemiss die Entscheidung bringen. Zu dieser Classe der Finsternisse zählt
auch jene, die um die Zeit des bulgarischen Feldzuges in Byzanz sichtbar
war und mit welcher wir uns nun eingehender beschäftigen wollen, zugleich
diesen Zweig der rechnenden Astronomie berührend.
Damit wir auch sehen, welcher Art diese Aufzeichnungen sind, und
wie immer engere und engere Kreise gezogen werden müssen, bis wir
behaupten können, dass diese und nur diese Finstemiss die fragliche ist,
schreibe ich die Worte des Fortsetzers der Chronik des Georgius Monachus
her. In dem 9. Punkte der Chronik der Kegierung Kaiser Leo's heisst es :
«Eine Sonnenfinstemiss trat ein, so dass es Nacht wurde in der sechsten
Stunde und die Sterne erschienen. Und es donnerte und stürmte und
blitzte, sodass sieben Menschen auf den Stufen des Fomms verbrannten.»*
* Der griechische Text lautet: iF^yove 8g «Xe^i; fjXtou, ajaie vüxta yt^h^cu &pa
Ixt?) xo^ tou( aat^pa^ fabM^cti, oXXa ßpov';a\ xa\ ouvo^^at av^jjicov xot a7Tpa7ca\ y^^^^^^^»
a»aTe xaTJvai ^v toi( avaßo^^iot^ tou oöpou avj^pcu7Cou( ItctÄ.»
ÜDgwItohe Beine. 1891. XI. vni— DL Heft. 47
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738 DIE LANDNAHME DEB UNGABN UND DIE A8TB0N0MIB.
An einer Stelle, unweit der citirten, erwähnt zwar der Fortsetzer des
Georgius eine Jahreszahl, nämlich das Jahr der Tronbesteigung Kaiser
Leo's, 886 n. Chr., doch da darauf wieder lange keine Jahreszahl folgt,
konnte man nicht genau wissen, welche Sonnenfinstemiss gemeint ist, wie
denn auch Ginzel es nur als wahrscheinlich hinstellt, dass die vom 8. August
891 gemeint sei. Ausserdem leidet die Chronologie gerade dieses Zeit-
raumes Mangel an zweifellos bestimmten Jahreszahlen. Unser ausgezeich-
neter Geschichtsforscher, Prof. Salamon, sagt in seiner Brochüre : « A hon-
foglaläs 6ve» (das Jahr der Landnahme) in Bezug auf die fragliche Him-
melserscheinung, «es sei Schade, dass nicht einmal das Jahr der Sonnen-
finstemiss mit genügender Sicherheit controUirbar ist», — wie das damals
auch thatsächlich nicht der Fall war. Ich habe gerade auf seine Aufforderung
hin im Jahre 1883 meine hierauf bezüglichen Eechnungen angefangen,
konnte sie aber — häufig und verschiedenartig verhindert — erst im ver-
flossenen Jahre beenden.
Um die Sonnenfinstemiss zu bestimmen, musste ich mich darauf
stützen, was bekannt war, ich musste also jene Sonnenfinstemiss suchen,
welche in den letzten 10 — 15 Jahren des IX. Jahrhunderts in Byzanz total
oder wenigstens sehr nahe total war und zwar in der sechsten Tagesstunde,
also nach unserer jetzigen Zeitrechnung um die Mittagszeit.
Ohne hier auf die Theorie der Finstemisse, noch weniger auf die
Art und Weise ihrer Berechnung des Näheren einzugehen, will ich nur
kurz den Weg angeben, welcher bei der Lösung derartiger Aufjgaben zu
befolgen ist.
Aus den Daten der Sonnen- und Mondtafeln berechnen wir zuerst
für die Zeit der Conjunction, d. h. für den Augenblick des Neumondes, jene
Werte, welche die Oerter der Sonne und des Mondes bestimmen : die Coor-
dinaten der beiden Himmelskörper, ihre scheinbaren Durchmesser und
ihre Horizontal-Parallaxen. Oppoltzer gab in seinen, im Jahre 1881 von der
«Astronomischen Gesellschaft» herausgegebenen «Syzigial - Tafeln des
Mondes» bereits diese zur Zeit der Syzigien giltigen Werte, so dass ein
Rückgreifen auf die Mond- und Sonnentafeln direct nicht mehr notwendig
ist. Aus diesen Tafeln die einem gewissen Datum entsprechenden Zahlen
entnehmend, berechnen wir die Elemente der Finsterniss, — wenn eine
Finstemiss in der fragUchen Syzigie im Allgemeinen möglich ist, welchen
Umstand uns ebenfalls gewisse zwischen diesen Zahlen bestehende Relatio-
nen anzeigen.
Unter den Elementen der Finsterniss verstehen wir gewisse Relationen
und Beziehungen zwischen den obenerwähnten Daten der beiden Himmels-
körper (Sonne und Mond), welche uns auch in den Stand setzen, durch
weitere Rechnungen die Lage und den Weg des Schattenhegels des Mondes,
also allgemein die Sichtbarkeit der Finstemiss für einen gewissen Erden-
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DIB LANDNAHME DEB UNOABN UND DIB A8TB0N0MIB. 739
Ort und andere Umstände derFinstemiss zu bestimmen. * — Wenn wir nun
die geographischen Coordinaten eines Erdenortes kennen und dieser inner-
halb der Sichtbarkeitsgrenzen der Finstemiss liegt, können wir durch wei-
tere Näherungs-Kechnungen die näheren Umstände der Finstemiss für
diesen Ort — Anfang und Ende der Finstemiss, Grösse und Zeit der
grössten Phase — bestimmen. Die «^äÄ^rwngf«» -Rechnungen sind nicht
etwa so zu verstehen, dass wir die eben erwähnten Umstände — Anfang,
Ende u. s. w. — der Finstemiss nur annähernd richtig erhielten (abge-
sehen natürlich von den früher erwähnten Abweichungen der Theorie von
der Wirklichkeit), sondern so, dass wir nur durch Wiederholung derselben
Rechnungsvorschriften dem der Theorie entsprechenden Werte der ge-
wünschten Daten mit der von uns erstrebten Genauigkeit immer näher
kommen, welche Genauigkeit mit unseren Tafeln bis zum Bruchteile der
Zeitsekunde geht. Die Ursache hievon ist (um dies nur kurz zu berühren
und um gleichzeitig die Ausdehnung derartiger Rechnungen zu charakte-
risiren), dass wir, um für einen gewissen Ort den Anfang und das Ende der
Finstemiss berechnen zu können, schon den Ort der Himmelskörper für
jenen Augenblick, also diesen selbst, das heisst das, was wir eben berechnen
wollen, kennen müssten. Darum beginnen wir die Rechnung mit einer —
meistens der ungefähren Mitte der Finstemiss entsprechenden Zeit, und
bekommen für den Anfang, Ende u. s. w. gewisse Werte, mit denen wir
die Rechnung wiederholen, und dieses Verfahren so lange fortsetzen, bis
das Endresultat mit dem letzten Anfangswerte übereinstimmt. Mit den
Tafeln Oppoltzers und den dort gegebenen Vorschriften werden wir kaum
je mehr als einer dreimaligen Näherung bedürfen.
In dieser Weise bin ich mit der Sonnenfinsterniss des Fortsetzers
von Georgius verfahren. In Bezug auf dieselbe wusste ich nur so viel, dass
sie sich zu Ende des IX. Jahrhunderts ereignet hatte und in Byzanz
central war. Ich berechnete also die ElefnerUe der in den Jahren 887 — 896
möglich gewesenen Sonnenfinsternisse, für die centralen unter denselben
die geographischen Oerter jener Rmkte, in Bezug welcher die Centralität
eben zu Sonnenaufgang, Mittag und Sonnenuntergang eintrat, d. h. die
^ Von nnn an wird im Allgemeinen auch die Inanspruchnahme der Syzigial-
tafeln, resp. die Berechnung der Fin6temL<«-Elemente nicht mehr notwendig sein,
da Oppoltzer in seinem nCanon der f instemissen die Elemente und Hilfsgrössen,
wie auch die später zu erläuternden Hauptpunkte sämmtlicher Finsternisse von
1908 a. Ch. n. bis 2161 p. Ch. n. berechnen und zusammenstellen Hess. Da der
Canon erst 1887 von der kais. Akademie in Wien edirt wurde, somit vor 1888 nicht
benützt werden konnte, ich aber schon 1885 zum grössten Teile die Bechnungen
ausgeführt hatte, konnte ich noch keinen Gebrauch von diesem Canon machen, sondern
musste den längeren Weg wählen. Ohnehin bekam ich den Canon ei*st nach meinem
diesbeztlglichen Vortrage, resp. nach Erscheinen meines Auüsatzes im Term^szet-
tndom&nyi Eözlöny zu Gesicht.
47*
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740
DIE LANDNAHME DER ÜNOABN UND DIB ASTRONOMIE.
geographischen Coordinaten der s. g. drei Hauptpunkte, da die diese
Punkte verbindende Gurve das annähernde Bild jenes Weges gibt, welchen
die Axe des Yollschattens, resp. des Schattenkegels auf der Erde beschreibt
Wenn wir nämlich diese Hauptpunkte in eine Landkarte einzeichnen und
sie z. 6. mit einem Kreisbogen verbinden, sehen wir gleich, in welchen
Gegenden die Finstemiss central war, können uns also schon ein ungefäh-
res Urteil bilden, ob die Finstemiss an einem gewissen Orte als eine grös-
sere sichtbar war oder nicht. Endlich berechnete ich für Byzanz — dessen
geographischen Ort ich nach Nr. 2365 der «Astronomischen Nachrichten •
(Turm des Seraskierat) zu 41°0'54".ll nördl. Breite und 28^53'46".6
östl. von Greenwich annahm — Anfang, Zeit der grössten Phase und Ende
der Finstemiss, wie auch die in Teilen des Sonnendurchmessers ausge-
drückte Grösse der grössten Verfinsterung (grösste Phase), — wenn näm-
lich die Finstemiss in Byzanz überhaupt sichtbar war.
Die Conjunctionszeit, Jahr, Monat, Tag, Stunde und Minute — also
auch das Datum — der Finstemiss in wahrer bürgerlicher Zeit von Ctreen-
wich (den Tag zu 24 Stunden von Mittemacht zu Mittemacht gerechnet)
und die letztgenannten Grössen, wie auch die Art der Finsternisse (c =
central, t = total, r = ringförmig, p = partiell) gibt für die von nrir berech-
neten 21 Sonnenfinstemisse folgende Zusammenstellung :
Nr.
T.
wahre bürg.
Qreenwioh
Zeit
Anfang
Grösste
Phase
Ende
Grösse
der
g.Ph.
Art
mittl. Zeit Byzanz
1.
887.
IV.
27.
»1
0.1m
nicht sichtbar
c. r.
2.
877.
X.
20.
12
18.1
13h 51.1m 1 14ii 23.3m
14^
57.2m
0.10
a t.
3.
888.
IV.
15.
3
36.4
nicht sichtbar
5
49.6
■
0. r.
4.
888.
X.
9.
4
29.3
nicht sichtbar
6
19.9
,
c t.
5.
889.
IV.
4.
4
50.0
nicht sichtb. | 5 52.2
7
1.0
0.78
P-
6.
889.
IX.
28.
18
21.0
nicht sichtbar
,
P.
7.
890.
II.
23.
0
56.4
nicht sichtbar
,
0. t.
8.
890. VIII.
19.
9
54.4
13 21.0 1 13 56.1 1 14
29.8
0.20
P-
9.
891.
n.
12.
16
25.0
nicht sichtbar
c t
10.
891.
vm.
8.
1«
14.4
1« 5.76
11 4«.«2
13 23.M
m
c r.
11
892.
IL
2.
8
14.9
9 32.7
10 5. 5
10
40.8
0.11
c. t.
12.
892.
vn.
27.
14
5.9
nicht sichtbi ar
.
c. r.
13.
893.
I.
21.
19
52.6
nicht sichtbar
P-
14.
893.
VI.
17.
17
13.3
nicht sichtbar
P-
15.
893.
XII.
12.
4
32.3
nicht sichtbar
,
P-
16.
894.
VL
7.
10
35.6
11 59.7 1 13 0.7 1 14
3.3
0.38
c t.
17.
894.
XTT,
1.
4
10.0
nicht sichtbar
,
c r.
la
895.
V.
28.
2
19.0
nicht sichtbar
,
c t.
19.
895.
XI.
20.
9
38.0
nicht sichtbar
,
ۥ r.
20.
896.
V.
16.
12
10.7
nicht sichtbar
,
c r.
21.
896.
XI.
8.
22
6.5
ni
cht sichtl
>At
•
c t.
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DTR LAl^DKAHHE DEB UKOABN ÜNB DIE ASTROMOMIB. 741
Schon diese Zusammenstellung zeigt deutlich, dass nur die Pinster-
niss vom 8^ August 891 diejenige in diesen 10 Jahren sein kann, welche
unsere Chronik erwähnt, wie denn auch die Verbindungs-Curve der drei
Hauptpunkte, — welche der Reihe nach durch die Coordinaten : <p»+41 °.8,
X. = 310^0; <p„= + 36°.7, K = 30^6; 9»= — 4°.3, K = 87°.2 gegeben
sind, — durch das Mittelmeer und nahe bei Byzanz vorbei geht. Eine ein-
gehendere Besprechung der Finsternisse wird uns obige Behauptung noch
unumstösslicher erläutern lassen. Von den 21 Sonnenfinsternissen waren
in Byzanz überhaupt nur 8 sichtbar, u. z. Nr. 2, 3, 4, 5, 8, 10, 11 und 16,
doch können wir die mit 3 und 4 bezeichneten centralen Finsternisse
sogleich ausschliessen, da eben nur das Ende der Finstemiss sichtbar
gewesen wäre, wenn Jemand — die Zeit und Erscheinung schon vorhinein
wissend — dasselbe beobachtet hätte. Aus eben demselben Grunde müssen
wir auch die Finstemiss Nro 5 ausschliessen, welche zwar für Byzanz, als
eine grössere, bis auf Va Teil des Sonnendurchmessers sich erstreckende
Finstemiss, sichtbar war (ihre Centralitäts-Curve geht durch Mittelafrika) ;
doch war die Erscheinung derart, dass die Sonne schon verfinstert aufging,
ein Umstand, in Folge dessen eine Stadtbevölkerung nicht viel davon sehen
und erfahren konnte, wie dies z. B. auch bezüglich der Finstemiss vom
19. August 1887 in Erinnerung sein dürfte. Dieser ohnehin nicht «zur sechs-
ten Stunde» gewesenen Sonnenfinsternisse erwähne ich besonders nur aus
dem Grunde, weü sich Prof. Salamon seinerzeit dahin äusserte, dass andere
Chroniken eine frühere, vormittägige Stunde angaben und unser Georgius
sich möglicherweise in der Stunde irren konnte. Doch von den bisher aus-
geschlossenen können wir ganz bestimmt behaupten, dass sie damals in
Byzanz von Niemandem bemerkt worden waren.
Gleichfalls unbemerkt gingen die Finsternisse Nr. 2, 8 und 1 1 vor-
über, da diese für Byzanz partiell und von geringer Grösse waren, indem
die grösste Phase nur 0.1 resp. 0.2 und 0.1 des Sonnendurchmessers be-
trug, was so geringfügig ist, dass eine Aenderung in der Belichtung gar
nicht bemerkt wird. Ausserdem war die Erscheinung für Byzanz bei den
Finsternissen Nr. 2 und 8 schon Nachmittags von 2 bis 3 ühr, resp. ca.
^/i 2 bis ^/9 3 eingetreten ; die Finstemiss Nr. 1 1 hatte aber um ®/4 1 1 schon
ihr Ende erreicht.
Die Bezeichnung der sechsten Stunde, d. i. des Mittags^ kann somit nur
mehr auf die Finsternisse Nr. 10 und 16 angewendet werden. Da jedoch die
grösste Phase der letzteren erst Nachmittags 1 ühr eintrat und sich ausser-
dem nur auf ^/s des Sonnendurchmessers erstreckte, so bleibt uns nur die
ringförmige Finstemiss vom 8. August 891, welche nach unseren, mit den
Oppoltzer'schen Tafeln berechneten Elementen für Byzanz eine partielle
Finstemiss war und von 10 Uhr 6 Min. Vormittags bis 1 ühr 24 Min.
Nachmittags, also nahezu 3^/s Stunden dauerte. Die grösste Phase derselben
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74^ DIE liANDNAHltE DEtl Ü^GABK UND DIE ASl^NOMIE.
trat 14 Minuten vor 12 Uhr ein und erstreckte sieh bis auf 0.9 des Sonnen-
durchmessers ; es musste also die Finstemiss auch schon in dieser Form
zweifellos Aufsehen erregen und konnte Schrecken verbreiteh, so dass der
Erzähler ihrer nicht nur erwähnt, sondern des grösseren Eindruckes halber
auch ein Gewitter entstehen lässt, wobei sieben Menschen um's Leben
kamen, was aber mit dem Zusätze, dass während der Sonnenfinstemiss die
Sterne am Tage bemerkt wurden, schwer vereinbar ist.
Unsere Erwägungen, dass nur die Sonnenfinstemiss vom 8. Äugast
891 die in Bede stehende gewesen sein kann, erhalten eine weitere Stütze
in der Mondtheorie selbst, auf welchen Umstand ich noch kurz eingehen
möchte. Es kann nämlich mit Becht gefragt werden, ob denn die Finstemiss
nicht doch — wie es erzählt wird und auch recht wahrscheinlich ist —
eine von grösseren Dimensionen war, als unsere Tafeln sie ei^eben ,und ob
sie nicht auch für Byzanz central-ringförmig war, während nach unseren
Elementen Byzanz schon ausserhalb der Centralitäts-Zone Wli? Dass
innerhalb der erwähnten 10 Jahre keine anderen centralen Sonnenfinster-
nisse möglich waren, als die angegebenen, muss der g. Leser mir — und
auch dem Canon — glauben ; dass unter diesen das von Georgius Conti-
nuatus erzählte sich nur auf die vom 8. August 891 beziehen kann, giatibe
ich zur Genüge dargethan zu haben ; doch habe ich schon früher darauf
hingewiesen, dass die Werte der Mondtafeln strenge und genau nur für
jene Zeit gelten ; in welcher die zu Grunde gelegten Beobachtungen ange-
stellt wurden, oder noch für solche Epochen, die in nicht zu grosser Ent-
fernung vor oder hinter diesem Zeitpunkte liegen. Theoretisch sind zwar
die einzelnen Glieder, besonders durch Oppoltzer, schon mit einem sehr
grossen Grade von Genauigkeit berechnet, und sie würden auch für alle
Zeiten gleichmässig anwendbar bleiben, wenn nicht in der Mondtheorie,
resp. in der Bewegung des Mondes, wie schon erwähnt, auch solche Glieder
vorkämen, deren Wert mit der Zeit veränderlich ist, ohne dass wir das
allgemeine Gesetz der Aenderung schon vollkommen kennen würden.
Anderseits ändern sich mit der Zeit gewisse Glieder gleichmässig, werden
grösser oder kleiner, und die in solchen Werten noch bestehenden ver-
schwindend kleinen Unsicherheiten — Fehler — werden bei ihrer Anwen-
dung auf so ferne Epochen zur Folge haben können, dass die berechnete
Centralitäts-Zone jene Orte picht mehr in sich schliesst, an welchen die
Finstemiss in der That noch als centrale gesehen wurde. Wie geringfügig
aber diese Abweichungen selbst für eine 1000 Jahre entfernte Zeit sind, das
beweist eben die betrachtete Finstemiss in glänzender Weise. Die nörd^
liehe Grenze der Centralitäts-Zone bleibt nämUch nur ungefähr 1 V* Grad
südlich von Byzanz und wirklich reicht eine ganz geringe, von der Theorie
nicht nur zugelassene, sondern nach dem Gesagten gewissermassen gefor-
derte Correction der Elemente schon aus, damit die so construirte Centra-
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litäts-Zorie auch Byzanz in sich schliesse, während keine der übrigen cen-
tralen Finsternisse mit beliebigen, theoretisch noch erlaubten, aber will-
kürlichen Aenderungen durch Byzanz gehen wird. Man kann sich augen-
scheinlich hievon überzeugen , wenn man die Hauptpunkte in eine
Landkarte einzeichnet und die zu einer Finstemiss gehörigen untereinan-
der z. B. mit Kreisbögen verbindet, wie es auch die Iconographie des
Canon gibt; man sieht dann sogleich, dass die übrigen centralen Finster-
nisse gar nicht in Betracht kommen können. — Von den partiellen hingegen
sa^ Oppoltzer mit Eecht, dass sie ihrer grösseren Häufigkeit wegen ent-
weder nicht, oder nur nebensächlich, also nicht als etwas besonders ins
Auge Fallendes, erwähnt werden.
Ich glaube zweifellos dargethan zu haben, dass die um die Zeit der
Landnahme der Magyaren in Pannonien, jedenfalls aber vor dem bulgari-
schen Feldzuge in Byzanz sichtbar gewesene Sonnenfinstemiss — welche
nach unserer Chronik noch vor dem Tode des Patriarchen Stefan, umso-
mehr also vor dem darauffolgenden bulgarischen Kriege eingetreten war, —
die vom 8. August 891 tvar. Wir haben also eine Jahreszahl als untere
Grenze, die keinerlei Zweifel mehr zulässt, unterhalb welcher wir also das
Millenium nicht feiern können ; es ist das Jahr 1891. Und wenn wir natur-
gemäss auch nicht den Tag der Landnahme kennen, die Zeit ist heute
doch schon in recht enge Grenzen geschlossen. Wenn auch der bulgarische
Feldzug einige Jahre nach 891 stattfand, und diesem die Landnahme
folgte, so steht die tausendste Jahreswende doch schon an unserer Schwelle.
Dr. Franz Lakits.
ULPIA TRAJANA.
Die neueste Monographie über die mächtige Metropole Daciens * wendet
sich, unbeschadet ihres wissenachaftlichen Charakters und Wertes, an die gebil-
dete Lesewelt und insbesondere an die Jugend. Der Verfitöser bietet hier eine lehr-
reiche Skizze der wechselvollen Geschichte Daciens, wobei er die Erfahrungen,
welche er während der wissenschaftlichen Bearbeitung der im Auftrage der «Histo-
rischen und archäologischen Gesellschaft des Comitates Hunyad» schon seit 1881
geführten Ausgrabungen um Värhely gewonnen und die sich auf das Gemeinleben
der ganzen Provinz erstrecken, in gefälliger, anziehender Weise zu verwerten ver-
steht. Der hübsch ausgestattete Band leitet mit der Eroberung Daciens ein und
knüpft in zwanzig Abschnitten sämmtliche Daten zusammen, welche im Verlaufe
von Jahrhunderten emportauchten und in den bis Born verstreuten beschriebenen
* Ulpia Trajana Augusta Colonia Dacioa Sarmizegetusa Metropolis. Dacia
föv&rosa, a mai Varhely Hunyadmegy^ben. (Daciens Hauptstadt, das heutige Värhely im
Comitate Hunyad.) Von Prof. Paul Kiraly. Budapest, 1891, Verlag des Athenäums, 178 S.
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^** ÜLPIA TBAJANA,
DenkmälerD, Scolpturen und anderweitigen EunRtgegenständen, isowie in den mit
nicht gewöhnlichen Erfolgen begleiteten Ausgrabungen der thiBtoriBchen und
archäologischen Oesellschaft des Comitates Hunjad» zur Verfügung stehen.
Die Einleitung stellt uns mit beinahe dramatischer Lebhaffcigk^t die helden-
mütigen Verteidigungskämpfe Decebals vor Augen. Schon Julius Gsesar wurde
durch die tollkühnen Angriffe des daciscben Königs Burivista beschäftigt und nur
sein plötzlicher Tod hinderte ihn an der Ausführung seiner Eroberungspläne. Nach
Burivista zerbröckelte das mit eiserner Faust zusammengehaltene Yolksconglomerat
wieder. Indess fügen sich auch die germanischen Stämme ihrer neuen Lage und
das römische Beich kann vier von den hier beschäftigten Legionen zur Verstärkung
des unteren Donau-Ufers senden. Unter Domitian, der zwar ein ausgezeichneter
Administrator war, jedoch wenig Feldherm-Talent besass, hoben die Dacier wieder
tollkühn das Haupt. Er eilt persönlich auf den Schauplatz der öefahr, nach Moesien,
doch vergebens : er kann die Verheerungszüge des jungen, willenskräfldgen daci-
schen Königs nicht vereitehi unddst zuletzt gezwungen, der gemarterten Provinz den
Frieden unter entehrenden Bedingungen zu erkaufen. Laut einer dieser Friedens-
bedingungen musste Domitian Arbeiter zum Burgbaue herbeischaffen imd Decebal,
der keinen Augenblick im Zweifel darüber war, dass seine momentanen Erfolge die
Angriffe des niedergebeugten Kaiserreiches nur in erhöhtem Maasse herausfordern
würden, sorgt in fieberhafter Hast für die Befestigung seines kleinen Reiches. Wie
brennend jedoch auch die Schamröte auf den Wangen Roms glühte : Domitian
konnte es nicht wagen, in der schweren finanziellen Lage des Reiches mit den
demoralisirten Truppen die von allen Seiten geforderte Rache zu üben. Den be-
jalirten Nerva, seinen Nachfolger im Jahre 96 nach Chrisi schreckte der Schlach-
ten aufregendes Gewühle ; er sendete die unter dem Vorwand von Geschenken aus-
bedungenen Steuern pünktlich ein und konnte auf diese Art das Kriegsgelüste der
Dacier beschwichtigen. GlückHcherweise adoptirte er den tüchtigsten Soldaten des
Reiches, Marcus Ulpius Trajanus, der sein Erbe im Januar des Jahres 98 n. Chr.
thatsächhch antrat. Trajanus vertagte die Antrittsfeierlichkeiten, eilte vom Rhein-
ufer augenblicklich an das Gestade der unteren Donau und erst nachdem er sich
mit den örtUchen Verhältnissen zur Genüge vertraut gemacht und über das zunächst
zu Verrichtende orientirt hatte, denkt er an die Feierhchkeiten der Installation.
Decebal merkte sehr bald den Umschwung der Zeiten. An Stelle der folgen-
den Jahressteuer erscheinen Soldaten am eisernen Thore, um Strassen zu bahnen ;
aus Pannonien und MoBsien wird die Streitmacht gegen Dacien conoentrirt Aber
auch ihn selbst finden die Vorbereitungen nicht müssig. Es genügt ihm nicht»
sein Volk in Waffen zu rufen, er ist auch eilig bemüht, mit den benachbarten
Curen, Sarmaten, Germanen und Sueben ein Bündniss zu schliessen, ja seine Bot-
schafter bringen selbst den parthischen König Pacorus zur Action. Man rüstet
beiderseits, um sich in entscheidendem Kampfe zu messen. Trajan überschreitet
mit einer Heeresmacht von beiläufig achtzigtausend Mann im Frühlinge des Jahres
101 die Donau ; bei Tapaa (in der Gegend von Karänsebes) wartet seiner ein so
blutig ergrimmter Kampf, dass er selbst nur nach einer Rast von mehreren Tagen
die Trümmer seines zerstreuten Heeres sammeln kann, um bich durch das eiserne
Thor im Hunyader Comitate auf das königliche Sarmizegetusa zu werfen. Die
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ÜLPIA TRAJAliA. 745
Bobneile Niederlage zwingt Deoebal zur Untei-werfnng und er gerat in dieselbe
feudale Lage, deren Joch die Könige von Judaea schon seit einem Jahrhunderte
trugen. Doch kaum waren in Born die Festlichkeiten der glänzenden Triumphzüge
Trajans verrauscht : da ertönten neuerdings die Eriegsdrommeten Decebals. Zu
allererst suchte er t Borns Freunde», die zwischen der Donau und Theiss wohnen-
den Jazygen zu züchtigen, weil sie seinen Feind unterstützt hatten. Den Protest
des durch die Jazygen alarmirten Eom beantwortete er mit der Niedermetzelung
und Vertreibung der dacischen Wachposten.
Das stolze Eom ist gezwungen, dieser offenen Herausforderung mit einer
neuen Kriegserklärung zu begegnen, und im Jahre 105 besetzt Trajan die Engpässe
Daoiens mit einer noch viel grösseren und schrecklicheren Heeresmacht. Beim
Anblicke der Uebermacht schrecken die schwankenden Verbündeten Decebals
zurück ; er kämpft mit seinen treuen Daoiern bis zum letzten Athemzuge und
stürzt 8ich schliesslich in das Schwert, um der Schande der Knechtschaft zu ent-
gehen. Die Freude über die Niederschmetterung des unbändigen Feindes feiert
Trajan in Bom in den auserlesensten Festlichkeiten und lässt den Verlauf des
blutigen Krieges in den noch heute sichtbaren Beliefm der auf dem Forum Traianum
aufigestellten Columna Traiana verewigen. Diese Säule ersetzt uns auch den Ver-
lust nach dem Vorbilde Julius CflBsars verfEUister Denkschriften, und gibt auch
nodi nach so vielen Jahrhunderten ein treues Bild von den Schrecknissen des
langen Krieges.
Bom konnte sich der Eroberung insbesondere aus zwei Ursachen freuen.
Brst^is, weil der am meisten gefürchtete Buhestörer der unteren Donaugrenze zu
seinen Füssen lag ; und zweitens, weil es die Naturschätze Daciens, insbesondere
den reichen Goldgehalt seiner Berge ganz nach Belieben zur Verbesserung seiner
zerrütteten Finanzen verwenden konnte. Die strategische Occupation der Provinz
bezweckte auch nur die möglichste Sicherung des Goldlandes, und längs der Maros
und Szamos suchte man sich gegen die von Nord und Ost drohenden Gefahren
durch einen wahren Burgring zu sichern. Kaum vier Jahre nach der Eroberung
steht die Hauptstadt der Provinz, Sarmizegetusr., fertig und nachdem die im Jahre
110 unter der Führung des Legaten Scaurianus beim Baue beschäftigte Legio V
Macedonica (die hierher gehörige Inschrift ist im IV. Bande des C. I. L. Nr. 1443
zu lesen) in ihre Station nach Trossmis (Iglitza) zurückgekehrt war, übernimmt die
Legio Xin Gemina den Wachposten in Dacien.
Trajan sammelt in fieberhafter Eile aus allen Teilen des Beiches Colonisten.
Von Britannien, Belgien, Hispanien bis zum kaspischen Meere und dem weit ent-
fernten Syrien muss jede Provinz ihren Ueberfluss an Bevölkerung hiezu abgeben.
Der Wachposten ist aus eben solchen bunten, mannig<igen Elementen zusam-
mengewürfelt. Die XUI. legio Gtomina war aus Pannonien, die legio V Macedonica
aus McBsien, ihren ursprüngUchen Stationen geworben, bestanden daher aus über-
wiegend thrakischen Elementen. Die Hilfsheere enthielten dagegen britisches und
iturisches, germanisches und maurischem Fussvolk, batavische und nnmidische
Gavallerie, — wie es die Agenten Trajans in der Eile zusammenraffen konnten.
Die römische Heerführung verstand übrigens das Vermengen der fremden Volks-
elemente sehr wohl und suchte eine Hauptstütze ihrer Macht darin, sie gegeuBeitig
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74Ö
ULPlA TRAJAl^A.
in Schranken zu halten. Trajan posttrte die erste Gehörte der Briten, denen das
Bürgerrecht verliehen worden (Cohors I. Britannica militaria civiom Bomanonim),
bei der grossen Szamos in AIsö-Eosäly (Corpus Inscriptionum Latinarum IH. 821.
829.) ; eine kleinere Abteilung in Algy6gy-Germizaza längs der Maroe (Corpus
I. Latin. III. B. 1 396. Numerus Brittanorum. wo wir auch mit diesem Zeichen
gestempelte Ziegel fanden). Die Kelten gewöhnen sich so sehr hierher, dass in die L
Gohorte derselben die Bekruten schon von hier geworben wurden und jene sich
durch den Beinamen Cohors Dacioa von den übrigen unterschied. (Corpus Inscr.
Latin. lU. B. H. M. 40). Später teilt man ihre Cavallerie mit der pannonischen
(Corpus Inscript. Latin, in. H. M. 44) und der vom Bosporus in ein Regiment (ala)
ein, wie dies Karl Torma aus einem, im Nationalmuseum aufbewahrten Maros-
Eereszturer Abschiedsdiplome herausfand.
Da Trajan seiner Abstammung nach Hispanier war, verstärkt er die Bevöl-
kerung der neuen Provinz auch mit seinen Stammverwandt^!. Wir finden die an-
spruchslosen, arbeitsamen, zu Guerillakämpfen ausserordentlich geeigneten Iberer
überall. Oben im Norden an der in die vereinigte Szamos mündenden Egregy
in Magyar-Egregy (Szilägyer Comitat) stationirt die Cohors I. Hispanorum Pia
Fidelis schon im Jahre 110 n. Chr. (C. L L. 6253. H. M. 25), nicht weit von hier
in Largiana (Zutor) die Cohors II. Hispanorum, zwischen Torda (Potaissa) und
Klausenburg (Napoca) baut wieder die Cohors 1. Ulpia Hispanorum Milliaria Givium
Komanorum den sti-ategischen Weg im Jahre 110. Im Osten in der Nähe der Har-
gita in Enlaka wacht die Cohors HI. Hispanorum Equitata. In Micia (dem heutigen
Veszel) liegen die leichten Truppen der Campagonen ; von Oermizaza (Algyögy) ans
dehnen die Reitertruppen des asturischen Regimentes ihre Streif- und Späherzuge
bis an das Erzgebirge aus. Auf den strategisch wichtigen Standorten finden wir
neben Hispaniem auch Germanen. Bei Magyar-Egregj (Certia) stationirte die
Cohors I. Batavorum Milliaria (C. I. L. III. 830.), auf dem Gebiete des heutigen
Krassö'Ször^nyer Comitates die Ala I. Batavorum Milliaria, die man aus dem
Rheindelta geworben, wo Julius CsBsar oder Drusus dem römischen Adler die
Herrschaft errungen hatte. Mit ihnen zugleich dienten die Ubier, Ad Mediaxn
(Mehadia, C. I. L. IH. 1571. Cohors I. Ubiorum) stationirt, eine berittene Abtei-
lung der Tunguren (C. I. L. HI. 788. Ala I. Tungrorum Fontiniana und unter 793.
Ala I. Tungronim) lag in Alsö-Ilosva. Die Nachbarn der Germanen gegen Süden
zu, die keltischen Vindelicier vertritt die Cohors I. Vindelicorum (C. I. L. HI.
134-3.) in Micia (Veszel). Das nahe gelegene Rhaatien lieferte schon ein grösseres
Contingent zur Heeresmacht in Dacien. So stand die Cohors I. Alpinorum Equitata
in Apulum (C. L L. IIL 1183.), die Cohors L Alpinorum (n. d. 1343.) in Micia.
Auch die Söhne Pannoniens nahmen an der Ueberwachung Daciens Teil. Die
Ala IL Pani^onionim lagert in Apulum (C. I. L. HI. 1 100.), die Ala Pannoniorom
in Micia (n. d. 1375), die Ala IL Pannoniorum Equitata in Sarmizegetusa. Moesien
bereichei-t mehr das bürgerliche Element der neuen Provinz, Thr cien ist durch die
AlaThiacorum in Optatiana (Magyar- Gorbö) vertreten und Anioninus Pius entiässt
die Veteranen der Cohors I. Thracum Sagittariorum am 13. December des Jalires
157 und am 8. Juli des Jahres 158. (C. I. L. IH. Diploma honestaa mis8ioni8 40,
K. Torma im Archäol Ertenitö, 1886. 371.) Die Bossen bilden ausser einer eigenen
Cohorte (Coh. HI. Flavia Bessorum) auch einen Teil des Bürger-Elementes, ^lie
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ULPU TRAJANA.
■747
Stammverwandten der Thraken vom Bo8poru8 fehlen auch nicht und sind in der
Ala Bosporanoram in Apnhim und in der Ala I. Bosporanornm in Micia stationirt.
Die Balkan-Halbinsel liefert Trajan die tüchtigsten Gruben-Arbeiter : die Peraster.
Eine eingehende Schilderung der hellenischen, semitischen und afrikanischen
Elemente übergehen wir. Auch aus dem bisher Gesagten darf man schliessen, dass
die Streitmacht Daciens in überwiegendem Maasse aus den westlichen Provinzen
zusammengestellt war ; weil jedoch die zur Heranbildung eines Bürger-Elementes
nötigen Arbeitskräfte von dorther nicht zur Verfügung standen : richtete sich das
Augenmerk der Verwaltung nach Osten, von wo besonders die Syrer massenhaft;
herbeigelockt wurden. Diese Volkselemente, die so in moralischer wie in phydischer
Hinsicht auf einer sehr zweifelhaften Stufe standen, deren Ansichten unter dem
Eindrucke der von Westen übernommenen, kaum verstandenen Civilisation auf
Irrwege geraten waren, übten durch die Verbreitung dieser Ideen, ihres Aber-
glaubens und ihrer religiösen Mysterien einen zersetzenden Einfluss auf das
Kelch aus, welches gleichzeitig auch noch mit der Gefahr der übermässigen Ausbrei-
tung zu kämpfen hatte.
Da sich in dem Mittelpunkte der derartig entstandenen Provinz ein nicht
gewöhnhches geistiges und materielles Capital zusammengehäuft hatte, musste
auch die Bauart desselben ein Bild des Wohlergehens zeigen. Den cardo maximus
entlang, der als Hauptstrasse der Stadt von West nach Ost führte, zogen sich glän-
zende Palastreihen. Zum Glücke sind am östlichen Ende von Värhely wenigstens
jene Trümmer noch erhalten, wo das Amphitheater emporragte. In seiner Nähe
befand sich das grossartig angelegte öffentliche Bad und jene Prachtbauten, deren
Fussböden mythologische Darstellungen (das Urteil des Paris, Priamos um seinen
Sohn flehend, Victoria) in Mosaik schmückten.
Die Tonangeber des öffentlichen Lebens waren selbstverständlich die kai-
serUchen Beamten. Ihnen gegenüber concentrirte sich die st<ädtische Bevölkerung
in verschiedenen Corporationen. Einige dieser hatten einen religiösen Charakter,
andere waren gewerbliche oder gesellschaftliche Vereine. Die meisten Mitglieder
zählte das collegium fabrum, ein Gewerbe verein der verschiedenen Metall- und
Holzj^^ohneider, von dessen erster, dritter und dreizehnter Abteilung wir aus den
Inschriften Eenntniss erhalten. Diese Vereine hoben durch ihre Aufzüge den Glanz
der Festlichkeiten und des (Gottesdienstes und sorgten für die Unterstützung und
ehrenvolle Beerdigung ihrer Mitglieder. So steuert d:.s Collegium zu den Begräb-
nisskosten des A. Januarius 400 Denare bei (C. I. L. UI. 1 UH.) und lässt dem
C. Jnl. Marcus ein Grabdenkmal errichten (C. I. L. HI. 1 505).
Zur Vei'schönernng der Stadt trugen die Kirchen und öffentlichen Gebäude
wesentlich bei. Die meisten Inschriften und Heiligtümer verkünden die Macht
und Grösse Jupiters. Nebst ihm stehen besonders Juno, Minerva, Apollo, Diana,
Luna, Mars, Silvanus, Venus, Liber, Libera, Mater Deum, Fortuna, Nemesis, Mer-
corius, Aesculapius, Victoria, Virtus, Hercules etc. in hohen Ehren. Die fremden
Ansiedler vergessen auch ihrer heimatlichen Götter nicht Die GbJater errichten
dem Jupiter Tavianus (Corp. I. Lat. IH. 860. 1088.), die Carier dem Jupiter Eure-
senus (n. d. 859.), die phrygischen und mysischen Colonisten der Adrastea, die
Semiten dem Magbel Bellahamon, Benefal Manavat HeiUgtümer, Die DoUchner
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748
ULPIA TRAJANA.
fuhren die Verehrung des Jupiter Dolichenos aas Syrien ein. Von Osten stiunrnt
auch die Verehrung des Mithra, und das V4rhelyer MithrsBum wurde eben durch
Paul Kirüy im XV. Jahrgange der § Archäol. Közlem^nyek» eingehend beschrieben
und erläutert. Die Herstellung dieser Bauwerke und Votivaltäre beschäftigte die
nahe gelegenen Marmorbräche im Bisztratale (Gegend von Bukova) und gab ausser-
dem Anlass zur Entstehung mehrerer anderer Steinbrüche zweiten Banges in der
Gbgend umher.
Ein Hauptfactor der Bedeutung Sarmizegetusas war der Provinzstatthalter
mit seinem glänzenden Hofstaate. Hadrian teilte zwar die Provinz in zwei Di-
strikte, Dacia inferior und Dacia snperior (G. I. L. HI. 753.), und nach dem Tode
des Kaisers Lucius Verus, zur Zeit des Statthalters M. Claudius Fronto (um 170
n. Chr.) finden wir gar eine dreifache Einteilung (Dacia Porolissensis, D. Apu-
lensis und D. Maluensis, mit der unbekannten Hauptstadt Golonia Maluensis).
Das Directionscentrum der Provinz bleibt doch Sarmizegetusa und die Statt-
halter bedienen sich des Titels Tres DaciflB. Das dacische Statthalteramt war eine
so hochwichtige Stellung, dass die Träger desselben nach Verlauf ihrer Amtsfrist
mit dem Consulartitel beehrt wurden. Der Legat ist Gbuvemeur der Provinz mit
unumschränkter Gewalt, die höchste bürgerliche und militärische Behörde; er
überwacht die Staatsverwaltung, die finanziellen Ueberschläge und das Ausheben
der Soldaten. An seinem Hofe wirkt eine grosse Anzahl von Ratgebern und Be-
amten, die alle zur Belebung der hauptstädtischen gesellschaftlichen Verhältnisse
beitragen. In den Inschriften werden 3 Legaten mit Namen verewigt ; die Identität
und das Zeitalter dreier anderer festzustellen, ist bisher nicht gelungen. Auch die
Sitzungen des Concilium provinciarum Daciarum Trium verliehen der Stadt Sar-
mizegetusa eine ausserordentliche Belebtheit. Einmal im Jahre versammelten sieh
hier die Abgeordneten auch der weitesten Provinzen (principes civitatum), um in-
mitten religiöser und profaner Festlichkeiten die Angelegenheiten des Landes zu
besprechen und die Verdienste der Reichs- und Provinzbeamten zu würdigen, Aus-
zeichnungen für sie zu erbitten, Statuten zu votiren oder gegen die Beamten Kl^e
zu führen. Des letzteren Rechtes bedienten sich zwar die Provinzversammlnngen
selten, doch legte man ihren Meldimgen ein so grosses Gewicht bei, dass nach der
Aussage des jüngeren Plinius von fünf (so viel er weiss) in Rom angeklagten Statt-
haltern drei ihres Amtes enthoben wurden. Tacitus berichtet, dass von 22 Statt-
haltei-n, gegen die man in Rom Klage führte, 1 7 verurteilt wurden, und es fragt
sich : ob sich unter ihnen nicht auch jener dacische Statthalter befand, dessen
Name dann vom Altarsteine des Jupiter Optimus Maximus fortgemeisselt ward 7
(C. Inscript. La!^. IH. 1066.)
An diesen Landtagen konnte der Abgeordnete jeder Freistadt teilnehmen.
Sie wählten den sacerdos provinciflB, der in Dacien den Titel «sacerdos coronatus
ni. Daciarum» führte, und nur ein Mann, der dem Ritterstande angehörte und in
seinem Aufentliflltsoile auf der Stufenleiter der Würden hochgestiegen war, konnte
diese, von Jahr zu Jahr wechselnde Auszeichnung erlangen. Die Inschriften geben
uns bis nun von vier Provinzhohenpriestern Kunde : 1 . Pius Aelius Strenuus eqno
publice sacerdos arae Augusti (C. I. L. HI. 1209.) — 2. M. Antonius Valentinus
eques Romanus decurio municipii Apuli, sacerdos arse Augusti nostri, coronatus
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ABSCHIED.
749
Daoiarum IH. zwischen 238—244 n. Chr. (C. I. L. fil. 1433.) — 3. M. Proc ... 11
vir flamen sacerdos arse Augusti (C. I. L. III. 1509.) — 4. M. Comenius quintas
pontifex bis quinquennalis coloniio eqnes Eomanus sacerdos aras Angusti (C. I. L.
ni. 1513.)
Bezüglich Daciens ist uns die Zahl der Muoicipien, die das Becht zur Wahl
eines Ageordneten besassen, nicht so bekannt, wie z. B. bezüglich Galliens, wo die
Versammlung zu Lugdunum von den Abgeordneten 63 gallischer Kreise gebildet
war. In Eleusia waren 15, in Licya 23, in Asien 44, im bithynischen Pontus 11, im
polemoner Pontus 6, in Cyrene nur 5 Districte mit dem Wahlrecht versehen.
(Ephemens Epigraphica I. Band 213—4.) In Dacien konnte die Provinzversamm-
lung nur mit dem III. Jahrhunderte eingeführt werden. So widmet man im Jahre
241 dem Numen und der Mnjestas des Marcus Antonius Oordianus Pius eine In-
schrift;. Es scheint, als hätte man die Provinzversammlung hier gleich einem poU-
tischen Bettungsmittel jenen Angriffen gegenüber ins Leben gerufen, die sich als
die ersten Wellenschläge der Völkerwanderung geltend machten, teils damit die
einzelnen gesellFchaftlichen Schichten der Bevölkerung durch die Fäden des ge-
meinsamen Interesses an der selbstständigen Begierung um so enger an das Beioh
geknüpft würden, teils damit durch die Heranziehung des Bürger-Elementes zur
Begierung der aus zwei Legionen bestehenden Besatzimg eine neue Verstärkungs-
quelle eröffnet werde, da die Verteidigungsarbeiten ihre Kräfte bei weitem über-
stiegen. Schade nur, dass des Schicksales Tücke die letzten Anstrengungen zu
nichte gemacht hat. Im Jahre 253, nach der Ermordung des Oallus überbrandet
der Gbthen Flut die Provinz, welche nun eammt ihrer prachtvollen Hauptstadt,
nach einer Blütezeit von anderthalbhundert Jahren, die Beute der gierigen barba-
rischen Horden wird.
OBSCHIED.
In Zipser Mundart.
Komm, dass ich dich drock ' und poss,*
Du mein eindich* Gleckt
Wenn ich dich auch itzt verloss,
Kumm ich dach zureck.
Muss itzt en die weide Welt,
Bleib der oder trai,
Keine mer wie du gefallt,
Wu ich auch nar sei.
Deine goldijen Lookenhoor,
Deine Bäusenwang,
Deine Äugen himmelklor
Halden mich geÜEuig.
Grein nech, du mein goldich^ Kend,^
Wesch* der ob die Zährl
Weisst, die Zeit verfligt geschwend,
Brengt^ mich wieder her.
Und dann bau her* uns e Haus,
Weg es alle Näuth ; ^
Aus den zieh ber dann nech raus
Bis on unsem Täud.'^
Dass ich dich nach einmal poss,
Komm, mein eindich Gleck,
Und auch du mich nech verloss —
Bis ich kmum zureck.
BuDOLF Wbbbb.
^umarme;
•Not; »«Tod.
'küsse; • einziges; * goldenes; *Kind; •wisch; 'bringt;
•wir;
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750
KÖNIG ITATHIAS GEBtJRTBHAUB.
ES STARB EIN WEIB.
Von Graf G^za Zichy.
Eb starb ein Weib in dieser Nacbi,
f£in hübsches blasses Fraaenbild!t
Die Armen draussen flüstern sacht:
•£in Herz so mild!»
Der Priester spricht : «Wir müssen fort!»
«Gott rief die Beine früh zurück.*
Der Gatte haucht ein dumpfes Wort:
«Mein Lebensglüok!»
Stefan Bömat.
KÖNIG MATHIAS' GEBURTSHAUS.
Von Viktor Dalmady.*
Du schlichtes Haus, vom Glück erkoren I
Q&hsi uns den König, gross an Macht,
Nicht ward in Purpur er geboren,
Und doch, wie strahlte er in Pracht!
Er trug auf seinem Haupt die Krone
Mit Mannesstolz und freiem Mut;
Die Herrscher aller Erdentrone,
Ich weiss, erfüllte Neidesglut.
Er wusst' das Schwert im Arm zu wägen.
Er war ein Held, dem keiner gleich.
Von seines Schwertes harten Schlägen
Erseufiet noch heute manches Beich.
Die Grossen eilten ihm zu dienen,
Sie sahn, dass Demut hier Gewinn:
Sie waren gross und ruhmbeschienen,
Als sie sich beugten seinem Sinn.
Und wie war er gesinnt den Weisen?
Er huldigte der Wissenschaft,
Es war ihm Ruhm, in ihren Kreisen
Zu messen seines Geistes Kraft.
Von seines Hofes Glanzestagen
Sprach staunend eine halbe Welt,
Doch nicht erscholl darum von Klagen
Der Armen stilles Wohnungszelt
Becht und Gesetz floss ihm vom Munde,
Sein Wort war weithin benedeit
Und als er starb, da starb im Bunde
Mit ihm — auch die Gerechtigkeit
Du sähest ihn geboren werden.
Du schlichtes Haus mit morschem Stein :
Wird je er noch erstehn auf Erden
Und glücklich unsre Heimat sein?
Du giebst zur Antwort meinen Worten:
Wozu, da er doch längst erstand ?
Er lenkt die Herzen allerorten.
Und stille holft das Heimatland.
Adolf Handmann.
* Vom Dichter in der diesjährigen feierlichen Jahresversammlung der Kisfa*
ludy-GeseUschaft vorgetragen. _
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tJNö^ARIßCHB BIBLIOGRAPHIE. 751
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J
MONTESQUIEU UND DIE VERANTWORTLICHKEIT DER RÄTE
DES MONARCHEN
Mag aach die Staatsphilosophie^ welche sich recht eigentlich vorwie-
gend um die Endursachen und Endziele des Staats kümmern sollte, wie
immer Anspruch auf eine eigene Staatslehre erheben und noch fortwährend
politeumatische Systeme aus Ideen, mithin auf eine rein deductive Weise
construiren: für die Staatswissenschaft hat heutzutage gewiss nur eine
Staatslehre Berechtigung, welche auf Grundlage der vergleichenden Staats-
rechtswissenschaft und Yerfassungsgeschichte, mit stetiger Berücksichtigung
der Cultur-, Sitten- und Wirtschaftsgeschichte sowie all der Postulate,
Probleme und Strömungen aufgebaut wird, welche zur Zeit der Abfassung
des betreffenden staatswissenschaftlichen Systems die Geister beschäftigen.
Nur äusserst wenige Verfasser pflegten bis jetzt zielbewusst auf eine solche
Staatslehre auszugehen; die meisten haben eine trostlos einseitige und
mangelhafte Arbeit zustande gebracht.
Woher dieser Misserfolg? Der Grund liegt darin, dass diese Verfasser
anstatt die Entwickelung der Staatseinrichtungen der Gulturvölker, sowie
die wohlthätige oder nachträgliche Bückwirkung derselben auf die Gesell-
schaft bis in die Gegenwart hinein zu verfolgen, stets bei den Apophtheg-
men irgend einer berühmten Autorität längst dahingegangener Zeiten
stehn geblieben sind und ihrer Theorie nur den mageren und lückenhaften,
ja oft sogar entschieden oberflächlichen und fehlerhaften empirischen Stoff
zu Grunde legten, den jene Autoritäten einst von längst überwundenen
Standpunkten aus in ein System gebracht hatten. Um diese misshche Jjage
unserer modernen Staatslehre gleichsam mit einem Streiflicht zu erhellen,
sei es mir gestattet auf die Akrisie hinzudeuten, mit welcher dieselbe in
Betreff der Zweckdienlichkeit oder Unzweckmässigkeit der verfassungsrecht-
lichen Staatsgrundgesetzgebungen, d. i. der systematisch angelegten Ver-
fassungsurkunden fertig zu werden wähnt. Abgesehen von primitiven
Versuchen, wie die Verfassungeurkunde von Lithauen vom Jahre 1457, und
von den schwedischen «Begeringsformeni (1632, 1634, 1720, u. s. w. bis
ünguiscbe R«vüe, XI. 1891. X. Heft. 48
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754 MONTESQUIEU UND DIE VERAJ^TWORTMCHKEIT
1809), gab es in Europa vor dem Jahre 1791 Staatsgrundgesetze nicht.
Selbst das dänische «EongeLov» vom J. 1670 fällt entschieden in eine andere
Kategorie^ so auch das Grundgesetz von Polen vom J. 1 768. Noch vielweniger
können Freiheitsbriefe vrie die tBill of Rights» oder der «Act of Settlement»
für systematische Staatsgrundgesetze angesehen werden, es sei denn, man
wollte zu dem sinnreichen Sir Edward Goke in die Lehre gehen und sogar
schon die «Magna Ghartat (1215) für ein Staatsgrundgesetz erklären.—
Nein^ erst die französische Revolution hat die systematischen Staatsgrund-
gesetze in das europäische Verfassungsleben eingeführt, und zwar nicht
aUein in Frankreich (1791, 1793, 1795, 1799, 1804 u. s. w.) sondern wohl
auch in den verschiedenen Staaten« welche die Waffenerfolge der Franzosen
an ihr Machtgebot gekettet hatten. Als nun die französische Revolution und
ihr cäsarischer Depositar 1815 endgiltig zu Boden geworfen wurden: da
gingen alle diese durch Waffengewalt improvisirten Staatswesen — Cis-
alpinische Republik, Ligurische Republik, Parthenopeische Republik, Bata-
vische Republik u. s. w. — so wie die aus diesen gleichfalls durch französi-
sches Machtgebot organisirten napoleonistischen Monarchien als solche in
Trümmer, und wenn auch in einigen Monarchien des Festlandes, z. B. im
Frankreich der Restauration (1814), in Norwegen (1814), in Baden (1818),
in Bayern (1818), in Würtemberg (1819), in Hessen (1820) u. s. w. mehr
oder minder conservativ angehauchte Verfassungsurkunden erlassen wur-
den, um die schwedische Verfassungsurkunde vom Jahre 1809, welche blos
die Hauptmomente des historisch entwickelten ständischen Staatsrechts,
nebst einigen Neuerungen in eine systematische Form gegossen hat, gar
nicht zu betonen : so ächzte doch nahezu das gesammte monarchische Fest-
land unter den Massnahmen einer retrograden, volksbedrückenden «Legiti-
mität», welche die an die feudalen Machtüberreste der vor-1 789-er Jahr-
zehnte anknüpfende und jedwede Regung nach Freiheit zerstampfende
Heilige Allianz ins Leben rief. Enttäuscht in ihren Hoffnungen durch das
tragische Ende der durch die Principien vom Jahre 1789 hervorgerufenen
Bewegung, hatten nun die freisinnig denkenden Geister sich auf die Jagd
nach Idealen geworfen, welche ihnen weder die Missgunst irgend einer
«Väterlichen Regierung», noch irgend eine Polizei nehmen konnte. Die
schwungvolleren Enthusiasten vergruben sich in ihre eigenen Träumereien
über die Demokratie von Athen, welche sie vollends missverstanden hatten ;
die nüchterneren verfolgten auch jetzt noch praktische Ziele und glaubten
diese an dem Beispiele der nicht systematisch-staatsgrundgesetzlich nor-
mirten, sondern blos «historisch entwickelten» Verfassung Englands pflü-
cken zu können. In England blühte die politische Freiheit sowie die indivi-
duelle Freiheit in den Jahren, wo man auf dem Festlande selbst den
Athemzug polizeilich bewachen Hess, um sodann die zahmsten Seufzer der
Unzufriedenen auf die brutalste Weise massregeln zu können, noch unver-
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A
DER RÄTE DBS MONAROHEN. 755
«ehrt fort; man bewanderte in den Metropolen sowie in den Universitäts-
städten des Deutschtums, an der Seine und an der Donau, in Turin, in
Neapel und in Kopenhagen das Königreich, wo sowohl im XVIII. als auch
im XIX. Jahrhundert Soldaten und Offiziere zum Tode verurteilt zu werden
pflegten, falls sie auf das Oommando ihres (Ungesetzlich verfahrenden)
Befehlshabers auf das Volk geschossen hatten, nicht minder als die don-
nernden Beden der parlamentarischen Grössen, die imposanten Leitartikel
der Pressorgane, die unermesslichen Beichtümer der Industrie und des
Handels und die, ferne Weltteile beherrschenden, unwiderstehlichen Flot-
ten des Britischen Inselreichs, so wie die wohlthuend frische Luft, welche
durch das grossartige geistige Leben desselben wehte. Die tonangebenden
freisinnigen Elemente des Festlandes blickten mit hoffnungsvoller Bewun-
<lerung zu einer solchen historisch-entwickelten Verfassung empor: kein
Wunder, wenn so manche Staatsrechtslehrer des damals noch jämmerlich
geknechteten Festlandes zu dieser Zeit nicht den Weg der tpapiernen Con-
stitutionen» der Batavischen und Ligurischen Bepublik und auch nicht den
der franzöischen t Charte • be wandelt wissen wollten. Allerdings hatte Nor-
wegen schon damals eine freisinnige Verfassung: allein Norwegen lag,
sowie auch Portugal (1826) allzuweit von den Strömungen des festländi-
schen Liberalismus; die etUchen, seit 1818 erlassenen deutschen Verfas-
sungsurkunden hatten sich damals noch bei^Weitem nicht erprobt; im
Gegenteil, man betrachtete ihre Lebensfähigkeit mit bangem Misstrauen :
kein Wunder, wie gesagt, wenn unsere aufrichtig fortschrittsfreundlichen
Staatsrechtslehrer nur Englands historisch entwickelte Verfassung liebten,
zumal auch Schweden, trotz seiner urkundlich systematisirten Verfassung
(1809) noch immer unentwegt an seiner althergebracht historischen Verfas-
sungs-Entwickelung festhielt. So war die Lage des europäischen Staats -
lebens in den zwanziger Jahren, als die namhaftesten, mit der rechtshistori-
schen Schule Hand in Hand gehenden Staatsrechtslehrer und Politiker die
Lehre von der Verwerflichkeit der systematischen, d. i. alle Grundgedanken
-des actuellen Staatsrechts in ein einheitliches System synchronistisch hinein-
formulirenden Staatsgrundgesetzgebung aufstellten.
Seitdem sind drei Menschenalter verflossen und das europäische Fest-
land hat seither wohl ein AntUtz erhalten, von dem jene, sonst gewiss recht
hochverdienten Staatsrechtslehrer der zwanziger Jahre kaum träumen durf-
ten. Abgesehen von England, Ungarn und Mecklenburg, hatte sich seit den
zwanziger Jahreo das monarchische Verfassungsleben der Culturstaaten
unseres Festlandes zu einer Höhe emporgeschwungen, und zwar sowohl in
Betreff des geistigen Fortschritts und der Veredlung der Sitten, als
auch hinsichtlich der Entfaltung der materiellen Schätze, dass der Schwer-
punkt des gesammten menschlichen Fortschritts, dessen sich unser schei-
dendes XIX. Jahrhundert rühmen darf, gewiss nicht mehr auf England
48-
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756 MONTESQUraU UND DIB VERANTWORTLICHKEIT
fiillt, wie noch in den zwanziger Jahren, sondern auf die cultnrellsten Flu-
ren des Festlandes ; und wenn auch sowohl das thatsächlich ^reichte Maass
von staatsbürgerlicher Bechtsgleichheit, als auch der thatsächlich geniess-
bare Grad von politischer Freiheit in zahlreichen Monarchien unseres Fest-
landes noch gar Manches zu wünschen lassen : so gemessen doch sowohl
poUtisch als auch gesellschaftlich wenigstens ein mensdienwürdiges Dasein
all die Millionen, deren Voreltern noch in ihrer Kindheit von Staat und
Gesellschaft kaum Besseres als höchstens eine nachsichtsvoll-tierische
Behandlung hoffen konnten. Von einem Europa, wie es sich heute von
Stockholm und Ghristiania bis nach Madrid und Palermo, von London und
Paris bis nach Beriin und von da bis nach Athen entfaltet, hatten die Staats-
rechtslehrer der zwanziger Jahre noch keine Ahnung. Der Fortschritt ist
gross und über jeden Zweifel erhaben.
Nun, hat es denn unter solchen Umständen wohl noch einen Sinn,
wenn unsere eigenen Staatsrechtslehrer im letzten Decennium des XIX.
Jahrhunderts ihre Zeitgenossen und die Nachwelt noch immer mit densel-
ben weisen Sprächen über die unübertreffliche Zweckmässigkeit der blos
historisch entwickelten Verfassungen und über die Unzweckmässigkeit, ja
sogar Gefährlichkeit der staatsgrundgesetzlich verbrieften Verfassungen
beschert wissen wollen, welche ihre sonst gewiss sehr verdienstvollen Lehrer
in den vierziger Jahren jenen bangevollst freisinnigen Lehrmeistern d&c
zwanziger Jahre einseitigst nachzubeten gelernt hatten ? Haben denn seither
nicht nahezu sämmtliche Culturvölker des europäischen Festlandes den
erwähnten, allbekannten grossartigen Fortschritt unter der Herrschaft jener
systematischen Staatsgrundgesetze durchgemacht, welche die Lehrmeister
der zwanziger Jahre sowie ihre Schüler auf den Lehrkanzeln und in der
Literatur (in ihrer damals wohl noch verzeihlichen Anglomanie) mit innig-
ster Geringschätzung, wenn nicht geradezu mit Verachtung zu beurteilen
pflegten? Wenn jemand in der Palaeontologie noch heutzutage nur das für
baare Münze nehmen würde, was ein Sedgwick oder ein Buckland in ihrer
Jugend aufgestellt hatten : so würde man einen solchen Forscher oder Den-
ker in der Palaeontologie gewiss nicht als einen Lehrmeister gelten lassen,
um 60 ärger ist es dann mit der Staatslehre bestellt, deren Verallgemeine-
rungen man noch heutzutage in den engen Gesichtskreis der Staatsrechts-
lehrer und Politiker der zwanziger Jahre hineinzwingen wUl, trotzdem die
Entwickelung des Staatslebens seitdem auf allen Gebieten einen so enor-
men Fortschritt zu verzeichnen hat, während die Versteinerungen seit
Bucklands und Sedgwicks Jugend doch wohl keine Weiterentwicklung an
den Tag gelegt haben dürften.
Allein es gibt wohl auch noch anderweitige Autoritäten, deren längst
überwundene Staatsweisheit noch heutzutage wie ein Alp auf unserer
Staatslehre drückt. Zu diesen gehören sowohl Aristoteles als auch Montes-
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DBB RATE DES MONARCHEN.
757
qaieu. Ueber die Gebrechen der Staatsformenlehre des Stageiriten handelt
meine Schrift: «Kritik der Staatsformen des Aristoteles» ; ich will mich
hierorts nur mit dem Verfasser des «L'Esprit des Lois» eingehender
beschäftigen, und zwar anlässlich seiner Lehre von der Verantwortlichkeit
der Minister.
Nach einer so hochtrabenden Betonung seiner «zwanzigährigen»
Arbeit hätte man von Montesquieu wohl erwarten dürfen, dass er eine
verfassungsgeschichtlich einschneidender begründete Staatsformlehre liefere
als die es ist, mit welcher er in seinem, sonst gewiss recht geistvoUen, und
kraft seines befruchtenden Hinweises auf Englands Verfassung thatsächhch
epochalen Werke über den Geist der Gesetze sowohl seine Zeitgenossen als
die Nachwelt zu köstigen suchte. Nicht einmal die bedeutungsvollsten Ein-
richtungen der zeitgenössischen Staatswesen hat er ernsthaft; und kritisch
in das Bereich seiner Studien gezogen; sein verfassungsgeschichtlicher
Geeichtskreis beschränkt sich einerseits auf eine höchst oberflächUche und
lückenhafte Eenntniss der Politik der Griechen und Bömer, anderseits auf
eine nicht minder gebrechliche Eenntniss der feudalen Einrichtungen der
christlich-germanischen Staaten sowie der englischen Verfassung; nicht
einmal die wahre Bedeutung der verfassungsgeschichtlichen Entwickelung
seines eigenen Vaterlandes vermochte er zu erfassen ; und was er über noch
sonstige, gebildete, halbwilde und ganz wilde Völker zum Besten gibt : das
sind Gedankenspäne und glitzernde Einfälle, welche der nächste beste, in
den Anekdotensammlungen und abenteuerlichen Beiseschilderungen etwas
sorgfaltiger und mit Geschick herumblätternde Schöngeist hätte in die Welt
sehleudern können. FreiUch werden alle Staatsgelehrten, die einem herkömm-
lichen Montesquieu-Culte fröhnen und in jeder einzelnen Zeile des «L' Esprit
des Lois» irgend eine versteckte Weisheit wittern, eine solche Kritik wohl
mit Entsetzen ablehnen ; kundige Männer vom Fache jedoch, welche den
verfassungsgeschichtlichen Stoff dieses sonst gewiss monumentalen Werkes
ohne Voreingenommenheit prüfen, werden anders urteilen.
Betrachten wir nur ganz objectiv die Lehre, welche er von den ver-
schiedenen Typen innerhalb der monarchischen Staatsform aufstellt.
Aristoteles hatte in seiner Staatsformenlehre auf die Begründung
eines eigenen wissenschaftlichen Systems so gut wie verzichtet; in der That
knüpft der Verfasser der HoXttixfi^v nur an die volkstünüiche Einteilung
sowie Terminologie an, welche bei Herodot zum Ausdruck gelangt war
(Monarchie, Oligarchie, Demos) und durch Piaton zu einem in gewisser
Hinsicht wissenschaftlichen Schema mit Farekbasen erweitert wurde : die
Dreiteilung mit Farekbasen, welche in der «PoUtik» des Aristoteles bis ans
Ende seine staatsmorpbologischen Betrachtungen und Ausführungen be-
herrscht (Monarchie, Aristokratie, Politeia — Tyrannis, Oligarchie, Demo-
kratie) ist im Grunde genommen nicht einmal so weit wissenschaftlich wie
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J
7.^8
MONTESQUIEU UND DIE VERANTWOBTUCHKEIT
die sokrateißche Einteilung bei Xenopbon, wo die Staatßfonn «Plutokratiet^
zuerst aufzutauchen scheint und unvergleichlich begründeter ist als der
verschwommene Begriff der «Oligarchie» bei Aristoteles. Auch die Begriffs-
bestimmung, welche Xenophon von der «Aristokratie» giebt, ist entschieden
correcter und vemunftmässiger als die bei dem Stageiriten, — von der
• Demokratie», welche Aristoteles, abgesehen von der bäuerlichen Unterart
derselben (u. s. w.) geradezu zu der Herrschaft einer aus raubgierigen
Armen bestehenden Mehrheit degradirt wissen will, gar nicht zu reden.
Montesquieu lässt all dies ganz gemächlich auf sich beruhen ; es &llt
ihm gar nicht ein, die sokrateische Staatsformenlehre mit der aristoteU-
schen kritisch zu vergleichen ; ja er scheint nicht einmal den erheblichen
Fortschritt gehörig gewürdigt, noch viel weniger verdaut zu haben, den die
Staatsformenlehre seines denkwürdigen Landsmannes Jean Bodin insbeson-
dere vermöge der trefflichen Auseinandersetzungen über die «Legale Monar-
chie» gegenüber der idiosynkratischen Definition der ßaatXeCa xatd vö(jlov und
xata v6|i.0D<; repräsentirt. Dessenungeachtet legte Montesquieu Hand an die
Staatsformenlehre, um dieselbe zu reformiren ; er stellt drei Arten staats-
morphologischer Natur auf : Monarchie, Republik, Despotie — und unter-
scheidet die Eepublik in Aristokratie und Demokratie. Unter Monarchie
versteht er eine Staatsform (espece de gouvemement), in welcher ein Ein-
zelner nach ständigen und festgesetzten d. i. solchen Gesetzen regiert, wel-
che bereits Wurzel gefasst haben, und welche Montesquieu an einer anderen
Stelle Grundgesetze, «Lois fondamentales» zu nennen liebt, wogegen die
Despotie bei ihm eine Staatsform bezeichnet, in welcher ein Einzelner, ohne
an irgend ein Gesetz, ohne an irgend welche Regeln gebunden zu sein,
durch seinen eigenen Willen, ja sogar durch seine Launen alles zu beherr-
schen vermag. Da Montesquieu selber sagt, dass der nüchterne Menschen-
verstand zum grossen Teile darin besteht, dass man die*Nüan<^n der
Dinge zu erkennen wisse : welches sind denn die staatsmorphologischen
Unterarten, welche der Verfasser des Werkes über den Geist der Gesetze
innerhalb seiner monarchischen Staatsform recht eigentlich erkannt und
zum Ausdruck gebracht hat ?
Montesquieu hat keine Ahnung noch von dem, was unsere heutige
Wissenschaft mit dem Worte «Culturstaat» zu bezeichnen liebt; er hat kein
Wort über das Unterrichtswesen zu sagen ; er sieht es für ein Zeichen der
entarteten Zeiten an, wenn die Angehörigen eines freien Staatswesens
Losungsworte wie Handel, Industrie u. drgl. im Munde führen, anstatt die
Tugend den Staatsbürgern (oder vielmehr den Staatsphilosophen) des grie-
chischen Altertums nachzuplappern. Allerdings sieht er England für ein
Staatswesen an, das gar nicht mehr zu den eigentlichen Monarchien gehört,
da es die «puissances intermediaires subordonn^es», ohne welche er sich
keine wahre Monarchie zu denken vermag, so gut wie aufgehoben habe..
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DER RÄTE DES MONARCHEN. 759
Allein von den moderneren, christlich-germanischen Monarchien des Fest-
landes, welche er zu den «Mod6rees» rechnet, schildert er nicht eine einzige
meritorisch ; ja er schildert die Einrichtungen der Monarchien Dänemark,
Schweden, Spanien, Portugal, Sardinien, Neapel, Polen und Ungarn nicht
einmal so oberflächlich, wie die der Monarchie der Molosser, der Lakedai-
moner oder der Griechen im heroischen Zeitalter. Am allerwenigsten hat er
einen Sinn für Unterschiede, welche den verschiedenen Monarchien einen
mehr oder minder exclusiv-aristokratischen Typus aufprägen. Er scheint gar
kein Gewicht darauf zu legen, dass während die Monarchie in Dänemark
auf Grund des «Konge Lovt vom J. 1670 sich nicht sowohl auf den Adel,
als auf Bärgerstand und Bauernstand gestützt hatte und in Schweden zu
Johann Skyttes Zeiten die niederen Stände an politischem Einfluss mit dem
Adel siegreich wetteiferten, die verschiedenen monarchischen Staatswesen
des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation nicht minder auf exclu-
siver Adelsherrschaft beruhten als Ungarn oder Polen, wo auf Grund des
Gonföderationsactes vom J. 1573 einem jeden Edelmann die Landeshoheit
über sein Territorium, die Macht über Leben und Tod seiner Unterthanen
zugesprochen wurde und wo ausser den 600,000 Edelleuten sonst niemand
politische Rechte von Belang ausüben konnte. Wie hätte er dann einerseits
zwischen den Monarchien Aragonien und Castilien und anderseits zwischen
der ungarischen Monarchie zu unterscheiden vermocht ? Dass einst in Ara-
gonien und Castilien die Städte eine so hervorragende Rolle auf den Gortes
zu spielen befugt waren, während in Ungarn sämmtliche Städte nur mit
einem Votum vertreten waren, welches nicht einmal dem eines einzigen
Eomitates gleichkam : diese verfassungsgeschichtliche Thatsache hatte für
ihn nicht einmal eine solche Wichtigkeit wie der Akt, wodurch sich König
Fernando zum Grossmeister der Ritterorden gemacht haben soll, oder wie
die Verordnung des Königs Jayme über die Fleischspeisen oder wie so
manche Einrichtungen des einstigen Königreichs Batam auf der Insel Java.
Und so wie er auf der einen Seite über die grossartige Nivellirung der
Stände unterhalb der Peerage in England, deren Rückwirkung auf die
Gesellschaft schon die bekannte Aeusserung des Sekretärs der Königin Eli-
sabeth in Betreff des Begriffs • Gentleman» zum Ausdrucke bringt, mit
einer äusserst laienhaften Spitzfindigkeit dahinschreitet, ohne zu bemerken,
dass er durch seinen Ausspruch im ü. Buche des «L' Esprit des Lois» seine
wärmevollen Ausführungen über Englands Verfassung im XI. Buche, ganz
und gar vor einen nicht minder gefahrvollen als krankhaft verkommenen
Hintergrund stellt : so scheint er auch das stetige Vordringen des auf eine
einheitUche Staatsbürgerschaft ausgehenden Nivellirungsprincips in der
Geschichte seines eigenen Vaterlandes nicht zur Kenntniss genommen zu
haben. Der Gang der unaufhörlichen Rechtserweiterung, welche, einzelne
Rückfallsphasen abgerechnet, die Weisheit der Könige von Frankreich seit
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760 MONTESQUIEU UND DIB YERANTWOBTLICHEEIT
Philipp dem Schönen so zielbewusst zu Gunsten eines Tiers-^tat ins Werk
zu setzen wosste, vermag ihn überhaupt nicht zu verfassungspolitisch
zurechnungsfähigen Betrachtungen zu erregen; der Begriff tboui^ois da
roi», dieses denkwürdige Merkmal des altfranzösischen Staatsrechts^ lässt
ihn nicht minder kalt als die bürgerlichen Bäte Karls XII. oder als die
bürgerlichen Gremalinen von Ministem und Marschällen, welche Colberts
grandioser Monarch zur Hoftafel zieht. Ludwig XIV. wusste vielleicht selber
nicht, welche Dienste er der Sache einer zu vereinheitlichenden Staatsbür-
gerschaft, mithin dem demokratischen Staatsgedanken dadurch geleistet,
dass er mit seiner märchenhaften Höflichkeit nicht nur Duchessen und
Marquisen, sondern wohl auch Frauen und Töchter der Boture bescherte.
Doch die Thatsache an sich, dass während gar so manche christlich-germa-
nische Monarchen unseres Festlandes damals und wohl auch noch lange,
lange hernach, sogar noch in den ersten Decennien des XIX. Jahrhunderts
mit hochgebildeten Frauen, wenn diese nicht zum hohen Adel zählten, nur
in einem Tone zu discuriren liebten, wie man heutzutage in civilisirten
Ländern nicht einmal mit einem ungebildeten Fischerweib zu conversiren
pflegt, — Ludwig XTV. redet sogar die bescheidenste Bürgers&au auf offe-
ner Strasse sowie auf dem Corridor stets im höflichsten Style und entblöss-
ten Hauptes an, sobald er nur einen gewissen Grad von Bildung an ihrem
Aeusseren wahrnehmen zu können meint ; — diese Thatsache an sich hätte
schon Montesquieu zu eingehenderen Untersuchungen über die verschiede-
nen Unterarten der monarchischen Staatsform seines Jahrhunderts anspor-
nen müssen, hätte Montesquieu wirklich den Forschersinn gehabt und über
den Erkenntnisskreis verfügt, den man ihm gewöhnlich zuschreibt. Doch
weit entfernt davon, sich in die vergleichende Anatomie und Physiologie der
Monarchien seines Zeitalters versenken zu wollen, begnügte er sich mit der
Verallgemeinerung «Point de Noblesse, point de Monarquet und verrät
•dabei eine staatsmorphologische Weltansicht in Betreff der Monarchien, die
nur um etliche Grade höher steht als die Weltansicht des sinnreichen
Staatshistoriographen von Burgund, Jean Molinet, der anlässlich der Ver-
mählung Maximilians mit Maria von Burgund den nachstehenden Betrach-
tungen feierlichst Ausdruck verleihen zu müssen wähnte: «Der göttlichen,
menschlichen und natürlichen Einrichtung zufolge, sind untergeordnete
Wesen durch höhere geleitet und regiert, die Sterblichen durch Unsterb-
liche, die sichtbaren durch unsichtbare, die menschlichen durch göttliche ;
gleichwie es nur ein einziges himmlisches Eeich und einen einzigen Gott
und ewigen Kaiser gibt, welchem alle erschaffenen Dinge gehorchen und
welcher durch seine untrügliche Güte diese höhere Monarchie verwaltet,
deren Bestandteile die englischen, je nach der Beschaffenheit ihrer Natur
und dem Grade ihres Ranges geordneten Schaaren, Trone und Hoheiten
bilden : also haben wir in diesem niedern Erdenreich auch nur einen einzi-
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DER RATE DES MONARCHEN.
761
gen Kaiser, welchem die Welt zinsbar ist, und welcher durch seine Majestät
sie und das Rad der Begebenheiten leitet, sowie den ganzen Kreis unter-
geordneter Personen als da sind : Könige, Herzöge, Markgrafen, Grafen u. s.
w. jeder nach seinem Range.» Das ist die Staatsweisheit des Staatshisto-
riographen von Burgund aus dem XV. Jahrhundert: imd Montesquieu
ärgert sich über den Abb6 Dubos gar entsetzlich, weil dieser behauptet
hatte, dass es bei den Franken keine Stände (ordres), sondern nur Freie und
Leibeigene gegeben habe ; ja er klammert sich krampfhaft an die Stellen
der Gresetze sowohl der Ripuarier als der Salier und Burgunder, um nur
die Antrustionen als einen adeligen Stand erscheinen lassen zu können, und
ruft emphatisch aus: « Schafft nur in einer Monarchie die Prärogativen der
Herren, des Klerus, des Adels und der Städte ab, und Ihr werdet alsobald
eine volkstümliche Republik oder eine Despotie vor Euch haben.» Montes-
quieu schreibt einunddreissig Bücher über den Geist der Gesetze und zwar
in erster Linie über das Verhältniss, in welchem dieser zu der betreffenden
Staatsform stehen sollte ; er erwähnt an verschiedenen Stellen der Städte
des klassischen Alterthums, so wie auch der Städte des Mittelalters, inso-
feme diese als Vororte städtischer Republiken in Betracht kommen dürften:
doch über das Städtewesen seines eigenen Zeitalters hat er nicht ein ernst-
haftes Wort zu sagen, noch vielweniger über den Bürgerstand. Zwischen
den jämmerlich privilegisirten Lokal-Bürgern so mancher zeitgenössischen
Monarchie und den • Bourgeois du Roi», deren Bedeutung Thierry in sei-
nem herrlichen Werke so lehrreich betont staatsrechtlich und verfassungs-
geschichtlich zu unterscheiden, fällt ihm gar nicht ein ; höchstens entfallen
seiner Feder die «Privilegien der Städte» als verwaistes Losungswort ohne
jeden Gommentar und nur im Anschluss an die Vorrechte und Privilegien
des Adels sowie des Klerus, an der Stelle, wo er die ünentbehrlichkeit dieser
letzteren verkündet; die Städte kommen in seinem ganzen Werke nur
nebensächlich 7or; einmal anlässlich der Vereinigten Provinzen, und ein
anderesmal anlässlich seiner Betrachtungen über die Feiertage u. s. w. Desto
inbrünstiger besingt er die unermesslichen Wohlthaten, mit welchen die
Vorrechte und Privilegien des Adels die monarchische Staatsform bescheren.
Er betont die Unerlässlichkeit der Substitutionen und des «Retrait lignager.»
In seinen Augen ist die Würde des Edelmannes ebenso unzertrennlich von
der Würde seines Lehens, wie die Würde des Monarchen von der seines
Königreichs. Alle diese Vorrechte des Adels müssen ausschliesslich diesem
Stande erhalten bleiben ; das Volk darf daran keinen Anteil haben, denn
sonst wird das monarchische Princip erschüttert, und nicht nur die Kraft
des Adels erleidet eine Schwächung, sondern wohl auch die des Volkes.
«Zwar beeinträchtigen die Substitutionen den Handel ; auch verursacht der
Retrait lignager eine unendliche Menge von Processen ; alle verkauften
Gründe des Königreichs bleiben, wenigstens ein ganzes Jahr hindurch, ohne
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762
MONTESQUIEU UND DIE VERANTWORTLICHKEIT
Herrn ; zweifellos verursachen wohl auch die Vorrechte, welche mit den
Lehngütem verbunden sind, den Unterthanen aussergewöhnlich viel Schmers
und Weh : doch alle diese Leiden verschwinden vor dem grossen NxUzen, den
die Vorrechte des Adels dem Gemeinwohl verschaffen. Wollte man diese
Vorrechte auf das Volk übertragen : so würde man alle Principien ohne
jeden Nutzen erschüttern. Die Gesetze der Monarchien müssen den Handel
auf alle mögliche Weise begünstigen, wie dies nur die Natur einer solchen
Staatsform gestattet : man muss den Handel begünstigen (den übrigens in
der Monarchie nur die Angehörigen der nicht-adeUgen Stände treiben dür-
fen), damit die Unterthanen fähig seien, ohne sich zu Grunde zu richten,
die sich unaufhörlich erneuernden Bedürfnisse des Herrschers und seines
Hofes zu befriedigen». Nicht nur der Freigeist Helvetius hat an diesen so
sehr naiven Velleitäten Anstoss genommen ; auch ein deutscher Forscher
und Geschichtschreiber von Bedeutung, Wilchelm Oncken, spricht davon
mit voller Entrüstung. In der That hätte nicht Montesquieu sein Capitel
über Englands Verfassung noch in dieses selbe Werk über den Geist der
Gesetze so erfolgreich einzukeilen verstanden : so würde die staatewissen-
schaftliche Kritik heutzutage seine Theorie der monarchischen Staatsform
auf Grund der obigen, mittelalterlich duftenden Naivitäten verdammen
müssen als das Armutszeugniss eines zwar aussergewöhnlich belesenen und
beredt scharfsinnigen, im Ganzen jedoch beklagenswert vorurteilsvollen
und unkritischen Schöngeistes.
Montesquieu hätte in seinem Hauptwerke genug Gelegenheit gehabt,
seine Leser über die Unterarten der mittelalterlichen sowie der neueren
Monarchie eingehend zu belehren. Unmittelbar nach seinem berühmten
Capitel über Englands Verfassung (XI, 6) schreibt er ein kurzgefasste»
Capitel über die «Monarchien, die wir kennen.» Da hätte er sein Wissen
sowie seinen Scharfsinn entfalten können und zwar in einer Weise, welche
seiner schriftstellerischen Ambition nicht minder als seiner Theorie gevnss
nur förderlich hätte sein können. Eine kritische Bundschau der Verfassungs-
zustände von Aragonien, Castilien, Catalonien bis zum Ende des XV. Jahr-
hunderts, von der spanischen Monarchie und Portugal in den letzten dritt-
halb Jahrhunderten, von Sardinien und Neapel, von Frankreich insbesondere
seit Philipp dem Schönen, von Holland, Dänemark und Schweden, von
Ungarn und Polen, sowie von den vornehmsten Staatswesen des Heiligen
Bömischen Reiches Deutscher Nation und endlich von den Einrichtungen
des Zarenreichs vor und nach Peter dem Grossen : das wäre hierorts gewiss
recht zweckdienlich gewesen. Nun, was sagt also Montesquieu über die
Monarchien, die wir kennen ? Er deutet nur in verschwommenen Allgemein-
heiten an, dass die Monarchien (des Festlandes) nicht nach dem englischen
Vorbilde organisirt sind, sondern dass die drei Gewalten in diesen Monar-
chien eine verschiedene Verteilung zeigen, hie und da so, dass sich selbe
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DER RÄTE DES MONARCHEN. 763
der politischen Freiheit mehr oder minder annähert, anderwäorts aber derart,
dass sie sich von der politischen Freiheit mehr oder minder entfernt. Nun
frage ich, verrät denn eine solche Behandlung eines so hochwichtigen
Gegenstandes auch nur im Entferntesten eine gründliche Bewandertheit
Montesquieus in der Kunde von den Staatseinrichtungen der festländischen
Monarchien oder gar in der Yerfassungsgeschichte derselben ? Noch schärfer
tritt sein diesbezüglicher, äusserst oberflächlicher Dilettantismus ans Tages-
licht an der Stelle, wo er sich über sein sogenanntes «Depot des Lois» aus-
spricht. «Die ,rangs intermödiaires' (d. L der Adel, der Klerus u. s. w.)
genügen an sich der Monarchie noch keineswegs; eine Monarchie hat
ausserdem wohl auch noch ein Gesetz-Depot von Nöthen, und dies kann nur
in den politischen Körpern (dans les corps politiques) liegen, welche die
Gesetze, sobald diese fertig gemacht worden sind, promulgiren und dieselben
wieder ins Gedächtniss rufen, wenn man sie vergisst. Die natürliche Unwis-
senheit des Adels, sein Mangel an umsichtiger Aufmerksamkeit, die Ver-
achtung, mit welcher er die Begierung in Givil-Sachen zu betrachten pflegt:
all dies erfordert das Dasein eines Körpers, der die Gesetze fortwährend aus
dem Staube hervorzieht, unter welchem dieselben begraben zu sein pflegen.
Der Bat («Gonseil») des Fürsten ist kein gehöriges Depot zu diesem Behufe.
Der Bat ist schon seiner Natur nach blos das Depot des augenblicklichen
Willens des Fürsten, der die Vollzugsgewalt ausübt. Der Bat ist nicht das
Depot der Grundgesetze. Ja, der Bat ist stets einem Wechsel in seinen Mit-
gliedern unterworfen ; er ist nichts ständiges ; seine Mitglieder können nicht
hinreichend zahlreich sein ; der Bat hat nicht in einem hinreichend hohen
Grade das Vertrauen des Volkes für sich : also ist der Bat auch nicht in
der Lage, das Volk in schweren Zeiten aufzuklären, noch dasselbe zum
Gehorsam zurückzuführen. In despotischen Staaten, wo es keine Grund-
gesetze gibt, gibt es auch kein Gesetz-Depot. Aus diesem Grunde hat in
solchen Ländern die Beligion eine gar so grosse Macht ; aus diesem Grunde
bildet gewissermassen die Beligion da eine Art Depot und verbürgt die
Beständigkeit ; und in despotischen Ländern, wo nicht die Beligion diese
Bolle führt, da sind es die Gewohnheitsrechte (coutumes), welche man wie
Gesetze in Ehren hält.»
Also unterscheidet Montesquieu die Unterarten seiner monarchischen
Staatsform nicht darnach, ob und inwiefeme die königliche Gewalt durch
die staatsrechtlich giltige Competenz der Beichstage oder wenigstens durch
Beschwerde-Landtage eingeschränkt wird; auch unterscheidet er nicht
zwischen Monarchien, je nachdem in diesen die ständische Gliederung der
Gesellschaft in eine exclusive Adelsherrschaft ausläuft wie in Polen, oder
das Staatsrecht die sämmtlichen Stände ganz ernsthaft am Verfassungsleben
teilhaftig werden lässt wie in Schweden, oder aber unterhalb einer nume-
risch unbedeutenden Peerage sich bereits nach der Bichtung eines einheit-
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764
MONTESQUIEU UND DIE VERANTWORTLICHKEIT
liehen Staatsbürgertums abgewetzt hat wie in England ; nein, in Betreff
der möglichen Unterarten der monarchischen Staatsform kennt er blos ein
einziges Eriterion : das Vorhandensein oder Nicht- Vorhandensein eines zum
Einregistriren der Gesetze so wie zu nachträglichen Bemonstrationen befug-
ten Staatskörpers («Depot des Lois»), der nach all dem, was er darüber sagt,
ebenso gut ein Pariser Parlament sein kann wie ein russischer Senat. Mithin
kein englisches Parlament, kein schwedischer Reichstag, keine aragonischen
Cortes, kein Diet, sondern blos ein Einregistrirungs-Körper, der zwar nach-
träglich Kemonstration erheben darf, doch weder das Recht der Gesetz-
gebung noch eine Controlle über die Verwaltung ausübt, um das Budget-
recht gar nicht zu betonen. Das Recht der Gesetzgebung übt der König
durch «Arrets du Conseil» aus; mitzureden hat niemand ausser denen,
welche der König in seinen Rat (Conseil d'etat) von Fall zu Fall zu berufen
für zweckdienlich findet. Dieser selbe ernannte und jeden Augenblick durch
blosses Machtgebot absetzbare Rat übt auch die Controlle über die Verwal-
tung aus, insofern der König ihm dies eben befiehlt. Staaten, welche ein
solches «Depot des Lois» vermissen, sind unvollkommene Monarchien;
Staaten, welche es besitzen, können für wünschenswert ermässigte, mithin
als vollkommenere Monarchien gelten, sol)ald nur dabei die Vorrechte und
Privilegien der erwähnten «puissances intermediaires» ungeschmälert fort-
bestehen. Einen anderen Unterschied kennt der Verfasser des «L' Esprit des
Lois» innerhalb der zeitgenössischen monarchischen Staatsform nicht; nur
im XL Buche schiebt er das Bild von Englands Verfassung ein, ein Gebilde,
das äich da ungerähr so ausnimmt, wie die silurischen Schichten in den
sedimentären Formationen Böhmens, eigenartig sondergleichen und isolirt
nach allen Seiten hin, als wäre dieselbe vom Monde herabgefallen in das
Staatsleben durchgehends feudalistisch-ständischer Monarchien; ja Mon-
tesquieu schiebt in sein Werk Englands Verfassung auf diese Weise ein,
lobpreist dieselbe sogar noch mit warmem Schwünge, um dann nach einigen
sporadischen Gedankenspähnen über einzelne Momente dieser Verfassung,
in der weiteren Fortsetzung seines Werkes sowie Englands Verfassung, als
auch die theoretischen Corollarien derselben für die Postulate einer mög-
licherweise constitutionellen, d. i. repräsentativen Monarchie völlig aus den
Augen, völlig aus seinem Sinn zu verlieren, — und um unmittelbar oder
mittelbar nur an der Theorie solcher Monarchien fortzuspinnen, deren gan-
zes Wesen lediglich auf den Grundlinien feudalistisch-ständischer Verfas-
sungspolitik, ohne jedwede Volksvertretung, ohne jedwede ernsthafte Gewal-
tenteilung beruht. Ja wie klappt denn das mit dem Postulat, welches Mon-
tesquieu in Betreff des «Gouvernement moderet im V. Buche aufgestellt
hatte, lange vor seiner Schilderung von Englands Verfassung? Wie klappen
denn seine hingebungsvollen, streng feudalistischen Ausführungen in der
zweiten Hälfte seines Werkes mit seinem stolzen Ausspruch, dass eine
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DER RÄTE DES MONARCHEN. 765
i Monarchie moderee» nur dort besteht, wo die Gewalten combinirt, gere-
gelt, ermässigt sind, und wo man dieselben wirken lässt ? Und doch hat
man sich nicht damit begnügen wollen, Montesquieu als einen theoretischen
Bahnbrecher und Vorkämpfer der wahren Umrisse des modernen Gonstitu-
tionalismus zu verkünden ; nein, man hat sogar noch unsere eigenen Zeit-
genossen geradezu aufgefordert, wohl auch in den minutiösesten Fragen zu
ihm in die Lehre zu gehen, welche in unserem heutigen Verfassungsleben
hie und da als GoroUarien der Minister- Verantwortlichkeit zum Durchbruch
zu gelangen pflegen. Namentlich hat man auf die Stelle im ni. Buche des
«L'Esprit des Lois» hingewiesen, wo die Entlassung eines schlechtberaten-
den Bats und die Berufung eines besserberatenden an die Stelle desselben
als das Mittel hingestellt wird, wodurch es für den Monarchen ein Leichtes
sei, das Uebel zu repariren. Das soll uns im Allgemeinen Montesquieus
richtigen Begriff von der Natur der parlamentarischen Begierungsweise an
den Tag legen : die Stelle jedoch im XL Buche, wo davon die Bede ist, dass
die schlechtberatenden Minister zur Verantwortung gezogen und bestraft
werden können, diese Stelle soll uns wiederum über die Verantwortlichkeit
der Minister nach englischer Weise belehren ; endlich aber sollen die
schwunghaften Bedewendungen, welche in einem späteren Capitel desselben
Buches zum Besten gegeben werden, die Gelehrtenwelt über das tiefe Wissen
Montesquieus m Betreff der verfassungsgeschichtüchen Vorgeschichte des
modernen Gonstitutionalismus in sämmtlichen Staaten Europas in Stau-
nen setzen.
Ja, sollen wir all dies für baare Münze nehmen? Ja, was hat denn
Montesquieu recht eigentlich für einen Begriff von der Verantwortlichkeit
der Minister ? Was weiss er eigentlich von der Vorgeschichte, was von der
Entwickelungsgeschichte, was von der höchsten zeitgenössischen Entwicke-
lungsphase derselben ? Wie steht es also mit der Lehre von der Minister-
verantworthchkeit in seinem Werke überhaupt ? in diesem Werke, dessen
Grundlinien, trotz des Haupttitels «De Tesprit des lois», dennoch kaum
noch etwas sonst so ernsthaft und hingebungsvoll umfassen, wie die Theorie
der Staatsformen — ?
Die Verantwortlichkeit der Räte des Monarchen in Aragonien,
Ungarn und Siebenbürgen (1231—1748).
Wenn auch nicht so reichhaltig und grosse Zeiträume hindurch unge-
stört erfolgreich wie in England,* so gab es Gesetze über die Verantwort-
lichkeit der Bäte des Königs wohl auch in so manchen Monarchien des
'^ Der vorangehende erste Abschnitt behandelt eben die Verantwortlichkeit der
Räte des Monarchen in England. D. Bed.
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766 MONTESQUIEU UND DIE VERANTWORTLIOHKEIT
Festlandes. Diese Monarchien sind Schweden, Aragonien, Ungarn and das
einstige Nationalfürstentum Siebenbürgen. Montesquieu interessirt sich
zuweilen wohl auch um Schweden und Aragonien — leider aber nur in
einer Weise, wie sich heutzutage irgend ein FeuiUetonschreiber oder der
erste beste Tourist aus dem Kreise der lektürliebenden Jockey- Glubmänner
um die Vergangenheit der beiden genannten Lander interessiren würde.
Alles in allem sprechen ihn die Einrichtungen von Mazulipatan oder der
Tartarei augenscheinlich besser an, als die Vergangenheit oder Gegenwart
der Staatseinrichtungen dieses trefflichen Volkes des Nordens, aus dessen
Verfassungsgeschichte ein Verfassungspolitiker des XVIII. Jahrhunderts
Bedeutendes hätte lernen können. Auch das Vorspiel der Minister- V^erant-
wortlickkeit, wie diese im XTTT. und XIV. Jahrhundert in Aragonien einen
Anlauf nehmen zu wollen schien, kennt Montesquieu nicht im Entferntesten.
Er interessirt sich um die Strafen, mit welchen das Gesetzbuch der Visigo-
then die Fussbedeckung, Röcke und Beine der Frauen gegen wollüstige
Frevler in Schutz nimmt ; er studirt die Psychologie der eifersüchtigen
Spanier, die ihre Frauen viel lieber mit einem jungen Mönche als mit einem
vielfach verwundeten Krieger einschliessen ; er philosophirt wohl auch über
den wohlthätigen Einfluss des Klerus auf das spanische Staatswesen und
tischt wonnevollst Anekdoten über spanische Könige auf; doch das denk-
würdige Gebilde aragonischer, catalonischer oder castilischer Einrichtungen
des Näheren zu würdigen, fällt dem Verfasser des iL'Esprit des Loist gar
nicht ein. Den Tokajer der Ungarn verherrlicht er sondergleichen ; er hat
ja diesen König der Weine in Pressburg und zwar in einer nicht minder
lebenslustigen als glänzenden Gesellschaft recht behaglich schlürfen können :
doch dass er, der Ungarn bis nach Temesvär bereiste, sich irgend einen
Einblick in Ungarns Verfassung oder gar Verfassungsgeschichte hätte ver-
schaffen wollen, hievon zeugt nicht eine Stelle in seinen Werken. Demgemäss
müssen wir für ausgemacht annehmen, dass Montesquieu nie etwas von den
Verantwortlichkeits-Gesetzen Altungams vernommen hatte. Aehnliches gilt
von den Versuchen, welche die Polen gemacht hatten, um eine Verantwort-
lichkeit der Bäte des Monarchen einzuführen.
Werfen wir nun einen Blick auf all diese Heimstätten des Verantwort-
lichkeits-Gedankens ; zuerst auf Aragonien, sodann auf Ungarn und Sieben-
bürgen, weiter auf Polen und endlich auf Schweden, um dann untersuchen
zu können, wie sich all das, was Montesquieu über die Verantwortlichkeit
der Minister sagt, zu dem verfassxmgsgeschichtlichen Stoff, den ein gründ-
licher staatswissenschaftlicher Forscher und Denker hätte zur Kenntniss
nehmen und in der Theorie verwerten müssen, recht eigentlich verhält?
In Aragonien, dessen ständisches Verfassungsleben sich bereits in der
ersten Hälfte des XIII. Jahrhunderts staunenswert üppig zu entfalten und
neben den Prälaten, Magnaten (Nobles, Bicos Hombres) und Infanzones,
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DER RÄTE DES MONARCHEN. 767
Hidalgos sowie Bittern wohl auch schon die Städte und sonstige Gemeinden
einer bedeutungsvollen reiohstäglichen Bolle teilhaftig zu machen wusste,
in diesem denkwürdigen Staatswesen des Zeitalters des christUch-germani-
sehen Staatsgedankens^ wo man die Tortur schon 1325 als «eines freien
Landes» unwürdig abgeschafiH; hatte und wo der Grundgedanke des modernen
Staatsgerichtshofes zuerst praktisch in der Gompetenz-Sphäre so wie in dem
Amtsberufe des Beichsoberrichters (Justicia oder Justiza) aufkeimte, in die-
sem merkwürdigen Lande hatten die Beichsstände schon anlässlich der
Krönung Alonsos HE. die Forderung an den König gestellt (12. April 1286) :
er möge sowohl seinen Hof als auch seinen Bat in Uebereinstimmung mit
dem Beichstag besetzen; die Beichsstände machten durchaus kein Hehl
daraus, dass sie einige Männer, weil diese dem Beichstage nicht genehm
waren, aus dem Bäte des Königs entfernen wollten. Alonso HI. antwortete
ihnen damals nicht minder klug als diplomatisch : er werde diese Angele-
genheit auf eine solche Weise in Ordnung bringen, dass die Union (diese
grässlich gewaltige Liga, welche nahezu die sämmtlichen mächtigeren Ele-
mente der weltlichen Estamentos umfasste) sich zufriedengestellt erklären
werde. Im Juni desselben Jahres dringen die Beichsstände noch energischer
in den König: Alonso möge die Angelegenheiten des Beichs mit Zustim-
mung des Beichstages zum Wohle des Königs so wie des ganzen Beiches in
Ordnung bringen, die von den Beichsständen erwählten Männer sowohl
aus dem städtischen Stande als auch aus dem Adel in seinen Bat aufnehmen
und einige von denselben stets in seiner Umgebung halten. Falls der König
diesen Anspruch der Beichsstände nicht erfüllen würde, so würden die
Beichsstände ihm nicht dienen, auch ihm kein Geld votiren, und falls der
König desshalb gegen sie oder auch nur gegen einen von den Mitgliedern
des Beichstags auftreten würde, so würden sie (die Beichsstände) auf Grund
ihrer Verpflichtung sich, eventuell diesen einen schon zu beschützen wissen.
Zugleich verpflichteten sie sich unter einander gegen jeden Massregeln zu
treffen, der sich gegen diese Beschlüsse stemmen würde. Alonso verweigerte
auf dem Beichstag zu Huesca (October 11) noch die Gewährung dieser
Ansprüche, da «ihn weder Gesetz noch Gewohnheit» zu dergleichen ver-
pflichte, auch sei die •Union» (!) nicht einstimmig für diese Ansprüche ein-
getreten. Der König wollte nur darauf eingehen, dass seine Bäte sich täglich
zur Beratung versammeln und dass die Angelegenheiten des Beiches in
seiner Gegenwart verhandelt würden. Auf dem Beichstage zu Alagon (1287
Mai) zögerte er noch und machte sich auf den Weg, um mit Edward I. von
England zusammenzukommen. Aber die Union, mit den beiden Oheimen
des Königs Pedro de Agerve und Jayme de Exerica an der Spitze, schickte
nun ein Ultimatum an Alonso. Dieser antwortete damit, dass er in Tarra-
gona zwölf angesehene Bürger hinrichten liess. Der innere Krieg entflammte;
die Schlachten fielen nicht zu Gunsten Alonsos aus : sich fügen war das
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o MONTESQUIEU UND DIE VERANTWORTLICHKEIT
einzige, was er jetzt thon konnte. Er schloss am SO. December einen Ver-
gleich mit der Union ab, demgemäes er am 29. Dec. seine beiden bekannten
Privilegien erliess. In dem sogenannten Batsprivilegiam bewilligte er : dass
der König gebalten sei, jedes Jahr im November zn Zaragoza einen General-
Beichstag za halten ; femer stand den Beichsständeu das Beoht zn, ihm
sowie seinen Nachfolgern auf dem Trone Aragoniens die Bäte zn bestim-
men, nach deren Batschlägen der König die Angelegenheiten Aragoniens
und Valencias zu verwalten habe ; diese Bäte seien verpflichtet, anlässUch
ihres Amtsantrittes den Eid zu leisten, dass sie dem König nur solche Bat-
schläge erteilen werden, welche weder gegen das Gesetz noch sonst schäd-
lich sind ; alle diese Bäte oder wohl nur einige sollen jedoch entfernt und
durch andere ersetzt werden, sobald eine derartige Aenderung dem Beichs-
tag oder doch demjenigen Teile desselben, dem die Abgeordneten von Siara-
goza angehören, wünschenswert erscheinen würde. Ende Januar 1288 wählte
auch auf Orund dieses Batsprivilegiums und überdies eigens dazu vom
König aufgefordert, der Beichstag (d. i. thatsächlich die « Union •) die Mit-
glieder des Bats für die beiden Königreiche Aragonien und Valencia. Ja,
nicht nur Bat«, auch sonstige Beichsorgane sowie Hofwürdenträger wurden
bei dieser Gelegenheit von den Ständen dem König zur Ernennung vorge-
schlagen und Alonso UI. ernannte dieselben jetzt zu den betreffenden Aem-
tern und Hofwürden ohne Schmollen, als ob ein solches Verfahren etwas
selbstverständliches in Aragonien gewesen wäre.
Das war gewiss eine recht sonderbare Entwicklungsphase des noch
embryonalen Verantwortlichkeits-Gedankens, welche schon ans dem Grande
nicht zur parlamentarischen Begierungsweise hätte führen können, weil
man in Aragonien nicht sowohl an das Vertrauensvotum der jeweiligen
Beichstagsmehrheit, sondern an die jeweilige Stellungnahme einer Minder*
heit, nämlich der Abgeordneten von Zaragoza angeknüpft hatte ; allein in
Aragonien vermochte sich die politische Verantwortlichkeit auch in dieser
abortiven Form nicht aufrechtzuerhalten. Schon im nächsten Jahre scheint
der in dem Batsprivilegium zum Ausdruck gelangte Gedanke die bindende
Bechtskraft verloren zu haben und im J. 1347 wies Pedro IV. ein ähnliches
Ansinnen der Beichsstände — die Bäte des Königs erwählen zu dürfen —
mit einem anherrschenden Hinweis auf die letzt verflossenen 60 Jahre
zurück, in deren Verlaufe die Beichsstände ein derartiges Becht nicht ein
einzigesmal ausgeübt hätten. Und wenn auch dieser Pedro IV. bald daraof
in eine bedrängte Lage kam, in welcher er nicht umhin konnte, sich dem
Wunsche der Beichsstände willfährig zu erweisen, indem er einige Bäte
auf Verlangen des Beichstags entfernte und manche Männer, welche denr
Beichstag genehm waren, in seinen Bat thatsächlich aufnahm : so vnirde
doch die Union sammt ihrem Batsprivilegium nach der Schlacht bei Epila
(1348) unbarmherzig auf immer vernichtet und weder Aragonien, das seit
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DEB RATE DES MONABOHEN.
76»
1348 die Einriohtung des Justiza erfolgreich ausbildete, noch Gastilien^ so
reich an selbstbewussten Edelleaten, noch auch Gatalonien, ob seiner
Bechtsgelehrten berühnat, vermochten sich je wieder zu einem Verfassungs-
leben emporzuschwingen, welches den Gedanken der politischen Verant-
wortlichkeit erreicht und staatsrechtlich verwertet hätte. Höchstens dürfte
man die That der Gatalanen berücksichtigen, welche unter Juan IL auf den
Aufruf der Stadt Barcelona eine Kriegsflotte in die See stechen Hessen, um
unter der Flagge des Königs nicht gegen diesen, sondern ausdrücklich gegen
die schlechten Bäte desselben zu demonstriren und dem unschuldig einge-
kerkerten Infanten Carlos Genugthuung und Befreiung zu verschaffen;
doch wenn auch die Cataluüa Bechtsgelehrte wie Jayme de Mont-Jui und
Jayme de Calieio aufzuweisen hatte, weder Capmany y Monpalan, noch
Carboneil, noch auch Desclot haben irgend eine glaubwürdige Spur dessen
hinterlassen, dass die Gesetzgebung CataJoniens je das Princip der Verant-
wortlichkeit der Bäte thatsächlich codificirt oder auch nur auf eine ähn-
liche Weise, wie die Aragonische Union im J. 1287, hätte verbrieft wissen
wollen. Auch in Castüien scheint das sonst gewiss stets recht lebenslustige
Verfassungsleben keine derartige ausdrückliche Bestimmung von Gesetz-
gebungswegen zustandegebracht zu haben. — Das Streben nach einer
solchen Garantie muss jedoch im XV. Jahrhundert wenigstens gewohnheits-
rechtlich offenkundig zum Durchbruch gekommen sein ; soll ja Enrique
IV., als der aragonische Beichstag dem Könige Aragonien angeboten hatte,
sich feierlich geäussert haben, dass er die Krone annehme, da schon auch
die Mehrheit seiner castilischen Bäte ihn in ähnhchem Sinne beraten habe.
Schade, dass wir auch von Cataloniens und Castiliens Verfassungsgeschichte
nur Bruchstücke kennen. Freilich ist es heute schon ganz unmöglich, sich
verfassungspolitisch ein zusammenhängendes, so zu sagen lebensfähiges Bild
von all den fragmentarischen Angaben zu entwerfen, welche verschiedene spa-
nische Forscher in dieser Beziehung, ein jeder zu einem besonderen Behufe,
angehäuft haben. Zu beklagen bleibt jedoch, dass die europäische Literatur
bis zur Stunde nicht ein Werk besitzt, welches selbst den Datenschatz, den
Zurita, Biancas so wie die «Coleccion de Fueros y Cartas Pueblas» von
Munoz y Bomero und die «Coleccion de Fueros y Cartas Pueblas de Espana»
der Beale Academia der Geschichtswissenschaft retteten, für die verglei-
chende Staatswissenschaft gehörig aufgearbeitet hätte.
Ziemlich zahlreich sind die Gesetze und Wahlcapitulationen über die
Verantwortlichkeit der Bäte im Königreich Ungarn (1231 — 1526) und im
National-Fürstentum Siebenbürgen (1631 — 1692). Insbesondere die «Appro-
batae Constitutiones» so wie die «Compilatse Constitutiones» dieser denk-
würdigen Monarchie jenseits des Kirälyhägö lassen sich in dieser Beziehung
wie eine höchst interessante Anthologie vom Fache lesen.
Schon die erste Ausgabe der «Goldenen Bulle» des Königs Andreas IL
ungarische Boruc. XI. 1891. X. Heft 49
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770 MONTESQUIEU UM) DIB VBRANTWOBTLTOHKBIT
(1222) ordnet eine jährliche Abhaltung des Reichstags an; die vom Jahre
1231 stellt in Aussicht, dass falls der Beichspalatin die Angelegenheiten des
Reiches schlecht verwalten würde, der König ihn auf Verlangen der Beichs-
stände seines Amtes entheben und nach seinem eigenen (königlichen) Gut-
dünken einen anderen, zu einem solchen Amte geeigneteren ernennen
werde. Es weht zu dieser Zeit eine ganz eigentümliche Strömung in Ungarn.
Erzbischof Robert von Gran excommunicirt nicht den König, sondern seine
Ratgeber wegen der Injurien, welche der Kirche von Staatswegen widerfuh-
ren. Unter Andreas III. kommt zuerst das Gesetz über die Verantwortüch-
keit der Oberbeamten der Gomitate, sodann aber das denkwürdige Gesetz
über die Verantwortlichkeit der (gewählten) Räte des Königs, auf dem
Reichstage von 1298 zu Stande. Ja, der Gesetzartikel 23:1298 — dieses
unvergleichliche Denkmal uralter ungarischer Verfassungspolitik und poli-
tischer Gewecktheit — verordnet nicht nur die Wahl der Ratgeber des
Königs durch die versammelten Reichsstände; dieses Gesetz verordnet
«ogar, dass künftighin nur solche Regierungsakte des Königs Rechtskraft
erlangen sollen, welche auf Rat dieser seiner durch den Reichstag gewähl-
ten Räte erfolgt sind. Man hat die Vermutung ausgesprochen, dass dieses
^Gesetz des Ungarkönigs Andreas III. eine Nachahmung aragonischer Ein-
richtungen sei ; allein ich glaube an einem anderen Orte den Gedanken
nahegebracht zu haben, dass Andreas die Grundidee dazu nicht der arago-
nischen Monarchie, sondern der venezianischen Republik entlehnt habe,
deren Einrichtungen er, der Sohn der Tomasina Morosini, ein Neflfe des
Alberts Morosini und ein Urenkel des Dogen Marino Morosini, in seiner Jugend
an Ort und Stelle zu studiren angehalten war. Dies dürfte jedem Forscher
einleuchten, der einerseits die altvenezianische Verfassungsgeschichte, na-
mentlich das verfassungsgeschichtliche Vorspiel der Signoiia seit 1032, sowie
-die Erziehungsgeschichte des Königs Andreas zu Rate zieht und anderseits
-den Wortlaut sowohl des aragonischen Unionsprivilegiums, als auch des
Gesetzartikels 1298: 23 zur Kenntniss nimmt. Was sagt uns die betreffende
Stelle des aragonischen Unionsprivilegiums? Dass der König Alonso UL
sich am 29. Dezember 1287 verpflichtete, • jährlich zu Zaragoza einen
-General-Reichstag abzuhalten • und dass er zugleich den Reichsständen das
Recht (besser gesagt die Befugniss) einräumte, «ihm sowie seinen Nachfol-
gern die Räte zu bestimmen, nach deren Ratschlägen der König die Angelegen-
heiten Aragoniens und Valencias zu verwalten habe ; diese Räte sollten
gehalten sein, anlässlich ihres Amtsantrittes den Eid zu leisten, dass sie
gut und gesetzmässig den König beraten, sich nicht bestechen lassen, noch
Geschenke annehmen werden ; auch sollten an die Stelle aller dieser Rate
oder doch an die Stelle einiger derselben andere Männer angestellt werden,
sobald es dem Reichstag so gefiele oder doch demjenigen Teile des Reichs-
tags, zu welchem sich die Abgeordneten von Zaragoza halten wollten.! So
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DER BÄTE DES MONABCHEN.
771
lautet das aragonische ÜDionsprivilegium, welches unseres Wissens höch-
stens einige wenige Jahre hindurch ausgeübt und von Pedro IV. nach der
Schlacht bei Epila (1348) trotz seines früher diesbezüglich gegebenen Wor-
tes auf immer vernichtet wurde. Der Gesetzartikel 1298:23 des König-
reichs Ungarn lautet dagegen folgendermassen : • Damit die Curie unsres
Herrn Königs ehrenvoller verwaltet und das Beich Ungarn schicklicher
regiert werden könne, haben wir soeben verordnet, dass unser Herr König
alle drei Monate je zwei Bischöfe, und zwar einen aus der Provinz Gran,
den anderen aus der Provinz Kalocsa, und ebensoviele Edelleute, letztere
in Vertretung der gesammten Edelleute des Beiches, welche wir soeben zu
diesem Behufe erwählt hatten, zu sich nehme, in seiner Umgebung halte
und mit entsprechendem Gehalt aus dem königlichen Vermögen unterhalte.
Und wenn der Herr König dies zu thun unterlässt, soll all das nichtig sein,
was er ohne den Bat der erwähnten, ihm beizugebenden Batgeber sowohl
in bedeutenderen Donationssachen als auch in Betreff der Verleihung von
Beichswürden oder auch in sonstigen Beichsangelegenheiten von Belang
unternimmt.» Wo ist hier eine Nachahmung des aragonischen Unionspri-
vilegiums, welche eine nach allen Seiten hin wesentliche genannt werden
dürfte ? Eine solche liegt abgesehen von der reichstäglichen Wahl der Bäte
gar nicht vor, wie auch kein Zug, der an die complicirte Einrichtung der
Beschlüsse des «Mad Parliaments» von Oxford (1258) erinnern würde.
Dagegen erinnern uns an die Stipulationen des Earl Lancaster (1316) —
wenn sie auch dieselben in ihrer Vollendung bei Weitem nicht erreichen —
die ständischen Verfügungen, welche 1386 unter der nominellen Be>gierung
der damals gerade in der Gefangenschaft schmachtenden Königin Maria
getroffen wurden. Der Beschluss der Stände, welche im Jahre 1386 in Ofen
ihre Versammlung abgehalten hatten, verordnet, dass jene Mitglieder des
königlichen Bats, welche dem Monarchen nichtsnutzigen Bat erteilen, vom
Bäte ausgeschlossen und nie wieder zu dieser hohen Körperschaft zugelas-
sen werden sollen. Hier handelt es sich jedoch nicht mehr um gewählte,
sondern um vom König ernannte Bäte, welche angehalten werden, beim
Amtsantritt den Eid zu leisten : dass sie nicht nur den Nutzen des Königs,
nicht ihren eigenen Vorteil, sondern auch stets die Interessen des Beiches
und der heiligen Krone vor Augen halten werden ; aber auch der König
wird gehalten, gewissenhaft zu versprechen, stets nur den Batscblägen
seiner Bäte folgen zu wollen. Gleichfalls dem altenglischen Verfassüngs-
leben scheint der Verantwortlichkeitsgedanke entliehen zu sein, der in der
Modification des 14. §. der «Goldenen Bulle» (1222) zum Ausdruck gelangt,
welche auf dem, durch König Sigismund auf repräsentativer Grundlage
Äusammenberufenen Temesvärer Beichstag vom J. 1397 decretirt wurde.
Namentlich hat dieses Decret vom J. 1397 den 14. §. der «Goldenen Bulle»,
der ursprünglich nur auf die Verantwortlichkeit der Obergespäne abzielte,
49*
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772
MONTESQUIEU UND DIE VERANTWORTLICHKEIT
nunmehr dahin modificirt^ daes auch der Beicbepalatin, sowie der Juder
Curiae und die Banusse ihres Amtes enthoben werden sollen, falls dieselben
überführt würden, ihre Amtsgewalt auf eine gemeinschädliche Weise aus-
geübt zu haben. Ausserdem erscheinen unter Sigismund alle Bäte als ver-
antwortlich vor dem Beichstag, welche öffentliche Gelder oder überhaupt
öffentliches Vermögen zu controlliren hatten. Auch hier kommen ernannte
und nicht gewählte Batgeber des Königs in Betracht. Nach dem Tode
Sigismunds erhob sich sogleich die conservative Beaction gegen alle solche
Neuerungen. König Albert erliess 1439 ein reichstägliches Decret, in wel-
chem er ganz offen gegen die (westeuropäischen d. i. englisch modellir-
ten) Beformen loszieht und wo zugleich der Beichspalatin wieder zu einem
«Judex Mediust im Sinne des aragonischen Justiza zwischen König und
Beichsständen bestellt wird : mit anderen Worten, König Albert's reichstäg-
liches Decret stellt sich wieder auf den Standpunkt der «Goldenen Bullet
vom J. 1222 und repudiirt den der 1231 -er Ausgabe derselben. Dagegen
reactivirt König Wladislausl. auf dem Beichstage vom J. 1440 den monumen-
talen Gesetzartikel der 1298-er Gesetzgebung, d.i. des hochsinnigen Königs
Andreas in.; und wenn auch dieBeschlüsse derBeichsstände v.J. 1446 u.s. w.,
mithin aus den Zeiten der mit einer wahren Begenten-Competenz bekleideten
Gubematorschaft des grossen Johann Hunyadi, als auf die Minorennität d^
Königs staatsrechtlich Bezug nehmende Verfügungen vom Gesichtspunkte
der Verfassungspolitik betrachtet auf ein anderes Blatt gehören : so culmi-
nirt wieder die Gesetzgebung des Königs Wladislaus U. ganz entschieden
in ihrem Batgesetz vom J. 1507. Es ist diesmal ein specifisch altungarischee
Gesetz, welches zwar an die Verantwortlichkeitsgesetze des Königs Andreas
III. anknüpft, im Ganzen jedoch, wenn es sich auch mehr an englische als
an aragonische Prämissen anlehnt, nichtsdestoweniger in seinem Gefüge
den Typus eines urwüchsigen Nationalgedankens an sich zu tragen scheint.
Das Gesetz vom J. 1507 verordnet nicht nur die legale, sondern gewisser-
massen auch schon die politische Verantwortlichkeit der Bäte des Königs,
welche ihr Amt durch königliche Ernennung erhalten. Alle Begierungsakte
des Königs sollen auf Bat seiner Bäte unternommen werden. Begierungs-
akte, welche der König ohne Zustimmung seiner Bäte vornimmt, haben
keine Giltigkeit. Wenn jemand im Bäte gegen die Freiheit und gegen das
Gemeinwohl oder auch gegen die Gesetze des Beiches zu handeln wagt, so
sollen ihn die Assessoren (d. i. die gerichtsherrlichen Mitglieder des Bats)
bei dem nächstfolgenden Beicbstag seinem Namen nach angeben, und den
Beichsständen steht es zu, ihn sowohl in seiner Person als auch im Vermö-
gen als einen Verräter und Störer des Staats und der Freiheit des Vater-^
landes zu bestrafen. Augenscheinlich und trotz des Gesetzartikels 1507: 8,.
welcher die Güterconfiscation über etwaige gesetzwidrig handelnde Magna-
ten und Edelleute, sowie den Verlust des Beneficiums über die renitenten
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DBB RATE DES MOKABGHEK. 773
Prälaten und Geistlichen verhängt, gebricht es dem Verantwortlichkeits-
gesetz vom J. 1507 an einer lebensfähigen Sanction sowie an verschiede-
nen Bedingungen der Ausführbarkeit, wie ich dies in meiner Abhandlung,
welche ich 1889 in der Ungarischen Akademie der Wissenschaften vorlegte,
eingehend auseinandergesetzt zu haben glaube. Wie unvollkommen aber
auch dieses Verantwortlichkeitsgesetz als solches ist, so hatte es — vermöge
der darin enthaltenen Worte «contra Libertatem et Commune Bonum» —
zu der Zeit, als es erlassen wurde, doch noch kein Analogon auf dem euro-
päischen Festlande.
Auch der unglückliche König Ludwig IL erliess Gesetze, welche die
Beichsstände über die Gompetenz des Bats zu schaffen für zweckdienUch
hielten; ja, Ludwig U. sanctionirte sogar 1518 einen Gesetzesvorschlag,
welcher den Bäten des Monarchen im Bäte einen gleichen Anteil an
Auctorität ertheilt wie dem König, und zugleich verordnet, dass das Becht,
überhaupt über alle Angelegenheiten so des Königs, wie auch des Beiches
Entscheidung zu treffen, den Bäten verbleiben soll. Wenn nun auch eine
derartige legislative Verfügung, wie dies Batsgesetz vom J. 1518 in einem
monarchischen Staat nur gegenüber einem minderjährigen oder geistig ver-
wahrlosten König zu verzeihen ist : so enthalten die Beschlüsse der gleich-
falls unter diesem unglückseligen, schwachen König abgehaltenen Beichs-
iiage vom J. 1524, 1525 und 1526 so manche Momente, welche den ungari-
schen Gonstitutionalismus aus dieser Zeit auf eine höchst interessante Weise
beleuchten. Im J. 1519 hatten die Oligarchen die einfachen Edelleute aus
dem Bäte gewaltsam entfernt ; im Jahre 1524 nimmt der Beichstag dem
Bat so manche Befugnisse ab, um die königliche Gewalt zu vermehren.
Stefan Verböczy, der Verfasser des «Tripartitum», hielt eine fulminante
Bede, in welcher er die Entfernung der schlechten Batgeber des Königs
forderte. Verböczy gehörte zur Partei des niederen Adels und war ein Werk-
zeug des Siebenbürger Wojwoden Johann Zäpolya, der auf die dem Lande
von Seiten der Türken drohende Gefahr speculirte, um im Trüben fischen,
XJjlaky's Güter an sich reissen und eventuell selber König werden zu können.
Die Unzufriedenheit des niederen Adels war vollkommen begründet : denn
der königliche Bat bestand zu jener Zeit vorwiegend aus solchen Oligar-
chen, die Missbrauch auf Missbrauch häuften und sich gar schamlose Tha-
ten zu Schulden kommen Hessen. Dem musste abgeholfen werden. Allein
eine Sanirung der Zustände konnte unter der Parteiführerschaft eines Intri-
guanten wie Zäpolya unmöglich zu Stande kommen. Auf dem Beichstage
1525, der aus Beichsbaronen, Magnaten und Comitatsboten bestand, stieg
die Aufregung so hoch, dass der päpstliche Legat Burgio förmlich erschrak.
Am 13. Mai schickte dieser Beichstag eine aus 60 Mitgliedern bestehende
Deputation an den König und verlangte : der König möge seine bisherii^en
Batgeber entlassen, sich mit neuen Batgebern umgeban, die er jedoch
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774 MONTESQUIEU UND DIB VBBANTWOBTLICHKBIT
selber ernennen möge. Auch müsste Emrich Sserencses zur Yerantwortong
gezogen werden. Der Reichstag erhielt keinen Bescheid ; erst als er eine
zweite Deputation, bestehend aus 120 Mitgliedern zu demselben Behufe
entsendete und die Partei des niederen Adels den Verkehr zwischen Pest
und Ofen gewaltsam absperrte, gab Ludwig 11. nach : er erklärte, er werde
den Emrich Szerencses bestrafen. Auf die Einladung einer dritten urgiren-
den Deputation erschien Ludwig ü. sogar persönlich auf dem Beichstag.
Dieser verlangte, seine Beschwerden wiederholend, der König möge augen-
blicklich alle seine Batgeber entlassen, die nicht Ungarn sind; an die
Stelle des bisherigen Schatzmeisters soll ein anderer treten,und zugleich soll
gegen alle das Strafverfahren eingeleitet werden, welche des Königs Ver-
mögen, bez. Bevenüen verwaltet hatten. Der König versprach nur das Straf-
verfahren gegen den Schatzmeister unverzüglich einleiten zu lassen. Die
Beichsstände beharren auf ihrem Begehren, und da dieses nicht erfüllt wird,
so entsteht ein Tumult, und der König macht sich aus dem Staube, um nur
sein Leben retten zu können. Jetzt berufen die missvergnügten Mitglieder
des Beichstags, auf Anstachelung Zäpolyas und Verb5czys, einen anderen
Beichstag nach Hatvan. Der König erschrickt und lässt Szerencses einker-
kern ; verspricht ausserdem seine deutschen Batgeber zu entfernen, mit
Ausnahme von 4 Bäten, von denen 2 er selber, 2 andere die Königin von
Nöten hätte. Zugleich riet er ruhig nach Hause zu gehen. Doch die Miss-
vergnügten brechen auf, um schnurstracks nach Hatvan zu gehen. «Damit
endlich einmal die bisherigen so wie auch die zukünftigen Beichstags-
beschlüsse Giltigkeit erlangen (so lauten die beiden ersten §§ der 1525-er
Beichstagsbeschlüsse) und vollzogen werden, soll der königliche Bat refor-
mirt werden, und nicht wie bisher grösstentheils durch Fremde beherrscht
werden; und damit im Bäte alles nach reiflicher Ueberlegung und
Beschlussfassung geschehen könne, damit die gefa^sten Beschlüsse auch
vollzogen werden imd die Mitglieder des Bats die Sünde des Nicht-
Vollzugs nicht aufeinander schieben, wie es bisher geschehen ist : wähle
sich der König einige Männer aus der Mitte der Prälaten und Beichs-
barone und behalte dieselben bei sich : diese Batgeber werden bevollmäch-
tigt, bis zum Beichstage von Hatvan in allen Angelegenheiten, worüber die
übrigen Bäte unter sich nicht einig werden können, zu beratschlagen,
Beschlüsse zu fassen und diese Beschlüsse auch vollziehen zu lassen ; die
erwähnten Batgeber werden befugt, sämmtUche königliche Beamtenstellen,
so die internen, wie jene an der Grenze, mit Einwilligung des Königs neu
zu besetzen ; sie sind gehalten darauf zu achten, dass die königlichen Ein-
künfte auf eine Weise verwaltet und verausgabt werden, welche nicht nur
dem König sondern auch dem Laude zuträglich ist; überhaupt sollen sie,
die erwähnten Batgeber, alles machen ; die (übrigen) Prälaten und Mag-
naten sollen zwar der Würde gemäss, welche sie bekleiden, im Bäte auch
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DEB RÄTE DES MONABCHEN. 775
zugegen sein^ auch wohl befugt sein, ihre Meinung im Bäte auszuspre-
chen : doch das Becht Dispositionen zu treffen bleibt bei den erwähnten
Batgebern, damit die Angelegenheiten des Königs und des Beiches nicht
in Confusion geraten und Schiffbruch erleiden wegen blosser Meinungsver-
schiedenheiten im Bäte. Fremde dürfen fürder zu dem Bat des Königs
nicht mehr zugelassen werden.»
Der Beichstag bei Hatvan kam thatsächlich zu Stande. Alles in AUem
ungefähr 10,000 Edelleute zu Pferd sind bewaffnet auf dem Platz erschie-
nen ; auch Beichsbarone und Magnaten haben sich eingefunden ; und als
der König ankam, da liefen ihm Alle entgegen und beteuerten ihm, der
gesammte Adel stehe ihm zu Diensten ; nur möge er sich einmal ermannen
und die Zügel der Begierung stramm und fest in die Hand nehmen. Und
doch kulminirte die ganze reichstägUche Verhandlung recht eigentlich in
der heftigen Opposition, welche man dem königlichen Bathe machte. Der
Hauptredner war wieder der Bechtsgelehrte Stefan Verböczy. «Nicht der
König sei, sagte er, an all dem Uebel Schuld, welches das Land betroffen,
sondern einzig und allein der königliche Bat. Dieser sei nichtsnutzig und
hasche nur nach Schätzen. Seine Geldgier und Baubsucht gestatteten ihm
nie, dem König irgend einen guten Bat zu erteilen; darum möge der
König den ganzen Bath reformiren, seine bisherigen Batgeber entlassen
und an ihre Stelle neue, ehrliche Männer zu seinen Bäten ernennen.»
Verböczy sprach über volle zwei Stunden. Zum Schluss versprach er dem
König, dass falls Seine Majestät den Bat reformiren und neubesetzen
wollte, der ganze Adel Ungarns von echt magyarischem Geiste beseelt die-
selbe Tapferkeit an den Tag legen werde, welche dem Feinde schon so oft
Furcht einzujagen verstand!» Als Verböczy seine Bede beendigte, apostro-
phirte er noch einmal die Anwesenden ; er fragte emphatisch, ob er die
Wahrheit gesprochen habe? Donnernde Bejahungen ertönten von allen
Seiten : alle baten den König, er möge doch einmal sowohl sich selber als
auch das Land von der «Tyrannei» befreien ! Nach Verböczy ergriff der
Erzbischof von Gran, der staatskluge Szalkai das Wort. «Er habe die Kanz-
lerwürde schon an dem Tage niederlegen wollen, wo er zum Erzbischof
ernannt wurde, doch habe der König in seinen Bücktritt nicht willigen
wollen ; jetzt habe er jedoch, und zwar an dem Tage, wo der König Ofen
verliess, das Staatssiegel Seiner Majestät unwiderruflich zur Verfügung
gestellt : er wolle nicht mehr E^zler bleiben. Bald würde die Zeit kommen,
wo sowohl der König als auch der Adel einsehen werden, wie treu er gedient
habe.» Bei diesen Worten blieb der Kirchenfürst stehen ; er harrte würde-
voll des Effectes, den seine Erklärung hervorrufen werde. Doch täuschte er
sich recht bitterlich. «Man muss ihn absetzen,» riefen so manche Beichs-
tagsmitglieder, «er ist ja blos der Sohn eines Schusters ! Darum will er auch
aus den Edelleuten lauter Bauern machen, wie er selber einer ist!» Jetzt
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776
MONTESQUIEU UND DIE VERANTWORTLICHKEIT
trat der Beichspalatin auf. «Es sei nicht gerecht, saj^te er, dass man die
Beamten des Königs ohne ricbterUchen Spruch ihres Amtes zu entsetzen
sucht; will man ihn seines Amtes entsetzen, so soll man ihm zugleich auch
sein Leben nehmen. Uebrigens sei er bereit, sich dem Richterspruch zu
unterwerfen.» Nun schrieen die Einen: «Absetzen augenblicklich!» die
Anderen dagegen riefen: «Das Amt niederlegen, sobald es die Gerechtigkeit
verlangt ! » Auf den ßeichspalatin folgte der Judex Curiae, Ambrosius SÄr-
kiny. Er machte es ziemlich prahlerisch. Er schilderte die Dienste, welche
er sowohl dem König als auch dem Lande geleistet habe: «es gebe im gan-
zen Lande nicht drei Menschen, die würdiger seien als er!» Ein Selbstiiob
von diesem Styl gefiel jedoch den Reichstagsmitgliedem keineswegs ; ein
Sturm von Entrüstung brach lo3, Scheltworte und Flüche flogen über den
Kopf des unbescheidenen Landes- Oberrichters, ja die ganze Versammlung
geriet in eine derartige Aufregung, dass der Judex Curiae nichts besseres
thun konnte, als sich auf sein Lioss zu schwingen und ohne sich Bast zu
gönnen, mit Windes-Schnelligkeit nach Ofen zu reiten. Nach diesem Schau-
stück versprach der König seinen Bescheid auf Morgen, und die Versamm-
lung ging auseinander. Den andern Tag schickte der Bat zum König Send-
boten, um ihm einzuschärfen, dass es höchst ungerecht wäre, seine Bäte
abzusetzen, ohne den Bichterspruch abzuwarten. Auch sei der Bat bereit,
gegenüber allen Beschwerden Genugthuung zu geben. Jetzt teilte sich der
reichstäglich versammelte Adel in zwei Parteien : die eine Partei, bestehend
aus ungefähr 3000 Mitgliedern, wollte den gerichtUchen Weg betreten, die
andere, bei Weitem zahlreichere Partei setzte einfach den Beichspalatin ab
und wählte Stefan Verböczy zum Beichspalatin; zugleich schickte diese
Majorität eine Deputation zum König, um die Bestätigung dieser ihrer
Palatinwahl zu erlangen. Der König bestätigte thatsächhch die Wahl Ver-
böczys zum Beichspalatin. Hierauf formulirte der neue Beichspalatin die
Beichstagsbeschlüsse als Gesetzartikel : darunter diejenigen, welche sich auf
den königlichen Bat beziehen. Diese enthielten die nachstehenden Dispo-
sitionen: «Seine Majestät möge die königlichen Aemter neu besetzen ; die
Besetzung dieser Aemter gehört ausschliesslich in die Bechtssphäre des
Königs, der dies sein Becht unbehindert, ohne jede Einmischung des Adels
auszuüben habe ; darum solle sich auch der Adel nicht anmassen die Aem-
ter eigenwillig zu verteilen ; der königliche Bat soll aber reorganisirt wer-
den durch Aufnahme von 8 MitgUedem, welche dem niederen Adel ange-
hören. •
Der König willigte ein, doch beschwerte er sich darüber, dass die
Majorität des Beichstages soeben seine Bechte empfindsam verletzt habe,
indem dieselbe königliche Aemter eigenmächtig zu besetzen keinen Anstand
genommen. Die Majorität des Beichstages hatte nämlich, nachdem bereite
die Wahl Stefan Verböczys zum Beichspalatin durch den König besti^igt
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DER RÄTE DES MONARCHEN. 777
war, den Erlauer Bischof zum Kanzler, Drägfi zum Judex Curiae und Kani-
zsai zum Schatzmeister ausgerufen. Hierüber hat sich nun Ludwig IL bei
den iteichsständen bitterlich beklagt und erreichte damit vollkommen sein
Ziel: denn die versammelten Beichsstände riefen nunmehr einhellig: «Möge
der König in dieser Beziehung thun, was er wolle, sie mischen sich nicht
mehr in diese Angelegenheit.» Ludwig IL legte anlässlich dieser Krise zwei-
fellos Takt an den Tag ; er ging so weit^ dass er sogar einen Vorgeschmack
für den parlamentarischen Gedanken verriet : trotz seiner Beschwerde über
die eigenmächtige Einmischung der Majorität in die Angelegenheit der
königlichen Aemter ernannte er dennoch zum Judex Curiae denselben
Drägfi, dem sich das Vertrauen der Majorität in erster Linie zugewandt hatte.
Das allerwichtigste unter diesen Ergebnissen ist freiUch der bereits oben
erwähnte §, welcher die Reorganisation des königlichen Bates zum Ge-
genstande hat. Dieser § lautet folgendermassen : «Seine Majestät möge seine
Beamten und Bäte aus dem Kreise der Prälaten und Beichsbarone erwäh-
len, ausserdem sollen aber 8 Mitglieder aus dem niederen Adel dem könig-
lichen Bäte beigegeben werden, in dem Sinne, wie dies bereits (ältere) Ge-
setze verordnen ; der König soll mit Zustimmung dieser 8 Bäte die Beichs-
angelegenheiten besorgen, auch wenn die Magnaten mit diesen 8 Bäten
nicht einig werden könnten ; auch die Aemter soll der König über Vorschlag
dieser 8 Bäte besetzen.)» In der Vatican 'sehen Gopie der Hatvaner Beschluss-
urkunde steht noch nach Kovachich unter § 38: «Seine Majestät möge
sowohl den Kanzler als auch den Judex Curiae, sowie den Tavernicus
und den Commandanten von Ofen sofort ihres Amtes entsetzen und andere,
zu diesen Aemtem geeignetere Männer an ihre Stelle ernennen.» Diese
Stelle fehlt in den sonstigen diesbezüglichen Urkunden : möglich, dass bei
der Fromulgirung der Beschlüsse die Stände darauf selber verzichtet haben,
nachdem der König, wie bereits erwähnt, zum Judex Curiae den Depositar
des Vertrauens der reichstäglichen Majorität, Drägfi, ernannt hatte. Zu
bemerken ist noch, dass dieser selbe Beichstag von Hatvan, der den Bechts-
gelehrten Stefan Verböczy zum Beichspalatin erwählte, zugleich eine
neue Codification angeordnet hat, da die Gebrechen der Verböczyschen
Sammlung seit 1514 bereits in so mancher Hinsicht offenkundig geworden
waren. «Die Bäte des Königs, dieBichter des Obersten Gerichtshofes und die
Protonotare sollen bis zum nächsten Beichstag die gesammten Gesetze und
Beschlüsse des Landes in eine Sammlung bringen ; mittlerweile sollen alle
geschriebenen Gesetze des Landes durchgelesen und geprüft werden und
auf Grund dieser Prüfung soll dann der König auf dem nächsten Beichstag
dieselben bestätigen.» So lautet der § 32, 36 der Hatvaner Beichstags-
beschlüsse : man sieht, dass einem Beichstage, der in der ersten Hälfte des
XVI. Jahrhunderts derartige Beschlüsse fasst, ein gewisser Grad von geisti-
ger Bildung und politischer Beife nicht abzusprechen ist.
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778 MONTESQUIEU UND DIE VERANTWOBTLICHKEIT
Vergebens ! Die Hatvaner Beschlüsse wurden in Bezug auf die Reor-
ganisation des Bates zwar ausgeführt; die acht Edelleute nahmen ihren
Sitz im Bäte sogleich ein : doch der Mechanismus dieser gesetzlich vorge*
schriebenen Begierungsweise vermochte nicht gehörig zu arbeiten: denn
Ludwig n. liess sich von der Partei des gestürzten Beichspalatins B&thory
auf die bedauerlichste Weise bethören und trat, einerseits aus Furcht vor
dem Einfluss, den nun der durch die Ujlakischen Güter unermesslich reich-
gewordene, ambitiöse Wojwode Zäpolya durch seinen Günstling, Beichs-
palatin Verböczy sowie durch die acht Edelleute auf den Bat ausübte,
anderseits aus einer, wie es scheint, angeborenen Neigung zur Willkürherr-
schaft, lieber selber schon im Frühjahr sammt der Königin in die oligarchische
iConfoederationt von Kecskemet ein, um die Hatvaner Beschlüsse sobald
wie möghch wieder nichtig machen zu können. Sowohl Zäpolya als auch
Verböczy spielten zu dieser Zeit eine Bolle, welche nichtsweniger denn
lobenswert ist. Verböczy schmeichelt hinter den Coulissen den Oligarchen
und Zäpolya machte gleichfalls hinter den Coulissen allerlei Geschäfte
und willigte, um diese ergiebigst durchführen zu können, sogar ein, dass die
fremden Batgeber des Königs auch fernerhin an seiner Seite bleiben. Unter
solchen Umständen konnten die acht Edelleute nichts Heilsames im Bäte aus-
wirken, weder in Sachen der Landesverteidigung noch in sonstigen Ange-
legenheiten, sondern die Sachen nahmen ihren Lauf noch immer wie
zuvor : es geschah nur, was die oligarchischen Intriguanten wollten. Lud-
wig U. dachte unter solchen Umständen eine Zeitlang gar nicht mehr
daran, den Beichstag je einzuberufen, es sei denn in Fällen äusserster Not-
wendigkeit; jetzt berief er den Beichstag (April 24. 1526) nach Ofen, nur
um sein Eintreten in die Confoederation proclamiren und die Hatvaner
Beschlüsse für nichtig erklären zu können ! Der Beichstag nahm all das
willig auf, was der König wollte : denn die Confoederation besass auf diesem
Beichstag entschieden die Majorität. Wie ist dies möglich geworden? Durch
Litrigue und durch Bestechung. Die minder begüterten Edelleute nahmen
von den Oligarchen Taggelder an. Auch Paul Artändi, der noch vor Kurzem
als einer der feurigsten Fürsprecher der antioligarchischen Partei sich her>
vorgethan, war schon Mitglied der oligarchischen Confoederation. Der Beichs-
tag applaudirte, als die Gründungs- Urkunde der Confoederation «zur Erret-
tung des Königs» feierlich vorgelesen wurde und Verböczy, der Beichspala-
tin, der erst vor einigen Tagen aus seiner oberungarischen inquisitorischen
Expedition gegen die Lutheraner zurückgekehrt war, hat sich ganz einfach
aus dem Staube gemacht. Der Beichstag erliess ein Manifest, in welchem
Stefan Verböczy und Michael Zobi sowohl für die Zusammenberufung
und Abhaltung des Hatvaner Beichstages als auch für den Sturz des Beichs-
palatins Bäthory und für die legislativen Beschlüsse des Hatvaner Beichs-
tages verantwortlich gemacht, der gebrochenen schuldigen Pflichttreue
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DEB BÄTE DES MONABCUEN. 77^
gegen den König sowie der Verletzung der Gesetze schuldig erklärt und als
f Angreifer der königlichen Gewalt, als Störer des Friedens, der Bube und der
Freiheit des Landes zu öffentlichen Feinden des Vaterlandes und des Königs»
gebrandmarkt, und unter Confiscirung ihres Vermögens des Landes ver-
wiesen werden. Der Beichstag vom Jahre 1526 brachte wieder ein Gesetz,
welches darauf ausging, den König von der Vormundschaft seiner Bäte zu
emancipiren. «Der König möge nach seinem eigenen Gutdünken alles thun,.
was ihm zur Eintreibung der königUchen Einkünfte sowie zur Verausgabung
derselben erspriesslich erschein t und was zur Begierung sowie zur Auf-
rechterbaltung der Freiheit u. s. w. des Landes nötig ist. Da abgesehen von
dem Amte des Beichspalatins, die Besetzung sämmtlicher Aemter ein
königliches Becht ist, so möge der König befugt sein, seine jetzigen Bäte zu
behalten oder zu entlassen und andere an ihre Stelle zu ernennen je nach
seinem Gutdünken. Nachdem Seine Majestät über Prälaten, Barone und
Bäte verfügt, welche er frei wählen kann, so möge der König wohl auch
acht Edelleute erwählen, welche im Bäte gegenwärtig sein sollen.» Zugleich
wurde verfügt, dass fürder der Adel nicht verpflichtet sei, auf dem Beichs-
tag öfter als höchstens einmal, am Tage der Schlussverhandlung persönlich
zu erscheinen, wodurch die Abhaltung der Beichstage auf Grund einer,
damals sicher noch ganz und gar vagen und primitiven Comitatsvertretung
ermögUcht wurde, was die Gesetzgebung wieder damit motivirte, dass
infolge des persönlichen Erscheinens sämmtlicher Edelleute, sehr viele auf
den Bettelstab gekommen und da sie ihre Güter verpfänden mussten, zum
ewigen Bauernstand erniedrigt worden seien ; endlich wurde noch auf die-
sem Beichstag das Amt des Beichspalatins zu einem unabsetzbaren gemacht,,
was dasselbe sodann bis auf die spätesten Zeiten thatsächlich geblieben ist.
«Weder durch Lärmen und Toben, noch durch Willkür soll künftighin der
Beichspalatin seines Amtes entsetzt werden, sondern lediglich nur von
Gesetzwegen, falls er ein Verbrechen begeht, welches mit der Capitalstrafe
zu bestrafen ist. Das Amt des Beichspalatins soll auf Lebenszeit vergeben
werden und zwar gegen eine schriftliche Verpflichtung des Königs, dass
Seine Majestät ihn dieses Amtes nicht entsetzen werde ; diese schriftliche
Verpflichtung des Königs soll aber mit der Krone gemeinsam aufbewahrt
werden. Niemand dürfe sich erfrechen, den Beichspalatin lärmend und
tobend anzugreifen.»
König Ludwig II. hat diese Urkunde thatsächlich ausgestellt gleichzei-
tig mit jenen, worin er die Beschlüsse des Bäkoser sowie des Hatvaner
Beichstags förmlich annullirt und über Verboczy den Bann ausspricht. Doch
all dies vermochte nicht den verhängnissvollen Missgrifif wieder gutzuma-
chen, den die OUgarchen sich erlaubt hatten, als sie 1519 die einfachen
Edelleute aus dem königlichen Bäte gewaltsam entfernt hatten. «Die Mag-
naten, sagt der trefifiiche Ladänyi, wollten den König glauben machen, dass
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7m
MONTESQUIEU UND DIE YERANTWORTIilOHKEIT
er sich nunmehr im Besitze einer wirklichen Macht befinden werde, zugleich
wollten sie aber ]den Ständen zu verstehen geben, dass von nun an jede
Verantwortlichkeit nur den König treffen könne für all die Dinge, welche
nun kommen sollten. Und der titellose Adel hat auch all dem thatsächlich
Glauben geschenkt und diesen seinen Glauben sogar zum Ausdrucke ge-
bracht, und zwar mit der ganzen Naivität eines titellosen Edelmannes.
Allein der König fing jetzt ernstlich an, die Wucht seiner Verantwortlich-
keit zu fühlen und konnte nicht umhin zu betonen: tVor allem wäre Geld
nötig, was wir nicht haben ; zwar sei er bereit, alles zu thun, was er nur
vermag, doch seien ihm die Hände wegen der Armut gebunden ; niemand
soll von ihm UnmögUches erwarten» und sich auf die Gesandten der frem-
den Mächte wie auf Zeugen berufend, beteuerte er, dass «falls das Land
irgend ein Unglück trifft, so habe nicht er es heraufbeschworen.»
Das Unglück blieb nicht aus. Sulejman 11. vernichtete das winzige
Heer des schmächtigen Ungarkönigs bei Mohäcs; die Blüte der Magnaten
so wie der Kirchenfürsten , ja sogar der Universitätsjugend von Pünfkir-
chen hauchte sein Leben auf diesem trauervollen Schlachtfelde aus; der
König kam auf die elendste Weise um, als er sich zu flüchten versuchte,
und das stärkere Heer des Wojwoden Zäpolya, unter dessen Fahnen sich
die grosse Masse des missvergnügten titellosen Adels angesammelt hatte,
sah in gemächlicher Entfernung der Katastrophe zu, welche Ungarns sou-
veraine Unabhängigkeit auf Jahrhunderte begrub.
Das war die arge Frucht der bösen That, welche die Oligarchen verübt
hatten, indem sie 1519 die titellosen Edelleute, mithin das zu jener Zeit
politisch qualificirtere und minder beutegierige Element aus dem königli-
chen Bat gewaltsam entfernt, die Verantwortlichkeit der Bäte des Königs
jedoch zielbewusst zu einer Unmöglichkeit gemacht hatten, um ihrer Beute-
gier ungeahndet fröhnen zu können. Auch der Wojwode Siebenbürgens, der
Emporkömmling Zäpolya trägt Schuld an dieser Katastrophe : denn er hatte
sich zum Führer des titellosen Adels aufgeworfen, ohne dass ihm in seinem
Innersten je eingefallen wäre, etwas Edleres als die Güter Ujlakys und die
Vendetta gegen seine Nebenbuhler anzustreben.
Nun folgt für das eigentliche Königreich Ungarn diesseits des Kiräly-
hägö eine Periode von über dreihundert Jahren unverwischlich traurigen
Andenkens. Der besonnenere Teil der Nation hat sich der Partei Ferdi-
nands von Oesterreich angeschlossen und den Gegenkönig Zäpolya sammt
dessen Erben endgiltig niedergeworfen. Ungarn hat in dem neuen Herr-
scherhause sowohl einen mächtigen Beschützer gegen die Türken als auch
einen Beförderer der civilisatorischen Arbeit erhalten ; allein diese civili-
satorische Arbeit wurde im Laufe der Jahrhunderte durch so manche Akte
der Vergewaltigung getrübt, welche zu unaufhörlichem Hader und Partei-
krieg führen mussten und nahezu die ganze Lebenskraft der Nation lahm-
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DBR RÄTE DES MONARCHEN. 781
legten. Zwar beschworen Ferdinand I. wie auch die folgenden Könige von
Ungarn, welche als römisch- deutsche Kaiser in der Wiener Hofburg tron-
ten, Ungarns Verfassung und Gesetze aufrechtzuerhalten ; doch dies ver-
hütete noch keineswegs blutige Verfassungsconflicte. Die Wiener Katgeber
scheinen weder die Postulate des ungarischen Staatsrechts zur Kenntniss
genommen, noch aber auch die Gebote einer wahren Staatsklugheit gehö-
rig in Betracht gezogen zu haben : sie betrachteten Ungarn als eine ero-
berte Provinz und boten Jahrhunderte lang Alles auf, um das Land zu
schwächen, um nur seine Widerstandsfähigkeit auf immer brechen zu
können. Auf der anderen Seite begingen auch die Ungarn bedauernswerthe
Missgriffe gegen sich selbst. Gekränkt durch so manchen Verfassungsbruch,
ja zum Aeussersten gereizt durch unleugbare Gesetzwidrigkeiten und grau-
same Gewaltakte, suchten sie die Waffengenossenschaft mit den Türken,
und diese Hessen sich's nicht zweimal sagen ; sie kamen in der That, zer-
traten aber die Saaten des Ungarvolkes, äscherten die Städte ein, schändeten
die Frauen und schleppten die Söhne des Landes scbaarenweise in Ketten
nach Konstantinopel. Ungarn war verwüstet; das Land, welches unter
Mathias Corvinus in der CiviUsation bereits erfolgreich mit den vorge-
schrittensten Völkern des Westens zu wetteifern begann, wurde zu einer
Oede, wo man wieder von Neuem anfangen musste, um sich mit harter
Mühe allmälig wieder in die Beihe der civilisirten Gemeinwesen aufschwin-
gen zu können. Erst nachdem die Päpste, insbesondere Innocenz XI. sich
endlich der Sache im Namen der Christenheit nachdruckvollst angenom-
men hatten, fing es wieder zu dämmern an : die Morgenröte jedoch liess
noch lange auf sich warten. Werfen wir nun einen Blick auf diese trüben
Zeiten ; erspähen wir vor allem, wie es mit der Vorgeschichte des Parla-
mentarismus bestellt war, nachdem Ungarn bei Mohäcs, wenn auch nicht
staatsrechtlich, so doch thatsächlich seine staatliche Unabhängigkeit ver-
loren. Die Signatur des Verfassungslebens des Königreichs Ungarn culmi-
nirt zu dieser Zeit in der Thatsache, dass Ferdinand I. schon 1545 einen
Versuch machte, die ungarische Verfassung in ihrem Lebensnerv zu ver-
letzen, indem er die kirchlichen Magnaten und ausserdem wohl auch noch
einige in der Nähe der österreichischen Grenze sesshafte weltliche Grossen
im November des erwähnten Jahres nach Wien berief, um dort von den-
selben mit Umgehung des Beichstages eine Steuerbewilligung zu verlangen;
ja nachdem dies abgeschlagen wurde, denselben Versuch noch 1558 im
königlichen Bäte wiederholen zu dürfen sich veranlasst fühlen konnte.
Energisch war der Protest sowohl der Prälaten und Magnaten 1541, als
auch der Mitglieder des königlichen Bates (1558) gegen eine derartige Zu-
mutung. Die ungarischen Beichsstände haben sowohl 1546 und 1547, als
auch 1 582 dem Wunsche Ausdruck verliehen, dass der König innerhalb des
Landes residire, und die Stände von 1569 verlangten, dass die Mitglieder
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782 MONTESQUIEU UND DIE VERANTWORTLICHKEIT
des königlichen Hauses, die Erzherzoge, die ungarische Sprache ziemen
mögen (die Diarien des Beichstags wurden nämlich noch 1583 nicht nur
lateinisch, sondern auch ungarisch redigirt, so auch die königlichen Propo-
sitionen). Lobenswert war ein solches Verlangen, insbesondere seit 1567,
wo Maximilian sich auf dem ungarischen Reichstag der deutschen Sprache
zu bedienen berechtigt fühlte. Doch verrieten die politischen Notabilitäten
des damaligen Ungarn nebst einer solchen eifervollen patriotischen Bestre-
bung betreffs der Residenz des Monarchen und der Nationalsprache wohl
auch einen Stumpfsinn hinsichtlich der bedeutungsvollen Exigenzen des
Yerfassungslebens, der nicht nur kennzeichnend ist in des Wortes emiedri-
gendster Bedeutung, sondern auch die schwersten Folgen hatte. Ich meine
das Verhalten der Mitglieder des königlichen Rates, die 1561, als der König
von ihnen ein Gutachten über die dem Beichstage einzureichenden könig-
lichen Propositionen verlangte, ein solches, gewiss höchst correctes Ansinnen
mit der Motivirung von sich weisen zu dürfen wähnten, dass «zu früheren
Zeiten die Könige Ungarns ihre reichstäglichen Propositionen lediglich mit
Beihilfe des Kanzlers, des Obersthofmeisters und des Thesaurarius zu redi-
giren pflegten, und wenn jetzt die Kirchenfürsten und Magnaten, die im
Bäte des Königs sitzen, ihr Gutachten über die Propositionen schon vor-
läufig abgeben würden, so dürften sie dann kein Wort mehr darüber auf
dem Beichstag reden ! » So die ungarischen Bäte des Monarchen in ihrer
verblüffenden, naiven Indolenz. War es dann ein Wunder, wenn schon zwei
Jahre später, 1563, als die Beichsstände sich darüber beklagten, dass der
König ihre Beschwerden und Anliegen nicht beachtet, sondern die Rat-
schläge seiner ausländischen Batgeber zu befolgen liebt, der König sie damit
persiflirte, «dass es ihm unmöglich gewesen sei, das Gutachten seiner unga-
rischen Bäte in Anspruch zu nehmen, da er darüber belehrt worden sei, dass
dieselben blos in der Versammlung der Beichsstände zu fungiren hätten.!
Und von diesem Zeitpunkt an verschwindet jede Einflussnahme des unga-
rischen Bats völlig ; die Körperschaft war noch dem Namen nach da ; von
Zeit zu Zeit conferirten die Könige wohl auch mit den hervorragendsten
MitgUedem derselben ; alles in allem war der königliche Bat kaum mehr als ein
blosser Schatten. Dessenungeachtet hat die Vorgeschichte des ungarischen
Parlamentarismus in einem anderen Lande der heiligen Stefanskrone eine
glorreiche Fortsetzung erhalten ; ja der Gedanke der VerantwortUchkeit der
Bäte hat jenseits des Kirälyhägö im Nationalfürstenthum eine Incamation
erlebt und zugleich eine Entwicklung errungen, welche nicht nur die dies-
bezüglichen Errungenschaften solcher ständischen Monarchien, wie Ara-
gonien, Polen und Alt-Schweden, entschieden überflügelte, sondern wohl
auch verdient, mit der Vorgeschichte des englischen Parlamentarismus im
XVII. Jahrhundert verglichen zu werden. Zu betonen ist, dass es sich hier
nicht mehr um massenhafte Versammlungen im Style der auf dem B&kos
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DER RÄTE DBS MONARCHEN. 783
abgehaltenen, sondern lediglich um Versammlungen handelte, welche an
die Beschwerde-Landtage so mancher deutscher Staaten in der ersten
Hälfte des XIX. Jahrhunderts erinnern dürften. Im Gesetzbuch des National-
fürstentums Siebenbürgen steht das fiatsgesetz verewigt wie folgt: «Der
Stand der Bäte pflegt zu dem Behufe den Fürsten beigegeben zu werden,
und die Pflicht der Bäte geht auch dahin, dass sie allerlei nützUche und
dem Gemeinwohl zuträgliche Batschläge erteilen sollen : darum sollen alle
(Bäte) 9 welche gesetzwidrige (oder) nnnütze Batschläge erteilen, comperta
rei veritate, legitim eque citati ac convicti, in notam perpetu« infidelitatis
incurriren.»
In den Wahlcapitulationen (Conditiones Principum) der Nationalfärsten
von Siebenbürgen taucht die Verantwortlichkeit, abgesehen von den diesbe-
züglichen Massnahmen Christof Bäthorys, erst mit Gabriel Bethlens Begie-
nngsantritte auf. Noch 1607 hatte man in der Gondition Sigismund Bäköczys
dasgrössteGewichtdaraufgelegtydassderMonarcb, d.i. der Nationalfürst, weder
die Person sowie die Güter und die Viehheerden der ünterthanen je beschä-
digen, noch irgend eine Neuerung gegen des Landes Sitte und alte Freiheit
einführen dürfe ; die Viehheerden und die Proteste gegen Neuerungen figu-
riren wohl auch noch in der Condition des famosen Nationalfürsten Gabriel
Bäthory von 1608 ; doch die infamen Orgien dieses LüstUngs auf dem
Trone Siebenbürgens, welche er mitunter wohl auch unter den Auspicien
seiner «Bäte» celebrirt haben soll, bewogen vielleicht in erster Linie die
Beichsstände, dem Gabriel Bethlen, als dieser 1613 in die Lage kam, das
Land mit seiner Wahlcapitulation zu bescheren, den Gedanken der Verant-
wortlichkeit der Bäte derart einzuschärfen, wie dies in Siebenbürgen wohl
noch nie geschehen ist. Demgemäss ordnet auch die «(Kondition» dieses
grossen Nationalfürsten in unzweideutigen Worten an : Der Fürest ist gehal-
ten gesetz-, Wahrheit- und friedliebende^ gewissenhafte Bäte aus allen drei
Nationen (Ungarn, Szekler und Sachsen) in seine Umgebung aufzunehmen,
die er selber erwählt ; er ist aber auch gehalten, die Batschläge dieser seiner
Bäte zu befolgen in allen inneren und auswärtigen d. i. Angelegenheiten
des Landes, welche Bündnisse mit den beiden Kaisern oder mit anderwei-
tigen Ländern (Staaten) betreffen ; auch soll der Fürst keine Donation von
Belang machen, keine Oberbeamten sowie Oberoffiziere ernennen ohne
Wissen der Bäte. Sollte jedoch jemand von diesen Bäten Seiner Hoheit
gegen das Gesetz, gegen die Freiheit oder gegen die Decrete des Landes auf
gewissenlose Weise gefährliche und schädliche Batschläge erteilen, so soll
dieser schlechte Batgeber ohne Nachsicht comperta rei veritate, mit Pro-
scription und Notorietät bestraft werden ; — c. 9 : Auch soll der Fürst die
Grenzen, Grenzfestungen (u. s. w.) nach bestem Vermögen zu erhalten
trachten und soll ohne Wissen des Bats sowie des Beichstags nichts an
irgend eine fremde Macht abtreten.»
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7^ MONTESQUIEU UND DIB VERANTWORTUCHKEIT
Die Condition der Fürstin Katbarina (von Brandenburg) gehört auf
ein anderes Blatt, docb auch Georg Räköczy war in seiner Condition (1630)
gehalten, sich der Batscbläge seiner Bäte zu bedienen und zwar in den
inneren Angelegenheiten nicht minder als in den auswärtigen. Seine Con-
dition enthält in dieser Beziehung ähnliche Verordnungen wie jene
Bethlens von 1613. Auch wird in dieser Condition Georg Räköczy 's dieselbe
Strafe über die schlechten Batgeber verhängt, wie in jener Gabriel Bethlens.
Aehnliches gilt von der Condition Georg Bäköczy's des Jüngeren vom
Jahre 1641.
In der (Kondition des Fürsten Franz Käköczy I. (165^) wird der Fürst
gehalten, sämmtliche wichtigere innere und auswärtige Angelegenheiten
des Landes mit Uebereinstimmimg der Bäte zu verrichten ; auch soll der
Fürst die erledigten Eatsstellen nicht längere Zeit vacant lassen, sondern
würdige Patrioten ernennen, mit Wissen des Bats ; die Bäte sollen nicht
nur dem Fürsten Pflichttreue schwören, sondern auch darauf den Eid
leisten, dass sie die Gesetze sowie die Freiheit des Vaterlandes nicht ver-
letzen und stets von patriotischer Treue beseelt verfahrien werden. Auch soE
der Fürst gehalten sein, das Plenum des Rats sogleich davon in Eenntniss
zu setzen, sobald irgend ein Bat sich untersteht, ihm gesetzwidrige oder
solche Batschläge zu erteilen, welche für Andere (ünterthanen) gefährlich
sein oder die Freiheit des Vaterlandes untergraben dürften ; und über solche
schlechte Batgeber soll die in der Condition des Fürsten Gabriel Bethlen
(1613) verordnete Strafe verhängt werden.
In der Condition des Fürsten Aca-cius Barcsay (1658) ist der Fürst
gehalten, Gesandtschaften, welche das Beich und die öffentlichen Angele-
genheiten betreffen, ohne den Rat nicht anzuhören und zwar weder anläss-
lich ihrer Ankunft noch auch später ; auch soll der Fürst die Gesandt-
schaften nicht entlassen ohne den Rat ; der Fürst soll niemanden heimlich
auf die Quartiere der Mitglieder der Gesandtschaft schicken ; er soll ihnen
keine Antwort erteilen, ohne dieselbe zuerst mit dem Rat festgestellt zu
haben ; auch soll Seine Hoheit Gesandtschaften nur mit Zustimmung des
Bats instituiren. Die Bäte sollen aus allen drei Nationen mit Zustimmung
Seiner Hoheit durch den Beichstag erwählt und zwar pleno numero erwählt
und durch Seine Hoheit bestätigt werden. Wenn irgend ein Mitglied des
Bats stirbt, so soll seine Stelle schon in der allernächsten Batssitzung auf
die vorgeschriebene Weise besetzt werden. Die Bäte sollen vor dem Beichs-
tag den Eid leisten, dass sie sowohl dem Fürsten als auch dem Lande treu
dienen werden, und der Fürst sei gehalten, die wichtigeren Angelegenheiten
des Beiches nicht ohne zustimmende Willensäusserung des Bates zu ver-
richten, Oberbeamten und Commandanten nicht zu ernennen, und auch
mit Zustimmung des Bats nur auf Grund der Gesetze ; alle Begierungs-
acte, welche der Fürst in diesen erwähnten Angelegenheiten vollzieht, ohne
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DER RÄTE DES MONARCHEN. 785
dazu die Zustimmung des Bats eingeholt zu haben, sollen durch den Beichs-
tag annuUirt werden. Sollte jedoch irgend ein Bat Seiner Hoheit auf gewis-
senlose Weise gefahrUche und schädliche Batschläge gegen das Gesetz, gegen
die Freiheit oder gegen die Decrete unseres Landes erteilen : so soll der-
selbe comperta rei veritate ohne Nachsicht mit Proscription und Notorietät
bestraft werden. Dieselbe Strafe soll über alle verhängt werden, welche ohne
Mitglieder des Bats zu sein, dem Fürsten gesetzwidrige und schädliche Bat-
schläge erteilen.» Zu bemerken ist, dass in dieser Condition der National-
fürst auch gehalten ist, vollste Bedefreiheit f «libera vox»J und zwar nicht
allein in den Versammlungen des Beichstags, der Gomitate u. s w., son-
dern auch ausserhalb derselben zu gewähren und keinen Unterthan irgend-
wie seine Indignation fühlen zu lassen, falls er von der Bedefreiheit auch
in einer den Ansichten des Fürsten nicht entsprechenden Weise Gebrauch
machen sollte. Der Fürst soll die Ausübung der Bedefreiheit weder durch
Androhung noch durch Bestechung beeinträchtigen ; auch soll er nicht Ver-
suche machen auf Schleichwegen, durch «Intimation», der Ausübung der-
selben je zu steuern. Endhch ist noch zu erwähnen, dass die Condition Bar-
csay's auch darum denkwürdig ist, weil auf Grund derselben der Fürst wohl
auch gehalten ist, Gesetzartikel, welche die Freiheit beeinträchtigen, in
Uebereinstimmung mit dem Beichstag zu abrogiren und Beichstags-
beschlüsse, welche mit Uebereinstimmung d^ drei Nationen zu Stande
gekommen sind, falls diese darauf insistiren und Seine Hoheit hiezu ersu-
chen, zu bestätigen ; erteilt der Fürst derartigen Beschlüssen seine Sanction
nicht, so sollen die erwähnten Beichstagsbeschlüsse dennoch inarticulirt
werden und Bechtskraft haben. Mithin hatte der Nationalfürst von Sieben-
bürgen kein absolutes Veto.
Der Wortlaut der Condition des Fürsten Johann Kem6ny stimmt in
Betreff der Verantwortlichkeit der Bäte mit der Condition Barcsay's überein.
Am gediegensten formulirt erscheint die Verantwortlichkeit der Bäte
des Monarchen von Siebenbürgen in der Condition des letzten Wahlfürsten
dieses hochinteressanten Staats, Michael Apaffi's H. Dieser Condition
gemäss soll der Fürst an den Bat seiner Bäte in dem Sinne gebimden sein,
dass er ohne ihr Wissen weder innere Angelegenheiten von Belang, noch
auswärtige Angelegenheiten des Beiches verrichte, mit den beiden Kaisern
oder anderen Staaten keine Verträge oder Bündnisse schliesse, an dieselben
keine Gesandtschaften sende, ohne die Bäte keine fremden Gesandtschaften
empfange, anhöre oder entlasse, keine Schenkungen oder Verleihungen
mache und keine Beamten höheren Banges und Comm^danten ernenne,
widrigenfalls das Beich, d. i. die Beichsversammlung^ solche Begierungsacte
annulliren soll. Aber auch die Bäte, von den Ständen und vom Fürsten
zusammen gewählt, 1 2 an der Zahl, sind dafür, dass der Fürst die Herr-
schaft mit ihnen teilt, verantwortlich für ihre Batschläge : sie haben dem
UDguriicbe R«vxie. XI. 1891. X Heft. 50
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786
MONTESQUIBU UND DIE VERANTWORTLICHKEIT
Reiche und dem Fürsten Gehorsam und Treue zu geloben und auf die Gre-
setze und Freiheiten des Landes den Eid abzulegen ; sie sind verpflichtet,
dem Fürsten gute und für das Gemeinwohl zweckdienliche Batschläge zu
erteilen ; sie sollen im Falle, wenn sie gewissenlos gegen die Gesetze und Frei-
heiten des Landes handeln, ohne Nachsicht in die Verbannung geschickt und
mit der Nota infidelitatis bestraft werden. «Wenn aber aus den Räten jemand
gegen unsere Reichsgesetze, Freiheit und zuwider dem Decrete (Tripartitum)
ohne Hinblick auf seine Gewissensverpflichtung, Seiner Magnificenz dem
Fürsten gefährliche und schädliche Ratschläge erteilt, so soll ein solcher
Ratgeber nach Befund der Wahrheit ohne Gunst mit der Froscription als
Hochverräter bestraft werden. Wenn jemand ausser den Ratsständen zum
Verderben Anderer, zum Umstürze der Freiheit unseres Vaterlandes in
schädlichen und gesetzwidrigen Angelegenheiten Rat erteilt hätte, so soll
man verhalten sein, denselben dem ganzen Rate anzuzeigen, und derselbe
soll dann, nach vorangegangener reichstäglicher Untersuchung auf die
erwähnte Weise bestraft werden».
Zu bemerken ist, dass diese selbe Wahlcapitulation des Apaffi H.
wohl auch noch nachstehende Conditionen enthält, woraus ersichtlich sein
dürfte, wie in diesem siebenbürgischen Staatswesen nicht nur die Herrschaft
der Gesetze, sondern auch die unbeschränkteste Redefreiheit von VerCas-
sungswegen garantirt wurde : 11 §. Dass seine Magnificenz (Hoheit) nach
Inhalt des Decrets (des Tripartitums) und der Artikel (der Reichstags-
beschlüsse), ohne Rücksicht auf die Personen, stets das wahre Gesetz anwen-
den und die verdienten Vollstreckungen durchführen lasse; dass er niemand
in seiner Person, seinem Gute oder irgend einer Art von Vermögen ohne
Gerichtsurteil verletze oder anderen gestatte zu verletzen ; dass er nicht
jemand der in Herren- (Adliger) und anderer Freiheit lebender Stände vor
gefälltem Urteilsspruche des Gerichts arretiren lasse, unter keinem Vor-
wand, auf keine Weise, sondern nur wenn jemand mittelst gesetzmässiger
Vorladung, im ordentlichen Rechtswege, vor dem competenten Gericht und
in Gegenwart der Richter überwiesen und belastet worden ist ; dass er nicht
irgendwelche Gewaltthätigkeiten oder (sonstige) Gesetzwidrigkeiten wem
auch immer von seinen Untergebenen gegen jemand wissend erlaube ; nicht
den Termin- und Reichstagssitzungen oder irgend einer Gesetzes-Discussion
beiwohne, wo man doch an die Gegenwart Seiner Magnificenz (Hoheit) das
Gesetz appellirt, als vor dem höchsten Richter. Wobei im Appelliren des
Gesetzes an Seine Magnificenz die Stimme des grösseren Teils der Rats-
stände dafürstehen soll, welche auch verhalten sind, nach dem Decret und
den Artikeln mit Seiner Magnificenz das Gesetz zu macheu». — §. 8: cDass
Seine Magnificenz den Rats- und allen anderen Ständen, sowohl auf den
Reichstagen als ausserhalb derselben die Freiheit der Rede (Libera Vox)
gestatte, und diese weder durch oftmaliges Drohen, noch durch Verspre-
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DER RÄTE DES MONARCHEN. 787
chongen^ noch durch Schenkungen, noch dadurch, dass er draussen ausser-
halb der Beichstagssitzung mit irgendwem sich unterredet, verhindere, und
niemand wegen seiner freimütigen Bede mit Indignation behandle ; dass er
allen Beschwerden und Schilderungen wahrer Thatsachen die Freiheit
gewähre». FreUich muss hier noch einmal der Unterschied betont werden,
den der Verfassungsgesohichtschreiber insbesondere hervorkehren soll. In
Ungarn gab es bis zum Jahre 1 526, wo bei Moh&cs wohl auch die Verant-
wortlichkeit der Bäte des Königs von Ungarn begraben wurde, um erst
1848 wieder und zwar auf Grund des modernen Staatsgedankens ins Leben
gerufen zu werden, wenn auch nicht ausschliesslich, so doch überwiegend
blos Massen-Beichstage d. i. Versammlungen persönlich, d. i. nicht in Ver-
tretung Anderer erscheinender, und zwar in grossen, nach vielen Tausenden
zählenden Massen erscheinender Angehörigen des Adels und der übrigen
reichstagsfähigen Stände. Es waren Beichstage, welche unter freiem Him-
mel, auf unabsehbaren Wiesen oder Weiden, zuweilen bei einem Zusam-
menfluss von angeblich 80,000, grösstenteils berittenen Männern, gewöhn-
lich in der Nachbarschaft der Stadt Pest, auf dem «Bäkos» abgehalten
wurden. Ja, dieser Bäkos ist der Tummelplatz gewesen, wo die in Blut
getränkte Sonne Ungarns bis 1526 gar rasch wechselnde Adelstypen
und gar verhängnissvolle Beichstagsscenen mitansehen konnte. «Der
Bakosch», sagt ein deutsch geschriebenes Diarium des Hatvaner Beichstags
vom Jahre 1525, «ist gebest zwischen den zwayen Hattvan, in frayen Feldt
mit Schranken umbzogen, und hatt gehabt zwei tor ; ausserhalb der Schran-
ken sein gebest zw Bos und zw Fues aus einer jeglichen Warmegdie i^Gomi-
tat) ; die haben gehiett das kein Auffruer nitt soldt geschehen. Da hatt mann
auch Zygainer besthelt u. s. w. » G^nz anders war es in Siebenbürgen. Hier
gab es 1613 — 1692 schon nahezu moderne Stände Versammlungen. Im Jahre
1687 wurden zu dem Beichstag zu Badnöt berufen: 1. elf fürstliche Bäte:
2. drei Protonotare; 3. vierzehn Tafelbeisitzer und der Fiscaldirector ;
4. zweiundachtzig Magnaten, teilweise als Begalisten ; 5. sieben Witwen
verstorbener Magnaten ; 6. Deputirte von zehn Gomitaten, 5 Szeklerstühlen,
11 sächsischen Kreisen und 14 ungarischen Städten und Marktflecken.
Laut Gesetzartikel 1667 : 4 wurden die legislativen Propositionen des Für-
sten mit Zustimmung des Bats verfasst und dem Beichstag vorgelegt. Also
war die Verfassung des Nationalfürstentums Siebenbürgen ziemlich stark
aristokratisch angelegt: kein Wunder, wenn die Wahlcapitulation des
erwähnten Nationalfürsten Michael Apaffi unter andern Bestimmungen auch
die nachstehende, höchst kennzeichnende Condition enthält : «Dass Seine
Magnificenz des Landes jetzige und nachfolgende ersten Stände, seine Bäte,
Beamte, welche das Beich zusammen mit dem Fürsten für verdient erachtet,
in ihren Aemtern, Zuständen, in welchen sie verbleiben wollen, aufrecht
erhalte, die nicht wollenden dazu nicht zwinge und zu keiner Zeit die nütz-
50*
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788
MONTESQUIEU UND DIB VERANTWORTLICHKEIT
lieben Söhne des Vaterlandes andrer, Fremder wegen verachte ; sieh des
Bates und der Dienste derselben bediene, einem jeden nach der Eigenschaft
seines niederen oder höheren Standes Achtung erweise und auch nicht
gestatte, dass dieselben von irgend einem seiner Untergebnen mit Miss-
achtung behandelt werden, noch auch selber sie unwürdig behandele».
Allein trotz all dieser hocharistokratisehen Züge hatte dieses Staats-
wesen nur äusserst einseitige Berührungspunkte mit dem Bilde, welches
Bluntschli von der christlich -germanischen Monarchie des Mittelalters ent-
wirft. Ueberhaupt machte Siebenbürgen Fortschritte, welche in mancher
Hinsicht Staunen erregen müssen: während im eigentlichen Königreich
Ungarn im XVI. Jahrhundert noch von Beichstagswegen, mit Sanction des
Monarchen, ein Gesetz geschaffen wurde, welches dahin lautete, dass
«Lutherani comburantur», und auch noch im XVIL Jahrhundert die kraft
Gesetzartikel 1608:1; 1618:77; 1630:33; 1635:29; 1649:10 und 1681:25
gewährleistete freie Ausübung der evangeUsch-helvetischen Confession im
alltäglichen Leben so vielfach und so grausam beeinträchtigt wurde : lebten
die Angehörigen sämmtlicher (Konfessionen in Siebenbürgen in einem brü-
derlichen Einvernehmen neben einander, vor dessen Harmonie wohl auch
die Staatsgewalt stets einen Bespekt an den Tag zu legen liebte, wie sonst
in keinem zweiten Staatswesen zu jener Zeit in Europa. Alles in allem
erscheint sowohl das Königreich Ungarn vor der Katastrophe von Mohäc»
(1526), als auch das Nationalfürstentum im Zeiträume von 1613 — 1692 als
ein Staatswesen, welches bereits zu Zeiten, wo noch nahezu das gesammte
europäische Festland unter dem Joche der feudalen Machtüberreste des
Mittelalters schlummerte, mit manchen Zügen seiner Verfassungsentwicke-
lung entschieden auf den Gedanken des modernen Verfassungsstaats los-
steuerte. Zweifellos bieten die erwähnten Erscheinungen nicht sowohl die
Merkmale einer stetig progressiven Entwicklung des Staatsrechts, als viel-
mehr blos isolirte, wenn auch von Zeit zu Zeit sich immer kräftiger wieder-
holende Lichtpunkte einer sturmbewegten und leidensvollen politischen
Vergangenheit ; allein sie genügen doch vollkommen, um in der Staatslehre
eine besondere morphologische Kategorie für sich mit vollstem Becht in
Anspruch nehmen zu dürfen. Mit anderen Worten, sowohl das Königreich
Ungarn in dem Zeiträume von 1231 — 1526 als auch das Nationalfürsten-
tum Siebenbürgen in dem Zeiträume von 1613 — 1692 stellen Staatswesen
dar, welche ihrer constitutionellen Form nach höher angelegt erscheinen,
als gar manche gleichzeitige Monarchien, wenn auch sonst die Gesellschaft
der letzteren der ungarischen Gesellschaft wohl schon damals mit Biesen*
sehritten vorangeschritten war.
Noch gegen das Ende des fünfzehnten Jahrhunderts schrieb der
bereits erwähnte sinnige Historiograph der damals wohl au^eklärtesten
festländischen Monarchie, nämlich der Historiograph von Bargund, Jean
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DER RATE DES MONARCHEN. 789
Molinet^ nebst so manchen ergötzenden Pavordien^ auch das folgende
politische Glaubensbekenntniss zum Besten der Nachwelt. «Diesem Kaiser,
welcher den glorreichen Namen eines Augustus angenommen, sind wir, wie
schon Vegetius bemerkt hat, Treue, Ergebenheit und Gehorsam schuldig,
gleichsam als dem gegenwärtigen und verkörperten Gotte. Jeder, der einem
kaiserlichen Edicte Gehorsam verweigert, muss als sein Feind betrachtet
werden, da ein solches Edict gleichsam ein Abbild des Souverains ist.» So
Jean Molinet, der Staatshistoriograph von Burgund. Wenn sein Zeitgenosse,
der Codificator des ungarischen «Tripartitum», Stefan Verböczy und seine
gelehrten Landsleute dies gelesen hatten : so müssen ihnen solche Worte
geklungen haben wie die Töne der Aeoleharfe in einem sonderbaren Traume.
Zweifellos hatte auch den Verfasser des ungarischen «Tripartitum» die mit-
telalterliche Lehre christlich-germanischer Politik während seiner im Aus-
lande verlebten üniversitätsjahre so wie auch nachher von gar manchen
Seiten her, und zwar nicht ohne Erfolg, mit ihrem eigenartigen Hauche
angesäuselt ; doch was weder er, der sonst durch und durch royalistische,
hingebungsvoll loyale Codificator des ungarischen Gewohnheitsrechts, Ste-
fan Verböczy, noch seine Landsleute je in ihrem Leben erlernt hatten :
das war der christlich-germanische Ständestaats-Gedanke mit einer byzan-
tinischen Gewaltenspitze und ohne politische Verantwortlichkeit der Räte
des Monarchen.
Aehnliches gilt ohne Zweifel von den Gesetzgebern des Nationalfürsten-
tums Siebenbürgen in dem Zeitraum 1613 — 1692, trotz des stark aristokra-
tischen Geistes, der in diesem Staatswesen sowie in der Gesellschaft dessel-
ben seit jeher wehte.
Montesquieu scheint von all diesen höchst kennzeichnenden Zügen
der beiden ungarischen Monarchien, sowie diese in dem Zeiträume 1231 — 1 526
und wieder 1613—1692 bestanden, nicht die leiseste Ahnung gehabt zu
haben.
Dr. Julius Schvarcz.*
* Aus einem demnächst erscheinenden grösseren Werke über Mmitesquieu
und die VeranticorÜichkeit der Räte des Monarchen^ in welchem der Herr Verfasser
seine Ansichten mit zahlreichen Quellen-Nachweisen belegt und sich zugleich in
umÜEtösenden Anmerkimgen mit den Verti-etem abweichender Anschauungen aus-
einandersetzt. Diese Nachweise und Bemerkungen sind an dieser Stelle, da sie den
Baum dieser Revue übermässig in Anspruch nehmen würden, weggelassen worden.
D. Red.
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790
B0LB8LAW U, VON POLEN.
BOLESLAW IL VON POLEN.
Von Prof. Dr. Fritz Piohler.
m.*
Nehmen wir den Faden der Geschehnisse dort auf, wo dieselben
geschichtlich schliessen nnd folgen der Legende, die Möglichkeit ihres
Inhaltes prüfend.
Indem wir noch die Frage unberührt lassen, ob der Ursprung derselben
in Ungarn, in Polen oder in den Alpenländem zu suchen sei, müssen wir da»
Gegenteil dessen ansetzen, was die vorsichtigen Acta sanctorum hingestellt
haben : zur Jagd ausgegangen, sei der Unglückliche eines Tages in der Ge-
gend überhaupt nicht weiter erschienen. Ibidem locorum, wir wissen nicht,
welches vornehmlich das Asyl des Polenkönigs gewesen, etwa Gran oder
(wenn schon nicht Budapest) Komorn, das Waagtal, von wannen er ver-
mutlich herbeigekommen. Möglich, dass die voUtönige Ausdrucksweise von
sylvae und alpes im Vorhinein dazu angelockt hat, in die geographisch
bestimmten Alpenländer ein Nachspiel zu verlegen ; kurz, es konnte gedacht
worden sein, mit wenigen seiner Treuen im Gefolge, unter Bücklassung des
Sohnes, vielleicht nur in Begleitung eines Dieners sei er insgeheim ent-
wichen, von den Magyaren gar nicht verfolgt, unkenntlich durch Kleidung,
in der Richtung gegen Italien, Ziel Rom. Anstatt der amentia stets ein
freies Wollen und Beschliessen vorausgesetzt oder wenigstens zwischen
Anfallszeiten lichte Stadien, konnte Bolestaw die Bahnen der päpstlichen
Legaten im Auge behalten haben, auf denen solche zu ihm gekommen, nicht
wohl von ostwärts der Adria, sondern westwäil» von Triest, etwa über
Aquileia von Treviso, Padua, Ferrara, Bologna herauf. Demnach konnte er
weniger dem Earste zustreben, als den ELarawanken und den julischen
* SohliiBR des Aufsatzes. Vgl. die ersten beiden Abschnitte in dieser Revue^ oben
S. 641 — 681. Gleichzeitig ist diese Studie auch separat erschienen unter dem Titel :
BoUslaw 11. von Polen von Dr, Ftntz PichUr^ Professor an der Universität Graz, Buda-
pest, 1892, Friedr. KiUan, 87 S., Preis 1 fl.
In dieser Ausgabe treten zu der an dieser Stelle veröffentUchten Abhandlung
noch zwei wertvolle bibliographische Nachträge:
1. Uebe?'dcht einiger Schiften zur deutschen %i, polnischen Geschichte, hauptsächlich
des XL Jahrhunderts, und
2. lAteratur des polnischen Münzwesens, Itesonders der Piasten,
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B0LE8LAW H. VON POLEN. 791
Alpen mit ihren altrömischen Weg-Durchschnitten. So mochte er aus den
Gegenden um Gran, Eomom oder Baab, wo um 1063 ein kluger Bischof
ihm Bater geworden, nach dem Baab-Flusse oder von einem der Baab-
Nebenflüsse, Bepcze, wo 1043 die ungarischen Schanzen gegen die deut-
schen Krieger gestanden, fort zunächst in ausser- ungarisches Gebiet gekom-
men sein, in jene jetzt ost-steierischen Täler an Baab (von Päpa, Stein-
amanger her) und Mur, welche dazumal zum Herzogthume Kärnten
gehörten, Abteilung Mark Styre. Er konnte die Wege gewiesen worden
sein, welche der kämtische Heerbann vor 23 Jahren zuletzt (1058) in die
Theiss-Ebene marschirt war.
Nun ist allerdings am Mur-Laufe. — zumal wenn die alte Passage
des Badelberges — etwa mit dem Abstiege zum Drau-FIusse iu Sicht
gehalten worden, — ein im Sinne der Sage aufzufindendes Wildan
etwas zu nördlich gelegen, in der Mark Styre, ganz nahe der Hengistburg,
welche König Andreas 1052 eingenommen hatte, ungarischen Soldaten
mit 50 Lebensjahren dazumal noch in Erinnerung. Die Wege eines Flüch-
tigen sind übrigens nicht stets auf Geradheit und Kürze berechnet. Minde-
stens wäre das mittelsteierische Wildon ungleich weniger aus der Beiselinie
mit dem römischen Ziele, als das Wüten (Wilden, Wildhan, Vilthan, Wil-
tein, Viltina, Wiltinga, Vilthinsk, Viltering, Willenthein, Veldidena), ®* wie
man es in dem südlich von Innsbruck gelegenen Orte gesucht hat. Aller-
dings dort wie da nicht das Mindeste von einer Bolestaw-Sage ; nur dass in
Wüten der Biese Haymo durch 18 Jahre als Büsser weüt. ®^ Vielleicht
ist der ganze Name nur eine Verschreibung anstatt ViUac; jedoch
bleibt hbnuf.
Der fernere Weg welsch^andwärts — nach etwa sechs Tagwanderungen
längs der Baab und sodann durch die Mittelberge gegen den Badel — ist ohne
Zweifel längs der Drau.
WoUte man die Sage weiter ausnützen, so könnte man auf dieser
Drau-Linie, — an den nächsten üferbergen «von den verschiedenen
Klöstern in Karyntyi» — auch das Victoria Lelewels ausfindig machen.
Allerdings wird dieses Siegeeklosters Stiftung erst mit 1117 angegeben ; aber
ob das Seestiffc dazumal schon an die 400 Jahre alt gewesen, oder das
Siegeskloster an 36 Jahre zuvor bestehend, geht fast unter gleicher Verant-
wortung. Und nun kommt der Flüchtling (wie anzunehmen wäre) auf dem
Wege von oder nach der Handelsstätte Vülach (Weüer seit 979 und zuvor.
8« Lelewel S. 336.
°^ Burgvesten und Bittersohlösser der österr. Monarchie Wien, 1840. Bd. 10,
S. 129. StÄffler Tirol und Vorarlberg 1841. Bd. 2, S. 479, 496. Beda Weber Tirol u.
Vorarlberg, I, 1837 S. 345. Benediktiner vor 8781 Neugründung 1128. Adalbert
Tschavellers Stifts-Annalen schweigen wol ?
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7W B0LE8LAW n. VON POLEN.
Markt 1060) «» in das Seekloster. «» ffier iat ein Abt Teuw),*« Teuzzo, Deuzo,
Teucho, Thencho benannt, wir wissen nicht seit wann ; er waltet im Jahre
1072, er stirbt 1125, 14.(22.) Juli. Laut H. Hermann ist der erste bekannte
Abt um 1080 ein Benediktiner aus Nieder-Altaich. Sein Stift gehört
zur Diöcese Aquileia, benachbart dem Bisthume Gurk. Das Landgebiet
gehört teils dem Grafen von Treffen, teils dem im G^walts-Umfange be-
schränkten comes de Villaco. Stadt Villach mit Gebiet ist unterständig in
Gerichtsbann, Marktwesen, Zoll, Münze dem Bistume Bamberg, Bischof ist
Rudbrecht (1075—1 102), Nachfolger Hermanns L (Grafen von Formbach?).
So weitläufig der Boman in betreff Kärntens ausgesponnen worden ist,
so wenig haben die ältesten und alten Chronisten Gallus, Eadlubek,^^ Bogu-
chwa} eine Wissenschaft davon.^- Genaueste Kenner der Anschauungs- und
Ausdrucksweise des M. Gallus geben gewiss zu, es hätte dieser Mann, wel-
cher 11 bis 29 Jahre nach Boleslaws Tode dessen Leben beschrieben hat
(eine Zeit, welche wohl das Schloss von den Lippen genommen hätte, wäre
solches thatsächlich anhängens nötig gewesen), und welcher je später,
etwa desto genauer und umständlicher das Glaubhafte des Schlusses erkun-
det haben würde, so ungefähr berichten können : Infelicem vitam lauda-
bili fine concludens, cum sciret, se debitum camis universae completurum,
tum Omnibus suis ad se abbate Ossiacense et monachis undique congregatis,
de morte . . . secretius ordinavit, eisque nuntiavit. 0 amici . . . Tunc vero
luctus et moeror astantium abbatis et monachorum . . /u. dgl. Nichts der-
gleichen. Es war ihm eben das kleine Kämterland mit seinen Gescheh-
nissen zu weit abgelegen, er kannte es vielleicht kaum dem Namen nach,
will man entgegnen. Der Wälsche in Polen ? Das Landgebiet war aber gar
»• Eichhorn Beiträge II, 204.
" Osewach, St. Mariae eoclesia in Ossewach, Oscevvaoh 1149, 08cia(ch) 1151,
1161, Oziach 1106, Ozziac 1188, Oziach 1207, Ozziac(um) 1210, 1220, 08ciac(um) 1217,
Ozziaoh (an. mil. S. 57), Osceach (ebd).
** Laut Annales, An. mil. Megiser S. 762, Abt 35 Jahre, Marian Klerisey IQ,
5, S. 340, zweiter Abt. Ein Teuzo monachus erscheint mit Hubertus subdiaoonus,
Jahr 1078, bei Mansi Bd. 20, S. 254, No. 22. Noch in Teuzo's Zeit fiele die Schenkung
des «bleiernen Trögleins • mit Inschrift und dem Kopfe eines unschuldigen Kindes
aus Betleem, auch anderen Heiligen-Beinen, durch Papst Victor UT. 1088 herbei-
geschickt, wenn alles zusammen sich erweisen Hesse. Was mau 1622 in der offenen
Kapelle angestellt hat, waren die Körperteile von 10 Heüigen und 5 andere Gegen-
stände (Vgl. Valvasor S. 156.)
*•** Der Hofrat Prof. Schlözer sagt in seiner Nestor- Ausgabe 1802 von Bischof
Kadhibek: «Aber welch ein Annalist ist dieser Mann! Beide Chroniken enthalten
waliren Unsinn. Sein etwas späterer Commentator hat den Unsinn womögHch noch
vermehrt . . . ungelernte, unverschämte platte Erdichtimg.» Von den polnischen Chro-
niken (späterer Zeit) : tWas in ihnen Wahrheit, ist Baub aus Nestor, was Unsinn,
gehört ihnen.»
" Vgl. RoepeU I, 204, Note 23 in S. 205.
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B0LE8LAW II. VON POLEN. 793
nicht klein^ als Beichsherzogtum bedeutsam genug. Er kennt es auch
ganz gut ; descendendo per Garintbiam in Bavariam, sagt er in der geogra-
phischen Einleitung des Proemiums Vers 29 und die erwähnten Yenecia,
Aquileia, Hytalia (slavische Abschreibungsart) hat er als Wälscher ohne
Weiteres so gut gekannt^ wie von Garinthia wenigstens die Gaue, durch die
man aus oder nach Aquileia, nach oder aus Polen reist, Yillach und ümge-
buug. ^^ Und wenn nicht M. Gallus selbst, so seine hochkirchUchen Gönner,
die Bischöfe in Polen, hätten von dem Lebensende, von der Buhestätte ihres
Landesfürsten gev^iss, sagen wir selbst bis 1113, für eine Nachschrift zu
Gallus' drittem Buche etwas erfahren können, die Benedictiner von den
Benedictinem, 14 Jahre nach Schluss der längsten Buss&ist. Und wenn
schon nicht um des Königes willen, so um der Sühnung ihres ihnen gleich-
gestellten Mitbischofes halber. Indess keine solche Mähre noch im Xu. Jahr-
hunderte, nicht im XIQ., nicht im XIV. Jahrhunderte.
Was die westseitlichen Schriftsteller betrifft, so erscheint die Legende
noch keineswegs bekannt dem Joannes Victoriensis, ^^ welcher (1211 bis
1343) neben Welt- Ereignissen doch Gewitter, Windbrüche, Heuschrecken,
Juden-Geschichten, Reliquien, Träume, Wunder, Grab-Feierlichkeiten u. s. w.
in Yerschreibung bringt, nicht dem sogenannten Ottokar von Homeck, ^^
nicht dem Jacob Unrest von Techeisberg, dessen Geschichtswerk seit 1468
herauf reichliche Daten anreihend, mit 1499 schliessend, immerhin die Mill-
stätter Sage des Domincianus anzieht, welche, keinen geschichtlichen Wert
besitzend, ein Millstätter Benedictiner in Umlauf gesetzt haben soll.*** Unrest
hat mit Wildon und Ossiach zu thun (Ossia, Ossius, da er und sein hawsfraw
begraben sind in dem öarch), er berichtet von des Bauernbundes Wirken bei
Ossiach, zu Treffen, Yasach, nichts von Boleslaw. Man beachte insbesondere,
dieser Zeitgenosse bis 1499 hatte nach dem Seestifte von seinem Pfarrsitze aus
nur drei bis vier Stunden Fussweges. ** Gotthard Ghristallnik, der Yorläufer
** Vgl. Montana quae Bavariam et Carinthiam ab Italia seiungunt in Adel-
boldi Vita Heinrici II. cap. 16 bei Pertz IV, 688. Und Boleslaus Pins, ußque ad
montes Earintbie principatus eins tendebatur. Miracula S. Adalberti cap. 9 bei Pertz
IV., S. 15 Schluss.
** Chrou. car. in Böhmer fontes renun genmanicarum I, 276.
** Des liechtensteiner Dienstmannes, gestorben nach 1309, Chronicon austr.
rhythmic. in Pez scriptores rer. anstr. Tom. III, 17i5, kennt allerdings Ciagenfart,
Freiberg, Friesach, Glaneck, Griffen, Lavant, Gurk, Heunbui-g, Maltein, Metnitz,
Ortenburg, Sonneck, Taggenbrunn, St. Veit, Villach, Völkerraaikt, Zolleid (Zeit
1246 — 1300, die Heiligsprechung Stanislaus'), weiss aber nichts von Boleslaw
und Ossiach.
*^ Krones, Unrest 1872, S. 65, 107 (No. 316) Aelschker G. K. I, 744.
*• Jacobi Unresti chronicon carinthiacimi in Hahn collectio monumentorum I,
1724 S. 479 f. austriacnm; Wüdau S. 499. 5(X), 560, 527, 636.
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7-H BOLESLAW II. VON POLEN.
Megieers, kennt hinwieder nicht ünresten, jedoch wie mehrere uns nicht
bestimmt überlieferte Landes- und Orts-Chronikf n^ so auch eine des Stiftes
Ossiach. Ueberhaupt ist es wenig erfrenlich zu beachten, wie gerade seit
circa 1450 die Obsoi^e für die Kloster- Jahrbücher meistenteils aufgehört
hat. War die Zeit den Humanisten wahrhaftig zu geistlos oder traf da der
Geist keine Humanisten ? Schien das nicht die bequemste Zeit für Fälschun-
gen, welche doch, je geistreicher der Erfinder war, um so länger vor-
hielten ?
Nun wird natürlich die Ossiacher Stifts-Chronik — wäre nur eine der
von Christallnik etwa gesehenen älteren noch irgend vorhanden — als die
berufenste Eennerin aller örtlichen Ereignisse und Traditionen, ohne Zweifel
als die zeit-erste, die vollständigste Haupt-Quelle für den Boleslaischen Le-
bens-Schluss genannt werden sollen. Denn die hierortigen Mönche mussten
doch über die Gründung ihres Stiftes und über die wichtigsten Geschehnisse
der ältesten Jahrhunderte eiu Massgebendstes wissen. Das gerade G^en-
spiel gilt. Die Mönche hielten ihr Kloster für gegründet um das Jahr 600
n. Chr., 689 *^ oder doch vor 736 und nachmals durch die Magyaren zer-
stört, wohl durch dieselben, welche den Reichs- Wehr-Thurm zu Winklern
im Möllthale berannt oder wenigstens gesehen haben müssen. Noch Abt
Andreas 11. Hasenberger. der angeblich 45ste Stifts- Vorstand, hat im Jahre
1536 eine Urkunde gesehen, welche bezeuge (laut Copie existent 1749), das
Stift sei über 800 Jahre alt. Die Mönche hielten für den Gründer den sla-
vischen Edlen Ozzi(us), Grafen von Tiflfen, mit Gemahlin Irenburga ; lie
verfügten über den slavischen Briefwechsel zwischen dem gräflichen Vater
und Sohne, sie erachteten die Karlmannische Stiftungs-Urkunde von 878,
9. September (ad Otigas) als ihrem Hause giltig, und bewahrten in diesem
Sinne das wertvolle Original, sie bewahrten auch Leiber der Heiligen Feü-
citas und Maximilian, sie feierten deshalb die Vigilien für König Karlmann
und die Gedenktage der Heiligen, sie setzten den die Schenkung überneh-
menden Abt Werinolfus zu den Ihrigen.*® Alledem steht entgegen : In Kärn-
ten ist, soviel sich irgend jetzt mit grösster Wahrscheinlichkeit behaupten
lässt, kein Kloster gegründet vor dem Jahre 10(X) oder 1020, insbesondere
nicht in der sogenannten slavischen Herzogszeit ; es ist in der Geschichte
kein Ozzi oder Gz oder dergleichen, und kein Graf vod Tiflfen (höchstens
später von Treffen) bekannt, diesem Hause zugehörige Schrift- Denkmäler
aber wären die unvergleichlich ältesten südwest-slavischen überhaupt. Dass
*'' Vgl. Annales, Titelblatt. Ossiacher Eloster-Nekrologien vom 14. Jakrhunderte,
Jahrbücher, ausserdem Urkunden, Fragmente, Pergamente (wenn das alles nicht
tautologisoh zu nehmen) erwähnt Marian III, 5 6. 343 unter 22, S. 339.
** Ann. mü. S. 12, 4^, 41, 39. Ankershofen G. v. K. 11, 536, 884, Reg. u. Urkun-
den S. 43, 86.
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BOLEÄLAW II. VON POLEN.
795
<]ie Karlmann 'sehe Urkunde nach Alt-Oetting am Inn im balerischen Unter-
Donau-Kreise gehört, ist festgestellt, allerdings erst seit 40 bis 200 Jahren,**
die Heiligen-Leiber lassen sieh zu Ossiach nicht nachweisen, P. Wallner
^ibt allenfalls Teile davon zu, Andere gar nichts. ^^ Die Anwesenheit der
Urkunde aber und die VigiUen sind aus einem Grunde zu erklären, der mit
vielem Anderen den Mönchen unbekannt geblieben, nämlich aus dem Ver-
hältnisse zum Mutterkloster, dieses ist Alt-Oetting. Von daher haben wohl
kriegsflüchtige Brüder in Alt-Ossiach oder in Treffen gewohnt (im X. Jahr-
hundert) und in der See-Umgebung gab es Alt-Oettinger Besitz bei Trebina^
Treuina (Treffen) bis in die Mitte zwischen den Seen von Afritz und Feld,
an der Traa (Drau), bei Buochun (Fuch nächst Wemberg), Rubra petra
(Boterstein oder Boterfels am östlichen Seeufer) ^Durinbach (der Dürenbach
oder Dürenberg-Bachl südlich), Uillach (Villach) und Sicouua (Dürrenbach-
wald oder dgl). Dreissig Jahre nach der königlichen Schenkung haben die
vor den Ungarn Fliehenden die Urkunden und Denkfeste nach den kloster-
losen Dörfern des friedlichen Drau-Landes hereingebracht (Jahr 907, der
Magyaren-Zug ins Drau- und MöUthal entfallt also). Eine geistliche Haus-
stiftung mangelte demnach, Abt Uuerinolfus gehört nicht hierher, vielmehr
nach Alt-Oetting.
Möglicherweise waren ursprüngliche Grossbauem des 8. Jahrhunderts,
des Namens wie Oz oder Oc (woraus vor 1468 das latinisirte Ozzius gemacht
worden ist), oder es waren nur schlechthin nach Otigae oder Otinge genannte
Oettinger Hörige und Zinspflichtige (bei Treffen, bei Winkel oder bei Alt-
Ossiach), reich und besitzend, frei und beamtet bei Stift oder Beich gewor-
den, so dass sie den Flüchtigen derart an die Hand gingen, dass letztere
und vielmehr deren Nachfolger hierzulande ihre Stiftungs-Urkunde bargen
und am Südufer des Sees eine Marienkirche mit Wohnzellen zuzurichten
begannen, etwa nach 990. Wir wollen nicht sagen, schon hier habe die
Irrung begonnen, als man die Urkunde für Oetting zu Ossiach beliess ; das
Schriftstück verblieb hier, nicht weil man das Otigas für Ossiach hielt oder
dafür ausgeben wollte, sondern weil hierländische Besitzpunkte Garantanie^
Sclauinieque, Traa u. s. w. ausdrücklich darinnen verschrieben waren und
das Instrument bei Gerichts-Qängen hier vorzuführen war. Die Unkunde hat
sich erst allgemach eingeschlichen mit anderen Irrtümern. Nach den klö-
sterUchen Einrichtungen am kleinen Längsee, um 1008, zu Sonnenburg
um 1018 mögen die Treffener Grossgrundbesitzer sich beeifert haben oder
beeifert worden sein, ein Aehnliches am grösseren See herzustellen, das
älteste Benediktiner-Kloster Kärntens. Urkundlich nicht genannte Gründer,
lebend um 976 bis nach 10S6, hatten zu Söhnen den Comes 0. und den
« Carmthia 1839, S. 1 nach P. Wallner. Mitthlg. d. h. V. f. Stmk. 1850 I, 83-
*« Ann. null. S. 50, 52.
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7^6 BOLESLAW II. VON POLEN.
Poppo, nachmaligen Patriarchen von Aquileia, 1019 bis 1045; hatten auch
zu Bluts- Verwandten die Eltern des Meinvercus^ nachmals Bischofes von
Paderborn. Dieses Bischofes Schwester Glismud hatte ihre Tochter Fride-
runa dem kämtischen Pfalzgrafen Hartwich zur Frau gegeben. ^^ Die Ver-
wandtschaft mit den traungauer Otakaren und deren Beziehungen zur
Ossiach-Gründung sind erst zu erweisen.^* Thatsächlich ist die Stift-Grün-
dung bestätiget durch Kaiser Konrad IL ; im Jahre 1039 oder davor muss sie
liegen, vielleicht um Ostern 1026> als Patriarch Poppo in der Lombardie
um den Kaiser war. Einrichtungen und Herstellungen zuvor^ ein, zwei
Jahrzehnte, kann man gelten lassen. Wir hätten somit bis zum ersten
urkundlich bekannten Abte eine dunkle Vorgeschichte von mindestens
40 Jahren. Aber die erste Verschreibung über die Personen der Gründer
selbsfe stammt erst aus dem Jahre 1149, Urkunde Kaiser Konrads IIL, zei-
tens des angeblich fünften Abtes zu Ossiach, Simon des ViUachers.*^ An-
genommen das GründungR-Jahr 600, hätte es das Stift mit der hierortigen
Durchschnitts-Zabl 7 für das Jahrhundert (6 bis 12), auf etwa 90 Aebte ge-
bracht, indess die Reihe der bisher genannten 60 nicht ganz sicher steht
Wir meinen da jene vom Jahr 1040 ausgehende, wie sie noch Marian^* abge-
druckt hat. Wahrscheinlich sind Wallners fünf erste Aebte, Vm. bis X. Jahr-
hundert, solche zu Oetting : Werinolphus, Ezelinus, Valhardus (Udelhardus),
Walfrancus (Wolframus), Albero. Der Herausgeber des Annus millesimus
setzt vor Wolfram die Jahrzahl 1060; in diesem Jahre, nicht seit diesem,
verstehe sieh die Abtschaft. Wallner stellt dann ins XL Jahrhundert ein :
Volframus (Volphramus) c. 1064 — 65, f 1070, laut Aventinus, einen ande-
ren als den vorgenannten Wolfrancus (Wolframus). Domherr Hermann
und Ankershofen nennen diesen Benediktiner aus Hinter-Altaich den ersten
urkundlich bekannten Abt von Ossiach; im Jahre 1063 ist er als des See-
stiftes Vertreter zu Marienthal erschienen beim Erzbischofe Gebhard, nach
oder in 1065 ist er Bischof zu Treviso geworden.*^* Wallner lässt ihm folgen
*» Vgl. zuletzt Czörnig Görz 1873, S. 248 f. Note 1, Index S. 987.
** Den Personen-Namen mit Oz (angeblich Kürzung für Otgar, Otaker) udgL
wie local-urkundlich Ozi nach 104<), Ovzi c. «70, Wozo c. 1065, 1096, Azo 928, Vaeo c.
lOriO, Izo 92S, 1050, Ogo 931, Gotti c. 994, Adelgoz 1096, Megmgoz 928, Uuolflioz 92S.
Hiltigoz c. 1065, Lintgoz und Meingoz 1091 und woraus überhaupt auf die Urform
von Ozzius zu schliessen wäre — um nicht mit Eichhorn Beitr. I, 151 auf Römer-
namen zurückzugreifen — sollte entgegengehalten werden ein Versuch, den uukirch-
lichen Ortsnamen Ossiach abzuleiten von Orzz, Orss nach des Chronisten Otakars
Wortgebrauch für Pferd unter Hinweis auf uralte Pferdezucht, Pferdealmen, Sauer-
heu-Wiesen, römisches Pferdrelief, Eponasteiu.
^ Ankershofen G. v. K. II, Beilage 8. 41. No. 50.
" Klerisey 1783, III, 5, S. 340—358.
•'• Ankersliofen G. 1851, II, 885.
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BOLBSLAW n. VON POLEN. 797
den DeuzO; Abt im Jahre 1090 ; das soll wohl heissen : auch im Jahre 1090,
seit 1072 oder 1070? Urkundlich erscheint dieser Teuzo nicht vor 1096,
sein Todestag ist im Stiftsbuche der 14. Juli eines (folgenden) Jahres.'® Wir
wissen daher zunächst gar nicht, wer zwischen 1066 und 1096 zu Ossiach
Abt gewesen. Insoweit verlässlich sind die Anfänge der Hausgeschichte.
Nim ist weiterhin aus der Geschichte des seit 976 als deutsches
Herzogtum (nicht mehr als Mark des baierischen) eingerichteten Eärnter-
landes zu erweisen, dass ein Aufenthalt des Folenkönigs daselbst höchst
unwahrscheinlich ist aus staatlichen und kirchlichen Gründen, dass die
Annahme eines solchen jedenfalls gegen alle historischen Quellen verschlägt.
Das Herzogtum mit Inbegriff seiner Mark-Zugehörden um Windisch-
grätz, Cili und Marburg südlich der Drau, dann den Marken einerseits
von Verona, Treviso, Friaul, Krain, Istrien mit dem Meergebiete, ande-
rerseits der karentanischen von Mittel- und Obersteier, hatte seine
ausgesprochene Beichs-Stellung und somit sein bestimmtes Yerhältniss zu
Ungarn. Zweimal im Laufe der Zeiten an die gleiche Person des Landes-
fürsten gewiesen, stand es öfter als kaiserunmittelbar da und hatte sich
jüngst seit dreien Eppensteinem aus dem baierischen Ufgaue am Begen als
derzeit erbUches Beichslehen ausgestaltet. Wenn wir zu unserem Zwecke
lediglich den zeitgeschichtlichen Ausschnitt von beiläufig 1050 bis 1100 in
Betracht ziehen,^^ die letzte Zeit der Eppensteiner vor den spanheimer
Landee-Herzögen, so sehen wir zunächst durch Kaiser Heinrich m. 1047 das
Herzogtum Kärnten an den schwäbischen Grafen Weif, Herrn in Altorf,
in Tirol, Churrätien, Ober-Baiem und -Schwaben verliehen. Es sind die
Ungarn, Kärntens nächste Ost-Nachbarn nach des Begensburger Bischofs
Baubzuge in Niederöstreich eingefallen (1050), die gestürzten Mauern
der Heimburger Yeste wiedererhoben 1051), Welfs Mannen längs der
Donau, jene des Kaisers aber durch Kärnten, wohl längs der Drau, nach
Süd-Ungarn gezogen und (des gleichen Weges?) heimgekehrt (1052). Es ist
Herzog Konrad von Baiern, seiner Würde entsetzt, flüchtig durch Kärnten
gekommen, um nur rasch den ungarischen Boden zu gewinnen ; den König
Andreas gegen Kaiser und Beich und das Bündniss aufstachelnd, betritt
der Baier mit ungarischen Kriegern die unterst^ierische Mark Karantaniens,
^•* Ank. II, 852d, 886 und Reg. S. 79, No. 33.
^' Ankershofen II, 1 S. 673 vgl. 639 f. Muchar, Gesch. v. Stank. H, 1845, m,
1846. Tangl. Die Grafen und Markgrafen und Herzoge aus dem Hause Eppenstein
Afkö-Gquellen 1850. Wahnschaffe, Das H. Kärnten und seine Marken im 11. Jahrh.
Klagft 1878. Stenzel Geschichte Deutschlands unter den fränkischen Kaisem, Leipzig
1827 S. 178 f. Annalen und Geschichtschreiherdes 11. Jhdtes bei Giesebrecht, Gesch.
d. d. Kaiserzeit: 11, 1885 u. S. 362. Ranke's Gesch. d. d. Kaiserzeit H, 569, Wilmans-
Jahrbücher des deutschen Reiches II, 190 f^ bes. 655. Büdinger öster. G^ch. I, 458 f.
Alfr. Huber, öster. Gesch. 1885, 1, 207, 213.
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798
B0LB8LAW n. VON POLEN.
Überschreitet die Mur nnd nimmt, bei teilweiser Mithüfe kämtiBcher Edel-
leute, die Hengstburg (beiWildon oder Grätz^®, Schlossberg, St. Margareten
oberhalb Lebring) ein. Selbst bis nach Ost-Baiem dringt er des Oefteren mit
den Magyaren vor. Um dieselbe Zeit erreicht Adalbero, der Sohn des 1036
nach Baiem geflüchteten Eppensteiners Adalbero, das Bistum Bamberg
(1053). Des Mainzer Erzbischofs Neffen, die Aribonen von Leoben und
Göss, hielten es einmal mit der antikaiserlichen Partei, dann mit der kaiser-
lichen, jedoch alles dieses vor Boleslaw's Begierungszeit. Eben derselben
geht unmittelbar zuvor : dass Kaiser Heinrich III. Baiem seinem Sohne
Heinrich IV. giebt, der Eämter- Herzog Weif mit dem kaiserlichen Heere bei
Boncaglio ficht (1055), in die Verschwörung verstrickt wird, sich entdeckt,
der Baiem-Herzog im Ungarland endet, dem Kaiser der junge Heinrich IV.
nachfolgt (1056), endlich der lothringer Graf Kuono (Chuono) als Konrad HL
dieses Namens Landesfürst in Kärnten wird (1057 — 61). In seiner Zeit gilt
aber zu allemächst das thatsächliche und durch reichen Länderei-Besitz aus-
gedrückte Ansehen der Dynasten von Eppenstein durch alles kärntische
Land. Wiewohl seit 1035 dieses Haus abgethan schien durch die Ent-
setzung des Adalbero wegen südslavischer Bändnisse,^^ so waren doch alle
anderen mittelzeitig amtlich in der Feme eingesetzten Herren eben nur
nominele, urkundliche, reichsgiltige Leheninhaber ; inner Landes sah Jeder
die Eppensteiner als die Vornehmsten, als die Grund- und Bodenbesitzer, als
die Kriegs-Gerüsteten, als die demnächst wieder Einzusetzenden an. Dieser-
halb hielten sich auch die gleichsam papierenen Lehensträger grandsätzb'cher
und kluger Weise lieber ausser Landes auf, so auch Herzog Kuono. Er stand
beim kaiserlichen Heere in der Lombardie und ist, vermutlich ohne je eine
Woche in Kärnten geweilt zu haben, gestorben zwischen 1058 — 61, wäh-
rend der ufgauer Marquard seine Allode seit 1053 gewiss ungehindert
besucht und daselbst geschaltet und gewaltet hat. Darauf nun ist dem
Berthold von Zähringen, Grafen von Schwaben, 1061 das Herzogtum zuge-
sprochen worden; der Besitz ward rechtmässig und formel angetreten.
Jedoch ist das deutsche Beich vorderhand in den Händen einer Regent-
schaft und die Parteiungen sind am stärksten dadurch ersichtlich, dass
1062 der Kaiserin- Witwe der junge Heinrich IV. entführt wird.*^® Berthold
^« Heingest in Zahn Ürk.-Buch I, c. 1050, 66; c. 1070, 84; 1042, 60; c. 1066, 77.
Kroues Beeiedelung der östl. Alpenländer 1888, S. 62. Felicetti, Stmk. im 8 — 12. Jahrh.
Büdinger S. 441. Alf. Huber 11, 194, Note 1. Neueetens A. Cbroust in «Neues Archiv
der Oes. f. alt. deutsche Gesch.-Kundei Bd. XV, Heft 3. Topogr. Erklärungen z. e.
St. i. d. mon. Germ. No. 2. Annal. Altah. maiores, ad. 1053, 1054; Chuono, Ungri,
Charionae, urbem Hengistiburg und Hengistiburc, vgl. No. 3, zu annal. Fuldenses
ad. 892.
*» Gfrörer, Allg. Kurchengeschlohte VI, 289. Btidinger 458.
^ Eanke. Weltgesch. Bd. VH, 1886, S. ± 56 f. Weiss, Weltgesch, V, 352.
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BOLBSIiAW n. VON POLEN.
799
nun sieht auf der einen Seite das Leben von Schwaben einem Gegner ver-
liehen, andererseits in den ihm mehr fremden kärntischen Gbuen seinen Sohn
mit einer Art Erbrechtes sichergestellt. Es ist aber gewiss bis 1073 weder
Vater noch Sohn ins Land gekommen und zuletzt hält sich der Vater in
seiner Miss-Stimmung gar völlig vom Hofe abgewendet. Insoweit hätte seine
Haltung gegenüber dem deutschen Hofe jener Boleslaws geglichen; nur
bedeutete Boleslaw wohl Polen, nicht aber Berthold Kärnten. Welche Per-
sönlichkeiten hierselbst, von Mürz und Palten und Enns über Mur bis
Sann und Baab, die oberste Gesinnungs-Begie in Händen hatten, ist nicht
wohl zu sagen. Vermutlich gilt alles im Gegenteile, was irgend der dux
Garentinorum Bertholdus anspinnt und beschliesst mit politischen Helfern
wie Herzog Bndolph^ Weif, dem Erzbischofe von Mainz, den Bischöfen von
Metz und Würzburg.®^ Markwart von Eppenstein (HI.), der ausgesprochen
kaiserliche Parteimann, bisher nur der Prätendent im Lande, seit 34 Jahren
durch gegnerische Erfolge nicht wirkUch unmöglich gemacht, dringt jetzt
auch rechtlich und formel durch ; anfangs 1073 erhält er auf dem Beichs-
tage zu Bamberg das Herzogtum Kärnten, die Entfernung des schwäbischen
Berthold wird, ohne gesetzmässige Untersuchung allerdings, ausdrücklich
ausgesprochen, unter Voraussetzung des Hochverrates.^^ Aber sogleich ist
hier das nachmals parteimässig zum Ausdruck gebrachte Bedenken beizu-
schliessen : der Antritt des Herzogtums soll ohne königlichen Auflirag, ohne
Beirat der Beichs-Fürsten erfolgt sein. Annehmbar hätte Markwart als Titu-
lar-Herzog nach Weihnacht 107:2 noch auf ein eigenes Pergament warten
sollen, das ihn mit der Besitzergreifung dessen beauftragt, was er — laut
allgemeiner Kenntniss unter Niemandes Widerspruch — ohnehin in der
That besass. Das war um die Zeit, als in gar treuer Weise der Ex-Herzog
trotz allerlei Hofumtriebe des deutschen Königs Sache mit den Sachsen
austrug ; der Eppensteiner wurde in diese Einleitungen zunächst nicht hin-
eingezogen. In Italien aber ballten die Wolken sich gefahrdrohender zusam-
men. Dort war der Synode gegen die angeblich kirchenfeindUchen Bäte
Heinrichs IV. der Hintritt des Papstes Alexander gefolgt (21. April), die
Erhebung Hildebrands als Gregor VH., nach Agnes' Schritten die Abhän-
gigkeit Heinrichs IV. und, seit der Synode von 1075, die Sturz-Bereitschaft
jedes durch Laienhand eingesetzten kirchlichen Leiters. Für den deutschen
König ist alsdann, wie gegen die Ungarn,®^ so gegen die Sachsen Markwart
•* Ank. II, 1. Beilage 61 der V. Periode No. 16 f.
«» Ank. 696.
** 1074, um Mai bis August mit den Baiem und Ostmärkem bis Waitzen, wo
er für Eg. Salomon gegen Göza kämpfte und sammt dem Böhmen-Herzoge, Heinrichs
Schwager Semptepolug oder Swentibold, verwundet und gefangen worden ist. (So
Thwrooz L 52, über Marcarth dux Teutonicormn, Lambertus contractus Annal. ad
1074, S. 158, 161, 162, Majlath Gesch. d. Magyaren I, 73, Ank. II, 767). Vor 120
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^^0 B0LE8LAW U. VON POLEN.
mit Aufgebot von Heeresmaeht^ Mannesmut und Landesgut angetreten,
indem er im Frühlinge (über Salzburg und Passau wahrscheinlich, gegen
Begensburg nach Nürnberg, Bamberg) ins Sachsenland marschirte und in
der heftigen Schlacht an der Unstrut mitfocht (Juni), wahrscheinUch darin
zwei Söhne verlierend. Es kommt vieles darauf an, ob der Bischöfe-Tag von
Worms (1076, 24. Jänner), wo unter Führung des Gardinais Hugo mit der
gründlichsten That, der Absetzung Gregors VII., vorgegangen worden,^ von
den Stühlen Salzburgs und Aquileias^ voUständig ignoriert gewesen;
abtrünnig geworden sind mindestens die lombardischen Bisehöfe seit der
Kirchen-Versammlung von Piacenza. Ob infolge des dritten lateranenser
Concils (1076, Februar), darin Kaiser Heinrich IV. gebannt wurde, irgend-
wie gegen einen etwa durch Laienhand eingesetzten Ossiacher Abt oder
Aglaier Patriarchen eingeschritten worden sei, ist nicht bekannt. Aber
berichtet ist, dass der Papst den Ex- Herzog als eine seiner Stützen aufrecht
erhielt dem Eppensteiner gegenüber, ihn noch 1075 als dux Garentinorum
anerkennend, was seit 2 bis 3 Jahren beim Kaiserhofe ausser Gebrauch
gekommen.®^ Mit ihm in gleicher Richtung hielt sich, wenigstens mittelzei-
tig, der Patriarch Sigehard Graf von Peilstein (bis Ostern 1077 nur),®^ nicht,
eindeutig, Bemold 1 079 , Erzbischof Gebhard von Salzburg, Mitwähler des
Gegenkönigs Rudolph, Inhaber der friesacher Bergvesten,^ der sterisdie
Otakar V. (EL, f Rom 1088), alsdann der die Ostmark versehende Bischof
von Passau Altmann 1065 — 85 (anders Hermann von Eppenst^n 1085 — 87),
von Würzburg Adalbero, von Metz Hermann, die Geistlichen aus der stren-
gen Paderborner Schule des Meinwerk.
Nach dem Fürstentage von Tribur, 1076, 18. Oktober, der ohne für
Jahren war der Ahne gl. Namens noch auf die Verteidigang kärntischen Landes
gegen die Ungarn angewiesen.
«* Stenzel I, :^79.
^ Hohenauer KG. S. 602. Patriarchen 1066—85 f, Grote Stammtafeln 1877,
S. 470, 546, Ravangerio Patriarch 1063—68, Sighard 1068— 1077"/«, Heinrich 1077—84,
(Swatobor) Friedrich von Böhmen 1084^/8 — 1085"/», endlich Ulrich I. von Kärnten,
1085—1121. Garns, Series ep. S. 774 seit 1049 Goteboldns (Botbolt), Kavengeros,
SigeharduB (Singifred), Henricns, Fridericus (Swatobor), Vodi^eus (Voldaricns), folgt
Gerhardus de Primiero. Gurk B. S. 278. Günther von Krapfeld 1072, Berthold 1090
midebold 1106.
«« Ank. n, 676.
«'^ Alf. Huber I, 220, 227.
^ Als Salzburger Erzbischof wurde von den Parteien gegen Gebhani den
Sachsen-Fürsprecher, festzuhalten gesucht (kirchlich gesagt, eingedrängt) Berthold von
Moosburg, in 3 Fristen, zuerst 1078 — 86, als ein grosser Teil Ungarns, bisher zur
IHöcsse gehörend, abfiel, alsdann 1088 — 90 nach Gebhards Tode, endlich 1095 gegen
Thiemo (Ank. H, 862, 788 Note. c. Alf. Huber I, 225, 228, 229, 233), Landes-Schaden
durch den Kirohenstreit. Tangl Eppensteiner IH, 20.
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BOLESLAW n. VON POLEN. 801
die Kirche activ günstig zu sein, gegen den Kaiser gerichtet war/^ konnte
allerdings Herzog Berthold dem mit Weib und Kind im December-Frost nach
Italien fahrenden Kaiser die Klausen des Tirolerlandes versperren und auch
die Salzburger Tauempässe müssen nicht geheuer gewesen sein. So gewann
denn der Kaiser den westlichen Alpen- Durchbrucb, den Cenis überschreitend,
und hatte nach der bedauerUchen That von Canossa (1077^ 25. Jänner) in
Unglück und Haltlosigkeit an seiner Seite die Eppensteiner Liutold (Liudolf)
und Heinrich, Söhne des (1076, 16. November) verstorbenen «Titular-
Herzoges» Markwart. "^^ Es waren seiner Partei zugefallen wälsche und
deutsche Bischöfe, Patriarch Sigihard von Aquileia, nicht zwar der Salzbur-
ger Gebhard, aber seine mit nächstem Jahre ans Buder kommende Gegen-
partei. Im Geleite der Eppensteiner nun, des (vom 9. April 1077 urkunden-
mässig Herzog gewordenen) Liutold, durchwanderte Kaiser Heinrich lY. das
Kärnter-Land, entsprechend den Verhandlungen von Pavia, und zwar nach
den zu Verona zugebrachten Ostern, vier Monate nach der Boleslaischen
Königskrönung. Ohne Zweifel ging der Beisezug im April und Beginn des
Maien aus Ponteba (oder aus Friaul über den Prediel nach Tavvis) durch
Villach, das Drau- und Liesertal, über den Katschberg (wie ahnlich 1097
Thiemo von Salzburg hereinwärts), durch das Salzburgische nach Baiem,
mit Umgehung der durch Weif von Baiem verlegten Tirolerpässe. "^^ Der
Stand der Dinge ist fernerhin der, dass der Zähringer ^* Berthold (t 1077,
Juli) zum deutschen Gegenkönige (f 1080) schwenkt, dass der Eppensteiner
Liutold in einer Zeit der wenigsten That-Nachrichten mit Kaiser Heinrich
zu Verona weilt (1082?), vier Jahre später zu Mainz, wo Wratislaw zum
Könige von Böhmen erhoben worden ist. Patriarch Sighard hatte seit
Ostern 1077 zum Kaiser gehalten, belehnt mit der Grafschaft Friaul (nach-
mals gehörte auch Krain und Istrien dazu, bestritten durch die Eppen-
steiner) ; nicht so sein seit August 1077 ins Auge gefasster Nachfolger
Heinrich aus Augsburg, der erst allgemach einlenkte. Weiterhin wird des
Eppensteiner Landes-Herzoges Bruder üdalrich, als Abt in St. Gallen «auf-
gedrungen», nach Tödtung des slavischen Stuhl-Inhabers Friedrich als
«uncanonischer Patriarch» eio gesetzt, das heisst als kaiserlich gesinnter
( 1 085), ein aufgeklärter, mutiger, ausdauernder, auch kirchenfreundlicher und
reich begüterter Mann. Endlich folgt dem Liutold selbst Heinrich (HI.), bis-
her Markgraf in Istrien, als Herzog in Kärnten, wohl mit März 1090 (erste
•» Bertholdi annales ad. 1076 bei Pertz V. S. 283. Ank. 11, 730, Note c.
""" Tangl Eppst. m, 7.
" Bertholduß S. 294, Bemoldns S. 52, Rubels S. 535, 537. Ughelli Italia sacr
157, Burchard de casib. mon. S. Galli c. 7, Chron. August, a. 1077, Continuat. cas.
S. Galli c. 21, Meyer-Knonau S. 45, Tangl Eppst. II, 75 Note 77, 136, HI, 10, 49, 153.
'• Die Titel von Kärnten fortgeftthrt teils bis 1146, 1153.
UngMlMh« BeTQe, XI. 1891. X. Heft 51
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802
BOLESLAW II. VON POLEN.
Urkunde 1096 in seiner Mark zu Verona) ; '* es erseheinen für kurz durch
des Eaisersohnes Eonrad Abfall die Alpenpässe bedroht (1093), Baiems
Herzogtum geht an den mit dem Kaiser versöhnten Weif über (im Kreuz-
zugs-Jahre 1096) und der Reichstag von Mainz sichert dessen Söhnen sogar
die Erbfolgeschaft (1098). Mach Papst Gregors Tode hatte Guibert als der
kaiserfreundliche Papst gegolten ; Victor, der antikaiserliche, gewählt 1087,
hatte nach vier Monaten Urban 11. zum Nachfolger. Am Schlüsse des Jahr-
hunderts starb Papst Urban, gefolgt von Paschalis 11., endlich schied 1100
auch der vielgenannte Guibert oder Clemens IQ. dahin.
In allen diesen Wandelungen sind die Eppensteiner als kaisertreu ohne
Schwanken anzunehmen ; es gilt nichts was Waltramus schon zum Jahre 1087
(S. 309) behauptet. Eine Wendung liegt erst im nächsten Jahrhunderte. In
Kärnten zählten zur kaiserlichen Partei ausser den schon ersichtlich gemach-
ten die (durch Tangl m^ 37) genauer bezeichneten weltlichen und geistlichen
Hochgestellten von Bothenstein, Ennsthal, Dietrichstein, Gurk, Heunburg,
Hohenburg, Hegirmos, Lechsgemünd, Lungau, Moosburg, Ortenburg, Puzol,
Beun, Schönenberg, Siflitz, Soune, Treffen, Zeltschach ; viele krainer und
friauler Häuser stärkten den Anhang. An irgend welche Beziehungen des
aus ungarischen Landen flüchtigen Polenkönigs zur Familie der ungari
sehen Prinzessin Sophia, Schwester des Königs Koloman, verheiratet cuidam
de Carinthia (wie der ungenannte Mönch von Weingarten sagt),*^^ nämlich
an den Markgrafen Ulrich von Istiien, ist nicht zu denken. Denn diese
Sophie war schon 1070 verwitwet und sie ist nachmals als Frau des Her-
zogs Magnus nach Sachsen gezogen ; ihr Sohn aber, der mit Bichardis von
Spanheim-Lavantthal verheiratete Markgraf Poppo, ist erst um 1 105 zu
etwas Bedeutung gelangt. Der östreichische Markgraf Leopold, Gesin-
nungs-Genosse des steierischen Otakar, konnte allenfalls dem Flüchtlinge
eine bessere Zuflucht bieten, aber das war nicht viel weiter erstreckt als auf
die Zeit von 1077 bis 1079 Frühjahr. (In der Passauer Diöcese wären noch
bis 1082 Kaiserfeinde willkommen gewesen.) Seit 1079 stand ein Heer an
der Donau. Gerüstete gab es auch in Karantanien, da denn das Gefolge
Liutolds nicht gar gross gewesen sein möchte, mit dem er 1081 den König
nach Bom, 1082 zurück geleitet hat, ebenso 1083 und 1084. Es soll nicht
geleugnet sein, dass das Baabtal allenfalls wegen der papistischen Den-
kungsweise des püttener Markgrafen Ekbert einem zum Papste Beisenden
hätte offen stehen können, woran man, aus ähnlichen Gründen, etwa den
Grundbesitz des lavantthal-sponheimer Engelbert I. reihen möchte. Ist an
'* Vgl. Vita Cbunradi aepisc. Salzbg. bsg. Wattenbaoh bei Pertz XI, S. 62.
Ank. n, 785,
'* De Guelpbis c. 10 in Caniflii-Basnage Tbesaur. monument. m, 583. Ank-
II, 819 e.
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BOLBSLAW n. VON POLEN. 803
^in andauerndes Incognito in so ausgesprochenen Partei-Zeiten im Vorhinein
nicht zu denken, zumal die Heerstrassen ab und zu von Kriegsleuten beschrit-
ten waren, so konnten wir aus den geschilderten weltlichen und kirchlichen
Zuständen ersehen, dass das Boleslaische Exil in diesen Landen nur die
höchste UnWahrscheinlichkeit für sich habe.
Aber es ist nunmehr geboten, das Grabdenkmal des Königs zu Ossiach
in Untersuchung zu ziehen, den Kronzeugen.
Der Stein ^^ ist eine Platte aus weissgelblichem Krystallin-Marmor
wie er gemeiniglich im Lande zu den «Römersteinen» verwendet ist, und
zwar etwa aus den Brüchen von Vasoyen, Fölling und Treffen, Sattendorf,
Steindorf, Tiffen Sonnberg, Pichl, Salloch, Ostriach, Altossiach u. a. Die
Beliefplatte zeigt ein in langsamem Grange links gewendetes Pferd mit Kopf-
halfter, Zaum und Band, Brust-Biemen, Bauchgurte und Sattel, welcher
letztere durch nicht viel mehr, als ein auf der Croupe ersichtliches Auf-
bug-Stück noch erkennbar ist. Die Ohren fehlen. Der erste Anschein spricht
für ein Belief aus Bömerzeiten, vermöge der geläufigen Oesteinsart und
Darstell weise. Lnmerhin sind die römischen Pferdbilder der besseren Zeit
hierzulande auch anders gestaltet; man sehe jene zu Fresnitz, Maria-Saal,
Moosburg, Ton. Allen fehlt Sattel und Bauchgurte, nicht jenen zu Moosburg
und manchen in Ungarn ^^. Das ossiacher ist eben ein Beitross und gleicht
auch jenem Belief des XIII. Jahrhunderts an- der Kirche des benachbarten
Maria-Gail (mit Zaum und Bauchband und SatteF^), so dass man an einen
St. Georg denken könnte, wäre nicht die Pferd-Stellung gegenüber einem
Drachen eine allzu gleichmütige. Der Bahmen gleicht zumeist den römi-
schen, auch gut dies von dem Bogen- Ansätze obenüber mit den zweiseit-
lichen Einkerbungen. Wir finden das entsprechende Motiv auf den Beliefs
des Postgefährtes und des sieghaften Wagenfahrers aus Virunum (zu M.-
Saal), allerdings ausgebildeter, doch scheint für eine Inschrift oben oder
unten kein Baum bestimmt. Aehnliche Bahmen auf den Beliefs zu Moos-
burg, den steierischen zu St. Johann bei Herberstein, Leibnitz, Pettau,
Piber, Tüffer und mehreren ungarischen '®.
" Lang 176 Cm. (5 Fuss 7 Zoll), hoch 113-2 (3' 7"), dick 29 (6»/V'), schwer
an 840-9 Kgr. (15 Zentner).
'« Kärntische Kunst-Topographie 1888—89 S. 123 fig. 134, S. 196, 197 f. 21l!
^12, S. 345 f. 355, Jabornegg, Kärntens Alterthtimer Taf. 5, Taf. 12, No. 419 zu 418,
Jab. Christallnigg K. Altthmr 1843. I, Taf. V. f. 1, 2, Römer-Desjardins Monuments
XXIX, 169.
" K. K.-Topogr. S. 193 f. 206.
'« Muchar, G. Stmk I, Taf. V, 2, XIV, 26, bes. XVI, 41, IX, 18, X, 3 figg.,
XVni, 2. Schriften d. bist. V. f. I.-Ö. I. fig. 24, 27, 55, 65, 74, 107. Römer-Des-
jardins Taf. I 2, II 11, IX 59, Xin 87, XX 116 b, 117, XXHI 133, 141, XXIV 142,
XXV 154, 150, XXVn 136, XXXI 190 f; sowohl Weihsteine, als Ehren- und
Orabsteine.
51^^
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S^ B0LB8LAW U. VON POLEN.
Ausserbalb des Hauptrabmens, docb selbst wieder gegen den Band
eingefasst, erscbeint auf dreien Eandseiten (alles unrömiscbe Landesart)^
eine Inscbrift :
REX <iBOLESLAVS<PO
LONIEcaOCCISOROSANCTiO
stanisslai>1:piocracovi
ENSIS
Die Scbriftweise, in welcber bemerkt werden wolle das V in Zeile 1,
£ in 2, das geminderte A in 3 und aucb die Kürzung für episcopi, scheint
dem XVI. Jabrbunderte, letzte Jahre, anzugehören. Abartend, auffallend
wegen des Schwankens, sind die C, die mittleren S und die dreierlei Inter-
punctions-Formen. Sonst würde die ganze Führung wohl in's XVII. Jahr-
hundert versetzt werden können. Jedoch Obiges und der Mangel des
Schluss-Punktes weisen eine ältere Zeitstellung nicht ab '*.
Dieses Denkmal «befindet sich in der nordseitlichen Kirchen-Haupt-
mauer nahe der seitlichen Marien-Kapelle, so zwar dass die Hauptmauer
an dieser Stelle etwas zurücktritt und eine Nische bildet, darüber ein nie-
derer Stichbogen gespannt ist. Der ßeUefstein verschliesst von aussen her
die Mauernische. Die Stelle des Grabes ist mit Ziegeln gepflastert, unter
diesen liegt ein, die Nische ihrer Länge und Tiefe nach ausfüllender,
15*8 Centimeter (6 Zoll) dicker, bei 393 Kilogramm (7 Zentner) schwerer,
oberhalb erhaben-rund, an der Unterfläche ganz eben zugemeisselter Kalk-
stein ohne Inschrift und sonstige Zeichen. Eine Grabplatte im Freien für
Regenwasser- Ablauf, ursprünglich also im Friedhofe, nächst der östlichen
Mauer der alten Marien-Kirche, Richtung Ost- West. Hohes Steinplatten-
Pflaster bedeckt die Stelle vor dem Denkmal. Der Grabstein ist der corre-
spondirenden Stelle der Aussenseite der Kirche angefügt. Dieser deckt ein
in der Sohle und an den Wänden sorgfältig ausgemauertes Grab, lang
197 Cm. (6' 3"), breit 71 Cm. (2' 3"), tief 94-8 Cm. (3 Fuss).» ««
Ueber diesem Steine befindet sich in einer Vertiefung der Hauptmauer
ein Gemälde auf Holz, hoch 2-21 M. (7'), breit 158 Cm. (5'), dick 46 Mm.
(unter 20'"), das ^^ sieben teils ovale, teils runde Felder und in der Mitte ein
länglichtes eingeteilt ist. Wir sehen im Mittelbilde König Boleslaw in ver-
goldeter Rüstung, in den anderen Feldern Scenen aus dem Leben des
Königs, endlich die Ermordung des Bischofes am Altare. Das Bild ist
die Copie eines alten, weit besseren Gemäldes, das vor 1680 gar nicht
'• K. Kimst-Topogr. S. 254, 253. H. Hermann Text zn Wagners Ansichten
18^ S. 135. Mitthlgn. d. Centralcommiss. 1885, S. XXm.
^ Im Jahre 1839, 21. Juni, hat man das Grab geöfifnet. Car. 1840, 189, 1855^
26. Bergmann Medaillen II, 40. Wurzbach Biogr. Lex. V, 245. Hohenauer KG. 46.
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I
BOLESLAW n* VON POLEN. 805
erwähnt, früher unter Abt Christoph renovirt, an dieser Stelle befestiget war,
jetzt in schlechtem Zustande, aufbewahrt wird in der öeitencapelle (für
Ossiaoh interessanter, als für Polen, meint Lelewel 334, 335). Die Malerei
und Inschrift stammt von dem Kämter Jobst zu Wien. Die Einfassung
ist aus Nussbaum-Holz in altertümlicher Form hergestellt, alles auf Kosten
(östreichischer Altertumsfreunde) der Gräfin Isabella, geb. Grafin Thür-
heim, Gemalin des Grafen Peter von Goes, (* 1784 t 1855) und Grafen
Budolph von Goes zu Treffen — durch Tischler Keller in Klagenfurt, Bau-
meister Kriegler, Schlosser Gridl, Gelbgiesser Hengthaler. Das umgebende
Eisengitter — Lanzen, ähnlich denen des Herzogstuhles — enthält die
Worte Sarmatis peregrinantibus salus.
Vor 1839 stand das Denkmal abseits einige BLlafter von der gegen-
wärtigen Stelle im Gemäuer eines Strebepfeilers. Wir besitzen eine Abbil-
dung des alten Denkmales in Joachim, Lelewels «Polska wieköw örednich»
(Tom. n. Poznan 1847 zu S. 334, Schluss bei Abteilung XVm S. 337),
Kupferstich, betitelt BolesJava smialego grobovy Pomnik v Ossiaku, auf-
genommen, wohl nach 1816, vor 1839, Zeichner nicht genannt. Wir ersehen
zunächst die alte Einmauerungs-Stelle an der Pfeiler-Ecke, oberhalb des
Steines in fast gleicher Breite das Holzbild in etwa doppelter Höhe, zu
höchst eine Art Frontispizes mit je vier Voluten, gekrönt von einem Mittel-
türmchen. Das länglichte Viereck ist längs geteilt in drei Hauptpartien ;
die erste und dritte enthält je drei nach der längeren Axe gestellte Eirunde,
die zweite ein Eirund nach der kürzeren Axe über einer grossen Nische,
über welcher in einem Eirund-Rahmen die Schrift Sanctvs Stanislavs,
unter welcher in zwei kurzen und zwei langen Zeilen :
Boleslaus rex poloniae obiit anno MLXXXIX ®^.
Occidit romam pergit placet ossiach illi Ossiach hinc placeat tibi
Stanislae tirannum ®*.
Ignotvs servit notvs pia Ivmina clavdit mitem qvod factvm coelestibvs
intvlit astris ®®.
Die Bilder sind : Rechts 1. Bischof vor dem König im Thronzelte (Alt :
vor dem Altare knieend Car. 1840. S. 190).
Links 1 . : Bischof am Altare, vom Könige überfallen.
Rechts 2. : Boleslaw mit Hut und Stab, wandernd.
Links 2. : Holz tragend in Küchenhallen (und Marienbild- Verehrer).
Rechts 3. : (verwischt, wohl Boleslaw auf dem Sterbebette).
Links 3 : Leichenzug vor dem Klostertore.
•^ Altes Bild nur : Boleslaus rex, anders K-Topogr. 255, Rex boleslavs anno u. s. w.
** Ligierte Buchstaben für tirannum.
■* Altes Bild : Verstellte Zeilen, Interpunction, u statt v, tyrannum, caelestibus.
Oarinth. 1813, No. 42.
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S06 BOLESUlW-n. VON POLEN.
Die Mittelpartie, oben : Der Bischof mit abgelegter Mitra betet
knieend, Baum, Berge ; unten : In der gemuschelten Nische steht Bolesfeiw
im Federbusch-Helm, Harnisch mitArm-undKnieeschienen des XVLJahr-
hundertes, den grossgriffigen Säbel links, die Rechte zum seitlich einge-
stemmten Stabe. ®^ Ausführung um 1680.
Nach dieser Zeichnungs-Skizze stellt sich auch der Römerstein anders-
artig dar. Das Pferd hat zunächst die echte breite geschwungene Mahne
und Hals der antiken Typen, es hat das Ohrenpaar, die Halfter, kein Bmst-
band, der Bauchgurt und der Sattel sind weitaus ersichtlicher, es ist der
Schritt im Grunde der gleiche, aber viel geschwungener dargesteUt, des-
gleichen der Schweif, das Erdreich ist anders geformt, anders auch (insbe-
sondere schmäler) der zweigliederige Bogen obenüber. Sollte der ganze Stein
ein anderer sein? Die Schrift ist es. Sie lautet in dreien (nicht vier) Zeilen
des Bandes :
RÖX X BOLeSLKVS x POLOßie X
OCCISOR X SKKCTI x STKßlSLKl x
6PISC0PI X cRTscoviensis x
Man hat bei Neu-Herstellung der Schrift- und Reliefplatte (vor 183^
und wohl auch vor 1819, und 1785?) die alte Wortfolge und Schreibart (das
Orthographische) copirt, in Betreff des V für U, E für ä, hat aber die
wagerechte Zeile begonnen mit LOßI€ X statt OCCISOR, geschlossen mit
SÄßCTI X statt STKßlSLffil, hat in Zeile 3 das zweite A nur eingeflickt und
mit dem eigentlich älteren GPI sein Auskommen zu finden gehofft, auch
mit den Interpunctions-Formen anstatt des Schrägkreuzches mehrfach
gewechselt. Endlich sind die alten gotisierenden Buchstaben kleiner gewe-
sen, etwa Vs bis ^A des Randraumes ; jetzt sind sie gross, fast zur Hälfte des
*** Da8 wahrscheinlich erste Holzschnitt-Bildniss steht in Miechovia Chronic»
Polononun 1521, Halbleibstück mit Eisenhamisch und Ttirkensäbel. Folgt der anonyme
Stich (Brustbild) mit Schrift «Boleslaus IL Der 4. König. Bekam die Krön A. 1059. reg.
bis A. 1082,» oben p. 265, aus L. Rosen thals in München Kataloge 57. Bibliotheca
ßlavica No. 119. (ebda Boleslav IV, Wladislaw, vgL Hosius, von Busch, B. Stanislaus
von Gaspar Huberti). Ein Bildniss des Königs oder eine Darstellung von de^en
Lebens-Ende besitzt weder die reiche Porträt-Sammlung der k. k. Familien -Fideicommiss-
Bibliothek, noch die erzherzogliche Kunstsammlung Albertina in Wien, noch erwähnen
solche die Porträt-Kataloge von Drugulin, Heitzmann.
In bildlicher Beziehung ist die BolesJ:aw-Legende verwertet durch die wenig
bedeutenden Fresken im Inneren der ossiacher Kirche (Hermann, Text S. 134, dessen
•Klagenfurt» S. 231, die Kirchengewölb-Fresken von Fromiller um 1750 [* 1681,
I 1760)] sind nicht boleslaische). iDie Wände des Schififes und der Seitenaltäre bieten
Fresken von Fromiller, in Sepia polnische Geschichtssoenen» (BabUs Bl. Führer
d. K. 1884 S. 71, vgl. k. Kunst-Topogr. S. 253.) Eine Copie des Holzbildes al freeco
laut Lelewel 11, 334, 335. In Zieglers Vaterländischen Inunortellen Wien, 1838—39
ein lithographisches Blatt von Peter Job. Nep. Geiger, vgl. Blatt 99, 120, 127.
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BOLESLAW n. VON POLEE. 807
Bandramues. Durch die Vertiefung ist ein Bahmen am Aussenrande dazu
gekommen.
Die Schrift ist gewesen jene des ausgehenden XIV. bis ausgehenden
XV. Jahrhunderts, wie sie am geläufigsten bekannt ist aus den grösseren
Münzen des Kaisers Friedrich HI. (IV, V)®*.
Nur weil die Vorarbeiten für eine landläufige Schrift-Vergleichung mit
Berücksichtigung des schrifttragenden Materials noch nirgend gemacht
sind, mussten einige Beweismittel hier in Kürze angedeutet werden.®* Wenn
» Kunst-Topogr. d. H. K. S. 274, 273, 94, 366, 302, 437, 226, 56, 107, 325, 432
392. Mitth. CG. 1888, S. 205 (Gurk), 125 Viktg., 1881, S. 93 f., 1882, S. 43, 104 f.,
vgl. die Fälschung Cristan ürsin -Rosenberg, angeblich 1231.
^ Um die landläufige Buchstaben -Mode aus den nichtbuchlichen, den Bau-
und Gerät- Schriften, Kärntens zu beurteilen, besitzen wir nicht genug Denkmaler,
keines verlässlich vor der Mitte des 12. Jhdtes. Diese sind, ausser dem ossiacher
Convent- Siegel mit deutlichen K 6 Ol It, folgende :
1) St. Paul, Casula- Seidenstickerei aus St. Blasien, um 1140, Wortlaut Otto
primus imper. und Josve, ivdas. Interpunktion rund. Formen H € öl T T.
2) Gurk, Portal, 12. Jhd. Ego svm hostivm • cvi • dextera • cor • pia •
mite • t Intranti • rite • perdo • pascva • vie • f intrat • et • hie • rite • Dann
hoc • exvl . wido • I psens • cepit • opvs • na • Formen JI 6 E 3 D H ^. Inter-
punktion rund. Nonnenchor 13. Jhrdt flSd und C Q Sil LV ßöl M.
3) Viktring, älteste lateinische Grabplatte, c. 1250. f liic • germanorvm • re-
qvescvnt • ossa • dvorvm • dimodis • vxor • sva f Heidenricvs et • albertvs • de •
Heilec. Formen ÄC0E6T. Interpunktion rund,
4) St. Georgen am Längsee, Grabplatte, c. 1275 — 1300. Hie iacet corpvs wich-
pvrge otwini comitis conivgis venerande fiUe q eins hiltipvrge hvivs coenobii primae
abbatissae Formen 3I66Hh$ßMVU. Interpunktion ? Dazu der Grabstein zu
Friesach des Pilgrim Cellerarius 1276—1330 Formen. Ä H ö Q F6 J öl ß N V.
5) Klagenfurt, Stadtsiegel, 1279. Formen QaCIlN. I>azn der Grabstein in
Friesach 1284—86 des Gotfried von Truchsen, Formen CÖ6EßN6V.
6) Sagor, Grabplatte, älteste deutschsprachige f hie • leit • bemhart • von •
rotnstain • nach • Christ • gepvrt • eromno • warn • drevzehn • hvdert • iar Formen
HAaSöRGIlJJRfiH V statt U. Interpunktion rund. Dazu etwa ein Stein-
schrift-Stück in Gurk, Formen Q Q 6 B.
7) Millstatt, Portal, c. 1310. Heinricvs abbas rvdger(v8) . . me fecit ego svm
alpha et w Formen A E (vorherrschend) eOHGÖlTbU) (»^ Omega). Inter-
punktion fehlt?
8) Friesach, Thür-Pergamentschrift, 14. Jhdt. f Bespice • de • celis • cvstos
Nicolae nte porterva demonis enerva vim virtvtis coacerva Formen 'flQÖQJCßBR
Interpunktion rund. Dazu der Grabstein von 1333 daselbst, des Fridreih von Eber-
stein 1336, Formen ö 0 II, des gurker Bischofes Gerold, des Zamelsbergers, des
Mayerhofeners, des Liebenbergers um 1350, letzterer mit Formen y^ B H N Q
för U, W.
9) Viktring, Metallschrift des Typars, c. 1350. Formen g M ß,
10) St. Helena, Freske, 14. Jhdt. S. Marcvs *><* iohannes S. matevs sact. Ivcas
Formen HAÄCQSßllfi V statt U. Interpunkt. fehlt. Zunächst die Grabsteine
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808 BOLBSIiAW n. VON POLEN.
daraus hervorgeht : dem schliessenden XV. Jahrhunderte gehören die Buch-
staben der «alten Steinschrift» vorwiegend an, so folgern wir weiter. Es
ist wohl anzunehmen, man habe in Vorbereitung zur Feier des vermeint-
lichen sechs- bis achthundertjahrigen Stift-Bestandes die alte Kirche erwei-
tert, das wäre also um die Jahre 1478 bis 1489. In dieser Jahresreihe läge
auch beiläufig die vierte Jahrhunderts-Feier für Boleslaw's Klosterweile, mit
den äussersten Grenzen 1074 und 1099. Wahrscheinlich um die Reiche
Zeit, als die alte Kirche erweitert wurde, so dass, was zuvor Hauptkirche
war, nunmehr zur seitlichen Capelle wurde, und die Mauerlinie gerade über
das Grab in gleicher Richtung laufen sollte, entstand mit der aussparenden
Bogen-Spannung auch die Schrift der von aussen her die Nische abschUes-
senden Relief-Platte. (Hatte sich diese selbst erst bei den Grund -Grabungen
hierorts oder in nächster Nähe gezeigt?) Vermutlich gleichzeitig®^ wurde
hergestellt jene Freske oder Tempera- Wandmalerei an dieser Nischen-
Mauer innerseits, welche noch vor 1840 hat erkennen lassen einen tuch-
bedeckten Sarg mit Menschen-Beinen darauf, ohne Inschrift. Der • alten
Steinschrift» entspricht auch die durch Graf Rudolph Goess 1840 gegebene
Copie®®; abgesehen von den Interpunktionen, dem u für v, ae für e, der
i^ographisch nicht ausgedrückten Zeilenteilung, bringt sie genau episcopi,
nicht im Sinne des jetzigen Steines. ®* Ohne diese bestimmte Nachricht
müsste man vermuten, die alte Steinschrift sei abgemeisselt und nach vor-
zeitigem Muster, aber nur des XVL oder XVII. Jahrhundertes, die jetzt be-
stehende Inschrift zu dem nicht viel berührten Pferd-Relief hergestellt
worden.
Nunmehr ist wohl ersichtlich, man hat zu irgendwelcher Zeit den
alten Römerstein aus der Nähe herbeigenommen und ihn auf gut Glück
für ein Königsgrab zugerichtet. Römersteine gab's in der Nähe ; abgesehen
von dem um 1 766 im Klosterhofe selbst vorfindig gewesenen, sind solche zu
zu Friesach, Peter B. von Lavant 1363, Jo. Berahardin 1406, Alb. Silberberg 1416,
gotische Kleinschrift stehend und Br. Baumgartingen 1422.
11) Strassburg, Grabstein, 1426. hie leit vincenz von Strasburg. Form gotischer
Kleinbuchstaben.
12) Nussberg, Glockenschrift, älteste deutsche in Kärnten, 1431.
13) Feldkirchen, Metallschrift des Typars 1449. Wenige gotische Spuren in
A, E, M, N, höchstens in K T V.
14) Völkermarkt, Grabstein, 1 — 40 — 44 des Adam von Obdach. Formen noch
KHKAGCHV, »chon H M N W statt U. Hienach die friesacher Grab-
steine 146J, W. Grasvirein 1465, E. Uberecker 1470, A. Ksettner 1501 u. s. w. Endlich
St.-Georgon am Weinberge K W 1^72. K..Top. zu S. 68.
•' Hohenauer, Kirchen-Vergrösserung um 1500; alter Grabstein, S. 363.
" Carinthia 1840, S. 190.
»"♦ Budik copierte 1832, Kämt. Zeitschft. S. 166: Rex | Boleslaus Poloniae |
Occisor S. Stanislai | Episcopi Cracoviensis.
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B0LE8LAW II. VON POLEN. ^>^
Landskron, St. Michael, Treffen, Tiffen, Feldkirchen, Sternberg u. s. w.®^ Das
Pferd hat zur BolesJaws-Legende eben gar keinen Bezug ; den Pilger denkt
man sich doch eher zu Fuss, zumal wenn er incognito wandeln soll und
also ist er auch auf dem Bilde gemalt worden. Eher hätte es noch, in Eück-
sicht auf den durch seine eigenen Jagdhunde zerrissenen wilden Jäger,
etwa mit einem römischen Windhund-Relief glücken können. Hoffentlich
hat die Auswahl des Pferd-Reliefs nichts zu thun mit dem Capitel der acta
Sanctorum zu Stanislaus HE 262, equus mortuus resuscitatur.®^
Die Herstellung der Steinschrift muss man ja nicht als erfolgt denken
in den Jahrzehnten der ersten angeblichen Erinnerung. Soweit wir ihren
Text kennen, könnte sie gar nicht früher gesetzt worden sein, als beiläufig
172 Jahre nach Boleslaw's Tode. Diese BeUäufigkeit hat ihren Grund am
Anfange und am Ende der Termin-Zählung. Im Anfange ist das Todesjahr
nicht gewiss, das differirt ja um 18 Jahre (1081 — 1099). Am Ende steht die
Canonisation Stanislaus. Für die ersten 12 bis 17 ossiacher Aebte hat es
daher — wie es auf der Hand liegt — keinen Sanctus Stanislaus gegeben,
als welcher der Krakauer Bischof auf der Steinschrift verzeichnet ist.
Seit dem s. g. 13. Abte Berthold II., wenn wir diese Serie gelten
lassen dürften, ist obige Bezeichnung erlaubt, indem in dieses Abtes
Zeit, um 1250 — 1263, durch Papst Innocenz IV. thatsächlich die Heilig-
sprechung Stanislaus' durchgeführt worden ist im J. 1253, 17. Sep-
tember (Acta Sanctorum Mai HS. 200; nach Anderen 1248). Ein Paar
Jahre zuvorhätte die Heilig-Nennung allenfalls schon passirt werden können,
da man schliesslich in eingeweihten Kreisen des Erfolges der Procedur im
Lateran hat sicher sein können. Ein Beispiel dafür ist der Chronist Bogu-
phalus, welcher, 7 Monate vor Stanislaw's Heiligsprechung verstorben,
diesen in seinen Schriften schon sanctus und beatus martyr nennt. Ist es
ja auch möglich, dass der Minorit Jacob von Velletri, infolge päpstlichen
Schreibens vom 26. Mai 1252, nach Polen zur Untersuchung der Stanislai-
schen Lebensführung reisend, über Aquilieia des Weges gen Friesach in
das Seestift gekommen war (er hatte Ordens-Genossen in Villach und Wolfs-
berg) oder dass man hierselbst vor dem seit 1251 eingeleiteten Canoni-
sations-Pi'ozesse durch den Patriarchen Kunde hatte. Nicht ganz 40 Jahre
zuvor war, annehmbar desselben Weges aus Bom und vielleicht unter Ein-
kehr hierselbst, der Krakauer Excanoniker Hyacinth, ein geborener Pole,
nach Kärnten gekommen und zu Friesach Gründer des Dominikaner-
Klosters ^^^ geworden. Ausser Zeslaw, seinem Binder, waren A-ielleicht auch
•^ Kärnt. K.-Top. S. 253, 157, 22 J, 346, 338, 38, 321, 65.
***» Vgl. Lanbich Historia. 1595, Blatt 96, ein grosseB wunder an einen todten Iloss.
•®b D. iuris Max Gumplowicz in Graz macht mich aufmerksam : Bischof
Iwo(n) Odrowanz (Odrow^z), Bischof von Krakau zur Zeit Bolestaus Pudicus, führte die
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^10 BOLESIAW II. VON POLEN.
Heinrich und Hermann, die Zellen-Genossen, gebürtige Polen. Diese Grün-
der-Traditionen konnten jetzt im Auge behalten worden sein, als es sich
gewissermassen um einen Connationalen im Himmel handelte, als welcher
späterhin Hyacinth selber bezeichnet worden ist. Der Minorit aber fand zu
Villach jenes Brüderhaus, in welchem nachmals Thomas von Aquino nach
Italien reisend mit Sanct Bonaventura 1273 zusanmiengekommen.®^ Alle
diese Erwägungen setzen aber eine historische Thatsache schon voraus,
beweisen sie nicht. Eine Steinschrift, ausschliesslich dieser Zeit des XIDL
Jahrhundertes entsprechend, hat Niemand nachgewiesen oder auch nur
behaupten wollen. Ueberhaupt hat weder Gröblacher, wie wir sahen, in
seinen Annalen, noch Wallner in seinem Annus millesimus von irgend
einem Abte gesagt, dieser oder jener habe das Bolesläische Steindenkmal
errichten lassen. Domherr Hermann nennt die Platte das Werk etwas spä-
terer Zeit **. Das ist wohl sehr unbestimmt.
Sollte nun in Anwendung gebracht werden, was Tadeusz Czacki 181&
geurteilt hat, dem XTTT. oder XIV. Jhrh. angehöre nach den Buchstaben-
formen die seiner Zeit vorhandenen Steinschrift, so kann das zunächst
nicht von der gegenwärtig sichtbaren gelten. Also von der vormaligen und
dies mehr mit der zeitlichen Einschränkung auf des 14. Jhdtes Auslauf,
noch mehr, wie wir urteilen mussten, auf das 15. Jhdt. In diesem Falle
haben wir die veranlassende Ursache zu suchen in der Hausgeschichte der
Stiftsäbte vom s. g. dreizehnten bis zum 33-sten, mehr des 34-sten bis
41-sten. Wir suchen vergebens nach allfälligen polnischen Landsleuten im
Mönchs-Habit; mit dem Familien-Namen erscheint ohnehin kein Abt vor dem
41-sten, Daniel Krachenberger um 1485 — 96. Wir fragen nach hiesigen
Clerikem aus polnischen Klöstern, denen etwa die (nach 1253, vor 1295
geschriebene) Vita S. Stanislai geläufig war. Oder genügen unseren Vermutun-
gen unternehmende Aebte in Allgemeinen, wie Ulrich H. 1393 — 1429, der
sich zuerst die Inful erwirkte, Benedikt aus Kremsmünster, durch Cardinal
Aeneas Sylvius octroyiert,®^ also aus besonderer Begünstigung, gewisser
Dominicaner in Polen ein. Sein Bi-uder war der hl. Hyacinthus (Sw. Jacek), Begrün-
der des Dominikaner- Klosters in Ejrakau. Seine Schwester war die hl. (Sw.) Bronisiava
in Krakau (neben dem nach ilir benannten Berge befindet sich ein Norbertanerinnen-
Kloster). Gleichzeitig war noch ein dritter hl. Odrowaz ; ausserdem wurde die Frau
des Boleslaus Pudicus, die ungarische Königstochter Kunigunde (Sw. Kinga). und
seine Schwester Salome heiliggesprochen. (P)X. Ludwig L^towski, Eatalogi biskupöw
Krakowskich. Krakau (1861 f.) Piekosinski, Codex diplomaticus capitul. Cracowien-
sis B. I.
"* Marian Klerisey a. a. 0. 333, 243.
«« Text z. W. A. S. 132.
^ Marian Klerisey III, 5, 346 und IV 7, S. 125. «Seinen Lehrjungen Benedikt
gab Jakob Treutlkofer, 44J-ster Abt zu Kremsmünster» im J. 1452 als Abt zu OssiBob
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BOLEßLAW II. VON POLEN. ^1 ^
KücKsichten wegen, entgegen dem besseren Willen der Conventualen, ein-
gesetzt um 1454 bis 1457 (oder 1458), oder der Streber Johannes Siebenhirter,
Administrator aus Millstatt, um 1460, insbesondere der Bauherr Daniel
Krachenberger um 1485 — 96? In dieser Zeit blühte die Pflege der Latini-
tät in der Abtstube so sehr, dass man die Stifts- Annalen zum Besten der
sechs stimmfähigen Mönche (nach 1520 waren deren gar nur vier) in
deutscher Sprache fortsetzte 1438 — 73. Hier begegnen wir dann dem
Stifts-Jubeljahre 1489, dem 800-Jahrfe8te ! Auch Erasmus Tätrer, um
1496 — 1510, hatte die Maurer und Steinmetzen lange in Verwendung. Bis
in diese Jahrzehnte äusserstens wäre der Ursprung der alten Steinschrift
zu versetzen. Die jetzt vorhandene, die neuere (sagten wir) imitirt alte
Formen, die gewiss über des 16. Jlidtes spätere Hälfte nicht zurückgehen.
Wenn es für die Zeit des bauthätigen Andreas ü. Hasenberger 1528 — 1555
noch Vermutungen gäbe, so hören diese mit den Aebt^n Zacharias Gröb-
lacher 1588—93, Adam Schröttl 1593—95, Kaspar Eainer 1595—1616
auf, solche zu bleiben. Denn in dieser umbaureichen Aera existirt die
Boleslaw-Sage bereits buchmässig verschrieben. Daraus folgt zwar nicht
zwingend der Schluss, dass auch das jetzige Steinschrift-Denkmal schon
existirt habe ; aber etwas wie sein Vorbild ist unter dem angeblich 47-sten
Abte Peter Gröblacher gesehen worden um die Zeit zwischen 1558 — 63.
Und dieses konnte vielleicht den Anspruch haben, dazumal schon an die
100 Jahre alt zu sein. Nun wäre die Frage nicht ausgeschlossen, ob Abt
Caspar Bainer, welcher soviel Verpfändetes mit Gold zurückgekauft, manche
Erweiterung an dem Stifthause vorgenommen, ein elegantes Landhaus am
Tauem hergerichtet, Gold- und Silbergeräte, geistliches und weltUches, bei-
gestellt, die Johannis-Kapelle ausgezieret, sich dem Lebenden selber einen
Grabstein angeschafft, alsdann des Stifters Grabmal wegen der Kirchen-
Enge unterirdisch versetzt hat, ob er nicht das königliche Grabmal in Bezug
auf die Bandleiste und die Schrift habe etwas abschleifen und verdeutli-
chen lassen. Die Zeit dieser Benovation wäre unschwer abzugrenzen ; denn
1616 hat Abt Bainer, vermutlich wegen zu kostspieliger Unternehmungen,
abdanken müssen, und 21 Jahre zuvor hat er seine energische Thätigkeit zu
entwickeln begonnen. Gegen diese Beweis-Führung spricht nur, dass die alte
Schriftform noch in diesem unseren Jahrhunderte gesehen worden sein soll ;
vielleicht handelt es sich aber auch hierbei nur um die Neuausgabe einer alten
Copie. Zum Vergleiche ortsüblicher Steinsclirift sind übrigens in Ossiach
noch vorhanden die Grabmäler von Niclas Pfietner 1497, Michael Hasen-
perger 1532, Andrea Hasenperger 1555, Sigismund Frisch 1556, Peter
Gröblacher 1587, Kaspar Bainer um. 1615 u. s. w.»*
her, den er bemach als Erzbischofen zu Tiberaid (Tiberiafi ?) zu wissen, das tröstliche
Vergnügen hatte.» " Marian in, 5, 351 Note ** K. Kunst-Topogr. 8. 253.
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812 B0LE8LAW II. VON POLEN.
Bedenke man nur : Es ist ein Grabstein gesetzt dem Ozzins. Dieser
hat also wirklich gelebt, er war ein Graf, hat das Kloster gegründet und ist
hierselbst begraben in der Mitte der Pfarrkirche.^^ Für diese Wahrheiten
steht Niemand ein, als der Denkmal-Setzer Abt Bainer. Ihm war die Ozzius-
Sache mindestens aus Megiser geläufig, wenn auch vielleicht nicht aus Gröb-
lachers Annalen. Tumulum fundatoris Ozzii ob angustias templi sub terram
condidit (Ann. mil. S. 90). Villeicht ist dieses Schriftsteines Vorgänger gewe-
sen jener, welcher hierorts im J. 1839 durch den Pfarrer Franz Karl im
Keller gefunden worden ist, mit (wie es scheint) dreien Schriftzeilen,
welche zum heiligen Werke den Namen Ozzius bringen. Kaum viel hinter
des XVn. JhdteH Anfang wird auch das Bild (auf Leinwand oder Holz ?)
zurückgereicht haben, welches vor (1689 und) 1766 sich in Befectorium
befunden hat, die Kloster- Gründung darstellend und die Namen Ozzius,
Irenburgis, Popo in Versen einschliessend (Ann. mil. S. 40). Von der alten
romanischen Kirche aus der Zeit um 1039 ist weiter nichts bekannt, als
der Bestand einer Krypta ; diese wird wohl schon früher verändert worden
sein, als bis der Brand von 1484, 6. November, alles verwüstete und der
Neubau von 1500 Anderes an die Stelle setzte, besonders in der Krypta
mit ihren Altären.^* Man erinnere sich, dass die älteste Stiftungs-Bestäti-
gungH-Urkunde von 1149 keine Namen Ozzius und Irenburgis kennt. Erst
zwischen 1440 (Dombrovka) und 1468 (ünrest) möchten diese For-
men erfunden worden sein, vielleicht anlässlich der Ausgrabung eines
Eömersteines für einen Ocius.^' Und dennoch ein Grabstein für Graf
Ozzius ! Da glaube, wer guten Willen hat !
Die seit 1839 erwähnten Grab-Fundstücke lassen schliessen, dass man
bei der ersten Zurichtung des Königsgrabes gekommen sei entweder auf
die Krypta-Zugehörden etwa aus den Zeitläuften um 1039 (in diesem Falle
waren die Beigaben älter, als die Bolestaische KlosterweUe) oder dass man
schon dazumal gestossen sei — bei Kirchgrund-Grabungen — auf ein
frühraittelalterig- slavisches Grab oder ein spätrömisches. Die Beschrei-
bungen der Sachen (zusammengehäufelt vorgefunden, demnach in gestörter
Lage) sind zu ungenau, als dass sich daraus auf Zeit und Volk schlies-
sen Hesse ; mindestens wird ein Gegenbeweis nicht geführt werden können,
als ob die Beliquien boleslaisch seien.*® Dies gilt vom Menschenschädel
'* Abschrift in Ank. II, 539. Note vgl. K. Kunst-Topogr. 8. 254. Ogyius.
*»* Ank. n, 989.
"' Vgl. diese Namensform in Archiv d. h. V. f. Kärnten XU, keltische Namen,
Sond-Abdr. S. 45, OC, OG zu Ottraanach, Hohenstein.
^ Ftlr diejenigen, welche etwa nach Geldeswert und Münzen (Byzantinern
bis Michael VII, Venetianern, Mainzer und Wormser Denaren etc.) fragen sollten,
mit denen Bole8l:aw nach Kärnten usw. gekommen sei und die auch erfahren, dass
man nie einen Piastenmttnzen-Fund in Kärnten gemacht, diene Beilage IL
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BOLESLAW n. VON POLEN.
S13
(Hinterteil), den Gebeinen (männliche Arm- und Schenkelknochen) und
Sehnen, den langen Eisennägeln, deren einer noch 1840 beim Slavisten
Pfarrer ürban Jamik in Moosburg zu sehen war, der metallenen Schliess-
nadel, beiderseits mit muschelartigen Knopf-Enden, 1840 beim Pfarrer Franz
Karl zu sehen. Die letztere ist sammt dem Schlüssel des Grabmal-Gitters
bis 1844 in der Hut des Ortspfarrers gewesen. Der Königsring wird als
(seit welcher Zeit?) ausserhalb der Gruft vorfindig, in des Küsters Ver-
wahrung bis vor 1 748 angegeben. lieber seine Form vermag Niemand etwas
zu sagen, als Gleissenberg, der Poet, welcher den, mit antiker geschnit-
tener Gemme ausgestattet denkbaren, Schmuck schildert als fulgentem
peregrino lumine gemmam. *^ In einem polnischen Königs-Schatze, etwa zu
Krakau, wohin er durch einen reisenden Patrioten gebracht worden sei,
ist er nicht bekannt, nicht in der Krakauer Dom- oder Schlosskirche (18.
Kapelle mit dem Silbersarge St. Stanislaus), nicht in der Schatzkammer
des polnischen Eeichs-Schatzes (kostbare Messgewänder, kunstvolle Gefässe
aus Edelmetallen), die Ausstellung polnischer Altertümer zu Krakau
1858 hat ihn nicht enthalten. Natürlich, der geheime Besitzer kann ihn
doch nicht preisgeben, will man einwenden. Gewiss, insolange ist uns also
auch kein Gegenbeweis geführt. ^^^
Nachdem wir nun an dem Hauptbeweis-Mittel der Boleslaischen
Legende, dem Grabmale, die Keihe der Unwahrscheinlichkeiten aufgezeigt
haben, könnten wir wohl mit Fug und Recht behaupten, dass eigentlich die
ossiacher Steinschrift sich gar nicht als Grabmahl gebe, sie sagt nicht
Hie iacet oder sub hoc tumulo conditur od. dgl., dass sie gar nichts ausdrücke,
als die trockene Wahrheit, König Boleslaw von Polen ist der Tödter des
Heiligen Stanislaus, Bischofes von Krakau. Aber als Grabmahl ist sie ver-
fochten worden im Anschlüsse an eine vorausgegangene Literatur, als
Grabmal mit Beigaben zugerichtet und so sind wir wol bemüssiget zu
schlussfolgem : Wenn das Epitaph des ersten Boleslaw (Chrobry) in der
Kathedrale von Posen in seinen Lettern gelitten und das Erhaltene den
Wert der Bedenklichkeit erreicht hat,^®^ so kann jenes des zweiten zu
Ossiach als ein geradezu sehr neuzeitiges und unzugehöriges angesprochen
werden.
•• Lib. VI, S. 162, Vs. 8.
^^ Von Ringen und Spangen des 8 — 10. Jhdtes giebt Darstellung Essenweins
Culturhistorischer Bilder-Atlas Taf. VI, No. 10—13, XI, 5—7. Domschatz in Mitth.
d. Centralcommiss. 1882. S. XVIU, Stanislaus' Infel und Ring, 1889 S. 41, Kasimirs
Grabschatz 1869 S. XCVH, 1870 S. LV ; Ausstellung 1858 S. 335.
^"^ Lelewel, Gesch. Polens S. 9, Note 3. Polska 11, 316, 338. K. Stronozynski,
Dawny grobowiec Bolesiava Chrobrego w Poznanu. Bibl. Warszawska S. 165 — 177,
407—420. Zeitschr. f. Pos. 1888. S. 421 und 437.
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814
BOLE8LAW H. VON POLEN.
IV.
Die Sage von dem Ossiacher Aufenthalte Boleslaws, als welche sich
nunmehr der ganze Bericht ergiebt, ist irgendwann, irgendwo und durch
irgendwen mit besonderen Absichten aufgebracht worden. Auch diese Fragen
drängen zur Beantwortung. Vor dem XV. Jahrhunderte hat keine bisher
bekannte Schrift das Leben des Königs über Ungarn hinaus verfolgt Nach
1449 scheinen die das Ober-Eämterland wälschlandwäxts durchreisenden
Polen irgendwelche polnische Sagen im Drau- und Seethale aufigezeichnet
zu haben, ausgehend von dem Predigtstuhle des Seestiffces; vor 1587, wahr-
scheinlicher schon vor 1561 und 1558 haben dieselben ein Steindenkmal
für den König zu sehen bekommen. Es war die Nachricht über das Ver-
schwinden des Königs annehmbar zunächst von den Ungarn ausgegangen,
den Nord-Ungarn. Das diesen nächste grössere Grenzland war Kärnten ;
das konnte am füglichsten dazu genannt werden und zog die in kirch-
lichem Sinne nach Bom Beisenden genugsam lang an. Alles weitere geht —
es ist erst nachzuweisen, ob auf Grund von in Polen selbst ausgewachsenen
Legenden in missverständlicher Auslegung — von geistlichen Kreisen aus,
welchen die Martyrium-Geschichte des St. Stanislaus am Herzen lag.
Fromme Polen überhaupt, Klostergenossen des Ordens St. Benedicts, speciel
Krakauer Ganoniker, Bischöfe, Bistums-Gandidaten und Gurial-Sendlinge
kommen dabei in Betracht, sagen wir vorsichtweise ; immerhin schon seit oder
etwas vor 1252. Die slavischen Gonnationalen haben seit den Jahren von
1080 herwärts südlich von der rein-baierischen Bevölkerung, sonderheitlich
in der Gegend um den Ossiacher- See,noch fast alle Bauernschaft slavisch betref-
fen können, die Grossgrund-Besitzer deutsch, von den damals seit 500 Jahren
bestehenden Ortschaften die grösseren mit verdeutschten Namen (Fillac 979),
genug Aehnlich-Klingendes, das an die polnische Heimat erinnerte ; wir sagen
dies, um für die Erfindung der Königsweile ein unterstützendes Motiv ent-
decken zu helfen. ^^^ Vielleicht hat das Begiment Przemysl Otakars von
Böhmen 1270 — 76, vielleicht jenes des Herzogs Heinrich, Königs von
Böhmen, 13?8 das Kloster Ossiach eximirend, irgend das slavische Element
^*** Die posener Drage hiess Dravus noch im 13. Jhdte, wie hier die Drau noch
zur Stunde dialektisch Drag. Um Stadt Krakau Clirobatien, wie hier um Stadt St Veit
der Chrobati-Gau. Zu den polnischen Ortsnamen die kärntisch-steierischen : Breslau
(Bresje, Bresouz, Brestarzen, Friesach), Gnesen (Gnesau, Gnas, Gnaseck), Kolberg (Kolb-
nitz und die Menge von Kohl), Krakau (Krakaudorf, -Mühl, -Schatten), Kocawa (Kokau,
Köking, Kokarje, Kokoritsche), Lebus (Lebmach, Lebring und fast ein Dutzend von
Leb), Plock (Plöcken, Plösch, Plosohenberg), Polen (Polein, Pollana, Pollau und über
ein Dutzend anderer Formen), Posen (Posamig, Pusamitz, Possau, Posseggen), Bogosmo
(Ragosnitz, Rogein, Bogaun, Bohitsch, Bagnitz, Bagitsch), San (Sann, Saneck, Soune),
Tiniec (Teinach), Weichsel (W-Berg, -Baum, -Boden, -Burg, -Dorf, -Stätten) u. dgL
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B0LB8LAW II. VON POLEN. 815
gestärkt, sc dass dem Benedictiner-Orden zu gewissen Zeiten polnische
Landsmannschaft zufloss. Denn das ist zwischendurch gewiss: alles
baierische, speciel salzburgiscbe Eirchenwesen ist nach den Gründungen
von 836 aus Mähren und Ungarn zurückgedrängt worden, insbesondere seit
im Jahre 868 die Cyrillisch-Methudischen Kirchenboten die entschiedene
Oberhand gewonnen haben. Wir konnten aber auf diesen Wegen bisher
noch keine Nachweise erhalten, als ob die Boleslfaw-Legende nach und nach
an Ort und Stelle auf kärntischem Boden gemacht worden wäre.
Wenn bei einer derartigen Erzeugung von mächtiger Einflussnahme
auf Umstände, Unternehmungen, Thatsachen und deren Nachwirkungen die
Kede ist, so wird Niemand zweifeln, dass hierin einem Aeneas Sylvius der
erste Bang einzuräumen sei. Der schlaue Italiener (Piccolomini, geb. 1405),
auf dem weiten Wege vom Hochschüler, Juristen, Poeten, Humanisten,
Liebesabenteurer, Ganonicats- und Gesandtschafts-Secretär, zum Land-
pfarrer, Königs-Geheimschreiber 1442, Bischöfe von Triest (1447 — 51), endlich
zum Cardinal und Papste 1458 — 64, hat bei seinem 23jährigen Aufent-
halte in Deutschland, auf seiner Jagd nach dem Bistume Ermeland in Ost-
preussen auch die besondere Gunst des Königs von Polen erschleichen
müssen. Immer ist er der Freund und Förderer des polnischen Volkes
gewesen, der polnischen Interessen im heiligen Collegium, ^"* versichert er ;
freilich bisher hat sich das Gegenteil als wahr bezeigt. Er stand mit dem
römischen Sachwalter Petrus Milinus in Correspondenz, mit dem Bischöfe
von Gurk Ulrich HI. von Sonnenberg. Erbauliche Schriften für das Seelen-
heil der durch den Polenkönig zu erreichenden Bistums-Ghristen hat er in
die Welt zu stellen versprochen. Welche diese seien, ist bisher nicht nach-
gewiesen worden.^®* Zuvor hat er Gelegenheit gehabt, die östreichischen
Alpenländer, ihre Bräuche und Sitten kennen zu lernen, in Wien ist er
gewesen, in Wiener-Neustadt, in Brück a. d. Mur 1444, in Kärnten (Stadt
St. Veit, Klagenfurt), in Laibach u. s. w., ohne Zweifel hat er die ober-
kärntischen Grenztäler gegen Itaüen öfter durchwandert. ^^^
Wohl fühlte Sylvius keine Schätzung für Leben und Gebahren, An-
schauungs-, Sprech- und Schreibweise der «Barbaren» und hielt sich für
hoch darüber hinaus. Die ältesten Denkmäler des Landes, weil italische,
***" Brief an Kg Casimir 1457, 31. August bei Voigt E. Silvio de' Piccolomini
3 Bde. Berlin 1859—1863. 11 226. Hagenbach, Erinnerungen an Ae. S. P. Basel 1840.
Die Epistulae in mehreren Druckausgaben seit 1478.
Des Aeneas Sylvius Roman Lucretia und Euryalus (Liebesgeschichte des Grafen
Schlick) verurtheüt bei Grässe, Lbuch der Lit.-Gesch. 1842 IH 1 S. 483.
Diplomatische Beurteilungen durch Aen. Sylvius (z. B. Carvajals) vgl. in
«Ungarische Revue. 1890 X S. 2, 3, 4, 136, 141 etc. Archiv f. östr. Gesohfechg. XVI 382.
^"^ Zeitschrift f. d. Gesch. u. Althmskde. Ermelands. Mainz 1858 I 128 f.
^°* Historia Friderioi in 219, 230. Voigt H 309.
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81^ B0LE8LAW U. VON POLEN.
fessellieD seinen Blick und forderten sein Urteil heraus, er konnte sich als
ersten Aufmerksam-Maeher geben und wusste, keinem vorausgegangenen
Beurteiler sich fügen zu müssen. Als Antiquar und Historiker, wie von
Natur aus, zur Skepsis geneigt und Anerkanntes nicht ohne Behagen bezwei-
felnd und zersetzend, war er wieder geneigt, auf ein Schlagwort Neues auf-
zubauen und mit seiner Autorität das aufzuzwingen, was man lieber ableh-
nen mochte. Den Elagenfurtern hat er die Geschichte von einem zuerst
justificirten und hinterher strafrechtlich untersuchten Bäckerjungen als
allgemeine Justizform angehängt, ^"^ den Ossiachem hat er einen Abt «auf-
gedrungen». Dieses geschah vermutlich noch im Jahre 1454, nach Abt
Ulrich 's m. Resignation, zwanzig Jahre nach der Anwesenheit des vorhe-
rigen Ossiacher Abtes Andreas I. auf dem Goncile zu Basel. Abt Benedict
muss ein nicht harmonisches Regiment geführt, und unter den Mönchen
viel Widerspruch erlebt haben; vielleicht dass die seit 1452 versuchsweise
durchgreifenden Elöster-Beformen zu Gunsten der Observanten gegenüber
den Conventualen auch ihm, dem bumanistenseits Empfohlenen, das Walten
sauer machten. Er dankte 1457 ab und starb bald darauf, bevor sein Gönner
Papst geworden. Vielleicht dass der Millstätter St. Georgs-Bitter Gross-
meister Johannes Siebenhirter, unter Abt Ulrich IV. die weltliche Güter-
Verwaltung führend (bis 1462 ?), noch jene Klöster-Stimmung vorhalten liess,
welche angenehme Bistümer durch wohlgesetzte Poeme anstrebte.
Mit einem Worte, in diesen Jahrläuften und auf diesen Wegen scheinen
die auf ungarischem und polnischem Boden schattenhaft wandelnden Sagen
von dem verschwundenen Piasten-Eönige sich hier in den Alpengauen ver-
körpert zu haben durch Leute, welche zwischen Polen und Ungarn einer-
seits, Rom anderseits, viel Verkehr und an der Herstellung wunderbarer
Geschichten, namentlich um des Seelenheils der Polen willen, Interesse
hatten. Ich glaube nicht, dass, wie Graf Ostrowski bei Lelewel andeutet
(b. 334), die Benedictiner in erster Linie das ausführten; natürlich konnten
die hiesigen nachmals den Anregungen gefolgt sein, wenn ihnen reisende
Ordensbrüder aus Polen gewisse Vermutungen und Zumutungen zubrachten.
Und Benedictiner gab es in Polen allem Anscheine nach früher als in
Kärnten, zu Tininc bei Krakau, gestiftet durch Bolesiaw Ghrobry und
Gemalin Judith (das Stift stand auf hohem Berge, südlich die Karpathen
in Sicht, nördlich Landskron), zu Sieciechow an der Weichsel, Wojwod-
*"« H. Hermann, Klagenfort, wie es war und ist. Klgft. 1882 S. 10 und 91 vgl.
Kärnt. Zeitschr. Bd. VII 1832.
Ueber den Herzogstuhl, Zolfeld etc. in seinem geographisch-historisdien Werke
Europa cap. XX S. 40 Multi lacus, Drauus, vallis spaciosa (Zolfeld), oppidum Ciagen-
furtinum bis exequias. Damach folgt Stiria ; Polonia S. 415. Seine Nachfolger vgl. in
Merian Topogr. S. 93.
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BOLESLAW n. VON POLBN.
817
Schaft Sandomir, um 1010, zu Lysa Gora (Kahlenberg) ^^'^ um 1010. Das
Gistercienser-Stift Mogyla, Mogilno (olara tumba) bei Erakau ist nachmals
benedictinisch geworden; 19 Klöster erscheinen im Verzeichnisse von 1326
in der Diöcese des (bis ins XIII. Jahrhundert rein slavischen) Vorortes
Krakau. Man sieht somit wohl, dass dortselbst mehr strebende Elemente
beisammen waren, als an der mittleren Drau. Es war dort auch vor dem
Jahre 1000 schon ein Bistum, seither folgten Gnesen, EB., Krakau, Kolberg,
Breslau, Plock (später Leslau) und Lebus, alle vor Gurk. Unter den Leuten
ausserhalb des Benedictiner- Ordens war nebst den Krakauer Domgeistlichen
gewiss Aeneas Sylvius der bestveranlagte. Er schrieb um die Zeit seines Ossia-
cher Prot^g6-Abtes an der historia boiemica, die Chroniken des Pulkawa und
Daliwil benutzend, mit starker Zweifelsucht das Unwahrscheinliche aus-
merzend, aber das Romantische, das Interessante, das Unterhaltende für
eine fesselnde Schilderung beibehaltend.^^® Er spann den Briefwechsel fort
mit dem Bischöfe von Wardein, mit dem Kanzler von Ungarn, dem Cardinale
Cesarini in Betreff der ungarischen Zustände, mit dem päpstlichen Nuntius
für Ungarn und Böhmen, er schrieb an den Mailänder Herzog über Un-
garn und Böhmen, er pflegte regelmässige Bericht-Erstattung an den Car-
dinal von Krakau. Auf das Cardinalat sind alle seine Briefe aus Deutsch-
land gerichtet. Und wenn da im Eifer der schönen Rhetorik miteinfloss,
wovon er nachderhand in kühler Stunde das Gegenteil für das Richtige
hielt, so benannte er das Erleuchtung und Fortschritt. Ein eclatantes Muster
dafür ist sein Widerruf als Papst gegen seine eigene Haltung auf dem <3on-
cile hinsichtlich der Kirchenversammlungs-Souveränetät. Quod Aeneas pro-
bavit, Pius damnavit. Es würde also E. Silvio eine Boleslaus-Legende für
Ossiach haben schreiben können, ohne an das Historische derselben zu glau-
>"' RoepeU I 161, 643, 185 Note 18.
»"^^ Voigt 1856—1862 II 316, 317.
Die Hist. boh. cap. 53 ausgeschrieben von Dlugosz, zu wenig glaubwürdig, mit
zuveriässigen Quellen im Widerspruch. Huber Oestr. Gesch. 1885, Bd. 11 S. 538. Das
zeitgleiche Capitel der Hist. boh. wäre cap. 20 S. 95, cap. 21 S. 95, Baseler Aus-
gabe der Opera omnia, in deren Index Boleslaus, Ossiacum, Stanisiaus fehlt. Das
Werk, welches Megiser Annales Car. (S. 762 Z. 5 u.) citiren will, enthält nichts von
Boleslaw; vielleicht waren die Gooamentarii gemeint 1477, 1614 oder die Cosmogra-
phia 1477, 1509, nicht wohl Hist. rer. Frideric. späterer Druckausgaben. Vgl. Koll&r
Analecta monumentorum 1762 II 62. De ortu, regione et gestis Bohemorum, de Bo-
hemorum origine ac gestis, Historia boiemica (bohemica) Rom 1475, Cöln 1524,
Frankfurt und Leipzig 1575, Basel (cap. 21, 22 S. 20, 21), 1686 (21, 22), in Frehner
scriptores rerum boh. 1602 ; aus Hss. vermehrt in Job. Herwagens scriptor. rer. germ.,
Basel 1532, übhpt. 16 Drucke. So Jöcher Gelehrten -Lex. 1781 HI 1606, Fortsetzg. 1819,
VI 319. Schrceckh. Lebsbschbgn. her. Gel. H 1 S. 10—27, KG. XXXH S. 233, Olea-
rius n 97, Hamberger IV 770. Krones Oestr. Gesch. U 307. Grösse Tr^r d. livr.
rar. et prec. Dresden 18.59 I 25 f. Hormayr (Archiv 1815 S. 376) weiss, dass Ae«
Sylvius fl diese Begebenheit umständlich erwähnt».
ungarische Bevue, XI. 1891. X. Heft. 5^
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^18 BOLEStiAW n. VON POLEN.
ben. Nur hätte er — das meinen wir wahrlich — als gekrönter Dichter von
Epigrammen und Epitaphien, welcher auch dem zu Wien 1444 verstorbenen
Aquileier Patriarchen eine Grabschrift geliefert, das nach seiner Ansicht in
östreichischen Landen wuchernde Barbaren-Latein nicht selber für Tafel-
sprüche verschuldet Indem wir die wortspielenden, klanglosen, ungelenken
und durcheinander geworfenen Bolestaw-Hexameter im Seestifte ^^ einem
germanischen, slavisohen oder magyarischen Humanisten-Schüler zumuten,
aus den Zeiten des Hieronymus Baibus, Bischofes von Gurk, Bicardus Bar-
tholinus, Lang*8 Hofcaplan um 1515, oder Qeorg Agrioolas, Erzpriesters zu
Friesach, Bischofes zu Lavant und Gurk, + 1584, Caspars Brusch, (welcher
1554 den nachmaligen Ossiacher Abt Peter Gröblacher, den Bruder des
Stifts-Chronisten, legitimirt hat), können wir für möglich halten : Aus Ver-
ehrung für den, um der Polen Seelenheil also emsig besorgt gewesenen und
dem polnischen Könige empfohlen gehaltenen Papst Pius ü. hat man in
Ossiach, dessen Abt-Ejmennung seit 1455 eben dem Papste vorbehalten
war, die Boleslaw-Legende angenommen und gepflegt, zumal ja dieselbe
an sich sehr moralisch und lehrreich war, auch einem anerkannten, wenn-
gleich nicht landesüblichen, Heiligen zur Glorie gereichte. Gleichwohl muss
die erste Steinschrift, trotz ihrer gotisirenden Lettern, als erst nach 1499
nachgeholt erachtet werden, laut Jacob Unrest So sehen wir einen Wäl-
schen am Anfange der Forscherzeiten wirken und weben an der Darstellung
der Lebensgeschichte eines polnischen Eriegsmannes, einen Wälschen am
Ende ; dort den schlichten Mönch im Dienste der kühlen Wahrheit, hier
den Anstreber höchster Kirchenwürde im Dienste der klingenden Phrase.^****
^^^ Ganz anders eines der scharfen Contra-Epigramme auf Papst Pius :
Pro numeris nnmeros tibi si fortuna dedisset,
Non esset capitis tanta corona tui.
**"*» Im Jahre 1595 scheint das Ossiacher Grabmal nicht einmal in Inner-
•östreich noch zu allgemeiner Kenntniss gelangt zu sein und, setzen wir bei, auch
nicht die Eönigs-Legende nach der Zeit des ungarischen Aufenthaltes. Derselbe Ma-
gister Blasius Laubich, welcher, im Jesuiten-Convicte des Erzh. Karl in Graz erzogen,
als der Heil. Schrift baccalaureus form., der fürstl. Durchl. Erzhgin Maria zu Oester-
reich Witwe Hofkaplan, Lehrer und Erzieher der Prinzen Leopold und Karl, nach-
mals in feierUcher Promotion zum ersten an der Grazer Universität geschulten Doctor
der Theologie gemacht worden (in der Hof- und Jesuitenkirche, laut Exones Gesch.
der K.-F.-Univ. in Gr. 18S6 S. 12, vgl. 8, 14, 30, 343), hat im Jahre 1595 ein bei Georg
Widmanstetter zu Graz in Quarto gedrucktes Buch (195 BL, 4 Reg. Bl. 7 Bl. Vor-
rede) veröffentlicht unter dem Titel «Historia von dem Heiligen Glorwürdigen vnd
fiirtrefilichen krakowischen Bischofife vnd Märtyrern in Polen, Stanislao : Auch andern
Heiligen, so wol des Königreichs Polen, als etlicher nechstgelegenen vnd anstössenden
Königreich vnd Landschatften». Er widmet dieses (nach Potthast Wegweis. d. d.
G-Wke, I. Anhang, Berlin, 1852. Vit»* S. 894.) bereits selten gewordene Buch der
Füi-stin und Frauen Anna Königin in Polen und Schweden, geb. Erzhzgin zu Oestreich,
als der Tochter seiner Gebieterin Erzhei*zogin Maria. An ebendiese hatte Georgins
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BOLESLAW n. VON POLEN. ^1^
Verdeutlichen wir zum Schlüsse^ dass, wenn irgend eine historische
Richtigkeit an der «Begebenheit» wäre, von zeitgenössischen Quellen denn
^och z. B. die Annales Bertholdi (bei Pertz V, 301), die vita Gtebhardi
{Pertz XI, um Cap. 7, S, 39), oder die vita Altmanni epi. (Pertz Xm, Cap.
15, 16, S. 231), Adalberonis epi. (Pertz I, S. 130), auch Bernoldus einiger-
massen Andeutung gäben, welcher letztere noch zum Jahre 1092 die an der
ungarischen Grenze beabsichtigte Zusammenkunft König Heinrichs mit
König Ladislaus kennt, woselbst ohne Zweifel, hätte Bolesiaw noch gelebt,
4iber ihn Rede geworden wäre. Ist ja die Flucht des E.-B. Gebhard von Salz-
burg vor seinen Feinden nach Schwaben eine, wenn man will, ähnlich strit-
tige Angelegenheit, dies aber nur der Zeitrechnung nach. Schon 1077
hat der genannte Kirchenfürst das Weite gesucht, 1086 ist er zurückge-
wesen, 1087 hat er persönlich die Projemer Kirche eingeweiht, 1088 ist
^r gestorben. Sein Nachfolger ist der St. Peterer Abt Thiemo, 1081 war
auch er vor den Königs&eunden nach Schwaben geflohen. Gegenbischof ist
Berthold bis 1090, darnach sehen wir die Schismatiker das Oberwasser ver-
lieren ; im Lavanttal nimmt der neue Erzbischof Weihungen vor 1093, aber
1095 bis 1105 wiederholt sich das Gegenspiel. Die Annales Sti. Rudberti
Badsduill, Cardinal und regierender Bischof in Krakan, den lateinischen Text des
Baches von fJoannes Longinns, krakawischen Thumbherm, Jahr 1465» mit anderen
•glaubwürdigen Authom vnd Scribenten, in der Longobardischen Histori nit be-
griffen, gedruckt durch Joannem Haller zu Krakow 1511» geliehen; der grossen Weit-
schweifigkeit Longins abhelfend, hatte Laubich das Werk tibersetzt, gektirzt, neu
gruppirt. Mit Gnaden war ihm, dem geborenen Preussen, als dem Theologie -Schüler
n Grätz, die königl. Majestät gewogen gewesen; jetzt bringt er ihr dar den Auszug
aus den drei Büchern der 83 Jahre alten Hallerschen Ausgabe, deren erstes behan-^
delte Stanislaus' Leben und Tod sammt den Mirakeln bei demselben, das zweite jene
vor, das dritte jene nach der Canonisation. Li dem Ghrazer Buche nun (darin auf
Blatt 6 das Erzbistum erwähnt ist, auf 11 zuerst Bolesiaw, 13 der Conflict, 18 Petrus
und Dorfkauf, 27 Kiow, 36 Tötung, 45 Königsflucht) gibt Capitel 29, Blatt 46 den
ßohluss des Königslebens auf ungarischem Boden : «La dem er vmblauflfet vnd raset,
falt er vermüdet vnd keichend zur Erden, vnd gibt sein vnglückselige Seel mit gähem
Todt auff: allda er, von seinen eignen Hunden zerzerret vnd gefressen wurd.» So
fassen es die Jesuiten und dies ist die gleichzeitige Anschauung am polnischen und
am inneröstreichischen Hofe. Man erinnert sich, dass die junge Jesuiten -Hochschule
nicht wenige Polen ins Land zog, deren etliche im J. 1587 die Murstadt verhessen
anläfislich des polnischen Thronstreites swischen Maximilian HI. von Habsburg und
Johann Sigmund Wasa, hinwieder sind Flüchtige aus Polen herbeigekommen, so 1655
bei den schwedisch-russischen Kriegsfallen. Nie haben die Jesuiten die gewiss roman-
tisch verwendbare Legende von Boleslaw zum Gegenstande eines schuldramatischen
Festspieles gemacht. Uebrigens sind sowohl die höfischen als die literarischen Stre-
bungen der Jesuiten und der Benedictiner auseinandergegangen. Einen Beweis, dass
1594 das Ossiacher Grabmal nicht bestanden habe, kann das Laubich 'sehe Buch keines-
wegs bieten ; der Hofkaplan hat nur nicht darum gewusst, nicht tun die alpenländische
Legende, die doch mindestens seit 1588 durch Zacharias Gröblaoher verschrieben war.
52*
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^20 BOLESLAW n. VON POLEN.
Salisbargensis beschränken sich auch seit 1058 auf die Stellen über E.-B. Greb-
hard 1060, Heinrich's Krieg gegen Ungarn 1063, die Gnrker Gründung 1072,
Berthold von Kämthen 1073, Admonts Gründung 1074, die Salzburger Wech-
sel seit 1075 u. s.w. In allen diesen, in den italienischen Greschichtscbreibem
(hinsichtlich der bewirkten Bomfahrt) ^^® keine Erwähnung von Boleslaw.
Kam der Piast aus Ungarn durch Kärnten mit dem Ziele Bom, so kam er
allerdings als Papst-Freund oder wenigstens als ein solcher, welcher die päpst-
liche Gnade anzustreben schien. Vermöge seiner ganzen jüngsten Vergan-
genheit kam er aber auch gewiss als des deutschen Kaisers Gegner. Und da
sollte er haben hoffen können, durchwegs und bleibend bei der kämti-
schen Geistlichkeit als Gebannter gute Aufnahme zu finden ? Wenn irgend
sein Abgang aus Ungarn gerüchtweise verlautbart worden wäre, gewiss hätte
der Papst ein Mahnungs-Schreiben erlassen, wie wir solche an E.-B. Greboar-
dus von Salzburg 1073 kennen, mehrere an Wratislaw von Böhmen, an die
böhmische Nation, an Geisa, an Salomo, Judith, Ladislaus von Ungarn, an
Heinrich und Sichard von Aquileia, ein einschärfendes Schreiben also an
den Patriarchen oder an den Abt von Ossiach, in dem Tone jenes an die
Veneter : dass sie sich ja hüten mögen, mit einem Excommunicirten zu
verkehren, solchem eine Gunstbezeugung zu erweisen (1081, sexto idus
April., ähnlich an einen Grafen, alles bei Mansi, vgl. XX, S. 347). Es ist
glaubhaft, dass derlei Schreiben dazumal von Nachwirkung waren; ein
eigentumliches Bild würde es geboten haben, wäre z. B. 1303 ganz Käm-
then mit dem Interdict belegt gewesen, vonwegen des Herzogs Meinhard,
Grafen von Tirol, wie man sagte (Hansiz, Metzger, vgl. Interdicte bei Muchar^
Gesch. V. Stmk, Index, S. 251, Bd. HI, 300 f.).
Oder von weltlicher Seite sollte Boleslaw haben hoffen können, keine
Behinderung seiner Komfahrt zu erfahren ? Ueberall andershin als durch
Kärnten hätte er seinen Weg nehmen müssen, das zeigten uns die politi-
schen Zustände. War doch auch des ersten Boleslaw Bote nach Italien,
der die Krone vom Papste holen ging,^^^ abgefangen worden ; alle Wege
nach Italien waren durch die Kaiserlichen verlegt. Aber es wird ja gesagt,,
ganz heimlich und nur von einem einzigen Diener begleitet sei er durch
Kärnten gezogen. Wenn languor und amentia der Chronisten durch alle
diese Verhältnisse mitgilt (man stelle sich dabei die Kürze und Unauf-
fallendheit der Heise vor), so hört freilich der logische Verfolg des Streites
bald auf. Dann kann gleich leicht zugegeben werden, der Flüchtige habe
im Angesichte der Wälschland begrenzenden Berge die Bomfahrt aufge-
geben. Anderseits könnte gewiss gesagt werden, die Kriegs-Gefahren seitens
der Normannen, seitens Heinrichs selber (1081 — 83, 1090, 1092 u. dgl.)
"« Muratori. Gesch. v. Italien. Schlosser WG. 11 2 8. 758.
"^ Vor 1025. Vita S. Romualdi in Acta SS. 7 Febr. 8. 114 f. RoepeU 162.
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BOLESLAW n. yOlil POLEN. 821
hätten das nicht erlaubt, obwohl das zwischendurch öfters möglich ge-
wesen wäre (so November 1083 etc.) Man könnte nach einer angedeuteten
Wendung geradezu behaupten, auf dem Bückwege aus Italien sei der
König in Ossiach eingetreten oder, dass alle mögliche Auslegung zu-
gegeben werde, nahe bei Ossiach auf der Hinreise habe er den betreffen-
den päpstlichen Befehl erhalten. Heimlich und unerkannt, das soll immer
mitverstanden sein, ein Unzurechnungsfähiger, ein Marsch-Unfähiger bei
Anhalt an die ältere Meldung. Und nun komme man ab mit den 8, 9 u. s. w.
Jahren Büsserdienstes ! Ist der Mann geistig und körperlich gesund, der
weiland derbe und unerschrockene Eriegsmann ? Das behauptet eigentlich
die Legende nicht. Aber dass es in ihm und um ihn anders wurde, klar
und licht und hell und dass er schliesslich von der Vergangenheit zu
sprechen anfängt, wie aus einem offnen Buche lesend, wie solche Erschei-
nungen — abgesehen von jenen der mittelalterigen Mystik *^* — den Ster-
benden gewiss eigen sind, dass er sich demnach zu erkennen gibt und die
Beweismittel dazu liefert, das behauptet die Legende bestimmt. Nun
denn, über den grossmütigenj Ungamkönig, der ihn aufgenommen wie
einen glänzenden Volks-Herrscher, über den hat er kein Wort ? Und von
seinem eigenen Sohne Mjesko^^^ hat er gar nichts Liebes zu sagen? Hier
leidet die Erfindung an einer Lücke ; ein beäserer Historiker, hätte er das
Vorausgeschickte gewagt, hätte hier besseren Schluss erfunden.
Wie wenig Sinn liegt auch darin, Bole^aw aus Ungern mit irgendwel-
<5hen gesunden Gedanken weggehen zu lassen. War er jetzt entgegen allen
seinen früheren Gemütszügen, unterwürfig worden, nachgiebig, demütig,
kirchlich, bussebedürftig, kurz das Gegenstück von Kriegsmann, oder wie
auch grosse kriegerische Männer aus Berechnung, zur Zweckdienlichkeit
Ähnliche Eigenschaften zum Ausdruck gebracht haben (von Heinrich IV. bis
Napoleon), so fehlte es ihm doch gerade in Ungern zum wenigsten an Mitteln
zum Zwecke. Es gab dort genug hohe Geistlichkeit, beim päpstlichen Hofe
wohl angeschriebene und einflussreiche, welche vielleicht nicht in gar allen
Punkten im Binnsale der Nationalität schwamm, es gab genug Kirchen,
Klöster, Reliquien. Allerdings grollten ihm zunächst auf Befehl Gre-
gors VII. die Bischöfe, sperrten ihm vorab die Gotteshäuser und wehr-
ten den Geistlichen dem Umgang. Aber die Geistlichkeit respectirte in
grossem Masse das Vorgehen des Landesköniges und dieser kannte nichts
als das Gefühl unerschütterlicher Dankbarkeit für Boleslaw in Rücksicht
^** Krause, Vorleeiingen über psychische Anthropologie S. 443. Du Frei in.
«Psychische Studien» 1889 S. 557.
^^^ Die ältesten Nachrichten setzen ihm am wenigsten ein kurzes Lehensziel ;
nach späteren fällt Mjesko's Heimkehr in die Zeit 10S4— 86, Tod in 1089 oder HO.)
Roepell I 209 Note 7.
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822
BOhEBLAW n. VON POLEN.
auf sich selbst, seinen Vater, seine Brüder. Da war alles kirchliche Gegen-
streben umsonst, da waltete höher als die Tiara die Humanität. Und ihm,
dem frommen heiligmässigenAfagyaren-Könige, neigte sich vielleicht schliess-
lich die trotz der Decrete nicht unerbittliche Greistlichkeit zu. Nirgend war
Boleslaw des offenen Schutzes so sicher, als in Ungarn, nirgend hatte er
auch, falls es durÄh Kirchenbusse oder soldatische Mittel noch eine Restau-
ration gab, so rasche Bückkehr in sein Beich, dessen südliche Berghänge
nicht allzu ferne hereinblauten. Ein Mann von 46 Jahren, wenn wir recht
rechnen (Stanislaus starb als 49-jähriger), konnte mit solchen Plänen sich
noch befassen ; viel weniger mit Gedanken an ein Kloster, er, der sich mit
Klöstern nie zu schaffen gegeben, von dem nicht Eine kirchliche Stiftung
bekannt ist. Geleugnet soll indess nicht werden, es könne Boleslaw, st^ts
gewöhnt, den Dingen auf den Grund zu schauen, und nie, soweit wir
wissen, an Höflinge verwöhnt, etwa vorausgesehen haben, mit Ladislaus"
Macht werde es nicht allzuweite Wege haben, indem der Papst fortwährend
für Salomo eintrat, die Bischöfe diesem keineswegs abgünstig waren, mit
Versöhnungs-Versuchen eifrig vorgingen, diesen sogar nach Entdeckung der
gegen Ladislaus geplanten Verschwörung befreie ten. Thatsächlich hatte
Ladislaus den päpstlichen Parteigängern Asyl gewährt, Beistand dem deut-
sehen Gegenkönige zugesprochen.^^* Weiter ist hier mit Vermutungen
nicht vorzugehen. Aber das ist gewiss, in Kärnten war weder Kirchlichkeit
noch Weltlichkeit für den Polenkönig, hier verpflichtete nichts zu dank-
barer Gastfreundschaft, am wenigsten für Schützlinge der Ungarn, die seit
fast 200 Jahren als Landes-Peinde so sicher im bösen Gedenken der Kämter
waren, wie es jetzt noch die Franzosen wegen ihrer Fusiladen und GiJ-
gen sind.
Während allen Lebens-Beschreibungen des Königs in den verschie-
denen Werken übereinstimmend der Faden ausgeht mit dem ungarischen
Aufenthalte und dem Jahre 1080 und beiläufig den nächsten Monaten dar-
nach, schwirren die Jahrzahlen für das kämtisch-tirolische Nachspiel in so
buntem Wechsel auseinander und greifen mutwilliger Weise bis in das Jahr
1069 zurück, wo Boleslaw doch erweislich an der Spitze eines Heeres frisch-
gemut vor und in Kiew stand, dass schliesslich auch das Vertrauen auf jede
einzelne andere Date erschüttert werden muss. Das hängt eben mit dem
Zuge der, von Strebern ausgenützten geistlichen Annalistik zusammen, die
Klöster möglichst uralt zu machen und mit auffallenden, sonderbaren
Ereignissen auszustatten. Wie St. Lambrechts Gründung auf 983 (richtig
1104) versetzt und eine unzugehörige Urkunde aufgezeigt worden ist, so
"* Bertholdus S. 302, 306, 311, JafiF^ Monnmenta Gregoriana S. 365. Büdinger,.
Ein Buch Ungar. Gesch. S. 77. A. Huber I 229.
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BOLESLAW n. VON POLEN. ^23
hat man auch des ungarischen Königes Salomo Nachleben nach Admont
versetzt, in des obersteierischen Klosters Diensten habe er 24 Jahre dahin-
gebracht, als Hirt, und sterbend dem Abte sich entdeckt. In Wirklichkeit
ist er nach der Schlacht der Ungarn gegen die Byzanter bei Kuln ver-
schwunden im Jahre 1087, lebend seit 1051, indess Admont erst 1134
gegründet worden. (Salomo würde demnach als 83-jähriger Greis Hirt
geworden sein, wozu doch im gemeinen Leben etwas jungendlichere Kräfte
gehören, er würde als 107-jähriger im Jahre 1158 gestorben sein.) Es hat
aber nachweisHch Salomo's Gemahlin Sophie 1088 mit kirchlicher Gewähr
den Herzog Wladislaw von Polen geheiratet. Anderseits leitet den Salomo die
Sage über die Donau, lässt ihn als Pilger zu Stuhlweissenburg erscheinen,
als Wald-Einsiedler bei Pola in Istrien und dort wird auch sein Grab ge-
zeigt. ^^*^ Admont und Pola, die Wahl geht hinreichend ins Weite ! Es ist
überhaupt ein merkwürdiger Zug jener Zeiten, dass sie so viele landflüch-
tige Fürsten aufweisen. Ausser den schon vordem Angeführten flüchteten :
die Söhne des ersten Boleslaw mit ihrer Stiefmutter, Herzog Boleslaw
Rotbart von Böhmen zu Heinrich von Schweinfurt 1002, dann zu Boleslaw
nach Polen, seine Brüder Ulrich und Jaromir nach Deutschland, Markgraf
Heinrich von Schweinfurt selber nach Böhmen, Swatopolk von Kiew zu
Boleslaw I. vor 1017, Otto, der Bruder Mieczislaws H. von Polen, nach
Ungarn zu König Stephan 1031, die ungarischen Fürstensöhne B^la,
Andreas, Levantha nach den Höfen von Prag und Krakau um 1032,
Stephans von Ungarn Neffe zum östreichischen Markgrafen, Stephans
Witwe Gisela ins Kloster nach Regensburg, Aba zu den Cumanen, Prinz
Andreas nach Russland, Bela nach Polen (1041 — 46), Herzog Konrad von
Baiem zu König Andreas nach Ungarn, König Salomo zum Cumanen-
Fürsten Kutesk, Geiza H. nach Polen, Salomo zu König Heinrich (1053 — 74)
Genug! Zur Erfindung weiter Fluchtfahrten konnte also die Geschichte
der Thatsachen wohl einladen ; letztere bezeugen aber einstimmig das
Fehlen einer Hausmacht und des geringsten Ansatzes zu einem stehen-
den Heere.
Endlich möchten wir auch betreffs der eigenartigen Frage, ob denn
ein Königs-Enkel und König jener Zeiten wirklich so spurlos verschwinden
konnte, das Rätsel seines Todes ungelöst hinterlassend, diese Möglichkeit
bejahen durch die Vorfallenheiten weit jüngerer Zeiten, welche die Schleier
je höher hinauf desto dichter weben. Würde indess in unserem Falle bis
in die Vagh-Gegenden, wo ja König Boleslaw zuletzt geweilt haben mochte,
der Name seines letzten Asyls geklungen haben, halb gehört, unverlässlich
"* Engel I 185 Fessler I 79 Note 1. L. Istria 1848 No. 11. A Huber I 318. Ka-
tona n 505. Klein-Fessler I 178. Majlath I 80. Krones II 74.
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824 BOLESIiAW n. VON POLEN.
aufgeschrieben, so konnte das ein ungarischer oder polnischer Ort sein
des Klanges wie Osand (Biliärer Gespannschaft), Osar (Szathmäj), Osera
(Tolna), Osgyan (Hont), Osiek, Oszikov (Säros), Oszikow (Galizien, Sandec),
Osoj (Szolnok), Ossiek (Pfarre und Edelhof bei Jaklo), Osyk (Essek), um
mit der heimatlichen Ossa, dem Nebenflusse der Weichsel im Nordteile
des Eeiches zu schliessen.^^® Hier möchten wohl die ungarischen Historiker
das letzte Wort zu reden haben, denn in ihrem Lande hat doch allem
Anscheine nach das Leben des polnischen Kriegsmannes ohne kirchlichen
Abschluss geendet. Und das ist auch, seinem historischen Charakter ge-
mässer.^^'.
Die gegenwärtige Untersuchung schien notwendig um der historischen
Wahrheit im Allgemeinen willen, dann aber auch um die Gründe für und
gegen die Legende (welche selbst, sowie sie ist, nicht annehmbar «cheint),^^*
der Gewinnung der Wahrheit halber soviel als möglich zu verdöptlichen,
die Widersprüche in der Sage selbst gegenüber den ausdrücklich anders-
artig bezeugten geschichtUchen Thatsachen aufzuzeigen, femer uiä der
gedankenlosen Nachbetung seit drei bis vier Jahrhunderten einerseits, ien
in der Verneinung zu weit gehenden Gelüsten anderseits ein 2iiel zu setzt?i.
die farblosen Halbheiten der Unsicherheit zu vermindern und endlich dii!
zugehörigen, noch bestehenden Denkmäler von Kunst und Handwerk ins
rechte Licht zu setzen.
'*• Raflfelßberger Geogr. Lex. IV 2.
*^' So tritt uns auch der Ktlline im Schlüsse des Kloster-Gedichtes entgegen:
Audacem si oalce premes, tunoiulo ille resurget
Teque petet ferro, quo pridem ad Tartara misit
Agmina mille virüm, Beges domuitque superbos.
Unica victorem prostravit femina tandem,
Femina Diva tarnen : nee enim mortalibus armis
Mars tantuß superandus erat. Vis nomina Divse?
Fortuna est.
^" Nach Fr. Görres «Die histor. Kritik und die Legende • (Sybels Hist.-Zeitsch.
18S7, 57, 21. S. 2J2) ist nicht jede Legende für die Historie wertlos, muss man nicht
achtungslos an Legende und Sagenstoff vorbeigehen, widrigenfedls würde man der
Scylla der Gegenkritik zum Opfer fallen.
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DIE BRNTE ÜNOARN's IM JAHRE 1891. ^25
DIE ERNTE UNGARNS IM JAHRE 1891.
In der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts kam in der Gestaltung der
wirtschaftlichen Verhältnisse kein wichtigeres Ereigniss vor, als die rapide
Abnahme der Gretreide- Preise, welche im Jahre 1882 begann und fast
während eines Jahrzehnts mit einer dem schleichenden Fieber gleichen-
den Krise an der Landwirtschaft zehrte. Die Alchimisten und Wahrsager der
Nationalökonomie befragten das Horoskop und obzwar hinsichtlich der
Feststellung der Grundursachen die Meinungen abweichend waren, herrschte
bezüglich der Endfolgerungen doch eine ziemlich gleiche Ansicht und es
wurde allmählich zum unumstösslichen Axiom, dass die niederen Getreide-
Preise durch einige geringe Schwankungen zwar auf eine kurze Zeitdauer
einigermassen erhöht werden können, jedoch wäre es ünklugheit, auf die
früheren hohen Getreide-Preise zu rechnen. Die Ereignisse schienen die
Prophezeiungen zu rechtfertigen. Lange Zeit hindurch güch jede Hausse-
Bewegung, z. B. jene im Sommer des Jahres 1888 in Folge der misslichen
Weizen-Ernte Frankreichs, einem Sommerregen und verschwand ohne
Spuren zu hinterlassen ; trotzdem erhöhte eine unerwartete Wendung die
Getreide-Preise von der niedersten Stufe mit einemmale bis auf jenen Punkt,
wo dieselben am Anfang der 1880er Jahre standen; einige Monate ersetzten
den Verfall von nahezu zehn Jahren.
Diese Umgestaltung der Preise wird im allgemeinen mit der ungün-
stigen Ernte des laufenden Jahres begründet. Wäre dies wahr, so würde die.
Zunahme nur eine kurze Zeit hindurch, ein Jahr oder, wenn auch die Ab-
nahme der Vorräte in Anbetracht gezogen wird, höchstens einige Jahre hin-
durch andauern. Wenn man jedoch die durch das Ackerbau-Ministerium
veröffentlichten Daten über die Ernte der Welt im Vergleiche mit dem Vor-
jahre einer genauen Prüfung unterzieht, so findet man, trotzdem dass die
Ernte Eusslands und Frankreichs ohne Zweifel viel zu wünschen übrig lässt.
dass die .Ernte der ganzen Welt noch immerhin nicht so ungünstig war, dass
dieser Umstand eine hinlängliche Erklärung geben würde für die immense
Zunahme der Preise. Man kann sich vielmehr jener Ansicht anschliessen,
dass die Gestaltung der niederen Getreide-Preise keine natürliche war; es war
dies keine Folge der Ueberproduction, sondern jener ungewissen und zer-
rütteten Lage, welche durch die schutzzöUnerischen Massnahmen der mäch-
tigen Nationen verursacht wurde ; hieraus kann es erklärt werden, dass der
erste heftige Stoss schon im Stande war die durch künstliche Mittel geschaf-
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82« DIE ERNTE UNBARN's IM JAHRE 1891.
fene nnnatürb'che Lage umzustürzen. Besteht diese Voraussetzung, so ist ^üie
neuerliche Abnahme der Getreide-Preise nicht zu befürchten und es wird
nicht mehr jene mit den Gesetzen der wirtschaftlichen Production contro-
verse Erscheinung auftreten, dass nämlich die Preise der wirtschaftlichen
Producte beständig und consequent um viel mehr sanken, als jene der
industriellen Producte. Eine weitere Garantie bilden für die Zukunft die mit
den mitteleuropäischen Staaten begonnenen Zollverhandlungen. Grelangen
diese zu einem günstigen Abschluss, so wird dieser umstand auf die Bestän-
digkeit der Preise zweifellos von günstiger Wirkung sein. Für die Landwirt-
schaft Ungarns kann daher der Anbruch besserer Tage erwartet werden ; es
hängt allein von uns, von unserer Lebensklugheit ab, ob wir diese günstige
Lage gehörig auszunützen im Stande sein werden.
Die Landwirtschaft Ungarns machte während des letzten Jahrzehntes
unbestreitbar grosse Fortschritte, dieselbe befindet sich aber noch immer
nur am Anfange jenes We^es, welcher zur internen Bewirtschaftung führt ;
jedoch nicht nur ausschliesslich landwirtschaftliche, sondern auch staatliche
und socielle Gesichtspunkte empfehlen es dringend, dass dieser begonnene
Weg in je kürzerer Zeit zurückgelegt werde. Die landwirtschaftliche Production
Ungarns kann bei einer rationellen und internen Bewirtschaftung minde-
stens um 50^0 erhöht werden; diese Zunahme, im Geldwerte 100 Millionen
Gulden, würde nicht nur für die begüterte Classe voi^ Nutzen sein, sondern
es würde davon auch auf die Arbeiterclasse ein Teil entfallen, auch würde hie-
durch der Agrar-Socialismus, dessen Hydrahaupt sich schon an einigen Orten
erhob, bekämpft und auch die Auswanderung gehemmt werden, welche von
Tag zu Tag gefährlichere Dimensionen annimmt.
Eine Hauptbedingung des Fortschrittes ist aber die genaue Kenntniss
der wirtschaftlichen Zustände und der Agrar-Verhältnisse. Niemals war es
von grösserer Wichtigkeit als eben jetzt, dass die bisher vernachlässigte
Agrar- Statistik nach allen Richtungen hin ins Leben trete und mit mög-
lichster Gründlichkeit und Eile durchgeführt werde. Die Frage der Belastung
des Grundbesitzes ist schon seit einem Jahrzehnte in Schwebe]; früher war
dieselbe mit unüberwindlichen Schwierigkeiten verbunden, gegenwärtig aber,
gleichzeitig mit der Redigirung der Grundbücher, bietet sich die beste Gele-
genheit, dieselbe mit Erfolg zu lösen. Wäre es nicht zweckmässiger, auf diese
Art die Einhebung der Daten über die Verteilung des Grundbesitzes zu ver-
suchen, welche Daten zwar vielleicht auch der Datenmenge der Katastral-
Arbeiten entnommen werden könnten : es tritt aber die Frage auf, ob es der
Mühe wert ist, auf schon halbwegs verjährte Daten eine so immense Arbeit
zu verwenden? Uebrigens kann aus den Daten des Steuer- Katasters die
Verteilung des Grundbesitzes nicht genau festgestellt werden, und wenn es
auch möglich wäre, so wäre dies unzulänglich. Aus dem Gesichtspunkte der
wirtschaftlichen Production ist die Kenntniss der Ausdehnung der Land-
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DIE ERNTE TJNOARN's IM JAHRE 1891. 827
wirtschaften viel wichtiger^ als die der Grundbesitze ; dies könnte jedoch
nur durch eine neue Datensammlung erreicht werden, durch welche nicht
nur die Anzahl und Dimension der einzelnen wirtschaftlichen Zweige fest-
zustellen wäre, sondern es müsste auch ein Unterschied gemacht werden
zwischen der häuslichen, pachtmässigen oder auf Halbteil ausgegebenen
Bewirtschaftung. Dies ist auch darum wichtig, weil bei Berechnung der Ernte-
Ergebnisse (wollen wir möglichst verlässliche Daten erzielen) auch diese
Unterschiede in Betracht zu nehmen sind.
Dass die gegenwärtige Ernte-Statistik nicht in jeder Hinsicht vollkom-
men entspricht, dies wurde schon an einem anderen Orte betont ; es befassten
sich auch die Zeitungen öfters mit dieser Frage, manchmal auch mit grosser
Uebertreibung. Unserer Ueberzeugung nach ist die Bedingung der Vervoll-
kommnung bei den Landwirten Ungarns zu suchen, denn ohne eifrige Mit-
wirkung und ohne warmes Interesse dieses Factors wären alle Beformver-
suche unnütz ; die Art und Weise sowie die Bichtung dieser Mitwirkung an-
zugeben, bildet natürlich die Aufgabe des Centrums. Bei Feststellung der
Ernte können nach zwei Bichtungen hin Fehler vorkommen, nämlich bei
der Nachweisung des Gebietes der einzelnen Getreide- Gattungen oder bei
der Angabe der durchschnittlichen Production per Joch. Als Ergänzung
unserer an einem anderen Orte dargelegten Ansicht sei hier erwähnt, dass
wir zwar bezüglich der bebauten Bodenfläche die jährliche Datensammlung
für sehr wichtig und notwendig halten, um aber für diese eine sichere
Grundlage und ein entsprechendes Maass für den Vergleich und für die
Controle zu gewinnen, wäre es notwendig, dass der Flächen-Inhalt des mit
verschiedenen Getreide-Gattungen bebauten Gebietes alle 5 oder 10 Jahre
mit grösserer Genauigkeit und mit einem grösseren Apparate festgestellt
werde. Gleichfalls müsste man auch für eine Controle der durchschnittlichen
Production bedacht sein; diesbezüglich wäre es am zweckmässigsten, in
einzelnen Gegenden einzelne Landwirtschaften als typische zu bezeichnen
und in diesen das Ergebniss der Ernte mit der grössten Pünktlichkeit fest-
zustellen, was dann für die Verlässlichkeit und Bichtigkeit der regelmässigen
Datensammlung den Probierstein bieten würde. Im Falle die durch die lei-
tenden Persönlichkeiten der Creditgenossenschaft des Pester Comitates an-
gestrebten genossenschaftUchen Fruchthäuser sich verwirklichen sollten,
würde durch diese Institution zur Sammlung der Productionsdaten (wenn
auch nur das leitende Comitat des Landes betreffend) ein sehr beachtens-
wertes Mittel geboten werden.
All dies sei nur nebensächlich erwähnt, denn obzwar es mit dem Ge-
genstand dieser Abhandlung im Zusammenhange steht, gehört es streng
genommen doch nicht hieher. Zur Mitteilung der diesjährigen Ernte-Ergeb-
nisse schreitend folge hier zunächst die Ausdehnung der im Herbste des
Jahres 1890 und im Frühjahre des Jahres 1891 bebauten Bodenfläche im
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828
DIE EBNT£ UNGABN S IM JAHRE 1891.
Vergleiche mit der bebauten und factiseb abgeernteten Bodenfläche des
Vorjahres :
Die im Jahre 18891/90 Dm + oder — 4er
Abgeerntete bebaute Bodenfläche im Jahre 1890/91 be-
Bebaute Bo-
denflfiche Im
Jahre 1689 90
Bodenfläche
im Jahre
1889/90
denflärhe im abKMrntete Boden- der im JahielSSS/W
Jiüue 1890/91 fläche behüten «.«näber
in Hectaren
1 . WinterweizeD
2,878.095
2.839.388
2,941.386
4-38.707
+6.3.291
2. Sommerweizen
139.827
3.017.922
139.311
143.231
+ 516
+ 3.404
Weizen zusam.
2,978.699
3,084.617
+39.223
+6<j.695
3. WinteiToggen
1.070.i52
1,054.467
1,0U.304
+ 15.985
—26.148
4. Sommerroggen
31.096
31.096
33.869
—
+ 2.773
Roggen zusam.
1,101.548
1,085.563
1,078.173
+ 1. "1.985
—23.375
5. Wintergerste
89.714
89.383
85.733
+ 331
— 3.981
6. Sommergerste
933.787
917.786
979.280
+ 16.001
+ 45.493
Gerste zusam.
1,023.501
1,007.169
1,065.013
+ 16.332
+41.512
7. Winterreps
84.345
82.238
47.828
+ 2.107
—36.517
8. Sommerreps
3.846
881.91
3.805
2.837
+ 41
— 1.009
Beps zusam.
86.043
50.665
+ 2.148
—37.526
9. Hafer
1,013.188
993.054
1,026.910
+ 20.134
+ 13.722
10. Spek ...
3.339
3.318
3.138
+ 21
- 191
11. Halbfrucht
155.553
153.814
153.581
+ 1.739
— 1.972
Der Unterschied zwischen der bebauten und abgeernteten Bodenfläche
zeigt die Grösse des durch Elementarschäden vernichteten Anbaues. Im
Jahre 1890 richteten Elementarereignisse nicht viel Schaden an, ja sogar
beim Beps, einer sehr heiklen Pflanze, war die abgeerntete Bodenfläche nur
um weniges geringer als die bebaute. Für das Jahr 1890 — 91 ist nur die be-
baute Bodenfläche bekannt, auf Grund dessen wurden die Productionsvor-
ergebnisse berechnet, welche demnach noch eine bedeutende Aenderung
erleiden werden. Die der diesjährigen Ernte als Grundlage dienende
Bodenfläche zeigt im Vergleiche mit dem Vorjahre beim Weizen, Sommer-
roggen, bei der Sommergerste und beim Hafer einige Zunahme ; beim Bog-
gen, bei der Wintergerste, beim Beps, bei der Halbfrucht und beim Spelz
hingegen eine geringere oder grössere Abnahme. Besonders namhaft ist die
Abnahme bei dem Winterreps, als Folge der vorjährigen abnormen Wit-
terungsverhältnisse ; wegen der grösseren Dürre konnte in vielen Gegenden
kein Beps angebaut werden und als Ende Oktober die regnerische Zeit ein-
trat, war es für den Anbau von Beps schon zu spät. Die Abnahme bei der
Bodenfläche der übrigen Winterproducte kann ebenfalls den verspäteten
Herbstarbeiten zugeschrieben werden ; desto auffallender ist es aber, dass die
Bodenfläche für Winterweizen, welche von Jahr zu Jahr zunimmt, auch im
vorigen Herbst eine Zunahme aufweist. Ob dies der Wirklichkeit entspricht,
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DIE ERNTE UNGABN*S IM JAHRE 1891. 829
wagen wir nicht zu behaupten ; der Wahrscheinlichkeit nach hätten die für
die Wintersaaten beispiellos ungünstigen Witterungsverhältnisse auch bei
dem Weizengebiet eine Beaction verursachen müssen ; nach den amtlichen
Daten trat jedoch keine Beaction ein. Die Zunahme der Sommersaaten steht
nicht allein mit der Abnahme der Wintersaaten im Zusammenhange, son-
dern ist teilweise auch damit begründet, dass der Anbau, welcher während
des Winters zu Grunde ging, im Frühjahr mit Gerste oder Hafer ersetzt
wurde. Laut Bericht des Ackerbau-Ministeriums gingen 20 bis 25^/o des
Winterroggens zu Grunde, was beiläufig 208 bis 260 Tausend Hectaren ent-
spricht. Diese Summe gelangt in der Zunahme der Sommersaaten nicht zum
Ausdrucke, ausser dass hiedurch bei den übrigen Sommerproducten (als
Mais, Erdäpfel etc.) eine grössere Zunahme verursacht wurde. Man hätte
meinen können, dass die Landwirte die zu Folge des verspäteten Anbaues
und der Fäulniss während des Winters verursachte Abnahme bei dem Win-
terroggen mit Sommerroggen ersetzen werden ; dies traf jedoch auch nicht
ein, denn obzwar die Bodenfläche für Sommerroggen in diesem Jahr etwas
grösser war als im Vorjahre, so ist dieselbe noch immerhin viel kleiner als
in den Jahren 1888 und 1889. In Ungarn ist es im Allgemeinen nicht zweck-
mässig, die zwei hauptsächlichen Brodfrüchte im Frühjahre anzubauen ; der
Sommer- Anbau wirft gewöhnlich eine viel geringere Ernte ab, als der Winter-
Anbau ; gerade das laufende Jahr kann als eklatantes Beispiel dienen, denn
obzwar sich die Witterungsverhältnisse für den Winter- Anbau ungünstig, für
den Sommer- Anbau hingegen sehr günstig gestalteten, so gab trotzdem der
Sommerweizen und Boggen, abgesehen von einigen Ausnahmen, keine so
gute Ernte als die W^intersaat.
Die vorliegenden Daten über die Ernte des Jahres 1891 sind noch
nicht als endgiltig zu betrachten, es muss von diesen nicht nur der durch
Elementarschäden vernichtete Anbau in Abrechnung gebracht werden, son-
dern es können dieselben auch dadurch eine Aenderung erleiden, dass einige
wirtschaftUche Berichterstatter ihre Berichte bisher noch nicht einsandten
und durch die später einlangenden Berichte das Ergebniss in einzelnen
Bezirken einigermassen beeinflusst werden kann. Eine Uebersicht der Ernte
des Jahres 1891 von den wichtigeren Getreidegattungen gibt comitatsweise
nachstehende Tabelle :
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S30
DIE ERNTE UNGARN S IM JAHRE 1891.
Winter-Weizen
Sommer-Weizen
Win
ter-Roggen 1
1 M
Boden- Gesanunte * « |
Sil'
Landesteil,
Boden-
Gesammte » P
Produetion S c 4*
Boden-
»^1
Gesammte G^r\
Produetion e § •
Comitat
fläche Produetion S'^^V
in Hek- SMS
flicbe
in Hek-
fliehe
in Hek-
uren
taren
Hektoliter
Hektoliter
Hektoliter
X. LinkM DonMofbr.
[ 1
1 1
1
,
1. Arva . . .
365 3.170' 8-68
14
118 843
1.252
11.093 8-85
i. Bare
26.952 371.669 13 80
656
11.219 20*18
9.785
114.392 11^
3. EBztergom ,..
13.998 274.151 'l9-59
22
487 19*86
6.121
79.521 12*99'
4 Hont
25.220 ' 529.451 2(H)9
341
5.038 14*77
12.007
173.032 14*41
5. Lipt6 .. .
189 2.921 15-46
63
1.043116*56
2.527
36.5:« 14*46 1
6. N6grkl
35.706 519.599 14*55
699
11.693 16-73
29.154
292.584 lOKH,
7. Nyitra ...
34.559 621.032 17-97
3.278
55.536 16-94
44.067
577.667 1311 !
8. Pozsony.
41.207 571.259 1386
729
8.385 11-50
33.209
397.175 11-96
9. Trenos^n .
6.747 105.719 ,15-67
2.136
25.442:11*91
10.904
105.897 9*71
10. Tur6cz ...
766 7.404 9-95
51
326 6*39
5.595
40.406 ! 7-22 .
11. Zolyom
Zusammen
5.553 72.856 13- 12
594
7.356 12-38
6.448
56.030 S-69
191.262 1 3,079.231 1610
8.483
126.593 15*00
161.069
1,884.330 11-70 '
n.EeohtesDonftiiTifer.
i
i
1. Baranya ..
55.%1 1,05:1679 18-83
1.886
41.771 22- 15
15.158
141.409 9.33
2. Fej6r
67.949 951.176 14-00
385
4.750 12-.34
16.959
209.734 112-.37
3. Oyör
23.583, 342.621 1453
459
5.121 U-16
ia470
137.540110*21
4. Eomi^rom
41.936 500.894 11-9*
555
8.410 1515
18.835
128.655 ; 9-30 1
5. Moson
24.598 451.659 1836
123
2.oa5 16-:«
10.624
161-202 1517
6. Somogy
79.412 1,217.598 ;i5-33
365
5.928 16-24
43*833
56a705 12-86
7. Sopron ...
43-734 990.684 22*65
711
15.695 22-07
22.751
462.551 20^^
8. Tolna
52 875 702.240.13-28
454
5.263 il 1-59
15.252
178.766 11-72
9. Vas
63.944 1,108.307 1733
480
8.476 17 66
57.001
730.408 12-81
10. Veszpr6m .
42.666 1 593.168 13*90
155
2.401 15-49
3a971
416.319 12-^
11. Zala ...
Zusammen
46.729 708.:»3 1516
1.174
14.513 12-36
51.782
617.905 11*93
543.387, 8,620.419115 86
6.747
114.333 16-95
294.636
3,748.194 12-72
m. IXonau-Theiii-
Beoken.
1 1
1. B4c8
259.840 4,381.571,16-86
1.095
19.306 il 7 63
6.301
76.402 1212
2. CsongrÄd.
83,5aS 1,358.965; 16*27
1.727
16.144! 9*35
18.335
i6aoi9 , 8-69 ;
3. Heves
65.%9 948.316 14*38
667
9.397 14*09
12.667
143.751 11-35
4. JÄsz-N.-K.-Sz.
147.7731 2,308.056 15-62
4.287
65.798 15*85
10.648
184.964 17-37
5. Pe8t.P..S..K..K.
Zusammen
107.141 1,476.174 13*78
2*280
24.885 11 16
136-648
1.297,677 , 9-50
664.256110,473.082 15*77
10.006
135.5^0 J13-54
184-599
1,862.803 |IOi39
IV. Rechte! Theimfer
'
'
1. Abauj-Torna
31.228 428.7291 13*73
546
6.135 11*24
22.312
250.381 11-22!
2. Bereg ...
18.162 222.701 12*26
285
3.255 11*42
7.844
103.802 1:^-23;
3. Bowod .. ..
43.120 625.357 'l4-50
1.345
17.894 13*30
16.220
227.969 14-<»5
4. Gömör
22.088 315.971 14*31
1.295
18.993 14*67
13.759
112.665 8-19
5. SÄros ...
7.405 92.233 1£* 46
839
10.580 12*61
14.815
130.857 8-83
6. Szepes
331 4.608 13-92
49
688 14*04
10.996
1.31.198 11-93
7. Ung .. ...
16.451 250.310 1521
188
2.836 15-08
10.966
171.088 15-60 \
8. -^empl^n...
50.818 612.808 12*06
4.978
54.162 10-88
32.248
404.910 12-56 :
Zusammen
189.603 2,552.717 |l3-46
9.525
114.54311203
129.160
1,532.870 11-87 t
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DIE EBNTE UNGARN 8 IM JAHRE 1891.
831
Somi
Boden-
fläche
in Hek-
taren
ner-Boggen
W
Boden-
flache
in Hek-
taren
inter-Geruiü
Soi
Boden-
fläche
in Hek-
Uren
oMner-Gerste
Hafer |
Oe-
aaminte
Produc-
tion
iil
Sil
il
Auf einen Hektar
entfallende Dureh-
8ehnitt8-Production
Oesammte i e
Production ' s a ■
'!al
Hektoliter
Boden-
fläohe
in Hek-
taren
Gesammte
Production
Iil
II
"Hektoliter
HektoUter
HektoUter |
124
1
1.138 9-18
5-338
56.791
10-65
25.051
220.398
8-80
568
7.946 ■13-99
77
2-394 31-09
26.799
365.053
13-62
7.364
187.822
25-54
—
_ —
127
2.310 18 19
11.087
237.822 21-45
5.052 144.751 28-65 1
142
2.291 16- 13
235
4.734 ^14
11.201
227.259 20-29
9.619
219.225 22-79
527
8.076 15-32
253
3.924.15-51
7.976
135.336 16-97
8.713
165.883 1904
327
2.721 8 32
205
3.114115-19
18.338
301.329 16-43
10.334
207.780 20-11
1.895
26.053113-22
3.084
56.059 1818
77.174
1,617.794 20-96
20.204 458.838 22*71 1
1.351
11.774' 8-72
1.265
18.812 'l4-87
59.804
1,093.756 19-13
11.144
249.139 22-36
1.360
14.005 10-30
544
9.322 17-14
33.499
573.351 |17-12
24.937
404.059 16-20
189
1.860 9-84
187
3.575 19-12
3.611
53.513 14-82
5.121
104.804 20-46
550
4.775 ! 8-68
402
5.462 13-59
4.309
55.181 12-81
9.271
169.868 18-27
7.033
79.639 11-32
6.379
109.706 17-20
259.131
4,717.185
18-20
136.800 2,532.067 18-50
1.109
13.257 j 11-95
5.406
91-312 16-89
6.457
130.523
20-21
19.781 i 526-932 2664
105
750 714
1..H68
26.389 19-29
29.304
481.758 !l6-44
25.422 804.986 I3I-66
57
495 8-68
52
1.260 2423
14.948
807.302 ;20-56
6.588 1 142.317 21 60
20
198! 9-90
1.314
29.310 22-31
24 693
426.478 |l7-23
17.6381 381.396 21-62
9
120! 13-33
188
3.695 19-65
25.700
593.595 23- 10
4.479 130.450 2912
1.222
19.797 ,16-20
2.323
45.370 19-53
29.653
508.475 17- 15
22.1661 617.988 2788
573
8.500 14-83
1.555
43.297 |27-84
28.864
739.386 25-62
11.328 1 404.002 35-68
183
6.449 13-35
1.096
25.321 |23-10
20.904
363. 18(> 17-37
15.166 436.606 '28-79
141
1.518 10-73
1.263
15.756 |l2-48
24.417
531.471 21-77
27.699 772.131 127-87
339
5.237 115-45
196
2.956 15-08
28.778
462 862 '16O8
13.033 i 336.689 2583
1.536
18.957 12-34
1.916
26.809 13-99
21.497
414.795 19-80
13.955
380.014 23-65 1
5.294
75.273
1422
16-677
311.475^19-28
255.215
4,959.8:^1 19-43
1
177.250
4,883.413
27-55
280
2.817
1006
13.285
327.374 24-64
17.719
314.6:^1 17-76
116.723
3,315.866
28-41
—
- 1 _
2.324
46.143 19-85
14.745
330.131 22-39
6.775 i 165.507 24-43 1
173
1.806 10-44
599
11.481 ;i9-17
21.302
358.307 16-82
8.370
191.408 122-87
81
1.269
15-67
4.584
65.9^2 14 39
33.569
621.151 18-50
14.7.S3
408.813 27-75
379
3.548
9-36
4.467
100.860 22-58
60.308
1.018.341 16-89
40.952 890.028 121-73
913
9.440
10.34
25.259
551.800 21-85
147.64:^
2,642 561 17-90
187.553 4,971622 126 51
1 1
136
1.339
9-85
148
2.432 16-43
22.386
:i93.226 17-57
13.613 281.886 20-71
547
6.002
10-97
212
2.269 10-70
2.487
23.463 9-43
15.067 238.292 15 48
147
2.107
1433
774
10.915 1410
19.154
313.841 16-39
9.068 206.384 2276
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7.170
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2.688 14 93
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131.048
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156.227
2,759.254
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DIE ERNTE UNGARN 8 IM JAHRE 1891.
Winter-Weizen
Sommer-Weizen
Winter-Roggen
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2. Bihar
116.573
1,788.831 15-35
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3. Hajdu __. ...
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17.799
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4. Mirmaros
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5. Szabolcs. . .
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3. Kra986-Ször6ny
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57.510 il5-o7J
4. Temas
188.719
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1
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25.972
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4. Csik
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8.541
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16-83
6. HArom8z6k
10.616
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21-72
7. Hunyad
22.940
340.046
14-82
14.913
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8.834
142.362 1611
8. Kis-Küküllö
16.296
176 428 10-83
116
1.215 10-47
3.216
40.959 12-74
9. Kolos -._
23.174-
357.584 15-43
17.344
238.383 13-7t
12.027
168.107 13-98
10. Maros-Torda
19.666
247.378 12-58
3.619
41.650 11-51
4.646
58.207 12-53
11. Nagy-Küküllß
24.16i
337.816 13-98
91
1.505 16-54
4589
88.888 19-37
12. Szeben ..
19.4458
282.aS3 14-53
1.794
23.242 112-96
2.733
51.573 il8-87
13. Szolnok-
Doboka
14,688
122.358 8-38
8.483
99.152 11-69
5.279
78.192
14-81
14. Torda-Aranyos
16,272
132.3.n 813
14.143
160.283 ll-a3
5.158
54.901
10-64
15. Udvarhely .
Zusammen
13 908
130.328 9-37
86
1.043 12-13
4.973
74.286
14-04
229.941
2,945.596 |12-81
77.940
951.149 12-20
95.198
1,581.599,
16-62
Hauptsumme
2,941.386
4^,242.417 15-38
143.231
1,814.136
12-66
1,044.804
13,118.759
12-56
Im Jahre 1890
2,839.388
50,565.997 17-81
139.311
l,598.9a3
11-48
1,054.467
17,274.612
16-:i8
« 1889
2,762.963
31,689.148 11 -47
147.869
1,269.629
8-59
1,035.449
12,.^2a786
1210
• « 1888
2,615.076
45,848.311 17-53
154.964
2,031.790 13-11
1,059.797
14,350.545
13-54
• 1887
2,625.117
49,550.971 18-88
151.464j
1,869.827 12-35
1,088.483
17,592.544
1616
• n 1886
2,607-292
1
:^.681.619
13-80
156.738]
1,56.3.815
9-98
1,090.913
12,835.664
11-77
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DIE KRHTE UNOARN 8 IM JAHBB 1691.
833
Sommer-Roggen
Winter-Gerste
Sommer-Gers1
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Oesammte
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Hektoliter
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1.865
13-71
2.479
51.564 ;20-80
29.120
613.813
21-08
16.406
381.599
23-26
1.312
20.228
15-42
2.721
56.387 p36
22.727
421.939
18-57
26.097
568.772
21-79
632
6.275; 9-93 1
4.692
60.090 •l2'81
17.861
366.387
2051
7.316
179.428
24-53
734 ' 7.970
10-86
13
* 198 15-23
1.591
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17.482
231.055
13-22
2.170! 21.456|
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891
15.990
17-96
14.972
308.084 20-58
12,4«8
350.773
28-10
343 4.985,1 4-63 1
1.418
2a671
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4.314
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18-96
378 2.451
6-48
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9.215
15-86
1.493
19.628 13-15
11.194
238.760
21-33
19 23012-11 1
81
987 12-191
390
5.602 ,14-36
5.595
74.744
13-36
5.724
65.460
11-44
12.876
217.102
16-90
92.468
1,823.551
19-72
118.090
2,433.047
20-60
482
7.466
15-49
2.215
59.687
26-95
10.947
254.209
23-22
18.780
550.628
29-32
40
630
15-75
1.299
27.975
21-54
13.620
277.620
20-38
5.641
172.203
30-53
i 880
12.131
13'78
681
12.770
18-75
1.172
22.590
19-27
21.827
500.048
22-90
1 478
7.056
14-76
4.566
88.985
18-40
7.933
157.136
19-81
32.516
846.098
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I 494 ; 7.940
16-08
9.071
194.011
21-39
27.642
591.567
21-40
48.313
1,137.149
26-25
1 2.3741 35.222
1
14.84
17.831
378.428
21-22
61.314
1,303.122
21-25
122.077
3,205.126
26-25
!
661 1 7.727
11-69
384
4.388
11-43
299
3.869
12-94
4.431
83.442
18-83
96 1.328
13-83
27
441
16-33
1.184
19.476
16-46
11.472
319.008
27-81
90 2.040
22-67
—
—
—
6.693
147.421
22-03
2.621
69.805
26-63
291 4.837
16-62
13
222
17-08
4.641
96.028
20-69
10.528
228.236
21-68
1 367 5.149
14-03
390
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21-05
1.374
28.593
20-81
7.014
181.375 '25-861
31 79
26-33
176
2.910
16-53
6.134
98.300
16-03
10.382
212.533
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1.7a5| 28.06«
16-18
345
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20-65
1.018
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20-96
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252.390
22-15
78
1.105
14-17
79
1.238
15-61
273
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16-00
2.438
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19-27
789
10.895
13-81
1.113
23.792
21-38
3.327
70.624
21-23
10.628
206.708
19-46
285 1 3.87213-59
114
1.435
12-59
2.143
32.796
1530
10.074
200.022
19-86
21 33H16-00
59
8:^ 14-17
103
1.228
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198.870
26-31
1 -^
6.299119-09
45
553 Ü2-29
646
7.854
12-16
6.312
147.712
27-81
564
8.53dl5-12
327
5.042
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1.067
14.546
13-68
19.661
395.879
2014
1.2591 10.966i 8-70
195
3.043 15-61
3.034
49.634
16-36
5.828
120.175 20-62
196.390120-48
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10
170 il700
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1
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1,026.910
23,643.063
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46.644
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34.027
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520.079
485.270
353.993
1318
9-47
11-32
14-26
10-54
89.383
B7.222
89.735
72.754
74.469
1,827,751
1,182.047
1,678.838
1,627.146
1,104.074
20-45
18-55
18-71
i2-37
14-83
917.786
919.279
891.640
931.345
969.750
16,8ia994
10,981.456
14,219.866
18,008.571
12,239.808
18-33
11-95
15-95
19-34
12-62
993.054
1,017.823
1,045.122
1,046.593
1,063.431
18,776.578
15,378.523
19,916.964
21,672.427
19,379.447
18-90
15-11
19-06
20-73
18-40
Ungarische Rerne, XI. 1891. X. Heft.
53
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Bebauto
Bodenflache
Gesanirate
Produktion
Durchschnittliche
Production per
Hektar
Hektar
Hektoliter
HektoUiar
3.138
40.597
12-94
153.581
2,180.613
14-20
47.8^28
545.563
11-41
3.84(»
53.303
13-86
^^ DIB BBNTE UNGARN's IM JAHRE 1891.
AuRser den in dieser Tabelle ausgewiesenen Producten ist in den amt-
lichen Ausweisen auch der Spelz, die Halbfrueht sowie der Sommer- und
Winterreps enthalten. Wegen Mangels an Raum wurden diese Producte in
obige Tabelle nicht aufgenommen ; die Endresultate sind :
Spelz ,
Halbfriicht _
Winterreps . ._.
Sommerraps „. . .
Die Production von Spelz und Sommerreps ist ganz unbedeutend, die
Halbfrucht ist auch nur in einigen CJomitaten von Belang. Der Winterreps
ist eine ziemlich wichtige Handelspäanze und gedeiht dieselbe, so ergibt sich
daraus ein schönes Erträgniss. Die durchschnittliche Repsemte per Hectar
des Jahres 1891 kann nicht als ungünstig betrachtet werden, obzwar dieselbe
um vieles geringer ist als jene des Jahres 1890 ; jedoch wurde, wie dies schon
angeführt war, im Herbste des Jahres 1 890 eine viel geringere Bodenfläche
mit Reps bebaut als im Vorjahre, der strenge Winter verursachte auch viel
Schaden, so dass die Repsernte des Jahres 1891 kaum eine halbe MiUion
Hectoliter erreichen dürfte. In dem Zeiträume vom Jahre 1880 bis 1889
betrug die Ernte von Winterreps 402,763 bis 1.612,231 Hectoliter.
Die übrigen Producte in Augenschein genommen, kann bei dem Win-
terweizen eine gute Mittel-, beim Roggen eine schwache Mittel-, bei der
Gerste eine gute, beim Hafer hingegen eine ausgezeichnete Ernte constatirt
werden. Es darf jedoch nicht ausser Acht gelassen werden, dass die mitge-
teilten Ergebnisse nicht als endgiltige zu betrachten sind ; nach Abrechnung
der durch Elementarschäden vernichteten bebauten Bodenfläche, wird sich
bei den ausgewiesenen Ergebnissen eine namhafte Abnahme kundgeben.
Das Ackerbau-Ministerium schätzt die vernichtete Bodenfläche bei dem Wei-
zen auf 3 bis 5"/o, bei dem Roggen auf 20 bis 25%, wahrscheinhch kommt
in beiden Fällen eher das Maximum als das Minimum der Wirklichkeit am
nächsten, denn es richteten ausserdem, was der strenge Winter vernichtete,
auch die häufigen Hagelschläge und orkanartigen Stürme sehr viele Saaten
zu Grunde, so dass die gesammte Weizen-Production (Winter- und Sommer-
weizen zusammen) auf nicht mehr als 45 Millionen Hectoliter veranschlagt
werden kann, die Roggen -Production aber auf nicht mehr als 10 Millionen ;
demnach würde die Weizen-Production des Jahres 1891 die durchschnitt-
liche Production der vorangegangenen o Jahre um 5 bis 600,000 Hectohter
übertreffen ; die Roggen-Production hingegen ist um 5.2 Millionen Hectoliter
gerniger als jene der früheren 5 Jahre, was einen sehr fühlbaren Abgang
bedeutet.
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DIE BRNTE UKGARN's IM JAHBE 1891.
835
Landesteil,
Comitat
(^esammte Weizen-Production im Jahre
1887
1888
1889
1890
1891
Dorchschxiittliohe Weizen-
Prodoction per Hektar im Jalure
1887 1888 I 1889 I 189
I
18901 1891
Hektoliter
a) Linkes Donamifdr.
1. Arva
2. Bars
3. Esztergom _._
4. Hont. .._
5. Lipt6
6. N6gr4d
7. Nyitra . . . .
8. Pozdony . .
9. Trencsdn
10. Turöcz
11. Z61yom. ..
Zusammen
b) BeohtotDonaimfer.
1. Baranya ._.
2. Fej6r . . .
3. Györ _ —
4. Kom&rom . .
5. Mo8on
6. Somogy
7. Sopron
8. Tolna . ...
9. Vas . . _..
10. Veszpr^m . .
11. Zala ., _ .
Znsammen
0) DonaaTheiss-
Beoken.
1. B&C8-Bodrog .
2. Csongr&d
3. Heves . _ . .
4. J&sz-N.-K.-
Szolnok . ...
5. Pegt-Piüs-Solt-
Eifl-Kun , .
Zusammen
d) BeohtesTheisBofer.
1. Abauj-Toma .
2. Bereg
3. Borsod .
4. Gömör
5. Saroa
6. Szepes
7. üng . .
8. ZempI6n __.
Zusammen
974
469.699
288.019-
414.386
2.599
581.908
799.482
686.499
109.864
17.293
101.5881
2.968'
350.359
311.409
543.469
2.854
438.533
669.580
726.157
87.881
11.782
a3.401
2.210
388.647
218.332
314.294
1.566
511.181
493.686
428.076
85.055
10.002
89.110
3,472.311 3,208.3931 2,542.159
I
2..S34
2.
301.648!
252.377
387.720
1.576
649.312
567.311
595.246!
106.295|
11.179
60.5991
;-27
19-27
8.170
371.669 18-
274.151
529.451
2.921
519.599 16-28
I
819.347
1,416.891
452.143
713.821,
465.112
1,624.397
922.2551
1,212.8581
1,019.666
727.724
670.881
10,045.095,
4,932.824
1,437.218
1,110.425
2,420.158
9.38.167
1.308.797
352.057
726.186
422.595
1,55.M44
840.269'
1,149.604
934.709
705.1241
716.237
9,648.889
874.554,
909.249^
304.086
503.911
291.273
1,285.419
645.076'
828.921!
872.056
547.964j
603.569
2,935.597)
1,033.183
1,457.850
414.540
750.296
466.510
1,617.228
944.450
1,115.414
1,241.482
835.019
876.483
16-1321-62
17101309
12-26
62l.032b2-75|l9-83
16-04,18-27
14-2911-35
404 15-09 10-731
85611 9-47|lO-12|
571.259
105.719
7..
72.
3,079.231
679 17
7,696.078|10,742.455
1,063.1
951
342.621
500.
451
1,217.
990.
702.
1,108.307
593,
708.;
176 21-92
,894 17-06
.659 18-
598 22
684 21-
.240 22-
8,620.41919
5,054.9081 2,918.6801 4,785.160| 4,381.571
l,134.750i 622.467: 1,512.431' 1,358.96518
763.885 604.606 1,178.97^ 948.316121
1,325.444 1,387.9661 2,898.568| 2,308.05618
11,943.63010,008.239; 6,714.502 12,166.986 10,473.08i 19-8rvl7-68|ll-06!l902 1577
2.048.005 1,729.252 1,180.783 1,791.8481 1,476.174 18-92!16-961212;16-7^1S 78
549.147
190.547
682.271|
355.356)
72.5371
203.838'
752.298
407.6541
263.521
588.223'
267.283
89.280;
4.031 !
123.170
584.290
192.511|
149.800
372.347
276.457
78.037
.5.685|
162.133
381.2321
581.408
170.678
833.621
3:^6.087
91.486^
4.013
245..30^
751.969
222.701
625.357
315.971
^92.23311
4.608 13
250.310 13'
612.808 16
9-55il3-93
13-25
22-36
6-52
13-87
16-55
!
9-971 8-<>8
11
17
12-5914-53 20-99
7-49| 9
13-6417
14-64
10-21
10-98
10-43
15-16
17-92' 16-86 13-07 14-9216- 10
019
IS-SO
19 59
15'46|
14
1610I17-97
13
14-90|l5-67
10-
11
9-95
13-12
16818-00
,393 16
4ito.729|l8-54il4-27 677 18-65|l3-7fi
-1516-28 9-46 92712-2^
-2916-14 9-62204414 50
»•16141114-6018-22U-il
-86jl2-13|ll-ll.;J-55jl-2 4<)
J-44 18-3221-37 14-75'i:.I»2
J-31J 8-69Jll-86t4-3o!ir.21
-51|13-72| 8-0l|l5-80ilJ-(m
2,810.294 2,327.462 1,618.202| 3,014.57l| 2,552.7 17|l(V69 14-1 5 9-49116-69 Li 161
53'=
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836
DIE BBNTB UNGABN 8 IM JAHBE 1S»1.
Landesteil,
Gomitat
e) Linkei TheiMofer.
1. B^68 _
i. Bihar .
3. Hajdn . . - -
4. MikTinaroB ..
5. Szabolos . .
6. Szatmiur .
7. SzilÄgy.
8. Ugoosa
Zusammen
/; Theiia-Xtfoi-
B«ok«]i.
1. Arad
2. CsanÄd
3. Krassö-
SzörÄny . .
4. Temes . -
5. Torontü
Zusammen
g) SiebenbfirgeB.
1. Als6-Feh6r .
i. Beszteroze-
Na8z6d . .
3. Brassö
4. Csik
5. Fogaras
6. H&romsz^k
7. Hunyad ...
8. Kis-KüküUÖ
9. Kolozs
10. Maros-Torda.
11. Nagy-Küküll6
ii. Szeben . .
13. Szolnok-
Doboka . ..
14. Torda-Aranyos
15. Udvarhely..
Zusammen
Hauptsumme
DorchflchniUliche Weisen
Prodaction per Hektsr im Jahre
1887 1888 1889 '1890 1891
Hektoliter
2,4^.281
1,885.851
699.966
6.785
631.334
899.885
29'.>.479
57.547
1,774.020
1,537.896
622.421
6.761
434.008
787.448
419.9141
61.260|
I
806.809^
1.136.8361
331.807'
6.796
272.426
572.783^
210.595
99.329
1,889.696
1,759.879
84a478l
10.055|
658.788
837.288
312.283!
141.480
r.238 23
40119
18-5715
18-27
1,677.:
1,788.831
574.304
7.304
471.452 18-71
867.4452 1705
304.762 14-61
96.408
6.911.128 5,643.718 3,437.381 6,452.947 5.787.761
1,662.545 1,680.334 1,297.394 1,423.815
867.374) 1,007.582
I
606.7221 662.4141
2,880.5031 8.247.552|
5J60.185 5,025
;i84;
492.2271 934.496
458.833. 601.663
l,964.76l| 2,944.163
3,576.191| 6,139.317
1,841
1,101.
.878 21 -7319 41 13-50.17-27 18o7
91818-71il917l 8-7617-08I18-73
947.985115
3,165.4^ 18
4,726.40Jgl
11,977.32^11,623.016; 7,789.406
164.855 439.095
101.244
125.090|
26.893|
28.96oi
115.833
142.4541
134.990|
264.509
192.3311
371.939|
229.768
43.46411
I
192.797 348.254' 287.099
I
146.272
123.360
40.088
46.135
217.229
228.287
252.129
307.733
217.641|
399.679!
327.186'
32.892
98.283
38.304
32.5741
124.484
136.9481
118.389;
23.342
48.374
165.885|
26a422
203.290J
386.985
225.6631
325.925i
337.117!
229.942 177.704
102.501 236.9651
159.875 229. 101 1
108.570
85.003
109.857
122.358 15
212.393|
233.195| 132.337
180.805| 130.:^
2,391.184] 3.388.604 1,891.420 3,209.987' 2,945.596 12*55 16- 181 9K)6! 14-56 12-81
49,550.971 45,84«.31 1)31,689.148 50,565.99745,242.4171
70 8-1&18-841.V76
1510-26;i5-6«15-35
1 1-23 12-
15-
15-
18-
8-4010-
16
11-79
13-16
12-:«
•43 7 6S17-63
52|ll-99ll3-02
57| 7-8117-25
75|111115-82!l4-96
45i 8-6712-25!l210
4313-501 l-65|l0-91
19-2916-771 9-2616-53I14-38
39|14-50 9-5^12-94 17-9C
48ll9-1611-36|16-83|l6-77
42il7-9311-72|l9-79il4rd
12,043.464111,783.611 20*07 18-31 1 1 -48| 18-01 1 16*37
I
8-8218-811 8-5214-13:1 1-06
86.228| 9-90 13-901 d-48ll2-98| 8 54
141.765 19-52^^20*85]15-55|21-32!21*79
31.651 11-6913-95 12-95il 98 1319
58.521113-21 14-41 14-7314-67115 51
l'20-19il 2^16-81120-08
9-38j 12-37 10-67'12-7914-8i
.448|lO-44 17*64 7-68jl3-0l!l0-8a
.584|l4-02]1611 9-28|l6*o4il5-43
l-41|12*6a 6-25|l 1-82 12-58
816|16*60 16-78 9*63i 13*651 13-98
ll*83ll8*06ll4-53
213.129 12*28
340.046
176.^
367.1
247.378|1
337
282.939112*9617*41
4711*08 7*48^l3-30 8*33
9-36|l9-20J 6-72;l6*79 8-19
328|l3-88i 18-09! 8-57il3-5oi 9-37
18-88il7-53!ll-47 17-81,15-381
Die Ernte des Winterweizens (das Hauptproduct Ungarns) wahrend
der letzten 5 Jahre nach einzehien Comitaten ist in vorstehender Tabelle
ausgewiesen.
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DIE ERNTE UKGAIU^'s IH JAHRE 1891.
837
Obzwar im Allgemeinen die Ernte von Winterweizen nur eine mittel-
mässige war, gestaltete sich dieselbe in einigen C!omitaten doch zu einer ausge-
zeichneten, z. B. im Comitate Oedenburg ; in diesem Gomitate ist zwar die
Ernte von Jahr zu Jahr günstig, doch war dieselbe noch nie so gut als
eben in diesem Jahr. Dieses Jahr kann aber getrost als das Jahr der Extreme
betrachtet werden. In einzelnen Comitaten war die Weizen-Ernte eine sehr
missliche, z. B. unweit vom Comitate Oedenburg im Comitate Komom war
die diesjährige Weizen-Ernte noch ungünstiger als jene des Jahres 1889.
Die Ernte war jedoch nicht nur in einzelnen Gegenden eine sehr verschie-
dene, sondern ea war auch in einzelnen Gemeinden unter gleichen Verhält-
nissen die Ernte eines Besitzers günstig, die eines anderen Besitzers hin-
gegen misslich ; hieraus folgt naturgemäss, dass dieses Jahr trotz der an-
nehmbaren Ernte und hohen Preise auf das Aufblühen der Landwirtschaft
keine so günstige Wirkung ausübte, als wenn dieselbe Ernte im ganzen
Lande gleichmässig verteilt gewesen wäre.
Wie sich die Weizen-Ernte nach einzelnen Landesteilen im Durch-
schnitte der letzten 5 Jahre gestaltet ist, aus nachstehendem Ausweise er-
sichtUch :
Im Durchschnitte der Jahre 1887—91.
Landesteil
1. Linkes Donauufer
2. Rechtes Donaunfer _.
3. Donau-Theiss-Becken
4. Rechtes Theissufer ._.
5. Linkes Theissufer
6. Theiss-Mavos-Beoken
7. Siebenbürgen ._
Zusammen
Abgeerntete
Bodenflache
in Hectaren
Fnaueirte
Menge
Dnrohselmittliohe
Produotion per
Heotar
Hectoliter
I93.4U
3,047.538
15-76
539.500
9.350.587
17-60
615.724
10,261.288
16-67
174.705
2,464.647
1411
371.742
5,646.587
15-19
659.882
11,043.363
16-74
211.829
2,765.358
13-05
2,756.796
44,579.368
1618
Die grösste Durchschnittsproduction weisen die Gomitate am rechten
Donauufer auf; grosse Unterschiede kommen zwar nicht vor unter den ein-
zelnen Landesteilen, nur das rechte Theissufer und Siebenbürgen bleiben
stark zurück. Aus landwirtschaftlichem Gesichtspunkte ist übrigens die obige
-Gliederung des Landes nicht ganz richtig, denn es gelangt hiedurch der
Unterschied zwischen Tiefebene und Hochebene nicht zum Ausdrucke.
Wenn auch die diesjährige Ernte (mit Ausnahme der Boggen- Ernte)
der Menge nach eine genügende war, so lässt deren Qualität viel zu wün-
schen übrig; schwerer Weizen kam nur hie und da zum Vorschein, hingegen
häufig ganz leichter Weizen schlechter QuaUtät. Dies gelangt auch zum
Ausdrucke bei dem durchschnittlichen Gewicht der Production des ganzen
Landes:
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J
S38 DIE ERNTE UNGABN's IM JAHBE 1891.
Durchschnittliches Gewicht
eines
Hectoliten
1 in Kilogrammen
im Jahre
im Juble
im Jahre
im Jahn
im Jahre
1887
1888
1889
1880
1891
Winterweken . ... _
79-7
791
76-7
78-8
77-5
Sommerweizen . _ ...
74-7
76-2
730
74-8
75-9
Halbfrucht
740
73-4
72-2
74-9
730
Winterroggen ... ..-
721
71-4
71-3
72-3
706
Sommerroggen ... , .
69-2
69-7
68-6
70-7
70-0
Wintergerste
64-4
64-4
62-9
64-5
62-7
Sommergerste
64-8
64-3
63-3
64-6
62-8
Hafer
44-3
43-8
43-4
44-4
43-7
Winterreps
68-6
69-9
67-8
68-5
G6-0
Sommerrepe . _ ...
66-6
68-0
65-8
67-6
66-2
Da die Producta Ungarns dem Gewichte nach in den Handelsverkehr
gelangen, teilen wir im Nachstehenden die Hauptergebnisse der Ernte des
Jahres 1891 auch nach dem Gewichte mit, im Vergleiche mit den Daten der
vorangegangenen 4 Jahre :
Es wurde producirt in Meter-Centnem
im Jahre 1887 im Jahie 1888 im Jahre 1889 im Jahre 1800 im Jahr« 1801
Weizen ... .. 40,882.834 37,831.203 25.235.886 41,119.389 36,448.199
Roggen ... 13,020.914 10,610.426 9,237.837 12.783.495 9,632.167
Halbfrucht . 2,358.192 2,036.393 1.454.866 1,886.247 1,59.1018
Gerste 12,712.116 10,219.938 7,695.855 12,069.020 12,30.5449
Hafer ... .. 9,592.269 8,719.835 6,671.616 8,219.533 10,352.945
Reps ._ ... 311.195 531.414 293.761 823.900 380.594
Die diesjährige Weizen-Ernte nähert sich der Ernte des Jahres 1888,
die Boggen-Emte übertrifft nur um weniges die schwache Ernte des Jahres
1889 und wenn die durch Elementar-Ereignisse verursachten Schäden in
Abrechnung gebracht werden, so bleibt dieselbe noch unter jener des Jahres
1889, die Gersten-Ernte war um nicht vieles geringer als die glänzende
Ernte des Jahres 1887, die Hafer-Ernte hingegen so ausgiebig, dass bisher
nur in einem einzigen Jahre (1882) eine ähnliche vorkam.
All dies s.usammengefasst, gab das Jahr 1891 eine leidlich mittel-
mässige Ernte ab. Einzelne, ja sogar ganze Gegenden täuschen sich in ihren
Hoffnungen auch in anderen Jahren und obzwar in diesem Jahre sich
mehrere täuschten, aln gewöhnlich, kann trotzdem für das ganze Land das
Ergebniss der diesjährigen Ernte nicht als ein ungünstiges betrachtet werden,
hauptsächlich nicht aus dem Grunde, weil der Landwirt diesmal seine Ernte
um einen solchen Preis verwerten kann, von dessen Höhe er schon seit
langer Zeit nicht einmal zu träumen wagte. Einen grossen Vorzug bildet es-
für Ungarn, dass wir zufolge der misslichen Ernte Eusslands an den deut*
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DIE ERNTE UNGABN's IM JAHRE 1891. 839
sehen Märkten neuerdings jene wichtige Stellung erobern können, welche
Ungarn am Anfange der Sechziger Jahre inne hatte und von welcher wir
während der Siebziger Jahre traurigen Angedenkens verdrängt zu werden
anfingen. Die Frage ist nur, wie viel Ueberfluss für den Export zur Ver-
fügung steht ? Diese wichtige Frage kann leider nur mit einer willkürlichen
Mutmassung beantwortet werden, weil für die Feststellung des innern Con-
sums bisher noch keine verlässlichen Daten zur Verfügung stehen. Der
innere Consum beschränkt sich zwar nicht auf eine bestimmte, keiner Aen-
derung unterworfene Menge, denn bei einer günstigeren Ernte ist sowohl
die menschliche als auch die tierische Ernährung eine bessere und es nimmt
der innere Consum zu ; ebenso fällt auch in Betracht die günstigere oder
misslichere Ernte der getreideersetzenden Producte. Es wäre jedoch sehr
wünschenswert, wenn behufs Feststellung der Grösse des inneren Bedarfes
eindringende Nachforschungen angestellt würden. Vor allen wäre der Bedarf
an Saaten-Korn festzustellen, denn die allgemeine Schätzung bietet keine
genügenden Stützpunkte. Es ist unbekannt, wie viel Percente von der Boden-
fläche der einzelnen Getreidegattungen mittelst Drill-Säemaschinen, mittelst
Breit- Säemaschinen oder mit der Hand bebaut werden; die Kenntniss hie-
von ist aber auf die erforderUche Menge von Saatenkom von grossem Ein-
flüsse. Es kommen aber auch im Kreise der einzelnen Säe-Arten in ver-
schiedenen Gegenden grosse Unterschiede vor ; es gibt Gegenden, wo der
Kleingrundbesitzer in ein ungarisches Joch (1200 Quadratklafter) nicht mehr
als 100 Liter, in anderen Gegenden hingegen auch 140 bis 150 Liter anbaut;
bei dem Anbau mittelst Drillmaschinen schwankt sogar der Bedarf für ein
ungarisches Joch zwischen 80 und 104 Liter, je nachdem der Landwirt bei
Berücksichtigung der Qualität des Bodens eine dichte oder schüttere Saat
wünscht. Auch die für menschliche Nahrung und zur Fütterung der Tiere
erforderliche Getreidemenge ist nicht genau bekannt. Die mit so grosser
Sorgfalt und Fachkenntniss verfasste Mühlen-Industrie-Statistik vom Jahre
1885 gibt trotz aller Vortrefflichkeit die gemahlene Getreidemenge nicht
genau an ; es zeigt sich eine unüberbrückbare Differenz zwischen diesen
Daten und jenen der Ernte- Statistik, wodurch klar gestellt wird, dass die
Mühlen-Industrie-Statistik der Wirklichkeit nicht nahe kommt. Auch die
Daten der auf ganz neuen Spuren schreitenden Ernährungsstatistik können
gegenwärtig nicht mehr ohne Bedenken acceptirt werden, obzwar diese Sta-
tistik, was die menschliche Nahrung betrifft, ein getreues Bild des Getreide-
Consumes gibt, da jene Daten, welche bei Berechnung des Nahrungsbedarfes
der Bevölkerung als Grundlage dienten, noch den mit Ende der Siebziger
Jahre verfassten Katastral-Berichten entnommen wurden. Es ist jedoch
bekannt, dass die Siebziger Jahre, als eine missliche Ernte der anderen
folgte, für Ungarn Jahre schwerer Prüfungen waren und dass in demselben
Maasse, in welchem sämmtliche Zweige der Volkswirtschaft in Verfall
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^^ BEITRÄGE ZÜB OBSOHICHTE DER SLOYAKISOHBK SPRACHE.
kamen, auch der Wohlstand xmd in Folge dessen die Gonsomfähi^eit des
Volkes abnahm ; die Achtziger Jahre hingegen waren zu Folge der gänsti-
geren Ernten mit einem wirtschaftlichen Aufschwung verbunden ; es kann
daher mit Bestimmtheit behauptet werden» dass während des letzten Jahr-
zehnts die in den Eatastral-Berichten beschriebenen Emährungsverhältnisse
eine gründliche Aenderung erlitten, und dass gegenwärtig schon viel mehr
Getreide consumirt wird als damals ; die Menge jedoch kann in Zahlen aus-
gewiesen nicht angegeben werden, weil nur die Daten der Getreide- Ausfuhr
vollkommen verlässlich sind, während über die Richtigkeit der Ernte-Ergeb-
nisse mehrfache Zweifel gehegt werden können, die Menge des jährlichen
Saatenkomes aber gänzlich unbekannt ist. Es wäre sehr erwünscht, wenn
die competenten Kreise sämmtliche Zweige der Agrar-Statistik einem gründ-
lichen Studium unterziehen würden und weder Mühe noch Opfer scheuend
diese Statistik als ein zusammenhängendes Gunze durchzuführen bestrebt
wären. Dr. Julius v. Vargha.
BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE DER SLOVAKISCHEN SPRACHE.*
Die Beiträge sind von zweierlei Art : ein Teil derselben steht mit der äos-
seren, der andere mit der inneren Spraohengeschichte in Beziehung. Die letzteren
sind mehr für den Philologen von Bedeutung, die ersteren können jedoch das In-
teresse des Geschichtschreibers um so mehr in Anspruch nehmen, da sie berufen
sind, auch auf bisher kaum erörterte Fragen einige Streiflichter zu werfen. Teilweise
berühren sie eine ethnographisch höchst wichtige Frage : das Yerhältniss der sla-
viscben Bevölkerung Ungarns zu den Böhmen. Bekannterweise gelangte Paul
Hunfalvy in seiner Ethnographie Ungarns zu der Ansicht, der genannte Volks-
stamm, die slavische Bevölkerung unseres Vaterlandes, sei erst später nach Ungarn
eingewandert, als nämlich die ungarische Herrschaft schon in ihrer vollen Kraft
erblüht war. Czambel nimmt dieser Anschauung gegenüber nicht direct Partei und
kann es auch nicht thun, da er, sich mit Sprachengeschichte befassend, seine For-
schtmgen nur da begii*nen kann, wo ihm positive Daten zur Verfügung stehen.
Auch diejenigen dieser Daten, die am weitesten zurückgreifen, haben nicht einen
spracbUchen, sondern politisch-geschichtHchen Charakter. Ungeachtet dessen
spricht aus mehreren Stellen seiner Abhandlung die Ueberzeugung, er betrachte
die Einwanderung der slavischen Bevölkerung in Ungarn nicht als ein Resultat der
wechselseitigen ungarisch-böhmischen Berührungen, da der Kern derselben viel
früher schon die nördUch gelegenen Comitate bewohnt habe.
* Dr. S. Czambel, Prispevhf k dejindm jazyka shv&nskeho, I. Budapest, 1887.
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Google I
BEITRÄGE ZUR GESCHIOHTE PER BLO VAEISCHEN SPRACHE. ^^
Wir können dies aus mehreren Stellen entnehmen, insbesondere wo von
Matthäus Osäk die Bede ist. So erwähnt er nach Fessler, Matthäus Csäk habe aus
Böhmen und Mähren neue Söldnerscharen in's Land gebracht und bemerkt dazu,
dies sei nach fünf Jahrhunderten der erste Fall gewesen, wo Böhmen und Slaven
auf längere Dauer (nahezu 8 — 10 Jahre) wieder zusammen sein konnten. (7. S.)
Der Yerfiasser betrachtete jedoch direct die Untersuchung dieser Umstände nicht
als seine Aufgabe imd macht ihrer in seinem Werke auch keinerlei Erwähnung.
Er will im Laufe seiner Erörterungen vielmehr eine andere, vielleicht noch wich-
tigere Frage historisch festeteUen : wie nämlich die^böhmische Sprache jene Bedeu-
timg erlangt habe, deren sie sich beim slovakischen Volke überhaupt und in der Li-
teratur desselben bis zur jüngsten Zeit erfreut ? Die Daten aus dem Zeitalter der
Ärpäden-Eönige übernimmt er grösstenteils aus Fessler und Palacky, ohne im
Stande zu sein, etwas Neues beizufügen, und legt ihnen auch hinsichtUch seines
Gegenstandes kein besonderes Grewieht bei.
Die Bedeutung der böhmischen Sprache fängt seiner Ansicht nach zu der
Zeit an, als zufolge der Begründung der Prager Universität das westliche Ungarn
in seiner wissenschaftlichen Ausbildung aus mehreren Ursachen auf Prag gewiesen
ward. Den Namen nach zu urteilen, waren unter den 128 Hörern der Bechts-
wissenschaften und der Philosophie an der Prager Universität bis 1420 die Ungarn
in überwiegender Anzahl, nach ihnen folgten die Slovaken, die Siebenbürger
Deutschen imd zuletzt die Rumänen (8. S.). So geschah es denn auch, dass einer-
seits böhmische Manuskripte nach Ungarn gebracht wurden und andererseits wieder
Einzelne in böhmischer Sprache zu schreiben anfiengen. Ein Beispiel dazu Uefert
uns eine Handschrift aus dem Jahre 1355 (im Besitze des Prager Capitels), eine
Sammlung von Glossen im Dialekte der Holicser Gegend (westliches Neutraer
Comitat), die einen Ungarn zum Verfasser hat. Ja in dem Texte einer böhmischen
cEvangeUa» aus dem Jahre 1350 finden wir sogar slovakische Worte, die uns zum
min desten ahnen lassen, auch dieser Verfasser möge ein Ungar gewesen sein.
Unter der Herrschaft des Königs Sigismund kam die böhmische Sprache sehr in
Schwung. Aus seiner Zeit nennt der Vei-fesser wenigstens 20 in böhmischer Sprache
verfasste, in Ungarn ausgegebene Schriftwerke, deren rein böhmische Sprache ihn
zu der Annahme berechtigt, die Verfasser seien Böhmen gewesen. Li noch grös-
serem Maasse wurde die böhmische Sprache durch die Hussitenkriege Sigismimd's
gehoben. Die Hussiten brachen aus Bache oft in Oberungam ein, aller Wahrschein-
lichkeit nach blieb dann eine grosse Anzahl derselben in unserem Vaterlande und
bereitete die Gemüter auf das Zeitalter Giskra's vor. Es ist auch anzunehmen,
dass sie hussitische Schriften mit sich gebracht hatten und auf diese Weise eben-
falls der böhmischen Literatursprache den Weg ebneten, denn thatsächlich tritt
die böhmische Sprache literarisch von 1440 an in Ungarn auf. Der Verfasser be-
rührt auch drei andere Manuskripte, die nach der Ansicht mehrerer vorher ent-
standen seien, doch tliatsäcbUch, wie er dies nachweist (S. 14. und 15.), später,
also nach 1440 erschienen sind.
Die Muttersprache der Hussiten eroberte sich nun überall, wo sie sich nie-
derlieseen, auch im gesellschaftliclien Leben das Terrain und wurde zufolge der
gegenseitigen Berühnmgen von den Behörden imd Gemeinden, ja sogar von der
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^^2 BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE DER 8LOVAKI8CHEN SPRACHE.
Kirche übernommen. Slovaken, denen die Sprache zufolge der strategischen Ver-
hältnisse und Handelsbeziehungen so wie aus ihren Universitätsstudien bekannt
war, unterwarfen sich dieser Neuerung sehr bald und übernahmen die böhmische
Sprache selbst in ihre Literatur. Welcher Beliebtheit sich diese Sprache bei Be-
hörden und Gemeinden erfreute, ersehen wir aus mehreren, von Czambel ange-
führten Beispielen ; so wurden die Jahrbücher der Stadt Kajec seit 1485 in höh-
misch-slovakischer Sprache geführt. Ja auf religiösem Gebiete drang sie sogar in
die katholischen Kirchen ein, ganz abgesehen von den Proselyten, die von den
Hussiten hier gewonnen wurden. Die Tronbesteigung Wladislaus 11. und das
Ansehen, dessen sich die böhmische Sprache auch im Auslande erfreute (sie bil-
dete die diplomatische Sprache mehrerer polnischer Herzogtümer), konnten auf
ihr Erblühen in Ungarn nur vom günstigsten Einflüsse sein.
Am wirksamsten wurde sie jedoch durch die Reformation gefördert. In den
vorreformatorischen Zeiten sind die böhmischen Schriften äusserst selten. Von
1500—1520 kann der Verfasser nur 3 nennen, von 1520 — 1530 schon 4, von
1530 — 1 540 bereits 12, was uns in der Annahme nur bestärken kann, dass mit dem
stetigen Vorschreiten der Reformation sich auch das Gebiet der böhmischen
Sprache allmälig erweitert habe und zwar nicht nur innerhalb der kirchlichen
Grenzen, sondern überall in Gemeinden und Städten, Comitaten und Kanzleien,
auf Edelsitzen und Königsschlössem. All diese Behauptungen werden vom Ver-
fasser mit Documenten erhärtet, die aus der ersten Hälfte des XVI. Jahrhunderts
stammen (S. 31 und 32). Wie sehr die böhmische Sprache verbreitet war, bezeugt
er uns weiter mit Daten, die er aus Istvänfy's Geschichtswerke genommen, und
die z. B. beweisen, dass der 1534-er Friedensschluss mit den Türken auch in böh-
mischer Sprache vorgelesen wurde.
Der Verfasser beschliesst damit seine Untersuchungen über die ältere Spra-
chen<?eschichte und wendet sich nun einem Schriftsteller unserer Zeit, Paulinyi
zu, der wohl in slovakischer Sprache schrieb, doch zu einer Zeit, da noch nicht
alle Fragen der Literatursprache gelöst und festgestellt waren. Wir werden ihn in
seinen Forschungen nicht begleiten, da sie mehr nur für den Philologen von In-
teresse sind. Im Zusammenhange mit dem vorher Gesagten wollen wir nur bemer-
ken, dass die böhmische Sprache dann noch mehr denn zwei Jahrhunderte hin-
durch in Ungarn allgemein verbreitet war, bis sie durch die Neuerungen Bemoläk's
(der den Pressburger Dialect zur Literatursprache erheben wollte) insbesondere
aus der katholischen Literatur verdrängt wurde.
Das Vorherrschen der böhmischen Sprache tilgt« jedoch in den Bewohnern
das Bewusstsein ihrer ethnographischen Individualität und ihrer politischen Zu-
ständigkeit keineswegs. Es sei uns gestattet, am Ende dieser kurzen Uebersioht dies-
bezüglich eine Thatsache anzuführen. Die Brewer'sche Buchdruckerei in Leutschau
gab schon im Jahre 1632 eine Uebersetzung der «Praxis Pietatisi des Comenios
heraus. Das Vorwort jedoch, von Comenius an die böhmischen Gläubigen gerich-
tet, wird den Verhältnissen der slovakischen Leser angepasst imd wo von den
Leiden und Schicksalen der böhmischen Nation die Rede ist, da setzt der Leiit-
schauer Buchdrucker einfach das Wort «uhon (ungarisch) an Stelle des «böhmi-
schen. » Wenn wir daher die Erörterungen Czambers teilweise ergänzen wollten»
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PEt6fI*S GATTIN, JULIE SZENDRBY. 843
Ixönnten wir hinzufügen, dass diese Verbreittmg der böhmischen Sprache wirklich
Thatsache sei, jedoch nur in sprachgeschichtlicher Hinsicht. Wir müssen dem
Verfasser für seine mühevolle und fleissige Arbeit volles Lob spenden, doch ist nur
zu bedauern, dass er sich mit der erwähnten Ansicht Himfalvy's nicht in dem
Maasse befasst, als dies sein Stoff erheischt hätte und als er seiner philologischen
Vielseitigkeit und geschichthchen Kenntnisse zufolge benifen gewesen wäre.
Johann Evagsala.
PETÖFI'S GATTIN. JULIE SZENDßEY.
Es ist der Name einer Frau, die im Leben tief unglückhch gewesen und der
man nach ihrem Tode selbst mitleidiges Gedenken versagte. Und doch liess sich
ihr Leben so wunderbar schön wie ein Traum an. Mit grossen Ghiben des Geistes
ausgestattet, anmutig, selbstbewusst, einer angesehenen Familie angehöiend,
beherrscht sie ihren Kreis, über den sie hoch hinausragt. Nur eine Gefahr scheint
ihr zu drohen^ unverstanden und unerkannt durch's Leben zu gehen, ohne die
Fassung, die diesem Edelsteine gebührt. Aber da gerät in ihren Bannkreis der
grösste Dichter Ungarns, Alexander Petofi ; das leidenschaftliche Mädchen und
der feurige Dichter lieben einander, sie wird seine Frau und des Dichters Liebe
und Buhm breiten eine blendende Strahlenhülle um ihre im ganzen Lande ge-
feierte Gestalt. Wurde je, denkt man, einer Frau grösseres Glück zu Teil ? Fast
scheint es zu gross für ein menschliches Dasein ; selbst ein Bruchteil müsste für
ein langes Menschenleben auslangen. Aber die Glückhchen und Auserwählten
haben viele Feinde : die Götter, die ihnen ihr Glück neiden, und die Dämonen,
die ihnen in der eigenen Brust wohnen und sie von innen zu zerstören suchen.
Sie arbeiten auch hier mit Erfolg. Der grosse Dichter wird seiner Frau nach kaum
zweijähriger Ehe entrissen ; der Orkan der Bevolution weht ihn spurlos fort, wie
ein Blatt vom Baume, das man, wenn der Aufruhr der Natur sich gelegt, verge-
bens in dem Wust der Zerstörung aufzufinden bemüht wäre ; zugleich ist auch das
Gleichgewicht ihres Wesens vernichtet ; noch ist das Jahr nicht um seit dem
Tage, an dem er vermutlich den Tod gefunden, und sie wirft den Witwenschleier,
mit ihm den gros^^en Namen Pet6fi's weg, heiratet einen bescheidenen, einfachen
Mann, anscheinend mit kühler, kluger Ueberlegung, die sie früher nie besessen
und die sich jetzt in einem Moment einstellt, da die vernünftigste Frau den Ver-
stand verloren hätte. Die Geschichte der Witwe von Ephesus wirkt nicht so
befremdend. Nun verschwindet sie aus dem Gesichtskreise der Oeffentlichkeit,
nachdem sie das Recht dazu sich so teuer erkauff. Achtzehn Jahre später stirbt
sie, auslöschend wie ein trübe flackerndes Licht, das einmal so hell gestrahlt,
nach langem Siechtum, kaum vierzig Jahre alt, ein Andenken hinterlassend,
dessen Weihe sie selbst zerstört hat. Es ist oft der Versuch unternommen worden,
den Dämon im Busen dieser gewiss nicht gewöhnhchen Frau zu ergründen, es ist
nie ganz gelimgen. Mehr als höhnische oder zornige Phrasen über Julie Szendrey
und die Frauen im Allgemeinen hat man dabei nie zu Stande gebracht. Nun hat
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844 PBTÖFl's GATTIN, JULIB SZENDBEY.
Thomas Szana über diese seltsame Franengestalt ein Werk * ▼eröflfentlicht, das
eine Sehenswürdigheit an Oesohmack und erfinderischer Schönheit ist. Unsere
besten Künstler haben den Band mit Illustrationen geziert und als Anhang sind
demselben die Gedichte der unglücklichen Frau beigegeben. Aber welch seltsamer
Contrast, diese herrliche, harmonische buchhändlerische Ausstattung, und im
Inhalt die Ldneamente eines verzerrten Lebens, die eine so schreiende Dishar-
monie bilden ! Oder ist es dem Essayisten gelungen, das Bätsei dieser Selbst-
zerstörung zu lösen und wenigstens die Harmonie der Verständhchkeit dem An-
denken der armen Frau zu retten ? Verstünden wir sie, wir könnten imsere Teil-
nahme schwerhch einer Frau vereagen, die für ihre Schwächen schwer genug
gebüsst haben muss.
Julie Szendrey wurde im Jahre 1828 in Keszthely geboren und war zwölf
Jahre alt, als sie in ein feines Erziehungsinstitut nach Pest gebracht wurde, wo nie
vier Jahre verlebte Dann kehrte sie zu ihren Eltern nach Erd6d zurück, einer
alten Burg, mit grossem Park, in der die Wohnung des rngesehenen Outsverwal-
ters sich befand. Das phantastisch veranlagte Mädchen, dessen Lieblingslectüre
die Romane der Sand und die Verse Heine's waren, zog die Einsamkeit der Gesell-
schaft, die sich ihr bot, vor und behandelte die zahlreichen Bewerber um ihre
Hand mit nicht gewöhnlicher Grausamkeit. Man gewöhnte sich bald daran, sie
als ein rätselhaftes Wesen zu betrachten, das seinen eigenen Willen hatte und
auch durchzusetzen wusste. So viel ungefähr erzählt man uns über ihre Geistes-
verfassung zu der Zeit, als sie mit Pet^fi am 8. September 1 846 in Nagy-Eirolv
im Hause einer Freundin bekannt wurde. Pet6fi war damals schon der gefeierte
Dichter der Nation und machte auf das hochstrebende Mädchen im ersten Mo-
mente einen tiefen Eindruck. Noch leidenschaftlicher erregt wurde Petöti, welcher
den Beginn seines Lebens von jenem 8. September an rechnet. Die Briefe, die sie
nach jener Zeit insgeheim mit einander wecliselten, sind nicht erhalten, nur
Juliens Tagebuch und ihre vertrauten Briefe an die Freundin sind uns verblieben;
das Tagebuch wurde noch im Jahre 1847 von Jökai in seiner Zeitschrift »Eletke-
pek» (Lebensbilder) veröffentUclit. Es ist schwer, aus Tagebüchern überhaupt und
besonders aus dem Tagebuche eines jungen Mädchens, das eine eifrige Leserin
George Sand's ist, klug zu werden. Man lese ihre folgenden Zeilen an Pet^fi : «Ich
gestehe, ich liebe Sie. mehr als irgend wen : abei' ich wage mir nicht zuzutrauen,
dass ich das auch später fühlen werde, wenn öftere Zusammenkünfte und gegen-
seitige Bekanntschaft uns vielleicht gegenseitig in solchem Lichte zeigen werden,
welches nicht geeignet wäre, unsere Liebe zu stärken. Und wenn es wahr ist, was
ein Schriftsteller sagt, dass es keinen mächtigeren Mörder der Liebe gibt, sh die
Gewohnheit. . . » Dass solche Altklugheit und ähnliches Spintisiren nicht aus dem
Herzen des achtzehnjährigen Mädchens kommt, beweist das naive Citat aus «einem
Schriftsteller» I Aber es beweist nicht, dass Julie Pet6fi nicht liebt ! Das Tagebuch
enthält eine Menge literarischer Reminiscenzen an «die unverstwidene Frau»,
* Petdfini Szendrey Julia, irta Szana Tamäs, (Julie Szendrey, Petöfi's Gattin
von Thomas Szana). Budapest, 1891, Verlag von C. Grill, 238 S. Mit Zeichnungen
von Otto Baditz, Anton NeogrÄdy, Ignaz Roskovits, Julins Stetka und B^la SpÄnyi
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PBTÖPl's GATTIN. JULIE SQÜNDBSY. 846
dann die natürliohe Zuräokhaltunf^ des jungen Mädchens, zuletzt aber doch auch
die Spuren echten Gefühls, das «ich durch das Gestrüpp ihrer Bomanbildnng Bahn
bricht. Mittlerweile hatte Pet^fi brieflich um ihre Hand angehalten, war niclit
direkt abgewiesen, aber vertröstet worden, ein Jahr zu warten, dann wolle man
weiter über die Sache sprechen. Im Eltemhause war man der Verbindung mit dem
armen und excentnsohen Dichter durchaus nicht geneigt. Als er hierauf persön-
lich erschien, um ihre Hand zu fordern, kam es zu einer erregten Scene, nach
welcher der Dichter im höchsten Zorn das Haus verliess. Auch das Mädchen bat
den Dichter, die Last des Probejahres auf sich zu nehmen. In welcher Verfassung
der Dichter sich befand, zeigt das nun folgende Intermezzo in Debrezin, wo er.
nachdem er die Schauspielerin Prielle einmal auf der Bühne gesehen, ihr schon
am anderen Tage einen Heiratsantrag machte. An dem Umstand, dass der Dichter
keinen Priester fand, der von den gesetzlichen Normen Abstand nehmen und das
Paar sofort trauen wollte, scheiterte der Plan, und sogleich für immer l Szana
bemüht sich, ans dem Tagebuche herauszulesen, dass Julie nur in Pet^fi's Ruhm
verhebt war, dass es ihr nur auf Befriedigung ihrer Eitelkeit ankam. Weiss er so
genau zu sagen, welche unserer Qualitäten die Frau zur Liebe bewegen, und soll,
wenn wir Genie besitzen, dieses für die GeUebte nichts bedeuten ? Als ob Julie im
Stande gewesen wäre, in Pet6fi den Dichter vom Menschen zu sondern ! Sie sehreibt
in ihr Tagebuch, nachdem sie von den Qualen ihrer Lage gesprochen : «Wenn Du
mich jetzt nicht liebst, Mensch, dann wird Deine Verantwortung einst schwer,
fürchterhch sein. Und doch würde ich für Dich den Himmel herunterbeten, der
Da mit nie geahnter Macht der Leidenschaft so viel Kämpfe und Qualen mir
bereitet hast ...» Das kHngt doch wie ein natürlicher Aufschrei des Herzens, der
sehnende Buf der Geliebten nach dem Gegenstand ihrer Leidenschaft. Am 27.
Mai willigt der Vater, wenn auch widerslarebend, in die Verbindung ein. Julie
schreibt in ihr Tagebuch : tAm 27. Mai begann das Glück, das die Bitterkeit eines
Lebens gut macht. An dem Tage waren wir beisammen ; seit jenem Tag bin ich
Petdfi's Verlobte.» Sollte man glauben, dass Szana Anstoss daran nimmt, dass JuHe
schreibt cPet^'s» Verlobte und nicht Sdndors Verlobte! Hätte Juhe nach
Petdfi's Tod ihr Leben würdig vertrauert, dann gälten die Tagebuchblätter heute
für den Ausdruck reinster Liebe. Jetzt liest man sie mit dem grössten Misstrauen,
das aber der Inhalt durchaus nicht rechtfertigt. Am 8. September fand die Trau-
ung statt, genau ein Jahr nach dem Tage, an dem sie sich zum ersten Male
gesehen.
Wir übergehen nun die Zeit, die das glückliche Paar zusammen verlebte.
Diesen zwei Jahren verdankt die ungarische Literatur die schönsten Lieder, in
denen je ein Dichter seine Liebe besang. Es war gewiss keine normale, spieesbüv-
gerliche Ehe. Auch hier werden einzelne trübe Stimmungen der jungen Frau in
übertriebener Weise gedeutet, als ob die glückhchste Frau, zumal mit der Feder
in der Hand, sich ewig in dem Aether reiner Glücksempfindung halten könnte.
Auch den Dichter wimdehi manchmal solche Stimmungen an, und ergreifend ist,
wie er in einem Gedichte mit prophetischer Ahnung fragt, ob sie ihm nach dem
Tode Treue bewahren werde, und dann ausruft :
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^^ PETOFl's GATTIN JULIE SZENDREY.
Doch wirfst Du von Dir der Verwitweten Scbleier,
Dann pflanz' auf mein Grab ihn als Trauerpanier,
loh steig dann empor aus dem Orabesgemäuer
Um Mitternacht, nehme hinab ihn zu mir ;
Die Thränen um Dich, die GeUebte, zu stillen,
Die leichtlich vergessen Du hast deinen Mann,
Die Wunden des Herzens damit zu verhüllen,
Das ewig Dich liebt, selbst dort noch, selbst dann !
Nach dem Vei-sch winden Petöfi's ofifenbart sich der Schmerz der Witwe in
der wildesten excentrischesten Weise. Sie irrt in Verzweiflung auf dem Schlacht-
felde umher, um den Leichnam ihres Mannes aufzufinden. Als alles vergebens ist,
reist sie mit ihrem Sohne und dessen Amme nach Klausenburg, wo sie auf eine
Spur wartet, die sie zurechtweisen soll, tienn die widersprechendsten Gerüchte
erfüllen die Luft. Ueber ihr Leben in Elausenburg bringt Szana merkwürdige
Einzelheiten. Anfangs hofift sie, dass ihr Gatte noch am Leben ist. Als diese Hoff-
nung immer mehr schwindet, sucht sie Vergessen in der Betäubung. Sie verlangt
schwere Weine von ihrer Quartiergeberin, um sich zu berauschen. Als ihr dies
misslingt, sucht sie Verkehr mit Menschen, die ihren Schmerz begreifen und tei-
len. Junge Leute versammeln sich bei ihr, es wird deklamirt, vorgelesen, viel-
leicht auch gesungen. Julie kann den stillen Schmerz nicht ertragen, sie ist eine
leidenschaftliche, energische Natur, die des Schmerzes Herr werden will. Sie
sucht ihren Schmerz auszutoben. Wer vermag aber, der JuUe nicht persönlich
kannte, ihren damaligen Zustand ganz zu begreifen 7 Sie will nach der Türkei, um
dort ihren Mann zu suchen, und compromittirt sich bei dieser Gelegenheit durch
ihren Verkehr mit einem Offizier, der ihr angeblich einen Pass verschaffen will.
Als der Offizier zuletzt allzu zudringhch wird, gewahrt sie ihre schiefe Stellung,
die durch bösartige Gerüchte schier unhaltbar geworden ist. Sie fasst einen ener-
gischen Eutschluss, der ihrem Leben eine neue Wendung giebt. Sie bittet einen
jungen Manu, den Universitätsprofeesor Arpdd Hor\ät, dessen stille Huldigungen
ihr nicht verborgen gebheben waren, sie zu besuchen. Er erscheint. Sie übergibt
ihm ein Packet, mit der Bitte, wenn, sie in zwei Wochen nicht zurückkehren,
sollto, es uneröffnet zu verbrennen. Horvät sucht sie zum Bleiben zu bewegen.
Als alles vergebens ist, bittet er sie um eine Haarlocke zum ewigen Andenken.
JuUe sieht ihn scharf an imd sagt: Das thue ich nicht, solche Andenken aus-
zuteilen war nie meine Gewohnheit. Aber wenn Sie wollen — und nun f&hrt ade
mit ihren Fingern in ihr kurz geschnittenes Haar — dann gehört das Ganze
Ihnen. Horvät, überrascht, fragt : Und könnten Sie mich lieben ? Unsere Bekannt-
schaft, antwortet Julie, ist so neu und kurz, dass von einer tiefen Leidenschaft
Tiicht die Eede sein kann. Aber ich glaube, keiner von ims wird den Schritt zu
bereuen hüben. — Und was meinen Sie, sagt Horvdt, wann soll die Hochzeit
sein, nach einigen Wochen oder Monaten ? — Wenn Sie mich Ueben, erwidert
Julie, dann morgen. Das geschah an einem Samstag. Und am Sonntag, den
21. Juli, 10 Tage vor der Jahreswende der Segesvärer Schlacht, in welcher Ale-
xander Pet6fi den Heldentod starb, fand die Trauung statt. Nach der Trauung
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PETÖFI*8 GATTIN, JULIE 8ZBNDREY. ^4f7
begleitete sie Horvät nach Hause. In der Einfahrt nahmen sie von einander
Abschied. Julie reiste den nächsten Tag nach Hause zu ihrem Vater, einen Tag
später folgte Horvät, nach 10 Tagen kehrten beide in die Hauptstadt zurück. Das
sind die nackten Thatsachen. Wer, wie Szana, Eitelkeit zum Grundzug ihres
Wesens macht, möge doch zusammenreimen, welche Befriedigung sie für diese
Eitelkeit als Witwe des grossen Dichters gefunden hätte, und welche Schmähun-
gen, die sie wohl erwarten konnte, sie nun von allen Seiten trafen. Auch jene Ver-
mutung trifft nicht zu, dass sie nun wieder eine Bolle in der Welt spielen wollte.
Die Frau des bescheidenen Horvät, die treulose Witwe des vergötterten Dicht ei-s
musste wohl jedem Ehrgeiz entsagen und ein weltscheues, zurückgezogenes Leben
führen.
Sie lebte als treue Frau ihres Gatten, als sorgsame Mutter ihres Zoltän (des
einzigen Sohnes Petofi's, der auch bald starb) und der Kinder aus ihrer zweiten
Ehe. Dass ihr Leben, an dem auch eine schwere Krankheit nagte, tief zerrüttet
war, gellt aus dem resignirten, fast leblosen Tone ihrer Briefe und aus jenem Ent-
schluss hervor, den sie ein Jahr vor ihrem Tode fasste : das Haus ihres Mannes zu
verlassen und getrennt von ihm und ihren Kindeiii zu wohnen, ein EntsclJuss,
den sie trotz der Bitten der Ihrigen ausführte. In ihrem letzten Briefe bittet sie
ihre Kinder, sich nicht der Lebensmüdigkeit zu überlassen. tWenn sie Euch
überfallt, so kämpft männlich gegen sie an, denkt an Eure arme, kranke, elende
Mutter, die, wenn Euch eine grosse Krankheit überfiele, nicht im Stande wäre,
sich in ihren schrecklichen Aengsten aufrecht zu erbalten, welche die Besorgnis»
und Furcht um Euch ins Grab stossen würde. Ich kann nicht weiter schreiben.
Gott mich Euch. » Wie kommt die Warnung vor der Lebensmüdigkeit in diesen
Brief an die Kinder und wie reimt sich diese Warnung mit der Angst vor Krank-
heiten, welche die Kinder befallen könnten ? Das sind Anzeichen eines völlig
zerrütteten Gemüths, das ist der Aufschrei einer todtmüden, sterbenden Seele.
Nicht normal war dieses Gemüt von Anfang an. Dann wurde die Frau in aufge-
regten Zeiten die Gattin eines leidenschaftlich bewegten Dichters, und führte mit
ihm zusammen ein Leben, das sie weit aus dem Geleise des bürgerlichen Daseins
warf. Alles war ausserordentlich um sie herum, ihr Leben, die Zeit, beider Den-
ktmgsart. Nun folgte der furchtbare Schlag, das grässhch geheimnissvolle Ver-
schwinden des Dichters, der Wirbelwind ihres tobenden Schmerzes, der sie nicht
zur Buhe und Besinnung kommen hess. Kann man da die Motive ihrer Thaten
mit der Krämerwage abwägen, überhaupt nach den Satzungen der reinen Vernunft
beurteilen? Wie, wenn inmitten ihres haltlosen Lebens es ihr als eine Art von
Paradies erschien, an der Seite eines einfachen, bürgerUchen Menschen die Euhe
und Stille der bürgerlichen Existenz zu gemessen ? Nie hatte sie dieses Gefühl
gekannt ; ihre UeberschwängHchkeiten hatten ihr nur Qualen bereitet, vor ihrer
Heirat mit dem Dichter, manchmal während ihrer Ehe mit demselben, und \vie
erst nach seinem Tode ! Welche Seligkeit muss es sein, ruhen zu können, still,
bescheiden zu leben ! Sie meinte sich mit einem Schlage ändern zu können. Sie
kämpfte wacker, um dieses Ziel zu eiTeichen. Aber die zurückgedrängte Leiden-
schaftlichkeit nagte an ihrem Leben und bereitete ihr einen frühen Tod am 6. Sep-
tember 1868. Was uns von ihrem Leben bekannt wurde, was Szana zusammen-
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S^ DIB QUALEN DES EBBTEN ERFOLGES.
getragen und veröfifentlieht hat, rechtfertigt wenig das verdammende Urteil, das
auch Szana, wie mitleidig er auch sonst für die Frau gesinnt iet, über sie aosprieht.
Sie war unglücklich, sie verdient unsere Teilnahme und fordert Verstandniss f&r
die ausserordentlichen Verhältnisse ihres Lebens, an denen sie zugrunde ging.
Bkrnh. Albxakdbb.
DIE QUALEN DES EBSTEN ERFOLGES.
Was mag das sein ? fragt wohl Derjenige, der's nicht weiss ; der erste Erfolg
kann doch nur Wonnen haben ! Wollen Sie also meine Geschichte anhören ! Es
möge jedoch nicht als Unbescheidenheit erscheinen, wenn ich von meinen Erfolgen
spreche, denn dieses Geständniss dient nur dazu, um einen Blick in die Seele eines
Rtrebenden jungen Künstlers zu gestatten in dem Momente, da Jedermann glaubt,
er schwelge im Taumel des Triumphes.
Es war im Jahre 1870, als ich mein Bild tln der Armensünderzelle i im
Pariser Jahres- • Salon ■ ausstellte. Ich darf, ohne unbescheiden zu sein, sagen, dass
der Erfolg unerwartet gross war. Ich war glücklich im ersten Augenblick, wäre es
doch ein Verbrechen gewesen, nicht glücklich zu sein, da ich mit 26 Jahren, am
Horizont meiner beginnenden Laufbahn, eines schönen Morgens die Strahlen der
belebenden und verheissenden Sonne des Erfolges hervorbrechen sah . . . Mein erster
Entschluss war, jetzt, einem alten Wunsche folgend, in Paris mich niederzulassen,
wohin ich mich stets weit mehr gesehnt als nach Rom, wohin ich aber so lange
nicht gehen wollte, als ich nicht sicher war, mir dort eine feste Position erobern
zu können ; die Gefahren der Pariser Verhältnisse ahnend, wollte ich mich nicht
in die Strömimg stürzen, in welcher zu schwimmen so schwer ist ... . Jetzt aber
schien mir der Augenblick gekommen, zumal nach der Eröffiiung des Salon
Goupil, der erste Kunsthändler in Paris, an die Thüre meines bescheidenen Dussel-
dorfer Ateliers pochte und alles Verkäufliche ankaufte und bestellte . . .
Um diese Freuden des Erfolges zu gemessen, kehrte ich heim ... 0, war das
gut ! . . . Meine Verwandten, die guten Freunde freuten sich mit mir, auf den
Kaiserbad-Bällen tanzten die jungen Damen mit mir um die Wette, ich wurde
von links und rechts beglückwünscht : vielleicht hatte ich nicht einmal Neider. Es
war herrlich, Alles herrhch. Nur in meinem Innern gab es eine Stimme, ein
scheues Gefühl, dessen Schwingungen im Dunkel der ruhigen Nacht meine Seele
erschrecken machten und mich selbst die schönsten Andenken der Kaiserbad-
Kränzchen vergessen liessen, wenn ich vor meinen geistigen Augen das grosse
Fragezeichen erbUckte : Was nun ? . . . Wie werde ich den Anforderungen ent-
sprechen, welche ein solcher eclatanter Erfolg nach sich zieht . . . Furcht und sozu-
sagen eine Art des Misstrauens mischte sich in meine Freuden und störte diesel-
ben . . . Ich bereitete mich eben vor, nach Düsseldorf zurückzukehren, um nach
Paris zu übersiedeln, da brach der deutsch- französische Krieg aus, dessen Ablauf
ich in Düsseldorf erwartete. Als aber die letzten Kanonen der Commune ver-
stummten, da eilte ich nach Paris, wo ich seither weile.
Ich war in der That überrascht, um nicht zu sagen erschreckt von dem In-
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DIB QUALEN DBS ERSTBN BRF0L0B8. ^ö
teresse, welches die Fi*anzo89n, Künstler und Kimstkenner, mir entgegentnigen,
und während ich glaubte, das kaum verrauschte weltersohättemde Drama habe
die Franzosen alles Andere vergessen lassen, nahm ich die lebhafteste Teilnahme
für Alles wahr, was Kunst oder irgend eine Art des geistigen Lebens war. Was
aber meine eigene bescheidene Person betraf — so erinnerten sich zwar nur
Wenige an meinen Namen, zumindest konnten ihn die Wenigsten aussprechen — ,
allein den Autor des cLetzten Tages eines Verurteiltem kannte Jedermann und je
nach seinem Temperament sprach Jedermann mit Begeisterung davon, neugierig
fiagend : was ich wohl jetzt male ... Da erschrak ich aber schon ganz entschieden
und angstvoll dachte ich daran, was ich denn mm in der That anfangen solle, um
auf der Stufe bleiben zu können, auf welche die öflfentliohe Meinung mich gestellt »
wusste ich doch, dass ich jetzt noch viel mehr geben müsse, um genug zu geben —
und dazu schien ich mir nicht fähig zu sein. Nichtsdestoweniger ging ich, als mein
Atelier eingerichtet war, vertrauensvoll und begeistert an die Arbeit. Ich war über-
rascht davon, wie Viele mich besuchten. In erster Reihe öoupil, der mich schon
in Düsseldorf ersucht hatte, ich möge ihm bei dem Verkaufe meiner Bilder die
Priorität überlassen. Dies sagte ich zu, und meinem Versprechen gemäss zeigte ich
ihm die Skizzen, die ich ausführen wollte. Es waren dies die beiden Genrebilder :
«Nachtschwärmer! und eine «FamiHenscene.» Goupil bestellte diese letztere. Von
den «Nachtschwärmern!, als einer grösseren Composition, sprach er nicht, allein
trotzdem begann ich die Arbeit an beiden Bildern gleichzeitig.
Ich machte mich mit grosser Lust und fieberhaftem Arbeitseifer an die
Sache. Alles zeigte sich günstig und verheissend. Goupil gab Vorschüsse auf das
bestellte Bild und er hätte mir alle Taschen mit Geld gefällt, - wenn ich Vor-
schuss nicht nur in dem Maasse acceptirt hätte, als das Bild fortschritt. Und es
ging rasch. . . Da mit einem Male erhob in mir die Hydra des Zweifels ihr Haupt.
Mir schien es, als sei ich auf einem Irrwege. . . . Die Besucher folgten zwar mit
lebhaftem Interesse dem Vorschreiten meiner Arbeit, allein sie sprachen stet^; mit
solcher Begeisterung über die «Armensünder-Zelle», dass ich nur noch miss-
trauischer wurde gegenüber meinem neuen Werke, und gar oft Abends unmutig
Dasjenige vernichtete, was ich tagsüber gearbeitet. Goupil zahlte weiter und als
das Bild schhessUch beendet war, hatte ich dessen Kaufpreis in Monatsraten
bereits behoben. Von Zweifeln gemartert, meldete ich Goupil, das Bild sei fertig —
er könne es holen lassen. Er kam auch Tags darauf, um es zu besichtigen. Er
machte eine kleine Bemerkung in Bezug auf die Farbe : ob sie nicht vielleicht
etwas zu dunkel sei ? — allein er that es keineswegF, damit ich das Bild um-
arbeite, denn am anderen Tage erschienen seine Leute, um es zu holen.
Allein jene Bemerkung und meine eigenen inneren Zweifel machten mich
völlig irre. Ich schauderte vor dem Gedanken, dass das Bild jetzt bei Goupil, wo
alle Künstler und Kunstkenner von Paris einkehrten, ausgestellt sein solle ! Denn
ich wusste, mit welcher Neugier ein neues Werk des Autors der «Armensünder-
Zelle» erwartet werde und ich vermeinte bereits die Ausbrüche der Enttäuschung
zu vernehmen ; wie Zentnerlast legte die moi'alische Verantwortlichkeit des ei-st^n
Erfolges sich auf meine Seele.
Niedergeschlagen sass ich meinem Bilde gegenüber und gleichsam instinktiv
Uogarisohe Bern«, XI. 1891. X. Haft. 54
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850
DIE QUALEH DBS EBBTEN ERFOLOBS.
griff ich naoh meinen Pinseln — binnen fünf Minaten war nichts vor mir als ein
Stück übertünchter Leinwand. . . . Erleichtert, als hätte ich einen Todfeind besei-
tigt, athmote ich auf. . . . Aber schon im nächsten Augenblick fiel mir ein, dass
ich ja den Preis dieses Bildes schon in EmpCang genommen, ja zmn grossen Teile
auch schon verausgäbt hatte .... Und morgen Früh wird das Bild geholt . . .
Was gebe ich den Leuten ? Ich hatte eine schlimme Nacht, zumal es mir damals
noch keineswegs so gut ging, dass ich GapitaUen hätte ersparen können — and
nun hatte ich statt 20,000 Francs Verdienst, ebensoviel Schulden.
Nur der Gedanke, dass meine Niederlage vertagt sei und die Hoffaung aiif
den Erfolg der • Nachtschwärmer» beruhigte mich und als am Morgen die Leute
Ooupils knmen, um das Bild zu holen und ich ihnen nichts geben konnte, da
ging ich dann selbst zu Goupil, um ihm zu sagen, was geschehen sei.
Er hieltl meine Skrupel für übertrieben, allein deren Motive würdigend,
fügte er sich darein, dass ich von neuem beginne.
Vorläufig ging ich aber an die Ausführung der « Nachtschwärmer ■ und als
dann eine und die andere Figur von dem dunkeln Grunde sich abzuheben begann,
da fasste mich eine Art Begeisterung und ich dachte freudig an die Genugthuung,
die mir dieses Werk schaffen sollte. Die Arbeit schritt auch tüchtig vor und ich
verbrachte in meinem prächtigen und bequemen AteUer, über Vergangenheit und
Zukunft reflektirend, selige Stunden. . . .
Von Paris hatte ich noch sehr wenig gesehen, denn bei meiner Ankuuft
überstieg der Arbeitsdrang die Neugierde, und einmal in Arbeit versunken, stillte
ich den mitunter erwachenden Selbstvorwurf über meine Gleichgütigkeit damit,
dass ich ja doch noch lange Zeit hätte, und so kommt es, dass ich selbst heute,
nach zwanzig Jahren, ein herzlich schlechter Cicerone in Paris wäre.
Ich arbeitete mit ausserordentlicher Passion und folgte eine Zeit lang ohne
Selbstkritik, mit wahrem Feuereifer und vollem Vertrauen meinen Gefühlen, und
als das Bild Fortschritte machte, war ich erstaunt darüber, dass Goupil noch kei-
nerlei Anträge stellte .... Ich hatte jedoch einen andern Käufer, dem ich es, da
Goupil nicht darauf zu reflectiren schien, auch verkaufte. Dies beruhigte mich aus
dem pekuniären Gesichtspunkte über das Schicksal des Bildes, aber die Frage des
moralischen Erfolges — die Hauptsache I — blieb I . . . .
Nach etwa sechswöchentlicher Arbeit war das Bild in jenes Stadium gelangt,
wo die Glut der ersten Begeisterung sich zu legen und die ruhigere Kritik — die
Thätigkeit der Inspiration controlirend — au£sutreten beginnt . . .
Ich begann mich selbst zu kritisiren und Misstrauen fasste mich an ; ich fing
au, den Glauben an mich zu verlieren und einzelne Valeurs, Figuren zu ändern.
In diesem Stadium hätte ich die Arbeit im Stiche lassen und mich ein paar Tage
zerstreuen sollen . . . Die Notwendigkeit dessen empfindend, stürzte ich mich auf
Paris und dessen Merkwürdigkeiten — Zerstreuung und Inspiration von diesen
erhoffend. Allein die endlosen Galerien des Louvre betäubten mich unl meine
•Nachtschwärmer! stellten sich zwischen meine Seele und die unsterblichen Werke
der Rubens und Rembrandt . . . Gar bald zog mich eine unwiderstehliche Gewalt
an, eine fieberhafte Aufregung erfasste mich und ich flüchtete — zur Arbeit. Ich
wollte mich nicht controliren und, ganz meinen Empfindungen hingegeben, arbeitete
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DIE QUALEN DES ERSTEN EBF0LGE8. ^51
ich mit wahrer Begeisterung — bis zum Abend. Als mit dem Anbruche der Däm-
merung abermals die Kritik gebieterisch hervortrat, schien mir's, als lalle die Fi-
gur, an der ich arbeitete, förmlich aus dem Bilde heraus. Ich löschte sie aus und
stand in Brüten versunken, bis die Schatten des Abends die Leinwand meinem
Blicke entzogen . . .
Es ist ein unbeschreibliches Geföhl, wenn in solchem Falle die Nacht die
Hand zur Unthätigkeit zwingt, während sie den Geist zu umso lebhafterer Thätig-
keit drängt ; man kann der qualvollen Frage, die Einem vorschwebt, nicht ent-
fliehen und sie verfolgt uns durch die ganze schlaflose Nacht . . . Gar viele solcher
Nächte habe ich zugebracht, ganze Wochen der peinvollsten Unzufriedenheit und
zumeist zerstörte ich am Abend, was ich den Tag über geschaffen. In qualvoller
Ungewissheit glaubte ich weder Anderen, noch mir selbst, und doch hatte ich eine
fixe Idee. Ich sah das Bild in tadelloser Vollendung vor mir, aber ich konnte mich
diesem Ideal nicht nähern ; ich durchfühlte das geheimnissvolle Morgengrauen, die
Atmosphäre, in welcher meine Figuren sich bewegen mussten, die einzelnen Cha-
rakfcere und Typen — all das lebte in meiner Seele — allein sobald mein Pinsel sie
auf di# Leinwand warf, erkannte ich sie nicht mehr. Ein furchtbarer Kampf des
Geistes und der Materie! Unter geänderten Umständen freilich hätte ich mich mit
dem Resultat sofrieden geben können, allein die hochgeschraubte Ambition zwang
mich zu solchen Ansprüchen mir selbst gegenüber, dass ich nicht im Stande war,
de zu erfüllen • . .
Der Eigentümer des Bildes, meine Kämpfe sehend, hegte auch nicht die
geringsten Besorgnisse ; ihm gefiel dasselbe und er that Alles, um mich zu veran-
lassen, dass ich die Arbeit für einige Zeit einstelle ; er bot mir allerlei Zerstreuung,
ich aber konnte ihrer nicht froh werden. Einmal gelang es ihm, mich zu einem
Ausflüge nach Versailles zu bewegen, und das in sehr angenehmer Gesellschaft.
Es wäre herrlich gewesen, würden nur jene • Nachtschwärmer» zuhause geblieben
sein — allern sie kamen Alle mit und quäHen mich derart, dass ich mit dem näch-
sten Zuge heimeilte. Ich glaubte, es sei Inspiration . . . Täuschung I . . . Meine Auf-
regung hatte einen Grad erreicht, dass ich unfähig war, ein Detail ruhig zu been-
digen und so zu urteilen . . . Ich fühlte, dass mein Nervensystem in völliger Auf-
lösung begriffen sei ; fiebernd erwartete ich den Morgen, und so hoffte ich jeden
Morgen und war jeden Abend wie vernichtet. Ich war dem Wahnsinn nahe. (Man
begann auch bereits zu flüstern, Munkäcsy sei übergeschnappt.) Alles ward mir zur
Last. Mir fiel ein, dass ich bereits mehr als 20,000 Francs Voorschuss auf das Bild^
hatte, eine Schuld, die mit dem Preise von GU>upU'8 Bild mehr als 40,000 Francs
betrug — imd ich war unfähig zur Arbeit . . . Das kostspielige AteUer, meine
Lebensweise, all das legte sich mir wie eine furchtbare Last auf die Seele ; ich
sehnte mich nach meinem bescheidenen Düsseldorfer AteUer zurück. Aber wo gab
es einen Ausgang aus dieser Sackgasse ? ! Ich glaubte, der feste Wille könne Alles
überwinden, auch mich selbst ; mit verzweifelter Kraft ging ich abermals an die
Arbeit, da aber gelangte ich bis zu einem Grade, dass, als ich die Palette zur Hand
nahm und an die Arbeit wollte, ein fieberhaftes Schluchzen mich befiel und mich
unfähig machte, auch nur zu denken. Nachts verfolgten mich die Schreckbilder der
überreizten Phantasie ; ich sah Alles verloren und fühlte einen solchen Abscheu
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^^2 DIB QUALEN DES ERBTEN ERFOLGES.
vor dem Malen, dass ich allen Ernstes damn dachte, meine Kunst ganz auf-
zugeben . . .
Es war gerade der Erßte des Monats. Mein Kunsthändler brachte die fallige
Eate für das Bild : dreitausend Francs. Ich nahm sie nicht und erklarte, dass ich
das Bild nicht beendigen könne, da ich nicht mehr malen werde. . . . Der Mann
erschrak, allein er wollte dann das Bild sehen und als er es voll Interesse betrach-
tete, sagte er ruhig, es sei kein Fehl daran. Concepiion und Stimmung seien sehr
schön — ich solle nur irgendwohin gehen, mich ausruhen und alsdann hübsch
langsam weiterarbeiten.
Ich glaubte, der Mann spotle meiner und mein ganzep, vernichtetes Sein
war ausgedrückt in dem liefen schmerzlichen Seufzer, der meiner Brust sich
entrang. Eine unbeschreibliche Melancholie umfing mich. Buhen ! Mit was für
begeistertem Thatendrang war ich nach dem schönen Paris gekommen und jetzt,
nach kaum sechs Monaten, stand ich da, vemichtetl. . . Nicht einmel denken
mochte ich ans Malen I
In solcher Situation acceptirte ich die Einladung des nun verblichenen
Barons de Marchö, des ersten Gatten meiner Frau, nach Colpach zu kommen. Ich
ging, jedoch ohne Malerhändwerkzeug.
Als ich eintraf, avancirte gerade die Küche des Hauses zum Salon und die
weissen Wände harrten irgend eines Schmuckes. Eine unwiderstehhche Sehnsucht
ergriff mich, ich mutete diese nackten Wände voUpinseln und meine kranke Seele
an ihnen austoben und noch am selben Tag, ehe ich auch nur einen Spaziergang
gethan hätte, ging ich ans Werk ; in Ermanglung von Material nahm ich den
Anstreichern ihre Farbe weg, bis die meinigen, um die ich sofort geechrieben,
eintrafen.
Die erste Inspiration war freilich keine gar heitere : eine Bestattungsscene,
Todte, Särge und dergleichen ; da ich aber merkte, dass die Hausherren besorgt
schienen, was das werden solle, Hess ich dies Thema fahren und nr.ch einem Spa-
ziergang begann ich, inspirirt von der erschauten Landschaft, diese zu malen.
• Laissez -aller !■
Dies Laissez- aller an den weissen Wänden söhnte mich mit der Malerei
vollständig aus und der sechswöchentHche Colpacher Aufenthalt brachte cnir die
Kühe, stellte in meinem Ich das Gleichgewicht wieder her. Und hier lernte ich das
Stückchen Lebensphilosophie, dass man sich damit begnügen müsse, was man zu
leisten im Stande sei . . .
Während meines Colpacher Aufenthaltes malte ich auch ein kleines Genre-
bild, welches ich nach meiner Rückkehr in Paris sofort für zehntausend Francs
verkaufte. Das genügte vollauf, um die andern beiden Bilder fertig zu stellen und
solcher Art mit meinen Yerbindhchkeiten ins Beine zu kommen.
Nach etwa zwei Monaten waren die Bilder fertig. Qt)upil war zufrieden, denn
er hat sein Bild, wie ich weiss, sofort weiter verkauft. Vielleicht war gerade dies
der Grund, dass er, als er die • Nachtschwärmer» beinahe vollendet sah, sofort ein
Anbot machte und er war nicht wenig überrascht, als ich sagte, das Bild sei bereit«
verkauft.
— Ja, warum sagten Sie denn nichts?
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DEB FAHBBNDE HOLLÄNDER. ^^
— Ich dachte, Sie refleoidren nicht darauf, und anhieten wollte ich es
Ihnen nicht. ...
Und als er hörte, ein anderer Kunsthändler sei der Eigentümer, machte
er mich wohlwollend aufmerksam, der Mann stehe finanziell auf schwachen Füs-
sen. Goupil schlug dann vor, er übernehme das Bild, wenn der Andere innerhalb
vierundzwanzig Stunden den Rest der Kaufsumma nicht bezahle. Ich überzeugte
mich, dass Goupil Recht hatte. Dar Andere war wirklich in ungünstige Verhält-
nisse geraten, allein er bezahlte trotzdem und öoupil wurde böse. Ich aber freute
mich. Warum war er auch so berechnend gleichgiltig gewesen. . .
Das waren die Qualen des ersten Erfolges. Seither aber, wenn ich auch mit
mehr Philosophie arbeite, kratze ich dennoch gar häufig am Abend weg, was ich
4en ganzen Tag über geschaffen. . . . Miohabl MuitkJLosy.''
DER FAHRENDE HOLLÄNDER.
Irrfahrer, nebelhaft und geisterstumm.
Auf hoher See dort, wild vom Sfcurm bewegt I
Wer ist es, der die Feuerseele dir
Mit harter Strafe grausem Bann belegt,
Dass du umherirrst auf der Wogen Gischt ;
Und du mit ihnen ringest stets aufs Neu,
Bis dass nach sieben Jahre langem Kampf
Ein Weib du findest, bis zum Tode treu ?
Das Schicksal, das vom Flügelwagen tront.
Und ew'gem Monde gleich die Welt umfleucht.
Das auf dem Meere der Geschichte Ebb'
Und Flut schafft . . . Blut auch tilgt und Tränen scheucht :
Das warf in 's Meer hinaus dein Schiff und dir
In's Herz des Machtberufes schwere Pflicht,
Dass du der Meeresperlen seltenste,
Die Treuey suchest — und sie findest nicht.
Freiritt^r du der Nacht, verwaist und arm,
Ob auch dein Schiff führt Schätze, reich an Zahl I
Verzage nicht ; nicht du nur irrst durch' s Meer
Des Seins mit dieses Schmer zbewasstseins Qaal.
* Aus dem soeben erschienenen Prachtwerke • Magyar szellemi öleti : Unga-
risches Geistesleben, Erzählungen und Skizzen aus dem Leben ungarischer Schrift -
«teller und Künstler, herausgegeben von Michael Igmandi, Budapest, 1892, Hor-
ny&nszky, 4° 212 S. mit zahlreichen Illustrationen.
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S^ DER PAHBENDB HOLLANBEB.
Die onsre Mutter uns zur Lieb* gebar,
Wir alle teilen deines Flaches Loos,
Und rastlos suchen jene Perle wir.
Die tief verbirgt des Meeres dunkler Schooss.
Um uns her Nebel, Wettersturm, Gefahr,
Das Herz mit der Gefühle Schatz erfüllt, —
So ziehen wir nach iareuen Herzen aus,
Weil ohne solches Nacht die Schätze hüllt
Umsonst, wir finden keines, dem den Schatz
Wir könnten anvertraun im Treuebiind, —
Nur leere Muscheln, Seegras, Wasserschlamm
Zieht unsre Hand empor vom Meeresgrund . . .
Wie glücklich, der nach langem Kampf, sobald
Die sieben Jahre um, am Uferstrand
In niedrer Hütte findet — schlägt noch eins —
Ein Herz, das treu bis an des Ghrabes Band !
, ... An sicherm Anker feiert dort sein Schiff,
Das sturmzerfetzte Segel ruht . . . Wer weiss,
Vermag's auch er hiemieden, oder erst
Im Jenseits überm fernen Wolkenkreis ! . . .
Doch wie erst Jene, die umsonst gekämpfb.
Und deren Schiff umhertreibt hoffnungslos,
Und deren gramzerfurchter Stirn gegrünt
Kein Rosenblatt, nur feuchtes Grabesmoos ? ! . .
Der Mastbaum stürzt, das Segel sinkt, und sinkt
Mit seinem Herrn zum Klippengrund hinab,
Wo er, — das Herz gebrochen, ausgekühlt —
Von nicht erreichten Perlen träumt im Grab f
Irrfahrer, nebelhaft und geisterstumm.
Auf hoher See dort, wild vom Sturm erregt,
Dem des Geschickes zomerfuUter Gott
Der ew'gen Irrfahrt Strafe auferlegt :
Vertröste dich ! Erfolglos irrst umher
Du nicht allein : sieh uns, die grosse Schaar I
Ein Fluch verfolgt auf diesem Meere uns,
Die imsre Mutter uns zur Lieb' gebar.
Adolf Handmann^
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KUBZB BITZUNOSBERICHTE. 855
KURZE SlßüNGSBERICHTE.
— Akademie der Wissenschaften. Plenarsitzung am 5. Oktober. Nach-
dem der Präsident Baron Boland Eötvös die nach den Ferien znm ersten Male
versammelten Akademiker begrüsst nnd znr wiederaufgenommenen Thätigkeit
beglückwünscht hatte, gedachte er sofort der Pietatspflicht der Akademie anläss-
lich der hundertsten Jahreswende des Geburtstages ihres grossen Chünders. Er be-
dauert, dass die Akademie ihren ursprünglichen Beschluss, diese Feier am 21.
September mit der Enthüllung des die Gründung der Akademie durch den Grafen
Ste&n Sz6chenyi darstellenden, an der Gassenfront des Akademiepalastes einzu-
setzenden Beliefs zu begehen, wegen Yerzögentng der Vollendung des Bildwerkes
nicht ausführen konnte und sich 'begnügen mnsste, an jenem Tage am Piedestal des
Standbildes ihres grossen Gründers einen Kranz niederzulegen, als Pfand der auf
den April yerscbobenen Enthüllungsfeier. Anderwärts begehen Akademien, Schu-
len, Anstalten das Andenken ihrer Stifter alljährUch ; er findet dies auch für die
Akademie geziemend und empfiehlt anlässlich der hundertsten Jahreswende des
Geburtstages ihres grossen Stifters auch ihr die alljährliche Feier seines Andenkens
in der in folgendem Antrage formulirten Weise :
1. Die Akademie spreche es anlässlich der himdertsten Jahreswende des
Geburtstages ihres grossen Gründers, des Grafen Stefan Sz^chenyi als Beschluss
aus, dass sie zum Andenken dieses Tages fortan alljährlich eine feierliche General-
versammlung halten wird.
2. Die Aufgabe dieser Yersammlimgen soll es sein, der Nation Bechenschaft
darüber zu legen, was die einzelnen Classen der Akademie mit ihrer literarischen
und fachwissenschaftlichen Thätigkeit zur Förderung jener Ziele geleistet haben,
welche der Akademie ihr grosser Gründer vorgesteckt hat. Deswegen möge diese
Versammlung Sz^chenyi-Feier heissen, ihren Hauptgegenstand aber ein Vortrag
bilden, welcher den Fortschritt irgend eines Zweiges der Wissenschaften oder ein-
zelner wichtiger und gemeininteressanter Fragen behandeln und in einer dem
Verständniss des gebildeten Publikums angepassten Form auch über den Antheil
der Akademie an der Förderung dieses Fortschrittes oder an der Lösung dieser
Fragen Rechenschaft geben soll.
3. Diese Feier soll, wie die auch fernerhin abzuhaltende regelmässige feier-
liche Generalversammlimg, eine Feier der ganzen Akademie, in Anbetracht ihres
Gegenstandes aber eine feierliche Fachsitzung, imd zwar in einer den Classen-
sectionen entsprechend festzustellenden sich wiederholenden Beihenfolge sein.
4. Zur Feststellung des Detailplanes der Sz6chenyi-Feier entsendet die
Akademie eine Gommission.
Dieser Antrag wird einstimmig zum Beschluss erhoben.
Die Pietät für den grossen Stifter der Akademie veranlasst den Präsidenten
femer zu einem zweiten Antrag : die Akademie möge anlässlich der hundertsten
Jahreswende des Geburtstages ihres grossen Stifters aus ihrer gegenwärtigen
Sitzung die Ausschreibung eines Preises von 2000 fl. für eine Biographie desselben
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856
KURZE SITZUNOSBERICHTE.
beechliessen mit der Feststellung des Einsendungstermins auf den 21. September
18% und mit der Bestimmung, dass der Preis nur einem Werke von absolutem
Werte zuerkannt werde.
Auch dieser Antrag wurde einstimmig zum Beschluss erhoben.
Hierauf gedenkt der Präsident eines zweiten Jubeltages, der auf den 3. Sep-
tember gefallenen fünfzigsten Jahreswende der Erwählung dreier verdienstroller
Mitglieder der Akademie (Paul Hunfalvy, Franz Pulszky und Baron Nikolaus Vay),
welchen der Präsident in Begleitung seines Mitpräsidenten, des Generalsecretärs
imd zweier Classensecretäre die von der Akademie beschlossenen Gratulations-
Adressen am gestrigen Tage überreichte.
Nach diesen Freadentagen gedachte der Präsident jenes Trauertages, an dem
die Akademie im Cardinal-Erzbischof Ludwig BUiynald eine ihrer grössten Zierden
verlor. Der Präsident hat den Sehmerz der Akademie über seinen Hingang in
einer an das Erzcapitel gerichteten Beileidsadresse Ausdruck gegeben imd durch
den Secretär der in. Classe als Vertreter der Akademie bei seinem Leichenbegäng-
nisse einen Kranz an seiner Bahre niederlegen lassen. Haynalds Name als der
eines grossen Wohlthäters, thätigen Directionsrates imd hervorragenden Gelehr-
ten der Akademie steht unvergänglich in unserem Andenken eingeschrieben und
der Präsident beantragt, die nächste Generalversammlung möge die Placirung
seines Porträts im Bildersaale der Akademie beschliessen und sein Andenken durch
eine Denkrede feiern.
Nachdem die Plenarsitzung auch diesen Antrag einstimmig genehmigt, fand
der Uebergang zur Tagesordnung statt, auf welcher das Referat Josef Szigeti's über
den Hertdendy- Dramenpreis stand. Der von Julius Hertelendy auf den Namen
Max Hertelendy' s gestiftete Preis von 500 fl. für ein in den letzten fünf Jahren
erschienenes hervorragendes ungarisches Originaldrama sollte von dem aus den
Akademikern Anton Zichy, Gustav Heinrich und dem Referenten bestehenden
Preisrichter-Comit^ dem besten in den letzten beiden Jahren im Druck erschienenen
oder zur AufiFührung gelangten Drama zuerkannt werden. Die Preisrichter erkann-
ten als die beiden beachtenswertesten Schauspiele tÖrök törv^ny» (Das ewige
Gesetz) von Gregor Csiky und «Bölos Salamoni (Der weise Salomo) von Karl Ssäsz
und die Majorität entschied sich für die Preiskrönung des ersteren, welches sich
neben einer !Fülle hervorragender Eigenschaften als dauernd bühnenfahig erwiesen
hatte. Die Plenarsitzung beschloss, dem Majoritätsan trage entsprechend, die Preis-
krönung des Csiky'schen und Belobung des Karl Szäsz'schen Stückes.
Hierauf folgte die Anmeldung der laufenden Angelegenheiten durch den
Generalsecretär. Er begann mit der Anmeldung der Verluste, welche die Akademie
ausser dem bereits vom Präsidenten gemeldeten Hinscheiden des Ehren- und
Directionsratsmitgliedes Ludwig Haynald während der Ferien durch den Tod
erlitten hat : des ordentlichen Mitgliedes Moriz Ballagi, der correspondirenden Mit-
glieder Ludwig Haan in B.-Csaba und Ludwig Podhorszky in Paris, der auswärtigen
Mitglieder Josef Petzval in Wien und Baja Bajendralala Mitra in Kalkutta, denen
er kurze Nachrufe widmete und deren Andenken durch Denkreden gefeiert
werden soll.
Sodann verlas der Generalsecretär das Danksohreiben des Kalocsaer Erz-
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KUBZB SITZUNOSBERICHTE. 857
capitels für die Teilnahme der Akademie an der Leichenfeier des Gardinal-Eiz-
bischofs Ludwig Haynald ; den zmn 21. September vom Helfingforser Akademiker
Anton Jalava aus kaltem Norden gesandten warmen Gruss zum hundertsten Ge-
burtstag des grössten Ungars ; das Danksohreiben Fittnz Pulszky's für die Glück-
wunschadresse der Akademie zu seinem fiin£zigjälirigen Ehrenmitgliedsjubiläum ;
eine Zuschrift des Unterrichtsministers, in welcher er die Akademie auffordert, ein
oder zwei Fachmänner in jene Gommission zu ernennen, welche über die Errich-
tung einer Landes-Stemwarte beraten soll ; eine Zuschrift des Handelsministers,
welcher zur Deckung der Editionskosten der «Nemzetgazdasägi Szemle» (National-
ökonomische Eevue) einen Beitrag bewilligt, und einen Bericht über die am 29.
September gehaltene Sitzung der Gommission für die malerische Ausschmückung
des Prunksaales des Akademiepalastes, nach welchem Meister Karl Lotz seine Auf-
gabe glänzend gelöst hat und mit der Ausführung der drei vorgelegten Gartons
beauftragt worden ist Hierauf meldet der Generalsecretär, dass die zweite
20,000 fl.-Rate der 100,000 Gulden- Stiftung Andor Semsey's und da« 4000 fl. be-
tragende Legat Paul Thanhoffer's eingezahlt worden sei. Sodann verlas der Gene-
ralsecretär die Liste der Arbeiten, welche zu dem am 30. September abgelaufenen
Termin verschiedener Preisconcurrenzen eingelaufen sind. Um den Teleki-Preis
(100 Ducaten) für Lustspiele ooncurriren 7 Stücke, um den Earätsonyi- Preis (dies-
falls 400 Ducaten) für Trauerspiele 24 Stücke, um den Farkas-Baskö-Preis für ein
patriotisches Gedicht 36 Dichtungen, um den Nädasdy-Preis für eine erzählende
Dichtung 1 1 Arbeiten, um den Fäy-Preis für ein ungarisches Staatsrecht 3 Arbei-
ten, um den Preis der Ersten Ungarischen Allgemeinen Assecuranz-Gresellschaft
für «Grundprincipien der Genossenschaften» 2 Arbeiten, um den Döra-Preis für
t Verfügungen des Handelsrechtes» 1 Arbeit, um den Marczibänyi-Preis für eine
iDeutsch-ungarisehe Phraseologie» 1 Arbeit, um den Czartoryski-Preis für ein
«Polnisch-ungarisches Staatsrecht» 1 Arbeit. Um den L^vay-Preis für eine Ge-
schichte der leichten ungarischen Reiterei im 17.^ und 18. Jahrhundert langte
keine Concurrenzarbeit ein.
Die Devisenbriefe der Concurrenzarbeiten wurden am Schlüsse der Plenar-
sitzung durch den Präsidenton versiegelt.
Nachdem somit die Tagesordnung der Plenarsitzung erschöpft war, schloss
der Präsident dieselbe und es folgte die Sitzung der I. Glasse unter dem Vorsitze
des Glassenpräsidenten Paul Hunfalvy, auf deren Tagesordnung der Antrittevortrag
des correspondirenden Mitgliedes Ärpäd Berczik Ueber die tmgarischen pditischeii
Lustspiele der Vierziger Jahre stand. Die Gattung des politischen Lustspieles,
welches dem Publikum die Actnalitäten des politischen öffentlichen Lebens in
satirischer und scherzhafter Beleuchtung vorfühi*t, weist auch bei uns Producte
auf, welche, abgesehen von ihrem Werte als Zeitbilder, durch jene Wirkung,
welche sie zu ihrer Zeit ausübten und teilweise noch üben, eine Stelle in der Ge-
schichte unserer Literatur beanspruchen. Das ungarische Lustspiel hat bereits bei
seiner Geburt einen über die engen Grenzen des Familienlebens hinausgehenden
Sinn für das öffentliche Leben verraten und sein Schöpfer Karl Kisfaludy nimmt
beim ersten Betreten der Bühne den Anlass wahr, zur VaterlandsHebe zu begeistern
und die Ausländerei zu verspotten, zunächst in seinem Lustspiel «Die Freier»
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S^ KURZE 8ITZUK06BERICHTE.
(A k^r6k), in den gegensätzlichen Gestalten des Perföldy und Sz^lh^i. Dasselbe
gehört jedoch trotz seiner patriotischen Tendenz noch nicht in den Kreis der poli-
tischen Liistspiele, welchen Kisfaludy auch in seinen späteren Lustepielen nicht
betrat, teils weil das damalige Publikum für das Familienlustspiel k la Eotzebue
schwärmte, teils weil die Censur politische und patriotische Anspielungen ver-
pönte. Aber im frischen Morgenhaucbe der anbrechenden Vierziger Jahre, wo in
der erwachten Nation die Träume zu Aspirationen werden, wird auch das unga-
rische politische Lustspiel geboren. In jenen schönen Vierziger Jahren, welche
durch die grossen Ideen, von welchen die Nation bewegt wird, durch die grossen
Thaten. mit denen sie die Aufinerksamkeit der Welt erregte, durch die grosse Um-
wandlung, welche unsere Oesellschaft damals erfuhr, eine der glänzendsten Epo-
chen unserer nationalen Geschichte sind, aber auch eine der anziehendsten, weil
in keiner anderen die liebenswürdigen, sympathischen Eigenschafben des unga-
rischen Stammes so sehr hervortreten, wie damals. Jene Epoche charakterisirt
jugendliche Begeistenmg für die Ideen der Neuzeit, grossmütiger Verzicht auf
eine bevorrechtete Stellung, edelmütige Aufiiahme der ausgeschlossenen Claasen in
die Wälle der Verfassung und Gesellschaft, und überhaupt jener glaubenssehge
Idealismus, welcher mit der Erkämpfung der Freiheit das höchste Ziel der mensch-
lichen Beglückung erreicht wähnte. Diesen Geist wiederspiegelt natürlich auch die
damalige Literatur, welche die erlösenden Worte des Liberalismus in Zeitungen,
Bomanen, Flugschriften imd selbst auf der Bühne verkündet. Der Gonservativismus
hatte seine Vertreter in der Politik, aber keinen in der schönen Literatur, welche
nur die Ideen der Führer des liberalen Fortschrittes in immer weitere Kreise der
Nation hineintrug und dem Politiker den Weg ebnete, indem sie einesteils die
alten Vorurteile vor der öffentlichen Meinung lächerlich machte, andemteils die
Ideen der Staatsmänner popularisirend in Kreise führte, wohin sie auf anderem
Wege nie gednmgen wären. Der Boman tA falu jegyzöje» (Der Dorfnotär) von
Baron Josef Eötvös hat in dieser Hinsicht auf die Nation vielleicht mehr gewii^
als seine sämmtlichen Artikel und Beden. Die politische und sociale Zeitströmung
übt denn ihre Wirkung auch auf verschiedene Dramatiker der Vierziger Jahre.
Karl Obemyik kämpft in tFönr ^s p6r» (Magnat und Bauer) gegen das Erstgeburts-
recht, in «Örökseg» (Erbschaft) gegen die Vorort eile des Adels gegenüber dem
Bürgertum. Aehnliche liberale und demokratische Auffassung finden wir bei Szig-
ligeti, der in seinen Volksstücken «Csikös» imd tK^t pisztoly» (Die zwei Pistolen)
als Kämpe der Beformtendenz auftritt. Ignaz Nagy, Emerich Vahot, Baron Joeef
Eötvös, Josef Szigeti und andere schreiben wahrhafte politische Tendenz-Lust-
spiele, welche jedermann, der für die Entwicklung der Nation Sinn und Interesse
hat, mit Genuss lesen kann. Vortragender fand es demnach der Mühe wert, die ver-
staubten, vergilbten Handschriften aus der Bibliothek des Nationaltheaters hervor-
zustöbem und durchzublättern. Eine ganz andere Welt, als diejenige, die wir heute
um uns sehen, thut sich hier vor uns auf. Eine kleinere Welt mit einer kleineren
Gesellschaft, kleinartigeren Verhältnissen — aber mit jugendlicherer, frischerer,
minder pessimistischer Auffassimg, als die heute herrschende. Zwei Welten stehen
einander gegenüber : die alte und eine neue Welt, welche die Beformatoren der
Nation — Sz^chenyi, Koisuth, Eötvös und die anderen — schaffen wollen. Stör-
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KURZE SITZÜNOSBERIGHTE. ^5*'
riges Festklammem an die alten Zustände kämpft mit dem Fortschrittsdrange und
jeder Pfleger der politischen Lustspielliteratnr steht in diesem Kampfe auf der
Seite des Fortschrittes und geht, die Fahne des Liberalismus hochschwingend,
voran. Ausser der staatsrechtlichen Seite, dem Kampf um die staatliche Unab-
hängigkeit, hatte jene Zeit noch eine andere Seite« welche nicht minder wichtige
Folgen nach sich zog. Es ist dies die liberale, demokratische Strömung, deren Lo-
sungswort, die Gleichheit, mit den Losungsworten der politischen Freiheit und
Selbstständigkeit vereint erklang, besonders seit die Wirkung der Pariser Bewegung
auch bei uns fühlbar wurde und jeder nolens volens «Bürger» (polgärtärs) wurde.
Diese socialen Ideen und Losungsworte, vornehmlich das der socialen Gleichheit,
kommen in den politischen Lustspielen jener Zeit am häufigsten vor. Der Kampf
durch Classenschranken von einander getrennter Herzen und die Capitulation der
Vorurteile vor der Macht der Liebe sind Quellen, aus denen schon viele geschöpft
haben und noch viele schöpfen werden. — Vortragender führte sodann die £nt-
wickelung des politischen Tendenzlustpieles in den Vierziger Jahren bis zum Frei-
heitskampf und dem darauffolgenden trostlosen Jahrzehnt in lebendigen Detail -
Illustrationen vor. Er beginnt mit Ignaz Nagy's «Egyesüljünk» (Vereinigen wir
uns I), welches den Stempel des Sz^chenyi' sehen Einflusses an sich trägt. Für ein-
ander schwärmende Engländer und Ungarn wollen aus unserer asiatischen Nation
eine europäische nach englischem Muster machen und namentlich im Wege des
Vereinswesens für die Hebung des Volkes arbeiten. Doch erlebte das Stück nur
eine einzige Aufführung (1840). Glücklicher war Ignaz Nagy mit seiner «Restau-
ration» (Tisztujitäs), welche den Gegensatz der liberalen und der conservativen
Pecsovics-Partei des Kleinadels bei einer Comitatsbeamten-Wahl vorführend, die
politische Tendenz mit der die Handlung bildenden Liebesgeschichte verbindet.
Das Stück erlebte 43 Vorstellungen xmd verdankt diesen Erfolg seiner Zeitgemäss-
heit. Weniger Erfolg hatte eine Nachahmung desselben in Emerich Vahot's «Meg
egy tisztujtäs» (Noch eine Bestauration), welches die politische Tendenz stärker
aufträgt. Dagegen erlebten Einerioh Vahot's bald folgende Lustspiele «^jen a
honil» (Hoch das Heimische !) und «Orszäggyül^si szdlläs» (Beichstagsquartier)
je 36 Vorstellungen. Das erstere tritt für die heimische Industrie in die Schranken ;
das letztere löst durch eine Liebesgeschichte die Gegensätze des ungarischen
Beichstagsjuratentums und deutschen Pressbnrger Spiessbürgertums in Harmonie
auf. Hoch über alle politischen Lustspiele der Vierziger Jahre und zu dauernder
literarischer Bedeutung erhebt sich aber ein Lustspiel des Baron Josef Eötvös :
«£ljen az egyenlds^gl» (Hoch die Gleichheit 1), diese feine Satire auf den Schein-
liberalismus, weicher in einer Beihe gelungener Charakterfiguren in all seinen
Nuancen unbarmherzig blossgestellt wird. Das Stück schlug ein, es erlebte 19 Vor-
stellungen und steht noch heute auf dem Bepertoire. Die censurlose Zeit nach der
März-Erhebung U48 förderte drei politische Lustspiele: «Ein Täblabirö io den
Märztagen» von Josef Szigeti, «Der fünfzehnte März» von Ludwig Dobsa und «Ein
ungarischer Auswanderer in der Wiener Bevolution • von Karl Obemyik. alle drei
gegen die Pecsovicse und die Kamarilla eifernd, das erste 9mal, das zweite Imal.
das dritte 3mal aufgeführt. Nach dem Zusammenbruch der Freiheitsbewegung
verstummte die ungarische Lustspielmuse. Nach langer Pause schlägt dann wieder
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860 KURZE SnZUNGSBERIGHTE.
Josef Szigeti in den «Falusiak» (Die Döriler) die Töne des Patriotismiis an. Bald
darauf haben meluere, mit dem meisten Erfolg Stefan Toldy in den tJ6 kazaüak»
(Gate Patrioten) und tUj emberek» (Neue Leute), das Oenre des politischen Lust-
spieles bei ims oultivirt. In neuester Zeit ist die Politik der Bühne fem geblieben.
Niich all dem schliesst Vortragender: Unsere politische Theater- Literatur weist
genug des Interessanten, Anziehenden und Wertvollen auf, wenn wir auch dem
tRabagas» des französischen und dem t Revisor» des russischen Theaters keine
gleichgewaltigen Gestalten entgegenstellen können.
- - In der Sitzung der zweiten Classe am 1 ± Oktober las das ordentUche
Mitglied Julius Schvarcz eine zweite Studie über die Eenyon'sche 'Aj^i/vottuv noXiTcla.
Nachdem der Vortragende in seinem ersten Vortrag (9. März) den Inhalt der
Kenyon*8chen noXi-csia insbesondere in Bezug auf deren verfassungsgeschicht-
lichen Inhalt kritisch gewürdigt hatte und zu der Schlussfolgerung gelangt war,
dass der Verfasser derselben Aristoteles, der Verfasser der noX(T'.xa, nicht sein
könne, sondern dieselbe noch viel eher von Demetrios Phalereus, der n. A. wohl
auch eine Geschichte der athenischen Verfassung {\\zp\ töSv 'A;^vr,fft roXtTEtftiv)
geschrieben, herrühren dürfte, hielt derselbe am 12. Oktober in der Sitzung
der n. Classe einen zweiten Vortrag, in welchem er die über diesen Gegenstand
entstandene Ijiteratur einer eingehenden Kritik imterzog. Er fand es denkwürdig,
dasH sich — abgesehen von Barthelemy Saint Hilaire — bis jetzt für die Autor-
schaft des Aristoteles vorzugsweise nur Philologen erhitzen, die vor dem Erschei-
nen der Eenyon'schen Veröffentlichung es nie merken liessen, dass sie sich je mit
politischer Wissetisctiatt oder wohl auch nur überhaupt mit Aristoteles fachlitera-
risch beschäftigt hätten. Alle Achtung vor den sonstigen realphilologischen und
historischen Arbeiten des Philologen Adolf Bauer: doch der Ton, den er in seinen
• Literarischen und historisclien Forschungen* gegen die kritischen Gegner der
Autorschaft des Aristoteles anschlägt, verrate nur, dass ihm sowohl staatswissen-
schaftliche Fachbildung als auch Sinn für Politik abgehen. Schvarcz leugnet
nicht das constructive Geschick seines Werkes, doch sei seine Argumentation zu
gewaltthätig und sein Gesichtskreis zu eng, um die Frage der Autorschaft der
neuentdeckten 'A:»if)va((uv TcoXits^a ins Beine zu bringen. Bauer ist bereit, die ganz6
Chronologie der athenischen Geschichte umzustürzen, um nur in der bekannten
Stelle der Aristotelischen •Ihlitik* statt Perikles einen *Themistokles* heraus-
zubekommen. Was Bauer aus der Geistesverwandtschaft des Aristoteles mit Thu-
hydides zu Gunsten des aristotelischen Ursprungs der Kenyon'schen noXitEia heraus-
klügeln will, beleuchte nur unwillkürlich seine Unbewandertheit in der politischen
Literatur der Griechen. Bauer weiss uns von einer Identität sowohl der Sprache
als des Gedankenstyls der aristotelischen floXiTixi mit der Sprache sowie mit dem
Gedankenstyl der Kenyon'schen noXtT6{a Wunderdinge zu erzählen. Ein staats-
wissenschaftlich geschulter Realphilologe würde jedoch nie sich so weit verirren,
da ein solcher Kritiker weder die Sprache, noch den Gedankenstyl von zwei
Werken je für identisch halten wird, von denen das eme die politischen Kunst-
ausdrücke in einem völlig anderen Sinne gebraucht als das andere. Z. B. sowohl
die rToXiTtxa des Aristoteles, als auch die Kenyon'sche noXtreia bedienen sich ziem-
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KURZE 8ITZUNG8BERI0HTE. 861
lieh häufig der politischen Ausdrucksweise 'ETZizv/.ti^, In der IToXiTixa des Aristoteles
bedeutet dieser politische terminus technicus die •politiBch Gebildeten*, •die
geistig zur Verwaltung des Staats Geeigneten*, die politischen Sachverständi-
gen/' — oi sJoöTi; — und in der Kenyon'sehen TToX'.Teta bedeutet dieselbe Ausdrucks-
weise die gemässigten Elemente ohne Bezug auf ihre geistige Bildung. — Nun sei
es verkehrt, wenn Bauer zwei Verfasser, welche politische Kunstausdrücke in so
verschiedenartigem Sinne gebrauchen, für identisch halten will. Aristoteles nimmt
wärmevoll Partei für den Mittelstand in der • Politik* : der Verfasser der Kenyon-
schen HoAttgt« sympathisirt entschieden mit der Sold-beziehenden Massenherr-
ßchaft, welche Aristoteles unentwegt verabscheut. Aristoteles ist gar arg auf die
Tyrannis des Peidstratos sowie der Pßisistratiden zu sprechen und lobt den Pßrikles,
in dem er das Urbild des ©pöviao^ erblickt : die Kenyon'sche noXiTsCa begeistert sich
unwiderruflich für die menschenfreundliche und weise Eegierung des PeidstratoB
und hat nicht ein Wort des Lobes für Pßrikles. Ja, der Verfasser der Kenyonschen
IloAiTsia erwähnt nicht einmal der Prachtbauten des Perikles, was Aristoteles sicher'
nicht unterlassen hätte, wäre er der Verfasser dieser RoXiTsia. (Hier macht Schvarcz
einen Wink auf die Rüge, welche Demetrios Phalereus dem Andenken des Pßrikles
wegen der Kostspieligkeit seiner Bauten erteilt.) Endlich sei es komisch, wenn
Bauer auch aus dem Lobe, welches die Kenyon'sche fföXiTeia der Selbstmässigung
des Demos anlässlich der Amnestie spendet, ein Argument zu Gunsten der Autor-
schaft des Aristoteles herausschmieden will. Bauer meint, der Verfosser habe
hiedurch unter den Zeilen dem Demos den Rat erteilen wollen, die Flüchtlinge
und Verbannten (329—325 v. Chr.) zurückzurufen. Er versteht hierunter die
Anhänger der makedonischen Partei. Nun würde denn eine derartige Zumutung
nicht viel eher auf Demetrios PhalereiLS passen, der selber ein makedon-freund-
licher Schriftsteller und ein am athenischen Verfassungsleben pi'oktisch beteiligter
Staatsmann 'gewesen ist als auf Aristoteles, der den Philosophen riet, mala fern-
zuhalten von ^^diVfQdiev praktischen Politik xmdi sich lediglich nur dem ßW; ^sopr^Tix^;
zu widmen. Wo hat Bauer je davon Spuren entdeckt, dass der aitöixo; Aristoteles
e» je unternommen hätte, den Athenern Ratschläge in Bezug auf praktische Politik
erteilen zu wollen ?
Nachdem Schvarcz einige Worte über Bauers Arbeit gesprochen, hält er
eingehend Rundschau über die Beweisführungen Franz Rühls, der im t Rheini-
schen Museum* dafür plaidirt, dass Aristoteles die Kenyon'sche rioXireia gar nicht
geschrieben haben konnte. Schvarcz hält den Inhalt der Kenyon'sehen noXit-ix
entschieden für wertvoller als Rühl, der in derselben blos ein elendes Machwerk
irgend eines späteren Griechen sehen will ; auch könnte er nicht Alles unter-
schreiben, was Rühl als Beweismittel gegen die Autorschaft des Aristoteles anführt ;
im Ganzen jedoch hält er den Rühl'schen Aufsatz für einen sehr wichtigen Beitrag
''^ Oneken hat gewiss fehlgegrififen, indem er ^ntsixeic mit •Tugendhaften* über-
setzt ; Susemihl kommt schon etwas näher an den wirklichen Sinn, indem er iTitEixet;
mit ulie Tüchtigen* wiedergibt. Hierüber s. Susemihl in d. • Wochenbl, für Klass.
Philologie* 1SS6, Feitr, 26. und die Antwort darauf in der •Krüik der Staatsfomten
des Aristoteles* von Jul. Schvarcz a. betr. St.
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8<52 KURZE SITZUNOSBERICHTE.
zur Lösung des Problems. Bühl legt entsehieden mehi* politischen Sinn an den
Tag als Bauer und die meisten Pfleger der ArietoteUs- Legende ; insbesondere
schätzbar ist was Bühl in Bezug auf die Drakonische Vev&ssungsphase auseinan-
dersetzt, indem er dai*auf hinweist, dass die Timokratie weder q»4 dem Geschlech-
terstaat, noch mit einem unschriftkundigen Culturzustande verträgli^ hatte sein
können. Auch sei beherzigenswert, was er in Betreff des Mondjahres sagt and
Alles in Allem habe Bühl nicht nur erfolgreich gegen die Autorschaft des Aru-
totdes gekämpft, sondern auch fraglich gemacht, ob die *A;^,vaiti>v ::oXtreia, welche
Plutarch (Didymos) gesehen, überhaupt identisch mit der Eenyon'schen 'a^tjvxicdv
noAtTEiai sein könnte ?
Mit einem Mahnworte an die Pfleger der Aristoteles- Legende schliesst
Schvarcz den kritischen Teil seiner Abhandlimg : sie sollten bedenken, dass sie
durch ihren schlechtangebrachten Flammeneifer das Andenken der wahren Grösse
des geistigen Lebens der Griechen schädigen: denn, um nur den Aristoteles-
Cult steigern zu können, trachten sie die Spuren der geistigen Thätigkeit sonstiger
Griechen zu verwischen, die als Zeitgenossen des Aristoteles gleichfalls die poU-
tische Literatur der Griechen zu bereichern strebten und zwar mit Erfolg.
Schvarcz bespricht zuletzt denjenigen Abschnitt des zweiten Teiles der Eenyon-
schen 'A^,va»ov noXueia, der den Staatsrat — ßcoA»; — zum Gegenstande hat imd
berichtigt dabei einige Stellen der Uebersetzung der Philologen Kaibel und
Kiessling. — Die Abhandlung von Schvarcz, welche ungarisch in den Veröffent-
lichungen der Ung. Akademie der Wissenschaften erschienen ist, wird auch in
deutscher Sprache und zwar in der nächsten Abteilung des IL Blindes des Werkes
über die •Demokratie» von Schvarcz veröffentlicht werden.
Hierauf legte das korrespondirende Mitghed Josef Jekelfalussy eine grössere
Abhandlung des Universitäts-Decenten Dr. Zoltän Bäth vor über das Oredit-
hedürfniss der Grundbesitzerclassen und dessen Befriedigung. Verfiwser erinnert
an jene Bewegung, welche im An&og der achtziger Jahre die Verschuldung der
Gnmdbesitzerclasse zum Gegenstande lebhafter Besprechung machte. Diese
Bewegung Hess bei uns ohne jedes positive Ergebniss plötzlich nach, während
dieselbe im Auslande zahlreiche legislative Consequenzen nach sich zog und die
Frage der Beformen bis heute auf der Tagesordnimg hielt. Es drängt sich die
Frage auf, ob die Besserung, welche auf dem Gebiete der Bodencreditverhältnisse
in einem auch statistisch nachweisbaren Maasse factisch eingetreten ist, von der
Art sei, dass sie bei ims das thätige Eingreifen des Staates und der Gesellschaft
überflüssig mache ? Behufs Lösung dieser Frage untersucht Verfasser den eigen-
artigen Charakter des Creditbedürfhisses der Grundbesitzerclasse. Eine Bundschau
über die verschiedenen Arten des Credits lässt ihn finden, dass dieser eigenartige
Charakter mit der Eigenschaft des Grundes als Ertragsquelle zusammenhänge.
Hierauf stellt er die Forderungen auf, welche wir — vom Gesichtspunkte der
Grundbesitzer Classe, respektive Classen — dem Credit gegenüber erheben
müssen. Er entwickelt, dass diese Forderungen dm*ch den Privatgläubiger nur
in Ausnahmsfällen erfüllt werden können und deshalb die entsprechende Befrie-
digung des Creditbedürfnisses nur von Anstalten zu erwarten sei. Verfeuser macht
eine Digression über Bodbertus* Bentenprincip, behandelt eine schwierige Fraga
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KURZE SITZUNGSBERICHTE. 863
des Erbrechte und betont die Notwendigkeit der Verallgemeinerung des Amor-
tisationszwanges. Schliesslich resumirt er die Ergebnisse der Oreditstatistik und
erklärt unter imseren Verhältnissen die Errichtung einer Anstalt für dringend
notwendig, welche mit ihrem über das ganze Land ausgebreiteten Fihalennetz
das Creditbedürfhiss der Kleingrundbesitzer unter vollkommen entsprechenden
Modalitäten befriedige. Die Studie, welche Vortragender nur auszugsweise vor-
lesen konnte, wird ihrem ganzen Umfange nach in der «Nemzetgazdasägi Szemlet
(Volkswirtschaftliche Bevue) erscheinen.
— In der Plenarsitzung am 26. Oktober las das correspondirende Mitglied
Theodor Ortvay seine Denkrede auf das ordentliche Mitglied Friedrich Pesty
Denkredner bespricht die äusseren Lebensverhältnisse des Verewigten, seine Thä-
tigkeit im Freiheitskampfe, sodaun seine ausgedehnten archivalischen Studien;
femer zählt er seine literarischen Werke auf und hebt in warmen Worten den
grossen literarischen Wert derselben hervor. Endlich oharakterisirt er mit Wärme
den unermüdlichen Gelehrten und liebevollen Menschen. (Vgl. über Friedrich
Pesty diese Ungar. Revue, 1890, S. 170).
Hierauf teilte der Generalsecretär Koloman Szily die laufenden Angelegen-
heiten mit. Er las eine Zuschrift des Barons Nikolaus Vay, welcher der Akademie
mit herzlichen Worten füi- ihren Glückwunsch zu seiner fünfzigjährigen Mitglied-
schaft dankt ; dann die Meldung der hterarhistonschen Commission der I. Classe,
dass sie Josef Dankö und Georg Häth zu Mitgliedern gewählt habe ; hierauf die
Meldungen der I. und 11. Classe, dass sie für die ihnen zugewiesenen Concurrenz-
werke die Preisrichter bestimmt haben ; dann die Meldung der III. Classe, da^s sie
Stefan Erusper und Eoloman Szily in die Stemwarte-Commission gewählt babe ;
hierauf den Bericht des Bibhotheksoffizials Ärpäd Hellebiant, welcher zum Zwecke
der Ergänzung des herauszugebenden UI. Bandes von Karl Szabö's «Alter Unga-
rischer BibUograpbie» im Auftrage der Akademie während des Sommei-s die Biblio-
theken des Auslandes besucht und von 442 Dnickwerken Titelcopien genommen
hat, wobei er manche Hterarhistorisch wertvolle, bisher unbekannte Drucke vor-
gefunden.
Sodann las Privatdocent Dr. Ignaz Kunoss seinen •Bericht über die türkische
Handschriften- Sammlung Daniel Szildgyis^, mit deren Bestimmung und Registri-
rung ihn das Präsidium der Akademie betraut hatte. Referent schildert zuerst die
Persönlichkeit des in Stambul im Stadtviertel Pei-a in der kleinen Timoni-Gasse
wohnhaft gewesenen Buchhändlers und eifrigen Handschriften- Sammlers, unseres
Landsmannes Daniel Szilägyi, der, als Debrecziner Theolog Emigrant geworden,
in kurzer Zeit der gesuchteste Uebersetzer der türkischen Hauptstadt imd gründ-
lichste Eenner der türkischen Sprache wurde. Die Handschriftensammlung, welche
heute ein Eigentum der Ungarischen Akademie bildet, ist sein geistiges Velmächt-
niss. Sie ist der übriggebliebene Teil einer grossartigen Sammlung, welche Szilägy
selbst für die Akademie bestimmt hatte, von welcher aber gleich nach seinem plötz-
lichen Tode mehrere Hundert Stücjv spurlos und für immer verschwanden. Referent
hebt unter anderen wertvollen Stücken das ausserordentlich seltene Suleiman-
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^6^ VNOARiaCHE BIBLIOGBAPHIE.
Nameh und das bereits von Vämb^ry dem Attsland bekannt gemachte Baber-Nameb
hervor. Der verstorbene Sammler forschte planmässig nach Handschriften, welche
für die imgarische Geschichte und altaische Sprachforschung als Quellen dienen
können. Dem Dienste dieser Idee weihte er mit der Uneigennützigkeit des wahren
Gelehrten und der heiligen Begeisterung des Idealisten sein ganzes Leben. Mit an-
dächtigem Eifer forschte er besonders nach türkischen Sprachdenkmälern und die
Ungarische Akademie besitzt von ihm manche Handschrift, welche für die Ge-
schichte der türkischen Sprache eine Quelle ersten Banges bildet. Sein Jugend-
freund, der hervorragende Schriftsteller Siniiszi Efendi hatte mit riesigem wissen-
schafthchen Apparat das historische Wöi-terbuch der türkischen Sprache zu schrei-
ben unternommen und bereits das Material für etwa zwanzig Bände gesammelt
wurde jedoch durch den Tod an der Veröffentlichung verhindert. Da er, als Schrift-
steller und Dichter, zur Garde der «jeune Turquie» gehört hatte, wurde fest sein
gesammter Handschriften-Nachlass confiscirt. In imserer Sammlung befinden sich
elf Bände dieses unschätzbaren Werkes. An derlei Partien seiner Sammlung
schliessen sich die türkischen Chroniken, welche mit ungarisch-geschichtlichen
Beziehungen durchwoben sind. Die Sammlung besteht aus 436 Handschriften^
deren grösserer Teil historisches oder sprach geschichtUch es Interesse hat.
Hiemuf legte der Generalsecretär den Bericht des Bistritzer Professors
Albert Perger über ein im Bistritzer Archiv gefundenes altes lateinisch-imgarisches
Vocabularium vor, und verlas zum Schlüsse eine kurze Zuschrift des ViceprSä-
denten Wilhelm Fraknöi, welcher der Akademie die Porträts ihrer vier ersten Ge-
neralsecretäre überlässt. Dem Spender wird der Dank der Akademie ausgesprochen.
UNGARISCHE BIBLIOGRAPHIE*
( ato hülcfi imnuidsai. (Die Sprüche Cato's ; kritischer Text, ungarische Ueber-
«eizung, erklärende Anmerkungen von G^za N^methy). Budapest 1891, FranMin, 132 S.
Jancsü Benedeky Közt^nskoldink refonnja, (Die Reform unserer Mittelschulen»
l'ädagogische Studie von Benedikt Jancsö). Budapest, 1891, Loinpel, 135 S.
Kracsala Jdno.% Bisterfdd etetrajza, (Johann Heinrich Bisterfeld's Leben von
Johann Kvacsala). Budapest, 1891, Stampfel, 66 S.
I^i'H VUmoHy A Dana fdyöra vonatkozd nemzetközi jogdllapot (Der auf den
Donaufluss bezügliche internationale Rechtszustand. Gekrönte Preisschrift von Wilhelm
Lers). Budapest, 1891, PaUas, i253 S.
Marczali Henrik, Maria lerezia, (Maria Tlieresia 1717 — 1780, von Heinrich
Marczali). Budapest, 1891, Rath, 32:2 S. mit zahlreichen Illustrationen im Text und
selbständigen Kunstbeilagen.
Bdkod Viktor, Eiiy falu.si Hamlet, (Ein Hamlet auf dem Dorfe. Roman in einem
Bande von Viktor R4kosi). Budapest, 1891, Deutsch, 125 S.
• Mit Ausschluss der mathematisch-naturwissenschaftlicheD Literatur, der Schulbücher,.
Erbaunngsschriften und üebersetzungen aus fremden Sprachen, dagegen mit Berücksichti-
gung der in fremden Sprachen erschienenen, auf Ungarn bezüglichen Schriften.
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